Team-Mind und Teamleistung: Teamarbeit zwischen Managementmärchen und Arbeitswirklichkeit [2. Aufl.] 9783662620533, 9783662620540

Wie erfolgreich eine Organisation ist, wird dadurch bestimmt, wie gut die Mitarbeitenden in ihr zusammenarbeiten. Krisen

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German Pages XVIII, 323 [325] Year 2020

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Team-Mind und Teamleistung: Teamarbeit zwischen Managementmärchen und Arbeitswirklichkeit [2. Aufl.]
 9783662620533, 9783662620540

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVIII
Die Kunst, Team neu zu denken (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 1-14
Front Matter ....Pages 15-15
Viele Hände schaffen am falschen Ende: Wie Teamleistung entsteht (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 17-32
Wenn leichte Aufgaben es einem schwer machen: Teamleistung und Teamziele (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 33-48
Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 49-71
Front Matter ....Pages 73-73
Wir sind nicht wie die anderen: kleine Unterschiede mit großer Wirkung (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 75-91
Wir sind die Besten: Warum tolle Teams dumme Fehler machen (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 93-115
Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 117-141
Front Matter ....Pages 143-143
Kranke Teams machen krank: Mobbing, Sexismus, Rassismus und Gruppendruck (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 145-166
Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 167-185
Front Matter ....Pages 187-187
Die Mannschaft und der Fanblock: Auswirkung von Bekanntheit und Anonymität im Team (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 189-199
Herde und Leithammel: Diffusion von Verantwortung (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 201-213
Agil und selbstorganisiert: Teams als Organisationsform (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 215-229
Front Matter ....Pages 231-231
Vom Versagen Einzelner zur Folterkammer: unmoralische Systeme (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 233-246
Teamraum: Team und Raum (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 247-267
Kollege Roboter: Teams und Technik (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 269-282
Team-Mind: Teams neu denken (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 283-297
Teamarbeit am Ende oder erst am Anfang? Appell für einen Neustart (Joachim Hasebrook, Benedikt Hackl, Sibyll Rodde)....Pages 299-316
Back Matter ....Pages 317-323

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Joachim Hasebrook · Benedikt Hackl Sibyll Rodde

Team-Mind und Teamleistung Teamarbeit zwischen Managementmärchen und Arbeitswirklichkeit 2. Auflage

Interviews und Fallbeispiele aus Wirtschaft, Sport, Medizin, Militär und Kultur

Team-Mind und Teamleistung

Joachim Hasebrook · Benedikt Hackl · Sibyll Rodde

Team-Mind und Teamleistung Teamarbeit zwischen Managementmärchen und Arbeitswirklichkeit 2. Auflage

Joachim Hasebrook zeb.business school Steinbeis Hochschule Berlin, Deutschland

Benedikt Hackl Forschungszentrum Management Analytics München, Bayern, Deutschland

Sibyll Rodde zeb.rolfes.schierenbeck.associates Münster, Deutschland

ISBN 978-3-662-62053-3 ISBN 978-3-662-62054-0  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; ­detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über 7 http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Fotonachweis Umschlag: ©Umschlaggestaltung: deblik Berlin Planung/Lektorat: Marion Kraemer Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

V

Vorwort – eine Einladung, Teams neu zu denken und aus Krisen zu lernen z Exit aus der Krise, Intro in neue Teamarbeit?

Mitten in der Corona-Krise, im Frühjahr 2020, sollte dieses Buch erscheinen. Zu diesem Zeitpunkt aber stand die Produktion der Bücher in Indien still, die Druckerei in den Niederlanden ebenfalls und die Buchhandlungen wurden geschlossen. Doch die Corona-Krise bedeutete keineswegs nur Stillstand. In einer Videokonferenz erzählte uns ein Vorstand, dass ihm Mitarbeitende begeistert berichtet hätten, dass in wenigen Tagen entschieden worden sei, was früher im Umlaufverfahren oft Wochen gedauert habe: „Ich will ja nach der Krise nicht langsamer werden“, stellte er fest und überlegte, wie er die positiven Veränderungen über die Krise hinaus bewahren und ausbauen könnte. Tatsächlich wurde möglich, was vor der Krise undenkbar schien: Ein Autohersteller installierte Beratungsvideos im Navigationssystem und verkaufte Autos ohne direkten Kundenkontakt, deutsche Sparkassen stellten in nur zehn Tagen die Plattform „#gemeinsamdadurch“ online, auf der Unternehmen Gutscheine verkaufen und sofort den Erlös erhalten können. Auch wir haben die Zeit genutzt und im Text zahlreiche Quellen sowie unsere aktuellen Studien und Praxiserfahrungen ergänzt: Umgang mit Krisen in Teams, Training für krisenfeste Teams, Arbeit von Krisenstäben, Zusammenarbeit und Führung in virtuellen Teams sowie Teamarbeit aus dem Homeoffice. Warum funktioniert in der Krise, worum sich Innovations- und Ideenmanagement oft lange vergeblich bemühen? Es funktioniert, weil sich in der Krise Machtund Leistungsbasis verschieben: Das Management gibt in dieser nicht planbaren Situation Entscheidungsbefugnis und Kontrolle ab. Aber nicht an Einzelpersonen, denn das „einsame Genie“ ist im Homeoffice noch isolierter als zuvor. Die neue Macht- und Leistungsbasis sind Teams. Das ist nicht neu, wie unsere Studien zeigen: Führung hat keine Wirkung auf Einzelleistungen, sondern auf die Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung, die dann die Teamleistung bewirkt. Innovative Teams sind sowohl manager- als auch selbstgeführt, trennen Teamziele von Einzelbeurteilungen und besetzen zeitlich begrenzt Teamrollen, die sich auf Wissen, Kommunikation und Handeln beziehen. Vor allem aber: Kreative Personen werden nicht ans Team angepasst, sondern das Team passt sich an sie an und sorgt zugleich für die strikte Einhaltung von Teamregeln. Während des „Shutdowns“ in Folge der Corona-Pandemie haben wir zahlreiche Webinare und Videokonferenzen mit Hunderten von Vorständen, Geschäftsführern und Teamleitern durchgeführt. Nach ihren akuten Herausforderungen gefragt, wurden Steuerung und Erhalt der Teamleistung, Organisation des Arbeitsalltages, Behandlung individueller Problemfälle und Vermittlung längerfristiger Perspektiven genannt. In der Krise wird also deutlich: Es gibt weniger eine Team- oder Leistungskrise, sondern viel mehr eine Führungs- und Steuerungskrise. Wie soll ein Team Hochleistungen erbringen, wenn nach wie vor statt Teamleistung Einzelleistungen gefordert und gefördert werden? Wie sollen sich neue Ideen beweisen, wenn Führungskräfte erst noch überzeugt werden müssen, Entscheidungen an Teams

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Vorwort – eine Einladung, Teams neu zu denken und aus Krisen zu lernen

a­bzugeben? Und wie sollen sich langfristige Perspektiven entwickeln, wenn nach kurzfristigen Erfolgen gesucht und langfristige Problemlösungen ignoriert werden? Innovative und erfolgreiche Teams orientieren sich nicht am Durchschnitt, sondern an der bestmöglichen Leistung. Darum werden in solchen Teams Spitzenleister nicht gebremst, sondern unterstützt. Es ist wie beim Bergsteigen: Wenn alle über den Berg kommen sollen, dann müssen Leistungsstarke vorangehen und Leistungsschwächeren helfen. Je nach Art der Schwierigkeit werden immer andere zu den Starken oder den Schwachen gehören. Die Regel, sich gegenseitig zu helfen, ist genauso wichtig wie die Spitzenleistung selbst. Darum profitieren Spitzenkräfte von Teams, die auf Einhaltung von Regeln und gegenseitiger Unterstützung bestehen. Vielen Organisationen gibt die Krise die Möglichkeit, einen neuen, leistungsfähigeren und menschengerechteren Umgang mit Teams zu etablieren, der 1) Teams als zentrale Leistungsbasis anerkennt und ausbaut, 2) Führung als Rolle definiert, in der das Management Rahmenbedingungen vorgibt und Teams sich selbst steuern, 3) nicht Einzel-, sondern Teamleistungen belohnt, die helfen, Innovation effizient umzusetzen, und 4) Mitarbeitende aktiv beteiligt, Hierarchien abbaut, Entscheidungswege abkürzt und Lernen individuell unterstützt. Es lohnt sich einzusteigen: Ergebnisse unserer Praxiserfahrungen und Studien aus den letzten Jahren sowie aktuelle Projekte und Umfragen mit über 500 Unternehmen zeigen, dass mit dieser Form der Teamarbeit Profit, Umsatz und Mitarbeiterzufriedenheit nachhaltig ­steigen. z Was ist neu an diesem Buch?

Eine Abfrage in der Deutschen Nationalbibliothek zum Thema „Team“ ergibt über 24.000 Einträge, davon rund 12.000 Bücher. Es gibt zahllose Ratgeber, wie man mit Teams zurechtkommt. Was kann da ein weiteres Buch über Teams noch Neues bieten? Neu ist zum einen, dass die Corona-Krise mehr als andere Krisen gezeigt hat, wie wichtig Teams als zentrale Leistungseinheit sind und wie viel Spielraum für Veränderungen bereits da ist. Neu ist auch, dass dieses Buch einen vielfältigen Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis bietet. Denn: In Praxisbüchern steht bisher kaum etwas über die wichtigsten Forschungsarbeiten zu Teamarbeit und in wissenschaftlichen Arbeiten nur wenig über die praktische Anwendbarkeit der Befunde. Das Wort „Team“ kam um 1900 in den deutschen Sprachgebrauch. Es war abgeleitet vom englischen Begriff für „Gespann“ oder „Zaumzeug“, der auch für Sportmannschaften verwendet wurde. Wissenschaftlichen Studien zufolge dürften solche Gespanne eigentlich gar nicht funktionieren: Die Anstrengung Einzelner sinkt, je größer das Team ist, Teams treffen mehr risikoreiche Entscheidungen als Einzelpersonen, und eine gute Teamatmosphäre führt oft zu schlechter Leistung. Diese Erkenntnisse werden in vielen Ratgebern einfach ignoriert. Wissenschaftliche Forschung, die für erfolgreiche Teamarbeit von entscheidender Bedeutung ist, befasst sich meist mehr mit akademischem Methoden- und Theorienstreit als mit der praktischen Bedeutung der Forschungsergebnisse. Es ist sogar so, dass neueste Erkenntnisse der Neuropsychologie zur Entwicklung von Stereotypen oder der Evolutionsbiologie zur Moralentwicklung gar keinen Bezug zur Teamarbeit herstellen. Diese Forschung, die folglich in der Teamliteratur kaum eine Rolle spielt, erklärt aber erst, wie ein „Team-Mind“ entsteht: Es geht um ein wechselseitiges Bewusstsein und eine „kollektive Intelligenz“, die aus der Zusammenarbeit in der Gruppe

VII Vorwort – eine Einladung, Teams neu zu denken und aus Krisen zu lernen

etwas entstehen lässt, was die Summe der Einzelleistungen deutlich übersteigt. Wir wollen den Bezug von wissenschaftlichen Erkenntnissen der Natur-, Sozial- und Betriebswirtschaften zur Praxis der Teamarbeit in Betrieben, Verwaltung und Vereinen herstellen. Wir wollen mit drei Irrtümern aufräumen, die erfolgreiche Teamarbeit verhindern, nämlich, dass 1) letztlich nur die Einzelleistung zählt, 2) Teams dann am besten funktionieren, wenn die richtigen Personen zusammenfinden und 3) erfolgreiche Teams Erfolgsrezepte für die eigene Teamarbeit abgeben. Darum plädieren wir dafür, Teams neu zu denken. z Wer sollte es lesen?

Wenn Sie glauben, dass in Ihrer Organisation in der Teamarbeit schon alles optimal läuft, Sie vor allem den Vergleich wissenschaftlicher Modelle und Theorien suchen oder eine Sammlung praktischer Tipps und Übungen für die Teamarbeit, dann ist dieses Buch vielleicht nichts für Sie. Wir wollen Sie einladen zu einem Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Wir wollen ein Nachdenken darüber bewirken, was Arbeit und Austausch in Gemeinschaft so besonders macht und wie Organisationen uns helfen, aber auch daran hindern können, im Team Erfolg zu haben. Uns geht es um einen nachhaltigen Erfolg, der Ziele und Bedürfnisse der Teammitglieder, der Organisation und all derer umfasst, die mit dieser Organisation in Berührung kommen, z. B. Kundinnen, Investoren oder Vereinsmitglieder. Wenn Sie beispielsweise Teamleiterin in der Dienstleistung oder der Industrie sind, Mitarbeiter in einer stark teamorientierten Organisation, als Vorstand oder Aufsichtsrätin, Managerin oder Manager Verantwortung für Teamarbeit tragen, dann laden wir Sie zum gemeinsamen Nachdenken und zum Dialog ein. Wir wollen aber auch alle ansprechen, die Teamarbeit verbessern wollen: Strategie- und Managementberaterinnen, Ingenieure für im Team verwendete Maschinen, Architektinnen von Arbeitsräumen, Designer von Arbeitsumgebungen, Forscherinnen und Forscher an Hochschulen und in Unternehmen. Wir wollen eine Debatte anstoßen darüber, wo Teamarbeit heute in den Unternehmen und Organisationen steht. Und wir wollen mit Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, ins Gespräch kommen, um gemeinsam „Team neu zu denken“. Unsere Kontaktdaten finden Sie am Ende dieser Einleitung. z Wie sollte man es lesen?

Wie Sie wollen! Suchen Sie sich einfach Themen aus, fangen Sie mittendrin an – wenn Sie wollen –, und springen Sie hin und her. Lesen Sie zuerst nur die Interviews, wenn Sie das am meisten interessiert, oder die Fallgeschichten. Kurz: Suchen Sie sich ganz nach Ihren Interessen und der Zeit, die Sie investieren wollen und können, Ihren eigenen Weg durch das Buch. Natürlich haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir das Buch aufbauen (das wird im folgenden Kapitel erläutert). z Worauf baut das Buch auf?

Unsere Arbeit beruht auf zwei Quellen: unserer eigenen Forschung und unseren Praxiserfahrungen. In zahlreichen Forschungsprojekten haben wir uns mit Teamentwicklung, Teamkompetenzen, Wissens- und Kompetenztransfer befasst. Dies war nur dank der großzügigen Förderung und Unterstützung durch eine Reihe von



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Vorwort – eine Einladung, Teams neu zu denken und aus Krisen zu lernen

Fördergebern in verschiedenen Projekten möglich. Diese Förderer und Projekte sind: 5 Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in den Projekten „SALT 2.0“ (Sales Training mit Web 2.0, FKZ 01PF08002B), „IKM“ (Innovationen im Management – Diversity und Innovation, FKZ 01FM07059) und „FacharztPlus“ (Sicherung der ärztlichen Kompetenzkontinuität, FKZ 02L12A091). 5 Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in den Projekten „Land|Rettung“ (Kompetenztransfer durch Telemedizin für das Rettungswesen im ländlichen Raum, FKZ 01NVF16004) und „KOMPASS D2“ (telemedizinisches Kompetenznetzwerk für bessere Versorgung von demenz- und delirgefährdeten Patientinnen und Patienten, FKZ 01NVF18019). 5 Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen (LZG.NRW) im Projekt „BIGi“ (interprofessionelle Bildungsinitiative in der Geriatrie, FKZ LZG TG 71 001/2015). 5 Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Baden-Württemberg, Duale Förderlinie 2011. 5 Duale Hochschule Baden-Württemberg, Projekt 1499, Projekt: ­Team-Rethought.

In der Praxis durften wir viele Trainings, Workshops und Beratungsprojekte in unterschiedlichen Organisationen in den Bereichen Finanzdienstleistung, Industrie, öffentliche Verwaltung und Sportförderung begleiten. Dadurch sind viele Kontakte entstanden, die wir für dieses Buch genutzt haben. Besondere Persönlichkeiten, denen wir im Rahmen unserer Arbeit begegnet sind, haben wir um Interviews für dieses Buch gebeten. Wir verdanken diesen Mit- und Querdenkerinnen und -denkern viel: Ohne die Gespräche, die wir mit diesen unterschiedlichen Persönlichkeiten aus Sport, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur führen durften, wäre das Buch nicht möglich gewesen. Wir möchten dabei ausdrücklich betonen: Keine der Antworten wurde vorher abgestimmt oder ist später angepasst worden. Die Interviewfragen wurden den einzelnen Personen vor dem Gespräch zugesandt. Die Antworten stammen allein von den Gesprächspartnern: Wir haben die Aussagen aufgenommen, aufgeschrieben, für die Wiedergabe in Schriftform etwas bearbeitet und um Freigabe der Aufzeichnungen gebeten. z Teambuch geht nur im Team

Wir danken vor allem denen, die mitgedacht, mitgemacht und mitgeschrieben haben. Denn: Ein Teambuch kann man nur im Team schreiben! Beim Führen der Interviews und der professionellen Umsetzung der Tonaufzeichnungen in Schriftform hat Maria Fuhrmann mit ihrer Agentur „bewegtbild

IX Vorwort – eine Einladung, Teams neu zu denken und aus Krisen zu lernen

berlin“ unersetzliche Hilfe geleistet: Sie hat zusammen mit Franziska Dürr viele der Interviews geführt und bearbeitet und ist während der Arbeit an diesem Buch Mutter geworden: unseren herzlichen Dank und großen Respekt, liebe Frau Fuhrmann! Mehr oder weniger wissenschaftliche Bücher sind meist mit mehr oder weniger langweiligen Grafiken ausgestattet. Wir verdanken es dem flotten Strich und der Kreativität des Berliner Illustrators und Grafikers Burkhard Piller, dass dieses Buch mit professionellen und ansprechenden Abbildungen ausgestattet ist: auch dafür unseren herzlichen Dank! Wir danken unserer Freundin und Kollegin Heidrun Schatanek für die kritische Durchsicht des Manuskripts und die zahlreichen Verbesserungsvorschläge sowie Marion Krämer, Astrid Horlacher und Axel Treiber vom Springer-Verlag für ihre Unterstützung. Wir sind den Hochschulen, Verbänden und Unternehmen dankbar, die uns die Arbeit in Forschungs-, Bildungs- und Beratungsprojekten ermöglicht haben: Die Ergebnisse und Erfahrungen aus diesen Projekten bilden das Fundament dieses Buchs. Sibyll Rodde und Joachim Hasebrook danken dem Beratungsunternehmen zeb.rolfes.schierenbeck.associates, das von den beiden Professoren Bernd Rolfes und Henner Schierenbeck vor 25 Jahren aus einem Münsteraner Universitätsinstitut gegründet wurde und heute weit über 1000 Menschen in ganz Europa beschäftigt: Es ist etwas Besonderes, dass ein Beratungsunternehmen wissenschaftliche Themenarbeit in diesem Umfang zulässt und unterstützt. Dafür danken wir den beiden Gründern sowie den beiden Geschäftsführern, Prof. Dr. Stefan Kirmße und Dr. Markus Thiesmeyer. Für die Möglichkeit zur Durchführung von Forschungsprojekten dankt Joachim Hasebrook der Steinbeis-Hochschule, an der er als Professor an der zeb.business school arbeitet, die von Prof. Dr. Michael Lister geleitet wird. Benedikt Hackl dankt der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, dem Arbeitgeberverband Baden-Württemberg sowie vielen Projektpartnern und Unternehmen, die ihm Diskussionen zum Thema Team und Unternehmensentwicklung eröffnet haben, der Dualen Hochschule Baden-Württemberg sowie seinem Team im Forschungscluster HR|Impulsgeber. Darüber hinaus dankt er den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zahlreicher Vorträge und Workshops, die mit ihren Nachfragen und Beiträgen zum Thema Teamführung wichtige Impulse für das Buch gegeben haben. Wir haben uns um eine geschlechtsneutrale Sprache bemüht und nutzen Begriffe wie „Studierende“ oder „Mitarbeiterschaft“, um möglichst neutrale Begriffe zu verwenden. Der besseren Lesbarkeit willen verwenden wir aber auch Begriffe wie „Managerin“ oder „Mitarbeiter“. Gemeint sind aber immer Männer und Frauen und Menschen jeglicher sexueller Identität. Falls sich z. B. Studienergebnisse speziell auf Männer oder Frauen beziehen, so stellen wir dies im Text ausdrücklich dar. Sie wissen nun, was wir uns beim Schreiben dieses Buchs gedacht haben. Wichtig ist aber letztlich, was Sie in Ihrem Kopf – und am besten zusammen mit Ihrem Team – aufbauen, wenn Sie mit diesem Buch arbeiten. Dabei wünschen wir Ihnen Spaß beim Lesen, viele Einsichten beim Nachdenken und neue Ideen für erfolgreiche Teams bei der Arbeit und in der Freizeit!



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Vorwort – eine Einladung, Teams neu zu denken und aus Krisen zu lernen

PS: Über Rückfragen und Rückmeldungen freuen wir uns. Nehmen Sie also gerne Kontakt zu uns auf! Sie erreichen uns unter unserer gemeinsamen Adresse: B. Hackl/J. Hasebrook Steinbeis-Forschungsinstitut Management Analytics Theresienhöhe 13A 80339 München E-Mail: [email protected] | [email protected] | [email protected]

Herzliche Grüße Ihre Joachim Hasebrook Benedikt Hackl Sibyll Rodde

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Impulse aus Wirtschaft, Wissenschaft, Sport und Kultur z Interviewpartner

Wolfgang Sommerfeld Vorstand des Deutschen Handballbunds Marc Wagner Managing Partner T-Systems/Detecon Klaus Wittkuhn Geschäftsführer train und ehemaliger Präsident International Society for Performance Improvement Prof. Dr. Klaus Hahnenkamp Klinikdirektor und Mitglied des Vorstands der Universitätsmedizin Greifswald Oberstleutnant Peer Streit Luftfahrtamt der Bundeswehr Dr. Eva Müller-Dannecker, Leiterin Ressort Personal- und Organisationsentwicklung und Aufsichtsrätin ­Vivantes Thomas Artmann Geschäftsführer Eudemos Elke Benning-Rohnke Aufsichtsrätin und Vizepräsidentin „Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) e. V.“ Jürgen Bergmann Fanbeauftragter 1. FC Nürnberg Karl von Rohr Vorstand Deutsche Bank Peter Klett Vorstand Weser-Elbe Sparkasse Polizeihofrat i. R. Max Edelbacher International Police Executive Symposium Dr. Bernhard Zünkeler Künstler und Mitgründer artlab21

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Impulse aus Wirtschaft, Wissenschaft, Sport und Kultur

Alexander Schletz Fraunhofer-Institut für Arbeit und Organisation (IAO) Sven Semet HR Thought Leader IBM Watson Jos de Blok Gründer Pflegenetzwerk Buurtzorg

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Inhaltsverzeichnis 1 Die Kunst, Team neu zu denken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Teamgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Unschärferelation von Teams. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Teams für mehr Autonomie und weniger Verantwortung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Wenn mehr Teamarbeit zu weniger Leistung führt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Unglaubwürdige Werbung für Teamarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Wo Teams am meisten gebraucht werden, sind sie oft am schlechtesten. . . . . . . . . . . . . . 1.2.5 Teams als Treiber und Bremse der Veränderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Ein Regelbuch von 1876 für Teams im 21. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Von Mensch zu Team, von Team zu Team und Team im System. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Ein Team fürs Teambuch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Mitdenkerinnen und Mitdenker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Teamforschung im Team. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

I

Teams und Leistung

2 Viele Hände schaffen am falschen Ende: Wie Teamleistung entsteht. . . . . . . . . . 2.1 Wer an einem Strang ziehen will, braucht Ochsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Teamworkshop und Einzelziel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Interview: Wie entsteht eigentlich Teamleistung, Herr Sommerfeld?. . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Teams zur Leistung führen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Männer aus dem Westen als soziale Faulenzer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Logenplatz im Kakerlakenstadion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Härter arbeiten – oder klüger?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1 2 3 4 5 5 6 7 7 9 10 10 12 13

17 18 19 20 25 25 26 29 31

Wenn leichte Aufgaben es einem schwer machen: Teamleistung und Teamziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

3.1 Erfolgreich das Ziel verfehlt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Mit Teamzielen das Team zerstören. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Interview: Wie kommen Teams zu Zielen, Herr Wagner?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Teams Ziele setzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Teamleistung im Sinkflug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Selbstorganisierte Teams – beliebig oder zielstrebig?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Das Ziel ist der Gipfel – Ziele und Aufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Belohnung oder Beteiligung: Was Teams antreibt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34 34 36 39 39 41 43 45 46

4

Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

4.1 4.2

Unsichtbar mit Zitronensaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Hoch kompetent inkompetent: die „Erfahrungsfalle“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

XIV

Inhaltsverzeichnis

4.3 Interview: Welche Kompetenzen brauchen Teams, Herr Wittkuhn?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Teamkompetenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Kompetente Teams und Teamkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Ein Team von Genies ist noch kein geniales Team. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Kompetenzgrenzen im Team überwinden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4 Wollknäuel und Hochseilgarten: Teamtraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II

53 58 58 59 62 65 68

Teams und Führung

5 Wir sind nicht wie die anderen: kleine Unterschiede mit großer Wirkung. . . . . 5.1 Augenfarben-Rassismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Vom Bedenken- zum Know-how-Träger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Interview: Wie löst man Teamkonflikte, Herr Hahnenkamp?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Silobildung und Teamkonflikte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Auf- und Abwärts im Silo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Großer Fisch, kleiner Teich – das Team als Fischteich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Herausragend in Gemeinschaft und als schlechtestes Hotel der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.4 Konflikte zwischen Adlern und Schlangen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75 76 77 78 82 82 84 85 86 90

Wir sind die Besten: Warum tolle Teams dumme Fehler machen . . . . . . . . . . . . . . 6 6.1 Die Katastrophe im Wasserglas. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Die neue Offlinebank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Interview: Wie schafft man Sicherheit im Team, Herr Streit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Sicherheit im Team. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Gruppendenken und Entscheidungsstress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Sicherheitsmanagement im Team . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Warum wir in Gruppen risikoreicher entscheiden als allein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Produktiver Konflikt und kritische Gruppennorm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.5 Teams in der Krise: Krisenstäbe und Notfallteams. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93 94 95 96 100 100 103 104 105 107 112

Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt. . . . . . . . . . 7 7.1 Profile von Populisten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Junge Löwen, alte Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Interview: Wie führt man Teams, Frau Müller-Dannecker? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Teamführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1 Was Führung eigentlich führt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.2 Starke Männer sind schlechte Führer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.3 Führen mit Werten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.4 Führung in Teams, die sich selbst führen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.5 Führen auf Distanz: Führung virtueller Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

117 118 120 121 127 127 129 131 132 134 138



XV Inhaltsverzeichnis

III

Teams und Vielfalt

8

Kranke Teams machen krank: Mobbing, Sexismus, Rassismus und Gruppendruck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

8.1 Sieben Millionen Mobbingopfer am Arbeitsplatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Alltäglicher Sexismus und sexuelle Belästigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Interview: Kann Teamarbeit krank machen, Herr Artmann?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Kranke Teams. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Dysfunktionale Teams und Mobbing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Psychologische Sicherheit im Team. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.3 Stress, Wohlbefinden und Teamgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.4 Krisen in Teams: Teams und Trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

146 147 149 156 156 157 158 160 163

Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

9.1 Ich bin kein Virus: Vorurteile und Diskriminierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Der Frauentsunami stoppt vorm Chefbüro. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Interview: Sind vielfältige Teams besser, Frau Benning-Rohnke?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Vielfalt in Teams. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1 Minderheiten werden mit anderem Maß gemessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.2 Gerecht ist nicht genug. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3 Vom Verstecken und Suchen von Unterschieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

168 170 172 175 175 178 180 182

IV

Team und Verantwortung

10

Die Mannschaft und der Fanblock: Auswirkung von Bekanntheit und Anonymität im Team. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

Diplomaten im Parkverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hooltras in Delphi. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interview: Wie geht man mit Fans um, die zu Hooligans werden, Herr Bergmann?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Anonymität und Teams. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.1 Vorurteile und Entmenschlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.2 Raus aus der Anonymität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.3 Als Mensch im Team. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.1 10.2 10.3

11 11.1 11.2 11.3

190 190 192 195 195 196 197 198

Herde und Leithammel: Diffusion von Verantwortung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Wie Zäune aus Menschen Schafe machen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Der Chef ist wichtiger als der Kunde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Interview: Wie übernehmen Teams Verantwortung, Herr von Rohr?. . . . . . . . . . . . . . . . . 204

XVI

Inhaltsverzeichnis

11.4 Verantwortung und Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.1 Das Banker-Paradox: Verantwortung und Risiko. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.2 Autorität und Verantwortung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.3 Zahlen, Zwang und Unmoral. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

207 207 209 210 212

Agil und selbstorganisiert: Teams als Organisationsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 12.1 Der Laufschuh aus der Speedfactory. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Einmal agil – und zurück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Interview: Wie wird eine Organisation agil, Herr Klett? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Agilität und Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Stabil durch Flexibilität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.2 Sinn für Sinnhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.3 Grenzen von Agilität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

215 216 216 218 222 222 224 226 228

V

Team und System

13 Vom Versagen Einzelner zur Folterkammer: unmoralische Systeme . . . . . . . . . . 13.1 Interviews mit Selbstmordattentätern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Die Führungskraft klaut am meisten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Interview: Gibt es unmoralische Systeme, Herr Edelbacher?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Teams und Moral. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.1 Der falsche Doktor und die Moral. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.2 Systeme, die unethisches Verhalten auslösen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.3 Reliable Organisationen, die ethisches Verhalten fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233 234 235 236 240 240 242 244 245

Teamraum: Team und Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 14.1 Das Parlament im Kirchenchor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Ich war noch niemals in New Work. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Interview: Wie wirkt sich die Umgebung auf Teams aus, Herr Zünkeler?. . . . . . . . . . . . . 14.4 Teams und ihre Umgebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.1 Smart(phon)es Workplace Design. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.2 Fokus, Zusammenarbeit, Lernen und Kontakte knüpfen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.3 Raum zum Lächeln und zum Arbeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.4 Zusammen allein: Verteilte Teamarbeit und Homeoffice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

247 248 250 252 256 256 258 261 262 265

15 15.1 15.2 15.3

Kollege Roboter: Teams und Technik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Lehrer heiratet Hologramm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Gesichtslose Chefs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Interview: Wie wirkt sich Technik auf Teams aus, Herr Schletz?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272



XVII Inhaltsverzeichnis

15.4 Teams und Technik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4.1 Virtuelle Teams. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4.2 Roboter und humanoide Computer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4.3 Künstliche Intelligenz trifft natürliche Dummheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

274 274 277 279 280

Team-Mind: Teams neu denken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 16.1 Die Gehirn-Gehirn-Schnittstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2 Gehirn als Service. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3 Verändert künstliche Intelligenz die Teamarbeit, Herr Semet?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4 Team-Mind. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.1 Der doppelte Spiegel: künstliche und kollektive Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.2 Ein „Invisible Mind“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.3 „Team-Mind“ und „Group-Mind“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283 284 284 286 288 288 290 292 295

Teamarbeit am Ende oder erst am Anfang? Appell für einen Neustart . . . . . . . . Kindergarten schlägt Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fallgeschichte: Buurtzorg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interview: Haben wir in der Teamarbeit schon alles erreicht oder stehen wir erst am Anfang, Herr de Blok?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4 Teamarbeit von Anfang an . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4.1 Drei Irrtümer über Teamarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4.2 Viele Handlungsempfehlungen und eine Warnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4.3 Fallbeispiele: Viermal neu anfangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5 Teamarbeit steht erst am Anfang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299 300 300

17 17.1 17.2 17.3

302 305 305 308 312 314 315

Serviceteil Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

Über die Autoren Als Autoren und Autorin dieses Buchs wollen wir uns Ihnen kurz vorstellen: Joachim Hasebrook … studierte Psychologie und Informatik, promovierte in Psychologie, habilitierte sich in angewandter Informatik und erhielt eine Managementausbildung in den USA. Nach dem Studium entwickelte er Expertensysteme für die Berufsberatung und war für Bildungsprogramme sowie E-Learning-Angebote bei Frankfurter Großbanken verantwortlich. Er gründete eine Firma für künstliche Intelligenz und war akademischer Leiter einer internationalen Medienschule. Heute ist er Professor an der Steinbeis-Hochschule Berlin und Berater bei zeb.

Benedikt Hackl … studierte Betriebswirtschaft, promovierte im Bereich Technologieentwicklung und leitet die Forschungszentren HR|Impulsgeber und mit Prof. Hasebrook das Steinbeis-Institut „Management Analytics“. Schwerpunkte sind die Neupositionierung von Teamarbeit, Führungs- und Steuerungssystemen. Er war als Führungskraft im Automobilbereich und in der Beratung tätig, hat heute eine Professur für Unternehmensführung und Personal an der Hochschule Baden-Württemberg und begleitet die Führungskräfteentwicklung zahlreicher Unternehmen.

Sibyll Rodde … studierte Psychologie, promovierte in diesem Fach und absolvierte die Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin. Sie war in mehreren Kliniken tätig und führte verschiedene Evaluationsstudien durch, u. a. zur Fort- und Weiterbildung in der Psychotherapie und in der Geriatrie. Heute arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem Beratungsunternehmen zeb und ist auch therapeutisch tätig.

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Die Kunst, Team neu zu denken Inhaltsverzeichnis 1.1 Teamgedanken – 2 1.2 Die Unschärferelation von Teams – 3 1.2.1 Teams für mehr Autonomie und weniger Verantwortung – 4 1.2.2 Wenn mehr Teamarbeit zu weniger Leistung führt – 5 1.2.3 Unglaubwürdige Werbung für Teamarbeit – 5 1.2.4 Wo Teams am meisten gebraucht werden, sind sie oft am schlechtesten – 6 1.2.5 Teams als Treiber und Bremse der Veränderung – 7

1.3 Ein Regelbuch von 1876 für Teams im 21. Jahrhundert – 7 1.4 Von Mensch zu Team, von Team zu Team und Team im System – 9 1.5 Ein Team fürs Teambuch – 10 1.5.1 Mitdenkerinnen und Mitdenker – 10 1.5.2 Teamforschung im Team – 12

Literatur – 13

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_1

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Kapitel 1 · Die Kunst, Team neu zu denken

1.1  Teamgedanken

Ausgerechnet ein Großindustrieller und einer der reichsten Männer seiner Zeit, der zudem nicht im Ruf stand, seine Mitarbeiter besonders gut zu behandeln, sah Teamarbeit als Voraussetzung für Erfolg. Andrew Carnegie (1835–1919) war Sohn eines schottischen Webers und floh mit seiner Familie im Alter von zehn Jahren vor der Armut in seiner Heimat in die USA. Zu einer Zeit, als „Team“ noch ein Gespann von Zugtieren vor einer Kutsche bezeichnete, formulierte er Gedanken, die auch heute – über 100 Jahre später – als Richtschnur für Teamarbeit gelten können:

» „Den Beweis der Tüchtigkeit erbringt man nicht so sehr in

dem, was man selber leistet, als vielmehr durch die Leistungen derer, mit denen man sich zu umgeben versteht.“ Und: „Das einzige, was ein Unternehmen von anderen wirklich unterscheidet, ist die Fähigkeit seiner Mitarbeiter zusammenzuarbeiten.“

Viele von Carnegies Gedanken finden sich in dem Buch „Think and Grow Rich“ (deutsch: Denke nach und werde reich), das von einem Autor mit dem bezeichnenden Namen Napoleon Hill (1883–1970) geschrieben wurde. Dieser stammte ebenfalls aus sehr ärmlichen Verhältnissen und begann schon mit 13 Jahren, durch das Schreiben von Zeitungsartikeln Geld zu verdienen. Carnegie beauftragte den deutlich jüngeren Hill, die 500 erfolgreichsten Menschen der Welt zu befragen und zu beobachten. Es entstand das 1937 veröffentlichte Buch „Think and Grow Rich“. Wir haben zwar nicht die 500 erfolgreichsten Menschen dieser Zeit befragt, aber führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Militär und Polizei, Sport und Kultur. Wir haben Hunderte von wissenschaftlichen Artikeln gesichtet, geordnet und in Beziehung gesetzt zu unseren eigenen Erfahrungen aus Dutzenden Beratungs-, Trainings- und Forschungsprojekten. Daraus ist dieses Buch geworden. Darin wollen wir vor allem eines bewirken: > Think Team and Grow – Denke „Team“ und wachse.

1.2 · Die Unschärferelation von Teams

1.2  Die Unschärferelation von Teams

Wie Teams Organisationen erfolgreich machen, ist keineswegs klar, wie zwei Beispiele aus Bestsellern über Teamarbeit deutlich machen. „Teams werden die primäre Quelle für Leistung im Unternehmen sein … [aber] sie werden individuelle Leistung und Hierarchien nicht ersetzen … sondern verbessern.“1, schreiben Jon Katzenbach und Douglas Smith. Ihr Artikel mit dem Titel „Die Team-Disziplin“2 wurde ein Beststeller des Harvard Business Review und stand in den 1990er-Jahren am Anfang einer beispiellosen Welle von Veränderungen in Unternehmen und in der Forschung rund um „Hochleistungsteams“. Über zehn Jahre später heißt es in einem anderen Buch: „… wir müssen viel von dem verlernen, was wir glauben, wie die Welt funktioniert. Wir müssen vertraute Organisationsstrukturen niederreißen … und solide Strukturen durch organische Beweglichkeit ersetzen“3. Das Buch mit dem Titel „Team aus Teams“4 des ehemaligen US-Generals Stanley McChristal und seiner Mitautoren wurde innerhalb kurzer Zeit ein New-York-Times-Bestseller und auch international ein Verkaufsschlager. Aber was stimmt denn nun: Sind Teams der zentrale Leistungsbaustein bewährter Organisationsformen oder müssen alte Organisationen weichen, um leistungsfähigen Teams Platz zu machen? Der Begriff „Unschärferelation“ stammt aus der Physik und beschreibt das von dem deutschen Physiknobelpreisträger Werner Heisenberg entdeckte und beschriebene Unschärfeprinzip, nach dem Eigenschaften eines Teilchens, wie z. B. Ort und Impuls, nicht gleichzeitig genau bestimmt werden können. Einer solch unauflöslichen Unschärfe scheint auch der Teambegriff zu unterliegen. 5 Einerseits werden in fast jeder Stellenanzeige „Teamarbeit“ beschworen und „Teamfähigkeit“ eingefordert, andererseits klingen solche Anzeigen oft unglaubwürdig. 5 Einerseits verlangen Teams immer stärker nach Autonomie und der Möglichkeit mitzuentscheiden. Andererseits beklagen sie oftmals mangelnde Führung und klare Vorgaben. 5 Einerseits werden Teams als zentrale Leistungseinheiten gesehen, und es werden auf Teams zugeschnittene Organisationsformen angestrebt. Andererseits geraten viele Un-

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Katzenbach und Smith (2013, S. 53). Engl. „the discipline of teams“. McChrystal et al. (2015, S. 20). Engl. „team of teams“.

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Kapitel 1 · Die Kunst, Team neu zu denken

ternehmen dadurch in Schwierigkeiten und bauen Agilität sowie Teamfokus wieder ab. 5 Einerseits sind Gesundheitsdienstleister wie kaum eine andere Branche von Teamarbeit abhängig. Andererseits gibt es kaum eine Branche, in der Mitarbeitende eine so große Unzufriedenheit mit der Teamarbeit äußern. 5 Einerseits wird die Einführung selbstorganisierter Teamarbeit als Garant für Veränderung in Unternehmen gesehen. Andererseits spiegelt der Aufbau vieler Teams nichts anderes als die bisherige hierarchische Organisationsform im Kleinen wider. Im Folgenden haben wir einige Nachweise für die hier angesprochenen Widersprüche gesammelt. 1.2.1  Teams für mehr Autonomie und weniger

Verantwortung

In einer der New-Work-Studien, die wir zwischen 2014 und 2019 durchgeführt haben, wurde deutlich, dass sich über die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowohl mehr Freiraum als auch eine stärkere Beteiligung an konzeptioneller Arbeit und an der zukünftigen Gestaltung ihrer Organisation wünscht. Um dies umzusetzen, sehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedoch nicht Teams, sondern die individuelle Beziehung zur Führungskraft als wesentlich an: Über 80 % der Befragten wünschen sich klare Führungsstrukturen und Entscheidungshoheit eben nicht in Teams, sondern bei einer Führungskraft. Es scheint so, als ob Mitarbeiter Teamarbeit im Hinblick auf ihre bildungs- und karrierebezogenen Erfolge nicht als wesentlich bewerten – vielleicht sogar als hinderlich. Ein weiterer Gegensatz: Während Manager die Zusammensetzung von Teams als Erfolgsfaktor für die Steigerung der Innovationsfähigkeit in Unternehmen ansehen, nehmen Mitarbeiter eher ihre individuellen Leistungen und Beiträge als ausschlaggebend für den Unternehmenserfolg wahr.5 > Teamarbeit wird von den Teammitgliedern oft als Sammlung individueller Wünsche missverstanden: möglichst großer individueller Freiraum und möglichst wenig gemeinsame Verantwortung.

5

Vgl. Hackl et al. (2017), Hackl und Gerpott (2015).

1.2 · Die Unschärferelation von Teams

1.2.2  Wenn mehr Teamarbeit zu weniger

Leistung führt

Am Ende eines Workshops geht es oft um die Frage, wer die entworfenen Aktivitäten übernimmt. Der Eindruck ist häufig, dass sich in dieser Phase der Arbeitsverteilung ein Prozess der stillen, individuellen Abwägung vollzieht: Wer kann mit wem und mit möglichst geringem Aufwand diese Aufgabe erledigen? Die Begeisterung für Teamarbeit könnte größer sein. Im Gegensatz dazu übertreffen sich Unternehmen derzeit mit teambezogenen „agilen“ Konstruktionen, „Design Thinking“ und anderen Neuerungen, um Mittel und Wege zu finden, die Innovationsfähigkeit der Organisation zu steigern und ihre digitale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Interessanterweise entsteht dabei der Eindruck, dass Teamarbeit vor allem dafür genutzt werden soll, die Optimierung individueller Leistungen zu erreichen. > Organisationen nutzen Teams vor allem zur Organisation individueller Leistungsbewertung und -ziele. Damit untergraben sie die Teamarbeit.

1.2.3  Unglaubwürdige Werbung für Teamarbeit

Für mehr als drei Viertel der Fach- und Führungskräfte ist Teamarbeit ein zentraler Aspekt der Unternehmenskultur. Neun von zehn Jobsuchende achten darauf, ob die Unternehmenskultur eines potenziellen Arbeitgebers zu ihnen passt – und dabei ist Teamarbeit der wichtigste Aspekt. Gefragt nach den Kompetenzen, die für eine erfolgreiche Teamarbeit wichtig sind, stehen nicht soziale Kompetenzen im Vordergrund, sondern Organisationsfähigkeit (82 %), Zeitmanagement (72 %) und Sorgfalt (60 %)6. Selbstauskünfte von Unternehmen, die sowohl von Bewerbern als auch von Recruitern als unglaubwürdig angesehen werden, beziehen sich alle auf Teamarbeit. Die Aussage „Bei uns bekommen Sie beides: die Vorteile eines Großkonzerns und den Unternehmergeist eines Start-ups“ halten 75 % der Bewerber und 75 % der Personalprofis für unglaubwürdig. „Wir vereinen hohe Leistungsorientierung und gelebte menschliche Werte“ glauben 62 % der Bewerber und 70 % der Personaler nicht. Und: „Unser Umgang ist offen und wertschätzend, der Zusammenhalt in den Teams und un-

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Vgl. Pela und Zimmermann (2019).

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Kapitel 1 · Die Kunst, Team neu zu denken

ter den Kollegen ist außergewöhnlich gut“ erscheint jeweils der Hälfte der Bewerber und Personalmanager zu schön, um wahr zu sein.7 > „Teamarbeit“ ist oft nicht mehr als ein Werbespruch, den die Organisationen selbst nicht glauben.

1.2.4  Wo Teams am meisten gebraucht werden,

sind sie oft am schlechtesten

Eine Befragung, die wir 2018 mit über 1800 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in einem großen Universitätsklinikum durchgeführt haben, zeigt ein Bild, das typisch für die Gesundheitsbranche ist: Gesundheit und Behandlung eines Patienten werden im Unternehmensleitbild als „Teamleistung“ dargestellt, und dies wird als wichtigster Faktor für den Behandlungserfolg definiert. Die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung zeigen allerdings, dass die Tätigkeit in Teams über alle Berufsgruppen hinweg auffallend schlecht bewertet wird. Insbesondere werden eine unzureichende Zusammenarbeit, fehlendes Vertrauen und ein Mangel an gemeinsamen Erfolgskriterien kritisiert. Bei der Frage, ob es möglich ist, im eigenen Team Schwachpunkte offen zu diskutieren, antworteten über 70 % mit „eher nicht“ oder „gar nicht“. Stellt man diesen desaströsen Bewertungen im Hinblick auf Teamarbeit die Ergebnisse zur wahrgenommenen individuellen Führung gegenüber, ergibt sich ein enormer Kontrast: Die Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sieht sich gut geführt, schätzt die Rückmeldungen ihrer Führungskraft und fühlt sich wohl in der eigenen Abteilung. Offensichtlich scheinen individuelle Führung und Einbindung in die eigene Abteilung gut zu funktionieren, die Arbeit im Team hingegen nicht. > Organisationen beherrschen individuelle Steuerung und Führung, darauf ist die gesamte Organisation ausgerichtet. Teams werden wie eine Ansammlung von mehreren Mitarbeiter-Führung-Beziehungen angesehen – typischerweise fünf bis zehn. Teams sind dann nichts anderes als eine „Führungsspanne“.

7

Vgl. Hermann und Pela (2018).

1.3 · Ein Regelbuch von 1876 für Teams im 21. Jahrhundert

1.2.5  Teams als Treiber und Bremse der

Veränderung

Betrachtet man das mittlere Management in Unternehmen und nutzt geometrische Figuren zur Veranschaulichung, so bietet sich das Dreieck an: „oben“ eine Leitungsspitze und „unten“ eine größere Anzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Um im Bild zu bleiben: Im mittleren Management sind verschiedene Dreiecke auf einer Ebene nebeneinander angesiedelt. Die einzelnen Führungskräfte im mittleren Management sind daher daran interessiert, mit den anderen „Leitungsspitzen“ einen wirkungsvollen Abstimmungsmodus zu finden und ansonsten ihr „Dreieck“ allein zu führen. Eine solche Organisationsform bietet daher kaum Anreiz für Teamstrukturen, da dies die Machtbasis der „Leitungsspitzen“ reduziert und Abstimmungen mit anderen erschwert. Es stellt sich daher die Frage, ob wirkungsvolle Teams nur als Ersatz für bisherige mittlere Managementstrukturen herhalten, oder ob sie einen größeren Nutzen für das Unternehmen entfalten können. Auch hierzu möchte dieses Buch mehr Klarheit schaffen. > Teams sind in den Organisationen zumeist nicht die Machtbasis, sondern werden insbesondere durch das mittlere Management als Bedrohung von Entscheidungsbefugnis und als Raum für Selbstentfaltung gesehen.

1.3  Ein Regelbuch von 1876 für Teams im

21. Jahrhundert

„Wenn Sie nichts anderes lesen über den Aufbau von besseren Teams, dann diese Artikel aus dem Harvard Business Review“, steht auf dem Umschlag des Buchs, das die besten zehn Artikel der letzten 20 Jahre aus dem renommierten Wirtschaftsmagazin der Harvard Business School zusammenstellt.8 Mehr kann ein Buch nicht versprechen. Doch bleiben die Empfehlungen merkwürdig vage. Auch hier gibt es offenbar eine Unschärfe. Dabei gibt es durchaus eine Vorstellung, wie effektive Teams aussehen können. Die folgende . Abb. 1.1 zeigt, wie ein Veränderungsprogramm einer Bank in Prag dazu führte, dass Teams, die im Wesentlichen durch E-Mails

8

Vgl. Harvard Business Review (HBR 2013).

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Kapitel 1 · Die Kunst, Team neu zu denken

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. Abb. 1.1  a, b Anweisungen per E-Mail und wenig direkter Austausch (links) kennzeichnen unproduktive Teams, viel direkte Kommunikation und gleichverteilter Informationsaustausch per E-Mail (rechts) kennzeichnen produktive Teams. (Eigene Darstellung nach Pentland 2013, S. 13 f.)

Anweisungen aus dem Management erhielten, sich untereinander vernetzten und mehr persönlichen Austausch suchten. Ein Team am MIT9 um Alex „Sandy“ Pentland untersuchte sowohl den E-Mail-Austausch als auch die Bewegungsmuster aller Mitarbeiter, die für die Dauer der Untersuchung Bewegungsmelder trugen, und erfasste jeweils die Produktivität der Mitarbeiter.10 Es überrascht nicht, dass mehr Kommunikation und direkter Informationsaustausch innerhalb und zwischen den Teams zu besseren Leistungen und zu mehr Zufriedenheit führen. Oft bleibt aber unklar, wie solche effizienten Teams entstehen und was Manager und Unternehmen tun können, um sie zu entwickeln und zu erhalten: Entweder finden sich allgemeine Ratschläge, wie „Bauen Sie Vertrauen auf“, oder es gibt einen Rückgriff auf bewährte Managementinstrumente – der dann doch manchmal überraschen kann: Pentland erhebt mit modernsten Methoden Ergebnisse in einer modernen Bank und empfiehlt dann ein Handbuch aus dem Jahr 1876: Das „Robert’s Rules of Order“11. Es wurde zuerst von dem US-Offizier Henry Martyn Robert für die Verbesserung von Versammlungen, z. B. in Kirchengemeinden, Gemeinderäten und Schulen, herausgegeben. Das Buch ist bis heute in einer revidierten Fassung aus dem Jahr 2011 die wichtigste Grundlage zur Organisation

9 Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (MA). 10 Vgl. Pentland (2013); die Untersuchung erinnert an eine Studie in einer Fabrik von General Electric in Hawthorne; wir schildern diese im Kapitel „Team und Raum“ unter der Überschrift „Smart(phon)es Workplace Design“. 11 Pentland (2013, S. 16).

1.4 · Von Mensch zu Team, von Team zu Team und Team im System

von Versammlungen in den US-Parlamenten.12 Ein Blick in dieses altehrwürdige Regelhandbuch für Versammlungen lohnt sich durchaus. So werden beispielsweise für bestimmte Situationen verschiedene Handlungen (sog. „motions“) vorgeschlagen. Dazu gehören „Ersatzhandlungen“, z. B. Themenrückstellungen und Redezeitbegrenzungen, oder auch „Vorzugshandlungen“, wie Neusortierung der Tagesordnung oder Wiederaufnahme von Themen vergangener Sitzungen. Was für Parlaments- und Ratssitzungen bewährte Verfahrensweisen sind, hilft vielleicht bei der Verwaltung von Teamarbeit. Ein Regelbuch behindert jedoch Team- und Leistungsfähigkeit, wenn hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gefordert sind. Immer noch versuchen wir die Probleme hoch vernetzter Teams in einer sich dynamisch und unvorhersehbar ändernden Umwelt mit althergebrachten Managementmethoden zu lösen, die vor allem Stabilität, Vorhersehbarkeit und Steuerung der Einzelleistung bewirken sollen. Diese Perspektive ist unzureichend. Es wird Zeit, Teams neu zu denken. 1.4  Von Mensch zu Team, von Team zu Team

und Team im System

Das Buch orientiert sich an einer einfachen Ordnung (. Abb. 1.2): Zunächst untersuchen wir das Verhältnis von Einzelpersonen und Team, dann, wie Teams miteinander umgehen und schließlich das Umfeld von Teams. Dazu gehören die Organisation oder das „System“, in dem Teams arbeiten, die räumliche Umgebung und Maschinen als Teammitglieder. Durch diesen Aufbau wird auch die Anzahl von Personen, die in den Blick genommen werden, immer größer – von Einzelpersonen in einem einzelnen Team zu vielen Personen in vielen Gruppen und als „Menschenmasse“. Diesen Weg vom „Kleinen“ zum „Großen“ haben wir in fünf Abschnitte und 15 Einzelthemen unterteilt. Im ersten Abschnitt geht es um das zentrale Thema „Teams und Leistung“. Hier diskutieren wir, wie Teamleistung entsteht und wie Ziele und Kompetenz zur Teamleistung beitragen. Der zweite Abschnitt über „Team und Führung“ beschäftigt sich damit, wie sich Teams annähern und voneinander abgrenzen, welche Fehler Teams machen, welche Risiken sie eingehen, welche Arten von Teamführung es gibt und wie sie wirken.

12 Diese Fassung ist online kostenlos einsehbar unter: 7 www.robertsrules. com/ (zuletzt abgerufen am 15.08.2019).

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Kapitel 1 · Die Kunst, Team neu zu denken

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Einzelner im Team

Maschine im Team Team aus Teams Team und System

. Abb. 1.2  Aufbau des Buchs – Verhältnis von Einzelperson und Team, Teams untereinander und Teams in ihrer Umgebung bzw. im System (inkl. Roboter und Computer)

Im dritten Abschnitt über „Teams und Vielfalt“ geht es um „kranke“ Teams, die selbst krank machen können, und die Nutzung von Vielfalt in Teams. „Team und Verantwortung“ ist das Thema des vierten Abschnitts, in dem es um Anonymität, Übernahme von Verantwortung und verteilte Verantwortung in Teams geht. Im fünften und letzten Abschnitt, „Team und System“, stellen wir die Frage, wie ethische und unethische Systeme das Verhalten Einzelner und ganzer Teams beeinflussen, wie sich Raum und Ausstattung auf die Teamleistung auswirken und wie Teams mit Maschinen, vor allem Robotern und künstlicher Intelligenz, und als virtuelle Teams zusammenarbeiten. 1.5  Ein Team fürs Teambuch 1.5.1  Mitdenkerinnen und Mitdenker

Wir haben dieses Buch über Teams natürlich im Team geschrieben. Dieses Team umfasst viel mehr Personen als die Autorschaft, denn mitgemacht und mitgedacht haben 16 Interviewpartnerinnen und -partner. Ihnen verdanken wir Einblicke in die Teamarbeit in Sport, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sowie zahllose Einsichten und Hinweise, die

1.5 · Ein Team fürs Teambuch

­ ieses Buch geprägt haben. Folgende Personen haben zu den d ihnen genannten Fragen mitgedacht: 5 Herr Wolfgang Sommerfeld, Vorstand des Deutschen Handballbunds und ehemaliger Sportdirektor: Wie entsteht eigentlich Teamleistung? 5 Herr Marc Wagner, Managing Partner T-Systems/Detecon: Wie kommen Teams zu Zielen? 5 Herr Klaus Wittkuhn, Geschäftsführer train GmbH und ehemaliger Präsident der International Society for Performance Improvement“ (ISPI): Welche Kompetenzen brauchen Teams? 5 Herr Prof. Dr. Klaus Hahnenkamp, Leiter der Klinik für Anästhesiologie und Mitglied des Vorstands der Universitätsmedizin Greifswald: Wie löst man Teamkonflikte? 5 Herr Oberstleutnant Peer Streit, Luftfahrtamt der Bundeswehr und Bundeswehrpilot: Wie schafft man Sicherheit im Team? 5 Frau Dr. Eva Müller-Dannecker, Leiterin Ressort Personal- und Organisationsentwicklung und Aufsichtsrätin Vivantes: Wie führt man Teams? 5 Herr Thomas Artmann, Geschäftsführer von Eudemos: Kann Teamarbeit krank machen? 5 Frau Elke Benning-Rohnke, Aufsichtsrätin H&C und Daiichi Sankyo Europe und Vizepräsidentin „Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) e. V.“: Sind vielfältige Teams besser? 5 Herr Jürgen Bergmann, Fanbeauftragter des 1. FC Nürnberg: Wie geht man mit Fans und Hooligans um? 5 Herr Karl von Rohr, Vorstand Deutsche Bank AG: Wie übernehmen Teams Verantwortung? 5 Herr Peter Klett, Vorstand Weser-Elbe Sparkasse: Wie wird eine Organisation agil? 5 Herr Polizeihofrat i. R. Max Edelbacher, International Police Executive Symposium: Gibt es unmoralische Systeme? 5 Herr Dr. Bernhard Zünkeler, Künstler und Mitgründer des Forschungsinstituts artlab21 und art laboratory ESMoA in Los Angeles: Wie wirkt sich die Umgebung auf Teams aus? 5 Herr Alexander Schletz, Fraunhofer-Institut für Arbeit und Organisation (IAO): Wie wirkt sich Technik auf Teams aus? 5 Herr Sven Semet, HR Thought Leader IBM Watson: Verändert künstliche Intelligenz die Teamarbeit? 5 Herr Jos de Blok, Gründer des niederländischen und internationalen Pflegenetzwerks „Buurtzorg“: Wie sieht die Zukunft der Teamarbeit aus?

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Kapitel 1 · Die Kunst, Team neu zu denken

Allen Interviewpartnerinnen und -partnern sind wir zu tiefem Dank verpflichtet. Wir sind überzeugt, dass die Leserinnen und Leser dieses Buchs aus der Vielzahl der Perspektiven und dargestellten Erfahrungen viele Anregungen für sich selbst und ihren Arbeitsalltag finden werden. 1.5.2  Teamforschung im Team

Eine wichtige Grundlage dieses Buchs sind unsere Forschungsprojekte. Auch Teamforschung geht nur im Team. Daher sind wir allen Förderern, die die Forschung ermöglicht haben, und allen Verbundpartnern, mit denen wir zusammenarbeiten durften, dankbar, dass wir mit ihnen im Team zusammen wirken und zusammen lernen durften. Die folgende Tabelle gibt eine chronologische Übersicht über die Projekte, auf die wir uns stützen. Studien

Zeitraum

Team

Kompetenztransfer in Teams von Gründer- und Mediaparks

2005–2009

Prof. Hasebrook/Sönke Dohrn International School of New Media (ISNM) an der Universität zu Lübeck

Innovationen im Management: Team und Diversity

2009–2013

Prof. Hasebrook für die Wissenschaftliche Hochschule Lahr (WHL) zusammen mit Frankfurt School of Finance & Management und Universität Oldenburg

Teamtraining mit Web 2.0 (Social Web in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung)

2011–2014

Prof. Hasebrook/Dr. Rodde/Gerold Muhr, Steinbeis-Hochschule Berlin zusammen mit Verband der Sparda-Banken

Best Practices für Gewinnung und Bindung Hochqualifizierter verschiedener Generationen

2013–2015

Prof. Hackl/Prof. Hasebrook Forschungscluster HR|Impulsgeber zusammen mit Verband der Bayerischen Wirtschaft (vbw) und Arbeitgeberverband „Südwestmetall“

Auf dem Weg zur Agilität – die Adidas-Architektur

2015

Prof. Hackl Forschungscluster HR|Impulsgeber

13 Literatur

Studien

Zeitraum

Team

New Work I – Relevanz, Kontextualisierung und Relevanzprüfung von über 80 Variablen

2015

Forschungscluster HR|Impulsgeber Forschungszentrum Management Analytics

New Work II – Wirkungsgrad auf die Innovationskompetenz von Unternehmen

2016

Forschungscluster HR|Impulsgeber Forschungszentrum Management Analytics

Sicherung der ärztlichen Kompetenzkontinuität im demografischen Wandel

2014–2017

Prof. Hasebrook, zeb, zusammen mit Universitätskliniken Münster, Aachen, Rostock und Greifswald

New Work III – organisationale Architektur und Mitarbeiterbeteiligung

2016–2017

Prof. Hackl Forschungscluster HR|Impulsgeber

New Work IV – Steigerung der Kompetenzen zur Strategieumsetzung und Digitalisierung

2017

Forschungscluster HR|Impulsgeber Forschungszentrum Management Analytics

Interprofessionelle Bildungsinitiative in der Geriatrie (hierarchie-, berufsgruppen-, instituts- und regionenübergreifend)

2015–2018

Dr. Rodde/Prof. Hasebrook, zeb, zusammen mit Qualitätsverbund Geriatrie Nord-West-Deutschland e. V. und St. Franziskus-Stiftung Münster

Teamstudien Universitätskliniken und Rehakliniken, Maschinenbau- und IT-Unternehmen

2017–2019

Forschungscluster HR|Impulsgeber

Ausbau zukunftsfähiger Notfallrettung durch Telemedizin im ländlichen Raum (Evaluation von Kompetenz- und Innovationstransfer)

2017–2020

Prof. Hasebrook/Dorothea Kohnen, Steinbeis-Hochschule Berlin, zusammen mit Landkreis Vorpommern-Greifswald, Universitätsmedizin Greifswald und Universität Greifswald

Literatur Hackl, B., & Gerpott, F. (2015). HR 2020: Personalmanagement der Zukunft. Strategieumsetzung treiben, Agilität ermöglichen, Individualität schaffen. München: Vahlen. Hackl, B., Wagner, M., Attmer, L., & Baumann, D. (2017). New Work: Auf dem Weg zur neuen Arbeitswelt: Management-Impulse, Praxisbeispiele, Studien. Heidelberg: Springer. Harvard Business Review. (2013). On Teams (Serie: HBR’s 10 must reads). Cambridge: Harvard Business School.

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Kapitel 1 · Die Kunst, Team neu zu denken

Hermann, A., & Pela, P. (2018). Jobsuche im Fokus. In StepStone (Hrsg.), People Tech Insight. Düsseldorf: StepStone. Hill, N. (2019/1937). Think and grow rich [deutsche ungekürzte und unveränderte Originalausgabe von „Denke nach und werde reich“ von 1937 (E-Book)]. München: Finanzbuch. Katzenbach, J. R., & Smith, D. K. (2013). The discipline of teams. In Harvard Business Review (Hrsg.), On Teams (Serie: HBR’s 10 must reads). Cambridge: Harvard Business School (Original: Katzenbach, J. R. & Smith, D. K. (1993). The discipline of teams. Harvard Business Review, 71(2), 111–120.). McChrystal, S., Collins, T., Silverman, D., & Fussel, C. (2015). Team of teams: New rules of engagement for a complex world. London: Penguin Business. Pela, P., & Zimmermann, T. (2019). Erfolgsgeheimnis Team. In StepStone (Hrsg.), People Tech Insight. Düsseldorf: StepStone.

Lesetipp Dieses Kapitel beginnt mit Zitaten verschiedener Denker zum Thema „Team“, deren Arbeiten wir hier empfehlen: Pentland, A. (2013). The new science of building great teams. In HBR’s 10 must reads on teams. Boston: Harvard Business School Publishig Corporation. Katzenbach, J. R., & Smith, D. K. (1993). The wisdom of teams. Creating the high-performance organization. Cambridge: Harvard Business Review Press. McChrystal, S., Collins, T., Silverman, D. & Fussel, C. (2015). Team of teams: New rules of engagement for a complex world. London: Penguin Random House (ab Ende 2019 deutsch: Team of Teams: Wie Organisationen ihre Anpassungsfähigkeit in einer komplexen Welt verbessern können. München: Vahlen).

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Teams und Leistung Inhaltsverzeichnis Kapitel 2 Viele Hände schaffen am falschen Ende: Wie Teamleistung entsteht – 17 Kapitel 3 Wenn leichte Aufgaben es einem schwer machen: Teamleistung und Teamziele – 33 Kapitel 4 Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz – 49

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Viele Hände schaffen am falschen Ende: Wie Teamleistung entsteht Inhaltsverzeichnis 2.1 Wer an einem Strang ziehen will, braucht Ochsen – 18 2.2 Teamworkshop und Einzelziel – 19 2.3 Interview: Wie entsteht eigentlich Teamleistung, Herr Sommerfeld? – 20 2.4 Teams zur Leistung führen – 25 2.4.1 Männer aus dem Westen als soziale Faulenzer – 25 2.4.2 Logenplatz im Kakerlakenstadion – 26 2.4.3 Härter arbeiten – oder klüger? – 29

Literatur – 31

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_2

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Kapitel 2 · Viele Hände schaffen am falschen Ende: Wie Teamleistung entsteht

2.1  Wer an einem Strang ziehen will, braucht

Ochsen

► Einstieg ins Thema

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Gelungene Teamarbeit ist, wenn „alle an einem Strang ziehen“, so eine oft bemühte Redensart. Dass man das auch wörtlich nehmen kann, zeigte ein französischer Ingenieur namens Maximilien Ringelmann (1861–1931), der damit ganz nebenbei und ohne es zu wollen das erste Experiment zur Team- und Sozialpsychologie unternahm. Eigentlich interessierte sich der Agraringenieur dafür, wie gut Maschinen, Ochsen, Pferde und Menschen Lasten ziehen können.1 Zu seiner Verblüffung stellte Ringelmann fest, dass sich die Zugleistung von Maschinen und Tieren addieren lässt – drei Pferde ziehen dreimal so viel wie ein Pferd – die von Menschen aber nicht. Je mehr Menschen gemeinsam an einem Seil ziehen, desto geringer wird die Einzelleistung: Bei wenigen Personen sinkt sie zunächst besonders stark, mit wachsender Gruppengröße immer weniger. Dieser Effekt ist bis heute in der Sozialpsychologie als „Ringelmann-Effekt“ bekannt. Die Gründe dafür, warum die Leistung Einzelner mit der Größe des Teams abnimmt, interessierten den Ingenieur Ringelmann nicht sonderlich. Er spekulierte, dass es vielleicht an schlechter Koordination lag, wenn nicht alle gleichzeitig am Seil zogen, oder an mangelnder Motivation. Und in der Tat sind die Gründe vielschichtig, und der Ringelmann-Effekt ist auf verschiedene Weise immer wieder untersucht worden. Unfreiwillige Wiederholungen der Untersuchungen zum Ringelmann-Effekt machen all diejenigen, die Teammeetings besuchen, in die im Laufe der Zeit immer mehr Personen eingebunden werden: Aktive Beteiligung und Aufmerksamkeit der Einzelnen sinken, Ablenkungen und Nebenbeschäftigungen nehmen zu. Der Marinehistoriker Cyril Northcote Parkinson beschrieb in seinem 1957 erschienenen Buch „Parkinson’s Law“, wie kleine und effektive Teams von vier oder fünf Personen in der Marineverwaltung im Laufe weniger Jahre auf 20 Personen und mehr anwuchsen – und dabei immer ineffizienter wurden. „Parkinson’s Law“ besagt, dass Arbeit immer den Raum ausfüllt, der zur Verfügung steht.2 Es wird also nicht schneller, wenn mehr Personen an einer Sache arbeiten, sondern nur aufwendiger. Mittlerweile gibt es zahlreiche mehr oder weniger seriöse Untersuchungen dazu, wie viel Zeit in unnützen Meetings vertrödelt wird und was das kostet. Jeder wird aus eigener leidvoller Erfahrung bestätigen, was es auf jeden Fall kostet: eine Menge Nerven!◄

1 2

Vgl. Ringelmann (1913). Vgl. Parkinson (1957, 2005).

2.2 · Teamworkshop und Einzelziel

2.2  Teamworkshop und Einzelziel

Beispiel aus der Praxis Wir haben viele Teamworkshops geleitet und nicht einen erlebt, in dem nicht spätestens am Ende des ersten Tages die Frage nach konkreten Ergebnissen gestellt wurde. Es dreht sich dann um Festlegungen wie: „Wer tut was bis wann mit wem?“ Wir haben noch nie die Frage gehört: „Was können wir als Team leisten?“ oder „Wie müssen wir uns als Team ändern, um effektiv gemeinsam an dieser Sache zu arbeiten?“. Das Team wird also nicht als eigentliche Leistungseinheit gesehen, sondern Einzelpersonen. Dass es auch anders geht, zeigt die Erfahrung in einer Sparkasse, die ihre hierarchische Organisation komplett infrage stellte. Eine Arbeitsgruppe befasste sich mit der Umwandlung starrer Stellenprofile in flexible Kompetenz- und Jobprofile. Die Diskussion stockte, es fehlten die zündenden Ideen. Da schlug jemand vor, spontan Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Bereichen einzuladen und gemeinsam mit ihnen zu diskutieren. Gesagt, getan: Ob aus der Filiale oder der Rechtsabteilung, es kamen mehrere Personen dazu, wurden kurz in das Thema und die agile Arbeitsweise eingeführt – und schon standen alle mit Stift und Klebezetteln vor einer großen Wand, diskutierten, notierten, klebten Zettel und sortierten sie immer wieder um. Nach rund einer Stunde war das Ergebnis da. Die neu Hinzugekommenen hatten sich vorher weder mit dem Thema noch mit der Arbeitsmethode befasst. Einer von ihnen, ein Kundenberater in einer Filiale, sagte am Ende des Workshops:

» „Ich habe lange nicht mehr so intensiv gearbeitet. Es war

sehr anstrengend, man muss immer aufmerksam sein, kann nie abschalten. Aber ich habe lange nicht mehr bei der Arbeit so viel Spaß gehabt: In Zukunft wünsche ich mir mehr von solcher Teamarbeit.“

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Kapitel 2 · Viele Hände schaffen am falschen Ende: Wie Teamleistung entsteht

Wolfgang Sommerfeld

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Portrait Wolfgang Sommerfeld, Vorstand des Deutschen Handballbunds und ehem. Sportdirektor

Herr Wolfgang Sommerfeld arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten in unterschiedlichen Funktionen für den Deutschen Handballbund. Bis Ende 2018 war er als Sportdirektor tätig. Davor war er unter anderem Assistent des ehemaligen DHB-Juniorentrainers und dabei an mehreren WM- und EM-Titeln im Nachwuchsbereich beteiligt. Er kümmerte sich als Mentor der Eliteförderung um viele deutsche Toptalente, die heute in den A-Nationalmannschaften spielen. Zuletzt begleitete er die deutsche Frauen-Nationalmannschaft auf dem Weg zur Heim-WM. Heute unterstützt Wolfgang Sommerfeld den Deutschen Handballbund als Mentor der Eliteförderung. Zudem fungiert er als Teammanager der deutschen Frauen-Nationalmannschaft.

2.3  Interview: Wie entsteht eigentlich

Teamleistung, Herr Sommerfeld?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben? Was bedeutet Team für Sie?

Obwohl die gesellschaftlichen Veränderungen, im Besonderen die Prägung und die Erziehung junger Menschen, das Individuum in hohem Maße priorisieren, arbeitet heute fast jeder im Team. Durch diese Veränderungen gibt es natürlich immer wieder Probleme: Streitereien, Konflikte bis hin zu veritablen Feindschaften mit Kolleginnen und Kollegen. Daraus ergeben sich Missverständnisse und Reibungsverluste. Manche kommen ihren Aufgaben nicht nach, andere mischen sich zu sehr in andere Aufgaben ein. Man fragt sich beinahe, gibt es überhaupt perfektes Teamwork? Und gibt es Teamregeln, die man umsetzen kann und die zu diesem perfekten Teamwork führen? So klar wie das Nein auf die erste Frage, muss man diese zweite Frage wahrscheinlich bejahen. Wir leben leider nicht in einer perfekten Welt. Also wird auch das weltbeste Team hier und da immer wieder mal Schwierigkeiten mit dem Teamwork haben. Wir sollten uns deshalb im Klaren sein, dass ein Team zwar eine Einheit bilden muss, diese aber aus Individuen besteht, die verschiedenste Voraussetzungen, Motive, Haltungen, Einstellungen und Fähigkeiten besitzen. Wenn wir diese Individuen stark machen und dann ihre Kompeten-

2.3 · Interview: Wie entsteht eigentlich Teamleistung, Herr Sommerfeld?

zen ­zusammenführen, entstehen Hochleistungsteams. Zudem müssen Teamziele ganz klar definiert werden und über allem stehen. Nur wenn alle auf dasselbe Ziel hinarbeiten, mit dem sie sich auch identifizieren können, entsteht ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Die individuellen Ziele sollen dabei in die gemeinschaftlichen Ziele integriert werden. In einem Topteam greifen die einzelnen Zahnräder optimal ineinander. Jedes Teammitglied nimmt die übertragenen Aufgaben für sich an und versucht, ein bestmögliches Ergebnis zu erreichen. In einem erfolgreichen Team beeinflusst jeder jeden. Als Metapher kann ein Netz, das von allen Teammitgliedern gespannt gehalten wird, genutzt werden. Sobald ein Mitglied mehr bzw. weniger zieht, verändert sich die Netzspannung und muss durch andere ausgeglichen werden. Das heißt, jedes Team ist permanent im Wandel, es gibt keinen Stillstand. z Was waren prägende Teamerfahrungen?

In meinen beruflichen Aufgaben als Lehrer und Trainer im Spitzensport wie auch in weiteren führenden Positionen wurde mir klar, dass ich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bzw. Sportler nicht „über einen Kamm scheren“ durfte. Die individuellen Spielräume bzw. der Individualisierungsgrad jedes Einzelnen mussten so groß sein, dass jeder einen optimalen Beitrag zur Gesamtleistung beitragen konnte. Damit war in der Regel gewährleistet, dass alle Teammitglieder ihre persönlichen Ziele dem gemeinsamen Ziel untergeordnet hatten und den Ausdruck „Wir“ in derselben Bedeutung sehen konnten. Aus diesen Gründen waren für mich die Betreuung des Einzelnen, die Koordination der unterschiedlichen Einzelleistungen und die Regulation des gesamten Teamverhaltens die wichtigsten Aufgaben. Um diese Teams stetig weiterentwickeln zu können, gehörte eine gute Feedback-Kultur zu den erfolgreichen Faktoren. Häufige und proaktive Rückmeldungen meinerseits halfen nicht nur dabei, das Team auf dem richtigen Kurs zu halten und Probleme zu vermeiden. Sie halfen auch dabei, dass jedes Teammitglied sich stetig verbessern konnte. Das Feed­ back musste dabei nicht immer positiv, aber in jedem Fall konstruktiv sein. z Wie wichtig sind herausragende Einzelspieler für ein Team bzw. ein Hochleistungsteam?

Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Zitat von Jorge Valdano, einem argentinischen Fußballphilosophen, ­verwenden:

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Kapitel 2 · Viele Hände schaffen am falschen Ende: Wie Teamleistung entsteht

» „Es geht nicht darum, einem Individualisten beizubringen, 2

wie er mit der Mannschaft klarkommt. Es geht darum, der Mannschaft beizubringen, wie sie mit einem Individualisten umgeht. Vor lauter kollektivem Denken ist das Talent unter die Räder gekommen.“

Er bringt es auf den Punkt: Im Spannungsfeld zwischen Konformität und Individualität ist es die Aufgabe des Trainers, die individuellen Ziele in das Team zu integrieren. Der Schlüssel zum Erfolg heißt: herausragende Einzelspieler gepaart mit viel Teamgeist. Ich habe festgestellt, dass die meisten Spieler auch bereit sind, sich unterzuordnen. z Wie findet ein Team zur effektiven Zusammenarbeit?

Grundsätzlich sind die vier Phasen der Teamentwicklung wichtige Bausteine, die bei der Bildung einer effektiven Zusammenarbeit zu beachten sind. Durch die Kennenlern-, Konflikt-, Festigungs- und Leistungsphasen geben sich Sportmannschaften selbst eine hierarchische Ordnung, die für den Erfolg eine wichtige Voraussetzung ist. Ein weiterer, wesentlicher Erfolgsfaktor ist der Aufgabenzusammenhalt. Für jeden einzelnen Spieler muss seine Aufgabe klar erkenn- und umsetzbar sein. Schwächere sollen ihren Fähigkeiten gemäß integriert und mit angemessenen Rollenaufgaben betraut werden. Wenn die jeweiligen Aufgaben umgesetzt und noch weitere Regeln beachtet werden, entwickelt sich ein Hochleistungsteam, in dem sich jeder wiederfindet. Drei Faktoren sind in diesem Zusammenhang wichtig: Die Spieler müssen verstehen, was um sie herum geschieht, dass sie ein Teil des Ganzen sind und ihre Arbeit einen Sinn hat. Von geringerer Bedeutung ist der soziale Zusammenhalt. Beides zusammen wäre natürlich optimal. Im Fußball sind es 20 Spieler, die einem Kader angehören. Da kann man nicht erwarten, dass es, wie früher bei Fritz Walter (Ehrenspielführer und Weltmeister 1954), nur Freunde sind. Die soziale Zusammenarbeit sollte trotzdem immer gefördert werden – denn wenn Freundschaften bzw. gute Beziehungen im Team entstehen und gelebt werden, ist das für das gesamte Team hilfreich. z Und wenn Sie sagen, jeder braucht eine Klarheit, was er tun muss, dann sind wir eigentlich beim Thema Rollen und Rollenklarheit. Wie wichtig sind Teamrollen und die Rollenklarheit im Team?

Mit dem Begriff „Rolle“ ist die wichtige Erwartung ­verknüpft, die ein Spieler auf seiner Position und neben dem Platz erfüllen soll. Dabei sind folgende Fragen zu beantworten: 1. Was muss ich tun – was sind meine Pflichten?

2.3 · Interview: Wie entsteht eigentlich Teamleistung, Herr Sommerfeld?

2. Was darf ich tun – inwieweit kann ich meine individuellen Stärken einbringen? 3. Was soll ich tun – wie ist meine persönliche Erwartung? 4. Was kann ich tun – wie schätze ich mich persönlich ein? Und dieses Rollenverständnis muss an zwei Aspekten festgemacht werden: Das sind zum einen Forderungen und Pflichten, die an diese Rolle gebunden sind. Zum anderen ist der persönliche Beitrag, den der Spieler zur Mannschaftsleistung beitragen kann, von großer Bedeutung. Eine Mannschaft kann nur dann funktionieren, wenn die Rollen aufeinander abgestimmt sind. Jeder muss deshalb über die Rolle des anderen aufgeklärt werden. z Sie haben vorhin von einem gespannten Netz gesprochen; das fand ich sehr schön als Bild. Welche Rollen sind erforderlich, damit dieses Netz immer gespannt bleibt, also in Richtung Höchstleistung funktioniert?

Die Aufgabe des Trainers besteht darin, den verschiedenen Spielertypen mit ihren unterschiedlichsten körperlichen, charakteristischen und psychischen Merkmalen die entsprechenden Aufgaben und die entsprechenden Rollen zuzuweisen. Er muss die richtige Mischung aus Führungsspielern (wollen Verantwortung übernehmen), Individualisten (wollen Spaß haben), Wasserträgern (wollen helfen und unterstützen) und Perfektionisten (wollen keine Fehler machen) finden. Alle gleich zu behandeln bedeutet, niemanden richtig, sondern alle falsch zu behandeln. Die ausgewogene Mischung der Teammitglieder und Teamrollen ist ein wesentlicher Einflussfaktor auf die Teamperformance. In diesem Zusammenhang ist auch das Teamrollensystem von Meredith Belbin3 zu beachten. Die tatsächliche und die potenzielle Leistungsfähigkeit einer Mannschaft hängen sehr stark von Motivation, Kooperation und äußeren Bedingungen ab. Je deutlicher die Aufgaben- und Rollenverteilung bzw. die Anforderungen und individuellen Absprachen von allen Spielern akzeptiert werden, desto mehr sind das Hellpachsche Nivellierungsphänomen (Drang zur Mitte)4 und der Ringelmann-Effekt (soziale Faulheit) zu verhindern.

3 Raymond Meredith Belbin (*1926) ist ein britischer Psychologe und wurde mit seiner Beratungsfirma für Team- und Managemententwicklung, Belbin, bekannt. 4 Anm. d. Aut.: Gemeint ist das von Willy Hugo Hellpach (1877–1955) formulierte „Ideorealgesetz“, wonach sich Menschen an Urteilen der Menschen in ihrem Umfeld orientieren und dann ihre eigene Wahrnehmung diesen Urteilen anpassen. Dieses Verhalten wird nach seinem Entdecker als „Carpenter-Effekt“ bezeichnet und in der Leistungsförde-

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Kapitel 2 · Viele Hände schaffen am falschen Ende: Wie Teamleistung entsteht

z Welche Teamrollen sind hinderlich?

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Schwierigkeiten, und damit hinderlich für das Team, treten durch „Problemspieler“ auf. Sie lassen sich so gut wie gar nicht in die Mannschaftsstruktur einfügen. Sie fühlen sich unterfordert und stellen den persönlichen Erfolg über den Mannschaftserfolg. Dazu tragen sie oft ihre persönlichen Konflikte in die Mannschaft. Sie sind nicht bereit oder sie können es nicht, ihre eigentlich möglichen Leistungen in die Mannschaft einzubringen. Dies kann aus persönlichen Gründen oder durch gestörte Beziehungen zu Mitspielern entstehen. Wenn alle Maßnahmen zur Verhaltensänderung nicht helfen, müssen Überlegungen zum endgültigen Verzicht auf den Spieler vorgenommen werden. z Wie flexibel oder starr müssen Teamrollen sein?

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Dieser bekannte Satz von Sepp Herberger wird auch heute vielfach von Trainern zitiert, um deutlich zu machen, dass dem nächsten Spiel volle Aufmerksamkeit zuteilwerden muss. Damit verändern sich u. U. auch Schwerpunkte, Rollen, Strategien und Aufgaben der Mannschaft bzw. einzelner Spieler. Also braucht es Flexibilität. Diese Flexibilität muss grundsätzlich vorhanden sein, weil es im Mannschaftssport verschiedene Aufgabenbereiche und damit Rollenzuweisungen gibt. Bei den Teamrollen kann unterschieden werden zwischen Rollen, welche einzelne Spieler auf dem Platz einnehmen, natürlich aber auch solchen, die sie außerhalb des Spielfelds bekleiden. Die sind zwar vielfach deckungsgleich, aber längst nicht immer. Je nach Fähigkeiten des Gegners bzw. den Umfeldbedingungen können sich die Teamrollen verändern. Einzelne Teammitglieder sollten deshalb eine oder mehrere Rollen übernehmen können. In der Praxis kommt es durchaus vor, dass ein Spieler mehrere Rollen in sich vereinigt. Andersherum kann die gleiche Teamrolle auch von mehreren Teammitgliedern eingenommen werden. Ein Trainer kann durch eine präzise Analyse der Rollen wichtige Erkenntnisse für die Mannschaft gewinnen. Bei Neuverpflichtungen sollte darauf geachtet werden, dass die nicht optimal besetzten Teamrollen bei der Entscheidung für oder gegen einen Spieler berücksichtigt werden. Es wäre völlig verkehrt, alleine die sportliche Leistungsfähigkeit als maßgebliches Kriterium zu verwenden.

rung im Sport eingesetzt (ein Video der Eliteschule des Deutschen Sports dazu erklärt die Hintergründe: 7 https://www.youtube.com/watch?v=BqyD6CQPfww; zuletzt abgerufen am 14.08.2019).

2.4 · Teams zur Leistung führen

z Wie kann ein reibungsloser Wechsel von Teamrollen erfolgen?

Die methodische Arbeitsweise sollte so strukturiert sein, dass zuerst immer das Einzelgespräch mit dem Spieler durchgeführt wird. Dadurch kann gezielt auf jeden Spieler eingegangen werden. In diesem Rahmen können ihm die Erwartungen bzw. Veränderungswünsche mitgeteilt werden, die mit der Rolle verbunden sind. Die eigene Meinung des Spielers ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig, um ihn u. a. in seiner Meinung zu bestärken, Unstimmigkeiten auszuräumen und ihm Selbstvertrauen zu vermitteln. Dann erst sollten die jeweiligen Gesprächsergebnisse in der Mannschaftsbesprechung thematisiert werden. Das heißt, dass u. a. alle relevanten Informationen, welche die unterschiedlichen Rollenverteilungen betreffen, an die gesamte Mannschaft herangetragen werden. 2.4  Teams zur Leistung führen 2.4.1  Männer aus dem Westen als soziale

Faulenzer

Der US-Sozialpsychologe Bibb Latané und seine Kollegen nahmen 1979 einen ähnlichen Versuch vor wie Ringelmann Ende des 19. Jahrhunderts, allerdings sollten die Teilnehmenden nicht an einem Strick ziehen, sondern möglichst laut klatschen und rufen.5 Den Versuchspersonen waren die Augen verbunden, und sie hatten Kopfhörer auf den Ohren. Die Teilnehmenden dachten, dass sie die Aufgabe in einer Gruppe mit anderen Menschen ausführen sollten, waren aber in Wirklichkeit allein. Der Versuchsleiter variierte die Anzahl der angeblichen Mitstreiter. Es zeigte sich, dass die Teilnehmenden am meisten Lärm machten, wenn sie dachten, sie seien allein. Je größer die angebliche Gruppe der Mitwirkenden war, desto weniger Engagement zeigten die Versuchsteilnehmer beim Klatschen und Rufen. Während bei Ringelmann Koordinationsprobleme zu der verringerten Leistung in der Gruppe gegenüber der Einzelleistung beigetragen hatten, konnte das in dieser Untersuchung ausgeschlossen werden. Der Leistungsabfall der einzelnen Versuchspersonen in Abhängigkeit von der angeblichen Gruppengröße war hier ausschließlich auf Motivationseinbußen zurückzuführen.

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Vgl. Latané et al. (1979).

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Kapitel 2 · Viele Hände schaffen am falschen Ende: Wie Teamleistung entsteht

Die Autoren prägten für dieses Phänomen den bis heute gebräuchlichen Begriff des „social loafing“, deutsch: „soziales Faulenzen“. Und dieses „Faulenzen“ geht schon los, bevor das Team überhaupt zusammenkommt. Eine Studie an Leistungssportlern zeigte, dass soziales Faulenzen bereits in der Vorbereitung auf eine Gruppenaufgabe auftritt: Bereiteten sich die Sportler auf eine spätere Gruppenaufgabe vor, so war die Vorbereitung deutlich schlechter, als wenn sie sich auf eine Einzelaufgabe vorbereiteten. Dies konnte sowohl für eine „Laboruntersuchung“ als auch für eine reale Leistungssituation nachgewiesen werden.6 In einer umfassenden Analyse solcher Untersuchungen zeigte sich, dass soziales Faulenzen immer dann auftritt, wenn nicht klar ist, wie viel jede einzelne Person zur Gesamtleistung beiträgt. Zudem scheint soziales Faulenzen bei Männern und in westlichen Kulturen stärker ausgeprägt zu sein als bei Frauen und in östlichen Kulturen.7 Teamleistung kann also nicht einfach durch Vergrößerung des Teams verbessert werden, denn oft sinkt dadurch die Leistung. Entscheidend ist eher die Zusammensetzung als die Größe des Teams. 2.4.2  Logenplatz im Kakerlakenstadion

Die Anwesenheit anderer Personen kann nicht nur Leistungsabfall durch soziales Faulenzen bewirken, sondern auch das glatte Gegenteil: Norman Triplett beobachtete bereits vor über hundert Jahren, dass Radrennfahrer im Wettbewerb mit anderen Fahrern schneller waren, als wenn sie allein „gegen die Uhr“ fuhren.8 Dieses Phänomen wird als „Schrittmachereffekt“ bezeichnet. Weitere Untersuchungen zeigten dann allerdings, dass es einen Unterschied macht, ob leichte oder schwierige Aufgaben in Anwesenheit von Zuschauern zu bewältigen sind.9 Dies belegte ein bemerkenswertes Experiment von Robert Zajonc an Lebewesen, die auf den ersten Blick nur wenig mit Menschen gemeinsam haben. Zajonc untersuchte Kakerlaken, die in einem Kasten umherliefen und bei Anschalten einer Lichtquelle durch ein Loch verschwinden konnten, was der natürlichen Reaktion von Kakerlaken bei Lichteinfall entspricht. In seinem Experiment variierte Zajonc den

6 Vgl. Ohlert (2009). 7 Vgl. Karau und Williams (1993). 8 Der Artikel ist einer der „Klassiker“ der Sozialpsychologie: Triplett (1898). 9 Vgl. Stroebe et al. (2014, S. 13 ff.).

2.4 · Teams zur Leistung führen

Schwierigkeitsgrad der Aufgabe: In der einfachen Version befand sich das Loch direkt gegenüber der Lichtquelle, in der schwierigen Version mussten die Kakerlaken um eine Ecke laufen, um das Loch zu finden. Es zeigte sich, dass die Kakerlaken bei der einfachen Aufgabe schneller waren, wenn sie von anderen Kakerlaken in „Zuschauerboxen“ beobachtet wurden, als wenn sie allein waren. Der gegenteilige Effekt trat ein bei schwierigen Aufgaben: Hier brauchten die Kakerlaken länger, wenn sie von Artgenossen beobachtet wurden, als wenn sie allein waren.10 Aufgrund dieser und ähnlicher Befunde bei Menschen entwickelte Zajonc die Theorie von der „social facilitation“ (Soziale Erleichterung/Unterstützung), die besagt, dass Lebewesen in Anwesenheit von Artgenossen bei einfachen Aufgaben bessere Resultate, hingegen bei komplexen Aufgaben schlechtere Leistungen erzielen als allein. Zajonc führte diese Ergebnisse auf „innere Erregung/ Anspannung“ zurück. Seiner Meinung nach erhöht die Anwesenheit von Zuschauern die physiologische Anspannung, was sich – je nach Schwierigkeitsgrad der Aufgabe – unterschiedlich auf das Leistungsverhalten auswirkt. Dass Tiere bei einem mittleren Aktivierungsniveau die besten Leistungen zeigen, hatten Yerkes und Dodson bereits 1908 an Ratten nachgewiesen. Dieser Befund wurde immer wieder festgestellt, auch bei Menschen. Das Yerkes-Dodson-Gesetz beschreibt einen umgekehrt U-förmigen Zusammenhang zwischen physiologischer Erregung und leistungsbezogenem Lernen. Sowohl bei einem niedrigen Erregungsniveau, z. B. bei Müdigkeit oder Erschöpfung, als auch bei einem hohen Erregungsniveau, z. B. bei hoher Aufregung oder Angst, zeigen Menschen schlechtere Leistungen als bei mittlerer physiologischer Anspannung (. Abb. 2.1). Kurz: Bei Langeweile (zu geringe Anspannung) und bei Stress (zu hohe Anspannung) sinkt die Leistung. Die optimale Anspannung hängt ab von der Aufgabe – je einfacher die Aufgabe, desto höher die optimale Anspannung – und von der Person – Extravertierte brauchen mehr Anspannung als Introvertierte. Die Anwesenheit anderer Personen kann also sowohl die Leistung steigern als auch hemmen. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Personen, die bei einer Aufgabe beobachtet werden, sich Gedanken über die Erwartungen der Zuschauer machen und eine Blamage fürchten. Diese Bewertungen gehen mit einem Gefühl von Aufregung und körperlicher Aktivierung einher. Zudem ist es wahrscheinlich, dass auch Ablenkungsprozesse eine Rolle spielen. Die beobachtete Person

10 Vgl. Zajonc (1965).

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Kapitel 2 · Viele Hände schaffen am falschen Ende: Wie Teamleistung entsteht

einfache Aufgabe

komplexe Aufgabe

. Abb. 2.1  Das Yerkes-Dodson-Gesetz besagt, dass eine bestimmte Anspannung für das Lösen von Aufgaben optimal ist – hohe Anspannung bei leichten und daher schnell langweiligen Aufgaben, geringe Anspannung bei kniffligen Aufgaben; das gilt auch im Team. (Eigene Darstellung)

beobachtet ihrerseits die Zuschauer, weist daher bezüglich der Aufgabe eine geringere Konzentration und eine höhere Fehleranfälligkeit auf, was letztlich bei schwierigen Aufgaben zu schlechteren Leistungen führt. Ist das körperliche Erregungsniveau hingegen niedrig, weil die Aufgabe einfach ist oder routiniert durchgeführt werden kann (wie z. B. bei den Radrennfahrern), steigert die Anwesenheit von Zuschauern die physiologische Anspannung auf ein mittleres Niveau, was die Leistungsfähigkeit bei leichten Aufgaben verbessert. Teams können also ihre Leistung steigern, wenn sie für die jeweils passende Anspannung sorgen: Wettbewerb und gegenseitiges Anfeuern bei einfachen bzw. eher langweiligen Tätigkeiten, ruhige Konzentration und gegenseitige Unterstützung bei kniffeligen Aufgaben.

2.4 · Teams zur Leistung führen

2.4.3  Härter arbeiten – oder klüger?

Diese Frage stellten sich unter anderem Nelson Repenning und John Sterman vom Sloan Management Institute am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und gaben auch gleich die Antwort: Verfehlt ein Team nur knapp die vorgegebenen Leistungsziele, dann reicht es oft aus, einfach etwas schneller oder länger zu arbeiten („work harder“). Wenn es um einen großen Leistungszuwachs geht, dann muss das Team dazulernen, z. B. neue Prozesse und Methoden („work smarter“). Dieser Lernaufwand lohnt sich aber nur dann, wenn der Leistungszuwachs den Aufwand rechtfertigt. Dazu muss das Team erst einmal erkennen, dass es mit „work harder“ nicht weiterkommt und einen Lernbedarf hat, um „smarter“ und erfolgreicher zusammenarbeiten zu können, und es benötigt natürlich Klarheit darüber, was gelernt werden soll.11 Doch sind in diesem Zusammenhang nicht nur die Überzeugungen des Teams, sondern auch die des Managements von Bedeutung. Eine Untersuchung von Teams, die zentrale Geschäftsprozesse verbessern sollten, zeigte, dass Manager oft zu schnell positive Effekte von Investitionen, etwa in Ausrüstung und mehr Personal, erwarten. Dadurch entsteht etwas, was Repenning und Sterman eine „Kapazitätsfalle“ nennen: Da aus Sicht des Managements trotz der Bemühungen Erfolge zunächst ausbleiben, stocken sie kurzfristig Personal auf. Dies führt dazu, dass das bestehende Team in seiner Arbeit gestört und nachhaltige Verbesserungen erschwert werden.12 Die MIT-Forscherin Elaine Lizeo knüpfte an die Überlegungen zu sozialer Unterstützung sowie sozialem Faulenzen an und konnte zeigen, dass das Lernen der einzelnen Teammitglieder allein die Produktivität noch nicht steigert. Erst wenn das Team sich darin einig ist, dass die Leistung besser werden muss und was dafür gelernt und verbessert werden muss, entwickelt sich die Leistung des ganzen Teams und nicht nur der einzelnen Mitglieder weiter. Entscheidend dafür ist, so Lizeo, die „psychologische Sicherheit“ im Team.13 Dafür greift sie auf ein Konzept von Amy Edmondson14 von der Harvard University zurück: Selbst beste Voraussetzungen für ein Team führen nur dann zu besserer Leistung, wenn im Team Vertrauen und Leistungswillen herrschen. Den gemeinsamen Leistungsanspruch und die psychologische Sicherheit

11 12 13 14

Vgl. Repenning und Sterman (2001). Vgl. Repenning und Sterman (2002). Vgl. Lizeo (2005). Vgl. Edmondson (1999).

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Kapitel 2 · Viele Hände schaffen am falschen Ende: Wie Teamleistung entsteht

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. Abb. 2.2  Entwicklung der Teamproduktivität mit Fokus auf Verbesserung durch Lernen (untere Linie) und Verbesserung durch Steigerung der Teamfähigkeit (obere Linie). (Nach Lizeo, 2005, S. 13)

als Basis gemeinsamen Lernens versteht Lizeo als „Teamfähigkeit“. Vergleicht man die Wirksamkeit von „Lernen“ und „Teamfähigkeit“, so zeigt sich, dass nicht schon das Lernen der Teammitglieder, sondern erst die nachhaltige Erhöhung der Teamfähigkeit die Teamleistung steigert (. Abb. 2.2). Auf Basis dieser Ergebnisse unterscheidet Elaine Lizeo Teams mit niedriger und hoher Leistung entsprechend nach folgenden Merkmalen: Teams mit geringer Leistung

Teams mit hoher Leistung

Psychologische Sicherheit

Machtgefälle und gegenseitige Be-/Verurteilung (geringe Sicherheit)

Kaum Machtgefälle und hohes gegenseitiges Vertrauen (hohe Sicherheit)

Teamleitung

Kontrolle und direkte Leistungs- bzw. Zielvorgaben

Festlegung von Zielen im Team, Leitung moderiert und unterstützt

Leistungsanspruch

Situationsbezogenes, reaktives Handeln und personenbezogene Beurteilung (z. B. Suche nach Schuldigen)

Selbstvertrauen und gegenseitiges Anspornen zu mehr Leistung

31 Literatur

Teamkommunikation

Teams mit geringer Leistung

Teams mit hoher Leistung

Vermeiden von Diskussionen über Fehler und Vermeiden der Suche nach Feedback bzw. Leistungsbeurteilung

Anstoßen von Diskussionen über Fehler und Suche nach Feedback

Es ist wie bei den Radrennfahrern und den Kakerlaken: Das soziale Umfeld kann Schrittmacher sein oder Hemmschuh. Was bei einfachen Aufgaben hilft, kann bei schwierigen Aufgaben Probleme bereiten. Erst die Kombination aus Leistungsanspruch und psychologischer Sicherheit ermöglicht es dem Team, die richtige Balance für optimale Leistung zu finden.

Literatur Edmondson, A. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative Science Quarterly, 44(2), 350–383. Karau, S. J., & Williams, K. D. (1993). Social loafing: A meta-analytic review and theoretical integration. Journal of Personality and Social Psychology., 65(4), 681–706. Latané, B., Williams, K., & Harkins, S. (1979). Many hands make light the work: The causes and consequences of social loafing. Journal of Personality and Social Psychology, 37(6), 822–832. 7 https://doi. org/10.1037/0022-3514.37.6.822. Lizeo, E. (2005). A dynamic model of group learning and effectiveness. System Dynamics Society Conference 2005, Boston, USA. Ohlert, J. (2009). Teamleistung. Social Loafing in der Vorbereitung auf eine Gruppenaufgabe. Hamburg: Schriften zur Sozialpsychologie, Bd.18. ISBN 978-3-8300-4001-9 (Print/E-Book). Parkinson, C. N. (1957). Parkinson’s law, and other studies in administration. Cambridge: Riverside Press (Deutsch: Parkinson, C. N. (2005). Parkinsons Gesetz und andere Studien über die Verwaltung. Düsseldorf: Verlagsanstalt Handwerk). Repenning, N. P., & Sterman, J. D. (2001). Nobody gets ever credit for fixing problems that never happened: Creating and sustaining process improvement. California Management Review, 43(4), 64–88. Repenning, N. P., & Sterman, J. D. (2002). Capability traps and self-confirming attribution errors in the dynamics of process improvement. Administrative Science Quarterly, 47, 265–295. Ringelmann, M. (1913). Recherches sur les moteurs animés. Travail de l'homme. Annales de l’Institut National Agronomique, 2(12), 1–40. Stroebe, W., Hewstone, M., & Jonas, K. (2014). Einführung in die Sozialpsychologie. In K. Jonas, W. Stroebe, & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (6. Aufl.). Heidelberg: Springer.

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Kapitel 2 · Viele Hände schaffen am falschen Ende: Wie Teamleistung entsteht

Triplett, N. (1898). The dynamogenic factors in pace making and competition. American Journal of Psychology, 9, 507–533. Yerkes, R. M., & Dodson, J. D. (1908). The relation of strength of stimulus to rapidity of habit-formation. Journal of Comparative Neurology and Psychology, 18, 459–482. Zajonc, R. B. (1965). Social facilitation. Science, 149(3681), 269–274. 7 https://dx.doi.org/10.1126/science.149.3681.269

Lesetipp Einen pragmatischen und psychologisch fundierten Einstieg bietet: Becker, F. (2016). Teamarbeit, Teampsychologie, Teamentwicklung. So führen Sie Teams! Heidelberg: Springer. Viele sozialpsychologische Grundlagen haben wir nachgeschlagen in: Jonas, K., Stroebe, W., & Hewstone, M. (Hrsg.). (2014). Sozialpsychologie (Springer-Lehrbuch, 6. Aufl.). Heidelberg: Springer.

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Wenn leichte Aufgaben es einem schwer machen: Teamleistung und Teamziele Inhaltsverzeichnis 3.1 Erfolgreich das Ziel verfehlt – 34 3.2 Mit Teamzielen das Team zerstören – 34 3.3 Interview: Wie kommen Teams zu Zielen, Herr Wagner? – 36 3.4 Teams Ziele setzen – 39 3.4.1 Teamleistung im Sinkflug – 39 3.4.2 Selbstorganisierte Teams – beliebig oder zielstrebig? – 41 3.4.3 Das Ziel ist der Gipfel – Ziele und Aufgaben – 43 3.4.4 Belohnung oder Beteiligung: Was Teams antreibt – 45

Literatur – 46

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_3

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Kapitel 3 · Wenn leichte Aufgaben es einem schwer machen: Teamleistung und Teamziele

3.1  Erfolgreich das Ziel verfehlt ► Einstieg ins Thema

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Die Entwickler einer Firma haben ihr Ziel total verfehlt, und diese Firma ist so stolz darauf, dass sie sogar damit wirbt.1 Es geht um die Erfindung der kleinen bunten Klebezettelchen, die heute aus keinem Büro und schon erst recht nicht aus der agilen Teamarbeit wegzudenken sind: die Post-its. 1968 hatte der Wissenschaftler Dr. Spencer Silver bei der Firma 3M einen Klebstoff entwickelt, der sicher auf glatten Oberflächen haftete und sich leicht wieder lösen ließ, der aber den Zielvorgaben überhaupt nicht entsprach, weil eigentlich wirkungsvollere, stärkere Klebstoffe entwickelt werden sollten. Zur gleichen Zeit ärgerte sich sein Kollege Art Fry darüber, dass bei Proben im Kirchenchor stets die Lesezeichen aus dem Gesangbuch herausfielen und wünschte sich ein Lesezeichen, das auf dem Papier haften bleibt, ohne es zu beschädigen. Silver und Fry setzten sich zusammen und entwickelten Haftnotizen, die sie im Büro selbst benutzten und bald auch ihren Kolleginnen und Kollegen gaben. Diese waren begeistert, und die Firma 3M führte die kleinen Klebezettelchen zunächst in vier Städten unter dem Namen „Press 'n Peel“ ein. Heute werden jedes Jahr rund 50 Mrd. der bunten Zettelchen verkauft. Dass das Verfehlen von Zielen viel besser ist als sein Ruf, machen auch Untersuchungen deutscher Entwicklungshilfeorganisationen deutlich, die nach Erfolgsfaktoren in ihren zahlreichen Projekten gesucht hatten. Keiner der vielen möglichen Faktoren stach so recht hervor. Die Analysen zeigten aber, dass vor allem die Projekte von Förderern und Geförderten als erfolgreich bewertet wurden, die im Projektverlauf nicht starr an Zielvorgaben festgehalten, sondern ihre Ziele flexibel angepasst hatten.2 Es heißt also nicht nur bei Erfindungen wie den Post-its: Ziel erfolgreich verfehlt.◄

3.2  Mit Teamzielen das Team zerstören

Beispiel aus der Praxis Ein bundesweit tätiges Dienstleistungsunternehmen haderte mit dem Ziel- und Bonussystem für seine Vertriebsteams. Die Grundidee war, dass Zielvereinbarungen und Vergütung

1 Vgl. 7 www.3mdeutschland.de/3M/de_DE/post-it-notes/contact-us/aboutus; zuletzt abgerufen am 09.08.2019. 2 Vgl. Borrmann et al. (1999, 2001), Borrmann und Stockmann (2009).

3.2 · Mit Teamzielen das Team zerstören

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nicht allein auf dem bisher Geleisteten beruhen, sondern das Potenzial für die Zukunft berücksichtigen sollten. Damit wurden gleich mehrere Probleme angegangen: Leistungen guter Mitarbeiter in schlechten Teams wurden anerkannt, Mitarbeiter, deren Vertriebsergebnisse die des Teams übertrafen, individuell belohnt, und „Aufsteiger“ bzw. „Aufsteigerinnen“, also sich sehr positiv entwickelnde Vertriebsmitarbeiter, besonders gefördert. Nach langen internen Diskussionen einigte sich das Personalmanagement mit dem Betriebsrat auf folgende Lösung: Für alle Vertriebsteams wurde ein Teil des Unternehmensgewinns des Vorjahres als „Bonustopf“ bereitgestellt. Davon wurden 75 % nach individueller Zielerreichung ausgezahlt, also z. B. wie viele Produkte verkauft und wie viel Umsatz erzielt wurde. Die restlichen 25 % wurden als Sonderprämie ausgezahlt, an Personen, die mindestens 10 % über ihrem Teamdurchschnitt lagen oder zu den 10 % Wachstumsstärksten gehörten. Schon wenige Monate nach Einführung dieses Systems wurde es wieder abgeschafft, weil Konkurrenzverhalten und Missgunst in den Vertriebsteams so stark zunahmen, dass die Vertriebsleistung deutlich abnahm. Man kann nicht Team- und Einzelleistung gleichzeitig fördern, denn dauerhafter Leistungswettbewerb zerstört die Vertrauens- und damit die Leistungsbasis von Teams.

Marc Wagner

Herr Marc Wagner ist Mitglied des Global Management Teams der Detecon. Er verantwortet die Practice New Work & Company ReBuilding und begleitet Unternehmen bei der digitalen Transformation rund um die Themen New Work, digitale Ökosysteme, Innovationsmanagement und zukunftsfähige Arbeitsorganisationen. Er war zuvor in unterschiedlichen Leitungsfunktionen u. a. für die Themenkomplexe Restrukturierung, Financial Management, CHRO-Advisory und People Management verantwortlich und startete seine berufliche Laufbahn als Gründer eines erfolgreichen IT- & Tech-Start-ups. Marc Wagner ist Herausgeber diverser Studien und Publikationen rund um New Work und Innovationskultur sowie Mitautor des Buchs: New Work – auf dem Weg zur neuen Arbeitswelt, 2017 erschienen bei Springer Gabler. Er ist Senior-Experte für Transformations- und Restrukturierungsprojekte mit den Fokusthemen Finanz- und HR-Management, HR-Transformation, New Work und Company ReBuilding in den Fokusbranchen Telekommunikation, ICT, Öffentliche Verwaltung, Versorger und Automotive.

Portrait Marc Wagner, Managing Partner T-Systems/Detecon

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Kapitel 3 · Wenn leichte Aufgaben es einem schwer machen: Teamleistung und Teamziele

3.3  Interview: Wie kommen Teams zu Zielen,

Herr Wagner?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

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Arbeiten in Teams ist für mich die Grundlage, um meiner Rolle als Führungskraft gerecht zu werden. Wir haben die Strukturen in unserem Bereich, das sind so 80 bis 100 Leute, nach einem agilen Steuerungsmodell aufgestellt, das über „OKRs“ gesteuert wird. ORKs ist ein Thema, das viel älter ist als viele denken.3 Es kam ursprünglich von Intel. Wir formulieren unsere Ziele und Visionen, die Objectives, und brechen diese dann in sehr tangible, messbare Key Results herunter. Dabei sind wir nicht in Zyklen von einem Jahr, drei Jahren, fünf Jahren unterwegs, sondern eher in kleinen Iterationen. Bei uns sind das drei Monate. Das heißt, wir planen die Key Results, die dann auf die strategischen Ziele, die Objectives, einzahlen, alle drei Monate neu. Wir arbeiten also an Themen mit der Zielsetzung, dass diese nach drei Monaten abgeschlossen sind und ein konkretes Ergebnis liefern. Und dann planen wir wieder für die nächsten drei Monate. Das ist ein klassisches agiles Vorgehen, was dazu führt, dass sich immer wieder neue Teamkonstellationen bilden. Das Thema Führung wird dadurch eher rollenbasiert gesehen, wobei Linien- und disziplinarische Führung komplett an Bedeutung verlieren. z Was waren prägende Teamerfahrungen?

Prägende Erfahrungen gab es eine ganze Menge, eigentlich über alle Stationen. Ich glaube stark an Loslassen und Vertrauen, also im Sinne von: Man muss nicht mehr den Überblick über alles haben, man muss nicht mehr in jedes Thema reingehen, man muss nicht mehr überall die Qualitätsschleife als Führungskraft oder Leiter des Bereichs machen. Auch das Thema Feedback haben wir bei uns komplett anders aufgesetzt und sind immer noch dabei. Denn das ist ein großes Thema, das hätte ich nie gedacht: ein sehr offenes, sehr konstruktiv kritisches Feedback in alle Richtungen. Das heißt, ich habe Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die mir Feedback auf eine Art geben, die für viele, die von außen kommen, 3 „OKRs“ bedeutet „Objectives and Key Results“ (deutsch: Ziele und Schlüsselergebnisse). Diese Art Zielvorgaben geht auf den Vorschlag von Managementvordenker Peter Drucker zurück, der vorschlug, mit „Zielen zu führen“ (engl. „Management by Objectives“, MbO) statt mit direkten Handlungsanweisungen. „MbO“ wurde teilweise so missverstanden, dass möglichst viele, detaillierte Ziele vorgegeben werden sollen (Drucker, 1954/1998). Heute beschränkt man sich stattdessen auf Kernziele und Ergebnisse, eben „OKRs“.

3.3 · Interview: Wie kommen Teams zu Zielen, Herr Wagner?

v­ erstörend ist. Woraufhin dann kommt: „Wie, du bist hier Mitglied des Managementboards und so lässt du mit dir umspringen, von einem Juniorberater?“ Ich muss sagen, ja, das war für mich am Anfang auch ungewöhnlich, daran musste ich mich gewöhnen. Aber es ist für mich die einzige Chance, als Führungskraft und auch als Persönlichkeit zu wachsen. Besondere Teamerfahrungen sind für mich beispielsweise Präsentationen, sie vorzubereiten, sie zu halten, in den Pitch zu gehen und eine Kundeninteraktion zu haben – und danach Feedback vom Team zu bekommen und zu hören: „Das musst du besser machen.“ oder „Das hätte ich anders gemacht.“ Damit dann konstruktiv umzugehen und nicht nur zu sagen: „Ok, nehme ich jetzt irgendwie auf.“, sondern „Nehme ich jetzt auf, und lass uns noch mal genau darüber diskutieren, wie es konkret aussehen würde.“ Also dieses gemeinsame Streben nach möglichst höchster Qualität ist für mich eine ganz besondere Erfahrung. z Wofür würden Sie heute unbedingt im Team arbeiten, in welchem Punkt auf keinen Fall?

Wenn ich mich konzeptionell, strategisch mit einer Fragestellung beschäftige, ich mich wirklich stundenlang auf ein Thema konzentrieren und es erarbeiten muss – das mache ich natürlich nicht im Team, sondern alleine. Das sind die Phasen, in denen wir sehr stark konzeptionell arbeiten, außerhalb des Teams. Danach aber ist das Team wertvoll, um Perspektiven zusammenzubringen, zu konkretisieren in Richtung Umsetzung, um Hürden zu erkennen und in Co-Kreation zu gehen – im Zweifelsfall auch, indem man noch Externe mit an Bord holt. Ich glaube, es ist dieser Mix aus Einzel- und Teamsituation sowie bilateralen Situationen. Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass wirklich intensiv konzeptionelle Diskussionen und das Erarbeiten von Themen nicht in sehr großen Gruppen möglich sind. Das bleibt dann alles auf einer „Post-it-Klebe“- und „Jeder-hat-malwas-gesagt“-Ebene. Es ist viel effizienter, sich dann zwei, drei Leute aus dem Team herauszunehmen, um dann ein Thema intensiv gemeinsam zu bearbeiten. Danach geht man wieder in die Gruppe. Wenn es um „Design Thinking“4-Prozesse geht, sollte man auch Externe oder Kunden reinholen, um nochmal aus einer anderen Perspektive auf das Thema zu schauen.

4 Als „Design Thinking“ werden Kreativ- und Entwicklungsprozesse bezeichnet, in denen z. B. Ideen für neue Produkte und Dienstleistungen entwickelt werden, die sich am Nutzer orientieren und auf Methoden beruhen, wie sie beispielsweise im Produktdesign angewendet werden.

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Kapitel 3 · Wenn leichte Aufgaben es einem schwer machen: Teamleistung und Teamziele

z Wie kommen Teams zu Zielen?

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Wir versuchen uns wirklich bei jedem Thema die Objective Key Results zu überlegen: Also was ist das Objective, was ist der Grund? Warum soll ich mich jetzt genau damit beschäftigen, was soll anders sein als vorher, wenn ich mich damit beschäftige und ein paar solcher Themen implementiert habe? Das Ziel klar herauszuarbeiten und so zu formulieren, dass es in hohem Maße Inspiration und Sinnstiftung hat, gelingt nicht immer. Manche Themen sind nun einmal einfach „unsexy“ und müssen trotzdem gemacht werden. Aber wir versuchen auch diese so zu formulieren, dass sich darum ein Team formieren kann, das sich dann mit der Aufgabe auch wirklich identifiziert. z Sollen Teams sich besser Ziele setzen oder Ziele genannt bekommen?

Wenn ich ein sehr visionäres Leadership-Team habe, das in der Lage ist, eine Vision für ein Unternehmen zu formulieren, die klar in einzelne Teams und Aufgabenstellungen gegliedert ist, die verständlich ist und getragen wird von der Organisation – dann, glaube ich, ist es kein großes Problem, dass sich Teams ihre „Unterobjectives“ zum Erreichen dieses Ziels oder dieser Vision selbst geben. Bei den meisten, gerade bei großen Strukturen und großen Organisationen, ist das jedoch überhaupt nicht gegeben. Da braucht man dann im Zweifelsfall den Mix aus top-down und bottom-up5, bei dem man ein Rückspiel hat: Zahlt denn das, was ich mir jetzt als Ziel gesetzt habe, in Zusammenarbeit mit dem nächsthöheren Managementlevel in irgendeiner Form auf unsere Strategie ein, auf unsere Ziele etc.? Das Erstere ist mit Sicherheit das bessere und das erstrebenswerte. Meine Beobachtung ist aber, dass das in den wenigsten Fällen wirklich realisierbar ist. Das andere ist: Ich formuliere eine „Challenge“ (Herausforderung, Anm. d. Aut.) im Unternehmen, und zig Mitarbeiter sagen: „Auf das Thema habe ich Bock, daran möchte ich gerne arbeiten.“ Dann bildet sich quasi freiwillig ein Team, bei dem ich natürlich auf ein gewisses Level an Diversität schauen muss – was aber oft gar nicht so „tricky“ ist, wenn die Challenge sauber beschrieben ist, weil sich dann das Ganze wie eine Art Start-up selbst bildet. Und dann brauche ich im Zweifelsfall viel, viel weniger „Guidance“ (deutsch: Führung, Anleitung, Anm. d. Aut.). 5 Top-down (von oben nach unten) und bottom-up (von unten nach oben) wird in der Unternehmensplanung auch als „Gegenstromprinzip“ ­bezeichnet: Vom Management werden „top-down“ Ziele vorgegeben, die von der Mitarbeiterschaft „bottom-up“ auf Machbarkeit überprüft und verbessert werden.

3.4 · Teams Ziele setzen

z Setzen sich Teams ausreichende Ambitionsniveaus?

Die Ambitionsniveaus, die wir bei uns, für unseren Bereich als Objectives formuliert haben, sind extrem hoch. Ein ganz wesentlicher Punkt, und daran mussten wir uns auch gewöhnen, ist dabei, dass Ziele in Organisationen, also in klassischen hierarchisch geprägten Organisationen, so laufen, dass ich grundsätzlich immer taktisch unterwegs bin. Das liegt daran, dass vielfach der Fehler gemacht wird, Ziele mit Performance-Beurteilung (Leistungsbeurteilung, Anm. d. Aut.) und variablen Gehaltsbestandteilen von Mitarbeitern in Verbindung zu bringen. Das ist bei uns nicht der Fall. Objectives werden so formuliert, dass sie ein extrem hohes Ambitionsniveau darstellen. Im Zweifelsfall sagt man, ein Objective mit 70 %iger Wahrscheinlichkeit zu treffen, ist sehr gut. Ich entkopple die Objectives und die Erreichung von Key Results von der Performance-Beurteilung der Mitarbeiter. Das Gute daran ist: Ich strebe immer auf ein viel, viel höheres Ambitionsniveau in der Organisation. Das ist letztlich klarer, weniger mit Beigeschmack versehen, den Objectives und Key Results ja sonst haben, wenn die Mitarbeiter immer mitberücksichtigen müssen: „Was heißt das jetzt für mich? Was heißt das für meine Variable, was heißt das für meine Performance-Beurteilung, für meine Karriere?“ Erst wenn ich das entkopple, komme ich letztlich auf realistische und kundenorientierte Ziele. So denkt man natürlich viel größer, denn es gibt keine Limitierung. z Passen die Ambitionen zu den Unternehmenszielen?

Also de facto geht es Hand in Hand: Das Ambitionsniveau ist das Unternehmensziel. Ich habe am Ende des Tages gar kein Ziel mehr im klassischen Sinne, sondern ich habe ein Objective im Sinne von Ziel, was ein Ambitionsniveau widerspiegelt. Also etwas, das aus Sicht der Organisation – die ja eigentlich nur ein Zusammenschluss ist, um einen Sinn zu erfüllen – erstrebenswert ist. 3.4  Teams Ziele setzen 3.4.1  Teamleistung im Sinkflug

Kaum ein Ratgeber oder ein Artikel zum Thema Zielsetzung, der nicht mit der Empfehlung aufwartet, dass Ziele „SMART“ sein sollen, mit S für „Spezifisch“, M für „Messbar“, A für „Anspruchsvoll“, R für „Realistisch“ und T für

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Kapitel 3 · Wenn leichte Aufgaben es einem schwer machen: Teamleistung und Teamziele

„Terminiert“6 – und der Rat ist nicht schlecht, wie umfangreiche Untersuchungen im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ergeben haben: Leistungsbeurteilung führt zu messbaren Leistungsverbesserungen, u. a. weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelmäßige Gespräche und Rückmeldungen zu ihren Leistungen als Steigerung der Arbeitsqualität erleben.7 Aber kann man so einfach die Ergebnisse von Untersuchungen individueller Leistungsbeurteilungen auf ein Team übertragen? Und was steigert eigentlich die Leistung: Die Zielvorgabe, die Rückmeldung oder ein Bonussystem, das das Erreichen von Zielen belohnt? Erste Zweifel an der einfachen Gleichung: Ziele + Belohnung = Leistung kommen schon auf, wenn man sich Untersuchungen zum Zusammenhang von Teamzielen, Teambonus und Leistung anschaut. In Teams können Ziele nicht unabhängig voneinander sein, sondern die Teammitglieder können nur jeweils das Beste tun unter der Berücksichtigung dessen, was die anderen tun. Solche untereinander abhängigen Ziele werden nach dem US-amerikanischen Mathematiker und Nobelpreisträger John Nash als „Nash-Gleichgewicht“ bezeichnet. Berechnet man das Nash-Gleichgewicht für verschiedene Teamziele und Teambonus-Zahlungen, stellt man fest, dass die individuelle Anstrengung in Teams ohne Bonus höher ist als mit einem Bonus. Die individuelle Anstrengung lässt aber mit der Zeit nach und pendelt sich auf eine Art „kleinsten gemeinsamen Nenner“ ein. Ist der Teambonus nur gering (also z. B. deutlich unter 10 % des Jahreseinkommens), verstärkt sich diese Tendenz sogar. Ein hoher Teambonus führt zwar nicht zu besonders hoher individueller Anstrengung, hält aber den Leistungsbetrag der einzelnen Teammitglieder zumindest stabil (. Abb. 3.1). Überhaupt ist der Umgang mit materiellen Anreizen, insbesondere Gehaltserhöhungen und Bonuszahlungen, oft ein Problem. So sollte beispielsweise mit der ersten Veröffentlichung der Spitzeneinkommen von US-Managern im Jahr 1993 die Entwicklung der Managergehälter gebremst werden. Das Gegenteil trat ein: Durch den offengelegten „Maßstab für Topgehälter“ wollten nun alle Manager, die sich für Topkräfte hielten, auch Topeinkommen erzielen. Die

6 Das Akronym SMART ist eine Übersetzung aus dem Englischen (specific, measurable, attainable, realistic, timed) und entspricht dem Vorschlag von Peter Drucker, dass das Management durch Ziele (engl. Management by Objectives, MbO) führen soll. 7 Vgl. Bellmann et al. (2013), Bundesministerium für Arbeit und Soziales – BMAS (2019).

3.4 · Teams Ziele setzen

. Abb. 3.1  Auswirkung von Belohnung auf Teamleistung – ein geringer Teambonus wirkt eher als Leistungsbremse, ein hoher Bonus führt zu geringerer, aber stabiler Teamleistung. (Eigene Darstellung nach Irlenbusch und Ruchala 2008, Abb. 3)

­ anagementgehälter stiegen in der Folge noch schneller. EinM kommen und Bonuszahlungen sind also eher ein Vergleichsmaßstab für eine faire und wertschätzende Behandlung, aber kein Leistungsansporn – schon gar nicht für Teamleistungen. Umfassende Untersuchungen zur Wirksamkeit von Teamzielen kommen zu dem Ergebnis, dass Klarheit über gemeinsame Ziele und Selbstmanagement von überragender Bedeutung sind und andere Faktoren, wie z. B. Teamgröße, Teambonus etc., kaum oder keinen Beitrag leisten.8 Das Setzen von Teamzielen ist mehr als nur Zielvorgabe: Untersuchungen bei Leistungssportlern in Teamsportarten zeigen, dass weniger die Vorgabe von Zielen als vielmehr eine gemeinsame Zielvorstellung, z. B. der Gewinn einer Meisterschaft, eine gemeinsame Orientierung auf die Aufgabe, die Steigerung der Teamorientierung und des Zugehörigkeitsgefühls entscheidend sind für die Teamleistung.9 Ein Team muss gewinnen wollen, um gewinnen zu können und sein „größtes gemeinsames Vielfaches“ zu finden. Zielvorgaben und Bonuszahlungen unterstützen eher Einzelkämpfertum, das hinter der Leistungsfähigkeit des Teams zurückbleibt und zum „kleinsten gemeinsamen Nenner“ führt. 3.4.2  Selbstorganisierte Teams – beliebig oder

zielstrebig?

Richard Hackman unterscheidet vier Formen der Selbstorganisation von Teams, die von weitgehender Fremd- bis zu 8 9

Vgl. Van der Hoek et al. (2016). Vgl. Arraya et al. (2015).

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Kapitel 3 · Wenn leichte Aufgaben es einem schwer machen: Teamleistung und Teamziele

v­ölliger Selbstorganisation reichen. Selbstorganisation ist nicht nur die eigenständige Wahl von Zielen, sondern hat auch verschiedene Facetten: neben Festlegung von Zielen auch Festlegung von Ressourcen und Strukturen, von Prozessen und Kontrollen sowie von Verantwortlichkeiten und Handlungsschritten.10 Daraus ergeben sich verschiedene Arten, wie Teams geführt werden bzw. sich selbst führen.11 5 Managergeführte Teams führen angeordnete Aufgaben aus. Das Management gibt Ziele und Rahmenbedingungen vor und kontrolliert die Arbeitsprozesse. 5 Sich selbst führende Teams erledigen nicht nur die Aufgaben, sondern haben auch Verantwortung für deren Ausführung und die Steuerung der Arbeitsprozesse. 5 Sich selbst gestaltende Teams können neben den beiden bereits genannten Verantwortungsbereichen zudem über wesentliche Rahmenbedingungen, wie z. B. Teamzusammensetzung und Ressourcen, bestimmen. 5 Autonome Teams sind für alle Funktionsbereiche selbst verantwortlich, wie z. B. Vorstandsteams oder Interessenvertretungen. Gegenwärtig sind die meisten Teams in Unternehmen managergeführt oder sich selbst führende Teams. Selbstgestaltende oder gar autonome Teams sind selten.12 Doch welche Variante führt zu Hochleistung? Hochleistungsteams bei der Polizei, Feuerwehr oder im Rettungswesen, die trotz Stress, Zeitund Entscheidungsdruck in der Lage sind, zügig situationsgerechte Entscheidungen zu treffen, liegen meistens zwischen „managergeführt“ und „sich selbst führend“.13 Sie zeichnen sich durch ein flexibles, an die Situation angepasstes Verhalten aus, das zugleich hocheffizient ist. Eine Befragung von Hochleistungsteams zeigte, welche Faktoren das Mitarbeiterengagement positiv beeinflussen und dadurch die Handlungsfähigkeit der Organisation stärken. Mitarbeiter aus Hochleistungsorganisationen weisen eine hohe, intrinsisch motivierte Leistungs- und Einsatzbereitschaft auf. Sie wissen zudem, dass die Probleme nur durch Zusammenarbeit mit den Kollegen gelöst werden können, definieren Aufgabenverteilung und Teamrollen sehr klar und können diese individuell über Einsätze hinweg variieren.14 Vorgaben und Richtlinien sind zwar „managergeführt“, also von der Organisation sehr ­ genau

10 11 12 13 14

Vgl. Kaltenecker (2018). Vgl. Hackmann (2002). Vgl. Kaltenecker (2018). Vgl. Pawlowsky und Steigenberger (2012). Vgl. Mistele und Kirpal (2006).

3.4 · Teams Ziele setzen

v­orgegeben, die eigentlichen Einsätze aber sind „selbstgeführt“, werden nicht zentral vom Einsatzleiter gesteuert, sondern vor Ort in enger Rückkopplung mit dem Team. Denn nur so kann das Geschehen am besten eingeschätzt werden. Mitarbeiter erfahren eine direkte Wertschätzung ihres Wissens und Könnens, bleiben hoch motiviert und lernen durch die gemeinsame Reflektion im Team permanent dazu. 3.4.3  Das Ziel ist der Gipfel – Ziele und

Aufgaben

Fragt man, wie viele Personen zu einem optimalen Team gehören, so kommt meist als Antwort: fünf bis acht Personen. Sogar von der „magischen Sieben“ ist die Rede. Wissenschaftliche Studien ergeben keine magische Zahl, sondern zeigen, dass die Größe eines Teams zur Art der Aufgaben und Zielsetzungen passen muss. Ivan Steiner prägte den Begriff „Gruppenpotenzial“ für die Leistung, die erzielt worden wäre, wenn die Mitglieder einer Gruppe einzeln und eben nicht als Gruppe gearbeitet hätten.15 Und dieses Potenzial hängt entscheidend von der Art der Aufgabenstellung ab: 5 Bei additiven Aufgaben, wie z. B. Schneeschaufeln oder Brainstorming, besteht das Gruppenpotenzial aus der Summe der Leistung der einzelnen Mitglieder: mehr Personen, mehr Leistung. 5 Bei disjunktiven Aufgaben, wie z. B. beim Problemlösen oder bei Entscheidungsaufgaben, besteht das Gruppenpotenzial in der Einzelleistung des besten Teammitglieds, wenn die vorgeschlagene Lösung von der Gruppe als richtig erkannt wird. Sozialpsychologen bezeichnen dies als „Heureka-Effekt“ (griech. „Ich habe es gefunden!“16): Bei disjunktiven Aufgaben wächst die Leistung mit der Gruppengröße – bis die Gruppe zu groß wird, um noch alle Einzelbeiträge zu würdigen. 5 Bei konjunktiven Aufgaben, wie z. B. beim Bergsteigen oder Entwicklungsaufgaben, hängt die Gruppenleistung vom schwächsten Teammitglied ab: Hier nimmt die Leistung mit zunehmender Teamgröße tendenziell ab, weil mit der Gruppengröße die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ein Gruppenmitglied leistungsschwach ist.

15 Vgl. Steiner (1972). 16 Schulz-Hardt und Brodbeck (2014, S. 473).

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Kapitel 3 · Wenn leichte Aufgaben es einem schwer machen: Teamleistung und Teamziele

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. Abb. 3.2  Es gibt nicht nur eine optimale Teamgröße, sondern je nach Art der Aufgaben und Teamzusammensetzungen zwei Optima – eines für kleine Teams mit engem persönlichem Kontakt und eines für größere Teams mit hoch strukturierten Aufgaben. (Eigene Darstellung nach Oesch und Dunbar 2018)

Je nach Aufgabenstellung ist es also sinnvoll, eher große oder eher kleine Teams zu bilden. Bei konjunktiven Aufgaben braucht man beides, große und kleine Teams, wenn man das Gruppenpotenzial voll ausschöpfen will. Ein Beispiel aus dem Bergsteigen macht dies deutlich: Bei schwierigen Kletterpassagen gehen kleine Teams Leistungsstarker voran, machen die Seile fest und helfen den Leistungsschwachen über die schwierigen Stellen hinweg. So ist auch eine große Gruppe in der Lage, eine schwierige Bergstrecke erfolgreich zu bewältigen (. Abb. 3.2). Typisch für solche großen Gruppen, die gemeinsam über lange Strecken Spitzenleistungen erbringen müssen, sind Technik- und Entwicklerteams. Solche Teams benötigen oft eine breite Palette an Fachkenntnissen und können auf gut strukturierte Arbeitsprozesse zurückgreifen. Die Teamleistung hängt dann davon ab, dass die verschiedenen Fähigkeiten koordiniert werden und dass in schwierigen Phasen kleine Expertenteams die Gesamtgruppe voranbringen.

3.4 · Teams Ziele setzen

3.4.4  Belohnung oder Beteiligung: Was Teams

antreibt

Ein großer finnischer Lebensmittelproduzent stellte schrittweise seine gesamte Organisation konsequent von Einzel- auf Teamarbeit um: Zuerst wurde Teamarbeit durch die Zusammenstellung von Produktionsteams verbunden mit Teamtrainings eingeführt, dann kam eine Mitarbeiterbeteiligung durch Unternehmensanteile (in Aktien) hinzu und schließlich ein Bonussystem für Team-, aber nicht für Einzelleistungen. Finnische und US-amerikanische Forscher hatten die Gelegenheit, den fünf Jahre dauernden Umstellungsprozess zu begleiten. Es zeigte sich, dass die Kombination von Teambelohnung und Aktienbeteiligung für den wirtschaftlichen Gesamterfolg des Unternehmens am besten war – aber nur, wenn die Teams in ihrer Zusammenarbeit ausreichend trainiert worden waren. Im Laufe der Umstrukturierung wurden die Größe der Teams von 15 auf 10 Personen verkleinert und die Vorgabe von konkreten Teamzielen aufgegeben. Diese beiden Veränderungen hatten einen deutlich positiven Effekt auf Teamzufriedenheit und -leistung. Insgesamt konnten nach dem Umstellungsprozess aufgrund besserer Qualität und einer geringeren Fehlerrate rund 10 % der Kosten eingespart werden. Die Leistung der Teams in den verschiedenen Produktionsbereichen konnte bis zu 20 % gesteigert werden.17 Vergleichende Studien zeigen im Allgemeinen eine positive Wirkung von team- bzw. gruppenbezogenen Belohnungssystemen. Individuelle Boni steigern zwar Einzelleistungen, allerdings haben Teambelohnungen größere positive Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg.18 Ähnliche Untersuchungen wie die bei dem finnischen Lebensmittelhersteller zeigen für unterschiedliche Branchen und Firmengrößen ebenfalls Produktivitätssteigerungen bis zu 20 % durch mehr gegenseitige Unterstützung und soziale Kontrolle sowie einen Rückgang unproduktiver Arbeit.19 Ein Vergleich von niederländischen Firmen, die auf Teamarbeit und -bonus umgestellt hatten, mit Unternehmen vergleichbarer Größe und Branchen weist rund 10 % Leistungssteigerung und deutlich geringere Mitarbeiterfluktuation nach.20 Während­

17 18 19 20

Vgl. Jones et al. (2010). Vgl. Boeri et al. (2013), Lucifora (2015). Vgl. Knez und Simester (2001). Vgl. Gielen et al. (2010).

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Kapitel 3 · Wenn leichte Aufgaben es einem schwer machen: Teamleistung und Teamziele

Teambonus-Systeme unabhängig von Branchen, Firmengrößen und Art der Teamarbeit eindeutige positive Effekte haben, ist die Beurteilung von Mitarbeiterbeteiligungen, die unterschiedliche finanzielle Auswirkungen für die Beteiligten haben (nicht zuletzt wegen national unterschiedlicher Steuersysteme), eher schwierig. Laut internationaler Studien scheinen Aktienbeteiligungen von Angestellten mit 3 % bis 5 % Produktivitätssteigerung einherzugehen, brauchen jedoch rund fünf Jahre, um zu wirken. In den USA werden direkte finanzielle Mitarbeiterbeteiligungen unter dem Stichwort „shared capitalism“ (deutsch: geteilter Kapitalismus) diskutiert. Untersuchungen legen nahe, dass finanzielle Beteiligung auch deswegen wirkt, weil sie in der Regel mit anderen wirksamen Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung kombiniert wird. Durch dieses Gesamtpaket wird eine soziale Norm (7 Abschn. 11.1) geschaffen, gemeinsame Anstrengung aller Teammitglieder gefördert und sozial schädliches Verhalten Einzelner sanktioniert.21 Hingegen verstärken Belohnungssysteme, die auf individuelle Spitzenleistungen abzielen, den internen Wettbewerb und verringern die Bereitschaft zur Kooperation, wie in dem Fallbeispiel (7 Abschn. 3.2) dargestellt. Zudem ist die Steuerung eines derartigen Belohnungssystems sehr komplex und „funktioniert“ gerade in großen Unternehmen oft nur dadurch, dass erfahrene Manager es unterlaufen und stärker balancierte sowie teamorientierte Vorgehensweisen schaffen.22

Literatur Arraya, M., Pellissier, R., & Preto, I. (2015). Team goal-setting involves more than only goal-setting. Sport, Business and Management: An International Journal, 5(2), 157–174. Bellmann, L., Bender, S., Bossler, M., Stephani, J., Wolter, S., Sliwka, D., Kampkötter, P., Laske. K., Steffes, S., Mohrenweiser, & J., Nolte, A. (2013). Arbeitsqualität und wirtschaftlicher Erfolg: Längsschnittstudie in deutschen Betrieben. Bericht an das Bundesministerium für Arbeit und ­Soziales (BMAS). Berlin: BMAS. Boeri, T., Lucifora, C., & Murphy, K. J. (Hrsg.). (2013). Executive remuneration and employee performance-related pay. Oxford: Oxford University Press. Borrmann, A., & Stockmann, R. (Hrsg.). (2009). Evaluation in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Münster: Waxmann.

21 Vgl. Kruse et al. (2010). 22 Vgl. Griffith und Nealy (2009).

47 Literatur

Borrmann, A., Fasbender, K., Holthus, M., von Gleich, A., Reichl, B., & Shams, R. (1999). Erfolgskontrolle in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, Analyse, Bewertung, Reformen. Baden-Baden: Nomos. Borrmann, A., Fasbender, K., Holthus, M., von Gleich, A., Reichl, B., & Shams, R. (2001). Reform der Erfolgskontrolle in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Eine Zwischenbilanz. Baden-Baden: Nomos. Bundesministerium für Arbeit und Soziales. (2019). Arbeitsqualität und wirtschaftlicher Erfolg: Die bisherigen Ergebnisse auf einen Blick. Berlin: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). Drucker, P. F. (1954). The practice of management. New York: Harper & Row (deutsch, 1998, Die Praxis des Managements. Düsseldorf: Econ). Gielen, A. C., Kerkhofs, M. J. M., & van Ours, J. C. (2010). How performance related pay affects productivity and employment. Journal of ­Population Economics, 23(1), 291–301. Griffith, R., & Neely, A. (2009). Performance pay and managerial experience in multitask teams: Evidence from within a firm. Journal of Labor Economics, 27(1), 49–82. Hackmann, J. R. (2002). Leading teams: Setting the stage for great performances. Watertown: Harvard Business Review Press. Irlenbusch, B., & Ruchala, G. K. (2008). Relative rewards within team-based compensation. Labour Economics, 15(2), 141–167. Jones, D. C., Kalmi, P., & Kauhanen, A. (2010). Teams, incentive pay, and productive efficiency: Evidence from a food-processing plant. Industry and Labor Relations Review, 63(4), 606–626. Kaltenecker, S. (2018). Selbstorganisierte Teams führen. Arbeitsbuch für Lean & Agile Professionals (2. überarbeitete und erweiterte Aufl.). Heidelberg: dpunkt. Knez, M., & Simester, D. (2001). Firm-wide incentives and mutual monitoring at Continental Airlines. Journal of Labor Economics, 19(4), 743–772. Kruse, D. L., Freeman, R. B., & Blasi, J. R. (2010). Shared capitalism at work: Employee ownership, profit and gain sharing and broad-based stock options. Chicago: University of Chicago Press. Lucifora, C. (2015). Performance-related pay and labor productivity: Do pay incentives and financial participation schemes have an effect on a firm’s performance? IZA World of Labor, 152. Bonn: Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit GmbH (IZA). 7 https://doi.org/10.15185/izawol.152. 7 https://wol.iza.org/uploads/articles/152/pdfs/performance-related-pay-and-labor-productivity.pdf. Zugegriffen: 17. Apr. 2020. Mistele, P., & Kirpal, S. (2006). Mitarbeiterengagement und Zielorientierung als Erfolgsfaktoren. Ergebnisse einer empirischen Studie in Hochleistungssystemen. Arbeitspapier. FOKUS prints 01/06. Oesch, N., & Dunbar, R. I. M. (2018). Group size, communication, and familiarity effects in foraging human teams. Ethology, 2018, 1–14. 7 https://www.researchgate.net/publication/325586211_Group_size_ communication_and_familiarity_effects_in_foraging_human_teams. ­Zugegriffen: 17. Sept. 2019. Pawlowsky, P., & Steigenberger, N. (2012). Die HIPE-Formel: Empirische Analysen von Hochleistungsteams. Frankfurt a. M.: Verlag für Polizeiwissenschaft. Schulz-Hardt, S., & Brodbeck, F. C. (2014). Gruppenleistung und Führung. In K. Jonas, W. Stroebe, & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (6. Aufl., S. 469–505). Heidelberg: Springer. Steiner, I. D. (1972). Group processes and group productivity. New York: Academic Press.

3

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Kapitel 3 · Wenn leichte Aufgaben es einem schwer machen: Teamleistung und Teamziele

van der Hoek, M., Groeneveld, S., & Kuipers, B. (2016). Goal setting in teams: Goal clarity and team performance in the public sector. Review of Public Personnel Administration, 38(4), 1–22. 7 https://doi.org/10.1177/0 734371X16682815.

Lesetipp

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Ein Vertreter der „Beyond Budgeting“-Bewegung (heute: Beta-Codex; online unter: 7 https://betacodex.org/; zuletzt abgerufen am 17.09.2019) gegen einengende Planungs-, Steuerungs- und Führungsprozesse in Unternehmen zeigt, wie Führen mit flexiblen Zielen aussehen kann: Pfläging, N. (2011). Führen mit flexiblen Zielen: Praxisbuch für mehr Erfolg im Wettbewerb. Frankfurt a. M.: Campus.

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Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz Inhaltsverzeichnis 4.1 Unsichtbar mit Zitronensaft – 50 4.2 Hoch kompetent inkompetent: die „Erfahrungsfalle“ – 51 4.3 Interview: Welche Kompetenzen brauchen Teams, Herr Wittkuhn? – 53 4.4 Teamkompetenzen – 58 4.4.1 Kompetente Teams und Teamkompetenzen – 58 4.4.2 Ein Team von Genies ist noch kein geniales Team – 59 4.4.3 Kompetenzgrenzen im Team überwinden – 62 4.4.4 Wollknäuel und Hochseilgarten: Teamtraining – 65

Literatur – 68

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_4

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Kapitel 4 · Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz

4.1  Unsichtbar mit Zitronensaft ► Einstieg ins Thema Der Bankräuber McArthur Weeler überfiel im Jahr 1995 zwei Banken in Pittsburgh (USA), gelangte dadurch in eine Sammlung von Fällen der Pittsburgh-Post-Gazette vom 21. März 1996 und von dort in einen wissenschaftlichen Artikel der beiden Psychologen Justin Kruger und David Dunning der Universität von Michigan.1 Diese zweifelhafte Ehre wurde dem unglücklichen Herrn Weeler zuteil, weil er nur eine Stunde nach den beiden Raubzügen verhaftet wurde. Er hatte beide Banküberfälle am helllichten Tag ohne jedwede Maskierung begangen, sodass allerbestes Foto- und Videomaterial in den Lokalnachrichten gesendet und der Räuber durch Zuschauerhinweise verhaftet werden konnte. Als Herr Weeler auf der Polizeiwache die Videoaufnahmen von sich sah, war er fassungslos, weil er sein Gesicht für die Überfälle mit Zitronensaft bestrichen hatte und glaubte, dadurch für die Kameras unsichtbar zu sein. Diese Geschichte zeigt nicht nur, dass man fatalen Irrtümern unterliegen kann, wenn man nur Kinderbücher über Detektivarbeit und Zaubertinte bei der Planung von Raubüberfällen zu Rate zieht. Es zeigt vor allem auch, dass man nicht weiß, was man nicht weiß. Was banal klingt, hat weitreichende Folgen, wie Dunning und Kruger in ihrer Forschung zeigen: Fragt man Erwachsene, wie gut sie ihre Fähigkeiten einschätzen, etwa beim Autofahren, Beantworten von Testfragen usw., so hält sich jeweils weit mehr als die Hälfte für „überdurchschnittlich“. So fanden wir in einer Befragung unter mehr als 400 Personen von rund 300 Unternehmen heraus, dass Manager die Qualität ihrer Arbeit zu etwa 65 % für „überdurchschnittlich“ hielten. Die Selbstüberschätzung lag bei Männern im Schnitt um 10 % höher als bei Frauen.2 In etlichen Studien konnten Dunning und Kruger zeigen, dass sich die Schlechtesten deutlich über- und die Besten sich ebenso deutlich unterschätzten: Die schlechtesten 25 % hielten ihre Testergebnisse mehrheitlich für überdurchschnittlich, die besten 25 % hingegen unterschätzten ihre Leistung. Mehr noch: Während die Schlechtesten die Leistung der Besten eher abwerteten, weil sie keine passenden Maßstäbe zur Leistungsbeurteilung hatten, sahen die Besten die schlechtesten Leistungen eher besser an als sie waren, weil sie die Leistungen besser würdigen konnten. Als Dunning und Kruger Rückmeldungen über die tatsächlichen Testergebnisse gaben, lernten die Besten sehr schnell und verbes-

4

1 2

Vgl. Kruger und Dunning (1999, 2009). Vgl. Hasebrook et al. (2016).

4.2 · Hoch kompetent inkompetent: die „Erfahrungsfalle“

serten ihre Selbsteinschätzung. Die Schlechtesten hingegen lernten kaum dazu und bauten auch ihre Selbstüberschätzung nicht ab. Dieser Effekt ist so stabil, dass er nach den Autoren den Namen „Dunning-Kruger-Effekt“ bekommen hat. Wenn Sie und Ihr Team sich selbst also für überdurchschnittlich, um sie herum jedoch die meisten für weniger gut halten als sich selbst, dann seien Sie gewarnt: Es könnte der Dunning-Kruger-Effekt sein – und Sie haben vielleicht nur Zitronensaft im Gesicht.◄

4.2  Hoch kompetent inkompetent: die

„Erfahrungsfalle“

Beispiel aus der Praxis Günther Schuh hat gegen seinen Willen eine Autofabrik gegründet. Aus seiner Sicht war ein wichtiger Baustein bei Gründung, auf die Kompetenz erfahrener Autobauer zu verzichten. Professor Schuh lehrt Maschinenbau an der Technischen Hochschule Aachen und hat 2015 mit einem Team aus rund 50 Personen ein Elektroauto namens „e.GO“ entwickelt. Seit 2019 wird das kleine E-Auto in einem Werk bei Aachen von rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Serie produziert. Zunächst hatte Herr Schuh seine Idee des kompakten Elektroautos etablierten Autoherstellern angeboten, doch die winkten ab. Der Professor und Geschäftsführer der e.GO Mobile AG erzählt aus den Anfängen des Unternehmens: „Im ersten Jahr hatte ich nur Leute im Team, die noch nie Serienautos entwickelt hatten“. Als Grund gibt er an: Er wolle nicht, „dass ständig einer ankommt mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung und sagt, dass es nur so geht und nicht anders“3. Ist Erfahrung also schlecht für die Innovationsfähigkeit? Zumindest scheinen viele Manager das zu denken: Um die Jahrtausendwende, als die „IT-Blase“ an der Börse wuchs und viele IT-Unternehmen gegründet wurden, war vielfach zu hören, dass nur junge Leute unter 25 Jahren eingestellt würden, weil Ältere weder über das aktuelle Fachwissen noch über die nötige Innovationsfreude verfügten. Der sich seit Jahren verschärfende Fachkräftemangel hat zwar dazu geführt, dass auch Menschen jenseits des 25. Lebensjahres eingestellt werden, aber es gibt zahlreiche Fallbeispiele für diese

3

Molitor (2019, S. 62).

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4

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Kapitel 4 · Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz

„Erfahrungsfalle“.4 Doch stimmt es eigentlich, dass nur Ältere in die „Erfahrungsfalle“ tappen und dann zu Innovationsbremsen werden? Sind Erfahrungen gut oder schlecht für Innovationsteams – und für Teams generell? Die Fragen liegen auf der Hand, sind aber gar nicht so einfach zu beantworten, wenn man an die Vielzahl an Teamzusammensetzungen, -aufgaben, -umgebungen und Organisationsformen in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport denkt. Die meisten Untersuchungen zeigen, dass Erfahrung erwartungsgemäß die Teamleistung unterstützt. Es ist auch nicht das Alter generell, das Innovationsleistung bremst: In einer Untersuchung mit über 700 Personen ergab sich kein Zusammenhang zwischen Alter und Teamleistung. Besonders wichtig für die Teamleistung waren dagegen „Wissen und Fähigkeiten“. Insbesondere aufgabenspezifisches Wissen war bedeutsam und nicht nur allgemeine Branchenerfahrung. Dieses spezifische Wissen war größer, wenn die Personen länger in der Firma arbeiteten. Noch wichtiger als Wissen und Fähigkeiten war der „interne Wissenstransfer“ im Unternehmen – also die Bereitschaft und Fähigkeit, Wissen und Erfahrungen zu teilen.5 Daraus ergibt sich folgende Schlussfolgerung: Erfahrungsbezogenes Wissen kann dann zur „Falle“ werden, wenn es vereinfachend mit Lernen und Kompetenzaufbau gleichgesetzt wird und angenommen wird, dass einmal gemachte Erfahrungen überall und jederzeit übertragbar sind.6 Wenn Sie etwas Neues schaffen wollen, machen Sie es also wie Prof. Schuh, als er sein Elektroauto entwickeln wollte: Nutzen Sie Erfahrungen als Beschleuniger und nicht als Bremse, indem Sie zu Beginn der Entwicklung viele Ideen und Fachwissen und wenig Erfahrung einbringen. Steigern Sie dann schrittweise den Anteil erfahrener Personen, wenn es um konkrete Planungen und Umsetzung geht. Verwechseln Sie dabei nicht Alter und Betriebszugehörigkeit mit Erfahrung: Junge Menschen können sehr erfahren und Ältere sehr neugierig und innovativ sein.

4

4 5 6

Vgl. Sengupta et al. (2008). Vgl. Dokko et al. (2009). Vgl. Hascher (2005).

4.3 · Interview: Welche Kompetenzen brauchen Teams, Herr Wittkuhn?

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4

Klaus Wittkuhn

Herr Klaus Wittkuhn ist Gründer und Managementpartner von „Performance Design International“ und Geschäftsführer der train GmbH in Bonn, zwei Trainingsfirmen mit einem Fokus auf leistungsorientierten Teamtrainings und Coachings. Er berät und trainiert seit mehr als 25 Jahren staatliche und nicht staatliche Organisationen, Unternehmen und Verbände in mehr als 25 Ländern. Klaus Wittkuhn hat Politische Wissenschaft in München (LMU) und Erziehungswissenschaften an der Bundeswehrhochschule München studiert. Er hat sich in systemischer Beratung und Psychologie weitergebildet und ist Lehrbeauftragter von Universitäten in Deutschland und der Schweiz. Er war 2001 bis 2015 Vizepräsident des Verbands Berufliche Qualifizierung in Deutschland sowie von 2015 bis 2017 Präsident der „International Society for Performance Improvement“ (ISPI) und ist nun deren Ehrenmitglied auf ­Lebenszeit.

4.3  Interview: Welche Kompetenzen brauchen

Teams, Herr Wittkuhn?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

Multinationale Teams und deren Management haben eine zentrale Stellung in meinem Arbeitsleben. Wir machen seit Jahren Organisations-Assessments ganz unterschiedlicher Organisationen in vielen Ländern. Dazu gehören Unternehmen, Ministerien, Behörden, Verbände und auch NGOs (engl. „Non Governmental Organizations“, deutsch „Nichtregierungsorganisationen“, z. B. private Hilfsorganisationen; Anm. d. Aut.). Die Projekte finden beispielsweise in Mazedonien, Georgien, Aserbaidschan, China, Ruanda, USA, Kanada oder Nicaragua statt. In allen Fällen braucht es ein internationales Expertenteam, das spezifische Expertisen unter einem Projektziel bündelt. In der Regel bringe ich die Teams zusammen, manage sie während des Projekts und bin verantwortlich für die Ergebnisse. Teams haben außerdem eine Art Kreativitätsfunktion, weil sie unterschiedliche Perspektiven zusammentragen. So richtig Spaß in einem Team zu arbeiten macht es mir, wenn die Leute sehr hohe Ansprüche haben und sich richtig reinhängen. Dieser Spaß an der Arbeit wirkt sich wiederum auf die Zufriedenheit im Beruf aus und hat auch eine inhaltliche Dimension: Voraussetzung ist, dass das Team fachlich stimmt und jeder fachlich etwas zu sagen hat, dann bekommt dieser „Fun-Faktor“ auch etwas sehr Persönliches.

Portrait Klaus Wittkuhn, Trainer, Geschäftsführer von train und ehemaliger Präsident der „International Society for Performance Improvement“ (ISPI)

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Kapitel 4 · Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz

z Was waren prägende Teamerfahrungen?

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Die Arbeit in Teams, die hohe Ansprüche an sich hatten und in denen jeder bereit war, die „Extrameile“ zu gehen, hat ungeheuren Spaß gemacht – auch wenn die Arbeitsbelastung oft bei zwölf bis vierzehn Stunden am Tag lag. Wohingegen die Arbeit in Teams, in denen sich Einzelne auf den eigenen Vorteil hin optimierten, immer frustrierend war. Wenn ein Team hohe Ansprüche an sich selbst hat, manche Leute im Team aber nicht, dann sprengt das das Team. Es kam tatsächlich schon vor, dass Teams einfach auseinandergefallen sind, weil die Interessen nicht zusammenpassten und sich im Grunde kein gemeinsames Ziel oder Vorgehen, kein Konsens finden ließ. Und das führte dann zu einer Trennung. Das waren für mich persönlich massive Erfahrungen, weil ich immer die Idee habe, dass Lösungen und Kompromisse sich irgendwie finden lassen. Es gibt aber auch Teams, z. B. in internationalen Projekten, bei denen wir nicht nur mit internen Leuten arbeiten, sondern es werden mir Leute zugewiesen, weil sie eine bestimmte fachliche Expertise mitbringen. Ich kann mir die Leute also nicht immer aussuchen. Das ist manchmal schwierig, weil sie uns nicht direkt unterstehen und letztlich kaum Konsequenzen zu fürchten haben. Ich habe manchmal schon erlebt, dass die Leute dann sehr auf den eigenen Vorteil aus sind, so nach dem Motto, „Ich fange hier um 9 Uhr an und um 17 Uhr fällt auch der Hammer, zwischendurch mache ich noch eine Mittagspause“. Und das sprengt das Team. Denn die Zeitkalkulation bei Beratungsprojekten – die klappt nie. In unseren Projekten passieren immer irgendwelche Sachen, die dazu zwingen, abends oder am Wochenende zu arbeiten – oder auch im Urlaub. Ich habe noch nie ein Projekt erlebt, das so gelaufen ist, wie man sich das vorgestellt hat in der Planung. z Wofür würden Sie heute unbedingt im Team arbeiten, in welchem Punkt auf keinen Fall?

Es gibt Situationen, in denen nicht einmal die Problemstellung klar umrissen ist. Die Richtung, in der sich Lösungen abzeichnen könnten, ist nicht klar, und deshalb ist auch nicht offensichtlich, welches methodische Vorgehen Erfolg versprechend ist. Das sind Situationen, in denen ich ein Team mit möglichst verschiedenen fachlichen Hintergründen bevorzugen würde. Die Teammitglieder müssen für unterschiedliche Perspektiven stehen, sonst gibt es keinen Zugewinn. Leute, die aus ganz anderen Bereichen kommen, können ganz andere Ideen in der Diskussion möglich machen.

4.3 · Interview: Welche Kompetenzen brauchen Teams, Herr Wittkuhn?

In Fällen, in denen das Problem jedoch klar beschrieben ist und das Vorgehen zur Entwicklung einer Lösung auch klar ist, lohnt sich ein Team meiner Meinung nach nicht. Eine ausgewiesene Fachperson wird eine brauchbare Lösung effizienter entwickeln. Jemand, der wirklich Experte ist, wird durch ein Team, das weniger Expertise hat, im Grunde nur verlangsamt. Das kostet viel Abstimmungsaufwand mit den Leuten, er muss ihnen Sachen erklären, was er alles nicht bräuchte, wenn er sich einfach hinsetzt und macht. Für beide Fälle gilt: Wenn das Arbeitsvolumen die Kapazität eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe überschreitet, braucht es ein Team. z Welche Qualifikationen und Kompetenzen brauchen ideale Teamplayer?

Ich denke, fachliche Expertise muss nicht extra erwähnt werden. Das ist die Voraussetzung für alles andere. Und es geht meiner Meinung nach vor allem um Haltungen. Das bedeutet, sich selbst hohe Ziele zu setzen und auf dem Weg dahin auch die zwangsläufig auftretenden Enttäuschungen und Frustrationen auszuhalten und durchzustehen. Wenn ein Team richtig funktioniert, dann gehen die Leute auch „Extrameilen“ für gegenseitige Unterstützung und Wertschätzung – nicht nur für das gemeinsame Ziel, sondern auch für die anderen Teammitglieder. Das beinhaltet auch, dass man zuverlässig liefern muss. Das ist ein Stück Kultur, in die man hineinwächst. Wenn man in ein Team oder in eine Firma kommt, in der das selbstverständlich ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Leute das auch mitleben. Es wird auch für sie selbstverständlich. Und das schafft natürlich Vertrauen. Außerdem braucht es Empathie. Es reicht dabei nicht, die Andersartigkeit der anderen Teammitglieder zu respektieren. Es gilt, diese Andersartigkeit aktiv zu unterstützen und gegenseitige Perspektiven besser zu verstehen. Wichtig ist auch ein Blick auf die positive Seite, das heißt, jedes Scheitern als einen kleinen Lerngewinn und damit als Fortschritt anzusehen und so die Atmosphäre im Team „oben“ zu halten. Das Wichtigste scheint mir der Teamspirit zu sein. Es ist wie im Fußball: Elf Stars auf dem Platz machen noch keine gute Mannschaft. Erst das Zusammenspiel als Mannschaft ergibt Spitzenleistung. Aber Menschen können so unterschiedlich sein. Ich glaube deshalb nicht, dass es etwas wie einen stehenden Fahrplan gibt, dem man folgen kann, und dann hat man ein Spitzenteam.

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Kapitel 4 · Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz

z Wie wichtig ist Empathie, um in einem Team bestehen zu können und um im Team erfolgreich zu sein?

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Empathie ist sehr wichtig. Aber auch Empathie kommt irgendwann an ihre Grenzen, wenn jemand nicht zuverlässig liefert. Dann wird einer, der am Anfang möglicherweise sehr empathisch war, auf einmal sagen: „Das interessiert mich jetzt alles nicht. Ich habe keine Lust, hier jeden Abend zwei Stunden länger zu arbeiten.“ Das meine ich mit relativer Wichtigkeit der Dinge zueinander. Es ist wie bei kommunizierenden Röhren: Alles verändert sich permanent während der Zusammenarbeit. Es ist einfach nicht so, dass Leute mit einem festen Charakter zusammenkommen und dementsprechend das Team abläuft. Alle Faktoren bewegen sich ständig gegeneinander. Und die müssen gut gemanagt werden, und es muss ein gemeinsames Verständnis hergestellt werden. Das braucht die Bereitschaft von allen. z Wann ist ein Teammitglied „überqualifiziert“ für das Team? Geht das überhaupt?

Wenn der Teamgeist stimmt, glaube ich nicht, dass jemand überqualifiziert sein kann. Hohe Qualifikation mag zusätzliche Rollen im Team erschließen, wie z. B. Mentor von anderen Teammitgliedern zu sein. Überqualifikation ist möglicherweise dann ein Problem, wenn einer in jedem Bereich besser ist als alle anderen – das ist aber bei einer komplexen Aufgabenstellung schwer vorstellbar. Zum Problem wird das erst, wenn jemand glaubt, einen überproportional großen Beitrag zum Teamergebnis leisten zu müssen, ohne dass sein Einsatz ausreichende Würdigung erfährt. In jedem Team trägt jeder auf unterschiedliche Weise und unterschiedlich viel zum Ergebnis bei. Das muss sichtbar sein und gewürdigt werden, denn Leute brauchen Wertschätzung. Dann kann die Qualifikation der Einzelnen nicht hoch genug sein. z Kann es denn in einem Team zu einseitige Kompetenzen geben?

Zu einseitige Kompetenzen können zum Problem werden. Konstruieren wir mal die Situation eines Beratungsprojekts mit Leuten im Team, die alle eine völlig einseitige wirtschaftliche Perspektive auf die Dinge haben. Daraus resultieren früher oder später Probleme. Denn es sind noch andere Faktoren wichtig, die in der relativen Bedeutung zueinander eine Rolle spielen. Diese relative Bedeutung entsteht durch die Personen, die im Team sind. In einem Team kann es beispielsweise sehr wichtig werden, sich umeinander zu kümmern, sodass alles andere davon beeinflusst wird. Das kann aber in einem anderen Team völlig unwichtig sein.

4.3 · Interview: Welche Kompetenzen brauchen Teams, Herr Wittkuhn?

z Wie wirkt sich das Qualifikationsniveau auf die Teamleistung aus?

Das Qualifikationsniveau ist ein bestimmender Faktor für die Teamleistung. Das Konzept „Wisdom of Crowds“ ist zu stark vereinfacht.7 Es scheint gut zu funktionieren, wenn es um eindeutig richtige Antworten geht, wenn also z. B. Wissen abgefragt wird oder wenn die Anzahl der Kugeln in einem Glas geschätzt werden soll. Die Lösung schwieriger Probleme entsteht aber nicht einfach aus dem Durchschnitt einer großen Anzahl von Meinungen. Es ist nicht zufällig, dass Fachleute in unserer Gesellschaft ein hohes Ansehen genießen. z Was, glauben Sie, wird die Teamarbeit in Zukunft prägen? Wie sehen Teams in 10 bzw. 20 Jahren aus?

Ich denke, dass Arbeit grundsätzlich immer mehr als Lerngelegenheit verstanden wird. Das gilt auch für Teamarbeit. Damit rückt das Lernen ins Zentrum der beruflichen Entwicklung. Wenn Firmen keine stabilen Jobs mehr garantieren können, dann wird Employability, also die Beschäftigungsfähigkeit, zunehmend wichtiger. Dann wird auch wichtig, dass alles das, was man gelernt hat und kann, irgendwie nachgewiesen wird. Es geht darum, was und wie jemand auf seinem Weg gelernt hat, und wie das dokumentiert ist. Arbeit muss diesen Aspekt immer mitdenken: Das, was jemand in einem Job oder Projekt lernt, muss als Lernerfahrung, Kompetenz oder Skill sichtbar gemacht und dokumentiert werden. Außerdem wird Arbeit immer internationaler. Damit einher geht die Fragestellung nach virtuellen Teams, die sich ja während ihres Teamlebens nie persönlich gesehen haben, außer vielleicht über eine Videokamera.

7 „Wisdom of Crowds“ (deutsch: Weisheit der Vielen) bezieht sich auf den Titel eines Buchs von James Surowieki, das aufzeigt, wie viele Menschen gemeinsam Wissen erzeugen, das kein Einzelner von ihnen hat. Diese Beobachtung stützt sich auf das sogenannte „MetCalfe-Gesetz“ (engl. MetCalfe’s Law), nach dem der Wert eines sozialen Netzwerks exponentiell zu seiner Größe steigt (ein Netzwerk von 100 Personen ist 10 × 10 = 100-mal mehr wert als ein Netzwerk aus 10). MetCalfe’s Law wurde erstmals von George Gilder online beschrieben und dann in seinem Buch „Telecosm“ aufgenommen (vgl. Gilder 1993, 2000).

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Kapitel 4 · Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz

4.4  Teamkompetenzen 4.4.1  Kompetente Teams und

Teamkompetenzen

4

Um mit anderen Menschen arbeiten zu können, brauchen Einzelpersonen sicher „soziale Kompetenzen“. Doch das sind deswegen noch keine „Teamkompetenzen“. In ihrem Beststeller „Die Weisheit der Teams“ stellen Jon Katzenbach und Douglas Smith ein „Basismodell“ vor. Zentrale Bestandteile von „Teamweisheit“ sind Fähigkeiten (engl. skills), Verantwortung sowie Verpflichtung und Engagement. Als wichtige Skills werden Problemlösen, Fachwissen und zwischenmenschliche Fähigkeiten genannt. Die australische Forscherin Sandra Leggat hat annähernd 800 Manager gebeten, wichtige Fähigkeiten und bedeutsames Wissen für Teamarbeit zu nennen. In der Reihenfolge der Wichtigkeit waren dies: Führung, Analysefähigkeit, Beeinflussung/Überzeugungskraft, Entscheidungsfähigkeit und Zuhören. Als wichtiges Wissen wurde genannt: Organisationsziele und Strategie, Selbstaufmerksamkeit, Teamentwicklung und Fachwissen.8 Teamkompetenzen sind also in der Summe Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen, die benötigt werden, um mit Menschen kommunikativ und kooperativ erfolgreich zusammenzuarbeiten. Dies geht gerade bei – zumindest teilweise – selbstorganisierten Arbeitsgruppen über soziale Kompetenzen weit hinaus: Fachliche und methodische Kompetenzen für den eigenen Aufgabenbereich müssen gezielt eingebracht sowie umgekehrt die Aufgaben passend verteilt und geplant werden. Die Bereitschaft zum Selbstlernen muss ebenso bestehen, wie die Fähigkeit, Lernprozesse in der Gruppe zu organisieren.9 Zudem müssen die Gruppenmitglieder bereit und in der Lage sein, Wissen und Erfahrungen miteinander zu teilen.10 Aktuelle, auf validierten Tests beruhende Modelle von Teamkompetenzen unterscheiden Kompetenzbereiche, die praktisch gleichberechtigt nebeneinander stehen: 1) Aufbau einer unterstützenden Teamatmosphäre, 2) Lösung von Teamkonflikten, 3) eigener Beitrag zur Teamarbeit, 4) Planung der Teamarbeit und 5) Einbeziehen von Beiträgen Außenstehender.11

8 9 10 11

Vgl. Leggat (2007). Vgl. Scheib (2007). Vgl. Dokko et al. (2009). Vgl. Vaughan et al. (2019).

4.4 · Teamkompetenzen

Der Aspekt der Selbstorganisation ist für Teamkompetenzen von entscheidender Bedeutung, wie John Erpenbeck und Mitarbeiter in einer Reihe von Studien zeigen konnten. Teams, die mehrere Zeichen von Selbstorganisation aufweisen, unterscheiden sich stark von denen mit keinen oder wenigen Anzeichen. Stark selbstorganisierte Teams haben mehr Austausch, eine höhere Dynamik und mehr Spannungen, die aber bewusst und offen gehandhabt werden. In weniger selbstorganisierten Gruppen wird hingegen weniger kommuniziert, und Konflikte werden nicht offen angesprochen, um die Teamstimmung nicht zu beeinträchtigen. Ein gutes soziales Teamklima ist eine Grundlage für Reflektion im Team, aber noch kein Motiv, diese auch durchzuführen. Alle Teams bilden Routinen aus. Meistens sind dies jedoch individuelle Arbeitsroutinen, die bei Bedarf koordiniert werden. Nur reflektierte Teams mit viel – auch kritischem – Austausch bilden echte Teamroutinen aus, auf denen Teamlernen aufsetzen kann.12 Der Aufwand, solche Teamroutinen zu entwickeln, lohnt sich aber nur, wenn lediglich mehr Anstrengung (z. B. mehr und länger arbeiten) nicht ausreicht, und das Team sich beim gemeinsamen Kompetenzerwerb ausreichend engagiert.13 4.4.2  Ein Team von Genies ist noch kein geniales

Team

Wenn Mitglieder im Team kompetent handeln können, ist das gut – reicht aber für den Erfolg in einer Organisation noch lange nicht aus: Die Teams müssen miteinander und die Organisation insgesamt mit ihren Teams kompetent umgehen können. So verstanden gibt es Teamkompetenzen nicht nur „im Team“, sondern auch zwischen den Teams und auf Organisationsebene. Uta Wilkens und ihre Forschungsgruppe haben diese unterschiedlichen Kompetenzebenen untersucht und unterscheiden dabei Organisations-, Gruppen- und Individualebene. Auf jeder Ebene sind Kooperation, Selbstreflektion, Kombination von Ressourcen und Komplexitätsbewältigung, z. B. durch Informationsauswahl und Priorisierung, zentrale Kompetenzen. Nur bedeuten sie auf jeder Ebene etwas anderes. Beispielsweise bedeutet

12 Vgl. Erpenbeck et al. (2006). 13 Vgl. Lizeo (2005), Repenning und Sterman (2001).

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Kapitel 4 · Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz

„­ Kooperationskompetenz“ auf der individuellen Ebene unter anderem, sich bei Konflikten gut in die Perspektive anderer eindenken zu können, auf der Gruppenebene kann es bedeuten, Hilfe Außenstehender anzunehmen, und auf der Organisationsebene kann es darum gehen, besondere Aktivitäten und Unterstützung für den Austausch zwischen den Teams einzuleiten.14 Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass aus einem Team hoch kompetenter Einzelpersonen nicht unbedingt ein kompetentes Team wird. In einer Studie mit Grundschulkindern zeigte sich, dass Teams mit sich ergänzenden Kompetenzen auf einem vergleichbaren Niveau besser waren als eine Kombination aus spezialisierten Einzelpersonen.15 Das gilt auch im Management16 und im Sport17. Untersuchungen an Sportteams, in denen Spieler auf sehr unterschiedlichen Niveaus mitspielten, zeigen, dass konkrete Rückmeldung – z. B. aus automatischen Messungen zu Laufleistung, Ballbesitz usw. – zur gleichmäßigeren Beteiligung aller Teammitglieder führt. Dies gilt aber nur für Teams mit einem hohen Zusammenhalt.18 Durch Befragungen in verschiedenen Organisationen stellte Uta Wilkens’ Arbeitsgruppe fest, dass im Allgemeinen das Zugehörigkeitsgefühl einzelner Personen zum Team höher ist als zur Organisation als Ganzes. Es gibt sowohl Organisationen, in denen sich Einzelpersonen stärker dem Unternehmen verbunden fühlen als ihrem Team, als auch Organisationen, in denen eher die Teams dem Unternehmen verbunden sind als die einzelnen Mitglieder.19 Weitere Untersuchungen mit Wilkens’ Modell zeigen, woran das liegt: Die Leistung durchschnittlich kompetenter Personen ergibt sich fast ausschließlich aus der Zusammenarbeit mit dem Team. Diese kann durch organisatorische Unterstützung kaum verbessert werden. Bei hoch kompetenten Einzelpersonen ist es anders: Deren Leistung und Verbundenheit mit dem Unternehmen steigt bei Unterstützung durch die Organisation deutlich an, sinkt aber bei schlechter Unterstützung sogar unter das Niveau wenig kompetenter Personen20.

14 15 16 17 18 19 20

Vgl. Wilkens et al. (2006). Vgl. Rosendahl et al. (2014). Vgl. Krieger et al. (2018), Bublitz und Noseleit (2014). Vgl. Myers et al. (2004). Vgl. Bogers et al. (2017). Vgl. Wilkens und Gröschke (2008). Vgl. Sprafke (2016).

4

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4.4 · Teamkompetenzen

Hohes Niveau an Kompetenz (Kreativität)

Schlecht strukturierte Aufgabe (Diskussion von Alternativen)

Klare, starre Teamstruktur

Variable, unscharfe Teamstruktur

Gut strukturierte Aufgaben (Konzeptlernen)

Geringes Niveau an Kompetenzen (Regeln / Routine) . Abb. 4.1  Zusammenfassende Darstellung für Kompetenzanforderungen, die sich aus Teamstruktur und Teamaufgabe ergeben, und entsprechende Lernformen

Zusammenfassend ergibt sich ein Bild, wie Kompetenzen und Teamstruktur zusammenpassen (. Abb. 4.1): Auf der einen Seite stehen klare und manchmal auch starre Teamstrukturen, in denen Teammitglieder gut strukturierte Aufgaben haben, die durch Regeln und Routinen ausführlich beschrieben sind und daher ein mittleres Kompetenzniveau erfordern. Hier geht es vor allem darum, die Idee oder das Konzept der Aufgabe zu verstehen und anhand von Beispielen und durch Nachahmung zu lernen.21 Auf der anderen Seite stehen hohe Anforderungen an Kompetenzen von Teammitgliedern in vernetzten, variablen Teamstrukturen bei z. T. unklar strukturierten Aufgaben- und Zielstellungen,

21 Vgl. Feldmann (2003).

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Kapitel 4 · Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz

wie z. B. bei ­Kreativteams. Hier ist keine spezielle Lernform sinnvoll, da fast alle Formen des Lernens positiven Einfluss auf Innovationstätigkeiten im Team ausüben. Von herausragender Bedeutung ist das Teilen von Informationen und ­Erfahrungen, gemeinsame Reflektion und ein hohes Aktivitätsniveau, beispielsweise durch S ­uchen und Ausprobieren neuer Ideen.22 Auf weitere Bedingungen zur Teamkreativität gehen wir im Abschnitt „Produktiver Konflikt und kritische Gruppennorm“ (7 Abschn. 6.4.4) ein. 4.4.3  Kompetenzgrenzen im Team überwinden

Dass Menschen unterschiedlicher Organisationen, Berufsgruppen und Hierarchiestufen erfolgreich zusammenarbeiten und sich dabei als gleichwertig und gleich wichtig erleben, ist in vielen Bereichen von Bedeutung. Entscheidend ist es bei der Versorgung alter Menschen, die aufgrund oft mehrfacher, z. T. chronischer Erkrankungen spezielle Gesundheitsdienstleistungen benötigen.23 Dabei sollte Folgendes erreicht werden: mehr Kooperation zwischen ärztlichen Fachdisziplinen, bessere Zusammenarbeit zwischen Berufsgruppen, wenn z. B. Internisten, Neurologen, Pflegekräfte, Pharmazeuten und Therapeuten Menschen mit Demenz gemeinsam behandeln, und nicht zuletzt bessere Vernetzung verschiedener Einrichtungen, z. B. bei Verlegung zwischen Krankenhäusern und bei Entlassung nach Hause in die ambulante Pflege oder in eine stationäre Pflegeeinrichtung. Dem steht – zumindest in Deutschland – sehr oft entgegen, dass Krankenhäuser sehr hierarchisch organisiert sind und Ärzteschaft sowie Pflegekräfte daher unterschiedliche Perspektiven einnehmen. Im Rahmen eines vom Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderten Projekts haben wir „mentale Landkarten“ dieser Berufsgruppen erhoben (. Abb. 4.2). Sie zeigen die Unterschiede sehr klar: Die Ärzteschaft sieht sich und die Pflegenden als gemeinsames fachspezifisches Team an, z. B. als „OP-Team“, während die Pflegenden einen größeren Unterschied zwischen Ärzte- und Pflegeteam wahrnehmen – und beide haben eine große Distanz zur Verwaltung und Klinikleitung, die Ärzte noch mehr als die Pflegekräfte.

22 Vgl. Übersicht in Widmann et al. (2016). 23 Vgl.Hünefeld et al. (2019a).

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4.4 · Teamkompetenzen

4

prozessorientiert erlösorientiert

Leistungssteigerung

innovativ zukunftsorientiert Patient im Fokus

„Baustellen“ und Probleme Modernisierungsbedarf

kompetent beständig

wirtschaftsorientiert Einzelkämpfer altes Personal

knappe personelle teamorientiert Ressourcen mitarbeiterorientiert

hohes Arbeitsaufkommen patientenorientiert weniger qualifiziertes Personal

anonym unüberschaubar konservativ gewinnorientiert unflexibel bürokratisch festgefahren

innovativ

modern unbürokratisch flexibel patientenorientiert zukunftsorientiert strukturiert kollegial

verantwortungsbewusst

. Abb. 4.2  Vergleich der „mentalen Landkarten“ von Pflege- und Ärzteteams. (Aus Hasebrook et al. 2019, S. 108)

Bei dieser Ausgangslage ist es unwahrscheinlich, dass berufsgruppenübergreifende Teams zu gemeinsamen Lösungen kommen. Viel wahrscheinlicher ist, dass getan wird, was der ranghöchste Arzt – seltener: die ranghöchste Ärztin – sagt.

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4

Kapitel 4 · Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz

Aber: Selbst in sehr hierarchischen Organisationen können Teams berufsgruppen- und hierarchieübergreifend „auf Augenhöhe“ zusammenarbeiten und Beiträge unabhängig von Hierarchiestufe und Berufsgruppe wertschätzen, wie unsere Projekterfahrung zeigt.24 Dazu haben wir einen strukturierten Wechsel von Einzelund Gruppenarbeit eingesetzt. Die Methode der Konsensusgruppen (engl. „Nominal Group Technique“, NGT) wurde in den 1970er-Jahren in den USA für wirtschaftliche Fragestellungen entwickelt und wird seitdem vielfach in verschiedenen Bereichen genutzt.25 Die Methode ist hilfreich, wenn eine Gruppe von Personen Ideen zur Lösung eines umschriebenen Problems entwickeln soll. Konsensusgruppen tragen dazu bei, dass alle Gruppenmitglieder bei dem Entscheidungsprozess gleichwertig beteiligt werden.26 Sie sind zudem gut zu leiten und zu dokumentieren.27 Die Teilnehmenden notieren ihre Lösungsideen zunächst für sich allein und haben später die Gelegenheit, diese den anderen Gruppenmitgliedern darzustellen. Der Diskussions- und Entscheidungsprozess wird von einem Moderator strukturiert, der auf ein positives, offenes Gruppenklima achtet und abwertende Äußerungen bzw. längere Diskussionen unterbindet. Im Verlauf der Diskussion können zusätzliche Ideen entwickelt sowie mehrere Ideen zu einem Lösungsansatz zusammengefasst werden. Es folgt eine geheime Abstimmung über die erarbeiteten Alternativvorschläge. Die Teilnehmenden der Konsensusgruppe einigen sich darauf, getroffene Entscheidungen für Lösungsansätze zu akzeptieren und mitzutragen (Konsens). Weder Konsens- noch Mehrheitsentscheidungen sind für jede Konstellation geeignet. Ein umfassender Konsens kann von einer Minderheit blockiert werden, wenn diese nur ihre eigenen Ziele verfolgt. Entscheidet allein die Mehrheit, dann werden Minderheitsmeinungen ausgeschlossen und Kompromisse behindert. Wenn die Mehrheit der Minderheit vorwirft, eigennützige Ziele zu verfolgen, die der Mehrheit schaden können, kann es zu regelrechten Blockadehaltungen kommen28. In agilen Arbeitsteams wird daher oft ein „Konsent“ zugrunde gelegt: Es wird etwas umgesetzt, wenn nichts mehr dagegen spricht (Konsent) und nicht erst dann, wenn alle dafür sind (Konsens). Grundidee ist, schnell zu Entscheidungen zu kommen und Lösungsansätze ausprobieren zu können und dafür nicht auf die Bildung von Mehrheits- oder sogar 24 25 26 27 28

Vgl. Hünefeld et al. (2019b). Vgl. Delbecq und Van de Ven (1971), Delbecq et al. (1975). Vgl. de Ruyter (1996). Vgl. CDC (2006). Vgl. Ten Velden et al. (2007).

4.4 · Teamkompetenzen

Einheitsmeinungen zu warten.29 Dieses Vorgehen eignet sich aber nur für Teams, die in agilen und selbstorganisierten Formen der Zusammenarbeit sehr erfahren sind.30 Auch bei dieser Art Erfahrung können hoch erfahrene Teammitglieder in die eingangs erwähnte „Erfahrungsfalle“ tappen und es sich mit einem Konsent zu leicht machen: Sie unterliegen schnell dem „Dunning-Kruger-Effekt“, wenn sie ihre eigenen Kompetenzen über- und die wenig erfahrener Teammitglieder unterschätzen. 4.4.4  Wollknäuel und Hochseilgarten:

Teamtraining

Viele Organisationen setzen auf Teamtrainings, um Teammitgliedern schnell gemeinsame Erfahrungen zu ermöglichen und das Zusammenwachsen von Teams zu fördern. So auch ein Großklinikum: Das Team der Oberärztinnen und -ärzte hatte schon unzählige Teambesprechungen hinter sich, aber noch nie an einem gemeinsamen Workshop teilgenommen. Eine große Sorge der Beteiligten war, sich in einem solchen Workshop vor den anderen zu blamieren und nicht ernst genommen zu werden: „Ich will kein Wollknäuel werfen“, formulierte ein Teilnehmer mit Bezug auf ein bekanntes Gruppen-Kennenlernspiel. Trotz solcher Befürchtungen werden bei Teamtrainings nach wie vor erlebnisbezogene Aufgaben vorgegeben: Als Team im Hochseilgarten klettern, mit einem selbst gebauten Floß einen Teich überqueren, einen Turm aus rohen Spaghetti bauen (7 Abschn. 17.1) oder eine Lösung dafür finden, wie man ein rohes Ei bei einem Aufprall schützt.31 Offenbar ist das Repertoire dieser Übungen aber begrenzt, denn in einer umfassenden Evaluationsstudie erlebnispädagogischer Elemente beschwerten sich Schüler von Berufsorientierungskursen über langweilige Wiederholungen.32

29 Ein Wechsel von Konsens- bzw. Mehrheitsentscheidungen zu „Konsent“-Entscheidungen wird nicht nur bei Teamarbeit vorgenommen, sondern dient auch als Basis für Entscheidungen in vielen Organisationen und demokratischen Gesellschaften (z. B. Buck und Villines 2007) und wird als „Soziokratie“ bezeichnet (Soziokratie-Homepage unter: 7 https://Sociocracy.com). 30 Vgl. van der Meché und Eckstein (2015). 31 Zuschauer der „Sendung mit der Maus“ wissen wie immer mehr: 7 www.wdrmaus.de/filme/sachgeschichten/fahrradhelm.php5 (zuletzt abgerufen am 20.04.2020). 32 Vgl. Maylandt et al. (2013, S. 122).

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Kapitel 4 · Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz

Es ist ein Problem der Erlebnisaufgaben, dass sich damit verbundene Teamerfahrungen nicht beliebig oft wiederholen lassen. Auch haben Outdoor-Trainings nur geringe und wenig langlebige Effekte für die Verbesserung von Teamarbeit.33 Diese Form des Trainings ist aber durchaus hilfreich dafür, in einem Team ein gemeinsames Verständnis für die Arbeit und gemeinsame Handlungsimpulse zu entwickeln, wenn Veränderungen erfolgreich umgesetzt werden sollen.34 Generell zeigen diese Art von Teamentwicklungsmaßnahmen (engl. team building) eher moderate Effekte bei kleinen Teams mit deutlich weniger als zehn Mitgliedern, die neu zusammengesetzten wurden. In solchen Teams werden das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt und Teamprozesse eingeübt35. Die berühmt-berüchtigten Outdoor-Trainings sind eine Form des erfahrungsbasierten Lernens (engl. experiential learning)36. Daneben gibt es weitere Trainingsformate: 1) herkömmliches Training im Klassen- oder Seminarraum (engl. classroom training), 2) interaktive Workshops und Teamaktivitäten, 3) Training durch Simulation und erfahrungsbasiertes Lernen, 4) integrierte Lernformate. In letzter Zeit haben vor allem in die Teamarbeit integrierbare Formate an Bedeutung gewonnen. Dazu gehören z. B. Supervision und Projektevaluationen, interne Wettbewerbspräsentationen (engl. pitching), Lernreisen und Kundenbegleitung (sog. customer shadowing) sowie Entwicklung gemeinsamer Geschäftsideen und -modelle.37 In einer umfassenden Meta-Analyse mit über 1600 Studien wurde die Wirkung dieser verschiedenen Trainingsformate untersucht. Die herkömmlichen Seminarformate ergaben kaum messbare Effekte, schon besser waren Workshops mit der Möglichkeit zur aktiven Mitarbeit, am besten aber schnitten Lernen durch Simulationen und integrierte Lernformate ab. Bei der Feststellung des Erfolgs spielt es allerdings eine Rolle, ob das Team sich selbst bewertet oder ob andere dies tun. Zudem ist von Bedeutung, was bewertet wird: Teams können offenbar schlecht selbst einschätzen, wie gut sie zusammenarbeiten und brauchen dafür den Blick von außen. Anders sieht es bei der Teamleistung aus. Teams können ihre Leistungen sehr gut selbst einschätzen. In jeder Branche

33 34 35 36 37

Vgl. Hansen (2010, S. 158 f.). Vgl. Molina-Gómez et al. (2019). Vgl. Klein et al. (2009). Vgl. Kolb (1984), Kolb und Kolb (2010). Übersicht in Badzińska (2019) als Teil eines EU-Projekts zur Entwicklung von Unternehmertum in internationalen Teams: 7 www.ecmt-plus. eu/ (zuletzt abgerufen am 20.04.2020).

4.4 · Teamkompetenzen

profitieren Teams unabhängig von der Art des Trainings. Allerdings bleiben Teams aus dem Gesundheitswesen und der Wissenschaft deutlich hinter den Trainingszugewinnen zurück, die Teams in Industrie, Verwaltung und Militär erreichen. Das liegt nicht etwa daran, dass im Gesundheits- und Wissenschaftsbereich keine teamfähigen Menschen arbeiten, sondern daran, dass hier oft ungünstige Voraussetzungen für Teamlernen herrschen, z. B. durch strenge Hierarchien und häufige Teamwechsel.38 In einer weiteren Meta-Analyse mit über 350 Einzeluntersuchungen werden die Effekte noch klarer: Zusammengefasst über alle Trainingsarten fördert Teamtraining vor allem Wissen und Fähigkeiten, weniger das Zusammengehörigkeitsgefühl und am allerwenigsten die Entwicklung von Teamroutinen. Insbesondere für Letzteres werden gegenseitiges Vertrauen und ausreichend Zeit benötigt (7 Abschn. 4.4.1). Die gemessenen Effekte sind größer, wenn Teams neu zusammengesetzt und keine Lern-, sondern Transferergebnisse gemessen werden.39 In verfestigten Teamstrukturen können Teamtrainings weniger bewirken, da sie vor allem auf Veränderung und mehr Gemeinsamkeit in der Teamarbeit abzielen. Die Verfügbarkeit digitaler Technik, Sparzwang in Unternehmen oder Behörden und nicht zuletzt Umstellungen während der Corona-Krise führen dazu, dass virtuelles Teamlernen, also größtenteils oder komplett online durchgeführte Teamtrainings, immer wichtiger wird. Virtuelles Teamtraining ist nicht einfach die Verlagerung des Klassenzimmers ins Internet. Eigentlich ist es fast das Gegenteil, man spricht sogar vom „umgedrehten Klassenzimmer“ (engl. „inverted“ oder „flipped classroom“): Statt im Klassenzimmer wird vor allem am Arbeitsplatz Wissen vermittelt, das Einüben von Fähigkeiten findet im Lernraum statt.40 Ein Beispiel dafür ist Training am Simulator: Das nötige Wissen zur Vorbereitung auf das Training im Simulator wird berufsbegleitend, oft direkt am Arbeitsplatz, erworben. Hingegen werden im sicheren Umfeld der Simulation Fähigkeiten erworben, die in der Praxis nur unzureichend eingeübt werden können, z. B. lebensrettende Maßnahmen. Auch hier herrschen also zunehmend integrierte Lernformate vor. Virtuelles Teamtraining unterscheidet sich vom herkömmlichen Training durch eine stärkere Integration der Lernformate in den Arbeitsalltag und die gesamte Organisationsentwicklung: Lernen ist nicht nur Vorbereitung auf kommende Arbeit, s­ondern

38 Vgl. McEwan et al. (2017). 39 Vgl. Delise et al. (2010). 40 Vgl. Lage et al. (2000).

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Kapitel 4 · Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz

­ eiterentwicklung und Veränderung von bestehenden ArW beitsabläufen und bezieht sich auf Dokumentation und Austausch von „Best Practices“.41 Die Entwicklung virtueller Teamtrainings für einen Bankverband mit rund 7000 Mitarbeitenden zeigte, dass konkrete Lernfortschritte, z. B. bei der Einführung eines neuen Vertriebssystems, schneller und kostengünstiger erfolgen als mit herkömmlichen Präsenztrainings. Allerdings ist die Skepsis gegenüber virtuellem Lernen im mittleren Management hoch, und online zu lernen gilt bei vielen Mitarbeitenden und Führungskräften immer noch eher als „Spielwiese“ und nicht als „ernsthaftes Lernen“.42 Neben Hürden in den Köpfen gibt es auch organisatorische und finanzielle Hürden, die oft unterschätzt werden. Das lässt sich an einem Beispiel von Teamtrainings in der Medizin verdeutlichen: Im Rahmen der Digitalisierung in der Medizin muss nicht nur die Bedienung neuer Technik erlernt werden, sondern es müssen Möglichkeiten zum Ausprobieren der Technologie in bestehenden klinischen Abläufen und Teamprozessen geschaffen werden. Aufwendige Technik und Übungen mit multidisziplinären Teams machen Trainings allerdings teuer. Daher sollten Simulationstrainings mit möglichst wenig (teurer) Technik auskommen und soweit wie möglich in den Arbeitsalltag integriert werden. Zudem sollte sich das Training nicht nur auf wenige Spezialfälle beziehen, sondern muss Grundlagen für berufsgruppen- und hierarchieübergreifendes Lernen legen.43 Meta-Analysen zeigen auch deswegen eine geringere Wirkung für Trainings von medizinischen Teams, weil die Voraussetzungen für effektives Teamtraining hier oft schwer herzustellen sind. Digitalisierung und technischer Fortschritt bringen gerade in der Medizin ständig neue Spitzentechnologie hervor – aber erst durch umfassendes Training in der Anwendung der Technik kann daraus auch Spitzenleistung werden.44

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41 42 43 44

Vgl. Übersicht in Hasebrook und Maurer (2005). Vgl. Hasebrook und Rodde (2012). Vgl. Hasebrook und Hahnenkamp (2015). Vgl. Muhr et al. (2019).

69 Literatur

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Kapitel 4 · Wir schaffen das oder es schafft uns: Teamleistung, Qualifikation und Kompetenz

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Lesetipp Ein Appell für eine neue, team- und kompetenzorientierte Bildungswelt ­findet sich in: Erpenbeck, J., & Sauter, W. (2019). Stoppt die Kompetenzkatastrophe! Wege in eine neue Bildungswelt (2. Aufl.). Heidelberg: Springer.

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Teams und Führung Inhaltsverzeichnis Kapitel 5 Wir sind nicht wie die anderen: kleine Unterschiede mit großer Wirkung – 75 Kapitel 6 Wir sind die Besten: Warum tolle Teams dumme Fehler machen – 93 Kapitel 7 Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt – 117

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Wir sind nicht wie die anderen: kleine Unterschiede mit großer Wirkung Inhaltsverzeichnis 5.1 Augenfarben-Rassismus – 76 5.2 Vom Bedenken- zum Know-how-Träger – 77 5.3 Interview: Wie löst man Teamkonflikte, Herr Hahnenkamp? – 78 5.4 Silobildung und Teamkonflikte – 82 5.4.1 Auf- und Abwärts im Silo – 82 5.4.2 Großer Fisch, kleiner Teich – das Team als Fischteich – 84 5.4.3 Herausragend in Gemeinschaft und als schlechtestes Hotel der Welt – 85 5.4.4 Konflikte zwischen Adlern und Schlangen – 86

Literatur – 90

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_5

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Kapitel 5 · Wir sind nicht wie die anderen: kleine Unterschiede mit großer Wirkung

5.1  Augenfarben-Rassismus ► Einstieg ins Thema

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Am Tag nach der Ermordung Martin Luther Kings am 04. April 1968 wollte die Grundschullehrerin Jane Elliot die Macht von Vorurteilen und Ausgrenzung verdeutlichen und sagte daher ihren Schülern, dass Blauäugige klüger und besser seien als Braunäugige und sie sich getrennt setzen sollten. Außerdem müssten Braunäugige den Blauäugigen gehorchen. Nach einem Tag sagte sie, dass sie sich geirrt habe und Braunäugige die Überlegenen seien. Innerhalb dieser beiden Tage entstanden in der Klasse Unterdrückung, Gewalt und „Parolen“ gegen „Andersäugige“ – erst gegen Braun-, dann gegen Blauäugige.1 Solche Studien sind – in einer aus heutiger Sicht ethisch besser vertretbaren Form – etwas abgewandelt in verschiedenen Ländern mit ähnlichen Ergebnissen wiederholt worden. Man mag es kaum glauben, dass ein kleiner Unterschied wie die Augenfarbe in Verbindung mit einem Überlegenheitsgefühl und Ausgrenzungsmaßnahmen solchen Einfluss haben kann. Nicht einmal das Wissen darum schützt, wie die Erfahrung einer Berliner Arbeitsgruppe zeigt. Die 1933 geborene Jane Elliot führte bis vor Kurzem weltweit Workshops durch, in denen sie über die Entstehung von Unterdrückungssystemen berichtete und Übungen anbot, wie die, die sie mit ihrer Klasse durchgeführt hatte. In einem Interview im Dezember 2002 schilderte sie ein Erlebnis in einem Workshop in Berlin in Sichtweite der Reste der Berliner Mauer: Eine Frau aus Ostdeutschland bestand darauf, die Übung nicht mitzumachen, weil sie sich emotional nicht darauf einlassen wollte. Die Gruppe überredete sie jedoch, und am Ende der Übung gab die Frau unter Tränen zu, dass sie durch die Erfahrung in der Gruppe mehr darüber gelernt habe, was Vorurteile anderen Menschen antun können, als durch einen Vortrag. Jane Elliot sagte in dem Interview von sich selbst: „Jedes Mal, wenn ich es [die Übung] mache, bekomme ich Migränekopfschmerz. Ich hasse diese Übung absolut. Das Schlimmste aber ist, dass die Übung heute immer noch so notwendig ist, wie sie es 1968 war“.2◄

1 Dazu ist auch ein Dokumentarfilm entstanden, Trailer unter: 7 www. pbs.org/wgbh/pages/frontline/shows/divided/ (zuletzt abgerufen am 12.06.2019). 2 Das Zitat stammt aus dem Interview mit Jane Elliot unter: 7 www.pbs. org/wgbh/frontline/article/an-unfinished-crusade-an-interview-with-jane-elliott/.

5.2 · Vom Bedenken- zum Know-how-Träger

5.2  Vom Bedenken- zum Know-how-Träger

Beispiel aus der Praxis Neben Ausgrenzung und Herabwürdigung gibt es aber auch Annäherung und Angleichung von Gruppen. Assimilationsund Kontrasteffekte zwischen Gruppen kann man oft bei Sportwettkämpfen beobachten: Solange z. B. Schülerfußballmannschaften innerhalb einer Schule gegeneinander antreten, nehmen sie sich als Gegner wahr und grenzen sich z. B. durch verächtliches Verhalten oder Beschimpfungen voneinander ab. Wenn aber eine Schulmannschaft mit denselben Schülern gegen eine andere Schule antritt, betonen die Teilnehmer ihren inneren Zusammenhalt. Nicht anders funktioniert es in Unternehmen, wie wir bei einem besonderen Mitarbeiterprogramm eines großen IT-Dienstleisters erfahren konnten, das dort als „dritte Karriere“ bekannt wurde. Gerade im IT-Bereich verändert sich das Fachwissen in hohem Tempo. Ältere Führungskräfte, insbesondere, wenn sie kurz vor der Rente standen, wurden daher im Unternehmen als Bedenkenträger gesehen, die veraltetes Fachwissen hatten und Veränderungen eher verhinderten als unterstützten. Sowohl junge Fachkräfte, die auf Führungspositionen nachrücken wollten, als auch die Unternehmensführung, die möglichst schnell Veränderungen umsetzen wollte, grenzten sich daher von den älteren Führungskräften ab, die sich ihrerseits gegenüber Veränderungen weiter abschotteten. Erst ein Perspektivwechsel brachte die Lösung: Erfahrene, ältere Projekt- und Bereichsleiter übernahmen Mentorenaufgaben und arbeiteten Nachwuchsführungskräfte in Führungsaufgaben ein. So lernten beide voneinander: aktuelles Fachwissen die einen, Führungs- und Organisationserfahrung die anderen.3 Damit fand ein Wahrnehmungswechsel statt: Ältere waren nicht mehr Bedenkensondern Know-how-Träger und ihr begeistertes Engagement als Mentoren war so beeindruckend, dass der Vorstand es als „dritte Karriere“ dieser Führungskräfte bezeichnete.

3

Vgl. Hackl et al. (2014).

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Kapitel 5 · Wir sind nicht wie die anderen: kleine Unterschiede mit großer Wirkung

Klaus Hahnenkamp

Portrait Prof. Dr. Klaus Hahnenkamp, Klinikdirektor und Mitglied des Vorstands der Universitätsmedizin Greifswald

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Herr Klaus Hahnenkamp studierte Medizin in Göttingen, Maastricht, Charlottesville (Virginia) und Chicago. Er promovierte in Göttingen und habilitierte sich an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster. Heute ist er Direktor der Klinik für Anästhesiologie (Anästhesie, Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin) der Universitätsmedizin Greifswald, Leiter der Stabsstelle OP-Management und als Mitglied des Vorstands der Universitätsmedizin Greifswald stellvertretender Ärztlicher Vorstand. Klaus Hahnenkamp hat Zusatzqualifikationen in der Notfall- und Intensivmedizin; er ist Facharzt für Anästhesiologie und hat die Qualifikation zur Führung eines Blutdepots. Seine Forschungsschwerpunkte sind Behandlungsstrategien bei Sepsis, notfallmedizinische Ausrichtungsstrategien in ländlicher Region sowie Human-Resources-Management. Seit 2016 ist er Landesvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) in Mecklenburg-Vorpommern und Mitglied im erweiterten Präsidium. Er ist Mitglied der ständigen Kommission Organtransplantation (StäKO) der Bundesärztekammer, Sprecher der Sektion „Organspende und Organtransplantation“ der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Mitglied der Kommission „Fort- und Weiterbildung“ der DGAI und Mitglied der Kommission „Studentische Lehre und Simulatortraining“ der DGAI.

5.3  Interview: Wie löst man Teamkonflikte, Herr

Hahnenkamp?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

In der Notfallmedizin bilden wir Teams, um Patienten gut zu versorgen. Diese Teams sind interprofessionell aufgestellt. Das bedeutet, dass beispielsweise im Schockraum verschiedene Berufsgruppen, wie Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger und MTAs, gemeinsam an einem Patienten arbeiten – immer mit dem Ziel, dass der Patient überlebt. Da muss jeder Handgriff sitzen. Deshalb finden einmal im Monat interprofessionelle Schockraum-Trainings statt. So erkennt man auch schnell Fehler, die sich vielleicht eingeschlichen haben. Die Teamleitung definieren wir per Standard Operation

5.3 · Interview: Wie löst man Teamkonflikte, Herr Hahnenkamp?

Procedure4, damit klar ist, wer in einer speziellen Situation den Hut aufhat. Bei uns muss alles so eingespielt sein, dass wir in kürzester Zeit das bestmögliche Ergebnis für den Patienten erzielen und ihn möglichst schnell in den OP bekommen. Dort wird er an ein weiteres Team übergeben. z Was waren prägende Teamerfahrungen?

Prägende Teamerfahrung macht man immer in besonderen Situationen in der Notfallmedizin. Da war beispielsweise ein Kind im Schockraum, alles hat nahtlos ineinandergegriffen, und wir haben das Kind wunderbar versorgt. Trotzdem ist es am Ende verstorben. Das war eine prägende Teamerfahrung. Schön ist es natürlich immer, wenn es funktioniert. Also wenn das, was man lehrt und was man übt, im Ernstfall auch richtig gut umgesetzt wird. z Wofür würden Sie heute unbedingt im Team arbeiten, in welchem Punkt auf keinen Fall?

Wir können nicht ohne Teams arbeiten. Denn wir sind auf die verschiedenen Qualifikationen der Ärzte im Team angewiesen. Wir können zwar bestimmen, wie gut sie zusammenarbeiten, wie gut sie eingespielt sind und letztlich die Rollen bestimmen, aber wir können nicht ohne. z Wie kommt es, dass sich Silos im Unternehmen voneinander abgrenzen?

Auf der einen Seite sind wir ja darauf angewiesen, dass wir uns stark spezialisieren. Eine Uni-Medizin muss sich in irgendeiner Art und Weise von den anderen Krankenhäusern abgrenzen können, und das geschieht durch Spezialisierung. Wir haben aber in der Medizin manchmal tatsächlich das Problem, dass sich verschiedene Professionen, Fächer oder Disziplinen keine Gedanken um das große Ganze machen, sondern immer nur um sich. Ich habe ein Beispiel: In der Grippewelle ist das Haus schon voll belegt, und trotzdem bekommt man zusätzliche Patienten über Nacht rein. Dann müssen wir aus der Notaufnahme freie Betten im Haus finden und auf Station verlegen. Nun gibt es jedoch einzelne Disziplinen, die nicht wollen, dass Patienten, die nicht genau auf ihre Station passen, dort hinkommen, denn die blockieren dann Betten. Das ist Silodenken. Da wird eine Unsicherheit für den Patienten

4 Standard Operation Procedure (SOP) ist eine in einer bestimmten Situation zwingend vorgeschriebene Handlungsfolge. In einer großen Klinik gibt es oft Hunderte davon.

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Kapitel 5 · Wir sind nicht wie die anderen: kleine Unterschiede mit großer Wirkung

­ rovoziert. Und das nur, weil ein Einzelner nicht verstanden p hat, dass er Teil eines Ganzen ist. Das zeigt mangelhafte Bereitschaft, sich für das Gesamtunternehmen zu engagieren. Und am Ende ist es auch fehlende Loyalität und Identifikation mit dem Gesamtunternehmen. Das mag eben daran liegen, dass die Fachbereiche zu spezialisiert sind und manche dadurch nur ihr Fachgebiet im Blick haben. z Wie kommt es zu Konflikten im Team? Wie kann man diese verhindern?

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Wenn man keine Führungspersönlichkeit hat, dann sind meiner Meinung nach Konflikte vorprogrammiert. Im Krankenhaus herrscht ja noch ein aus der Preußenzeit rührendes, vielleicht noch napoleonisches, hierarchisches System. Insofern braucht ein Team eine gute, charismatische und gerechte Führungspersönlichkeit. Das ist für mich das A und O. Wenn es zu Konflikten kommt, liegt es an einer mangelhaften Teamführung. Natürlich kommt es auch zu Konflikten, wenn die Rollen nicht klar verteilt sind und die Einzelnen gar nicht wissen, was im Team von ihnen erwartet wird. Deshalb muss man Rollen definieren. z Was macht denn eine gute Führungspersönlichkeit aus?

Man braucht eine Idee, eine Vision, wo es hingehen soll, und eine Begeisterung für die Sache, die man in andere einpflanzen kann. Außerdem braucht man Empathiefähigkeit. Man muss empathisch sein im Sinne von: Ich muss mich hineinversetzen in die Leute, ich muss deren Motive verstehen können. Dabei hilft eigene Lebenserfahrung. Ohne das geht es nicht. Außerdem muss die Führungspersönlichkeit andere Meinungen zulassen und die eigene Idee von den anderen weiterentwickeln lassen. Und dann gibt es die üblichen Dinge im Alltag, die einem weiterhelfen: Wenn man ein gutes Gerechtigkeitsempfinden hat und wenn man es allein durch eine Vorbildfunktion schafft, Dinge durchzusetzen, die man nicht mal ansprechen muss. Dazu gehört auch, dass man selbst anpackt, wenn es nötig ist. Sie brauchen Führungspersönlichkeiten, die beispielsweise das Bonbonpapier aufheben, das auf dem Fußboden liegt, damit es sauber bleibt. Oder sich darum kümmern, dass der Hausmeister Bescheid bekommt, wenn etwas kaputt ist. Am Ende ist es das: Führung heißt, sich kümmern. Und man selbst ist dabei das kleinste Licht. Das ist jetzt vielleicht eine ziemlich altruistische Art, aber so versuche ich, das zu machen. Wichtig ist auch eine Verlässlichkeit und dass man sich nicht selbst in den Mittelpunkt stellt, sondern seine Mitarbeiter.

5.3 · Interview: Wie löst man Teamkonflikte, Herr Hahnenkamp?

z Wann sind Konflikte nützlich und sollten zugelassen oder sogar provoziert werden?

Ich provoziere keine Konflikte in meinen Teams, weil es für den Patienten nicht gut ist. Dennoch glaube ich, Konflikte sind dann gut, wenn man es schafft, auf die Sachebene zurückzukommen. Denn oftmals ist ja gar nicht die Sachlage das Problem, sondern in der Regel stimmt etwas Zwischenmenschliches nicht. Deshalb ist es nicht verkehrt, wenn man einen guten Moderator hat, der einen zu der Frage führt, was das eigentliche Problem ist, und Emotionen raushält. Denn am Ende ist es doch so: Sind Emotionen bei einem Konflikt rausgenommen, kommen viele gute Sachen dabei heraus. Zwei Leute unterhalten sich über eine Sache oder ein Problem, und jeder hat seine eigene Blickweise. Schließlich addiert sich das zu einem Mehr an Informationen. z Was denken Sie, wie wird Teamarbeit sich in Zukunft verändern oder was wird Teamarbeit in Zukunft prägen?

Im Krankenhaus und in der Notfallversorgung glaube ich, dass die Digitalisierung eine große Rolle spielen und das Schnittstellenmanagement verbessern wird: Das Schlimmste bei uns im Krankenhaus ist der Informationsverlust. Konstruieren wir mal folgende Situation: Ein Diabetiker hat Insulin gespritzt, weil er sein Essen wie immer um 12 Uhr erwartet. Aber jetzt ist der Reifen am Auto des Unternehmens geplatzt, welches das Essen liefert, und das Essen kommt nicht. Die Krankenschwester weiß davon jedoch nichts, und der Patient weiß davon auch nichts, weil es an keiner Stelle weitergegeben wird. Also alles hakt, weil die Leute nicht miteinander verbunden sind. Und das, glaube ich, wird in Zukunft anders sein: Eigentlich dürfte der Patient erst spritzen, wenn er definitiv weiß, dass das Essen da ist. Er müsste auf ein Signal warten, dass er spritzen kann. Ich glaube, das werden wir in 20 Jahren haben. Im Moment ist das so ein Spielfeld in der Medizin. Digitalisierung sollte eigentlich sein, dass entweder Arbeitsschritte sicherer werden oder Arbeitsschritte abgenommen werden. Momentan ist es so, dass ein Viertel der Schicht einer Krankenschwester damit vergeht, dass sie dokumentiert, was sie getan hat. Das muss sie tun, weil sonst der medizinische Dienst der Krankenkassen etwas kürzt. Dafür gibt es momentan keine zusätzlichen Kräfte, das machen hoch bezahlte und hoch qualifizierte Leute, die wir dringend brauchen, z. B. am Bett. Ich denke doch, das könnten wir uns durch eine vernünftige Digitalisierung erleichtern. Ich weiß nicht genau, wie das konkret aussieht, aber ich weiß, dass unsere Arbeit sich in Zukunft dadurch stark verändern wird. Trotzdem wird im Krankenhaus vieles Handarbeit bleiben.

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Kapitel 5 · Wir sind nicht wie die anderen: kleine Unterschiede mit großer Wirkung

z Wie sehen Teams in 10 oder 20 Jahren aus?

Die Kernteams werden bleiben. Sie werden nur andere Hilfsmittel haben und besser miteinander vernetzt sein. Man wird im Schockraum nicht ohne Radiologen, Anästhesisten, Chirurgen auskommen. Es wird auch weiterhin ein Chirurg das Messer in die Hand nehmen und aufschneiden. Und ein Radiologe muss sich weiterhin Bilder angucken, er wird sich allerdings von Erkennungssoftware helfen lassen.

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5.4  Silobildung und Teamkonflikte 5.4.1  Auf- und Abwärts im Silo

Der britische Sozialpsychologe polnischer Herkunft, Henri Tajfel, war in seiner Familie der einzige Holocaust-Überlebende. Er beschäftigte sich vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen mit der Erforschung der Bedingungen für Vorurteile, Diskriminierung und Eigengruppenbegünstigung. Tajfel konnte solche Effekte selbst bei Gruppen nachweisen, die nur für seine Untersuchungen willkürlich zusammengesetzt wurden, ohne sich vorher zu kennen. Seine Studien wurden unter dem Begriff „Minimalgruppen-Experimente“ bekannt. In einem dieser Experimente aus dem Jahr 1971 wurden 14-jährige Jungen willkürlich in zwei Gruppen eingeteilt und mussten einem Mitglied der eigenen Gruppe sowie einem Mitglied der Fremdgruppe Belohnungen zukommen lassen5. Bei den Belohnungen handelte es sich um ein Punktesystem, bei dem verschiedene Varianten zur Auswahl standen. Es zeigte sich, dass die Jungen von allen Möglichkeiten die Strategie wählten, die einen maximalen Unterschied, d. h. die Abwertung der Fremdgruppe, bewirkte, selbst wenn die eigene Gruppe mit einer anderen Strategie mehr Punkte erhalten hätte. Tajfel und seine Mitarbeiter konnten somit belegen, dass Eigengruppenbegünstigung und Abwertung anderer bereits auftreten können, wenn sich Gruppen nur durch ein zufälliges Merkmal, in diesem Fall durch die willkürliche Zuordnung der Jungen zu einer der beiden Gruppen, voneinander unterscheiden. Das Prinzip dahinter ist das des „sozialen Vergleichs“: Hier wurde ein maximaler Kontrast im Sinne eines abwärts gerichteten Vergleichs hergestellt, um die eigene Gruppe aufzuwerten und damit auch das eigene Selbst. Soziale Vergleiche haben folgende Funktion: Durch Beobachten ­anderer Personen 5

Vgl. Tajfel et al. (1971).

5.4 · Silobildung und Teamkonflikte

erhalten Menschen Informationen, die sie für die ­Beurteilung und Bewertung ihrer eigenen Leistungen, ­Meinungen, Werte und Probleme nutzen.6 Dies trägt dazu bei, dass sie sich und ihr „Selbst“ als „stabil“ wahrnehmen und sich einer Bezugsgruppe zuordnen können. Zudem beeinflussen soziale Vergleiche das Selbstwertgefühl und die Stimmung.7 Leon Festingers Theorie der sozialen Vergleiche geht davon aus, dass „Ähnlichkeit“ ein Kriterium ist. Um ein möglichst realistisches Bild von sich selbst zu entwickeln, vergleichen Menschen sich als „Vergleichsstandard“ mit anderen Personen, die ihnen in einem relevanten Merkmal, z. B. der Fähigkeit zu kochen oder sich umweltbewusst zu verhalten, relativ ähnlich sind. Beim Vergleich kommt es dann entweder zu Assimilation oder zu Kontrastbildung. Assimilation liegt vor, wenn die Person, die den Vergleich anstellt, zu dem Schluss kommt, dass sie der Vergleichsperson ähnlich ist bzw. dem Vergleichsstandard entspricht und diese Bewertung in ihr Selbstbild aufnimmt. Kontrastbildung entsteht, wenn die Person feststellt, dass sie der Vergleichsperson unähnlich ist bzw. dem Vergleichsstandard nicht entspricht und entsprechend dies in ihr Selbstbild integriert. Festingers Theorie der sozialen Vergleiche wurde durch viele empirische Untersuchungen unterstützt.8 Soziale Vergleiche können aufwärts oder abwärts gerichtet sein. In einem solchen Fall ist dann nicht „Ähnlichkeit“ das ausschlaggebende Kriterium, sondern es wird ein „höherer“ oder ein „niedrigerer“ Vergleichsstandard gewählt: Bei einem aufwärts gerichteten sozialen Vergleich vergleichen sich Menschen, die sich beispielsweise bezüglich einer Fähigkeit verbessern wollen, mit anderen Menschen, die etwas besser sind. Ist die Differenz zwischen den eigenen Fähigkeiten und dem Vergleichsstandard klein genug, entsteht ein Assimilationseffekt, der die Motivation steigert, sich anzustrengen und die eigene Leistung zu verbessern. Stellt man also Ähnlichkeit zwischen der eigenen Person und einer anderen erfolgreichen Person her, so führt dies zu einer positiven Selbstbewertung. Ist die Differenz zwischen den eigenen Fähigkeiten und dem Vergleichsstandard jedoch zu groß, entsteht ein Kontrasteffekt, d. h., man stellt Unähnlichkeit zwischen der eigenen Person und der Vergleichsperson fest. Es wird einem beispielsweise klar, dass die eigene Leistung deutlich schlechter ist als die der Vergleichsperson. Dies wirkt sich häufig n ­ egativ auf das Selbstwertgefühl und die Motivation, sich anzustrengen, aus. 6 7 8

Vgl. Festinger (1954). Vgl. Bierhoff (2019). Vgl. Lockwood und Kunda (1997).

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Kapitel 5 · Wir sind nicht wie die anderen: kleine Unterschiede mit großer Wirkung

Abwärts gerichtete soziale Vergleiche beziehen sich auf Personen, die in dem relevanten Kriterium „schlechter“ sind als man selbst, d. h. weniger erfolgreich, attraktiv etc. Beispielsweise vergleichen sich Kranke oft mit anderen Kranken, denen es noch schlechter geht. Abwärts gerichtete soziale Vergleiche bewirken meistens einen Kontrasteffekt und führen zu einer Stärkung des Selbstwertgefühls und zu einer Verbesserung der Stimmung.9 Prinzipiell können aufwärts und abwärts gerichtete soziale Vergleiche sowohl mit positiven als auch mit negativen Gefühlen verbunden sein. Meistens werden sie allerdings durchgeführt, um eine Selbstwertstärkung in Verbindung mit positiven Gefühlen zu erzielen.10 5.4.2  Großer Fisch, kleiner Teich – das Team als

Fischteich

Das Team, in dem eine Person arbeitet, dient ihr als Bezugsrahmen und Vergleichsstandard für die eigene Leistung. Man könnte also meinen, dass eine besonders leistungsstarke Gruppe auch alle Teammitglieder zu hohen Leistungen anspornt. Dies stimmt nicht uneingeschränkt: Für Leistungsschwache – egal, ob Anfänger oder Leistungseingeschränkte – besteht die Gefahr, schnell entmutigt und abgehängt zu werden. Daher können z. B. nicht so leistungsstarke Schülerinnen und Schüler Selbstvertrauen und höhere Leistungsfähigkeit aufbauen, wenn sie bessere Leistungen als ihre Bezugsgruppe zeigen können. Dieser abwärts gerichtete Kontrasteffekt wird als „Big-Fish-Little-Pond-Effect“ (Großer-Fisch-kleiner-Teich-Effekt) bezeichnet.11 Doch auch das ist nur die halbe Wahrheit, denn natürlich ist es auch so, dass leistungsstarke Gruppen einen Ansporn darstellen, weil man als Teammitglied mithalten und sich „im Glanz der Teamleistungen sonnen“ will – im Englischen „Reflected-Glory-Effect“ (Reflektierter-Ruhm-Effekt). Dieser Assimilationseffekt funktioniert aber nur, wenn der Abstand zur Bezugsgruppe nicht zu groß ist und daher keine Entmutigungen und Abgrenzungen im Team entstehen. Kurz: Ein „Fischteicheffekt“ entsteht, wenn Kontrast- und Assimilationseffekt addiert werden. Ein „abwärts gerichteter“ Kontrasteffekt, um sich mit eigenen Leistungen von denen a­ nderer

9 Vgl. Wills (1981), Collins (1996). 10 Vgl. Bierhoff (2019), Tesser und Campbell (1982). 11 Vgl. Marsh (2005), Brown et al. (1992).

5.4 · Silobildung und Teamkonflikte

abheben zu können, und ein „aufwärts gerichteter“, aber nicht zu großer Assimilationseffekt, um von den Leistungen Besserer angespornt zu werden. Daraus folgt, dass leistungsstarke Teams zwar halbwegs homogen in Bezug auf die Leistungsfähigkeit sein sollten, aber nicht gleich in Bezug auf alle individuellen Leistungsaspekte: Teammitglieder sollten sich hinsichtlich einiger Leistungsbereiche anstrengen müssen, um mit dem Team mitzuhalten, in anderen Bereichen aber herausragende Leistungen zeigen können, um sich als „großer Fisch“, wenn auch vielleicht nur in einem kleinen Teich, fühlen zu können. 5.4.3  Herausragend in Gemeinschaft und als

schlechtestes Hotel der Welt

Lieber schlecht und einzigartig als gut und gewöhnlich. Nach dieser Methode kann man sogar erfolgreich Werbung betreiben, wie das Hotel Hans Brinker in Amsterdam gezeigt hat: Es wirbt damit, das schlechteste Hotel der Welt zu sein, mit spartanischen Zimmern und schlechtem Service.12 Der Erhalt von Identität, also die Betonung von Einzigartigkeit, kann somit wichtiger sein als ein positives Selbst- oder Fremdbild. Einzigartigkeit hat – in der Werbung wie im sozialen Zusammenleben – vor allem eine Orientierungsfunktion. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen sehr schnell ein Urteil darüber fällen, ob jemand anders ihnen in einem bestimmten Merkmal, z. B. Intelligenz, ähnlich oder unähnlich ist. Bei solchen Vergleichen haben Menschen die Neigung, ihr anfängliches Urteil beizubehalten, denn es werden vor allem solche Informationen beachtet, die die Anfangshypothese – ähnlich oder unähnlich – bestätigen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass rasch Assimilations- (bei Ähnlichkeit) oder Kontrasteffekte (bei Unähnlichkeit) gebildet werden, was die Orientierung in sozialen Situationen erheblich erleichtert.13 Die US-amerikanische Sozialpsychologin Marilynn Brewer hat sich damit beschäftigt, wie Menschen gleichzeitig Individuen und soziale Wesen sein können.14 Sie geht davon aus, dass Menschen zwei grundlegende, aber gegensätzliche Bedürfnisse haben: das Bedürfnis, sich zu integrieren bzw. zugehörig zu sein und das gegenteilige Bedürfnis, einzigartig zu sein bzw. sich von anderen abzugrenzen. Das Ziel sei eine

12 Vgl. Kesselkramer (2009). 13 Vgl. Mussweiler et al. (2004), Corcoran und Crusius (2016). 14 Vgl. Brewer (1991).

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Kapitel 5 · Wir sind nicht wie die anderen: kleine Unterschiede mit großer Wirkung

­ptimale Ausgewogenheit der Erfüllung dieser beiden Beo dürfnisse. Demzufolge streben Menschen nach mehr Zugehörigkeit, wenn sie sich ausgegrenzt fühlen, und nach mehr Unterscheidbarkeit, wenn sie sich zu inkludiert fühlen. Brewer vertritt die Meinung, dass kleine Gruppen die Erfüllung dieser beiden Bedürfnisse am besten befriedigen.15 In vielen Fällen trifft dies sicherlich zu: In kleinen Gruppen bleibt die Individualität der einzelnen Person gut erkennbar, während gleichzeitig Zugehörigkeit zur Gruppe erlebt wird. In großen Gruppen ist es viel schwieriger, die Einzigartigkeit einzelner Personen wahrzunehmen. Dennoch kann es im Zusammenhang mit kleinen Gruppen zu einem paradoxen Effekt kommen: In kleinen Gruppen brauchen Menschen nicht so sehr um den Verlust ihrer Individualität zu fürchten wie in einer großen Gruppe. Sie sind aber gerade deswegen in ihrer Individualität sichtbarer und somit erkennbar anders als die anderen Gruppenmitglieder. Um eine Balance zwischen dem Bedürfnis nach Individualität und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit herzustellen, müssen Menschen in Kleingruppen mehr Aufwand in Zugehörigkeit durch Aufbau und Erhalt einer Gruppenidentität investieren.16 Offenbar geht es in der Hotelbranche ähnlich zu wie bei Gruppen: Zur Wahrung ihrer Identität müssen solche Einrichtungen vor allem ihre Einzigartigkeit betonen. Dem Hotel Hans Brinker scheint das zumindest gelungen zu sein: Ein Buch über das Hotel ist erschienen, und ein zweites „schlechtestes Hotel der Welt“ wurde in Lissabon eröffnet.17 5.4.4  Konflikte zwischen Adlern und Schlangen

In einem Ferienlager waren Jungen in zwei Gruppen eingeteilt, die „Adler“ und die „Schlangen“. Beide Gruppen wussten zunächst nichts voneinander. Die Jungen entwickelten durch gemeinsame Aktivitäten jeweils eine starke Teamidentität, die sich durch positive Bindung der Gruppenmitglieder untereinander, Kooperation und gegenseitigen Austausch von Vergünstigungen auszeichnete, z. B. eine Arbeit abnehmen oder Eigentum verleihen. Die beiden Gruppen wurden zum ersten Mal in einem Wettkampf zusammengebracht, in dem es darum ging, mit begrenztem Materialvorrat eine Hütte zu

15 Vgl. Spears und Tausch (2014). 16 Vgl. Auer-Rizzi (1998), Hogg et al. (2004). 17 Vgl. Kesselkramer (2009).

5.4 · Silobildung und Teamkonflikte

bauen, und bei dem es nur einen Sieger geben konnte. Erwartungsgemäß kam es zu Interessenkonflikten zwischen den Gruppen im Wettstreit um das begehrte Baumaterial. Die Konflikte lösten sich aber schnell auf, als beide Gruppen ein Ziel verfolgten, das für beide Vorteile versprach und nur gemeinsam von beiden Gruppen gelöst werden konnte. Ein festgefahrener Lastwagen, der Lebensmittel für das Ferienlager geladen hatte, konnte von den „Adlern“ und „Schlangen“ nur in gemeinsamer Anstrengung aus dem Schlamm befreit werden: Zuvor noch wichtige Gruppengrenzen waren überwunden, alle packten mit an und freuten sich über den gemeinsamen Erfolg. Dieses Feldexperiment wurde vom in der Türkei geborenen Mustafa Sherif (eigentlich: Muzaffer Şerif) durchgeführt, der später in Harvard studierte und Sozialpsychologie an US-amerikanischen Universitäten lehrte. Er wurde vor allem durch seine Forschungen über Teamkonflikte bekannt. Sein Feldexperiment mit den „Adlern und Schlangen“ in einem US-Ferienlager der 1950er-Jahre wurde als „Robbers-Cave-Studie“ zu einem Klassiker der Sozialpsychologie.18 Die Forschung ist natürlich nicht in den 1950er-Jahren und bei Ferienlagern stehen geblieben. Heutige Fragen beziehen sich zum Beispiel darauf, wie Konflikte in Entwicklerteams, die agile Methoden der Softwareentwicklung einsetzen, entstehen und beherrscht werden können.19 Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass – ganz wie man es auch vermuten würde – Teamkonflikte den Teamzusammenhalt und die Teamleistung schwächen. Die Studien zeigten zudem, dass dieser Effekt umso stärker ausfällt, je schwieriger die Teamaufgabe ist. Entsprechend dem bereits beschriebenen Yerkes-Dodson-Gesetz gilt: Je komplexer die Aufgabe, desto negativer wirken sich Konflikte im Team aus, weil sie Kräfte binden und von der eigentlichen Aufgabe ablenken. Dies gilt vor allem, wenn es sich um Beziehungskonflikte handelt. Während frühere Untersuchungen vor allem die negativen Effekte von Teamkonflikten betonten, setzte sich allerdings mit der Zeit die Einsicht durch, dass Konflikte auch positive Effekte haben können.20 Das portugiesisch-niederländische Forscherteam Patrícia Costa, Ann Passos und Arnold Bakker unterscheidet in seinen Untersuchungen zwischen Beziehungskonflikten zwischen Teammitgliedern und Aufgabenkonflikten, in denen

18 Vgl. Sherif et al. (1961). 19 Vgl. Zumsteg (2019). 20 Vgl. De Dreu und Weingart (2003).

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Kapitel 5 · Wir sind nicht wie die anderen: kleine Unterschiede mit großer Wirkung

z. B. Vorgehensweisen und Lösungswege strittig sind.21 Die Ergebnisse zeigen, dass Beziehungskonflikte dazu führen, dass das Engagement der Teammitglieder sinkt und daher nicht mehr alles Wissen und Können des Teams zur Verfügung steht. Aufgabenkonflikte hingegen stärken Teamengagement und Teamleistung: Ein engagiertes Team, das sich über Lösungsmöglichkeiten streitet, kommt zu besseren Ergebnissen als ohne diese Auseinandersetzung. Wenig engagierte Teams gehen solchen fruchtbaren Auseinandersetzungen aus dem Weg und geben sich schnell mit der „erstbesten Lösung“ zufrieden. In ihrer Untersuchung zu Konflikten in 71 mit agilen Methoden arbeitenden Teams in 20 deutschen und Schweizer Unternehmen unterscheidet Michelle Zumsteg nicht nur die Art der Konflikte, sondern auch den Stil, wie mit dem Konflikt umgegangen wird: kooperativ, wettbewerbsorientiert (kompetitiv) oder vermeidend.22 Sie greift dabei auf bestehende Modelle zur Konfliktlösung in Organisationen zurück.23 Wenn die einzelnen Teammitglieder vor allem den eigenen Vorteil im Blick haben, liegt der kompetitive Lösungsstil vor; beim kooperativen Stil wird das Wohlergehen anderer stärker berücksichtigt, und wenn mögliche Ursachen sowie Folgen eines Streits ausgeblendet werden, kommt es zur Konfliktvermeidung. Die Studienergebnisse zeigen, dass ein kooperativer Konfliktstil zum Teamengagement beiträgt, was nicht überraschend ist. Interessant ist jedoch, dass hohes gegenseitiges Vertrauen, also „psychologische Sicherheit“ im Team, dazu führt, dass einzelne kompetitiv oder vermeidend ausgetragene Konflikte keine Auswirkung auf das Engagement haben. Diese „psychologogische Sicherheit“ ist auch deswegen von besonderer Bedeutung, weil fortdauernde Teamkonflikte dazu führen, dass die betroffenen Personen sich selbst bzw. ihren Job als gefährdet ansehen (engl. „person at risk“ und „job at risk“). Damit kann eine Negativspirale von steigendem Stress, abnehmendem Vertrauen und sinkender Leistung in Gang gesetzt werden.24 Auf das Thema „Psychologische Sicherheit“25 gehen wir im Kapitel „Kranke Teams“ ein. . Abb. 5.1 fasst die Wirkung von Teamkonflikten noch einmal zusammen.

21 22 23 24 25

Vgl. Costa et al. (2015). Vgl. Zumsteg (2019). Vgl. Rahim und Bonoma (1979), Thomas (2017). Vgl. Garrido Vásquez et al. (2018). Vgl. Edmondson und Lei (2014).

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5.4 · Silobildung und Teamkonflikte

Aufgabenkonflikt (z. B. Zeitdruck, Arbeitsbelastung, Zielkonflikte) Beziehungskonflikt (z.B. soziale Unterstützung, Unabhängigkeitsstreben)

5

Kooperativ (gemeiner Nutzen) (Vertrauen im Team) Kompetitiv (Eigennutz) Vermeidend (ausweichend, ignorant)

(Team Work Engagement, TWE)

. Abb. 5.1  Ob Teamkonflikte hemmend oder produktiv sind, hängt von Art und Stil des Konflikts und dem Vertrauen im Team ab („ + “ = positiver und „–“ = negativer Zusammenhang, Dicke der Linie = Stärke des Zusammenhangs). (Zusammenfassende Darstellung nach Zumsteg 2019, S. 28, 37, 72)

Teamkonflikte wirken also meistens negativ und dies ­ esonders ausgeprägt, wenn das Vertrauen im Team gering b ist. Konflikte können aber auch produktiv sein, wenn ein kooperativer Umgang damit das Teamengagement stärkt. Teams, die vermeidend oder kompetitiv mit Konflikten umgehen, verringern das Sicherheitsgefühl und in der Folge auch Engagement und Leistung. Teams, die sich vertrauen, können durch produktive Konflikte hingegen ihr gegenseitiges Vertrauen und damit ihr Engagement sowie ihre Leistung steigern. Dabei kommt es auf die Bewertung der Konflikte an: Wenn Teammitglieder diese nämlich zum Anlass nehmen, mehr Informationen zu sammeln und bessere Argumente zu finden, kann das zu deutlichen Verbesserungen von Teamleistung und -zufriedenheit führen.26 Soll man also Konflikte im Team provozieren, um gemeinsames Lernen anzustoßen und Leistung zu verbessern? Nein, denn von außen ins Team getragene Konflikte untergraben die psychologische Sicherheit und damit die zentrale Voraussetzung, um aus Konflikten, die sich in der Teamarbeit entwickelt haben, zu lernen und als Team besser zu werden. Was man tun kann, wenn zwischen Teams Konflikte ausbrechen, ist, an Adler und Schlangen zu denken und den streitenden Teams eine für sie bedeutsame und nur durch Zusammenarbeit lösbare Aufgabe zu geben. 26 Vgl. Marchiondo et al. (2018).

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Kapitel 5 · Wir sind nicht wie die anderen: kleine Unterschiede mit großer Wirkung

Literatur

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Auer-Rizzi, W. (1998). Entscheidungsprozesse in Gruppen. Kognitive und soziale Verzerrungstendenzen. Springer: Wiesbaden. Bierhoff, H. (2019). Sozialer Vergleich. In M. A. Wirtz (Hrsg.), Dorsch – Lexikon der Psychologie. 7 https://m.portal.hogrefe.com/dorsch/sozialer-vergleich/. Zugegriffen: 10. Juli 2019. Brewer, M. B. (1991). The social self: On being the same and different at the same time. Personality and Social Psychology Bulletin, 17(5), 475–482. 7 https://doi.org/10.1177/0146167291175001. Zugegriffen: 22. Mai 2020. Brown, J. D., Novick, N. J., Lord, K. A., & Richards, J. M. (1992). When Gulliver travels: Social context, psychological closeness, and self-appraisals. Journal of Personality and Social Psychology, 62, 717–727. Collins, R. L. (1996). For better or worse: The impact of upward social comparison on self-evaluations. Psychological Bulletin, 119, 70–94. Corcoran, K., & Crusius, J. (2016). Sozialer Vergleich. In D. Frey & H. W. Bierhoff (Hrsg.), Sozialpsychologie – Soziale Motive und Soziale Einstellungen, Enzyklopädie der Psychologie (Bd. C/VI/2, S. 87–106). Göttingen: Hogrefe. Costa, P. L., Passos, A. M., & Bakker, A. M. (2015). Direct and contextual influence of team conflict on team resources, team work engagement, and team performance. Negotiation and Conflict Management Research, 8(4), 211–227. De Dreu, C. W., & Weingart, L. R. (2003). Task versus relationship conflict, team performance, and team member satisfaction: A meta-analysis. Journal of Applied Psychology, 88(4), 741–749. Edmondson, A. C., & Lei, Z. (2014). Psychological safety: The history, renaissance, and future of an interpersonal construct. Annual Review of Organisational Psycholology and Organisational Behavior, 1, 23–43. Festinger, L. (1954). A theory of social comparison processes. Human Relations, 7, 117–140. 7 https://dx.doi.org/10.1177/001872675400700202. Zugegriffen: 22. Mai 2020. Garrido Vásquez, M. E., Kälin, W., Otto, K., Sadlowski, J., & Kottwitz, M. U. (2018). Do co-worker conflicts enhance daily worries about job insecurity: A diary study. Applied Psychology: An International Review, 68(1), 26–52. Hackl, B., Hasebrook, J., & Gerpott, F. (2014). Vom „Nobody“ zum „KnowBody“. Wie Personaler ältere Mitarbeiter missverstehen. HR Performance, 22(4), 26–28. Hogg, M. A., Abrams, D., Otten, S., & Hinkle, S. (2004). The social identity perspective: Intergroup relations, self-conception, and small groups. Small Group Research, 35(3), 246–276. 7 https://doi. org/10.1177/1046496404263424. Zugegriffen: 22. Mai 2020. Kesselkramer. (2009). The worst hotel in the world: The Hans Brinker Budget Hotel, Amsterdam. London: Booth-Clibborn. Lockwood, P., & Kunda, Z. (1997). Superstars and me: Predicting the impact of role models on the self. Journal of Personality and Social Psychology, 73(1), 91–103. Marchiondo, L. A., Cortina, L. M., & Kabat-Farr, D. (2018). Attributions and appraisal of workplace incivility: Finding light on the dark side? Applied Psychology: An Internation Review, 67(3), 369–400. Marsh, H. W. (2005). Big-fish-little-pond effect on academic self-concept. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 19, 119–127.

91 Literatur

Mussweiler, T., Rüter, K., & Epstude, K. (2004). The ups and downs of social comparison: Mechanisms of assimilation and contrast. Journal of Personality and Social Psychology, 87(6), 832–844. Rahim, A., & Bonoma, T. V. (1979). Managing organizational conflict: A model diagnosis and intervention. Psychological Reports, 44, 1327. Sherif, M., Harvey, O. J., White, B. J., Hood, W. R., & Sherif, C. W. (1961). Intergroup conflict and cooperation: The Robbers Cave experiment. Norman: University of Oklahoma Book Exchange. Spears, R., & Tausch, N. (2014). Vorurteile und Intergruppenbeziehungen. In K. Jonas, W. Stroebe, & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (6. Aufl., S. 507–564). Heidelberg.: Springer. Tajfel, H., Billig, M. G., Bundy, R. P., & Flament, C. (1971). Social categorization and intergroup behavior. European Journal of Social Psychology, 1, 149–178. Tesser, A., & Campbell, J. (1982). Self-evaluation maintenance and the perception of friends and strangers. Journal of Personality, 50, 261–279. Thomas, K. W. (2017). Conflict and conflict management. In A. C. Avgar & A. J. S. Colvin (Hrsg.), Conflict management: Critical perspectives on business and management (Bd. 2, S. 12–75). London: Routledge. Wills, T. A. (1981). Downward comparison principles in social psychology. Psychological Bulletin, 90, 245–271. Zumsteg, M. (2019). Konfliktmanagement, Team Work Engagement und psychologische Sicherheit in Scrum-Teams: Eine quantitative Studie. Heidelberg: Springer.

Lesetipp Eine pragmatische Hilfe für Führungskräfte zum Umgang mit Konflikten im Team bietet das folgende Buch: Lanz, H. (2016). Konfliktmanagement für Führungskräfte: Konflikte im Team erkennen und nachhaltig lösen (essentials). Wiesbaden: Springer.

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Wir sind die Besten: Warum tolle Teams dumme Fehler machen Inhaltsverzeichnis 6.1 Die Katastrophe im Wasserglas – 94 6.2 Die neue Offlinebank – 95 6.3 Interview: Wie schafft man Sicherheit im Team, Herr Streit? – 96 6.4 Sicherheit im Team – 100 6.4.1 Gruppendenken und Entscheidungsstress – 100 6.4.2 Sicherheitsmanagement im Team – 103 6.4.3 Warum wir in Gruppen risikoreicher entscheiden als allein – 104 6.4.4 Produktiver Konflikt und kritische Gruppennorm – 105 6.4.5 Teams in der Krise: Krisenstäbe und Notfallteams – 107

Literatur – 112

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_6

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Kapitel 6 · Wir sind die Besten: Warum tolle Teams dumme Fehler machen

6.1  Die Katastrophe im Wasserglas ► Einstieg ins Thema

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Am 28. Januar 1986 explodierte die Raumfähre Challenger und riss alle sieben Astronauten in den Tod. Umgehend wurde eine Untersuchungskommission, die „Rogers Commission“, eingerichtet, die so schnell wie möglich die Unfallursache klären sollte. Ein Mitglied dieser Kommission war Richard Feynman. Der US-Physiker erhielt 1965 den Physik-Nobelpreis, wurde aber vor allem durch ein unscheinbares Physikexperiment mit einem Wasserglas und einem Stück Dichtungsmasse berühmt, das er als Mitglied der Challenger-Kommission während einer Pressekonferenz am 28. Februar 1986 durchführte. Auf der Pressekonferenz ließ sich Feynman ein Glas mit Eiswasser geben und tauchte vor den Augen der erstaunten Anwesenden die Dichtungsmasse hinein. Durch die Kälte zog sie sich zusammen und verlor ihre Elastizität. Feynman fragte nach seinem „Stehgreifexperiment“, ob denn seine Schlussfolgerung zutreffend sei, dass Dichtungsringe aus diesem Kunststoff, wie sie bei den Festtreibstoffraketen der Space Shuttle verwendet werden, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ihre Elastizität einbüßten? Dem NASA-Projektmanager blieb nichts anderes übrig als zu antworten: „Yes, Sir“. Erst nach dieser Pressekonferenz stimmte die Rogers Commission überein, dass die Dichtungsringe verantwortlich für die Challenger-Katastrophe gewesen waren. Dabei war der Kommission schnell klar geworden, dass es an Warnungen über Schwachstellen nicht gemangelt hatte: Eine lange Liste von Mängeln fand nach und nach den Weg an die Öffentlichkeit. Schon im Juli 1985 hatte ein NASA-Ingenieur vor dem Versagen der Dichtungsringe gewarnt, die die Raketenstufen abdichteten – und dass dies zu einer Katastrophe führen würde. Doch die Rogers Commission hatte davon zunächst nichts wissen wollen, waren doch die NASA und ihr Weltraumprogramm ein nationales Symbol und ein Zeichen für die globale Technologieführerschaft der USA. Feynman sah aber nicht nur in der Dichtungsmasse einen Grund für die Katastrophe, sondern auch darin, dass die NASA als Weltraumbehörde vor allem eine sehr große und komplexe Verwaltung darstellte. Die Kommission stimmte nicht mit ihm darin überein, dass nicht nur ein bedauerlicher Materialfehler, sondern ausufernder Bürokratismus, Gruppenzwang und Selbstüberschätzung Gründe für die Katastrophe waren. Erst als der Nobelpreis-

6.2 · Die neue Offlinebank

träger Feynman drohte, die Kommission öffentlichkeitswirksam zu verlassen, wurde sein Minderheitsbericht als Anhang in den Abschlussbericht aufgenommen und wird bis heute von der NASA online zum Abruf bereitgehalten.1◄

6.2  Die neue Offlinebank

Beispiel aus der Praxis Zu Beginn der 2000er-Jahre lasen sich Nachrichten über Technologiewerte an der Börse meistens so: „Technologiewerte in freiem Fall“ und „Neuer Markt wie gelähmt“. Das Umfeld übte enormen Druck auf die Teams aus, zugleich waren Zuversicht und Hoffnung auf Erfolg trotz vieler Rückschläge noch ungebrochen. So hatte sich auch eine große Bank kurz vor dem Platzen der IT-Blase im Jahr 2000 an der Börse aufgemacht, mit einem Team junger Spezialisten unter der Leitung eines erfahrenen Vertriebsmanagers eine Onlinebank aufzubauen. Das Team machte sich voller Enthusiasmus an die Arbeit, investierte viele Ideen und noch mehr Arbeitsstunden. Allein das immer schwieriger werdende Umfeld machte es fast unmöglich, dass sich erste wirtschaftliche Erfolge einstellten. Das aber spornte das Team nur weiter an. Sie nannten sich untereinander „junge Helden“ und fühlten sich auch so. Immer schneller entfremdeten sie sich der Bank, die sie als Team beauftragt hatte und bezahlte: Die jungen Helden (mitsamt ihres nicht mehr ganz so jungen Leiters) fühlten sich von der Bank unverstanden, die aus ihrer Sicht zu unbeweglich war, neue Technologien nicht verstand und nicht bereit war, mehr in das Team und die Onlinebank zu investieren. Nach kaum einem Jahr wurde das Projekt gestoppt, das Team wurde aufgelöst und verließ ausnahmslos die Bank – auch der zuvor sehr erfolgreiche und gut vernetzte Teamleiter, der keine Stelle mehr fand und in den Ruhestand wechselte.

1 Vgl. Feynman (1986), der Bericht ist online zu finden unter: 7 https:// science.ksc.nasa.gov/shuttle/missions/51-l/docs/rogers-commission/Appendix-F.txt (zuletzt abgerufen am 17.09.2019).

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Kapitel 6 · Wir sind die Besten: Warum tolle Teams dumme Fehler machen

Oberstleutnant Peer Streit

Portrait Oberstleutnant Peer Streit Luftfahrtamt der Bundeswehr und Bundeswehrpilot

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Herr Oberstleutnant Peer Streit ist seit über 30 Jahren bei der Luftwaffe im fliegerischen Dienst tätig, u. a. als Transportluftfahrzeugführer. Er flog beispielsweise die Großraumflugzeuge Transall C-160 und Herkules C-130. Er war Austauschpilot bei der U.S. Air Force in Little Rock. Herr Streit ist auch derzeit als Pilot bei der Flugbereitschaft des Bundesministeriums für Verteidigung tätig und fliegt dort z. B. mit Airbus A319 und A321 die Mitglieder der Bundesregierung. Herr Streit ist Spezialist für „Human Factors“ und „Crew Resource Management“ (CRM), u. a. mit Basisausbildung in CRM bei der U.S. Air Force, und war in Stabspositionen im In- und Ausland tätig.

6.3  Interview: Wie schafft man Sicherheit im

Team, Herr Streit?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

In der Fliegerei bzw. Transportfliegerei spielen Teams natürlich eine große Rolle, weil die Besatzung per se das Team bildet. Auch bei der Arbeit im Referat spielen Teams eine wichtige Rolle: Es geht um gemeinsame Absprachen, dass wir gemeinsam nach außen kommunizieren und natürlich auch, dass wir Ansprechpartner bei Abwesenheit von Kolleginnen und Kollegen sind. Insgesamt kann ich sagen, das Team bildet immer die Grundlage für das Erarbeiten von Lösungen. z Was waren prägende Teamerfahrungen für Sie?

Wenn es abweichend vom Normalen irgendwelche Notfälle oder kritische Situationen gibt und unter solchen Bedingungen als Team zusammengearbeitet wird und somit jeder weiß, welche Aufgabe er zu erfüllen hat, das ist für mich eine prägende Teamerfahrung. Eher schlechte Erfahrungen im Team habe ich gemacht, wenn die Gruppe zu groß war und die Aufgaben zwar auf viele Personen aufgeteilt wurden, es aber keine klare Zuordnung gab. Dann ist es schon passiert, dass einzelne in dieser Masse abgetaucht sind und der Output gering war. z Im Hinblick auf welches Ziel würden Sie unbedingt im Team arbeiten und wann eher nicht?

Bei allen Angelegenheiten, die in den Bereich Aufsicht fallen, würde ich im Team arbeiten. Also immer dann, wenn ein Vier-Augen-Prinzip erforderlich ist, so wird die S ­ ituation

6.3 · Interview: Wie schafft man Sicherheit im Team, Herr Streit?

„Aussage gegen Aussage“ vermieden. Oder ganz allgemein, wenn es behördliche Vorgaben gibt, dass als Team oder mindestens zu zweit gearbeitet werden muss, z. B. dürfen bestimmte Luftfahrzeuge nur als Team betrieben werden. Bei allem, bei dem es darum geht, Schriftstücke oder Gutachten zu erstellen, da bin ich eher ein Freund davon, dass eine Person es alleine erarbeitet. Denn ich bin der Meinung, dass es nicht funktioniert, wenn man etwas gemeinsam schreibt. Da halte ich es für sinnvoller, wenn einer zuerst einen Entwurf erstellt, der von anderen kontrolliert wird und sich vielleicht noch ergänzen lässt. z Wie kommt es denn Ihrer Meinung nach zu Selbstüberschätzung im Team?

Ich kann mir durchaus vorstellen, sofern ein großer Erfahrungsschatz bei einer Person vorhanden ist, dass sie dazu verleitet wird, Neues, Checklisten oder auch bewährte Verfahren einfach zu ignorieren oder nachlässig zu werden. Da sehe ich eine große Gefahr. Sicherlich ist es immer gut, wenn jemand Erfahrung hat. Aber er soll bitte die Erfahrung nicht überbewerten und sich selbst auch immer kritisch hinterfragen. Selbstüberschätzung im Team könnte auch entstehen, wenn einer einen stark ausgeprägten Egoismus hat und seine eigenen Fertigkeiten bzw. Fähigkeiten überbewertet. Da sehe ich eine Gefahr, ebenso bei mangelnder Offenheit und fehlender Empathie. Also immer dann kann es zu Selbstüberschätzung kommen, wenn jemand sich komplett verschließt für irgendetwas oder andere Sichtweisen. z Welche Teams sind mehr oder weniger immun gegen Selbstüberschätzung?

Ich denke, eine feste Gruppenzusammensetzung, wie z. B. eine Cockpitcrew, ist nahezu immun gegen Selbstüberschätzung, weil in der Regel dort jedes Mitglied eine eindeutige Rolle mit festen Aufgaben und klaren Verantwortlichkeiten hat. Und es gibt außerdem bestimmte Voraussetzungen, um überhaupt ein Teamplayer zu werden. So muss beispielsweise ein Luftfahrzeugführer erst ausgebildet werden, eine Lizenz erwerben, und er muss eingewiesen sein auf den jeweiligen Flugzeugtyp. Freiwilligkeit sehe ich auch als einen wichtigen Multiplikationsfaktor und dann noch Identifikation mit der Aufgabe – damit jeder wirklich das Ziel auch erkennen und strukturiert, zielführend daran arbeiten kann. Anfällig für Selbstüberschätzung sind, meiner Meinung nach, zufällig zusammengesetzte Gruppen, weil dort erst eine Findungsphase stattfinden und noch eine Hierarchie entwickelt werden muss, damit sich ein informeller Team-Leader herauskristallisiert.

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Oder wenn es überhaupt keine Vorgaben gibt oder keine Benennung des Ziels. Dann bildet sich keine zielorientierte Diskussion; es besteht die Gefahr der Selbstprofilierung, und somit ist der Output sicherlich nicht so, wie es gewünscht ist. z Kann man Teams auch mehr oder weniger gegen Fehler impfen? Oder welche Maßnahmen kann man ergreifen?

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Verantwortlichkeiten und Aufgaben müssen für jedes Teammitglied festgelegt werden. Dann weiß jeder, welche Aufgabe er zu erfüllen hat, wie er sich einbringen kann. Das hilft sicherlich, Fehler zu vermeiden. Auch sollte es einen formellen Teamleiter geben, der für bestimmte Dinge die Richtung vorgibt und das Team immer wieder auf die Spur bringt, falls es in irgendeine Richtung abdriftet. Wichtig ist auch, das Team rechtzeitig zusammenzustellen. Denn wenn nicht genügend Zeit gegeben ist, dann kommt es zu Nachlässigkeiten. Es werden vielleicht Sachen weggelassen, oder die Gruppe missachtet wichtige Bestimmungen und Vorgaben. Hier sehe ich eine große Gefahr. Gleichzeitig sollte ein Team natürlich auch sachgerecht zusammengestellt werden, und die individuellen Fertigkeiten und Fähigkeiten des Einzelnen sind zu beachten. Das hilft sicherlich, die Anzahl möglicher Fehler zu mindern. Im Zuge der Digitalisierung und Automatisierung sollte bei bestimmten Abläufen – beispielsweise im Cockpit, in der Schifffahrt oder überhaupt im Verkehrswesen, wo sich die Handelnden viel auf die Automatisierung verlassen – natürlich auch immer die eigene Leistung sowie die fremde Leistung hinterfragt werden, damit mögliche Fehlerquellen erkannt und hoffentlich ausgeschlossen werden können. z Sollte man denn versuchen, alle Fehler zu vermeiden?

Ich glaube, das ist unmöglich. Das würde ja fast voraussetzen, dass man bei einer bestimmten Aufgabe schon genau weiß, welche Fehler überhaupt auftreten können. Es wird immer wieder etwas geben, bei dem man denkt: „Das haben wir noch gar nicht berücksichtigt“. Fehler müssen akzeptiert werden, und sie werden passieren. Dabei muss es auch möglich sein, dass ich das aussprechen kann. Diese berühmte Fehlerkultur muss etabliert sein, damit Fehler, die man bei sich selbst entdeckt oder vielleicht auch bei anderen, offen angesprochen werden können. Nur so können Fehler zukünftig vermieden und die Teamarbeitsleistung verbessert werden. Aber es muss unterschieden werden zwischen Fehler und Verstoß. Ein Verstoß ist für mich immer ein bewusstes falsches Handeln. Das sollte nicht geduldet werden.

6.3 · Interview: Wie schafft man Sicherheit im Team, Herr Streit?

z Machen manchmal besonders tolle Teams besonders dumme Fehler?

Ich glaube, das kommt durch die oben schon genannte Selbstüberschätzung – dass der Einzelne vielleicht von der eigenen Wahrnehmung zu sehr geblendet ist: „Ich kann einfach alles, oder ich weiß, worum es geht, ich bin da Experte“. Dadurch kann Nachlässigkeit zu Fehlern führen, und vielleicht werden auch andere Dinge nicht berücksichtigt bzw. Sichtweisen der anderen unterdrückt. z Was sind denn Ihrer Meinung nach dumme Fehler, die Teams machen können?

Wenn man den anderen unterdrückt, nicht beachtet und gute Vorschläge missachtet, die von anderen Teamplayern kommen. Dann ist die Gefahr gegeben, dass es Fehler geben wird, weil man zu sehr auf nur eine Sichtweise beschränkt ist und den Rundumblick verliert. Wenn – bildlich gesprochen – nur eine Schublade geöffnet, aber nicht die ganze Kommode betrachtet wird und die Möglichkeiten, die es gibt. Das halte ich für dumme Fehler, also im Prinzip einfache Fehler im menschlichen Miteinander. Jeder sollte sich immer wieder zwingen, auf den anderen einzugehen, dann können meiner Meinung nach dumme Fehler vermieden werden. z Wie wird sich Ihrer Meinung nach die Teamarbeit in Zukunft, in den kommenden 10 bis 20 Jahren verändern?

Gerade im Bereich der Medizin und auch im Verkehrswesen wird meiner Meinung nach der Faktor Vernetzung bei der Teamarbeit eine immer stärkere Rolle spielen. Ich könnte mir in der Fliegerei durchaus vorstellen, dass es in 10 bis 20 Jahren im Cockpit oder auf der Schiffsbrücke nur noch eine Person gibt. Und ein Expertenteam sitzt irgendwo und berät oder übernimmt die Steuerung von extern. Und derjenige, der auf der Brücke oder im Cockpit sitzt, ist vielleicht nur noch für den Notfall an Bord. Diese Art der Zusammenarbeit, glaube ich, wird irgendwann sicherlich verstärkt zum Tragen kommen. Und hierbei wird die verbale Kommunikation dann ein wichtiges Medium sein, weil man sich nicht unbedingt in die Augen schauen kann. In der Medizin werden chirurgische Eingriffe oder Behandlungen vielleicht von Spezialisten aus aller Welt mittels Roboter durchgeführt werden können. Ich meine, nicht umsonst werden jetzt diese LTE-Standards oder 5G2 aufgebaut, damit diese Datenübertragung auch wirklich 2 Datenfunkstandards mit hohen Übertragungsraten: LTE (für engl. Long-Term-Evolution-Advanced) oder 4G, 4. Generation, mit Datenraten von 100 Megabit (=12,5 Mio. Zeichen) pro Sekunde und 5G, 5. Generation, mit 20 Gigabit (2,5 Mrd. Zeichen) pro Sekunde.

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in Echtzeit vollzogen werden kann. Ich glaube, das wird uns in Zukunft prägen. Auch der interkulturelle Faktor wird eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. z Birgt das nicht auch die Gefahr, dass der Teamgeist durch die Digitalisierung verloren geht, eben weil keine nonverbale Kommunikation stattfinden kann?

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Ja, die Gefahr ist gegeben, dass das passieren könnte. Aber wenn der Teamgeist nur entsteht, weil man in einem Raum zusammensitzt oder man sich über eine Videokonferenzanlage sieht, dann sehe ich schon Schwachpunkte beim Einzelnen. Man muss sich auch als Teammitglied fühlen, egal, ob der andere nur digital vernetzt und verbunden ist. Das muss man verstehen, entsprechend handeln sowie die Kommunikation entsprechend aufbauen und sich dann auch einbringen. Der Team-Leader muss in dieser Situation gezielt die anderen ansprechen, damit kein Teammitglied vergessen wird. Denn es wird immer wieder Teammitglieder geben, die sich doch eher zurückhaltend betätigen werden, in der Hoffnung: „Hoffentlich werde ich nicht angesprochen“. 6.4  Sicherheit im Team 6.4.1  Gruppendenken und Entscheidungsstress

Katastrophale Unfälle, wie das Challenger-Unglück, und die in demselben Jahr stattgefundene Reaktorkatastrophe in Tschernobyl wurden mit gefährlichem „Gruppendenken“ (engl. „groupthink“) in Verbindung gebracht. Der Begriff „Gruppendenken“ wurde von Irving L. Janis, einem Psychologieprofessor an der Yale University, in einem Buch über politische Fehlentscheidungen geprägt.3 Janis selbst brachte sein Groupthink-Konzept in Verbindung mit dem Challenger-Unglück und anderen katastrophalen Fehlentscheidungen.4 Das Risiko für Fehlentscheidungen in Wirtschaftsunternehmen ist besonders hoch, wenn Erfolgs- und Zeitdruck herrschen. Irving Janis ging davon aus, dass Gruppen unter „Stress“ geraten können und bei einer solchen Belastung zu Fehlentscheidungen neigen. Beispielsweise können Verstöße gegen Regeln oder soziale Normen Stress auslösen, wenn sie das Selbstwertgefühl der Gruppe und ihrer Mitglieder bedrohen. Zur Stressbewältigung steigt dann die Tendenz zur

3 4

Vgl. Janis (1982). Vgl. Janis (1991).

6.4 · Sicherheit im Team

­ bereinstimmung innerhalb der Gruppe, sodass man sich Ü gegenseitig versichern kann, dass die Verstöße unbedeutend seien. Wie im Abschnitt „Herausragend in Gemeinschaft und als schlechtestes Hotel der Welt“ geschildert, üben vor allem kleine Gruppen einen hohen Druck zur Anpassung und Übereinstimmung aus. Verstöße gegen Regeln und Normen müssen also innerhalb der Gruppe gerechtfertigt werden. Das Phänomen wurde von dem Sozialpsychologen Leon Festinger als „Kognitive Dissonanz“ bezeichnet:5 Wenn das eigene Verhalten nicht zum eigenen Anspruch passt, neigen Menschen dazu, diese Unstimmigkeit oder „Dissonanz“ zu verringern. Kognitive Dissonanz ist beispielsweise der Grund, warum Gruppen und Teams „Aufnahmerituale“ haben: Selbst eine langweilige Gruppe wird interessant, wenn man ein schwieriges Ritual vollziehen muss, um hineinzukommen. Die Gruppe wird als interessant empfunden, schon um vor sich selbst den Aufwand hineinzukommen zu rechtfertigen (engl. „effort justification“). Wenn Teams gegen ihre eigenen Werte verstoßen, können sie z. B. passende Erklärungen finden: „Für das Fortkommen des Projekts ist es besser, wenn wir diese Regel nicht einhalten“, und damit kognitive Dissonanz reduzieren. Das Team kann die Bedeutung eines Verstoßes herunterspielen: „Im Vergleich zum Gesamtziel ist diese kleine Abweichung unwichtig“. Der Grund für den Regelverstoß kann aufgewertet werden: „Wir hatten keine andere Wahl, um in der gesetzten Frist fertig zu werden.“ Und schließlich können weitere Beispiele gesucht werden: „Die anderen halten sich auch nie an die Regel und kommen damit durch“. Durch das Herunterspielen von Verhaltensstandards kann mit der Zeit eine Erosion der moralischen Standards entstehen.6 Eine andere Art Entscheidungsstress entsteht, wenn z. B. Zeitnot und Informationsmangel dazu führen, dass rationale Entscheidungen kaum noch möglich sind. Gruppen werden dann nach Janis’ Ansicht fast automatisch Opfer des Gruppendenkens. Neuere Untersuchungen bestätigen diese Vermutung.7 Generell gilt in Stresssituationen, dass die Fähigkeit, schwierige Probleme zu lösen oder komplizierte Handlungen durchzuführen, sinkt. Dies ist in . Abb. 2.1 zu sehen und wird im Abschnitt „Logenplatz im Kakerlakenstadion“ geschildert. Im Sport wird dieses Phänomen als „Ersticken unter Druck“ (engl. „choking under pressure“) bezeichnet, sodass Sportler und Sportteams sich darin üben, trotz hohen

5 6 7

Vgl. Festinger (1957). Vgl. Felsenreich (2016). Vgl. Janis (1972, 1991), Mancini und Ribiere (2018).

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Drucks während wichtiger Wettbewerbe ihre volle Leistungsfähigkeit abzurufen. Stress muss nicht nur etwas Negatives sein – auch die Aussicht auf eine besondere Belohnung kann Stress auslösen. In diesem Fall kann sich die Leistung von Teams verringern, wenn die Mitglieder unter dem Druck, die Belohnung zu bekommen, nicht ihre volle Leistung zeigen können.8 Es stellt sich daher die Frage, ob Stress immer Gruppendenken begünstigt und Teamentscheidungen bzw. Leistungen verschlechtert. Das ist aber zum Glück nicht so, wie Untersuchungen zeigen: Hoher äußerer Druck, wie z. B. knappe Zeitfristen, führen eher zu Fehlentscheidungen als ein generell höheres Anspannungsniveau innerhalb des Teams.9 Fasst man die Faktoren zusammen, die laut Janis Gruppendenken bewirken und somit Fehlentscheidungen begünstigen, finden sich in den meisten Darstellungen folgende Aspekte: hoher Gruppenzusammenhalt und ein „Wir-Gefühl“, eine homogen zusammengesetzte Gruppe, Abgrenzung von anderen Gruppen, unsystematische Arbeits- und Entscheidungsmethoden und eine stark auf Einigkeit drängende, direktive Führung.10 Differenziertere Untersuchungen hierzu zeigen, dass vor allem der Druck zur Übereinstimmung bei Entscheidungen (engl. compliance) für schlechte Teamentscheidungen verantwortlich ist, während andere Aspekte, wie Teamführung oder Isolation der Gruppe, nur im Zusammenspiel mit anderen Faktoren eine Rolle spielen.11 Janis hatte sein Groupthink-Konzept sehr detailliert entwickelt, sodass bisher nur Einzelaspekte empirisch untersucht werden konnten und eine Überprüfung des Gesamtmodells nahezu unmöglich ist.12 Viele Wissenschaftler lehnen deswegen das Konzept ab. Robert Baron kommt in einer umfassenden Übersichtsarbeit über wissenschaftliche Studien zu Gruppendenken zu einer anderen Auffassung: Es sei nicht deswegen schwer, aussagekräftige Studien zu finden, weil Gruppendenken selten ist, sondern weil es viel häufiger ist, als Irving Janis annahm.13

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Vgl. Baumeister (1984), Weinberg und Gould (2014). Vgl. Blendin und Schneider (2012). Vgl. McCauley (1989), Janis (1991). Vgl. McCauley (1989), Blendin und Schneider (2012). Vgl. Albert und Bartscher-Finzer (2004). Vgl. Baron (2005).

6.4 · Sicherheit im Team

6.4.2  Sicherheitsmanagement im Team

Es war ein Flugzeugabsturz, der zu einem Umdenken in Bezug auf Sicherheitsmaßnahmen geführt hat: Weil ein Pilot nicht auf einen Flugzeugingenieur hörte, der ihn vor zu wenig Treibstoff warnte, stürzte im Dezember 1978 in den USA ein Passagierflugzeug der United Airlines mit über 180 Personen an Bord ab. Wenige Monate später berief die NASA einen Workshop zur Verbesserung der Flugsicherheit ein, und zwei Jahre später führte United Airlines eines der ersten Trainings durch, in denen das Team eines Flugzeugs als Ganzes trainiert und als zentraler Faktor für die Sicherheit an Bord gesehen wurde. In mehreren Schritten entwickelte sich daraus das heutige „Crew Resource Management“ (CRM), das heute folgende Aspekte umfasst: 1) Trainings betreffen immer das ganze Team und nicht nur Einzelpersonen. 2) Der Fokus liegt auf der Einstellung der Teammitglieder zur Sicherheit und wie diese Fehlverhalten beeinflusst. 3) Aktive und praktische Trainingsformen werden eingesetzt, die gemeinsames Lernen fördern. 4) Führungstechniken, Teamarbeitsmethoden und Teammanagement sind Teil des Trainings. 5) Die Bildung von Teams, die aktive Beteiligung fördern und zugleich eine klare Befehlskette erhalten, wird unterstützt. 6) Teams und ihre Mitglieder erhalten Rückmeldung zu ihrem Verhalten und lernen, ihre eigene Leistung zu analysieren und zu verbessern.14 Trainings dieser Art sind mittlerweile auch in der Medizin und in anderen sicherheitskritischen Bereichen verbreitet. Psychologische Konzepte wie „Groupthink“ haben trotz durchaus berechtigter Kritik dazu geführt, dass nicht einfach technische Fehler oder Versagen Einzelner als Grund hinter vielen technischen und wirtschaftlichen Fehlschlägen gesehen werden.15 Eine rein technologische und technokratische Sicht auf sicherheitsrelevante Aspekte wurde aufgegeben. Stattdessen rückt die Rolle der Menschen und damit die Bedeutung psychologischer Faktoren immer mehr in den Fokus. Heute wird diese Perspektive unter dem Begriff „Human Factors“ zusammengefasst und spielt – wie beschrieben – in der Luftsi­ cherheit und in der Medizin eine zentrale Rolle.16 Dabei wird die Betrachtung psychologischer Faktoren bei Einzelpersonen und Teams zunehmend auch um Organisationsfaktoren,

14 Vgl. Übersicht bei Muñoz-Marrón (2018). 15 Vgl. Glendon et al. (2006). 16 Vgl. Badke-Schaub et al. (2012).

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wie z. B. technische Ausstattung, Aufbau der Organisationsstruktur, Anreiz- und Steuerungssysteme, erweitert.17 Für Sicherheit im Team gilt vor allem: sich in Stresssituationen vertrauen zu können, sich aber niemals (zu) sicher fühlen. Statt sich in Sicherheit zu wiegen, achten Sicherheitsteams ständig auf mögliche Fehlerquellen, diskutieren offen über Probleme und suchen gemeinsam nach Verbesserungen, bevor es zur Katastrophe kommt. 6.4.3  Warum wir in Gruppen risikoreicher

entscheiden als allein

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Wenn Gruppen Entscheidungen treffen, kann es zu dem Phänomen der Gruppenpolarisierung kommen, d. h., die Einstellung der Gruppenmitglieder wird extremer. Dieses Phänomen wurde in der Zeit des Vietnamkriegs (bzw. aus französischer Sicht des zweiten Indochinakriegs) in einer Untersuchung an französischen Schülern aufgezeigt.18 Die Schüler wurden gebeten, ihre Meinung zu zwei Themen aufzuschreiben. Zu dem einen Thema „Charles de Gaulle“ wiesen die Schüler eine leicht positive Meinung auf, zu dem anderen Thema „US-Soldaten“ eine leicht negative Meinung. Anschließend diskutierten die Schüler in kleinen Gruppen über beide Themen und hatten die Aufgabe, als Gruppe zu einem Konsens zu kommen. Danach stuften sie wieder ihre Einstellungen zu den beiden Themen ein. Es zeigte sich, dass die Schüler nach der Diskussion eine extremere Haltung angenommen hatten: Sie bewerteten De Gaulle noch positiver und US-Soldaten noch negativer als vorher. Die Polarisierung der individuellen Einstellungen geht in dieselbe Richtung, in die die durchschnittliche Gruppenmeinung bereits vor der Diskussion tendierte. Je nach Ausgangslage wird eine Gruppenentscheidung nach Diskussion eines Themas daher entweder extremer in Richtung auf eine befürwortende, positive oder in Richtung auf eine ablehnende, negative Haltung verschoben.19 Dies kann dazu führen, dass Gruppenentscheidungen risikoreicher ausfallen können als individuelle Entscheidungen. Dieser Effekt wird im Englischen als „risky shift“ bezeichnet.20 Als Begründung für die Verschiebung der Meinungen nach Gruppendiskussionen ins Extreme kann man drei Erklärungsansätze heranziehen: 1) In der Diskussion werden (neue) Argumente genannt, die als 17 18 19 20

Vgl. Journé et al. (2019). Vgl. Moscovici und Zavalloni (1969). Vgl. Six (2019). Vgl. Stoner (1961, 1968).

6.4 · Sicherheit im Team

besonders relevant bewertet werden, wenn sie mit der dominanten Gruppenposition übereinstimmen. 2) Gruppenmitglieder vergleichen sich nicht nur miteinander, sondern sind auch daran interessiert, von anderen positiv beurteilt zu werden. Wenn die Position der anderen Gruppenmitglieder im Diskussionsprozess deutlich wird, schließt man sich an und vertritt eventuell noch eine extremere Position. 3) Die Polarisierung von Entscheidungen bewirkt sowohl eine Abgrenzung zu Fremdgruppen als auch eine starke Identifikation mit der eigenen Gruppe, wobei man sich hier der Position prototypischer Mitglieder der eigenen Gruppe anschließt.21 Seit James Stoner in den 1960er-Jahren die „Risikoverschiebung“ beschrieb, hat es in der Folge weitere Untersuchungen und Praxisberichte gegeben22 – bis hin zu ganz aktuellen Untersuchungen über Gruppenpolarisierung auf Facebook.23 Eine ausschließliche „Risikoverschiebung“ gibt es bei Teams nicht – aber eben die Möglichkeit, extreme Entscheidungen zu treffen. Das kann verschiedene Gründe haben: Vertreterinnen und Vertreter extremer Ansichten können von ihrer Meinung überzeugter sein als andere Gruppenmitglieder, sie können mehr Mühe auf sich nehmen, andere zu überzeugen, oder einfach auch mehr Arbeit investieren. Andere Gründe liegen in der Gruppe selbst. Das Team kann mögliche Entscheidungsalternativen übersehen oder ausblenden, es kann eine Auswahl oder eine eingeschränkte Wahrnehmung von Informationen geben – unwissenschaftlich oder weil Teile der Gruppe bestimmte Motive haben, Informationen zu lancieren bzw. vorzuenthalten. Obwohl Teams, Projektgruppen, Komitees, Vorstände, Aufsichtsräte und Jurys vermutlich fast ausnahmslos das Ziel haben, Entscheidungen möglichst ausgewogen, durchdacht und unter Berücksichtigung aller wichtiger Alternativen zu fällen, ist dies oft nicht der Fall. Egal in welcher Gruppe: Man muss berücksichtigen, dass im Team oft risikoreichere Entscheidungen gefällt werden als durch Einzelpersonen – und so kann es nicht nur zu schlechten, sondern zu katastrophalen Fehlentscheidungen kommen. 6.4.4  Produktiver Konflikt und kritische

Gruppennorm

Wie fatal die Folgen von Fehlentscheidungen sein können, zeigt das Beispiel eines weiteren Flugzeugabsturzes. Auf einem Flug von London nach Belfast brach am 8. Januar 1989 21 Vgl. Brown (2000), Hewstone und Martin (2007) in Six, 2009. 22 Vgl. Isenberg (1986). 23 Vgl. Zollo und Quattrociocchi (2019).

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ein Feuer am linken Triebwerk der Boeing 737 aus. Die Piloten schalteten irrtümlich das funktionstüchtige rechte Triebwerk ab, sodass die Maschine abstürzte. 74 Menschen starben, und viele weitere wurden verletzt. Ein überlebender Flugbegleiter gab später zu Protokoll, er habe nicht die Autorität der Piloten untergraben wollen und daher nichts gesagt.24 Eine Untersuchung mit über 200 Personen in 45 Arbeitsgruppen zeigt, wie man dem entgegenwirken kann: Führungskräfte, die eigene Fehler eingestehen, regelmäßig Rückmeldung suchen und geben, hohe Selbstaufmerksamkeit zeigen und in sozialen Beziehungen verlässlich sind, reduzieren das Verschweigen von Problemen gerade bei sonst zurückhaltenden Teammitgliedern.25 In zwei oft zitierten Untersuchungen haben Tom Postmes, Russel Spears und Sezgin Cihangir von der Universität Amsterdam bzw. der Freien Universität Amsterdam untersucht, was Gruppen tun können, um ihre Entscheidungen zu verbessern und Fehler zu vermeiden. Dazu untersuchten sie Gruppen, die in der Vorbereitung auf die Teamaufgabe entweder kritische Auseinandersetzung oder Konsens als Gruppennorm etabliert hatten. Um die beiden unterschiedlichen Gruppennormen einzuführen, erhielten einige Teams Debattieraufgaben (z. B. über politische Texte), andere Teams eine Aufgabe, die gemeinsames Arbeiten erforderte (z. B. ein Poster erstellen). Danach schloss sich die eigentliche Aufgabe an: Einige Gruppen führten eine Diskussion zu einem komplexen Problem, deren Qualität bewertet wurde. Die Teammitglieder anderer Gruppen wurden einzeln zu dem Thema befragt, und die Argumentation wurde ebenfalls bewertet. Die Ergebnisse zeigen: Teams mit „kritischer Gruppennorm“ kamen bei der Diskussion zu deutlich besseren Ergebnissen als Teams mit „Konsensnorm“. Bei den Einzelpersonen wurde dieser Effekt nicht festgestellt. Wenn sich nicht das Team als Ganzes äußern sollte, sondern jedes einzelne Teammitglied, dann verschwand der Effekt der Gruppennorm.26 Man könnte vermuten, dass eine kritische Gruppennorm zwar durchdachte Entscheidungen begünstigt, durch die kritische Debatte aber andererseits die Kreativität im Team gehemmt wird, da die Teammitglieder ihre Ideen aus Angst vor Kritik nicht mitteilen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, denn Gruppennormen, die Kreativität fördern, beruhen auf der „kritischen Gruppennorm“: Beteiligung aller, Äußern verschiedener Meinungen, Unabhängigkeit der

24 Zitiert in Guenter et al. (2017, S. 50). 25 Vgl. Guenther et al. (2017). 26 Vgl. Postmes et al. (2001).

6.4 · Sicherheit im Team

e­ inzelnen ­Teammitglieder, Kommunikation, Ausarbeiten und ­Ausprobieren von Ideen. Im Rahmen kritischer Auseinandersetzungen können Konflikte im Team die Kreativität fördern, wenn es einen produktiven Wettbewerb um gute Ideen gibt, ohne dass die psychologische Sicherheit im Team beeinträchtigt ist.27 Hingegen sind schwache Gruppennormen oder gar Beliebigkeit hinderlich für kreatives Problemlösen, da sie Unsicherheit auslösen. Es ist aber zu bedenken, dass besonders kreative Menschen sich schnell von zu starken Normen eingeengt fühlen. Daher sind Menge und Qualität kreativer Arbeitsergebnisse von Teams hoch kreativer Menschen bei schwachen Normen gleich hoch wie die von Teams weniger kreativer Personen in Verbindung mit kritischer Gruppennorm.28 Diese Kombination aus kritischer Gruppennorm, psychologischer Sicherheit und Rücksicht auf die Zusammensetzung des Teams entspricht genau dem Ergebnis eines Projekts, das der Technologiekonzern Google 2012 unter dem Codenamen „Aristoteles“ startete, um das „perfekte Team zu entwickeln“.29 Ein wichtiges Ergebnis des Google-Projekts waren konkrete Hinweise für Führungskräfte zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung von psychologischer Sicherheit und Leistungsfähigkeit im Team: Führungskräfte müssen kritische Stimmen ermutigen und dies konsequent beibehalten. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Probleme ansprechen und den Status quo infrage stellen dürfen, wird dadurch die kritische Gruppennorm bestätigt und die psychologische Sicherheit gestärkt. 6.4.5  Teams in der Krise: Krisenstäbe und

Notfallteams

Einige Teams geraten in Krisen, ohne dies zu wollen (7 Abschn. 8.4.4), für andere gehören Krisen- und Notfallsituationen zum Berufsalltag, z. B. im Rettungsdienst oder als ständige Mitglieder von Krisenstäben. In Zeiten der Corona-Pandemie war die Besetzung solcher Krisenstäbe nicht immer einfach, weil zu den „Ständigen Mitgliedern im Krisenstab“ (SMS) zusätzlich „Ereignisspezifische Mitglieder“ (EMS) hinzugezogen werden mussten. Diese kamen vor allem aus den medizinischen Bereichen Hygiene und­

27 Vgl. Farh et al. (2010). 28 Vgl. Übersicht in Goncalo et al. (2018). 29 Die Ergebnisse werden ausführlich online dargestellt unter: 7 https:// rework.withgoogle.com/print/guides/5721312655835136/ (zuletzt abgerufen am 10.09.2019).

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Virologie – und nicht wie sonst aus dem Rettungswesen, z. B. der Feuerwehr. Ein Dienst „rund um die Uhr“ erfordert einen Drei-Schicht-Betrieb für alle SMS- und EMS-Positionen. Die erfahrenen Krisenstäbe auf kommunaler, Landes- und Bundesebene haben sich in der Corona-Krise weitgehend bewährt.30 Vielfach mussten im Frühjahr 2020 Krisenstäbe neu gebildet und mit Personen besetzt werden, die bisher keine Erfahrung mit einer solchen Arbeit hatten. Wir haben Mitglieder aus Krisenstäben nach positiven und negativen Erfahrungen befragt. Die Zusammenarbeit wurde überwiegend positiv erlebt: Es wurde hart, aber sachlich und konstruktiv diskutiert sowie in einer Geschwindigkeit und Qualität entschieden und umgesetzt, die zuvor undenkbar schienen. Zu den negativen Erfahrungen zählte, dass Personen, die schon im „Normalbetrieb“ fachlich und menschlich an ihre Grenzen stießen, im Krisenstab völlig überfordert waren, aber wegen ihrer hier­ archischen Funktion eingebunden werden mussten. Insbesondere im Zusammenhang mit politischen Entscheidungen wurde berichtet, dass manchmal Eigeninteressen vor das Gemeinwohl gestellt wurden. Doch trotz dieser Einschränkungen bleibt bei vielen Beteiligten die positive Erfahrung, dass bisher getrennte Fachdisziplinen und -bereiche effektiv zusammenarbeiten und dass trotz Unsicherheit Entscheidungen schnell gefällt sowie bei Bedarf schnell verbessert werden können. Der Leiter des Krisenstabs der Universitätsmedizin Greifswald, Prof. Klaus Hahnenkamp, formulierte es in einem Interview für die dortige Mitarbeiterzeitschrift im April 2020 so: „Wir haben einen ständigen Austausch aller Fachdisziplinen. Keiner kann von uns alle Details der bisherigen Routinen kennen. Wir verändern unzählige Prozesse, von denen wir vorher nicht wussten, dass es sie gibt.“ Ein Krisenstab ist ein Team aus führungserfahrenen Personen, die anderen leitenden Teams dabei helfen, schnelle und sachgerechte Entscheidungen zu treffen und deren Umsetzung zu überwachen.31 So richtete die Bundesregierung zu Beginn der Corona-Krise einen gemeinsamen Krisenstab aus Bundesgesundheits- und Bundesinnenministerium ein, der seine Aufträge von einer Gruppe Staatssekretäre erhielt und selbst Aufträge an einen Beschaffungsstab des Gesundheitsministeriums erteilen konnte. Die Gruppe der Staatssekretäre bezog Informationen aus allen Ressorts, berichtete dem „Kleinen Corona-Kabinett“ unter Vorsitz der Bundeskanzlerin und erhielt von dort ihre Aufträge. Diese Aufstellung

30 Vgl.Borries (2020), Wheeler et al. (2015). 31 Vgl. Hofinger und Heimann (2016).

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zeigt, dass bei Krisenstäben drei Vorgehensweisen bedeutsam sind: 1) Weitgehend automatisierte oder ausgelagerte Informationsbeschaffung, um operativ handlungsfähig zu bleiben, 2) Delegation von Arbeitsaufträgen an selbstständig handelnde Einheiten, um keine Zeit mit Koordinationsaufwand und Kontrollen zu vergeuden und 3) Nutzung aller zur Verfügung stehenden Unterstützungssysteme bzw. Expertengremien32, um sachgerechte Entscheidungen zu fällen. Die Organisation von Krisenstäben ist also auf extreme Effizienz bei der Entscheidungsfindung und -umsetzung ausgelegt. Dies wird dadurch erreicht, dass in Krisenstäben bestimmte Teamrollen festgelegt sind, die gezielt trainiert und von geeigneten Personen besetzt werden. Typischerweise sind das neben der Leitung des Stabs jeweils eine Person für Lagebeurteilung, interne Organisation, Einsatzorganisation und Versorgung/Logistik. Dieser Personenkreis kann um externe Experten für verschiedene Sachgebiete erweitert werden.33 Damit Aufträge an weitgehend autonom handelnde Einheiten vergeben werden können, werden Führungsebenen mit ihren Befugnissen und Führungsspannen klar voneinander abgegrenzt. So gibt es beispielsweise 1) einen Führungs- oder Krisenstab mit überregionaler und -behördlicher Koordinationsfunktion, 2) eine Führungsgruppe (z. B. Einsatzleitstelle einer ganzen Region), 3) örtliche Führung (z. B. die Leitstelle eines Landkreises) und 4) taktische Führung (z. B. ein Rettungsteam).34 Eine solch ausgeprägte Formalisierung mit Einschränkung von Befugnis ist im Krisenfall absolut notwendig, damit es nicht zu Überforderung Einzelner durch zu viele Anforderungen und Informationen kommt.35 Überregionale Stabsleiter sind keine direkten Vorgesetzten anderer Führungskräfte, sondern üben auf unterschiedliche Organisationen direkten und indirekten Einfluss aus. Studien zeigen, dass dies besser gelingt, wenn sie in ihrer eigenen Organisation großen Einfluss haben, über lange Berufserfahrung verfügen, diskret und vertrauenswürdig sind und politische Fähigkeiten besitzen (7 Abschn. 7.4.2). Vor allem aber

32 Vgl. Paton und Auld (2006), Paton und Violanti (2009). 33 Unter Leitung des Katastrophenschutzwerks der Vereinten Nationen, UNDRR, wurde ein internationaler Rahmen zur Verringerung der Gefahren durch von Menschen gemachte und Naturkatastrophen entwickelt. Die aktuelle Fassung und ein Bericht zur Umsetzung in den EU-Ländern finden sich online unter: 7 www.preventionweb.net/files/48254_hfareport2016.pdf (zuletzt abgerufen am 01.05.2020). 34 Ein Beispiel eines Einsatzhandbuchs der Feuerwehr mit Erläuterung der unterschiedlichen Führungsebenen ist online zu finden unter: /7 www. idf.nrw.de/service/downloads/pdf/fwdv100.pdf (zuletzt abgerufen am 27.04.2020). 35 Vgl. Kalkman et al. (2018).

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müssen sie Verständnis und soziale Sensitivität für Führungskräfte in Partnerorganisationen entwickeln.36 Damit ein Krisenstab funktionieren kann, braucht es darüber hinaus noch eine gemeinsame Vorstellung der aktuellen Krisenlage, d. h. ein gemeinsames „Lagebild“37, auch „Common Recognized Information Picture“ (CRIP, gemeinsam anerkanntes Lagebild) genannt.38 Das gemeinsame Lagebild ist der Dreh- und Angelpunkt für die Verständigung im Krisenstab und hilft zu entscheiden, welche Aufträge an welche Führungsebene erteilt werden.39 Für den Erfolg des Krisenmanagements ist bedeutsam, auf welche Weise das gemeinsame Lagebild entwickelt wird: Erfolgreiche Teams investieren deutlich mehr Zeit in die Strukturierung und Interpretation von Informationen als weniger erfolgreiche, die dafür mehr Zeit mit Informationsbeschaffung und Abstimmungen verbringen.40 Vertreter jedes Sachgebiets bzw. jeder Fachdisziplin bringen spezifische Informationen und Sichtweisen ein. Allerdings stellt sich die gesamte Informationslage weniger wie ein Datenspeicher dar (engl. warehouse model), sondern eher wie ein Ort der Verhandlung dahingehend, wann welche Beteiligten welche Informationen benötigen (engl. trading place). Ein Beispiel macht dies deutlich: Bei einer Geiselnahme in einer Schule waren durch die Einsatzleitung wichtige Informationen für die Polizei gesammelt worden (Anzahl und Aufenthaltsort der Personen, die noch in der Schule waren, Anzahl der Personen, die bereits in Sicherheit waren etc.). Für die medizinische Einsatzleitung waren aber das Alter der Verletzten und die Art der Verletzungen wichtigere Informationen, da Kinder medizinisch anders behandelt werden als ältere Jugendliche und Erwachsene.41 Erst aus der gemeinsamen Verhandlung darüber, welche Informationen zu welcher Zeit für wen erforderlich sind, ergeben sich Teamroutinen, die in zukünftigen Krisen- und Katastrophenfällen genutzt werden können. Dies gilt sowohl für einzelne Teams als auch für größere Organisationen (7 Abschn. 4.4.1).

36 Vgl. Kalkman (2020). 37 Das spendenfinanzierte Informationsportal „Frag den Staat“ hat die Lageberichte des Gemeinsamen Krisenstabs von Bundesgesundheits(BMG) und Bundesinnenministerium (BMI) veröffentlicht, die einen Eindruck von der Arbeit des Krisenstabs geben: 7 https://fragdenstaat.de/dokumente/4181-lagebild-gemeinsamer-krisenstab-bmi-bmg-covid-19/ (zuletzt abgerufen am 01.05.2020). 38 Vgl. Queck und Gonner (2016, S. 187 f.). 39 Vgl. Schakel und Wolbers (2019). 40 Vgl. Uitdewilligen und Waller (2018). 41 Vgl. Wolbers und Boersma (2013, S. 195), Kalkman et al. (2018).

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6.4 · Sicherheit im Team

Nicht nur die Arbeitsweise eines Krisenstabs ist äußerst strukturiert, dasselbe gilt auch für Trainings zum Umgang mit Krisensituationen. In solchen Trainings werden insbesondere Phasen der Lagebeurteilung und Entscheidungsfindung anhand konkreter Situationen bzw. Simulationen eingeübt. Die Übungseinheiten beruhen auf tatsächlichen Fällen, die bei der Schulung in verschiedener Weise variiert bzw. verschärft werden. So konnten Krisenstäbe in der Corona-Krise auf Trainings mit einem simulierten Grippeausbruch zurückgreifen, für den eine weitaus höhere Ansteckungs- und Sterberate angenommen wurde als bei üblichen Grippeepidemien. Die folgende Tabelle gibt ein Beispiel für den Ablauf solcher Stabstrainings.42 Entscheidungsphase/ Übungseinheit

Inhalte/Ziele der Übungseinheit

Anforderungsanalyse

Erkennen von spezifischen Informationsangeboten und -bedürfnissen der verschiedenen beteiligten Gruppen (Stakeholder)

Erfahrungsaustausch, Reflektion

Thematisieren zurückliegender Fälle, aus denen Krisen entstanden sind; Variieren und Verschärfen von aktuellen Übungssituationen

Kommunikation und Führen im Stab

Vermittlung von theoretischem Wissen und Durchführen von Übungen zu Grundlagen der Kommunikation sowie Führung im Stab, Gruppenarbeit unter Zeitdruck, Fällen von Entscheidungen unter Stress

Üben von Teamarbeit und Treffen von Entscheidungen unter Druck

Bewältigung eines komplexen Szenarios, das den Übungsteilnehmenden unbekannt ist; danach gemeinsame Reflektion der Erfahrungen und Planung von Verbesserungen der Teamarbeit in Stresssituationen

Informationsmanagement und Visualisierung

Methoden der Informationsgewinnung und -aufbereitung (Theorie), praktische Umsetzung mit der für den Krisenstab verfügbaren Informations- und Kommunikationstechnik

Üben eines „Maximalszenarios“

Realistischer Durchlauf eines Szenarios, das die bisherigen Anforderungen übersteigt (Maximalszenario), danach Reflektion der Erfahrungen, Planung von Verbesserungen

Üben eines „Rahmenszenarios“

Durchlauf durch ein Maximalszenario mit zusätzlicher Beeinflussung von außen, Hinzuziehen teamfremder Experten sowie Nutzen von Schnittstellen zu anderen Organisationen (z. B. dargestellt von der Übungsleiterin), danach Reflektion und Identifikation von Verbesserungsmaßnahmen

42 Angepasst nach Zinke und Hofinger (2012, S. 100).

6

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Kapitel 6 · Wir sind die Besten: Warum tolle Teams dumme Fehler machen

Trainings im Krisenstab sollen Teammitglieder darauf vorbereiten, in Krisensituationen normal arbeiten zu können. Maximal- und Rahmenszenarios sollen Anforderungen bisheriger Krisen übersteigen, sodass Teams im Ernstfall auf bereits gesicherte Teamroutinen zugreifen können und eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung entwickeln.43 Dazu werden realistische Übungsfälle benötigt, die schrittweise gesteigert werden können. So lernen Krisenteams, mit stetig steigenden Anforderungen umzugehen. Wenn die Corona-Krise überwunden ist, werden die zahllosen Informationen, Ereignisse und Entscheidungen sicher ebenfalls als Grundlage von Krisentrainings genutzt werden, um in Zukunft noch besser auf gefahrvolle Situationen vorbereitet zu sein, die man nicht vorhersehen kann.44

Literatur Albert, M., & Bartscher-Finzer, S. (2004). Zusammenhänge und Mechanismen: Das Groupthink-Phänomen neu betrachtet. Working Paper. Lüneburg: Schriften aus dem Institut für Mittelstandsforschung, No. 28 (7 https://www.econstor.eu/bitstream/10419/60437/1/640682235.pdf. Zugegriffen: 18. Juni 2019). Badke-Schaub, P., Hofinger, G., & Lauche, K. (2012). Human Factors. Psychologie sicheren Handelns in Risikobranchen. Heidelberg: Springer. Baron R. S. (2005). So right it’s wrong: Groupthink and the ubiquitous nature of polarized group decision-making. Technical Paper. Cedar Falls: Department of Psychology, University of Iowa (7 https://www.paci.com. au/downloads_public/risk/10_Paper_Groupthink.pdf. Zugegriffen: 18. Juni 2019). Baumeister, R. F. (1984). Choking under pressure: Self-consciousness and paradoxical effects of incentives on skillfull performance. Journal of Personality and Social Psycholoy, 46(3), 610–620. Blendin H., & Schneider G. (2012). Nicht jede Form von Stress mindert die Entscheidungsqualität: Ein Laborexperiment zur Groupthink-Theorie. In T. Bräuninger, A. Bächtiger, & S. Shikano (Hrsg.), Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie (Bd. 7). Wiesbaden: VS Verlag. Borries, H.-W. (2020). Krisenstäbe und ihre wichtige Arbeit in Pandemielagen – Erfahrungen aus Übungen. Crisis Prevention (CP) Pandemien Special (7 https://crisis-prevention.de/katastrophenschutz/krisenstaebe-ihre-wichtige-arbeit-in-pandemielagen-erfahrungen-aus-uebungen.html. Zugegriffen: 27. Apr. 2020). Brown, R. (2000). Group processes (2. Aufl.). Oxford: Blackwell. Farh, J. L., Lee, C., & Farh, C. I. C. (2010). Task conflict and team creativity: A question of how much and when. Journal of Applied Psychology, 95(6), 1173–1180. Felsenreich, C. (2016). Human factors and compliance: A depth-psychological perspective on white and blue collar crimes. In M. Edelbacher, P. C.

43 Vgl. Künzer (2016), Künzer et al. (2016). 44 Vgl. Strohschneider (2003).

113 Literatur

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114

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Kapitel 6 · Wir sind die Besten: Warum tolle Teams dumme Fehler machen

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115 Literatur

Lesetipp In die Bereiche „Human Factors“ und den Aufbau von Sicherheitsorganisationen führen die beiden folgende Sammelbände ein: Badke-Schaub, P., Hofinger, G., & Lauche, K. (2012). Human Factors. Psychologie sicheren Handelns in Risikobranchen. Heidelberg: Springer. Journé, B., Laroche, H., Bieder, C., & Gilbert, C. (2019). Human and organisational factors. Practices and strategies for a changing world. Heidelberg: Springer. Einen umfassenden und praxisnahen Überblick zur Arbeit in Krisenstäben einschließlich wichtiger psychologischer Aspekte gibt das folgende Handbuch: Hofinger, G., & Heimann, R. (Hrsg.). (2016). Handbuch Stabsarbeit. Führungs- und Krisenstäbe in Einsatzorganisationen, Behörden und Unternehmen. Heidelberg: Springer.

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Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt Inhaltsverzeichnis 7.1 Profile von Populisten – 118 7.2 Junge Löwen, alte Werte – 120 7.3 Interview: Wie führt man Teams, Frau MüllerDannecker? – 121 7.4 Teamführung – 127 7.4.1 Was Führung eigentlich führt – 127 7.4.2 Starke Männer sind schlechte Führer – 129 7.4.3 Führen mit Werten – 131 7.4.4 Führung in Teams, die sich selbst führen – 132 7.4.5 Führen auf Distanz: Führung virtueller Teams – 134

Literatur – 138

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_7

7

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Kapitel 7 · Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt

7.1  Profile von Populisten ► Einstieg ins Thema Führende Persönlichkeiten haben es generell nicht leicht: Kaum sind die traditionellen Wirtschaftslenker als „Nieten in Nadelstreifen“ verunglimpft1, wird schon der neuen Managergeneration in T-Shirt und Turnschuhen vorgeworfen, sie sei „psychopatisch“ und ruiniere die Wirtschaft.2 Tatsächlich geben eine Reihe wirtschaftlicher Skandale wie die Pleiten von Schlecker und Wirecard, die „Dieselaffäre“ und das Erstarken eines nationalistischen Populismus weltweit Anlass zur Sorge: Psychopathen als Wirtschafts- und als Staatenlenker? Drei europäische Politikprofessoren kamen auf die Idee, den US-Präsidenten Donald Trump von einer Reihe ausgewiesener Experten zu 104 politischen Populisten aus der ganzen Welt in Vergleich zu setzen.3 Die Vergleichspersonen umfassten Persönlichkeiten wie den deutschen AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland, den österreichischen Ex-FPÖ Chef Hans-Christian Strache (der Artikel erschien vor der Veröffentlichung des berüchtigten „Ibiza-Videos“ und Straches Rücktritt), die Chefin des französischen nationalistischen Rassemblement National, Marine le Pen, den islamfeindlichen Niederländer Geert Wilders, den amtierenden Präsidenten Serbiens und Nationalisten Aleksandar Vučić sowie den russischen Politiker und Stalin-Bewunderer Gennady Zyuganov. Die 28 internationalen Experten für Politologie und politische Psychologie bewerteten Eigenschaften wie Extraversion, Angemessenheit, Gewissenhaftigkeit, Emotionale Stabilität, Offenheit, Narzissmus, Psychopathie und Machiavellismus. Die letzten drei, Narzissmus, Psychopathie und Machiavellismus, werden auch als „Dunkle Triade“ der Persönlichkeit oder als „Dark Leadership“ bezeichnet.4 Nun wird man politische Wissenschaftler vielleicht nicht als Topexperten für Persönlichkeitsdiagnostik akzeptieren wollen, aber dennoch ist das Bild, das sich durch ihre Einschätzungen ergibt, bemerkenswert (. Abb. 7.1): Populisten zeigen weniger angemessenes Verhalten, sind kaum offen und dafür umso narzisstischer. Das ist nicht wirklich überraschend – der Abstand der Einschätzungen von Donald Trump zu seinen Mit-Populisten hingegen schon: Keine der 104 Vergleichspersonen wird als so emotional instabil, wenig gewissenhaft und sozial unangemessen bewertet – auch angesichts der Anzahl persönlicher

7

1 2 3 4

Vgl. Ogger (1995). Vgl. Nauert (2018). Vgl. Nai et al. (2019). Vgl. Miller et al. (2019), Furtner (2017).

7

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7.1 · Profile von Populisten

alle 104 Populisten 75% der Populisten Donald Trump zum Vergleich: US-amerikanische CEOs

enthusiastische Aufrufe

Appelle an Angst

persönliche Angriffe

negative Kampagnen

Machiavellismus

Psychopathismus

Narzissmus

Offenheit

Emo. Stabil. Neurotizismus

Gewissenhaftigkeit

Angemessenes Verhalten

Extraversion

. Abb. 7.1  Donald Trumps außergewöhnliches Persönlichkeitsprofil nach Experteneinschätzungen im Vergleich zu 104 bekannten politischen Populisten und 20 US-amerikanischen Topmanagern. (Eigene Darstellung nach Nai et al. 2019, S. 28; Peterson et al. 2003, S. 801)

­ erbalattacken – wie der US-Präsident. Die Autoren sprechen V von einem „Außenseiter unter Außenseitern“5 – wenn man die zum Teil höchst erfolgreichen politischen Populisten wirklich als gesellschaftliche Außenseiter sehen will.◄

5

Nai et al. (2019), in der Zusammenfassung.

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Kapitel 7 · Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt

7.2  Junge Löwen, alte Werte

Beispiel aus der Praxis Zu einem Symposium für Führungskräfte aus dem Münchener Raum hatten wir eine selbstständige Beraterin eingeladen, die viele Jahre erfolgreich als Managerin in Münchener Großunternehmen tätig gewesen war und ihre neueste Studie vorstellte. Für diese Studie hatte sie zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Unternehmen befragt, wie die sich eine ideale Führungspersönlichkeit vorstellen. Daraus hatte sie ein System für die Auswahl und Ausbildung von Führungskräften entwickelt, welches sie nun den Firmen anbot. Wichtige Eigenschaften für Führungskräfte waren nach den Ergebnissen der Befragung Entschlossenheit, visionäres und unabhängiges Denken, Überzeugungskraft, Selbstsicherheit, Veränderungsbereitschaft und schnelle Anpassungsfähigkeit. Dies sind alles Eigenschaften, die häufig in der Diskussion um die sogenannte „Charismatische Führung“ genannt werden und den Erfolg einer Führungskraft aufgrund ihrer persönlichen Eigenschaften erklären sollen.6 Die Beraterin berichtete, dass sie für einen bekannten Münchener Technologiekonzern eine Gruppe von Nachwuchsführungskräften aufgebaut habe, die sich „Junge Löwen“ nennen. Die Liste der Eigenschaften, die für solche „Jungen Löwen“ passend erscheint, liest sich aber auch wie eine Liste soziopathischer Verhaltensweisen: egozentrisches Durchsetzen von Entscheidungen ohne Berücksichtigung anderer Interessen, Einsatz manipulativer Strategien zur persönlichen Zielerreichung, bewusstes Eingehen von Risiken.7 Die Frage nach Eigenschaften von Führungspersönlichkeiten hatte augenscheinlich vor allem Stereotypen vom „starken Mann“ wachgerufen. Mit dem, was erfolgreiche Führungskräfte wirklich ausmacht, hat das nichts zu tun. Umfangreiche Meta-Analysen mit Tausenden von Datensätzen zeigen vor allem eines: Bedeutsam sind interpersonelle Kompetenzen, wie Vertrauenswürdigkeit, prosoziales Verhalten und Unterstützung der Mitarbeiter.8 Werteorientiert zu handeln, ehrlich und transparent zu kommunizieren werden auch als „authentische Führung“ (engl. „authentic leadership“9) oder „ethische

7

6 7 8 9

Vgl. Howell (1988). Vgl. Hare (2005, S. 30). Vgl. Gaddis und Foster (2015). Vgl. Aviola und Walumbwa (2014).

7.3 · Interview: Wie führt man Teams, Frau Müller-Dannecker?

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7

Führung“10 bezeichnet – und das sind ausgerechnet nicht die Stärken vermeintlich charismatischer Führungskräfte. Ein Blick auf . Abb. 7.1 oben zeigt daher auch, dass das dort zum Vergleich eingezeichnete Persönlichkeitsprofil erfolgreicher Topmanager bemerkenswert durchschnittlich ist.11 Man kann also nur hoffen, dass die „Jungen Löwen“ weniger dem Bild eines Raubtieres, sondern mehr dem durchschnittlichen Profil erfolgreicher Manager ähnelten.

Eva Müller-Dannecker

Frau Eva Müller-Dannecker ist seit 2009 Ressortleiterin Changemanagement und zuständig für Personal- und Organisationsentwicklung. Sie war zuvor Abteilungsleiterin Prozessmanagement und bis 2006 als Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin tätig. Seit 2002 ist Frau Müller-Dannecker Aufsichtsrätin und stellvertretende Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Aufsichtsrats der Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH in Berlin. Vivantes ist der größte kommunale Krankenhauskonzern Deutschlands. Ein Drittel aller Patienten in Berlin wird jedes Jahr in einer von über 100 Einrichtungen von Vivantes behandelt, mehr als eine halbe Million Behandlungen jährlich. Zur „Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH“ gehören acht Krankenhäuser, 17 Pflegeheime, zwei Seniorenwohnhäuser, eine ambulante Rehabilitation, Medizinische Versorgungszentren, eine ambulante Krankenpflege, ein Hospiz sowie Tochtergesellschaften für Catering, Reinigung und Wäsche. Neben ihrer Tätigkeit für Vivantes ist Frau MüllerDannecker bereits seit 1983 aktiv in der Berufspolitik, u. a. als Delegierte der Ärztekammer Berlin.

7.3  Interview: Wie führt man Teams, Frau

Müller-Dannecker?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

Wir sind ein breit aufgestellter Gesundheitskonzern in öffentlicher Trägerschaft. Den größten Geschäftsbereich bilden unsere Krankenhäuser, die traditionell als Organisationen eher

10 Vgl. Brown und Mitchell (2010). 11 Vgl. Peterson et al. (2003).

Portrait Dr. Eva MüllerDannecker, Leiterin Ressort Personal- und Organisationsentwicklung und Aufsichtsrätin Vivantes, Berlin

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7

Kapitel 7 · Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt

konservativ und hierarchisch sind, in jedem Fall noch weit entfernt von dem von Frederic Laloux in seinem Buch „Reinventing Organizations“ beschriebenen „integral evolutionären Organisationsmodell“.12 Die Krankenhausstruktur ist sehr komplex und vielschichtig. Naturgemäß ist unsere Arbeit für die Patienten in aller Regel in Teams organisiert. Das sind auf der einen Seite berufsgruppenidentische Teams, wie z. B. die Pflegeteams einer Station. Dann gibt es auf der ärztlichen Seite Teams einer Fachrichtung, die die kranken Menschen diagnostizieren und therapieren. Um die Patienten optimal zu behandeln, ist wiederum die sehr gute Zusammenarbeit von Pflegekräften und den Ärzten einer Station wichtig, d. h., sie arbeiten letztlich berufsübergreifend auch als Team zusammen, wenngleich sie unterschiedlichen Führungskräften unterstellt sind. Darüber hinaus wird z. B. bei Operationen auch in interdisziplinären und interprofessionellen Teams gearbeitet. Auch in den Unterstützungsprozessen, z. B. Reinigung, Speiseversorgung oder Verwaltung, wird vielfach in Teams gearbeitet. Das heißt, die Arbeit in Krankenhäusern ist ganz wesentlich von Teamarbeit geprägt, denn wir betreuen unsere Patientinnen und Patienten 365 Tage im Jahr und 24 h am Tag. Das können wir nur in Schichtarbeit, und auch da ist die Arbeit im Team notwendig, wobei eine gute Informationsweitergabe sichergestellt werden muss. z Was waren prägende Teamerfahrungen?

Wir hatten 2005 bis 2007 eine beachtliche Sanierungsphase. In dieser Zeit wurden die potenziell teuren Bereiche identifiziert, wie beispielsweise die Intensivstationen. Dort wurden dann Organisationsänderungen vorgenommen, z. B. wurden an einigen Standorten die operative und die konservative Intensivstation zusammengelegt. Das hat man damals einfach so gemacht und gemeint, „die Stationen müssen jetzt zusammengelegt werden und werden sich dann schon irgendwie wieder neu zusammenfinden“. Das war in 2006 – solche Teams funktionieren teilweise bis heute im Jahr 2019 immer noch nicht gut. Es herrscht dann eine anhaltende Unzufriedenheit, sichtbar an höheren Krankheitsausfällen, überdurchschnittlicher Fluktuation, und aufgrund des spürbar unguten Klimas gibt es auch Schwierigkeiten bei der Akquise neuer Pflegekräfte. Es wurde der große Fehler begangen, zusammengewachsene Teams 12 Vgl. Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations – Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Franz Vahlen (Original: 2014, Reinventing organizations: A guide to creating organizations inspired by the next stage in human consciousness. Mills (MA): Nelson Parker).

7.3 · Interview: Wie führt man Teams, Frau Müller-Dannecker?

e­infach auseinanderzureißen und neu zusammenzumischen. Das geht in der Regel nicht ohne einen sehr gut überlegten Begleitprozess, denn die Führungskräfte sind mit einem derartigen Veränderungsmanagement oftmals überfordert. Wir müssen immer daran denken: Das betrifft Menschen. Gerade im Krankenhaus arbeiten Menschen, die sich bewusst für die Arbeit am Menschen und mit Menschen entschieden haben und sehr beziehungsorientiert sind. Und Menschen im Team leben in ihrer Struktur und haben emotionale Beziehungen aufgebaut. Das kann man nicht folgenlos einfach mal neu zusammenmischen. Mir fällt auch ein Beispiel ein, bei dem eine Zusammenlegung besser gelungen ist. Da haben wir erfolgreich mit einer OE-Beraterin gearbeitet, die den Prozess partizipativ mit den Führungskräften und dem gesamten Team gestaltet hat. Sichtbar wurde, dass die nun unter eine Leitung gestellten 80 Pflegekräfte aus zwei Pflegeteams nicht einfach so von einer einzelnen Person zu managen bzw. zu führen sind. Im Ergebnis wurden in den zusammengeführten Teams neue Führungs- und Arbeitsstrukturen eingeführt. Die Führung wurde durch Aufbau zusätzlicher stellvertretender Stationsleitungen verstärkt und die Aufgaben und Verantwortlichkeiten neu definiert. Dabei ist richtig eine neue Kultur entstanden. Die Station hat auch aufbauend auf unseren Führungsgrundsätzen und dem Leitbild einen eigenen Leitfaden zur Führung und Zusammenarbeit entwickelt. Ich glaube, der ausschlaggebende Punkt für den Erfolg war, dass wir wirklich Geld in die Hand genommen und Führung sowie das Team ausreichend Unterstützung erfahren haben, dabei von- und miteinander gelernt wurde. Und dass dort alle an einem Strang gezogen haben: Die Pflegedirektion hatte immer ein wertschätzendes Auge auf den Prozess und hat der Stationsleitung bzw. dem Führungsteam hohes Vertrauen entgegengebracht und eben ausreichende Ressourcen zugebilligt. Es wird oft vergessen, dass für nicht funktionierende Teams auch ein hoher Preis gezahlt werden muss, denn Krankheitsausfälle, hohe Fluktuation und Leistungseinbußen kosten auch sehr viel Geld. Wenn es um Teams geht, müssen wir viel mehr in das Miteinander der Menschen investieren, z. B. durch Workshops oder Teamevents. Auch in eine gute Auswahl neuer Teammitglieder ist zu investieren. Es hat keinen Sinn, wenn ich mir als Führungskraft immer Menschen suche, die zu mir passen. Wenn ich Teams bilde, gucke ich sehr genau, was haben wir für Aufgaben, welche Menschen haben wir, was brauchen wir, um besser miteinander zu funktionieren und die erforderlichen Ziele zu erreichen. Wo haben wir noch Lücken oder wer kann uns für unser Team wertvolles Neues bringen?

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7

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Kapitel 7 · Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt

z Wofür würden Sie heute unbedingt im Team arbeiten, in welchem Punkt auf keinen Fall?

7

Es gibt für mich Aufgaben, die sind unbedingt im Team zu erbringen, weil die Komplexität groß ist oder weil verschiedene Bereiche oder Berufe am selben Thema, an derselben Aufgabe arbeiten und dabei sehr unterschiedliche Kompetenzen benötigt werden. Da braucht man immer Teams. Wenn wir komplexe Aufgaben haben, z. B. im Verwaltungsbereich Prozesse reorganisieren, dann sind immer verschiedene Bereiche involviert, beispielsweise IT, Personal. Wir müssen die Leute projektbezogen an einen Tisch bringen, wir müssen gemeinsam arbeiten. Dafür brauchen wir Teams – und wie gesagt: im medizinischen Bereich sowieso. Bezogen auf mein eigenes Team gibt es natürlich auch Aufgaben, die eine einzelne Person machen kann, z. B. bestimmte Sachbearbeitungen oder irgendeine fachliche Konzeptentwicklung. Was ich aber immer gut finde, selbst wenn ich Aufgaben an Einzelpersonen übertragen habe, ist, wenn es im Team Sparringspartner gibt, mit denen eine auch aufgabenbezogene Feedback-Kultur gelebt wird, in der man mal in die Reflektion gehen kann. Jeder kennt Situationen, in denen man sich mit seinen Gedanken vergräbt oder der zündende Funke noch fehlt. Dann ist es gut, wenn man sich mit jemandem kurz bespricht und so einen neuen Impuls kriegt, der einem den Knoten im Kopf löst oder eine neue Idee hervorbringt. So etwas ist immer wertbringend. z Brauchen Teams Führung?

Ich erlebe Teams so, dass sich auch projektbezogen oft heimliche Führungsstrukturen bilden, wenn auch punktuell. Je besser Teams funktionieren, je harmonischer sie sind, je klarer sie ihre Rollen definiert haben, desto weniger werden Interventionen durch Führung benötigt. Ich glaube aber, es gibt nicht selten Situationen, insbesondere bei auftretenden Schwierigkeiten, da ist es hilfreich, wenn klar ist, wer die Verantwortung für was trägt und wer welche Rolle hat. Deshalb glaube ich, dass „sozialisationsbedingt“ in primär nicht agil arbeitenden Organisationen Teams noch Führung brauchen. Aber eben nicht so stark kontrollierend, sondern eher begleitend und unterstützend. Zudem ist es auch für das Umfeld wichtig zu wissen, wer verantwortlicher Ansprechpartner ist. Letztlich hängt die Frage, wieviel Führung gebraucht wird, vom Reifegrad der Organisation und damit von der herrschenden Unternehmenskultur ab. Ein Team braucht vor allem eine Führungspersönlichkeit, die den Mitarbeitenden im Team Vertrauen entgegenbringt, die ihre Potenziale fördert, die dem Team Gestaltungsspielräume gibt, die wertschätzend agiert und die versteht, mit

7.3 · Interview: Wie führt man Teams, Frau Müller-Dannecker?

Konfliktsituationen umzugehen. Wenn die Führungskraft nicht stark genug ist, das Team zu moderieren, Ziel und Aufgaben richtig zu platzieren, die Menschen zu fördern, Partnerschaften zu bilden, methodenkompetent zu arbeiten, dann funktioniert das Team nicht optimal. Manchmal muss man Aufgaben in Teams neu durchmischen. Man muss auch eine Idee haben, wie man es hinkriegen kann, wenn jemand nicht richtig mitmacht. z Wie wirkt sich Führung auf Einzelne, auf Teams und auf das Umfeld aus?

Ich halte – wie gesagt – bezogen auf unsere Organisationsstruktur gute Führung für einen wichtigen Erfolgsfaktor. Jetzt stellt sich die Frage: Was ist gute Führung? Ich vergleiche das oft mit einer Familiensituation: Wenn ich Kinder großziehe, dann ist es aus meiner Sicht sehr wichtig, gerade in Anfangs- oder Übergangsphasen (z. B. in den ersten Lebensjahren oder beim Schulwechsel) viel Zeit zu investieren. Je mehr Zeit ich mir für diese Phasen nehme, desto weniger Zeit muss ich später mit irgendwelchen Schwierigkeiten verbringen, weil die Basis gut gelegt ist und den Kindern Selbstvertrauen und damit Stärke vermittelt wurde. So versuche ich das auch mit den Mitarbeitern: Ich versuche am Anfang möglichst viel zu investieren, um den Menschen kennenzulernen und zu verstehen, eine emotionale und fachliche Beziehung aufzubauen und dann auch die Ziele und Aufgaben miteinander klarzustellen. Und dann ist es wichtig loszulassen, da zu sein, wenn es Veränderungen oder Krisen gibt, den Menschen aber sonst möglichst viel Gestaltungsmöglichkeiten zu geben. Ich glaube, dass Führung einen ganz großen Einfluss darauf hat, wie gerne Menschen arbeiten. Darum ist es wichtig, dass man ihnen ausreichend Freiheiten lässt. Menschen wollen gestalten, möglichst selbstständig arbeiten, Menschen wollen sich entwickeln, Menschen wollen gesehen und gehört werden. Deshalb ist es auch wichtig, dass sie das Vertrauen der Führung spüren und sehen, dass die Führungskraft sich Gedanken über ihre Fähigkeiten macht, Feedback und Wertschätzung gibt, auch hier und da mal Kritisches in angemessener Weise äußert. Kritik ist immer wertvoll, aber darf nie eine Einbahnstraße sein, d. h., die Führungskraft muss selbst Kritik vom Team oder den einzelnen Mitgliedern annehmen können. Für mich ist zudem ein ganz wichtiger Faktor, ob es der Führungskraft gelingt, das Team zusammenzubringen. Wenn man neue Mitarbeiter hat, bilden sich auf Arbeitsebene plötzlich neue Bündnisse. Das funktioniert nicht immer reibungslos und braucht dann eben Führung, d. h. Aufmerksamkeit,

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Kapitel 7 · Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt

Lösungsansätze, Gespräche, Geduld, manchmal auch Hilfestellung wie Coaching oder Supervision. z Welche Wirkung ist wichtiger: die auf den Einzelnen, die auf das Team oder die auf das Umfeld?

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Ich versuche, im Team niemanden zu bevorzugen. Dennoch gibt es manchmal nicht ganz einfache Konstellationen. Wenn z. B. neue Teammitglieder hinzukommen, mit denen ich mich schon davor geduzt habe, stellt sich die Frage: Wie gehe ich jetzt damit um? Ich habe dann überlegt, ob ich die Person genau wie die anderen im Team siezen sollte. Dann habe ich mir aber gesagt, das Wichtigste ist Glaubwürdigkeit, nicht irgendeine Rolle zu spielen, sondern dazu zu stehen, dass es eine nähere Beziehung von früher gibt. Ehrlichkeit ist eines der wichtigsten Prinzipien. Also stehe ich zu den Unterschieden. Dabei muss ich aber ganz transparent sein und sehr aufpassen, die Person nicht zu bevorzugen, die ich privat noch von früher kenne. Dazu benötige ich dann immer wieder die ehrliche Rückmeldung, wie die anderen im Team das sehen. Mir wurde auch schon kritisch von einzelnen Teammitgliedern zurückgespiegelt, dass bestimmte Personen im Team von mir mehr Aufmerksamkeit bekommen würden als andere. Im Gespräch konnte ich das dann klären, denn mehr Aufmerksamkeit bekommen vor allem diejenigen, die aus meiner Sicht mehr Schwierigkeiten haben und mehr Hilfe brauchen. Ich habe gelernt, dass es überhaupt keinen Sinn hat, bei Personen, die aus irgendwelchen Gründen nicht so leistungsfähig sind, einfach den Druck zu erhöhen. Sie werden nicht besser durch Druck. Stattdessen muss ich mich intensiver mit den Personen befassen und herausfinden, woran es liegt, dass sie nicht so performen. Was brauchen sie, um mehr Leistung zu bringen? Ist es wirklich so, dass sie mehr Ansage brauchen, weil sie bequem sind? Brauchen sie in Wirklichkeit mehr Bestätigung? Oder haben sie die falsche Aufgabe? Es ist ein wahres Kunstwerk, in dieser Situation Menschen zu mehr Leistungsfähigkeit zu bringen, insbesondere, wenn sie sich vielleicht schon ein bisschen in ihrer Nische eingerichtet haben. Ich habe in all den Führungsjahren die Erfahrung gemacht: Wenn ich Leute in dem, was sie gut machen, bewusst lobe und die erfolgreichen Schritte herausstelle, dass sie dann schrittweise über sich hinauswachsen. Diese kleinen Schritte benötigen aber sehr viel Aufmerksamkeit und überproportionale Wertschätzung. Das kostet Kraft und Zeit. Wenn das vom Team verstanden wird, dann kann akzeptiert werden, dass die Aufmerksamkeit teilweise unterschiedlich verteilt ist. Aber es ist als Führungskraft immer wieder wichtig,

7.4 · Teamführung

im ­Dialog zu sein, die Ziele transparent zu machen, die notwendige Arbeit halbwegs gerecht und sinnvoll zu verteilen sowie die Menschen mit ihren unterschiedlichen Situationen und Bedürfnissen zu sehen und ihre Arbeitsleistungen angemessen zu würdigen. Dafür braucht man einen Blick, was in dem Einzelnen vorgeht, was Menschen gerade belastet oder wo die Leidenschaften in dem Menschen liegen. Dieser Punkt wird in Teams oftmals unterschätzt. Wir verteilen die Aufgaben leider manchmal nicht, indem wir gucken, für wen passen sie am besten, wer hat dazu Lust und welche Leidenschaft kann man bei jemandem noch weiterentwickeln. Einer guten Führungskraft gelingt es, jeden einzelnen Menschen im Team zu begeistern, emotional zu binden, mit ihnen zu besprechen, wo sie sich entwickeln können und wollen und auch bei Angriffen von außen hinter ihnen zu stehen. Bezogen auf das ganze Team gilt es, für ein gutes Miteinander und ein gutes Teamklima zu sorgen. Wenn Menschen sich von der Führung und den anderen Teammitgliedern gut behandelt fühlen, sie die Bedeutung ihrer Arbeit bezogen auf die Zielstellung anerkannt sehen, dann arbeiten sie deutlich engagierter und tragen so zum Unternehmenserfolg bei. 7.4  Teamführung 7.4.1  Was Führung eigentlich führt

Die Diskussion darum, was gute Führung ausmacht, währt in Deutschland schon seit über 100 Jahren und mündete in etwa so viele Führungstheorien.13 Populäre Untersuchungen ermitteln oft mit großem Aufwand den Unterschied von Führungsverhalten in über- und unterdurchschnittlich erfolgreichen Unternehmen.14 Leider ist damit keineswegs sichergestellt, dass dieses Führungsverhalten etwas mit dem Erfolg der Firma zu tun hat. Eine wirkliche Überprüfung dieser Hypothese würde nämlich bedeuten, Firmen mit Erfolg versprechendem Verhalten eine Zeit lang zu beobachten, um festzustellen, ob dieses Verhalten tatsächlich zum Erfolg führt. Wir haben dies in eigenen Untersuchungen über mehrere Jahre getan und festgestellt: Es stimmt, dass die Qualität des Managements den Unternehmenserfolg fördert – nur haben erfolgreiche Unternehmen deswegen noch lange nicht das bessere Management. Qualität treibt Erfolg, aber Erfolg nicht

13 Vgl. Blessin und Wick (2017). 14 Vgl. Feser et al. (2015).

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Kapitel 7 · Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt

unbedingt Qualität.15 Die vor allem in der US-amerikanischen Managementliteratur allgegenwärtige Beschreibung erfolgreicher Personen und Organisationen sowie der unreflektierte Vergleich des Verhaltens von Personen in vermeintlich erfolgreichen und nicht erfolgreichen Teams haben einer „Romantisierung“ von Führung Vorschub geleistet.16 Auch unsere gerade erwähnte Studie zeigt: Statt sich auf den direkten Zusammenhang zwischen Führungsverhalten und Unternehmenserfolg zu konzentrieren, ist es notwendig, die verschiedenen Faktoren in den Blick zu nehmen, die von Führung beeinflusst werden und zum Erfolg beitragen17. Dies gilt besonders für Führung im Team. Einen besonderen Beitrag dazu hat Ingela Jöns von der Universität Mannheim geleistet, die mit ihrem Team Fusions- und Veränderungsprozesse in Chemie- und Energieunternehmen begleitet und dabei über 700 Personen mit einem standardisierten Fragebogen zur Unternehmenskultur befragt hat.18 Auch in anderen Untersuchungen, z. B. bei interdisziplinären Teams in Krankenhäusern, wurde dieser Fragebogen eingesetzt. Die Ergebnisse zeigen, dass Struktur und Strategie ebenso viel zur Teamkultur beitragen wie Führungsverhalten – und dass die Teamkultur insgesamt Zufriedenheit und Leistung im Team bestimmt.19 Ingela Jöns und Kollegen haben aus ihren Daten ein Strukturmodell entwickelt, das Zusammenhänge von Struktur, Strategie, Zusammenarbeit/Teamarbeit und Führung aufweist. Das Ergebnis ist in . Abb. 7.2 dargestellt und zeigt, dass Führung eine vielfach vernetzte Wirkung hat. Führung wirkt nicht direkt auf einzelne Personen und deren Verhalten und auch nicht direkt auf Teamleistung und Organisationserfolg: Führung schafft einen Rahmen und bestimmt weitgehend, wie kooperativ und vertrauensvoll Menschen in Teams arbeiten können. Diese Rahmenbedingungen bestimmen dann über Erfolg und Misserfolg. Blaine Gaddis und Jeff Foster, die über 4000 Datensätze aus internationalen Studien zusammenfassen, kommen zu folgendem Schluss:20

» „Im Gegensatz zu herkömmlichen Vorstellungen … [zeigen]

Auswertungen von Managementdaten weltweit, dass für den Erfolg entscheidendes Führungsverhalten eher nach innen gerichtet ist, beispielsweise das Bemühen vertrauenswürdig

15 16 17 18 19 20

Vgl. Hasebrook und Singer (2015), Hasebrook et al. (2016). Vgl. Meindl et al. (1985). Vgl. Hackl und Gerpott (2015). Vgl. Jöns et al. (2005), Jöns (2015). Vgl. Körner et al. (2015). Gaddis und Foster (2015, S. 43).

7.4 · Teamführung

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. Abb. 7.2  Strukturmodell für Führung nach einem Fragebogen zur Erfassung der Unternehmenskultur in Veränderungs- und Fusionsprozessen. (Eigene Darstellung nach Jöns et al. 2005, S. 7)

zu sein und eine positive Einstellung zur Arbeit zu bewahren … In Bezug auf … Leistung [betreffen] die wichtigsten Führungseigenschaften interpersonelle Fähigkeiten“.

7.4.2  Starke Männer sind schlechte Führer

Psychopathen sind geschickt darin, andere Menschen mit oberflächlichem Charme zu blenden. Sie verfolgen rücksichtslos, manipulierend und betrügerisch ihre Ziele und nehmen dabei bewusst in Kauf, anderen Menschen zu schaden. Gefühlskälte, Nichtbeachtung sozialer Normen, mangelndes Schuldbewusstsein sowie Risikoverhalten sind weitere Merkmale, die Psychopathen zugeschrieben werden. Paul Babiak und Robert Hare gehen von weniger als 1 % Psychopathen in der Normalbevölkerung aus. Im Gegensatz dazu schätzen sie den Anteil bei inhaftierten Straftätern auf 15 % und bei Topmanagern – leider – auf bis zu 3 %.21 Es besteht eine große Überschneidung

21 Vgl. Babiak und Hare (2006).

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Kapitel 7 · Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt

dieser genannten Verhaltensweisen zu den Symptomen der dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD-10).22 Auch wenn mittlerweile viele unterschiedliche Studien zeigen, dass interpersonelle Fähigkeiten der Führungskräfte das Leistungsverhalten der Mitarbeiter positiv beeinflussen, herrscht oftmals noch die Überzeugung vor, dass in erster Linie Attribute des „starken Mannes“, wie Entschlossenheit, Dominanz und Überzeugungskraft, ideale Führungseigenschaften seien, wie das Beispiel der Münchener Jungen Löwen verdeutlicht. Eine extreme Variante davon sind Verhaltensweisen, die der sogenannten „Dunklen Führung“ oder „Dark Leadership“ zugeschrieben werden und sich auf „Narzissmus“, „Machiavellismus“ und „Psychopathie“ beziehen.23 Narzissten haben die Überzeugung, großartig und von besonderer Bedeutung zu sein. Sie übertreiben ihre Leistungen und erwarten Bewunderung oder Sonderbehandlung durch andere, ohne selbst empathisch zu sein und sich um die Bedürfnisse anderer zu kümmern. Um ihre Ziele zu erreichen, neigen Narzissten dazu, andere Menschen auszunutzen. Narzisstische Führungskräfte fühlen sich aufgrund ihrer Selbstüberschätzung meist überqualifiziert für ihren Job und meinen daher, Anspruch auf eine bessere Stelle zu haben. Die aufgrund objektiver Maßstäbe, z. B. Bildungsabschlüsse, tatsächlich Überqualifizierten streben im Gegensatz dazu seltener höhere Stellen an.24 „Machiavellismus“ wurde nach dem italienischen Philosophen und Politiker Niccolò di Bernardo dei Machiavelli (1496–1527) benannt, der sich in seinem Hauptwerk „Der Fürst“ (ital. „Il Principe“, 1513) mit Machtausübung und -erhalt beschäftigte. Machiavellisten weisen ein absolutes Machtstreben auf und verfolgen berechnend, rücksichtslos und manipulierend ihre Ziele.25 Trotz der aufsehenerregenden Befunde von Babiak und Hare muss das Konzept der „Dunklen Führung“ mit Vorsicht betrachtet werden. So werden unterschiedlich gemessene, keineswegs überschneidungsfreie Merkmale zusammengefasst und so gesehen, als gehörten sie zu einem Persönlichkeitskonstrukt, das sich mit Berufs- und

22 Psychopathie ist keine anerkannte Diagnose. Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD, englisch: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) dient der Diagnostik körperlicher und psychischer Erkrankungen. In der aktuellen Version 10 werden die Symptome der „Dissozialen Persönlichkeitsstörung“ beschrieben (ICD-10 F60.2). Eine Übersicht über dieses Störungsbild gibt Boetsch (2008). 23 Vgl. Babiak et al. (2010), Furtner (2017). 24 Vgl. Maynard und Brondolo (2015). 25 Vgl. Schwarzinger und Schuler (2017).

7.4 · Teamführung

Organisationserfolg direkt in Verbindung setzen lässt.26 Unstrittig sind Hinweise darauf, dass ein wenig Machiavellismus der Karriere durchaus nutzt.27 Dabei geht es aber weniger um Manipulation und Heimtücke, sondern vielmehr um den politisch geschickten Umgang mit anderen Führungskräften und verschiedenen Interessensgruppen28. 7.4.3  Führen mit Werten

Bei Untersuchungen zu der Frage, wie Führungskräfte die Teamleistung verbessern können, spielt zunehmend die Idee der „ethischen Führung“ eine Rolle. Zwar waren die Themen „Ethik in Unternehmen“ und „ethische Führung“ schon lange Gegenstand von Diskussionen – aber systematische Untersuchungen über den Zusammenhang von ethischem Verhalten und (Team-)Leistung gibt es erst seit wenigen Jahren. Das Team um Linda Klebe Treviño an der Penn State University unterscheidet bei ethischer Führung zwischen „moralischer Person“ und „moralischem Management“29: Moralische Personen sind vertrauenswürdig, ehrlich und beständig, sie halten sich selbst an ethische Werte und achten auf deren Einhaltung, moralisches Management beruht auf offener und ehrlicher Kommunikation.30 Es ist natürlich wünschenswert, wenn sich Führungskräfte nach ethischen Prinzipien verhalten. Nur: Wirkt sich dies auch messbar positiv auf die Leistung von Teams und Organisationen aus? Eine Meta-Analyse mit 89 Studien und insgesamt fast 30.000 Studienteilnehmern zeigt, dass es so ist: Ethische Führung wirkt positiv auf Mitarbeiterzufriedenheit, -bindung und -leistung.31 Die entscheidende Größe scheint dabei das Vertrauen in die jeweilige Führungskraft zu sein. Doch so einfach lassen sich diese Ergebnisse nicht auf Teams übertragen. Unsere eigenen Untersuchungen zeigen, dass ethische Führung nicht direkt auf Teamleistung wirkt. Dazu haben wir 23 Teams mit 214 Teammitgliedern in deutschen Krankenhäusern untersucht.32 Erwartungsgemäß zeigte sich, dass die Mitglieder von Teams, die ihre Führung als moralisch erlebten, zufriedener mit ihrer Arbeit waren. Wurden Führungskräfte als wenig moralisch bewertet,

26 27 28 29 30 31 32

Vgl. Miller et al. (2019). Vgl. Zettler und Solga (2013). Vgl. Brouer et al. (2013). Vgl. Treviño (1986), Treviño et al. (2003), Treviño und Brown (2004). Vgl. Brown und Mitchell (2010). Vgl. Ng und Feldman (2015). Vgl. Hackl und Gerpott (2015).

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Kapitel 7 · Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt

7 . Abb. 7.3  Zusammenhang von Führung und Teamleistung. (Eigene Darstellung nach Hackl und Gerpott 2015)

war die Arbeitszufriedenheit nur dann hoch, wenn die Teammitglieder hohe gegenseitige Unterstützung erlebten. Ethische Führung hatte keinen direkten Einfluss auf die Teamleistung. Gegenseitige Unterstützung im Team war der wichtigste Faktor zur Steigerung der Teamleistung. Entscheidend scheint die Wechselwirkung zwischen ethischer Führung und Teamunterstützung zu sein: Da ethische Manager selbst unterstützen und zur Unterstützung ermutigen, führt ethische Führung zu höherer gegenseitiger Unterstützung und diese dann zu mehr Leistung im Team (. Abb. 7.3). 7.4.4  Führung in Teams, die sich selbst führen

In Sportmannschaften findet häufig „verteilte Führung“ statt. Zwar ist Führung traditionell meist in Bezug auf die Rolle des Trainers untersucht worden, aber neuere Studien zeigen das Potenzial „verteilter Führung“ (engl. „shared leadership“) im Sport: Wenn die Sportler untereinander selbst Führungsrollen übernehmen, steigert dies Zufriedenheit, Zuversicht sowie Teamzusammenhalt und -leistung.33 Daher ist es bei Teams im Sport und im Unternehmen wichtig, dass „ernannte“ Führungskräfte, z. B. Trainer und leitende

33 Vgl. Fransen et al. (2015).

7.4 · Teamführung

­ anager, verteilte Führung erkennen und diese informellen M Führungskräfte aktiv einbeziehen und unterstützen. Auch Untersuchungen in Start-up-Unternehmen haben ergeben, dass Teams in diesem Bereich stärker mit verteilter Führung arbeiten als in alteingesessenen Firmen: Unterstützende und lernorientierte Führung hat bei Start-ups eine große Wirkung und ist direkt mit dem Unternehmenserfolg verbunden, während der Zusammenhang zwischen Führung und Leistung bei etablierten Firmen schwächer ausgeprägt und indirekt ist.34 Wie aber funktioniert Führung in Teams, in denen es – zumindest scheinbar – keine Führung gibt? Diese Frage stellt sich, weil es immer weniger Teams in strikten Hierarchien geführt durch nur eine Person gibt, sondern Teams an Bedeutung gewinnen, die sich selbst managen und organisieren. Im Kapitel „Teams und Ziele“ stellen wir unter der Überschrift „Selbstorganisierte Teams – beliebig oder zielstrebig?“ die verschiedenen Teamarten vor. Aktuelle Forschungsübersichten zeigen, dass selbstgeführte Teams ebenfalls verteilte Führung entwickeln. Verteilte Führung ist insbesondere dann wichtig, wenn Projekte abgeschlossen, Entscheidungen getroffen und Veränderungen umgesetzt werden sollen.35 Untersuchungen dazu, wie verteilte Führung entsteht, zeigen, dass dies nicht einfach durch Gruppenentscheidung und Ernennung geschieht, sondern dass sich dies während der Teamarbeit entwickelt. Führungsaufgaben übernehmen dann Personen, die auch außerhalb ihrer eigentlichen Teamrolle Aufgaben übernehmen und anderen helfen. Wichtig scheint dabei zu sein, dass sie eine hohe Lern- und Anpassungsbereitschaft beibehalten und nicht irgendwann in eine starre (Führungs-)Rolle verfallen.36 Die vielleicht am weitesten verbreitete Beschreibung von verteilter Führung stammt von Craig Pearce und Jay Conger aus ihrem Buch „Shared Leadership“37:

» „Ein

dynamischer Prozess gegenseitiger Beeinflussung zwischen Individuen in Gruppen, die die Absicht haben sich gegenseitig zu führen, um Team- oder Organisationsziele zu erreichen. […] Dieser Beeinflussungsprozess ist lateral (d. h. betroffen sind Mitarbeiter auf gleicher Ebene, d. Aut.) und zu anderen Zeiten auf- und abwärts in der Hierarchie.“

Der Grund, warum verteilte Führung erst allmählich entsteht, ist, dass schrittweise „psychologische Sicherheit“ aufgebaut werden muss – erst dann können mehrere 34 35 36 37

Vgl. Peterson et al. (2003), Hackl und Gerpott (2015). Vgl. Übersicht in de Cruz (2019). Vgl. Lee und Paunova (2017). Pearce und Conger (2003, S. 1).

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Kapitel 7 · Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt

­ eammitglieder Führungsrollen einnehmen, die mit der Zeit T wechseln und sich verändern können.38 Von sich selbst sehr überzeugte, narzisstische Führungskräfte, meist Männer, die sich als starke „Macher“ und „Entscheider“ sehen, sind also nicht etwa der Idealtypus von Führung, sondern eher das Gegenteil von wirksamer, ethischer Führung – egal, ob auf eine Person konzentriert oder verteilt im Team. 7.4.5  Führen auf Distanz: Führung virtueller

Teams

7

Die Fähigkeit zur Selbstführung ist für virtuelle Teams besonders wichtig, da die Teammitglieder räumlich getrennt arbeiten, möglicherweise sogar in getrennten Zeitzonen und in verschiedenen Sprachen. Führungskräfte haben daher weniger Möglichkeiten, die Teamarbeit zu überwachen und Einfluss auf Teammitglieder zu nehmen. Sie verfügen auch über weniger aktuelle und umfassende Informationen hinsichtlich sozialer und arbeitsbezogener Teamprozesse. Daher ist eine stärkere Selbstführung im Team nicht nur wünschenswert, sondern bei virtuellen Teams sogar notwendig.39 Funktionieren Kommunikation und Aufgabenabstimmung weitgehend selbstgesteuert, dann können virtuelle Teams sogar leistungsfähiger sein als Teams, die an einem Ort zusammenarbeiten (7 Abschn. 15.4.1). Virtuelle Teams, die über eine starke Selbstführung verfügen, sind deswegen keineswegs führungslos: Zum einen übernimmt jedes Teammitglied ein Stück der Führungsverantwortung, zum anderen müssen Führungskräfte viel stärker auf verschiedene Arbeitsanforderungen im Team und auf die jeweils individuelle Arbeitssituation der Teammitglieder eingehen. Aus der Berücksichtigung all dieser Aspekte entsteht „situative Führung“.40 Da eine funktionierende verteilte Führung ein zentraler Erfolgsfaktor für virtuelle Teams ist, könnte man denken, dass Führungskräfte umso weniger Einfluss auf die Teamleistung haben, je „virtueller“ ein Team ist, also je mehr seine Mitglieder zeitlich und räumlich entkoppelt arbeiten. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, wie Vergleichsstudien zeigen: Je virtueller die Teamarbeit und je komplexer die Aufgabenstellung sind, desto einflussreicher ist die Führungskraft. Denn die Führungsperson ist der zentrale Bezugspunkt

38 Vgl. Lee und Paunova (2017), Peterson et al. (2009). 39 Vgl. Dulebohn und Hoch (2015, 2017). 40 Vgl. Hersey (1984), Kouzes und Posner (2004), Hersey et al. (2008).

7.4 · Teamführung

bei der Fokussierung auf gemeinsame Ziele und Einhalten der Teamregeln. Zudem wirkt sie moderierend bei Konflikten und Problemen im Team.41 Auch für Konfliktlösungen gilt: Die Führungskraft nimmt den Teammitgliedern Entscheidungen nicht ab, sondern unterstützt sie dabei, ihre Kompetenzen zur Konfliktlösung zu verbessern und zu eigenen Lösungen zu gelangen. Je größer und arbeitsteiliger die Teams werden, umso mehr muss die Führung leisten, denn mit der Größe und Komplexität steigt die Menge der Kontaktmöglichkeiten und Absprachen exponentiell an. Dadurch können Missverständnisse und Konflikte entstehen. Immer mehr Regeln und Formalismen helfen dann nur noch bedingt, gemeinsame Ziel- und Wertvorstellungen hingegen sehr (vgl. . Abb. 5.1).42 Die Führung virtueller Teams wird nicht nur komplexer, wenn Aufgaben schwieriger und Teams größer werden. Auch die zunehmende Internationalisierung von Teams spielt eine wichtige Rolle. Alle Mitglieder, insbesondere Führungskräfte von internationalen Teams, benötigen etwas, das die Managementprofessorin Soon Ang als „kulturelle Intelligenz“ (engl. „cultural intelligence“, CQ) bezeichnet. Sie meint damit die Fähigkeit, sich schnell auf Situationen und Personen aus anderen Kulturkreisen einzustellen. Dazu braucht es – zusätzlich zu Sprachkenntnissen – Selbstreflektion, Wissen über verschiedene Kulturkreise, Interesse und Motivation, sich mit kulturellen Unterschieden zu befassen, und das Einüben angemessener Verhaltensweisen.43 Für Führungskräfte internationaler virtueller Teams sind neben „kultureller Intelligenz“ ein transformationaler Führungsstil, der auf Vertrauen und Wertschätzung beruht, sowie umfassende Erfahrungen im Umgang mit Technik von zentraler Bedeutung. Dreh- und Angelpunkt der Führung virtueller Teams ist es, durchgängig das Vertrauen der Teammitglieder untereinander zu entwickeln und zu stärken. Diese Art der Führung schafft eine „digitale Kultur“, die Verbindungen nicht nur innerhalb, sondern auch zwischen Teams herstellt. Dadurch erhöht sich in der gesamten Organisation die Fähigkeit, komplexe Aufgabenstellungen in verteilten Teams mithilfe von Informationsund Kommunikationstechnologie zu bewältigen.44

41 42 43 44

Vgl. Liao (2017). Vgl. He und Puranam (2020). Vgl. Ang und Dyne (2008), Yari et al. (2020). Vgl. Rainbolt (2019), Cortellazzo et al. (2019).

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Kapitel 7 · Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt

Führung virtueller Teams ist also nicht einfach „Teamführung wie immer plus Technik“. Der Grund ist, dass Menschen sich in virtuellen Teams anders verhalten als in Teams vor Ort. Virtuelle Teams ähneln eher „minimalen Gruppen“, in denen allein die (oft willkürliche) Gruppenzugehörigkeit die Teamidentität bestimmt (7 Abschn. 5.4.1). In solchen Gruppen kommt es schnell zur Polarisierung und zum Entstehen von Subgruppen. Andere Teammitglieder werden dann nicht als Person, sondern als Zulieferer gesehen und bei Fehlern oder Verzögerungen schnell kritisiert. Dadurch schaukeln sich Konflikte auf. Die Neigung zur Polarisierung und Gruppenbildung ist in Gruppen mit einfach unterscheidbaren Merkmalen, wie z. B. der Nationalität, besonders ausgeprägt. Sie entspricht einem menschlichen Verhaltensmuster, das soziale Orientierung vereinfacht und die Identität der eigenen Gruppe stärkt (7 Abschn. 10.4.1). Wenn sich solche Stereotypen und Subgruppen entwickelt haben, ist es sinnvoll, im Umgang mit multikulturellen Gruppen erfahrene Moderatoren (engl. „multicultural broker“) zu Rate zu ziehen. Diese können helfen, anhand vertrauensbildender Maßnahmen (z. B. Teilen von Wissen) die Kooperation der Subgruppen zu verbessern und Vorurteile abzubauen.45 Problematisch für virtuelle Teams wirkt sich neben unzureichenden sozialen Kompetenzen aller Beteiligten auch mangelnde Akzeptanz von Technik aus. Der Hauptgrund für die Ablehnung neuer Technologien sind unzureichende Technikkompetenzen, was in der Regel ein Gefühl von Hilflosigkeit auslöst: Wenn die Technik nicht vertraut ist und der Abgabetermin immer näher rückt, versagen oft die Nerven.46 Ein anderes, eher verdecktes Problem in diesem Zusammenhang ist, dass Technik aus unterschiedlichen Gründen akzeptiert und genutzt werden kann. Dies führt ebenfalls zu Konflikten: Beispielsweise sehen die Teammitglieder Austauschplattformen als Möglichkeit für berufliche und private Kommunikation an, während Führungskräfte diese eher als Möglichkeit zu Strukturierung und Kontrolle nutzen (7 Abschn. 15.4.1). Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über Best Practices für die erfolgreiche Leitung virtueller Teams.47

45 Vgl. Eisenberg und Matarelli (2016). 46 Vgl. Schepers et al. (2005). 47 Zusammengestellt nach DeRosa und Leipsinger (2010).

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7.4 · Teamführung

Führungspraxis/Best Practice

Verhalten/Aktivitäten

Aufbau und Erhalten von Vertrauen

– Kommunikationsregeln und Verhalten klarstellen (z. B. positiver Sprachstil, keine Schuldzuweisung), positives Verhaltensbeispiel geben, Verstöße sofort benennen und Änderung einfordern – Bisherige Kommunikations- und Austauschgewohnheiten prüfen und umstellen (z. B. morgendliches Online-Teammeeting, explizite Agenda für Meetings, informeller Austausch z. B. durch „virtuellen Kaffeeklatsch“) – Informations- und Dokumentenaustausch gleichberechtigt und transparent organisieren (z. B. Dokumentenablage statt E-Mail, generell E-Mails vermeiden und Messenger nutzen) – Verantwortung und Nachteile gleich verteilen (Zuständigkeiten klären und einhalten, Bildung von Subgruppen verhindern, auf gleichmäßige Belastung insbesondere bei Deadlines achten)

Klärung und Nutzung verschiedener Teamrollen

– Vorhandene Expertise auch außerhalb der bisherigen Berufsrollen erkennen und nutzen (z. B. Erfahrungen aus dem Freizeitbereich) – Wissens-, handlungs- und kommunikationsorientierte Teamrollen gezielt besetzen und im Team rotieren – Unklarheiten ausräumen, aber Unsicherheiten und Meinungsunterschiede aushalten und nicht unterdrücken

Etablierung neuer Arbeits- und Meetingstrukturen

– Divergente Ideen (z. B. Brainstorming) asynchron vor Meetings abfragen, Konvergenz (z. B. gemeinsame Beschlüsse) synchron während Meetings herbeiführen – Jedes virtuelle Treffen auch zur Stärkung der sozialen Beziehungen nutzen (z. B. kurze Feedbackrunde zu Beginn und am Ende) – Während Meetings Aufmerksamkeit und Teilnahme sicherstellen, z. B. durch Nachfragen und Bitte um Ergänzung bei Personen, die sich nicht aktiv beteiligt haben – Am Ende des Meetings Dokumentation und „To-do-Liste“ für das gesamte Team sichtbar und zugreifbar zur Verfügung stellen (nicht nur per E-Mail versenden)

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Kapitel 7 · Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt

Führungspraxis/Best Practice

Verhalten/Aktivitäten

Überprüfung und Unterstützung der Teamentwicklung

– Schriftliche Kommunikation synchron (z. B. Messenger) und asynchron (z. B. Message Boards) auf Konflikte und Abweichungen prüfen und gegebenenfalls intervenieren – Gemeinsame Fortschritte und Arbeitsergebnisse sichtbar machen (z. B. Projektfortschrittsbericht oder Maßnahmenverfolgung) und Fokus auf positives Feedback legen

Sichtbarkeit und Zusammengehörigkeit des Teams

– Fortschritte und Ergebnisse dokumentieren und kommunizieren, Austausch mit Stakeholdern und Aufmerksamkeit/Feedback des Topmanagements sicherstellen

Stärkung individueller Teammitglieder

– Sicherstellen, dass alle Teammitglieder von der Teamarbeit profitieren und persönliche Beiträge ausreichend honoriert werden (z. B. Erwähnung bei Meetings, Teampunkte, Onlinezeremonie) – Bei Zugehörigkeit zu verschiedenen Teams und/oder Bereichen sicherstellen, dass alle Führungskräfte die individuelle Leistung kennen und anerkennen

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139 Literatur

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Kapitel 7 · Nieten, Schlangen und Nadelstreifen: Wie Führung auf Teams wirkt

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Lesetipp Einen umfassenden Überblick über Führungstheorien und -modelle mit praktischen Unternehmensbeispielen geben: Blessin, B., & Wick, A. (2017). Führen und führen lassen (8. Aufl.). Konstanz: UVK/UTB. Hintergründe und Erläuterungen zur „Dunklen Triade“ und zu einer „Psychologie des Bösen“ bieten die folgenden Bücher: Externbrink, K. &, Keil, M. (2018). Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie in Organisationen. Theorien, Methoden und Befunde zur dunklen Triade. Heidelberg: Springer. Shaw, J. (2018). Böse. Die Psychologie unserer Abgründe. München: Hanser.

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Teams und Vielfalt Inhaltsverzeichnis Kapitel 8 Kranke Teams machen krank: Mobbing, Sexismus, Rassismus und Gruppendruck – 145 Kapitel 9 Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung – 167

III

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Kranke Teams machen krank: Mobbing, Sexismus, Rassismus und Gruppendruck Inhaltsverzeichnis 8.1 Sieben Millionen Mobbingopfer am Arbeitsplatz – 146 8.2 Alltäglicher Sexismus und sexuelle Belästigung – 147 8.3 Interview: Kann Teamarbeit krank machen, Herr Artmann? – 149 8.4 Kranke Teams – 156 8.4.1 Dysfunktionale Teams und Mobbing – 156 8.4.2 Psychologische Sicherheit im Team – 157 8.4.3 Stress, Wohlbefinden und Teamgröße – 158 8.4.4 Krisen in Teams: Teams und Trauma – 160

Literatur – 163

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_8

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Kapitel 8 · Kranke Teams machen krank: Mobbing, Sexismus, Rassismus und Gruppendruck

8.1  Sieben Millionen Mobbingopfer am

Arbeitsplatz

► Einstieg ins Thema

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Teamarbeit kann krank machen, wie erschreckende Zahlen über das Mobbing am Arbeitsplatz zeigen.1 Rund eine Million Erwerbstätige, ca. 3 %, galten 2002 als betroffen. Das Mobbingrisiko war in sozialen Berufen besonders hoch, gefolgt von Berufen im Handel und in der Finanzdienstleistung. Junge Frauen und ältere Arbeitnehmer waren überdurchschnittlich häufig betroffen. Kündigung und Versetzung auf eigenen Wunsch waren die Folge. Fast alle Personen mit Mobbingerfahrungen (90 %) klagten über psychische und körperliche Probleme, zwei Drittel erkrankten und ein Fünftel musste eine stationäre Reha-Maßnahme antreten. Nach aktuellen Zahlen der Initiative gegen Cybermobbing und von Statista sind im Jahr 2019 rund 20–30 % der Erwerbstätigen, also über sieben Millionen Menschen, Mobbingopfer. Mobbing am Arbeitsplatz wird verstanden als systematisches Schikanieren, Drangsalieren, Benachteiligen und Ausgrenzen über einen Zeitraum von mehreren Wochen, Monaten oder Jahren hinweg. Mobbing vollzieht sich oftmals durch Verbreiten von Gerüchten, ungerechte Leistungsbeurteilung oder Vorenthalten wichtiger Informationen. Bei der Erhebung von 2002 waren die Täter oft Vorgesetzte, unterstützt von Kolleginnen und Kollegen. Die Schätzung der Folgekosten von Mobbing belief sich 2002 auf 11,2 Mrd. € an direkten Aufwendungen für Krankheitsbehandlungen und 13,4 Mrd. für indirekte Kosten, z. B. durch Produktionsausfall. Heute sind diese Kosten um ein Vielfaches höher, allein die Lohnfortzahlung bei Krankmeldung durch Mobbing wird mit 5 Mrd. € jährlich beziffert.◄

1 Der von der rot-grünen Bundesregierung 2002 beauftragte „Mobbing-Report“ ist die bisher einzige repräsentative Studie zu Mobbing in Deutschland (Meschkutat et al. 2002). Die Studie steht kostenlos online zur Verfügung unter: 7 www.no-mobbing.org/mobbing_report.pdf (zuletzt abgerufen am 12.07.2019); eine nicht repräsentative Studie aus 2018 stellt die Initiative gegen Cybermobbing zur Verfügung: 7 www.buendnis-gegen-cybermobbing.de/fileadmin/pdf/studien/mobbingstudie_erwachsene_2018.pdf.

8.2 · Alltäglicher Sexismus und sexuelle Belästigung

8.2  Alltäglicher Sexismus und sexuelle

Belästigung

Beispiel aus der Praxis In einer EU-Studie von 2004 waren in Europa durchschnittlich etwa 30–50 % der berufstätigen Frauen und etwa 10 % der berufstätigen Männer von sexueller Belästigung betroffen. Bei Frauen gingen in 75 % der Fälle die belästigenden Situationen von Männern aus, bei Männern ging ungefähr die Hälfte der Situationen ebenfalls von Männern aus, nur ein Viertel von Frauen und ein Viertel von gemischten Gruppen. Eine vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) durchgeführte Studie im Jahr 2004 und eine aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle von 2019 bestätigten diese Befunde weitgehend.2 Insgesamt 58 % aller befragten Frauen hatten sexuelle Belästigung erlebt. Über die Hälfte der Frauen gab an, per Telefon, E-Mail oder Brief bzw. durch Anstarren und Nachpfeifen belästigt worden zu sein, und ungefähr ein Drittel der Frauen berichtete von Kommentaren über ihren Körper, sexuellen Anspielungen und ungewollten Berührungen. Von sexueller Belästigung im beruflichen Kontext (Arbeit, Schule, Ausbildung) waren 22 % der befragten Frauen betroffen, und zwar häufiger, wenn sie keine berufliche Qualifikation aufwiesen, sich noch in der Probezeit befanden oder erst seit Kurzem im Betrieb waren. Geschlechtsbezogene Diskriminierung, auch Sexismus genannt, fußt auf geschlechtsstereotypischen, vorurteilsbezogenen und negativen Einstellungen, die zu abwertendem Verhalten führen und einen ungleichen sozialen Status von Frauen und Männern festigen. Obwohl sich Sexismus auf beide Geschlechter beziehen kann, konzentriert sich die Forschung auf Frauen, da diese häufiger betroffen sind. Offener Sexismus, wie z. B. in der katholischen Kirche, unterscheidet sich von der subtileren Form, die sich darin ausdrückt, dass jegliche Benachteiligung von Frauen geleugnet wird. Feindlicher Sexismus zeigt sich in offen negativen Einstellungen und negativem Verhalten gegenüber Frauen, während wohlwollender Sexismus mit scheinbar positiven Einstellungen ­gegenüber Frauen deren angebliche Schutzbedürftigkeit und

2 Vgl. Müller und Schöttle (2004), Studie der Antidiskriminierungsstelle von 2019, abrufbar unter: 7 https://www.antidiskriminierungsstelle.de/ SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/20191025_Studie_Sexuelle_Belaestigung.html (zuletzt abgerufen am 15.11.2019).

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Kapitel 8 · Kranke Teams machen krank: Mobbing, Sexismus, Rassismus und Gruppendruck

Abhängigkeit betont. Diese beiden Formen des Sexismus hängen miteinander zusammen, sie verstärken Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern.3 Auch wenn mehrheitlich Männer sexuelle Belästigungen ausüben und überwiegend Frauen davon betroffen sind, scheinen Männer und Frauen weitgehend darüber einig zu sein, welche Verhaltensweisen, Bemerkungen oder Witze sexuell belästigend sind. Dies konnte in einer Untersuchung mit Studierenden nachgewiesen werden. Sogenannte Analogstudien, in denen weibliche Versuchspersonen in scheinbaren Realsituationen (z. B. dachten die Frauen, dass sie an einem Bewerbungsgespräch teilnehmen) sexueller Belästigung ausgesetzt waren, zeigen zudem, dass es für die Betroffenen sehr schwer ist, sich zur Wehr zu setzen. Während die Frauen vor einer solchen Situation dachten, dass sie im Falle von sexueller Belästigung Ärger empfinden würden, war in der scheinbaren Realsituation Furcht die vorherrschende Emotion.4 Dass Frauen sich bei sexueller Belästigung überwiegend passiv verhalten und auch danach häufig von Beschwerden absehen, hat verschiedene Gründe: In der Situation verspüren die Betroffenen oft Angst oder Furcht, diese Emotionen gehen mit vermeidendem und nicht mit konfrontativem Verhalten einher. Sexuell belästigendes Verhalten ist oft mehrdeutig, was es für die betroffenen Frauen erschwert, zu entscheiden, ob sie sich zur Wehr setzen sollen. Häufig werden Belästigungen in scheinbar sachliche Handlungen eingebunden, was Verteidigungsmaßnahmen ebenfalls erschwert, da die Belästiger sich auf die „Unverfänglichkeit“ der Situation beziehen können. Eine direkte Konfrontation oder Beschwerde ist darüber hinaus oft mit negativen sozialen Konsequenzen für die Betroffenen verbunden.5

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Portrait Thomas Artmann, Geschäftsführer Eudemos GmbH

Thomas Artmann

Herr Thomas Artmann ist Diplom-Psychologe und seit 2001 als Berater, Trainer und Coach in Wirtschafts- und Industrieunternehmen tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte sind modernes, betriebliches Gesundheitsmanagement, Führungskräfteentwicklung, effiziente Kommunikation, die

3 4 5

Vgl. Diehl et al. (2012, 2014). Vgl. Woodzicka und LaFrance (2001), Vanselow (2009). Vgl. Woodzicka und LaFrance (2001), Roy et al. (2009).

8.3 · Interview: Kann Teamarbeit krank machen, Herr Artmann?

Stärkung der Arbeitgeberattraktivität sowie organisationales Lernen innerhalb von Unternehmen. Seine Erfahrungen als Unternehmensberater und Prozessoptimierer sowie als privater Psychotherapeut, seine fotografischen und künstlerischen Fähigkeiten und sein fundiertes medizinisches Wissen vereint er in spannenden Keynotes, Lernkonzepten und Seminaren.

8.3  Interview: Kann Teamarbeit krank machen,

Herr Artmann?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

In meiner eigenen Firma habe ich natürlich ein Team, mit dem ich sehr eng zusammenarbeite. Und da versuche ich auch das, was man über moderne Teamarbeit kennt, umzusetzen: hohe Freiheitsgrade und eine hohe Gleichrangigkeit in vielen Punkten. Ansonsten habe ich, da ich schon so lange selbstständig bin, wenig in geführten Teams gearbeitet. z Was waren prägende Teamerfahrungen für Sie? Haben Sie prägende Teamerfahrungen gemacht?

Ich war fünf Jahre angestellt als Unternehmensberater, und das war schon prägend und auch nicht nur gut. Ich bin damals als Juniorberater in ein Team von mehreren gleichaltrigen, gleich ausgebildeten Leuten reingekommen und war innerhalb kürzester Zeit Key Accounter für einen großen Kunden. Ich habe dort sehr spannende Projekte gemacht, auch fremdsprachliche Projekte, alleine und international. Meine Kollegen waren zu dieser Zeit noch viel im Innendienst und machten viele Zuarbeiten. Das hat dann sehr dazu geführt, dass ich aus dem Team herausgefallen bin und eher weniger beliebt, fast ausgestoßen war, weil ich als Überflieger galt, und das wurde nicht so gern gesehen. z Die prägende Teamerfahrung war für Sie eher negativ besetzt?

Nicht immer, aber das war eine prägende aus meiner Anfangszeit, als ich noch in einem Angestelltenverhältnis gearbeitet habe. z Haben Sie auch positiv prägende Teamerfahrungen gemacht?

Als Geschäftsführer mit meinem Team natürlich – ich neige dazu, sehr unterschiedliche Leute einzustellen, die sehr spezielle Fähigkeiten oder Sonderbegabungen haben. Zum Beispiel jemanden, der sehr genau ist, oder ich habe auch schon

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Kapitel 8 · Kranke Teams machen krank: Mobbing, Sexismus, Rassismus und Gruppendruck

einmal jemanden mit Asperger-Syndrom eingestellt. Und das waren bisher eigentlich immer die Mitarbeiter, die am besten waren, weil sie sehr präzise, aber auch sehr engagiert gearbeitet haben. Mit ihnen gab es wenig persönliche Schwierigkeiten. Jemand, der wie ich „high sensitive“ ist, neigt dazu, Leute zu überfordern.6 Wenn aber Teams mehrere hochsensible Personen umfassen, dann funktioniert das meist ganz gut. z Hat das Ganze dann auch mit Augenhöhe zu tun?

Ja, mit Augenhöhe und damit, wie wir denken – das bedeutet, ein sehr schnelles, vernetztes, verknüpftes, komplexes Denken. Dass wir in der Lage sind, Komplexität auch abzubilden und auch auszuhalten und damit zu arbeiten.

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z Im Hinblick auf welches Ziel würden Sie heute im Team arbeiten und wann würden Sie auf gar keinen Fall im Team arbeiten?

Bei wichtigen Dingen, bei denen wirklich Geld und Existenz dranhängt, würde ich nicht mehr in einem gleichrangigen Team arbeiten. Da würde ich immer so arbeiten, dass ich die Entscheidung habe, um einfach gewisse Dinge nicht in Gefahr zu bringen. Denn als ich die Firma mit mehreren Partnern, die von der Vertragsnatur her gleichrangig, aber in ihrem Qualitätsverständnis und ihrer Kompetenz sehr unterschiedlich waren, gegründet habe, habe ich die Erfahrung gemacht, dass zwar alle die gleiche Macht haben wollten, aber nicht die gleichen Pflichten. Das hat sehr viel Geld und sehr viel Nerven gekostet. Deswegen würde ich immer versuchen, die wichtigen, existenziellen Themen immer selbst in der Hand zu behalten und dann gerne mit einem Team arbeiten, das dann geführt wird, aber nicht als Gleichrangiger. Da bin ich, glaube ich, ein wenig ein „gebranntes Kind“. z Kann Gruppendruck krank machen – und wie passiert das?

Also die Antwort ist eindeutig: Ja. Ich denke, dass Menschen dazu neigen, sich wohlzufühlen bei Menschen, die ihnen ähnlich sind. Und dass Anders-Denkende oder

6 Der Begriff Hochsensibilität (im Englischen „high sensitivity“) bezieht sich darauf, dass Betroffene Sinnesreize stärker wahrnehmen, tiefgründiger verarbeiten und auch stärker darauf reagieren als der Bevölkerungsdurchschnitt. Die US-amerikanische Psychologin Elaine Aron beschäftigt sich seit 1997 mit diesem Phänomen. Die psychologisch-neurowissenschaftliche Forschung zum Thema „Hochsensibilität“ steht allerdings noch am Anfang. Eine aktuelle Diskussion findet sich bei Greven et al. (2019).

8.3 · Interview: Kann Teamarbeit krank machen, Herr Artmann?

Anders-Arbeitende, Anders-Empfindende häufig, vor allen Dingen dann, wenn es soziale Vergleichsprozesse gibt, abgelehnt werden. Das hat sehr viel damit zu tun, dass Menschen versuchen, ihren Selbstwert hochzuhalten und möglichst nicht in Gefahr zu bringen. Es ist eines von den psychologischen Grundbedürfnissen, die auch z. B. von Klaus Grawe beschrieben worden sind: der Selbstwertschutz oder auch die Selbstwertsteigerung.7 Und Selbstwert kann in heterogenen Teams mit gleichen Kompetenzen sehr schnell angegriffen werden. Denn dann muss ich davon ausgehen, wenn ich schlechter bin als andere, dass es dann auch wirklich an mir liegt. Das ist natürlich selbstwertgefährdend. Und diese Selbstwertgefährdung führt wiederum zu Ausstoßprozessen. Und wenn man es als Führungskraft nicht hinbekommt, dass das Nebeneinander verschiedener Geschwindigkeiten, das Nebeneinander von verschiedenen Kompetenzen und so weiter, nicht selbstwertdienlich ist, dann zerstört sich das Team auf lange Sicht oder es mittelt sich auf einem niedrigen Leistungsniveau ein. z Wie genau kann dieser Gruppendruck dann krank machen?

Im schlimmsten Fall durch Mobbing, das ist sehr perfide. Aber es kann auch einfach durch Ausstoßen sein. Indem man mit jemandem nicht in die Mittagspause geht, nicht mit ihm spricht oder indem man einen Einzigen siezt und alle anderen duzen sich. Wenn man Menschen in Teams ausstößt, weil sie beispielsweise eine andere Hautfarbe, einen anderen Hintergrund, schwul, lesbisch, zehn Jahre jünger oder älter sind. Das findet ja tatsächlich statt. Es gibt ganz viele Mikrosignale, die zeigen „Du gehörst nicht dazu“. Klaus Grawe hat eine Grundbedürfnistheorie aufgestellt, die besagt, dass das erste Grundbedürfnis Bindung und Zugehörigkeit ist. Und das ist eben wichtig, dass ich als Führungskraft die Bindung hinkriege. Und als zweites muss ich den Selbstwert schützen. Und wenn das nicht gelingt, dann werden die Leute krank. Und zwar auch deshalb, weil sie unglücklich sind, weil sie eine negative Spannung erleben, weil die Arbeit zum

7 Klaus Grawe hat in seiner „Konsistenztheorie“ vier Grundbedürfnisse definiert: 1) Bindung, 2) Selbstwertschutz und -erhöhung, 3) Orientierung und Kontrolle, 4) Lustgewinn und Unlustvermeidung (vgl. Grawe 2004). Klaus Grawe (1943–2005) war einer der prägenden Wissenschaftler der Klinischen Psychologie, der sich von der Schulen-Orientierung in der Psychotherapie löste und stattdessen die Forschungsperspektive für eine Allgemeine Psychotherapie betonte – entsprechend dem Vorgehen in der „Evidenzbasierten Medizin“ (vgl. Grawe et al. 1994).

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Kapitel 8 · Kranke Teams machen krank: Mobbing, Sexismus, Rassismus und Gruppendruck

­ ampfplatz wird, weil die Arbeit dann eben kein Ort von K Wohlgefühl, von Harmonie oder von Freundschaft ist. Das ist an vielen, vielen Orten so, dass die Menschen dorthin gehen mit einem Grummeln oder Angst im Bauch. z Wie entsteht Mobbing? Gibt es typische Täter- und Opferprofile?

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Ich bin kein Mobbingexperte, aber ich glaube, dass das sehr unterschiedlich ist. Manchmal ist es eher ein Gruppenphänomen, bei dem sich die Majorität einer Gruppe zusammenschließt und gar nicht erkennt, dass sie Mobbing betreibt. Ich glaube, das machen die einfach als kleine Sticheleien oder tun das als „Spaß“ ab. Sie verstehen nicht, dass das sehr verletzend ist. Das sind dann Gruppenprozesse, bei denen der Einzelne gar nicht sagt: „Ich bin jetzt verantwortlich“, sondern das baut sich auf und schaukelt sich hoch. Und meistens ist es so, dass der, der sich ungerecht behandelt fühlt oder behandelt wird, nicht korrekt reagiert. Eigentlich gibt es auch kaum eine Möglichkeit, korrekt zu reagieren. Denn wenn er oder sie dann offen sagt, „Ich werde gemobbt“, dann gilt er als „Petze“, dann hat die Majorität „das Recht“, ihn weiter zu mobben. Wenn er aber quasi „zurückschlägt“, dann gilt er als Aggressor und darf zurückgemobbt werden. Das ist ziemlich perfide. Es gibt aber natürlich auch ganz systematisches Mobbing mit einer Agenda dahinter. Zum Beispiel, wenn es um Karriere, um Geld oder Beförderungen geht, dann wird es schlimmer. Aber in der Regel sind das eher Ausstoßungsprozesse. Und ich glaube, dass es keine klassischen Täter-/ Opferprofile gibt, sondern dass das sehr davon abhängt, wer die Majorität ist: zum Beispiel eine Frau in einer Gruppe von Männern, ein Mann in einer Gruppe von Frauen, ein Junger in einer Gruppe von Älteren, ein Älterer in einer Gruppe von Jüngeren. Also wenn sich immer die Gleichen zusammenrotten, weil sie das Andersartige eben nicht anerkennen oder verachten. z Wo entsteht Sexismus und Rassismus? Wie wirkt sich das auf Teams aus?

Ich glaube, mehr als wir denken. Ich bin als Berater auch in Produktionsbereichen unterwegs, und kriege mit, dass es dort viel nationale Grüppchenbildung gibt. Viele Polen in der einen Schicht, viele Türken in einer anderen Schicht und so weiter. Dadurch passiert tatsächlich klassische Ausstoßung, beispielsweise wenn ein Deutscher in der Schicht mit ganz vielen Türken arbeitet oder ein Türke in einer Schicht mit ganz vielen Polen: Dann wird eben polnisch geredet und der Türke versteht nichts. Da müssen Unternehmen reagieren

8.3 · Interview: Kann Teamarbeit krank machen, Herr Artmann?

und so planen, dass die Schichtpläne gemischtsprachig sind, und Deutsch die Hauptsprache ist und so weiter. Sexismus halte ich für grassierend. Das ist aus meiner Sicht etwas, das gerade Männern überhaupt nicht präsent ist, was sie dort tun. Ich glaube, die halten das oft einfach für einen Scherz oder finden es witzig. Das kommt, glaube ich, sehr häufig vor. z Was kann man tun gegen Mobbing, Sexismus und gegen Rassismus? Was sind wirksame Gegenmaßnahmen?

Es ist eine Frage von Führung. Ich erlebe momentan viele Führungskräfte als überfordert, weil sich die Arbeit aufgrund der Technisierung, Digitalisierung oder Roboterisierung so verdichtet, dass eigentlich nur noch die komplexe Arbeit übrig bleibt. Diese Verdichtung führt dazu, dass sich die Art der Arbeit gerade zweiteilt. Also, wir haben auf der einen Seite die Arbeitsplätze, die sehr stark roboterisiert und voll automatisiert sind, wo die Leute eigentlich nur noch Tätigkeiten ausführen, wofür Roboter zu teuer sind. Das ist meist eine komplett langweilige Arbeit. Auf der anderen Seite gibt es Arbeit, die zunehmend VUCA8 ist. Aber die Führungskräfte sind nicht vorbereitet auf diese unterschiedliche Art zu führen. Wenn man z. B. Mobbing oder Rassismus oder auch Sexismus verhindern will, muss man bei diesen stark roboterisierten, automatisierten Arbeitsplätzen eine sehr enge Teamführung und auch Teamentwicklung haben. Das bedarf sehr klarer Regeln und Kontrollen, und man muss konsequent sein, wenn etwas passiert. Bei den VUCA-Arbeitsplätzen ist es so, dass es häufig Leute gibt, die sehr karriereorientiert sind, die einen Arbeitsplatz nur als Sprungbrett für den nächsten verstehen und sehr rücksichtslos sind. Hier wird Mobbing eher auch aus Kalkül heraus gemacht. Aber wenn das so kalkuliert ist, oder wenn eine Unternehmenskultur so ausgelegt ist, dass die Vorstände oder Geschäftsführer selbst so drauf sind, dass man z. B. Führungsriegen nur aus Männern zusammensetzt, dann tritt das verstärkt auf. Eine starke Diversifizierung der Führungsgeschlechter, also mehr Frauen in Führungspositionen, ist ein ganz wichtiges Thema, um gegen Mobbing, Sexismus und Rassismus vorzugehen. Es braucht auf jeden Fall auch vertrauliche Stellen, die nicht im Hierarchiekontext aufgehängt sind, also sowas wie eine Mobbingberatungsstelle oder eine Mediationsberatung. Also Beratungsstellen, wo man sich hinwenden kann, wenn man betroffen ist. Das muss im R ­ ahmen

8 Anm. d. Aut.: Abkürzung für engl. „Volatile, Uncertain, Complex, Ambigue”, deutsch: wechselhaft, unsicher, komplex und mehrdeutig.

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Kapitel 8 · Kranke Teams machen krank: Mobbing, Sexismus, Rassismus und Gruppendruck

von Gesundheitsmanagement einfach als Angebot automatisch vorhanden sein. z Welche Rolle spielt denn Unsicherheit in Bezug auf Mobbing, Sexismus und Rassismus sowohl beim Opfer als auch beim Täter?

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Also beim Opfer ist klar – das ist ja schon ein psychologischer Allgemeinplatz –, dass unsichere Menschen als leichtere Opfer wahrgenommen werden können. Das ist aber fast schon platt, das zu sagen. Bei den Tätern, glaube ich, wird die Unsicherheit häufig überspielt. Auch narzisstische Menschen sind an sich sehr unsicher, aber die Unsicherheit ist so stark verdrängt und so stark angstbesetzt, dass sie selbst nicht wahrgenommen werden darf. Sie nehmen sich selbst als sehr stark wahr und sehr klar und kriegen eigentlich gar nicht mit, dass sie durch ihre geistige Enge und durch die geistige Rigidität, die sie haben, dann andere verletzen und ausstoßen und sie sich dadurch erst ihre vermeintliche Sicherheit aufbauen. Also das Gefühl durch Ausstoßung von Unbekanntem eine eigene Sicherheit zu konstruieren, das ist ein Klassiker. Und eigentlich wäre die Konfrontation mit der eigenen Unsicherheit und auch das Sich-Hinterfragen „Wer bin ich, und wo muss ich mich justieren, wo muss ich lernen, wo muss ich mich verändern?“ – diese ständige Selbstaktualisierung, die muss geleistet werden. Aber viele Menschen denken, das wäre nicht notwendig, sich selbst zu aktualisieren. Und dann wird die Unsicherheit eben durch Ausblendung, durch Zurückweisung der Realität, durch Gestaltung der Realität, überspielt. Denn wenn ich mich selbst nicht ändern will, dann muss ich andere ändern. Und das kann ich unter anderem durch Mobbing erreichen. Das ist häufig eine Verweigerung, sich selbst verändern zu wollen. Und dann manipuliere ich andere, bis die Wirklichkeit so ist, wie ich sie haben will. z Was können denn die Opfer tun, um vielleicht auch einen Sinneswandel bei den Tätern herbeizuführen? Gib es da irgendwelche Mechanismen, die man da anwenden kann?

Es kommt darauf an, wie früh oder wie spät es ist. Also wenn es eine richtig krasse, auch strafbare Handlung ist, dann geht eigentlich nur noch, dass man das auch gerichtlich verfolgt. Wenn es noch in einem Bereich ist, wo man sagen kann, das ist noch heilbar, dann glaube ich, dass es wichtig ist, dass man als Mensch erlebbar wird. Das heißt beispielsweise, dass man seine Kultur oder Herkunft darstellt; zum Beispiel, indem man die Fluchtgeschichte erzählt. Oder dass man einfach über Geschichte, über Religion, über Feste oder über Familie erzählt. Dadurch findet eine Vermenschlichung statt,

8.3 · Interview: Kann Teamarbeit krank machen, Herr Artmann?

was gut ist. Vermenschlichung heißt, den anderen als Mensch wahrnehmen. Also Martin Buber sagt ja immer: „Dem anderen als ich und du begegnen, und nicht als ich und es.“ Denn der andere ist kein Objekt, sondern der andere ist ein Gegenüber. Und diese echte Menschbegegnung hilft, wenn der andere, also der „Täter“, erlebnisfähig ist, wenn er berührt sein möchte oder berührt werden darf. Und ich glaube, das ist die große Kunst, aber das kann das „Opfer“ nicht immer steuern. Das muss manchmal auch einfach vorgelebt werden. Also wenn die Führungskraft z. B. weiß, was Ramadan ist oder die muslimischen Feste kennt und auch darauf eingeht; zum Beispiel, indem man fragt: „Wie willst du damit umgehen, wenn du jetzt fastest, willst du andere Schichten haben?“ z Wie kann man erreichen, dass jemand sich selbst wieder auf den aktuellen Stand bringt? Wie kann man das unterstützen?

Mittlerweile machen viele Firmen sogenannte Personalrochaden. Das heißt, sie machen den gesamten inneren Stellenmarkt auf, und alle Mitarbeiter aus dem Bereich müssen sich neu bewerben und begründen, warum sie auf eine Stelle wollen. Ich habe das lange Zeit nicht verstanden, aber das ist gar nicht so schlecht, weil man dadurch Leute dazu kriegt, sich völlig neu einzudenken. Und da erlebe ich sehr viel Bewegung, sehr viel Neues, sehr viel Lernen und Achtung füreinander. Selbstaktualisierung ist eigentlich etwas, was man in einer Therapie macht. Das ist die große Kunst, sich zu erlauben, sich infrage zu stellen und sich verändern zu dürfen. Und auch mit sich nicht kongruent zu sein, sondern sich zu erlauben, dass man sich selbst widerspricht. Ich glaube, dass die Verhinderung von Selbstaktualisierung Angst ist vor dem Versagen. Wenn ich 20 Jahre immer das Gleiche gemacht habe und ich darin geübt bin, dann reduzieren sich meine Fähigkeiten sehr stark. Weil das, was nicht geübt ist, wird angeblich vergessen, und dann macht es mir Angst. Ich komme dann in eine Überforderung und dann ins Versagen rein. Und das lebenslange Lernen, das ist zwar ein politischer Wunsch, aber das passiert ja nicht oder passiert sehr wenig. Und es passiert eben gerade bei diesen Automatisierungsarbeitsplätzen überhaupt nicht. Und bei den VUCA-Arbeitsplätzen passiert das so viel, dass die Leute permanent überfordert sind. Wir verlieren dadurch aber das Mittelfeld, also die Leute, die jetzt schon 20 oder 30 Jahre im Job sind, die in diesem Mittelfeld gearbeitet und einfach ihr Ding gemacht haben. Und auf einmal müssen sie sich entscheiden, ob sie in einen VUCA-Arbeitsplatz reingehen, wo sie sich verändern

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Kapitel 8 · Kranke Teams machen krank: Mobbing, Sexismus, Rassismus und Gruppendruck

müssen, wo sie in Projekten denken müssen. Das braucht Ausbildung und Lernerfahrung und auch die Angsterfahrung, dass man da reingehen kann und es schafft und das Erfolgserleben danach. z Wie sieht denn für Sie ein gesundes Team aus?

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Diversifiziert, also d. h. altersgemischt, geschlechtsgemischt, kulturell gemischt, das ist wichtig. Ich glaube auch, dass es eine gute Abgrenzung braucht. Also ich halte wenig von so starken Teamentwicklungen, das ist aber eine persönliche Meinung. Ich halte wenig von privaten Kontakten. Das sollte eigentlich eher im Beruflichen bleiben. Wobei es gut ist, ein Mindestmaß an Sachen auch übereinander zu wissen, damit man auch das Mitgefühl hat, dass man beispielsweise weiß, wer Kinder hat, das finde ich gut. Aber man muss sich jetzt nicht zu Hause treffen. Und ich glaube, es muss ein Team sein, in dem jeder eigene Aufgaben hat und auch eigene Kompetenzen, die man einbringen kann. Es braucht, glaube ich, dann schon eine Spezialisierung der Leute. Was ich zunehmend wichtig finde, ist, dass man soziokratische Entscheidungsprozesse in Teams einführt. Das mache ich mittlerweile auch im Gesundheitsmanagementseminar, dass wir z. B. soziokratische Konsens-Konsent-Entscheidungen9 einführen. Das bedeutet, die Führungskraft lässt eigentlich das Team weitestgehend autark oder entscheidet mit dem Team autark im Konsensverfahren. Das führt automatisch zu einer höheren Verantwortungsübernahme für die Entscheidung, die man trifft als Team. Und das führt dazu, dass man merkt, man braucht die anderen. Also man kann sich nicht mehr hinter der Führungskraft verstecken. 8.4  Kranke Teams 8.4.1  Dysfunktionale Teams und Mobbing

Gesundheitliche Folgen von Mobbing sind Angst- und Konzentrationsstörungen, Schlaflosigkeit, Depressionen bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörungen in besonders schweren Fällen. Mobbing führt zu Einkommensverlusten, wenn aufgrund von Erkrankungen Rückstufungen 9 Anm. d. Aut.: Mit „Soziokratie“ (eigentl. „Herrschaft der Gemeinschaft“) wird der konsequente Einsatz von Selbstorganisation bezeichnet. Ein Konsens ist, wenn alle Mitglieder einer Gruppe einer Entscheidung zustimmen; im Konsent wird eine Entscheidung getroffen, wenn nichts mehr dagegenspricht.

8.4 · Kranke Teams

e­rfolgen, Beförderungen ausbleiben oder es zur Kündigung kommt. Bei schweren Fällen von Mobbing sind nicht nur einzelne Personen, sondern Gruppen oder die ganze Organisation betroffen. Als Gründe für Mobbing werden der Verlust von Kontrolle über die eigene Arbeit und Orientierungs- bzw. Perspektivlosigkeit in der Organisation gesehen. Konkret zeigt sich dies beispielsweise in hohem Zeit- und Leistungsdruck, häufigen Änderungen von Abläufen, Anforderungen etc., geringer gegenseitiger Unterstützung und fehlender Wertschätzung durch das Management.10 In seinem Buch „Die 5 Dysfunktionen eines Teams“ nutzt Patrick Lencioni zur Beschreibung der (Dys-)Funktionalität von Teams die geometrische Figur der Pyramide. Die Basis von Teamarbeit ist Vertrauen; die erste Dysfunktion dementsprechend fehlende Offenheit. Auf dem Vertrauen fußt die Bereitschaft, Konflikte zuzulassen; die zweite Dysfunktion ist vorgetäuschte Harmonie. Im Team herrscht Klarheit über Rollen und Aufgaben, zu denen sich alle Mitglieder verpflichten; die dritte Dysfunktion ist Unklarheit und Mehrdeutigkeit. Aus der Selbstverpflichtung folgt Verantwortung, nicht nur die eigenen Aufgaben gut zu erledigen, sondern sich als Team gemeinsam anzustrengen; entsprechend besteht die vierte Dysfunktion aus dem Erodieren von Standards und einem sinkenden Ambitionsniveau. Die Spitze der Funktionspyramide von Teams bildet die Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel; die fünfte Dysfunktion sind Dominanz von Statuskämpfen und Selbstdarstellung auf Kosten einer gemeinsamen Zielorientierung.11 8.4.2  Psychologische Sicherheit im Team

Untersuchungen von Teamarbeit bei Google ergaben, dass Verkaufsteams mit hoher psychologischer Sicherheit ihre Ziele zu 117 % erreichten und damit ihre Vorgaben übertrafen, während Teams mit geringer Sicherheit nur 81 % ihrer Zielvorgaben erreichten.12 Doch was ist „psychologische Sicherheit“ und wie wirkt sie sich auf Teams aus? Psychologische Sicherheit beschreibt die individuelle Einschätzung von Sicherheit in einer Beziehung zwischen Personen. Hohe psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz bedeutet beispielsweise, dass Kritik gefahrlos geäußert werden kann und man

10 Vgl. Übersicht in Vandekerckhove und Commers (2003). 11 Vgl. Lencioni (2014). 12 Vgl. Wisdom und Wei (2016).

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keine Angst vor Bloßstellung oder gar psychischen und physischen Angriffen zu haben braucht. Die Teamleistung hängt auf vielfältige Weise von psychologischer Sicherheit ab: Teamleistung steigt bei hoher psychologischer Sicherheit, weil man besser lernt, wenn man keine Angst hat, Fehler zu machen oder sich zu blamieren. Parallel dazu erhöhen sich auch die Motivation und der Wille, sich anzustrengen. Teamleistung profitiert zudem dadurch, dass Diskussionen freier geführt, Informationen und Erfahrungen sinnvoller ausgetauscht und Probleme offen angesprochen werden. Neue Ideen werden schneller aufgegriffen und ausprobiert. Dies alles wirkt sich positiv auf Teamentscheidungen und Handlungsschritte aus. Psychologische Sicherheit führt auch dazu, dass eher Verantwortung übernommen, Fehler eingestanden und damit Fehlerquellen ausgeschlossen werden. Schließlich einigen sich Teammitglieder schneller auf eine Aufgaben- und Rollenverteilung, weil sie sich darauf verlassen, dass jedes Teammitglied seinen Anteil an der Teamarbeit zuverlässig erledigt. Art und Größe des Teams bestimmen, wie schnell und stabil psychologische Sicherheit aufgebaut werden kann – bei großen Gruppen mit häufigen Wechseln fällt dies schwerer als bei kleineren und stabilen Teams.13 . Abb. 8.1 gibt einen Überblick über den Zusammenhang von psychologischer Sicherheit und Teamleistung. Psychologische Sicherheit kommt nicht nur der Teamleistung zugute, sondern ist auch bedeutsam für psychische Gesundheit, wie eine Langzeitstudie in Australien zeigte: Wurde aktiv ein Klima geschaffen, das psychologische Sicherheit stärkte, erhöhte sich zunächst das Sicherheitsempfinden, danach verringerten sich Fehlzeiten, das Gefühl von Überforderung und psychische Probleme.14 8.4.3  Stress, Wohlbefinden und Teamgröße

Sozialpsychologen der Universität Hildesheim untersuchten Bewerber für ein Sportstudium, die zufällig in Gruppen von etwa zehn Personen aufgeteilt wurden und an einem Tag verschiedene Sporttests absolvierten. Die Teilnehmenden wurden im Testverlauf mehrfach zu ihrem subjektiven Stressempfinden und zu ihrer Identifikation mit der Gruppe befragt. Zudem wurde anhand von Speichelproben mehrfach die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol gemessen. Es

13 Vgl. Edmondson (1999), Edmondson und Lei (2014). 14 Vgl. Dollard und Bakker (2010).

8.4 · Kranke Teams

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. Abb. 8.1  Modell der psychologischen Sicherheit in Teams. (Eigene Darstellung nach Edmondson 1999; Edmondson und Lei 2014)

zeigte sich, dass die Personen, die ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Gruppe entwickelten, sich subjektiv weniger belastet fühlten und auch geringere Cortisolwerte aufwiesen. Stieg die Identifikation mit der Gruppe im Tagesverlauf an, sanken Cortisolwerte und subjektives Stresserleben ab. Besonders erstaunlich ist, dass diese Effekte bei Personen nachgewiesen wurden, die kurzfristig und zufällig als Gruppe zusammengekommen waren. Die Autoren schlussfolgern, dass Gruppen nicht unbedingt auf viele gemeinsam geteilte Erfahrungen zurückblicken müssen, um von ihrer Verbundenheit zu profitieren.15 Die Größe eines Teams hat Auswirkungen darauf, wie gut sich im Team Vertrautheit und Zusammenhalt entwickeln können. Dies gelingt in eher kleinen, überschaubaren Gruppen besser als in großen. Mehrere Studien konnten für unterschiedliche Branchen bzw. Arbeitsbereiche (Berg­ bau, Gesundheitswesen, Entscheidungsaufgaben) belegen, dass größere Vertrautheit im Team mit besserer Teamleistung

15 Vgl. Ketturat et al. (2016).

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e­ inhergeht.16 Das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer überschaubaren Gruppe wirkt sich – wie an den Hildesheimer Sportstudenten gezeigt – positiv auf das körperliche Wohlbefinden der Gruppenmitglieder aus. Psychologische Sicherheit ist also der Schlüssel für ein „gesundes“ Team, das auch der Gesundheit seiner Teammitglieder dient. Unklarheit dahingehend, was konkrete Aufgaben oder auch Zukunftsaussichten betrifft, persönliche Dauerkonflikte, aber auch fachliche Überforderung verringern das Gefühl der Sicherheit, machen auf Dauer krank oder münden in Mobbing. Aspekte psychologischer Sicherheit sind vor allem Klarheit bei Aufgaben und Rollen, Übernahme und Einfordern von Verantwortung und gemeinsame, allseits akzeptierte Ziele, die für hohe Motivation sorgen. Das wurde bei einem Training von Filialmitarbeitern besonders deutlich: In der Filiale eines Finanzdienstleisters galt eine langjährige Mitarbeiterin als veränderungsfeindliche Querulantin, die daher vom Team und der Leitung ausgegrenzt wurde. In Workshops erarbeiteten wir gemeinsam mit dem Team Ziele und leiteten daraus für jedes Teammitglied den eigenen Beitrag zur Teamleistung ab. Die vermeintliche Quertreiberin war begeistert und meinte, dass nun endlich viele der Missstände, die sie beklagt habe, angegangen würden. Sie wurde innerhalb kürzester Zeit zu einer der aktivsten und produktivsten Mitarbeiterinnen der Filiale.17 8.4.4  Krisen in Teams: Teams und Trauma

Auch „gesunde“ Teams können unter Stress geraten, wenn sie mit außergewöhnlichen Situationen oder sogar Krisen konfrontiert werden. Gemeint sind Ereignisse, die die Organisation von außen beeinflussen, wie die Corona-Pandemie, in der 70 % der im Frühjahr 2020 befragten Deutschen angaben, psychische Belastungen zu erleben.18 In beeindruckender Weise erfuhren wir von den Reaktionen von Teams auf Krisen in einer Onlinekonferenz, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen mit der International Association for Applied Psychology (IAAP) organisiert hatte. Im April 2020 diskutierten mehr als 100 Experten aus aller Welt darüber, welche Lehren aus dem Ebola-Ausbruch 2014 bis 2016 in Afrika für den Umgang mit psychischen B ­ elastungen 16 Vgl. Goodman und Leyden (1991). Enge Vertrautheit kann jedoch auch katastrophale Auswirkungen auf die Teamleistung haben; dies stellen wir im Kapitel „Wir sind die Besten“ dar. 17 Vgl. Benning-Rohnke und Hasebrook (2018). 18 Vgl. Betsch et al. (2020).

8.4 · Kranke Teams

in der Corona-Krise gezogen werden können. Es beteiligte sich die Psychologin Judy Kuriansky, die während des Ebola-Ausbruchs spontan entstandene Hilfs- und Nachbarschaftsteams in verschiedenen afrikanischen Ländern unterstützt hatte. Ihre Erfahrungen hat sie in einem Buch zusammengefasst.19 Ein besonders bewegendes Beispiel bezieht sich auf eine Gruppe junger Männer, die sich „clinical marines“ nannte und Tote aus den Elendsvierteln abholte, um sie zu Beerdigungsstellen zu bringen. Diese gemeinsame Aufgabe unter einem gemeinsamen Namen stärkte bei den Männern das Selbstwertgefühl und ermöglichte ihnen, etwas Sinnvolles zu tun. Teams, die anderen halfen, und Selbsthilfegruppen von Überlebenden, die sich gemeinsam gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung wehrten, waren der Schlüssel, um von posttraumatischem Stress zu posttraumatischem Wachstum zu gelangen.20 Dabei ging es nicht darum, sich ständig mit Problemen zu befassen, sondern vielmehr einen Wechsel aus Vermeidung, Entspannung und lösungsorientierter Arbeit an den Problemen zu finden.21 Aus diesem Grund gehörten bei den „clinical marines“ in Sierra Leone auch Tanzen und Feiern bei den regelmäßig stattfindenden „Beerdigungsworkshops“ dazu.22 Doch nicht nur von außen bedingte Katastrophen, sondern auch interne Restrukturierungen oder Entlassungen können krisenhaft wirken und enormen Stress auslösen. Die Folgen sind Verunsicherung hinsichtlich der eigenen Rolle und Identität, sinkende Bindung an Team und Unternehmen sowie die Gefahr, Depressionen und andere gesundheitliche Probleme zu entwickeln (vgl. dazu auch „job at risk“ und „person at risk“ in 7 Abschn. 5.4.4).23 Hohe Leistungsanforderungen und unerwartete, tiefgreifende Veränderungen der Teamziele und -aufgaben können ebenfalls zu Stress führen. Dieser interne Leistungsdruck wirkt sich jedoch unterschiedlich aus: Während Führungskräfte und Frauen in gut funktionierenden Teams eher beflügelt werden, fühlen sich Männer ohne Führungsposition leicht entmutigt, sodass bei schnell ansteigenden Leistungsanforderungen oft negative Auswirkungen zu beobachten sind.24

19 Vgl. Kuriansky (2016), Collins (2009). 20 Vgl. Ogińska-Bulik und Kobylarczyk (2015). 21 Vgl. Hartmann et al. (2019), Cheng et al. (2020). 22 Ein eindrucksvolles Video zu ihrer Arbeit und einem „Beerdigungsworkshop“ findet sich online unter: 7 www.youtube.com/watch?v=6Fb9JZwAw28 (zuletzt abgerufen am 23.04.2020). 23 Vgl. Moore et al. (2004). 24 Vgl. Andersén und Andersén (2019).

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Egal, aus welchen Gründen Teams in eine Krise geraten: Einige erweisen sich als deutlich krisenfester als andere. Was zeichnet solche „resilienten“ Teams aus? Resilienz oder Widerstandsfähigkeit hängt zum einen mit der Auswahl der Teammitglieder zusammen. Sind extrovertierte Personen im Team, die leicht Kontakt suchen und finden, ist dies für alle hilfreicher im Umgang mit Belastungen als wenn das Team überwiegend aus introvertierten, wenig kontaktfreudigen Personen besteht. Zum anderen hat ein hoher Gruppenzusammenhalt eine Schutzfunktion, indem das Team gemeinsame Bewältigungsstrategien und eine gemeinsame optimistische Haltung zur Überwindung der Schwierigkeiten entwickelt. Positive Emotionen sind wichtig, um flexibles Denken und Handeln zu fördern (7 Abschn. 6.4.1). Dies ist auch der Grund, warum in Krisen eine aktiv unterstützende und begleitende Führung hilfreich ist, während einfaches Abwarten oder „Krisenmanagement“ im Sinne von schnellen, eventuell erratischen Einzelentscheidungen der Führenden die Widerstandskraft des Teams zerstört.25 Das Ausprobieren verschiedener Verhaltensmuster erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Team die Krise bewältigt. Wenn Bewältigung gelingt, gehen alle gestärkt aus der Krise hervor, und das Team verfügt nun über neue Erfahrungen und belastbare Routinen. Dies ist auch der Grund, warum Katastrophenschutzübungen so angelegt sind, dass sie immer gelingen: Nicht Scheitern, sondern das Bewältigen von Problemen wird geübt, sodass mit jeder neuen Übung der Schwierigkeitsgrad erhöht werden kann.26 In fortgeschrittenen Trainings zur Krisenbewältigung trainieren Teams in einem „mentalen Fitnesscenter“ u. a. Regulation des Stress- und Anspannungsniveaus, z. B. durch Entspannungstechniken, und verbesserte Situationswahrnehmung durch Beobachtertraining, z. B. für Körpersprache und Mimik. Zum Trainingsprogramm gehören aber auch Einüben einer erhöhten Toleranz gegenüber Schlafentzug, Monotonie, Schmerz und Frustration sowie Abwehr von Ablenkung, Manipulations- und Täuschungsversuchen.27 Eine dauerhafte Verbesserung der Widerstands- und Anpassungsfähigkeit beruht somit auf einem breit gefächerten Repertoire an Analyse- und Bewältigungsverhalten, auf das das Team in Krisensituationen zurückgreifen kann. Angelehnt an Markowitz’ Modell für Portfolios von Finanzanlagen wird dies in der Wirtschaftspsychologie als „diversified

25 Vgl. Sommer et al. (2016). 26 Vgl. Paton und Auld (2006). 27 Vgl. Aldman (2020).

163 Literatur

portfolio model (DPM)“ bezeichnet: Teams, die in vielfältige Erfahrungen, Rollen und Beziehungen investieren, sind widerstands- und anpassungsfähiger als Teams, die nur über ein sehr begrenztes Erfahrungs- und Verhaltensrepertoire verfügen.28 Dies könnte nun bedeuten, dass nur Teams mit älteren und lebenserfahrenen Personen resiliente Teams sein können. Das ist aber nicht so, denn man kann durch Trainings die Widerstandskraft von Teams gezielt stärken. Ein teamorientiertes Aufmerksamkeitstraining unterstützt den Gruppenzusammenhalt, vermittelt gesundheitsförderliches Verhalten, trägt dazu bei, dass psychische und gesundheitliche Probleme nicht stigmatisiert werden und das Aufsuchen von Hilfe möglich wird. Solche Trainings steigern nachweislich auch bei jungen Menschen die Widerstandsfähigkeit. Programme wie das „Young Adults in the Workplace (YIW)“-Programm in den USA machen sich das zunutze: Spezielle Trainings richten sich beispielsweise an Teams junger Leute zwischen 18 und 25 Jahren in der Gastronomie. Die Trainingseinheiten bestehen aus kurzen Schulungen, um für Risiken durch Alkohol- und Drogenmissbrauch zu sensibilisieren, gesundheitsförderliches Verhalten zu üben, im Krisenfall schnell Hilfe zu suchen und sich selbst besser einschätzen zu können.29 Auf diese Weise lernen nicht nur Teams in der Krise, sondern auch Organisationen, wie sie ihre Teams krisenfest machen können. Organisationen, die wissen, welche Unterstützung Teams benötigen, um schnell aus einer Belastungssituation herauszufinden und daraus zu lernen, erwerben insgesamt eine hohe Krisenfestigkeit (engl. organisational resilience; 7 Abschn. 6.4.5).30

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28 Vgl. Chandra und Leong (2016). 29 Vgl. Bennett et al. (2010). 30 Vgl. Williams et al. (2017), Kaplan et al. (2013).

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Kapitel 8 · Kranke Teams machen krank: Mobbing, Sexismus, Rassismus und Gruppendruck

Lesetipp Einen Überblick über die Forschung zu Gesundheitsbelastungen am Arbeitsplatz und deren Auswirkung stellt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kostenlos zur Verfügung: Weltgesundheitsorganisation/World Health Organisation (WHO). (2002). Health impact of psychosocial hazards at work: An overview. 7 https:// apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/44428/9789241500272_eng.pdf. Zugegriffen: 18. Sept. 2019. Eine umfassende Diskussion insbesondere zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz findet sich bei: Schultz, I. Z., & Rogers, I. S. (2011). Work accommodation and retention in mental health. New York: Springer.

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Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung Inhaltsverzeichnis 9.1 Ich bin kein Virus: Vorurteile und Diskriminierung – 168 9.2 Der Frauentsunami stoppt vorm Chefbüro – 170 9.3 Interview: Sind vielfältige Teams besser, Frau Benning-Rohnke? – 172 9.4 Vielfalt in Teams – 175 9.4.1 Minderheiten werden mit anderem Maß gemessen – 175 9.4.2 Gerecht ist nicht genug – 178 9.4.3 Vom Verstecken und Suchen von Unterschieden – 180

Literatur – 182

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_9

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Kapitel 9 · Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung

9.1  Ich bin kein Virus: Vorurteile und

Diskriminierung

► Einstieg ins Thema

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„Ich bin kein Virus“, unter diesem Schlagwort und Twitter-Hashtag wehrten sich Asiaten gegen Diskriminierung und Übergriffe infolge der Corona-Krise.1 Es wurde berichtet, dass asiatisch aussehende Personen beschimpft, nicht im Taxi mitgenommen und ihre Geschäfte boykottiert wurden. Die Diskriminierung nahm ein solches Ausmaß an, dass die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Deutschland eine Kampagne dagegen startete.2 Die Verurteilung von Minderheiten aufgrund des Virenausbruchs betraf nicht nur Deutschland, wie eine bedrückend lange Liste von Vorfällen und Übergriffen aus über 45 Ländern dokumentiert.3 Diskriminierung durch vorgefasste Werteurteile, die Entscheidungen oft (unbewusst) beeinflussen, kommen in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens vor. Beispielsweise erhielten in einer Untersuchung der Universität Bremen – nach exakt gleich geführten Telefonaten – über 97 % der Personen mit deutschem Namen einen Besichtigungstermin für eine Wohnung, während dies nur für 24 % der Personen mit türkischem Namen der Fall war.4 Mitunter reicht schon der Vorname aus, um bei gleicher Leistung schlechter bewertet zu werden, wie eine Untersuchung von Astrid Kaiser an der Universität Oldenburg zeigte: Arbeiten von angeblichen Kindern mit Vornamen wie Jaqueline und Marvin, die die Lehrkräfte eher sozial schwachen Schichten zuordneten, erhielten schlechtere Noten als die besser eingestuften Hannah und Alexander.5 Eine aufwendige Studie zu Diskriminierung am Arbeitsmarkt erregte 2018 Aufsehen. Ruud Koopmans, Susanne Veit und Ruta Yemane vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin hatten rund 6000 fiktive Bewerbungsschreiben auf deutsche Stellenausschreibungen verschickt. Die erfundenen Bewerber waren laut ihres Lebenslaufs 1992 in Deutschland geboren,

1 Vgl. Überschrift im Tagesspiegel vom 30.01.2020; online unter: 7 https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/diskriminierung-wegen-coronavirus-ich-bin-kein-virus/25492974.html (zuletzt abgerufen am 22.04.2020). 2 Informationen bei Amnesty International unter: 7 https://www.amnesty. de/informieren/aktuell/deutschland-coronavirus-keine-rechtfertigung-fuer-rassismus (zuletzt abgerufen am 22.04.2020). 3 Die Liste ist zu finden bei Wikipedia unter: 7 https://en.wikipedia. org/wiki/List_of_incidents_of_xenophobia_and_racism_related_to_ the_2019%E2%80%9320_coronavirus_pandemic (zuletzt abgerufen am 22.04.2020). 4 Vgl. Du Bois (2015, 2019). 5 Vgl. Kaiser (2010).

9.1 · Ich bin kein Virus: Vorurteile und Diskriminierung

deutsche Staatsbürger und hatten ihren Bildungsweg in Deutschland durchlaufen. Variiert wurden in den Bewerbungen verschiedene Merkmale wie Geschlecht, nationale Herkunftsgruppe (35 Herkunftsländer), Hautfarbe (weiß, schwarz, asiatisch), Religionszugehörigkeit (keine, muslimisch, christlich, buddhistisch/ hinduistisch) und der Notendurchschnitt. Erfasst wurde die Art der Rückmeldung auf die Bewerbungen. Als positive Rückmeldungen galten z. B. Einladungen zum Bewerbungsgespräch oder die Bitte um Rückruf. Negative Reaktionen waren Absagen, lediglich Senden einer Eingangsbestätigung oder keine Antwort. Anhand verschiedener Quellen, wie Mikrozensus6 und World Values Survey bzw. European Values Study7, wurden zudem für jedes Land bildungs-, wirtschafts- und wertebezogene Merkmale erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass Bewerber mit Migrationshintergrund gegenüber Bewerbern ohne Migrationshintergrund diskriminiert werden: Während 60 % der Bewerber mit deutschem Hintergrund eine positive Rückmeldung erhielten, war dies nur bei 51 % der Bewerber mit Migrationshintergrund der Fall. Bewerber mit Migrationshintergrund, Bewerber mit dunkler Hautfarbe und muslimische Bewerber erhielten deutlich seltener positive Rückmeldungen als deutschstämmige, hellhäutige und christliche Bewerberinnen und Bewerber. Die geringsten Chancen hatten schwarze, muslimische Bewerber mit Migrationshintergrund. Das Autorenteam interpretiert die Ergebnisse dahingehend, dass Menschen mit Herkunft aus afrikanischen und überwiegend muslimisch geprägten Ländern besonders schlechte Aussichten haben, weil diese Länder eine hohe Wertedistanz zu Deutschland aufweisen, z. B. im Hinblick auf Gleichberechtigung, sexuelle Selbstbestimmung oder die Bedeutung von Religion in der Gesellschaft. Die Corona-Pandemie ist nur ein aktueller Anlass, bei dem sonst versteckte Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit sichtbar werden.

6 Der Mikrozensus ist die größte jährliche Haushaltsbefragung der amtlichen Statistik in Deutschland. Es wird mit rund 830.000 Personen in etwa 370.000 privaten Haushalten und Gemeinschaftsunterkünften fast 1 % der Bevölkerung in Deutschland zu ihren Arbeits- und Lebensbedingungen befragt. Für Erhebungen der empirischen Sozial- und Meinungsforschung sowie der amtlichen Statistik dient der Mikrozensus als Hochrechnungs-, Adjustierungs- und Kontrollinstrument. 7 Die World Values Survey (dt. etwa Weltweite Werte-Erhebung) und die European Values Study 1981–2017 ermitteln den Status von soziokulturellen, moralischen, religiösen und politischen Werten verschiedener Kulturen der Welt.

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Kapitel 9 · Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung

Schon im März 1900 wurden chinesische Hafenarbeiter für den Ausbruch der Pest in Nordamerika verantwortlich gemacht.8◄

9.2  Der Frauentsunami stoppt vorm Chefbüro

Beispiel aus der Praxis

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Fast überall in Europa werden Frauen in wenigen Jahren die Mehrheit der Ärzteschaft stellen. In Deutschland ist die Mehrzahl der Krankenhausärzte unter 40 Jahren weiblich, und etwa 70 % der Medizinstudierenden sind Frauen.9 Die Direktorin des University College London formuliert: „Die Feminisierung (in der Medizin, Anm. d. Aut.) ist ein Faktum. Der Tsunami von Frauen kommt auf uns zu“10. Ein Grund für diese Entwicklung ist wohl, dass männliche Schulabgänger mit guten Noten nach anderen – aus ihrer Sicht vielversprechenderen – Karrierealternativen suchen, als Arzt zu werden.11 Der Studiendekan der medizinischen Fakultät der Universität Münster, Bernhard Marschall, bezeichnet den Arztberuf als „Brotberuf der Begabten“12. Doch wird die Tatsache, dass Frauen die Mehrheit in der ärztlichen Versorgung übernehmen, nicht etwa als Chance gesehen, sondern als Problem.13 Mehrheit ist eben nicht gleichbedeutend mit Gleichberechtigung. Ärztinnen in Kliniken sind in Führungs- und Forschungspositionen deutlich in der Minderheit und verdienen durch diese Positionsunterschiede fast 20 % weniger als ihre männlichen Kollegen.14 Angesichts des Fachkräftemangels sollten Arbeitsplätze in der medizinischen Versorgung und speziell im Krankenhaus besser auf qualifiziertes weibliches Personal abgestimmt sein. Doch familienfreundliche Arbeitsplätze mit Führungsoder Forschungsaufgaben sind rar.15 Die wenig erfolgreichen

8 Eine Schilderung findet sich im der F.A.Z. vom 14.02.2020 unter: 7 www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/coronavirus-und-rassismus-alte-vorurteile-gegenueber-chinesen-16632717.html (zuletzt zugegriffen am 22.04.2020). 9 Vgl. Phillipps und Austin (2009), OECD (2018). 10 Vgl. Dacre (2012). 11 Vgl. Tijdens et al. (2013). 12 Dieses Zitat wurde zum Titel eines Artikels in der FAZ vom 30.05.2011, online nachzulesen unter: 7 www.faz.net/aktuell/wissen/aerzte-der-zukunft-der-brotberuf-der-begabten-1635269.html (zuletzt abgerufen am 05.09.2019). 13 Vgl. McKinstry (2008). 14 Vgl. Carnes (2008), Sermeus und Bruyneel (2010). 15 Vgl. Hasebrook et al. (2019).

9.2 · Der Frauentsunami stoppt vorm Chefbüro

­ emühungen, über Gleichstellungspläne und FrauenförderB programme Verbesserungen zu erreichen, mündeten in die Forderung: „Repariert das System, nicht die Frauen“16. Bei dieser Systemreparatur geht es um drei zentrale Forderungen:17 1) Die Zahlen müssen stimmen (engl. „fix the numbers“), um Frauen in allen Gremien und Positionen gleichberechtigt zu beteiligen. 2) Die Organisationen müssen besser werden (engl. „fix the institutions“), indem strukturelle Verbesserungen verteilte Führungspositionen und flexible (Teilzeit-)Arbeit ermöglichen. 3) Mehr Wissen wird gebraucht (engl. „fix the knowledge“), um Erfahrungen und Kompetenzen von Frauen besser für Fortschritte in der Medizin zu nutzen (engl. „gendered medicine/gendered innovation“) und medizinische Forschung auf die Verbesserung der Behandlung von Frauen zu richten (engl. „gender medicine“). Wieso wird also der Anstieg von Frauen in der Medizin mit einer Naturkatastrophe, einem „Tsunami“, verglichen? Offenbar doch wohl, weil vertraute Strukturen und Wertvorstellungen infrage gestellt werden: Mehr Frauen in der Medizin wird über kurz oder lang auch mehr Frauen auf Führungs- und Forschungspositionen bedeuten, die bislang mehrheitlich Männern vorbehalten waren. Es wird Zeit, die Veränderungen als Chance und nicht als Problem zu begreifen.

Elke Benning-Rohnke

Frau Elke Benning-Rohnkes Kompetenzen und Erfahrungen beruhen auf Herausforderungen in namhaften Firmen. Dazu gehören Procter & Gamble sowie Kraft Jacobs Suchard in Deutschland und Kanada. Nach zwölf Jahren Karriere stieg Elke Benning-Rohnke in den Vorstand der Wella AG (MDAX, heute Coty) auf. Sie verantwortete das weltweite Friseurgeschäft und optimierte mit einem innovativen Performance-Management-Programm die ländereigenen Vertriebsgesellschaften. Seitdem beschäftigt sich Elke Benning-Rohnke mit dem Zusammenspiel von Marktherausforderungen, Kundenpotenzialen sowie Aufstellungen von Organisationen, Teams und Individuen. Deshalb hat sie sich dafür entschieden, weltweit tätige Kunden zu diesen Themen sowohl in eigenen Unternehmen als auch in Kooperation mit internationalen Beratungsgesellschaften zu beraten.

16 Morrissey und Schmidt (2008), Europäische Kommission (2012). 17 Vgl. Pfleiderer et al. (2018).

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Portrait Elke BenningRohnke Managementberaterin, Aufsichtsratsvorsitzende h&z AG, Aufsichtsrätin Daiichi Sankyo Europe und Vizepräsidentin „Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) e. V.“

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Kapitel 9 · Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung

Ihre Mandate umfassen u. a. Aufsichts- und Beiratsmandate in mittelständischen Unternehmen und Konzernen, ehrenamtliche Tätigkeiten zur Förderung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in der Wirtschaft sowie Mentorenaufgaben an der Bayerischen EliteAkademie. Elke Benning-Rohnke hat zahlreiche Publikationen verfasst, darunter Artikel und Bücher zu Business Coaching, Verbesserung von Vertriebskultur, Frauenkarrieren in Unternehmen und Vielfalt in Aufsichts- und Managementgremien.

9.3  Interview: Sind vielfältige Teams besser,

Frau Benning-Rohnke?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

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Meiner Erfahrung nach ist es immer gut, aus einzelnen Menschen, die miteinander arbeiten, ein Team zu machen. Ein Team bedeutet, dass alle Beteiligten daran arbeiten, eine gemeinsame Ambition zu erreichen. Ein gemeinsames Ziel, das alle erreichen wollen, ist ein wesentliches Element, um Teams zu bilden und über einen längeren Zeitraum erfolgreich im Miteinander zu halten. Profitables Wachstum kann nicht eine Person gestalten, sondern es braucht einige, um attraktive und innovative Angebote für den Kunden zu entwickeln. Und es braucht viele, um diese in die Welt zu bringen. Gut aufgestellte und funktionierende Teams sind somit Katalysatoren. Das gilt für alle Situationen, die mir in unterschiedlichen Rollen und Unternehmen begegnet sind. Aus dieser Erfahrung habe ich mit einigen Kollegen inzwischen ein Programm entwickelt, das über die Stufen Reflexion, Ambition, Volition und Verstetigung Teams in Unternehmen signifikant leistungsfähiger und zufriedener macht. z Was waren prägende Teamerfahrungen?

Mein Berufsleben habe ich bei dem amerikanischen Konsumgüterhersteller Procter & Gamble begonnen. Ein Unternehmen mit einem – wie man heute sagt – „Strong Purpose“ (Bestimmung oder Absicht, Anm. d. Aut.), dem sich alle Tätigkeiten untergeordnet haben. Jede Zusammenarbeit mit anderen Bereichen, ob eine internationale Produktentwicklung oder eine lokale Verkaufsförderung, folgte dem Purpose als oberster Maxime. Teamarbeit war hier sehr einfach, weil die Menschen, die dort arbeiteten, sich für diesen Purpose sehr verantwortlich und sehr kompetent einsetzten. Sogenannte „Balanced Teams“, in denen unterschiedliche und relevante Kompetenzen vertreten waren und ein vertrauensvolles Klima herrscht, haben für die Erfolge in meinem Werdegang eine große Rolle gespielt. Ich erinnere mich z. B.

9.3 · Interview: Sind vielfältige Teams besser, Frau Benning-Rohnke?

an eine Situation, in der wir eine Produktionsanlage, die eine Bauzeit von 18 Monaten haben sollte, in der Hälfte der Zeit hergestellt haben. So etwas kann man nicht anordnen, da muss jeder im Team sich selbst übertreffen wollen. Eine Voraussetzung für Balanced Teams ist der Verzicht auf an Hierarchie gekoppelte mögliche Machtausübung, um auf Augenhöhe mit den anderen Mitgliedern zu arbeiten. z Wofür würden Sie heute unbedingt im Team arbeiten, in welchem Punkt auf keinen Fall?

Einfach ausgedrückt: Wenn ich ganz schnell etwas durchsetzen möchte, gehe ich alleine, das geht nur bei kleineren Anliegen. Wenn ich langfristigen Erfolg kreieren möchte, der unabhängig von meiner Person besteht, braucht es ein Team, das sich hinter der Ambition vereint, um die Sache, um die es geht, auch über Widerstände und Zeitläufe hinweg, zum Erfolg zu machen. Wenn ich im Team arbeite, schaue ich jedoch inzwischen sehr genau auf die Aufstellung. Uniforme Teams, die ich in manchen Gremien oder in alten Unternehmenskulturen finde, sind dysfunktional, da neue Perspektiven und andere Sichtweisen oft wenig Akzeptanz finden. Auch sogenannte „verzerrte Teams“, die zwar vordergründig gut aufgestellt scheinen, jedoch im Inneren von einer Person, z. B. einer hierarchisch höher gestellten Person, dominiert werden, bringen nicht die besten Lösungen. z Welche Art von Vielfalt brauchen Teams?

Ich bevorzuge die Balanced Teams, in denen in unterschiedlichen Rollen und mit unterschiedlichen Kompetenzen auf Augenhöhe und mit Herzblut an der besten Lösung gearbeitet wird. Da ich mich sehr stark auch für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Wirtschaft engagiere, gehe ich mal ein bisschen auf diesen Punkt ein. Wenn man sich die experimentellen Forschungen von Anita Woolley und Tom Malone aus dem Jahr 2011 anschaut, dann empfiehlt es sich, mindestens eine Frau im Team zu haben. An mehr als 100 kognitiven Aufgaben zeigen die beiden Autoren, wie die kollektive Intelligenz steigt, die Aufgaben schneller und besser gelöst werden, sobald mindestens eine Frau im Team ist.18 18 Diese Aussage bezieht sich auf ein Interview mit Anita Woolley und Tom Malone im Harvard Business Review mit dem Titel: „What makes a team smarter? More women“ (deutsch: „Was macht ein Team klüger? Mehr Frauen“); online verfügbar unter: 7 https://hbr.org/2011/06/ defend-your-research-what-makes-a-team-smarter-more-women (zuletzt abgerufen am 05.09.2019). Wir gehen im Abschn. 9.2.3 „Vom Verstecken und Suchen von Unterschieden“ näher darauf ein.

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Kapitel 9 · Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung

Persönlich würde ich Teams aufgabenbezogen zusammenstellen. Kompetenz und Rollen müssen gut vertreten sein. Und ich würde immer einen Gendermix wählen, weil sich meine Erfahrung mit der Forschung deckt: Ich habe sowohl in reinen Frauenteams gearbeitet, die ich nicht so effektiv fand, wie eben auch als einzige Frau in reinen Männerteams. Auch das ist unterlegen gegenüber einem ausgewogenen Geschlechtermix. Ein Team braucht aber vor allem auch gegenseitiges Vertrauen, Akzeptanz und eine gute Führung, damit die Vielfalt auch wirksam wird. Ganz wichtig ist, dass es ein gemeinsames Werteverständnis gibt. Da hilft ein „Strong Purpose“, hinter dem sich alle versammeln können. Und es ist natürlich einfacher, wenn es auch einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund gibt. Denn dann versteht man sich schneller und besser. Sehr vielfältige Teams brauchen eine sehr viel längere „Norming“-, „Storming“-, „Forming“-Phase. Es dauert einfach viel länger, ein gemeinsames Verständnis- und Vertrauensklima zu schaffen. Es fängt letztendlich schon bei der gemeinsamen Sprache an: Wenn es keine gemeinsame Sprache gibt, die von allen Teilnehmern recht gut beherrscht wird, habe ich das schon häufig als Nachteil erlebt. z Wie wirkt sich Vielfalt auf die Teamleistung aus?

Es gibt viele Studien, die den Zusammenhang von Vielfalt mit Innovation und Unternehmensperformance zeigen. Goldman Sachs unterstreicht dies gerade mit der Ankündigung, dass sie keine Unternehmen an die Börse bringen, deren Boards rein männlich besetzt sind. In 2015 wurde das Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Männern und Frauen in Führungspositionen verabschiedet. Anschließend gab es dazu Studien und natürlich auch Erfahrungsberichte: Es verändert sich wohl offensichtlich das Miteinander, die Teamkultur. Man hört besser zu und wird dialogfähiger. Das bestätigen auch viele Aufsichtsratsvorsitzende und berufen sich auf die Studien. Vielfalt beschränkt sich jedoch nicht nur auf Gender, sondern bezieht sich auch auf kulturelle Hintergründe, Ausbildungen, Lebenswege und auch auf Persönlichkeitseigenschaften. Diese Unterschiedlichkeit führt zu unterschiedlichen Perspektiven auf den gleichen Sachverhalt. Allein der Austausch darüber erweitert den Horizont aller und ist die Voraussetzung für kollektive Intelligenz, die zu neuen statt zu immer gleichen Lösungen führt. z Wie viel Vielfalt können Teams vertragen?

Das ist ein sehr interessanter Aspekt. Jedes Team kann so viel Vielfalt vertragen, wie das einzelne Teammitglied in der Lage

9.4 · Vielfalt in Teams

ist zu verarbeiten. Wenn Sie Menschen haben, die interkulturell sehr gewandt und es gewohnt sind, länderübergreifend zu arbeiten, dann können Sie ein Team kulturell vielfältiger aufstellen. Wenn Sie Leute haben, die mehrere Sprachen perfekt beherrschen, dann können die auch in mehreren Sprachen in Teams arbeiten. Von daher gibt es für diese Frage keinen Grad, keine Skala, sondern man muss sich die Situation, den kulturellen Hintergrund und die Gewohnheiten dieser Teams anschauen. Man kann jedoch definitiv sagen, zu homogene Teams neigen zu uniformem Denken, und uniformes Denken ist ein großes Risiko. z Wie können unterschiedliche Fähigkeiten und Begabungen Einzelner für die Teamarbeit optimal genutzt werden?

Natürlich sind auch Persönlichkeitskonstellationen zu betrachten. Kompetenzen müssen abgedeckt sein, Rollen besetzt. Das ist wesentlich, wenn ein gutes Ergebnis möglichst schnell erreicht werden soll. Ganz wichtig ist die Funktion des Team-Leaders. Der muss dafür sorgen, dass sich auch jeder traut, etwas zu sagen, auch abweichende Meinungen müssen Gehör finden können. Vertrauen ist dafür essenziell -und die Fähigkeit der Teammitglieder, sich unvoreingenommen mit den Ansichten anderer auseinanderzusetzen. Der Wert eines Teams liegt nämlich immer in der anderen Perspektive. Und wenn dann die Beteiligten die Kompetenz mitbringen, diese verarbeiten zu können, ist das Team auf dem besten Weg, dann geht es eigentlich fast schon von selbst. 9.4  Vielfalt in Teams 9.4.1  Minderheiten werden mit anderem Maß

gemessen

Was macht eigentlich eine Mehrheit zur Mehrheit und eine Minderheit zur Minderheit? Die Antwort scheint zunächst einfach: Eine Gruppe von 100 Personen stellt gegenüber 10 Personen eine Mehrheit dar und gegenüber 1000 Menschen eine Minderheit, obwohl es immer 100 Personen sind. Marilynn Brewer und ihre Kollegen haben in zahlreichen Experimenten untersucht, wie sich Mehrheits- und Minderheitsgruppen innerhalb und untereinander vergleichen.19 Diese Untersuchungen zeigen, dass unabhängig von der

19 Vgl. Leonardelli et al. (2010).

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Kapitel 9 · Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung

t­atsächlichen Gruppengröße die Zuordnung zur Mehrheit oder Minderheit die wichtigste Rolle bei sozialen Vergleichen spielt: Eine Mehrheit von 100 Personen verhält sich im Grunde genauso wie eine Mehrheit von 1000 Personen. Dabei fühlen sich Menschen im Allgemeinen in der Minderheit wohler als in der Mehrheit, weil es ihrem Bedürfnis nach Besonderheit eher entspricht.20 Die Balance zwischen Zugehörigkeit und Besonderheit haben wir im Abschnitt zu Assimilations- und Kontrasteffekt geschildert. Die Zugehörigkeit zu einer Mehrheit oder Minderheit hat entscheidenden Einfluss darauf, ob es zu Assimilations- oder Kontrasteffekten kommt, was wiederum Gefühle und Verhalten beeinflusst. Bei einem Assimilationseffekt findet sich jemand z. B. bei dem Vergleich mit einer attraktiven Person selbst auch attraktiv, bei einem Kontrasteffekt hingegen unattraktiv. Brewer und ihr Team haben in vielen Experimenten den Einfluss der zufälligen Zuordnung zu einer Mehrheitsoder Minderheitsgruppe untersucht.21 Es handelte sich dabei um „minimale Gruppen“ (wie im Abschnitt „Auf- und abwärts im Silo“ beschrieben, 7 Abschn. 5.4.1), deren Mitglieder sich nur durch eine zufällige Zuordnung unterschieden. Für die Zuordnung mussten die Versuchspersonen beispielsweise die Anzahl von Punkten in einer großen Punktewolke schätzen. Nach der Schätzung wurde der Hälfte der Personen mitgeteilt, sie hätten die Anzahl überschätzt, der anderen Hälfte, sie hätten sie unterschätzt. Außerdem wurde ihnen mitgeteilt, dass 80 % in der Bevölkerung „Überschätzer“ seien, lediglich 20 % seien „Unterschätzer“. Die eine Hälfte der Versuchspersonen dachte also nun, dass sie zur Mehrheit der Überschätzer gehört, die andere Hälfte fühlte sich der Minderheit der Unterschätzer zugehörig. Anschließend wurde den Versuchspersonen entweder ein Video von einer extrem attraktiven, intelligenten und sozial kompetenten Person gezeigt oder aber von einer unattraktiven, wenig kompetent erscheinenden Person. Nach Festingers Theorie der sozialen Vergleiche sollte der Vergleich mit einer äußerst attraktiven, intelligenten Person zur Selbstabwertung verbunden mit negativen Gefühlen führen, hingegen der Vergleich mit einer unattraktiven, wenig intelligenten Person zur Selbstaufwertung verbunden mit positiven Gefühlen. Es sollte also einen Kontrasteffekt geben. Die Untersucher hatten noch einen „Trick“ parat: Den Versuchspersonen wurde nämlich vor dem Abspielen der Videos mitgeteilt, ob die gezeigte Person zur Mehrheit der

20 Vgl. Brewer et al. (1993). 21 Vgl. Brewer et al. (1993), Brewer und Weber (1994).

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9.4 · Vielfalt in Teams

Punkte-Überschätzer oder zur Minderheit der Unterschätzer zählte. Nun gab es auf einmal eine ganze Reihe von Vergleichsvarianten: Versuchspersonen aus der Mehrheit verglichen sich mit dem Videodarsteller ebenfalls aus der Mehrheit, der entweder attraktiv oder unattraktiv war, andere Versuchspersonen aus der Mehrheit verglichen sich mit der attraktiven oder unattraktiven Person aus der Minderheit. Dieselben Vergleiche nahmen auch die Versuchspersonen aus der Minderheit vor. Sie verglichen sich ebenfalls mit dem Videodarsteller aus der Mehrheit oder der Minderheit, der entweder attraktiv oder unattraktiv war. Wie erwartet trat in der Mehrheitsgruppe ein Kontrasteffekt auf – aber nur, wenn die Vergleichsperson im Video ebenfalls zur Mehrheit gehörte. Kam die Vergleichsperson im Video aus der Minderheit, beeinflusste dies die Selbsteinschätzung der Versuchspersonen aus der Mehrheit überhaupt nicht. Ganz anders war dies bei den Versuchspersonen der Minderheit, denn hier kam es zu einem Assimilationseffekt: Die Minderheits-Versuchspersonen fühlten sich besser, wenn die Video-Vergleichsperson aus der Minderheit attraktiv und intelligent war und schlechter, wenn die Video-Vergleichsperson unattraktiv war. Verglichen sich die Minderheits-Versuchspersonen aber mit der Video-Vergleichsperson aus der Mehrheit, trat wieder ein ­ Kontrasteffekt auf. Verwirrt? Wir haben den Versuch auch einige Male durchlesen müssen, um alles zu verstehen. Zur besseren Übersicht haben wir die Ergebnisse in der folgenden ­Tabelle zusammengefasst. Versuchsperson aus der Mehrheit

Versuchsperson aus der Minderheit

Vergleich mit Person aus Mehrheit (innerhalb/ ingroup)

Vergleich mit Person aus Minderheit (außerhalb/ outgroup)

Vergleich mit Person aus Minderheit (innerhalb/ ingroup)

Vergleich mit Person aus Mehrheit (außerhalb/ outgroup)

Vergleichsperson ist besser (z. B. attraktiver/ intelligenter)

↓ Selbstabwertung, negative Gefühle



↑ Selbstaufwertung, positive Gefühle

↓ Selbstabwertung, negative Gefühle

Vergleichsperson ist schlechter (z. B. unattraktiver/ unintelligenter)

↑ Selbstaufwertung, positive Gefühle

Kontrasteffekt



Kein Effekt

↓ Selbstabwertung, negative Gefühle

Assimilationseffekt

↑ Selbstaufwertung, positive Gefühle

Kontrasteffekt

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Kapitel 9 · Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung

Offenbar finden in Minderheiten andere Vergleichsprozesse statt als in Mehrheiten: Während in Mehrheiten die ­persönliche Identität und deren Auf- oder Abwertung im Vergleich zu anderen Vertretern der Mehrheit im Vordergrund stehen, ist bei Minderheiten die soziale oder Gruppenidentität vorrangig. Daher führen aufwärts gerichtete Vergleiche in der Mehrheit (d. h., die Vergleichsperson ist besser als man selbst) zur Selbstabwertung – nach dem Motto: „Ich bin schlechter als die anderen meiner Gruppe“ – in der Minderheit aber zur Selbstaufwertung, weil die Gruppe insgesamt als aufgewertet erlebt wird. Im Abschnitt über den „Fischteicheffekt“ haben wir den „Reflected-Glory-Effekt“ beschrieben, durch den man sich im Glanz der eigenen Gruppe sonnt. Dieser Effekt tritt also nur in Gruppen mit starker Identität und bei Minderheiten auf. Zudem müssen die Vergleichsmerkmale als wichtig erlebt werden: Die Zugehörigkeit zu einem Fußballverein ist z. B. nur für echte Fans bedeutsam und löst daher auch nur bei ihnen einen „Reflected-Glory-Effekt“ aus. Dieser Effekt wird beispielsweise genutzt, um andere Unterschiede auszugleichen, z. B. in Teams aus Sportlern mit unterschiedlichem Migrationshintergrund: Aus unterschiedlich wird gleich.22 9.4.2  Gerecht ist nicht genug

Viele Unternehmen verfügen über eine Form des Diversity-Managements und konzentrieren sich auf Gleichbehandlung oder Antidiskriminierung, sodass niemand wegen erkennbarer Merkmale, nämlich seines Alters, Geschlechts, der Hautfarbe oder einer Behinderung, benachteiligt wird. Diese Sicht betont, dass es erkennbare Merkmale von Verschiedenheit gibt und dass Minderheiten vor Benachteiligung geschützt werden müssen. Beim Geschlechterverhältnis scheint die Sache klar: Es gibt Männer und Frauen; Frauen sind in Führungspositionen in der Minderheit, also müssen Förderprogramme her, die Frauen auf die Übernahme von Führungspositionen vorbereiten. Oder: Menschen über 50 können nicht so gut mit Computern umgehen wie deutlich Jüngere, also gibt es ein Programm „IT 50plus“.23 Leider wird durch diese Perspektive die unendliche, nicht klar unterscheidbare Vielfalt von Menschen auf Merkmale

22 Vgl. Tafarodi et al. (2002). 23 Siehe Initiative IT 50plus/IG Metall Vorstand (Hrsg.) (2010). Lernen Ältere anders? Potenziale erfahrener MitarbeiterInnen entdecken und fördern. Frankfurt: IT 50plus Broschüre. Vgl. ebenso Hasebrook et al. (2011).

9.4 · Vielfalt in Teams

reduziert, die voneinander abgegrenzt und daher „gemanagt“ werden können. Vielfalt wird damit zur Disparität: die einen im Unterschied zu den anderen. Gleiche Teilhabe bedeutet aber, mit allen Formen von Abweichungen und Unterschieden umzugehen und diese sinnvoll einzubeziehen.24 „Frauenbeauftragte“ sind dann nicht nur eine Beratungsstelle für die Frauen einer Organisation, sondern begleiten die ganze Organisation und insbesondere ihre Führungskräfte in der Nutzung der unterschiedlichen Potenziale der Mitarbeiterschaft.25 Für die Gleichberechtigung von Frauen in Unternehmen sind kulturprägende Faktoren bedeutsam, wie z. B. Work-Life-Balance, gleicher Zugang zu Karriereoptionen, unvoreingenommene Entscheidungen bei Beförderungen und Mittelvergaben sowie Unterstützung von Führungskräften, insbesondere im Topmanagement.26 Wie das praktisch aussehen kann, zeigt beispielhaft das Vorgehen von Molly Carnes und ihrem Team von der University von Wisconsin-Madison.27 Carnes und Kollegen führten mit Teams in Kliniken 2,5-stündige Workshops durch und verglichen die Ergebnisse mit Teams der Kontrollgruppe, die lediglich an einer Informationsveranstaltung zu Geschlechtergerechtigkeit teilgenommen hatten. In den Workshops wurde die Wirkung von sozialen (Gruppen-)Normen erläutert und in praktischen Übungen gezeigt, wie sie wirken. Rollenbilder und Geschlechterstereotypen wurden thematisiert und Gegenbilder entwickelt. Den Abschluss bildeten positive Szenarien, in denen Personen sich besser fühlen und mehr Chancen haben können. Die Teams wurden drei Tage nach der Veranstaltung und dann noch einmal drei Monate später befragt. Messbare Unterschiede lagen vor, wenn mehr als ein Viertel des Personals eines Bereichs an den Veranstaltungen teilgenommen hatte. Im Vergleich zur Kontrollgruppe empfanden die Workshopteilnehmenden mehr Wertschätzung für ihre Arbeit, sie fühlten sich sicherer, wenn sie Missstände benannten, und ­hatten konkrete Verbesserungsmaßnahmen eingeleitet. Vergleichsuntersuchungen zeigen, dass „integrierte“ Programme, also Trainings- und Coachingangebote direkt im Teamalltag, noch effektiver sind als Trainings außerhalb der Arbeitssituation.28 Das Beispiel dieser Workshops zeigt: „Gleich“ ist nicht „gerecht“, denn alle Personen unabhängig von ihren

24 25 26 27 28

Vgl. Dohrn et al. (2011a, b). Vgl. Hasebrook et al. (2017). Vgl. Westring et al. (2014). Vgl. Carnes et al. (2015). Vgl. Bezrukova et al. (2012).

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Kapitel 9 · Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung

Voraussetzungen und Möglichkeiten einfach genau gleich zu behandeln, räumt die tiefer liegenden Gründe für Benachteiligungen nicht aus. 9.4.3  Vom Verstecken und Suchen von

Unterschieden

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Diversity-Management, d. h. der betriebliche Umgang mit Vielfalt in der Mitarbeiterschaft, wird meist auf die bereits genannten (unveränderlichen) Merkmale reduziert: Alter, Geschlecht, Behinderung, kultureller Hintergrund, sexuelle Orientierung. Ziel von Diversity-Management bedeutet dann z. B. bei Stellenbesetzungen, dass Unterschieden möglichst wenig Bedeutung beigemessen wird. Aber damit wird leider auch das kreative und wirtschaftliche Potenzial von Vielfalt ignoriert. Unsere Forschung und Beispiele erfolgreicher Unternehmen zeigen, wie wirtschaftlich bedeutsame Unterschiede erkannt und genutzt werden können. Sie zeigen aber auch, dass Unternehmen durch „mehr Vielfalt“ nicht automatisch kreativer und innovativer werden. Wir haben in sechs Unternehmen Tiefeninterviews geführt und Innovationsprojekte über mehrere Monate begleitet. Aus den Ergebnissen wurden strukturierte Fragebogen und Interviews entwickelt, die bei mehr als 600 Personen eingesetzt wurden.29 Diversity wird auf den verschiedenen Führungsebenen unterschiedlich wahrgenommen und behandelt: Das Topmanagement sieht Chancen und glaubt an den Nutzen, die mittleren Führungsetagen erleben Diversity vielfach als Problem, und die untere Führungsebene (Teamleitung) ist nah an den Mitarbeitern, sieht und beurteilt Chancen sowie Probleme von Diversity daher nicht allgemein, sondern abhängig von konkreten Personen. Generell lassen sich die befragten Unternehmen in drei Gruppen unterteilen: Die größte Gruppe fokussiert sich vor allem auf Antidiskriminierung und versucht, im Sinne des „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes“ (AGG)30 alle Arten von Benachteiligung zu vermeiden. Die kleinste Gruppe hat eine hohe Marktorientierung und nutzt Vielfalt von Sprachen sowie kulturellen Hintergründen der Mitarbeiterschaft, um Kundinnen und Bewerber für das Unternehmen zu gewinnen. Die dritte Gruppe schließlich setzt auf Lernen und effektive Einbindung, indem versucht 29 Vgl. Hasebrook et al. (2011). 30 Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes stellt eine Version des Gesetzes und hilfreiche Materialien online zur Verfügung: 7 www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ThemenUndForschung/Recht_und_gesetz/DasGesetz/dasGesetz_node.html (zuletzt abgerufen am 05.09.2019).

9.4 · Vielfalt in Teams

wird, möglichst viele veränderliche Arten von Verschiedenheit wie Kompetenz und Berufserfahrung als Entwicklungschancen im Unternehmen zu nutzen. Dieser unterschiedliche Umgang mit Diversity erklärt, warum Untersuchungen zu Vielfalt in Teams zu unterschiedlichen Ergebnissen führen: Mal ist Diversity hilfreich, mal stört sie.31 Nicht die Art der Unterschiede, wie z. B. Geschlecht oder Alter, übt den entscheidenden Einfluss aus, sondern die soziale Kategorisierung, ob also die Unterschiede vom Team als relevant angesehen werden, und ob es dann zu Assimilations- oder Kontrasteffekten kommt. Eine Arbeitsgruppe mit Anita Woolley von der Carnegie Mellon Universität sowie Christopher Chabris, Alex Pentland, Nada Hashmi und Thomas Malone vom MIT kam auf die Idee, die Intelligenz von Gruppen in ähnlicher Weise zu messen, wie sonst individuelle Intelligenz gemessen wird.32 Die „kollektive Intelligenz“33 wurde hier angesehen als die Fähigkeit einer Gruppe, eine Vielzahl verschiedener Aufgaben zu lösen. Zweihundert zufällig zusammengestellte Teams aus 600 Personen arbeiteten an Aufgaben wie Bildrätseln, Fällen moralischer Urteile oder Verhandlungen um begrenzte Ressourcen. Ein wichtiges Ergebnis war, dass die Problemlösekompetenz des Teams insgesamt größer war als die jedes einzelnen Teammitglieds: Zusammen konnten die Teams mehr Aufgaben lösen als die einzelnen Mitglieder für sich allein. Andererseits ließ sich aus der Intelligenz der Einzelpersonen nicht die Leistung der Teams erklären: Aus schlauen Einzelspielern wurde daher noch lange kein kluges Team. Wenn also die Intelligenz der einzelnen Teammitglieder nicht ausschlaggebend war, was dann? Das Forscherteam untersuchte Faktoren wie Motivation, Zufriedenheit und Zusammenhalt. Letztlich war es ein einzelner Faktor, der messbar zur „Teamintelligenz“ beitrug, nämlich „soziale Sensitivität“. Da diese bei Frauen in der Regel höher ist als bei Männern, waren die Teams besser, in denen mehr Frauen beteiligt waren. Ein gewisses Maß an Geschlechterdiversität scheint der kollektiven Intelligenz eines Teams gut zu tun.34 Dies legt auch eine Untersuchung von wissenschaftlichen Veröffentlichungen nahe: Veröffentlichungen von Teams aus Frauen und Männern bekamen bessere Bewertungen als von Teams, in denen sich nur Menschen eines Geschlechts befanden.35 31 Vgl. van Knippenberg et al. (2004). 32 Vgl. Woolley et al. (2011). 33 „Kollektive Intelligenz“ in dem hier verwendeten Sinn ist nicht zu verwechseln mit „Schwarmintelligenz“ und „Wisdom of Crowds“ (vgl. dazu das Interview mit Klaus Wittkuhn). 34 Vgl. Woolley und Malone (2011). 35 Vgl. Campbell et al. (2013).

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Kapitel 9 · Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung

Übersichtsarbeiten über Hunderte Studien zeigen, dass der Umfang von geteiltem Wissen die Teamleistung verbessert. Ob das Wissen korrekt ist oder nicht, spielt aber nur in Bezug auf die Teamaufgaben eine Rolle. Hingegen hat zutreffendes Wissen über die Gruppenmitglieder keinen messbaren Einfluss auf die Teamleistung.36 Die von Woolley und ihren Kollegen beobachtete Teamintelligenz ist also nicht allein zutreffendes Wissen über die anderen Teammitglieder, sondern eine aktive soziale Beteiligung und empathische Haltung der Beteiligten untereinander (7 Abschn. 16.4.2). Es bleibt die Frage danach, ob Organisationen mit mehr „Diversity“ auch die innovativeren sind. Generell gilt, dass Gruppen, die eine größere Bandbreite an Perspektiven und Kompetenzen abdecken, erfolgreicher sind als Teams mit einem sehr engen Spektrum.37 Doch das ist nicht die ganze Wahrheit, denn den Umgang mit Vielfalt müssen Teams und Organisationen erst lernen. Unsere Studien zeigen, dass innovative Unternehmen besser mit Verschiedenheit und Unsicherheit umgehen können als weniger innovative. Hoch innovative Organisationen integrieren unterschiedliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich besser als weniger innovative.38 Geschäfts- und Innovationserfolg ist eben nicht eine Frage der Vielfalt an sich, sondern des Umgangs damit:

» „Vielfalt muss man feiern, nicht fürchten“

39.

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36 Vgl. Mohammed et al. (2010). 37 Vgl. Page (2007). 38 Vgl. Hasebrook et al. (2011), siehe auch Fischer et al. (2018). 39 Motto einer Demonstration für gleiche Rechte („Rally for Equal Rights“) vor dem Kapitol in Salt Lake City für das Recht auf Eheschließung gleichgeschlechtlicher Lebenspartner im US-Bundesstaat Utah (Januar 2014; Onlinebericht unter 7 https://archive.sltrib.com/article.php?id=57462549&itype=CMSID; zuletzt abgerufen am 11.09.2019).

183 Literatur

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9

184

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Kapitel 9 · Vom Wert der Vielfalt: Diversity, Quotenregelungen und Frauenförderung

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185 Literatur

Lesetipp Eine managementorientierte und wissenschaftlich fundierte Sammlung von aktuellen Themen im Diversity-Management bietet das folgende Buch: Genkova, P., & Ringeisen, T. (Hrsg.). (2016). Handbuch Diversity Kompetenz: Band 1: Perspektiven und Anwendungsfelder. Heidelberg: Springer. Arbeiten über den Zusammenhang von Innovationsfähigkeit und Diversity haben wir in einem Sammelband zusammengefasst: Dohrn, S., Hasebrook, J., & Schmette, M. (Hrsg.). (2011b). Vielfalt und Innovation. Strategisches Diversity Management für Innovationserfolg. Aachen: Shaker.

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Team und ­Verantwortung Inhaltsverzeichnis Kapitel 10 Die Mannschaft und der Fanblock: Auswirkung von Bekanntheit und Anonymität im Team – 189 Kapitel 11 Herde und Leithammel: Diffusion von Verantwortung – 201 Kapitel 12 Agil und selbstorganisiert: Teams als Organisationsform – 215

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Die Mannschaft und der Fanblock: Auswirkung von Bekanntheit und Anonymität im Team Inhaltsverzeichnis 10.1 Diplomaten im Parkverbot – 190 10.2 Hooltras in Delphi – 190 10.3 Interview: Wie geht man mit Fans um, die zu Hooligans werden, Herr Bergmann? – 192 10.4 Anonymität und Teams – 195 10.4.1 Vorurteile und Entmenschlichung – 195 10.4.2 Raus aus der Anonymität – 196 10.4.3 Als Mensch im Team – 197

Literatur – 198

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_10

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Kapitel 10 · Die Mannschaft und der Fanblock: Auswirkung von Bekanntheit und Anonymität im Team

10.1  Diplomaten im Parkverbot ► Einstieg ins Thema Diplomaten können in ihren Gastländern nicht bestraft werden, wenn sie gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. Halten sie sich trotzdem daran? Oder genauer: Wer hält sich unter welchen Umständen an Regeln, wenn bei Verstößen keine Konsequenzen befürchtet werden müssen? Raymond Fisman und Edward Miguel kamen auf die Idee, dieser Frage nachzugehen, indem sie festhielten, wie häufig Diplomaten in New York beim Falschparken erwischt werden. Da Diplomaten Immunität genießen, können sie nicht bestraft werden – und müssen auch keine Verwarnungsgelder zahlen. Die Forscher interessierten sich besonders dafür, ob Diplomaten aus verschiedenen Ländern unterschiedliche soziale Normen haben, sich also eventuell auch ohne Angst vor Bestrafung an die Parkregeln halten. Soziale Normen spielen eine große Rolle: Diplomaten aus Ländern, die als korrupt gelten, hielten sich weniger an Verkehrsregeln als Diplomaten aus weniger korrupten Ländern. Dennoch: Als die Polizei sehr konsequent Fahrer von falschparkenden Diplomatenwagen ansprach und ermahnte, ging die Zahl der Verstöße dauerhaft auf rund ein Zehntel zurück.1 Kontrolle und persönliche Ansprache helfen also selbst dann, wenn keine Konsequenzen drohen.◄

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10.2  Hooltras in Delphi

Beispiel aus der Praxis Gewalttätige Sportfans und Ausschreitungen unter Alkoholeinfluss – das gab es schon vor fast 2500 Jahren. Bereits 450 vor Christus verbot die Heiligtumsverwaltung des Stadions in Delphi die Mitnahme von Wein zu Wettkämpfen, weil immer wieder Zuschauer randalierten. Es gab sogar eine Art Bereitschaftspolizei, die ausdrücklich das Recht hatte, Zuschauer körperlich mit Stöcken und Peitschen zu züchtigen. So berichtet es Professor Gunter Pilz, der sich seit über 30 Jahren mit dem Phänomen von Gewalt bei Sportwettkämpfen befasst.2 Gunter Pilz prägte den Begriff „Hooltra“ für solche gewaltbereiten Fußballfans als Zusammenziehung der Wörter „Hooligan“ (gewaltbereit) und „Ultra“ (fanatischer Fan e­ iner Fußballmannschaft). Pilz unterscheidet ­ konsumorientierte,

1 2

Vgl. Fisman und Miguel (2007, S. 1038, 1033). Vgl. Pilz (2019).

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10.2 · Hooltras in Delphi

10

fußballzentrierte und erlebnisorientierte Fans, wobei der Begriff „Erlebnis“ zunehmend auch die Anwendung von Gewalt umfasst. Auf äußerst tragische Weise wurde das beim Europapokalendspiel zwischen Liverpool und Turin im Jahr 1985 deutlich, als bei Ausschreitungen 39 Menschen starben. Während Ultras echte Fußballfans sind, nahmen Hooligans Fußballspiele nur zum Anlass, sich in der „dritten Halbzeit“ mit anderen gewaltbereiten Gruppen zu prügeln. Seit Ende der 1980er-Jahre gibt es eine immer stärkere Vermischung der gewaltbereiten mit der extremen Fanszene.3 Unter den bunt gemischten Fans kommt es laut Pilz zu Gewaltexzessen zumeist wegen Enthemmung durch Alkohol und aufgrund von Provokationen gegnerischer Mannschaftsanhänger, die vor und nach – beim „Public Viewing“ auch während – des Spiels nicht voneinander getrennt sind. Die generelle Kommerzialisierung der Gesellschaft, gerade auch des Profifußballs, hat die Verbindlichkeit sozialer Normen verändert: Sie werden nur dann eingehalten, wenn sie dem eigenen Interesse dienen oder die Gefahr besteht, erwischt zu werden. Auseinandersetzungen mit der Polizei sind für Hooligans sogar Teil des Erlebnisses: Gewalt ist ein Medium zur Herstellung von Identität und eines positiven Selbstwertgefühls. In einem Interview sagte ein Hooligan zu Gunter Pilz:

» „Gewalt ist die Tankstelle für Selbstbewusstsein.“

4

Jürgen Bergmann

Herr Jürgen Bergmann5 ist hauptamtlicher Fanbeauftragter beim 1. FC Nürnberg. Ende der 1970er-Jahre besuchte Jürgen Bergmann erstmals das Club-Stadion und ließ sich sofort vom r­ot-schwarzen Fieber infizieren. Wenige Jahre später, 1981, gründete er den Fan-Club Stern Rimpar, dem er 25 Jahre als ­Fanclub-Leiter vorstand. Ab 1995 fungierte Bergmann als ­Fanclub-Koordinator des Bezirks 5. Im Jahre 2001 übernahm er zusammen mit Karl Teplitzky und Peter Maul das Amt des ehrenamtlichen Fanbeauftragten beim 1. FC Nürnberg. Seit Februar 2007 ist Herr

3 Vgl. Behn et al. (2004), Pilz (2019). 4 Pilz (2019, S. 4). 5 Informationen zu Fanbetreuung des 1. FC Nürnberg und den Fanbetreuern online unter: 7 www.fcn.de/fans-mitgliedschaft/fan-betreuung/ (zuletzt abgerufen am 27.08.2019).

Portrait Jürgen Bergmann Fanbeauftragter des 1. FC Nürnberg

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Kapitel 10 · Die Mannschaft und der Fanblock: Auswirkung von Bekanntheit und Anonymität im Team

­ ergmann hauptamtlich als Fanbeauftragter beim Club anB gestellt. In seiner „Karriere“ hat Jürgen Bergmann bislang über 1250 Club-Spiele (630 Heim-, 530 Auswärts-, etwa 110 Pokal- und zumindest 9 UEFA-Cup-Partien) sowie zahllose Freundschaftsspiele „bestritten“.

10.3  Interview: Wie geht man mit Fans um, die

zu Hooligans werden, Herr Bergmann?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben? Was bedeutet Team für Sie?

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Teams gibt es in unterschiedlichsten Ausprägungen, und jeden Tag wird man mit der Verschiedenartigkeit konfrontiert. Ich bin in einer anderen Zeit groß geworden: Mir hat schon immer eher ein autoritärer, autokratischer Stil gefallen, das muss ich ehrlich zugeben. Auch wenn es unendlich viele Situationen gibt, in denen kooperative Arbeit und Teamarbeit definitiv sinnvoller, zweckmäßiger und zielführender ist. Ein Team, das mit lauter gleichartigen Typen besetzt ist, ist aus meiner Sicht kein Team. Ein heterogenes Team hingegen erweitert unwahrscheinlich den Horizont und ermöglicht es, eine komplett andere Meinung zu einem Thema zu hören und einfließen zu lassen. Auch wenn es mitunter sehr schwer ist, sich einzugestehen, dass andere recht haben: Manchmal haben andere Teammitglieder durchaus sehr vernünftige, praktikable Lösungen – und das ist extrem hilfreich. Deshalb ist für mich ein gemischtes, meinungsstarkes Team umso wertvoller. z Was sind prägende Teamerfahrungen mit den Fangruppen des 1. FCN?

Die Fangruppen des 1. FC Nürnberg haben ein weites Spektrum. Das sind sehr viele, unterschiedliche Menschen, die im „normalen“ Leben jenseits des Fußballs nichts miteinander zu tun haben und sich vermutlich sogar aus dem Weg gehen würden. Sie haben nur einen Verknüpfungspunkt: die Hingabe und Sympathie zum selben Fußballverein. Dieser einzige Moment, dieses verbindende Element, eine Fußballmannschaft, die einen runden Ball in ein eckiges Tor schießt, das kann Gigantisches bewirken. 50.000 Menschen sind über den Fußball, über den Verein miteinander verbunden: der Anwalt, der Multimillionär mit drei Villen neben dem Hartz-IV-Empfänger, der Arbeiter neben dem Ingenieur, hier sind alle gleich. Jeder ist im Fußballstadion ein

10.3 · Interview: Wie geht man mit Fans um, die zu Hooligans werden …

g­leichberechtigter Mensch, kann sich wahnsinnig freuen. Und jeder kann sich wahnsinnig verbunden, als eine starke Einheit fühlen. Das ist sensationell. Es gibt aber auch Situationen, in denen diese Unterschiedlichkeit der verschiedenen Fanclubs, Fangruppierungen und der individuellen Menschen sehr deutlich wird. ­Ultra-Gruppierungen sind dafür ein gutes Beispiel, sie polarisieren sehr – durch ihre Art und Weise der Außenwirkung und durch ihr martialisches Auftreten als geschlossene Gruppe. z Wie sehen Team und Teamleben einer Ultra-Gruppierung aus?

Grundsätzlich ist es ein Charakteristikum fast jeder ­Ultra-Gruppierung, dass sie sehr dunkel bzw. schwarz gekleidet sind. Sie treten immer geschlossen auf. Sie treffen nicht einzeln, sondern gemeinsam als Gruppe am Stadion ein und verlassen es auch geschlossen, meist erst eine halbe Stunde nach Spielende. Denn sie packen nach der Partie erst ihre Fahnen und Trommeln ein. Es gibt extrem hierarchische Ultra-Gruppen mit Capos, bei denen es kaum Diskussionen innerhalb der Gruppe gibt, denn grundsätzlich gibt der Capo den Ton an. Ein großes Thema bei diesen Ultra-Gruppierungen ist der Einsatz von Pyrotechnik. Letztlich ist das Verbotene an der Pyrotechnik auch eines der Reize. Man kann sagen, die ­Ultra-Gruppe oder alle Ultra-Gruppen definieren sich über Grenzüberschreitungen. Sie müssen etwas Verbotenes tun, das gehört für sie felsenfest dazu. Ein Ultra zu sein bedeutet, dass man 24 h, sieben Tage in der Woche Ultra ist. Man sagt nicht: „Samstag zieh ich mein Ultra-Shirt an, jetzt bin ich mal Ultra und fahr zum Spiel. Abends auf der Couch bin ich dann wieder ein anderer, und morgen bin ich wieder Bankkaufmann.“ Ultra ist 24/7. Die Reputation der Gruppe steht über allem. z Wie entsteht eine anonyme Masse? Was macht die Anonymität, z. B. in der Fankurve, mit dem Einzelnen?

In der Anonymität fällt bei den Leuten jede Hemmung. Das beste Beispiel ist das Internet und Social Media. Anonymität fördert die dunkle Seite der Macht, die in jedem von uns mehr oder weniger vorhanden ist, ans Tageslicht. Personen agieren in der Anonymität komplett anders. Mein Eindruck ist, dass es vielen einfach nur um Aufmerksamkeit geht, weil sie ihnen im wirklichen Leben fehlt. Weil sie mit sich und ihrem Leben letztlich unzufrieden sind, weil sie keiner so richtig wertschätzt und wichtig nimmt.

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Kapitel 10 · Die Mannschaft und der Fanblock: Auswirkung von Bekanntheit und Anonymität im Team

Je krasser eine Meinung ist, desto mehr provoziert sie Aufmerksamkeit und eine Reaktion, sei es eine positive oder negative. Das ist ein allgemeines Phänomen, kein spezifisches der Ultra-Gruppierungen. Es hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass unsere Welt derart geregelt und durchorganisiert ist, dass ich eigentlich von früh bis spät mit Regeln konfrontiert werde. Es ist alles vorgegeben: Was habe ich wo und wie zu tun? Und in der Anonymität der Masse kann ich mal für zwei Stunden alles über Bord werfen und meinen Emotionen und meinem Frust freien Lauf lassen. z Welche Faktoren wirken auf die anonyme Masse und bewirken welche Reaktionen?

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Das ist eine schwierige Frage. Es gibt nie nur einen Faktor, sondern eine Vielzahl. Nicht immer sind es belegbare Tatsachen, sondern oft Wahrnehmungen, Gefühle, Eindrücke. Es ist den Menschen extrem wichtig, dass sie das Gefühl haben, dass die Mannschaft auf dem Platz alles für den 1. FC Nürnberg gibt. Letztlich ist dieser Aspekt der einzig ausschlaggebende für die Fans und Anhänger, die durchaus sehr realistisch einschätzen können, dass wir keinen deutschen Meistertitel gewinnen und voraussichtlich nie in der Champions League spielen werden – auch dass wir leider nicht jedes Spiel gewinnen, sondern ab und zu unentschieden spielen. Wenn sie jedoch das Gefühl haben, die Mannschaft tut alles, zerreißt sich, hält zusammen für den Verein und gibt bis zur letzten Minute, solange sie das Trikot tragen, einfach alles, dann sind die Menschen zufrieden, honorieren, respektieren und unterstützen das auch. Das war in der letzten Abstiegssaison 2018/2019 der Fall. Der Kontakt zwischen Mannschaftsrat, der Ultra-Gruppierung und vielen Fans war sehr intensiv. Hinzu kommt der Kontakt in Trainingslagern oder bei Spielen, nach denen die Mannschaft öfters in die Kurve gekommen ist, sich gestellt und den Eindruck vermittelt hat, dass jeder in der Mannschaft alles gibt. Offenheit, Ehrlichkeit und Berechenbarkeit wissen die Gruppierungen sehr zu schätzen. Davor haben sie großen Respekt. Sie können auch leidenschaftlich streiten, auf einer vernünftigen Ebene, weder gewalttätig noch ausfallend. Gewalt ist für sich alleine betrachtet ein unendliches Thema. Gewalt ist offenbar tief in uns verwurzelt. Wenn heute irgendwo, ob auf der Kirchweih oder beim Fußballspiel, ein paar Leute aneinandergeraten oder eine Gruppe in eine gewalttätige Auseinandersetzung gerät – da guckt jeder hin, da filmt jeder. Gewalt hat eine unglaubliche Faszination auf viele Menschen. Auch auf Menschen übrigens, die sie selbst nie ausüben würden, übt sie trotzdem eine Anziehungskraft aus.

10.4 · Anonymität und Teams

Vor 20 Jahren konnte Gewalt in und um Fußballstadien mehr oder weniger frei ausgelebt werden. Das ist glücklicherweise heutzutage nicht mehr möglich. Deshalb werden Nischen gesucht, in denen man vor Überwachung und Strafverfolgung geschützt ist. z Wie arbeitet das Team Fanbetreuung mit der anonymen Masse, mit den einzelnen Gruppierungen?

Erstmal ist es für mich extrem wichtig, dass wir ein Team sind, dennoch gibt es klare Zuständigkeiten. Ein Fanbetreuer ist beispielsweise extrem nah bei den ­Ultra-Gruppierungen und deren erster Ansprechpartner. Ein zweiter Kollege kümmert sich um die vielen anderen Fans, der Club ist einer der großen Traditionsvereine Deutschlands mit mehr als 40.000 Fans organisiert in über 700 offiziellen Fanclubs etc. Immer größer werden die Schnittmengen zu den Kollegen der CSR-Abteilung6, mit denen wir zunehmend gemeinsame Projekte erarbeiten. Ich bin letztlich derjenige, der den Überblick behalten muss. Ich finde es als Fanbetreuer extrem wichtig, offen zu sein für alle Fans, sowohl für die Ultra-Gruppierungen als auch für die anderen. Ehrlich zu sein, nichts zu versprechen, was nicht zu halten ist, authentisch zu sein, das ist ganz wichtig. Und für uns ist es entscheidend, verlässlich zu sein. In unserer Arbeit ist es enorm wichtig, ausrechenbar zu sein. Das heißt, immer gleich zu reagieren, auf jede Situation. So erlangst du Authentizität. Wir kommunizieren ehrlich, offen, manchmal laut, meistens übers Telefon. Man sieht sich aber auch an den Spieltagen. Da kann man hervorragend die persönlichen Kontakte pflegen. Ich bin jemand, der viel von persönlichem Austausch hält. Nach 10/15 Jahren kann man schon fast von Freundschaften sprechen. Allerdings finde ich eine gewisse Distanz auch sehr wichtig. 10.4  Anonymität und Teams 10.4.1  Vorurteile und Entmenschlichung

Pascal Boyer argumentiert in seinem Buch „Verstand formt Gesellschaften“ (engl. „Minds make societies“), dass Vorurteile kein Ausdruck von Bösartigkeit sind, sondern eine einfache Entscheidungshilfe dahingehend, wer einem selbst 6 CSR (engl. für corporate social responsibility), hier: soziale Verantwortung des Vereins der Gesellschaft, Umwelt und den eigenen Mitgliedern, Sportlern und Gästen gegenüber.

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Kapitel 10 · Die Mannschaft und der Fanblock: Auswirkung von Bekanntheit und Anonymität im Team

und der eigenen Gruppe gefährlich werden könnte und wer nicht.7 Neuropsychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass Informationen über Gruppen, denen man sich zugehörig fühlt (Ingroups) anders verarbeitet werden als Informationen über Fremdgruppen (Outgroups). Das geht so weit, dass der Anblick von „Outgroups“ Ekel und Abscheu hervorrufen kann, wenn sie als stereotypisch feindlich und inkompetent gesehen werden.8 Das Gegenteil gilt für die eigene Gruppe: Das Belohnungssystem im Gehirn verarbeitet Erfolge der eigenen Gruppe als persönliches Glücksgefühl. Stereotypen, so Boyers Argument, erfüllen eine derart wichtige Funktion zur Vereinfachung und Orientierung in der sozialen Umwelt, dass sie sogar durch die Evolution in den Hirnfunktionen verankert wurden. Daher ist es auch mit Appellen an die Vernunft und dem Hoffen, dass sich schon alle an allgemein anerkannte soziale Regeln halten, nicht getan. Helfen können Trainings, wie die, die wir im Abschnitt über „Team und Diversity“ vorstellen. Wichtig ist aber vor allem eines: Die Verantwortlichen für unsoziales und aggressives Verhalten müssen raus aus der Anonymität der Gruppe.

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10.4.2  Raus aus der Anonymität

Einzelne können sich in der Anonymität der Gruppe verstecken, aber auch Gruppen selbst können anonym sein, wenn es sich z. B. um eine zufällige Zusammenstellung von Personen handelt. Besonders gut lässt sich die Wirkung von individueller und Gruppenanonymität in virtuellen Teams untersuchen, weil hier auf sehr einfache Weise Teams zusammengestellt und Informationen über die beteiligten Personen angezeigt oder verborgen werden können. Dies haben Tom Postmes, Russel Spears und Martin Lea für ihre Forschungen genutzt. Sie stellten fest, dass Gruppenmitglieder sich stärker der Gruppenmeinung anpassen und weniger zur Teamarbeit beitragen, wenn sie anonym sind.9 Wenn Teams derselben Nationalität gebildet wurden, die Gruppenmitglieder aber anonym blieben, wurden Aussagen der eigenen Gruppe besonders stark unterstützt und andere nationale Gruppen besonders deutlich abgelehnt. Bleibt eine Gruppe selbst anonym, ist also für andere Gruppen nicht erkennbar, mit welchem Team sie zusammenarbeiten, dann verhalten sich die einzelnen Teammitglieder

7 8 9

Vgl. Boyer (2018). Vgl. Harris und Fiske (2006). Vgl. Spears et al. (1990).

10.4 · Anonymität und Teams

der anonymen Gruppe stärker entsprechend ihrer Gruppennorm als wenn das Team identifizierbar ist. In einer Reihe weiterer Untersuchungen stellten die Autoren fest, dass anonyme Einzelpersonen und anonyme Gruppen leicht dazu gebracht werden können, verschiedene Gruppennormen zu übernehmen. Normen in den Untersuchungen waren z. B. Konsens vs. kritische Debatte oder gegenseitige Unterstützung vs. schnelle, effiziente Arbeit.10 10.4.3  Als Mensch im Team

Der „Ringelmann-Effekt“ bedeutet, dass die Anstrengung einzelner Teammitglieder mit der Größe des Teams sinkt. Dies gilt sowohl für Teams, die physisch zusammenarbeiten, als auch für virtuelle Teams, die per Computernetzwerk oder Videokonferenz miteinander verbunden sind. Vergleichsuntersuchungen bei traditionellen und virtuellen Teams zeigen, dass vor allem die Größe des Teams ausschlaggebend ist, dass Rollen und Aufgaben unklar werden und daraus folgend Teammitglieder weniger Verantwortung für Aufgaben übernehmen. Eine große räumliche und zeitliche Verteilung virtueller Teams – z. B. bei Arbeitsgruppen in verschiedenen Zeitzonen – trägt zu einer „Dehumanisierung“ bei: Teammitglieder werden dann nur in Bezug auf ihre Arbeitsergebnisse gesehen und nicht als Menschen mit eigener Persönlichkeit. Wenn Menschen nicht mehr als Menschen wahrgenommen werden, steigt die Neigung zu gegenseitigen Beschuldigungen, und Produktivität sowie Zufriedenheit sinken.11 Hier gibt es einen Zusammenhang von Persönlichkeitseigenschaften und Teamfähigkeit: Zentrale Teameigenschaften wie Anpassungsfähigkeit, gemeinsame Situationswahrnehmung und gegenseitige Rückmeldung hängen eng zusammen mit Persönlichkeitseigenschaften der Teammitglieder, insbesondere mit emotionaler Stabilität, Offenheit und Neigung zu Vertrauen und Kooperation12. Doch wie groß muss eine Gruppe werden, um kein Team mehr zu sein? Das hängt davon ab, ob Klarheit über Aufgaben und Rollen aller Teammitglieder herrscht und ob die einzelnen Mitglieder als eigenständige Menschen und nicht in erster Linie als Kollegen im Arbeitsverlauf gesehen werden. Untersuchungen in gut strukturierten industriellen Arbeitsprozessen zeigen beispielsweise, dass große Gruppen von bis

10 Vgl. Übersicht in Postmes et al. (2000). 11 Vgl. Alnuaimi et al. (2010). 12 Vgl. Driskell et al. (2006).

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Kapitel 10 · Die Mannschaft und der Fanblock: Auswirkung von Bekanntheit und Anonymität im Team

zu 100 Personen sogar produktiver sind als kleinere Teams. Kleine Teams von unter zehn Personen sind bei Aufgaben, die viel Abstimmung, Gemeinsamkeit und Vertrauen erfordern, klar im Vorteil. Gibt es jedoch klare Vorgaben, Ziele und Prozesse, dann können Teams deutlich größer sein.13 Ob bei Ausschreitungen im Fußballstadion oder bei Hassreden im Internet: Persönliche Anonymität löst soziale Hemmungen und bewirkt, dass andere Gruppen und deren Mitglieder nicht mehr als Menschen gesehen werden. „Feinde“ zu haben, stiftet Identität in der eigenen Gruppe und schafft in der Auseinandersetzung, auch durch Gewalt, Erlebnisse, die der Alltag nicht bietet. Ausgrenzung und Gewalt sind nur dann keine „Tankstelle für Selbstbewusstsein“ mehr, wenn Verantwortliche aus der Anonymität geholt werden und regelmäßige Kontrollen dafür sorgen, dass man sich nicht „in der Gruppe verstecken“ kann. Das gilt für Fußballfans wie für Diplomaten.

Literatur

10

Alnuaimi, O. A., Robert, L. P., Jr., & Maruping, L. M. (2010). Team size, dispersion, and social loafing in technology-supported teams: A perspective on the theory of moral disengagement. Journal of Management Information Systems., 27(1), 203–230. Behn, S., Klose, A., Pilz, G. A., Schwenzer, V., Steffan, W., & Wölki, F. (2004). Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball – Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftlicher Reaktionen. BiSp Jahrbuch 2004, 289–296. 7 www.bisp.de/SharedDocs/Downloads/ Publikationen/Jahrbuch/Jb_2004_Artikel/Behn_etal.pdf ?__blob=publicationFile. Zugegriffen: 11. Sept. 2019. Boyer, P. (2018). Minds make societies. How cognition explains the world humans create. New Haven: Yale University Press. Driskell, J., Goodwin, G., Salas, E., & O’Shea, P. (2006). What makes a good team player? Personality and team effectiveness. Group Dynamics: Theory, Research, and Practice, 10, 249–271. Fisman, R., & Miguel, E. (2007). Corruption, norms, and legal enforcement: Evidence from diplomatic parking tickets. Journal of Political Economy, 115(6), 1020–1048. Guzzo, R. A., & Dickson, M. W. (1996). Teams in organizations: Recent research on performance and effectiveness. Annual Review of Psychology, 47, 307–338. Harris, L. T., & Fiske, S. T. (2006). Dehumanizing the lowest of the low: neuroimaging responses to extreme out-groups. Psychological Science, 17(10), 847–853. Pilz, G. A (2019). Fußballfankulturen und Gewalt – Wandlungen des Zuschauerverhaltens: Vom Kuttenfan und Hooligan zum postmodernen Ultra und Hooltra. Fachinfoführer Sport. 7 www.sportwiss.uni-hannover.de/fileadmin/sport/pdf/onlinepublikationen/pil_zuschauerverhalten.pdf. Zugegriffen: 11. Sept. 2019.

13 Vgl. Übersicht in Guzzo und Dickson (1996).

199 Literatur

Postmes, E., Spears, R., & Lea, M. (2000). The formation of group norms in computer-mediated communication. Human Communication Research, 26(3), 341–371. Spears, R., Lea, M., & Lee, S. (1990). De-individuation and group polarization in computer-mediated communication. British Journal of Social Psychology, 29, 121–134.

Lesetipp Einen weiten und fundierten Überblick über Erkenntnisse aus Psychologie, Evolutionsbiologie und Neurologie dahingehend, wie aus individuellem Denken und Empfinden Gesellschaften und Kulturen entstehen, gibt Pascal Boyer: Boyer, P. (2018). Minds make societies. How cognition explains the world humans create. New Haven: Yale University Press.

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Herde und Leithammel: Diffusion von Verantwortung Inhaltsverzeichnis 11.1 Wie Zäune aus Menschen Schafe machen – 202 11.2 Der Chef ist wichtiger als der Kunde – 203 11.3 Interview: Wie übernehmen Teams Verantwortung, Herr von Rohr? – 204 11.4 Verantwortung und Teams – 207 11.4.1 Das Banker-Paradox: Verantwortung und Risiko – 207 11.4.2 Autorität und Verantwortung – 209 11.4.3 Zahlen, Zwang und Unmoral – 210

Literatur – 212

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_11

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Kapitel 11 · Herde und Leithammel: Diffusion von Verantwortung

11.1  Wie Zäune aus Menschen Schafe machen ► Einstieg ins Thema

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Zuerst waren es nur die niederländischen Städte Drachten und Haren, dann kamen durch ein EU-Projekt namens „Shared Space“ (deutsch: sozialer Raum) die französische Stadt Chambéry und schließlich auch der deutsche Ort Bohmte bei Bremen dazu: Fast alle Verkehrsschilder und Ampeln wurden abgebaut. Was niemand für möglich hielt und allen bisherigen Vorschlägen und Maßnahmen widersprach: Durch weniger Regeln und Sicherheitsmaßnahmen stiegen Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme; daher wurde der Verkehr sicherer und flüssiger. Eine Umgebung, die signalisiert: „Hier ist alles geregelt und sicher“, verführt zu Unaufmerksamkeit und nachlässigem Verhalten. In ähnlicher Weise verführt eine schmutzige und unordentliche Umgebung zu weiteren, teils größeren Regelverstößen. In Feldexperimenten knüpften Kees Keizer und Kollegen von der niederländischen Universität Groningen an die Diskussionen zum sozialen Raum an und führten eine Reihe von Versuchen durch.1 Darin zeigen sie, dass nicht nur mehr Müll weggeworfen wird, wenn bereits Müll herumliegt, sondern dass auch andere Zeichen von „Unordnung“, wie z. B. Graffiti an Wänden, dazu führen, dass mehr Müll weggeworfen wird und sogar der Diebstahl eines von den Autoren heimlich platzierten Umschlags mit einem Fünf-Euro-Schein zunahm. In einer Broschüre des Vereins „Das macht Schule“ in Hamburg steht zu lesen: „Was man selbst gemacht hat, macht man nicht kaputt“2. Darin wird berichtet, dass Schülerinnen und Schüler mit schön hergerichteten Räumen, vor allem wenn sie selbst an der Renovierung beteiligt waren, viel sorgsamer umgehen als mit Räumen, die als schmutzig und ungemütlich erlebt werden. In einer Umfrage der Ludwig-Maximilians-Universität München im Jahr 2010 an Schulen gaben 80 % der befragten Lehrkräfte an, dass weniger Vandalismus in renovierten Klassenzimmern auftritt als in nicht renovierten Räumen. Spätere Evaluationen, z. B. von 2015, bestätigten das Bild: Saubere Wände, renovierte Klassenräume und vor allem saubere Toiletten senken Vandalismus und Gewalt an Schulen. Der Grund ist das, was in der Sozialpsychologie „soziale Normen“ genannt wird: Saubere und gepflegte Umgebungen vermitteln eine andere „soziale Norm“, ebenso wie offene soziale Räume im Vergleich zu strikt geregelten Verkehrsräumen.

1 Vgl. Keizer et al. (2008). 2 E-Book online frei verfügbar unter: 7 www.das-macht-schule.net/ wp-content/uploads/dlm_uploads/2018/09/Ebook-Vandalismus.pdf.

11.2 · Der Chef ist wichtiger als der Kunde

Als einer der Begründer der Idee vom „Sozialen Raum“ gilt der Niederländer Hans Monderman. In einem Buch über Verkehr und Verkehrsberuhigung wird er zitiert mit dem Ausspruch:

» „Wenn

Du Zäune um Menschen baust, bekommst Du Schafe.“ und: „Wenn Du Menschen wie Idioten behandelst, benehmen sie sich auch so.“3

Der 2008 verstorbene niederländische Verkehrsplaner sah den Verkehrsraum vor allem als sozialen Raum an und schlug vor, Sicherheit und Verkehrsfluss in Städten zu verbessern, indem man Verkehrsschilder und Ampeln radikal entfernt.◄

11.2  Der Chef ist wichtiger als der Kunde

Beispiel aus der Praxis In einer Bank war bisher immer ein Teambonus zu gleichen Teilen an alle Teammitglieder gezahlt worden. Dies wollte sie nun ändern, weil sich einige Personen darüber beschwert hatten, dass unabhängig von der Einzelleistung alle gleich viel bekamen, denn der Teambonus hing allein von der Zielerreichung des Teams und dem Unternehmenserfolg insgesamt ab. Um dieser Beschwerde Rechnung zu tragen, mussten nun alle Teamleiter eine Leistungsrangfolge für ihr Team erstellen, und der Bonus wurde nach dieser Rangliste verteilt. Die soziale Norm, die hier vermittelt wurde, lautete nun: „Jede/-r ist sich selbst die bzw. der Nächste“ – und ziemlich bald nach Einführung des neuen Systems: „Rette sich, wer kann“. Unternehmen setzen soziale Normen: durch Regeln, durch Räume und durch Ziel- und Steuerungssysteme. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür. Eine andere, nicht nur bei Banken beliebte soziale Norm ist: „Der Chef ist wichtiger als der Kunde“. Sie beruht darauf, dass es für Mitarbeiter oft deutlich unangenehmere Folgen hat, wenn sich der Chef beschwert, als wenn es der Kunde tut. Im konkreten Fall wurde pro Kundengespräch erfasst, ob der Beratungsprozess nach den vorgegebenen Regeln vorgenommen wurde und ob die Produktempfehlung angenommen wurde – also der Kunde gekauft hatte. Kunden berichteten uns von quälenden Gesprächen, in denen sie durch einen festgelegten Beratungsprozess geschleust wurden, am Ende eine Empfehlung bekamen, die nicht ihren Wünschen entsprach, viele aber dennoch ein empfohlenes Produkt

3

Vanderbilt (2008).

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Kapitel 11 · Herde und Leithammel: Diffusion von Verantwortung

kauften. Wie sehen der quälende Prozess und die genervten Kunden aufseiten der Bank aus? Blendend: Alle Regeln eingehalten und Produkt verkauft – besser geht es nicht! Der Kunde hingegen wird vermutlich beim nächsten Kauf eine Alternative wählen. Letztlich bestätigen diese und ähnliche Vorkommnisse Hans Mondermans These: Wenn Du lauter Regeln um Menschen baust, bekommst Du Schafe – die sich im Zweifel eher wie Idioten und nicht wie verantwortungsvolle und intelligente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benehmen.

Karl von Rohr

Portrait Karl von Rohr, Vorstand Deutsche Bank

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Herr Karl von Rohr studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Bonn, Kiel und Lausanne sowie an der Cornell University (USA). Karl von Rohr kam 1997 zur Deutschen Bank. Von 2013 bis 2015 war er Global Chief Operating Officer, Regional Management. Zuvor war er Leiter Personal der Deutschen Bank in Deutschland und Vorstandsmitglied der Deutsche Bank PGK AG. Im Verlauf seiner Tätigkeit bei der Deutschen Bank hatte er verschiedene Leitungsfunktionen in Deutschland und Belgien inne. Er ist seit 2015 Mitglied des Vorstands der Deutschen Bank und seit 2018 stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Er hat im Vorstand die Verantwortung für die Privatkundenbank und die Vermögensverwaltung. Darüber hinaus ist er verantwortlich für die Region Deutschland und war bis November 2019 Arbeitsdirektor der Deutschen Bank AG. Vorübergehend hat er weiterhin die Verantwortung für die Bereiche Recht und Governance.

11.3  Interview: Wie übernehmen Teams

Verantwortung, Herr von Rohr?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

Teams haben für mich eine sehr hohe Bedeutung, weil ich glaube, dass unterschiedliche Perspektiven die Qualität von Entscheidungen verbessern. Dabei bevorzuge ich meinungsstarke Leute in einem Team, auch, um das „Groupthinking“ zu vermeiden, also das Phänomen, dass wir in Gruppen aus dem Bedürfnis nach Harmonie oft schlechtere Entscheidungen treffen.

11.3 · Interview: Wie übernehmen Teams Verantwortung, Herr von Rohr?

Allerdings muss, nachdem die verschiedenen Aspekte und Meinungen beleuchtet und gehört wurden, dann auch entschieden werden. Entscheidungen können nicht sozialisiert werden. Hier steht die Führungskraft in der Verantwortung. z Was waren prägende Teamerfahrungen?

Ich habe zwei wesentliche Erfahrungen gemacht – eine in jüngster Zeit und eine ganz am Anfang meiner Laufbahn. Zu Beginn meiner Karriere bin ich schnell und sehr jung in Führungsrollen gekommen, in die ich zum Teil noch reinwachsen musste. Damals habe ich davon profitiert, dass ich um mich herum immer sehr erfahrene Leute hatte, die mir im Team geholfen haben. Die Kollegen fühlten sich mit ihrem Expertenwissen geschätzt und haben akzeptiert, dass gelegentlich – nachdem sie gehört worden waren – auch andere Entscheidungen getroffen werden mussten. So sind wir meistens zu sehr guten Entscheidungen gekommen. Neuere Teamerfahrungen, die für mich ebenso außergewöhnlich sind, waren die Vergleichsverhandlungen mit dem U.S. Department of Justice. Hier arbeiteten wir in einer relativ kleinen Runde und hatten einen perfekten Skill-Mix: Finanzspezialisten, die unsere Finanzposition vertraten, Juristen, die jeden Verhandlungsstand ausformulieren konnten, und Verhandlungsführer, die die Gespräche immer wieder in Bewegung bringen mussten. Gemeinsam sind wir dann auch aus den Sackgassen herausgekommen, in die man in solch schwierigen Verhandlungen immer wieder kommt. Sich nahezu blind aufeinander verlassen zu können und sich perfekt zu ergänzen, war ein gutes Gefühl und eine klasse Teamerfahrung. z Wofür würden Sie heute unbedingt im Team arbeiten, in welchem Punkt auf keinen Fall?

Ich würde Teams einsetzen, um komplexe Problemstellungen von unterschiedlichen Charakteren durchleuchten zu lassen. Ich mache mir immer Gedanken darüber, ob wir wirklich mit ausreichender intellektueller Breite und Tiefe auf Themen geschaut haben. Oder ob am Ende doch wieder Menschen um den Tisch sitzen, die eigentlich nur den Blick aus derselben Perspektive haben. Im Sinne einer nachhaltigen Führung und effizienten Problemlösung wäre Letzteres nicht gut. Gleichzeitig muss man sich aber auch darüber klar sein, dass ein Team nicht alles leisten kann. Das Team mag zwar zu einer einheitlichen Entscheidung kommen, es muss aber trotzdem immer einer da sein, der am Ende die Verantwortung für die Entscheidung übernimmt – und gegebenenfalls auch die Entscheidung trifft, wenn das Team zu keiner

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Kapitel 11 · Herde und Leithammel: Diffusion von Verantwortung

­ ntscheidung kommen mag. Es gibt z. B. PersonalentscheiE dungen, die kann man sicherlich besprechen, aber am Ende muss sie einer treffen und vor allem sie auch kommunizieren. z In welchen Situationen vermeiden Menschen die Übernahme von Verantwortung?

Individualentscheidungen werden häufig vermieden, wenn die „Befehlslage“ nicht klar ist, also die Zuständigkeit nicht eindeutig verteilt worden ist. Dann prescht entweder irgendjemand vor, womit die anderen nicht einverstanden sind. Oder keiner entscheidet, weil keiner dem anderen auf die Füße treten will. Beide Szenarien können schwierig sein. Ich bin überzeugt: Es ist richtig und wichtig, immer eine Person explizit verantwortlich zu machen. Wenn sich deroder diejenige im Team für die Entscheidungsfindung Rat holen möchte, dann ist das gut so. Aber die Verantwortung für die Entscheidung hat dann eine Einzelperson. z Wer übernimmt Verantwortung, wer eher nicht?

11

Ich habe erlebt, dass diejenigen, die Verantwortung haben, diese auch gern übernehmen, wenn die Zuständigkeiten klar sind und Entscheidungsfreude positiv belegt ist. Wer merkt, dass es sanktioniert wird, wenn er etwas entscheidet und Verantwortung übernimmt, der lässt es beim nächsten Mal. Das heißt, man muss Mitarbeiter explizit zur Entscheidungsfreude ermuntern und dafür auch belohnen. Wahr ist aber auch: Auf Positionen, auf denen es viel zu entscheiden gibt, sitzen manchmal entscheidungsschwache Personen. Aus meiner Sicht muss die Übertragung von Verantwortung an bestimmte Qualifizierungskriterien geknüpft sein. So ist jemand, der risikoavers ist, also nie zu einer Entscheidung kommt, mindestens so hinderlich, wie jemand, der alles sofort aus dem Bauch heraus entscheidet, dafür aber jede zweite Entscheidung wieder zurücknimmt. Eine gut abgewogene Entscheidung, die dann klar ist und umgesetzt wird, führt in der Regel schneller zum Ziel als wenn schnell, aber erratisch entschieden wird. Am Ende gibt es explizite und implizite Verantwortungsübernahme. Bei manchen ist es klar, weil sie am Steuerrad sitzen, und bei anderen ist es, weil sie unbemerkt ins Steuer ­greifen. Es gibt in Organisationen immer Leute, die informelle Entscheider sind, also einen sehr hohen Einfluss auf Entscheidungsfindung haben, ohne dass sie diese notwendigerweise selbst treffen.

11.4 · Verantwortung und Teams

z Welche Faktoren begünstigen die Übernahme von Verantwortung im Unternehmen? Welche behindern sie?

Wenn ich von Mitarbeitern die Übernahme von Verantwortung erwarte, dann muss ich sie die Verantwortung auch tragen lassen. Den Mitarbeitern und Kollegen muss klar sein, wofür sie verantwortlich sind und was sie entscheiden können. Dazu bedarf es einer transparenten Kommunikation darüber, was wirklich ihre Entscheidungskompetenz ist und was nicht. Wichtig ist also Klarheit darüber, was die Kompetenz und was der Entscheidungsrahmen ist. Ebenso wichtig sind Spielregeln, auf die man sich idealerweise gemeinsam einigt und die konkret vorgeben, wie man bei so einer Entscheidung miteinander und mit Fehlern umgeht. Wenn das einmal festgelegt ist, muss man auch bereit sein, mit den Konsequenzen der Delegation zu leben – und damit, dass jemand dann eben auch Verantwortung übernimmt. Als Führungskraft darf man dann denjenigen, der Verantwortung übernommen hat, nicht im Regen stehen lassen. Nur dann werden Menschen auch bereit sein, Entscheidungen zu übernehmen. z Wie werden Teams in Zukunft funktionieren?

Es wird in Zukunft unterschiedliche Arten geben, wie Teams miteinander interagieren, wie man sie zusammensetzt, wie man sie miteinander arbeiten lässt. Einen sehr großen Einfluss wird die Nutzung von neuer Technologie haben: Was sich signifikant verändern wird, ist, dass es in viel höherem Maße datenanalytisch unterstützte Entscheidungen geben wird. Also dort, wo ich heute Menschen frage, werde ich in der Zukunft häufig Entscheidungshilfen haben, die auf der Analyse von einer immer größer werdenden Menge an Daten basieren. Infolgedessen wird sich die Teamzusammensetzung verändern, weil wir viel mehr Leute in unseren Teams haben werden, die sich mit „Data Mining“ und „Predictive Analytics“ befassen. Das ändert aber nichts daran, dass auch künftig gute Teamarbeit entscheidend für den Erfolg sein wird. 11.4  Verantwortung und Teams 11.4.1  Das Banker-Paradox: Verantwortung und

Risiko

Das Eingehen von Risiken hat nicht für jede Branche die gleiche Bedeutung: Alle wünschen sich „Null-Risiko“-­Krankenhäuser

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Kapitel 11 · Herde und Leithammel: Diffusion von Verantwortung

und -Fluglinien, eine „Null-Risiko-Bank“ hingegen geht pleite.4 Um Geschäfte zu machen, müssen Banker Risiken eingehen, zugleich muss aber sichergestellt sein, dass die Summe aller eingegangenen Risiken dazu führt, dass am Ende Gewinn gemacht wird und kein Verlust. Dieses Problem wechselseitiger Austauschbeziehungen wird als „Banker-Paradox“ bezeichnet: Banker verleihen lieber dann Geld, wenn die Sicherheiten hoch und die Bedürftigkeit gering ist als umgekehrt.5 Dieses Paradox betrifft letztlich alle Austauschbeziehungen zwischen Menschen und ist maßgebend für die Entwicklung moralischer Maßstäbe und die Übernahme von Verantwortung in sozialen ­Gemeinschaften.6 Nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, in der die US-amerikanische Großbank Lehmann Brothers im September 2008 schließen musste, ist das Vertrauen in Banken deutlich gesunken.7 Eine vielbeachtete Meta-Analyse der London Business School zeigte, dass Kunden sehr genau darauf achten, ob Unternehmen Verantwortung übernehmen, wenn Regeln verletzt werden und wie sie mit den verantwortlichen Personen umgehen. Menschen erwarten direkt nachvollziehbare Nachweise für die Durchsetzung von Regeln, schätzen die Vertrauenswürdigkeit in einem Unternehmen im Wesentlichen auf Basis des eigenen Erlebens ein und geben wenig auf externe Beurteilungen.8 Das Banker-Paradox zeigt allerdings, dass es sich finanziell nicht lohnt, sich an Regeln zu halten: Banken, die sich an die Regeln halten, stehen wirtschaftlich nicht besser da, als die, die es nicht tun.9 Damit verantwortliches Handeln sich lohnt, wird versucht, Vielfalt und Wettbewerb auf dem Finanzmarkt einzuschränken. Umfangreiche internationale Vergleichsstudien zeigen jedoch, dass durch Vielfalt und Wettbewerb nicht etwa die Risiko-, sondern die Kooperationsbereitschaft von Unternehmen gefördert wird. Und schließlich: Es sind nicht von außen kommende Regeln, die zu mehr Verantwortungsübernahme führen, sondern Faktoren, die im Unternehmen selbst verankert sind: Gewichtung der Team- vor den Individualzielen sowie positive Anreize, wenn Entscheidungen keine

4 5 6 7

8 9

Vgl. Diskussion bei Hasebrook et al. (2018). Vgl. Tooby und Cosmides (1996). Vgl. Tomasello (2016). Vgl. Edelmann Trust Barometer unter: 7 www.dcu.ie/sites/default/files/ centre_for_family_business/200429962-2014-Edelman-Trust-Barometer. pdf (zuletzt abgerufen am 27.09.2019) und Leusmann (2014). Vgl. Nienaber et al. (2014). Vgl. Demirgüç-Kunt und Detragiache (2010).

11.4 · Verantwortung und Teams

g­ roßen Risiken bergen, und negative Konsequenzen (z. B. finanzielle Einbußen) bei Fehlverhalten.10 11.4.2  Autorität und Verantwortung

Der US-amerikanische Psychologe Stanley Milgam (1933– 1984) stammte aus einer Familie jüdischer Emigranten und erlebte während des zweiten Weltkriegs, wie Angehörige mit eintätowierten KZ-Nummern Schutz bei seinen Eltern in den USA suchten.11 Milgram wurde Professor für Sozialpsychologie an der Yale Universität, später in New York, und forschte zu blindem Gehorsam gegenüber Autoritäten. Als „Milgram-Experimente“ wurden seine Untersuchungen der Jahre 1961–1962 berühmt, in denen er Versuchspersonen aufforderte, anderen Menschen Elektroschocks von bis zu 450 Volt zu verabreichen.12 Angeblich handelte es sich um ein Gedächtnisexperiment, bei dem der Einfluss von Bestrafung auf das Lernverhalten getestet werden sollte. Tatsächlich waren die vermeintlichen „Schüler“ eingeweiht und spielten sehr realistisch den Schmerz, den die angeblichen Stromstöße auslösten. Ermutigt und angetrieben durch den Versuchsleiter, der mit weißem Kittel bekleidet in demselben Raum wie die Versuchsperson hinter einem Schreibtisch saß, gaben mehr als zwei Drittel der Teilnehmenden den stärksten Stromstoß von 450  Volt. Milgrams Versuche wurden in vielen Ländern in mehreren Variationen wiederholt. Die Ergebnisse waren immer dieselben: Wenn eine Autorität Menschen mit gewichtigen Gründen, wie z. B. der Förderung des wissenschaftlichen Fortschritts, in Sicherheit wiegt, wird die Verantwortung an diese Autorität abgegeben.13 Kann man sich gegen solchen blinden Gehorsam schützen? Ja, das geht, wenn klar ist, wer die Verantwortung trägt. In einem Feldexperiment wurden Krankenschwestern und -pfleger von einem angeblichen, ihnen aber unbekannten Arzt aufgefordert, eine gesundheitsschädliche Dosis eines Medikaments zu verabreichen. Zuvor war in Gruppensitzungen einem Teil der Pflegekräfte verdeutlicht worden, dass sie für die von ihnen vorgenommenen medizinischen Maßnahmen selbst verantwortlich seien und daher Anweisungen prüfen sollten. Fühlten sich die Pflegekräfte verantwortlich, kamen sie der

10 11 12 13

Vgl. Boyd et al. (2006). Vgl. Rauner (2019). Vgl. Milgram (1963). Vgl. Milgram (1974), Doliński et al. (2017).

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Kapitel 11 · Herde und Leithammel: Diffusion von Verantwortung

gefährlichen Aufforderung nur in rund 30 % der Fälle nach, sonst in über 60 %.14 Teammitglieder übernehmen nur dann eigene Verantwortung für die Arbeit im Team, wenn ihre Grundbedürfnisse nach Autonomie, Zugehörigkeit, Kompetenz und Selbstwirksamkeit erfüllt werden. Das ist besonders bedeutsam, wenn Teams unter Druck stehen, da die Erfüllung dieser Bedürfnisse dann leicht übersehen wird. Um es dennoch im Fokus zu behalten, ist nicht viel Aufwand nötig, wie eine Untersuchung an rund 30 Teams schwedischer Finanzdienstleister zeigte. In der Hälfte der Teams gingen die Teammitglieder 15 Karten mit Aussagen durch, die sich auf Grundbedürfnisse bezogen. Darauf stand z. B. „Verpflichtet sein: Ich stehe hinter den Entscheidungen des Teams und trage Verantwortung dafür“. Oder: „Lösungen finden: Ich konzentriere mich auf Lösungen, nicht auf Probleme“. Und: „Wissen teilen: Ich will Wissen und Fähigkeit mit anderen teilen“.15 Dann stellte jedes Teammitglied kurz dar, was diese Aussage für sie oder ihn bedeutet. Im Laufe der Teamarbeit stiegen Zufriedenheit und Motivation für diese Gruppen deutlich an, verschlechterten sich jedoch in Teams ohne diese Übung. 11.4.3  Zahlen, Zwang und Unmoral

11

Nicht nur Autoritätspersonen können der Grund sein, warum Verantwortung „abgegeben“ wird. Einen drastischen Fall aus der Wirtschaft schildert Julia Shaw in ihrem Buch „Böse“16: Der Autohersteller Ford hatte 1970 den Kleinwagen „Pinto“ auf den Markt gebracht, um sich gegen die Konkurrenz anderer Fahrzeuge aus Deutschland und Japan zu wehren. Durch einen Konstruktionsfehler konnte bei einem Auffahrunfall der Benzintank leicht in Brand geraten. In späteren Gerichtsverfahren gegen Ford wurde bekannt, dass es ungefähr 11 US$ pro Auto zusätzlich gekostet hätte, den Fehler zu beheben und ca. 180 Todesfälle jährlich zu verhindern. Der Konzern entschied sich jedoch dagegen, weil die Kosten für den Einbau höher waren als die zu erwartenden Kosten durch Imageverlust und Schadensersatzklagen, wobei pro Todesfall 200.000 US$ kalkuliert wurden. Nicht nur Autoritäts-, sondern auch Zahlengläubigkeit und vermeintlich wirtschaftlicher Zwang können also „moralisch blind“ machen.17

14 15 16 17

Vgl. Krackow und Blass (1995). Vgl. Jungert et al. (2018, S. 12). Vgl. Shaw (2018, S. 219). Vgl. Übersicht in Bandura (2016).

11.4 · Verantwortung und Teams

Phil Zimbardo gibt in seinem Buch „Der Luzifereffekt“ eine „Anleitung“, wie man nahezu jede Person und jedes Team zu unmoralischem Verhalten verleitet:18 Zunächst wird eine Verpflichtung (z. B. ein Vertrag) hergestellt und den Beteiligten eine wichtige Rolle zugewiesen, wie z. B. „Lehrer“ oder „Wächter“. Dann werden vage Regeln aufgestellt, die unterschiedlich interpretiert werden können und auf deren Einhaltung bestanden wird. Das Einhalten der Regeln muss mit einem positiven Ziel zusammenhängen (z. B. wirtschaftliches Überleben der Firma statt Gefährdung von Autofahrern). Verantwortung wird dabei auf verschiedene Personen verteilt, sodass der Einzelne sie immer „abgeben“ kann. Moralisch deutlich verwerfliche Taten, wie z. B. hohe Stromstöße, dürfen nicht auf einmal eingeführt werden, sondern in vielen kleinen Schritten. Die persönlichen Kosten für das Abbrechen unmoralischen Verhaltens müssen hoch sein (z. B. soziale Isolation, Degradierung oder Jobverlust). Wie kann man sich gegen die Wirkung solcher „unmoralischen Systeme“ zur Wehr setzen? Wie oben beschrieben, hilft es bereits, wenn Teams und ihre Mitglieder an ihre Verantwortung erinnert werden. Eine kritische Gruppennorm kann durch gemeinsame Teamreflektion erreicht werden und durch das Verhalten der Teamleitung, die Diskriminierung nicht duldet und dafür sorgt, dass moralische Bedenken eingebracht werden können. Auch hier gibt Phil Zimbardo Hinweise:19 Es deutet auf Unmoral hin, wenn Sätze fallen wie: „Ich habe nur Befehle befolgt“ oder: „Manchmal muss man auch Schäden hinnehmen“ oder auch: „Mit Ungerechtigkeit muss man sich manchmal einfach abfinden“. Teams werden weitgehend immun gegen unethisches Verhalten, wenn sie Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, Fehler eingestehen, Perspektivwechsel zulassen und immer auch die Folgen ihrer Handlungen bedenken. Und schließlich: Jedes System muss sicherstellen, dass persönliche Entscheidungsfreiheit nicht für die eigene Sicherheit aufgegeben werden muss. Dies gilt besonders in Organisationen, die, wie im „Banker-Paradox“ geschildert, kalkuliert Risiken eingehen müssen, um bestehen zu können.

18 Vgl. Zimbardo (2008, S. 273 f.). 19 Vgl. Zimbardo (2008, S. 451 ff.).

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Kapitel 11 · Herde und Leithammel: Diffusion von Verantwortung

Literatur

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Bandura, A. (2016). A review of moral disengagement: How people do harm and live with themselves. New York: Worth Publishers. Boyd, J. H., De Nicolò, G., & Jalal, A. M. (2006). Bank risk-taking and competition revisited: New theory and new evidence. IMF Working Paper. Washinton D.C.: International Monetary Fund. Demirgüç-Kunt, A., & Detragiache, E. (2010). Basel core principles and bank risk: Does compliance matter? IMF Working Paper. Washington D.C.: International Monetary Fund. 7 www.imf.org/external/pubs/ft/wp/2010/ wp1081.pdf. Zugegriffen: 15. Sept. 2019. Doliński, D., Grzyb, T., Folwarczny, M., Grzybała, P., Krzyszycha, K., Martynowska, K., & Trojanowski, J. (2017). Would you deliver an electric shock in 2015? Obedience in the experimental paradigm developed by Stanley Milgram in the 50 years following the original studies. Social Psychological and Personality Science, 1, 1–7. Hasebrook, J., Rodde, S., & Lister, M. (2018). Zur Weiterentwicklung des Risikomanagements in Kreditinstituten. Thomson Reuters EIKON Branchenforum (Gastbeitrag). Jungert, T., Van den Broeck, A., Schreurs, B., & Osterman, U. (2018). How colleagues can support each other’s needs and motivation: An intervention on employee work motivation. Applied Psychology: An International Review, 67(1), 3–29. Keizer, K., Lindenberg, S., & Steg, L. (2008). The spreading of disorder. Science, 322(5908), 1681–1685. Krackow, A., & Blass, T. (1995). When nurses obey or defy inappropriate physician orders: Attributional differences. Journal of Social Behavior & Personality, 10(3), 585–594. Leusmann, K. (2014). Kulturwandel bei den Banken: Wege zu Ethik und Verantwortung im Kreditgewerbe. Wiesbaden: Springer Gabler. Milgram, S. (1963). Behavioral study of obedience. Journal of Abnormal and Social Psychology, 67, 71–378. 7 https://library.nhsggc.org.uk/mediaAssets/Mental%20Health%20Partnership/Peper%202%2027th%20Nov%20 Milgram_Study%20KT.pdf. Zugegriffen: 15. Sept. 2019. Milgram, S. (1974). Obedience to authority. An experimental view. New York: Harper [Deutsch: 1997, Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität (14. Aufl.). Reinbek: Rowohlt]. Nienaber, A., Searle, M., & Hofediz, R. (2014). Do we bank on regulation or reputation? A meta-analysis and meta-regression of organizational trust in the financial services sector. International Journal of Bank Marketing, 32(5), 367–407. Rauner, M. (2019). Du Held. ZEIT WISSEN Magazin, 3/2019. 7 www.zeit. de/zeit-wissen/2019/03/psychologie-helden-gut-boese-philip-zimbardo. Zugegriffen: 12. Juni 2019. Shaw, J. (2018). Böse. Die Psychologie unserer Abgründe. München: Carl Hanser. Tomasello, M. (2016). A natural history of human morality. Cambridge: Harvard University Press. Tooby, J., & Cosmides, L. (1996). Friendship and the banker’s paradox: Other pathways to the evolution of adaptations for altruism. Proceedings of the British Academy, 88, 119–143. Vanderbilt, T. (2008). Traffic: Why we drive the way we do (and what it says about us). New York: Random House [Deutsch 2009, Auto: Warum wir fahren, wie wir fahren und was das über uns sagt. Hamburg: Hoffmann & Campe].

213 Literatur

Zimbardo, P. (2008). The Lucifer effect. Understanding how good people turn evil. New York: Random House Paperback [Deutsch 2012, Der Luzifer-Effekt: Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag].

Lesetipp Klaus Leusmann wirft einen kritischen Blick auf ethische Maßstäbe und Verantwortung im Kreditgewerbe: Leusmann, K. (2014). Kulturwandel bei den Banken: Wege zu Ethik und Verantwortung im Kreditgewerbe. Wiesbaden: Springer Gabler. Phil Zimbardo, der Sozialpsychologe, der das viel diskutierte „Stanford-Gefängnis-Experiment“ durchgeführt hat, hat darüber und über seine Arbeit als Gutachter im Abu-Ghraib-Skandal ein überaus lesenswertes Buch geschrieben: Zimbardo, P. (2012). Der Luzifer-Effekt: Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.

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Agil und selbstorganisiert: Teams als Organisationsform Inhaltsverzeichnis 12.1 Der Laufschuh aus der Speedfactory – 216 12.2 Einmal agil – und zurück – 216 12.3 Interview: Wie wird eine Organisation agil, Herr Klett? – 218 12.4 Agilität und Teams – 222 12.4.1 Stabil durch Flexibilität – 222 12.4.2 Sinn für Sinnhaftigkeit – 224 12.4.3 Grenzen von Agilität – 226

Literatur – 228

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_12

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Kapitel 12 · Agil und selbstorganisiert: Teams als Organisationsform

12.1  Der Laufschuh aus der Speedfactory ► Einstieg ins Thema

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Die Adidas-Gruppe baut ihre Vision eines agilen Unternehmens auf zwei Bausteinen auf: 1) flexible Strukturen für ein kundenorientiertes Geschäftsmodell und 2) ein „New Way of Working“ durch eine Transformation von Personalmanagement und innovationsförderlichen Arbeitsumgebungen. Agilität ist für Adidas die Fähigkeit zur fortlaufenden Anpassung. Dieser „New Way of Working“ wird durch fünf Leitsätze beschrieben: 1) „Denke kundenorientiert“, 2) „Entwickle andere“, 3) „Arbeite zusammen für Topergebnisse“, 4) „Höre nie auf zu lernen“ und 5) „Spiele, um zu gewinnen“ (d. h. übernimm Verantwortung und fordere den Status quo heraus). Jedes Team legt für sich selbst fest, wie es diese Leitsätze umsetzen und woran es sich messen lassen will und gestaltet somit den Prozess der Leistungsmessung und -bewertung mit. Bei Adidas ist die Forderung nach Geschwindigkeit in allen Teams tief verankert: soziale Medien und tagesaktuelle Verkaufszahlen aus dem Einzelhandel, Forschungskooperationen, Konsumentenbefragungen und „Popup-Stores“1 werden genutzt, um jederzeit über Kundenverhalten und Rückmeldungen informiert zu sein. Abteilungs- und hierarchieübergreifende Projektteams versuchen, fortlaufend Abläufe zu beschleunigen und Neuerungen noch schneller zur Kundschaft zu bringen. Das Team „Speedfactory“ beispielsweise beschäftigt sich damit, wie flexible und lokale Produktionsmöglichkeiten entwickelt werden können, um dem Kunden individualisierte Produkte noch schneller zur Verfügung zu stellen.◄

12.2  Einmal agil – und zurück

Beispiel aus der Praxis Im vergangenen Jahr erreichte uns der Hilferuf eines Geschäftsführers einer alteingesessenen Maschinenbaufirma: Könne es eigentlich zu viel Agilität in Unternehmen geben und sei Agilität manchmal unsinnig? In einem Bereich seines Unternehmens waren selbstgesteuerte Teams, „Sprints“, und die „Working-Out-Loud“-Methode als agile Methoden eingeführt worden. Sprints sind in der agilen Arbeitsmethodik „Scrum“ kurze, intensive Teamarbeitsabschnitte von ein

1 Ein „Pop-up-Store“ ist ein innerhalb kürzester Zeit aufgebauter, provisorischer und zeitlich begrenzter Verkaufsort (z. B. ein Verkaufszelt in einer Fußgängerzone, das aussieht wie ein großer Schuhkarton).

12.2 · Einmal agil – und zurück

217

bis vier Wochen, die geeignet sind, schnell zu überprüfbaren Ergebnissen zu kommen.2 Die von John Stepper vorgestellte Methode „Working Out Loud“ in seinem 2015 erschienenen gleichnamigen Buch beruht darauf, dass Arbeit nachvollziehbar in einem Team gezeigt und gegenseitig erklärt wird.3 In der Tat, es wurde schnell klar, dass der zu untersuchende Bereich noch vor zwei Jahren deutlich produktiver gearbeitet hatte als nach Einführung von agilen Arbeitsmethoden. Die Erklärung lag darin, dass eine rein individuell ausgerichtete Agilität umgesetzt worden war: Um kundenspezifischere Softwarelösungen zu entwickeln, waren verschiedene Schulungen durchgeführt, neue Teamrollen entwickelt und Befugnisse der bisherigen Führungsebene abgebaut worden. Dennoch gab es aus Kundensicht keine Verbesserungen. Das Problem war nicht einfach zu finden, doch es wurde allmählich klar, dass eine wesentliche Komponente vergessen worden war: das Team. Anreiz- und Führungsmechanismen waren nicht verändert worden. Daher blieb es bei individuellem Feedback und individuellen Honorierungen. Zudem gab es weder eine klare Vorstellung von Teamarbeit, noch Leistungsimpulse für die Zusammenarbeit im Team. So blieb die neue Form der Teamarbeit für die Mitarbeiter unglaubwürdig und bedeutungslos – schließlich erfolgten die persönlich bedeutsamen Lern-, Karriere- und Führungsentscheidungen immer noch auf Basis individueller Leistungen. Die neue agile Teamstruktur war aus Sicht der Mitarbeiter nur eine zeitfressende Zusatzaufgabe. Studien zeigen immer wieder, dass neue Formen der Teamarbeit nicht an „zu viel Team“ scheitern, sondern an „zu wenig“ konsequenter Teamorientierung, Teamführung und sinnvoller Koordination insbesondere hoch spezialisierter Fachkräfte. Nicht nur die Teams müssen sich umorientieren, sondern die ganze Organisation.4

Peter Klett

Herr Peter Klett wurde zum Bankkaufmann in der Sparkasse zu Lübeck ausgebildet, durchlief den Sparkassenfachlehrgang und absolvierte das Verbandsprüferexamen. In der Sparkasse Mittelthüringen wurde er zunächst stellvertretendes, dann ordentliches Vorstandsmitglied. Später wurde er Vorstandsmitglied in der Sparkasse Bremerhaven

2 3 4

Vgl. Brede Moe et al. (2010). Vgl. Stepper (2015). Vgl. Brede Moe et al. (2010).

Portrait Peter Klett, Vorstandsvorsitzender Weser-Elbe Sparkasse

12

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Kapitel 12 · Agil und selbstorganisiert: Teams als Organisationsform

und nach der Fusion zur Weser-Elbe Sparkasse Mitglied in deren Vorstand. Seit Mitte 2015 ist Herr Klett Vorstandsvorsitzender der Weser-Elbe Sparkasse. Zudem ist Herr Klett Landesobmann des Hanseatischen Sparkassen- und Giroverbands, Vorstandsmitglied im Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV e. V.), dem Dachverband der deutschen Sparkassenverbände, und Mitglied im Beirat bei der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank in Bremen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.

12.3  Interview: Wie wird eine Organisation agil,

Herr Klett?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

Eine zunehmend stärkere – für uns als Bank ist gerade das Thema Agilität besonders wichtig. Das heißt, wie werden wir schneller, wie werden wir flexibler und wie können wir stärker auf den Kunden und dessen Bedürfnisse eingehen? Diese Herausforderungen sind am besten in Teams zu lösen. Das sind jetzt ganz aktuelle Erfahrungswerte, die wir auch mit agilen Arbeitsmethoden, wie Scrum, oder wir nennen das bei uns Zukunftswerkstätten, gemacht haben: dass Teams dort für uns die sehr geeignete Organisationsformen sind, um eben schneller und zielgerichteter voranzukommen.

12

z Was waren prägende Teamerfahrungen für Sie?

Im Team scheinen Mitarbeiter durchaus kreativer und motivierter zu sein. Sie erwirtschaften oder erbringen oft bessere Ergebnisse, was vor allen Dingen daran liegt, dass gemeinsam in einem Team erarbeitete Ergebnisse auf höhere Akzeptanz stoßen. Und das macht es dann im Ergebnis schneller. z Kommt es da auf die Teamzusammenstellung an?

Ja, das ist entscheidend. Ein Team sollte interdisziplinär sein, und es sollte hierarchieübergreifend sein. Und ich möchte noch einen dritten Punkt ergänzen: Wir haben in unseren Zukunftswerkstätten ein Bewerbungsverfahren gestartet, um diejenigen zu finden, die wirklich Lust darauf haben und motiviert sind, in Teams neue Erfahrungen zu sammeln und sich einzubringen. Denn diese Mitarbeiter wollen wirklich unsere Sparkasse voranbringen.

12.3 · Interview: Wie wird eine Organisation agil, Herr Klett?

z Im Hinblick auf welches Ziel würden Sie heute im Team arbeiten und wann würden Sie auf gar keinen Fall im Team arbeiten?

Unsere Zielrichtung ist, dass gerade durch Agilität Eigenverantwortung gestärkt wird. Das bedeutet, dass der einzelne Mitarbeiter befähigt wird, selbst Entscheidungen zu treffen, sodass dann – im Idealfall – nur noch 1 % der Entscheidungen in Teams oder durch die oberen Leitungsebenen gefällt werden müssen. Das ist sicherlich in komplexen Fragestellungen der Fall, bei denen auch diese interdisziplinäre Zusammensetzung zwingend erforderlich ist, dass verschiedene Fachbereiche zusammenkommen, dort braucht man ein Team. Ich bin bei Herrn Professor Hasebrook, wenn er sagt, man sollte den Teamgedanken nicht verabsolutieren, im Gegenteil: Das Ziel sollte sein, dass der einzelne Mitarbeiter in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen. Ich bin dagegen, dass jede Entscheidung in Teams verlagert wird. Das ist dann immer eine Rückdelegation von Verantwortung, weil er dann eben nicht eigenverantwortlich tätig ist. z Wozu werden neue Organisationsformen in der Zusammenarbeit gebraucht?

Wir brauchen neue Organisationsformen, um insbesondere schneller auf Markterfordernisse, auf Kundenbedürfnisse zu reagieren. Wenn wir das alles über die üblichen Gremien einschließlich der uns noch vor einigen Jahren dringend ans Herz gelegten Projektlenkungsausschüsse machen, dann sind wir viel zu langsam und unflexibel. Deswegen sind wir auch bei uns in der Sparkasse dazu gekommen, und wir haben den Projektlenkungsausschuss einfach abgeschafft. z Gilt das dann für alle Organisationen und Unternehmen oder für welche gilt das denn in besonderer Weise?

Also, es sollte eigentlich für alle gelten, übrigens auch für öffentliche Verwaltungen. Es gibt bestimmte Bereiche, die sind so von Spezialwissen gekennzeichnet, in einem Kreditinstitut ist es z. B. der Bereich des Risikocontrollings. Da wird es sicherlich schwierig, in einem interdisziplinären Team Entscheidungen zu treffen, weil es sich dort um ein derartiges Spezial-Know-how handelt. Aber im Prinzip kann ich mir diese teamorientierte Organisation, insbesondere im Rahmen agiler Arbeitsmethoden, wie Scrum oder wie Design Thinking, überall vorstellen. z Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung?

Die Digitalisierung ist meines Erachtens der Trigger. Die Digitalisierung hat insbesondere zu einer massiven Veränderung

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Kapitel 12 · Agil und selbstorganisiert: Teams als Organisationsform

der Kundenerwartung geführt, wenn Sie da nur an Google, Amazon, Facebook oder Apple denken, gerade bei uns in der Kreditwirtschaft. Die Digitalisierung ist der Auslöser dieser ganzen Veränderungen, dadurch dass man rund um die Uhr, an jedem Ort Dienstleistungen in Anspruch nehmen kann. So wurden die herkömmliche Vertriebsstrategie eines Einzelhändlers oder auch einer Bank über den Haufen geworfen. z Was müssen Organisationen und Unternehmen tun, um sich umzustellen, um eine neue Organisationsform oder neue Organisationsformen zu implementieren?

12

Unsere Antwort darauf ist Agilität. Das ist erstmal ein Schlagwort. Aber ich werde versuchen, es noch einmal an einem Beispiel deutlich zu machen: Wir sind derzeit, wie sehr viele andere Unternehmen, hierarchisch, pyramidal organisiert. Das behindert insbesondere die Anpassungsgeschwindigkeit. In unserer neuen Organisationsform sollen im Sinne eines vernetzten Arbeitens diejenigen zusammenkommen, die davon Ahnung haben, die Lust darauf haben, die Dinge schnell zu verändern. Das Zweite ist: Diese traditionelle, pyramidale Organisationsform tendiert dazu, dass im Prinzip „bewahrerische“ Elemente an der Spitze des Unternehmens das Sagen haben und damit Innovationen verhindern. Deswegen muss sich dieses Thema Agilität in der gesamten Unternehmenslandschaft, in der gesamten Organisation wiederfinden. Es darf nicht nur als kleine Innovationsschmiede ein Nischendasein fristen, die man sich nach dem Motto „It’s nice to have“ gönnt. z Welche Rolle spielen Teams dabei?

In Bezug auf komplexe Fragestellungen, die eine Mitwirkung mehrerer oder vieler benötigen, eine überragende Rolle, weil der Einzelkämpfer scheitern würde. Wenn ich einen einzelnen Digitalisierungsspezialisten beauftrage, er soll jetzt beispielsweise ein neues kundenorientiertes Produkt kreieren, wird er alleine scheitern. So etwas kann nur in einem Team bearbeitet werden. Übrigens auch daran scheitern, dass es traditionell in einem deutschen Unternehmen oder überhaupt in einem Unternehmen natürlich Silodenken gibt. Und der IT-, der Vertriebs-, der Risikocontrolling- sowie der juristische Bereich werden, wenn sie nicht in einem Team interdisziplinär eingebunden sind, immer ihre eigenen Interessen zu wahren wissen, ihr eigenes Silo bedienen. Auf diese Art und Weise, wenn ich da z. B. an den Juristen denke, wird er viele Neuentwicklungen behindern, möglicherweise, weil er auch meint, wenn andere da vorpreschen, verliert er selbst Macht. Im Team wird dieser Machtgedanke in der Praxis weniger ausgeprägt sein.

12.3 · Interview: Wie wird eine Organisation agil, Herr Klett?

z Sind diese Teams anders organisiert als in herkömmlichen Organisationen und Unternehmen?

Ja, alleine das Interdisziplinäre und das Hierarchieübergreifende und der Punkt, dass diejenigen zusammenkommen, die Lust darauf haben, an Veränderungen mitzuwirken. So kommen völlig unabhängig von der Hierarchiestufe diejenigen zusammen, die am meisten Ahnung vom jeweiligen Thema ­haben. z Wie schafft man es, dass man die Mitarbeiter dazu motiviert, agil zu denken, agil zu handeln?

Agil heißt für mich, schneller, flexibler und kundenzentrierter zu sein. Und der vierte Punkt ist Haltung oder auch „Mindset“ genannt. Wichtig ist, dass Teams auf Augenhöhe arbeiten, und zwar völlig unabhängig, ob man Direktor ist oder normaler Sachbearbeiter oder Kundenberater, und dass man die Meinung des anderen schätzt. Augenhöhe und Wertschätzung – wenn das die Grundlagen des Mindsets eines Teams sind, dann ziehen alle an einem Strang, und dann sind die Mitarbeiter auch sehr motiviert. Das erleben wir bei uns gerade, dass trotz einer immensen Arbeitsbelastung, weil die Tagesarbeit nebenbei gemacht werden muss, unsere Mitarbeiter weit über das tarifliche Arbeitszeitniveau hinaus bereit sind, sich zu engagieren, weil sie sehen, es verändert sich etwas im Unternehmen. z Also würden Sie sagen, dass es auch eine große Rolle spielt, wie der Einzelne an die Sache herangeht?

Ja, das ist das Thema Mindset. Ich würde mal sagen, ungefähr 10 % bis 30 % der Mitarbeiter eines Unternehmens haben dieses Mindset nicht. Vielleicht 40 % bis 50 % haben zumindest die Bereitschaft, ihr Mindset zu ändern. Die kann man entwickeln. Wichtig ist, dass man diejenigen, die Veränderung wollen, so aktiviert, dass sie möglichst viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Reise mitnehmen. Aber es wird nicht bei jedem gelingen. z Wird sich Teamarbeit in Zukunft verändern und die Teamarbeit auch die Zukunft prägen? Wie sehen Teams in 10 oder in 20 Jahren aus?

Davon bin ich überzeugt. Wenn sich die Teams selbst organisieren, ist die nächste Entwicklungsstufe, dass die Aufgaben unter sich aufgeteilt werden und die Teams dann im Ergebnis auch entscheiden können, ob sie noch eine Führungskraft brauchen.

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Kapitel 12 · Agil und selbstorganisiert: Teams als Organisationsform

z Und wie werden dann die Teams angeleitet? Also bildet sich da nicht immer schon aus der Natur der Sache eine Führungspersönlichkeit heraus?

Wichtig ist, dass das Team eigenbestimmt die Aufgaben verteilt: Wer koordiniert, wer spricht mit anderen Fachbereichen, wer ist das Gesicht einer Abteilung nach außen und nach innen? Es gibt dann vielleicht noch einen Teamkoordinator oder einen Teamsprecher, aber nicht mehr zwingend eine Führungskraft im herkömmlichen Sinne. Auch ich möchte als Geschäftsleitung dem Team die passende Struktur nicht verordnen. Wir haben das jetzt schon konkret an einem größeren Team erfolgreich probiert. Nicht ich als Geschäftsleiter, als Vorstand habe vorgegeben, dass es ab dem nächsten Ersten keine Führungskraft mehr gibt. Das Team hat sich das selbst überlegt, im Rahmen einer Alters-Nachfolgeregelung. 12.4  Agilität und Teams 12.4.1  Stabil durch Flexibilität

12

Märkte und Technologien entwickeln sich immer schneller und unvorhersehbar, setzen bestehende Geschäftsbeziehungen unter Druck und geben neuen Anbietern breiten Raum. Daher werden die Möglichkeiten „agiler“ Unternehmensführung diskutiert, um schneller und anpassungsfähiger zu werden. Unter der Agilität eines Unternehmens wird somit seine Reaktions- und Anpassungsfähigkeit auf externe (Markt-) Veränderungen verstanden. Agiles Management zielt darauf ab, Strukturen, Arbeitssysteme, Führungsaspekte und Mitarbeiterverhalten in Richtung mehr Flexibilität weiterzuentwickeln. Ziel ist, dass bisher starre, hierarchische Systeme mit linearen Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen mehr Beweglichkeit, schnellere Reaktions- und Umsetzungsfähigkeit sowie mehr Beteiligung der Mitarbeiter erlangen. Insgesamt sollen Unternehmen dadurch eine erhöhte Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit an Marktveränderungen erreichen. Hierbei rückt die Kundenperspektive verstärkt in den Mittelpunkt der Entwicklung. Moderne Agilitätskonzepte berufen sich auf das AGIL-Schema des US-amerikanischen Soziologen Taclott Parsons, der in den 1950er-Jahren viel zur Stabilität sozialer Systeme veröffentlichte.5 Natürlich dachte

5

Vgl. Parsons (1951).

12.4 · Agilität und Teams

223

. Abb. 12.1  Merkmale agiler Führungskompetenzen und deren Wirkung. (Eigene Darstellung)

­Parsons dabei nicht „Agilität“ im heutigen Sinn6. Aber er legte die Grundlagen zum Verständnis, wie Organisationen durch Veränderungs- und Anpassungsfähigkeit stabiler und widerstandsfähiger werden können: durch immer bessere Anpassung an die Umwelt (engl. adaptation = A), interne Differenzierung und Fokus auf Zielerreichung (engl. goal attainment = G), Zusammenhalt der Organisationseinheiten (engl. integration = I) und Schaffung gemeiner Werte und Routinen (engl. latency/latent pattern maintenance = L)7. Vor diesem Hintergrund werden agile Führungssysteme auf deutlich kürzere Feedbackschleifen und eine stärkere Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgerichtet. . Abb. 12.1 fasst die Merkmale agiler Führung zusammen. Dies bedeutet, dass Führungskräfte selbst mehr Flexibilität, verbesserte Kompetenzen zur Steuerung von Lernprozessen im Team und die Bereitschaft, Entscheidungsmacht an Teamstrukturen abzugeben, aufweisen müssen. Insgesamt steht das gesamte Organisationssystem mit einem gegenwärtig starken Top-down-Gefälle auf dem Prüfstand. Setzt ein Unternehmen auf Geschwindigkeit und Innovationsfähigkeit, dann werden Teams als Einheiten der Unternehmenssteuerung wichtiger als hierarchisch ausgerichtete Abteilungssysteme. Soll Agilität erreicht werden, dann stellt sich die Frage, wie viel Macht und Autorität in Hierarchien 6 7

Vgl. Kühl (2019). Vgl. Jensen (1976).

12

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Kapitel 12 · Agil und selbstorganisiert: Teams als Organisationsform

und damit bei Einzelpersonen bleibt bzw. an welchen Stellen sich Entscheidungsbefugnisse so verändern, dass neben einer hierarchisch geprägten Steuerung auch innovationsorientierte, zirkuläre Lernstrukturen entstehen können. 12.4.2  Sinn für Sinnhaftigkeit

Einen Sinn für den Zweck von Unternehmen forderte der Chef des bekannten Finanzunternehmens „Blackrock“, Larry Fink, im Jahr 2017 in einem offenen Brief an andere Topmanager. Darin schrieb er:

» „Ohne einen Sinn für den Zweck kann keine Unternehmung,

egal ob staatlich oder privatwirtschaftlich, ihr volles Potenzial entfalten. … Unsere Kunden – die eigentlichen Besitzer unserer Firmen – verlangen heute, die Führung und Klarheit zu zeigen, die nicht nur ihre (finanziellen) Investitionen sichert, sondern auch Wohlstand und Sicherheit unserer Mitbürger.“8

12

Er forderte eine neue Zeit des „shareholder managements“ und eine Debatte über das Schaffen langfristiger Werte statt des Fokussierens auf kurzfristige Erfolge. Auf einem Treffen ihres Dachverbands beschlossen führende Unternehmen in den USA, darunter Firmen wie Apple, Bank of America, Blackrock, Ford, Pepsi und Walmart, vom „Shareholder-Prinzip“ abzurücken und veröffentlichten im August 2019 eine Stellungnahme zum Zweck von Unternehmen. Darin heben sie die Bedeutung von Investitionen in Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Umweltschutz und einen fairen und ethischen Umgang mit Zulieferern hervor.9 Während des Weltklimagipfels 2019 der UN haben 130 Banken umfassende Verpflichtungen zur Nachhaltigkeit unterschrieben10. Die weltweite Bewegung umfasst auch China: Chinesische Geschäftsführer betonen in ihren Reden zunehmend die Themen Nachhaltigkeit und die Relevanz von Beiträgen zur Gesellschaft.11

8 Der offene Brief ist online abrufbar unter: 7 www.blackrock.com/hk/en/ insights/larry-fink-ceo-letter (zuletzt abgerufen am 11.09.2019). 9 Die Stellungnahme mit den Unterschriften von mehr als 200 Unternehmen ist online verfügbar unter: 7 https://opportunity.businessroundtable.org/wp-content/uploads/2019/09/BRT-Statement-on-the-Purpose-of-a-Corporation-with-Signatures-1.pdf (zuletzt abgerufen am 14.09.2019). 10 Erklärung und Liste der weltweit 130 Banken online zu finden unter: 7 www.unepfi.org/banking/bankingprinciples/ (zuletzt abgerufen am 23.09.2019). 11 Vgl. aktuelle Erhebung von Liu et al. (2019).

12.4 · Agilität und Teams

Allerdings ist der Weg von Erkenntnis und Bekenntnis bis hin zur Umsetzung noch weit, wie Befragungen unter Geschäftsführern zeigen. Nach einer US-Studie finden 90 % der Topmanager Nachhaltigkeit wichtig, 60 % berücksichtigen diese in ihrer Strategie und nur 25 % setzen Nachhaltigkeit in ihrer Geschäftstätigkeit um. Noch weniger Manager stimmen der Aussage zu, dass das Einhalten von Nachhaltigkeitskriterien einen Wettbewerbsvorteil bringt.12 Eine Befragung von über 1400 Geschäftsführern in mehr als 80 Ländern ergab, dass diese ihren Kunden zu mehr als 50 % und der Gesellschaft zu mehr als 30 % eine hohe Bedeutung beimaßen, dass aber in dieser Rangreihe die Bedeutung der Mitarbeiterschaft abgeschlagen mit 14 % auf einem der letzten Plätze landete.13 Dabei sind Sinnstiftung und sinnhaftes Handeln nicht nur für die Reputation eines Unternehmens wichtig: Der Sinn einer Unternehmung bestimmt auch die strategische Ausrichtung und Orientierung in einer hoch vernetzten und sich ständig wandelnden Umwelt.14 Nur gemeinsame Werte ermöglichen gemeinsames Handeln in einem unvorhersehbaren Umfeld.15 Während diese Managementmethoden unter dem Stichwort „Agilität“ diskutiert werden, setzt ausgerechnet hier eine Organisation Zeichen, die man landläufig für strikt hierarchisch und regeltreu halten würde: die US-Armee. Im Rahmen des Kommando- und Kontroll-Forschungsprogramms des Verteidigungsministeriums wurde 2006 ein umfassendes Handbuch zur Zukunft von „command & control“ (deutsch: Befehl und Kontrolle) vorgelegt und ein Programm mit dem Titel „Command and control for the 21st century“, kurz C2, vorgestellt.16 Ziel des neuen Führungsprogramms der US-Armee ist die Weiterentwicklung von „command & control“ zu einer agilen Führung in Netzwerken, bei der Entscheidungen dorthin verlagert werden, wo die beste Informationslage besteht, um möglichst erfolgreich zu sein. Kern des Modells ist „Sinnstiftung“, um sicherzustellen, dass Befehle nicht einfach dem Wortlaut, sondern dem Sinn nach ausgeführt werden, und ein gemeinsames Verständnis der Beteiligten für Ziele und Handlungen entsteht. . Abb. 12.2 gibt einen Überblick über die Komponenten des C2-Modells, das mittlerweile in der gesamten NATO angewendet wird.17

12 13 14 15 16 17

Vgl. Kiron et al. (2017). Vgl. PwC (2016). Vgl. Snowden und Kurtz (2003). Vgl. Erpenbeck (2010). Vgl. Alberts und Hayes (2006). Vgl. Mitchell (2010).

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Kapitel 12 · Agil und selbstorganisiert: Teams als Organisationsform

Erfolg („mission effectiveness“)

Qualität des Befehls

Qualität der Kontrolle

Gemeinsames Verständnis des Sinns

des verstandenen Befehls

im Umfeld

Information über Situation

Qualität der Information Qualität der Ausführung . Abb. 12.2  Agiles Führungsmodell in der US-Armee mit Sinnstiftung als zentralem Ankerpunkt für gemeinsames Verständnis von Zielen und Handlungen. (Eigene Darstellung nach Alberts und Hayes 2006, S. 63)

12

Internationale und multikulturelle Teams stellen besonders hohe Anforderungen an agile Führung. Diese bedeutet hier noch mehr als in anderen Teams, dass das Team durch Setzen gemeinsamer Ziele und Förderung von gegenseitigem Verständnis eine gemeinsame soziale Identität entwickelt. Der gleiche Effekt tritt auch in international besetzten Sportteams auf, die gemeinsam einen Wettbewerb gewinnen wollen (7 Abschn. 9.4). Agile Führung in internationalen Teams bedeutet vor allem, sowohl Gemeinsamkeiten in der Gruppe als auch Beiträge einzelner Teammitglieder zu betonen, um kulturelle Barrieren zu überwinden.18 12.4.3  Grenzen von Agilität

Eine agile Organisation ist keine Organisation mit einer festen Form, sondern eine, die ihre Form anpassen kann und daher immer anders aussieht – je nachdem, was sie leisten 18 Vgl. Abadir et al. (2019).

12.4 · Agilität und Teams

muss.19 Dies ist auch der Grund, warum „agil“ und „lean“ nicht dasselbe sind: In „Lean Production“ und „Lean Management“ geht es darum, Arbeits- und Produktionsprozesse vor allem durch Standardisierung und permanente Verbesserung so ressourcenschonend wie möglich umzusetzen. Auf Effizienz getrimmte Organisationen werden allerdings meist starrer und nicht flexibler.20 Der Versuch, sich immer schneller anzupassen, hat jedoch auch seinen Preis. Diese „dunkle Seite“ der Agilität besteht in hohem Zeit- und Kontrolldruck agiler Arbeitsmethoden. Hoher Zeitdruck entsteht z. B., wenn umfangreiche oder innovative und daher unbekannte Aufgaben als „Sprints“ in einer Woche bearbeitet werden. Agiles Arbeiten umfasst zudem zahlreiche teambasierte Kontrollstrategien, wie z. B. tägliche Abschlussbesprechungen („Daily“) und Rückmelderunden („Reviews“). Hier werden nicht nur Arbeitsergebnisse, sondern auch Motivation, Überzeugungen und Verantwortungsübernahme angesprochen. Natürlich kann dies die Teamleistung steigern. Es kann aber auch zu hohem Gruppen- und Leistungsdruck führen, der auf Dauer Sicherheit und Kooperation und damit die Leistungsbasis untergräbt.21 Untersuchungen bei flexiblen Produktionsprozessen haben gezeigt, dass Agilität bei schnellen Produktionsanpassungen, Verbesserungen der Kundenbeziehung sowie Einführung neuer Produkte und Produktionsprozesse Vorteile bietet. Keine Vorteile finden sich bei der Sicherung dauerhafter Produktionsqualität, Erhalt einer großen Produktpalette und umfassenden Automatisierungsprojekten. Simulationsrechnungen und Praxiserfahrungen aus Dienstleistungsunternehmen sowie klein- und mittelständischen Unternehmen haben gezeigt, dass Agilität vor allem kurz- und mittelfristig Vorteile bietet, wenn es zu häufigen Anpassungen und Neuerungen kommt. Hingegen bietet der Fokus auf „Lean“, also auf Ressourceneffizienz, vor allem langfristig Vorteile, wenn ein großes Produkt- oder Dienstleistungsportfolio in hoher Qualität angeboten werden soll.22 Agilität muss immer wieder aufs Neue erarbeitet werden. Dabei ist es egal, ob ein Fachbereich „Fachabteilung“ oder „Chapter“ heißt und eine Kundeneinheit „Vertriebsregion“ oder „Squad“: „Agil“ macht nicht allein die Struktur, sondern in erster Linie die Haltung zur eigenen Verantwortung sowie zur Zusammenarbeit und Entscheidung im Team.

19 20 21 22

Vgl. Wen et al. (2018). Vgl. Martin (2019). Vgl. Annosi et al. (2016). Vgl. Katayama und Bennet (1999).

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Kapitel 12 · Agil und selbstorganisiert: Teams als Organisationsform

Doch ohne Sinnstiftung (oder eben neudeutsch: „Purpose“) als Kompass sind immer neuere Anpassungen sinnlos, da die Organisation ihre Orientierung verliert. Klare Konsequenzen bei Fehlverhalten, null Toleranz für Inkompetenz und ein klarer Bezug zu Unternehmenszielen müssen eine Balance bilden mit Freiräumen für kreatives Denken, Fehlertoleranz beim Ausprobieren neuer Ideen und Stärkung der Selbstverantwortung.23 Trotz aller Agilität werden Organisationen sich auch in Zukunft nicht auflösen, sondern als Orientierungspunkte und Sinnstifter in einer immer schwerer vorhersehbaren und steuerbaren Umwelt nötig sein.24

Literatur

12

Abadir, S., Batsa, E., Neubert, M., & Halkias, D. (2019). Leading multicultural teams in agile organizations: An integrative literature review. SSRN Electronic Journal. 7 https://doi.org/10.2139/ssrn.3507635. Alberts, D. S., & Hayes, R. E. (2006). Understand command and control. Washington D.C.: Command and Control Research Program (CCRP) Department of Defense (DoD). 7 www.dodccrp.org/files/Alberts_UC2. pdf. Zugegriffen: 14. Sept. 2019. Annosi, M. C., Magnusson, M., Martini, A., & Appio, F. (2016). Social conduct, learning and innovation: An abductive study of the dark side of agile software development. Creativity and Innovation Management, 25(4), 515–535. Brede Moe, N., Dignøyr, T., & Dybå, T. (2010). A teamwork model for understanding an agile team: A case study of a Scrum project. Information and Software Technology, 52(5), 480–491. Erpenbeck, J. (2010). Werte als Kompetenzkerne. In G. Schweizer, U. Müller, T. Adam (Hrsg.), Wert und Werte im Bildungsmanagement, Nachhaltigkeit – Ethik – Bildungscontrolling (S. 41–66). Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag (WBV). Hamel, G. (2007). The future of management. Boston: Harvard University Press. Hasebrook, J., Kirmße, S., & Fürst, M. (2019). Wie Organisationen erfolgreich agil werden – Hinweise zur erfolgreichen Umsetzung in Strategie und Zusammenarbeit. Heidelberg: Springer essential. Jensen, S. (1976). Einleitung. In S. Jensen (Hrsg.), T. Parsons, zur Theorie sozialer Systeme (S. 9–67). Opladen: Westdeutscher Verlag. Katayama, H., & Bennet, D. (1999). Agility, adaptability and leanness: A comparison of concepts and a study of practice. International Journal of Production Economics, 60–61, 43–51. Kiron, D., Unruh, G., Kruschwitz, N., Reeves, M., Rubel, H., & Meyer Zum Felde, A. (2017). Corporate sustainability at a crossroads progress toward our common future in uncertain times. Research Report in cooperation with Boston Consulting Group. Cambridge: MIT Sloan.

23 Vgl. Hasebrook et al. (2019). 24 Vgl. Hamel (2007).

229 Literatur

Kühl, S. (2019). Die überraschende Renaissance eines verstaubten soziologischen Konzeptes: Wie Praktiker das Wort „agil“ missverstehen. Universität Working Paper 2/2019. Bielefeld: Universität Bielefeld. 7 www.uni-bielefeld.de/soz/personen/kuehl/pdf/Working-Paper-2-2019-Die-uberraschende-Renaissance-eines-verstaubten-soziologischen-Konzeptes.pdf. Zugegriffen: 30. Mai 2020. Liu, C., Chen, S., & Shao, Q. (2019). Do CEO rhetorical strategies affect corporate social performance? Evidence from China. Sustainability, 11(18), 4907. 7 https://doi.org/10.3390/su11184907. Martin, R. L. (2019). The high price of efficiency. Harvard Business Review, January–February, 42–55. Mitchell, W. (2010). Agility and interoperability for 21st century command and control. Special Issue: The International C2 Journal, 4(1). 7 https://pdfs.semanticscholar.org/4765/5584448389169394ab2295b19716b44de572.pdf. Zugegriffen: 14. Sept. 2019. Parsons, T. (1951). The social system. London: Routledge. 7 https://archive. org/details/socialsystem00pars. Zugegriffen: 13. Sept. 2019. (online verfügbar in der Taschenbuchversion von Free Press). Price Waterhouse Coopers, PwC. (2016). Business through a new lens. 19th PwC CEO Survey. London: PriceWaterhouseCoopers. 7 www.pwc.com/ gr/en/publications/assets/sharpening-the-focus-business-through-a-newlens.pdf . Zugegriffen: 14. Sept. 2019. Snowden, D. J., & Kurtz, C. (2003). The new dynamics of strategy: Sense-making in a complex and complicated world. IBM Systems Journal, 42(3), 462–483. Stepper, J. (2015). Working out loud: For a better career and life. New York: Ikigai Press (Selbstverlag). Wen, Q., Qiang, M., & Gloor, P. (2018). Speeding up decision-making in project environment: The effects of decision makers’ collaboration network dynamics. International Journal of Project Management, 36(5), 819–831. 7 https://doi.org/10.1016/j.ijproman.2018.02.006.

Lesetipp Es gibt viele fundierte und lesenswerte Ratgeber zu agilen Teams und Organisationen. Wir haben unsere Erfahrungen in einem kompakten Buch zusammengefasst: Hasebrook, J., Kirmße, S., & Fürst, M. (2019). Wie Organisationen erfolgreich agil werden. Hinweise zur erfolgreichen Umsetzung in Zusammenarbeit und Strategie. Heidelberg: Springer essentials.

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Team und System Inhaltsverzeichnis Kapitel 13 Vom Versagen Einzelner zur Folterkammer: unmoralische Systeme – 233 Kapitel 14 Teamraum: Team und Raum – 247 Kapitel 15 Kollege Roboter: Teams und Technik – 269 Kapitel 16 Team-Mind: Teams neu denken – 283 Kapitel 17 Teamarbeit am Ende oder erst am Anfang? Appell für einen Neustart – 299

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Vom Versagen Einzelner zur Folterkammer: unmoralische Systeme Inhaltsverzeichnis 13.1 Interviews mit Selbstmordattentätern – 234 13.2 Die Führungskraft klaut am meisten – 235 13.3 Interview: Gibt es unmoralische Systeme, Herr Edelbacher? – 236 13.4 Teams und Moral – 240 13.4.1 Der falsche Doktor und die Moral – 240 13.4.2 Systeme, die unethisches Verhalten auslösen – 242 13.4.3 Reliable Organisationen, die ethisches Verhalten fördern – 244

Literatur – 245

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_13

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Kapitel 13 · Vom Versagen Einzelner zur Folterkammer: unmoralische Systeme

13.1  Interviews mit Selbstmordattentätern ► Einstieg ins Thema

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Sind Selbstmordattentäter eigentlich selbstmordgefährdet? Sind sie durch starke religiöse Motive getrieben? So makaber es klingt: Die zahlreichen terroristischen Angriffe in Israel geben die Möglichkeit, potenzielle Selbstmordattentäter zu befragen, denn nicht alle Sprenggürtel funktionieren, und einige Attentäter werden vor Verüben der Tat gefasst. Ariel Merari war Psychologieprofessor an der Universität in Tel Aviv und ist heute am Internationalen Institut für Terrorismusabwehr1 tätig – einer der wenigen Forscher, die mit Selbstmordattentätern gesprochen haben. Seine Erfahrungen hat Merari in dem Buch „Driven to Death“ dargestellt (deutsch sowohl: „in den Tod getrieben“ als auch „vom Tod angezogen“2). Eine überraschende Erkenntnis ist, dass Selbstmordattentäter keineswegs Selbstmörder sind: Sie sind nicht depressiv und sehen sich nicht als hilflos oder in einer ausweglosen Lage. Vielmehr bewerten sie das Attentat, das sie selbst mit in den Tod reißt, als Ausdruck ihrer Stärke. Im Vergleich zu anderen Personen, die ihnen in Alter, Bildung und Lebensgeschichte ähnlich sind, weisen sie eine eher abhängige, ängstliche Persönlichkeit3 auf und keine psychopathische, die wir als Teil der „dunklen Triade“ im Abschnitt über „Team und Führung“ vorgestellt haben. Merari befragte nicht nur überlebende Selbstmordattentäter, sondern auch deren Ausbilder, meist regionale Kommandeure militanter palästinensischer Gruppen. Meraris Forschungen zeigen, dass individuelle, gruppen- und organisationsbezogene Faktoren bei Selbstmordattentaten eine Rolle spielen. Es werden abhängig-ängstliche, aber nicht selbstmordgefährdete Personen ausgesucht, die, in Gruppen von ihrem bisherigen Umfeld isoliert, einem steigenden normativen Gruppendruck ausgesetzt werden. Auf Organisationsebene müssen Erfahrungen in der Auswahl und Ausbildung von Selbstmordattentätern systematisch auf- und ausgebaut werden. Die Befragten stimmten darin überein, dass weder religiöse Gründe noch Rachegefühle wesentliche Beweggründe seien, sondern der Wunsch nach Zugehörigkeit zur Gruppe und Patriotismus. Nancy Kobrin spricht in diesem Zusammenhang von der „Banalität des Selbstmordbombens“4.◄

1 International Institute for Counter-Terrorism (ICT); online unter: 7 https://www.ict.org.il (zuletzt abgerufen am 11.09.2019). 2 Vgl. Merari (2010). 3 Im internationalen Diagnosesystem der Weltgesundheitsorganisation, ICD-10, wird die „ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung“ (F60.6) als Störung beschrieben, die durch übermäßige Besorgtheit, Anspannung und Gefühle von Minderwertigkeit sowie den ausgeprägten Wunsch nach Zuneigung und Akzeptiertwerden gekennzeichnet ist. 4 Kobrin (2010).

13.2 · Die Führungskraft klaut am meisten

13.2  Die Führungskraft klaut am meisten

Beispiel aus der Praxis Ein weit weniger schreckliches, aber sehr viel häufigeres Beispiel für unmoralisches Verhalten sind Diebstähle. Der Leipziger Strafrechtsprofessor Hendrik Schneider untersuchte mehrere Tausend Betrugsfälle in Wirtschaft und Verwaltung und fand, dass die Täter in der Regel Deutsche über 40 Jahre sind, überdurchschnittlich gebildet, schon längere Zeit im Unternehmen beschäftigt und in Führungspositionen.5 Täter sind also hauptsächlich altgediente Mitarbeiter und Führungskräfte, die sich gut auskennen und Möglichkeiten haben, Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen. Im Jahr 2018 gingen dem Handel nach Berechnungen des Marktforschungsinstituts EHI Retail über eine Milliarde Euro verloren, zuzüglich 350 Mio. € Verluste beim Transport.6 Der Gesamtverband der Deutschen Versicherer fand heraus, dass 75 % aller Betrugsvorfälle auf das Konto interner Mitarbeiter gingen und die durchschnittliche Schadenssumme bei 115.000 € lag. Doch warum wehren sich dann nicht mehr Unternehmen wirksam gegen Betrugsfälle aus den eigenen Reihen? Laut Schneiders Untersuchungen schrecken vor allem die unmittelbaren Folgen der Aufdeckung eines Betrugsfalls ab, weil zu den finanziellen Schäden noch Imageschäden hinzukommen. Manche Organisationen werden mehrfach Opfer, da sie kaum Sicherheits- und Kontrollmechanismen installiert haben bzw. deren Wirksamkeit nicht kontrollieren. Wenn Kontrollen durchgeführt werden, dann betreffen diese das Personal in den unteren Ebenen, höhere Führungsetagen bleiben davon ausgenommen. „Gelegenheit macht Diebe“, heißt es – nicht zu Unrecht. Doch die Untersuchungen zeigen, dass noch mehr dahintersteckt: Autokratischer Führungsstil, „Subkulturen“ und Kompetenzdefizite bei Kontroll- und Aufsichtspersonal sind weitere Schwachstellen, die Organisationen anfällig für unmoralisches Verhalten machen.

5 Vgl. Schneider (2015). 6 Angaben stammen aus einem Artikel in „Der Tagesspiegel“ vom 05.09.2019; online zu finden unter: 7 www.tagesspiegel.de/wirtschaft/ kriminelle-mitarbeiter-gerade-fuehrungskraefte-haben-beim-betrug-oft-leichtes-spiel/24980102.html (zuletzt abgerufen am 05.09.2019).

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Kapitel 13 · Vom Versagen Einzelner zur Folterkammer: unmoralische Systeme

Max Edelbacher

Polizeihofrat i. R. Mag. Max Edelbacher, Direktor des International Police Executive Symposium, Albany (USA)

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Herr Max Edelbacher studierte Rechtswissenschaften und Politikwissenschaften an der Universität Wien. Nach einer Friseurlehre, Arbeit im Bundesheer und in der Länderbank wurde er Polizeijurist bei der Bundespolizeidirektion Wien und dort Vorstand des Sicherheitsbüros. Vor seiner Pensionierung war Max Edelbacher u. a. Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien sowie an der Donau-Universität, Krems. Er gab internationale Vorlesungen an der Kent State University, Department für Sociology, Ohio, an der Turku University, Department for Law, in Finnland und in China an der Chinesischen Universität für Politikwissenschaften und Recht in Peking. Max Edelbacher war als internationaler Experte zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption tätig für den Council of Europe, OSCE, die UNO und die EU. Er war Vorsitzender des Büros zur Bekämpfung des Versicherungsbetrugs des Verbands der Versicherungsunternehmen in Österreich (VVO), Berater der Austrian Research Promotion Agency sowie „Special Investigator“ der AVUS GROUP International in Graz und schließlich bis vor Kurzem Vorsitzender des Wiener Büros des Academic Council on the United Nations System. Heute ist er als internationaler Buchautor, Berater und Direktor des International Police Executive Symposium (IPES) mit Sitz in Albany (USA) tätig.

13.3  Interview: Gibt es unmoralische Systeme,

Herr Edelbacher?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

Teamarbeit ist vor allem im Bereich Bekämpfung der Kriminalität notwendig. Bei komplexen, schwierigen Aufgaben haben wir natürlich im Team gearbeitet, weil vier, sechs oder acht Augen oder eben ein Team viel mehr Aspekte und Ideen einbringen können als ein Einzelgänger. Da gibt es aber auch ein gewisses Spannungsfeld. Im polizeilichen Bereich haben wir sehr viele Individualisten gehabt, unheimlich gute Kriminalisten, die eher Einzelgänger waren und sehr viel Positives, Innovatives eingebracht haben. Aber gerade bei der Bearbeitung schwerer, komplexer Fälle hat sich dann die Teamarbeit doch als besser herausgestellt als das individuelle Können der Einzelnen. Es kommt immer auf die Begabungen, auf die Intelligenz, auf die Sichtweisen an, und manchmal auf die Zufälle. Manchmal ist jemand gerade der richtige Mann oder

13.3 · Interview: Gibt es unmoralische Systeme, Herr Edelbacher?

die richtige Frau zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Dann ist wieder die individuelle Leistung stärker als die Teamleistung. Aber grundsätzlich habe ich bei den großen Fällen festgestellt, dass Teamarbeit schon ein besserer Ansatz zur Lösung ist. z Sind Sonderkommissionen aus Ihrer Sicht besondere Arten von Teams oder Polizeiteams wie andere auch?

Während der 16 Jahre, die ich Chef in der größten Kriminalabteilung in Wien war, hat sich gerade die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft als sehr befruchtend herausgestellt. Bei Gewalt, bei Tötungsdelikten, Morden, Raubüberfällen war der erste Weg immer zur Gerichtsmedizin. Die zweite Kooperation hat sich dann im Bereich Soziologie, Psychologie ergeben, v. a. um die Mentalitäten und Befragungstechnik zu verbessern. Der Stellenwert der Biologie, der Chemie, der Physik ist natürlich immer wichtiger geworden. Mit dem Profiling, Hand in Hand mit der Entwicklung der Chemie und der Physik, ist diese wissenschaftliche Arbeitsweise immer breiter in den polizeilichen Bereich eingezogen. Heute ist es Standard, dass die Wissenschaft Technik und IT-Technologien anwenden muss, weil man sonst weiter hinter wäre. Ich kann mich erinnern: Wir haben in Österreich z. B. die Entwicklung der Polizeilabors versäumt. Deshalb gab es in den 1970er-Jahren eine Phase, in der in Belgrad z. B. die Technologie der Polizei, oder in der DDR, höher entwickelt war als in Österreich. Das konnten wir erst in den 1990er-Jahren wieder aufholen. z Was waren prägende Teamerfahrungen für Sie? Was waren Ihre Teammomente? Gab es beispielsweise schwierige Kriminalfälle, bei denen Sie als Führungskraft auch sehr stark unter Druck standen?

Prägend waren große, spektakuläre Kriminalfälle – das Ärgste waren 1988–1990 Kindermorde im größten Bezirk von Wien, das war sehr gravierend: Ein junges Mädchen und zwei Kinder wurden getötet. Und da gab es natürlich enorme Angst in den Kindergärten, in den Schulen, weil die Eltern befürchtet haben, wenn sie ihr Kind alleine in die Schule gehen lassen, dann kann so etwas Schreckliches passieren, wie es eben zweimal tatsächlich der Fall war. Da mussten wir enorm viel Arbeit leisten. Mein Team und ich standen unter dem starken Druck der Bevölkerung, der Medien, und natürlich auch der Polizeiführung. Innenminister und Polizeipräsident haben uns da heftig an die Kandare genommen, weil die Polizei lange nicht erfolgreich war. Wir haben insgesamt acht Jahre ermittelt und nichts

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Kapitel 13 · Vom Versagen Einzelner zur Folterkammer: unmoralische Systeme

zustande gebracht. Und nur durch einen „Zufall“ konnte nach einer Rauferei bei einer Hochzeit mithilfe einer Serien-DNA-Überprüfung die Spur wiederaufgenommen werden. So konnten wir schließlich diese Kindermorde klären. Aber das war, wie gesagt, ein Zeitraum von acht Jahren, in dem nichts gelungen ist und die Bevölkerung sehr unzufrieden war mit uns. z Wofür würden Sie heute unbedingt im Team arbeiten, in welchem Punkt auf keinen Fall?

Komplexe Aufgaben, wie eben schwierige Kriminalfälle, lassen sich mittels Teamarbeit effizienter lösen. Ich glaube jedoch, immer dort, wo besonders herausragende, innovative Ideen notwendig sind, wäre die individuelle oder die schöpferische Leistung die wichtigere – einen Einstein kann man nicht durch ein Team ersetzen. z Wie kommt es zu „Fehlverhalten Einzelner“ in Organisationen? Gibt es Ihrer Erfahrung nach Bruchstellen, die zum Kippen einzelner Personen führen können?

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In meiner Zeit als Führungskraft habe ich neun Fälle erlebt, bei denen gerade Erfahrene, die sieben bis zehn Jahre im System waren, aufgrund persönlicher Vorfälle gekippt sind, aufgrund von Krankheiten, Problemen mit Angehörigen, Suchtverhalten oder einer Neigung zum Alkoholismus. Bei diesen Menschen, zu denen wir im Team großes Vertrauen hatten, ist irgendwo eine Bruchstelle aufgetreten, die wir aber nicht sofort erkannt haben. In kleinen Gruppen – wir haben gerne Teams von vier bis sechs Personen – fällt das normalerweise natürlich eher auf. Typische Polizeiarbeit ist, wenn jemand mit einem Zweiten eng zusammenarbeitet. Dann bekommt der Partner oder aber der Gruppenleiter das früher mit. Das Problem ist dann oft – weil die Polizei lange, v. a. zu meiner Zeit, eher männlich dominiert war –, dass eine Art Deckungsverhalten vorhanden ist, so nach dem Motto: „Das schaffen wir schon, der wird sich schon wieder fangen.“ Und dann wird verschwiegen, dass es hier Probleme gibt. z Gibt es aus Ihrer Sicht auch Faktoren im System, die Fehlverhalten begünstigen oder sogar hervorrufen?

Vor sogenannter fachlicher Blindheit ist man nicht gefeit. In der Polizei herrscht ja eher das Verhalten, dass man sich intern gegenseitig bestärkt. Wenn sich dieses abschließende Verhalten verdichtet, wenn man nicht offen ist für Kritik oder andere gedankliche Überlegungen, dann kann im Team sehr rasch eine Fehlentwicklung passieren.

13.3 · Interview: Gibt es unmoralische Systeme, Herr Edelbacher?

Ich kann mich erinnern, wie Frauenmorde in Wien stattgefunden haben. Da sind zwei Studentinnen getötet worden. Unter den 240 Leuten, die ich unter mir hatte, gab es eine große Diskussion, wo wir den Täter suchen sollen: Ist das ein Angehöriger, aus dem nächsten Bekannten- oder Freundeskreis oder ein Fremdtäter von außerhalb? Dieser Streit hat die kriminalistische Investigation so blockiert, dass wir lange nicht weitergekommen sind, weil wir dadurch sehr viel Kraft verloren haben. Die fachliche Blindheit kann also ein hohes Risiko werden. Der persönliche Faktor spielt hier eine große Rolle. Wenn ich mit bestimmten Kollegen oder Kolleginnen viel Erfolg hatte, greife ich natürlich im Fall der Krise oder der Notwendigkeit wieder auf diese zurück. Das kann natürlich auch eine massive Beeinflussung sein, mein blinder Fleck wird größer, sodass ich nicht mehr objektiv beurteilen kann. Ein neuer Fall, neue Herausforderungen erfordern auch neue Lösungen. Das ist aber sehr oft durch die Routine gefährdet. Die große Herausforderung ist die Internetkriminalität. Da hat man die größten Zuwachsraten, pro Jahr 70–90 %. Das ist in ganz Europa so, da haben wir die größten Schwierigkeiten. Traditionelle Organisationen wie Polizeieinrichtungen hinken da immer hinterher, weil sie den aktuellen Trends nicht zeitgerecht entsprechen. Es fehlen Ausrüstung und das Know-how des Personals. Ein kluger IT-Techniker wird natürlich in der Privatwirtschaft viel besser bezahlt, der wird sich also nicht bei der Polizei bewerben. Dadurch gibt es hier immer Defizite. z Gibt es aus Ihrer Erfahrung Unterschiede zwischen Systemen, die auf kriminelle Ziele ausgerichtet sind, und legalen Organisationen?

Zu meiner Zeit gab es drei Bosse in der Wiener Unterwelt. In Deutschland hat man zur Wiener Unterwelt „der Wiener Kreis“ gesagt. Diese 140, 160 Kriminellen haben Prostitution, Zuhälterei, Glücksspiel, illegales Spiel und Einbrüche ­betrieben. In den Telefonüberwachungen haben wir dann gehört, wie die Kriminellen (Bosse) sich untereinander über die Arbeitsqualität und das mangelnde Vertrauen in den kriminellen Führer, den Boss der Unterwelt, beklagten und die Mitarbeiter als deppert, dumm bezeichneten. Man könne sich auf seine Mitarbeiter nicht verlassen, weil die Arbeitsqualität durch Drogenabhängigkeit, den Konsum aufputschender Drogen – in den 1990er-Jahren ja sehr populär –, Alkoholsucht und den Bezug zu Mädchen sehr eingeschränkt sei.

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Kapitel 13 · Vom Versagen Einzelner zur Folterkammer: unmoralische Systeme

Da gab es – das war eben so lustig bei den Telefonüberwachungen – ähnliche Probleme, wie es die Polizeiführung mit ihren Mitarbeitern hatte. Wobei natürlich in der Unterwelt das Sanktionssystem viel konsequenter war, durch das Gesetz des Schweigens, Bestrafung, auch Hinrichtung oder Tötung eines illoyalen Mitarbeiters. Anders natürlich als bei der Polizei, bei der die Gewerkschaften und der Schutz eine ganz große Rolle spielen. z Welche Systeme begünstigen Fehlverhalten und kriminelles Verhalten, welche wirken dem entgegen?

13

Ich glaube, dort, wo konservativere Kräfte tätig sind, ist vielleicht das Fehlverhalten leichter erkennbar und eliminierbar als bei ganz jungen Systemen, bei denen auch eine hohe Mobilität gefragt ist, da man vielleicht nur ein halbes Jahr oder ein paar Monate zusammenarbeitet und dann vielleicht international gefordert ist. Ich bin in einer Ära groß geworden, in der es eine hohe Fürsorgekomponente der alten Chefs gegeben hat. Ich kann mich erinnern, die Hofräte haben sich z. B. auch darum gekümmert, wenn Mitarbeiter Probleme hatten, weil die Frau oder das Kind schwer krank waren. Man hat da seine medizinischen Kontakte genutzt und versucht, diesem Mitarbeiter zu helfen, der durch ein persönliches, privates Problem momentan sehr eingeschränkt war. Das habe ich als sehr wohltuend empfunden. Natürlich ist heute die Fachkompetenz immer wichtiger, gerade in der Internetzeit. Ich glaube jedoch, das ist ein Spannungsfeld zur moralischen Leistung, weil das Fachliche so dominiert. Dann kann in den Hintergrund treten, ob jemand moralisch verlässlich und sauber ist. 13.4  Teams und Moral 13.4.1  Der falsche Doktor und die Moral

In einer mittlerweile klassischen Feldstudie aus dem Jahr 1966 rief ein falscher Arzt echte Krankenschwestern bzw. -pfleger auf einer Krankenstation an und stellte sich mit einem Allerweltsnamen vor. Er ordnete dann eine Überdosis eines als gefährlich eingestuften Medikaments für echte (aber zuvor von den Studienleitern eingeweihte) Patienten an. Die Sicherheitsregeln waren eigentlich klar: 1) Es durften keine Anweisungen per Telefon entgegengenommen werden, 2) die angeordnete Dosis war das Doppelte der Maximaldosis und 3) das Medikament war nicht zum Einsatz auf der Station

13.4 · Teams und Moral

freigegeben. Dennoch wollten über 80 % der Pflegekräfte die vermeintliche Arztanweisung ausführen, obwohl die Mehrzahl von ihnen um die Gefahr der Anordnung wusste. In dieser Studie wurden sie daran gehindert.7 Ähnliche Untersuchungen wurden mehrfach und auch in neuerer Zeit durchgeführt.8 Eine Methode, Widerstand gegen unethische Forderungen zu stärken, besteht darin, kritisches Denken und Ungehorsam „anzutriggern“. Der italienische Psychologe Piero Bocchiaro und der US-Psychologe Phil Zimbardo baten Studierende, Werbung für eine unethische psychologische Studie zu machen, in der Teilnehmende für längere Zeit von der Umwelt isoliert werden sollten. Die Studierenden wurden von einer Autoritätsperson ausführlich über ihre Verantwortung zur Durchführung der Studie informiert. Danach warben fast 90 % der Studierenden für die unethische Studie. Wurden die Versuchspersonen aber vorher aufgefordert, eine diffamierende E-Mail zu schreiben, unterstützten nur noch knapp 40 % die unethische Studie. Die geforderte E-Mail sollte sich gegen einen Kollegen des Studienleiters richten, und die Studierenden sollten einen Vorfall bezeugen, den sie nie erlebt hatten. Kaum jemand kam dieser eindeutig unmoralischen Aufforderung nach. Die Autoren interpretieren ihre Ergebnisse so, dass die Aufforderung zu einer eindeutig unmoralischen Handlung (Trigger) die Aufmerksamkeit von der sozialen Norm, sich gegenüber einer Autorität gehorsam zu verhalten, auf die Bedeutung des Inhalts verschiebt. Weitere Forderungen werden dann weitgehend unabhängig vom Einfluss der Autorität bewertet und daher häufiger abgelehnt.9 Aktuelle Studien gehen davon aus, dass in deutschen Krankenhäusern immer noch 5 % bis 10 % der Patientinnen und Patienten falsche Medikamente erhalten – teils aus Mangel an Standards und Kompetenzen, teils aber auch aus Autoritätshörigkeit und Konformitätsdruck.10 Dazu tragen sicher auch autoritäre Strukturen und zu wenig Gelegenheit zur Teamkommunikation bei. Entsprechend wurde ein „Aktionsplan Arzneimitteltherapiesicherheit“ ins Leben gerufen, der permanent aktualisiert wird und Ärzteschaft, Pflege und Patienten einbezieht.11 Jüngere Studien zum „falschen Gehorsam“ in Krankenhäusern zeigen, wie man „blindem 7 8 9 10

Vgl. Hofling et al. (1966). Vgl. Übersicht in Fabrigar et al. (2018). Vgl. Bocchiaro und Zimbardo (2017). Online verfügbar unter: 7 www.daserste.de/information/wissen-kultur/ w-wie-wissen/krankenhaus-122.html (zuletzt abgerufen am 11.09.2019). 11 Online verfügbar unter: 7 www.akdae.de/AMTS/Aktionsplan/Aktionsplan-2016-2019/Aktionsplan-AMTS-2016-2019.pdf (zuletzt abgerufen am 11.09.2019).

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Kapitel 13 · Vom Versagen Einzelner zur Folterkammer: unmoralische Systeme

Gehorsam“ und Fehlbehandlungen vorbeugen kann: In einer Wiederholung der klassischen Feldstudie hatten die Krankenschwestern und -pfleger mehr Wissen über die Medikamente, mehr Zeit zu überlegen und die Gelegenheit, sich im Team abzustimmen. Höhere Kompetenz, weniger Zeitdruck und mehr Teamkommunikation halbierten die Fehlerrate.12 13.4.2  Systeme, die unethisches Verhalten

auslösen

13

Freundliche, gebildete und sozial eingestellte Psychologiestudierende nahmen an der Stanford Universität an einer Untersuchung zur Verbesserung von Haftbedingungen in den USA teil. Dazu ließen sie sich freiwillig im Keller der Universität in einer Art Gefängnisszenario einsperren. Binnen weniger Tage waren sie dazu bereit, ihre Kommilitonen durch Schlafentzug, Isolation, Beschimpfungen und Beleidigungen bis zum psychischen Zusammenbruch zu drangsalieren. Dazu reichten Gruppendruck und das Herstellen von Hierarchieunterschieden aus, z. B. „Wärter“ in Uniform, „Gefangene“ mit Nummern und das Suggerieren, dass die „Gefangenen“ ihrer „Gefangenschaft“ im Keller der Universität für die geplante Dauer von zwei Wochen nicht würden entkommen können.13 Der US-Sozialpsychologe Phil Zimbardo untersuchte in dieser als „Stanford Prison Experiment“ berühmt gewordenen Studie im Jahr 1971, wie Autorität, Diskriminierung und Unterdrückung in einem Gefängnis wirken.14 Aufgrund seiner Forschungstätigkeit wurde Phil Zimbardo Gutachter bei der Untersuchung des Folterskandals 2004 im irakischen Gefängnis Abu Ghraib während des Irakkriegs.15 In seinem Gutachten vor Gericht verteidigte er für viele überraschend einen der Hauptangeklagten, den nachts wachhabenden Militärpolizisten des am meisten betroffenen Zellenblocks, Stabssergeant Ivan Frederick II, mit den folgenden Argumenten:16

12 Vgl. Rank und Jacobson (1977), Fabrigar et al. (2018). 13 Vgl. Haney et al. (1973), Zimbardo (2005). 14 Eine ausführliche Dokumentation des berühmten „Stanford Prison Experiments“ ist online zu finden unter: 7 www.prisonexp.org/german/ (zuletzt abgerufen am 11.09.2019). 15 Über den Folterskandal im Gefängnis von Abu Ghraib im Iran ist viel berichtet worden; online findet sich ein Artikel z. B. unter 7 https:// de.wikipedia.org/wiki/Abu-Ghuraib-Folterskandal (zuletzt abgerufen am 11.09.2019). 16 Vgl. Zimbardo (2007, S. 337 ff.).

13.4 · Teams und Moral

5 Das Gefängnis war überfüllt, lag ständig unter Beschuss und die Entwicklung des Geschehens war für Wärter und Organisatoren nicht absehbar. 5 Wärter und Organisatoren waren nicht ausreichend ausgebildet, unterbesetzt und litten unter Schlafmangel. 5 Die Vorgesetzten waren weit weg, kaum greifbar und machten weit auslegbare Vorgaben (z. B. dass Gefangene möglichst schnell verwertbare Informationen preisgeben sollten), die einen guten Zweck verfolgten (insbesondere Armeeangehörige vor Anschlägen zu bewahren). 5 Es gab unterschiedliche Zuständige mit unklaren Verantwortungsbereichen (Militärpolizei, CIA, Privatfirmen, Drittländer). Die fatale Mischung dieser Faktoren forderte Fehlverhalten geradezu heraus und machte es dem Angeklagten unmöglich, die Folterungen zu unterbinden, an denen er selbst nicht beteiligt war. Die Schilderung der Risikofaktoren macht zudem deutlich, dass im Grunde keine Organisation vor solchen Risiken gefeit ist: eine potenziell bedrohliche und nicht absehbare Lage, Unterbesetzung und Kompetenzmangel, unklare Vorgaben bei vagen, aber positiven Zielen sowie überschneidende Zuständigkeiten und unklare Verantwortlichkeiten.17 Wie in den Abschnitten „Konflikte zwischen Adlern und Schlangen“ (7 Abschn. 5.4.4) und „Minderheiten werden mit anderem Maß gemessen“ (7 Abschn. 9.4.1) dargestellt, bevorzugen Personen die Gruppen, zu denen sie gehören, und werten andere Gruppen ab. Das passiert, indem der Fremdgruppe verwerfliche Motive und Handlungen unterstellt werden, die die eigene Gruppe bedrohen. Dies führt zu Vorurteilen gegenüber Andersgläubigen und Angehörigen anderer Kulturkreise.18 Im Fall des Militärgefängnisses Abu Ghraib kommt hinzu, dass strikter Gehorsam und hoher Konformitätsdruck dort die Norm waren. Diese Norm kann in Gefechtssituationen lebensrettend sein. In der unklaren Stresssituation im Gefängnis war sie Tor zu Missbrauch und Folter.19 Letztlich kommt es zur „Entmenschlichung“ von Opfern durch die völlige Aufgabe moralischer Grundsätze seitens der Täter20. Der Sozialpsychologe Albert Bandura hat dieses Verhalten „Moralische Loslösung“ (engl. moral disengagement)

17 Vgl. Zimbardo et al. (2000). 18 Vgl. dazu die Einleitung zum Kapitel über Teams und Vielfalt mit dem Titel „Bessere Chancen für weiße Christen“. 19 Vgl. Fiske et al. (2004). 20 Vgl. Weill und Haney (2017).

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Kapitel 13 · Vom Versagen Einzelner zur Folterkammer: unmoralische Systeme

g­ enannt. Bandura betont, dass es sich dabei nicht um ein individuelles Versäumnis besonders bösartiger Menschen handelt, sondern auf nachvollziehbaren, im Laufe der menschlichen Evolution entwickelten Verhaltensstrukturen aufbaut. Menschen handeln nicht als autonome Einzelwesen, die festen Regeln verpflichtet sind, sondern als soziale Wesen, die sich an Normen, Verhaltensweisen und Erwartungen ihres Umfelds ausrichten.21 Um mit dem Nichteinhalten eigener moralischer Werte umgehen zu können, stellen Menschen quasi ihr Gewissen ab. Risiken und Fehlverhalten entstehen daher nicht, weil in guten Systemen vereinzelt böse Menschen arbeiten, wie die Argumentation vom „Fehlverhalten Einzelner“ nach fast jedem Wirtschaftsskandal Glauben machen soll. Vielmehr bringen Systeme Menschen in Situationen, die ihr Verhalten prägen. 13.4.3  Reliable Organisationen, die ethisches

Verhalten fördern

13

Wenn es also „unethische“ Systeme gibt bzw. Systeme, die unethisches Verhalten verstärken, stellt sich die Frage, ob es auch „ethische“ Systeme gibt. Damit sind nicht die Absichten und Ziele einer Organisation gemeint, sondern es geht darum, ob diese Ziele mit ethischen Mitteln erreicht werden. Solche auf klaren Normen und verantwortlichem Handeln aller Angehörigen einer Organisation beruhenden Prozeduren finden sich in Hochsicherheitsbereichen, z. B. bei Flugverkehr und -sicherheit, in der (petro-)chemischen Industrie und in der medizinischen Versorgung, insbesondere im OP und in der Intensivpflege.22 Nicht zufällig sind dies die Bereiche, die wir bereits bei der Diskussion von „Human Factors“ im Kapitel über „Team und Sicherheit“ vorgestellt haben. Organisationen mit einer Sicherheitskultur sind in dem Sinne „ethische Systeme“, dass gewünschtes Verhalten gezielt gefördert und unterstützt wird. Dazu gehören sicherheitsbezogenes Führungs- und Mitarbeiterverhalten, umfassende Mechanismen zur Lenkung von Entscheidungen und Verhalten sowie grundlegende Überzeugungen und Werte.23 Merkmale solcher Organisationen sind: 5 Erfassung kleiner und kleinster Abweichungen, denn nur wenn alle Mitarbeiter alle Abweichungen ernst nehmen, entsteht die nötige Aufmerksamkeit für mehr Sicherheit.

21 Vgl. Übersicht in Bandura (2016). 22 Vgl. HSE (2003). 23 Vgl. Sætren und Laumann (2017), Hasebrook und Lister (2018).

245 Literatur

5 Vermeidung vereinfachender Lösungen und Fokus auf korrekter Durchführung gerade bei vermeintlichen Routinehandlungen, um Fehlverhalten durch Unaufmerksamkeit zu verhindern. 5 Bereitstellen ausreichender Teamkapazitäten für Sicherheit auf Basis umfassender Aufgaben- und Systemanalysen bei Mehrfachbelastung und in Krisensituationen. 5 Nutzung von Änderungen in der Routine, indem ausnahmslos jede Situation, wie Mannschaftswechsel oder technische Umrüstungen etc., dazu genutzt werden, Sicherheitsstandards zu prüfen, zu verbessern und zu trainieren. Sicherheitsgefährdend wirken sich die Unterschätzung von Schulungsbedarf, das vorzeitiges Abziehen von erfahrenem Personal, der Einsatz unerfahrener oder sehr heterogener Teams und eine fehlende regelmäßige Überprüfung bzw. Anpassung von Arbeitsprozeduren aus.24

Literatur Bandura, A. (2016). A review of moral disengagement: How people do harm and live with themselves. New York: Worth Publishers. Bocchiaro, P., & Zimbardo, P. (2017). On the dynamics of disobedience: Experimental investigations of defying unjust authority. Psychology Research and Behavior Management, 10, 219–229. Fabrigar, L. R., Vaughan-Johnston, T., Kan, M., & Seaboyer, A. (2018). Situational characteristics and social influence: A conceptual overview. Technical Report DRDC-RDDC-2018-C121. Toronto: Defence Research and Development Canada Fiske, S. T., Harris, l. T., & Cuddy, A. J. (2004). Why ordinary people torture enemy prisoners. Science, 306, 1482–1483. Haney, C., Banks, C., & Zimbardo, P. G. (1973). Interpersonal dynamics in a simulated prison. International Journal of Criminology and Penology, 1, 69–97. Hasebrook, J., & Lister, M. (2018). Von reaktiver Risikokultur zur wertorientierten Sicherheitskultur der Banken. Gastbeitrag in der Börsen-Zeitung vom 28.11.2018. Health & Safety Executives, HSE. (2003). Organisational change and major accident hazards. London: Health & Safety Executives (HSE). 7 www. hse.gov.uk/pubns/chis7.pdf. Zugegriffen: 11. Sept. 2019. Hofling, C. K., Borztman, E., Dalrymple, S., Graves, N., & Pierce, C. M. (1966). An experimental study in nurse-physician relationships. Journal of Nervous & Mental Disease, 143(2), 171–180. Kobrin, N. H. (2010). The banality of suicide terrorism: The naked truth about the psychology of Islamic suicide bombing. Washington (D.C.): Potomac Books.

24 Vgl. HSE (2003), Hasebrook und Lister (2018).

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Kapitel 13 · Vom Versagen Einzelner zur Folterkammer: unmoralische Systeme

Merari, A. (2010). Driven to death: Psychological and social aspects of suicide terrorism. Oxford: Oxford University Press. Rank, S., & Jacobson, C. (1977). Hospital nurses’ compliance with medication overdose orders: A failure to replicate. Journal of Health and Social Behavior, 18(2), 188–193. Sætren, G. B., & Laumann, K. (2017). Organizational change management theories and safety – A critical review. Safety Science Monitor, 20(1), 1–10. Schneider, H. (2015). The corporation as victim of white collar crime: Results from a study of German public and private companies. University of Miami International and Comparative Law Review, 22(2), 171–205. 7 https://repository.law.miami.edu/umiclr/vol22/iss2/4. Zugegriffen: 11. Sept. 2019. Weill, J., & Haney, C. (2017). Mechanisms of moral disengagement and prisoner abuse. Analyses of Social Issues and Public Policy, 17(1), 286–318. Zimbardo, P. G. (2005). Das Stanford Gefängnis Experiment. Eine Simulationsstudie über die Sozialpsychologie (3. Aufl.). Goch: Santiago. Zimbardo, P. G. (2007). The Lucifer effect. Understanding how good people turn evil. New York: Random House. Zimbardo, P. G., Maslach, C., & Haney, C. (2000). Reflections on the Stanford prison experiment: Genesis, transformations, consequences. In T. Bass (Hrsg.), Obedience to authority: Current perspectives on the Milgram paradigm (S. 1–31). Mahwah: Lawrence Erlbaum.

Lesetipp

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Von dem Psychologen Albert Bandura stammen für die Psychologie so fundamentale Konzepte wie „soziales Lernen“ und „moral disengagement“: Bandura, A. (2015). A review of moral disengagement: How people do harm and live with themselves. New York: Worth Publishers. Der für dieses Buch interviewte Experte Max Edelbacher hat interessante Sammelbände über Korruption und organisiertes Verbrechen herausgebracht: Edelbacher, M., Kratcoski, P., & Dobovšek, B. (Hrsg.). (2016). Corruption, fraud, organized crime, and the shadow economy. Boca Raton: CRC Press. Kratcoski, P., & Edelbacher, M. (Hrsg.). (2019). Fraud and corruption: Major types, prevention, and control. New York: Springer.

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Teamraum: Team und Raum Inhaltsverzeichnis 14.1 Das Parlament im Kirchenchor – 248 14.2 Ich war noch niemals in New Work – 250 14.3 Interview: Wie wirkt sich die Umgebung auf Teams aus, Herr Zünkeler? – 252 14.4 Teams und ihre Umgebung – 256 14.4.1 Smart(phon)es Workplace Design – 256 14.4.2 Fokus, Zusammenarbeit, Lernen und Kontakte knüpfen – 258 14.4.3 Raum zum Lächeln und zum Arbeiten – 261 14.4.4 Zusammen allein: Verteilte Teamarbeit und Homeoffice – 262

Literatur – 265

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_14

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Kapitel 14 · Teamraum: Team und Raum

14.1  Das Parlament im Kirchenchor ► Einstieg ins Thema Die Sitzordnung im britischen Unterhaus mit den gegenüberliegenden, dicht gedrängten Bankreihen ist nicht zuletzt durch die vielfach live übertragenen Debatten rund um den „Brexit“ bekannt geworden. Diese Ordnung erinnert nicht nur an den Chor einer Kirche, es ist einer. Ab dem 16. Jahrhundert saß das „House of Commons“ in der St.-Stephen-Kapelle mit den Abgeordneten in den Bankreihen der Chorsänger und der Parlamentssprecher, der Speaker, dort, wo der Altar gestanden hatte (vgl. . Abb. 14.1). Beim Nachbau im 19. Jahrhundert übernahm man einfach die Raumaufteilung. Selbst nachdem 1941 deutsche Bomben den Raum zerstörten, bestand der damalige Premierminister Winston Churchill darauf, dass die gegenüberliegenden Bankreihen, auf denen gar nicht alle Abgeordneten Platz finden, wieder aufgebaut wurden, weil seiner Meinung nach dadurch die Debatten spannender und der Austausch einfacher seien. Aber hatte Churchill mit seiner Einschätzung recht? Beeinflusst die Sitzordnung in einem Parlament tatsächlich die politische Entscheidungsfindung? Erstaunlicherweise zeigen zwei Untersuchungen aus dem Jahr 2018, eine im EU-Parlament und eine weitere u. a. im Parlament von Island, dass es so ist (Sitzordnungen in . Abb. 14.1). Nicolai Harmon1 von der Universität Kopenhagen fand heraus, dass Sitznachbarn oft gemeinsam abstimmen – auch gegen die Linie ihrer Partei oder Fraktion – insbesondere dann, wenn es zwei Frauen sind. Alessandro Saia2 von der Universität Lausanne untersuchte Reden und Abstimmungsverhalten isländischer Politiker über 16 Jahre hinweg. Das Besondere an der Sitzordnung in Reykjavík ist, dass die Sitzverteilung durch Los entschieden wird: Eine Ministerin der Regierungspartei kann also mitten zwischen Oppositionspolitikern sitzen. Auch hier zeigte sich: Länger zusammensitzende Personen verwendeten ähnliche Worte, Argumente und näherten sich im Abstimmungsverhalten an.◄

14

1 2

Vgl. Harmon et al. (2018). Vgl. Saia (2018).

14.1 · Das Parlament im Kirchenchor

Russisches Parlament, Duma, in Moskau

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14

Britisches Unterhaus in London

Isländisches Parlament in Reykjavík EU-Parlament in Straßburg . Abb. 14.1  Sitzordnungen verschiedener Parlamente (von links oben nach rechts unten): Russisches Parlament (Duma), britisches Unterhaus, Europaparlament (in Straßburg) und isländisches Parlament (in Reykjavík). (Eigene Darstellung nach einer Zusammenstellung aus The Economist vom 27.07.2019 – S. 52, Harmon et al. 2018 sowie Saia 2018)

250

Kapitel 14 · Teamraum: Team und Raum

14.2  Ich war noch niemals in New Work

Beispiel aus der Praxis Die Anzahl der Espressomaschinen, bunten Sessel und das Aufstellen von Fußballkickern haben keinen Einfluss auf die Steigerung der Innovationskompetenz von Unternehmen: „New Work“ bedeutet mehr als nur räumliche Änderungen.3 Fast überall gibt es mittlerweile sogenannte „creative workspaces“, Denk- und Lernräume und Orte für Teams, um die Zusammenarbeit zu fördern. Besucht man Personal- und Büromessen, so fällt auf, dass neue Möbel und New Work beinahe gleichgesetzt werden: Nahezu jeder Möbelhersteller wirbt damit, dass mit seinen Möbeln Leistungsverbesserungen erzielt werden können und dass New Work hauptsächlich darin bestehe, architektonisch und farblich ansprechende Arbeitsplätze mit multifunktionalen Möbeln bereitzustellen. In einer Podiumsdiskussion in Berlin stellte ein Münchener Softwareunternehmen sein neues Gebäude als Inbegriff von New Work vor, in dem alles von der Zusammenarbeit her gedacht worden sei. Nur: Mit New Work hat eine neue Möbelausstattung wenig zu tun. Wir erleben seit vielen Jahren, dass die auf effiziente Prozesse hin ausgelegte und hierarchisch aufgebaute Unternehmensorganisation an ihre Grenzen stößt. Diese Organisationsform ist zwar nach wie vor die günstigste Gestaltungsform von Netzwerken innerhalb der Unternehmen, sie weist aber ein zentrales Manko für die digitalisierte Wirtschaftsform auf: Sie ist zu langsam für Innovationsprozesse.4 Der Weg von Ideen zu neuen Produkten und Prozessen ist in einer hierarchischen Struktur oft so lang, dass Innovationen kaum noch umgesetzt werden. Der Beitrag von New Work besteht darin, Hierarchieorganisa­ tionen so weiterzuentwickeln, dass Innovationskompetenz, Innovationsoutput und Anpassungsfähigkeit von Unternehmen zunehmen. Wir haben uns in Studien mit solchen Beiträgen von New Work beschäftigt.5 . Abb. 14.2 zeigt die einzelnen Themen von oben nach unten gemäß ihrer Bedeutung (gewichtete Reihenfolge). Dabei fällt auf, dass räumliche Veränderungen nur einen geringen Einfluss auf die Innovationsfähigkeit von Unternehmen haben. Vielmehr lässt sich dieser Faktor als moderierende Variable begreifen, die dazu beiträgt, die Wirkung anderer Faktoren, wie Mitarbeiterbeteiligung, partizipative Führung oder neue Lernsteuerungen, zu verstärken.

14

3 4 5

Vgl. Olk et al. (2019). Vgl. Fithar et al. (2014). Vgl. Hackl et al. (2017).

14.2 · Ich war noch niemals in New Work

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Mitarbeiterbeteiligung Hierarchieabbau Agile Führung und Zusammenarbeit

Individuelles Lernen

Räume / Mobilität

. Abb. 14.2  Einflussfaktoren von „New Work“ auf Innovationsfähigkeit und Arbeitgeberattraktivität. (Eigene Darstellung nach Hackl et al. 2017)

Dass in vielen Unternehmen überwiegend Veränderungen der Raumgestaltung vorgenommen werden, liegt sicherlich daran, dass Veränderungen von Räumen kaum Widerstand bei denen auslösen, die Macht abgeben müssen, wenn Mitarbeitende stärker einbezogen und Führungsaufgaben aufgeteilt werden. Wirklich wichtige Stellhebel, wie Hierarchieabbau, strategische Mitarbeiterbeteiligung und veränderte Führungsrollen, fordern den Kern hierarchisch geprägter Organisationen direkt heraus. Wirklich ernsthaft gemeinte Mitarbeiterbeteiligung verändert Steuerungs-, Führungs- und Controllingprozesse. Bei der Gleichstellung von Expertenund Führungskarrieren wird das Führungsmodell als wichtigste Karriereoption infrage und manchmal regelrecht „auf den Kopf“ gestellt. Bei Workshops in unseren „creative workspaces“ beobachten wir dann doch eine Wirkung von Espressomaschinen: Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer trauen sich nicht, die chromblitzenden, Wasserdampf fauchenden Maschinen zu bedienen und schicken daher ihre Chefs vor. Und dabei bleibt es oft während des ganzen Workshops, der Chef macht den Kaffee. Da der Kaffeeverbrauch während solcher Workshops hoch ist, stellt sich oft ein neues Rollenverständnis ein: Vom Chef, der sagt, wo es langgeht, zu einer wahrhaft (be)dienenden Führung im Team.

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Kapitel 14 · Teamraum: Team und Raum

Bernhard Zünkeler

Portrait Dr. Bernhard Zünkeler, Künstler und Mitgründer des Forschungsinstituts artlab21 und des art laboratory ESMoA, Los Angeles

Herr Bernhard Zünkeler studierte Rechtswissenschaft und promovierte mit einer Arbeit zur europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit zum Dr. jur. Für mehr als zehn Jahre arbeitete er als Rechtsanwalt und befasste sich schwerpunktmäßig mit Umstrukturierungsprozessen in internationalen Unternehmen. 2009 war er Mitgründer des Forschungsinstituts artlab21, aus dessen Arbeit 2012 das art laboratory ESMoA in Los Angeles hervorging. ESMoA ist ein urbanes Interventionsprojekt, in dem verschiedene Wirkdimensionen von Kunst untersucht werden. Als Partner von ORANGE COUNCIL befasst er sich vor allem mit der Integration von art thinking in betriebliche Abläufe und der Implementierung von unkonventionellen Lösungsansätzen.

14.3  Interview: Wie wirkt sich die Umgebung

auf Teams aus, Herr Zünkeler?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

14

Ich bin im Grunde nur von Teams umgeben. Das sind zwar unterschiedliche Teams, aber ich könnte meine Arbeit so in der Form alleine gar nicht erledigen. Ich mache natürlich viele Sachen auch alleine, weil ich viele Dinge für mich durchdenken muss. Aber im Grunde ist es am Ende eine komplette Teamarbeit. Also ohne Team ginge das nicht. Ich glaube, Teamarbeit ist in der Kunst eine unterschätzte Angelegenheit, weil eben dort alle Einzelkämpfer sind. Wir glauben aber zutiefst daran: Ideen kommen von Ideen. Also nichts entsteht aus dem Nichts, sondern alles befruchtet sich gegenseitig. Jeder Künstler, der behauptet, nur er hätte originäre Ideen und er hätte noch nie etwas geklaut, der lügt natürlich. Insofern ist Kooperation einfach ein wahnsinniges Zeichen von Stärke. Man erreicht Dinge mit dieser Synergie, die könnte einer alleine niemals erreichen, auch was die Größenordnung der Projekte betrifft. Wir gehören natürlich auch zu den Idealisten, wir wollen die Welt verändern, und das funktioniert nicht alleine. Da muss man schon ein paar Leute zusammentrommeln. z Was waren prägende Teamerfahrungen?

Prägende Teamerfahrungen, bei denen du wirklich merkst, du bist von einem Team getragen, sind immer Situationen, in denen es kriselt. Wenn du selbst ins Zweifeln gerätst, ob das

14.3 · Interview: Wie wirkt sich die Umgebung auf Teams aus, Herr Zünkeler?

das Richtige ist, und keine Lösung weißt. Wenn das Team groß genug ist und coole Leute darin sind – dann zieht dich immer irgendeiner aus diesem Strudel. Wenn du z. B. die Kunsthistorik zurückverfolgst, dann sind eigentlich die erfolgreichsten Künstler diejenigen gewesen, die immer wieder in unterschiedlichen Teams zusammengearbeitet haben. Es wird zwar immer so getan, als ob das Einzelgenies wären, aber irgendwo sind auch sie von der Gruppe getragen. Selbst ein Warhol, der alleine dasteht in der Kunsthistorik, hat natürlich auch seine Factory und seine Leute um sich herum. z Wofür würden Sie heute unbedingt im Team arbeiten, in welchem Punkt auf keinen Fall?

Um dich wirklich zu inspirieren, gibt es drei Mittel: Das eine ist Kontemplation, also total zur Ruhe zu kommen. Ich sage dazu immer „den Stecker rausziehen“. Dann gibt es Identifikation, wenn dir jemand den Spiegel vorhält und du dich selbst in der Situation wiederfindest, und Irritation. Ich würde sagen, beim Thema Identifikation und Irritation als Inspirationspunkte bist du sehr auf andere angewiesen, weil die anderen dir den Spiegel vorhalten. Du kannst das natürlich auch selbst versuchen. In der Regel ist es aber viel, viel inspirierender für dich, wenn dir andere den Spiegel vorhalten, weil es dir wirklich einen Hammer vor den Kopf gibt – und im Bereich Irritation sowieso. Im Bereich der Kontemplation, wenn du zur Ruhe, zu dir kommen und dich inspirieren lassen willst, nur durch dich allein, da ist natürlich der Kontakt mit anderen nicht förderlich. Es gibt andere Bereiche, beispielsweise im Bereich der Konzentration, die ja die Folge der Kontemplation ist: Wenn du dich wirklich auf ein Ergebnis konzentrieren willst, was nur du allein erreichen willst, dann brauchst du keine Show. Aber das muss immer sauber austariert sein. Ich würde sagen, es gibt eigentlich kaum einen kreativen Prozess, in dem du nur alleine, nur konzentriert sein willst, weil du dann einfach verkrampfst. In der Verkrampfung entsteht wenig Neues. z Was macht ein gutes Team aus?

Ich glaube, ein gutes Team ist eine gute oder komplementäre Gleichverteilung von menschlichen Stärken. Es gibt einen, der eher der Entschlossene, der Entscheider, der Disziplinierte ist, der Sachen einfach durchzieht und nicht tausendfach hinterfragt. Dann gibt es natürlich den Analytiker, den Grübelnden und Fragenden. Und es gibt auf der anderen

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Kapitel 14 · Teamraum: Team und Raum

Seite den Kreativen, der keine Grenzen akzeptiert. Oder denjenigen, der alle bemuttert und für gute Stimmung sorgt. Also ich glaube, das Team ist nachher das, was aus der Stärke des Gemeinsamen entsteht. Das kann man tatsächlich herauskitzeln, auch über die Dimension Raum. z Wie wirkt sich der Raum, die Umgebung auf Teams und Teamarbeit aus?

14

Das Thema Raum wird in Unternehmen normalerweise sehr unterschätzt, auch für Teamarbeit, aber auch für gemeinschaftliches Denken. Durch Raum und die Dinge, die dich umgeben, wird deine Intuition im Grunde genommen konditioniert. Neurologisch würde man es Priming nennen, d. h., in einem bestimmten Raum erwartest du bestimmte Dinge. Das ist sozusagen dein permanenter Ist-Abgleich mit allen erlernten, vererbten und erlebten Mustern. Diese Intuition ist im Grunde genommen dein innerer Kompass. Das weiß eigentlich jeder: Auf dem Sportplatz verhältst du dich anders als in der Kirche, auf einem Konzert anders als im Museum. Im Grunde ist vieles aus deiner Umgebung gesteuert. Wenn du dir dieser Kraft bewusst wirst, kannst du natürlich ganz aktiv Denkprozesse unterstützen. Ich glaube, dass Raum eine total unterschätzte Dimension unseres Miteinanders ist. Im betrieblichen Kontext wird Raum immer nur als Kostenfaktor gesehen, den man möglichst reduzieren muss. Dabei ist Raum einer der wesentlichen Motivationstreiber oder kann ein wesentlicher Motivationstreiber sein. Für Innovation, und auch, um Innovation im Team zu erreichen, ist Raum eine unverzichtbare Größe. Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass es betrieblicher Raum sein muss. Ganz im Gegenteil, ich würde sogar sagen, Unternehmen sollten aktiver äußere Räume miteinbeziehen. Das kennt jeder von uns: Wer keinen Besprechungsraum hat oder keinen in die unaufgeräumte Bude lassen will, wenn man am heimischen Schreibtisch sein Unternehmen führt, dann geht man an irgendeinen schönen Ort, wo man mit jemandem ein Meeting hält. z Was können Unternehmen tun, um Raum aktiv zu gestalten und Teamarbeit zu verbessern?

Erst einmal sollten sie Raum ernst nehmen, als relevante Größe akzeptieren und nicht einfach ignorieren. Das andere ist, sie sollten sich überlegen, wie sie Raum auch mit einem gehörigen Schuss Humor ausstatten können. Denn ein cooler Raum, in dem auch viel zum Lachen ist, der macht was

14.3 · Interview: Wie wirkt sich die Umgebung auf Teams aus, Herr Zünkeler?

mit der Psyche, der lockert jedes Team auf und bringt einfach gute Laune. Kein Mensch arbeitet den ganzen Tag auf die gleiche Art und Weise. Und wenn er das tut und in meinem Unternehmen die Mitarbeiter so arbeiten, dann würde ich mich ganz schnell auf die Suche nach Softwarelösungen machen. Wenn ich aber kreative Mitarbeiter haben will, dann sollte auch ein Raumrhythmus dazu passend geschaffen werden. Ich sollte Angebote machen, indem ich grundsätzlich z. B. immer das Thema Austausch und informelle Kommunikation gleitend überführe in Konzentrationsaufgaben. Also es gibt dieses berühmte „Ich muss mich absolut konzentrieren, kein Mensch darf mich stören.“ Und es gibt umgekehrt diesen total extrovertierten Prozess, wenn ich sage: „Ja natürlich, ich brauch jede Provokation meines Gegenübers, um noch mal auf neue Ideen zu kommen.“ Das kann nicht alles in einem Großraumbüro stattfinden, mit den gleichen Schreibtischen, mit den gleichen Arbeitsutensilien, das funktioniert einfach nicht. Sondern ich muss mir für diese beiden Extreme überlegen, wie man das im Unternehmen unterkriegt. Im Idealfall ist es so wie in jeder guten WG: Es findet am Ende alles in der Küche statt. Das heißt also, wenn ich mir einen Raum aussuchen sollte, der die eierlegende Wollmilchsau ist, dann würde ich mir eine große Küche überlegen und kein Großraumbüro. Ein guter Raum ist vor allem ein authentischer Raum: Ich glaube Authentizität ist ganz wichtig, um vor allen Dingen auch die Identität richtig zu verstehen. z Wie beeinflussen umgedreht auch Teams wiederum den Raum?

Sehr! Teams, die wirklich als Team bestehen, akzeptieren auch die unterschiedlichen Rollen, die jeder im Team hat, und die Interaktion, die mit dem Raum dann geschieht. Das bedingt sich gegenseitig. Denn wenn du einen coolen Raum willst, dann ist vielleicht auch einer im Team dabei, der eben schrägere Poster aufhängt oder anderes um sich herum schart, und diese Dinge stimulieren die anderen. Man kann durch Raum auch Leute in bestimmte Muster reinbringen, damit die Teamarbeit auch funktioniert. Du hast manchmal Flächen, da willst du die Konzentration, du willst die Klarheit, du willst die Geschlossenheit. Aber du musst dann auch ein Ventil bauen in die andere Richtung. Und bei guten Teams funktioniert das von alleine, da spielt sich das ein. Aber in gewisser Weise bleibt das immer auch eine Aufgabe.

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Kapitel 14 · Teamraum: Team und Raum

14.4  Teams und ihre Umgebung 14.4.1  Smart(phon)es Workplace Design

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300 Mio. Mobiltelefonanschlüsse gab es nach Angaben von Statista 1998 weltweit, heute sind es wohl rund 8,3 Mrd. – mehr als die rund 7,7 Mrd. Menschen, die auf der Erde leben. Es gibt kaum ein besseres Symbol für neue Kommunikations- und Arbeitsgewohnheiten als effektive Teamarbeit bei der Herstellung von Mobiltelefonen. Eine der wohl umfassendsten Untersuchungen zu Teamarbeit fand über fünf Jahre lang in einem Team mit fünf Personen bei der Herstellung von Telefonteilen statt. Erfasst wurden Leistung in Form von Stückzahl und Qualität, Arbeitsbedingungen, wie Arbeitsstunden, aber auch Beleuchtung, Luftfeuchtigkeit etc. sowie persönliche Umstände, wie Ernährung und ausreichend Schlaf. Über den langen Untersuchungszeitraum konnten zahlreiche Verbesserungen eingeführt werden, die die Produktivität fast verdoppelten und dazu noch die Arbeitszufriedenheit erhöhten. Dies könnte eine Geschichte über erfolgreiches „Workplace Design“ in einer asiatischen Smartphone-Produktion sein. Es ist aber die Schilderung einer Untersuchung in einer Fabrik von General Electric in der Stadt Hawthorne/Kalifornien, die in den 1920er- und 1930er-Jahren in einem Team zur Herstellung von Telefonrelais stattgefunden hat. Die erste Schilderung findet sich in einem Buch von 19396, und die Grundlagen des Versuchs sind noch älter: Sie stammen von Frederic Winslow Taylor, der 1911 sein Buch über „wissenschaftliches Management“ geschrieben hat.7 Die Erhebungen in der Stadt Hawthorne sind in die Lehrbücher eingegangen, weil all die cleveren Beobachtungen und Veränderungen am Ende bedeutungslos waren: Als man nach fast fünf Jahren des Versuchens und Verbesserns probehalber alle Maßnahmen der letzten fünf Jahre rückgängig machte und zu den ursprünglichen Arbeitsplatzbedingungen zurückkehrte, blieb die hohe Leistung des Teams erhalten. Offenbar

6 Vgl. Roethlisberger und Dickson (1939). 7 In ähnliche Richtung gehen Max Webers Überlegungen zu „Wirtschaft und Gesellschaft“ von 1922, in denen er Bürokratie als rationale und „legale Herrschaft“ beschreibt; vgl. Weber (1922); online frei verfügbar unter: 7 www.textlog.de/weber_wirtschaft.html (zuletzt abgerufen am 28.05.2020).

14.4 · Teams und ihre Umgebung

waren die Veränderungen in der Wertschätzung, der Motivation, der Teamführung und wohl auch Veränderungen im Bonussystem (es gab eine Entschädigung für die Teilnahme am Versuch) wichtiger als all das „wissenschaftliche“ Management mit seiner Optimierung des Arbeitsplatzdesigns. Das bestätigen umfassende und gut kontrollierte Längsschnittstudien zur wirtschaftlichen Wirkung von Teamarbeit in der Industrie: In einer über zwei Jahre laufenden Studie wurde durch konsequente Einführung von Teams als zentrale Leistungsbasis die Fehlerrate in der Produktion um 38 % gesenkt und die Leistung um 20 % gesteigert.8 Das Gensler Research Institute führt jährlich den „US Workplace Survey“9 durch und beklagt, dass die Forschung zum Workplace Design kaum Fortschritte mache. Als Grund sehen die Forscher, dass zumeist nur einzelne Parameter, wie Licht, Belüftung, Lärm etc., in Zusammenhang mit Arbeitsleistung untersucht wurden – ganz wie in den 1920er-Jahren.10 Die Ergebnisse weisen allerdings darauf hin, dass es nicht einzelne Designparameter sind, die über Zufriedenheit und Leistung entscheiden – sondern dass diese Parameter sowohl mit der Arbeit der Teams als auch mit der Aufgabe zusammenhängen: Nur wenn Arbeitsabläufe und -aufgaben, also das „Arbeitsdesign“, zur Arbeitsplatzgestaltung, dem „Workplace Design“, passen, ergeben sich Produktivitätsvorteile.11 Große Firmen – wie SAP, LinkedIn, Cisco oder Airbnb – haben Einzelbüros schon lange abgeschafft und verabschieden sich nun auch von Großraum- und Kombilösungen. Stattdessen bestimmen vielfältige Angebote auf verschiedenen Ebenen mit offenen Flächen, Kleinstarbeitsplätzen (Cubicles), (Tele-)Konferenz- und Gruppenräumen in verschiedenen Größen und Bühnen für Präsentationen und Veranstaltungen das Bild. Die Firma Airbnb setzt nicht nur auf ein vielfältiges Angebot, sondern probiert ständig neue Raumkonfigurationen und Arbeitsplatzausstattungen aus, um jeweils die beste Mischung zu finden.12 Es gibt also nicht die eine, ideale Arbeitsplatzgestaltung. Aber es gibt klare Trends, die in der folgenden Tabelle zusammengefasst sind.13

8 9 10 11 12 13

Vgl. Banker et al. (1996). Gensler (2019). Vgl. Kamarulzaman et al. (2011). Vgl. Haynes (2008). Vgl. Morgan (2015). Angelehnt an CABE (2005, S. 10).

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Kapitel 14 · Teamraum: Team und Raum

Früher/aktuell

Zukunftsorientiert/in Zukunft

Ortsgebunden, ortsspezifisch

Netzwerk unterschiedlicher Orte (z. B. Heim-, Miet- und Partnerarbeitsplätze)

Besitzer oder Langzeitmieter der Immobilie(n)

Kurzzeitmiete, „Pay-as-you-go“

Klar abgegrenzte Gebiete, eindeutige Organisations- und Hierarchiezuordnung („Territorialität“)

Allianzen, „shared“ (geteilter) und gemieteter Büroraum (z. B. kommerzielle Anbieter von Co-Working-Space)

Zugeschnitten auf Unternehmensmarke, Spiegel der gewachsenen Unternehmenskultur

Variable und zielgerichtete interne und externe Markenverwendung (z. B. Teams arbeiten für verschiedene Marken)

Formale, strukturierte Interaktion (z.  B. Meeting-Struktur, Mitteilungen/Schwarze Bretter)

Flexible Netzwerk- und Teamstrukturen, die schnell entscheiden und benötigte Ressourcen auf Zeit zusammenstellen

Physischer Raum, (meist) relativ ortsfeste Möblierung und (vielfach) mobile Technologie

Starke Teamkultur und Fokus auf Umsetzung, flexible Nutzung von physischem und virtuellem Raum (z. B. Kooperationsplattformen, Telekonferenzen)

14.4.2  Fokus, Zusammenarbeit, Lernen und

Kontakte knüpfen

14

„Wo ist mein zukünftiger Arbeitsplatz?“ und „Mit wem sitze ich zusammen?“. Dies sind nach unseren Projekterfahrungen die beiden wichtigsten Fragen bei Reorganisationen und Firmenfusionen. Um die vermeintlich besten Büros und Schreibtische können insbesondere zwischen Führungskräften Feindseligkeiten entstehen. Klassische Büroflure führen dann zu kaum lösbaren Problemen. Hingegen passen sich offene und flexible Raumkonzepte weit besser einem fortdauernden organisatorischen Wandel an. Eine Arbeitsgruppe an der britischen Universität in Sheffield um Sharon Parker hat eine Übersicht über einhundert Jahre Forschung zum Thema „Workplace Design“ erstellt.14 Sie hat daraus eine Themenlandkarte entwickelt mit fünf übergreifenden Themenbereichen: 1) Soziotechnisches System/Arbeitsumgebung, 2) Team-/Arbeitscharakteristik (z. B. Projekt-, Produktions-, Hochrisiko-Team), 3) Team-/ Arbeitssteuerung (z.  B. selbstgesteuert, selbstorganisiert),

14 Vgl. Parker et al. (2017).

14.4 · Teams und ihre Umgebung

4) Team-/Arbeitsrollen (z. B. Teamführung) sowie 5) Team-/ Arbeitsanforderungen (z. B. Stress, Risiko). Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, aus dieser Vielzahl von Faktoren konkrete Vorschläge für die Arbeitsplatzgestaltung abzuleiten, dafür sind die Zusammenhänge und die Forschungsergebnisse zu komplex. Es lohnt sicher daher, den umgekehrten Weg zu gehen: in der Praxis genau zu beobachten, wie Arbeitsumgebungen genutzt werden, und mit verschiedenen Umgebungen zu experimentieren, statt zu versuchen, so lange einzelne Faktoren zu optimieren, bis eine optimale Arbeitsumgebung entsteht. In diesem Sinn beobachtete der Kaffeeautomaten-Service „Mars Drinks“ (heute Teil der Lavazza-Gruppe) mithilfe von Sensoren, wie häufig die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Schreibtische nutzten. Tatsächlich wurden diese aber kaum genutzt: Gruppen standen zusammen und diskutierten, Meetings fanden in Besprechungsräumen statt und konzentrierte Stillarbeit in ruhigen Zonen abseits der Schreibtische.15 Das bereits erwähnte Gensler Research Institut leitete aus einer Vielzahl solcher Beobachtungen vier Aktivitätsbereiche ab, die durch (räumliche) Arbeitsgestaltung unterstützt werden müssen: 1) Fokus/Konzentration, 2) Zusammenarbeit, 3) Lernen sowie 4) Austausch und Entspannung. Dabei ist nicht das eine wichtiger als das andere. Vielmehr wirken verschiedene Faktoren unterschiedlich auf bestimmte Aspekte, die alle zu einer guten Arbeitsumgebung beitragen: 5 Mitarbeiterproduktivität und -zufriedenheit hängen vor allem von ergonomisch geeigneten Räumen mit Tageslicht und guter Belüftung ab, die eine Balance von Abstand, z. B. für ruhige Besprechungen, und Nähe, z. B. für Sichtkontakt, bieten. 5 Flexibilität und Selbstbestimmung der Arbeitsabläufe müssen in Abhängigkeit von der konkreten Branche und den Tätigkeiten sowie den Präferenzen der Mitarbeiterschaft berücksichtigt werden. 5 Organisationelle Veränderungen können durch sichtbare Veränderungen der Arbeitsplatzgestaltung und des Arbeitsorts unterstützt werden. Die Arbeitsplatzgestaltung vermittelt nicht nur der Mitarbeiterschaft, sondern auch Bewerberinnen und Bewerbern ein Bild davon, wie sich das Unternehmen selbst sieht („behavioural branding“).16

15 Vgl. Morgan (2015). 16 Vgl. Tomczak et al. (2009).

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Kapitel 14 · Teamraum: Team und Raum

5 Organisationsveränderungen erfordern auch schnelle Reaktionsmöglichkeiten, insbesondere in der Positionierung von Arbeitsplätzen und bei der IT-Ausstattung. 5 Konzentration und Kommunikation werden durch akustisch und visuell abgeschirmte „Privatsphären“ ermöglicht. Räume sollten für verschiedene Gruppengrößen konzipiert sein sowie horizontale und vertikale Bewegung und Durchblicke erleichtern. 5 Bei der Gestaltung spielen natürlich auch schnelle Wartung, leichter Umbau und die Wirtschaftlichkeit der eingesetzten Systeme eine große Rolle. Ihren Zweck kann die Einrichtung auf Dauer nur erfüllen, wenn sie individuelle Einstellungen für Licht, Farbe, Schreibtischhöhe und ggf. bei der Möbelauswahl erlaubt, die einfach zu handhaben sind. 5 Flexible Möbel- und Raumkonfigurationen und die hohe Qualität der Innenausstattung sind wichtig. Dabei darf aber die Umgebung nicht vernachlässigt werden: Anfahrts- und Zugangsmöglichkeiten, Parkplätze, ggf. Schließfächer für Wertsachen etc. können sich stark auf die Mitarbeiterzufriedenheit auswirken. 5 Und schließlich: Keine Planung sollte erfolgen, ohne zuvor die Meinung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erfragen. Außerdem sollte die Verbesserung der Arbeitsumgebung auch nach dem Bauen weitergeführt werden. Feedback kann und muss als Designwerkzeug genutzt werden. Dies kann durch Befragung und Beobachtung erfolgen sowie durch gezielte Messungen, wie z. B. das Erstellen von Bewegungs- und Tätigkeitsprofilen, unterstützt werden.

14

Vergleicht man nicht einzelne Faktoren, wie z. B. Beleuchtung oder Raumaufteilung, sondern unterschiedliche Arbeitsumgebungen miteinander, so scheint gutes Workplace Design über einen längeren Zeitraum die Produktivität um durchschnittlich 10 % steigern und unnötige Abwesenheit vom Arbeitsplatz (Absentismus) um 5 % verringern zu können.17 Dabei ist die Wirkung des Workplace Design auf Mitarbeiterzufriedenheit und Teamleistung am größten, auf Einzelleistungen wirkt sie sich kaum aus.18

17 Vgl. CABE (2005). 18 Vgl. Haynes (2008).

14.4 · Teams und ihre Umgebung

14.4.3  Raum zum Lächeln und zum Arbeiten

Welche städtischen Plätze laden zum Verweilen und zum Gespräch ein, welche lassen die Passanten am liebsten schnell hinter sich? Gibt es Spielplätze, Sportgeräte, Cafés und Gaststätten mit Außenbestuhlung oder Einkaufsmöglichkeiten? Die Art dieser Nutzungsangebote bestimmt darüber, ob ein Platz von unterschiedlichen oder eher einheitlichen Personengruppen genutzt wird, also z. B. von eher jungen Familien oder eher älteren Personen. Der Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung beauftragte den Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadt­ entwicklung an der RWTH Aachen zu untersuchen, was die Qualität öffentlicher Plätze ausmacht und wie man sie verbessern kann.19 Gemessen wurde u. a. wie viele Personen unterschiedliche Plätze in verschiedenen Städten betreten, was sie dort machen und wie lange – und ob es zu freundlichen oder unfreundlichen Kontakten kommt. Zusammengefasst zeigte sich, dass Lage und Erreichbarkeit zunächst einmal bestimmen, wie viele Menschen den Platz überhaupt nutzen. Doch auch gut erreichbare Plätze werden nur schnell überquert, wenn sie als verwahrlost wahrgenommen werden oder zu wenig Platz für einen längeren Aufenthalt bieten. Die Dauer und Qualität des Aufenthalts werden vor allem von den Nutzungsmöglichkeiten und Angeboten bestimmt. Macht das, was gute öffentliche Plätze ausmacht, auch einen guten Arbeitsplatz aus? Sicher nicht jeden Arbeitsplatz, denn das hängt – wie beschrieben – von Arbeitsmustern und -aufgaben ab. Aber für offene Arbeitsräume, die vor allem zum schöpferischen Nachdenken und zur Neuorientierung beitragen sollen, den „creative workspaces“, trifft es zu. Dort sind ausreichend Raum für Gruppenarbeit und Privatheit, vielfältige Nutzungsangebote und -möglichkeiten sowie eine offene Atmosphäre für Besucher von entscheidender Bedeutung. Einen besonderen Ort hat der „creative workspace“ der Unternehmensberatung zeb in München geschaffen: TABULARAZA by zeb (. Abb. 14.3). Großzügig geschnittene Arbeits- und Kreativräume sind rund um die Schwerpunkte „Verstehen“, „Erleben“ und „Kreieren“ gestaltet. Darin eingebettet sind wenige „normale“ Büroarbeitsplätze und eine nach Heu duftende, schalldichte Kabine, sodass konzentrierte Einzelarbeit und vertrauliche (Telefon-)Gespräche möglich sind. Teams aus Unternehmen nutzen diesen Raum für zwei-

19 Vgl. Fugmann et al. (2017).

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Kapitel 14 · Teamraum: Team und Raum

. Abb. 14.3  Musterplan für einen „creative workspace“ für Workshops nach dem Muster 1) Verstehen (Präsentation/Wissensvermittlung), 2) Erleben (Lösungen erarbeiten/Design Thinking) und 3) Kreieren (Prototypen entwickeln und testen). (© TABULARAZA by zeb; Standort: München)

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bis viertägige Workshops und Bootcamps. Diese durchlaufen entsprechend der Gliederung der Kreativräume im Wesentlichen drei Phasen: 1) Verstehen durch Impulse aus anderen Unternehmen und gegenseitigen Austausch, manchmal auch durch Besichtigungen vor Ort. 2) Erleben durch intensive Beschäftigung mit Kundenbedürfnissen anhand detailliert ausgearbeiteter fiktiver Kundenprofile (sogenannte „Personas“) und „Kundenreisen“, in denen die „Herz- und Schmerzpunkte“ dieser Kunden-Personas bei der Nutzung der Firmenangebote genauestens untersucht werden. 3) Kreieren, indem die so gewonnenen Einsichten in Prototypen für neue Produkte und Dienste umgesetzt werden, die direkt vor Ort mit potenziellen Kunden ausprobiert werden – indem man z. B. spontan Passanten in einer Fußgängerzone anspricht. „Creative workspaces“, wie TABULARAZA, sind wie öffentliche Plätze daher auch besser mitten in der Stadt aufgehoben als auf der sprichwörtlichen „grünen Wiese“. 14.4.4  Zusammen allein: Verteilte Teamarbeit

und Homeoffice

Das Coronavirus brachte die Arbeitswelt Anfang 2020 nachhaltig durcheinander. Plötzlich wurde umgesetzt, was vorher undenkbar schien: Vor Beginn der Krise war nach einer repräsentativen Umfrage weniger als ein Viertel der Beschäftigten regelmäßig im Homeoffice, während der Krise im Frühjahr 2020 gut 40 %. Das war für viele eine neue, aber gute

14.4 · Teams und ihre Umgebung

­ rfahrung: Über 87 % der Befragten waren mit der Arbeit E im Homeoffice zufrieden, nur 6 % fanden, dass sich ihre Arbeitsverhältnisse verschlechtert hatten.20 In eigenen Untersuchungen während der Corona-Krise fanden wir allerdings, dass 64% der Befragten von individueller und sogar 79% von Mehrbelastung im Team berichteten. Ist dieser Befund nur ein Krisenphänomen oder könnte man auf Dauer mehr Personen im Homeoffice arbeiten lassen? Diese Frage stellten sich Forscher der Universität von Chicago und kamen zu dem Schluss, dass mehr als ein Drittel der Jobs für das Arbeiten von zu Hause geeignet ist: Verwaltungs- und Managementtätigkeiten sowie viele technische Dienste zu über 80 %, Beschäftigungen im Bildungsbereich zu über 70 % und in der Lager- und Logistikbranche zu ca. 25 %. Weitgehend ungeeignet für Homeoffice sind Tätigkeiten in der Gesundheitsversorgung und in der Landwirtschaft.21 Internationale Vergleichsstudien zeigen, dass die „Auslagerungsfähigkeit“ (engl. offshorability) zumeist höher qualifizierte Beschäftigte betrifft. Es wurde bislang kein Zusammenhang von Homeoffice mit Jobverlust, Teilzeitquoten und Höhe des Gehalts festgestellt.22 Das Arbeiten im Büro oder von zu Hause sind keineswegs die einzigen Möglichkeiten. Tatsächlich nehmen seit Jahren alternative Arbeitsarrangements zu und ermöglichen eine flexible Nutzung von Arbeitszeiten, Arbeitsstätten und ­Arbeitsteams: von Mietbüros im „co-working space“ über firmeneigene Satellitenbüros bis hin zu Arbeit und Austausch in Cafés und virtueller Teamarbeit von zu Hause.23 Leicht belebte Orte scheinen für die Arbeitsleistung förderlich zu sein, wie bei der Schilderung des „Schrittmachereffekts“ bereits dargestellt (7 Abschn. 2.4.2). Das funktioniert dann besonders gut, wenn viele Personen in der näheren Umgebung konzentriert arbeiten.24 Auch Hintergrundgeräusche können hilfreich sein, um die Konzentration und Kreativität zu fördern25 – und wem die Geräusche fehlen, der kann sich diese per Internet sogar ins Homeoffice holen.26 Unternehmen sind diesbezüglich sehr kreativ, wie eine kleine Auswahl von Arbeitsarrangements in der folgenden Tabelle zeigt.

20 21 22 23 24 25 26

Vgl. Stürz et al. (2020). Vgl. Dingel und Neiman (2020). Vgl. Blinder und Krueger (2013). Vgl. Übersicht in Mas und Pallais (2017). Vgl. Desender et al. (2016). Vgl. Mehta et al. (2012). Zahlreiche Hintergrundgeräusche von Orten, wie Café, Bibliothek oder Innenstadt, bietet die Website 7 https://coffitivity.com/ (zuletzt abgerufen am 16.04.2020).

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Kapitel 14 · Teamraum: Team und Raum

Art des Arbeitsarrangements

Inhalt/Ausgestaltung

Raumnutzung

Zuordnung von Räumen zu bestimmten Personen, dynamische Zuweisung von Räumen über Buchungssystem, flexible ­Buchung von Räumen durch die Mitarbeitenden (sog. „hoteling“), Mix aus Homeoffice und Nutzung von Firmenbüros

Zuteilung von Räumen und Raumausstattung (insbes. Schreibtische)

Zuordnung von zur Aktivität passender ­Arbeitsumgebung bei akutem Bedarf (sog. „hot desking“), Suche nach passendem ­Arbeitsplatz auf vorherige Anfrage (sog. „free address“), in beiden Fällen: keine persönlichen Räume oder Statusausstattung (insbesondere kein „Chefbüro“)

Nutzung von Ausstattung

Aktivitätsbasierte Nutzung von Schreibtischen (sog. „desk sharing“) und von IT (z. B. Videokonferenzraum), Ermittlung optimaler Nutzungs- und Bereitstellungsquoten (z. B. Schreibtische zu 40 % ungenutzt)

Individualisierung und „social analytics“

Bereitstellen von Arbeitsmitteln für mobiles Arbeiten für alle (z. B. Laptop, Headset), zahlreiche individuelle Anpassungen (z. B. höhenverstellbare Tische, Nutzung eigener Hardware), fortlaufende, individuelle Aktivitätsmessung (z. B. mit Smartphone oder „social badges“) zur Optimierung von ­Arbeitsumgebung und -abläufen

Die meisten der hier genannten Aspekte beruhen auf einem Design des Arbeitsumfelds, das sich nicht an einzelnen Personen, sondern an verschiedenen Aktivitäten und an Teamarbeit orientiert. Aktivitätsbasierte, flexible Bürokonzepte (engl. activity-based flexible office, A-FO) sind somit das Gegenteil von abgeschotteten Einzelbüros mit Zimmerpflanze und Familienfoto.27 Aber sind sie deswegen auch besser? Studien, die einen längeren Zeitraum erfassten, zeigen, dass fast 70 % der Mitarbeiterschaft immer denselben Arbeitsplatz aufsucht und diesen nur ungern verlässt.28 Die permanente Neuzuweisung oder Suche nach Arbeitsplätzen, die zur jeweiligen Aktivität passen, stören auf Dauer die Konzentration des Einzelnen sowie die Koordination und das Zusammengehörigkeitsgefühl im Team.29 Diese Ergebnisse sind zwiespältig: Auf der einen Seite wird ein individueller Arbeitsplatz bevorzugt, was das Zugehörigkeitsgefühl zur Organisation

27 Vgl. Übersicht in Milne et al. (2017). 28 Vgl. Appel-Meulenbroek et al. (2011). 29 Vgl. Wohlers und Hertel (2018).

265 Literatur

stärkt. Auf der anderen Seite bewirken Einzelbüros tendenziell soziale Isolierung und behindern damit Austausch und Zusammenarbeit.30 Die räumliche Verteilung von Personen in Verbindung mit physischer Distanz sind entscheidende Faktoren für die Gestaltung von Teamarbeit. Empirische Befunde zur Wirkung von Distanz sind allerdings überraschend: Die schlechtesten Werte hinsichtlich Effizienz (z. B. Geschwindigkeit von Abstimmungen) und Effektivität (Leistungsmenge und -qualität) zeigen Teams, die in demselben Gebäude, aber auf verschiedenen Stockwerken sitzen. Nur internationale Teams, verteilt auf verschiedene Kontinente und Zeitzonen, weisen noch schlechtere Werte auf. Die besten Werte haben Teams, die direkt zusammensitzen und solche, die an verteilten Orten in derselben Stadt sind. Erklärt werden die Befunde damit, dass nahe beieinander, aber dennoch getrennt arbeitende Teams (wie die auf den verschiedenen Stockwerken) die Wirkung der physischen Trennung unterschätzen und sich daher nicht so sehr um Zusammenarbeit bemühen wie verteilte Teams. Nachfolgende Untersuchungen zeigen zudem, dass Teams mit stark ausgeprägten Teamroutinen (7 Abschn. 4.4.1) und einer gesicherten Zusammenarbeit kaum nachteilige Distanzeffekte aufweisen.31 Somit wird deutlich, dass im Homeoffice erfolgreiche Teamarbeit entstehen kann, denn virtuelle Teams mit einem hohen Grad an Teamroutinen und klarer Aufgabenteilung können deutlich besser sein als Teams, die nahe vor Ort zusammenarbeiten.

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30 Vgl. Brown und Zhu (2016). 31 Vgl. Siebdrat et al. (2009).

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14

Kapitel 14 · Teamraum: Team und Raum

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267 Literatur

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Lesetipp Eine managementorientierte und mit vielen Praxisbeispielen versehene Darstellung von „New Work“ und Teamarbeit bietet das folgende Buch: Hackl, B., Wagner, M., Attmer, L., & Baumann, D. (2017). New Work: Auf dem Weg zur neuen Arbeitswelt: Management-Impulse, Praxisbeispiele, Studien. Heidelberg: Springer.

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Kollege Roboter: Teams und Technik Inhaltsverzeichnis 15.1 Lehrer heiratet Hologramm – 270 15.2 Gesichtslose Chefs – 271 15.3 Interview: Wie wirkt sich Technik auf Teams aus, Herr Schletz? – 272 15.4 Teams und Technik – 274 15.4.1 Virtuelle Teams – 274 15.4.2 Roboter und humanoide Computer – 277 15.4.3 Künstliche Intelligenz trifft natürliche Dummheit – 279

Literatur – 280

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_15

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Kapitel 15 · Kollege Roboter: Teams und Technik

15.1  Lehrer heiratet Hologramm ► Einstieg ins Thema Hatsune Miku ist eine japanische Popsängerin, die mittlerweile weltweit Konzertsäle füllt – auch die Kölner Lanxess-Arena. Das Besondere an Hatsune Miku, deren Namen auf Deutsch „Erste Stimme aus der Zukunft“ bedeutet: Sie ist ein Hologramm mit einer künstlichen Stimme, ein Vocaloid. Hatsune Miku hat weltweit Tausende von Fans. Ihr vielleicht größter ist der Lehrer Akihiko Kondo, der die Kunstfigur Ende 2018 heiratete. Er hat seine durch künstliche Intelligenz gesteuerte „Ehefrau“ in einer „Gatebox“1 bei sich, eine Art intelligentes Sprachsystem, wie z. B. „Alexa“ von Amazon oder „Echo“ von Google, das zusätzlich mit einem beweglichen, dreidimensionalen Hologramm ausgestattet ist. Kritik und Spott anderer Menschen kümmern den ­35-Jährigen nicht, denn er selbst sieht sich nur als Vorläufer einer Entwicklung, in der viele Menschen innige Beziehungen zu künstlichen Wesen haben werden.2 Und die Vorboten sind bereits an vielen Stellen zu sehen: Die Schweizer Großbank UBS hat ihren Chefökonomen, Daniel Kalt, digital geklont, sodass der bekannte Finanzexperte als Chatbot3 von einer künstlichen Intelligenz (KI) gesteuert, an Kundengesprächen teilnehmen kann.4 In China liest der digitale Zwilling eines bekannten Nachrichtensprechers rund um die Uhr Nachrichten vor, und Google hat zusammen mit der Firma „Magic Leap“ die Kunstfigur „Mica“ geschaffen, die so täuschend lebensecht Gefühle zeigen und Gespräche führen kann, dass sie von echten Menschen nicht mehr zu unterscheiden ist.5 Und in der Quarantänezeit aufgrund des Coronavirus’ wurde deutlich, dass Therapiegespräche, die auf Austausch mit KI beruhen, isolierten Personen tatsächlich helfen können. Beispiele aus den USA zeigen, dass Chatbots, die Patienten zusätzlich zu ihren m ­ enschlichen Therapeutinnen

15 1 Online zu finden unter: 7 www.gatebox.ai/ (zuletzt abgerufen am 25.09.2019). 2 Die englischsprachige japanische (7 www.japantimes.co.jp/news/2018/11/12/ national/japanese-man-marries-virtual-reality-singer-hatsune-miku-hologram/#.XX-bmS4zaM8) und die deutsche Presse (7 www.stern.de/neon/ wilde-welt/gesellschaft/japaner-akihiko-kondo-heiratet-die-liebe-seines-lebens---eine-zeichentrickfigur-8473068.html) berichteten ausführlich (zuletzt abgerufen am 16.09.2019). 3 Chatbot: Kombination aus engl. „chat“, Plauderei, und Roboter, also ein Gesprächsroboter. 4 Ein Bericht über den digitalen Chefökonomen findet sich z. B. bei: 7 https://www.ft.com/content/fdaf48ec-8422-11e8-a29d-73e3d454535d (zuletzt abgerufen am 16.09.2019). 5 Ein Eigenbericht der Firma Magic Leap findet sich unter: 7 www.magicleap.com/news/op-ed/i-am-mica (zuletzt abgerufen am 16.09.2019).

15.2 · Gesichtslose Chefs

als A ­ nsprechpartner dienen, während der Quarantäne sehr viel häufiger angefragt und als hilfreiche Gesprächspartner erlebt ­wurden.6 Die Firma Sony hat ein Patent für einen Empathie-Roboter eingereicht, der während der häuslichen Quarantäne als eine Art Haustier und Ansprechpartner fungiert.7 Es scheint so, dass der Ehemann des singenden Hologramms, Akihiko Kondo, recht behält: Persönliche Beziehungen zwischen Menschen und Maschinen werden zur Normalität.◄

15.2  Gesichtslose Chefs

Beispiel aus der Praxis Beim Fahrdienst Uber errechnet eine „künstliche Intelligenz“ (KI) mit den Aufenthaltsdaten von Kunden, wo sich die Fahrer bereithalten müssen. Sie kalkuliert mittels Geodaten optimale Routen, denen die Fahrer folgen müssen, und bestimmt anhand der Nachfrage in der Uber-App sowie der verfügbaren Fahrer die Preise für die Touren. Die Wissenschaftlerin Alex Rosenblat nennt dies „gesichtslose Chefs“ und warnt vor übermächtigen sowie aus Sicht des Einzelnen unkontrollierbaren Führungssystemen8. Es geht aber auch anders, wie das Beispiel von Aqua Römer, einem Mineralwasserabfüller im schwäbischen Göppingen, zeigt. Dort steuert eine KI namens „Mary“ rund 100 Beschäftigte. Das System hat mit tausenden Sensoren das Lager im Blick und erteilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Aufträge per Kopfhörer. Bei der Einführung drohte der Betriebsrat mit Streik, konnte sich dann aber mit der Firmenleitung auf klare Regeln für den Betrieb der KI einigen: „Mary“ darf zur Steuerung des Betriebs praktisch alle Daten sammeln, diese dürfen aber nicht zur ­Leistungskontrolle

6 Ein Artikel aus dem Wall Street Journal vom 10. April 2020 schildert den Fall eines isoliert lebenden Mannes, der vom Gespräch eines für psychologische Betreuung entwickelten Chatbots profitiert: 7 https://www. wsj.com/articles/my-girlfriend-is-a-chatbot-11586523208 (zuletzt abgerufen am 15. April 2020). Entwickler solcher Chatbots berichteten über eine tägliche Verdoppelung der Anfragen in der Corona-Krise ab Beginn der Ausgangsbeschränkungen (Beispiel einer Auswertung unter: 7 https://woebot.io/blog/covid-19/; zuletzt abgerufen am 15. April 2020). 7 Ein Research-Brief von CBInsights vom 23. April 2020: 7 www.cbinsights.com/research/sony-robot-companion-patent/ (zuletzt abgerufen am 24.04.2020). 8 Vgl. Rosenblat und Stark (2016).

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Kapitel 15 · Kollege Roboter: Teams und Technik

a­usgewertet werden. Durch die künstliche Intelligenz „Mary“ arbeitet die Mitarbeiterschaft praktisch fehlerfrei, sodass Mitarbeiterleistung und -zufriedenheit gestiegen sind.9

Alexander Schletz

Portrait Alexander Schletz, Fraunhofer-Gesellschaft IAO

Herr Alexander Schletz hat an der TU Darmstadt Soziologie studiert und ist seit 2000 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Dienstleistungsforschung und Arbeitsgestaltung. Alexander Schletz war Verbundkoordinator umfassender arbeitswissenschaftlicher Forschungs- und Entwicklungsprojekte zur Flexibilisierung wissensintensiver Dienstleistungen durch dynamisches Personal- und Kompetenzmanagement und zu „Smart Service Design“, der intelligenten Entwicklung neuer Dienstleistungen durch den Einsatz neuer Methoden und Technologien. Derzeit beschäftigt er sich u. a. mit Methoden und Tools, die heterogene Teams und Netzwerke unterstützen, gemeinsam tragfähige Zielvorstellungen und Geschäftsmodelle zu entwickeln.

15.3  Interview: Wie wirkt sich Technik auf

Teams aus, Herr Schletz?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

15

Die Arbeit in Teams spielt in einer Organisation wie unserem Forschungsinstitut eine herausragende Rolle, da unsere Forschungs- und Entwicklungsprojekte eigentlich immer in Teams aus Kolleginnen und Kollegen heterogener Disziplinen bearbeitet werden. Projekte, die ich in den inzwischen zwei Jahrzehnten am IAO alleine oder zu zweit bearbeitet habe, lassen sich an einer Hand abzählen. z Was waren prägende Teamerfahrungen?

Schon mein erstes Projekt am Institut war sehr stark teamgeprägt. Wir leiteten einen großen Verbund von, ich meine, 9 Ausführliche Berichte und ein Video aus Sicht des Betriebsrats und der Gewerkschaft finden sich unter: 7 www.dgb.de/themen/++co++edcfc5d4-6cd7-11e9-9e2b-52540088cada (zuletzt abgerufen am 15.09.2019).

15.3 · Interview: Wie wirkt sich Technik auf Teams aus, Herr Schletz?

14 Forschungsinstituten, die über die Republik verteilt waren, mit einem Team aus sehr erfahrenen älteren Kollegen und mir als Einsteiger. Es ging um das damals noch neue Thema „Demografischer Wandel und Arbeitswelt“. Hierbei zu gemeinsamen Ergebnissen, Publikationen, einer für damalige Verhältnisse umfangreichen Website und Veranstaltungen aus „einem Guss“ zu kommen, erforderte viel Überzeugungsarbeit, Vertrauensaufbau und Abstimmungsaufwand. Wir am IAO haben damals auch räumlich sehr nah zusammengearbeitet. Rückblickend ein großer Vorteil, weil die Tools und Kooperationsformen IKT10-seitig noch lange nicht so zur Verfügung standen wie heute. Dann ist es immer wieder sehr spannend, wie sich unsere heterogenen Teams auf eine gemeinsame Zielstellung und Arbeitsweise verständigen müssen und das regeln. Das funktioniert mal schneller und effektiver und mal weniger gut. Dabei waren und sind oft einzelne Personen mit einer besonderen Integrationskraft und der Fähigkeit, „Teamspirit“ zu erzeugen, Erfolgsgaranten. Das kennt sicher jeder, dass dann auch Widerstände und Egoismen dem Teamziel untergeordnet werden. z Wofür würden Sie heute unbedingt im Team arbeiten, in welchem Punkt auf keinen Fall?

Aus meiner Sicht unschlagbar sind Teams, wenn es um kreativen Austausch, anspruchsvolle Inventionen11 und komplexe Problemlösungen geht. Methoden wie verteiltes „Brain Storming“ oder „Design Thinking“ haben sich in der Arbeitswelt hierfür inzwischen etabliert. Auch wenn sich nicht immer alle Beteiligten von Beginn an begeistert einbringen, ist es doch immer wieder verblüffend zu sehen, wie vielfältig die Ergebnisse sind und wie schnell sie erzielt werden. Bei Aufgaben, die eine schnelle Umsetzung und Entscheidung bei klaren Aufgabenstellungen und Vorgehensweisen erfordern, ist die Abstimmung in Teamstrukturen eher hinderlich. z Welche Wirkung hat IT-basierte Kommunikation und Zusammenarbeit auf die Teamarbeit?

Für mich stehen dabei die Faktoren Dynamik, Qualität und raumzeitliche Entkopplung im Vordergrund: Durch IKT beschleunigt sich Kommunikation definitiv. Dabei gibt es in

10 IKT  = Abkürzung für Informations- und Kommunikationstechnologie (Anm. d. Aut.). 11 Invention  = tatsächlich neuer Gegenstand oder tatsächlich neue Idee (Anm. d. Aut.).

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Kapitel 15 · Kollege Roboter: Teams und Technik

Teams oft unterschiedliche Auffassungen zu angemessenen Reaktionszeiten. Auch die Frage, in welcher Qualität, in welchen Reifegraden Arbeitsstände geteilt werden, unterscheidet sich oft erheblich. Das Vereinbaren von gemeinsam geteilten Vorstellungen in Form von Spielregeln ist hierbei sicherlich hilfreich, um Missverständnissen und nicht beabsichtigten Überforderungen entgegenzuwirken. Ein deutlicher Vorteil von IKT-Unterstützung für teambasierte Zusammenarbeit ist die immer „smarter“ funktionierende raumzeitliche Entkoppelung von Arbeit. Die heute praktizierten Formen mobiler Arbeit und zeitlicher Souveränität sind hiervon in hohem Maße abhängig, bringen aber auch Herausforderungen mit sich, wie digitale Kompetenz und z. B. virtuelles Führen und Agieren in Teams. z Was machen Teams bei der Nutzung von IKT oft falsch, was hilft bei der Teamarbeit?

Ich denke, dass immer noch oft eine gewisse „Naivität“ beim Einsatz von IKT-Lösungen für die Teamarbeit besteht, denn nicht jedes tolle und nicht selten kostspielige Tool ist ein Garant für ein gutes Ergebnis oder eine gelungene Kommunikation. Letztendlich ist es entscheidend, für das jeweilige Team oder für die Art der Kommunikation individuell zu prüfen, was genau für ein Kooperationswerkzeug erforderlich ist. Die Nutzer bei der Auswahl miteinzubeziehen, ist sicher von Vorteil. Tools einzusetzen erfordert aber immer auch eine entsprechende Kultur, Kompetenz und Vertrauen. z Wie werden Fortschritte in der Digitalisierung und der KI die Teamarbeit beeinflussen?

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Den Einzug von KI in Teamarbeit erleben wir ja längst schon, gerade bei der Bearbeitung von Routineaufgaben. Die Arbeitsgestaltung steht hier sicher vor großen Herausforderungen, um Spannungsverhältnisse von Effizienzaspekten und guter Arbeit immer wieder an konkreten Aufgaben und Prozessen in eine sinnvolle Balance zu bringen. 15.4  Teams und Technik 15.4.1  Virtuelle Teams

Die Akzeptanz und der Einsatz neuer Technologien in der Gruppenarbeit sind zum Scheitern verurteilt, wenn vor der Einführung versäumt wird, alle Beteiligten in einen intensiven Kommunikations- und Verhandlungsprozess einzubeziehen und

15.4 · Teams und Technik

eine gemeinsame Zielorientierung zu entwickeln. Dies zeigt eindrücklich eine Untersuchung zur Zusammenarbeit von Teams auf Bohrinseln mit Teams auf dem Festland:12 Lehnte ein Teilteam die Technik ab, kam es zum Boykott von Arbeitsabläufen oder gar zu Sabotage (z. B. Zerstören von Videokameras). Selbst wenn zwei kooperierende Teams die Technik in der Zusammenarbeit akzeptierten, kam es zu Koordinationsproblemen, wenn die positive Einstellung zur Technik auf unterschiedlichen Gründen und Motiven beruhte. Global verteilte Arbeitsprozesse rund um die Uhr sind ohne technisch unterstützte Zusammenarbeit nicht möglich. Virtuelle Teams sind Arbeitsgruppen, die sich selten oder nie persönlich treffen und ihre Zusammenarbeit mithilfe von Computersystemen planen, koordinieren und durchführen. Seit der Einführung in den 1990er-Jahren werden immer dieselben Nachteile virtueller Teams beklagt: 1) wenig direkte und persönliche Kommunikation, 2) kaum sozialer Austausch über direkte Arbeitstätigkeiten hinaus, 3) geringes Vertrauen, 4) Betonung kultureller Unterschiede und 5) geringes Zusammengehörigkeitsgefühl im Team.13 Daher kann es in virtuellen Teams genau wie in anonymen Gruppen schneller zur Polarisierung von Meinungen kommen. Diese Probleme haben wir bereits im Kapitel über „Anonymität in Teams“ geschildert. Das mögliche Aufwallen von Aggressivität („flaming“ genannt) und das Auftreten einer Flut beleidigender Mitteilungen (auch als „shitstorm“ bezeichnet) in virtuellen Gruppen sind aber nicht allein mit Anonymität zu erklären. Untersuchungen sprechen dafür, dass sich in virtuellen Gruppen Subkulturen etablieren, in denen ungezügeltes Verhalten bis hin zu Drohungen und Beleidigungen zur sozialen Norm gehört und von Personen, die sich dieser sozialen Gruppe zugehörig fühlen, gebilligt und unterstützt wird.14 Virtuelle Teams müssen also lernen mit diesen Gefährdungen umzugehen. Untersuchungen zeigen, dass diese Teams mehr Zeit brauchen als Präsenzgruppen, um ein gemeinsames Verständnis über Ziele zu erreichen. Zu Beginn der Zusammenarbeit sollte geklärt werden, wie bestimmte Kommunikationskanäle genutzt werden sollen, was immer wieder geprüft und verbessert werden muss. Teamrollen müssen festlegt und Personen diesen Rollen zugeordnet sein. Alle sollten genau wissen, was die Rollen der anderen Teammitglieder bedeuten – was sie also von ihnen erwarten dürfen

12 Vgl. Bayerl et al. (2016). 13 Vgl. Cascio und Montealegre (2016). 14 Vgl. Lea et al. (1992) und Postmes et al. (2000).

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Kapitel 15 · Kollege Roboter: Teams und Technik

und was nicht. Die Qualität der Arbeitsergebnisse in virtuellen Teams hängt weniger von dem tatsächlichen Zusammengehörigkeitsgefühl ab, sondern davon, wie gleichberechtigt der Informationsaustausch stattfindet und wie gut die Koordination der Rollen und Aufgaben funktioniert.15 Was macht eigentlich gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in virtuellen Teams aus? Eine Untersuchung mit 380 Berufstätigen, die in traditioneller und virtueller Teamarbeit Erfahrung hatten, bezog sich dabei auf die „großen acht“ Kompetenzfelder nach Dave Bartram16 und kam zu teils überraschenden Ergebnissen: Eigeninitiative, unabhängiges A ­ rbeiten, klare Zielsetzung und Aufgabenteilung sowie die Bereitschaft zur Zusammenarbeit waren wichtig. Von herausragender Bedeutung war die kompetente Nutzung von Kommunikationsmedien und Computertechnologien – soweit, so erwartbar. Interessant ist jedoch, dass Selbstmotivation, Verantwortungsübernahme und die Förderung von Vertrauen im Team gar keine Rolle spielten.17 Das ideale Mitglied virtueller Teams ist technisch versiert, verfügt über hohe Eigeninitiative und sorgt für klare Ziele und Aufgabenteilung. Motivation, Verantwortung und Vertrauen kommen dann von allein und spielen – wie geschildert – in virtuellen Teams eine untergeordnete Rolle. Virtuelle Teams brauchen daher viel Zeit, um gemeinsame Routinen und Gruppennormen zu entwickeln. Der Aufwand, diese Routinen aufrechtzuerhalten, ist in virtuellen Teams größer als in Präsenzgruppen – ebenso die Gefahr für geringeren Einsatz und geringere Verantwortungsübernahme.18 Dies gilt umso mehr, je weniger Teams dem traditionellen Bild einer in ihrer Zusammensetzung relativ stabilen Gruppe von Menschen entsprechen: Teamzusammensetzungen werden flexibler und Technik immer mehr zum Teammitglied.19 Fallstudien zeigen jedoch, dass der Aufwand sich lohnen kann, weil Mitglieder virtueller Teams zwar oft unzufriedener sind als die traditioneller Teams, zugleich aber vielfach produktiver.20 Eine Übersicht über soziale und technische Erfolgsfaktoren virtueller Teams gibt die folgende Tabelle.21

15 Vgl. Fussel et al. (1998) und Espinosa et al. (2002). 16 Die Kompetenzfelder sind 1) Führen und Entscheiden, 2) Unterstützen und Zusammenarbeiten, 3) Interagieren und Präsentieren, 4) Analysieren und Interpretieren, 5) Entwickeln und Konzipieren, 6) Organisieren und Ausführen, 7) (sich) Anpassen und 8) Unternehmen und Durchführen; Bartram (2005). 17 Vgl. Krumm et al. (2016). 18 Vgl. Gilson et al. (2015). 19 Vgl. Mortensen und Haas (2018). 20 Vgl. Kirkman et al. (2012) und Purvanova (2014). 21 Nach Hüfken (2011, S. 44).

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15.4 · Teams und Technik

Faktor

Dimension

Hohe Ausprägung in …

Führung (7 Abschn. 7.4.5)

Transformationale ­Führung

… gegenseitigem Respekt und Einflussnahme, individueller Wertschätzung, Motivation durch Inspiration und intellektuelle Herausforderung

Vertrauen

Vertrauensniveau im Team

… Einfordern und eigener Anstrengung zum Einhalten der Teamregeln, Offenheit in Verhandlungen und Einhalten von Verpflichtungen, eigene Vorteile nicht ausnutzen

Kommunikation

Umsetzung der Kommunikation

… Geschwindigkeit (schnelle Reaktionen), Medientypen (große Bandbreite möglicher Informationsübermittlung), Parallelität (Informationskanäle blockieren sich nicht gegenseitig), Nachvollziehbarkeit (Informationen auffindbar und prüfbar), Anpassbarkeit (Informationen können richtiggestellt/korrigiert werden)

Technik

Technikakzeptanz und Angemessenheit

… vorhandener Erfahrung, Erfahrungsaustausch/Unterstützung, Funktionsabdeckung, Robustheit

15.4.2  Roboter und humanoide Computer

Roboter arbeiten heute in vielen Bereichen als Teil eines Teams mit Menschen zusammen, z. B. in der industriellen Fertigung, in der Textilindustrie und in der Medizin.22 Unternehmen sind daran interessiert, dass menschliche Teams aller beteiligten Fachbereiche an der Entwicklung von Robotern beteiligt sind, Roboter belastende Tätigkeiten übernehmen, einfach zu bedienen sind, die Produktivität steigern, neue Leistungsmöglichkeiten – z. B. im OP – ermöglichen und dass die Anschaffung kostengünstig und rechtlich sicher ist.23 Der Nutzen für das Unternehmen ist damit klar – nur wann erleben die menschlichen Arbeitsteams ihre Roboterkollegen als hilfreich?

22 Vgl. Übersicht in Weidner und Redlich (2014). 23 Vgl. Übersicht in Thomas et al. (2014).

15

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Kapitel 15 · Kollege Roboter: Teams und Technik

Um das sicherzustellen, sollten Menschen durch Einführen von Robotern entlastet werden (z. B. durch ergonomische Entlastung von belastenden und wiederkehrenden Handgriffen). Die Belastung der Umwelt sollte gering sein (z. B. geringer Lärm und Staub). Zudem sollte der Roboter verständliche Rückmeldungen (z. B. „bereit“ oder „erledigt“) und Auskünfte über Arbeitsergebnisse oder den aktuellen Maschinenzustand geben.24 Unsere eigenen Untersuchungen zum Einsatz von Telemedizin in der Notfallrettung zeigen zudem, dass die Voreinstellungen der Mitarbeiter gegenüber der Technik, bisherige Einsatzerfahrungen sowie die Einstellungen im Umfeld, insbesondere vom Kollegium und von Führungskräften, wichtige Faktoren für die Akzeptanz von „Technikkollegen“ sind.25 Physische Roboter (also keine Computerprogramme als Softwareroboter) können in unterschiedlicher Weise auf ihre menschlichen Teamkollegen reagieren: Ein Roboter kann automatisch-reaktiv tätig werden, wenn er entdeckt, dass der Mensch Hilfe braucht. Oder der Roboter ist ­automatisch-proaktiv tätig, indem er immer unterstützt, wenn er kann. Gemessen an Nutzungshäufigkeit, Arbeitsergebnis und Nutzerzufriedenheit werden proaktive Roboter bevorzugt. Dies gilt aber nur dann, wenn die Menschen selbst bestimmen können, wann der Roboter tätig wird und wann nicht.26 Der Arbeitsfluss im Team und die Zufriedenheit steigen, wenn Roboter proaktiv und auf einer sozialen Ebene verständlich kommunizieren.27 Roboter können Menschen ähneln – entweder als menschenartige Automatenwesen oder als lebensecht wirkende Animationen.28 Einige unserer Studierenden haben untersucht, wie Menschen emotional auf solche menschenähnlichen Roboter reagieren. Die Art der Darstellung und Informationsdarbietung führt dabei zu großen Unterschieden im emotionalen Erleben, der Akzeptanz und der Verarbeitung von Informationen.29 In einem Vergleich animierter Figuren, die entweder vermenschlichte Tiere bzw. Gegenstände darstellten (z. B. sprechende Esel oder Autos) oder aber ­Menschen glichen, zeigte sich, dass sehr menschenähnliche Darstellungen als unglaubwürdig und teilweise unangenehm abgelehnt wurden.30 Das Phänomen, dass m ­ enschenähnliche

24 25 26 27 28 29 30

Vgl. Schmidt et al. (2014). Vgl. Hasebrook und Hahnenkamp (2019). Vgl. Baraglia et al. (2016). Vgl. Hofmann (2019). Vgl. Hasebrook (2017). Vgl. Kohlrausch (2005). Vgl. Waqar-ul (2006).

15.4 · Teams und Technik

Roboter als unheimlich empfunden werden, ist so gängig, dass es einen eigenen Namen bekommen hat: Das „unheimliche Tal“ (engl. „uncanny valley“31). Berücksichtigt man dies beim Design, sind Roboter als Partner von Menschen schon heute akzeptiert. Untersuchungen zeigen, dass es beispielsweise keine Unterschiede im sozialen Lernen gibt, wenn zwei Menschen oder ein Mensch und eine Computerfigur bei Problemlöseaufgaben zusammenarbeiten.32 15.4.3  Künstliche Intelligenz trifft natürliche

Dummheit

Autoren wie der schwedische Technikphilosoph Nick Bostrom warnen vor künstlicher Intelligenz, die als eine Art „Superintelligenz“ Menschen unterjochen könnte.33 Viel drängender ist aber die Frage, ob Menschen die Ergebnisse von KI effizient einsetzen können. Oft fehlt ihnen dazu das Know-how, und es unterlaufen ihnen typisch menschliche Denkfehler. „Wer mit künstlicher Intelligenz arbeitet, muss auch mit natürlicher Dummheit rechnen“34, sagt Prof. Klaus Kornwachs von der Universität Ulm. Stefan Holtel gibt dafür einige Beispiele:35 Menschen nehmen oft den von der Maschine empfohlenen „besten“ Vorschlag an, ohne zu prüfen, worauf solche Vorschläge beruhen und wie sie sich von anderen unterscheiden. Menschen erscheinen insbesondere die Ergebnisse eines KI-Systems plausibel, die mit ihrer momentanen Informationslage übereinstimmen. Dabei kann übersehen werden, dass vielleicht gar nicht alle relevanten Informationen in die Berechnung einbezogen wurden. Menschen überschätzen die Qualität ihres eigenen Urteilvermögens und werden gerne Ergebnisse von KI-Systemen akzeptieren, die ihre Meinung bestätigen. Schlimmer noch: KI wird auf Basis von Expertenurteilen trainiert und gibt dann zunehmend genauer deren Urteile wieder – auch die falschen. In der Medizin ist künstliche Intelligenz bereits vielfach im Einsatz, z. B. in der Genanalyse, bei der Bewertung von medizinischen Bilddaten und nicht zuletzt in der Auswertung ­großer

31 Original von Mori (1970), Diskussion bei MacDorman (2006) und Thepsoonthorn et al. (2018). 32 Vgl. Spapé und Ravaja (2016). 33 Vgl. Bostrom (2016). 34 Zitiert in Holtel (2016, S. 136). 35 Vgl. Holtel (2017, S. 137 ff.).

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Kapitel 15 · Kollege Roboter: Teams und Technik

Mengen von Patientendaten.36 KI bildet teilweise schon die Grundlage nationaler Gesundheitsversorgung. Ein KI-System ist beispielsweise der Kern eines digitalen Gesundheitsportals, das den Bewohnern Schottlands rund um die Uhr zur Verfügung steht, um online eine erste Einschätzung von Krankheitssymptomen zu bekommen und in Verdachtsfällen in ein Callcenter mit medizinisch geschultem Personal weitergeleitet zu werden.37 In Neuseeland steuert KI ein Internetportal, das Ärztinnen und Ärzten dabei hilft, die richtigen Diagnosen, Therapien und Behandlungseinrichtungen zu finden.38 Damit greift KI unmittelbar in Teamarbeit ein und wird zunehmend Bestandteil der alltäglichen Arbeit. KI ist dem Menschen nahezu bei allen Routinetätigkeiten, wie bei der Datenkontrolle und -analyse sowie der Musterkennung, weit überlegen.39 Menschliches, (selbst-)reflektierendes Urteilsvermögen bleibt aber auf jeden Fall bis auf Weiteres gefragt. Selbst große Technikoptimisten sehen das so und präferieren eine vereinte natürliche und künstliche Intelligenz als „unschlagbares Team“.40

Literatur

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36 Vgl. Amisha et al. (2019). 37 Das Portal des National Health Service (NHS) ist zu erreichen unter: 7 www.nhs24.scot. 38 Das „Best Practices Advocacy Center“ (BPAC) ist zu finden unter: 7 https://bpac.org.nz/. 39 Vgl. Gombolay et al. (2014). 40 Vgl. McAfee und Brynjolfsson (2017).

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282

15

Kapitel 15 · Kollege Roboter: Teams und Technik

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Lesetipp Einen Ausblick in die Zukunft der Digitalisierung und ihrer Bedeutung für menschliche Entwicklung und Zusammenarbeit geben zwei bekannte MIT-Forscher: McAfee, A., & Brynjolfsson, E. (2017). Machine, platform, crowd. Harnessing our digital future. New York: W.W. Norton. Einen aktuellen Einblick in die Digitalisierung von Lernwelten bietet der folgende Herausgeberband: Erpenbeck, J., & Sauter, W. (Hrsg.). (2017). Handbuch Kompetenzentwicklung im Netz. Bausteine einer neuen Lernwelt. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

283

Team-Mind: Teams neu denken Inhaltsverzeichnis 16.1 Die Gehirn-Gehirn-Schnittstelle – 284 16.2 Gehirn als Service – 284 16.3 Verändert künstliche Intelligenz die Teamarbeit, Herr Semet? – 286 16.4 Team-Mind – 288 16.4.1 Der doppelte Spiegel: künstliche und kollektive Intelligenz – 288 16.4.2 Ein „Invisible Mind“ – 290 16.4.3 „Team-Mind“ und „Group-Mind“ – 292

Literatur – 295

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_16

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Kapitel 16 · Team-Mind: Teams neu denken

16.1  Die Gehirn-Gehirn-Schnittstelle ► Einstieg ins Thema Ein russisches Forscherteam hat eine künstliche Intelligenz getestet, die eine direkte Verbindung zwischen den Gehirnen von Teammitarbeitern herstellt.1 Dabei beobachtet das KI-System fortlaufend Hirnsignale von Personen, die gemeinsam an einem Computersystem arbeiten, wie es z. B. bei der Steuerung großer Industrie- oder Kraftwerksanlagen oder in der Flugsicherung vorkommt. Wenn Menschen Überlastungssignale zeigen, prüft die KI, ob das Computersystem mehr Tätigkeiten übernehmen und damit die Person entlasten kann. Ist das nicht möglich, prüft die KI, ob andere Personen im Team weniger belastet sind und fragt diese, ob sie weitere Aufgaben übernehmen können. Dadurch entsteht ein optimaler Lastenausgleich innerhalb des Teams aus Mensch und Maschine. Erste Studienergebnisse zeigen, dass die Teamleistung durch das KI-System und die „Gehirn-Gehirn-Schnittstelle“ insbesondere bei komplexen Aufgaben zunimmt. Dies liegt daran, dass Menschen nach Phasen hoher Konzentration mehr Zeit zur geistigen Erholung haben und von Routinetätigkeiten entlastet werden.◄

16.2  Gehirn als Service

Beispiel aus der Praxis

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Software gibt es schon als Dienstleistung: Statt eine teure Software zu kaufen und auf dem eigenen Rechner zu installieren, mietet man sie im Internet so lange, wie man sie braucht. „Software-as-a-Service“ (SaaS) heißt das. Nun soll es bald auch Denkleistung als Dienstleistung geben, eben „Brain-as-a-Service“. Vorbereitungen dazu sind bereits im vollen Gange. Facebook hat beispielsweise CTRL labs, ein New Yorker Start-up für Neurotechnologie übernommen.2 Ein Armband soll Nervensignale der Benutzer aufnehmen und mobile ­Geräte wie Smartphone oder Smartwatches steuern. Noch weitergehend sind die Pläne der Firma Neuralink des Unternehmers Elon Musk, der durch seine Firmen Tesla und SpaceX bekannt wurde. Neuralink ist in der Lage, mithilfe neuester Technologie menschliche Gehirne mit

1 Vgl. Maksimenko et al. (2018). 2 Zu finden online unter: 7 www.ctrl-labs.com/ (zuletzt abgerufen am 25.09.2019).

16.2 · Gehirn als Service

285

­Computersystemen zu verbinden.3 Dies dient dazu, Behinderungen aufgrund von Nervenschädigungen zu lindern oder zu beheben. Nach Elon Musks Vorstellung soll eine Vielzahl mit Computern verbundener menschlicher Gehirne verhindern, dass KI zukünftig zur „Superintelligenz“ wird und Menschen kontrolliert.4 Was oft noch wie Zukunftsmusik klingt, hat in der Medizin längst begonnen. Eine umfassende Befragung des nationalen Gesundheitsdienstes in Großbritannien kommt zu dem Schluss: „KI und Klinikangestellte werden eng als ein Team zusammenarbeiten“5. Beispiele dafür sind Planungssysteme zur Erstellung von Operationsplänen, um Dringlichkeit der Fälle, fachliche Anforderungen der Eingriffe, Kompetenzen des OP-Teams und Ausstattung der OP-Räume optimal aufeinander abzustimmen. In dem renommierten Johns Hopkins Hospital in Baltimore/USA steuert bereits ein KI-­ System zusammen mit einem ­ 14-köpfigen Expertenteam die Patientenströme in Echtzeit. Erste Einsatzerfahrungen ­zeigen, dass nicht die Technik, sondern menschliche Interessen- und Gruppenkonflikte Probleme bei der Nutzung bereiten. Auch hier wird deutlich, dass ­KI-Einsatz im Team selbst eine Teamaufgabe ist, an der alle Interessenvertreter und insbesondere die, die mit der Technik umgehen sollen, aktiv beteiligt werden müssen.

Sven Semet

Herr Dipl.-Ing. Sven Semet ist IBM HR Thought Leader und seit mehr als 15 Jahren im Personalmanagement für Talentmanagementstrategien und innovative HR-Lösungen bei der IBM verantwortlich. Er berät Unternehmen bei der digitalen Transformation von HR-Prozessen mit dem Ziel, Talente zu gewinnen, zu motivieren und wertzuschätzen, weiterzubilden und im Unternehmen zu halten. Seine Kernkompetenzen sind Big Data und Analytics in HR. Diese Themen diskutiert er regelmäßig mit Verantwortlichen aus Mitbestimmungsgremien. Außerdem ist Sven Semet bei der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGfP) im

3 Zu finden online unter: 7 www.neuralink.com/ (zuletzt abgerufen am 25.09.2019). 4 Vgl. auch Bostrom (2016). 5 AHSN (2018, S. 25).

Portrait Sven Semet Sven Semet, HR Thought Leader IBM Watson

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Kapitel 16 · Team-Mind: Teams neu denken

Einsatz und Mitglied im Board der Special Interest Group „Future Work“ in Baden-Württemberg. Ehrenamtlich engagiert sich Sven Semet beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) sowohl vor Ort als auch international.

16.3  Verändert künstliche Intelligenz die

Teamarbeit, Herr Semet?

z Welche Bedeutung haben Teams in Ihrem Arbeitsleben?

Teams sind schon immer die Basis für meine erfolgreichen Projekte nun über viele Jahre hinweg. Selbst Veränderungen in der Teamstruktur und -zusammensetzung machen den besonderen Reiz in der täglichen Projektarbeit aus. z Was waren prägende Teamerfahrungen?

Meine besonderen Teamerfahrungen waren immer wieder geprägt durch überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft – auch über mehrere Wochen hinweg. Spezielle Kundenwünsche oder konkrete Anforderungen als besondere Herausforderung machen diese außergewöhnlichen Teamleistungen möglich. z Wofür würden Sie heute unbedingt im Team arbeiten, in welchem Punkt auf keinen Fall?

Jede Projektarbeit ist immer bestens geeignet für Teamarbeit. Ein Punkt, bei dem ich auf keinen Fall in einer Teamarbeit agieren wollte, fällt mir nicht ein. Selbst kleine Aufgaben, Brainstormings, Studien oder Untersuchungen machen in zumindest einem Zweier-Team wesentlich mehr Spaß. z Welche Auswirkung wird KI auf die Zusammenarbeit in (menschlichen) Teams haben? Welche Vorteile hat KI und welche Nachteile?

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KI wird zusätzliche Erkenntnisse und im besten Fall den Teams sogar konkrete Empfehlungen für die nächsten Schritte in der Zusammenarbeit geben. Große Vorteile werden zusätzliche Informationen bieten, die durch KI selbst aus sehr komplexen Strukturen heraus abgeleitet werden können. Als Nachteil muss man sicherlich aktuell noch anführen, dass viele Mitarbeiter das Potenzial und die Funktionalitäten von KI nicht kennen und auch wenig technisches oder zumindest Datenverständnis haben.

16.3 · Verändert künstliche Intelligenz die Teamarbeit, Herr Semet?

z Wie wird sich KI auf die Zusammenarbeit in internationalen und interkulturellen Team auswirken?

KI kann für internationale Teams einen enormen Mehrwert bieten, da Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch auch über Distanzen zukünftig durch KI-Methoden, wie z. B. Discovery News6, erfolgen können. Bei interkulturellen Teams erwarte ich eine deutlich verbesserte Kommunikation – alleine schon die Sprachbarrieren werden kaum mehr ein Problem darstellen.7 z Welche Entwicklungen in der KI werden in Zukunft am meisten Einfluss auf Teamarbeit nehmen?

Grundsätzlich wird das Verstehen von unstrukturierten Daten als Text, Sprache, Bild oder Video den größten Einfluss ausüben. Dies wird die Teamarbeit enorm erleichtern. Wenn dann zusätzlich noch ein effizientes Lernen in der Teamarbeit ermöglicht wird, indem z. B. ein Chatbot kontinuierlich als Teammitglied dazulernt und damit ein nahezu „allwissendes“ Teammitglied wird, dann kann KI sehr zur Performance von Teams beitragen.8 z Wie wird Teamarbeit nach Ihrer Ansicht in fünf oder zehn Jahren aussehen?

Fünf bis zehn Jahre sind bei der aktuellen Dynamik in der Arbeitswelt sehr schwer vorherzusagen. Ich nehme aber an, dass die Teamarbeit schon bald stark durch KI unterstützt wird und wir die KI als echtes Teammitglied immer öfter nutzen werden: beispielsweise als Chatbot, allgemeiner Wissensträger oder auch als Möglichkeit für umfassendere und ­genauere Vorhersagen.

6 Discovery News von IBM Watson ist ein KI-basierter Dienst, mit dem z. B. Artikel, Nachrichten und Beiträge in sozialen Netzwerken auf inhaltliche Beziehungen, Besonderheiten und Stimmungen untersucht werden; Information online unter: 7 www.ibm.com/watson/services/discovery-news/ (zuletzt abgerufen am 30.09.2019). 7 Viele Produkte bieten bereits Mitschriften und Übersetzungen von Teamsitzungen in Echtzeit, sodass verschiedensprachige Teams Gespräche jeweils in ihrer Muttersprache mithören und mitlesen können; als Beispiel „Skype for Business“ als eines der am meisten genutzten Systeme: 7 https://education.microsoft.com/skypetranslator (zuletzt abgerufen am 30.09.2019). 8 Aktuelle Arbeiten befassen sich mit unterschiedlichen Lernmethoden für solche Softwareroboter, die oft auf menschlichen Gesprächsstrukturen und Empathie beruhen; Übersicht in Bittner und Shoury (2019).

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Kapitel 16 · Team-Mind: Teams neu denken

16.4  Team-Mind 16.4.1  Der doppelte Spiegel: künstliche und

kollektive Intelligenz

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Forschungen im Google Brain Team9 zeigen, was es bedeutet, wenn menschliche Intelligenz durch künstliche unterstützt wird und künstliche Intelligenz durch menschliche lernt. Beispielsweise errechnet ein KI-System aus einfachen Skizzen Modelle von Laufschuhen, die sich auf dem Computerbildschirm „frei im Raum“ drehen. Diese Modelle können durch wenige Striche und Farbtupfer direkt am Bildschirm verändert werden. So entsteht ein interaktiver Prozess, in dem Mensch und Maschine gemeinsam etwas entwickeln. Ähnliche Beispiele sind der Entwurf neuer Schriften, die für Sehbehinderte besser geeignet sind, oder die Konzeption von Landschaftsgärten. Bei diesen Prozessen geht es nicht darum, menschliches Denken an die Maschine abzugeben, sondern darum, besser zu verstehen, was kognitiv-menschliche Leistung ausmacht und wie diese durch KI unterstützt werden kann. Google-Forscher sehen die Entwicklung noch ganz am Anfang, weil „kognitive Technologien“ bisher vor allem dazu da waren, menschliche Denk- und Gedächtnisleistung auszulagern, und nicht, sie zu verbessern.10 Auch die bekannten Buchautoren und Berater Paul Wilson und James Daugherty bestätigen dies und behaupten, dass KI nicht Arbeitsplätze vernichten, sondern menschliche Fähigkeiten unterstützen und verbessern wird, aber nicht ersetzen.11 Die Autoren argumentieren, dass Fühlen, Mitfühlen, Bewerten und Beurteilen sowie schöpferisch Tätigsein weiterhin dem Menschen vorbehalten bleiben.12 KI braucht menschlichen Input, um trainiert und verbessert zu werden, aber auch, um Ergebnisse interpretieren und nutzen zu können. Menschliches Denken profitiert von KI vor allem in Entscheidungssituationen und bei interaktiv-kreativen Prozessen. Das Berechnen von Vorhersagen, Optimieren von Prozeduren und Wiederholen einmal erlernter Tätigkeiten bleibt zunehmend Maschinen überlassen.

Vgl. Carter und Nielsen (2017); „Google Brain Team“ online unter: 7 https://ai.google/research/teams/brain/ (zuletzt abgerufen am 23.09.2019). 10 Vgl. Hasebrook (2017). 11 Vgl. Wilson und Daugherty (2018a, b). 12 Diese Einschätzung muss man nicht teilen, denn neben künstlicher Intelligenz wird auch bereits an „künstlicher Empathie“ gearbeitet (vgl. Übersicht in Asada 2015). 9

16.4 · Team-Mind

Dass KI menschliches Denken unterstützen kann, liegt daran, dass sich unser Gehirn durch Orientierung in einer sozialen Umwelt entwickelt hat. Empathisches Verständnis für unsere Mitmenschen ist tief in der Hirnstruktur verankert: So sorgen sogenannte „Spiegelneurone“ dafür, dass wir selbst Freude oder Leid empfinden, wenn wir einen anderen Menschen fröhlich oder leiden sehen.13 Durch die Spiegelneurone wird die soziale Außenwelt intern simuliert: Wir fühlen mit, was andere fühlen und können uns daher vorstellen, was sie denken und als Nächstes tun werden.14 Das ist essenziell für unser soziales Zusammenleben. Allerdings ist die Hirnstruktur nicht unveränderlich und wird durch Computernutzung verändert. Erste Nachweise der messbaren Veränderung von Hirnmasse, z. B. durch exzessive Smartphone-Nutzung, liegen bereits vor.15 Menschenähnliches „Verhalten“ von Robotern, z.  B. Sprachausgaben, führt ebenfalls zu internen Simulationen. Ob wir wollen oder nicht: Ein intelligent und damit „menschlich“ erscheinendes Gegenüber wird in unserem Gehirn unwillkürlich als soziales Wesen abgebildet. Maschinen werden vermenschlicht und daher auch geliebt oder gehasst. Das geht so weit, dass bereits über einen gesetzlichen Schutz für soziale Roboter nachgedacht wird, zu denen Menschen in enger Beziehung stehen.16 Wir sehen in einen doppelten Spiegel: Auf der einen Seite hilft KI, besser zu verstehen, welche geistigen Fähigkeiten uns zu Menschen machen und wie wir diese besser nutzen können. KI erkennt auch deswegen zielsicher unsere Vorlieben und Verhaltensmuster, weil Entwickler versuchen, menschliche Eigenschaften wie Empathie durch KI nachzuvollziehen17. Das nutzen z. B. soziale Netzwerkplattformen, um uns in sogenannte „Filterblasen“ oder „Echokammern“ einzuschließen und immer solche Informationen anzubieten, die Nutzungsdauer und -häufigkeit erhöhen.18 Die Vorhersage von Verhaltensmustern funktioniert dann immer besser, weil sich die Situationen, in denen wir uns aufhalten, wenig ändern. Gleichzeitig aber verändert KI unumkehrbar die Situationen, in denen wir uns befinden, und die Art wie wir denken, miteinander kommunizieren – und sogar,

13 14 15 16 17 18

Vgl. Diskussion bei Lamm und Majdandžić (2015). Vgl. Diskussion in Praszkier (2016). Vgl. Yongming et al. (2016). Vgl. Darling (2016). Vgl. Bittner und Shoury (2019) und Asada (2015). Vgl. Ovens (2017), kritische Diskussion in Zweig et al. (2017) und Kraft et al. (2018).

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Kapitel 16 · Team-Mind: Teams neu denken

wie unsere Gehirne strukturiert sind. Denkende Maschinen zwingen uns nicht dazu, das Denken aufzugeben, sondern dazu, „menschlicher“ zu werden und Menschen in Arbeitsprozessen nicht länger wie Automaten einzusetzen. 16.4.2  Ein „Invisible Mind“19

16

Gesellschaftliches Zusammenleben kann nur funktionieren, wenn sich alle Gedanken darüber machen, wie andere Menschen denken. Im Falle einer Marktwirtschaft ist es wichtig zu wissen, wie Kunden, Lieferanten und Wettbewerber voraussichtlich handeln werden, um das eigene Handeln darauf einzustellen. Ökonomen kennen die „unsichtbare Hand“, die nach Adam Smith in einer Marktwirtschaft quasi wie von selbst dafür sorgt, dass alle Marktteilnehmer das bekommen, was sie brauchen.20 In der Psychologie hat die „unsichtbare Hand“ ihre Entsprechung in dem, was der Psychologe und Neurowissenschaftler Lasana Harris „invisible mind“ nennt.21 Dieser „invisible mind“ entsteht dadurch, dass wir uns fortlaufend Gedanken darüber machen, was andere Menschen um uns herum denken und in welchem geistig-emotionalen Zustand sie sich befinden: Unser Gehirn ist ein „soziales Gehirn“ (engl. „social brain“22). Ein zentraler Mechanismus sind dabei die beschriebenen Spiegelneuronen. Die beiden Forscher David Premack und Guy Woodruff haben auf Grundlage ihrer Forschung den Begriff „Theorie des Geists“ geprägt. Sie beschreiben damit die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen (engl. „theory of mind“23). Im „social brain“ arbeitet also ein „social mind“, der sich bewusst Gedanken über seine Mitmenschen macht.24 Es kostet allerdings hohen Aufwand, sich relevante Informationen über die Personen im sozialen Umfeld zu merken: Wer hat welche Vorlieben, wer hat welche Kenntnisse und welche Ansichten? Wenn die Gruppe wächst, nimmt die Bedeutung von Gruppenidentität zu, weil es immer schwieriger wird,

19 „The invisible mind“ ist der Titel eines Buchs von Lasana Harris, den wir übernommen haben, weil sich der englische Begriff „mind“ schlecht ins Deutsche übersetzen lässt. Je nach Kontext bedeutet der Begriff „Sinn“, „Verstand“, „Vernunft“, „Gemüt“, „Geist“ oder „Seele“ (vgl. Harris 2017). 20 Vgl. Thaler (2015, S. 51 f.). 21 Vgl. Harris (2017). 22 Vgl. Übersicht in Van Overwalle und Baetens (2009). 23 Vgl. Premack und Woodruff (1978). 24 Vgl. Baron-Cohen et al. (1985).

16.4 · Team-Mind

sich Einzelheiten über Personen zu merken. Andererseits wird es leichter, sich zu koordinieren, weil Personenmerkmale nicht mehr so eine große Rolle spielen. Daher üben kleinere Gruppen einen höheren Anpassungsdruck aus, und größere Gruppen sind leichter in der Lage, zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen.25 Neuropsychologische Untersuchungen, Simulationsstudien und Feldexperimente haben gezeigt, dass der „social mind“ nur etwa 150 Personen erfassen kann.26 Ab einer Gruppengröße von mehr als 150 Personen ist ein „social mind“ überlastet und wendet stattdessen einfache soziale Entscheidungsregeln (sog. Heuristiken) an, die auf sozialen Normen beruhen. Zu diesen Heuristiken gehören z. B. kulturelle Verhaltensnormen und Stereotypen.27 Diese Vereinfachungen können so weit gehen, dass eigene moralische Grundsätze ausgesetzt bzw. Mitmenschen gar nicht mehr als Menschen wahrgenommen werden.28 Es scheint also drei Stufen des sozialen Umgangs mit Gruppen zu geben: 1. Die kleine Gruppe (bis ungefähr 15 Personen), in der Einzelpersonen klar hervortreten, eng kooperieren, aber auch hohen Gruppendruck ausüben. 2. Die große Gruppe (bis maximal 150 Personen), in der Individuen zwar noch geistig erfasst werden können, aber Gruppenprozesse und -normen bestimmend sind. 3. Eine „Menschenmasse“ mit mehr als 150 Personen, in der Menschen nicht mehr als Einzelpersonen wahrgenommen und daher zur Orientierung einfache soziale Heuristiken angewendet werden. Es wird angenommen, dass die geistige Erfassung von rund 150 Personen möglicherweise in der menschlichen Evolution der üblichen Größe menschlicher Gemeinschaften entsprach.29 Interessanterweise gilt diese Grenze auch in der größten vernetzten Menschengruppe, die es je gegeben hat: in den sozialen Netzwerken des Internets. Im Januar 2019 verzeichneten z. B. Facebook über zwei Milliarden sowie WhatsApp und WeChat jeweils weit über eine Milliarde ­Nutzer.30

25 Vgl. Oesch und Dunbar (2018). 26 Vgl. Dunbar (1992), Dávid-Barrett und Dunbar (2013) und Oesch und Dunbar (2018). 27 Vgl. Harris (2017). 28 Vgl. 7 Abschn. 10.4.1 und 13.4.2. 29 Vgl. Diskussion in Harris (2017) und Boyer (2018). 30 Zahlen von Statista unter: 7 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/181086/umfrage/die-weltweit-groessten-social-networks-nach-anzahlder-user/ (zuletzt abgerufen am 17.09.2019).

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16

292

Kapitel 16 · Team-Mind: Teams neu denken

Doch selbst diese riesigen Gruppen organisieren sich in „small worlds“ von jeweils ca. 150 Personen.31 16.4.3  „Team-Mind“ und „Group-Mind“

16

Aus der überwältigenden Fülle einzelner Befunde, Modelle und Theorien lassen sich einige Grundsätze der Teampsychologie destillieren: Balance zwischen Person- und Gruppenidentität, Assimilationsdruck in kleinen Teams, Kontrast- und Assimilation in unterschiedlichen großen Gruppen und spontane Bildung „minimaler Gruppen“ bis hin zu Stereotypen, die zu Vorurteilen, Ausgrenzung und Gewalt führen können. Doch wie kann man daraus Erfolgskriterien für die eigene Teamarbeit ableiten? Wir haben versucht, unsere Erfahrungen und Erkenntnisse in einem integrierten Teammodell zusammenzufassen (. Abb. 16.1). Das Modell ist auf den ersten Blick sehr komplex, im Grunde aber sehr einfach aufgebaut: Der Schlüssel ist die Gruppengröße (die Y-Achse), die einhergeht mit dem Gruppenzusammenhalt (X-Achse). Fangen wir unten links an: In sehr kleinen Gruppen von etwa fünf Personen kennt jeder jeden, und es herrscht ein hoher Anpassungsdruck, der auch zu Groupthink führen kann. Das muss kein Nachteil sein, wenn es z. B. um eingeschworene Teams wie Kampftruppen („squads“) geht, die sich gegenseitig im Wortsinn ihr Leben anvertrauen. Diese extreme Teamform wird immer wieder als Vorbild angepriesen und kommt sogar als Begriff für Teams in „agilen“ Unternehmen vor.32 Sofern in Ihrer Organisation keine lebensbedrohlichen Zustände herrschen, sollten Sie sich die Entwicklung solcher Teams allerdings eher sparen.33 Hochleistungsfähige Teams brauchen eine gewisse Ausgewogenheit oder Balance zwischen verschiedenen Kompetenzen und Perspektiven. Ein solches „balanced team“ kann also erst ab einer gewissen Größe entstehen, die zwischen 5 und 15 Personen liegen kann. Eine größere Gruppe von bis zu 50 oder 60 Personen kann Vorteile bei Koordinations- und Entscheidungsaufwand bieten, wenn Aufgaben und Rollen klar verteilt

31 Vgl. Leskovec und Horvitz (2008) und Milgram (1967). 32 Vgl. 7 Abschn. 12.4.3. 33 Das gilt auch für daraus abgeleitete, extreme Arbeitsformen für Kleingruppen wie „extreme programming“, deren Wirkung auf die Teamleistung wenig gesichert und nicht durchweg positiv ist (z. B. Wood et al. 2013; Annosi et al. 2016).

16

293

16.4 · Team-Mind

Soziale Gruppe

Minimale Gruppe

Kritische Gruppennorm

Soziale Norm

Gruppengröße >150 Optimum „großes Team“ 150 Optimum „kleines Team“

100

10

Hunderte Personen ca. 150 Personen

5

ca. 60 Personen ca. 15 Personen

1

ca. 5 Personen Group Think

Balanced Team

Großgruppe, „Tribe“

anonyme Masse

Gruppenzusammenhalt

. Abb. 16.1  Zusammenfassendes Modell der im Buch beschriebenen Teameffekte in Bezug auf Teamgröße und Teamdichte

sind. Noch größere Gruppen von bis zu ca. 150 Personen sind eigentlich keine Teams mehr, sondern Gemeinschaften oder „Stämme“ (engl. tribe). Der auch im Deutschen verwendete Begriff „tribe“ stammt aus der Ethnologie, hat Eingang in das Vokabular moderner Unternehmensführung gefunden und beschreibt Verhaltensweisen und Riten, mit denen Unternehmen eine gemeinsame Identität entwickeln können.34 Innerhalb solcher Großgruppen können kleinere Teams miteinander verbunden sein und im Austausch stehen, sie bilden dann ein „team of teams“35. Ein Team aus Teams entsteht vor allem durch Mithilfe besonders leistungsstarker Personen, wie eine aktuelle Untersuchung zeigt: Unternehmen profitieren oft davon, wenn sie besonders innovative ­Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren, weil diese dann

34 Vgl. Braun und Kramer (2018). 35 McChrystal et al. (2019).

294

16

Kapitel 16 · Team-Mind: Teams neu denken

Netzwerke und Kooperationsbeziehungen aufbauen, die sowohl ihrer alten als auch der neuen Firma nützen.36 In Anlehnung an die Bezeichnung „social mind“ nennen wir die Funktionsweise kleiner Teams „Team-Mind“ und die größerer Gruppen „Group-Mind“. Kleine Teams brauchen vor allem klare Aufgaben und Ziele, größere Gruppen zudem klare Rollen und Zuständigkeiten, während Großgruppen von einer gemeinsamen Identität zusammengehalten werden. Gruppen, die die Grenze von 150 Personen deutlich überschreiten, sind eine Menschenmasse, in der Einzelpersonen sich anhand von sozialen Normen und Heuristiken orientieren. Doch auch in solchen Menschenmassen können sich Untergruppen bilden, in denen Minderheiten und Mehrheiten unabhängig von der tatsächlichen Gruppengröße unterschiedlichen sozialen Prozessen unterworfen sind: Innerhalb von Minderheiten herrschen Assimilationseffekte vor, sodass Minderheiten sich fester zusammenschließen, gegenüber Mehrheiten bestehen Kontrasteffekte. Innerhalb von Mehrheiten sind Kontrasteffekte ebenfalls ausschlaggebend, sodass Einzelpersonen und Untergruppen ihre Eigenständigkeit innerhalb der Mehrheit betonen können.37 Ein Team-Mind ist die Übereinstimmung innerer mentaler Abbildungen, die die Teammitglieder voneinander haben. Dadurch wird eine Art „kollektiver Intelligenz“ geschaffen, die nur im Team entstehen kann und sich nicht aus Einzelleistungen ableiten lässt. Kaum hinterfragte Erfahrungswerte und vorgefasste Meinungen erschweren die Entwicklung einer kollektiven Intelligenz38. Künstliche Intelligenz wird zunehmend Anteil an dieser gemeinschaftlichen Intelligenz haben, indem sie Teammitglieder von Routinetätigkeiten entlastet, dabei hilft, Arbeiten besser zu verteilen und in der Interaktion mit Menschen Ergebnisse ermöglicht, die eine rein menschlich-kollektive Intelligenz nicht erreichen kann. Team-Mind entwickelt sich durch gegenseitige Achtsamkeit und soziale Sensitivität.39 Dabei ist eine gewisse Vielfalt von Perspektiven und Erfahrungen von Beginn an hilfreich, weil hierdurch eine Balance zwischen persönlicher Unabhängigkeit und Anpassung an das Team aufrechterhalten werden kann.40 Die Fähigkeit, eine große Spanne unterschiedlicher Meinungen und Erfahrungen in das Team zu i­ntegrieren, e­ntsteht aber erst

36 Vgl. Wagner und Goosen (2018). 37 Vgl. 7 Abschn. 9.4.1. 38 Siehe 7 Abschn. 4.2. 39 Siehe 7 Abschn. 4.4.2 und 9.4.3. 40 Siehe 7 Abschn. 6.4.4.

295 Literatur

nach einiger Zeit. Der Grund dafür ist, dass Team-Mind kein statischer Zustand, sondern ein dynamischer Prozess ist. Gegenseitige Aufmerksamkeit und gemeinsame Ziele schaffen psychologische Sicherheit als Basis für Offenheit, Lernen und Erfolg.41 Damit steigen Sicherheit, Leistungsfähigkeit und Leistungsanspruch im Team immer weiter. Team-Mind ist also ein sich selbst verstärkender ­Prozess, in dem Teams immer besser und – in gewissen Grenzen – auch immer größer werden können.

Literatur AHSN Network. (2018). Accelerating artificial intelligence in health and care: Results from a state of the nation survey. London: National Health Service (NHS). 7 www.kssahsn.net/what-we-do/our-news/news/Documents/ AI-Strategy.pdf. Zugegriffen: 23. Sept. 2019. Annosi, M. C., Magnusson, M., Martini, A., & Appio, F. (2016). Social conduct, learning and innovation: An abductive study of the dark side of agile software development. Creativity and Innovation Management, 25(4), 515–535. Asada, M. (2015). Development of artificial empathy. Neuroscience Research, 90, 41–50. Baron-Cohen, S., Leslie, A. M., & Frith, U. (1985). Does the autistic child have a “theory of mind”? Cognition, 21, 37–46. Bittner, E. A. C., & Shoury, O. (2019). Designing automated facilitation for design thinking: A chatbot for supporting teams in the empathy map method. Proceeding of the 52nd Hawaii International Conference on System Sciences. 7 https://scholarspace.manoa.hawaii.edu/ bitstream/10125/59463/0023.pdf. Zugegriffen: 30. Sept. 2019. Bostrom, N. (2016). Superintelligence: Paths, dangers, strategies. Oxford: Oxford University Press. Boyer, P. (2018). Minds make societies. How cognition explains the world humans create. New Haven: Yale University Press. Braun, D., & Kramer, J. (2018). Corporate tribe. Modelle und Werkzeuge für Führung, Management und Organisation. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Carter, S., & Nielsen, M. (2017). Using artificial intelligence to augment human intelligence. Distill, 2(12), e9. 7 https://distill.pub/2017/aia/. Zugegriffen: 23. Sept. 2019. Darling, K. (2016). Extending legal protection to social robots: The effects of anthropomorphism, empathy, and violent behavior towards robotic objects. In R. Calo, A. Froomkin, & I. Kerr (Hrsg.), Robot law (S. 213– 232). Celtenham: Edward Elgar. Dávid-Barrett, T., & Dunbar, R. I. M. (2013). Processing power limits social group size: Computational evidence for the cognitive costs of sociality. Proceedings of the Royal Society, B, 280, 20131151. 7 https://doi. org/10.1098/rspb.2013.1151. Dunbar, R. I. M. (1992). Neocortex size as a constraint on groupsize in primates. Journal of Human Evolution, 20, 469–493. 7 https://citeseerx.ist. psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.464.5806&rep=rep1&type=pdf. Zugegriffen: 17. Sept. 2019.

41 Siehe 7 Abschn. 8.4.2.

16

296

16

Kapitel 16 · Team-Mind: Teams neu denken

Harris, L. T. (2017). Invisible mind. Flexible social cognition and dehumanization. Cambridge: MIT Press. Hasebrook, J. (2017). Computer als Lernpartner und Denkwerkzeuge. In J. Erpenbeck & W. Sauter (Hrsg.), Handbuch Kompetenzentwicklung im Netz. Bausteine einer neuen Lernwelt (S. 45–65). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Kraft, T., Gamer, M., & Zweig, K. A. (2018). Wer sieht was? Personalisierung, Regionalisierung und die Frage nach der Filterblase in Googles Suchmaschine. Abschlussbericht zum Forschungsprojekt #Datenspende. 7 www.blm.de/files/pdf2/bericht-datenspende---wer-sieht-was-auf-google.pdf. Zugegriffen: 30. Sept. 2019. Lamm, C., & Majdandžić, J. (2015). The role of shared neural activations, mirror neurons, and morality in empathy – A critical comment. Neuroscience Research, 90, 15–24. Leskovec, J., & Horvitz, E. (2008). Planetary-scale views on a large instant-messaging network. Proceedings WWW 2008, Peking. 7 https:// erichorvitz.com/leskovec_horvitz_www2008.pdf. Zugegriffen: 15. Sept. 2019. Maksimenko, V. A., Hramov, A. E., Frolov, N. S., Lüttjohann, A., Nedaivozov, V. O., Grubov, V. V., et al. (2018). Increasing human performance by sharing cognitive load using brain-to-brain interface. Frontiers in Neuroscience, 12, 949. 7 https://doi.org/10.3389/fnins.2018.00949. McChrystal, S., Silverman, D., Collins, T., & Fussel, C. (2019). Team of teams: New rules of engagement for a complex world. London: Penguin Business (Erstveröffentlichung 2015, Portfolio/Penguin). Milgram, S. (1967). The small world problem. Psychology Today, 1(1), 61–67. 7 https://files.diario-de-bordo-redes-conecti.webnode.com/200000013211982212c/AN%20EXPERIMENTAL%20STUDY%20by%20Travers%20and%20Milgram.pdf. Zugegriffen: 27. Sept. 2019. Oesch, N., & Dunbar, R. I. M. (2018). Group size, communication, and familiarity effects in foraging human teams. Ethology, 1–14 (Vorabdruck). 7 www.researchgate.net/publication/325586211_Group_size_communication_and_familiarity_effects_in_foraging_human_teams. Zugegriffen: 17. Sept. 2019. Ovens, C. (2017). Filterblasen – Ausgangspunkte einer neuen, fremdverschuldeten Unmündigkeit? kommunikation@gesellschaft, 18, 1–25. 7 https:// nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-51482-4. kritische Diskussion der „Filterblasen“-Annahme unter: 7 www.deutschlandfunk.de/suchmaschinen-die-filterblasen-theorie-ist-erstmal-geplatzt.2907.de.html?dram:article_id=411873. Zugegriffen: 30. Sept. 2019. Praszkier, R. (2016). Empathy, mirror neurons and SYNC. Mind & Society, 15, 1–25. Premack, D., & Woodruff, G. (1978). Does the chimpanzee have a ‘theory of mind’? Behavioral and Brain Sciences, 4, 515–526. Thaler, R. H. (2015). Misbehaving. The making of behavioral economics. London: Penguin/Random House. Tomasello, M. (2016). A natural history of human morality. Cambridge: Harvard University Press. Van Overwalle, F., & Baetens, K. (2009). Understanding others’ actions and goals by mirror and mentalizing systems: A meta-analysis. Neuroimage, 48(3), 564–584. Wagner, S., & Goossen, M. C. (2018). Knowing me, knowing you: Inventor mobility and the formation of technology-oriented alliances. Academy of Management Journal, 61(6). 7 https://doi.org/10.5465/amj.2016.0818. Wilson, H. J., & Daugherty, P. R. (2018a). Human + machine: Reimagining work in the age of AI. Cambridge: Harvard Business Review Press.

297 Literatur

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Lesetipp Die folgenden Bücher bieten einen Einstieg und Überblick über die aktuelle Diskussion um „social brain“ und „social mind“ aus neuropsychologischer und evolutionsbiologischer Sicht: Harris, L. T. (2017). Invisible mind. Flexible social cognition and dehumanization. Cambridge: MIT Press. Tomasello, M. (2016). A natural history of human morality. Cambridge: Harvard University Press. Eine hoch interessante und im mehrfachen Sinne farbige Darstellung, wie ethnologische Erkenntnisse zur Unternehmensführung beitragen, bietet das folgende Buch: Braun, D., & Kramer, J. (2018). Corporate tribe. Modelle und Werkzeuge für Führung, Management und Organisation. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Die Veränderung der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine und damit der gesamten Arbeitswelt durch künstliche Intelligenz ist Thema des folgenden Buchs: Wilson, H. J., & Daugherty, P. R. (2018b). Collaborative intelligence: Humans and AI are joining forces. Harvard Business Review, 114–123.

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Teamarbeit am Ende oder erst am Anfang? Appell für einen Neustart Inhaltsverzeichnis 17.1 Kindergarten schlägt Management – 300 17.2 Fallgeschichte: Buurtzorg – 300 17.3 Interview: Haben wir in der Teamarbeit schon alles erreicht oder stehen wir erst am Anfang, Herr de Blok? – 302 17.4 Teamarbeit von Anfang an – 305 17.4.1 Drei Irrtümer über Teamarbeit – 305 17.4.2 Viele Handlungsempfehlungen und eine Warnung – 308 17.4.3 Fallbeispiele: Viermal neu anfangen – 312

17.5 Teamarbeit steht erst am Anfang – 314 Literatur – 315

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0_17

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Kapitel 17 · Teamarbeit am Ende oder erst am Anfang? Appell für einen Neustart

17.1  Kindergarten schlägt Management ► Einstieg ins Thema Kindergartengruppen schlugen mehrfach haushoch topausgebildete Managementstudierende und Geschäftsführer in einem Wettbewerb, den sich die beiden Designer Peter Skillman und Tom Wujec ausgedacht hatten.1 Die Aufgabe bestand darin, aus 20 (ungekochten) Spaghetti, einem Meter Klebeband und einem Meter Schnur einen möglichst hohen Turm zu bauen und auf der Spitze einen Marshmallow zu platzieren. Mehr als 70 Teams, viele davon aus US-amerikanischen Topunternehmen, stellten sich diesem Wettbewerb. Studierende von Business Schools waren die schlechtesten, ihre Konstruktionen erreichten im Schnitt nur rund 25 cm Höhe. Geschäftsführer waren schon besser und lagen bei über 50 cm. Unschlagbar aber waren Teams aus Kindergartenkindern, die im Schnitt deutlich über 60 cm erreichten und auch noch die interessantesten Konstruktionen bastelten. Skillman und Wujec schildern, wie die Kinder direkt und offen um Hilfe baten, Fehler ansprachen und Dinge ausprobierten, während Erwachsene, insbesondere die Studierenden, um Einfluss rangelten, sich nicht helfen ließen, Fehler verheimlichten und schnell das Interesse verloren. Das beste Team war dann doch ein Team aus führenden Managern, das einen Moderator an die Seite gestellt bekam: Der Turm dieses Teams erreichte über 75 cm Höhe. Das schlechteste Ergebnis erzielten Studenten-Teams, denen man 10.000 US$ Belohnung versprochen hatte, wenn sie es schafften, den bislang höchsten Turm zu bauen: Es kam nicht einmal eine standfähige Konstruktion zustande.◄

17.2  Fallgeschichte: Buurtzorg

Beispiel aus der Praxis

17

Es gibt eine überaus erfolgreiche schließlich aus selbstorganisierten genständig über alles entscheiden, über Verantwortlichkeiten, Gehalt Name ist „Buurtzorg“ (gesprochen:

Organisation, die ausTeams besteht, die eiwas sie betrifft – auch und Urlaubszeiten. Ihr „Bürt“ und „Sorch“; zu

1 Dieser Versuch bildet den Einstieg in Daniel Coyles Teambuch „Culture Code“ (2018) und wird online von Tom Wujec in einem Vortrag vorgestellt: 7 www.ted.com/talks/tom_wujec_build_a_tower (zuletzt abgerufen am 23.09.2019).

17.2 · Fallgeschichte: Buurtzorg

301

Deutsch: Nachbarschaftspflege), und ihr Gründer ist Jos de Blok, der von Geschäftsführern ambulanter Pflegedienste auch schon einmal als „Steve Jobs der ambulanten Pflege“ bezeichnet wird.2 Was 2006 mit nur fünf Pflegekräften in den Niederlanden begann, war zehn Jahre später mit über 10.000 Krankenschwestern und -pflegern der größte Pflegedienst dort. Heute ist Buurtzorg in 24 Ländern aktiv, auch in Deutschland. Wo die Krankenkassen zunächst Chaos und höhere Kosten befürchteten, trat das Gegenteil ein, wie eine Studie der Wirtschaftsprüfung KPMG 2012 ergab. Die Kosten pro Arbeitsstunde sind zwar höher, weil nur qualifizierte und gut bezahlte Pflegekräfte eingestellt werden. Durch die Selbstorganisation der Teams werden jedoch die aufgewendeten Stunden um die Hälfte reduziert, die Pflegeergebnisse deutlich verbessert und Spitzenergebnisse in der Mitarbeiterzufriedenheit erreicht. Jos de Blok schildert seine Erfahrung bei Aufbau und Entwicklung von „Buurtzorg“ im folgenden Interview.

Jos de Blok

Jos de Blok absolvierte eine pflegewissenschaftliche Ausbildung (Higher Professional Education for Care Giving, HBOV) und arbeitete in den Niederlanden bei verschiedenen Pflegeorganisationen. Dort übernahm er unterschiedliche zusätzliche Aufgaben und engagierte sich in Betriebsräten. In den 1990er-Jahren veröffentlichte er seine Ideen und Vorschläge zur organisatorischen Umstrukturierung von ambulanter Pflege. Schließlich bat ihn sein damaliger Arbeitgeber, eine Leitungsfunktion in einer bestimmten Region zu übernehmen. Nach ein paar Jahren musste Jos de Blok jedoch feststellen, dass seine Vorschläge für ein verändertes Management nicht so schnell und erfolgreich umgesetzt werden konnten, wie er gedacht hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sein Konzept für das gemeindenahe Pflegemodell „Buurtzorg“ bereits entwickelt und bot seinem Arbeitgeber an, dies gemeinsam mit ihm umzusetzen. Der lehnte das Angebot jedoch ab. Dies war der Moment, als Jos de Blok und vier weitere Pflegekräfte ihre Arbeitsstellen kündigten und zusammen das erste Buurtzorg-Team gründeten.

2 Vgl. Detlef Friedrich, Geschäftsführer der contec GmbH unter: 7 www. contec.de/blog/beitrag/buurtzorg-das-niederlaendische-modell-im-praxischeck; zuletzt abgerufen am 12.08.2019.

Portrait Jos de Blok, Gründer und Leiter Buurtzorg

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Kapitel 17 · Teamarbeit am Ende oder erst am Anfang? Appell für einen Neustart

Was er mit diesen wenigen Kollegen im Jahr 2006 begann, entwickelte sich zu einer sich selbst steuernden Organisation, die bis 2015 jedes Jahr um 1000 Mitarbeiter anwuchs. 2014 erhielt Jos de Blok für seine Gründung von Buurtzorg, einem grundlegend neuen Modell der ambulanten Gemeindeversorgung, als Ehrenauszeichnung die Albert-Medaille der Royal Society of Arts (Großbritannien) und befindet sich damit in der Gesellschaft von Marie Curie, Nelson Mandela und Stephen Hawking.

17.3  Interview: Haben wir in der Teamarbeit

schon alles erreicht oder stehen wir erst am Anfang, Herr de Blok?

z Was bedeutet Team für Ihre Arbeit?3

Ein Team, denke ich, bedeutet, etwas zusammen zu erreichen, sich gegenseitig zu unterstützen, mehr zusammen zu sein als alleine – all diese Dinge. Dieselben Werte teilen und sich begleiten, Selbstverpflichtung, selbstgewählte Arbeit, Lernumgebung, voneinander lernen, gegenseitig vom Hintergrundwissen lernen. z Wann hatte Teamarbeit besonderen Einfluss auf Ihr Leben und Ihre Karriere?

Team bedeutet für mich die verschiedenen Perspektiven von Personen. Es bedeutet, mehr zu verstehen. Arbeiten in einem Team bedeutet auch neue Entwicklungen für mich selbst. Team meint auch Freundschaft, gemeinsame Vorhaben, vielleicht sogar Liebe. Für mich ist ein Team notwendig, um Ziele zu erreichen. Und ein Team ist flexibel, sodass ein Team und Teammitglieder über die Zeit wechseln können. z Welche Erfahrungen mit der Teamarbeit haben Sie am stärksten geprägt?

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Auf der positiven Seite die Arbeit als Pflegekraft im Team. Das ist, denke ich, die hervorstechendste Erfahrung, bei der ich über viele Jahre am meisten gelernt habe. Ich glaube, ich hatte den Vorteil, immer in sehr professionellen Teams zu arbeiten mit hoher Motivation und hoher Achtsamkeit. Das ist die positive Seite. Freude im Leben bedeutet, dem, was ich tue, Sinn zu geben.

3 Das Interview wurde in englischer Sprache geführt. Jos de Blok hat sowohl die englische Mitschrift als auch die deutsche Übersetzung freigegeben.

17.3 · Interview: Haben wir in der Teamarbeit schon alles erreicht ...

Es gab viel politisches Verhalten. Das war sehr stressig, sehr negativ. Diese beiden Erfahrungen waren fast gegensätzlich. In einem Pflegeteam habe ich neun Jahre gearbeitet; ich hatte sehr viel Vertrauen, viel Vertrauen und Unterstützung zwischen den Kolleginnen und Kollegen. Als ich Manager wurde, was ich für neun oder zehn Jahre war, gab es eine Menge Stress. Ich habe also beide Seiten erfahren. Verallgemeinert würde ich sagen, dass ohne wirklich sinnvolle Ziele und mit einem Team, dessen Mitglieder sich nicht gegenseitig ausgesucht hätten, Teamarbeit stressig wird. Es ist ein konstruiertes Team, das negatives Feedback bekommt zu seinem eigenen Alltag, aber auch für das Leben aller Mitglieder. z Sie sind mit einem kleinen Team gestartet, und nun sind sehr viele Teams zusammengekommen.4 Wie hat sich Ihre Teamerfahrung über die Zeit verändert?

Ich denke, dass Teams sich ständig selbst entwickeln in verschiedenen Stufen. In der ersten Stufe war Buurtzorg sehr herausfordernd: Die eigene kleine Firma mit einem Team gründen, alles teilen, ist sehr stressig und sehr, sehr motivierend. Dann in eine Situation zu wachsen, in der es gut läuft und immer besser wird. Der Fokus richtet sich dann immer mehr nach außen – also, zu lernen mit Gruppen außerhalb der Firma und mit Netzwerken umzugehen. Mit der Zeit werden Teams immer besser darin, ihre eigenen Fähigkeiten zu verstehen. Natürlich wachsen Teams mit ihren Problemen wie Teamkonflikten und dem Umgang damit. Der Umgang mit Kollegen und mit komplizierten Situationen, die Spannungen im Team erzeugen. Eine Stufe in der Teamentwicklung ist der Umgang mit Stress und wie Solidarität wiederhergestellt werden kann. Es ist also eine permanente Entwicklung, es gibt keine festen Stufen. Jedes Team ist in seiner eigenen Stufe mit seiner eigenen Kultur und seiner eigenen Art, wie sie dies leben. Ich vergleiche dies mit einem natürlichen Organismus und organischem Wachstum: Es ist eine gute Sache, die aber manchmal Schmerzen erzeugt. Daher haben wir kein Programm zur Teamentwicklung, aber wir haben Leitlinien. Wir haben eine Menge gelernt in den ersten Jahren: beobachten, was passiert, und wie wir Teams in der Weise unterstützen konnten, die sie brauchten – z. B. durch passende IT. Meine eigene Entwicklung war, glaube ich, mehr und mehr geprägt

4 Buurtzorg startete mit einem Team aus fünf Personen und umfasst nun über 1000 Teams mit weit über 10.000 Personen (vgl. Nandram 2015).

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Kapitel 17 · Teamarbeit am Ende oder erst am Anfang? Appell für einen Neustart

von Vertrauen in die Art, wie wir die Dinge angingen. Am Anfang hatten wir große Schwierigkeiten innerhalb der Organisation. Aber da war auch eine Menge positive Energie. Für mich war es eine Reise, um mit der Welt, dem komplizierten System und den vielen Stakeholdern umzugehen. z Gibt es Aufgaben, für die Teams besonders geeignet sind, und solche, die es nicht sind?

Der Ausgangspunkt ist unser Konzept der selbstorganisierten Teams, das auf den Erfahrungen beruht, die ich gemacht habe, und der Annahme, dass diese Teams alles leisten können, was von ihnen verlangt wird. Meine Überzeugung ist immer noch, dass Teams wachsen können und in der Lage sind, mit allem umzugehen, was im Team und seiner Umgebung geschieht. z Ihre Organisation „Buurtzorg“ dient oft als Beispiel für Selbstorganisation und selbstorganisierte Teams. Brauchen wir auch außerhalb der Pflege neue Formen von Organisationen?

Das könnte sein. Wenn man auf die Ergebnisse schaut, auf die Dienstleistung, wenn man auf das Engagement am Arbeitsplatz schaut, Nachhaltigkeit und soziale Beiträge – aus all diesen Perspektiven brauchen wir neue Formen von Organisation. Der Aufbau von Organisationen in hierarchischen Stufen führt nach meiner Meinung zu immer mehr Problemen. Wenn wir nicht die Art ändern, wie wir denken und organisieren, machen wir immer mehr Menschen unglücklich. Wir erzeugen mehr Stress, wir verlieren Einbettung und Zusammenhalt in der Gesellschaft. Der einzige Weg ist, unser Verhältnis zur Umwelt, zu Kunden, zur IT und untereinander zu ändern, um Menschen in einer besseren Art zu unterstützen als in hierarchischen Managementsystemen. z Viele Organisationen arbeiten mit Teams. Sehen Sie Unterschiede zwischen Teams in hierarchischen Organisationen und selbstorganisierten Teams wie in Ihrer Organisation?

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In vielen Organisationen werden selbstorganisierte Teams als Werkzeuge zur Steigerung von Leistung und Reduktion von Kosten betrachtet. Ich denke, das funktioniert nicht wirklich, weil es Arbeiten in verschiedenen Entwicklungslinien bedeutet. Für mich sind es verschiedene Menschenbilder, die man nicht mischen kann. Wenn man in hierarchischen Strukturen mit selbstorganisierten Teams arbeitet, hat man am Ende das Schlechteste aus beiden Welten. Und man hat nicht das Beste daraus. Viele Organisationen erhalten nicht die Ergebnisse,

17.4 · Teamarbeit von Anfang an

die sie erwartet haben. Nach einiger Zeit kehren sie dann zurück zu hierarchischen Strukturen. Sie meinen, dass sie gescheitert sind und selbstorganisierte Teams nicht funktionieren. Nur: Sie haben niemals wirkliche Selbstorganisation eingeführt. z Wenn hierarchische Organisationen Selbstorganisation einführen wollen, was müssen Sie tun? Wie kann man große, herkömmliche Organisationen verändern?

Der Ausgangspunkt ist Klarheit darüber, welche Art von Veränderung man will und welche Vorteile damit für alle in der Organisation und für die Organisation selbst verbunden sind. Man muss sich im Klaren sein, dass man nach anderem Verhalten, anderer Kultur, einer anderen Sprache in Teams sucht. Ich höre dann, dass es nicht allein ausreicht, Teams mehr Freiheiten zu geben. Es ist sehr wichtig, dass die Spitze der Organisation Gruppen hat, die sich selbst verändern, die wirklich verstehen und fühlen und allen mitteilen, wie die neue Kultur aussieht, und sich auch entsprechend verhalten. z Wie, glauben Sie, wird die Zukunft der Teamarbeit aussehen?

Ich glaube, das wird eine Vielfalt von Dingen sein. Verschiedene Aufgaben brauchen verschiedene Arten der Organisation, Verbindungen, Netzwerke, Teams und Einzelpersonen. Teams und Netzwerke werden sich immer weiter verändern. Es wird anders sein. Ich denke, das Wichtigste ist, von ­„top-down“ zu „bottom-up“ zu wechseln – und es gibt verschiedene Wege, das zu erreichen. z Wie wird sich Digitalisierung und Automatisierung auf Teams auswirken?

Technik und Teamarbeit werden stärker integriert sein. Ich denke, dass künstliche Intelligenz und Maschinenlernen die Art, wie Menschen arbeiten, verändern werden. Eine dieser Veränderung, glaube ich, wird sein, dass Technik mehr unterstützt, als dass sie ein Hindernis ist. Ich freue mich auf eine kluge Integration von Digitalisierung und Teamarbeit. 17.4  Teamarbeit von Anfang an 17.4.1  Drei Irrtümer über Teamarbeit

Die Erfolgsgeschichte „Buurtzorg“ und der selbstorganisierten Teams ist beeindruckend. Erfolgsgeschichten wie diese

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Kapitel 17 · Teamarbeit am Ende oder erst am Anfang? Appell für einen Neustart

zeigen, dass Unklarheiten und enttäuschende Resultate von Teamarbeit oft auf zwei zentrale Missverständnisse zurückzuführen sind: 1) den Irrtum, dass vor allem die Einzelleistung zählt, und 2) den Irrtum, dass Menschen sich nicht ändern können. Im Interview mit Jos de Blok wird deutlich, dass es in selbstorganisierten Pflegeteams nicht schwerfällt, einen Sinn in Teamarbeit zu sehen.5 Zudem gehen Pflegeteams trotz ihrer großen Zahl und Vielfalt vergleichbaren Aufgaben nach und sind damit viel einheitlicher als es Teams in Unternehmen gewöhnlich sind: Teams in der Produktion, in der Entwicklung, in der Unternehmenssteuerung und im Vertrieb unterscheiden sich teilweise erheblich. Das führt direkt zum nächsten Missverständnis, nämlich 3) dem Irrtum, dass man von Erfolgreichen lernen kann, wie man selbst Erfolg haben kann. z 1. Irrtum: Letztlich zählt die Einzelleistung und nicht das Team

Die Fokussierung auf Einzelleistungen ist Folge unserer Sozialisation in einer wettbewerbsorientierten Leistungsgesellschaft. Beispielsweise werden Einzelleistungen im deutschen Schulsystem stark betont. Studien zufolge kooperieren deutsche Lehrkräfte im Unterricht noch wenig, und Schulnoten sind als Ausdruck von Einzelleistungen nicht wegzudenken6. Untersuchungsergebnisse zu Teamarbeit unterstützen die Bedeutung von Einzelleistung allerdings nicht. Im Gegenteil: Eine Steigerung von Wettbewerb im Team schwächt psychologische Sicherheit, Teamfähigkeit und damit auch die Teamleistung. Hoher Druck durch starken Wettbewerb oder auch durch hohe Belohnungen erstickt die Leistungsfähigkeit.7 Die Fokussierung auf Einzelleistungen ist zudem kulturabhängig. In vielen asiatischen Kulturen beziehen sich bedeutsame Werte und Normen auf Verhaltensweisen, die das Zusammenleben in der Gemeinschaft fördern. Vor diesem Hintergrund trägt Harmonie in Asien wesentlich zur Leistung von Teams bei, während Harmonie sich in westlichen Teams meist hinderlich auswirkt und oft erst Konflikte den Anlass zu Verbesserungen im Team ausmachen.8

17 5 Vgl. 7 Abschn. 12.4.2. 6 Vgl. Richter und Anand Pant (2016) und Beutel et al. (1999). 7 Das Phänomen „Ersticken unter Druck“ wird in 7 Abschn. 6.4.1 geschildert. 8 Vgl. 7 Abschn. 6.4.4  sowie Meta-Analyse in Chiu (2010), Sanchez-Burks et al. (2004) und Liu et al. (2018).

17.4 · Teamarbeit von Anfang an

z 2. Irrtum: Menschen sind in ihrer Persönlichkeit unveränderlich festgelegt

Häufig gibt es Überlegungen, dass ein Team nur dann erfolgreich sein kann, wenn man die richtigen Persönlichkeiten zusammenbringt.9 Dieser Vorschlag ist unpraktikabel, weil es in größeren Organisationen unzählige Kombinationen von Mitarbeitern gibt und Menschen nicht beliebig zu Teams „zusammengesteckt“ werden können. Das zentrale Missverständnis liegt allerdings in der Annahme, dass das Verhalten von Menschen aufgrund ihrer Persönlichkeit festgelegt sei. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Auch wenn Menschen unterschiedliche Persönlichkeitszüge aufweisen und beispielsweise zu Extraversion oder Ängstlichkeit neigen, ist das konkrete Verhalten einer Person überwiegend situations- und umgebungsabhängig. Dies bestätigen zahlreiche Untersuchungen, wie z. B. zur Auswirkung von Normen oder Anonymität und zum Verhalten Einzelner in Gruppen. Das kann darin gipfeln, dass „normale“ Menschen in unmoralischen Systemen dazu gebracht werden können, alle moralischen Bedenken und soziale Normen über Bord zu werfen und sich entsprechend unmoralisch zu verhalten.10 z 3. Irrtum: Erfolgreiche Teams machen vor, was Teams erfolgreich macht

Dieser Irrtum ist vielleicht der tiefgreifendste. Schließlich lebt davon eine ganze Beratungsindustrie: „Von den Besten lernen“, „Best Practices“ und Vergleichsstudien zwischen „High Performern“ und „Low Performern“ füllen lange Bücherregale und viele Teamseminare. Was soll auch schon daran falsch sein? Wenn ein Unternehmen oder ein Team erfolgreicher als andere ist, dann muss es schließlich einiges richtig gemacht haben. Alle Untersuchungen, die die Besten und Erfolgreichen mit Schlechteren und weniger Erfolgreichen vergleichen, folgen demselben Muster: Die Guten unterscheiden sich von den Schlechten durch bestimmte Merkmale, also müssen diese Merkmale auch bestimmend sein für den Erfolg. In dieser Argumentation steckt allerdings ein gedanklicher Fehler: Tatsächlich muss man nicht untersuchen, was erfolgreiche Teams machen, sondern was Teams erfolgreich macht. Wenn man in einem ersten Schritt herausgefunden hat, durch welche Kriterien sich Erfolgreiche von Erfolglosen unterscheiden, dann muss man in einem zweiten Schritt untersuchen, ob Teams, die diese Erfolgskriterien einhalten, auch wirklich erfolgreicher sind als andere. Die meisten Stu-

9 Vgl. Karlgaard und Malone (2015). 10 Vgl. 7 Abschn. 13.4.2 und 13.4.3.

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Kapitel 17 · Teamarbeit am Ende oder erst am Anfang? Appell für einen Neustart

dien hören aber schon nach dem ersten Schritt auf. So hat man nur Hypothesen dazu, was vielleicht zum Erfolg führen könnte, aber keinen Nachweis darüber, dass es wirklich so ist. Wir haben Erfolgskriterien in Bezug auf Teams im Personalmanagement untersucht und festgestellt, dass erfolgreiche Teams oft nicht unbedingt hohe Qualitätsstandards erfüllen. Teams, die hohen Standards genügen, sind aber überdurchschnittlich erfolgreich. Kurz: Hohe Qualität führt meistens zum Erfolg, aber Erfolg weist nicht immer auf hohe Qualität hin.11 Interessant sind eben nicht Helden oder heroische Sonderleistungen. Interessant ist, wie ganz normale Menschen in ganz normalen Organisationen zu Teams werden können, die sich über Jahre für ihre Arbeit begeistern, gerne zur Arbeit gehen und jeden Tag ein bisschen besser werden. 17.4.2  Viele Handlungsempfehlungen und eine

Warnung

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So wie Jos de Blok es schildert, passiert Teamarbeit quasi von selbst: Statt Prozessvorgaben zählen Ergebnisse, statt Anreizsystem herrscht Selbstverpflichtung – und das erste Mal erscheint in diesem Buch das Wort „Liebe“. Es scheint, als entwickle sich erfolgreiche Teamarbeit wie von selbst. Dabei ist es überaus schwierig, Empfehlungen abzuleiten, die unabhängig von der konkreten Situation im Manageralltag umsetzbar sind. Dennoch unternehmen wir den Versuch, auf Basis unzähliger Handlungsvorschläge, Tipps und Ratgeber, die wir durchforstet haben, und mit Bezug zu dem oben beschriebenen Modell, die Vielzahl an Empfehlungen zu ordnen. Letztlich lassen sich drei große Kategorien bilden: 1) Haltung (neudeutsch: „Mindset“), 2) Methode und 3) Struktur und Umfeld. Es lohnt sich, einmal diese selektiven Handlungsempfehlungen aufzulisten, sodass Sie für sich und Ihre Teamarbeit prüfen können, was Sie bereits umsetzen und welche Anregungen Sie vielleicht noch aufnehmen können. Die Handlungsempfehlungen ersetzen aber nicht die zentrale Voraussetzung, dass Teams nur dann erfolgreich sein können, wenn die Unternehmenskultur und damit eng verbunden die Ausrichtung der jeweiligen Führungs- und Steuerungsmechanismen die Bedeutung von Teams als zentrale Leistungseinheit anerkennt.

11 Vgl. Hasebrook und Singer (2015).

17.4 · Teamarbeit von Anfang an

Haltung („Mindset“) Werte, wie Vertrauen, Fairness, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit, sollten auch für den Umgang unter den Teammitgliedern gelten (Hackl und Gerpott 2015) Vermeiden Sie die Bildung von einzelnen Teams im Team (Pentland 2013) Fördern Sie den Zusammenhalt unter den Teammitgliedern und tauschen Sie nicht ständig Mitglieder aus (Hackmann 2002; Kaltenecker 2018) Vermeiden Sie Wettbewerbsverhalten und Konkurrenzdenken innerhalb des Teams. Es schädigt die Zusammenarbeit sowie das Coaching und gegenseitiges Unterstützen der Teammitglieder (DeMarco und Lister 2013) Beziehen Sie Personen mit hohem Autonomiebedürfnis ein, um die Selbstständigkeit in der Urteilsfindung zu fördern (Jungert et al. 2018) Methode („Doing“) Erste Teamsitzungen sollten mit allen Beteiligten stattfinden, besonders im Hinblick auf gemeinsame Ziele, die Arbeitsabläufe, die Teamkommunikation u. v. m. (Hackmann 2002) Werden neue und größere Teams gebildet, sollten Sie Menschen, die sich bereits kennen, zusammenbringen und so kleinere Gruppen bilden (Gratton und Erickson 2007) Damit klar wird, wer im Team ist und wer nicht, sollten Teamgrenzen deutlich abgesteckt werden (Kaltenecker 2018) Ziele müssen klar gesetzt und eine gemeinsame Richtung vorgegeben werden (Katzenbach und Smith 2013) Versuchen Sie, Ziele als positive und zu bewältigende Herausforderung darzustellen (Katzenbach und Smith 2013) Eine positive emotionale Bedeutung der Ziele für die Teammitglieder ist hilfreich dabei, die Arbeitsmotivation zu fördern (Amabile und Kramer 2013) Achten Sie darauf, Unterziele so festzulegen, dass sie rasch erreicht werden können (Van der Hoek et al. 2016) Kleine, aber häufige Erfolge zu erzielen, bedeutet, die Motivation des Teams zu steigern (Amabile und Kramer 2013) Legen Sie Kriterien für effiziente Arbeitsabläufe fest (Druskat und Wolff 2001) Würdigen Sie die Beiträge eines jeden Teammitglieds, ebenso wie die Zusammenarbeit des gesamten Teams (Hackl und Gerpott 2015) Regelmäßige Reflektionen der Arbeitsprozesse sind im Hinblick auf das Erreichen der Ziele und Unterziele hilfreich. Fragen Sie, was gut läuft und was nicht (Kaltenecker 2018; Hackmann 2002) Für Änderungen im Arbeitsprozess sollten (eigene) Fehler und Irrtümer bekannt sein. Fördern Sie daher einen vertrauensvollen Umgang und einen offenen Kommunikationsstil, der das Benennen dieser ­erleichtert (Hackl und Gerpott 2015)

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Mit einem offenen Kommunikationsstil kann eine zu große Homogenität im Team verhindert werden, welche sich nicht nur ungünstig auf die kreativen Lösungsansätze, sondern auch auf risikobehaftete Entscheidungen auswirkt. (Hackmann 2011) Wird die vertrauensvolle und effektive Zusammenarbeit des Teams durch einzelne Mitglieder gestört oder gefährdet, sollten Sie diese Personen umgehend darauf ansprechen (Druskat und Wolff 2001) Das schädigende Verhalten von anderen Teammitgliedern sollte unterbunden werden (Druskat und Wolff 2001) Lösungen werden in kleineren Gruppen entwickelt und anschließend gemeinsam verglichen und diskutiert, z. B. in einer Debatte („dialectical inquiry“) (Pentland 2013) Ermöglichen oder organisieren Sie Trainings, die die Fähigkeiten aller Gruppenmitglieder im Umgang mit Stress erhöhen und den Aufbau von Zuversicht verbessern („self leadership“) (Hackl und Gerpott 2015) Machen Sie sich Groupthink-Effekte bewusst und fördern Sie kritische Entscheidungsfindung und Entwicklung eigener Normen im Team (Albert und Bartscher-Finzer 2004) Durch den Einsatz von Entscheidungsmethoden (z. B. Nutzwertanalyse, Szenariotechnik) und die Beherzigung von Diskussionsregeln können Sie die Rationalität von Entscheidungsprozessen stärken (Pawlowsky und Steigenberger 2012) Verkünden Sie Strategien nicht in der Turnhalle, sondern besprechen Sie sie mit allen direkt (das funktioniert, wenn es entsprechend organisiert wird) Ein externer und unabhängiger Berater verhindert durch seine Erfahrungshintergründe eine Verengung der Perspektive (Albert und Bartscher-Finzer 2004) Stellen Sie Aufträge und Aufgabenan an die ganze Gruppe, statt dezidiert an einzelne Personen, und lassen Sie das Team entscheiden, wer welche Aufgaben übernimmt (Pentland 2013) Struktur („Environment“) Wählen Sie die Teammitglieder nicht nur aufgrund ihrer Fähigkeiten, sondern auch auf Basis ihres Potenzials aus (Pawlowsky und Steigenberger 2012) Vertrauen Sie darauf, dass sich die spezifischen Fähigkeiten für spezielle Aufgaben in der Zusammenarbeit mit anderen Teammitgliedern entwickeln (Katzenbach und Smith 2013)

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Stellen Sie die benötigten Ressourcen zur Weiterentwicklung der Fähigkeiten bereit (Katzenbach und Smith 2013) Ermöglichen Sie das Kennenlernen der Teammitglieder untereinander. Auch informelle Zeiten (z. B. gemeinsame Pausen) sind wichtig, um sich miteinander vertraut zu machen  (Katzenbach und Smith 2013) Der Arbeitsplatz sollte gute Pausenplätze zur Verfügung stellen (Haynes 2008) Verteilen Sie klare Rollen und Aufgaben an die einzelnen Teammitglieder (Gratton und Erickson 2007)

17.4 · Teamarbeit von Anfang an

Berücksichtigen Sie bei der Vergabe der Rollen die jeweiligen Stärken und Fähigkeiten des Teammitglieds. (Gratton und Erickson 2007) Bestimmen Sie einen „Devil’s Adcoate“ (Anwalt des Teufels): Vorgeschlagene Lösungen werden von dieser Person auf ihre Schwachpunkte hin untersucht (Albert und Bartscher-Finzer 2004) Multiple Advocacy: Eine neutrale Person hält die Befürworter von alternativen Lösungen dazu an, ihre Ansichten und Einsichten zu vertreten (Albert und Bartscher-Finzer 2004) Entscheidungsverantwortliche: Diese Person prüft kritisch die eingebrachten Argumente (Albert und Bartscher-Finzer 2004) Fördern Sie auch die Zusammenarbeit verschiedener Teams im Unternehmen. Machen Sie es möglich, sich zu vernetzen und auch mal andere Teams zu ihren Teamsitzungen einzuladen (Druskat und Wolff 2001) Koordinieren Sie ein gut durchdachtes internes Nachfolgeprogramm bei Beförderungen. So wird die Einstellung von ungeeigneten Kandidaten verhindert. Die Entscheider über diese Beförderung hatten mitunter Jahre, um eine Person in Aktion zu studieren und ihren Charakter zu beobachten (Pawlowsky und Steigenberger 2012) Achten Sie bei der Einstellung von Externen auf inhaltliche Leistungen, die überprüft werden können (Pawlowsky und Steigenberger 2012) Sorgen Sie bei der Einstellung für eine Grundlage zur tatsächlichen Erfüllung aller Ansprüche. Charisma und Sprechfähigkeiten sind erwünscht, aber nicht alles (Pawlowsky und Steigenberger 2012) Arrangieren Sie die Arbeitsplätze der Teammitglieder räumlich nicht zu weit entfernt (Hackmann 2011) Lassen Sie eine individuelle Arbeitsplatzgestaltung zu und sorgen Sie für ausreichend Platz für Unterlagen etc. (DeMarco und Lister 2013) Ausreichend Räume für Teambesprechungen und informelle Zusammenkünfte sind wichtig für einen reibungslosen Arbeitsablauf (DeMarco und Lister 2013) Fördern Sie die Fähigkeit, ablenkungsfrei auch mal alleine zu arbeiten (Haynes 2008) Nebeneinander am Arbeitsplatz arbeiten und „ins Gespräch kommen“ verbessert die Interaktion, und Probleme können schneller besprochen und gelöst werden (Haynes 2008) Ermöglichen Sie den Zugang zu erforderlicher Technologie, guter Beleuchtung, Tageslicht, Temperaturregelung und guter Luftqualität (Haynes 2008)

Diese Vorschläge sind alle richtig und gehen zugleich an der Sache vorbei, denn sie sehen Teams als ein „Managementinstru­ ment, um Leistung zu steigern und Kosten zu sparen“, wie es Jos de Blok in seinem Interview formuliert hat. Erfolgreiche Teamarbeit und ein Team-Mind entstehen aber, wenn man nicht den zu Beginn dieses Kapitels aufgeführten Irrtümern unterliegt, sondern drei Grundsätze berücksichtigt:

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z 1. Das Team – und nicht die Einzelperson – ist die zentrale Leistungseinheit

Selbst Genies bleiben, wenn sie nicht zusammenarbeiten, in einer Organisation wirkungslos.12 Daher müssen die Führungs- und Steuerungssysteme, die in vielen Unternehmen mehrheitlich Einzelziele und -leistungen unterstützen, konsequent auf die Führung und Bewertung von Teamleistungen ausgerichtet werden. Erfolg wird dabei nur eine Organisation haben, die – vom Vorstand bis zur Mitarbeiterschaft – dazu bereit ist, Teamführung und -bewertung in den Mittelpunkt von Prozessen, Struktureinheiten und Projekten zu stellen. z 2. Nicht eine unveränderliche Persönlichkeit bestimmt über Kooperation oder Konflikte im Team, sondern die Situation, in der Menschen arbeiten

Es stimmt zwar, dass „dunkle Persönlichkeiten“ Teams sprengen können. Aber diese machen nur 1–3 % der Bevölkerung aus. Für den Rest gilt der Grundsatz: Systeme schaffen Situationen, und Situationen prägen Verhalten.13 Daher ist es immens wichtig, dass Unternehmen mehr darüber nachdenken, welche Arbeitssituationen sie schaffen und nicht den Teams die Verantwortung für lern- und leistungsförderliche Arbeitsstrukturen aufbürden. z 3. Erfolgreiche und leistungsfähige Teams sind keine „Heldenteams“

Heroische Vorstellungen führen zu ungeheurem Leistungsdruck und letztlich zur Entmenschlichung. Durch falsche Schlüsse wird suggeriert, dass irgendwelche Managementtechniken normale Teams in „Hochleistungsteams“ verwandeln können – und wenn dies nicht gelingt, dann liegt es eben an der Persönlichkeit.14 Doch so ist es nicht: Erfolgreiche Teams sind das Ergebnis teamfokussierter Führung, die individuelle Kompetenzen und Motive so zusammenführt, dass das Team über die Summe der Einzelleistungen hinauswachsen kann. Diese Führung kann – und wird auch zunehmend – eine verteilte Führung sein.15

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17.4.3  Fallbeispiele: Viermal neu anfangen

Es scheint fast unmöglich, diese hehren Grundsätze in der Praxis umzusetzen. Dabei ist ein Anfang oft ganz einfach 12 Vgl. 7 Abschn. 4.4.2. 13 Vgl. 7 Abschn. 13.4.2. 14 Vgl. 7 Abschn. 3.4.3. 15 Vgl. 7 Abschn. 7.4.4.

17.4 · Teamarbeit von Anfang an

gemacht. Dazu wollen wir Ihnen vier kurze Fälle aus unseren Projekten auflisten, die zeigen, wie Organisationen einen Neuanfang in ihrer Teamarbeit machen können. z 1. Fall: Im Porsche zum Pflegedienst?

Der Geschäftsführer eines deutschen Pflegedienstes hatte beschlossen, sein Unternehmen auf das Modell von „Buurtzorg“ umzustellen und den selbstorganisierten Teams alle Entscheidungen zu überlassen. Schon in einer der ersten Sitzungen bereute er dies, denn ein junges Teammitglied fragte, ob man nicht Porsche als Dienstwagen bestellen könne. Doch dann rechneten alle im Team nach, wie viele Patientinnen und Patienten sie betreuen müssten, um sich einen Porsche leisten zu können. Danach verstanden alle viel besser, was wirtschaftlich möglich war – und bestellten einen Fiat Punto. z 2. Fall: Mit einer Stimme sprechen oder im Chor singen?

Ein kommunales Unternehmen, das beschlossen hatte, seine hierarchischen Strukturen abzubauen und durch agile Teamarbeit zu ersetzen, feilte an seinem Kommunikationsplan für die anstehenden Veränderungen. Die Kommunikationschefin war es von ihrer vorherigen Stelle in einem Konzern gewohnt, Veränderungsprozesse generalstabsmäßig durchzuführen, sodass vor allem die Führungskräfte „mit einer Stimme sprechen“ sollten. Interesse und Unsicherheit bezüglich agiler Teamarbeit waren in der Mitarbeiterschaft jedoch so groß, dass in agilen Arbeitsmethoden erfahrene Personen spontan kleine Workshops für ihre Kolleginnen und Kollegen organisierten. Schließlich waren mehrere Teams in der ganzen Organisation unterwegs, koordinierten ihre Termine selbstständig und führten alle Interessierten mit praktischen Übungen in agile Arbeitsmethoden ein. z 3. Fall: Soll man fragen, wenn man die Antwort nicht wissen will?

Ein europaweit tätiger Finanzdienstleister wollte ­Innovationsund Leistungsfähigkeit im Unternehmen steigern. Der Vorstand fürchtete jedoch, dass durch eine zu frühe Beteiligung der Mitarbeiter Verunsicherung und Unmut entstehen könnte, weil eine offene Diskussion zu einer Problemfixierung und persönlichen Schuldzuweisungen führen könnte. Als Kompromiss wurden unternehmensweit „Teamstände“ aufgebaut, an denen sich abteilungsweise Teams zusammenfanden, um Wünsche und Vorschläge an den Vorstand zu richten. Dieser verpflichtete sich, die Teamergebnisse zu bündeln, zu bewerten und das Ergebnis im Unternehmen bekannt zu machen. Von der Qualität und Menge der Vorschläge positiv

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überrascht traute sich der Vorstand nach und nach die Diskussion zu eröffnen. z 4. Fall: Zu starr für Teamarbeit?

Die Verwaltung eines großen öffentlichen Krankenhauses war umgestellt worden, viele Teams neu zusammengestellt und viele Führungspositionen neu besetzt. Es wurde diskutiert, wie Teammitglieder mehr in die Verantwortung genommen werden können. Im Bereich der Haustechnik und -reinigung traute man den teils ungelernten und unmoti­ vierten Mitarbeitern jedoch nicht zu, mehr Verantwortung zu tragen. Ausgestattet mit einem Fragebogen suchten die Teams sowohl nach „Zeitfressern“, die sie in ihrer täglichen Arbeit behinderten, als auch nach Lösungen. Das Team der Haustechnik benannte zunächst nur Probleme, fasste aber nach ein paar Runden Vertrauen und machte konkrete und gut umsetzbare Vorschläge. 17.5  Teamarbeit steht erst am Anfang

Erfolgreiche Teamarbeit entsteht nicht automatisch durch das Einhalten bestimmter Regeln und Durchführen spezieller Übungen: Nicht die Regeln müssen stimmen, sondern die Richtung. Es gibt kein Kochbuch mit dem verheißungsvollen Titel: „So gelingt jedes Team“. Den Grund dafür nennt Patrick Lencioni in seinem Buch über „dysfunktionale Teams“16:

» „Bei erfolgreicher Teamarbeit geht es nicht um das Beherrschen

subtiler, komplizierter Theorien. … Ironischerweise sind Teams gerade deshalb erfolgreich, weil sie überaus menschlich sind. Durch die Anerkennung der Unvollkommenheit der menschlichen Natur überwinden Mitglieder erfolgreicher Teams natürliche Grenzen, die Teamarbeit so schwer fassbar machen.“17

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Erfolgreiche Teams entstehen nicht durch Techniken, um „menschliche Fehler“ und Grundbedürfnisse von Teammitgliedern nach Autonomie, Anerkennung und Zugehörigkeit zu umgehen. Erfolgreiche Teams sind genau deswegen erfolgreich, weil sie menschlich sind. Die gute Botschaft ist: Das bleibt auch so, selbst wenn Teams in Zukunft immer häufiger als virtuelle Teams und mit künstlicher Intelligenz zusammenarbeiten.18 Die andere Botschaft ist:

16 Vgl. 7 Abschn. 8.4.1. 17 Lencioni (2014, S. 220, Übers. d. Aut.). 18 Vgl. 7 Abschn. 15.4.1 und 15.4.3.

315 Literatur

> Bei der Umsetzung dessen, was Teams wirklich erfolgreich macht, stehen wir erst ganz am Anfang.

Literatur Albert, M., & Bartscher-Finzer, S. (2004). Zusammenhänge und Mechanismen: Das Groupthink-Phänomen neu betrachtet. Mannheim: Institut für Mittelstandsforschung, Universität Mannheim (ifm). Amabile, T., & Kramer, S. (2013). The progress principle – Using small wins to ignite joy, engagement and creativity at work. Watertown: Harvard Business Publishing. Beutel, S.-I., Lütgert, W., Tillmann, K.-J., & Vollstädt, W. (1999). Ermittlung und Bewertung schulischer Leistungen. Expertisen zum Entwicklungs- und Forschungsstand. Hamburg: Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung. Chiu, Y.-T. (2010). A meta-analysis of faultlines, team conflict, and team performance. Proceedings ASAC 2010. 7 www.researchgate.net/publication/325593268_A_Meta-Analysis_of_Faultlines_Team_Conflict_and_ Team_Performance. Zugegriffen: 16. Sept. 2019. Coyle, D. (2018). The culture code: The secrets of highly successful groups. New York: Bantam Books. Demarco, T., & Lister, T. (2013). Peopleware. Productive projects and teams (3. Aufl.). Upper Saddle River: Addison-Wesley (deutsch: 2013, Bärentango – Mit Risikomanagement Projekte zum Erfolg führen. München: Hanser). Druskat, V. U., & Wolff, S. (2001). Building the emotional intelligence of groups. Harvard Business Review, 79(3), 81–90. Gratton, L., & Erickson, T. (2007). Eight ways to build collaborative teams. Harvard Business Review, 85, 153. Hackl, B., & Gerpott, F. (2015). The relationship of ethical leadership, co-worker support, job satisfaction and team performance. Academy of Management Annual Meeting Proceedings, 2015(1), 11688. 7 https://doi. org/10.5465/AMBPP.2015.11688abstract. Hackmann, J. R. (2002). Leading teams: Setting the stage for great performances. Watertown: Harvard Business Review Press. Hackmann, J. R. (2011). Collaborative intelligence. Using teams to solve hard problems. San Francisco: Berett-Koehler. Hasebrook, J., & Singer, M. (2015). Exzellenz zahlt sich aus. Harvard Business Manager, 2015(2), 18–19. Haynes, B. P. (2008). The impact of office layout on productivity. Journal of Facilities Management, 6(3), 189–201. Jungert, T., Van den Broeck, A., Schreurs, B., & Osterman, U. (2018). How colleagues can support each other’s needs and motivation: An intervention on employee work motivation. Applied Psychology; An International Review, 67(1), 3–29. Kaalgard, R., & Malone, M. S. (2015). Team genius: The new science of high-performing organizations. New York: Harper Collins. Kaltenecker, S. (2018). Selbstorganisierte Teams führen – Arbeitsbuch für Lean & Agile Professionals (2. Aufl.). Heidelberg: dpunkt. Katzenbach, J., & Smith, D. (2013). Teams: Der Schlüssel zur Hochleistungsorganisation. München: MI Wirtschaftsbuch. Lencioni, P. M. (2014). Die 5 Dysfunktionen von Teams. Weinheim: Wiley-VCH. Liu, C., Nauta, M. M., Yang, L.-Q., & Spector, P. E. (2018). How do coworkers ‘make the place’? Examining coworker conflict and the value of

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harmony in China and the United States. Applied Psychology: An International Review, 67(1), 30–60. Nandram, S. S. (2015). Organizational innovation by integrating simplification: Learning from Buurtzorg Nederland. Heidelberg: Springer. Pawlowsky, P., & Steigenberger, N. (2012). Die HIPE-Formel: Empirische Analysen von Hochleistungsteams. Frankfurt a. M.: Verlag für Polizeiwissenschaft. Pentland, A. (2013). The new science of building great teams. In Harvard Business Business School (Hrsg), HBR’s 10 must reads on teams (S. 1–20). Boston: Harvard Business School Publishing. Richter, D., & Anand Pant, H. (2016). Lehrerkooperation in Deutschland. Eine Studie zu kooperativen Arbeitsbeziehungen bei Lehrkräften der Sekundarstufe I. Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung. 7 www.bosch-stiftung. de/sites/default/files/publications/pdf/2018-04/Studie%20Lehrerkooperation%20in%20Deutschland.pdf. Zugegriffen: 16. Sept. 2019. Sanchez-Burks, J., Neuman, E. J., Ybarra, O., Park, H., & Go, K. (2004). Is team harmony necessary for success? Cultural beliefs about conflict and team performance. SSRN Electronic Journal. 7 https://doi.org/10.2139/ ssrn.901775. Van der Hoek, M., Groeneveld, S., & Kuipers, B. (2016). Goal setting in teams: goal clarity and team performance in the public sector. Review of Public Personnel Administration, 38(4), 1–22. 7 https://doi.org/10.1177/0 734371X16682815.

Lesetipp Die wunderbare Geschichte über den Spaghettiturm der Kindergarten- und Managementteams sowie zahlreiche andere Beispiele und Interviews enthält das folgende Buch: Coyle, D. (2018). The culture code: The secrets of highly successful groups. New York: Bantam Books. Eine fundierte Studie und Darstellung der Arbeit von Buurtzorg findet sich in: Nandram, S. S. (2015). Organizational innovation by integrating simplification: Learning from Buurtzorg Nederland. Heidelberg: Springer.

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Serviceteil Stichwortverzeichnis – 319

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 J. Hasebrook et al., Team-Mind und Teamleistung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62054-0

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Stichwortverzeichnis A Absentismus  260 Abu Ghraib (irak. Gefängnis)  242 Achtsamkeit  294, 302 Activity-Based Flexible Office  264 Agilität  216 Amnesty International  168 Ang, Soon  135 Anonymität  193 Aqua Römer (Firma)  271 Arbeitsplatzgestaltung  257 Aron, Elaine  150 artlab21  252 Artmann, Thomas  148 Assimilationseffekt  77, 83, 176 Aufmerksamkeitstraining  163 Autorität  209 Autoritätshörigkeit  241

B Babiak,Paul  129 Bakker, Arnold  87 Banker-Paradox  208 Bankräuber  50 Bartram, Dave  276 behavioural branding  259 Benning-Rohnke, Elke  171 Beratungsprozess  203 Bergmann, Jürgen  191 Best Practice  307 Betrug  235 Bocchiaro, Piero  241 Bohrinsel  275 Bonussystem  34, 45 Bostrom, Nick  279 Boyer, Pascal  195 Brain-as-a-Service (BaaS)  284 Brewer, Marilynn  175 Brexit  248 Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)  VIII Bürokratie  256 Buurtzorg  300

C Carnegie, Andrew  2 Chabris, Christopher  181 Churchill, Winston  248 CIA  243

classroom training  66 co-working space  263 Cockpitcrew  97 Command and Control  225 Common Recognized Information Picture (CRIP)  110 Conger, Jay  133 Corona-Krise  V, 67, 168, 262 Costa, Patrícia  87 Creative Workspaces  261 Cultural Intelligence (CQ)  135 Cybermobbing  146

D Daugherty, James  288 de Blok, Jos  301 Dehumanisierung  197 Denken – kreatives  228 Desk Sharing  264 Deutsche Bank  204 Diebstahl  235 Dieselaffäre  118 Diplomaten  190 Diskriminierung  168 Dissonanz – kognitive  101 Distanz – physische  265 Diversified Portfolio Model (DPM)  162 Diversity-Management  180 Drucker, Peter  36 Duale Hochschule Baden-Württemberg  IX Dunkle Triade  118 Dunning-Kruger-Effekt  51

E Ebola-Ausbruch  160 Edelbacher, Max  236 Edmondson, Amy  29 Einzelleistung  306 Elliot, Jane  76 Empathie  55, 97, 130, 289 Employability  57 Entmenschlichung  243 Entscheidungsmacht  223 Entwicklerteam  87 Erfahrungsfalle  51 Erpenbeck, John  59

A–E

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Stichwortverzeichnis

Espressomaschine  250 EU-Parlament  248 experiential learning  66 Extraversion  27, 118 extreme programming  292

F Facebook  105 Falschparken  190 Fanbetreuer  195 Feedback  260 Fehlbehandlung im Krankenhaus  241 Fehlerkultur  98 Fehlverhalten  209 Festinger, Leon  83, 101 Filterblase in sozialen Netzwerken  289 Fink, Larry  224 Fischteicheffekt  178 Flaming  275 flipped classroom  67 Frauenförderung  171 Fraunhofer-Gesellschaft IAO  272 Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO)  272 Führung – authentische  120 – charismatische  120 – ethische  121 – partizipative  250 – Romantisierung  128 – situative  134 – verteilte  133 – von virtuellen Teams  134 Führungspersönlichkeit  80 Führungssystem  271 Führungstheorie  127 Fußballfan  191 Fußballverein  192

G Gehirn – soziales  290 Gehirn-Gehirn-Schnittstelle  284 Gewissenhaftigkeit  118 Gleichbehandlungsgesetz (AGG)  180 Gleichberechtigung  179 Gleichstellung  171 Google Brain Team  288 Grenzüberschreitung  193 Großer-Fisch-kleiner-Teich-Effekt  84 Großraumbüro  255 Group-Mind  294 Groupthink  102 Groupthink-Konzept  100

Grundbedürfnisse  210 Gruppendruck  234 Gruppengröße  292 Gruppenidentität  85 Gruppennorm  197 Gruppenpolarisierung  104 Gruppenzusammenhalt  292

H Hackman, Richard J.  41 Hahnenkamp, Klaus  78, 108 Haltung  221, 227 Hare, Robert D.  129 Harvard Business Review  3 Hashmi, Nada  181 Hawthorne-Effekt  256 Hierarchie  62 Hierarchiestufen  62 Hirnstruktur  289 Hochleistungsteam  30, 42 Hochsensibilität  150 Holocaust  82 Holtel, Stefan  279 Homeoffice  262 Hooligan  190 Hot Desking  264 hoteling  264 Hotel – schlechtestes der Welt  85 HR/Impulsgeber  IX Human Factors  103

I IBM Watson  285 Imageverlust  210 Ingroup  82 Innovation  180 Innovationsfähigkeit  51, 251 Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)  VIII Intelligenz – kollektive  181, 294 – künstliche  270, 279 International Police Executive Symposium  236 Internetkriminalität  239 Introversion  27 Invisible Mind  290

J Janis, Irving L.  100 Jöns, Ingela  128

321 Stichwortverzeichnis

K Kakerlaken  27 Kapazitätsfalle  29 Kapitalismus – geteilter  46 Katzenbach, Jon R.  3, 58 Kindergartengruppe  300 King, Martin Luther  76 Klett, Peter  217 kognitive Dissonanz  101 kollektive Intelligenz  294 Kompetenzebene  59 Konfliktart  88 Konfliktstil  88 Konsensusgruppe  64 Konsent  64 Kontemplation  253 Kontrasteffekt  77, 83, 176 Kooperationsbereitschaft  208 Kooperationswerkzeug  274 Krankenhaus – Teams  62 Kreativität – hoch kreative Menschen  107 – im Team  106 – Konzentration  263 – kreatives Denken  228 – künstliche Intelligenz (KI)  288 – Teamfunktion  53 Kreativraum  261 Kreativteam  62 Kriminalität  236 Krisenstab  107 Kundenreise  262 Kunsthistorie  253 künstliche Intelligenz (KI)  270, 279 Kuriansky, Judy  161

L Lagebild  110 Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen (LZG.NRW)  VIII Latané, Bibb  25 Lea, Martin  196 Leadership, Dark  118 Lean Management  227 Leggat, Sandra  58 Leistungssport  26, 41 Luftfahrzeugführer  97

M Machiavellismus  118 Malone, Thomas  181

E–P

Management – agiles  222 Managergehalt  40 Marktwirtschaft  290 McChrystal, Stanley  3 Mehrheit  175 Menschenbild  304 Merari, Ariel  234 MetCalfe-Gesetz (MetCalfe’s Law)  57 Migrationshintergrund  178 Miku, Hatsune  270 Milgam, Stanley  209 Minderheit  243 Mindset  221, 308 Minimalgruppe  82, 176 Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Baden-Württemberg  VIII Mitarbeiterbeteiligung  45 Mitarbeiterproduktivität  259 Mobbing-Report  146 Moderator  300 Monderman, Hans  203 Müller-Dannecker, Dr. Eva  121 multicultural broker  136 Musk, Elon  284 Muzaffer Şerif   87

N Nachhaltigkeit  224 Narzissmus  118 NASA  94 Nash-Gleichgewicht  40 Nash, John  40 NATO  225 Neuer Markt  95 New Work  250 Nominal Group Technique (NGT)  64 Norm – soziale  46, 202 Notfallmedizin  78 Notfallteam  107

O Objectives and Key Results (OKR)  36 öffentliche Plätze  261 OP-Team  62 organisational resilience  163 Outdoor-Training  66 Outgroup  82

P Parker, Sharon  258 Parkinson, Cyril N.  18

322

Stichwortverzeichnis

Parlament von Island  248 Parsons, Taclott  222 Pearce, Craig  133 Pentland, Alex  8, 181 Personas  262 Persönlichkeit  307 Persönlichkeitseigenschaft  118, 197 Persönlichkeitsprofil  119 Pflegeteam  62 Physik-Nobelpreis  94 Pilz, Gunter  190 Platz – städtischer  261 Polizeiführung  237 Populismus  118 Post-it  34 Postmes, Tom  196 Produktivität  260 psychologische Sicherheit  88 Psychopathologie  118

Q Qualifikationsniveau  57

R Radrennfahrer  31 Rasssismus  76 Raumdimension  254 Raumfähre Challenger  94 Raumkonfiguration  257 Raumrhythmus  255 Reflected-Glory-Effekt  178 Repenning, Nelson  29 Ringelmann-Effekt  18, 197 risky shift  104 Robbers-Cave-Studie  87 Robert’s Rules of Order  8 Roboter  277 – menschenähnlicher  279

S Sabotage  275 Schletz, Alexander  272 Schneider, Hendrik  235 Schrittmachereffekt  26 Schuh, Günther  51 Selbsteinschätzung  51 Selbstführung  134 Selbsthilfegruppe  161 Selbstlernen  58 Selbstmordattentäter  234 Selbstorganisation  305 Selbstüberschätzung  50

Semet, Sven  285 shared capitalism  46 Shared Space  202 Shareholder Management  224 Shaw, Julia  210 Sherif, Mustafa (eigentlich – Muzaffer Şerif)  87 Sicherheit – psychologische  29 Sicherheitsmaßnahmen  202 Sicherheitsregel  240 Sicherheitstraining  103 Silobildung  82 Skill-Mix  205 Smith, Douglas K.  58 social brain  290 social facilitation  27 social loafing  26 social mind  290 Sommerfeld, Wolfgang  20 soziale Norm  203 sozialer Vergleich  82, 83, 176 Soziokratie  65 Spears, Russel  196 Spiegelneurone  289 Sportteam  178 Steinbeis-Hochschule  IX Stepper, John  217 Stereotypen  120, 179, 196, 291 Sterman, John  29 Stoner, James A. F.  105 Streit, Peer, Oberstleutnant  96 Stressempfinden  158

T TABULARAZA by zeb  261 Tajfel, Henri  82 Taylor, Frederic Winslow  256 Team – agiles  65, 88 – autonomes  42 – eigenbestimmtes  222 – interdisziplinäres  221 – Lernen  155, 180, 259, 287, 295 – managergeführtes  42 – multinationales  53, 175, 287, 306 – resilientes  162 – selbstorganisiertes  58, 304 – sich selbst führendes  42 – sich selbst gestaltendes  42 – virtuelles  134, 275 team building  66 Team Speedfactory  216 Teamaufgabe – additive  43 – disjunktive  43

323 Stichwortverzeichnis

– konjunktive  43 Teambonus  40, 203 Teamfähigkeit – Lernen  30 Teamgeist  100 Teamgröße  159, 197 Teamkompetenz  5, 58 Teamkonflikt  82, 87 – Konfliktart  88 – Konfliktstil  88 Teamkultur  128 Teamleitung  78 Teamlernen  59 Team-Mind  294 Teammotivation  218 Teamorientierung  217 Teamrollen  42 Teamroutine  59 Teamtraining  65 – virtuelles  67 Teamziel  40 Teamzusammensetzung  207 Telemedizin  278 Theorie der sozialen Vergleiche  83 Theory of Mind  290 Training – Diversity  179 – Sicherheitstraining  103 – Vertriebsteam  160 Treviño, Linda Klebe  131 Triplett, Norman  26 Trump, Donald  118 Tschernobyl  100

U Überqualifikation  56 Ungehorsam  241 Unterhaus – britisches  248 US-Armee  225

V Vandalismus in der Schule  202 Veränderungsprozess  128

Verantwortungsübernahme  206 Vergleich – sozialer  82 Verhalten – unmoralisches  211 Vermenschlichung  154 Vertrauenswürdigkeit  208 Vertriebsstrategie  220 Vertriebsteam  34 Vier-Augen-Prinzip  96 von Rohr, Karl  204 Vorurteile  168

W Wagner, Marc  35 Weber, Max  256 Weltgesundheitsorganisation (WHO)  160 Weser-Elbe-Sparkasse  217 Wilkens, Uta  59 Wilson, Paul  288 Wisdom of Crowds  57 Wissenstransfer  52 Wittkuhn, Klaus  53 Wooley, Anita  181 Workplace Design  256

Y Yerkes-Dodson-Gesetz  27, 87

Z Zajonc, Robert  26 zeb.business school  IX zeb.rolfes.schierenbeck.associates  IX Zielsetzung – SMART  39 – Teamziel  40 Zimbardo, Philip  211, 241 Zünkeler, Dr. Bernhard  252

P–Z