Studien zur christlichen Dichtung der Nordgermanen 1000-1200

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Studien zur christlichen Dichtung der Nordgermanen 1000-1200

Table of contents :
Einleitung
1. Der Gegenstand — Das Problem 13
2. Begriffserklärungen. Bekehrung — Synkretismus — 'interpretatio' 17
3. Methodische Grundsätze 23
I. Teil. Interpretationen
Erste Spuren christlicher Aussagen 26
1. Verlorene, aber bezeugte christliche Dichtung; ihr zahlenmäßiges Verhältnis zur übrigen Skaldik 26
2. Erste Anzeichen christlicher Denkweise in der altnordischem Dichtung 30
Christliche Dichtung um 1000 und im 11. Jahrhundert 48
1. Um 1000. Die ersten Bruchstücke 48
2. Späteres 11. Jahrhundert 70
Bruchstücke und kleinere Denkmäler des 12. Jahrhunderts 75
Die großen Dichtungen des 12. Jahrhunderts 98
II. Teil. Darstellung
Einleitung 158
Die geschichtlichen Voraussetzungen des isländischen Christentums 160
Die christlichen Kenningar 208
Geschichte der christlichen Dichtung Islands 248
Verzeichnis der Abkürzungen 290
Quellen, Namen und Sachen 291
Wortschatz 295
Literatur 297

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PALAESTRA UNTERSUCHUNGEN AUS DER DEUTSCHEN UND ENGLISCHEN PHILOLOGIE UND LITERATURGESCHICHTE BAND 222

WOLFGANG LANGE

STUDIEN ZUR CHRISTLICHEN DICHTUNG DER NORDGERMANEN 1000—1200

GÖTTINGEN • VANDENHOECK & RUPRECHT . 1958

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'PALAESTRA UNTERSUCHUNGEN AUS DER DEUTSCHEN U N D E N G L I S C H E N P H I L O L O G I E UND L I T E R A T U R G E S C H I C H T E B E G R Ü N D E T VON ERICH SCHMIDT UND ALOIS BRANDL

Herausgegeben von Wolfgang Kayser / Hans Neumann Ulrich Pretzel / Ernst Theodor Sehrt

B A N D 222 Wolfgang Lange Studien zur christlichen Dichtung der Nordgermanen 1000—1200

G Ö T T I N G E N • V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T • 1958

STUDIEN ZUR CHRISTLICHEN DICHTUNG DER NORDGERMANEN 1000—1200

VON WOLFGANG LANGE

G Ö T T I N G E N • V A N D E N H O E C K & RUPRECHT • 1958

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Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft © Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1958 Alle Rechte vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- und akusto-mechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

Meinem Bruder MARTIN L A N G E f 27. Mai 1941 zum Gedächtnis

VORWORT Ut nullua credat, quod nonnisi in tribus Unguis Deus orandus sit, quia in omni lingua Deus adoratur et horno exauditur, si justa petierit. Frankfurter Capitulare von 794 Farid nü i jridi ok i gridum, hvert er per vilid af pessum fundi; skal eigi pynda ydr til kristni at sinni, pvi gud mselir svä, at hann vill, at engi komi naudigr til hans. Laxdoela saga, c. 40,59. Vor gerade hundert J a h r e n erschien K o n r a d Maurers monumentales W e r k „Die Bekehrung des norwegischen S t a m m e s zum Christenthume", unerschöpflich in seiner Fülle a n Material u n d Gelehrsamkeit, vergleichbar n u r der immer noch jungen Mythologie J a c o b Grimms. Wenn ich mich gleichwohl mit dem großen Rechtslehrer u n d F r e u n d des Nordens gelegentlich auseinandersetze, so wird m a n doch in u n d zwischen den Zeilen den schuldigen Respekt u n d die Ehrerbietung nicht vermissen. Wer es ernst n i m m t mit seiner Aufgabe, k e n n t die S t u n d e n der Niedergeschlagenheit: d a ß wir Nachfahren sind u n d n u r noch — hoffentlich nicht ganz unwürdige — Nachträge zu den Werken der Großen liefern. Ich gebe diese Untersuchung nur zögernd aus der H a n d . Der Gegenstand ist ernst u n d die Frage n a c h der E r m ä c h t i g u n g , ihn zu behandeln, stellte sich im Fortschreiten der Arbeit immer dringlicher. Dem zünftigen Philologen mag dieses Eingeständnis überflüssig, j a unpassend erscheinen. Aber wer sich dem Mittelalter u n d insbesondere der Religion des Mittelalters zu nähern versucht, den u m w e h t eine Fremdheit, wenn auch die Worte, die die Alten sprachen, manchmal brüderlich zu klingen scheinen. Im Grunde verstehen wir die Religion des Mittelalters k a u m . Doch glaube ich, daß es uns aufgegeben ist, ein Verstehen anzustreben, u n d sei es auch nur in einer vielleicht erreichbaren Annäherung. J e d e Einsicht bereichert. Zu einem solchen anzustrebenden Verständnis will die vorliegende Arbeit einen bescheidenen Beitrag leisten. Ü b e r Absicht, Methode u n d Einteilung der Untersuchung berichtet die Einleitung. Ich habe hier n u r noch einiges Allgemeine u n d etliches Technische zur Herrichtung des Buches vorzubringen. „ S t u d i e n " nenne ich diese Blätter, weil ich dem Leser nicht vormachen will, d a ß hier der Gegenstand erschöpfend behandelt worden sei. Freilich habe ich mir erlaubt, über Zäune (über künstliche Zäune, wie jeder weiß) zu gucken in Gebiete, in denen ich nicht zuhause bin. Hier sollen, so wünsche 7

ich mir, Berufenere fortfahren, das nur Angedeutete zu erörtern. Aber das Wenige, das ich zu bieten habe, bedarf noch einer Einschränkung, die hier gleich ein für allemal gemacht sei, der Einschränkung nämlich, daß alle Aussagen nur für die bruchstückhafte Überlieferung der frühen christlichen Dichtung gelten wollen und dürfen. Zwar stehen kaum noch neue Quellen in Aussicht, aber allein das Bewußtsein, daß die Masse des einst Vorhandenen verloren ist, mahnt bei jedem Satz zur Vorsicht. Das Thema der Abhandlung ist doppelgesichtig und soll es sein, denn der Gegenstand hat ein zwiefaches Interesse, ein literarhistorisches und ein religionsgeschichtliches. Die beiden Seiten in leidlichem Gleichgewicht zu halten, war nicht leicht. Gelegentlich war aber noch über diese zwei Gebiete hinauszugehen, denn: „Kein Phänomen erklärt sich an und aus sich selbst; nur viele zusammen überschaut, methodisch geordnet, geben zuletzt etwas was für Theorie gelten könnte" (Goethe, WA II, 11, 106). Ob ich die Phänomene methodisch richtig geordnet habe, wird der Leser entscheiden müssen. Ihm den Überblick zu erleichtern, habe ich an Verweisungen im Text nicht gespart und zwei Register angefertigt. Zu den Texten und ihrer Behandlung sei noch ein Wort erlaubt. Die Kommentare des ersten Teiles sind je nach Art und Umfang der Dichtungen verschieden, aus der Einsicht, daß es ein Idealrezept zur Dichtungsinterpretation nicht gibt. Der Dichter, nicht wir, bestimmt Art und Ausmaß der Interpretation; wir haben ihm nur die besonderen Möglichkeiten der Ausdeutung abzuhorchen. Ich weiß mich da einig mit der eingrenzenden Wertbestimmung für die Interpretation, die W. Mohr, Wirkendes Wort 2, 1951/52, 156 gab. Die Texte wurden — außer bei den großen Dichtungen des 12. Jahrhunderts — mitgegeben. Ich hoffe wenigstens in diesem Punkt auf den Dank des Lesers, denn nichts ist ärgerlicher, als wenn ein Verfasser alles und jedes als bekannt voraussetzt. Die Texte haben ihre besonderen Schwierigkeiten. Über die Fragwürdigkeit der vorhandenen Skaldenausgaben hat H. Kuhn, Festschr. f. O. Behaghel, 1934, 411—418 gehandelt. Geringfügige Änderungen gegenüber Jonssons Text B (Skjaldedigtning, Rettet Tekst) glaubte ich nicht jedesmal deutlich machen zu sollen. Eingriffe, sobald sie durch Änderung der Interpunktion oder Schreibung den Sinn wesentlich wandeln, wurden besprochen. Die Orthographie der benutzten Editionen habe ich beibehalten ; sie zu normalisieren sah ich keinen Grund. Gewisse Inkonsequenzen möge man in Kauf nehmen; nordische Namen erscheinen häufig im deutschen Satz in der Form, die sich durch die Übersetzungen eingebürgert hat. Schwerer wiegt eine weitere Inkonsequenz, die gleich hier bezeichnet werden soll. Die behandelten Dichtungen werden — wozu die Einleitung die Gründe angibt — möglichst in chronologischer Folge vorgeführt. Allein, dieses Prinzip wurde nicht starr durchgeführt. Die Glselognskvicta' erscheint nicht bei den frühen Bruchstücken, sondern erst im Zusammenhang der Dichtungen über den Heiligen Olaf; ein Fragment aus dem Schaffen des Dichters Gamli wird früher besprochen als dessen Harmsöl, die einen eigenen Abschnitt im Rahmen der großen Werke des 12. Jahrhunderts beansprucht. 8

Der Apparat wurde auf das Notwendigste beschränkt. Nur wo wenig vorgearbeitet war, mußte ich mehr geben. Die Grenze der Lesbarkeit hoffe ich nur selten überschritten zu haben. Auf kontroverse Erörterungen habe ich mich nicht viel eingelassen, wenngleich mancher Anlaß vorhanden war. Unterschiede der Auffassung werden auch so deutlich geworden sein. Mehr als nur eine angenehme Pflicht ist mir der schuldige Dank. Zuvörderst gilt er meinem verehrten Lehrer Otto Höfler, der seine weitreichende Gelehrsamkeit mit methodischer Strenge, glänzender Kombinationsgabe und nicht zuletzt mit menschlicher Güte zu paaren wußte; er lehrte seine Schüler, das kleinste Zeugnis zu ehren und darüber den größeren Zusammenhang nicht zu vergessen. Ulrich Pretzel nahm den Spätheimkehrer in das Hamburger Seminar auf und vertraute ihm die altnordische Abteilung an; er schenkte mir damit die Möglichkeit zu einem neuen Anfang. Ein Glücksfall wollte es, daß Hans Kuhn für einige Semester in Hamburg eine nordische Gastprofessur wahrnahm. Ihn darf ich mit Dankbarkeit meinen anderen Lehrer nennen. Er gab manchen guten Rat und machte sich die Mühe, einige Abschnitte dieser Untersuchung kritischförderlich durchzusehen. Die Göttinger Philosophische Fakultät nahm die Arbeit zu Beginn des Wintersemesters 1955/6 als Habilitationsschrift an; den Gutachtern —besonders Wolfgang Krause, Hans Neumann, Percy Ernst Schramm — habe ich für manchen wertvollen Hinweis zu danken. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ermöglichte den Druck; ihr und den Herausgebern der Palaestra, die meinen Versuch für würdig befanden, die Fortsetzung der ehrwürdigen Reihe zu beginnen, möchte ich auch an dieser Stelle noch einmal herzlich danken. Verlag und Druckerei haben sich des Buches mit Bereitwilligkeit und Können angenommen; auch ihnen sei hiermit gedankt. Besonderen Dank endlich weiß ich den Freunden, Kollegen und Lehrern, die mir nach zehnjähriger Abwesenheit von Heimat und Forschung das Einleben und den Wiederbeginn ermöglicht haben. Göttingen, im Herbst 1957

W. L.

9

INHALT

Einleitung 1. Der Gegenstand — Das Problem

13

2. Begriffserklärungen Bekehrung — Synkretismus — interpretatio

17

3. Methodische Grundsätze

23

I. Teil Interpretationen Erste Spuren christlicher Aussagen 1. Verlorene, aber bezeugte christliche Dichtung; ihr z a h l e n m ä ß i g e s Verhältnis zur übrigen Skaldik 2. Erste Anzeichen christlicher Denkweise in der altnordischem Dichtung a) Die eingeklammerte Floskel b) Die Aussage in der Randzone des Gedichts; Hallfred, Typus des dürftig Bekehrten c) Synkretistica und verwandte Erscheinungen C h r i s t l i c h e D i c h t u n g u m 1000 u n d im 11. J a h r h u n d e r t

10

26 26

30 31 33 42 48

1. Um 1000. Die ersten Bruchstücke a) Das Gebet des Glümr I>orkelsson b) törbjorn dfsarskäld c) Eilifr Godrünarson d) Hafgerdingadräpa e) Die kredda des E>rändr i Gotu f) Bjom Hitdoelakappi g) Skapti E>6roddsson

48 48 50 53 57 60 65 68

2. Späteres 11. J a h r h u n d e r t a) Arnörr jarlaskald b) Strophe des Trollweibs im Hemingspättr

70 70 73

Biruchstücke derts 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

und

kleinere

Denkmäler

des

12.

Jahrhun75

Markus Skeggjason Nikulas: J ö a n s d r ä p a Gamli k a n ö k i : J ö a n s d r ä p a Skald-törir Nöregs konungatal Eilifr külnasveinn Mdriuflokkr Unbestimmbare Bruchstücke

75 76 81 86 88 89 93 95

D h e g r o ß e n D i c h t u n g e n d e s 12. J a h r h u n d e r t s

98

1. Pläcitüsdräpa

100

2. Geisli. Olafsdichtung und Olafsverehrung a) Olafsdichtung b) Glaelognskvida c) Geisli d) Olaf zwischen Christus und den alten Göttern e) Gottesgnadentum 3. Harmsöl

110 110 113 120 126 137 143

4. Leidarvisan

150 I I . Teil Darstellung

Eiinleitung D'ie g e s c h i c h t l i c h e n Christentums

158 Voraussetzungen

des

isländischen '. 160

1. Religion auf Island bis zum J a h r e 1000 a) Die Religion der Landnehmer; Landnahmebräuche b) Polytheismus und Henotheismus. Götterdichtung c) Die Rolle der nordbritischen Inseln und Irlands; erste Christen .

160 160 163 166

2. Mischformen vor 1000 a) godlauss b) Helgi magri — Thor und Krist c) primsigning d) Der namenlose Gott

174 174 177 179 181

3. Mission u n d Annahme des Christentums a) Mission. Die Lage um 1000 b) Fortdauerndes Heidentum, Synkretismus, Indifferenz E x k u r s : Zur Namengebung nach 1000

189 189 193 201 11

Die c h r i s t l i c h e n K e n n i n g a r 1. Die Nomina sacra im Kenningstil 2. Gott 3. Christus 4. Gott oder Christus? 5. Heiliger Geist und Trinität 6. Maria 7. Teufel 8. Das Gottesbild der Kenningar Exkurs: Zur Geschichte der germanischen Sonnenverehrung

: 208 ! 208 ! 209 : 214 ! 219 ! 221 : 224 ! 227 ! 229 ! 236

G e s c h i c h t e der c h r i s t l i c h e n D i c h t u n g I s l a n d s 1. Überlieferung — Epochen und Zäsuren — Zeitliche Begrenzung; des Gegenstandes Exkurs: Zur altnordischen Predigt 2. Die neue Auffassung vom Dichter und vom Dichten 3. Sprache, Charakter und Themen der christlichen Dichtung . . . .

: 248 248 253 264 277

Verzeichnis der Abkürzungen Quellen, Namen und Sachen

290 291

Wortschatz Literatur

295 297

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EINLEITUNG 1. Der Gegenstand — Das Problem Von keinem germanischen Volk besitzen wir aus den ersten Tagen seiner Bekehrung schon Dichtung über den neuen und aus dem neuen Glauben — außer von den Isländern. Sie sind, wie in manch anderer Hinsicht, die große Ausnahme. An diesen Umstand knüpft sich die Hoffnung, hier deutlicher als anderswo in der Germania zu sehen, wie diese Aneignung des neuen Glaubens vor sich ging, was der Nordmann ergriff, was er verwarf oder wenigstens nicht aufgriff, was er verstand und was er mißverstand, warum er mißverstand und wie er sich bei Befremdlichem half, um zu verstehen. Jeder Religionswechsel — nicht nur der uns hier beschäftigende der Nordgermanen in den Jahrzehnten um das Jahr 1000 — ist ein komplizierter Vorgang. Sowohl die neue Religion als auch die bis dahin erreichte Stufe der alten und endlich die religiöse Gestimmtheit der Aufnehmenden sind Faktoren des Prozesses und müssen gleichzeitig gesehen werden. Der damit ganz grob und vorläufig umschriebene Problemkreis ist jahrzehntelang das Kampffeld mehr der eifersüchtigen Liebe und eifernden Zornes gewesen als einer besonnenen Feststellung des wirklich Geschehenen und einer Deutung des Hervorgebrachten. (Ausführlich berichten über den Widerstreit der Meinungen H. Ljungberg, Den nordiska Religionen och Kristendomen, 1938, S. 1ff.und K. D. Schmidt, Bekehrung der Germanen I, 1939, S. 11 ff.). Die Lage der Dinge macht eine Reihe methodischer Überlegungen sowie die Klärung einiger Begriffe unerläßlich. Die heidnische Religion der Germanen ist, soweit die fragmentarischen Quellen das zulassen, gründlich durchforscht worden. Jacob Grimm legte in seiner Deutschen Mythologie eine bewundernswert breite und tragfähige Grundlage. Die Bemühungen sind seitdem nicht mehr abgerissen. Wesentliche Hilfeleistungen brachten in der Folgezeit Nachbardisziplinen wie Vorgeschichte, Sprachforschung, Volks- und Völkerkunde. Die Erforschung der heidnischen Religion durchlief drei deutlich erkennbare Stadien: die reine Mythologie wird, etwa seit der Jahrhundertwende, abgelöst von der Religionsgeschichte (K. Helm, de Vries); diese wird erweitert und vertieft durch die Berücksichtigung der Religionsübung, des Kultes, einschließlich der Kultsoziologie (M. Olsen, W. Grönbech, O. Höfler). Weniger günstig sieht es bei der Durchforschung und Darstellung der ersten christlichen Jahrhunderte aus, wenn man den Religionswechsel als zentrales Thema faßt. Den Germanisten interessierte das Problem meist weniger; der Religionshistoriker führte seine Untersuchung gewöhnlich nur bis an das Problem heran; den Theologen waren die nordischen Quellen fast durchwegs fremd. Das Bedenkliche der Quellenlage für den Religionsgeschichtler — daß nämlich seine poetischen Zeugnisse für das Heidentum, von den ältesten Skalden und einigen eddischen Stücken abgesehen, aus 13

christlicher Zeit stammen — wurde natürlich früh gesehen. Der Einfluß des Christentums blieb bis heute u m s t r i t t e n ; er wurde teils überschätzt (S. Bugge, K. K r o h n , Fr. Paasche), teils leidenschaftlich geleugnet (Müllenhoff), insbesondere für bestimmte Teile der E d d a . Die einzige ersthändige Quelle für die Frage nach dem religiösen Geisteswandel in der Zeit um 1000 u n d danach, nämlich die Dichtung der gleichzeitigen Skalden, wurde merkwürdig wenig berücksichtigt oder, wie von Paasche, nicht unvoreingenommen betrachtet. Dieser Dichtung also gilt die vorliegende Untersuchung. Damit wird n u n freilich noch kein ganzer Acker bestellt. Breite Streifen Landes bleiben unbearbeitet. So die Saga, deren religionsgeschichtlicher Quellenwert neuerdings für die Nachrichten aus der Zeit vor und um 1000 von Baetke so energisch bestritten wird (Christliches Lehngut in der Sagareligion, 1951; kritisch dazu H. K u h n , DLZ 74, 1953, Sp. 151—154). So auch die ältere Edda. Namentlich bei dieser ist die Feststellung christlicher Einflüsse und Spuren sehr schwer, denn sie gibt ja nicht christliche Themen, Handlungen, Motive. E i n christlicher Einfluß k a n n hier n u r dadurch festgestellt werden, d a ß der Text Wort für Wort abgehorcht und beklopft wird auf Alter, H ä r t e , Festigkeit der Bedeutung. Diese Aufgabe ist eine der nächstdringenden und wird hier weitgehend ausgespart: Christliches in der Edda. (Vgl. dazu J . Helgason, N K V I I I B, 1953, S. 39, 93. Eine neuerliche Erörterung der vielbesprochenen Partie H ä v a m ä l 138 ff. — doch wohl einer Kontrafaktur aus dem alten Hängegott Odin und dem Crucifixus — sowie ganzer Teile der Voluspä habe ich mir nach langem Zögern versagt.) Wir richten den Blick auf die einigermaßen genau datierbare und den geschichtlichen Ereignissen gleichzeitige Skaldendichtung. Der höhere Quellenwert dieser Gattung gegenüber den anderen ist deutlich. Das Feld, das von der Dichtung seit 1000 bestellt wird, ist um einen zunächst recht schmalen Streifen Landes größer geworden. Das neue Stück wird noch nicht als Neuland empfunden. Die formalen Mittel bleiben noch auf J a h r hunderte annähernd die gleichen wie vorher u n d in der gleichzeitigen weltlichen Dichtung. Aber der Themenkreis h a t sich erweitert. Als das Neuland breit genug war, wurde es später abgetrennt vom Altland der Dichtung — nicht formal, aber inhaltlich und seiner Funktion nach. Seit der Mitte des 12. J a h r h u n d e r t s wird in größerem Umfange Geistlichendichtung greifbar. F o r t a n gab es zwei Bezirke: geistliche und weltliche Dichtung. Das war etwas ganz Neues. Vor einer strengen Scheidung beider Dichtungsbereiche im Norden m u ß jedoch gewarnt werden. Es gibt keinen Unterschied der Gattungen, sondern nur einen solchen der Themen — und selbst diese Bestimmung ist noch mit Vorsicht zu nehmen. Schon die ersten „christlichen'" Dichter des Nordens können, aus der Lage der soeben Bekehrten, Lieder christlichen und nichtchristlichen (sogar heidnischen) Geistes nachlassen (Eilifr). Aber die Möglichkeit des Schaffens auf geistlichem und weltlichem Gebiet bleibt. Noch ein großer Skalde des 12. J a h r h u n d e r t s , Einarr Skülason, ist in beiden gleich gut zuhause: Geisli — 0xarflokkr! Hieraus ergeben sich Fragen, die erst von der Einzelinterpretation beantwortet werden können. Gestellt werden sollen sie schon hier: Sind die 14

zwei Schaffensbereiche konzentrische Kreise? Oder sind sie als zwei getrennte Welten zu betrachten? Wird der in der Thematik ganz offenbar vorhandene Gegensatz gespürt? Tritt er in das Bewußtsein der Dichter? Die an bestimmten Stellen nachweisbare Zurückhaltung gegen die altgewohnten heidnischen Kenningar spricht für eine gefühlte Diskrepanz; die sorglose Verwendung solcher Umschreibungen an anderen Stellen spricht dagegen. (H. Schneiders Urteil „es bleibt alles beim alten" — Euphorion 47, 1953, S. 8 — ist allzu summarisch!) Auch nach Funktion und sozialem Ort der neuen Dichtung wird zu fragen sein. Ort der Geistlichendichtung ist die Kirchengemeinde, Ort der weltlichen Dichtung ist die Männerversammlung — Ding, Fest und Königshalle vornehmlich. Hier wie dort die gleichen Menschen, aber Grund und Bezugspunkt ihres Zusammenseins sind verschieden. Die Funktion beider Dichtungskreise ist die Gleiche: Preis und Dank, Lob und Lehre. Aber der Gegenstand des Lobes ist verschieden; der Inhalt der Lehre — hier das Erziehliche, Vorbildliche im Ruhm des irdischen Helden, dort die Ermahnung zur Nachfolge des himmlischen Helden — ist verschieden. Einfachere Fragen als die eben genannten sind aber zuvor zu beantworten: Was ist erhalten an christlicher Dichtung ? Wieviel war einmal da ? Wer machte diese Dichtung ? Was bringt sie thematisch und damit im Wortschatz, in den Vorstellungen Neues? Wie steht sie zur übrigen, noch für zwei Jahrhunderte überwiegenden Dichtung ? Wie weit ist die neue Thematik und ihre Ausführung dem Ausland verpflichtet ? Die meisten dieser Fragen sind noch nicht systematisch untersucht worden. Die Antworten stehen nur in den Texten selbst. So simpel das klingt, es muß gesagt werden; denn Texte zu kommentieren und zu interpretieren, gilt bei manchen als unmodern, als minderes Handwerk. Das Textwort aber ist Anfang und Ende philologischer Tätigkeit. Die Einordnung auch des kleinsten Stückes in einen größeren Zusammenhang ist immer das Ziel. Aber wie will man ein Stück einbauen, das nicht zuvor sorgfältig geprüft wurde? Das ist die Aufgabe der kommentierenden Abschnitte. Der erste Teil der folgenden Untersuchung bleibt so dicht wie möglich am Text. Er sammelt das Erhaltene und erläutert es. Dabei werden gelegentlich schon Ausblicke nötig, aber sie bleiben stets das Zweite. Erst im zweiten Teil wird der Versuch gewagt, das einzeln sichtbar Gewordene in eins zu sehen, die Stücke zusammenzufügen und einen bescheidenen Bau zu versuchen. Die Absicht der vorliegenden Arbeit ist nicht eine Geschichte der Bekehrung der Nordgermanen, nicht einmal eine vollständige Ausdeutung der inneren Geschichte dieses Prozesses, sondern allein eine Darstellung derjenigen Dichtung, die dieser Bekehrung ihr Dasein verdankt. Diese Dichtung ist in der Forschung wenig beachtet worden, denn sie steht an Menge und Qualität hinter der klassischen Skaldik zurück. Für zwei Jahrhunderte scheint sie dem Betrachtenden nicht viel mehr als eine Randerscheinung zu sein, jedenfalls, wenn man sie am sonst Überlieferten mißt. Erst im 12. Jahrhundert wird Christliches zu einem wirksamen Ferment, 15

ohne deshalb schon den Charakter der gesamten Dichtung zu bestimmen. Aber die Geistesgeschichte h a t nicht nach meßbaren Größen zu fragen, sondern nach dem, was zukunftsträchtig ist. I n diesem Sinne verdient die christliche Skaldik durchaus eine gesonderte Behandlung. Dem, was in ihr allererst angelegt und erprobt wird, sollte die Zukunft gehören. Monographisch h a t n u r Frederik Paasche (Kristendom og K v a d . En Studie i norron Middelalder, 1914) diese christliche Skaldendichtung behandelt, wahrend die großen Darstellungen der Bekehrungsgeschichte 1 diese wichtigen Zeugnisse n u r gelegentlich heranziehen und k a u m je in ihrem Eigenwert wirklich würdigen. Der übliche Forschungsbericht erübrigt sich also. Das zu den einzelnen Denkmälern bisher Erarbeitete wird bei den Interpretationen verzeichnet. Lediglich zu Paasches Buch sollen einige grundsätzliche Bemerkungen schon hier gemacht werden. Die Bruchstücke aus den ersten Tagen des Christentums im Norden müssen sich bei ihm mit gelegentlichen Hinweisen begnügen (vgl. z. B . S. 17); nicht alles wird genannt. Eine gründliche Interpretation k a n n diesen Stücken mehr abhorchen. Paasches Interesse galt den großen Dichtungen des 12. Jahrh u n d e r t s ; diese sah er auf dem Hintergrund des gleichzeitigen europäischen Christentums und europäisch-theologischer Gelehrsamkeit des Hochmittelalters, setzte aber dabei die Kenntnis u n d innige Verarbeitung dieser Dinge im Norden voraus und k a m so, wie ich meine, zu einer Verzeichnung u n d Überschätzung des nordgermanischen Christentums. Seiner Ansicht von dem schon recht früh geglückten, vollkommenen Anschluß des Nordens a n das abendländische Christentum waren die frühen Zeugnisse nicht wertvoll genug, ja sie waren ihm in gewissem Sinne auch im Wege, denn sie bezeugen religiöse Mischformen, Synkretismen, die er zwar nicht völlig leugnen (S. 2), aber im Grunde nicht recht wahrhaben (S. 30) wollte. 1 Ich nenne hier nur das gerade hundert Jahre alte, monumentale und noch immer unübertroffene Werk von Konrad Maurer, Die Bekehrung des Norwegischen Stammes zum Christenthume I 1855, I I 1856; ferner Helge Ljungberg, Den nordiska Religionen och Kristendomen, 1938, woselbst sich die umfangreiche Literatur S. 320—338 verzeichnet findet. Die Arbeiten von theologischer Seite bieten zwar eine Reihe wesentlicher Gesichtspunkte, werfen aber für unser spezielles Thema nicht viel ab, weil diese Gelehrten sich in ihrer Quellenkenntnis zumeist auf die leichter zugängliche frühchristliche Dichtung der Deutschen und Angelsachsen beschränken, die nordische Dichtung aber so gut wie ganz übergehen. Genannt seien hier R. Seeberg, Die germanische Auffassung des Christenthums in dem frühen Mittelalter, Zs. f. kirchl. Wissenschaft u. kirchl. Leben, 1888, S. 91—106, 148—166; Seeberg stellt S. 95ff. die ags. Form des dichterisch gestalteten Christentums dar und widmet S. 148ff. dem Heliand sowie S. 151 ff. Otfrid einige Seiten; H . Boehmer, Das germanische Christentum, Theol. Studien u. Kritiken, 86. Jg., 1913, S. 165—280; H . v. Schubert, Zur Germanisierung des Christentums, Festgabe . . . A. v. Harnack zum 70. Geburtstag, Tübingen 1921, S. 389—404; H. Rückert, Die Christianisierung der Germanen, 2. Aufl., Tübingen, 1934; K. D. Schmidt, Die Bekehrung der Germanen zum Christentum I, Göttingen 1939, (Die Bekehrung der Ostgermanen); ders., Germanischer Glaube und Christentum, Einzeldarstellungen aus dem Umbruch der deutschen Frühgeschichte, Göttingen 1948.

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Der Wert des Buches ist gleichwohl unbestreitbar. Es hat erstmals diesen Strang der altnordischen Literatur herauspräpariert. Was in den Literaturgeschichten notwendigerweise verstreut und damit isoliert erscheint, gewann in Paasches Darstellung Zusammenhang und Folge. Aber eben hierin lag auch eine Gefahr: ein schmaler Bach erschien als Strom. Paasches Buch hat, um es mit einem Wort zu sagen, mehr ein theologisches als ein religionsgeschichtliches und literaturgeschichtliches Anliegen. A. F. C. Vilmar, Deutsche Altertümer im Heliand2, 1862, schilderte S. 2 die Lage der Forschung in Sachen des Heliand um die Mitte des 19. Jahrhunderts ; seine Worte können mit geringen Einschränkungen — ohne daß ich mich seiner Betrachtungsweise sonst in allem anschließen wollte — noch jetzt für unsern Gegenstand gelten: „Die äußere Geschichte der Einführung und Verbreitung des Christentums in Deutschland hat man oft genug . . . beschrieben; davon aber, wie das Evangelium von dem Volke aufgenommen worden ist, wie die Sendboten ihre Lehre den deutschen Hörern nahegelegt, und wie die Volksstämme versucht haben, sich dem Evangelium und das Evangelium ihrer Anschauung gerecht zu machen, ob das Volk Freude an dem Christentum gehabt oder nicht, ob es an die Lehre oder an die Person des Erlösers sich angeschlossen, davon wissen unsere Bücher bis dahin wenig oder nichts zu erzählen." Die innere Geschichte der Aneignung des Christentums, soweit sie sich als B e w ä l t i g u n g dieses V o r g a n g s in der D i c h t u n g darstellt — das ist der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Die christliche Skaldendichtung stellt den Betrachter vor zwei Aufgaben, eine religionsgeschichtliche und eine literaturgeschichtliche. Darin liegt nicht nur die besondere Problematik des Gegenstandes, sondern auch die Schwierigkeit der Darstellung. Die beiden Aspekte sind nicht voneinander zu trennen. Diese D i c h t u n g will religiöse Aussage sein; ihre Mittel muß sie erst schaffen, wenigstens im Wortschatz, nicht so in der Form. Die R e l i g i o n will dichterisch in Erscheinung treten. Wie weit gelingt ihr das rein? Wie weit ist die schon vorhandene Dichtung förderlich, wie weit hemmend und umgestaltend? Zwei Gebiete also, Dichtung und Religion, die das moderne Denken meist auseinanderzuhalten gewohnt ist, überschneiden sich hier nicht nur, sondern bedingen sich gegenseitig in einer exemplarischen Weise. Dieses Verhältnis und seinen Ertrag für beide Seiten sichtbar zu machen, soll die Aufgabe sein. 2. Begriffserklärungen Bekehrung — Synkretismus — interpretatio Jede Bekehrung ist von Seiten der Bekehrten ein Selektionsvorgang: nach begrifflich nur schwer zu fassenden Gesetzen vollzieht sich jedesmal eine unbewußte Entscheidung über das, was angenommen und was ignoriert werden soll. Die Entscheidung fällen die Bekehrten nach den ihnen eigenen Normen. Das Ergebnis ist grundsätzlich ein Synkretismus. Es ist daher bedenklich, von einem Volk generell und obenhin als von einem christlichen 2

7362 Lange, Studien (Palacstra 222)

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zu sprechen, nur weil es zu einem bestimmten Zeitpunkt „den Glauben angenommen" h a t . Stets ist zu fragen: Wer im Volk n i m m t d e n Glauben? W a r u m nimmt er den Glauben ? Wie nimmt er ihn ? Von wem n i m m t er ihn ? Mannigfaltige Komponenten werden durch diese wenigen Fragen, die der Vielschichtigkeit eines solchen historischen Vorgangs noch keineswegs gerecht werden, sichtbar. (Vgl. die trefflichen Ausführungen v o n P. E. Hübinger, DVjschr. 26, 1952, S. 17 gegen den H a n g zur „Monokausalität".) Verständlich wird durch diese Fragen, d a ß kein Bekehrungsvorgang d e m anderen völlig gleicht, d a ß also auch kein Vorgang völlig durch Analogien erklärt werden kann und darf. Eine nicht angängige Vereinfachung des Problems liegt vor, wenn oft vom Christentum als von einer feststehenden, objektiven Größe — gleichsam als von einer übervölkischen, religiösen Maßeinheit — gesprochen wird. Man vergißt dabei, d a ß die objektive Grundlage dieser Religion allenfalls in ihren biblischen Dokumenten zu suchen ist — wenngleich sich auch hier bei genauerem Zusehen sofort eine tiefe Skepsis einstellen dürfte —, d a ß aber die Geschichte der Religion die ihrer Kirchen ist, mithin: d a ß das (allenfalls objektive) Zeugnis stets durch das Medium der je und je anders gearteten Menschen hindurchgegangen sein m u ß , ehe es Gestalt gewann. Das Ergebnis jeder Bekehrung oder andersartigen Religionsübertragung ist notwendig synkretistisch, weil in jedem Fall die Denknormen u n d seelisch-religiösen Bedürfnisse des Aufnehmenden Organ der Aneignung sind. Die wissenschaftliche Beschreibung eines synkretistischen Phänomens h a t daher verschiedene Positionen ins Auge zu fassen. Sie h a t sowohl die Gestalt der ankommenden Lehre und ihre Geschichte als auch den religiösen Zustand des Annehmenden zu betrachten, in der Hoffnung, aus sorgfältiger Zuordnung beider das zutage getretene Ergebnis einer synkretistischen Religionsform verstehen und deuten zu können. Ein möglicherweise entstehendes Mißverständnis m u ß hier sogleich abgewehrt werden: es könnte vermutet werden, d a ß n u r Übergangszeiten sich als „religionssynkretistisch" darstellen. Dem ist nicht so, wie a u s dem oben Gesagten schon gefolgert werden mußte. Vielmehr haben sich bis auf den heutigen Tag synkretistische Formen gehalten, die in manchen ihrer Motive getrost als heidnisch bezeichnet werden dürfen. Man k a n n sich das deutlich machen a n einem lebensvollen Beispiel, etwa a n dem jüngst von F . G. Friedmann (Zs. Merkur 1952, S. 163ff., besonders S. 174f.) beschriebenen. Friedmann berichtet, Norman Douglas folgend, aus Süditalien, „daß der erwachsene Jesus im Bewußtsein der Süditaliener keine Rolle spielt und d a ß seine Lehren keinen Widerhall finden". U n d ferner, genauer: „Der Mittler ist nicht Christus, sondern die Madonna. Sie ist in gewisser Weise der wesentlichste Bestandteil des magischen Seins, und eigentlich gibt es nicht eine Madonna, sondern eine große Zahl d a v o n . " Eine bestimmte Madonna wird sogar als eine von sieben Schwestern angesehen, deren keine jedoch etwas mit der Madonna der Dorfkirche zu t u n h a b e ! Feste zu Ehren Christi sind überaus selten. Religiöse I n b r u n s t wird aber beobachtet bei den Festen lokaler Heiliger, besonders jedoch bei Festen der Madonna. Friedmann spricht a.a.O. S. 175 von vielen Varianten solcher Madonnenfeste, die „oft in einsamen Berggegenden" stattfinden. 18

Madonnenbilder, geschmückt „mit heidnischen Symbolen'', spielen eine Rolle. F r a u e n geben in diesen Riten den T o n an. Friedmann erinnert a n die thrakischen Jungfrauen im Gefolge des Dionysos. Die süditalischen Begehungen sind denn auch durchaus nicht frei von orgiastisch-ekstatischen Zügen, deren Wurzel u n d Legitimierung niemand in den Dokumenten des christlichen Glaubens wird suchen wollen. Vielerlei anderes ließe sich hier noch anführen. Doch diese Dinge liegen schon jenseits des Themas. Der eine Hinweis m u ß zur Verdeutlichung des Gemeinten sowie zum Beweis dafür, daß religiöse Mischformen bis heute leben, genügen 1 . Ein wenn auch knapper Exkurs zur Geschichte des schon mehrfach gebrauchten, historisch vielfältig belasteten und daher vieldeutigen Begriffs Synkretismus 2 ist unerläßlich. Er soll die allzu enge und ungerechtfertigte Festlegung des Begriffes auf Erscheinungen der spätantiken Religion zurückweisen. Eine allgemeinere Fassung des Begriffs gibt dann das Recht, ihn auch für die andersartigen Vorgänge der germanischen Religionsgeschichte zu verwerten. Das Wort avvxnrjTiopöt; ist in der antiken Literatur nur einmal belegt, und zwar bei Plutarch, in der kleinen Schrift über die Bruderliebe (negi (pihaöeX6rl.) t a t hensyn til de kristnes tro.' Die letzte Lv. des Dichters stellt die mögliche Bekehrung wieder in Frage, wenn es heißt (A 143, B 134): farit hefr Gautr at grjöti gunnelds enn fjglkunni, sidan mun hann i helju hvilask stund ok mihi. Paasche, a.a.O. S. 23, Anm. 2 bestreitet d e n n auch die E c h t h e i t dieser Strophe, auf die wir später (S. 229.) noch einmal zurückkommen müssen. Deutlicher das Höllenfeuer meinend, sagte Hallfred in seiner letzten Lv. nema hrsedumk / helviti. Hier ist, falls die Strophe echt ist, eine gewisse Entscheidung für das christliche Bild gefallen. Außer bei Sigvat, Lv. 16, ist das Wort dann erst in den großen christlichen Dichtungen häufiger, vgl. L P 242. Ae. helhwite darf als Vorbild angesehen werden. Ganz ungewiß muß es auch bleiben, wie der Gott des (orkneyischen 1) Dichters Ormr Barreyjarskäld (2. Hälfte des 10. J a h r h u n d e r t s ) zu denken ist, den der Skalde A 143 mit valdr vagnbrautar umschreibt u n d von dem er empfangen zu werden hofft. Der kleine, eingeschobene Satz gibt zu : ) Das Erlebnis des Sokrates (Kriton 44 A—B) mit seiner — Homers II. I X 363 zitierenden — Traumfrau ist so gleichartig, daß es als überaus merkwürdige Parallele neben die Gesichte des Gisli gestellt werden darf. Ich gebe den T r a u m nach Schleiermacher (Piatons Werke I, 2, 1805, S. 239). Sokrates: „Es kam mir vor als ob eine schöne wohlgestaltete F r a u mit weißen Kleidern angethan auf mich zukam, mich anrief und mir sagte: O Sokrates, möchtest du am dritten Tag in die schollige Phthia gelangen."

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denken: ramman spyrk Visa; deutet Ormr damit auf die neue Botschaft, von der er gehört hat? Er sagt von diesem Gott: sä rsedr fyr veldi, was christlichen Aussagen näher zu stehen scheint als echtem Heidentum. Das styrdu god bei Glümr B 68, 12 (vgl. auch Vell. 15 peim styra god) ist inhaltlich weniger als rdda fyr veldi. Aber das angeredete Weib nennt er gleichwohl Draupnis drögar dis. E>ördr Kolbeinsson, ein Isländer des frühen 11. Jahrhunderts, dichtete eine Strophe (Lv. 9, A 219, B 209), die eine herkömmliche Bezeichnung der Götter schon vermeidet und statt dessen unverbindlichere vettir setzt, diesen vettir aber die Erschaffung der Gestirne (oder von Tag und Nacht) zuschreibt. Hier sind zweifellos Eigenschaften und Vorstellungen verschiedener Herkunft verquickt. (Vgl. den Nachklang heidnischer Gebetsweise hollar vettir im Odd. 9, 2.) Von diesen „gemischten" vettir wird nun erbeten, sie möchten bewirken, daß ein blödugr Qrn über dem Feinde des Dichters (Björn hitd.) schwebe. Ein heidnisches und doch nicht mehr ganz heidnisches Gebet um den Sieg. „Die Formung ist christlich deutbar, aber kaum christlich gemeint", sagt treffend de Boor zur Stelle, Dt. Islandforschung I, 102. Auf die fragliche Textgestaltung gehe ich nicht ein, da es sich hier nur um das Motiv in Z. 4 (vettir) psers hlyrn sköpu handelt; vgl. jedoch R. C. Boer, Bjarnar s. Hitd., Halle 1893, S. 62f., 102. Falls mit Boer Z. 2 atgeirs epa gopfleire zu lesen ist, wäre für die Tag und Nacht schaffenden Götter an Vsp. 6 als nahestehende Parallele zu denken. Auch dieses Beispiel sucht Paasche S. 36 f. als Zeugnis für einen Synkretismus abzuschwächen. Es zeigt wenig Verständnis, wenn er dem Dichter lediglich bescheinigt, es handele sich noch um ein ärmliches Christentum, 'som foran en avgjorelse paa liv og dod lar den gamle forestillingsverden slippe saavidt tydelig til.' Es handelt sich nicht darum, dieses ärmliche Christentum an einem vollkommeneren zu messen und Noten zu geben, sondern allein darum, den Glauben der frühen christlichen Zeit in seiner Besonderheit als Mischung von Altem und Neuem zu sehen. Kühn in ihrer Zusammenstellung des neuen Gottes mit einem Symbol der alten Kosmologie ist auch eine Halbstrophe des Hallvarär häreksblesi aus einem Gedicht auf Knut den Großen, A 318, 7: Esat und jardar hgslu munka valdi mseringr an pu nseri. Niemand unter der Weltesche — anderes kann hasla jardar wohl nicht bedeuten —• ist dem munka valdr näher als der gepriesene König. Für die GottKenning sind zu vergleichen munka dröttinn (Skapti) und munka reynir (Hafg.). Kaum weniger kühn ist um 1120 ]>6rarinn stuttfeldr, wenn er in seiner Drapa Str. 2 (A 490, B 462) das alte, unpersönliche Schicksal skgp (falls diese Lesart die richtige ist!) zur Entscheidung Gottes macht (vidskop . . . hreins gods). Anders sagte es Steingerd, die Geliebte Kormaks; sie ließ Götter und skgp, durch ok verbunden, nebeneinander stehen (A 91): yrdi god ef gerdisk göä mir ok skgp . . . 46

Hofgarda-Refr, in seinem Gedicht auf den 1030 gefallenen Gizurr Gullbrärskald, Str. 3 (A319, B 295), macht Odin zum Himmelskönig — die gleiche Erscheinung wurde schon bei Hallfred ausführlicher beschrieben —: per eigum vir veigar, Val-Gautr, salar brautar, Fals, hrannvala fannar, framr, valdi tamr, gjalda. Paasche S. 37 muß diesen Val-Gautr für Spiel erklären auf Grund seiner Gesamtkonzeption. Bare Willkür aber ist es, wenn der gleiche Forscher ebda, in zwei Zeilen eines Dichters einmal echtes religiöses Gefühl, ein andermal formales Spiel sehen will: denn bei E>jödolfr Arnörsson stehen nebeneinander Dgnum vgru godgrgm (Lv. 13, B 350) und gengr sem godvill (Lv. 26, B 353). Die eine oder die andere Formel in ihrem Gewicht abschwächen, hieße die Geschichte verfälschen. B e i d e , die alten Götter und der neue Gott, sind noch gleich wirklich. Das seines Glaubens gewiß nicht mehr ganz sichere und doch noch stolze Wort eines namenlosen Dichters aus dem Jahr 996 (A 179, B 169) ist seinem Inhalt nach wohl noch lange gültig gewesen: heldr getum vir, at valdi, vesa munu bQnd i landi, — geisar g med isi — dsriki gny slikum. Heidnisches bestand aber nicht nur fort als verbotener Rest in der Vorstellungswelt des Einzelnen. Ungebrochenes Heidentum lebte noch an den Grenzen der eben bekehrten Völker. Eine ständige Berührung war also möglich und fand statt. Sie konnte nicht ohne Folgen bleiben, zumal die eben Bekehrten die Existenz anderer Götter nicht leugneten. Sigvat berichtet anschaulich in seinen Austrfararvisur 1019 von einem Besuch in heidnischem Land. Er wird als Einlaßbittender abgewiesen mit der Begründung, es sei gerade ein Festtag. In Str. 5 (B 221) erfährt man genauer, daß die Heiden Odins Zorn fürchten: hrsedumk ek viä Odins —erum heidin vir— reidi. Man ist gerade mit dem alfa-blöt beschäftigt. Die Lv. 17 des E>örmodr Kolbrünarskäld (A 285f., B 264) hat ihren Platz in der berühmten Bekehrungsgeschichte des Vglsapättr. Sie bezeugt für das 3. Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts die Formel und damit einen heidnischen Hauskult: piggi mgrnir petta blaeti! Beachtenswert ist, daß in den 40 Strophen des Skalden nichts Christliches zu finden ist.

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C h r i s t l i c h e D i c h t u n g u m 1000 u n d im 11. J a h r h u n d e r t 1. Um 1000. Die ersten Bruckstücke Die Übersicht S. 28—30 zeigte, daß wir u m und bald nach 1000 mit einer ansehnlichen Zahl christlicher Gedichte zu rechnen haben. Wenig ist davon erhalten. Diese Verluste wiegen für den Religionsgeschichtler noch schwerer als für den Literaturhistoriker. Die Bruchstücke sind, außer von Paasche, noch nicht zum Gegenstand einer eigenen Untersuchung gemacht worden. Paasche aber verzichtete vor allem bei den frühesten Zeugnissen auf eine ins einzelne gehende Interpretation. Gerade diese ist aber unerläßlich, will m a n nicht bei späterer geistesgeschichtlicher Einordnung dieser wahrhaft kärglichen Trümmer in vage Konstruktionen geraten. Die natürliche Forderung, daß der erste Schritt vor dem zweiten g e t a n werden muß, soll in den folgenden Abschnitten nicht außer a c h t gelassen werden. Zur Reihenfolge der Stücke ist nur noch zu bemerken, d a ß die Anordnung von a—e willkürlich ist; diese Zeugnisse sind nicht sicherer als um 1000 zu datieren. a) Das Gebet des Glümr t o r k e l s s o n Das älteste „christliche" Gebet überliefert die Landnamabök 1 . Die Rezensionen des Berichtes weichen nicht unerheblich voneinander ab, ohne sich jedoch zu widersprechen. Synoptisch ergibt sich folgender Text (Zusätze von H b . und Mb. in K l a m m e r n ) : Svartkell het madr katneskr; hann (för af Englandi til Islands ok) nam land jyrir innan Mydalsä milli (ok) Eilifsdalsär ok bjö at Kidjafelli fyrst, en sidan ä Eyri. Hans son var Porkell fadir Glüms, er svä baäz fyrir (pess er gamall tök kristni; hann baäz svä fyrir) at krossi: „gott ey gomlum mgnnum, gott ey örum monnum." Svartkell k a m aus Caithness. E r k a n n schon Christ gewesen sein. Wir wissen es nicht. E r erscheint nicht in der Aufzählung bedeutender Christen, die von den britischen Inseln kamen, H b . c. 356, Stb. c. 399. Er b r a u c h t noch nicht Christ gewesen zu sein, denn erst der Enkel „ n a h m den Glauben". Der Wortlaut seines zweizeiligen Gebetes ist nicht eindeutig. Übereinstimmend wird die schlichte F o r m von 2 mal 4 parallel geordneten Wörtern überliefert. Die verschiedenen Fassungen lauten: 1

Ldn., ed. F. Jönsson 1900, S. 12 ( = Hb. c. 16), 136 ( = Stb. c. 16); ed. 1925 S. 33, mit den Lesarten aus Mb. Vgl. Jon Helgason in Festskr. til F. Jönsson 1928, S. 377—384; E. Öl. Sveinsson, Zs. Skirnir 1945, S. 203; dens., Zs. Skirnir 1948, S. 150f., wo interessante Parallelen geboten werden, die es als möglich erscheinen lassen, daß das schwierige ey (dazu unten) zur Übersetzung von air. beannacht oder sin (lat. Signum) gewählt wurde. 48

Stb.: Hb.: Mb.: oder:

gott ey gaumlum monnum jgott ey vngum monnvm (Ldn. 1900, S. 136), gott se gomlvm monnvm / gott se orvm monnvm (Ldn. 1900, S. 12), gott er öllum mönnum / gott er vorum mönnum gott er gömlum mönnum \ gott er orum mönnum (ungum mönnum) (AM 106 und 112, Ldn. 1921, S. 31, vgl. Helgason S. 378).

Helgason, a.a.O. S. 384 brachte St. und Hb. zur Deckung unter der Annahme, daß sich in orvm, vorum, erum der dat. pl. ozrum (zu ceri „jünger" = got. juhiza) verbirgt: Gott ey ggmlum mgnnum, gott ey osrum mgnnum. Man wird sich schon wegen der primitiven Parallelität der beiden Zeilen für die Beibehaltung des Gegensatzes „jung-alt" entscheiden, wenngleich auch örum mgnnum einen Sinn geben würde. Jedoch hinge ggmlum dann in der Luft. (Es wäre aber zu gewagt, in värr menn nur die Sippe des Sprechenden, in den gamlir menn dann entsprechend nur die Vorfahren dieser Sippe zu sehen. Daß die Verderbnis der Überlieferung aber gerade in diese Richtung ging, bleibt bemerkenswert.) Die Echtheit des Gebets braucht nicht bezweifelt zu werden, um so weniger, als vergleichbare, zweigliedrig-formelhafte Bitten viel höheren Alters bei indogermanischen Völkern bezeugt sind. W. Porzig hat Zs. Lexis III, 1953, S. 239 auf zwei solche Formeln aufmerksam gemacht: 1) mehrfach ist im Rigveda (z. B. X 97, 20) belegt dvipdc cdtuspad asmdkam sdrvam astu anäturdm „unser Zweifüßiges und Vierfüßiges soll alles wohlbehalten sein", 2) auf den Iguvinischen Tafeln Umbriens ditu . . . totar Iovinar dupursus peturpursus fato fito „gib den Zweifüßigen und den Vierfüßigen der Gemeinde Iguvium günstiges Geschick". Ein so simples Stückchen wie Glums Gebet konnte als historisches Kuriosum im Gedächtnis bleiben. Wie weit das Stück als echte Bitte verstanden werden darf — in diesem Sinne wollte Helgason, a.a.O. S. 379 die elliptischen Sätze ergänzen durch gud gefi oder den imper. gef — oder wie weit es sich um eine magische Formel handelt, können wir nicht ausmachen. Vermutungen darüber führen nicht weit. Immerhin bleibt die schon von Helgason (S. 383f.) mit Hinweis auf Ivar Lindquists Galdrar, GHÄ 29, 1, 1923, S. 1—193 beobachtete Form des galdralag bemerkenswert, eine Form, die vor allem dem Segen, Fluch und Zauber zukam (vgl. Heusler, Dt. Versgesch. I 249). Helgasons Ansicht, daß ey < auja zu erklären sei, was seit Noreens Transkription der um. Runeninschriften Aisl. Gr.4 S. 386, Nr. 58, 60 nahe lag und von F. Jönsson Aarb. 1926, S. 207 bei der Besprechung von mit Ey- komponierten Namen der Ldn. schon angedeutet wurde —• neuerdings dazu A. Janzen, NK VII, 1947, 70ff. —, bleibt Vermutung. Helgason erörtert selbst S. 381 f. die zwei möglichen Einwände: 1) das Wort ey in der Bedeutung „Heil, Glück" fehlt dem Altnordischen, 2) gott ey würde eine Art Tautologie sein, doch vermag H. gewisse Parallelen beizubringen. Die Möglichkeit, daß sich ey < auja wenigstens in diesem einen Beispiel (und in Namen) bis in die Zeit um 1000 gerettet habe, ist unbestreitbar, 4 7362 Lange, Studien (Palaestra 222)

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aber nicht zu beweisen. Die Parallele zu einem gewiß magischen Segenswunsch wie gibu auja (Brakteat Nr. 57 aus Seeland, vgl. W. Krause, Runeninschriften S. 475, 477 u n d die Andeutung Helgasons a.a.O. S. 381 zu einer Auflösung des dreifachen ga auf dem Schaft von Kragehul in diesem Sinne) in einem frühen christlichen Spruch wäre für die Deutung von Gewicht 1 . Die Literaturgeschichten haben dieses geringe Gebet verschmäht. Auch Paasche übergeht es. U n d doch steht es am Anfang der Versuche, einen neuen Glauben oder besser eine neue religiöse Haltung — denn wo h ä t t e das Heidentum je allen Menschen Gutes erbeten? — poetisch zu fassen. Aber m a n würde das Verschen schwerlich für christlich halten, wenn nicht die Prosa ausdrücklich sagte: bactz fyrir at krossi. Heidnisch ist der Spruch aber auch nicht mehr; seinem Wunschcharakter nach steht er inhaltlich der mehrfach überlieferten Formel til drs ok friäar nahe. Bezeichnend u n d wohl kaum zufällig ist es aber, d a ß Glum nicht Gott anruft; Helgasons Vorschlag, die Ellipse etwa m i t guägefi zu ergänzen, bleibt fraglich. Eine neutralere Lösung wäre wohl vorzuziehen: gott ey (se) gomlum monnum . . . oder, falls man die Ableitung ey < auja nicht billigt: gott (se) ey g. m. Wegen des hohen Alters des Spruches wäre außerdem die alte Form der 3. sing. conj. vese, veri vorzuziehen. b) J>6rbjorn disarskäld Snorri überliefert folgende Halbstrophe unter den Beispielen für Schiffsumschreibungen (SnE I 4 4 6 ; I I 444; A 144, B 135): Hafreiäar vas hlceäir hlunns l skirnar brunni, Hvitakrists säs hsesta hoddsviptir fekk giptu. Kock, N N 428, bemängelte die Kenning hlceäir hlunns hafreiäar und setzte Hgreiäar ein, gestützt auf mehrfach belegbare Verwechslung von hd- u n d haf-. Man wird aber hafreiä „Meerwagen" = Schiff mit L P 218, 264 beibehalten dürfen und die ganze Kenning mit „Seefahrer" übersetzen. Brunnr skirnar „ B r u n n e n der Taufe, Taufwasser" findet sich als U m schreibung n u r hier. Zur Sippe skirn, skira vgl. unten S. 282f. hoddsviptir „Goldverwüster" = freigebiger Mann ist hap. leg., h a t aber in der Skaldik zahlreiche Analoga, etwa hoddvegandi bei Egil, Arinbj. 22. Zu Hvitakristr ist eine längere Erörterung nötig. Über die verschiedenen Erklärungsversuche s. das K a p . über die Nomina sacra; die Lesart Cod. 748 hvna- statt hvita- steht allein, ist als Fehllesung leicht verständlich u n d braucht daher wohl nicht berücksichtigt zu werden. Das Wort erscheint in der Dichtung n u r noch einmal bei Sigvat in der Lv. 25 (B 252), b a l d n a c h 1030. 1 Es wäre nicht schwer, einen magischen Charakter des Gebetes durch Transkription ins Runennordische wahrscheinlich zu machen. Unter Beobachtung gewisser runischer Schreibregeln ist die oft in Inschriften gesuchte und verwirklichte Zahl von 32 Zeichen zu erreichen, vgl. Noreen, a.a.O. S. 374ff. zu den Zahlen 8, 10, 16, 24 in Runeninschriften. Aber ist dieses Gebet je für Aufzeichnung in Runen gedacht gewesen?

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Wichtig für das Verständnis der Halbstrophe wie für die Geistesgeschichte der Bekehrungszeit ist die Wortsippe gipt, gipta; gipt, f., „Gabe, Glück, das Gegebene", vgl. got. -gijts, ae. mnd. ahd. gift. Eddisch ist das Wort nur einmal in der späten Grp. 52, 3 belegt: sü mun gipt lagiä } d grams sevi. gipta, f., und das häufig damit verbundene gxja kommen eddisch nicht vor (zur Formel vgl. Fritzner I 598). gsefa ist in der skaldischen Dichtung selten und erst seit Mitte des 12. Jahrhunderts belegt: Armöctr 3, B511 (1152). In der gleichen Strophe begegnen da noch die alten skgp! Im gleichen Jahr (nach Jönssons Datierung) verwendet Rognvaldr Lv. 30 das Negativum ögsefa, B 486. Die wenigen nächsten Belege gehören schon dem 13. Jahrhundert. Während für gipta schon um 1000 einige Belege da sind, wird gipt erst im 12. Jahrhundert verwandt, ohne daß ein besonderer Bedeutungsunterschied zu gipta sichtbar würde. Das Wort gipt deckt keinen einheitlichen Begriff. Schon die drei ersten Belege (die des 12. Jahrhunderts) meinen mit dem gleichen Wort Verschiedenartiges : Haidörr skvaldri 3, 5 (B 461), um 1137: pin liggr gipt d grcenu —gods räd es pat — laäi. Das Wort ist ersichtlich christlich und an den König gerichtet. Gamli kanöki 1,4: piggja pessa gipt. Die Wendung steht in einer gebetartigen Strophe und spricht die Hoffnung auf Gnade aus. Leid 7 von 's d gipt meint die Hoffnung auf Erlösung. Auch das negierte Wort ögipt „Unglück" gibt es erst im 12. Jahrhundert: Malshättakv. 19 ögipt verdr i umbuä skjöt. ögipta begegnet erst im 13. Jahrhundert in Hugsv. 120 ögiptu annars / fagna aldrigil Der christliche Grundton des Wortes gipt bleibt im 13. Jahrhundert, obgleich es auch für irdische Verhältnisse weiter verwandt wird. Vgl. etwa Sturla E>ordarson 4, 10 (B II, 120) aldar gipt hvarbrigd über das unbeständige irdische Glück. Unüberhörbar steht aber dahinter das Gegenstück, himins gipt. Fürs Kriegerglück verwendet Eilifr Snorrason Lv. 1 (B II, 51) das Wort: Lopti vas sü gefin gipt. Im allgemeinsten Sinn kann das Wort meist als „Segen, Segnung" wiedergegeben werden1. Die strenge Scheidung in 1. Gabe, 2. Glück in LP 181 ist weder für den einzelnen Fall noch auch allgemein richtig. Bei gipta setzt LP 181 nur die eine der beiden für gipt gegebenen Bedeutungen an, nämlich „Glück"; ebenso für die Prosa Fritzner I 598. Auch hier ist jedoch eine sichere Entscheidung oft nicht möglich. Gleich der vielleicht älteste Beleg für das Wort, unsere J>örbjorn-Strophe, ist mit „Glück" nicht ganz zu fassen: fekk giptu Hvitakrists meint doch „er empfing die Segnung des Krist". 1 Da kein eigener Exkurs zu diesem Wortfeld möglich ist, sei für die weiteren Belege auf die Wörterbücher und W. Gehl, Germanischer Schicksalsglaube, Berlin 1939, ferner auf W. Baetke, Christliches Lehngut, S. 50, hingewiesen.



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Drei weitere Zeugnisse gehören noch in diese Zeit der ersten ChristenGeneration : 1) J>örleifr jarlsskald 2, B 133 „mit reichlichem Segen Gottes rötete Sven tveskaeg Schwerter in England". Gemeint ist also Kriegs- u n d Herrscherglück. Der Beleg liegt vor 1000. 2) Hallfreär, Lv. 6, B 158 „nun ist es anders mit der Männer Glück", n a c h d e m m a n nicht mehr Odin opfert. Vor 1000. 3) Björn hitd., Lv. 9 sviptr auäi ok giptu — „ G u t u n d Glück gingen verloren". Die Strophe wird B 279 auf 1019 datiert. Ich vermeide die ausführliche Aufzählung der Belege aus den folgenden J a h r h u n d e r t e n . Bem e r k t sei nur, d a ß das 11. J a h r h u n d e r t — wie auch sonst für die christliche Dichtung — s t u m m bleibt. Erst das 12. J a h r h u n d e r t bringt wieder Zeugnisse 1 . Schwankend, nicht eindeutig festlegbar, bleibt der Begriff in der k o m m e n d e n Zeit, doch ist es natürlich, daß der christliche Grundton „Segnung durch G o t t " immer mehr durchklingt. Die Ambivalenz mittelalterlicher Begriffe, von der noch mehrfach zu sprechen sein wird, sowie die Unmöglichkeit, diese Art der Geistigkeit wahrhaft mitzudenken, macht sich gerade hier besonders deutlich fühlbar. E>6rbjorn disarskäld ist als Verfasser der Halbstrophe ohne zureichende Gründe bezweifelt worden. (Vgl. Thorlaksson, Udsigt S. 64, 140; Jönsson L H I 5 3 1 ; für die I d e n t i t ä t sprach sich zuletzt Paasche a.a.O. S. 17 aus.) Befremdlich ist es freilich, daß Snorri ihn an zwei voraufgehenden Stellen (I, 256, 260) bei Zitaten aus einer (?) Thorsdrapa (?) mit dem Beinamen n e n n t , hingegen bei unserer Strophe I 446 nur J>6rbjgrn angibt. Indessen ist das Nebeneinander von christlicher und heidnischer (Thors-)Dichtung bei einem Dichter nicht alleinstehend, worauf schon B. Kahle, Arkiv 17, 107 hinwies: „ W e n n übrigens dieser E>orbjorn disarskäld (der Verfasser eines Thor-Gedichtes) identisch ist mit dem E>orbjorn, von dem SnE I, 446. I I , 444 eine Halbstrophe christlichen Inhalts angeführt wird, so m u ß er, ebenso wie Eilifr Guprünarson, von dem wir gleichfalls eine Pörsdrapa u n d ein christliches Gedicht haben, später bekehrt worden sein. E s wäre alsdann immerhin nicht unmöglich, daß er, wie so viele, auch vorher schon im Glauben gemischt gewesen ist und schon Kenntnis von christlichen Vorstellungen gehabt h a t . " E i n e gewisse Berührung mit christlichen Bildern könnte m a n hinter den serir Yggs in dem ersten Thors-Bruchstück (B 135) vermuten. Wer diese serir Yggs sind, bleibt ganz dunkel. Dem Wortsinn nach wäre an Odins R a b e n zu denken. Dem widerspricht der K o n t e x t ; die Äsen als „ B o t e n O d i n s " (so Jönsson, Skj. und L P 631 s. v. yggr, ferner Kahle, a.a.O.) sind eine ungewöhnliche Vorstellung: Pörr hefr Yggs med qrum Äsgarä af prek rardan. 1

Es sind deren vier: Einarr Skül. 6,57 (Geisli); Kolli enn prudi 2, B 476; Rünolfr Ketilsson B 513f.; Nefari B 518, wo Gott die Entscheidung des Kampfglücks anheimgegeben wird. Die beiden letzten Zeugnisse sind nicht in LP verzeichnet. 52

K a h l e verglich Leid. 32 eerir hreins Qdlings heidar bces „Apostel", wobei er serir Yggs noch als rein heidnisch zu verstehen scheint. Die Nachbildung einer von außen gekommenen Vorstellung anzunehmen oder wenigstens die Berührung mit einer solchen, hegt aber wohl näher. Zum Vergleich bieten sich a n : Leif. 61, 10 serir guds; isl. Homil. ed. Wisen 89, 9 gudgerir anda dro sina. Ein gewiß nicht entscheidender, indirekter Beweis für die frühe Abfassung unserer Strophe u n d damit für die Verfasserschaft des Disarskald mag noch in der kunstvollen Stabreimung über vier Halbzeilen hinweg gesehen werden. Dieses Stilmittel scheint zu K o r m a k s Zeit e t w a in Mode gekommen zu sein; vgl. A 80, B 70, Str. 7. Diese prunkvolle Stabsetzung k ö n n t e eine Analogie sein zu Egils Erfindung, vier Zeilen durch den gleichen Endreim zu binden, was Vorbilder in der englischen Dichtung gehabt haben dürfte. Die Deutung der Halbstrophe muß bei Vermutungen stehen bleiben. Jönsson (Skj.) dachte mit Zweifel an eine Dichtung auf einen Heiligen. Wahrscheinlicher ist Paasches Ansicht, a.a.O. S. 18f., das Gedicht gehe auf einen Häuptling, der die Taufe nahm. Falsch ist aber die Folgerung, es habe sich also nicht u m eine religiöse Dichtung gehandelt. Jedenfalls war der Taufakt ein preiswürdiges Ereignis, wie später noch im 12. J a h r h u n d e r t das B a d im J o r d a n 1 . Die Bedeutung der Strophe liegt aber vor allem darin — und deshalb gehört sie trotz Paasche zur religiösen Dichtung —, d a ß sie zwei wichtige Wörter in die Dichtung einführt: Hvltakristr u n d gipta. Solche Feststellung übersieht natürlich nicht das Bruchstückhafte der Überlieferung. Es spricht aber kaum etwas dagegen, d a ß tatsächlich von diesem Dichter die Wörter erstmals gebraucht wurden. c) Eilifr Godrünarson Snorri überliefert eine merkwürdige Halbstrophe des Dichters (SnE I 440), die in der Literatur über die Bekehrungsgeschichte zu den meistbeachteten gehört 2 . Eilifr war wohl Isländer. Wir wissen nichts von ihm (vgl. S n E I I I 7 0 1 — 705; eine interessante Vermutung über seine Familienzugehörigkeit bei Thorlaksson S. 59, Anm. 1). Die Datierung u m 1000 beruht vor allem auf der Tatsache, d a ß eine Thorsdrapa von ihm in umfangreichen Bruchstücken bewahrt ist. Außerdem h a t Eilifr um 990 auf Hakon J a r l gedichtet ( S n E I I I 280, 7 0 2 ; A 148, B 139). Da m u ß er noch Heide gewesen sein. 1 Einarr Skül., Sigurdardrapa 4, B 424; t>örarinn stuttfeldr, Stuttfeldardrapa 5, B 463; fvarr Ingimundarson, Sigurdarbolkr 3, B 467 f. Hier ist überall vom Bad im Jordan die Rede: Sigurdr aj sir syndir pvsegi, B 468. 2 A 152, B 144; Kock 79 und NN 470; S. Bugge, Studien S. 432; Kahle, Arkiv 17, S. 12f.; G. Finnbogason, Islendingar 1933, S. 71 f.; ausführlich zu dem Bruchstück F. Ohrt, APhSc X I I , 1937—1938, S. 91—101; ders., Die ältesten Segen . . . , Det Kgl. Danske Vidensk. Selskab, Hist.-filol. Meddelelser X X V , 1, 1938, S. 196f. In den Literaturgeschichten muß das Stückchen zurücktreten hinter der schwierigen Thorsdrapa Eilifs; vgl. Jönsson LH I 548f.; de Vries, LG I 166f., I I 330; E. Noreen, Poesien, S. 213ff.

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Das hier zu behandelnde Stück kann aus einem christlichen Gedicht (vielleicht einer Kristsdräpa:) stammen; sicher ist das durchaus nicht. Denkbar wäre auch ein Gedicht (oder nur eine Strophe), das die Trauer über den Untergang der alten Götter zum Ausdruck brachte, wie es der Zeitgenosse Hallfred tat. Snorri führt die Halbstrophe an erster Stelle unter seinen Zeugnissen für Umschreibungen des Namens Christi an, wobei er ausdrücklich sagt: Forn skäld hafa kennt hann viä Urdar brunn ok Rom . . . Die Halbstrophe (deren Überlieferung in R, W, T, U, 748 einhellig ist bis auf sa 748; alle Hss. schreiben in der 2. Z. sudr) lautet: Setbergs kveäa sitja sunnr at Urdar brunni svd hefr ramr konungr remdan Roms banda sik Iqndum. Die ungewöhnlich künstliche Wortstellung hat zu verschiedenen Deutungsvorschlägen geführt. Soviel ist allen Deutungen —- wenn ich zunächst von der ganz abliegenden Kocks, NN 470 absehe — gemeinsam 1 : Christus sitzt im Süden am Urdbrunnen; er hat sich stark gemacht über irgendwelche feindlichen Mächte. Aber damit dürfen wir uns noch nicht zufrieden geben. Die Cruces sind folgende: 1) die Zugehörigkeit von setbergs Z. 1; sollte das Wort zu Z. 3—4 gehören, so ist kveda . . . brunni eingeschobener Satz; setbergs stünde, noch dazu am Anfang des Helmings, allein und weit ab von seinem Bezugswort. 2) Das svd (sa 748) scheint einen neuen Satz einzuleiten, woraus Finnbogason und Ohrt die Konsequenz zogen. (Bugge, Studien S. 432, Anm. 2, hatte die Streichung des svd aus metrischen Gründen erwogen. Vigfusson half sich statt dessen durch das synonyme gramr für konungr, Corp. poet. II, 22.) 3) Wozu gehört Roms'1. Ohrt trennte es unter Berufung auf H. Kuhns Zäsurgesetz (GGA 1929, 4, S. 199) von konungr und verband es mit banda, wodurch die kaum mögliche Kenning Roms bgnd = Afguds-Magter entstand (vgl. aber schon SnE III 89). Eine solche Kenning würde doch offenbar bei Eilif und seinen Hörern eine nähere Kenntnis der Geschichte des römischen Frühchristentums voraussetzen. Da man mit dem Namen Roms nur die Begriffe Christentum — Kirche — Papst zu verbinden pflegte, wäre Roms bond einfach irreführend gewesen. Die ältere Forschung ließ konungr Roms zusammen (Kahle, Arkiv 17, S. 12, 136) und hätte sich dabei auf die Autorität Snorris berufen können. Snorri, dessen Kontext man merkwürdigerweise im Streit der Meinungen nicht beigezogen hat, dürfte den Ausschlag geben. Er zählt eine Reihe von Umschreibungen für Christus auf, darunter auch (dem konungr Roms sichtlich analog) konungr . . . Jörsala ok Jördanar ok Griklands. Unmittelbar vor 1

SnE HI 89: Kveda (Krist) sitja at Urdar brunni; setbergs banda ramr Roms konungr, hefir svd remdan sik böndum (sie!). Jönsson, B 144: Svd hefr ramr konungr Roms remdan sik Ipndum setbergs banda; kveda sitja sunnr at Urdar brunni. Finnbogason a.a.O.: Kveda sitja sunnr at setbergs brunni Urdar, svd hefr ramr konungr Roms remdan sik löndum banda. Ohrt, APhSc XII, S. 91: De siger, at han (Kristus) sidder sydpaa ved Ssedebjergets Urds-Kilde. Saaledes har den staerke Konge gjort sig stserk over Roms (Afguds-) Magters Lande. 64

der Zitierung Eilifs, gleichsam als K o m m e n t a r zu d e m Zitat, sagt er: „frühe Skalden haben Christus durch den Urdbrunnen u n d R o m bezeichnet." Da Urdar brunni wegen des dat. nicht für eine K e n n i n g in Frage k o m m t , bleibt n u r Roms; Snorri also verband konungr Roms. O h r t hingegen m u ß t e auf eine Kenning für Christus verzichten, im Widerspruch zur Prosa. I c h bin geneigt, eher einen Verstoß gegen das Zäsurgesetz als einen I r r t u m Snorris anzunehmen. Die Stellung von setbergs, wenn es zu banda gehören soll, ist seltsam 1 . Da setbergs brunnr Urdar (Finnbogason, Ohrt) keinen Sinn geben will, bleibe ich trotz der angezeigten Bedenken bei Jönssons Auflösung setbergs bgnd. Man wird darunter „Riesen" verstehen dürfen, wie denn setberg auch sonst mit solchen in Verbindung gebracht wird: vgl. Grt. 11, 7—8 fcerdom siälfar \ setberg 6r stad; SnE I 162 in der Utgarda-Loki-Geschichte; ferner setbergs finnr A 200,3, dazu Kock N N 552. Neben den Schwierigkeiten der Textanalyse stehen die nicht minder schweren der eigentlichen Deutung. Kahle hielt das Bruchstück Arkiv 17, 12 für „eine der eigentümlichsten Vermischungen heidnischer u n d christlicher Anschauungen". Aber selbst dieser sehr allgemeinen Formulierung gegenüber fehlt es nicht an Widerspruch. Paasche, a.a.O. S. 31 f. will Eilifs Strophe nicht als Zeugnis für die Glaubensmischung gelten lassen. U r d s Brunnen sei nur ein „poetisches Bild", das die „Vorstellung von Machtfülle" hervorrufen solle. Ansonsten aber sei 'forvirringen ikke saa stör', ebda. S. 32. Kahle hingegen ging weiter u n d meinte, es solle „der Gedanke ausgedrückt werden, daß Christus im Besitz der erhabensten Weisheit sei und die Geschicke der Menschheit lenke wie die N o r n e " 2 . Die vier Zeilen sagen aber mehr und Genaueres. Wenn Jönssons Auflösung richtig ist, werden zwei Bilder u n d damit zwei wesentliche Aussagen über Christus gegeben; dieser m u ß schon im vorangegangenen (verlorenen) Teil der Strophe Subjekt gewesen sein, denn sonst wäre der eingeschlossene Satz kveda — brunni k a u m verständlich. 1 Kock, NN 470, nahm Anstoß am Bau der Strophe. Setbergs . . . banda . . . Ipndum erschien ihm unnatürlich. Jede Langzeile dieses Helmings müsse in sich eine logische Einheit ergeben, vorausgesetzt, daß sie überhaupt (!) zusammengehörten. Die Einheit des Helmings ist m. W. nie bezweifelt worden. Sie wird wohl gerade durch die von Kock angefochtene Kenning hergestellt. Wäre jede Langzeile eine in sich verständliche logische Einheit, so hätte Snorri überdies nur die zweite Hälfte des Helmings zu zitieren brauchen, denn ihm ging es SnE I 446 um die Kenningar für Christus, hier also um Roms konungr. Daß Snorri gelegentlich auch nur zwei Zeilen zitiert (wo es ihr Bau nämlich zuläßt), beweist das gleiche Kapitel (SnE I 450) mit zwei Zeilen von Eilifr külnasveinn. Also auch durch Snorris Zitat darf die Halbstrophe als eine — durch die Kenning verklammerte — Einheit aufgefaßt werden. Kock zog dagegen Setbergs sunnr zu kveda sitja: Setbergs kvedja (!) sitja j Sunnra (!) at U.br. Er erhielt damit einen „logisch" einheitlichen Satz und verdarb die Halbstrophe. Hätte er die handschriftliche Überlieferung angesehen, hätte er vor dem sudr wohl doch Halt gemacht. 2 Bugges Spekulationen (Urdr = Jordan) in Studien S. 430ff. brauchen mcht noch einmal wiederholt zu werden; vgl. dazu schon Kahle, a.a.O. S.12f. und H. Pipping, SNF 17, 1926, S. 69.

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Der Dichter beruft sich durch das unpersönliche kveda im Stil alter epischer Formeln auf Gehörtes (vgl. LP 349 s. v.). Christus soll im Süden am Urdbrunnen sitzen. Dieser Urdbrunnen ist in der Dichtung nicht oft, aber wohl nicht zufällig gerade in Eilifs Zeit und nur in dieser bezeugt (die vollständigen Belege zu urär, m. und Urdr, f. bei Gehl, Schicksalsglaube S. 249). Außer Eilif nennen den Brunnen: Kormak 1,4 Vsp. 19 Hav. 111

komsk Urdr 6r brunni — yfir . . . Urdar brunni — Urdar brunni at

Urd wohnt also im Brunnen. Dort steht die Weltesche Yggdrasill. Falls man Vsp. 28, 11—13 dazustellen darf — drekkr miqd Mimir j morgin hverian / of vedi Valfgdrs —, wäre diese Quelle nicht nur von Odin gestiftet, sondern ein Teil seiner selbst, sein Auge. Es ist dann wohl auch Odin, der Hav. 111 pular stöli d / Urdar brunni at seine Sprüche verkündet. Die Beziehung Odins zu diesem Brunnen wird noch deutlicher, wenn man mit S. Bugge und Heusler die Strophe 111 zu dem dunklen, mystischen Stück Hav. 138 ff. zieht (SB 1917, S. 125f.). Der Urdbrunnen ist gerade zu Eilifs Lebzeiten ein kräftiges, wenn auch wie jedes echte Symbol nicht völlig auflösbares Bild. Die von Eilif geschaffene Kontamination Christus : Odin (und Schicksal) ist kaum zu bezweifeln. Daß sie gerade im Motiv des Urdbrunnens entstand, kann durch biblische Überlieferung veranlaßt oder jedenfalls wesentlich erleichtert worden sein. Zweimal wird Christus, an einem Brunnen (Wasser) sitzend, vorgeführt: Joh. 4,6, Jesus am Brunnen Jakobs sitzend {Erat autem ibi fons Jacob. Jesus ergo fatigatus ex itinere, sedebat sie supra fontem) und Offb. 22, 1—2 über den Wassern des Lebens (. . . fluvium aquae vitae, splendidum tamquam crystallum, procedentem de sede Dei et Agni). An der zweiten Stelle ist auch vom Lebensbaum die Rede. Die naheliegende Vermutung eines Zusammenhanges von Vsp. 19 und Offb. 22,2 ist längst ausgesprochen worden 1 . Natürlich hat der Skalde Eilif nicht die Vulgata studiert. Aber die biblischen Bilder können ihm bekannt geworden (kveda) sein — vielleicht wirklich in Gestalt von Bildern? —, und er verstand sie als eine neue Deutung dessen, was im heimischen Mythos schon da war. Wenn er die Quelle nach Süden verlegte — in der heidnischen Überlieferung war sie offenbar nicht fest lokalisiert —, war das nur konsequent, schon wegen Roms konungr (andere, weiter abliegende Gründe bei Ohrt, a.a.O.; vgl. auch W. H. Vogt, Wissensdichtung I, 1927, S. 41, Anm. 3. Im Südosten sieht Eva nach dem Genuß des Apfels den himmlischen Herren sitzen in der ags. Übersetzung der Genesis, V. 666f., Behagel4, 1933, S. 227). Daß das Bild „Christus am Brunnen" (nach Joh. 4,6) in der deutschen Dichtung früh Eingang fand, zeigen Otfrid II, 14 und ein kleines, dem Vulgata-Text genau folgendes Gedicht des frühen 10. Jahrhunderts, MSD 3 1 Kahle, a.a.O. S. 12f.: „Aber die Erwähnung des Lebensbaums mit der Quelle konnte genügen, um bei heidnischen oder halbheidnischen Dichtern die heimische Vorstellung von der Esche Yggdrasill und der Quelle der Urjjr anklingen zu lassen." Vgl. Bugge, Studien, a.a.O., ferner E. H. Meyer, Völuspa, 1889, S. 85f., 89.

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I 22—24, vgl. II 64—71 und Ehrismann I 207—211. Über einen Brunnen bei Rom wird ebenfalls in der altdeutschen Dichtung berichtet. So kennt Meregarto, MSD I 97, 43—48 einen Brunnen, der Augenkrankheiten heilt (vgl. ebda. II 194 über Isidor als Quelle). Einige Zeugnisse über den Paradiesesbrunnen 1.Mos. 2,10 aus der Patristik gibt Ohrt, a.a.O. S. 96. Die eine oder andere Vorstellung kann früh einem Nordmann bekannt geworden sein. Auch das zweite Bild der Halbstrophe ist, wie es scheint, eine Kontamination, diesmal mit Thor: ramr konungr Roms hefr remdan sik Iqndum setbergs banda. Die wenigen Belege für setberg aus der Dichtung wurden schon angeführt. Mit bqnd setbergs dürften die Riesen gemeint sein. Christus wäre dann hier in der ewigen Rolle Thors als Riesenbezwinger gesehen (bei Olaf d. Hlg. wird Ähnliches noch einmal zu beobachten sein), bqnd bezeichnet nun aber fast ausschließlich die Götter als bindende Mächte, vgl. LP 34 s. v. band 5; eddisch begegnet es nur einmal Häv. 109,6. Die Bedeutung „Riesen" für bgnd setbergs kann jedoch durch die Kenning einer Spottstrophe auf Harald Blauzahn (um 980, A 176, B 166) vielleicht gestützt werden: bqnd bergsalar. (Jönsson gibt LP 44 s. v. bergsalr „Riesen", LP 34 s. v. band „Götter" als Übersetzung der Kenning!) Eine Entscheidung scheint nicht möglich zu sein. Sollten bqnd die alten Götter sein, so wäre setbergs ein seltsamer Zusatz. Daß eher die Riesen gemeint sind, daß mithin Christus in der Rolle Thors gesehen wird, macht aber eine gleichsinnige Kenning der Thorsdrapa sehr wahrscheinlich: Str. 1 flugstalla god = Götter des Felsabsturzes = „Riesen". Die Riesen werden also bei Eilif nicht verächtlich, sondern respektvoll bezeichnet (vgl. Mohr, Kenningstudien, S. 77f.). Die Länder der Riesen (das Nordland insgemein?) also, sagt Eilif, habe sich der Romkönig unterworfen, der gleiche, der im Süden am Urdbrunnen sitzt. Hier muß die Interpretation abbrechen. Denn die Ungeheuerlichkeit einer solchen harten Fügung, die die zwei alten Hauptgötter entmachtet und gleichzeitig rettet durch die Vereinigung in der Gestalt des neuen dritten Gottes, kann man zwar feststellen, aber nicht eigentlich begreifen. Die hier versuchte Deutung der Halbstrophe als einer Kontamination Christi mit den zwei obersten Göttern des Nordens ist m. W. erst einmal andeutend von Neckel, Thule XX 226 vorgeschlagen worden. Mit Recht gilt Eilifs Vierzeiler — bei aller Dunkelheit im einzelnen — als eindrucksvollstes Beispiel für den nordgermanischen Synkretismus. d) Hafgerdingadräpa Die Landnämabök überliefert von diesem Gedicht die Einleitungsworte (Ldn. 1900, S. 124, Hb. c. 352) und die Stef-Zeilen (S. 35, Hb. c. 79; S. 156, Stb. c. 91). Das Vorhandensein der letzteren deutet darauf hin, daß es sich um eine anspruchsvollere Dichtung gehandelt haben muß. Die zweimalige Zitierung des Werkes bezeugt außerdem eine gewisse Berühmtheit. Die Begleitumstände lassen eine Datierung auf die Jahre unmittelbar vor 1000 zu. Der Dichter ist unbekannt, doch weiß die Ldn. S. 35, 156, daß er sudreyskr madr kristinn (S. 124 nur sudreyskr madr) war, ein Mann von 57

den Hebriden. N u r eine schlechte Hs. der Ldn. (AM 111) nennt als Dichter einen Innsteinn. Diese Nachricht wird falsch sein, nicht nur, weil der N a m e sonst in der Ldn.-Überlieferung überall fehlt, sondern auch, weil der N a m e im Altnordischen sonst nicht vorkommt (vgl. Lind, Dopnamn, Sp. 957 s. v. Steinn). Inhalt des Gedichts war — ganz allgemein, denn mehr wissen wir nicht — eine gefahrvolle F a h r t nach Grönland (ok kom i hafgerdingar [sc. Herjölfr], Ldn. S. 124). Das Gedicht ist in einem neuen Versmaß (hrynhent) gebaut, für welches m a n mit guten Gründen an den Einfluß kirchlicher Poesie gedacht hat. D a ß der Dichter dieser frühesten hrynhent-Dichtxmg gerade von den Hebriden s t a m m t , konnte de Vries mit Recht als nicht zufällig bezeichnen 1 . Das Gedicht begann mit der üblichen Aufforderung, dem Vortrag zu lauschen: Allir hlydi ossu fulli dmra fialla Dvalins hallar. „Alle mögen lauschen unserm Becher Dvalins!" Die Frage, ob füll Dvalins, eine korrekte Kenning für „Dichtung", „Gedicht", anzusetzen ist, oder ob Dvalinn noch näher bestimmt ist durch hallar dmra fialla (wodurch er zum Riesen würde), ist in diesem Zusammenhang gleichgültig. Die ganz ähnlich gebaute Kenning für Gott im Stef Z. 3—4 würde die zweite Lesart stützen können. Textkritische Fragen — vgl. Koek, N N 527, 1093, 2759 — übergehe ich, da es hier nicht auf Textherstellung, sondern auf den I n h a l t einiger wichtiger Formeln ankommt, die zweifelsfrei überliefert sind. — Die Dichtung wird also noch ganz in der heidnischen Weise als Geschenk des Dichtergottes aufgefaßt (vgl. Meißner, Kenningar S. 427—430); denn für ihn t r i t t oft ein Zwergen- oder Riesenname ein. Ein passendes Gegenstück liefert Hofgarda-Refr A 319,2,2: at helgu fulli hrafndsar. F ü r die Stef-Strophe gebe ich Jönssons Fassung (A 177, B 167, anders Kock, Sk. 90): Minar bidk at munka reyni meinalausan farar beina, heidis haldi hdrar foldar hallar dröttinn of mer stalli. Auffallend ist die Kenning munka reynir für Gott (oder Christus?). Sie ist nur hier belegt, reynir ist jedoch auch sonst in Umschreibungen seit alters 1 L G I 212; Paasche, Litt. Hist. I 238; Heusler, Altgerm. Dichtung 2 , S. 29, denkt an unmittelbaren Einfluß lateinischen Kirchengesangs. H. Kuhn, PBB 63, 205, hält das hrynhent für eine Schöpfung der nordbritischen Wikingerkolonien; de Vries L G I 212 schloß sich an. Vgl. auch neuerdings H. Lie, MoM 1953, S. 80ff., der das Maß nicht vom Kirchengesang, sondern von der lateinischen Gebetsliteratur ansprechend herleitet. — Daß ein einzelner, greifbarer Poet eine neue Gattung in die nordische Dichtung einführt, ist nichts Ungewöhnliches; man erinnert sich an Egil und die von ihm erstmals erprobte endreimende Dichtung, oder an J>6rarinn loftunga und die Einführung des toglag, de Vries I 211, 229 f. Der britische Ursprung des hrynhent wird auch durch die Person des Amörr jarlaskäld wahrscheinlich. Er dichtete auf den Orkneys und schuf dann in diesem neuen Maß seine Hrynhenda (1046).

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beliebt 1 . Die Bildung m u ß t e überraschen bei den Hörern. Wo konnten sie für das Verständnis anknüpfen? Vor unserm Denkmal finden sich folgende Zeugnisse für reynir in Kenningar, die mythische Wesen bezeichnen: Hüsdrapa 5 reynir fröns leggs folka für Thor (B 129; anders, jedoch ähnlich Kock-Meißner, Skald. Lb. I I , 140), im gleichen Gedicht Str. 6 reynir reyrar leggs = Riese. Dreimal ist reynir belegt vor 1000 in Kriegerbezeichnungen: reynir randa (B 166), vorher bei E i n a r r skal. in der Vell. Str. 7 Hedins böga raudmdna reynir, davor in der ersten Hälfte des 10. J a h r h u n d e r t s bei J ö r u n n skaldmaer (B 53) reynir iQgdis. (Die Strophe des Gunnar aus der Njala (B I I , 216, 21) mit der Umschreibung reynir darra driptar ist unecht, also viel jünger.) Neben zwei weltlichen Bezeichnungen für einen J a r l (reynir mannkyns, Arnörr B 318) und für einen König (r. hersa mättar, Markus B 419) bringt das 12. J a h r h u n d e r t zwei christliche Kenningar, die nach Sinn und F o r m wie munka reynir gebildet sind: der eben genannte Markus Skeggjason gibt kurz vor der Königskenning reynir hglda (Str. 27) für „ G o t t " ; wenig später n e n n t Gamli kanöki in Has. 52 (B 561) Gott reynir virda. Beide Bezeichnungen erscheinen wie Variationen zu munka reynir (reynir sannkiks bei Arngrimr B I I , 375 gehört erst in das 14. Jahrhundert). Englische u n d kirchenlateinische Vorbilder, a n die bei einem Mann von den Hebriden zu denken wäre, scheint es nicht zu geben. Unter den lateinischen Formeln für „ G o t t als Richter", die Rankin J E G P h i l . 8, 1909, 382f. zusammengestellt hat, rindet sich ebensowenig ein Vorbild wie unter den ae. Entsprechungen zu diesen (ebda. S. 417). Zu vergleichen wäre vielleicht ae. dugoda dimend (And. 87, 1189), s. H. Marquardt, S. 180f. Die Kenning munka reynir dürfte also unserm Anonymus zuzuschreiben sein. Sie war aber nicht sonderlich glücklich, weil sie den Hörern trotz der oben zusammengestellten Analoga reichlich dunkel oder wenigstens recht farblos bleiben mußte, denn Klöster und Mönche gab es auf Island zu dieser Zeit noch gar nicht. Die ersten Klöster wurden dort in der ersten Hälfte des 12. J a h r h u n d e r t s gegründet (vgl. Maurer, Island, 1874, S. 255ff.). Aber die Formel machte gleichwohl Schule. Schon eine Generation später spricht Skapti (s.d.) den S a t z : Mdttr es munka dröttins mestr (A 314, B 291). Paasche erinnert daran, daß in der Heimat des sudreyskr madr das ber ü h m t e Kloster J o n a lag. Das a d j . meinn bedeutet im Altn. durchwegs „schädlich" (in unpersönlichen Ausdrücken, ferner von Tieren und nur einmal von einem Menschen gesagt, Gunnlaug, Lv. 2, A 195). Die hier vorliegende negierte Form meinalauss im Sinne von „sündenfrei" setzt einen Bedeutungswandel für meinn voraus, der in ags. man, meene „falsch, gemein" greifbar wird. Der zweite Teil des Stef bringt eine prunkvolle Kenning für Gott: dröltinn hdrar hallar foldar „Herr der hohen Halle der E r d e " , d. h. des Himmels. 1

Das Wort gehört zu den ältesten bezeugten Wörtern des Nordens überhaupt. Auf dem Speerblatt von 0vre Stabu findet sich die Runeninschrift raunijaR. Schon hier dürfte das Wort einer gehobenen Sprache angehören, wie es denn auch später kein Prosa-Wort ist, vgl. Fritzner I I I 96 f. s. v. reyna, welches seinerseits vielfach belegt ist. Bugge, Wikinger S. 99 schließt aus der Kenning wohl zu sicher auf einen Mönch als den Verfasser des Gedichts. 59

Sinngleiche, wenn auch nicht immer so kostbare Umschreibungen sind zahlreich in der späteren christlichen Dichtung. Diesem Himmelsherrn wird nun ein stallr heidis zugeschrieben, wobei es unentschieden bleiben mag, ob der Dichter mit der doppelten Bedeutung von stallr („erhöhte Unterlage"— „Altar") gespielt hat. Die Bitte, der Herr möge die Hand über den Sprechenden halten, ist ganz gewöhnlich. Sie erinnert etwa an die zeitlich nicht weit zurückliegende Sigurdardräpa Kormaks (A 80, B 70): Algildan bidk aldar allvald of mir halda ys bifvangi Yngva ungr . . . Aber in der Hafg. richtet sich diese Bitte zum ersten Mal an Gott. Der Kunstgriff ist also mehr als einfach: die durchaus vorgebildete, bereitliegende Formel der Bitte, bisher an irdische Fürsten gerichtet, geht nun an den Himmelsfürsten. e) Die kredda des I 3 randr i Gotu Im Jahre 999 wurden die färöischen Inseln im Auftrage Olafs zur Annahme des Christentums gezwungen mehr als bekehrt. Die Vorgänge schildert ausführlich die Fsereyinga saga (Ausgabe von Rafn und Mohnicke 1883; vgl. auch Maurer, Bekehrung 1342—346). Die Hauptfigur der Geschichte ist E>randr. „Sein Verharren beim heidnischen Glauben, seine magischen Veranstaltungen und schließlich die primitive Art seines spät angenommenen Christentums sind auch religionsgeschichtlich interessante Züge" (de Vries I I 248f.). Die Saga gibt Überlieferung des 10. und 11. Jahrhunderts und ist in ihrer ältesten Fassung wohl um 1200 niedergeschrieben worden. Snorri muß sie schon gekannt haben (Rafn, Ein. S. Xllf., de Vries, a.a.O. S. 247—249). Sie enthält die äußerst merkwürdige kredda, das Credo des Thrand, in einer verstümmelt überlieferten Strophe, über deren Deutung und Bedeutung sich die Forschung nicht einig ist (vgl. Jönsson, LH I 472; Maurer, a.a.O. S. 346, Anm. 17; dens., Zs. Germania 12,234—236; Paasche S. 26f.). G. Thorlaksson, Udsigt S. 71 erkannte das Stück als fornyräislag-Stro'phe. Bei Annahme einer fehlenden Halbzeile kann sie so wiedergegeben werden (A 211, B 202; Kock, Sk. 106 und NN 575, 2463 D, 3064; Fiat. II 400): Gangat ek einn üt fjörir mir fylgja fimm gods englar, berk bozn fyr mir, bcen fyr Kristi, syng ek salma sjau, sii god hluta minn. „Trotz ihrer ungewöhnlichen Art und Beschaffenheit trägt diese Strophe doch alle Zeichen der Ächtheit an sich" (Rafn, a.a.O. S. IV). Das Credo muß vor 1035 gedichtet worden sein. Es ist die einzige Strophe Thrands in der alten Überlieferung. 60

Die fehlende Halbzeile hat man verschieden ergänzt. Kock, NN 2463 D, versuchte es, um eine Zahlenfolge Eins bis Sieben zu erhalten, mit annarr ne pridi; für Zeile 5 mußte er dann folgerichtig eine Sechs finden und nahm NN 575 eine Fehllesung in dem Wort mir an; dafür sei anzusetzen ui oder uj = sex. Jedoch müßte fyr in Z. 5 dann gestrichen werden. Der Gleichlauf Z. 5/6 wäre dann verloren. Rafn, a.a.O. S. IVf., hatte aber schon einen andern Weg gezeigt. In mündlicher Tradition erhaltene Verse religiösen Inhalts werden Thrand zugeschrieben. Unter diesen findet sich auf den färöischen Inseln folgende Strophe, die ihren Zusammenhang mit der kredda nicht verleugnet: Gjivnir eru Ajnglar gourir (af Gudi), Aj gengji e ajna udi, Ferum mujnun filgja Firn Guds Ajnglar; Bije e firi mär Ben, Bera tajr tä (Bon) firi Krisle, Singje e Sälmana sjej, Sär Gud til Säluna mujna. Die Wörter in Klammern sind für Rafn unecht. Nun konnte der erste Helming hergestellt werden: Gefnir eru einglar gödir, gangat ek einn üti, ferdum minum fylgja fimm guds einglar. Dieser Vorschlag, der mit fehlender erster Halbzeile rechnet, scheint richtiger zu sein. Eine Spielerei mit Zahlen bis Sieben war vielleicht gar nicht beabsichtigt. Das Bruchstück nennt, wenn man von einn = 'solus' absieht, nur fjörir, fimm, sjau, von denen fjörir noch dazu in ferdum geändert werden konnte. Es bleiben also fimm englar und salma sjau. Die Strophe wird in der begleitenden Prosa mehrfach mit dem ungewöhnlichen Wort kredda, f., bezeichnet. Es ist nur hier belegt und ist englischen Ursprungs (vgl. Fritzner II 3421, Fischer, Lehnwörter S. 53). Ae. crida hat das gleiche Genus, dagegen mnd. krede masc. Nach Maurer, Zs. Germania 12, 236, soll das Wort noch auf Island für „abergläubische Formeln" gebräuchlich sein, vgl. S. Blöndal, Isl.-dansk Ordbog 1920ff., S. 451. Zur Deutung dieses an. Credo hat man mehr oder weniger treffende Parallelen beigebracht, vgl. Fritzner II 342 f. s. v. kredda. Der Vergleichspunkt war dabei stets das Motiv der begleitenden Engel, das in der Tat nicht selten und in der Überlieferung hier anscheinend zuerst bezeugt ist 1 . 1 Vgl. S. Bugge, Gamle norske Folkeviser, 1858, S. 122; Hylten — Cavallius, Wärend och Wirdarne21 324 mit einem schwedischen Beispiel; Köhler, Zs. Germania 5, 448ff. zu Kindergebeten mit dem Motiv von den um das Bett versammelten Engeln, meist sind es zwölf; Nachträge ebda. 11, 435 ff. Zu dieser Sammlung gab dann Maurer ebda. 12, 234—236 unsere Strophe als an. und zugleich ältestes Beispiel, wenngleich das Motiv hier etwas anders ist als in den von Köhler gegebenen Verschen.

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Paasche, stets besorgt, dem Heidnischen in der ältesten christlichen Dichtung möglichst wenig Raum zu gönnen, sagt vom Credo des Thrand, a.a.O. S. 27, es sei' det eneste norT0neversfradennegamletid,somkan mistsen kesfor at ville awinde den nye religion magisk kraft' K Auf den vieldeutigen Begriff „magisch" will ich hier nicht eingehen. Daß jedoch Christliches auch außerhalb dieser Strophe sehr wohl zu magischen Praktiken verwendet wurde, ist bekannt. Man braucht nicht erst zum Reliquien-Kult zu gehen; schon die Benutzung des Kreuzes — neben heidnischen Symbolen — auf Runendenkmälern wird nicht ganz ohne Magie gewesen sein (vgl. DRI, Text, Sp. 837 ff., bes. 838). Weiterführend aber ist Paasches Bemerkung S. 26, daß das Credo seine Gegenstücke habe in Versen von magisch-beschützendem Charakter, die schon früh in christlichen Dichtungen germanischer Sprache zu finden seien. Ein frühes deutsches Beispiel ist der Weingartner Reisesegen (MSD 3 1 18): Ic dir nach sihe, ic dir nach sendi mit minen fünf fingirin funvi undi funfzic engili. Die Fünfzahl hier wie bei Thrand wollte Paasche von den fünf Wunden Christi herleiten, wie diese denn auch im altdeutschen Tobiassegen MSD I 186, V. 38—42 angerufen werden zu Schutz und Hilfe. Mit den Engeln hat die altnordische Dichtung offenbar nichts Rechtes anfangen können. Sie werden — abgesehen von den Mischvorstellungen der serir und disir — nur noch einmal bei Sigvat erwähnt. Zur Erfidräpa Olafs helga (um 1040) stellte Jönsson eine Str. 28. Es ist sehr fraglich, ob diese in die Drapa gehört, überliefert ist sie als Halbstrophe SnE I 450 (A 265, B 245): Endr riet engla senda Jördanar gramr fjora —fors pö heims ä hersi heilagt skopt— ör lopti. Paasche wies schon darauf hin, daß das Bild nicht der biblischen Tradition entspreche. Der Täufer wird nicht genannt, die vier Engel sind vielleicht Erfindung des Dichters. Eine heilige Vierzahl ist freilich nicht selten (Evangelisten, dienende Engel). Paasche nahm an, daß Sigvat auf seiner Romfahrt eine entsprechende Darstellung der Taufe gesehen habe. Das färöische Credo steht immerhin mit seinem Schutzengelmotiv in einem größeren Zusammenhang. Damit begnügte sich die Forschung. Aber die Aussagen der Strophe sind damit nicht erschöpft. Man kommt ihr näher, wenn man sie in den Zusammenhang der Saga stellt, was bisher nicht geschehen ist. Auf den schillernden Charakter Thrands — nach einem Wort König Olafs „einer der schlechtesten Menschen im ganzen Norden", c. 32 — kann hier nicht eingegangen werden. Daß die seltsame Entstellung christlicher Vorstellungen im Credo auf seine böse Art zurückzuführen sei, deutet die Überlieferung jedenfalls nicht an. 1 Lediglich „eine Formel zum Besprechen" wollte Maurer, Bekehrung I 346, Anm. 17, in der Strophe sehen, während Jönsson LH I 472 sie als 'bönsformular' gelten ließ.

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Der erste Missionsversuch auf den Inseln verläuft erfolglos. Thrands Widerstand ist entscheidend (c. 30). E r muß mit Gewalt „bekehrt" werden (c. 31), bis er den Eid schwört, at hann skal hafa ok halda kristiliga trü . . . Mit dem neuen Glauben geht es wie anderswo a u c h : nü för um kristni i Fsereyjum sem vidara annarstadar i riki jarlanna, at hverr lifdi sem vildi . . . (c. 35); n u r die Jarle halten a m Glauben fest. Von T h r a n d dagegen wird berichtet, at hann kastar raunar mjök trü sinni, ok allir hans kumpdnur. Bei einem Dingstreit behauptet er sogar, er h a b e viel Schädigung erfahren, ok pd mesta, er pü kügadir mik til sidaskiptis. C. 40 schildert Thrands ebenso dämonische wie auch bedenklich künstliche u n d deshalb junger Fabelei verdächtige Totenbeschwörung, die nicht ohne Folgen bleibt. Denn n u n gerdust aptrgangur miklar i Götu; Thrand wird von Gespenstern heimgesucht: peir söttu Prdnd svd mjök, at hann pordi hvergi einn at gdnga (c.48). Diese Nachricht klingt fast wie eine Umschreibung der 1. (2.) Halbzeile gangat ek einn üt. . . Bleiben noch Z. 5—6 berk bosn fyr mir, bozn fyr Kristi. W a s an recht unklarer Vorstellung hinter bozn fyr Kristi gesteckt hat, bleibt unerfindlich, syng ek salma sjau bezieht sich wohl auf die sieben täglichen Gotteslobe, die ihrerseits auf Ps. 118, 164 septies in die laudem dixi tibi zurückgehen. Der unmittelbare K o n t e x t des Credo (c. 56, S. 257f.) ist bemerkenswert. Von einer Umkehr Thrands zum christlichen Glauben war inzwischen keine Rede. Leif u n d Thora fahren zu Thrand, bei dem sich ihr Sohn Sigmund aufhält. Die Mutter veranstaltet eine Art E x a m e n mit ihrem Sohn. Fertigkeiten des Mannes beim Gerichtsgang sind das erste Thema. D a n n : pd spyrr nun, hvat föstri hans hefdi kennt honum i helgum freedum. Sigmundr kvedst numit hafa pater noster ok kredduna1: hun kvedst heyra vilja, ok hann gerdi svd, okpötti henni hann syng ja2 pater noster til nokkurar hlitar, en kredda 1

Kenntnis des Pater noster und des Glaubensbekenntnisses gehört zu den ältesten Forderungen der missionierenden Kirche, vgl. schon Cap. Eccles. 789, Cap. Francof. 794 u. a., dazu Cruel, Geschichte der deutschen Predigt im Mittelalter, 1879, S. 43ff. Cruel weist S. 46 auf eine Anekdote aus dem Anfang dos 13. Jahrhunderts (Caes. Heist., Dial. I I I , c. 6) hin, die zeigt, was dabei herauskommen kann, wenn Laien sich bemühen, das Pater noster lateinisch zu lernen und zu beten. Freilich ist es in der Anekdote der unsichtbare Teufel, der das Gebet aufsagt: Pater noster, qui es in coelum, nomen tuum, fiat voluntas et in terram, panem nostrum quotidianos da nobis hodie, sed libera nos a malo. „Sieh" — sagt die Figur der Geschichte—, „so pflegt ihr Laien euer Gebet zu sprechen." Cruel folgert daraus mit Recht, „wie seltsam in karolingischer Zeit das Paternoster und noch mehr das Credo im Munde der Laien häufig gelautet haben mag. 2 syngja befremdet nicht. Alles kirchliche Rezitieren wird syngja genannt (Fritzner I I I 633). Das Wort reicht in seiner verallgemeinerten Bedeutung bis zu „Gottesdienst halten". Man vergleiche auch Heliand, V. 32f.: die Evangelisten sollen ihr Werk fingron scriban, j settian endi singan endi seggian ford . . . Vgl. zu dieser Formel J. Schwietering, Singen und Sagen, Diss. Göttingen, 1908, S. 38.

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Prdndar er ä pessa leid: (hier folgt das Credo). Ok i pessu kemr Prändr i stofuna, ok spyrr, hvat pau tali. Pöra svarar, ok segir, at Sigmundr, son hennar, haß, flutt fyrir henni frseäi, pau er hann hafäi kennt honum: ok piki mer eingi mynd d, segir hun, ä kredö. pvi er svä hättat, sem pü veizt, segir Prändr, at Kristr ätti tolf Iserisveina edr fleiri (!), ok kunni sina kreddu hverr peirra (!); nü hefi ek mina kreddu, en pu pä er pu hefir numit, ok eru margar kreddur (!), ok er slikt, segir hann, eigi ä eina lund ritt — „und jeder von ihnen h a t t e sein eigenes Credo. J e t z t habe ich mein Credo, wie du das, was du lerntest, und es gibt viele verschiedene Glaubensbekenntnisse. Sie brauchen nicht alle gleich zu lauten, u m richtig zu sein." Eine merkwürdige Verteidigung des Dichters gegenüber dem Vorwurf, nicht das richtige Glaubensbekenntnis gelehrt zu haben! Die Prosa s t a m m t gewiß aus geistlicher Feder. Aber heißt das zugleich, der Schreiber habe sich diese häretischen Ansichten ausgedacht? Können die Worte nicht auch wirklicher Überlieferung entstammen? F ü r T h r a n d , falls er so gesprochen haben sollte, lag in der Verteidigung noch keine Häresie im Sinne bewußter Abweichung vom Überlieferten. I h m war so gut wie nichts überliefert. E r h a t t e nur etwas läuten hören. Anderseits: in der Topik heidentumsfeindlicher Schreiber begegnen die Argumente T h r a n d s weder im Norden noch, soweit ich sehe, sonst irgendwo im Schrifttum des Mittelalters 1 . Gerade die Einmaligkeit der Ausführung Thrands spricht für ihren ursprünglichen Charakter. Ein Kleriker würde sich dergleichen schwerlich ausgedacht haben. E r h ä t t e wahrscheinlich verdammende Worte hierher gesetzt. Oder fand selbst der Schreiber die Verteidigungsrede nicht nur überlieferns-, sondern auch bedenkenswert? Wie dem auch sei, m a n sieht erst nach der Hinzunahme der umgebenden Prosa, in welch einem Bereich verworrenster Religiosität m a n sich hier bewegt, k o m m e sie nun wirklich Thrand oder nur der Phantasie eines späteren Verfassers zu. Denn es wird doch nicht mehr u n d nicht weniger behauptet, als daß jeder Mensch sein Credo habe (nü hefi ek mina kreddu), und zwar mit dem gleichen Recht, mit dem die zwölf (oder mehr!) Apostel 1

Etwas anderes ist die offenbar schon sehr früh einsetzende Überzeugung von der geistigen Dürftigkeit der Evangelisten und Apostel und die damit verbundene Kritik am Bibelwort: die Apostel hätten nicht alles gewußt oder jedenfalls nicht alles ordentlich mitgeteilt, eine Kritik, die sich scheinbar auf Joh. 16, 12 stützen konnte. Daß wirklich so argumentiert wurde, zeigen die Prozeßeinreden gegen die Häretiker von Tertullian, c. 22 und 23 (Bibl. d. Kirchenväter, Bd. 24, Tertullians ausgew. Schriften I I , 1915, S. 327ff.). Vgl. zu dieser Frage auch F. P. Pickering, Euphorion 47, 1953, S. 23. Kein Geringerer als Goethe schloß sich dieser uralten skeptischen Tradition an, wenn er im Divan (hg. v. Beutler, 1948, S. 114) die Jünger ihre Evangelien verfassen läßt: Und jeder schrieb, so Schritt vor Schritt, Wie er's in seinem Sinn behielt, Verschieden. Es hat nichts zu bedeuten: Sie hatten nicht gleiche Fähigkeiten; Doch damit können sich die Christen Bis zu dem Jüngsten Tage fristen. 04

ihre persönlichen Bekenntnisse hatten. Stolzer (und für den neuen Glauben gefährlicher, — auch deshalb kaum aus einer mönchischen Feder —) k o n n t e ein soeben erst Bekehrter nicht mit der neuen Religion umgehen. Die Vorstellung der einen kanonischen Wahrheit ist noch fern. f) Björn Hitdcelakappi Die berühmte, schon mehrfach gerade auf ihren religiösen Sinn hin erörterte Strophe steht im 31. K a p . der Bjarnar saga Hitd. 1 . Sie lautet (A304, B282): Undr 's ef ekki benda —opt vakir drengr at lengrum— ögn hejk fyrda fregna, fratnvisar mir disir, pvit armleggjar orma Ilmr dagbcejar hilmis heim ör hverjum draumi hjalmfaldin bydr skaldi. Vigfusson, Corp. poet. I I , 105f., schied die Strophe ohne Gründe als unecht aus, sagte aber U m Timatal S. 459, Anm., im Gegensatz dazu: Visur Bjarnar prjär hinar sidustu eru mjög fornar og djupt kvednar. Die Strophe gilt heute wohl allgemein als echt. Björn spricht sie a m Morgen seines Todestages. Von seiner F r a u gefragt, schildert er seine ahnungsvollen Träume u n d fügt hinzu: petta hefir mik opt dreymt. . . ok nü med mestu möti i nött. Der Tod Björns 1024 datiert mit erwünschter Genauigkeit die Strophe. (Es verwundert daher, daß zwar Skj. B I richtig das J a h r 1024, A I dagegen 1022 nennt. Zur Datierung vgl. Boer, Einl. S. X V — X I X . Björn dürfte danach von 989—1024 gelebt haben.) „Eine Mischung heidnischer und christlicher Vorstellungen" fand Kahle in der Strophe „des früher heidnischen, später getauften" Dichters. Der hilmir dagbcejar2, „der Fürst (eigentlich der Behelmte) der Tagesw o h n u n g " = des Himmels sendet — so wird man die Aussage der zweiten Strophenhälfte ergänzen müssen — aus der Schar der Disen eine, die Ilmr armleggjar orma, helmbedeckt, u m Björn einzuladen, ins Jenseits zu k o m m e n 3 . 1 Hrsg. von Vald. Äsmundarson, Reykjavik 1898; von R. C. Boer, Halle 1893, dort S. 102f. zur Strophe. Ferner Gislason, Udvalg S. 156; Kahle, Arkiv 17, 1901, 13; Rieger, ZfdA 42, 1898, 286; W. H. Vogt, Arkiv 37, 1921, 27ff., besonders S. 55, 65; Vogt geht jedoch nicht auf den religiösen Gehalt der Str. ein. 2 Auf die gestörte Überlieferung dagbcejar : dagleggjar (verursacht wohl durch armleggjar) brauche ich nicht einzugehen. Die Konjektur Gislasons ist fast allgemein gutgeheißen worden. Sie wird überdies'gestützt durch Plac. 18 dröttinn dagbcejar. Nur I F I I I 1 9 7 kehrte zur handschriftl. Überlieferung zurück. 3 Diese Vorstellung begegnet in der an. Dichtung noch öfter. Vgl. Gisla-saga (AnSB X, 86, Str. 27 = B 101, 26), Söl. 38. „Die ganze Auffassung (der BjörnStrophe) erinnert lebhaft an die Schlußstrophe der Kräkumäl, in welcher der christliche Dichter dieses prächtigen Liedes so glücklich die alte Auffassung des Heidentums vom Leben nach dem Tode bei Öpinn zu schildern wußte" (Kahle a.a.O.).

5 7382 Lange, Studien (Palaestra 222)

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Für Kahle war es sicher, daß mit der Kenning „sicher Gott, und nicht etwa Odin" gemeint sei. Auch Gislason a.a.O. hielt es für sehr unwahrscheinlich, daß der heidnische Gott gemeint sei (so auch Jönsson LP 76 und Paasche S. 32, anders jedoch Rieger, der die framvisar disir als Abgesandte Odins versteht); zugegeben wurde freilich, daß der Dichter „offenbar von den Boten Gottes, den Engeln, keine klare Vorstellung" gehabt habe, sondern daß er sich diese „nach Art der Botinnen Odins, der Valküren" gedacht habe (Kahle). Der innere Widerspruch ist deutlich: Wie sollte sich ein Dichter die Engel nicht richtig, das viel schwieriger zu fassende Wesen des christlichen Gottes aber richtig vorgestellt haben können? Wie sollte er ferner dem christlichen Gott die heidnischen Jungfrauen beiordnen können? Mußte nicht der Gott durch diese Gesellschaft selbst zum nicht mehr ganz christlichen Gott werden? Aber die Grenzen zwischen hie heidnisch — dort christlich gibt es noch gar nicht in der von den Forschern manchmal angenommenen Deutlichkeit. Die Mischung der Vorstellungen versteht denn Kahle auch wohl ganz äußerlich: christlicher Gott und heidnische Walküren (als mißverstandene Engel). Die Wahrheit wird aber vielmehr sein, daß Björn sich weder den christlichen Gott noch die Engel „richtig" gedacht hat, daß er vielmehr beide in der altüberkommenen Weise heimischen Vorstellens gesehen hat. Zudem: Engel können die disir dieser Strophe schon deshalb nicht sein, weil um 1000 die gesamte abendländische Kunst die Engel, übereinstimmend mit der Bibel, als Männer auffaßt. — Gislason stellte sogar vier Gründe dafür zusammen, daß hilmir dagbcejar den christlichen Gott bezeichne: 1) Björn sei schon 20 Jahre Christ, 2) er sei ein Freund Olafs d. Hlg. gewesen, 3) er baute eine Kirche und 4) dichtete eine (verloren gegangene) Thomas-Drapa. Wie weit sind diese Gründe stichhaltig? Die Saga — außer den Strophen — sagt uns nicht eben viel über die religiösen Anschauungen des Helden. Er war in England bei Knut (c. 5), dann zwei Winter bei Olaf, wo er gewiß manches vom neuen Glauben sah und hörte. Olaf ermahnt ihn, das Wikingern zu lassen: pd verdrpö opt guds retti raskat, c. 9. Freundschaft verbindet ihn mit dem König (ok vdru sättir heilum sdttum). Von einer Bekehrung und Taufe verlautet nichts. Björn muß aber inzwischen Christ geworden sein, denn in seiner Heimat läßt er in Vellir eine Kirche bauen: Ä Vollum let BJQrn gern kirkju ok helga medgudi Tömdsi postola, ok vm kann orti Bjgrn drdpu gada (c. 19). (Zur Nachricht über diese Drapa vgl. Vogt, Arkiv37, 40f. und Boer, Einl. S. XXVIII, XXXIII). Er feiert Weihnachten nach Christensitte (ok var par sungit annan dag jöla, c. 27) und gewinnt durch Güte den Freund Thorstein, mit dem er einen Vertrag schließt, der nicht die Blutrache, sondern andere Maßnahmen der Rache zum Inhalt hat, falls einer von beiden stirbt, sdmir pat betr kristnum monnum (c. 29). Soweit die Saga. Björns Strophe darf bei der Frage — ob heidnisch, ob christlich — nicht isoliert betrachtet werden, wie das immer wieder geschehen ist. Es dürfen nicht nur Gislasons (aus der Prosa gewonnenen) Gründe für den Christengott angeführt werden, sondern: aus der gesamten Dichtung Björns — es sind immerhin 27 Strophen — muß man versuchen, ein Bild seiner Vorstellungswelt zu gewinnen. Dabei spielen die nicht wenigen Kenningar mit heidnischen Götternamen eine wichtige Rolle. 66

Das Gramagaflim bietet nichts zum Thema. Ziemlich gleichmäßig sind aber über die L w . mythologische Kenningar verteilt. An weiblichen Wesen niederen Ranges — die großen Göttinnen fehlen — werden genannt (Strophenzählung nach B 276—283): Lofn 1, Hrist 2, Hlgkk 3, Rindr 10, Gefn 12, Njgrun 12, Nauma 20, Ilmr 22, Eir 24, zusammen neun. Wichtiger sind die Umschreibungen mit den Namen großer Götter: odds Ullr = Krieger 12, grdp Pundar = Kampf 18, björr Hgars = Dichtertrank 21 (de Vries, Skaldekenningen S. 78 bezeichnet diese Kenning als bewußt archaisch, wahrscheinlich gebildet nach Ejrvinds Hgars lid, Hai.), eggjar Yggr = Krieger 20 (trotz Äsmundarson S. 103, Boer S. 100 z. St; de Vries nimmt den Odinsnamen an, ebenso Jönsson und Kock), und endlich Mgis dyrs runnr = Krieger 23. Eine merkwürdig unbestimmte Kenning für „Krieger" bringt noch Str. 18 sverda raddgod = godraddar sverda, in der der sing, god auffällt. Endlich sei noch die altertümlich anmutende Zeile 17,6 angeführt: jökk tajn i dag hrafni Es wäre zu gewagt, in dem hrafn auch noch eine Hindeutung auf Odin sehen zu wollen, obgleich das nicht fern läge, vor allem, wenn man an die sicher noch religiöse Bedeutung von tafn in der Strophe des Helgi trausti (B 94) denkt: guldum galga valdi Gauts tafn, en nd hrafni. Björn konnte diese Strophe wohl noch kennen. Ihre Entstehung lag zwei Generationen zurück. In dieser poetischen Umgebung also steht dagboejar hilmir. Die Liste der mythologischen Kenningar lehrt folgendes: 1. Die kleinen weiblichen Gottheiten werden bevorzugt zur Bildung von Frauenbezeichnungen. Das ist üblich, nichts Besonderes. 2. An großen Göttern werden genannt ^Egir (diese Gestalt schwankt zwischen Riese und Gott), Ullr, und nicht wenigerals dreimal Odin. Thor fehlt. 3. Die Odinskenningar stehen in den Schlußstrophen, dort wo es ernst wird und vom Tode die Rede ist. Zufall? Die beiden Traumstrophen (20, 22), in ihrer Nähe zum Tode, nennen je einmal Odin, wenn man hilmir dagboejar hierher zählen will, wozu Pundr 20 wohl einiges Recht gibt. Bemerkenswert aber bleibt — und darin liegt ein Unterschied dieser Gottesbezeichnung zu den mythologischen Kenningar —, daß hier der Gott selbst gemeint und nicht mit einem eigentlichen Namen genannt wird. Er ist nicht mehr der alte Odin, sondern hilmir, allgemein. Seine Dis aber wird ausdrücklich hjalmfaldin genannt. Sollte sie auf ihren behelmten, doch wieder odinartigen Herren zurückweisen? Odin und der christliche Herr des Himmels vermischen sich hier zu einer eigentümlich vieldeutigen Gestalt. Im nächsten Jahrhundert sollte es deutlicher werden, wer im dagbosr herrscht: Dyrdhittir bad dröttin dagboejar ser toeja. (Plac. 18) 5«

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Die alte Frage der Forschung, ob bei Björn Odin oder der christliche Gott gemeint sei, ist in dieser alternativen Form falsch gestellt. Odin ist noch da, Gott ist schon da. Sie treten zusammen zu einem neuen Gott, dem Björn mit dem gleichen Ernst gegenübersteht (ohne über die Herkunftsfrage zu reflektieren) wie später der Dichter des dröttinn dagbcejar und früher der Verehrer des Gautr. Glaubensweisen dieser frühen Zeit nachzuvoliziehen, ist nicht möglich. Wir können sie nur auseinanderlegen und uns helfen mit dem Begriff Synkretismus. Für diesen ist die Strophe Björns ein Beispiel. g) Skapti E>öroddsson Mättr es munka dröttins mestr; aflar god flestu; Kristr sköp rikr ok reisti Roms hott vergld alla. Snorri überliefert die Halbstrophe des 1030 gestorbenen isländischen Gesetz Sprechers (SnE I 446—448; A 314, B 291) in dem Kapitel Hvernig skal Krist kenna? an zweiter Stelle, nach dem Bruchstück des Eilifr. Die Ldn. gedenkt des hochberühmten Skapti zu wiederholten Malen, ohne seine Dichtkunst zu erwähnen. Auch sonst ist er seiner Bedeutung entsprechend oft genannt (vgl. Kristnisaga c. 15,2 und die ausführliche Anm. z. St.). Eine Drapa von ihm auf den heiligen Olaf ist nur indirekt bezeugt. Jönsson hat LH I 555 die Vermutung ausgesprochen, daß die obige Halbstrophe aus einem Gedicht stamme, das Skapti vielleicht anläßlich der Errichtung einer Kirche verfaßt habe (so auch Kahle, Kristnisaga S. 47, Anm. und früher schon SnE III 552). Ein Kirchbau wird dem Dichter Forns. (1860) S. 160f. zugeschrieben. Anlaß und Umfang des Gedichts aber bleiben dunkel. Als Thema möchte man, der Halbstrophe nach zu urteilen, am ehesten eine Art Summa des Glaubens vermuten. So klein und kunstlos das Stück auch ist 1 , so wichtig ist es inhaltlich. Die Kenning munka dröttinn wurde schon bei der Besprechung der Hafg. behandelt. Der dat. des superl. flestu ist mit Meißner, Skald. Lb. I I 4 1 gewiß mit „alles" zu übersetzen. Die bequeme Reimfigur mestr : flestu kommt noch einmal bei Hallbjprn hali, B 521, vor. Schwierig und wohl kaum endgültig zu beantworten ist die Frage, ob zwischen munka dröttinn — god — Kristr ein Unterschied gemacht oder ob nur an eine göttliche Person gedacht ist. Denn man wird für die Interpretation der 3. 4. Zeile wohl kaum annehmen dürfen, daß die biblische und theologische Lehre von der Beteiligung des präexistenten Christus am Werk der Weltschöpfung schon vor 1030 auf Island bekannt war oder verstanden worden wäre. Anders entscheidet Paasche, a.a.O., S. 25, der mit Unrecht, 1 de Vries erwähnt Skapti in seiner Lit.gesch. gar nicht. Vgl. jedoch Jönsson, LH I 554f., woselbst weitere verlorene Dichtungen angezeigt sind, und Thorlaksson, Udsigt S. 103 f.

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wie ich glaube, als Parallele an das deutsche Gedicht „Die drei Jünglinge im Feuerofen" MSD 3 I 135 erinnert: wir giloubin ani den Crist der gischuf alliz daz dir ist. Das Gedicht ist nicht nur jünger, m a n darf auch die J a h r h u n d e r t e längere Vorgeschichte solcher Aussagen nicht gänzlich außer acht lassen. Dies Bedenken zugegeben, bleibt nur der Ausweg, in den drei Bezeichnungen ein Wesen v o n ungeteilter, umfassender Machtvollkommenheit zu vermuten. Roms hgll h a t m a n 1 konkret als „ L a t e r a n " verstehen wollen. Aber wäre das nicht etwas wenig neben vergld allal Die innere Symmetrie scheint einen größeren Begriff zu fordern. Den großen Ausdruck lifs hgll „Halle des ewigen Lebens" sollte erst Liknarbraut (A I I 156, B I I 168) schaffen. Roms hgll wird „ K i r c h e " im allgemeinsten Sinne oder eine imaginäre Halle, gleichsam als Protest- und Konkurrenzbildung etwa zu Herjans hgll (A 649, 29), bedeuten. Entscheidend — und in der altnordischen Dichtung hier zum ersten Mal ausgesprochen — ist aber der grundsätzlich neue Gedanke: skdp . . . vergld alla, ausgesagt von einem Gott. Vsp. 65 inn riki . . . sä er gllo rsedr ging noch nicht so weit. Dort heben auch noch Burs synir 4,1 die Erde aus dem Meer; zum zweiten Mal (59,1—4) entsteht sie ohne Beihilfe irgendwelcher Wesen. Erst der christliche Gott ist der Weltschöpfer. Er u n d Christus gehen hier noch in eins, wie so oft in der an. Dichtung. Den heidnischen Göttern war dieses Schöpfungswerk nicht zugetraut worden. D a s biblische Vorbild ist deutlich: In principio creavit Deus caelum et terram, welchen Satz d a n n später Söl. 48,3 übersetzt säs skdp haudr ok himin. Skaptis Satz, so selbstverständlich er später anmutet, ist für diese Zeit bald nach 1000 eine gedankliche Revolution. Die Gewichte verschieben sich, eine neue Perspektive auf die Wirklichkeit hin wird geschaffen. Denn wenn die Welt, in ihrer Entstehung bisher kaum spekulativ erörtert, eine geschaffene ist, d a n n muß der Schaffende nicht nur größer als diese, er m u ß auch außerhalb dieser sein. Die Konzeption eines creator mundi verkleinert den mundus, der zum Teil einer größeren Welt wird. I n der größeren Welt, die die geschaffene Erde mit einschließt, regiert ein Herr von bisher nicht gewußter Machtvollkommenheit. Von hier aus wird verständlich, daß erst jetzt ein näheres Verhältnis von Religion und Sittenlehre beginnen k a n n 2 , eine Durchdringung, deren bedeutendstes poetisches Zeugnis d a n n die Sölarljöd werden sollten. 1 Kock—Meißner, Skald. Lb. I I 88 s. v. hgll. Neckel, Slg. Thule X X 226 erläutert „apostolischer Sitz". Zu der vielfältigen Verwendung von hpll in Konningar vgl. LP 310; ebda. S. 471 wird Roms hpll als „Rom selbst" verstanden. 2 Es ist oft bemerkt worden, daß die heidnische Sittenlehre (Hav. 1—77) so gut wie ganz frei ist von Beziehungen zur Religion. Der Grund liegt darin, daß die Götter noch nicht Gesetzgeber sind, daß sie es gar nicht sein können. Der erste Gesetzgeber tritt in der umstrittenen Strophe Vsp. 65 auf. Die tief religiösen Strophen Häv. 138 ff. sind gerade ohne Beziehung zur Sittenlehre.

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2. Späteres 11. Jahrhundert N e b e n der wenn auch nur bruchstückhaft überlieferten Fülle christlicher Dichtung u m u n d bald nach 1000 mutet das, was das ganze übrige 11. J a h r h u n d e r t zu d e m T h e m a sagt, seltsam dürftig an (vgl. S. 29f. die Liste der Verluste). Die gleiche Beobachtung, in kleinerem Maßstabe, wurde schon a n der Wortgeschichte zu gipt, gipta anläßlich der Strophe des J»örbiörn Disarskald gemacht. Die zweite u n d d r i t t e christliche Generation hat anscheinend weniger zu dem neuen T h e m a zu sagen als die erste. Allein, dieser Befund darf nicht überbewertet werden. Die Mitte des J a h r h u n d e r t s bringt die Hoch- und Endzeit der Wikingerkultur. Das J a h r 1066 bedeutet nicht nur die endgültige Niederlage der Nordmänner in England, sondern — damit in engstem Zusammenhang — eine beträchtliche Minderung des englischen, das heißt aber vornehmlich auch christlichen Einflusses auf den Norden. Umfang und Leistung der nordischen Dichtung nehmen nach dieser K a t a s t r o p h e überh a u p t a b ; folgerichtig, aber in mehr als angemessenem Verhältnis, auch die christliche. Dazu k o m m t ein weiterer Gesichtspunkt, der bei der Bewertung des Umf anges christlicher Dichtung nicht außer acht gelassen werden darf: was a n skaldischer Dichtung erhalten blieb, verdanken wir altertumsfreundlichen, gelehrten Sammlern, voran Snorri. I h m und seiner Zeit konnten die ersten Versuche christlicher Dichtung, verglichen mit dem, was die eigene Zeit auf diesem Gebiet leistete, nicht mehr rettenswert erscheinen. E s lassen sich aber noch weitere Gründe für einen tatsächlich geringen Umfang christlicher Dichtung im 11. J a h r h u n d e r t angeben: 1. Die Geistlichen sind während dieser Zeit ausschließlich und mit großer Energie auf die G r ü n d u n g u n d Festigung der Kirche bedacht. Die missionierende Kirche dichtet noch nicht. 2. Religiöse Bewegungen von durchgreifender, auch die Dichter ergreifender Art bringt erst das 12. J a h r h u n d e r t . Das Christentum h a t vorerst nicht mehr den R a n g des Erregenden, Neuen. 3. Pflegestätte geistlicher Dichtung ist überall u n d naturgemäß das Kloster. Solche S t ä t t e n gibt es erst im zweiten Drittel des 12. J a h r h u n d e r t s . Der Bericht über die Dichtungen des 12. J a h r h u n d e r t s wird zu zeigen haben, daß der Aufschwung christlicher Skaldik zu dieser Zeit von den Klöstern ausgeht. a) Arnörr jarlaskäld A m o r dichtet im mittleren Drittel des 11. J a h r h u n d e r t s . E r begegnete uns als Christ schon bei der Beobachtung, daß Aussagen christlichen Geistes — bis hin zum ausgesprochenen Gebet — häufig im Schluß der Preislieder zu finden sind 1 . Unter den nicht näher bestimmbaren Bruchstücken, die u n t e r seinem Namen laufen, findet sich die bemerkenswerte 1 Vgl. oben S. 39f.; Jönsson, LH I 620ff. schildert den Dichter als friedliebend und erwähnt dessen ausgeprägte Religiosität. Vgl. auch de Vries, LG I 257ff., 262.

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Halbstrophe, die Snorri als Beispiel für die Umschreibung des Himmels anführt (SnE I 320; A 353, B 326): Mikdll vegr pats misgqrt pykkir manvitsfrödr ok alt et göda; tyggi skiptir sidan seggjum solar hjalms d dcemistöli. Wegen des hrynhent-M.&ßes erwog Jönsson S. 625, ob die Halbstrophe nicht zu Amors Hrynhenda gehört haben könnte. Paasche, a.a.O. S. 46, vermutete, daß dieses Stück eher Teil eines verlorenen christlichen Gedichtes sei. Doch läßt sich das auf keine Weise über den Rang einer bloßen Vermutung erheben. Ebensogut wäre es möglich, daß unser Bruchstück aus der Erfidrapa auf Gellir f»orkelsson stammt, die die Laxdcela saga c. 78, 19 (AnSB 4, S. 232) bezeugt, besonders im Hinblick auf einen Kirchenbau Gellirs: Hann let gera kirkju at Helgafelli virduliga mjgk, svä sem Arnörr jarlaskdld vdttar i erfidrdpu peiri, er hann orti um Gelli . . . Im Gedenklied auf einen Kirchenstifter hätte das Michael-Stück wohl Platz; allein das Gedicht ist verloren. Zunächst zum Wortschatz der Halbstrophe: misgera „sündigen" ist poetisch hier zuerst belegt. Es kommt auch sonst nur im part. vor (Has. 51, Hsv. 139). Die Prosabelege (Fritzner II 708) stammen alle aus christlichen oder Rechtstexten. Das zugehörige subst. misgerd, f., erscheint poetisch nur Has. 52. manvitsfrödr „verständig" ist hap. leg. dosmistöll, in der Dichtung hier zuerst. LP 94 verzeichnet fälschlich nur die Kätrinardräpa des 14. Jahrhunderts. Arnor benutzte in seiner Drapa auf Thorfinn die Voluspä. Der Gedanke liegt nahe, im vorliegenden Bruchstück einen weiteren Anklang zu hören, und zwar an die umstrittene, nur in H überlieferte Str. 65: pd kemr inn riki at regindömi, oflugr, ofan, sd er gllo rsedr. In beiden Fällen ist vom letzten Gericht in Form einer Ankündigung die Rede; man wird das jedenfalls auch für Vsp. annehmen müssen trotz Müllenhoffs richtiger Bemerkung, daß schon in Ragnarök eine Art letzten Gerichtes stattgefunden habe. Paasche, a.a.O. S. 42, machte darauf aufmerksam, daß hier bei Arnor zum ersten Mal in der nordischen Dichtung Michael genannt wird (zur Namensform vgl. Gislason, Efterl. Skr. II, 1897, S. 66). Er verwies ferner auf naheliegende biblische Vorbilder, vor allem Hiob 31,6. Zu nennen wäre aber doch vor allem der Passus aus dem Apostolicum: inde venturus est iudicare vivos et mortuos —• papan mon hann koma at dema kykva ok daupa. In das Bild vom weltrichtenden Christus setzte das Mittelalter den Erzengel mit ein. Diese Vorstellung scheint, wenn man den Prosaquellen trauen darf, schon in der ersten Missionszeit Islands gepredigt worden zu sein. Nicht nur dieKristnisaga 7,7 läßt f>angbrandr von Michael sagen: Hann er settr tili pess, at fara mdt sdlum kristinna manna, was noch nicht unbedingt 71

auf eine Funktion im Endgericht deuten m u ß ; ausführlicher weiß die Njäla c. 100 in der gleichen Szene zu berichten (welche Stelle Paasche S. 43 f. allein anführt): hann skal meta allt pat, er pü gerir vel, ok er hann svd miskunnsamr, at hann metr pat allt meira, er honum pykkir vel. Nach so freundlicher Schilderung entschließt sich Hallr: Eiga vilda ek hann mir at vin1. I n der mit A m o r gleichzeitigen Dichtung begegnet nur einmal das Wort Mikälsmessa'*, sonst k o m m t der Erzengel, jedenfalls unter seinem Namen, nicht vor. Es bleibt das Verdienst Amors, diese für das Mittelalter so wichtige Vorstellung vom Erzengel Michael in die Dichtung eingeführt zu haben. F a n d das Bild auch so bald keine weitere Ausführung, es war jedenfalls da. Dieser Befund sowie die spätere große Rolle Michaels in der Dichtung spiegelt sich auch in der Namengebung; erst im 14. J a h r h u n d e r t wird Michael als Personenname gebräuchlich (Lind, Dopnamn, Sp. 770—772). Aber von wo k a m dem Dichter diese Kenntnis? A m o r war ein weitgereister Mann. E r war in Norwegen und auf den nordbritischen Inseln, ob auch in Dänemark, ist ungewiß (vgl. A. Bugge, Zs. E d d a I 369, 373). I m Ostseeraum, besonders aber auf Bornholm läßt sich an etlichen Runeninschriften zu ebendieser Zeit das Aufkommen der Rolle Michaels als Seelenhelfer mit Sicherheit belegen 3 . Michaels Rolle im Endgericht ist ohne rechte biblische Autorität. Sein Kampf mit dem Drachen Offb. 12,7 ff. ist etwas anderes. (Ep. J u d a e V. 9 1 In der späteren Dichtung sollte St. Michael dann eine große Rolle spielen, doch liegt Draumkvaedi schon außerhalb des hier zu behandelnden Zeitraums: Dse va sankte saale-Mikkjel, han vog i skaalevigt; so vog han adde syndesaaline burt ti Jesum Krist.

Vgl. M. Moe, Sld. Skrifter I I I 197—356; S. Bugge, Norsk Tidsskrift 1854/55, S. 102ff.; Paasche, a.a.O. S. 44f.; dens., Zs. Edda I, 1914, S. 33—74. 2 Oddr kikinaskäld, A 354, B 327: Vas fyr Mikälsmessu j malmgrimm haut rimma. 3 Zur Sonderstellung der bornholmischen Runenkunst vgl. BrondumNielsen, NK VI, 1933, S. 136ff., ferner M. Kristensen, DSt 1930, S. 155f., E. Moltke.DSt 1934, S. 9ff., besonders S. 17f., endlich DRI, Textband Sp. 785f., 991. Die Runentexte — wichtig in unserm Zusammenhang auch wegen des schon S. 44 behandelten Wortes hialpa — sind in ihrer mutmaßlichen zeitlichen Reihenfolge (DRI, Nr. 380, 402, 212, 398, 399) diese: 1. Larsker I I : kup tr[u]tin hifajlbi hans ont auk sata mikial. 2. Klemensker IV: kup hialbi siol hans auk sata mihel. 3. Tillitse: kristr hialbi siol hans aok santa migael. 4. 0ster Larsker I I : kristr hialbi sialu hans auk sata mikel auk sata maria. 5. Klemensker I : kristr hialbi siolu [aup-]biarnar auk ku[niltar] auk santa mikel i lius auk baratis. Zur doppelten Überlieferung der letzten Inschrift vgl. DRI, Nr. 399. In D R I werden diese Denkmäler sämtlich der Periode 3,2 zugeschrieben, während Wimmer eine genauere Datierung glaubte wagen zu können. Seinen Angaben (Runemindesmserker, Haandudgave 1914) folgt die obige Reihenfolge für die Steine 1—3 und 5. 72

gilt als dunkel, vgl. schon Grimm, DM 3 797.) Daß der Erzengel zum Seelenwäger wird, k a n n indessen auch außerbiblische Ursachen gehabt haben. Einmal wird er, wie schon Grimm DM 3 796 ff. vermutet hat, einen alten Seelenführer fortgesetzt haben. Zum andern aber — und dieser Grund liegt tiefer in der paradoxalen Struktur des Christentums selbst — war die Gestalt des Weltenrichters und Erlösers in einer Person für die Frühzeit wohl nur schwer denkbar. Man teilte vielleicht nicht zuletzt deshalb den Vorgang des Gerichts in zwei Rollen. Arnor freilich gibt beiden annähernd die gleiche F u n k t i o n : Mikdll vegr — tyggi skiptir1. b) Strophe des Trollweibs im Hemingspattr Als H a r a l d der H a r t e 1066 in England landete, soll nach dem Bericht des Hemingspattr 2 ein Trollweib, in den Lüften auf einem Wolf reitend 3 , Unglücksprophezeiungen gesprochen haben, die de Boor, Dt. Isl.-Forschg. I 85 als schwächlichere Seitenstücke zu den Darradarljöd bezeichnete. Die erste ihrer Strophen (A 430, B 400) ist in unserm Zusammenhang wichtig: Stör taka fjoll at falla, ferr sott of kyn dröttar, eydisk fridr, en fosdisk fjandhtujr medal landa. Vesa munk ydr sem gdrum angrljödasgm pjödum —ylgr nemr sudr at svelga sveita— Urdr of heitin. Der p a t t r ist voll von Aberglauben und spukhaften Zügen (vgl. Hauksbök, Einl. S. L X X X I X ) . Das Trollweib, eine Mischung aus Walküre und Hexe, braucht daher in diesem Text nicht Wunder zu nehmen als Sprecherin der Strophe. Die historischen Ereignisse erschütterten den Norden (vgl. A. Bugge, Norges Historie 1 1 , 1 , 1915, S. 298ff.); Grund genug, eine solche apokalyptische Prophezeihung entstehen zu lassen. Das adj. angrljödasamr, hap. leg., hat eine Entsprechung in dem ebenfalls nur einmal belegten angrljddHH. I I 4 6 . Das Gegenstück ist sigrljöd, auch nur einmal belegt EM 60 = Darr. 10,3; alle drei Belege weisen nach England 4 . 1 Erst die dialektische Theologie Kierkegaards (Tagebücher, 12. 9. 1838) hat die Paradoxie des Endgerichts präzis ausgesagt: „Das ist gerade das Tiefe im Christentum, daß Christus sowohl unser Erlöser ist wie unser Richter, nicht daß einer unser Erlöser ist, ein anderer unser Richter, denn so kämen wir ja doch ins Gericht, sondern daß der Erlöser und der Richter derselbe ist." 2 Hauksbök S. 331—349. Zur Überlieferung vgl. ebenda S. LXXXVIIIff., ferner Klockhoff, Uppsalastudier, tillegnade S. Bugge, 1892, S. 114—139; K. Liestol, MoM 1933, S. 99—110. Diese Untersuchungen gehen jedoch nicht speziell auf die Strophe ein; zu dieser vgl. D. Hofmann, a.a.O. S. 109f. 8 C. 19, a.a.O. S. 337f.: allir Uta i loftid ok aia eina trollkonv rida vargi i loftinv. hon hafdi trog i kniam ser fvllt med blodi ok manna lima. hon qvad visvr . iij. 4 Über die Beziehungen der Helgilieder zu England zuletzt H. Kuhn, Mise. Acad. Berol., 1950, S. 37ff. und D. Hofmann, a.a.O. S. 114ff. Vgl. ferner H H I I 47, 3 angrlausa migk; das adj. noch Hsv. 109 und angrlaust bei Kormak, B 79.

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Die Nähe der ersten Halbstrophe zur Vsp. ist nicht zu übersehen, wenn auch der Dichter, anders als Arnor, wörtliche Entlehnung vermeidet. Man vergleiche Z. 1 : Vsp. 52,5—6, griötbiqrg gnata j en gifr rata, Tu. 3—4 : Vsp. 45 Brcedr muno beriaz . , . Beide Prophezeiungen könnten ihr Vorbild haben in Matth. 24,7, der Vorhersage Christi vom Weltende. Hier hat auch Z. 2, eine Vorstellung, die die Vsp. nicht kennt, ihre Entsprechung: consurget enim gens in gentem, et regnum in regnvm, et erunt peMilentiae, et fa.mes, et terraemotus per loca. Die Übereinstimmung der Untergangszeichen (außer fames freilich) legt den Gedanken an einen direkten Zusammenhang zwischen Strophe und biblischem Text nahe. Der erste Helming nennt vier Vorzeichen kommenden Schicksals. Der zweite Helming dagegen ist direkte Anrede, offenbar ohne jedes Vorbild in der biblischen Überlieferung. Die Motive sind heidnisch. Die Redende nennt sich Urär; den eingeschobenen Satz ylgr nemr sudr at svelga sveita ließ Paasche a.a.O. S. 45 in seiner Übersetzung aus. Er paßte wohl nicht in eine „christliche" Strophe? Der pattr wird von Jönsson (Hauksbök, Einl. S. XC) ins letzte Viertel des 13. Jahrhunderts gesetzt, vgl. auch Klockhoff, a.a.O. S. 115, 137. Die Strophe dürfte jedoch älter sein und wird in Skj. richtig eingeordnet. Unbestimmt drückt sich de Boor aus, wenn er die Strophe „in die Zeit antiquarischen Interesses" setzt. Richtig ist, wenn er betont, daß der Dichter von der Vsp. „die stilgerechte Urdr" bezogen habe. Jönsson schwankt in der Schreibung urdr B 400, Urdr LP 583 und Hb. 337. Kock entschied sich für urdr I 198. Der Name der Schicksalsfrau scheint mir hier allein angemessen zu sein. Die übrigen Belege für diese Bedeutung sind ebenfalls alt (außer vielleicht Fj. 47 und Gg. 7), älter sogar als unsere Stelle: Vsp. 19, 20, Hav. 111, Kormak 1,4, Eilifr, wohl auch Gdr. I, 24. Anders entschied Hofmann, a.a.O. S. 109f., der in urdr ags. wyrd „Schicksal" vermutet. Aber die Wendung Urdr of heitin weist doch wohl auf eine Person Urdr. Zu dem nicht nordischen Ausdruck heitin vgl. Kuhn, Genzmer-Fschr. S. 264. Das so oft zu beobachtende Nebeneinander biblischer und heidnischer Vorstellungen zeigt sich auch hier. Sie stehen in unserer Strophe sogar recht unverbunden beisammen. Die schicksalsschwere Lage, der Untergang Haralds und Tostigs bei Stamfordbridge, genügt vollauf als Hintergrund der Prophezeihung. Man braucht kaum mit Paasche, a.a.O. S. 46, gewisse eschatologische Erwartungen von anno 1065 anzurufen, zumal gerade von einer Wiederkehr Christi nicht die Rede ist. Vesa munk ydr . . . Urdr heißt es dort!

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Bruchstücke und kleinere Denkmäler des 12. Jahrhunderts 1. Markus Skeggjason Von der Eiriksdrapa des isländischen Gesetzsprechers Markus Skeggjason (gest. 1107) war schon S. 41 f. die Rede. Markus bezeichnete einen gewissen W e n d e p u n k t , hundert J a h r e nach der Ankunft des Christentums, indem er als erster das tiefer christlich gefaßte Bild eines nordischen F ü r s t e n gab (vgl. dazu M. Olsen, Zs. E d d a XV, 1921, S. 161 f.; de Vries, L G I I 46—49). Die Masse seiner Dichtung dürfte u m die J a h r h u n d e r t wende liegen. Seine Sonderstellung in ansonsten für unser Thema noch recht schweigsamen J a h r z e h n t e n erlaubt es, ihn a n den Anfang des neuen J a h r h u n d e r t s zu stellen, aus dem die ersten großen christlichen Dichtungen überliefert sind; nicht zuletzt auch deshalb, weil er seit A m o r u n d dem frühen Versuch der Hafg. als erster wieder das hrynhent-M.aü bevorzugt, welches das vorherrschende Maß künftiger frommer Dichtung werden sollte. Markus' Lobgedicht auf Ingi Steinkelsson, d e n Vernichter des heidnischen Uppsala-Heiligtums, war gewiß ein religiös gefärbtes Gedicht. E s ist vielleicht kein Zufall, daß dieses wie auch die K n ü t s d r a p a (B 420 rechnet Jönsson mit Zweifel 4 Zeilen hierher) verloren gingen. Die dichtungbewahrenden J a h r z e h n t e um und nach 1200 waren nicht mehr vom Missionseifer der Urgroßväter erfüllt. U n t e r den Bruchstücken seiner Dichtung finden sich 6 Zeilen, die nach der Vermutung Jönssons einer Kristsdrapa angehört haben sollen (SnE I 448, der Zweizeiler I I 162; A 452, B 420): 1. Gramr sköp grund ok himna glyggranns sem her dyggvan, einn stillir md gllu aldar Kristr of valda. 2. Hjartfcerra veit harri hreinvasta sik baztan. Die Halbstrophe ist schlicht, wie sich denn Markus auch in seiner Drapa der skaldischen Künstlichkeiten weitgehend enthält. Sie steht formal u n d inhaltlich der Halbstrophe seines Kollegen Skapti nahe. Gramr glyggranns „Herr des S t u r m h a u s e s " = „ G o t t " ist in der späteren christlichen Dichtung mehrfach nachgeahmt worden; herr, ursprünglich „Kriegerschar", steht hier schon, ohne daß ein erweiternder Zusatz noch nötig wäre (manns, E>ör. loft.), für „Menschen, Menschheit". Daß diese Menschheit v o m Dichter als herr dyggr bezeichnet wird, als „vertrauenswürdig", s t e h t in ziemlich scharfem Gegensatz zur gleichzeitigen Sündentheologie des Festlandes. Unklar ist der Zweizeiler. Die Wörter hjartfoerr „ g a n g b a r für Hirsche" und hreinvgst „Rentier-See" = „ E r d e " sind hap. l e g . . Jönsson (LP 229, 256) 75

wollte — wohl in dem Gedanken, daß die Zeilen zu der angenommenen Kristsdrapa gehören müssen — eine Kenning für Gott oder Krist rekonstruieren, etwa in der A r t harri (sals) hreinvasta; der fehlende Genetiv hätte also in den verlorenen Zeilen stehen müssen. Kock h a t aber N N 918 hreinvasta harri ansprechend als Umschreibung für den König Norwegens aufgefaßt. Beweisende Parallelen fehlen ihm freilich. Zu erinnern wäre jedoch a n Egils Umschreibung (Adaist., A 35) hreinbraut „Rentierweg", die L P 278 als Bild für Schottland gedeutet wird. Das erste Glied der K e n n i n g hreinvasta harri läßt sich, was Kock entging, noch durch SnE I I 162 s t ü t z e n : En kalla jördsee dyra . . .; eine Kenning der gesuchten Art für die E r d e wird also belegt. H ä t t e im Gedicht (nach Jönssons Annahme) eine Umschreibung für „ H i m m e l " gestanden, so h ä t t e der Verfasser von SnE I I 162 diese zerrissen. Das Stück ist a u s der ohnehin n u r vermuteten Kristsdrapa zu streichen. 2. Nikulas: Joansdräpa 1

Nikulas a b ö t i , der erste Abt des 1155 gestifteten Benediktinerklosters Munkabvera, dichtete eine Jöansdrapa, von der Post. s. (ed. Unger) S. 509— 510 drei S t r o p h e n überliefert sind. Thorlakson, Udsigt S. 143, wollte auch die S n E I I 186 erhaltene Einzelstrophe zu diesem Gedicht ziehen, doch wird m a n diese besser für sich lassen; vgl. Jönsson, L H I I , 1, 116. Daß die Strophe zu einer K r i s t s d r a p a gehört habe (B 547), ist nicht zu beweisen. Falls de Vries m i t seiner Vermutung a.a.O. S. 114 Recht hat, daß die Gedichte erst n a c h des Dichters Morgenlandfahrt entstanden seien, wären diese also ziemlich genau auf 1155—1159 zu datieren. Doch gibt es dafür keine Beweise. Nikulas u n d sein Zeitgenosse Einar Skulason bezeichnen die W e n d e i n d e r c h r i s t l i c h e n D i c h t u n g des Nordens: von jetzt ab dichten Kleriker. Mit R e c h t h a t Paasche a.a.O. S. 91 ff. dem Abt einen eigenen Abschnitt gewidmet. Nikulas bringt in der Einzelstrophe etwas völlig Neues (wenn auch zunächst noch nicht sehr Zukunftsvolles) in die nordische Dichtung, nämlich die mittelalterliche Bild-Typologie, die Szenen des Alten Testamentes mit solchen des Neuen Testamentes zusammenstellt. E s handelt sich dabei um eine typische Denkform des Mittelalters, die mit Beziehungen, Symbolen und Analogien a r b e i t e t 2 . Die Anregung dazu, Szenen der biblischen Berichte aufeinander zu beziehen — dergestalt, d a ß das A T die Präfigurationen für das N T bringt —, g a b bereits die Bibel selbst, etwa J o h . 3,14: Et sicut 1

Der gewöhnlich angegebene Vatersname Bergsson ist nicht sicher. Vgl. Alfrsedi felenzk (SUGNL 37) S. X I X , wo auch Bergb6rsson und Hallbjamarson angeführt werden. Nikulas machte eine Reise ins Heilige Land, wahrscheinlich um 1155, vgl. dazu de Vries, LG I I , S. 11; sein Todesjahr ist wahrscheinlich 1159. Thorlaksson a.a.O. S. 143 schwankt zwischen 1158 und 1160. de Vries gibt sogar zwei Daten an, und zwar a.a.O. S. 73, 114 anno 1159, im Register S. 522 dagegen 1160. 2 Vgl. dazu Paasche, a.a.O. S. 69f. Zu den termini technici Icon — Parabola — Paradigma vgl. SnE I I 184ff., ferner Alfr. fei., SUGNL 12, S. 116—119. 76

Moyses exaltavit serpentem in deserto; ita exaltari oportet Filium hominis; oder Matth. 12,40 Sicut enim fuit Jonas . . . sie erit Filius hominis . . . Die Apostel führen fort, was Jesus Luc. 24,44 mehr angebahnt als anbefohlen hatte. Zahlreiche Kirchenväter folgen. Dieses System gegenseitiger Erhellung der Symbole und Szenen mußte eigentlich dem tüftelnden Verstände nordischer Dichter besonders liegen. Es verwundert daher, daß von dieser Möglichkeit erst jetzt (soweit wir bei der bruchstückhaften Überlieferung dergleichen sagen können) und in so geringem Umfange Gebrauch gemacht wird. Es liegt dies sicher daran, daß erst jetzt die Kenner der Patristik und lateinischen Dichtung in der nordischen Poesie tätig werden. Das System mußte eigentlich Anklang finden, setzte doch der Kenningstil — dieses ständige aufeinander-Beziehen von Gemeintem und Uneigentlichem — ein Denken und Vorstellen ähnlich dem der theologischen Analogisten voraus. Aber die nordische Dichtung zog aus dieser sich anbietenden Stoffülle der biblischen Entsprechungen nicht die Konsequenz, den Kenningschatz zu bereichern. (Vgl. auch den Exkurs S. 253ff. zur altnordischen Predigt). Die Einzelstrophe (SnE II 186, A 560, B 547, Alfr. fsl., SUGNL 12, S. 31 f., 117) lautet: Tveir hygg at ber bseri beitngrungar — heitnu stund esa lifs ä landi Iqng — medial sin d stgngu; pat kniäu ber bddir —bergr oss trüa — d krossi —svd hefr aldin god goldit— gydingr ok heidingi. Der Schrifttext zum 1. Helming ist 4.Mos. 13,24: ,,. . . schnitten daselbst eine Rebe ab mit einer Weintraube, und ließen sie Zween auf einem Stecken tragen . . . " (abseiderunt palmiten cum uva sua, quem portaverunt in vecte duo viri). Die Möglichkeit, das Bild von der Weintraube im 2. Helming auf Christus anzuwenden, gab Joh. 15,1—5, wo Christus von sich sagt: „ich bin ein rechter Weinstock" (Ego sum vitis vera, und V. 5 Ego sum vitis, vos palmites). Die Verklammerung der Strophenhälften geschieht einmal dadurch, daß ber in Z. 1 und 5 an genau gleicher Stelle steht 1 , zum andern dadurch, daß tveir durch bddir . . . gydingr ok heidingi wieder aufgenommen und gedeutet wird. Wie weit in letzterer Parallele Nikulas über die theologische Analogie selbständig (?) hinausgeht, vermag ich nicht zu sagen. Sein Erklärer Olav geht noch weiter in der Auslegung des Bildes, indem er die Tragestange auf das Kreuz Christi bezieht. Nun ist noch in jede Halbstrophe eine Reflexion des Dichters eingeschoben — im 2. Helming sind es sogar zwei Sätze —, so daß Paasche S. 93 die Tüchtigkeit des Poeten, der das alles in einer Strophe unterbrachte, mit Recht loben durfte. Schwierigkeit macht der Zusatz im ersten Helming. 1

Das sehr seltene Wort steht in der Dichtung nur noch einmal in ganz anderm Zusammenhang bei einem Anonymus des 13. Jh., B II 150, 15. Auch beünprungar nur hier. 77

In SnE II 187 wird heitnu d landi zum Bild gezogen, so daß als Einschub übrig bleibt: hora vitae longa non est. Jönsson B 547 und Paasche S. 93, ebenso Kock Sk. S. 265 fassen heitnu stund esa lifs ä landi long als zusammengehörig. Die Aussage „tiden er ikke lang i livets forjsettede land" (F. J.) erscheint recht dürftig. Dürfte man mit Hs. 748 statt esa : asr einsetzen und dieses für er (3. sg. praes.) verstehen, ergäbe sich ein befriedigender Sinn: lang ist die Zeit im verheißenen Land, d. h. im Himmel; diese Deutung dürfte um so eher das Richtige treffen, als auch die einzig richtige Form heitnu nur in 748 steht. Ein gewisser Anschluß an die mittelalterliche Theologie und Gelehrsamkeit ist gewonnen. Mag sein, daß Nikulas noch nicht die Definitionen Donats gekannt hat (wahrscheinlich waren sie ihm aber als einem weitgereisten Mann geläufig); sein Kommentator Olav übersetzt ihn wörtlich: Parabola est comparatio verum dissimilis generis = SnE II 186 Parabola er samjafnan tveggja luta i üjöfnu kyni . . . Paasche, a.a.O. S. 93, dachte daran, daß die in SnE II 188 folgende, namenlose Halbstrophe wegen ihres ebenfalls typologischen Inhalts vielleicht auch Nikulas zuzuschreiben sei. Wir lassen das auf sich beruhen. Auch nur eine Wahrscheinlichkeit ist nicht zu gewinnen. Vgl. im übrigen zu dieser Halbstrophe unten S. 225. Von den verschiedenen Fassungen der Jons saga postola (Post, s., S. 412—513) bietet nur die Litla Jons saga (c. 38) Strophen, unter denen die drei des Nikulas an erster Stelle stehen. Die Skalden werden mit ihren Gedichten zitiert zur Verherrlichung des Apostels: Skalldin letu ser ok girniligt synazt at semapenna guds astvin medpeiri list, er peim veittiz af gudi. Trotz der Länge gebe ich das Bruchstück ganz, da am Wortschatz wichtige Beobachtungen zu machen sind (A 560, B 546, Post. s. 509—510): 1. Unni allra manna alskyrr ok mey dyrri heilagr Kristr ens hsesta hreinlifis per einum; valdi heims ok holda hauksnjallr konungr allrar ser til syslu stjöra särvseginn pik frsegjan. 2. Peim unni god geymi goddöms, es vel somir, hreinum himna synar, hirdar-vist med Kristi; Jöan, heyrdir pü ordd eilifs fgdur deili, hollr vid oss, ok allan almgtt sea kndttir. 78

3. Sjaljr unni per sinna snjallr postola allra, sal-deilandi solar, siklingr framast miklu; hätt gengr vegr, säs veitir vagnbryggju per tyggi; Jöan est hreinstr und hdva hjarlborg skapadr karla. Im Vergleich mit der älteren Skaldik sind diese Strophen schlicht. Finnur Jönssons grämliches Urteil, LH II, 1, S. 116, die Strophen seien 'noget höjtravende', ist nicht nur unrichtig, es übersieht auch, daß der neue Gegenstand in den Augen des Dichters durchaus einen hymnischen Ton erfordert. Die ältere Skaldik hatte an hochtrabender Übertreibung ganz anderes geleistet. Während die Einzelstrophe ganz ohne Umschreibung auskam, begegnen hier 6, davon 3 für Gott oder Christus (konungr heims, deilandi solar sal, tyggi vagnbryggju), je eine für den Apostel (geymir goddöms), für den Himmel (hjarlborg) und für den Aufenthalt dort (hirdar-vist). Aber nicht diese Beobachtung zur Form ist hier das Wichtige. Der Wortschatz der drei Strophen bringt das unerhört Moderne und Neue. Es hat wenig Sinn, mit geistesgeschichtlichen oder theologischen Kategorien an das Bruchstück heranzugehen, bevor nicht eine Wortuntersuchung die feste Grundlage geschaffen hat zu einem Urteil über Stellung und Bedeutung der Strophen. Folgende Wörter sind in der Dichtung nur hier belegt und (wie die nächste Gruppe der hier zuerst belegten Wörter) vielleicht Neubildungen unseres Dichters oder von ihm, falls sie in älterer Prosa schon vorkamen, anscheinend in die Dichtersprache eingeführt: 1.2 alskyrr „herrlich", nur hier; daneben alskirr „gänzlich rein" nur Post, s.l, Fritzner I 48. 1,8 sdrvseginn „schonsam gegen den Verwundeten" (d. h. den Sünder?), nur hier. Das adj. vaeginn schon bei Sigvat 11, 18. 2,4 hirdar-vist „Aufenthalt in der himmlischen Heerschar", nur hier. 2,5—6 orda deili „entscheidende Worte", diese Zusammenstellung nur hier. 3.3 sal-deilandi solar „Gott? Christus?", nur hier; von LP wird nur die Stelle Gisla saga c. 20 (AnSB 10, S. 54, Str. 13) angeführt, doch liest man jetzt allgemein dort seedeilande solar, wobei sae- Konjektur für überliefertes sal- ist, A 103,12. Jönsson, AnSB, beruft sich dabei auf eine analoge Verderbnis in Vsp. 20 (H). Vgl. z. St. F. Seewald, Die Gisla saga, Göttingen 1934, S. 123. 3,6 tyggi vagnbryggju „Herr der Brücke des (Karls-) Wagens" = des Himmels; vagnbryggja nur hier. 3,8 hjarlborg „Burg der Erde" = Himmel, nur hier. Der zweite Beleg — B II 226 — ist erst das Ergebnis einer Berichtigung, wohl mit Rücksicht auf die Nikulas-Stelle. 7«)

An zwei Stellen ist außerdem eine nicht unwesentliche Bedeutungsverschiebung zu beobachten, die hier zuerst greifbar wird: 1.7 syslu stjöri, sysla, f., bedeutet ursprünglich konkret „Arbeit, Tätigkeit, Vorhaben", hier ist es angewandt auf die kirchliche Seelsorge. Fritzner verzeichnet sysla göäs verks = assiduitas boni operis aus dem norw. Homilienbuch. Der mehrfach belegte, für weltliche Ämter zuständige Begriff ist syslumaär, vgl. aber auch biskupssysla, Fritzner I 141. 2.3 syn himna, syn, f., ist zunächst „das, was man sieht, was einem scheint", konkret Hav. 68 solar syn. Erst in der christlichen Literatur bekommt das Wort den Bedeutungszuwachs ins Geistige und Jenseitige: visio, in welcher Bedeutung es hier zuerst auftaucht (Prosabelege bei Fritzner, I I I 630f.) Neben diesen Erstzeugnissen für neue Bedeutungen stehen vier Belege für neu gebildete Wörter, postoli, zugleich auch Has. 50, als offenbar schwer zu umgehendes Fremdwort, mag hier nur beihin erwähnt werden (doch vgl. Iserisveinn Lilja 46 u. ö.). 1.4 hreinUfi „keusches Leben", ein Wort wesentlich der späteren Mariendichtung, LP 278. Die nur christlichen Prosabelege bei Fritzner II 51. hreinn, adj., ist ein in der christlichen Dichtung überaus beliebtes Wort. 2,2 goädömr in einer Kenning hier zuerst. Markus hatte B 416 das Wort allein vor Nikulas gebraucht. Es erscheint Heilag. I 559 als Übersetzung für religio. Auch Eluc. 62 kennt ein goädömr es i prenningo (Fritzner I 620). 2,6 eilifr „ewig", hier zuerst, vgl. LP 101. 2.8 almgttr „Allmacht", von Gott ausgesagt nur hier, von einem Menschen einmal in einer späten Str. B II 350. Neben diesen Neuheiten im Wortschatz weist nur weniges nach rückwärts in die Tradition: 1,8 vmginn „nachgebend, mitfühlend" steht zuerst bei Sigvat, Bersogb'visur 18; 1,6 hauksnjallr „mutig wie ein Habicht" brachte schon I>örarinn stuttfeldr um 1120, B 461. Den dritten Beleg bietet erst 014fr hvitaskäld, B II 106 um 1240. 3,7—8 erinnern im Ton an das Klofastef in Sigvats Knütsdräpa um 1038, B 232—234: Knutr vas und himnum hgfudfremstr jgfurr. Man wird nicht leicht in einem Stück Dichtung von so geringem Umfang eine solche Menge neuer Bildungen finden wie hier. Die Fülle des neuen Wortschatzes macht den althergebrachten Prunk skaldischer Dichtung überflüssig. Von daher erklärt sich zum Teil der verhältnismäßig einfache Stil. Das Verständnis der Strophen wurde durch den neuen Wortschatz schon genügend erschwert und vertrug keine weitere Beeinträchtigung durch formale Künste. Dazu kommt als ein weiterer Grund der Wille des predigenden Dichters zu allgemeinverständlicher Klarheit. Es ist schwer, über die Stellung der erhaltenen Strophen im Gedicht Vermutungen anzustellen, schwer vor allem auch wegen des in sich ge80

schlossenen Charakters skaldischer Strophen. Allzu sicher — aber ohne jeden Versuch eines Beweises — erklärte de Vries, L G I I 114 die Strophen 1—2 als zum Anfang gehörig, Str. 3 als Schlußstrophe. Die begleitende Prosa Post, s., S. 509f., von de Vries nicht berücksichtigt, sagt eher etwas anderes. Str. 2 scheint dafür zu sprechen (himna syn, almgtt sea)1, d a ß von d e n Visionen auf Patmos die Rede ist. Die H a u p t s z e n e n der Offb. J o h . h a b e n vielleicht die Mehrzahl der verlorenen Strophen beansprucht. Aber die Vita des Apostels wird nicht gefehlt haben. Mehr ist nicht auszumachen. Schon dies bleibt Vermutung. 3. Gamli kanöki: Jöansdrapa Von Gamli ist weder der Name noch seine Lebenszeit überliefert. Nach der Rechnung der Post. s. steht er zwischen Nikulas u n d Kolbeinn Tumason (Post, s., S. 510f.; vgl. Thorlaksson, Udsigt S. 146f., Jönsson L H I I 116— 118). Wir erfahren aus der gleichen Quelle nur, d a ß Gamli Canonicus in Dykkvabcer w a r ; die Saga nennt ihn kanunkr u n d brödir. D a sein Kloster, die erste Augustinergründung auf Island, 1168 gestiftet wurde — F l a t e y sollte 1184 folgen, die Benediktiner waren mit zwei Gründungen 1133 u n d 1155 vorangegangen —, wird m a n die Jöansdrapa u n d Harmsöl wohl später ansetzen müssen, also ins letzte Drittel des 12. J a h r h u n d e r t s . Nikulas war A b t des Zweitältesten Benediktinerklosters, Gamli Augustinerbruder. Kolbein war kein Geistlicher. Alle drei dichteten auf J o h a n n e s . Die Frage, ob es sich bei diesem merkwürdigen Umstand u m eine besondere Verehrung des Lieblingsapostels Christi handelt oder u m N a c h a h m u n g u n d K o n k u r r e n z , mag vorerst noch offen bleiben. Merkwürdig genug ist auch die (schon von Paasche hervorgehobene) Motivgleichheit zwischen den v o m Verfasser der J o n s saga zitierten Stücken der beiden Geistlichen. Diese gleichsinnige Auswahl aus doch wohl recht umfänglichen Gedichten h a t ihren Grund nicht in der Saga, sondern wohl in der Wichtigkeit gerade dieser Motive. Mit folgenden Worten leitet die J o n s saga postola I V (Post, s., S. 510) von den Strophen des Nikulas zu denen des Gamli ü b e r : Annan mann til odgiordar signadum Johanni nefnum ver Gamla kanunk austr i Pyckabe, hann orti drapu dyrligum Johanni, ok kvedr sva til astarlofs Jesu Cristi, er hann veitti sinum frenda. Nun folgen die vier Strophen, verbunden durch kurze, themenangebende Prosa, (A 561, B 547f.): 1. Tignar frdk pik upphaf eignask, —eigi mistir blezan Kristi— rdd eflandi risnu-prüdan rekka lids af flserdar hnekki, solar ranns at siklingr unni seima brjöt, i pessum heimi, mserdar koznn ok mödur sinni msetra lifs, an adrir geeti. 1 Das sia in Uta zu ändern mit Bugge, Post, s., Anhang S. 933, wurde schon von C. R. Unger abgelehnt; sea genügt dem Vers durchaus: (pü) almgtt sia knättir.

6 7362 Lange, Studien (Palaestra 222)

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Af eitrligri grimd Domiciani keisara ok veitzlum vdrs drottins til Johannem i Pathmds segir hann sva: 2. Brigd kömu pess brdtt, es hugdi bQlfyldr konungr verda skyldu, hardla fljött pvit huggan veitti hreggskrins jofurr freenda sinum; alla nddi e.irar stillis itr postoli dyrd at Uta, humra nausts pds hofdu flestir hreina pollar frettir einar. Af näveru hifneskrar Jerusalem i selu Johannis segir hann sva: 3. Systrungr he fr nü alt pats sestir yta hilmis giptu flyti, solar vangs med sjglfum deili synddlauss i fullu yndi; dröttinn valdi drengja ssetti dyggra lif, an menn of hyggi; alla hlaut af engla stilli Jöan postoli dyrd, ok kosti. Nserr enda drapunnar setr brodir Gamü benarform til virduligs Johannem, pat sama sem oss er ollum naudsynligt, hann segir sva: 4. Hordu lät mik hverju firdan, hreinlifr fadir dröttar, meini, —sldan meetti 6r of eydask andar sgr— pvis Ijönum grandar; flotna, vildak frä per aldri, ferd geymandi, skilidr verda, uggr 's mir hvdrt pd mdk piggja pessa gipt, es heimar skiptask. Mogk, LG 712 sprach in Beziehung auf Has. von der „schlichten und zugleich gehobenen Sprache der älteren geistlichen Dichtung". Dieses Urteil gilt auch für die vorstehenden Strophen. Der Dichter bleibt im Rahmen des Üblichen. Der Ton des Harmsöl-Dichters ist unverkennbar. Der Typus der Kenningar ist, obgleich direkte Gleichungen fehlen, derselbe. Im einzelnen ist nicht viel zu sagen: Str. 1: tign, f., „Hoheit" und blessan, f., „Segnung" sind nur in christlicher Dichtung belegt, das zweite Wort vorher nur Geisli 69. Der Mönch verrät sich auch durch den Gen. Kristi. risnuprüdr „ausgezeichnet durch Tüchtigkeit" ist hap. leg. eflandi räd rekka lids macht gewisse Schwierigkeiten; Post. s. S. 933 wird die Kenning als Apposition zu Kristi in den eingeschalteten Satz gestellt (Bugge); Jönsson faßt die Kenning als Apposition zu Johannes. Das ist ungenau, denn sie müßte dann im acc. stehen. Die Erklärung als Vocativ dürfte am ehesten befriedigen, hnekkir flserdar „Unterdrücker der Falschheit" hat eine gewisse Parallele Plac. 59 hn. angrs. 82

Str. 2: bQlfyldr, adj., „voll Bosheit" ist hap. leg., vgl. aber Bragi, Rdr. 8 und den Odinsnamen Bqlverkr. hreggskrin „Sturmschrein" = Himmel hier zuerst, dann erst wieder Mgr. 49. huggan „Trost" findet sich nur Plac. 9, 31 und hier, humra nau&ts hreina pollr = Mann (hreina ist Besserung Bugges für hreinir) ist in der schlichten Diktion Gamlis ein ungewöhnliches Prunkstück, insbesondere, da es für den gewöhnhchen Menschen steht, eirar stillir „Herr des Friedens", von Gott gesagt, ist, wie schon Paasche bemerkte, ein Novum. Die dortige Übersetzung „König der Barmherzigkeit" ist gleichwohl für unsere Zeit vor 1200 reichlich gewagt. Str. 3: systrungr „Kind der Mutterschwester" nur hier und Vsp. 45. Diese Bezeichnung ist keineswegs gesucht, sondern in der biblischen Überlieferung wohl begründet. Aus der Kombination von Matth. 27,56 und Marc. 15,40 schloß man auf eine Mutter des Johannes mit Namen Salome; diese war eine Schwester der Mutter Jesu! Das Motiv der engen Verwandtschaft muß dem Mittelalter sehr wichtig gewesen sein, denn die Recensionen der Jonssaga bringen es alle (außer III, diese setzt später ein): vgl. Post. s. 412 (I), 445 (II), 466 (IV). Rec. II gebraucht sogar das Wort: Johannes postuli oc gudspiallaskalld hann var systrungr drottins sialfs vars Jesus Cristz at frsendsemi. syndalauss taucht zuerst bei E>örarinn in der Glaelognskv. 7 auf, 1032, B 301. Bildungen wie ssettir drengja „Vergleichsstifter" sind in ähnlicher Form für Gott oder Christus üblich; hier gilt sie Johannes. Str. 4: fadir dröttar gehören zusammen (gegen Post. s. S. 934). uggr in 4,2 ist ein Leitwort Gamlis, vgl. Has. 31, 32, 38. andar stfr — vgl. Markus in der Eiriksdräpa 28 vom König: . . . es Iseknask fystisk \ lidhraustr konungr sgr en idri — kommt auch Has. 54 und ähnlich Has. 41 eydisk andar mein vor. Das hrynhent-M.aH (vgl. zu Markus oben S. 75) setzt sich seit der Mitte des Jahrhunderts immer mehr durch für die christliche Dichtung. Markus mit seiner Eiriksdräpa hatte recht eigentlich den Anfang gemacht. Die Motivübereinstimmungen, die schon eingangs erwähnt wurden, dürfen nicht überschätzt werden in ihrer Bedeutung. Sie ergaben sich aus der Überlieferung. Die Sonderstellung Maria zusammen mit Johannes (Nik. 1,1—4 : Gamli 1,5—8) folgte aus der Kreuzigungsszene. Der Blick in die himmlische Herrlichkeit bezieht sich zweifellos auf die Patmos-Visionen (Nile. 2,1—4 : Gamli 2,5—8). Die Prosa sagt es. Daß Johannes der höchstgeliebte unter den Aposteln war, durfte in einer Dichtung auf ihn nicht fehlen (Nik. 3,1—4 : Gamli 3). Allein von Gamli erfahren wir in Andeutung vom Martyrium 2,1—4, wozu die Prosa ausführlicher ist. Daß Johannes bei Gott ist, Str. 3, erzählt ebenfalls die Saga 482, 25ff. Paasches Behauptung, daß die Dichtung des Gamli die Jons s. stärker widerspiegele, darf aus je drei Strophen — denn die 4. des Gamli ist ein Gebet in eigener Sache — natürlich nicht gefolgert werden. Darüber sind nicht einmal Vermutungen möglich. Vorschnell ist auch Jönssons Behauptung, a.a.O. II 117, über die Stellung der Strophen im Gedicht Gamlis. 1—3 sollen im Anfang, 4 als Schlußstrophe ihren Platz gehabt haben. Soviel ist zu sagen möglich: Str. 1 war kaum die Anfangsstrophe. Str. 2 und 3 handeln von der Zeit nach der 6*

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Kreuzigung; diese wird kaum gefehlt haben. Also standen 2—3 eher in der zweiten Hälfte des Gedichts. Zu 4, der angeblichen Schlußstrophe, sagt die Prosa neerr endo, drapunnar . . ., nicht neest oder Ähnliches, Deutlicheres. Kolbeinn Tumason dichtete Jönsvisur (A II 37, B II 45f.), von denen Post. s. 511—512 fünf Strophen erhalten sind. Das Gedicht muß, nach der einleitenden Prosa zu urteilen, ebenfalls von bedeutendem Umfang gewesen sein. Kolbein dichtete um 1200. Martyrium und Patmos fehlen dem Erhaltenen. Neben schon bekannten Motiven wird besonders die Rolle des Apostels als des Beschützers der Maria hervorgehoben (Str. 2—i). Die weinende Maria unterm Kreuz erscheint hier zuerst (vgl. später zum Märiuflokkr). Es paßt gut dazu, daß gerade diesem Dichter Mariendichtung zugeschrieben wird, von der jedoch nichts erhalten ist; vgl. Thorlaksson, Udsigt 147f., Paasche S. 119—122, ebenda die drei schönen Strophen, übersetzt, die Kolbein bei seinem Tode sprach, echte Zeugnisse christlicher Gesinnung. Werfen wir noch einen Blick auf die gesamte Überlieferung zum Thema des Johannes Evangelista bis zum Ende des 12. Jahrhunderts! Die altnordischen Apostellegenden (Postola sögur) sind freie Bearbeitungen lateinischer Vorlagen, unter denen neben der Heiligen Schrift vor allem Julius Africanus, Petrus Commestor, Vincentius Bellovacensis (nebst einer Schar anderer Patres) zu nennen sind (vgl. Post, s., Einl. S. If.). Nach Unger sind diese Prosawerke in die 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts zu setzen. Die vorliegenden Abschriften sind später — meist im 13./14. Jahrhundert — und um neuen Stoff vermehrt. Es muß auffallen, daß wie in der Dichtung so auch in der Prosa Johannes Evangelista im Vordergrund steht: nur seine Saga ist durch Strophen ausgezeichnet; vier Recensionen gibt es allein von seiner Vita, die Fragmente S. 436—445 und die Erzählungen über ihn und Jacobus S. 536—711 nicht einmal mitgerechnet. Die Strophen mit der Prosaüberlieferung zu vergleichen, hat wenig Sinn bei so geringen Bruchstücken. Eine bedauernswerte Lücke! Wäre mehr von den Gedichten erhalten, würden sich durch den Vergleich Einsichten in die Arbeitsweise der Dichter wie der Prosaverfasser gewinnen lassen (vgl. unten S. 101 f. zu Plac). Zu dieser Bevorzugung des Evangelista, als Bestätigung gleichsam, stellt sich das frühe und häufige Auftreten des Personennamens Jöhan, Jon, vgl. unten S. 204. Alles spricht für eine besondere Verehrung gerade dieses Apostels. Es fragt sich, ob das allein aus der Sonderstellung des Johannes in der Bibel erklärt werden kann: er ist Lieblingsjünger Christi, Maria seine Schutzbefohlene (Kolbein benutzt dieses Thema ausgiebig!); er ist der Verfasser der Apokalypse, deren Bedeutung im Mittelalter nicht leicht überschätzt werden kann; als solcher ist er spdmadr (Post. s. 476,28); Norsk Homil. (1862) S. 78—81 werden zwar noch alle vier Evangelisten am Johannestag gefeiert, Johannes aber schon hervorgehoben als der Einzige, dem der Blick in den Himmel verstattet war (vgl. 79,25—34). Die SagaProsa betont seine verschiedenen Funktionen und Verdienste S. 491 f., 494f. nachdrücklich. Ist damit die Bevorzugung schon erklärt? 84

Folgende Überlegung soll noch ein Stück weiter führen. Der kirchliche F e s t t a g des Johannes Evangelista ist der 27. Dezember (zur Festlegung des Festes auf den 27. X I I . vgl. A. Franz, Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter I, 1909, S. 294f.). Sein Andenken wird durch eine besondere Weinsegnung gefeiert. Man nimmt an, daß diese neue Form der Johannes-Feier im 12. J a h r h u n d e r t in Deutschland ausgebildet wurde 1 . Der Gedanke an einen Zusammenhang mit alten kultischen U m t r ü n k e n ist oft geäußert worden 2 . Diese Vermutung liegt schon deshalb nahe, weil das F e s t des Johannes in der alten Julzeit liegt. Die Erzählung aus seiner Vita (deren Geschichte m a n bei Franz, a.a.O. I, S. 298—301 nachlesen k a n n ) , daß er ohne Schaden — im Gegensatz zu zwei andern, die sterben müssen — Gift trank, m a c h t e ihn zum prädestinierten Heiligen für eine kultische Trankweihe. N u n war aber die Julzeit die Zeit der Kultgelage, der Weihebecher an die Götter und die Toten, vgl. Hskr. I, H a k . s. götfa, c. 16—17: . . . at konungr blöti til drs peim ok fridar . . . pd mselti Sigurdr jarl fyrir ok signadi Ödni ok drakk . . . Konungr tök vidok gerdi krossmark yfir, sehr zum Unwillen der Anwesenden 3 . Das Legendenmotiv vom schadlosen Gifttrunk läßt keine der vier Recensionen aus. Das Ereignis wird überall mit großer Ausführlichkeit gegeben. E s lohnt sich, den Wortlaut genau anzusehen: I (431)

Sidan gerdi hann krossmark yfir kerinu ok masllti sva: Heyr pu, drottinn minn ok gud. . ., nach der Anrufung Gottes: pa gerir hann krossmark yfir munni ser ok drekkr . . . II (452) . . . oc gerdi yfir krossmark oc maellti: Drottinn gud fadir . . ., und wieder nach der Anrufung: pa gerdi Joan krossmark yfir munni ser oc yfir aidlum likam sinum oc drack . . . III (463) . . . oc gerpi crossmark yfir oc melti: Drottinn gup . . ., pa signdi hann sie oc drack . . . IV (485) . . . ok dreckr med sigrmarki heilags kross af i einu . . . 1 Vgl. HDA Sp. 703f. und Artikel Johannes-Minne Sp. 745ff. Wenn sich Mackensen Sp. 747 gegen die alte, oft vorgebrachte Vermutung, es könne diese Johannes-Minne die christliche Ablösung heidnischer Götterminne sein, ausspricht, so mag das für Deutschland zutreffen, insofern die Erinnerung an die alten Götter im 12. Jh. wohl tot ist — nicht aber der ursprünglich mit ihnen verbundene Ritus. Für den Norden mit seiner viel späteren Bekehrung liegen die Verhältnisse jedoch anders; vgl. dazu Franz, a.a.O. I, S. 287ff., 297ff.; S. 302 glaubt Franz jedoch auch für Deutschland an einen Zusammenhang mit heidnischen Bräuchen. 2 Literatur bei Mackensen, a.a.O. Vgl. besonders R. Meißner, Deutsche Islandforschg. I, 1930, S. 232—245, wo ein spätes nordisches Minnetrunk-Gedicht mit einem sehr frühen (10. Jh.) aus der Auvergne verglichen wird. Zum Julbecher und der Minne vgl. auch Grönbech, Kultur und Religion LT 136ff., I44f., 158, 160 u. ö. und den trefflichen Aufsatz vonlK. Hauck, Rituelle Speisegemeinschaft im 10. und 11. Jahrhundert, Studium generale, 1950, S. 611—621, zur Johannesminne besonders S. 616. 3 Im Verlauf der Szene kommen noch die Formeln signa füll sitt Pör ... hann gerdi hamarsmark yfir. Vgl. die Zusammenstellung weiterer Formeln bei Meißner, a.a.O. S. 235f.

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Man wird zugeben, d a ß bei einer derartigen Schilderung im 12. J a h r h u n d e r t gewisse Erinnerungen an entsprechende heidnische Bräuche sehr nahe lagen. K o n n t e J o h a n n e s nicht gerade im Norden in ein J u l b r a u c h t u m eintreten, das nicht allzu lange vorher den Göttern galt? Sein Festtag in der Julzeit u n d die Trankweihe nötigten fast dazu. Allein, das m u ß Vermutung bleiben. Die Johannes-Minne ist uns im Norden erst im 14. J a h r h u n d e r t poetisch überliefert, vgl. dazu Meißner, a.a.O. I n den Allra postula minnisvisur (A I I 509, B I I 559) lautet die auf J o h a n n e s bezügliche Stelle: gledi Jesus her inni Jons postula minni. Ich meine, d a ß auf dem angedeuteten Wege die Bevorzugung des Johannes im späten 12. J a h r h u n d e r t verständlich wird. Der erste Johannes-Dichter, Nikulas, war im Ausland gewesen. E r konnte in Deutschland den neuen Brauch kennen gelernt haben. Die Gedichte um den Apostel könnten d a n n ihren Ort g e h a b t haben im neuen, christlichen Julbrauch der JohannesMinne. 4. Skäld-I>örir Von Skäld-E>örir ist nur eine Halbstrophe überliefert im sogenannten Ormseddubrot, S n E I I 499 (A 573, B 567). Über die Lebenszeit des Dichters herrscht 'fuldstaendig uvished' (Thorlaksson, Udsigt S. 65). Die wenn auch mit Fragezeichen versehene Einweisung in das 12. J a h r h u n d e r t (Skj.) b e r u h t auf dem christlichen Inhalt des Bruchstücks; vgl. auch Jönsson, L H I I , 1, 119f. Auch die Überschrift Lausavisa — wieder mit Fragezeichen — ist gewagt. Das Stück könnte eher einer größeren Dichtung angehört haben. Dyrkleifar kom düfa dags ok krisma lagdi meginskjgldungi mildum meet i hattar strseti. Die K e n n i n g dyrkleif dags „herrlicher Felsstieg des Tages(lichts)" = „ H i m m e l " ist seltsam, p a ß t aber stilistisch zu den sonstigen Himmelsumschreibungen. Die Frage ist nur, ob m a n als Grundwort meginskJQldungr dazustellen soll (so Jönsson L P 398, jedoch gewiß nicht mit der Bedeutung „ G o t t " , sondern „Christus"!) oder düfa (so Kock-Meißner, Skald. L b . I I 116), so d a ß düfa dags d-ar = columba coeli wäre. Wie m a n aber auch verbindet, a n der Deutlichkeit der dargestellten Szene ändert sich nichts. E s liegt n a h e , a n die Taufe Christi im J o r d a n zu denken, wo nach den evangelischen Berichten der Geist in Gestalt der Taube (corporali specie sicut columba Luc. 3,22) auf Christus herabschwebt: M a t t h . 3 , 1 6 ; Marc. l,10;Luc.3,22; Joh.1,321. 1

Zur Geschichte der Taufsage und zur feineren Unterscheidung der vier evangelischen Berichte vgl. H. Greßmann, Die Sage von der Taufe Jesu und die vorderorientalische Taubengöttin, ARVV 20, 1920/21, S. lff., 323ff. 86

Fast zur Gewißheit wird die Vermutung, wenn man Leid. 24,5—8 (B 628) danebenstellt: dddstettar kom drötni dags ok krismu lagdi liknar-füss i lesni lands enn helgi andi. Das Wort krisma ist in der Dichtung nur an diesen zwei Stellen (die in der zweiten Zeile wörtlich übereinstimmen) belegt, von denen die eine — welche, bleibt fraglich — Vorbild der andern gewesen sein muß 1 . Krisma, f., (krismi, m.), zählt Fischer, Lehnwörter S. 53, unter denen englisch-lateinischer Herkunft auf. Die Entsprechungen sind ae. crisma, m., ahd. crisamo und mhd. krisme, m. Das fem. Genus im Altn. ist wohl durch die Endung verursacht. Ob letztlich an air. Herkunft des ae. Wortes zu denken ist, wage ich nicht zu entscheiden. Es wäre möglich, denn nur bei den Iren gab es Kenntnis des Griechischen2. Über die Bedeutung des crisma „Salböl" im Ritual der altenglischen Kirche sind wir glücklicherweise durch den zweiten ae. Brief des Abtes ^Elfric an Erzbischof Wulfstan (1. Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts) genau unterrichtet, vgl. Die Hirtenbriefe ^Elfrics, hg. von B. Fehr, Bibl. d. ags. Prosa 9, 1914, S. 146—148, § 1—9. Dort heißt es im Abschnitt Quando dividis Chrisma: . . . we to-dseg sceolan dsdan urne ele, on preo wisan gehalgodne, swa swa us gewissad seo boc: id est oleum sanctum, et oleum crismatis, et oleum infirmorum; pset is on englisc: haiig ele, oper is crisma, and seoccra manna ele. Nach einer Anweisung, diese drei öle gesondert aufzubewahren, folgt die Vorschrift: mid pam haligan ele ge scylan pa hwpenan cild mearcian on pam breoste and betwux da gesculdru on middeweardan mid rode tacne, serpan-pe ge hit fullian on pam jant-weetere. And ponne hit of pam wsetere cymd, ge scylan wyrcan rode tacen upp on psem heajde mid pam haligan crisman . . . Das Kreuzeszeichen auf dem Haupt, vollzogen mit crisma, beendigt und krönt den Taufakt. Diese Heiligung mit geweihtem Öl folgt alttestamentlicher Überlieferung; einige Beispiele mögen genügen: 4.Mos.35,25 . . . sacerdos magnus, qui oleo sancto unctus est; 1. Sam. (Regum I) 9,16 . . . et unges eum ducem; ebda. 1 0 , 1 . . . et effudit super caput ejus . . . unxit te Dominus; auf eine weitere Stelle — Regum II, 2, 4 . . . et unxerunt ibi David, ut regnaret. . . beruft sich denn auch ein altenglischer Ritualtext des 11. Jahrhunderts (vgl. Hoops, Geschichte des Ölbaums, 1944, S. 77, der diesen Text neben die ^Elfric-Stelle setzt) in seiner lateinischen Segnungsformel: Vnguo te . . . in nomine . . . sicut unxit Samuel Dauid regem. Der Gebrauch des crisma im ae. Ritual konnte, ja mußte den Nordleuten von früh an bekannt sein. Skald-E>örir übertrug nun — so muß man wohl annehmen — den Brauch auch auf die Taufe Christi. Die Evangelien wissen 1 Das ungewöhnliche -o des acc. sing, eines -ön-Stammes {krisma) verzeichnet Noreen, Aisl. Gramm. *, S. 281, Anm. 1 als besonders mnorw. belegt. Leid, hat die korrekte Form. 2 Freilich ist das griech.-altchristliche Wort früh ins Kirchenlateinische übernommen worden, so daß es auch von dort ins Altn. gelangen konnte durch englische Vermittlung.

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in dieser Szene nichts von einer heiligen Ölung. Die Halbstrophe ist also eine Weiterdichtung des biblischen Berichts durch einen Mann, der die Bibel höchstens mäßig k a n n t e oder sich sehr selbständig ihr gegenüber verhielt. (Darf m a n folgern: es m ü ß t e d a n n Leid., an deren geistlichem Verfasser kaum zu zweifeln ist, diesen Passus abwandelnd übernommen haben?) Zu kühn wäre wohl die Vermutung, eine K o n t a m i n a t i o n liege vor, entstanden durch die Verwechslung der ähnlich klingenden Begriffe %qiay.a u n d ydoio/xa. Letzterer h ä t t e in Dichtungen über die Taufe Christi im J o r d a n freilich seinen Platz. Meint das Bruchstück also die Jordanszene, dann ist es wahrscheinlich, d a ß der verlorene Zusammenhang ein größerer gewesen ist als der Rahmen einer Lausavisa. I n einer losen Strophe ist keine biblische Szene gedichtet worden. Dazu war diese F o r m der Gelegenheitsdichtung wohl nicht vornehm genug. Man könnte vermuten, das Bruchstück gehöre in eine verlorene Kristsdrapa — so schon J o n Sigurdsson, nach Jönsson, a.a.O. — oder in eine Jöansdräpa. Aber die Parallele zu Leid, sollte vor zuversichtlichen Vermutungen warnen. Als Verfasser h ä t t e m a n sich wohl einen Geistlichen zu d e n k e n — wofür der Name des Dichters allerdings nicht zu sprechen scheint — wegen der Verwendung des seltenen Fremdwortes krisma. Aber das bleibt alles ganz ungewiß. 5. Nöregs konungatal Ein ungenannter Dichter schuf zu Ehren des H e r r n auf Oddi, J o n Loptsons, nach 1184 das a n Anleihen reiche Gedicht Nöregs konungatal (A 579—589, B 575—590), eine schwache Nachahmung von Ynglinga- u n d Haleygjatal. Man hat das Gedicht als „schablonenmäßige Arbeit'' bezeichnet, die, als Kunstwerk bedeutungslos, nur altertümelnde Gelehrsamkeit bietet 1 . König Magnus Barfuß h a t t e eine Tochter Thora, welche die Mutter J o n s wurde (Str. 74). Damit h a t t e J o n einigen Anspruch auf die Ahnenreihe des norwegischen Königshauses, wenn auch nur mütterlicherseits (Str. 82.) Die Zeit der originalen Fürstenpreis-Dichtung ist am E n d e des 12. J a h r hunderts schon vorbei. Snorris H ä t t a t a l ist keineswegs ein Gegenbeweis. Religiöse Gegenstände u n d ein steigendes Interesse an der Vorzeit u n d ihrer Dichtung stehen jetzt im Vordergrund. Das K o n u n g a t a l ist diesen beiden Strömungen verpflichtet. Der K v i d u h ä t t r , das klassische Maß genealogischer Preisgedichte, wird noch einmal aufgenommen. Heidnische Kenningar wie Loka einga-döttir2 9, 5—8 für Hei, Tod — Pundar 1 de Vries I I 112; vgl. auch Mogk, LG 659, 697; Helgason, NK V I I I B, S. 115f. Mogks Ansicht, Arkiv 4, 1888, S. 240—244 und LG, S. 697, das Gedicht sei eine Jugendarbeit Snorris, der etwa zur Zeit der Abfassung allerdings in Oddi studierte, wurde von Jönsson LH I I 113—115 mit guten Gründen zurückgewiesen, denen sich auch de Vries, a.a.O. S. 113 Anm. 3, anschloß. 2 Eine willkürliche Besserung Jönssons, vgl. Kock I 279. Dem Dichter mag eine Kenning wie Egils Tveggja bdga njprva nipt für Hei (Sonat. 25) vorgeschwebt haben. Die Personifikationen des Todes in der an. Dichtung zusammenzustellen, wäre eine lohnende Aufgabe, die ich mir hier versagen m u ß ; vgl. einstweilen Meißner, Kenningar S. 436f.

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bedja1 „OdinsBettgenossin" = Erde, N o r w e g e n 9 , 2 u n d 20,8 — Yggjarman2 „Odins Mädchen" = E r d e 47,6 — stören Dichter und Hörer nicht, wenngleich es von der Nennung Olaf Tryggvasons ab (Str. 22ff.) an christlichen Notizen in dem Gedicht nicht fehlt (22, 23, 27, 35, 39, 46, 53, 54, 56, 6 1 , 67, 68—71). Die Schlußstrophe ist ein wirkliches Gebet: (83) Nu biäk Krist, at konunqs spjalli hafi pat alt, es ceskir ser, giptudrjügr, af goäi sJQlfum allan aldr ok unads njöti. Die W a n d l u n g des Preislied-Stils ist deutlich. Auch hier ist der Schluß von Snorris H a t t a t a l , der ohne christliche Wendung auskommt in seinem Wunsch für die Gerühmten, kein Gegenbeweis. Worte wie falli fyrr / fold i segi zitieren hörbar eine Vohispä-Vorstellung. Snorri ist mehr Verehrer u n d Erneuerer der alten K u n s t denn Christ. Die Schlußstrophe des Anonymus ist nicht mehr Floskel in der Randzone, sondern sie erwächst sinnvoll aus der Aufzählung christlicher Taten der Vorfahren. Nicht mehr der superlativisch ausgesprochene R u h m des Gepriesenen, sondern der erbetene Lohn Gottes steht am Ende der Dichtung. Der Wortschatz hält sich denn auch im R a h m e n der etwa gleichzeitigen christlichen Dichtung, ceskja ser (vgl. Söl. 25, Hsv. 86) ist eine ganz neue Wendung, die den erhörenden Gott voraussetzt, giptudrjügr Str. 78, 83 ist nur hier belegt (LP 182); gipta ist gewiß schon mit „Segen" zu fassen, das adj. also mit „hochgesegnet" zu übersetzen, unad (LP 579), in Söl. 71 mit „Seligkeit im Jenseits" zu übertragen, ist ein ausgesprochen christlicher Terminus und wird hier für „gesegnetes Erdenleben" angewandt.

6. Eilifr külnasveinn Die Dichtung des Eilifr külnasveinn ist in der Forschung 3 wenig beachtet worden. Das Dunkel, das über dem Mann, seinem Leben und seinem N a m e n liegt 4 , wirkt entmutigend. Lebensumstände und Lebenszeit sind 1 Die Kenning findet sich auch bei Grettir, A 311, 7, B 288 in der kaum echten ^Evikvida. 2 Auch diese Kenning ist kaum eine eigene Erfindung. Sie steht schon bei Tindr Hallkelsson A 146, 8, B 137 in der Drapa auf Hakon Jarl. 3 Vgl. Thorlaksson, Udsigt S. 60; Jönsson LH I I 119; Mogk LG 713; Paasche a.a.O. 8. 118ff.; de Vries II, Register, und Helgason, NK VIII B nennen ihn gar nicht. 4 Kahle, Arkiv 26, 1910, 184 äußerte starke Bedenken gegen Jönssons Vermutung, der Name „Kugelbursch" habe sich vielleicht auf den Rosenkranz bezogen. Küla scheint nicht in der Bedeutung „Kugel am Rosenkranz" belegt zu sein. Die nisl. Bezeichnungen für den Rosenkranz stützen das: rösahringur, talnaband, bsenaband, bsenajesti. Ganz gewöhnlich ist küla dagegen als „Auswuchs, Beule" u. dgl.; Lind, Binamn Sp. 8, 225, verzeichnet Audküla, Külubakt, Külunef. Hierzu wird auch külnasveinn zu stellen sein, wenn auch der Plural in der Bildung seltsam ist. Aus dem Namen darf also noch nicht auf einen Geistlichen geschlossen werden.

Sit

u n b e k a n n t . Keine Quelle berichtet über ihn. D a ß er nicht mit Eilifr Godr. identisch ist, auch d a ß er bedeutend später gelebt haben m u ß als dieser, weiß m a n seit Thorlaksson. Die Beurteilung seiner dichterischen Leistung schwankt zwischen E x t r e m e n wie 'ordkunstlerier' (Jönsson) und 'usedvanligt klare' (Paasche). E r h a l t e n sind von ihm eine ganze Strophe (SnE I I 214), drei Halbstrophen u n d ein Zweizeiler (SnE I 448, 450). F ü r die Strophe u n d zwei der H a l b s t r o p h e n wird n u r ein Eilifr als Verfasser genannt, doch zweifelt niemand a n der Zuweisung (A572f., B 5 6 5 f . ; Kock 1 2 7 4 ) . Über den thematischen Z u s a m m e n h a n g der Bruchstücke herrscht keine Einigkeit. Thorlaksson v e r m u t e t e , d a ß alle Stücke zu einer Märiudräpa gehört h ä t t e n . Jönsson d e n k t m i t Zweifel a n eine Kristsdräpa (wobei er die Zugehörigkeit der ganzen Strophe n u r L H I I 119 annimmt, in Skj. bezweifelt). Mogk enthielt sich eines Urteils. Der ursprüngliche Zusammenhang der Bruchstücke 1—4 scheint eine gewisse Stütze zu erhalten durch Snorri, der 1—4 im Krist-Kapitel zitiert. 1. Hröts lytr helgum krüzi heims ferd ok lid beima, sonn es an qll dyrd qnnur einn sölkonungr hreinni. 2. Hirft lytr himna dyrdar hrein Mdriu sveini, mgtt vidr mildingr dröttar —madr 's hann ok god— sannan. 3. Mgttr 's an menn of hyggi msetr gods vinar betri, pö 's engla gramr qllu orr helgari ok dyrri. 4. Himins dyrd lofar hglda —hann 's aus konungr— stilli. D a ß diese 14 Zeilen über das gemeinsame Thema hinaus einen erkennbaren inneren Z u s a m m e n h a n g haben, der es gestattet, die Bruchstücke einem Gedicht zuzuweisen, soll hernach zu zeigen versucht werden. Zunächst jedoch zu den einzelnen Stücken: Str. 1: Von den Herausgebern wird übereinstimmend in Z. 4 einn sölkonungr hreinni (U, 748) vorgezogen gegenüber ein mario sveini der übrigen Handschriften. Die erste Lesung ist schon wegen 2,2 wahrscheinlicher. Z u m v b . lüta vgl. m a n Söl. 41,71. helgum krüzi ist auffällig. L a t . crux ist als krüx, krüz, krüs altnordisch überliefert. Das W o r t ist in der Poesie selten u n d spät (vgl. auch unten zu den unbestimmbaren Bruchstücken Nr. 1). Außer a n dieser Stelle begegnet es Liknarbraut 39, 52 (krüx, merki krüzis), wahrscheinlich im 13. J a h r h u n d e r t , und Bjügar visur, von denen wir n u r die eine Zeile h a b e n : Hvis ef ek hleyp at krüsi.1 1 A 626, B 634. Jönsson, LH I I 125 hält die Zeile für älter als 1250. SnE I I 139: ex aliquo carmine, forte in honorem sanctae Crucis.

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Die Belege warnen vor einer zu frühen Datierung des obigen Stückes, sgnn dyrd (so Jönsson) bezeichnete Kock NN 2546 als 'Skrivbordsfantasi'; tatsächlich ist die Schreibung und Deutung sannr 's . . . sinnvoller und wird von Kock durch denHinweis auf die bemerkenswerteParallelität in 1 und 3 gestützt: sannr 's : mgttr 's an qll dyrd qnnur : an menn of hyggi einn sölkonungr hreinni : meetr gods vinar betri. Zu einer noch deutlicheren Parallelkomposition im Mariuflokkr vgl. unten S. 93. Str. 2: Der gleichsinnige Bau (zweimal lytr) von 1, 1—2 und 2, 1—2 ist nicht zu übersehen. Zu dem eingeschalteten Satz madr 's hann ok god vgl. unten die Gesamtdeutung. Zur fraglichen Verknüpfung des gen. dyrdar vgl. Kock, NN 1214, 2112; für den Sinn der Stelle fällt die Frage nicht wesentlich ins Gewicht, doch wird man himna dyrdar hird (NN 2112) eher billigen als Jönssons Verbindung dyrdar mqtt. Str. 3: Der Unterschied der Hss. gods vinar : gods sonar ist unerheblich. Wir setzen mit den Hrsg. vinar. Str. 4: Das vb. lofa ist nicht sehr häufig. Es erscheint außer bei Egil (Hfl. 2 und 17, mit Bezug auf den Fürsten) nur in christlicher Dichtung. Die ältere Skaldik hat dafür leyfa. Fischer, Lehnwörter S. 1, dachte an englischen Einfluß (lofian), was durch die Belege bei Egil gestützt würde. Die nächsten christlichen Zeugnisse sind Leid. 1, Likn. 13 und lofadr, eine Bezeichnung Gottes bei Einarr Skül. (B 425 und Geisli 5). Leid. 1 ,,Gott loben" steht am nächsten. (Zu lofseell Gltel. 5,3 vgl. unten S. 116). Soweit die von Snorri zitierten Stücke. Die ganz erhaltene Strophe SnE II 214 sei gleich angeschlossen: 5. Bgru msett ä möti malmpings vidir palma —sve.it hraud— seggja bozti —sorg—, 's hann kom til borgar; svä ladar siklingr skyja sins hjarta til, bjartir peirs fyrda gram fcera jogr verk med trü sterkri. malmpings vidr ist eine ganz übliche Bildung. Sie ist hier nur insofern interessant, als sie — ein gemeingermanischer Vorgang — wie selbstverständlich in einer biblischen Szene, Christi Einzug in Jerusalem, angewandt wird, msett fasse ich mit Kock I 274 als adv. und ziehe es nicht zu sveit. hann in Z. 4 könnte mit Kock gestrichen werden, palmr, m., ist begreiflicherweise ein seltenes Wort (vgl. Fischer, a.a.O. S. 49; der früheste Beleg scheint Rögnvalds Lv. 29, B 486 zu sein). Wieder steht Leid. (30 bera palma) am nächsten. Beschrieben wird dort die gleiche Szene, B 629 f.: ok fyr odling rikjan öhrsedinn litklsedi par vann lydr ä lädi lopthjalms borit palma.

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Die Beobachtungen am Wortschatz warnen vor Überschätzung des Alters. Um 1200 wird, unbestimmt genug, das Richtige treffen. Mogk, a.a.O. S. 713 schlug die 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts vor. Seine gleichzeitige Behauptung, daß jetzt weltliche Skalden geistliche Gedichte machen — er nennt außer unserm Dichter Kolbeinn Tumason — ist so allgemein nicht richtig. Für Eilifr scheint mir recht wahrscheinlich, daß er Geistlicher war. Die zweimalige Berührung mit Leid, fällt auf. (Paasche sah außerdem für die Str. 1 und 3 Berührungen mit Plac. 32, Leid. 13, Has. 20. Besonders die letzte Stelle macht einen literarischen Zusammenhang fast zur Gewißheit. Ich füge noch 3,1—2 und Has. 40 hinzu.) Form und Inhalt: Einige wenige Gedanken werden variiert. Auf deutliche Entsprechungen formaler und inhaltlicher Art wurde schon hingewiesen. Die Entsprechungen reichen aber noch weiter und scheinen System zu sein: 1,1—2 : 2,1—2 : 4,1—2; neben der formalen Gleichung (Kock) 1,3^1 : 3, 1—2 steht noch eine inhaltliche 1,3—4 : 3,3—4. (Anderer Art ist noch die Verbindung 2,4 : 5,5—-8; dazu weiter unten.) Über die ursprüngliche Reihenfolge der Bruchstücke wissen wir nichts. Die genannten Beziehungen aber scheinen ein bewußtes Kunstmittel gewesen zu sein (vgl. zum Märiuflokkr S. 93f.) und rechtfertigen nachträglich die Zusammenstellung als Fragmente eines Gedichts. Faßt man den Begriff des Bibelzitates weitherzig, so läßt sich fast jeder Satz der vorliegenden Dichtung als freie Übersetzung eines Schriftwortes erweisen. Die Entsprechungen, für die ich nur eine Auswahl gebe, sind etwa folgende: 1,1—2; 2,1—2; 4,1—2 sind zu vergleichen mit Luc. 2,13 subito facta est cum Angelo multitudo militiae caelestis laudantium Deum . . ., oder Ps. 102 (103), 20—22 mit dem dreifachen Benedicte. Vgl. auch Ps. 29 (30), 5; Ps. 46 (47),7. 1,3—4; 3,3—4 finden eine fast wörtliche Quelle in Hiob 15,15 Ecce inter sanctos eius nemo immutabilis, et caeli non sunt mundi in conspectu eius; vgl. ebda. 25,5 die Steigerung et stellae non sunt mundae in conspectu eius. 2,3—4 Der waltende Krist hat natürlich viele mögliche Quellen, z. B. Joh. 5,27 et potestalem dedit ei iudicium facere, ferner ebda. 17,2; Offb.12,10 u. ö. 4,2 Der König der Welt, zu vergleichen ist etwa Joh. 3,31 super omnes est; Rom.9,5 qui est super omnia Dens benedictus . . . 5,1—4 Der Einzug in Jerusalem zur Passion: Matth.21,8—9; Marc. 11, 8—10; Luc.18,37 (hier die rühmenden Jünger); Joh.12,13. Die Freude der Jerusalemer (bei Luc. der Jünger) hat ihr Schriftzeugnis. Angedeutet wurde schon eine Beziehung zwischen madr 's kann ok god 2,4 und 5,5—8. Beide Stellen, die inhaltlich nichts miteinander zu tun haben, könnten nämlich auf eine Schriftstelle zurückgehen: Matth. 16,27 enthält sowohl das Motiv Mensch-Gott wie auch das in 5 ausgesprochene von der Gerechtigkeit nach den Werken: Filius enim hominis venturus est 92

in gloria Patris sui cum Angelis suis: et tunc reddet unicuique secundum opera eius. Die Erwähnung der Doppelheit im Wesen Christi begegnet in der Dichtung hier zuerst. Dieser schwierige dogmatische Punkt wird sonst stillschweigend übergangen, ganz im Gegensatz etwa zu Cynewulf, der ihn oft und stark betont, oder zum Heliand V. 5387 that hie uuas god selbo neben V. 4750ff. Der in seiner Schlichtheit rührende Satz madr 's hann ok god kann erst richtig gewürdigt werden, wenn man ihn auf den Hintergrund frühscholastischer Theologie sieht, für die die Doppelnatur Christi ein zentrales Thema war; man vgl. A. M. Landgraf, Dogmengeschichte II, 1, passim, vor allem S. 70—115, 116—137. Eine zusammenhängende biblische Textvorlage läßt sich nicht erweisen. Doch ist das enge Verhältnis des Dichters zur biblischen Sprache deutlich genug. Obgleich der Poet gedankliches Gemeingut bietet, möchte man ihn doch unter den Geistlichen seiner Zeit suchen. Gesetzt, die Bruchstücke haben einem Gedicht angehört, dann dürfte es sich am ehesten um eine Passionsdarstellung gehandelt haben. 7. Märiuflokkr Nur das Ormseddubrot (SnE II500) überliefert in dem Abschnitt Grat edr tdr mä kalla . . . als Probestück, anonym und daher undatiert, die anderthalb Strophen eines sogenannten Märiuflokkr (A 627, B 634): 1. Knqttu mqrg d mergjar mjgdkarms furu hvarma hirdsamnadar himna hrynregn sali dynja. 2. Busti beggja rista barmskür ofan hvarma fljöds d frsegja meida fJQlglyggs himins tyggja; vann, süs kcenst es kvinna, kvglbannadar manna eljum undirstöla iltün pvegit brüna. Den merkwürdig parallelen Bau von 1 und 2,1—4 hat Kock, NN 1271, gezeigt. Er darf wohl nicht als künstlerisches Unvermögen, sondern im Gegenteil als hohes Formspiel bewertet werden, dem es nichts ausmacht, zweimal das gleiche Bild zu zeichnen. Die Gleichungen sind: mJQdkarms furu I fljöds •—• hvarma / hvarma — hryn / barm — regn j skür — kngttu \ busti — d I d — himna hirdsamnadr / himins tyggja — mergjar sali \ rista meida. Der Wortschatz zeigt ebenfalls, daß wir es mit einem Künstler von nicht geringen Graden zu tun haben. hvarma hrynregn „Sturzregen der Wimpern" : hrynregn, ein hap. leg., ist ein Geräuschwort, zu dem sich, sinnvoll den akustischen Eindruck fortführend, dynja und in der nächsten Strophe bysja stellen. Die Vorstellung lauten Weinens soll gegeben werden, mjgdkarms fura „Frau" ist eine einmalige Bildung nach gängigem Muster, mjgdkarmr ist hap. leg.; mergjar salr 03

„ B e i n " begegnet noch einmal bei dem orkneyischen Bischof Bjarni Kolbeinsson (gest. 1222) in der J ö m s v . d r . 31 ( B I I 7 ) 1 . Das Ungewöhnliche der Kenning legt den Gedanken nahe, daß hier ein Zusammenhang besteht, womit ein wenn auch vager Datierungsanhalt gegeben wäre, hirdsgmnudr, „der die himmlische Heerschar versammelt", ist wieder hap. leg. Der Eindruck von eigenwilliger u n d schöpferischer Sprachbehandlung wird sich in der zweiten Strophe weiter bestätigen. barmskur hvarma2, die Parallele zu hrynregn, ist wiederum eine einmalige Bildung; barmskur ist h a p . leg. Die F o r m busti erklären Kock-Meißner (Skald. Lb. I I 23) wohl falsch als Substantiv. Die Kenning rista meiär „ F u ß " gibt es n u r hier, fjglglyggr „sehr stürmisch" ist hap. leg.; ebenso ist brüna undirstöll „das, worauf die Brauen sitzen" = „Auge" alleinstehend, undirstöll zudem h a p . leg. 3 , brüna undirstöla & „ T r ä n e n s t r o m " ist ein gewaltsames Bild — eben d a r u m aber höchst eindrucksvoll —, bei dem wohl zu beachten ist, d a ß el sonst vornehmlich in der Bilderwelt von Kampf u n d S t u r m v o r k o m m t . E i n e vergleichbare Bildung neben unserer Kenning finde ich n u r bei Gisli, el kinna, Gisla s., c. 14, Str. 4. Ferner sind noch hap. leg. iltün „Hofwiese der Sohle" = „ F u ß " und kvglbgnnudr „ Qualverbieter". I n 12 Zeilen 8 neue Komposita zu bilden, ist gewiß keine kleine Leistung. Das Bild der weinenden F r a u wird in einem ausgesprochen hyperbolischen Stil — m a n darf sagen: in unirdischen Dimensionen — gezeichnet, wobei das Sturmbild bruchlos durchgehalten wird. Dieser flokkr gehört trotz seiner Künstlichkeit zu den gekonntesten Stücken der in diesem Kapitel behandelten Dichtung. Die D e u t u n g m a c h t Schwierigkeiten. Allgemein haben die Forscher die Szene auf Maria Beweinung Christi am Kreuz oder nach der K r e u z a b n a h m e gedeutet 4 . A n eine Pietä-Vorstellung ist aber wohl noch nicht zu denken. Die biblische E r z ä h l u n g läßt Maria lediglich unter dem Kreuz stehen, nicht weinen. Die bewegten Marienklagen sind jünger als das zu vermutende Alter unserer Strophen. Vielleicht ist aber die Dichtung gar nicht auf die Szene am K r e u z zu beziehen, sondern auf den Bericht von der großen Sünderin, den n u r Luc. 7,37—50 bringt. Manches scheint dafür zu sprechen und e n t h e b t uns der Zwangslage, für den Norden um 1200 schon eine (biblisch zudem nicht vorgeformte) Bildvorstellung anzusetzen, die jünger ist. Luc. 7,38 l a u t e t : . . . lacrymis coepit rigare pedes eins . . . und V. 44: haec autem lacrymis rigavit pedes meos. Mehr sagen auch die Strophen nicht. Der K o n t e x t aber n e n n t das Stück einen Märiuflokkr. N u n sind Maria Magdalena u n d Maria von Bethanien schon früh, beide d a n n aber mit der u n b e n a n n t e n „großen Sünderin" aus Luc. 7,37 ff. verwechselt worden. Anlaß dazu war die Salbungsszene (Matth.26,6 — Marc. 14,3 — Joh. 12,3). 1

Vgl. auch ä mergs himin = „am Arm" bei Sturla I>örd. 4,35, B I I 125. Vgl.Kock, NN 1271, wo ein *barm- in der Bedeutung „sjuda, svälla, jäsa" angesetzt wird. 3 K. Gfslason, Efterl. Skr. I I 2 2 6 schlug als wohl unnötige Besserung undirsöl vor. Kock hat die Notiz nicht erwogen. 4 Jonsson, L H I I 125; vgl. auch den Kommentar SnE I I I 182, ferner Gfslason, a.a.O., I I 226 (letzterer allerdings sehr vorsichtig); jüngst entschied sich noch Helgason, NK V I I I B, S. 156 für die angegebene Deutung. 2

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So konnte auch ein Gedicht, das den Bericht des Lucas zum Thema hatte, den mißverständlichen Namen Mdriuflokkr bekommen. Es gibt weitere drei Gründe, die für die vorgeschlagene Deutung sprechen. Christus wird nicht als Gekreuzigter oder Toter dargestellt, was trotz der Kürze des Stückes wohl möglich gewesen wäre, wenn die Passionsszene gemeint war. Wichtiger noch ist der Umstand, daß die Weinende (wie die große Sünderin!) namenlos bleibt: fljöd, mjgäkarms jura, kvinna wären um 1200 im pathetischen Stil gerade des hier behandelten Textes keine angemessenen Bezeichnungen mehr für die Gottesmutter. Paasche, a.a.O. S. 122, Anm. 4, folgert aus dem Superlativ koznst kvinna zu Unrecht, daß Maria Magdalena nicht gemeint sein könne. Der biblische Bericht läßt die Frau durch die ihr allein zuteil gewordene Sündenvergebung als ausgesprochen bevorzugt erscheinen gegenüber den „weisen" Tischgenossen. Dreimal wird ferner ausdrücklich gesagt, daß Christi Füße von den Tränen überströmt werden (wie bei Lucas), nicht der Leib oder das Haupt wie bei einer Pietä-Gruppe. Hätte der Anonymus die Szene am Kreuz gemeint, wäre das wohl deutlich gemacht worden wie schon in vier Zeilen des Kolbein, auf die Paasche verwies (B II 46): pvit drengr i styr srtgngum stdtt pu hjd kvgl drdttins bliä ok bragnings möctir byrstrandar grdtandi. Auch Has. 52 bekommt aber in diesem Zusammenhang ein anderes Gesicht. In den Strophen von der Kreuzigung 21 ff. erscheint die weinende Maria nicht. Im Schlußteil des Gedichtes aber, wo Exempla für die göttliche Barmherzigkeit gegeben werden, ist da eine vins Vgr, der die Sünden vergeben werden. Das alles spricht für die Maria aus dem Lucasbericht. 8. Unbestimmbare Bruchstücke Vier anonym überlieferte, nicht näher datierbare Bruchstücke hat Jönsson zusammengeordnet und mit Vorbehalt an das Ende des 12. Jahrhunderts gestellt (A627, B 634f,. vgl. auch LH II125 und Kock, I 308). Sie sind von der Forschung kaum beachtet worden. Auch Paasche übergeht sie rasch, a.a.O. S. 93, 123. Zu Unrecht, wie sich zeigen wird. Für einen Zeitraum, dessen Zeugnisse rar sind, ist jede Zeile kostbar! Bruchstück 4, eine Halbstrophe, die eine Umschreibung für Maria erklärt, behandle ich später im Kapitel über die Kenningar, S. 225. Bruchstück 1 und 3 gehören thematisch enger zusammen. 1. Krossjestum se Kristi kunnr vegr ok lof unnit, megn ok mgttr sem tignir, mest vald, pats fersk aldri.l 1 Die Interpunktion sowie die Entscheidung für tignir statt tignar (748) durch Kock (I 308 und NN 2547) dürfte das Richtige treffen. Für Z. 4 fersk wird man mit Jönsson 748 folgen statt den übrigen Hss. jremzt.

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f

Die Halbstrophe findet sich nur SnE II 142, der Zweizeiler ebenda II 174: 3. Fremi oss hinn, es himna, heimstyrir, sköp dyra. Für das christliche Kreuz konkurrieren zwei Wörter: kross und krüx, krüz, krtis (vgl. oben S. 90). kross ist, was in weiterem Zusammenhang später behandelt werden muß, irisches Lehnwort im Nordischen. Das adj. krossfestr, bei Fritzner II 353 nicht verzeichnet, ist hier zuerst belegt in der Dichtung. Später taucht es nur noch zweimal (LP 346) im 14. Jahrhundert auf: Lilja 96 Enn krossfesti, kraptr enn heesti, Kristr . . . und Allra post. minnisvisur 2 krossfestum var hann (Päll) Kristö keerr . . . Auch das subst. kross sowie die Zusammensetzungen sind selten und spät. Kross in der abgeleiteten Bedeutung „Crucifix" begegnet zweimal: in Markus' Eiriksdräpa 29 (B 419) und in Rögnvalds Lv. 29 (B 486); beide Belege gehören dem 12. Jahrhundert. Zweimal ist kross im 12. Jahrhundert außerdem poetisch belegt: Geisli (nebst piningarkross Str. 65) und Has. 22. Die Komposita krossmark (einmal im 13. Jahrhundert) und krosstre (einmal im 14. Jahrhundert) sind wesentlich später. Das vb. krossask „Kreuz tragen, sich bekehren" gibt es erst im 14. Jahrhundert, Meyja dr. 15. Für krossfesta nimmt Fischer, Lehnwörter S. 5f. englisches Vorbild wie rödfsestnian = crucifigere an. Der Überbück gibt nichts her für die Datierung der vier Zeilen, läßt aber die Ansetzung um 1200 als möglich erscheinen. Über die zunächst merkwürdige Tatsache, daß der krossfestr (wie auch in den Kenningar) so gar keine Rolle in der altnordischen Dichtung spielt, wird weiter unten S. 153, 218 ausführlicher gehandelt werden. tlgn, f., ist ein spezifisch christliches Wort (vgl. Jöansdr. des Gamli). Ob in tnegn ok mgttr eine bewußte, vom Christentum her protestierende Anspielung auf die stabende Formel mättr ok megin — trüa d matt sinn ok megin zu sehen ist, mag unentschieden bleiben. Das Stück macht durchaus den Eindruck wenn nicht einer Übersetzung so doch der Paraphrasierung eines liturgisch-hymnischen Textes. Zu vergleichen wäre etwa aus den Messe-Texten der Introitus zum Fest der Kreuzerhöhung (Schott, S. 922, der gleiche Introitus auch zum Fest der Kreuzfindung, ebda. S. 777): nos autem gloriari oportet in Cruce Domini nostri Jesu Christi: in quo est salus, vita et resurrectio nostra per quem salvati et liberati sumus. Der Zweizeiler ist insofern interessant, als die Bitte um Erlösung (?), jedenfalls um Hilfe 1 noch immer nicht an den Gekreuzigten, sondern an den Herrn und Schöpfer gerichtet wird. Daß Gott und Krist namentlich in dieser Weise bei allen Germanen gesehen wurden, und zwar weit ins Mittelalter hinein, ist bekannt genug und auch von theologischer Seite immer wieder beobachtet worden 2 . 1

fremja, LP 151, ist ein vielfach schillerndes Wort: „fördern, aufhelfen, ausführen". 2 Vgl. etwa R. Seeberg, Die germanische Auffassung des Christenthums in dem frühen Mittelalter, Zs. f. kirchl. Wissenschaft und kirchl. Leben, 9. Jg., 1888, S. 91—106, 148—166. 96

Ganz anderer Art, auch aus ganz anderm Zusammenhang, ist das letzte der hier vereinten Bruchstücke: 2. Framm praukudu fdkar fjörir senn und henni; pö gat peim en hdva prymgQÜ hladit gllum. (SnE II 172) en hdva (Hs. 748) hat Kock NN 2563 wohl mit Recht wegen der korrekten Assonanz der Lesung punga vorgezogen. Zum Wortschatz: prauka „schleppend gehen" ist nur noch einmal, und zwar von einem Schiff, in der Qrvar-Oddssaga (B II 325, 6) belegt. Fritzner verzeichnet das Wort nicht, prymgqll „die laut klingende" ist hier wohl als Name der Glocke, „Dröhnerin", zu verstehen; ausdrücklich als Name wird das Wort prymgigll in Fj. 10,1—3 für ein mythisches Tor bezeugt (vgl. GS I 411 z. St.). Über den Zusammenhang, in den das Stück einst gehörte, ist nichts auszumachen. Am ehesten möchte man an eine Gelegenheitsstrophe anläßlich eines beschwerlichen Glockentransportes denken; aber selbst die Möglichkeit einer Spottstrophe ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Paasche S. 123 erinnerte an die überall verbreiteten Glockensagen. K. Kramer 1 hat etliche zusammengestellt, darunter auch eine (S. 67), in der eine Glocke nur mühsam von sechs Pferden fortbewegt wird. Aber von einem Eigenwillen, den die Sagen-Glocken zeigen — sie lassen sich oft nicht von der Stelle schaffen —, weiß unsere Halbstrophe nichts. Streng genommen gehört das Stückchen kaum mehr in den hier behandelten Zusammenhang. 1 Die Dingbeseelung in der germanischen Überlieferung, München 1940, S. 66—71; vgl. auch HDAIII 868 ff. Glockenwunder wie etwa das in der Magnus s. göda, c. 27 berichtete stehen ferner.

7 7362 Lange, Studien (Palaestra 222)

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Die großen Dichtungen des 12. Jahrhunderts Die Betrachtung der Bruchstücke des 12. Jahrhunderts führte schon bis an das Ende des für die Darstellung vorgenommenen Zeitraumes. Aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammen nun auch die ersten ganz oder nahezu ganz erhaltenen christlichen Dichtungen. Sie heißen Pläcitüsdräpa (Plac), Geisli (Ge.), Harmsöl (Has.) und Leidarvisan (Leid.). Im Unterschied zur ersten Epoche christlicher Dichtung um 1000 sind es jetzt G e i s t l i c h e — es ist die Zeit der Klostergründungen —, die diese Dichtung pflegen. Kleriker sind die Verfasser von Ge. und Has.; für Plac. und Leid, erscheint es so gut wie sicher. Die Dichter bedienen sich ausschließlich der Drapaform, zumeist im Drottkvätt-Maß. Trotz dieser Gleichmäßigkeit im Formalen bezeugen die vier Werke eine Fülle von Spielarten christlicher Dichtung. Die Plac. ist der Versuch, die Vita eines Heiligen im Drottkvätt-Stil zu erzählen. Ge. ist ein echtes Preislied ('et hojdepunkt i skjaldekunstens officielle anerkendelse', Helgason, NK VIII B, 154) mit nationalem, ja politischem Hintergrund. Diese zwei Werke gehören als Preislieder auf Heilige thematisch enger zusammen. Ebenso gehören die beiden anderen enger zusammen; bei ihnen ist die Preisliedform nur noch das Gefäß für die Predigt über den Heilsweg. Eine ganz andere Gruppe christlicher Dichtung, zeitlich zudem später, wird durch Sölarljöd — Merlinüsspa — Hugsvinnsmäl repräsentiert. Über diese wird später noch einiges mitzuteilen sein. Die zeitliche Stellung der vier großen Dichtungen und ihr Verhältnis zueinander ist unklar. Sicher datierbar ist nur Ge. (1153 oder Winter 53/54), relativ sicher Has. durch die Person ihres Dichters Gamli. Für eine frühe Entstehung der Plac. gibt es Hinweise. Die Datierung von Leid, wird kaum genauer zu geben sein als Ende des 12. Jahrhunderts. (Die Sölarljöd scheinen mir ein wenig jünger zu sein und wurden deshalb für diese Darstellung ausgeschlossen.) Auf den Nachweis von Abhängigkeiten unter diesen Dichtungen ist einiger Fleiß verwendet worden, ohne daß sichere Ergebnisse erreicht wurden. Ein Beispiel: Leid, zeigt deutlich Abhängigkeit von Plac. (Jönsson LH I I 1 2 2 ; Helgason a.a.O. S. 155). de Vries läßt Leid, ferner von Has. abhängen; da nun — folgert de Vries II 115 weiter —• Has. und Plac. beide Ge. benutzt haben, so ergibt sich ein Stammbaum der Beziehungen und mithin eine annähernde Datierung der von der Überlieferung nicht datierten Denkmäler. Die geschichtliche Reihenfolge ist für de Vries demnach: Ge. — Has. — Plac. — Leid. Allen Forschern, die sich mit der Frage der Datierung und mit dem Verhältnis dieser Dichtungen zueinander beschäftigt haben (Jönsson, Mogk, 98

Paasche, de Vries, Noreen, Helgason), stellen sich die Dinge verschieden dar. Ich erspare mir die Wiederholung der erheblich voneinander abweichenden Konstruktionen. K a u m zwei kommen überein. E s darf d a r a u s wohl gefolgert werden, daß das Bemühen um einen „ S t a m m b a u m " auf diesem Felde ein ziemlich müßiges Beginnen ist; denn die Berührungen der Gedichte erstrecken sich zumeist auf nicht viel mehr als auf Ähnlichkeiten in poetischen Umschreibungen. Eine Ausnahme ist die Gleichung Plac. 32 : Leid. 13, vgl. schon Jönsson L H I I 122, Anm. 2. Die R e c h n u n g mit Ähnlichkeiten des Ausdrucks berücksichtigt zweierlei nicht: erstens uns unbekannte, verlorene Dichtung, die vermittelt haben oder die gebende gewesen sein k a n n ; zweitens den Kunststolz der Skalden (der auch jetzt u n d hier noch gilt), eigene Wendungen zu finden und nicht abzuschreiben (vgl. H . K u h n , AfdA 6 1 , 1943, 56f.). Manche Worte u n d Bilder aber konnten nicht nur, sie mußten geradezu unabhängig voneinander erfunden werden. Die gleichen Gegenstände verlangten nach gleichsinnigem Ausdruck. Die alten Skalden h a t t e n es bei ebenfalls gleichen Gegenständen besser, sie h a t t e n den ungeheuren, variablen Vorrat der Kenningar, während die geistlichen Poeten ihren Bilderschatz zu guten Teilen neu schaffen mußten. Auf folgende „Gleichungen" darf man daher gewiß keine Abhängigkeit des einen Denkmals vom anderen gründen: prifnudr Plac. 5 : Ge. 3 ; fullting Plac. 10 : Ge. 27, aber auch Has. 1 und H a m d . 13; almildr Plac. 17 : Ge. 3 5 ; gunndjarfr Plac. 34 : Ge. 44, aber auch schon Y t . 36, Vell. 34! Es bleibt also nur die Möglichkeit, die vier Dichtungen u n t e r Berücksichtigung auch von bescheidenen Indizien um das einzige sichere D a t u m 1153 (Ge.) zu gruppieren 1 . Danach stellt sich mir die zeitliche Abfolge so d a r : Plac. — Ge. — Has. — Leid. Diese Reihung sagt noch nichts über etwaige Abhängigkeit der jüngeren von den älteren Werken. Der Umfang der vier Gedichte verbietet den durchgehenden K o m m e n t a r , wie er bisher gegeben wurde. Die Interpretationen versuchen s t a t t dessen, sich der besonderen Anliegen und Eigenheiten der Werke anzunehmen. N u r auf die Wortschatzuntersuchung durfte auch hier nicht verzichtet werden. I m übrigen aber wurden die von den Werken anbefohlenen Themen behandelt, u n d zwar: 1. 2. 3. 4.

P l a c : der Stilbruch, ferner das Verhältnis zur Prosa; Ge.: Olafsdichtung u n d Olafsverehrung; H a s . : Sünden- und Gnadenlehre; Leid.: das europäische Thema des Sonntagsbriefes Christi.

1 V. Skard hat Arkiv 68, 97—108 als letzter das Verhältnis der genannten Gedichte geprüft und ist zu folgender Datierung und Reihenfolge gelangt: Plac. (1. Hälfte des 12. Jh.) — Leid, (nach 1152, aber vor Has.) — kurz vor 1200 Has. Skards Konstruktion beruht wie die seiner Vorgänger auf Wort,,gleichungen", die, wie oben ausgeführt, nicht genügen. Die historische Reihenfolge der vier Dichtungen ist aber für unsern Zusammenhang im übrigen nicht besonders wichtig. Es genügt festzustellen, daß alle mit einiger Sicherheit in die 2. Hälfte des 12. Jh. gehören.

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1. Pläcitüsdräpa Die Pläcitüsdräpa gehört zu den merkwürdigsten Leistungen der nordischen Dichtkunst. Sie gelangte außerdem eher auf das Pergament als andere skaldische oder gar die eddische Dichtung. Das beweist nicht die Wertschätzung des Gedichts, sondern lediglich klösterliche Entstehung. Das Gedicht ist wohl nur zufällig anonym. Überliefert ist Plac. in einer Handschrift1, die allgemein um 1200 datiert wird (A 607—618, B 606—622). Dem Gedicht fehlen Anfang und Schluß. Der Umfang des Fehlenden ist auf verschiedene Weise annähernd genau zu errechnen (s. unten). Die Rechtschreibung des Denkmals ist voller Fehler und Inkonsequenzen; Jönsson hat diese a.a.O. S. 223ff. gründlich beschrieben und folgerte, daß der Schreiber das Original oder wenigstens seine Vorlage nicht mehr gut habe lesen können. Aus diesem Befund2 ergibt sich ein Anhalt für die frühe Datierung. Um die Herstellung eines lesbaren Textes haben sich vor allem Jönsson und Helgason verdient gemacht. Die Drapa schildert die Berufung, Prüfung und Marter des heiligen Eustachius, der vormals Placitus geheißen haben soll. Der Dichter kennt beide Namen (vgl. Str. 6,11), verwendet aber weiterhin den heidnischen Namen seines Helden. Inhalt: Der Ritter hat auf der Jagd die Erscheinung des Crucifixus im Geweih eines von ihm verfolgten Hirsches. Er wird zur Nachfolge Christi berufen, ein prüfendes Hiob-Schicksal wird ihm angekündigt (hier setzt der erhaltene Text ein). Der Held darf mit göttlicher Erlaubnis seinem Weibe von der Erscheinung erzählen. Die ganze Familie läßt sich taufen. Nach der Taufe geschieht eine neue Begegnung mit dem wunderbaren Hirsch. Die Stef-Strophe (11) setzt diese Einleitung deutlich vom Hauptteil ab. Fünf Gruppen von je sieben Strophen (Hauptteil, 12—46) schildern die Prüfungen und den neuen, nur kurzen Aufstieg aus dem Elend. Placitus verliert alle Habe, Weib und Kinder — die alle, ohne daß der Held es ahnt, durch Gottes Hilfe inzwischen gerettet werden. Härter als Hiob werde er geprüft, hadert 26—28 Placitus mit Gott. Der Held lebt im Elend, bewahrt aber Mut und Glauben. (Der wichtige Zug, daß das Elend vom Teufel herrührt — Hms. II, 195, 34f. pviat diofull vekr ofund i gegn per — fehlt dem Gedicht.) Mit 32, wiederum deutlich abgesetzt, sind die Prüfungen vorläufig zu Ende. — Dem Reich droht Krieg durch mächtige Feinde. Kaiser Trajan läßt den bewährten Heerführer suchen. Er darf mit Christi Erlaubnis zu Felde ziehen, siegt und wird durch wunderbare Fügungen wieder mit den Seinen vereint. Inzwischen ist der grimmige Hadrian Kaiser geworden; der versucht, den heimkehrenden Sieger zum Opfer an die heidnischen Götter zu zwingen — hier bricht der Text ab. Die Weigerung des Standhaften und der Märtyrertod sind zu ergänzen aus der Prosa1

AM 673 b. Zur Überlieferung vgl. vor allem Jönsson, Opuscula philol. 1887, S. 210—264; Jon Helgason, APhSc VII, 1932/33, S. 150—168. 2 Vgl. auch D. A. Seip in Studier, tillägnade R. Pipping, 1949, S. 20ff., der aus den paläographischen und sprachlichen Sonderheiten der Ha. auf eine norwegische Vorlage schließt. Zur methodischen Bedenklichkeit der Beweisführung vgl. H. Kuhn, APhSc XXII, S. 65ff. 100

Überlieferung der Vita, Hms. II, 193—203, hier S. 202f. (vgl. auch Gesta Romanorum, c. 110). Der Dichter hat es verstanden, den vorgegebenen Stoff mit dem ebenfalls gegebenen Grundriß einer Drapa glücklich zur Deckung zu bringen; kunstvolle Einpassung des Stoffes in die Form wird in dieser Dichtgattung noch mehrfach — z. B. bei Leid. — zu beobachten sein. Die grobe Gliederung des Gedichts ist diese: (x + ) 1—10 // 11—46 // 47—59 ( + x) Das upphaf schildert die Berufung, der Hauptteil Prüfung und neuen Ruhm, der slosmr Glück und Ende. Die verlorenen Stücke zu Beginn und Schluß lassen sich inhaltlich genau, ihrem Umfang nach mit großer Wahrscheinlichkeit bestimmen. Dem upphaf fehlen 11, dem slcemr 8 Strophen. Diese Zahlen sind zu erschließen: 1. aus der Verteilung des Stoffes in der Prosalegende; 2. für das upphaf wenigstens aus der Ökonomie der Hs; auf einer Seite stehen etwa 11 Strophen, die erste Seite fehlt, vgl. Jönsson, a.a.O. S. 254; 3. aus der über der Grundzahl 7 erbauten Komposition. Der Mittelteil besteht aus 5 mal 7 Strophen ( + Str. 11, Stef); die Analogie zu Leid., wo ebenfalls ein Mehrfaches der Grundeinheit den Umfang von upphaf und slcemr ergibt, macht je 21 Strophen für Einleitung und Schluß wahrscheinlich1. Das Gedicht hatte also ursprünglich 78 Strophen. 4. Zur Ergänzung, wenn auch nicht zur Errechnung der fehlenden Stücke, kann ein karolingisches Placitus-Gedicht von 44 fünf zeiligen Strophen herangezogen werden, das E. Dümmler ZfdA 23, 1879, 273ff. bekannt gemacht hat. Die beiden Dichtungen entsprechen sich erstaunlich genau. Die Übereinstimmungen, die keinen historischen Zusammenhang, wohl aber die Festigkeit legendarischer Überlieferung bezeugen, gehen stellenweise bis in den Wortlaut; man vergleiche etwa Tyrannus dixit ad eum: „accede, immola" 39,1 mit Plac. 59,5 blöt, kvadgramr enn grimmi. Die dem nordischen Gedicht fehlenden Teile sind hier durch die Strophen 1—5 39—44 gegeben. Für die Geschichte der christlichen Skaldik wäre es von dem größten Interesse, über das Verhältnis zwischen Gedicht und Prosa ins Klare zu kommen. Soviel steht indessen nur fest: der Dichter hielt sich genau an die Legende, ohne daß aber die Fassung in Hms. als Vorlage erwiesen wäre. Jönsson bestritt sogar Op. philol. S. 258 diese Abhängigkeit und nahm wegen geringer, nicht durchaus beweisender Abweichungen eine kürzere Prosaredaktion der Legende als Rohstoff für den Dichter an, während der Schreiber der erhaltenen längeren Fassung das Gedicht sogar benutzt haben soll. Allein, hätte der Schreiber die Dichtung vor sich gehabt, er hätte wohl kaum darauf verzichtet, seine Saga mit einigen Strophen zu schmücken, wie es vergleichsweise in einer Jönssaga (Post. s. 509—512) 1

Jönsson verundeutlicht diese Rechnung etwas, indem er die 7 als Grundzahl nicht hervorhebt und statt dessen den bplkr als 6 + Stef rechnet. Das Ergebnis ist das gleiche. Vgl. auch de Vries, LG II 114 und Anm. 5. 101

geschah. Es ist daher wahrscheinlicher, daß der Dichter die erhaltene oder eine ähnliche Prosafassung kannte. Wörtliche Anklänge, die auch Jönsson S. 257 zugibt, erklären sieh so zwangloser. Gesetzt, die Drapa entstand bald nach der Prosaübersetzung aus dem Lateinischen — D. A. Seip setzt diese a.a.O. S. 24 vor 1150 —, so ergäbe sich erneut ein Anhalt für die Datierung des Gedichts. Die Herkunft des Stoffes liegt im Dunkeln. Spuren weisen nach Norwegen, vor allem wenn Seip mit der Annahme einer norwegischen Vorlage für die Gedichtabschrift Recht haben sollte; vgl. aber auch Hms., Einl. S. XI zum Codex 655 to. Die Prosalegende beruft sich II 193, 12 auf eine Quelle, er Actus apostolorum heitir. Eine gewisse Verwandtschaft der Legende mit dem hellenistischen Roman — in dem dort sehr beliebten Motiv der Wiederfindung Getrennter — ist schon früh bemerkt worden, zuerst wohl von Dümmler, a.a.O. S. 264; vgl. auch H. Günter, Psychologie der Legende, 1949, S. 59 f. Eine abendländische Eustachius-Verehrung gilt für Rom im 8. Jahrhundert — vielleicht schon für die Zeit Gregors d. Gr. — als gesichert, vgl. RE f. prot. Theol.3, V 624. Dazu stellt sich das schlichte Gedicht der Karolingerzeit. Reliquien des Heiligen gelangen um 1190 nach St. Denis und Paris. Der Festtag des Märtyrers — den Tod soll er anno 118 erlitten haben — ist seit dem frühen Mittelalter der 20. September (vgl. auch Acta sanct. septembris, T. VI, 123—135). Die Frage nach dem Weg, den die Legende bis in den Norden genommen hat, wird schwerlich eine bündige Antwort finden. Wir wenden uns dem Gedicht wieder zu und versuchen, an Sprache, Stil, Form und Idee des Werkes einige Einsichten zu gewinnen. Schlichte Einfalt des Vortrags bei gleichwohl gelegentlich recht kompliziertem Strophenbau steht im ständigen Widerstreit mit dem schweren Prunk gewichtiger Umschreibungen (die Noreen aber überschätzt, wenn er Poesien S. 283f. von schwerstem Kenningstil redet). Der Dichter hat die Skalden gut gekannt und weidlich genutzt. Nicht alles, was de Vries (LG I 107f., 199f., 202, I I 117, 227) an Anklängen heraushört, ist gleich beweiskräftig. Eine Entsprechung wie etwa zwischen Plac. 52 oddyns osski-Nirdir und oddregns oeski-Nirdir (Hävardr halti, B 180,7) würde Gewicht haben, wenn sie nicht eine Besserung des Textes (A 190) wäre! de Vries' Zusammenstellung der „Gleichungen" könnte noch beträchtlich vermehrt werden. Sie würde vont>6rbjorn hornklofi (de Vries I 107f.) über Kormak (menreid Lv. 1 : Plac. 4) u. a. bis zu den Zeitgenossen des Dichters reichen. Die Entlehnungsrichtung zwischen Plac. — Has. — Ge. wird man kaum entscheiden können wegen der zeitlichen Nähe der drei Dichtungen und wegen möglicher weiterer Quellen, die wir nicht kennen. Leid, allerdings war gewiß die nehmende, vgl. dazu Jonsson II 122, Helgason, NK VIII B, S. 155. Wichtiger als diese Fülle möglicher, aber in den meisten Fällen nicht sicherer Entlehnungen ist der Wortschatz der Dichtung. Hier kann eine Liste der hapax legomena den Dichter als Sprachschaffenden zeigen und zugleich mit der Zusammenstellung der seltenen Wörter den ihm wichtigen Sinnbezirk seines Dichtens umschreiben. 1. Hapax legomena. Die Kenningar — gewiß originale Bildungen, in denen der Dichter Phantasie und Können zeigen mochte — werden hier nicht auf102

geführt. (Zu den Umschreibungen für Gott und Krist vgl. das Kap. über die Nomina sacra.) Nur hier belegte Wörter sind: Str. 5 hirdnafn, der Name, als Gottes Gefolgsmann, Eustachius — 7 hirdvandr, sorgsam die Hird auswählend, von Gott — 8 sjaldspurdr, selten erfahren — 9 dstskyrdr, durch Liebe berühmt — 12 fridbrpgd, n. pl., friedliche Handlung, in einer Kenning für PI. — 12 hyggjusnjallr, verständig (fehlt LP) — 13 fetjön, Verlust der Habe — 16 stfdvir, in der charakteristischen Kenning strida st., „der den Kummer zum Stehen bringt" — 17 eiginbrüdr, Ehefrau — 21 ästvitjudr, der liebevoll Handelnde (vgl. 9) — audgildir, Reichtumsschätzer (vgl. audgüdandi, Hallfr., Lv 11) — 24 ögntvistr, bekümmert über Gefahr — 25 ästlaun, liebevoller Lohn — 1,26 Job, Hiob, nur in diesem Gedicht — 38 ütbeitir, Steurer — 40 meginvandla, sehr sorgsam — 42 megintidendi, sehr wichtige Nachrichten — 43 pingblidr, munter, in einer Kampfkenning — 46 aflsteldr (?), kraftvoll — 46 aldrgofugr, herrlich durch Alter — 46 (megin)veldi, Hauptmacht (Konjektur!) — 51 sidfrödr, glaubenskundig — 53 raunmcedila, sehr mühevoll — 54 unnfress, Wogenbär = Schiff, in einer Mannkenning — 57 eklaust, reichlich — 58 tirmildr, der gern Ehre gibt. 25 hap. leg. (wozu noch der nur hier genannte Job kommt) zeigen einen nicht untüchtigen, um kunstvollen und klaren Ausdruck bemühten Poeten. Bis auf stpdvir (16) sind alle Wörter dieser Gruppe Komposita; die große Kompositionsfähigkeit des Isländischen kommt den Dichtern sehr zustatten. Mehr als die Hälfte der hap. leg. sind Adjektive oder Adverbien, eine Erscheinung, die am deutlicheren Beispiel der Has. noch zu besprechen sein wird (unten S. 147). 2. Seltene Wörter. I n dieser Liste werden frühere und nächstbenachbarte Belege mitgegeben. Sie gewähren einen gewissen Einblick in die Herkunft des Wortschatzes von Plac. und in die Fortwirkung des Gedichts. Wichtig zu sehen ist vor allem, wie der Wortschatz der christlichen Prosa von der Dichtung lebt. (Mancher Fehlschluß ist hier freilich möglich dadurch, daß Plac. so früh überliefert ist; ein vielleicht schon gängiges Wort der Kirchensprache erscheint für uns deshalb hier zuerst.) Eine Beobachtung soll jedoch vorweg mitgeteilt werden. Mehrfach — bemerkenswert oft sogar, wenn man die recht verschiedenen Gegenstände in Rechnung setzt —- bezeugen Plac. und die Merlinüsspä des Benediktinermönchs Gunnlaug aus dem Kloster E>ingeyrar (gegr. 1133) gemeinsam ein seltenes Wort. Gunnlaug starb 1218. Dadurch ist seine Dichtung leidlich datiert. Kannte er dio Drapa? Wurde sie gar in seinem Kloster verfaßt? Oder abgeschrieben? Die Entsprechungen sind: 1. pldurmadr, Häuptling, Plac. 13, Jörns. 11, Merl. I I 63. LP betrachtet es als englisches Lehnwort. Niederdeutsche Herkunft dürfte wahrscheinlicher sein, vgl. Fischer a.a.O. S. 43 u. ö., der jedoch nur die jüngeren Prosabelege berücksichtigt. 2. bplgjarn, voll Bosheit, Plac. 16, Hsv. 140, Merl. I 48. 3. 166, Löwe, Plac. 23, Merl. I I 52, 57 (und in einer unechten Strophe B 175). 4. aldingardr, Obstgarten, Plac. 24, Merl. I I 47. 5. kristni, in der besonderen Bedeutung „Christenglaube" Plac. 24, Merl. I I 23. In der Bedeutung „Christenheit" zuerst Ge. 6; vgl. jedoch schon kristnihald bei Sigvat 12,2. 6. Endlich könnte noch die Kenning für „Kampf" Prottar ping (Plac. 43, Merl. I 62) genannt werden, doch kommt diese auch sonst noch vor, vgl. Ott. 2, 15, Rst. 1. Jönsson, in seiner Ausgabe der Hauksbök 1892/96, Einl. S. CXIIf., hat einige Berührungen der Merl. mit älterer Dichtung genannt, die Entsprechungen zu Plac. aber übersehen.

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Es folgen nun die übrigen seltenen Wörter aus Plac: 1, 12 mannraun, Mannesprobe, LP 391, hier zuerst, weiterhin nicht häufig; späte Prosabelege Fritzner I I 644. 2 skordadr, gestützt (eigentlich vom Schiff), hier erstmals übertragen in der Bedeutung „getröstet von Gott". 4 mjüklyndr, mild gesonnen, wahrscheinlich hier zuerst, LP 408, Fritzner II722. 5 Iserdömr, Lehre, in der Kenning Iserdöms prydir, in der Dichtung nur hier; späte Prosa Fritzner I I 592. 1, 9, 10, 12, 13, 18, 25, 52 freistni, Prüfung, nur hier und Likn. 40 und SnE I I 234. 9, 31, 36, 54 huggan, Trost, noch bei Gamli 1, 2; Prosa Fritzner I I 81. 9 minka, vermindern (vom Kummer), hier zuerst, Prosa Fri. I I 700. 10 fullting, Hilfe, hier vielleicht zuerst, ferner Ge. 27, Has. 1 (und Hamd. 13, Prosa Fri. I 503f. 11 algödr, im Superlativ „überaus gut" (vom Märtyrerleben); nur einmal Laxd. s. prosaisch, Fri. I 33. 17 almildr, überaus mild, noch bei Einarr, Ge. 35 (dort von Olaf); keine Prosabelege. 17 öviljandi, wider Willen, nur noch einmal Äsm. s. k., LP 449; keine Prosabelege. 18 tceja, helfen, von Gott hier zuerst; prosaisch nur in christlicher Literatur, Fri. I I I 739. 18 hugbord, Brust = Mut, einmal vorher bei I>örmödr kolbr., Lv. 3. 19 synd, Sünde, vielleicht hier zuerst (außer syndalauss, Glsel. 7), ein niederdt. Lehnwort, vgl. Fischer, a.a.O. S. 41. 19 saurlifi, Unkeuschheit, in der Dichtung nur hier; wenige Prosabelege, Fri. I I I 192. 19 saurga, verunreinigen (durch Sünde, Unkeuschkeit), hier zuerst, dann poetisch erst wieder einmal im 14. Jahrhundert, in der Prosa dann oft, Fri. I I I 191f. 19 samvist, Zusammensein, in der Dichtung nur hier; Fri. I I I 179. 23 akrmadr, Bauer, nur hier in der Dichtung, wenige Prosabelege bei Fri. I 25. 23, 29, 49 porp, Dorf, außer bei I>jödölfr Arn. Lv. 14 hier wieder zuerst in der Dichtung. 27 ütlegd, Friedlosigkeit, hier zuerst; selten, erst im 14. Jahrhundert wieder in der Dichtung; in Prosa natürlich häufig. 28 vardhald, Wache, außer dieser Stelle nur noch einmal, ebenfalls im 12. Jahrhundert, B 512 (Ärmödr); Prosa häufig, Fri. I I I 868. 28 vdrkunn, Vergebung, wohl hier zuerst, LP 597; Prosa Fri. I I I 871. 30 verkkaup, ausgemachter Lohn, poetisch nur hier, christliche Prosa, Fri. I I I 918. 30 atvinna, Unterhalt, Nahrung, hier zuerst; christliche Prosa Fri. I 91. 33 riddari, Ritter; um 1100 ist das nd. Lehnwort zweimal belegt, B 402,407. Hier erscheint es wie Ge. 18 u. ö. als ridari. 37 kraptr, Stärke, Kraft Gottes; häufig in der religiösen Dichtung (und nur in dieser) seit Plac., desgl. in der christlichen Prosa, Fri. I I 341 f. 39 fpgnudr, Glück(seligkeit), hier wohl zuerst, in christlicher Dichtung weiterhin nicht selten, vgl. Söl. 24. 44 fdmedr, mit zu wenig Mannschaft versehen, nur noch einmal in einem späten Njala-Vers; prosaisch spät und selten, Fri. I 375. 45 störmenni, Männer von gutem Geschlecht = die Söhne des PI., in der Dichtung nur hier, Prosa Fri. I I I 567. 47, 48 gods pegn, vgl. Ge. 18. gods ridari 104

49 kapall, Pferd, in einer Mannkenning. Poetisch nur hier, prosaisch selten, Fri. II 254. 24, 50 haettinn, gutgesittet, in dieser Bedeutung nur hier, vgl. LP 306 s. v. 1,2. 55 föstrlfmd, Vaterland; einmal ist das Wort im sing, etwa 100 Jahre vorher belegt, B 331, 15, bei Harald d. Harten. In Prosa selten und nur christlich, Fri. I 466. 55 Langbarda jord, ähnlich nur einmal L. land in der Sexstefja 5, etwa 1065. Fast drei Dutzend seltener Wörter waren aufzuzählen. Viele von ihnen sind hier zuerst belegt, Wörter, die vielleicht der Verfasser der Drapa erfunden hat. (Manches stammt wohl auch aus der Alltagssprache.) Spätere Belege dieser Wörter finden sich vornehmlich in theologischer Prosa. Zusammen mit den hapax legomena bestellen diese neuen Wörter ein Feld wesentlich ethischer Färbung. Auch der Gebrauch der Kenningar ist in mehrfacher Hinsicht lehrreich. Der Dichter will es seinen Kunstgenossen durchaus gleichtun und bildet vielgliedrige rühmende Umschreibungen; das gilt vor allem für Placitus, während Frau und Söhne meist schlicht mit Namen oder als broectr u. ä. genannt werden. Doch auch der Held heißt oft nur Placitus (42, 44, 47 u. ö.). Die schon genannte Spannung zwischen Schlichtheit und Gehorsam gegenüber der Kunstforderung wird im Kenninggebrauch deutlich. Die tragischironische Möglichkeit der preisenden Kenning in ihrer Anwendung auf einen im Elend Leidenden wird vom Dichter bis zum Widersinn überanstrengt. Der reichliche Gebrauch „heidnischer" und ausgesprochen heroischer Kenningar ist schon mehreren Forschern aufgefallen; de Vries sprach LG II 109 geradezu von „Skrupellosigkeit", während Paasche den Sachverhalt von seiner Grundkonzeption aus als unbedeutend hinstellen mußte. (Mot den lodige kristendom i draapaen veier det litet, at dodt hedenskap gang paa gang leftes op i kvadets kenningar . . . S. 91). Auch Kahle, Arkiv 17, 1901, S. 7 verzeichnete das Bild, wenn er schrieb: „In den ersten Strophen, in denen Placitus noch als Heide auftritt, erhält er ausschließlich Kenningar nach alter Weise, die ihn als Krieger und freigebigen Mann bezeichnen, nach seiner Bekehrung aber verschwinden (?) diese Ausdrücke, wenn auch nicht ganz (!), so doch in erheblichem Maße gegenüber neuen, die ihn als frommen Christen und Diener des Herrn erkennen lassen . . .". Die notwendige Richtigstellung ist leicht möglich durch eine Liste der „heidnischen" Kenningar. Placitus wird außer mit den üblichen Kriegerkenningar wie etwa Gjalfrs elds lundr 2 (wozu Björn Breidv., Lv. 3, B 125 zu vergleichen wäre) oder hodda geymir 4, hjorva lundr 41 mit folgenden Umschreibungen bedacht: Vdnar logstyfir 2 (Von ein mythischer Fluß, der aus Fenris Maul kommt, SnE); Vinnils viggpollr 4; unnar elg-Pröttr 7; boräs sölmeidr 20, ähnlich mordsolar meidr 29; vigg-Baldr 30; lypti-Mddi 31; Gylfa grundar gladrldandi 35; hodda-Baldr 41; Pröttar pingblidr 43; odda pings hyr-Pröttr 48 (vgl. hyrPröttar 40); hrafn-vins hyrgüdir4Q (wozu Hallfreds Lv. 12 zu vgl.); ormvangs Njordr 56; armlinns beidi-Prör 56; die Kenningar sind also über die ganze Dichtung gleichmäßig verteilt. Die Bekehrung des Helden macht in dieser Hinsicht nichts aus. 105

Für E>eöpista gilt das Gleiche: seims Sjgfn 14 (Sjgfn ist eine Liebesgöttin, SnE I 114, 116; Gislis Kenningar Sjgfn silfrbands Lv. 35 und Sjgfn sauma Lv. 17 mögen Vorbild gewesen sein); hodd-Gefn 17; hgrstrengs Jgrd 24; Eir 54; hauka klifs hyr-Grund 55. Die Umschreibung yndis ceski-Nirdir 52 für die Söhne wurde schon erwähnt, ebenso hjaldrserks hyr-Pröttar 40. Prötts pingveljandi 49 = Krieger, Yggjar leikr 34 = Kampf sind endlich noch zu nennen. Daß dies alles nicht gedankenlose Verwendung toten Heidentums allein ist, kann gezeigt werden. Nicht nur durch die Diktion im einzelnen, sondern durch die Darstellung im ganzen geht ein Sprung, der nicht zu übersehen ist. Daß die Drapa echtes, innerlich aufgenommenes Christentum der Demut ausspreche, ist eine der Überschätzungen Paasches, der sogar 'tidsskiftet ved aar 1100' daraus ablesen möchte, a.a.O. S. 85. Das Gedicht schildert zwar ausführlich die christlichen Tugenden des Dulders. Placitus hat alles verloren, mehr als Job, Str. 26, 27. Durch die Sendboten des (heidnischen!) Kaisers wird er aber der Welt zurückgewonnen. Bezeichnend genug erinnert sich der Held gerade jetzt der alten Ehren, 36: Vserr tök vegs ens fyrra viggfinnandi at minnask sunds, . . . Dann erst läßt er sich von Christus die Erlaubnis geben: dyrd hittir pik dröttins \ dygg 37; doch vergißt auch Christus nicht, von diesem Zeitpunkt (tid) zu sagen: . . . süs ydr mun finna aud ok veg fyr naudir. Kein Wort vom Kampf zum Ruhme Gottes, kein Wort vom bitteren Ende! „Reichtum und Ehre" spielen vielmehr im Folgenden eine so vordringliche Rolle, daß man den demütigen Dulder rasch vergißt. Alte Preisliedstimmung übertönt das fromme Ideal. Selbst statistisch ist das zu zeigen: die christlichen Wörter und hapax legomena nehmen ab von Str. 32 an, als Placitus sich wieder in die Welt von Kampf und Ruhm begibt. Ein Stück wie Str. 46 hebt sich schon durch den Wortschatz als theologische Zwischenrede ab. Placitus gewinnt also alle Ehre — alla tign — zurück, die er früher aufgegeben hatte. Der Kaiser macht ihn reich: tök gada audi 43 — vgl. zum Ausdruck Markus B 418,26. Der Held sucht Ehre im Kampf: samr vas ok sökn at fremja sik Placitus, miklu. (47) Daß der Kampf nicht ausführlich geschildert wird — Paasche legte S. 89 f. darauf besonderes Gewicht —, mag nicht zuletzt durch die Quelle, aber auch durch den Zwang des Kompositionsschemas begründet sein. Die Bedeutung dieses Rückfalls in die weltlichen Ideale, denen die unchristlichen Kenningar deutlich entsprechen, kann man nicht gut abschätzen. Dazu müßte der Schluß erhalten sein: die abermalige Aufgabe von Reichtum, Ehre und Ruhm im Märtyrertod. Doch denke ich, daß dadurch der eben beschriebene Sprung, der durch die Dichtung geht, nicht geheilt oder in einem höheren Sinne aufgehoben würde. Was die heidnischen 106

Kenningar anlangt, so wußte der Dichter natürlich, was er t a t . E r m u ß auf die Kraft seiner Duldergeschichte so stark vertraut haben, daß er den herkömmlichen Schmuck der Dichtung wagen durfte; er m u ß t e ihn aber auch wagen, wollte er die Hörer gewinnen. Wenn Einar im Geisli fast ohne den alten Schmuck auskam, so lag das nicht nur an seiner größeren K u n s t , sondern vor allem an seinem Gegenstand, der von vornherein auf die Teiln a h m e aller Hörer rechnen durfte: Olaf war längst der Heilige des Nordens, Eustachius aber ein Unbekannter, auf den wahrscheinlich noch kein Mensch eine Strophe gedichtet hatte. Das neue Lebensvorbild ist also sprachlich noch nicht rein verkörpert. W a s die Beobachtungen zur Sprachgestaltung lehrten, k a n n durch solche zur F o r m erweitert werden. Auf der einen Seite gelingt dem Dichter bei sorgfältiger W a h r u n g der Drapaform, die er bereichert durch den kunstvollen Bau über der heiligen Siebenzahl, ein harmonisches, klar gegliedertes Ganze. Alte Bausteine der K u n s t wie upphaf, slcemr, bqlkr zeigen plötzlich neuen Sinn u n d kompositorische Verwendbarkeit. Auf der andern Seite nötigt der Gegenstand — es soll versucht werden, zu zeigen, daß es der Gegenstand und nicht etwa das Unvermögen eines durchschnittlichen Poeten ist — zu einer merklichen Formauflockerung. Das wird in zwei Abweichungen von der Norm der Drapa deutlich. 1. Baustein des skaldischen Gedichts ist von jeher die Strophe. Sie ist eine streng in sich geschlossene Einheit. Sie ist ein Augenblicksbild, nicht Glied einer fortschreitenden Handlung. (Dies der Grund, warum die Zuordnung und Einordnung einer einzelnen Strophe oft so große Schwierigkeiten macht.) Das in einer Strophe gemeisterte Augenblicksbild ist die angemessene Form der Aussage in der alten D r a p a : denn nur die Lebensgipfel sind ruhmwürdig. Ganz anders in der Heiligendrapa: nicht die Gipfel, sondern der epische Zusammenhang einer erduldeten Vita ist hier der Gegenstand. Das äußere (und eben nicht nur äußere, formale) Anzeichen ist die Zerstörung der geschlossenen Strophe durch übergreifenden syntaktischen Zusammenhang. Die Darstellung überschreitet die herkömmliche Grenze. Die Strophe ist nicht mehr selbständig, sie dient. Diese Erscheinung auf den Wortreichtum eines klösterlichen Predigers allein zurückzuführen, genügt wohl nicht. Auch Form hat Notwendigkeiten höherer Art und Geist. Das Überspielen der Strophengrenze kann verschieden aussehen. Die einfachste Form ist die Anknüpfung der neuen Strophe mit ok; Plac. m a c h t davon reichlichen Gebrauch: 5 , 7 , 2 6 , 3 0 , 5 1 , 5 5 . Enger bindet unz zwei Strophen, indem die Konjunktion „bis d a ß " eine zeitliche Folge bezeichnet: 31, 52. Die stärkste Form ist das Übergreifen des Satzzusammenhanges durch relative Anknüpfung, Str. 16 : 17, 52 : 53 (vgl. den Übergang in Glael. 2 : 3). Die genannten Erscheinungen sind nicht absolut neu in der Skaldik 1 . Sie kommen alle schon früh, aber vereinzelt und nicht wie hier 1

Auch die über mehrere Strophen gehende Erzählung einer zusammenhängenden Handlung kommt schon früh vor, so bei E>j6dolfr ör Hvini in einem Schildgedieht (Haustlong); da diese Gattung jedoch eigene Gesetze hat und von der eigentlichen Drapa wesentlich verschieden ist, spricht dieses Beispiel nicht gegen das oben Gesagte. 107

stilbestimmend, vor. Die ok-Anknüpfung ist häufig bei Eyvindr, Häleygjatal; auch Eilifr kennt sie in der Thorsdrapa 11; unz- Anreihung findet sich ebenfalls bei Eilifr, Thorsdrapa 9, ferner bei I>jödölfr, Haustl. 11 (aber auch eddisch, etwa Vsp. 17), und ein Übergreifen des syntaktischen Zusammenhanges schon bei Egil, Snt. 13 : 14. 2. Bisher im skaldischen Stil fast unerhört, wird jetzt die direkte Rede eingeführt. Als „ausgesprochen redefeindlich" charakterisierte Genzmer die Skaldik, Kluckhohn-Schneider-Festschr. 1948, S. 11. Die Neuerung setzt sich vorerst nicht recht durch. Die Rede wird deutlich gekennzeichnet durch kvaä in 1, 3, 4 (or. obl.), 59, (in 9 ohne kvaä), kvaddi 37, meelti 14, 26ff. Auch der schon einmal angeführte karolingische Rhythmus macht von direkter Rede ausführlichen Gebrauch, so daß man wiederum zunächst versucht ist, einen Zusammenhang zu vermuten, vgl. 4, 5, 7, 11, 15, 20, usw. Die Rede kompliziert den Bau der Drottkvätt-Strophe; ihre Einführung kann kaum aus poetischem Unvermögen erklärt werden. Der Grund der Neuerung wird vielmehr dieser sein: der fromme Dichter fühlt sich verpflichtet, Worte Gottes, Christi und seines Heiligen um der Wahrheit willen im W o r t l a u t zu geben. Dem widerspricht nicht, daß auch einmal dem Kaiser ein direktes Wort erlaubt ist (59); es ist der entscheidende Satz: blöt, kvaä gramr enn grimmi. Die Vermutung über den Grund der direkten Rede wird bestärkt durch Leid. 8 und 10, wo ebenfalls, durch kvaä eingeleitet, die Zitierung des Himmelbriefes, also eines wenn auch erfundenen Christuswortes, in direkter Rede gegeben wird; daneben freilich in Str. 9,11 auch or. obl.. Lehrreich ist es zu sehen, daß das Mittelalter nicht Stufen innerer Wahrheit unterscheidet in der Zitierung von Christusworten. Das Herrenwort der Bibel steht anscheinend gleichberechtigt neben dem Wort in der Heiligenvita und dem der Himmelsbrief-Verlautbarung. Daß die Überlieferung ein Wort Christus zuschreibt, genügt schon, es zu heiligen. Daß es die gewichtigen Worte überirdischer Wesen sind, die des direkten Zitates gewürdigt werden, bestätigt Gisli, der den Prophezeiungen seiner Traumfrau die Form der or. recta gibt: Lv. 14, 24, 26, B 98, 101. (Die eine Stelle bei Eyvindr, Lv. 4, B 63, ist kein Gegenbeweis.) Der fromme Dichter: wir sahen ihn schon als Kenner und fleißigen Benutzer skaldischer Dichtung. Gleichwohl muß er Geistlicher gewesen sein; anders Paasche S. 85, der einen weltlichen Dichter durchaus für möglich hält, ohne das wahrscheinlich zu machen. Entweder konnte der Mann Latein, um die Vita des Heiligen oder ein lateinisches Gedicht (ähnlich dem von Dümmler ZfdA 23, 273ff. veröffentlichten) zu lesen; oder er war in einem Kloster (]>ingeyrar?), wo allein ihm eine altnordische Fassung der Geschichte, vergleichbar den Stücken in Hms. II 193ff., zugänglich gewesen sein kann. Denn daß Mitte des 12. Jahrhunderts Heiligenviten oder Legenden — gar vom Umfang der mutmaßlichen Vorlage der Plac. — auf Island allgemein und mündlich, also jedem zugänglich, im Umlauf waren, läßt sich in keiner Weise wahrscheinlich machen. (Formelhaft ist fmk 38, es bezeugt natürlich keine mündliche Tradition, vgl. Paasche S. 88, Anm. 3.) Auch Einzelheiten der Dichtung scheinen auf einen gelehrten Geistlichen zu weisen: einmal das fremde Wort Uö 23, ferner die vielen fremden Namen, von denen Placitus sogar richtig dekliniert wird: Placito 35, 50; Placitum 108

59 (Str. 40 hapert es freilich mit dem Latein!); ferner die zweifache Anspielung auf Job (1, 26f.), die in ihrer Ausführlichkeit doch wohl Vertrautheit mit der biblischen Erzählung voraussetzt, vgl. jedoch Hms. II198,2—8. Anklänge an biblische Redeweise sind auch sonst zu beobachten: etwa seit varähald fyr munn minn 28 dürfte Vorbilder haben in Jesus Sirach 22, 33; 28, 28; Ps. 141,3 —, jedoch hat schon die Prosa II 198, 9f. veittu, drottinn, varähald munni minum (vgl. dazu Augustin, Conf. V, 10). Daß der Verfasser die Personen Gottes und Christi verselbigt (oder gar verwechselt?), spricht nicht gegen seinen geistlichen Stand. Die göttlichen Personen werden in der ganzen mittelalterlichen Dichtung, insbesondere aber im Norden nicht streng geschieden (vgl. dazu das Kap. über die Nomina sacra S. 208ff.). Es ist Christus, der dem Helden erscheint. Neben zahlreichen Kenningar, die ebenso für Gott gelten könnten, wird er aber auch schlicht als god bezeichnet, Str. 2, 7, 12 u. ö., dazwischen Str. 10 dagegen präzis gods sonr. Sinn dieser Dichtung war es zweifellos, ein neues Vorbild zu errichten, das Bild des Demütigen vor Gott, doppelt eindrucksvoll deshalb, weil ebendieser Demütige ein großer Kriegsheld ist. Dieses Bild brach — durch alten Kenningschmuck nur notdürftig überkleidet — radikal mit der Auffassung von dem, was bislang manneswürdig war. Der Zeitpunkt schien erreicht, daß ein Dichter es wagen durfte, dem alten Heldenvorbild das Heiligenvorbild entgegenzustellen. Bei aller Zwielichtigkeit seiner Sprache ist es nun auf einmal — durch die geringe Überlieferung erscheint uns der Vorgang zumindest als ein plötzlicher — erlaubt, einen Drapa-Helden auch flytir fridbragda 12, den Friedensförderer, oder strida stodvir 16, den Kummer-Beender, endlich gar als dstvitjudr, den von Liebe Erfüllten, den liebevoll Handelnden zu nennen. Und doch, da der reine Dulder noch nicht möglich, übrigens von der Legende auch nicht ausschließlich gefordert ist, stehen in einer Strophe, für uns kaum vereinbar, mordsölar meidir und hotudr ramms reka rögs 29 friedlich beieinander. Auch der oben S. 103ff ausgebreitete Wortschatz bezeugt das neue Ideal zur Genüge. Es ist nicht zu übersehen, daß eine große Zahl der neugebildeten oder seltenen Wörter aus dem ethischen Bereich der neuen Religion stammt (Typ mjüklyndr, dstskyrdr, almildr). Der Zeitpunkt, den Demütigen zur vorbildlichen Lebensform zu erheben und in einer Drapa zu preisen, schien erreicht. Er war noch nicht erreicht. Diese Dichtung steht noch für lange Zeit ganz allein; sie findet keine Nachfolge. Geisli ist anderer Art. Daß einige Zeit- und Geistesgenossen vielleicht ein paar poetische Bilder von Plac. beziehen, ist keine große Wirkung. Snorri übersieht die Plac. gänzlich. Ihm ging es um den Kanon, die klassische Dichtung. Sein Verwandter Einar genügte dem offenbar, der PlacVerfasser nicht. Und noch ein untrügliches Zeichen mangelnder Wirkung (des Gedichts wie der Legende): kein Nordmann unter den Tausenden, die wir kennen, wurde Eustachius getauft. — Es ist daher wohl nicht richtig, Plac. als das leuchtende Zeichen für 'tidsskiftet ved aar 1100' anzusehen. Die Dichtung ist vielmehr ein früher Versuch, zu früh und nicht begabt genug, um dem Neuen gleich zum Sieg zu verhelfen. Man darf aber außerdem nicht übersehen, daß nicht nur Plac, sondern fast die ganze geistliche 109

Dichtung aufs Kloster beschränkt bleibt — Geisli ist die große Ausnahme — u n d d a ß die Klostermänner sich wenige Jahrzehnte später, s t a t t Heiligend r a p e n zu dichten, leidenschaftlich dem Altertum widmen! Die Paradoxie, die für u n s darin liegt, ist nicht völlig aufzulösen; auch nicht durch Skepsis gegen den E r n s t u n d die Tiefe des Christentums im 12. J a h r h u n d e r t . Diese Männer konnten offenbar beides: beten und Skarphedin bewundern! Aber eine echte Demutsdichtung konnte da nicht — noch nicht — gedeihen. Anderseits verdient die Sammlung alter Dichtung und die Abfassung der Sagas durchaus einmal auf d e m Hintergrund dieser neuen Demutsdichtung gesehen zu werden, u m die tiefe Diskrepanz im Geiste vor und u m 1200 deutlich werden zu lassen. Gründe, warum gerade Eustachius zum Helden ausersehen wurde, können n u r v e r m u t e t werden. Erstens war er ein Krieger, also nicht ganz fremdartig. Sein Leben g a b Anlaß, ein äußerst wechselvolles Schicksal farbig zu schildern. Sein E n d e war dem Gunnars in der Schlangengrube nicht gar zu unähnlich. Einen Heiligen, der geduldig auf glühendem Rost b r ä t , h ä t t e m a n schwerlich gewählt. Zweitens aber gilt er — wenigstens später, ob schon für d a s 12. J a h r h u n d e r t , ist nicht zu erkennen — als R e t t e r in Schiffsgefahr u n d Wassernot (Günter, Psychologie der Legende, S. 272) u n d durfte als solcher bei Seefahrern auf Verehrung rechnen.

2. Geisli Olafsdichtung und Olafsverehrung a) Olafsdichtung Nu skulum gpfgan geisla gods hallar vir allir, itr ßann 's Öläjr heitir, alstyrhan vel dyrka. Geisli 7 Auf keine Person u n d keinen Gegenstand der christlichen Überlieferung ist im Norden so viel gedichtet worden wie auf den jüngeren Olaf, den nachmaligen Heiligen 1 . Der Grund lag nicht allein in der Persönlichkeit des ebenso großen wie unglücklichen Königs und Bekehrers. Vieles andere k a m d a z u s a m m e n : politische Gründe — der Wunsch nach einem eigenen Heiligen —, vielleicht a u c h der Protest gegen die Fremdherrschaft in Norwegen 2 , ferner ein W a n d e l in der Auffassung vom Wesen des Königt u m s , die Verherrlichung Olafs als des rex perpetuus Norvegiae und nicht zuletzt die Tatsache, d a ß der König tüchtige Skalden in seine Nähe zu ziehen wußte. 1 Die Geschichte der bildenden Kunst zeigt das gleiche Resultat. Nur hinter Maria muß Olaf ein wenig zurücktreten, vgl. R. Mowinckel in Skrifter, utgitt av Det Norske Vid.-Akad. i Oslo 1926, hist.-filos. KL, Nr. 4, S. 29, 42ff., 56. 2 I n der Zeit der großen Geschichtsschreibung um und nach 1200 sah man das Interregnum zwischen Olaf und Magnus d. Guten jedenfalls so; das bezeugen u. a. der Karls b a t t r vessela und I>orkels bättr dyrdils, vgl. Mogk, LG S. 825.

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Die folgende Übersicht stellt, chronologisch geordnet, zusammen, was an altnordischer Olafsdichtung überliefert oder wenigstens als einst vorhanden bezeugt ist. Die Nr. 1—5 sind Fürstenpreise der herkömmlichen Art zu Lebzeiten des Königs; mit der Glselognskvida, bald nach dem Tode Olafs, beginnt die Heiligendichtung1. Doch macht das Jahr 1030 keine strenge Zäsur; Sigvats Erfidrapa ist Fürstenpreis, kennt aber auch den Heiligen. Die Rödudrapa des Thord verrät schon im Titel (falls „CrucifixLied" das Richtige trifft) ein frommes Gedicht, doch gehört die erhaltene Strophe ganz dem Preislied-Stil. Folgende Skalden haben auf Olaf gedichtet: 1. 5>ördr Kolbeinsson (Bjarnar s. hitd., c. 7: Pördr orti dräpu um Öldf konung), etwa 1014—1016; vgl. Thorlaksson S. 78. Verloren. 2. Bersi Skäldtorfuson, Freund und Begleiter Sigvats auf der Romreise. Drei Strophen eines flokkr (A 275f., B 255) sind erhalten. Um 1020. 3. Öttarr svarti, Hofudlausn, A 290—296, B 268—272, um 1023. Ottar darf mit diesem Gedicht auf Sigvats Rat sein bei Olaf verwirktes Leben retten. 4. Skapti E>öroddsson, der berühmte isländische Gesetzsprecher von 1004—1030, dichtete eine Olafsdrapa (Hskr., Öl. s. helga, c. 138) und ließ sie seinen Sohn Steinn lernen zum Vortrag vorm König. Nichts ist von dem Werk bewahrt. Das Gedicht muß kurz vor 1025 verfaßt worden sein. 5. Hofgarda-Refr soll nach Skt. (SnE I I I 546) während der Lebenszeit (?) Olafs auf diesen gedichtet haben. Von den erhaltenen Strophen gehört vermutlich keine zu diesem Gedicht; vgl. Thorlaksson S. 102, Anm.; Jönsson LH I 612. Im Jahre 1030 fällt Olaf in der Schlacht von Stiklastad. Schon am 3. VIII. 1031 findet die Heiligsprechung samt der Erhebung des Schreines auf den Hochaltar der Klemenskirche statt. 6. E>örarinn loftunga, Gla?lognskvida, 1031/32 (?), ein Gedicht an Knuts Sohn Sveinn Alfifuson, im Grunde aber, soweit das Bruchstück von 38 Langzeilen das erkennen läßt, ein Olafsgedicht, das erste und für lange Zeit das wichtigste nach dem Tode des Königs (A 324:—327, B 300f.). Hier ist Olaf schon ganz der wunderwirkende Heilige und rex perpetuus, gesehen aus dem Abstand der Verehrung gegenüber einem erhobenen Jenseitigen. 7. t>ördr Ssereksson svartaskäld; erhalten ist eine Strophe aus einer sogenannten Rödudrapa (A 329, B 303). Das Gedicht soll eine Erfidrapa gewesen sein und wird von Jönsson auf etwa 1031 datiert. 8. Kolgrimr hinn litli. Zwei Zeilen sind erhalten (A331, B 305) aus einem Gedicht, das Kolgrim aufsagte, als ein König (Magnus?, Harald d. Harte?) ihn rettete aus einer Gefangenschaft, in die der Dichter wegen einer Rachetat gelangt war (um 1038, vgl. faL paettir, 1945, S. 315f.). Man sollte ein Dankgedicht an den Befreier erwarten. Statt dessen spricht Kolgrim aber ein Lied auf den heiligen Olaf, vgl. Thorlaksson S. 95, Jönsson LH I 620; in Skj. wird das Stückchen von Jönsson anders aufgefaßt. 1 Die Heiligendichtung ist von Anfang an zweisträngig, lateinisch und nordisch. Zur ersteren vgl. Mon. Hist. Norv., ed. Storm, S. 229ff., ferner Kahle, Arkiv 17, 38; P. Lehmann, Anteil II 67 mit reicher Literatur.

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9. Sigvatr J>6rdarson, der führende Hofskalde Olafs. Vieles seiner Dichtung ist bei Olaf und also auf diesen gedichtet, vgl. Thorlaksson S. 89 ff. Wichtig ist hier vor allem die Erfidrapa u m 1040 (A 257—265, B 239—245), . . . ok staäti eptir UpreistarsQgu (Hskr., Öl. s. helga, c. 212), während er ursprünglich das Gedicht mit Motiven der Sigurdsage h a t t e schmücken wollen (Fiat. I I 394). Nicht die Heiligenverehrung, sondern die Trauer um den gefallenen König und Freund — minn dröttinn heißt es Str. 12 wie schon einmal bei Hallfred — steht im Vordergrund. 10. Steinn Herdisarson n i m m t in seiner Öläfsdrapa (um 1070) für Olaf kyrre Gelegenheit, auf den heiligen Olaf zu verweisen, durchaus schon auf ihn als den rex perpetutis, Str. 10: pars heilagr gramr hvilir, . . . aett sinni mun unna Äleifr konungr hdla . . . alls Nöregs (A 409—413, B 379—383). 11. Einarr Skülason, der größte Skalde des 12. J a h r h u n d e r t s , vgl. Thorlaksson S. 131. Seine Öläfsdrapa (Geisli) ist der H ö h e p u n k t der Olafsdichtung, 1153. Mogk L G 680 vermutete schon, daß Einars Geisli Vorbild und Anlaß wurde für zwei Gedichte, die sich zur Aufgabe machten, n u n auch den ersten Olaf (Tryggvason) zu verherrlichen: Rekstefja des Hallar-Steinn und Öläfsdrapa Tryggvasonar (fälschlich: er Halfredr orti vandreeda skalld, B 567). — Spätere Dichtung soll hier nicht mehr angeführt werden. Der R u h m Olafs und seiner Heiligkeit sowie der seines Heiligtums in Nidaros dauert natürlich weiter, vgl. etwa Arngrims Gudmundardräpa, Str. 31,1—3 (14. Jahrhundert) oder Ölafsrima Fiat. I 8ff., Str. 62 helgi dömr. Von den aufgezählten Werken müssen Glselognskvida u n d Geisli ausführlich interpretiert werden 1 . Vorangestellt sei aber eine vollständige Liste der bis zu Einar skaldisch bezeugten Testimonia sanctitatis, um lästige Wiederholungen in der folgenden Darstellung zu vermeiden. Wir sehen bereits in der Glselognskvida eine Fülle von Motiven, die von der späteren Dichtung teils bestätigt, teils erweitert und nur in einem Falle nicht wieder aufgenommen werden. Die Fragen müssen also lauten: Welche Motive sind seit E>örarinn durchgängig da? Welche treten nur vereinzelt auf? Die Herkunft der Motive im einzelnen auszumachen, wird kaum möglich sein und ist für unsern Gegenstand nicht wichtig; es genügt hier, Fülle und Art der Überlieferung sichtbar zu m a c h e n 2 : 1 Olaf ist selbst als Dichter aufgetreten, vgl. oben S. 43. 11 Lvv. sind erhalten, A 220—223; in ihnen begegnet nichts Christliches und natürlich auch nichts nennenswertes Heidnische, wenn man von einigen Kenningar absehen will. Zur Echtheit der Strophen vgl. Jönsson, LH I 464f. 2 Die Hauptquellen für die folgende Motivübersicht werden abgekürzt aufgeführt: Gl. = Glselognskvida, Erf. = Erfidrapa des Sigvat, Ge. = Geisli. Die nachfolgende Zahl bezeichnet die Strophe. Snorris Nachrichten zum gleichen Thema wurden, als jenseits der Berichtszeit liegend, hier nicht beigezogen, auch um das Bild nicht zu unübersichtlich werden zu lassen. Snorri benutzte außer den hier behandelten Dichtungen zudem noch weitere Quellen. Vgl. zu Snorris Olaf-Bild Paasche, Zs. Edda VI, 1916, S. 377—382. Mowinckel, a.a.O. S.42—56, machte außerdem auf Zeugnisse der bildenden Kunst aufmerksam, die legendäre Begebenheiten darstellen, ohne daß diese aus der uns bekannten literarischen Tradition erklärt werden könnten.

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Olaf im H i m m e l : Gl. 3, 4 ; Erf. 22, 24; Ge. 11, 16, 42, 62, 63. kykvasettr, unverfallener Leichnam, H a a r u n d Nägel wachsen: Gl. 3, 5 ; Erf. 2 3 ; Ge. schweigt dazu. Olaf als Mittler bei G o t t : Gl. 4; Ge. 14?, 18!, 31, 33?, 68. Hier schweigt Sigvat. Glockenwunder: n u r Gl. 6. Lichtwunder: Gl. 7?, Ge. 20. Heilungswunder: Gl. 8; Erf. 24 (nur Augenheilung); Ge. 23f. Augen, 26 Sprache, 37—38 Sprache, 40—41 Sprache, 46, 59—61. heilagr konungr: Gl. 8; Erf. 21 af pvi läni, 24 helgi rsesir; Steinn Herd. Str. 10 ( B 3 8 1 ) ; Ge. 9, 12,69. rex perpetuus: Gl. 9 ; Steinn Str. 10; Ge. 28 Hufe für Magnus, 30, 32 Hilfe für Guttorm. dr ok fridr: Gl. 9; Sigvat Lv. 28 ärssell (B 232,3). Gebete a n Olaf zu richten: Gl. 9—10; Erf. 2 5 ; Ge. 7, 8, 27, 54, 66. Sonnenfinsternis beim Tode: Erf. 15; Ge. 19. Über diese von je zwei oder mehr Skalden bezeugten Motive hinaus bringt Sigvat noch einige Züge, die freilich nicht unbedingt unter die Testimonia zu rechnen sind: nytr vgrdr Ndregs schon 1019, B 233,13; leggja lands ritt 1025, B 226; unwiderstehliche Augen, Erf. 13. Einar allein überliefert noch folgende Mirakel: Himmelsleiter Ge. 15f., Brotwunder Ge. 35, Olafs Schwert Ge. 47 ff. b) Glaelognskvida E>örarinn loftunga ist der erste Skalde, der auf den heiligen Olaf dichtet. Vom Leben des Dichters weiß m a n so gut wie nichts. E r war nach F m s . V, 5—6 islenzkr at kyni, skartsmadr mikill ok skdld gott. N u r bei K n u t d. Gr. und im Gefolge von dessen Sohn Sveinn Alfifuson tritt er auf 1 . Seine Glaelognskvida ist an Sveinn gerichtet, der nach Olafs Fall S t a t t halter des dänischen Königs in Drontheim war. Der ursprüngliche Umfang des Gedichts ist nicht zu schätzen. Snorri zitiert Hskr. I I 512, 520f. n u r die seinem Zweck entsprechenden Strophen; deren Thema ist der Heilige (A 324—327, B 300—301, Kock I 152f., Mageroy S. 16—18). Was das Werk sonst noch enthalten haben mag, erfahren wir nicht einmal aus Andeutungen. Hskr. I I 519 heißt es lediglich: orti um Svein Alfifuson kvseii . . ., vgl. auch I I 512. Vermutungen zum übrigen Inhalt versuchte Mageroy S. 8, 19, 39. Die Datierung 1031/32 gilt als ziemlich sicher. Schon der Titel des Gedichts gibt ein Rätsel auf: glasr, adj., „licht, hell" — glasr, m., „Meer" —• logn, n., „Windstille". „Weise der Meeresstille" klänge doch wohl etwas meistersingerisch! 2 Die Frage ist wohl nicht end1

Vgl. SnE I I I 727ff., Thorlaksson S. 93f., Jönsson, LH I 615—617, Mogk, LG S. 686, de Vries, LG I 230, Paasche S. 15; zuletzt ausführlich zu dem Gedicht Hallvard Mageroy, Glaelognskvida, Oslo 1948. 2 An ein bewußtes Gegenstück zur Hafgerdingadräpa ist wohl nicht zu denken. Mogk glaubte a.a.O. S. 659 den Titel auf die schlichte Weise des kviduhattr beziehen zu dürfen, nannte aber ebda. S. 686 den Namen nicht befriedigend 8 7362 Lange, Studien (Palaestra 222)

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gültig zu beantworten. Das fragmentarische Gedicht erklärt weder selbst seinen Namen noch gibt es (etwa durch ein bevorzugtes Motiv) zu erkennen, in welcher Richtung die Lösung liegen mag 1 . Da das Werk sowohl seinem Stoff wie seinem Wortschatz zufolge für unseren Zusammenhang von großer Bedeutung ist — auch wenn Thorarin n u r ein zweitrangiger Dichter gewesen sein sollte, wie Jönsson a.a.O. S. 617 meinte; günstiger urteilte Mageroy S. 53 —, gebe ich e3 im vollen Wortlaut. Der K o m m e n t a r wird die Textgestaltung im einzelnen zu rechtfertigen versuchen. 1,1 pat 's dullaust, hve Danir dyggva fgr med dgglingi;

gerdu

1,5 par vas jarl at upphafi, ok hverr madr, es honom fylgdi, annarr drengr gdrum betri. 2,1 Nu hefr sir pjödkonungr 5 par vil ey baugabrjötr

til sess hagat i Prdndheimi; asvi sina byggdum rdcta,

3,1 pars Äleifr ädan byggdi, ädr hann hvarf til himinrikis, 5 ok par vard, sem vitu allir, kykvasettr ör konungmanni. 4,1 Hafdi sir hardla rddit Haralds sonr til himinrikis, 5 ädr seimbrjötr at ssetti vard ( 5,1 par svät hreinn med heilu liggr lofssell gramr liki sinu. 5 Ok par knd, sem kvikum mannt, hdr ok negl hgnum vaxa. erklärt und bezweifelte Jönssons „Lied der Meeresstille" (LH I 602). Jönsson deutete den Titel „auf die ruhigen Verhältnisse in Norwegen", lehnte aber Gislasons Vermutung (Njäla I I 889, zitiert nach de Vries I 232), glselogn weise „auf den mildernden Einfluß des Glaubens" LH I 616, Anm., ab. AuchNiedner versuchte die Deutung in der Richtung Jönssons, doch ist seine Übersetzung (Thule XV 388) als „Totenstillen-Lied" nicht begründet. 1 Vgl. auch SnE III 732. An eine Verbindung zu der Erzählung von der Stillung des Sturmes (Marc. 4,39) ist kaum zu denken. Nur flüchtig erwog ich ein (später in Norwegen nicht mehr verstandenes) air. gleo „Kampf". „Waffenruhe" wäre der Situation nach ein passender Titel des Werkes. Doch sprechen mehrere Gründe dagegen. Prof. H. Kuhn verwies mich freundlicherweise auf ae. gleo, n., „fröhliche Unterhaltung, Freude" (Beow. 2105) nebst seinen Kompositis; „Freudenstille" wäre ein zutreffender Titel, wenn das Gedicht ein Trauerlied war. Aber war es das? Auch Mageroy kommt S. 38f., 71 f. zu keiner bündigen Lösung. Ob glselogn als Wort von Thorarin geschaffen wurde, ist nicht auszumachen, weil es nur als Name dieses Gedichts überliefert ist. 114

6,1 Par bordveggs of sseing hans 5 ok hvern dag klokna hljöd

bjollur knegu sjalfar hringjask; heyra pjödir of konungmanni.

7,1 Enn par upp af altdri Kristi pseg kerti brennet; 5 svd hefr Äleifr, ddr andadisk, syndalauss, sglu borgit. 8,1 par kemr herr, es heilagr es konungr sjalfr, krypr at gagni; 5 enn beidendr blindir soekja *pjödan mdls, enn padan heilir. 9,1 Bid Äleif, at unni per —hann's gods madr— grundar 5 Hann of getr af godi sjglfum är ok frid ollum mgnnum,

sinnar.

10,1 pds pü rekr fyr reginnagla bökamdls baenir pinar. Die reiche Überlieferung des Bruchstückes (vgl. A 324) geht an einigen Stellen nicht unerheblich auseinander. Die folgenden Anmerkungen berücksichtigen an Abweichungen nur die für den Inhalt der Dichtung wesentlichen. 1.1 dullauss „ohne Verheimlichung" = „offenbar", hap. leg. 1,5 jarl ist Jarl Harald Thorkelsson (Hskr. I I 512), der Ratgeber des sehr jungen Statthalters. — Nach Str. 1 fehlt ein größeres Stück, für das Mageroy wohl mit Recht die Schilderung der Überfahrt von Dänemark nach Drontheim als Inhalt annimmt. 2.2 sess, einmal ßess, welcher Lesart sich Kock I 152 anschloß; Mageroy S. 19f. stützte sess mit guten Gründen. 2.3 Pjödkonungr, erstmals Yt. 30; dann ist das Wort erst seit Sigvats Zeit häufig, vgl. ags. peödcyning. 2,8 hyggdum rö&a „herrschen", offenbar redensartlich, vgl. LP s. v. räda 4; die folgende Strophe ist mit 2 syntaktisch verbunden. 3.4 himinriki, vgl. 4,4; der erste Beleg für dieses wichtige Wort. Thorarin verwendet es schon in seiner Hofudlausn, A 322. Dann taucht es erst wieder Ge. 16 auf. Ags. heofonrice kann das Vorbild gewesen sein, eher aber wohl as. himil-riki, vgl. Sehrt, S. 259. 3.7 kykvaseltr : kykvaseetr, so Kock I 152 und Skald. Lb. I 46, mit der Bedeutung „Sitz eines lebenden Heiligen". Das subst. part. -settr wird gestützt durch kviksettr bei I>6rarinn stuttfeldr, falls Jönssons Besserung das Richtige trifft, A490,6, B 463 (um 1120). Das Wort kann nach ags. Vorbild geschaffen sein, vgl. cwicu-lice „vigorously", Bosworth-Toller 180, dazu Suppl. S. 138 cwic-läc, n., „a living sacrifice". Die Bildung kykva-settr bleibt bedenklich, da analoge Komposita im 2. Glied stets ein subst. zeigen, vgl. etwa Hvitakristr. 3.8 konungmadr, auch 6,8; begegnet schon Yt. 7 u. ö. vor Thorarin. 4.5 seimbrjötr, vgl. seimbroti bei Arnor 3,1. 4.6 at seetti : at sxtri Kock I 153. Hier ist die Verderbnis der Überlieferung besonders zu beklagen, seetti, n., „Vergleichsmittel" wäre nur hier belegt, 8«

115

im Gegensatz zu sseL, f., „Vertrag, Friede". Auch dat. sing, zu ssettir läßt der Text zu. Der Formel vergleichbar ist ein Satz aus Gylf., SnE I 92, wo es von Hönir heißt: hann vard at ssett med godum ok vpnum. Die Meinung ist jedenfalls sicher: Olaf ist Mittler bei Gott, er übernimmt also die Rolle Christi, während Has. 17 Gott die Ehre läßt: pü bidr pld sdtta; vgl. Has. 54. 4,7—8 fügt eine Hs. hinzu: kristi peckr / konungrin asrsti. 5,t hreinn ist ein Lieblingswort christlicher Dichtung, vgl. LP 278f. Auch Sigvat und Einar verwenden es für den heiligen Olaf; vgl. auch Hallfred, Erfidr. 29 Kristr inn hreini. 5.2 heilu . . . liki; Unversehrtheit der Leiche wird auch bei anderen Heiligen als Wunder berichtet, vgl. MHN 151 von Sunniva: invenerunt integrum corpus beatse Sunnivss . . . Interessante Zeugnisse zum Fortleben der Vorstellung um Olaf bei Mageroy S. 23f. 5.3 lofstell „ruhmreich", vorher nur Yt. 17; dann in christlicher Poesie, L P 382. 6.1 bordveggr, m., sonst nur noch Vsp. 24; meint hier offenbar den Schrein des Heiligen. Gegen LP 56, wo J6nsson bordveggs mit sxing verknüpft, machte Kock NN 1130 die übrigen Genitiv-Verbindungen des Gedichts geltend und verband b-s bjpllur. 6.2 bialla „Glocke", ein seltenes Wort, nach Fischer S. 24 aus der englischen Kirchensprache, ae. bella. Das Wort kann wegen der Brechung schon lange vor Thorarin übernommen worden sein, anderseits kann auch mit später analogischer Brechung gerechnet werden. Belegt ist bialla in der Dichtung nur noch um 1000 einmal, B 128. 6,2 knegu, mit Mageroy S. 11 f., statt Jönssons fragwürdiger Besserung metri causa: kneigu. H. Kuhn hält es ZfdA 76, 1939, 129f. für möglich, daß das Modalverb knd, dessen überlieferte Formen sämtlich nach dem Muster von mä gebildet sind (also knd — knegum —• kndtta) nach Ausweis der Metrik im Plural des ind. praes. noch bis um 1200 mit langer erster Silbe gebraucht wurde. Es wäre somit *kndgu einzusetzen, wofür Kuhn auf Snt. 15,2, Lidsm. 7,5 und Jömsv. 37,7 verweisen konnte. 6.4 hringja(sk) „läuten", hier der erste Beleg des Wortes. Erst Markus B 419,29 gebraucht es wieder, bald nach 1100. Es stammt aus dem Ae., vgl. Fischer, S. 24. 6.6 pjödir, vgl. LP 640. Der Plural ist anscheinend nur in christlicher Dichtung gebräuchlich. Ags. peod reicht in seiner Bedeutung bis „Nation", im Plural kann es bis zu „Menschheit" gehen, Bosworth-Toller 1048. 6.7 Mokka, f., „Kirchenglocke", in der Dichtung nur hier, wahrscheinlich ndt. Herkunft, vgl. Fischer S. 60, jedoch auch S. 232, während Taranger, Indfl. S. 264 f. ags. clugge vorzieht, dem wenigstens isl. klukka besser entspricht. 7.2 altdri, hier zuerst, dann erst wieder Ge. 50. Auch dies Wort wohl ndt. Herkunft ; ae. altare ist selten neben weobed. 7.3 psegr „lieb", „angenehm", in kirchlicher Bedeutung {Kristi'.) hier zuerst. Einmal vorher ist das Wort bei S>6rm. Kolbr. B 259,13 belegt. 7.4 kerti, n., „Kerze", hier zuerst und noch für lange Zeit der einzige Beleg. Das Wort fehlt im Ae., es darf mit Zweifel als ndt. Lehnwort angesehen werden, wenngleich es auch as. fehlt. 7,6 andask „sterben", nur in medialer und partizipialer Form, kommt in den Jahrzehnten um 1000 auf und hat die christliche Trennung von Leib und Seele zur Voraussetzung. Die Edda kennt nur ein hierher gehöriges Zeugnis, das nicht zufällig im Drap, also in junger Prosa steht: andiät Brynhildar. Die ersten skaldischen Zeugnisse (Gisli Lv. 29 und Hallfred Lv. 28) sind vielleicht nicht echt. Vor Glsel. liegt dann zeitlich nur noch die Lv. des t>örkell l Hraundal, B 195. 116

7.7 syndalauss, in diesem adj. der erste Beleg für synd, f., Sünde. Das Wort findet sich erst wieder bei Gamli 1,3. I n der Hafg. hieß es noch meinalauss (zu hreinn vgl. 5,1). Das Olafsofficium hat entsprechende Wörter: sine macula, incoinquinatus, iustus usw., vgl. Storm, Theol. tidsskr., 3. R., I I I 153ff., Mageroy S. 28. Die Frage, ob nicht das Wort syndalauss schon Olaf mit Christus gleichstellt — nicht gleichsetzt! —, von dem allein die mittelalterliche Theologie die „Unsündbarkeit" und damit Sündenlosigkeit behauptete (vgl. Landgraf, Dogmengeschichte II, 1, 320ff.), wohingegen jeder Sterbliche von Natur an der Erbsünde teilhat, soll hier nur angedeutet werden. 7.8 sglu borgit; diese Formel schon bei Hallfred Lv. 28, B 163, in der (in ihrer Echtheit freilich bezweifelten) Sterbestrophe. Zu sgl, ags. säwol, säül vgl. Kock, Arkiv 17, 363. 8,1 En her manns eine Hs., so Skj. B 301. Zu erwägen ist die dreifache Überlieferung huerr : par komr huerr, vgl. 1,7 hverr madr, 6,5 hvern dag. Die Textfassung mit Kock I 153 und NN 1130, 2988; vgl. auch Mageroy S. 12f., 29. Ags. here „Menge" dürfte für die Bedeutung mitspielen. 8,4 kriüpa „niederknieen"; einmal ist das Wort, jedoch nicht im religiösen Sinne, vorher gebraucht, B 182. Erwägenswert ist Mageroys Vorschlag S. 13f., 29: at gangi = „kryp for at han kan ga". 8,5—7 ist verschieden gedeutet worden. Jönsson LP 39 zog beidendr mäls zusammen, ,,som beder om aevnen til at tale", während Kock NN 1130 beidendr blindir zusammen ließ und scekja pjödan mäls als s. pj. at mäli wahrscheinlich machen wollte. Anders Mageroy S. 14f., 29f. Die Hss. schreiben pjödir! 9,3 gods madr, Olaf als Mann Gottes, madr in dieser Bindung kann aus dem Ags. stammen. Spätere nordische Zeugnisse wie gods pegn Plac. 47 u. a. hat schon Kahle, Arkiv 17, 28ff. zusammengestellt. Vgl. unten zu Ge. 18. Das vb. unna 9,2 hat denn auch eine genaue ae. Entsprechung in ge-unnan 'concedere, permittere' u. ä. 9,7 dr ok frid, diese Formel hier erstmals in der Dichtung. Zur ganzen Strophe vgl. unten. 10,1—4 pü geht an den Empfänger des Gedichts, Sveinn, den Dänen. Jönsson mißversteht die Halbstrophe, wenn er LP 459 für reginnagla den acc. plur. („Priester, Heilige") erwägt, reginnagli bökamäls dürfte den heiligen Olaf meinen, von dem das ganze Bruchstück handelt. Er ist der „Götternagel", d. h. Säule und Zeuge der Heiligen Schrift (vgl. Paulus in Gal. 2,9). Vor ihm — räumlich, dat. sing. — soll Sveinn seine Gebete verrichten, wie schon Str. 9 unmittelbar vorher empfahl: bid Äleif! (Vgl. schon Bj. M. Olsen, Runerne 1883, S. 9ff.; ferner Paasche, S. 19, Anm. 2; Kock-Meißner, Skald. Lb. I I 138; Mageroy S. 32ff., 70f.) reginnagli ist in der Dichtung nur hier belegt. Die Eyrb. saga c. 4 (AnSB 6,10) bezeugt den Plural: . . . pndvegissülurnar, ok väru pär i naglar; peir hitu reginnaglar. Gering z. St. vermutete, daß sie „zum Schmucke" (?) gedient hätten, de Vries, R G I 240, I I 158, 221, 407f. liest, ohne Glsel. zu berücksichtigen, mehr in den einen Prosabeleg hinein, als er hergibt und setzt außerdem einen sing, in das Zeugnis. (Vgl. dagegen schon Höfler, DLZ 1936, Sp. 1744, der hier „Weihenägel" annahm.) Auch veraldarnagli SnE I I 494 gibt mehr Anlaß zu Spekulationen als sichere Grundlage. Römische Parallelen, Bräuche um den Nagel in der cella Jovis •— vgl. Preller, Römische Mythologie I 3 , 1881, 258ff. —, auf die schon Möbius, An. Glossar, 1866, S. 341 hinwies, mögen weiterführen. Doch kann der Kult 117

hier nicht erörtert werden, zumal ja Thorarin das Wort metaphorisch gebraucht. I n sprachlicher und damit kulturgeschichtlicher Hinsicht ist das Denkmal sehr bedeutend. Es kommt nach Norwegen wie ein Frachtschiff voll neuer Dinge. Stellen wir das Wichtigste zusammen: 1. I n der Dichtung nur hier belegt sind folgende sieben Wörter: duliauss 1, i ; kykvasettr 3,7; seinibrjötr 4 , 5 ; ssetti (?) 4,6; Mokka 6,7; reginnagli 10,2; gleelogn (Titel). 2. Erste Zeugnisse bringt das Werk für folgende sechs Wörter: himinriki 3,4; 4,4; hringja 6,4; altäri 7,2; psegr 7,3; kerti 7,4; syndalauss 7,7; ferner ist hier die wichtige Formel är ok fridr zu nennen. 3. Bedeutender englischer Einfluß war bei Thorarin von vornherein zu erwarten. Nicht alles ist gleich sicher; vor allem ist natürlich nicht zu erweisen, daß Thorarin etwa die Wörter, die die Überlieferung bei ihm zuerst bezeugt sein läßt, auch eingeführt h a t ; zu nennen sind himinriki (?) 3,4; kykvasettr 3,7; lofssell 5,3 insofern, als lofa (gegenüber älterem leyfa) der christlichen Dichtung vorbehalten zu sein scheint und von ae. lofian nicht zu trennen ist; bialla 6,2; hringja 6,4; klukka (?) 6,7; altäri (?) 7,2; s$l 7,8; herr 8 , 1 ; unna 9,2; gods madr 9,3. E i n e literarische Beziehung ist für die Gleelognskvida nicht zu überhören, die z u m Ynglingatal. D a s Metrum ist beiden gemeinsam. M. Olsen, MoM 1946, S. 82, Anm. 2 h a t schon darauf hingewiesen, daß Thorarin sich durch die F o r m seines Gedichts auf Yt. als Anknüpfungspunkt verwiesen sah. Vielleicht darf m a n sagen: Thorarin will an Yt. anknüpfen und wählt deshalb dessen Versmaß. Drei wichtige Wörter sind den beiden Dichtungen gemeinsam: pjöctkonungr Y t . 30, konungmadr Yt. 7 (jedoch auch vor Thorarin etliche Male), lofssell Yt. 17. (Weitere, weniger wichtige Anklänge nennt Mageroy S. 5 9 ; manches, was er anführt, scheint zu gesucht, als d a ß es wiederholt werden sollte.) Das Ynglingatal berichtet von Tod und Begräbnisstätte der schwedischnorwegischen Ynglinge. Thorarin t u t das Gleiche für den Letzten, für den Heiligen. Olaf ist kykvasettr wie jener andere Olaf, der am E n d e der Reihe von Y t . s t e h t : Öläfr Oeirstada-alfr, von dem m a n noch wußte, daß er in seinem haugr fortlebt u n d als alfr verehrt wurde (vgl. Olsen a.a.O.; ferner Höfler in Festschr. f. O. Scheel, Beiträge z. dt. u. nord. Geschichte, 1952, S. 16f.). Y t . 36 d r ü c k t das, ohne das Fortleben eigens zu erwähnen, so aus ( A 1 5 , B 13): Uggr gunndjarfr ä Geirstgdum herkonungr haugi ausinn. Prinzipiell ist die Vorstellung in Glael. noch die gleiche. Zwar ist der König zum H i m m e l erhoben 3, 1—4, aber er lebt auch realiter fort in seinem haugr, der n u n zum Heiligenschrein geworden ist. Altes und Neues ist hier u n t r e n n b a r eins geworden. Das ist Synkretismus, ohne Gewaltsamkeit u n d doch wie zwangsläufig. Heidentum und Christentum sind selten so bruchlos zusammengewachsen wie in dieser Olafsverehrung (vgl. dazu u n t e n S. 126ff.). Auf eine knappe Formel gebracht, darf m a n sagen: die Glselognskvida scheint Fortsetzung und Schluß zum Ynglingatal sein 118

zu wollen. Thorarin biegt die lange Linie der Vorfahren gleichsam hinauf zum Himmel. Hier ist das Ende. Jeder künftige Herrscher (auch und gerade der landfremde Sveinn) ist nur noch Verwalter, Erbe des e i n e n Olaf. Ihn muß er um Gnade bitten. Die Struktur des Herrscheramtes ist eine neue durch einen neuen metaphysischen Bezugspunkt: bid Äleif, at unni per —hann's gods madr— grundar sinnarl Damit sind wir, über den sprachlichen Befund hinaus, schon tief in der Thematik des Werkes. Der tote König, der als rex perpetuus und Heiliger l e b t , heilt Krankheiten, vergibt die Herrschaft (unna Str. 9) und erlangt von Gott dr ok frid für seine Nachfolger. Den Glauben, daß Olaf für den Erntesegen gesorgt habe, bezeugt Sigvat durch seine Lv. 28 (A 274, B 253), die auch vom Agrip c. 32 zitiert wird und in der es mit Blick auf die Mißernten unter Sveinn nach Olafs Tod heißt: annat vas, pds Äleifr, ögnbandadr, red landi, hverr dtti pd hrösa hidlmpornudu korni. Zu Olaf muß der Nachfolger beten. Diese Anweisung geben auch andere Skalden, wenn auch nicht so direkt im Imperativ: Sigvat in der Erfidräpa 25 oss dugir Äle.ifs messu . . . fagna; vgl. Ge. 7. Heilagr gramr wird zur stehenden Bezeichnung Olafs; Thjodolf gebraucht sie schon bald in einem Gedicht auf Harald den Harten, um 1055, B 339; Stein Herdisarson wiederholt sie B 381,10 um 1070 (vgl. auch Ge. 9 heilagr konungr). Aber auch späteren Königen kann nun die Herrschaft besungen werden als göttliche Fügung (B 461,5, Haidörr skvaldri auf Harald, um 1137): nü's, audsendir, undir allr Ndregr pik fallinn, pin liggr gipt d grcenu —gods rdd es pal— lädi. Glück und Heil für die Menschen und die Erde — früher den „königlichen Vorfahren als eigene, persönliche Heilswirkung zugeschrieben" (Höfler, a.a.O. S. 12) — wird nun durch Olaf (gods madr) erlangt von Gott. Die Formel für diesen Segen ist dr ok fridr. Man hat sie eine „alttraditionelle Segensformel" genannt (Höfler, a.a.O., mit Verweis auf Grönbech, Kultur und Religion II 142ff., 310f.), eine Prägung, „die wir durch zahlreiche Belege als eine der festesten des alten Kultes kennen". Das scheint mir nun mehr als fraglich, fridr ist zwar ein altes Wort, aber die ältesten Belege für die Formel stehen ausnahmslos erst in der christlichen Dichtung, nämlich Glael. 9, dann erst wieder Leid. 11 einart dr . . . ok hreinan frid, dazu Leid. 37 Krislr gefr fyrdum fridar vgn, Leid. 42 Kristr gefr fyrdum fastan frid; vgl. Has. 56 fridar dk bidja. Sigvat nennt seinen König zwar drssell, B 232, (das Wort nur hier!), aber nicht *fridssell. Mit vergleichbaren Aussagen 119

spricht die deutsche Dichtung von Friedenskönigen. I n der Kaiserchronik (hg. von Edw. Schröder, MG, S. 391, V. 17169—171) heißt es: er was wol des riches here bi im was der fride guot. diu erde wol ir wuocher truoch. I m Herzog Ernst, ed. K. Bartsch, 1869, V. 192ff. liest m a n : er schuof den aller besten fride beide mir unde wider der e oder sider oder immer me werde üf der Sahsen erde. D e n König Olaf, den Sigvat drseell genannt h a t t e , machte d a n n hansische Frömmigkeit u m 1500 zum Sonderheiligen für reichlichen Heringsfang; Script, rer. Dan. I I , 1773, 537 heißt es im Lübecker Passionale: Do bad Sunte OLEFF vnsen heren Jhesum, dat he dorch sine vnentlike barmeherticheit sine gnade dar lete schiinen, vnde gheue den luden alle yaer vp eyne sunderghe tyd vyssche vnde herink . . . (s. S. 131 f.) Die Vorstellung von einem Zusammenhang zwischen Königsherrschaft u n d Erntesegen ist nicht aufs Germanische beschränkt. Die alten Iren k a n n t e n diesen Glauben auch: „ U n d das Zeichen einer rechtmäßigen Herrschaft sollte immerdar sein, d a ß die E r n t e reich u n d füllig wäre, d a ß kein Mangel an Farbstoffen einträte . . . und d a ß kein Weib in Erinn im Kindb e t t sterben dürfte." (Vgl. Löpelmann, Erinn, Alte irische Märchen u n d Geschichten, Brunn—München—Wien, o. J . [1944], S. 100, in der Geschichte über Macha Mongruadh, nach den Annalen des Tigernach, gest. 1088.) Walter Scott zitiert in seinen „Erzählungen eines Großvaters aus der schottischen Geschichte" I (Romane, Bd. 93, 1828) S. 49 ein schottisches Gedicht auf den Tod König Alexanders I I I . (1286), in dem es heißt: Als Alexander, der König, t o d t , Der Schottland glücklich und froh ließ sein, Weg war da Wohlstand, Bier u n d Brodt, Gedeihn und Spiel und Scherz und Wein 1 .

c) Geisli 2

Einarr Skülason , u m 1090 auf Island geboren, ist schon im Urteil seiner Zeit und der nächsten Generationen der bedeutendste Dichter des 12. J a h r h u n d e r t s . Die reiche Überlieferung beweist das. E r s t a m m t e aus 1 Zum ganzen Komplex der Königsheiligkeit vgl. vor allem K. Hauck, Geblütsheiligkeit, Liber Floridus, 1950, S. 187ff., zu obigem Thema besonders S. 197, 238f. (Heinrich IV.) und S. 197 Anm. 27 das Luther-Zitat, ferner S. 227 Alcuins „Definition" des Königsheils. 1 Cederschiöld, Geisli eda Ölafsdrapa ens helga, LUÄ Tom. X, 1873, Nr. I I I ; Mogk, LG S. 692f.; Paasche, a.a.O. S. 72ff.; de Vries, LG I I , S. 81ff.; Noreen, Poesien S. 281 ff.; Helgason, N K V I I I B, Register.

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dem Greschlecht Egils und war ein Verwandter des großen Snorri, der in seinem Werk nicht weniger als 36 Strophenteile des Dichters zitiert (A. Jöhannesson, ZfdPhil. 59, 133). Einar genoß eine gelehrte Ausbildung, war dann Priester im Westen Islands, wahrscheinlich auf Borg. Er hat ein rechtes Wanderleben geführt, sah alle Königshöfe Skandinaviens und war Freund und Ratgeber mehrerer Könige. Von priesterlicher Tätigkeit verlautet nichts Erhebliches. Einar gilt mit Recht als ein glatter Formkünstler, der nicht zu den tiefsten und originellsten Köpfen unter den Skalden zählt. Manches ist bei ihm virtuose Spielerei (0xarflokkr). Ihm muß das Dichten leicht geworden sein, wie es auch von Sigvat überliefert wird. Ausgeglichen-ruhiges Seelenleben und weltoffen-heitere Frömmigkeit scheinen sein Teil gewesen zu sein. Seine religiöse Dichtung ist ohne den ernsten Eifer der Harmsöl, aber von der Freudigkeit echter Gottesknechtschaft. Seine Olafsdrapa — wegen des Bildes in 1,7 meist Geisli genannt — muß große Wirkung getan haben. Es entstand die Legende, beim Vortrag des Gedichts in der Kristkirche habe sich der Raum mit einem überirdischen Duft gefüllt (Einars Jpättr Skülasonar c. 1, Isl. JDarttir, ed. G. Jönsson, 1945, S. 34). Die Annahme klerikaler Sagenbildung nach dem Vorbild von II. Chron. 5,13f. — Vulgata, Lib. sec. Paralip. 5,13f. — liegt nahe. Geisli, „Sonnenstrahl", ist ein doppeltes Symbol, einmal für die ausströmende Gnade Gottes, zum zweiten für Olaf, insofern er nicht nur der Gnade Gottes teilhaftig wird, sondern sie geradezu verkörpert als Segensspender für die Menschen; vgl. Kahle, Arkiv 17, 1901, S. 113, 137. Die Datierung des Vortrags und damit des Werkes ist nicht ganz klar. Frühere Forschung (K. Maurer, Island S. 253 u. a.) nahm das Jahr 1152 als ziemlich sicher an. Anlaß sei der Besuch des Kardinals Nikolaus Breakspeare (des späteren Papstes Adrian IV.) gewesen, der die Weihung des ersten norwegischen Bischofs Jon Birgesson vornahm. Das Gedicht widerspricht dem: in Str. 8—9 werden zwar die anwesenden Könige und der Erzbischof genannt, nicht aber der hohe Gast. Auch wird Jon nicht als neu im Amt gefeiert. Das Gedicht kann anderseits nicht wohl später als 1153 — spätestens im Winter 1153/54 — vorgetragen worden sein, denn schon im folgenden Jahr herrschte zwischen den drei königlichen Brüdern Unfrieden. Vielleicht stellt, was weiter unten auszuführen sein wird, das Gedicht einen gewissen Protest gegen den (schon stattgehabten) Besuch des Kardinals dar; denn dessen Mission im Auftrage Eugens III. war gerade neben und mit der Gründung des Erzbistums die Durchsetzung gewisser päpstlicher Reformen. Der feiernde Hinweis auf den Landesheiligen war eine geschickte Behauptung des Rechts auf kirchlich-religiöse Selbständigkeit. Thema des Gedichts ist Olaf: König Norwegens, Held und Wundertäter. Es ist nach den Gesetzen der Drapa gebaut: 18 // 27 (9 mal 3) // 26 jedoch ohne erkennbare Spekulation mit heiligen Zahlen, im Bau nicht so kunstvoll und durchdacht wie etwa Leidarvisan. Eine Einsicht in das Eigene von Ton und Leistung Einars gewinnt man am ehesten durch eine genaue Betrachtung seines Kenning- und Sprach121

gebrauchs. Die oft besprochene und gelegentlich überschätzte Vermeidung heidnischer Kenningar in der Behandlung christlicher Themen: im Geisli ist sie Tatsache. Auf diese freiwillige Beschränkung Einars ist oft hingewiesen worden1. Kahle, a.a.O. S. 7 fand sie besonders bemerkenswert insofern, als das Gedicht „keineswegs ein durchweg geistliches ist, sondern den König neben seiner Eigenschaft als Heiligen auch als den hervorragenden Krieger feiert" . . ., dort „hätte sehr wohl auch ein heidnisches Bild mit unterlaufen können". Einar also umgeht im Geisli heidnische Kenningar, insbesondere natürlich poetische Umschreibungen mit einem Götternamen. Wenn gleichwohl an drei Stellen Hugin (Odins Rabe, als Vogel der Walstatt) erscheint, so zeigt sich, daß der Poet trotz sichtlicher Anstrengung nicht alles hat unterdrücken können, was an die überwundene Mythenwelt erinnert: 13,2 munnrjödr hugins, 29,1—4 Ut. . . hugin fagna, 41,5—6 vel vakdi . . . hugins teiti. Weitere „Fehler" in dem so streng christlich geplanten Werk sind die alleinstehende ggfug hvitings Hgm 37,1—2, die Bezeichnung leikmildr Hildar 69,6 für König Sigurd und endlich die hjalmnjgrdungar 55. Wie sehr das Gedicht ungeachtet seiner neuen Thematik dem alten Fürstenlob verhaftet bleibt, ist bekannt. Daß aber bewußtes Kunstwollen die mythologischen Kenningar im Geisli weitgehend zu vermeiden sucht, kann ein Vergleich mit den übrigen Werken Einars anschaulich machen (B 423—457). Nicht nur nennt er den König (wie schon Kormak A80.7) allvaldr Sigurdardräpa 3, vgl. auch Lv. 2, B 455 (und dagegen den anderen Gebrauch des Wortes bei Gisli). Folgende Kenningar zeigen den Dichter als Kenner des überkommenen Formelschatzes: i Hristar hrid B 424,5, harctr Hgars serkrjddr B424f.; die nächsten 11 Umschreibungen stammen alle aus dem Oxarflokkr: Mardallar grdtr, Gauts meginhurd, Öds bedvina, hrödrbarn Hgrnar, Freys nipt, Njardar döttir, Vdfadar ping-prgngvir, Vanabrüdr, Gefnar mey, hvarmpeyr Freyju, Herjans hgttr; dazu kommen endlich aus den Bruchstücken (B451 ff.) noch hnossvinr, Ggndull, harmr Hugins, Muninn. Kleinere, z. T. erfundene mythologische Wesen (vor allem Lvv. 11—14) sind in dieser Übersicht ausgelassen worden. Erst auf dem Hintergrund dieses Bilderschatzes zeigt sich recht die Beschränkung, die sich der Dichter beim Geisli auferlegt hat. Die Mehrzahl der heidnischen Kenningar steht im Oxarflokkr, diesem Kabinettstück spielender Variationen: „Dank für eine schön geschmückte Axt". Das Gedicht macht den Eindruck, als habe Einar zeigen wollen, daß er „auch anders" könne. Das Thema gab ihm die Möglichkeit, weil es ganz frei war von Beziehungen zu christlichen Dingen. Gemessen jedoch an dem beträchtlichen Umfang seines Gesamtwerkes treten die mythologischen Kenningar zurück. Der Priester Einar entschloß sich zu einem Stil (wenn man vom Oxarflokkr absieht), der der Diskrepanz zwischen christlicher Gesinnung und Ausdrücken heidnischer Herkunft aus dem Wege geht. Eine solche Unterscheidung und Trennung der Kenningar nach zwei Stoff1

Vgl. die Zusammenstellung der poetischen Umschreibungen bei Cederschiöld, S. 27—30; ferner Bj. M. Olsen, Runerne, 1883, S. 10, Anm.; Kahle, Arkiv 17, S. 7, 11. 222

weiten läßt sich auch sonst beobachten, was die Bewußtheit der Wahl beweist, etwa bei Kolbein Tumason, vgl. dazu de Vries I I 226. Wie bei der Interpretation der übrigen großen Dichtungen dieses Zeitr a u m e s soll das sprachlich nur oder vornehmlich Einar Zugehörige zusammengestellt werden, hapax legomena und seltene Wörter. Die folgende Liste zeigt den ungewöhnlichen Erfindungsreichtum des Dichters. Interessant ist, daß nur wenige seiner Neuschöpfungen auf dem Gebiet der Glaubensdinge liegen. Die Männerwelt mit ihrem Waffenklang ist ihm das liebere Thema. Mehrfach benutzt er seinen großen Verwandten Egil. Hier nun die hapax legomena (ohne die Umschreibungen der Nomina sacra): Str. 1 und 5 allsrääandi, von Gott gesagt, (fehlt LP) — 1 gunnpflugr kampfstark, von Gott — 3 audfinnandi, freigebiger Mann — 3 ömjör nicht schmal = breit — 4 meginfjpldi große Menge — 6 dddvandr sorgfältig handelnd — 6 alpydr allgemein (Übersetzung von catholicusl LP 11, vgl. jedoch Fritzner I 50 s. v. alpyda) — 6 himinsvist Aufenthalt im Himmel, vgl. Stockh. Hom. dreimal himnavist — 7 hridbldsinn sturmumbraust — 8 söknsterkr kampfstark (von König Sigurd) — 10 itrgedr herrlich gesonnen (von Olaf) — 10 vallrjodandi Feld-Rotfärber = Krieger — 11 preklyndr kräftig (Egils preklundadr Lv. 10 nachgebildet ?) — 11 pegnprydir Ausstatter von Männern — 11 eljunhress tüchtig — 14 tirbrädr ruhmgierig (von Olaf) — 14 jolkvaldr Herr der Kampfschar, Olaf— 17 almreyr Pfeil (in einer Kriegerkenning) — 17 branddrifr Schwertschwinger — 19 happmeetr segensreich (von Gottes Sonne) — 19 mältöl Sprechwerkzeuge — 23 sjönbraut Sehensweg = Auge — 26 folksterkr kampfstark — 31 alkoenn sehr klug (von Olaf) — 31 söknpydr kampffreudig — 31 undreyr Schwert — 33 litratutr goldrot — 36 sannspurdr als wahr erfahren (I>6rm. 1,7 ?, vgl. Fritzner I I I 186 s. v. sannspyrja) — 38 harmskerdandi Sorgenbezwinger (Olaf) — 40 audskyfandi Schatzausteiler — 43 punnvaxinn dünn (fein?), von Schilden — 45 armglcedr Gold (vgl. armglöd bei GDropl. 2) — 47 glaumkennandi (v. 1. -vekjandi) Klangprüfer, in einer Kriegerkenning — 47 ögnfimr kampftüchtig — 48 styrsnjallr kampfmutig — 48 gömsparri Gaumensperre = Schwert 1 — 49 rauknstefnandi (Reifnis) Schiffssteurer — 49 prekhvass kräftig —- 50,65 yfirskjpldungr 1) Kaiser, 2) Gott oder Christus — 51 margfiarfr sehr nützlich — 51 dagrxfr Himmel — 52 hjalmskoedr den Helmen gefährlich (vom Kampf) — 53 bardraukn Schiff — 54 undbdra Wundenwoge = Blut — 55 hjalmnjprdungar Krieger (vgl. LP 428 s. v. njprdungar; in dieser Bildung ist die Nähe heidnischer Kenningar mit Njordr noch zu spüren) — 56 väpnsundradr von Waffen zerhauen (fehlt LP) — 57 gedstyrkr seelenstark (von Gott) — 57 hjaldrjramr kampftüchtig —• 58 angrfyldr sündenerfüllt (vgl. Fritzner I 57 angrfidlr betrübt) — 58 hjaldrstridr streitbar —- 59 marglitendr einer, der oft (Schwerter) färbt = Krieger — 60 tirkunnr rühmlich bekannt — 60 vidrlif Behandlung— 61 pfugmxli Lüge — 63 fdrskerdandi Unglückverringerer — 63 fridarsyn Friedensglanz (fehlt LP) — 65 piningnrkross Kreuz Christi, vgl. LP s. v. pining, S. 451 — 67 jridgegn friedliebend (Olaf) — 67 heidbjartr leuchtend — 69 happsdöd Wahrzeichen Olafs — 69 hraesikr Schwert — 70 raundyrliga sehr herrlich — 70 baugnes Arm — 70 rausnarskapp Großartigkeit — 71 vagnrsefr Himmel. 1 In diesem Wort wagt Einar die Anspielung auf einen Mythos, den Snorri dann SnE I 112 überliefert hat und der den Hörern des Geisli bekannt gewesen sein m u ß : das Maul des gefesselten Fenrir sperren die Götter auf durch ein senkrechtes Schwert. Fritzner hat I 625f. eine christliche Parallele dazugestellt: pd setti hann (Kristr) kross i munn honum ok kom med pvi yfir hann ok baud oss med pvi sigrmarki at verja djöflum ok illum vsettum.

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Gewisse Mängel der Wörterbücher lassen es als möglich erscheinen, d a ß das eine oder andere der aufgeführten Wörter (hier wie in den Wortlisten zu den anderen Dichtungen) kein echtes hap. leg. ist. Das Ergebnis wird d a d u r c h jedoch nicht wesentlich eingeschränkt. Die Wörter sind ausnahmslos K o m p o s i t a , Bildungen für den einen Zweck, k a u m geeignet, etwa in die Prosa überzutreten. Einar war — das sollte die Liste unmittelbar anschaulich machen — ein erfindungsreicher, wortgewaltiger Dichter; aber es ist m e h r die F r e u d e a n der souverän gehandhabten K u n s t als die Ergriffenheit d u r c h d e n Gegenstand, die aus seinen Strophen spricht u n d ihn immerhin 65 Neubildungen finden heißt. Die selten belegten Wörter, die n u n folgen sollen, enthalten wahrscheinlich manches, was E i n a r zuerst sagte u n d was d a n n in die Dichtersprache u n d in die Prosa E i n g a n g fand. Auf der andern Seite zeigen die seltenen W ö r t e r den Dichter in der Tradition: Egil, A m o r und Thorarin scheinen ihm g u t b e k a n n t gewesen zu sein, wenn m a n aus den gelegentlichen Wortgleichungen einen solchen Schluß ziehen darf; doch soll das Fragwürdige solcher Folgerungen nicht verkleinert werden. Folgende Wörter waren notierenswert: 1 prenning Dreieinigkeit, hier zuerst und nur in christlicher Dichtung, vgl. Fritzner I I I 1038. 2 fprnudr, ursprünglich „Reiseglück", hier übertragen auf die Erlösung durch die Geburt Christi; in Str. 24 „Segen". 2 skyrann Himmel, vgl. Arnor 5,5. 3 prijnudr Fortschritt, Glück, seit Arnor 2,1, nur in christlicher Dichtung; Fritzner I I I 1040 f. 3 önaudigr ohne Zwang (vom Kreuzestod); vorher bei Ulfr stallari, A 403 und H H j . 4. 7 alstyrhr allmächtig (von Olaf!), nur noch einmal Heilv. 16. 8 ajreksord Gedicht über Wunder, abgewandelt in afreks-ödr Mlag 3. 10 ödgprd Gedicht, nur noch Likn. 49, in Prosa einmal Post. s. 510. 12 söknbrddr hitzig im Kampf, vgl. Rst. 3. 13 munnrjödr Mund-Rotfärber (hugins) = Krieger, vgl. Sigvat 1,14. 14 fullhugadr muterfüllt, vgl. Arnor 3,17; Fritzner 1 501. 14, 17 bpl, hier wohl zuerst in der Bedeutung „Sünde", sonst oft „Schaden, Unglück, Böses". 15 stigi (Himmels-) Leiter; Fritzner I I I 545. 18 gods ridari, Olaf; Fritzner I I I 105. Vgl. dazu unten S. 125f. 20 Ipgskid Schiff; vgl. Sturl 5,7 (?). 22 batnadr Verbesserung (hier etwa „Segen"), vgl. LP 36, Fritzner I 117. 24 fjplgödr sehr gut, vgl. Steinn Herd. 3,8. 25 dddmildr bereit zu guten Taten, schon Egil, Lv. 5. 27 fullting Hilfe, vgl. Plac. 10, Has. 1; Fritzner I 503f. 32 hagnadr Glück, vgl. Vell. 25; einmal in OH, Fritzner I 690. 33 limr Krists, von Olaf gesagt; solche Bildungen später oft, hier zuerst; Fritzner I I 529, weiteres unten S. I25f. 34 röda Krucifix, in der Dichtung nur hier außer in dem Titel Rödudrapa; Prosa vgl. Fritzner I I I 123. 35 almildr, von Olaf, vgl. Plac. 17. 35 brennheitr brennend heiß. 41 skidrennandi Seefahrer, vgl. Eyv. Lv. 11. 42 himneskr himmlisch, hier zuerst; LP 250, Fritzner I 816. 124

43 valbpst, ein Schwertteil, schon bei Egil Lv. 40, dann E S k 7,6. 45 rosda, Erzählung, Nachricht, skaldisch nur hier, L P 474, prosaisch nicht selten, Fritzner I I I 147. 49 bending, Wink, Zeichen, in der Dichtung nur hier, vgl. Fritzner I 125. 49 pjödnytr überaus nützlich, einmal vorher A 205 um 1020. 50 altäri Altar, vorher nur Ploft. 3,7. 53 Veeringjar Wäringer, noch Valg. 4. 56 dädsnjallr, vgl. Leid. 23. 58 margfaldr vielfältig, hier „falsch", nur in jüngerer christlicher Dichtung; Fritzner I I 649. 59 aldrtregi Lebensbeender (hier vom Haß), vgl. Häv. 20. 59 himintungl, hier für „Auge"; in einer Gott-Kenning Str. 46. 62 jardriki Erde, ESk 13,7; offenbar gebildet nach himinriki ]?loft. und Ge. 16; in Prosa mehrfach, Fritzner I I 230. 64 heitfastr der sein Wort hält (von Gott); zwei Prosabelege bei Fritzner I 778. 65 erkistöll Erzbischofssitz, vgl. Markus, B 418,27. 68 nafnkudr berühmt, vgl. Ölhv. 2,9, Fritzner I I 782. 68 langvinr (lausnara) = Olaf; langvinr nur noch einmal von Thor und Häv. 156; wenige Prosabelege Fritzner I I 419. 68 alnenninn allmächtig, vgl. Ott 2,2. 69 blessan Segen, schon Gamli 1,1. 69 ordhagr redegewandt, in der Dichtung nur hier, vgl. Fritzner I I 901. 71 prekrammr kräftig, vgl. Bergb. 8. Der von diesen Wörtern bestellte Sinnbereich ist etwa der gleiche wie bei d e n hap. leg. Einars Olafsbild lebt, wie schon vorher das der Glael., v o n der Vorstellung einer besonders engen Beziehung zwischen G o t t u n d d e m König. D a s Stef in Str. 18 (21, 24, 27, 30, 33, 36, 39, 42, 45) setzt d e n Heiligen förmlich in die Rolle des Nothelfers ein, der alles bei G o t t v e r m a g : Greift mä gumnum letta gods ridari stridum; hraustr piggr alt sem sestir Öldfr af gram solar. Das F r e m d w o r t ridari (riddari) — hier wie Plac. 33 jedoch m i t gesicherter L ä n g e — k o m m t im 12. J a h r h u n d e r t auf; die Verbindung gods ridari begegnet hier zuerst, doch h a t die Umschreibung schon eine Vorgescliichte. I n Glael. 9,3 wurde Olaf als gods rnadr bezeichnet. H . K u h n h a t Arkiv 58, 107 ff. gezeigt, d a ß solche Wendungen nicht aus dem altgermanischen Hofwesen stammen, sondern eher aus dem Vasallentum, u n d d a ß sie wahrscheinlich merowingischer Herkunft sind. (Natürlich ist aber a u c h a n unm i t t e l b a r e Übernahme biblischer Redeweise zu denken, so etwa a n J e s . 42,1 Ecce servus meus, suscipiam eum: electus mens . . .) Die sicheren Belege finden sich denn auch im Norden erst in der christlichen Skaldik. D e m Zeugnis der Glael. folgt Plac. 47, 48 mit zweimaligem gods pegn für d e n Helden. Einar wandelt diese Bezeichnungsweise n u n vielfältig a b ; neben dem zehnmaligen gods ridari — m a n vergleiche im Olafshymnus Nidros. 18 sanctus dei miles — begegnen Umschreibungen, die ihre theologische salkonungs H e r k u n f t ebenso deutlich zeigen: Krists limr 33, himna limr 66 könnten direkt nach dem Vorbild von 1. K o r . 6, 15 corpora 125

vestra membra sunt Christi (vgl. auch 1. Kor. 12,27) gebildet worden sein. „ F r e u n d des Erlösers", lausnara spjalli 30, nennt der Dichter seinen Heiligen — in kühnem Anklang a n Egils Snt. 21 (A 42) (?), wo Odin, ungewöhnlich genug, mit Gauta spjalli umschrieben wird. Aber damit nicht genug, wählt Einar mehrfach das Wort vinr für Olaf und dessen Verhältnis zu Gott oder K r i s t : vinr rgäuls tyggja 9, vinr lofdungs tungla ranns 46, vinr lausnara 62, langvinr lausnara 68; auch in dieser letzten Umschreibung darf m a n vielleicht wieder eine kühne Anspielung auf die Thor-Kenning langvinr Prqngvar in Eilifs Thors-Drapa 17, A 151, heraushören. Die heidnische Dichtung bietet zu diesen Kenningar mit vinr für einen Menschen (freilich einen Heiligen!) k a u m etwas Vergleichbares. Poetische Umschreibung, gewiß ohne religiöses Gewicht, ist Freys vinr Sg. 24 für Sigurd. vinr mit gen. plur. ist je einmal für Thor (Hym. 11,9 vinr verlida) u n d für Odin (Häl. 3, A 68 vinr skatna) belegt. Das Verhältnis zwischen einem der Götter u n d einem Menschen wurde offenbar — trotz dem vielbesprochenen, aber skaldisch nicht für einen Gott belegten julltrüi — nicht als vinskapr verstanden. Einars Umschreibungen mit vinr bringen etwas Neues. Die Wurzeln dazu stecken im mittelalterlichen Heiligenkult und, viel weiter zurück, in den biblischen Texten. Wie schon für die Kenningar mit limr die Bibel zu zitieren war, so jetzt erst recht für den amicus Dei: E p . J a c . 2 , 2 3 ; ferner 2 . M o s . 3 3 , l l u n d J o h . 1 1 , 1 1 ; 15,14. Aber alle diese sprachlichen und poetischen Einzelheiten gehören in einen größeren Zusammenhang, der im folgenden verdeutlicht werden soll.

d) Olaf zwischen Christus und den alten Göttern Olaf übertrifft alle nordischen Heiligen an Bedeutung. W a s die Fülle der Olafsdichtung lehrte, bestätigt die Geschichte der bildenden K u n s t : kein Heiliger ist annähernd so wichtig wie Olaf. Allenfalls Hallvard u n d Sunniva sind hier in zweiter Linie zu nennen, während ein Heiliger wie Eystein nicht über den Kreis der Geistlichkeit hinausgelangt (vgl. Mowinckel, a.a.O. S. 57). An der Tradierung und Fortbildung der Olafs-Legende sind Klerus und Volk gleichermaßen beteiligt. I n die literarische Verherrlichung Olafs teilen sich geistliche Hagiographen, lateinisch dichtende Hymniker, Skalden und Historiker vom Range Snorris. Das Ergebnis dieser verschiedenartigen Bemühungen m u ß t e naturgemäß b u n t werden, insbesondere, d a wohl schon sehr bald eine unterliterarische Schicht mithilft an der Umformung der Überlieferung. Olaf als Einziger hat für die Zeit, der unsere Darstellung gilt, lateinische u n d volkssprachliche Dichter auf den Plan gerufen. Das ist für die altnordische Literaturgeschichte ein bemerkenswerter Sonderfall. Die heilige Sunniva etwa hat keinen Skalden gefunden, m a n nennt sie nur pflichtgemäß und wie beiläufig Nkt. 71, Mey. 53 1 . 1 Vgl. dagegen die Legende Acta Sanctorum in Selio, MHN, S. 147—152 nebst dem Officium aus dem Breviarium Nidrosiense, ebda., S. 283—289; ferner Daae, Norges Helgener, 1879, S. 137ff. und Kahle, Arkiv 17, 36f.

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Die Olafsdichtung ist von Anfang a n zweisträngig. Wieviele Skalden zwischen Thorarin u n d Einar — außer Sigvat, Kolgrim und Stein — noch auf Olaf gedichtet haben, wissen wir nicht. Ebensowenig wissen wir, wieviel an lateinischer (liturgischer?) Literatur zwischen dem ältesten hagiographischen Werk u n d der Passio Olavi (Acta Sancti Olavi regis et martyris, M H N 125ff.) gelegen haben mag. Bald nach dem Tode des Königs m u ß das früheste Literaturwerk Norwegens verfaßt worden sein (Lehmann, Anteil I I 67), ein hagiographischer Text, der die Testimonia gesammelt haben wird für die schon 1031 erfolgte Heiligsprechung. Spuren dieses verlorenen Werkes h a t E. Skard (Symb. Osloenses X I V , 1935, S. 119—125, Kirchliche Olavustradition bei Theodricus Monachus) nachgewiesen. Beziehungen zwischen dieser ältesten Vita des Heiligen und der fast gleichzeitigen Glaelognskvida zu vermuten, wird nicht abwegig sein. Auch Einar h a t gewiß die kirchliche Tradition gekannt, wenngleich die erhaltene Passio Olavi 1 erst einige Zeit nach seinem Geisli, wahrscheinlich von Erzbischof Eysteinn Erlendsson, verfaßt wurde (Lehmann, a.a.O.). E s darf als sicher angesehen werden, d a ß Einar auch schon kirchliche Poesie gekannt hat von der A r t der H y m n e n aus den Breviarien (MHN, S. 230f., 231 f., 250f., 256f., 260f., 262f., ferner Daae, a.a.O. S. 112f., 114f.). Berührungen zwischen kirchlicher H y m n i k u n d Einars Gedicht sind schon wegen des gemeinsamen Themas unausbleiblich; sie beweisen nicht so sehr Abhängigkeit voneinander als vielmehr übergreifende Gemeinsamkeit im Dienst der Olafsverehrung. Die Wunder Olafs, durch die Menschen das Augenlicht oder die Sprache wieder erhalten — um nur zwei Beispiele zu geben —, finden sich in schöner E i n t r a c h t bei Thorarin, Sigvat, Einar und im H y m n u s des Breviarium Nidros. (a.a.O. S. 232), dessen 4. und 5. Strophe zum Vergleich hierher gesetzt sein mögen: Cecus lapsus casu bono aqua tangit pupillam: visum capit aque dono visus perdit maculam: Christum laudat dulci sono lucis videns faculam. Lingua cuidam amputatur: et mutus efficitur: opem sancti deprecatur martyr prece flectitur: vsus lingue reformatur adolescens loquitur. 1

Vgl. MHN, S. X X X I , 125ff.; ferner die bei Lehmann, Anteil I I 67 verzeichnete Literatur. Die von Lehmann angekündigte Sammlung aller Zeugnisse durch O. Kolsrud wird in die sehr verworrene Überlieferung Lieht bringen. Für unsern gegenwärtigen Zweck genügt es, die Zweisträngigkeit der Literatur um Olaf gezeigt und die Möglichkeit gegenseitiger Beeinflussung angedeutet zu haben. 127

Die berichteten Wunder sind die gleichen, die Stillage aber ist hier und dort verschieden. Die Skalden geben Geschichte, der Lateiner gibt den typischen Vorgang. Durch die Olafs-Tradition geht, je länger desto mehr, eine zwar fast nie deutlich ausgesprochene, aber merkbare und schon seit langem von der Forschung beobachtete Tendenz (Daae, Helgener, S. 90ff.), den Heiligen durch Veränderung oder Hinzudichten von Motiven dem göttlichen Vorbild Christus anzugleichen, ja die Vita des Heiligen mit dem biblischen Bericht vom Leben Christi möglichst weitgehend zur Deckung zu bringen. Das Auftreten der einzelnen Parallelsetzungen ist nicht in jedem Falle zeitlich fixierbar; es hat daher wenig Sinn, eine Übersicht der Motive in der historischen Reihenfolge ihres Auftretens zu versuchen. Ein anschauliches Bild aber ergibt sich, wenn man (gleichsam von rückwärts) die Summe der Gleichsetzungen vom Spätmittelalter her zu überblicken unternimmt. Die „Gleichungen" haben vielleicht nie alle gleichzeitig im Bewußtsein der Gläubigen bestanden; aber die Tendenz zur Parallelisierung Olaf : Christus ist seit dem ersten Zeugnis des Heiligenkultes, seit der Glaelognskvida, da und nimmt zu in einem Maße, wie wohl sonst bei keinem andern Heiligen. Dieser Entwicklung, deren letzte Konsequenzen das noch zu zitierende Lübecker Passional zieht, geht ein anderer Prozeß entgegen, der den Heiligen mit alter, heidnischer Überlieferung zu verschmelzen scheint. Diese beiden Bewegungen zusammen zu sehen, ist von der Forschung bisher verabsäumt worden. Wir wenden uns zunächst der einen Seite zu, der ständig zunehmenden Annäherung Olafs an Christus im Werk der Dichter und Historiker. Das Verhältnis des jüngeren zum älteren Olaf wird schon in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts von Oddr Snorrason, einem Mönch des isländischen Klosters Thingeyrar, gesehen als Entsprechung zum Verhältnis Christi zum Täufer Johannes (vgl. Joh. 1,30). Die isländische Übersetzung des verlorenen lateinischen Werkes spricht gleich zu Beginn den Vergleich aus: Ok sva sem [Ioan baptistij var hans jyrir rennari, sva var oc Olafr konungr Tryggvason jyrir rennari ens helga Olafs konungs (Ol. s. Tryygv., ed. Munch, 1853, S. 1). S. 39 wird der Vergleich in biblischer Bildersprache noch einmal breit ausgeführt. Dieser Vergleich, der die biblische Geschichte fast als Präfiguration der norwegischen Ereignisse nimmt, war historisch nicht unberechtigt im Blick auf die beiden Glaubensboten, setzt aber voraus, daß man überhaupt gewillt war, Entsprechungen zwischen Olaf und Christus zu finden und zu wagen. Ob die mittelalterliche Bildtypologie, das heißt die Spekulation mit wechselseitigen Analogien zwischen altem und neuem Testament hier mitgespielt hat und das Beispiel abgab, ob also mit kühnem Griff die theologische Technik der Bildtypologie auf die Darstellung und Deutung der norwegischen Geschichte angewandt wurde, wage ich nur als Problem anzudeuten. Die erste Analogie mußte fast zwangsläufig eine zweite erzeugen: so wie Johannes den Heiland taufte (Matth.3,13ff.; Mark. l,9ff.; Luc.3,21f.; Joh. 1,31 ff.), konnte nun auch die Taufe des jüngeren Olaf auf den älteren zurückgeführt werden, vgl. Maurer, Bekehrung I 513f.; Daae, a.a.O. S. 91. 128

Auch für die früheste Kindheit Olafs — ein Thema, das Snorri in der Heimskringla übergeht — fand m a n eine Parallele zur Kindheit Christi: als das Kind ausgesetzt werden sollte, zeigte sich über dem H a u s ein wunderbares Lieht (wie der Stern zu Bethlehem, Matth. 2,9) und rettete d a s Kind, F m s . IV, 32. Zu Unrecht übergeht Kahle, Arkiv 17, 21 f. die von Daae S. 92 angeführte Spur einer ebenfalls durch Vergleichung (mit Maria) stattgehabten E r h ö h u n g der Königsmutter Asta. Auf einer Altartafel erscheint Astas N a m e als Asta Regina mater beati Olavi unter den Namen der biblischen Personen (!), nicht unter denen der dänischen und norwegischen Dynastien 1 . E i n Zeugnis nur, gewiß, aber ein deutlich sprechendes, wenn m a n den mittelalterlichen Ordo und die Symbolsprache der Namenordnung ernst nimmt. Manches Olafswunder, das selbst der kritische Snorri nicht überging, h a t m a n bei Zusammenstellungen der hier zu behandelnden Analogien vergessen. Snorri n i m m t freilich nicht — wie Oddr etwa — ausdrücklich Bezug auf die Bibel, läßt aber die Entsprechung gelegentlich so deutlich durchblicken, daß der Hörer ihn nicht mißverstehen konnte; so etwa in der Erzählung (Hskr. I I 413ff., c. 179) von der Speisung der Sechshundert. Die Anspielungen auf die biblische Speisung der Fünftausend (Matth. 14, 15ff.) gehen hier bis in die Einzelheiten. Ich brauche das nicht Zug für Zug nachzuweisen. Ebenso erübrigt es sich, die Heilungswunder Olafs, die die Tradition seit Thorarin kennt und die Snorri in reicher Zahl bringt (Hskr. I I , c. 155, 189, 245), mit biblischen Wundern ähnlicher Art zusammenzustellen 2 . Besonders reich ist die Entfaltung legendärer Motive um den Tod Olafs; die ständige Analogie zur Passion Christi wird hier geradezu zur Kopie. Kahle denkt zu kurz u n d verkennt den Ernst dieses merkwürdigen und in der Hagiographie einmaligen Vorgangs, wenn er sich Arkiv 17,23 darüber zu wundern scheint, „wie wenig Anstand die Norweger daran nahmen, das Leben des kriegerischen Königs mit Zügen aus dem Leben des Heilands auszuschmücken". Es heißt denn doch das Gewicht einer historischen E n t 1

Vgl. Script, rer. Dan. VI 375f., dazu Mowinckel, a.a.O. S. 47. Bedeutende Analoga aus dem Selbstverständnis des ma. deutschen Kaisertums bei K. Hauck, Geblütsheiligkeit, bes. S. 190, 198f., ebda. Anm. 32, und S. 201. 2 Hervorgehoben sei wenigstens eine Stelle, Hskr. I I 4 3 7 , wo es heißt: . . . sem Öläfr konungr hafdi svä miklar Iseknis-hendr . . . Ganz die gleiche Vorstellung von den heilkräftigen Händen des Königs ist für das französische Königtum gut bezeugt, vgl. W. Kienast, Deutschland und Frankreich in der Kaiserzeit, Leipzig 1943, S. 113, besonders aber M.Bloch, Les rois thaumaturges, Straßburg 1924, und P. E. Schramm, Der König von Frankreich, Weimar 1939. Auch Shakespeares Macbeth IV, 3 darf hier angeführt werden (den Hinweis verdanke ich Dr. H. L. Vogt): . . . there are a creiv oj wretched souls Thal stay his eure; their malady convinces The great assay oj art; but, his touch, Such sanetity hath heaven given his hand, They presently amend. 9 7362 Lange, Studien (Palaestra 222)

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Scheidung verkennen — u n d dieses typologische Denken, angewandt auf Olaf, war eine gewichtige Entscheidung der Nordleute —, wenn m a n hier nur Ausschmückung, also poetisches Spiel am Werke sieht. Bald nach d e m Tode Olafs beginnt bereits der Vergleich mit der Passion Christi. Vielleicht h a t t e der unbekannte Hagiograph die geniale Idee? Oder Thorarin? W i r wissen es nicht 1 . Zehn J a h r e später ist dieser Prozeß, der J a h r h u n d e r t e d a u e r n sollte, schon greifbar. Olaf fiel am 29. J u l i 1030. Am 3 1 . August war eine Sonnenfinsternis. Aber schon Sigvat bezeugt u m 1040 in seiner Erfidrapa 15 die von da ab gültige Tradition, nach der das astronomische Ereignis zum gleichzeitigen kosmischen Symbol des Märtyrertodes wurde. Diese fromme Geschichtsfälschung ist seit langem bekannt — vgl. Daae, S. 95f. mit Literatur — ; sie geschah im Namen des Heiligen und seiner Ebenbildlichkeit mit Christus. Denn hinter dieser Verwandlung des Ereignisses z u m Symbol stand natürlich Luc. 23, 44f.: . . . et tenebrae factae sunt in Universum terram . . . et obscuratus est sol. E r s t Einar sprach die Analogie d a n n deutlich aus im Geisli 19: Ndäit bjartr, pds beidir baugskjaldar lauk aldri, —syndi salvqrdr grundar sin tgkn— rqdull skina; fyrr vas hitt, es harra haudrtjalda brä dauda happ- nytask mir -msetu —mältöl— skini solar. Die Festigkeit dieser Tradition bezeugt Snorri, der ansonsten durchaus nicht alles aufnahm, was ihm vorlag, Hskr. I I 487: . . . pd laust roäa ä himininn ok svä ä sölna, ok adr en letti, gerdi myrkt sem um nött. Eine Generation nach dem Tode Olafs ist die Überlieferung von diesem Ereignis durch den Blick auf die Passion Christi schon so weit umgebildet, daß A d a m von Bremen (gest. um 1076) in seinen Gesta I I 59 mehrere Lesarten k e n n t , d a r u n t e r auch die, daß Olaf den Zauberern übergeben worden sei: Alii dicunt eum in bello peremptum, quidam vero in medio populi circo ad ludibrium magis expositum2. Matth. 27, 27ff. steht dahinter. Der Scholiast 1

F ü r den Kirchenmann wäre vielleicht Bekanntschaft mit antiken acoTr/oVorstellungen bei römischen Kaisern anzunehmen, während Thorarin Vergleichbares wenigstens in Ansätzen schon aus England mitbringen konnte, vgl. oben S. 113ff. 2 Adami Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, ex rec. Lappenbergii, Hannover 1846, S. 91. Ein Scholiast gibt zu dieser Stelle einen Zusatz, Schol. 42, mit der Erzählung von Olafs Traum vor der Schlacht, in dem er eine Himmelsleiter ersteigen und den Himmel offen sehen durfte. Einar Ge. 15f. bezeugt diesen Legendenzug dann noch einmal. Aber auch die kirchliche Hymnik kennt das Motiv, vgl. den Hymnus bei Daae, S. 113, Str. 7: Ante dient passionis Ad instantia vim agonis Animatus visionis Divinae solatio . . . 130

zu A d a m weiß Schol. 42 eine weitere Version z u m Tode Olafs u n d bezeugt gleichzeitig einen weiteren Schritt hin auf die immer engere Vergleichung, ja Gleichsetzung zwischen Olaf und Christus: Olaf „ w a r d von d e n Seinen umringt u n d ohne sich zu verteidigen getötet u n d m i t der Märtyrerkrone geschmückt" 1 . Das ist nicht n u r norddeutsche Gelehrsamkeit, sondern auch norwegische Tradition, die sogar in eine der kirchlichen H y m n e n aufgenommen wird (vgl. Daae, S. 113): Tulit ab impia gente ludibria, Minas et odia, poenas, exilia, Sed mente stabili. Wir sahen Snorri a n diesem Prozeß der zunehmenden Ver- u n d Angleichung durchaus beteiligt. Es ist daher keine Nötigung des Textes, wenn m a n auch hinter H s k r I I 462 (c. 207) das biblische Vorbild vermutet. Vor seinem Tode stiftet Olaf Geld für die Seelenmesse der gefallenen Gegner: . . . ok gefa fyrir lif ok säl peira manna, er falla l orrostu ok berjask i möti oss (Z. 9—11, vgl. auch Z. 13—15). Stand dahinter nicht Luc. 2 3 , 3 4 : Pater dimitte Ulis: non enim sciunt quid faciunt — oder wenigstens d a s Vorbild Christi, die E r b a r m u n g über die Feinde? Diese zahlreichen Versuche, Olafs Leben d e m Christi anzugleichen, machen es nun auch verständlich, warum Einars Geisli mit der Schilderung von Christi Passion und Erhöhung beginnt. Die einleitenden Strophen sprechen den Vergleich zwar noch nicht a u s ; d a s geschieht erst, wie oben gezeigt, in Str. 19 anläßlich der Schilderung der Sonnenfinsternis. Aber gemeint ist der Vergleich schon in den ersten Strophen. Mit dem Leitwort geisli treibt Einar Str. 1 und 7 ein hohes Spiel, d a s mehr ist als poetische Laune, insofern der Vergleich mit Christus eben auch mehr ist als Panegyrik: in beiden Strophen wird nämlich erst im Verlauf d e r Strophe — gleichsam durch die „Erledigung" des Satzes — deutlich, d a ß m i t geisli nicht Christus, von dem doch die Rede ist, sondern Olaf gemeint ist. Die äußerste Konsequenz dieser Übertragung der Passionsgeschichte in die Vita Olafs zog ein — von Daae S. 94 f. wohl zuerst angeführtes — Lübecker Passional von 1499. Da sowohl Daae als auch K a h l e (Arkiv 17, 22f.) das merkwürdige Zeugnis stark kürzten, gebe ich es n a c h Script, rer. Dan. I I , 1773, S. 537f. in einer Fassung von 1505 im vollen W o r t l a u t : Dre yaer dar na, do Sunte OLEFF noch in Ruslandt was, apenbarde sik em vnse here Jhesus Christus myt einem Krüce vnde dornen krönen vnde sprack to em: See OLAUE, in deme Krüce werstu hangende, vnde sulken dornen krönen werstu dreghende vmme mynen wyllen, vnde werst van dynen broder dat lydende, dat yk vmme dynen wyllen leden hebbe, darumme make dy rede, vnde the wedder hen, wente yk hebbe dy dar de dornen krönen bereydent, vnde darna schaltu mit vrouden to my kamen, vnde entfangen dat loen dynes arbeides, wyl dy nicht wuchten, yck byn stedes by dy, vnde wyl dy in dyner martere nicht vortaten. Van desseme ghesichte wart Sunte OLEFF sere vorvrouwet, vnde toch wedder hen in Norweghen, vnde gaff sik willichliken vmme Christum willen in de martere. Do nu syn broder vnde KANUTUS, vnde ere andere selscop, kyndere der vnrechferdicheyt, horden, dat 1 Gesta, S. 92: . . . circumventus a suis, cum non repugnaret, occiditur et martyrio coronatur.

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Sunte OLEFF dar wedder kamen wolde, leet he eyn groet kriiee maken vnde eyne dornen krönen, vnde makeden sik hemeliken to, vnde loch em entyeghen mit wapender hont, vnde nam ene mit walt, vnde vorde ene in syn pallas, vnde sprak do to em: Vorsake dyne God Christum, vnde vorflock sinen namen, edder du most ock so steruen, alze he gestoruen is. Do antwerde em Sunte OL AVUS, vnde sprak: Vorfloket vnde vormaledyet sistu mit alle dyner selschop, vnde de name mynes heren Jhesu Oristi sy benedyet to ewyghen tyden. Do toghen ene de heyden naket vth vnde bunden em syn angesichte to, vnde sloghen ene an de Kennebacken, vnde spreken: Du vormaledyede Konnynk raet to, wol sloch dy, vnde darna setteden se em de dorne krönen vp vnde drukkeden se in sin houet, so dat dat bloet aueral van em vloet, vnde deden em ein ceptrum in syne hand, vnde toghen em eyn konnynklik kleyd an, vnde spreken: Seet welk eyn Konnynk ys dyt. Dar na bunden se ene an eyn Krüce, dar he III. stunde ane henk in groter wedaghe, vnde he bad God vor de yennen de ene pynygheden, vnde besunderghen bad he God vor de zevaren Kopmans, de ene in eren noden anropen, vnde darna gaff he sinen ghest vp in de hende des almechtighen Gades vp enen vrigdach in dem Owestmaente, na der boert Cristi do men screef MXXVIII. vnde do steken se em syne syden doer mit eneme spere. Altohant wart dar eine grote ertbeuinge auer de gantzen Stat Ciklesteb efte Stikkelstede, vnde dar van vyllen vele huse dale. Des drudden daghes wolden de bozen heyden synen hyllighen lycham vorbernen, men he bleeff vngheserighet van deme vüre, vnde do dat vuer vorbrant was, van der asscke wart ein groet drake, de dodede Sunte OLEUES broder vnde ok vele andere heyden. Vnde vmme dat teken bekerden sik vele to deme cristen louen. Es k a n n in diesem Zusammenhang nicht meine Aufgabe sein, die seltsame Kontamination aus norwegischer, hansischer und biblischer Überlieferung in diesem Stück im einzelnen zu erläutern; die hansische Legendenbildung zieht die Summe dessen, was seit J a h r h u n d e r t e n in Norwegen angebahnt worden war. Es dürfte kein Zufall sein, daß dieses Passional gerade in die J a h r e gehört, in denen man in Lübeck auch die „Nachfolge Christi" druckt (vgl. H. Jellinghaus, Gesch. d. mnd. Lit., Grdr. 3 , 1925, S. Ali.). Das Passional macht Ernst mit der idealen Forderung und läßt seinen Heiligen eine wortwörtliche Imitatio Christi vollziehen. Damit sind die wichtigsten Zeugnisse für diesen merkwürdigen Prozeß vorgelegt. Kein Heiliger ist durch eine solche fast schon Identifikation zu nennende Angleichung an die Gestalt Christi so geehrt worden wie Olaf 1 . Es mag eine offene Frage bleiben, ob eine solche Steigerung eines Königs, die ja ständig in der Gefahr ist, die Grenze zur Häresie zu überschreiten, nur möglich war im Norden Europas, bei spät bekehrten Völkern 2 . Der logisch nächste Schritt, der meines Wissens nicht getan wurde, wäre doch wohl gewesen: Olaf ist der wiedergekehrte Christus — so wie früher jeder König die Qualität des Yngvi in sich trug oder gar wiederverkörperter Yngvi war. 1 Einige vergleichbare Zeugnisse aus dem spätesten Mittelalter bietet J. Huizinga, Herbst des Mittelalters, 6. Aufl., 1952, S. 165f., doch geht keines der Beispiele annähernd so weit wie die Olafsverherrlichung. 2 Kosmische Ereignisse, denen bei der Passion Christi entsprechend, kennt allerdings auch die deutsche Dichtung früh, vgl. Rolandslied V. 6924ff.: . . . chom ain michel ertpibe, j doner unt himilzaichen . . . der vil Hechte tac j wart vinster sam diu naht . . . daj diu werlt verenden solte, j unt got sin gerichte haben wolte.

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W a s die literarischen Zeugnisse lehren, bestätigt die Geschichte der bildenden Kunst. Der Darstellung Mowinckels 1 entnehme ich folgende Tatsachen: Das älteste wirkliche (d. h. als solches erkennbare) Olafsbild s t a m m t von etwa 1150, aus der Vaernes-Kirche. Olaf ist thronend dargestellt, Christus victor ist wohl das Vorbild (S. 44—46). Die mittelalterliche, sakrale Ikonographie kennt bis dahin als Thronenden nur Christus oder allenfalls Evangelisten 2 . An anderer Stelle wird Olaf (a.a.O. S. 47), ohne daß seine Legende Anlaß dazu gibt, mit einem Buch abgebildet, wiederum in Analogie zu Christus. I n einer späten Handschrift (14. J a h r h u n d e r t ) , für die Mowinckel a.a.O. S. 47 jedoch eine ältere Vorlage annimmt, wird Olaf barfüßig thronend dargestellt, — deutlicher konnte der Verweis auf Christus, dem dieses Motiv zukam, kaum ausgedrückt werden. Erst im 13. J a h r hundert entstehen Bilder mit dem stehenden Olaf und Olaf als Reiter, unter sich die Weltkugel. Mowinckel glaubt a.a.O. S. 51 f. hier eine Einwirkung der Gottvater-Vorstellung (aber doch wohl nicht nur dieser?) erblicken zu dürfen. Es wurde schon oben angedeutet, daß wir es bei der Fortbildung der Olafsüberlieferung mit einem mehrschichtigen Vorgang zu t u n haben. Der soeben geschilderten Angleichung des Heiligen an Christus geht eine ganz anders geartete, unterliterarische Strömung entgegen. Es ist bezeichnend, daß die offizielle Dichtung und Literatur im wesentlichen nur die Interpretation des Heiligen sub specie Christi kennt und daß, im Gegensatz zu ihr, die unterliterarische Schicht anscheinend nur die Angleichung Olafs an Thor vornimmt 3 . Einiges steigt freilich auf bis in die hohe L i t e r a t u r : schon die Skalden Thorarin und Sigvat kannten die Vorstellung vom erntefördernden König (s. o. S. 119f.), die gewiß nicht erst christlich ist (vgl. Höfler, Mythische Elemente, S. 12). Und auch Snorri verschmäht es nicht, eine Troll-Besiegung in die Heimskringla aufzunehmen. Eine wie auch immer geartete Identität Olafs mit Thor wird natürlich nirgendwo ausgesprochen. Es ist hier wie in dem entgegengesetzten Vorgang der Angleichung an Christus eine interpretatio sub specie Thors, wobei in etlichen Motiven die doppelte Anknüpfungsmöglichkeit an heidnische wie an christliche Überlieferung die Ausbildung synkretistischer Erscheinungen erleichterte, ihre Deutung aber erschwert. Denn es ist ja nicht so, daß diese zwei Stränge der Olafsverehrung im Bewußtsein der Nordleute deutlich getrennt gewesen wären, wie es uns bei systematischer Aufgliederung der Zeugnisse erscheinen könnte. Das Wesen synkretistischer Erscheinungen liegt gerade darin, daß sie nicht Additionsergebnisse säuberlich voneinander 1

Das reichste Abbildungsmaterial findet man bei Harry Fett, Hellig Olav, Norges evige konge, Oslo 1938. 2 Die kontinentale Kunst hat mit ihren Darstellungen des thronenden Herrschers natürlich mitgeholfen bei der Ausbildung der Olaf-Denkmäler; aber die geheime Analogie zum thronenden Christus ist damit nicht aufgehoben. 3 Diese Thor-Angleichung ist, namentlich in der älteren mythologischen Forschung, weit mehr als ihr Gegenstück berücksichtigt worden; vgl. Grimm, DM, S. 514ff., P. Herrmann, Nordische Mythologie, 1903, S. 6f., 36, 167. 133

abhebbarer Schichten sind, sondern d a ß sie ein neues Drittes — gleichsam eine Legierung nicht mehr trennbarer Elemente, eine Legierung zudem mit ganz neuen Eigenschaften —- darstellen. Mowinckel h a t a.a.O. S. 44 auf Münzen aus der Regierungszeit Magnus' d. Guten hingewiesen, die einen Mann zwischen Kreuz und A x t zeigen. Falls die Figur auf Olaf gedeutet werden darf, hätten wir hier 1) das älteste Olafsbild, 2) den P r o t o t y p späterer Darstellungen, denen selten die Axt fehlt, 3) ein tiefsinniges Bild des Heiligen zwischen den Symbolen; denn die Olafsaxt h a t m a n immer wieder — A. Norden, Fornvännen 20, 1925, 1—17 vor allem — mit dem H a m m e r Thors und sogar mit bronzezeitlichem Axtk u l t verbinden wollen. So einfach liegen die Dinge indessen nicht. Die hervortretende Rolle der Axt im bronzezeitlichen Kultwesen darf zwar als besonders gut bezeugt gelten 1 , aber die Kontinuitätslinie, die Norden u. a. von d a bis hin zu Olafs Axtsymbol zu ziehen versuchen, geht über weite, zeugnislose Strecken. Ob der hammerschwingende Thor ein Fortsetzer des A x t g o t t e s der Felszeichnungen sei, ist ebenfalls nicht sicher erweisbar; noch weniger, daß Thor in spätheidnischer Zeit mit der Axt bewaffnet vorgestellt worden wäre. Bei den Versuchen, Olafs ständiges Attribut, die Axt, von heidnischer Überlieferung her zu deuten, h a t m a n einen wichtigen U m s t a n d außer Acht gelassen: Olaf erhält die erste Todeswunde durch einen Axthieb — Hskr. I I 4 9 3 Porsteinn knarrarsmidr hjö til Öläfs konungs med exi . . .; wie auch bei anderen Heiligen kann das Werkzeug, das den M ä r t y r e r t o d brachte, n u n zum ständigen insigne des Heiligen werden. So erscheint diese Axt d a n n in zahlreichen Denkmälern der bildenden K u n s t in der H a n d des Königs. D a ß d a n n — sekundär — das Heiligeninsigne nicht n u r als solches verstanden wurde, sondern wohl auch die Heilskraft des Thorshammers — eines gerade in der Wikingerzeit beliebten Amulettzeichens — übernahm, gehört zur Zwiegesichtigkeit dieser religiösen Mischzone. Falls der Vorgang richtig gedeutet wurde, zeigt sich in einem solchen Entwicklungsgang aber auch, daß die Dinge komplizierter sind, als es die gradlinigen Herleitungen glauben machen wollen. Auch Olafs Speer scheint als Reliquie von Bedeutung gewesen zu sein. Nach Hskr. I I 470 wurde sie am Altar der Kristkirche aufbewahrt: . . . hafdi hann (Olaf) kesju pä, er nü stendr i Kristskirkju vid altara. Ob hier die von Höfler, H Z 157, 1 ff. beschriebene Heiligkeit der Königslanze noch mitgewirkt hat, vermag ich nicht auszumachen. Möglich wäre es immerhin. 1 P . Paulsen, Axt und Kreuz bei den Nordgermanen, Berlin 1939 (Deutsches Ahnenerbe, Reihe B, Bd. 1); zur Olafsverehrung bes. S. 211 ff. K. Helm, Altgerm. R G I, 1913, S. 201 nennt als besonders wichtiges Zeugnis ein bronzezeitliches Figürchen, das eine sitzende Gottheit mit einer Axt in der Hand darstellt und vielleicht einen Donnergott vorgestellt haben mag. Die Vermutung ebda., Anm. 73, die Figur zeige wegen ihrer Hörner fremden Einfluß, scheint mir unbegründet angesichts analoger Abbildungen auf den Felszeichnungen. — Der Axtträger als eine der beherrschenden Gestalten der Felszeichnungen ist bekannt genug, vgl. Almgren, Hällristningar och kultbruk, Stockholm 1926/27, besonders S. 131ff. und Abb. S. 109f., 118, 132ff., 170f.; ferner Norden, a.a.O. und de Vries, R G I I , §§ 89, 185.

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Dem Thor h a t t e m a n soeben abgeschworen — er h a t t e sich vor Olaf u n d dem neuen Gott als unmächtig erwiesen, m a n vergleiche die Bekehrungsanekdote von der Zerstörung des Thorsbildes Hskr. I I , c. 113 —-, aber nun brauchte man einen Ersatz. Christus war zu weit u n d zu fremd; die gewaltsame Synthese, die Eilifr Godrünarson versucht h a t t e , war nicht zur allgemeinen Überzeugung geworden. Olaf aber war nahe, seine Macht h a t t e sich in Wundern kundgetan, die E r n t e mißriet, sobald er v o n der E r d e genommen war: fast wie zwangsläufig mußte Olaf die Rolle des Erntesegners übernehmen und unvermutet damit den Platz des früheren Gottes einnehmen 1 . Dieses Eintreten Olafs in die Funktion Thors ist von mehreren Forschern wahrscheinlich gemacht worden. Norden, F o r n v ä n n e n 1925, 1—17 zeigte, daß der Olafskult in Östergötland an mehr als zwei Dutzend Orten nachgewiesen werden k a n n ; schon im 12. J a h r h u n d e r t sind dem Heiligen dort etliche Kirchen geweiht. Daß Olaf auch Schweden besuchte, kann „nicht als Ursache für den volkstümlichen Kultus angesehen werden" (a.a.O. S. 8, 17). Olaf hat vielmehr Thors Erbe angetreten, denn gerade hier in östergötland ist der Thorskult stark gewesen. Norden verweist (S. 11, 17 und K a r t e S. 12) auf zahlreiche mit Thor zusammengesetzte Ortsnamen für Siedlungen mit Olafskirchen (vgl. auch Almgren a.a.O. S. 204f.). Hammarstedt, Zs. F a t a b u r e n 1915, 32—40 (Olsmessa och Torsblot) berichtete von Erntegebräuchen am Olafstag (Finmarken, von 1774), die, wie etwa die zeromenielle Bocksschlachtung und -verspeisung, eher als Fortsetzung heidnischer Bräuche erscheinen denn als christliche Heiligenfeiern. Manche Nachrichten selbst noch nach der Reformationszeit zeigen, daß im Olafskult mancherlei zusammenfloß und daß sich in ihn manches rettete, was von der Kirche nicht eigentlich gut geheißen werden k o n n t e : so zum Beispiel die Verehrung eines Olafsbildes in Skäne — die magische Bestreichung mit der Olafsaxt eines Kultbildes zu Beginn des 17. J a h r hunderts (vgl. H. Falk, Kyrkohist. Ärsskrift I I I , 1902, 74f.) —, gegen die der visitierende dänische Bischof energisch einschreiten mußte mit drastischen Maßnahmen, die an die Praktiken der Missionszeit erinnern. An einem bestimmten Typus von Olafssagen h a t t e J. Grimm, DM 3 514ff., sichtbar gemacht, daß Olaf — nicht zufällig offenbar in Norwegen — Thors Hauptfunktion, die des Riesenbekämpfers, übernimmt. E d d a u n d Skalden schildern Thor als den unermüdlichen Bezwinger der Unholde. Die germanische Konzeption von der Welt brauchte diesen Verteidiger des Erdkreises. „Der Weltkreis ruht von Ungeheuern trächtig" (Goethe, J u b . Ausg. I X , 146). Noch die späte E>rymskvida 18,5—8 läßt Loki zu Thor sagen: pegar muno igtnar äsgard büa, nemo, pu pinn hamar per um heimtir. 1 Hierher gehört denn wohl auch die Vorstellung, Olaf sei rotbärtig gewesen, vgl. Ägrip c. 25 (hafdi hann) raußara skegg. Erst von etwa 1200 ab wird Olaf auch in der bildenden Kunst als bärtig dargestellt, vgl. Mowinckel a.a.O. S. 48, wobei allerdings nicht so sehr Thor-Vorstellungen, sondern Christusbilder als Vorlage mitgewirkt haben dürften. Grimm hat DM3 516f. zum Rotbart Olaf eine Reihe volkstümlicher Überlieferungen zusammengestellt.

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Thor rühmt in gleichem Sinne seine Taten Hrbl.23,5—8: mikil myndi sett igtna, ef allir lifdi, vse.tr myndi manna und midgardi! Das ist mehr als poetisches Spiel, hier spricht Sorge um den Bestand der Welt wie noch in dem von Grimm DM3 497 zitierten nordischen Sprichwort: vore ej thordön tili, lade troll verlden öde. Obwohl das Christentum inzwischen den Glauben an die in Gottes Hand ruhende Welt gelehrt hatte, schwieg diese Sorge nicht. Schlimme Riesen und Trolle gab es noch immer. Wer sollte sie besiegen, wenn Thor es nicht mehr tat? Olaf! Nicht die offizielle Literatur der Hagiographie und die Liturgik spricht von denUnholdkämpfen des Heiligen, sondern die volkläufige Überlieferung. Schon darin allein liegt ein Hinweis darauf, daß man einen „mythischen" Helden für die Bezwingung der Trolle brauchte und ihn dann natürlich in den Umrissen des Vorgängers sah, neugestaltet „nach jener wunderbaren Fluctuation, die in echten Volksüberlieferungen oft wahrgenommen wird" (Grimm, a.a.O. S. 514). Snorri kannte solch eine Überlieferung und setzte sie — wohl ohne Zweifel an ihrem historischen Wert — in sein Werk (Hskr. II, c. 179, S. 416): An einem Platz war es nicht geheuer fyrir trglla-gangs sakir ok meinvetta; gleichwohl bringt Olaf die Nacht dort zu und zwingt durchs Gebet den Troll zu weichen, ok verä, ek nü flyja ok koma aldri d penna stgdul sidan. Was Thor mit dem Hammer schaffte, wirkt Olaf im Gebet. Vor einer allzu glatten Rechnung muß aber auch hier gewarnt werden. Der Christ unter den Hörern dieser Geschichte konnte natürlich auch eine Dämonenvertreibung Christi wie etwa Matth. 8,28 ff. assoziieren und als Vorbild begreifen; die meisten werden sich aber an Thor erinnert gefühlt haben oder — unbestimmter noch — die Geschichte als das genommen haben, was sie ist: ein beruhigendes Zeugnis dafür, daß es noch immer einen gibt, der mit den Unholden fertig wird, wie einst so jetzt. Am nächsten Morgen spricht Olaf über das erlöste Stück Land die Prophezeiung — fast darf man sagen: den Zauber — aldri skal her körn frjösa, pö at bseäi frjösi fyrir ofan boz ok nedan. Eine sehr merkwürdige Sage, deren einzelne Fassungen nur wenig voneinander abweichen, hat das Interesse der Forscher 1 schon früh angezogen, die Geschichte vom betrogenen Baumeister. Sie gehört zu einem weitverbreiteten Typus, die nächste nordische Parallele steht bei Snorri, SnE I 134 ff.: hier bringt Loki den Riesenbaumeister um den ausbedungenen Lohn, indem er, zur Stute verwandelt, das Pferd des Riesen von der Arbeit lockt. Olaf überwindet den Riesen Skalle (auch ViiiA och Veder, Bläster, Slätt genannt) dadurch, daß er dessen Namen erfährt und im richtigen Augenblick ruft (Rumpelstilzchen-Motiv). An eine abwandelnde Übertragung der Ge1

Grimm, a.a.O. S. 514ff.; Daae, Helgener, S. 106; H.Falk, Kyrkohist. Arsskr. III, 84f.; zum Sagentypus vor allem v. Sydow, Zs. Fataburen, 1908, S. 19—27. J. Sahlgren, Sägnerna om trollen Finn och Skalle och deras kyrkobyggande, Saga och Sed 1940, S. 1—50, 1941, S. 115—154 hat eine ausführliche Analyse dieser Traditionen gegeben. 136

schichte aus der SnE in die Volkssage wird man nicht denken wollen. Vielmehr gehören beide Erzählungen zum gleichen Typus, der hier auf Olaf übertragen worden ist. Wenn hinter Vsp. 25f. der gleiche Mythos stehen sollte (vgl. GS I 34f.), den Snorri erzählt, so ist es wieder Thor — Pörr einn par vd, / prunginn mödi —, der die Sache mit dem H a m m e r beilegt. Stellt m a n diese Überlieferungen eines Grundtypus — unerachtet ihrer Abweichungen im einzelnen — zueinander, so erscheint Olaf in der Rolle Thors, seine Taten sind das Ergebnis „jener wunderbaren Fluctuation".

e) Gottesgnadentum Seit der Olafsdichtung und nicht zuletzt durch sie gibt es eine neue Auffassung vom Königtum, vom königlichen Amt. Was die Dichter zu diesem Thema sagen, ist nicht panegyrische Schmeichelei, sondern Ausdruck u n d Zeugnis für eine mit der Gestalt Olafs einsetzende Transzendierung der Herrscherwürde. Diese wird nicht aus dem Nichts geschaffen, sie hat vielmehr Wurzeln verschiedener Herkunft, eine im germanischen Altertum, eine im christlichen Abendland, für den Norden vornehmlich in England. — Das germanische Königtum war nicht ohne religiöse Würde, wenngleich die Geschichte der germanischen Stämme zeigt, daß die politische Praxis sich oft genug über die sakrale Würde des Königs glatt hinwegsetzte. Die Königsheiligkeit ist zwar ein Faktor, mit dem zu rechnen ist, aber er ist einer unter vielen und selten der wichtigste. Allein, es gibt unbestreitbare Zeugnisse für die religiöse Würde des Königs, unter denen nur an die gotischen ansis, id est semidei (Jordanes c. 13) oder an die in einer mythischen Spitze gipfelnden Ahnenreihen germanischer Königshäuser erinnert zu werden braucht. Ein Eingehen auf diese und andere Zeugnisse ist hier nicht nötig; O. Höfler hat ihnen eine Reihe von wichtigen Arbeiten gewidmet 1 . K. Hauck h a t a.a.O. S. 187—240 ebenfalls gezeigt, wie mittelalterliches Gottesgnadentum teilweise weiterbauen konnte auf germanischer Grundlage. Der oft bemühte Begriff „Königsheil" ist freilich problematisch. Ein an. Wort *konungsheill gibt es nicht. (Konungsgipta verzeichnet Fritzner I I 328 einmal aus junger Prosa — vgl. auch oben S. 37 zur Hallfredar saga —, desgleichen konungsgsefa; für Einar kommt Ge. 57,5 die gipta von Gott.) Der König ist zwar, bestimmten Überlieferungen zufolge, für den Erntesegen verantwortlich; er kann auch sein Heil einem Boten auf die F a h r t mitgeben, aber das können andere Männer, die Heil haben, ebensogut. Natürlich wählt m a n keinen Heillosen zum König. Sein Geschlecht m u ß durch Heil ausgezeichnet sein, der Anspruch auf die Herrschaft gründet in der Teilhabe am Heil, er liegt in der Person des Königs selbst; sein Heil aber ist nicht unbedingt religiöser Herkunft. 1

Das germanische Kontinuitätsproblem, HZ 157, 1—26; Gemeinschaft und kultische Ordnung, O. Spann-Festschr., Wien 1950, S. 237—256; Bestimmung mythischer Elemente, a.a.O. S. 9—27; Das Opfer im Semnonenhain, GenzmerFestschr. 1952, S. 1—67; Germanisches Sakralkönigtum I, 1952. 137

Erst christliche Anschauung gibt dem Staat und dem Königtum eine (gleichsam systematische) transzendente Begründung: der Staat bekommt einen Platz in der göttlichen Heilsordnung. Königtum wird zum göttlichen Amt, die Pflichten des Königs bemessen sich an der Verantwortung vor Gott. Der König wird zum vicarius Christi, wie Wipo in den Gesta Chuonradi c. 3 und 5 sagt. Es kann kein Zufall sein, daß die zuletzt bekehrten Völker als erste Könige zu Heiligen m a c h t e n : die Norweger ihren Olaf (1015—1030), die Dänen K n u t (1080—1086), die Schweden Erik (1150—1160). Olaf wird, wie gezeigt wurde, bald nach seinem Tode heiliggesprochen, und zwar ohne Mitwirkung des römischen Stuhles. (Die Kanonisation wird als päpstliches Reservat erst 1170 unter Alexander I I I . durchgesetzt.) Olafs R u h m reicht am weitesten, auch auf dem Kontinent wird er als Heiliger verehrt. Adam v. Bremen gibt (IV 32) Anweisungen für deutsche Pilger, die Olafs Grab besuchen wollen 1 . Wenn Thorarin und Sigvat den W u n d e r t ä t e r Olaf priesen, so war das nicht skaldische Lobrede, sondern religiöse Wirklichkeit, die eine Generation später schon bis nach Norddeutschland strahlte. „Das Auftreten von Heiligenkönigen war außerhalb des Nordens damals noch etwas ganz Ungewöhnliches" 2 . E r s t 1161 läßt Heinrich I I . in England E d u a r d d. Bekenner kanonisieren durch Alexander I I I . , in Deutschland beeilt sich Friedrich I., offenbar nach diesem Vorbild, 1166 Karl d. Gr. zum Heiligen erheben zu lassen 3 . Bei den nordischen Heiligungen stehen wir, wie v. See betont hat, insofern vor einer Sondererscheinung, „als es sich um unmittelbare, erst kürzlich verstorbene Angehörige der herrschenden Königsgeschlechter handelte". Die Vermutung, daß hierin ein „ungebrochener Zusammenhang mit altgermanischer Geblütsheiligkeit" vorliege, ist nicht von der H a n d zu weisen. Dieser raschen und der europäischen Entwicklung vorausgreifenden Heiligung nordischer Könige muß ein gefühltes Bedürfnis nach mythischen Königen zugrunde gelegen haben. Hier — und nicht in der ziemlich vagen Vorstellung vom Königsheil — liegt eine nach rückwärts in die heidnische Vergangenheit weisende Wurzel der Transzendierung bloß. Denn eine mythische Würde des Königs hat es offenbar — gerade auch in Norwegen — gegeben, wie sie noch Snorri bezeugt durch die Nachricht vom tignarnajn eines jeden Ynglingen-Königs. Ynglingasaga c. 10 heißt e s : Freyr het Yngvi gäru nafni. Yngva najn var kngi sidan haftihans settfyrir tignar-nafn, 1 Ad cuius tumbam usque in hodiernum diem maxima Dominus operatur sanitatum miracula, ita ut a longinquis illic regionibus confluant hii, qui se meritis sancti non desperant iuvari. Es folgen dann Angaben über die möglichen Wege nach Drontheim. 2 K. von See, Das skandinavische Königtum des frühen und hohen Mittelalters, Diss. Hamburg 1953 (masch.). s Vorangegangen war die Kanonisation Heinrichs II., 1146; vgl. auch hierzu Hauck, a.a.O. S. 198f. Daß bei solchen Prozessen auch fleißig gefälscht wurde, um die Kanonisation zu sichern, zeigte für den Fall Karls d. Gr. Ph. A. Becker, Die Heiligsprechung Karls des Großen und die damit zusammenhängenden Fälschungen, Sachs. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl., 96. Bd., 1944—1948, 3. Heft, Leipzig 1947.

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ok Ynglingar väru släan kallaür hans settmenn; ferner ebda. c. 17: En Yngvi eda Ynguni var kallaär hverr peira settmanna alla aevi, en Ynglingar allir saman. Höfler, der zuletzt über diese Tradition gehandelt h a t (ScheelFschr., S. 14f.), zeigte, daß hinter dem merkwürdigen Doppelnamen eines jeden Ynglings die Vorstellung von der repräsentatio des göttlichen Ahnen Yngvi-Freyr im König steht 1 . Die Skalden um Olaf bezeugen diesen Glauben schon nicht mehr, es sei denn, man wollte aus der Anrede Yngvi, die Öttarr svarti 2, 10 (B 270) einmal Olaf gegenüber gebraucht, dergleichen heraushören. Aber das verträgt die Stelle wohl nicht, wenn m a n bedenkt, daß Hallvardr hareksblesi von K n u t (B 294,6) ebensogut sagen k a n n : Englandi rsedr Yngvi j einn . . . Allein, eine höchst merkwürdige, dabei junge und alleinstehende Tradition scheint die Vorstellung von Olaf als dem wiederverkörperten Ahnen noch zu kennen (Fiat. I I 135) und die „widerspenstige Gewalt des Volksglaubens" (Höfler, Scheel-Fschr. S. 17) zu bezeugen: „Es wird erzählt, daß einmal ein Gefolgsmann . . . den König Olaf fragte, als er mit seinem Gefolge am Hügel des Olaf Geirstadaalf vorüberritt: „Sagt mir, Herr, ob Ihr hier eingehügelt (heygdir) w a r t ? " Der König antwortet i h m : „Nie h a t t e mein Geist zwei Leiber und wird sie nicht haben, nicht jetzt u n d nicht am Tage der Auferstehung. Und wenn ich etwas anderes gesagt hätte, da wäre der allgemeine Glaube in mir nicht recht." Da sagte der Gefolgsmann: „Die Leute haben erzählt, als Ihr früher an diese S t ä t t e kämet, da hättet Ihr so gesprochen: „Hier waren wir und von hier fuhren wir a u s " (her vorum ok her forum). Der König a n t w o r t e t : „Das habe ich niemals gesagt und niemals werde ich das sagen." U n d er habe zornig sein Pferd gespornt und habe diese Stätte geflohen, fest entschlossen, diesen Irrglauben zu vertilgen" 2 . Ein Mann also aus Olafs nächster Umgebung m u ß sich zurechtweisen lassen wegen seines Irrglaubens, wenn man dem Bericht der Flateyjarbök Glauben schenken darf. Nicht alle um Olaf waren gute Christen. Sigvat 1 Zur Palingenesie der Ynglingar vgl. außer den schon genannten Arbeiten von Höfler noch K. A. Eckhardt, Ingwi und die Ingweonen, Weimar 1939, S. 57ff.; F.R.Schröder, Ingunar-Freyr, Tübingen 1941; W. Krause, Ing, Nachr. d. Akad. d. Wiss. in Göttingen 1944, S. 235ff. 2 Übersetzung nach Höfler, a.a.O. S. 17. Vgl. auch schon Maurer, Bekehrung I 611 ff. Zu gesucht wäre es gewiß, die Überlieferung von einem wiederverkörperten und damit also gleichsam präexistenten Olaf in Verbindung bringen zu wollen mit der Lehre vom präexistenten Christus, wie sie Joh. 1,3 und 27 andeutet, wenngleich Joh. 1,27 zur Ausbildung der Vorstellung von Olaf Tryggvason als dem jyrir rennari mitgeholfen hat, also gut bekannt war. Der kritische Historiker Snorri übergeht in seiner Darstellung diese Geschichte, obgleich er sie wohl gekannt haben dürfte. Es mag dahingestellt bleiben, ob Hskr. I I 262f. einen blassen Rest der Anekdote darstellt: ßat var einn dag, at konungr reid leid sina ok spng psälma sina; en er Kann kom gegnt haugunum, nam Kann stad ok mselti: „pau skal segja ord min madr mannt, at ek kalla räd, at aldrigi sidan fari Nöregs konungr i milli pessa hauga." Er pat ok spgn manna, at flestir konungar hafi pat varazk sidan. Die Notiz steht in ihrem Kapitel merkwürdig zusammenhanglos da.

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bestätigt das noch für die Aufstellung des Heeres zur letzten Schlacht, Erfidr. 22 (B 244): Sumir trüdu d god gumnar und, in der gleichen Strophe: frse.gr bad hann ä hosgri hgnd kristit lid standa. Die halben und die ganzen Heiden werden sich den Glauben ihres Königs und seine Stellung zu Gott auf ihre Weise zurechtgelegt haben. Und eben hier war der Ort, wo das Yngvi-Gnadentum, insofern es eine überpersönliche Weihe des Königs war (woran jene wohl noch glaubten), der christlichen Transzendierung des königlichen Amtes entgegenkam. Was in dem Abschnitt über Olafs Stellung zwischen Christus und den alten Göttern zu beschreiben war, findet hier noch einmal, und zwar in einem besonders wichtigen Punkt, seine Bestätigung. Yngvi, der in den Ynglingen gegenwärtig, wiederverkörpert geglaubt wurde, war in der Tat ein heidnischer rex perpetuus, lange bevor Olaf in der Historia Norwegiae (MHN 109,13) zu einem solchen ernannt und damit ermächtigt wurde, den Yngvi abzulösen. Man verzeichnet aber das Bild der Entwicklung, wenn man nur das in die Transzendierung des königlichen Amtes eingehende germanische Erbe ins Auge faßt. Deutlicher, greifbarer und unmittelbarer wirksam ist das namentlich vom christlichen England her kommende Vorbild. Dort hatte sich früh so etwas wie eine Metaphysik des königlichen Amtes herausgebildet. Die ersten Klänge dieses Themas hört man schon im Prolog des Beowulf V. 12ff. (ed. Holthausen, 5. Aufl., 1921): ßeern eafera wses geong in geardum, folce tö fröfre . . . umldres wealdend

xfter cenned pone god sende Hirn pses lifjrega woroldäre forgeaf.

Besonders um Knut scheint die religiöse Hebung, ja die Heiligung des Königtums gefördert worden zu sein. Thorarin kam aus England, Sigvat war dort gewesen. Thorarins Wort Bid Äleif, at unni per . . . grundar sinnar klingt dann weiter bei Steinn Herdisarson, Öläfsdrapa 10, (B 381), um 1070: Sin ödul mun Sveini söknstrangr i Kaupangi, pars heilagr gramr hvilir, —hann 's rikr— jgfurr banna; sett sinni mun unna Äleifr konungr hdla —Ulfs parfat par arfi— alls Nöregs— til kalla. 140

A b e r Sigvat h a t t e in einer gebetartigen Strophe (Lv. 8, B 248) schon zu Lebzeiten des Königs gesagt, Gott möge ihn, Olaf, das Land beschützen lassen, denn er sei zu diesem Amte geboren: goä läti pik gseta, gedhardr konungr, jardar, —vist hefk pann— pvit, pinnar, pü 'st til borinn — vilja. E s ist gewiß kein Zufall, daß es gerade ein Engländer Ailnoth aus Canterbury ist, der in seiner Passio Cnutonis (Vitae Sanct. Danorum S. 77—136, bes. S. 78) als erster im Norden direkt ausspricht, daß der König Stellvertreter Gottes auf Erden sei. Das königliche Amt ist Sendung durch Gott. Die Passio ist spätestens 1124 geschrieben; es wäre eine interessante, hier aber zu weit führende Aufgabe, möglichen Zusammenhängen mit d e r Philosophie des sog. Gerhard von York — neuere Forschung nennt ihn d e n Anonymus 1 — nachzugehen. A. Dempf, Metaphysik des Mittelalters, 1930, S. 54f. schildert den Mann als geistigen „Vorkämpfer der königlichen Partei Englands im Investit u r s t r e i t " , aus dessen Schriften eine „konsequente Metaphysik des Willens zur gerechten Herrschaft" spreche. Und weiter, das Zentrum der Gerhardschen Lehre umschreibend: „Sind bei Eriugena die summi homines Propheten und Philosophen, so bei Gerhard Könige, die über das allgemeine K ö n i g t u m und Priestercum der guten Menschen hinaus die eminentia deificationis erfahren, die inspiratio zur Gesetzgebung des positiven ius humanuni, das so höher ist als das ius divinum, das bloße Notstandsrecht des besonderen Priestertums. Sie sind die conregnantes cum Christo, seine persönliche Stellvertretung und wirken schon die Vorbereitungszeit der ewigen priesterlosen Weltordnung" (a.a.O. S. 55). Man vgl. ferner Dempf, Sacrum Imperium, 1929, S. 175, 199—208, 232. Auch der nächste und eigentlich erste wirkliche Theoretiker des Königt u m s im Norden, der Verfasser der Tale mot biskopene, ist wahrscheinlich ein Engländer gewesen, Bischof Martin (vgl. A. Holtsmark in Skrifter, Norske Vid.-Akad. i Oslo, I L Hist.-Filos. Kl., 1930, Nr. 9, S. 55ff., bes. S. 59f.), der durchaus Kenntnis englischer Staatstheorie zeigt. Seit Olafs Zeit hatten sich also, das Königtum betreffend, zwei Traditionen verschiedener Herkunft gemischt und gesteigert. Zwei Möglichkeiten, d e m Königtum eine überpersönliche Würde zu geben — Yngviwürde und christliche Erhöhung des königlichen Amtes — begegneten einander. F ü r Einar gilt nur noch die neue Lehre. Den Heiligen will er (im Gegensatz zu Sigvat und Ottar) preisen — lytk helgum jgfri sagt er Str. 12. Selbst für sein Gedicht erwartet er sich die Beihilfe des heiligen Königs, Str. 8,6—8: ydvarrar bidk stydja mserd, pat 's miklu vardar, mdttigt hQJud ättar, l

) Vgl. G. H. Williams, The Norman Anohymous of 1100 A. D.; Toward t h e Identification and Evaluation of the So-Called Anonymous of York, Harvard Theological Studies X V I I I , Cambridge 1951, bes. S. 127. Den Hinweis auf diese Arbeit verdanke ich P . E . Sehramm. 141

was in gewissem Gegensatz zu der einleitenden Bitte steht, in der Einar sich aus gleichem Grund an den dreieinigen Gott wendet: Eins mä öd ok boenir gods prenning mir kenna. Doch wir wissen inzwischen, daß dieser scheinbare Gegensatz nicht unüberbrückbar ist, seit Olaf so in die Nähe Christi gerückt wurde. Aber die hier geschilderte Entwicklung genügt noch nicht, Einars in seiner Art einzig dastehendes Gedicht ganz zu erklären. Neben der christlichen Transzendierung des königlichen Amtes spielt die geschichtliche Lage in den ersten 50er Jahren des 12. Jahrhunderts eine für das Gedicht nicht zu übersehende Rolle. Es gab, soweit ich sehe, drei politische Ereignisse, die eine besondere Steigerung und offizielle Betonung der Olafsheiligkeit als notwendig erscheinen ließen. 1. Der Norden hatte sich, weil am äußersten Rande der Oikumene liegend, eine relative Selbständigkeit gegenüber der Kurie bewahrt. Harald d. Harte etwa — um nur ein Beispiel zu nennen — konnte es sich leisten, Geistliche aus England und Frankreich kommen zu lassen statt aus der zuständigen Erzdiözese Bremen-Hamburg (vgl. Adam III16). Gregors VII. Versuche, den Norden unter seinen direkten Einfluß zu bringen, hatten nichts erbracht. Erst seit der Mitte des 12. Jahrhunderts beginnen gregorianische Reformideen im Norden Fuß zu fassen. Die Zisterziensergründungen seit etwa 1140 waren der Vortrupp, Ziel war die Durchsetzung der überlas ecclesiae gegen das Eigenkirchenrecht. Durchgreifende Reformen brachte der Besuch des Cardinais Nikolaus Breakspeare, 1152, im Auftrag Eugens III. (s. NgL I 439). Das Erzbistum Nidaros wurde gegründet, Domkapitel zur Bischofswahl bestimmt und ermächtigt. Das war ein Schlag gegen das bisherige königliche Recht. Das gerade damals schwache norwegische Königtum hat keinen Widerstand geleistet — außer durch den Mund Einars; denn ich zweifle nicht, daß Geisli auf diesem Hintergrund gesehen werden muß: was war der Anspruch der Kurie gegen diesen rex perpetuus, den Freund Christi, den dyrdar-vinr Gottes? 2. Aus Irland waren gewiß gerade damals bedrohliche Nachrichten gekommen. Die bis dahin freie irische Kirche wurde 1152 dem Papst unterworfen, das Erzbistum Armagh zum Primat erhoben. 1154 und in den folgenden Jahren durfte England gleichwohl mit päpstlicher Billigung — der Preis war die Einführung des Peterspfennigs — diese neue römische Kirchenprovinz erobern! 3. Im Jahre 1152 hatte in Deutschland Friedrich I. die Herrschaft angetreten. Das Verhältnis dieses neuen Großen zur Kurie war vorerst undurchsichtig. Genug, daß er im Frühjahr 1153 einen Vertrag zu Konstanz schloß, in dem er als Vogt der Kirche dem Papsttum Hilfe versprach. Ebendieser Friedrich hatte aber — eine seiner ersten Regierungshandlungen — bereits entscheidend in die nordischen Verhältnisse eingegriffen, indem er auf dem Reichstag zu Merseburg 1152 die dänische Thronfolgerfrage entschied zugunsten von Svein um den Preis der Anerkennung der deutschen Oberlehnsherrschaft. 142

Des A n o n y m u s philosophische Steigerung des Königtums zur Stellvertreterschaft Gottes auf Erden war ein Akt des Investiturstreites gewesen. Nichts anderes ist, wenn auch mit andern Mitteln, der Vortrag des Geisli, der auf Wunsch des anwesenden Königs geschah, 71,1—2: Bozn hefk, pengill, prekrammr, stoäat

pina framla.

Der R u h m Olafs im vielfach wiederkehrenden Stef, das die Aussage von Glsel.9,5—8 variiert, Greitt md gumnum letta gods ridari striäum; hraustr piggr alt sem sestir Öläfr af gram solar, u n d die Berufung auf den heilagr konungr 9,8 mußten in den Augen der Norweger Gewichte sein, die man mit Vertrauen auf die Waage der Geschichte legen durfte. W o Olaf herrschte, bestand zu Recht der Anspruch auf Freiheit u n d Selbständigkeit. Geisli ist nicht zuletzt ein politisches Gedicht. 3. Harmsöl Harmsöl, „Sorgensonne", nannte Gamli mit einem nur hier belegten W o r t (Str. 64) sein Gedicht, das ganz erhalten ist (A 562—572, B 548—565, Kock I 265—274) l . Das Wenige, was man von dem Dichter weiß, wurde schon bei der Behandlung seiner Johannes-Strophen (oben S. 81 ff.) verzeichnet. E r war Mitglied des 1168 gestifteten Augustinerklosters in £>ykkvabser; genauer läßt sich sein Rang nicht bestimmen, die Quellen nennen ihn AM 757 (A 562) gamle kanoke, Post. s. S. 510 kanunkr, ebda. S. 511 broäir. Sein Werk darf also mit einiger Sicherheit in das letzte Drittel des 12. J a h r h u n d e r t s gesetzt werden. Die einzige Handschrift, in der das Gedicht überliefert ist (AM 757a, 4°), s t a m m t aus der Zeit um 1400; den ziemlich ruinösen Zustand der fraglichen Blätter h a t J. Helgason APhSc X, 1935/36, S. 250f. beschrieben, vgl. auch Jönsson in A 562 2 . Plac. u n d Ge. stehen einander zeitlich und inhaltlich nahe, sie preisen noch einen Menschen. Has. und Leid, bilden eine neue Gruppe: nicht mehr ein bestimmter heiliger Mensch, sondern das Heilsgeschehen ist jetzt Gegenstand der Dichtung. Harmsöl schlägt unerhört neue Themen an, die eine bedeutende Verinnerlichung des Christentums bezeugen. S t a t t einer Inhaltsangabe — vgl. Kempff S. VI und Paasche S. HOff. — gebe ich ein Kompositionsschema, das zugleich mit den Themen die kunstvolle Einordnung dieser Bußpredigt in die gegebene Drapa-Form veranschaulichen 1 H j . Kempff, Kaniken Gamles Harmsöl, Uppsala 1867; F. Jönsson, LH I I , 1, 116—118; Paasche, a.a.O. S. 108—118; de Vries, LG I I 114f.; Kahles Notizen Arkiv 17, S. 9, lOf. über heidnische Beste in Has. sind ungenügend. 2 Der Güte Jon Helgasons verdanke ich eine Photographie der Blätter, die kaum mehr etwas vom Text erkennen läßt. Unsachgemäße Behandlung des Pergaments hat hier mehr verdorben als die Jahrhunderte.

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soll. Die grobe Gliederung ist: 20 // 25 // 20. Das erste Stef von 4 Zeilen erscheint in Str. 20, d a n n wieder in 25 und 30, das zweite Stef in 35,40 u n d 4 5 . E i n l e i t u n g (1—20) 1—3 B i t t e u m Gottes Beistand 4—6 Ankündigung von Sündenbekenntnis und Reue 7—16 Sündenbekenntnis 17—19 Gottes Gnade im Sohn 20 Stef-Ankündigung, Lob Gottes. H a u p t t e i l I (21—30) 21—25: 21 Kreuzigung, 22—24 die Schacher am Kreuz, 25 Reue findet E r b a r m e n (vgl. im Schlußteil die Exempla zum gleichen Thema) 26—30: 26 T r a u e r u m Christi Leiden, 27 der Erlösertod, 28 Auferstehung, 29 H i m m e l f a h r t u n d 30 Lob Gottes. H a u p t t e i l I I (31—45) 31—35: 31 Ankündigung von Wiederkehr und Gericht, 32—35 nichts wird vor d e m Gericht bestehen 36—40: Das Gericht, Mahnung zur F u r c h t 41—45: Folgerungen: 41 R a t zur Versöhnung mit Gott, 42—43 jung schon üben, was im Alter nottut, 44 die Todesstunde ist ungewiß, 45 G o t t allein k a n n helfen. S c h l u ß (46—65) 46—52: E x e m p l a göttlicher Gnade bei Reue: 48—49 David, 50—51 Petrus, 52 Maria Magdalena 5 3 : Trost aus den Exempeln 5 4 — 6 3 : B i t t e u m E r b a r m e n zu Gott, 59—61 Bitte um Fürsprache an Maria, 62—63 an die Heiligen 64: der N a m e des Gedichtes: Harmsöl 6 5 : Schlußgebet für die Menschen. Der Dichter predigt. Sein Satzbau ist daher schlicht; nicht der pompöse Klang, sondern das Gesagte selbst soll wirken. Str. 33 redet er denn auch die Gemeinde dringlich a n : syslkin min! Nahe Berührungen seines Werks mit der theologischen Prosa hat schon Jönsson L H I I , 1, 117 f. gezeigt, ohne d a ß d a d u r c h eine unmittelbare Quelle Gamlis erwiesen würde; vgl. auch Paasche S. 111 ff. Der G r u n d t o n des Gedichts ist sdrr es minn hugr 54 und brigdr es heimr 5 5 ; vgl. J o a n s d r . 4 sidan msetti ör of eydask / andar sgr mit Has. 54 groeda andar sgr. N i c h t zufällig sind darum bei Gamli uggr „Angst'' und miskunn „ G n a d e " die Schlüsselwörter. Die Angst vorm Jüngsten Gericht bekommt geradezu kosmische Ausmaße, denn selbst die Engel des Herrn beben, 32: ela vangs pvit englar JQJurs skjalfa pä sjalfir, —ögn tekr mgttug magnask— msets, vid ugg ok hreezlu. Paasche h a t a.a.O. S. 114 patristische Vorbilder für diese Vorstellung nennen können. 144

Groß ist, worüber die Wortlisten hinlänglich Auskunft geben sollen, der Wortschatz im Bereich der Sünde und Gnade. Groß ist auch die Zahl der in diesem Gedicht erstmals behandelten Motive: crucifixus — bisher sorgfältig gemieden u n d verborgen hinter der Gestalt des Himmelsherrn in der Glorie —, die Passion und Maria, welche hier Str. 52 zuerst m i t Namen genannt wird; zur Schwierigkeit der Frage, welche der Marien gemeint sei, vgl. oben S. 94f. das zum Mariuflokkr Gesagte. Endlich darf hier auch die erste poetische E r w ä h n u n g des Meßopfers (12 blödok hold) v e r m e r k t werden. Die tiefbegründete, zuerst bei Plac. beobachtete u n d später in Leid, noch einmal erscheinende Neuerung, daß oratio recta im D r o t t k v ä t t möglich oder vielmehr vom Bibelzitat her notwendig wird, bezeugt auch H a s . 22—23 in den Worten der Schacher am Kreuz. N u r Luc. 23, 39—43 gibt den Schachern das W o r t (vgl. dagegen Matth. 27, 4 4 ; Marc. 15, 32; J o h . 19, 18). Aber Gamli verfährt mit dem Text ziemlich frei: n u r den bußfertigen Schacher läßt er mit Lucas (Domine, memento mei, cum veneris in regnum tuum) sagen: minnsk pu, mildingr sunnu, I min, . . . pitt . . . es kemr i veldi. Dem Unbußfertigen dagegen gibt er ein W o r t der Hohenpriester nach Matth. 27,42 und Marc. 15, 32. Der heilige T e x t lag wohl nicht auf Gamlis Tisch, als er dichtete. Eine Betrachtung des Wortschatzes soll wieder versuchen, nicht n u r die Leistung des Dichters, sondern auch das Besondere seines Anliegens und seine Stellung in der Reihe der hier behandelten Poeten sichtbar zu machen. Wir nehmen die verschiedenen Gesichtspunkte in dieser Reihenfolge vor: 1. Wortanklänge bei der übrigen christlichen Dichtung, 2. heidnische Spuren, 3. hapax legomena, 4. seltene Wörter u n d das hier besonders gut greifbare Problem des Bedeutungswandels alter Wörter. 1. Wortanklänge mit Plac. und Ge. sind häufig; Gamli scheint seine beiden Vorgänger gut gekannt zu haben, wie er d a n n selbst der Gebende für Leid, und Lfknarbraut gewesen sein dürfte. Paasche, a.a.O. S. 117, 131 denkt allerdings an Abhängigkeit der Has. von Leid. Die (durchaus nicht gleich gewichtigen) Anklänge an Plac. und Ge. sind diese: Has. 1 }ul(l)ting : Plac. 10, Ge. 27 (und Hamdismal 13); Has. 9, 16 prasll guds : Ge. 61, vgl. auch Has. 10 syndugr pjönn pinn; djpfuls prselar schon um 1120 (?) bei Hald6rr skvaldri, B 459,8; eine weitere Entsprechung mit der gleichen Strophe Haldors in Has. 22 Osmil; Has. 15, 17, 25 synd : Plac. 19, Ge. 20,62; Has. 29 skringeypnandi : Ge. 16 umbgeypnandi, von Gott; Has. 45 heitfastr : Ge. 64 (und Ht. 35); Has. 46, 57 miskunn : Ge. 1; Has. 49 wngjpf : Plac. 28, aber schon Eilifr Godr. 1; Has. 51 margfridr, von St. Petrus : Ge. 26, von St. Olaf; Has. 51 vdrkunn : Plac. 28; Has. 57 rittleeti Ge. 4; Has. 59 gödi Gutheit : Ge. 1, aber auch J>6rm6dr 1,4. 10 7362 Lange, Studien (Palaestra 222)

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2. Heidnische Spuren. Kahles Notizen Arkiv 17, lOf. geben n u r etwa ein Drittel der tatsächlich in unserm Gedicht vorkommenden Anspielungen auf die alte Mythen weit. Bemerkenswert ist der große Anteil der kleinen weiblichen Gottheiten. Gewiß h a t Kahle a.a.O. S. 9f. richtig gesehen, wenn er s a g t : „ Ü b e r h a u p t scheinen die Namen der Valküren und Göttinnen schon frühzeitig in ihrer alten Bedeutung nicht mehr recht empfunden worden zu sein, was d a m i t zusammenhängen mag, daß vielen von ihnen — abgesehen natürlich von den beiden großen Göttinnen Frigg und Freyja — ein ausgeprägteres individuelles Leben mangelte." Aber neben diesen blassen weiblichen Figuren wie Mist, Vgr, Bil (von denen die zwei letzten immerhin für Maria Magdalena gebraucht werden) stehen doch auch gewichtigere N a m e n wie Pröttr, Prör, Yngvi u n d Gautr. Natürlich h a t die alte Mythenwelt für Gamli keine Geltung mehr als Gegenstand des Glaubens; aber sie ist noch da, u n d immerhin noch von einem Realitätsgrad, der einen F a r b strich hergibt für das Bild biblischer Personen und Vorgänge. Der Prozeß, Altes u n d Neues in eins zu sehen, sich Neues durch Bekanntes zu erläutern, Neues mit d e m P r u n k der alten Überlieferung zu schmücken, ist noch im Gange. Die biblische Geschichte ist noch nicht eigenständig, sie n i m m t d a s freilich nur noch locker sitzende Gewand heimischer Poesie u m sich, u m selbst heimisch zu werden. Folgende Kenningar und Wörter sind zu verzeichnen: Str. 2 slongvir Mistar elda — 5 vidr Mistar linns — 7 Yngvi pjödar, Gott oder Christus; viel spater noch einmal P6t. 22 Yngvi für Christus— 7 dädrahkr, von Gott, vgl. Hym. 23 von Thor — 11 vedr-Pröttr vigrar, pröttr abstrakt „Kraft", jedoch auch Odinsname, vgl. Falk, Odensheite S. 31 — 13 Gautar, in einer Kriegerkenning, der sing. Gautr ist Odinsname — 14 Hlakkar (hlakkarl) bord — 25 hring-Pröttr, der bußfertige Schacher am Kreuz (!) — 41 JEgis grundar leiptra vidr — 42 grundar mens hrynvengis Gautr — 52 vins Vor, Bil gerdu — 61 Mistar myrkleygr — 64 ceski-Prör. I n Str. 31 Enn mun pdru sinni odlingr koma hingat mdna tjalds enn mildi medr til döms at kvedja ist ein Anklang an die umstrittene Halbstrophe Vsp. 65 (und 59) unüberhörbar. Auch die Fortsetzung geisar eldr . . . berührt sich doch wohl mit Vsp. 57. 3. Hapax legomena: Str. 1 ödborg Dichtungsburg = Brust; Paasche S. 110 erinnert an Kol. 4,3 ostium sermonis — 2 ramglygg starker Sturm — 3,48 sidabot Sittenverbesserung, Gesinnungswandel •— 7 ofderfila dreist — 8 oßpskr träge — 9 dstsnaudr lieblos — 9 grondugr sündenvoll, von der menschlichen Seele — 11 undgjaljr Wundensee = Blut, in einer Schwertkenning — 11 grälinnr Grauschlange, für eine Waffe — 12 prifskjötr schnell behilflich, von Gott — 12 meginljötr ungemein häßlich, von menschlichen Taten — 14 hagsleppr leicht aufgebbar (?) — 15 sjaldreyndr selten erprobt — 17 grunnudigr einfältig — 19,51,57 östyrkd Schwachheit, Hinfälligkeit — 21 meginpungr überaus schlimm, von Sünden — 24 meginskjötr sehr schnell — 24 sannviss wahrhaft weise, von Christus — 24 sökndeilir Krieger, einer der Schacher — 27 lidjasti Armfeuer = Gold — 32 146

isheimr Eiswelt || Meer — 39 övegr Ehrlosigkeit, Schande — 41 blakkvaldr Pferdeigner, in einer Mannkenning — 42 eyktemjandi Pferde-Zähmer — 43 lungbeitandi Schiffssteurer — 44 dädreyndr erprobt in Taten — 44 dünmeidr Goldbaum, in einer Mannkenning — 46 sarklungr Schwert — 47 bögsvell Eis des Armes = Silber — aldrpry'dir Lebensverherrlicher, St. Petrus — 56,63 margrikr sehr machtig, von Gott — 58 lastaukinn sündenbeladen — 59 happkunnigr, gesagt von Marias Fürsprache bei Gott — 61 vegskjötr rasch im Ehregeben, von Maria — 62 öbcettr ungebüßt, von Sünden — 62 ästnenninn liebevoll wirkend, von Gott — 64 Harmsöl Sorgensonne, Trost. Von den aufgeführten 38 hap. leg. sind mehr als die Hälfte (20) Adjektive. Die absolute Häufigkeit der Adjektive wie auch die relative Häufigkeit der Neubildungen unseres Dichters ist für d e n Stil dieser D i c h t g a t t u n g bezeichnend. Hier spricht der Prediger, die N ä h e der Homilienliteratur ist nicht zu überhören. Die Neubildungen verteilen sich denn auch, wie zu erwarten, gleichmäßig auf zwei Sinnbezirke: sie sind entweder E p i t h e t a der göttlichen Personen und ihrer Gnade oder sie dienen der Ausmalung der in Sünde verhafteten Menschenwelt. W i r sind hier nicht mehr — trotz der Drapaform — im Bereich der rühmenden Dichtung. Beichte, Sündenklage und B i t t e u m Erlösung sind die Themen. Die waren nicht m e h r m i t den Mitteln der alten preisenden Dichtung zu bewältigen. Zwar ersinnt Gamli nicht weniger als 94 Kenningar oder ähnliche Umschreibungen für Gott und Christus (neben den schlichten dröttinn, Kristr, god — zusammen 13 mal), aber der „Waltende des Himmelszeltes" h a t sich n u n der Menschenwelt zugeneigt: das auszusagen ist die Aufgabe von Adjektiven wie prifskjötr „schnell zur Hilfe bereit". E s ist also nicht n u r der Eifer des Predigers und das Vorbild der Predigt-Literatur, sondern ein tieferes Erfassen der zeitgenössischen christlichen Religion des Abendlandes, das den Dichter mit Notwendigkeit zum Adjektiv greifen l ä ß t u n d ihn zu einer Fülle von Neubildungen zwingt. 4. Seltene Wörter: Dieses Verzeichnis bietet eine Auswahl der wichtigsten hier zuerst belegten Wörter oder Bedeutungsverschiebungen, vornehmlich im Hinblick auf das Anwachsen des theologischen Wortschatzes. 1 miski Sünde, vgl. miska-räd 14; Fritzner I I 709. 2 allviss sehr klug, noch einmal B 593,6. 4 överdr unwert, von des Dichters eigenen Worten; vgl. auch 27 „unschuldig". 4,5 vds, ursprünglich „Beschwerlichkeiten", besonders der Seereise, hier vom sündhaften Leben. 5,50 idran Angst, besorgter Eifer. 5 sykna, der Rechtsterminus „Straffreiheit", hier gewandelt zu „Erlösung durch Erbarmen Gottes". 5 galli Fehler, hier Sünde. 6 ofsti dömr jüngstes Gericht, vgl. 31,34. 8 odod Untat, Sünde. 8 brddgprr zeitig. 8,9,15 verk, das sehr häufige Wort hier zuerst in der Bedeutung „Werke, die dem Urteil Gottes unterstehen". 10,33 syndugr sündig. 12 saurugr schmutzig, hier „sündhaft". 10«

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12 blöd ok hold Blut und Leib Christi, die erste Erwähnung des Meßopfers; vgl. Lilja 83. 12 huggddr mild, von Christus; vgl. Likn. 30. 16 rijja, ursprünglich „Heu wenden", dann „ans Licht kommen lassen", hier „aufrechnen der Sünden". 16 geigr Schaden, hier „Sünde". 16 elskukudr bekannt wegen seiner Liebe, von Gott: vgl. Likn. 5. 16 vejja wickeln, hier uneigentlich gebraucht: vefja . . . i afgerdum; die biblische Redeweise ist deutlich, vgl. etwa Hebr. 5,2 circumdatus est infirmitate. 17 almättigr allmächtig, vgl. S61. 7. 18 hirvist, das „Hiersein" Christi auf Erden; prosaisch selten, Fritzner I 806. 18.37 goddömr, Gottheit Christi. 18 im Gegensatz zum vorigen: manndömr, so auch Mdr. 14. 18,54 glata, ursprünglich „vernichten", jetzt bezogen auf Sünden. 19 meinlseti Peinigung. 19 likamr Leib. 20,50 grandlauss fromm, schuldlos. 21,33,58 sekd Schuld, Sünde; dazu 33 sekdar-ord Spruch Christi, der für schuldig erklärt. 21 tri Baum, hier wohl zuerst fürs Kreuz Christi. 22,56 seligr elend. 23 illvirki Bösewicht, einmal vorher bei Amor 3,8. 23.38 pisl Marter. 24 likn Hilfe, Trost, jetzt speziell „Gnade Gottes", LP 375f. 24 paradis, hier zuerst. 24 heit Versprechen, Gelöbnis; der Rechtsausdruck hier zuerst in der Bedeutung „Verheißung Gottes". 25 lausn Lösung, hier erstmals „Erlösung durch Christus". 26 hardgerdr kraftvoll, hart ursprünglich, jetzt aber „verhärtet vor Gott". 26 ogrätandi ohne Tränen. 26 kvpl, ohne weiteren Zusatz jetzt verständlich als passio Christi. 28 fridsamr friedevoll, vgl. Hsv. 67. 28 rddviss klug im Rat. 30 vegsemd Ehre, Pracht, Glorie. 31 dömr, ohne weitere Bestimmung jetzt verständlich als „Jüngstes Gericht". Diese Übertragung wurde im Norden erleichtert durch die alte Vorstellung norna dömr, Yt. 32, Schicksalsspruch. 32 jöskreytandi (isheims) Seefahrer. 32 ping, hier für das Jüngste Gericht; vgl. Likn. 26 aipingi. 36 dömsord, hier „Richtspruch Christi", Prosa Fritzner I 252. 39 fnykr Gestank der Hölle, Prosa Fritzner I 449. 43 einsser einzig zu sehen, vgl. Fritzner I 313. 43 hreinsa von Sünden reinigen durch den Glauben. 44 vanbüinn unvorbereitet (auf den Tod), skaldisch nur hier, Prosa Fritzner I I I 850. 45 hald, jetzt ohne weiteren Zusatz „Gottes Hilfe und Gnade", vgl. 62. 46 dcemi (miskunnar), hier präzis exempla (für Gottes Erbarmen). 46 ugglauss ohne Angst, vgl. jedoch Rst. 6 (B 526) und I>skakk. 1 (B 515). 48 bann, im Sinne des kirchlichen Verbots. 50,53 gloepr unwissentliches Vergehen, hier Vergehen gegen Gott; eine gewisse Entlastung für den Verrat Petri liegt wohl in dem Wort Str. 50. 52,59 Mdrid. 53 atjerd Lebenswandel vor Gott. 148

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lastavdigr reich an Lastern, vgl. Fritzner I I 420. shjöl Zuflucht bei Gott. hpfudmusteri Haupttempel = Maria. alsTcirr strahlend (vgl. Alv. 16 den Namen der Sonne); Prosa nur einmal Post. s. 1,3, in beiden Fällen ein Epitheton Marias. 60 kastali, in einem Bild für Maria; vgl. dazu Paasche S. 115. 62 ärnan Fürbitte der Heiligen bei Gott, skaldisch nur hier, in Prosa häufiger, vgl. Fritzner I 73. 63 veglyndr edelgesonnen, von Gott. W a s zu den hap. leg. bemerkt wurde, gilt auch hier: die beiden einander bedingenden Sinnbezirke Sünde und Gnade überwiegen alles übrige. W a r aber dort ein formaler — und, wie zu zeigen war, nicht n u r formaler — Gesichtspunkt wichtig, nämlich das Überwiegen der Adjektive, so wird hier der Bedeutungswandel einer großen Zahl von Wörtern greifbar. Und zwar in zweierlei Hinsicht: erstens ist ein altererbter Wortschatz d u r c h den theologischen Gebrauch jetzt schon so weit umgefärbt u n d in seiner gewandelten Bedeutung festgelegt, daß er ohne weiteren erklärenden Zusatz für den neuen Inhalt gesetzt werden darf, ohne daß der Dichter Gefahr liefe, mißverstanden zu werden. Die vorstehende Liste gibt viele Beispiele; verwiesen sei nur etwa auf efsti dömr 6 nebst dömr 31, verk 8, 9, 15 u. ö., sekdar-ord 33 nebst döms-ord 36, kvQl 26. Zweitens: die neue Religion, insofern sie nicht zuletzt Sünden- und Gnadenlehre ist, b r a u c h t A b s t r a k t a , die nicht vorgebildet sind. Sie ergreift — folgerichtig für den Umkreis des J ü n g s t e n Gerichts — vor allem die Rechtsterminologie u n d transzendiert diese durch (meist nicht einmal deutlich ausgesprochene) Beziehung auf Gott u n d dessen Gesetze; Beispiele bietet die Liste in sykna 5, heit 24, glcepr 50, 53. Daß aber überhaupt für den Sünden- und Gnadenbezirk notwendig ein metaphorischer Sprachgebrauch einsetzen m u ß t e , zeigen Wörter wie vds 4, 5 und besonders lehrreich rifja 16. Wie tief der Wandel in den Normen des Lebens schon fortgeschritten ist — über das in Plac. noch nicht völlig gelungene Ideal des demütigen Helden hinaus —, beleuchtet die jetzt plötzlich pejorative Verwendung eines Wortes wie hardgerdr 26. Das Themenverzeichnis für Has. und die Wortlisten m a c h t e n in Stichworten ein Christentum anschaulich, das seiner Art und Tiefe nach innerhalb der hier behandelten Dichtung allein steht. Wollte m a n es auf eine kurze Formel bringen, dann könnte man sagen: ein u m h u n d e r t J a h r e verspäteter cluniazensischer Geist predigt von Schuld u n d Gericht. Aber der Dichter läßt den Menschen über Furcht und Zittern hinaus Trost gewinnen in der Gestalt des liebenden Gottes. Aus der Cluny-Zerknirschung war im Süden schon der Gott der erbermde gewachsen. Dieser ist die harmsöl des Gamli. Wirkliche „Cluny-Dichtung" kennt der Norden nicht. Die ersten christlichen Skalden schufen Kenningar vor allem für das Fremdartige des neuen Gottes: Roms konungr, munka reynir. Die folgenden Generationen wandeln in ihrer Poesie unermüdlich Umschreibungen für den kosmischen Herrn ab als bevorzugte nordische Sonderform des abendländischen rex triumphans. Hier endlich bei Gamli ist neben d e m „Waltenden des Wetterzeltes" der „Menschensohn" da, der liebende Gott. W a s sich bei Thorarin — dort freilich mit Bezug auf Olaf — ankündigte, ist jetzt 149

reif, zum Leitmotiv zu werden: Kristr ist ssettandi, ssettir, Vergleichstifter, Versöhnender — trotz der rigoros ausgebreiteten Sündenfülle u n d gerade ihretwegen (26, 54, 58). I n mehrfacher Hinsicht geht ein geradezu modern zu nennender dialektischer Grundzug durch das W e r k : uggr, Angst, ist das Schlüsselwort. Aber diese Angst ist eine „erlösende Angst" (Paasche S. 111), die aufgehoben wird in der Hoffnung auf die Barmherzigkeit (miskunn) des nahe herbeigekommenen Gottes. Dieser „ n a h e " Gott wird nun aber — dialektisch — wieder in den „ a n d e r e n " Bereich gehoben dadurch, daß ihm vornehmlich doch noch die ü b e r k o m m e n e n Umschreibungen vom Typ fylkir vedrhallar (4) oder söltjalds konungr (10) beigelegt werden. I n einer Mittelzone gleichsam entstehen d a n n K e n n i n g a r wie angrlestandi jgfurr sunnu (65), die beide Aspekte Gottes oder Christi in eins fassen. Kristr, der Menschensohn, wird angeredet, aber gleichzeitig doch wieder feierlich distanziert in der Anrede yär (28 u. ö.) — so auch gegenüber Maria 59 —, die sonst ganz ungewöhnlich ist u n d gerade hier zunächst nicht erwartet werden sollte. Vom dialektischen Grundzug der H a s . her gesehen aber fügt sich diese unscheinbare W e n d u n g genau ins Bild. Auch in dem E x e m p l u m von P e t r u s 50f. ist der schließende Gedanke dialektisch. G o t t ließ den Apostel so tief in Schwachheit fallen (in der Verratsszene), weil gerade P e t r u s als Stellvertreter Gottes später fähig sein sollte zur Nachsicht mit den S ü n d e r n : at bseri mun meiri malmrunnum värkunnir, menn pött misgQrt ynni, margfridr skgrungr siäan. Der Wortschatz u n d die gesamte T h e m a t i k 1 des Gedichts entsprechen dieser Dialektik: dem rückhaltlosen Sündenbekenntnis — und nur diesem — a n t w o r t e t die sich eröffnende Gnade. Erst von hier aus ist die wesentliche Zweiteilung des Wortschatzes in die Bezirke von Sünde und Erlösung in einem tieferen als n u r motivischen Sinne begründet.

4. Leiäarvisan Die Leiäarvisan (A 618—626, B 622—633) ist n u r einmal in AM 757 vollständig u n d gut überliefert. Die durchsichtige und relativ schlichte Sprache m a c h t der D e u t u n g k a u m irgendwo Schwierigkeiten. Das Gedicht ist wenig beachtet worden 2 , verdient aber in mehrfacher Hinsicht eine nähere Betrachtung. 1

Was zu Einzelmotiven an europäischen Parallelen zu finden war, hat die Gelehrsamkeit Paasches a.a.O. S. 112ff. schon beigebracht. Das alles soll hier nicht wiederholt werden. 2 F . Jönsson, LH I I 121 f.; de Vries, LG I I 115; Paasche S. 98ff.; J6nssons Textgestaltung Skj. B 622 ff. ist in einer Reihe von Stellen willkürlich. Aus den zahlreichen Paragraphen Kocks in NN hebe ich als wichtig hervor: 1260, 1261, 1264, 1268, 1270, 2143, 2144. 150

Leidarvisan heißt „WegWeisung". Das Wort, in Str. 44 als Titel genannt, ist n u r hier belegt. Die biblische Herkunft der Bildung wird deutlich durch einen Blick etwa auf 2. Sam. 22, 33 oder Ps. (Vulg.) 2 6 , 1 1 ; 85,11. I n Str. 43 d a n k t der Dichter einem Rünolfr (gQfugr prestr) für R a t und Hilfe beim Werk. E r selber nennt sich nicht. Egilssons K o r r e k t u r brands : Brandr ist längst aufgegeben 1 , und zwar m i t gutem G r u n d : Die Strophe würde d a n n ein Selbstlob enthalten, das zu der 1—4,42—44 ausgesprochenen D e m u t in krassem Widerspruch stände 2 . Versuche, aus der N e n n u n g eines Runolf einen Anhalt zur Datierung zu gewinnen (vgl. J . Sigurdsson im Dipl. Isl. I 193, dazu F . Jonsson, a.a.O. S. 121), führen zu nichts Konkretem. Der N a m e ist nicht eben selten, vgl. Lind, D o p n a m n Sp. 859f. Auch der weitere Versuch, aus hve grundvQÜ settak 43,3 u n d ramligt hüs 43,7 auf einen Kirchbau als Anlaß der Dichtung zu schließen, m u ß t e scheitern, grundvgllr ist auf die christliche Dichtung beschränkt u n d meint hier wohl die Dichtung selbst; ramligt hüs bezeugt nicht einen Kirchbau, sondern ist eine Variation zu grundvgllr3. Ü b e r den Dichter u n d seine Lebenszeit wissen wir also vorerst nichts. Strophe 5 gibt das T h e m a : vilk . . . frd dddmgttugs dröttins / degi nQkkur rgk segja. Str. 45 wiederholt es ähnlich. T a t e n Gottes u n d Christi werden behandelt, und zwar unter der Fiktion, sie seien jeweils a n einem Sonntag geschehen. Um die Sonntagsheiligung geht es in d e m Gedicht. Die Einleitung erzählt Str. 6—11 in sehr verkürzter F o r m die (spätestens seit dem 8. J a h r h u n d e r t sich rasch über E u r o p a ausbreitende) Geschichte vom Himmelsbrief 4 . Das älteste Zeugnis s t a m m t aus d e m Spanien des ausgehenden 6. J a h r h u n d e r t s ; den vollständigen T e x t eines gegen das Falsum gerichteten bischöflichen Briefes bietet Priebsch, L e t t e r S. lf., d a z u S. 19, 29, 33. Christus ließ einen Brief auf die E r d e gelangen, in dem er streng und mit Strafandrohung die Sonntagsruhe forderte. „Als literarisches D o k u m e n t 1 Soweit ich sehe, hat nur A. Closs jüngst die Legende vom Dichter Brandr wieder geglaubt, vgl. Festschr. f. W. Stammler, Berlin-Bielefeld 1953, S. 28, wobei er Priebsch, Letter (s. Anm. 4) folgte. 2 Die Feinheit liegt gerade darin, daß der Dichter zwar des Gehilfen gedenkt, sich aber nicht nennt, oder, um mit Maeterlinck, Leben der Bienen, Ausg. 1953, S. 83 zu sprechen: „ . . . daß jedes Werk gemeinsam und namenlos sein muß, um desto brüderlicher zu sein." Hilfe beim Abfassen geistlicher Dichtung durch Einführung in den Stoff ist auch aus Deutschland — zur gleichen Zeit — wohlbezeugt; vgl. Wernhers 'Maria' (ed. Wesle 1927), V. 5817ff., aber auch schon früher im 'Leben Jesu' der Frau Ava, gest. 1127. 3 Solche Wendungen bleiben ganz im skaldisch Üblichen, man vgl. Egils Snt. 5. 4 Die Geschichte dieses Themas kann hier nicht im einzelnen geschildert werden. Vgl. W. Koehler in R G G H 1901 f. mit Lit.; Stube, HDA IV 21 ff., V I I I 101 ff.; ferner Priebsch, Diu vröne botschaft, Grazer Studien z. dt. Philol., 1895;M. Förster, Anglia N F 30, 192ff., 42, 145ff.; J. Jordan, A R W I I I , 334ff.; A.Dietrich, Bl. f. hess. Vkd. I I I , 1901, 9ff.; Verf., Verfasser-Lex., Nachtrag, Sp. 104ff. Zuletzt zum Thema R. Priebsch, Letter from Heaven on the Observance of the Lord's Day, hg. v. W. E. Collinson u. A. Closs, Oxford 1936; dieses im wesentlichen referierend Closs, a.a.O. S. 25ff.

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gehört der Himmelsbrief zu den christlichen Pseudepigraphen. Seine Grundlage aber ist die Idee einer unmittelbar von der Gottheit ausgehenden schriftlichen Offenbarung, die in der Briefgestalt ihren eigentümlichen literarischen Ausdruck fand" (Stube, HDA IV, Sp. 22) l . Im Mittelalter ist Frankreich das „Gebiet der stärksten Verbreitung des Sonntagsbriefes" (Stube, HDA VIII, Sp. 101). Von hier gelangt er nach England; der irische Bußprediger Nial (um 850) kennt ihn schon, vgl. RGG II 1902. In teilweise recht freien homiletischen Übersetzungen ist der Himmelsbrief in der ags. Kirche benutzt worden, vgl. Priebsch, Vrone botschaft, S. 39. Ob die Anregung zu Leid, direkt von England nach Island (oder Norwegen) kam (Priebsch, Letter, S. 17, 34), muß fraglich bleiben bis zu der von Closs a.a.O. S. 25 angekündigten Veröffentlichung bestimmter englischer Versionen, denen Leid, sehr nahe stehen soll. Wahrscheinlich ist dieser Weg durchaus, wenngleich auch in Deutschland gerade um 1200 im bayerischen Kloster Weihenstephan Diu vrone botschaft gedichtet wird, der Stoff also auch dort nicht unbekannt ist. Dieses sehr mäßige Dichtwerk geht, wie Priebsch überzeugend gezeigt hat, auf eine lateinische Fassung des 10. Jahrhunderts zurück. Stube, HDA VIII 102, unterschied drei Redaktionen in der Geschichte der Himmelsbriefe. Die zuletzt genannten Zeugnisse gehören alle in eine Gruppe, deren Charakteristikum es ist, „daß die Erscheinung des Briefes ins Wunderbare gesteigert wird, daß mit dem Sonntagsgebot allgemeine moralische Mahnungen verbunden werden". Ein Engel verliest den Brief, eine himmlische Stimme kommentiert ihn. Kaum etwas von der Legende in dieser üppigen Form hat der isländische Dichter übriggelassen: Brief 6—7, Strafandrohung 8—10, Lohn für Folgsamkeit 11. Im ganzen Hauptteil seiner Dichtung sowie im Schluß ist die Legende anscheinend vergessen. Mit den Mitteln, die die skaldische Dichtung bereit hatte, werden statt dessen in einer überaus kunstvollen Komposition die biblischen „Sonntagstaten" (auch dieses Thema nicht ohne europäische Vorbilder, vgl. Priebsch, Letter S. 17, 25) berichtet und gefeiert. Leidarvisan und Vröne botschaft liegen weit auseinander nach Herkunft, Inhalt und poetischer Qualität. (Der Isländer dürfte übrigens alle europäischen Kollegen, die sich um dieses Thema bemühten, übertroffen haben!) Gleichwohl zeigen sich Entsprechungen im einzelnen, die natürlich keine Abhängigkeit, sondern lediglich die allgemeine, nun auch in Island verpflichtende Tradition bezeugen; so z. B. die mit der Sonntagsmahnung verknüpfte Forderung nach Entrichtung des Zehnten: Leid. 10,7—8 eda eigi gjalda . . . tiund retta und vr. botsch. V. 669 des ger ich niwan daz zehente teil nebst der lateinischen Quelle ad ecclesiam decimam non datis. Oder vr. botsch. V. 20f. wan unser Salden daz beste teil ist uns des suntages bechomen, zu vergleichen mit Leid. 14, 15 u. ö. 1

Der Typus „Sonntagsbrief" steht nicht allein, sondern ist nur eine besondere Spielform des Motivs „briefliche Offenbarung vom Himmel", vorgebildet schon 2. Mos. 24, 12, Hesekiel 2, 9ff., Offb. 10, 8f. 152

Aber es gibt auch lehrreiche Unterschiede: wer den Brief abschreibt, dem werden die Sünden vergeben, vr. botsch. V. 645ff.; anders der Norden: verdr sds vensk d dyrdir / vitr (7). Europäisch-christliche Thematik — aber das Land der frödir menn legt sich die Dinge doch nach eigenem Maßstab aus! Wie in Plac. wird also hier ein europäisches Thema aufgegriffen und, wie es scheint, selbständiger noch als dort, abgehandelt. Man wird dieser christlichen Dichtung nicht gerecht, wenn man sie nur — wie es oft geschieht — am Maßstab der klassischen Skaldik mißt. Diese Kunst will anderes, daher sind auch ihre Mittel wenigstens zum Teil andere. Das soll an der schon erwähnten kunstvollen Komposition des Hauptteils gezeigt werden. Die grobe Gliederung entspricht in ihrer Symmetrie dem, was für Plac. erschlossen wurde; sie sieht so aus: 12 // 21 // 12. Der Mittelteil verdient eine genaue Aufgliederung. Die althergebrachte Form der Drapa-Gliederung in upphaf — stefjubglkr — slcemr zeigt jetzt die in ihr ruhenden Möglichkeiten. Früher, im Fürstenpreis, war sie formaler, äußerer Schmuck ohne eigentlich gliedernde Funktion, kaum vom Inhalt her gefordert. Jetzt kann die bereitliegende Form, indem sie einen nicht leicht übersichtlichen, zudem neuen, fast unbekannten Stoff kunstvoll gliedert, eine unentbehrliche, dienende Funktion antreten (vgl. schon zu Plac). Der Mittelteil von Leid, ist ein Musterbeispiel dafür, ein hohes Formspiel, welches zeigt, daß nicht alles beim alten geblieben ist, daß vielmehr das Aufgeben alter Formkunst wettgemacht wird durch neuartige Mittel. Der erste Teil (13—24) berichtet die Sonntagstaten Gottes, neun an der Zahl; diese werden in 3 mal 3 gegliedert durch die Stef-Halbstrophen. Diese formale Gliederung entspricht aber deutlich einer inhaltlichen Gruppierung: 1—3 aus der Urgeschichte der Menschheit, 4—6 aus der Geschichte des jüdischen Volkes, 7—9 aus der Übergangszeit zum neuen Bunde. Der zweite Teil (25—33) berichtet die Sonntagstaten Christi, sechs an der Zahl, in 2 mal 3 gegliedert: 1) Wunder (dabei, der Disposition zuliebe, die Speisung der 5000 zweimal), 2) die letzten Taten Christi (unter charakteristischer Fortlassung der Passion!). Diese sichtlich vom Inhalt geforderte (anderseits von der Disposition her die Auswahl der Exempla bestimmende) Gliederung in neun und sechs Taten wird nun noch durch ein raffiniert zu nennendes Verhältnis überschnitten : denn die ersten sechs Taten stammen aus dem Alten Testament, die folgenden neun Taten aus dem Neuen Testament. Das Zahlenverhältnis der äußeren Gliederung wird also durch das genau umgekehrte (durch die beiden Quellen gegebene) durchkreuzt. Der Übergang zum neuen Bunde steht damit in doppelter Weise im Zentrum der Dichtung. Daß auch in den Zahlenverhältnissen der Gesamtgliederung architektonische Absicht — und wohl auch das Spiel mit geheiligten Zahlen — vorliegt, dürfte sicher sein: 12 : 21 : 12. Die heilige Drei erscheint nicht nur in der Gliederung der göttlichen Taten (3 mal 3, 2 mal 3), sondern auch im Mittelteil mit 7 mal 3 Strophen. Anfang und Schluß sind je 4 mal 3, mithin das ganze Gedicht gleich 15 mal 3. Die heilige Drei, als Symbol der Trinität, ist die Grundzahl des Ganzen. 153

Ein Schema des Hauptteils kann das Gesagte noch anschaulicher machen. Hauptteil, 13—33: I./13 Stef, vgl. 17,21. 14—16 Schaffung der Engel Friedensstiftung zwischen Himmel und Erde Noahs Landung 17 Lob Gottes 18—20 Zug durchs Rote Meer Gottes zehn Gebote Rettung des Volkes durch Manna 21 Mahnung zum Glauben 22—24 Verheißung an Maria Christi Geburt Johannes am Jordan 11./ 25 Stef, vgl. 29,33. 26—28 Verwandlung von Wasser zu Wein Speisung der Fünftausend nochmals: Speisung 29 Gottes Stärke und Macht 30—32 Einzug in Jerusalem Auferstehung Ausgießung des Heiligen Geistes 33 Anrufung der Güte Gottes.

3 Taten Gottes

3 Taten Gottes

3 Taten Gottes

3 Taten Christi

3 Taten Christi

Eine auch nur annähernd genaue Datierung des Gedichts scheint nicht möglich zu sein. Die Nennung Runolfs und die versuchsweise Anknüpfung an einen Kirchenbau schien einigen Forschern auf eine Abfassung um 1154 zu deuten (Jönsson, LH II 121, Anm. 5). Doch das bleibt mehr als unsicher. Ebensowenig berechtigt natürlich die Zehnt-Forderung in Str. 10 zu einem Datierungsversuch. Der Zehnte wurde schon um 1100 gesetzlich festgelegt (Maurer, Bekehrung II, 462—464). Die schon S. 87 behandelte offensichtliche Berührung zwischen Leid. 24,5—8 und der Halbstrophe des Skäld-t>6rir (B 567) ergibt nichts, da nicht auszumachen ist, wer von wem abschrieb (vgl. jedoch S. 88). Daß aus gewissen Wortentsprechungen zwischen den vier großen Dichtungen nicht viel zu gewinnen ist, wurde schon S. 98f. gezeigt. Um die ziemlich einhellige Datierung in die 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts (Jönsson II 122, 124; Mogk S. 712; Paasche S. 106; de Vries I I 115) wenigstens einigermaßen zu sichern, bleibt nur die Beobachtung des Wortschatzes und stilistischer Eigenheiten. Der Wortschatz des Dichters zeigt bedeutend weniger hapax legomena oder nur in der Dichtung belegte Wörter als etwa Plac. Das Gleiche gilt auch für die seltenen Wörter. Das kann daran liegen, daß der Poet noch jung und wenig tüchtig war — Jönsson dachte LH I I 122 wegen gewisser Nachlässigkeiten an eine Jugendarbeit; es kann aber auch bedeuten, daß das Gedicht wesentlich jünger ist als die anderen großen Gedichte und daß es 154

daher mit einer schon viel mehr zubereiteten Sprache arbeiten darf. Die Neubildungen sind meist schablonenmäßig, so etwa die zahlreichen K o m posita mitdäd-, in die der Verfasser, damit unauffällig sein Thema,.Sonntagst a t e n der Gottheit" unterstreichend, verhebt ist; doch soll nicht übersehen werden, daß sich darin auch eine bestimmte Auffassung vom Wesen Gottes ausspricht. Folgende Wörter sind in der Dichtung nur hier belegt und können, soweit sie in Prosa begegnen, wohl z. T. von Leid, ausgegangen sein: 2 aflamikill kräftig, hier im superl., von Gott; zweimal in Prosa, Fritzner I 14. 2 mälgpgn Sprechwerkzeuge, prosaisch Bp. I 372. 3 öpeegiligr unannehmbar (für Gott), psegr zuerst bei Thorarin. 4 hreinlyndr rein in Gesinnung (von Gott), nur noch in christlicher Prosa. 5 dädmpttugr kraftvoll in guten Taten (von Gott); dazu die übrigen Komposita dddskreyttr 15 geschmückt mit herrlichen Taten (vom Frieden Gottes), dddsterkr 20 tatkräftig, dddsnjallr 23 tatklug (vgl. Ge. 56), dädstitt 24 tatenreiche Schar (der Engel), dddfimr 26 tatenfroh, dddgladdr 28 durch Taten erfreut, dddstyrkr 36 kräftig in Taten, (vgl. Rst. 29), dddhress 45 durch Taten Gottes erfreut. 6 aljreginn überall gehört, erfahren (von Wundem). 6, 7 gollstafr goldener Buchstabe. 8 ve-gjrödr ruhmkundig (von Gott). 10 drjüghvast sehr hart (von göttlichen Strafen). 10 allp&t heftig (von der Arbeit). 10 tiund der Zehnte, als Abgabe, Prosa Fritzner I I I 705f. 11 meinhrjödandi Sündenausreißer (Krist). 14 yfirpengill Oberkönig = Gott, vgl. yfirstillir 42 dass. 16 fjplkcenn sehr kundig, von Noah. 16 prk Arche Noahs, lat. arca, in Prosa nicht selten, Fritzner I I I 1091. 19 fjplviss (Besserung!) überaus weise, He. fjplhress. 20 framaverk berühmte Tat, in LP 148 fälschlich Likn. zugewiesen; einige Prosabelege Fritzner I 476. 20 rädmeginn ratmächtig, von Gott. 20 manna das göttliche Brot in der Wüste. 22 allhepinn sehr heilig, vom Engel der Verkündigung. 28 vandlaupr Korb, auch in Prosa jung und selten, Fritzner I I I 853. 29 ötraulla [-dl-) unablässig. 29 aptra hemmen, Prosa mehrfach, Fritzner I 64. 30 litklsedi farbige Kleider, in Prosa mehrfach, Fritzner I I 541; vgl. V. Gudmundsson, Arkiv 9, 1893, 171 ff. 30, 45 lopthjalm Lufthelm = Himmel, in einer Kenning für Gott oder Christus. 34 mälfinni Beredsamkeit ( < fimni), prosaisch mälfimi einmal. 36 eljunkudr kraftberühmt, von Gott. 36 drjügmargr überaus zahlreich. 36 hpfudmerki Hauptzeichen, prosaisch sehr selten, Fritzner I I 171. 37 sidminnigr um den Glauben bemüht. 40 munligr erfreulich (vom Aufenthalt bei Gott), in Prosa mehrfach, Fritzner I I 750. 42 harmsfullr sorgenvoll, einige Prosabelege Fritzner I 738. 44 ordvdpn Wort-Waffe = Zunge. 44 (ü(l)-lj6ss sehr klar, verständlich (vom Gedicht). 155

Die seltenen Wörter, besonders die hier zuerst bezeugten, sind folgende: 4 ordspeki Wortklugheit, noch in Vafbr. 5,55. 6, 7, 8 brif (Himmels-)Brief, hier zuerst in der Dichtung. 7 gedsnjallr mutig (von Gott), nur noch ESk 12,2. 9, 25 alfridr herrlich (von Krist), 36 von einem Fest; sonst nur noch Öl. dr. Tryggv. 16 clestr unbeschädigt (von der Arche Noahs), hier zuerst. 17 goeskufimr rasch in der Güte (von Gott), nur noch Mgr. 45. 18 liftjön Verlust des Lebens, nur noch Rv. kali 25; vgl. jedoch Fritzner I I 514f. 19 tiu laga ord, die zehn Gebote werden in der Dichtung nur hier genannt. 24 Jcrisma, Salböl, vgl. oben S. 87 f. zur Halbstrophe des Skald-I?6rir; das Wort kommt in der Dichtung nur an diesen zwei Stellen vor. Prosa Fritzner I I 345. 24 lesni Haupt, nur noch einmal B 104 bei Hallbjorn Oddsson. 25 hjalpari Helfer, Erlöser; noch einmal Mey. 13, oft dagegen in theologischer Prosa, Fritzner I 828. 30 palmr Palme, Ekül. 1,5, Rv. 29; prosaisch Fritzner I I 927. 37 fasti Stärke, die Gott gibt (in dieser Bedeutung hier zuerst), vgl. LP 122f.; Fritzner gibt nur eine juristische Bedeutung des Wortes, I 393. 38, 39, 45 dömr bedeutet jetzt ohne weiteren Zusatz „Jüngstes Gericht", vgl. schon Has. 6 u. ö. 43 grundvpllr Grundlage (der Dichtung), hier wohl zuerst, vgl. LP 205; prosaisch nicht selten, Fritzner I 651. 43 avdsmr leicht zu sehen, einleuchtend; nur noch bei Sigvat 2,8 in der Dichtung; Prosa Fritzner I 95. 44 pekd Vergnügen. Soviel zum Wortschatz. Die Kenningar sind schlichter als etwa in Plac. Was der Dichter a n P r u n k allenfalls geben kann, k o m m t dem Namen Gottes zugute; doch treten an die Stelle der Kenningar auch schlicht fadir 3, 29 u. ö. (bemerkenswert fadir allra für Christus 3 1 ; fadir fyrda in 38 meint ebenfalls Christus, und zwar in seiner Richterrolle beim Jüngsten Gericht), god 13, 17, 32 u. ö., Kristr 15, 28, 40, 41 1 . N u r zwei Kenningar mit heidnischer Erinnerung unterlaufen noch: Ullr elfar elda 28 für den Dichter, seima Pröttr 37 für „Mann". Der Strophenbau ist einfacher als üblich. Die schon bei Plac. beobachtete oratio recta begegnet hier für Zitierung von Herrenworten in Str. 8 und 10, daneben auch or. obl. in 9, 11. Auf das „wörtliche Z i t a t " scheint der Dichter anspielen zu wollen, wenn er — wohl in Anlehnung an Matth. 24, 35 — in Strophe 12 sagt: ord munu eigi verda 6r brend, paus god kendi. Anknüpfung einer Strophe mit ok und Ähnliches sowie das syntaktische Überspielen der Strophengrenze (wie in Plac.) gibt es hier nicht. Die Ge1

Im Rahmen der breit ausgeführten, einleitenden Demutsformel wird die Dreieinigkeit angerufen, ein Novum, wenn man von prenning Ge. 1 absieht; wichtig ist in diesem Zusammenhang auch Str. 31, wo statt sjöli solar haudrs mit der Hs. sonr s. h. zu lesen ist, eine Umschreibung für Christus, vgl. Kock NN 1268, 2143. 156

schlossenheit der Strophe ist streng gewahrt. Der aus Einzelbildern bestehende Stoff begünstigte das. Im ganzen: ein schlichter Künstler, der predigt. Wortschatz und Wortstellung müssen leicht verständlich sein. Was der Mann an Kunst besitzt, legt er in die Komposition. Diese wird kaum ohne fremdes Vorbild sein; ein fortgeschrittener europäischer Einfluß darf vielmehr vorausgesetzt werden. Der Wortschatz bezeugt einen bescheidenen Dichter; was dieser zur Mehrung der Sprache beiträgt, bleibt gleichwohl achtunggebietend. Keine der beigebrachten Einzelheiten ist beweisend, aber alle, zusammengenommen, dürften die Datierung auf das Ende des 12. Jahrhunderts befestigen.

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Zweiter Teil

DARSTELLUNG Einleitung Die Darstellung soll in ständiger Rücksicht auf die Interpretationen des ersten Teiles vorschreiten. Allein, die kargen Reste skaldischer Dichtung genügen nicht zur Zeichnung eines vollen Bildes. Neue Quellen müssen jetzt hinzugezogen werden. Diese geben den Hintergrund, auf dem die analysierte Dichtung gesehen werden will. Die Zeugnisse zur Bekehrungsgeschichte sind im Norden reicher u n d glaubwürdiger als bei irgendeinem andern germanischen S t a m m . Die Bekehrten und sogar erst halb Bekehrte selbst stellen nicht n u r in ihrer Dichtung den neuen Glauben, sondern später in ihrer Geschichtsschreibung, zu der in dieser Hinsicht auch die Saga gehört, die Annahme des Glaubens dar. E s ist nicht meine Absicht, etwa einleitend in den darstellenden Teil eine Religionsgeschichte des 10. J a h r h u n d e r t s zu geben. Die ist schon des öfteren in größeren Zusammenhängen geschildert worden. Hier ist vielmehr n u r nötig, die Quellen zu bezeichnen und aus ihnen das hervorzuheben, was für das Verständnis der frühen christlichen Dichtung von Belang sein kann. Der Übergang vom Heidentum zum Christentum ist nicht ein Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt (so m a r k a n t das J a h r 1000 auch immer sein mag für Island), sondern ein P r o z e ß über Jahrhunderte, mit vieldeutigen Vor- und Nachspielen. Die Geschichte des Übergangs ist zu gewinnen aus folgenden, noch keineswegs gleichmäßig ausgeschöpften Quellen: 1. Skaldische Dichtung, vornehmlich des 10. und 11. J a h r h u n d e r t s . 2. Orts- und Personennamen, über die wir durch verschiedene Quellen gerade für Island ungewöhnlich gut unterrichtet sind; zu den besonders lehrreichen P N vgl. unten den E x k u r s S. 201 fF. Die Geschichtlichkeit u n d Bedeutung der ON wird mehr und mehr erhärtet durch frühgeschichtliche F u n d e ; zu den hof-QN ist immer noch am vollständigsten Thümmel, P B B 35, 1—123. 3. Wenig ergiebig sind die kirchlichen Quellen des Abendlandes. Der „zuständige" Mann des 11. J a h r h u n d e r t s , Adam von Bremen, weiß herzlich wenig über den zu seiner Diözese gehörenden Sprengel Island. 4. Zahlreiche Prosaschriften Islands aus der Snorri-Zeit, insbesondere die Landnämabök 1 . 1 Die knappe Übersicht soll nicht durch erneute Schilderung des Streits über die Glaubwürdigkeit der Prosaschriften belastet werden; man vgl. dazu die

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Diese letzte Gruppe, zwei- bis dreihundert Jahre nach den Vorgängen niedergeschrieben, ist besonders problematisch in ihrem Zeugniswert. In dem Maße jedoch, wie neuere Forschung selbst Einzelheiten der Sagas durch Funde als historisch richtig erweist (Eldjarn, Gengid a reka, Akureyri 1948), wird man vorsichtig werden gegenüber der Skepsis, die fast alles als Erfindung von Romanschriftstellern des 13. Jahrhunderts erklären möchte. K. Maurer freilich, mit seiner noch immer bewunderungswürdigen Darstellung der Bekehrungsgeschichte, wird zu Recht kritisiert in seiner allzu gläubigen Hinnahme der Prosaberichte. Aber eine Kritik an dem großen Gelehrten, wenn sie denn gewagt werden soll, hat an anderen Punkten einzusetzen. Zum ersten: Maurer vermischte bei der Zeichnung der heidnischen Religion Quellen und Zeiten und kam so zu einer Vorstellung von der „Gleichartigkeit der religiösen Überzeugungen, der Sitte und der Verfassung im ganzen Norden" in heidnischer Zeit (II 3, vgl. auch S. 238). Heuslers an anderem Gegenstand gewonnene Warnung vor einer Vereinfachung des Bildes (Altgerm. Dichtung2, S. 239f.) ist inzwischen längst befolgt worden. Aber für Maurer ergab sich, aus der ersten These, zum zweiten: eine starre BegrifFlichkeit, dem großen Juristen angemessen, nicht aber seinem religionsgeschichtlichen Gegenstand. Die Vereinfachung führte, logischerweise, zu gefährlichen und lange wirksamen Begriffen wie dem „Zusammenstoß der beiden Glaubenssysteme" (II, Einl. S. III, vgl. auch II 5). Das Heidentum wurde für Maurer ein geordnetes religiöses „System"; er sprach von „Götter- und Dämonenlehre" (II, S. VII), gar von „altheidnischer Orthodoxie" (114), von „Glaubenslehre" (II 17) und „Asalehre" (II 5, 42) usw. Folgerichtig sind ihm die wichtigsten Quellen zur Zeichnung dieses Systems Grimnismäl, Vafprüdnismäl, Snorris Gylfaginning, obgleich auch bei diesen Denkmälern von einem System im strengen Sinne kaum die Rede sein kann. Zum dritten: die nicht scharf genug ins Auge gefaßte historische Perspektive führt zu einer nicht seltenen (neuerdings mehrfach kritisierten, aber in ihrer logischen Bedingtheit nicht genügend gewürdigten) Verkennung des Quellenwertes der Zeugnisse. Dazu kommt, daß zur Zeit Maurers viele wichtige Quellen noch nicht vorlagen. Die genannten Quellen sollen, wie gesagt, hier nicht erneut kritisch gemustert und ausschöpfend behandelt werden. Die Absicht ist vielmehr, das hervorzuheben, was dem Verständnis und der Einordnung der christlichen Dichtung förderlich sein kann. wohl zu skeptische Musterung bei Baetke, Lehngut; dazu H. Kuhn, DLZ 1953, Sp. 151ff., ferner dens., ZfdA 79, 1942, 133ff.; Verf., ZfdPhil. 73, 1954, 116ff. [Nachtrag: W. Baetkes wichtige Abhandlung 'Über die Entstehung der Isländersagas', Sachs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Phil.-hist. Klasse, Band 102, Heft 5, Berlin 1956, kam mir leider zu spät zur Kenntnis.]

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Die g e s c h i c h t l i c h e n V o r a u s s e t z u n g e n des i s l ä n d i s c h e n C h r i s t e n t u m s 1. Religion auf Island bis zum Jahre 1000 a) Die Religion der Landnehmer; Landnahmebräuche Island wurde in den Jahrzehnten um 900 besiedelt. Die führenden Landnehmer waren norwegische Großbauern, die sich der Reichsgründung Haralds widersetzten. Die Vorgeschichte in der Egilssaga gibt eine anschauliche Schilderung dieser Vorgänge, wie es denn überhaupt zum Eingang vieler Sagas gehört, des Landnehmer-Ahnen und seiner Feindschaft mit Harald zu gedenken. Nicht also ein ver sacrum (vgl. zu diesem Begriff, soweit er für die Germanen anwendbar ist, K. Helm, PBB 69, 1947, 285ff.) findet statt, sondern ein unorganisierter Auszug edler Familien, vermehrt durch Hintersassen und Knechte. Man fährt in leeres, eben erst entdecktes Land. Die Landnahme bedarf keines Schwertstreichs. Man kommt aus einem relativ staatlosen Zustand und erhält diesen. Island hat bis 930 den Charakter eines Sippenkonglomerats, dessen Zusammenhang, wenn von einem solchen überhaupt die Rede sein darf, nicht locker genug vorgestellt werden kann. Recht spricht der Einzelne, und zwar mit der Axt. Es gibt keinen Staatskult, keine Volksreligion, keine Bundesmysterien. Der Einzelne, oder vielmehr der Einzelne in seiner Sippe und ihrer Tradition, lebt auch religiös für sich. Damit stellt sich die Frage, die für unsern Gegenstand von Gewicht ist: wie sah die Religion der Landnehmer aus? Man darf annehmen, daß sie aus Norwegen unverändert mitgebracht wurde (abgesehen zunächst von Einflüssen der britischen Inseln, über die noch zu berichten sein wird). Über die Verhältnisse in Norwegen sind wir nur dürftig unterrichtet. K.Maurer, Island S. 20 ff. (auch Bekehrung II 238 ff.) hat die Ansicht vertreten, daß sich seit dem Übergang vom 8. zum 9. Jahrhundert „eine durchgreifende Veränderung jener schlichten Zustände der ältesten Zeit angebahnt" habe (Island, S. 21), und zwar durch die Unternehmungen der Wikinger1. Ein solcher Vorgang ist im einzelnen kaum nachprüfbar; aber selbstverständlich hat die Berührung mit Deutschland und vor allem mit der westlichen Welt — und sei es auch nur als verworrene Kunde von dem dort verehrten Gott — ihre Wirkung getan (vgl. H. Lie, MoM 1952, S. 26f.). Intensiver — und noch nicht untersucht — dürfte die Wirkung dieser 1 Auf O. Scheels häufig fehlinterpretierende, den Wikingerzügen fast grundsätzlich großpolitische, ja sogar religiöse Gesichtspunkte unterstellende Arbeit 'Aufbruch des Nordens', Stuttgart 1938, brauche ich hier nicht einzugehen. Das hat H. Kuhn AfdA 59, 1940, 53ff. bereits getan.

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Begegnung aber auf anderem Gebiet gewesen sein, nämlich soziologisch, insofern durch die Wikinger unerarbeiteter, vielmehr geraubter Reichtum ins L a n d kam. Allein, dieses wichtige Problem soll hier nicht angepackt werden. Die Landnehmer, von denen mancher in seiner Jugend an kühnen F a h r t e n über See teilgenommen hatte, wußten von einer Religion, die so ganz a n d e r s war als die heimische. F ü r die fehlenden Quellen über die norwegische Religion der Zeit Haralds treten (freilich spätere) isländische Werke ein, vornehmlich die Landnamabök (zitiert nach der Ausgabe von F . Jönsson, 1925). Tausende verließen die angestammte, von den Vätern bestellte Erde. D a s war nicht leicht, zumal die Reise, an sich schon gefahrvoll genug, völlig ins Ungewisse ging. Daß m a n sich daher bei der Suche nach dem neuen Wohnsitz überirdischen R a t e s versicherte, ist nicht verwunderlich. Zahlreiche Nachrichten sprechen von recht unterschiedlichen Maßnahmen, die m a n traf. Die Hoffnung, gerade aus Zeugnissen von schicksalsschweren Entscheidungen etwas über die Religion der Landnehmer zu erfahren, wird von der Ldn. erfüllt 1 . Etliche Landnehmer, unter ihnen einige der bedeutendsten, werfen, sobald Land in Sicht ist, ihre Hochsitzpfosten (gndvegissülur, setstokkar) über Bord und sprechen dabei {mxla fyrir) den Wunsch aus, diese Heiligt ü m e r möchten die Suchenden zur neuen W o h n s t a t t und zum Glück, til heilla führen. Ein Beispiel für viele: pd er Ingölfr sä Island, skaut hann fyrir bord Qndvegissülum sinum til heilla; hann mmlti svd fyrir, at hann skyldi par byggja, er sülurnar koemi d land (c. 8, S. 5). Die übrigen Berichte klingen meist ganz ähnlich. Einmal erfahren wir — nicht zufällig bei dem großen Thor-Verehrer t>örölfr Mostrarskegg —, daß in seine Pfosten der Gott eingeschnitzt war: par var skorinn d Pörr (c. 135, S. 58), und dann weiter: hann maelti svd fyrir, at Pörr skyldi par d land koma sem hann vildi at Pörölfr byggdi. Also Thor, nicht totes Holz, weist den neuen Sitz a n 2 . Wie ernst diese Pfeiler-Orakel genommen wurden, zeigen die Erzählungen von Männern, die sich ansiedelten, aber — gelegentlich viele J a h r e später — umzogen, weil sich ihre Hochsitzpfähle endlich gefunden hatten (z. B. c. 62, S. 30 N o t e ; c. 335, S. 136; c. 356, S. 141) oder wohnen blieben am angewiesenen Ort, obgleich dieser ungünstig war (c. 9, S. 7). Die Siedler kamen als Bauern, und doch siegte die fromm hingenommene Schicksalsentscheidung über ökonomische Erwägungen! Wie sehr das Pfosten-Orakel für manchen ein bindender Brauch gewesen sein muß, zeigt die Geschichte 1

Einige Beispiele dürften im folgenden genügen, da die Quellen mehrfach gründlich gemustert worden sind; besonders reichhaltig ist der Aufsatz von Dag Strömbäck, Att helga landet; vgl. ferner Ursula Buettner, Land und Erde im Rechtsbrauch, Diss. (masch.) München 1947, die freilich, zumeist auf Grönbech gestützt, manches überinterpretiert; endlich W. Baetke, Slg. Thule X X I I I , Einleitung S. 8ff. 2 Kveldulf sollte das Land seiner Hoffnung nicht mehr sehen, er starb auf See. Nach seinem Wunsch wurde sein Leichnam eingesargt über Bord geworfen. Der tote Kveldulf zeigte den Sippengenossen den neuen Wohnsitz (Ldn. c. 79, S. 38f.; Egilssaga c. 27). — Andere versuchten es mit der Divinationsgabe der Tiere. Die Fülle der magischen Maßnahmen kann ich hier nicht schildern und verweise s t a t t dessen auf die genannten Arbeiten. 11 7362 Lange, Studien (Palaeatra 222)

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von Illugi Halldörsson (c. 74, S. 36 Note), der ihn ins Christliche wendet u n d ihn mit Balken vollzieht, die zum Kirchbau bestimmt sind (vgl. Ström bäck, a.a.O. S. 200f.). Ohne die zahlreichen Nachrichten einzeln erörtert zu haben, darf man sagen: der merkwürdige Brauch wird nicht ohne Vorbild aus der Heimat sein; Norwegen bietet indessen kein Beispiel, wohl aber Schweden im 12. J a h r h u n d e r t (vgl. Strömbäck, a.a.O. S. 201, Anm. 4). Der Glaube an eine göttliche Weisung wird n u r selten ausgesprochen (s. o. Ipörölfr, auch Helgi magri). Die Entscheidung wird unbedingt befolgt. Individuelle Unterschiede und Weiterbildungen des Brauches scheinen möglich gewesen zu sein (Kveldulfs Sarg, Illugi). I n jedem Fall ging es, wie oft deutlich gesagt wird, um das Heil. Dabei spielte das in den heimatlichen Pfählen verkörperte Heil gewiß eine bedeutende Rolle. Ein Mann namens E>örhaddr konnte seinem neuen L a n d die Heiligkeit der alten Heimat „beilegen": lagdi Mserina-helgi ä allan fjgrdinn . . . Ldn. c. 343, S. 138. Dieses Heil m u ß t e gesichert werden. Das t a t man charakteristischerweise nicht dadurch, daß m a n es unter den Schutz eines Gottes stellte — Flurnamen, mit dem N a m e n Thors zusammengesetzt, gibt es nur drei: Pörsä, Pörsmörk, Pörsnes1 —, sondern wiederum durch magisch-religiöse Maßnahmen, die, im einzelnen recht unterschiedlich, zusammengefaßt werden mit dem Ausdruck helya ser landit, „sich das Land zuheiligen". Das Land wurde entweder mit Feuer umschritten, at fara eldi um landndm sitt, oder durch Errichtung bestimmter Zeichen geweiht, vgl. Ldn. c. 231, S. 101 f. . . . setti hann par nidr stQng häva . . ., oder Ldn. c. 304, S. 128 peir settu oxi . . . orn . . . kross . . . Beide Arten nebst ihren Spielformen h a t wiederum Strömbäck a.a.O. S. 203ff. (vgl. auch dens., Arkiv 42, 1926, 320—322) erschöpfend behandelt und durch zahlreiche Parallelen gedeutet als Beschwichtigung der Landgeister. Unbewohntes Land galt als verzaubert, als in der Macht der Unterirdischen befindlich 2 . Diese Geister m u ß t e man zwingen oder sich — im glücklichen Falle — gar dienstbar machen. Vielleicht war es solch ein Landgeist, dem Kodran sich verpflichtet wußte: at Giljä stöd steinn sä, er peir frsendr hQfdu biotat, ok kolludu par büa drmann sinn3. Davon, daß dieser drmaar ursprünglich der Ahnherr der Familie gewesen sei, wie Kahle z. St. (a.a.O. S. 6f.) vermutete, ist nicht die Rede. Auch im unbewohnten Land hausen landvsettir (vgl. Strömbäck, a.a.O. S. 202, Anm. 1). Die Verehrung eines Haines, einer Felsklippe oder eines Wasserfalls wird mit solchen Vorstellungen zusammenhängen (vgl. die Zeugnisse bei Maurer, Island, S. 29.) Die Nachrichten machen deutlich, daß bei dem Gang ins Ungewisse des neuen Landes andere Kräfte und Mächte beschworen werden als die 1 Mit Freyr oder Odin ist kein ON gebildet worden auf Island. Vitazgjafi, von A. Holtsmark MoM 1933, S. lllff. als Freysacker gedeutet, bleibt isoliert. 2 Zu den Nachrichten über die landvasttir ausführlich U. Buettner, a.a.O. S. 29—35, mit reichem volkskundlichen Material. 3 Kristni saga, c. 2; vgl. auch Torvalds pättr c. 2,4ff. (AnSB) 11, S. 65ff.), wo der Geist als spämadr und gud bezeiclinet wird. Er mußte von Bischof Friedrich erst drastisch besiegt werden, ehe Kodran sich taufen ließ. Der geborstene Stein, in dem der Wicht wohnte, wird noch heute gezeigt.

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großen Götter. Mythologie und gelebte Religion sind zweierlei. Was Snorri berichtet und was die eddischen Götterlieder bieten, ist nicht gleichzusetzen mit der Religion der norwegischen Auswanderer. Viele von ihnen bauen freilich Tempel, Anlagen von stattlichen Ausmaßen. (Thümmel hat seiner Abhandlung PBB 35,1 ff. eine anschauliche Karte und vier Grundrisse beigegeben.) Die heiligsten Stücke zum Bau haben sie aus der Heimat mitgebracht. Thorolfs Thor-Säulen finden ihren Platz im Tempel; auch das Bauholz stammt aus Norwegen, selbst heilige Erde wird mitgeführt: . . . ok hafdi (Pörölfr) med ser flesta vidu, pd er par hofdu i verit, ok svd moldina undan stallanum, par erPörr hafdi d setit (Eyrb. s. c. 4,2). Und wie das Pfeiler-Orakel seine christliche Abwandlung erfuhr in der Maßnahme des Illugi, so auch die Mitnahme heiliger Erde durch 0rlygr, unter dessen Mitgift von den Sudreyjar auch mold vigda erwähnt wird (Ldn. c. 66, S. 32). Die Überführung heimischer Heiligtümer scheint nicht selten gewesen zu sein; man vergleiche den Bericht über den schon erwähnten I>örhaddr enn gamli, Ldn. c. 343, S. 138, . . . ok hafdi med ser hofsmoldina ok sülurnar1. Die Tempelbauten knüpfen also an den heimischen Kult an, sie sollen das neue Land zur Heimat machen, eine Kontinuität des Kultes soll gesichert werden. Auch der umgekehrte Weg einer solchen Sicherung wird beschritten: Loptr fährt jedes dritte Jahr in die alte Heimat, um in einem Heiligtum der Sippe zu opfern (Ldn. c. 30, S. 20). Ob aber diese Tempelbauten religiösem Bedürfnis in erster Linie und nicht vielmehr auch dem Machterweis einzelner Großen dienten, bleibt in den Quellen zumindest undeutlich. Vom Aussehen dieser Heiligtümer hat man eine zureichende Vorstellung gewinnen können, nicht so vom eigentlichen Kult in ihnen. Selbst der ausführliche Bericht der Eyrb. s. c. 4,6—8 versagt da. Vor allem erfahren wir durch keine Quelle von der Rolle der Dichtung im Tempelkult (vgl. de Boor in Germ. Altertumskunde 1938, S. 317f.). Gegeben hat es sie wahrscheinlich; ob aber gewisse Reste skaldischer Thorshymnik hierher gehören, ist nicht zu entscheiden. Welchen Göttern wurde in den Tempeln Islands gehuldigt? Wie sahen diese Feiern aus? Wir wissen es nicht, die Quellen schweigen. Allein die von Thümmel a.a.O. S. 11 ff. zusammengestellten Orts- und Flurnamen —• darunter 53 Komposita mit god(a)- — machen einen Polytheismus wahrscheinlich; dagegen ist es nicht zu übersehen, daß kein Ort oder Tempel dem Namen nach den xsir, hgpt, bond oder einem der Götter geweiht gewesen ist. Auf die Frage nach dem Aussehen der isländischen Religion bleiben gerade diese Namen stumm. b) Polytheismus und Henotheismus. Götterdichtung Eine gewisse Frömmigkeit, die sich in den Landnahme-Nachrichten anzeigt, ohne von den Quellen sonderlich unterstrichen zu werden, ist nicht zu bezweifeln. Deutlich wird da vor allem, daß zwischen der Mythologie, 1 Das Mitführen heimischer Erde durch Auswanderer in neuerer Zeit zeigt, daß es sich hierbei um einen ebenso naheliegenden wie dauerhaften Gedanken handelt; vgl. dazu A. Dieterich, Mutter Erde3, 1925, S. 136; U. Buettner, a.a.O. S. 58, Anm. 185; E. Fehrle, HDA II 907. 11*

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wie sie Edda und Snorri bieten, u n d gelebter Religion ein beträchtlicher Unterschied besteht. Auch die skaldischen Zeugnisse spielen zumeist mehr auf das mythologische Wissen an denn auf echte Religion. E s besteht offenbar eine Differenz zwischen der als tatsächlich berichteten u n d vollzogenen Religion der Landnehmer einerseits und den mythologischen Vorstellungen in den skaldischen Strophen anderseits 1 . N u r in den poetischen Zeugnissen der Landnämabök treten die sesir auf (Ldn. c. 254, S. 108), nur in der Dichtung ist Odin gegenwärtig wie etwa bei Helgi t r a u s t i (A 99, B 94) oder in den Gedichten Egils. Bei dieser schwierigen Lage ist eine begriffliche Erörterung unerläßlich. Unter Polytheismus werden Phänomene begriffen, die zwar ihrer äußeren Erscheinung, nicht aber ihrer E n t s t e h u n g nach gleichartig sind. Zur Existenz und Anerkennung vieler Götter kann es auf verschiedene Weise k o m m e n ; man unterscheidet daher richtig zwischen einem ursprünglichen Polytheismus, der Verehrung vieler Haus-, Natur- und Kraftgötter; ferner einem analytischen Polytheismus, der durch Götterspaltung (oder Verselbständigung von Funktionen zu Sondergöttern) e n t s t e h t ; endlich einem synthetischen Polytheismus, der durch Vereinigung von Göttern bei Völkerverbindungen oder durch Übernahme aus ursprünglicheinanderfremden Religionen entsteht. DieseUnterscheidungen sind nachträgliche, wissenschaftliche, sie treffen nicht das Wesen der wirklichen Polytheismen. I h n e n allen sind, unerachtet ihrer verschiedenen Entstehungsweise, folgende Züge gemeinsam: 1. Die Zahl göttlicher und halbgöttlicher Wesen ist — theoretisch — unbeschränkt. Ein Blick in die Werke Hesiods lehrt, was d e m Polytheismus möglich ist. 2. Bei einer Vielzahl der Götter ist keiner von ihnen absolut mächtig, auch wenn er als Herr und Vater der Himmlischen gilt. 3. Vielmehr ist jeder der Götter für einen (oft in seinem Namen bereits ausgedrückten) Sonderbereich des Daseins zuständig. Hierher gehören auch die aus der Antike bekannten Augenblicksgötter, himmlische Personifikationen der in Sonderfällen erforderlichen Hilfe. Aber a u c h soziologische und viele andere Bedürfnisse schaffen Sondergötter. Der Fehler nachträglicher Systematisierung liegt darin, d a ß alle diese Sonderfiguren als historisch gleichzeitig und nahezu gleichwertig eingeordnet werden. 4. Der intelligiblen Wahrheit vieler Götter steht entgegen die kultische Existenz des im Sonderfall benötigten e i n e n Gottes. Hier liegt der Schlüssel zu einer in der Religionsgeschichte nicht genügend gewürdigten Tatsache. Praktisch führt nämlich jeder Polytheismus zur Anrufung des jeweils „richtigen" Sondergottes, der dann, nach geleisteter Hilfe, zum vornehmlich verehrten Gott werden kann. Der Polytheist steht in jeder Lage vor einer Wahl, die, seinem Lebenszuschnitt entsprechend, einem bestimmten Gott zuneigen m u ß . Die W a h l 2 1 Vgl. zur Mythologie in den skaldischen Dichtungen F . Jönsson, Arkiv 9, 1893, S. lff.; M. Kristensen, APhSc V, 1930/31, S. 67ff. 2 W. Muschg, Tragische Literaturgeschichte, 1948, S. 69, hat diesen Gedanken im Grunde richtig, in der Formulierung überspitzt ausgedrückt: „Auch bei den Griechen war ein Seher nie anders als im Namen seines einen Gottes aufgetreten. Götter gibt es nur in der Dichtung, nicht in der religiösen Sphäre."

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ist also eine scheinbare, sie hat keine Freiheit; sie wird vollzogen nach den Nötigungen des Augenblicks, der Lage, des Wunsches, sie zielt auf den Spezialgott. Diese Wahl ist mithin eine im Wesen des Polytheismus mitgegebene Notwendigkeit, deren Ergebnis m. W. M. Müller zuerst als Henotheismus bezeichnet hat (Vorlesungen über den Ursprung und die Entwicklung der Religion, Straßburg 1880). Sie ist keine Verfallsform heidnischer Religion, als welche man sie hat deuten wollen, vielmehr die normale Daseinsform einer Religion, die eine Vielzahl von Göttern setzt, ihrer je einen aber nur im Sonderfall benötigt. Vor allem K. Maurer war mit dem Urteil „Verfall" rasch bei der Hand. Aber was ihm als Verfall erschien, waren eben jene henotheistischen Erscheinungen, die, gemessen an der mythologischen Überlieferung späterer Zeiten, freilich als eine Verarmung erscheinen mußten. Er übersah dabei, daß er das spätere Zeugnis (etwa das Snorris) zur Norm erhob und daran frühere Zustände maß. Auch die von Maurer enthüllten „Widersprüche" in der Mythologie (Bekehrung II 238ff.) sind keine Beweise für einen Verfall, sie sind lediglich Dokumente der von verschiedenen Standpunkten ausgehenden Interpretation der Wirklichkeit. Religion ist niemals und nirgendwo ein logisches System, sondern Daseinsdeutung, die philosophischer Korrektheit entraten darf, weil sie andern Gesetzen folgt. Daß es aber in der spätheidnischen Zeit auch an echten Verfallserscheinungen nicht gefehlt hat, soll dabei nicht bestritten werden. Eines ihrer deutlichsten Anzeichen ist die fast beliebige Verwendung einiger (nicht aller!) Götternamen in Mann-Kenningar vom Typus „SchwertFreyr" (vgl. Kuhn, ZfdA 79, 1942, 136ff.). Blicken wir zurück auf die religiösen Äußerungen der Landnehmer, dann zeigt sich also zwischen ausgeübter Religion und Mythologie eine deutliche Diskrepanz. Neben die in der Religionswissenschaft übliche (gleichwohl unglückliche und im Grunde unbrauchbare) Unterscheidung von „hoher" und „niederer" Mythologie tritt die ungleich wichtigere von M y t h o l o g i e und R e l i g i o n . Diese beiden Größen sind von unterschiedlicher Realität: Religion äußert sich kultisch (das Wort im weitesten Sinne, die Namengebung etwa mit einbegriffen), die Mythologie poetisch. Götterdichtung ist mithin, wenn sie nicht kultische Dichtung ist, kein religiöses Zeugnis im strengen Sinne, sondern nur Spiegelung einer allenfalls durch Religion angeregten Phantasie. Daß dabei ursprünglich Kultisches zum literarischen Motiv werden kann, widerstreitet nicht dieser Unterscheidung. Das Gesagte ist nun anzuwenden auf die frühen isländischen Zustände. Da zeigt sich, daß von einer polytheistischen R e l i g i o n kaum die Rede sein kann. Die Vielzahl der Götter ist da in der Dichtung und in (freilich oft mehrdeutigen) Ortsnamen mit god(a)-. Dort aber, wo von echter Religion berichtet wird, handelt es sich stets um einen Gott oder um das namenlose Schicksal1. Thor scheint das weite Feld so gut wie allein zu 1

Vgl. Maurer, Bekehrung II 192f.; de Boor, Islandforschung I, S. 79, 91 faßte vor allem das im Spätheidentum greifbare Streben nach Kollektivierung der göttlichen Mächte ins Auge, den „Drang nach Entpersönlichung der Göttervielheit zum Begriff der Gottheit", ebda. S. 127. 165

beherrschen. Eine ausgesprochene Neigung zu Odin ist Privatsache des Dichters Egil. Mit der Verehrung Freys steht es nicht viel anders. H u n d e r t e von Personen der Ldn. tragen Namen, die mit Pörr als einem Kompositionsglied gebildet sind; Freyr verschwindet daneben fast ganz (Freysteinn, Freyviär, vielleicht auch eine Freyleif); mit Odin h a t m a n keine P N gebildet, wohl nicht zu bilden gewagt 1 . Eine bestimmte G a t t u n g skaldischer K u n s t zeigt Entsprechendes. Während Odin als Herr des Heldensaales in den H a k o n a r m a l u n d Eiriksm ä l auftritt, ohne eigentlich gepriesen zu werden, wird T h o r — u n d n u r er von allen Göttern — in skaldischen H y m n e n gefeiert. Man h a t , wohl mit Recht, in der Häufung dieser Dichtung gegen E n d e der heidnischen Zeit eine Reaktion auf das andringende Christentum sehen wollen. Auch in der E d d a weiß man von Thor mehr zu erzählen als von Odin; das liegt im Wesen dieses abenteuerfrohen Riesenbezwingers. Die Einmütigkeit der Skalden im hymnischen Preis Thors darf u m so mehr als ein gewichtiges Zeugnis für den isländischen Henotheismus gelten, als es j a Odin ist, der ihnen als Spender ihrer K u n s t gilt. Aber ein ganzes Lied schenkte m a n ihm deshalb doch nicht. E s gibt keine Odinsdrapa, erst recht kein Gedicht auf andere Götter u n d Göttinnen. So bunt also das Bild isländischer Religion im 10. J a h r h u n d e r t auch ist, ein Zug tritt durch die verschiedenen Zeugnisse immer wieder ans L i c h t : dem Polytheismus in der Dichtung steht ein Henotheismus im Leben entgegen, nicht im Sinne eines Gegensatzes, sondern als Ergebnis der W a h l nach den Notwendigkeiten des Daseins 2 . Die kommende Mission brauchte nicht eigentlich einen Polytheismus zu widerlegen u n d zu besiegen. W o es zum Kampf kam, war es ein Zweikampf zwischen Thor u n d Krist oder zwischen einem drmadr und Krist, wie auf dem Hofe K o d r a n s .

c) Die Rolle der nordbritischen Inseln u n d I r l a n d s Erste Christen Die Bedeutung des Einflusses keltischer K u l t u r u n d vor allem keltischen Christentums auf den Norden ist noch immer u m s t r i t t e n . D a s hat seinen Grund nicht zuletzt in der Überlieferung; denn aus der Zeit der frühen keltischen Einwirkung haben wir noch keine nordischen Schriftzeugnisse. Erhalten blieb nur, was an Lehnwörtern, Namen u n d sonstigen Nachrichten bis in die Schreibezeit fortlebte. Das ist nicht gerade viel. 1 Vgl. Lind, Dopnamn, s . w . ; ferner A. Janzen, N K V I I , 1947. Zu den wenigen dänischen Belegen für Opinkar, Opinkaur — wie immer das zweite Glied zu deuten sein mag — vgl. Höfler, a.a.O. I, S. 126—134, ferner Kuhn AfdA 67, 1954, 54 f. 2 Die germanische Religion scheint, wenn man den Ausführungen des Tacitus Glauben schenken will, von Anfang an eine starke Neigung zur Bevorzugung einer Gottheit gehabt zu haben. Im allgemeinen Teil der Germania heißt es c. 9: Deorum maxime Mercurium colunt; wo im zweiten Teil (c. 28ff.) von Stammeskulten die Rede ist, tritt stets eine Gottheit in den Vordergrund, sei es der regnator omnium deus c. 39, sei es die Nerthus c. 40.

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Aber es war falsch, dieses Wenige statistisch aufzurechnen und in — natürlicherweise sehr niedrigen — Prozentzahlen der echt nordischen Überlieferung gegenüberzustellen, wie es etwa Craigie, ZfcPhil. I, 1897, 439—454 t a t 1 . Daß nur zwei Prozent der Landnehmer auf Island keltische N a m e n t r a g e n (a.a.O. S. 441) u n d daß am Schluß der Ldn. unter den Namen der großen Christen n u r der keltische Beiname Bjöla begegnet, besagt wenig. Denn erstens ist d a m i t zu rechnen, daß Keltisches eher in Vergessenheit geriet als Heimisches; zweitens sind zahlreiche Kelten, weil sozial meist zur Unterschicht gehörend (prmlar), namenlos. Drittens aber ist Statistik ü b e r h a u p t — nicht n u r im vorliegenden Falle — selten eine geeignete Waage, um geistesgeschichtliche Gewichte zu messen. Ein Tropfen Tinte färbt ein Glas Wasser! Nicht wieviel? ist die Frage, sondern wer und was 2 ? Eine bedeutende Vorarbeit für unsere Frage hat A. Bugge (Indflydelse S. 353—396, vor allem S. 377f.) geleistet. Sie enthebt uns jedoch nicht der Aufgabe, die Zeugnisse, besonders für die Religionsgeschichte, noch einmal zu sichten. Doch dazu ist weiter auszuholen 3 . U m 700 spätestens beginnt durch Fahrten der Nordleute die Berührung mit den Kelten auf den nordbritischen Inseln und Irland 4 . Zunächst sind es Raubzüge, deren Beute archäologisch in norwegischen Gräbern um 800 greifbar wird. Einer der ältesten Funde ist gleich ein Reliquienschrein (Malhus, Overhallen, Nordtröndelag, dazu Shetelig, Forhistorie S. 180, Vikingeminner S. 163). Ohne jedes Verständnis und ohne Rücksicht auf den Dekor werden Beschläge und vergoldete Bronzen von Büchern u n d Schreinen in Norwegen zu Broschen umgearbeitet 5 . Diese Funde sind kein Handelsgut, sondern Erinnerungsstücke, Kuriositäten, beweisen aber in ihrer Fülle eine ständige Verbindung zur irischen Welt; sie dauern v o m 1 Derselbe schließt sich Arkiv 19, 1902, 173—180 an F. Jönsson, LH I I 188 an und wendet sich zugleich gegen A. Bugge, Aarb. 1901, Nordisk Sprog og nationalitet i Irland; vgl. dazu auch A. Bugge, Indflydelse S. 378. 2 A. Bugge, Indfl. S. 373, war denn auch gewillt, nicht nach Zahlen zu urteilen. Natürlich sind es nur relativ wenige vom keltischen Christentum berührte Landnehmer im Vergleich zu den Heiden, die Island besiedeln. Aber unter den Christen sind immerhin große Leute wie Aud, Helgi und Orlyg. Von den britischen Inseln kommen gerade einige der mächtigsten Sippen. 3 Da ich weder Keltist noch Archäologe bin, muß ich mich im folgenden auf Arbeiten zumeist skandinavischer Forscher stützen. Außer gelegentlich zu nennenden Aufsätzen scheinen mir folgende Arbeiten besonders wichtig zu sein: E. Mogk, Kelten und Nordgermanen im 9. und 10. Jahrhundert, Leipzig 1900; A. Bugge, Contributions to the History of the Norsemenn in Ireland, Christiania 1900; ders., Vesterlandenes Indflydelse . . . , Christiania 1905; ders., Die Wikinger, deutsch von A. Hungerland, Halle 1906; A. Olrik, Nordisches Geistesleben, 2. Aufl., Heidelberg 1925; H. Shetelig, Norges Forhistorie, Problemer og resultater i norsk arkseologi, Oslo 1925; ders., Vikingeminner i Vest-Europa, Oslo 1933; E. Öl. Sveinsson, Zs. Skirnir 1945, S. 170—203; ders., Zs. Skirnir 1948, S. 149—151. 4 Vgl. A. Bugge, Wikinger S. 110, Indfl. S. 398; Olrik, a.a.O. S. 67; archäologische Funde beginnen in Norwegen bald nach den ersten Irlandzügen um 800, dazu Shetelig, Forhistorie S. 180, Vikingeminner S. 166. 5 Shetelig, Forhistorie S. 180, Vikingeminner S. 159ff.

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E n d e des 8. J a h r h u n d e r t s bis ins 10. hinein 1 und stellen die größte Gruppe a n Fremdgut in der Wikingerzeit überhaupt. Rogaland führt im Fundreichtum. Welchen Einfluß diese Dinge — neben der K u n d e über Irland aus dem Munde der Wikinger — auf die Vorstellungen u n d die Phantasie der Norweger gehabt haben, können wir nicht wissen. Aber im 10. J a h r h u n d e r t findet eine wirkliche Assimilation irischer Formen in der K u n s t s t a t t (Shetelig, Forhistorie S. 182f., 223); ihr m u ß eine intensive u n d wohl nicht n u r handwerkliche Beschäftigung mit dem fremden Gut vorausgegangen sein. Ob die zu beobachtende Vereinfachung der Grabsitten im 7./8. J a h r h u n d e r t unter der Einwirkung des christlichen Brauches in Westeuropa steht, mag fraglich bleiben. Immerhin gibt eine A r t Gegenbewegung in Gestalt reichster Grabausstattung zu denken, sie könnte eine Reaktion auf fremden Einfluß darstellen 2 . E s blieb nicht bei den Raubzügen der ersten Zeit. Schon ziemlich bald h a t m a n mit einem friedlichen Zusammenleben der Norweger und K e l t e n zu rechnen (Bugge, Wikinger S. 126f., 140f.). Die Iren waren ein Volk, „das in Hinsicht auf geistiges Streben, auf geistige K u l t u r höher stand als die übrigen Völker Westeuropas, aber auch ein Volk, über das tiefe Schatten von Wildheit, sozialem Unvermögen und praktischer Unvollkommenheit fallen" (Bugge, Wikinger S. 1091). Der gegebene Austausch findet s t a t t : die Iren werden Lehrmeister auf geistigem, die Nordleute auf praktischem Gebiet. Der eigentümliche Einfluß, den die Kelten ausüben, dauert a n bis in die Zeit des Magnus berfcetr, der sogar die Tracht der Hochländer, den Kilt, angenommen zu haben scheint, abgesehen von dem weniger gewichtigen, im Zusammenhang allerdings aufschlußreichen Lehnwort seiner Soldatensprache ingjan in Lv. 6 (A 433, B 403) für ein Mädchen: unik, pvit eigi synjar ingjan gamans pinga; cerskan veldr pvl 's irskum annk betr an mir svanna. Schon um 900 — so glaubt Olrik, a.a.O. S. 68 annehmen zu dürfen — „saß in jeder Küstenstadt (Irlands) ein nordischer Kleinkönig". Aber der Einfluß der irischen K u l t u r ist dadurch nicht in Frage gestellt. Der irische 1 Shetelig, Forhistorie S. 180f., Vikingeminner S. 157—171. Schottland und die irische See sind in dieser Zeit ausschließlich Jagdgebiete norwegischer Wikinger. Das 9. J h . ist das reichste an Gräberfunden, vgl. Vikingeminner S. 164, 166. — Die sehr schwierige Frage, ob ein Einfluß irischer Dichtung auf die skaldische Kunst, die eben in dieser Zeit an den Tag tritt, anzunehmen oder gar zu beweisen sei, kann hier nicht erörtert werden. Vgl. dazu vorläufig H . Lie, MoM 1953, lff., der Beziehungen des Drottkvätt in Dingen der Metrik ablehnt; aber hier ist noch nicht das letzte Wort gesprochen, die Darstellung der irischen Metrik durch Thurneysen (Hdb. d. Alt-Irischen, 1909, I 19, DI 37 f. gibt zu denken; vgl. auch Young, Arkiv 49, 1933, 106f. und Olrik, a.a.O. S. 87f. 2 Vgl. Shetelig, Forhistorie 188 ff. Ein solcher Vorgang hätte eine Parallele in der — demonstrativen — Zunahme skaldischer Götterdichtung in den Jahrzehnten vor 1000.

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H ä u p t l i n g von Leinster (um 870) hat immerhin ein solches Übergewicht, d a ß er die Norweger zur Heiligung des Sonntags bringt (Bugge, Wikinger S. 127). Der Respekt vor den kirchlichen Einrichtungen der Iren scheint bei den Nordleuten nicht gering gewesen zu sein. Der Dublin-Häuptling plündert zwar das irische Heiligtum Armagh, aber er verschont die Bethäuser, die Siechenhäuser und die Kirchen, anno 921. Ebenso werden 1020 ,,die Häuser mit Handschriften darin" geschont (Bugge, a.a.O. S. 128). Solche Zeugnisse sollten nicht zu gering in ihrem Wert veranschlagt werden. Sie zeigen, daß das Christentum — oder zumindest die Achtung vor diesem — im 10. J a h r h u n d e r t F u ß gefaßt h a t t e in den Wikingersiedlungen. Einer der Großen, Olav K v a r a n , stirbt sogar, nach der unglücklichen Schlacht von Tara 980, auf Kolumbas Insel Jona, „nach bußfertigem und gutem L e b e n " (Bugge, a.a.O. S. 128 1 ). Das i r i s c h e Christentum, das von nicht zu unterschätzendem Einfluß für den Norden wurde, ist erheblich verschieden von dem römischen Christentum Englands. Noch Duggals Leizla (Heil, manna s. I 330, 11—12) weiß von Irland bezeichnend zu sagen: pessi ey helgaz allzslconar skipan heilagra manna, munklijum ok nunnusetrum. I n der T a t war die irische Kirche wesentlich eine Klosterkirche, bis in das 12. J a h r h u n d e r t unabhängig vom Papst u n d ohne die hierarchische Ordnung der römischen Kirche. In diesen Klöstern blühten K u n s t und Wissenschaft neben einer sehr ernsten Religiosität (vgl. Hauck, Kirchengesch. I 8 , 403ff.), so daß die Iren als „Lehrer des mittleren Europa in den Wissenschaften" 2 eine beträchtliche Rolle spielen konnten. Die klösterliche Organisation führte aber zu einer Isolierung einerseits der Religiösen untereinander, anderseits der Religiösen vom übrigen Volk, so daß der hlg. Bechard in seiner Vita des Malachi O' Morgair von den Iren sagen konnte, sie seien Christiani nomine, re pagani (Bugge, Wikinger S. 98). An Synkretismen wird es hier so wenig wie früher beim Bekehrer Irlands, dem hlg. Patrick, gefehlt haben 3 . Mit dieser irischen Religion machen Tausende von Nordleuten mehr oder weniger gründliche Bekanntschaft. Spuren dieser Begegnung finden sich in einer Reihe von leider oft sehr kargen Nachrichten besonders der Landnämabök, und zwar 1. über die papar, irische Anachoreten auf Island, 2. über Landnehmer, die von den nordbritischen Inseln kommen. Ehe der erste Norweger seinen F u ß auf isländischen Boden setzte, wohnten hier bereits irische Einsiedler, und zwar, wie Sveinsson annimmt, schon sehr lange. Über ihre Zahl wissen wir nichts, über ihr Leben nahezu nichts. Zwei Quellen 4 berichten fast gleichlautend von ihnen: 1 Dergleichen wird nicht allzu selten gewesen sein, weiß man doch sogar von Nordleuten vom Schluß des 9. Jh.s, die als Mönche in englischen Klöstern saßen; vgl. Freeman, The Norman Conquest, I 214f., Bugge, Indfl. S. 400. 2 Bugge, Wikinger S. 99f.; vgl. auch Glunz, Britannien und Bibeltext, Kölner anglistische Arbeiten X I I , Leipzig 1930, S. 67ff. nebst den Tafeln 1, 2, 4. 3 Vgl. Thesaurus Palaeohibernicus II, 1903, 354ff., dazu H. Hartmann, GGA, 207. Jg., 1953, S. 215, 218. * Vgl. E. Öl. Sveinsson, Zs. Skirnir 1945, S. 170—203, der das Material erschöpfend behandelt hat.

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Ari, c. 1, A n S B I, S. 5 : pd vgro her menn cristner, peir es Norpmenn calla papa; en peir föro sipan d braut, af pvi at peir villdo eige vesa her vip heipna menn, oc leto epter beer irscar oc biqUor oc bagla. Af pvi matte scilia, at peir vgro menn irscer. Ldn., Prologus: En dar Island byggdiz af Nöregi, vdru par peir menn, er Nordmenn kalla Papa; peir vdru menn kristnir, ok hyggja menn at peir vseri vestan um haf, pvi at funduz eptir pelm boekr irskar, bjollur ok baglar ok enn fleiri hlutir, peir er af mdtti skilja, at peir vdru Vestmenn; pat fanz i Papey austr ok i Papyli. Nach diesen papar (sing. *papi < ir. pob(b)a, pab(b)a < lat. papa, vgl. Marstrander, N T S V, 1932, 276f.) wurden einige örtlichkeiten g e n a n n t : Papafigrdr, Papös, Pappyli < *Papbyli (Kälund I I 276), Papey. D a n a c h haben die Iren im südöstlichen Island gesessen. Aber auch in Vestur-Skaftafellssysla soll Kirkjubcer an eine Kirche der irischen Mönche erinnern. Beim Eintreffen der Landnehmer dürften die Väter das Weite gesucht haben. Keine Saga berichtet von einem Zusammentreffen mit ihnen. Gegen den eindeutigen Satz Aris peir föro sipan d braut und Dicuils Zeugnis nunc causa latronum Nortmannorum vacuse anachoritis versuchte Bugge, Indfl. 366, vergeblich glaubhaft zu machen, daß einige, wenn auch wenige irische Mönche auf Island ausgehalten hätten. Aus den Worten matte scilia, die sich auf die Hinterlassenschaft der Iren beziehen, darf aber ein Verkehr dieser Männer mit den Norwegern nicht gefolgert werden, ebensowenig aus biollor oc baglar; diese Lehnwörter konnten schon aus der Heimat mitgebracht oder im Süden bekannt geworden sein. Denn schon um 800 waren den Wikingern auf denOrkney s papar und klerkar begegnet( vgl. Sveinsson,a. a.O.S.187f.). E s ist nicht wenig, was man aus der Berührung mit irischem Mönchtum allein an Wörtern lernte 1 : papar, kross, bagall „ K r u m m s t a b " ; dazu k o m m t bjannak „Segen" (Yngl. s. c. 2) aus ir. beannacht < lat. benedictio, vielleicht auch digfull < air. diabul und das gleichbedeutende puki, air. puca, wohl auch krisma „Salböl" (vgl. oben S. 87f., 156), vielleicht Mokka „Glocke" u n d wahrscheinlich auch Kristr2. Aber diese Wörter h a t t e m a n aus dem Munde keltischer Christen auf den nordbritischen Inseln. Die Begegnung mit den papar auf Island blieb hingegen, soweit die Quellen es erkennen lassen, ohne greifbare Wirkung auf die Landnehmer. Daß die Hinterlassenschaften der Iren gleichwohl zu wunderlichen Gedanken u n d zu m a n c h e m Aberglauben Anlaß gaben, wird man annehmen dürfen. 1

Es ist hier nicht der Ort, die irischen LW im Nordischen oder in einzelnen nordischen Sprachen vollständig vorzuführen. Selbst eine Spezialarbeit wie die von F. Fischer versagt hier; was er S. 18f., 99, 189, 196 bietet, entspricht nicht dem wirklich Vorhandenen. Bei Bugge, Indfl., findet sich viel. Freilich ist gerade auf diesem Gebiet die Unterscheidung von LW und Fremdwort schwer. Daß ein Wort selten belegt ist, entscheidet noch nichts. Wenn es literarisch verwendet wurde, mußte es doch wohl verstanden werden. Vieles gelangte nicht in die Literatur, vornehmlich landwirtschaftliche Ausdrücke des Färöischen, vgl. Bugge, a.a.O. S. 358f. 2 Das bei Kormak A 79,3 und Yngl. s. c. 6 belegte diar „Götter" darf ebenfalls hier genannt werden, da es eine Weiterbildung zu air. dia, Gen. de „ G o t t " ist. Das Wort gelangte nicht in die christliche Sprache des Nordens. 170

Ungleich wichtiger, viel intensiver ist die Berührung mit keltischem Christentum bei den vielen Landnehmern, die ihren Weg nach Island über die schottischen Inseln nahmen oder schon dort geboren wurden und aufwuchsen wie etwa Helgi magri; teilweise waren sie keltisch versippt u n d brachten Kelten in ihren Schiffen mit 1 . Craigie hat — unzulänglich, wie schon gezeigt wurde — den keltischen Anteil an der Landnahme mit 2 % errechnen wollen aus den Personen- und Ortsnamen; er zählte deren 86 u n d 45. Aber es handelt sich im gegenwärtigen Zusammenhang nicht u m die Zahl der Kelten u n d keltischen Namen, sondern um den Einfluß, den das südliche Christentum auf die künftigen Landnehmer gewinnt. Den Anteil der aus Süden Kommenden h a t man — zwischen % u n ( i 1la aller Landnehmer schwankend — angegeben 2 . Aber bei Fragen nach kulturellen Wechselwirkungen sind Statistiken meist wertlos. Viel anschaulicher ist d a der Einzelfall einer weitverzweigten, mächtigen Sippe, die wir betrachten wollen. Es ist die des Ketill flatnefr3. Ein Schema der Genealogie soll die folgende Darstellung unterstützen (siehe S. 172). Von Björn, dem Ahnen des Geschlechts, stammt, nach den Worten der L d n . c. 61, S. 30, fast die ganze Oberschicht Islands: frd Birni er nasr alt störmenni komit d Islandi. Er hat drei Söhne, von diesen ist Ketil der wichtigste. E r saß auf den Hebriden (die verworrenen Nachrichten über seine Statthalterschaft dürfen hier unberücksichtigt bleiben) und wurde d o r t wahrscheinlich Christ. Von seinen fünf Kindern soll nur noch Björn austroeni Heide gewesen sein (Ldn. c. 134, S. 57). Helgi t r ä g t einen Beinamen, der am ehesten mit Bugge, Indfl. 379, als sein irischer Bei- (oder Tauf- ?) Name zu deuten sein wird. E>örunn hyrna wird die F r a u des Helgi magri. Unnr (Audr) djüpüdga, „die Tiefdenkende", eine F r a u königlicher Art, ist zunächst mit dem Dublin-König Öläfr hviti verheiratet und k o m m t erst als Witwe mit stattlichem, wohl durchwegs christlichem Gefolge nach Island. In ihrer Mannschaft findet sich ein schottischer Mann (Hundi skozkr), 1

Schon Cleasby-Vigfiisson hatten Wb. S. 780 die keltischen Namen und Beinamen, soweit sie in der Ldn. vorkommen, zusammengestellt. Whitley Stokes setzte Revue Celtique I I I , 1876—1878, S. 186—191 die Sammlung fort, Craigie vervollständigte sie ZfcPhil. I, 439—454 unter Benutzung auch des von K. Meyer Folk-Lore V, 299—316 Beigebrachten. 2 Für einen wesentlichen Anteil und für die Wichtigkeit des Aufenthaltes vieler Siedler auf den britischen Inseln sprachen sich aus G. Vigfusson, Safn til sögu Islands I, 186, P. A. Munch, Vorrede zur Chronica regum Mannite, J. E. Sars, Udsigt over norske historie I, 179, A. Bugge, Indfl. S. 377f. — während sich F. Jönsson LH I I 188 scharf gegen Vigfusson gewandt hatte. A. Bugge errechnete dann als Letzter (Indfl. S. 394) den Anteil der von den Inseln Kommenden auf mindestens 115 wichtige Personen, ein Viertel der Landnehmer, betonte aber zugleich, daß die Zahlen allein wenig besagen. Hinzu kommt nämlich, daß nahezu alle Großen der Besiedlungszeit irgendwelche Beziehungen nach dem Süden haben. 3 Zum Stammbaum des Ketill flatnefr vgl. auch K. A. Eckhardt, Irdische Unsterblichkeit, Weimar 1937, S. 19ff., wo die Genealogie unter anderm Gesichtspunkt besprochen wird. Die Schwierigkeit, einen in allen Einzelheiten gesicherten Stammbaum herzustellen, übersehe ich nicht (vgl. Laxdoela s., AnSB 4, zu c. 1, S. 1), doch mag der Abriß genügen. 171

Björn buna

I

Ketill flatnefr

Hrappr ßfrlygr

Björn austrceni

I>6runn hyrna Vfga-Hrappr

Kollsveinn

Eyvindr hjalti i i

I 5 Generationen I

Unnr

Jörunn

f>orsteinn raudi , / Olafr feilan

KetUl fiflski

\ torgerdr / Hoskuldr(+ Melkorka) Ölafr pai

Jon byskup dem sie Land gibt (Ldn. c. 151. S. 65). Auds Enkel ist der berühmte Olaf Feilan (air. Faelan, vgl. Bugge, a.a.O. S. 383); in den nächsten Generationen stehen Hoskuldr mit seiner irischen Geliebten Melkorka, Ölafr pai (von seiner Mutter irisch erzogen nach Laxd. s. c. 20, 23) und Kjartan. Aud war getauft und wollte nicht in ungeweihter Erde ruhen (Ldn. c. 160, S. 67 pviat hon vildi eigi liggja i övigäri moldu, er hon var skird). Nach ihrem Tode ging der Glaube in der Sippe verloren. Was blieb, wird eine nicht näher bestimmbare Art von Aberglauben gewesen sein, denn den Gebetshügel der Ahnin Krosshölar (Ldn. c. 147, S. 64) verehrten die Nachkommen, par hofdu frsendr hennar sidan dtrünad mikinn d hölana. Aber sie beteten nicht mehr vor Auds Kreuzen, sondern opferten dort. Nicht die Bestimmung, sondern nur die Heiligkeit des Hügels an sich erhält sich also, ja sie erweitert sich zu der Vorstellung, daß die Sippengenossen in diesen Hügel „sterben" (eingehen) würden: trüdu peir Jwi, at peir dcei i hölana. — Jörunn endlich, das letzte der Kinder Ketils, manvitsbrekka zubenannt, wurde die Mutter des Christen Ketill enn fiskni, dessen Name — eben seines Glaubens wegen — verändert wurde zu fiflski, der Törichte: hann var velkristinn. pvi kglludu heidingjar hann Ketil en fiflska (Ldn. Ausg. 1900, Tillseg S. 271). Sein Hof war Kirkjubcer, par hgfdu ddr setit Pdpar, ok eigi mdttu par heidnir menn büa (Ldn. c. 366, S. 143). Hier bestätigt sich die vorhin ausgesprochene Vermutung, daß sich an den Orten der pdpar und ihrer Hinterlassenschaft mancher Aberglaube gebildet haben mag. An Ketils Ort war es wirklich für Heiden nicht geheuer, das zeigt dann c. 369 mit der Geschichte des tot umfallenden Hildir. Daß der Platz fortdauernd im Geruch der Heiligkeit stand, ist nicht zu erweisen; aber vielleicht ist es kein Zufall, daß eben hier 1186 ein Kloster errichtet wurde (vgl. dazu K&lund I 315, Bugge, a.a.O. 172

S. 373). In der Familie hielt sich nach Kristnisaga c. 8,1 das Christentum bis in die Tage der Mission. Zur weiteren Sippe des Ketill flatnefr gehört auch der b e r ü h m t e Christ 0 r l y g r , Sohn des H r a p p r , Enkel des Björn b u n a 1 . E r wurde erzogen von einem Bischof P a t r e k auf den Hebriden: hann var at föstri med enuni [helga fehlt S] Patreki byskwpi i Sudreyjum, der den nach Island Fahrenden m i t Holz zum Kirchbau, einer Glocke, einem plenarium u n d geweihter E r d e ausstattete. Die Kirche sollte dem hlg. Columba, dem Apostel Schottlands und Gründer des Klosters J o n a , zugeeignet werden. An der Esja b a u t 0rlygr die ihm anbefohlene Kirche. Von einem K u l t u s dortselbst hören wir nichts. Seine Kinder haben keine christlichen N a m e n : Valpjöjr ( = a e . Wealhpeow), Geirmundr, Velaug. Sie dürften aber, wie wohl auch der stattliche Anhang, den 0rlygr m i t b r a c h t e , getauft gewesen sein. Mit d e m Christentum dieser Sippe wird es seltsam genug ausgesehen haben, d e n n Ldn. sagt: peir Orlygr frsendr trüdu d Kolumba (vgl. jedoch die Version trüdu d Kolumkilla, pd at peir vseri dskirdir). Von den Lehren des würdigen P a t r e k ist nichts übriggeblieben als ein H a u s - u n d Sippengott mit wahrscheinlich sehr blassen Konturen. Eingerahmt von Nachrichten über Orlygs Geschlecht steht das (oben S. 48ff.) besprochene kleine Gebet des Glum. Hier h a t der Zufall eine sinnvolle Ordnung getroffen, denn wo p a ß t e das Stückchen besser hin als in den Umkreis des verworrenen Glaubens a n K o l u m b a ! Leider ist in der großen Sippe des Ketill flatnefr die D i c h t k u n s t nicht zuhause gewesen, vielleicht besäßen wir sonst kostbare Stücke frühester christlicher Dichtung. Das Christentum der Landnehmerzeit scheint, soweit es sich um die berühmten Familien handelt, auf wenige — freilich weitverzweigte Sippen — beschränkt zu sein. Von den großen Christen, die die Ldn. in ihrem Schlußwort nennt, gehören fast alle in das Geschlecht des K e t i l 2 . Die Musterung dieser einen Familie bestätigt den allgemeinen Satz der Ldn. c. 384 heldupeir sumir vel kristni til daudadags, enpat gekk dvida i settir, fwiat synir peira sumra reistu hof ok blötudu . . . Mission irgendwelcher Art haben diese Christen nicht getrieben. Aber ihr Beispiel u n d die Erinnerung d a r a n relativierte doch (in einem natürlich nicht meßbaren Grade) das Heidentum der folgenden Jahrzehnte. Mit dieser Einschränkung ist der Schlußsatz der Ldn. zu lesen: en land var alheidit wer hundradi vetra. Denn es gab fernerhin Berührungen mit dem Christentum des Auslands (Egil, Gisli) und jüngeren Zuzug von dort, es gab Ortsnamen auf Island wie Kristnes, die Gründung Helgis des Mageren, Krossavik Krossdss, Krosshölar der Aud, und endlich mehr oder weniger kräftige Synkretismen unterschiedlichster Art. 1

Ldn. c. 66, S. 31—33, dazu Maurer, Bekehrung I 97—101, Bugge, Indfl. S. 369, 374, 379. Von der Beschreibung weiterer christlicher Familien darf ich mit Hinweis auf Bugge, a.a.O. S. 368ff. absehen. Die Lehren, die aus der Geschichte dieser einen Sippe abgelesen werden können, bestätigen sich auch in den übrigen Überlieferungen. 2 Daß gerade aus dieser Familie hernach einige der frühen Bischöfe stammen, wie der Anhang I zu Aris Buch zeigt (AnSB l,24f.), wird kein Zufall sein. 173

2. Mischformen vor 1000 a) godlauss Die L a n d n ä m a b ö k berichtet von einigen Männern, die den Beinamen godlauss tragen. D a s W o r t ist nicht selten mißverstanden worden. Übersetzungen wie „ g o t t l o s " , „ A t h e i s t " bringen einen falschen Ton in die Quellen. E h e wir versuchen, hier einiges richtig zu stellen, müssen die wichtigsten Textstellen vorliegen. 1. Ü b e r den Glauben des Bersi godlauss (Ldn. c. 107, S. 45f., dazu Egils s. c. 56, Grettis s. c. 58) u n d seiner Familie erfährt man nichts Näheres. Allein, es ist vielleicht kein Zufall, daß theophore Namen in der Sippe zu fehlen scheinen: Blaeingr — Bälki — Bersi, dessen Kinder Arngeirr u n d Geirbiorg. Der Sohn des Arngeirr ist der sagaberühmte Biorn Hitdcelakappi. Geirbiorgs Sohn allerdings wird Veleifr benannt. 2. E t w a s ausführlicher ist die Nachricht über Helgi und Hallr, Ldn. c. 63, S. 3 1 : Hallr godlauss het madr; kann var son Helga godlauss. peir fedgar vildu eigi blöta ok trudu ä matt sinn. Kahle hat Arkiv 26, 1910, 151 bereits darauf hingewiesen, daß hier nicht Namensvererbung, sondern gleichzeitige Benennung beider vorliegt. 3. Der T y p u s , der nicht m e h r opfern will und an die eigene Kraft (mdttr ok megin) glaubt, ist häufig, ohne daß er mit dem Beinamen godlauss verbunden ist. Hjorleifr vildi aldri blöta (Ldn. c. 7, S. 5); sein schmähliches Ende wird vom glaubensstarken Ingölfr auf diese Unterlassung zurückgeführt (c. 8): ok se ek svd hverjum verda, ef eigi vill blöta. Ob ein solcher Satz — u n d d a m i t die Auslegung des Falles — historisch richtig ist, können wir nicht wissen. Von einigen Männern erfährt man, daß sie das Opfern aufgaben, d a ß sie also einen Gesinnungswandel vollzogen haben müssen. Zwei Redaktionen der Ldn. (HM) fügen zur Nachricht über Äsgeirr kneif den Satz hinzu (S. 9, N o t e ) : Äsgeirr hafnadi sjdlfrddi blötum. Gründe werden nicht angegeben. Anders in der Gisla saga c. 10,7: Oisli let af blötum sidan hann var i Vebjgrgum i Danmgrku1. Vielleicht ist es diese Notiz gewesen, die einige Forscher zu der Ansicht führte, die B e r ü h r u n g m i t dem Christentum sei durchwegs der Anlaß gewesen, das Opfern zu lassen und sogar ein godlauss zu werden. So meinte A. Bugge (Indfl. S. 373), d a ß alle godlausir menn sich vor ihrer Einwanderung nach Island auf den britischen Inseln aufgehalten hätten, 'hvor de under paavirkning af k r i s t e n d o m m e n og af Vestens kultur har mistet troen p a a sine gamle guder'. D e n Beweis blieb er schuldig; denn gerade von den genannten godlausir menn wissen wir nicht, daß sie ihren Weg über E n g l a n d nahmen, während die L d n . solche Dinge sonst sorgfältig zu verzeichnen pflegt. Die B e r ü h r u n g m i t dem Christentum auf englischem Boden ist aber gar keine notwendige Voraussetzung für einen godlauss. N a m e n sind fest u n d werden zumeist gut überliefert. Wenn Norweger der L a n d n a h m e z e i t godlauss heißen, so m u ß es diesen Typus schon im H e i d e n t u m der skandinavischen Heimat gegeben haben. Godlausir menn 1 Die Beispiele mögen genügen. Die Zeugnisse sind oft zusammengestellt worden, vgl. Maurer, Bekehrung I I 238ff.; Ljungberg, S. 146ff.; F . Ström, GHÄ LIV, 1948, Nr. 2.

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finden sich, wie T. Andrae (vgl. Ljungberg S. 149, A n m . 2) gezeigt h a t , zu jeder Zeit und in jeder Religion. I n religiös gärenden Zeiten wird dieser T y p u s gleichsam virulent, wird bemerkt u n d bezeichnet. E r ist deshalb a b e r nicht, wie vor allem Maurer gemeint h a t , eine typische Erscheinung der Verfallszeit des Heidentums. E r wird jetzt n u r sichtbarer. Bild und Deutung des godlauss-Typus sind vor allem durch falsche Übersetzungen verzeichnet worden. Schon W. H . Vogt h a t t e A R W 35, 18 die Bezeichnungen „gottlos", „gottlose M ä n n e r " als aufklärerisch abgelehnt. Begriffe wie „Atheist", „Gottesläugner" (so Maurer I I 249 anläßlich Hrafnkels) sind vollends irreführend; sie s t a m m e n aus antiker, philosophischer Spekulation und sind weder als dogmatischer noch als kritischer Atheismus im heidnischen Norwegen denkbar 1 . Das erste Kompositionsglied ist ein Plural u n d meint Götter, unbestimmt, welche und wieviele. Keiner der godlausir menn oder derer, die nicht mehr opfern wollen, leugnet die Existenz der Götter. I n gewissem Sinn „glaubt" er an sie, aber er vertraut nicht (oder nicht mehr) auf sie. Godlauss ist also einer, der nicht auf die Götter b a u t , er ist deshalb nicht ohne Glauben oder Vertrauen, keiner von ihnen wird ötrüandi oder ähnlich genannt 2 . Im Gegenteil: diese Menschen vertrauen (trüa) auf mdttr ok megin, oder, was ziemlich gleichbedeutend ist, auf sich selbst, d sik. (Am R a n d e sei angemerkt, daß noch die 861. im Sündenkatalog dieses „Vertrauen auf sich" Str. 16—17 geißeln zu müssen glauben.) mdttr und megin und das Vertrauen auf diese sind n u n nicht schlechtweg areligiöse Dinge. Besonders megin gehört in die magische Sphäre (vgl. dazu Vogt, a.a.O. S. 19). Daß megin- später ein beliebtes und daher blasses (wenn auch noch immer zur Steigerung geeignetes) Präfix geworden ist, widerlegt nicht seine ursprüngliche, im Mythischen wurzelnde Bedeutung, die noch deutlich im F r a g m e n t 6 (Neckel, Edda 3 , S. 313) zum Ausdruck k o m m t : veitstu, ef pü vex, at pd vex mir iafnhdtt upp sem himinn!

äsmegin

sagt Thor zum dräuenden Fluß 3 . äsmegin (vgl. auch H y m . 31,4) und megingjarpar, der „ K r a f t g ü r t e l " , gehören Thor. Aber es gibt auch ein iardar megin H ä v . 137,6, die Heilkraft 1

Vgl. W. Nestle, Vom Mythos zum Logos. Die Selbstentfaltung des griechischen Denkens von Homer bis auf die Sophistik und Sokrates, Stuttgart 1940, Register s. v. Atheismus; F . Mauthner, Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande, I—IV, 1920—1923; L. Ziegler, Gestaltwandel der Götter, 1920. 2 Für ötrü, ötrüa gibt es nur einen skaldischen, mehr als fragwürdigen Beleg bei Einarr Gilsson 2,2 (B I I 430), im 14. Jh. (ökristinn, einmal bei Sigvat 3,8 und als Beiname des Skalden Haidörr, stehen auf einem andern Blatt.) Auch die fast entgegengesetzte Haltung ist zu Wort gekommen: Steinarr Sjonason (Kormäks saga, e. 12; B 89), ein Isländer vor 1000, läßt die Götter walten (Utk rdda god) und verspottet dafür allerhand magische Praktiken. 3 Vgl. zu diesem Fragment W. Mohr, PBB 64, 1940, 209 ff. und die entfernt vergleichbare Erzählung Ilias 21, 214ff. Näher steht aber eine Überlieferung aus der irischen Heldensage, in der ein Held Uala einen reißenden Fluß überschreiten soll, gekräftigt und geschützt durch einen schließlich doch versagenden „Kraftstein", nertlia; vgl. dazu H. Hartmann GGA, 207. Jg., 1953, S. 217. 175

der Erde, und viele andere Arten von megin (vgl. Grönbech I 200 f. u. ö.). megin ist also bedeutend mehr als die bloß physische Kraft des Menschen; es ist „Kraft", die sich in Göttern, Menschen, Dingen und im Kosmos bezeugen kann. Das megin gehört nicht dem Menschen, er erzeugt es auch nicht, er hat nur teil daran, wenn er ein so Glücklicher ist. Mit der stehenden Formel mdttr sinn ok megin wird — um mit den Worten W. H. Vogts, a.a.O. S. 19 zu reden — „in eine untergöttliche, magisch-begründete Kraftsphäre hineingegriffen. Diese Selbstauffassung ist sehr alt. Sie liegt unter der Fassung des persönlich Eigenen als gaefa und hat durch die J a h r h u n d e r t e hindurch im Sonderbewußtsein dessen, der mit den unheimlichen Mächten zu verkehren u n d sie zu gewinnen imstande ist, gelebt, vor allem des Zauberers." „Die so ihrer selbst stolz gewiß gewordene Persönlichkeit k a n n Abstand von den Göttern nehmen, weil sie einen anderen, älteren Kraftboden gewonnen hat — auch wenn sie nicht geradezu zaubert." megin gehört in der T a t einer sehr alten Wortschicht an. Die idg. E n t sprechungen zeigen es: zur Wurzel *mägh- gehören nach Falk-Torp I 687f. aslaw. moga, moMi „können, vermögen", lit. magöti „nützen, t a u g e n " , air. do-for-magar „augetur", gr. fif\xog, [irjxavrj „Hilfsmittel", skr. maghd„ R e i c h t u m " ; „Vermögen, K ö n n e n " ist also die Grundbedeutung. Allein im Germanischen h a t das Wort sich in den magisch-religiösen Bereich hinein entwickelt. Was megin und seine zahlreichen Komposita aussagen, leistet im Altirischen das Wort nert, dessen Bedeutungsumfang nebst den italo-iranischen Entsprechungen H. H a r t m a n n a.a.O. S. 214ff. beschrieben h a t (vgl. auch Walde-Hofmann, Lat. E t y m . Wb. I I 164). Dieses nert — wie megin N e u t r u m ! — h a t auch einige, längst erkannte Spuren im Germanischen hinterlassen (vgl. GS I 416 zu Fjolsvinnzmäl 26,6 niardläsar nio). Besonders wichtig, weil aufschlußreich für die inhaltliche I d e n t i t ä t von air. nert und an. megin, ist das Wort aus der Thorsdrapa des Eilifr (Str. 7, A 149, B 141) für den Kraftgürtel des Gottes, niardgjgrd, f. E s entspricht dem vorhin genannten pl. megingjardar im mythologischen Bruchstück 6. Die Namen Nerthus > Njgrpr machen es wahrscheinlich, daß bei den niardKomposita nicht Entlehnung aus dem Keltischen, sondern späte Spuren eines Kelten und Germanen gemeinsamen Wortes nert, nerpu- vorliegen. Die Übereinstimmung zwischen nert und megin geht aber noch weiter. Beide Wörter werden von der Mission oder von der christlichen Dichtung aufgegriffen. Air. nert wird, wie H a r t m a n n a.a.O. S. 218 gezeigt hat, der Trinität und christlichen Personen beigelegt. Schon der hlg. Patrick spricht in seinem H y m n u s von der „Kraft des Himmels": atomriug indiu j niurt nime „ich erhebe mich heute durch die Kraft des H i m m e l s . . . " (Thes. palaeohib. I I 355,14f.); nert De „Kraft Gottes" und ähnliche Wendungen sind nicht selten. Mit an. megin geht es ähnlich. Man wird es nicht für Zufall halten dürfen, daß gerade die Voluspä das Wort gleich dreimal verwendet: megin 5,10; meginligr 26,7; megindömar 60,6 1 . Christliche Skalden 1

Ich will an dieser Stelle keine Folgerungen weiter daraus ziehen, doch werden diese Dinge bei der Bestimmung der Heimat der Vsp. vielleicht von einigem Gewicht sein können, zumal das hapax legomenon megindömar au-. Entsprechungen zu haben scheint. 176

folgen mit Bildungen wie meginskJQldungr (Skäldp.), megindrötning (Liija 86), megintiäendi (Plac. 42), meginveldi (?Plac. 46), meginverk (Heilv. 13). Die Grenze zwischen vollwertigem Wort und verstärkendem Präfix ist fließend; aber ein Begriff wie megin (und auch mdttr) mußte der neuen Religion und ihrer Dichtung aus zwei Gründen willkommen sein wie den irischen Glaubensboten das entsprechende nert, denn: 1. war der neue Gott ein mächtiger Gott, der über alles Gewalt und der alles geschaffen hatte (s. o. S. 68f., 75, 211); in ihm mußte das megin, wie immer es im einzelnen gedacht sein mochte, in besonders gewaltiger Weise wirksam geworden sein; 2. war megin seiner Natur nach unbestimmt, mythologisch nicht zu sehr festgelegt und daher im neuen Sinne verfügbar. Wer unter den Heiden godlauss war und dem megin vertraute, hatte wahrscheinlich einen leichteren Zugang zum Kristr als der Verehrer der alten Götter. Für den godlauss brauchte megin nur Gestalt anzunehmen, für den andern gab es einen Zweikampf der Götter — man vergleiche das wohl unhistorische, aber treffend erfundene Gespräch in der Njäla c. 102, 18 ff. — und eine schwere Entscheidung oder den Kompromiß des Helgi magri. b) Helgi magri — Thor und Christ Die Landnamabök berichtet: Helgi enn magri för til Islands med konu slna ok bgrn;. . . Helgi var blandinn mjok i trü; hann trüäi d Krist, en hit d Pdr til sjöfara ok hardrseda. pd er Helgi sä Island, gekk hann til fritta vid Pör, hvar land skyldi taka, en frettin visadi honum nordr um landit; . . . Helgi kannadi um sumarit herad alt ok nam allan Eyjafjgrd milli Sigluness ok Reynisness ok geräi eld mikinn vi& hvern vatsös ok helgadi sir svd alt herad. . . . en um vdrit fozrdi Helgi bü sitt i Kristsnes ok bjö par medan hann lifdi . . . Helgi trüdi d Krist ok kendi pvi vid hann bustad sinn (c. 265, S. 112f.). Dieser Helgi stammte aus einem ebenso weitverzweigten wie mächtigen Geschlecht (Ldn. S. Ulf. u. ö., ferner Grettis s. c. 3, Eyrb. s. c. 1, Svarfd. s. c. 12 und 13, Laxd. s. c. 3 und 4). Sein Vater war Eyvindr austma]3r, verheiratet mit einer irischen Prinzessin, der Tochter König Kjarvals (ir. Cerbhail). Helgi wurde in Irland geboren und heiratete t>örunn hyrna, die Tochter des Ketill flatnefr, eines Christen (zur Genealogie dieser berühmten Sippe vgl. oben S. 171 ff.). Ljungberg, a.a.O. S. 132, hat nur scheinbar recht, wenn er sagt: „Helgi var den enda bland landnams mannen, vilken pä detta satt vacklade mellan kristen och hednisk tro." Helgi ist eine der meistgenannten Personen der Ldn., einer der mächtigsten Männer; allein seine Land Vergebungen beweisen das. Von einem solchen Mann wußte man mehr als von manchem anderen. Der Schluß ex silentio, er sei der einzige gemischten Glaubens gewesen, ist nicht zulässig. Helgi also —• und wohl mancher gleich ihm — wählte nach Bedarf zwischen Thor und Christus. Die Svarfdcela s. c. 12 bestätigt, kaum unabhängig von der Ldn., die Nachricht mit wenig anderen Worten: Helgi var primsigndr (zu diesem Begriff unten S. 179) ok trüdi d Krist, ok kendi vid hann bm sinn, en pö hit hann d Pör til allra störrasda. Die Ldn. nennt Helgi und seine Religion, zu der schließlich auch noch die Heiligung des Landes 12 7362 Lange, Studien (Palaestra 222)

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durch Feuer hinzuzunehmen ist, blandinn mJQk. Wäre Helgi — nach Ljungbergs Ausführung — der einzige dieser Art gewesen, dann hätte blandinn genügt; mjok weist doch wohl darauf hin, daß der Typus in verschiedenen Graden vorhanden war. Maurer, a.a.O. I 95f., Anm., versuchte unnötigerweise für blandinn mjok die Bedeutung „wunderlich, verschroben, unverlässig" zu sichern, wozu Njala c. 33,16 — dort ist von einem Charakter die Rede — keine genügende Handhabe bietet. Blandinn bedeutet „gemischt"', die beiden angeführten Textstellen sagen es deutlich durch ihre nähere Umschreibung des Begriffs. Der Ausdruck bezeichnet eine mögliche Form des Synkretismus. Die beiden Religionen stehen unverbunden nebeneinander. Eine gegenseitige Durchdringung hat noch nicht stattgefunden. Thor —• in Wert und Macht noch keineswegs bezweifelt — hat sogar noch ein gewisses Übergewicht, ihm traut man Hilfe zu bei den ernsten Dingen: bei der Landnahme, til sjöfara ok hardrseda (til allra störrseda Svarfd. s.). Es ist daher nur konsequent, wenn es eigentlich erst vom seßhaft gewordenen Helgi heißt: Helgi trüdi ä Krist. Doch das Christentum sollte sich in dieser Sippe noch nicht halten, die Söhne errichteten wieder Tempel (trotz einer gewissen Skepsis des Hrölfr dem Thor gegenüber, Ldn. S. 112): ok reisti (Hrölfr) par hof mikit Ldn. S. 121; ebenso wird auch von Ingjald berichtet, S. 121. Über die Christen unter den ersten Landnehmern sagt die Ldn. am Schluß: Svä segja vitrir menn, at ngkkurir landnämsmenn haß skirdir verit, . . . flestir peir, er kömu vestan um haf; es folgen die Namen der Größten, Helgi an der Spitze, dann wird noch einmal versichert, daß diese kömu vestan um haf, ok heldupeir sumir vel kristni til daudddags. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß der Glaube dieser Menschen zumeist wie der des Helgi magri „gemischt" gewesen ist. Den gemischten Glauben brachten die Landnehmer aus Irland und von den nordbritischen Inseln mit. Ein Blick nach dort ist nützlich, vor allem zum Verständnis der mehrfach bezeugten Gegenüberstellung Thor—Christus. Über die religiösen Zustände in den nordischen Siedlungen auf Irland sind wir durch irische Annalisten und Dichter einigermaßen unterrichtet. C. Marstrander hat MoM 1915, 80—89 die Nachrichten zusammengestellt (vgl. auch schon Maurer I 82ff.). Danach ergibt sich folgendes Bild: die Hauptfigur in der Religion der durchaus noch heidnischen Nordleute ist — auch um 1000 noch — Thor. In einem Gedicht des 10. Jahrhunderts heißen die Nordleute „Thors Volk" (muinter Tomair, a.a.O. S. 83, Anm. 3). Mehrfach wird Thor dem christlichen Gott gegenübergestellt in Bezeichnungen wie muinter De (Crist) = „Gottes Volk" (Iren) und muinter Töir = „Thors Volk" (Wikinger). Der Unterschied der Völker wird also formuliert als ein Religionsunterschied. Irland war zu Beginn der nordischen Ansiedlung immerhin schon vier Jahrhunderte christlich. Beweist schon der Name der Nordleute die hervorragende Thor-Verehrung, so wird dieser Befund a.a.O. S. 84—87 noch gestützt durch den Nachweis von Ortsnamen („Thors Wald" u. ä.) und von Genealogien (Clanna Tömoir = Pörs settir) führender Geschlechter, die sich auf Thor zurückführen. Neben der Verehrung Thors hat nur noch die Baldrs eine gewisse Rolle gespielt. Marstrander folgert diese S. 87 aus einem Stamm( ?)- oder Familien178

n a m e n Clann Balldair „Baldrs Geschlecht". Dieser Baldr scheint aber auf norwegisch-dänische Siedlungen in Südmunster eingeschränkt zu sein (a.a.O. S. 87). Odin fehlt anscheinend ganz 1 . Das h a t seine Entsprechung auf Island. W a n n das H e i d e n t u m der Nordmänner in Irland zu Ende ging, ist nicht sicher zu sagen. Marstrander nimmt an (S. 89), daß es erst mit dem E n d e der politischen Selbständigkeit 1014 (Schlacht von Clontarf) starb. Die L a n d n e h m e r vestan um haf kommen also wenigstens teilweise aus Gegenden, in denen die Thor-Verehrung noch in voller Blüte stand. Merkwürdige Mischformen werden sich gerade dort ausgebildet haben, wo das Zusammenleben m i t irischen Christen eng war, etwa durch eine Heirat wie in Helgis Familie. I n Helgi k o m m t es nicht zu einem Zwiespalt. Er wird sich den Krist als einen jüngeren — und eben deshalb auch weniger tüchtigen — Bruder des Thor gedacht haben 2 . Aber hundert J a h r e später sollten gerade diese beiden auseinander treten und die eigentlichen Kontrahenten des Bekehrungsvorgangs werden, ganz analog den Verhältnissen in Irland. Denn ein Religionswechsel ist ja nicht der Kampf zweier „Glaubenssysteme", wie Maurer dachte, sondern zunächst einmal der Zweikampf von Göttern. Noch einmal darf hier an die Szene aus der Njäla erinnert werden, in der Steinunn zum Glaubensboten E>angbrandr sagt (c. 102,19): Hefir pü heyrt pat . . ., er Pörr baud Kristi ä hölm, okporäi hann eigi at berjaz vidPör? Auch die Strophen der Steinunn (A 135f., B 127f.) sind von Gedanken an diese Feindschaft zwischen den zwei Göttern erfüllt, während eine anonyme Strophe der gleichen Zeit (A 179, B 169, Kristni s. c. 6,5) noch die Gesamtheit der Götter gegen den neuen Glauben und dessen Boten stellt: Heldr getum vir, at valdi, vesa munu bond i landi, — geisar g med isi — dsriki gvy slikum. Auch Steinunn spricht von den bqnd, aber deren H a u p t und Vorkämpfer ist Thor: Pörr brä Str. 1, braut Str. 2. c)

primsigning

E s wäre müßig zu fragen, wie sich die Isländer auf die verschiedenen, noch dazu von der Forschung vereinfachten Typen religiösen Verhaltens verteilten. Wir wissen es nicht. Soviel wird man jedoch sagen können: echte Heiden und echte Christen waren nach 1000 in der Minderzahl. Die Indifferenten u n d die Leute „gemischten Glaubens", für deren Typus Helgi magri stehen k a n n , dürften die Mehrheit gebildet haben. 1 Marstranders Ansicht, a.a.O. S. 88, vom Rückgang der Odinsverehrung in der Wikingerzeit soll hier nicht kritisch erörtert werden. 2 Diese Art von „addierendem Synkretismus", wie ich ihn nennen möchte, ist nicht ohne antike Parallelen. Der Kaiser Severus (193—211) soll Abraham und Christus unter seine Hausgötter aufgenommen haben, vgl. Bugge, Indfl. S. 376.

12*

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Der gemischte Glaube hatte aber schon seit langem — der Vorgang ist einzigartig — sogar eine unfreiwillige kirchliche Duldung und Approbation im Norden erfahren durch den Brauch der sogenannten primsigning, prima signatio. Diese erste Weihe der Katechumenen — als solche auch der alten Kirche schon vertraut und von ihr geübt — wird im Norden aus sehr durchsichtigen Nützlichkeitserwägungen, die nicht einmal verhehlt oder beschönigt werden, verselbständigt. Es handelt sich um einen vielleicht nur im religiös kühlen Norden möglichen Kompromiß 1 ; denn die primsignadir menn dachten zumeist gar nicht an die nach kirchlicher Anschauung der prima signatio notwendig folgende Taufe. Den kirchlichen Standpunkt bezeichnet ein Satz aus Leifar, S. 24 (vgl. dazu Kahle, Acta germ. I 364f.; H. Lie, MoM 1952, S. 66f.), in dem primsigning ok skirn, wie selbstverständlich, verbunden erscheinen: heilgg kristni gerir pat hvern dag, er pd gerdu postolar likamliga, pd er kennimenn veita primsigning ok skirn trügndum ok banna öhreinum gndum at byggja i hjgrtum peira. Aber das blieb Theorie und ideale Forderung. In der Praxis begehrten die Heiden die primsigning (oder wurden von den Christen dazu aufgefordert), um so das Recht und die Möglichkeit zum Verkehr mit Christen — vor allem wohl auf englischem Boden — zu erwerben. Die Egilssaga c. 50,8 nennt, deutlicher als andere Quellen, die Dinge beim Namen: England var kristit ok hafdi lengi verit, pd er petta var tidenda; Adalsteinn konungr var vel kristinn; hann var kalladr Adalsteinn enn trüfasti; konungr badPörolj ok pd brozdr, at peir skyldu lata primsignaz, pviat pat var pä mikill sidr bsedi med kaupmgnnum ok peim mgnnum, er ä mala gengu med kristnum mgnnum, pviat fjeir menn, er primsignadir vdru, hgfdu alt samneyti vid kristna menn ok svd heidna, en hojdu pat at dtrünadi, er Jmim var skapfeldast. Für Egil hat dieser Akt religiös keine Folgen; er bleibt, der er ist, ein Mann des Spätheidentums mit einer schon ganz eigen gefärbten Religion. Intensiver war die Berührung Gislis mit dem Christentum; Gisla c. s. 10,7 Gisli let af blötum sidan hann var i Vebjgrgum i Danmgrku. Ob er die Taufe empfing, wissen wir nicht; daß er die primsigning genommen habe, sagt nur ein (wahrscheinlich später) Zusatz derHs.S (vgl. Jönsson, AnSB 10, S. 23f. z. St. und oben S. 44). Aus den zahlreichen Quellen zur primsigning, deren theologischen Wortschatz Kahle a.a.O. zusammengestellt hat, lassen sich einige Beobachtungen gewinnen. 1. Keine der Quellen schildert den Brauch ausführlich. Es muß sich also um eine allgemein bekannte Sache gehandelt haben, die kaum im Rahmen einer größeren Kulthandlung stand. Die Formalitäten des Ritus sind ganz unklar. Wegen des Ausdrucks banna öhreinum gndum dachte H. Lie a.a.O. an im altchristlichen Tauf-Ritual übliche Exorzismen; deren komplizierte Maßnahmen, so sollte man meinen, hätten aber irgendwelchen Niederschlag finden dürfen in den Quellen. Dem ist nicht so. Wahrschein1

Auf spätantiken Mißbrauch einer prima signatio, um sich rasch noch der Teilhabe am ewigen Leben zu versichern, hat Maurer, Bekehrung II 333, Anm. 25 hingewiesen. Wenn auch im Norden, wie die Vita Anskarii c. 24 zeigt, solche Gründe gelegentlich mitgesprochen haben, im ganzen ruht die Institution der primsigning doch auf anderen Überlegungen. Insofern ist sie also in der Tat einzigartig. 180

licher ist eine eilige und oberflächliche Handlung, die dem von den Nordleuten unterlegten Sinn des Aktes viel eher entsprach. Daß die primsigning kein sonderlich eindrucksvoller Ritus war, darf auch daraus gefolgert werden, daß kein Skalde ihn auch nur der Erwähnung für wert hält. Sollten bei der prima signatio lateinische Texte über den Katechumenen gelesen worden sein, so verstanden diese natürlich kaum ein Wort und noch weniger den Sinn; gleichwohl kann aus der „syntaktisch wohlkomponierten Klangpraeht" dieser Texte, wie Lie a.a.O. S. 68f. zu zeigen versuchte, eine Anregung zum Endreim gekommen sein. 2. Der Christ verkehrte nicht mit Heiden, theoretisch wenigstens. Dem primsignadr aber war der Verkehr mit Heiden und Christen gestattet. Diese höchst inkonsequente, aber praktische Regelung lag gewiß im Interesse aller Beteiligten. Durch die primsigning wurde eine erste nähere Bekanntschaft mit der Kirche (ihren Riten, Bildern, Gesängen und Geräten) mehr als mit dem Christentum in einem tieferen Sinne gemacht; diese Berührung wird auf die Religion Einzelner nicht ohne Einfluß gewesen sein. Das Ergebnis konnte nur ein den Inhalten nach unterschiedlicher gemischter Glaube sein: en hgfdupat at dtrünadi, er peim var skapfeldast dürfte trotz oder gerade wegen derAllgemeinheit desAusdrucks präzis und historisch richtig sein. 3. Nirgendwo im Norden hat man den Versuch gemacht, den fragwürdigen Kompromiß der primsigning theologisch-dogmatisch zu begründen. Man zog stillschweigend die (von der Kirche aus gesehen schlechte) Lösung einem ungelösten Problem vor. Der Heide aber brauchte sich um die Deutung nicht zu quälen. Er genoß vor allem den Nutzen des Kreuzzeichens. Das stellte seine andern Götter nicht ernstlich in Frage. 4. Die primsigning war, soweit das zu erkennen ist, weder vorher noch nachher von einem Unterricht begleitet. Was also konnte der unbelehrte Heide aus der Handlung entnehmen? Er sah einen Kult, der reicher und farbenprächtiger war als der heimische. Man betete zu einem Gott, der über alles mächtig sein sollte, der alles geschaffen hatte. Es gab Bilder, die den thronenden Gott, den triumphans in der Glorie zeigten. Das Merkwürdigste war vielleicht: dieser Gott hatte keinen Namen wie die übrigen Götter, er hieß Deus, gup, dröttinn. Da man ihn gup nannte, mußte er wohl zu den gop gehören. Aber der Heide ließ das auf sich beruhen. Man konnte ja wählen, wie es Helgi magri tat. d) Der namenlose Gott Menschen, die auf mdttr ok megin vertrauten oder solche, die wie Helgi magri nach dürftiger Belehrung sich die Freiheit der Wahl vorbehielten, vollends solche, die im flüchtigen Akt der primsigning eine schwache Berührung mit Kirche und Christentum erfuhren: alle diese wichen, bei individueller Verschiedenheit ihrer religiösen Vorstellungen im einzelnen, gleichsinnig vom Hergebrachten ab; und zwar zumeist im Namen eines Gottes, der — paradox genug — nicht mit Namen genannt wurde und der noch kaum erfaßt worden sein konnte. Dieser namenlose Gott hat seine Spuren in der Literatur hinterlassen. Doch ehe wir diese mustern, muß zum Problem der Aneignung des neuen Gottesbegriffs etwas gesagt werden. 181

E s scheint ein durchgängiges Phänomen religiöser Krisen- und Übergangszeiten zu sein, d a ß die vorher durchaus personhaften Götter in eine gewisse A n o n y m i t ä t zurückweichen. Die Fixierung der Götter ist fragwürdig geworden, sei es durch philosophische Spekulation, sei es durch religiöse Skepsis, die in der Begegnung mit fremden neuen Gottheiten fast zwangsläufig entsteht. Die Diskussion über den ungenannten Gott der Nordgermanen h ä t t e ergebnisreicher sein können, wenn m a n das Allgemeine der Erscheinung gesehen h ä t t e . Hier helfen antike Zeugnisse weiter. Es scheint kein Zufall zu sein, d a ß sich gerade a n der Frage nach der göttlichen Macht und, damit eng verbunden, a m Rätsel der Schöpfung die Überlegungen entzünden, die zur Konzeption des ungenannten und unnennbaren Gottes führen. Einige wenige Zeugnisse müssen hier genügen. X e n o p h a n e s aus Kolophon (etwa 580 geboren) stellt bereits die Vielzahl der Olympischen in Frage u n d ist auf dem Wege zum einen, namenlosen Gott, wenn er (Diels-Kranz, Die Fragmente d. Vorsokratiker 5 , 1934, I 117, Z. 23—26) folgert: „ W e n n Gott von allen der mächtigste ist, so k a n n er auch n u r einer sein; denn wären es zwei oder drei, so wäre er nicht der mächtigste u n d beste von a l l e n . " 1 Der Frage, wie dieses (oder dieser) Eine mit den höchsten Göttern zusammenstimme, widmet dann Heraclit (Fragm. 32, a.a.O. I 159) einen Aphorismus: „Eines, das allein Weise, will nicht u n d will doch mit d e m N a m e n des Zeus benannt werden." 2 Begreiflicherweise sind es d a n n vor allem die Tragiker, die, aus der Nähe zum waltenden Schicksal, gerade den obersten Gott als einen nicht mehr faßbaren umschreiben, so Aischylos, Agamemnon 160ff. (nach L. Wolde): Zeus, was auch sein Wesen: so er will, d a ß m a n diesen Namen ruft, nenn' auch ich nicht anders ihn 3 . Noch aufgelöster erscheint d a n n bei Euripides (Troerinnen 884ff., nach Friedländer, Die Antike I I , 1926, S. 92) der Begriff des Höchsten: O E r d e n h a l t , u n d der du auf der Erde thronst, wer du auch seist, schwer dringt das Wissen hin zu dir, ob Zeus, ob höchstes Muß, ob Menschengeist, dich bet' ich a n . . . 4 1

el ö'eOTiv 6 &edg änävrojv xodriOTOv, iva orgeirr, selbst noch Heide, hielt. Veranlaßt wurde sie durch neue Boten Olafs, Gizurr u n d Hjalti, die keine Mission mehr zu treiben brauchten. I n Thorgeirs Rede erklingt dreimal die Mahnung zum „einen Gesetz": ef menn scyllde eige hava aller Igg ein d lande her 7 , 1 3 ; oc hgvom aller ein Igg oc einn sip 7 , 1 5 ; at aller scyllde ein Igg hava 7,16. Aris Kapitel m ü ß t e hier abgeschrieben werden, u m ganz deutlich werden zu lassen, daß es nicht um religiöse F r a g e n in erster Linie, sondern um die Erhaltung des Friedens im L a n d e g i n g 2 ; einn sip, d a r u m ging es, wie der beschaffen war, mochte manchem recht gleichgültig sein. An Kompromissen hat es denn auch nicht gefehlt (Ari c. 7,17). Dieses jüngste Christenvolk ist zunächst ganz ohne Kirche. Wandernde und zum Teil wenig glaubwürdige Bischöfe predigen und taufen. Ihre Tätigkeit reicht bis in die Mitte des 11. J a h r h u n d e r t s 3 . Eine kirchliche Organisation haben sie nicht geschaffen. D a Island zum Bremer Stuhl gehörte, ist der große Anteil deutscher N a m e n nicht verwunderlich. Ari nennt c. 8,1 außer Friprecr, dem Missionar vor 1000, noch Biarnharpr enn böcvise, Hröpölfr (den H u n g r v a k a c. 3 aus R o u e n kommen läßt), Biarnharpr (saxlenzki nennt ihn Hv. 3), Heinrecr, endlich Ornöljr oc Gopescglcr, die schon Maurer (Bek. I I 586) ihrer N a m e n wegen für Deutsche hielt. Zwischen diesen steht ein Colr (über diesen Maurer I I 582f.) und ein Ire, Jauhan enn irsce (Maurer I I 583ff.). Am E n d e von Aris Liste marschieren, um das Bild dieser frühen Zustände vollends b u n t zu machen, drei Armenier (ermscer): Petrus, Abraham, Stephdnüs. Wer diese ermächtigte, ist dunkel. Vielleicht waren es Betrüger, wie Maurer I I 587 v e r m u t e t e ; ihr Einfluß ist kaum zu fassen, darf aber wohl nicht unterschätzt werden. Der neuen Kirche 1

Vgl. auch Njäla c. 102, 103 mit anderer Reihenfolge der Ereignisse. Den folgenschweren Spottvers des Hjalti Skeggjason darf ich mit dem Hinweis auf Genzmers Aufsatz Arkiv 44, 1928, 311 ff. übergehen. 2 Wie hinter der Rede des Gesetzsprechers und der Entscheidung der Dingversammlung das starke Rechtswort Med Ipgum skal land byggja steht, hat M. Olsen, MoM 1946, S. 75—88 gezeigt. Zuviel religiöse Bedeutung legt wohl de Vries, RG II 437, in den Begriff des Friedens, wenn er die Entscheidung von 1000 „aus einem heidnischen Lebensgefühl heraus" gefällt sein läßt. 3 Ari c. 8, 1; Hungrvaka c. 3; vgl. Maurer, Bekehrung I I 580ff., der alle erreichbaren Quellen über diese Personen zusammenstellt und die gelegentlichen Abweichungen der Zeugnisse untereinander zurechtrückt. 192

haben sie jedenfalls nicht genützt, wie aus H v . c. 2,12—13 gefolgert werden darf 1 . Die oft und gut dargestellte Geschichte der isländischen Kirche brauche ich hier nicht mehr zu beschreiben. Ordnung schaffen erst zwei Isländer, die in Deutschland 2 ausgebildet worden waren, fsleifr Gizurarson und Gizurr Isleifsson. Beide waren Bischof von ganz Island, der erste von 1055—1080, der zweite von 1082—1106, d a n n noch bis 1118 Bischof auf Skalaholt. Die oben S. 48—69 erläuterten Dichtungen liegen sämtlich in der dunklen Zeit des jungen Christentums vor fsleifr, zum Teil sogar vor 1000. Die a n ihnen beobachteten Synkretistika können nach diesem Abriß der Bekehrungsgeschichte nicht mehr überraschen; es wäre vielmehr merkwürdig, wenn sich in den ersten Zeugnissen christlicher Dichtung schon dogmatisch gefestigtes, wohl unterrichtetes Christentum ausspräche. Die „Musterkarte der verschiedenartigsten Bekenntnisse", von der Maurer sprach, ist im J a h r e 1000 nicht ausgelöscht worden. Heidnisches lebte in mannigfachen F o r m e n weiter. En pöat kristni vseri d landinu, pä väru pö margir gneistar heidninnar eptir (Grettis s. c. 78,1 = AnSB 8, 270). Die Föstbrcedra saga (fsl. sögur 26, 1924, c. 2, S. 5) sagt das gleiche: En pö at pä vseri menn kristnir kalladir, pä var pö i pann tid ung kristni ok mjök vanger, svd at margir gneistar heidninnar väru pö pä eftir. Beide Sätze sind Schreiberweisheit späterer Zeit, deshalb jedoch nicht ohne Zeugniswert. b) Fortdauerndes H e i d e n t u m , Synkretismus, Indifferenz Saemundur Eyjölfsson h a t Timarit 15, 1894, S. 134 alle in diesen Zusammenhang gehörenden Fragen — die Lösung ebenso schlicht wie bestimmt vorwegnehmend — b e a n t w o r t e t : F o r n a trüin deyr nalega aldrei, en htin lifir i einhveri mynd i hinni nyju trü. Dieser Satz darf als Motto über allen Erwägungen zum Problem des nordgermanischen Synkretismus stehen. Denn in der Tat, auch wenn alle Zeugnisse nach 1000 fehlen würden: schon aus der Logik der geschichtlichen Vorgänge müßte das Fortleben heidnischer Vorstellungen gefolgert werden. U m nur das Wichtigste aufzuführen : 1. Die Mission war dürftig, unorganisiert, ungestützt und — zunächst wenigstens — ohne norwegischen Druck. Der Mission stand keine heidnische Priesterkastc und mithin (denn diese Dinge gehören zusammen, wie 1 Es wäre gewiß verwegen, auf Figuren wie diese gewisse Anzeichen manichäischen Einflusses im Norden zurückführen zu wollen. Bei einer eingehenden Interpretation der Voluspä aber wird man an diesem Problem nicht mehr vorbeigehen können nach den Arbeiten von Reitzenstein und dem Aufsatz von W.-E. Peuckert, ARW 32, 1935, S. 1—37. 2 Zum deutschen Einfluß auf das frühe Christentum Islands vgl. auch Lehmann, Anteil I I 8, der allerdings die Macht des Bremer Episkopats überschätzt. Wie wenig man in Bremen von Island und der dortigen Bekehrung wußte, zeigt Adam v. Bremen IV 35, der diese in die Mitte des 11. Jh.s setzt! Im Grunde hatte er damit, trotz des groben Irrtums, eigentlich recht, denn christliches Leben entfaltet sich erst unter Isleifs Leitung.

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vor allem Max Weber gezeigt hat) kein Dogma, kein religiöses „ S y s t e m " , ja nicht einmal eine einheitliche Volksreligion gegenüber. 2. Anderseits brachte es aber die Mission auch nach 1000 vorerst nicht zu einer organisierten Kirche. Es gab keine Gemeinden, schon weil es keine S t ä d t e gab. Die Mission war dort, wo sie tiefer dringen wollte — wie vor 1000 — Werk am Einzelnen. 3. Die ersten Bischöfe waren Landesfremde. Ihre Predigt erging also, wie schon bei Fridrekr, durch den Mund ungelehrter Dolmetscher. Schreibu n d Lesekunst waren noch nicht auf Island heimisch. Heilige Bücher, die vom Kontinent mitgebracht wurden, waren nur in der H a n d der Bischöfe. 4. Diese schwache Kirche konnte keine scharfen Verbote gegen das Heidentum wagen, ganz abgesehen davon, d a ß Verbote zwar gegen die Ausübung eines Kultes, nicht aber gegen eingewurzelte Vorstellungen nützen mögen. Aris Bericht (c. 7,17) über den Kompromiß vom J a h r e 1000 bezeichnet hinlänglich die Lage — unerachtet des Satzes en sipan föm vetrom vas sü heipne af numen, sem gnnor —, zumal diese Einigung, die formelle Annahme des Christentums, stattfand aus Vernunftgründen, trotz einer heidnischen Mehrheit! 5. Die aus den Ereignissen des J a h r e s 1000 zu folgernde religiöse Indifferenz der Isländer, von der noch des weiteren zu reden sein wird, erleichterte zwar die formelle Annahme der neuen Religion, erschwerte aber anderseits das wirkliche Eindringen der christlichen Lehren. Hier liegt einer der Gründe für das Fehlen christlicher Dichtung zwischen 1030 u n d 1150 (vgl. o. S. 70). Alles in allem: d a ß margir gneistar heidninnar im Lande lebendig blieben, würde man unbesehen glauben. Es fehlt aber auch nicht a n deutlichen Zeugnissen dafür. Sie sind, im einzelnen hinsichtlich ihres religionsgeschichtlichen Zeugniswertes nicht unbestritten, mehrfach behandelt worden 1 . F ü r den gegenwärtigen Zweck genügt eine Auswahl. Die Gesetze der christlichen Zeit auf heidentumsfeindliche Bestimmungen durchzusehen, würde sich lohnen. S t a t t dessen m a g hier ein Paragraph aus dem norwegischen Kirchenrecht des 13. J a h r h u n d e r t s hervorgehoben werden, der, wenn auch nordischer Kasuistik Rechnung tragend, noch lange nach der Bekehrung von Bedeutung gewesen sein dürfte; er entspricht inhaltlich überdies genau dem, was die Landnämabök berichtet, er verbietet nämlich u. a. „ a n landvsettir zu glauben, d a ß sie in Hainen wohnen oder in Hügeln oder in Wasserfällen" 2 . E s ist eine bekannte Tatsache, daß sich im Bereich des Aberglaubens — jenes Grenznachbarn „alles Tief poetischen" nach Mörike — uralte Bräuche und Vorstellungen viel 1

Vgl. zum Fortleben des Heidentums im christianisierten Norden de Vries, R G I I 440ff.; H. Kuhn, ZfdA 79, 1942, 133—166; ferner prinzipiell zum Kontinuitätsproblem O. Höfler, HZ 157, 1 ff.; kritisch zu den Zeugnissen vor allem W. Baetke, Christliches Lehngut, 1951; ders., PBB 70, 1948, S. 351 ff. zur Verwendung des Plurals god in christlichen Eidesformeln. 2 Ngl I I 308 (Nyere Gulathings Christenret, § 3 Ef mapr fer med trolldom). Vgl. dazu die Ldn.-Zeugnisse bei Maurer, Island S. 29, ferner Bekehrung I 232f., I I 63; ebda. I I 85 auch zu den verschiedenen Vorstellungen über das Totenreich nach der Bekehrung. 194

zäher halten als im Bezirk der sogenannten ,,hohen Mythologie". Hier, bei den unteren Mächten, liegen die k a u m überwindbaren Kräfte zum Widerstand und die Fermente für einen Synkretismus. Der Vertrag anno 1000 betraf weislich nur den öffentlichen K u l t ; die unteren Mächte werden durch Verordnungen ohnehin nicht erreicht. Ebenfalls in den unteren Regionen des Religiösen hat das Fortleben des Runenzaubers seinen Platz. Er stirbt weder an der neuen Religion noch an der neuen Schrift, setzt vielmehr alte Übung ungebrochen fort. Mittelalterliche Amulette mit Runeninschriften haben wohl die gleiche Funktion wie die Brakteaten des 5.—7. Jahrhunderts. Die Zauberinschriften der christlichen Zeit lassen sich ohne Schwierigkeit in drei Gruppen aufteilen 1 : 1. heidnischer Inhalt in heidnischer Form, 2. christlicher Inhalt in christlicher Form, 3. magische Runengruppen, deren Zuweisung zu 1. oder 2. unsicher bleibt. Zur ersten Gruppe gehört etwa die Bronzeplatte von Högstena (wohl 12. Jahrhundert) mit ihrem Wiedergängerzauber (vgl. Jungner, Zs. Fornvännen 1936, S. 278—304), aber auch ein Krankheitszauber wie pur uigi pik, [pjorsa trutin „Thor tot dich, (den Krankheitsdämon), der Herr der Thursen" (Canterbury-Formel, vgl. D R I , Text Sp. 4891). Die zweite Gruppe ist relativ klein (vgl. Schöttler, a.a.O. S. 33f.), doch bleibt es bemerkenswert, daß auch von Christen Runen zu magischen Zwecken benutzt werden konnten. I n der letzten Gruppe endlich handelt es sich um den bis in die Anfänge runischen Zaubers zurückreichenden Gebrauch des Futhark. Sierke 2 h a t t e schon 21 Zeugnisse dieser Art gesammelt, Schöttler, a.a.O. S. 34f., fand weitere 10. Die Beispiele reichen bis ins 16. J a h r h u n d e r t , Island bietet das letzte. Durch christliche Zusätze entstehen Mischformen wie die auf einer isländischen Spinnwirtel ( I R I S. 205, datiert auf 1300/1400) mit der Inschrift mariafuporkhniastbmly. Auch bei den Runeninschriften auf kirchlichen Geräten (Glocken, Taufbecken, Weihrauchgefäßen) liegt der Gedanke nahe, d a ß man auf die geglaubte Macht der alten Zeichen nicht hat verzichten wollen. Ein lehrreiches Beispiel für das mögliche Nebeneinander heidnischer und christlicher Symbole, deren wichtigstes überdies in Runen gegeben wurde, ist der Taufstein von Lyngby (DRI, Atlas 399—401, Text Sp. 202f., 1008). Rings um das Becken sind in sieben abgeteilten Bogenfeldern angebracht: Tetragramm, Lilie, Sonne und Halbmond, Kreuz, (Lebens-?) Baum, kup, Hakenkreuz. Wo eine solche Reihe um 1200 möglich war, h a t t e das Christentum offenbar manches aufgenommen (oder wenigstens nicht besiegt und wahrscheinlich umgedeutet), was nicht zur reinen Lehre gehörte. Aber die eigentlichen Schwierigkeiten für das nordische Christentum lagen nicht in den niederen Regionen religiösen und magischen Brauchtums, obgleich hier die Dinge des zähesten Überdauerns wohnen; sie lagen vielmehr in der ungewöhnlich hohen Bildung der Nordländer (zumal der Isländer), vor allem in dem Anteil aller an der alten Dichtung. Diese blieb, 1

Vgl. W. Schöttler, Die Runenstrophen der Edda, Diss. Göttingen (masch.) 1948, S. 31 ff. 2 S. Sierke, Kannten die vorchristlichen Germanen Runenzauber?, Schriften der Albertus-Univ., Bd. 24, Königsberg-Berlin, 1939, S. 109—112. 13»

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von einer vorübergehenden Einschränkung heidnischer Kenningar abgesehen, unbeschnitten und hochgehrt. Sie wurde weiterhin gepflegt — ein unerhörter Einzelfall im Abendland — selbst auf dem Gebiet der Götterdichtung, die nun freilich nicht mehr der alten Religion diente — fraglich, ob sie es in der uns bekannten eddischen Art je tat —, sondern Literatur war, die aber gleichwohl das Fortleben der Götter-Überlieferung nicht nur bezeugt, sondern voraussetzt. Man mache, um sich das Einzigartige des Falles deutlich vor Augen zu führen, nur das Gedankenexperiment: in Deutschland, Frankreich oder England hätte jemand, mehr als 200 Jahre nach der Bekehrung, ein Götterlied, vergleichbar der ]>rymskvida, dichten wollen! Ganz abgesehen davon, daß der Wille zu solcher Dichtung nicht mehr vorhanden war — die Bewahrung kärglicher heidnischer Reste spricht natürlich nicht dagegen —, auch die Kenntnisse von der alten Überlieferung hätten nicht dazu ausgereicht, vom Fehlen ungebrochener Kunsttradition ganz zu schweigen. Das Christentum hatte hier in einem ganz anderen Maße gesiegt als im Norden. Nicht bloße Nachahmung, sondern produktive Fortbildung der Götterdichtung war also möglich. Eine solche gibt es nicht ohne ein reiches, überliefertes Wissen. Durch kunstvolles Archaisieren gelang es den Dichtern sogar, ihren Werken den Schein hoher Altertümlichkeit zu verleihen (E>rymskvida, Rigspula), so daß selbst Meister unseres Faches sich lange täuschen ließen. Denn in dem gekonnten Formspiel steckt doch gelegentlich auch noch der Ernst alter Vorstellung, wenn es etwa I>kv. 18,5—8 (mit einer Parallele in Hrbl. 23,5—8, s. S. 135f.) heißt: pegar muno igtnar dsgard büa, nemo, pü pinn hamar per um heimtir. Die Bedrohtheit der Welt durch die Riesen, diese Verkörperungen des Verderbens, geht als charakteristischer Zug durch die Volksüberlieferungen des Nordens bis zum heutigen Tage. Eine Grundkonzeption des alten Mythos lebt weiter. Da die eddische Dichtung erst im 13. Jahrhundert aufs Pergament kommt, müßte die Tradierung der Stoffe und Formen bis zu diesem Zeitpunkt dunkel bleiben, hätten wir nicht auf dem Nachbargebiet der Skaldik ein überzeugendes Beispiel dafür, in welchem Umfang Poesie der heidnischen Zeit — schriftlos, und daher also ständig rezitiert — erhaltenblieb. Um das Ungewöhnliche des Vorgangs deutlich zu machen, mögen hier ein paar Zahlen helfen. Jönssons Skjaldedigtning bringt (A 1—187, B 1—177) aus dem 9. und 10. Jahrhundert 73 namentlich bekannte Skalden (einschließlich einiger wenigen Christen wie Oläfr, Stefnir, J>6rvaldr) mit rund 750 Strophen oder Strophenteilen. Dazu kommen noch rund 60 anonyme Strophen oder Reste von solchen. Selbst wenn sich von diesen insgesamt über 800 Strophen und Bruchstücken etliches als unecht (d. h. erst im 12./13. Jahrhundert oder gar noch später gedichtet) erweist, ist das Ergebnis schlechthin einzigartig für den germanischen Bereich. Die heidnischen Reste althochdeutscher Sprache sind daneben Nichtigkeiten. Ein breiter Strom liebevoll gepflegter Dichtung zieht aus der heidnischen Zeit bis in die Schreibstuben Snorris und seiner Genossen. Das konnte 196

nicht ohne Einfluß bleiben auf die Ausbildung des jungen Christentums. Wo alte Mythen noch kräftig genug sind, die Welt zu deuten, h a b e n es die Bilder der neuen Religion (selbst bei zufällig ähnlicher Gestalt) schwer, sich durchzusetzen. E i n Beispiel: Thors Utgard-Fahrten waren als mythisches Bild für die Bewahrung der Welt vor den verderbenbringenden Mächten so vollkommen, d a ß die Nidrstigningasaga mit ihrer im Grunde vergleichbaren Erzählung vom Sieg über die „Pforten der Hölle" nie aus dem klösterlichen H a n d b u c h in das Bewußtsein des Volks drang. Die Gleichsetzung des midgarzormr mit dem Leviathan etwa blieb d e n n auch ein erfolgloser Versuch 1 . Altes und Neues steht unverbunden nebeneinander. Aber Wirkungen hin und her konnten gar nicht ausbleiben; nicht nur, d a ß die heidnischen Götter in der Dichtung der christlichen Zeit neue Züge gewinnen 2 , auch die neue Lehre wird durch die fortwährende Überlieferung des Alten r e l a t i v i e r t . Thor bleibt Thor, trotz des Sieges Christi über die Dämonen. Aber wichtiger als das Nebeneinander von zwei mythischen Gestalten (in vergleichbarer Funktion) ist die Relativierung im Bereich des Ethischen. Das neue Ethos der christlichen Lehre und Dichtung wird in dreifacher Weise in Frage gestellt: einmal durch das praktische Leben, vornehmlich der Sturlungenzeit, sodann durch die geschilderte Bewahrung alter Dichtung und endlich durch die Sagaliteratur. Vor allem die Saga ist — außer ihrem Wert als Gefäß heidnischer Poesie — für die ins hohe Mittelalter reichende Zweischichtigkeit der ethischen Werte beweisend. Gelegentlich t r i t t einem Schreiber die Diskrepanz sogar ins Bewußtsein, besonders lehrreich in der Hardarsaga ok Hölmverja (vgl. V. Lachmann, Palaestra 183, 1932, S. 91 ff., 175ff.). Hörd, Ächter und Gewalttäter (oft freilich wider Willen), wird, nachdem sein Tod erzählt worden ist, gepriesen als der heldenhafteste u n d klügste Mann seiner Zeit: pykkir eigi honum samtiäa ä alla MuH röskvari madr verit hafa ok vitrari en Hördr (Id. sögur 3, c. 36). Aber dieses Heldenleben war so voller Untaten, d a ß es gegenüber der neuen Ethik erklärt, entschuldigt und verteidigt werden mußte. Der Erzähler h a t gleich drei Gründe zur Hand, die seiner Zeit offenbar als ausreichend gegolten h a b e n : H ö r d h a t t e kein Glück (pöat hann vseri eigi audnumadr; vgl. im Schluß der Gisla s. c. 35, 13); zum Frevler wurde er durch seine Genossen (ollupvi ok hans fylgdarmenn) und endlich „niemand kann seinem Schicksal entrinnen'" {at eigi mä sköpunum renna). Vollends deutlich wird die Diskrepanz, wenn a m Schluß der Saga (c. 41) Styrmir, prestr inn frödi, zitiert wird, der unter den Gesichtspunkten, warum Hörd unter allen Geächteten der Größte gewesen sei, als letzten und wichtigsten diesen genannt habe, at eptir engan einn mann d Islandi hafa jafnmargir menn verit i hefnd drepnir, ok urdu peir allir ögildir. 1

Heil, manna sögur I I 4; dazu Grimm, DM 4 , 152, 833f.; E. H. Meyer, Voluspa, S. 143; Kahle, Acta germ. I, 394, Anm. 2 Vgl. zur Entwicklung der Odinsnamen mit -fadir als zweitem Kompositionsglied gegenüber älterem -fpdr Kuhn, ZfdA 74, 1937, 57; ZfdA 79, 1942, 159f.; Festschrift f. J. Trier, 1954, S. 431; vgl. ferner oben S. 35 f. zur Bezeichnung Odins als harri Hlidskjalfar. 197

Wir stehen da wieder einmal (s. oben S. 110) vor der unauflösbaren Paradoxie: d a ß ein Weltkind beten konnte sett, meyjar mggr, mäls-efni fggr, qll es hjglp af per, i hjarta mer (Kolbein, B I I 49,10), u n d daß gleichzeitig Hörd, dem Ächter, die Liebe des Landes galt, ja daß sein Erzähler „noch ganz in heidnischem Sinne" fühlte (K. Reichardt, AfdA 53, 1934, 40). I n welchem Maße (und ob gar mit einer gewissen Absicht und Freude ?) die christliche Ethik und ihre Kritik am Heidentum beiseitegeschoben wird in der Sagakunst, k a n n hier nicht untersucht werden. Das fordert eine eigene Abhandlung. Soviel steht fest: um 1200 — natürlich auch vorher, denn die Stoffe der Sagas wurden ja, gleichviel in welcher Gestalt und Art, überliefert — u n d in der Folgezeit war es Christen möglich, Sagas zu verfassen über heidnische Helden des isländischen Altertums. Mehr noch: diese Heiden wurden verehrt und bewundert, ihre Dichtungen bewahrt, ihre Handlungen notfalls gerechtfertigt, u n d das noch dazu — wie angeblich durch Styrmir, einen Geistlichen! — in einer Weise, die jeder Heide gebilligt h ä t t e . Die Sagas sind nicht nur durch ihre Nachrichten aus der Zeit vor der Bekehrung religionsgeschichtliche Quellen; sie sagen auch etwas aus über das Christentum des Hochmittelalters auf Island. Paasches günstiges Urteil über die Rechtgläubigkeit des Nordens wäre wohl vorsichtiger ausgefallen, wenn er sich der Sagas erinnert hätte. Die Saga gibt dadurch, daß sie die heidnische Zeit unvoreingenommen schildert, ein Gegenbild zur christlichen Ethik und relativiert diese. Denn wo immer eine gewürdigte Wertordnung neben einer andern steht, hat keine die absolute Herrschaft; sie mindern sich vielmehr gegenseitig, schleifen sich aneinander ab und zeugen Zwischenformen, Mittelwerte. Auch auf ethischem Gebiet gibt es so etwas wie einen Synkretismus. Hier muß n u n noch einmal, ergänzend zu dem S. 17 ff. Gesagten, vom Synkretismus die Rede sein. Die Erscheinungsformen sind vorgelegt worden 1 , aber es fehlt noch die systematische Aufgliederung. Denn was mit dem Begriff Synkretismus bezeichnet werden darf, ist nicht gleichartig. Folgende Grundformen lassen sich im Norden unterscheiden: 1. Der neue Gott wird den alten Göttern oder einem von ihnen, der vornehmlich Verehrung genießt, naiv hinzugefügt. F ü r diesen Typus kann Helgi magri stehen. 1 Die möglichen Kategorien des Synkretismus von modernen Missionserfahrungen her aufzustellen, ist nicht meine Aufgabe. Vgl. dazu J. Thauren, Die Akkomodation im katholischen Heidenapostolat, Missionswiss. Abb. u. Texte 8, Münster 1927; C. Clemen, Der Einfluß des Christentums auf andere Religionen, Veröffentl. d. Forschungsinstituts f. vgl. Religionsgeschichte an d. Univ. Leipzig 12, Leipzig 1933; J. Steffes, Akkomodation und Synkretismus als Missionsproblem, ZM 23, 1933, 1—11; J. Schmidlin, Christentum und Germanentum, ZM 24, 1934, 169—174.

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2. Der neue Gott und einer der alten (oder gar mehrere wie im Bruchstück des Eilifr) gehen eine Verbindung ein, so daß eine neue Gottheit entsteht, die weder die Summe beider Bestandteile ist noch mit einem der beiden gleichzusetzen wäre. Hierher gehört der namenlose Gott. Nicht hierher gehören die (an sich aufschlußreichen) Gleichsetzungen antiker Götter mit heimischen bei der Übertragung der Legenden (vgl. die Beispiele bei Lehmann, Anteil I I 47ff.); denn hier handelt es sich nicht um Anverwandlung einer fremden Religion, sondern lediglich um das gelehrte Bemühen, recht deutlich zu sein. 3. Der neue Gott u n d alles, was durch ihn mitgegeben ist an Dogma, Bildkunst, K u l t u s und Sittenlehre, führt zu einer den Zeitgenossen der Bekehrung k a u m merklichen Verwandlung, Modifizierung und Relativierung der scharfen Konturen des Überlieferten auf beiden Seiten. Dieser Gesichtsp u n k t konnte erst nach den Ausführungen dieses Kapitels hinzugefügt werden. Wir sahen: schon das aus Irland und von den britischen Inseln stammende Christentum einer nicht geringen Zahl von Landnehmern zeugt, als Christent u m zwar untergehend, wunderliche Formen fast schon monotheistischer Religiosität. Die beobachtete Tendenz zum Henotheismus ist von da aus wohl bestärkt worden. Anderseits wird das nur dürftig verkündete Christent u m relativiert und in seiner absoluten Geltung, unabsichtlich vielleicht, bestritten durch fortdauerndes Heidentum, und zwar 1. durch eine modifizierend wirkende, eingewurzelte Denkweise u n d deren Sprache; 2. durch die fortlebende heidnische Überlieferung (Runenzauber, Skalden, eddische Götterdichtung, Saga mit ihrer nicht kritisierten ethischen Wertordnung); 3. durch die naive Einkleidung der neuen Lehre in das heimische Milieu, wie es ganz unbesorgt auch die mittelalterliche K u n s t des Kontinents getan h a t t e . Aber auch das Christentum bleibt, wie gezeigt wurde, nicht ohne modifizierende Wirkung auf das Bild, das man sich vom Heidentum machte. Schon während der heidnischen Zeit beginnt diese Umformung, vor allem u n d nicht zufällig an der Gestalt Odins, denn er ist der Gott der Wikinger (vgl. A 68,12), die mit der neuen Lehre zuerst in Berührung kommen. Wichtiger und mächtiger ist freilich der Zwang, das N e u e zunächst in den herkömmlichen Kategorien des a l t e n zu sehen 1 . Synkretismus ist 1

Es gibt für diesen Vorgang eine erstaunliche Analogie. Die Prähistorie hat vor langem eine wichtige, in ihrer Bedeutung für andere Disziplinen noch nicht erkannte Beobachtung gemacht bei Stilvergleichen am Formengut von Übergangsperioden. Kommt ein neuer Werkstoff auf, etwa die Bronze, so erkennt der Mensch durchaus nicht sogleich die dem neuen Stoff eigentümlichen, in ihm liegenden technischen und künstlerischen Möglichkeiten. Der Mensch verharrt vielmehr trotz des neuen Materials teilweise bei den alten traditionellen Formen. Erst in langem Umgang mit dem neuen Stoff erkennt er dessen Möglichkeiten und Notwendigkeiten. (Dazu komt ferner, daß alter und neuer Werkstoff lange Zeit nebeneinander verwendet werden; vgl. H. Shetelig, Norges Forhistorie, S. 76, 79f.; das Fortleben alter Gegenstände gerade als kultischer 199

mehr eine Sache der Vorstellungen als des Kultes. Mischformen auf dem Gebiet des religiösen Brauches scheinen selten zu sein und sind jedenfalls aus den nordischen Quellen nicht recht zu fassen. Der Unterschied der Religionen wird nicht zufällig als ein Unterschied des sidr begriffen. Mischformen in der religiösen Vorstellungswelt haben zur Voraussetzung, daß mindestens eine Seite nicht dogmatisch gegründet ist. U m so eher ist sie offen für Einflüsse. Verschlossen sind Religionen monotheistischen Charakters, die sich auf Offenbarung berufen; sie allein können Glaubenssätze haben, welche, ihrer N a t u r nach, unumstößlich sind. Die Germanen h a t t e n nichts dergleichen. Wie bei allen nicht monotheistischen Religionen ist auch bei ihnen die Toleranz nicht eigentlich eine Tugend, sondern eine Selbstverständlichkeit, die sich aus dem Wesen einer unformulierten Religion ergibt. Darüber hinaus h a t m a n eine gewisse religiöse Gleichgültigkeit an den Nordländern beobachtet (Kuhn, ZfdA77, 1940, S. 1). E s ist allerdings nicht zu leugnen, d a ß im J a h r e 1000 die stärkere Partei der christlichen Minderheit kampflos nachgab. Aber auch schon im heidnischen Teil der H a v a m ä l spielt Religiöses gar keine Rolle. Maurer, Bekehrung I I 188, betonte bereits, daß hier die Ethik „prinzipiell" von der Religion unabhängig sei (vgl. auch K u h n , ZfdBildung 1939, S. 66f., 70). W a s uns als nordische Toleranz und wohl gar als Indifferenz erscheinen will, ist d a m i t zwar festgestellt, aber noch nicht völlig erklärt. Man t u t gut daran, diese Indifferenz nicht als oberflächliche Gleichgültigkeit zu verstehen. Sie erwächst vielmehr aus einer angelegten Skepsis — entsprechend dem gefährlichen Leben des auf sich gestellten Mannes —, insofern „Stil (Haltung) u n d spezifische Umwelt Korrelatbegriffe sind, die miteinander stehen und fallen" (Rothacker, Kulturanthropologie, S. 103, vgl. auch S. 116f.). Diese Skepsis k o m m t zum Ausdruck in Eigenheiten, die den Charakter der altnordischen Sprache bedeutend mitbestimmen. Die Sagas bieten H u n d e r t e von Beispielen für eine vorsichtige, vorbehaltvolle, skeptisch zurückhaltende Redeweise, deren Leitwörter Verben wie Geräte sah schon Jiriczek, Dt. Heldensage, Straßburg 1898, S. 2f.) I n diesem Vorgang der Formbewahrung waltet offenbar ein Gesetz von logischer Zwangläufigkeit. Nichts hindert, es auch auf unsern Gegenstand anzuwenden. Der neue religiöse Gehalt (gleichsam der neue Stoff) wird seiner besonderen Struktur und Aussage nach zunächst nur ungenügend begriffen. Er wird vielmehr — analog der prähistorischen Formenübertragung — in die alten Formen d. h. in die traditionellen Denk- und Anschauungsschemata geprägt, anverwandelt und so bewältigt. Die vielbesprochene, allerdings oft überschätzte Germanisierung des Christentums hat hier ihre Ursache. Erst später entwickelt der neue Geist die ihm eigene Aussageweise, will sagen: im Umgang mit dem neuen Stoff erweist sich dieser für den Menschen als starker und fordert eine neue Denkweise; nicht mehr adäquate Formen können absterben. — Wollte man das Beispiel bis zum Grunde durchspielen, so ergäben sich folgende „Gleichungen": das alte Material, der Stein, entspräche dem Heidentum — das neue Material, die Bronze, dem Christentum. Bronzegegenstände in fortgeführter Steinform wären gleich den Erscheinungen amalgamierten Christentums; Stein, nun aber nach Bronzeform behandelt, entspräche dem Heidentum, fortgebildet nach christlichem Muster. 200

synask u n d pykkja sind. Sie werden vor allem in unpersönlicher Konstruktion gebraucht („es schien ihm . . . " ) . Wenn irgend etwas die S t r u k t u r der altnordischen Prosa bestimmt (und das heißt doch zugleich, die Denkweise des alten Nordens bezeichnend aussagt), so sind es diese und zahllose andere unpersönliche Redewendungen. Hinter vielen von ihnen steht die Erfahrung eines von Geheimnissen u n d Bedrohungen umgebenen Daseins, das m a n nicht zureichend erkennen, dem m a n nur standhalten kann. K u h n erzählt (Island. Das Heimatland der Sagas, Leipzig o. J., S. 25) aus unsern Tagen ein treffliches Beispiel für diese Haltung, selbst einfache Dinge des Alltags u n t e r zahlreichen Vorbehalten zu betrachten, weil man weiß, d a ß das Schicksal unberechenbar ist. Wo n u n gar Trolle, Wichte, Wiedergänger und wahrsagende Träume eine so große Rolle spielen wie bei den Isländern einst u n d jetzt, ist diese skeptisch-vorsichtige Redeweise natürlich, sie entspricht dem Wissen u m die Unsicherheit sowohl des Lebens als auch des menschlichen Urteilens. Die H a v a m ä l sagen derartiges mehr als einmal 1 . Weiß m a n denn wirklich, ob jener Fels nicht eigentlich ein Troll ist? D r u m sagt m a n lieber pötti mir . . . E s wäre merkwürdig, wenn sich diese Haltung nicht auch auf das religiöse Dafürhalten ausgewirkt hätte. Was uns als Indifferenz erscheint, ist bei den alten Isländern Duldsamkeit; sie wurzelt in der Erfahrung und Überzeugung, daß die absolute Wahrheit in niemandes Besitz ist. Wo das so ist, gibt es keine „Glaubensgewißheit", aber auch kaum religiösen Eifer. Die Skepsis gegen die Erfahrbarkeit des Wirklichen und die religiöse K ü h l e sind zwei gleichsinnige Äußerungen einer Seele, eines Stiles der Nüchternheit. Die nordische Indifferenz ist nicht Oberflächlichkeit, sondern eine tief begründete Geistesverfassung, die allerdings die Bildung v o n Synkretismen erleichtert.

E x k u r s : Z u r N a m e n g e b u n g n a c h 1000 Während de Vries, Baetke und andere um das J a h r 1000 eine tiefgreifende Änderung im gesamten nordischen Geistesleben ansetzen, h a t H. K u h n ZfdA 79, 140ff. am Beispiel des Kenninggebrauchs der Skalden dargetan, daß von einer solchen entscheidenden Zäsur kaum die Rede sein kann. [Nachtrag: vgl. jedoch dazu de Vries, ZfdA 87, 1956, 125ff.] Ein anderer, nicht minder lehrreicher Bezirk des nordischen Mittelalters ist, soweit ich sehe, in diesem Zusammenhang noch nicht befragt worden, nämlich die Namengebung. Die nordischen Quellen lassen erkennen, wie wichtig der Name und der Akt der Namengebung genommen wurden. Diesem Bereich k o m m t eine nahezu religiöse Würde zu (vgl. Grönbech I 229ff., 339f., I I 36ff.). Sollten also die Vorgänge u m 1000 wirklich tief1 Es würde sich lohnen, die Hävamal unter diesem Gesichtspunkt durchzuinterpretieren. Das gleiche gilt für die zahlreichen altnordischen Sprichwörter, die zwar sorgfältig gesammelt, nicht aber ebenso gründlich schon befragt worden sind nach ihrer Aussage über die Welt des Nordländers. Sie reichen vom grimmigen Humor bis zum tiefen Ernst; aber daß der Humor grimmig ist, macht auch ihn fast zum Ernst.

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greifend u n d Innerstes verändernd gewirkt haben, so müßte gerade hier die Verwandlung offenkundig werden. Gewisse Einwände könnten gegen diese Überlegung erhoben werden. Sie sollen besprochen werden, ehe das Material geprüft wird. Man könnte einwenden, Namengebung sei zähes Gewohnheitsrecht, in welches das Neue nicht sogleich habe eindringen können. Jönsson bezeichnete die altnordischen P N mit gewissem Recht (Arkiv 17, 1901, 239) als „genealogiske gengangere", aus denen nur mit größter Vorsicht auf den gleichzeitigen Götterglauben geschlossen werden dürfte. Die Quellen zeigen aber ziemlich eindeutig, daß gerade die Namengebung kein Akt gleichgültiger Gewohnheit war, sondern sehr oft eine Handlung, der ernste Erwägungen vorausgingen. Die Zähigkeit im Bewahren des überkommenen Namengutes •— wohlgemerkt: heidnischen Gutes — lebte nicht zuletzt aus der religiösen Bedeutung dieses Brauches. Nach vielfach geäußerter A n s i c h t 1 spielt der Glaube an eine (hier nicht näher zu erörternde) Seelenwanderung u n d Wiederverkörperung eine wesentliche Rolle. Dieser Glaube aber ist eine religiöse Idee, die überdies allem, was das Christentum über den Verbleib der Seele nach dem Tode zu lehren h a t t e , widersprach. Die Übergangszeit m u ß , gerade weil die alten Götter in ihrem Wert (nicht in ihrem Dasein) in Frage gestellt wurden, die Diskrepanz zwischen den alten N a m e n und dem neuen Geist besonders scharf herausgehört haben. Die Diskrepanz wurde auch rein formal sinnfällig, indem die christlichen N a m e n an der germanischen Art der Namenbildung durch Zusammensetzung nicht teilnahmen. Wenn der Norden gleichwohl bei den alten Namen blieb, so wird man darin ein nicht leicht zu nehmendes Zeugnis sehen müssen 2 . Denn theoretisch wäre es doch ein Leichtes gewesen, einen K n a b e n s t a t t Pörgrimr nun *Kristgrimr, ein Mädchen s t a t t Pördis n u n *Kristdis zu taufen. Ende des 15. J a h r h u n d e r t s ist denn auch Dipl. Isl. V I I 310 ein Kristhallr (1496) belegt; ferner Kristrodr, norwegisch im 12., isl. im 13. J a h r h u n d e r t je einmal (vgl. Lind, Sp. 721) und schon 1229 eine Kristrün3. Aus dem Fortleben der alten theophoren Namen soll nicht direkt auf Fortleben heidnischer Religiosität geschlossen werden, wovor Jönsson mit Recht w a r n t e ; aber die zunächst und noch auf lange Zeit hinaus sehr sparsame Verwendung christlicher Namen darf durchaus als religionsgeschicht1 G. Storni, Arkiv 9, 1893, 199ff.; Kahle, Arkiv 26, 1910, 144, 150; Grönbech I 230f.; zuletzt K. A. Eckhardt, Irdische Unsterblichkeit, 1937. 2 Vgl. auch A. Brandl, Grdr. II, 22, S. 952: „Christliche Namengebung kam in ags. Zeit in weltlichen Kreisen niemals in beachtenswertem Umfang auf. Wo solche alte Sitte der Namengebung fest blieb, werden auch die hiermit verknüpften Vorstellungen nicht so leicht geschwunden sein." — Eine lehrreiche Geschichte steht bei Snorri, Hskr., Öl. s. h., c. 88, 94. Dort wird berichtet, daß ein schwedischer Kronprätendent namens Jakob auf Drängen der Schweden sich Onund nennen muß; Hskr. I I 162 pal najn (Jakob) likadi Svium illa ok kplludu, at aldrigi hefdi Svia-konungr Jdkob heitit. I I 194 . . . litu honum par gefa konungs-nafn, ok par med gdfu Sviar honum Onundar nafn . . . 3 Allenfalls wäre hier noch beizuziehen Oillikristr, Harald Gilles ursprünglich irischer Name, Hskr. I I I 300. Lind, Dopnamn Sp. 334 führt noch einen zweiten Mann dieses Namens an, von den Sudreyjar aus dem Jahre 1224. Die Bisk. s. I 841, 899 liefern noch einen Priester Jöngeirr von etwa 1320, vgl. Lind Sp. 651.

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lieh wichtiger Tatbestand angesehen werden. E r sagt mehr aus als das Weiterleben der alten Namen. Die Frage ist also, wann und in welchem Umfang christliches Glaubensgut in der Namengebung wirksam wird. Die Glaubwürdigkeit der an. Quellen ist bekannt und berühmt. Die Überlieferung ist ferner breit genug (auch hinsichtlich ihrer Erstreckung über die sozialen Schichten), daß eine statistische Erhebung nicht Gefahr läuft, das Bild wesentlich zu verzeichnen. Die Eigentümlichkeit der germanischen Namengestaltung, die fast unendliche Variationsfähigkeit, stellt den Betrachter vor eine Fülle von N a m e n . Verhältnismäßig sehr klein ist die durch Runeninschriften überlieferte Gruppe urnordischer Namen. Sie enthält keinen christlichen. Beim Namenvorrat der schriftlichen Überlieferung t u t man gut, zu gliedern in 1. eigentliche Namen, 2. Beinamen. I n beiden Abteilungen 1 m ü ß t e sich, wenn die Ansicht von der einschneidenden Bedeutung des J a h r e s 1000 richtig wäre, ein angemessener Niederschlag des neuen Geistes finden lassen. Dem ist nicht so. I n den über 1300 Spalten bei Lind (Gruppe 1) finden sich folgende christliche Namen 2 , deren zeitliche Verteilung nach den Erstbelegen am Schluß des Verzeichnisses darzustellen sein wird. Abil An. I, IV 1250 — Abraham um 1100 einmal DN I I I 118, ab 1338 mehrfach, im ganzen jedoch selten, auf Island erstmals D I IV 308: 1423 — Absalön An. IV 1157 — Ädämr An. 1222, als PN selten, von Island nur ein Fall 1423 — Agatha, ältester Beleg von Island, An. 1293, in Norwegen zuerst 1493 — Agnis um 1220 DN X I I 3, auf Island 1344 — Albanus DI VII 257: 1495 — Ambrosius An. VTII, 1491 — Andres ziemlich früh in Norwegen, 1135, auf Island anscheinend zuerst bei den Oddaverjar 3 , vor 1222 — Anna spät und ungewöhnlich in Norwegen, auf Island zuerst 1424, Suppl. 20 — Antonius nur einmal isl. DI V I I I 303: 1510 — Äron ziemlich früh auf Isl. (Sturl. s.), Mitte 12. Jh. 1

Zugrunde gelegt seien die Namenverzeichnisse von Lind, Dopnamn, 1905—1915; die Zeitgrenze dieser Sammlung ist etwa das Jahr 1500; dazu der Supplementband, 1931; vgl. ferner A. Jantzen in NK VII, 140—144 (eine freilich nicht vollständige Liste christlicher Personennamen). An älteren Arbeiten nenne ich F. Jönsson, Aarb. 1907, S. 161—381 und Kahle, Die altwestnordischen Beinamen bis zum Jahre 1400, mit Nachträgen zu der Abhandlung von Jönsson, wichtig für die Diplomataria und das 14. Jh., welche beiden Gebiete Jönsson nicht einbezog. 2 Die Namen in normalisierter Schreibung. Namen, die zwar christlicher Herkunft sind, aber keinen Nordmann bezeichnen, lasse ich beiseite. Ebenso fehlen in obiger Liste einige unsichere Namen sowie natürlich solche antiker Herkunft für Personen der vorchristlichen Zeit (Alexander). Bei häufiger vorkommenden Namen wird nur der früheste Beleg verzeichnet, die Häufigkeit aber nach Möglichkeit notiert. Eine unvermeidbare Fehlerquelle entsteht dadurch, daß nicht bei jedem Namensträger die Nationalität sicher ist. Unser Ziel ist daher, Verhältniszahlen zwischen den Erstbelegen der einzelnen Jahrhunderte, nicht absolute Zahlen zu bekommen. In der Liste werden folgende Abkürzungen gebraucht: An. = Islandske Annaler, ed. G. Storm, 1888; DN = Diplomatarium norvegicum, 1849 ff.; D I = Diplomatarium islandicum, 1857 ff.; Ldn. = Landnämabök; Sp. = Spalte bei Lind; Suppl. = Supplement (Lind). 3 Die Modernität in der Namenwahl dieses Geschlechts beleuchtet E. Öl. Sveinsson, The Age of the Sturlungs, 1953, S. 39.

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Barbara DI IV 637: 1443 — Bartholomeus D I VI 249: 1480, nur dieser eine Beleg — Benedikt im 12. Jh. in Norwegen sowohl als auch auf Island und den Orkneys, später isl. selten; ältester Beleg Sturl. s., (dazu die Kurzform Benne u. ä., Sp. 121 f. — Benedicta DN IV 364, Oslo 1368 (eine Nonne), nur dieser eine Beleg — Bernardin, nur norw., Ende 15. Jh. — Blasius An. 1243. Cecilia, früh in Norwegen (Fürstenfamilien), auf Island später, 12. Jh., und ungebräuchlich, Ldn. — Constantia, 1320 Äbtissin zu Bergen, Suppl. 195. Daniel norw. Belege seit dem 14. Jh., einmal isl. 1451, Suppl. 197 — Ddvidr An. I V : 1214, vgl. Njala c. 154,2, nicht auf Island — Dorothea, nur norw., 15. Jh. — Elin (Helena), ältester Beleg Orkneys, 12. Jh., Norwegen zuerst 1303, isl. in einem ON schon 10. Jh., sonst erst 1471 — Elisabeth, norw. erster Beleg 1352 — Engill isl. 1389 alleinstehend, norw. 1321; die Form Engli, Lind 235, seit dem 13. Jh., wohl nur norw. — Eva, keine Belege außer dem unsicheren ON Ewo rud in Eidanger. Fabian D I V 83: 1451, nur dieser Beleg — Felix isl. zuerst im 15. J h . Gabriel norw. (?) Priester, 1289, isl. kein Beleg — Genovefa DN IV 456: 1392, Äbtissin, der Name nur hier — Gotshalk, fast alle Ausländer, vielleicht ein Norw. 1326, ein Isl. D I VI, 658: 1489 — Gregorius selten auf Island, DI I I 79: um 1270; in Norwegen der älteste Namensträger gest. 1161, vgl. Suppl. 306ff. Jakob sehr spät in Norwegen, erst nach 1400 gebräuchlicher, älter und häufiger in Schweden und Dänemark; ob Bisk. s. I 409 ein Isländer gemeint ist, bleibt unsicher (12. Jh.) — Jöhan, bald nach Einführung des Christentums in Norw. und Island, 11. Jh., wird dann einer der häufigsten PN auf Island (Lind 647ff. u. Suppl.), Nebenform Jsenis — Johanna, späte norw. Belege ab 1416 — Jokim einmal isl. um 1500 — Jöngeirr isl. Priester um 1320 (Bisk. s. I 841, 899) — Jordan norw. Ende 12. Jhs. — Jösepr um 1160 auf Island, von da ab mehrere Belege; später, aber häufiger in Norw. — Isakr im 12. Jh. in Norwegen (Sp. 1294, Suppl. 532f.), nicht auf Island — Justinus DI I I I 293: 1375, einmal — Justina norw. 1320 (Suppl. 535) — Jsenis norw. erst im 14. Jh. — Jsesse norw. erst im 14. Jh., isl. wenige Fälle im 15. Jh. (Koseform von Jsens, Jens). Karlamagnus (Bisk. s., Sturl.) An. I I I , 1310, nur eine Person — Kaspar DN I I 692: 1487 (Priester) —Katrin(a) um 1300 auf Island, desgl. Norwegen, wohl meist geistlichen Standes, Suppl. 555f. —Klara nur einmal DI I I I 734: 1410 — Klaus einmal isl. 1425 — KUmetr isl. und norw. schon 12. Jh., später oft in Norw., selten in Island (Lind 692ff., Suppl. 557ff.) — Kristhallr DI VII 310: 1496 — Kristian Namensträger meist Ausländer (vgl. Suppl. 585), auf Island nicht vor 1500 — Kristin(a) norw. mehrfach im Königshaus, im späten 12. J h . beginnend, später und selten auf Island; noch später dann ganz gewöhnlich, vgl. Suppl. 585ff. — Kristmann nicht isl., norw. 15. Jh., selten — Kristojer norw. kaum vor 1500, isl. mehrfach, Ldn., An. V I I I : 1288 — Kristrün (farkona!) 1229 und 1491, nur zwei Belege — Kristredr einmal isl. 13. Jh. Lafranz (Laurentius) norw. im 12. Jh., spät und selten isl.; die Namensträger meist Priester zweifelhafter Herkunft (Lasse als Koseform, Lind 730f.) — Lucia isl. nur in einem ON Luciuhojdi DI IV 4 1 : 1397; norw. im 14. J h . — Lukas einmal isl. 1384 (vgl. aber Lind, Bin. 248 Petr Lucas brödir, gest. 1200). Magdalena nach 1500 erst gewöhnlich in Norw., isl. offenbar gar nicht — Magnus (inn gödi), König, der erste Träger des Namens, vgl. dazu Kahle, a.a.O. S. 145 — Margrit(a) norw. im 12. Jh., DI I 277: 1181, später in Norwegen und Island ganz allgemein — Maria, als Taufname nicht vor 1500 in Norwegen und Island, ausgenommen einige norw. Königstöchter — Mariana nur einmal norw. 1521 — Marin(a) erst 15. Jh., selten — Marion einmal isl. im 15. J h . — Markus, früh und gebräuchlich auf Island (Lind 764f. u. Suppl. 612ff.; der Skalde Markus Skeggjason der erste Träger des Namens; später und weniger 204

gebräuchlich in Norwegen — Marteinn isl. Ende 12. Jh.s, später allgemeiner, auch in Norwegen (Suppl. 614ff.) — Matheus, färöiseher Bischof 1157, ungewiß, welcher Herkunft, isl. erst einmal 15. Jh. (Kurzform Theus nur norw. und sehr spät) — Mathias nicht vor 1300, fast nur norw., vgl. Suppl. 620ff. — Mikiäll norw. zuerst im 14. Jh., später und selten auf Island — Moises einige Male norw. seit Mitte des 13. Jh.s. Nikoläs norw. und isl. schon im 11. Jh. — Nonus An. VII, 1403 ein Beleg. Päll früh in Norwegen und Island; einer der ältesten der Orkneyjarl Päll I>orfinnsson, geb. vor 1064 — Pitr isl. schon um 1000, Ldn. drei Personen des Namens, zahlreicher erst nach 1200, desgl. in Norwegen — Philippus norw. im 12., isl. im 13. J h . — Pontianus einmal DI I I I 394, Priester 1386—1398. Rakel isl. 13. Jh., selten — Rolandr DN I I I 528, ein Kanoniker in Oslo 1414—1441. Salomön, zuerst auf Island um 1240, 1296 zuerst in Norwegen — Samson norw. im 13. Jh., nicht isländisch — Samuel einmal norw. 1528 — Severin erst im 15. Jh., nicht isl. — Simon einmal isl. um 1000, Ldn., im 12. Jh. öfter, doch viel sparsamer als in Norwegen — Sofia isl. selten, zuerst 1394 — Stefan orkneyisch schon im 12. Jh., 1244 einmal isl., nach 1300 isl. und norw. üblicher. Theobald einmal im 13. Jh. isl. (Bisk. s.) — Thomas erstmals isl. im 13. Jh., desgl. Norwegen, später ganz gewöhnlich — Ursula isl. nur einmal Sturl. s., um 1200, norw. erst sehr spät — Valentinus isl. einmal Ende des 12. Jh.s (Bisk. s., Sturl. s.), dann erst wieder im 15. Jh., nicht norw. — Valerianus DI I I I 180: 1361, dann mehrfach erst im 15. Jh. — Vincentius einmal im 12. Jh. (Sturl. s.), dann erst wieder 1460; erster norw. Beleg von 1519. Yrian (Jörgen) nur norw., 15. J h . JEgidius DN XIV 141: 1489, ungewiß, ob ein Norweger, nicht isl. 1 . Ein knappes H u n d e r t christlicher Namen aus Island und Norwegen ist damit verzeichnet. Der zunächst groß anmutenden Zahl verschiedener Namen steht bei den weitaus meisten eine sehr geringe Zahl an Belegen gegenüber. Dazu k o m m t ferner, daß es sich nicht selten um Ausländer (oft wohl Deutsche ) gehandelt hat, ohne daß das für jeden Fall mit Sicherheit zu entscheiden ist. Diese wären also eigentlich noch auszuscheiden. Wo die Namensträger geistliche Personen sind, liegt es überdies nahe zu denken, daß ihr christlicher Name erst später angenommen wurde; Kahle, Arkiv 26, 235 führt z. B. eine Gudrun Anna aus dem 14. J a h r h u n d e r t an, Anna ist hier also der klerikale Beiname. Das Verzeichnis bestätigt also die E r w a r t u n g : die Namengebung i m Norden zeigt nach 1000 noch für lange Zeit k e i n e n nennenswerten christlichen Einfluß. Der Befund läßt sich durch eine Statistik noch deutlicher machen. Ordnet man die Belege nach ihrem je ältesten Zeugnis (wobei Island u n d Norwegen nicht unterschieden werden sollen), so zeigt sich folgendes Bild: Jahrhundert: Erstbelege:

X. 1

XI. 7

XII. 20

XIII. 18

XIV. 22

XV. 25

1

Das umgekehrte Verfahren wäre nun gleichermaßen wünschenswert: der obigen Liste eine weitere an die Seite zu stellen, welche die ausgesprochen „heidnischen" Namen zusammenstellt. Ein bei Lind nicht verzeichneter Ödinulfr DN V 131, wohl aus dem 13. Jh., gibt doch zu denken. Vgl. auch einen Beinamen wie Amaldus dictus Jölahestr bei Lind, Binamn 180. 205

Die Zahlen geben den Zuwachs an neuen christlichen Namen je Jahrhundert an, ohne daß damit etwas über ihr Fortleben oder das der älteren Namen ausgemacht wäre. Nur wenige christliche Namen tauchen früh auf. Gerade diese wenigen sind es, die sich durchsetzen und in Gebrauch bleiben. Die sieben unter dem 11. Jahrhundert aufgeführten sind Jon, Magnus, Markus, Nikolds, Pdll, Petr, Simon. Der eine unter dem 10. Jahrhundert aufgeführte Name ist Cecilia; er ist wahrscheinlich beschränkt auf norwegische Fürstentöchter. Auf Island erscheint er erst im 12. Jahrhundert und bleibt ungebräuchlich. Ähnlich verhält es sich mit Maria; der Name begegnet nicht vor 1500, außer im norwegischen Königshaus. Auch Kristina beginnt schon im späten 12. Jahrhundert in der Königsfamilie, ist aber für Island erst im 13. und 14. Jahrhundert je nur einmal bezeugt. Noch später ist der Name auf der Insel ganz geläufig. Eine Untersuchung des altnordisch-christlichen Namenvorrats unter soziologischen Gesichtspunkten bliebe wohl nicht ohne interessante Ergebnisse1. Andere Namen sind zwar relativ früh belegt, bleiben aber nicht im Gebrauch und tauchen erst viel später in einem weiteren Zeugnis wieder auf; manche etwa des 12. Jahrhunderts sind also nur Vorboten, zunächst ohne Nachfolge. Neben der Fülle der Eigennamen steht eine nicht weniger imposante Menge an Beinamen verschiedenster Art (zusammengestellt von F. Jönsson, a.a.O., und Kahle, a.a.O., vor allem von Lind, Norsk-isländska Personbinamn frän Medeltiden, 1920—1921). Der Beiname gilt oft als der „eigentlich charakteristische", so daß er den Tauf- (Eigen-) Namen „ganz oder doch fast ganz verdrängt" (Kahle, a.a.O. S. 145). Der Vollständigkeit halber müßten auch die Beinamen noch vorgeführt werden, wieder unter dem Gesichtspunkt, was sie über die angebliche Greisteswende um 1000 auszusagen haben und in welchem Verhältnis sie zu der übrigen Namenproduktion der fraglichen Jahrhunderte stehen. Ich gebe hier keine Liste, sondern beschränke mich auf eine knappe Zusammenfassung des Ergebnisses. Die relativ geringe Zahl der in unsern Zusammenhang gehörenden Namen ist lehrreich. Schon vor 1000 gab es Christen, nach 1000 stieg ihre Zahl auf ein Vielfaches, und doch wird dieses Christ-Sein (nebst allem, was dazu gehört) nicht oft als bezeichnend aufgefaßt. Die wenigen Fälle des Beinamens hinn kristni etwa zeigen eher, daß wirklich signifikantes Christsein offenbar noch recht selten war bei den ersten Grenerationen der Bekehrten. Die Sichtung der wenigen Beinamen mit christlich-kirchlichem Inhalt ergibt: 1. zur Datierung: außer dem alleinstehenden Köri (Egils s.) und dem Beinamen kristni oder ökristni erscheinen keine hierher gehörenden Beinamen vor dem 12. Jahrhundert. Das allmähliche Zunehmen seit dieser Zeit deckt sich mit dem Bild, das die Dichtungsgeschichte bietet; 1 Vgl. E. Öl. Sveinsson, Age of the Sturlungs, S. 39; ders., Nafhgiftir Oddaverja, Bidrag tili nordiskfilologi,tillägnade Emil Olson, Lund 1936, S. 190—196.

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2. zur Typologie: die wichtigsten Typen christlicher Beinamen sind folgende: a) dem einheimischen PN wird ein lateinisches Wort beigefügt, Runölfr anima, Oddr oremus; b) dem einheimischen PN wird ein christlicher zugesetzt, wohl meist der Mönchs-, Nonnen-, Priestername, Sveinn prestr Mathis; c) dem einheimischen PN wird ein Kompositum mit kirkju- beigefügt oder Kirkju- vor den PN gesetzt, Kirkju-Grimr. Hinzuweisen ist noch darauf, daß keiner der christlichen Beinamen ein tieferes Eindringen in das Wesen der neuen Religion oder ein Eingehen auf die von ihr gepredigten Tugenden verrät. Ein Typus wie ,,xy, der Barmherzige", an sich denkbar, kommt nicht vor.

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Die christlichen Kenningar 1. Die Nomina sacra im Kenningstil Die Kenningar eines christlichen Dichters geben noch nicht die Summe seines Glaubens oder religiösen Wissens und Fühlens. Allein, was durch die K e n n i n g a r ausgezeichnet wird, ist das eigentlich Sinnschwere. Die Umschreibungen der christlichen Dichtung sind zumeist inhaltlich anderer A r t als alles bis dahin von den Göttern Ausgesagte, aber formal bleiben sie in der Tradition u n d führen die schwere W ü r d e und Bürde dieser eigentümlich nordgermanischen Dichtweise mit sich. Allerdings werden sie durchsichtiger, da sie sich nicht auf eine alte, figurenreiche Mythologie beziehen können, durchsichtiger bis zur bloßen Umschreibung, die m a n nicht mehr als Kenning bezeichnen kann, weil ihr der Rätsel- u n d Verweisungscharakter abgeht. I m ganzen aber ist es gerechtfertigt, in den Umschreibungen der christlichen Dichtung das Mittel zu sehen, durch welches die Nordleute das ihnen Wesentliche der neuen Religion dichterisch sagten. Eine vollständige Sammlung dieser Umschreibungen ist erforderlich. Aus ihr sind Aussagen über das Gottes- u n d Christusbild der Dichter des 11. u n d 12. J a h r h u n d e r t s zu gewinnen. Zu dem Thema dieses Kapitels gibt es einige verdienstvolle Vorarbeiten 1 , die aber den Mangel haben, daß sie (außer ihrer Unvollständigkeit) Altes und Junges ununterschieden zusammenstellen, die historische Schichtung und damit die Entwicklung des Wort- u n d Bilderschatzes im Bereich der Nomina sacra nicht oder n u r sehr schwer erkennen lassen. E s war also notwendig, die Sammelarbeit noch einmal zu t u n . I n der Darstellung muß immer wieder auch ein Blick auf die theologische Prosa geworfen werden. Diese ist weitgehend Übersetzungsliteratur, ihre Bilder stammen zu großen Teilen aus den lateinischen Vorlagen. E s fragt sich: was wählt die — zeitlich oft spätere — Dichtung davon aus, was übergeht sie? E s wird sich zeigen, d a ß die Dichtung in ihren Wort- und 1 Die Prosabelege verzeichnete Kahle, Acta germ. I, 1890, S. 307—441; kritisch dazu A. Heusler, Lit. Bl. f. germ. u. rom. Philol. 12, 1891, Sp. 335f.; die poetischen Zeugnisse bei Kahle, Arkiv 17, 1901, S. 97ff. (bei weitem nicht vollständig) ; ferner Meissner, Die Kenningar der Skalden, dazu die Rezension von A. Heusler, AfdA 41, S. 127—134 ( = Kl. Sehr. I I , 292ff.), vor allem S. 294 zum Fehlen chronologischer Angaben. — Für die ae. Dichtung und ihre möglichen Quellen in lateinischen Texten vgl. Rankin, JEGPhil. 8, 1909, S. 357ff., 9, 49ff.; ferner Bode, Kenningar, S. 79ff., 85f. und vor allem Hertha Marquardt, Die altenglischen Kenningar, Halle 1938, bes. S. 266ff. Zur deutschen Dichtung vgl. H . Göhler, ZfdPhil. 59, 1935, S. 1—52; B. Schwarz, Das Gottesbild in höfischer Dichtung, Bonn 1933 und G. L. Wiens, Die frühchristlichen Gottesbezeichnungen . . . , Berlin 1935.

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Bildschöpfungen ungleich freier — weil nicht an zu übersetzende Vorlagen gebunden — ist als die Prosa. (Das gilt nicht in vollem Umfang für das Bild der erst spät auftretenden Maria, die immer nahe an lateinischen Vorbildern bleibt.) In dieser Freiheit der Dichtung zeichnet sich ein echteres Bild religiöser Vorstellungen ab als in der Prosa. Diese Freiheit des Aufnehmens und Verwerf ens von Neuem bringt es mit.sich, daß ein eigentümliches Gottesbild aus den Kenningar abstrahiert werden kann, das sich sowohl von dem prosaisch Bezeugten wie von dem geschichtlich Späteren wie auch endlich von allem sonst zwischen 1000 und 1200 in Europa Vorkommenden nicht unwesentlich untersöheidet. Der Schluß dieses Kapitels wird das zusammenfassend zu schildern haben. Im Kenningstil lag die große Möglichkeit, den neuen Gott zwar nicht in die alte Religion, wohl aber in die gewohnte Denk- und Dichtweise aufzunehmen. Kein Wunder, daß dabei manche Formel entsteht, die kein Schriftzeugnis für sich nachweisen kann! Hier lag ein weites Feld für mehr oder weniger ausgeprägten Synkretismus. Paasche, in seinem Bestreben, schon für das frühe nordische Christentum eine echt katholische Religiosität nachzuweisen, warnt daher folgerichtig a.a.O. S. 25 vor einer Überschätzung dieser „Verweltlichung" der heiligen Personen: „Man maa ikke ta for tungt paa denne verdsliggjerelse. Skaldene, som kalder Krist konge, klaer ham i det bedste navn de kjender." Es wird zu untersuchen sein, ob sich in der altnordischen Darstellungsweise eigener Formwille und, was wichtiger ist, ein eigenes Gottesbild abzeichnet. Ich beschränke die Verzeichnisse der Kenningar 1 und Umschreibungen auf Gottvater, Christus, den Heiligen Geist, Maria und den Teufel. Innerhalb dieser Gruppen sollen die Belege, soweit die Datierung es zuläßt, chronologisch folgen. Die großen Gruppen werden nach Sinnbezirken untergegliedert. Eine große, schon mehrfach beobachtete Schwierigkeit, über die noch des weiteren zu reden sein wird, muß vorweg erwähnt werden. In sehr vielen Fällen ist der Sammler im Zweifel, ob eine Kenning Gott oder Christus meint. Der Kontext gibt oft keine Entscheidung. Da die göttlichen Personen in der Dichtung nur sehr wenig unterschieden werden, ist selbst ein relativ großer Prozentsatz vielleicht fehlerhafter Einordnungen nicht allzu schwerwiegend. Gelegentlich ist der Zweifel an der Zuordnung durch (G? Kr?) bezeichnet. 2. Gott Die folgenden Verzeichnisse der poetischen Umschreibungen streben Vollständigkeit an. Denn aus der dadurch erst sichtbar werdenden Verteilung der Kenningar auf die verschiedenen Gestalten und Sinnbezirke lassen sich Schlüsse ziehen. Die große Zahl der Kenningar ist aber überdies 1

Der Begriff Kenning wird liier nicht im strengen Sinn gehandhabt, da es nicht auf formale, sondern auf inhaltliche Dinge allein ankommt. Poetische Umschreibungen wie etwa yfirslülir, gewiß keine Kenning, werden also mit aufgenommen. 14 7362 Lange, Studien (Palaestra 222)

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als Menge an sich schon lehrreich, vor allem, wenn man bedenkt, d a ß die Umschreibungen nicht ins Unendliche variabel, sondern in ihrer Bildungsweise dreifach eingeschränkt waren durch die Erfordernisse von Stabreim, Binnenreim und Sinn. Gemessen an diesen relativ engen Grenzen ist das Geleistete u m so erstaunlicher. Viel hingegebene Arbeit, Begeisterung, aber auch dürre Tüftelei steckt in dieser Fülle der Formen. Die lange Tradition der Skaldik kam der christlichen Dichtung zustatten, de Vries' grämliches Urteil (LG I I 365f.) über die „verdrießliche Einförmigkeit'' der christlichen Kenningar ist unangemessen, weil es nach falschem Maßstab gefällt wurde. Die Gliederung des Stoffes ist nicht einfach. Da die Kenning ihrem Wesen nach Verschiedenartiges in sich zusammenrafft, entstehen Ausdrücke, die m a n mehreren Abteilungen zuordnen könnte. Man wählt daher zweckmäßig ein nicht zu differenziertes Ordnungsschema 1 , insbesondere auch wegen der noch zu besprechenden Ambivalenz und Vieldeutigkeit mittelalterlicher Begriffe. Die hier versuchte Aufteilung ist diese: 1) god, fadir (desgl. Kristr, sonr) 2) Schöpfer 3) Herrscher a) des Alls, Himmels u n d der Erde b) der Sonne, Gestirne und des W e t t e r s : der kosmische Gott c) der Engel und Menschen 4) Spezifisch christliche Bestimmungen aus dem Bereich von Sünde, Gnade, Erlösung usw. Die gleiche Gliederung läßt sich auf die Kenningar für Christus anwenden. Beide Gruppen können so bequem verglichen werden. Allgemein mittelalterlich und christlich insgemein, besonders typisch aber für die altnordische Dichtung ist die Erscheinung, d a ß zwischen den beiden göttlichen Personen nicht streng geschieden wird. 1. Oud, faäir. Gud, m., ursprünglich N e u t r u m 2 u n d als solches auch in christlicher Zeit noch für die heidnischen Götter gebraucht, jedoch auch noch in Eidesformeln 3 , ist häufig in der Dichtung. Große Werke, die mehrere Dutzende Kenningar für Gott bieten, geben auch oft das einfache gud, z . B . Plac. 2, 7, 12, 13, 14, 19, 28, 30, 47, 48, 54; Leid. 7, 12, 13, 17, 19, 27, 32, 33, 34, 39. Das Wort wurde aber vermieden in Umschreibungen; gup himna Söl. 6 steht allein; die Bisk. s. I 39 kennen diese Formel, dort ist gup himna den alten Göttern gegenübergestellt. 1

Ich weiche daher von Kahles Gliederung Arkiv 17, 123—129 ab. Ein zu enges Einteilungsschema reißt gerade bei diesem Gegenstand Dinge auseinander, die zusammengesehen werden müssen. 2 Vgl. Noreen, Altisl. Gr. 4 , S. 55, 253, 267; Kahle, Acta germ. I, S. 375f.; Baetke, P B B 70, 1948, S. 353f. 8 H . K u h n , ZfdA 79, 1942, S. 166; Baetke, a.a.O. S. 351—371. Vgl. auch Fritzner I 620, 658: gup (neutr.!) für den Christengott: Peim se gop grämt es pvi nitir (Grägas). 210

Gerade entgegengesetzt ist der Gebrauch von dröttinn. Das Wort k o m m t allein häufig vor, jedoch ebenso oft in Kenningar (vgl. unter 3). I n heidnischer Zeit scheint es nicht auf einen der Götter angewandt worden zu sein. Der „Vater unser" ist, befremdlich genug zu sehen, nicht angenommen worden. Die Belege für ihn sind spät u n d ganz spärlich: Leid. 29 fadir aldyrr, 31 fadir allra, 38 fadir fyrda; in 861. 27, 75 steht fadir allein 1 . Der Begriff „ G o t t v a t e r " wird gar nicht gebildet; gupfaper NgL I 380 und Hallfreds Gebrauch des Wortes Lvv. 26, 28 gehören nicht hierher. Auf die Prosa (bis nach 1200) bleibt beschränkt lävarpr : me. Iduerd : Lord; im norwegischen Homilienbuch (ed. Unger, 1864, S. 119,122) steht es für Gott, Bisk. s. I I 98 für Christus, in der Dichtung t a u c h t das Wort erst Merl. I I 57 auf. 2. S c h ö p f e r . Gottes Schöpfertätigkeit, eine den Nordgermanen ungewohnte Vorstellung — denn die alten Götter waren keine Schöpfer, insbesondere keine Schöpfer aus dem Nichts —, wird zwar in der alten Dichtung mehrfach betont, so von Skapti, von Markus und von Plac. 32, doch reizte gerade dieser Aspekt des neuen Gottes nicht sonderlich zur Bildung von Kenningar, die formal in Fülle möglich gewesen wären. Der skapari himins ok jardar NgL I 261, I I 22 steht in jungen Gesetzestexten. Der Dichter der Lilja erst führte den Begriff Str. 7, 5 1 , 62 endlich in die Poesie ein. Einfaches skapare ist prosaisch häufig (vgl. Leifar 198 creator, 55 conditor, 60 creator omnium, 2 omnicreator, dazu Kahle, Acta 1381). Allein Has. gibt drei Belege für unsere Zeit: 1 allar aldar skaptir, 3 einskepiandi landa, 58 gervandi logskrins. An smidr läßt sich das gleiche beobachten: zunächst Bild der Prosasprache, gelangt das Wort erst spät in die Dichtung. Einem eilifr hgfopsmipr Leifar 14 (vgl. Bisk. s. I 744 hinn heste hofopsmipr), in Leifar 34 auch für den Heiligen Geist gebraucht, antwortet unter den Dichtern erst Kolbeinn Tumason (gest. 1208), Lv. 8, B I I 4 8 : Heyr himna smidr, hvers skäldit

biär.

Die Auffassung von Gott als einem örjftiovQyog, opifex ist altchristlich; schon Wulfila hebt sie in seinem Glaubensbekenntnis nachdrücklich hervor (vielleicht nannte er den Gott *smips, vgl. Kahle, Arkiv 17, 11 f.). 3. H e r r s c h e r . Schon unter 1) wurde auf den Gebrauch von dröttinn hingewiesen. Das Wort steht häufig ohne weitere Bestimmung, z. B. Plac. 26, 28, 32, 37, 39; Leid. 1, 2, 3, 5, 8, 9, u. ö., auch Söl. 22, 25, 35, 82, während in Ge. sowohl Gott als auch der König mit dröttinn bezeichnet werden können. Die älteste christliche Dichtung (um u n d bald nach 1000) vermeidet noch das alleinstehende dröttinn wie auch Kenningbildungen mit ihm. Einige allgemeine „Herrscher"-Umschreibungen mögen hier folgen, ehe die drei großen Gruppen vorgelegt werden: Plac. 46 himna harri (vgl. herra heims ok jarpar NgL I 457); Ge. 1 alls-valdandi (ebda. 50 vom griechischen Kaiser), 5 alls-rädandi; Has. 62 rassir ens sanna tirar; Leid. 3 aldar styri — 1 Vgl. schon Jorgensen, Nordiske kirkes grundlseggelse . . . I, 574 f. und Kahle, Arkiv 17, 24.

H*

211

vgl. dazu heimsstyrandi „Weltlenker" für Adam (!) in Lilja 12, L P gibt fälschlich „ G o t t " als Bedeutung an zu dieser Stelle — ; Leid. 24 einn styrir alls tirar, 36 konungr. 3a. H e r r s c h e r d e s A l l s , Himmels und der Erde. Die Kenningar aus diesem Sinnbereich bilden die größte Gruppe, zumal wenn m a n die sinnverwandte folgende (3 b, Sonne, Gestirn, Wetter) dazurechnet. Doch soll letztere wegen ihrer besonderen Motivik eines kosmischen Gottes getrennt dargestellt werden 1 . Mit Beginn der christlichen Skaldik setzen die Kenningar dieser Abteilung ein: Hafg. dr. 2 dröttinn härar foldar hallar, Am6rr B 313,10 skapvprdr himins, Hallvardr B 294,8 alls dröttinn. Es folgen bereits die großen Dichtungen: Plac. 1 valdr foldar, 5 hilmir foldar, 19 himna valdr, 25 heimsiklingr, 57 gramr groznnar jardar. Ge. 16 heims umgneypandi, 19 haudrtjalda harri, 19 salvprdr grundar (desgl. Leid. 6), 63 valdr himma, 64 heims ok himna jpfurr, 66 himna salkonungr. Has. 18 ilserkiar gramr, 19 hildingr haudrs, 29 dröttinn himins, 43 gramr landa rsefrs (Kr?), 44 jpfurr svana flugreinar leygs, 49 budlungr himinrikis. Leid. 1 harri salar fjalla, 2 harri fagrgims häs hreggranns, 3 styrir aldar, 6 salvprdr grundar (vgl. Ge. 19), 10 vprdr vallreefrs, 14 siklingr himinrikis, heimstyrir2, 21 einn styrandi heims hallar, 38 hilmir allra landa. Sodann noch diese drei: harri himna B 544,22; styrir himinrikis B 589,7; heimstyrir B 635,3. 3 b . D e r k o s m i s c h e G o t t . Hier liegt das Zentrum der frühchristlichen Gottesvorstellung im Norden. Die Dichter bemühen sich um immer neue Wendungen. Das beginnt schon sehr früh, etwa in der besprochenen Str. des Björn Hitd. mit hilmir dagboejar, den wir als eine „gemischte", synkretistische Anschauung verstanden. Seit Arnörr jarlaskald — vorangegangen war freilich schon t>örleifr vor 1000 mit gdlingr himins rodla B 1 3 3 — wird dann der „Herr der Sonne" geradezu ein Leitmotiv der D i c h t u n g 3 : Arnörr B 306 stillir söltjalda, B 326 tyggi solar hjalms. 1 Kahles Vermutung Arkiv 17, 125, die Vorstellung von Gott (und Christus) als Königen des Himmelszeltes sei „vielleicht gefördert" worden durch Formeln wie rex aeterni tabernaculi (Anal, hymnica med. aevi, ed. Dreves, V Nr. 11, Str. 24), ist gewiß nicht unrichtig, aber erklärt eine solche Quelle die Fülle der altnordischen Umschreibungen? Zudem müßte erst gezeigt werden, daß schon um 1000 aeternum tabernaculum als „Himmel" im Norden verstanden wurde. 2 Die Halbstrophe 14, 5—8 (B 625) ist hinsichtlich der Meinung des Dichters nicht ganz durchsichtig: ok heimstyrir häri heppinn, pds sköp, skepnu pann setti dag, dröttinn, dyrdar mildr til hvildar.

Setzte der heimstyrir den Sonntag fest für die Schöpfung, die Gott schuf, sind also zwei Personen gemeint? Kock, NN 1262, faßte die Nominative als parallel. 3 Ich sammele die Belege für den „Herrn des Sonnenzeltes" u. ä. nicht noch einmal gesondert. Sie sind aus diesem Abschnitt mühelos herauszulesen. Bei manchen ist man im Zweifel, ob man sie noch mitnehmen soll. Lassen wir sie alle in ihrem größeren Zusammenhang! 212

Nfkulas B 546,3 tyggi vagnbryggju; siklingr, deilandi solar sal. Plac. 2 pengill (Ijöss)engla vegs, 3 stillir byrskrins, 4 konungr mdna slödar, 17 dröttinn dagbcejar (vgl. BJ9rn), 26 Ms foldar valderir (Kr?), 28 stillir gagls leütar, 31 konungr ladhofs. Ge. 9 rpduls tyggi, 18 (stef) solar gramr, 46 lofdungr tungla ranns, 64 lofdungr byrjar vegs, 65 solar tyggi, 67 hilmir solar böls, 71 visi vagnrsejrs. Has. 1 stillir hreggtjalda, 2 konungr ilhallar, 4 stillandi himins, 4 fylkir vedrfallar, 5 hdbrautar hreggvprdr, 9 dröttinn bjartloga hreggs hröts, 10 rkv. 15,2); dagegen Baetke, Das Heilige, S. 124. c) Nach den vorgeschriebenen weißen Täuflingskleidern habe m a n — so die meisten Forscher — Christum den „Weißen" genannt 5 . Ü b e r 1 Mit Kock, Sk. I 306 und NN 1268 wird man sich für sonr (gegen die unnötige Textänderung sjdli) entscheiden; vgl. auch oben S. 156 und noch S. 232. 2 Kristr tritt in der gelehrten Prosa, wie Kahle Acta germ. I, 383 gezeigt hat, oft als concretum pro abstracto auf, so Leifar 29 für veritas, ebda. 41 für sermo dei. 3 Über die Gründe für die Vermeidung des Namens Jesus Kahle, a.a.O. S. 383; erstens sei in den lateinischen Texten mehr vom salvator als von Jesus die Rede gewesen, zweitens habe sich das Wort schwer ins Altnordische einfügen lassen. Ein Drittes mag aber noch hinzukommen: der Kristr war wichtiger als der Menschensohn Jesus. In Leifar 152 sah sich jedenfalls einer genötigt, den fremden Namen zu umschreiben: Jesus Pypesk prifgjaje epa grepare. * Vgl. A. Jöhannesson, Die Komposita im Isländischen, Reykjavik, 1929, S. 22f. 5 Fritzner I I 142; Kahle, a.a.O. S. 384; Jönsson, LP 301. Ein Zeugnis für das weiße Gewand des Täuflings ist noch erhalten in der Taufformel des Ritus Romanus: Accipe vestem candidam, quam immaculatam perferas ante tribunal Domini nostri Jesu Christi, ut habeas vitam aeternam. Das weiße Kleid als Zeichen der durch den Taufakt erworbenen Unschuld erläutert Hrabanus, De cleric. instit., Migne 107, 313, c. 29: traditur Christiano vestis Candida designans innocentiam et puritatem Christianam . . .

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das, was die Quellen vermuten lassen, geht P. Lehmann a.a.O. S. 50 hinaus, wenn er den Namen übersetzt „der mit dem weißen Täuflingsgewand bekleidete Christus". — Zu denken ist auch daran, daß die Seligen als weiß gekleidet vorgestellt werden. Duggals Leizla (Heil. m. s. I 355) heißt es von ihnen: En pessir allir kallar ok konur vorn klseddir hvitum klsedum . . . En sva var hvitleikr klseda peira sem nyjallinn snior, pa er sol skin aa. d) Ein Einfluß der bildenden Kunst ist endlich auch noch zu erwägen. Er wurde bisher nicht berücksichtigt. Zur weißen Kleidung Christi gaben Bibelstellen Anlaß wie Matth. 17,2 vestimenta autem ejus facta sunt alba sicut nix, oder Offb. 1,14 Caput autem ejus, et capilli erant candidi tamquam lana alba, et tamquam nix . . . 2. Schöpfer. Auch in dieser Funktion erscheint Christus neben Gott. Kahle erinnerte schon Arkiv 17,131 an Wulfilas Glaubensbekenntnis (opifex et auctor universe creature) sowie an lateinische Formeln wie conditor orbis und factor omnium. Die nordischen Zeugnisse sind diese: Skapti (s. o. S. 68): Kristr sköp rikr ok reisti Roms hgll vergld alla, Ge. 65 himna g&rvir, fraglich ob Christus gemeint ist Has. 20,25,30 Em sköp haudr ok hlyrni heims valdr sem kyn beima, Has. 24 skepjandi läds rikis, 26 garvir ela ranns. Undeutlich bleibt es in der Halbstrophe des Markus, ob gramr glyggranns, der Schöpfer, und Kristr, stillir aldar, unterschieden oder als gleich gedacht werden, B 420: Gramr sköp grund ok himna glyggranns sem her dyggvan, einn stillir mä ollu aldar Kristr of valda. 3. H e r r s c h e r . Christus zum König zu machen, gab schon der rex Judaeorum der Bibel Anlaß. Aber das war gewiß nicht der einzige Grund. Der pathetische Stil der germanischen Dichtung verlangte förmlich die Belehnung des Gottes mit den höchsten irdischen Würden. Dabei befanden sich die Poeten zudem in Übereinstimmung mit der frühscholastischen Ansicht: Christus semper depingitur coronatus et similiter sancti depinguntur coronati. Corona Christi per crucis figuram a coronis sanctorum distinguitur, quia per vexillum crucis sibi carnis glorificationem . . . meruit. . . (Summa decreti. Cod. Bamberg. Can. 40, fol. 265v, zitiert nach Landgraf, Dogmengeschichte II, 1, S. 30.) So entstanden — nicht ohne englische Vorbilder wie dryhten dryhtna u. ä. (vgl. Bode, Kenningar S. 80f.) und as. wie drohtin manno, folko, liudo (Vilmar, a.a.O. S. 54) — Kenningar wie Eilifs konungr alls (B 566,4), Leid. 41 alls styrandi, 41 skapa deilir, oder, den Vorbildern noch näher, konungr dröttar Likn. 42. Eine seltsame Kenning ist Has. 7 Yngvi pjödar; auch Kock I 267 behält trotz der zweifelhaften Hs. die Besserung von Egils216

son bei, vgl. Kempff, Harmsol 1867, 26f. z. St. Vergleichbare Kenningar finden sich nur in der älteren Skaldik: Eyvinds Hak. 1 Yngva xtt, Thjodolfs Yt. 7 Yngva pjöd und K o r m a k 1,7 Yngva qU. Der Name des Stammvaters der Ynglingar bleibt zunächst dem norw.-schwedischen Königshaus vorbehalten, wird aber im 11. J a h r h u n d e r t , wie Kuhn, Mise. Acad. Berol. 1950, S. 39 gezeigt hat, in England, also fern von Norwegen, auch für andere F ü r s t e n möglich. Has. 7 setzt diese Entwicklung vielleicht nicht einmal voraus, sondern k a n n — falls die Textbesserung überhaupt das Richtige traf — direkt anknüpfen wollen an den mythischen Yngvi der alten Kenningar. 3 a . H e r r s c h e r d e s A l l s , Himmels und der Erde. Die Gruppe ist sehr zahlreich und gleicht der für Gottvater vollkommen. Auch hier entstehen die Kenningar durch immer neue Variation für „Himmel", während die Grundwörter hier wie dort die Fürstenbezeichnungen (niemals god oder Kristr) sind: Plac. 4 konungr mdna slödar; Ge. 5 konungr dagböls; Has. 12 jpfurr hreins byrjar hlunns, 15 konungr peyläds, 17 dröttinn heimstpdu, 20 (25, 30) valdr heims, 20 (25, 30) konungr ilsetrs, 21 budlungr hlyrnis elds, 29 skringeypnandi skijstalls, 30 vprdr fjalla solar, 32 jpfurr ila vangs, 35 (40, 45) konungr dagstalls, 35 (40, 45) fylkir himins, 40 vardandi jardar, 41 harri tjalda, 60 gramr glyggs haudrs, 64 heimspennir; Gamli, Jöansdr. 2 jpfurr hreggskrins; Leid. 15 dröttinn dags hallar, 24 dröttinn dags lands dadstettar, 26 jpfurr himne, 27 himins etyrir, 30 pdlingr lopthjalms, 32 pdlingr heidar bces, 38 jpfurr dagskeids, 41 alls styrandi, 45 gramr dags hallar, 45 (vgl. 30) dpglingr lopthjalms; alls konungr Eilifr kuln. Ein tyggi solar hjalms findet sich schon bei Arnörr 7,1. Amors christliche Kenningar stammen nach einer Vermutung Hofmanns a.a.O. S. 101 ff. wohl alle von den Orkneys; ags. Einfluß ist also sehr wahrscheinlich, ags. lyfthelm dürfte dann die Vorlage sein. 3b. Der kosmische Christus. Markus B 420 gramr glyggranns (G? Kr?); Plac. valdr foldar fiprnis; Ge. 1 söl miskunnar, 2 visir vedrs hallar, 2 rpdull bjartr, 2 Ijös heims, 3 söl heilags sidar, 4 rittlsetis sunna (hier und öfter ins Has. sunna statt söl\), 5 dagböls konungr; Has. 12 pengill skyja, 13 visir sunnu setrs, 16 pdlingr rpdla, 19 skrydir skyja slöda skrins, 20 skjpldungr ski/ja tjalds, 23 mildingr sunnu, 27 sannstyrandi sölhaudrs, 31 pdlingr mdna tjalds, 33 hjalmstyrandi sunnu, 37 geetir himinljöma, 50 festir ritar fröns musteris, 52 gramr sunnu, 57 valdr bläsinna tjalda, 59 rsesir ramlegs rpduls büs (G?), 61 landreki vedrs strandar, 63 valdr vedra grundar, 60 hildingr himins birti, 65 vprdr skytjalds, 65 jpfurr sunnu; Gamli, Jöansdr. 1 siklingr solar ranns, 3 deilir solar vangs; Leid. 26 siklingr solar landa, 30 siklingr sölbryggju, 30 pdlingr lopthjalms, 31 sonr solar haudrs (mit der Hs. gegen L P 499), 32 skjpldungr skyja skrins, 35 dpglingr lopts Ijösgims, 35 siklingr sölvangs, 38 jpfurr dagskeids, 42 yfirstillir himins ritar tüns, 42 jpfurr sunnu (vgl. Has. 65), 45 gramr dags hallar; Hallar-Steinn B 533 pengill byrtjalds, gramr solar itrböls; Skald-E>örir meginskjpldungr (vgl. o. S. 177); Eilifr B 565, 1 sölkonungr, 5 siklingr skyja; Marfuflokkr tyggi himins. Der solar hjprtr, Söl. 55, mag als nicht befriedigend gedeutet für sich bleiben. Die deutliche Ineinssetzung von Gott (oder Christus) mit der Sonne vollzieht Einar Geisli 2. Schon in Str. 1 ist die Gottheit miskunnar söl genannt worden; an dieses Wort knüpft 2,5-8 pronominal an und erläutert Ijös 217

heims mit visi vedrs hallar. Diese strahlende Sonne, bjartr rgdull, läßt sich als Mensch zur Welt bringen, sä let bjartr frd bjartri berask mannr und skyranni —frsegr stöä af pvi— flcedar —fgrnudr— rgdull stjgrnu. 3c. H e r r s c h e r ü b e r E n g e l u n d M e n s c h e n . Die hier aufzuzählenden Belege sind nicht sehr zahlreich. Eilffr godr. konungr Roms SnE I 446; Sigvat gramr Jördänar 12,28; Nlkuläs B 546,1 konungr heims ok hplda; Plac. 7 gramr seggja, 8 kennir engla; Has. 7 hittandi dröttinn, 8 mserdvinnandi manna, 15 krapta landreki, 22 gramr aldar, 27 dröttinn fira, 34 gramr aldar kyns, 36 valdr dy"rdar dröttar, 38 hildingr lofda kyns, 47 yta dröttinn, 51 rsesir seggja sveitar, 52 reynir virda, 52 vprdr gumna, 62 jpfurr drengja (?); Gamli, Joansdr. 2 stillir eirar, 3 yta hilmir, 3 stillir engla; Eilifr kuln. gramr engla, stillir hplda, mildingr dröttar; Märfuflokkr hirdspmnudr himna. 4. S p e z i f i s c h c h r i s t l i c h e B e s t i m m u n g e n . Bei dieser wenig zahlreichen Gruppe ist deutlich zu sehen, wie die gelehrte Prosa den Poeten vorgearbeitet h a t t e . Allein von dem, was die Prosa bereitstellte, gelangte durchaus nicht alles in die Dichtung: hirper värr, Leif ar 58, ist bezeichnenderweise nie belegt in der Poesie, vgl. L P 251 s. v. Man sehe auch auf Wörter wie lerefapr „Lehrer der J ü n g e r " , Post. s. 186, prifgjafe, salvator, Leifar 152, heilsare ok hjalpare, Leifar 189, grepare Leifar 152 (s. u. S. 221), fripargup N g L I I 4 8 1 ; lavarpr wurde schon S. 211 f. notiert. Lausnare, Leifar 19, 189, N g L I I I 235, begegnet in der Dichtung nur Geisli 30,62. Selbst in diesem Bereich wahrten sich die Dichter ihre Freiheit. Doch fällt bei den folgenden Zeugnissen auf, daß bei den Grundwörtern nicht mehr die alten Fürstenu n d Heldenbezeichnungen überwiegen. Partizipiale Bildungen sind häufig u n d verraten ihre Herkunft aus dem gelehrten Stil. Plac. 8 engla kennir, 31 sidbjödr lyda; Ge. 30, 62 lausnari, 42 dömari heims; Has. 8 mserdvinnandi manna (G?), 9 lifgjafi manna, 12 prijskjötr, 14 lijgjafi, 22 prifvaldr aldar, 16 harri minn grandi firdr, 21 angrstrtdir, 24 veitir fridar, 26 ssettandi yta, 34 dädgeymir dyrdar gjarn, 54 prekfozdandi pjödar, 54 ssettir bragna kyns, 55 tinir fridar, 57 hplda happvinnandi, 58 ssettir yta kyns, 62 rsesir sanna tirar, 63 miskunnandi yta; Gamli, Joansdr. 3 flylir giptu, 4 geymandi flotna ferd; Eillfr kuln. boztir seggja; Mariuflokkr 2 kvplbpnudr manna; Anon. B 635 groz&ari alls andar meins. Nach allem, was wir bisher über das Christusbild der Skalden hörten, wird es nicht verwundern, daß enn krossfesti erst in der Lilja 96 erscheint. Die Dinge der Passion werden fast gänzlich gemieden. Kahle meint zwar, sie würden „mit lebhaften Farben geschildert" (Arkiv 17, 143), aber das gilt allenfalls für die ae. Dichtung, wo Freiwilligkeit von Marter und Tod stark hervorgehoben werden. Ge. 3,6—8 . . . , päs lif ä krossi jardar allra jyrda önaudigr tök dauda steht recht allein (vgl. Has. 21 u. 27) im Umkreis des hier vorgelegten, pathetischen Kenningschatzes. 218

4. Gott oder Christus? Kahle betonte bereits Arkiv 17, 25: „Man weiß in der Tat häufig nicht, ob mit Gott der Vater oder der Sohn gemeint ist, auch sind die Epitheta vielfach die gleichen." Inzwischen ist in der Forschung verschiedentlich auf die Ambivalenz mittelalterlicher Begriffe hingewiesen worden. Man tut gut daran, diese nicht einfach vom modernen Denken her mit begrifflicher Unscharfe gleichzusetzen. (Unscharfe Kontur kann— muß beileibe nicht! — Kennzeichen einer nicht starr systematisch-schematisierenden Denkweise sein, die dem Fließen alles Lebendigen näher und adäquater bleibt.) „Dem Sohne eignen im großen und ganzen auch die Namen des Vaters" (Kahle, Acta germ. I 382). Es ist aber überspitzt, mit A. D. Jorgensen, Nordiske Kirke I 574 zu sagen: „Troens gjenstand er Kristus, den eneste gud", wogegen schon Paasche a.a.O. S. 24 eine Einschränkung forderte 1 . Tatsächlich stehen in einem Gedicht (Geisli 7,11) zwei scheinbar widersprechende, gleichwohl theologisch „wahre" Bezeichnungen des Himmels als guds hqll und Krists hqll dicht beieinander. Es wäre sicher zu viel hineingelesen, wollte man daraus einen Beweis für das Wissen um die irrationale Identität der zwei göttlichen Personen folgern. Die „Unscharfe" des mittelalterlichen Vorstellens und Sagens trifft hier — mehr zufällig denn als Ergebnis theologischer Überlegung — mit dem christlichen Dogma in wunderlicher Weise zusammen. Aber diese Unscharfe führt doch gelegentlich auch zu großen Schwierigkeiten für das Verstehen. Da dichtet Markus (A 452) eine Halbstrophe: Gramr sköp grund ok Minna glyggranns sem her dyggvan, einn stillir md gllu aldur Kristr of valda. Wer schuf ? Wer soll walten ? Ist gramr glyggranns — nicht etwa dem Dogma nach, sondern für Markus' Bewußtsein — identisch mit Kristr, stillir aldarl Oder regiert Kristr im Namen des gramr2. Sind sie also unterschieden? Ganz Ähnliches war zu beobachten in Leid. 14,5—8, oben S. 212. Ein weiteres Beispiel wäre etwa Has. 37,1—4, wo man fragen kann, wer nun der gsetir ist: Gumar Uta pd geeti —gengr alt vid kor drengjum— heilags Krists i hsestum himinljöma goddömi. Daß ebenso die Kenningar oft nur mit Zweifel der einen oder andern Gruppe zugeordnet werden konnten, wurde schon gesagt. Bis zu einem gewissen Grade hatte Paasche recht, wenn er darauf drang, auch der frühen Zeit schon die Unterscheidung zwischen Gott und Christus zuzuschreiben. 1

G. Neckel, Thule XX 226, Anm., scheint Jorgensens Ansicht zu teilen: „Von den andern Personen der Trinität ist neben ihm (Christus) kaum die Rede. Er übernimmt ihre, besonders Gott Vaters, Eigenschaften und Werke." So einfach ist es denn nun doch nicht. 219

E r zählte a.a.O. S. 24f. bis zu Arnörr jarlaskald einschließlich an Belegen zu dieser F r a g e : für god 22, god dröttinn 1, fadir 1, sonr 1, Kristr 9, Hvitakristr 2. U n b e s t r e i t b a r spricht sich in diesem Resultat das Wissen u m z w e i göttliche Personen aus, wenngleich auch hier der einzelne Beleg für god durchaus mehrdeutig sein k a n n . Blickt m a n aber auf die Kenningar dieser Zeit, ergibt sich ein ganz anderes Bild 1 , hier wird gerade nicht das VaterSohn-Verhältnis ausgesprochen oder sonstwie der Unterschied deutlich gemacht. E s bleiben (nach Abzug der Synkretistika) munka reynir, munka dröttinn, konungr Roms, ferner 5 Kenningar Arnors: stillir söltjalds, skapvqrdr himins, konungr dagsgrundar, Grikja vgrdr, tyggi solar hjalms. Sie alle dürfen mit m e h r oder weniger R e c h t sowohl auf Gott wie auf Christus gedeutet werden. Wir haben also d a m i t zu rechnen, daß der Unterschied zweier göttlicher Personen zwar gewußt, durch die (Identität schaffenden) gleichsinnigen Kenningar aber wieder verwischt wurde. Er war nicht wichtig. Die F r a g e n a c h der Ursache u n d dem Sinn dieser Erscheinung drängt sich auf. E i n e n Zug zum Monotheismus (oder besser: zum Henotheismus) hat m a n seit K . Maurer (Bekehrung I I 238) immer wieder im nordgermanischen Spätheidentum beobachtet. Mag nun diese Entwicklung durch sehr frühe christliche Einflüsse hervorgerufen sein oder mag sie, unbeeinflußt entstanden, u m g e k e h r t der Christianisierung vorgegriffen und vorgearbeitet haben, gleichviel: sollte sich in dem merkwürdigen Befund an den Kenningar eine Folgeerscheinung dieses großen Prozesses darstellen ? Mit andern Worten: sollten die ersten christliche Poeten, einer schon vorchristlichen Tendenz und inneren Notwendigkeit folgend, den Monotheismus der neuen Religion gleichsam monotheistischer aufgefaßt haben, als es dem naiven Verständnis des Dogmas von der trinitas eigentlich möglich gewesen wäre? Gestützt werden k ö n n t e diese V e r m u t u n g durch die Beobachtung, daß die altnordische Dichtung auch der a n d e r n Zweiheit — Christi doppelter Eigenschaft als Mensch u n d G o t t — a u s d e m Wege geht und sie jedenfalls nicht in die Schicht der K e n n i n g a r aufnimmt. Der Satz madr 's hann ok god bei Eilifr kuln. ist nicht n u r spät, sondern steht auch ziemlich allein (B 565,2); dazu treten n u r noch H a s . 18,5—8; ferner die schon oben S. 218 zitierte Halbstrophe Ge. 2,5—8. Zusammenfassend lassen sich fünf Gründe zu einer annähernden Erklärung des Sachverhalts n e n n e n : 1. Die Schwierigkeit der Trinitätslehre ist schon in den biblischen Urkunden begründet u n d besteht für die Theologie wie für das Bewußtsein der Ungelehrten so heute wie eh und je. Die naive Frömmigkeit ignoriert bis heute das geheimnisvolle Dogma und trifft ihre Auswahl. Diese Auswahl k a n n eine Person in den Vordergrund stellen (ohne die zwei andern zu leugnen) oder sie k a n n (die nordische „Lösung") zwei Personen verschmelzen u n d die d r i t t e fast übersehen. Die logischen Möglichkeiten einer 1

Paasche zählt deren zwölf. Ich vermag nur deren elf zu finden, von denen valdr vagnbrautar (Ormr barr.), Val-Gautr (Refr), hilmir dagboejar (Björn) als synkret istische Formen nicht eigentlich mitrechnen.

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Auseinandersetzung mit diesem Dogma sind damit keineswegs erschöpft. Spiritualistische Geistverehrung ist eine weitere Variante. Die Hinzunahme der Person Marias würde die Frage noch weiter komplizieren. 2. Wichtiger noch und den Verschmelzungsprozeß erleichternd war das Christusbild der Bekehrungszeit. Christus war noch der rex triumphMns, noch nicht „des Menschen Sohn". Der auf Rühmung angelegte Kenningstil brauchte nur diesen konungr zu ergreifen: er mußte zum von Gott ununterscheidbaren Gott werden. Ein anderes wirkte (wie bis heute) dabei mit: Christus als der einst — und dermaleinst wieder — wirklich Sichtbare stand dem Begreifen und Abbilden natürlich näher als der unsichtbare Gott 1 . Auf ihn sammelte sich also wie von selbst das Aussagbare. 3. Der Synkretismus tat das Seine zur Vereinheitlichung. Die Halbstrophe des Eilifr godr. zeigt, wie auf den einen neuen Gott hin sogar zwei heidnische Götter zusammengefaßt werden. Das Streben zum Monotheismus, greifbar auch in dem „Gott, der die Sonne gemacht hat", war eine starke Realität. 4. Die Ambivalenz mittelalterlicher Begriffe ist ein weiterer Weg, der, ohne absichtsvolles Tun der Poeten, zur Verschmelzung der Personen und zum wenigstens teilweisen Einverständnis mit den Lehren des Dogmas führte. 5. Endlich ist auch noch mit einem negativen Grund zu rechnen, nämlich mit der Ungelehrtheit der ersten Christen auf Island, die selbst für den Klerus Generationen später noch in weitem Umfange zutrifft. Es muß also auch mit Gleichsetzungen aus Unwissenheit gerechnet werden, doch dürfte diesem letzten Grund die geringste Bedeutung zukommen. 5. Heiliger Geist und Trinität Der vorchristliche Norden kannte keinen spirituellen Gott. Auch der Gott, „der die Sonne geschaffen hat", war noch eine — zwar nicht mehr mit Namen nennbare — Person. Die Vorstellung aber von der dritten Kraft im Bunde der Trinität mußte wie diese Dreieinheit selbst unbegreifbar und damit im Grunde unannehmbar bleiben. Es ist daher nicht so sonderbar, wenn selbst in einem geistlichen Text ein grobes Mißverständnis auftaucht wie das folgende: im Stockh. Homilienbuch, ed. Wisen (In capite ieiunij, S. 61,1—64,16) heißt es 64,15 pessa Mute veite oss sidlfr grepare heimsenns sa er (!) mep faopor oc syni oc helgom anda liver oc riker of allar alder. K. Vratny schlug Arkiv 33,147 (vgl. ebda. 32,48) vor, oc syni als „dogmatisch unrichtig" zu streichen. Ein solcher Eingriff in die Überlieferung ist aber nicht statthaft, wenn es eine Deutungsmöglichkeit für den gewiß anstößigen Text gibt. Man wird sich freilich hüten müssen, in dieser häretischen Vorstellung von der Vierzahl der Personen in der Trinität eine synkretistische Bildung zu sehen; denn das heidnische Denkmodell, daß eine solche Auffassung verursacht haben müßte, damit sie synkretistisch wäre, fehlt durchaus. Vielmehr wird man 1

Soweit ich sehen kann, wird in der altnordischen Dichtung freilich nirgendwo von Gott gesagt, er sei unsichtbar. 221

bei H o m . 64,15 einen schwachen und — wie es scheint, einmaligen — Einfluß gewisser frühscholastischer Theorien annehmen müssen. A. M. Landgraf h a t (Dogmengeschichte I I , 1, 75f.) bei der Behandlung der unio hypostatica darauf hingewiesen, d a ß die Schule Abaelards der Gefahr von Irrlehren nicht ganz entging, indem sie Christus als vierte Person neben der Dreifaltigkeit bezeichnete. D a s Problem mußte fast zwangsläufig entstehen aus der Diskussion u m die Doppelnatur Christi als deus und homo u n d u m das Vorhandensein des verbum in Christus 1 . Die folgenden Sätze (Migne, SL 178, 1732 B , zitiert n a c h Landgraf, a.a.O. S. 76) führen denn auch controvers a u s : Quamvis enim ibi (in Christo) sit Verbum, quod est tertia persona in Trinitate, non tarnen ibi est persona per se, quia sie persona jam esset in persona, et ita duae personae essent in Christo . . . W e n n selbst bei hochgelehrten Scholasten der dialektische Charakter christlicher Glaubenssätze zur Konzeption häretischer Lehren führen k o n n t e , u m wieviel eher mochte ein gewiß weniger belehrter nordischer Homilet das Geheimnis der T r i n i t ä t mißdeuten. Der von V r a t n y angezweifelte T e x t darf also u n v e r k ü r z t stehen bleiben. Die Belege für den Heiligen Geist sind in der Dichtung bis 1200 nicht n u r sehr spärlich, sondern entbehren auch allen poetischen Schmuckes. F ü r den Heiligen Geist gibt es keine Kenning. Wie h ä t t e sie auch mit dem vorhandenen Bildervorrat gemacht werden sollen? Auszunehmen ist allenfalls die hlg. T a u b e in dem Bruchstück des Skäld-E>örir. W e n n Kahle Arkiv 17, 148f. s a g t : „Auch auf den Heiligen Geist werden Bilder angewendet derselben Art, wie solche" auf Maria u n d Christus, so bedarf das wieder der E i n s c h r ä n k u n g : seit dem 13. J a h r h u n d e r t . Die von K a h l e beigebrachten Belege e n t s t a m m e n alle den Heil, anda visur (B II175—180), das lateinische Vorbild schimmert deutlich durch (vgl. E. Öl. Sveinsson, Zs. Skirnir 1942, 140—150). Wie einfältig selbst d o r t noch die Auffassung vom Hlg. Geist ist, zeigt einsmurning andar sdra Str. 12. Die von Kahle dazugestellten Parallelen meinen ausdrücklich einen spirituellen Vorgang: spiritalis unetio usw. andi ist das einzige W o r t für den Hlg. Geist in der Dichtung. Smipr, für lat. opifex, ist nicht in die Dichtung gelangt, andi entspricht lat. Spiritus (vgl. K a h l e , A c t a S. 386). Zwangsläufig erscheint andi bei aufzählender N e n n u n g der Trinität, meist als heilagr andi (Prosabelege bei Kahle, a.a.O. S. 380f., vgl. auch Leid. 3). Allein wird der Hlg. Geist genannt Ge. 6, Leid. 22, 31, 32 und H a s . 3. Interessant ist die letztgenannte Stelle: Send pti ydvarn anda, einskepjandi, hreinan mir, panns mitt of feeri munar grand heddn, landa;. 1 Merkwürdig unberührt scheint der Norden geblieben zu sem von dem das Abendland erregenden Kampf um Abaelards (später von ihm widerrufenen) Satz: Pater plena poleslas est, Filius quaedam potentia, Spiritus sanetus nulla potentia, einen häretischen Satz, der etwas dem Arianismus der frühen Kirchengeschichte Ähnliches wieder lebendig zu machen drohte; vgl. A. Sattler, Die religiösen Anschauungen Wolframs von Eschenbach, 1895, S. 3f., 21.

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weil hier ein Mensch im Gebet u m die Gabe des Hlg. Geistes bittet, der alles Sinnverwirrende beseitigen soll. Sehr selten begegnet in der Dichtung die dreiteilige Anrufung der Trinität wie in Söl. 7 5 , 1 — 3 : Enn mdtki fadir, enn maszti sonr, heilagr andi himinsl prenning, f., ,,Drei(ein)heit", ist zuerst u n d bis ins 14. J a h r h u n d e r t hinein allein bei Einarr, Ge. 1, belegt. Die prenning eins gods lehrt D i c h t k u n s t (ödr, bis dahin u n d in Kenningar oft die Gabe Odins) u n d Gebete. Stellt man neben diese spärlichen Zeugnisse die Belege der Prosa, so wird erst recht deutlich, mit welcher Entschiedenheit die Dichtung sich diesem Gegenstand der neuen Religion versagt hat, insbesondere wenn m a n dazu bemerkt, daß die wenigen poetischen Zeugnisse aus geistlicher Feder s t a m m e n • . Erinnert man n u n noch daran, daß um 1100 in Frankreich der b e r ü h m t e Roscelin 2 gegen den kanonischen Trinitätsbegriff m e u t e r t e u n d s t a t t dessen lehrte: tres res per se, non una tantum res — wie sollte d a n n bei der Fremdheit der Vorstellung an sich und der Verschiedenheit selbst der gelehrten Meinungen eine schnelle u n d freudige Aufnahme in die nordische Poesie möglich werden? Diesen supranaturalen, spirituellen G o t t der Dreieinheit konnte erst Generationen später ein großer Dichter, E y s t e i n n Äsgrimsson, in seiner Lilja (Str. 1) angemessen feiern: Almättigr gud, allra stetta yfirbjdddndi engla ok pjöda, ei purfandi stad ne stundir, stadi haldandi i kyrrleiks valdi, senn verandi üti ok inni, uppi ok nidri ok par i midju, lof se per um aldr ok sefi, eining sonn i prennum greinum. Daß schon Germanen in ihrer frühesten Begegnung mit der christlichen Religion eine andere Lösung der Probleme u m die Person des Hlg. Geistes möglich war, zeigt das Bekenntnis des Wulfila 3 sowie die R e k o n s t r u k t i o n seines Meßsymbols durch H.-E. Giesecke 4 . Hier steht der Geist gleichberechtigt (auch rein äußerlich annähernd gleich umfänglich wie die zwei 1 Um zu zeigen, daß die Dreieinheit sprachlich durchaus formuliert werden konnte, setze ich folgende Beispiele aus der Prosaliteratur (vgl. auch Kahle) hierher: prjdr greiner ok eilt velde Homiliubök (Wisen) S. 29 b ; per prjär skilnengar er einn gup NgL I 262; öskipleleg prenneng ff pur ok sonar ok heilags anda NgL I I I 281; ebda, der Begriff eineng; faper ok sonr ok heilagr ande er einn gup i prenningo, ok er sonr gup, ok heilagr aride gup, en eige prir, Fire og fyrretyve prover, ed. Gislason 1860, S. 95. Ebda. S. 95 (vgl. Kahle, a.a.O. S. 380) zeigt sich auch Bekanntschaft des Nordens mit dem Protest des Arius: Arius talpe son gups ok helgan anda skepno en eigi skapara. 2 Vgl. A. Dempf, Metaphysik des Mittelalters, S. 54; Ueberweg, Grundriß I I , 10. Aufl., S. 256ff. 3 Vgl. K. D. Schmidt, Bekehrung der Germanen I, 1939, S. 270ff. 4 Die Ostgermanen und der Arianismus, Leipzig-Berlin 1939, S. 29. Vgl. W. Luft, ZfdA 42, 291 ff.; ebda. F. Vogt, S. 309ff.

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andern Personen der Trinität beschrieben) neben Vater und Sohn: spiritum sanctum, nee patrem, nee filium, sed a patre per filium ante omnia factum . . . (folgen gruppenweis geordnete Wesensbestimmungen); zum Schluß: sine quo nemo potest dicere dominum jesum. Gründe für diese auffallende Verschiedenheit des Begreifens anzuführen, ist sehr schwer und nicht Aufgabe dieses Überblicks. Nur soviel: der Norden hat kein religiöses Genie besessen wie die Goten in Wulfila, die Iren in Patrick und Columban, die Angelsachsen in Bonifatius u. a. Niemand lehrte die Nordleute die dunkle Lehre begreifen. Was sie aber im Ausland hörten, war entweder konfus-häretisch (Roscelin!) oder so spekulativ, daß sie nicht anzuknüpfen vermochten, zumal der Norden trotz mannigfachen Anregungen nie zu eigenen philosophischen Versuchen geschritten ist. Aber das Fehlen eines religiösen Genies erklärt ebensowenig wie die Dunkelheit der Vorstellung die abweisende Haltung des Nordens. Es kommt wohl noch ein Drittes hinzu: eine immer wieder feststellbare Kühle in Dingen der Religion (trotz allem Pathos im KenningstU). Die Anlage zur ekstatisch-mystischen Erfahrensweise scheint zunächst ganz zu fehlen. Wird aber nicht eben in dieser Weise der Geist erfahren? Die dritte Person der Trinität und diese selbst ist also eine Region, vor der die nordgermanischen Dichter — vorerst wenigstens — Halt machen. Die christliche Lehre wird von ihnen stillschweigend um einen nicht unwichtigen Teil gekürzt. Eine Anknüpfung an heidnische Götterdreiheiten findet nirgendwo statt; eine solche hätte freilich auch nichts zur Erleichterung des Verständnisses beitragen können. Wurde eine solche Anknüpfung aus sicherem Gefühl für ihre Unrichtigkeit, für die Unvergleichbarkeit der Dreiheit hier und dort vermieden? 6. Maria Kahle, Arkiv 17, 99—101, gliedert die Zeugnisse für die Gottesmutter in a) Maria als (unbefleckte) Jungfrau, b) Mutter Christi, c) Mutter und Jungfrau, d) Königin des Himmels, der Engel und Menschen. Diese Einteilung ist für die Zeugnisse bis 1200 nicht brauchbar, weil sie dem späteren Material — die Belege stammen fast alle aus dem 14. Jahrhundert — angepaßt ist. Die Himmelskönigin begegnet noch nicht, allenfalls Has. 61 hofdingi snöta (regina virginum) wäre zu nennen. Die in unserm Rahmen anzuführenden Zeugnisse stammen sämtlich erst aus dem 12. Jahrhundert. Harmsol liefert allein 5 (bzw. 7, vgl. die Interpretation). Der Name Maria ist selten, was sich wohl aus metrischen Gründen erklärt. Das Wort hat drei Längen — Märiä, LP 395 —, es erscheint nur Has. 52, 59, dort Maria geschrieben, später dann B 635,4 anon. Maria als virgo findet keine poetische Umschreibung; mey dyrri Nikuläs B 546,1, mser bezta Leid. 23. Ebensowenig war das mystische Geheimnis der mater et virgo durch eine Kenning zu geben. Es gibt dafür kein Beispiel. Maria mater wird außer durch das schlichte mödir (Gamli 1,1) nur in desselben Dichters Harmsol fünfmal umschrieben: 59 mödir guds, 59 mödir vegstyris, 61 mödir vedrs strandar landreka; deutlich zeigen das lat. Vorbild 60 kastali, 60 hgfudmusteri (ens hsesta hildings). 224

E c h t e Kenningar, die nicht auf lateinische Vorbilder zurückgehen, sondern Maria im Stil der herkömmlichen Frauenbilder sehen 1 , sind Leid. 22 bjgrk brims lands, B 634,1 mjodkarms furo, (falls Maria Madonna gemeint ist u n d nicht vielmehr die Sünderin Luc. 7, 36ff., die früh mit zwei von den Marien verwechselt wird, vgl. Interpretation des Mariuflokkr). Sölkatla Söl. 78 mag, weil ungedeutet, n u r beihin erwähnt werden. Wörtliche Nachbildung eines Bildes aus der kirchlichen H y m n i k ist flcedar stjarna Ge. 2 = Stella maris (vgl. Salzer, S. 33, 36 u. ö.). Abgewandelt zu sjövar stjarna k o m m t diese Kenning erst wieder in der Märiudräpa des 14. J a h r h u n d e r t s (B I I 497,3 u n d 503,30) vor 2 . Einmal nur in der alten Poesie sehen wir den Akt der Übernahme fremder Bilder in die heimische K u n s t unmittelbar, und zwar in der anonymen Halbstrophe A 627, B 635,4, die F . Jonsson mit Vorbehalt noch d e m 12. J a h r h u n d e r t zuweisen m ö c h t e : VQndr es Maria myndud, meins en epli et hreina andar, Jesse kindar, alls grosddri kallask. Maria wird hier vgndr Jesse kindar genannt. Das Bild wäre den theologisch nicht geschulten Hörern unverständlich, wenn es nicht hieße Maria es . . . myndud, „bildlich gesprochen heißt Maria . . ." Die Halbstrophe bleibt im Bild u n d fügt dem schon begreifbaren graedari alls andar meins für Christus, dem „Heiler aller Seelenschäden", die neue Umschreibung et hreina epli (kallask!) hinzu. Zwei neue poetische Bilder, deren erstes zumindest sich dem alten Kenningstil einpaßt, sind d a m i t für die religiöse Dichtung gewonnen. I m ganzen aber finden die aus theologischer Allegorese stammenden Bezeichnungen wie etwa Anselms v. Canterbury tabernaculum (Homiliae, Migne SL 158, 586 in hoc tabernaculo requievit Pater, vgl. Ps. 18, 6) keinen Eingang in die Dichtung. Die Kenningar für Christus bleiben fast ganz im Bereich des Personhaften. I n der zitierten Halbstrophe aber beginnt, gleichsam vor unsern Augen, die Entwicklung, die dann in der Folgezeit Schönes und Absonderliches namentlich für die Person Mariae hervorbringen sollte, bis hin zur apotheca sanitatis (in einem lat. Gedicht eines Dänen, der Salutacio von ungefähr 1350, s. Lehmann, Anteil I I , S. 84—103, d o r t Str. 192). Da SnE I I 188 die a n o n y m e Halbstrophe auf die alleinstehende Str. des Nikulas Bergsson (s. o. S. 77—78) folgt, die die mittelalterliche Typologie 1

Ganz blaß sind fljöd B 634, 2 (auch eddisch mehrfach für „Frau" gebraucht, also nicht besonders auszeichnend) und svanni Leid. 22, dieses skaldisch nicht selten. a O. Bardenhewer, Der Name Maria, Biblische Studien I, 1, Freiburg 1895, hat gezeigt, daß unter den 75 Etymologien zum Namen die Deutung Stella maris in der deutschen Dichtung die häufigste war. Nach Bardenhewer ist Stella überdies ein Mißverständnis des vulg. lat. stilla „(Meeres)-Tropfen". Mirjan, Maria bedeutet jedoch eigentlich „die Widerspenstige" oder „die Dicke"; die zweite Deutung verdient wegen des darin ausgesprochenen morgenländischen Schönheitsideals wohl den Vorzug. 15 7362 Lange, Studien (I'alaestra 222)

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einführt, ist es verlockend, mit Paasche, a.a.O. S. 93 auch dieses Marienstück dem gleichen Dichter zuzuschreiben. Doch bleibt das bloße Vermutung. „Die schwärmerische Verehrung der Jungfrau Maria und der dichterische Ausdruck dafür gehören noch nicht der Frühzeit des Christentums im Norden a n " (Kahle, Arkiv 17.99). Aber zäh, wie der Norden im Festhalten einmal gewonnener Vorstellungen ist, behält er die Marienverehrung (zumal auch in der Dichtung) nicht nur, wie K a h l e a.a.O. will, „bis zur Einführung der Reformation", sondern, wie Poestion, Isländische Dichter der Neuzeit, 1897, S. 89, 122 zeigt, weit d a r ü b e r hinaus 1 . Maria wird zunächst nicht eigentlich aufgenommen, ihr Bild nicht wesentlich mit heimischem Bildvorrat geschildert; die fremden Bilder bleiben fremd und sind ohne Fleisch u n d Blut. Die Frage, warum Maria in den ersten J a h r h u n d e r t e n christlicher Dichtung des Nordens so gut wie keine Rolle spielt, ist nicht einfach mit dem Hinweis darauf zu beantworten, d a ß auch auf dem Festland erst u m 1200 oder in den letzten Jahrzehnten davor Maria zu größerer Verehrung aufsteigt 2 . Ganz abgesehen davon, daß der Norden hier ohne das Vorbild des Südens eigene Wege h ä t t e gehen können: tiefere Gründe scheinen einer frühen Aufnahme der Mariengestalt entgegengestanden zu haben Die nordische Religion des ausgehenden Heidentums ist ausgesprochen auf das männliche Prinzip gestellt. Sie leistet ihr Bestes in der Zeichnung der beiden Götter Thor u n d Odin. Schon Freyr und Baldr, vollends Ullr u. a. erscheinen daneben blaß (verblaßt, denn sie spielten einst eine größere Rolle). Die Göttinnen aber treten zurück, obgleich eine Göttin wie Nerthus ein J a h r t a u s e n d früher Mittelpunkt einer großen Kultgemeinschaft gewesen war (Germania c. 40). Die Göttinnen der spätheidnischen Religionsstufe haben weniger (oder doch weniger wichtige) Funktionen als die Götter. Es scheint, als h a b e dieser Wesenszug bei der Zurückhaltung gegenüber der Maria mitgewirkt. E s war keine Gestalt vorhanden, in deren Funktion sie h ä t t e eintreten können, an die sie ihrem Wesen nach h ä t t e anknüpfen können. Die wenigen oben angeführten poetischen Umschreibungen zeigen es denn a u c h : der heimische Bilderschatz steht für Maria kaum zur Verfügung. Der Norden h a t in seinen ersten christlichen J a h r h u n d e r t e n mit Maria nichts anfangen können. Sie blieb Randfigur, auf die keine nennenswerte poetische Mühe und Liebe v e r w a n d t wurde. Dieser Befund legt es nahe, noch einmal zu erwägen, ob nicht der Märiuflokkr (B 634) und die (Bilder erklärende) Halbstrophe (B 635) erst d e m 13. J a h r h u n d e r t zuzuweisen sind. Gamli richtet als Erster H a s . 61 a n die Gottesmutter als Fürbitterin einen Anruf, nicht eigentlich ein G e b e t ; doch liegt auch hier in der Umschreibung alles Pathos wieder auf der Person Christi: mödir vedrs strandar landreka. 1 Vgl. auch die ebda, beigebrachten Zeugnisse für das Fortdauern des Marienkultes auf Island nach der Reformation, S. 77, 89, 119, 122; ferner J6n Thorkelsson, Om digtningen pa Island, 1888, S. 113 ff. 2 Das gilt jedenfalls für die nationalsprachlichen Dichtungen, vgl. A. Hübner, RL. d. dt. Lit. Gesch. I I 332. Lateinische Dichtungen epischen wie vor allem lyrisch-hymnischen Charakters gab es Jahrhunderte früher; sie setzen in Deutschland schon mit Hrabanus Maurus ein.

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7. Teufel E i n überraschendes Bild ergibt sich bei der Betrachtung der Belege für den Teufel. E r wird in den ersten zwei J a h r h u n d e r t e n christlicher Dichtung praktisch ignoriert. D e r Norden besaß kein W o r t für ein solches Wesen. Lat. diabolus, westgerm. früh entlehnt, wurde zu ahd. diufal, ags. deofol. diofol, as. diabol, diubal; aus letzterer Form h a t m a n , falls nicht direkte Entlehnung aus dem Lateinischen angenommen wird, an. digfull hergeleitet 1 . Allein, die lautliche Schwierigkeit ist nicht zu übersehen. An. digfull fordert doch wohl als Ausgangsform ein *debul- oder *diabul-: diese Form bietet aber das Altirische : diabul (neben demun < daifuuv, vgl. Thurneysen, H d b . d. Air. I I 7 0 ) . Satanas, Beelzebub gelangen nicht in die Dichtersprache, k a u m in die Prosa. Außer digfull werden heimische, ursprünglich und auch weiterhin den Feind bezeichnende W ö r t e r g e b r a u c h t : andskoti, jjandi. Wörter wie övinr, puki, vsettir (pl.) t r e t e n erst viel später auf. Die Skaldendichtung des hier besprochenen Zeitraums liefert nur zwei Belege für djgfull, einen für andskoti, einen für fjandi. Das älteste Zeugnis für djgfull ist die Lv. des t>örgeirr flekkr von 1038, B 305; ihm folgt djgfuls preelar „Heiden" bei Haldor skvaldri 2,8 ( B 4 5 9 ) ; andskoti u m 1180 bei J o n I?örvaldsson (B 517), fjandi zuerst Leid. 3 1 2 . Das älteste nordische Christentum ist mithin nahezu frei von einer Teufelsvorstellung, solange m a n n u r auf die Dichtung sieht. Ein Blick auf die gelehrte Prosa verschiebt das Bild erheblich. Denn dort — aber eben n u r dort — spielt der Teufel eine beträchtliche Rolle (vgl. Kahle, a.a.O. S. 391—395). D a ß in der Teufelsgestalt „ k a u m verändert die Gestalten des alten Volksglaubens" fortleben, d a ß heidnische Kobolde und Gespenster „ihre Existenz als Teufel" fortführen (Kahle, Arkiv 17, 18), gilt also nicht für die Dichtung bis 1200. Ebensowenig gilt der oft ausgesprochene Gedanke, „ d a ß man auf der anderen Seite aus dem Christentum stammende, ursprünglich dem Teufel eignende Bezeichnungen, auf die Wesen des heidnischen Gespensterglaubens ü b e r t r ä g t . . . " (Kahle, Arkiv 17,19). Ein Zusammenfließen der Götter u n d Geister mit der Teufelsvorstellung (wenn m a n von einer solchen ü b e r h a u p t reden darf) ist nicht festzustellen in der Dichtung 3 . 1 Vgl. Pogatscher, Quellen und Forschungen 64, 1888, S. 6; Kahle, Acta gertn. I, S. 317, 391. Direkte Entlehnung aus lat. diabolus nehmen Falk-Torp, Norw.-dän. etym. Wb. I 144 an. Wieder anders, mit selbständiger Entlehnung im Ags., wird die Entwicklung bei Kluge-Götze, Etym. Wb. l s , S. 794 dargestellt. 2 Bei diesen wenigen Zeugnissen wird es besonders deutlich, wie irreführend Kahles summarisches Urteil Arkiv 17, 150 ist: „sehr beliebt war die Bezeichnung als Feind". Das trifft nur zu, wenn man vier bis fünf Jahrhunderte unterschiedslos zusammenrechnet. Kahles Belege stammen außer den oben genannten nämlich aus dem 14. J h . 3 Daß Grendel im Beowulf auch Beiworte des Teufels erhält — Bouterwek, Germ. I, 401, Kahle, Arkiv 17, 19 — ist keine Parallele, weil ebendieser Vorgang in der ältesten christlichen Dichtung des Nordens nicht statthat.

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Bevor die Prosabelege bedacht werden — das Bild könnte sonst, auf die D i c h t u n g allein gestützt, zu einseitig werden —, behandele ich noch zwei Wörter, die zwar als Teufelsbezeichnungen erst der Dichtung des 14. J a h r h u n d e r t s angehören, die aber bemerkenswerte Fälle von heidnischchristlichen Mischvorstellungen sind. Ein Zusatz zum 38. Kapitel in J o n s Christenret NgL I I 366 (Note) spricht von at hafna pukanom. Dieser püki, „Teufel", ist ursprünglich eine A r t Hausgeist, Kobold (Grimm, DM 3 468). I n der Dichtung des 14. J a h r h u n d e r t s findet er sich Lilja 45, 47; Gudm. dr. (Ärni) 4 5 ; Gudm. dr. (Arngrimr) 49 fornir pükar. Marstrander hat MoM 1915, 88 gemeint, daß irisch puka „fairy" wohl aus d e m Norwegischen der Wikinger in den Westen gelangt sei. F r . Fischer, Lehnwörter S. 23, dachte an die umgekehrte R i c h t u n g : an. püki < air. puca. Ae. puca hält auch Helm, R G I I , 2,61 Anm. für ein air. Lehnwort. Auch die vsettir, einst geachtet und als Landwichte pfleglich behandelt, müssen es sich gefallen lassen, in der Gudm. dr. Arngrims (B I I 376,17) zu bösen Geistern zu w e r d e n : ilagspdttr Ulm vsetta zeigt es; K a h l e verglich Arkiv 17, 18 m i t R e c h t Heliand 1030 uuelda is thar lätan coston craftiga uuihti, in der Szene der Versuchung in der Wüste. Die entgegengesetzte Entwicklung h a t t e n veettir bei E>6rdr Kolbeinsson (B 209, Lv. 9) genommen, wo ihnen die Schöpfung der Gestirne zugeschrieben wurde. Die beiden Gudm. d r a p u r stellen auch sonst noch heimische Wesen den Teufeln gleich: Arngrimr 11 funir draugar, flggd; Arni 61 trgll ok leidir fjdndur. Welche Fülle a n Prosabelegen den wenigen Dichtungszeugnissen gegenübersteht, zeigt die Zusammenstellung, die Kahle Acta germ. I 391 ff. gegeben hat. E i n Begriff wie öhreinn andi, Leifar 186, 196 längst da, gelangt beispielsweise erst bei E i n a r r Gilsson 3,2 in die Dichtung. Andere Beispiele ließen sich anschließen, doch will ich hier nicht ins einzelne gehen. Ein auf Antagonismus jeglicher Art so sehr eingestellter Geist wie der altnordische h ä t t e — so sollte man meinen — den Teufel in großen Dimensionen zeichnen sollen. Die pathetische, vielfältige Umschreibung Gottes h ä t t e wohl ein Gegengewicht gefordert. Ansätze zu einer Verselbigung des christlichen Teufels mit Wesen der heidnischen Mythologie blieben aber in der Buchprosa der Gelehrten stecken und gelangten k a u m in die Dichtung (vgl. S. 197). Der Teufel — in der altenglischen Dichtung groß und gewaltig da, in der deutschen nicht verschwiegen — h a t t e die Seefahrt nach Island nicht überstanden. Eilifr godr. läßt Christus nicht gegen den Teufel, sondern gegen die Setbergs bqnd siegen. Die Welt des Unheimlichen, U t g a r d s (als Begriff freilich s p ä t bezeugt 1 ), das Vorhandensein von Midgardschlange und Fenriswolf: sollten diese Dinge — um auf die rätselreiche Gestalt Lokis hier gar nicht einzugehen — einen besonderen Teufel überflüssig gemacht haben? Denn anders ist es kaum zu verstehen, daß das umfangreiche Wort- u n d Vorstellungsgut, das die Prosa aus dem Lateinischen für den Norden schuf, von der Dichtung so wenig genutzt wurde. 1

Schneider, Götter der Germanen, 1938, S. 231; Grönbech, Kultur und Religion der Germanen I 147. 228

Es ist nur folgerichtig, daß der Wohnort des Teufels, die Hölle, in der Dichtung ebensowenig eine Rolle spielt; sie wird kaum erwähnt und nie vor den Sölarljöd ausgemalt. Voluspa 38—39, wohl nicht ohne christlichen Einfluß zu denken, stehen ganz für sich; allenfalls Reginsmal 4 ist noch hierher zu stellen. Bei der Fülle nordischer Totenreich-Vorstellungen ist der Bedeutungsgehalt von hei zwar oft schwer bestimmbar 1 . Christliches kann in manchem Zeugnis mitgedacht sein, so vielleicht schon bei J>örleifr jarlsskäld (B 134,6) vor 1000: sidan mun kann i helju hvilask stund ok milu. Das eigentliche Wort für Hölle ist helviti. Es steht bis 1200 (außer in Hallfreds Lv. 28, deren Echtheit fraglich blieb) nur bei Sigvat, Lv. 16 (1027?), i svqrtu helviti. Nach Olafs Tod gibt Sigvat die Höllenvorstellung Lv. 25 einmal etwas ausführlicher: Hafa Idti mik heitan Hvitakristr at viti eld, ef Äleif vildak •—emk skirr of pat— firrask. 8. Das Gottesbild der Kenningar Es ist eine nicht unwichtige methodische Frage, ob aus der Fülle der hier zusammengestellten Kenningar für die Nomina sacra das Gottesbild des frühen nordischen Christentums gefolgert werden darf. Immerhin spiegelt sich in den poetischen Umschreibungen ein guter Teil der Religionsgeschichte der zwei ersten christlichen Jahrhunderte. Die Kenningar sind zudem in ihrer Fülle und relativen Einhelligkeit ein objektiveres Zeugnis als die von der Dichtung behandelten Themen, die wir infolge der bruchstückhaften Überlieferung nur in Teilen und in zufälliger Auswahl kennen. Die in die Hunderte gehenden Kenningar erlauben also eher, ein Bild des nordischen Christengottes zu zeichnen als die im ganzen doch gemeineuropäische Thematik der christlichen Dichtung. Bei Prüfung der vorstehenden Listen ergibt sich, daß keines der untersuchten Denkmäler, soweit es sich um das in ihm zutage tretende Gottesbild handelt, aus dem System herausfällt oder sogar gegen dieses steht. Das System, dargestellt in der Gliederung der Belege, ergab sich aber zwanglos aus den Zeugnissen selbst. Struktur und Sinnbezirke der Kenningar bleiben erstaunlich konstant. Erst das 12. Jahrhundert bringt, zunächst noch zögernd, Bildungen spezifisch christlichen Inhalts vom Typus angrhrjödandi (s. S. 214, 218). Die in der Trinität vereinigten göttlichen Personen haben als Gegenstände der Kunst eine Geschichte. Überblickt man die abendländische Entwicklung, so ist das Wort vom 'GestaltwandeP der Götter nicht von der 1

Die Feuerhölle war auch schon für Wulfila ein Problem. Mit halja hatte er iidrj- übersetzt; für die neue und fremde Vorstellung mußte er das Fremdwort yeevva übernehmen; vgl. K. D. Schmidt, Bekehrung I, 1939, S. 287. 229

Hand zu weisen. Das ist angesichts der christlichen Gegenstände um so bemerkenswerter, als es sich bei dieser Religion um eine dogmatisch festgelegte handelt. (Das Dogma selbst freilich wandelt sich in der Geschichte. Die Frage nach dem Sinn dieses Entwicklungsprozesses ist wesentlich ein theologisches Problem; es muß hier ausgespart werden.) Um den Gott zu feiern, hat das abendländische Christentum verschiedene „Sprachen" ausgebildet, die nach Absicht und Leistung unvergleichbar sind untereinander; neben den Sprachen der einzelnen Künste steht die des liturgischen Handelns (auch diese ihrer Intention nach eine darstellende Sprache) und die der gelehrten theologischen Darlegung. Aus der verschiedenen Absicht und Möglichkeit dieser „Sprachen" erklärt es sich zuletzt, warum das spekulativ Erarbeitete nicht zugleich Gegenstand der Kunst sein kann. Die Sprachen meinen verschiedene Aspekte Gottes und gehen verschiedene Wege zu ihm. Der Homilet sieht nicht nur, er will auch anderes als der Skalde. Die Sprache des Bildes ist nicht spekulativ, sie will Evidenz. Die Kenning ist nicht Ergebnis theologischer Bemühung, sie ist auch nicht Anrufung Gottes, sondern eher ein Ausrufungszeichen, hymnische Orts- und Wesensbestimmung, nicht einmal Umrißzeichnung, sondern eher ein Ecce Deus! Theologie und Kunst sprechen also verschiedene Sprachen. Jede hat ihre eigene Mächtigkeit. Die Bildsprache der Kunst hatte sich zudem gegen das Bibelwort des Gebotes (5. Mos. 5,8) zunächst ein Daseinsrecht zu erkämpfen. Die frühchristliche Kunst des Abendlandes steht in der Spannung zwischen diesem Gebot, sich kein Gleichnis zu machen und dem andern Wort (1.Mos. 1,26—27): Faciamus Hominem ad imaginem, et similitudinem nostram . . . Et creavit Deus hominem ad imaginem suam: ad imaginem Dei creavit illum, masculum et feminam creavit eos1. Unreflektierte Weise des Vorstellens kennt, in geschichtlicher Zeit wenigstens, keine andere Möglichkeit, sich ein Bild von Gott zu machen, als die anthropomorphe. Das Genesiswort rechtfertigt sie, allein mit einer Einschränkung (wie denn auch die mittelalterliche Theologie nicht müde wird, immer wieder Schlüsse vom Menschen auf den Gott zu verbieten): Gott ist unsichtbar. Nur Christus, insofern er zeitweilig nicht deus absconditus war, sondern als Mensch sichtbar wurde, ist eigentlich darstellbar und zwar nicht nur im abstrakten Signum oder in der Allegorie des Lammes, sondern auch und vor allem im Bilde des Menschen. Gottvater bleibt bis weit ins Mittelalter hinein seinem Wesen nach undarstellbar (die Paradiesszene der Hildesheimer Bronzetür beweist nicht das Gegenteil, zumal sie in einem weiteren Bild Gott im Symbol der ausgestreckten Hand veranschaulicht). Der Geist muß die Gestalt der Taube oder der Flamme annehmen, um sichtbar werden zu können. Die durch Genesis 1, 26 f. gleichsam erlaubte Abbildung Gottes nach dem Gleichnis des Menschen darf nun nicht dahin mißverstanden werden, 1

Zum Bilderstreit der Ostkirche und zur Haltimg der karolingischen Kultur ihm gegenüber vgl. W. Pinder, Die Kunst der deutschen Kaiserzeit bis zum Ende der staufischen Klassik, Leipzig 1937, S. 81 f.; ferner S. 78ff., 109ff. zur Bildkunst des deutschen Frühmittelalters; auch Huizinga, Herbst des Mittelalters, 6. Aufl., 1952, S. 175. 230

als würden Gott und Christus im Mittelalter im Sinne und nach Art antiker Leibhaftigkeit dargestellt. Die Gestalt des Menschen gibt zwar die Handhabe zur Darstellung an sich, aber „die Kunst des frühen Mittelalters sucht nicht die optische Realität, die Welt der Erscheinungen ist ihr an sich nicht darstellenswert. Nicht auf die schöpferische Nachahmung der Natur kommt es an, sondern auf eindringliche Gestaltung des geistigen Gehalts" (A. Boeckler, Deutsche Buchmalerei vorgotischer Zeit, Königstein 1952, S. 5). Gegen die antike Leibhaftigkeit steht die mittelalterliche Z e i c h e n haftigkeit der göttlichen Gestalt. Soweit die Gestalt die des Menschen ist, bedeutet sie nichts; Dimension und Gebärde sind alles — Zeichen, die auf die transzendente Heimat verweisen. Diese Heimat aber ist gegenwärtig im Goldgrund gewisser Evangeliar-Illustrationen. (Es ist eine leider nicht exakt beantwortbare Frage, ob die Lichtmetaphorik der nordischen Kenningar nicht in solchen Bildern — denn wo anders hätten die Täuflinge eher ein Bild ihres neuen Gottes sehen können als in solchen Illustrationen ? — wenigstens einen Grund hat.) Die mittelalterliche Kunst ist nicht Illustration der Dogmen, sie hat eine eigene Formsprache. Das gilt nicht nur für die Christusbilder der Buchmalerei, sondern gleicherweise für die Dichtung. Aus den Kenningar ist nicht die Theologie der Zeit zurückzugewinnen; ablesbar ist nur, was diese besondere Formensprache zu Wort kommen läßt. Der zeitgenössische Christus ist der rex triumphans, die majestas Domini, der „König aller Könige" (1.Tim.6,15). Der Verherrlichung der Majestas dienen die Kenningar zu allermeist, jedoch in der besonderen Weise, daß sie Christus im Bilde des kosmischen Gottes sehen. So pathetisch und unablässig dieses Bild auch vorgetragen wird, so dürftig ist doch die Zeichnung im einzelnen. Das liegt nicht nur daran, daß die nordische Dichtung keine breite Epik hervorgebracht hat; vielmehr war offenbar das S t i l w o l l e n ein anderes, es war das des skaldischen Preisliedes. Das läßt sich genauer zeigen, aber dazu muß etwas weiter ausgeholt werden. Wessen hat (UUÄ 1924, 6, S. 52 — vgl. auch F. Jönsson, Aarb. 1926, 175ff.) darauf hingewiesen, daß Götternamen nicht vor der Wikingerzeit als Glieder von Personennamen auftreten. (Vereinzelte Beispiele wie an(s)ugisalaR, tooduridaR, owlpupewaR und a(n)sugasdiR sollten dabei freilich nicht übergangen werden.) Dann aber erscheinen fast ins Unendliche variierbare Namen, vor allem mit Pörr als erstem oder zweitem Glied, wenige mit Freyr, keiner mit Odin außer dem altdän. run. OpinkauR. Von den rund 4000 Namen der Landnamabök ist fast ein Viertel mit Pörr komponiert (vgl. Thümmel, PBB 35, 96, ferner de Vries, RG II, 210). Was bedeutet das? Hat sich das Verhältnis zu den Göttern geändert? Sind sie näher gerückt, sind sie irdischer geworden? Gleichzeitig wird in der Skaldik der Typ sverd-Freyr für „Mann", gl-Nanna für „Frau" greifbar, jedoch untersteht sich kein Skalde, eine Mann-Kenning mit Thors Namen zu bilden, im Gegensatz also zu den PN (vgl. Meissner, Kenningar S. 259—263, 403—408; Kuhn, ZfdA 79, 136ff.). Die beiden Erscheinungen sind wohl parallele Vorgänge. Götter werden in beiden Fällen dem irdisch-menschlichen Bereich angenähert. Der Mensch wird hingegen — namentlich durch die poetischen Umschreibungen mit 231

mythologischem Bestandteil — erhöht. W a s den Göttern genommen wird, das wird dem also gepriesenen Menschen zugelegt. Dieser über das irdische Maß gesteigerte Mensch kann nun seinerseits seine höchsten Bezeichnungen a n den neuen Gott abgeben. Der Mensch wird wieder kleiner, der Gott größer. Die Grundwörter der Gott-Kenningar in der chrsitlichen Dichtung zeigen das deutlich. F a s t 200 von ihnen haben als Grundwort eine Fürstenbezeichnung (im Stef stehende Kenningar nur einmal gezählt). D e r ganze Reichtum an solchen Wörtern wird auf den rex triumphans verwendet. Ich zähle zwei Dutzend solcher Grundwörter, wobei auch solche der Heldensage m i t unterkommen (skjgldungr, budlungr), ohne daß im einzelnen Fall gesagt werden könnte, hier sei noch der alte heroische Zusammenhang assoziiert worden 1 . Natürlich geben diese Wörter nicht n u r Dominus wieder. Viel aus heimischer Dichtung schwingt mit. E s ist lehrreich zu sehen, wie die Fürst-Grundwörter der Kenningar zurücktreten in ebendem Maße, wie die Umschreibungen spezifisch Christliches auszudrücken beginnen. Es lohnt wohl, hier einmal Zahlen sprechen zu lassen. Die Grundwörter der Bedeutung „König, Fürst, H e l d " sind, in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit, die folgenden: dröttinn 22mal — konungr u n d Komposita 21mal — gramr 19mal — valdr und Komposita 15mal — jgfurr 14mal — styrir u n d part. 12mal — stillir und part. l l m a l — harri, siklingr je 9mal — hilmir 7mal — je 6mal dQglingr, tyggi, pengill, gdlingr— je 5mal skjgldungr, raesir — je 3mal budlungr, fylkir, hildingr, mildingr, visi — je 2mal landreki, lofdungr — l m a l Yngvi2. Man wird k a u m fehlgehen, wenn man aus der vielfältigen Verwendung der Fürstenbezeichnungen nicht nur das feierliche R ü h m e n im herkömm1 V. Rydberg, Undersökningar i germansk Mythologi I, 1886, S. 144f. betonte bereits, daß Geschlechtsbezeichnungen wie ylfingar, budlungar u. a. bei den Skalden der christlichen Zeit ihren bestimmten Charakter verloren hätten. Doch darf bei einem so allgemein, gehaltenen Urteil nicht vergessen werden, daß Dichtungen, in denen solche Bezeichnungen von Rechts wegen ihren Platz hatten, durchaus bekannt waren, daß mithin der eigentliche Bedeutungsgehalt gewußt werden konnte. 2 Vgl. zu dpglingr < *dagulingaz, einer Weiterbildung zu *Daguz Höfler, Genzmer-Festschrift S. 33f.; zu tyggi (tiggi) H. Kuhn, Mise. Acad. Berol. 1950, S. 38; zu rsesir B. M. Olsen, Arkiv 39, 1923, 8. 105f. SnE I 512ff. gibt eine Sammlung von Wörtern für Mann und Fürst. E s ist interessant zu sehen, daß einige von diesen nicht für die christlichen Kenningar gebraucht worden sind; madr, jarl, hertogi kamen begreiflicherweise nicht in Frage, aber auch die Fremdwörter sinjörr (Sigvat kennt es 11, 15,vgl.auch 12, 8) und vor allem keisari (Sigvat 10, 10 bringt es schon) wurden nicht benutzt. Daß das von Snorri aufgeführte Wort mseringr nicht in den Gott-Kenningar vorkommt, kann Zufall sein. Die Konunga heiti B 671 geben über Snorris Liste hinaus noch folgende Wörter, die in christlichen Bezeichnungen für Gott und Christus nicht vorkommen: afraki, bragningr, norr, niflungr, Pjödann, sjöli (denn Leid 31 entfiel als Zeugnis), skilfingr, skyli, ynglingr, ylfingr. Vermutungen über die Unbrauchbarkeit dieser Bezeichnungen in christlichen Umschreibungen für Gott anzustellen, wäre ziemlich müßig. Bei den Wörtern aus der Heldensage wird man annehmen dürfen, daß ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Überlieferungen noch durchaus klar war, daß sie also zwar für „Mann"-Kenningar, nicht aber für anderweitige Verwendung frei waren.

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liehen Preisliedstil heraushört, sondern auch die darin ausgesprochene Distanz beobachtet. Gott thront in der Majestas. Er ist noch nicht der zum Menschen Herabgeneigte. Auch im übrigen Abendland lassen die milderen Züge der Nach-ClunyZeit Gott keineswegs seine Herrscherstellung aufgeben. Nur langsam wandelt sich dieses Herrscherideal und analog dazu, wie Schwietering ZfdA 64, 139ff. gezeigt hat, das Heldenideal. Der Held wird dann zum Gotteskind, Gott wird zum Vater — aber das ist „Parzivalstufe", die es im Norden nicht gibt. Kirchenmänner wie Bernhard von Clairvaux gehen in diesem Prozeß der Verinnerlichung des Gottesbildes voran. Ansätze zur Mystik zeitigen den Beginn des Nachlassens des religiösen Distanzgefühls (vgl. B. Schwarz, Gottesbild, S. 33). Aber die Kenningar unserer Dichtung gehen in ihren Bezeichnungen noch nicht bis zum Menschensohn. Auch der Crucifixus wird noch verschwiegen. Selbst die Übersetzung des Apostolicum (Homiliubök, ed. Wisen) tat Ähnliches, wenn sie den Passus crucifixus, mortuus et sepultus übertrug mit krossfestr {mortuus fehlt!) ok grafenn . . . Und endlich: der Majestas gegenüber gibt es noch keine fulltrüi-Anrede, so sehr Baetke damit recht haben dürfte, wenn er den fulltrüi als eine christliche Projektion in die Heidenzeit auffaßt (Lehngut, S.'34f.). Auf dreierlei Weise wird, abgesehen von der Thematik der Dichtungen, das Gottesbild gezeichnet: einmal durch die fürstlichen Grundwörter, sodann durch die bestimmenden Zusätze zu diesen, durch die vor allem der kosmische Gott beherrschend in den Vordergrund tritt, endlich durch die Adjektive, mit denen Gott und Christus ausgezeichnet werden. Über diese wurde schon oben S. 103, 147, 149 bei den Listen der hap. leg. gehandelt. Trotz der Fülle und der Einhelligkeit ihrer Aussagen kommt es nicht eigentlich zu einem anschaulichen Bild. Das darf jedoch nicht als Folge künstlerischen Unvermögens mißverstanden werden, sondern als genaue Entsprechung zu dem eingangs umschriebenen Zeichen Charakter der Illustrationen in den karolingischen und ottonischen Evangeliaren. Was dort Überdimensionierung und ekstatische Gebärde aussagen, das leistet der Skalde in seinen Umschreibungen. Das durch sie Gesagte gilt nur fürs innere Auge, der „Waltende des Wetter Schreines'' ist keine natürliche Größe von darstellbaren Ausmaßen. Der Gott wohnt drüben. Die Kenning verhilft ihm schlechthin zur Transzendenz. Diese Transzendenz wird nun, wiederum in Übereinstimmung mit der abendländischen Kunst und sonstigen Überlieferung, in einer großen Gruppe der Kenningar, gleichsam dem Tenor dieser ganzen Dichtung, sichtbar gemacht: im Herrn der Sonne. Kein Gott der Heidenzeit ist Herr der Sonne gewesen, wenn auch, wie J. Palmer APhSc V, 1930—1931, S. 287 ff. gezeigt hat, ein beträchtlicher Wortschatz aus dem Sinnbezirk des Lichtes eine religiöse Rolle gespielt hat {heidr, *wulpus > Ullr, lat. divus u. a.). Das Bild des Herrn der Sonne und damit die religiöse Vorstellung sind neu im Norden. Ein Exkurs wird zwar zeigen, daß eine latente Sonnenverehrung immer vorhanden gewesen sein dürfte; aber einen großen Sonnengott hatte des nordische Heidentum nicht 233

ausgeformt. Das christliche Bild, das n u n mit großem Eifer aufgenommen wurde, hat eine lange Vorgeschichte. Viele Traditionsstränge laufen zusammen, ehe die Fülle der Kenningar gerade zu diesem Thema möglich wird. Wir versuchen, uns von der Entwicklung der mittelalterlichen Lichtmetaphysik ein Bild zu machen, das in diesem R a h m e n notwendigerweise vereinfacht sein m u ß 1 . Die Lichtqualität galt von Anfang an für alle Personen der Dreieinigkeit. Ps. 103,2 heißt es von Gott: amictus lumine sicut vestimento; Ps. 35,10 sagt: in lumine tuo videbimus lumen; J o h . 8 , 1 2 spricht Christus: ego sum lux mundi, s. ebda, auch 1,5 — 1,8 — 1,9. Paulus schreibt 1. Tim. 6,16 von der Wohnung Christi: lucem inhabitat inaccessibilem; l . J o h . 1,5 führt die Gleichung wörtlich durch, indem er feststellt: quoniam Deus lux est. (Dieses W o r t sollte d a n n Augustin in De trin. V I I I , 2 wieder aufnehmen.) Die Identifikation Deus = lux ist also schon biblisch. Aber auch die Vorstellung einer Beziehung zwischen Gott u n d der Sonne h a t schon hier ihre ersten Zeugnisse. Neben dem Vergleich facies ejus sicut sol bei Matth. 17,2 u n d Offb. 1,16 steht schon Mal.4,2 der wichtige S a t z : et orietur vobis timentibus nornen meum Sol justitiae. Solche und ähnliche Stellen, namentlich aber wohl ein Passus wie l . J o h . 1,5 boten die Möglichkeit für das Eindringen neuplatonischer Lichtmetaphysik, die durch die Vermittlung Augustins kräftig ins Mittelalter hineinwirken sollte. Aus Bibel u n d Neuplatonismus — ob auch gewisse spätantike Sonnenkulte und antike Lichtsymbolik (Bultmann, Philologus 97, 1—36) ihre Rolle gespielt haben, will ich nur als Frage andeuten, nicht untersuchen — n ä h r t sich die kirchliche Hymnik des abendländischen Frühchristentums 2 . An ihrem Anfang steht Ambrosius, wenn er d i c h t e t : 0 Lux beata Trinitas Et principalis unitas (Hymnus X I , Migne 16, 1476), oder im VII. H y m n u s (a.a.O., 1475) Splendor Paternae gloriae De luce lucem proferens und im X. H y m n u s (a.a.O. 1476) Consors paterni luminis Lux ipse lucis et dies . . . 1 Vgl. vor allem Cl. Baeumker, Witelo, ein Philosoph und Naturforscher des X I I I . Jahrhunderts, Beitr. z. Gesch. d. Philos. im Mittelalter, I I I , 2, bes. S. 35'/ ff. H. H. Glunz, Literarästhetik des europ. Mittelalters, 1937, S. 377ff., 425ff.; 445ff.; H. Brinkmann, Zu Wesen und Form mittelalterlicher Dichtung, 1928, S. 126, 144, 180, und für die bildende Kunst vor allem H. Sedlmayr, Die Entstehung der Kathedrale, Zürich 1950, S. 144ff. und Register s. vv. Licht, Sonne; speziell zur skaldischen Dichtung H. Lie, MoM 1952, S. 73ff. 2 Bultmann, a.a.O. S. 12: „Erst in der hellenistischen Zeit dringt der Sonnenkult aus dem Osten in die griechisch-römische Welt ein, und dann erst wird das Licht zu einer kosmischen Größe, zum Inbegriff der göttlichen Macht schlechthin, die im Kampf mit der Gegenmacht der Finsternis steht." Vgl. ebda, auch S. 26 f.

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Der H y m n u s V (Migne 17, 1214), für den die Autorschaft des Ambrosius nicht gesichert ist, bringt — mit dem Johannesbrief und Augustin — expressis verbis die Gleichsetzung: Christe, qui lux Noctis tenebras Lucisque lumen Lumen beatum

es et dies, detegis, crederis praedicans.

Isidor von Sevilla spiritualisiert die schlichte Gleichsetzung, wenn er sagt: Advero juxta spiritualem intelligentiam sol Christus est (zitiert nach Sedlmayr, a.a.O. S. 144). Der gründliche Hrabanus Maurus gibt sich dann De universo (Migne 111, 265f.) über die Metaphorik kirchlicher Redeweise wie folgt Rechenschaft: Lucis ergo nomine diversae significationes exprimuntur. Aliquando enim ipsumDeum, id est,totamsimulsanctam Trinitatem ostendit: aliquando Filium Dei . . . etc. Diese Kirchensprache, die die Mitte hält zwischen Metaphorik und Identifikation (wesentlich neuplatonischer Herkunft), mußte den Neubekehrten natürlich Schwierigkeiten machen. W a s Wunder also, daß sie aus dem Gleichnis die Realität heraushörten, die ihnen die Annahme der neuen Vorstellung erleichterte. Dabei konnte es nicht ohne Umbiegungen und Mißverständnisse abgehen 1 . Der Herr der Sonne, wie die Kenningar ihn schildern, ist eine nordische Interpretation des neuen Gottes, nicht er selbst, wie die Schrift ihn meint. Die Identifikation, die durch die kirchlichen H y m n e n nahe genug lag, wird im Norden erst spät u n d vereinzelt vollzogen; bei allem Pathos aber waltet eine unmystische Besonnenheit, die den neuen Gott lieber als Herrn der Sonne, nicht als diese selbst versteht. Ge. 1—2 und das Wort harmsöl sind eher Ausnahmen. Die Sonne ist in der nordischen Dichtung ein rühmenswerter Besitz Gottes, nicht eigentlich seine Erscheinungsform. Das Wort, das Snorri Hskr. I I , c. 113 anläßlich einer Bekehrungsgeschichte dem König Olaf in den Mund legt — par ferr nü guä vdrr med Ijösi miklu — hat seine Gültigkeit auch in der Bilderwelt der christlichen Skalden. (Man vergleiche übrigens zu dem W o r t Jes. 41,25 et veniet ab ortu solis und das oben zitierte Wort Mal. 4 , 2 ; vgl. auch Honorius, Gemma animae I 95.) Mit der Bibel und vor allem der kirchlichen Hymnik, die neuplatonische Lichtmetaphysik und vielleicht spätantike Vorstellungen vom Sol invictus aufgenommen hatte, k o m m t der neue Gott in der Glorie zu den Nordleuten. Wie schon angedeutet, mögen auch bildliche Darstellungen des Gottes auf dem Goldgrund — der seinerseits nicht ohne die Lichtmeta1

Auch in der deutschen Dichtung blieben Fehlbildungen, die an das Häretische grenzen, nicht ganz aus. In Verwünschungen kommt mehrfach formelhaft der sunnen haz vor; Ottes Eraclius, ed. H. Graaf, QF 50, V. 1066 sie hiezn in strichen der sunnen haz — Erec V. 94 und hebe dich der sunnen haz — Parz. 247, 26 ir sult varen der sunnen haz — Helmbrecht V. 1800 nü ziuhe / in von mir der sunnen haz. Parallele Beispiele für gotes haz hat J. Grimm, DM 117 zusammengestellt. Eine „heidnische Färbung" glaubte Grimm in den Formeln von der sunnen haz sehen zu dürfen, wogegen B. Schwarz, Gottesbild S. 9 ohne triftige Gründe Einspruch erhob. 235

physik verstanden werden k a n n — bei der Ausbildung des nordischen Bildes mitgewirkt haben. Auch heidnische, wenigstens spätheidnische Vorstellungen vom Gott, „der die Sonne gemacht h a t " , sowie eine gerade im Norden verständliche Verehrung der Sonne haben wohl mitgewirkt. Ein letztes aber scheint zu dem vielschichtigen Traditionsgefüge noch hinzuzukommen, ehe die leidenschaftliche Bevorzugung des kosmischen Gottes in der nordischen Dichtung wirklich als erklärt gelten kann. Aus der Bibel waren verschiedene Bilder Gottes u n d Christi zu gewinnen, wie die Folgezeit denn auch gezeigt hat. D a ß der Herr der Sonne gerade so bevorzugt wurde, lag nicht n u r an der gleichsinnigen Tendenz des ganzen Abendlandes, der Verehrung des rex triumphans; vielmehr kam dieser allein dem Stilwillen der skaldischen Dichtung entgegen. Die Ruhmdichtung brauchte den pathetischen Gegenstand, ohne den sie sich nicht h ä t t e erwärmen können. W a r es schon allgemein A r t der mittelalterlichen Dichtung, ,,an der Gestalt das Leuchtende stärker als das Körperliche zu erleben u n d zu b e t o n e n " 1 , so wurde dies in der christlichen Skaldik zu E h r e n Gottes zum E x t r e m getrieben. Der Zeichenhaftigkeit der großen Gebärde auf Goldgrund entspricht in der skaldischen K u n s t die Kenning, die den kosmisch-übersinnlichen Glanz zusammenrafft in einer Stilfigur: auch diese ein Zeichen, das über d a s Gesagte unsagbar hinausweist. Das Glanzerlebnis ist der Durchblick in die Transzendenz.

Exkurs: Zur Geschichte der germanischen

Sonnenverehrung

„. . . die erste Erscheinung und der erste Genuß der Natur vereinigen sich in dem Worte: Es werde Licht! hiemit fängt sich die Empfindung von der Gegenwart der Dinge a n ! " Hamann, Aesthetica in nuce WW I I 197 Das immer wieder in der christlichen Dichtung auftauchende Sonnenbild nötigt zu einem Exkurs. N u r so ist es zu vermeiden, d a ß der Gang der Untersuchung an verschiedenen Stellen unterbrochen wird 2 . 1

Brinkmann, a.a.O. S. 180; vgl. auch Huizinga, Herbst 6 , 1952, S. 296. Vgl. oben S. 188ff., 2l2f., 217f. Eine ganze, große Provinz der Lichtmetaphorik (und der im Lichterlebnis geglaubten religiösen Wahrheit) müssen wir hier aussparen: die Mystik. Das außerordentlich häufige Vorkommen des Lichtsymbols in den visiones und im Erlebnis der unio mystica schon in den frühen mystischen Texten ist bekannt; vgl. Wentzlaff-Eggebert, Deutsche Mystik zwischen Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl., Tübingen 1947, S. 25, 28f., 42, 63ff. u. ö. In eine Untersuchung der Frage, ob auch in diesem Bereich eine Wurzel der nordisch-christlichen Licht„metaphysik" zu suchen sei, können wir hier nicht eintreten. Es hieße sonst vorweg die Frage erörtern, ob im nordischen Mittelalter — sagen wir bis 1200 — schon mit Ansätzen einer eigenständigen Mystik gerechnet werden kann. Ich glaube diese Frage verneinen zu sollen, da der 2

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Die überragende Bedeutung des Sonnensymbols — dieser mehrdeutige Ausdruck mag gestattet sein — in der hier behandelten Dichtung k a n n n a c h den vorangegangenen Interpretationen und der Darstellung des letzten Kapitels nicht mehr zweifelhaft sein. Zu fragen ist nun aber: warum fühlte sich der Norden genötigt, den neuen Gott mit dem Gestirn in so enge Beziehung zu setzen? Gab es im frühen Mittelalter des Nordens eine besondere, vielleicht mitwirkende Neigung zur Vergöttlichung der Sonne ? Gab es eine zwar oft berufene, aber merkwürdigerweise nie historisch-systematisch aus den Quellen dargestellte germanische und insbesondere nordgermanische Sonnenreligion ? U n d wie verhielt sich eine solche zu der in den literarischen u n d sonstigen Quellen bezeugten Verehrung persönlicher Götter? W a r die Sonnenverehrung Teil der allgemeinen Religion der Nordgermanen oder h a t t e sie eine Sonderstellung ? 1 Diese Fragen stellen heißt ein großes und problemreiches Gebiet betreten. E s kann hier nicht in seinem vollen Umfang abgeschritten werden. Einige Richtwege müssen genügen. Der Kunsthistoriker H . Sedlmayr (Entstehung der Kathedrale, S. 503f.) h a t jüngst eine wichtige Beobachtung mehr angedeutet als ausgeführt: d a ß nämlich in der germanischen Welt das Hervortreten des Sonnensymbols weitgespannten, periodischen Wechseln unterworfen ist. Ich gehe diesen von Sedlmayr gezeigten Weg zunächst weiter. E s ergibt sich dadurch ein erster Überblick dem d a n n einzelne Zeugnisse eingeordnet werden sollen. Die jüngere Steinzeit 2 versammelt sich, soweit das die auf uns gekommenen Denkmäler ihrer K u n s t erkennen lassen, mit schwerem, feierlichen E r n s t um den Totenkult; doch ist ihr das Sonnensymbol auf Grabsteinen nicht völlig fremd (Mogk in Hoops' R L IV 200). Die Bronzezeit 3 antwortet durch ihre in nicht müde werdender Variationsfreude gestalteten Sonnenbilder. Die Felszeichnungen wie auch die übrige künstlerische HinterlassenNorden keine Mystik im Sinne der Hildegard, Mechthild u. a. zu kennen seheint; was freilich nicht besagt, daß es nicht auch im Norden „mystische" Erlebnisse, nur eben anderer Art, gegeben habe (vgl. W. Gehl, Schicksalsglaube S. 174f., 181). Es genügt für den gegenwärtigen Zusammenhang, darauf hingewiesen zu haben, wie das Lichtsymbol in vielen Bereichen abendländisch-mittelalterlichen Geisteslebens herrschend wird. 1 Das vollständigste Material, freilich beschränkt auf die Quellen der Mitte des 19. Jh.s, also ohne Berücksichtigung der archäologischen Funde, bietet noch immer J. Grimm, DM, Kap. X X I I , X X I I I . H. Wislicenus, Die Symbolik von Sonne und Tag . . . , 1867, bringt im wesentlichen die Zeugnisse Grimms, nur daß er sie durch häufige naturallegorische Deutungen verunklärt. Kritisch und besonnen zu diesem Komplex Stegemann, HDA VIII, 49—55; vgl. neuerdings auch H. Hartmann, Totenkult in Irland, vor allem S. 24, 26, 38, 69ff., 101, 103, 126, 207 u. ö., der reiches Material zur irischen Licht- und Sonnensymbolik (mit gelegentlichen Ausblicken auf germanische Dinge) ausbreitet. Die prähistorischen Zeugnisse verzeichnet teilweise (mit reicher Literatur) C. Clemen, Urgeschichtliche Religion, Bonn 1932, S. 111 ff. a Vgl. zu dieser Epoche v. d. Leyen, Götter, S. 27ff.; Schwantes, Vorgeschichte von Schleswig-Holstein I, 1939; dens., Zs. Offa IV, 1939, S. lff.; referierend dazu Arntz, Hdb. d. Runenkunde, 2. Aufl., 1944, S. 8—10. 3 Vgl. v.d.Leyen, a.a.O.,S.31ff. ( 35,42; ferner E . N . F e t t , N K XXVI, S. 6,16.

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schaft dieser Epoche gehören keineswegs wesentlich zum Totenkult. Der leuchtende Werkstoff der Kleinkunst — nicht selten das Gold — ist die angemessene Materie dieser durchleuchteten Symbolwelt. E s wird kein Zufall sein, daß in dieser Epoche die Leichenverbrennung aufkommt 1 . Die Eisenzeit, zugleich die Zeit des Aufbruchs der Germanen, sieht — geprägt von dem wuchtigen Schicksal der WanderJahrhunderte — wieder die Nachtseite des Daseins, das Verhaftetsein dem Schicksal gegenüber, den Untergang: in der Gestalt des tragischen Helden. Die Epoche ist fundu n d kunstarm bis hoch in die eigentliche Völkerwanderungs- (und Wikinger-) Zeit. Das Sonnensymbol scheint selten geworden zu sein. Lehrreich ist doch wohl, daß sich unter den zahlreichen Götternamen auf den Weihesteinen der ersten J a h r h u n d e r t e unserer Zeitrechnung nicht eine einzige Sonnengottheit findet, obgleich eine große Anzahl segenspendender Gottheiten auftritt. Gutenbrunner, Götternamen, S. 197 erwägt allenfalls für die Göttin von aquae Sulis eine Anknüpfung an air. süil „ S o n n e " , während die zehnmal bezeugte Sunuscalis (ebda. S. 87—90) fernzuhalten ist. Das Mittelalter bringt wieder die Antithese 2 . E s k a n n nicht übersehen werden, daß drei der wichtigsten altnordischen Dichtungen aus dem neuen Geist das Himmelslicht bereits im Titel nennen: Geisli, Harmsöl, Sölarljöd. Diese Sonne ist geradezu eine Leitform für den Geist u n d das Wollen der neuen Zeit. E s ist nun nicht so, als ob die Epochen in ihrer Zugekehrtheit zum Licht oder zum Dunkel radikal geschieden wären. Altes lebt fort, Neues wird vorgeahnt. Auch die lichte Epoche weiß vom Tode, auch die dunkle Epoche weiß vom Licht. Sonnenverehrung — aber in welchem Umfang? — h a t es wohl immer gegeben. Alles k o m m t darauf an, den geistigen Mittelpunkt einer Epoche, ihr aufschließendes Symbol zu erkennen 3 . 1 Verschiedene historische Entwicklungsstufen vergleicht v. d. Leyen unrichtig und kommt deshalb zu einem streng trennenden Urteil, wenn er a.a.O. S. 48 sagt: „Der Fruchtbarkeits- und der Sonnenkult auf den alten Bildern (der Felszeichnungen) scheint uns stärker, wilder und ungehemmter, als es eigentlich germanische Art ist, später (?) sind die Germanen herber, kühler und keuscher." Den Indogermanen spricht der gleiche Verfasser ein Streben nach Vergeistigung zu im Unterschied zu den Ureinwohnern des Nordens: „Diese huldigten der Sonne, die Indogermanen dem Vater Himmel. Diese führten noch die Sonnenscheibe über die Felder, die Indogermanen glaubten an persönliche G ö t t e r . . . " (a.a.O. S. 71). Das nicht als germanisch Empfundene möchte v. d. Leyen S. 55, 63 aus westlichem Einfluß herleiten. — Beicht unser Wissen zu so strengen Unterscheidungen? Dürfen die Leistungen der Bronzezeit (auch bei den Felszeichnungen!) nicht den Germanen zugeschrieben werden, zumal diese Kunstübung bis fast in die historische Zeit reicht ? Vgl. Norden, Zs. Fornvännen 1934, S. 35—53. 2 Daß verschiedene germanische Götter Lichtnamen haben, ist dabei nicht vergessen worden, vgl. o. S. 233. Hier kommt es mir nur darauf an, zunächst den großen Periodenwechsel sichtbar zu machen. 3 Im E>orv. bättr. c. 2, 6 spricht Kodran in einem gewiß nicht historischen, dafür aber die Sehweise des Mittelalters bezeichnenden Satz die Antithese aus: pviat mir syniz, at gitd ydvarr mun gledjaz aj Ijösipvi, er värir godar (!) hrsedaz. — Als Parallele zur Licht-Kenning der christlichen Dichtung im Norden sei hier

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Die hinlänglich bekannten Zeugnisse der Bronzezeit übergehen wir hier u n d stellen n u r die wichtigsten literarischen Nachrichen einer germanischen Sonnenverehrung zusammen. Wir wollen wissen: a) gab es eine kontinuierliche Verehrung der Sonne bis in das Mittelalter, b) h a t t e diese Verehrung religiösen Charakter, c) in welchem Verhältnis stand diese (zu erweisende) Verehrung der Sonne zur übrigen Religion? Caesars berühmter u n d berüchtigter Religionssatz B G VI 2 1 1 , den schon J . Grimm, DM 3 92f. „als eine halbwahre, allgemeingehaltene Ansicht" zurückstellte, soll nicht erneut erörtert werden. Tacitus weiß in seiner Germania, sonst doch erstaunlich gut unterrichtet, nichts von einer Sonnenverehrung; den Satz in c. 45 sonum insuper emergentis audiri formasque equorum et radios capitis aspici persuasio adicit hat schon Grimm, a.a.O. S. 683f. nicht für das „Dasein germanischer Götter geltend gemacht" wissen wollen, da die Nachricht „durch allgemeinere Reisesagen" in den T e x t gekommen sein dürfte (vgl. auch Much, Germania, S. 402). Dem Zeugnis des Tacitus entspricht das Fehlen von Sonnengottheiten auf den Weihesteinen des Rheinlandes. Auch der oft zitierte Satz über Bojocalus, den F ü h r e r der Ampsivaren (Annal. X I I I 55) 2 , dürfte mehr Rhetorik als Religion enthalten. Endlich: wenn Tacitus Germ. c. 10 vom Priester (oder pater familias) sagt, d a ß dieser vor dem Aufheben der Losstäbe caelum aspicit, u n d Arntz a.a.O. S. 216 einen Blick „zur Sonne" daraus liest, so nötigt er den Text. An einen Sonnengott ist außerdem hier nicht zu denken, denn es heißt ausdrücklich vorher precatus deos . . . E s bleibt allein das Zeugnis des Procop (Bell. goth. I I 15) über die Sehnsucht der Nordländer nach der Sonne in der langen Winternacht und die Festfreude der Thuliten bei ihrem Erscheinen 3 . Zwar hören wir von dem „größten F e s t " (amr] re nur auf das „heilige Licht", dieses durchgehende Symbol im Heliand, hingewiesen: s. V. 1665ff., 1799, 1920, 2601—2606, 2646, 2796 und vielmals öfter; auch das „andere Licht" V. 5698 hat Am. 87, 8 fara i Mos annat seine Entsprechung. 1 Deorum nume.ro eos solos ducunt, quos cernunt, et quorum opibus aperte juvantur, Solem et Vulcanum et Lunam, reliquos ne fama quidem acceperunt. Vgl. auch Grimm, a.a.O. S. 568, 667. Weit mehr Bedeutung will Arntz, a.a.O. S. 216 dem Satz wieder zumessen. Allein eine antike Parallele wie in Piatons Kratylos 397 macht den Satz doch verdächtig, ein ethnographischer Gemeinplatz zu sein. Sokrates sagt an der Stelle: (patvovrai uoi oi noü>Toi rwv a.v&Qibnu>v xü>v TIEQI TTJV 'EkMda roihovg uovovq xovc. {reovg fjyeio&at, ovaneo vvv TZOM.OI zöiv ßanßdomv, fjXiov xal aeXrjvnv xai yijv xal äarga xal ovgavöv. 2 Solem respicens, et cetera sidera vocans (die im Augenblick ja nicht am Himmel stehen), quasi coram interrogabat, velletne intueri inane solum; vgl. Grimm, a.a.O. S. 667. Daß der Germane sich an den Sonnengott wendet —• so Buschan, Altgerm. Überlieferung, 1936, S. 16 — steht nicht da. 3 Procopii opera omnia, ed. J. Haury, 1905, I I , 215f.; vgl. dazu Grimm, a.a.O. S. 683, Orlik, Ragnarök, S. 18. — Man achte vor allem auf Procops wahrhaft tiefsinnige Nachricht, die schon den ganzen, im nordischen Schrifttum später zu spürenden Pessimismus vorwegnimmt: die Thuliten scheinen zu fürchten, daß die Sonne einmal nicht wiederkommen könnte (II 15). Ganz die gleichen Bräuche — Erwartung der Sonne auf Bergen, Fest bei ihrer Rückkehr — berichten Skandinavier aus neuester Zeit, vgl. J. MortenssonA. Olrik, D S t l l , 1905, S. 115—120, woselbst auch an Procops Bericht erinnert wird. 239

OovXiraiQ rj fieyiotrj xü>v EOQTOJV iou) beim Wiederkommen der Sonne; über etwaige kultische Bräuche erfahren wir nichts. Auch d e u t e t Procop m i t keinem W o r t an, d a ß die Sonne als Gottheit verehrt wurde. Daß die Sonne überall als erster Erreger religiösen Gefühls — so Buschan, a.a.O. S. 15 — zu gelten hat, ist in dieser Allgemeinheit sicher nicht richtig. D a ß aber die Sonne, je weiter m a n nach Norden k o m m t , i m m e r lebenswichtiger wird, ist selbstverständlich. Das heißt aber noch nicht, daß sie d a m i t auch schon religiös bedeutsam werden m u ß . H ä v . 68,1—3 preisen die Sonne neben dem Feuer als das Beste, wissen aber nichts von religiöser Verehrung: Eldr er betstr med yta sonom ok solar syn1. Man wird aber annehmen dürfen, daß die in der Bronzezeit zweifellos vorhandene Verehrung der Sonne nicht ganz ausgestorben ist in der eisernen Zeit. Dafür gibt es ausreichende Anhaltspunkte. Auf einem Runenstein (Ingelstad, Östergötland, u m 900) 2 findet m a n das Bild einer Sonne m i t neun Strahlen, dazu die Inschrift Salsi karpi sul; daß mit sul die Sonne, nicht „Säule" gemeint ist, wie auch v e r m u t e t worden ist, beweist die Fortsetzung der Inschrift m i t dem dazugehörenden Bild eines Schwertes. Man ist schon lange nicht mehr der Meinung, in den eddischen Götterliedern echte Zeugnisse altnordischer Religion zu besitzen. U n d doch dürfen wir froh sein, sie zu haben, denn sonst w ü ß t e n wir von den religiösen Vorstellungen der Nordgermanen sehr viel weniger; denn die skaldischen Kenningar werden vielfach erst durch die eddischen Lieder verständlich. W e n n die Lieder also trotz ihrer Vielschichtigkeit u n d teilweisen Fragwürdigkeit die erste Quelle sind u n d bleiben, so ist es notwendig, auch hier nach Resten einer Sonnenreligion zu fragen. Sollte es eine solche im Heident u m gegeben haben, so müßten Spuren in die eddische Dichtung gelangt sein — werden doch hier auch viel obskurere Dinge aufbewahrt. U m das Ergebnis vorwegzunehmen: zu den namhaften Göttern gehört die Sonne in der E d d a nicht. Zur Erklärung gibt es zwei Möglichkeiten: entweder ist eine Sonnengottheit vorhanden gewesen, aber schon untergegangen, ehe die Götterlieder gedichtet wurden; oder es h a t in den be1

Vgl. Euripides, Iph. aul., V. 1250: TÖ q>ü>s röd' äv&Q6rbjorn hornklofi, Haraldskvaedi 1 ,um 900: Hlydi hringberendr, medan frd Haraldi segik odda ipröttir enum afaraudga. Egill, Arinbjarnarkvjda 1—2, B e r u d r ä p a ; Kormakr, Sigurdardrapa l ; Glümr Geirason, Gräfeldardräpa 1; Eyvindr, Häleygjatal 1; Einarr skälagl., Vellekla 1—3 (freilich fraglich, ob zu diesem Gedicht gehörend); Ö t t a r r svarti, Ölafsdrapa 1. 2. Am Schluß des Gedichts, besonders bei Egill: Hof udlausn 20; Arinbj. kv. 25, wohl d a s stolzeste W o r t eines Skalden, das m a n mit Recht neben Horaz' exegi monumentum aere perennius gehalten h a t (F. Jonsson, AnSB 3, S. 314): hlöpk lofkgst panns lenge stendr öbrotgjarn i bragar tüni. H . Lie h a t , ohne der Entwicklung im einzelnen nachzugehen, a.a.O. S. 72ff. gezeigt, d a ß im Zusammenhang mit dem Christentum ein Wandel dieses dichterischen Selbstbewußtseins eintritt, u n d zwar in Richtung auf die im Mittelalter (aber auch schon früher) geläufige „Demutsformel" 1 . Der Begriff ist nicht eindeutig. Mancherlei Topoi unterschiedlicher Herkunft sind darunter, wie Curtius nachgewiesen hat, summiert worden. Aber wenn auch schon Cicero dem R e d n e r Demut anempfiehlt (De inv. 116,22): prece et obsecratione humili ac supplici utemur — wichtiger für das christliche Abendland dürften doch die von Schwietering in den Vordergrund gestellten, von Curtius S. 410ff. in ihrer Bedeutung bezweifelten Worte des Apostels P a u l u s gewesen sein 2 . E s genügt für unsern Zweck — die Antithese gegen das einstige skaldische Selbstbewußtsein deutlich zu machen —, ohne feinere Unterscheidung die Zeugnisse zu sichten, in denen die Dichter ihre bescheidene K u n s t beklagen, sich herabsetzen oder — später — Gott um Hilfe angehen wegen der eigenen W o r t a r m u t . H . Lie n e n n t als ältestes Beispiel, a.a.O. S. 77, ein Bruchstück von O r m r Steinbörsson (A 416, B 386), den Jonsson mit Zweifel ins 11. J a h r h u n d e r t setzte: _, , . Mik hef ordgnott miklu — opt finnum pat — minni, fram telk leyfd fyr lofda, Ijösa an myndak kjösa 1 Vgl. Schwietering, Die Demutsformel mittelhochdeutscher Dichter; dazu und dagegen E. R. Curtius, Europäische Literatur 2 , 93f., 410ff.; Curtius möchte S. 412 „Devotionsformel", „Unterwürfigkeitsformel" und „Unfähigkeitsbeteuerung" scharf getrennt sehen als „wohlabgegrenzte Tatbestände". 2 Rom. 1, 1; Phil. 1, 1; Tit. 1, 1; 1. Kor. 15, 10 (non ego autem, sed gratia Dei mecum); 2. Kor. 11, 30; 12, 5, 10; 2. Kor. 11, 6 imperitus sermone; darin allerdings ist Curtius recht zu geben, daß Pauli Worte in ihrem Zusammenhang nicht immer eine Demutsformel darstellen. Das hindert aber nicht, daß die Worte gleichwohl Anlaß und Vorbild ma. Demutsformeln werden konnten. 268

und betont, daß eine solche Aussage, das Eingeständnis geringer K u n s t fertigkeit, bei den früheren Skalden u n d e n k b a r sei. Das ist nicht ganz richtig. Ähnliche Wendungen finden sich, u n e r h ö r t u n d neu, schon in der ersten christlichen Generation, so bei Björn hitdcelakappi; der Dichter nennt sich Lv. 13 (A 303, B 280) bragsmidar skekkir; ebenso sagt Gisli in der Lv. 36 (A 108, B 104) von sich skekkik dverga drykkju; beide Stellen durfte Jönsson mit Recht L P 58, 504 als Bescheidenheitsausdruck buchen. Auch Holmgongu-Bersis Umschreibung frceda spillir in der Lv. 10 (A 94, B 88) gehört in diesen Zusammenhang. D a m i t sind wir aber bereits in der Zeit vor 1000. Schon E>jödolfr stellt am Eingang zu Haustlong eine (nicht mehr rekonstruierbare) F r a g e : Hve skalk . . . „Wie soll ich (besingen?)". Deutlicher, aber aus der Lage des verzweifelten Vaters zu verstehen (und deshalb nicht eigentlich als Topos zu nehmen), sagt Egil Snt. 1: Mjgk erum tregt tungu at hrosra . . . * Einige Beispiele für die bescheidene H a l t u n g des Dichtenden, denen noch die leicht selbstironisierende Halbstrophe des Steinpörr B 387 beigefügt werden darf, konnten aus früher Zeit angeführt werden. Sie stehen in keinem Verhältnis zu der Fülle von Aussagen stolzer Selbsteinschätzung. Das wird anders in den ersten großen Gedichten christlichen Geistes. Von diesen aus gesehen sind die wenigen frühen Ausdrücke dichterischer Bescheidenheit allenfalls als seltene (und z. T. vielleicht unechte?) Vorläufer zu bezeichnen. Das ausgeführte Demutsbekenntnis beginnt, u m 1150 greifbar, bestimmender zu werden für die Selbsteinschätzung u n d das Selbstverständnis der Dichtenden 2 . (Die Ölafsdräpa Tryggvasonar B 567—574 gehört auch wegen des Motivs in Str. 26 dem 12. J a h r h u n d e r t u n d nicht Hallfred.) Der Anfang der Plac. ist verloren. W i r halten uns a n die Eingangsstrophen von Ge., Has., Leid. Es zeigt sich, d a ß dem upphaf oder wenigstens den einleitenden Strophen eine neue F u n k t i o n z u k o m m t , nämlich die des Gebets. Einarr Skülason, ein Dichter von R a n g , der sich seiner Fähigkeiten durchaus bewußt ist u n d diese, wenn auch nicht mehr so deutlich wie die alten Skalden, zum Ausdruck bringt (B 4 3 2 , 3 ; 450,4), verzichtet in seinem Preislied auf den heiligen Olaf so gut wie ganz auf diese Aussagen; nicht zufällig gerade hier, denn im Geisli geht es u m die Verherrlichung Gottes und seines Heiligen: „Dichtung und Gebete mag mich die Dreieinigkeit lehren; (nur) der ist weise, der die Gnade des klugen Allwalters empfängt." 1 Bei weitem das älteste Zeugnis für das Eingeständnis eigener Kunstlosigkeit findet sich auf dem Runenstein von Myklebostad aus der 2. Hälfte des 6. Jhs., wenn man mit W. Krause, Runeninschriften S. 550 lesen darf: aih lpröt[t]i (?) llti[l]ö (?) [0]rumal[a]ib[aR] — „wenig (?) Fertigkeit (?) besitzt Ormalaib". Vgl. jedoch auch Marstranders stark abweichende Lesung N T S I I I , 1929, S. 197 ff. 2 Schon Hrabanus nannte sich (Migne 109, 1128) einen fragilis opifex; weitere Zeugnisse dieser Art sammelte Schwietering a.a.O. S. 48ff. aus der deutschen Dichtung.

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Sein Gedicht aber — freilich nennt er es noch dgsetan brag — trägt der Dichter dem Heiligen vor, nicht den Menschen, Str. 1: dgsetan bydk itrum Öldfi brag — A n G o t t u n d den Heiligen also geht zurück, was von ihnen k o m m t : das Gedicht. Gleichwohl darf E i n a r sich in der Schlußstrophe auch noch seines Werkes r ü h m e n : hve leystah Uran brag\ Aber er schließt mit der Mahnung, G o t t zu ehren. U n d in Str. 8 b a t er seinen Heiligen um Hilfe beim poetischen Werk. Dringlicher u n d wortreicher ist dem Kleriker Gamli die Einleitungsformel H a s . 1—4 geraten. G o t t wird angerufen, die „Burg der D i c h t u n g " (des Dichters Brust) aufzuschließen 1 ; mit Gottes Hilfe (af pinu meetu fultingi) soll es vor sich gehen „zur Buße für Sünde" (miska bot, zur Konstr. vgl. KempfF, a.a.O. S. 22f.). D a m i t ist ein ganz neuer Gesichtspunkt für das dichterische T u n g e n a n n t : Sünden vergeben kann Gott, bei rechter Buße m u ß er helfen. Da die Dichtung B u ß t a t und Bußhilfe sein soll, k a n n sie nicht ohne Gottes Hilfe vollführt werden. N i c h t genug d a m i t ! Strophe 2 bringt nun die Größe des Gegenstandes zum Bewußtsein u n d folgert, d a ß kein Sterblicher gebührende Worte zum Lobpreis finden k a n n , 2 , 1 — 4 : Engr md elda slengvir — allvist es pat — Mistar mäklig ord til meerdar, minn dröttinn, per finna. Denn Gottes Herrlichkeit ist größer als alles menschliche Ermessen (vgl. auch Str. 39 an ör tunga megi segja frd pvi). Diese Sorge u m den nötigen u n d angemessenen W o r t r e i c h t u m hörte m a n zufrühest schon bei Ormr (B 386). Einar folgt mit dem gebetartigen Wort Ge. 10,2 ordgndttar bidk dröttin (während Arnörr in der Magni'isdrapa 5 — B 312 — noch die ordgnott eines Menschen als Tugend r ü h m e n kann). F ü r den Dichter von Leict. 1, 2, 4 sollte das W o r t d a n n geradezu zum Leitthema seines Vorspruches werden. Gamli fährt Str. 3 fort m i t der Bitte um Erleuchtung durch den Hlg. Geist: Send pü ydvarn anda . . . hreinan j mir. E r allein kann alles Sinnverwirrende beseitigen, nichts k a n n der Mensch ohne ihn. Noch einmal greift Gamli in 4,5—8 das Motiv der unzureichenden Worte auf: pött överdum ordum . . . pik kvedja (anders KempfF, a.a.O. S. 24, indem er pik kvedja zu Z. 7 zog). Leid. 1—4 bringt keine neuen Motive, führt aber die bisher genannten weiter aus. E i n e abkürzende Übersetzung mag das deutlich machen: 1. Dein Gedicht, H e r r des Himmels, sage ich auf; Mund und Lippen bereite ich fleißig zur R ü h m u n g . Der Herr des Sonnensitzes möge mir Wortreichtum geben, auf d a ß ich den wahren Gott preise. 1 Man vgl. dazu aus der deutschen Dichtung etwa die Einleitungsstrophe der Vorauer Sündenklage, Domine, labia mea aperies . . . ; Kleinere deutsche Gedichte des X I . u. X I I . Jh.s, hg. von A. Waag, 2. Aufl., Halle 1916, S. 141.

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2. Gott bitte ich das Gedicht zu hören — noch vor den Menschen! D e n Wortreichtum erbitte ich von Gott. Meine Sprach Werkzeuge sollen bewegt werden zur R ü h m u n g . Die Menschen mögen schweigen! 3. Gott-Vater und Sohn bitte ich, meine D i c h t u n g einzurichten! Der Heilige Geist unterstütze mein sorgfältiges W o r t . Unsere W o r t e dürften G o t t nicht Wohlgefallen, es sei denn, Gott hilft meiner A r m u t . 4. Begierig bin ich, meine K u n s t zu erproben vor den Menschen. I c h preise das Werk. Aber n u r deshalb gab G o t t die W o r t e ein, d a m i t ich dieses Gedicht schaffe. I n Str. 5 folgt der Dichter d a n n altem H e r k o m m e n in der F o r d e r u n g u m Gehör: hljöd gefi hirdimeidar . . . I n Str. 44 n e n n t er sein P o e m selbst alljösan brag, doch das ist nicht mehr so sehr Kunststolz als vielmehr Ausdruck für das neue Kunstideal der claritas. Allein der Schlußwunsch Gamlis verdient noch ein W o r t . J e d e r , der d a ß Gedicht höre, möge Gott u m Gnade b i t t e n für den Dichter (64): mir bidi hverr, es heyrir, heimspenni, brag penna, osski-Prör ok eirar unnrqdla miskunnar. So sehr diese Bitte auch in der hier behandelten Dichtung allein steht, sie ist nicht ohne Parallelen (vgl. die spätere Lilja, 99) u n d nicht ohne europäische Tradition. Im Norden stellt sich — wenn auch etwas anders gea r t e t , so doch deutlich aus geistlicher Gesinnung gesprochen — die Schlußstrophe von Ghv. dazu (vgl. Detter-Heinzel, Saemundar E d d a I I 573 zur Stelle). I n einigen Fornaldarsögur bitten „ a m Schluß des W e r k s (die Erzähler) um Geneigtheit des Himmels für sich u n d ihre Z u h ö r e r " 1 . I m weiteren Verlauf der nordischen Dichtungsgeschichte wurden die Demutsformel und die Aussage zur schwierigen Lage des Dichtenden sogar 1

H. Reuschel, Untersuchungen über Stoff und Stil der Fornaldarsaga, 1933, S. 13. Deutlichere Entsprechungen zu dem Motiv der erwünschten Fürbitte hat Schwietering, a.a.O. S. 7ff. zusammengestellt und gezeigt, daß sie im wesentlichen auf die geistliche Dichtung beschränkt bleiben in Deutschland. Als Beispiele mögen hier stehen die Deutschordenschronik des Nicolaus v. Jeroschin, (ed. F. Pfeiffer), V. 206ff. ouch nenn ich mich den vründin, daz si nü durch vrüntliche gir geruchen heilis wunschin mir . . . u n d Konrads Rolandslied, V. 9077 ff. Ob iu daz liet gevcdle, so gedencket ir min alle: ich haize der phaffe Ghunrat. Ferner V. 9086 ff. Siver iz iemir höre gesogen, der scol in der wären gotes minne ain pater noster singe ze helve minem herren . . . 271

agressiv. E i n besonders merkwürdiges und lehrreiches Beispiel für das anders gewordene Bewußtsein des Dichtenden sind die zwei Eingangsstrophen der J ö m s v i k i n g a d r ä p a ( A I I 1 , B i l l ) . Bjarni Kolbeinsson, Bischof der Orkneys, gest. 1222, beginnt in betontem Gegensatz zu der herkömmlichen F o r d e r u n g u m Gehör mit den Worten: „Keiner braucht mir zuzuhören . . ."* I m zweiten Helming variiert und steigert er den Ged a n k e n : „ich sage mein Gedicht auf, auch wenn niemand zuhört", 1,5—8: framm mun ek fyr oldum Yggjar björ of fcera, pött einigir ytar eettgödir mir hlydi. Die zweite Strophe ist leider lückenhaft überliefert. Die Reste zeigen aber, d a ß sie eine Reihe von Verwahrungen aussprach: „ich habe nicht u n t e r m Wasserfall gesessen", varkak frödr und forsum2 — vielleicht der älteste Beleg für die in Skandinavien so lebendige Überlieferung von magischen Kräften des Sängers, die der Nöck verleiht — ; auch Zauber h a t der Dichter nicht versucht, förk aldrigi at gqldrum; und endlich: ollungis namk eigi Yggjar feng und hanga. „ U n t e r m Galgen saß ich n i c h t " , eine deutliche Anspielung auf H a v . 138ff., 157 (auch Yngl. s. c. 7). E i n seltsamer Widerspruch zeigt sich: in Str. 1 ist die Dichtung d u r c h a u s Yggjar björr, in der 2. Str. soll sie aber keinesfalls des gleichen Gottes fengr sein. Deutliche Absage an alte Auffassungen von der Herkunft der Dichtung, gleichzeitig aber unbekümmerte Bezeichnung der eigenen D i c h t u n g als Yggjar björr kreuzen sich hier. Der Widerspruch wird u m so deutlicher durch die zweimalige Nennung des Yggr. Wie belesen der Bischof Bjarni war, wissen wir nicht. Seine in der nordischen Dichtungsgeschichte einzigartigen Verwahrungen haben nämlich ihre Entsprechungen in der a n t i k e n Poesie 3 , deren Spuren im alten England bei Aldhelm wieder sichtbar werden. 1 Steinn Herdfsarson kann mit dem Beginn seiner Ölafsdrapa (A 409) eine Art Vorstufe bezeichnen, wenn er erst Gott, dann aber doch auch noch den Menschen (vgl. auch Ge. 1) sein Gedicht vortragen will:

Hds kvedk helgan rsesi heimtjalds at brag peima — rmerd lelsk framm — an fyrda fyrr, pvit Kann es dyrri. 2 Da die ersten drei Zeilen je eine Verwahrung ausgesprochen haben, kann forsum nicht zu einer Kenning gehört haben; eine Nachahmung der Kenning Egils Berudr. 1 (A 48) forsar fallhadds vinar stalla = Odins Dichtermet ist also ganz unwahrscheinlich. — Zauber unterm Wasserfall und den Glauben an dort hausende Wesen rügen auch die norwegischen Gesetze, NgL I I 308. — Zur Vorstelung vom kunstverleihenden Nöck vgl. die (ungedruckte) Diss. von A. Lange-Seidl, Der germanische Zaubersänger und Spielmann, München 1943. 3 Die Beispiele entnehme ich dem überreichen Werk von Curtius, Europäische Literatur 2 , und zwar dem Kapitel 13 über die Musen, S. 235ff.

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Mit einer zweifachen Verwahrung beginnt Persius (34—62), stoischer Ethiker und Kritiker der entarteten Poesie; er stellt sich als Außenseiter, als „halben Laien" (semipaganus) des Dichterfestes h i n : Nee fönte labra prolui caballino Nee in bieipiti somniasse Parnaso Memini, ut repente sie poeta prodirem. Heliconidasque pallidamque Pirenen Ulis remitto, quorum imagines lambunt Hederae sequaces: ipse semipaganus Ad sacra vatum Carmen adfero nostrum1. Ein mittelalterlicher Kleriker mußte die Verse mißdeuten als Absage a n die Heidengötter, weil er das Wort semipaganus mißverstand als „halber Heide". Die Spuren des I r r t u m s fand Curtius a.a.O. S. 243 bei Aldhelm; dort werden die kastalischen Nymphen u n d Apoll verworfen, a u c h „auf dem Parnaß g e t r ä u m t " h a t der Dichter nicht, gleich Persius. Die Kontrastierung der heidnischen u n d der christlichen Poesie wird schon unter den ersten christlichen Dichtern z u m Topos (vgl. Curtius, S. 242). Worte wie des Paulinus von Nola (gest. 431) können sehr wohl nach England und auf die nordbritischen Inseln gelangt sein: Negant Camenis nee patent Dicata Christo pectora.

Apollini

Von Bjarnis Leben ist nicht allzuviel b e k a n n t 2 ; es ist nicht auszumachen, ob in der 2. Strophe seiner Drapa spätantike u n d frühchristliche Topoi eine nordische Einkleidung erfahren haben. Vergleicht m a n jedoch die beigebrachten Stellen, vor allem den Passus von Persius, so wird m a n eine Nachahmung für durchaus möglich halten dürfen. Vom Beispiel des Bjarni ist es d a n n kein großer Schritt m e h r zu der massiven Absage an die alte K u n s t des dunklen Stils durch E y s t e i n n Äsgrimsson in der Lilja (B I I 390 — 416, Str. 97 — 98) und Ärni Jönsson in der Gudmundardrapa (B I I 440 — 461, Str. 78). Zeigen die Verwahrungen des Bjarni, daß die heidnische Vorstellung von der Herkunft der Dichtkunst wenn nicht mehr geglaubt, so doch wenigstens noch g u t b e k a n n t war, so bezeugen die Proteste der beiden Männer aus dem 14. J a h r h u n d e r t , daß auch da noch die beiden Kunststile im Widerstreit lagen: der klare Stil der geistlichen Dichtung und der dunkle Stil der alten Überlieferung, 1 „Ich habe meine Lippen nie an der Roßquelle (Hippokrene) getränkt noch erinnere ich mich, auf dem doppelgipfligen Parnaß geträumt zu haben, so daß ich plötzlich als Dichter hervortreten könnte. Die Musen des Helicon und die bleiche (oder bleichmachende) Musenquelle Pirene (bei Korinth) überlasse ich denen, deren Büsten schmiegsamer Efeu umgibt; ich selbst bringe zum Weihefest der Dichter meine Verse nur als Außenseiter" (Curtius, S. 240). 2 Vgl. Thorlaksson, Udsigt, S. 151 f.; F . Jönsson, L H I I 40—44; Mogk, LG 695 f. Interessant ist, daß ein großer deutscher Zeitgenosse Bjarnis, Gottfried von Straßburg, in seinem Tristan V. 4870 ff. gerade diese Helfer der Kunst wieder anrufen durfte.

18 7362 Lange, Studien (Palaeatra 222)

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deren Kanon Snorri festgesetzt hatte. Eysteins Wort (Str. 97) gegen die Eddu regia (vgl. auch Arngrimr, B II 372,2) geht nicht gegen die LiederEdda (in deren Nachahmung ja geistliche Gedichte wie S61., Hgsv., Merl. entstanden waren), sondern gegen die Regeln der Snorra-Edda. Str. 98 macht das deutlicher: Sa, er öäinn skal vandan velja, velr svd mgrg l kvsedi at selja hulin fornyrdin, at trautt mä telja, tel ek penna svd skilning dvelja. Daß die Absage wirklich dem skaldischen Kenningstil gilt, zeigen die Dichter nicht nur durch ihren eigenen Stil; Ami spricht es 78, 7 — 8 direkt aus: en kenningar auka mqnnum engan styrk en fagnad myrkva. Es bleibt nicht bei der Kritik des Alten. Das eigene Wollen — jetzt endlich auch in Worten der scholastischen Kunstlehre — wird deutlich formuliert. Das Ideal der claritas lautet bei Eystein (98,5—7): vel pvi at her md skyr ord skilja, skili pjöäir minn Ijösan vilja, tal dbreytiligt wobei die Demutsformel (in den letzten Worten) mit eingeschlossen ist. Und Ärni stimmt ihm zu (B II 461,78): Yfirmeisturum mun Eddu listar allstirdur sjd hrödur virdaz peim er vilja svd grafa ok geyma grein klökasta frsediböka; lofi heilagra Uz mir hsefa Ijös ritninga ssetra vitni, en kenningar auka mgnnum engan styrk en fagnad myrkva. Daß die Topoi der christlichen Dichtung — etwa für die Unaussprechbarkeit des Gegenstandes, angelegt schon in Ge. 1, Has. 2, Leid. 3 — hier voll blühen, braucht nicht mehr eigens dargestellt zu werden. Dieser Schritt, über die zeitlichen Grenzen unseres Themas hinaus, war nötig, um den Endpunkt der Entwicklung zu sehen, die sich in der Dichtung seit 1150 anbahnt. Der neue Stil bleibt noch lange in der Opposition gegen die weltliche Kunst — auch die „eddischen" geistlichen Gedichte dürften nicht zuletzt als Protestdichtungen gegen Vsp. und Häv. zu verstehen sein —, bis sich Geist und Art Gamlis nach den formalen Experimenten der Sturlungenzeit (vgl. dazu H. Lie, a.a.O., S. 88) wenigstens für die geistliche Dichtung durchgesetzt haben. Aus einer Demutsformel wie Pauli Wort 1. Kor. 15,10 non ego autem, sed gratia Dei mecum (wenn auch nicht aus dieser allein, wozu Curtius S. 410 ff. zu vergleichen ist) ist das Selbstverständnis christlicher Sänger 274

zu begreifen: sie sprechen nicht nur im Namen Gottes, sie haben die Kraft u n d K u n s t des Sagens von Gott. Weniges der christlichen Lehren m u ß t e den Nordmännern so begreiflich sein: denn auch ihnen gab ein Gott die Dichtkunst, Odin. N u r antworteten sie nicht mit Demut, sondern mit Stolz und Freude. Trotz der scheinbar glücklichen Übereinstimmung sind tiefe Unterschiede nicht zu übersehen Unter den heidnischen Göttern ist nur Odin Verleiher der Dichtkunst. E s ist hier nicht der Ort, die recht unterschiedlichen Mythen zu beschreiben; allein ihre Zahl beweist schon, wieviel man über die Herkunft der K u n s t gegrübelt h a t 1 . I n zahlreichen Umschreibungen preisen die Skalden ihre K u n s t als Gabe des Gottes. Das war keine Fiktion, die bequeme Kenningar ermöglichen sollte, sondern Glaube; man höre n u r die mächtigen Strophen Egils Snt. 23—24. J o n Helgason h a t N K V I I I B , S. 25 mit Nachdruck darauf hingewiesen, d a ß solche Bekundungen ernst zu nehmen seien, auch noch bei Hofgarda-Refr (A 319, B 295, SnE I 240), der, obgleich geehrter Skalde an Olafs d. Hlg. Hof, doch dichten durfte: per eigum vir veigar, Val-Gautr, salar brautar, Fals, hrannvala fannar, framr, valdi tamr, gjalda2. Selbst noch beim Bischof Bjarni mag die Kenning Yggs björr zwar schon eine stark sinnentleerte Formel sein, ironisch zu nehmen ist sie wohl nicht (trotz der oben besprochenen Verwahrungen gegen heidnische Vorstellungen!). Selbst in der Dichtung der gegen den dunklen Kenningstil Protestierenden k a n n — noch dazu in einer ausgesprochenen Demutsformel! — die Umschreibung arnar leirr 'Adlerkot' fürs Gedicht gebildet werden (B I I 372, Gudmundar dr. Str. 2 des Arngrimr äboti) mit deutlicher Anspielung auf den Mythos vom R a u b des Dichtermets. H. Lie hat richtig gesehen, a.a.O., S. 71, daß das alte D r o t t k v ä t t viel tiefer im Heidentum wurzelt, als man in Ansehung der heidnischen Kenningar gemeint hat. Wie die Schaffung und Erwerbung des Dichtermets voller Zauber u n d Gewalt war, so ist es auch die Dichtung; nicht n u r einmal wird mit magischen Worten gezaubert: pat kunni hann (sc. Ödinn) enn at gera med ordum einum at slokva eld ok kyrra sjd . . . Yngl. s. c. 7, vgl. auch Grm. 1. Die Dichter stehen ihrem Gott nicht nach. Egil vertreibt m i t einer Beschwörung und runengeritzten Worten seinen Todfeind aus Nor1

Hav. 104ff., 138ff., SnE I 216ff.; die skaldischen Belege bei Meissner, Kenningar S. 363f., 427ff., ferner bei Kristensen, APhSc V, 1930/31, 74f. H. de ßoor, Islandforschung I, S. 142, Anm. 142, glaubt eine Entwicklung der ödroerirUberlieferung sehen zu dürfen von der „zunächst eng-magischen Erscheinung zu religiöser Höhe und geistiger Weite". „Der Rauschtrank, zunächst rein magisch-ekstatisches Mittel, wird wie die Bune zu einem Prinzip. Daher wird neben der Runengewinnung die Trankgewinnung durch Ödinn ein eifrig behandeltes Problem." 2 Wenn Jonsson in seiner Ausgabe den Helming einem Gedicht auf Gizurr Gullbrarskald zuordnet, so ist das durch die Quelle (SnE) jedenfalls nicht gesichert; vgl. auch Thorlaksson, Udsigt S. 101. 18*

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wegen (Egüss. c. 57, 55—75). M. Olsen glaubte Zs. Edda 5, 1916, S. 19 zeigen zu können, d a ß die R u n e n der Schandstange die Str. 28/29 der Saga gewesen seien, deren erste eine mächtige Götteranrufung und Verfluchung darstellt. Auch wenn die Saga es offen l ä ß t : der Glaube wird wohl gewesen sein, d a ß Egils Zauber den Bösen landflüchtig machte. Ebenso wortgewaltig erweist sich E>6rleifr jarlsskäld (A 133, B 142), wenn er durch sein jarlsniä W e t t e r aufsteigen läßt (Isl. bsettir, 1945, S. 331). Ein Hinweis auf die Buslubcen (EM, S. 126—128) mag die Übersieht abschließen 1 . Solches Treiben mußte frommen Christen verhaßt sein. Die Unterschiede im Glauben an eine Inspiration hier und dort sind denn auch beträchtlich. Der Christ, vor der Größe seines Gegenstandes verzagend, betet zu G o t t u m Beistand, er will Verbalinspiration. Gott soll ihm die Worte eingeben, die ihm fehlen. Anders der alte Skalde: er betet nicht um Odins Hilfe 2 , er h a t einen F u n k e n oder, u m im alten Bild zu bleiben, einen Trunk aus Odroerir bekommen. Dafür d a n k t er allenfalls; aber nie wird gesagt, daß Odin aus seinen Dichtern spreche oder in ihnen sei (so wie er einmal, Gräfelda r d r a p a 12 des Glümr, in den Kriegern war: par vas . . . sjaljr l soekialfi Sigtyr Atals dyra). Der Skalde will, im äußersten Fall, Machtzauber ü b e n mit seiner Dichtung; selbst in der festlichen Drapa steckt noch etwas vom Zauber: das Wort stiftet den R u h m . Der christliche Dichter aber wollte u n d durfte nicht zaubern; er sollte und wollte dem Wort Gottes dienen, dessen Geheimnisse begreifbar machen und feiern. Das früh einsetzende (schon oben S. 75 an Markus beobachtete) Streben nach schlichter Klarheit h a t seinen tiefen Grund in diesem gefühlten Auftrag. Die scholastische K u n s t lehre brachte d a n n willkommene Bestätigung für eine Stiltendenz, die sich längst angebahnt h a t t e . Es ist daher kein Zufall, daß sich neben dem Streben nach formaler Klarheit und Verständlichkeit mehr und mehr für die geistliche Dichtung ein neues Versmaß durchsetzt, das Hrynhent. (Die Interpretationen haben das S. 58, 71, 75, 83 im einzelnen verzeichnet; vgl. auch H. Lie, a . a . O . , S. 80ff.) Die Hafgerdingadrapa war ein erster Vorbote. R u n d 50 J a h r e später dichtete Arnörr seine Hrynhenda, das Loblied auf Magnus den Guten. Christlicher Einschlag ist hier schon spürbar (12,6 heidit folk, 18,4 erigla fylki himna pengils, und Str. 19). Lie hat a.a.O., S. 81 f. sehr schön beschrieben, wie dieses neue Maß geradezu als Überrumpelung gewirkt haben muß auf die Hörer. Es kam den inneren Tendenzen christlicher Dichtung entgegen. Der Vers h a t t e einen T a k t mehr; das bedeutet je Strophe 16 Silben oder — bei durchschnittlicher Zweisilbigkeit — 8 Wörter mehr, die priesterlicher Eloquenz gewiß zustatten kamen. I m Sinne des durchsichtigen Stils sind 1 Eine vollständige Behandlung des Themas „Zauber und Dichtung" muß ich mir hier versagen. Man vergleiche indessen I. Lindqvist, Galdrar, Göteborg 1923; K. Jarausch, Der Zauber in den Isländersagas, Zs. f. Volkskunde 39, N F 1, 1930, S. 237—268, bes. S. 260ff. 2 Hdl. 3 Oefr hann (Heriafpdr) . . . brag skäldom kann nicht dagegen angeführt werden und ist wohl auch undatierbar.

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jetzt die syntaktischen Einheiten gleich den metrischen. Die strenge Silbenzählung gibt der Strophe einen litaneihaften, fast singbaren Charakter. Gegenüber dem Drottkvätt werden einige Erleichterungen eingeführt, die ihre Erklärung im Streben nach Gleichmäßigkeit des Verses haben. Die Herkunft des Maßes aus England ist sicher (vgl. oben S. 58, Anm. 1). H. Lie konnte allerdings S. 83 ff. die alte Herleitung vom Kirchengesang (Heusler) berichtigen, nachdem er zeigte, daß der alternierende Rhythmus des lateinischen Textes im Gesang gar nicht wahrnehmbar ist. Das lateinische Reimgebet im Tetrameter dürfte statt dessen die Anregung gegeben haben. Skaldischer Konkurrenzkampf hat eine Fülle von teils sehr schwierigen Maßen erzeugt. Nur zwei hielten sich über Jahrhunderte, Drottkvätt und Hrynhent. Die christliche Dichtung bediente sich nur dieser zwei Formen, wenn wir von der kümmerlichen Strophe des Thrand absehen. Die „eddischen" Gedichte christlichen Geistes waren ein kurzes Zwischenspiel der Sturlungenzeit. Danach herrscht das Hrynhent. Es entsprach dem jüngeren Kunstwollen so gut, daß man eine Nötigung zum Erfinden neuer Formen nicht mehr verspürte. Form und Inhalt hatten sich gefunden. 3. Sprache, Charakter und Themen der christlichen Dichtung 1 Dichtung gibt Welt durch Sprache. Wie die in der christlichen Skaldik gegebene Welt aussah, versuchen wir zu erfahren und zusammenfassend darzustellen. Einzelnes wurde schon in den Interpretationen ausgeführt. Einer Sichtung des christlich-religiösen Wortschatzes stehen gerade im Norden gewisse Schwierigkeiten entgegen: 1. Was die klassische Philologie in ihren beiden Bereichen längst geleistet hat, eine systematische Zusammenstellung der Leitbegriffe antiker Kultur (vgl. Rothacker, Kulturanthropologie S. 96ff.), ist für die germanische Welt erst in Ansätzen (durch Grönbech, Gehl, Baetke u.a.) getan worden. Wichtige Lebens- und Sinnbezirke sind, ihrem Wortschatz nach, noch nicht monographisch beschrieben worden. 2. Das einzigartige Fortleben des heidnischen Wortschatzes auch nach der Christianisierung führt zu der schon geschilderten Relativierung und erschwert die Gewichtsbestimmung für ein Wort. Ehe man das Nebeneinander der Wörter alter und neuer Herkunft betrachtet, ist ein noch nicht gelöstes Problem hier wenigstens anzudeuten: die Frage, ob es im germanischen Heidentum einen sakralen Wortschatz gegeben habe, ist noch nicht 1 Für die letzten hier noch vorzubringenden Gesichtspunkte wähle ich aus einem reichlichen Material nur noch das Wichtigste aus. Ich halte es für möglich, die Betrachtungen zur Sprache der christlichen Dichtungen — unter Einbeziehung der Probleme um die heidnische Sakralsprache — sogar herauszulösen lind als gesonderten Gegenstand zu behandeln. Desgleichen könnte ein ausführlich dargestellter Vergleich der nordisch-christlichen Dichtung mit den Literaturen des Kontinents und Englands Thema einer eigenen Monographie sein.

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erschöpfend behandelt worden 1 . Gleichwohl darf sie von vornherein bejaht werden; denn es liegt im Wesen der Sache, daß eine Religion als ein mehr oder weniger abgegrenztes Gebiet aus Vorstellungen und kultischen Handlungen einen Wortschatz besitzt, der nur ihr zukommt. (Neuere u n d gar moderne Verhältnisse bieten für dieses Problem gar keinen M a ß s t a b ; der Prozeß der Säkularisierung religiöser Begriffe ist aber viel älter, als der zeitgenössische theologische Einspruch dagegen vermuten läßt.) Eine künftige Untersuchung der Frage h ä t t e aus der altnordischen Überlieferung die Sprache der heidnischen Religion auszusondern, ihren Umfang zu bestimmen, ihren Geltungsbreeich zu schildern, ihre Geschichte darzustellen. Die folgenden Seiten sind der Beschreibung des christlichen Wortschatzes gewidmet, der — nicht ohne gelegentlich spürbare Opposition zum heidnischen — in der altnordischen Dichtung entsteht. Die Männer der neuen Religion sahen sich — wie ein Missionar stets und überall — vor die fast unlösbare Frage gestellt, wie begrifflich Neues ohne einen zureichenden Wortschatz ausgedrückt werden sollte. F ü r jedes Wort der Verkündigung gab es (theoretisch wenigstens) mehrere Möglichkeiten der Bildung und der Herkunft. Die Unterscheidung dieser Möglichkeiten ergibt zugleich die Gliederung des hier zu behandelnden Wortschatzes. Wir stellen folgende Fragen: 1. Welche heidnischen, religiösen Wörter müssen fallen? 2. Welche heidnischen, religiösen Wörter dürfen (oder müssen als unersetzbar) bleiben? 3. Woher s t a m m t der neue Wortschatz? a) aus eigenen Sprachmitteln nach fremdem Vorbild ? b) von wo und wann kommen die Fremdwörter? 4. Welche Bereiche werden sprachlich neu bestellt? Bei ausführlicherer Behandlung wäre auch zu fragen: Was wird weiterhin nicht bestellt ? 1 S. Gutenbrunner hat 1936 (Die germ. Götternamen der antiken Inschriften, 5. 3) eine derartige Untersuchung gefordert. Bedeutende Beh>äge gaben de Boor, Die religiöse Sprache der Voluspa, Dt. Islandforschung 1, 1930, S. 68—142, ferner Baetke, Wesche, Jente, Philippson. — Was de Boor an religiösem Wortschatz aus der Vsp. und verwandten Denkmälern zusammengestellt hat, kann bei der Erörterung einer heidnischen Sakralsprache nur bedingt in Rechnung gestellt werden; handelt es sich doch bei der Vsp. gerade um das bedeutendste Denkmal des Geistes, der am Alten und Neuen gleichermaßen Anteil hat. Der begriffliche und religiöse Inhalt gewisser Wörter und ganzer Strophengruppen kann zudem erst dann mit einiger Hoffnung auf Genauigkeit bestimmt werden, wenn die immer noch umstrittene Vorfrage nach Heimat und Datierung des Gedichtes gelöst ist. Manches spricht für Island und die J a h r e um 1000; mehr scheint mir für die britischen Inseln zu sprechen, dort aber wäre diese Dichtung auch schon einige Jahrzehnte vor 1000 wohl möglich gewesen (vgl. H. Kuhn, AfdA 61, 1942, 58). Gerade weil die Vsp. in die Mischzone zwischen beiden Religionen gehört, ist sie wenig geeignet als Quelle für die Frage nach einer heidnischen Sakralsprache; wohl aber ist sie eines der wichtigsten Zeugnisse für die Mischzone selbst. — Zur mißlichen Lage unserer Kenntnis des heidnischen Kultwesens vgl. schon oben S. 163; es ist überaus schwer, ins Innere zu dringen, wo selbst Äußeres wie etwa die Tempelverfaesung so gut wie unbekannt ist.

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Die germanischen Völker verfahren mit ihrem heidnischen Wortschatz hinsichtlich seiner Verwendbarkeit für die neue Religion durchaus nicht einheitlich. Goten u n d Angelsachsen stehen da gegen Deutsche und Nordleute ; der Grund liegt in beiden Fällen in der Bekehrungsgeschichte: Goten u n d Angelsachsen sind p r i m ä r Bekehrte, sie vor allem standen vor der Aufgabe, ihre Sprache ohne Hilfe zuzubereiten für den neuen Inhalt. Deutsche u n d Nordmänner sind dagegen sekundär Bekehrte, ihre Missionare h a t t e n schon eine annähernd passende, zudem verwandte Sprache. Ein Beispiel k a n n das sofort deutlich machen: Wulfila gebraucht das ererbte (gemein germ.) hunsl für 'dvota, Opfer (auch für Xaxqela J o h . 16,2, vgl. auch hunslastaps, hunsljan); die Angelsachsen behielten gleichermaßen das W o r t hüsl, hüsel, u n d zwar für die neue Bedeutung eucharistia, panis eucharisticus. Nicht so die beiden andern Mitglieder der germanischen Familie: dem Ahd. scheint das W o r t zu fehlen, im Nordischen begegnet es auf dem Runenstein von Rök (Höfler, Sakralkönigtum I, Reg. s. v., bes. S. 259, Anm. 9), während E d d a u n d Skalden, vollends die christlichen Dichter es nicht gebrauchen. Späte Zeugnisse für hu(n)sl „Hostie" (Fritzner I I 97) sind kaum ohne ags. Einfuhr zu erklären. Wulfila h a t auch sonst, wie man seit langem weiß — nicht etwa großzügig-sorglos, aber gezwungen durch die Lage —, manches W o r t in seinen Bibeltext genommen, das dem griechischen Vorbild nicht eben genau entsprach: neben hunsl wären zu nennen gup (masc.), halja = tfdrji;, dawpjan = ßaTvzi&iv (an. skira sollte später viel genauer die Bedeutung treffen!), galga = aravgog, blotan „verehren" (Xargeveiv, aeßea$m) nebst der Neubildung blotinassiis „Verehrung". Es k o m m t mir nicht darauf an, hier eine vollständige Wortliste dessen zu geben, was fallen m u ß t e . Vielmehr sollen durch Beispiele diejenigen Sinnbezirke bezeichnet werden, deren Wortschatz für die neue Religion u n d ihre Dichtung nicht verwendbar war, sei es, daß solche Wörter noch in voller (heidnischer) Kraft standen, sei es, daß sie sonst inhaltlich unbrauchbar (und auch durch einen Bedeutungswandel nicht angleichbar) waren 1 . Nicht zum Sterben, aber zum antiquarischen Leben verurteilt waren natürlich an erster Stelle die Bezeichnungen der Göttervielheiten, u n d zwar sowohl die Wörter für die personenhafte Vielheit wie god, sesir, vanir als auch die blasseren, die Einheit der anonymen, ratenden Mächte u m schreibenden wie regin, rQgn, rfS, hQ-pt, bgnd; dazu kommen noch die tivar (masc. pl.), die skaldisch nicht sicher bezeugten vear (Hym. 39,5) und die isolierten diar des K o r m a k (A 79,3, vgl. oben S. 170, Anm. 2). Eine nicht zufällig in der Vsp. 31,2 stehende Neubildung (masc. sing.) tivurr für Baldr wird wie alle übrigen Wörter ebenfalls nicht in die christliche Dichtung aufgenommen, wenngleich, falls Bugges Herleitung der Bildung aus ags. tifer „Opfer" richtig ist (vgl. GS I 44), das Wort genau auf Christus h ä t t e 1 Gegenwärtig halten muß man sich aber ständig, daß — im Gegensatz zum übrigen Abendland — der heidnisch-religiöse Wortschatz zwar kaum religiös, wohl aber poetisch verwendbar blieb außerhalb der betont christlichen Dichtung; ja daß man „heidnische" Götterdichtung unbekümmert fortsetzte, weit über die Bekehrung hinaus. Auch die Fornaldarsögur zeigen, was alles lebendig blieb an Wortschatz, der aufgegriffen (oder gar erfunden!) wurde als willkommenes Mittel, um die Illusion echter fornpld zu schaffen.

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angewandt werden können. Allein, gerade als Opfer sah die älteste christliche Skaldik den Gottessohn ja nicht! I n der heidnische Überlieferung fortsetzenden Dichtung konnten aber Weiterbildungen mit d e m genannten Wortschaftz erfolgen (ginnregin, uppregin, sigtivar, valtivar); a u c h Neubildungen mit -tyr waren weiterhin möglich. D a ß die christliche Dichtung trotz ihrem Bedarf an Variationen für die Nomina sacra diese Wörter meidet, zeigt an, daß sie noch erheblich belastet sind, reginn (s.o. S. 184) war als sing, möglich — auch mancher andere sing. masc. wäre bildbar gewesen aus dem vorhandenen Wortschatz —, wurde aber nicht gebraucht. (Baugreginn S61.56 ist noch immer dunkel u n d s t e h t — k a u m zufällig — in dem auch sonst an merkwürdigen K o n t r a fakturen reichen Gedicht.) Den Nordländern stand das Brauchtümlich-Konkrete im Vordergrund bei der Kenntnisnahme der neuen Religion; sie wurde vor allem als inn nyi sidr begriffen (s.o. S. 34,189, 192, 200, 282). Folgerichtig m u ß t e n die ganz unvergleichbaren K o n k r e t a aus der Sphäre des alten K u l t u s fallen: tafn — husl — blöt und blöta nebst allem Zubehör — hof — hgrgr — haugr u. a. F ü r diese Wörter war keine Verwendung mehr im R a h m e n des neuen K u l t u s . Lebendig blieben sie im altertumsfreundlichen Schrifttum 1 . Mageroy, a.a.O., S. 61 weist zu Recht darauf hin, d a ß ein Dichter wie I>örarinn loftunga in seiner Glaelognskvicta fast ohne heidnischen Schmuck (reginnagl allenfalls) auskommt. Die feierliche Stimmung wird j e t z t durch neue Dinge und Wörter geschaffen: kerti, bjgllur, s$, Kristr, heilagr, konungr, gods maär u. a. Neben den vielen Wörtern der alten Sakralsprache, die fallen mußten, stehen einige wenige, die auch von der christlichen Dichtung benutzt werden konnten: sei es, d a ß sie ihrem Inhalt nach unentbehrlich, sei es, daß sie — als allgemeine Wörter — ungefährlich waren. J e d o c h m u ß immer wieder daran erinnert werden, d a ß neben dem übernommenen guct (masc. sing.) weiterhin die goä ( n t r . p l . ) möglich waren; oder d a ß neben der (gemeineuropäischen) Bedeutung von an. heilagr, as. Mlag, ags. haiig, ahd. heilag = sanctus Dichtungen überliefert wurden, in denen d a s gleiche W o r t von Heiden gebraucht wurde (etwa heilagt tafn Hüsdr. 9, heilagr skutill Haustl. 4) 2 . Die mehrfach beobachtete gegenseitige Relativierung der Begriffe h a t in solchem Nebeneinander ihren eigentlichen Nährboden. 1

Auf die einmal vorkommende, vielleicht provozierend gemeinte Verwendung von stallr wurde S. 60 hingewiesen. — Ein breiter Wortschatz wäre in diesem Zusammenhang zu verhandeln. Etliche auszeichnende Adjektiva werden z. B. in der geistlichen Dichtung gemieden, ohne daß die Gründe sogleich ersichtlich wären: so etwa mserr (vgl. de Boor, a.a.O. S. 102f. u n d oben S. 232 die Beobachtung, daß auch rmeringr nicht in den Kenningar gebraucht wird), ferner rammr (trotz früher christlicher Versuche, s. de Boor, a.a.O. S. 101 f.); unrichtig aber ist de Vries' Behauptung, ZfdA 85, 105f., das Adj. itr sei nicht in die christliche Dichtung gelangt. 2 Über den Komplex heilt — heilagr — *wihaz — vi sind wir durch Baetke, Das Heilige, 1942, ausführlich belehrt worden. Zu gewissen Einseitigkeiten, möglichst viel nämlich christlichem Einfluß zuzuschreiben, vgl. H . Kuhn, AfdA 62, 1943, S. 3.

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Es würde zu weit führen, den ganzen Wortschatz noch einmal durchzugehen mit der Frage: was darf in der neuen Dichtung bleiben? (Das Register zum Wortschatz bietet einigen Ersatz.) Festzuhalten sind diese Gesichtspunkte: 1. Die schon vorbereiteten, verwandten Sprachen der Bekehrer erleichtern die Bildung eines neuen Wortschatzes unter weitgehender Vermeidung von Wörtern aus dem Bereich des Heiligen von einst. 2. Einige Wörter (neben einer ganzen Reihe von Adjektiven, die, ohne ausgesprochen religiösen Charakters gewesen zu sein, vornehmlich aus der mythischen Dichtung übernommen werden) können ohne nennenswerten Bedeutungswandel weiter gebraucht werden. 3. Die Übernahme von god, heilagr vollzieht sich ohne Schwierigkeit. Die Entscheidung für diese Wörter war schon (gemeingermanisch) von den Bekehrern getroffen worden. 4. Der heidnische Sakralwortschatz aber bleibt fast unverkürzt erhalten durch die Tradierung der alten Dichtung und die Bemühungen der Altertumsfreunde. Die Nordgermanen übernehmen den christlichen Wortschatz von den bereits bekehrten Völkern rings um die Nordsee, und zwar entweder durch Nachbildung des fremden Wortes in eigenem Material oder durch (sprachlich nur geringfügig angleichende) Entlehnung. W. Betz, Deutsch und Lateinisch, Bonn 1949, hat ein sehr differenziertes System für den Vorgang der Entlehnung entworfen; es erscheint mir für den weit komplizierteren Akt im Norden nicht recht anwendbar, ganz abgesehen davon, daß kein System den sehr komplexen Wachstums-Ereignissen einer Sprache gerecht wird. Folgendes Schema wird genügen, um den Zuwachs an Wortschatz, aber auch seine nicht geringe Verflochtenheit mit dem Überkommenen deutlich zu machen. Es handelte sich darum, einen neuen Inhalt sprachlich zu fassen. Vier Wege waren möglich; alle wurden beschritten. 1. Der neue Inhalt wurde durch ein altes Wort naiv dem alten Inhalt gleichgesetzt: disir. Verwendung alter Wörter für neue Dinge kennt die Sprachwissenschaft zur Genüge, vgl. Porzig, Das Wunder der Sprache, Bern 1950, S. 33f., ferner o. S. 280, Anm. K. Maurer ist — bei richtiger Einsicht in die Dinge — nicht bis zu einer Aufgliederung der verschiedenen Möglichkeiten fortgeschritten, Hist. Tidsskr. III, 3, S. 100, 109. 2. Für den neuen Inhalt wurde ein altes Wort verwendet, jedoch mit dem Bewußtsein des Bedeutungsunterschiedes: god, skira, trü, hreinn. 3. Für den neuen Inhalt schuf man Neubildungen aus altem Material, wobei die Möglichkeit (undogmatischer) Assoziationen beachtet werden muß (goddömr), sowie neue Wörter durch Lehnübersetzung: himinrilci. Für die Punkte 2. 3. wird man daran erinnern dürfen, daß es analog zum Begriff der Lautsubstitution so etwas wie eine Begriffssubstitution gibt, namentlich bei einem Religionswechsel. 4. Gewisse neue Inhalte waren nur durch Fremdwörter zu geben; diese haben natürlich keine Möglichkeit der sprachlichen Anknüpfung an Heimisches: engill, diqjull, altdri, aber auch ein Zentralbegriff wie synd. 281

Die Erforschung des Wortschatzes, der aus Nachbildung fremder W ö r t e r oder deren Übernahme entsteht, h a t ihre besonderen Schwierigkeiten wegen der nahen Verwandtschaft der gebenden und der nehmenden Sprachen; ferner in der Sorglosigkeit der Lautgebung bei der Übernahme v o n Wörtern. Das hat K. Maurer (passim) in seiner großen Besprechung des Buches von Taranger, Den angelsaksiske Kirkes Indflydelse paa den norske (1890) J eindringlich gezeigt. Die gleiche Schwierigkeit wie bei der Bestimmung der Herkunft eines Lehnwortes besteht natürlich bei der — von der Forschung unterschiedlich beantworteten — Frage nach den Einflüssen literarischer, thematischer Art. Einige Beispiele für die Verwendung eigener Wörter in neuer Bedeutung müssen auch hier wieder genügen. Ich wähle zwei zentrale Begriffe des neuen Glaubens: trü, trüa, und skim, skira. Bei der Erörterung des Begriffes godlauss (oben S. 174ff.) war uns das Verbum trüa begegnet in der Bedeutung „vertrauen", „sich verlassen (auf etwas)". Man h a t ein prätheistisches Vertrauen auf eine magische Macht im Menschen daraus hören wollen 2 ; daneben, und vielleicht noch älter, s t e h t aber die Konstruktion von trüa mit reinem Person- oder Sachobjekt ohne jeden religiösen I n h a l t 3 . Die H ä v a m a l liefern allein neun Zeugnisse dafür. E r s t die Wendung trüa d e-n „vertrauen auf jemanden" k o n n t e religiös relev a n t werden u n d sich wandeln zu „glauben an j e m a n d e n " ; credere in deum dürfte wohl mitgewirkt haben. Der Norden geht also — für das P h ä n o m e n „Glauben" gab es vorher kein W o r t ! — einen andern Weg als die übrigen germanischen Sprachen (vgl. Wessen, Arkiv 44, 75ff.) mit Ausnahme des As., wo gilobian und trüon nebeneinander stehen. F ü r den neuen Begriffsinhalt war, wie Ljungberg gezeigt hat, eine Anknüpfung a n gilobian nicht möglich wegen aisl. leyfa „preisen, loben". Wie intensiv die neue Verwendung von trü, trüa geschah, zeigt die Masse der Komposita bei Fritzner; daneben aber blieb die alte, unreligiöse Bedeutung möglich, die das W o r t von je gehabt hatte. F ü r die neue Religion war der zentrale Begriff der Glaube, für die alte der K u l t ; inn nyi sidr steht gegen inn forni sidr — m a n sieht schon aus dieser häufig bezeugten Gegenüberstellung, d a ß anfangs der Kardinalunterschied noch gar nicht erfaßt wurde, der den Bedeutungswandel von trüa forderte 4 . Wo der Begriff des Glaubens ursprünglich fehlte, mußte mit diesem Wort eine neue religiöse Dimension aufgeschlossen werden. Trüa, als Substantiv, taucht in der Dichtung dann auch erst spät auf, im Geisli. F ü r den Akt der heiligen Taufe war bei allen bisher bekehrten germanischen Völkern das gotische Wort vorbildlich geworden: dawpjan (zu diwps), dazu daupeins ( = ßamia/ioi;, ßdmiofia). Der Norden ging auch hier seinen eigenen Weg mit skira. Da die entsprechenden Wörter bei den übrigen germanischen Völkern andere Bedeutungen haben (vgl. Sehrt 471, oder auch 1

Vgl. auch E. Hertzberg, Tidsskrift f. Retsvidenskab IV, 1891, 474ff. v. Hamel, APhSc VII, 265; vgl. auch de Vries, RG I I 34. Vgl. die Behandlung dieser Wortsippe durch H. Ljungberg, Arkiv 62, 151—171. 4 H. Wesche zeigte PBB 61, 1937, 1—115, daß das Ahd. entsprechend zwar zahlreiche Wörter für offere, dagegen nicht ein altes Wort für credere, fidere besaß; zur gotischen Herkunft von ahd. gilouben,gilouha,giloubi vgl. Wessen, a.a.O. 2

3

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Otfr. I, 23, 22 thia heristräza inskiere = rectas facite semitas ejus Luc. 3,4; agl. fullian entfällt als Vorbild, vgl. Taranger 338), haben wir in skira eine Sonderleistung des Nordens zu sehen, und zwar eine solche, die der Bedeutung des Taufaktes einfach durch die Wortwahl gerechter wird als die (im Grunde primitive) gotische Lösung mit ihrer Bezeichnung des äußeren Vorgangs. skira ist also ohne Vorbild, auch die Iren haben nicht mitgeholfen; das Wort lag aber nahe, insofern es schon vorher eine über den konkreten Wortsinn hinausgehende Bedeutung gehabt haben dürfte, genauso wie skirr mehr war als hreinn (das seinerseits aufstieg, geadelt als Epitheton Christi) 1 . H ä t t e m a n wie in daupjan den Vorgang äußerlich bezeichnen wollen, so wären Wörter wie vaska, pvd, vatna zur H a n d gewesen. Die Wahl des Wortes skira beweist eine tiefere Auffassung des Aktes, wobei es ungeklärt bleibt, woher diese so früh gekommen sein soll. Vollends paradox wirkt das feierliche Wort, wenn m a n bedenkt, wie lässig der Akt — mit Einräumung eines typisch isländischen Sonderrechts! — gehandhabt wurde nach Kristnisaga c. 12,27: pviat peir vildu eigi fara i kalt vatn2. Nicht so viele Schwierigkeiten wie die Lehnwörter und Lehnübersetzungen bieten die als solche erkennbaren ursprünglichen Fremdwörter, wenngleich auch bei ihnen die Frage, auf welchem Wege sie ins Nordische gelangten, oft genug unbeantwortbar bleibt. F ü r lateinische Wörter der Kirchensprache gab es — theoretisch wie praktisch — vier Möglichkeiten: die direkte Ü b e r n a h m e ins Altnordische oder die Vermittlung eines Wortes durch Iren, Engländer, Sachsen. Eine Fülle von Wörtern war zu bewältigen. Die Quellen sind leider zu dürftig, als daß wir immer genau sehen könnten, was man sich unter den Neuheiten zunächst gedacht haben mag. Die älteste Schicht christlicher Fremdwörter dürfte — von der Forschung, wie mir scheint, nicht genügend beachtet — aus irischem Einfluß stammen (s. o. S. 170); im Gegensatz zur altenglischen Kirche, die sich dieser Einwirkung offenbar entschieden widersetzt hat. Die Rolle Irlands für den Norden u n d besonders für die erste Berührung mit dem Christentum ist oben S. 166fF. beschrieben worden. Den von Fischer a . a . O . S. 18f. als irisch bezeichneten Wörtern bagall, biannak, kross, krossa, papar (s. auch Reg. s. vv.) sind mit mehr oder weniger Gewißheit noch hinzuzufügen: diojull (s. S. 170, 227), puki (s. S. 170, 228), krisma (s. S. 87f.), kredda (s. S. 61) klokka (S. 116), aber vielleicht auch Kristr (denn die Vokallänge in ae. Crist spricht wohl gegen Entlehnung aus dem Englischen, vgl. dazu A. Brandl, Grdr. I I , 2 2 , 950) u n d endlich der P N Jöan, Jon, der sich eher als aus lat. u n d as. Johannes aus air. Johain herleiten läßt 3 . 1

Wie skirr dann mehr und mehr aus der weltlichen Dichtung ausscheidet oder eine moralische Wendung bekommt wie schon bei Sigvat Lv. 18 skirir of svik, weil es durch die Verknüpfung der Wortsippe mit der Taufe von der neuen Religion beschlagnahmt worden war, hat de Boor, a.a.O. S. 107f. gezeigt. 2 Die Ausgestaltung des Aktes im einzelnen — etwa das Salzessen, Kristnisaga c. 12, 28 bezeugt — braucht uns hier nicht zu interessieren. 3 Es ist hier weder nötig noch möglich, die Wortlisten bei Taranger, Kahle, Fischer und Maurer im einzelnen durchzugehen. Nur Tarangers Versuch, möglichst viel aus englischem Einfluß abzuleiten, verdient noch ein Wort. Taranger stützte sich auf historische und Rechtsquellen im wesentlichen. Der

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Wichtiger als die Herkunft des neuen Wortschatzes sind jedoch, da wir hier von Dichtung handeln, andere Fragen, die nämlich nach dem Sinn und Ergebnis der skizzierten Vorgänge: 1. Welche Bereiche werden sprachlich neu (oder erstmals) bestellt? Die negative Frage, was weiterhin nicht zu Wort kommt, mag hier unbeantwortet bleiben; das zu erörtern, ginge über den gegebenen R a h m e n . Man m ü ß t e hier erst einmal sammeln, was alles schon vor der Bekehrung nicht ausdrückbar war im Nordischen, u m zu richtigen Einsichten zu kommen. 2. Über den Wortschatz hinaus ist die Thematik der christlichen Dicht u n g zu befragen: W a s n i m m t sie an? Was läßt sie unbesungen? Die Schlüsselwörter der neuen Religion sind, obgleich diese noch lange als inn nyi siär verstanden wird, gleichwohl nicht Wörter aus dem Gebiet des K u l t u s u n d der äußeren kirchlichen Organisation, sondern Bezeichnungen für zentrale Begriffe: trü, säl, synä. Mit diesen ist je ein mehr oder weniger reich besetzter neuer Sinnbezirk gegeben 1 . Zwei Dimensionen werden den Nordleuten durch die Bekehrung aufgeschlossen: die transzendente Welt in einer bisher nicht gekannten Weite und Anschaulichkeit und, damit eng verbunden, die Ahnung einer überirdischen Ordnung einerseits — zum anderen, damit korrespondierend, aber nun nach innen gerichtet, die innere seelische Welt, gezeichnet von dem Wissen u m die Sünde, aber auch vom Wissen um die Heimat im Jenseits. Die drei Begriffe trü, säl, synct sind nicht willkürlich herausgegriffen. E s herrscht zwischen ihnen vielmehr ein Verhältnis inniger Zugehörigkeit. Das bedarf näherer Darlegung. Die geschilderte Wandlung des Verbums trüa zur Bedeutung von credere erschließt — ja setzt — neue Dimensionen: nach außen in die Transzendenz, nach innen in die Seele. Diese neuen Dimensionen sind zunächst mehr sprachlich ausdrückbar, als daß sie schon poetisch gestaltet würden. Der Inhalt des trüa ist der eine Gott, dessen Annahme erleichtert wurde durch den nordischen Henotheismus. Aber Neues kam hinzu: die absolute Transzendenz des Gottes und die theonomische Grundhaltung der neuen Religion (vgl. K. D. Schmidt, Bekehrung I 165). von ihm behandelte Wortschatz gehört mithin vornehmlich in das Feld der Kirchengeschichte, der Rechtsprechung, nur zu einem Teil in die Dogmatik, kurzum: mehr zur äußeren Gestalt der Kirche als zum Gehalt des Glaubens. Die Erörterung ist fast ganz beschränkt auf das Verhältnis NorwegenEngland; dadurch entstehen hinsichtlich des angeblich überragenden englischen Einflusses Folgerungen, die nicht verallgemeinert werden dürfen, zumal die Abhandlung unter dem (schon von Maurer kritisierten) methodischen Mangel leidet, die as. Quellen nicht genügend berücksichtigt zu haben. Endlich aber ließ sich Taranger sogar zugunsten seiner These zu gewissen Gewaltsamkeiten verführen, so, wenn er etwa t>angbrandr zu einem Angelsachsen machen wollte (dazu schon Maurer, Hist. Tidsskr. I I I , 3, 5f.). 1 Die Dichtung macht, wie mehrfach zu betonen war, von dem durch die Übersetzungen homiletischer Literatur bereitgestellten Wortschatz nur geringen Gebrauch, denn sie ist zunächst kaum erzählend, kaum lehrhaft-dogmatisch, sondern im Stil der Skaldik rühmend. Wenige Grundbegriffe müssen ihrem Stilwillen zufolge immer wieder variiert werden. Daher die Fülle der Kenningar, die Armut an eigentlich dogmatischen Begriffen. 284

Träger dieses Glaubens, des Bewußtseins der Zugeordnetheit des Menschen zu Gott, ist die Seele, sdl1. Das Wort zeigt auf Runensteinen Mischformen, die nach Deutschland und England weisen. H. Reier hat die Entwicklung des reichen altn. Wortschatzes für „Seele" geschildert. Neben dem neuen Wort sdl bleiben zwei alte Wörter für das Christentum brauchbar: hugr und gnd; hugr (einst ein Wort der heroischen Sphäre) in der Bedeutung „Gesinnung des Menschen", gnd als „ewige Seele". Die radikal neue Bestimmung als „erlösungsbedürftige arme Seele", als „schuldbewußtes Gewissen" übernimmt sdl. Das Wort drängt als Bezeichnung der „selbstverantwortlichen Seele" gnd mehr und mehr zurück. Von gnd aber wird noch das neue Verbum andask „sterben" gebildet, notwendig, seit der Konzeption einer ewigen Seele das alte deyja nicht mehr entsprach. Wie in einer Nuß haben wir den neuen Wortschatz zusammen in der Halbstrophe der Glael. 7, 5—8: svd hefr Äleifr, ddr andadisk, SQIU borgit. syndalauss, Die Seele ist es, die glaubt und in die ewige Heimat hinübergerettet wird. Die Frage, ob es schon früher im Norden dualistische Vorstellungen gegeben habe, soll hier nicht erörtert werden. In der Radikalität, die das Verbum andask anzeigt, ist die Trennung von Leib und Seele gewiß neu. Begriffspaare wie Gut und Böse, Gnade (Erlösung) und Sünde treten hinzu, um die Welt vollends in unvereinbare Gegensätze zu zerlegen. Das alles konnte nicht ohne Folgen bleiben für das Bild, das man sich vom Leben und der Welt und vom Sinn des Lebens in der Welt machte. Aber neben der christlichen Auffassung vom Tode als einem Übergang zum Ort der Strafe oder des ewigen Lebens blieb jene andere, ältere, lebendig, die den Tod verstand als die endgültige Vollendung eines heroischen Lebens. Wäre dem nicht so gewesen, die gesamte Sagaliteratur müßte anders aussehen. Eine christliche und eine heidnisch-heroische Metaphysik des Todes stehen sich gegenüber: die eine wird geglaubt, die andere bewundert. Die Geistesgeschichte der ersten christlichen Jahrhunderte Islands ließe sich von dieser Paradoxie her aufrollen. Wilhelm Grimm hat (Kl. Sehr. IV 529) das schöne Wort geprägt: „Die Poesie ist die Schatzkammer des menschlichen Geistes, in welche er niederlegt, was er im Leben gewonnen hat." Was hatte der Norden durch die zwei ersten christlichen Jahrhunderte gewonnen, das er in die Schatzkammer der Poesie legen durfte? Diese Frage ist auseinanderzulegen: einmal, was wurde an neuen Gegenständen dichtungswürdig ? Zum andern: werden damit neue Bereiche des Lebens und der Welt darstellbar? Wird also die Welt größer und reicher oder dürftiger ? Und endlich: Was will und billigt der Norden nicht? Die Thematik der christlichen Dichtung ist, aufs Ganze gesehen, natürlich gemeinabendländisch, wie schon Paasche, Kristendom S. 18—35 betont hat. (Gelegentliche Abweichungen vom Kanon wurden in den Interpretati1

Vgl. E. Brate, Själ, in Uppsalastudier, tilleg. S. Bugge, 1892, S. 6 ff.; Hj. Falk, MoM 1926, S. 170; ausführlich über „Seelenvorstellungen im Altnordischen" H. Reier in seiner (noch ungedruckten) Kieler Habil.-Schrift, 1950. 285

onen verzeichnet.) Aus der Bevorzugung bestimmter Themen weitreichende Schlüsse zu ziehen, wird m a n sich hüten müssen angesichts der bruchstückhaften Überlieferung namentlich bei den Anfängen der christlichen Dichtung. Weiter führt die negative F r a g e : welche Themen sind nicht behandelt, welche D i c h t u n g s g a t t u n g e n sind nicht erprobt worden? Hier sind einigerm a ß e n bündige A n t w o r t e n möglich trotz unserer lückenhaften K e n n t n i s des einst Vorhandenen. D e n n was selbst in Andeutungen nicht d a ist — ja sogar, wie im Fall des Apostolicum, verleugnet wird (s. o. S. 233) —, das wird wohl auch im Verlorenen nicht dagewesen sein. Bedenken wir also diese negative F r a g e : was gibt es n i c h t in der frühen christlichen Dichtung des Nordens? 1 , 1 . Die christliche Dichtung vernichtet nicht die heidnische. Soweit das Überlieferte d a s erkennen läßt, werden die alten Götter u n d der Glaube a n sie nicht geschmäht. E s sind zunächst weltliche Skalden, nicht Geistliche, die die neuen T h e m e n aufgreifen; und es sind späterhin Geistliche, die die weltliche Dichtung pflegen u n d bewahren. Soviele Aussagen, soviele Gegensätze zur Entwicklung e t w a in Deutschland. 2. N u r in einer Hinsicht scheint der Norden konsequenter gewesen zu sein als das übrige A b e n d l a n d : Dichterinnen gibt es nach Einführung des neuen Glaubens nicht mehr. Während in Deutschland anscheinend erst n a c h d e m Sieg des Christentums Dichterinnen auftreten (Hrotswitha 1 , A v a 2 ) , schweigen die F r a u e n im Norden gleich nach 1000; bis zu diesem Zeitpunkt sind ihrer nicht weniger als sieben namentlich u n d mit Zeugnissen ihrer K u n s t b e k a n n t 3 . Man wird k a u m fehlgehen m i t der Annahme, daß das W o r t 1. Kor. 14,34 Mulieres in ecclesiis taceant, non enim permittitur eis loqui hier oben wörtlicher genommen wurde als anderswo. Die Sagas beweisen übrigens auch hier wieder ihre Zuverlässigkeit, indem sie Frauen der Sagazeit (freilich erfundene) Strophen sprechen lassen; man wußte offenbar noch, d a ß dichtende F r a u e n für die frühe Zeit stilecht sind (vgl. die Belege bei R. Heinzel, Beschreibung d. isl. Saga, 1880, S. 26). 3. Außer d e m H r y n h e n t , dessen Zusammenhang mit der neuen Religion mehrfach zu zeigen war, veranlaßt das Christentum keine formalen Experim e n t e u n d also keinen B r u c h der Tradition (wie etwa in Deutschland mit der Einführung des E n d r e i m s u n d der Buchepik). Was für das M e t r u m gilt, das gilt auch für die poetischen Gattungen: Litanei u n d Sündenklage, gar liturgische Dichtung wird gar nicht erst versucht. W a s sangeswürdig sein will, m u ß sich dem D r o t t k v ä t t u n d der Drapaform einpassen. Dazu s t i m m t 1

Ehrismann, Gesch. d. dt. Lit. I 2 , 389ff.; Hugo Kuhn, DVjSchr. 24, 1950, 181—196. 2 de Boor, Gesch. d. dt. Lit. I, 153ff.; R. Kienast, Avastudien I — I I I , ZfdA 74 und 77. 3 Die ersten drei der zu nennenden Dichterinnen sind Norwegerinnen, die andern lebten auf Island: Hildr Hrölfsdöttir, B 27; Jörunn skäldmaer (eine Hofskaldin!), B 5 3 f . ; Gunnhildr konungamödir, B 54; Steingerdr I>örketilsdöttir, B 85; t ö r h i l d r skäldkona, B 95; Steinunn Refsdöttir, B 127f.; I>uridr Öläfsdöttir pa, B 197. Vgl. zur Frage der mittelalterlichen Dichterinnen auch Weinhold, Die deutschen Frauen in dem Mittelalter I, 1882, 143ff.

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a u c h , d a ß m a n es weithin — mit der einen A u s n a h m e freilich u m den heiligen Olaf — verschmäht, lateinisch zu dichten. I I . Die christliche Dichtung des Nordens ist unabhängiger als andere von den kanonischen Schriften und der Schulliteratur. 1. Zunächst gibt es gar keine Schulliteratur u n d schon deshalb (aber n i c h t n u r deshalb!) auch keine eigentlich dogmatische Dichtung. E r s t recht gibt eskeine philosophischen Versuche,keine Spekulationen,und entsprechend keine dichterischen Stimmen zu solchen T h e m e n . 2. Man fühlte sich nicht einmal bemüßigt, die Bibel zu übersetzen! Die Stjörn (vgl. Mogk, LG 896) ist ein erst spätmittelalterlicher Versuch, sich des Alten Testamentes zu bemächtigen — respektgebietend in seinem wahnwitzigen Unterfangen, den Text sogleich m i t allen K o m m e n t a r e n , deren m a n habhaft werden konnte, zu kompilieren. Man strandete d e n n auch schon in den Büchern Mosis. Mit dem Neuen T e s t a m e n t ist m a n anscheinend noch lässiger verfahren. Die älteste isländische Übersetzung s t a m m t von 1540 (vgl. J o n Helgason in Studier, tillägnade A. K o c k , L u n d 1929, S. 442). 3. W o es keine Bibelübersetzungen gab, k o n n t e es auch keine große Bibeldichtung geben, ganz abgesehen davon, d a ß m a n sie wohl auch bei anderer Lage der Dinge nicht versucht h ä t t e . Die alte F o r m der D r a p a (und späterhin auch die eddische für Söl., Merl.) galt unverbrüchlich als das einzig mögliche Gefäß auch des neuen Inhalts. I I I , 1. Der Norden kennt, wie im Verlauf der Darstellung mehrfach zu betonen war, keine Mystik. Daß er sie sogar b e w u ß t abgelehnt h a t , wird m a n d a r a u s allein schon folgern dürfen, d a ß er das Hohelied — diese unerschöpfliche Quelle nicht n u r mystischer, sondern ü b e r h a u p t religiöser Dicht u n g in D e u t s c h l a n d 1 — nicht übersetzt h a t . (Denn d a ß die 86 mächtigen Predigten Bernhards, die Sermones in Cantica Canticorum, den Nordleuten e t w a u n b e k a n n t geblieben wären, ist so g u t wie ausgeschlossen.) Diesen Geist wollte m a n n i c h t ; m a n versagte sich d a m i t auch eine Möglichkeit der Dichtung, die eben für die Nordmänner keine Möglichkeit gewesen wäre. Eine — m a n möchte fast sagen forcierte — Keuschheit, die auch sonst in der Übersetzungsliteratur Anstößiges einfach streicht, wird ein Grund dieser abweisenden H a l t u n g gewesen sein. Hinzu k a m aber gewiß auch, daß der Gott, der extrem als rex triumphans aufgefaßt wurde, gar keiner mystischen Einigung zugänglich war. Und endlich: insofern Mystik Entgrenzung ist, m u ß t e sie den zäh in sich geschlossenen Menschen des Nordens zuwider sein. 2. I n diesem Zusammenhang gewinnt n u n auch die schon beobachtete Zurückhaltung gegenüber der Maria (s. o. S. 224ff.) noch ein neues Licht. Denn eine Maria, dargebracht in der glühenden Bilderpracht u n d Sprache der Hohelied-Paraphrasen, war schlechterdings nicht a n n e h m b a r für die Isländer. 3. Die vielfältige Dialektik im Wesen Christi (als Mensch u n d Gott, als Teil der Trinität, als Gekreuzigter und Auferstandener vom Tode) — alles 1

Vgl. dazu J. Schwietering, Der Tristan Gottfrieds von Straßburg und die Bernhardische Mystik, Abhdlg. d. Preuß. Akad. d. Wiss. 1943, Phil.-hist. KL, Nr. 5; F . Ohly, Geist und Formen der Hoheliedauslegung im 12. Jahrhundert, ZfdA 85, 19S4, S. 181—197. 287

Gegenstände wesentlich mystischer Erfahrungsweise, insofern K a u s a l i t ä t e n zu überspringen sind — gehören ebenfalls in diesen Bereich des nicht oder doch k a u m dichterisch Akzeptierten. 4. Wir sahen schon, daß auch der Teufel fast ganz fehlt. I h n u n d sein Reich erfuhr die Christenheit in Visionen, unter denen das Abendland stöhnte. Und wieder t a t der Norden nicht mit, bis hin zu den Solarljöd, die das erste Höllengemälde geben, d a n n freilich gleich in grellen F a r b e n u n d großen Ausmaßen. 5. Wo m a n allem Mystischen, Visionären und Exaltierten — die unbestreitbare Exaltiertheit der alten skaldischen Dichtung ist etwas wesentlich anderes! — so abhold war, k o n n t e es k a u m eifernde Dichtung u n d (wie schon Paasche a.a.O. S. 3 richtig sah) keine fanatische Legende geben 1 . Das zu den letzten P u n k t e n Gesagte möge m a n im übrigen verbleichen mit den Ausführungen zum Begriff der nordischen „Indifferenz", oben S. 200f. Dieser Liste ex negativo wäre n u n eine zweite an die Seite zu stellen mit den Themen, die die Dichtung aufgenommen hat. Aber diese erübrigt sich wohl. Der Leser hat die Interpretationen noch gegenwärtig. Bei Verstreutem und gelegentlich E r w ä h n t e m helfen die Register. S t a t t Gesagtes noch einmal zu wiederholen, fasse ich — von der Thematik der Dichtung nunmehr weithin absehend — die Ergebnisse, dem Gang der Untersuchung folgend, thesenartig k n a p p zusammen. 1. Die Einführung des Christentums macht dichtungs- u n d religionsgeschichtlich keineswegs eine so tiefe Zäsur, wie man fast allgemein glaubt. Vollends gilt das für das berühmte J a h r 1000. 2. Gleichwohl wird die neue Religion sofort lebhaft aufgegriffen von der Dichtung durchwegs weltlicher Skalden. Sehr wenig ist davon erhalten. 3. Es folgt d a n n eine lange Atempause bis etwa 1150. Zwar wird allgemein weniger gedichtet in dieser Zeit, aber der Anteil christlicher Poesie ist kleiner, als man nach den Anfängen um 1000 erwarten würde. 4. Der neue Beginn liegt u m 1150, deutlich im Zusammenhang mit den Klostergründungen. 5. Die christliche Dichtung zeigt in der Bevorzugung namentlich des kosmischen Gottes, mehr aber noch in der stillschweigenden Ignorierung bestimmter Themen, eigenen Willen und eigene Anschauung v o m Wesen der neuen Religion. 6. Synkretismen in mannigfaltiger Gestalt sind da, mehr als in Deutschland oder England. Sie nehmen ab mit zunehmender Vertiefung des Christentums. 7. Formal ist diese Dichtung neuer Wein in alten Schläuchen. Nicht eine fremde Dichtgattung wird übernommen; alle heimischen Gattungen bleiben am Leben und gewinnen sogar neue Möglichkeiten, nicht zuletzt die der Protestdichtung. 1

Daß auch das religiöse Drama ganz fehlt, braucht nur der Vollständigkeit halber erwähnt zu werden. Die dünne Besiedelung, das Fehlen von Städten und endlich auch klimatische Gründe hat schon Paasche dafür genannt, a.a.O. S. 2f. Allein, diese Gründe genügen natürlich nicht. Möglichkeiten zum religiösen Drama hätte es selbstverständlich gegeben, wenn man ein solches gewollt hätte. 288

8. Der Zuwachs an Wortschatz ist ungeheuer. Die Gebenden sind England und Deutschland, früher und sparsamer, jedoch nicht unwichtig, Irland. Man übernimmt Zubereitetes oder formt nach diesem aus eigenen Mitteln. Der heidnische Wortschatz lebt so gut wie unverkürzt weiter, ist aber nicht brauchbar für die christliche Dichtung und wird auch nicht nennenswert benötigt. 9. Der neue Wortschatz bedeutet eine folgenreiche Erweiterung des Weltbildes, und zwar in zwei Richtungen: ins Innere des Menschen und in die Überwelt. Das Fortbestehen heidnischer Dichtung aber relativiert die neuen Errungenschaften. Religiös sind die Götter und ihr Kult funktionslos geworden; aber die Liebe und die literarische Tätigkeit Islands gehört ihnen und dem Altertum noch im 13. Jahrhundert. 10. Der in dieser Untersuchung herauspräparierte Strang christlicher Dichtung ist, vor dem Hintergrund der gesamten altnordischen Überlieferung gesehen, nur dünn. Diesem dürftigen Anfang aber gehörte die Zukunft. Ich habe wiederholt auf Paradoxien in der nordischen Geistesgeschichte des behandelten Zeitraums aufmerksam machen müssen, so etwa auf die, daß man fromm beten und doch gleichzeitig Skarphedin bewundern konnte. So darf ich auch mit einer Paradoxie schließen: ein Signum der christlichen Dichtung ist gerade das Fortbestehen der heidnischen Dichtung. Aus der Spannung beider und der gegenseitigen Relativierung erwächst endlich etwas, das — mit durchaus eigenem Ton — doch im europäischen Chorus mitklingen darf zum Lobpreis Gottes.

19 7!62 Lange, Studien (Palaestra 222)

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VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN Zur Bezeichnung der eddischen Lieder dienen die Siglen Neckeis, nach dessen Ausgabe (3. Aufl.) zitiert wird. Die Titel skaldischer Gedichte sowie die Namen der Dichter erscheinen gelegentlich abgekürzt nach dem Muster des Lex. poet. (Jönsson). Aarb. A, B AfdA AnSB APhSc Arkiv ABW DLZ DM DN DRI DSt DVjschr.

Aarboger for Nordisk Oldkyndighed og Historie Den norsk-islandske Skjaldedigtning A, B Anzeiger für deutsches Altertum und deutsche Literatur Altnordische Saga-Bibliothek Acta Philologica Scandinavica Arkiv för nordisk filologi Archiv für Religionswissenschaft Deutsche Literaturzeitung J. Grimm, Deutsche Mythologie, 3. Ausgabe Diplom. Norwegicum Danmarks Runeindskrifter, ed. L. Jacobsen u. E. Moltke Danske Studier Deutsche Vierteljahrsschrift f. Literaturwissenschaft und Geistes geschichte EM Eddica minora Fms. Fornmannasögur GHÄ Göteborgs Högskolas Ärsskrift 2 3 Grdr. > Grundriß der germanischen Philologie, 2.3. Aufl. GS H. Gering u. B. Sijmons, Kommentar z. d. Liedern der Edda HDA Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Hskr. Heimskringla, ed. F. Jönsson HZ Historische Zeitschrift JEGPhil. The Journal of English and Germanic Philology Ldn. Landnamabök, ed. F. Jönsson, 1900 u. 1925 LG Literaturgeschichte (Mogk, de Vries) LH Den oldnorske og oldislandske Litteraturs Historie (Jönsson) LP Lexicon Poeticum LUÄ Lunds Universitets Ärsskrift Lv. Lausavisa MHN Monumenta Historica Norvegiae, ed. G. Storm MoM Maal og Minne MSD Denkmäler deutscher Poesie und Prosa, ed. Müllenhoff u. Scherer, 3. Ausg. von E. Steinmeyer NK Nordisk Kultur NN E. A. Kock, Notationes Non-cenae Iff., 1923ff. Neophil. Neophilologus NTS Norsk Tidsskrift for Sprogvidenskap PBB (Pauls und Braunes) Beiträge z. Geschichte der deutschen Sprache u. Literatur RG de Vries, Altgermanische Religionsgeschichte, 1. Aufl. RGG Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl., Skj. Den norsk-islandske Skjaldedigtning, A I — I I , B I—II, ed. F . Jönsson SnE Snorra Edda Sturlusonar SNF Studier i nordisk filologi SUGNL Samfund til Udgivelse af gammel nordisk Litteratur TNTL Tijdschrift voor nederlandsche Taal- en Letterkunde ZfdA Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur ZfdPhil. Zeitschrift für deutsche Philologie ZM Zeitschrift für Missionswissenschaft 290

QUELLEN, NAMEN UND SACHEN Das Register verzeichnet nur die wichtigeren Namen, Sachen, Stellen. Bei läufige Nennungen, häufig in Fußnoten, wurden hier nicht registriert. Abälard 25, 222 Acta Sancti Olavi 127 Adam von Bremen 130f., 138, 158 Adjektiv 103, 147, 149, 233, 281 -infric 87 Agrip 119, 135 Ailnoth von Canterbury 141 Alcuin 265 Allegorese 225, 258ff., 262 Allra postula minnisvisur 86, 96 AMssmäl 241, 243 Ambivalenz 52, 219ff. Ambrosius 2 34 f. Anselm von Canterbury 25, 225 Apostolicum 71, 233, 286 Ari Sorgilsson 170, 173, 190ff., 194 Arngrimr Brandsson 228, 274, 275 Arni Jönsson 228, 263, 273f. Amörr jarlaskäld 30, 38, 39f., 70ff., 74, 212, 276 Atlakvida 241 Augustinerorden 250 Augustinus 25, 109, 234, 259, 265f. A xtsymbol 134 f. Baldr 178f., 279 Bedeutungswandel 149 Bekehrung 17ff., 279 Benediktinerorden 249 f. Beowulf 140, 227 Bernhard von Clairvaux 233, 287 Bersi Skäldtorfuson 111 Bibel, Bibelzitat 44, 56f., 63, 69, 71, 76f., 86, 87, 92f., 94f., 121, 125f., 130, 145, 153, 156, 230, 234, 254, 257f., 268, 286, 287 Bildende Kunst 110, 126, 133, 134, 216, 230, 235f,. 245 Bild-Typologie 76ff., 128, 225f. Bjarni Kolbeinsson 94, 272f., 275 Björn Hitdcelakappi 29, 52, 65ff., 174, 183, 212, 269 Bjügar visur 90 Bragi Boddason 31, 83 Brandr enn vidforli 191 19*

Capitulare, fränkisches 23 Columban 224, 254 Crucifixus 96, 145, 233 Cynewulf 93, 245, 259 Darradarljöd 73 Demutsformel 268ff., 275 Deutschland 142, 160, 190, 192, 193, 289 Dialektik 150, 287 f. Dichterinnen 286 Donatus 78 Draumkvaedi 72 Dröttkvaett 31, 108, 145, 275, 277, 286; s. auch Hrynhent Dualismus 285 Duggals Leizla 169, 216 Edda 14, 44, 74, 126, 135f., 163, 166, 184, 196, 240ff. Egill Skallagrfmsson 27, 36, 53, 91, 164, 166, 180, 185, 268, 269, 275f. Eilifr Godrünarson 14, 22, 29, 53ff., 135, 176, 186, 199, 221, 228, 248 Eilifr kulnasveinn 89ff., 216, 220 Eilifr Snorrason 51 Einarr skalaglamm 31, 32 Einarr Skulason 14, 76, 107, 112, 120ff., 141 f., 269f. Eiriksmäl 166 Engel 62, 66, 144; s. auch Michael England 35f., 38f., 48, 58, 59, 66, 70, 73f., 87, 91, 118, 137, 140, 152, 166ff., 199, 216, 279, 283f., 289 Ethik 197 f. Eugen I I I . , Papst 121 Eustachius, Hlg. lOOff. Exempla 144, 150 Eyrbyggja saga 163 Eyvindr Finnsson skäldaspillir 30, 38; s. auch Häleygjatal Ezzos Gesang 259 ff. Floskel, eingeklammerte 26, 30ff. Fridrekr, Missionar 190, 192, 254 291

Friedrich I., Barbarossa 142 Fjolsvinnzmal 97, 176 Gamli kanöki 51, 81 ff., 143ff., 270, 271; s. auch Harms61 Gebet 32, 40, 46, 48f., 63, 83, 89, 117, 141, 144, 198 Geisli 98, HOff., 120ff., 218 Geistlichendichtung 43, 76, 98, 249, 286ff.; s. auch Klöster sog. Gerhard von York 141 Gericht 71 ff., 144, 149, 156 Gisli Snrsson 44f., 94, 108, 174, 180, 269 Gizurr Isleifsson 193, 25t Glocke 97, 116, 173 Glümr J>orkelsson 48ff., 173 Gkelognskvida 112, 113ff., 127, 285; s. auch Pörarinn loftunga Goethe 24, 64, 135, 189, 246f. Gregor VII. 142, 254 Grettissaga 193 Grimnismäl 159, 242 Gunnlaugr munkr 103 Gunnlaugr ormstunga 38, 59 Häresie 64, 132, 222, 246 Hafgerdingadrapa 27f., 57ff., 276 Häkonarmal 166 Hakon Jarl 29, 33, 45, 53 Haleygjatal 88 Hallar-Steinn 41, 112 Hald6rr skvaldri 33, 51, 119, 227 Hallfredarsaga 28, 33ff. Hallfredr Öttarsson 28, 33ff., 47, 52, 229 Hallvardr häreksblesi 39, 46 Haraldr härfagri 160, 187 Härbarzljöd 136, 196 Hardarsaga ok Holmverja 188, 197f. Harmsöl 81, 95, 98, 143ff., 216, 219, 222, 224; s. auch Gamli Hävamal 14, 69, 200f., 240, 241, 257, 274, 282 Hävardr halti 102 Heilagra manna sögur 100ff., 108f. Heilags anda visur 214, 222 Heimskringla 34, 85, 129, 131, 234f., 136, 138f„ 235, 248, 275 Helgi magri 171, 177ff., 181 Helgi trausti 35, 67, 164 Heliand 45, 93, 239, 254f. Hemingspattr 73f.

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Henotheismus 163ff., 199, 220, 284 Himmelsbrief 151 ff. Hofgarda-Refr 47, 111, 275 Hölle 45, 229 Holmgongu-Bersi 269 Homilien 255 Honorius Augustodunen3is 25, 235, 255, 259 ff. Hrabanus Maurus 226, 235, 269 Hrynhent 58, 71, 75, 83, 276, 286; s. auch Dröttkvsett Hugsvinnsmal 98, 253, 274 Humanismus 19f. Hungrvaka 19 2 f. Hymnen, kirchliche 96, 125f., 127, 130f., 225, 234f., 247 Hyndloljöd 186 Indifferenz 179ff., 194, 200f., 288 interpretatio 21 f., 36, 133 Irland, irisch 87, 120, 142, 152, 166ff., 178f., 188, 192, 199, 228, 289 Isidorus Hispaliensis 25, 235 Isleifr Gizurarson 193, 251 Ivarr Ingimundarson 41 Job (Hiob) 100, 102, 106, 109 Johannes Evangelista 76ff., 84ff. Jon Birgesson, Bischof 121 Jons saga postola 78, 81, 83, 85, 101 f. Jon J?6rvalds8on 227 Kaiserchronik 120 Kätrinardrapa 32, 71 Kenningar 33, 35, 43, 44, 54f., 59, 67, 77, 79, 88f., 105f., 122, 146f., 149f., 156, 165, 196, 208—236, 252, 262, 264, 275, 284 Ketill flatnefr 171 ff. Klöster 59, 70, 81, 98, HO, 143, 169, 172, 249f., 252, 288 Klamgr, Bischof 30 Knut d. Gr. 39, 46, 113, 138, 140, 245 Kolbeinn Tumason 81, 84, 92, 95, 123, 198, 211, 253 Kolgrimr hinn litli 111 Kompensation 24 Komposition 101, 106, 143f., 153f. Königsheil 119f., 129, 137 Königtum 38f., 110, 119f., 137ff., 213 Kormäkr Ogmundarson 31, 53, 60, 102 Kreuzigung 83, 95f., 144f., 287f.; s. auch Passion, Crucifixus

Kristni saga 71, 173, 179, 190ff., 254, 283 Kviduhättr 88, 113, 118 Landnamabök 48f., 158—207 (passim), 231 Laxdcela saga 71, 171 f., 177, 249 Legende lOOff., 152 Leidarvisan 41, 51, 87, 88, 91, 98, 101, 108, 119, 150ff., 215, 270f. Leifar fornra kristinna frseda islenzkra 180, 211, 218, 228, 255 Liknarbraut 69, 90, 263 Lilja 96, 211, 218, 223, 253, 273f. Loki 136, 228 Lübecker Passionale 120, 131 f. Magie 49f., 62, 275f. Magnus berfoetr 168 Maria 83, 84, 94f., 145, 148f., 209, 224ff., 287 Marienklage 94 Märiudrapa 90, 225 Mariuflokkr 91, 92, 93ff., 145, 225, 226 Markus Skeggjason 41, 75f., 96, 216, 219, 276 Meregarto 57 Merlinüsspä 98, 103, 253, 274, 287 Messe 96 Michael, Erzengel 30, 71 ff.; s. auch Engel Minnetrinken 85 f. Mission 189ff., 193f., 253ff., 279 Mystik 187, 224, 233, 236f., 287, 288 Mythologie 163f., 195, 228 Nachfolge Christi 132 Namengebung 201 f.; s. auch Personennamen Nikulas aböti 76ff., 225, 262 Nikolaus Breakspeare 121, 142 Njals saga 72, 177, 179 Nöregs konungatal 88f., 126 Oddr Snorrason 128 Odin 33, 36, 44, 45, 47, 52, 56, 66, 67f., 83, 126, 162, 164, 179, 184f., 197, 199, 231, 275, 276 Ölafr Geirstadaalfr 118f. Ölafr Haraldsson, der Heilige 43, llOff., 251, 287 Ölafr Tryggvason 33ff., 43, 254 Ölafsdrapa Tryggvasonar 269

oratio recta 108, 145, 156 Origenes 262, 267 Ormr Barreyjarskäld 45f. Ormr Steinpörsson 268 Ortsnamen 158, 165, 170, 173, 178, 244 Otfrid 56, 283 Öttar svarti 39, 111, 255 Paradoxie 110, 283, 285, 289 Passion 93, 129ff., 145; s. auch Kreuzigung Pater noster 63, 254, 262 Paulinus von Nola 259, 273 Persius 273 Personennamen 72, 84, 109, 158, 171, 201 ff., 283 Petrus, Apostel 150 Placitus (karol. Gedicht) 101 f., 108 Pläcitüsdräpa 98, 100ff., 213 Polytheismus 163 ff., 185 Postola sögur 84 Predigt 144, 147, 157, 194, 253 ff. Privatreligion 45, 166, 180 Procop 239 f. Reginsmal 229, 242 Relativierung 184, 197 ff., 277, 280, 289 Rigveda 49, 183 Roscelin 223 f. Rosenkranz 89 Runeninschriften 38, 44, 50, 59, 72, 195, 231, 240, 269, 276, 285 Rognvaldr kali 91, 96 Saga 14, 158f., 197, 248, 255, 286 Scholastik 25, 267, 276 Schöpfergott 68f., 75, 177, 182, 186, 211, 216 Sigurdr jörsalafari 32 Sigvatr 29, 32, 39, 45, 47, 50, 62, 80, 112, 119, 139f., 141, 229 Skäld-törir 86ff., 154, 177, 222 Skapti Pöroddsson 29, 59, 68 f, 111, 216 Sküli I>6rsteinsson 243 Snorri Sturluson 33, 52, 54, 60, 70, 88f., 109, 112, 113, 121, 123, 126, 129ff., 133, 139, 159, 163, 187, 242, 248f., 264; s. auch Heimskringla Sölarljöd 69, 98, 175, 188, 210, 223, 225, 229, 243, 253, 263, 274, 280, 287, 288

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Sonne 186ff., 233ff., 236ff. Sonntagsheilignng 151 ff. Spätantike 20f., 24, 186f., 234f. Sprache 199, 200f., 254, 277ff. Steingerdr 46, 286 Steinn Herdisarson 41, 112, 119, 140 Steinunn 179, 286 Steinbörr 269 Stil, Stilbruch 106ff., 252, 264f., 273ff., 284 Stjörn 287 Stockh. Homil.-Buch 221 f., 255f. Stüfr blindi 30, 40 Sturla l>ordarson 51 Suger v. St. Denis 266 Sunniva 126 Synkretismus 17ff., 24f., 42ff., 55f., 65 ff., 118, 133ff., 169, 173, 174ff„ 189, 193ff., 198f., 209, 221, 288 Tacitus 166, 184, 239 Taube 86, 222 Taufe 53, 86f., 180f., 282f. Tempel 163, 178 Teufel 227ff., 288 Thomas v. Aquin 266, 267 Thor 52, 57, 67, 126, 133ff., 161 ff., 175, 177ff., 185, 195, 197, 231 Thors-Drapa, -Hymnik 52, 53, 57, 163, 166 Transzendenz 284f. Trinität 219ff., 221 ff., 229f. Übersetzung 23 Urdr 54ff., 74 Vafbrüdnismäl 159, 242 Verluste 27ff., 30, 36, 70, 248

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Vrone botschaft 152 f. Volsabattr 47 Voluspa 37, 38, 40, 56, 69, 7t, 74f., 83, 89, 137, 146, 176, 186, 187, 189, 193, 241, 243, 245, 267, 274, 278, 279 Wemher, Pfaffe 151 Wulfila 211, 216, 223f., 279 Ynglingatal 88, 118f. Yngvi 132, 138ff„ 217 Zahlen 61, 62, 101, 107, 121, 144, 153f. J>angbrandr 179, 191 f. E>j6dolfr Arnörsson 32, 47 Sjödolfr 6r Hvini 31, 269; s. auch Ynglingatal Sörarinn loftunga 39, 83, 111, 280; s. auch Glselognskvida I>örarinn stuttfeldr 46 ]>6rbjorn disarskäld 28f., 50ff. I>örbJ9rn hornklofi 102, 268 I>ördr Kolbeinsson 30, 46, 111, 228 t>6rdr Saereksson 29, 111 l>6rgeirr fiekkr 227 Pörkell i Hraundal 32 l>örkell mäni 188 »örleifr jarlsskäld 45, 52, 212, 229, 276 E>6rleikr fegri 40 Pörmödr Kolbrünarskäld 47 t o r v a l d r Kodransson 28, 190 t r ä n d r i G9tu 29, 60 ff. ]?rymskvida 196

WORTSCHATZ Neben diesem Verzeichnis sind zu berücksichtigen: das Kapitel über die Nomina sacra (Kenningar) S. 208—236 und die Wortlisten zu einzelnen Dichtungen S. 82f., 102—105, 115—118, 123—125, 145—149, 155f. algödr 104 almildr 104, 109, 124 alm^ttr 80 alskyrr 79 altari 116, 118, 125, 281 andask 116, 285 andi 222, 228 ärmadr 162, 166 ä m a n 149 är ok fridr 50, 117, 118, 119 ärsEell 119f. äss, aesir 164, 184, 279 ast- 109 au ja 49 f. Imgall 170, 283 bjalla 116, 280 bjannak 170, 283 blandinn 177 blessan 82, 125 blöd ok hold 145, 148 blöt, blöta 47, 174, 280 got. blotan 279 bond 183, 279 bol 124 däd- 124, 125, 151ff., 155 got. daupjan 279, 282f. diar 170, 279 dis 66, 281 djofull 170, 227, 281, 283 dömr 147, 148, 156 dömsord 148 dröttinn 181, 211, 232 dufa 86 doemistöll 71 eilffr 80 engill 281 erkistöll 125 ey 48 ff.

fadir 156, 197, 210f., 215 föstrlond 105 fremja 96 fridarsyn 123 fridr 119 fullting 99, 104, 124, 145 fulltrüi 126, 233 fognudr 104

huggan 83, 104 hugr 285 got. hunsl 279, 280 Hvitakristr 50, 53, 215f. horgbrjötr 34 horgr 280 itr 280

got. galga 279 jardriki 125 gipt, gipta 33, 51 f., 70, 89 Jesus 215 gjalda 35 god 109, 163, 165, 181, kerti 116, 118, 280 183f., 187, 194, 210, klokka 116, 118, 170, 283 konungmadr 115, 118 220, 279, 280, 281 goddomr 80, 148, 281 konungsgipta 37, 137 kraptr 104 gödi 145 godlauss 174ff., 187, 282 kredda 60ff., 283 krisma 87f., 156, 170, 283 gods lQg 42 gods pegn u. ä. 104/117,kristni 103 118, 119, 125f., 145, kristnihald 103 Kristr 170, 214ff., 280, 280 283 gudfadir 34, 211 kriüpa 117 gsefa 51, 137 kross 90, 96, 170, 283 krossa(sk) 96, 283 got. halja 279 krossfesta 96 harri 35 f. krossfestr 96, 218 haugr 280 krossmark 96 heidinn 30 heilagr 40, 41, 119, 143, krosstre 96 krüs u. ä. 90, 96 280, 281 kvol 148 helviti 45, 229 kykvasettr 115, 118 himinkraptr 255 himinriki 115, 118, 281 himneskr 124 länardröttinn 37 hirdar-vist 79 langvinr 125 f. hjalpa 44 lausn 148 hjalpari 156 lausnari 126, 218 hof 158, 280 leyfa 91, 118, 282 hreinlifi 80 likn 148 hreinn 116, 281, 283 limr Krists 124, 125 f. hreinsa 148 lofa 91, 118 hringja(sk) 116, 118 lofsaell 91, 116, 118

295

luta 90, 243 laerdömr 104

ridari, riddari 104, 124, tivar 279 125 tivurr 279 röda 29, 124 tru, trüa 175, 262, 281, m ä t t r ok megin 96, 174ff., 282, 284 f. 181 Sabaoth, Zebaoth 183, meinalauss 59, 117 213 uggr 83, 144, 150 meinn 59 särvaeginn 79 unad 89 Messias 215 sekd 148 unna 118 midgarzormr 197 senda 45 uppreist 36 Mikalsmessa 72 sidr 189, 192, 200, 280, Urdr 54ff., 74 misgera 71 282, 284 misgord 71 skira, skirn 50, 180, 279, vanir 279 miski 147 281, 282f. ve 280 miskunn 144, 145, 150 skfrr 283 vear 279 miotudr 184 skop 46, 51 vegrimmr 34 maerr, maeringr 232, 280 smidr 211, 222 verk 147 spämadr 84, 162 air. nert 176f. vsettir, land- 46, 162, 194, stallr 60, 280 228 syn himna 80 palmr 91, 156 vinr 126, 142 synd 104, 117, 281, 284f. papar 169f., 172, 283 syndalauss 83, 117, 118 paradis 148 Yngvi42, 146, 216f., 232 syngva 41, 63 piningarkross 123 ssett, saettir 83, 115 f., 118, pisl 148 ping 148 postoli 80 150 primsigning 179 ff. spl, aal 42, 117, 280, 284f. pjödkonungr 115, 118 prenning 124, 223 püki 170, 228, 283 rammr 280 tafn 280 regin(n) 184, 279, 280 tign 82, 96 9nd 83, 285 reginnagl 117, 262, 280 ondvegiissülur 117, 161 f. tiu laga ord 156

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