Szenen aus der Erinnerung: Erstes Buch: Weiber. Zweites Buch: Männer [Reprint 2021 ed.] 9783112445921, 9783112445914

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Szenen aus der Erinnerung: Erstes Buch: Weiber. Zweites Buch: Männer [Reprint 2021 ed.]
 9783112445921, 9783112445914

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geschildert von

Friedrichs«».

Lrfte» Buch: Weihe Zweite» Buch: Männe

Berlin, bei Johann Daniel Sander

Erstes

Buch»

Weiber.

Der Aar und der Kauz.

Au« hohen polten senkte sich ein Lar Don einer langen Honnenreise Herab durch Himmel «effende Kreise

Auf einen Eichwald, der Voll Käuze war. Er setzt sich auf den hichsten Gipfel Der htchfien Eiche, deren Wipfel

Hochnickend auf das Volk um ihn Das Haupt des Waldes schien, Und sah

seine« Adlerblicke

Nach Beute -ch vergebens um. —

Er pfiff vor Ungeduld; ein Käuzchen, fett und dicke,

Sich brüstend, sprach: „Ich bin nur yumm

Und kann von ferne nicht viel unterscheiden; Allein Freund Aar^ so. viel begreif' ich doch,

Ich bin der Klügste von uns beiden, [

i

2

Bleib' immer nah am Mäuseloch

Und suche nicht in hihern Regionen sdie Lhierchen, die in kichern wohne»;

Auch halt' ich selten Nothdiät. Durch die Wolken zu dringen, Sich empor »ur Gönne zu schwingen.

Füllt nur den Bauch mit Wind und bläht. Gefiel «e dir —

Statt durch hie Wüste de» Himmel» zu streife»,

Und zwecklos von

Norden

nach Süden

zu

schwelst«; — Fein ordentlich und still, wie wir.

Die kein onnüher Flag

Je höher, at« ihr Nestchen trug, Im heutereichen Busch zu bleiben,

Und Mäust, und Rattenjagd zu treiben. Du würdest'dich weit bester stehn.

Und immer satt sei» oder schmausen." — Stolz sprach der Aar und liek den Fittig wehn;

„Sieh her! — Wuchs dieseSchwinge mir rum Mausen?" —

Ja, sagte Kauz, so weit kann ich nicht sehn! —

r I.

Lsretto.

Äöem es Vergnügen macht, ju sthn unk zu hören, »le schön ein große« Balk mahlt und singt, wma es klein geworden ist, dem

rath' ich, «ach Rom zu reisen, «ad zwar durch Loretta, wenn er einmahl recht ge,

schwinde rafirt seyn will, oder ein Freund von schönen Roseakrinzen ist: so zuvorkom» mmde Barbier« und- so artige Rosenkranz«

verkiufertnam, al« dort sind, findet man» so viel ich weiß, an. keinem andern Prt in der Welt.

Diese lassen sich von Fremde«

gerne handeln, «ad geben ihre schöasteWaare um die billigsten Presse; jene ahnen, ehe sie

den Reisenden seh«, daß chm der Bartge,

wachsen ist,

«ad stehen schon die Seife

schlagend in der Thüre ihrer Rasierst«-«, wenn er in'« Thor tritt.

Wer ahE doch

gern erst frühstück«» möchte, wa« befände« bet Ketzern,

die zn Zuße ankoannen, des

*-♦

6

»-*-

Fall se»n kann, der muß etwa« kalte Küche tu der Tasche habm, und vor der Stadt

unter einem Helbaum sitzend »ernüchtern; denn geht er hinein, so gelangt er wahrlich nicht unrastrt und «nberosenkrinjt big zur

ersten Osteria.

So ging« mir.

»0

85

• **

eine bedeutende Dresche machen würde, und suchte daher meinen Verstand im Herzen zu unlerminiren. Das war denn wirklich seine schwache Seite. Wenn sie mit den Worten:. „ Lieber Ferdinand, werden Sie ein Christ; ich muß Sie gerettet sehen!" mir ihre schöne Hand reichte, und mich da, bet mit ihren großen schwarzen Augen so bittend ansah, dann wußte ich mir nicht ander« zu helfen, als durch eine — Gegen, Mine. Zch küßte die kleine Hand mit aller Wirme — der Dankbarkeit, hielt Sie fest in der meinigen, und sagte: bitten müssen Sie mich nicht, liebe Signora; eü schmerzt mich zu sehr, etwa« nicht thun zu können, da« Sie wünschen! Ich würde vielleicht so schwach seyn, Zhnen ein Versprechen zu geben, da« ich hernach bereuen müßte. Diese schönen Augen muß ich zudrücken, — ich that e« mit den Lippen, — wenn Sie mich nicht verleiten sollen, Meiner innigen Ueber, zeugung untreu zu werden. Al« ich da« erste Mal zu diesem Der, theidigung«mlttel meine Zuflucht nahm, trat

86 Arcangela, mit ihrem gew-hnlichen Ernst, errtthend, einen Schritt zurück; böse war fie aber nicht, nur, — wie es schien, — be­ fremdet über das, was dabei in ihr vor, ging. Sie schwieg einige Augenblicke, als wenn fie fich selbst belauschte, und sagte day» mit niedergrichlagenen Augen und lehr weicher Stimme: „Wenn Sie fich geneigt fühlen, meine Bitte zu erfüllen, so begreife ich nicht, warum Sie es nicht thun wol, kni"— Weil meine Vernunft dagegen strei« tet, beste Freundin 1 war ich dumm genug zu antworten. Bei Weibern find ja Nei, gung und Vernunft nie uneins; diese ver­ hält fich zu jener, wie das Kammermädchen zur Dame. Wie konnte mich also mein kiel, «er Misiknär begreifen? . wie konnte sie wissen, daß im Znnrrn des Mannes Gefühl und Vernunft, wie zwei gleich mächtige Ki, niginnen, herrschen, die wechselsweise, sie, gend und besiegt, beständig Mik einander um die Unlversaimonarchle fämpfen? — Ihr Köpfchen hatte sich nie gegen ihr Herz Vor, -esiungrn erlaubt, „Sprechen Sie d-ch von

Ihrer Vernunft, als wenn sie Ihnen nicht gehörte!" sagte sie. „Er hinkt noch immer mit dem rechten

Hinterbeine! rief Antonio zur Thür herein, als ich eben wieder Arcangela's Augen iu,

drücken wollte — „was ist dabei zu ma, chen?" Er hatt« mit Soldano einen Spa,

ziergang gemacht.

Ich gestand ihm offen,

herzig, daß meine Erfahrung sich nicht wel,

ter erstreckte,

daß ichs

und

nicht wagen

möchte, neue Mittel zu »ersuchen, die viel, leicht eine nachtheilige Wirkung thu» könn, ttn.

Ich kenn« wohl einen Mann, setzte

ich flüchtig

der ihn vielleicht bald

hinzu,

gänzlich wieder Herstellen würd»;

wohnt tn Padua.

aber der

Wenn Sie Soldano da,

hin schicken könnten!

Antonio.

Ich muß selbst bald oach

Padua reisen, und könnte ja allenfal« einig« Tage früher — Wie heißt denn der Mann? Ich.

Ls ist der junge Doktor D., den

ich während meines vierzehnjährigen Aufent, halt« dort kennen lernte. thnung rechnen, die in sol, chen Verhältnissen weit zu führen pflegt; — oder sie mußte sich einbtlbsn, daß ich vor ihrer Beredsamkeit jitterte — und einem Manne gegenüber, der sich selbst so schwach fühlt, braucht man doch wohl für seine ©(# cherheit nicht« }u fürchten? — Zm letzter« Falle durst' ich erwarten, daß sie nur besteifriger darauf erpicht seyn würde, weine Keheret, die schon -um Rückzüge blte«, bnrch

einen neuen hitzigen Angriff vollend« in bis Flucht zu schlagen.

Al« ich in die Flüche trat, stellte stH

•8*h>

Y2

O—*•

Areangela, als wenn sie böse wLre, oder

war e« wirklich, welche« mich um Polio, Nirn« willen sehr freute; denn, da ich wäh, rend derMahlzeit auch einsylbig blieb, könn, te sie unmöglich glauben, wünschten,

beisammen zu

daß

wir beide

seyn — jumal,

da ich mich gleich nach Tische wieder em, pfähl.

Indessen entging e« mir nicht, daß

meine Lehrerin vor Berdruß errithete, al« ich sie so schnell verließ. Zn Pollonien« Ge,

genwart mochte ich aber ihr Schüler nicht

seyn: ich wünschte ein Privatissimum. Eine

halbe Stunde mochte ich auf meinem Zim, mer am Fenster stehend alle beschwerliche

fellschafrerinnen verwünscht und vergeben« überlegt haben, wie ich mir mit guter Ma,

nier die alte Hexe vom Halse schaffen könnte,

al« ich sie mit Marien au« dem Hause kom, men, und die Gaffe hinaufgehen sah.

Sie

trügen Buch und Rosenkranz, und gingen

also in die Kirche.

Mit ziemlich starkem

Herzklopfen stieg ich die Treppe hinab. Die Küche war verschlossen; ich klopfte und Ar, rangela fragte nach einigem Bedenken, wer •

-*-»

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®-*

da »Äre? Zhr Lehrling. — Sie hatte, yte es schien, nach seinem heutigen Betragen keinen Besuch von mir erwartet, und öffnete erst, als tch mit den Worten: „Zch sehe, daß tch Zhnen beschwerlich falle", schon wie, der umkehrte. «Ich hoffte nicht mehr", sagte sie empfindlich, „daß tch heute noch die Ehre haben würde" — Wenn Sie wüßten, liebe Freundin! welche Langeweile tch gehabt ha, 6e, Sie würden mich bedauern: aber ich kann da« Fratzengesicht der Pollonta nicht leiden, und entbehre lieber Zhre Unterhal, tung, als sie mir durch eine so widerliche Beimischung verderben zu lassen. Eine so liebe Gesellschaft, als die Zhrtge, mag ich mit Niemandem theilen. Sie reichte mir zum Zeichen der Vesihnung die Hand, und sagte, wahrend tch sie an meine Lippen drückte: „Sie kennen die Pollonta nur nicht, es ist eine recht gute Christin." Zch. Das will tch nicht läugnen; sie ist aber auch eine recht häßliche Christin, und würde mich gewiß nie zu ihrem Pro, selyten machen. Nur aus einem Munde

•S—o 94 »—*»le dieser — ich zeigte ihn nicht mit dem Finger — höre ich gerne, was ich nicht Hb,

ren sollte, well Ihre Theilnahme an mei­ nem Wohl Mir so über alle« theuer ist, daß

ich, trotz der Gefahr, bet lägen Beredsam­ keit dieser — Lippen — »nter-Uliegen, mich

darnach sehne, sie sich um meinetwillen öff-

n#n

-u sehen. — Arcangela war sehr —

gerührt: „(£« freut mich” sagte sie, „daß

Eie meine

gute Absicht erkennen,

wenn

Sie nur auch meinen guten Rath befolgen wollten! — Wie innig würde ich der heili­

gen Zungfräu danken, daß sie mich Ihre

Bekanntschaft machen ließ,

wenn Sie —

ihr auch dafür dankten!" —

— Man muß wissen, daß Ich Meine Ketze­ rei ärger gemacht hatte, als sie war.

Be­

kanntlich glaube ich, als guter Lutheraner,

an die Ewigkeit der heiligen Zungfrauschaft/

und doch hatte ich meiner Wirthin gesagt,

daß wir Protestanten dagegen protestirten. Da« gab zu mancher Erörterung über Ge­ genstände Anlaß, deren Beleuchtung

nur

die Hitze und Wichtigkeit des Streits unter

95

zwei

•-*

jungen Theologen von verschiedenen»

Geschlecht entschuldigen konnte. Für Arcangela war jener Lehrsatz der wichtigste in der

ganzen allein

selig machenden Dogmatik,

und- sie vertheidigte ihn mir einem Eifer, als wenn ihre eigene Ehre dabei auf dem

Spiel gestanden hätte. Opposition

mich

Da ich bei meiner

vorzüglich

auf physische

Gründe zu steifen wagte, so verleitete ich sie . dadurch, mir in ihrer Unschuld — Argu,

mente

von

derselben

Natur entgegen zu

sehen. Allein ihre Einsichten und Erfahrun­

gen waren nichts gegen die meinigen.

Mit

Erstaunen bemerkte ich, daß sie in diesem

Felde nur mit dem Kalbe ihres Mannes pflügte, welcher den schönen Boden viel zu oberflächlich bearbeitet hatte.

Zhre Gründe

waren so seicht, als man sie kaum von ei­ nem fünfzehnjährigen Landmädchen erwarten sollte.

Es jammerte mich, daß Signor An­

tonio

die Ausbildung ihrer

vorzüglichsten

Anlagen so sehr vernachlässigte, und ich be­

schloß, sie durch eine Demoustrazion ad he-

-r»-0 96 »*■*■ minem ober vielmehr ad feminam in den Stand zu sehen, die Stärke meiner Beweise contra virginitatem perpetuam einjusehen. Der erste Versuch glückte so vollkommen, daß wir hernach über diesen Punkt nie wie, der Streit bekamen. — —

97

IV. Dl«

Erinnerung an Arcangela

begleitete

mich auf meinem einsamen Spaziergänge

durch die Lombardei: sollte wohl ein Mtd, chen, wie Areangela war, in irgend tlneth glücklichen Lande auch außer dem Kloster

anzutreffen seyn?

fragte ich mich oft: ich

fand ein solche« Mädchen im Dauphin'», — sah ein Mädchen, in welchem sich die naiv, sie Unschuld

mit weiblicher Würde verei,

nigte. — Wer über einen hohen und steilen Berg

in ein langersehnte« liebliche« Thal hinun, tersteigt, ist gewöhnlich bet guter Laune und sehr gesprächig;

wenigsten« war ich«, al«

ich über den Mont de > Genevre auf Brian, $on herab stolperte.

Ein franjisischer Sol,

bet, der au« einem Dorfe tu kommen schien,

da« ohngefähr eine Stunde von der Straße

am Fuße der Alpen lag,gesellte sich zu mir. Er trug Schuhe, aber keine Strümpfe, und

wanderte so durch den hohen, lockern Schnee; L7 )

dabei sang er sich ein Liedchen. Zch redete ihn an: So lustig, Bürger? Wenn ich so barfuß im Schnee gehen müßte, würde ich schwerlich singen? — „Aussi,” sagte er, „je ne chante que pour m’echauffer. ” — Zch singe auch nur, weil mich friert. — Manche unsrer Dichter fielen mir ein: sind Sie vielleicht ein Dichter? fragte ick den Franzosen. — „Nein, ich bin ein Cham­ pagner;" und da< bewies er durch eine lange prosaische Schilderung feines Lebens und seiner Meinungen, worin sehr oft „la coquine de Republique ” vorkam. Endlich war er durch alle Hauptepochen seiner Geschichte bis auf den gestrigen Abend gekommen, und nun ward sie für mich in, rereffant. „Zch hatte keine Sohlen mehr unter „den Schuhen, und mußte also mit bloßen „Füßen auf dem Schnee gehen. Gestern „logirte ich bei einem Dauer, der mit seiner „ganzen Familie nach hiesiger Landersitle in «einem Stalle wohnte, — weil es den Leu,

-3*—o

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e-ye-

„tcn an Feuerung fehlt. Er war noch „ nicht vom Berge zurück, wo er, wie mir „seine Frau sagte, den ganzen Tag gearbei, „tet hakte, die Wagen des Regiments, zu „welchem Ich gehire, stückweise herübertragen „zu helfen. Zch schlief schon, als er Heime „kam. Er hatte bas Ueberleder meiner „Schuhe, welches ich nur mit Riemen an „meinen Füßen befestigen konnte, gesehen, „und war, so müde er apch seyn mochte, „ohne mich gesprochen zu haben, die ganze „Nacht aufgeblieben, sie mir zu besohlen: — „ denn die Dorfbewohner dieser Gegend „sind alle Schuster und Schneider für ihre „Familie. — Ale ich heute Morgen meine „Schuhe sah, war mir bange, er möchte „Gelb dafür fordern, und ich erklärte ihm „im Voraus, daß ich keinen Starb hätte. „Lieber Kamerad, sagte mein Wirth, ich „habe zwar auch weiter kein Geld, als die „dreißig Sols, die ich gestern auf dem Der» „ge verdient habe; aber wenn Zhr so viel „Zeit habt, so gehen wir zum Nachbar, der „Wein verkauft, und trinken eine Boutetlle

„zusammen, denn Ihr habt heute noch ei, „neu langen beschwerliche» Marsch. — — Wie hieß das Dorf? — fragte ich. „ Aux-nöyers.” Und Zhr Wirth? — „Klaube Thierry." Glückliche Reise, Kamerad! — „Was! Sie kehren um?" — Ja, ich gehe auxnoyers. — „Tiens! mais c’est plaisant, $a! Eh bien! bon voyage donc!” Wo wohnt Klaube Thierry? — fragte ich einen alten Man» aux. noyers. „Da unten!" sagte er, und zeigte auf eine prächtige — Stallthüre, die roth angestri, chen, und mit drei großen weißen Kreuze»« verziert war. Wenn ich damale schon mit der LandeSsitke bekannt geivesen wäre, so hätte ich aue der Anzahl der Kreuze, auf die Anzahl der Personen schließen können, welche Thiercy'e Familie ausmachten. Ich pochte — nicht etwa mit gebogene»» Zeigefinger, sondern wechselsweise mit mei­ nen beiden wohl benägelten Absätzen. Aber zwei Esel des Bürgers Klaude nnterhlclte»

IOI

sich eben inwendig so laut, daß die unbefie, derlei, jwetbelntgten Bewohner de» Stalle« keine Notiz von mir nehmen konnten. End, lich schwiegen jene, und man h-rte mich po# chen: Tin allerliebstes, fünfzehnjährige« Mädchen trat heran«, machte aber die Thü, re gleich hinter sich zu — wahrscheinlich, weil sie vermuthete, ich würde mich blo« nach dem Wege erkundigen, — nnd fragte, indem sie mit einem schbngeformten Händ, chen dle Spindel herum schnellte, in ihrem Patoi«: „Qu'est qu’ya ä vostre Service» citoyen?” — Wa« steht zu Diensten, Bür, ger? — Zch bin müde und möchte gern ein we< nig bet euch aueruhen, wenn ich euch nicht beschwerlich fiele. „ Recht gern; treten St« herein. — Der Bürger will ein wenig bet uns aueruhen, Vater! — und zu mir, indem sie eine klei, ne Bank) oder vielmehr einen Schemel in die Mitte de« Stalle« stellte — „setzen Sie sich!" -

-4°—»

102

Der Vater, welcher mit Ausbesserung einer Alpenbahre beschäftigt war, die er gestern Abend beschädigt hatte, sah mich mit rwei ehrlichen, wohlwollenden Augen au, und sagte, ohne sich in seiner Arbeit stiren zu lassen, zugleich mit seiner Tochter: „Setzen Sie sich!,, Zch setzte mich, und sah mich im Stall, zimmer um; ee war die Arche Noahs en miniature. Rechts am Eingänge standen zwei Kü, he, die mit enormen Ketten an ihre Krip­ pe gefesselt waren, und damit bet jeder De, wegung einen schrecklichen Lärm machten. Sie sahen sich von Zeit zu Zeit, lelsebrum, mend und mit so gutmüthigen Blicken nach der Gesellschaft um, daß ich glaube, sie würden ihre Freiheit nicht mißbrauchen, wenn man sie ihnen ließe. Es ist aber der Orb# nung wegen. — Sie fraßen eben eine Art Kürbisse. Ihre nächsten Nachbaren waren die beiden Esel, welche bei meiner Ankunft da­ große Wort hatten. Ihr Raum war an der linken Seite durch eine zwei Fuß hohe

ioj

***

Scheidewand begränjt, hinter welcher eine schwarze Sau ein ganz weißes Ferkel säug, le. Es fiel mir auf, daß sie nur eins hatte, und da ich nach Dortk's Klassificajlon der Rei, senden ein Curious traveller bin, machte ich ein Gesicht, wie einer, der schon man# ches gesehen hat, und fragte: Bekommen denn die Säue hier zu Lan# de------In diesem Augenblick bekam ich dort zu Lande einen derben Schlag zwischen die Schullern: betroffen wollte ich aufsprtngen; «e mißglückte aber, weil meine Gelenk« von der vie^ttlstündtgen Ruhe auf einem ungewihnlich niedrigen Sitze etwas steif ge# worden waren, und ich fiel, so lang ich war, neben meinem Schemel nieder. Nun sah ich, woher der Schlag oder vielmehr Stoß gekommen war. Ein bärtiger, ungast# freundlicher Ziegenbock stand mit gesenktem Kopfe neben mir, und schien nur zu war# len, daß ich einen Versuch machen sollte, aufjustehen, nun wieder auf mich auszufal# ien. Da mich aber in großen Gefahren

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Ip4

meine Gegenwart des Geistes nie verläßt, so blieb ich — weislich auf dem Rücken liegen, bis Jeannette — so hieß die Tochter meines WirrhS — mir zu Hülfe eilte. Sie sprang auf meinen Feind zu, gab ihm mit ihrer zusammen gewickelten Schürze einen weit ausgehoiten, aber leise auffallende» Schlag, der in ihrem Sinn wohl mehr De» lohnn ng für den ihr gemachten Spaß, als Strafe für seine Heimtücke seyn sollte, und führte ihn in einen Winkel, w» sie ihn für seine Unart ankertete. Der Vater fragte mich theilnehmend, ob ich mir wehe gethan hätte, und bat mich so dringend um Der» zeihung, als wenn er selbst der Ziegenbock gewesen wäre. Jeannette hatte lange zu thun, bis sie ihrem Gefangenen, der sich auch gegen sie empirte, die Kette um den Hais brachte: vielleicht blieb sie auch länger als nöthig war, um sich unbemerkt recht satt lachen zu können. Anfang« hatte mich da« Ding verdrossen; aber endlich mußte ich selbst laut lachen. Da kam Jeannette gesprungen, »nd akkompagnirte mich au« voller Lunge: ditf

•*»•* 105 Mutter verwies ihr selbst lachend, dich st«? lachte, der Vater lächelte, und die Esel, wel­ che sich überhaupt gern in zede ungewöhnlich laute Unterhaltung zu mischen schienen, machten Chorus. Zch hahe bet dieser Ge­ legenheit bemerkt, daß tyan nie so schnell, mit einander bekannt und vertraut wird, als >venn man recht herzlich — zusammen, lacht. Von dieseiq Augxnbiich an, wurde ich. so zutraulich behandelt/ als wenn ich zur Gesellschaft gehörte, so gut, wie die — Esel, Indessen hatte ich darüber vergessen, z« fragen, oh dort zu Lande die schwarzen Gäue, nur eiu weißes Ferkel bekomme«, und weist es heute noch nicht. Ich hatte jene Frage, bei welcher mit der Ziegenbock so unhöflich, in s Wort fiel, bloß, in der Hoffnung 6« gönnen^ einem Freunde, der mich immer um dergleichen Nachrichten quält, eine naturhistorischr Merkwürdigkeit melden zu können. So wurde ich, aber, wie weiland PliniuS, ein Märtyrer meiner, oder vielmehr seiner, Wißbegierde, und nahm mir vor, mich künf­ tig vor ähnlichen gelehrten Anwandlungen, zu hüten.

Ruhe und Ordnung waren hergestellt. Zhr Stirer meckerte in wohlverdienten Fes, sein, Zeannelte hatte sich wieder gesetzt, und dabei ihren Schemel dem meinigen um ei­ nen halben Fuß näher gerückt. Die Mut, ter, weiche in einiger Entfernung un« ge, genüber saß, und, mit einer hölzernen Schüs­ sel auf dem Schoße, einen röthlichweißen Kohlkopf zu Salat schnitt, sagte: nPrends donc garde, Jeannette; tu generaj lou Citoyen! ” Zeannetle achtete auf diese Erinnerung nicht; vielleicht hatte sie mir schon angemerkt, daß sie mich — auch wenn sie mir noch näher käme — gar nicht genieren wür, de: vielleicht fand sie auch den Zwischenraum von zwei Fuß, der unsere Sitze trennte, immer noch groß genug, — ich wenigsten« fand ihn in Gedanken zu groß. Die Mut, ter hatte auch wohl mit ihrer, meinem Ge, fühl nach, mehr al« überflüssigen Ermah, nnng, eigentlich nur dem Fremden zeigen wollen, daß sie wisse, wa« sich schicke, und ihre Tochter zu erziehen verstehe; wenigsten«

107 nahm sie weiter keine Notiz davon, daß diese sich nicht rührte. Sie legte bald das noch übrige Stück des Kohlkops« in die Schüssel auf ihrem Schoß, faßte sie mit der linken Hand, al« wenn sie eben damit aufstehen wollte, und stützte zugleich die rechte, die da- Messer hielt, auf« Knie, al« wenn sie noch lange so zu sitzen gedächte. Diese zweideutige Stel, lung kam daher, weil sie ungewiß war, wie lange meine Antworten auf einige Fragen, die sie mir thun wollte, sie aufhalten würden. «Sie sind wohl weit her, Bürger?" — Dreihundert, sieben und neunzig und elx ne halbe Meile von hier. — Ob ich da« so genau wußte? — Gar nicht, aber mir lag daran, meinen Wirthin, »en interessant zu werden, und dazu tragt e« nicht wenig bei, wenn man recht — weit her kommt. Da« wissen unsere Landeleute in den Gegenden, wo Französische Truppen — durchzogen. — Nun scheint aber Weibern, welche vielleicht in Praxi nie über hundert zu zählen Gelegenheit hatten, eine jede Zahl,

I08

*-•

die darüber hinaus geht,

e-* desto grtßer, je

länger sie auSjusprechen ist. Hätte ich z. D. rundweg gesagt: Tausend Meile«, so

wäre da« Jeannette« nicht halb so wett vor, gekommen, al« dreihundert, sieben und

neunzig und

«ine halbe.

Auch

rief

sie verwundert au«: „Ah! moun Faire, que c’ est Leng plus louin, que Grenoble! ** — Ach, Vater, da«

lst doch viel wetter al« Grenoble. —

Die Fragen

der Mutter haschten nun

«eine Antworten: „Lebt ihre Mutter noch?



Ist sie alt? —

Die ist wohl recht um

Pein Sorgen? — Haben Sie Geschwister? — Giebt e« noch Cibevant« bet Ihnen?

— Ist die Republik bi« zu Ihnen gekom­

men? —

Liest man denn noch Messe?"—

Bet un« liest man keine Messe; sagt« ich.

— „5Ba«! Sie sind doch wohl katholisch?"

— Al« neugieriger Reisender wollte ich doch sehen,

wa«

hier die Wahrheit auf meine

Wirthin für eine Wirkung thun würde, und antwortete: Ich bin, wie alle meine Land«, ieule, ein Ketzer.

•*—»

log

*■*

„€iin Ketzer!!" wiederholte die Mut' ter erschrocken, stand auf «nd that, als wenn

sie etwa« suchte,

um mir ihre unhSfliche

Bestürzung zu verbergen.

Zch sah deutlich-

daß nur die Schüssel mit dem Kohlkopf, die sie in der rechten Hand hielt, sie hinderte, sich unbemerkt zu kreuzen.

„Ein Ketzer!!"

wiederholte betroffen

Zeinnette, die- pendens narrantis ab ore, mir bei jeder vorhergehenden Antwort auf

die Fragen der Mutter, um einen Zoll ni, her gerückt war, — sprang auf, und stellte sich mir in gehSrtger Entfernung gegenüber.

Auf ihrem Gesichte kLmpften mit wechseln, dem Siege Abscheu, Mitleid und Neugier.

Sie

musterte

mich

mit

einem

sonderbar

Lngstlicken Blicke, den ich erst nicht verstand,

endlich fiel mir'« etn: ihre Augen suchten an mir — den Kuhschwanz und denPfer,

b e > oder D o ck « > Fu ß.

Al« sie aber nicht«

dergleichen gewahrte, behielt daü Mitleid in ihren Zügen die Oberhand.

Auf ihrem sch-,

«en Gesicht stand deutlich geschrieben! »Sch», de, daß der arme Mensch de« Teufel« Ist!"—

IIO

e-«-

Metne Aufmerksamkeit auf die Tochter hatte mich verhindert, zu bemerken, daß ihr Vater, bet meiner magischen Antwort seine Arbeit 'verlassen, und sich zutraulich neben mir auf Zeannettens Schemel gesetzt Hane. „Die Protestanten sind gute Leute, sagte er zu mir; sie bezahlen mich immer besser als dle Katholiken, wenn ich sie, oder ihre Sachen, über den Berg trage. Sie haben oft recht schöne Damen bet sich," fügte er hinzu, indem er sich nach seiner Frau um, wandte. Diese ließ sich aber weder durch unsere schönen Damen noch durch unsere besser« Bezahlung in ihrer Meinung über uns irre machen, woraus ich schloß, daß sie nicht sehr eigennützig sein müsse. Jeannette hatte sich indessen etwas genähert, als sie ihren Vater so unbefangen und zutraulich neben mir sitzen sah, und ihre Spindel kam wieder in Bewegung. „Nicht wahr, bei Ihnen zu Lande lauft man auch?" fragte mich der Vater. — Za, und wir gehen auch zum Abendmahl. —

III

Hier drehte sich bk Mutter wieder um, Jeannette stellte sich hart neben ihren Da» ter, und fragte, schon halb über da« Schick, sal meiner armen Seele beruhigt: „Lou Citoyen a donc aussi re$u lou bapteme?” Der Bürger ist also auch ge, tauft worden? — Oui, ma fille! — Oui Mademoiselle! — antworteten wir beide. „Und sie gehen auch zur Beichte?" fuhr sie fort. Mit ei, Niger Desorgniß, der Flor des Mitleids würde wieder ihr freundliches Lächeln ver, hüllen, antwortete lch: Wir gehen wohl zur Deichte, aber nicht so wie ihr; wir sagen dem Beichtvater nicht alles, was wir bäsrs thaten, sondern begnügen uns, ihm iffent, lich zu erklären, daß wir gegen alle Gebot« gesündigt haben, uud — — „Sündigt ihr denn so viel?" fragte die kleine Spitzbübin, und — als meine Ant, wort ihr etwas zu lange ausblteb, — fügte sie lächelnd hinzu: „Man muß gestehen; ihr macht euch die Beichte sehr leicht!" — Wie! erwiederte ich etwas verwundert, sollte

lia

4*-o

*-*$■

ZeänNetten da« Deichten schon schwer wer,

Len? — „Ach ja! recht schwer: unser Herr Pfarrer ist gar z« strenge! Er will immer,

man soll ihm recht viel Sünden sagen, und

ich habe ein so schlechte« Gedächtniß, daß ich Mich oft gar nicht« «Finnern kann. Die

Unschuld

erhalte

dir

lange

drin

schlechte« Gedächtniß! — dachte ich.

Allmäbltg hatte auch die Mutter sich von Ihrem Schrecken so weit erholt. Laß sie sich

wieder zu uns gesellte. Ihre Neugier siegte über den Rest von Bedenklichkeit, den sie noch gegen La«

Verkehr mit einem Ketzer

haben mochte, und um» entspann sich zwischen un« beiden rin für mich sehr drolligte« Ka