Studien zur Industriegeschichte des Erzgebirges 9783412304379, 9783412020675

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Studien zur Industriegeschichte des Erzgebirges
 9783412304379, 9783412020675

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MITTELDEUTSCHE

FORSCHUNGEN

HERAUSGEGEBEN VON REINHOLD OLESCH, WALTER SCHLESINGER, LUDWIG ERICH SCHMITT

Band 49

STUDIEN ZUR INDUSTRIEGESCHICHTE DES ERZGEBIRGES

VON SIEGFRIED SIEBER

© 1967

BÖHLAU

VERLAG

KÖLN

GRAZ

Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1967 by Bühlau-Verlag, Köln Gesamtherstellung: Franz W. Wesel, Baden-Baden Printed in Germany

INHALT Vorwort

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Erster Teil DAS E R Z G E B I R G E ALS I N D U S T R I E L A N D S C H A F T I. II. III. IV.

Grundlagen Vorstufen Geschichtlicher Ablauf des Industriezeitalters Einzelne Industriezweige 1. Von der Papiermühle zur Papierfabrik 2. Holzindustrie 3. Lederindustrie 4. Textilindustrie a) Flachs b) Wolle c) Baumwolle d) Seide e) Spitzenklöppeln f) Posamenten g) Stickerei h) Wäscheindustrie i) Strumpfwirkerei 5. Metallindustrie 6. Maschinenindustrie 7. Weitere Industriezweige a) Mühlen b) Steine und Erden c) Glasindustrie d) Uhrenfabrikation e) Strohflechten f) Allerlei Versuche g) Lebens- und Genußmittelindustrie h) Chemische Industrie V. Vergleich einiger Industriestädte VI. Die Menschen in der Industrie VII. Schluß

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Inhalt Zweiter

Teil

INDUSTRIEGESCHICHTE

VON AUE

I. Grundlagen 1. Ausnutzung der Wasserkraft 2. Verkehrsverhältnisse 3. Bodenschätze 4. Holz 5. Steinkohle 6. Weitere Naturprodukte . 7. öffentliche Einrichtungen 8. Bevölkerung a) Arbeiterschaft b) Organisationen der Arbeiterschaft 9. Geschichtlicher Ablauf der Industrialisierung I I . Einzeletappen der Industrialisierung 1. Vorstufen a) Gewerbe b) Mühlen c) Hammerwerke d) Hüttenwerke 2. Holzindustrie und verwandte Produktionszweige 3. Beginn der Textilindustrie 4. Von der Textilindustrie zum Maschinenbau 5. Weitere Auer Maschinenfabriken 6. Blechindustrie 7. Neusilberindustrie a) Geitners Erfindung und industrielle Tätigkeit b) Weitere Neusilberwarenfabriken 8. Wäscheindustrie 9. Weitere Industriezweige 10. Schlußbemerkungen

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QUELLEN UND LITERATUR Vorstudien und Schrifttum zum ersten Teil Schrifttum zum zweiten Teil KARTEN (am Schluß des Bandes) 1. 2. 3. 4. 5.

Grundkarte zur Industriegeschidite des Erzgebirges Die Bergstädte des Erzgebirges Hammerwerke und Eisenindustrie des Erzgebirges Metallindustrie des Erzgebirges Baumwollspinnereien im Erzgebirge um 1850

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VORWORT

Die zwei hier zusammengefaßten Studien sind in den Jahren 1961 und 1962 kurz nacheinander verfaßt worden. Obwohl unabhängig voneinander, ergänzen sie sich: Der I. Teil führt nidit wesentlich über das Jahr 1945 hinaus, der II. Teil berücksichtigt auch die Entwicklung bis 1962. Zunächst bestand nicht die Absicht, sie zum Druck zu bringen. Es sollten lediglich die Ergebnisse jahrzehntelanger wirtsdiaftsgeschichtlicher Vorarbeiten und die Erfahrungen aus eigenem Miterleben von mehr als einem halben Jahrhundert sehr bewegter erzgebirgischer Wirtschaftsgeschichte in Maschinenschrift einigen Bibliotheken zur Verfügung gestellt werden, um sie für künftig zu erhalten, zumal seit 1945 die erzgebirgisdie Wirtschaft unter völlig neuen Bedingungen arbeitet. Nachdem mir dann doch die Drucklegung angeraten worden ist, danke ich den Herren Professor Dr. W. Schlesinger und Privatdozent Dr. H . Wolf für ihre Bemühungen darum. Der Verfasser

Erster

DAS E R Z G E B I R G E ALS

Teil

INDUSTRIELANDSCHAFT

I. G r u n d l a g e n Wie kaum ein anderes Gebirgsland ist das Erzgebirge von Industrie durchsetzt. Seine Täler weisen bis hinauf zum Kamm hohe Schornsteine und breite fensterreiche Fabriken auf. Manchmal stehen am Talrand eines Dorfes erhöht wahre Industriepaläste, wie etwa in Auerbach i. Erzgeb. die riesigen Strumpffabriken. Weithin sichtbar ragen selbst auf trotziger Höhe mächtige, vielstöckige Bauten empor, ζ. B. die Bürstenfabrik Stützengrün. Da viele Betriebe Wassergräben von den Bächen und Flüssen abgeleitet haben, ist auch an deren oft halbleeren Betten deutlich erkennbar, wie sehr die Landschaft der Wirtschaft dienen muß, zumal die einst fischreichen Gewässer durch Fabrikabwässer verschmutzt und daher verödet sind. Auch lagern manche Betriebe, Hüttenwerke, Abfall und Schlacken im Gelände. Der Wald erleidet oft Rauchschäden von qualmenden Schornsteinen der Werke im Tal. Auf 36 qkm im Erzgebirge kommt eine Stadt. 46 Orte haben Stadtrecht. Auf 7 qkm kommt ein Dorf, darunter sind Bergflecken und Industriedörfer von 6000—8000 Einwohnern. Auf 5,4 qkm kommt ein Wohnplatz. Dabei blieben um den Fichtelberg und bei Eibenstock weitgedehnte Waldgebiete erhalten. Wie ist in dem einst unzugänglichen „Miriquidi"-Urwald, zwischen den „Hohen Wäldern" Christian Lehmanns, das Industrieland Erzgebirge entstanden? Natürliche Grundlagen dafür sind die vielen Wasserkräfte, der Holzreichtum und der Mineralgehalt unzähliger Erzgänge. Der karge Ackerbau auf steinigem Boden und bei rauhem Klima könnte selbst eine dünn in die Täler verstreute Bevölkerung nicht ernähren. Nachdem jedoch der Bergbau seit dem 12. Jahrhundert und dann erneut um 1500 immer wieder Scharen von Menschen in dies Gebirge hinaufgelockt hatte, mußten die Nachkommen der Zugeströmten, sobald der Ertrag der Bergarbeit zurückging, all ihre Fähigkeiten aufbieten, um sich dort zu behaupten. Audi muß erwähnt werden, daß der starke Bevölkerungszuwachs seit etwa 1830 die rasche Entwicklung der Industrie vorantrieb, aber natürlich mit ihrem Wachsen in Wechselwirkung stand. Bergwerks- und Waldarbeit wurde von Anfang an nur von Männern betrieben. Die Frauen und Mädchen suchten im Spitzenklöppeln, später im

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Das Erzgebirge als Industrielandschaft

Sticken und in vieler anderer Heimarbeit ihr Brot zu verdienen. Die ursprünglich als Bergbaustädte gegründeten Orte entwickelten reges Handwerk und Gewerbe, besonders Posamentenmadien, Strumpfwirkerei und Schuhgewerbe, zumal Schuh- und Lederarbeit schon für die Bergleute benötigt worden war. Selbst viele Dörfer besaßen starke Innungen, ζ. B. Schönheide mit seinen zahlreichen Gewerben. Im Bergbau und Hüttenwesen hatten die Männer wertvolle technische und diemische Erfahrungen erworben, die von Praktikern mündlich, aber auch durch bedeutende Bücher, wie die des Georgius Agricola oder Lazarus Ercker, weitergegeben wurden. Welche Handwerksfertigkeit brauchten die Zimmerlinge in der Grube! Wie waren die Schmelzer der Hüttenwerke mit allen Feinheiten der Silber- und Zinnöfen vertraut! Vollends ist an die jahrhundertelange Arbeit der Hammerschmiede an dem wichtigen Rohstoff Eisen zu erinnern! So wurde der Erzgebirger ein vielseitig praktischer, erfinderischer Mensch, der nicht nur viele Fertigkeiten beherrschte, sondern auch neue Nutzbarkeiten erwog und Verbesserungen ersann. Holzschnitzen und Klöppeln erzogen beide Geschlechter zu feiner kunstgewerblicher Arbeit. Auch mag das Zuwandern von Menschen aus verschiedenen deutschen Stämmen, besonders aus Franken mit dem betriebsamen Nürnberg, gegenseitig anregend und fördernd gewirkt haben. Bergleute brachten von ihren weiten Zügen bis nach Ungarn und Norwegen oder in den Ural neue Kenntnisse mit. Handwerker lernten viel auf Wanderschaft, Hausierer und wandernde Bergmusikanten kamen durch ganz Deutschland. All das hat den erzgebirgischen Menschen als Träger dieses außerordentlichen Gewerbefleißes geformt, und in dieser Beziehung wird das Erzgebirge kaum von anderen Landschaften übertroffen. Bergbau, Hüttenwesen, Handwerk, Klöppelei schufen zuverlässsige Glieder der technisch bestimmten Wirtschaft. Natürlich erstreckte sich die Wirkung der vom Erzgebirger geschaffenen Industriezweige über die Grenze gegen Böhmen, die zu einem guten Teile auf dem Gebirgskamm verläuft, denn beiderseits des Kammes wohnten Menschen gleicher Art. So fanden fast alle sächsischen Industriezweige am böhmischen Gebirgshang ihre Entsprechung: Posamenten, Handschuhfabrikation, Spielwarendreherei, Stickerei, Strohflechten, wie ja schon der Bergbau auf beiden Gebirgsseiten gleicherweise den Erzgängen nachschürfte und die Klöppelei von sächsischen auf böhmische Orte übergriff. Mit den Städten des mittelsächsisdien Vorlandes stand und steht das Erzgebirge in regem Austausch und erhält von diesen starke Impulse. Zwickau war lange Zeit besonders für den erzgebirgischen Bergbau wichtigster Zubringerort. Im 19. Jahrhundert bot es der Industrie des Gebirges seine Steinkohlen. Chemnitz (Karl-Marx-Stadt) erlangte erst gegen 1800 größeren Einfluß auf sein südliches Nachbargebiet, besonders durch seine Strumpfwirkerei und seine Webindustrie. Dresden hat als Landeshauptstadt und durch enge Beziehung zu den Tälern des Osterzgebirges auf dessen Wirtschaft eingewirkt.

Vorstufen

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Doch sollen diese drei Großstädte i. A. aus unserer Betrachtung ausgeklammert bleiben, da sie nicht eigentlich zum Erzgebirge gehören und sich ζ. T. anders entwickelt haben. Zum Vogtland bestanden schon der ähnlichen Landschaft und des verwandten Volksschlages halber gute Beziehungen. Erzgebirgisdier Bergbau und zugehöriges Hüttenwesen griffen auch nach dort aus, wie Schneebergs Bergrevier weit nach Westen reichte, Eibenstocker und Plauener Stickerei zusammengehören, Handklöppelei des Erzgebirges zur Maschinenspitze des Vogtlandes Beziehungen hat und Musikinstrumente nicht nur in den „Klingenden Tälern", sondern auch in Johanngeorgenstadt und Carlsfeld fabriziert wurden. Bürstenmacher wohnen beiderseits des Kuhberges, der sowohl zum Erzgebirge als auch nach dem Vogtland ausschaut. Der Staat hat die erzgebirgische Wirtschaft zuerst unter Kurfürst August im 16. Jahrhundert stark gegängelt, später durch die großräumige Verkehrsund Wirtschaftspolitik Augusts des Starken zum Erfolge beigetragen. Im 19. Jahrhundert gaben der Übergang zum Verfassungsstaat 1831 und die Gewerbefreiheit seit 1861 kräftige Impulse. Schlimme Erschütterungen brachten die beiden Weltkriege. Der Verkehr nutzte seit alters Höhenwege. Erst gegen 1900 baute man Talstraßen, nachdem schon seit 1858 die Eisenbahn in die vielgewundenen Flußtäler eingedrungen war. Obwohl zu erstaunlich vielen abgelegenen Orten Kleinbahnen hinaufgeführt worden sind, fehlten doch wichtige Querverbindungen (mit Ausnahme der Linie Schwarzenberg—Annaberg). Aber seit 50 Jahren hat der Kraftwagen diese Aufgabe bewältigt und die parallel gen Norden gerichteten Wirtsdiaftsstreifen eng aneinander gefügt.

II. V o r s t u f e n Abgesehen vom Bergbau, in dem viele Elemente industrieller Art vorhanden waren, könnte man die Hammerwerke des Erzgebirges als eine Vorstufe der Industrie bezeichnen. Es ist erstaunlich, welche erfolgreiche Eisenarbeit mit Hilfe der Wasserkraft, die Mühlräder drehte, schwere Hämmer hob und Blasebälge in Gang hielt, in den eisenerzreichen Tälern jahrhundertelang betrieben worden ist. Sicherlich seit Beginn des Silberbergbaus, der 1168 Freiberg entstehen ließ, wurde heimisdies Eisenerz gefördert, geschmolzen und gehämmert. 1340 kommt die erste Nachricht darüber aus der Lauensteiner Ecke im Osterzgebirge. 1380 ist der Erlahammer bei Schwarzenberg erwähnt, der jahrhundertelang seine Eisenarbeit fortgesetzt hat und jetzt Maschinenfabrik ist, wie überhaupt die Zusammenhänge des Hammerwesens mit heutiger Industrie vielfach zutage treten. Eisenvorkommen in der Nähe, Wasserkräfte, Holzkohlen der umgebenden Wälder bestimmten den Standort all der großen und kleinen Eisenwerke. Über hundert Hammerwerke sind im Erzgebirge feststellbar, darunter viele bedeutende Eisenhütten.

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Das Erzgebirge als Industrielandschaft

Man schmolz das Eisenerz zuerst in Gruben mit Hilfe von Holzkohlen und nannte diese Arbeitsstätten „Waldworchten", Werke im Walde. Sehr früh sind diese herunterverlegt worden ins Tal an das Wasser, um dessen Kraft zu nutzen. „Rennfeuer" (von „rinnen machen") schmolzen hier das Erz; das waren Herdöfen mit einer Vertiefung, in der das flüssige Eisen schwammartig sich zusammenballte. Dann mußte mit hölzernen Hämmern die Luft aus diesem Klumpen ausgetrieben werden. Der nächste Fortschritt waren die Wolfsöfen, die einen Klumpen (== Wolf) von Schmiedeeisen lieferten. Erst nach 1500 kamen Hochöfen auf, in deren 5—6 m hohen turmartig gemauerten Schächten man täglich eine Tonne Roheisen gewinnen konnte. Im östlichen Erzgebirge war anfangs neben anderer Eisenarbeit der Eisenkunstguß hochentwickelt. Besonders die Gießhütte des Hans Rabe in Berggießhübel brachte seit 1520 sehr schöne Ofenplatten hervor, an deren Reliefs treffliche Künstler mitarbeiteten, um feine Werke der Renaissance zu gestalten. Noch im 17. Jahrhundert waren auf dem Gebiet des Ofengusses im Osterzgebirge die Hämmer Bahra, Kleppisch, Neidberg, Kammerhof sehr angesehen. Schmiedeberg bei Dippoldiswalde trägt seinen Namen von alter bedeutender Hammerarbeit. Für den Bergbau der neugegründeten Silberstädte Schneeberg, Annaberg, Buchholz, Marienberg usw. wurde ununterbrochen Eisen gebraucht, und viele Hammerwerke bei Schwarzenberg, Markersbach und Aue sandten regelmäßig ihre Wagenladungen Bergeisen in die Bergämter. Bis dahin war ein Hammerwerk mit seinen technischen Einrichtungen noch ein ausgeweiteter Handwerksbetrieb, in dem der Hammermeister gemeinsam mit seinen Gesellen arbeitete. Zu „Bergfabriken" aber wurden diese Eisenhütten, seit der weitblickende Unternehmer Andreas Blau aus Nürnberg 1537 in dem an Eisen und Zinn reichen Waldland bei Eibenstock das große, nach ihm benannte Hammerwerk Blauenthal gründete, wo Eisenerz im Hochofen geschmolzen, in der Stabhütte in Stäbe geschmiedet, in der Hammerhütte von verschieden geformten, durch Mühlräder bewegten Hämmern zu Blech gehämmert wurde, worauf im Zinnhaus die Bleche in flüssiges Zinn getaucht und alsbald als Weißblech weithin verkauft wurden. Hatte der Dreißigjährige Krieg die aufblühenden Hammerwerke großenteils zerstört, so begann unmittelbar danach mit dem Wiederaufbau deren große Zeit. Die meisten der vorwiegend um Aue und Schwarzenberg liegenden großen Blechhammerwerke schlossen sich zu einer Art Konzern zusammen, der „Erzgebirgischen Blechkompanie", die ihr Hauptlager in Schneeberg unterhielt, weitere Lager in Leipzig, Lüneburg, Hamburg hatte. Alljährlich rechnete sie zur Leipziger Ostermesse über den Verkauf der von den Werken gelieferten Schwarz- und Weißbleche ab. Ihre Handelsverbindungen reichten nach England, das 1650 durch einen Industriespion in Aue die Weißblechfabrikation auskundschaften ließ, nach Amerika, Rußland, Indien, selbst Armenien. Weißblech und Eisen-

Vorstufen

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waren blieben bis gegen 1800 Hauptausfuhrartikel des Erzgebirges. Eiserne Öfen — überhaupt Eisenguß —, traten dagegen zurück. Die Hammerwerke und Rohrschmieden bei Oberwiesenthal und Olbernhau lieferten Eisen für Gewehrschmiede, die ähnlich wie im benachbarten Preßnitz und Weipert auf böhmischer Seite, nicht nur Gewehre, Flinten, auch Jagdwaffen herstellten, sondern ζ. T. feine Beschläge und Verzierungen oder Gravierungen auf besonders kostbaren Waffen anbrachten. Einige sind im Dresdner Museum erhalten. Das Olbernhauer Werk, als eine Manufaktur entwickelt, versorgte die sächsische Armee mit Waffen. Als deren Bestellungen aufhörten, begannen die Gewehrmacher Kinderflinten anzufertigen, womit sie sich gut in den Spielwarenwinkel einpaßten. Übrigens hatte schon für den Krieg des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich gegen Karl V., den Schmalkaldischen Krieg, der 1547 mit der Schlacht bei Mühlberg endete, der Kugelhammer in Schwarzenberg Kugeln geschmiedet. Hammer Kleppisch im Osterzgebirge lieferte um 1674 Geschütze nach Holland. Eine Sonderstellung unter den erzgebirgischen Hammerwerken nahm Kupferhammer Grünthal ein, verbunden mit der Saigerhütte Grünthal, einer bemerkenswerten kapitalistischen Gründung des 16. Jahrhunderts. Eine Saigerhütte, wo Silber von Kupfer getrennt wurde, gab es außerdem in Chemnitz, und Georgius Agricola hat dort seine Hüttenstudien getrieben. Das bekannteste Beispiel für erzgebirgische Hammerwerke ist der Frohnauer Hammer, ein wertvolles und vielbesuchtes technisches Museum. Ursprünglich Mühle, zeitweise Prägestätte für Silbermünzen, scherzhaft „Mühlsteine" genannt, wurde hier nach mehrfachen Versuchen 1656 beim Wiederaufbau nach dem Großen Kriege ein Hammerwerk eingerichtet, das bis 1904 gearbeitet hat. Aus ihm sind ausgezeichnete Eisenarbeiten hervorgegangen. Aber dies kleine, wohlerhaltene Werk war nur einer der vielen kleinen Hämmer des Erzgebirges. Frohnau besaß nicht wie die großen Bergfabriken einen Hochofen zum Eisenschmelzen, sondern mußte sein Roheisen beziehen. Auch fehlten die wuchtigen Blechhämmer und das Zinnhaus zum Verzinnen des Bleches. In Frohnau wurde nur treffliche Handwerksarbeit geleistet, weder Blech fabriziert noch Eisenguß hervorgebracht. Aus der großen Zahl der Hämmer seien noch zwei als Beispiele für die Arbeit und die Schicksale solcher Werke ausgewählt. Der kleine Hammer Dorfchemnitz im Kreise Brand-Erbisdorf (im andern Dorfchemnitz bei Thalheim hat es audi ein Hammerwerk gegeben) wurde 1567 gegründet, nutzte Eisenerze aus der Nähe und belieferte Freiberg mit Bergeisen. Der bescheidene Chemnitzbach, der das Werkdien trieb, mußte noch zwei Getreidemühlen, drei Ölmühlen und im 19. Jahrhundert drei Stuhlfabriken mit Wasserkraft versorgen. Der Hammer lieferte noch um 1900 Röstschaufeln, Pochschuhe, Kellen für Freiberger Schmelzhütten, Glühschalen, auch Kurbelwellen oder Stahlkugeln für Kugelmühlen. 1931 fand er sein Ende, wogegen Werk Lan-

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Das Erzgebirge als Industrielandschaft

genrinne bei Freiberg sich als Zweigwerk des Preß- und Schmiedewerkes „Einheit" in Brand-Erbisdorf bis heute behauptete. Oder ein Beispiel aus dem westlichen Erzgebirge: Hartmannsdorf bei Kirchberg besaß ein altes Hammerwerk, wie auch sonst Hämmer in Kirchbergs Nachbarschaft das dortige Eisenerz nutzten. 1830 wurde der Hammer umgewandelt in eine Schafwollspinnerei mit 300 Spindeln. Sie brannte 1875 ab. Erst 1887 nutzte man erneut die Wasserkraft für eine Wattefabrik, aus der schließlich eine Wollreißerei und Steppdeckenfabrik hervorgegangen ist. Mehrere Orte im Erzgebirge heißen Schmiedeberg aufgrund ihrer Eisenarbeit; außer dem großen Kammort auf böhmischer Seite nahe Weipert sind bei Wolkenstein Ober- und Niederschmiedeberg zu nennen, auch sie mit alter Hammerwerkstradition, und im Osterzgebirge liegt bei Dippoldiswalde ein gleichnamiger Ort. Im 17. Jahrhundert wie die meisten größeren „Bergfabriken" Blechlieferant, bekam das Eisenwerk Schmiedeberg 1839 einen neuen Hochofen und ein Gießereigebäude. Es arbeitete für den Mühlenbau, produzierte im 2. Weltkrieg mit 1600 Arbeitern Granaten und wurde deshalb 1945 demontiert. Aber seit 1946 fließt erneut das Eisen glühend aus den Öfen. Unmittelbar abhängig von den Roheisenlieferungen der großen Eisenwerke wirkten Tausende von Löffelschmieden in Grünhain, Beierfeld, Bernsbach, Aue und Zschortau. Sie lieferten jährlich Millionen Dutzend Löffel in 14 verschiedenen Größen und Formen. Plattenschmiede bearbeiteten grob die von Hammerwerken gelieferten Platten, Löffelschmiede führten die Feinarbeit aus, und in Zinnhäusern, deren Beierfeld allein acht besaß, wurden sie verzinnt. Hausierer und Jahrmarkthändler vertrieben sie in ganz Deutschland. Der Versuch, diese Löffelmacherei Ende des 18. Jahrhunderts zu einer großen Organisation zusammenzuschließen und für die Ware in Aue ein Hauptlager zu schaffen, scheiterte daran, daß die vielen kleinen Meister nicht unter einen Hut zu bringen waren. Vom Eisen der Hammerwerke gingen auch Tausende von Nagelschmieden aus, die in dürftigen Werkbuden handgeschmiedete Nägel herstellten, vor allem in Elterlein, Scheibenberg, Markersbach und Raschau. Sodann war Eibenstock im 17. und 18. Jahrhundert der Sitz regsamer Klempnerei für Laternen und ähnliche Waren. Schönheider Ofenrohre wurden durch „Röhrenschieber" auf Schiebböcken hausierend weithin gebracht. Von solchen ambulanten Händlern, die Schiebböcke mit erzgebirgischen Waren durchs Land karrten, hat der „Schiebböcker" seinen Namen, das ist ein Butterbrot mit Käse in der Schenke, wo die ermüdeten Hausierer zu bescheidener Rast einkehrten. Nadler, in Ober- und Unterwiesenthal noch 1846 30 Meister, verarbeiteten Draht aus den bei manchen Hammerwerken vorhandenen Drahthütten, ζ. B. aus Rothenthal bei Olbernhau oder dem Messinghammer Niederauerbach. Hatten doch die Tausende erzgebirgischer Klöpplerinnen einen gewaltigen Bedarf an Nadeln. Aber auch mit dieser Ware, besonders Haar-

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und Stecknadeln, zogen Hausierer umher. Teilweise wurden die erzgebirgischen Erzeugnisse als „Karlsbader Nadeln" den Käufern angepriesen. Das Ende der Hammerwerkszeit kam, als die Engländer, die seit dem 17. Jahrhundert das erzgebirgisdie Weißblech nachgeahmt, aber dessen Güte nicht erreicht hatten, um 1780 das Walzen der Bleche erfanden, infolgedessen besser und billiger liefern konnten als altmodische Werke, die das Blech aus Stäben hämmerten. Noch hielt Napoleons Festlandsperre bis 1813 die englische Konkurrenz fern, dann aber mußten fast alle großen Eisenhütten des Erzgebirges ihre Arbeit einstellen, und bittere Not zog bei den Hammerleuten ein. Wenige „Bergfabriken" versuchten noch, statt der alten Hammeranlage Walzwerke einzubauen. Doch fehlte es nadi den Freiheitskriegen überall an Geld. In Rittersgrün scheiterte 1818 die Modernisierung, weil die Wasserkraft zu schwach war. Wittigsthal setzte 1828 das erste sächsische Eisenwalzwerk in Betrieb. In Erla kam das Walzwerk 1837 zustande. In den 30er Jahren nahmen der Pfeilhammer in Pöhla, Schönheiderhammer, Wildenthal, auch Arnoldshammer das Walzen auf. Im Osterzgebirge wurde das Eisenwalzwerk Obercarsdorf nach 1880 stillgelegt. Blauenthal behauptete sich mit eigenem Hochofen noch bis um 1850. Morgenröthe konnte sich durch Glockenguß bis in unsere Zeit halten, und Pfeilhammer wurde berühmt durch den Guß eiserner Öfen. Die vielen kleinen Zeug- und Scharhämmer, wie ζ. B. der Frohnauer, die Roheisen von den großen Eisenhütten bezogen hatten, mußten ebenfalls mit der Zeit ihre Hämmer stillegen, weil sie Eisen nur noch schwer beschaffen konnten. Auf der breiten Basis der Eisenerzeugung und -Verarbeitung entwickelte sich allmählich die erzgebirgisdie Industrie der Maschinen, Blech- und Emaillierwaren, Haushalt- und Küchengeräte sowie die an alte Löffelmacherei anknüpfende Besteckindustrie. Denn Männer, die Eisen gießen, Maschinenteile fertigen konnten, gab es in den Hammerorten genug, hervorragende Praktiker, erfahrene Kenner von Eisen und Blech. An Klempnern fehlte es ebensowenig, und von den Löffelmachern, deren letzte nach 1860 bereits mit Maschinen Blechlöffel stanzten statt schmiedeten, besonders in Grünhain und Lauter, führt eine gerade Linie zu den Neusilberwerken von Aue. So kann man das Eisenhammerwesen des Erzgebirges nicht vergessen, wenn man die Entwicklung der Industrie dieser Landschaft betrachten will.

III. G e s c h i c h t l i c h e r A b l a u f des

Industriezeitalters

Außer den „Bergfabriken", wie die Eisenwerke und Schmelzhütten nicht mit Unrecht bezeichnet werden, weil dort Maschinen mit Wasserkraft betrieben, chemische Umwandlungen vorgenommen und zahlreiche Arbeiter beschäftigt wurden, haben den Übergang zur Industrie im Erzgebirge mit vor-

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und Stecknadeln, zogen Hausierer umher. Teilweise wurden die erzgebirgischen Erzeugnisse als „Karlsbader Nadeln" den Käufern angepriesen. Das Ende der Hammerwerkszeit kam, als die Engländer, die seit dem 17. Jahrhundert das erzgebirgisdie Weißblech nachgeahmt, aber dessen Güte nicht erreicht hatten, um 1780 das Walzen der Bleche erfanden, infolgedessen besser und billiger liefern konnten als altmodische Werke, die das Blech aus Stäben hämmerten. Noch hielt Napoleons Festlandsperre bis 1813 die englische Konkurrenz fern, dann aber mußten fast alle großen Eisenhütten des Erzgebirges ihre Arbeit einstellen, und bittere Not zog bei den Hammerleuten ein. Wenige „Bergfabriken" versuchten noch, statt der alten Hammeranlage Walzwerke einzubauen. Doch fehlte es nadi den Freiheitskriegen überall an Geld. In Rittersgrün scheiterte 1818 die Modernisierung, weil die Wasserkraft zu schwach war. Wittigsthal setzte 1828 das erste sächsische Eisenwalzwerk in Betrieb. In Erla kam das Walzwerk 1837 zustande. In den 30er Jahren nahmen der Pfeilhammer in Pöhla, Schönheiderhammer, Wildenthal, auch Arnoldshammer das Walzen auf. Im Osterzgebirge wurde das Eisenwalzwerk Obercarsdorf nach 1880 stillgelegt. Blauenthal behauptete sich mit eigenem Hochofen noch bis um 1850. Morgenröthe konnte sich durch Glockenguß bis in unsere Zeit halten, und Pfeilhammer wurde berühmt durch den Guß eiserner Öfen. Die vielen kleinen Zeug- und Scharhämmer, wie ζ. B. der Frohnauer, die Roheisen von den großen Eisenhütten bezogen hatten, mußten ebenfalls mit der Zeit ihre Hämmer stillegen, weil sie Eisen nur noch schwer beschaffen konnten. Auf der breiten Basis der Eisenerzeugung und -Verarbeitung entwickelte sich allmählich die erzgebirgisdie Industrie der Maschinen, Blech- und Emaillierwaren, Haushalt- und Küchengeräte sowie die an alte Löffelmacherei anknüpfende Besteckindustrie. Denn Männer, die Eisen gießen, Maschinenteile fertigen konnten, gab es in den Hammerorten genug, hervorragende Praktiker, erfahrene Kenner von Eisen und Blech. An Klempnern fehlte es ebensowenig, und von den Löffelmachern, deren letzte nach 1860 bereits mit Maschinen Blechlöffel stanzten statt schmiedeten, besonders in Grünhain und Lauter, führt eine gerade Linie zu den Neusilberwerken von Aue. So kann man das Eisenhammerwesen des Erzgebirges nicht vergessen, wenn man die Entwicklung der Industrie dieser Landschaft betrachten will.

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Außer den „Bergfabriken", wie die Eisenwerke und Schmelzhütten nicht mit Unrecht bezeichnet werden, weil dort Maschinen mit Wasserkraft betrieben, chemische Umwandlungen vorgenommen und zahlreiche Arbeiter beschäftigt wurden, haben den Übergang zur Industrie im Erzgebirge mit vor-

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bereitet die Spitzenklöppelei und das Posamentenmachen, die der Manufaktur manchmal schon nahekommen. Eigentliche Manufakturen, arbeitsteilige maschinenlose Betriebe sind im Erzgebirge nicht sehr häufig. Als Beispiel dient am besten die Manufaktur für leonische Waren in Freiberg, die 1687 begann und als Firma Thiele und Steinert noch im 19. Jahrhundert weitberühmt war. Gelegentlich finden sich im 19. Jahrhundert Nähstuben der Spitzenherren in Schneeberg oder Stickereihandarbeit in Eibenstock manufakturartig in einem Gebäude vereinigt. Kapital war schon im Bergbau besonders auf Zinn und Eisen in Form des Verlages unentbehrlich, und bald spielte auch im Klöppelwesen das Verlegertum die führende Rolle, nachdem anfangs die Klöppelspitzenhausierer den Vertrieb übernommen hatten. Wanderhandel ist überhaupt maßgeblich am Wirtschaftsleben des Erzgebirges beteiligt gewesen. Wurden doch Spitzen, Arzneien (aus Bockau, Sosa, Jöhstadt, Eibenstock), Löffel, Klempnerwaren, Tuche, Bürsten und viele andere erzgebirgische Erzeugnisse von Hausierern vertrieben. Die Handwerker erzgebirgischer Städte beteiligten sich mehr an Jahrmärkten, bezogen ζ. B. gern den seinerzeit berühmten Dresdner Jahrmarkt. Aus einigen Handwerken entstand allmählich Industrie, ζ. B. Schuhmacherei, Strumpf wirkerei. Arbeitsteilung war schon in vielen heimischen Betrieben und Berufen stark ausgebildet, etwa bei den Hammerschmieden, Löffelmachern, Hüttenwerkern. Fabriken entstanden teils aus Handwerksbetrieben, teils aus hausindustriellem Verlagsgewerbe oder gleich unmittelbar als planmäßige Fabrikanlage, für die Einsatz von Maschinen, vor allem Dampfmaschinen, wesentlich ist. Dies geschah ungefähr mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, und auf die von da bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts abgelaufene Zeit bezieht sich in der Hauptsache unsere Darstellung der erzgebirgischen Industriegeschichte. Ihre Anfänge gerieten sogleich in die schwere Zeit der napoleonischen Kriege, doch wurden gerade durch diese und die Festlandssperre gegen Englands Waren manche Industriezweige gefördert. Erzgebirgische Unternehmer nutzten die Gunst der Lage, das Fehlen englischer Konkurrenz. Aber unmittelbar nach der Völkerschlacht bei Leipzig geriet das Erzgebirge doppelt in Not; denn nicht nur, daß England jetzt seine auf Stapel gearbeiteten Waren zu billigsten Preisen auf den europäischen Markt warf, sondern der schwerste Schlag für den Absatz erzgebirgischer Waren, besonders durch Wanderhändler, war die Halbierung Kur-Sachsens durch den Wiener Kongreß. Als Preußen die von ihm annektierten Gebiete um Torgau, Wittenberg, Naumburg 1819 durch Zölle sperrte, war der Austausch erzgebirgischer Waren wie Spitzen, Löffel, Arzneien usw. gegen Getreide aus diesen fruchtbaren Ländereien gestört. Und dazu kam noch eine Mißernte, die in höher gelegenen Gebirgsorten schwere Not hervorrief. Sogleich begannen viele nach Amerika auszuwandern, und vor 1830 schwoll der Auswandererstrom schon bedenk-

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lieh an. Mindestens zogen viele aus dem Gebirge hinunter nach Zwickau, ζ. B. Bergleute des nachlassenden Erzbergbaus in die Zwickauer Kohlensdiächte, nach dem aufblühenden Chemnitz, nach Dresden oder gar Berlin. Umgekehrt zogen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bei lebhaftem Ausbau unserer Industrie viele kaufmännische und technische Fachkräfte aus Sachsen und endlich aus ganz Deutschland in die Industrieorte herauf. Der Deutsche Zollverein 1833 besserte die Lage unserer Wirtschaft wesentlich, ja mit dem dadurch hervorgerufenen Aufschwung der deutschen Industrie im ganzen begann eigentlich erst das Zeitalter der erzgebirgischen Industrie. Zahlreiche Mühlen wurden in hochstöckige „Spinnmühlen" umgebaut, von denen heute noch einige auffällige Gebäude übrig sind. Auch gänzlich neue Gründungen erfolgten, wie etwa 1836 in Aue die Lauknersche Spinnerei, die Holbergsche Bleicherei und die Mechanische Weberei Auerhammer, die Rohbaumwolle bezogen, im Auer Tal mit Hilfe seiner Wasserkräfte verarbeiteten, um die gewebten Stoffe auf Pferdefuhrwerken wieder zu versenden. Bis 1831 hatte man Spinnereien aufs Land an Bäche gelegt. Danach traten sie häufiger in Städten auf. Allerdings ging die technische Entwicklung zu langsam vorwärts. Die Fabrikgründer stellten sich zu sehr auf billige Arbeitskräfte ein, Wasserkraft sowohl wie Menschenhände, und die vielen kleinen Spinnmühlen waren räumlich zu beschränkt, um wesentliche technische Fortschritte zu versuchen. Die Mißernte von 1847 brachte viele Gebirgsdörfer in Not, und die darauf folgende Revolution von 1848/49 erregte starke Unruhe im Gebirge, man denke an den Maschinensturm der Nagelschmiede auf die neuen Nagelfabriken zu Elterlein und Markersbach. Das waren harte Rückschläge für die erzgebirgische Industrie. Auch verstärkte sich die Auswanderung nach Amerika als Folge der mißglückten Revolution; denn an den Maikämpfen in Dresden 1849 hatten viele Erzgebirger teilgenommen, die nun flüchten mußten. 1861 wurde in Sachsen die Gewerbefreiheit eingeführt und eröffnete neue Erwerbsmöglichkeiten. Manche Handwerker, vom Zunftzwang frei, konnten ihre Betriebe vergrößern und sie allmählich zu Fabriken ausbauen. Gerade recht kam der Bau von Eisenbahnen. Sie brachten Rohstoffe und Kohlen, aber auch Lebensmittel herauf, so daß fortan keine Mißernte, wie sonst so häufig im Gebirge, Hungersnot hervorrufen konnte. 1852 verband die erste Bahn, bezeichnenderweise „Erzgebirgische Eisenbahn" genannt, Chemnitz mit dem Elbhafen Riesa, und dadurch bekam Chemnitz noch größere Bedeutung für die erzgebirgische Wirtschaft. Die Bahn Zwickau—Aue—Schwarzenberg, 1858 gebaut, um Eisenerz vom Rotenberge bei Erla zur Zwickauer Steinkohle zu befördern, trieb ungemein rasch die Industrialisierung in dem von dieser Lebensader erreichten Gebiet voran. Denn nun konnte allenthalben nahe der Bahn die Dampfkraft statt oder neben der Wasserkraft eingesetzt werden. Ein Beispiel dafür bot bald die Bodemersdie Spinnerei in Zschopau mit einer

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Kombination von Wasser- und Dampfkraft. Ferner erleichterte die Bahn die Verbindung zur Leipziger Messe, die schon immer Ausfallstor erzgebirgischer Waren gewesen war, nun als Warenmesse viel leichter beschickbar. Gleich danach drang die Eisenbahn auch bis Annaberg vor, und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde im Erzgebirge ein Eisenbahnnetz ausgebaut, das fernste Täler wie Carlsfeld oder Geising mit der Weltwirtschaft verknüpfte. Man kann in Chroniken vieler Orte feststellen, wie unmittelbar nach Anschluß an den Schienenstrang Fabriken gegründet wurden und sich die örtliche Wirtschaft lebhaft entwickelte. Allerdings unterbrach die Baumwollhungersnot nach 1861 jäh den Aufstieg der erzgebirgischen Baumwollindustrie. Viele Firmen dieses Erwerbszweiges mußten für immer schließen. Auch die fortan häufiger wiederkehrenden Wirtschaftskrisen brachten Arbeitslosigkeit mit sich. Andererseits gelang es, der Mode bisweilen Erfolge abzugewinnen, ζ. B. für Klöppelspitzen und Posamenten, besonders bei der Krinolinenfabrikation der 60er Jahre. Der Staat bemühte sich, die Industrie weiterzuentwickeln, führte Gewerbeaufsicht ein, gründete Fachschulen. Zur Gründerzeit nach 1871 waren zahlreiche neue Firmen entstanden, aber der große Krach 1873 schied nicht lebensfähige Unternehmen wieder aus. Danach nahm das geeinte Deutsche Reich viele erzgebirgische Waren auf, und unter seinem Schutze blühte die Ausfuhr: Spitzen, Posamenten, Spielwaren, Bürsten, aber auch Maschinen und Bestecke wurden bald in alle Welt verfrachtet. Die U S A errichteten eigene Konsulate in Annaberg und Eibenstock wegen der engen Handelsbeziehungen mit der Posamenten-, Stickerei- und Bürstenindustrie. Leider beschnitt der amerikanische Kongreß um 1900 die Ausfuhr erzgebirgischer Erzeugnisse recht fühlbar. Andere Zollerschwerungen suchte die Industrie namentlich der Kammlandschaften dadurch zu beheben, daß sie in nahen böhmischen Orten Zweigbetriebe gründete oder Heimarbeiter beschäftigte und von dort aus die aufnahmefähigen Länder der österreichisch-ungarischen Monarchie belieferte. Staatliche Maßnahmen wie die 1878 eingerichtete Fabrikinspektion und die Sozialgesetze von 1891 konnten freilich die immer schärfer gewordenen Spannungen zwischen Arbeitern und Unternehmern kaum mildern. So begannen gegen Ende des 19. Jahrhunderts soziale Kämpfe im Erzgebirge. Nur an wenigen Orten hatte sich die Arbeiterschaft schon früh, etwa 1848, in Organisationen zusammengeschlossen. Verhältnismäßig spät, trotz stärkster Werbung, mancherorts sogar nur zögernd, Schloß sich die Arbeiterschaft der Sozialdemokratischen Partei an. Um 1900 errang diese in den meisten Wahlkreisen hohe Stimmenzahlen, ja die Mehrheit. Nicht selten unterbrachen Streiks, ζ. B. 1907 ein langer Bürstenarbeiterstreik in Schönheide oder öftere Streiks der Handschuhmacher in Johanngeorgenstadt, den normalen Geschäftsgang. Der zunehmende Fremdenverkehr sommers wie bald auch winters im Erzgebirge begünstigte den Absatz der Industrie, da viele Sommergäste — später auch die

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Kurgäste vom Radiumbad Obersdilema — Spitzen, Posamenten, Spielwaren, Herrenwäsche usw. einkauften. Im Ersten Weltkrieg wurde, wo irgend möglich, die inzwischen großartig ausgebaute Industrie des Erzgebirges auf Kriegslieferungen umgestellt; nicht nur Granaten wurden gedreht, auch Schuhe, Strümpfe, Uniformposamenten, Gesthoßkörbe, Zeltbahnen gingen von den erzgebirgischen Fabriken an die Fronten. Um so schwerer war seit 1918 der Wiederaufbau; Rohstoffe fehlten. Die vordem weltumspannende Ausfuhr kam nur mühsam wieder in Gang, und viele Absatzgebiete waren für immer verloren; denn in den „Feindländern" jener Jahre waren Konkurrenzunternehmen entstanden. Kein Wunder, daß jahrelang das Erzgebirge Tausende von Arbeitslosen durchschleppen mußte. Erst nach dem Inflationsjahr 1923 erholte sich die erzgebirgische Wirtschaft langsam. Schon tauchten die ersten Automaten, die maschinell eine Menge Handgriffe übernahmen, in erzgebirgischen Fabriken auf. Aber 1930 warf die Weltwirtschaftskrise gerade diese äußerst empfindliche, auf Ausfuhr eingestellte Industrie völlig nieder. Die Zahl der Arbeitslosen wuchs ohne Ende. Unruhen, Demonstrationen, Umzüge waren an der Tagesordnung. Wieder wanderten Arbeiter aus, die wertvolle Arbeit hätten leisten können. Nach 1933, zunächst wiederbelebt durch drastische Maßnahmen der Naziherrschaft, wurden viele erzgebirgische Fabriken allmählich in die Kriegsvorbereitungen einbezogen. Andere wurden „arisiert", was ζ. B. für Johanngeorgenstadt den Zusammenbruch der bedeutenden Handschuhindustrie bedeutete. Bald nach Kriegsbeginn traten Kriegsgefangene, dann Fremdarbeiter aus verschiedenen Ländern an die Stelle der vielen Einberufenen. Wieder fehlten Rohstoffe. „Ersatz" wurde verarbeitet. Die Ware und die Fabrikation verschlechterten sich. Die Ausfuhr stockte. Abgesehen von der Industrie in und um Chemnitz hatten nur einige Fabriken bei Herold und Thum sowie in Buchholz unter Bombenangriffen gelitten, bevor gegen Kriegsende manche Zerstörungen eintraten; die Stadt Altenberg sank noch nach dem Waffenstillstand in Trümmer. Der größte Teil der erzgebirgischen Industrie lag 1945 brach. Vielerorts begann Heimarbeit sich zu regen. Laut Befehl der Besatzungsmacht wurden viele große Fabriken durch Demontage und Abtransport der Maschinen arbeitsunfähig. Die mutigen Männer, die trotzdem begannen, die Industrie wieder in Gang zu setzen, stießen auf größte Schwierigkeiten. Heute ist ein sehr großer Teil der erzgebirgischen Industrie verstaatlicht. Daneben haben sich einige Privatfirmen erhalten, mußten aber staatliche Beteiligung aufnehmen. Durch Zusammenlegen benachbarter Betriebe gleicher Branche, etwa in der Strumpfindustrie usw., die früher einander Konkurrenz machten, haben sich viele Änderungen, audi manche Vorteile ergeben. Zuweilen wurden ganze Betriebe verlegt, etwa die Geitnersche Porzellanfarbenfabrik von Schneeberg nach Zwickau. Die Industrie mancher vom Uranbergbau betroffe-

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ner Orte wie Johanngeorgenstadt, Ober- und Niederschlema, wurde beseitigt, um Platz für den Bergbau zu machen oder weil die Orte selber abgebrochen wurden. Nach dem Rückgang des Uranbergbaus mußte dort von neuem Industrie angesiedelt werden. Jedenfalls hat sich die Industrie des Erzgebirges seit 1945 so außerordentlich verändert, daß ein Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung dringend nötig geworden ist.

IV. E i n z e l n e

Industriezweige

1. V o n d e r P a p i e r m ü h l e z u r

Papierfabrik

Als Reformation und Buchdruck den Bedarf an Papier gewaltig gesteigert hatten, begannen im Erzgebirge die ersten Papiermühlen aus Lumpen Papier zu machen. Mit Hilfe der Wasserkraft wurden Leinwandreste zerkleinert und dann der feine Brei aus Bütten abgeschöpft, daher Büttenpapier genannt. 1540 erhielt Heinrich Schafhirt nahe Freiberg an der Mulde die Konzession für eine solche Mühle. 1545 folgte eine Mühle bei Zwönitz, später meist Sendigmühle genannt und zuletzt als Kochsche Preßspanfabrik berühmt. 1572 erbaute der Rat zu Schneeberg in seinem Ratsdorf Oberschlema eine Papiermühle. Sie ist erst 1932 abgebrochen worden, als das Radiumbad Oberschlema Platz brauchte. Bei Lößnitz wurde 1584 ein Hammerwerk in eine Papiermühle umgebaut. Bald entstanden viele weitere Mühlen dieser Art, so in Schwarzbach, Hartmannsdorf bei Kirchberg, Unterwiesenthal, Tannenberg, Crottendorf usw. Sie litten oft unter Rohstoffmangel, obwohl sie eifrige Lumpensammler aussandten, erbitterte Fehden um die Sammelbezirke führten oder sogar aus Böhmen Lumpen paschten. Im 18. Jahrhundert sollen im Erzgebirge 40 Papiermühlen in Gang gewesen sein. Die Buchholzer belieferte die dortigen Spielkartenmacher; aus der Lößnitzer, die bis zu einem Brande 1810 arbeitete, bezogen die Klöpplerinnen rotes und blaues Papier zum Aufschlagen der Spitzen. Die Breitenbrunner Papiermühle war berühmt durch ihr Notenpapier, auf dem Johann Sebastian Bach seine herrlichen Werke schrieb. Der Übergang von der Manufaktur, darin der Meister mit Büttgesellen arbeitete, daneben auch Leger, Stampfer, Glätter sowie Frauen und Mädchen zum Aufhängen der Bögen auf dem großen Trockenboden tätig waren, zur Papierfabrik wird deutlich am Beispiel der Freiberger Papiermühle an der Mulde, wo 1834 ein neues Fabrikgebäude emporwuchs und bald darauf Papiermaschinen aufgestellt wurden. Auch entstand schon 1805 in Oberschlema neben der Papiermühle die Buntpapierfabrik von Wilisch, wie überhaupt im Schlematale sich Papierindustrie stark entwickelte. Aber die eigentliche Geburtsstunde der erzgebirgischen Papierindustrie kam 1843 mit der Erfindung des Holzpapiers durch Gottlob Keller. Der arme Erfinder benutzte für seine allererste Holzschleiferei eine Wasserkraft in Kühnhaide bei Reitzen-

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ner Orte wie Johanngeorgenstadt, Ober- und Niederschlema, wurde beseitigt, um Platz für den Bergbau zu machen oder weil die Orte selber abgebrochen wurden. Nach dem Rückgang des Uranbergbaus mußte dort von neuem Industrie angesiedelt werden. Jedenfalls hat sich die Industrie des Erzgebirges seit 1945 so außerordentlich verändert, daß ein Rückblick auf die geschichtliche Entwicklung dringend nötig geworden ist.

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Papierfabrik

Als Reformation und Buchdruck den Bedarf an Papier gewaltig gesteigert hatten, begannen im Erzgebirge die ersten Papiermühlen aus Lumpen Papier zu machen. Mit Hilfe der Wasserkraft wurden Leinwandreste zerkleinert und dann der feine Brei aus Bütten abgeschöpft, daher Büttenpapier genannt. 1540 erhielt Heinrich Schafhirt nahe Freiberg an der Mulde die Konzession für eine solche Mühle. 1545 folgte eine Mühle bei Zwönitz, später meist Sendigmühle genannt und zuletzt als Kochsche Preßspanfabrik berühmt. 1572 erbaute der Rat zu Schneeberg in seinem Ratsdorf Oberschlema eine Papiermühle. Sie ist erst 1932 abgebrochen worden, als das Radiumbad Oberschlema Platz brauchte. Bei Lößnitz wurde 1584 ein Hammerwerk in eine Papiermühle umgebaut. Bald entstanden viele weitere Mühlen dieser Art, so in Schwarzbach, Hartmannsdorf bei Kirchberg, Unterwiesenthal, Tannenberg, Crottendorf usw. Sie litten oft unter Rohstoffmangel, obwohl sie eifrige Lumpensammler aussandten, erbitterte Fehden um die Sammelbezirke führten oder sogar aus Böhmen Lumpen paschten. Im 18. Jahrhundert sollen im Erzgebirge 40 Papiermühlen in Gang gewesen sein. Die Buchholzer belieferte die dortigen Spielkartenmacher; aus der Lößnitzer, die bis zu einem Brande 1810 arbeitete, bezogen die Klöpplerinnen rotes und blaues Papier zum Aufschlagen der Spitzen. Die Breitenbrunner Papiermühle war berühmt durch ihr Notenpapier, auf dem Johann Sebastian Bach seine herrlichen Werke schrieb. Der Übergang von der Manufaktur, darin der Meister mit Büttgesellen arbeitete, daneben auch Leger, Stampfer, Glätter sowie Frauen und Mädchen zum Aufhängen der Bögen auf dem großen Trockenboden tätig waren, zur Papierfabrik wird deutlich am Beispiel der Freiberger Papiermühle an der Mulde, wo 1834 ein neues Fabrikgebäude emporwuchs und bald darauf Papiermaschinen aufgestellt wurden. Auch entstand schon 1805 in Oberschlema neben der Papiermühle die Buntpapierfabrik von Wilisch, wie überhaupt im Schlematale sich Papierindustrie stark entwickelte. Aber die eigentliche Geburtsstunde der erzgebirgischen Papierindustrie kam 1843 mit der Erfindung des Holzpapiers durch Gottlob Keller. Der arme Erfinder benutzte für seine allererste Holzschleiferei eine Wasserkraft in Kühnhaide bei Reitzen-

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hain. Holz und Wasser, das ja nicht nur die Kraft für Maschinen liefert, sondern auch zur Fabrikation unentbehrlich ist, sowie billige Arbeiter standen im Erzgebirge reichlich zur Verfügung, und der sächsische Staat kam dem Bedarf der Holzschleifer insofern entgegen, als er vorwiegend Fichtenholz in den staatlichen Forsten pflanzen ließ und Holzschleifereien in Waldtälern duldete, weil sie seine Abnehmer waren, aber auch keine Rauchschäden verursachten. Stämme kamen auch über die Grenze aus Böhmen, Holz aus Rußland und den Karpaten wurde mit der Bahn herbeigebracht. Später nahmen die Schleifereien den Dampf als Helfer, und heute arbeiten Großschleifereien mit elektrischer Kraft aus eigenen Wasserkraftanlagen. Der rasche Aufstieg der Papierindustrie im Erzgebirge begann, als 1860 Kübler und Niethammer in Georgenthal am Schwarzwasser die erste Schleiferei anlegten, 1865 eine weitere nahe bei Breitenhof erbauten. 1865 kaufte Franz Eduard Weidenmüller etwas weiter talabwärts die stillgelegte Antonshütte (heute Antonsthal). Er baute deren Wasserkraft aus, stellte eine Turbine auf und fertigte Holzstoff. Binnen kurzem reihten sich hier am Schwarzwasser und in vielen anderen Erzgebirgstälern Holzschleifereien und Papierfabriken aneinander, so dicht, als es die Wasserkräfte nur zuließen. Schornsteine ragen aus den waldigen Talgründen heraus. Fabrikgebäude, oft umgeben von Arbeitersiedlungen, schmiegen sich in die Wiesengründe, und vollends als die vielen Kleinbahnen selbst in abgelegene Täler eindrangen, entstand neben der Papierfabrik die Haltestelle, wo Langholz abgeladen, Holzschliff oder Papierrollen aufgefrachtet wurden. Zu Weidenmüllers Holzschleiferei gesellte sich schon 1874 die Pappenfabrik am Hirschstein, und 1883 wurde Antonsthal Papierfabrik, die sehr bald Druckpapier lieferte und heute noch ein führender Betrieb dieser Branche ist. 1876 gründeten Hänel und Speisebecher bei Wolkenstein die Papierfabrik Floßplatz an Stelle einer Baumwollspinnerei, benutzten erst Wasser-, später Dampf kraft. 1881 entstand die Papierfabrik Günther und Richter bei Bockau, und nahebei arbeitet die Papierfabrik Neidhardtsthal. 1883 erbaute Schönherr die Papierfabrik Floßmühle bei Borstendorf. Aus den Hammerwerken von Schmiedeberg an der Preßnitz wurden Betriebe für Holzschliff, Pappen oder Papier. In Griesbach an der Zschopau entstanden neun Papierfabriken, in Hopfgarten eine. Bei Oberscheibe zählte man bald 14 Holzschleifereien und Pappenfabriken, in Raschau eine Holzschleiferei und vier Papierfabriken. In Breitenhof führten neuere Betriebe die Uberlieferung der alten, 1893 abgebrannten Breitenbrunner Papiermühle fort. Viele entwickelten sich zu besonders wichtigen Betrieben: Die Papierfabrikei Wesenstein an der Müglitz, Weißenborn an der Freiberger Mulde (1871 ge gründet), Crottendorf, Schlettau, Tannenberg, Wiesenbad und Wilischta (sämtlich an der Zschopau), Einsiedel an der Zwönitz, wo anstelle einer alter Papiermühle 1871 die erste Aktiengesellschaft für eine Papierfabrik Fuß faßte. In Lauter wurde 1880 eine stillgelegte Baumwollspinnerei Papier-

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fabrik, ebenso wie in Niedersdilema, wo schon 1863 eine Spinnerei Holzschleiferei wurde und heute eine der größten Papierfabriken des Erzgebirges steht. Nodi viele andere könnten aufgezählt werden. Nach 1900 bestanden im Erzgebirge in diesem Industriezweig insgesamt 250 Betriebe, darunter 130 Holzschleifereien, 40 Pappenfabriken, 30 Papierfabriken mit 10 000 Arbeitern. Das Osterzgebirge wies 20 Betriebe auf. Jahrzehntelang bezogen die großen Berliner Weltblätter Zeitungspapier in riesigen Mengen aus dem Erzgebirge, und die Wildenfelser Papierfabrik, früher Osthushenrich, an der Mulde bei Stein beliefert auch heute noch Berlin mit Zeitungspapier. Die Peniger Patentpapier-Fabrik (PPP) besitzt in Wilischtal ein großes Zweigwerk. Auch in Grünhainichen arbeitet eine Papierfabrik. Erwähnt sei noch Robert Wilisdis 1878 erbaute Fabrik für Buntpapiere und Chromopapiere in Plaue bei Flöha. Audi Pack-, Kunst- und Schreibpapier kommt aus dem Erzgebirge. Pappenfabriken versorgten alsbald die Industrie ihrer Nachbarschaft mit Kartons, sei es für Posamenten, Sdiuhe, Wäsche, Handschuhe, Bestecke; manche großen Firmen dieser Branchen erwarben sogar eigene Kartonagenwerke. Filzpappen und Matrizenpappen wurden in Thalheim gemacht. Handlederpappen aus der Fabrik der Gebrüder Freytag in Raschau waren sehr gesucht. Audi Preßspanfabriken sind zu nennen, besonders in Untersachsenfeld an Stelle eines Hammerwerkes, zeitweise Firma Hellinger, in Wildenau bei Schwarzenberg, unter dem großzügigen Unternehmer Karl Goßweiler, und am Stadtrand von Zwönitz, wo der Besitzer Koch in der Kunst des Glättens unerreicht blieb. Diese Werke lieferten feste Glanzpappen für Textilindustrie und Buchbinderei. Nachfolgebetriebe der Papierfabriken sind Werke für Papierhülsen und -spulen wie die 1886 gegründete in Lößnitz, heute als VEB Parofa (Papierrollenfabrik) stark ausgebaut, oder das Secarewerk, das 1903 nach Aue übersiedelte als Spezialfabrik für Papierrollen. In Budiholz wurden im 17. und 18. Jahrhundert Spielkarten handwerklich gefertigt. Vielleicht fand auf dieser Vorstufe die Prägeindustrie von Buchholz guten Boden; denn die erzgebirgisdien Prägewerke in Budiholz, Schlettau und Nachbarorten bilden einen Sonderzweig der Papierindustrie. Oskar Brauer, ihr erster Unternehmer, ging aus den großen Kartonagewerken hervor, die der einstige 48iger Revolutionär Georg Adler in Budiholz und Waithersdorf geschaffen hatte. Ehemals dort Werkmeister, erfand Brauer ein Verfahren, Verzierungen aus Pappe zu prägen, und wurde damit Gründer einer lebhaften Industrie: Sargbeschläge, Wandschmuck, Spiel waren, Lampenschirme wurden geprägt; Kalenderrückwände, Ostereier, Papierlaternen gehen aus mehreren Fabriken dieser Gegend hervor. Es ist verständlich, daß auch Fabriken für Holzstoffmaschinen, Pappenpressen, Rundsiebzylinder sich nahe der Papier- und Pappenindustrie ansiedel-

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ten, ζ. Β. in Raschau und Niederschlema. So wurde die Papierindustrie zu einem wichtigen Glied der erzgebirgisdien Wirtschaft. 2. H o l z i n d u s t r i e Der Holzreichtum der Gebirgswälder wurde seit Jahrhunderten genutzt, und die kurfürstliche Holzordnung vom Jahre 1560 enthält viel Angaben über damalige Holzverwertung. Sehr viele Sägemühlen verzeichnet auch um 1620 die Oedersche Karte. Seit je wurden Balken, Bretter zum Hausbau, Schindeln zum Dachdecken gebraucht, bis der Feuersgefahr wegen Steinbau und Schieferdächer den Vorrang erhielten. Die Amtshauptmannschaft Schwarzenberg bestand (als Kreis Aue noch dazugehörte) zu 63 e/o aus Waldland. Hier wurden 1895 64 Sägewerke mit 371 Arbeitern gezählt, 30 Jahre später 36 mit 350 Arbeitern. Mit den Kreisen Annaberg und Marienberg zusammen verfügte dieser Teil des Obergebirges 1908 über 135 Sägewerke, und das Osterzgebirge war ebenfalls reich an Schneidemühlen. Als Sondererzeugnis lieferte die Fabrik von Erler in Heidersdorf Holzmehl, und Langer in Hammerunterwiesenthal begann gegen 1900 mit Holzwollefabrikation, die heute noch betrieben wird. Viele Waldbewohner schnitzten ehedem Quirle oder Holzlöffel, andere stellten als Tellerdreher aus Ahornplatten Teller und Schüsseln her. Viel gebraucht wurden hölzerne Mulden, in denen die Bergleute einst ihr Erz trugen, ebenso wie Mulden der Fleischer und Bäcker. Kuchenbretter, Holzschippen, Nadelbüchsen, Butterformen, Holzräder entstanden vielerorts. Böttcher lieferten Fässer für die Brauereien der Städte und die Hüttenwerke. Stellmacher bauten Wagen. Waldlisten der kurfürstlichen Wälder enthalten Angaben, wo die betreffenden Handwerker ihren Rohstoff angewiesen bekommen. Aus Herstellung dieser Produkte ist eine vielseitige Holzindustrie hervorgegangen. So entstand im 17. Jahrhundert in Johanngeorgenstadt, wo Tischler Schatullen fertigten, reich verzierten und an die vielen durchfahrenden Karlsbadreisenden verkauften, ein kunstreiches Holzgewerbe, aus dem im 19. Jahrhundert sowohl hölzerne Musikinstrumente (wie Okarinas), zeitweise auch Flügel (Fabrik Gruner im Lehmergrund), schließlich Büromöbel (Fabrik Heinz) hervorgingen. In Rabenau wird seit 300 Jahren Stuhlbau betrieben, der allmählich von der handwerklichen in die industrielle Fertigung überging. Ende des 19. Jahrhunderts wurden jährlich 24 000 Dutzend Stühle produziert. Auch Dippoldiswalde nahm daran teil. Die eigentliche Holzarbeit führten 600 männliche, 150 weibliche Arbeiter aus. 300 Frauen und Kinder flochten das Stuhlrohr. Diese Industrie stetzte sich fort in Neuhausen, Kleinneuschönberg (Escher) und Friedebach, also im Zusammenhang mit der Olbernhauer Möbelindustrie. Aber auch in Aue entstanden Stuhlfabriken, nämlich Wellner und Becher.

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Musikinstrumente wurden schon vor alters in Randeck gebaut, und die musizierenden Putten der Freiberger Fürstengruft sind mit reizenden kleinen Randecker Geigen ausgestattet. In der Nachbarschaft zum vogtländischen Musikwinkel, in Carlsfeld, werden audi Musikinstrumente gebaut; namentlich Akkordeons, Bandonions kommen aus der von Arnold gegründeten Fabrik, und weitere Firmen schlossen sich an. Darmsaitenfabrikation betrieben Scheibenberg und Oberwiesenthal. Hier bestand eine solche Fabrik von 1848 bis 1936. Der Orgelbau von Neuwernsdorf und von Schönheide ist nicht so berühmt geworden wie der Freiberger, mit dem der Erzgebirgssohn Gottfried Silbermann sich unsterblich machte. Doch sind nicht wenige Orgeln erzgebirgischer Kirchen im Erzgebirge selbst entstanden. Somit waren seit Jahrhunderten die Erzgebirger verschiedenster Orte mit Holzbearbeitung wohl vertraut. Daraus erwuchsen mancherorts weltbekannte Industriewerke. Betrachten wir zunächst noch weiter die Herkunft von Holzwaren und Holzgeräten! Pobershau und Mildenau machen Holzperlen und Holzknöpfe. Aus Marterbüschel kommen elektrotechnische Holzwaren und aus Altenberg Telefongeräte. Eigenartigerweise begann im 19. Jahrhundert in vielen Ländern die Industrie mit Zündholzfabriken. So finden wir seit 1840 Zündholzfabriken in Jöhstadt, Königswalde und anderen Orten des Gebirgs. Die Olbernhauer Züdholzfabrik von Robert Schuster, 1859 gegründet, verbrauchte jährlich 5800 Festmeter Rundholz und brachte täglich 18 Millionen Zündhölzer fertig. In Oberwiesenthal entstanden seit 1830 drei Zündholzfabriken, die zunächst Schwefelhölzchen erzeugten. Eine verursachte 1851 einen Brand, dem die ganze Stadt zum Opfer fiel. An der Stelle alter Bergwerkshäuser steht in Globenstein bei Rittersgrün die Flemmingsche Fabrik, aus der Handwagen, Treppenleitern, Plättbretter, Kleiderbügel, Mangelhölzer, Vogelbauer und hunderterlei hölzernen Hausrats hervorgingen. Das Dorf Grumbach bei Jöhstadt war durch seine Rechen berühmt. Vor dem Ersten Weltkrieg stellten die dortigen Rechenmacher jährlich 20 000 Stück her, und Händler zogen damit durchs Land. Auch Sägeböcke, Leitern, Wäschestützen und Schlitten wurden im Erzgebirge produziert. Die Olbernhauer Fabrik der Gebrüder Seifert wurde durch Sport-, Stubenund Puppenwagen bekannt. 1878 gegründet, besaß sie eine Dampfholzbiegerei und Holzdrechslerei. 1899 arbeiteten hier 90 Arbeiter, unterstützt von Dampf- und Wasserkraft. Wäscheklammern liefert Blumenau, Kuchendeckel und Plättbretter Börnichen (Scheffler). Federkästen, Lineale, Nähkästen, Tennisschläger kommen aus Olbernhau. Leubsdorf hat im Gemeindesiegel als Kennzeichen seiner Industrie Quirl, Rührlöffel und Salzmeste. In Bockau brauchten die dort ansässigen zahlreichen Arzneilaboranten Schachteln für ihre Waren und ließen sie im Ort anfertigen. In Aue taten sich um 1830 ein paar Fabriken für Pfeifenköpfe auf. Diese wurden aus feinem

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Holz gedrechselt und mit einem eigens erfundenen Lack überzogen. Altbekannt ist die Waschbretterindustrie von Geyer, noch heute durch mehrere Fabriken vertreten. Spunddreherei bei Schwarzenberg, Schaufelstiele aus Lößnitz, Pantoffeln aus Grünhain, Holzteile für Nähmaschinen aus Waithersdorf, wo noch heute eine große staatliche Holzwarenfabrik besteht (1908 gegründet), Holzspulen für die Textilindustrie aus Hammer-Leubsdorf (1897) dienen als Beispiele für die Vielfalt erzgebirgischer Holzwarenfabrikation. In Olbernhau bestanden neun Möbelfabriken, darunter der Großbetrieb von Otto Weinhold mit über 300 Arbeitern und Mehners Fabrik für Schreibmöbel, besonders Büromöbel. Weitere Betriebe lieferten Turngeräte und Schulbänke. Auch in Bienenmühle arbeiteten Möbelfabriken; Marienberg fertigte Koffer und Schaukeln. In Metzdorf gibt es Parkettfabriken. Der Bau hölzerner Strumpfstühle in Ober- und Niederneuschönberg hat über viele Jahrzehnte die Strumpfwirkerei im Erzgebirge ermöglicht. Bei Schönheide wurde im Muldental eine große Fabrik gebaut, um „Kragesplatten" und andere Sperrholzwaren zu fertigen. Sie übernahm neuerdings den Bau ganzer Holzhäuser. Der Kistenbau ist besonders im Bereich des Flöhatales verbreitet, zumal die Spielwarenerzeuger jener Gegend viel Verpackung für den Export bedürfen. Erwähnt seien die Fabriken von Fritzsche in Rungstock und Hunger, seit 1834 in Pockau. Wie dort alle Wasserkräfte für Holzwarenindustrie eingesetzt wurden, ersieht man aus einer Aufstellung nach 1900, wonach im Flöhatale 8 Holzschleifereien, 3 Papierfabriken, 19 Schneidemühlen und 127 Holzwarenfabriken bestanden. Im Pockautale kamen dazu 9 Holzschleifereien, 1 Papierfabrik, 16 Schneidemühlen und 66 Holzwarenfabriken. Als deren Erzeugnisse seien u. a. genannt Koffer, Schreibpulte, Fotokästen, Ständer, Zeichenutensilien. Im Osterzgebirge gehörten noch Gottleuba und Glashütte zur Holzwarenindustrie. Bei Gottleuba ζ. B. war die Firma Leinbrock durch ihre Kaffeemühlen bekannt. Seit Jahrzehnten sind Schneeschuhfabriken aufgekommen, besonders an Wintersportplätzen wie Oberwiesenthal (Poppa), Johanngeorgenstadt, auch Schwarzenberg. Rodelschlitten und Handwagen kamen aus Lengefeld (Frenzel). Eigenartig verlief die Geschichte der Spankorbindustrie. Unsprünglich wurden in Randeck und Lauter aus Weidenruten Schlittenkörbe geflochten, in denen man winters gern über Land fuhr. In Lauter nutzte man bald auch Fichtenwurzeln zum Flechten. Der Waldwirtschaft wegen wurde dies untersagt. Da erfand Traugott Lauckner in Lauter, wie man Fichtenholz nach Jahresringen spalten konnte, so daß bieg- und flechtbare Späne entstanden, und begann, solche Spankörbe zu flechten. Rasch verbreitete sich diese Arbeit im ganzen Dorfe und jenseits eines schmalen Waldrückens in Bockau. 1860 begann eine Spankorbfabrik zu arbeiten, für die viele Heimarbeiter flechten mußten. Die „Flechtschienle" wurden in Anilinfarbe rot oder grün gefärbt, so daß sich beim Flechten bunte Muster erzielen ließen. Schon 1880 waren

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im Sommer 600, im Winter 900 Menschen mit Korbflechten beschäftigt. Verleger bevorschußten die Korbflechter, Unternehmer nahmen Fabrikbetrieb auf, und viele Sorten von Körben gelangten aus Lauter und Bockau weithin zum Verkauf: Erdbeerkörbchen, Spielkörbchen für Kinder („Schwenkerle" genannt), Fischkörbe (die Fäßle oder Butten hießen), Körbe für holländischen Spargel, Damen-Einkaufskörbe, Tabakkörbe, audi Wäschekörbe. Noch heute blüht dieser besondere Zweig der erzgebirgischen Holzindustrie. Auch die weltbekannte Bürstenindustrie des Schönheider Winkels ist aus kleinsten stümperhaften Versuchen entstanden. Nachdem 1819 Preußen den sächsischen Hausierern durch Zölle das alte kursächsische Absatzgebiet an Saale und Mittelelbe versperrt hatte, suchten ein paar hungernde Schönheider neue Arbeit. Sie kamen auf den Gedanken, Bürstenhölzer herzurichten und Borsten einzuziehen; dann zogen sie mit ihrer groben Handarbeit auf Handel. Dieses Hausgewerbe, das auch Frauen und Kinder in harte Arbeitsfron einspannte, wies von Anfang an gründliche Arbeitsteilung auf. Man arbeitete zuerst mit bescheidenen Hilfsmitteln wie der Brustleier und einer Bohrmaschine, konnte aber schon 1862 in der Firma Flemming, deren Gründer zu den ersten Bürstenmachern gehörte, 100 Beschäftigte zählen. Bald entstanden weitere Betriebe, vor allem Fabriken für Bürstenhölzer, auch Borstenzurichtereien, und die Arbeit ging bereits in geschlossenen Fabrikräumen vor sich, obwohl außerdem das Einziehen der Borsten ins Bürstenholz meist der mühseligen Heimarbeit überlassen blieb. 1862 gelangten schon 118 Sorten Bürsten und 42 Sorten Besen von hier aus nach verschiedenen deutschen Ländern. Nach 1870 waren 7 Fabriken in Schönheide mit Bürstenproduktion beschäftigt, und in Nachbarorten entstanden weitere. Dann nahm Flemming die Pinselfabrikation hinzu und erzielte auf Weltausstellungen Preise dafür. England und Amerika kauften in immer größeren Mengen Bürstenwaren ab. Die Bürstenhölzer wurden in Globenstein (bei der anderen Firma Flemming), in Pobershau und Rothenkirchen, später vorwiegend in Bayern gemacht, und die Bahn von Kirchberg herauf oder über Aue brachte die Hölzer zu den Fabriken. Aus der ganzen Welt wurden Borsten, Fibre, Piassava, Reisstroh und andere Rohstoffe herbeigeholt. Ende des 19. Jahrhunderts waren im Bürstenwinkel des Erzgebirges über 20 Fabriken in Gang und darin 1000 Arbeiter tätig. Die Ausfuhr nach USA erreichte 1904 mit 39 715 Dollar einen ersten Höchststand. Nach einem langen Bürstenarbeiterstreik 1906 schlossen sich ausgesperrte Arbeiter zu einer Konsum-Bürsten-Fabrik zusammen. Diese schuf später in Stützengrün eine große Fabrikanlage, und die Waren dieses Betriebs gehen unter der Marke „Bürstenmann" heute in rund 40 Länder der Erde. In Schönheide und Nachbarorten haben weitere große Fabriken, darunter die Nachfolgefirma der Firma Flemming, auch den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen überdauert. Von den berühmten erzgebirgischen Holzspielwaren soll hier nicht die oft

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beachtete volkskünstlerische Entwicklung dargestellt werden, sondern die industrielle. Wie eigenartig entsteht das Spielwarenmachen aus der Holzwarenarbeit! Im Laufe der Zeit bildeten sich dabei hauptsächlich zwei Spielwarenbezirke heraus: Griinhainichen—Waldkirchen und Seiffen—Olbernhau. Bis gegen 50 Orte dieser Gegend wendeten sich der Spielwarenherstellung zu. Da ist 1579 in Grünhainichen ein Löffelschnitzer, dann ein Tellerdreher, 1631 ein Schindelmacher erwähnt. Börnidien hat um 1650 Geigenmacher, und 1691 verunglückt Hans Steinert aus Börnidien mit seinem Schlitten voll hölzerner Ware auf dem Wege nach Leipzig. In Seiffen und Umgebung werden 1644 Holzdrechsler, in Borstendorf und Waldkirchen um 1680 Kästelmacher und Maler erwähnt. Sdiachtelmacher gab es schon 1650, aber erst im 18. Jahrhundert lebte die Mode der Spanschachteln auf. Die Einwanderung böhmischer Protestanten zwischen 1617 und 1666, die bei Olbernhau die Reihe der Exulantendörfer gründeten, beschleunigte die Entwicklung der Orte Heidelberg, Ober- und Niederseiffenbach und ihrer Holzverarbeitung. Die ersten Grünhainichener Erzeuger einfacher Holzwaren zogen als Händler mit Traglast, Schubkarren, Planwagen nach Leipzig zur Messe, während die Seiffener in fremdem Auftrag — besonders nach Nürnberger Mustern — arbeiteten. Nürnberg mit seinem jahrhundertelangen starken Anteil am erzgebirgischen Bergbau, Zinnhandel und Eisenhüttenwesen, das besonders enge Beziehungen zu Schneeberg unterhielt, scheint im Erzgebirge auch die Spielzeugherstellung voran getrieben zu haben, und gerade Schneeberg lieferte zeitig Nürnberger Docken, Puppen aus Holz und Kleister. Vorbilder wurden außerdem Sonneberg, Berchtesgaden und die schlesische Holzschnitzerei von Warmbrunn. Seit 1768 brachte ein ehemaliger Trompeter von Seiffen im Tragkorb, später mit Hundefuhrwerk, zuletzt im Pferdefrachtwagen Nadelbüchsen, Zwirnweifen und ähnliche Ware auf die Märkte. Seit Ende des 18. Jahrhunderts fuhr wöchentlich ein vierspänniger Wagen mit Spielzeug abwechselnd nach Leipzig und nach Nürnberg. Er führte als Rückfracht Lebensmittel und Waren, die im Gebirge benötigt wurden. So war dieser Handel ein Barrattohandel, ein Tauschgeschäft. Beim Wiederaufbau der sächsischen Wirtschaft nach dem siebenjährigen Kriege wurde neben dem erfolgreich aufgewerteten Bergbau auch die Spielzeugarbeit gefördert, so daß etwa seit 1775 die hölzerne Gebrauchsware hinter dem Spielzeug zurücktritt. Auch Kästel- und Schachtelmacher waren um 1795 stark beschäftigt. Um 1800 gingen erzgebirgische Holzwaren schon als Tauschartikel nach Afrika. Damals stellte sich die Grünhainichener Ware billiger als ähnliche aus Warmbrunn und Tirol. Zur höheren Wirtschaftsstufe über die Hausindustriellen, die Rohstoffe beschafften, mit eigenem Werkzeug arbeiteten und selber die Ware verkauften oder vielleicht auf Bestellung arbeiteten, entwickelte sich nach 1813 das Verlagswesen: Kaufleute, die Materialkenntnisse besaßen, aber auch Absatz-

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möglichkeiten und Preisbildung überschauten, bevorschußten die Spielzeugarbeit, lieferten audi Rohstoffe, die der Heimarbeiter mit eigenem Werkzeug gegen Stücklohn verarbeitete. Starke Arbeitsteilung, Mithilfe der ganzen Familie, um die Aufträge zu bewältigen, niedrigste Löhne, oft noch dadurch gedrückt, daß die Verleger Ware statt Geld gaben (Trudesystem), trugen bei zu erstaunlicher Ausweitung dieser Industrie. Entscheidend für den Verkauf und die Neubestellung wurden die Leipziger Messen, auf denen immer neue Modelle angeboten wurden. Die Vielzahl der Bestellnummern, bei manchem Verlag bis 3000, zeugt von großartigem Einfallsreichtum vieler kleiner Erfinder. Eine wesentliche Arbeitsart ist das Reifendrehen. Unter geschickter Führung durch die Hand des Drehers an einer Maschine entsteht ein Holzring, der, in viele Teile zerschnitten wie eine Torte, für Tierfiguren oder ähnliches Rohformen ergibt. Am Tag können bis zu 75 Ringe zugeschnitten werden, an denen acht bis zehn Schnitzerfamilien mit Ausschnitzen, Bemalen, Beieimen weiterarbeiten können. Die Drehbank wurde erst mit Wasserkraft angetrieben. Später baute man ganze Drehwerke an die Bäche mit vielen Drehstellen. 1866 kam ein Dampfdrehwerk auf, das 150 Arbeitsplätze an Reifendreher vermietete. Seit dem Ersten Weltkrieg stellten die Reifendreher Motore ein. Außer ihnen bildeten sidi noch Gruppen der Drechsler, Schnitzer, Kleinarchitekturarbeiter, ζ. B. für Pferdeställe, Wagen- und Rädermacher, Maler, Schachtelmacher usw. Von ihren Haupterzeugnissen bekamen sie Spitznamen wie Domino-Hänig, Affen-Heinrich, Soldaten-Ullrich. Wernsdorf lieferte Wetterhäuschen, Marienberg Puppentheater. Als „Schachtelware" wurden ganze Menagerien, Dorfhäuser, Bäume verpackt. Kindergewehre wurden, wie schon erwähnt, in Olbernhau im Bereich der alten Gewehrmanufaktur gefertigt, während Marienberg Trommeln, Zöblitz Blechspielwaren lieferten. Zu letzten zählen Puppenküchen, Vogelkäfige, Botanisiertrommeln und ähnliches. Ein paar Beispiele für die Vielfalt der gesamten Spielzeugindustrie, aber auch für ihre scharfe Arbeitsteilung: Schreiter in Olbernhau wurde durch seine Kinderklaviere bekannt; Baukästen lieferte Karl Fritzsche in Blumenau; Kaufmannsläden und hölzerne Eisenbahnen Karl Wagners 1887 in Niederneuschönberg gegründete Fabrik. Aber auch aus Waldkirchen kamen Kaufmannsläden; Pferdeställe und Festungen stammten aus Grünhainidien, Schach- und Damebretter aus Oberneuschönberg und besonders Borstendorf, Puppenstuben bildeten Eppendorfs Ruhm, Puppenhäuser fertigte zuerst 1870 Emil Neubert in Marienberg. Für Sandspielformen war Niederneuschönberg zuständig. Hallbach war die Heimat so mancher Arche Noah. Nicht vergessen sei der ganze köstliche Weihnachtszauber der in aller Welt begehrten niedlichen musizierenden Engel von Wendt und Kühn in Grünhainichen, der Seiffener Nußknacker, der lichtertragenden Engel und Bergmänner, der Bergspinnen (bunter hölzerner Hängeleuchter), Glitzerketten, Weihnachtspyra-

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miden, Räuchermännel, Krippen, wozu noch Frachtwagen, Häuschen, Tiere, Schachfiguren, Kegel und vieles andere Holzspielzeug, in jüngster Zeit natürlich audi viele Autos, kommen. Eine hübsche zufällige Erfindung brachte die Spanbäumchen hervor. 1905 kamen Miniaturdörfchen auf. Trotz zahlreicher überraschender Neuheiten blieb der Spielzeugmacher lange Zeit am Alten haften. Niemals hatte dieses Gewerbe Meister, Gesellen und Lehrlinge gekannt. Daher lieferten viele kleine Hausindustrielle, die zudem einander arge Konkurrenz machten, oft auch die Verleger durch Schleuderpreise zu umgehen suchten, billige Massenware, paßten sich schwer dem Geschmack der Zeit an. Nach 1866 kam es daher zu einer Krise. Die Regierung setzte eine Kommission ein und gründete 1870 die Fachschule in Seiffen, wo seit 1840 schon eine Zeichenschule bestanden hatte. Damals gingen Unternehmer auch dazu über, die Spielwaren fabrikmäßig herzustellen. Manche Hausindustrielle machten sich dabei selbständig, andere wurden Fabrikarbeiter, sehr viele blieben abhängige Heimarbeiter, und einige Verleger wurden Fabrikanten. 1880 geriet die ganze Spielzeugindustrie in Not, weil die Holzpreise stiegen und bei der Ausfuhr Zollschwierigkeiten entstanden. 1884 erhielt Grünhainichen, das sich zum führenden Spielwarenort entwickelte, 1885 Olbernhau seine Fachschule. Jenseits der böhmischen Grenze nahm Katharinaberg, dessen Fachschule 1874 gegründet worden war, mit vielen Nachbarorten am Aufschwung der erzgebirgischen Spielwarenindustrie teil. War doch bereits 1784 in Kallich die erste Manufaktur für Drechslerwaren eröffnet worden, und der böhmische Graf Rotenhan auf Rotenhaus stellte 1791 zur Königskrönung in Prag aus den zu seiner Herrschaft gehörigen Betrieben erzgebirgische Spielwaren aus. Als der deutsche Außenhandel gegen 1900 sich gewaltig ausweitete, nahm audi die Spielwarenindustrie am Aufschwung teil. Nach den Nöten des Ersten Weltkrieges war der Hunger nach erzgebirgischen Spielwaren in der ganzen Welt so groß, daß die Spielzeugmacher nicht genug liefern konnten und gutes Geld verdienten. Freilich zerrannen die Gewinne in der Inflation allzu rasch. Vorzügliche Warenkollektionen in den großen Verlagshäusern in Seiffen, im „Bunten Haus" und natürlich auf der Leipziger Messe oder auf Weltausstellungen brachten den erzgebirgischen Spielwarenerzeugern große Erfolge, zumal vortreffliche Kenner, wie Fachschuldirektor Seifert in Seiffen, sich bemühten, geschmacklich die Modelle und die Aufmachung zu verbessern. Freilich hat auch der Zweite Weltkrieg die Spielwarenorte schwer betroffen, aber diese nun seit 300 Jahren in Gang befindliche, eigenartige Industrie behauptet sich auch weiterhin, und ihre Erzeugnisse tragen noch immer den Namen des Erzgebirges in alle Welt. Das vielbesuchte Spielzeugmuseum in Seiffen besitzt schöne Anschauungsstücke aus der Geschichte dieser Industrie.

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3. L e d e r i n d u s t r i e Die Bergstädte brauchten viel Leder für Schuhe, Knieleder und Fahrleder der Bergleute. Daher weist Freiberg altheimische Gerberei und Lederverarbeitung auf, und in den kleinen Bergstädten wie Ehrenfriedersdorf, Eiterlein, Zwönitz ist schon seit dem Mittelalter das Schuhwarenhandwerk stark vertreten. Auf vielen Jahrmärkten und Messen, besonders auf den einst vielbesuchten Dresdner Jahrmärkten, standen Buden erzgebirgischer Schuhmacher in langen Reihen nebeneinander. In Freiberg, wo die Gerber ihre Felle im Münzbach spülten und in Lohgruben voll Eichenlohe aus erzgebirgischen Lohmühlen gerbten, entstanden Großbetriebe als Zurichtereien, Fabriken für feine Lederwaren sowie Schuhfabriken für marktgängige Ware. Eine Gerberschule, 1888 gegründet, bildete Nachwuchs aus, und im 20. Jahrhundert kam eine Lederversuchsanstalt dazu. Die Lederwerke Moritz Stecher, 1859 gegründet, 1900 in die Haldenlandschaft der „Jungen Mordgrube" verlegt, fertigen Bodenleder für Schuhe, Treibriemen (wofür ferner in Niederschlema die Firma Philipp entstand), Eisenleder, Werkzeugtaschen. Auch Lederwerk Sdilegel in Freiberg entwickelte sich um 1900 kräftig. In Schneeberg ging aus einer Sattlerei eine Fabrik für Handtaschen und feine Lederwaren hervor. Von Ehrenfriedersdorf aus verbreitete sich die Industrialisierung der Schuhmacherei, nachdem dort schon 1858 nach amerikanischem Vorbild das Durchnähen der Sohlen aufgenommen worden war. Ein Schuhmachermeister, Karl Franke, sah beim Durchmarsch preußischer Truppen 1866 sehr schöne Husarenstiefel. Nach ihrem Vorbild fertigte er Knabenstulpenstiefel aus Lackleder und erzielte auf der Leipziger Messe damit so großen Erfolg, daß die Bergstadt am Greifenstein nicht genug Stiefeldien liefern konnte. Die 80er Jahre beschleunigten den Übergang zum Fabrikbetrieb, da Maschinen für Fräsen und Ausputzen der Absätze aufkamen. Atmanspacher in Ehrenfriedensdorf stellte 1897 die erste Rahmenmaschine auf. Nach dem Ersten Weltkrieg drangen amerikanische Maschinen ein: 120 verschiedene dieser Maschinen lieferten in 220 Teilarbeiten rahmengenähte Herrenstiefel. Auf dieser Grundlage entwickelten sich in Ehrenfriedersdorf große Schuhfabriken. Schon 1907 bestanden doit zehn. Zwönitz, das 1804 50 Schuhmachermeister beherbergte, und schon 1855 zu größeren Betrieben übergegangen war, Schloß sich dem Ehrenfriedersdorfer Vorbild an und errichtete Schuhfabriken wie die von Trommler. Lößnitz lieferte Kinderschuhe, Hartenstein Damenschuhe. Elterlein und Annaberg in der Mitte, Eppendorf und Frauenstein im Osten des Gebirges machten die Entwicklung von der Schusterkugel zur Rahmenmaschine mit. Aber ebenso sorgte das Erzgebirge für Handschuhe. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ließen Chemnitzer Unternehmer in Johanngeorgenstadt und Eibenstock Heimarbeit an Stoffhandschuhen ausgeben, und bald beteiligten sich in diesen Städten Verlagsgeschäfte an dem neuen Arbeitszweig, ebenso das benachbarte rührige Schönheide. Sie führten bald das Nähen von

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Lederhandschuhen ein, wofür benachbarte Orte Böhmens Anregung und Vorbild gaben. Denn seit etwa 1784 hatte sich von Kaaden bis Neudek Glacihandschuhmacherei bis ins Gebirge herauf ausgebreitet. Sogenannte Prager und Wiener Handschuhe wurden damals schon in Abertham, Bärringen und Gottesgab gefertigt. Auf sächsischer Seite begann in Bockau Gotthold Brückner 1863 mit Handschuhfabrikation, Franz Wensky folgte 1873, auch eine Firma Erich Wensky beteiligte sich. In Johanngeorgenstadt entstand 1868 die erste Glac6handschuhfabrik. Aber auch nach Oberwiesenthal griff die neue Industrie aus, und bald wurde in vielen Kammorten Handschuh-Heimarbeit von Frauen übernommen, weil die bisher von ihnen betriebene Spitzenklöppelei Not litt. In Oberwiesenthal erfolgte Zuschneiden und Färben, in Johanngeorgenstadt auch Appretur. Männer, darunter zugewanderte Lederarbeiter aus Wien und Offenbach, richteten die aus dem Orient bezogenen Zickelfelle her, Frauen und Mädchen nähten zu Haus die vielen verschiedenen Nähte zunächst mit Hilfe eines dürftigen hölzernen Apparates, später mit Nähmaschinen. Als die „belgische Naht" aufkam, stießen die Faktore auf den Widerstand der Näherinnen, und sie mußten diese Arbeit als sogenannte „Veredelung" in den schon damit vertrauten böhmischen Nachbarorten machen lassen, bis endlich die Perfektamaschine die Arbeit erleichterte. Um Stepperinnen anzulernen, wurde in Breitenbrunn eine Schule eingerichtet. Auch Ziernähte („Raupen") wurden angebracht und die Arbeit fortwährend verfeinert, wie es die Mode verlangte, mit 3—lOknöpfigen Damenhandschuhen. Das feinste Leder, „Smasche", stammte von ungeborenen spanischen Lämmern. Da auch in Böhmen inzwischen große Fabriken entstanden und USA Schutzzölle einführte, ging die sächsische Ausfuhr etwas zurück, ζ. B. von 1,544 Millionen Μ 1900 auf 1,210 Millionen 1904. ö f t e r legten auch Streiks die Fabriken still. 1908 bestanden in Johanngeorgenstadt drei Fabriken, die über 450 Personen beschäftigten, dazu eine Handschuhfärberei mit 50 Arbeitern. 1911 verschmolzen sich zwei Firmen zu „La Tosca", und 1913 übernahm eine amerikanische Firma die Führung in Johanngeorgenstadt. In Oberwiesenthal arbeiteten 1908 100 Arbeiter in drei Fabriken, und 200 Näherinnen führten die Heimarbeit aus. (Heute besteht dort noch ein Zweigbetrieb einer Karl-Marx-Städter Fabrik.) Zuschneiden, Nähen, Färben erforderte viel Handarbeit, geschickte Hände, geschulte Leute, und Johanngeorgenstadt wurde gerade durch seine saubere Arbeit zum Mittelpunkt dieser Industrie. Die beiden Weltkriege warfen die erzgebirgische Handschuhfabrikation, dieses Luxusgewerbe, das auf fremde Rohstoffe und ungestörte Ausfuhr angewiesen war, schwer darnieder. 1918 wurde der Grenzverkehr von Oberwiesenthal und Johanngeorgenstadt mit den böhmischen Handschuhorten durch den neuerrichteten tschechoslowakischen Staat erschwert. Nach kurzer Erholung folgte in der Hitlerzeit die Arisierung der Betriebe, so daß die amerikanischen Kapitalgeber sich zurückzogen. Nach Aufbauversuchen 1945

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brachte die Uranzeit 1946—1956 Johanngeorgenstadts Wirtschaft gänzlich durcheinander. Doch hält sich in Bockau noch etwas Handschuhindustrie. 4.

Textilindustrie

Das Erzgebirge ist ein bedeutender Schauplatz vielseitiger Verarbeitung von Garnen und Geweben. Diese Industrie ist so umfangreich, so fesselnd in ihrem geschichtlichen Ablauf, so wechselnd nach Rohstoff, Technik, Mode, Absatz, daß nur einige wesentliche Entwicklungslinien aufgezeigt werden können. Besonders deutlich ist hier der Zusammenhang mit dem Ausbau der Maschinenindustrie. Bäuerliche Hausarbeit im Winter, Handwerk, Verlag, Fabrik, dazu oftmals ausgebreitete Heimarbeit sind die wirtschaftsgeschichtlichen Grundtöne, die nach und nach, oftmals auch zusammen erklingen. Spinnen, Weben, Bleichen, Färben, aber auch Wirken, Knüpfen, Sticken sind dabei wesentliche Vorgänge. Angefangen beim Handspinnen mit der Spindel, später dem Spinnrad, dann zum Weben mit dem Webstuhl des Leinewebers bringt die Technik immer neue Erfindungen und Verbesserungen bis zu den modernsten Automaten für bestimmte textile Zwecke, und diese Fortschritte spiegeln sich wider in der erzgebirgischen Webwarengeschichte. Von ein paar älteren Phasen sei nur erwähnt das Bleichmonopol von Chemnitz seit 1357, an dem Kapitalisten und der Landesherr beteiligt waren, die Erfindung des Spinnrades durch Johann Jürgens 1530 und Arkwrights Patent vom Jahre 1769 für Spinnmaschinen mit Wasserkraft. Während im Erzgebirge nach 1800 in vielen Stuben noch mit Spinnrad und Handwebstuhl Leinwand erzeugt wurde, waren in England schon Fabriken entstanden; das Erzgebirge folgte so rasch dem britischen Vorbild, daß dem Inselvolk alsbald ein nicht ungefährlicher Konkurrent in den Gebirgstälern entstand. Die Chemnitzer Bleiche zwar ging im 18. Jahrhundert ein, aber seit 1764 handelten griechische Kaufleute in Chemnitz mit Baumwolle, und schnell eroberte dieser neue Rohstoff das Gebirgsland, so ähnlich wie die beginnende Industrie jener Zeit von Goethe im Wilhelm Meister dargestellt wird. Übrigens war Spinnen und Weben vorwiegend Winterarbeit, nicht nur bei den Bauern, sondern auch bei Maurern und Zimmerleuten, die von vielen erzgebirgischen Dörfern im Sommer auf Arbeit nach auswärts gingen, im Winter daheim mit groben Händen feine Fäden bedienten. Der dritte TextilrohstofT, Wolle, war (wie der Flachs) alteinheimisch, wurde in vielen Schäfereien des Gebirges von sorgfältig gezüchteten und gut gepflegten Schaffellen abgeschoren, weshalb ja die „Elektoral-Wolle", d. h. Wolle aus Kursachsen, lange Zeit höchste Preise erzielte. Tuchmacher in vielen Städten des Gebirges und seiner Nachbarschaft verarbeiteten diesen Rohstoff und boten ihn in „Gewandhäusern" (Zwickau) zum Verkauf. Nahezu 500 Jahre trug die Leipziger Messe dazu bei, erzgebirgische Textilerzeugnisse in

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den Welthandel zu schleusen und dafür dem an Lebensmitteln armen Erzgebirge Einfuhren zu ermöglichen. a) Fladis Diese alte Kulturpflanze benötigt hohe Niederschläge. Gebirgswiesen im Bobritzschtal, bei Wolkenstein, auf Drebacher Flur, bei Lauter und Wildenfels eigneten sich gut zur Bleiche. Die Rittergüter Pfaffroda und Purschenstein waren noch 1820 Flachserzeuger. Auch an vielen anderen Orten erstrahlte das Blütenmeer des blauen Flachses im Sonnenglanz. Viele Dörfer besaßen eigene Ölmühlen, um die Leinkapseln zu Leinöl zu vermählen. Hier und da sind noch alte Brechhäuser erhalten, wo der Flachs des ganzen Dorfes von seinen harten Stengelhüllen befreit wurde. Marienbergs Brechhaus wird 1559 erwähnt. Drebach hatte vier, Venusberg ein Dörrhaus. Das von Affalter ist um 1960 abgebrochen worden. Die Fasern wurden gehechelt und dann um den Rockenstock des erzgebirgischen Mädchens geschwungen. Aber das Spitzenklöppeln verdrängte nach 1560 vielerorts die Spinnarbeit. Drebadi bleichte sein vorzügliches Garn auf zwölf Bleidien, und 25 sogenannte „Fabrikanten" stellten um 1800 hier und in Nachbarorten Klöppelzwirn her. Audi Jahnsbach, Gelenau, Altenberg machten „Stockzwirn". Zwirnereien, ursprünglich mit hölzernen Zwirnrädern und Wasserkraft, gab es schon im 18. Jahrhundert in Annaberg. Schmalzgrube hatte im 19. Jahrhundert drei Zwirnereien. Leineweber wohnten fast in jedem Dorfe; denn die Bäuerin legte Wert darauf, aus ihrem selbstgebauten und selbstgesponnenen Flachs schöne Leinwand weben zu lassen. In den Städten waren Leineweber zahlreicher. Die Meister in Zschopau, Oederan, Freiberg hielten sidi zur Chemnitzer Innungslade, und deren Artikel vom Jahre 1602 galten in etwa einem Dutzend erzgebirgisdier Städte. Neben der alten Leineweberzunft in Chemnitz erschien bereits 1532 eine der Barchentweber. In Großhartmannsdorf suchte man neue Wege in der Leineweberei. Die vielen Weber dort kauften Garn, webten Leinwand, gaben diese an Bleicher, und von diesen übernahmen Hausierer und Händler die Ware. Dann gelang es dem Grundherrn Hans Georg von Carlowitz, die Weber zusammenzuschließen. Um sie vor den Aufkäufern zu schützen, Schloß er sie nach langem Streit 1817 zu einer Handelsgesellschaft zusammen, gab 500 Taler Vorschuß, kaufte auch Garn ein, vermittelte Bestellungen für die sächsische Armee und steigerte so den Wochenverdienst eines jeden Webers von 18 Groschen auf 1 Taler 20 Groschen. Allerdings wurde, um Güte zu verbürgen, auch eine „Schau" mit Stempel eingeführt. Vier Hausierer übernahmen den Absatz. Leineweberei hielt sich hier bis ins 20. Jahrhundert. 1907 waren in Großhartmannsdorf 232 Männer damit beschäftigt, und Scheuertücher waren Haupterzeugnisse. Webstühle in größerer Zahl klapperten ehedem audi in

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den Ortschaften Lengefeld, Hartenstein und besonders lange in Wildenfels. Inzwischen machte die Flachsaufbereitung Fortschritte. Friedrich Lohse, ein tüchtiger Architekt und vielseitiger Unternehmer, erbaute 1843 oberhalb Schlettau an der Zschopau eine Anstalt, worin der Flachs aufbereitet wurde. Auf dem H a l m gekauft, wurden die Stengel in Wasser und T a u geröstet, geschwungen und gereinigt. Maschinen im Hauptgebäude besorgten das Brechen und Schwingen; im Nebengebäude wurde gebündelt und gepackt. Wasserkraft und Luftheizung waren mit eingesetzt. Jährlich lieferte der Betrieb 1000—1200 Zentner Flachs. Die Flachsaufbereitungsanstalt in Lichtenberg erhielt 1848 von der Regierung Vorschuß für Brech- und Schwingmaschinen und wurde nach einem Brande wieder eingerichtet. Weitere Anstalten dieser A r t bestanden in Bobritzsch, Nassau und Mulda, und 1854 waren schon mehr als 5 0 0 mechanische Schwingmesser in Gang. I m kalten Gebirgswasser konnte man schlecht rösten. Deshalb nahm man auch in Lichtenberg W a r m wasserrösten auf; Marienberg, Dörnthal und Schönbrunn wurden ebenfalls wichtige Flachserzeuger. I n Friedebach waren fünf Brechhäuser alljährlich viele Wochen in Betrieb, meist mit 2 0 Frauen und Mädchen unter Leitung eines Maschinendrehers. Die tägliche Ausbeute in einem Brechhaus kam auf 250—300 kg Flachs. Lichtenberg lieferte 1 8 9 0 56 7 0 0 kg reingeschwungenen Flachses, 1909 etwas weniger. An Werg fielen 25 0 0 0 kg an. T r o t z besonderer Flachsbaukurse und der 1884 gegründeten Sächsischen Flachsbaugesellschaft ging gegen 1900 der Flachsbau zurück. Inzwischen waren mechanische Flachsspinnereien im Erzgebirge entstanden: 1859 in Freiberg Η . H . Müller und H i r t , später Sächsische Leinenindustriegesellschaft genannt. Sie hatte um 1900 4 0 0 Arbeiter für 7 2 0 0 Spindeln und verarbeitete jährlich 2 0 0 0 0 Zentner gebrechten Flachses. 1 8 6 0 begann die Fabrik in Wiesenbad, 1865 die Schloßmühle bei Lauterstein, weitere in Thalheim an Stelle eines Eisenhammers, in Marienberg und bei Streckewalde. Doch blieben von diesen 14 Fabriken mit 28 0 0 0 Spindeln nur wenige übrig, besonders als der Flachsanbau zurückging. Die Wiesenbader, als A G gegründet, gehörte seit 1877 Meyer und Polemann. U m 1 9 0 0 wurden hier jährlich 10 0 0 0 Doppelzentner Flachs auf 6 1 0 0 Feinspindeln zu Leinengarn versponnen. N u r ein Fünftel des Rohstoffes kam aus Sachsen, viel aus Rußland. Abnehmer waren Webereien in Sachsen und dem Rheinland. 5 5 0 Arbeiter, zum Teil aus Böhmen, waren hier tätig. Für sie wurden zahlreiche Arbeiterwohnungen erbaut. D e r Lohn war sehr niedrig. Die Akkordspinnerei zahlte 1871 für 12 Stunden Arbeit nur 1,20—1,40 M a r k . D e r Flachs, in Kondenswasser geröstet und in der Flachsschwingerei geschwungen, durchlief die Flachsspritzerei zum Aushecheln der Wurzelenden, die Maschinenhechelei zum Aushecheln des Flachses, die Vorspinnerei, wobei auch Werg verarbeitet wurde. In der Feinspinnerei wurde das Vorgarn bis zum fertigen Faden verzogen, in der Weiferei maschinenmäßig zu Bündeln gelegt. Spulerei, Zwirne-

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rei, Kopserei (wo Kops zum Einlegen in die Webschützen entstanden) schlossen sich an. Die stattlichen Fabrikgebäude wurden von einem 56 m hohen Schornstein überragt, und außer der Dampfkraft war eine Turbine mit 245 PS eingesetzt. Noch heute ist die Wiesenbader Spinnerei ein angesehener Betrieb. b) Wolle Die Tuchmacherzünfte erzgebirgischer Städte unterhielten schon im Mittelalter gemeinsame Betriebe. Die Chemnitzer Walkmühle ist 1437 erwähnt, die Oederaner Tucher hatten im 16. Jahrhundert ihre Walke bei Hetzdorf, die Annaberger bei Frohnau. Stollberger Tuchmacher benutzten einst vier Walkmühlen und kauften 1817 eine Mühle als Walkerei. Kirchberg, noch heute Tuchstadt, besaß nachweislich 1592 eine Walkmühle und 1850—71 ein Walkwerk mit 14 Hämmern, meist mit Wasserkraft, notfalls auch mit Dampf kraft angetrieben. Damals zählte die kleine Stadt 586 Tuchmacher. In Oederan waren 1697 162 Tuch- und Zeugweber tätig, und Mitte des 19. Jahrhunderts arbeiteten hier 151 Tuchmachermeister mit 145 Gesellen und 45 Lehrlingen, davon 48 Meister auf eigene Rechnung, die übrigen waren für die Tuchfabriken von Adolph Gottlieb Fiedler und Gebrüder Fiedler tätig; das ist das Neue in der Entwicklung vom Handwerk zur Fabrik. A. G. Fiedler, der 1820 300 Menschen beschäftigte, erhielt 1822 für seine Qualitätstuche die Große Goldene Medaille der sächsischen Regierung. Er besaß auch eine Tuchfabrik in Polen, benutzte ferner ein Falkenauer Fabrikgebäude, um Militärtuche fertigen zu lassen. Auch Zschopau war eine alte Weberstadt. Die Tuchmacherzunft bestand seit 1511, die der Leineweber seit 1529. Gewebt wurde feines Tuch, Halbtuch (Wolle und Leinen) und Flanell. 1779 waren 155 Tuchmacher hier ansässig. 1802 kam J. J. Bodemer nach Zschopau, kaufte zunächst den Webern ihre Erzeugnisse ab, stellte trotz Widerstandes der Meister 1818 den ersten mechanischen Webstuhl auf und gründete 1819 eine Spinnerei. Mitte des 19. Jahrhunderts waren noch 35 Tuchstühle in Gang, aber daneben bestanden Tuchfabriken der Gebrüder Gensei, Kunze, Uhle, Matthes im nahen Gornau, wo die Maschinen mit Wasserantrieb arbeiteten. Halbwollweberei war in Wildenfels und Umgebung beheimatet. Erwähnt sei auch die Filz- und Kratzentuchfabrik in Dittersdorf an der Zwönitz. Sehr deutlich zeigt Lößnitz den Übergang vom Handwerk zur Industrie. An diesem Ort waren bereits 1793 Spinn- und Krempelmaschinen eingesetzt, und 1837 wohnten dort 132 Tuchmachermeister; daneben bestanden schon zwei Tuchfabriken, die von Heinrich Meyer, der eigene Spinnerei und Appretur besaß, und Gebrüder Geßner, die mit Lößnitzer Handwerkern zusammenarbeiteten. Damals erwarben ein Dutzend Meister eine gemeinschaftliche Spinnerei und Appreturanstalt, benutzten im nahen Dreihansen die Wasserkraft des früheren Waffenhammers und erbauten eine Fabrik. Alljährlich

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wählten sie einen aus ihrer Mitte zum Leiter. Der Staat bewilligte Geld, um diese neuartige Genossenschaft zu stärken. Übrigens arbeitete diese Fabrik eng mit anderen Lößnizer Meistern zusammen, benutzte audi deren Walke in Niederlößnitz. Doch verliert sich später das Tuchgewerbe in Lößnitz gänzlich. An seine Stelle ist die Putzwollfabrikation getreten, die in mehreren Firmen (ζ. B. Rothe) entwickelt und nach 1945 in einem staatlichen Betrieb zusammengeschlossen wurde. In manchen Städten erinnert noch das „Meisterhaus" an die blühende alte Tuchmacherei, so in Buchholz und in Kirchberg. In letzter Stadt, wo einst geringere Tuche gewebt wurden, „Fleckentuche, Landtuche" genannt, wurde gleichfalls das Handwerk durch Fabriken abgelöst. — Die Stadt zählte 1847 586 Tuchmachermeister, 109 Meisterwitwen und 8 Tuchscherer und lieferte damals 7103 Stück Tuch, verkaufte ihre Ware in 15 Großhandlungen, und viele Einkäufer bezogen damit Jahrmärkte Sachsens und Preußens, andere versendeten Tuche in die Schweiz oder nach Hamburg. In Cunersdorf bei Kirchberg bestand damals schon eine Streichgarnfabrik, ferner die Kammgarnfabrik Trölzsch. Später gab es dort vier Spinnfabriken und zwei Wollwäschereien, daneben in Saupersdorf zwei Spinnfabriken und die bedeutende Weberei von J . G. Wolf. So wurde das ganze Rödelbachtel von Fabriken besetzt. Noch sind vorhanden Tuchfabrik Gerlach, Wolltuchweberei Rödeltal, VEB Streichgarnspinnerei, Popps Söhne Wollgarnspinnerei, Textilstoff VEB, in Saupersdorf eine Reißwollefabrik und weitere Werke. Aber auch im nahen Wilkau entstanden Kammgarnspinnereien, ζ. B. die von Dietel. Nach Silberstraße wurde die Maschinenkämmerei Schedewitz, die 1859 gegründet worden war, verlegt. Ihr leisteten lange Zeit kleinere Wollkämmereien in erzgebirgischen Orten Vorarbeit. So hatte in Albernau bei Aue um 1830 der Besitzer des dortigen kleinen Rittergutes, von Petrikowsky, eine Handkämmerei eingerichtet — ein bemerkenswerter Versuch, in abgelegenen Dörfern des Erzgebirges industrielle Arbeit einzuführen. Er fuhr auf Wollmärkte in Pommern, West- und Ostpreußen oder Schlesien, kaufte ein, brachte mit eigenen Gespannen bis zu 400 km weit Wolle herbei und ließ sie in Lohnarbeit waschen und kämmen. Die Kammzüge verkaufte er an Spinnereien in Zwickau und Chemnitz. 1840 war seine Handkämmerei sehr gut ausgerüstet. Petrikowsky richtete danach weitere in Bockau, Zschortau, Sosa, Breitenbrunn ein, beschäftigte damit in Handkämmerei 50—60 Männer und Frauen, in der Wollsortierung gegen 800 Erwachsene und 150 bis 200 Kinder. Auch in Johanngeorgenstadt bestand zeitweise eine Wollkämmerei, die 1848 400 Menschen beschäftigte. Die Albernauer brannte 1856 ab, und fortan übernahm die Maschinenkämmerei Schedewitz (später Silberstraße, s. o.) diese Arbeit. Eine Kammgarnspinnerei in Schwarzenberg (Glas, 1888 gegründet) hielt sich bis zum Ersten Weltkrieg. Erwähnt sei noch die Sächsische Wollwarendruckfabrik der Gebrüder

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Oschatz in Schönheide, 1857 gegründet und bis in neuere Zeit sehr angesehen. Zur Förderung der Wollweberei wurden Webschulen in Zsdiopau, Oederan und Lengefeld eingerichtet. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts trat die Wollwarenfabrikation, je mehr die altberühmte sächsische Schafwolle vom Markt verschwand, hinter erzgebirgischer Baumwollindustrie zurück, ist aber im Kirchberger Kessel und in Oederan noch recht ansehnlich. c) Baumwolle Diese Industrie wurde ins Erzgebirge eingeführt, um für dessen dichte Bevölkerung Arbeit zu beschaffen. Der Staat unterstützte dies Bestreben, erleichterte es im Anfang durch Privilegien. Die Unternehmer nutzten dabei die niedrigen Löhne in verarmten Gebirgsgegenden. In Hausindustrie wurde Baumwolle zuerst wie Flachs gesponnen. Daher konnte sie leicht in die Gebirgsdörfer eindringen, wo Spinnen seit alters als Winterarbeit in Bauernfamilien betrieben wurde. Noch 1807 werden 50 000 Handspinner angegeben. Chemnitz hatte schon längst Baumwollhandel und versorgte seine Umgebung mit Rohstoff. Auch war hier der von Nürnberg ausgegangene Kattundrudk eingeführt und begünstigte Kattunweberei. Die erste Kattundruckerei in Chemnitz begann 1770 als Manufaktur zu arbeiten. Pflugbeil richtete im Jahr darauf eine zweite ein, Oehme in Zsdiopau 1777 die dritte erzgebirgische. Dazu kamen 1783 die Kattunmanufaktur Rubold in Oederan, wo auch die Beryll- und Schönfärberei von Christian Gottlob Fiedler im gleichen Jahr entstand. Als eigenartige Textilmanufaktur war seit 1790 die von Lang im Jägerhof bei Augustusburg in Betrieb. Damit war das Erzgebirge mit seinem Vorort Chemnitz bereits stark auf Textilarbeit eingerichtet. Mit Hilfe von Maschinen entwickelte sich das vorhandene Hausgewerbe zu einer Fabrikindustrie, die hohen Kapitaleinsatz erforderte. Die neue Art der Produktionsstätten beruhte auf der Verbindung von mechanischem Antrieb und Massenherstellung durch viele in einem geschlossenen Betrieb zusammengepferchte Arbeiter. Schon 1785 lieferte Chemnitz Handmaschinen mit 10—30 Spindeln und Handkrempeln. Eine Krempelmaschine hatte der Leineweber Johann Friedrich Pfaff in Zschopau um 1780 erfunden und dadurch Vorarbeit geleistet für weitere Mechanisierung. Der Bedarf von Baumwollgarn war bei den Strumpfwirkern und Strickern in der Umgebung von Chemnitz schon nicht mehr zu decken, da sich die Strumpfwirkerei ständig ausbreitete. Baumwollspinnerei wurde also dringend gebraucht. 1786 kam die englische Spinnmaschine Jenny nach Sachsen, und Ende des 18. Jahrhunderts liefen im Chemnitzer Bereich 2000 dieser Maschinen. In Lößnitz wurde 1791 auf Maschinen gearbeitet, die 42 Fäden baumwollnes Garn spannen. 1798 kaufte Kreißig in Chemnitz 50 Jennys und stellte sie in einem großen Saal auf. Aber als erste sächsische Spinnerei gilt die von Wöhler und Lange 1799 in Chemnitz, während Gebrüder Bernhard in Harthau an

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der Würschnitz gleichzeitig eine erbauten. Die englischen Maschinen, die in beiden Betrieben verwendet wurden, nutzten entweder Wasserkraft (Watermaschinen) oder von Tieren gezogene Göpelwerke (Mulemaschinen). In der „Spinnmühle" Harthau stellte William Whitefield 5 Mulemaschinen mit 620 Spindeln auf, mußte aber den heimischen Maschinenbauer Irmscher zu Rate ziehen, um diese in Gang zu bringen. (Hier in Harthau entstanden später neben anderen Fabriken eine Kammgarnspinnerei und eine weitere Baumwollspinnerei, die der Industrielle Wieck umwandelte in eine Fabrik für Bobinetmaschinen. Doch fertigte sie später ebenfalls Kammgarn. Diese Zwischenbemerkung soll zeigen, wie verschiedene Textilbranchen im Chemnitzer Raum ineinandergreifen.) Die Landesregierung, der an der Einführung der Baumwollindustrie in Sachsen gelegen war, gab Darlehen und mehrjährige Privilegien an Kapitalgeber, die sich an diese Aufgabe heranwagten. So hatte Johann Philipp Wöhler ein Privileg für Watermaschinen erworben, als er die Spinnerei in Chemnitz errichtete. Immer noch arbeiteten in kleinen Orten Handspinner, ζ. B. 1803 in Niederzwönitz, wo 26 Webermeister starken Bedarf hatten, 14 Baumwollspinner mit 3 Krempelmaschinen. Da Napoleons Festlandsperre 1806—13 die sächsische Baumwollindustrie gegen englischen Wettbewerb abschirmte, machte sie rasche Fortschritte. In Erfenschlag wurde 1808 die erste dortige Spinnmühle mit über 9000 Spindeln, an denen 140 Erwachsene und 110 Kinder arbeiteten, errichtet. In Plaue bei Flöha folgte Pflugbeils Spinnerei. Evan Evans, der besonders gutes Garn spann, half 1809 die 5 (später 6) Stockwerk hohe Seebersche Fabrik an der Flöha einrichten. Aus seiner Werkstatt für Spinnereimaschinen, die Evans zuerst in Dittersdorf bei Flöha begonnen hatte, lieferte er bis 1812 mehr als 42 000 Spindeln. Seebers Spindelzahl betrug 1812 600 bei 160 Arbeitern. Nach 1815 gehörte das Werk Iselin Clauß, der auch Bleicherei und Färberei anlegte und 1842 die Mechanische Weberei Auerhammer kaufte, um seine Gespinste selbst zu verwerten. Um 1860 waren im Werk an der Flöha 14 100 Spindeln in Gang, 308 Arbeiter an ihnen tätig. Die erste Dampfmaschine für diese Fabrik kam 1861 aus England; 1865 wurde eine eigene Gasanstalt errichtet. 1909 betrug die Spindelzahl 77 808. In Chemnitz war 1811 Becker gefolgt, in Harthau eine zweite Spinnerei der Gebrüder Bernhardt 1812, und im gleichen Jahre die von Meinert in Lugau. Wie langsam trotz allem die Industriealisierung sich durchsetzte, zeigt Lugau 1819, wo die Spinnmühle 100 Menschen beschäftigte, daneben eine kleine Handspinnmanufaktur bestand sowie weitere Arbeitskräfte daheim am Spinnrad und an kleinen Handmaschinen arbeiteten. Evans selbst erbaute 1812 als Musteranstalt sein berühmtes Werk in Siebenhöfen bei Geyer. Man nannte ihn den „Vater der Baumwollspinnerei" wegen seiner Verdienste um den Einzug dieser Industrie in Sachsen. Erfenschlag erhielt durch Gebrüder Schnabel die zweite Spinnmühle. Noch baute Acker-

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mann in Altchemnitz und Lohse in Schlettau Spinnfabriken (letzte ist nicht mehr vorhanden). Aber nach der Völkerschlacht bei Leipzig kam das große Sterben der ersten Spinnmühlen, da Sachsen mit den von England billig auf den deutschen Markt geworfenen Baumwollwaren und -garnen nicht mehr konkurrieren konnte, audi die Frachtkosten für Rohbaumwolle bis in ferne Erzgebirgstäler sehr hoch kamen. Einen neuen Zyklus von Spinnereibauten eröffnete Eisenmann 1821 mit der Spinnerei Einsiedel bei Chemnitz. Es folgten 1824 Weißbach in Flöha und Lohse und Naumann in Schlettau. Letzter gut erhaltener Bau, im klassizistischen Stil mit Säulen und Risaliten geschmückt, der heute eine Knochenverwertung beherbergt, zeigt eine kreuzförmige Anlage und fünf hohe Stockwerke, deren Spinnsäle von Holzsäulen getragen wurden. Man baute die Spinnmühlen so hoch wegen des Antriebs durch Wasserrad oder Göpelwerk. Ferner brauchte man für die Spinnmaschinen möglichst allseitig belichtete Säle, dazu Nebenräume, hohe Mansardendächer zum Aufbewahren der Garne, feuerfeste Gewölbe für Rohbaumwolle. Im Erdgeschoß standen die schweren Krempel- und Vorspinnmaschinen. Die Erbauer solcher für das Erzgebirge neuartiger „Industriepaläste", J. Tr. Lohse und Chr. Fr. Uhlig oder Uhligs Söhne gaben damit der Industrialisierung architektonisch einen Ausdruck, der nicht nur als Zweckbau, sondern auch künstlerisch zu bewerten ist. Es folgte als Spinnfabrik 1829 die von Heymann in Gückelsberg, fünfstöckig auf dem Boden der alten Erbmühle errichtet. Ein zweites Gebäude wurde 1847 erbaut. 1919 wurden diese mit der Zschopauer Baumwollspinnerei zu einer AG zusammengeschlossen. 1830 war in Hennersdorf die Spinnerei Grading entstanden, 1832 in Venusberg Martini. Neuen Aufschwung brachte Deutschlands Zolleinigung 1833. Sogleich begann Schwalbe in Gornsdorf, Oelhey in der schön unterhalb Wiesenbad gelegenen Himmelsmühle mit Baumwollspinnerei. In letzterer liefen 15 000 Spindeln. Max Hauschild, ein Schüler von Evans und Mitarbeiter von Heymann, tat sich mit Wilhelm Pansa zusammen, der bei Fiedler in Oederan gelernt hatte. Sie gründeten 1833 die Spinnerei Hohenfichte, spannen zuerst um Lohn für Chemnitzer Handelshäuser, stellten aber bald selbständig ihre gezwirnten Garne zum Stricken und Häkeln her und errangen damit Weltruf. Aber erst, nachdem die Eisenbahn Chemnitz—Annaberg erbaut und damit die Transportlage verbessert war, konnte das Werk unter Hauschilds Söhnen sich weiterentwickeln. Es ist seit 1946 staatlicher Betrieb. 1836 folgte die Scharfensteiner Spinnfabrik von Fiedler und Lechla, der größte Bau dieser Art mit 21 Fensterachsen und 8 Stockwerken; er ist 1915 abgebrannt. In Aue entstanden 1836 nebeneinander gleich drei große Baumwollbetriebe: 1. die Lauknersche Spinnerei, in der die Gebrüder Laukner mit selbsterfundenem Seifaktor arbeiteten und soziale Einrichtungen schufen, so daß die Fabrik in Sachsen einen hohen Rang einnahm; 2. die Holbergsche

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Bleicherei mit acht Stock hohem Trockenturm; 3. die Mechanische Weberei Auerhammer, die als Aktiengesellschaft begann (siehe Teil II). In Obertannenberg, nahe dem Siebenhöfener Werk von Evan Evans, erbaute Karl Friedrich Höffer 1837—1839 eine siebenstöckige Spinnmühle mit Turm. 1860 kam eine Zwirnerei dazu. Nach 1890 benutzte man eine Dampfmaschine von 150 PS. Die Arbeiterzahl, anfangs 140 bei 6800 Spindeln, betrug 1905 300. Auch eine Bleiche kam hinzu. Die Gespinste eigneten sich besonders für Posamenten, als Strumpfgarne und Zwirne, waren also der Posamentenindustrie und dem Bedarf der nahen Strumpforte sehr notwendig. Nach 1953 benutzt eine Färberei das stattliche Gebäude. Südlich Tannenberg lag eine weitere Spinnerei, jetzt Pappenfabrik. Ende der 1840er Jahre kamen neu auf Trübenbachs Spinnerei Dorfschellenberg, Schüllers erste Spinnerei in Gelenau, an die sich bald seine idyllisch gelegene, im Laufe der Zeit sehr vergrößerte Fabrik in Venusberg anschloß, heute die große staatliche „Feinspinnerei". Von da flußaufwärts wurden drei Spinnereien in Herold, zwei weitere nach Ehrenfriedersdorf zu gebaut, was dem Wilischtal den Spitznamen „Millionengrund" eintrug. Die Arbeiter dieser Fabriken waren schon 1848 politisch sehr rege. 1846 begann Robert Schneiders Baumwollspinnerei Marienberg zu arbeiten, Hammerleubsdorf bekam die Spinnerei Böhmer und Oehme, Wolkenstein die von Kretzschmar. Auch in Cunersdorf bei Annaberg stand eine Spinnmühle. Erwähnt seien weiter die Spinnereien von Rohling in Lauter, Gebrüder Meister in Erdmannsdorf, Liebermann in Falkenau, Austel in Zwönitz, fünf Spinnereien in Burkhardtsdorf, je drei in Thalheim und Gornsdorf, selbst noch oben an der Grenze in Reitzenhain ein Werk. Insgesamt zählte das Erzgebirge 1846 93 Spinnereien mit über 470 000 Spindeln. Trotz lebhafter Auswanderung nach Nordamerika Mitte des 19. Jahrhunderts stieg überall die Einwohnerzahl in vordem kleinen Gebirgsorten, wo Spinnereien errichtet worden waren. So wohnten in Hennersdorf bei Augustusburg vor 1830 nur 230 Menschen, um 1860 waren es über 500. Bis dahin war hauptsächlich die Wasserkraft für den Antrieb eingesetzt worden. Die erste Dampfmaschine in einer Spinnerei stellte Clauß in Flöha auf. 1855 arbeiteten bereits 26 Spinnereien mit Dampf, während 19 außer der Wasserkraft ebenfalls Dampf verwendeten. Besonders an der Zschopau entwickelte sich damit Großindustrie. In Chemnitz wurde 1857 die Aktienspinnerei errichtet, aber 1899 nach Altchemnitz verlegt. Dieser Hinweis auf die bedeutende Chemnitzer Baumwollindustrie genüge; sie ist zu weitschichtig, als daß sie hier mit einbezogen werden könnte. Fürchterlich räumte um 1862 die sogenannte Baumwollhungersnot unter der erzgebirgischen Baumwollindustrie auf. Nordamerika konnte wegen seines Bürgerkrieges keine Rohbaumwolle liefern. Soweit möglich, half man sich in Sachsen mit Einfuhren aus dem Orient. Doch sehr viele Spinnereien muß-

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ten 1863 schließen, selbst so angesehene wie die Laucknersche in Aue. Die leerstehenden hochstockigen Gebäude der „Spinnmühlen" wurden mit der Zeit für andere Zw ecke genutzt. Manche sind nicht mehr erhalten. Erst nach 1865 erholte sich die sächsische Baumwollindustrie, mußte aber nach 1871 den Wettbewerb mit dem ans Deutsche Reich angeschlossenen Elsaß, dessen Baumwollindustrie in den Vogesentälern hochentwickelt war, aufnehmen. Von 720 000 Spindeln im Jahre 1862 waren 1876 nur noch 420 000 übrig. Aber bei verbesserter Baumwollzufuhr nach Eröffnung des Suezkanals 1869 und dem Aufblühen des Triester Hafens ging es mit der erzgebirgischen Baumwollindustrie wieder aufwärts. Auch neue Fabriken entstanden, ζ. B. 1875 die von Karl Friedrich Ahner in Pobershau erbaute Spinnerei. Die seines Vaters Ehregott Ahner bei Wolkenstein brannte 1897 aus und wurde 1899 doppelt so groß wieder erbaut mit 400 PS Dampf- und ebensoviel Wasserkraft. 1890 lagen 16 Spinnereien an der Zschopau, 7 an deren Nebenflüssen (ζ. B. Schönfeld, Gelenau, Weißbach), 7 an der Flöha (darunter Hetzdorf und Oederan), weitere an der Chemnitz und ihren Nebenflüssen (Einsiedel, Kemtau), dazu in Chemnitz selbst 12 Haupt- und 2 Nebenbetriebe. Die Baumwollzwirnerei war nahe Augustusburg angesiedelt. Besonders Witzschdorf und Hohenfichte sind dafür berühmt. Auch Sehma und Königswalde erhielten Zwirnfabriken, die, ebenso wie Höfers Tannenberger Betrieb, für Posamentenindustrie und Strumpfwirkerei dieser Gegend Garne lieferten. In Schlettau wurde 1897 die Schloßmühle in eine Zwirnerei umgewandelt. Nur wenige haben den Ersten Weltkrieg mit seinem Baumwollmangel überstanden. So blieben 1917 beim Stillegen der Textilbetriebe wegen des Krieges nur Clauß in Flöha mit 30 000 Spindeln (1946 abgebrannt) und Zschopauer Spinnereien erhalten. Ein paar Beispiele für Entwicklung und Schicksale der Spinnmühlen: In Falkenau baute ein ehemaliger Offizier Napoleons, Beaumont, 1821 eine Spinnfabrik an eine Mühle an, gründete später eine zweite. Diese diente dann als Tuchfabrik für Gottlieb Fiedler, Oederan. Nach einem Brand baute Fiedler sie wieder auf und fabrizierte Militärtuche. 1867 richtete der Chemnitzer Maschinenkönig Richard Hartmann mit Hermann Vogel aus Chemnitz eine Florettspinnerei hier ein. Nach deren Ende wandelte Georg Liebermann das Gebäude zur Baumwollspinnerei um und erwarb als „Untere Fabrik" eine weitere Spinnerei hinzu. — Der Zschopauer Webermeister Gottlob Wunderlich, der 1832 in Zschopau eine Fabrik gegründet hatte, übernahm 1851 das stillgelegte Blaufarbenwerk Zschopental und baute darin eine mechanische Weberei auf mit anfangs 20, später 100 Webstühlen. Dazu gehörte eine Spinnerei mit 400 Spindeln, die wöchentlich 6000 Pfund Garn liefern konnten. In einem dritten Betrieb wurden Stoffe mit baumwollener Kette und wollenem Einschlag fabriziert, wozu noch Färberei und Appretur gehörten. In der Baumwollweberei war der Handwebstuhl gegen 1860 schon in die

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Rumpelkammer verbannt worden. Doch in Zschopau, wo die schon im 18. Jahrhundert blühende Zeug-, Bunt- und Kunstweberei 1846 noch auf 1041 Stühlen betrieben wurde, erhielt sich Weberei von Kleiderstoffen als Hausindustrie etwas länger. Hier bestanden Mitte des 19. Jahrhunderts fünf Kattundruckereien mit 200 Arbeitern neben den großen Spinnereien. In Oederan gab es eine Weberzunft seit 1505. Sie zählte 1624 330 Meister, und drei Färbehäuser waren für das dortige Weberhandwerk vorhanden. Gefertigt wurden Flanelle, Kattune, schwere Bettzeuge und Piqui, sowohl handwerklich als später in der Fabrik von Lechla. Erst nach 1880 ging man zur mechanischen Weberei weiter, fabrizierte Teppichläufer, Tischdecken sowie Chenille, und Chemnitzer Handelshäuser ließen in Oederan Plüsch weben, wie auch die hohe Spinnmühle in Erfenschlag (W. Speer) Plüschfabrikation aufgenommen hatte. Futterstoffe wurden in Auerhammer und Lößnitz gewebt. In Lengefeld entstand 1875 eine Fabrik für bunte Baumwollstoffe, und Wingendorf er Chenille fand starken Absatz im Ausland. 1907 zählte die Baumwollweberei im Kreis Schwarzenberg, besonders mit Aue und Lößnitz, gegen 1200 Arbeiter, davon 954 weibliche. Im Kreis Flöha waren es damals 822 (466). Die große Mechanische Weberei Auerhammer ist um 1930 stillgelegt worden. Dagegen hatte in Aue (siehe Teil II) 1866 die Berliner Firma S. Wolle eine neue Weberei mit Bleicherei gegründet, und diese besteht noch unter dem Namen Curt Bauer KG. Im Mülsengrund saßen noch Mitte des 19. Jahrhunderts die Webermeister an 900 Webstühlen. Einer von ihnen, C. G. Wagner aus Mülsen St. Niklas, benutzte bereits 1853 Wasserkraft für seine Webstühle und webte Kattun. Seine sich kräftig entwickelnde Weberei verlegte sein Schwiegersohn Beyer 1884 nach Lößnitz, und diese Firma ist heute wichtige Lieferantin von Verbandstoff. Die erste deutsche Tüllfabrik begann 1865 in Schneeberg. Ihre Besitzer, Gebrüder Lehn, bezogen 1885 sechs Tüllmaschinen aus England, um den Bedarf der Eibenstocker Stickerei decken zu können. Auch Schönheide arbeitete für die Plauener und Eibenstocker Stickindustrie mit Tüllfabrikation. Die Spinnerei Plaue an der Flöha ging 1898 zum Tüllweben über und fertigt Gardinen und Spitzen. Segeltuch, Waggondecken, Zeltplanen liefert Oederan (Salzmann), das auch regen Anteil an der Verarbeitung von Jute nahm. In Oederan werden ja auch Nähfäden gemacht (Kabis), und in Witzschdorf bei Waldkirchen in der 1872 von Heydenreich gegründeten Sächsischen Nähfadenfabrik AG. Kattundruck verbreitete sich von Chemnitz aus, und bei Erdmannsdorf wurde dafür schon 1800 eine Bleiche angelegt. Die Kattundruckerei Becker und Schraps in Chemnitz, 1804 gegründet, gliederte 1811 eine Baumwollspinnerei an und beschäftigte bis 3000 Arbeiter.

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d) Seide Seide zu fabrizieren, begann 1840 in Annaberg die Thilosche Seidenfabrik, und eine von Prager machte Seidenbänder. Weitere Seidenwarenbetriebe und fünf Seidenfärbereien schlossen sich an, denn die Annaberger Posamentenindustrie brauchte Seidenzwirn und Seidenband. In Bärenstein fing Rudolf Kampf 1886 die Kunstseidenzwirnerei an, aber erst Richard Küttner entwickelte diesen Textilzweig großartig. In einer vom Großvater gegründeten Fabrik in Sehma ging er zur Kunstseide über und konnte 1940 800 Arbeiter beschäftigen. Sein größtes Werk entstand in Pirna. Ein zweites Kunstseidenwerk in Sehma kam 1911 dazu, audi eine mechanische Kunstseidenzwirnerei und eine Seidenfärberei entstanden. In Freiberg hatte 1904 die Firma Hoppe Seidenweberei und Spulerei mit Chenillefabrikation begonnen. 1930 erbauten die Elberfelder Glanzstoffwerke AG in Tannenberg bei Annaberg eine große Fabrik, um Kunstseide zu spulen, zu wickeln, zu färben. Das Werk brachte es bald auf 700 Arbeiter; daraus ist der VEB Garnveredelungs- und und Seidenwerk hervorgegangen. e) Spitzenklöppeln Handgeklöppelte Spitzen gehören seit über 400 Jahren zu den gewerblichen Erzeugnissen des Erzgebirges. An ihnen hat die Bevölkerung sich geschult, mit feinen Fäden umzugehen und saubere Arbeit zu leisten. Wenn seit Ende des 18. Jahrhunderts Textilmanufakturen, bald auch Spinn- und Webfabriken im Erzgebirge leicht Fuß faßten, so nur, weil seine Bewohner sofort in breiter Schicht industriell eingesetzt werden konnten. Der Verlag, vom Bergbau her im Erzgebirge stark verbreitet, entfaltete gerade im Klöppelwesen seine händlerischen Möglichkeiten (ζ. B. das Faktortum), leider übte er auch das Trucksystem aus. Im 19. Jahrhundert stehen manche Spitzenverlage durchaus der Manufaktur nahe, wenn sie in geschlossenen Räumen das sogenannte Ausnähen der Spitzen vornehmen lassen, und die bedeutende Freiberger Manufaktur für leonische Ware, Thiele und Steinert (1692 gegründet und seit 1726 mit Spinn- und Plattmühlen ausgerüstet, seit 1889 mit Dampfhammer, Spul- und Spinnmaschinen versehen), brauchte zur Arbeit schon in der Mitte des 18. Jahrhunderts 300 Klöpplerinnen, 1889 weit über 1000. Die Spitzenklöppelei ist nach 1550 im Erzgebirge aufgekommen. Nicht Barbara Uthmann hat sie erfunden, wie es früher hieß. Diese ist nur eine bedeutende Unternehmerin gewesen und hat wahrscheinlich das Klöppeln wesentlich weiterentwickelt. Zeitweise gebot sie über 900 Klöpplerinnen. Die Spitzenkunst selbst ist vermutlich aus Flandern oder Italien ins Erzgebirge gelangt, und die sogenannten Bortenschotten — zahlreiche schottische Kaufleute, die nach Annaberg eingewandert waren — werden wohl als Vermittler gedient haben. Auch Niederländer und Savoyarden nahmen am Annaberger

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Spitzenhandel teil. Barbara Uthmann hat wahrscheinlich die Klöppeltechnik verbessert, den Klöppelsack eingeführt, Muster beschafft und Klöpplerinnen geschult. Schon 1560 bestellte die Kurfürstin Anna bei ihr „Borten", und 1571 waren bereits Tausende von Frauen und Mädchen am Klöppelsack für 17 Annaberger Verlegerinnen tätig. Rasch verbreitete sich die schöne Kunst weiter. 1585 ist bereits in Beierfeld eine Klöpplerin nachweisbar, und 1598 schicken Grünhainer Eltern ihre Kinder nicht zur Schule, weil sie mit Spitzen Geld verdienen sollen. Audi in Geyer lassen Eltern 1602 ihre Kinder Klöppeln lernen. Der Rückgang des sächsischen Silberbergbaus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zwang viele Familien, neuen Erwerb zu suchen. Aber 1608 ordnete die sächsische Regierung an, daß nur in Städten geklöppelt werden dürfe, in Dörfern dagegen eine Steuer auf jeden Klöppelsack zu zahlen sei. Denn in der Bauernarbeit fehlten Arbeitskräfte, weil die Dorfmädchen sich lieber Klöppelgeld verdienten, als Stallmägde zu machen. Von der Steuer, jährlich 6 Groschen je Klöppelsack, wurden Hausfrauen, Haustöchter und Bergmannswitwen befreit. Es war also nur ein kleiner Kreis berufsmäßiger Klöpplerinnen davon betroffen. Behindert hat die Maßnahme die weitere Ausbreitung der Klöppelei keineswegs. Trotz der furchtbaren Nöte des Dreißigjährigen Krieges behauptete sich Spitzenklöppeln auch in jener Zeit, denn Spitzen waren ja große Mode, selbst bei den Feldherren. Ließ sich doch die Gattin des schwedischen Generals Banir aus dem Erzgebirge Spitzen senden. Manche Städte zahlten den Feinden als Lösegeld Spitzen. Spitzenhändler zogen trotz der unsicheren Zeit mit dem Spitzenranzen hinaus in viele Länder. Nach dem Friedensschluß 1648 blühten Klöppelei und Spitzenhandel erstaunlich auf, und im Anfang des 18. Jahrhunderts umfaßte der Klöppelbezirk die Gegend von Marienberg, Annaberg, Oberwiesenthal, Johanngeorgenstadt, Eibenstock, Schneeberg und Schwarzenberg mit den dazwischenliegenden Orten. Schneeberg war vom Schleierweben zur Spitzenkunst übergegangen und übernahm bald die Führung im Spitzenhandel, die lange Zeit Annaberg gehabt hatte. Doch der Name „Annaberger Spitzen" erhielt sich weiter. Hunderte von Männern zogen fortan mit der „Spitzenschachtel" auf ferne Jahrmärkte und große Messen — bis nach Prag, Wien oder Venedig und Bozen. Aber auch nach Livland, Polen, Mecklenburg gelangte der erzgebirgische Hausfleiß; außer der Leipziger Messe wurden zu Meßzeiten besucht beide Frankfurt und Braunschweig. Hausieren blieb all die Zeit ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor im Erzgebirge. Aber an Stelle der reisenden Händler traten im 18. Jahrhundert immer mehr Verleger, die in Annaberg, Scheibenberg, Schneeberg oder anderen wichtigen Klöppelzentren wohnten. Bei ihnen oder deren Faktoren, welche bis in die kleinsten Dörfer sich eingenistet hatten, lieferten die „Klipplmad" ihre Ware ab, holten Garne, bekamen neue Muster ausgehändigt (sogenannte Klöppelbriefe), wurden abei oft mit Waren aus den kleinen Faktorlädchen abgefunden statt mit Geld und

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dabei übervorteilt. Der Übergang vom Wanderhandel zum Faktorwesen vollzog sich sehr allmählich, und beide Arten bestanden bis ins 20. Jahrhundert nebeneinander. Freilich erforderte die Faktorei bessere Schulbildung, Einsicht in Preise und Wirtschaftszusammenhänge, die der Hausierer nicht besaß. Rohstoff und Gerät kamen aus dem Erzgebirge; feinen Flachs f ü r Leinenzwirn bauten die Dörfer um Drebach an; Klöppeldreher in vielen Orten drechselten die Klöppel; Nadeln zum Auf Stedten der Spitzen auf den Klöppelsack lieferte vor allem Oberwiesen thai mit seiner starken Nadlerzunft; rote und blaue Papiere f ü r den Klöppelbrief (Aufwinde) stammten aus der Papiermühle Niederlößnitz. Viele Muster sind sicherlich von den Klöpplerinnen selbst erfunden worden. Später gab der Verleger an H a n d umfänglicher Musterbücher die von „Briefstechern" gearbeiteten „Aufwinden" aus. Der Staat suchte seit dem 18. Jahrhundert das „Klipplwerk" zu fördern. So gab die Kommerzdeputation Prämien f ü r Spitzen. Im 19. Jahrhundert halfen Spitzenausstellungen Vergleiche zu ziehen und die Qualität zu verbessern. Die erste Klöppelschule wird 1767 in Thum erwähnt. Zur Bekämpfung der fürchterlichen Nachwirkungen der Hungersnot 1771/72 entstanden weitere in Marienberg und Geyer. 1794 gab es in Raschau, das noch heute Spitzenzentrum ist, Klöppelunterricht. Bergämter (so in Johanngeorgenstadt und Schneeberg) ließen in ihren Bergamtsschulen Kinder der Bergleute außer anderem Unterricht audi im Klöppeln ausbilden, Jungen wie Mädchen. Im 19. Jahrhundert gründeten viele erzgebirgische Gemeinden Klöppelschulen, und etwa 60 bestehen heute noch oder sind nach den Kriegen wieder aufgemacht worden. In Notjahren wie 1817 und 1847 entstanden abermals Klöppelschulen. Mittelpunkt f ü r sie ist die staatliche Schneeberger Schule, die Lehrerinnen f ü r Klöppelschulen ausbildet. 1808 war dort eine Schule zum Unterricht im Klöppeln gegründet worden, und 1878 ging aus ihr die heutige „Barbara-Uthmann-Sdiule" hervor, in der auch Musterzeichner und Entwerfer von Spitzen ausgebildet wurden. Da im 19. Jahrhundert die Klöppelei in weiten Teilen des Erzgebirges von Altenberg bis ins Vogtland vorherrschte, höchstens im Spielwarenwinkel von Seiffen zurücktrat, waren sehr viele Klöppelkurse nötig. Freilich beeinträchtigten Notzeiten und Wechsel der Mode oft das Spitzengewerbe. Ubererzeugung um 1693, der Siebenjährige Krieg mit seinen Lasten, die Hungersnot 1771/72, in der viele Klöpplerinnen starben und manche überlebende mit Kindermustern von vorn anfangen mußten, so geschwächt waren sie, endlich die Französische Revolution 1789, wodurch statt spitzenverzierter Kleider schlichte Gewänder aufkamen, warfen die erzgebirgische Klöppelei immer wieder zurück. Noch schwerer bedroht schien die Handklöppelei, als zu Beginn des 19. Jahrhunderts Bobinet- und bald danach Jacquardmaschinen medianische Spitzenherstellung ermöglichten. N u r mit feinsten Mustern, die für Maschinen unnachahmlich blieben, konnte sich das Erzgebirge auf dem Spitzenmarkt

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behaupten. Ferner sdiloß Preußen 1819 die Grenzen seiner von Kursachsen abgetrennten Provinz Sachsen durch Zölle, und schwer wirkte sidi der dadurch bedingte Rückgang des Spitzenhandels aus. Denn Spitzen bedeuteten im Erzgebirge Brot für viele. In Jöhstadt klöppelten im Anfang des 19. Jahrhunderts von 1300 Einwohnern 1000. Von so manchem anderen Gebirgsort heißt es: alles klöppelt. Selbst Maurer und Zimmerleute, die sommers ihrer Arbeit nachgingen, saßen winters am Klöppelsack. Um 1840 sollen 40 000 Menschen im Erzgebirge Spitzen gefertigt haben, wahrscheinlich aber viel mehr. Um dem notleidenden Gewerbe aufzuhelfen, ließen Verleger statt heimischer belgische und französische Muster nacharbeiten, und damit hielt sich der erzgebirgisdie Spitzenhandel aufrecht. Einige Erzgebirgsorte, ζ. B. Zwönitz, wandten sich Seidenspitzen (Blonden) zu und hatten damit großen Erfolg. Noch drang Fabrikwesen, ζ. B. Maschinenspinnerei, zögernd in die Erzgebirgstäler ein, und das Hungerjahr 1847 sowie die Revolution 1848/49 hemmten auch die Klöppelei. Aber bald belebte die Krinolinenmode das Geschäft außerordentlich. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden neben Brabanter Spitzen solche aus Idria und Madeira nachgeahmt, und als „Valenciennes" behaupteten sich einige feine Spitzen neben den groben Bettspitzen (Torchon) einige Zeit. Als aber die Zahl der Fabriken im Erzgebirge sich sehr vermehrte, gingen die Klöpplerinnen dorthin auf Arbeit. Auch der Aufschwung der Annaberger Posamentenindustrie, der Eibenstocker Stickerei, der Auer Wäscheindustrie entzog der Klöppelei gerade weibliche Arbeitskräfte. Trotzdem hielten manchmal die tüchtigsten Klöpplerinnen an ihrer kunstvollen, wenn audi schlecht bezahlten Heimarbeit fest. Als um 1900 Amerika als Käufer erzgebirgischer Spitzen auftrat, stieg darin die Ausfuhr Sachsens von 10 411 Mark auf 491 983 Mark im Jahre 1904. Audi die Mode unterstützte diese Entwicklung. Kunstgewerbliche Ausstellungen trugen zur Verfeinerung der heimischen Klöppelkunst bei. Aber der Erste Weltkrieg brachte einen scharfen Einschnitt. Erst 1922 stand, trotz erdrückender Konkurrenz aus China und Japan, wo man inzwischen erzgebirgische Muster nachgeahmt hatte, die Klöppelei sächsischer Gebirgsorte wieder gefestigt da, und die Spitzenschulen, deren einige sogar im Kohlenrevier bei Zwickau entstanden waren, ferner gute Spitzengeschäfte in Schneeberg, Raschau, Bermsgrün, Neuwelt usw. drängten vorwärts. In der Hitlerzeit suchte man die Spitzenkunst zu reformieren, uniformierte sie aber, und in den letzten Kriegsjahren hörte alle Spitzenarbeit auf. 1945 begann der Leiter der Schneeberger Barbara-Uthmann-Schule, Trautmann, mit dem Wiederaufbau, und heute ist im Erzgebirge die Spitzenklöppelei wieder lebendig, wie 1961 Feiern und Ausstellungen anläßlich der Vierhundert-Jahr-Feier der erzgebirgischen Klöppelkunst zeigten.

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f) Posamenten Herstellung von Kleiderbesatz, Bändern, Quasten, Schnuren, Tressen und vieler anderer modischer Zierat beschäftigt seit Jahrhunderten Annaberg, Buchholz und eine weite Umgebung samt einem gleichgerichteten Wirtschaftsstreifen auf der böhmischen Seite. Ausgangsort für diesen Erwerbszweig ist Annaberg seit dem 16. Jahrhundert. 1531 hören wir dort von Anfertigung von Schnuren. Dann beginnt auf der Bortenlade Wirkerei einfacher Borten, die besonders von den vielen in Annaberg tätigen schottischen Kaufleuten erhandelt wurden. In Buchholz wohnten schon 1537 Schotten, und 1557 verdrängten die Bortenschotten die Einheimischen aus dem Bortenhandel. Eine Art Verlag bildete sich damals heraus, wie er ähnlich im Bergbau üblich war. Die Bortenwirker arbeiteten mit Garnwinde, Spulrad, Schweifrahmen und einer Bortenlade. Seit feinere Borten aufkamen, traten statt der Heimarbeiterinnen Posamentiere als zünftige Handwerker hervor, zumal der Posamentierstuhl außer Sorgfalt und Fertigkeit auch Kraftaufwand erforderte. Um 1570 lebten in Annaberg bereits viele Menschen vom Borten wirken. Wir hören ferner von Bandmalern, die ebenso wie Bortenwirker und Posamentiere kunstvolle Waren in Seide, Silber und Gold hervorbrachten. In Buchholz dingte 1589 Georg Einenkel (f 1641) als erster Posamentiermeister einen Lehrling auf. Er stellte Geschlinge und Tressen her, und neben ihm tauchen in Buchholz und Nachbarorten Posamentiere auf, ζ. B. in Kleinrückerswalde und Cunnersdorf. Bandmacher und Bortenwirker schlossen sich zu einer Innung zusammen. Seit 1608 ist eine in Annaberg nachweisbar, ihre Statuten stammen von 1649. Sie behauptete ihren Vorrang vor Buchholz, dem 1609 nur Waren mit eingewebtem Garn und Zwirn gestattet wurden, wogegen Annaberger Posamentiere feinere Arbeiten machten. Die Verbesserung der Arbeit durch den neu erfundenen Mühlstuhl wurde der Buchholzer Innung nicht gestattet. Sehr rasch breitete sich dies Gewerbe im Erzgebirge aus. Nach Scheibenberg zog bereits 1617 ein Buchholzer Bortenwirker zu. In Marienberg gab es schon um 1600 Meister, später eine Innung. 1630 entstand Oberwiesenthals Posamentierinnung, und Glaubensflüchtlinge aus St. Joachimsthal, wo ebenfalls diese Arbeit schon verbreitet war, verstärkten sie. Weitere Innungen folgten in Wolkenstein, Thum, Schlettau, Geyer. Einzelne Meister arbeiteten in Jöhstadt und Ehrenfriedersdorf. Annaberg selbst zählte 1680 im Posamentenhandwerk 400 Meister, Gesellen, Lehrlinge und Hilfskräfte. Im 18. Jahrhundert faßten in Lößnitz, Zwönitz, Eiterlein Posamentierinnungen Fuß. Kaufleute als Verleger sorgten für Absatz, ζ. B. um 1750 Johann Gottlieb Gensei. Gegen 1800 handelten acht angesehene Firmen in Annaberg mit den Erzeugnissen von vielen hundert Menschen dieser Gegend. Der den Innungen lange verhaßte Mühlstuhl, der in anderen deutschen Ländern längst eingeführt war,

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wurde noch immer bekämpft, ja ein heimlich in Wiesenbad aufgestellter Bandmühlstuhl wurde 1797 in einer Art „ Maschinensturm " der Annaberger Posamentiermeister zum Teil zerstört. Die Innungen wären noch weiterhin rückständig geblieben, hätten nicht Verlegerfirmen vorwärts gedrängt. Seit 1747 bestand die Firma Eisenstuck in Annaberg. Als ältestes Buchholzer Handelshaus sorgte G. F. Bach (1759 gegründet) besonders für die Ausfuhr nach Amerika. Für diese Verleger und andere arbeiteten zeitweise rund 1000 Meister. N u r wenige Posamentiere brachten selber ihre Erzeugnisse zu Markt, während die großen Verleger in Leipzig, Frankfurt am Main, Hamburg, Paris usw. Lager unterhielten. 1787 entstanden ein paar geschlossene Betriebe der Bandindustrie, darunter Johann Friedrich Mey. Hier setzte also der Schritt vom Verlegertum zur Manufaktur ein. Gern nahmen Hausierer Bänder, Räupchen, Fransen mit auf Landreise, wie selbst Schönheider „Bandbuben" umherzogen. Doch drang langsam ins Posamentengebiet Strumpfwirkerei vor, z.B. nach Thum 1824. Thilo und Rohling in Annaberg nahmen Seidenweberei auf, wozu Gebäude des alten Franziskanerklosters in Annaberg eingerichtet wurden. Die führende Posamentenstadt des oberen Gebirges mußte gegenüber Wien, Basel, St. Etienne, wo längst Fabrikbetriebe bestanden, viel aufholen. Aber Färberei und Appretur waren noch rückständig. Auf der Fadenmühle fertigten Frauenhände um 1830 Gympen, bunte gedrehte Schnuren. Als der wagemutige Kaufmann Parzer Mühlstühle und Jacquardmaschinen einführte, wozu die Regierung ihn ermutigte, wehrten sich die Posamentiere dagegen. Parzer baute eine Fabrik (das spätere Alte Seminar), ließ 1835 schon 59 Maschinenstühle laufen, mußte aber in einer Krise seinen Betrieb einstellen. Eisenstuck kaufte 1846 eine Drilliermaschine, aber die Handwerker rotteten sich dagegen zusammen und zwangen ihn, sie nicht zu benutzen. Trotz solcher Engstirnigkeit entwickelte sich die Posamentenindustrie weiter. Fransen, Borten, Quasten, Schnuren, Gurten, Tressen wurden gemacht. Annaberg wies 1846 553 Meister dieses Handwerks auf, denen 209 Gesellen, 409 Lehrlinge und viele Frauen und Mädchen als Hilfskräfte zur Hand gingen. 19 bedeutende Geschäfte vertrieben die Ware. In Buchholz waren 500 Meister, 300 Gesellen, 200 Lehrlinge an der Arbeit, und 7 „Handelsfabrikanten" betätigten sich mit Posamentengeschäften. Fransen gingen meist nach Amerika. In neun anderen Posamentenstädten arbeiteten über 800 Meister, besonders in Schlettau, wo Kaufmann Rohbeck allein 300 Menschen mit Posamentenmachen beschäftigte. Nach dem Sturmjähr 1848 erholte sich die sächsische Industrie nur langsam. Zwei Tatbestände trugen zu dem neuen Aufschwung des Posamentierens bei: die Krinolinenmode und der Eisenbahnbau. Reifröcke erforderten sehr viel Besatz. 1861 gründeten zwei Amerikaner die erste Krinolinenfabrik in Annaberg, in der die Gestelle übersponnen wurden. Binnen kurzem arbeiteten fast 20 Fabriken an den unförmigen Reif-

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rödken, deren täglich 1000 bis 1200 entstanden. So gut ging daneben das Posamentengeschäft, daß eine einzige Firma in Annaberg 1863 für 600 000 Mark umsetzen konnte. 21 große Handelshäuser in Annaberg, an ihrer Spitze Eisenstuck, einige mit Seidenwaren (Brodengeyer mit Schalfabrikation, Friedrich Müller mit Roßhaar- und Strohposamenten, dazu in Buchholz vier weitere angesehene Geschäfte) versorgten weithin die Mode mit erzgebirgischem Zierat. 1866 schnaubte der erste Dampfwagen das Zschopautal herauf, Schloß Annaberg an die Weltverbindungen der Chemnitzer an und stellte gute Verbindung mit Berlin her. Nach dem Ende der Krinolinenzeit 1868 ging dies wichtige Modegeschäft verloren. Mit Krinolinenbändern hatte die Fabrik von Wimmer in Kleinrückerswalde, später Geyersdorf, begonnen, erweiterte nun mit Gold- und Silbertressen den Kreis der Annaberger Erzeugnisse wesentlich. Nach der Gründung des Deutschen Reiches und nach den Gründerjahren entwickelte sich das Verlegertum dahin, daß zwischen Großhändler und Fabrikanten einerseits, den Heimarbeiterinnen andererseits viele Zwischenverleger und Faktore sich einschalteten. Das alte Posamentiergewerbe starb langsam ab. Dabei dehnte sich der Posamentenbezirk rasch über Bärenstein und Weipert nach Böhmen aus. Mit böhmischen Gebirgsorten bestand der zollfreie „Veredelungsverkehr", indem Frauen und Mädchen für niedrigste Löhne Annaberger Muster herstellten. Besatz für Damenkleider und -mäntel wurde von der Berliner Konfektion verlangt. Fäden, Schnuren, Litzen, Kordeln, Perlen, Schlung und Gorl kamen dafür in Betracht. Aber audi Möbelposamenten wurden gemacht, Perlfransen für Lampenschirme, Troddeln, Quasten entstanden in riesigen Mengen, da die Möbelmode derlei liebte. Die USA errichtete 1882 wegen ihres lebhaften Handels mit dem Obererzgebirge in Annaberg ein Konsulat. Berliner Firmen eröffneten Filialen in beiden Sehmastädten, um für die Konfektion einzukaufen oder unmittelbar dort arbeiten zu lassen. Im Wettlauf mit der Mode mußte die erzgebirgische Posamentenindustrie unaufhörlich neue Muster anbieten, die aber beim Wechsel der Mode sofort veralteten, so daß zuweilen Massenartikel, weil nicht mehr begehrt, liegen blieben. Der Unternehmer hatte, wenn er sich halten wollte, der Mode ein Jahr voraus zu sein, um rechtzeitig angefertigte Posamenten auf den Markt zu bringen. Maschinen für bestimmte Arbeitsgänge der Posamentenindustrie erleichterten seit 1864 manche Arbeiten. Bruno Schneider in Buchholz erfand 1868 die Perlweberei, oder Markgraf in Buchholz die „Schmelzweberei"; Vorrichtungen zur Teilung der Kettenfäden und weitere Erfindungen machten immer mehr aus der Handarbeit mechanische Fertigung, und außer alten Posamentierstädten nahmen viele Dörfer rings um den Pöhlberg an dieser Industrie teil. Böhmen lieferte billige Arbeitskräfte, von denen viele täglich über die Grenze kamen, um in sächsischen Betrieben zu arbeiten. Viele Klöpplerinnen gingen zum Gorlnähen oder ähnlichen Arbeiten über. Marienberg machte

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Gardinenfransen; um Scheibenberg und Schwarzenberg fertigte man seidene Petineterzeugnisse. Knopffabriken kamen auf, ζ. B. wurden in Oberwiesentahl Steinnußknöpfe fabriziert. Flinke Hände mühten sich, die vielseitigen Wünsche der Mode zu erfüllen. An Möbelposamenten freilich ging der Bedarf bald zurück. In Schulen wurden geeignete Kräfte ausgebildet. So ging Buchholz voran mit der Gründung einer städtischen Posamentierschule 1859, Annaberg folgte 1888. Auch Geyer, Scheibenberg, Ehrenfriedersdorf richteten Schulen dieser Art oder Lehrgänge ein. Zwischen 1887 und 1898 verdrängte der Fabrikbetrieb die Hausindustrie. Um 1900 bestanden außer in vielen Nachbarorten allein in Annaberg rund 100, in Buchholz 30 Posamentenfirmen, darunter viele mit eigenen Fabriken, und 12 000 Menschen arbeiteten dafür. Die Jahresausfuhr nach den USA erreichte 5V2 Millionen Mark. Nächst Paris war Annaberg auch im 20. Jahrhundert führender Handelsplatz der Welt in Posamenten, Möbel- und Kleiderbesatz. 25 °/o der Bevölkerung in Annaberg, in Buchholz gar 30, in Geyer 31 °/o, lebten vom Posamentengeschäft. Die Heimarbeit griff immer weiter um sich. Auch neue Fabriken entstanden, dazu Färbereien, Chenillefabriken, Seidenspinnereien, Schnurenfabriken, Perlwebereien, wie überhaupt Perltaschen seit 1890 zum wichtigen Artikel wurden. 1867 begann Bruno Schneiders Fabrik feiner Perlgewebe in Annaberg. Perlfransen kamen von Roßtümpel in Schlettau, 1913 gegründet. Seidenschnuren fertigte seit 1867 C. Siegel, 1871 Ernst Wohlgemuth, 1887 Carl Schreyer. Annaberger Knopffabriken gründeten M a x Harnisch (1880) und Balduin Schmidt (1895). Die hochentwickelte Buchholzer Kartonagenindustrie lieferte Verpackung für Posamenten. Wolkenstein wies 4, Ehrenfriedersdorf 5, Geyer sogar 16 Posamentenfabriken auf, und in den Dörfern der ganzen Gegend erreichte der Anteil der Industriebevölkerung 60 % . Vor dem Ersten Weltkrieg ließ das Überseegeschäft nach. Auch Berlin kaufte weniger, und Wien deckte seinen Bedarf im böhmischen Weipert. Immerhin wurde 1913 der Wert der sächsischen Posamentenherstellung auf 70—90 Millionen Mark geschätzt. Als Fertigfabrikate kamen aus dem Erzgebirge Schnuren, Borten, Bänder, Fransen, für das Militär Troddeln und Quasten. Auch Rosetten und Gehänge, übersponnene Kugeln und Knöpfe, Gürtel und Schnallen wurden gemacht. Da galt es zu weben, nähen, schlingen, knüpfen, flechten, häkeln. Aber manches wurde durch Maschinen gemacht, die immer weiter vervollkommnet wurden, namentlich die Klöppelmaschinen und Gallonhäkelmaschinen. Seide aus Mailand und Lyon, Holzformen wie Scheiben, Eicheln, Kugeln aus Böhmen, Glasperlen aus Österreich und Italien wurden verarbeitet, oftmals in abgelegenen Gebirgsorten. Der Erste Weltkrieg unterbrach einen guten Teil aller Handelsbeziehungen. Dann ging die Mode zur neuen Sachlichkeit über und wollte von Zierat wenig wissen. Nach Verlust der überseeischen Absatzmärkte und nachdem die Baum-

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wolle beschlagnahmt war, übernahmen viele Firmen Heeresaufträge. Nach dem Waffenstillstand 1918 begann sofort die Ausfuhr von Perltaschen, und die Hilfsindustrien für Holzperlen, Knöpfe, Zelluloid, Galalith oder die aus Paris eingeführte Flitterfabrikation brachten neuen Auftrieb. Modische Applikationen verhalfen zu guten Geschäften. 1926 zählte die sächsische Posamentenmacherei wieder 6202 Betriebe mit 16 643 Beschäftigten, darunter viel Hausgewerbe. Die Hitlerzeit belebte hektisch auch diesen Teil der erzgebirgischen Industrie, aber im Zweiten Weltkrieg ging abermals viel davon zugrunde. Es ist erstaunlich, wie das Posamentenwesen sich auch heute wieder behauptet, wobei viele kleine Posamentenfirmen sich zu Produktionsgenossenschaften zusammenschlossen, die großen meist Staatsbetriebe geworden sind. g) Stickerei In eine Reihe mit Posamentenmachen und Spitzenklöppeln gehört die Eibenstocker Stickindustrie. Alle drei sind durch Heimarbeit groß geworden, haben hinübergegriffen über die böhmische Grenze und viele Arbeitskräfte aus den armen Kammdörfern beiderseits beschäftigt, sind auch stark von der Mode abhängig. In Eibenstock hat Clara Angermann, eine Försterstoditer und später mit dem Förster Nollain verheiratet, zwischen 1775 und 1780 zuerst Mädchen und Frauen im Tambursticken unterrichtet, und ihre Freundin Dorothea Nier unterstützte sie dabei. Mit anderen Mädchen zusammen lieferten sie Stickereien nach Plauen, von wo aus Unternehmer alsbald Baumwollwaren zum Besticken sandten. Um 1788 vertauschten etwa 300 Frauen und Mädchen in Eibenstock die bisher geübte Klöppelei mit Ausnähen und Sticken baumwollener Stoffe, und Eibenstock wurde dadurch zum Ausgangsort einer neuen Industrie. Man machte sich von Plauen unabhängig, lieferte Taschentücher, Manschetten, Schürzen, Kleider, Vorhänge mit feiner Stickerei, und der Absatz dehnte sich über Deutschland, Italien, Frankreich bis nach Spanien aus. Die Französische Revolution und Napoleons Festlandsperre brachten Notzeiten für die Stickerinnen. 1810 führte C. G. Krause die Plattstickerei ein, die allerdings mehr im Vogtland betrieben wurde, während das Erzgebirge am Tambursticken, im Volksmunde „Nähen" genannt, festhielt. Noch lange blieb Handarbeit notwendig, obwohl schon 1829 Heilmann in Mülhausen im Elsaß die Stickmaschine erfunden hatte. 1845 bestanden neben der größten Eibenstocker Firma Dorffel und Söhne fünf weitere, und 100 Faktore gaben an die „Nähmädchen", von denen nicht wenige stundenweit aus Böhmen kamen, die Arbeit aus: rohen Bobbin und Petinet zum Besticken. Vergeblich hatte 1836 F. L. Böhler versucht, die Heilmannsche Stickmaschine einzuführen. Erst 1850 trafen die ersten Maschinen dieser Art in Eibenstock ein, und 1862 wurden schon fünf Betriebe mit 43 Maschinen gezählt. Trotzdem bestanden weiterhin

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Stickstuben mit 20—50 Mädchen, hauptsächlich als eine Art Nähmanufaktur. Wie bei Posamenten und Spitzen, welche letzte nebenbei in Eibenstock immer noch gehandelt wurden, brachte die Krinolinenzeit auch der Stickerei Aufschwung, doch wurde dabei diese Industrie von der Berliner Wäscheindustrie abhängig. Eibenstocker Unternehmer, die früher auf Messen und Märkten verkauft hatten, nahmen auch bald Beziehungen auf zu Paris, Elberfeld-Barmen und zur Konkurrenzstadt St. Gallen. In Eibenstock fertigten fleißige H ä n d e nur Luxuswaren, Putz für Frauen, Volant für Krinolinen. Besonders wertvoll waren die Mamillen für die spanische Frauenmode. Im nahen Hundshübel herrschte Buntstickerei vor, die 1847 dort eingeführt worden war. Auch Krinolinenfabrikation wurde im Eibenstocker Bereich versucht. Seit 1860 baute Albert Voigt in Kändler, später in Kappel bei Chemnitz, die ersten sächsischen Stickmaschinen, bald auch Tamburmaschinen, und die Nähmaschinen bewährten sich als neue Hilfsmaschinen der Stickerei. J e doch bereits vor dem Krach der Gründerzeit brach in Eibenstock die Krise aus, weil die Mode plötzlich keinen Bedarf an Stickereien hatte. Viele Lohnsticker verkauften ihre Maschinen, andere nahmen Aufträge für St. Gallen herein, wodurch Eibenstock in Gefahr geriet, von Schweizer Fabrikanten abhängig zu werden. Audi weiterhin lehnte die Mode Stickereien ab. Erst nach 1880 k a m eine Besserung, als man glatten Tüll besticken ließ. Doch bis gegen 1890 blieb Eibenstock unter Annabergs wirtschaftlicher Vormundschaft. Damals nahm die Zahl der Maschinen überschnell zu, wobei die Handstickmaschine vorherrschte. 1884 waren in 121 Orten von Eibenstocks Umgebung bis weit ins Vogtland 4715 Maschinen an dem regen Geschäft beteiligt. Der Handel mit gestickten Waren weitete sich aus nach Rußland, Holland, Südamerika. Einsätze auf Woll- und Seidenstoffen mit Metall- und Seidenstickerei traten ihren Siegeszug an. Die „Luftspitze", bei der chemisch der Stoff nach dem Besticken zerstört wurde, fand außer in Mitteleuropa auch in Italien, Frankreich, Spanien Anklang. 1887 w a r der Handel mit den U S A so stark gewachsen, daß auch Plauen ein eigenes Konsulat erhielt. Inzwischen w a r die Schiffchenstickmaschine neu hinzugekommen, aber das Zuviel maschinenbestickter Waren drückte die Preise, und die Qualität ließ nach. In der Krise um 1884 wendete sich Eibenstock stärker der Perlenstickerei zu, w o f ü r schon 1870 in Schneeberg der erste Perlenwebstuhl a u f gestellt worden w a r . Lohnstickerei nahmen viele Leute in Schönheide, Schneeberg, Neustädtel und bis nach Schlema hin auf, und an zahlreiche kleine Häuschen wurde ein Anbau für die Stickmaschine angefügt. M a n machte Spitzengardinen, Tüllspitzen (Schönheide), Buntstickerei (Eibenstock, Hundshübel, Schöneds) und hatte am Ende des 19. Jahrhunderts dem Stickereigebiet des Erzgebirges einen guten Platz in der gewaltig ausgreifenden deutschen Wirtschaft gesichert. Eibenstock selbst nahm von 1900—1907 um 17°/o in seiner Einwohnerzahl zu; der Postverkehr verdoppelte sich; die Zahl der Maschinen

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stieg auf 546. Zwar bestand Wettbewerb mit Annaberger Posamenten, aber beide Städte arbeiteten zusammen mit Perlenzierat, zumal in Geyer eine Maschine für Perlstickerei gebaut wurde. 1898 war die automatische Stickmaschine erfunden worden, und bis 1909 waren 400 davon im Eibenstocker Bereich aufgestellt. Jede konnte täglich 40 000 Stiche ausführen. Freilich brauchten nun die Fabriken große Säle, um die 13 m langen Maschinen aufzustellen, und eine Stickmaschine kostete 2500—3000 Mark, erforderte also für eine Fabrik hohen Kapitaleinsatz. Trotz des großen technischen Fortschrittes behauptete sich die Feinstickerei, die Läufer, Deckchen, Tabletts, Blusen und Roben schmückte. Reliefstich, Spachtelstich, dazu Gorlnäherei und Perlstickerei beschäftigten Tausende. In Aue, Lößnitz, Zschortau entstanden Stickereibetriebe, so daß mit Eibenstock als Zentrum im Westerzgebirge 34 Großbetriebe in Gang waren. Der Lohnsticker trug das Risiko des Anlagekapitals; aber oft verpachteten Fabrikanten, weil sie in ihrem Betrieb nicht alle Aufträge bewältigen konnten, Stickmaschinen. Bei solcher Lohnstickerei halfen Frauen mit durch Schneiden, Nähen, Plätten, wogegen in den Sticksälen die Arbeiterinnen mehrere Maschinen bedienen und fädeln mußten. Lohnsticker galten als pünktlich, zuverlässig, Fabrikstidker als nachlässig. Verbände und Fachschulen bemühten sich, die Stickerei auf hohem Stand zu halten. Auch in Eibenstock entstand eine kunstgewerbliche Schule. Im Ersten Weltkrieg mangelten Arbeitskräfte, Rohstoffe, Absatzmärkte, während St. Gallen ruhig weiterarbeiten und Eibenstock rasch überholen konnte. Zwar erholte sich nach 1918 die Stickindustrie langsam, und Eibenstock samt nächster Umgebung blieb ihr treu, konnte sich aber nur mühsam behaupten, und in vielen westerzgebirgischen Orten standen die Stickmaschinen für immer still. Noch mühsamer war der Wiederanfang nach dem Zweiten Weltkriege. Altberühmte Betriebe wie Stegmann und Funke, Johann Klemm stellten Damenwäsche aus Kunstseide her, und Schiffchen-Stickmaschinen mit Pantograph und Jacquardvorrichtung schufen weiterhin prachtvolle Stickereien. Auch Perltaschen gab es wieder. Ein Zentralbüro der Stickerei in Eibenstock konnte 1946 von rund 15 000 Menschen berichten, die wieder in der Stickerei arbeiteten, und trotz schwieriger Zeit, selbst während des auch bis in Eibenstocks Gegend sich ausbreitenden Uranbergbaus, hat sich die westerzgebirgische Stickerei erhalten. Zahlreiche Geschäfte, ζ. B. die viele Jahrzehnte ansässige Firma Wedeil, sorgen für den Absatz. Gegenwärtig sind Stickereibetriebe zusammengeschlossen zur Produktionsgemeinschaft Sticktex und P G H Buntstickerei. h) Wäscheindustrie

Zwischen Posamentenmachen, Stickerei und Wäscheindustrie stand das „Bandelnähen" in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In mühevoller

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Kleinarbeit wurden Bandzacken auf Damenwäsche genäht. Max Unger in Johanngeorgenstadt begann 1859 damit, stellte die damals noch seltene Nähmaschine in den Dienst der Fabrik, hielt nach wenigen Jahren 80 Steppmaschinen in Gang und beschäftigte 120 Personen. Viele Heimarbeiterinnen, ebensowohl in Eibenstock wie im benachbarten Böhmen, fertigten dies neuartige Posament, das nicht nur in Europa, sondern in Amerika und bis nach China hin verkauft wurde. 1865 brachte Unger die „Wellenfaltung" auf, wozu A. Drews in Eibenstock eine Bandfaltungsmaschine erfand, und von Schönheide bis Buchholz wurde in vielen Orten Bandzackennäherei Heimarbeit. Um sich von Elberfeld-Barmen unabhängig zu machen, führte Unger in Johanngeorgenstadt Bandweberei ein. Plötzlich schlug die Mode um. Sie verlangte unbesetzte, glatte Wäschestücke, und als 1870 der Krieg ausbrach, ging die Bandzackenindustrie bis 1878 völlig ein. Eigentliche Wäscheindustrie entwickelte sich jedoch in Aue. Sie fußt darauf, daß jahrhundertelang Spitzenklöppeln die Frauen und Mädchen zu Gewandtheit, Peinlichkeit, Sauberkeit, Fingerspitzengefühl erzogen hatte. Wäsche war früher im Haushalt selbst gefertigt worden. Infolge der Industrialisierung Deutschlands blieb dazu nicht mehr Muße. Man wünschte, sie fertig zu kaufen. Die Erfindung des Herrenkragens in Amerika 1827 und das Eindringen der Nähmaschinen in Deutschland seit 1854 förderten die Entstehung der Wäscheindustrie. Sie hatte Vorläufer in der Schürzenherstellung. In Oberpfannenstiel bei Aue fingen Frauen an, Schürzen zu nähen, und ihre Männer oder sie selbst hausierten damit. Strumpfwirker Gotthold Gothel aus dem kleinen hochgelegenen Ort begann 1852 Handel mit Weißwaren, Vorhemden, Manschetten, Lätzchen, die handgesteppt wurden. Als die Steppmaschine bekannt wurde, fürchteten die Wäschestepperinnen, brotlos zu werden. Aber bald konnten sie mit Hilfe der Maschine nicht genug Schürzen und Weißwaren liefern. Die Schürzenindustrie zog sich bald nach Zwönitz hinüber. Adolph Gothel gründete 1862 in Lauter eine Wäschefirma, stellte Maschinen auf, ließ Hemden und Chemisettes herstellen, pflegte aber auch Damenartikel nach Bedarf der Mode. Firma Gothel wies 1927 noch einen Arbeiterstamm von 300 Köpfen auf, dazu noch Faktore, die ausgedehnte Heimarbeit betreuten. Berlin begann 1855 in der Wäscheindustrie mitzureden, und nach 1866 veranlaßten die enger gewordenen Beziehungen zwischen Preußen und Sachsen als Mitglied des Norddeutschen Bundes Berliner Firmen, niedrigerer Löhne und geschulter Kräfte halber im Erzgebirge arbeiten zu lassen (siehe Teil II). 1874 fing F. W. Gantenberg in Aue mit acht Arbeitskräften Wäsdiefabrikation an, stellte 1875 eine französische Dampfmaschine auf, und damit drang die Dampfkraft in die Wäscheindustrie ein. Im gleichen Jahre stellte die Eisenbahn von Chemnitz herauf günstige Verbindung zwischen Aue und Berlin her. Chemisettes, Herrenkragen, Manschetten waren damals viel gefragt und der

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Mode nidit so unterworfen wie Damenartikel. Gebrüder Simon legten 1877 die zweite Wäschefabrik in Aue an, die sich aus der Wäschefaktorei von Friedrich Weigel entwickelte. Aus Hannover kam Johann Caßler nach Aue, erst Angestellter von Gantenberg, bald selbständig, leitete er die Firma Gebrüder Simon, erfand Spezialmaschinen, legte Faktoreien in Nachbarorte und ließ, wie Gantenberg, an viele Frauen und Mädchen Heimarbeit ausgeben. Zuschneidemaschinen traten von Berlin aus ihren Siegeszug an. Knopflochmaschinen, Plätterei mit Gas, später elektrisch, kamen aus Bielefeld, dem dritten und wichtigsten Platz für Wäscheindustrie in Deutschland. 1881 entstand eine weitere Wäschefabrik, Klodt und Mildner. Gummikragen und sog. Jägerhemden schienen der Wäscheindustrie gefährlich zu werden. Aber auf diese Jägersche Normalunterkleidung wünschten die Herren „Jägerfronts", weshalb die Auer Wäscheindustrie rasch ihre Betriebe vergrößern konnte. Audi in Planitz wurden Wäschefabriken gegründet, in Lößnitz arbeiteten die Firmen G. Lauckner, C. F. Schröter, Ebert und Kopp. Rings um Aue gaben Faktore in vielen Orten Heimarbeit für Wäschefabriken aus, Filialen Auer Firmen entstanden, und Kartonagefabriken wurden angeschlossen, um Verpackung für Herrenkragen und dergleichen bereitzuhalten. Gantenberg vergrößerte zu Anfang der 90er Jahre seine Fabrik durch neuzeitliche Bauten, ließ im Betrieb 250 Menschen, außerhalb 350 arbeiten und erreichte 1893 eine Jahresleistung von 150 000 Dutzend Chemisetten, Kragen und Manschetten. Deutschland, Holland und Skandinavien nahmen sie ab. Bald nach 1900 betrug die Arbeiterzahl 1300, und Frauen in 40 Orten leisteten Heimarbeit. Eine vierte Auer Wäschefabrik eröffnete 1894 die Firma J. Sinn, an deren Spitze Direktor Bell aus Frankfurt am Main stand. Sie brachte es bis auf 400 Arbeiter und verfügte über neueste Maschinen für Waschen, Steppen, Plätten. Die größte Ausdehnung erlebte die von Caßler geleitete Firma Gebrüder Simon, die vier größere Fabriken und weitere Zweigbetriebe besaß, worin 2500 Arbeiter und Angestellte arbeiteten. Grünstädtel, Zsdiorlau und Bockau wurden dadurch in den Bereich der Auer Wäscheindustrie einbezogen. Faktore gaben bis Hartenstein und Raschau Heimarbeit für Aue aus. Wäschelager in Berlin, Danzig, Königsberg waren angegliedert. Der Herrenwäscheindustrie entsprechende Korsettfabrikation hatte ihren Sitz in Schneeberg, wo die Firma Günther und Neumeister 1886 gegründet worden war und noch heute tätig ist. 1908 richtete in der alten Bürgerschule zu Marienberg Alois Benirschke eine Korsettfabrik ein. Weitere Betriebe dieser Branche entstanden in Olbernhau, Annaberg, Scheibenberg, Eibenstock, meist also im Zusammenhang mit Posamenten- und Stickereiindustrie. Auch Brand wies Korsettfabrikation auf. Etwa 3600 Menschen waren im Erzgebirge dafür tätig. 1910 arbeiteten in Aue in vier Wäschefabriken 1200 Personen, immerhin 8 °/o der Einwohner dieser sonst auf Maschinen- und Metallwarenproduktion

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eingestellten Stadt. Inzwischen hatten audi Schlettau und Neustädtel Wäschefabrikation aufgenommen, und Stepperinnen gab es in vielen großen Dörfern wie Bermsgrün, Lauter, Hundshübel, Oberstützengrün, auch in Oberpfannenstiel, dem Ausgangsort dieser überraschend groß gewordenen Industrie. Die größten Firmen, Caßler und Gantenberg, wurden in Aktiengesellschaften umgewandelt. Im Ersten Weltkrieg stockte sofort der Absatz, und manche Rohstoffe fehlten. Man half sich dürftig mit Fabrikation von Kragen aus Papierstoff. Schwer war nach 1918 der Wiederbeginn, zumal inzwischen die Mode von Chemisettes und Serviteurs nichts mehr wissen wollte, vielmehr Oberhemden und weiße Leinenkragen begehrte. Sportwäsche kam auf und wurde von kleineren Fabriken in Aue gefertigt. Drei große Auer Wäschefirmen gingen in den wirtschaftlichen Wirren der Nachkriegszeit zugrunde. Nur Gebrüder Simon, heute „Vereinigte Wäschefabriken", hielt sich noch, lange Zeit von Magnus Weigel geleitet. Versuche mit Wäschefabrikation in Hartenstein hatten zeitweise Erfolg. Kurzarbeit in der Krise 1930, weil während der großen Arbeitslosigkeit am wenigsten Herrenwäsche gekauft wurde, verschärfter Wettbewerb des Auslandes, wodurch die Ausfuhr behindert war, und Kapitalmangel kennzeichnen die Lage in jenen Jahren. In der Zeit des nationalsozialistischen Regimes gab es Aufträge an Braunhemden und Uniformen. So betrug 1934 die Zahl der Arbeiter in Auer Wäschebetrieben wieder 1157. Aber viele Zweigbetriebe in Nachbarorten konnten nicht wieder belebt werden. Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Wäschefabriken im allgemeinen noch unversehrt. Nur von den drei Wilkauer Fabriken wurde die von Strobel 1944 durch Bomben zerstört. Demontage kam für die Wäschefabriken nicht in Betracht, und die neue Zeit brachte vor allem Aufträge in Arbeitskleidung. Daher sind Wäschenäherinnen in Aue, Lößnitz, Schneeberg und anderen Orten wieder fleißig bei der Arbeit. Aus der Ebertschen Wäschefabrik in Lößnitz ist das „Bekleidungswerk Lößnitz" geworden, und in Johanngeorgenstadt, wo vorher keine Wäscheindustrie heimisch war, hat man neuestens als Ersatz der vom Uranbergbau gänzlich verdrängten Handschuhindustrie ein Bekleidungswerk eingerichtet. i) Strumpfwirkerei

Die bedeutende Strumpfindustrie Sachsens greift ζ. T. über das Erzgebirge hinaus, denn ihr eigentlicher Ursprung lag nicht im Gebirge. Doch soll hier auf das Strumpfgewerbe im Chemnitzer Becken, in Limbach-Oberfrohna, OberIungwitz, Penig nur insoweit hingewiesen werden, als das zur Geschichte der Strumpfwirkerei nötig ist. Ein Kreis, der Chemnitz, Grumbach, Thalheim und Gelenau berührt, umschreibt etwa den Standort der Strumpfwirkerei im Erzgebirge. Ausgangsorte sind Chemnitz und Limbach gewesen. Denn in Chemnitz scheint bereits 1671 eine Innung der Strumpfwirker bestanden zu haben,

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und dazugehörende Landmeister saßen in vielen Dörfern, ζ. B. 1726 in Thalheim. Die Innungen verlangten vier Jahre Lehrzeit, zwei Jahre Wanderschaft, als Meisterstück Mannsstrümpfe und Handschuhe. Kein Meister durfte Frauen auf seinen Wirkstühlen arbeiten lassen. 1736 hielten sich 180 Meister in Chemnitz und 150 Meister in 33 Ortschaften zur Chemnitzer Innungslade. In Limbach baute Johann Esche, geboren 1682, um 1700 einen Handkulierstuhl französischer Herkunft nach. Er soll in Dresden bei einem französischen Seidenstrumpfwirker den Wirkstuhl und dessen Arbeitsweise kennengelernt und daheim nachgebaut haben. Er war später nicht nur Stuhlbauer und Wirker, sondern Verleger. Von Limbach erhielt die Strumpfwirkerei Mittelsachsens ihren starken Auftrieb. Doch wurden sehr früh schon in Olbernhau hölzerne Strumpfstühle gebaut, namentlich in Ober-, Nieder- und KleinNeuschönberg. Dieser „Daumendrückerstuhl", bei dem man zum Wirken Hände und Füße brauchte, um je Woche sieben Paar Strümpfe fertig zu bekommen, wurde später vom Walzenstuhl verdrängt, dessen Walze mit dem Fuß bewegt wurde. Der hölzerne Rahmen gab dem Wirkstuhl leichten Gang und nahm nur wenig Platz in niederer Stube ein. 1766 wurde ein Versuch, heimlich den Strumpfstuhlbau nach Schlesien zu verpflanzen, um dort eine Strumpffabrik anzulegen, rechtzeitig unterbunden und mit Zuchthaus bestraft. 1784—1863 gingen aus der Olbernhauer Gegend 85 305 Strumpfstühle hervor, aber 1886 hörte der Bau hölzerner Stühle für Wirker ganz auf, weil inzwischen neuzeitliche Strumpfmaschinen erfunden waren. In einem Gesuch von 1843 behaupten 11 Strumpfstuhlbauer, ihr Gewerbe bestünde 120 Jahre. Daniel Seifert, einer von diesen Meistern, arbeitete 1864 mit 22 Arbeitern und lieferte damals seinen 1000. Kettenstuhl für Handschuhwirkerei. Auf solchen Wirkstühlen waren im 18. und 19. Jahrhundert die Meister tätig. Um 1740 verbreitete sich das Handwerk über Burkhardtsdorf nach Zschopau, über Meinersdorf nach Thalheim und Hormersdorf. 1780 wohnten im Chemnitzer Bereich 1130 Meister, und anderenorts entstanden eigene Innungen, z.B. in Stollberg 1781, in Neukirchen 1785. Auf den Messen zu Leipzig und Frankfurt an der Oder wurden die Strümpfe, Handschuhe und Mützen verkauft. Chemnitzer Meister, die vorwiegend in der Niklasgasse wohnten, gingen mehr und mehr zum Garnhandel über, nahmen den Landmeistern die Strümpfe ab, die diese im „Quersack" nach Chemnitz brachten (daher scherzhaft „Quersackindianer"), und sorgten für den Verkauf. So entwickelte sich das Verlegertum, und manchmal wurden Meister zu Lohnarbeitern für andere Meister oder Verleger, wenn sie ihren Wirkstuhl nur geliehen hatten. Oft schoben sich noch Zwischenmeister und Faktore zwischen Wirker und Händler ein. Garn für Strumpfwirker lieferte ζ. B. 1794 Lößnitz von 40 Spinnmaschinen. Ende des 18. Jahrhunderts, nachdem die „nahrlose Zeit" der Französischen Revolution überwunden war, stieg der Bedarf an Wirkwaren so, daß die

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Chemnitzer Innung in Dresden um Erlaubnis bat, ihren Gesellen die Wanderjahre zu erlassen, da alle Arbeitskräfte gebraucht wurden. Seide, Wolle, Baumwolle, Leinengarn dienten als Rohstoffe für Männer- und Frauenstrümpfe, Mützen, Handschuhe, Hosen, selbst gewirkte Kleider. Um 1800 lieferte der Erzgebirgische Kreis 4700 Dutzend Paar Wollstrümpfe und Handschuhe, 68 180 Dutzend Paar Baumwollstrümpfe, 15 460 Dutzend Baumwollhandschuhe und Mützen und 7500 Stück Trikots. Wegen der Festlandsperre Napoleons mangelte zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Baumwolle. Doch bald weitete das Wirkerhandwerk sich aus. Thum z.B., wo 1806 15 Meister an Strumpfstühlen saßen, zählte 1816 mit seinen Nachbarorten bereits 174 Innungsmitglieder. Selbst Hartenstein, das später nicht zum Strumpfbezirk zählte, hatte 1815 viele Meister. Der Vater von Elfried von Taura (August Peters) zog als Strumpfwirker nach Marienberg, und in den Jugenderinnerungen dieses erzgebirgischen Schriftstellers heißt es: „O wie ich ihn haßte, diesen Strumpfwirkerstuhl, an welchem mein Vater vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein gefesselt saß, der so unharmonisch schnarrte und für den ich so manche Stunde am Spulrade, später auch am Spinnrade sitzen mußte." Bis etwa 1820 hatte England Amerika mit Strümpfen versorgt. Dann gelang die Ausfuhr sächsischer Wirkwaren nach USA, wofür man Form, Naht und Appretur der Strümpfe verbessert hatte, auch von heimischen Maschinenspinnereien feinere Garnsorten erhielt. So wuchs die Zahl der Meister weiter. An dem Amerikageschäft nahmen besonders teil Thum, Ehrenfriedersdorf, Geyer, Wolkenstein. Auch Jahnsdorf, Neukirchen, Zschopau wandten sich der Wirkerei zu. Grünhainer Meister schlossen sich mit Strumpfwirkern in Bernsbach und Kühnheide zu einer Innung zusammen. Die Oelsnitzer Innung wird 1834 erwähnt. Mitte der 30er Jahre bestanden 22 Innungen im Erzgebirge. Deren Meister empfingen Aufträge von Faktoren, die ihrerseits rohe Ware an Kaufleute abgaben, und diese ließen die Strümpfe zurichten, in eigene Appretur bringen und verkauften sie dann. Viele Händler bezogen außer deutschen Messen solche in Polen, Rußland, Italien und der Türkei. Konzessionen für Errichtung von Strumpffabriken wurden seit 1835 erteilt. Im allgemeinen, außer den Notzeiten, herrschte bei den Strumpfwirkern ein gewisser Wohlstand, obgleich sie in guten Zeiten gern weniger arbeiteten. Ein Meister verdiente mit eigener Hand (1836) 6—8 Taler wöchentlich, der Geselle 4—6, die Näherin 2—3 Taler, Löhne, die andere Hausindustriezweige nicht erreichten. 1840 wird die Zahl der Wirker und ihrer Hilfskräfte mit 35 000 angegeben. Stollberg übernahm zeitweise die Führung in der Strumpfindustrie. Hier gründete Friedrich Ehregott Woller, geboren 1808 als Sohn eines Strumpffaktors, bereits mit 18 Jahren eine eigene Firma. Er hatte in Meinersdorf gelernt, die Messen zu Leipzig, Frankfurt, Naumburg bezogen und fuhr zu-

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nächst mit einem kleinen Wagen nach Leipzig, um dort Strümpfe zu verkaufen. Schon 1836 beschäftigte er 1800 Handwirkerstühle. Vor allem erweiterte er die Geschäfte mit Amerika. Neue Fortschritte der Wirkindustrie beruhten auf Erfindungen und Verbesserungen. Auf breiten Stühlen wurde sog. geschnittene Ware erzeugt. In Mittweida-Markersbach baute die Werkstätte von Jahn und Bauer rotierende Strumpfstühle, die, wie der Chemnitzer Sachverständige Wieck meinte, Sensation erregten. In der Woche konnte eine Maschine 12—15 Strümpfe fertigen. Aus England gelangten im Jahre 1852 mechanische Stühle ins Erzgebirge. Die Chemnitzer Strumpfwirkerinnung wollte solche nur Zunftgenossen erlauben, aber die Regierung wünschte die Entwicklung von Fabriken. So arbeiteten in dieser Hochkonjunktur der Strumpfwirkerei 1863 noch 85 hölzerne Stühle neben 366 englischen Rundstühlen im Chemnitzer Bereich, ferner 76 französische, die ebenfalls mechanisch betrieben wurden, und 26 breite mechanische Stühle. Die Zahl der Nähmaschinen zum Zusammennähen der Strümpfe betrug über 300. Eine Anzahl tüchtiger Konstrukteure baute in Chemnitz selbst oder in seinen Nachbarorten Strumpfstühle. Kühn in Kandier erfand einen Stuhl mit selbständigem Fadenführer, Schwind in Zwönitz einen Fadenführer mit zwei Schnäbeln, Rupf in Neukirchen schuf eine einwändige Mindermaschine. Der Bau von Wirkmaschinen im Erzgebirge nahm zu, und 1861 wurden im Wirkmaschinenbau 6 Betriebe mit 60 Arbeitern gezählt. Auch Patente für Wirken ohne Naht wurden erworben. Aber noch hatten England und Frankreich Vorsprung im Strumpfmaschinenbau, und neue Erfindungen bedrohten ja die alten Handwerker. Der 1861 in England gebaute Pagetstuhl war 1865 bereits mit 100 Stück im erzgebirgischen Bereich vertreten. Er machte den Strumpf soweit fertig, daß nur Zusammennähen und Fersenanketteln übrig blieb. 1868 kam die neuerfundene Cottonmaschine nach Chemnitz und fast gleichzeitig die Lambsche Handstrickmaschine. Die Folge war einerseits Arbeitslosigkeit vieler alter Meister, deren Stühle stillgelegt wurden, andererseits (noch dazu gefördert von der Einführung der Gewerbefreiheit 1861 in Sachsen) rasche Ausdehnung des Fabrikwesens. 1853 hatten Julius und Theodor Esche in Limbach das erste „geschlossene Etablissement" für 110 Arbeiter und eine Appreturanstalt mit 60 Arbeitern errichtet. Sie verfügten über 40 Strumpf-, 15 Spul- und 50 Nähmaschinen und lieferten Strümpfe, Socken, Handschuhe aus Wolle, Baumwolle und Seide. Woller vergrößerte 1855 in Stollberg seine Gebäude durch Kessel- und Maschinenhaus, Schmiedewerkstatt, Maschinenbauanstalt für Strumpf-, Ränder-, Spul-, Zwirn- und Nähmaschinen. Die Appretur erhielt 2 hydraulische Pressen. Außerdem waren in der Stadt Stollberg noch 35 Nähmaschinen für Woller tätig, 80 in Geyer in einem Gebäude mit Wasserkraft. Sein Schwiegersohn Austel richtete in Zwönitz für Woller einen Betrieb mit Strumpfmaschinen ein.

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Leider unterbrach die Baumwollnot, als Folge des amerikanischen Bürgerkrieges, diese stürmische Entwicklung des Strumpfgewerbes zur Industrie. Zugleich verschloß der Kaperkrieg, den die Amerikaner gegeneinander führten, den sächsischen Strumpfhändlern auch ihr Haupt-Absatzgebiet. Von den neuen Strumpfmaschinen im Werte von 1V2 Millionen Talern mußte die Hälfte stillgelegt werden. So wurde 1862 das schrecklichste Jahr für viele Strumpfwirkerfamilien. In Auerbach im Erzgebirge mußte die Gemeinde Suppen ausgeben, und mancherorts übernahm der Gemeinderat den An- und Verkauf der Ware, um den hungernden Wirkern zu helfen. 18 000 Handstrumpfstühle im Chemnitzer Bereich standen still, darunter allerdings auch solche, die nur im Winter bedient wurden, wenn die Männer nicht als Bauoder Feldarbeiter tätig sein konnten. Erst nach dem Fall von Richmond, der Hauptstadt der amerikanischen Südstaaten, 1865, setzte lebhafter Geschäftsgang ein. Die Wirker kehrten zu ihrem Beruf zurück, die Löhne stiegen. Aber Nachwuchs fehlte, denn manche Kräfte waren abgewandert. Ende 1865 kauften die USA drei Viertel der sächsischen Wirkwarenerzeugung. Neue Wirkstühle, 1000 neue Nähmaschinen wurden beschafft. Woller errichtete Neubauten für „reguläre" Strumpfmaschinen, auf denen Strümpfe ohne Nachhilfe der menschlichen Hand gewirkt wurden. Doch erst mit der Cottonmaschine war Großerzeugung möglich. Diese verlangte aber hohen Kapitaleinsatz für geeignete Fabrikbauten und teure Maschinen. 1866 war trotz des Krieges mit Preußen günstig für die Wirker. Der Handwirker verdiente 2 Taler, der Maschinenarbeiter 2V2, der Appreteur 4 Taler die Woche. Aber 1868 war das glänzende Geschäft mit den USA schon wieder verloren. Um der neuen Technik und Wirtschaftslage zu genügen, gründeten weitblickende Männer Wirkerschulen, so in Limbach 1870, bald in Stollberg, dann 1885 in Thum und später in Thalheim, das ein neuer Mittelpunkt der Strumpfindustrie wurde. Damals trat Chemnitz noch stark hervor in der Wirkerei, sowohl im Handel mit Strümpfen als auch im Strumpfmaschinenbau und infolge der Ubersiedlung der Firma Esche von Limbach nach Chemnitz. 1872 herrschte regste Nachfrage nach Strumpfstühlen. Sie gingen nach dem Deutschen Reich, Österreich, Rußland, Dänemark und in die Schweiz, wodurch aber zugleich dort Konkurrenten für die sächsischen Wirkwaren ins Feld gerufen wurden. Die Strumpfwaren selbst wurden abgesetzt in Nordund Südamerika und im Orient. Bunte, bestickte und Ringelstrümpfe waren Mode. Aber die Krise der Gründerzeit tat Abbruch. Immerhin kann um 1875 die Wirkerei nicht mehr als Handwerk gelten, denn der Handbetrieb hörte fast auf; Heimarbeit als Hilfe für Fabriken nahm zu, und geschlossene Betriebe herrschten vor. Den 303 Fabriken mit mehr als 5 Gehilfen standen nur noch 17 760 Kleinbetriebe unter 5 Arbeitern gegenüber. 4 Betriebe hatten

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bereits 200—1000 Beschäftigte. Audi 23 große Appreturanstalten gab es schon neben vielen kleinen. Thalheim trat um 1877 die Führung in der erzgebirgischen Wirkwarenindustrie an. 40 Fabriken, darunter Rehropp, Senne, Heinrich Drechsel, Louis Walther, und 12 Faktore ließen in Thalheim wöchentlich 10—15 000 Dutzend Strümpfe fertigen. Neue Orte wurden von der vorwärtsdrängenden Industrie erobert. In Ehrenfriedersdorf, Zwönitz, Lößnitz, Grünhain verdrängte sie das Posamentenmachen. Geyer und Zschopau wandten sich ihr zu. Auch Krumhermersdorf, Großolbersdorf, Hilmersdorf und viele andere Orte schlossen sich an. Manche Fabriken wuchsen in der Gründerzeit empor: Moritz Barth in Thum, C. A. Harzer in Gelenau, Hermann Richter, ebenda, seien als Beispiele genannt. Die Eisenbahnen, besonders die Linie ChemnitzAue—Adorf 1875, die Flöhatalbahn, die Zweigbahn von Meinersdorf nach Thum halfen der Industrialisierung weiter. Noch herrschte weißgebleichte Ware vor, in den 80er Jahren aber begann der schwarze Strumpf sich durchzusetzen. Als 1883 das Cottonpatent erlosch, erfolgten viele Neugründungen, besonders in Auerbach im Erzgebirge (Uhlmann, Wieland, Uhlig), in Hormersdorf (Thierfelder), in Gornau (Weißbach), in Gornsdorf (Nebel), in Meinersdorf (Sußmann). Es gelang, nahtlose Socken zu wirken, Strümpfen Doppelsohlen zu geben, Hochfersen anzubringen. Eigene Fabriken für Kindersocken, Damenstrümpfe, Sportstrümpfe entstanden. Neben grober Gebrauchsware wurden feinste Gesellschaftsstriimpfe Mode. Louis Hermsdorf in Chemnitz erfand das Diamantschwarz und kam damit der Mode der schwarzen Strümpfe entgegen. Die alten Wirker hatten nicht allein Strümpfe gemacht. So entwickelte sich jetzt mit Hilfe sinnreicher Maschinen eine Vielfalt von Trikotagenbetrieben. Manche Fabriken spezialisierten sich auf Herrenwesten, Jumper, Kleider, Kindersweater, Krawatten, Schals. Die Mode erforderte zeitweise Florstrümpfe; oder durchbrochene, gemusterte Damenstrümpfe wurden Mode, so daß die erzgebirgischen Fabriken sich jeweils auf Neuheiten umstellen mußten. Als Rohstoffe dienten weiter Baumwolle und Seide, aber audi Vigogne und Merino. Das Anilinschwarz brachte Chemnitz an die erste Stelle in der Strumpferzeugung der ganzen Welt. Veredelung der Garne, Kunstund Halbseide, dazu das Merzerisieren veranlaßte viele Fabriken, eigene Abteilungen für Sengen, Färben, Bleidien, Glänzen anzulegen, während kleinere Fabriken ihre Rohware in die neu entstandenen Merzerisieranstalten und Appreturbetriebe sandten. Auch Handschuhindustrie und Strickerei von Sportkleidung beteiligten sich am Aufschwung. Die Löhne waren gegenüber anderen Erwerbszweigen ziemlich hoch, ζ. B. 1897 8—9 Mark wöchentlich im Durchschnitt. Vielen neu entstandenen Firmen lieferte Chemnitz die Maschinen. Bei Hochkonjunktur, so 1906, vergrößerten sich die Betriebe. Die Folge war

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Übererzeugung und Rückschlag. Überall wurden Motoren eingestellt, so daß neuerbaute Strumpffabriken meist schon ohne hohe Fabrikschornsteine sich präsentierten. Rückgang der Zahl der Betriebe (1882: 20 426, 1907: 13 397) bei Zunahme der Beschäftigtenzahl macht deutlich, wie immer stärker Großund Mittelbetriebe die kleinen aufsogen. Thalheim hatte 1855 787 Wirkstühle, 1930 aber 60 Betriebe, 1500 Wirkmaschinen, 5000 Arbeitskräfte in der Strumpfindustrie. 1907 lebten zwei Drittel seiner Bevölkerung vom Strumpf. Aus Faktoren wurden Fabrikanten. Große Firmen hatten eigene Handelsvertreter. Als neue Betriebsform sei erwähnt, daß 1895 Thalheimer Arbeiter eine Spinnerei gründeten, um eine genossenschaftliche Wirkerei zu beginnen. So wandelte sich auch die einstige Spinnerei Cunersdorf bei Annaberg in eine Strumpffabrik, wie überhaupt ins Posamentenland um Annaberg Strumpffirmen eindrangen. In Neundorf und Wiesa, droben in Mildenau oder im einsamen Grumbach bei Jöhstadt oder näher bei Annaberg in Hermannsdorf und Dörfel kamen Strumpfbetriebe auf. Die Strumpffabrik Gebrüder Ebert in Gablenz bei Stollberg, die 1928 über 200 Arbeiter im Ort brauchte, ließ von 60 weiteren Helfern in Chemnitz die Ware versandfertig machen. Drebach, Klaffenbach, Neukirchen (Automatische Wirkerei Richard Lohse), Jahnsdorf, vollends Jahnsbach (14 Firmen) dicht neben der Wirkerstadt Thum mit der führenden Fabrik von Theodor Hof mann (500 Arbeiter) und gegen 30 weiteren Wirkereifirmen weiteten ihre Strumpfindustrie erheblich aus. Drum sagte der Volksmund Thum, dos muß mr lum (loben), Do wärn Strimp gemacht, Dos is 'ne wahre Pracht. In Gornsdorf waren im Jahre 1900 zehn Strumpffabriken mit 500 Maschinen und 700 Arbeitern vorhanden. In Gelenau wurde Strumpfwirkerei Haupterwerb. Kemtau machte tamburierte Herrensocken. Immer mehr sank der Anteil der Heimarbeiter an der Wirkerei, obwohl das Aufstoßen und Ketteln noch viel Sonderarbeit erforderte. 1907 waren nur 17,8 °/o der männlichen und 32,7 °/o der weiblichen Personen der gesamten Wirkerschaft mit Heimarbeit beschäftigt. Mehrfach kam es zu harten Lohnkämpfen, ζ. B. 1907 in dem großen Gornsdorfer Strumpfwirkerstreik, der bis 30 Wochen dauerte und auf andere Orte übersprang. Damals sperrten 50 Firmen 3300 Arbeiter aus. Amerikas Zollpolitik, die mit dem Mac Kinley-Tarif 1890 begann, vermochte auf die Dauer Sachsens Strumpfausfuhr nicht einzudämmen. 1900 wurden für 4,2 Millionen Dollar, 1907 sogar für 8,6 Millionen Dollar Strümpfe an die USA verkauft. Aber 1909 verdrängte England das Erzgebirge vom nordamerikanischen Markt, und da Sachsen viele Wirkmaschinen nach Nordamerika ausgeführt hatte, war drüben starke Konkurrenz ent-

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standen. Um so stärker wurde das Geschäft nach Südamerika und nach europäischen Ländern betrieben. 1913 versandte der Chemnitzer Handelskammerbezirk 15 000 Dutzend Strumpfwaren für 2V2 Millionen Dollar ins Ausland. Der Krieg legte 1914 einen großen Teil dieser blühenden Industrie still, denn sowohl Rohstoffe wie Absatzmärkte waren unerreichbar geworden. Nur wenige Strumpffabriken konnten grobe Sorten für die Soldaten liefern; vor allem in Thum und Herold half man sich mit Heeresaufträgen, wogegen andere Strumpffabriken auf Munitionsproduktion umgestellt wurden. Doch gab es dann Lieferung von Trikotagen, die Strickerei buchte Aufträge für Strickhandschuhe, für den Winter wurden im Felde Knie- und Pulswärmer gebraucht. Manche Fabriken arbeiteten auf Lager, und eine Bestandsaufnahme ergab 1915 immerhin 13 Millionen Dutzend Paar Strümpfe. Noch war Ausfuhr nach den nordischen Ländern, Holland und Österreich—Ungarn möglich. Dann wurden alle Rohstoffe beschlagnahmt, und viele Fabriken standen leer und still. Nach Kriegsende hemmten Blockade und Ausfuhrkon trolle den Wiederbeginn. Erst 1924 war die Strumpfindustrie wieder ganz frei. Inzwischen war trotz des Inflationsjahres 1923, in dem viele Streiks und Arbeiterunruhen stattfanden, die Strumpfindustrie wieder leistungsfähig geworden. In nächster Zeit entwickelten sich besonders die Betriebe in Thalheim, Dorfchemnitz (heute Werk „Drei Tannen") und Auerbach. Hier entstanden für die nunmehr 28teiligen Cottonmaschinen riesige Strumpfpaläste. Die beiden Firmen Wieland in Auerbach suchten sich damit gegenseitig zu übertrumpfen. Manchmal kostete allein der Bau der Gebäude so viel Geld, daß die Fabriksäle nicht gleich mit den teuren Maschinen ausgerüstet werden konnten. Der Fabrik von Robert Wieland strömten täglich 700 Menschen zur Arbeit zu, und 300 machten Heimarbeit. Bedeutende alte Strumpffirmen waren hier noch Uhlmann, Kürth, Keller, und daneben bestanden sechs kleinere. Im Nachbarorte Hormersdorf wetteiferten zehn Strumpffabriken miteinander. Das ganze Zwönitztal herauf reihten sich neuzeitliche Strumpffabriken, alle elektrisch betrieben, mit hohen Sälen und breiten Fenstern. In Thalheim wurden um 1925 täglich 7000—8000 Dutzend Paar Strümpfe hergestellt, und 2000 Arbeiter werkten in diesen Fabriken, außerhalb noch viele weitere. Großbetriebe nahmen 45 % der Werktätigen dieses Wirtschaftszweiges im Chemnitzer Bereich auf. Außer der Arbeit an Maschinen, wobei ein Cottonarbeiter zwei Hilfsarbeiterinnen, die „Aufstoßerinnen", neben sich hatte, mußten viele Mädchen „repassieren", kleine Fehler aufsuchen. Eine Maschine wirkte Strumpfränder, die zweite Längen und Fersen, die dritte Füße. Wichtige Nacharbeiten waren Nähen, Ketteln, Waschen, Bleichen, Färben, Appretieren. War einst die Dampfmaschine, später der elektrische Antrieb der Maschinen wesentliche Voraussetzung für die Industrialisierung gewesen, so wird die neueste Zeit von vollautomatischen Anlagen gekennzeichnet. Damit ist eine neue Stufe der

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Entwicklung erreicht. 200 Jahre hatte der handgetriebene Strumpfstuhl genügt. Jetzt leisteten 28köpfige Maschinen in der Minute 60—70 Reihen Strümpfe. 1942 vollends kam die Einheitsmaschine auf und lieferte — statt den Strumpf in drei Teilen zu machen, weshalb noch viele Arbeitskräfte ihn zusammensetzen mußten — in einem einzigen Arbeitsgang den fertigen Strumpf. Die Kürze der Damenkleider führte zu modischem Strumpfluxus. Strümpfe mit oder ohne Naht entstanden; zur Verzierung wurden sie, auch die Handschuhe, maschinell bordiert, tamburiert, gezwickelt, bestickt. Hatte die Arbeitslosigkeit 1930 die Strumpfindustrie nicht so schlimm gepackt wie andere Wirtschaftszweige, so wurden doch manche Fabriken lahmgelegt. Im Zweiten Weltkrieg zerstörten sogar Bomben einige Fabriken bei Einsiedel und Herold. Nach Kriegsende sind bei weitem nicht alle Strumpfbetriebe wieder in Gang gekommen. Ein sehr großer Teil wurde bald verstaatlicht, ζ. B. die bedeutenden ESDA-Betriebe (Erzgebirgische Spezialstrumpfwerke in Auerbach/Erzg.). Eine ganze Anzahl erzgebirgischer Strumpfhersteller hat nach 1945 in Westdeutschland ihre Produktion fortgeführt. Doch sind noch heute die Strumpffabriken wichtige Glieder der erzgebirgischen Wirtschaft mit starkem Export. 5. M e t a l l i n d u s t r i e Alteinheimisch ist die Metallverarbeitung im Erzgebirge, denn sie fußt auf der alten Eisen- und Blecharbeit der Hammerwerke und auf den Erfahrungen in Buntmetallhütten. Die Maschinenindustrie steht zwar auch in Beziehung zu den einstigen Hammerwerken, wird aber stärker von Chemnitz aus beeinflußt. Flaschner (Klempner) gab es zu Anfang des 19. Jahrhunderts sehr viele in Eibenstock (1810: 90 Meister), wo man aber bald zur Stickindustrie überging, ferner in Bernsbach und Beierfeld. Die größten Löffelfabriken lieferten noch 1860 Blechlöffel in erstaunlichen Mengen, bald aber nicht mehr geschmiedet, sondern gestanzt. In Beierfeld entwickelte sich daraus eine bedeutende Fabrikation von Haus- und Küchengeräten, anfangs noch als Hausindustrie. Zwei Firmen Friedrich, aus einer alten Löffelschmiede hervorgegangen, fertigten um 1830 jährlich über 40 000 Dutzend Löffel und unterhielten in den größeren Städten Deutschlands Warenlager. 1856 hatte die Firma Heinrich Friedrich 110 Arbeiter, die wöchentlich 1200 Dutzend Löffel in 72 Sorten fertig brachten. Firma Friedrich und Söhne mit 130 Arbeitern kamen auf 2000 Dutzend in der Woche. Sobald die Löffel gestanzt wurden, erhöhte sich die Erzeugung, so 1868 auf 10 000 Dutzend Löffel in der Woche. Noch im 20. Jahrhundert gingen von Beierfeld und Grünhain große Mengen Blechlöffel vorwiegend ins Ausland. Klempner gab es in Beierfeld seit dem 18. Jahrhundert, Schwarz- und Weißblechklempner, die früher natürlich ihre Bleche aus erzgebirgischen

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Hammerwerken bezogen hatten, im 19. Jahrhundert zu rheinischen Blechen ihre Zuflucht nehmen mußten. Um 1870 war Beierfeld ein Hauptort der Marktklempnerei. Aus Weißblech fertigten diese Klempnermeister Backformen, Gießkannen, Kaffeemaschinen, Trichter, Töpfe, Leuchter, Waschbecken, Eimer usw.; aus Schwarzblech wurden Ofenrohre, Topfdeckel, Schaufeln, Tiegel, Feldkessel hergestellt. In der Gründerzeit setzten sich die geschlossenen Betriebe durch, trotz scharfer Konkurrenz mit billigen englischen Waren. Viele der Beierfelder Fabriken nahmen nach 1880 ihren Anfang, darunter die von Ferdinand Frank, der mit Stallaternen begann, sodann die Nierschen Fabriken Nirona und Feuerhand-Sturmlaternen von Hermann Nier, die 1893 Sturmlaternen als Spezialität herausbrachten. Damit machten sie Beierfeld weltberühmt. Mit Maschinen zur Blechbearbeitung, die aus Aue geliefert wurden, nach 1900 mit elektrischen Schweißmaschinen aus Amerika, wurde die Beierfelder Industrie ungemein rasch vergrößert. Mehrere Fabriken hatten nach 1900 je 600 Arbeiter. Ein hohes Fabrikgebäude wuchs neben dem andern empor. Hutzier machte Aluminiumwaren, Ehmer Fahrradlampen, Goßweiler Serviergeräte. Auch Emaillierwerke und Lackierwarenfabriken entstanden. 1910 waren allein in diesem Industriedorf 49 Betriebe, 1920 sogar 91 vorhanden, darunter vier mit über 200 Arbeitern. Ähnlich verlief die Entwicklung in Bernsbach, wo bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Feuerschwämme, zum Teil aus ungarischem Material, zugerichtet und von Landreisenden („Rasenden") weithin verhandelt worden waren. Hier fertigte die Firma Hermann Hecker Lackierwaren; viele kleinere Betriebe machten Gießkannen, Kaffeekrüge für Arbeiter, Brotkapseln, Eimer, Kohlenkästen, Siebe. 1907 waren in 7 Blechwarenfabriken über 300 Personen tätig. Ein besonders eingerichtetes Eichamt mußte die Maße der Blechgefäße prüfen. Als sehr große Fabriken entstanden neben den Mittel- und Kleinbetrieben die Kotflügelfabrik von Schneider und Korb für Autos, Traktoren und Waggonbau, heute VEB Blechformwerke, wie audi in Lößnitz ein Kotflügelwerk entstand (Eschenauer, heute Lowa). Kraftfahrzeugteile stellten auch Kirdieis und Meyer in Bernsbach her. Die 1900 eröffnete Bahn von Zwönitz (1945 stillgelegt) brachte sowohl nach Bernsbach wie Beierfeld Bleche heran, ja in Beierfeld war lange Zeit zusätzlich eine Drahtseilbahn in Gang, um den Rohstoff Blech vom hochgelegenen Bahnhof in die „Frankonia" zu bringen, und die Arbeit war so großartig organisiert, daß morgens die Bleche oben eintrafen, tagsüber im Werk verarbeitet wurden und abends die daraus gemachten Sturmlaternen auf dem Bahnhof Schwarzenberg unten im Tal verladen wurden. In Scheibenberg entstand 1891 die große Metallwarenfabrik von Böhme, der vorher in Aue tätig gewesen war. Ferner lieferte Albert Sieber in Scheibenberg Wärmflaschen, Lackierwaren und Siebe, Ernst Lenk Aluminiumge-

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schirr, Weißflog Drahtwaren. Audi Grünhain bekam starke Blechindustrie. Hier führte die Firma Edelmann, die im eigenen Zinnhaus seit langem ihre handgeschmiedeten Löffel verzinnt hatte. 1895 eröffnete die Spielzeugfabrik Bing aus Nürnberg ihre Grünhainer Emaillewarenfabrik und hatte bald 200 Arbeiter. Auerswald fertigte Bestecke, Lippert und Arnold Ölkannen, andere Firmen Autobeleuchtung, und viele Betriebe machten Haus- und Küchengeräte. Sie gehören heute zur „Mewa". Auch ist neuerdings ein Elektromotorenwerk in leerstehende Grünhainer Fabrikgebäude eingezogen. Die Metallindustrie griff nach Eiterlein und Geyer aus, drang also in den Posamentenbezirk des oberen Erzgebirges ein. In Elterlein entstanden in einem Betrieb Propangasflaschen. Lauter wurde Ausgangspunkt der rasch aufblühenden erzgebirgischen Emailleindustrie. 1838 hatte August Gnüchtel als Schwarzblechklempner mit Kuchenblechen, Heugabeln, Düngerhaken, Blechleuchtern usw. begonnen, wandte sich bald Maschinentöpfen zu, verzinnte diese innen und brachte sie als „Saxoniageschirre" in den Handel. Auch Löffel wurden bei ihm gemacht und 1872 drei Löffelstanzen eingestellt. Der ehemalige Lauterer Forsthof wurde zur Fabrik ausgebaut. 1873 fing Gnüchtel zu emaillieren an, und aus diesem ersten erzgebirgischen Emaillierwerk entwickelten sich in Lauter selbst mehrere Firmen, neben F. A. Gnüchtels Emaillier- und Stanzwerken die Sächsischen Emaillier- und Stanzwerke Gebrüder Gnüchtel (1889), heute VEB Schwerteremaille. Dieser Großbetrieb hat heute Zweigwerke in Schwarzenberg und Raschau. Von einem Schwiegersohn Gnüchtels, Bausch, wurden die Bauschwerke geleitet (Pantheremaille); daneben arbeiteten in Lauter die Emaillierwerke von Kästner und Co. sowie Franz Prohazka. Viele Hunderte von Arbeitern waren in diesen Lauterer Metallwarenfabriken tätig. Dicht daneben, in Neuwelt, begannen August Reinwart und Schmidt und Sohn (1892) Emaillierwerke aufzubauen. In Schwarzenberg entstand das Excelsiorwerk AG, wo Haus- und Küchengeräte hergestellt wurden und dem ein Emaillierwerk in Lößnitz angeschlossen war. Moritz Pilz baute ein bedeutendes Werk in Schwarzenbergs Vorort Wildenau auf, und daraus wurde die AG Reinstrom und Pilz. Neben der Lauterer „Schwerteremaille" wurde die Schwarzenberger „Feueremaille" besonders bekannt. Mit Hilfe von Blechbearbeitungsmaschinen, die meist aus Aue kamen, wurden die Bleche geschnitten, gestanzt, gebogen, geschweißt, aber das Auftragen der Emaille verlangte sehr viel sorgfältige Handarbeit. Als Emaillierwerke sind noch zu nennen das von Hermann Freitag in Raschau, von Paul Zschiedrich in Beierfeld. Audi in Bockau bestand längere Zeit ein Emaillierwerk. In Zwönitz hatte Carl August Schwotzer in seiner Klempnerwerkstatt einst Messingleuchter, darunter sehr schöne für Kirchen, und Messinggerät geschaffen. Gleich nach Gnüchtel lernte er das Emaillieren, und sein ansehnliches Emaillierwerk bestand bis 1922. In Crottendorf war schon 1875 das große Emaillierwerk von Nebenthal in Gang, und viele kleinere Metallwarenfabriken

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schlossen sich in diesem hochgelegenen Gebirgsdorf an. Lange Zeit ist damit die Gegend von Schwarzenberg Hauptplatz der bedeutenden Emailleindustrie des Erzgebirges gewesen. Ein 1905 geplanter Zusammenschluß dieser Werke scheiterte. Etliche Betriebe sind schon vor und nach dem Ersten Weltkrieg eingegangen. Doch bleibt die Herstellung von Haus- und Küchengeräten fast nur auf das Westerzgebirge beschränkt. Aus dem Osterzgebirge ist die Kaffeemühlenfabrik Leinbrock in Gottleuba zu nennen. Dort fertigen 150 Arbeiter über 20 000 Kaffeemühlen im Jahr. Auch eine Kupferwarenfabrik besteht dort. In Schwarzenberg und seinen Vororten ist die Blechwarenfabrikation sehr vielseitig. Fabriken für Lackierwaren und früher für vernickeltes Tafelgeschirr waren darunter. Eine Fabrik exportierte lange Zeit ihre gesamte Jahresproduktion, Reisteller, nach Indien; eine andere versorgte ganz Deutschland mit Reißzwecken. Viele Fabriken verarbeiteten Aluminium, andere fertigten ö l - und Schmiergefäße. Kutscher und Gasse verlegten 1889 ihre Fabrik von Aue nach Schwarzenberg und wandten sich der Zinkraffinerie zu. Louis Krauß begann in Neuwelt, zog 1887 nach Wildenau bei Schwarzenberg, erfand 1895 die Wellenbadschaukel und stellte seine sich rasch vergrößernde Fabrik auf verzinkte Blechwaren ein: Badewannen, Wärmflaschen, Waschmaschinen, Benzinkanister. 1907 führte er das autogene Schweißen in seiner Fabrik ein, das die Arbeit ungemein erleichterte. Dieses vorbildlich durchkonstruierte Werk galt bald als Musterbetrieb, auch was soziale Fürsorge, künstlerische Durchdringung der Reklame, Automatisierung anlangte, namentlich unter der Leitung des Sohnes des Gründers, Dr. Friedrich Emil Krauß. Bei Krauß gab es außerdem vernickelte Wärmflaschen, wie auch sonst Nickelgerät in verschiedenen Schwarzenberger Fabriken hergestellt wurde. Audi Messingware, versilberte, vergoldete Ware konnte man hier und in der Heckerschen Fabrik in Aue, Inhaber Wilhelm Schreiber, bekommen, die feines Tafelgerät lieferte. Blechspulen für Webereien, besonders Tuchfabriken, lieferten die 1872 gegründete Fabrik von Ernst Papst in Aue sowie ein Lengefelder Werk. Im ganzen Bereich von Schwarzenberg waren erstaunlich viele kleine und mittlere Betriebe auf Haus- und Küchengeräte, besonders aus Weißblech, eingestellt. Kapseln, Kannen und Becher, Dosen, Kuchenformen, Siebe, sogar blechernes Kinderspielzeug kamen aus dieser Erzgebirgsgegend. Daran schlossen sich noch Betriebe für Kleineisenwaren, besonders in Raschau, MittweidaMarkersbach und Langenberg, durchaus in Fortsetzung der altüberlieferten Hammerwerksarbeit. Ungefähr 800 Sorten Eisenwaren wurden gemacht, darunter Bank- und Bandeisen, Haspen, Haken, Fensterbeschläge, selbst noch eiserne Nägel, besonders für Schienen. Langenberg war 1855—1890 mit dieser Eisenarbeit beschäftigt. Grünhain dagegen lieferte Martinstahlbestecks. Die Besteckindustrie von Aue steht mit dieser vielseitigen Metallwaren-

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erzeugung um Schwarzenberg in engster Beziehung. Statt der Blechlöffel von einst brachten große Auer Firmen auf Grund von Dr. Ernst August Geitners Erfindung des Argentans (Neusilbers, 1823) nicht nur prachtvolle Neusilberlöffel, sondern geschmackvoll geformte Bestecks und Hotelgeräte aller Art hervor (s. Teil II). In Geitners Walzwerk, wozu der Erfinder den stillgelegten Auerhammer eingerichtet hatte, arbeitete August Wellner mit, machte sich bald selbständig, stellte seit 1840 Neusilber her, und aus kleinen Anfängen gingen drei Auer Neusilberwarenfabriken hervor: Die „Sächsische Metallwarenfabrik A. Wellner Söhne" (AWS, 1892), zuletzt geleitet von Wellners Schwiegersohn Paul Gaedt; die AG Christian Gottlieb Wellner (als Gowe bekannt); die Firma C. F. Hutschenreuter, deren Gründer 1840 als Gürtlergeselle nach Aue gekommen und Schwager von August Wellner geworden war. Letzte ist noch jetzt Privatbetrieb mit staatlicher Beteiligung. Die beiden ersten Firmen sind zu einem staatlichen Werk mit dem Namen „AuerBesteckund Silberwarenwerke" (ABS) vereinigt. Neben ihnen haben sich ein paar kleinere Metallwarenfabriken in Aue, Schneeberg, Lößnitz und Grünhain aufgetan, darunter die Besteckfabrik Auerswald in Grünhain. Nickel für den Bedarf dieser Fabriken lieferten die Nickelhütten Aue-Niederpfannenstiel und Oberschlema, die, ebenfalls auf einer Erfindung Dr. Geitners fußend, neben Kobaltblau Nickel im Großen erzeugten. Geitners Werk Auerhammer, die Argentanfabrik F. A. Lange (nach Geitners Schwiegersohn genannt), ist heute VEB Walzwerk, ein Halbzeugwerk wie der jahrzehntelang mit Auerhammer zusammengehörige Kupferhammer Grünthal bei Olbernhau, der aus der alten kursächsischen Saigerhütte hervorgegangen ist und Kupferblech lieferte. In Olbernhau bestand seit 1681 die bedeutende Gewehrmanufaktur, die für das sächsische Heer Waffen lieferte. Sie war mit den Innungen der Büchsenmacher und Büchsenschäfter eng verbunden. 1820 trat Fabriksystem an die Stelle der Manufaktur, zum Teil von sehr schroffem Unternehmerwillen beherrscht. Es endete 1857. Ferner waren in Olbernhau Gelbgießerwerkstätten tätig, die um 1810 jährlich 3500 Bügeleisen fertigten. Abseits vom Aue-Schwarzenberger Metallwarenbezirk fanden nur wenige Fabriken ähnlicher Art guten Boden im Erzgebirge, darunter in Marienberg eine Metallknopfindustrie von Josef Esser (1902), die Firmen Paul Wittig sowie Wittig und Schwabe mit Beleuchtungsindustrie und Tafelgerät, ferner die Fabrik von Kreher für Metallspielwaren. Diesen entsprachen noch in Zöblitz Fabriken wie Reuter und Gustav Fischer, wo Kinderkochherde entstanden. Von heimischen Erzen gingen aus Betriebe für Zinn und Blei. Zinngießer hatte es früher in vielen erzgebirgisdien Städten gegeben. Wir bewundern heute meist nur ihre kleinen Kunstwerke, denken aber nicht daran, daß sie in der Hauptsache Gebrauchsware für den Haushalt machten. In Freiberg, wohin seit 1930 das Altenberger Zinnerz zum Schmelzen gebracht wurde,

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bestand bereits seit 1764 die berühmte Zinnmanufaktur von Pilz, von der es besonders schöne Zinnsoldaten und zinnerne Bergaufzüge gibt. Auch in Altenberg selbst wurde Zinn verarbeitet. Aus Lößnitzer althergebrachter Zinngießerei ging 1879 ein Betrieb für zinnerne Sargverzierungen hervor. Das vom Freiberger Bergbau ausgebrachte Blei wurde in Bleiwarenfabriken von Freiberg und Oederan verarbeitet (Bleiindustrie AG, vormals Jung und Lindig). 1910 im Zuge der Umstellung des Freiberger Wirtschaftslebens vom Bergbau auf Industrie wuchs die Zahl der dortigen Metallwarenfabriken auf 12 an. Dem Bedarf des Bergbaus und der Bergakademie in Freiberg entspricht die 1793 gegründete Fabrik von Max Hildebrand (früher August Lingke) für Präzisionsinstrumente und Markscheidergerät. In beiden Weltkriegen wurde in den Metallwarenfabriken überall für die Rüstung gearbeitet. Aber auch Annaberg machte Granaten, Buchholz Geschoßzünderkappen, Bärenstein Munition, Eiterlein Trinkbecher, Feldflaschen, Schützengrabenlaternen, Jöhstadt Patronenhülsen, Schlettau Verschraubungen, Sehma Kochgeschirre, Feldkessel, Wolkenstein Zünderröhrchen. Auch Helme, Kartuschen, Seitengewehrscheiden stammten aus erzgebirgischen Metallwerken oder zur Metallarbeit umgestellten Fabriken. Es war schwer, 1918 wieder zu beginnen, noch schwerer 1945, weil viele Fabriken demontiert, manche — wie ein Werk bei Eibenstodk — gesprengt wurden. 6.

Maschinenindustrie

Manche der alten Hammerwerke erhielten sich dadurch, daß sie Maschinenteile gössen, ζ. B. Erla, Schönheiderhammer und Morgenröthe, letztes Maschinen für die Musikinstrumentenbauerei des Vogtlandes. Diese drei sind noch heute mit Eisenguß Lieferanten für Maschinenfabriken. Jedoch nimmt die Fabrikation von Maschinen eigentlich vom Textilmaschinenbau ihren Anfang. Sie entwickelte sich dahin, daß die verschiedensten erzgebirgischen Wirtschaftszweige Spezialmaschinen oftmals in der Nähe bauen ließen. Schon Evan Evans hatte bald nach 1800 in Dittersdorf bei Einsiedel, wo heute eine Kratzentuchfabrik steht, Maschinen für Spinnereien gebaut. Haubold in Chemnitz (1826) brachte überhaupt den Textilmaschinenbau vorwärts, und bei ihm lernten viele später als Chemnitzer Maschinenfabrikanten berühmt gewordene Männer wie Richard Hartmann, Pfaff, Zimmermann, Borchardt. Die Gebrüder Schönherr aus Plauen begannen nach 1840 ihre selbsterfundenen Webstühle in Niederschlema zu bauen, gründeten aber 1851 zum Bau mechanischer Webstühle ein bedeutendes Werk in Chemnitz, die Sächsische Maschinenbaukompanie mit 500 000 Talern Kapital. Förderlich für diesen Maschinenbau wurde der Bau der Eisenbahn von Riesa herauf (1852), die man geradezu als „Erzgebirgische Eisenbahn" bezeichnete, und seit 1845 der stärkere Steinkohlenabbau in Lugau und ölsnitz. Die erste Dampfmaschine in Chemnitz 1829 diente als Anregung, auch im Erzgebirge die zuverlässige

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Dampfkraft statt der unregelmäßigen Wasserkraft zu verwenden. 1846 gab es in Sachsen bereits 197 Dampfmaschinen, von denen zwei Drittel im Lande gebaut waren. Als Zimmermann in Chemnitz 1848 mit dem Werkzeugmaschinenbau begann, wurde die Industrialisierung des Erzgebirges abermals auf eine höhere Stufe gehoben, trotz vielfachen Widerstandes der Handwerker und Arbeiter. So sandten, als C. F. Hofmann in Gersdorf einen Rundstuhl erfunden hatte, Strumpfwirker ihm Brandbriefe und zerstörten wirklich mit Feuer zwei seiner Stühle, so daß Kaufmann Hecker in Chemnitz vom Ministerium Schutz und Entschädigung erbat. Innungen und Fabrikarbeiter waren noch gegen Rundstühle. Bald darauf wurde Richard Hartmanns Fabrik berühmt durch Strumpfstuhlbau, und Wirkmaschinen wurden danach auch in Einsiedel und in Burkhardtsdorf gebaut. Spindelfabriken für Textilwerke bestehen seit 1840 in Sehma und Neudorf. 1854 erfand der Tuchweber Ernst Geßner, aus altem Lößnitzer Tuchmacherhandwerk stammend, die Doppelrauhmaschine, meldete sehr bald weitere wichtige Patente an, ζ. B. den Florteiler, die endlose Bandbildung, die Kratzenrauhmaschine. Zunächst fertigte er solche Maschinen in seiner Tuchfabrik in Aue an, stellte aber diese schließlich um zur Maschinenfabrik. Dieses bedeutende erzgebirgische Werk, nach des Erfinders Tode (1897) von seinem Sohn geleitet, seit 1921 als Aktiengesellschaft geführt, ist heute als VEB Textima noch immer durch seinen Maschinenbau bekannt und beliefert viele Länder (s. Teil II). Ein zweiter Anstoß ging von Aue (s. Teil II) aus, als Erdmann Kircheis, Sohn eines Steigers und bei Geßner geschult, die ersten Blechbearbeitungsmaschinen baute. Seine 1861 gegründete Fabrik, bald an die Wasserkraft des alten Zeller Hammers und dicht an den Bahnhof Aue gelegt, brachte hauptsächlich neue Maschinen und Werkzeuge hervor, die unmittelbar den Klempnern und Metallwarenfabrikanten des westlichen Erzgebirges zugute kamen, aber auch die Ausfuhr nach Rußland, Südamerika usw. wesentlich erhöhten, zumal Kircheis bereits vor 1860 Rußland bereist hatte. Er war auch Mitbegründer der Auer Klempnerfachschule (1877), die viel tüchtige Kräfte für die heimische Metallindustrie ausgebildet hat. Von dem Kircheiswerk (heute VEB Blema = Blechmaschinenfabrik) gliederte sich bald ab (1879) die große Maschinenfabrik von Hiltmann und Lorenz (Hilo), die heute Bergwerksmaschinen baut. Von Kircheis gingen auch aus Schorler und Steubler, die 1883 ihre Fabrik für Blechbearbeitungsmaschinen gründeten. Zwischen Blechbearbeitungsmaschinenbau und Metallwarenfabriken stehen die Schnitt- und Stanzwerke, die für den Bedarf der Metallbetriebe geeignete Formen liefern müssen. Daher hat in Aue der Schnitt- und Stanzenbau sich stark entwickelt, besonders in der Firma Bernhard Hiltmann (heute VEB Auer Werkzeugbau, Aweba). Auch Edmund Hiltmann, Rockstroh, Reich, Arnold widmeten sich

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dem Schnitt- und Stanzenbau, und in Schwarzenberg gab es ebenfalls Betriebe dieser Art. Nach dem Ersten Weltkrieg entstand in Schwarzenberg eine Fabrik für spanlose Verformung. Dodi blieb die Ziehpresse, die 1880 eingeführt wurde, die wichtigste Maschine für Blechbearbeitung. Sie wurde hauptsächlich in Aue gebaut. Für die Blechwarenfabriken im Spielwarenbezirk arbeitete der Schnitt- und Stanzenbau Gebrüder Ficker, Marienberg. Die großen Maschinenfabrikanten hatten meist eigene Eisengießereien. Außerdem wurden Betriebe notwendig, die Eisenguß übernahmen, darunter die von Bochmann und von Stein 1877 in Aue gegründete, die heute verstaatlicht ist, oder die Lößnitzer, wo der vorzügliche Eisengießer Herrmann eine große Halle errichtete, und in Olbernhau das Hammerwerk mit Eisengießerei von Robert Lehnert. Roheisen wird schon seit 1902 im Erzgebirge nicht mehr erzeugt. Grauguß wird noch in den alten Hammerwerken Erla und Wittigsthal gegossen. Auch Maschinenteile wurden dort gemacht. Kleineisenwaren ließ man lieber, wegen des Zolls, in Fabriken auf böhmischer Seite fertigen, so in dem Wittigsthal unmittelbar benachbarten Breitenbach jenseits der Grenze. Die Maschinenfabrik Schmiedeberg im Osterzgebirge, ursprünglich Hammerwerk, erhielt von der Altenberger Zwitterstockgesellschaft 1834 ein Hüttenwerk mit Hochofen, der aber schon 1875 kaltgestellt wurde, so daß nur Fräserei und Zeugschmiede bestehen blieben. Man versuchte es 1881 mit einer Holzschleiferei statt der Eisenhütte. 1890 erwarb die AG Gebrüder Seck die Anlagen, um Mühlenbau zu betreiben. 1912 wurde Grauguß aufgenommen. Im Ersten Weltkrieg lieferte Schmiedeberg Granaten. 1925 ging AG Gebrüder Seck in einem Konzern, der MIAG, Mühlenindustrie Aktiengesellschaft auf und gehörte zu einem Werk in Hannover. 1943 wurde eine Halle für Stahlguß erbaut, worin 1600 Mann arbeiteten. 1945 demontiert, wurde das Werk 1946 soweit wieder hergerichtet, daß am 3. Mai abermals Eisen flöß. Seit 1949 ist das Werk verstaatlicht. Es heißt „VEB Gießerei und Maschinenbau Ferdinand Kunert". Nahebei wurde das Eisenwalzwerk Obercarsdorf, dem Freiherrn von Burgk gehörig, bereits 1880 stillgelegt. In Lauter hatte Schmiedemeister Götz 1866 angefangen, Blechbearbeitungsmaschinen der örtlichen Werke zu reparieren. 1898 erweiterten seine Söhne den Betrieb zur Fabrik, die bald 100 Arbeiter beschäftigte. Auch die Fabrik von Kux in Lauter, 1889—1945, war für Blechbearbeitungsmaschinen bekannt. Aus Aue kommen Härteöfen vom Simplonwerk Albert Baumann. Schweißmaschinen baute Popp. In Heidersdorf gründete der Zeugschmied Ernst Hähnel 1885 eine Lötkolbenfabrik, die noch besteht. Die ausgebreitete Industrie für Holzschliff und Papier im Erzgebirge rief Fabriken für Holzbearbeitungsmaschinen hervor. Aue mit dem HerkulesSägegatter-Werk, Niederschlema mit Fabriken für Holzstoff- oder Papiermaschinen, Erla mit Maschinen für Holzschleifereien, auch Raschau, Ober-

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schlottwitz sind hier zu nennen. In Olbernhau arbeiteten Maschinenfabriken für den Spielwarenwinkel, ζ. B. die Firmen C. W. Kreher und Eußert. Otto Seifert, Olbernhau, liefert Walzengatter, Fräsmaschinen, Hermann Kreher Hobelbänke, Seipt in Heidersdorf (1885) Holzbearbeitungsmaschinen. Landwirtschaftliche Maschinen waren früher für die erzgebirgischen Bauerndörfer mit ihren schwierigen Geländeverhältnissen nicht so wichtig. Trotzdem entstanden in Lößnitz und seiner Umgebung Landmaschinenfabriken. Ernst Köthner, ein Werkführer Richard Hartmanns in Chemnitz, begann 1861 eine Fabrik für Häckselmaschinen, Gabelheuwender und dergleichen. Sie erweiterte sich, brachte Milchzentrifugen, Kartoffelgraber, Kultivatoren heraus, und im nahen Dreihansen übernahmen Hofmann und Sohn als Besonderheit Stallbahnen, Greiferaufzüge für Heu, Kartoffelwaschmaschinen. In Schlettau, Markersbach, Wildenfels wuchsen weitere Landmasdiinenfabriken heran, und Freiberg besaß um 1910 deren drei, besonders durch ihre Dreschmaschinen wichtig. Auch Dippoldiswalde und Schlottwitz im Osterzgebirge versorgten ihre Umgebung mit Maschinen für Bauernarbeit. In Freiberg, wo die altberühmte Maschinenfabrik Peschke entsprechend der alten Papiermachertradition an der Freiberger Mulde Papiermaschinen baute, wurden Bergwerksmaschinen gebraucht. Deshalb baute die Firma Hülsenberg Dampfpumpen und die im Freiberger Bergbau so berühmt gewordenen Wassersäulenmaschinen. 1869 gegründet, lieferte sie weitere Maschinen für Bergwerke und Schmelzhütten und beschäftigte Ende des 19. Jahrhunderts 230 Arbeiter. Im Annaberger Bereich entstanden 1860 Fabriken für Klöppel- und Posamentenmaschinen. Dazu gehörten Fadenmühlen, Plattiermühlen, Schlung-, Chenille-, Räupel- und Gallonmaschinen. In Geyer entwickelte sich die große Fabrik für Posamentiermaschinen und Perlenmaschinen von Friedrich Reuther (1874). In Buchholz bestand die Fabrik für Posamentenmaschinen von Johann Eckert. Mechanische Wirkmaschinen wurden in Schlettau für die Wirkerorte der Gegend gebaut, während der Bürstenwinkel in Schönheide Fabrikation von Borsteneinziehmaschinen aufweist. Eine Besonderheit ist die Fabrikation von Feuerspritzen und Feuerwehrgerät in Jöhstadt (Flader). Dagegen hat sich Eibenstocks Stickereiindustrie nicht eigenen Stickmaschinenbau in der Nähe ausgebildet, sondern seit 1880 von der Sächsischen Stickmaschinenfabrik Albert Voigt in Kappel bei Chemnitz beliefern lassen. Im Zeitalter der Motoren entstanden große Autowerke am Rande des Erzgebirges, in Zwickau und Chemnitz. Im Erzgebirge selbst, bei Zschopau im Tichautale, begann der Ingenieur Rasmussen zuerst mit einem Spielwerk „Des Knaben Wunsch" (also Kindermotoren), ging über zum Hilfsmotor (das kleine Wunder, DKW), für Fahrräder gebaut, und schuf damit die Grundlage für die Zschopauer Motorenwerke DKW, heute IFA. Für sie vollzog eine Fabrik in Scharfenstein die Blechzieh- und -stanzarbeit. Anna-

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berg besorgte den Guß der Kolben, in Zöblitz wurden die Armaturen gemacht, in Erfenschlag die Bootsmotore gebaut, und Marienberg lieferte Radnaben. Damit waren nicht wenige Orte mit dem Kraftwagenbau beschäftigt, zumal ja die Kotflügel aus Bernsbach oder Lößnitz kamen. Während des Zweiten Weltkrieges wurde Erla ein wichtiger Platz für den Flugzeugbau, und der Name Erlawerke (ζ. T. mit dem Sitz in Leipzig) hatte damals guten Klang. Dabei hatte das alte Hammerwerk Erla schon im Anfang der Industrialisierung mitgewirkt, als um 1840 der Engländer Payne hier Webstühle baute, darunter 400 für die Auer Baumwollfabriken. Maschinenteile und bald auch Eisenbahnschienen kamen ebenfalls zeitig aus Erla. Wie auch andere Industriezweige begann die Maschinenfabrikation zwar noch mit Wasserkraft, stellte aber sehr bald Dampfmaschinen auf und schuf damit für die Weiterentwicklung der erzgebirgischen Industrie und ihrer Maschinen neue Möglichkeiten. Mit dem Bau von Werkzeugmaschinen, für den Chemnitz den Ton angab, wuchs im Erzgebirge ein kräftiger, in sich geschlossener Industriekörper heran. 7. W e i t e r e

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Der Überblick über die Geschichte der Industrie im Erzgebirge bliebe unvollständig, würde nicht darauf hingewiesen, wie findig und geschickt der Erzgebirger alle Gegebenheiten der heimatlichen Natur, seien es Rohstoffe oder Wasserkräfte, zu nutzen verstand und durch Erfindungen sie bereichert hat. Oft waren es bescheidene Versuche, die bald wieder vergessen wurden, örtliche Entwicklungen ohne größere Bedeutung. Aber auf manchen fußen ganze Industriezweige, und an vielen dieser Arbeiten schulte sich der Erzgebirger für moderne Industrie. a) Mühlen Welche Fülle und Verschiedenheit von Mühlen hat es im Erzgebirge gegeben! Sie waren oft Vorläufer großer Fabriken, Spinnereien, Holzschleifereien usw. Nahezu jedes Tal, jedes der vielen hundert Dörfer des Erzgebirges hatte seine Mahlmühle, manches „Mülichen" zwar nur mit einem Gang, andere mit zwei bis drei Gängen, und oft daran angeschlossen noch Brettmühlen. Zur Bergbauzeit waren viele Mühlen Pochwerke oder wurden zu Hüttenwerken umgewandelt. Eine bei Vorbereitung des Bahnbaus Chemnitz—Annaberg entworfene Karte der Industrie in Annabergs Umgebung weist 86 ö l und Pochmühlen mit 424 Stampfen auf. Erstaunlich groß ist auch die Zahl der Sägemühlen in dem holzreichen Lande, von denen viele im Spielwarengebiet sich zu großen Kistenfabriken und ähnlichen Betrieben entwickelt haben. Andere gingen zur Dampfkraft über und bildeten den Kern der Industrialisierung. So wurden um 1900 von den fünf Schmalzgruber Mühlen drei

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in Zwirnereien, eine in eine Pappenfabrik umgebaut. Getreidemühlen wurden modernisiert, wie die Freytagsche Kunstmühle in Lauter mit ihren hohen Elevatoren oder die Mühle Stein. Mühlenbauer waren sehr begehrte Könner. Eine Müllerschule in Dippoldiswalde bildete Nachwuchs aus. Manche Mühlen spezialisierten sich. D a gab es Graupenmühlen, ζ. B. in Wolfersgrün bei Kirchberg, viele Knochenmühlen, wie in Bärenwalde, Schwarzbach, Reitzenhain, die Knochenschrot lieferten, erstaunlich viele Ölmühlen, um den Lein der heimischen Fluren zu verarbeiten und der armen Bevölkerung das begehrte, gesunde Leinöl als Speiseöl zuzubereiten. In Tannenberg etwa ist der maschinelle Fortschritt vom Zerstampfen der Leinkapseln zu einem Zerquetschen mittels Schneckengang feststellbar. Die Hungersche Ölmühle in Niedersaida gewann um 1930 täglich aus einer Tonne Saat 300—400 kg ö l . Als älteste ö l - und Lohmühle — denn sobald der Lein verarbeitet war, nutzte man die Mühlenanlage zu anderer Stampfarbeit — ist uns die 1384 erwähnte am Freiberger Münzbach bekannt. Im flachsreichen Amt Frauenstein zählte man im 19. Jahrhundert 20 Ölmühlen, im Osterzgebirge noch um 1920 sieben ö l - und Knochenmühlen. Sie lieferten auch Leinkuchen als Viehfutter. Lohmühlen, die Rinde für Gerber zerkleinerten, gab es an vielen Orten im Gebirge, ζ. B. um Aue. Von 1 Raummeter Fichtenrinde erzielte man 180 kg Lohe, die weithin verkauft wurde. Bei Lauter ist eine Lohmühle als technisches Denkmal erhalten geblieben. Einige Mühlen dienten zeitweise als Tabaksmühlen, ζ. B. in Niederlößnitz. Eine Schleifmühle hatten 1576 die Messerschmiede Freibergs. Auch die sehr alte Messerschmiedezunft in Lößnitz besaß eine, und bei Thalheim war eine weitere in Gang. Poliermühlen gab es ζ. B. an der Sehma und am Turmhof in Freiberg. Sehr wichtig für die Tuchmacher waren die Walkmühlen bei Kirchberg, Freiberg, Lößnitz usw. 1836 besichtigte Legationsrat Reyer die Walken in Zschopau und Oederan, weil die Regierung die Qualität der Tuche zu bessern bestrebt war. Die Lößnitzer Weißgerber benutzten eine Lederwalkmühle. Pulvermühlen sind seit 1502 bekannt, seit bei Freiberg die erste erbaut wurde. 1689 entstand an der Mulde eine neue Pulvermühle, aus der sich die Pulverfabrik Langenrinne entwickelte. Bei Hilbersdorf, nahe Freiberg, stand um 1800 die Philippsche Pulvermühle. Der Pulvergrund bei Weißbach erinnert an die für den Schneeberger Bergbau wichtige Pulvermühle. Bei Stollberg soll einmal eine Pulvermühle in die Luft geflogen sein. Olbernhaus Pulvermühle war noch 1900 in Gang. Diese kleine Ubersicht über das Mühlenwesen im Erzgebirge soll zeigen, wie jahrhundertelang die Wasserkraft für gewerbliche Zwecke genutzt wurde. Insofern waren auch Mühlen, wie die Hammerwerke, Vorläufer der industriellen Entwicklung.

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b) Steine und Erden Geologische Meßtischblätter aus dem Bereich des Erzgebirges zeigen Tausende von Steinbrüchen. Von diesen haben einige größere Bedeutung erlangt und sind in die Industrialisierung einbezogen worden. Kalklager erforderten von je für den Bau von Brennöfen Kapitaleinsatz. In manchen Kalkbrüchen wurde der kristallisierte Kalk als Marmor abgebaut, seitdem die großen Künstler Nosseni und Chiaveri heimische Gesteine für ihre Bauwerke suchten. Das Marmorwerk Crottendorf hat jahrhundertelang wertvollstes Material für Bauten und Denkmäler hergegeben. Auch vom Fürstenberg bei Grünhain, aus Grünau bei Wildenfels, das um 1800 eine Marmorschneidemühle benutzte, und aus Maxen stammen Marmorblöcke. Maxener Marmor ist ζ. B. zur Innenauskleidung im Dresdner Zwinger mit verwendet, Crottendorfer sogar zum Bau des Amsterdamer Rathauses verschifft worden. An vielen Stellen ging man aber dazu über, den Kalk zu brennen. Crottendorf hat heute ein technisch hochentwickeltes Kalkwerk; desgleichen werden in Oberscheibe, Raschau, Hammerunterwiesenthal, Herold, Hermsdorf im Osterzgebirge die Lager auf Mörtelkalk und Düngekalk abgebaut. Hier und da sieht man noch Reste alter Kalköfen, wie am Emmier bei Raschau, wo einst der Kalk hauptsächlich als Zuschlag (Flöße) zum Schmelzen der Eisenerze benutzt wurde. Das Lengefelder Kalkwerk, seit 1551 bekannt, lieferte Baukalk für die Augustusburg und nach Freiberg. Audi Nosseni hat den Bruch stark benutzt. Im 19. Jahrhundert ging der Rohkalkstein von Lengefeld an Gußstahlwerke und Papierfabriken. Bekannt geworden sind neuerdings die Lengefelder Brüche als Depot von Bildern der Dresdner Gemäldegalerie. Im Kalkwerk Nentmannsdorf bei Liebstadt, das schon seit 1586 benutzt wird, wurden im Zweiten Weltkrieg viele Kriegsgefangene und Fremdarbeiter eingestellt, um einen 800 m langen Stollen zu bauen für unterirdische Betriebsanlagen der Firma Zeiß, Jena. Der Ringofen wurde im Krieg vernichtet. Kugelmühlen, ein hoher Schüttofen mit Elevator verarbeiteten den mausgrauen Plattenkalk. Serpentin in Zöblitz war schon seit dem 15. Jahrhundert bekannt. Er wurde im 17. Jahrhundert zu Schüsseln, Tellern, Bechern, Wärmflaschen gedrechselt, galt nämlich als heilkräftig. 1665 wurde eine Zunft gegründet, die den Stein abbaute und bearbeitete. Deren Erzeugnisse wurden durch Hausierer abgesetzt. Als 1836 das Regal über den Serpentin aufgehoben wurde, ging es mit dem etwas zurückgebliebenen Betrieb wieder aufwärts. 1862 wurde eine Aktiengesellschaft gegründet. Sie ließ den „Schlangenstein" in Brüchen und Stölln zu Zöblitz, Ansprung und Kuhschnappel brechen. An zahlreichen Sägen und Drehmaschinen waren 50 Arbeiter mit Hobeln, Drehen, Fräsen und Schleifen des Serpentins beschäftigt. Viel umfänglicher waren die Dachschieferbrüche in den Phyllitgegenden des Erzgebirges. Nicht nur bei Lößnitz und Affalter, wo 25 Brüche den Fels-

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grand aufrissen, auch bei Weißbach nahe Schneeberg, bei Thum und Gelenau und an anderen Orten holten Bauern aus ihrer Flur Schiefer heraus, sowohl, um die eigenen Dächer zu decken, als audi Pfeiler für ihren Hof und den Gartenzaun, Fußbodenbelag vor dem Wohnhaus und im Hausflur zu beschaffen. Seit 1425 wurde Lößnitzer Dachschiefer abgebaut, und schon Georgius Agricola nennt ihn. Im 17. Jahrhundert nutzte man große Schieferbrüche in Dittersdorf bei Lößnitz. In den meisten Dörfern des Erzgebirges sind die Gebäude der Bauernhöfe mit Schiefer bedacht, auf Kirchen und Bürgerhäusern erglänzen in metallenem Schimmer die blaugrauen Dächer, noch aus der Blütezeit der heimischen Schieferbrecherei stammend, da ein Schieferdach hundert und mehr Jahre hält. In Lößnitz und Affalter waren Mitte des 19. Jahrhunderts über 500 Arbeiter in Schieferbrüchen tätig. 1856 wurde dort die Schieferbruchkompanie mit 1,2 Millionen Mark Kapital gegründet. 1874 lieferte sie 4,5 Millionen Stück Schiefer. Außer Dachschieferplatten konnte man auch Wassertröge, Brunnendeckel, Bordsteine bekommen. Sechs Brüche waren angeschlossen. Ihre Arbeiter besaßen eine eigene Knappschaftskasse und einen Konsumverein. Aber seit 1875 die Eisenbahn Chemnitz—Aue thüringischen Schiefer billig heraufbrachte, ging der erzgebirgische Schieferbruchbetrieb zurück. Die ergiebigsten Schieferlager waren abgebaut, der sehr erhebliche Abfall von 95 %> (!) Gestein im Bruch und beim Spalten (Spellen) des Schiefers in den Spellhütten war leichtsinnig dort zu Halden aufgetürmt worden, wo vielleicht noch weitere gute Anbrüche schlummerten. 1882 löste sich die Kompanie auf. Ein paar Privatbrüche arbeiteten etwa noch zehn Jahre weiter. Seit einigen Jahrzehnten baut die „Schiefermühle" in Lößnitz die großen Halden ab, um mit Schiefermehl Dachbelag herzustellen. Im 19. Jahrhundert kam der erzgebirgische Granit erst richtig zur Geltung. Schon im 16. Jahrhundert war Greifensteingranit zu Rainsäulen handwerklich verarbeitet worden. Mit der Zeit nutzten größere Brüche am Greifenstein, aber auch in der Geyerschen Pinge, wo eine bayerische Firma ansehnliche Anlagen geschaffen hatte, Granit zu Bordsteinen, Pflastersteinen, Schwellen, Stufen, Simsen. Industriell abgebaut wurde der Kirchberger Granit in tief in die Berghänge hineinbohrenden Brüchen bei Saupersdorf, der Rockelmanngranit von Schwarzenberg, dessen riesiger Steinbruch um 1940 zu einer Feierstätte ausgestaltet wurde, der Granit von Auerhammer seit 1886, wo 100 Arbeiter in zwei Brüchen werkten, und am Gleesberg der Krebssche Steinbruch, wo heute noch die Steinbrecher mit modernen Mitteln weite Wände des Berges entblößen. Basalt wurde sowohl im Osten am Geising und Wilisch, als auch an den drei hohen Tafelbergen des mittleren Gebirges und an manchen kleineren Basaltvorkommen bei Crottendorf, Neudorf und nahe den Tellerhäusern gewonnen, besonders für Straßenschotter und den nicht staubenden Basaltknack unter die Eisenbahnschienen. Dabei haben die Basaltwerke, von denen manche,

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wie das Scheibenberger, sogar Schwebebahnen zum Transport anlegten, die Schönheit der Basaltsäulen eigentlich erst enthüllt, leider aber manche dieser Naturdenkmäler, wie die Kanzel am Scheibenberg, zerstört. Für viele Ziegeleien baute man Lehmlager ab, jedoch erinnern meist nur nodi tiefe, wassergefüllte Gruben daran. Audi Ziegeleibesitzer setzten mancherorts maschinelle Mittel ein, ζ. B. riesige Bagger in Aue. Ton für Töpfer war selten. Dippoldiswalde stellte tönerne Spielwaren her, Scheibenberg tönerne Öfen und Vasen. Tonlager auf böhmischer Seite lieferten Ton nach Marienberg für eine Mosaikplattenfabrik, die über 200 Arbeiter brauchte und starke Ausfuhr betrieb. Die um 1700 entdeckte Weiße Erde (Kaolin) von Aue war 150 Jahre lang Rohstoff für die Meißener Porzellanmanufaktur, während andere Kaolinfunde im Erzgebirge nicht genutzt werden durften, des Auer Monopols wegen. Aber Porzellanindustrie im Erzgebirge kam erst nach 1900 auf, als die Porzellanfabrik Kahla in Freiberg ein Zweigwerk errichtete. Auch Schwarzenberg besaß eine Porzellanfabrik, für die in Aue, Lauter und Bernsbach Porzellanmaler tätig waren. Schmirgelgruben gab es an der Morgenleite bei Lauter, und Schmirgelwerke waren in Eibenstock und Neustädtel in Gang. c) Glasindustrie

An Quarz und Holz war im Erzgebirge Überfluß. Doch tritt Glasbläserei bei uns nicht so sehr hervor wie in anderen Waldgebirgen, etwa im Riesengebirge, im Thüringer Wald oder im Sdiwarzwald. Zu den ältesten Glashütten des Erzgebirges gehört eine 1399 am Oberlauf der Freiberger Mulde erwähnte. Bei Seiffen stand 1429 eine Glashütte am Heidelbach, und 1659 gründeten glaubensflüchtige böhmische Glasmacher das Dorf Heidelbach. Hier wurde noch um 1810 jährlich 13 Wochen gearbeitet, auch Spiegelglas gefertigt. 1486 wurde Barthel Preusler mit einer Erbglashütte bei Wüstenschlette belehnt, und im Anfang des 16. Jahrhunderts saß die Glasmacherfamilie Schürer zu Aschberg (heute Ansprung). Einer von ihnen, Asmus Schürer, kaufte 1517 Burkhardtsgrün, wo die „Gläserei" Fensterglas und Trinkgefäße herstellte. In Crottendorf, am Rande der unerschöpflichen Fichtelbergwälder, stand um 1520 die Glashütte des Peter Wanderer. Nach ihm war Bernhard Schmied Besitzer; er soll den Crottendorfer Marmor entdeckt haben. Laut Holzordnung Kurfürst Augusts von 1560 mußte die Crottendorfer Glashütte aufgelassen werden. Dafür durfte der Glasmachersohn Bastian Preißler an der Jugel beim heutigen Johanngeorgenstadt im einsamen Grenzwald eine Glashütte samt Arbeiterhäusern bauen und erhielt viele Freiheiten. Als Abgabe lieferte er Scheiben, Spiegelscheiben und Kredenzgläser. 1579 verlangte Kurfürstin Anna von ihm Glasgefäße für die Dresdner Hofapotheke. Später ließ Johann Gabriel Löbel noch eine weitere Glashütte bauen, wo Pokale mit Deckeln, Schlangengläser, Tafelglas angefertigt wurden. Noch bis Ende des

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Das Erzgebirge als Industrielandschaft

17. Jahrhunderts hielt sich diese Glashütte. Inzwischen war 1624 südlidi Eibenstock Weiters Glashütte von Christian Seeling erbaut, aber im Dreißigjährigen Krieg zerstört worden. Unter Christian Löbel und später dem großen Bergherren Veit Hans Schnorr (1683) blühte sie wieder auf. Mitte des 18. Jahrhunderts fertigte sie grünes Glas, später Tafelglas. Sie wurde 1871 umgebaut und vergrößert. Wenig wissen wir über das Carlowitzsche Glashüttenwerk Sachsengrund bei Morgenröthe, das 1703 erwähnt wird. Auch in Friedrichsgrün an der oberen Zwickauer Mulde bestand 1800 eine Glashütte. So konnte im 19. Jahrhundert Glasindustrie kaum an alte erzgebirgische Glasmachertradition anknüpfen. Nahe von Weiters Glashütte entstand 1855 in Carlsfeld ein kleines Glaswerk mit 30 Arbeitern. Der Ofen wurde nadi alter Väter Weise mit Holz gefeuert. 1870 unter Arno von Vultejus kam eine zweite Hütte dazu, und fortan wurde Glasschleiferei stark betrieben. Sdion hatte diese Hütte Medizinalgläser für die Bockauer Arzneilaboranten geliefert, machte dann Hohlglas auch für Tinte, Parfüm, Pasten, und nahm 1890 Preßglas auf. 1887 führte L. Friedrich Gasfeuerung und Dampfkraft ein. Die Zahl der Arbeiter wuchs auf 270. Milchglas wurde Spezialerzeugnis. Ende des 19. Jahrhunderts bekam die Glasfabrik den Auftrag für die weltberühmte Odolflasche von Lingner. Millionen davon gingen aus Carlsfeld nach Dresden. Eine dritte Hütte mit dem dritten Glasofen nahm 1907 die Arbeit auf. Zur Dampfkraft kam motorischer Antrieb aus eigener Zentrale. Jährlich 18 Millionen Stück machten die Jahreserzeugung aus, und zwar in 4000 Modellen. Weiters Glashütte, wo um 1896 Kathedralglas geblasen wurde, ging 1913 in den Besitz der Carlsfelder Hütte über, ist aber im Ersten Weltkrieg eingegangen, und dieser kleine Weiler an der Grenze ist heute Urlaubsort. Die Carlsfelder Hütte begann nach 1945 mühsam damit, Fensterglas für die zerbombten Städte zu liefern und kam dadurch wieder in Gang. Ein Tafelglaswerk „Saxonia" war in Brand gegründet worden, machte 1905 Bankrott, wurde aber neu übernommen durch ein Konsortium, das 250 000 Mark für die Wiederaufnahme hergab. Weitere Glasfabriken entwickelten sich dann in diesem kleinen, alten Bergstädtchen, dessen Bevölkerung durch Stillegen des Freiberger Bergbaus für andere Arbeit frei geworden war. d) Uhrenfabrikation Zwar gab es in einzelnen Städten des Erzgebirges geschickte Uhrmacher, ζ. B. in Lößnitz gegen Ende des 18. Jahrhunderts, aber Uhrenindustrie gelangte erst durch zwei willkürliche Versuche in erzgebirgische Orte. In Carlsfeld, dessen Bewohner in Not gerieten, als das Hammerwerk eingegangen war, errichtete 1829 ein Konsortium mit Oberförster Thiersen und Kaufmann Dörifel, Eibenstock, an der Spitze, eine Wanduhrenfabrik, in der nach Schwarzwälder Art Uhren gefertigt wurden, vor allem Kuckucksuhren. Mitte des

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19. Jahrhunderts waren rund 40 Personen dabei tätig. Es fehlte aber an Buchen- und Ahornholz, und der Betrieb ging 1865 ein. Dagegen wurde die alte Bergstadt Glashütte Mittelpunkt einer weltberühmten Uhrenfabrikation. Auf Vorschlag von Ferdinand Adolf Lange, einem Dresdner Uhrmacher, der in der Schweiz gelernt hatte und Taschenuhrenfabrikation im Erzgebirge einführen wollte, suchte das Ministerium die „ärmste" Stadt des Gebirges heraus, und Lange gründete mit Staatsbeihilfe dort 1845 eine Anstalt, in der zunächst sehr mühsam 32 junge Männer für Uhrenarbeit ausgebildet wurden. 1879 bestand der Betrieb aus vielen in der Stadt verstreuten Werkstätten. Ebenfalls in Glashütte begann Moritz Großmann 1845, Meßgerätezu bauen, wie Mikrometertaster. 1878 gründete Arthur Burkhardt eine Fabrik für Rechenmaschinen, die auf eine Idee des Philosophen Wilhelm Leibniz zurückgehen. Turmuhren, Pendel, geodätische Geräte und viele andere feinmechanische Instrumente entstanden hier. Eine Reihe weiterer Fabriken wurden von J. Aßmann, W. Schneider, C. Jentsch errichtet. Straßer und Rohde fertigten elektrische Apparate. Eine Uhrmacherschule trat 1878 ins Leben. Auf eine Genossenschaft geht zurück die „Deutsche Präzisions-Uhrenfabrik", die um 1920 allein 3000 Uhren jährlich herstellte und bald ihre Produktion verdoppelte. Uhrgläserwerke, die Uhrenfabrik Union und weitere mechanische Werkstätten, schließlich Fabriken für Schreibmaschinen runden das Bild der wichtigsten osterzgebirgischen Industriestadt ab, deren Arbeiter und Arbeiterinnen aus vielen Nachbarorten mit zuströmen. Feinmechanische Betriebe in Frauenstein und Schlottwitz schließen sich an. e) Strohflechten Sonst blieb das Osterzgebirge an der Industriebewegung der Landschaft nur am Rande. Höchstens daß von Dresden und Pirna her einige Fabrikationsversuche unternommen wurden. Als bodenständiger Wirtschaftszweig mit industriellem Charakter entwickelte sich das Strohflechten, von Kreischa aus bis über den Gebirgskamm nach Böhmen. Es wirkt in gewisser Weise wie ein Gegenstück zum vorwiegend westerzgebirgischen Spitzenklöppeln. Dazu wurden in einigen Bauerndörfern besonders lange Weizenhalme gezüchtet. Bei Falkenhain und Johnsbach säte man deshalb die Samenkörner sehr eng. Nach der Ernte wurde der Halm geschwefelt, damit er weiß wurde, und vor jedem Knoten geteilt. Im Winter ließ der Bauer sein Gesinde flechten, und andere Bevölkerungskreise beteiligten sich, so daß zeitweise von frühester Jugend an in diesen osterzgebirgischen Orten alt und jung zu jeder Tageszeit flocht, in jeder müßigen Stunde mit ungemein „gelamberen" (flinken) Fingern die von einem siebenzähnigen Reißer zerteilten schmalen Streifchen zu einem dünnen, ebenmäßigen Geflecht zusammenschob. Die so entstandenen Strohborten wurden zu Strohhüten, Strohmützen, Tischdecken zusammengenäht. Kreischa war ein Mittelpunkt dieser weitverbreiteten Heimarbeit. Die Erzeugnisse

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Das Erzgebirge als Industrielandschaft

gelangten nach Dresden. An einigen Orten bestanden Flechtschulen. 1857 wurde in Lauter ein Versuch gemacht, Strohflechten auch ins Westerzgebirge einzuführen, und 1868 waren tatsächlich dort drei Strohwarenfabriken vorhanden, gingen aber bald ein. Im Osterzgebirge hörte das Strohflechten nach 1900 langsam auf, und die Flechtsdiule Geising Schloß 1909 ihre Pforten. f) Allerlei Versuche In der Zeit, als der Schneeberger Bergbau Not zu leiden begann, kam dort Puppenindustrie auf. Eine Fabrik wurde 1850, eine zweite 1876 gegründet. Papiermache, Wachsköpfe, unzerbrechliche Puppenköpfe, Kugelgelenkpuppen und andere Ware wurden dort zurechtgemacht. Maschinen nähten die Puppenkleider, Hausarbeiterinnen machten Verzierungen. Zu Anfang des Jahres wurden entsprechend der Mode neue Modelle begonnen. Außer Schneeberg waren auch dessen Nachbardörfer beteiligt, und als Nebenartikel machten Drechsler Abschießvögel, Holzsoldaten, lackierte Pferde und dergleichen. Noch heute sind Puppenfabriken von Paufler und Schwenke in Schneeberg vorhanden. Dosen aus Papiermachi waren in Scheibenberg und Aue Gegenstände der Fabrikation, besonders Tabaksdosen mit Bemalung. Korkindustrie entwickelte sich zuerst in Rasdiau aus einer Werkstätte, wurde bald fabrikmäßig aufgezogen. Neben der Firma Merkel entstanden vier weitere Betriebe, so daß über 200 Arbeiter die aus Spanien und Portugal eingeführte Rinde der Korkeiche verarbeiteten. 1873 griff diese Industrie nach Bockau über, entwickelte sich auch in Neustädtel zu einem stattlichen Betrieb. Längst nicht mehr, wie am Anfang, wurden die Korke mit Handarbeit, sondern mit Maschinen zugerichtet. g) Lebens- und Genußmittelindustrie Aus dem Bereich der Lebensmittelfabrikation seien erwähnt die Herstellung von Wurstwaren in Lengefeld, gegründet von A. L. Weber und 1897 von Gebrüder Beyer übernommen. Um 1900 wurden hier wöchentlich 50 Landschweine geschlachtet, Wurst und Schinken geräuchert, besonders Salami- und Zervelatwurst. Der Absatz erfolgt ζ. T. durch Hausierer. Zigarrenfabrikation war in Freiberg schon Mitte des 19. Jahrhunderts stark entwickelt und beschäftigte viele Heimarbeiter. Um 1910 waren 19 Fabriken vorhanden; Oederan Schloß sich dieser Industrie an. In Scheibenberg beschäftigte Carl Gräfe Mitte des 19. Jahrhunderts über 100 Einwohner mit Zigarrenmachen. Eine Schnupftabakfabrik in Oberwiesenthal war begünstigt durch Paschhandel über die Grenze. Viele weitere Orte fanden im Zigarrenmachen wenigstens vorübergehend Erwerb, ζ. B. Johanngeorgenstadt, Olbernhau, Neustädtel. In Tannenberg bei Geyer besteht die Zigarrenfabrik von Balduin Schreiber noch.

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Nach dem Ersten Weltkriege warf man sich auf Schokoladefabrikation. Zwar hatte schon längst nahe Dresden im Lockwitztale des Osterzgebirges die Firma Rüger beliebte Marken wie „Teil" und „Hansi" entwickelt. Aber nun tauchten rasch weitere Versuche mit Schokoladefabrikation auf. Die vielstöckige Himmelmühle bei Wiesenbad, einst Spinnerei, wurde zeitweise für diese Zwecke benutzt. Selbst das von Aues Industrie stark abhängige Zschorlau besaß um 1923 eine kleine Schokoladenfabrik, abgesehen von älteren Betrieben in Annaberg und Schwarzenberg. Von all den Brauereien in erzgebirgischen Städten, die ja auf ihr Braurecht pochten, manchen „Bierkrieg" mit Nachbardörfern, die lieber fremde Biere einlegten, geführt, manchen Prozeß durchgestanden haben, weil sie die „Braunahrung" für ihre Bürger brauchten, haben sich nur wenige in unsere Zeit herüber gerettet. Auch einzelne Dörfer besaßen Braugerechtsame. Die meisten alten Brauhäuser, so das malerische in Geising, sind abgebrochen worden. Freiberger Bier war viele Jahrhunderte eine Art Luxusgetränk in den Bergstädten, und das nach einem Hospital so benannte Freiberger „Siedienbier" hat bis heute guten Ruf behalten. Als Brauorte sind noch gut berufen Einsiedel odsr die Harnischbrauerei in Pöhla. Eine Großbrauerei war die von Flade in Zwönitz. Liköre sind mancherorts letzte Überbleibsel einst bedeutender Arzneimittelherstellung, vor allem in Bockau, dem alten Apothekerdorf, wo noch heute der feine Angelika aus der eigens angebauten Angelikastaude produziert wird, aber neuerdings ein stark vergrößerter VE-Betrieb auch alkoholfreie Getränke herstellt, in Lauter (Lautergold) und Eibenstock (Stockdumm, ein nach Dr. Stoughton genannter Magenbitter). Aber auch in Freiberg, Olbernhau und Altenberg werden Gebirgsschnäpse gebrannt. h) Chemische Industrie Zur chemischen Industrie leiten Verbindungsglieder über aus der Arbeit der Hüttenwerke. Bot doch die Vitriolölgewinnung namentlich im 18. Jahrhundert sehr vielen Arzneilaboranten in Bockau, Eibenstock und anderenorts Gelegenheit, neben ihren Pillen, Salben, Pflastern, Essenzen auch ö l e zu brennen, und der „Bergöl "-Handel der Bockauer, Sosaer, Jöhstädter Bergleute erstreckte sich über weite Teile Deutschlands. Jedoch hat sonst die chemische Industrie wenig Boden gewonnen. Die Erfindungen Dr. Geitners, erst in Lößnitz, wo er 1810 eine chemische Fabrik für holzsaure Tonerde, holzsaures Eisen, Holzessig begann (gewissermaßen im Anschluß an uralte Köhlerei und Pottascheherstellung), wurden in Schneeberg fortgesetzt, als er dorthin übersiedelte. Er begann Salmiakfabrikation und erfand 1819 Farben aus Bleizucker und chromsaurem Kali, die als „Metallgrün" in Kattunfabriken begehrt waren. Nach seiner schon gewürdigten Erfindung des Argentans (Neusilber) begann er in Schneeberg Porzellanfarben zu fabrizieren, kera-

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Das Erzgebirge als Industrielandschaft

mische Farben in vielen Abstufungen. Diese Fabrik bestand in Schneeberg bis 1947, wurde dann, wegen des Uranbergbaus, nach Zwickau verlegt. Färbereien waren seit dem 16. Jahrhundert im Erzgebirge vorhanden, ζ. B. die „Schwarzfarbe" bei Chemnitz, später eine gleiche bei Thum. Im 19. Jahrhundert kamen viele Färbereien für erzgebirgische Textilien, besonders Strümpfe, hinzu, wie schon bei der Textilindustrie dargestellt ist. Ultramarin wird seit 1856 in Schindlerswerk bei Bockau diemisch hergestellt, einem früher Kobalt verarbeitenden Blaufarbenwerk, das noch heute ein angesehener Betrieb für Waschblau ist. Erdfarben wurden im ehemaligen Vitriolwerk Geyer mit Hilfe von Weichmanganerz erzeugt. Sie dienten der Töpferglasur und Emailmalerei. Im Zusammenhang mit der Schwefelsäurefabrikation in den staatlichen Freiberger Hütten wurde Superphosphat als Düngemittel fabriziert. Die Pulverfabrikation wurde schon bei den Pulvermühlen erwähnt. Die Freiberger Pulverfabrik war lange Zeit die größte Deutschlands. Als Dynamitfabrik diente der einsam im Walde nahe dem Greifenstein gelegene Platz der ehemaligen Gifthütte Geyer, wo früher Arsen gewonnen worden war. 1886 legte eine AG hier mit Aufwand von 1 Million Mark Maschinengebäude, Erdwälle, 24 Holzhäuser mit Bunkern an. Eine Kugelmühle zermalmte Kieselgur. Daraus entstand im Gemisch mit Schwefelsäure und Salpeter sowie Glyzerinöl Dynamit. 1890 flog eine Patronenhütte in die Luft. Täglich stellten 70 Arbeiter 20 Zentner Dynamit her. Als die deutschen Dynamitfabriken einen Ring bildeten, gaben sie die Hormersdorfer Dynamitfabrik als kleinste auf. Als Boraxwerk entwickelte sich eine Fabrik in Fährbrücke. In Schwarzenberg besteht seit Anfang des 20. Jahrhunderts das Wasserstoff-SauerstoffWerk, von dem aus früher oft Baiionaufstiege erfolgten. Im Ersten Weltkrieg ist es einmal explodiert. Wie bunt ist dies Mosaik der neben den großen meist altheimischen Industriezweigen beheimateten Fabriken! Es zeigt, wie erfinderisch derErzgebirger ist, wie er auch in wirtschaftlichen Notzeiten zu immer neuen Anstrengungen gezwungen wurde, wie er aus dem Wechsel der Wirtschaftslage Auswege suchte und doch möglichst bodenständig blieb, indem er Wasser, Holz, Erze, Steine nutzte und die billigen Arbeitskräfte des viel zu dicht bewohnten Gebirges einsetzte.

V. V e r g l e i c h e i n i g e r

Industriestädte

In manchen Städten des Erzgebirges beherrscht ein Industriezweig die gesamte Wirtschaft, etwa in Glashütte (Uhrenfabrikation), in Annaberg (vorwiegend Posamentenmadien) oder inOlbernhau (im wesentlichen Holzarbeit). Aber auffälligerweise findet sich vielerorts ein fast unübersichtliches Neben-

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Das Erzgebirge als Industrielandschaft

mische Farben in vielen Abstufungen. Diese Fabrik bestand in Schneeberg bis 1947, wurde dann, wegen des Uranbergbaus, nach Zwickau verlegt. Färbereien waren seit dem 16. Jahrhundert im Erzgebirge vorhanden, ζ. B. die „Schwarzfarbe" bei Chemnitz, später eine gleiche bei Thum. Im 19. Jahrhundert kamen viele Färbereien für erzgebirgische Textilien, besonders Strümpfe, hinzu, wie schon bei der Textilindustrie dargestellt ist. Ultramarin wird seit 1856 in Schindlerswerk bei Bockau diemisch hergestellt, einem früher Kobalt verarbeitenden Blaufarbenwerk, das noch heute ein angesehener Betrieb für Waschblau ist. Erdfarben wurden im ehemaligen Vitriolwerk Geyer mit Hilfe von Weichmanganerz erzeugt. Sie dienten der Töpferglasur und Emailmalerei. Im Zusammenhang mit der Schwefelsäurefabrikation in den staatlichen Freiberger Hütten wurde Superphosphat als Düngemittel fabriziert. Die Pulverfabrikation wurde schon bei den Pulvermühlen erwähnt. Die Freiberger Pulverfabrik war lange Zeit die größte Deutschlands. Als Dynamitfabrik diente der einsam im Walde nahe dem Greifenstein gelegene Platz der ehemaligen Gifthütte Geyer, wo früher Arsen gewonnen worden war. 1886 legte eine AG hier mit Aufwand von 1 Million Mark Maschinengebäude, Erdwälle, 24 Holzhäuser mit Bunkern an. Eine Kugelmühle zermalmte Kieselgur. Daraus entstand im Gemisch mit Schwefelsäure und Salpeter sowie Glyzerinöl Dynamit. 1890 flog eine Patronenhütte in die Luft. Täglich stellten 70 Arbeiter 20 Zentner Dynamit her. Als die deutschen Dynamitfabriken einen Ring bildeten, gaben sie die Hormersdorfer Dynamitfabrik als kleinste auf. Als Boraxwerk entwickelte sich eine Fabrik in Fährbrücke. In Schwarzenberg besteht seit Anfang des 20. Jahrhunderts das Wasserstoff-SauerstoffWerk, von dem aus früher oft Baiionaufstiege erfolgten. Im Ersten Weltkrieg ist es einmal explodiert. Wie bunt ist dies Mosaik der neben den großen meist altheimischen Industriezweigen beheimateten Fabriken! Es zeigt, wie erfinderisch derErzgebirger ist, wie er auch in wirtschaftlichen Notzeiten zu immer neuen Anstrengungen gezwungen wurde, wie er aus dem Wechsel der Wirtschaftslage Auswege suchte und doch möglichst bodenständig blieb, indem er Wasser, Holz, Erze, Steine nutzte und die billigen Arbeitskräfte des viel zu dicht bewohnten Gebirges einsetzte.

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Industriestädte

In manchen Städten des Erzgebirges beherrscht ein Industriezweig die gesamte Wirtschaft, etwa in Glashütte (Uhrenfabrikation), in Annaberg (vorwiegend Posamentenmadien) oder inOlbernhau (im wesentlichen Holzarbeit). Aber auffälligerweise findet sich vielerorts ein fast unübersichtliches Neben-

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einander verschiedener industrieller Betätigungen in engem, örtlichem Rahmen. Dazu ein paar Beispiele, die den geschichtlichen Überblick über das Nacheinander der Industrien durch ihr Nebeneinander ergänzen sollen. Für Aue, die führende Industriestadt des Westerzgebirges, weist der II. Teil dieser Arbeit das ausführlich nach. Als weitere Beispiele werden ausgewählt Lößnitz, Olbernhau, Johanngeorgenstadt, Jöhstadt, Freiberg. L ö ß η i t z. Unübersichtlich wirkt die Industrie dieser Nachbarstadt Aues. Sie unterliegt den Einflüssen aus Nachbarorten, sei es in der Metall-, Strumpf-, Leder- und Maschinenindustrie. Aus Hutmacherhandwerk erwuchs 1873 eine Hutfabrik. Dann machte Döhner seit 1881 Luxusstrümpfe, und weitere Strumpffabriken schlossen sich an, offenbar vom nahen Stollberg beeinflußt. Die Strumpffärberei Ungethüm besaß einen sehr guten Ruf. Mechanische Weberei führte C. G. Wagner in Lößnitz ein, und fünf Putzwollefabriken entstanden neben seiner Verbandstoffindustrie. Von Aue kam Herrenwäscheindustrie nach Lößnitz und nahm viele weiblichen Arbeitskräfte auf. Wie hier Lößnitz der Auer Wirtschaft zuneigt, so mit seiner Schuhindustrie, die 1925 fünf Fabriken umfaßte, zu den Schusterstädten Zwönitz, Elterlein und Ehrenfriedersdorf, wobei ja auch in Lößnitz das Schuhmacherhandwerk alt war. Mehrere Metallwarenfabriken waren vom Auer Neusilber abhängig. Die Herrmannsche Eisengießerei und das Kotflügelwerk Eschenauer, das an Bernsbachs Nachbarschaft erinnert, sowie die Papierhülsenfabrik von Ahlhelm (heute Parofa) stehen ebenfalls unter dem Einfluß der Umgebung. Dagegen war der Landmaschinenbau mit zeitweise vier Fabriken eine Besonderheit der alten Schönburgischen Stadt, ebenso die Zinn- und Knopffabrik, aus alter Zinngießerwerkstadt hervorgegangen. O l b e r n h a u . In gewisser Weise läßt sich in Olbernhau ein Gegenstück zu Aue erkennen. Wie Aue im engen Talkessel, so liegt Olbernhau in einem breiten Becken, das gleich dem Auer Kessel reich an Wasserkräften ist. Der nahe Kupferhammer Grünthal, ehemals Saigerhütte, läßt sich um so mehr mit dem Auerhammer vergleichen, als beide seit Jahrzehnten in engster Verbindung und neuerdings im Wettbewerb stehen. Aber sonst ist in Olbernhau die Industrieentwicklung gänzlich anders verlaufen als in Aue, jedoch auch voll eigenartiger Vielfalt. In erster Linie wurde Olbernhau, das seit etwa 1575 Hauptplatz der Flöhaflöße war, Holzwarenstadt. 1859 gründete Robert Anton Schuster eine Zündholzfabrik, die es bald auf 100 Arbeiter brachte. Bis 1894 wurden die Hölzer mit der Hand gehobelt. Erst Holzdraht, mit Maschinen hergestellt, erleichterte die Arbeit. Die Rahmen der Zündholzschachteln wurden um 1871 von Kindern belegt. Viele Arbeitskräfte waren also nötig, und deshalb mußte eine Fabrik im nahen Rothenthal bei der Zündholzfabrikation mithelfen, stellte aber 1883 die Fertigung der außer Mode gekommenen Phosphorhölzer ein. 1903 lieferte die Olbernhauer Fabrik täglich 18 Millionen Zündhölzchen, das

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schwedische Streichholz mit dem deutschen Namen „Bismarcksäule" aus russischem Aspenholz. Eine zweite Zündholzfabrik gründete Karl Meyer. Die Nähe des Spielwarenwinkels machte das Dorf Olbernhau, das erst 1902 Stadtrecht erhielt, zum Sitz der Spielwarenverleger, weil seit 1875 gute Bahnverbindung nach Chemnitz bestand. Daher wurde hier auch eine Fachschule für Spielzeugindustrie gegründet. Miniaturspielwaren gingen von hier aus, Kinderpianos, aber auch Schachfiguren, Näh- und Federkästen, Lineale aus einer Maßstabfabrik. Zu Kindergewehren gingen die Nachkommen der einst treffliche Feuerwaffen schmiedenden Olbernhauer Büchsenmacher über. Radreifen, Schneeschuhe, Schlitten gehören in den Bereich dieser Holzindustrie. Aber auch Kofferbügel, Tennisschläger, Leiterwagen gehen von Olbernhau aus in die Welt. Viel stärker noch ist die Möbelindustrie der Stadt entwickelt. Sie fertigt besonders Kleinmöbel, Bürobedarf, Schulmöbel und Turngerät, Holzwaren für Haus und Küche. Erwähnt seien die Fabriken von Weinhold und von Arno Mehner. Sägewerke, Kistenfabriken, die für die Spielzeugfabrikanten der Gegend Verpackung liefern, haben veranlaßt, daß die Maschinenfabrik Otto Seifert und Co., die aus einer alten Rohrschmiede der Gewehrindustrie hervorgegangen ist, Maschinen für Säge- und Hobelwerke sowie Tischlereien fertigt. Dem Metallsektor gehört die Eisengießerei Robert Lehnert und die Metallwarenfabrik Emil Richter an. Aus diesem Spielzeughauptort kommen natürlich auch Blechspielwaren. Ferner ist Kartonagen- und Pappenindustrie vertreten. Eine Besonderheit Olbernhaus ist die Wachsblumenindustrie, die Otwin Jehmlich auf Grund einer eigenen Erfindung 1900 gründete. Er beschäftigte außer 100 Arbeitskräften in der Fabrik 2000 Heimarbeiterinnen. Pech und Kunte KG lieferten Bleikristall in Rubinund Gelbätztechnik als Peka-Glas. Zum Textilsektor gehörten nur die Korsettfabriken von Scheller und von Lauckner und Co. Herstellung von Fruchtsäften sowie zwei Brennereien für Branntwein (Kornblume) seien noch erwähnt. H a t Aue Zwickaus Kohle nahe, so lagen bei Olbernhau Anthrazitwerke. Jedenfalls zeigt der Überblick über die Olbernhauer Industrie ebenso wie bei Aue große Vielfalt verschiedenster Wirtschaftszweige. J o h a n n g e o r g e n s t a d t . Die Industrie dieser jüngsten Bergstadt des Erzgebirges hat starke Wandlungen durchgemacht und ermöglicht daher einen Überblick über erzgebirgische Wirtschaftsgeschichte. Vor der Gründung der Stadt, 1654, bestanden die Hammerwerke Wittichsthal und Breitenbach (letztes auf böhmischer Seite), die Glashütte Jugel und ein Blaufarbenwerk. Die erste Bergbauzeit der Exulantengründung ist gekennzeichnet durch Schmelzhütten für Silber, Zinn und Schwefel. Spitzenklöppeln und Holzarbeit, ζ. B. Schatullentischlerei, nahmen nichtbergmännische Kräfte in Anspruch. Gegen 1800 begannen die Bergleute zu schnitzen (ζ. B. „Geduldflaschen" mit Bergwerksdarstellungen) und zu basteln. 1817 erscheint die Holzfirma Gotthold Heinz. Bis 1900 fertigt auch sie Schatullen

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im Handbetrieb, audi Tabakskästen, Schmuckgehäuse und Intarsien von Elfenbein, Argentan und Perlmutter. 1901 mit Holzbearbeitungsmaschinen ausgestattet, machte die Fabrik fortan Musikgehäuse, Nähmaschinenmöbel. Große Fabrikbauten wuchsen bald empor. Auf Büromöbel eingestellt, beschäftigte die Firma Heinz vor dem Ersten Weltkrieg über 300 Arbeiter. Daneben entstanden weitere Kunsttischlereien mit Motorbetrieb; Oczenaschek machte Bandoniongehäuse, Key Zimmeruhren. Im Lehmergrund entstand die Pianofortefabrik Grunert, 1920 der Leipziger Firma Hupfeld angegliedert. Beim Rückgang des Bergbaus freigewordene Arbeitskräfte gingen in die Essighütte, wo Holzessig produziert wurde, oder in die Ziegelei. Frauen und Mädchen fanden Arbeit in der großen Wollwäscherei 1850, oder mit Roßhaarflechten, 1859—70 mit Bandzackennäherei für Wäsche. Damit beschäftigte die Firma Unger über 100 Näherinnen. Die Zigarrenfabrik Tittel und Heimann brachte es auf 120 Arbeiter. Seit 1868 blühte die Handschuhindustrie auf. Nach L. Cohns Fabrik, für die 1913 über 900 Menschen arbeiteten, kamen auf die Firmen Wagner und Co., „Monarch", beide 1911 verschmolzen zu „La Tosca", und 1913 die American Glove Fabrik. 1933 arbeiteten in vier Fabriken und für zehn Faktoreien 2040 Menschen in der Glac^handschuhfertigung und 100 in der Handschuhlederfabrikation. 1912 begann eine Metallwarenfabrik Wendler und Weiß ö l - und Schmierkannen, Wärmflaschen und Leibwärmer zu fertigen. Am Bahnhof wandelte Julius Beyreuther 1875 seine Schneide- und Lohmühle in eine Holzschleiferei mit Wasserkraft um. Bald wurde daraus eine Pappenfabrik mit 120 PS Wasser-und 100 PS Dampfkraft, der noch weitere Holzschleifereien zugehörten. Hammerwerk Wittigsthal, 1651 gegründet, lieferte im 19. Jahrhundert Hufeisen für die sächsische Armee. 1828 mit dem ersten sächsischen Walzwerk ausgestattet, ging es später zum Guß eiserner Öfen über. Das Beispiel Johanngeorgenstadt zeigt, wie gerade in Bergstädten beim Nachlassen des Bergbaus mit immer neuem Einsatz von Kapital versucht wird, den Leuten Arbeit zu geben, wobei jeweils Männer und Frauen neu angelernt oder umgeschult werden mußten. Manche Versuche hielten nicht lange vor (Bandzackenindustrie), andere unter dem Einfluß der Mode sowie der verbesserten Verkehrslage (Bahn von Schwarzenberg 1883, Bahn nach Karlsbad 1899) erzielten große Erfolge (Handschuhindustrie). Völlig umgestülpt wurde Johanngeorgenstadt samt seiner Wirtschaft durch den Uranbergbau 1946; selbst die alte Stadt wurde abgetragen. Aber nach zehn Jahren, nach dem raschen Ende dieser Bergbaublüte, mußte abermals für Industrie gesorgt werden — um so mehr, als die ehemals günstige Verbindung mit Böhmen durch die tschechoslowakische Grenze abgeschnitten war. J ö h s t a d t . Geradezu verwirrend ist das Nebeneinander der Fabriken in dem ähnlich wie Johanngeorgenstadt gelegenen Jöhstadt. Dort bestanden 1907 eine Holzschleiferei, eine Kistenbauerei, drei Schatullenfabriken, deren

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erste von den Gebrüdern Anger 1850 gegründet war, während eine 1883 entstandene auch Spieltische und Schreibpulte lieferte. Aus A. Fladers Gelbgießerei entwickelte sidi 1870 eine Spritzenfabrik, und eine Filiale in Sorgentahl wurde angefügt. An alte Jöhstädter Eisenarbeit in Hammerwerken erinnerte die Schraubenfabrik in Sdilössel. Sonst herrschte Textilindustrie vor; denn je eine Wäsche-, eine Strumpf-, eine Posamenten- und eine Sdinürsenkelfabrik waren vorhanden. Auch künstliche Blumen, Öfen, Stahlschmirgel wurden gemacht. Von all diesen sind nur wenige standortgemäß, die meisten zufällig hierher verpflanzt. F r e i b e r g s Industrie fußt mit einigen Betrieben auf der alten Bergstadttradition. Hier gab es seit 1764 Zinnguß und Bleiwaren, und daraus entstand die von heimischen Zechen belieferte Bleiindustrie AG. Vollends die Geschichte der Fabrik leonischer Waren läßt sich als Manufaktur bis 1693 zurückverfolgen. Für den Bergbau schufen Betriebe wie der Hildebrandtsche schon seit 1793 Instrumente. Eine Eisengießerei und Maschinenfabrik lieferte Bergbaumaschinen, eine andere Dampfpumpen, eine dritte Drahtgewebe für Bergbau und Hüttenwerke. Mit dem Hüttenwesen hing noch zusammen die Fabrik landwirtschaftlicher Düngemittel. Auf Freibergs Ruhm als alter Gerber- und Lederstadt wurde schon hingewiesen (Lederwerke Moritz Stecher seit 1859). Zu diesen alten Firmen gehört auch die Kupfer- und Kesselschmiede von Leinhans (später Röhrs), die Spezialmasdiinen für Spiritusindustrie fertigte. Diese ist 1876 gegründet worden, weil damals erste Anzeichen des nachlassenden Bergbaus sich bemerkbar machten und schon Arbeitskräfte billig wurden. Ebenso konnten nur deshalb sich Industriezweige entwickeln, die kaum mit dem Wesen der alten Bergstadt zusammenhingen: bedeutende Zigarrenfabriken von sieben Firmen mit über 2000 Arbeitern, die Sächsische Leinenindustrie-Gesellschaft (Küchenmeister), eine mechanische Flachsspinnerei mit 400 Arbeitern, die immerhin hier in der Nähe ausgedehnten Flachsbaus den richtigen Standort gewählt hatte, und die 1851 gegründete Straubesche Bürstenfabrik. Nach langfristigem Plan wurde mit Unterstützung durch die Regierung Freibergs Industrie um 1900 völlig neu ausgebaut, als 1903 der Landtag beschlossen hatte, den Freiberger Silberbergbau innerhalb von zehn Jahren, bis spätestens 1913, stillzulegen. Gute Bahnverbindung, günstige Kohlenversorgung, Darlehen und Steuernachlaß, billiges Bauland halfen zu dieser Umstellung der Freiberger Wirtschaft mit. Die bisherige Industrie wurde neu belebt und neue herangezogen. Das Ergebnis war: Eine Porzellanfabrik (Zweigwerk von Kahla), eine Glasfabrik (Cremer und Co.), 17 Maschinenfabriken, 12 Metallwarenfabriken, 3 Schuhfabriken, 3 Zementwarenfabriken, 19 Zigarrenfabriken, 8 diemische Fabriken, 3 Fabriken für Fleischerei-, Forstwirtschafts- und Landwirtschaftsgeräte, 11 Holzwarenfabriken, 2 Gardinenleistenfabriken, 2 Hutfabriken, 3 Korsettfabriken, eine Fabrik für Knöpfe, eine für Weidenkörbe, die Seidenweberei Hoppe, eine Filzwarenfabrik, Blu-

Die Menschen in der Industrie

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menfabriken, eine Fabrik für Holzbearbeitungsmaschinen, eine Glühkörperfabrik. Rechnet man Fabriken der unmittelbaren Nachbarschaft dazu, etwa die Autokühlerfabrik in Muldenhütten, die nahen Papier- und Pappenfabriken, die Pulverfabrik Langenrinne, so sind zu den altvorhandenen Betrieben so viele neue Firmen hinzugekommen, daß Freibergs Industrie von da an ein ganz buntes Bild ergibt. Man könnte auch bei etlichen anderen erzgebirgischen Orten auf die Vielzahl der Wirtschaftszweige hinweisen, etwa bei Geyer, Ehrenfriedersdorf, Zwönitz usw. Sie lassen sich oft aus der Geschichte der betreffenden Stadt erklären. Immerhin wird dadurch ein Gesamtbild der erzgebirgischen Industrie sehr unruhig. Wie hier beim Wechsel, dem Nebeneinander oder Nacheinander der Industrie in erzgebirgischen Städten, so ist an der Geschichte einzelner herausgegriffener Werke ebenfalls der durch viele Faktoren bedingte Ablauf der Industrialisierung des Erzgebirges abzulesen. So wurde aus der 1830 erbauten königlichen Antonshütte, wo westerzgebirgische Silbererze geschmolzen wurden, nach ihrer 1844 erfolgten Stillegung erst ganz bescheiden im abgelegenen Waldtal eine Schuhleistenfabrik, danach ein Lederpappenwerk und schließlich die heutige große Papierfabrik Antonsthal. Oder ein Eisenhammer bei Thalheim nahm eine Flachsfabrik auf, dann wurden Maschinenpappen hier gemacht und danach eine Färberei eingerichtet. Eisenhammer Niederlößnitz ward zur Papiermühle, nach deren Ende Tabak- und Knochenmühle darin untergebracht waren. Seit langem dienen die Gebäude dem Schnitt- und Stanzenbau (Seidel und Walther) und der Metallindustrie, heute Zweigwerk der Lowa, Lößnitz. Viele Baumwollspinnereien sind später wesentlich anders genutzt worden, als ursprünglich vorgesehen, so die Himmelmühle bei Wiesenbad als Schokoladenfabrik, die Dittersdorfer Spinnerei als Strumpffabrik, die Scharfensteiner Spinnerei als Radiatorenwerk. Manche „Spinnmühle" von einst kann geradezu als geschichtliches Denkmal der Industrialisierung gelten, und da einige dieser Gebäude nach 1820 besonders gut, auch geschmackvoll gebaut wurden —, wie die Spinnerei von Lohse und Naumann in Schlettau, heute Knochenverwertungswerk — so sind sie sogar für die Architekturgeschichte von Bedeutung.

VI. D i e M e n s c h e n

in d e r

Industrie

Anteil an der Industrialisierung haben neben vielen Erzgebirgern eine große Zahl Zugezogener — Norddeutsche, Rheinländer, Hessen, Franken. Auch Sachsen selbst hat aus seinen nichterzgebirgischen Landschaften viele beigesteuert, besonders von Chemnitz, Zwickau, Dresden her, und die Leipziger Messe hat in starker Wechselwirkung die Industrialisierung des Erzgebirges ermöglicht, aber auch genutzt.

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menfabriken, eine Fabrik für Holzbearbeitungsmaschinen, eine Glühkörperfabrik. Rechnet man Fabriken der unmittelbaren Nachbarschaft dazu, etwa die Autokühlerfabrik in Muldenhütten, die nahen Papier- und Pappenfabriken, die Pulverfabrik Langenrinne, so sind zu den altvorhandenen Betrieben so viele neue Firmen hinzugekommen, daß Freibergs Industrie von da an ein ganz buntes Bild ergibt. Man könnte auch bei etlichen anderen erzgebirgischen Orten auf die Vielzahl der Wirtschaftszweige hinweisen, etwa bei Geyer, Ehrenfriedersdorf, Zwönitz usw. Sie lassen sich oft aus der Geschichte der betreffenden Stadt erklären. Immerhin wird dadurch ein Gesamtbild der erzgebirgischen Industrie sehr unruhig. Wie hier beim Wechsel, dem Nebeneinander oder Nacheinander der Industrie in erzgebirgischen Städten, so ist an der Geschichte einzelner herausgegriffener Werke ebenfalls der durch viele Faktoren bedingte Ablauf der Industrialisierung des Erzgebirges abzulesen. So wurde aus der 1830 erbauten königlichen Antonshütte, wo westerzgebirgische Silbererze geschmolzen wurden, nach ihrer 1844 erfolgten Stillegung erst ganz bescheiden im abgelegenen Waldtal eine Schuhleistenfabrik, danach ein Lederpappenwerk und schließlich die heutige große Papierfabrik Antonsthal. Oder ein Eisenhammer bei Thalheim nahm eine Flachsfabrik auf, dann wurden Maschinenpappen hier gemacht und danach eine Färberei eingerichtet. Eisenhammer Niederlößnitz ward zur Papiermühle, nach deren Ende Tabak- und Knochenmühle darin untergebracht waren. Seit langem dienen die Gebäude dem Schnitt- und Stanzenbau (Seidel und Walther) und der Metallindustrie, heute Zweigwerk der Lowa, Lößnitz. Viele Baumwollspinnereien sind später wesentlich anders genutzt worden, als ursprünglich vorgesehen, so die Himmelmühle bei Wiesenbad als Schokoladenfabrik, die Dittersdorfer Spinnerei als Strumpffabrik, die Scharfensteiner Spinnerei als Radiatorenwerk. Manche „Spinnmühle" von einst kann geradezu als geschichtliches Denkmal der Industrialisierung gelten, und da einige dieser Gebäude nach 1820 besonders gut, auch geschmackvoll gebaut wurden —, wie die Spinnerei von Lohse und Naumann in Schlettau, heute Knochenverwertungswerk — so sind sie sogar für die Architekturgeschichte von Bedeutung.

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Anteil an der Industrialisierung haben neben vielen Erzgebirgern eine große Zahl Zugezogener — Norddeutsche, Rheinländer, Hessen, Franken. Auch Sachsen selbst hat aus seinen nichterzgebirgischen Landschaften viele beigesteuert, besonders von Chemnitz, Zwickau, Dresden her, und die Leipziger Messe hat in starker Wechselwirkung die Industrialisierung des Erzgebirges ermöglicht, aber auch genutzt.

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Das Erzgebirge als Industrielandschaft

Vom Handwerk her ist viel geschehen beim Aufbau großer Betriebe. So fing C. A. Schwotzer als kleiner Klempner an; mit Hilfe des Klöppelgeldes seiner Braut machte er sein Meisterstück, schuf dann feine Messingklempnereien und baute schließlich ein ansehnliches Emaillierwerk auf; oder Nier, ebenfalls Klempner, brachte die Beierfeider Sturmlaternenindustrie in Gang; der Schuster C. A. Franke begründete die Ehrenfriedersdorfer Schuhindustrie. Handwerker hausierten mit eigenen Waren, bezogen Märkte und Messen, knüpften Handelsverbindungen an und konnten mit selbsterworbenem Kapital ihren Betrieb vergrößern. Auch Bergleute zogen mit Spitzen und Arzneiwaren weit durch die Lande, erwarben gute Kenntnis fremden Bedarfs und Geschäftsgeist. So sind aus dem Hausierertum Anregungen für die erzgebirgische Industrie erwachsen. Kapital war im Erzgebirge meist schwer zu beschaffen. Am stärksten wirkte sich der schwierige Kapitaleinsatz aus beim Bau der großen Spinnereien und Webereien, wo Chemnitzer Kaufleute oder fremde Geldgeber hervortreten. Aber audi mancher Müller baute sich eine Spinnmühle oder die Kalkbruchmeister Horn gründeten in Herold Fabriken. Auffällig ist das fremde, teilweise amerikanische Kapital in der Handschuhindustrie oder der Wäschefabrikation. Sehr viele Betriebe im Erzgebirge sind aus kleinsten Anfängen emporgekommen, und manche der Blechwarenhersteller in Bernsbach und Beierfeld, der Schuster und Strumpfwirker um den Greifenstein verkörpern geradezu die Neigung des Erzgebirgers, sich möglichst selbständig zu machen, Kleinstbetriebe zu leiten. Daher sind oft die Angestellten und Mitarbeiter großer Betriebe Gründer neuer ähnlicher Betriebe geworden. Selten tritt in früherer Zeit der Genossenschaftsgedanke auf. Die geplante Löffelmachersozietät um 1780 in Aue scheiterte am Eigensinn einiger. In Lößnitz hat eine Tuchmachergenossenschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestanden. In Thalheim schlossen sich Strumpfarbeiter zusammen, in Sdiönheide Bürstenmacher. In mehreren Industriezweigen spielte der „Faktor" eine große Rolle; schon in der Spitzenklöppelei w a r er nicht nur Mittler zwischen Kaufherrn und Klöpplerin, sondern trieb selbst Handel. Faktorwesen in der Strumpfindustrie entstand dadurch, daß einzelne Wirker in kleinen Orten für andere Zunftgenossen die fertigen Strümpfe mitnahmen nach Chemnitz zum Händler und dadurch allmählich zu Zwischenmeistern wurden, ö f t e r gehörte dem Faktor sogar der Strumpfstuhl, auf dem der Wirkermeister um Lohn arbeiten mußte. Ähnlich in der Auer Wäscheindustrie, wo Faktore der Auer Fabriken in den umliegenden Orten selbständige Firmen begannen, oder in der Strickerei, der Posamentenindustrie, bei den Spielzeugdrechslern. Bei letzten ist gleichfalls das Streben, selbständig zu bleiben, nicht in die Fabrik zu gehen, sehr ausgeprägt gewesen. Im Bürstenwinkel von Schönheide finden wir gleiche Abneigung gegen den Fabriksaal, zumal dort der

Die Menschen in der Industrie

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Bürstenmacher gern selber mit seiner Ware auf Hausierhandel zog. Als in Freiberg anstelle des Bergbaus Industrie treten sollte, sträubten sich die Bergleute, Fabrikarbeiter zu werden. Eigenartig abgestuft war im 19. Jahrhundert das Eibenstodker Stickervölkchen. Es gab dort — ähnlich wie in Annaberg bei den Posamenten — Kaufleute, die nur Handel mit Stickerei trieben, Fabrikanten, die nur Stickmaschinen bedienen ließen, Kaufleute, die zugleich Fabrikanten waren, aber außer ihren eigenen Erzeugnissen weitere Ware einkauften. Daneben stand der sehr angesehene Kreis der Lohnsticker, die ihre eigene Stickmaschine oder sogar mehrere besaßen, für Kaufleute und Fabrikanten arbeiteten und gut verdienten, so daß die von ihnen verlangte „Stickerzigarre" oder „Stickerwurst" beste Ware bedeutete. Sozial tiefer standen die Fabriksticker, einfache Lohnarbeiter. Vollends die Heimarbeiterinnen, Tamburstickerinnen, deren Einkommen noch geringer war! Ähnliche Unterschiede gab es bei den Handschuhmachern in Johanngeorgenstadt, wo Frauen und Mädchen mit steppten. Überhaupt war Heimarbeit, schon vom Spitzenklöppeln her, weit verbreitet im Erzgebirge und ist noch jetzt nicht zu entbehren. Werden doch Spezialbürsten begehrt, die statt mit der Maschine mit der Hand „eingezogen" sind, d. h. mit Borsten besetzt. Meist nahm die ganze Familie früher an dieser Heimarbeit teil, besonders beim Zigarrenmachen und im Spielwarenbezirk, aber ebenso bei den Bürstenmachern und Posamentenarbeiterinnen, wenn sie Gorl nähen, Schlung knüpfen, Perlen fädeln mußten. Die Metall- und Maschinenindustrie konnte sich so hoch entwickeln, weil vorzügliche Fachleute unter der Arbeiterschaft vorhanden waren, sei es vom Eisenguß her, vom Walzen von Kupferblechen, dem Stanzen von Neusilberlöffeln, dem Fräsen und Schleifen und Bohren. Auch die Wäschefabrikation stellte hohe Anforderungen an das Können der Näherinnen, Stepperinnen, Plätterinnen, und hier hatte die Spitzenklöppelei zu Sorgfalt und Sauberkeit erzogen. Wäschefabriken suchten „eigensinnige" Stepperinnen, die wirklich eigene durchdachte Arbeit lieferten. Viele Industriezweige fordern von männlichen Arbeitern große Kraft und Geschicklichkeit mit Maschinen, und man kann sagen, daß der Erzgebirger sich durch besonderes Geschick für technische Arbeit auszeichnet. Die schmalen kleinen Finger der Mädchen dagegen waren besonders erwünscht für das „Schlingen" in der Posamentenindustrie oder das Verpacken zierlicher, zerbrechlicher Spielwaren in Schachteln und Kisten, in die manchmal eine ganze Menagerie genau hineinpassen mußte. Zweifellos hat das jahrhundertelang im Erzgebirge ausgeübte Klöppeln die Bevölkerung zu genauer, zuverlässiger Arbeit erzogen, da schon Knaben und Mädchen in früher Jugend am Klöppelsack die Klöppel werfen mußten. Männer, Mädchen, Burschen gingen, wenn Industrie vorhanden, in die Fabriken, Frauen, Kinder und Alte machten Heimarbeit. Das läßt sich sowohl in Strumpfwirkerorten als auch in den Gebieten der

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Das Erzgebirge als Industrielandschaft

Posamenten, Spielwaren, bei Wäschefabrikation und Stickerei beobachten, selbst in Gegenden mit Metallarbeit kommt diese Gliederung vor. So entstand eine Arbeiterschaft, die anstellig, arbeitsam, handfertig war, höchstens manchmal zu sehr am Hergebrachten festhielt. Andererseits klagten manche Unternehmer über Unbeständigkeit der Arbeiter. In der Baumwollindustrie wechselten sie von der Spinnerei zur Weberei. Auch blieben nicht selten Arbeiter nur im Winter in der Fabrik. Im Sommer machten sie lieber Feldarbeit oder zogen als Maurer in die Welt. In der Webindustrie, die einst im Erzgebirge vorherrschte, unterstanden dem Aufseher Krempler, Strecker, Kämmler, Spuler, Vorspinner und Feinspinner. Beim Woll-Lesen und Weifen oder dem Andrehen mußten ehedem viele Kinder gesundheitsschädliche Arbeit leisten. In vielen Orten, so in Gelenau oder Sehma waren deshalb Fabrikschulen eingerichtet, worin die durch Arbeit bereits übermüdeten Kinder noch den Unterricht besuchen mußten. Fand die schlimme Kinderarbeit hier in hohen Fabrikgebäuden statt, zu denen Buben und Mädchen lange Anmarschwege brauchten, so verlief die Arbeit der Kleinen in der Spielwarenmacherei oder beim Bürsteneinziehen andererseits hauptsächlich in der engen Wohnung im Kreise der Familie. Infolge dichten Beisammenlebens war die Geburtenzahl hoch, die Säuglingssterblichkeit groß, ζ. B. in Crottendorf um 1890 36°/o. Auch Tuberkulose und Rachitis waren häufig. Die Crottendorfer Ärztin stellte noch 1917 unter 315 Kindern 63 %> rachitische fest. Die Frauen alterten früh und blieben, auch wenn sie einmal vorzügliche Fingerfertigkeit im Nähen, Steppen, Sticken oder Wirken erlangt hatten, nicht lange so gute Arbeitskräfte. Viele Fabrikgründungen waren erfolgt, weil niedrige Löhne die Betriebe konkurrenzfähig machten. Nun kam ja in den meisten Erzgebirgsorten den Arbeiterfamilien zugute, daß sie kleine Fluranteile besaßen und Kühe, mindestens Ziegen halten konnten. Ein Kartoffelfeld, Kaninchenzucht, ein Schrebergarten, ein hoher Holzstapel aus „Stöcken" (Wurzeln), die der Mann mühsam gerodet hat, sind bezeichnend für den erzgebirgisdien Arbeiter selbst noch heute. Diesen Dingen gilt seine ganze Liebe, mit naturnahen Arbeiten erholt er sich vom Lärm und Staub der Fabrik. Zu Erntezeiten mußten die Fabrikanten damit rechnen, daß ihre Leute auf eigenen oder den Feldern Verwandter Garben banden oder Kartoffeln lasen, statt im Fabriksaal zu arbeiten, ζ. B. um Eibenstock und Stützengrün. Auch sei nicht vergessen, daß in vielen erzgebirgischen Betrieben blauer Montag gemacht wurde, noch weit ins 20. Jahrhundert hinein. Ζ. B. verwunderten sich Berliner Einkäufer baß, wenn sie in Eibenstock leere Fabriken antrafen und man ihnen antwortete, ja heute ist doch Montag. In der Strumpfwirkerei war der blaue Montag durchaus üblich. Mitte des 19. Jahrhunderts verdiente trotzdem der Wirkermeister wöchentlich 10—12 Taler. Aus dem Spielwaren-

Die Mensdien in der Industrie

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winkel von Seiffen wird berichtet, daß der Vater meist erst Dienstag zu Mittag den Leimtopf wieder warm machte, daß aber dann Donnerstag und Freitag oft bis tief in die Nacht gearbeitet werden mußte, weil die Mutter sonnabends mit dem Tragkorb die fertigen Waren zum Verleger bringen wollte, um vom Verdienst einkaufen zu können. Vom Spitzenklöppeln her hatte das Trucksystem große Ausdehnung erlangt und sich hier und dort in die Industrie fortgepflanzt. Das Cottagesystem, d. h. die Ansiedlung von Arbeitern nahe dem Werk in werkseigenen Häusern, schon bei den alten Hammerschmieden die Regel (Wildenthal, Carlsfeld), machte sich geradezu nötig, wo ein Werk der Wasserkraft wegen abseits der Dörfer lag, und sowohl bei großen Spinnereien (Venusberg), Papierfabriken (Antonsthal) als audi bei Metallwerken (Auerhammer, Grünthal) sind Arbeitersiedlungen vom Werkherrn erbaut worden. Dadurch wurden die tüchtigsten und unentbehrlichen Arbeiter fest ans Werk gebunden. Doch von dieser noch zur Ausbeutung durch Mietzins gehörenden Wohnungsbesdiaffung, die den Arbeiter sehr abhängig machte, da der Fabrikbesitzer ihm Arbeitsplatz und Wohnung zugleich kündigen konnte, schritt man im 20. Jahrhundert weiter, indem die schmuck gebauten Siedlungshäuser mit Gärten nach Ablauf einer bestimmten Frist in das Eigentum der Arbeiter übergingen (Kraußwerke Schwarzenberg). Gegen Unterdrückung und niedrige Löhne haben sich erzgebirgisdie Arbeiter erst seit 1848 gewehrt. In diesem Revolutionsjahr, das auf ein schlimmes Hungerjahr folgte, zogen Weber aus erzgebirgischen Dörfern der Herrschaft Schönburg nadi Waldenburg und zerstörten das Schloß des Fürsten. Ehrenfriedersdorfer Spinner schlossen sich zusammen, und an einigen Orten faßte die „Arbeiterverbrüderung" Fuß, jene von Stephan Born aufgebaute sozialistische Bewegung. Die Sozialdemokratie fand erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts Anhänger im Gebirge, ziemlich stark im 19. Reidistagswahlkreis mit dem Greifensteingebiet, wozu viele Posamentenmacher und Strumpfwirker gehörten. Der Greifenstein wurde alljährlich das Ziel der Ausmärsche zum 1. Mai für eine weite Umgebung. Streiks wie mehrfach der Handschuhmacher oder der Holzarbeiter, ein besonders langer Streik Gornsdorfer Strumpfwirker oder der 1907 nach langen Streikwochen zu Ende gehende Ausstand der Bürstenarbeiter von Schönheide lassen die Spannungen erkennen, die hauptsächlich in Lohnfragen entstanden waren. Nach 1918 setzten in vielen Orten Unruhen und Demonstrationen die Revolution vom Ende des Ersten Weltkrieges fort. Im Westerzgebirge legte der Metallarbeiterstreik 1920/21 das Wirtschaftsleben lahm. Besonders unter der Regierung Zeigner kam es auch zur Bildung proletarischer Hundertschaften, zur Besetzung mandier Fabriken oder zu anderen harten sozialen Auseinandersetzungen. Unternehmerpersönlichkeiten gelangten nicht selten von auswärts in die

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Das Erzgebirge als Industrielandschaft

erzgebirgische Industrie. Aber der größte Teil der Fabrikanten entstammte dem Gebirge und blieb manchmal allzu sehr engem Ortsgeiste verhaftet. D a bei brauchten doch die meisten Industriezweige die Verbindung mit der Welt. Export erforderte gründliche Auslandskenntnisse. So brachte der junge Erdmann Kircheis von großen Rußlandreisen sehr genaue Vorstellungen von dem dortigen Bedarf mit, woraus sich enge Geschäftsverbindungen ergaben. Die Annaberg—Buchholzer Posamentenverleger waren meist in England und Amerika gewesen. Mußten sie doch bei der Fabrikation von Posamenten — gleich den Männern, die Stickereien fertigen ließen, Strumpfwaren ausführten — mit den Wünschen der Mode genau vertraut sein und Exportmöglichkeiten lange vorher richtig einschätzen können, damit die Artikel bis zur „Saison" fabriziert waren und angeboten werden konnten. Solche Verleger, Fabrikanten, Faktore mußten ungemein wendig sein, Fingerspitzengefühl besitzen. Auch geschmacklich mußten sie auf der Höhe sein — manchmal hat darin das Erzgebirge versagt. Wer Luxuswaren, neuartige Musterungen anbieten wollte, durfte nicht, wie manche Fabrikleiter und ihre Arbeiter, zu sehr am Alten festhängen. Daran sind hier und dort Fabriken zugrunde gegangen. Die Konkurrenz war oft auf engstem Raum, ζ. B. in großen Strumpforten, Posamentenstädten, sehr heftig und führte dazu, daß die Unternehmer sich verfeindeten. Nicht vergessen seien die vielen Erfinder unter den Fabrikgründern: Neben bedeutenden wie Dr. Geitner, Ernst Geßner, waren zahlreiche mit kleinen oder großen technischen Verbesserungen maßgeblich am Aufschwung der erzgebirgischen Industrie beteiligt. Seltener traten Unternehmer im Erzgebirge als Wirtschaftstheoretiker hervor, wie Bodemer, oder als Politiker, wie Eisenstuck, der im Frankfurter Vorparlament und der Nationalversammlung saß, oder als Förderer der Kultur wie Dr. F. E. Krauß. Eine große Zahl erzgebirgischer Industrieller blieb stark heimatverbunden und unterstützte die Arbeit der Heimatvereine. Unter den vielen hundert Fabrikanten gab es häufig Männer und Frauen, oft aus kleinen Verhältnissen emporgekommen, die auf ihr schnell erworbenes Geld pochten, protzig und unsozial sich über die Arbeiter erhoben, engstirnig und hochmütig, geizig und rechthaberisch ihre Leute unterdrückten und bevormundeten. Ihr Verhalten hat die sozialen Spannungen verschärft.

VII.

Schluß

Die Vielfalt der erzgebirgischen Industrie ist erstaunlich. Sie beruht darauf, was die Natur des Gebirgslandes an Eisen und anderen Metallen, Holz, Flachs, Steinen, Wasserkräften anbot, aber noch mehr darauf, was die Menschen, um hier oben leben zu können, aus diesen Naturgaben machten.

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Das Erzgebirge als Industrielandschaft

erzgebirgische Industrie. Aber der größte Teil der Fabrikanten entstammte dem Gebirge und blieb manchmal allzu sehr engem Ortsgeiste verhaftet. D a bei brauchten doch die meisten Industriezweige die Verbindung mit der Welt. Export erforderte gründliche Auslandskenntnisse. So brachte der junge Erdmann Kircheis von großen Rußlandreisen sehr genaue Vorstellungen von dem dortigen Bedarf mit, woraus sich enge Geschäftsverbindungen ergaben. Die Annaberg—Buchholzer Posamentenverleger waren meist in England und Amerika gewesen. Mußten sie doch bei der Fabrikation von Posamenten — gleich den Männern, die Stickereien fertigen ließen, Strumpfwaren ausführten — mit den Wünschen der Mode genau vertraut sein und Exportmöglichkeiten lange vorher richtig einschätzen können, damit die Artikel bis zur „Saison" fabriziert waren und angeboten werden konnten. Solche Verleger, Fabrikanten, Faktore mußten ungemein wendig sein, Fingerspitzengefühl besitzen. Auch geschmacklich mußten sie auf der Höhe sein — manchmal hat darin das Erzgebirge versagt. Wer Luxuswaren, neuartige Musterungen anbieten wollte, durfte nicht, wie manche Fabrikleiter und ihre Arbeiter, zu sehr am Alten festhängen. Daran sind hier und dort Fabriken zugrunde gegangen. Die Konkurrenz war oft auf engstem Raum, ζ. B. in großen Strumpforten, Posamentenstädten, sehr heftig und führte dazu, daß die Unternehmer sich verfeindeten. Nicht vergessen seien die vielen Erfinder unter den Fabrikgründern: Neben bedeutenden wie Dr. Geitner, Ernst Geßner, waren zahlreiche mit kleinen oder großen technischen Verbesserungen maßgeblich am Aufschwung der erzgebirgischen Industrie beteiligt. Seltener traten Unternehmer im Erzgebirge als Wirtschaftstheoretiker hervor, wie Bodemer, oder als Politiker, wie Eisenstuck, der im Frankfurter Vorparlament und der Nationalversammlung saß, oder als Förderer der Kultur wie Dr. F. E. Krauß. Eine große Zahl erzgebirgischer Industrieller blieb stark heimatverbunden und unterstützte die Arbeit der Heimatvereine. Unter den vielen hundert Fabrikanten gab es häufig Männer und Frauen, oft aus kleinen Verhältnissen emporgekommen, die auf ihr schnell erworbenes Geld pochten, protzig und unsozial sich über die Arbeiter erhoben, engstirnig und hochmütig, geizig und rechthaberisch ihre Leute unterdrückten und bevormundeten. Ihr Verhalten hat die sozialen Spannungen verschärft.

VII.

Schluß

Die Vielfalt der erzgebirgischen Industrie ist erstaunlich. Sie beruht darauf, was die Natur des Gebirgslandes an Eisen und anderen Metallen, Holz, Flachs, Steinen, Wasserkräften anbot, aber noch mehr darauf, was die Menschen, um hier oben leben zu können, aus diesen Naturgaben machten.

Sdiluß

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Kargheit des Bodens, erstaunliche Dichte der Bevölkerung erzwangen bescheidenes, manchmal ärmliches Leben, und die niedrigen Löhne für diese genügsamen Menschen ermöglichten immer wieder die Konkurrenz mit anderen Gegenden, wurden freilich auch benutzt, die Arbeitenden auszubeuten und niederzuhalten. Gingen Wirtschaftszweige ein, wurden sie überraschend schnell durch neue ersetzt. Daher brachte es der Erzgebirger auf vielen Gebieten zur Meisterschaft, vom Klöppeln bis zum Maschinenbau. Die Geschichte der erzgebirgischen Industrie zeigt im einzelnen ein fast wirres Auf und Ab, enthüllt aber als Ganzes ein schönes Ruhmesblatt für die schaffenden Menschen dieser Landschaft.

Zweiter

Teil

INDUSTRIEGESCHICHTE

VON

AUE

I. G r u n d l a g e n 1. A u s n u t z u n g d e r

Wasserkraft

Die Flüsse Mulde und Schwarzwasser, der Rumpelsbach aus dem Bärengrund, der Zschorlaubach in Auerhammer, der Lößnitzbach beim Klösterlein und der Floßgraben liefern seit Jahrhunderten Wasserkraft. 1922 wurde das Elektrizitätswerk Hakenkrümme gebaut, das Aue mit Strom versorgt. Ein privates Elektrizitätswerk bestand am Niederschlemaer Weg, heute „Autolicht". 15 ausgebaute Wasserkräfte standen um 1920 zur Verfügung. 2. V e r k e h r s v e r h ä l t n i s s e S t r a ß e n : Aues günstige Verkehrslage konnte erst spät zur Geltung kommen, nachdem das Straßennetz von Aue ausgebaut war. In älterer Zeit mied man den Auer Talkessel, weil man hier so viel Gewässer überschreiten mußte und der mittelalterliche Verkehr Höhenwege bevorzugte. Lange Zeit besaßen die Nachbarstädte Lößnitz, das an der urkundlich bereits 1118 erwähnten Salzstraße von Halle nach Böhmen lag, und Schneeberg, das nach seinem raschen Aufstieg am Ende des 15. Jahrhunderts die Straßen an sich zog, eine Art Verkehrsmonopol für diese Gegend. Zwar führte von Aue ein Weg über Lauter nach Schwarzenberg, dem Mittelpunkt der Herrschaft und später des kurfürstlichen Amtes, aber sonst war die Verbindung mit Nachbarorten auf Wege angewiesen, die über die Höhen und durch dichte Wälder führten, ζ. B. nach dem eingepfarrten Bockau der „Erzengelweg". a) Seit dem 17. Jahrhundert führte die Schneeberg—Annaberger Poststraße durch Aue (über Oberpfannenstiel und Grünhain). Die heutige Straße über den Brünlasberg wurde erst 1822 ausgebaut, deren Fortsetzung, der Weg nach Oberpfannenstiel, aber erst 1931 für modernen Verkehr hergerichtet. Über Schneeberg steht Aue mit Zwickau und Leipzig in Verbindung. b) Für Aue wurde im 19. Jahrhundert wichtig die Straße über Lößnitz nach Chemnitz (Karl-Marx-Stadt), heute Fernstraße 169.

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Industriegesdiichte von Aue

c) Der alte Weg Aue—Schwarzenberg, von dem noch im Lumpidit ein Teil erhalten ist, wurde im 19. Jahrhundert Chaussee, im 20. Staatsstraße, heute Fernstraße 101, wodurch das ganze obere Erzgebirge mit Zwickau, Leipzig, Norddeutschland verknüpft ist und Aue daher bedeutenden Durchgangsverkehr bewältigen muß. Bis 1945 hing an dieser Straße audi noch die Verbindung über Johanngeorgenstadt nach Prag und Karlsbad. d) Die Talstraße nach Bockau wurde 1910 ausgebaut. e) Die Talstraße nach Zschorlau, wohin man ursprünglich über Neudörfel oder am Gleesberg vorbeigehen mußte, wurde 1899 in Angriff genommen 1 , nachdem bereits 1841 die Straße nach Auerhammer gebaut worden war. Diese Talstraße dient auch der Verbindung mit Eibenstock, Schönheide und dem Vogtland. f) Der Niederschlemaer Weg war früher nur ein Landweg. Man konnte auf ihm die jahrhundertelang bedeutende Eisenbrücke (vorher Eisenfurt) bei Niederschlema erreichen, wo einerseits der Weg nach Chemnitz—Dresden offen stand, andererseits die wirtschaftsgeschichtlich überragende Verbindung über Schneeberg nach Nürnberg hergestellt war; „ins Reich", wie die Fuhrleute noch im 19. Jahrhundert sagten. Auf diesen Straßen, die heute Aue zu einem Hauptverkehrsknotenpunkt machen, ging ehemals, ζ. B. im Anfang des 19. Jahrhunderts, der Verkehr von Fußgängern, Reitern, Schiebböcken (Karren), Kutschen und Frachtwagen vor sich. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist der Kraftwagen, seit 1913 auch der Autobus darauf heimisch geworden, zuerst von der Erzgebirgischen Kraftomnibus-Gesellschaft (Ekov), ab 1920 auch mit Reichspostlinien. Heute gehen 16 Buslinien von Aue aus, dazu sind zwei Linien des Stadtverkehrs (Eichert, Zelle) und mehrere Wismutbuslinien vorhanden. B r ü c k e n : Der Verkehr im Auer Talkessel war erschwert durch die Flußläufe. Am heutigen Gasthaus Muldental hat man in ältester Zeit eine Furt benutzt, im 15. Jahrhundert dazu einen Steg für den Personenverkehr gebaut. Von Wallfahrern nach Kloster Grünhain wurde dieser Steg in katholischer Zeit stark begangen. Noch 1520 gab jeder Fußgänger am Ende der Brücke 1 Pfennig Maut in einem Häuschen, das ein Bild des Brückenheiligen Nikolaus, des Schutzheiligen auch von Aue, barg. Als die Hammerwerke aufkamen, ersetzte Aue den Steg durch eine hölzerne Brücke für schwere Fuhrwerke und verlangte dort Brückengeld: von Wagen 6, Karren und Reitern 3, Fußgängern 1 Pfennig 2 . Das Wappen der Stadt zeigt deshalb zwei hölzerne Brücken über Mulde und Schwarzwasser. Oft von Hochwasser zer-

1) Industrie d. Erzgeb. u. Vogtl. 1901 S. 77. ) S i e b e r , Aues Brücken, Chemnitzer Tageblatt 3. 6. 1937.

2

Grundlagen

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stört, so 1573, 1661, 1694, wurden die Holzbrüdken auf Befehl Augusts des Starken 1716 steinern aufgerichtet. Die Muldenbrücke hat bis zum Hochwasser 1858 gehalten. Am Auerhammer, in Niederpfannenstiel und am Klösterlein gab es kleine Brücken. Letztere, der uralte Klostersteg, wurde nach dem Hochwasser 1858 nicht wieder erneuert. Dieses Hochwasser war Anlaß, daß die Muldenbrücke und die Brücke im Zuge der Goethestraße neu gebaut wurden. 1887 kam die Brücke in Richtung Auerhammer, die heutige Thälmannbrücke zur Ausführung. Sie ist 1962 in verbreiterter Anlage neugebaut worden. Die Schwarzwasserbrücke am Gasthaus Muldental stammt vom Jahre 1894. Seit etwa 1899 vermittelte ein eiserner Steg den Personenverkehr über die Mulde zum Bahnhof; er wurde im Ersten Weltkrieg ersetzt durch die heutige Muldenbrücke zum Bahnhof, gleichzeitig geschaffen vom Architekten Gräbner, Dresden, mit der „Schulbrücke" beim Kino. Als immer neue Stadtteile von Aue emporwuchsen, wurden weitere Brücken notwendig, so die „Eisenbrücke" in der Neustadt, von 1899 stammend, die jetzt ihren Umbau erwartet. Eine Privatbrücke baute sich Baumeister Georgi vom Niedersdilemaer Weg, wo er wohnte, nach seinem Zimmerplatz und Baugeschäft auf dem rechten Muldenufer. Da er dies ohne Genehmigung des Wasserbauamtes getan hatte, mußte er die Brücke wieder wegreißen. Die Eisenbahn benutzt eine Anzahl eigene Brücken für ihre Geleise. 1937 wurde die große Brücke über den Talgrund und den Bahnhof eingeweiht, heute Karl-Marx-Brücke genannt. Mit ihr wollte Stadtbaurat Hasse die schwierige Bahnhofsfrage lösen, vor allem den immer steigenden Verkehr an der Lößnitzer Straße, wo wegen des Rangierens der Eisenbahn sich oft riesige Schlangen wartender Kraftwagen ansammelten. Eine Verkehrszählung ergab schon um 1930 an einem Tag 4200 Fahrzeuge, die diesen Übergang passierten 3 . Diese große Brücke wurde 1962/63 neu gespannt. Die Brücke nach Alberoda, wohin man früher ebenfalls den Bahnkörper überschreiten mußte, stammt aus der Zeit des Bahnhofsumbaues 1948. Erwähnt seien noch kleine Übergänge über die Flüsse in Auerhammer, im Gelände der „Blema" und die Brücke bei Niederpfannenstiel. E i s e n b a h n e n : Zwar konnte noch in die Anfänge der Industrie hinein der An- und Abtransport von Waren und Personen auf diesen Straßen erfolgen, und heute sind sie wichtige Transportverbindungen, aber die rasche Entwicklung zur Industriestadt verdankt Aue den Eisenbahnen. a) 1858 wurde die Linie Zwickau—Aue—Schwarzenberg gebaut, ursprünglich gedacht als Verbindung zwischen Zwickauer Steinkohle und Schwarzen») Volksfreund 24. 10. 1936.

Industriegeschidite von Aue

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berger Eisenerz 4 . Damit bestand über Zwickau Bahnverbindung auch nach Leipzig und Plauen. An diese Linie schlossen sich später an: Schwarzenberg—Annaberg 1889 und Schwarzenberg—Johanngeorgenstadt 1883, sowie von da nach Karlsbad. Damit war das dichtbevölkerte Industriegebiet des Obererzgebirges an Aue herangezogen worden. Die für Gasanstalt und Fabriken notwendige Kohle konnte leicht aus Zwickau herangebracht werden. b) 1875 wurde die Linie Chemnitz—Aue—Adorf fertig. Durch sie erhielt Aue nicht nur Verbindung mit der führenden Industriestadt Chemnitz, sondern über diese nach dem Elbhafen Riesa und nach Dresden. Aufwärts ins Vogtland wurden viele große Industrieorte, darunter Eibenstock, Schönheide, Stützengrün, der Musikwinkel von Markneukirchen, Adorf, außerdem Bad Elster leicht erreichbar. F r ach t ν er k eh r su m sat ζ Bahnhof Aue5 (ankommende und abgehende Frachten in Tonnen) Jahr

Gesamtumsatz

1890 1900 1910

88 219 198 306 288 008

Versand

57 574 96 170

Personenverkehr Jahr 1900 1910 1915

Bahnhof

Empfang

140 732 191 838 Aue

Personen 271 875 638 294 752 811

Schon vor 1914 gab es D-Züge nach Leipzig, wie noch heute nach Leipzig und Berlin. 1949 wurde auch für den Bedarf der Wismutbergleute ein D-Zug nach Chemnitz und Dresden eingerichtet e . In Aue, dem Knotenpunkt dieser beiden Erzgebirgslinien, entstanden gerade im Zusammenhang mit dem Bahnbau eine Anzahl Fabriken, und einige erhielten Gleisanschluß. Ferner entwickelte sich lebhafter Güterumschlag, Fremdenverkehr und außerordentlich starke Übernachtung von Geschäftsreisenden, die von Aue aus ringsum die Orte aufsuchten. Um die vielen Bahnübergänge in der Stadt zu beseitigen und den Auer Bahnhof besser auszubauen, als er sich seit 1858 entwickelt hatte, wurde 1898 ein Reichsbahnneubauamt Aue geschaffen. Nach vielen mißglückten 4 5 e

) Landeshauptarchiv (LHA) Dresden, Ministerium des Innern N r . 110. 1845. ) Festschrift Sieber 1923 S. 131. ) Volksstimme 10. September 1949.

Grundlagen

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Plänen hatte man 1914 endlich eine Lösung der Bahnfrage gefunden. Der Krieg verhinderte ihre Ausführung, und das Bahnbauamt wurde 1923 ergebnislos aufgelöst. Bedeutend verändert wurde der Bahnhof, seine Gleisanlagen, sein Gütergelände wegen des Uranbergbaus seit 1949. Eine zeitlang war Aue deshalb Sitz eines Reichsbahnamtes. Mit dem Ausbau seiner Straßen und Eisenbahnen übernahm Aue anstelle des alten Wirtschafts- und Kulturmittelpunktes Schneeberg die führende Rolle in der westerzgebirgischen Wirtschaft, besonders der Industrie. P o s t : In früheren Zeiten war Aue von den Schneeberger Postverbindungen abhängig. Zwisdien Schneeberg und Annaberg fuhr sonntags, mittwochs und freitags die Postkutsche, dienstags und donnerstags von Annaberg nach Schneeberg (1835)7. Aue erhielt erst 1839 eine Postexpedition, 1861 eine Posthalterei mit 16 Pferden, 1868 eine Norddeutsche Postverwaltung, 1876 ein Reidispostamt II. Klasse mit Telegraphenbetrieb. 1889 wurde ein neues Postgebäude erbaut (später dort die Glückauflichtspiele). 1891 kamen Fernsprechanlagen hinzu, und mit 16 Teilnehmern begann der Stadtfernsprechverkehr. 1912 wurde Aues Postamt in die I. Klasse erhoben. Die heutige Post stammt vom Jahre 1913, sie wurde am 17. 11. 1913 eröffnet 8 . 1945 lag der gesamte Postdienst bradi. Kein Telefon war mehr in Betrieb, und der größte Teil des Omnibusparks war zerstört. 3. B o d e n s c h ä t z e Bei Aue werden seit etwa 1860 Granitvorkommen genutzt, besonders im Muldental bei Auerhammer. In zwei Granitbrüchen daselbst arbeiteten 1908 87 Personen9. Pflastersteine, Granitstufen, Tür- und Fenstergewände wurden hier zugehauen10. Die Granitwerke von C. F. Salzer (gegründet 1886) lieferten 1927 Groß- und Kleinpflaster, Packlager, Schotter, Steingrus, Steinsand, Bruchsteine, Treppenstufen usw. Die anderen Granitwerke gehörten Hermann Weißhorn. 1901 errichtete Baumeister Bochmann am Südhang des Gleesberges ein weiteres Granitwerk u . Seit 1950 bestehen die Granitwerke VEB Steine und Erden. Der Salzersdie Granitbruch war Betrieb der Wismut AG. Ziegellehm wurde hinter dem Rathaus von etwa 1865—1935 von der Ziegelei Fischer abgebaut und zu Ziegeln verarbeitet. Zuletzt waren dafür große Bagger eingesetzt. An der Stelle der Ziegelei und ihrer umfänglichen 7

) Mitteil. d. Geschver. Annaberg V. 110. ) Volksfreund 20. 9. 1913. Volksstimme 11. 12. 1953. ") Weißbach 301. 10 ) Handelskammer Plauen 1862/3, 106; 1871, 122/3. ") Industrie des Erzgeb. u. Vogtl. 1901, 77. e

Industriegeschichte von Aue

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Grube wurde der Anton-Günther-Platz angelegt, heute Fuhrpark der Autobusse und der Wismut AG. In Auerhammer bestand eine zur Firma F. A. Lange gehörige Ziegelei. Die Umgebung von Aue ist reich an Erzen 18 . Besonders wurden vom 16. bis 19. Jahrhundert Eisenerze ersdiürft und in Auerhammer geschmolzen. Außer diesem Eisenwerk bestand noch ein Hammerwerk in Niederpfannenstiel, an dessen Stelle nach der Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg 1635 das Blaufarbenwerk (Nickelhütte) erbaut wurde. Der Hammer wurde verlegt, zuletzt neben das Klösterlein an den Einiluß des Lößnitzbaches in die Mulde. Bis ins 19. Jahrhundert war hier ein Schaufel- und Spatenhammer in Gang. Aus der Eisenhütte Auerhammer, die lange Zeit führend war in der Herstellung von Weißblech 13 , wurde nach 1823 ein Argentanwalzwerk, das heutige Halbzeugwerk Auerhammer. So eng ist die Verbindung der Industrie von heute mit der einstigen Eisengewinnung, zumal auch anstelle des Zeller Hammers am Klösterlein die „Blema" arbeitet. Zinngraupen wurden im 15. und 16. Jahrhundert aus Talsanden der Mulde gewonnen und am Ufer befanden sich viele Zinnseifen, wie Freiberger Bergamtsbücher vermerken 14 . Bergbau auf Zinnerz (Zwitter) setzte 1661 am Heideisberg ein und erhielt sich bis nach 1800. Die Weißerdenzeche St. Andreas (heute Altersheim) 15 sandte wöchentlich versiegelte Fässer durch vereidigte Fuhrleute nach Meißen in die Porzellanmanufaktur. Ungefähr 150 Jahre lang war die Weiße Erde von Aue (Kaolin) der wichtigste Rohstoff für das gerade in jener Zeit weltberühmte Meißner Porzellan 16 . Silberzedien gab es im nahen Bärengrund 17 und an anderen Stellen des Auer Talkessels, ζ. B. am Klosterberg. Eine Schmelzhütte beim Klösterlein wird 1528 erwähnt. Die 1662 neu erbaute Auer Zinnschmelzhütte unterhalb des Floßgrabens übernahm im 18. Jahrhundert auch das Schmelzen von Silbererzen aus dem oberen Gebirge 18 . Ferner wurde neben der Zinnhütte aus heimischen Bodenschätzen Rauschgelb (Arsentrisulfid) und Galmei hergestellt. Zur Verarbeitung der Erze dienten viele Pochwerke, die mit Hilfe der Wasserkraft erzhaltiges Gestein kleinstampften. Im 17. Jahrhundert lagen allein oberhalb der Gaststätte Muldental sieben Pochwerke am Schwarzwasser, weitere an anderen Stellen im Tal. Dem Bergbau diente auch eine Pulvermühle am Floßgraben (nahe dem heutigen Nachtsanatorium).

") Sieber in Festschrift 1962. ") R i e b e 1 S. 56. 14 ) Bergamtsardiiv Freiberg, Bergamtsbüdier des Reviers Schneeberg. 15

) Reinhardt.

le

) S i e b e r , Weißerdenzeche. 17 ) S i e b e r , Kuttengrund. le ) Sieber in Festschrift 1962 S. 14.

Grundlagen

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Erze aus dem Sdineeberger Kobaltfeld verarbeitete Blaufarbenwerk Niederpfannenstiel, gegründet 1635 le . Außer Kobalt und Wismut nahm dieses seit 1829 auch Nickel zur Verhüttung auf, später Arsen. Heute gewinnt Nickelhütte Niederpfannenstiel auch Kupfer und Germanium. Als das große Hüttenwerk, das dem mit staatlicher Beteiligung arbeitenden Blaufarbenwerksverein gehörte, das Weltmonopol in Wismut inne hatte (etwa 1880—1914), trafen Wismuterze aus aller Welt in Aue ein und wurden hier verarbeitet. Als das Sdineeberger Kobaltfeld sich langsam erschöpfte, lieferte Norwegen Kobalt, wo ein Zweigwerk Modum für den Blaufarbenwerksverein arbeitete. Arsenerze kamen aus dem Erzgebirge nach Niederpfannenstiel, ζ. B. aus dem Reidienbachstollen im Bärengrund nahe Aue. Schwerspat für das Blaufarbenwerk wurde im Gelände des heutigen Krankenhauses abgebaut. 1946 begann im Westerzgebirge der Uranbergbau der Wismut AG. Aue wurde 1948 Sitz der Verwaltung für dieses ausgedehnte Bergbauunternehmen. Doch wurde sie nach einiger Zeit nach Siegmar-Schönau bei Chemnitz verlegt, und für Aue blieb Objekt 9 als Träger des Uranbergbaus. Rings um Aue entstanden Uranschächte, ζ. B. in der Hakenkrümme an der Stelle des Freibades der Stadt Aue, am Hirschknochen über dem Krankenhaus, im Röllwald und am Klosterberg, abgesehen von den nahen Schächten des Schlematales und Sdineebergs. Besondere Bedeutung erlangten die Schächte bei Alberoda, die noch in Gang sind, großartig ausgebaute Anlagen von erstaunlicher Teufe. Ihre riesigen Spitzhalden gehören zum Stadtbild, ebenso auf der Höhe des Brünlasberges die „Zeche der deutsch-sowjetischen Freundschaft", eine große Aufbereitungsanlage. Ferner seien große Holzplätze der Wismut AG erwähnt, ζ. B. auf der Sdiäferwiese und am Talausgang unterhalb des Bahnhofes. 4. H o l z Für das Schmelzen der Erze war von jeher das Holz der großen Wälder unentbehrlich. Da Aue unmittelbar vor dem größten Waldgebiet Sachsens (dem ausgedehnten Auersbergwald mit seinen Ausläufern) liegt, war Holz hier gut zu beschaffen. Auf beiden Flüssen brachten Flößer Stämme und Grubenholz heran, und Aue besaß einen Holzanger nahe der heutigen Dürerschule auf dem „Sand". Auch der Floßgraben diente dem Flößen. Holzkohle lieferten Meiler in den Wäldern, aber auch in der Stadt selbst, ζ. B. neben der Zinnhütte 20 . Ein Kohlenmeiler für besondere Gußzwecke der Firma F. A. Lange rauchte noch bis etwa 1930 hinter Auerhammer an der Talstraße. 19

) S i e b e r , Blaufarbenwerk. — Akten der Nickelhütte, auch Akten Modum. °) Ο e r t e 1, Flurnamen, Riß bei S. 211.

2

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Industriegeschichte von Aue

5. S t e i n k o h l e Erst seit Erbauung der Bahn Zwickau—Aue—Schwarzenberg 1858 konnte Steinkohle in größerer Menge geliefert werden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts brachte die Eisenbahn auch Braunkohle aus dem Bornaer Revier und Koks heran, ζ. T. obersdilesischen, auch westfälischen. Selbst Waldenburger Kohle wurde aus Schlesien angeliefert. 6. W e i t e r e

Naturprodukte

Für die Industrie von Aue fallen landwirtschaftliche Produkte kaum ins Gewidit. So hat die seit 1772 beim Rittergut Klösterlein bestehende Schäferei, deren Schafteich heute vom Bahnhofsvorplatz eingenommen wird, nicht dazu geführt, daß in Aue Tudi hergestellt wurde. An der Stelle der Schäferei steht jetzt die Gaststätte „Lokomotive" (Schnellimbiß) 21 . In Zelle wurde ehemals aus Besenginster, der noch heute auf Zeller Fluren häufig ist, ein Faserstoff gewonnen und von der Dorfbevölkerung zu Kleidern und Besen verarbeitet. Der Schlacht- und Viehhof Aue wurde 1906 eröffnet 22 . 7. ö f f e n t l i c h e

Einrichtungen

Städtlein Aue, wahrscheinlich 1626 zur Stadt erhoben, wuchs im Zusammenhang mit seiner Industrialisierung und nahm 1890 die revidierte Städteordnung an. Eingemeindet wurden: 1897 Dorf Zelle, 1921 Niederpfannenstiel, 1922 Klösterlein, 1928 Alberoda, 1930 Auerhammer mit Neudörfel, 1937 Brünlasberg. Als neue Viertel um den eigentlichen Stadtkern zwischen Schwarzwasser und Mulde entstanden 1880 die Neustadt, 1920 der Eichert und Stadtteile an der Schwarzenberger Straße, der Schneeberger Straße, dem Niederschlemaer Weg, an der Mozartstraße sowie das Schmelzhüttenviertel entwickelten sich nach und nach. Neuerdings wurde der Zeller Berg sehr stark bebaut. 1855 entstand die erste Wasserleitung, 1892 die zweite, und weitere Verbesserungen erfolgten durch Anlage von Hochbehältern, durch die Blauenthaler Wasserleitung um 1930 und den Anschluß an die Sosaer Talsperre um 1953. Die Beschleusung begann 1892. 1860 gab es die ersten PetroleumStraßenlaternen, Gaslidit seit 1889/90. Die damals gebaute Gasanstalt wurde 1897/98 erweitert, 1921 neu ausgebaut. Das Werk lieferte 1900: 650 000 cbm, 1922 2 Millionen cbm 2 3 . 1964 wurde die Gasanstalt ge81

) O e r r e l , Flurnamen S. 209. ) Uber seine Entwicklung nach 1945 vgl. Volksstimme 13. 6. 56. Außerdem für die Zeit 1897—1922 Festschrift Sieber 1923. S. 126. a ) Erzgeb. Volksfreund vom 23. 8. 1940 behandelt Geschichte der Gasanstalt. !z

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schlossen und Ferngas angeliefert. 1895 erhielt Auerhammer Straßenbeleuchtung. 1901 wurde Aue an das Stromnetz des Zwickau—Oelsnitzer Elektrizitätswerkes angeschlossen und übernahm 1918 selbst das Netz mit allen Anlagen, Transformatoren usw. Strom lieferte Werk Westsachsen24. Am Niederschlemaer Weg entstand ein kleines Kraftwerk (heute Autolicht). Die Firma Ernst Geßner erbaute auf der Schäferwiese ein eigenes Kraftwerk. 1922 verbrauchte Aue im Jahr 2 Millionen kWh. In der Hakenkrümme wurde 1924—25 eine Wasserkraftanlage gebaut. Auf der Baustelle waren 350 Arbeiter benötigt worden. Die Baukosten betrugen rund 1 050 000 Reichsmark. Durch die Anlage wird mit Hilfe eines Tunnels und eines den Fluß überquerenden Dükerrohres ein bis dahin ungenutztes Rohgefälle des Schwarzwassers von 15,70 m nutzbar gemacht. Das Nutzgefälle von 14,60 m bei 11 Sekundenmeter Ausbaugröße ergibt eine höchste Leistung bis 1100 kW, als mittlere Jahresleistung 620 kW, so daß im Jahre etwa 5 400 000 Kilowattstunden anfallen. Die Abgabe des elektrischen Stromes erfolgt von hier an das Leitungsnetz des Elektrizitätswerkes Obererzgebirge in Schwarzenberg 25 . In Aue wurde die alte Schule 1822 durch ein neues Schulhaus ersetzt. 1841 kam dazu die Mädchenschule (neben dem Neumarkt). Zeller Schulen wurden bei immer wachsender Bevölkerung 1819 und 1853 neu errichtet. 1873 erhielt Aue seine dritte Schule, und weitere folgten. Die 1897 gegründete Realschule wurde 1919 Oberrealschule und heißt heute Erweiterte Oberschule. Für die Wirtschaft wichtig wurden weitere Schuleinrichtungen: 1817 die Klöppelschule, neu eingerichtet 1868 und nach 1945; die Sonntagsschule, die ebenfalls dem industriellen Nachwuchs nützte, begann 1854; der Gewerbeverein führte 1870 Fortbildungsschulunterricht ein; die Handelsschule entstand 1897; die Gewerbeschule entwickelte sich seit 1882 und besonders seit 1911; sie bekam 1932 ihr großes Gebäude auf dem Zeller Berg, heute Berufsschule I, die mit der Berufsschule II in der Neustadt zusammenarbeitet; die Landwirtschaftsschule, 1925 gebaut, gehört jetzt mit der Handelsschule zusammen; eine Mädchenfortbildungsschule mit Speiseanstalt, Kochschule genannt, begann 1902 am Kochschulplatz (Neumarkt) ihre Tätigkeit; eine Strohflechtschule in Zelle stand in Verbindung mit der Strohflechterei, die als Industrie in Lauter für einige Zeit Fuß gefaßt hatte. Besonders wichtig für die Auer Industrie wurde die Fachschule für Blecharbeiter, 1872 eröffnet und zeitweise aus ganz Deutschland und von vielen anderen Ländern aus stark besucht. Um 1904 hatte sie 6 Lehrer und 50 bis 60 Schüler. Leider mußte sie dem Uranbergbau weichen und wurde nach Karl-Marx-Stadt verlegt. 24 25

) Industrie d. Erzgeb. u. Vogtl. 1901, 118. ) Erzgeb. Volksfreund 17. 5.1925.

Industriegeschidite von Aue

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Eine Volkshochschule wurde 1920 gegründet und breitete ihre Tätigkeit auch über Aue hinaus in Nachbarorte aus. Nach der Unterbrechung durch die Jahre 1933—45 hat sie als Kreisvolkshochschule jetzt für den Nachwuchs der heimischen Industrie große Bedeutung erlangt, besonders als Abendoberschule. Ein Spar- und Kreditverein bestand schon Mitte des 19. Jahrhunderts in Aue. Die Städtische Sparkasse wurde 1881 eingerichtet. Seit 1897 bestand eine Filiale des Chemnitzer Bankvereins. 1898 ging das Bankgeschäft Haberland in Aue an die Leipziger Bank über, deren berüchtigter Zusammenbruch 1901 das Auer Wirtschaftsleben mit in den Strudel der damaligen Krise riß, zumal im gleichen Jahr ein Streik im Steinkohlenbergbau zu Zwickau die Zufuhr der Steinkohle behinderte. Danach faßten in Aue Fuß die ADCA (Allgemeine Deutsche Creditanstalt) und die Commerz- und Privatbank. Die ADCA erwarb als Bankgebäude einen Teil der Wäschefabrik Gantenberg (heute Deutsche Notenbank). Außerdem waren in Aue noch vertreten die Reichsbank mit eigenem Gebäude (heute dort SED-Leitung) sowie eine Gewerbekank. Nach 1945 entwickelten sich im Geldwesen die Stadtbank, die Deutsche Notenbank, die Gewerbebank. — Seit 1922 besteht in Aue das Finanzamt für den Kreis. — Am 1. Juli 1949 begann in Aue ein Kreisforstamt seine Tätigkeit. Für rechtliche Fragen der Wirtschaft wurde wichtig, daß sich Aue vom Amtsgericht Schneeberg loslöste, 1895 eigene Gerichtstage und 1900 sein eigenes Amtsgericht erhielt. Ein Gewerbe- und Kaufmannsgericht ist seit 1912 tätig. — Aue gehörte seit 1861 zum Handelskammerbezirk Chemnitz, ab 1868 zur Handelskammer Plauen. Erwähnt sei als eine der ersten dieser Art eine Industrieausstellung in Aue 1909. Später wurden oft Leistungsschauen veranstaltet. Listen über dort ausgestellte heimische Erzeugnisse geben Aufschluß über das Schaffen der Auer Industrie um die betreffende Zeit. Lebhaften Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung Aues nahm der 1869 gegründete Gewerbeverein. 1885 zählte er bereits 127 Mitglieder. — Die Arbeitgeber schlossen sich zu Unternehmerverbänden zusammen und unterhielten in Aue Geschäftsstellen mit einem Syndikus an der Spitze. 8. B e v ö l k e r u n g Um einen Begriff zu geben von der Mitwirkung der Einwohner Aues an der Industrialisierung sowie von dem Einfluß eben dieses Vorgangs auf das Wachstum der Stadt, folgen einige Zahlen über die Bevölkerungszunahme 26 . Städtlein Aue wies 1800 776 Einwohner auf. Diese Zahl sank infolge der napoleonischen Kriege bis auf 711 im Jahre 1815. Noch vor dem Bau der ersten Fabriken war sie angewachsen auf 1106. Bis 1871 verdoppelte ίβ

) Festschrift Sieber 1923, S. 108 usw.

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sie sich auf 2237. Abermals verdoppelt, erreichte sie 1885 4365. Von 1885 bis 1895 betrug die Zunahme der Einwohnerzahl 93,42 %>, denn 8442 Einwohner wurden gezählt. Infolge Eingemeindung von Zelle nahm sie in fünf Jahren um 8 0 % zu auf 15 204. 1905 zogen nadi Aue bei etwa 14 000 Einwohnern 1917 Menschen mehr zu als abwanderten; das war die höchste Ziffer dieser Art im Erzgebirge, wo um diese Zeit die meisten Orte Wanderverluste zeigen, da viele Gebirgsbewohner in die Großstädte zogen 27 . 1908 betrug der Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung Aues nur 1 % , ebenso in Auerhammer, während Niederpfannenstiel 0 % aufwies 28 . 1914 hatte die Einwohnerzahl Aues die 20 000 überschritten. Nadi Abnahme während des ersten Krieges betrug sie 1922 (einschließlidi der neu hinzugekommenen Gutsbezirke Niederpfannenstiel und Klösterlein) 21 135. 1939 wurden 25 435 Einwohner gezählt. Nach dem zweiten Krieg wurden 1946 (einschließlich Auerhammer und Alberoda) 25 567 festgestellt. Am 31. 12. 1957 wohnten in Aue 31 855 Menschen, davon 15 212 männlich, 16 623 weiblich, auf 1 qkm 1507. Nach dem Wegzug von Bergleuten der Uranzeit wurden am 31. 12. 1962 gezählt 31 593 (14 596 männlich, 17 007 weiblich)2». a) A r b e i t e r s c h a f t Statistische Aufnahmen ergaben 30 : Jahr

Zahl der Betriebe

1890 1895 1900 1905 1910 1915 1920 1922

38 43 62 130a) 206 203b) 232 306»)

Zahl der Arbeiter

Bemerkungen

1706 2691 4361 a) (einschließlich der Kleinbetriebe) 5273 b) (kriegsbedingter Rückgang) 6300 c) (außerdem 1195 Angestellte) 5405 d) (außerdem 1243 Angestellte) 7676«) 9056 d )

Im letztgenannten Jahr waren unter den Arbeitern 2578 Frauen, unter den Angestellten 287 Frauen. Die höchste Arbeitslosenzahl nach dem Ersten Weltkrieg war im April 1919 mit insgesamt 570 sowie im Jahre 1921 mit 1442 Arbeitern und 63 Angestellten zu verzeichnen sl .

27

) ) ") *>) S1 )

28

F r o e h n e r S . 21. W e i ß b a c h S . 411. Statistisches Taschenbuch Kreis Aue. Festschrift Sieber 1923 S. 130. Auer Tageblatt 13. 5.1922.

Industriegeschichte von Aue

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Bei der gewerblichen Betriebszählung im Jahre 1933 entfielen von insgesamt 8065 Beschäftigten in Industrie und Handwerk folgende Prozentsätze auf die einzelnen Produktionszweige: Industrie der Steine und Erden Metallhütten und Halbzeugwerke Maschinen- und Apparatebau Eisen- und Stahlgewinnung Eisen-, Stahl- und Metallwarenproduktion Textilindustrie Bekleidungsgewerbe Papierindustrie Holzgewerbe Wasser-, Gas- und Stromversorgung

1%> 8°/o 11%» 1% 38% 6»/o 16°/o 1% 2% 1%

(davon 28°/o weibliche Beschäftigte)

1929730 stieg die Arbeitslosenzahl wieder stark an. Aue allein konnte die hohe Zahl der in seinen Betrieben benötigten Arbeiter nicht aufbringen. Aus dem ganzen Umkreis kamen sie zu Fuß, zu R a d , mit Eisenbahn ins Auer Tal. 1903 erwähnt H a m a n n 3 2 Zustrom von Arbeitern aus Bockau, Albernau, Zschortau, Neustädtel, Schneeberg, Schlema, Alberoda, Lößnitz und Oberpfannenstiel. Arbeiter aus Rittersgrün, Crottendorf, Bermsgrün, Crandorf nahmen in Aue Kost und Logis und fuhren zum Sonntag heim. N a d i K e h r 3 3 stammte etwa ein Drittel der Arbeiter in der Neusilberindustrie des Auer Tales aus Aue selbst. Sie gingen in der IV2 Stunden umfassenden Mittagspause zum Essen nach Hause. Ferner nahmen viele Frauen in Nachbarorten von Aue Heimarbeit für Auer Betriebe auf. D a s ist auch heute noch der Fall. Doch sind für den Anund Abtransport außer der Bahn zahlreiche Busse, Krafträder, Personenwagen vorhanden. Die Wismut A G verfügt über eigene Busse. Hingewiesen sei darauf, daß in früheren Jahrzehnten neben den hauptsächlich auf Männerarbeit eingestellten Werken für Maschinenbau und Metallarbeit oder im Bauhandwerk sich viele Betriebe in Aue entwickelten, die für Frauen gut geeignet waren. Denn wie die Einwohnerzahlen zeigen, hat Aue starken Frauenüberschuß. So war Aue nicht einseitig eine Metall- und Maschinenstadt, sondern weist einen breiten textilen Sektor auf, ursprünglich im Spitzenklöppeln, dann in Weberei und Wäschefabrikation. b) O r g a n i s a t i o n e n

der

Arbeiterschaft

Die organisierte Arbeiterschaft läßt sich erst spät in Aue erfassen. Wilhelm Liebknecht kam wiederholt nach Aue, sprach ζ. B. a m 3. I. 1877 im Blauen Engel, denn Aue gehörte zu seinem 19. Reidhstagswahlkreis. 1867, 32 3S

) Hamann, Aue in G r ο h m a η η S. 9. ) K e h r S . 79.

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unmittelbar nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts im Norddeutschen Bund, gaben ihm von 264 in Aue Wahlberechtigten 130 ihre Stimme. Ende der 60iger Jahre muß eine Ortsorganisation Aue der Eisenacher Partei bestanden haben. 1876 umfaßte der sozialdemokratische Ortsverein etwa 50 Mitglieder. 1878—90 unterm Sozialistengesetz erstarb die Organisation der Arbeiterschaft. Gleich danach wurde ein Arbeiterwahlverein gegründet, und bei den Wahlen 1890 hatte der Sozialdemokrat Seifert im 19. Wahlkreis Erfolg. 1893 erreichte die Zahl der sozialistischen Stimmen in Aue 576 (gegenüber 494 der bürgerlichen Parteien), und 1898 wurden fast zwei Drittel der Stimmen für den sozialdemokratischen Kandidaten gezählt. Ein „Verein zur Förderung volkstümlicher Wahlen" war von 1903 an tätig und wandelte sich 1912 in den „Sozialdemokratischen Verein" um. Auch wurde 1898 der erste, 1904 ein weiterer Arbeitervertreter ins Stadtparlament gewählt. Aber durch Einführung eines Fünfklassenwahlrechts wurde der Einfluß der Arbeitervertreter auf 6 von 27 Sitzen beschränkt. Mehrere Streiks fanden in jener Zeit statt, so 1905 einer von sechs Wochen bei der Baufirma Bochmann; 1906 streikten alle Zimmerer aus 8 Unternehmen um höhere Löhne und Einführung des Zehnstundentages; 1919 traten 100 Hilfsarbeiter der Bauindustrie in den Ausstand. Das alles zeigte die wachsende Kraft der Arbeiterschaft. 1912 erzwangen die Ofenarbeiter im Gaswerk Herabsetzung der Arbeitszeit von 10 auf 8 Stunden, und Arbeiterinnen einer Wäschefabrik streikten für Erhaltung ihres Lohnes, der herabgesetzt werden sollte. 1913 beteiligten sich Auer Maler und Anstreicher an einem in ganz Deutschland lange andauernden Streik ihres Berufszweiges. 1907 bei der für die Sozialdemokratie besonders schwierigen Reichstagswahl, der sogenannten „Hottentottenwahl" (wegen der Kolonialfrage so genannt), übertrafen die Stimmen der Arbeiterpartei (1655) immer noch die bürgerlichen (1481), aber später wurde das Verhältnis 2/s sozialistische zu Va bürgerliche wiederhergestellt 34 . Am 11. November 1918, am Kriegsende, übernahm ein Arbeiter- und Soldatenrat die Macht. 1919 konnten unter dem neu gültigen Wahlrecht die Sozialdemokraten von 27 Stadtverordneten 17, darunter 2 Frauen, durchbringen. Ein Sozialdemokrat übernahm den Vorsitz, später auch das Amt des Ersten Stadtrates. Die USAP (Unabhängige Sozialistische Arbeiterpartei) gründete 1919 eine Ortsgruppe Aue. Am 15. 3. 1920 streikten 6498 (98%) Arbeiter aus 43 Betrieben gegen den Kapp-Putsch, und am 29. 3. 1921 lagen nach einer Rede Ernst Schnellers fast sämtliche Betriebe still. In diesem Frühjahr entstand die Ortsgruppe der KPD. Sie erhöhte laufend bei Reichstagsund Volkskammerwahlen die Stimmenzahl ihrer Wähler und erhielt 1921 im Stadtparlament 4 Sitze. 1923 bildete sie proletarische Hundertschaften und brachte am 15. August eine gewaltige Demonstration der westerzgebirgi34

) Ν e e f in Volksstimme 24. 11. 1952; d e r s. in Festschrift 1962.

100

Industriegeschichte von Aue

sehen Arbeiter zustande, bei der es zu einigen Übergriffen kam. Unter Ausnahmezustand arbeitete die K P D trotz Terror weiter. Bei Reichstagswahlen in Aue erhielt sie 1928: 2158, 1930: 2967, 1933: 3296 Stimmen. Sie wurde dann durch das nationalsozialistische Regime verboten. 1945 konnte sie neben der SPD und den beiden bürgerlichen Parteien ihre Arbeit wieder aufnehmen 3 5 . Vor den ersten Spuren der Gewerkschaftsbewegung im Auer Raum 1876 lag die Gründung eines Arbeitervereins, der zunächst keine politische Aktivität entfaltete. Erst 1883 wurde ein Ortsverein für Maschinenbau- und Metallarbeiter (Hirsch-Duncker) gegründet und weitere dieser Richtung folgten. Der Bildhauerverein von 1886 faßte die vielen damals in Aue tätigen Holzbildhauer zusammen und Schloß sidi später dem Zentralverband der Bildhauer Deutschlands an. 1890 entstand ein „Formerverein". Bei einem Streik in der Maschinenfabrik Geßner 1893 faßte der Metallarbeiterverband Fuß. Für ihn und weitere Gewerkschaften entstanden seit 1904 eigene Zahlstellen oder Geschäftsstellen in Aue: Holzarbeiter (1897), Bauhandwerker (1898), Wäschearbeiter (1905) (seit 1921 als Deutscher Bekleidungsarbeiterverband), Fabrikarbeiter (1908) schlossen sich ihren Verbänden an und hatten eigene Vertretungen in Aue. Die Arbeiter der Neusilberindustrie gehörten größtenteils dem Deutschen Metallarbeiterverband (Bezirk Dresden) an. Audi der Christliche Metallarbeiterverband (Verwaltungsstelle Aue) sowie der Gewerkverein Deutscher Metallarbeiter waren unter den Neusilberarbeitern vertreten 86 . Textilarbeiter fanden sich erst nach 1918 zusammen. 1905 schlössen die Freien Gewerkschaften ein Kartell, und 1922 waren im Ortsausschuß des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Aue 21 Gewerkschaftsgruppen mit über 30 000 Mitgliedern vereinigt. Außer ihnen bestanden christliche Gewerkschaften und Angestelltenverbände, ζ. B. der 1899 gegründete Deutschnationale Handlungsgehilfenverband, sowie Werkmeistervereine 3 7 . In der Hitlerzeit „gleichgeschaltet" und der „Arbeitsfront" eingegliedert, konnten die Gewerkschaften erst seit 1945 im FDGB ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. 9. G e s c h i c h t l i c h e r A b l a u f d e r

Industrialisierung

Das wirtschaftliche Geschehen in der Stadt Aue ist eingebettet in die Entwicklung der deutschen Wirtschaft und abhängig von weltwirtschaftlichen Vorgängen. Ein paar Hinweise sollen deshalb auf diese Zusammenhänge aus anderthalb Jahrhunderten angedeutet werden. » ) Ν e e f in Festschrift 1 % 2 ; d e r s. in Glückauf 1956 H. 10. ·) Κ e h r S. 80. »') Festschrift Sieber 1923 S. 89 ff.; Ε s ρ i g , Glückauf 1958 H. 6. 3

Grundlagen

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Unmittelbar nach den drückenden Jahren der napoleonischen Fremdherrschaft litt das Erzgebirge unter Mißernten und übermäßiger Konkurrenz englische Waren 38 . Dadurch gingen die erzgebirgischen Hammerwerke großenteils zugrunde. Auch wurde das Erzgebirge durch die Halbierung Kursachsens auf dem Wiener Kongreß 1815 von seinen landwirtschaftlichen Hilfsquellen um Naumburg und Torgau sowie von diesem seinem wichtigen Absatzmarkt rücksichtslos abgeschnitten, als Preußen 1819 an seinen neugezogenen Grenzen Zoll erhob. Die Einführung einer Verfassung in Sachsen 1831 und mancherlei daran anschließende Reformen im Gewerbewesen besserten die Lage. Am 1. Januar 1834 trat der Deutsche Zollverein in Kraft, und sogleich entwickelte sich in Aue rege Baumwollindustrie. Nach dem Notjahr 1847, das großen Teilen des Erzgebirges Hungerzeit brachte, nahmen an der Revolution 1848/49 auch freiheitlich gesinnte Männer aus Aue teil, darunter der Kantorssohn Schurig. Für die Entfaltung der Auer Wirtschaft wurde die Einführung der Gewerbefreiheit 1861 wichtig, ζ. B. fiel der Innungszwang weg. Aber eine Krise in USA und der Nordamerikanische Bürgerkrieg 1861/65 brachten den Zusammenbruch vieler erzgebirgischer Baumwollbetriebe, weil die amerikanische Rohbaumwolle ausblieb. Auch einer der größten Fabriken Sachsens, der Lauknerschen Spinnerei in Aue, blieb das plötzliche Ende nicht erspart, und damit entstand Arbeitslosigkeit. Im Krieg 1866 marschierten Preußen in Sachsen ein, und dessen Wirtschaft lag darnieder. Sachsens Beitritt zum Norddeutschen Bund half auch der Auer Industrie weiter, brachte allgemeines Wahlrecht, einheitliche Maße, Münzen und Gewichte sowie die Einheitstarife der Norddeutschen Post. Nach dem Kriege von 1870/71 und der Reichsgründung entwickelte sich die deutsche Wirtschaft sprunghaft in den Gründerjahren, wurde aber durch die Krise 1873—79 schwer zurückgeworfen. Ihr fiel ζ. B. der Bahnbau Chemnitz—Aue—Adorf zunächst zum Opfer. Erst mit Hilfe des sächsischen Staates konnte diese Linie 1875 fertiggestellt werden. Fabrikinspektion (1872), Krankenkassen (1883), Unfallversicherung (1884), Alters- und Invalidenrenten (1887) machten sich fortan in der Entwicklung des Wirtschaftslebens geltend. 1891 erschien das Arbeiterschutzgesetz, das besonders in bezug auf Kinderarbeit erste Sozialmaßnahmen brachte. Nach Jahren wirtschaftlicher Blüte wirkte sich die Krise 1902/3 so schwer in Aue aus, daß vier Betriebe schlossen und 1000 Arbeiter entlassen wurden. Die Entwicklung von Aktiengesellschaften war in Aue nicht sehr stark. Zwar hatte schon die Mechanische Weberei Auerhammer als AG 1837 begonnen. Aber erst 1910 folgten Hiltmann und Lorenz (Hilo), 1911 Wäschefabrik Gebrüder Simon, 1912 Wäschefabrik Gantenberg und 1913 Besteckfabrik August Wellner Söhne. Gottlieb Wellners Firma war 1906 GmbH und wurde 1922 Aktiengesellschaft. ») Μ ο 11 e k S. 52, 58, 86

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Industriegeschichte von Aue

Beide Weltkriege haben Aues Wirtschaft stark verändert. Waren in diesen Zeitläuften viele Betriebe auf Kriegslieferungen umgestellt, so brachten 1918 und 1945 um so schwerere Rückschläge, zumal Aue beidemal mit Lebensmitteln sehr schlecht versorgt war, viele Firmen eingingen und Arbeitskräfte abwanderten. Dazwischen brachte, wie überall in Deutschland, die Krisenzeit um 1930 schwerste Arbeitslosigkeit, denn die überseeischen Märkte, wohin Aue viel lieferte, brachen zusammen. Der Wiederbeginn 1945 setzte damit ein, daß aus Restbeständen und Kriegsmaterial Gebrauchswaren zu schaffen versucht wurde. Diese Zeit muß künftig noch genauer erforscht werden. Auf einer Leistungsschau im Mai 1945 gab die Industrie- und Handelskammer Aue, die damals im Kreis Schwarzenberg und dem Stadtkreis Aue insgesamt 880 Industriebetriebe betreute, für Aue-Stadt 63 Industriebetriebe an, davon 9 der Metallurgie, 30 dem Maschinenbau, 7 der Elektrotechnik angehörten, 5 als diemische Industrie, 4 Bauindustrie, 5 Holzindustrie, 1 Textilindustrie, 6 Polygraphische, 7 Leichtindustrie, 4 Lebensmittelindustrie bezeichnet wurden. Dann begann die Demontage sehr vieler, gerade für Aue höchst wichtiger Fabriken, besonders aus der Metall- und Maschinenbranche. Mit wenigen übrig gebliebenen, veralteten Maschinen fingen mutige Arbeiter den Wiederaufbau ihrer Werke an. Starke Veränderungen brachte dann die Uranbergbauzeit nach 1946, ζ. B. durch die Umstellung einer großen Maschinenfabrik auf Bergwerksbedarf oder durch die Übersiedlung von Objekt 100 der Wismut AG in Teile der Nidcelhütte, ganz abgesehen davon, daß der Bergbau viele Menschen an sich zog, die bisher in Fabriken tätig gewesen waren. Langsam setzte planmäßiger Wiederaufbau ein. Die meisten Fabriken wurden verstaatlicht. Verwandte Betriebe mußten sich zusammenschließen, andere organisierten sich neu oder bekamen neue Aufträge. Auch die Stellung der Privatfirmen und Fabriken mit staatlicher Beteiligung wurde geregelt. Innerbetriebliche Wettbewerbe und Leistungsvergleiche zwischen einzelnen Betrieben (ζ. B. Halbzeugwerk Auerhammer mit seinem Schwesterwerk Grünthal) sowie das Streben nach Qualität oder nach einer führenden Stellung auf dem Weltmarkt brachten die Industrie von Aue wieder vorwärts.

II. E i n z e l e t a p p e n d e r

Industrialisierung

1. V o r s t u f e n a) Gewerbe Seit dem 17. Jahrhundert lassen sich in dem kleinen Dorf Aue, das 1626 Stadtrecht erhielt 3e , Handwerker feststellen. Die Innung der Fleischer ist bis ») M ü l l e r S. 11.

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Industriegeschichte von Aue

Beide Weltkriege haben Aues Wirtschaft stark verändert. Waren in diesen Zeitläuften viele Betriebe auf Kriegslieferungen umgestellt, so brachten 1918 und 1945 um so schwerere Rückschläge, zumal Aue beidemal mit Lebensmitteln sehr schlecht versorgt war, viele Firmen eingingen und Arbeitskräfte abwanderten. Dazwischen brachte, wie überall in Deutschland, die Krisenzeit um 1930 schwerste Arbeitslosigkeit, denn die überseeischen Märkte, wohin Aue viel lieferte, brachen zusammen. Der Wiederbeginn 1945 setzte damit ein, daß aus Restbeständen und Kriegsmaterial Gebrauchswaren zu schaffen versucht wurde. Diese Zeit muß künftig noch genauer erforscht werden. Auf einer Leistungsschau im Mai 1945 gab die Industrie- und Handelskammer Aue, die damals im Kreis Schwarzenberg und dem Stadtkreis Aue insgesamt 880 Industriebetriebe betreute, für Aue-Stadt 63 Industriebetriebe an, davon 9 der Metallurgie, 30 dem Maschinenbau, 7 der Elektrotechnik angehörten, 5 als diemische Industrie, 4 Bauindustrie, 5 Holzindustrie, 1 Textilindustrie, 6 Polygraphische, 7 Leichtindustrie, 4 Lebensmittelindustrie bezeichnet wurden. Dann begann die Demontage sehr vieler, gerade für Aue höchst wichtiger Fabriken, besonders aus der Metall- und Maschinenbranche. Mit wenigen übrig gebliebenen, veralteten Maschinen fingen mutige Arbeiter den Wiederaufbau ihrer Werke an. Starke Veränderungen brachte dann die Uranbergbauzeit nach 1946, ζ. B. durch die Umstellung einer großen Maschinenfabrik auf Bergwerksbedarf oder durch die Übersiedlung von Objekt 100 der Wismut AG in Teile der Nidcelhütte, ganz abgesehen davon, daß der Bergbau viele Menschen an sich zog, die bisher in Fabriken tätig gewesen waren. Langsam setzte planmäßiger Wiederaufbau ein. Die meisten Fabriken wurden verstaatlicht. Verwandte Betriebe mußten sich zusammenschließen, andere organisierten sich neu oder bekamen neue Aufträge. Auch die Stellung der Privatfirmen und Fabriken mit staatlicher Beteiligung wurde geregelt. Innerbetriebliche Wettbewerbe und Leistungsvergleiche zwischen einzelnen Betrieben (ζ. B. Halbzeugwerk Auerhammer mit seinem Schwesterwerk Grünthal) sowie das Streben nach Qualität oder nach einer führenden Stellung auf dem Weltmarkt brachten die Industrie von Aue wieder vorwärts.

II. E i n z e l e t a p p e n d e r

Industrialisierung

1. V o r s t u f e n a) Gewerbe Seit dem 17. Jahrhundert lassen sich in dem kleinen Dorf Aue, das 1626 Stadtrecht erhielt 3e , Handwerker feststellen. Die Innung der Fleischer ist bis ») M ü l l e r S. 11.

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Einzeletappen der Industrialisierung

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auf 1627 zurückzuverfolgen. Sie feierte 1927 ihr dreihundertjähriges Bestehen. Nachdem schwerste Nöte des Dreißigjährigen Krieges überwunden waren, darunter die völlige Zerstörung der Stadt 1632 durch die Truppen Wallensteins, gab es 1662 außer Bäckern, Fleischern, Schmieden auch Schneider, Schuster, Böttcher, Tischler, Wagner, Töpfer, Schlosser, Lohgerber und Leineweber im Ort. Von dieser Gesamtinnung trennten sich Schmiede, Fleischhauer und Tischler und bildeten je selbst eine Innung. 1722 wurde eine Zimmermannsinnung gegründet, der 3 Meister und 9 Gesellen beitraten. 1795 berichten die „Erzgebirgischen Blätter" von 48 „Professionisten" in der Stadt 4 0 . 1846 erwähnt Richter 41 als Berufe Schneider, Flaschner (Klempner), Nagel- und Zweckenschmiede, Gürtler, Steinmetze, Bergleute und Waldarbeiter. Die Gürtler standen bereits im Dienste der Neusilberindustrie. Dies Handwerksleben bestimmte neben dem seit 1661 regen Bergbau 42 , den zwei Jahrmärkten, steigendem Frachtverkehr, dem viele Fuhrleute dienten, und eifrigem Hausierertum das wirtschaftliche Gesicht der Stadt bis ins 19. Jahrhundert. Sie wurden Grundlagen der Industrialisierung. Doch ist aus keinem der Handwerke eine Industrie hervorgewachsen wie etwa bei den Städten Lößnitz, Zwönitz, Ehrenfriedersdorf aus starkem Schuhmacherhandwerk Schuhfabrikation oder aus Annaberger Posamentierhandwerk Posamentenindustrie. b) Mühlen

Besonders gehören die Mühlen zu den Vorstufen der Industrie, zumal nicht wenige Fabriken Aues auf den Plätzen ehemaliger Mühlen stehen 43 . Vorhanden waren im Auer Tal um 1800 fünf Mühlen, die Mehl und Bretter lieferten, zwei Hammerwerke, zwei Hüttenwerke und Vitriolhütten. Die Mühlen gehen sicher auf frühe Zeiten zurück, sind aber i. a. erst im 16. Jahrhundert faßbar. 1607 wird die Fischermühle genannt. An deren Stelle nutzt seit langem die Firma Curt Bauer die Wasserkraft; sie hat außerdem die Zellmühle mit übernommen, die an Stelle des Gasthauses Muldental auf Zeller Seite am Schwarzwasser stand. Sie heißt 1617 Weißmühle, 1758 Wolffersdorffsche Mühle, denn sie gehörte dem Besitzer des Rittergutes Klösterlein, der Familie von Wolffersdorff. 1847 übernahm Friedrich Listner die Anlage und baute sie 1893 als Handelsmühle erheblich um. Auch unter seinem Sohne Heinrich hieß sie Listnermühle, und dieser Name blieb an ihr haften. Erst 1917 stellte sie ihren Mühlenbetrieb ein und wurde ein Teil der großen benachbarten Baumwollweberei Curt Bauer. Nach 1946 40

) ) 42 ) 43 ) 41

Erzgebirgische Blätter. R i c h t e r I S. 424. Festschrift Sieber 1962. P e c k S . 126; Ο e r t e 1 S. 180 f.

Industriegesdhichte von Aue

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war ein Bergarbeiterlager hier untergebracht. Später sind die Räume anderen Zwecken zugeführt worden. Am Mühlgraben, der von der Mulde abzweigt, früher offen den Markt überquerte, aber längst überbaut ist und zwischen Schwarzwasser und Mulde ausfließt, lag noch die Michelmühle, heute Bahnhofstraße 6. Weiter oberhalb soll vor Erbauung der Holbergschen Bleicherei (jetzt Textima) noch eine Mühle gestanden haben. Zwischen Neumarkt und Schwarzwasser lag 1607 die Laucknersche Mühle, Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Sägewerkbesitzer Tauber als Taubermühle bezeichnet. Dort entstand die Maschinenfabrik Hiltmann und Lorenz. Am Niederschlemaer Weg befand sich die Teichmühle, 1650—1900 nachweisbar (heute Autolicht). An der Auerhammerstraße wird 1650 die Gräßlersche Mühle genannt, zu der Wasser vom Zschorlaubadi abgeleitet wurde. Dort entstand 1872 die Maschinenfabrik Schorler und Steubler. Die Straße heißt noch Mühlstraße. Vermutlich lag auch an der Stelle der späteren Lauknerschen Spinnerei eine Mühle, 1702 als Heidelmühle bezeichnet. Zum Auerhammer gehörte, wie bei großen Hüttenwerken notwendig, eine Mühle, ebenso eine Mahlmühle zum Blaufarbenwerk Niederpfannenstiel (Nickelhütte). Der Zusammenhang zwischen Mühlen und Industrialisierung ist damit klargestellt. c) Hammerwerke

Die ältere Geschichte des Auerhammers soll hier nicht verfolgt werden 44 . Er bestand bereits im Anfang des 16. Jahrhunderts, gehörte lange Zeit dem bedeutenden Bergherrn Veit Hans Schnorr dem Älteren und bis 1715 seinem gleichnamigen Sohne. Als wichtige Eisenhütte mit Eisenbergwerken, Hochofen, Blechfeuern, einem Zinnhaus usw. hielt sich das umfängliche Werk zur konzernartigen Erzgebirgischen Bledikompanie 45 , stellte Schwarz- und Weißblech, Eisenguß und vielerlei Eisenwaren her, eine wahrhafte „Bergfabrik" 48, zu der audi eine Schmiede, eine Mühle, Brauerei, Landwirtschaft und Wald gehörten. Dieses einst im Erzgebirge führende Werk geriet mit dem allgemeinen Sterben der erzgebirgischen Hammerwerke in Verfall. 1812 beschäftigte Karl Rauh noch 14 Arbeiter 47 . 1819 lag der Hochofen still, wurde zwar 1826 nochmals 28 Wochen in Gang gehalten (die Schmiede fertigten hauptsächlich Schaufeln und Pflugscharen), aber 1829 kam der Auerhammer zur Liquidation. Der Fiskus übernahm ihn und verkaufte seine Teile. So erwarb Christian Wellner den Zainhammer. Hauptkäufer war

") «) M ) 4? )

S i e b e r , Auerhammer; S c h i f f n e r - G r ä b n e r S . 97. S i e b e r , Bledikompanie; R i e b e 1 S. 89 ff. S i e b e r , Bergfabriken. Auszüge aus Schwarzenberger Akten.

Einzeletappen der Industrialisierung

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Dr. Ε. A. Geitner in Schneeberg, der 1823 das Neusilber (von ihm Argentan genannt) erfunden hatte 48 , deshalb Walz- und Streckwerke brauchte, um seine Erfindung zu verwerten. Es war ihm gelungen, aus der Nickelspeise, die bei den benachbarten Blaufarbenwerken anfiel, Nickel im großen zu gewinnen, das er mit Kupfer (55 %>) und Zink (25 % ) zu Argentan legierte. Aus dieser Erfindung ging mit der Zeit die Auer Besteckindustrie hervor. Das Geitnersche Werk im ehemaligen Auerhammer wurde für die gesamte Industrie von Aue ein bemerkenswerter Anfang (vgl. dazu S. 60 und 131 ff.). Eisen verarbeitete auch der Zeller Hammer, seit 1547 bekannt und 1633 von Wallensteins Truppen zerstört 49 . Er lag ursprünglich dort, wo 1635 Blaufarbenwerk Niederpfannenstiel (Nickelhütte) erbaut wurde. Da das Blaufarbenwerk den Platz des zerstörten Hammers einnahm, wurde der Zeller Hammer zunächst am Schwarzwasser weiter abwärts neu aufgebaut und später nochmals verlegt. 1742 stand er oberhalb der Kirche Klösterlein am Einfluß des Lößnitzbaches in die Mulde. Er gehörte der Waffenschmiedsfamilie Günther, später den Viewegs. Wir müssen ihn uns ähnlich vorstellen wie den heute als technisches Denkmal bekannten Frohnauer Hammer 5 0 . 1826 noch in Betrieb, war er Mitte des 19. Jahrhunderts, wie Bilder zeigen, Ruine. Die Wasserkraft erwarb 1876 Erdmann Kircheis, um seine Fabrik für Blechbearbeitungsmaschinen (heute Blema) dort anzulegen. So ist audi aus diesem Hammerwerk eine für Aue charakteristische Fabrik hervorgegangen. Mit den Eisenwerken hing die Arbeit der Löffelschmiede und der Nagelschmiede zusammen, die von ihnen eiserne Platten zum Ausschmieden von Löffelformen oder Roheisen für Nägel bezogen. Ein Löffelschmied ist bereits 1622 in Aue nachweisbar. Zwei Löffelplattenschmiedefeuer sind 1774 vorhanden. Damals wurde der Plan erwogen, im ganzen Westerzgebirge alle Plattenschmiede, die zunächst Vorformen der eisernen Löffel ausschmiedeten, und alle Löffelschmiede, die aus diesen Platten Löffel austieften und beschnitten, samt den 13 Zinnhäusern, in denen diese Löffel verzinnt wurden, zusammenzuschließen. Als Orte des Löffelgewerbes kamen damals in Betracht Bernsbach, Beierfeld, Grünhain, Sachsenfeld, der Raschaugrund, Schwarzenberg, Lauter und Zschortau. In Aue sollte das große Löffellager eingerichtet werden, hier sollten sich Hausierer oder andere Käufer die Löffel aussuchen und zum Verkauf bringen. Lieferte das Erzgebirge doch damals jährlich viele Millionen Dutzend Löffel aus Eisenblech und verzinnt in 14 Sorten vom größten Gemüselöffel bis zum kleinsten Kinderlöffelchen. Daß Aue damals als Hauptplatz dieses Löffelgewerbes vorgesehen war,

49

) S i e b e r , Geitner S. 110 ff. ) S c h i f f n e r - G r ä b n e r S . 99; Ο e r t e 1 S. 230. 50 ) S i e b e r , Frohnauer Hammer. 4g

Industriegeschidite von Aue

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zeugt davon, daß allmählich seine Bedeutung — besonders aufgrund seiner L a g e zwischen den angeschlossenen Orten und an der Poststraße Schneeberg—Grünhain—Annaberg — wuchs. Leider konnten die Platten- und Löffelschmiede sowie die Zinnhäuser nicht unter einen H u t kommen. Der Plan wurde nicht verwirklicht. 1795 gab es fünf, 1815 noch zwei Plattenschmiedefeuer in Aue. In gewisser Weise sind diese Löffelmadier Vorläufer der Auer Besteckindustrie 5 1 . Ferner arbeiteten Nagelschmiede in A u e 5 2 , wenn audi nicht so zahlreich wie in Elterlein und im Raschaugrund. Anders als die beruflich freien Löffelmacher waren sie ein zünftiges Handwerk, gehörten in Aue zur Schmiedeinnung 5 3 . Die im Erzgebirge häufigen Nadler, die Eisendraht der Hammerwerke verarbeiteten und vor allem N a d e l n für den Klöppelsack lieferten, ließen in Aue sich nicht feststellen. Dagegen gibt es Akten über die von Salzer in der stillgelegten Auer Zinnhütte 1804 geplante Nähnadelfabrik, die ihre Arbeit aber wohl nicht aufgenommen hat. Jedenfalls ist Eisenindustrie vorgebildet in den Hammerwerken und ihren Anhängseln. Die Männer des Auer Tales waren jahrhundertelang mit Eisenguß und Eisenarbeit sowie mit Blechherstellung vertraut — kein Wunder, daß hier Maschinenfabriken und Metallwarenherstellung günstigen Boden fanden. Die Erzeugnisse der Hammerwerke, der Löffel- und Nagelschmiede, blaue Farbe von der heutigen Nickelhütte, Schwefel und andere Hüttenerzeugnisse, Weiße Erde von der berühmten Auer Kaolinzeche — all das wurde von Frachtfuhrleuten und Hausierern aus Aue weithin vertrieben, und diese nahmen Klöppelspitzen von Frauen und Mädchen des Auer Tales mit. In allgemeinstem Sinne gehört ja Spitzenklöppeln, audi wenn es vorwiegend für Verleger, seltener manufakturmäßig ausgeübt wurde, zu den Vorstufen der Industrialisierung, in diesem Falle zur Textilindustrie 5 4 . d) Hüttenwerke Die Zinnhütte, 1662 erbaut, später außerdem als Silberhütte mit verwendet 5 5 , hat etwa 150 Jahre lang den Auerhammer und andere Hammerwerke sowie die Zinnhäuser der Löffelschmiede beliefert. Gehämmerte Schwarzbleche wurden damit verzinnt, ebenso die Blechlöffel, während Zinngießer, ζ. B. in Schneeberg und Lößnitz, für ihre als Gebraudisware viel begehrten Krüge, Schalen, Teller, Schüsseln usw. in Aue ebenfalls Zinn kaufen konnten. D a s Auer Zinn war wegen seines schönen „Spiegels" begehrt. ) ) 53 ) 54 ) 55 ) 51

62

S i e b e r , Löffelschmiede. S i e b e r , Nagelschmiede. S i e b e r , Nagelschmiede; Festschrift Sieber 1923 S. 28. S i e b e r , Spitzenklöppelei S. 37. S i e b e r , Zinnhütten.

Einzeletappen der Industrialisierung

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Neben ihr hatte um 1670 Hüttenschreiber Lindemann eine Rausdigelbhütte errichtet, die Arsentrisulfid herstellte und lange Zeit gut beschäftigt war 5 8 . Verwendet wurden ihre Erzeugnisse als Malerfarbe „Königsblau" und beim Blaufärben von Indigo. Ferner entstanden Vitriolölbrennereien in Aue: 1760 war ein Laborant in Zelle tätig, 1794 zwei Vitriol- und Scheidewasserlaboranten in Aue, und 1823 bestand noch eine Vitriolbrennhütte, die Stadtrichter Heinz gehörte, aber aus Holzmangel stillgelegt werden mußte 57 . Das wichtigste Hüttenwerk im Auer Tale war das Blaufarbenwerk Niederpfannenstiel. Seine Geschichte ist ausführlich dargestellt worden 58 , daher sind hier nur kurze Angaben darüber nötig. 1635, in ärgsten Notjahren und kurz nach Zerstörung der ganzen Stadt Aue wagemutig von Veit Schnorr d. Ält. gegründet, verarbeitete es Kobalt aus erzgebirgischen Bergwerken zu der sehr begehrten blauen Farbe, wie sie ζ. B. auf Delfter Kacheln in Holland, in venezianischen Gläsern und später in der Meißener Porzellanmanufaktur (Kobaltblau) erscheint. Außerdem benutzte man in Niederpfannenstiel Wismuterze. Dieses nunmehr weit über 300 Jahre ununterbrochen in Gang befindliche Hüttenwerk soll hier an dieser Stelle gleich bis zur Gegenwart verfolgt werden, wo es noch immer einen der wichtigsten Industriebetriebe von Aue darstellt. Es ist eine der für die sächsische Wirtschaft so charakteristischen „Bergfabriken" 59 . Sie nutzte Wasserkraft in Naß- und Trockenpochwerken und wandte starke Arbeitsteilung an. In „Glasöfen" wurden sorgfältig zubereitete „Gemenge" zusammengeschmolzen, sodann dieses sogenannte „Glas" (das aber mit dem Glas der Glashütten wenig gemein hat) klein gepocht und gemahlen, schließlich staubfein gerieben, gewaschen, zuletzt in sehr heißen „Treugstuben" getrocknet. 1689 waren für diese vielfältigen hüttenchemischen Arbeiten 14 Arbeiter tätig, 1723 zwei leitende Beamte (Farbmeister als technischer, Faktor als geschäftlicher Leiter) mit 24 Arbeitern. Inzwischen waren vier weitere „Farbmühlen" entstanden, darunter Oberschlema, das sogenannte „Doppelwerk", das dem Kurfürsten gehörte. Mit ihnen Schloß Niederpfannenstiel schon im 17. Jahrhundert eine Art Konzern, die „Feste Hand", die jahrhundertelang sich bewährte 60 . Diese Zusammenarbeit regelte die Förderung der Erze, die großenteils aus eigenen Schächten kamen, sorgte für gleichmäßige Verteilung der Kobalte an die Werke, bestimmte Menge, Güte und Preis der Erzeugnisse, unterhielt große Farblager in Schneeberg, Leipzig, Hamburg usw. und belieferte weite Teile Europas, Asiens, sowie über England auch Amerika. Ζ. B. gehörte um 1700 5e ) ") 58 ) 5i ) eo )

Festschrift S i e b e r, S i e b e r, S i e b e r, S i e b e r,

Sieber 1923 S. 42. Vitriolhütten S. 84. Blaufarbenwerk. Bergfabriken S. 292 ff. Oberschlema.

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Industriegesdiichte von Aue

auch Rußland und selbst das ferne Armenien zu den Abnehmern. Alljährlich auf der Ostermesse in Leipzig erfolgte die gemeinsame Abrechnung der Werke, und dort wurden auch neue Richtlinien für die weitere Arbeit beschlossen. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich das Blaufarbenwerk Niederpfannenstiel unter der Fürsorge des Oberberghauptmanns Herder lebhaft aufwärts. Seine Farbmeister schufen neue diemische Methoden, so daß die Werke neben allen denkbaren Sorten „blau" weitere wertvolle Metallfarben wie grün, rosa, braun usw. liefern konnten. Zwei Werke wurden mit Niederpfannenstiel 81 vereinigt, als das künstliche Ultramarin im Welthandel auftauchte. Dieses älteste Werk wurde damit „Dreifünftelwerk" und behauptete seine Führung gegenüber dem „Doppelwerk" Oberschlema, das königlicher, später staatlicher Besitz blieb, wogegen Niederpfannenstiel einem „Blaufarbenwerksverein" (einer Art Aktiengesellschaft) gehörte. Als erzgebirgische Bergwerke sich erschöpften, bezog Niederpfannenstiel um 1870 Erze aus dem Kaukasus und aus Norwegen und errichtete in Norwegen das Zweigwerk Modum. Neben Farben und Wismutpräparaten wurde die Darstellung von Nickel aufgenommen. Wismuterze kamen bald danach aus Bolivien, und seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts behauptete dieses Hüttenwerk in Aue das Wismutmonopol der Welt bis 1914. Selbst aus Neukaledonien, Kanada, China, Katanga bezog es damals Nickelerze. Moderne elektrolytische Verfahren verbesserten die Erzeugnisse. Von allen Verbindungen 1914 durch den Krieg abgeschnitten, wurde das Werk für Kriegszwecke benutzt; es beschäftigte u. a. gefangene Franzosen und Italiener. Nach Kriegsende war es schwer, überseeische Erze heranzuschaffen, ζ. B. aus Indien. Die Farbenherstellung hörte fast ganz auf, da die neuen Anilinfarben die teuren Metallfarben verdrängten. Um so stärker wurde die Nickelerzeugung ausgebaut. Ferner verarbeitete man Kupfer und Arsen zu Pflanzenschutzmitteln wie Spritzcuprai. Nadi schwerem Neuanfang 1945 mußte das Hüttenwerk wenige Jahre später den größten Teil seiner Gebäude für Objekt 100 der Wismut AG räumen, durfte sie aber nach längerer Zeit wieder beziehen. Seit 1951 befindet es sidi in großartigem Neuausbau, da Werk Oberschlema jetzt mit dem Schwesterwerk in Aue zusammengelegt wird, aber auch neue technische Verbesserungen und moderne Arbeitsmethoden neue Räume erfordern. Ein großer Teil der alten, im Laufe der Jahrhunderte ineinander geschachtelten Werkshäuser (darunter das alte getürmte Herrenhaus von 1710, das unter Denkmalschutz stand) mußten fallen, und an ihrer Stelle sind moderne Hüttengebäude aus Glas und Stahl emporgewachsen. Außer Nickel, besonders Reinstnickel, werden in dieser Nickelhütte weiterhin Arsenpräparate, Kupfer und Germanium gewonnen. Die Entwicklung des Werkes von der privilegierten Farbmühle im Besitz der Familie Schnorr el

) S i e b e r , Schindlerswerk.

Einzeletappen der Industrialisierung

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zum Blaufarbenwerksaktienverein des 19. Jahrhunderts, dazu die Beziehungen zur „Festen Hand" sowie zum Staat, der Aktien erworben hatte, oder als Inhaber des Weltmonopols in Wismut sind bezeichnende Beispiele für die Ausbildung eines modernen Betriebes. Seit 1946 ist die Nickelhütte Niederpfannenstiel verstaatlicht. Ihre Belegschaft erreicht ungefähr die Zahl 400. Sie fertigte 1951 Elektronickel, Nickelanoden und Pflanzenschutzmittel. Der zugehörige Produktionsbetrieb Obersdilema lieferte Nickelmetall-Rondelle und Nickelsulfat 62 . 2. H o l z i n d u s t r i e

und v e r w a n d t e

Produktionszweige

Holzmöbelindustrie beschäftigte ebenfalls viele Hände in Aue 83 . 1873 begann die Stuhlfabrik Christian Becher damit, die außer Stühlen auch Tische, Bänke, Hotel- und Wohnungseinrichtungen sowie Schiffsausstattung aufnahm. Sie bestand bis zum Zweiten Weltkrieg. Ernst Wellners Fabrik folgte 1875. In diesen Möbelfabriken wurden Stühle aus Rotbuchenholz gemacht, wozu das Sägewerk Neuschönau im Bayerischen Wald das Holz lieferte. Kopierdrehbänke, Fräs- und Bohrmaschinen halfen Stuhllehnen, Beine und Stuhlsitze fertigen. 2—3 Stunden gedämpft, über Formen gebogen und getrocknet, war das Holz so geschmeidig, daß es die gewünschte Stuhlform annahm 64. Die Holzbildhauerei Schneider in Auerhammer, errichtet an Stelle der Mühle des Hammerwerkes (die 1860 durch Feuer zerstört worden war) 6 5 , beschäftigte 39 Arbeiter, lieferte Möbelteile, audi Teile von Altären und Kanzeln, u. a. für die Nikolaikirche Aue. Rokokoleisten, Tisdi- und Nähtischsäulen waren besonders 1883/84 sehr gefragt". Für den Geschmack der Zeit um 1890, die „Altdeutsche Zimmer" mit viel Ornamenten und figürlichem Schmuck bevorzugte, wurden bei Schneider von tüchtigen Holzbildhauern Möbelteile gefertigt. Sobald um 1900 diese Möbelmode abkam, ging der Absatz des Betriebes zurück. Ferner bestand in Aue eine Holzwarenfabrik mit Dampfbetrieb, die August Knorr 1881 begonnen hatte. Sie lieferte Schrankaufsätze, Konsolen und Drechslereien 47 . Friedrich Taubers Sägewerk, seit 1840 in Gang, war mit Hobeleinrichtung verbunden. Erwähnt sei noch die Steinholzfußbodenfabrik von Ernst Groß, die zwischen 1909 und 1927 feststellbar ist. 1925 arbeiteten in zwei Auer Sägewerken 11 Personen 68 . 1950 waren als Sägee2

) S i e b e r , Von der Farbmühl zur Nickelhütte.

63

) Hamann.

e4

) F i s c h e ι S. 62. 85 ) D r e h e r S. 99; G e b a u e r III, S. 566. ««) G e b a u e r III, S. 582

") H a m a n n a. a. O. e8

) J a h r S. 21.

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Industriegeschichte von Aue

werke in Aue bekannt das von G. A. Bochmann und das von Lederer und Strobel am Niederschlemaer Weg, beide von der Wismut AG übernommen, sowie das von Walter Kürsten in Zelle, auf dessen Zimmerplatz später Wohnhäuser erriditet worden sind. Eine Holzschleiferei in Auerhammer (Toelle und Co.) beschäftigte 1908 24 Arbeiter6®. Angeschlossen an die Darstellung der Holzindustrie sei die der Kartonagenfabrikation, die ζ. T. als Hilfsindustrie der Wäsdiefabrikation aufzufassen ist. Clemens Becker, ursprünglich in Oberpfannenstiel für die dortige Wäscheindustrie als Verpackungslieferant tätig, übersiedelte 1888 nach Aue, um Kartons für Wäsdie, Lagerkästen, Zigarrenkisten aus Holz und Pappe, auch Bierglasuntersetzer aus Abfällen anzufertigen, ferner Faltschachteln und Kistenschoner zu liefern. Prägen, Vergolden, Buchbinderei gehörten zum Betrieb. Aus ihm ging die Firma Clemens Becker Söhne hervor, die Zigarettenschachteln und ähnliche Pappwaren fertigte. Sie bestand 1950 als Clemens Becker K G 7 0 . Noch vorhanden sind die Kartonagefirmen Eugen Lange und Manfred Mehlhorn. Langes Betrieb ist seit langer Zeit mit der Akzidenzdrudterei und Buchbinderei verbunden gewesen71. Papierverarbeitung ist in Aue vertreten durch das Secarewerk. Diese Spezialfabrik für Papierrollen und Einschlagpapier mit Reklamedruck übersiedelte 1903 von Heidenau nach Aue. Sie lieferte nach eigener Erfindung „Secare" Papierabreißapparate, Friseurstuhlrollen, Handwickelrollen, Klosettpapier, Rollen für Telegraphen, Rechenmaschinen, Kontrollkassen, Fahrkartendrucker 72 . Um 1820 begann in Aue C. G. Feistel sehr bescheiden mit der Fabrikation von Schnupftabaksdosen und Zigarrenetuis aus Papiermache 73 . Die kleinen viereckigen oder runden Büchschen wurden geschmackvoll verziert, so recht im Sinne der Biedermeierzeit. Die Deckelbilder zeigen manchmal den Auer Marktplatz oder das Blaufarbenwerk Niederpfannenstiel. Beliebt waren vier Totenköpfe als Deckelbild. Auch Widmungen, Sprüche, Scherzbilder (innen), Klapperndes zwischen den Wänden wurden angebracht, oder der Besteller ließ seinen Namen auf der Dose vermerken. Noch Elfried von Taura 1861 74 sagt: „Einen großen Ruf hat die Feistelsche Papiermad^-Dosen- und Etuifabrik." Eine Dose ging 40mal durch bearbeitende Hände, bevor sie fertig war. Aber anfangs der 70er Jahre ging der Absatz der Dosen zurück, als auch " ) W e i ß b a c h S . 411. 7 °) Festschrift Sieber 1923 S. 79.

71

) Hamann.

» ) Festschrift Sieber 1923 S. 80. 7S ) G e b a u e r III, S. 572. « ) Τ a u r a S. 22.

Einzeletappen der Industrialisierung

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das Schnupfen des berühmten „Schneeberger Schnupftabaks" (der eigentlich aus Bockau stammte) aus der Mode kam 7 5 . Auch lieferte Forbach aus dem ans Deutsche Reich angegliederten Lothringen spottbillige Fabrikate. 1880 wurden Dosen nur noch auf Einzelbestellung hergestellt, da neue Arbeiter für solche Dosen nicht mehr zu beschaffen waren; denn inzwischen zeigte eine ganz andersartige Industrie in Aue starken Bedarf an Arbeitskräften. Einige Dosen sind im Auer Museum vorhanden. Die Bereitung des Lackes, mit dem die Dosen überzogen wurden, so daß sie sehr haltbar waren, war Fabrikgeheimnis. Er brauchte nur geschliffen und poliert zu werden. Derselbe Lack wurde inzwischen in der von Feistel 1863 begonnenen Pfeifenkopfindustrie verwendet. Pfeifenköpfe, auf gewöhnlichen Drehbänken aus schwedischem oder einheimischem Birkenholz, selbst aus Erlenholz oder aus rotem Holz der Amboinapalme gefertigt, wurden innen mit Blech, Ton oder Porzellan gefüttert und dann lackiert. Der Absatz erfolgte bis 1891 durch die Leipziger Messe, dann nahmen das Rheinland, die Niederlande, Frankreich, Österreich-Ungarn einen großen Teil der Auer Produktion auf 7 β . Außer Feistel waren an der Pfeifenkopfindustrie beteiligt Karl Fischer (der sie 1862 aufgebracht hatte und sie sogar mit Dampfkraft betrieb) und die Firma Weinigel. 1871 lieferten die Auer Fabriken wöchentlich bis 380 Dutzend Pfeifenköpfe zum Dutzendpreis von einem Taler. 1890 fertigten nur noch Fischer und Weinigel Pfeifenköpfe, nunmehr mit Beschlägen und Deckeln aus Neusilber, von der Firma Hutschenreuter geliefert 77 . Auch Pfeifenköpfe roh und lackiert sind im Auer Museum vorhanden. 3. B e g i n n d e r

Textilindustrie

Das eigentliche Industriezeitalter hebt für Aue an mit der Gründung von drei großen Textilwerken, die als Antrieb für ihre Maschinen Auer Wasserkräfte nutzten, zugleich die brachliegenden menschlichen Arbeitskräfte, weil sie mit niedrigen Löhnen abgefunden werden konnten, heranziehen wollten. Der Unternehmer Holberg kam im Anfang der 1830er Jahre aus Lößnitz 78 , das damals seine Webindustrie stark entwickelte. Er kaufte eine Mühle an der Mulde, ließ sie wegreißen und benutzte ihre Wasserkraft zu einer Bleich- und Appreturanstalt samt Kunstfärberei. Ihr Trockenturm, acht Stockwerke hoch, überragte beängstigend die Schindeldächer der kleinen Stadt 7 9 . Bald war die Zufuhr von Stoffen, die gebleicht und gefärbt werden sollten, recht mangehaft. Deshalb veranlaßte Holberg die Gründung einer

™) 7e ) 77 ) 7e ) 7 »)

S i e b e r , Arzneilaboranten S. 63. G e b a u e r III, S. 572. Festschrift Sieber 1923 S. 80. D r e h e r S . 105. L i n d n e r I, S. 9.

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Industriegeschichte von Aue

Aktiengesellschaft, einer der ersten derartigen Unternehmungen in Sachsen überhaupt 8 0 . In Leipzig bildete sich ein Konsortium, an dem Kaufleute aus Lößnitz, Schneeberg und Leipzig teil hatten. Dieses bezog, was damals schwierig war, 20 mechanische Webstühle aus England und warb Meister und Arbeiter an. Mit 300 000 Talern Kapital trat 1837 die Mechanische Weberei Auerhammer ins Leben. Das hohe Webereigebäude, umgeben von Arbeiterhäusern, wurde im Stile der damals in Sachsen aufkommenden hochstockigen „Spinnmühlen" 8 1 auf dem Gelände des ehemaligen Hammerwerks Auerhammer erbaut und mit dessen Wasserkraft ausgestattet. Ε. A. Geitner, der einen Teil des Auerhammers gekauft hatte, war Mitaktionär 8 2 . Hammerwerk Erla bei Schwarzenberg und ein englischer Ingenieur richteten diese Baumwollweberei ein. 1837/38 waren bereits einige mechanische Webstühle in Gang. Sie erzeugten gerauhten und ungerauhten Piqui, Kordbarchent und Bettdamast 8 3 . Geplant war das Werk für 400 Stühle. Doch kamen bis 1846 nur 135 in Gang. Sie wurden auch abends bei Gasbeleuchtung bedient. Sämtliche Maschinen wurden von der Wasserkraft angetrieben. Damals beschäftigte die Weberei 100 weibliche und 200 männliche Arbeiter 8 4 . Wieck 85 sagt von ihr: „ H a t sich unter Mühen und Kämpfen Bahn gebrochen." Zunächst war die Fabrik nur einige Jahre in Gang und kam dann in den Besitz und die Verwaltung der Clauß'schen Baumwollspinnerei in Plaue bei Flöha 8 ". Clauß ließ auf 400 Webstühlen jährlich 40 000 Stück Schirting zu 64 Ellen Breite herstellen. Nach Clauß gehörte das Werk der Firma Breslauer, Meyer und Co, Berlin 8 7 . Man zeigte die Fabrik gern Fremden, war auch stolz auf die eigene Krankenunterstützungskasse der Arbeiter. Wieck, der ausgezeichnete Kenner der damaligen sächsischen Industrie, nennt die Einrichtung „musterhaft" 8 8 . Die Unternehmer wechselten. Als das Werk in N o t geriet, lieh die Landesregierung Geld, um es weiterführen zu können. 1857 übernahm die Firma Lilienfeld die Weberei. Fortan wurden Futterstoffe, Futtermusseline und Kattune hergestellt8®. 1862 wurden vorübergehend statt baumwollener Webwaren wollene Fabrikate, sog. Orleans, aufgenommen 9 0 . Der Absatz ins Ausland war in den 80iger Jahren erschwert durch hohe Zölle. Auch die böhmische Konkurrenz beein) ) 82 ) 8S) M) 85 ) 8e) 87 ) 88) 8e) 80 el

W i e c k S. 388; Album 100. S i e b e r , Spinnmühlen. D r e h e r S . 105. G e b a u e r II, S. 557. R i c h t e r II, S. 427. W i e c k S . 40. R i c h t e r II, S. 400. Album S. 100. W i e c k S . 388. G e b a u e r II, S. 555; Glückauf! 1891, S. 105. Jahresbericht Handelskammer 1863, S. 98.

Einzeletappen der Industrialisierung

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träditigte ihn, und besonders in Schirting war 1884/85 ein Rückgang zu verzeichnen. Bis 1889 war die Ausfuhr nadi Südamerika wichtig 9 1 . Um 1890 wird die Arbeiterzahl mit 500 angegeben 92 . Im Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigte die Lilienfeldsche Weberei über 200 Menschen 93 . 1894 stellten 48 Arbeiter und 290 Arbeiterinnen Nessel- und Futterstoffe her sowie Kattun 9 4 . Um 1930 wurde die Fabrik stillgelegt. Das große Gebäude diente im Zweiten Weltkrieg als Lager für Fremdarbeiter. In der letzten Kriegszeit zerstörte ein Brand den schönen gewölbten Dachstuhl. Leider wurde das neue Dach nur grob aufgesetzt und damit die Eigenart des Gebäudes unschön verändert. Holbergs Bleicherei, der Wieck 9 5 unter 41 sächsischen Bleichereien die zweite Stelle einräumt (1843), konnte sich nicht halten. 1849 wurde sie für 12 692 Taler versteigert. Ernst Geßner aus Lößnitz kaufte sie, um darin Tuche zu fabrizieren. Denn er gehörte zu den vielen gleichnamigen Lößnitzern 9 β , die fast alle Tuchmacher waren, hatte auch Tuchmadierei gelernt und war als wandernder Tuchmachergeselle in viele Tuchstädte gekommen. Er wollte in Aue Buckskinstoffe in doppelter Breite weben. Freilich war es schwer, in Aue, wo es keine Tuchmacher gab, Arbeiter anzulernen, und die ihm zur Verfügung stehenden Maschinen genügten ihm bald nicht. Er erfand Verbesserungen und geeignete Maschinen, mußte sie aber zunächst außerhalb Aues bauen lassen, bis er allmählich seine Fabrik von Tuchmacherei auf Maschinenbau umstellte. Uber diese Fabrik s. u. S. 116. Statt des acht Stockwerk hohen Trockenturms waren später zwei vierstöckige vorhanden. Einer wurde 1956 abgetragen, so daß nur noch ein Turm mit vier Etagen an den Holbergschen Bau erinnert. Der dritte der großen Auer Baumwollbetriebe, die Baumwollspinnerei der Gebrüder Laukner, wird im Album der sächsischen Industrie S. 123 9 7 folgendermaßen geschildert: „In geringer Entfernung vom Städtchen liegt sie in einem romantischen Tal, umgeben von Gartenanlagen. Sie besteht aus einem Hauptgebäude, worin das Komptoir, die Baumwollspinnerei und der Maschinenbau untergebracht sind. Ein Dampfkessel- und Dampfmaschinenhaus schließt sich an. Dann folgen das Wohnhaus des Besitzers, die Hausmannswohnung, eine Scheune, Stallungen für Pferde und Kühe. Einige Felder gehören dazu. Die Spinnerei erzeugt die Sorte Princeps 30—40 für mechanische Webereien. Die Maschinenbauanstalt liefert Spinnmaschinen und 91 ) •2) •s) »4) βδ) *>) ")

G e b a u e r II, S. 557. Glückauf! 1891, S. 105. Festschrift Sieber 1923 S. 51. W e i ß b a c h S. 411. W i e c k S . 52. S i e b e r , Geßner. Album S. 121—123.

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Industriegeschichte von Aue

Teile derselben, meist für den eigenen Bedarf. Die Gespinste werden in Aue, in der Chemnitzer Gegend und in Preußen abgesetzt." Mitte des 19. Jahrhunderts liefen 6000 Spindeln (Seifaktors) durch Wasserkraft getrieben. Die Dampfmaschine mit 25/30 PS diente als Reserve bei Wassermangel. Die Gebrüder Laukner haben den 1825 von dem Engländer Roberts erfundenen Seifaktor (mechanischen Aufwinder) um 1840 verbessert und sich patentieren lassen. Der erste davon war in der Maschinenbauanstalt Schlema der Gebrüder Schönherr (später in Chemnitz) gebaut worden. Unter den 70 Arbeitern der Lauknerschen Spinnerei waren damals 8 Maschinenbauer. Ursprünglich gründeten R. und C. Laukner 1836 die Fabrik, um Kammgarn zu spinnen, wandten sich dann der Baumwollspinnerei zu und begannen mit 3024 Spindeln 68 . Kenner rühmten die Erzeugnisse der Fabrik, und 1850 erhielt sie auf einer Ausstellung in Leipzig eine silberne Medaille. So lagen ab 1836 zunächst drei Baumwollfirmen nebeneinander im Auer Tale. Die Rohbaumwolle wurde auf Frachtwagen über die Berge herangebracht; dann lieferte eine Firma der andern ihre Erzeugnisse, und die Fertigware gelangte auf demselben Weg aus dem Talkessel hinaus, ein vorzügliches Beispiel geplanter Zusammenarbeit. Aber nachdem Holbergs Bleicherei eingegangen war, fand die viel besser fundierte Lauknersche Spinnerei in der Baumwollhungersnot, der so viele erzgebirgische „Spinnmühlen" erlagen, ihr Ende. Die Fabrikanlagen, von denen das Hauptgebäude noch an der Trutenaustraße steht, wurden von Ε. A. Geitner übernommen. Er richtete 1864 darin eine Farbenfabrik e i n " . Nodi 1905 bestand sie in Aue, wurde aber dann nach Schneeberg verlegt. Nach Geitner zogen verschiedene Betriebe in das große alte Fabrikgebäude ein. Hier soll anschließend die heutige Auer Weberei Curt Bauer behandelt werden, wiewohl sie mit Aues erster Baumwollzeit nicht zusammenhängt. In der Langmühle erbaute 1866 der Weber E. G. Geißler eine mechanische Weberei, aber längere Zeit behielt August Wellner (siehe Neusilberindustrie) noch Räume in dieser Anlage für seine Metallfabrikation. Die Berliner Baumwollfirma S. Wolle und ihr Auer Vertreter Alwin Bauer übernahmen 1882 die Geißlersche Weberei und bauten sie weiter aus. Anfangs wurden Piq^barchent, Rauhpiqu^ und leinene Bettdamaste gefertigt 100 . Mit wachsendem Umsatz und steigenden Anforderungen erhöhte sich die Zahl der Webstühle und sonstigen Einrichtungen, natürlich audi die der Arbeiter. Neue Gebäude wurden errichtet und Gleisanschluß zur Bahn hergestellt. Zur Wasserkraft des von der Mulde abgeleiteten Mühlgrabens, der unter dem Markt fließt und vordem die Langmühle trieb, wurde am Gasthaus ββ ) ebd.: W i e c k , S. 121; Festschrift Sieber 1923 S. 50. «) Glückauf! 1891, S. 106. 10 °) D r e h e r S . 105.

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Muldental noch eine Wasserkraft des Schwarzwassers neuzeitlich ausgebaut. 1893 gliederte Bauer Bleicherei, Färberei und Appreturanstalt an, um die bis dahin auswärts fertiggestellten Webwaren selbst zu bleidien und elektrolytisch zu appretieren. Zuerst hatte man weißbaumwollene Gewebe gefertigt, ging aber immer mehr dazu über, baumwollene und leinene Tischzeuge, Bettstoffe, Wäschestoffe, Gartendecken und Frottiertücher herzustellen. Um Bleicherei und Appretur ausreichend zu beschäftigen, ließ Bauer 150 neue Webstühle aufstellen, auch neue Artikel aufnehmen 101 . 1903 wurden in der Fabrik von Wolle und Bauer, wie sie nun hieß, 209 Arbeiter und 549 Arbeiterinnen gezählt. Die Löhne in der erzgebirgischen Textilindustrie betrugen um 1907 20 Mark wöchentlich für Männer, 12 Mark für Frauen, 8 Mark für Jugendliche 102 . 1905 waren 500 Stühle in Gang, an denen 950 Arbeiter tätig waren. Hinzuerworben wurde 1898 eine Weberei in Eibau (Lausitz), 1920 in Chemnitz eine eigene Spinnerei errichtet. 1922 waren allein im Auer Betrieb 1200 Angestellte und Arbeiter eingesetzt. Er zerfiel in Spulerei, Zettelei, Schlichterei, Weberei. In technischen Büros wurden die Muster gezeichnet. Veredelt wurden die Gewebe in den Abteilungen Rauherei, Sengerei, Bleicherei, Färberei, Merzerisier- und Appreturanstalt. Handwerker waren für laufende Reparaturen und Bauarbeiten dauernd im Betrieb beschäftigt. 1922 wurden täglich 15 000 m Gewebe erzeugt. Dazu dienten 21 Vorbereitungsmaschinen, 1000 Webstühle, 140 Ausrüstungsmaschinen und -Apparate nebst Bottichen und Bassins. Die Bleichereiabwässer wurden geklärt. 2 Dampf-, 2 Dynamomaschinen und eine Wasserturbine lieferten 1500 PS, und 124 Elektromotore standen zur Verfügung. Die Firma S. Wolle besaß in Berlin ein großes Ein- und Verkaufsbüro, das besonders ein reges Exportgeschäft betrieb. Die Leitung des Auer Betriebes ging 1915 an Curt Bauer über, und später zeichnete die Firma mit dessen Namen 103 . In beiden Weltkriegen mußten Schwierigkeiten in der Beschaffung von Baumwolle mühsam überwunden werden, ζ. B. mit Hilfe einheimischer Nessel. Vor dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte die Firma Curt Bauer 700 Arbeiter. Während des Krieges mußten die größten Gebäudeteile der ausgedehnten Fabrikanlage für Rüstungsindustrie freigemacht werden. Die Maschinen der Bleicherei, Färberei und Appretur wurden rücksichtslos herausgeworfen und verkamen. Webstühle wurden an verschiedenen Stellen notdürftig untergestellt, erlitten aber auch Schäden. 1939 liefen 640 Webstühle, 1945 waren nur noch 45 in Betrieb, und die Arbeiterzahl war auf 125 gesunken. Bis zum Dezember 1945 konnten 160 Webstühle wieder in Betrieb genommen werden, und monatlich entstanden auf ihnen

101 )

S i e g e r t a.a.O. F r o e h η e r S. 14. 10S ) Festschrift Sieber 1923 S. 82—84.

1M)

Industriegesdiichte von Aue

116

40 000 m Gewebe, und z w a r Damast, Inlett, auch etwas Kleiderstoff 1 0 4 . Es fehlten aber geschulte Fachkräfte, besonders Weber und Weberinnen, und der Betrieb begann deshalb, selbst solche heranzubilden. Ferner mangelte es an Rohstoff, so daß der vorgesehene Produktionsplan in den Anfangsjahren nicht erfüllt werden konnte 1 0 5 . 1946 belebte die Einfuhr von Baumwolle aus der U d S S R (30 000 t f ü r die damalige Sowjetzone) die sächsische Textilindustrie l o e . Der jetzige Inhaber, Alexander Bauer, nahm 1957 Staatsbeteiligung auf, und die Firma Curt Bauer ist damit der größte halbstaatliche Betrieb der D D R . Mit den verstaatlichten Webereien in Elsterberg und Oberoderwitz, die gleichfalls Jacquardwebereien sind, ist er zentral dem V V B Baumwolle zugeordnet. In Aue waren 1963 880 Personen im Werk tätig, in Eibau außerdem 280. Die fleißige, zuverlässige Arbeiterschaft erzeugt in dem gut ausgerüsteten Werk Bettdamast, Tischzeuge, Miederstoffe, Matratzendrell, Linon und Arztkleidung. Zu den sozialen Einrichtungen des Betriebes gehören Ruheräume, Bäder und ein Kinderhort mit Wochenheim. 4. V o n

der

Textilindustrie

zum

Maschinenbau

Hatten schon die Laukners durch ihre Erfindung eines Seifaktors den erzgebirgischen Maschinenbau belebt, so noch mehr Ernst Geßner (1826—1897), der erfolgreiche Erfinder und Erbauer von Textilmaschinen (vgl. oben 5. 113) 1 0 6 a . Hier liegt der in Sachsen auch sonst gut zu beobachtende Vorgang einer Ringbildung v o r 1 0 7 : Die sächsische Kernindustrie „Webwarenerzeugung" schafft sich Maschinen-, Hilfs- und Bedarfsindustrie, die wieder Menschen nötig haben und darum neue Betriebe für Nahrung, Werkzeug, Kleidung, Transport erfordern. Der Tuchmacher Ernst Geßner begann erst dicht bei Aue im Lößnitzgrunde mit einer Tuchfabrik (vorher war dort ein Hammerwerk, dann eine Papiermühle gewesen). Er siedelte 1849 nach Aue über in die Holbergsche Bleicherei, wurde, um seine Maschinen instand zu halten und zu verbessern, zum Erfinder immer neuer Vorrichtungen und Maschinen und ging schließlich von der Weberei über zum Maschinenbau, nicht ohne immer aufs neue Fabriken als Versuchsanstalten oder Musterbetriebe für sein System auszustatten. Die Laukners nahebei in ihrer Spinnerei waren teilweise Mitstreiter, teilweise Nebenbuhler; denn außer ihrem Seifaktor haben sie 1859 ein Patent auf einen Florteiler erhalten. Geßner heiratete in ihre Familie ein. ) Sächsische Volkszeitung 10.12. 45. ) Freie Presse 27. 7. 46. l o e ) ebd. 3. 7. 46. io6a) S i e b e r , Geßner. (Mit Auswertung des Geßnerardiivs.) 10 ') R ö 11 i g S. 5. 104

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Einzeletappen der Industrialisierung

117

Freiheitlich gesinnt, wie seine Betätigung 1848/49 zeigt, baute Geßner schon 1850 Maschinen, zunächst für eigenen Bedarf. Dann glückte ihm die Erfindung einer Doppelrauhmaschine mit endlosem Durchgang und medianischem Ausbreiter. Er meldete sie 1853 zum Patent an, verwandte fortan viel Zeit und Mühe und Geld auf Patentstreitigkeiten, da die deutsche Kleinstaaterei das Nachbauen durch fremde Fabrikanten erleichterte. Die Doppelrauhmaschine, die 75 % der Handarbeit beim Rauhen der Tuche entbehrlich machte, erhielt auf der Pariser Weltausstellung ein Diplom N a p o leons III. und verbreitete sich rasch nach England und Amerika. Weitere Erfindungen folgten: 1875 ein Patent für „endlose Band- und Pelzbildung bei Reißkrempeln", 1861 sein besonders wertvoller „Florteiler". 1858 unterbrach ein verheerendes Hochwasserunglück sein Schaffen, da vor allem Geßners Fabrik von der Mulde stark verwüstet worden war. Er trat damals auch tatkräftig für die Hochwassergeschädigten in der Stadt Aue ein und beschaffte Hilfe 1 0 8 . In einem ministeriellen Gutachten heißt es darüber: „Er hat das Maschinenbaugeschäft von Friederici und Schüßler in Chemnitz übernommen, um Maschinen selbst zu bauen . . . In Aue fehlt es gänzlich an Arbeiterwohnungen. Diesem Mangel kann er nicht abhelfen. Auer Einwohner würden solche Wohnungen nicht bauen. Würden Wohnungen nicht beschafft, könnte er gar nicht in Aue bleiben." Es bestand also damals die Gefahr, daß Geßner seine Fabrik von Aue nach Chemnitz verlegte und Aue infolgedessen kaum diese Entwicklung zur Masdiinenbaustadt erlebt hätte. Minister Friedrich Freiherr von Beust (bekannt als Gegenspieler Bismarcks) sagte über Geßner 1861 in einem Vortrag vor dem König: „Für Aue speziell hat Geßner nicht bloß durch Ausdehnung der Fabrik und Einführung des Maschinenbaues, sondern auch in sonstiger Beziehung viel Gutes gewirkt, und es würde gewiß im Interesse dieses Ortes zu beklagen sein, wenn er sich nicht halten könnte." Bis 1859 hatte Geßner bereits über 300 Doppelrauhmaschinen geliefert, w a r aber durch ein großes Rußlandgeschäft in Schwierigkeiten geraten. Denn um die Krise der Webindustrie in England und Amerika in den 50iger Jahren zu überbrücken, hatte er f ü r 35 000 Taler Maschinen nach Moskau geliefert, konnte jedoch keine Bezahlung dafür erlangen. Das sächsische Ministerium hatte ihm gegen Hypothek auf sein Grundstück 25 000 Taler geliehen und lehnte ein weiteres Gesudi um Hilfe ab. Geßner mußte deshalb den Bau seiner Maschinen nach auswärts vergeben, benutzte auch die Klostermühle in Chemnitz, um Rohgußteile herstellen zu lassen. Dorthin wollte er seine Auer Fabrik verlagern. Aber ein Brand zerstörte die Klostermühle. So blieb er in Aue und entwickelte hier seine Maschinenfabrik. Auf weitere Erfindungen von ihm, für die er Patente erwarb und die von 108

) LHA, Ministerium des Innern Nr. 5894.

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Industriegesdiidite von Aue

Aue aus in alle Welt gingen, sei kurz hingewiesen: 1861 „Verbesserungen an Krempeln" und eine Streichmaschine, 1862 ff. der Quer-Legtisch (besonders in England eingeführt), Walzenpressen mit zwei und mehr Mulden, eine Kalander-Muldenpresse, eine Zylinderwalke, die Hammerwalke (1867), die Schermaschine mit zwei Schneidewerkzeugen, der „Postier-Rauh-Apparat" (1865). Als er 1866 die altberühmte Mule-Spinnmaschine Jenny verbessert hatte, nannte er sein neues Modell nach seiner Frau „Mule Marie". Geßners Erfindungen litten unter englischer Konkurrenz, deutscher Kleinstaaterei und der Schwierigkeit, daß man damals in Deutschland froh war, Arbeitskräfte in der Weberei untergebracht zu haben und sich scheute, arbeitssparende Maschinen einzusetzen, wodurch neue Arbeitslosigkeit drohte. Günstig wirkte sich für seinen Maschinenbau die Eisenbahn Zwickau—Aue 1858 aus, besonders wegen Beschaffung der Kohle und Abtransport der schweren Maschinen, vollends die Bahnverbindung mit Chemnitz 1875. Nunmehr baute er in der Auer Fabrik nur Maschinen, verlegte die Tuchmacherei in seine Heimatstadt Lößnitz. Werkzeugmaschinen wie Revolverdrehbänke und die gesamte Schleifeinrichtung für seine Textilmaschinen ließ er in Aue in seiner Fabrik herstellen. Eine eigene Gießerei mit Kupolofen lieferte die Gußstücke. Gegen 1870 begann er auch den Bau von Eisenbahnwaggons für den sächsischen Staat. Auf großen Ausstellungen, ζ. B. der Weltausstellung in Wien 1873, erregten Maschinen aus Aue Aufsehen. An weiteren Erfindungen Geßners seien erwähnt der Speiseapparat zur Reißkrempel, die Velourhebemaschine, die Doppelflorspinnkrempel, Trockenapparate, eine Walkmaschine, eine Drosselmaschine, der Riemenflorteiler usw. Viele Tausende von Maschinen aus Geßners Fabrik gingen nach Europa (namentlich England) und Amerika. 1888 erwähnt Gebauer die Ausfuhr nach Österreich, Rußland, Italien, Schweiz, Belgien, Dänemark, Südamerika usw. 1891 waren 300 Arbeiter und 20 Angestellte bei Geßner tätig. 1893 beschickte er die Weltausstellung Chicago. Im gleichen Jahre legte er auf der Schäferwiese eine große Fabrik an, die noch bis nach 1918 gestanden hat, aber im allgemeinen nicht benutzt wurde. Heute befindet sich dort ein großer Holzplatz der Wismut AG. Geßners Universalrauhmaschine mit 24 rotierenden Walzen leistete das 4—6fache der älteren Doppelrauhmaschine. Nach Ernst Geßners Tode führte sein gleichnamiger Sohn die Firma mit rund 300 Arbeitern weiter. Sie nahm die Lieferung ganzer Spinnerei- und Appreturmaschineneinrichtungen auf, weswegen 1905 ein großer Erweiterungsbau ausgeführt wurde. Im Ersten Weltkrieg erlag der Export der Maschinen. Ein Teil der Fabrik wurde auf Kriegsindustrie umgestellt. Nach 1918 erstand ein Neubau von 5000 qm, dem der hochberühmte Geßnersche Garten, der reich an seltenen Pflanzen war, weichen mußte. Nach des jüngeren Geßner Tod 1920 wurde die Firma 1921 in eine Aktiengesellschaft

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umgewandelt. 1922 waren hier 80 Angestellte und 460 Arbeiter tätig 109 . Vor dem Zweiten Weltkrieg machte der Rußlandexport einen großen Teil der Lieferungen des Werkes aus. Mitte Mai 1945 begann die neue Produktion. Im August 1945 mußte das Werk wegen der von der Sowjetischen Militäradministration angeordneten Demontage die Erzeugung von Textilmaschinen einstellen. Belegschaft, Betriebsrat und Betriebsleiter arbeiteten eng zusammen, um zu Beginn des Jahres 1946 die Fabrikation in geringem Umfange wieder aufzunehmen. 100 Belegschaftsmitglieder begannen mit Ersatzteilen für Textilmaschinen. In der Gießerei, nach einem Brand von 1940 neugebaut, wurden Aufträge für Reichsbahn, Holzbearbeitungsmaschinen, Landwirtschaftsmaschinenfabriken erledigt 110 . Bald danach konnte der Bau von Textilmaschinen wieder beginnen, nunmehr unter der Firmenbezeichnung VEB Textima, Aue. 5. W e i t e r e A u e r

Maschinenfabriken

Aus Geßners Lehre gingen tüchtige Maschinenbauer hervor. Einer von ihnen, Erdmann Kircheis, schuf die Auer Blechmaschinenindustrie. Als Sohn und Enkel von Blaufarbenarbeitern in Aue geboren, kam er 1844 als Maschinenbaulehrling zu den Gebrüdern Laukner, arbeitete dann bei Richard Hartmann in Chemnitz und in einer Maschinenfabrik in Dessau. In deren Auftrag weilte er 1853/54 im zaristischen Rußland, besonders in Moskau, und lernte die russische Industrie jener Zeit kennen. Zurückgekehrt ward er technischer Direktor der Dessauer Firma, ließ sich aber 1859 in Aue nieder und war bei Geßner tätig. 1861 begann er mit einem Arbeiter in einem gemieteten Raum Maschinenbau auf eigene Rechnung. Als erstes Erzeugnis ging eine Sickenmaschine für Klempner aus seiner Werkstatt hervor, und für die vielen Klempner der Orte nahe Aue begann Kircheis, Blechbearbeitungsmaschinen oder Werkzeuge herzustellen, Scheren, Abbiegmaschinen, Bördelmaschinen usw. Es war schwer, die an alter Handwerksarbeit zäh festhaltenden Klempnermeister in Bernsbach, Beierfeld, Zwönitz, Grünhain, Schönheide, Eibenstock für Maschinen zu gewinnen. Den Anstoß zum technischen Fortschritt gab die Sickenmaschine. Die Abbiegebank entstand aus dem Abkanteholz für Zinktafeln und wurde ebenfalls für die Entwicklung wichtig 111 . 1863 kaufte Kircheis die später so genannte „Alte Fabrik" an der Bahnhofstraße mit der Wasserkraft des Mühlgrabens und stellte zunächst zehn Arbeiter ein. 1871 waren es 30, 1890 in neuen Fabrikgebäuden bereits 500. ,09 ) Geßnerfestschrift zur 75Jahrfeier der Firma 1925; Festschrift Sieber 1923, S. 57—59; Ratsarchiv Aue Abt. I Absdin. 28, Nr. 48; L H A Ministerium des Innern 5594, 5894, 128 b—i, 6003 S. 74 ff. Siehe besonders S i e b e r , Geßner. uo ) Sächs. Volkszeitung 4. 3. 46. ι 1 1 ) Η ο f m a η η , Strukturwandlungen S. 97.

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Industriegesdiidite von Aue

Unermüdlich beschickte er Ausstellungen und erwarb zwischen 1867 und 1895 auf 36 Ausstellungen Preise oder Auszeichnungen für seine Erzeugnisse. Die große Industrie- und Gewerbeausstellung in Chemnitz 1867 und die Wiener Weltausstellung 1873 brachten ihm beachtliche Erfolge und eine Fülle von Aufträgen. Um sie zu bewältigen, erwarb er das Gelände neben dem Klösterlein Aue samt der Wasserkraft des Zeller Hammers. Auch zog er noch einen von der Mulde abgeleiteten Betriebsgraben heran, so daß er über 80 PS verfügte. Nahe dem Auer Güterbahnhof gelegen, hatte er gute Frachtverbindung, besonders nachdem die Bahn Chemnitz—Aue 1875 fertig war. Auf seine Anregung wurde die Fachschule für Blecharbeiter in Aue gegründet. Nach 1876 nahm das Kircheiswerk Ziehpressen in seine Fabrikation auf. Seine Preisliste vom Jahre 1879 wies 80 Nummern auf, darunter außer Sicken- und Bördelmaschinen auch solche zum Einlegen von Draht, eine Kreisschere mit Ovalwerk, eine Spezialsdiere zum Schneiden von Blechzuschnitten, Bieg- und Abkantmaschinen. Die Arbeiterzahl stieg auf 165. Aue und Umgebung erlebten damals eine geradezu stürmische Entwicklung der Blech-, Emaillier- und Metallwarenfabrikation. Arbeiteten doch in Aue und Bernsbach 40 Fabriken für Blechwaren; auch große Emaillierwerke in Lauter, Zwönitz, Schwarzenberg, Neuwelt, Bockau und Blechwarenfabriken in Grünhain und Beierfeld gehörten zu diesem Industriebereich. Gerade diese vielseitige Industrie, die deutlich ihren Ursprung aus altem erzgebirgischem Klempner(Flaschner-)handwerk erkennen läßt, wurde für Aues Aufstieg zum Industriemittelpunkt höchst bedeutsam. Die Einführung von Stanzen und Pressen vereinfachte den Produktionsvorgang bei Blechwaren 1 1 2 . Bezeichnend ist die Entwicklung von der einfachen Hebel-Tafelschere zur Fußtritt-Tafelschere, die dem Arbeiter die Hände freimachte, weiter zur Tafelschere mit Kraftantrieb. In ähnlicher Weise wurden auch andere für die Haus- und Küchengeräteindustrie notwendigen Hilfsmittel im Kircheiswerk weiterentwickelt. Später kamen hinzu Vielmessermaschinen, Sondermaschinen für Rundbiegen des Bleches, Abschrägen der Blechzuschnitte, Anbiegen der Längsnahtfelge an die Dosenrümpfe, bis zu Anfang der 80er Jahre eine Maschine zum Verschließen von Dosen entstand, die alle diese Arbeitsgänge zusammenfaßte und damit der aufkommenden Konservenindustrie das wichtigste Behältnis lieferte. 1883 richtete Kircheis eine eigene Abteilung ein, die Maschinen zur Massenfabrikation von Blechumhüllungen (besonders Dosen) herstellte. D a trotzdem noch viel Handwerkszeug für Klempner und Kupferschmiede verlangt wurde, gliederte Kircheis dem Werk eine Abteilung für Handwerkszeug an, lieferte ζ. B. im Jahre 1886 etwa 10 000 Klempnerwerkzeuge neben 4000 Maschinen. 1884 war eine Eisengießerei eingerichtet worden, und neben den nicht mehr ausrei112

) Illustrierte Zeitung für Blechindustrie, 1887 S. 508.

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chenden Wasserkräften wurden zwei Dampfmaschinen in Gang gebracht. Nun konnten größere Maschinen wie Ziehpressen zum Ziehen von Kochgeschirren aufgestellt werden. 1888 wurde ein großes Modellgebäude errichtet, worin alle zu den Kircheissdien Maschinen gehörigen Holzmodelle, viele Tausende, aufbewahrt wurden. Eine Montagehalle entstand 1910, wo schwere Pressen und Scheren montiert wurden. 1890 waren im Werk 485 Menschen beschäftigt, und bis zum Tode von Erdmann Kircheis (1894), hatte das Werk 95 000 Maschinen geliefert, darunter Abbieg-, Rund-, Wulstmaschinen, Drück- und Drehbänke. Die älteste hölzerne Drückbank hatte Kircheis 1861 bauen lassen. Erwähnt seien noch Spindel-, Zieh-, Exzenterpressen, Lochstanzen, Bohrmaschinen, Ziehbänke, Fallwerke. Die angeblich älteste Maschine, Nr. 1, aus dem Kircheiswerk ist im Auer Museum vorhanden. Für die Werksangehörigen bestanden Hilfs-, Unterstützungsund Krankenkassen, sowohl für Arbeiter als auch für Angestellte. Seit 1889 erhielten sie in einem Speisesaal Speisen und Getränke zum Selbstkostenpreis. 1894—1922 leitete ein Schwiegersohn von Kircheis, Wilhelm Röll, nach diesem dessen gleichnamiger Sohn den Betrieb. Im Ersten Weltkrieg stockte die Ausfuhr, und nur geringfügige Erweiterungen waren möglich. 113 Arbeiter und Angestellte fielen dem Krieg zum Opfer, aber 1922 beschäftigte das Kircheiswerk schon wieder 130 Angestellte, darunter 40 Konstrukteure und Techniker, und 1000 Arbeiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm eine antifaschistische Betriebsleitung das Werk, konnte trotz Mangel an Rohstoffen die Zahl der Mitarbeiter rasch vergrößern mit dem Ziel, den früheren Stand von 850 Beschäftigten wieder zu erreichen 113 . Dann stand das Werk eine Zeitlang unter sowjetischer Verwaltung. Es sei dabei daran erinnert, daß Erdmann Kircheis aus seiner gründlichen Rußlandkenntnis sehr gute Beziehungen ins Zarenreich unterhielt und schon 1922 die Verbindung mit der UdSSR wieder aufgenommen wurden. Das Werk erhielt nun den Namen Nagema (Nahrungs- und Genußmittelverpackungsmaschinen). Heute heißt es Blema (Blechbearbeitungsmaschinen). Seit etwa 1951 sind es besonders die automatischen Anlagen für Massenerzeugung von Blechemballagen, die im Werk hergestellt werden und zum großen Teil zum Export kommen. So baute die Blema 1960 für Kuba automatische Konservendosenmasdiinenanlagen. Im Folgejahre hatte der Betrieb eine Exportauflage von 11 Mill. DM, wovon für 9 Mill. DM Exporte in sozialistische Länder gingen. Zwei neuentwickelte Typen für Stufenpressen und automatische Verschließmaschinen konnten bereits 1961 in Serienproduktion gehen. Als Neuentwicklung wurde nach dem Baukastensystem eine automatische Umrundverschließmaschine gells

) Sachs. Volkszeitung 6. 3.46.

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baut 1 1 4 . Zehn Maschinen der Blema bestimmten bereits 1961 den Weltstand. Eine Kurbelpresse für Dosenteile, mit Band- und Streifenführung, wurde 1962 entwickelt. Ferner kam zur Leipziger Frühjahrsmesse 1962 eine halbautomatische vollhydraulisdhe FaßVerschließmaschine heraus. Ein Teil der in der Auer Blema entwickelten Maschinen wird jetzt in Werk I I in Lauter, das aus der Maschinenfabrik Götz hervorgegangen ist, gebaut 1 1 5 . So hat der Bau von Blechbearbeitungsmaschinen von Aue aus seinen Ausgang genommen. Ein vollkommen neuer Zweig des Maschinenbaues war hier entstanden 1 1 ·. Schon früh gliederten sich aus dem Kircheisschen Werk weitere Maschinenbauanstalten ab. So begann 1873 Ferdinand Schorler mit Johann Gottlieb Steubler, beide bis dahin Mitarbeiter von Kircheis, eigene Fabrikation von Maschinen für Blech- und Metallbearbeitung. Sie fertigten Scheren, Pressen, Abkantmaschinen, Rundmaschinen, Sickenmaschinen. Denn außer den vielen Blechverarbeitungsbetrieben im Erzgebirge wuchsen im Deutschen Reich und vielen anderen Ländern Fabriken empor, die derartige Maschinen brauchten: Blech- und Lackierwarenfabriken, Emaillier- und Stanzwerke, elektrotechnische Fabriken, Bauklempnereien, Kupferschmiedewerkstätten. Auf einem Mühlengrundstück an der Auerhammer Straße und Mühlstraße errichtet, wurde die Fabrik mehrfach vergrößert. Außer Wasserkraft verwendete man auch Dampf und später Elektrizität zum Antrieb. Seit 1901 leiteten die Söhne der Gründer, David Schorler und Johann Gottlieb Steubler, die Firma, und 1922 beschäftigten sie 150 Arbeiter 1 1 7 . Infolge eines Fabrikbrandes ist nach 1945 die Arbeit in dieser Fabrik nicht wieder recht in Gang gekommen. Die Räume wurden dann an verschiedene Betriebe vermietet. Doch werden in dem Werk immer noch Reparaturen ausgeführt. Zwei weitere Mitarbeiter von Kircheis, Gustav Hiltmann und Bernhard Lorenz, begannen 1879 im D o r f Zelle mit einer Drehbank, einer Bohrmaschine, einem Schraubstock sowie einem Schmiedefeuer ohne fremde Hilfe in gemieteten 40 qm großen Räumen zu arbeiten. Nach zwei Monaten stellten sie zwei Schlosser als Mitarbeiter ein, und am Ende des Jahres arbeiteten hier schon 7 Mann. Die Aufträge mehrten sich so, daß ein Grundstück mit Motorenantrieb und 500 qm großen Arbeitsräumen als Kern des heutigen Werkes erworben wurde. Anfangs entstanden Maschinen zur Herstellung von Spielsachen und kleinen Blech- und Metallwaren, wie sie damals in Aue in mehreren Fabriken gemacht wurden. Bald kamen Pressen, ) ) 116) 1911; 117) 114

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Volksstimme 7. 9. 60. Volksstimme 28. 2. 61. Allgemein zu Kircheis werk: S i e b e r , Industrie d. Erzg. u. Vogtl. 1895, S. 11. Festschrift Sieber 1923 S. 69.

Kircheis; Kirdieis Jubiläumsschrift

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Tafelscheren, Bohrmaschinen, Lochstanzen hinzu, und 1880 begann der Bau größerer Maschinen 118 . 1887 beteiligte sich die kleine Fabrik schon an der Ausfuhr. 1888 war der Betrieb bereits wieder zu klein. Ein 1460 qm umfassendes Fabrikgebäude nebst Kesselhaus und einer Dampfmaschine von 50 PS wurde erbaut. Weitere Neubauten folgten. 1891 errangen besonders Pressen und Scheren mit Motorantrieb große Erfolge. Auf verschiedenen Ausstellungen wurden Preise oder Goldmedaillen erworben. Nach Ankauf eines Nachbargrundstückes wuchs ein vierstöckiger Fabrikbau empor, und eine Montagehalle nahm die schwersten und größten Maschinen zur Herrichtung auf. 1900 erfolgten weitere Neuanlagen. Im gleichen Jahre zeigte die Firma auf der „Ausstellung für Unfallverhütung und Arbeiterschutzvorrichtungen'' in Frankfurt am Main eine Anzahl Maschinen mit guten Schutzvorrichtungen und erhielt den höchsten Preis 119 , denn die Konstrukteure des Werkes legten besonderen Wert auf Schutzvorrichtungen an den Maschinen. 1905 wies die Firma u. a. eine Feinmechanikerwerkstatt auf, wo Spezialapparate hergestellt wurden. Auch eine eigene Tischlerei war vorhanden. Nur Maschinen eigener Konstruktion wurden im Konstruktionsbüro entworfen und von den 200 Arbeitern gebaut. 1909 wurde ein Verwaltungsgebäude errichtet. 1910 wandelten die bisherigen Besitzer die Firma in eine Aktiengesellschaft um, deren Kapital 1922 mit 14 Millionen Mark angegeben ist. 1913 erwarb das Werk die Eisengießerei von Möckel, Hänel und Co., legte die Gebäude zum Teil nieder und baute dafür modern eingerichtete Fabrikräume auf. Eine 1888 gegründete Maschinenfabrik für Blechemballagen von Oskar Becher wurde hinzugekauft. Gleisanschluß an die Eisenbahn erhielt die Fabrik 1920 durdi Ankauf des Sägewerkes von Emil Tauber zwischen Neumarkt und Schwarzwasser. Solche Vergrößerungen eines ursprünglich kleinen Betriebes waren schwierig, weil der Platz zwischen den beiden Flüssen und den Bahnanlagen des Auer Talkessels sehr beschränkt ist, inzwischen auch Wohnviertel nahe der Fabrik sich ausgebreitet hatten. 1922 entstand eine 80 m lange und 32 m breite Montagehalle, so daß künftig schwerste Maschinen ausgerüstet werden konnten. Für Kalt- und Warmpressen wurden Friktionspressen, Friktionsschmiedepressen bis zur Spindelstärke von 450 mm, doppelständrige Exzenterpressen bis zu 1250 t Drucklast, automatische Pressen mit Revolverapparat oder mit selbsttätigen Walzentransport gebaut. Als Besonderheit gilt die automatische Presse „Hilo", die mit drei- bis achtzehnfachem Werkzeug arbeitet. In sie ist nur die Blechspule einzulegen, während alle übrigen Arbeiten, die bis 18malige Bedienung mit der Hand erfordern würden, mit einem Druck vollendet sind. Mit diesem Erzeugnis erwarb das Werk seinem Namen besonderen Ruhm. Es müßten noch Pressen zum Prägen oder Schneiden von allen Metallen, Kur"") Festschrift Sieber 1923 S. 67. "») Κ e h r S. 83.

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bei- und Ziehpressen, Exzenterscheren, Schnitt- und Ziehwerke aufgezählt werden, womit auch Pappe, Papier, Holz, Leder, Leinen, Zelluloid und andere Stoffe bearbeitet werden können. Zwei Dampfmaschinen mit 150 PS, eine Wasserturbine mit 100 PS, zwei Transformatorenstationen von je 300 PS standen 1922 zur Verfügung. Fahrstühle, Fabrikbahnen, Krane bis zu 25 000 kg Tragkraft, zwei Kupolöfen in der Gießerei, Lastautomobile und Pferdegeschirre zum Transport (um 1920) halfen den 500 Arbeitern und 46 Angestellten in der Produktion. In einem Zweigwerk in Niederschlema, 1928 erworben von der dortigen Zwickauer Maschinenfabrik, waren außerdem 450 Mann tätig 120 . Auch weiterhin erfolgten in Aue Verbesserungen, Neubauten, Erweiterungen. Mitte April 1945 wurde das Werk in Aue stillgelegt. Der Niederschlemaer Zweigbetrieb hatte durch Artilleriebeschuß Gebäudeschaden erlitten, während in Aue nichts zerstört war. Der Wiederaufbau begann mit Reparaturen von Eisenbahnwaggons. Mitte November 1945 gingen 20 Arbeiter ans Werk und konnten trotz Materialschwierigkeiten und Mangel an Geräten bis Februar 1946 137 Schwerbeschädigte Güterwagen wieder fahrbereit machen. Im März 1946 arbeiteten 170 Mann in Aue und Niederschlema in zwei Schichten und reparierten täglich bis zu 6 Waggons. Geplant war, täglich 8 Waggons herzustellen, nachdem durch alle Werkshallen Gleise gelegt waren. Außerdem nahmen die Hilowerker Reparaturen von Werkzeugmaschinen aller Art vor, und als weitere Produktion sollten Maschinen für Blech- und Holzbearbeitung wieder aufgenommen werden 121 . Jedoch erforderte der bald einsetzende Uranbergbau der Wismut AG eine Umstellung auf deren Bedarf. Zunächst hieß das Werk SAG Metallist, später wurde ihm die Bezeichnung Werk 512 gegeben. Diese große, immer erneut ausgebaute Fabrik steht im Dienste des Bergbaus, für den Überkopflader und andere Bergbaumaschinen hergestellt werden. 1905 bestanden in Aue 12 Maschinenfabriken mit 1775 Arbeitern 122 , darunter 5 große mit 114, 134, 209, 409 und 767 Arbeitern. — An die Fabrikation von Blechbearbeitungsmaschinen Schloß sich Schnitt- und Stanzenbau an, da dieser für die Blechwarenfabriken die Formen liefert, auf welche die Blechbearbeitungsmaschinen jeweils eingestellt werden, um das gewünschte Metallstück zu erzielen. Die bedeutendste dieser Fabriken wurde die des Schlossergesellen Bernhard Hiltmann, der 1882 eine Spezialfabrik für Schnitt- und Stanzwerkzeuge gründete. Mit einfachsten von Hand bedienten Hilfsmaschinen arbeiteten Männer, die aus dem Maschinenbau kamen, Einrichtungen zum Herstellen von Blechspielwaren für die Auer Industrie. Einfache Freischnitte dienten zum Ausschneiden, Führungsschnitte zum li0

) Auer Tageblatt 7. 2. 1929. ) Sachs. Volkszeitung 13. 3. 1946. 1M ) W e i ß b a c h S . 408. 1!1

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Lochen. Biegen, Prägen und Fassongeben erfolgte unter gewöhnlichen Stanzwerkzeugen. Anfang der 90er Jahre kamen Neuerungen auf: Hebel- und Schieberwerkzeuge wurden durdi Federwerkzeuge ersetzt. So wurden Arbeitsvorgänge vereinigt durch Werkzeuge, mit denen zugleich geschnitten und gezogen werden konnte. Bei Schnittwerkzeugen wurden Führungsschnitte mit dem Vorlocher und Seitenschneider vereinigt. Damit entstanden Werkzeuge für Blockschnitte, so daß mit einem Pressedruck Bleche gelocht, geschnitten, wenn nötig auch geprägt wurden. Bis 1922 hatte sich die Firma so entwickelt, daß 180 Arbeiter mit Spezialmaschinen die Wünsche der Blech- und Lackierwarenfabriken, der Stanz- und Emaillierwerke, der Metallwarenfabriken und Aluminiumwarenfirmen erfüllen konnten. Nach 1919 führten Hiltmanns Söhne die Fabrik weiter. Sie wurde um 1930 erheblich ausgebaut, lieferte ζ. B. Preßformen für Bakelite und andere Preßmischungen sowie Großwerkzeuge für Beblechung von Kraftwagen. Während der beiden Weltkriege führte das Werk Rüstungsaufträge aus, 1945 wurde es deshalb demontiert. Danach begannen 17 Arbeiter wieder mit der Arbeit, 1948 waren es bereits 800, und 1949 zählte die Aweba (Auer Werkzeugbau) 950 Belegschaftsmitglieder123. Am 1. April 1949 wurde diese Auer Spezialfabrik für Schnitt- und Stanzwerkzeuge vereinigt mit LWA (Landund Werkzeugmaschinen in Aue). Diese Firma wurde 1945 von Erhard Morgner unter dem Namen Ermo gegründet und zuerst im alten Lauknerschen Spinnereigebäude untergebracht, wohin Drehbänke und Bohrmaschinen zusammengeholt wurden. Dann pachtete Morgner Räume der Aweba, mußte aber, sobald diese sich ausdehnte, in die Wellnerfabrik (AWS) ausweichen. Dann flüchteten die Besitzer, und seit 1948 ist LWA staatlich. Zuletzt fertigte die Fabrik Bergbaugeräte, wie auch die Aweba damals, für die sie bis zur Vereinigung Zubringerbetrieb war 1 2 4 . In der Aweba werden jetzt Folgewerkzeuge mit allseitig geschliffenen schneidenden Teilen fabriziert. 1892 entstand die Firma Edmund Hiltmann als Maschinen- und Werkzeugfabrik, wo besonders Schnitt- und Stanzwerkzeuge zur Bearbeitung von Blechen, Pappen, Zelluloid, Stanniol usw. gebaut wurden. Sie ging nach 1923 ein. Die Firma Louis Reich macht Schnitte, Stanzen, Drück- und Teilfutter für Ziehpressen und besteht noch heute als Kommanditgesellschaft. Dagegen ist die 1920 tätige Spezialfabrik Ernst Arnold, die Präge-, Schnitt- und Ziehwerkzeuge herstellte, nicht mehr vorhanden. Gustav Rockstrohs Werkzeugbau, in Zelle entstanden, entwickelte sich um 1930 stärker und ist jetzt Zweigbetrieb der Aweba. Erwähnt seien noch die Werkzeugfabrik von F. E. Lötzsdi, 1886 gegründet,