Studien zum Bibelepos des sogenannten Cyprianus Gallus: Mit einem Kommentar zu gen. 1-362 351511596X, 9783515115964

Die Bedeutung der Bibelepik als einer Leitgattung der christlichen Spätantike ist unumstritten. Zugleich ist die philolo

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Studien zum Bibelepos des sogenannten Cyprianus Gallus: Mit einem Kommentar zu gen. 1-362
 351511596X, 9783515115964

Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
I. EINLEITUNG
1. FORSCHUNGSÜBERBLICK
2. ZIEL UND ANLAGE DER ARBEIT
3. HINWEISE ZUR BENUTZUNG UND ZU DEN ABKÜRZUNGEN
II. DICHTER UND WERK
1. AUTOR, LOKALISIERUNG UND DATIERUNG
2. GATTUNG, INTENTION UND ZIELPUBLIKUM
3. ÜBERLIEFERUNGS- UND EDITIONSGESCHICHTE
III. UNTERSUCHUNGEN ZUM BUCH GENESIS DER HEPTATEUCHDICHTUNG
1. SPRACHLICH-STILISTISCHE UND METRISCH-PROSODISCHE BESONDERHEITEN (HEPT. GEN. 1–362)
2. DER HD UND SEINE BIBLISCHE VORLAGE (HEPT. GEN. 1–362)
3. DAS VERHÄLTNIS ZUR PATRISTISCHEN GENESISEXEGESE (HEPT. GEN. 1–362)
4. DER UMGANG MIT POETISCHEN VORGÄNGERN (HEPT. GEN. 1–362)
5. DAS VERHÄLTNIS ZU PROBA UND ZU CL. M. VICTORIUS (HEPT. GEN. 1–362)
IV. HEPT. GEN. 1–362: TEXT UND ÜBERSETZUNG
V. KOMMENTAR ZU HEPT. GEN. 1–362
1. DIE ERSCHAFFUNG DER WELT UND DES MENSCHEN (V. 1–41)
2. ÜBERGANG ZUR PARADIESERZÄHLUNG (V. 42–49)
3. DAS PARADIES UND DIE EINSETZUNG DER MENSCHEN IN DEN GARTEN (V. 50–71)
4. SÜNDENFALL UND VERTREIBUNG AUS DEM PARADIES (V. 72–133)
5. KAIN UND ABEL (V. 134–171)
6. DIE NACHKOMMEN VON KAIN UND SETH; VON ADAM BIS NOAH (V. 172–222)
7. SINTFLUT UND RETTUNG (V. 223–321)
8. DIE LANDUNG AM ARARAT UND DIE NEUORDNUNG DES LEBENS AUF DER ERDE (V. 322–343)
9. NOAH UND SEINE SÖHNE; NOAHS TOD (V. 344–362)
VI. ÜBERBLICK ÜBER HEPT. GEN. 363–1498
VII. ÜBERSICHTEN
Übersicht 1: Zum Umgang des HD mit der biblischen Erzählchronologie in Hept. gen. 1–362
Übersicht 2: Zu Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltlichen Veränderungen und interpretierender Wiedergabe der biblischen Vorlage in Hept. gen. 1–362
Übersicht 3: Inhaltliche und lexikalische Übereinstimmungen von Hept. gen. 1–362 mit der Vetus Latina gegen die Vulgata
Übersicht 4: Übereinstimmungen von Hept. gen. 1–362 mit dem Wortlaut der Vetus Latina
Übersicht 5: Übereinstimmungen zwischen Hept. gen. 1–362 und poetischen Vorgängern
VIII. LITERATURVERZEICHNIS
IX. REGISTER
1. STELLENREGISTER (IN AUSWAHL)
2. NAMENSREGISTER (IN AUSWAHL)
3. SACHREGISTER (IN AUSWAHL)

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Hedwig Schmalzgruber

Studien zum Bibelepos des sogenannten Cyprianus Gallus Mit einem Kommentar zu gen. 1–362

Klassische Philologie Franz Steiner Verlag

Palingenesia 106

Hedwig Schmalzgruber Studien zum Bibelepos des sogenannten Cyprianus Gallus

PALINGENESIA Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft Begründet von Rudolf Stark Herausgegeben von ChrIStoPh SChubErt Band 106

Hedwig Schmalzgruber

Studien zum Bibelepos des sogenannten Cyprianus Gallus Mit einem Kommentar zu gen. 1–362

Franz Steiner Verlag

Coverabbildung: Phönix in einem Mosaik aus Antiochia am Orontes, jetzt im Louvre. Fondation Eugène Piot, Monuments et Mémoires, publ. par l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 36, 1938, 100. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11596-4 (Print) ISBN 978-3-515-11597-1 (E-Book)

MEINEN ELTERN

INHALTSVERZEICHNIS VORWORT ...................................................................................................... 9 I. EINLEITUNG ............................................................................................. 11 1. Forschungsüberblick .............................................................................. 11 2. Ziel und Anlage der Arbeit .................................................................... 23 3. Hinweise zur Benutzung und zu den Abkürzungen ............................... 27 II. DICHTER UND WERK ............................................................................ 29 1. Autor, Lokalisierung und Datierung ...................................................... 29 2. Gattung, Intention und Zielpublikum ..................................................... 38 3. Überlieferungs- und Editionsgeschichte ................................................ 44 III. UNTERSUCHUNGEN ZUM BUCH GENESIS DER HEPTATEUCHDICHTUNG ............................................................................................... 58 1. Sprachlich-stilistische und metrisch-prosodische Besonderheiten (Hept. gen. 1–362)...................................................................................... 58 2. Der HD und seine biblische Vorlage (Hept. gen. 1–362) ...................... 65 a. Vorüberlegungen: Das Verhältnis des HD zur Heiligen Schrift .... 65 b. Zum erzähltechnischen Umgang des HD mit seiner biblischen Vorlage ............................................................................................... 66 c. Zum Bibeltext des HD und zu seiner Nähe zum biblischen Wortlaut ............................................................................................. 71 3. Das Verhältnis zur patristischen Genesisexegese (Hept. gen. 1–362) ... 78 4. Der Umgang mit poetischen Vorgängern (Hept. gen. 1–362) ............... 93 5. Das Verhältnis zu Proba und zu Cl. M. Victorius (Hept. gen. 1–362)... 99 a. Vorbemerkungen ............................................................................ 99 b. Der HD und Proba........................................................................ 100 c. Der HD und Cl. M. Victorius ....................................................... 113 IV. HEPT. GEN. 1–362: TEXT UND ÜBERSETZUNG ............................ 136 V. KOMMENTAR ZU HEPT. GEN. 1–362 ................................................ 184 1. Die Erschaffung der Welt und des Menschen (V. 1–41) ..................... 184 2. Übergang zur Paradieserzählung (V. 42–49) ....................................... 228 3. Das Paradies und die Einsetzung der Menschen in den Garten (V. 50–71) ................................................................................................ 235 4. Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies (V. 72–133) ................ 256 5. Kain und Abel (V. 134–171)................................................................ 306

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Inhaltsverzeichnis

6. Die Nachkommen von Kain und Seth; von Adam bis Noah (V. 172–222) ............................................................................................ 338 7. Sintflut und Rettung (V. 223–321) ...................................................... 374 8. Die Landung am Ararat und die Neuordnung des Lebens auf der Erde (V. 322–343).................................................................................... 440 9. Noah und seine Söhne; Noahs Tod (V. 344–362)................................ 455 VI. ÜBERBLICK ÜBER HEPT. GEN. 363–1498 ....................................... 468 VII. ÜBERSICHTEN ................................................................................... 531 Übersicht 1: Zum Umgang des HD mit der biblischen Erzählchronologie in Hept. gen. 1–362 ......................................................................... 531 Übersicht 2: Zu Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltlichen Veränderungen und interpretierender Wiedergabe der biblischen Vorlage in Hept. gen. 1–362 .......................................................... 536 Übersicht 3: Inhaltliche und lexikalische Übereinstimmungen von Hept. gen. 1–362 mit der Vetus Latina gegen die Vulgata ...................... 546 Übersicht 4: Übereinstimmungen von Hept. gen. 1–362 mit dem Wortlaut der Vetus Latina ................................................................................ 550 Übersicht 5: Übereinstimmungen zwischen Hept. gen. 1–362 und poetischen Vorgängern .................................................................................. 557 VIII. LITERATURVERZEICHNIS ............................................................. 565 IX. REGISTER ............................................................................................. 579 1. Stellenregister (in Auswahl)................................................................. 579 2. Namensregister (in Auswahl)............................................................... 597 3. Sachregister (in Auswahl) .................................................................... 599

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VORWORT Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um die gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Dissertationsarbeit, die im Wintersemester 2015/16 von der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften der Bergischen Universität Wuppertal angenommen wurde (Datum der mündlichen Prüfung: 18.12.2015). Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Christoph Schubert (Wuppertal), der die Arbeit angeregt und in allen Phasen ihrer Entstehung fachlich und menschlich in hervorragender Weise betreut hat. Ihm danke ich zugleich für die Aufnahme des Buches in die Reihe „Palingenesia“ des Franz Steiner Verlags und für viele hilfreiche Anregungen bei der Endredaktion des Manuskripts. Danken möchte ich ferner Herrn Prof. Dr. Stefan Freund (Wuppertal), der das Zweitgutachten übernommen und die Arbeit durch wertvolle inhaltliche und methodische Hinweise bereichert hat, sowie den weiteren Mitgliedern der Prüfungskommission, Frau Prof. Dr. Elisabeth Stein und Herrn Prof. Dr. Martin Ohst (beide Wuppertal). Zu großem Dank verpflichtet bin ich dem Cusanuswerk, das mich durch ein Promotionsstipendium ideell und finanziell großzügig gefördert hat. Frau Ingrid Benedikt (Haren/Münchsteinach) danke ich für ihre unschätzbaren Dienste als Korrekturleserin, Herrn Sven Rohde (Wuppertal) für seine technische Unterstützung. Dankbar verbunden weiß ich mich schließlich Herrn Prof. Dr. em. Severin Koster (Saarbrücken), der den Entstehungsprozess der Arbeit von Anfang an mit wohlwollendem Interesse begleitet hat, und meinem verehrten akademischen Lehrer Herrn AOR Wolfgang Srb (Erlangen), der durch seine fundierten und anregenden Stil- und Übersetzungsübungen während meiner Studienzeit an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg maßgeblich das fachliche Fundament für diese Untersuchung gelegt hat. Wuppertal, im Juni 2016

Hedwig Schmalzgruber

I. EINLEITUNG 1. FORSCHUNGSÜBERBLICK Frühere Forschungsberichte Der bislang einzige selbständige Forschungsbericht zum sog. Cyprianus Gallus, der in neueren Arbeiten und auch im Folgenden als Heptateuchdichter (= HD) bezeichnet wird, stammt aus dem Jahr 1929; darin bespricht Martin auf knapp zwei Seiten insgesamt sieben zwischen 1900 und 1927 entstandene Arbeiten1. Abgesehen davon gibt Petringa im Rahmen eines Aufsatzes einen Überblick über die einschlägige Forschung des 19. und 20 Jh.s zur Autor- und Datierungsfrage2. Textausgaben, Übersetzungen, Kommentare und Kommentarartiges Nach wie vor ist die Textausgabe Rudolf Peipers3 im CSEL-Band 23 aus dem Jahre 1891 die maßgebliche textkritische Ausgabe der Heptateuchdichtung, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt und den Text in seinem heute überlieferten Umfang vollständig enthält4. Übersetzungen auch nur einzelner Bücher der Heptateuchdichtung existieren bislang nicht bzw. waren zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Druckvorlage noch nicht veröffentlicht5. Abgesehen von der Übersetzung kürzerer Textstücke in Aufsätzen und Monographien6 wurden bislang nur wenige 1 2 3 4

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Vgl. Martin 1929, 98–100. Vgl. Petringa 2007 (L’attribuzione), 172–176. Vgl. dazu S. 56–57. Im CSEL-Band 3,3 (1871), 283–288 sind nur die ersten 165 Verse des Buches Genesis abgedruckt, in der Patrologia Latina findet sich die Heptateuchdichtung auf drei Bände verstreut, nämlich auf PL II (1844), 1097–1102 (Hept. gen. 1–165), PL XIX (1846), 345–380 (Hept. gen. 1–324 und 379–1498) sowie PLS III (1963), 1151–1242 (Text Peipers, von Hept. gen. nur V. 324–379a). Vgl. die Übersetzung des Buches Josua im Rahmen der E-Thesis von M. Canal mit dem Titel „Il libro di Giosuè nell’ Heptateuchos dello Pseudo-Cipriano: introduzione, testo critico riveduto, traduzione e commento“ (2015) unter http://paduaresearch.cab.unipd.it/8066/ (aufgerufen am 01.03.2016); das Dokument war zum Zeitpunkt des Manuskriptabschlusses noch nicht für den öffentlichen Zugriff freigegeben. Vgl. insbesondere Gamber 1899, 110–111 (Hept. gen. 50–63), Evans 1968, 138–141 in den Anm. (mehrere Verse aus dem Abschnitt Hept. gen. 13–133), Kartschoke 1975, 99 (Hept. gen. 1–7), Malsbary 1985, 65 (Hept. exod. 203–216), Roberts 1989, 10 (Hept. exod. 1098– 1103), Nodes 1993, 28 (Hept. gen. 27–32) und 84–87 (Hept. gen. 1–20 mit wenigen Auslassungen), Nazzaro (Il sacrificio) 2006, 15 Anm. 5 (Hept. gen. 741–754), De Gianni 2013/14, 175 Anm. 21 (Hept. iud. 665–667), 180 Anm. 39 (Hept. iud. 682–684) und 187 Anm. 64

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I. Einleitung

längere Textpassagen ins Englische übersetzt, nämlich von S. Thelwall in Roberts/Donaldson 1913 (Hept. gen. 1–165)7, Kuhnmuench 1927 (Hept. gen. 1– 31), Kuhnmuench 1929 (Hept. gen. 1–31, exod. 457–466, 477–550 und 754–782)8 und viele Jahrzehnte später von White 2000 (Hept. gen. 25–133)9. Der einzige Gesamtkommentar zur Heptateuchdichtung ist bislang derjenige von Mayor 1889. In seinem ausführlichen Vorwort10 behandelt Mayor u.a. wichtige Stationen in der Editionsgeschichte der Heptateuchdichtung und die Frage nach der Autorschaft im Spiegel der ihm vorausgehenden Forschung, wobei er sich der Meinung Peipers in dessen 1883 erschienener Avitus-Ausgabe anschließt, dass es sich bei dem Dichter um Cyprian, den Schüler des Caesarius von Arles und Bischof von Toulon († 546), handle. Ferner bietet er Belege für die Nähe der Heptateuchdichtung zur Vetus Latina gegen die Vulgata, lexikalische Beobachtungen, orthographische Besonderheiten des Codex C, metrisch-prosodische Lizenzen11 und eine Zusammenstellung von Wort- und Buchstabenvertauschungen sowie Buchstabenverdopplungen in der handschriftlichen Überlieferung. In seinem fast ausschließlich philologisch ausgerichteten, selten theologisch unterfütterten Kommentar druckt er die von ihm behandelten Verse der Heptateuchdichtung gemäß den Editionen von Morel, Martène und Pitra ab12 und ergänzt den Text der ersten beiden Editionen um Lesarten aus den damals noch nicht bekannten Codices AC. Der Kommentar lässt – was angesichts der großen Masse des zu kommentierenden Textes nicht verwundert – immer wieder Verse aus13, so dass das lobende Urteil in Lejays Rezension (1891), dass Mayors Erläuterungen „ne laissent presque pas un seul vers inexpliqué“14, nicht ganz gerechtfertigt erscheint. Eindeutiger Schwerpunkt der stichpunktartigen, manchmal kaum eine ganze Zeile umfassenden Kommentierung sind die textkritischen Erwägungen und Konjekturen, die nicht selten auf metrisch-prosodische Anstöße und ein vorschnelles Verwerfen unverstandener Inhalte zurückzuführen sind15. Hinzu kommen einige lexikalische und grammatikalische Angaben und Hinweise auf poetische Parallelen.

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(Hept. iud. 695–696) sowie De Gianni 2015 passim in den Anm. (zahlreiche Passagen aus Hept. gen. bis iud.). Vgl. Roberts/Donaldson 1913, 132–135, mit einer an die englischen Verse angepassten Zeilenzählung; das Textstück trägt den Titel „Genesis“ mit dem Vermerk „Autor uncertain“. Vgl. Kuhnmuench 1929, 38–47. Vgl. White 2000, 100–104. Vgl. Mayor 1889, VII–LXVI. Mehrfach wird Mayor aufgrund von metrisch-prosodischen Lizenzen, die beim HD aber keineswegs ungewöhnlich sind, dazu veranlasst, eine Vertauschung der Wortstellung anzunehmen, vgl. die Hinweise unter der Überschrift „Transposition of words in a line“ S. LIII. Zu diesen Editionen s.u. S. 53–56. Mayor folgt zuerst Morel für die Verse 1–165 (S. 1–11), dann Martène für die Verse 166–324 und 379–1498 (S. 11–70; Hept. gen. 379 ist bei Mayor 325) und schließlich Pitras Spicilegium Solesmense I für die Verse 325–378 (S. 73–74; Hept. gen. 325 ist nach Mayors Zählung 1). So werden allein schon von den ersten 50 Versen des Buches Genesis V. 1–2, 8–15, 17–19, 22–25, 28, 30–31, 35–41, 45–46 sowie 48–50 ausgelassen. Vgl. Lejay 1891, 114. Vgl. etwa Mayor 1889, 11 zu Hept. gen. 147.

1. Forschungsüberblick

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Während seit Mayor bislang keine Kommentare zur Heptateuchdichtung als ganzer oder auch nur zu einzelnen ihrer Bücher publiziert worden sind16, hat es in den vergangenen Jahrzehnten doch nicht an Ansätzen gefehlt, einzelne Textpassagen kommentarartig aufzuarbeiten, d.h. einer gründlichen sprachlichen und inhaltlichen Erläuterung zu unterziehen, um die paraphrastische Technik des HD zu veranschaulichen, seine patristischen und poetischen Quellen zu eruieren und seine exegetische und dichterische Eigenleistung zu würdigen. In Hinblick auf das Buch Genesis der Heptateuchdichtung ist zunächst Smolak 1978/79 zu nennen, der im Rahmen einer Auswahl aus bibelepischer Literatur für den Schulgebrauch Hept. gen. 77–90 mit einer interpretierenden Einführung und mehreren sprachlichen und inhaltlichen Anmerkungen versieht17. Petringa 1992 analysiert Hept. gen. 1–39, also die Paraphrase der ersten sechs Schöpfungstage; dabei konzentriert sie sich besonders auf das Verhältnis zur biblischen Vorlage, auf die Beziehung zur zeitgenössischen Hexameronexegese (Basilius, Eustathius und Ambrosius) und auf die Verarbeitung poetischer Vorbilder, insbesondere Vergils. Ihr Ergebnis ist, dass der HD eine weitgehend wortgetreue Paraphrase des VetusLatina-Textes in Übereinstimmung mit der zeitgenössischen Literalexegese liefert und sich dabei der Ausdrucksmittel der klassischen, insbesondere vergilischen, Poesie bedient. Thraede 1994 arbeitet in seinem RAC-Artikel zu Jakob und Esau anhand verschiedener Beispiele die verändernden und ausmalenden Eingriffe des HD in seine biblische Vorlage im Rahmen der Jakob-Esau-Handlung heraus18. Nazzaro (Il sacrificio) 2006 weist im Detail nach, wie der HD in Hept. gen. 741– 754 seine biblische Vorlage Vet. Lat. gen. 22,1–13, d.h. das Opfer Isaaks, exegetisch und poetisch durchaus selbständig paraphrasiert. Durch eine detaillierte, patristische Quellen einbeziehende Interpretation der Passagen Hept. gen. 50–55 („Die Darstellung des Paradieses“), Hept. gen. 1100–1107 („Isaaks Tod“), Hept. exod. 167–172 („Die Offenbarung des Gottesnamens“) und Hept. gen. 134–155 („Das Opfer Abels“) bringt Homey 2009 subtile christologische und eschatologische Bezüge ins Spiel, die der HD durch seine Wortwahl in seiner Paraphrase angelegt habe. Ein ähnlicher Ansatz liegt auch Homeys Aufsatz von 2014 zugrunde, in dem er Hept. exod. 752–782, die Bearbeitung des Dekalogs, untersucht. Er präsentiert zunächst eine Gliederung und dann einen detaillierten Kommentar der Textpassage und stellt fest, dass der HD nicht nur eine wortgetreue Paraphrase des Bibeltextes liefere, sondern durch behutsame Eingriffe und Durchblicke auf das Neue Testament, v.a. die Bergpredigt, die Gültigkeit der Zehn Gebote für sein christliches Publikum hervorhebe. Mit der Benutzung patristischer Quellen, insbesondere des Ambrosius, und klassisch-paganer Vorbilder im Rahmen der SimsonEpisode in Hept. iud. befassen sich De Gianni 2013/14 (Hept. iud. 665–667, 683– 684.695), De Gianni 2014 (Hept. iud. 563) und Lubian 2015 (Hept. iud. 482– 641). Darüber hinaus haben in jüngster Zeit einige studentische Abschlussarbeiten 16 Zum Kommentar zu Hept. Ios. von M. Canal, der zum Zeitpunkt des Manuskriptabschlusses noch nicht zur Verfügung stand, siehe S. 11 Anm. 5. 17 Vgl. Smolak 1978/79, 25. 18 Vgl. Thraede 1994, 1199–1201.

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I. Einleitung

der Universität Wien versucht, dem Desiderat einer Neuedition, Übersetzung und Kommentierung der Heptateuchdichtung partiell abzuhelfen, indem sie engagiert, wenn auch verständlicherweise selektiv und auf einer schmalen Basis an Forschungsliteratur, ausgewählte Textpassagen aus Hept. gen. und Hept. exod. anhand der Handschriften neu konstituiert, übersetzt und erläutert bzw. interpretiert haben19. Sonstige Spezialliteratur zum Heptateuchdichter a. Zu Autor, Datierung und Lokalisierung Mit diesen Fragen beschäftigte sich schwerpunktmäßig die deutsche Forschung Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Müller (Ennius) 1866 setzt sich kritisch mit den in den bisherigen Editionen aufgestellten Vermutungen zur Identität des Autors, zu Datierung und Lokalisierung auseinander und zeigt eine für seine Zeit ganz untypische Zurückhaltung gegenüber Spekulationen. Der anonyme Dichter habe ziemlich sicher im 5. oder 6. Jh. geschrieben, seine Heimat sei nicht bekannt, aber für Gallien sprächen kulturhistorische Gründe. Becker 1889 listet zunächst Verstöße gegen die metrisch-prosodischen Regeln der klassischen Poesie und Belege für vulgärsprachliche Flexion auf. Für Gallien als Heimat des HD sprechen seiner Untersuchung zufolge einerseits lexikalische und metrischprosodische Ähnlichkeiten zwischen der Heptateuchdichtung und gallischen Autoren, insbesondere Paulinus von Périgueux und Cl. M. Victorius, andererseits der verwendete Bibeltext: Der HD habe eine vorhieronymianische Bibelfassung benutzt, die am ehesten dem Codex Wirceburgensis, einer zumindest nicht aus Afrika stammenden Bibelhandschrift, und dem Bibeltext des Ambrosius und Hieronymus nahe stehe, welche beide einen Bezug zu Gallien hätten. Als terminus post quem der Heptateuchdichtung sieht er aufgrund der offensichtlichen Imitation von Claud. 7,96–98 in Hept. exod. 474–476 das Jahr 396 n. Chr. an, als terminus ante quem den Tod des Cl. M. Victorius gegen 425 n. Chr, welcher seinerseits den HD imitiere; so gelangt er zu einer Datierung um das Jahr 400. Best 1891 versucht zunächst anhand metrischer und stilistischer Kriterien nachzuweisen, dass Juvencus nicht der Verfasser der Heptateuchdichtung ist, wobei er aber nur Verse aus Hept. gen. als Vergleich heranzieht. Anschließend entwickelt er seine Theorie von zwei Autoren der Heptateuchdichtung, einem Autor von Hept. gen. namens 19 Vgl. die folgenden E-Theseis: M. Eisenberger, Non equidem invideo ... Die Entwicklung des Teufels von der Schlange zum epischen Protagonisten in ausgewählten lateinischen poetischen Darstellungen des Sündenfalls, Diplomarbeit Wien 2009 (Aufbauanalyse, Interpretation und Übersetzung [im Anhang] zu Hept. gen. 72–80); I. Friedmann, Die Darstellung der Verführung Evas in der lateinischen Bibeldichtung, Diplomarbeit Wien 2009 (Interpretation zu Hept. gen. 72–106.114–116); E. Ledermann, Fluitantia corpora cernens. Text, Übersetzung und Kommentar zweier Flutszenen beim Heptateuchdichter, Diplomarbeit Wien 2013 (Textrekonstruktion, Übersetzung und Kommentar zu Hept. gen. 223–348, exod. 406–506 und exod. 507–545).

1. Forschungsüberblick

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Cyprianus und einem unbekannten Autor von Hept. exod. bis iud., die er durch wenig plausible Argumente zu stützen versucht20. Er kommt zu dem Schluss, dass Hept. gen. aufgrund von Reminiszenzen an den Cento der römischen Dichterin Proba in Italien entstanden sei, während Hept. exod. bis iud. aufgrund ihrer Nähe zum Bibeltext des Ambrosius und aufgrund der angeblich in Gallien beliebten Cantica in Hendecasyllaben auf Gallien hinweisen würden. Die Imitation der pseudo-claudianeischen Laus Herculis (ca. 404–410) veranlassen ihn zu einer Datierung von Hept. gen. auf die Zeit um 410, Hept. exod. bis iud. seien in jedem Falle danach und wohl bereits im 5. Jh. entstanden. Die systematische Widerlegung von Bests Zwei-Autoren-Theorie ist das erklärte Ziel von Stutzenberger 1903. Durch einen Vergleich zwischen Hept. gen. und den übrigen Büchern der Heptateuchdichtung in Bezug auf Sprache, Häufigkeit der Alliteration sowie metrische und prosodische Besonderheiten soll die Einheitlichkeit der gesamten Dichtung nachgewiesen werden. Stutzenberger legt dar, dass Best die kodikologischen Befunde nicht richtig gedeutet habe21, und bezweifelt die Möglichkeit, aus der Dichtung heraus die vom HD verwendete Bibelübersetzung erschließen zu können. Die Imitation Claudians durch den HD überschätze Best, da sich etliche Wendungen bereits bei Vergil und anderen Dichtern fänden, und zudem könne von einer unterschiedlich intensiven Claudian-Imitation im Buch Genesis und in den übrigen Büchern nicht die Rede sein. Bei der Heptateuchdichtung handle es sich um das Werk des Dichters Cyprian, das etwa zur Zeit der Cena Cypriani (Anfang 5. Jh.) entstanden sei. Brewer 1904 will im HD einen gewissen Presbyter Cyprian erkennen, an den Hieronymus um das Jahr 418 seinen 140. Brief richtete; darin wird dieser Cyprian als eifriger Bibelkenner, besonders des AT, gelobt. Dem Presbyter und Heptateuchdichter Cyprian schreibt er noch weitere unter diesem Namen überlieferte Werke zu, nämlich die Gedichte De Sodoma und De Iona, das Carmen ad senatorem und insbesondere die Cena Cypriani, und gelangt zu dem spekulativen Schluss, dass der HD um 360–430 im Kreis Verona-Brescia gelebt habe22. Schließlich versucht Hass 1912 noch einmal, die Fragen nach Autor, Datierung und Lokalisierung einer Lösung zuzuführen. Zunächst verwirft er Brewers Thesen bezüglich der Identität des Autors: Der HD könne aufgrund der unter20 1. Ein Vergleich der metrisch-prosodischen Lizenzen zwischen Hept. gen. und den übrigen Büchern zeige Unterschiede und rechtfertige nicht, von ein und demselben Dichter auszugehen; 2. der Autorenname Cyprianus finde sich in Codex A nur in der superscriptio und subscriptio von Hept. gen., nicht aber in denen der anderen Bücher; in Codex A seien Hept. gen. und die restlichen Bücher der Heptateuchdichtung durch ein Buch Avitus unterbrochen; 3. den beiden Teilen der Dichtung liegen angeblich unterschiedliche Vetus-Latina-Texte zugrunde, da Hept. gen. am meisten Übereinstimmungen mit dem Codex Lugdunensis und dem Bibeltext des Augustinus aufweise, Hept. exod. bis iud. dagegen am meisten Übereinstimmungen mit dem Codex Wirceburgensis und dem Bibeltext des Ambrosius und Lucifer Calaritanus; 4. die Claudian-Imitation sei in Hept. gen. deutlich geringer als in den übrigen Büchern. 21 S.o. Anm. 20 unter Punkt 2. 22 Zur Identifizierung des Heptateuchdichters mit dem Verfasser der Cena Cypriani vgl. auch Harnack 1899, 23–24.

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I. Einleitung

schiedlichen biblischen Vorlage nicht mit dem Verfasser der Cena Cypriani identisch sein, seine Identifizierung mit dem Presbyter Cyprian könne durch den Inhalt von Hier. epist. 140 nicht erwiesen werden und eine Zuschreibung von De Sodoma und De Iona scheide aufgrund von Unterschieden in Sprache und Verskunst aus. Die Frage nach Datierung und Herkunft versucht Hass durch eine Untersuchung des vom HD verwendeten Bibeltextes zu klären, die über die von Becker und Best unternommenen Studien hinausgeht. Durch Gegenüberstellung von Passagen aus unterschiedlichen Büchern der Heptateuchdichtung, der jeweils einschlägigen Vetus-Latina-Handschriften und der Vulgata kommt er zu dem Resultat, dass der HD eine vorhieronymianische Bibelversion benutzt habe, die wahrscheinlich in Gallien entstanden und dort nach der Vulgata überarbeitet worden sei; da aber die Pentateuchübertragung des Hieronymus erst im Jahre 404 vollendet worden sei und sich die Vulgata nur allmählich Eingang in die altlateinischen Bibeltexte verschafft habe, könne die vom HD benutzte Vetus-Latina-Übersetzung frühestens um 430 geschrieben worden sein. So ergibt sich laut Hass, dass der HD in Gallien beheimatet war und sein Werk etwa zwischen 430 und 440 verfasst hat; als terminus ante quem gilt ihm die (angenommene) Kenntnis der Heptateuchdichtung durch Avitus (470–526). Nach der Dissertationsarbeit von Hass vergingen achtzig Jahre, bis Pollmann 1992 die Datierungsfrage erneut aufgrund eigener Forschungsergebnisse diskutierte. Ausgangspunkt von Pollmanns Untersuchungen ist die bereits im 19. Jh. vertretene These, dass der massilische Rhetor Cl. M. Victorius († zwischen 425 und 450) in seiner Genesisdichtung Alethia den HD imitiert habe, wodurch das Werk des HD auf die erste Hälfte des 5. Jh.s datierbar sei. Im Verlauf ihres Aufsatzes weist Pollmann nach, dass die meisten der behaupteten Parallelen zwischen der Alethia und der Heptateuchdichtung nicht geeignet sind, ein eindeutiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen den beiden Dichtern erkennen zu lassen; ein terminus ante quem für den HD sei auf diesem Wege nicht zu gewinnen. In einem abschließenden „Additamentum zum Terminus post der Heptateuchdichtung“23 gibt Pollmann zu bedenken, dass sich die in Hept. gen. 634 präsente Vorstellung von den Lot erscheinenden Männern (vgl. Gen 19) als zwei Personen der Trinität erst bei Augustinus finde; damit könne der terminus post quem der Heptateuchdichtung auf die Zeit zwischen 397 und 427/428 eingegrenzt werden. Gegen Pollmanns Aporie bezüglich des zeitlichen Verhältnisses von HD und Cl. M. Victorius stellt sich Jakobi 2010, der auf der Grundlage der Prioritätsbestimmungsmethode nach Axelson nachzuweisen versucht, dass sich für einige Parallelstellen die Priorität der Alethia vor der Heptateuchdichtung bestimmen lasse24. In neuester Zeit hat sich Petringa (L’attribuzione) 2007 der Autor- und Datierungsproblematik noch einmal systematisch angenommen. Sie betrachtet die unterschiedliche Attribuierung der Heptateuchdichtung in der handschriftlichen Überlieferung, in mittelalterlichen Bibliothekskatalogen, welche heute verlorene Handschriften beschreiben, in der Sekundärüberlieferung und in der Editionsge23 Vgl. Pollmann 1992, 500–501. 24 Zu einer Auseinandersetzung mit der Argumentation Jakobis s.u. S. 119–121.

1. Forschungsüberblick

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schichte vom 16.–19. Jh. und kommt zu dem Ergebnis, dass die Heptateuchdichtung keinem namentlich bekannten Autor zugeschrieben werden könne. Als einzige sichere Eckdaten, zwischen denen das Werk anzusiedeln sei, könnten das Jahr 396 n. Chr.25 und das Zeugnis Aldhelms (ca. 640–709) gelten. Allerdings dürfte die Dichtung nicht lange nach Ende des 5. Jh.s entstanden sein, da sie sich pleno iure in die Blütezeit der alt- und neutestamentlichen Bibeldichtung zwischen dem 4. und 6. Jh. einfüge. b. Zu Metrik und Sprache Abgesehen davon, dass metrisch-prosodische und sprachliche Aspekte in den Arbeiten zu Autor, Datierung und Lokalisierung (s.o.) als Argumente herangezogen werden, sind einige Studien ausschließlich diesen Themen gewidmet. Cornu 1904 bezweifelt, dass man, wie Becker 1889 dies getan hat, aus sprachlichen und metrischen Gesichtspunkten auf die gallische Herkunft des HD schließen kann; den Versbau des HD nimmt er gegen die starke Kritik Beckers in Schutz. In seiner Studie von 1908 arbeitet er heraus, dass der HD im Vergleich zu Vergil und Ovid im vierten Fuß des Hexameters auffallend wenige Daktylen einsetze. In seinen beiden Arbeiten von 1972 kommt Longpré zu dem Ergebnis, dass der HD nicht nur eine große Treue zur klassischen Elisionspraxis zeige, sondern deren Regeln in manchen Punkten sogar strenger befolge als die klassischen Dichter; auch lege er, abgesehen von gewissen Schwächen, eine vertiefte Kenntnis der klassischen Regeln zum Bau des Hexameters an den Tag und verstehe sein Handwerk, ohne aber über künstlerische Virtuosität zu verfügen26. Dem phalaeceischen Hendecasyllabus in den Cantica der Heptateuchdichtung widmet sich Flammini 2006. Roberts 1982 analysiert die paraphrastische Umsetzung von Gen 25,27, der Gegenüberstellung von Esau und Jakob, in Hept. gen. 804–807, wobei er besonders auf die Verwendung des Substantivs bucina eingeht. Bucina im Sinne von „Jagdhorn“ sei sonst nur bei dem gallischen, in der ersten Hälfte des 5. Jh.s lebenden Dichter Rutilius Namatianus belegt, was die gängige Datierung und Lokalisierung des HD stütze. Die lexikalische Studie von Fernández-Vallina 1993 listet alphabetisch Ausdrücke für Farben und Licht aus der Heptateuchdichtung auf und konstatiert bestimmte Vorlieben des HD im Vergleich zu klassischen Autoren. Erst 2004 erschien Wachts Konkordanz zur Heptateuchdichtung mit einem allgemeinen und einem nach Wortarten sortierten Frequenzwörterbuch im Anhang.

25 Aufgrund der Imitation von Claud. 7,96–98 in Hept. exod. 474–476, s.o. 26 Vgl. Longpré (Structure) 1972 und (Traitement) 1972. Im Kontext anderer Dichter wird der HD von Longpré 1973 und 1976 behandelt.

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I. Einleitung

c. Zur Benutzung paganer Dichter (Vergil, Juvenal) Das Interesse an der Vergilbenutzung durch den HD setzt mit Fernández Vallina 1982 ein. Dieser listet, gegliedert nach den Aspekten Syntax, Vokabular und Versbau, Parallelen zwischen Hept. gen. und Vergil auf und gelangt in seiner allgemein gehaltenen Auswertung zu dem Resultat, dass sich beim HD unterschiedliche Grade von Imitation zeigten, wobei er aber keineswegs als Centoist zu bezeichnen sei. Über Fernández Vallina hinausgehend verfolgt Petringa (La presenza) 2007 das Ziel, die jeweilige Funktion von Vergilreminiszenzen im Kontext der Heptateuchdichtung herauszuarbeiten, und untersucht zu diesem Zweck ausgewählte Vergilstellen im Buch Genesis der Heptateuchdichtung. Dabei arbeitet sie heraus, wie der HD das von Vergil übernommene Material in unterschiedlicher Weise verändert und mit neuen Bedeutungen auflädt und wie er vergilische und biblische Personen und Situationen analog nebeneinander oder kontrastierend einander gegenüberstellt. Eine textkritische Fragestellung liegt dagegen Petringas Aufsatz von 1996 zugrunde, in dem sie zur Lösung eines textkritischen Problems in Verg. Aen. 6,520 Hept. gen. 349 heranzieht, wo der Vergilvers ganz offensichtlich aufgegriffen wird. Ciarlo 2008 betrachtet zunächst die paraphrastische Methode des HD. Sein makroskopischer Überblick über die Behandlung der biblischen Vorlage in Hept. gen. bis iud. ergibt als Haupttendenzen eine große Treue des HD gegenüber dem Bibeltext, starke Raffungen und kaum Amplifikationen. Anschließend zeigt er auf, dass der HD seine Verse nach allen Regeln der klassischen Dichtkunst ausgearbeitet habe, wobei er auf stilistische Mittel, den reichen Adjektivgebrauch und intertextuelle Anspielungen auf klassische Dichter, insbesondere Vergil, eingeht. Seine Auflistung von Vergilparallelen in der Heptateuchdichtung gliedert er nach zunehmender Entfernung vom Wortlaut des vergilischen Prätextes. In jüngster Zeit hat sich De Gianni 2015 ausführlich mit der Benutzung Juvenals in der gesamten Heptateuchdichtung befasst. d. Zur Überlieferungs- und Editionsgeschichte Mit der Überlieferungs- und Editionsgeschichte der Heptateuchdichtung hat sich erstmals Petringa systematisch und in größerem Umfang beschäftigt. In ihrem Aufsatz von 2001 untersucht sie die Sekundärüberlieferung des Werkes im englischen und französischen Bereich zwischen dem 7. und 9. Jh.27 und stellt heraus, dass die Heptateuchdichtung für die betrachteten mittelalterlichen Autoren einen Modellcharakter hatte, sei es im Rahmen der metrisch-prosodischen Didaktik oder als unmittelbares poetisches Vorbild. Die sich über etwa dreihundert Jahre erstreckende Editionsgeschichte der Heptateuchdichtung, innerhalb derer das Werk 27 Die Sekundärüberlieferung unterteilt Petringa in folgende drei Gruppen: 1. Zitate von Versen in Prosawerken, anhand derer metrisch-prosodische oder grammatikalische Phänomene aufgezeigt werden sollen, 2. Zitate von Versen in Florilegien zu prosodischen Demonstrationszwecken und 3. Imitation von Versen oder Versteilen innerhalb anderer Dichtungen.

1. Forschungsüberblick

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sukzessive unter verschiedenen Autorennamen veröffentlicht wurde, ist Gegenstand von Petringas 2011 erschienener Studie. Diese ist zunächst nach den vier jeweils mit Handschriftenfunden verbundenen Hauptetappen der Editionsgeschichte gegliedert und zeichnet dann die Editions- und Forschungsgeschichte des 19. Jh.s bis zu Peipers CSEL-Ausgabe von 1891 nach, wobei die Frage nach der Zuschreibung und Datierung der Dichtung durch die einzelnen Herausgeber und Forscher besondere Aufmerksamkeit erfährt. Der HD in größeren Zusammenhängen a. Genesisdichtung und -exegese Im Rahmen seiner Untersuchung zum Buch Genesis in der lateinischen Poesie des 5. Jh.s behandelt Gamber 1899 den HD schwerpunktmäßig in zwei Kapiteln. In Kapitel I skizziert er die Editionsgeschichte der Heptateuchdichtung bis zu Peipers CSEL-Ausgabe von 1891 und die Diskussion zu Autor, Datierung und Lokalisierung in der vorausgehenden Forschung, wobei er sich vorbehaltlich neu hinzukommender Erkenntnisse Peipers Meinung anschließt, dass ein sonst nicht bekannter gallischer Dichter Cyprian zwischen 397 und 450 die Heptateuchdichtung verfasst habe28. In Kapitel V zu Stil, Sprache und Verskunst der besprochenen Dichter listet er eine Reihe von Vergil-Parallelen aus Hept. gen. auf29 und nennt unter den lexikalischen und syntaktischen Besonderheiten des späten Lateins und den metrisch-prosodischen Lizenzen der spätantiken lateinischen Dichtung auch mehrere Beispiele aus dem Buch Genesis des HD30. Evans 1968 argumentiert gegen die These der älteren Forschung, dass die Heptateuchdichtung eine phantasielose Paraphrase ohne besondere literarische Leistung sei, indem er anhand von Passagen aus der Schöpfungs- und Sündenfalldarstellung bemerkenswerte Veränderungen der biblischen Vorlage durch den HD aufzeigt31. In seiner vergleichenden Studie zum Schöpfungsbericht beim HD, Cl. M. Victorius, Ps.-Hilarius, Proba und Avitus stellt Smolak 1975 fest, dass der HD sich genau an die Tageseinteilung der Bibel halte, bei der Erschaffung des Menschen aber von der biblischen Chronologie abweiche, indem er die beiden biblischen Berichte kontaminiere. In dieser Hinsicht entferne sich Cl. M. Victorius weniger weit vom Bibeltext32.

28 29 30 31

Vgl. Gamber 1899, 1–8. Vgl. Gamber 1899, 173–174. Vgl. Gamber 1899, 184–192 und 194–199. Vgl. Evans 1968, 137–141; diese Veränderungen reichen von kleinen deskriptiven Details bei der Erschaffung der Welt über eine Umdeutung des Baumes der Erkenntnis bis hin zu einer deutlich vom Bibeltext abweichenden Version vom Hergang der Verführung Evas. 32 Vgl. Smolak 1975, 351–352.

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I. Einleitung

b. Bibeldichtung Das bibelepische Standardwerk von Kartschoke 1975 befasst sich nur in zwei kurzen Abschnitten eingehender mit der Heptateuchdichtung: Nach Art eines Lexikonartikels werden die wichtigsten Informationen zu Autor und Werk auf der Grundlage der vorausgehenden Forschung zusammengetragen33, ferner wird die verhältnismäßig bibelnahe Darstellung des Anfangs der Schöpfungsgeschichte in Hept. gen. 1–7 den freieren und ausführlicheren Gestaltungen des Cl. M. Victorius und des Dracontius gegenübergestellt34. Wesentlich intensiver beschäftigt sich die einschlägige Bibelepik-Studie von Herzog 1975 mit dem HD und seinem Werk. Herzog argumentiert, dass der Autorname Cyprianus auf einen in karolingischer Zeit stattgefundenen Prozess der Pseudepigraphie zurückzuführen sei35, und setzt sich kritisch mit der durch Peipers CSEL-Ausgabe etablierten, auch noch in seiner eigenen Zeit gängigen Forschungsmeinung auseinander, dass es sich beim HD um einen gallischen, zwischen 400 und 450 lebenden Dichter namens Cyprian handle; die Zuschreibung an Cyprian in einem Teil der Handschriften sei willkürlich36. Anhand von zahlreichen Textpassagen aus der Heptateuchdichtung soll gezeigt werden, dass die Bibelrezeption des HD, wie auch die des parallel behandelten Juvencus, zu einer Deformierung der biblischen Vorlage führe37. Dagegen zeigt Malsbary 1985 anhand von Hept. exod. 203–216, dem Dialog des Mose mit Gott am brennenden Dornbusch, dass der HD seine biblische Vorlage durch eine Anspielung auf Verg. Aen. 1,8–11 geschickt und im Einklang mit der zeitgenössischen patristischen Exegese interpretiert38. Roberts 1985 bezieht den HD vielfach in sein Werk zur Bibelepik in der Tradition der rhetorischen Paraphrase ein39. Er präsentiert die wichtigsten Informationen zu Autor und Werk auf der Grundlage der vorausgehenden Forschung und diskutiert kritisch die vorgebrachten Hypothesen zum Autornamen, zu Lokalisierung und Datierung und zur Intention der Heptateuchdichtung40. Im Hauptteil seiner Studie, in dem er der 33 34 35 36 37

Vgl. Kartschoke 1975, 34–35. Vgl. Kartschoke 1975, 99–101. Vgl. Herzog 1975, XXV–XXXII. Vgl. Herzog 1975, 53–60. Nämlich durch Romanisierung, d.h. das „Eindring[en] römisch-antiker Vorstellungen in die Wiedergabe der Bibel“, Verständnisprobleme aufgrund beschränkter Bildung, Ausscheiden jüdischer Elemente, christliche Umdeutungen und die andächtig-erbauliche Ausgestaltung von Szenen; vgl. Herzog 1975, 100–154, das Zitat S. 108. 38 Vgl. Malsbary 1985, 62–66. Der HD deutet hier eine Analogie zwischen der geduldigen Güte des Aeneas, die durch Junos Zorn auf eine harte Probe gestellt wird, und der geduldigen Güte Gottes an, die durch Moses trotzigen Unglauben herausgefordert wird. 39 Dieses Werk ist die stark überarbeitete und gekürzte Fassung seiner Dissertationsarbeit von 1978. 40 Vgl. Roberts 1985, 92–96. Bei dem Namen Cyprian handle es sich wohl um ein Phänomen der Pseudepigraphie, auf eine Herkunft aus Südgallien oder Oberitalien deuteten die VetusLatina-Versionen hin, denen der Text des HD am nächsten stehe. Die gängige Datierung ins erste Viertel des 5. Jhs. sei wahrscheinlich, wenngleich die Priorität des HD gegenüber der

1. Forschungsüberblick

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„Manipulation“ des biblischen Textes durch die unterschiedlichen paraphrastischen Techniken nachgeht41, behandelt Roberts zahlreiche Passagen aus der gesamten Heptateuchdichtung unter den Aspekten der Kürzung, Umstellung und Kontamination, moralisch-erbaulichen Amplifizierung und Ausgestaltung der biblischen Vorlage mit stilistisch-rhetorischen Mitteln42. Einen dezidiert interdisziplinären, theologischen Ansatz verfolgt Nodes 1993, indem er sich auf den Einfluss der patristischen Exegese auf die Bibelepik konzentriert. Anhand einer detaillierten Analyse mehrerer Textstellen aus Hept. gen. und exod. arbeitet er heraus, dass die zwar moderaten, aber doch signifikanten Modifikationen der biblischen Vorlage durch den HD die Kenntnis exegetischer Motive und theologischer Lehren verraten.43 Kriel 1991 behandelt die Darstellung der Zerstörung von Sodom und Gomorra und Lots Schicksal im Vergleich beim HD (Hept. gen. 621–679), bei Cl. M. Victorius, bei Avitus und in der anonymen Bibeldichtung De Sodoma und kommt in Hinblick auf den HD zu dem Ergebnis, dass dieser, abgesehen von deutlichen Kürzungen und kleineren Veränderungen seiner biblischen Vorlage, dem Bibeltext weitgehend treu folge44. c. Christliche lateinische Dichtung In seinem Überblick über die Entwicklung der christlichen lateinischen Epik als poetisch-rhetorischer Paraphrase führt Frey 1961 drei Passagen aus der Heptateuchdichtung als Belege für poetische Ausschmückung und Anhebung der Stilebene an45. Witke 1971 vergleicht die Gestaltung der Erschaffung des Menschen bei acht christlichen Dichtern und geht in diesem Zusammenhang auch auf Hept. gen. 25–31 ein46. In seiner kurzen Textanalyse, in der er fast nur die angebliche stilistisch-rhetorische Unbeholfenheit des HD herausarbeitet, charakterisiert er den Dichter als unengagierten, nüchternen Paraphrasten des vorgegebenen Bibeltextes. Wenig positiver fällt die kurze Charakteristik des HD von Fontaine 1981

41 42 43

44 45 46

Alethia, die für diese Datierung maßgeblich sei, noch nicht endgültig geklärt sei. Eine Bestimmung zur literarischen Unterhaltung eines gebildeten Publikums sei plausibler als ein didaktischer Zweck. Vgl. die Kapitel 5 („The Manipulation of the Biblical Text“) und 6 („The Bible Amplified: The Construction of the Narratio“). Vgl. insbesondere Roberts 1985, 116–121, 128–135, 182–186, 199–207. Vgl. Nodes 1993, 25–36 und 83–87. Hierzu gehören die Transzendenz Gottes, die Besonderheit des Menschen aufgrund seiner persönlichen Formung durch Gott, die geistige und körperliche Gottesebenbildlichkeit des Menschen, die Dreifaltigkeit Gottes, die typologische Vorprägung Christi in Gottes Heilshandeln im AT, die Deutung der Wasser über dem Himmel im Sinne von Wolken und die Theorie, dass Gott die ganze Welt in einem Augenblick erschaffen habe. Vgl. Kriel 1991, 8–9. Vgl. Frey 1961, 20–22; er zitiert Hept. gen. 1–10 und Hept. exod. 457–466 und weist auf die Gestaltung der Vernichtung der Ägypter im Roten Meer hin. Vgl. Witke 1971, 190–191.

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I. Einleitung

aus47. Der zwischen 397 und 425 zu datierende, unbekannte Dichter stehe mit seiner streng der biblischen Vorlage folgenden Paraphrase in der Tradition des Juvencus, übertreffe diesen aber an asketischer Schlichtheit, die offenbar bewusst eingesetzt werde. Ohne konkrete Textbelege zu geben, versieht Fontaine den HD mit den Etiketten eines „atticisme monastique“ und eines „idéal d’un ‚degré zéro‘ de l’écriture épique“48, von dem sich die nachfolgenden Bibelepiker durch größere poetische Freiheit distanziert hätten. Diesem Urteil schließt sich Charlet 1985 insgesamt an, weist aber doch auf gestalterische und interpretative Eingriffe des HD in seine biblische Vorlage hin, die er im Sinne Herzogs als Deformationen der Bibel auffasst49. Roberts 1989 behandelt die Heptateuchdichtung unter dem Aspekt spätantiker Poetik. Die Entscheidung des HD darüber, welches Material seiner biblischen Vorlage weggekürzt und welches beibehalten werden solle, sei oft durch poetische Erwägungen bestimmt50. Stella 2001 hebt hervor51, dass sich die Paraphrase des HD zwar eng am Bibeltext entlang bewege, aber dennoch nicht als eine bloße Übertragung des biblischen Inhalts in die Sprache der klassischen Poesie zu betrachten sei. Unter Bezugnahme auf Petringa 1992 weist er auf Veränderungen der biblischen Vorlage durch Einarbeitung der zeitgenössischen Hexameronexegese hin. Innerhalb seiner Überblicksdarstellungen über die christliche lateinische Dichtung handelt Nazzaro 2002 und 2008 den HD im Rahmen der alttestamentlichen lateinischen Bibelparaphrasen ab52, wobei der Text weitestgehend mit dem Lexikonartikel von Nazzaro (Cipriano) 2006 übereinstimmt. Präsenz des HD in Verzeichnissen, Lexika und Handbüchern Jeweils unter dem Namen des Cyprianus Gallus findet sich die Heptateuchdichtung in der Clavis Patrum Latinorum (Dekkers 1995)53 und in der Clavis Patristica Pseudepigraphorum Medii Aevi (Machielsen 1994)54. Die einschlägigen Lexika zur antiken bzw. spätantik-christlichen Kultur und Literatur enthalten mehr oder weniger ausführliche Beiträge zum Heptateuchdichter, von knappen Erwähnungen mit Nennung der grundlegendsten Fakten im 47 48 49 50

51 52 53 54

Vgl. Fontaine 1981, 246–248. Vgl. Fontaine 1981, 247 und 248. Vgl. Charlet 1985, 637–638. Vgl. Roberts 1989, 9–13. So werde die Beschreibung von Aarons edelsteinbesetztem Brustschild in allen Details wiedergegeben (Hept. exod. 1098–1103), weil dieser schwierige Stoff dem Dichter die Möglichkeit gebe, sein Talent zu zeigen und zu dem visuellen Kunstwerk ein sprachlich-stilistisches Äquivalent zu schaffen. Vgl. Stella 2001, 43–45 („Il grado zero del riflesso teologico: l’Heptateuchos di Cipriano“). Vgl. Nazzaro 2002, 140–141 und 2008, 46–47. S. 466 unter Nr. 1423. S. 483 unter Nr. 2157; die Angabe PL 19,345–580 muss in 380 verbessert werden. Ferner findet sich die Dichtung unter Ps.-Avitus (Nr. 2000, Hept. exod. bis iud.), Ps.-Cyprian (Nr. 2145, Hept. gen.) und Ps.-Juvencus (Nr. 2780, Hept. exod. bis iud.).

2. Ziel und Anlage der Arbeit

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Kleinen Pauly (Hiltbrunner 1964), im Tusculum-Lexikon griechischer und lateinischer Autoren (Buchwald/Hohlweg/Prinz 1982), im Lexikon des Mittelalters (Gruber 1986) und im Neuen Pauly (Roberts 1998) bis hin zu umfassenderen Darstellungen mit Präsentation und Wertung der vorausgehenden Forschung in Paulys Realenzyklopädie (Jülicher 1901), im Reallexikon für Antike und Christentum (Krestan 1957), im Lexikon der antiken christlichen Literatur (Hamm 2002) sowie im Nuovo dizionario patristico e di antichità cristiane (Nazzaro (Cipriano) 2006). Ferner beschäftigt sich der Artikel „Epos“ im Reallexikon für Antike und Christentum (Thraede 1962) im Abschnitt zu den alttestamentlichen Bibelparaphrasen mit dem HD, dessen Werk hier unter den sogenannten historischgrammatischen Paraphrasen eingeordnet wird. Die Heptateuchdichtung zeige in der exegetischen und poetischen Ausgestaltung der biblischen Vorlage noch wenig Selbständigkeit und sei „ohne poetische oder theologische Ambition“55. An einschlägigen theologischen Lexika, die Lemmata zum HD enthalten, sind der ausführliche Beitrag im Dictionnaire de théologie catholique (Vernet 1908) und im LThK (Breuer-Winkler 1994) zu nennen, während etwa die RGG dem HD keinen eigenen Artikel widmet. Schließlich hat der Heptateuchdichter auch in einer Reihe von literaturgeschichtlichen bzw. patristischen Handbüchern seinen Platz, die hier nur in Auswahl erwähnt werden können. Um einen eigenständigen Forschungsbeitrag handelt es sich bei Ebert 1889, der sich kritisch mit der Zuschreibung der Heptateuchdichtung an Juvencus auseinandersetzt und ausgehend von sprachlichstilistischen Beobachtungen eine Zwei-Autoren-Hypothese entwickelt, wonach das Buch Genesis und die restlichen Bücher von unterschiedlichen Verfassern stammen sollen; es sei möglich, dass die erste, kleinere Hälfte der Genesis von Juvencus verfasst worden sei. Während die Darstellungen von Duckett 1930, Quasten 1953, Raby 1953, Harnack 1958, Altaner/Stuiber 1978 und Moreschini/Norelli 2007 den HD nur en passant erwähnen, wird er von Manitius 1891, Schanz 1914, Bardenhewer 1923, De Labriolle 1947, Moreschini/Norelli 1996, Kannengiesser 2006 und Nazzaro 2014 ausführlicher behandelt. Im Handbuch der lateinischen Literatur der Antike von Herzog/Schmidt ist ein Kapitel über den HD für den noch nicht erschienenen 6. Band (§630) vorgesehen. 2. ZIEL UND ANLAGE DER ARBEIT Aus dem Forschungsüberblick ergibt sich zunächst die allgemeine Beobachtung, dass im Vergleich zu Bibelepikern wie Juvencus, Proba, Cl. M. Victorius, Avitus und Dracontius das philologische Interesse am Heptateuchdichter (= HD) nach wie vor verhalten ist, was sicher mit der oft geringen Einschätzung des künstlerischen Niveaus zusammenhängt56. Die letzte Monographie ist dem HD vor über 100 Jahren gewidmet worden, nämlich die Dissertationsarbeit von Hass 1912; 55 Vgl. Thraede 1962, 1026–1027, das Zitat 1027. 56 Dies stellt Homey 2009, 150 treffend fest.

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I. Einleitung

seitdem ist dieser umfangreichste erhaltene Vertreter der Gattung Bibelepik nur in Aufsätzen oder im Rahmen von Überblicksdarstellungen behandelt worden. Im Besonderen zeigt sich ein erheblicher Bedarf an grundlegender philologischer Erschließung, also Kommentierung und Übersetzung, wofür freilich eine überarbeitete Fassung von Peipers CSEL-Ausgabe hilfreich wäre57. Etliche Fragen wie die nach der Person des Autors, seiner Datierung und Lokalisierung, der Intention seines Werkes und der verwendeten Bibelvorlage sind noch immer nicht eindeutig geklärt. Neuere und neueste Arbeiten zur paraphrastischen Technik des HD, zu seinem Umgang mit poetischen Vorgängern und seiner Benutzung der patristischen Exegese haben deutlich gemacht, dass eine differenziertere Würdigung der poetischen und exegetischen Leistung des HD und seiner literarischen Eigenständigkeit nötig ist58, um seine Position im Rahmen der Bibeldichtung angemessen zu bestimmen. Aus diesen Überlegungen folgt nun die doppelte Zielsetzung der vorliegenden Arbeit: Sie will zum einen philologische Grundlagenforschung betreiben, zum anderen auf dieser Basis einen Beitrag zu den genannten literaturgeschichtlichen und literaturwissenschaftlichen Fragestellungen leisten, was auch für die Nachbardisziplin der Patristik einen Gewinn verspricht. Angesichts der erheblichen Länge der Heptateuchdichtung von ca. 5550 Versen musste notwendigerweise eine Beschränkung und Schwerpunktbildung vorgenommen werden. So konzentriert sich die vorliegende Studie auf das Buch Genesis der Heptateuchdichtung; für den Kommentar wurde der Abschnitt Hept. gen. 1–362 gewählt, die Erzählung vom Anfang der Schöpfung bis zum Tod Noahs (Gen 1–9). Dieses Textcorpus ist für die intendierte Art der Kommentierung (s.u.) noch handhabbar und zugleich groß genug, um aussagekräftiges Material für weiterführende Untersuchungen zu liefern. Der Bereich von der Erschaffung der Welt bis zur Noah-Erzählung bzw. Völkertafel ist ferner derjenige, der in der Alten Kirche im Vergleich zum restlichen Pentateuch ungleich öfter und intensiver rezipiert wurde, so dass eine theologische Verortung der Heptateuchdichtung insbesondere in diesem Abschnitt gelingen kann. Das restliche Buch Genesis der Heptateuchdichtung (Hept. gen. 363–1498) wird in Kapitel VI in Form eines ausführlichen Überblicks dargeboten, mit Zusammenfassung des Inhalts, kurzer Charakterisierung des Umgangs mit der biblischen Vorlage und Hinweisen zu einschlägiger Sekundärliteratur. Die doppelte Zielsetzung der Arbeit schlägt sich in ihrem Aufbau nieder, indem Kapitel II und III sich mit literaturgeschichtlichen und literaturwissenschaftlichen Fragestellungen zum HD und insbesondere zu seiner Paraphrase des Buches Genesis befassen, während Kapitel IV und V der philologischen Erschließung von Hept. gen. 1–362 gewidmet sind. 57 Eine Neukonstitution des Textes unter Einsicht der Handschriften und der Editionen vom 16. bis 19. Jh. ist eine eigene, große Aufgabe, die im Rahmen dieser Arbeit nicht angegangen wird. Hier werden lediglich für die kommentierten Verse Hept. gen. 1–362 einzelne textkritische Verbesserungsvorschläge gegeben. 58 Vgl. auch Homey 2014, 181.

2. Ziel und Anlage der Arbeit

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In Kapitel II werden einführende Informationen zu Autor und Werk zusammengestellt, wobei nach Möglichkeit eigene Erkenntnisse aus der Kommentierungsarbeit einfließen. Kapitel III präsentiert verschiedene Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung, die auf den bei der Kommentierung von Hept. gen. 1–362 gewonnenen Erkenntnissen fußen und sich auf diesen ersten wichtigen Teil von Hept. gen. konzentrieren; zugleich werden hierbei aber auch grundsätzliche Charakteristika der Arbeitsweise des HD deutlich. Den Auftakt bilden sprachlichstilistische und metrisch-prosodische Besonderheiten (III.1.), die den HD als Repräsentanten des späten bzw. christlichen Lateins erweisen59. Kapitel III.2 beschäftigt sich mit dem Verhältnis des HD zu seiner biblischen Vorlage, wobei sowohl der erzähltechnische Umgang des Dichters mit dem biblischen Bericht als auch die Art des zugrundeliegenden Bibeltextes und die Nähe des HD zum biblischen Wortlaut untersucht werden. Die Positionierung des HD zur vorausgehenden patristischen Genesisexegese ist Gegenstand von Kapitel III.3. Da es für die Datierung des HD nur zwei sichere Eckdaten gibt, nämlich das Jahr 396 und das Zeugnis Aldhelms (ca. 640–709), und stellenweiser Vulgataeinfluss lediglich für eine Entstehung nach 400 spricht, stellt sich die Frage, welche Kirchenväter mit Sicherheit als Vorgänger des HD gelten können. Um das Spätwerk des Augustinus nicht ausschließen zu müssen, wurde die zeitliche Grenze bis ca. 430 n. Chr. gezogen; ferner wurde die Auswahl aus pragmatischen Gründen auf einige besonders prominente Vertreter der Genesisexegese dieser Zeit beschränkt. Eine Grenzziehung bis etwa zum Jahr 430 n. Chr. erwies sich auch für das Kapitel III.4 als sinnvoll, in dem der Umgang des HD mit seinen poetischen Vorgängern betrachtet wird, denn so wird Paulinus von Nola († 431) noch berücksichtigt. Das Verhältnis des HD zu den Bibeldichtungen der Proba (um 360)60 und des Cl. M. Victorius († zwischen 425 und 450) wird in Kapitel III.5 behandelt. Die beiden Werke sind für die HD-Forschung zunächst unter dem Aspekt der Quellenforschung von Interesse, da sich die Frage stellt, inwieweit der HD Vergil indirekt über den Vergil-Cento der Proba rezipiert hat und ob sich anhand der wörtlichen Übereinstimmungen zwischen dem HD und der Alethia des Cl. M. Victorius ein Prioritätsverhältnis bestimmen lässt. Zum anderen lässt sich die Stellung des HD im Rahmen der Bibelepik am differenziertesten durch einen Vergleich mit anderen Darstellungen der gleichen Thematik charakterisieren, weshalb exemplarisch die Gestaltung der sieben Schöpfungstage (Gen 1–2,3) des HD mit der der Proba und des Cl. M. Victorius verglichen wird. Kapitel IV bietet Hept. gen. 1–362 nach der CSEL-Ausgabe von Peiper unter Einarbeitung seiner Addenda et corrigenda dar, wobei der Text an wenigen Stel-

59 Eine umfassende sprachwissenschaftliche Studie zum HD würde dagegen den Rahmen dieser Arbeit sprengen und ist daher nicht intendiert. 60 Zu dieser gängigen Datierung vgl. Sineri 2011, 20–21; zur Diskussion über Verfasserschaft und Datierung vgl. ebd. 20–26.

26

I. Einleitung

len anhand der Handschriften61 revidiert und durch eigene Konjekturen verändert wurde. Der textkritische Apparat wählt aus Peipers Apparat aus und zieht im Bedarfsfall zusätzliche Lesarten aus den Codices ACG, die von Peiper ignorierten Codices R und E sowie Konjekturen von Mayor 1889 heran; in einem zweiten Apparat werden die jeweils vom HD behandelten Verse der Vetus Latina der Reihe nach zitiert. Die beigegebene Prosaübersetzung zielt nicht in erster Linie auf sprachliche Eleganz, sondern auf eine möglichst getreue, nachvollziehbare und verständliche Wiedergabe des lateinischen Originals ab und soll das eigene Textverständnis dokumentieren. Die beim HD häufig vorkommenden Tempuswechsel zwischen erzählendem Präsens bzw. erzählendem Perfekt und Imperfekt werden bewusst nicht geglättet, sondern beibehalten. Der Kommentarteil (Kapitel V) ist in neun inhaltliche Großabschnitte gegliedert, die jeweils von einer zusammenfassenden Würdigung des betreffenden Abschnitts eingeleitet werden; diese befasst sich überblicksmäßig mit dem Verhältnis zur biblischen Vorlage und darstellerischen Besonderheiten und soll einerseits den Einzelkommentar entlasten, andererseits übergreifende Tendenzen sichtbar machen. Dann folgt jeweils der Kommentar, der nicht nur zu einem Verständnis der Einzelphänomene, sondern ebenso sehr zu einer Erhellung der oft komplexen und schwierigen Zusammenhänge und zu einer Textinterpretation beitragen will; daher hat es sich als sinnvoll erwiesen, ihn nicht nach Lemmata, sondern nach ganzen Versen oder ggf. längeren syntaktischen Abschnitten zu gliedern. Die philologische Kommentierung folgt dem traditionellen Prinzip der Einzelworterklärung unter Einbeziehung von Textkritik sowie stilistischen und metrisch-prosodischen Besonderheiten, stellt aber darüber hinaus den Text des HD in ausgewählte literarische und theologische Kontexte62. Die Kommentierungsdichte und -tiefe, die sich bei diesem Vorgehen ergibt, ist notwendig, um ein Fundament für den systematischen Untersuchungsteil (vgl. Kapitel III) zu schaffen, soll und kann aber keineswegs als Muster für eine Gesamtkommentierung von Hept. gen. oder anderer Bücher der Heptateuchdichtung überhaupt dienen. Wenn neben der patristischen Exegese immer wieder auch ein Blick auf die moderne Genesisexegese geworfen wird, die für das Verständnis des HD selbstverständlich nicht maßgeblich ist, geschieht dies aus der Überzeugung heraus, dass, wie Kreuz 2006 es unter Bezugnahme auf O’Loughlin formuliert, „gerade die starke Verschiedenheit in der Praxis der Bibelexegese zwischen der Spätantike und dem zwanzigsten (und einundzwanzigsten) Jahrhundert den Blick für die jeweiligen Eigentümlichkeiten schärf[t]63. Obwohl die Arbeit bewusst theologische Kontexte einbezieht, da sie sich davon einen erhöhten Erkenntnisgewinn verspricht, versteht sie sich doch als

61 Die für den kommentierten Bereich relevanten Handschriften ACGRE standen mir in Form von Digitalisaten zur Verfügung. 62 Ein vollständiger theologischer Kommentar des HD-Textes kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden, ebensowenig eine vollständige Charakterisierung des HD im Rahmen seines Genres. 63 Vgl. Kreuz 2006, 93.

3. Hinweise zur Benutzung und zu den Abkürzungen

27

dezidiert philologische Arbeit, die nicht mit den Methoden der Theologie, sondern mit den Methoden der klassischen Philologie, insbesondere denen der Textinterpretation, operiert. 3. HINWEISE ZUR BENUTZUNG UND ZU DEN ABKÜRZUNGEN – –







Der Heptateuchdichter („Cyprianus Gallus“) wird durchgehend mit „HD“ abgekürzt. Autoren und Werke der lateinischen Literatur sind gemäß dem ThlL abgekürzt; Ausnahmen sind Hept. gen., exod. etc. (statt Cypr. Gall. gen., exod. etc.). Zitiert wird nach den maßgeblichen Textausgaben, die im Indexband des ThlL (editio altera, 5. Aufl. 1990) verzeichnet sind64; sind dort mehrere maßgebliche Ausgaben genannt, wird grundsätzlich die neueste herangezogen. In Abweichung von diesem Grundsatz wurden folgende Editionen benutzt: Für Aetna Clausen u.a. 1966, für Aug. gen. c. Manich. Weber 1998, für Auson. Prete 1978, für Hil. in psalm. 118 Zingerle 1891, für Ps. Hil. gen. und evang. Kreuz 2006, für Lact. Phoen. Brandt 1893, für Ov. am. Kenney 1961, für Plin. nat. Ianus/Mayhoff 1892ff, für Sen. clem. Hosius 1914, für Verg. Aen. Conte 2009.65 Zitate aus der Anthologia Latina folgen nach Möglichkeit Shackleton Bailey 1982 („Sh.B.“), wenn die betreffenden Texte dort nicht enthalten sind, Riese I 1894 („R.“); Enn. ann. wird zitiert nach Skutsch 1985 („Sk.“), Enn. trag. nach Ribbeck 1897 („R.“), jeweils unter Angabe der Nummerierung Vahlens in Klammern („V.“)66. Die vom HD behandelten Genesisverse werden nach dem Buch Genesis der Beuroner Vetus-Latina-Edition von Bonifatius Fischer (vgl. Fischer 1951) zitiert, wobei die Nachträge am Ende des Bandes berücksichtigt wurden; bei längeren Bezeugungslücken der Vetus Latina (Vet. Lat.) ist die Septuaginta (LXX) angegeben. Bei der Vet. Lat. wird jeweils die Textform gemäß Fischer in runden Klammern genannt, z. B. (I); Varianten erscheinen hinter dem betreffenden Wort bzw. den betreffenden Wörtern in runden Klammern, ebenso Zusätze, die wie bei Fischer durch ein „+“Zeichen markiert sind. Wenn von Fischer für einen Bibelvers mehrere Textformen untereinander angegeben werden, werden diese nacheinander zitiert und mit einem doppelten Schrägstrich voneinander abgesetzt, etwa „(C) ... // (I) ... “. Die Vetus Latina anderer biblischer Bücher wird nach Möglichkeit nach der Beuroner Edition zitiert (vgl. Vetus Latina 1949ff), ebenfalls unter An-

64 Im Gegensatz zu den mit „cf.“ gekennzeichneten neueren Ausgaben, deren Wert der ThlL weniger hoch veranschlagt als den der Vorgängereditionen. 65 Vgl. zu diesen Ausgaben das Literaturverzeichnis. 66 Zu diesen Ausgaben vgl. den Indexband des ThlL (editio altera, 5. Aufl. 1990), 12 bzw. 82.

28

I. Einleitung







gabe der jeweiligen Textform in runden Klammern, ansonsten nach Sabatier bzw. Jülicher; von diesem wird, wenn nicht anders vermerkt, jeweils die obere Hauptzeile zitiert. Vulgatazitate folgen der Ausgabe von Weber/Gryson 1994, LXX-Zitate der Göttinger Ausgabe von Wevers 197467. Werden Bibelverse nicht nach einer bestimmten Fassung (Vet. Lat., LXX, Vulg.) zitiert, sondern nur numerisch genannt, werden die Abkürzungen der biblischen Bücher nach den Loccumer Richtlinien verwendet. Die biblischen Eigennamen folgen in der gesamten Arbeit konsequent der Septuaginta deutsch 2010, mit Ausnahme des Wortes Eden68. Wenn Eigennamen beim HD sehr deutlich von diesem Wortlaut abweichen, werden diese in der Übersetzung gemäß der Schreibung des HD wiedergegeben und in Klammern die jeweilige Namensform gemäß der Septuaginta deutsch ergänzt; in Kapitel VI, dem Überblick über Hept. gen. 363–1498, wird ggf. in den Fußnoten auf stark abweichende Namensformen beim HD hingewiesen. Die im Literaturverzeichnis aufgeführte Literatur wird mit den dort angegebenen Abkürzungen bzw. Kurztiteln zitiert, alle übrige Literatur ist am jeweiligen Ort mit voller bibliographischer Angabe genannt.

67 Zu den genannten Bibelausgaben vgl. das Literaturverzeichnis. 68 Septuaginta deutsch 2010: „Edem“.

toch berlifungs-dE 3.Ü

45

II. DICHTER UND WERK 1. AUTOR, LOKALISIERUNG UND DATIERUNG An der Frage nach dem Namen des HD und seinem persönlichen Hintergrund, seiner Herkunft und der Datierung seines Werkes hat sich die Forschung seit dem 19. Jahrhundert abgearbeitet, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu gelangen, und auch in der 1560 einsetzenden Editionsgeschichte sind die unterschiedlichsten, inzwischen meist widerlegten Vermutungen geäußert worden1. Das vorliegende Kapitel verfolgt das Ziel, zu den genannten vier Aspekten den aktuellen Forschungsstand zusammenzufassen, welcher im Wesentlichen durch die einschlägigen Aufsätze von Petringa (L’attribuzione) 2007 und Pollmann 1992 repräsentiert wird und durch eigene Beobachtungen ergänzt werden soll. Name und persönlicher Hintergrund Der Name Cyprianus Gallus, der von Rudolf Peiper in seiner 1891 erschienenen Textausgabe geprägt wurde2 und dessen konventionell gewordener Gebrauch sich auch noch in neueren und neuesten Lexika und Handbüchern findet3, gründet sich in seinem ersten Bestandteil auf die Zuschreibung der Heptateuchdichtung an einen Cyprian bzw. an St. Cyprian in einem Teil der handschriftlichen Überlieferung4. Auch in den Handschriftenkatalogen der Klosterbibliotheken von St. Riquier (831) und St. Nazarius in Lorsch (10. Jh.), welche heute verlorengegangene Codices beschreiben, wird die Dichtung mit dem Namen Cyprian in Verbindung gebracht5. Grundsätzlich scheinen die folgenden Möglichkeiten denkbar:

1

2 3

4

5

Vgl. das Kapitel II.3. Die Heptateuchdichtung wurde in unterschiedlichem Umfang unter den echten oder ggf. unechten Werken des Cyprian von Karthago, Juvencus, Avitus, Tertullian und sogar Salvian gedruckt. Vgl. Peiper 1891, I. Vgl. etwa Dekkers 1995, Nr. 1423 („Cyprianus Gallus“) und Moreschini/Norelli 2007, 499 („Cyprian von Gallien“); gelegentlich wird der Bestandteil „Gallus“ durch „poeta“/„Dichter“ ersetzt, vgl. etwa Nazzaro (Cipriano) 2006, 1034 („Cipriano il poeta“) und Nazarro 2014, 644 („Cyprian, poet“). Es handelt sich um Codex A (Index [liber Geneseos metricus Cypriani] sowie incipit und explicit des Buches Genesis [jeweils Cipriani]), Codex R (Index [sancti Cypriani liber Geneseos metricus] und incipit des Buches Genesis [Cipriani]) und Codex G (Eintrag von zweiter Hand im Index [Historia Genesis Iuvenci aut sane Cypriani] und das nur noch teilweise lesbare incipit des Buches Genesis von späterer Hand [S. Cyprian ...]). Vgl. hierzu Petringa (L’attribuzione) 2007, 166, Petringa 2011, 288 Anm. 3, 289 Anm. 7 und 297 Anm. 55 sowie Peiper 1891, 1. Vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 167.

30

II. Dichter und Werk

1. Der Dichter hieß tatsächlich Cyprianus und dieser Name ist nur in einem Teil der handschriftlichen Überlieferung erhalten geblieben. Aufgrund der Häufigkeit des Namens6 ist es nicht sinnvoll, den ansonsten nicht bekannten Dichter mit einem bestimmten Träger dieses Namens zu identifizieren, etwa mit dem Schüler des Caesarius von Arles und späteren Bischof von Toulon († 546)7 oder mit dem gleichnamigen Presbyter und Adressaten von Hieronymus’ 140. Brief (ca. 418)8, was sich noch in der neueren Literatur spiegelt9. Dass der im 3. Jh. lebende karthagische Kirchenvater und Märtyrer Cyprian nicht der Verfasser sein kann, gilt als sicher, da von ihm keine poetische Tätigkeit bezeugt ist10. 2. Das Werk wurde ganz bewusst von Anfang an unter dem Namen Cyprian veröffentlicht, um es an den Kreis der unter diesem Namen laufenden Dichtungen anzuschließen, wozu etwa die Cena Cypriani gehört11, oder um es mit dem Namen des renommierten, unumstrittenen Kirchenvaters und Märtyrers zu verbinden12. 3. Der Dichter blieb von Anfang an anonym oder sein Name geriet bald nach seinem Tod in Vergessenheit; dies könnte durch das vollständige Fehlen einer Autorenzuschreibung in der Handschrift C erhärtet werden13. Auch die frühesten Zeugen der Sekundärüberlieferung, Aldhelm, Beda und Alkuin, zitieren den HD ohne Namensnennung14. Um das Überleben der Dichtung zu sichern, wurde sie (St.) Cyprian zugeschrieben, unter dessen Namen schließlich auch andere anonyme Dichtungen laufen, die sich mit alttestamentlichen Themen befassen15. Herzog 1975 und ihm folgend Roberts 1985 vermuten in der Zuschreibung der Heptateuchdichtung an Cyprian (von Karthago) einen Prozess der Pseudepigraphie, der 6 7 8

9 10 11

12

13 14 15

So weist Pollmann 1992, 491 Anm. 7 darauf hin, dass allein in Afrika im Zeitraum zwischen 303 und 533 zwölf Cypriani belegt sind, die oft geistliche Ämter bekleideten. Vgl. Peiper 1883, LXIII. Vgl. Brewer 1904, 94–97. Gegen diese Identifizierung spricht sich bereits Hass 1912, 11 aus; kritisch dazu auch Schanz 1914, 213, Pollmann 1992, 491 Anm. 7 und Ciarlo 2008, 728 Anm. 5. Vgl. etwa Hamm 2002, 168, Kannengiesser 2006, 1025 und Nazzaro (Cipriano) 2006, 1034 („con ogni probabilità“). Vgl. Pollmann 1992, 492. Zur Identifizierung des HD mit dem Verfasser der Cena Cypriani vgl. etwa Brewer 1904, 97– 115, der dem HD auch die unter dem Namen Cyprian überlieferten Dichtungen Carmen ad Senatorem, De Sodoma und De Iona zuschreibt (109). Noch Krestan 1957, 478–479 behandelt die Cena und die anderen Werke unter den „Dubia“ des HD. Die Identität des HD mit dem Verfasser der Cena ist in der neueren Forschung bestritten worden (vgl. Modesto 1992, 81), die anderen Werke gelten heute als anonym (vgl. Pollmann 2002, 279). Zum Phänomen der Pseudepigraphie vgl. etwa M. Janßen, Unter falschem Namen. Eine kritische Forschungsbilanz frühchristlicher Pseudepigraphie, Arbeiten zur Religion und Geschichte des Urchristentums 14, Frankfurt am Main u.a. 2003. Dort findet sich lediglich eine Zuschreibung an Aldhelm von neuerer Hand, vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 166. Vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 178. Vgl. etwa die Cena Cypriani, De Sodoma und De Iona. So nennt der Index von Codex A neben der Cyprian zugeschriebenen Genesisdichtung auch das Cyprian zugeschriebene Gedicht De Sodoma, siehe S. 46 Anm. 126 sowie Petringa (L’attribuzione) 2007, 177.

1. Autor, Lokalisierung und Datierung

31

in frühkarolingischer Zeit stattgefunden habe und das vom Kanon ignorierte, anonym gewordene Werk mit dem berühmten vorambrosianischen Prosaschriftsteller verbunden habe16. Nach Herzog zeigt sich dieser Prozess besonders deutlich in Codex A, in dem der alttestamentliche, aus Ambrosius, Hieronymus, Augustinus, Gregor, Isidor u.a. exzerpierte Prosakommentar des Wigbod mit der Heptateuchdichtung und anderen Bibeldichtungen verschränkt ist: Hier „substituiert sich [die Bibelepik] als eine Art sekundärer Kommentar der fehlenden alttestamentlichen Exegese der vorambrosianischen Kirchenväter“ und werden die Leerstellen der anonymen Bibeldichter mit den Namen Cyprian und Hilarius gefüllt17. Insgesamt scheinen sich die Indizien auf die dritte Möglichkeit zu verdichten, d.h. es handelt sich bei dem Namen Cyprian um ein Phänomen der Pseudepigraphie, und zwar nicht um ein zeitgenössisches, sondern um ein in karolingischer Zeit eingetretenes Phänomen. Um Fehlassoziationen mit dem Kirchenvater von Karthago und mit den sog. pseudo-cyprianeischen Werken zu vermeiden, ist es zweckmäßig, den Begriff „Heptateuchdichter“18 zu verwenden. Im Index des Codex G wird die Dichtung ursprünglich Juvencus zugeschrieben, außerdem erwähnt der Handschriftenkatalog von de Montfaucon (1739) eine Handschrift aus dem 10. Jh., welche carmina Juvenci in vetus testamentum enthält19. Dass Juvencus „aufgrund der wesentlich korrekteren Handhabung der quantitierenden Prosodie in seinem Werk ‚Evangelica‘ sowie stilistischer Diskrepanzen“ nicht der Verfasser der Heptateuchdichtung ist, kann als sicher gelten20. Zunächst ist auch bei dem Namen des kanonischen Bibelepikers21 an einen intentionalen Akt sekundärer Pseudepigraphie zu denken, doch es kommt hinzu, dass sich in der Sammelhandschrift G die thematisch ähnlichen, fälschlich Juvencus zugeschriebenen Metri de Veteri Testamento befinden, so dass die anonyme Genesis des Heptateuchdichters unter dem Einfluss dieses Irrtums ihre irrtümliche Zuschreibung erhalten haben könnte22. Schließlich wird die Heptateuchdichtung unter dem Namen des Alcimus Avitus tradiert, zwar nicht in der handschriftlichen Überlieferung, wohl aber im Opus prosodiacum des Mico von St. Riquier (825–853), der sämtliche von ihm exzerpierten Dichterverse am Rand mit Namen versieht und die meisten Heptateuch16 Vgl. Herzog 1975, XXV–XXXII und Roberts 1985, 93. 17 Vgl. Herzog 1975, XXXI. Der offenbar aus mehreren Vorlagen zusammengeschriebene Codex R enthält in seinem mittleren Teil den Beginn des in A überlieferten Bibelepik-Corpus (vgl. S. 47), so dass er von dort möglicherweise auch den Namen Cyprian übernommen hat. Die Zuschreibung an Cyprian von zweiter Hand im Index von Codex G könnte darauf zurückzuführen sein, dass in dieser Handschrift eine ganze Reihe weiterer (pseudo-)cyprianeischer Werke enthalten ist, vgl. S. 48 Anm. 141 sowie Petringa 2007 (L’attribuzione) 2007, 178. 18 Vgl. auch Pollmann 1992, Homey 2009 und 2014 sowie Jakobi 2010. 19 Vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 172. 20 Vgl. Pollmann 1992, 491. 21 Zum früh entstandenen Kanon der lateinischen Bibeldichtungen der Spätantike vgl. Herzog 1975, XIX–XXIII. 22 Vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 177–178; bei den Metri handelt es sich in Wirklichkeit um Sedulius’ Carmen Paschale.

32

II. Dichter und Werk

verse Avitus zuschreibt23, sowie in den Handschriftenkatalogen der Klosterbibliotheken von Bobbio (10. Jh.)24 und Cluny (1158–1161)25. Mit seiner intentionalen Zuschreibung der HD-Zitate an den kanonischen Bibeldichter Avitus verfolgte Mico offenbar das Ziel, die Anonymität der Verse durch einen Namen zu beseitigen, der ihm als „Inbegri[ff] alttestamentlicher Epik“ galt26. Der persönliche Hintergrund des Autors lässt sich mangels biographischer Notizen und poetologischer Selbstaussagen27 bestenfalls aus werkimmanenten Beobachtungen erschließen. Dass seine breite Kenntnis der heidnisch-antiken und der ihm vorausgehenden christlichen Dichtung für eine fundierte literarische Bildung spricht, dürfte kaum anzuzweifeln sein. Ferner ist Herzogs Beobachtung plausibel, dass die Präsenz verballhornter griechischer Eigennamen dafür spricht, dass der HD mangels Griechischkenntnissen nicht auf die LXX zurückgriff, sondern auf einen Vetus-Latina-Text, der die betreffenden Namen entweder selbst falsch übersetzte oder den der HD aufgrund seiner mangelnden Kenntnisse durch Fehler entstellte28. Mangelnde Geographiekenntnisse zeigen sich gelegentlich, wenn der HD von der Bibel abweichende geographische Vorstellungen in seinen Text einbringt29, doch begegnet dieses Phänomen auch bei anderen zeitgenössischen Dichtern30. Fraglich ist auch, ob das Vorherrschen der Literalexegese und die weitgehende Abwesenheit allegorischer bzw. typologischer Schriftauslegung darauf hindeuten, dass der HD kein Geistlicher, sondern ein Laie und Rhetor aus christlicher Familie gewesen sei31, da bei der Art der eingesetzten Exegese auch das uns nicht bekannte Zielpublikum zu berücksichtigen ist. Dass der HD, wie Fontaine vermutet, ein im Westen lebender Jude gewesen sein könnte, der den Christen nicht das Monopol der Epik überlassen wollte32, ist geradezu widersin-

23 Vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 168. 24 Librum I in veteri testamento conscriptum metrice, in quo continentur libri Alchimi et Catonis (zit. nach Becker 1885, 69 Nr. 409). 25 Volumen in quo continetur Alchimus episcopus in eptateucum versifice, et in libros Regum, Paralipomenon, Hester, Iudith, Machabeorum (zit. nach Delisle 1874, 479–480 Nr. 537). 26 Vgl. Herzog 1975, 55. Zu bedenken ist hier auch, dass, wie Speyer 1999, 707 anmerkt, im Rahmen der handschriftlichen Überlieferung in Antike und Mittelalter „[d]er tatsächl[iche] od[er] angebl[iche] Urheber od[er] Protagonist einer literar[ischen] Gattung [...] immer wieder herrenloses Gut an[zog] (gleichsam ein horror vacui).“ Gegen eine Autorschaft des Avitus spricht sich bereits Müller (Hieronymus) 1866, 270 aufgrund von dessen korrekterem Sprachgebrauch aus; Gamber 1899, 5 nennt stilistische Differenzen und die thematische Doppelung im Vergleich zu De spiritalis historiae gestis als Argumente gegen die Verfasserschaft des Avitus. 27 Die Bemerkungen zur Beschränkung der Ausdrucksfreiheit durch das Versmaß in Hept. exod. 1082–1086 und lev. 34 sind unpersönlich und konventionell; auch eine Praefatio oder ein Widmungsbrief fehlen. 28 Vgl. Herzog 1975, 110 mit Beispielen. 29 Vgl. Herzog 1975, 110–111. 30 Vgl. Becker 1889, 45–46. 31 Vgl. Nazzaro (Cipriano) 2006, 1035. 32 Vgl. Fontaine 1981, 247.

1. Autor, Lokalisierung und Datierung

33

nig, da sich innerhalb der Heptateuchdichtung wenige, aber deutliche Hinweise auf die christliche Sozialisierung des HD finden33. Herkunft Auch die Herkunft des Dichters ist bis heute nicht geklärt. Peipers kanonisch gewordene Vorstellung von einem in Gallien tätigen Dichter Cyprian – daher der zweite Namensbestandteil Gallus – beruhte auf der Herkunft der Handschriften ABGR und sprachlichen Gesichtspunkten, die Becker gesammelt hatte34; ferner wurde versucht, die gallische Herkunft durch einen sprachlichen Vergleich mit den damals bekannten Vetus-Latina-Handschriften zu erweisen35. Die Bestimmung der Herkunft des vom HD verwendeten Vetus-Latina-Textes ist nach Roberts 1985 tatsächlich das vielversprechendste Kriterium für eine Lokalisierung des Dichters und er kommt, ausgehend von den Ergebnissen von Hass 1912, zu der Erkenntnis, dass die biblische Vorlage des HD den Vetus-Latina-Textformen S und I nach der Beuroner Edition am nächsten stehe, welche zusammen den europäischen Text bilden. Die Tatsache, dass S zunächst in Spanien und dann in Südgallien und Oberitalien vertreten war und I in Italien geläufig war, weise auf Südgallien oder Oberitalien als Ursprungsort der Heptateuchdichtung hin36. Dass der HD eher einen europäischen als einen afrikanischen Vetus-Latina-Text benutzte, kann durch die Untersuchungen in Kapitel III.2.c bestätigt werden37, wobei aber zu bedenken ist, dass die Begriffe „europäisch“ und „afrikanisch“ die betreffenden Bibeltexte nur bedingt nach Herkunft und Verbreitung charakterisieren und nicht ausschließen, dass diese Texte auch in anderen Gegenden verwendet wurden38. Auch muss die Verbreitungsgegend der vom HD verwendeten Bibelübersetzung nicht zwangsläufig mit der Herkunftsgegend des Dichters oder auch mit dem Entstehungsort der Dichtung übereinstimmen.

33 Vgl. das trinitarische Verständnis in Hept. gen. 611 und 634 sowie den Namen Christus für deus in Hept. exod. 413 und num. 106. Gegen Fontaine und für einen christlichen Autor argumentiert auch Davila 2005, 104–109. 34 Vgl. Peiper 1891, XXIV und Becker 1889, 18–27 (sprachlich-stilistische Ähnlichkeiten zwischen dem HD und gallischen Autoren, insbesondere Paulinus Petricordiae und Cl. M. Victorius). Berechtigte Zweifel an Beckers Untersuchungen äußerten Cornu 1904 und Hass 1912, 6. 35 Becker 1889, 36 (aus der Nähe der vom HD verwendeten Vetus-Latina-Fassung zu der des Ambrosius, der aus Gallien stammte, und der des Hieronymus, der Gallien durchwanderte, wird auf den gallischen Ursprung der Heptateuchdichtung geschlossen), Hass 1912, 36–40 (die vom HD verwendete Bibelfassung sowie die altlateinischen Bibelhandschriften Codex Lugdunensis und Wirceburgensis gehen auf eine, in Gallien entstandene Übersetzung zurück). 36 Vgl. Roberts 1985, 93–94. 37 Siehe S. 73–74. 38 Vgl. Fischer 1951, 15*.

34

II. Dichter und Werk

Datierung Einzig für die Datierung existieren wenige gesicherte Eckdaten, die sich der Quellenforschung bzw. der Sekundärüberlieferung verdanken: Als sicherer terminus post quem gilt das Jahr 396, da der HD in Hept. exod. 474–476 die Verse 96–98 von Claudians Panegyricus anlässlich des 3. Konsulats des Honorius imitiert39; der umgekehrte Weg, also eine Imitation des HD durch Claudian, ist dagegen unwahrscheinlich40. Der einzige sichere Anhaltspunkt für einen terminus ante quem ist bislang das Zeugnis des Aldhelm (ca. 640–709), der Verse des HD in seinem Werk De metris et aenigmatibus ac pedum regulis zitiert41. Damit ergibt sich für die Entstehung der Heptateuchdichtung der Zeitraum zwischen dem Ende des 4. und dem 7. Jh. n. Chr. An Versuchen, die Entstehungszeit der Heptateuchdichtung enger zu fassen, fehlt es nicht, doch auch hier lässt sich eine letzte Sicherheit nicht gewinnen42. In den letzten Jahrzehnten sind folgende Methoden zum Einsatz gekommen: 1. Unter Rückgriff auf den Ansatz der Quellenforschung wurde seit dem 19. Jahrhundert versucht, die Priorität des HD gegenüber der Genesisdichtung Alethia des massilischen Rhetors Cl. M. Victorius zu erweisen, welcher Gennadius (vir. ill. 60) zufolge unter der Regierung von Theodosius II. und Valentinian III., also zwischen 425 und 450, starb43. Dieses Prioritätsverhältnis, das zur Datierung der Heptateuchdichtung auf den Beginn bzw. in die erste Hälfte des 5. Jh.s führte, wurde mit Peipers Textausgabe von 1891 kanonisch44; es fehlte aber auch nicht an gegenteiligen Behauptungen, wonach der HD der Nachahmer des Cl. M. Victorius 39 Vgl. Pollmann 1992, 492 und Petringa (L’attribuzione) 2007, 179. Die Passagen lauten: Claud. 7,96–98: o nimium dilecte deo, cui fundit ab antris Aeolus armatas hiemes, cui militat aether et coniurati veniunt ad classica venti. Hept. exod. 474–476: o nimium felix, celsis cui misit ab astris munimenta deus, candens cui militat aether et coniuratae veniunt ad proelia noctes! 40 Vgl. Pollmann 1992, 492–493 Anm. 12. Als Argumente führt Pollmann das geringere technische Können des HD an, der gerne auf Vorlagen zurückgegriffen und dadurch eine bei Claudian nicht zu findende Inhomogenität seines Stilniveaus erzeugt habe, ferner die Tatsache, dass Claudians Panegyricus schnell sehr bekannt wurde und V. 96a, 97b und 98 auch in Aug. civ. 5,26 und Oros. 7,35,21 zitiert werden, wodurch der HD möglicherweise die entscheidende Anregung erhielt. Schließlich spricht der Vulgata-Einfluss im Text des HD für eine Entstehung nach 400, also nach dem Abschluss der Heptateuch-Übertragung durch Hieronymus, womit die Heptateuchdichtung nach Claudians Panegyricus anzusetzen ist. 41 Vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 181; zu Aldhelm als Zeuge der Sekundärüberlieferung des HD siehe S. 51. 42 Vgl. zuletzt Homey 2014, 181, der zutreffend feststellt, dass sich die Entstehungszeit der Heptateuchdichtung „trotz mancher Klärungsversuche noch immer nur vage angeben lässt“. 43 Vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 179. 44 Vgl. Peiper 1891, XXV–XXVI sowie die Datierung des HD in etlichen neueren Darstellungen, z. B. Roberts 1998 („wahrscheinlich [...] im frühen 5. Jd.“), Hamm 2002, 168 („wohl zu Beginn der 5. Jh.“), Ciarlo 2008, 727 („probabilmente tra la fine del IV secolo e il primo quarto del V“), Homey 2009, 150 („vermutlich in der 1. Hälfte des 5. Jh.s n. Chr.“).

1. Autor, Lokalisierung und Datierung

35

sein soll. Nachdem Pollmann 1992 durch eine Sichtung des in der Forschung gesammelten Parallelenmaterials zu dem negativen Ergebnis gekommen war, „daß sich in den meisten Fällen gar keine eindeutige Abhängigkeit nachweisen läßt“ und dass „[d]ie verbleibenden Stellen, bei denen man eventuell mit einer Beeinflussung rechnen muß, [...] aufgrund ihrer zu schmalen Basis der Übereinstimmung ebenfalls keine Festlegung der Priorität [erlauben]“45, griff Jakobi 2010 die Problematik erneut auf. In seinem Aufsatz untersucht er einige Partien der Heptateuchdichtung im Vergleich zu den entsprechenden Stellen in der Alethia mittels der Methodik der Prioritätsbestimmung nach Axelson und kommt zu dem Ergebnis, dass „Victors Werk [...] der Praetext des Heptateuchdichters [ist]“46. Die Auseinandersetzung mit Jakobis Ansatz in Kapitel III.5.c47 hat ergeben, dass dessen Überlegungen nicht gänzlich überzeugen können, da in keinem der von ihm untersuchten Fälle die Fassung der HD genetisch zwingend die Parallelfassung der Alethia voraussetzt. Allerdings spricht die Vielzahl der offensichtlichen Parallelen zwischen den beiden Dichtern48 für eine zeitliche Nähe. Auch die wörtlichen Parallelen zwischen Alcimus Avitus’ Werk De spiritalis historiae gestis (zwischen 497 und 50049) und dem HD wurden und werden für die Prioritätsbestimmung herangezogen. So weisen nach Arweiler 1999 die vielen von ihm identifizierten Parallelen „klar auf die Priorität des anonymen Heptateuchdichters hin, dessen Schaffenszeit damit auf den Zeitraum zwischen 425 und ca. 500 n. Chr. eingegrenzt werden kann“50. Auch hier ist meiner Ansicht nach noch kein zwingender und durchschlagender Prioritätsbeweis gelungen51, wenngleich die Deutlichkeit der Parallelen52 wie im Falle der Alethia für eine zeitliche Nähe spricht. 45 46 47 48 49 50

Vgl. Pollmann 1992, 499. Vgl. Jakobi 2010, 129. Siehe S. 119–121. Vgl. die Übersicht S. 122–123. Vgl. Hecquet-Noti 1999, 33. Vgl. Arweiler 1999, 222. Bereits Hass 1912, 6 und 40 nahm die Priorität des HD vor Avitus an. 51 Beispielsweise zitiert Arweiler 1999, 223 die Parallelstellen Hept. gen. 322 (ergo ubi nudatis consedit montibus arca) und Alc. Avit. carm. 4,539–540 (Armeniae celsis instabat montibus arca / Et nondum nudis fundo consedit in arvis) und stellt fest, dass Avitus „deutlich das sprachliche Material der Vorlage auf[nehme] und […] es für seine Aussage um[forme]“. Bei der Landung der Arche im Gebirge (vgl. Gen 8,4) habe Avitus „das Detail hinzugefügt, daß die Erdoberfläche noch nicht befreit ist und die Arche nur mit dem Schiffsboden auf Grund stößt“. Dabei erwägt er nicht die umgekehrte Möglichkeit, dass der HD die beiden AvitusVerse verschmolzen haben könnte. Ferner ist zu bedenken, dass die Arche bei Avitus der Bibel gemäß während des Sinkens der Flut auf dem Gipfel des Ararat aufsitzt und das Wasser weiterhin sinkt, während dem HD zufolge die Erdoberfläche bereits trocken ist und die Arche, so muss man schließen, am Fuße des Ararat zur Ruhe kommt. Vgl. auch den Kommentar zu Hept. gen. 322. 52 Im kommentierten Bereich Hept. gen. 1–362 sind dies insbesondere Hept. gen. 120 nam tibi triticeae surget pro germine messis ~ Alc. Avit. carm. 3,165 Nam pro triticeo lolium consurgere fructu, Hept. gen. 293–294a nec minus interea tumidum suspensa per aequor / arca fluens […] ~ Alc. Avit. carm. 4,503 Commovitque cavam suspendens undique molem [scil. un-

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II. Dichter und Werk

2. Bei dem Versuch, durch einen Similienvergleich die Priorität des HD vor Cl. M. Victorius zu erweisen, kamen auch die Kriterien „‚sklavische Versifizierung‘ beim Heptateuchdichter gegen ‚freie Bibelexegese‘ in der Alethia oder ‚klassizistische Metrik und Prosodie‘ bei Victor versus ‚metrische und prosodische Freiheiten‘ bei dem Heptateuchdichter“ zum Einsatz, die aber mit Recht verworfen wurden53. Dass der HD sich überwiegend auf die Literalexegese seiner biblischen Vorlage beschränkt, während Cl. M. Victorius gelehrte Exkurse einflicht und sich häufig der typologischen und allegorischen Bibelexegese bedient, muss nicht bedeuten, dass der HD ein früheres Stadium in der Entwicklung der alttestamentlichen Bibeldichtung repräsentiert; er kann auch einfach weniger Erfahrung mit nicht-literalen Exegesemethoden gehabt oder eine andere Zielsetzung verfolgt haben als Cl. M. Victorius54. Die Tatsache, dass sich beim HD mehr prosodische Lizenzen finden als in der Alethia, veranlasste Petschenig 1891 zu einer Einordnung des HD nach der Alethia55, doch dieses Phänomen stellt nach Pollmann „kein Kriterium für die zeitliche Einordnung eines Autors dar, weil unterschiedlich streng quantitierende Versifikationen zeitlich nebeneinander in der Spätantike vorkamen“; dies sage „weniger über die Entstehungszeit eines Gedichtes als über den Bildungsstand eines Dichters aus“ 56. 3. Einen religionsgeschichtlichen Ansatz bringt Pollmann 1992 vor, indem sie darauf hinweist, dass in Hept. gen. 634 die zwei Männer, die Lot in Sodom besuchen (vgl. Gen 19), mit zwei Personen der Dreifaltigkeit identifiziert werden, nämlich mit Natus et Altor. Dieses trinitarische Verständnis der Bibelstelle finde sich zum ersten Mal bei Augustinus, in serm. 7,6 (397 oder später), in trin. 2,12,22 (397 bis nach 420) und c. Maximin. 2,25,7 (427/428), so dass sich als neuer Anhaltspunkt für den terminus post quem der Heptateuchdichtung der Zeitraum zwischen 397 und 428 ergibt57. Problematisch an diesem Ansatz ist, wie Petringa (L’attribuzione) 2007 herausstellt58, dass der HD die trinitarische Auslegung von Gen 19 nicht unbedingt von Augustinus entlehnt haben muss und dass der neue terminus post quem durch die Spanne von dreißig Jahren recht ungenau ist, wobei das Jahr 397 mit dem bisherigen terminus post quem, dem Jahr 396, quasi zusammenfällt. 4. Studien zu der vom HD verwendeten lateinischen Bibelübersetzung59 haben ergeben, dass der HD einer vorhieronymianischen Vetus-Latina-Fassung

53 54 55 56

57 58 59

da crescens], Hept. gen. 303 post hunc albentem mittit per stagna columbam ~ Alc. Avit. carm. 4,579 Protenus albentem mittit de sede columbam und Hept. gen. 322 ~ Alc. Avit. carm. 4,539–540 (s.o. Anm. 51); vgl. jeweils den Kommentar. Vgl. Jakobi 2010, 124; Hervorhebung in Fettdruck von mir, H.S. Vgl. Roberts 1985, 95 Anm. 132. Vgl. Petschenig 1891, 780. Vgl. Pollmann 1992, 493 Anm. 15. Pollmann verweist hier auf ihre Darstellung zu Metrik, Prosodie und Stil des Carmen adversus Marcionitas, vgl. dies., Das Carmen adversus Marcionitas, Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar, Göttingen 1991, 22–23. Vgl. Pollmann 1992, 500–501. Vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 180. Zu dieser Thematik vgl. Kapitel III.2.c.

1. Autor, Lokalisierung und Datierung

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folgt, die bereits mit der Vulgata kontaminiert ist, wenn auch nur an wenigen Stellen. Dieser gelegentliche Vulgata-Einfluss weist auf eine Entstehung nach 400 hin, da Hieronymus seine Pentateuchübertragung nach 400 vollendete60. Eine genauere Datierung ist dadurch aber nicht zu gewinnen, da die Vetus Latina, der der HD vorrangig folgt, noch lange nach der Entstehung der Vulgata in Gebrauch war61. 5. Mit Blick auf die Entwicklung der Gattung Bibelepik kommt Petringa (L’ attribuzione) 2007 zu der plausiblen Erkenntnis, dass sich die Heptateuchdichtung „pleno iure“ in das kulturelle Klima des 4.–6. Jh.s einfügt, in welchem eine Blütezeit der alt- und neutestamentlichen Bibelparaphrase zu verzeichnen ist, und daher wohl nicht lange nach Ende des 5. Jh.s entstanden sein dürfte62. Andere Datierungsansätze, wie sie etwa Thraede 1957 in seinen „Beiträgen zur Datierung Commodians“ vorstellt, dürften für die Heptateuchdichtung kaum ergiebig sein, insbesondere der zeitgeschichtliche Ansatz, da Anspielungen auf zeitgenössische historische Ereignisse fehlen63. Zusammenfassend gesehen lassen der Vulgata-Einfluss einerseits und die deutlichen Parallelen zu Avitus andererseits eine Entstehung der Heptateuchdichtung zwischem dem frühen 5. und dem frühen 6. Jh. n. Chr. plausibel erscheinen. Die sicher anzunehmende Imitation des Claudian-Panegyricus von 396 sowie die Rezeption des Centos der Proba (um 360)64 und die gedankliche und sprachliche Nähe zu exegetischen Schriften des Ambrosius († 397), welche im Rahmen der vorliegenden Arbeit nachgewiesen werden konnten65, sprechen ferner dafür, die Heptateuchdichtung zeitlich nicht zu weit von diesen Vorgängern abzurücken. Zieht man dann noch die intensiven Beziehungen zwischen dem HD und der Alethia des Cl. M. Victorius in Betracht, so verdichten sich die Indizien auf die erste Hälfte des 5. Jh.s n. Chr.

60 61 62 63

Vgl. Pollmann 1992, 498. Vgl. Roberts 1985, 95 Anm. 132. Vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 181. Vgl. Pollmann 1992, 493. Zum zeitgeschichtlichen Ansatz im Allgemeinen vgl. Thraede 1957, 8–9; er nennt ferner den linguistischen Ansatz, d.h. sprachgeschichtliche Kriterien (3– 4), den dogmengeschichtlichen Ansatz, z. B. bestimmte christologische oder trinitarische Termini (4–7), und den bedeutungsgeschichtlichen Ansatz, d.h. eine bestimmte Begriffsverwendung in der kirchlichen Tradition (13–14). 64 Zu dieser gängigen Datierung vgl. Sineri 2011, 21; manche Darstellungen legen sich auf das Jahr 362 n. Chr. fest, vgl. ebd. S. 24 mit Anm. 33. 65 Zum HD und Proba vgl. Kapitel III.5.b, v.a. S. 100–103, zum HD und Ambrosius vgl. Kapitel III.3 S. 81–87.

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II. Dichter und Werk

2. GATTUNG, INTENTION UND ZIELPUBLIKUM Der HD als Vertreter der Gattung Bibelepik Die Heptateuchdichtung wird der Gattung Bibelepik66 zugerechnet, die sich einerseits im Kontext der spätantiken Weiterentwicklung der Gattung Epos verorten lässt67, andererseits aber auch als eine ganz „eigengesetzliche“, erst in der Spätantike entstandene Gattung aufgefasst werden kann68. Nach Roberts ist darunter im „weiten Spektrum biblisch beeinflußter Gedichte eine kleinere Gruppe von Bibelgedichten im engeren Sinne“ zu verstehen, die „ausschließlich in Hexametern und formal narrativ [...] der Anordnung der biblischen Ereignisse [folgen]“69 und das pagane Epos, insbesondere dasjenige Vergils, imitieren70. Während die Evangeliendichtung des Juvencus (ca. 330) zusammen mit Sedulius’ Carmen paschale (ca. 430) und Arators De actibus apostolorum (544) den neutestamentlichen Bereich der Bibelepik vertritt, zählen zur alttestamentlichen Bibelepik die Heptateuchdichtung (1. Hälfte 5. Jh.), die Alethia des Cl. M. Victorius (1. Hälfte 5. Jh.), Dracontius’ De laudibus Dei (um 490) und Alcimus Avitus’ De spiritalis historiae gestis (zwischen 497 und 500)71. Als Sonderfall, der für die Entwicklung der Gattung Bibelepik von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist, ist der Vergil-Cento der Proba (um 360) über die ersten Kapitel der Genesis und das Leben Jesu an dieser Stelle zu erwähnen, wohingegen eine Reihe kürzerer, anonymer bzw. pseudonymer Bibelgedichte zu bestimmten biblischen Episoden und Büchern von den längeren Bibelepen abzugrenzen sind72. 66 Zur Problematik der Begriffe „Bibelepik“ und „Bibelparaphrase“ – für letzteren sprach sich insbesondere Nazzaro aus (vgl. ders. 2002, 130 und ders. (Riscritture) 2006 passim, in Polemik gegen Consolino 2005) – vgl. Kreuz 2006, 7–8 Anm. 3. Zum weiten Feld der Bibelepik vgl. die Darstellungen von Kartschoke 1975, Herzog 1975, Roberts 1985, Nodes 1993 und Deproost 1997 (Forschungsüberblick). 67 Vgl. Pollmann 2001, 94. 68 Vgl. Smolak 1978/79, 17, demzufolge es nicht korrekt ist, von einem „Weiterleben der epischen Literaturgattung“ zu sprechen (ebd.). 69 Vgl. Roberts 1997, 624. 70 Vgl. Roberts 1985, 1. Diese Einkleidung biblischer Inhalte in antikisierende Form brachte der Bibelepik von Seiten E. R. Curtius’ die negative Beurteilung als „eine hybride und innerlich unwahre Gattung [...], ein genre faux“ ein, da „[d]ie christliche Heilsgeschichte, wie die Bibel sie darbietet, [...] keinen Umguß in pseudoantike Form [vertrage]“ (vgl. Curtius 1973, 457, kursive Hervorhebung im Original). Inzwischen wird jedoch die Leistung der Bibelepik als kulturelle Synthese zwischen Christentum und klassischer Tradition und ihr kreativer und innovativer Umgang mit der antiken Form des Epos gewürdigt (vgl. etwa Malsbary 1985, 56 und Schwind 2012, 216). 71 Vgl. Schwind 2002, 232, mit Ausnahme der Datierung des HD (s.o. Kapitel II.1) und des Avitus (vgl. Hecquet-Noti 1999, 33). Die übliche Einteilung in neu- und alttestamentliche Bibelepik wird von Dinkova-Bruun 2007, 319 problematisiert, da der AT-Bibelepiker Avitus auch neutestamentliche Themen anspricht und der NT-Epiker Sedulius in seinem ersten Buch Wunder des AT behandelt. 72 Vgl. Roberts 1997, 624, der De Sodoma, De Iona, De martyrio Maccabaeorum und das Metrum in Genesin des Ps.-Hilarius anführt.

2. Gattung, Intention und Zielpublikum

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Für die Verortung des HD innerhalb des Spektrums der christlichen lateinischen Bibelepik kann stellvertretend für viele andere Darstellungen das Urteil Nazzaros angeführt werden: Dieser unterscheidet „i semplici parafrasti“ wie Juvencus und den HD von solchen Dichtern, die „über die Paraphrase hinaus“ gehen („que vanno ‚oltre la parafrasi‘“) und sich größere poetische und exegetische Freiheiten gegenüber dem Bibeltext erlauben, wie Proba, Sedulius, Cl. M. Victorius, Dracontius, Avitus und Arator73. Die Tatsache, dass der HD abgesehen von starken Raffungen seiner biblischen Vorlage weitgehend getreu folgt und auf nennenswerte Amplifikationen verzichtet74, wie etwa Ekphraseis, belehrende Kommentare, typologische und allegorische Meditationen, selbständige Episoden, Dramatisierung oder hymnischen Lobpreis, wertet sein Werk in den Augen vieler ab und hat ihm etwa von Seiten Fontaines das Etikett eines „idéal d’un ‚degré zéro‘ de l’écriture épique“75 eingebracht, von Seiten Thraedes das einer „grammatische[n] Paraphrase ohne poetische oder theologische Ambition“76. Dabei wird zum einen übersehen, dass „die Treue zum Dogma, in erster Linie zum heiligen Text, gerade zum Wesen christlicher Dichtung gehören müßte“77, zum anderen, dass der HD an etlichen Stellen durchaus eigenständig mit seiner biblischen Vorlage umgeht und diese, wenn auch vergleichsweise dezent, um patristisches Gedankengut und poetische Kolorierungen anreichert, die eine interpretative Funktion haben können; diese Aspekte sind Gegenstand der vorliegenden Untersuchung78. Insgesamt zeigt sich der HD als vollwertiger Vertreter der Gattung Bibelepik, der einerseits an das antike Epos anknüpft und dieses andererseits auch strukturell wandelt und erneuert. Mit dem antiken Epos gemeinsam ist der Heptateuchdichtung in formaler Hinsicht der große Umfang – erhalten sind immerhin 5550 Verse zuzüglich einiger Fragmente – und die hexametrische Versform, die allerdings durch drei lyrische Cantica durchbrochen wird (s.u.). Indem der HD dem biblischen Bericht folgt, schafft er eine narrative Dichtung, der „die temporale Sukzession als Grundstruktur“ eignet79; man könnte von einer Art carmen perpetuum im Sinne Ovids sprechen, das mit der Schöpfung der Welt beginnt und in der Geschichte des Alten Bundes voranschreitet. Entsprechend „der kommunikativen Grundfunk73 Vgl. Nazzaro 2001, 127. Entsprechend rechnet Thraede 1962 die Heptateuchdichtung zu den [h]istorisch-grammatische[n] Paraphrasen“ (1026), die er von den poetisch und theologisch ausgefeilteren „[r]hetorisch-didaktische[n] Paraphrasen“ (1027), „[e]legisch-hymnische[n] Umdichtung[en]“ (1029) und „[d]ramatisch-lyrische[n] Umdichtung[en]“ (1030) unterscheidet. 74 Vgl. Ciarlo 2008, 729 sowie Kapitel III.2.b. 75 Vgl. Fontaine 1981, 248, aufgegriffen von Stella 2001, 43 in Bezug auf das wenig entwickelte theologische Reflexionsniveau des HD im Vergleich zu anderen Bibeldichtern („Il grado zero del riflesso teologico“). 76 Vgl. Thraede 1962, 1027. 77 Vgl. Kirsch 1978, 395. 78 Vgl. die Kapitel III.2–4. 79 Vgl. Kirsch 1979, 50.

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II. Dichter und Werk

tion [des Epos], die Hörer gemeinsam zu erheben, sie zu solidarisieren“ 80, bearbeitet der HD einen „großen“ Stoff, der sowohl über das rein tagespolitisch Aktuelle als auch über das Private hinausgehoben ist und durch seine gesellschaftliche und ideologische Relevanz die (christliche) Gemeinschaft berührt, nämlich die Schöpfung der Welt durch Gott, den Sündenfall des Menschen und Gottes Weg mit seinem auserwählten Volk. Innerhalb des kommentierten Bereichs Hept. gen. 1–362 finden sich gerade im Zusammenhang mit der Figur Noahs mehrere typische Gemeinplätze des antiken Epos: So spiegelt sich in Noah das Bild des vergilischen Helden, der in sich virtus81 und pietas vereint, indem er Gottes Weisungen bereitwillig gehorcht82 und Verantwortung für seine Angehörigen übernimmt83. Im Vertrauen auf Gott84 übersteht er die labores der Sintflut im Bauch der Arche, wodurch sich eine gewisse Entsprechung zum epischen Topos des Seesturms ergibt85. Diese Entsprechung wird dadurch hervorgehoben, dass das Auftauchen des festen Landes am Ende der Sintflut (vgl. Hept. gen. 317) durch den wörtlich entlehnten Vers Verg. Aen. 3,206 zum Ausdruck gebracht wird, der in der Aeneis das Auftauchen der Strophaden vor Aeneas und seinen Gefährten nach einem mehrtägigen Seesturm bezeichnet86. Ähnlich wie Aeneas, der vom Fatum zum Stammvater eines neuen Troja bestimmt ist und mit einer kleinen Schar die Flucht überlebt, ist Noah von Gott für eine besondere Sendung auserwählt, die darin besteht, zusammen mit einem kleinen Rest der Menschheit als „Samen“ für ein neues Geschlecht zu überleben87. In sprachlicher Hinsicht schöpft der HD aus dem Repertoire seiner epischen Vorgänger, indem er insbesondere von Vergil, aber auch von Lukrez, Ovid, Lukan, Silius und Statius Wendungen übernimmt88. Dem Stilideal des antiken Epos gemäß erfolgt eine Distanzierung von der Alltagssprache, und zwar auf mehreren Ebenen: So werden alltagssprachliche Wörter gemieden und durch exklusiv poetische Ausdrücke ersetzt, was etwa auf die vom HD geprägten Adjektivkomposita fraudiger (Hept. gen. 114) und celsiiugus (Hept. gen. 291) zutrifft89. Schmückende, mehr formelhaft als wirklich qualifizierend wirkende Beiwörter (epitheta ornantia) finden sich häufig90, und an einigen Stel80 Vgl. Kirsch 1989, 21. 81 Vgl. Hept. gen. 223 probis Noelus nobilis actis, 264–265 quia pectora vidi / iusta tibi dudumque mihi tua nota voluntas, 302 iusti [...] prophetae. 82 So setzt Noah Gottes Aufträge zum Bau der Arche um (vgl. Hept. gen. 250–260), er nimmt die Menschen, Tiere und Vorräte an Bord der Arche (vgl. Hept. gen. 282–283) und bringt nach der Sintflut sein gelobtes Opfer dar (vgl. Hept. gen. 325–326). 83 Noah nimmt seine Angehörigen mit sich in die rettende Arche, vgl. Hept. gen. 284–285. 84 Vgl. Hept. gen. 286 confisus. 85 Vgl. die Beschreibung in Hept. gen. 287–299. 86 Vgl. den Kommentar zu Hept. gen. 316b–317. 87 Vgl. Hept. gen. 224 und 295. 88 Vgl. Kapitel III.4 und Übersicht 5. 89 Vgl. Kapitel III.1. 90 Vgl. etwa Hept. gen. 16 stellas tremulo [...] lumine (310 tremulo [...] igni in Bezug auf den Abendstern), 19 liquentia flumina (55 liquidis de fluctibus), 20 varias [...] pinnas, 49 pingui [...] de caespite, 54 puro [...] agmine flumen, 58 rauco de gurgite, 60 perspicuisque vadis, 62 Eufrati [...] amoeno, 63 celeri [...] flumine, 64 cum coniuge fida, 140 curvo [...] aratro,

2. Gattung, Intention und Zielpublikum

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len zeigt sich die Tendenz des Epos, Sachverhalte oder Namen zu verklausulieren, um durch diese bewusste Verrätselung Exklusivität zu sichern und das hochgebildete Publikum anzusprechen. Im einfachsten Fall bedient sich der HD der Antonomasie, indem er das Jupiter-Epitheton Tonans auf den jüdisch-christlichen Gott überträgt91, wobei anzumerken ist, dass der HD ansonsten Bezugnahmen auf die heidnische Mythologie sorgfältig vermeidet92. Deutlich verklausuliert spielt der Dichter in Hept. gen. 36 auf die wesensmäßige Verwandtschaft von Mann und Frau nach Gen 2,23 an93 und spricht vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen in Hept. gen. 53 und 69 in einer kryptisch anmutenden Weise94. Das Stilniveau des genus grande wird schließlich durch den Einsatz rhetorischer Figuren und Mittel erzielt, die in der Heptateuchdichtung insgesamt sparsamer als bei anderen Bibelepikern verwendet werden; besonders häufig finden sich Alliteration und Stellungsfiguren95. Während etliche direkte Reden der biblischen Vorlage vom HD in indirekte Rede umgewandelt oder inhaltlich in die Erzählung integriert werden, werden einige wenige ausgewählte Reden ausführlicher ausgearbeitet96, was für die Strafrede Gottes an Adam (Hept. gen. 117–125), die Strafrede an Kain (Hept. gen. 159–166), die Prophezeiung Lamechs über Noah (Hept. gen. 216–220), Gottes Sintflutbeschluss (Hept. gen. 243–249) und besonders für Gottes Anweisungen an Noah (Hept. gen. 263–281) gilt. Indem der HD die genealogischen Listen von Gen 4,17–5,31 beibehält und durch allerlei Kunstgriffe auflockert (Hept. gen. 174–222)97, knüpft er an das strukturelle Muster des Katalogs an, welcher ebenfalls ein fester Bestandteil der epischen Dichtung ist. In Abweichung von der antiken Gattung Epos ist die Heptateuchdichtung als einziges Epos der Antike ohne Bucheinteilung überliefert und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass eine solche vorgesehen war, denn „[d]ie Aufgabe der Umsetzung war es offenbar, das AT in ein carmen perpetuum [...] zu überführen, dessen einzige Einschnitte eben nur die biblischen Bücher selbst sein konnten“98. Wie kein Epiker vor ihm durchbricht der HD das hexametrische Versmaß durch drei eingelegte Cantica in phalaeceischen Hendecasyllaben, nämlich in Hept. exod. 507–542 (Gotteslob des Mose nach dem Durchzug durch das Rote Meer), num. 557–567 (Gesang der Israeliten am Brunnen in der Wüste) und deut. 152–278

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92 93 94 95 96 97 98

143 uberibus [...] glaebis, 185 laeta [...] in herba (246–247 laeta [...] gramina), 290 levibus [...] pinnis (vgl. auch 301), 307 pinna plaudente, 308 praepinguis olivae, 348 candida vina. Über ihren schmückenden Charakter hinausgehend kann diesen Attributen häufig auch eine konkrete inhaltliche Funktion zugewiesen werden, worauf jeweils im Kommentar hingewiesen wird. Vgl. Hept. gen. 65, 141, 168, 325; zu diesem und ähnlichen Rezeptionsphänomenen in der christlich-lateinischen Epik vgl. Thraede 1962, 1037–1038 unter der Kategorie „Ersetzende Übertragung von Begriffen, Junkturen, Topoi, Szenen“. Vgl. Nazzaro 2002, 141. Vgl. den Kommentar zu Hept. gen. 36. Vgl. den Kommentar zu Hept. gen. 53 und 69. Vgl. Kapitel III.1. Vgl. Roberts 1985, 145. Vgl. die Vorbemerkungen zu Kapitel V.6, S. 338–339. Vgl. Herzog 1975, 100.

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II. Dichter und Werk

(Prophezeiungen des Mose vor seinem Tod)99. Offensichtlich will der Dichter mit seinem Werk ein metrisches Äquivalent zur Bibel schaffen, wozu er für die erzählenden Partien den Hexameter verwendet und für Teile, die in der Bibel durch eine Lied-Einleitungsformel explizit als lyrisch gekennzeichnet sind, den Phalaeceus, der ihm anscheinend als das lyrische Versmaß par excellence gilt100. Smolak sieht hierin „eine unerhörte Destruktion eines Formprinzips der antiken Epik“, für die der Hexameter „das einzige mögliche Versmaß“ blieb, und kommt zu dem Schluss, dass „[d]ie traditionelle Epik [...] von dem Heptateuchdichter eben nicht als in jeder Hinsicht adäquate Gattung für Bibeldichtung empfunden [wurde].“ 101 Ferner wird durch das schrittweise Abarbeiten des biblischen Berichts die epische Gesamtkomposition durch eine parataktisch reihende, lineare Erzählweise ersetzt, bei der die einzelnen Erzählphasen nur noch locker miteinander verbunden sind; Einheit entsteht nicht mehr durch eine in sich geschlossene Handlung, sondern durch den Bezug aller Handlungen auf Gott102. Zu Intention und Zielpublikum Während andere Bibelepiker in Proömien, Invokationen und Widmungsepisteln Aussagen über ihre Motivationen und ggf. auch über ihren intendierten Adressatenkreis treffen103, finden sich beim HD keine derartigen Passagen104, und bei den einzigen beiden metapoetischen Stellen (Hept. exod. 1082–1086 und lev. 34) handelt es sich um konventionelle Bemerkungen über die metrischen Einschränkungen der Ausdrucksfreiheit105. Daher lassen sich über die Intention und das Zielpublikum des HD nur Vermutungen anstellen. Das Bemühen, den konkreten „Sitz im Leben“ der Heptateuchdichtung zu bestimmen, hat in der Forschung zur Herausbildung von zwei rezeptionsästhetischen Hauptstandpunkten geführt, dass nämlich das Werk entweder der Lektüre im schulischen Unterricht oder als literarische Unterhaltung für eine kultivierte Leserschaft gedient habe106. Bei der Annahme eines schuldidaktischen Zwecks wären die teilweise sehr starke Verknappung107 des Bibeltextes und die bisweilen 99 100 101 102 103

104 105 106 107

Zur Metrik vgl. Flammini 2006. Vgl. Herzog 1975, 100–101. Vgl. Smolak 2001, 20. Vgl. Kirsch 1979, 40 und 43. Vgl. Nodes 1993, 9–20, der zwei Hauptintentionen identifiziert, nämlich eine didaktische Absicht und Treue zur christlichen Orthodoxie bei gleichzeitiger Ablehnung heidnischer Lügen. Zu einer ausführlichen Analyse von Proömien und Widmungsbriefen verschiedener Bibeldichter vgl. Kartschoke 1975, 55–74 und Herzog 1975, XLV–LX. Vgl. Roberts 1985, 92–93. Ciarlo 2008, 729 spricht daher von einem „carattere di impersonalità“ der Heptateuchdichtung. Vgl. Roberts 1985, 95 Anm. 135. Zu diesen beiden Hauptpositionen vgl. Roberts 1985, 95–96 mit Hinweisen auf die vorausgehende Sekundärliteratur. Zu Kürzungen im Buch Genesis der Heptateuchdichtung vgl. Kapitel III.2.b und Übersicht 2 sowie Kapitel VI, zur gesamten Heptateuchdichtung vgl. Ciarlo 2008, 730–740.

2. Gattung, Intention und Zielpublikum

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verklausulierende Ausdrucksweise damit zu erklären, dass der Komplexitätsgrad der Vorlage gesteigert werden und Erklärungsbedarf geschaffen werden soll, damit die Schüler zu eigenständigem Denken und Nachforschen angeregt werden; die Versform und insbesondere die zahlreichen Alliterationen könnten als mnemotechnische Hilfen fungiert haben. Gegen einen primär didaktischen Zweck, wie ihn etwa die Alethia des Cl. M. Victorius erklärtermaßen verfolgt108, spricht allerdings, dass sich keine offenkundige geistliche Unterweisung beim HD findet, z. B. in Form von allegorischen oder typologischen Auslegungen biblischer Ereignisse; außerdem wäre die Heptateuchdichtung aufgrund ihrer zahlreichen prosodischen Freiheiten in Abweichung von der klassischen Prosodie als Text für die Schule eher ungeeignet gewesen109. Geht man primär von dem Zweck der literarischen Unterhaltung eines gebildeten Publikums aus, darf man sich dabei wohl einen Personenkreis vorstellen, der das Alte Testament lieber in ansprechender inhaltlicher und sprachlicher Aufbereitung rezipieren wollte als im von Redundanzen geprägten, schlichten Text der Vetus Latina110 oder mit Hilfe theologisch überfrachteter, Wort für Wort auslegender Prosakommentare111. Dieses Publikum musste, um die oft stark verknappende oder auch verklausuliert wirkende Darstellung des HD zu verstehen, über fundierte Bibelkenntnisse verfügen und es musste eine breite literarische Bildung mitbringen, um die zahlreichen, manchmal recht subtilen intertextuellen Anspielungen goutieren zu können112. Eine dritte Vermutung bezüglich der konkreten Zweckbestimmung der Heptateuchdichtung geht von der Beobachtung aus, dass das Werk ursprünglich noch weitere historische Bücher des AT umfasste113 und seiner biblischen Vorlage abgesehen von starken Kürzungen recht genau und ohne erkennbare Selektion folgt, also offenbar eine Art (verkürztes) metrisches Äquivalent zum Bibeltext schaffen will114. So wäre es denkbar, dass die Heptateuchdichtung als ein detailliertes alttestamentliches Kompendium in Versform dienen sollte115. Fragt man von der Produktionsseite herkommend nach möglichen Intentionen des Dichters für die Abfassung seines Werkes, so scheint die These plausibel, dass der HD aus dem Motiv der imitatio und aemulatio des Juvencus heraus agierte und dessen Evangeliendichtung um einen alttestamentlichen Teil komplettieren wollte, indem er sich einer ähnlich wortgetreuen, auf größere Erweiterungen ver108 Vgl. Mar. Victor. aleth. prec. 104–105 dum teneros formare animos et corda paramus / ad verum virtutis iter puerilibus annis. 109 Vgl. Roberts 1985, 95–96; zu den prosodischen Freiheiten des HD vgl. Kapitel III.1. 110 Zum Anspruch der Bibelepik, den Bibeltext stilistisch zu verbessern, vgl. etwa Roberts 1985, 107 und Fraïsse 2008, 3. 111 Vgl. auch Mc Clure 1981, 314–315. 112 Vgl. auch Ciarlo 2008, 742; zum Umgang des HD mit seinen poetischen Vorgängern vgl. Kapitel III.4. 113 Vgl. Kapitel II.3. 114 Vgl. Roberts 1985, 116. 115 Vgl. Nodes 1993, 83 und Mc Clure 1981, 315, welche eine Parallele zu Sulpicius Severus’ Chronica zieht, einer Prosadarstellung der biblischen Geschichte und Kirchengeschichte von der Schöpfung bis zum Jahr 400 n. Chr.

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II. Dichter und Werk

zichtenden und vergleichsweise schlichten Art der Bibelparaphrase bediente wie sein neutestamentlicher Vorgänger116. Nach diesen Überlegungen wird klar, dass eine eindeutige Antwort auf die Frage nach Intention und Zielpublikum der Heptateuchdichtung auf der Basis des bisherigen Kenntnisstandes kaum möglich ist. Sehr plausibel ist meiner Meinung nach das aemulatorische und komplementäre Verhältnis der Heptateuchdichtung gegenüber der neutestamentlichen Bibeldichtung des Juvencus. Was die rezeptionsästhetische Seite angeht, so kann ein und dasselbe Werk auch verschiedene Adressateninteressen bedienen, also als herausfordernde Unterrichtslektüre, als gebildete Unterhaltungslektüre für Bibelkenner und als Kompendium zum Nachschlagen dienen. In diesem Sinne wurde etwa Vergil im Schulunterricht der Spätantike gelesen und erfüllte zugleich in Form aufwändiger Prachthandschriften die ästhetischen Bedürfnisse gebildeter Schichten. 3. ÜBERLIEFERUNGS- UND EDITIONSGESCHICHTE Die Überlieferungs- und Editionsgeschichte wurde bereits von Petringa 2001, (L’attribuzione) 2007 und 2011 weitgehend aufgearbeitet, so dass das vorliegende Kapitel sich auf diese Ergebnisse stützen kann. Die sog. Heptateuchdichtung, die in ihrer heute bekannten Form 5550 Verse zuzüglich weniger Fragmente aus der Sekundärüberlieferung umfasst, ist nur ein Teil eines ursprünglich viel längeren Werkes, das neben den ersten sieben Büchern des AT auch die Bücher der Könige, der Chronik (Paralipomenon), Esther und Judith sowie die Bücher der Makkabäer behandelte. Dies geht aus mittelalterlichen Handschriftenkatalogen hervor, in denen heute verlorene Codices beschrieben werden117, sowie aus Fragmenten der Sekundärüberlieferung118. Der Titel Heptateuch(os), der sich seit Peipers CSEL-Edition eingebürgert hat, beruht nicht auf der handschriftlichen Überlieferung, sondern auf der Bezeichnung der Dichtung in den mittelalterlichen Handschriftenkatalogen der Klöster St. Nazarius in Lorsch (metrum Cypriani super heptateuchum) und Cluny (in eptateucum versifice)119.

116 Vgl. etwa Altaner/Stuiber 1978, 411 („ein umfangreiches Seitenstück zu Juvencus“), Kartschoke 1975, 35 und Mc Clure 1981, 307. 117 Es handelt sich um die Handschriftenkataloge der Klosterbibliotheken von S. Nazarius in Lorsch und von Cluny, s.u. 118 Vgl. Peiper 1891, 209–211. Zu der Vermutung, dass die Dichtung ursprünglich alle Geschichtsbücher des AT umfasste, vgl. etwa Jülicher 1901, 1941, Krestan 1957, 478, Roberts 1985, 95, Petringa 1992, 133 Anm. 2, Moreschini/Norelli 1996, 627. White 2000, 99 vermutet, dass das Werk nicht vollendet wurde. 119 Zu den Katalogen s.u.

3. Überlieferungs- und Editionsgeschichte

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Handschriftliche Überlieferung Für die handschriftliche Überlieferung der Heptateuchdichtung sind sechs Codices relevant, von denen ABRE in unterschiedlichem Umfang eine bestimmte Sammlung alttestamentlicher Bibeldichtung enthalten. Das Konzept dieser Sammlung beschreibt Kreuz anhand des Codex A, der hierfür am repräsentativsten ist, folgendermaßen: „Den Grundstock bildet offenkundig die hier einem ‚Cyprianus‘ zugeschriebene Heptateuchdichtung [...], zu Beginn ergänzt um weitere poetische Bearbeitungen des Buches Genesis: Ps.-Hil. in gen., Proba 1–318, Ps.-Cypr. de Sodoma, die Bücher I bis IV des Alcimus Avitus [...] und die HexaemeronBearbeitung von Dracontius’ De laudibus Dei durch Eugenius von Toledo, sowie das fünfte Buch des Alcimus Avitus (De transitu maris rubri), das aber, thematisch korrekt, vom übrigen Werk des Alcimus abgetrennt und hinter dem Genesisbuch der Heptateuchdichtung eingereiht wurde. Diese Zusammenstellung [...] erscheint nun kombiniert mit einem catenenartigen Prosakommentar, den ein als Person nur vage zu fassender Wigbod120 [...] noch vor dem Jahr 800 ex dictis sanctorum patrum Augustini, Gregorii, Hieronimi, Ambrosii, Hilarii, Hisidori, Eucherii et Iunili […] exzerpierte [...]. Die einzelnen Abschnitte dieses Kommentars […] sind nun in der Heptateuch-Epik-Sammlung den metrischen Bearbeitungen der entsprechenden biblischen Bücher jeweils nachgestellt, was ab Levicitus einen stereotypen Wechsel zwischen Heptateuchdichter und Heptateuchkommentar ergibt.“121 Möglicherweise geht diese „Ineinanderverschränkung von Bibeldichtung und Bibelkommentar“ auf Wigbod selbst zurück122. Im Folgenden sollen zuerst die Codices ABRE näher beschrieben werden und dann die Codices GC123. A: Laon, Bibliothèque Municipale 279, Anfang 9. Jh., membr., in folio maximo, ff. 163, ll. 36. Der Sammelcodex enthält die Heptateuchdichtung weitestgehend vollständig bis zum Buch der Richter, wo er lückenhaft ist: Es fehlen Hept. iud. 10–69 und der Text bricht nach Hept. iud. 760 ab124, außerdem finden sich ab Hept. iud. 249 viele durch Fäulnis bedingte Lücken125. Die Zuschreibung an einen Cyprianus 120 Zu Wigbod vgl. Herzog 1975, XXX–XXXI; Sekundärliteratur bei Petringa 2011, 290 Anm. 12. 121 Vgl. Kreuz 2006, 9–10, kursive Hervorhebungen ebd. 122 Vgl. Kreuz 2006, 11. 123 Soweit nicht anders vermerkt, entstammen die folgenden Angaben zu den Handschriften, einschließlich der Handschriftenindices, Petringa (L’attribuzione) 2007, 166–167 und Petringa 2011 (insbesondere 288 Anm. 3, 289 Anm. 7, 297 Anm. 55, 299 Anm. 68, 301 Anm. 83). Zur genaueren kodikologischen Beschreibung und zu weiterer Sekundärliteratur vgl. B. Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil II: Laon-Paderborn, Wiesbaden 2004, 31 Nr. 2100 (Codex A) und Nr. 2099 (Codex B); http://trin-sites-pub.trin.cam.ac.uk/james/viewpage.php?index=37 (Codex C, aufgerufen am 10.03.2016); www.archivesetmanuscrits.bnf.fr/search-form.html (Codex G, R und E, aufgerufen am 10.03.2016; Freitextsuche im Suchformular mit „latin“ und der jeweiligen Nummer). 124 Vgl. Peiper 1891, XIII; falsch hier: 770. 125 Vgl. Peiper 1891, IV.

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II. Dichter und Werk

erfolgt im Index der Handschrift126 nur beim Buch Genesis, während die übrigen Bücher anonym überliefert werden, und dies gilt auch für den Text selbst: So heißt es nur bei Hept. gen. INCIPIT LIBER GENESEOS METRICUS CIPRIANI bzw. EXPLICIT METRUM CIPRIANI SUPER LIBRUM GENESIS. B: Laon, Bibliothèque Municipale 273, Ende 9. Jh., membr., forma quaternaria maxima, ff. 173, ll. 33. Die Sammelhandschrift, die sehr eng mit Codex A verwandt ist, aber nicht von ihm abstammt127, ist inhaltlich wie A konzipiert, enthält aber nicht die Bücher Genesis und Exodus der Heptateuchdichtung und weist größere Lücken in den folgenden Büchern auf: Das Buch Leviticus beginnt erst ab V. 263, es fehlen Hept. num. 63–172 und 229–284; wie in A fehlen Hept. iud. 10–69 und das Buch bricht nach V. 760 ab128. In den überlieferten Büchern Leviticus bis Richter findet sich keine Zuschreibung an einen Autor. R: Paris, Bibliothèque Nationale lat. 14758 (ehemals S. Victoris 380), 13./14. Jh., membr., 360 x 245 mm (f. 31: ca. 257 x 80 mm), ff. I+96, ll. 44.

126 1) metrum sancti Hilarii Pictaviensis episcopi [i.e. Pseudo-Hilarii] in Genesin ad Leonem papam; 2) Probae de Aeptatico [i.e. de Heptateucho]; 3) versus Cypriani [i.e. incerti auctoris] de Sodoma; 4) Alcimi Aviti [de spiritalis historiae gestis] prologus; – liber I: de initio mundi; – liber II: de originali peccato; – liber III: de sententia Dei; – liber IV: de diluvio mundi; 5) Dracontii [de laudibus Dei] liber I; 6) liber Geneseos metricus Cypriani [i.e. incerti auctoris]; 7) [Wigbodi] liber quaestionum super librum Genesis ex dictis sanctorum patrum Augustini, Gregorii, Hieronymi, Ambrosii, Hilarii, Isidori, Eucheri, Iunilii; 8) Alcimi Aviti [de spiritalis historiae gestis] liber V: de transitu Maris Rubri; 9) [incerti auctoris] liber Exodus; 10) [Wigbodi] explanatio ... super Exodum; 11) [incerti auctoris] liber Leviticus [metricus]; 12) [Wigbodi] capitulatio et explanatio in Leviticum; 13) [incerti auctoris] metrum super Numerum; 14) [Wigbodi] capitula et explanatio libri Numeri; 15) [incerti auctoris] metrum super Deuteronomium; 16) [Wigbodi] capitulatio et explanatio libri Deuteronomii; 17) [incerti auctoris] metrum super librum Iesu Nave; 18) [Wigbodi] capitula et expositum in Iesu Nave; 19) [incerti auctoris] metrum super librum Iudicum; 20) [Wigbodi] capitula et expositum de libro Iudicum. 127 Vgl. Peiper 1891, XIV und Kreuz 2006, 12. 128 Vgl. Peiper 1891, XIII (falsch hier: 770). Der Index lautet: 1) metrum sancti Hilarii Pictaviensis episcopi [i.e. Pseudo-Hilarii] in Genesin; 2) Probae de Aeptatico [i.e. de Heptateucho]; 3) versus Cypriani [i.e. incerti auctoris] de Sodoma; 4) Alcimi Aviti [de spiritalis historiae gestis] prologus; – liber I: de initio mundi; – liber II: de originali peccato; – liber III: de sententia Dei; – liber IV: de diluvio mundi; 5) Dracontii [de laudibus Dei] liber I; 6) [Wigbodi] liber quaestionum super librum Genesis ex dictis sanctorum patrum Augustini, Gregorii, Hieronymi, Ambrosii, Hilarii, Isidori, Eucheri, Iunilii; 7) Alcimi Aviti [de spiritalis historiae gestis] liber V: de transitu Maris Rubri; 8) [Wigbodi] capitula et explanatio ... super Exodum; 9) [incerti auctoris] metrum super Leviticum; 10) [Wigbodi] capitulatio et explanatio in Leviticum; 11) [incerti auctoris] metrum super Numerum; 12) [Wigbodi] capitula et explanatio libri Numeri; 13) [incerti auctoris] metrum super Deuteronomium; 14) [Wigbodi] capitulatio et explanatio libri Deuteronomii; 15) [incerti auctoris] metrum super librum Iesu Nave; 16) [Wigbodi] capitula et expositum in Iesu Nave; 17) [incerti auctoris] metrum super librum Iudicum; 18) [Wigbodi] capitula et expositum de libro Iudicum; 19) [Wigbodi] explanatio libri Ruth.

3. Überlieferungs- und Editionsgeschichte

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Die mit AB verwandte, aber nicht von ihnen abstammende Sammelhandschrift129 enthält nur die ersten 165 Verse von Hept. gen. Bei den im Index genannten Werken130 lassen sich drei voneinander trennbare Bereiche feststellen, deren mittlerer (Nr. 7–12) dem Beginn des in A überlieferten Corpus entspricht, dieses aber nur bis Hept. gen. 165 enthält131. Dabei lässt das (zumindest teilweise) Vorhandensein von Hept. gen. in R auf eine größere Nähe zu A als zu B schließen, was auch meistens auf die Textgestalt zutrifft, so dass „R am einfachsten von einem Vorgänger des Codex A herzuleiten ist“132. Die Zuschreibung an (St.) Cyprian im Index der Handschrift wiederholt sich im Text selbst, vgl. incipit liber Geneseos metricus Cipriani. Peiper ist in seiner CSEL-Ausgabe von der völligen Wertlosigkeit von R überzeugt und gibt an, nur wenige Verse davon kollationiert zu haben133; in seinen Text von Hept. gen. ist R nicht eingeflossen134. E: Paris, Bibliothèque Nationale lat. 8321 (ehemals Colbertinus), 15. Jh. Diese Sammelhandschrift, bei der es sich um eine Abschrift von R handelt135, enthält von der Heptateuchdichtung nur die Verse 1–138. Der Mittelteil von R (Nr. 7–12 im Index), der eine Reduktion des in A überlieferten Corpus darstellt, bleibt, abgesehen von der Kürzung von Hept. gen., unverändert, während der erste und dritte Teil von R stark gekürzt bzw. durch gänzlich andere Werke ersetzt werden136. Das incipit des Buches Genesis ist nicht vollständig lesbar (incipit li ... Geneseos me ...), aber aufgrund der unmittelbaren Verwandtschaft mit R ist anzunehmen, dass sich hier das gleiche incipit wie in R fand, d.h. incipit liber Geneseos metricus Cipriani. Peiper, der diesen Codex nicht herangezogen hat137, 129 Vgl. Kreuz 2006, 13. 130 1) Seduli Paschale carmen liber V; 2) Aratoris epistola ad Florianum; 3) eiusdem epistola ad Vigilium; 4) eiusdem de actibus Apostolorum libri II; 5) Prosperi [i.e. Pseudo-Prosperi] epigrammata; 6) Iuvenci Evangeliorum libri IV; 7) Hilarii [i.e. Pseudo-Hilarii] metrum in Genesin; 8) Probae de Heptateucho; 9) [incerti auctoris] versus de Sodoma; 10) Alcimi Aviti de spiritalis historiae gestis libri IV; 11) Dracontii de laudibus Dei liber I; 12) sancti Cypriani [i.e. incerti auctoris] liber Geneseos metricus; 13) Hildeberti Cenomanensis postmodum Turonensis episcopi liber metricus de sacramentorum ordine; 14) eiusdem liber metricus de mysteriis missae; 15) Matthaei Vindocinensis libri IV Regum metrificati. 131 Vgl. Kreuz 2006, 13; Grund für diesen Abbruch ist nach Kreuz (ebd.) sicherlich mechanischer Verlust in der Vorlage bzw. Überlieferung. 132 Vgl. Kreuz 2006, 13. 133 Vgl. Peiper 1891, VI. 134 Vgl. Peiper 1891, 1 am Rand: „1–324 ACG“; auch im kritischen Apparat von Hept. gen. 1– 165 wird R nie angeführt. Der Codex ist dennoch im Conspectus notarum (p.XXXVIII) erwähnt, mit der falschen Angabe „in Genesi 1–174“ (kursive Hervorhebung von mir, H.S.). Zur geringeren Textqualität von R im Vergleich zu AB vgl. auch Kreuz 2006, 13. 135 Vgl. Kreuz 2006, 14. 136 Nach Kreuz 2006, 9 sind folgende Werke enthalten; die Nummern 4–9 entsprechen dem Mittelteil von R: 1) Arator; 2) Hildebert, carm. 36.38.40; 3) Iuvencus; 4) Ps.-Hilarius in gen.; 5) Proba 1–318; 6) de Sodoma; 7) Alcimus I–IV; 8) Dracontius 1,118–754 (in der Bearbeitung des Eugen von Toledo); 9) Hept. gen. 1–138 (bei Kreuz versehentlich: 165); 10) Physiologus Theobaldi (hier Hildebert zugeschrieben); 11) Liber de vita scholast.; 12) zwei metrische Kalender; 13) Prudentius Dittochaeon; 14) spätmittelalterliches Mariengedicht. 137 Vgl. Peiper 1891, XIX.

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II. Dichter und Werk

beurteilt seine Qualität als nicht besser als die von R138, was sich mit der Beobachtung von Kreuz deckt, dass der Schreiber von E oft korrigierend in den Text eingreift und der Codex daher als Zeuge für die Überlieferung wenig wertvoll ist139. G: Paris, Bibliothèque Nationale lat. 13047 (ehemals Corbie, später SaintGermain-des-Près n. 841), 8./Beginn 9. Jh., membr., 272 x 190 mm, ff. 167, ll. 25 bzw. 27. Die Sammelhandschrift, die Peiper zusammen mit B auf eine gemeinsame Vorlage zurückführt140, enthält verschiedene Prosawerke und einige poetische Werke lateinischer Kirchenväter, von der Heptateuchdichtung allerdings nur das Buch Genesis ohne V. 325–378. Im Index141 wird Hept. gen. Juvencus zugeschrieben, in einem Eintrag von zweiter Hand Juvencus oder Cyprian; das nur noch teilweise lesbare incipit von Hept. gen. von späterer Hand erwähnt ebenfalls Cyprian (S. Cyprian ... Genesis)142, während sich ansonsten keine Autorenzuschreibungen finden143. Nach Peiper ist die Handschrift sehr fehlerhaft und die Versreihenfolge ist nicht selten gestört144, allerdings bietet G in Hept. gen. gerade dort eine sehr gute Lesart, wo A offensichtlich einen Fehler hat145. C: Cambridge, Trinity College B.1.42 (ehemals St. Augustinus in Canterbury d.1.G.2), 10./11.Jh., membr., 180 x 87 mm, ff. V+110, ll. 20. Dieser Codex, der eng mit AB verwandt, aber nicht aus ihnen abzuleiten ist146, ist als einziger keine Sammelhandschrift und enthält nur die Heptateuchdichtung, allerdings mit mehreren Lücken: Es fehlen Hept. gen. 1184–1498, exod. 1–293, deut. 285–288, Ios. 1–146.364–547; nach iud. 506 bricht der Text ab. Da138 Vgl. Peiper 1891, VII. 139 Vgl. Kreuz 2006, 14. 140 Vgl. Peiper 1891, XV; aufgrund der vielen Fehler von B nimmt Peiper ebd. aber an, dass zwischen B und der vermuteten gemeinsamen Vorlage X3 mehr Zwischenglieder liegen als zwischen G und dieser Vorlage. 141 1) liber Iuvenci (m2: Historia Genesis Iuvenci aut sane Cypriani) [i.e. incerti auctoris]; 2) [Q.S.F. Tertulliani] excerpta de apologetico contra Iudaeos; 3) epistola sancti Iohannis [Chrysostomi] ad Demetrium heremitam de conpunctione cordis; 4) epistola sancti Hieronymi ad Augustinum; 5) epistola sancti Augustini ad Hieronymum; 6) eiusdem ad eundem; 7) eiusdem ad eundem; 8) epistola sancti Hieronymi ad Augustinum; 9) epistola sancti Hieronymi ad Marcellam de quinque quaestionibus novi testamenti; 10) eiusdem de Melchisedech; 11) homilia de epiphania; 12) epistola beati Hieronymi ad Dardanum de terra repromissionis; 13) sancti Cypriani [i.e. Pseudo-Cypriani] ad Felicem de resurrectione mortuorum; 14) Iuvenci [i.e. Seduli] metri de veteri testamento; 15) versus Sybillae de die iudicii; 16) Caecili Cypriani de mortalitate; 17) item Cypriani de zelo et livore; 18) item Cypriani [i.e. Pseudo-Cypriani] de aleatoribus; 19) item Cypriani de habitu virginum; 20) hymnus sancti Seduli [i.e. incerti auctoris de Verbi incarnatione]; 21) Iusti episcopi epistola ad Siagrium papam et alia ad Iustum diaconum; 22) epistola sancti Hieronymi ad Marcellam. 142 Vgl. Peiper 1891, 1. 143 Vgl. Peiper 1891, VII. 144 Vgl. Peiper 1891, VII. Zu den orthographischen Besonderheiten der verschiedenen Hände von G vgl. ebd. VIII Anm. 1. 145 Vgl. Peiper 1891, XV mit Anm. 2. 146 Vgl. Peiper 1891, IX und XV.

3. Überlieferungs- und Editionsgeschichte

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für überliefert C als einziger Codex Hept. iud. 10–69147. Im incipit bzw. explicit der einzelnen Bücher findet sich keine Zuschreibung an einen Autor, während ein Zusatz von neuerer Hand die Dichtung mit Aldhelm verbindet. Eine Besonderheit sind die durch große, farbige Initialen gekennzeichneten Abschnitte und die vielen geistvollen Emendationen und Konjekturen148. Der Codex Toulouse, Bibliothèque Municipale 809 aus dem 18. Jh., der wie R nur die ersten 165 Verse von Hept. gen. enthält, stellt sicher die Abschrift einer gedruckten Ausgabe dar und kann daher vernachlässigt werden; der Text des HD findet sich dort mit der Angabe INCERTI SED ANTIQUI AUCTORIS sub nomine CYPRIANI Genesis. Abgesehen von diesen erhaltenen Handschriften werden in mittelalterlichen und neuzeitlichen Handschriftenkatalogen heute verloren gegangene Codices genannt, die mehr oder weniger sicher die Heptateuchdichtung enthielten. So heißt es im Handschriftenkatalog des Klosters von St. Riquier (831) quaestiones Hilarii Cypriani Alcimi Aviti Hieronymi Augustini super pentateuchum in I vol. qui sunt libri duo149, worunter wahrscheinlich der mit AB verwandte Codex zu verstehen ist, den Mico von St. Riquier für die Abfassung seines Opus prosodiacum (s.u.) benutzte150. Der Handschriftenkatalog des Klosters St. Nazarius in Lorsch (10. Jh.) beschreibt einen Codex, in dem sich neben anderen (Bibel)dichtungen das metrum Cypriani super heptateuchum et regum et Hester, Iudith et Machabaeorum151 befindet, der Handschriftenkatalog der Abtei von Cluny (1158–1161) ein Volumen in quo continetur Alchimus episcopus in eptateucum versifice, et in libros Regum, Paralipomenon, Hester, Iudith, Machabeorum, neben anderen (Bibel)dichtungen152. Schließlich dürfte sich auch hinter dem Eintrag librum I in veteri testamento conscriptum metrice, in quo continentur libri Alchimi et Catonis im Handschriftenkatalog des Klosters von Bobbio (10. Jh.) die Alcimus Avitus zugeschriebene Heptateuchdichtung verbergen153. An neuzeitlichen Katalogen erwähnt derjenige von de Montfaucon (1739) eine Handschrift aus Corbie aus dem 10. Jh. mit Carmina Juvenci in vetus testamentum, quibus succedunt categoriae Aristotelis154. 147 Vgl. Peiper 1891, X und XIII. 148 Vgl. Peiper 1891, IX und XV. 149 Vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 167, zit. nach Becker 1885, 26 Nr. 81. Dagegen bezieht Herzog 1975, 54–55 einen anderen, anonymen Eintrag des Katalogs von St. Riquier auf die Hetapteuchdichtung und identifiziert diese mit dem ersten Bestandteil eines metrum cuiusdam de veteri et novo testamento, vgl. Becker 1885, 28 unter Nr. 187: Althelmus. metrum cuiusdam de veteri et novo testamento cum vita Cosmae et Damiani metrica in I vol. qui sunt libri XXVI. Unter diesem metrum ist nach Herzog (ebd. 55 Anm. 30) gegen Peiper 1891, IV nicht Probas Cento zu verstehen, da dieser bereits zuvor im selben Katalog genannt worden ist, vgl. Becker 1885, 28 Nr. 182: versus Probae. 150 Vgl. Petringa 2011, 290–291. 151 Vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 167, zit. nach Becker 1885, 111 Nr. 463. 152 Vgl. Petringa (L’attribuzione) 2007, 167, zit. nach Delisle 1874, 479–480 Nr. 537. 153 Vgl. Peiper 1891, II und Herzog 1975, 55; zitiert nach Becker 1885, 69 Nr. 409. 154 Vgl. Peiper 1891, XII und Petringa (L’attribuzione) 2007, 172, zit. nach B. de Montfaucon, Bibliotheca bibliothecarum manuscriptorum nova, II, apud Briasson, Parisiis 1739, 1408.

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II. Dichter und Werk

Aufgrund gemeinsamer Lücken und Fehler führt Peiper die von ihm verwendeten Handschriften ABCG auf einen gemeinsamen Archetypus X (bei Peiper übergroß gedruckt) zurück, den er als Nazarianus liber bezeichnet155, worunter die im Katalog des Klosters St. Nazarius in Lorsch beschriebene Handschrift zu verstehen ist. Daraus leitet sich nach Peiper zum größten Teil die Bibeldichtung her, die sich in dem Corpus aus Bibeldichtung und Wigbod befindet156, und aus einem Exemplar dieser Wigbod-Tradition (X) lassen sich wiederum die beiden Hauptüberlieferungszweige X1 und X2 deduzieren157. Dabei gelangt Peiper zu folgendem Stemma, das hier in Anlehnung an G. Kreuz158 um die Codices RE ergänzt wird:

X

(Nazarianus liber)

X X1

X2

X3

A

· B

X4

G C

R X:

E

Handschrift in der Tradition des Corpus aus Wigbod und Bibeldichtung X1–X4 und : von Peiper angenommene Zwischenstufen

·

Die Validität dieses von Peiper entworfenen Stemmas ist bereits von Weymann 1892 und insbesondere von Herzog 1975 in Zweifel gezogen worden159; insbesondere die Zurückführung der Handschrift C, die als einzige Hept. iud. 10–69 155 Vgl. Peiper 1891, XIII–XIV. 156 Vgl. Peiper 1891, III, der hier in Anm. 4 einige Ungereimtheiten dieser Ableitung zugibt. Gegen eine Ableitung der Codices AB aus der Lorscher Bibliothek argumentiert Herzog 1975, 56–58. 157 Vgl. Peiper 1891, XVI. 158 Vgl. Peiper 1891, XIV (zu den Erklärungen vgl. XIV–XVI) und Kreuz 2006, 15. 159 Nach Weymann 1892, 12 ist die Rückführung sämtlicher Codices auf einen aus Lorsch stammenden Archetypus fragwürdig; Herzog 1975, 54 hält die Deutung der überlieferungsgeschichtlichen Fakten durch Peiper für falsch.

3. Überlieferungs- und Editionsgeschichte

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enthält, auf einen mit AB gemeinsamen Archetypus erscheint falsch, es sei denn, es liegt eine Kontamination vor160. Eine umfassende Neubeurteilung der stemmatischen Zusammenhänge wird allerdings erst im Rahmen einer Neuedition der gesamten erhaltenen Heptateuchdichtung möglich sein. Sekundärüberlieferung Die Sekundärüberlieferung der Heptateuchdichtung, die von Petringa 2001 und von Petringa (L’attribuzione) 2007161 eingehend behandelt worden ist, ist zwischen dem 7. und 9. Jh. greifbar und teilt sich in drei Zweige: 1. Verse aus der Heptateuchdichtung werden in angelsächsischen Prosawerken zitiert, um metrisch-prosodische oder grammatikalische Besonderheiten beispielhaft zu erläutern. Hier ist an erster Stelle das Werk De metris et aenigmatibus ac pedum regulis (ca. 685) des Aldhelm (ca. 640–709) zu nennen, der mehrere einzelne Verse des HD162 zitiert. Durch die Formulierung ut ille versificus septimo divinae legis libro [...] eleganter cecinisse memoratur163 nimmt Aldhelm in einer sehr allgemeinen Weise Bezug auf die Heptateuchdichtung, die aber zugleich auf einen gewissen Bekanntheitsgrad des Werkes schließen lässt und ein positives Werturteil über die paraphrastische Technik des HD enthält (eleganter). Zeugnisse für die prosodisch-metrische auctoritas, die dem HD von Aldhelm beigemessen wird, sind seine Nennung in einem Atemzug mit den klassischen Vorbildern Vergil und Lukan164 sowie die Bekräftigungsformeln sicut novissimo versu libri Regum cautum legitur bzw. ut in basilion cautum est165 und approbante versifico166. Ferner überliefert Aldhelm auch einige Verse, die sich nicht in der handschriftlichen Überlieferung finden, nämlich Hept. num. 503, reg. 4 und reg. 8167. Beda (ca. 673–735) zitiert in De arte metrica als Beispiel für den phalaeceischen Hendecasyllabus Hept. exod. 507–521, also den ersten Teil des mosaischen Canticums nach dem Durchzug durch das Rote Meer, wobei er keinerlei Hinweise auf Autor und Werk gibt168. Schließlich findet sich im 162. Brief des Alkuin (ca. 730– 804) ein Zitat von Hept. exod. 129–130, wodurch das bisweilen feminine Genus des Substantivs rubus belegt werden soll. Auch Alkuin nennt keinen Autorenna160 Zu dieser Problematik äußert sich Peiper selbst, vgl. Peiper 1891, XIV –XV Anm. 1. 161 Vgl. dort 167–168; auf diesen beiden Darstellungen fußen die folgenden Ausführungen. 162 Vgl. Ehwald 1919, 189 l. 32 (Hept. num. 503), 92 l. 12 (iud. 18), 158 l. 3–5 (iud. 679 und 681), 186 l. 28 (reg. II 4), 80 l. 12 (reg. IV 8). 163 Vgl. Ehwald 1919, 157 l. 31–158 l. 1–2. 164 Vgl. Ehwald 1919, 92 l. 7–14. 165 Vgl. Ehwald 1919, 80 l. 11 und 186 l. 28. 166 Vgl. Ehwald 1919, 189 l. 30. 167 S.o. Anm. 162. 168 Vgl. Kendall 1975, 132. Die Stelle in Bedas Werk De orthographia, an der die Bedeutung des Wortes cynomyia erklärt wird (vgl. Jones 1975, 14), spielt nach Petringa 2001, 519–520 nicht auf Hept. exod. 286–287 an, sondern direkt auf das biblischen Buch Exodus nach der Vetus Latina; anders Peiper 1891, 66.

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II. Dichter und Werk

men, sondern nimmt auf die Heptateuchdichtung durch die Worte in metro, quod in eptatheco conscribitur Bezug169. Offensichtlich war also der Name des HD im 7. Jahrhundert nicht (mehr) bekannt, während sein Werk durchaus verbreitet war und im schulischen Unterricht als Fundgrube für metrisch-prosodische Exempla herangezogen wurde. 2. Ein weiterer, im französischen Bereich vertretener Zweig der Sekundärüberlieferung besteht in Florilegien, d.h. in Sammlungen von Versen verschiedener klassischer und christlicher Autoren zu dem Zweck, die Prosodie von weniger geläufigen Wörtern für den schulischen Unterricht zu erläutern. So enthält das Opus prosodiacum des Mico von St. Riquier (ca. 825–853), das um die Mitte des 9. Jh.s entstand, 15 Verse aus der Heptateuchdichtung, die jeweils am Rand einem Autor zugeschrieben werden, in den meisten Fällen Alcimus Avitus, aber niemals einem Cyprian170. Diese Zuschreibung dürfte sich daraus erklären, dass die von Mico verwendete, heute verlorene Handschrift der Heptateuchdichtung mit den Codices AB direkt verwandt war, in welchen das fünfte Buch des Avitus unmittelbar bzw. fast unmittelbar vor Hept. exod. (in A) bzw. Hept. lev. (in B) steht: Da der Name des Avitus im incipit des fünften Buches wiederholt wird und das incipit der darauf folgenden Heptateuch-Bücher keinen Verfasser nennt, ist deren Zuschreibung an Avitus leicht erklärbar. Wie Aldhelm zitiert auch Mico einige Verse des HD, die sich nicht in der handschriftlichen Tradition finden und von Peiper teilweise den verlorenen Büchern der Könige und der Chronik (Paralipomenon) zugeordnet werden171, d.h. auch er benutzte offenbar eine Handschrift, die die Dichtung des HD in vollständigerer Form als heute überlieferte. Ein anderes, anonymes Florilegium mit dem Titel Exempla diversorum auctorum, das in zwei Handschriften vom Ende des 9. und aus dem 11. Jahrhundert überliefert ist, enthält einige Verse der Heptateuchdichtung, die größtenteils auch in Micos Opus prosodiacum zu lesen sind172, allerdings ohne Zuschreibung an einen Autor. Indem die beiden Florilegien Verse des HD als didaktische Exempla zur Erläuterung von Quantitäten heranziehen, bezeugen sie die hohe Wertschätzung, die die Dichtung in den französischen Klosterschulen des frühen Mittelalters genoss.

169 Vgl. Dümmler 1895, 260. 170 Vgl. Hept. gen. 626 (Op. pr. 139), 892 (Op. pr. 347), 1290 (Op. pr. 42), exod. 286 (Op. pr. 87), 401 (Op. pr. 210), 1100 (Op. pr. 193), num. 357 (Op. pr. 279), 433 (Op. pr. 188), Ios. 302 (Op. pr. 82), 350 (Op. pr. 287), 404 (Op. pr. 407), 553 (Op. pr. 323), iud. 467 (Op. pr. 85), reg. I 2 (Op. pr. 282), paralip. I 10 (Op. pr. 263); zu diesen Angaben vgl. Petringa 2001, 523 Anm. 45. 171 Hept. reg. I 1 (Op. pr. 311), I 2 (Op. pr. 282), I 3 (Op. pr. 265), III 6 (Op. pr. 314), III 7 (Op. pr. 369), paralip. I 9 (Op. pr. 213), I 10 (Op. pr. 263); ferner incert. sed. 12 (Op. pr. 10), 13 (Op. pr. 95), 14 (Op. pr. 313), 15 (Op. pr. 335) und 16 (Op. pr. 379). Zu diesen Angaben vgl. Petringa 2001, 525–526, zu Zweifeln an manchen Zuordnungen vgl. die ebd. 526 Anm. 51 genannte Literatur. 172 Hept. exod. 286 (Exempla 196) und 1099 (Exempla 191), num. 357 (Exempla 195), Ios. 404 (Exempla 190). Nur Hept. exod. 1099 findet sich nicht bei Mico. Zu diesen Angaben vgl. Petringa 2001, 526.

3. Überlieferungs- und Editionsgeschichte

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3. Der dritte Zweig der Sekundärüberlieferung wird durch Reminiszenzen der Heptateuchdichtung in anderen poetischen Werken vertreten, die wie die Prosawerke und Florilegien dem angelsächsischen oder französischen Bereich angehören. Während in dem Gedicht Miracula Nyniae episcopi eines anonymen britannischen Autors (8. Jh.) lediglich der dreimalige Gebrauch des Verbums cleptare auf eine Benutzung der Heptateuchdichtung hinweist, da dieses Verbum vorher nur dort sicher bezeugt ist173, übernimmt der Angelsachse Aethelwulf in seinem Carmen de abbatibus et viris piis coenobii sancti Petri in insula Lindisfarnensi aus dem ersten Viertel des 9. Jh.s sehr offensichtlich Klauseln und Junkturen aus der Heptateuchdichtung. Umfangreiche Reminiszenzen, bei denen sich teilweise inhaltliche Parallelen ziehen lassen, liegen bei carm. de abbat. 10,2–4 (vgl. Hept. gen. 188–190)174 und carm. de abbat. 13,11–20 (vgl. Hept. exod. 1304–1325)175 vor, an anderen Stellen greift Aethelwulf auf rein formaler Ebene einzelne Klauseln und Junkturen auf176. Schließlich werden im anonymen, möglicherweise in Laon entstandenen Carmen de Sancto Cassiano (ca. 9. Jh.) die Verse Hept. num. 1–2 fast wörtlich zitiert (carm. de S. Cass. 507–508)177. Daraus folgt, dass der Heptateuchdichter im frühen Mittelalter nicht nur als metrisch-prosodische Autorität, sondern auch als poetisches Vorbild galt. Editionsgeschichte Die Identifizierung des HD mit unterschiedlichen Autoren178 zieht sich auch durch die recht komplizierte und wechselvolle, etwa 300 Jahre dauernde Editionsgeschichte der Heptateuchdichtung, die Petringa 2011 ausführlich behandelt hat179. Die Hauptetappen dieser Editionsgeschichte sind die mit Handschriftenfunden verbundenen Editionen von G. Morel, J. Sirmond, E. Martène und U. Durand sowie J. B. F. Pitra. 1. G. Morel veröffentlichte im Jahre 1560 in Paris erstmals die Verse 1–165 des Buches Genesis der Heptateuchdichtung auf der Grundlage des Codex R, zusammen mit dem anonymen Gedicht De Sodoma und den Werken des Cl. M. Vic-

173 Es handelt sich um Carm. de Nyn. 210 (cleptantes), 218 (cleptare) und 237 (cleptantes), wo es jeweils um einen Diebstahl von Tieren geht, sowie um Hept. exod. 881 (qui vitulum cleptat [...]), wo der Diebstahl von Haustieren juristisch behandelt wird; ein weiterer Beleg für cleptare ist Hept. exod. 827. Vgl. hierzu Petringa 2001, 528–529. 174 Aethelwulf beschreibt hier die Schmiedekunst eines Mönches, der HD die Schmiedekunst des Tobel, vgl. Petringa 2001, 530–531 und den Kommentar zu Hept. gen. 190. 175 Vgl. hierzu Petringa 2001, 531–533. 176 Einige Beispiele nennt Petringa 2001, 533. 177 Vgl. hierzu Petringa 2001, 534–535. 178 Zur Frage des Autornamens vgl. die ausführliche Darstellung in Kapitel II.1. 179 Vgl. auch die etwas knappere, aber inhaltlich fast identische Darstellung in Petringa (L’attribuzione) 2007, 169–174; an diesen beiden Darstellungen orientieren sich die folgenden Ausführungen.

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II. Dichter und Werk

torius, des Ps.-Hilarius und des Dracontius180. Das Textstück trägt den Titel Genesis und wird von Morel gemäß der Attribuierung in Codex R dem karthagischen Bischof Cyprian zugeschrieben, ebenso wie das Gedicht De Sodoma. In seinem einleitenden Widmungsbrief stellt Morel den schlechten Zustand des Codex fest, der ihn zur Emendation korrupter Stellen veranlasst habe, wohingegen er unversehrte Stellen lieber dem Urteil seiner Leser überlassen als durch eigene Emendationen verändern wolle181, doch der von Morel gedruckte Text zeigt gegenüber der Überlieferung von R auch zahlreiche nicht notwendige Eingriffe182. Diese erste, sehr partielle Edition der Heptateuchdichtung war Grundlage einer ganzen Reihe weiterer Editionen vom 16.–19. Jh., die jeweils nur die Verse Hept. gen. 1–165 enthalten und dieses Fragment Cyprian von Karthago183, Tertullian184 oder gar Salvian185 zuschreiben oder aber die Unsicherheit der Verfasserschaft bekunden186. 2. Die nächste, wenn auch weitgehend folgenlose Etappe in der Editionsgeschichte der Heptateuchdichtung wurde durch J. Sirmond eingeleitet187. Dieser merkt in seiner 1643 erschienenen Avitus-Ausgabe in den am Ende des Bandes befindlichen Notae ad Avitum an, er habe unter dem Namen dieses Dichters in 180 Cl. Marii Victoris, oratoris Massiliensis, ALHJEIAS seu commentationum in Genesin libri III. Epigrammata varia vetusti cuiusdam auctoris, inter quae sunt et aliquot psalmi versibus redditi. Hilarii Pictaviensis episc. Genesis. Cypriani Genesis et Sodoma. Dracontii De opere sex dierum. Omnia versibus, nunc primum e vetustis codicibus expressa, apud Guil. Morelium, Parisiis 1560. 181 Vgl. S. 2 des Vorworts, zitiert bei Petringa 2011, 291 Anm. 16. 182 Dies zeigt schon ein Blick auf die ersten Verse von Hept. gen., wenn man die in Peipers Apparat (S. 1) mit der Sigle m angegebenen Konjekturen Morels mit dem Text von R vergleicht. Zum konjekturellen Eifer Morels in der Genesisdichtung des Ps.-Hilarius vgl. Kreuz 2006, 17–18. 183 Vgl. die Ausgaben von G. Fabricius (1564), G. Morel (1564), J. de Pamèle (1568) und M. Maittaire (1713, nachgedruckt 1766 in der Collectio Pisaurensis). 184 Vgl. die Ausgaben von J. de Pamèle (1583), F. du Jon (1597), D. A. Bachmann alias Rivinus (1651) und F. Oberthür (1781). 185 Vgl. die Ausgabe von L. E. Dupin (1698). 186 So veröffentlichte A. Fichet (1616) in seiner Sammlung klassischer und christlicher Dichter Hept. gen. 1–165 unter dem Titel Caecilii Cypriani, sive, ut alii volunt, Tertulliani Genesis, N. Rigault publizierte das Fragment 1634 in seiner Tertullian-Edition als Werk eines incertus auctor und 1648 in seiner Cyprian-Edition mit Zuschreibung an Cyprian, und in ähnlicher Weise veröffentlichte P. Le Prieur den Text 1664 als Werk eines incertus auctor unter den Werken Tertullians und 1666 unter den Opuscula quae vulgo adscribuntur Caecilio Cypriano. Schließlich gab J. Fell (1682) die fraglichen Verse zusammen mit dem Werk Cyprians von Karthago unter dem Titel Carmen ignoti Auctoris perperam Tertulliano et etiam Cypriano attributum heraus. 1726 wurde das Fragment von E. Baluze/P. Maran unter den unechten Werken Cyprians von Karthago herausgegeben und mit einem Anmerkungsapparat versehen, der die Lesarten des Codex R und der besten vorausgehenden Editionen vereint. Diesen auf der Grundlage von R hergestellten Text druckte F. Oehler, allerdings ohne den Anmerkungsapparat, 1854 im Rahmen der Libri suppositicii Tertullians unter dem Titel Incerti auctoris Genesis nach. 187 S. Aviti Archiepiscopi Viennensis Opera edita nunc primum, vel instaurata, cura et studio Iacobi Sirmondi ..., apud Sebastianum Cramoisy, Parisiis 1643, 62–64.

3. Überlieferungs- und Editionsgeschichte

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drei (nicht näher bestimmten) Handschriften Werke gefunden, die die Bücher Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium, Josua und Richter behandeln, aber aufgrund ihrer schlechten Qualität nicht veröffentlicht zu werden verdienten. So begnügt er sich damit, von jedem dieser Texte die ersten (maximal vier) Verse abzudrucken und die jeweilige Gesamtzahl an Versen anzugeben, und lässt die Gelegenheit verstreichen, die Heptateuchdichtung in einem erheblich größeren, bisher unbekannten Umfang herauszugeben. Wenn auch die Verszahlen Sirmonds vom Umfang der heute bekannten handschriftlichen Überlieferung abweichen, ist es doch sehr naheliegend, dass es sich bei den von ihm verwendeten Codices um AB und möglicherweise um den verlorenen, mit AB verwandten Codex von St. Riquier handelt, da sich hierdurch die von Sirmond vorgenommene Zuschreibung von Hept. exod. bis iud. an Avitus erklärt188. Da aber die von ihm benutzten Handschriften nicht sicher feststellbar sind, kommt seiner Ausgabe ein eigener textkritischer Wert zu, was bislang noch nicht hinreichend erkannt wurde189. 3. Im Jahre 1733 entdeckten die Benediktiner E. Martène und U. Durand den damals in Corbie aufbewahrten Codex G, der das Buch Genesis der Heptateuchdichtung mit Ausnahme der Verse 325–378 vollständig enthält, und veröffentlichten den Text im selben Jahr mit Anmerkungen versehen im neunten Band ihrer Sammlung antiker Schriftsteller190. Dabei übernahmen sie aus dem Index von G die Zuschreibung an Juvencus und datierten Hept. gen. auf die Zeit kurz vor oder nach der Veröffentlichung von Juvencus’ Evangeliendichtung191. 4. Der entscheidende Fortschritt in der Editionsgeschichte der Heptateuchdichtung verdankt sich Kardinal J. B. F. Pitra, der die Codices ABC entdeckte und im Vergleich zur Ausgabe von Martène/Durand nicht nur die Lücke im Buch Genesis füllen, sondern auch die Bücher Exodus bis Richter hinzufügen konnte. Dies erfolgte in zwei Phasen, nämlich in Spicilegium Solesmense I (1852) und in Analecta sacra et classica (1888)192. Pitra schreibt das gesamte Textcorpus Juvencus zu und versucht diese Zuschreibung durch Ähnlichkeiten zwischen der 188 S.o. S. 52. 189 Dies sei in Ergänzung zu Petringas Ausführungen angemerkt. 190 Veterum scriptorum et monumentorum historicorum, dogmaticorum, moralium, amplissima collectio, IX, ..., prodiit nunc primum studio et opera domni E. Martène et domni U. Durand ..., apud Montalant, Parisiis 1733, 14–56. 191 Ihr Text von Hept. gen. wurde mehrfach nachgedruckt, wobei die Zuschreibung an Juvencus in der Edition von A. Galland (1768), in den Poetae Ecclesiastici Latini (1825) und in PL XIX (1846), 345–380 beibehalten wurde, während F. Arévalo (1792) Hept. gen. im Anhang seiner Juvencus-Edition unter den unechten Werken des Juvencus veröffentlichte. 192 Spicilegium Solesmense complectens Sanctorum Patrum scriptorumque ecclesiasticorum anecdota hactenus Opera, ... curante domno J. B. Pitra, I, apud Firmin Didot Fratres, Parisiis 1852, 171–259 und Analecta sacra et classica Spicilegio Solesmensi parata, edidit J. B. Pitra, apud Roger et Chernowitz bibliopolas, Parisiis – ex officina libraria Philippi Cuggiani, Romae 1888, 181–207. Eine Übersicht über die veröffentlichten Bücher(teile) der Heptateuchdichtung einschließlich der Versangaben Pitras findet sich bei Mayor 1889, 71 (Spicilegium Solesmense I) und 191 (Analecta sacra et classica); die von Petringa 2011, 299 Anm. 67 genannten Zahlen differieren hiervon teilweise. Peiper 1891, XIII wirft Pitra mangelnde Sorgfalt vor und verurteilt ihn als „proditor potius quam editor Cypriani“.

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II. Dichter und Werk

Heptateuchdichtung und der Evangeliendichtung des Juvencus in Vokabular und Syntax, in der bibelparaphrastischen Methode und in der Metrik zu untermauern193. Für die Evangeliendichtung nimmt er eine Entstehung in der Friedenszeit unter Konstantin an, während die nachlässiger verfasste Heptateuchdichtung unter Julian entstanden sein soll194. 5. Die 1852 veröffentlichten Handschriftenfunde von Pitra (ABC) und die auf dem Codex G fußende Ausgabe von Martène/Durand (1733) blieben W. A. von Hartel seltsamerweise unbekannt: 1871 druckte er im Anhang seiner kritischen Ausgabe der Werke Cyprians von Karthago die ersten 165 Verse des Buches Genesis der Heptateuchdichtung unter den für unecht gehaltenen Werken Cyprians ab195, wobei er sich allein auf den Codex R stützt und behauptet, keine weiteren Codices gefunden zu haben196. Auch in die zeitgenössische Sekundärliteratur drang die Kenntnis der Codices ABCG erst allmählich, bis J. E. B. Mayor 1889 einen grammatikalischen und philologischen Kommentar zur gesamten Heptateuchdichtung veröffentlichte197 und dadurch den Weg für die erste Textausgabe im wissenschaftlichen Sinne bereitete. Diese 1891 von R. Peiper in CSEL 23 publizierte Ausgabe198 ist die auch heute noch maßgebliche für die Heptateuchdichtung, welche Peiper einem nicht näher bekannten, in Gallien tätigen Cyprian zuschreibt199, und fußt auf den Codices ABCG, während R und E nicht herangezogen wurden. Nach einer Auflistung von Fragmenten, die vermutlich aus den verlorenen Heptateuchbüchern stammen200, druckt Peiper hier auch die anonymen bzw. pseudepigraphischen Dichtungen De Sodoma, De Iona, Ad senatorem, In Genesin, De Maccabaeis und De Evangelio. Die Benutzung der Textausgabe wird dadurch erschwert, dass sich vor dem Text zwei wichtige Ergänzungen befinden, die Peiper noch während des Drucks einfügte: In den Addenda et corrigenda (S. XXX–XXXIII) werden textkritische Ergänzungen und Verbesserungen nachgetragen, die (in Großdruck) den Text selbst bzw. (in Kleindruck) den kritischen Apparat betreffen und bei denen es sich insbesondere um Lesarten des Codex C handelt, die Peiper nach eigenen Angaben im Text vernachlässigt hatte und J. E. B. Mayor verdankte201. Die sogenannten Mayoriana (S. XXXIV–XXXVII) sind Emendationen, die Mayor in seinem kurz zuvor erschienenen Buch vorschlägt und die Peiper zum größten Teil nicht in seinen Text oder Apparat aufge193 194 195 196 197 198 199 200

201

Vgl. Spicilegium Solesmense I, XL–XLV. Vgl. Spicilegium Solesmense I, XLI. Vgl. Hartel 1871, 283–288. Vgl. Hartel 1868, LXVI. Auf das peinliche Versehen Hartels weist auch Kreuz 2006, 31–32 Anm. 74 hin. Zu einer genaueren Besprechung s.o. S.12. Nachgedruckt wurde diese Ausgabe in PLS III (1963), 1151–1242. Im Unterschied zu Peiper sind hier von Hept. gen. nur die Verse 324–379a abgedruckt. Vgl. Peiper 1891, XXIV. Vgl. Peiper 1891, 209–211: Regum I–IV, Paralipomenon I und II, ein zweifelhaftes HiobFragment (vgl. dazu Herzog 1975, 54 Anm. 23 und Roberts 1985, 95 Anm. 134) und fünf Verse incertae sedis. Vgl. Peiper 1891, XXX oben.

3. Überlieferungs- und Editionsgeschichte

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nommen hat; dabei lässt Peiper, wie er S. XXXIV unten anmerkt, sehr viele Emendationen unerwähnt, die Mayor nur aus prosodischen Gründen vorschlägt. Die am linken Rand des HD-Textes vermerkten Kapitel- und Verszahlen der Bibel sind einerseits eine große Hilfe, andererseits überzeugt die Zuordnung nicht immer. Schließlich finden sich am Ende des Bandes202 vier hilfreiche, wenn auch nicht immer vollständige Verzeichnisse, nämlich 1. Auctores imitatores, 2. Index nominum, 3. Index verborum et locutionum und 4. Index metricus. Die genannten Kritikpunkte begegnen, neben anderen wie etwa der schlechten druckgraphischen Qualität, auch in den zeitgenössischen Rezensionen203, wobei dort aber Peipers Leistung als Herausgeber überwiegend gewürdigt wird, da so ein im Vergleich zu Pitra deutlich besser abgesicherter Text zustandegekommen ist. Inzwischen wird von der Arbeitsgruppe CSEL an der Universität Salzburg eine Neuedition der Heptateuchdichtung angestrebt. Diese wird sich in jedem Falle mit den verschiedenen textkritischen Verbesserungsvorschlägen auseinanderzusetzen haben, die bereits von zeitgenössischen Rezensenten Peipers204, aber auch in den textkritischen Beiträgen von Hey 1905205, Hass 1912206, Weymann 1926207 und Kuijper 1952208 angeführt wurden und durch etliche eigene Erkenntnisse aus der Kommentierung von Hept. gen. 1–326 ergänzt werden können209. Auch eine Neubeurteilung der stemmatischen Zusammenhänge wäre im Rahmen einer solchen Neuedition zu leisten.

202 Vgl. Peiper 1891, 275–348. 203 Zusammengestellt von Kreuz 2006, 33–34 Anm. 82; es handelt sich um Huemer 1891, Lejay 1891, Luthardt 1891, Petschenig 1891, Preuschen 1891, Riese 1891, Jülicher 1892, Mohr 1892, Weymann 1892 und Wölfflin 1892. Kreuz selbst äußert sich S. 32–33 bezogen auf Ps.Hilarius kritisch zu Peipers CSEL-Ausgabe. 204 Vgl. insbesondere Huemer 1891, Luthardt 1891, Petschenig 1891, Preuschen 1891, Riese 1891 und Mohr 1892. 205 Vgl. Hey 1905, 44–45 zu Hept. Ios. 540 und gen. 1353. 206 Vgl. Hass 1912, 41 zu einigen Versen in Hept. Ios. und iud. 207 Vgl. Weymann 1926, 114 zu Hept. exod. 787. 208 Zu Hept. iud. 547. 209 Vgl. den textkritischen Apparat in Kapitel IV, z. B. die Umstellung von V. 9–12 in der Reihenfolge 11/9/10/12, V. 16 fingit (AC) gegen Peipers Konjektur figit, V. 20 varia suspendunt corpora penna (G) gegen Peipers varias suspendunt aere pinnas (in Anlehnung an AC und Gronovius bzw. Cauchius), die Großschreibung von Aedibus in V. 54 und 173 im Sinne des Namens „Eden“, V. 150 num (G) gegen Peipers non (ACR), V. 340 mutis entsprechend Mayors Konjektur gegen Peipers multis (AC), V. 342 die gegenüber Peiper veränderte Interpunktion und V. 355 die Konjektur texere anstelle von Peipers gessere (AC).

9 M oC bcgP erhältnizudB asV 5.D

III. UNTERSUCHUNGEN ZUM BUCH GENESIS DER HEPTATEUCHDICHTUNG 1. SPRACHLICH-STILISTISCHE UND METRISCH-PROSODISCHE BESONDERHEITEN (HEPT. GEN. 1–362) Das vorliegende Kapitel bietet anhand einschlägiger Beispiele einen Überblick über die wichtigsten sprachlich-stilistischen und metrisch-prosodischen Besonderheiten des HD, die in Hept. gen. 1–362 auftreten. Wie die metrischprosodischen und sprachlichen Untersuchungen von Becker 1889, Mayor 1889, Best 1891, Gamber 1899 und Stutzenberger 1903 sowie der lexikalische und metrisch-prosodische Index von Peiper 18911 zeigen, spiegeln sich in den hier gesammelten Phänomenen grundsätzliche Tendenzen der Heptateuchdichtung; zugleich erweist sich der HD als Repräsentant des späten und insbesondere christlichen Lateins. Beobachtungen zu Sprache und Stil in Hept. gen. 1–3622 1. Phänomene, die insbesondere im späten Latein verbreitet sind3: a) Besonderheiten im Wortgebrauch: alius statt alter (V. 140 ast alius curvo terram vertebat aratro, V. 144 [...] ast alius miti se devovet agno), toti für omnes (V. 22 totos [...] agros, V. 274 und 287 totos [...] nimbos). b) Besonderheiten in der Formenbildung: Dativ acro statt acri (V. 359), linuit als Perfekt zu linere (V. 254), Passiv von perdere wird nicht durch perire ersetzt (V. 341–342 fuerit [...] perditus). c) Besonderheiten im Gebrauch der Pronomina: Abschwächung von ipse zu is (V. 255 ipsa [scil. arca] fuit plenas ter centum longa per ulnas). d) Besonderheiten im Gebrauch der Konjunktionen: dum („während, indem“) mit Indikativ Perfekt bei präsentischem Hauptsatz (V. 5 has [scil. tenebras] dum disiungi iussit, a cardine fatur), weiterführendanknüpfende Funktion von namque im Sinne von δέ (V. 2 namque erat informis fluctuque abscondita tellus). 1 2 3

Vgl. Peiper 1891, 313–348. Zur Begründung und weiteren Belegung der genannten Phänomene vgl. jeweils den Kommentar. Ggf. überlagern sich hier späte, volkstümliche und christliche Tendenzen. Manche Phänomene sind schon in früherer Zeit belegt, aber gerade auch im späten bzw. christlichen Latein vertreten, weshalb sie hier aufgenommen werden. Vgl. im Einzelnen den Kommentar.

1. Sprachlich-stilistische und metrisch-prosodische Besonderheiten (Hept. gen. 1–362)

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e) Besonderheiten des Tempusgebrauchs: Indikativ Futur statt Imperativ (V. 269 esse sines tecum), Indikativ Präsens statt Imperativ (V. 269 escamque his omnibus infers), fore statt esse (V. 158 ille negat positum custodem se fore fratris), Tempusverschiebung beim Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II Passiv (V. 117 visa fuit, V. 143 fuerant [...] prosata, V. 341–342 fuerit [...] perditus). f) Besonderheiten in der Kasusverwendung: Ablativ der Raumerstreckung statt Akkusativ (V. 258 edita ter denis in caelum tollitur ulnis), Ablativus comparationis beim Superlativ (V. 359 germanis [...] postremus), Verbindung zweier Synonyme durch den Genitivus appositivus (V. 124 in occiduo venientis tempore mortis). g) Besonderheiten im Gebrauch der Präpositionen: coram mit Akkusativ statt Ablativ (V. 328 dominum coram), de beim Ablativus instrumentalis (V. 49 pingui [...] de caespite, V. 55 liquidis de fluctibus, V. 58 rauco de gurgite, V. 133 calidis de vestibus), de mit Ablativ verdrängt bloßen Ablativus separativus (V. 132 evulsas pecudum de viscere pelles), in beim Ablativ einfacher Zeitbestimmungen (V. 124 in occiduo venientis tempore mortis), in als Stütze beim Ablativus absolutus (V. 298 iamque relabenti decrescit in aequore pontus), per beim Akkusativ der räumlichen Erstreckung nach longus (V. 255 ipsa fuit plenas ter centum longa per ulnas). h) Besonderheiten bei syntaktischen Konstruktionen: mandare mit AcI im Sinne von iubere (V. 23 cunctaque multiplici mandavit crescere passim), praecipere mit AcI (V. 108 praecipiens cunctis invisum vivere monstrum), praecipere im persönlich konstruierten Passiv mit NcI (V. 115 [scil. femina] praecipitur duro discrimine ponere partum), persönliches Passiv beim intransitiven Verb suadeo (V. 103 serpentis suasa loquellis). 2. Nur beim HD belegte Formen, Wörter (Neologismen), Junkturen und Wortverwendungen: a) Formen: conpangere statt conpingere (V. 251), faxunt für facient (?) (V. 342). b) Neologismen: celsiiugus (V. 291), fraudiger (V. 114), praerorare (V. 334), promptim (V. 98 und 227). c) Junkturen: aliquid nomine narrare „etwas mit einem Namen benennen“ (V. 12 arida mox posito narratur nomine terra), annos protendere „Jahre verlängernd hinzufügen“ (V. 201 quinque [...] protentis [...] annis), commercia vitae im Sinne von vita (V. 216 secura dabit nobis commercia vitae). d) Wortverwendungen: constrictior im temporalen Sinne von iunior (V. 203–204 ter denis deinde Iaretus / atque tribus vixit longo constrictior aevo), decubare im Sinne von mori (V. 202 iunior hoc iterum ter quinis decubat annis), discretim im Sinne von dissecando („durchschneidend“) (V. 63 Assyriam celeri discretim flumine sulcans), lubricare mit effiziertem Objekt („Glattes hervorbringen“) (V. 21 gelidos

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

in spiras lubricat angues), mellitus im Sinne von cibo dulci repletus (V. 85 mellitis faucibus), mitia (Neutrum Plural) im Sinne von „reife Frucht/Früchte“ (V. 83 mitia [...] momordit), noxalis statt noxius im Sinne von „schädlich, verderbenbringend“ (V. 68 malum noxale, V. 97 poma [...] noxalia), orbis absolut für annus (V. 211 nongentos porrigit orbes und V. 314–315 sescentos [...] transgressus et unum / orbes erat vatis), orsa im Sinne von nomina (V. 137 diversis nuncupat orsis), procurvare in Bezug auf das Nachvornekrümmen eigener Bestandteile (V. 14 pomiferique simul procurvant brachia rami), quadrifidus in Bezug auf vier Flussarme (V. 56 quadrifidosque secat undanti ex fonte meatus [scil. flumen paradisi]), salsa (Neutrum Plural) im Sinne von mare (V. 272–273 per glauca vehendus / salsa), viritim („Mann für Mann“) in Bezug auf Tiere (V. 43 viritim cunctis nomen [...] indit). 3. Sehr seltene Wortverwendungen und Wörter: componere für „(Lebewesen) erschaffen“ (V. 29 et licet hunc [scil. hominem] solo posset componere verbo), cultio für agricultura (V. 271 cultio destiterit), gestare im Sinne von habere (V. 260 ad medium gestans facili cum cardine postes), longus im Sinne von „langlebiger, älter“ (V. 201 quinque fuit tantum protentis longior annis), metiri im Sinne von aestimare, considerare mit dem AcI (V. 33 metitur solum mordaces volvere curas), opimare in Bezug auf einen fruchtbar machenden Fluss (V. 61 Aethiopas Geon adlapsus opimat), perceler (V. 129 und 313), ponere partum für „gebären“ (V. 115), praecerpere für bloßes carpere (V. 66 licitos praecerpere fructus), protendere im temporalen Sinn von protrahendo addere (V. 201 quinque […] protentis […] annis). 4. Im christlichen bzw. biblischen Latein verbreitete Wörter und Wendungen4: abyssus (V. 288), arida für „trockenes Land“ (V. 12), benedictio (V.335), cavere im Sinne von scriptis confirmare/deponere (V. 362), Cherubin (V. 129), disperdere (V. 151), eliminare (V. 128), lactare (V. 234), maledictus (V. 163), maledictum (V. 220), mundanus (V. 26), mundi peccata (V. 243), reatus für peccatum (V. 218 und 230), terrena voluptas (V. 234). 5. Lexikalische und syntaktische Vorlieben des HD: a) Adjektiv- und Verbalkomposita mit Präpositionen5, insbesondere mit prae: praecerpere (V. 66), praedives (V. 57), praelambere (V. 60), praepinguis (V. 254 und 308), praerorare (V. 334). b) Zusammengesetzte Adjektive6: astriger (V. 80), celsiiugus (V. 291), fraudiger (V. 114), multimodus (V. 46 und 230), omnigenus (V. 246). c) Verdeutlichung des Ablativus qualitatis durch cum: validis cum tractibus amnes (V. 10), torva cum mole gigantes (V. 238), facili cum cardine postes (V. 260). 4 5 6

Manche dieser Wörter treten ausschließlich in christlicher Zeit auf, andere nehmen in christlicher Zeit eine besondere Bedeutung an, vgl. im Einzelnen den Kommentar. Zu dieser Vorliebe des HD vgl. Becker 1889, 21–22. Vgl. auch Becker 1889, 22–23. Zur Vorliebe für zusammengesetzte Adjektive bei den Genesisdichtern HD, Cl. M. Victorius, Ps.-Hilarius, Dracontius und Avitus vgl. Gamber 1899, 190.

1. Sprachlich-stilistische und metrisch-prosodische Besonderheiten (Hept. gen. 1–362)

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6. Stilistische Vorlieben: a) Alliteration: Dieses rhetorische Mittel tritt hier und auch in den übrigen Büchern der Heptateuchdichtung häufig auf7. Besonders auffallende Belege aus dem kommentierten Bereich sind: V. 30 dignatus ducere dextra, V. 64 custos Adamus cum coniuge, V. 109–110 morsu / mandere, mansuro, V. 115 duro discrimine ponere partum, V. 116 servitiumque sui studio, V. 126 dominus trepidis dat taedia, V. 193 progenerat post mortem mitis, V. 194 creat, cui candida corda, V. 242 siderea sancto permotus pectore. b) Versumspannende Hyperbata, z. B. V. 10 multiplices rapiens validis cum tractibus amnes, V. 14 pomiferique simul procurvant brachia rami, V. 56 quadrifidosque secat undante ex fonte meatus, V. 58 conspicuasque terit rauco de gurgite gemmas, V. 139 innocuas multa servabat cura bidentes, V. 333 sed croceum tantum curvandum in nubibus arcum. c) Auffallende Vokalhäufungen, z. B. des Vokals i in V. 34 ilicet inriguo perfundit lumina, V. 55 rigat insignes liquidis, V. 108 praecipiens cunctis invisum vivere, V. 190 diversis formare modis stridente camino, V. 231 constringit miserans prolixae incommoda vitae, V. 281 quidquid vivit, tumidis mergatur in undis. d) Abwechslungsreiche Stellung von Substantiven und zugehörigen Adjektivattributen durch – Parallelismus: z. B. V. 67 quos nemus intonsum ramo frondente creavit, V. 122 ut cum visceribus lassis et pectore maesto, V. 145 exta gerens sincera manu adipemque nivalem, – Chiasmus: z. B. V. 55 quod rigat insignes liquidis de fluctibus hortos, V. 56 quadrifidosque secat undante ex fonte meatus, V. 58 conspicuasque terit rauco de gurgite gemmas, V. 80 aureus astrigero ridebit cardine mundus. – verschränkte Anordnung von Substantiven und zugehörigen Attributen: z. B. V. 13 florea ventosis consurgunt germina campis, V. 16 et stellas tremulo radiantes lumine fingit, V. 18 tempora quae doceant varios mutanda per ortus, V. 36 atque artus mixta geminos substantia firmet, V. 57 Fisonus auriferis praedives fluctuat undis, V. 75 livida mordaci volvens mendacia sensu, V. 105 nam sua vipereis intexens verba venenis, V. 123 plurima sollicitos praestent suspiria victus, V. 187 repperit et vario concordes murmure chordas, V. 334 candida cum sudo praerorant sidera nimbo.

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Vgl. Stutzenberger 1903, 26–29 mit einer Auflistung von Alliterationen in der gesamten Heptateuchdichtung.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

e) Zusammenstellung etymologisch verwandter Wörter8, z. B. V. 54 fluit [...] flumen, V. 210 vivit [...] vitam, V. 184–185 pastor [...] pascebat, V. 263–264 fluentem / fluctibus, V. 299 fluitabat flumine. f) Wiederholung des gleichen Wortes innerhalb weniger Verse zur Erzeugung von Eindringlichkeit oder auch zur Herstellung inhaltlicher Zusammenhänge, z. B. V. 32 formatum und V. 35 formetur, V. 73 und V. 75 sensu (jeweils am Hexameterende), V. 111 labentem und V. 113 labens sowie V. 130 calidus und V. 133 calidis. Diese Wortwiederholungen sollten nicht als poetisches Unvermögen ausgelegt werden, da der HD an anderen Stellen sichtbar um Variatio bemüht ist, indem er etwa verschiedene Begriffe für Noah, die Arche und Gott einsetzt9. g) Synonymische Amplificatio von Wörtern oder Sätzen, z. B. V. 24 inmensis errare et pascere terris, V. 112–113 post crura virorum / [...] et calces, V. 160 ad me missa sonat celsumque ascendit ad axem, V. 198 sopitus morte quievit, V. 214–215 dum vatum more futura / praevidet et sensus venturum mittit in aevum, V. 353 tegunt velantque. Beobachtungen zu Metrik und Prosodie in Hept. gen. 1–362 Bezüglich der Metrik hat bereits Longpré herausgearbeitet, dass der HD eine vertiefte Kenntnis der klassischen Regeln zum Bau des Hexameters zeigt, was sich bei der Gestaltung der Hexameterenden, der Zäsuren, der syntaktischen Einschnitte und bei der Wahl der Verstypen erweist. Schwächen bzw. Abweichungen von den Regeln der klassischen Dichtung liegen im vergleichsweise häufigen Zusammenfall von Versfußende und Wortende im 2. und 3. Versfuß vor, wobei der HD aber bestimmte Maßnahmen ergreift, um die dadurch entstehenden Irritationen abzumildern, insbesondere durch die enge syntaktische Verbindung zwischen dem Wort am Fußende und dem folgenden Wort10. Ein Beispiel aus dem kommentierten Bereich ist V. 3 (inmensusque deus super | aequora vasta meabat), wo die Präposition super am Ende des 3. Fußes sich auf den unmittelbar folgenden Akkusativ aequora vasta bezieht. Ein Charakteristikum des HD, das ihn von vorausgehenden Dichtern unterscheidet, ist nach Longpré die Bevorzugung des Spondeus gegenüber dem Daktylus im vierten Fuß, nämlich in 88,2 % der Hexameter innerhalb der Heptateuch-

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Dieses Phänomen ist grundsätzlich der Volkssprache eigen, aber auch bei Kirchenschriftstellern beliebt, vgl. LHS 790 §38 sowie 38–39 §45 und 124–125 §79 unter f. 9 So stehen für Noah die Begriffe propheta (V. 302, 347), senex (V. 283, 324, 355), senior (V. 300) und vates (V. 262, 294, 305 u.ö.) und als Synonyme für arca die Begriffe antrum (V. 286), aula (V. 313) und cumba (V. 264 und 299). Gott wird bezeichnet als deus (V. 3, 40, 45 u.ö.), divina potentia (V. 25), dominus (V. 1, 7, 91 u.ö.), dominus caeli (V. 93), maximus (V. 102), numen (V. 167), omnipotens (V. 107), pater (V. 21), potens (V. 205) und Tonans (V. 65, 141, 168, 325). 10 Vgl. Longpré (Structure) 1972, 99–100 sowie 83–85.

1. Sprachlich-stilistische und metrisch-prosodische Besonderheiten (Hept. gen. 1–362)

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dichtung11; innerhalb von Hept. gen. 1–362 trifft dies auf 318 Hexameter zu, wobei das Schema DSSS mit 97 Belegen am häufigsten ist. Entsprechend der Zunahme des Hiats in der spätlateinischen Dichtung begegnet auch beim HD öfters der Hiat, bevorzugt nach der Penthemimeres (P) und Hephthemimeres (H)12. Dieser sog. metrische Hiat an der Zäsur ist bereits in der klassischen Dichtung v.a. bei Vergil häufig13. Die Belege aus dem kommentierten Bereich sind V. 145 exta gerens sincera manu | adipemque nivalem (nach H), V. 173 Aedibus obversis Naidae | in caespite terrae (nach H)14, V. 183 quarum prima fuit Ada | atqu(e) altera Sella (nach H), V. 194 Enochum | is deinde creat, cui candida corda (nach Trithemimeres), V. 269 esse sines tecum, | escamqu(e) his omnibus infers (nach P) und V. 326 atque memor voti, | adolet d(um) altaria flammis (nach P). Der Versus hypermeter V. 225 tresque creat natos, Sethum Chamumque Iafetum//que, dessen abschießendes -que mit Elision zum folgenden Vers gezogen wird, ist das einzige von Peiper verzeichnete Beispiel in der Heptateuchdichtung15 – eine Erscheinung, die bei Vergil immerhin etwa 20-mal auftritt16. Weitaus mehr Freiheiten als in der Metrik weist die Heptateuchdichtung in der Prosodie auf, wobei es sich laut Longpré (Structure) 1972 aber ausschließlich um Unregelmäßigkeiten in von Natur aus langen oder kurzen Silben handelt; die beiden essentiellen Regeln der lateinischen Prosodie, dass Vokal vor Vokal kurz ist und dass eine Silbe lang ist, wenn auf ihren Vokal zwei Konsonanten folgen, halte der HD stets ein17. Bezüglich der letzteren Regel ist anzumerken, dass der HD bei dem Wort abyssus in V. 288 die Positionslänge des y zwar aufhebt, dass diese Lizenz aber mit der freien Behandlung griechischer Fremdwörter zu rechtfertigen ist18, und dass die Nicht-Dehnung des kurzen Endvokals in der Senkung vor der Buchstabenfolge s + halbvokalisches u in V. 114 (deceptă suadellis) bereits in der klassischen Dichtung gängig ist19. Die zahlreichen prosodischen Lizenzen in der Hepateuchdichtung hängen insbesondere mit der neuen Lateinaussprache zusammen, die sich in der Spätantike entwickelte und bei der der Wortakzent auf Kosten der ursprünglichen Silbenquantitäten an Bedeutung gewann20. Besonders die unbetonten Endsilben waren von diesem Quantitätsverlust betrof11 Vgl. Longpré (Structure) 1972, 77. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt bereits Cornu 1908, 56. 12 Vgl. besonders Stutzenberger 1903, 30–31. 13 Vgl. Crusius 1967, 19 unter 2. Nach Longpré 1973, 106 finden von den insgesamt 58 Hiaten in der Heptateuchdichtung 53 an einer Zäsur statt. 14 Zur unklaren Prosodie von Naidae und der Möglichkeit, evtl. ohne Hiat Nāīd(ae) in zu lesen, vgl. den Kommentar zu V. 173. 15 Vgl. Peiper 1891, 348. 16 Vgl. Crusius 1967, 37 unter Anm. 1. 17 Vgl. Longpré (Structure) 1972, 75. 18 Vgl. auch Mayor 1889, LI und Gamber 1899, 198. Peiper 1891, 348 schlägt vor, die Überlieferung eventuell in abysus zu verbessern. 19 Vgl. Crusius 1967, 7 unter 10. Dagegen erwähnt Peiper 1891, 346 dieses Phänomen eigens mit mehreren Belegen. 20 Vgl. Leonhardt 1989, 14.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

fen, da unter dem Einfluss des Wortakzents unbetonte Silben kurz ausgesprochen wurden21. Im Folgenden werden die prosodischen Lizenzen in Hept. gen. 1–362 auf der Grundlage der Systematik aufgeführt, die Peiper in seinem Index metricus anwendet; diese Systematik wird ggf. anhand der Darstellungen von Becker 1889, Best 1891, Gamber 1899 und Stutzenberger 1903 ergänzt22: 1. Kürzung langer Silben am Wortende: a) Endsilben23 auf -ā: Ablativ Singular der a-Deklination (V. 15 quartă die, V. 19 quintă die, V. 21 sextă pater, V. 32 formatum ceu suă, V. 40 septimă luce, V. 44 donată sibi prudentiă, V. 139 multā servabat cură), Numeralia (V. 222 septuagintă super positis, V. 232 sexagintă per annos, V. 256 quinquagintă patens). b) Endsilben auf –ēs bei Zahladverbien: V. 208 sexiĕs et denos, V. 228 sex-iĕs hic vatis, V. 212 septiĕs et denos, V. 221 septiĕs hic centum, V. 362 quinquiĕs et denos. c) Sonstige Endsilben: V. 280 complebŏ madentes. 2. Kürzung langer Silben im Wortinneren: a) Kürzung des Diphthongs ae: V. 152 colla praebebit, V. 266 maiora praesentibus. b) Kürzung der ersten Silbe bei dreisilbigen Wörtern am Hexameterende: V. 111 ipsumque lăbentem, V. 114 decepta suădellis, V. 152 colla praebebit (s.o.). c) Sonstige Binnensilben: V. 6 „Lux fĭat!“, V. 68 ne forte mălum, V. 282 haec ubi dicta, fĭunt24. 3. Dehnung kurzer Silben am Wortende unter dem Einfluss der Zäsur bzw. Hebung25: V. 5 has dum disiungi iussīt, | a cardine fatur, V. 9 accipit inmensūs | errantia litora pontus, V. 27 haec memorāt: | „Hominem nostris faciamus in unguem, V. 36 atque artus mixtā | geminos substantiă firmet26, V. 56 quadrifidosque secāt | undante ex fonte meatus, V. 59 prasinus huic nomēn, | illi est carbunculus ardens, V. 62 tertius est Tigrīs, | Eufrati adiunctus amoeno, V. 138 Cāīnīs | hic nomen habet, cui iunctus Abelus, V. 159 cui deus effatur: „Nonnē | vox sanguinis eius, V. 176 Enochus Gaidada creāt | ac deinde Malechum, V. 182 coniugibūs | hic facta gemens sese increpat ultro, V. 183 quarum prima fuīt | Adā | atque altera Sella, V. 194 Enochūm | is deinde creat, 21 Vgl. Leonhardt 1989, 30. Zur Erklärung der prosodischen Unregelmäßigkeiten des HD mit diesem Übergang vom quantitierenden zum akzentuierenden Versbau vgl. auch Becker 1889, 10–11 und Gamber 1899, 193–194. 22 Vgl. Peiper 1891, 344–348 sowie Becker 1889, 10–16, Best 1891, 20–25, Gamber 1899, 193–199 und Stutzenberger 1903, 33–35. 23 Zur sog. Endsilbenkürzung in früherer Zeit vgl. Crusius 1967, 27 unter 29. 24 Zu weiteren Belegen für die Kürzung des i in Formen von fieri vgl. Peiper 1891, 345. 25 Zur sog. metrischen Dehnung vor Zäsuren und in anderen Hebungen in der klassischen Dichtung vgl. Crusius 1967, 28 unter 31. 26 Bei mixta […] substantia könnte es sich auch um einen Ablativ handeln, so dass das lange -ā von substantia gekürzt wäre und der Beleg unter Punkt 1. anzuführen wäre. Vgl. den Kommentar zu V. 36.

2. Der HD und seine biblische Vorlage (Hept. gen. 1–362)

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cui candida corda, V. 195 largitus dominūs, | hoc se poscente rogari, V. 213 Lamechūs, | hoc patre satus, Noele creato, V. 241 atque dolēt | hominem dextra formante creatum, V. 268 septenis paribūs; | inmundo de grege bina, V. 269 esse sines tecūm, | escamque his omnibus infers, V. 283 festinoque senē, | longo qui nobilis aevo, V. 312 mittitur in pelagūs27 | ales, quae lapsa meatu. 4. Dehnung kurzer Silben im Wortinneren bzw. am Wortanfang: a) Dehnung unter dem Einfluss der ersten Hebung: V. 43 vīritim, V. 59 prāsinus, V. 44 Ādamus, V. 133 ōperiens, V. 251 dūplicibus, V. 343 sīmilibus. b) Dehnung nach der Zäsur: V. 19 quinta die accipiunt | līquentia flumina pisces, V. 224 editur, innocuo | dāturus semina saeclo, V. 254 unguine praepingui linuit | bītuminis arcam. c) Sonstige Binnensilben: V. 90 quae pūdenda vident, ficulnis frondibus umbrant. 5. Die Prosodie von Eigennamen ist sehr willkürlich und wechselt, was in der zeitgenössischen christlichen Dichtung häufiger vorkommt28. Auf die prosodische Behandlung der einzelnen Namen wird jeweils im Kommentar hingewiesen, hier seien nur zwei besonders auffallende Beispiele genannt, nämlich V. 44 Ādāmus (vgl. auch V. 192 Ādām) – V. 64 Ădămus – V. 93 Ădāmum (vgl. auch V. 134 und 197 Ădāmus) und V. 138 Cāīnis (vgl. auch V. 147 Cāīn) – V. 179 Căīnem. 2. DER HD UND SEINE BIBLISCHE VORLAGE (HEPT. GEN. 1–362) a. Vorüberlegungen: Das Verhältnis des HD zur Heiligen Schrift Im Buch Genesis der Heptateuchdichtung finden sich keine Metareflexionen des HD über die Heiligkeit des Wortes Gottes, in dessen Dienst er sich als Dichter stellt, und ebenso ist vor dem Buch Genesis – wie auch vor den anderen Büchern – keine Praefatio überliefert, in der dieser Aspekt hätte thematisiert werden können. Dass sich der HD seiner Gebundenheit an die Heilige Schrift bewusst ist, wird nur an wenigen Stellen in sehr formelhafter Weise angedeutet: So unterstreicht der Dichter in Hept. gen. 362 und 1437 die Richtigkeit von Zahlenangaben unter Berufung auf seine biblische Vorlage29, bittet in Hept. gen. 212 um Er-

27 Bei mehreren der genannten Beispiele bildet zusätzlich h in Verbindung mit einem vorausgehenden Konsonanten Position, was laut Crusius 1967, 5 Anm. 1 nicht vor der Spätantike vorkommt, vgl. V. 27 memorāt: Hominem, V. 138 Cāīnīs hic, V. 182 coniugibūs hic, V. 195 dominūs, hoc, V. 213 Lamechūs, hoc, V. 241 dolēt hominem. 28 Vgl. Gamber 1899, 198–199, der dort auch auf die gelegentlichen Lizenzen bei Eigennamen in der klassischen Dichtung hinweist. 29 Vgl. Hept. gen. 361–362 inde senex functus nongentos transit in annos / quinquies et denos, ut legis formula cavit („wie der Wortlaut des Gesetzes [d.h. des AT] es verbürgt hat“) und

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

laubnis, das Alter des Mathusala um ein Jahr aufrunden zu dürfen30, und erlaubt sich in Hept. gen. 967–968 bei der Nennung von Jakobs Nachkommen eine Umstellung31. Während etwa Cl. M. Victorius biblische Sachverhalte allegorisch ausdeutet und explizite typologische Bezüge zwischen AT und NT herstellt, zeigt sich der HD im untersuchten Textbereich Hept. gen. 1–362 zumindest auf der Textoberfläche als Literalexeget32. Dies schließt jedoch nicht aus, dass einige Textpassagen aufgrund bestimmter Wortwahl für neutestamentliche bzw. christologische Perspektiven durchlässig sind, die von einem theologisch gebildeten Leser wahrgenommen werden konnten33. b. Zum erzähltechnischen Umgang des HD mit seiner biblischen Vorlage Im Vergleich zu Genesisdichtern wie Cl. M. Victorius, Ps.-Hilarius, Avitus oder Dracontius, die ihre Darstellung durch Digressionen, gelehrte Exkurse, Ekphraseis oder breit ausgearbeitete Dialoge amplifizieren, und mit Blick auf die gesamte Heptateuchdichtung ist das Urteil der Forschung nicht von der Hand zu weisen, dass der HD seiner biblischen Vorlage, einem Vetus-Latina-Text mit stellenweisem Einfluss der Vulgata34, „im allgemeinen [...] recht genau“35 folgt, bis hin zu einer „enge[n], oft als sklavisch empfundene[n] Anlehnung an seine Vorlage“36. Unter dieser vergleichenden und makroskopischen Perspektive erscheinen die erzähltechnischen Eingriffe des HD in seine biblische Vorlage tatsächlich als „ge-

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Hept. gen. 1436–1437 educens iuvenes patrio moderamine quinque / septies et denos, Genesis ut formula cavit („wie der Wortlaut [des Buches Genesis] es verbürgt hat“). Vgl. Hept. gen. 211–212 at Mathusalamus nongentos porrigit orbes / septies et denos, unum si iungere ius est (in Vet. Lat. gen. 5,27 lautet die Zahl 969). Vgl. Hept. gen. 967–968 ast alias (corr. Arevalus) partus, utero quos Balla creavit, / scire licet; claros nunc ius est dicere natos. Zur Bevorzugung der Literalexegese in der Heptateuchdichtung vgl. auch Nazzaro (Cipriano) 2006, 1035. Vgl. den Kommentar zu V. 41 (eschatologisches Verständnis des Sabbats als künftige Heilszeit?), V. 47–48 (Menschen als Erben des Himmelreiches?), V. 139, 144b, 152, 153, 155, 160b, 193 (Abel als Praefiguratio Christi?), V. 217 (Noah als Praefiguratio Christi?), V. 243 (delere [...] mundi peccata als Verweis auf Christus, der die Sünden der Welt hinwegnimmt?). Zu dem Ansatz, dass der Text des HD stellenweise auf subtile neutestamentliche Bezüge hin transparent ist, vgl. Homey 2009 und 2014. Vgl. S. 76. Vgl. Hamm 2002, 168. Zu ähnlichen Urteilen vgl. Pollmann 1992, 491 („in relativ enger Anlehnung an die biblische Vorlage “) und Thraede 1962, 1026–1027, der den HD aus diesem Grund unter die „[h]istorisch-grammatische[n] Paraphrasen“ in seiner Systematik einordnet. Vgl. Homey 2009, 150, der aber in seinem Aufsatz die Eigenständigkeit des HD trotz dieses engen Rahmens herausarbeitet.

2. Der HD und seine biblische Vorlage (Hept. gen. 1–362)

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ringfügig[...]“37. Die mikroskopische Betrachtung von Hept. gen. 1–362 zeigt jedoch, dass der HD in nicht geringem Umfang von den paraphrastischen Techniken der Kürzung, Erweiterung, Umstellung und Kontamination38 Gebrauch macht, inhaltliche Veränderungen vornimmt und den biblischen Bericht durch seine eigene Interpretation ersetzt. Übersicht 139 geht am Text von Hept. gen. 1–362 entlang und gibt einen Überblick über die Einhaltung der biblischen Erzählreihenfolge. Es wird deutlich, dass der HD in etlichen Passagen der biblischen Erzählchronologie genau folgt und nur Kürzungen vornimmt40, während er an anderen Stellen die chronologische Abfolge der biblischen Erzählung durch Vorziehen und Nachtragen von Inhalten umstellt und Bibelverse miteinander kontaminiert. Sein Ziel ist es dabei meistens, die Übersichtlichkeit und die zeitliche und kausallogische Stringenz der biblischen Erzählung zu verbessern41, was sich an folgenden Schwerpunkten zeigt: Die Datumsangaben des dritten bis sechsten Schöpfungstages werden vom HD gleich zu Beginn der Darstellung des jeweiligen Tages genannt (vgl. V. 11, 15, 19 und 21), während sie in der Bibel erst am Ende erscheinen. Bei der Erschaffung des Menschen wirft die biblische Vorlage ein logisches Problem auf, da die Menschenschöpfung zweimal in unterschiedlicher Weise berichtet wird, zuerst als Erschaffung des Menschen als Mann und Frau (Gen 1,26– 27) und dann als Erschaffung des Mannes aus Lehm, aus dessen Rippe die Frau gebaut wird (Gen 2,7.18.21–24). Der HD glättet diese Unstimmigkeit, indem er diesen zweiten Bericht von der Erschaffung des Menschen vorzieht und mit der ersten, am sechsten Tag stattfindenden Menschenschöpfung kontaminiert (V. 29– 39). Die Erzählung von der Anlage des Paradieses, der Einsetzung des Menschen in den Garten und seiner Instruktion durch Gott, die in der Bibel zwischen der Formung des Menschen aus Lehm und der Erschaffung der Frau aus seiner Rippe steht (Gen 2,8–17), wird beim HD nachgetragen (V. 50–69), so dass sich eine erzähltechnisch wirksame Konfrontation mit der gleich folgenden Sündenfallgeschichte ergibt (ab V. 72)42. Zu Beginn des sechsten Genesiskapitels findet sich die Erzählung von den Gottessöhnen, Menschentöchtern und Giganten (Gen 6,1–4), in deren Verlauf Gott eine Beschränkung der menschlichen Lebenszeit auf 120 Jahre beschließt, 37 Vgl. Thraede 1962, 1027. Zu dem gleichen Urteil kommt Ciarlo 2008, 741 nach der Untersuchung der paraphrastischen Technik des HD („Nel complesso si tratta di minimi concessioni“). 38 Zu diesen Techniken der Bibelparaphrase mit Beispielen aus der Heptateuchdichtung vgl. Roberts 1985, 107–160 („The Manipulation of the Biblical Text“) und 161–218 („The Bible Amplified“), speziell zur Heptateuchdichtung vgl. Ciarlo 2008, v.a. 730–740, wo Ciarlo einen makroskopischen Überblick über die Anwendung der paraphrastischen Techniken Kürzung, Erweiterung und Umstellung in den Büchern Genesis bis Richter gibt. 39 Siehe S. 531–535. 40 Zu den Kürzungen vgl. Übersicht 2, S. 536–546. 41 Vgl. hierzu Ciarlo 2008, 730. 42 Vgl. dazu auch Roberts 1985, 128.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

weil die Menschen „nur Fleisch“ sind. Daraufhin beginnt mit Gen 6,5–7 die Sintfluterzählung: Gott sieht, dass die Bosheit der Menschen auf Erden überhand nimmt, bereut, den Menschen geschaffen zu haben, und beschließt, ihn mitsamt den Tieren zu vernichten. In dem offensichtlichen Bemühen, den Zusammenhang zwischen der Erzählung in Gen 6,1–4 und der folgenden Sintfluterzählung deutlicher herauszustellen als in der biblischen Vorlage, schafft der HD durch einige inhaltliche Veränderungen und das Vorziehen von Gen 6,5 und 6,3 seine eigene Erzähllogik, derzufolge die wachsende Bosheit der Menschen zunächst durch eine Lebenszeitverkürzung eingedämmt werden soll, bevor dann die Verbrechen der Giganten Gott zu seinem Vernichtungsbeschluss bewegen (V. 229–249). Ein Beispiel dafür, wie durch Umstellung eines Bibelverses dessen Inhalt vollkommen verändert werden kann, ist der Nachtrag von Gen 8,4 in V. 322–323: Dem biblischen Bericht zufolge sitzt die Arche, während die Wasser der Sintflut sinken, auf dem Berg Ararat auf; danach sinken die Wasser weiter bis zur vollkommenen Trockenheit der Erde, so dass die Insassen der Arche diese verlassen können. Der HD platziert dagegen Gen 8,4 an dem Punkt der Erzählung, als die Erde bereits trocken ist, und unmittelbar vor dem Aussteigen der Menschen und Tiere aus der Arche. Von einem Aufsitzen der Arche auf dem Berggipfel kann bei trockener Erde nicht mehr die Rede sein, vielmehr ist an ihr Zuruhekommen am Fuß des Berges zu denken, der sich in der Vorstellung des HD offensichtlich am Meeresufer befindet43. Übersicht 244 geht an der biblischen Vorlage von Hept. gen. 1–362, also an Vet. Lat. gen. 1,1–9,29, entlang und zeigt auf, wo der HD seine biblische Vorlage kürzt, eigenes Gedankengut hinzufügt, inhaltliche Veränderungen vornimmt und den Bibeltext interpretierend wiedergibt. Dabei liegt das Augenmerk auf signifikanten strukturellen und inhaltlichen Eingriffen des HD in den Bibeltext, während eher der stilistischen Gestaltung zuzurechnende Veränderungen nicht berücksichtigt werden, insbesondere affektsteigernde und die Stilhöhe anhebende Erweiterungen45, bloße Umformulierungen eines biblischen Gedankens unter Beibehaltung des Sinns oder die Umwandlung von direkter Rede in indirekte Rede oder in berichtete Handlung46. Dass die Trennlinie zwischen „inhaltlich signifikant“ und „eher stilistisch“ im Einzelfall nicht immer eindeutig bestimmbar ist und auch vom subjektiven Blick des jeweiligen Betrachters abhängt, gilt es dabei als methodisches Problem bewusst zu halten. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass der HD von der paraphrastischen Technik der Kürzung besonders starken Gebrauch macht, denn etliche Bibelverse sind vollständig oder zumindest teil-

43 Vgl. den Kommentar zu V. 322. 44 Vgl. S. 536–546. 45 Zu derartigen Amplifikationen beim HD vgl. Roberts 1985, 183–186; gemeint sind Epitheta, affektbezogene Adjektive, die den erbaulichen Charakter steigern können, poetische Periphrase oder synonymische Amplificatio. 46 Zu dieser paraphrastischen Technik vgl. Roberts 1985, 145.

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weise ausgelassen47. Bei diesen Auslassungen sind folgende Haupttendenzen zu erkennen: Der HD will die Erzählung straffen und konsistenter gestalten, indem er Redundanzen und Doppelungen vermeidet, die im biblischen Bericht aufgrund seiner komplexen Entstehungsgeschichte reichlich vorhanden sind48. So ist etwa das erste Genesiskapitel durch die stete Aufeinanderfolge von Gottes Befehl und dessen Ausführung strukturiert, während der HD sich meist unter Weglassung des Befehls (vgl. Gen 1,6.9.11.14.20.24) auf die Ausführung konzentriert. Ferner lässt er die ständig wiederkehrende Billigungsformel, d.h. das Gutheißen des Erschaffenen durch Gott, konsequent aus (vgl. Gen 1,4.10.12.18.21.25.31). Doppelungen größeren Umfangs, die der HD wegkürzt, sind der Neuansatz des Schöpfungsberichts nach Gen 2,4–6 und der Neuansatz mit Adams Stammbaum bis zu Seth zu Beginn des 5. Genesiskapitels (Gen 5,1–4)49. Letzteres Kapitel entwickelt Adams Stammbaum nach dem sich wiederholenden Muster „Alter von x, Zeugung eines namentlich genannten Sohnes, weitere Lebensjahre von x, Zeugung weiterer Söhne und Töchter, Alter von x bei seinem Tod“, was der HD durch eine Konzentration auf den Namen und das jeweils erreichte Lebensalter erheblich strafft. Schließlich erhält Noah im 6. und 7. Genesiskapitel von Gott unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Anweisungen bezüglich der Mitnahme von Tieren in der Arche, denn laut Vet. Lat. gen. 6,19–20 soll er von jeder Tierart ein Paar mitnehmen, nach Vet. Lat. gen. 7,2 aber von den reinen Tieren sieben Paare und von den unreinen Tieren zwei Paare, was in Vet. Lat. gen. 7,3 noch einmal eigens für die reinen und unreinen Vögel gesagt wird. Nach Vet. Lat. gen 7,8–9 steigen dann von jeder Tierart „zwei und zwei“ Tiere in die Arche ein, nach Vet. Lat. gen. 7,14–16 sind es je zwei. Der HD behält von all dem nur Vet. Lat. gen 7,2 bei (vgl. V. 266b–269a) und beseitigt so die Redundanzen und Widersprüche50. Inhalte, die für den zeitgenössischen christlichen Leser und für den Fortgang der Erzählung uninteressant sind, werden eliminiert, insbesondere Zahlenangaben. So entfallen im 5. Genesiskapitel die Angaben darüber, in welchem Lebensalter die Nachkommen Adams ihren namentlich genannten Sohn zeugen und wieviele Jahre sie leben, bevor sie weitere Söhne und Töchter zeugen, und im 7. und 8. Genesiskapitel Zeitangaben bezüglich des Ausbruchs und des Sinkens der Flut. Im Vergleich zu den Kürzungen ist die Hinzufügung von eigenem Gedankengut weitaus seltener und geringer an Umfang51 und bezieht sich schwerpunktmäßig auf folgende Aspekte:

47 Die starke Raffung und die Auslassung vollständiger Passagen ist nach Ciarlo 2008, 729 ein Hauptcharakteristikum des Werkes. 48 Zur Problematik der strukturellen Komplexität des AT aufgrund der Kombination von ursprünglich eigenständigen Erzählsträngen vgl. Roberts 1985, 116–117. 49 Vgl. hierzu auch Ciarlo 2008, 730. 50 Vgl. hierzu auch Ciarlo 2008, 730 und Roberts 1985, 130. 51 Entsprechend sieht Ciarlo 2008, 729 in dem Fehlen von Amplifikationen bzw. Digressionen größeren Ausmaßes ein weiteres Hauptcharakteristikum des Werkes.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

Es werden Details eingebracht, die der anschaulichen und realistischen Beschreibung dienen52, z. B. der Wind auf den Feldern, die Blüten an den Gräsern und die sich biegenden Obstbaumzweige im Zusammenhang mit der Erschaffung der Pflanzen (V. 13–14, vgl. Gen 1,12), das Schleifen der Edelsteine durch die tosende Strömung des Paradiesflusses Phison (V. 58, vgl. Gen 2,12) oder die antizipatorische Beschreibung der Sintflutentstehung in Gottes Rede an Noah, derzufolge die angeschwollenen Flüsse den Meeresspiegel steigen lassen und das Meer alles mit seinem Schlamm begräbt (V. 276–278, vgl. Gen 7,4). Es finden sich sachliche Zusatzinformationen und Erklärungen: Z. B. besteht der Zweck der Fellkleider von Adam und Eva darin, sie gegen Kälte zu schützen (V. 131, vgl. Gen 3,21), das Verpichen der Arche und die Verwendung von Kanthölzern dienen dazu, das Eindringen von Wasser zu verhindern (V. 253 und 259, vgl. Gen 6,14), und das Verbot, bluthaltiges Fleisch zu essen, wird damit begründet, dass im Blut die Seele der Tiere enthalten sei (V. 340, vgl. Gen 9,4). Ansätze zu theologisch-exegetischen Erläuterungen liegen insbesondere vor bei der Erschaffung des Menschen von Gottes Hand statt durch ein bloßes Wort (V. 29–30, vgl. Gen 2,7), beim friedlichen und glücklichen Leben des entrückten Enoch (V. 210, vgl. Gen 5,24), bei der Beseitigung einer schweren Last und der Wiederherstellung des durch die menschlichen Sünden vertriebenen Friedens durch Noah (V. 217–218, vgl. Gen 5,29), bei der Sündentilgung durch die Sintflut (V. 243, vgl. Gen 6,7) und bei der soteriologischen Funktion Noahs als Stammvater eines unschuldigen Geschlechts (V. 224, vgl. Gen 6,9). Die Figurendarstellung wird durch Charakterisierung und psychologische Motivierung der Handlungen53 angereichert, was besonders für die Schlange und Eva gilt: So sinnt die Schlange auf missgünstige Lügen und führt Evas weiches Herz in Versuchung (V. 75–76, vgl. Gen 3,1), Eva rechtfertigt sich vor Gott mit einem Verweis auf die Lügen und Schmeicheleien der Schlange (V. 104–106, vgl. Gen 3,13), sie ist durch betrügerische Überredungskunst elend getäuscht worden (V. 114, vgl. Gen 3,16) und der grausamen Schlange erlegen (V. 118, vgl. Gen 3,17). Ferner wird Sem und Japheth, die den von Cham bloßgestellten Vater züchtig bedecken, zweimal die Eigenschaft der pietas zugeschrieben (V. 353, vgl. Gen 9,23, und V. 357, vgl. Gen 9,24). Bei den inhaltlichen Veränderungen und der interpretierenden Wiedergabe des Bibeltextes zeigt sich am deutlichsten die Eigenständigkeit des HD. Diese Eingriffe können geringfügig sein und sich auf kleine Details beziehen, wenn z. B. Gott seinen Lebensatem nicht ins Gesicht, sondern in die Brust des Menschen haucht (V. 31, vgl. Gen 2,7), oder wenn Hagel statt Regen auf die Erde niedergehen soll, um die Sintflut herbeizuführen (V. 280, vgl. Gen 7,4). Als eher geringfügige Eingriffe sind auch solche Interpretationen des HD einzustufen, die sich problemlos mit dem Sinn des Bibeltextes vereinbaren lassen, z. B. die Deu52 Vgl. hierzu auch Herzog 1975, 153 mit Beispielen aus verschiedenen Büchern der Heptateuchdichtung. 53 Zur Einfühlung des Paraphrasten in die Psyche der Figuren als Mittel der Andacht vgl. Herzog 1975, 142.

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tung der unsichtbaren Erde zu Beginn der Schöpfung als von der Urflut bedeckte Erde (V. 2, vgl. Gen 1,2) oder die Bezeichnung des Baums der Erkenntnis von Gut und Böse als Baum mit tödlichen Früchten, der den Geschmack von Leben (= Gut) und Tod (= Böse) hervorbringt (V. 52–53, vgl. Gen 2,9). In einigen anderen Fällen wird der Sinn des Bibeltextes aber deutlich verändert, indem neue Vorstellungen eingebracht werden: So wird das Paradies in einem Gebäudekomplex angelegt (V. 50 laeta [...] in aula, vgl. Gen 2,8), Abels Tieropfer erscheint als Selbsthingabe (V. 144 se devovet agno, vgl. Gen 4,4) und Enochs Versetzung an einen anderen Ort wird als Entrückung durch eine plötzliche Finsternis interpretiert (V. 208–209, vgl. Gen 5,24). Schließlich finden sich wenige Belege für eine Verkehrung des Schriftsinns in sein Gegenteil, insbesondere die Umdeutung von Kains Furcht vor dem Tod als Wunsch zu sterben (V. 167, vgl. Gen 4,14) und der Bezug der siebenfachen Rache nicht auf einen potentiellen Mörder Kains, sondern auf Kain selbst (V. 171, vgl. Gen 4,15). c. Zum Bibeltext des HD und zu seiner Nähe zum biblischen Wortlaut Will man Aussagen über den vom HD verwendeten Bibeltext treffen und darauf aufbauend die Nähe des HD zum biblischen Wortlaut beurteilen, so muss man sich der methodischen Problematik bewusst sein, dass aufgrund der poetischen Paraphrase die biblische Vorlage des HD in vielen Fällen nicht genau bestimmt werden kann: Als Dichter kann sich der HD unabhängig von dem benutzten Bibeltext frei für seine Wortwahl entscheiden, und immer wieder überdecken auch poetische Reminiszenzen die biblische Vorlage54. Dennoch lässt der überlieferte Text der Heptateuchdichtung in seiner Gesamtheit eine Reihe von Tendenzen erkennen, die in der bisherigen Forschung wie folgt beschrieben wurden: Erstens ist erkennbar, dass der HD nicht unmittelbar auf die Septuaginta zurückgriff, sondern eine altlateinische Bibelübersetzung benutzte55. So weist Herzog anhand von „Pseudoeigennamen des AT, die sich als Verballhornungen der LXX entpuppen“, und anhand anderer Namensentstellungen nach, dass dem Dichter „das Griechische nicht mehr zugänglich“ war und dass seine Vorlage folglich nicht die LXX, sondern ein altlateinischer Bibeltext war56. Diese Vorlage steht laut Roberts den Vetus-Latina-Textformen S und I nach der Beuroner Vetus-Latina-Edition am nächsten, die Ausprägungen des sog. europäischen Textes darstellen und deren 54 Zu dieser Problematik vgl. Pollmann 1992, 497–498 und bereits Stutzenberger 1903, 41 und Hass 1912, 28. 55 Zur Vetus Latina als Vorlage des HD vgl. etwa Becker 1889, 27–36, Mayor 1889, XLIII– XLIV, Best 1891, 37–48, Manitius 1891, 167, Peiper 1891, XXVI, Hass 1912, 27–40, Bardenhewer 1923, 433, Krestan 1957, 477, Herzog 1975, 106, Roberts 1985, 93–94, Petringa 1992, 134, Nodes 1993, 26 und 83, Moreschini/Norelli 1996, 627, Hamm 2002, 168, Ciarlo 2008, 727 Anm. 3. Dass der HD (auch) auf die LXX zurückgriff, vermuten dagegen Witke 1971, 155 Anm. 33, Di Berardino 1986, 313, White 2000, 99 und Nazzaro (Cipriano) 2006, 1035. 56 Vgl. Herzog 1975, 110. Zu demselben Ergebnis kommt auch Becker 1889, 28–29.

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erstgenannte zunächst in Spanien und dann in Südgallien und Oberitalien vertreten war, während letztere in Italien geläufig war. Textform I wird von Augustinus, Ambrosius und Lucifer von Calaris bezeugt, den Kirchenvätern, deren VetusLatina-Text die meisten Berührungspunkte zum HD aufzuweisen scheint. Diese Beobachtungen deuten laut Roberts wiederum auf Südgallien oder Oberitalien als Ursprungsort der Heptateuchdichtung hin57. Übereinstimmungen des HD mit der Vulgata gegen die Vetus Latina veranlassen Pollmann zu der Schlussfolgerung, dass der HD und auch Cl. M. Victorius „entweder eine Textform der Vulgata [gebrauchten], die mit Lesarten der Vetus Latina durchsetzt war, oder [...] zwei Übersetzungen nebeneinander [gebrauchten], die sie unterschiedlich zu Rate zogen, nämlich die Vetus Latina und die Vulgata.“58 Diese Erkenntnisse der Forschung lassen sich durch die eigenen Untersuchungen anhand von Hept. gen. 1–362 teilweise bestätigen. Fehlende LXX–Spuren Es finden sich in Hept. gen. 1–362 keine Stellen, die ein unmittelbares Zurückgreifen des HD auf die Septuaginta nahelegen würden.

Nähe zu bestimmten Textformen der Vetus Latina An einigen Stellen nähert sich der Wortlaut oder Inhalt des HD mehr oder weniger deutlich einer bestimmten Textform der Vetus Latina59 an, während er zu57 Vgl. Roberts 1985, 93–94, fußend auf Ergebnissen von Hass 1912. Hass zufolge gehen der vom HD benutzte Bibeltext sowie die altlateinischen Bibelhandschriften Codex Lugdunensis und Wirceburgensis auf eine gemeinsame Vorlage zurück, die in Gallien entstand, ferner stehe der HD dem Bibeltext der Kirchenväter Ambrosius, Lucifer v. Calaris und Augustinus nahe (36–40). Codex Lugdunensis (Sigle 100 bei Fischer) ist Zeuge für S, Codex Wirceburgensis (Sigle 103 bei Fischer) sowie die drei genannten Kirchenväter bezeugen I (vgl. Fischer 1951, 17*–18*). Zu früheren Untersuchungen bezüglich der verwendeten Vetus-LatinaTextform, mit denen sich Hass kritisch auseinandersetzt, vgl. Becker 1889, 27–36 (auf der Grundlage weniger Belege kommt Becker S. 33 zu dem Fazit, dass die vom HD verwendete Vetus-Latina-Fassung am wenigsten vom Codex Wirceburgensis, mehr dagegen vom Codex Lugdunensis und am meisten vom Ottobonianus abweiche) und dagegen Best 1891, 37–48 (mehr Nähe der Genesis zum Codex Lugdunensis und zu Augustinus, während die übrigen Bücher mehr mit dem Codex Wirceburgensis sowie mit Ambrosius und Lucifer von Calaris übereinstimmen sollen; daraus wird auf zwei verschiedene Verfasser geschlossen). 58 Vgl. Pollmann 1992, 498. Als Belege für eine Übereinstimmung des HD mit der Vulgata gegen die Vetus Latina nennt sie allerdings nur Hept. gen. 638 pronus adoratus, vgl. Vulg. gen. 19,1 adoravitque pronus in terra gegen Vet. Lat. gen. 19,1 (E) adoravit in faciem in terra(m) (S. 497) und Hept. gen. 538 praenoscit, vgl. Vulg. gen. 15,13 scito praenoscens gegen Vet. Lat. gen. (L) 15,13 sciens scies (S. 498). 59 Fischer 1951 unterscheidet in seiner Vetus-Latina-Edition des Buches Genesis neben der allgemeinen Form der Vetus Latina (Sigle L) den sog. afrikanischen Text, repräsentiert durch

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gleich einer anderen ferner steht. Betrachtet werden hier also solche Fälle, in denen Fischer 1951 im Schema seiner Vetus-Latina-Ausgabe zwei oder mehr verschiedene Textformen angibt. Nähe zum sog. afrikanischen Text (C bzw. K) gegen den sog. europäischen Text (E) bzw. den italischen Text (I) als einer Ausprägung des europäischen Textes zeigt sich in den folgenden Versen: C gegen I: V. 35 mollius ut vulsa formetur femina costa, vgl. Vet. Lat. gen. 2,22 (C) formavit deus costam [...] in mulierem gegen (I) aedificavit dominus deus costam [...] in mulierem. C gegen I: V. 87 quod simul ac sumpsit, […] (Adam nimmt den Apfel), vgl. Vet. Lat. gen. 3,6 (C) et accepit Adam et manducavit gegen (I) x x x60 et manducaverunt. K gegen E: V. 109 pectore mox fuso prorepere, […], vgl. Vet. Lat. gen. 3,14 (K) pectore tuo et ventre repes gegen (E) super pectus tuum et ventrem tuum ambulabis. K gegen E: V. 328 qui dominum coram laetis cum flatibus alant, vgl. Vet. Lat. gen. 8,21 (K) et delectatus est deus in odorem suavitatis gegen (E) et odoratus est dominus odorem suavitatis.

In einer größeren Zahl von Fällen steht der Wortlaut bzw. Inhalt des HD dem europäischen bzw. italischen Text näher als dem afrikanischen Text: I gegen C: V. 37 inditur et nomen Vitae, quod dicitur Aevva, vgl. Vet. Lat. gen. 3,20 (I) vocavit Adam nomen uxoris suae (+ Eva id est61) Vita(m) gegen (C) Adam imposuit nomen uxori suae Vita. I gegen C: V. 43 viritim cunctis nomen, quod permanet, indit, vgl. Vet. Lat. gen. 2,20 (I) et inposuit Adam nomina omnibus pecoribus gegen (C) et post haec vocavit Adam nomina omnium pecorum. E gegen K: V. 109–110 [...] tum sola morsu / mandere [...], vgl. Vet. Lat. gen. 3,14 (E) et terram edes (manducabis62) gegen (K) et erit tibi terra cibus. I gegen C: V. 128 obversosque locat medioque eliminat igni, vgl. Vet. Lat. gen. 3,24 (I) et eiecit Adam et conlocavit eum contra paradisum voluptatis gegen (C) et eiectus foras de paradiso moratus est contra paradisum voluptatis. E gegen K: V. 288 atque abyssus riguos dimisit aequora fontes, vgl. Vet. Lat. gen. 7,11 (E) et erupti sunt omnes fontes abyssi gegen (K) proruperunt omnes abyssi. I gegen K: V. 230 multimodosque hominum longa sub luce reatus, vgl. Vet. Lat. gen. 6,5 (I) videns autem dominus deus quia multiplicatae sunt malitiae hominum gegen (K) et vidit dominus deus redundasse nequitias hominum. I gegen K: V. 288 atque abyssus riguos dimisit in aequora fontes, vgl. Vet. Lat. gen. 7,11 (E) omnes fontes abyssi gegen (K) omnes abyssi. Texttyp K (bezeugt durch Cyprian) und C (bezeugt durch bestimmte Werke des Augustinus sowie Ps.-Augustinus), und den sog. europäischen Text (E), ausgeprägt in den Typen S (spätafrikanischer, spanischer Text) und I (italischer Text); bei letzterem wird ggf. weiter differenziert, etwa nach A (der Revision des Augustinus) und M (dem Text des Ambrosius). Vgl. hierzu die Erläuterungen bei Fischer 1951, 14*–22* und 28*. 60 Ein „x“ steht in Fischers Vetus-Latina-Ausgabe für ein ausgelassenes Wort. 61 Der Zusatz ist bezeugt in Aug. gen. ad litt. 11,1 in einer textkritischen Variante. 62 Diese Variante ist vielfach bezeugt, vgl. Fischer 1951, 67.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

Innerhalb des europäischen Textes steht der HD in vier Fällen dem italischen Text (I) bzw. den Texten des Ambrosius (M) und Augustinus (A) als Repräsentanten des italischen Textes näher als dem spätafrikanisch-spanischen Text (S): I gegen S: V. 250 accipit ergo dei mandata ingentia Noe, vgl. Vet. Lat. gen. 6,14 (I) fac ergo tibi arcam ex lignis quadratis gegen (S) fac itaque tibi arcam de lignis quadratis. I gegen S: V. 254 unguine praepingui linuit bituminis arcam, vgl. Vet. Lat. gen. 6,14 (I) et bituminabis (inlinies/linies63) eam ab intus et a foris bitumine gegen (S) et bituminabis eam. A gegen S: V. 273–274 […] nam clara polo cum lumina solis / septima prodierint […], vgl. Vet. Lat. gen. 7,4 (A) adhuc enim septem dies gegen (S) post septem dies. M gegen S: V. 274 [...] totos defundere nimbos, vgl. Vet. Lat. gen. 7,4 (M) inducam pluviam super terram gegen (S) inducam diluvium aquae.

In zwei Fällen dagegen zeigt sich mehr Nähe zum spätafrikanisch-spanischen Text (S) als zu den italischen Texten des Ambrosius (M) bzw. des Augustinus (A): S gegen M und A: V. 308 [...] ramis praepinguis olivae, vgl. Vet. Lat. gen. 8,11 (S) ramum oleae (olivae) gegen (M) folium oleae et ramum und (A) olivae folia surculum. S gegen M: V. 327 hostia digna fuit [...], vgl. Vet. Lat. gen. 8,20 (S) obtulit hostiam gegen (M) obtulit holocausta.

Innerhalb des italischen Textes steht der HD einmal dem Text des Augustinus (A) näher als dem Text des Ambrosius (M): V. 354 tergoribus studio iunctis dum lumina vertunt, vgl. Vet. Lat. gen. 9,23 (A) et sumentes vestimentum posuerunt supra dorsa sua et intraverunt aversi gegen (M) et accipientes Sem et Iapheth vestimentum imposuerunt supra humeros suos et perrexerunt retrorsum.

Die insgesamt geringe Zahl an Befunden lässt keine repräsentativen Schlussfolgerungen zu, jedoch scheint sich zu bestätigen, dass der HD auf einen europäischen Vetus-Latina-Text und eher nicht auf einen afrikanischen zurückgriff. Betrachtet man darüber hinaus die Textzeugen der Vetus-Latina-Varianten, denen sich der HD annähert (vgl. Übersicht 4)64, insbesondere die der weniger breit bezeugten Varianten, so scheint sich auch der Eindruck zu erhärten, dass der vom HD verwendete Bibeltext dem Bibeltext des Ambrosius und Augustinus besonders nahe steht.

63 Inlinies ist bezeugt in Ambr. Noe 15, linies in Rufin. Orig. in gen. 2,4 (Anspielung) und Chronicon Alexandrinum 13 (vgl. Fischer 1951, 108–109 sowie 544). 64 Vgl. S. 550–557; die Bezeugung ist jeweils in den Fußnoten angegeben.

2. Der HD und seine biblische Vorlage (Hept. gen. 1–362)

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Übereinstimmungen mit der Vetus Latina gegen die Vulgata und möglicher Vulgataeinfluss In Übersicht 365 sind alle Stellen im Bereich von Hept. gen. 1–362 angegeben, in denen der HD lexikalisch und/oder inhaltlich mit der Vetus Latina gegen die Vulgata übereinstimmt66. Bei der Auswertung zeigen sich deutliche und signifikante Übereinstimmungen mit der Vetus Latina und Abweichungen von der Vulgata bei bestimmten biblischen Inhalten, Namen und Begrifflichkeiten67. Nur in wenigen Fällen sind lexikalische Übereinstimmungen des HD mit der Vulgata gegen die Vetus Latina festzustellen; diese müssen aber keineswegs für eine Vulgatabenutzung sprechen, da der jeweilige Wortlaut auch auf anderem Wege, etwa durch poetische Reminiszenzen, den Einfluss patristischer Quellen oder ganz einfach durch die eigenständige Formulierung des Sachverhalts durch den HD zustandegekommen sein kann68: V. 14 pomiferique simul procurvant brachia rami, vgl. Vulg. gen. 1,12 lignumque (+ pomiferum)69 gegen Vet. Lat. gen. 1,12 (C/E) lignum fructiferum. V. 42 ilicet exhibitis animantum ex ordine turbis, vgl. Vulg. gen. 2,19 formatis igitur Dominus Deus de humo cunctis animantibus terrae gegen Vet. Lat. gen. 2,19 (C) et quaecumque finxerat deus ex omni genere pecorum et ex omni genere bestiarum agri // (I) et finxit deus adhuc de terra omnes bestias agri. V. 147 quod propter gelida Cain incanduit ira, vgl. Vulg. gen. 4,5 iratusque est Cain vehementer gegen Vet. Lat. gen. 4,5 (E) et contristatus est Cain valde. V. 164 semina et absumptis fructum non proferet herbis, vgl. Vulg. gen. 4,12 non dabit tibi fructus suos gegen Vet. Lat. gen. 4,12 (I) et non adiciet virtutem suam dare tibi. V. 268 septenis paribus […], vgl. Vulg. gen. 7,2 septena (+et) septena gegen Vet. Lat. gen. 7,2 septem et septem. V. 352 fratribus ostentans nudatum membra parentem, vgl. Vulg. gen. 9,22 verenda scilicet patris sui esse nudata gegen Vet. Lat. gen. 9,22 (L) nuditatem patris.

65 Vgl. S. 546–550. 66 Mit Übereinstimmungen des HD mit der Vetus Latina gegen die Vulgata beschäftigen sich auch Becker 1889, 27–29 (überwiegend Hept. gen.), Mayor 1889, XLIII–XLIV (fast ausschließlich Belege aus Hept. gen.), Best 1891, 40–41 (nur Hept. exod.) und Hass 1912, 28–36 (Belege aus Hept. gen. bis iud.; darunter auch einige Übereinstimmungen mit der Vulgata). 67 Zu biblischen Inhalten vgl. v.a. V. 2 (Unförmigkeit und Unsichtbarkeit der Erde), V. 51 (Ausrichtung des Paradieses nach Osten), V. 91 (Gottes Spaziergang gegen Abend), V. 128 (Gott platziert die Menschen dem Paradies gegenüber), V. 152 (Kain wird über seinen Bruder herrschen), 165–166 (Kain wird zittern und seufzen), V. 257 (spitzes Dach der Arche). Zu biblischen Namen vgl. V. 54 Aedibus (Eden), V. 173 Naidae, V. 176 Gaidada, V. 188 Tobelum, V. 323 Araratum. Zu bestimmten Begrifflichkeiten vgl. etwa V. 59 prasinus und carbunculus, V. 238 gigantes, V. 251 duplicibus cameris, V. 252 nidos, V. 259 assere quadrato. 68 Vgl. jeweils den Kommentar. 69 Dieser Zusatz findet sich in der Vulgatahandschrift ΩM und ist von Vulg. gen. 1,11 abhängig, vgl. Fischer 1951, 16.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

Diese Ergebnisse stützen die in der Forschung überwiegend vertretene Position, dass der HD eine Vetus-Latina-Fassung der Bibel benutzte und nicht die Vulgata. Da aber einige Studien an anderen Stellen in Hept. gen. und in anderen Büchern des HD signifikante, wenn auch wenige Übereinstimmungen mit der Vulgata gegen die Latina herausgearbeitet haben70, ist es vorstellbar, dass der HD einen Vetus-Latina-Text benutzte, der in manchen Punkten nach der Vulgata abgeändert war71; unwahrscheinlich ist die Benutzung eines Vulgata-Textes mit VetusLatina-Durchsetzung oder die selbständige Benutzung der Vulgata neben der Vetus Latina72, da dann zu erwarten wäre, dass der HD wesentlich mehr mit der Vulgata gegen die Vetus Latina übereinstimmen würde. Nähe des HD zum biblischen Wortlaut Abschließend stellt sich die Frage, inwieweit die vergleichsweise enge inhaltliche Anlehnung des HD an seine biblische Vorlage mit einer besonderen Nähe zum Wortlaut der Vetus Latina einhergeht. In Übersicht 473 sind alle erkennbaren wörtlichen Übereinstimmungen von Hept. gen. 1–362 mit der Vetus Latina zusammengestellt74, wobei Übereinstimmungen im Wortlaut einschließlich etymologischer Verwandtschaft durch Fettdruck markiert und synonyme Begriffe unterstrichen sind. Varianten der Vetus Latina, für die Fischer 1951 nur den HD („CYG hept“) als Textzeugen anführt, werden nicht berücksichtigt, ebenso bloße Übereinstimmungen bei Eigennamen75. Dabei sind folgende methodische Probleme zu bedenken: Was auf den ersten Blick als Übereinstimmung mit dem Wortlaut der biblischen Vorlage erscheint, kann schlicht und einfach durch dieselbe Thematik und

70 Vgl. Becker 1889, 30–32 und 35, Hass 1912, 31–36 (v.a. 31), Kriel 1991, 9 und 18 Anm. 15, Pollmann 1992, 497–498 und Nazzaro (Il sacrificio) 2006 passim. 71 So erwähnt Hass 1912, 27, dass altlateinische Bibeltexte vielfach nach der Vulgata abgeändert wurden, und bringt im Rahmen seiner Untersuchung zur biblischen Vorlage des HD, die auf den damals bekannten Vetus-Latina-Zeugen fußt, mehrere Belege dafür (S. 31–36). Ganz ausdrücklich nimmt er einen nach der Vulgata abgeänderten Vetus-Latina-Text des HD für solche Fälle an, „wo die Dichtung allein zu der Vulgata gegen die Würzburger, Vatikanische und Münchener Handschrift oder sonstige vorhieronymianische Überlieferung stimmt“ (S. 31, mit Belegen). 72 Vgl. Pollmann 1992, 498. 73 Vgl. S. 550–557. 74 Dass der Text der Vetus Latina an etlichen Stellen mit der Vulgata identisch ist, soll hier nicht interessieren. 75 Die Behandlung der biblischen Eigennamen durch den HD ist als eigene Thematik zu betrachten. Für die zahlreichen, oft starken Diskrepanzen zwischen den Namen beim HD und im Bibeltext sind verschiedene Erklärungen zu erwägen, etwa eine fehlerhafte biblische Vorlage, eigene Fehler des HD, Fehler im Laufe der Überlieferung oder bewusste Abänderung durch den HD, insbesondere die Latinisierung und Anpassung an das Metrum. Vgl. hierzu Peiper 1891, XXVII mit Anm. 2 und Nazzaro 2002, 141.

2. Der HD und seine biblische Vorlage (Hept. gen. 1–362)

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einen Mangel an zur Verfügung stehenden Synonymen bedingt sein oder auch durch eine poetische Reminiszenz76, die den Bibeltext überlagert. Bei Übereinstimmung des HD mit bestimmten Varianten der Vetus Latina ist zu beachten, dass Fischer 1951 deren Wert als Bibeltext manchmal anzweifelt und dass manchmal nur sehr wenige Zeugen genannt werden. Auf diese Fälle wird in den Fußnoten hingewiesen. Stimmt der HD mit einer rein morphologischen Variante überein, muss das nicht bedeuten, dass er einen Bibeltext mit dieser Variante vorliegen hatte, eher ist eine eigenständige morphologische Abwandlung entsprechend den (ggf. metrischen) Bedürfnissen seines Textes denkbar. Als Ergebnis lässt sich mit aller Vorsicht festhalten, dass sich in sehr vielen der 362 untersuchten Verse wörtliche Übereinstimmungen des HD mit der biblischen Vorlage feststellen lassen (vgl. die in Übersicht 4 fett gedruckten Wörter). Diese Kongruenzen sind aber meistens auf einzelne, morphologisch abgewandelte Wörter beschränkt und umfassen selten zusammenhängende Gruppen von mehreren Wörtern, wie dies etwa in V. 1 (caelum terramque), V. 6 (Lux fiat), V. 27 (Hominem [...] faciamus), V. 159 (vox sanguinis) und V. 216 (Hic [...] dabit nobis) der Fall ist. Weitaus umfangreicher als die Übereinstimmungen mit dem Wortlaut des Bibeltextes sind die lexikalischen Abweichungen und Umformulierungen, also das in Übersicht 4 unterstrichene oder überhaupt nicht markierte Wortmaterial, wodurch sich der HD als durchaus eigenständig arbeitender, nicht sklavisch am Wortlaut der Bibel klebender Dichter erweist. Diese Tatsache wird durch die nicht unerheblichen erzähltechnischen und inhaltlichen Eingriffe des HD in die biblische Vorlage77 bestätigt und unterscheidet den HD von anderen, Prosa schreibenden Kirchenvätern wie Augustinus oder Ambrosius, die in ihren Werken den Bibeltext mehr oder weniger umfangreich und originalnah zitieren. Somit wird der hohe Wert in Frage gestellt, der dem HD als Zeuge für die Vetus Latina in der Beuroner Vetus-Latina-Edition zugebilligt wird78, und dies bedeutet insbesondere, dass nur bei ihm bezeugte Varianten besser aus Fischers VetusLatina-Text getilgt werden sollten.

76 Vgl. etwa V. 81 (illa negat vetitosque timet contingere ramos ~ Vet. Lat. gen. 3,3 (L) sed neque tangamus (contingetis) und Verg. ecl. 8,40 iam fragilis poteram a terra contingere ramos), V. 308 (quae nemore invento ramis praepinguis olivae ~ Vet. Lat. gen. 8,11 (L) et reversa est (S) columba ad eum sub vespera(m) habens ramum oleae (olivae) in ore suo und z. B. Verg. Aen. 6,808 [...] ramis insignis olivae), V. 317 (visa aperire procul montes ac volvere fumum ~ Vet. Lat. gen. 8,5 (I) (ap)paruerunt (visa sunt) capita montium und Verg. Aen. 3,206 visa, aperire procul montis ac volvere fumum) und V. 326 (atque memor voti, adolet dum altaria flammis ~ Vet. Lat. gen. 8,20 (S) et obtulit hostiam super altare deo und Verg. Aen. 7,71 [...] castis adolet dum altaria taedis). Auf die Problematik der Überlagerung von Dichterreminiszenz und biblischer Vorlage weist bereits Stutzenberger 1903, 41 hin. 77 S.o. S. 66–71. 78 So wird der HD von Fischer 1951 kontinuierlich im Zeugenapparat zitiert. Sein Zeugenwert für die Rekonstruktion der Vetus Latina wird deshalb so hoch veranschlagt, weil er in seinem Werk sonst kaum zitierte Partien des AT behandelt (vgl. Herzog 1975, 106 Anm. 213).

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

3. DAS VERHÄLTNIS ZUR PATRISTISCHEN GENESISEXEGESE (HEPT. GEN. 1–362) Methodische Vorüberlegungen Um die Beziehung von Hept. gen. 1–362 zur vorausgehenden patristischen Genesisexegese79 genauer zu bestimmen, wurden über deren breitgestreute Einbeziehung im Kommentarteil hinaus mehrere christliche80 Kirchenvätertexte zur Genesis systematisch auf mögliche Übereinstimmungen mit dem HD überprüft. Dabei geht es nicht um eine möglichst vollständige Sammlung von Einzelnachweisen, sondern um das Herausarbeiten von Tendenzen, die Aussagen über potentielle Vorbilder des HD ermöglichen. Angeknüpft wurde an den Ansatz M. R. Petringas, die in ihrem 1992 erschienenen Aufsatz „I ‚sei giorni della creazione‘ nella parafrasi biblica di Cipriano poeta“ Abweichungen des HD von seiner biblischen Vorlage als mögliche Einflüsse von Werken der zeitgenössischen Literalexegese erweist81, wobei die vorliegende Untersuchung aber auf Werke mit überwiegend allegorischer Schriftauslegung ausgeweitet wurde. Aus der Fülle möglicher Vorbilder wurden einschlägige Texte prominenter Autoren ausgewählt, die bis Ende des 4. bzw. Anfang des 5. Jahrhunderts n. Chr. verfasst wurden und somit dem HD mit ziemlicher Sicherheit vorliegen konnten82. Die Auswahl wurde ferner auf lateinische Schriftsteller bzw. auf verbreitete lateinische Übersetzungen griechischer Schriftsteller eingegrenzt. Im einzelnen handelt es sich um – die erste und zweite Genesishomilie des Origenes in der lateinischen Übersetzung des Rufinus von Aquileja, – Ambrosius’ Exameron libri sex und Basilius’ Hexaëmeron in der lateinischen Übersetzung des Eustathius sowie Ambrosius’ Traktate De paradiso, De Cain et Abel und De Noe, – Augustinus’ Werke De genesi ad litteram, De genesi ad litteram imperfectus liber, De genesi contra Manichaeos, Quaestiones und Locutiones in heptateuchum sowie die die Genesis behandelnden Bücher 11–13 der Confessiones und 11–16 von De civitate dei, – Hieronymus’ Liber interpretationis Hebraicorum nominum sowie De situ et nominibus locorum Hebraicorum und die Quaestiones Hebraicae in genesim83. Ausgegangen wurde von Textstellen, an denen der HD nicht bloß seine biblische Vorlage paraphrasiert, sondern durch Zusätze über sie hinausgeht oder von ihr abweicht, so dass sich neben der Frage nach poetischen Ausschmückungen unter 79 Grundlegend zur Tradition der Genesisexegese sind nach wie vor Robbins 1912 und O’Loughlin 1998. 80 Inwieweit die Christen der Spätantike auch mit der jüdischen Exegese vertraut waren, lässt sich nach Döpp 2009, 9 Anm. 2 schwer einschätzen. 81 Petringa zieht Ambrosius’ Hexameron sowie das Hexaëmeron des Basilius und dessen lateinische Übersetzung durch Eustathius heran. 82 Zur Datierung des HD in die erste Hälfte des 5. Jh.s n. Chr. vgl. S. 37. 83 Zur Prominenz und Autorität dieser Autoren vgl. O’Loughlin 1998, 75–87.

3. Das Verhältnis zur patristischen Genesisexegese (Hept. gen. 1–362)

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Rückgriff auf klassische und christliche Poesie auch die Frage nach möglichen patristischen Quellen stellt. Eruiert wurden sowohl gedankliche und inhaltliche Übereinstimmungen, die mit einer gewissen Plausibilität als Einflüsse auf den HD interpretiert werden können, als auch Übereinstimmungen im Wortmaterial, die im Sinne der Intertextualität prinzipiell als Zitate84 erwiesen werden können. Ausgeschieden wurden solche Übereinstimmungen im Wortmaterial, die allem Anschein nach durch die gleiche Thematik, durch Zufall, durch die Verwendung gleicher literarischer Vorbilder oder durch die Übernahme gängiger sprachlicher Wendungen bedingt sind. Als problematisch stellte sich heraus, dass die vermuteten Fremdtextelemente im Text des HD sich meist auf Einzellexeme beschränken85, die zudem im Vergleich zum potentiellen Prätext morphologisch verändert sind, dass die angenommenen Zitate bezogen auf den jeweiligen Kirchenvätertext nur in sehr geringer Dichte auftreten86 und dass es sich um unmarkierte, in ihren neuen sprachlichen Kontext nahtlos integrierte Zitate handelt87. Somit ist im Gegensatz zu der offensichtlichen Verwendung prominenter poetischer Vorbilder wie Vergil und Ovid durch den HD88 davon auszugehen, dass es sich bei den sprachlichen Entlehnungen aus patristischen Vorbildern entweder um unbewusste Einflüsse auf den Dichter handelt oder um durchaus bewusste Übernahmen, die der Rezipient aber nicht zu identifizieren braucht, um den Text in seiner Tiefe verstehen zu können89. Ferner wurden auch deutliche inhaltliche Divergenzen zwischen dem HD und den Kirchenvätertexten ermittelt, um so Aussagen über die grundsätzliche Positionierung des HD gegenüber diesen Kirchenvätern treffen zu können.

Origenes Die Genesishomilien dürften in Origenes’ letzter Lebensphase in Caesarea ab ca. 245 n. Chr. entstanden sein. Überliefert sind sechzehn Homilien zur Genesis in 84 Unter einem Zitat wird hier gemäß Plett 1985, 81 „ein aus einem Prätext abgeleitetes Sprachsegment“ verstanden, „das in einen (Folge-)Text eingelassen ist, wo es ein proprie-Segment substituiert“ (kursive Hervorhebung im Original). Dabei wird davon ausgegangen, dass Zitate bei der Übernahme in den Folgetext durch die Transformationsprozesse „Addition, Subtraktion, Substitution und Permutation sowie [...] Repetition“ verändert werden können und einen unterschiedlichen Umfang aufweisen können, vom Wort über den Satz bis hin zum (Teil-)Text (82–83). 85 Grundsätzlich können auch „Einzellexeme von hinreichender semantischer Prägnanz“ als Zitate erkennbar sein, vgl. Helbig 1996, 103. 86 Zur Dichte als einem Kriterium für die Intensität intertextueller Verweise vgl. Pfister 1985, 30. 87 Zur Markierung von Zitaten vgl. Helbig 1996, insbesondere die von ihm entwickelte „Progressionsskala intertextueller Markierung“ (87–138). 88 Vgl. das Kapitel III.4 und Übersicht 5. 89 Zur Unterscheidung von unbewusster und bewusster bzw. nicht-intendierter und intendierter Intertextualität vgl. Pfister 1985, 23.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

der um die Wende vom 4. zum 5. Jh. n. Chr. angefertigten lateinischen Übersetzung des Rufinus von Aquileja90, von denen die beiden ersten den für die untersuchten Verse relevanten Bereich kommentieren, nämlich die Schöpfungsgeschichte nach der Priesterschrift (Gen 1,1–2,4a, vgl. Rufin. Orig. in gen. 1) sowie Sintflut und Arche Noah (Gen 6,5–8,22, vgl. Rufin. Orig. in gen. 2)91. Da es Origenes in seinen Predigten kaum um eine wörtliche Erläuterung des Bibeltextes geht, sondern vielmehr darum, „das Alte Testament mit den Schlüsseln der Allegorese wie der frühchristlichen Typologie zu ergründen und in den Texten verborgene Aussagen über das künftige Heil aufzuspüren, das dereinst in Christus erscheinen wird“92, ist es nicht verwunderlich, dass sich kaum Überschneidungen mit dem HD eruieren lassen. In Hinblick auf die erste Genesishomilie fallen die gedanklichen Übereinstimmungen mit Hept. gen. 1–362 dürftig aus: So findet sich die Vorstellung, dass sich die Finsternis gleichzeitig mit der Erschaffung des Lichts auflöst (V. 5–6 has [scil. tenebras] dum disiungi iussit, a cardine fatur: / „Lux fiat!“ [...]), auch in Rufin. Orig. in gen. 1,193, und die Sonderstellung des Menschen, der nicht auf Gottes Geheiß, sondern von Gott selbst geschaffen worden ist (vgl. V. 30 ipse tamen sancta dignatus ducere dextra), wird auch in Rufin. Orig. in gen. 1,12 hervorgehoben, allerdings auch bei anderen Kirchenvätern wie Tertullian94. Andererseits widerspricht der HD durch die Idee des „ersten“ Schöpfungstages (V. 7 primi [...] diei) und durch die körperlich-anthropomorphe Auffassung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen (V. 27–28 [...] Hominem nostris faciamus in unguem / vultibus adsimilem [...]) deutlich der Darstellung bei Origenes95. Die zweite Genesishomilie enthält drei Ausdrücke, die sich beim HD in ähnlicher Gestalt im Zusammenhang mit der Noah-Erzählung finden: Lamechs Prophezeiung in V. 217, dass Noah eine harte Last beseitigen und den Frieden wie90 Vgl. Habermehl 2011, 3–7. 91 Zur Einführung vgl. H. J. Vogt, Art. „Origenes“, in: LACL 2002, 528–536; C. Markschies, Art. „Origenes“, in: RGG 6, 2003, 657–662; R. E. Heine, Origen: Scholarhip in the Service of the Church, New York 2010; A. Fürst (Hrsg.), Origenes und sein Erbe in Orient und Okzident, Münster 2011; A.-C. Jacobsen, The current state of the international research on Origen, Adamantius 20, 2014, 444–450. Zu den Genesishomilien vgl. H. de Lubac/L. Doutreleau (Hrsg.), Origène, Homélies sur la Genèse. Introduction, texte latin, traduction et notes, SC 7bis, Paris 1976; E. Dal Covolo/L. Perrone (Hrsg.), Mosè ci viene letto nella chiesa. Lettura delle omelie di Origene sulla genesi, BSRel 153, Roma 1999; M. Simonetti, Le omelie sulla genesi di Origene: un’antologia?, in: A. Monaci Castagno (Hrsg.), La biografia di Origene fra storia e agiografia. Atti del VI convegno di studi del gruppo italiano di ricerca su Origene e la tradizione alessandrina (Torino 11–13 settembre 2002), Villa Verucchio (Rimini) 2004, 259– 273. 92 Vgl. Habermehl 2011, 11. 93 Vgl. den Kommentar zu V. 5. 94 Vgl. den Kommentar zu V. 30. 95 Vgl. Rufin. Orig. in gen. 1,1 [...] non dixit: dies prima, sed dixit: „dies una“ und in gen. 1,13 Hunc sane hominem, quem dicit ‚ad imaginem Dei‘ factum, non intellegimus corporalem. Non enim corporis figmentum Dei imaginem continet [...]. Is autem, qui ‚ad imaginem Dei‘ factus est, interior homo noster est, invisibilis et incorporalis et incorruptus atque immortalis.

3. Das Verhältnis zur patristischen Genesisexegese (Hept. gen. 1–362)

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derherstellen werde (et durum removebit onus pacemque reducet), erinnert an Vet. Lat. Matth. 11,28 (Jülicher) Venite ad me omnes, qui laboratis et onerati estis, et ego vos reficiam, einen Bibelvers, welcher im gleichen Kontext in Rufin. Orig. in gen. 2,3 als Erklärung für die von Noah = Christus geschenkte Ruhe herangezogen wird; der gleiche Gedanke wird allerdings auch in Hil. myst. 1,13 ausgeführt96. In Bezug auf Vet. Lat. gen. 7,2, wonach Noah „sieben und sieben“ (septem et septem) von den reinen Tieren mitnehmen soll, spricht der HD in V. 268 von septenis paribus und Rufin in Orig. in gen. 2,2 von paria septena. Ebenso ist die Verwendung der Samenmetapher in Bezug auf die in der Arche bewahrten Lebewesen (V. 295 venturisque parens servabat semina saeclis) mit Rufin. Orig. in gen. 2,2 vergleichbar, wonach die Arche groß genug ist, um die Samen zur Erneuerung aller Lebewesen in sich aufzunehmen (universorum animantium capere potuerint rediviva seminaria), doch die Samenmetapher benutzt auch Ambrosius gehäuft in Bezug auf Noah97. Der Gedanke, dass die Arche ein spitzes Dach hat (vgl. V. 257 at qua sublimi surgunt fastigia tecto), berührt sich mit Rufin. Orig. in gen. 2,1, wonach sich die Arche nach oben hin pyramidenförmig verjüngt98, und wie in Rufin. Orig. in gen. 2,1 stellt der HD in V. 259 einen Zusammenhang zwischen den Vierkanthölzern der Arche und deren Resistenz gegen die Fluten her99. Gegen Origenes fasst der HD die in Vet. Lat. gen. 6,14 erwähnten „Nester“ in der Arche als Vogelnester auf (vgl. V. 252 volucrum […] nidos), während sie in Rufin. Orig. in gen. 2,1 und 2,3 ausdrücklich als Behausungen für die verschiedenen Tierarten erklärt werden100. Insgesamt gesehen ist es also nicht auszuschließen, dass der HD insbesondere die zweite Origenes-Homilie in der Übersetzung des Rufinus kannte und sich von ihr partiell inspirieren ließ. Doch spricht nur wenig dafür, dass er Rufin. Orig. in gen. 1 und 2 in Hept. gen. 1–362 tatsächlich heranzog.

Ambrosius und Eustathius Der bedeutendste Beitrag des Ambrosius101 auf dem Gebiet der Genesisexegese sind seine Exameron libri sex (Ambr. hex., 386–390)102, in welchen er u.a. aus Basilius’ Hexaëmeron-Homilien schöpft und die Überlegenheit der christlichen 96 97 98 99 100 101

Vgl. den Kommentar zu V. 217. Vgl. den Kommentar zu V. 224b. Vgl. den Kommentar zu V. 257. Vgl. den Kommentar zu V. 259. Vgl. den Kommentar zu V. 252. Zur Einführung vgl. C. Markschies, Art. „Ambrosius von Mailand“, in: LACL 2002, 19–28; E. Dassmann, Ambrosius von Mailand: Leben und Werk, Stuttgart 2004; Visonà 2004; C. Pasini (transl. R. Grant), Ambrose of Milan. Deeds and Thoughts of a Bishop, New York 2013. 102 Datierung nach Visonà 2004, 87. Zu Ambr. hex. vgl. Banterle 1996 und R. Henke, Basilius und Ambrosius über das Sechstagewerk: eine vergleichende Studie, Basel 2000.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

Schöpfungslehre gegenüber den Vorstellungen heidnischer Philosophen erweist103. Das Werk behandelt den ersten biblischen Schöpfungsbericht nach Gen 1,1–30104 und ist der Literalexegese verpflichtet, wenngleich Ambrosius auch nicht auf allegorische Auslegung bzw. den spirituell-moralischen Schriftsinn verzichtet. Abgesehen von seiner intensiven Rezeption in Ambr. hex. war das Hexaëmeron des Basilius von Caesarea in der lateinischen Übersetzung des Eustathius Afer verbreitet (Eustath. Basil. hex.), die um 400 entstand105 und hier parallel zu Ambr. hex. betrachtet werden soll. Die neun Predigten, in denen Basilius erklärtermaßen eine literale und keine allegorische Auslegung liefern will, kommentieren den Schöpfungsbericht nach Gen 1,1–25, wobei in Eustath. Basil. hex. 9 noch kurz auf die Erschaffung des Menschen eingegangen wird. Eustathius ist grundsätzlich um eine wörtliche Übersetzung des griechischen Originals bemüht, behilft sich jedoch manchmal mit einer ungefähren Wiedergabe, deren Kennzeichen Redundanz, Kürzung und Auslassung von Wörtern bis hin zu ganzen Sätzen und offenkundige Missverständnisse sind106. Neben den mehr apologetisch ausgerichteten Exameron libri sex verfasste Ambrosius mehrere Traktate zur Genesis, in denen theologische Fragestellungen im engeren Sinne überwiegen und von denen De paradiso (Ambr. parad., ca. 377– 378), De Cain et Abel (Ambr. Cain et Ab., ca. 377–378) und De Noe (Ambr. Noe, 378)107 die für Hept. gen. 1–362 relevanten Genesiskapitel behandeln, nämlich parad. schwerpunktmäßig Gen 2,8–3,19 (von der Pflanzung des Paradieses bis zur Bestrafung Adams), Cain et Ab. Gen 4,1–4,24 (die Geschichte von Kain und Abel) und Noe in der Hauptsache Gen 6,1–9,28 (vom Beginn der Sintfluterzählung bis zu Noahs Tod)108. In den drei Schriften überwiegt die allegorische Schriftauslegung, so dass in parad. das Paradies als Bild der menschlichen Seele 103 Vgl. O’Loughlin 1998, 79. 104 Mit einem impliziten Kommentar zu Gen 1,31 und einer kurzen Bezugnahme auf Gen 2,2, vgl. O’Loughlin 1998, 219. 105 Vgl. De Mendieta/Rudberg 1958, XI. Dort lehnen die Verfasser in Anm. 1 eine Datierung in der Mitte des 5. Jahrhunderts ab, für welche sich etwa auch O’Loughlin 1998, 79 ausspricht. Zu Eustathius vgl. B. Altaner, Eusthatius, der lateinische Übersetzer der HexameronHomilien Basilius des Großen, ZNTW 39, 1940, 161–170, De Mendieta/Rudberg 1958 und R. Henke, Basilius, Hexaëmeron 7,2 in den Übertragungen von Ambrosius und Eustathius, Philologus 152,1, 2008, 97–110. 106 Vgl. De Mendieta/Rudberg 1958, XI–XVII. 107 Zur Datierung vgl. Visonà 2004, 65 (De Cain et Abel), 125 (De Noe) und 130 (De paradiso). Zu diesen Traktaten des Ambrosius vgl. H. Savon, Saint Ambroise devant l’exégèse de Philon le Juif, Bd. 1 und 2, Paris 1977, Siniscalco/Pastorino 1984 und D. T. Runia, Philo in Early Christian Literature. A Survey, Compendia Rerum Iudaicarum ad Novum Testamentum III,3, Assen/Minneapolis 1993; zu De paradiso vgl. J. P. Burns, Creation and Fall according to Ambrose of Milan, in: F. Van Fleteren/J. C. Schnaubelt (Hrsg.), Augustine: Biblical Exegete. Bern/Frankfurt am Main 2001, 71–97 und W. Bietz, Ambrosius: De paradiso. Übersetzung mit Erläuterungen zum Inhalt und zum literarischen Hintergrund, Studien zur Kirchengeschichte 17, Hamburg 2013; zu De Cain et Abel vgl. A.V. Nazzaro, Ambrosiana IV. Su Cain 1,3,11–4,12, in: Polyanthema. Studi di letteratura cristiana antica offerti a Salvatore Costanza, II, Messina 1991, 255–269; zu De Noe vgl. Schubert 2006. 108 Vgl. O’Louglin 1998, 79 und 218–220.

3. Das Verhältnis zur patristischen Genesisexegese (Hept. gen. 1–362)

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dargestellt wird und in Noe die Arche als Bild des menschlichen Körpers gedeutet wird. Innerhalb von Hept. gen. 1–362 finden sich zahlreiche, mehr oder weniger starke Anreicherungen, Ausdeutungen oder auch Veränderungen der biblischen Vorlage, die sich mit Gedanken in Ambr. hex. und Eustath. Basil. hex. berühren. So interpretiert der HD die biblische „Unsichtbarkeit“ der Erde bei ihrer Erschaffung (Vet. Lat. gen. 1,2 (L) terra autem erat invisibilis) im Sinne eines Verborgenseins der Erde unter der Urflut (vgl. V. 2 fluctuque abscondita tellus), was der Erklärung in Ambr. hex. 1,7,26 (vgl. auch 1,8,30 und 3,2,7) und Eustath. Basil. hex. 2,1,8 entspricht109. In V. 8 wird die problematische Vorstellung der Wasser oberhalb des Firmaments (Gen 1,7) zu aufsteigenden, den Himmel weiß färbenden Nebeln abgeschwächt (albentem nebulis nascentibus axem), was sich mit der Darstellung des Eustathius deckt: Dieser erklärt nämlich in Basil. hex. 3,7,6 und 3,8,4–6 die Wasser über dem Firmament als von den irdischen Gewässern aufsteigende Wasserdämpfe, die sich zu Wolken verdichten und schließlich zu Regentropfen oder zu Schnee werden110. Ein weiteres Beispiel ist in V. 9 das ungewöhnliche und über die biblische Vorlage hinausgehende Bild des Meeres, das Küsten empfängt (accipit [...] litora pontus): Hier lässt sich als inhaltliche Parallele der Gedanke identifizieren, dass dem Meer durch den Strand eine Grenze gesetzt wird, welcher im Zusammenhang mit Gen 1,9 in Ambr. hex. 3,2,10 und Eustath. Basil. hex. 4,3,7 ausgeführt wird111. Im Gegensatz zu diesen und weiteren112 gedanklichen Berührungspunkten steht die anthropomorph-körperliche Auffassung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen in V. 27–28 ([…] Hominem nostris faciamus in unguem / vultibus adsimilem), die der Darstellung des Ambrosius in hex. 6,7,43 deutlich widerspricht113. An einigen Stellen zeigen sich Parallelen zwischen dem HD und Ambr. hex. auf der Ebene des Wortmaterials, so dass sich die Frage nach unmittelbaren textuellen Anleihen stellt. So erinnert die etwas hyperbolisch wirkende Formulierung in V. 6 […] et clare nituerunt omnia mundo, die die Erschaffung des Lichts nach Gen 1,3 veranschaulicht, an Ambr. hex. 1,9,33, wo das plötzliche Aufstrahlen des Lichts und seine das All erhellende Wirkung folgendermaßen beschrieben wird: resplenduit subito igitur aer et expaverunt tenebrae novi luminis claritate, repressit eas et quasi in abyssos demersit repente per universa mundi fulgor lucis infusus. Abgesehen von dieser möglichen Inspirationsquelle ist eine Anlehnung an 109 110 111 112

Vgl. den Kommentar zu V. 2. Vgl. den Kommentar zu V. 8. Vgl. den Kommentar zu V. 9. Vgl. den Kommentar zu V. 1 (caelum terramque locavit als möglicherweise architektonische Vorstellung, vgl. Ambr. hex. 1,7,25 und Eustath. Basil. hex. 1,6,3), V. 10 (multiplices rapiens [...] amnes als Ausdruck für das von vielen verschiedenen Orten her ins Meer zusammenströmende Wasser, vgl. Ambr. hex. 3,2,8 und 3,3,12 sowie Eustath. Basil. hex. 4,4,1), V. 15 (solis cum lampade lunam: die Himmelskörper in der Funktion von Lampen, vgl. Eustath. Basil. hex. 6,2,8–9) und V. 19 (flumina pisces: zu den in der Bibel nicht vorkommenden Flüssen bei der Erschaffung der Wassertiere vgl. Ambr. hex. 5,1,2). 113 Vgl. den Kommentar zu V. 27–28a.

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poetische Junkturen sehr wahrscheinlich, etwa Stat. Theb. 6,580 omnia clara nitent […] und die nicht seltene Hexameterklausel omnia mund*114. Um eine auffallende wörtliche Übereinstimmung handelt es sich ferner bei V. 11 […] faciem terrarum [...] retexit, da gerade dieses Bild unter Verwendung desselben Verbums retegere im gleichen Kontext in Ambr. hex. 3,3,14 auftritt: non enim diceret [scil. scriptura] ‘visa est terra’, nisi retectam vellet locis omnibus demonstrare […]. Dabei ist wiederum klar, dass beide Autoren mit dieser Wendung in einer poetischen Tradition stehen, wie sie sich etwa in Stat. Theb. 11,44 (nunc retegit bibulas, nunc induit aestus harenas) manifestiert, und Cl. M. Victorius bedient sich in aleth. 1,88–89 im gleichen biblischen Kontext einer sehr ähnlichen Formulierung (arida tunc primum mundi pars ima retectam / ostendit faciem). Wörtliche Nähe zu anderen Passagen in Ambr. hex. ist zwar feststellbar, jedoch nicht im Sinne des Zitierens einer konkreten Textstelle durch den HD einzustufen, da es sich um eine Kombination von Begriffen handelt, die bei Ambrosius zwar im entsprechenden inhaltlichen Zusammenhang, aber über eine größere Textpassage hin verstreut vorkommen115. Auch zu Ambr. parad. finden sich inhaltliche Parallelen beim HD. So bringt der Dichter in V. 75 über den Bibeltext hinausgehend den Gedanken des Neides der Schlange ein (livida [...] mendacia), der in parad. 12,54 im gleichen biblischen Kontext ausführlich erläutert wird116, und nähert sich mit seiner eher nachsichtigen, empathischen Haltung gegenüber der von der Schlange getäuschten Eva (vgl. V. 103–106, V. 114) dem in parad. 15,73 vorgetragenen Gedanken, dass Evas Schuld in Gottes Augen verzeihlich sei, da der Teufel viele Wege kenne, um den Menschen zu täuschen117. Auffallende sprachliche Übereinstimmungen zwischen dem HD und Ambr. parad. zeigen sich zum einen bei dem Begriff mendacia in V. 75, mit dem der HD die Worte der Schlange über den Bibeltext hinausgehend als Lügen entlarvt und den Ambrosius im gleichen Kontext zweimal auf die Schlange bezieht118, sowie bei den metaphorischen Ausdrücken ficulnis frondibus umbrant (V. 90) und vipereis intexens verba venenis (V. 105) im Rahmen der Paradieserzählung. Diese Ausdrücke treten in morphologisch abgewandelter Form an thematisch entsprechenden Stellen in Ambr. parad. auf, nämlich in 13,63 (quibus [scil. foliis] obumbrarent genitale secretum) und 12,56 (simulat [scil. 114 Vgl. den Kommentar zu V. 6. 115 Vgl. den Kommentar zu V. 13 (florea [...] consurgunt germina campis): Im Zusammenhang mit der Pflanzenschöpfung verwendet Ambrosius mehrfach das Wort germen, u.a. in Kombination mit surgere, und auch die im Bibeltext nicht erwähnten Blumen kommen bei ihm mehrfach vor. 116 Vgl. den Kommentar zu V. 75. 117 Vgl. den Kommentar zu V. 114. Zu weiteren inhaltlichen Parallelen, die teilweise auch Themen außerhalb der Paradieserzählung betreffen, vgl. den Kommentar zu V. 57 (Übertragung des Gold- und Edelsteinreichtums des Landes Hevilat auf den Fluss Phison, vgl. Ambr. parad. 3,15 und 3,22), V. 63 (Geschwindigkeit des Tigris, vgl. Ambr. parad. 3,17) und V. 194–195a (explizit positive Qualifizierung von Enos, vgl. Ambr. parad. 3,19 und 3,23). 118 Vgl. Ambr. parad. 12,56 (inseruit mendacium) und 13,61 (temptamenta diaboli plena esse mendacii) sowie den Kommentar zu V. 75.

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serpens] se verba dei dicere et proprios intexit dolos). Bei mendacia mag es sich nicht um ein Ambrosius-Zitat, sondern um eine Übereinstimmung aufgrund gleicher Thematik handeln, und bei der Schattenmetapher stehen der HD und Ambrosius in der Tradition Vergils119, die der HD eher über Proba cento 208 (corpora sub ramis obtentu frondis inumbrant) als über Ambrosius rezipiert haben dürfte. Doch für die bildhafte Verwendung von intexere in Bezug auf die Worte der Schlange, die diese mit ihrem Gift „durchwebt“, scheint es kein bestimmtes poetisches Vorbild zu geben, und Ambrosius verwendet das Verbum sehr ähnlich (die Schlange „webt“ ihre eigenen Listen in Gottes Worte „ein“). An mehreren Stellen ist eine gedankliche Nähe des HD zu Ambr. Cain et Ab. bemerkbar: Wenn der Dichter in V. 168 Kains Tod nicht wie in Vet. Lat. gen. 4,15 als etwas von Kain Befürchtetes erscheinen lässt, das Gott in seiner Milde abwendet, sondern als etwas von Kain Ersehntes, das Gott ihm in seinem Zorn nicht gewährt, nähert er sich damit Ambr. Cain et Ab. 2,9,37 an, wonach gerade das lange Leben Kains voll Angst und fruchtloser Mühe eine schwere Strafe darstellt120. Die Vorstellung, dass die Stimme von Abels Blut zum Himmel emporsteigt (V. 160 […] celsumque ascendit ad axem), lässt sich ggf. als christologische, auf die Auferstehung verweisende Stilisierung verstehen und im Zusammenhang mit der in Cain et Ab. 2,9,31 gelieferten Deutung sehen, dass Gott seine Gerechten höre, auch wenn sie tot seien, da sie in Gott lebten; auch wenn sie körperlich gestorben seien, erlangten sie doch ein körperloses Leben und genössen das ewige Licht121. Schließlich deutet der HD Vet. Lat. gen. 4,23–24 in dem Sinne, dass Lamech Kain getötet habe und dass Lamech dafür ein Vielfaches von der Bestrafung Kains erleiden müsse (V. 179–181). Auch in Cain et Ab. 2,9,38 wird der von Lamech getötete Mann mit Kain identifiziert und wird die siebzigmal siebenfache Bestrafung nicht auf einen potentiellen Mörder Lamechs, sondern auf Lamech selbst bezogen, der sich die vorausgegangene Bestrafung Kains nicht zu Herzen genommen habe und daher schwerer gesündigt und schwerere Strafe verdient habe als dieser122. Die sprachliche und strukturelle Parallele zwischen V. 162 nam modo quae maduit germani sanguine terra und Cain et Ab. 2,9,30 testis acrior [scil. est terra], quae adhuc parricidii tui sanguine madet, wo jeweils die noch frische Spur von Kains Mordttat hervorgehoben wird, ist wohl auf eine Benutzung ähnlicher poetischer Vorbilder und den gleichen Aussagegehalt zurückzuführen123. Gedankliche Berührungspunkte zu Ambr. Noe zeigen sich, wenn der HD etwa die von Noah erwartete Ruhe im Sinne von Sorgenfreiheit deutet (V. 216 Hic secura dabit nobis commercia vitae) und sich damit Ambr. Noe 1,2 annähert, wo diese Ruhe auf die von Noah verkörperte Gerechtigkeit bezogen wird, welche uns

119 120 121 122 123

Vgl. Verg. Aen. 11,66 exstructosque toros obtentu frondis inumbrant. Vgl. den Kommentar zu V. 168. Vgl. den Kommentar zu V. 160b. Vgl. den Kommentar zu V. 179 und 181. Vgl. den Kommentar zu V. 162.

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Seelenfrieden verschaffe durch die Sorgenfreiheit eines reinen Gewissens124. In V. 252 fasst der HD die in Vet. Lat. gen. 6,14 genannten „Nester“ (nidos) nicht im Sinne von Kammern der Arche, sondern ganz wörtlich als Vogelnester auf, wodurch er einen ähnlich kreativen Umgang mit dem problematischen Begriff zeigt wie Ambrosius, der in Noe 6,14 in seiner allegorischen Deutung der Arche als Sinnbild des menschlichen Körpers die „Nester“ auf Organe bezieht, die seiner Meinung nach nestartige Eigenschaften haben. Insbesondere erklärt er den Mund als „Nest“, aus dem die Stimme hervorfliege, und zitiert am Ende des Kapitels Psalm 83(84),4, wo die Vogelnester im Hause des Herrn genannt werden125. Ferner lässt der HD Cham, als er seinen Vater Noah entblößt sieht, diesen über den Bibeltext hinausgehend verspotten (V. 350 derisit Chamus), was sich ebenfalls in Noe 30,115, aber auch in anderen Werken des Ambrosius und in Werken anderer Kirchenväter findet126. Gegen Ambrosius hält der HD allerdings in V. 240 ([…] longam dum concipit iram) an der anthropomorphen Vorstellung von Gottes Zorn fest, welcher Gott zur Auslösung der Sintflut bewegt, denn in Ambr. Noe 4,9 wird Gottes Zorn als nicht real und als ein bloßes biblisches Gestaltungsmittel erklärt, um das ungeheuerliche Ausmaß der menschlichen Sünden zum Ausdruck zu bringen127. Übereinstimmungen zwischen dem HD und Ambr. Noe im Wortmaterial, die als unmittelbare Zitate gewertet werden könnten, finden sich kaum. Die dreimal auftretende Samenmetapher in Bezug auf Noah und die Lebewesen in der Arche (V. 224 […] innocuo daturus semina saeclo [scil. Noe], V. 295 venturisque parens servabat semina saeclis [scil. arca] und V. 324 laxat claustra senex reddens nova semina terrae) findet sich in morphologisch veränderter Gestalt in Ambr. Noe 1,1 und 5,11, aber auch in anderen Schriften des Ambrosius128. Bei dem Verbum delibet, das der HD in V. 348 in Bezug auf Noahs Weingenuss verwendet, könnte es sich auf den ersten Blick um ein morphologisch abgewandeltes 124 Vgl. den Kommentar zu V. 216. 125 Vgl. den Kommentar zu V. 252. 126 Vgl. den Kommentar zu V. 350–351a. Zu weiteren Belegen für gedankliche Parallelen zwischen Hept. gen. 1–362 und Ambr. Noe vgl. den Kommentar zu V. 246a (omnigenasque simul pecudes: Gedanke, dass die unschuldigen Tiere zusammen mit den Menschen durch die Sintflut vernichtet werden, vgl. Ambr. Noe 4,10 und 10,31–33), V. 253 (ne fissilibus dissultent robora rimis: das Pech soll das Brettergefüge der Arche zusammenhalten, vgl. Ambr. Noe 6,15), V. 302 (non rediit [scil. corvus]: das etwas irreführende Satzende in Vet. Lat. gen. 8,7 (E) donec siccaret aqua a terra ist weggelassen in Übereinstimmung mit Ambr. Noe 17,63, wonach der Rabe überhaupt nicht zurückgekehrt ist), V. 303 (albentem [...] columbam: weiße Farbe der Taube als Kontrast zum schwarzen Raben, vgl. Ambr. Noe 17,62 und 18,64, wo die beiden Vögel allegorisch im Sinne von Licht und Finsternis bzw. Tugend und Bosheit gedeutet werden), V. 320b–321 ([...] propriumque ostendit laeta virorem: das Grün der wieder austreibenden Erde nach der Sintflut, vgl. Ambr. Noe 17,60: Gott hat die natürliche Beschaffenheit der Erde in Gestalt der frühlingshaften Natur wiederhergestellt) und V. 325 (libens: Noahs freiwilliges Opfer an Gott und Ambr. Noe 22,78). 127 Vgl. den Kommentar zu V. 240b. 128 Vgl. Ambr. Noe 1,1 etenim quem dominus deus ad renovandum semen hominum reservavit, ut esset iustitiae seminarium; 5,11 ergo quia in diluvio per arcam Noe servatae sunt reliquiae generis humani ad seminarium reparationis et renovationis futurae; zu den anderen ambrosianischen Schriften vgl. den Kommentar zu V. 224b.

3. Das Verhältnis zur patristischen Genesisexegese (Hept. gen. 1–362)

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Zitat von Ambr. Noe 29,111 handeln, wo Noahs maßvoller Weingenuss mit de vino [...] libavit umschrieben wird; allerdings widerspricht die nachfolgende Darstellung des HD in V. 349 (propere expletum cyathis), die an ein zügiges SichBetrinken denken lässt, der von Ambrosius betonten Mäßigkeit Noahs. In der Summe legen die zahlreichen inhaltlichen Übereinstimmungen und Berührungspunkte nahe, dass der HD in Hept. gen. 1–362 von den genannten exegetischen Schriften des Ambrosius und von Eustath. Basil. hex. beeinflusst wurde. Augustinus Augustinus129 hat sich mit der Genesis in mehreren Werken beschäftigt: Den Anfang macht sein antimanichäisch ausgerichteter, um 388/390 vollendeter Kommentar De genesi contra Manichaeos (gen. c. Manich.), in dem er Gen 1,1–3,24 allegorisch interpretiert130. Dieser Kommentar wird durch den wohl auf 393/394 datierbaren De genesi ad litteram imperfectus liber (gen. ad litt. imperf.) ergänzt, in welchem Augustinus eine Literalexegese der Genesis liefern wollte; bei dem Werk handelt es sich im wesentlichen um eine Vers-für-Vers-Kommentierung von Gen 1,1–1,27, die allerdings unvollendet blieb131. Auch in seinem zwölf Bücher umfassenden Werk De genesi ad litteram (gen. ad litt.), welches Gen 1,1– 3,24 behandelt und wohl zwischen 401/402 und 416 verfasst wurde, intendiert Augustinus eine Literalexegese des Genesistextes mit dem Ziel, seine Bedeutung für Christen im Licht rivalisierender paganer und häretischer Kosmologien und Anthropologien akzeptabel zu machen, wenngleich ein beträchtlicher Teil seines Kommentars nach modernen Maßstäben eher allegorisch erscheinen mag132. Ne129 Zur Einführung vgl. G. Bonner, Art. „Augustinus (vita)“, in: AL 1, 1986–1994, 519–550; E. Stump/N. Kretzmann (Hrsg.), The Cambridge Companion to Augustine, Cambridge u.a. 2001; V. H. Drecoll (Hrsg.), Augustin Handbuch, Tübingen 2007; C. Dittrich u.a. (Hrsg.), Augustinus. Ein Lehrer des Abendlandes. Einführung und Dokumente, Wiesbaden 2009. Ein grundlegendes Hilfsmittel insbesondere zur Augustinus-Rezeption ist K. Pollmann/W. Otten (Hrsg.), The Oxford Guide to the Historical Reception of Augustine (im Folgenden abgekürzt als OGHRA) Vol. 1–3, Oxford 2013. 130 Vgl. den Abschnitt von J. Yates in OGHRA 1, 2013, 308–313, mit aktueller Literatur; ferner P. Monat/M. Dulaey/M. Scopello/A.-I. Bouton-Touboulic (Hrsg.), Oeuvres des Saint Augustin: Sur la Genèse contre les Manichéens. De Genesi contra Manichaeos, traduction, introduction, annotations et notes complémentaires. Sur la Genèse au sens littéral, livre inachevé. De Genesi ad litteram imperfectus liber, introduction, traduction et notes, BA 50, Paris 2004 und D. Weber, Art. „Genesi adversus Manichaeos (De-)“, in: AL 3, 2004–2010, 132–140. 131 Vgl. den Abschnitt von H. P. Weber in OGHRA 1, 2013, 305–308 mit aktueller Literatur; ferner die in Anm. 130 zitierte Ausgabe in BA 50 und D. Weber, Art. „Genesi ad litteram liber unus inperfectus (De-)“, in: AL 3, 2004–2010, 126–132. 132 Vgl. den Abschnitt von K. Pollmann in OGHRA 1, 2013, 296–305 mit aktueller Literatur; ferner P. Agaësse/A. Solignac (Hrsg.), Œuvres de Saint Augustin: La Genèse au sens littéral en douze livres. De Genesi ad litteram libri duodecim, traduction, introduction et notes, BA 48 und 49, Paris 1972 und R. J. Teske, Art. „Genesi ad litteram (De-)“ in: AL 3, 2004–2010, 113–126. Zu den Genesiskommentaren des Augustinus insgesamt vgl. D. Weber, In Scripturis exponendis tirocinium meum succubuit. Zu Augustins frühen Versuchen einer Genesis-

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ben diesen Spezialuntersuchungen zur Genesis befasst sich Augustinus mit der Genesisthematik in den Büchern 11–16 von De civitate dei (civ.), einem zwischen 412/413 und 426/427 entstandenen Werk, wobei in den Büchern 11–14 der Anfang der Welt gemäß dem Buch Genesis beschrieben und diese Erzählung in Hinblick auf Christus und die Kirche allegorisiert wird, während die Bücher 15–18 die Geschichte der Welt vom nachparadiesischen Zustand bis zur Gegenwart behandeln133. Die Bücher 11–13 der Confessiones, abgeschlossen um 401, enthalten eine meditative Exegese des ersten Genesiskapitels134. Schließlich verfasste Augustinus zwischen 419 und 420 die Quaestiones und die Locutiones in heptateuchum. Erstere befassen sich eher mit inhaltlichen Problemen des biblischen Berichts und setzen mit Kain und Abel ein, d.h. sie fahren dort fort, wo Augustinus’ Genesiskommentare aufhören, letztere behandeln sprachliche Probleme des lateinischen Heptateuchs135. Da sich bestimmte Gedanken häufig in mehreren Werken des Augustinus wiederholen, erscheint im Folgenden eine zusammenfassende Betrachtung sinnvoller als eine Abhandlung nach den einzelnen Werken. Im Verhältnis zu Augustinus dominieren die inhaltlichen Divergenzen, welche gerade die wörtliche Deutung und die konkret-körperliche Auffassung von biblischen Vorstellungen betreffen: So widerspricht der Gedanke, dass Gott über die Wasser der Urflut geht (V. 3 inmensusque deus super aequora vasta meabat), der Erklärung des Augustinus, derzufolge das Schweben von Gottes Geist über dem Wasser nicht im Sinne einer räumlichen Bewegung, sondern im Sinne eines Exegese, Studia Ephemeridis Augustinianum 68, 2000, 225–232; R. N. Hebb, Augustine’s Exegesis ad litteram. Augustinian Studies 38, 2007, 365–379; K. Pollmann, Exegese ohne Grenzen: Augustins Genesisauslegungen im Kontext, in: T. Fuhrer (Hrsg.), Die christlichphilosophischen Diskurse der Spätantike: Texte, Personen, Institutionen. Akten der Tagung vom 22.–25. Februar 2006 am Zentrum für Antike und Moderne der Albert-LudwigsUniversität Freiburg, Philosophie der Antike 28, Stuttgart 2008, 99–111; L. Fladerer, Augustinus als Exeget. Zu seinen Kommentaren des Galaterbriefes und der Genesis, Wien 2010. 133 Vgl. den Abschnitt von M. C. Sloan in OGHRA 1, 2013, 255–261 mit aktueller Literatur; ferner G. Bardy/G. Combès (Hrsg.), Œuvres de Saint Augustin: La Cité de Dieu, texte de la 4e édition de B. Dombart et A. Kalb, introduction, traduction et notes, BA 33–37, Paris 1959– 1960; G. J. P. O’Daly, Art. „Civitate dei (De-)“, in: AL 1 (1986–1994), 969–1010, insbesondere 989–995 mit einem Überblick zu den Büchern 11–14 und 15–18; D. F. Donnelly (Hrsg.), The City of God. A Collection of Critical Essays, New York 1995; E. Cavalcanti (Hrsg.), Il De civitate Dei. L’opera, le interpretazioni, l’influsso, Roma 1996; J. Wetzel (Hrsg.), Augustine’s „City of God“ : a critical guide, Cambridge/New York 2012. 134 Vgl. den Abschnitt von D. Weber in OGHRA 1, 2013, 167–174, mit aktueller Literatur; ferner A. Solignac/E. Tréhorel/G. Bouissou (Hrsg.), Œuvres de Saint Augustin: Les confessions, introduction, traduction et notes, BA 13 und 14, Paris 1992; E. Feldmann, Art. „Confessiones“, in: AL 1, 1986–1994, 1134–1193, insbesondere S. 1143 zur Gliederung der Bücher 11– 13; N. Fischer/C. Mayer (Hrsg.), Die Confessiones des Augustinus von Hippo. Einführung und Interpretation zu den dreizehn Büchern, Freiburg i. Br. 1998; W. E. Mann, Augustine’s Confessions : Philosophy in Autobiography, Oxford/New York 2014. 135 Zu den Quaestiones vgl. den Abschnitt von M. W. Elliott in OGHRA 1, 2013, 456–461, zu den Locutiones vgl. den Abschnitt von D. Sheerin in OGHRA 1, 2013, 446–448. Grundlegend für beide Werke ist nach wie vor W. Rüting, Untersuchungen über Augustins Quaestiones und Locutiones in Heptateuchum, Paderborn 1916.

3. Das Verhältnis zur patristischen Genesisexegese (Hept. gen. 1–362)

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„Brütens“ bzw. eines kraftvollen Wirkens aufzufassen ist136, und ebenso ablehnend verhält Augustinus sich gegenüber der körperlich vorgestellten Gottesebenbildlichkeit des Menschen (vgl. V. 27–28 […] Hominem nostris faciamus in unguem / vultibus adsimilem […])137 und gegenüber der Formung Adams durch Gottes Hände (vgl. V. 30 ipse tamen sancta dignatus ducere dextra)138. Auch in der Frage nach der Verantwortlichkeit Adams und Evas für ihr Tun zeigt der HD eine andere Haltung als Augustinus, denn während dieser in gen. ad litt. und civ. keinen Zweifel an der vollen Schuld beider lässt139, rechtfertigt der HD den Ungehorsam von Adam und Eva implizit mit der weiblichen Schwäche gegenüber der betrügerischen Schlange (V. 82 […] infirmo vincuntur pectora sensu, V. 114 femina fraudigeris misere decepta suadellis, V. 118 coniugis, inmiti cessit quae victa draconi) und mit Adams Gutgläubigkeit gegenüber seiner Frau (V. 117– 118a Tu vero, cui visa fuit sententia verax / coniugis […]). Die Verschmelzung der beiden Berichte über die Erschaffung des Menschen in V. 29–39 steht im Gegensatz zu Augustinus’ Trennung der beiden Schöpfungsakte in eine geistigpotentielle, unsichtbare und eine körperliche Erschaffung des Menschen140; im Gegensatz zu dem Paradiesbaum mit den tödlichen Früchten in V. 52 ([…] pomis letalibus arbos) ist nach Aug. gen. ad litt. 8,6 nicht der Baum selbst für die Menschen schädlich, sondern die Gebotsübertretung141, und die „Gottessöhne“ in Gen 6,2 und 6,4, die der HD in V. 234–235 als himmlische Geschöpfe charakterisiert ([...] sanctos lactat terrena voluptas / [...] caelesti ex arce meantes), sind nach Aug. civ. 15,22–23 ihrem Wesen nach Menschen142.

136 Vgl. Aug. gen. ad litt. 1,18, gen. c. Manich. 1,5,8, gen. ad litt. imperf. 4 und den Kommentar zu V. 3. 137 Vgl. Aug. gen. ad litt. 3,20, gen. c. Manich. 1,17,28 und den Kommentar zu V. 27–28a. Auch andere Kirchenväter lehnen diese anthropomorphe Vorstellung ab, vgl. ebd. 138 Vgl. Aug. gen. ad litt. 6,12, wo Augustinus außerdem den in V. 30 (ipse) angedeuteten Gedanken ablehnt, der Mensch sei deshalb den übrigen Geschöpfen überlegen, weil diese nur durch Gottes Wort, er aber von Gott selbst erschaffen worden sei; siehe den Kommentar zu V. 30. Zu weiteren von Augustinus abgelehnten Vorstellungen dieser Art vgl. den Kommentar zu V. 31 (inspirat brutum divino a pectore pectus und Aug. gen. ad litt. 7,1–3: gegen die Vorstellung einer körperlichen Einhauchung der Seele und gegen die menschliche Seele als Emanation Gottes) und zu V. 70 ([…] caecos nox alta tenebat und Aug. gen. ad litt. 11,31, loc. hept. 1,9 und civ. 14,17: gegen ein wörtliches Verständnis der Blindheit von Adam und Eva). 139 Vgl. gen. ad litt. 11,30 (die Frau kennt das Gebot genau, daher ist ihr Ungehorsam nicht entschuldbar), gen. ad litt. 11,35 (Adam und Eva schieben ihre Schuld voll Hochmut jeweils auf einen anderen ab, anstatt sie einzugestehen; Eva hätte die verführerischen Worte der Schlange nicht über Gottes Gebot stellen dürfen) und den Kommentar zu V. 114; ferner civ. 14,11 (Adam hat Evas Worte nicht für wahr gehalten, sondern im vollen Bewusstsein gesündigt; er wollte von seiner Partnerin auch in der Sünde nicht getrennt sein und hielt die Gebotsübertretung daher für verzeihlich) und den Kommentar zu V. 117–118a. 140 Vgl. gen. ad litt. 6,6. 141 Vgl. den Kommentar zu V. 52. 142 Vgl. den Kommentar zu V. 234.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

Diesen und weiteren Divergenzen143 zwischen Augustinus’ Werken zur Genesis und Hept. gen. 1–362 stehen vergleichsweise wenige Passagen gegenüber, an denen der HD gedanklich mit Augustinus konform geht: So deutet er etwa in V. 8 die Wasser oberhalb des Firmaments im Sinne von Nebeln und bedient sich damit eines Gedankens des Basilius, der von Augustinus in gen. ad litt. 2,4 ausdrücklich gelobt wird144, den er aber auch in Eustath. Basil. hex. 3,7,6 und 3,8,4–6 vorfinden konnte. Die Vorstellung vom Neid des Teufels in V. 75 (livida mordaci volvens mendacia sensu) wird, abgesehen von etlichen anderen Kirchenvätern, auch in Aug. gen. ad litt. 11,14 vorgetragen145, und die vom HD mehrfach betonte Schwäche der Frau, die er quasi als Rechtfertigung für ihren Ungehorsam gegenüber dem göttlichen Gebot in Anschlag bringt146, hat eine gewisse Entsprechung in Augustinus’ Ausführungen über die (intellektuelle) Unterlegenheit der Frau gegenüber dem Mann in gen. ad litt. 11,42147 und civ. 14,11148, was für Augustinus aber nichts an der Schuldfähigkeit der Frau beim Sündenfall ändert (s.o.). Auffallend ist, dass der HD in V. 2 das Adjektiv informis benutzt, um den ungeordneten Urzustand der Erde zu bezeichnen: Dieses Adjektiv, bei dem es sich um eine Variante für inconposita in Vet. Lat. gen. 1,2 handeln könnte149, wird gerade von Augustinus mehrfach in gen. ad litt., gen. c. Manich., gen. ad litt. imperf. und conf. in Bezug auf die von Gott geschaffene Urmaterie verwendet, aus der in der Folge die ganze Schöpfung gebildet wird150. Zu bedenken ist aber, dass informis bereits in der heidnischen Antike und auch bei anderen Kirchenvätern für die ungeordnete Urmaterie steht151. Schließlich bedient sich der HD in V. 73 des Adjektivs astuto zur Bezeichnung der Schlauheit der Schlange, welches in Gestalt von astutior als Variante zu sapientior (prudentior/sapientissimus/prudentissimus) in Vet. Lat. gen. 3,1 auftritt und bei Augustinus in gen. ad litt. 11,2 bezeugt ist. Augustinus erklärt an dieser Stelle, dass das Adjektiv prudentissimus bzw. sapientissimus, welches in lateinischen Bibelhandschriften in Bezug auf die Schlange steht,

143 Vgl. den Kommentar zu V. 152 (Kains Herrschaft über seinen Bruder und der Widerspruch gegen diese Vorstellung in Aug. civ. 15,7), V. 232 (120 Jahre als Lebenszeitbegrenzung und Aug. civ. 15,24, wonach die 120 Jahre als Frist bis zur Sintflut zu verstehen sind) und V. 240b (longam dum concipit iram: den Zorn Gottes will Augustinus in civ. 15,25 in einem übertragenen Sinn verstanden wissen). 144 Vgl. den Kommentar zu V. 8. 145 Vgl. den Kommentar zu V. 75. 146 Vgl. V. 76 femineo temptat sub pectore mollia corda, V. 82 sed tamen infirmo vincuntur pectora sensu, V. 118 coniugis, inmiti cessit quae victa draconi. 147 Vgl. den Kommentar zu V. 82. 148 Vgl. den Kommentar zu V. 76. Zu einer weiteren gedanklichen Übereinstimmung vgl. den Kommentar zu V. 302 (non rediit [scil. corvus] und Aug. loc. hept. 1,23: der Rabe kehrt überhaupt nicht zur Arche zurück; so aber auch Ambr. Noe 17,63). 149 Vgl. Fischer 1951, 6, der aber nicht sicher ist, ob es sich bei informis um Bibeltext handelt; als Zeugen gibt er nur Hept. gen. 2 und Chalc. 278 an. 150 Zu Belegen vgl. den Kommentar zu V. 2. 151 Zu Belegen vgl. ThlL 7,1 s.v. informis 1475,37–57.

3. Das Verhältnis zur patristischen Genesisexegese (Hept. gen. 1–362)

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aufgrund der positiven Konnotation von sapientia keine passende Übersetzung darstelle, wohingegen astutus das Gemeinte besser treffe152. In der Gesamtschau sprechen die deutlichen und zahlreichen Divergenzen zwischen den untersuchten Werken des Augustinus und dem HD gegen eine Augustinus-Rezeption in Hept. gen. 1–362. Denkbar ist allenfalls eine selektive Nutzung, indem der HD sich bei astuto an die „Empfehlung“ des Augustinus hält, weil sie ihm plausibel erscheint153. Hieronymus Von Hieronymus154 wurden für den systematischen Vergleich mit Hept. gen. 1– 362 die drei Werke herangezogen, die er in den Jahren 389–391 als exegetische Hilfsmittel verfasste155, nämlich der Liber interpretationis Hebraicorum nominum (nom. hebr.), die Schrift De situ et nominibus locorum Hebraicorum (sit. et nom.) und die Quaestiones Hebraicae in genesim (quaest. hebr. in gen.). Bei nom. hebr. handelt es sich um ein Lexikon, das die etymologische Bedeutung der im AT und NT vorkommenden Personennamen erläutert und das Hieronymus nach einer griechischen Vorlage übersetzt hat156, bei sit. et nom. um die lateinische Übersetzung der Schrift des Eusebius über die biblischen Ortsnamen157, und in quaest. hebr. in gen. befasst sich Hieronymus mit Problemen des hebräischen Genesistextes158. Da der HD im Bereich der untersuchten Verse kein besonderes Interesse an 152 Vgl. Aug. gen. ad litt. 11,2 unde nonnulli, sicut in plerisque codicibus invenimus, ad usum latinae locutionis non verbum, sed potius sententiam transferentes astutiorem omnibus bestiis istum serpentem quam sapientiorem dicere maluerunt. Vgl. auch ebd. 11,29 Proinde prudentissimus omnium bestiarum, hoc est astutissimus, ita dictus est serpens propter astutiam diaboli, quae in illo et de illo agebat dolum, quemadmodum dicitur prudens vel astuta lingua, quam prudens vel astutus movet ad aliquid prudenter astuteque suadendum. 153 Auch andere Bibeldichter lehnen sich ihren Intentionen entsprechend selektiv an Augustinus’ Werke zur Genesis an, vgl. den Abschnitt „Poetry“ von S. Gatzemeier und B. Roling in OGHRA 3, 2013, 1555–1562, insbesondere 1556–1557. 154 Zur Einführung vgl. S. Rebenich, Hieronymus und sein Kreis: Prosopographische und sozialgeschichtliche Untersuchungen, Stuttgart 1992; Fürst 2002; ders., Hieronymus. Askese und Wissenschaft in der Spätantike, Freiburg i. Br. 2003; ders., Art. „Hieronymus“, in: AL 3, 2004–2010, 317–336; ders., Aktuelle Tendenzen der Hieronymus-Forschung. Impressionen von einer Tagung über Hieronymus in Cardiff, Adamantius 13, 2007, 143–151; S. Rebenich, Jerome, London 2010. 155 Vgl. Fürst 2002, 326. 156 Vgl. F. Wutz, Onomastica sacra: Untersuchungen zum Liber interpretationis nominum Hebraicorum des Hl. Hieronymus, Bd. 1 und 2, Leipzig 1914–1915, I. Opelt, Art. „Etymologie“ in RAC 6, 1966, 829–830 (4. Hieronymus) und R. M. Herrera, Descripción del alfabeto hebreo a partir del „Liber interpretationis Hebraicorum nominum“ de san Jerónimo, Helmantica 49, 1998, 11–29. 157 Vgl. die ausführliche Einleitung in Klostermann 1904, VII–XXXIV. 158 Vgl. A. Kamesar, Jerome, Greek scholarhip, and the Hebrew Bible. A study of the Quaestiones Hebraicae in Genesim, Oxford 1993 und C. T. R. Hayward, Saint Jerome’s Hebrew Questions on Genesis. Translated with introduction and commentary, Oxford 1995.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

etymologischen Namenserklärungen zeigt, ist es nicht verwunderlich, dass sich praktisch keine Parallelen zu Hier. nom. hebr. nachweisen lassen. Die Etymologie Eva = Vita in V. 37 (inditur et nomen Vitae, quod dicitur Aevva) findet sich mehrfach als eine von drei möglichen etymologischen Erklärungen dieses Namens in Hier. nom. hebr.159, doch auch in einer um einen Zusatz erweiterten Variante von Vet. Lat. gen. 3,20, welche bei Augustinus bezeugt ist160. Eine Benutzung von sit. et nom. lässt sich nicht verifizieren, und die Namensform Evilam, die der HD in V. 60 an die Stelle des biblischen Evilat(h) setzt, dürfte eher auf seine generelle Tendenz zurückzuführen sein, die hebräischen Eigennamen an die o- oder aDeklination anzupassen, als auf eine Benutzung von Hieronymus’ Onomastikon, wo sich der Nominativ Evila findet161. Bei der Untersuchung möglicher Einflüsse von quaest. hebr. in gen. fällt auf, dass der HD Hieronymus’ Ausführungen in mehreren Punkten gerade nicht folgt und Auffassungen zeigt, die von Hieronymus ausdrücklich kritisiert werden, etwa in V. 152 die Herrschaft Kains über seinen Bruder (qui tibi ceu domino subiectus colla praebebit), was laut Hier. quaest. hebr. in gen. p. 8,23–9,11 (Lagarde) in Wirklichkeit als die Herrschaft Kains über die an der Tür lauernde Sünde zu verstehen und auf einen Übersetzungsfehler der LXX zurückzuführen ist162. Dass der HD in V. 116 die Hinwendung der Frau zu ihrem Mann (vgl. Vet. Lat. gen. 3,16 (L) conversio) mit dem Wort studio im Sinne von Neigung oder Hingabe interpretiert, könnte auf einen Einfluss des Hieronymus zurückzuführen sein, der in quaest. hebr. in gen. p. 7,20 (Lagarde) die entsprechende griechische Übersetzung des Symmachus mit dem semantisch ähnlichen Wort appetitus bzw. impetus wiedergibt163, doch angesichts der sonst dominierenden Unterschiede ist es unwahrscheinlich, dass der HD quaest. hebr. in gen. gerade hier heranzog. Somit ergibt sich, dass die drei betrachteten Schriften des Hieronymus offensichtlich nicht zu den exegetischen Quellen gehören, aus denen der HD in Hept. gen. 1–362 schöpft.

159 Vgl. Hier. nom. hebr. p. 5,16–17 (Lagarde) Eva calamitas aut vae vel vita, p. 75,19–20 (Lagarde) Eva vita sive calamitas, p. 76,7 (Lagarde) Eva calamitas sive vita, p. 78,20 (Lagarde) Eva calamitas aut vita sive vae, p. 81,12 (Lagarde) Eva calamitas sive vae aut certe vita. 160 Vgl. Aug. gen. ad litt. 11,1 in einer textkritischen Variante (vgl. Fischer 1951, 75). 161 Vgl. Hier. sit. et nom. p. 81,22 und p.167,12 bei Klostermann. 162 Vgl. den Kommentar zu V. 152. Zu weiteren Abweichungen von Hier. quaest. hebr. in gen. vgl. den Kommentar zu V. 128 (Aufstellung von Adam und Eva gegenüber dem Paradies vs. Aufstellung der Cherubim und des Flammenschwertes in quaest. hebr. in gen. p. 8,4–8 (Lagarde)) und zu V. 232 (Begrenzung des menschlichen Lebensalters auf 120 Jahre vs. 120 Jahre als Frist für die sündige Menschheit, um Reue zu zeigen, in quaest. hebr. in gen. p. 12,9–19 (Lagarde)). 163 Vgl. den Kommentar zu V. 116.

4. Der Umgang mit poetischen Vorgängern (Hept. gen. 1–362)

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4. DER UMGANG MIT POETISCHEN VORGÄNGERN (HEPT. GEN. 1–362) Methodische Vorüberlegungen Eine Behandlung der Rezeption poetischer Vorgänger in Hept. gen. 1–362 muss sich im Rahmen dieser Arbeit auf einen Überblick über typische Formen der Dichterrezeption beschränken; dabei wird die zeitliche Grenze bis ca. 430 n. Chr. gezogen, um Paulinus von Nola († 431) noch berücksichtigen zu können. Auch ein Vergleich zwischen der intertextuellen Technik des HD und anderer Bibeldichter würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen164. Von den eigentlichen Dichterreminiszenzen, die hier als erkennbare Bezugnahmen auf bestimmte Vorbilder aufgefasst werden165, ist die eher mechanische Übernahme vorgeprägter Formeln und metrischer Versatzstücke abzugrenzen, die in der episch-poetischen Tradition insgesamt sehr häufig vorkommen und sich gewöhnlich keinem bestimmten Vorbild zuordnen lassen. Zur Verwendung solchen poetischen Allgemeinguts finden sich in Hept. gen. 1–362 erwartungsgemäß sehr viele Belege, die hauptsächlich den folgenden Bereichen entstammen: – Strukturierende Versanfänge, wie etwa V. 34, 42, 83, 107 ilicet, V. 38 quapropter, V. 70 und 293 nec minus interea, – formelhafte Redeeinleitungen, z. B. V. 65 […] tali formatur voce Tonantis, V. 103 illa sub haec pandit: […], V. 148 […] talibus infit, – Klauseln, z. B. V. 51 und 273 lumina solis, V. 100 sidera caeli, V. 177 sub auras, V. 178 tempora vitae, V. 246 per agros, V. 261 ab astris, V. 358 in aevum, – und standardisierte Junkturen und Topoi, etwa V. 70 nox alta, V. 83 niveo [...] dente, V. 140 curvo [...] aratro, V. 290 levibus […] pinnis, V. 307 pinna plaudente und V. 308 ramis [...] olivae bzw. praepinguis olivae. Hierzu sind auch die Gottesbezeichnungen pater (V. 21), Tonans (V. 65, 141, 168, 325) und omnipotens (V. 107) zu zählen, die in der Tradition gängiger epischer Bezeichnungen für Jupiter stehen166. All diese poetischen Elemente sind für die Interpretation der Einzelstelle aufgrund ihrer Stereotypie meist nicht ergiebig, zeigen aber in ihrer Gesamtheit, dass der HD sich bewusst in die Tradition des 164 Zur Dichterrezeption und intertextuellen Technik anderer alttestamentlicher Bibeldichter vgl. etwa Arweiler 1999 (Alcimus Avitus); W. Speyer, Das Leben im Garten Eden nach Dracontius, in: J.-M. Carrié/R. Lizzi Testa (Hrsg.), „Humana sapit“: Études d’Antiquité tardive offertes à Lellia Cracco Ruggini, Turnhout 2002, 277–282; H. Harich-Schwarzbauer, Von Aeneas zu Camilla : Intertextualität im Vergilcento der Faltonia Betitia Proba, in: D. van Mal-Maeder u.a. (Hrsg.), Jeux de voix : Énonciation, intertextualité et intentionnalité dans la littérature antique, Bern 2009, 331–346; D. Weber, Die „Alethia“ des Claudius Marius Victorius und ihr Verhältnis zu Lukrez, in: V. Zimmerl-Panagl (Hrsg.), Dulce melos II. Akten des 5. internationalen Symposiums: Lateinische und griechische Dichtung in Spätantike, Mittelalter und Neuzeit (Wien, 25.–27. November 2010), Pisa 2013, 183–199. 165 Zu diesem Verständnis von Reminiszenz vgl. Metzler Lexikon Literatur 2007, 644: Hier wird Reminiszenz definiert als „Stelle in einem lit[erarischen] oder musikalischen Werk, die an andere Werke erinnert“. 166 Vgl. den Kommentar zu V. 21, 65b und 107.

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Epos bzw. der klassischen Poesie stellt, um seinen biblischen Stoff in eine Sprache von gehobenem Stilniveau zu kleiden. Quantitative Ergebnisse Die in Übersicht 5167 zusammengestellten Dichterreminiszenzen lassen sich im Gegensatz zum oben erwähnten Formelgut meistens einem bestimmten Prätext, in manchen Fällen auch zwei und im Falle von V. 147 drei möglichen Vorbildern zuordnen. Die grundsätzliche Frage, wie geringfügig eine Reminiszenz sein darf bzw. wie stark eine Formulierung von ihrem präsumptiven Vorbild abweichen darf, um noch als potentiell erkennbare Anspielung und nicht als rein zufällige Ähnlichkeit gewertet werden zu können, ist im Einzelfall schwer entscheidbar, zumal über das intendierte Publikum des HD und sein Bildungsniveau nur Vermutungen angestellt werden können; auch ist eine zu starke Konzentration auf „sichere“ Fälle von imitatio mit dem Preis verbunden, dass subtilere Anklänge ignoriert werden und der Text in seiner Tiefendimension nicht ausgeschöpft wird168. Daher sind bewusst auch solche Fälle in die Übersicht aufgenommen, in denen die Übereinstimmungen zwischen HD und Prätext geringeren Umfangs sind und nicht mit gänzlicher Sicherheit gesagt werden kann, ob sie von den Rezipienten als intendierte Anspielungen identifiziert werden konnten. Hinsichtlich der offensichtlich benutzten Autoren zeigt sich ein breites Spektrum, das neben Epikern (Vergil, Ovid, Lukan, Silius) auch nicht-epische Dichtungen (z.B. Ausonius, Catull, Claudian, Juvenal, Persius, Properz) und neben paganen Autoren auch Christen (Juvencus, Prudentius, Paulinus von Nola) umfasst. Vergil hat als Repräsentant der klassischen epischen Tradition und als unumstrittene poetische Autorität zweifellos als Hauptvorbild des HD zu gelten, wobei die Zahl der Aeneis-Reminiszenzen deutlich höher ist als die Zahl der Reminiszenzen an Eklogen und Georgica. Zu bedenken ist hierbei, dass Vergilpassagen auch sekundär über das Vorbild der Proba rezipiert worden sein können169. Die Nutzung anderer Dichter ist weitaus weniger intensiv als die Vergils, es zeigen sich aber, nach abnehmender Nutzungsintensität geordnet, auch Schwerpunkte der Nutzung bei Ovid, Lukan, Silius und Claudian. Im Vergleich zu den Reminiszenzen paganer Autoren sind die Parallelen zu den christlichen Dichtern Juvencus, Prudentius und Paulinus von Nola zahlenmäßig geringer. Zur intertextuellen Technik des HD In Hinblick auf die Technik, mit der der HD poetische Prätexte aufgreift und in seinen eigenen Text integriert, lassen sich verschiedene Schwerpunkte erkennen. 167 Vgl. S. 557–563. 168 Vgl. auch Petringa (La presenza) 2007, 167. 169 Dies ist in der Übersicht jeweils in den Fußnoten angegeben; vgl. hierzu auch Kapitel III.5.b.

4. Der Umgang mit poetischen Vorgängern (Hept. gen. 1–362)

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Um diese in einer möglichst übersichtlichen Form herauszuarbeiten, soll im Folgenden eine Unterscheidung nach eher formalen und eher inhaltlich-funktionalen Kriterien vorgenommen werden, in dem Bewusstsein, dass beide Aspekte im konkreten Kontext stets ineinandergreifen und dass eine eindeutige Zuordnung nicht immer möglich ist. Ein starres und mechanisches „Schubladensystem“ ist hier ausdrücklich nicht intendiert. In formaler Hinsicht lassen sich die Zitatsegmente nach Umfang und Gestalt unterscheiden170. Die Übernahme vollständiger oder weitestgehend vollständiger Verse findet sich in Hept. gen. 1–362 nur zweimal, nämlich in V. 121 (vgl. Verg. ecl. 5,39 bzw. Proba cento 256) und V. 317 (vgl. Verg. Aen. 3,206). Häufiger greift der HD Klauseln auf, die sich im Gegensatz zu den oben genannten stereotypen Formulierungen bestimmten Vorbildern zuordnen lassen, vgl. etwa V. 81 illa negat vetitosque timet contingere ramos ~ Verg. ecl. 8,40 iam fragilis poteram a terra contingere ramos, V. 284 sescentos agitans annos, se credidit undis ~ Claud. rapt. Pros. 1 praef. 5 tranquillis primum trepidus se credidit undis oder V. 349 quem propere expletum cyathis somnoque gravatum ~ Verg. Aen. 6,520 tunc me confectum curis somnoque gravatum. Um Reminiszenzen an bestimmte Versanfänge handelt es sich etwa in V. 66 „Ne trepidate simul licitos praecerpere fructus ~ Verg. Aen. 9,114 ‘ne trepidate meas, Teucri, defendere navis, V. 226 in numerum solitos mollitum tundere ferrum ~ Verg. georg. 4,175 in numerum versantque tenaci forcipe ferrum und V. 262 talibus adfatur mittendum in aequora vatem ~ Ov. met. 14,807 talibus adfatur divumque hominumque parentem. Immer wieder finden sich einzelne Ausdrücke oder Wortgruppen an der gleichen metrischen Position wie beim poetischen Vorgänger, z. B. in V. 34 ilicet inriguo perfundit lumina somno ~ Pers. 5,56 hic satur inriguo mavult turgescere somno, V. 154 atque, ubi deprensum deserto in gramine vidit ~ Verg. Aen. 12,664 […]; tu currum deserto in gramine versas oder V. 331 festinos menses et tempora mobilis anni ~ Auson. ecl. 18,1 Aeternos menses et tempora quattuor anni. Am häufigsten sind Reminiszenzen, bei denen die übernommenen Ausdrücke in morphologischer und/oder syntaktischer und/oder lexikalischer Hinsicht variiert werden und sich ggf. ihre Position im Vers ändert. Diese Variationen können geringfügig sein und sich z. B. auf die Abwandlung einer Wortendung, den Ersatz eines einzigen Wortes durch ein metrisches Äquivalent oder die Verschiebung des ansonsten identischen Ausdrucks im Vers beschränken, vgl. etwa V. 217 et durum removebit onus pacemque reducet ~ Val. Fl. 5,690 […] instaurat mensas pacemque reducit, V. 324 laxat claustra senex reddens nova semina terrae ~ Verg. Aen. 2,259 laxat claustra Sinon. illos patefactus ad auras oder V. 122 ut cum visceribus lassis et pectore maesto ~ Lucan. 2,340 visceribus lassis partuque exhausta revertor; häufiger wird aber das Vorbild in mehrfacher Hinsicht verändert. So setzt der HD in V. 21 sexta pater gelidos| in spiras lubricat angues seine poetische Vorlage Verg. georg. 2,154 squameus in spiram| tractu se colligit anguis in den Plural, rückt den Bestandteil in spiras hinter die Penthemimeres und formt 170 Die im Folgenden vorgenommene Differenzierung orientiert sich an Ciarlo 2008, 746–752, der hier Vergilreminiszenzen beim HD systematisiert.

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das vergilische Subjekt anguis zum Akkusativobjekt angues um. In V. 170 sternere ne ferro liceat cuicumque nocentem wird der Versschluss sternere ferro aus Verg. Aen. 7,692 quem neque fas igni cuiquam nec sternere ferro an den Versanfang gezogen und um ein eingeschobenes ne ergänzt, das der vergilischen Negation nec entspricht, während das Indefinitpronomen cuiquam durch cuicumque ersetzt wird und ebenfalls seine Position im Vers ändert. V. 298 iamque relabenti decrescit in aequore pontus knüpft offensichtlich an Lucan. 4,429 iamque relabenti crescebant litora ponto an, wobei der Versanfang unverändert übernommen wird, das Verbum crescebant an der gleichen Position, jedoch im Präsens Singular und in Gestalt des Kompositums decrescit aufgegriffen wird und der Ablativ ponto am Versende, der mit relabenti kongruiert, in das Subjekt pontus umgewandelt wird; Bezugswort zu relabenti ist beim HD aequore. Schließlich kontaminiert der HD mehrfach verschiedene poetische Vorlagen innerhalb eines Verses, wobei diese von ein und demselben oder auch von verschiedenen Dichtern stammen können. So liegt in V. 120 nam tibi triticeae surget pro germine messis offensichtlich eine Kontamination von Verg. georg. 1,219 At si triticeam in messem robustaque farra und Verg. ecl. 5,38–39 pro molli viola, pro purpureo narcisso / carduos (-us P2R) et spinis surgit (-et recc.) paliurus acutis vor, wobei der HD georg. 1,219 und ecl. 5,39 über das Vorbild der Proba (cento 256–258) rezipiert haben dürfte. In V. 147 quod propter gelida Cain incanduit ira ist an eine Kontamination von Verg. georg. 3,479 tempestas totoque autumni incanduit aestu und Ov. met. 3,707 movit, et audito clamore recanduit ira bzw. Claud. 22,82 cum fremeret, numquam Stilicho sic canduit ira zu denken. Insgesamt zeigen die Beispiele, dass keineswegs von einer centoartigen Arbeitsweise des HD die Rede sein kann, da sich die Zitatsegmente nicht nahtlos wie etwa beim Vergilcento der Proba aneinanderreihen, sondern über den Text des HD verteilt sind; dies gilt insbesondere für die verhältnismäßig wenigen übernommenen kompletten Verse oder Halbverse171. Bei der Frage nach der inhaltlichen Funktion der Zitatsegmente in ihrem neuen Kontext beim HD sollen die Begriffe „Neutralität“, „Analogie“ und „Kontrast“ für eine grobe Strukturierung herangezogen werden172. Unter neutralen Reminiszenzen sollen im weitesten Sinne solche Reminiszenzen verstanden werden, die weder eine explizite Analogie noch einen Kontrast zwischen Prätext und HD erkennen lassen und sich im wesentlichen der Absicht des Dichters zuordnen lassen, seiner Darstellung ein höheres Stilniveau und mehr 171 Zu dieser Einschätzung vgl. auch Ciarlo 2008, 752. 172 Vgl. den Ansatz von Lühken 2002, die in ihrer Arbeit zur Vergil- und Horazrezeption des Prudentius auf S. 29 zwischen „neutralen, inhaltlich analogen und kritischen Reminiszenzen“ unterscheidet und dies folgendermaßen erläutert: „Neutrale Reminiszenzen evozieren in erster Linie das Stilniveau des Prätextes, inhaltlich analoge Bezüge nutzen Gemeinsamkeiten zwischen heidnischer und christlicher Vorstellungswelt aus, kritische dagegen weisen auf Unterschiede hin.“ Im Gegensatz zu Lühken spielt aber die Unterscheidung „heidnisch/christlich“ in der vorliegenden Untersuchung praktisch keine Rolle. Von den teilweise kompliziert und nicht immer überzeugend wirkenden Klassifikationsversuchen poetischer Rezeptionsformen bei Thraede 1962, 1034–1041 und Herzog 1975, 189–200 wird bewusst Abstand genommen.

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Bildlichkeit und Anschaulichkeit zu verleihen. Dies gilt insbesondere für kürzere Junkturen und Klauseln, die aus ihrem ursprünglichen Kontext genommen, dadurch neutralisiert und als sprachliche Versatzstücke verfügbar gemacht werden. So übernimmt der HD in V. 34 ilicet inriguo perfundit lumina somno die Junktur inriguo [...] somno wörtlich und an der gleichen metrischen Position von Pers. 5,56 hic satur inriguo mavult turgescere somno, doch während bei Persius das Lebensideal des Faulen gezeichnet wird, das auf Essen und Schlaf beruht, geht es dem HD um die betäubende Wirkung des Schlafes auf Adam, der von Gott einer „Operation“ unterzogen wird. In V. 136 exhibet uxori: binos e germine foetus findet sich die Junktur binos [...] foetus an der gleichen metrischen Position wie in Verg. ecl. 3,30 bis venit ad mulctram, binos alit ubere fetus, wird aber von den beiden Jungen einer Kuh auf die beiden Söhne Evas übertragen. Ferner dürfte der HD in V. 362 quinquies et denos, ut legis formula cavit an den Pentameter Prop. 4,8,74 accipe, quae nostrae formula legis erit anknüpfen, wobei er die Junktur formula legis umdreht; die ursprüngliche Bedeutung, nämlich Cynthias „Gesetz“, dem sich ihr untreu gewordener Geliebter künftig unterwerfen muss, ist nur noch als juristische Wortprägung präsent und wird vom HD auf das Gesetz der Juden, also das Alte Testament und den Pentateuch im Besonderen, bezogen. Analoge Reminiszenzen liegen bei situativer Ähnlichkeit zwischen dem Text des HD und dem jeweiligen Prätext vor und können dazu dienen, eine dargestellte Situation vor dem Hintergrund des evozierten Prätextes zu verdeutlichen oder dem Text des HD durch zusätzliche Konnotationen und semantische Horizonte mehr Tiefe zu verleihen; dabei können biblische und epische Personen gleichsam zur Deckung gebracht werden173. Dies ist besonders dann der Fall, wenn auch die formale Übereinstimmung zwischen dem HD und seinem Vorbild besonders stark ist und der Prätext somit für den Rezipienten klar ersichtlich ist, etwa bei der Übernahme vollständiger Verse. So wird in V. 317 der Vergilvers Aen. 3,206 wortwörtlich übernommen und auf diese Weise das Auftauchen des festen Landes vor dem aus der Sintflut geretteten Noah mit dem Auftauchen der Strophaden vor dem knapp einem Sturm entkommenen Aeneas parallelisiert; der vergilkundige Leser kann darüber hinaus auch eine Analogie zwischen der göttlichen Bestimmung Noahs als Begründer eines neuen Menschengeschlechts und der vom Fatum vorgesehenen Bestimmung des Aeneas als Gründer eines neuen Troja auf dem Boden von Latium herstellen174. Aber auch durch die Imitation kürzerer oder stärker veränderter Elemente können ähnliche Kontexte evoziert werden: Beispielsweise wird in V. 154 atque, ubi deprensum deserto in gramine vidit die Junktur deserto in gramine unverändert und an der gleichen metrischen Position aus Verg. Aen. 12,664 […]; tu currum deserto in gramine versas übernommen, wodurch eine Analogie zwischen Kain und der negativen Figur des Turnus hergestellt wird. Denn so wie Turnus dem Vorwurf des Saces zufolge seinen Wagen fern vom Kampfgetümmel feige im verlassenen Gras wendet, lockt Kain Abel feige aufs

173 Vgl. Petringa (La presenza) 2007, 175. 174 Vgl. den Kommentar zu V. 316b–317.

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verlassene Feld, um ihn dort zu töten175. Der Schluss von V. 237 femineas placitisque nimis conplexibus haerent scheint auf Ov. met. 4,184 in mediis ambo deprensi amplexibus haerent Bezug zu nehmen, wodurch eine Parallele zwischen der „Gefangenschaft“ der Gottessöhne in den Armen der Menschenfrauen und dem Gefangensein von Venus und Mars in dem von Vulcanus gefertigten Netz während ihrer Liebesumarmung evoziert wird176. V. 293 nec minus interea tumidum suspensa per aequor, wo von der über die Fluten schwebenden Arche die Rede ist, weist, bei aller morphologischen, syntaktischen und lexikalischen Abwandlung, deutliche Parallelen zu Verg. Aen. 7,810 vel mare per medium fluctu suspensa tumenti auf, wo von der außerordentlich schnellen Läuferin Camilla gesagt wird, dass sie gleichsam schwebend über das Meer gelaufen wäre, ohne sich die Fußsohlen nass zu machen; dadurch wird die Beschreibung der auf den Fluten treibenden Arche um den Aspekt der Schnelligkeit und Leichtigkeit angereichert177. Um einen Kontrast zwischen ursprünglichem und neuem Kontext handelt es sich insbesondere bei der Kontrastimitation, verstanden als „Übernahme von Junkturen zum Zwecke gegenteiliger Aussagen“178; diese dient insofern der Interpretation der biblischen Vorlage, als sie deren Eigenheit vor einem gegensätzlichen Hintergrund besonders deutlich hervortreten lässt. So ist es denkbar, dass der HD in V. 154 atque, ubi deprensum deserto in gramine vidit [scil. Cain Abelum] auf Verg. Aen. 6,684 isque ubi tendentem adversum per gramina vidit [scil. Anchises Aenean] anspielt, um einen Kontrast zwischen der Begegnung von Kain und Abel im einsamen Gras und der zwischen Anchises und Aeneas im Elysium herzustellen. Denn während Kain Abel in der bösen Absicht des Mordes ansieht, sieht Anchises seinen Sohn voll Freude auf sich zukommen. Der Schluss von V. 155 elidit geminis frendens pia guttura palmis knüpft an Claud. carm. min. app. 2,57 corripis exiguis mox grandia guttura palmis an, wodurch der feige Mörder Kain, der seinen gottgefälligen Bruder Abel erwürgt, dem Helden Hercules gegenübergestellt wird, der als kleines Kind die beiden riesigen, ihn bedrohenden Schlangen erwürgt. In V. 324 laxat claustra senex reddens nova semina terrae nimmt der HD deutlich Bezug auf Verg. Aen. 2,259–260 laxat claustra Sinon. illos patefactus ad auras / reddit equus, […]; während die von Noah aus der Arche entlassenen Lebewesen die Erde mit neuem Leben erfüllen werden, werden die von Sinon aus dem hölzernen Pferd entlassenen Griechen Tod und Vernichtung über Troja bringen179. Schließlich changieren manche Reminiszenzen zwischen den Polen der Analogie und des Kontrastes wie etwa im Falle von V. 284 sescentos agitans annos, se credidit undis, wo der HD den Schluss von Claud. rapt. Pros. 1 praef. 5 tranquillis primum trepidus se credidit undis aufgreift. Zum einen wird hier eine Ana175 176 177 178 179

Vgl. den Kommentar zu V. 154. Vgl. den Kommentar zu V. 237b. Vgl. den Kommentar zu V. 293–294a. Vgl. Thraede 1962, 1039. Vgl. den Kommentar zu V. 324.

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logie zwischen Noah als dem Erbauer der Arche und dem Erfinder der Schifffahrt hergestellt, zum anderen besteht aber auch ein Gegensatz zwischen Noah, der im Vertrauen auf Gott auf den angeschwollenen Fluten der Sintflut fährt, und dem ersten Seefahrer, der ängstlich auf ruhiger See fährt. 5. DAS VERHÄLTNIS ZU PROBA UND ZU CL. M. VICTORIUS (HEPT. GEN. 1–362) a. Vorbemerkungen Faltonia Betitia Proba ist die einzige uns bekannte Vorgängerin des HD im Bereich des alttestamentlichen Bibelepos180; ihr Vergil-Cento entstand der gängigen Forschungsmeinung nach um 360 n. Chr.181, also vor dem sicher bestimmbaren terminus post des HD, dem Jahr 396 n. Chr.182. In 694 Hexametern behandelt die Dichterin in einem ersten Teil Episoden aus dem AT, die fast ausschließlich dem Buch Genesis angehören und von denen die Schöpfungsgeschichte die längste ist (V. 56–135), und in einem zweiten Teil neutestamentliche Perikopen aus dem Leben Jesu183. Der in Marseille wirkende Rhetor Cl. M. Victorius starb zwischen 425 und 450, so dass die Entstehung seiner Alethia sicher auf die erste Hälfte des 5. Jh.s datierbar ist, und versifiziert in seinem drei Bücher umfassenden hexametrischen Lehrepos das Buch Genesis vom Beginn der Schöpfung bis zum Untergang von Sodom und Gomorra184. Der systematische185 Vergleich des HD mit diesen beiden Bibeldichtungen ist zum einen aus Sicht der Quellenforschung von Interesse: Da der HD in mehreren Fällen auf die gleichen Vergilstellen wie Proba zurückgreift oder zumindest anzuspielen scheint, stellt sich die Frage, inwiefern er 180 Nach Bažil 2007, 50 ist Probas Cento unserer Kenntnis nach die erste Hexameron-Paraphrase in lateinischen Versen. 181 Vgl. Sineri 2011, 20–21; zur Diskussion über Verfasserschaft und Datierung vgl. ebd. 20–26. 182 S.o. S. 34. 183 Vgl. den Überblick von Sineri 2011, 18–20. Zur Einführung vgl. Clark/Hatch 1981; Bažil 2009; Badini/Rizzi 2011; Sineri 2011; K. O. Sandnes, The Gospel ‘According to Homer and Virgil’. Cento and Canon, Supplements to Novum Testamentum 138, Leiden/Boston 2011, 141–179; J. R. Curran, Virgilizing Christianity in Late Antique Rome, in: L. Grig/G. Kelly (Hrsg.), Two Romes. Rome and Constantinople in Late Antiquity, Oxford/New York 2012, 325–344; S. Hinds, ‘The self-conscious cento’, in: M. Formisano/T. Fuhrer (Hrsg.), Décadence. “Decline and Fall” or “Other Antiquity”?, Heidelberg 2014, 171–197; S. Schottenius Cullhed, Proba and Jerome, in: op. cit., Heidelberg 2014, 199–222; dies., Proba the Prophet. The Christian Virgilian Cento of Faltonia Betitia Proba, Mnemosyne Supplements 378, Leiden/Boston 2015. 184 Vgl. Windau 2002, 486. Zur Einführung vgl. Hovingh 1955; H. H. Homey, Studien zur Alethia des Claudius Marius Victorius, Diss. Bonn 1972; Papini 2006; Martorelli 2008; Cutino 2009; D. Weber, Die „Alethia“ des Claudius Marius Victorius und ihr Verhältnis zu Lukrez, vgl. S. 93 Anm. 164. 185 Zusätzlich wird im Kommentar stets ein vergleichender Blick auf Proba und die Alethia geworfen, wenn dies der Darstellung dient.

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Vergil über Probas Vorbild vermittelt rezipiert hat, also eine Vergilimitation „zweiten Grades“186 vorliegt; im Falle der Alethia ist zu fragen, ob sich anhand der vielen wörtlichen Parallelen zur Heptateuchdichtung ein Prioritätsverhältnis zwischen Cl. M. Victorius und dem HD ermitteln lässt, welches zur Klärung der Datierungsproblematik der Heptateuchdichtung beitragen könnte. Darüber hinaus ist von einem Vergleich der Darstellungstechnik des HD mit der der Proba und des Cl. M. Victorius zu erwarten, dass die Position des HD im Rahmen der Gattung „alttestamentliches Bibelepos“ genauer bestimmt werden kann. Zu diesem Zweck soll ein kurzer, aber repräsentativer Ausschnitt aus Hept. gen. 1–362, nämlich die sieben Tage der Schöpfung (V. 1–41), mit den entsprechenden Darstellungen im Cento der Proba und in der Alethia untersucht werden; der Vergleich erfolgt einmal makroskopisch mit Blick auf die größeren Linien und einmal mikroskopisch unter Konzentration auf den ersten Schöpfungstag. b. Der HD und Proba Ergebnisse der Quellenforschung: Zur Frage der Vergilimitation „zweiten Grades“ in Hept. gen. 1–362 Bei den signifikanten Parallelen zwischen dem HD und Proba, die im Folgenden zusammengestellt werden, handelt es sich meistens um aus zwei oder drei Wörtern bestehende Junkturen bzw. Wendungen, überwiegend am Versanfang oder Versschluss, seltener um Einzelwörter und nur in einem Fall um einen (leicht abgewandelten) Halbvers bzw. ganzen Vers187; dabei nimmt der HD auch morphologische, syntaktische und lexikalische Abwandlungen des entlehnten Wortmaterials vor und verändert die ursprüngliche Position der Wörter im Vers. Die Annahme einer über Proba vermittelten Vergilrezeption lässt sich nie eindeutig beweisen188 und ist dann mit besonderer Vorsicht zu betrachten, wenn der HD und Proba in ganz unterschiedlichen Kontexten vom gleichen Vergilvers Gebrauch machen (s.u. Beispiel 1–4), zumal wenn die Kontextähnlichkeit zwischen dem HD und Vergil größer ist als zwischen Proba und Vergil (s.u. Beispiel 2):

186 Petringa (La presenza) 2007, 162 spricht von einer Vergilimitation „di secondo grado“. Zur Hintereinanderschaltung mehrerer Prätexte aus der Sicht der Intertextualitätstheorie vgl. M. Lindners Kapitel „Integrationsformen der Intertextualität“ in Broich/Pfister 1985, 116–135, v.a. 124–126. 187 Vgl. Hept. gen. 326 ~ Proba cento 285 bzw. Hept. gen. 121 ~ Proba cento 256. 188 Vgl. auch Pollmann 1992, 496. Damit stellt Pollmann sich gegen Best 1891, 56, dessen Meinung nach der HD die Vergilreminiszenzen aus Proba entlehnte, da er sie dort bequem versammelt vorgefunden habe, während er sie sonst im ganzen Werk Vergils hätte suchen müssen.

5. Das Verhältnis zu Proba und zu Cl. M. Victorius (Hept. gen. 1–362)

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(1) Hept. gen. 154 atque, ubi deprensum deserto in gramine vidit (Kain ist mit Abel auf dem Feld, vgl. Gen 4,8) ~ Proba cento 433 hunc ubi tendentem adversum per gramina vidit (der Teufel sieht Jesus auf sich zukommen und versucht ihn anschließend, vgl. Mt 4,1–11 und Lk 4,1–13) ~ Verg. Aen. 6,684 isque ubi tendentem adversum per gramina vidit (Anchises sieht im Elysium Aeneas auf sich zukommen)189 (2) Hept. gen. 170 sternere ne ferro liceat cuicumque nocentem (niemand soll Kain mit dem Schwert töten, vgl. Gen 4,15) ~ Proba cento 149 quam neque fas igni cuiquam nec sternere ferro (der verbotene Paradiesbaum darf nicht durch Feuer oder Schwert angetastet werden, vgl. das Essverbot in Gen 2,17) ~ Verg. Aen. 7,692 quem neque fas igni cuiquam nec sternere ferro (Messapus kann als Sohn Neptuns Feuer und Eisen nicht unterliegen)190 (3) Hept. gen. 245 humanumque genus vastis mersare fluentis (Gott beschließt, die Menschen durch eine Flut zu vernichten, vgl. Gen 6,7.17) ~ Proba cento 395 haec ubi dicta dedit, fluvio mersare salubri (Taufe Jesu,vgl. v.a. Mk 1,9–10; Mt 3,13–15) ~ Verg. georg. 1,272 balantumque gregem fluvio mersare salubri (Schafe sollen zur Schwemme geführt werden) (4) Hept. gen. 326 atque memor voti, adolet dum altaria flammis (Noah bringt Gott ein Brandopfer dar, vgl. Gen 8,20) ~ Proba cento 285 tum, gemini fratres adolent dum altaria taedis (Kain und Abel bringen Gott Opfer dar, vgl. Gen 4,3–4) ~ Verg. Aen. 7,71 praeterea, castis adolet dum altaria taedis (Lavinia entzündet den Brandaltar, wobei ihr Haar Feuer zu fangen scheint)

Am wahrscheinlichsten ist eine über Proba vermittelte Vergilimitation beim HD, wenn beide Dichter im identischen biblischen Zusammenhang auf das gleiche vergilische Vorbild zurückgreifen (s.u. Beispiele 5–10). Diese Wahrscheinlichkeit nimmt zu, wenn der HD nicht nur in einzelnen Wörtern und Wendungen mit Proba übereinstimmt, sondern in einem (fast) ganzen Vers und in der Kontamination der beiden gleichen Vergilverse im gleichen biblischen Kontext (s.u. Beispiel 10): (5) Hept. gen. 4 dum chaos et nigrae fuscabant cuncta tenebrae ~ Proba cento 62 et chaos in praeceps tantum tendebat ad umbras (der klaffende Abgrund, vgl. Gen 1,2) ~ Verg. Aen. 6,265 et Chaos et Phlegethon, loca nocte tacentia late (Beginn der Erzählung von Aeneas’ Unterweltsfahrt) (6) Hept. gen. 11 tertia lux faciem terrarum fulva retexit ~ Proba cento 95 tertia lux gelidam caelo dimoverat umbram (Bezeichnung des dritten Schöpfungstages, vgl. Gen 1,13) ~ Verg. Aen. 11,210 tertia lux gelidam caelo dimoverat umbram (dritter Tag der Kämpfe in Latium) (7) Hept. gen. 34 ilicet inriguo perfundit lumina somno ~ Proba cento 125 dat iuveni et dulci declinat lumina somno (Versetzung Adams in einen Tiefschlaf, vgl. Gen 2,21) ~ Verg. Aen. 4,185 stridens, nec dulci declinat lumina somno (Beschreibung der Fama, die niemals schläft)191

189 Für eine Anregung durch Proba spricht, dass der HD bei ihr die negative Färbung des Vergilverses vorfinden konnte, vgl. den Kommentar zu V. 154. 190 Um einen quasi unverwundbaren Menschen geht es auch beim HD, während Proba die Unverwundbarkeit auf einen Baum bezieht. 191 Abgesehen davon ist lumina somno ein häufiger Hexameterschluss, vgl. den Kommentar zu V. 34.

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(8) Hept. gen. 51 instruitur primique adspectat lumina solis (Anlage des Paradieses im Osten, vgl. Gen. 2,8) ~ Proba cento 160 ecce autem primi sub limina (lumina π m2) solis et ortus (Adam und Eva betreten „bei den ersten Sonnenstrahlen“ das Paradies, vgl. Gen 2,8)192 ~ Verg. Aen. 6,255 ecce autem primi sub limina (lumina PRωγ) solis et ortus (Aeneas bringt vor Sonnenaufgang den Unterweltsgöttern ein Opfer dar) (9) Hept. gen. 90 quae pudenda vident, ficulnis frondibus umbrant ~ Proba cento 208 corpora sub ramis obtentu frondis inumbrant (Adam und Eva bedecken sich mit Blättern, vgl. Gen 3,7) ~ Verg. Aen. 11,66 exstructosque toros obtentu frondis inumbrant (ein Totenbett für Pallas wird vorbereitet) (10) Hept. gen. 120–121 nam tibi triticeae surget pro germine messis / carduus et spinis multum paliurus acutis ~ Proba 256–258 carduus et spinis surget paliurus acutis / lappaeque tribolique et fallax herba veneni. / at si triticeam in messem robustaque farra (Bestrafung des Menschen: die Erde wird Dornen und Disteln hervorbringen, vgl. Gen 3,18) ~ Verg. ecl. 5,39 carduos (-us P2R) et spinis surgit (-et recc.) paliurus acutis (die Natur trauert um Daphnis) + Verg. georg. 1,219 At si triticeam in messem robustaque farra (Ratschlag für den Zeitpunkt der Getreideaussaat)193.

Im Fall der Kontamination von Verg. georg. 1,219 und ecl. 5,39 in Hept. gen. 120–121 ist zu beachten, dass der HD mit seinem vermuteten Vorbild Proba cento 256–258 frei und selbständig umgeht, da die genannten Vergilverse dort in anderer Reihenfolge auftreten, nicht unmittelbar aufeinanderfolgen und der HD auf Proba cento 258 bzw. Verg. georg. 1,219 nur durch die Wörter triticeae und messis Bezug nimmt (V. 120), wobei er surget aus Proba cento 256 bzw. Verg. ecl. 5,39 (surgit) in V. 120 hineinzieht. Ferner scheint er in V. 120 durch pro germine auf Verg. ecl. 5,38 (pro molli viola, pro purpurea narcisso) anzuspielen, was zeigt, dass er nicht nur den von Proba benutzten Vers Verg. ecl. 5,39, sondern auch den bei ihr nicht erscheinenden, im vergilischen Original vorausgehenden Vers vor Augen hatte. Dass der HD eine Wendung Probas, die durch Kontamination zweier Vergilverse zustandegekommen ist, aufgreift, ist auch im folgenden Beispiel 11 wahrscheinlich, wo der biblische Kontext geradezu konträr ist: (11) Hept. gen. 246 omnigenasque simul pecudes, quae laeta per agros (Beschluss Gottes, alles Vieh zu vernichten, vgl. Gen 6,7) ~ Proba cento 100 omnigenumque pecus nullo custode per herbam (Erschaffung der Landtiere, vgl. Gen 1,24–25) ~ Verg. Aen. 8,698 omnigenumque deum monstra et latrator Anubis (Beschreibung der Seeschlacht von Actium, die auf Aeneas’ Schild abgebildet ist) + Aen. 3,221 caprigenumque pecus nullo custode per herbas (weidendes Vieh auf den Strophaden).

Schließlich ist mit einer Vergilimitation „zweiten Grades“ über das Vorbild der Proba auch dann zu rechnen, wenn beide Dichter zwar nicht im exakt gleichen biblischen Kontext auf den gleichen Vergilvers Bezug nehmen, aber die bibli192 Die Zuordnung zur biblischen Vorlage ist bei Proba nicht ganz eindeutig; Badini/Rizzi 2011, 91 ordnen den Abschnitt Proba cento 157–171 Gen 2,8.15 zu. 193 Zu Hept. gen. 120–121 als wahrscheinlicher Vergilimitation zweiten Grades über das Vorbild der Proba vgl. auch Petringa (La presenza) 2007, 162.

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schen Kontexte dem gleichen Genesiskapitel (s.u. Beispiele 12 und 14) bzw. unmittelbar aufeinanderfolgenden Kapiteln (s.u. Beispiel 13) angehören: (12) Hept. gen. 52 gignitur haec inter pomis letalibus arbos (der Baum in der Mitte des Paradieses, vgl. Gen 2,9) ~ Proba cento 148 est in conspectu ramis felicibus arbos (Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, vgl. Gen 2,17) ~ Verg. georg. 2,81 exiit ad caelum ramis felicibus arbos (Veredelung von Bäumen durch Pfropfen)194 (13) Hept. gen. 67 quos nemus intonsum ramo frondente creavit (Aufforderung, die (erlaubten) Früchte von den Bäumen des Paradieses zu essen, vgl. Gen 2,16) ~ Proba cento 176 obliqua invidia ramo frondente pependit (das Auftreten der Schlange, die nach Proba an einem Zweig im Paradies hängt, vgl. Gen 3,1) ~ Verg. Aen. 7,67 examen subitum ramo frondente pependit (ein Bienenschwarm hängt an einem Baum) (14) Hept. gen. 95 „O domine, adfatus pavido sub corde tremesco (Antwort Adams auf Gottes Frage, wo er sei, vgl. Gen 3,10) ~ Proba cento 235 ‘omnipotens, sonitumque pedum vocemque tremesco (Adams Rechtfertigungsrede, vgl. Gen 3,12) ~ Verg. Aen. 3,648 prospicio sonitumque pedum vocemque tremesco (Achaemenides erzählt, wie er vor den Schritten und Stimmen der Kyklopen erzittert)

Makroskopischer Vergleich der Darstellungstechnik: Die sieben Schöpfungstage (Hept. gen. 1–41 und Proba cento 56–135) Die folgende Tabelle195 gibt eine vergleichende Übersicht über die Verteilung der Schöpfungswerke bzw. Handlungen Gottes auf die sieben Tage in der Bibel, beim HD und bei Proba196: Tag 1

Vet. Lat. gen. 1,1–2,3 1,1–2: Erschaffung von Himmel und Erde und deren Urzustand 1,3–5: Erschaffung des Lichts, Scheidung von Licht und Finsternis, Tag und Nacht

2

1,6–8: Firmament; Scheidung der Wasser in solche oberhalb und unterhalb des Firmaments

Hept. gen. 1–41 V. 1–4 Erschaffung von Himmel und Erde und deren Urzustand V. 5–6 Auflösung der Finsternis und Erschaffung des Lichts Zeitangabe in V. 7 (im Rückblick): cum dominus primi complesset facta diei V. 7–8 Firmament mit Wolken Zeitangabe in V. 7 (Überleitung zum 2. Tag): cum dominus primi complesset facta diei

Proba cento 56–135 V. 56–63: Erschaffung von Himmel, Erde, Mond und Sonne; Rückblick: Zustand der Welt vor der Schöpfung V. 64–81: Scheidung von Licht und Finsternis, Sterne, Jahreszeiten Zeitangabe: --V. 82–90: Scheidung von Land und Meer; Meerestiere Zeitangabe in V. 82–83: prima […] Aurora

194 Zu Proba als Vorbild des HD vgl. den Kommentar zu V. 52. 195 Die Tabelle orientiert sich an Bažil 2007, 55, der allerdings nur den biblischen Bericht und Proba vergleicht, sich auf sechs Tage beschränkt und Proba cento 56–63 nicht zum ersten Tag rechnet, vgl. ebd. S. 52. 196 Zur umstrittenen Tagesanzahl bei Proba und zu der hier favorisierten Lösung s.u.

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Tag 3

Vet. Lat. gen. 1,1–2,3

4

1,14–19: Gestirne als Indikatoren der Zeit(en)

5

1,20–23: Wassertiere und Vögel

6

1,24–25: Tiere der Erde 1,26–27: Erschaffung des Menschen als Mann und Frau 1,28–2,2a: Vermehrungssegen, Herrschaftsauftrag, Übergabe der pflanzlichen Nahrung an Menschen und Tiere; Vollendung der Schöpfung am sechsten Tag

7

2,2b–3: Gottes Ruhe und Heiligung des 7. Tages

1,9–13: Scheidung von Land und Meer, Pflanzen

Hept. gen. 1–41 V. 9–14197 Sammlung des Wassers im Meer, trockenes Land; Pflanzen Zeitangabe in V. 11: tertia lux V. 15–18 Gestirne als Indikatoren der Zeit(en) Zeitangabe in V. 15: quarta die V. 19–20 Fische und Vögel Zeitangabe in V. 19: quinta die V. 21–24 Tiere der Erde V. 25–32 Erschaffung des Mannes V. 33–39 Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes Zeitangabe in V. 21: sexta

V. 40–41 Gottes Ruhe und Heiligung des 7. Tages Zeitangabe in V. 40: septima luce

Proba cento 56–135 V. 91–94: Pflanzen Zeitangabe in V. 91: postera […] dies V. 95–98: Vögel Zeitangabe in V. 95: tertia lux V. 99–106: Tiere der Erde Zeitangabe in V. 99: quarto […] die V. 107–114 Betrachtung der Schöpfung durch Gott und Nachdenken über einen möglichen Herrscher; Ruhe Gottes (V. 114): vorgezogener 7. Tag V. 115–121 Erschaffung des Mannes V. 122–135 Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes Zeitangaben in V. 107: iamque dies alterque dies vorgezogen, s.o.

Wie aus der Übersicht hervorgeht, hält sich der HD genau an das Siebentagesschema seiner biblischen Vorlage, wobei er die durch Numeralia gekennzeichneten stereotypen Zeitangaben (dies unus / secundus / tertius etc. / die septimo)198 deutlich erkennbar nachbildet. Nachdem in V. 7 (cum dominus primi complesset facta diei) zusammenfassend das Ende des ersten und der Beginn des zweiten Tages markiert worden ist, werden die folgenden Tage einzeln durch die entsprechenden Numeralia bezeichnet (s.o.). Hinsichtlich des Versumfangs der einzelnen Tage schwankt die Darstellung des HD zwischen 2 und 6 Versen, was die Tage 1–6 (ohne die Menschenschöpfung) und 7 betrifft199; aus diesem Schema sticht die Menschenschöpfung am 6. Tag mit insgesamt 15 Versen hervor.

197 Die der Überlieferung entsprechende, von Peiper wiedergegebene Versfolge 9–10–11–12 wird hier in 11–9–10–12 abgeändert, vgl. S. 185–186. 198 Zu diesen Zeitgaben vgl. Vet. Lat. gen. 1,5.8.13.19.23.31 und 2,2. 199 1. Tag: 6 Verse, 2. Tag: 2 Verse, 3. Tag: 6 Verse, 4. Tag: 4 Verse, 5. Tag: 2 Verse, 6. Tag (Landtiere): 4 Verse, 7. Tag: 2 Verse.

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Bei Proba finden sich dagegen nur vier eindeutig als aufeinanderfolgend bezeichnete Tage, nämlich prima [...] Aurora (V. 82–83), postera [...] dies (V. 91), tertia lux (V. 95) und quarto [...] die (V. 99), während auf das Vorübergehen von zwei weiteren Tagen in ganz unbestimmter Weise Bezug genommen wird (V. 107 iamque dies alterque dies processit, […]). Dieser Befund hat zu unterschiedlichen Forschungsmeinungen über die Zahl der bei Proba vorhandenen Schöpfungstage geführt200: Angenommen wurden vier Tage, wobei V. 107 lediglich als „epische Zeitrafferformel“ dazu diene, „dem Sechstagewerk rein äußerlich gerecht zu werden“201, oder aber vier Tage mit Einführung eines nicht bezeichneten „Vor-Tages“ (V. 56–81) und V. 107 als Verlegenheitslösung, um doch noch die Siebenzahl der Bibel zu erreichen202; fünf Tage im Sinne von vier Tagen vor der Menschenschöpfung und einem fünften, an dem die Erschaffung des Menschen stattfindet203, sechs Tage, wobei die Angabe in V. 107 im Sinne eines nur flüchtig erwähnten, nicht weiter gefüllten fünften Tages und des sechsten Tages gedeutet wird204, oder sieben Tage, womit Probas Darstellung der biblischen Chronologie entsprechen würde. Voraussetzung für diese letztere, hier favorisierte Interpretation ist, dass prima [...] Aurora in V. 82–83 nicht im Sinne des ersten Schöpfungstages verstanden wird, sondern im Sinne des ersten Tages, der mit einem Aufgang der zuvor erschaffenen Sonne (vgl. V. 82 novo […] lumine) beginnt, worunter dann der zweite Schöpfungstag zu verstehen ist. Ebenso wird auch in Vet. Lat. gen. 1,5 mit factum est mane auf den Morgen des zweiten Tages Bezug genommen. In diesem Sinne sind dann auch die folgenden Zeitangaben aufzufassen, d.h. mit postera [...] dies (V. 91) ist der zweite Sonnenaufgang bzw. der dritte Schöpfungstag gemeint, mit tertia lux (V. 95) der dritte Sonnenaufgang bzw. der vierte Schöpfungstag, mit quarto [...] die (V. 99) der vierte Sonnenaufgang bzw. der fünfte Schöpfungstag. Folgerichtig bezieht sich die Angabe iamque dies alterque dies in V. 107 auf den sechsten und siebten Tag205. Da Proba nach der Erschaffung der Frau unmittelbar zum Sündenfall übergehen will, würde ein siebter Tag den Fluss der Erzählung stören, und daher platziert sie den Inhalt des siebten Tages, also die Ruhe Gottes (vgl. V. 114 […] iuvat usque morari), diskret vor Gottes Beschluss, den Menschen zu erschaffen (V. 115 talia versanti subito sententia sedit)206; die Ruhe Gottes steht in diesem neuen Kontext im Zusammenhang mit Gottes Betrachtung der 200 Vgl. die Zusammenfassung von Bažil 2007, 51. 201 Vgl. Smolak 1975, 355, der hier überdies von der „Anwendung eines [...] plumpen poetischen Mittels“ spricht. 202 Vgl. Herzog 1975, 29 Anm. 105. 203 Vgl. Nodes 1993, 79 und Clark/Hatch 1981, 23–27 und 140; V. 107 wird hier im Sinne eines einzigen, nämlich des fünften Tages, aufgefasst, vgl. S. 27 „And now another day advanced the days“. Vgl. hierzu auch Sineri 2011, 127–128. 204 Vgl. Sineri 2011, 128, ebenso Badini/Rizzi 2011, 84–85. 205 Vgl. zu dieser Interpretation Bažil 2007, 50–52. 206 Vgl. hierzu auch Bažil 2007, 54–55. Sineri 2011 befasst sich S. 128 Anm. 173 mit Bažils Siebentagesschema und bemerkt, dass Proba, indem sie die Ruhe Gottes (gemäß Gen 2,2) vor der Erschaffung des Menschen aus Lehm (gemäß Gen 2,7) berichte, im Grunde die zeitliche Abfolge des biblischen Berichts nachahme.

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fast fertigen Schöpfung (V. 109 perfectis ordine rebus) und mit seinem Nachdenken darüber, wer die Schöpfung beherrschen soll (V. 112b–113). Welcher Anzahl an Tagen man nun den Vorzug geben mag, so bleibt doch in jedem Falle festzuhalten, dass Proba zwar ihre Darstellung des Schöpfungsberichts durch Tagesangaben rhythmisiert, dass aber die klare und eindeutige Nachvollziehbarkeit der biblischen Zeitstruktur offenbar kein primäres Ziel für sie ist, während sich der HD dies zu seinem Anliegen macht. Der Versumfang der einzelnen Abschnitte, die mehr oder weniger klar den einzelnen Tagen zugeordnet werden können, schwankt wesentlich stärker als beim HD, nämlich zwischen 4 und 29 Versen, wenn man die in der obigen Tabelle vorgeschlagene Einteilung zugrunde legt 207. Auch was die Reihenfolge der einzelnen Schöpfungswerke und ihre Verteilung auf die jeweiligen Schöpfungstage angeht, folgt der HD genau seiner biblischen Vorlage208, während Proba deutlich vom biblischen Bericht abweicht. Dies ist nach Bažil allerdings nicht auf das Unvermögen der Dichterin oder auf die cento-bedingte Beschränkung des gegebenen Wortmaterials zurückzuführen, sondern auf einen wohl überlegten ästhetischen Plan209: Zunächst wird die Erschaffung der unbelebten Natur, nämlich der astronomischen Phänomene (Licht und Gestirne) und der Jahreszeiten, auf den ersten Tag zusammengelegt, während sich diese Schöpfungen in der Bibel auf den ersten und vierten Tag verteilen. Möglicherweise soll durch die Himmelskörper auch das am zweiten biblischen Schöpfungstag erschaffene Firmament repräsentiert werden210, welches bei Proba sonst nicht erwähnt wird. Da es Probas Ziel ist, die herausragende Stellung des Menschen gegenüber dem Rest der Schöpfung zu unterstreichen, weist sie dem Menschen den gesamten sechsten Tag zu und widmet die drei Tage, die der Erschaffung des Menschen vorausgehen, der Entstehung der belebten irdischen Natur als seiner unmittelbaren natürlichen Umgebung, nämlich den Pflanzen (3. Tag), Vögeln (4. Tag) und Erdentieren (5. Tag), welche sich im biblischen Bericht den 3., 5. und 6. Tag mit anderen Werken teilen. Die nun noch verbleibenden Werke, die sich nicht der belebten irdischen Natur im engeren Sinne zuordnen lassen, also Erdboden, Meer und Meerestiere, werden dem zweiten Tag zugewiesen. In ähnlicher Weise sieht Smolak in Probas Umstrukturierung der Schöpfungswerke ein „dichterisches Konzept“, dem die antike „Dreiteilung des Universums in Himmel, Meer und Erde“ zugrunde liegt; der Himmel wird durch die astronomischen Phänomene repräsentiert, das Meer durch die Erschaffung von Meer und Meerestieren und die Erde durch Pflanzen, Vögel und Landtiere211. Vergleicht man die Gestaltung der einzelnen Schöpfungswerke beim HD und Proba, so fallen besonders die folgenden inhaltlichen, ästhetischen und exegetischen Aspekte auf: 207 1. Tag: 26 Verse, 2. Tag: 9 Verse, 3. Tag: 4 Verse, 4. Tag: 4 Verse, 5. Tag: 8 Verse, 6. Tag in Verbindung mit vorgezogenem 7. Tag: 29 Verse. 208 Smolak 1975, 351 verwendet hierfür das Adjektiv „pedantisch“. 209 Vgl. Bažil 2007, 53 (dagegen Sineri 2011, 128–129); zum Folgenden vgl. ebd. 55–57. 210 Vgl. Bažil 2007, 56 Anm. 20. 211 Vgl. Smolak 1975, 355.

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Deutlicher als der HD stellt Proba die Erschaffung von Himmel und Erde im Sinne einer creatio ex nihilo dar, indem sie Gen 1,2 als kosmische Leere vor der Schöpfung interpretiert (V. 60–63212), während der HD diesen Bibelvers im Sinne des Urzustands der Schöpfung deutet (V. 2–4213). Beide Dichter finden einen Weg, mit den exegetischen Schwierigkeiten der Wasser über dem Firmament (Gen 1,7) umzugehen, der HD durch ihre Umdeutung im Sinne von Wolken (V. 8 nebulis nascentibus) und Proba durch ihre vollkommene Auslassung214. Denkbar ist allenfalls, dass Proba am Ende ihrer Ausführungen über die Jahreszeiten in V. 80–81 mit dem fruchtbaren Regen, der keine biblische Entsprechung hat, auf die Wasser über dem Firmament anspielt, zumal sie wenig später in V. 84 über das Meer, also über die Wasser unter dem Firmament, spricht215. Die Erschaffung der Pflanzen (Gen 1,12) reichern sowohl der HD als auch Proba um das dem locus amoenus zugehörige Motiv der Blumen (Hept. gen. 13 florea [...] germina, Proba cento 92 flores) und – mehr oder weniger deutlich – um das Motiv des Goldenen Zeitalters an, in dem die Erde ohne Zutun des Menschen fruchtbar war. Beim HD wird dieses Motiv durch die sich nach vorne biegenden, da mit Obst beladenen Äste (V. 14) nur angedeutet, während Proba in V. 93–94 explizit erwähnt, dass kein Pflug und keine menschliche Fürsorge vonnöten gewesen seien216. Während der HD die durch die Gestirne angezeigten „Zeiten“ (vgl. Vet. Lat. gen. 1,14 (L) temporibus) nicht explizit auf die Jahreszeiten einengt (V. 18 tempora quae doceant), versteht Proba unter diesen Zeiten ausschließlich die Jahreszeiten (V. 72 temporibusque parem diversis quattuor annum) und reichert ihre Darstellung in V. 74–79 um eine Digression über die Charakteristika der vier Jahreszeiten an, wobei sie sich auf die jeweiligen landwirtschaftlichen Arbeiten konzentriert. Bei der Erschaffung der Wassertiere, Vögel (Gen 1,21) und Landtiere (Gen 1,25) fasst sich der HD sehr kurz und bringt kaum ausschmückende Elemente ein217. Dagegen schmückt Proba jedes dieser Schöpfungswerke zu einem lebendigen kleinen Tableau aus, indem sie etwa die Meeresungeheuer mit ihren Schwänzen über das Wasser fegen und die Meeresbewoh-

212 Proba cento 60–63 nam neque erant astrorum ignes nec lucidus aether, / set nox atra polum bigis subvecta tenebat, / et chaos in praeceps tantum tendebat ad umbras, / quantus ad aetherium caeli suspectus Olympum; unmittelbar zuvor wird die Erschaffung der Gestirne erwähnt. 213 Hept. gen. 2–4 namque erat informis fluctuque abscondita tellus / inmensusque deus super aequora vasta meabat, / dum chaos et nigrae fuscabant cuncta tenebrae. 214 Vgl. auch Smolak 1972, 383. 215 Vgl. Sineri 2011,136–137. 216 Vgl. auch Sineri 2011, 139. 217 V. 19 ist den Fischen als Vertretern der Wassertiere gewidmet, V. 20 den Vögeln, V. 21 den Schlangen als Vertretern der Kriechtiere und V. 22 den vierfüßigen Tieren als Sammelbegriff für wilde Tiere und Vieh. Ansätze zur Ausschmückung sind etwa die bunten Federn der Vögel (vgl. V. 20 varia [...] penna) oder die Kälte, Windungen und Glätte der Schlangen (V. 21 […] gelidos in spiras lubricat angues).

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ner im Meer planschen lässt (V. 86–90), die Laute verschiedener Vögel erwähnt (V. 96–98) und verschiedene Arten wilder Tiere auftreten lässt (V. 102–104). Bei beiden Dichtern fällt auf, dass sie Gottes Schöpferaktivität zu Beginn des Schöpfungsberichts erwähnen, dann aber Gott als Akteur der Schöpfung zurücktreten lassen218 und erst wieder im Kontext des sechsten Tages auf ihn Bezug nehmen, der HD bereits zu Beginn des sechsten Tages bei der Erschaffung der Landtiere (V. 21 sexta pater […]) und Proba erst bei der Menschenschöpfung (V. 108–109 ([…] divinae mentis et haustus / prospiciens genitor […])219. Dieses erneute Auftreten Gottes als Schöpfer am sechsten Tag lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Erschaffung des Menschen, der von Gottes Hand selbst geformt wird. Sowohl der HD als auch Proba verfolgen die theologische Intention, die Erschaffung des Menschen und seine herrschaftliche Rolle in der Schöpfung hervorzuheben, was beim HD durch die starke Raffung der Tage 1–5 deutlich wird, auf die insgesamt nur 20 Verse entfallen, während die Menschenschöpfung 15 Verse umfasst (V. 25–39) und somit als Kulminationspunkt des Hexamerons erscheint. Noch stärker zentriert Proba ihre Darstellung auf den Menschen als Krönung der Schöpfung, denn sie reserviert den sechsten Tag allein für ihn und arbeitet diesen Tag mit einem Umfang von 29 Versen ausführlicher als die vorausgehenden Tage aus220. Darüber hinaus bereitet sie die Erschaffung des Menschen durch die Entstehung seiner unmittelbaren Lebenswelt in den Tagen 3–5 vor221 und stellt die dem siebten Tag zugehörende Ruhe Gottes vor die Erschaffung des Menschen, so dass diese von den restlichen Schöpfungswerken durch einen klaren Schnitt abgetrennt wird222. Beide Dichter versuchen das widersprüchliche und inhomogene Nebeneinander der zwei biblischen Berichte zur Erschaffung des Menschen zu eliminieren, indem sie den priesterschriftlichen und den jahwistischen Bericht miteinander verschmelzen und somit die Erschaffung des Menschen nach Gottes Bild und Gleichnis, seine Formung aus Lehm und die Erschaffung der Frau aus der Rippe Adams zusammengenommen am sechsten Tag stattfinden lassen (Hept. gen. 25–39, Proba cento 115–135)223. Dieser en-

218 Der HD ab V. 9 (accipit inmensus errantia litora pontus), Proba ab V. 80–81 ([...] fecundis imbribus aether/ magnus alit [...]). 219 Vgl. Nodes 1993, 81–82 und 85–87. 220 Vgl. auch Bažil 2009, 145. 221 Vgl. Bažil 2007, 56. 222 Vgl. Bažil 2007, 55 und 58. Von Anfang an zeigt sich Probas anthropozentrische Sichtweise in der Art und Weise, wie schon vor der Existenz des Menschen der Bezug der Schöpfungswerke zum menschlichen Leben hervorgehoben wird: So sollen „wir“, also die Menschen, die Jahreszeiten an bestimmten Zeichen erkennen (V. 74 possimus discere), und die Früchte wachsen ohne Eingreifen der Menschen (V. 94 […] hominum non ulli obnoxia curae), vgl. Badini/Rizzi 2011, 162. 223 Vgl. auch Bažil 2007, 53–54 und 58.

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det bei beiden mit der intensiven Gemeinschaft von Mann und Frau (Hept. gen. 38–39, Proba cento 135) gemäß dem jahwistischen Schöpfungsbericht (Gen 2,24), während Vermehrungssegen, Herrschaftsauftrag und Übergabe der Pflanzennahrung an die neu geschaffenen Menschen nach dem priesterschriftlichen Bericht (Gen 1,28–29) ausfallen224. Vor dem Beschluss Gottes, den Menschen zu erschaffen (Gen 1,26), reflektieren der HD und Proba kurz über die Ursache der Menschenschöpfung. Dem HD zufolge liegt diese in der Erkenntnis Gottes, dass ein Herrscher über die Schöpfung fehle (V. 26), was sich aus Gen 1,26 ableiten lässt. Auch Proba nennt diese Motivation Gottes in V. 113 (qui mare, qui terras omni dicione tenerent), wobei die Pluralform tenerent225 die gemeinsame Herrschaft von Mann und Frau über die Schöpfung antizipieren226 und somit eine spezifisch weibliche Sicht verraten könnte227. Außerdem führt Proba in V. 114 noch einen weiteren Grund für die Erschaffung des Menschen ein, nämlich den Gedanken, dass die Erde nicht träge daliegen solle: Dies ist wohl weniger als Anspielung auf die Notwendigkeit landwirtschaftlicher Tätigkeit durch den Menschen zu verstehen, da im Garten Eden laut Proba (V. 144) keine Feldarbeit erforderlich ist, sondern eher in dem Sinne zu deuten, dass Gott sich ein Geschöpf wünscht, welches alle verfügbaren Güter der Erde genießt228. Während beim HD nun der Beschluss Gottes in wörtlicher Rede gemäß Gen 1,26 wiedergegeben wird (V. 27–28), nimmt Proba darauf nur sehr kurz und summarisch Bezug (V. 115 talia versanti subito sententia sedit). Sowohl der HD als auch Proba fassen die Gottesebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,26) in einem körperlichen Sinne auf, vgl. Hept. gen. 27–28 […] Hominem nostris faciamus in unguem / vultibus adsimilem […] und Proba cento 120 os umerosque deo similis […]. Der Gedanke einer nicht nur geistig, sondern auch körperlich zu verstehenden Gottesebenbildlichkeit des Menschen findet sich bei Irenaeus und Tertullian, verbunden mit der Idee, dass Gott Adam nach dem Modell Christi, des menschgeworde-

224 Vermehrungssegen und Übergabe der Nahrung finden sich beim HD unmittelbar vor der Anlage des Paradieses in V. 46–49; bei Proba findet sich eine Art Segnung des Menschenpaares in Verbindung mit seiner Versetzung ins Paradies in V. 139 (vivite felices interque nitentia culta). Vgl. hierzu Smolak 1972, 392–393. 225 Tenerent T, teneret Lπ. 226 Vgl. Sineri 2011, 145. 227 Vgl. Witke 1971, 197. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die Pluralform bereits in einigen Varianten der Vetus Latina zu Gen 1,26 auftritt (dominentur/dominabuntur/principatum habebunt/praesint, vgl. Fischer 1951, 26). Für eine feministische Sichtsweise könnte auch die Tatsache sprechen, dass Proba der Erschaffung Evas mehr Verse widmet als der Adams, vgl. Witke 1971, 198. 228 Vgl. Badini/Rizzi 2011, 162. Anders Clark/Hatch 1981, 190 Anm. 16 (V. 114 bezieht sich auf das Bebauen des Gartens Eden durch den Menschen nach Gen 2,15) und Sineri 2011, 145 (Anspielung auf die landwirtschaftliche Tätigkeit des Menschen, die somit von Anfang an von Gott vorgesehen ist, auch wenn sie eigentlich erst nach dem Sündenfall folgt).

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nen Gottes, formt229. Letzteres wird bei Proba in V. 118 angedeutet, wo Adam als tantae pietatis imago, d.h. als Manifestation der göttlichen Güte, bezeichnet wird, denn eben dies ist auch Christus230. Bei ihrer Darstellung der Erschaffung Adams nach Gen 2,7 setzen der HD und Proba unterschiedliche theologische Schwerpunkte. So betont der HD in V. 29–30 entsprechend der Kirchenväterexegese die Besonderheit des Menschen, der nicht durch ein bloßes Wort Gottes, sondern von Gottes Hand geschaffen worden ist231, während Proba gleichsam ein Enkomion der menschlichen Natur singt, bezogen auf die Schönheit des Menschen (V. 119 […] nova forma viri pulcherrima […]) und seine Berufung zu Höherem (V. 121 […] opera ad maiora remittit)232. In diesem Zusammenhang zeigt sich die mit der Centoform und dem nur begrenzt zur Verfügung stehenden Wortmaterial verbundene Problematik, dass biblische Inhalte von Proba manchmal verzerrt und nicht nachvollziehbar wiedergegeben werden: Will Proba in V. 120–121, wonach Gott Sinn und Geist des soeben geformten Menschen antreibt bzw. beeinflusst ([…] cui mentem animumque / maior agit deus […]), die Einhauchung des göttlichen Lebensatems umschreiben? V. 120 […] cui mentem animumque, welches Verg. Aen. 6,11 entnommen ist und dort im Kontext der Inspiration der Seherin Sibylle durch den Gott Apoll steht, legt dies zumindest nahe233. Als Beweggrund Gottes für die Erschaffung der Frau nennt der HD nur die Einsamkeit des Menschen (V. 33) gemäß Gen 2,18; die defizitäre Zwischenstufe der Tiere, die Gott dem Menschen zuführt und die sich nicht als adäquate Gefährten erweisen (Gen 2,19–20), lässt er aus234. Proba dagegen deutet die Problematik der Tiere als inadäquate Gefährten in V. 122–123 an, wobei sie über den biblischen Bericht hinausgehend neue Aspekte einbringt, nämlich den Gedanken, dass die Tiere sich nicht als Gefährten für die Herrschaft über die Schöpfung eignen (V. 123 […] sociusque in regna vocari) und dass sie dem Menschen gegenüber ein Gefühl der Minderwertigkeit zeigen (V. 122–123 […] nec quisquam ex agmine tanto / audet adire virum [...])235. Während der HD in V. 34–39 die Erschaffung der Frau und die durch die Wesensverwandtschaft bedingte Gemeinschaft von Mann und Frau in enger Anlehnung an Gen 2,21–24 darstellt, bringt Proba über den biblischen

Vgl. Badini/Rizzi 2011, 163, Nodes 1993, 28–29 und den Kommentar zu V. 27–28a. Vgl. Badini/Rizzi 2011, 164. Vgl. den Kommentar zu V. 30 und Nodes 1993, 28–29. Zum Enkomion auf die menschliche Natur in den Genesisdichtungen vgl. Smolak 1975, 352 Anm. 3. 233 Zu dem Problem der adäquaten Wiedergabe der Belebung des aus Lehm geformten Menschen mit vergilischen Ausdrücken vgl. auch Badini/Rizzi 2011, 163. 234 Auf die Zuführung der Tiere und ihre Benennung durch Adam wird in einem anderen Kontext, nämlich nach dem siebten Schöpfungstag und vor dem Vermehrungsbefehl, Bezug genommen, vgl. Hept. gen. 42–43. 235 Vgl. Badini/Rizzi 2011, 164.

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Bericht hinausgehend erotische Motive ein. Denn die neu erschaffene Frau erscheint als strahlend schönes, bereits geschlechtsreifes Geschöpf (V. 129–132), das beim Mann erotische Handlungen auslöst (V. 134–135 [...] pressit / excepitque manu dextramque amplexus inhaesit)236. Somit wird das Einssein im Fleisch nach Gen 2,24 von Proba ganz offensichtlich im Sinne einer sexuellen Vereinigung von Mann und Frau interpretiert, wodurch die Dichterin im Gegensatz zur Kirchenväterexegese, die die Sexualität oft mit dem Sündenfall in Verbindung bringt, eine grundsätzlich positive Sicht gegenüber der Sexualität vertreten würde237. Zugleich scheinen durch die in V. 129–132 verwendeten Vergilreminiszenzen und die dadurch evozierten Vergilkontexte auch die Verderben bringenden Seiten der weiblichen Schönheit durch, so dass die neu geschaffene Frau in einem ambivalenten Licht erscheint238. Mikroskopischer Vergleich der Darstellungstechnik: Der erste Schöpfungstag (Hept. gen. 1–6 und Proba cento 56–81239) Sowohl Proba als auch der HD bewegen sich mit ihrem jeweils ersten Vers240 eng am Wortlaut der biblischen Vorlage Vet. Lat. gen. 1,1 ((L) In principio fecit deus caelum et terram). Bei Proba ist dies darauf zurückzuführen, dass sie mit Verg. Aen. 6,724 geschickt einen Vers aus der Kosmologie des Anchises wählt, der im Wortmaterial Vet. Lat. gen. 1,1 stark ähnelt. Während aber principio im vergilischen Original in adverbialer Funktion die Darlegung des Anchises einleitet und im Sinne eines „zuerst“ zu verstehen ist, nimmt principio bei Proba gemäß Vet. Lat. gen. 1,1 die Bedeutung „am Anfang“ an, und während bei Vergil von der stoischen Weltseele die Rede ist, die das Universum nährt (Verg. Aen. 6,726 spiritus intus alit […]), ersetzt Proba diese Vorstellung durch Gott als Schöpfer des Universums (V. 58 ipse pater statuit […])241. Der HD knüpft in V. 1 in erster Linie an Vet. Lat. gen. 1,1 an, doch es ist anzunehmen, dass er als geschickter Nutzer seiner poetischen Vorgänger auch auf den thematisch verwandten Vers Verg. Aen. 6,724 anspielt. Die Erschaffung von Himmel und Erde ergänzt Proba um das Meer (V. 56 camposque liquentes) sowie Mond und Sonne (V. 57–59), wodurch offenbar die vier Elemente (Luft, Erde, Wasser, Feuer (der Sonne)) repräsentiert werden sollen242. 236 Smolak 1972, 392 Anm. 44 spricht in Bezug auf die betonte Geschlechtsreife Evas von „durchaus unbiblisch[en] Züg[en]“, Witke 1971, 198 sieht in V. 133–135 eine romantische Behandlung der Begegnung von Adam und Eva. 237 Vgl. Badini/Rizzi 2011, 166–167. 238 Vgl. Sineri 2011, 149–150 und Badini/Rizzi 2011, 165. 239 Zu dem hier zugrunde gelegten Tagesschema bei Proba s.o. S. 103–106. 240 Vgl. Hept. gen. 1 Principio dominus caelum terramque locavit und Proba cento 56 Principio caelum ac terras camposque liquentes. 241 Vgl. Nodes 1993, 79–80. 242 Vgl. Nodes 1993, 81.

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Vet. Lat. gen. 1,2 ((L) terra autem erat invisibilis et incomposita et tenebrae erant super abyssum et spiritus dei superferebatur super aquas) gibt der HD in V. 2–4 seiner biblischen Vorlage getreu im Sinne des Urzustands der von Gott erschaffenen Materie wieder, wobei sich die vier Aspekte Unsichtbarkeit der Erde, Formlosigkeit, Finsternis über dem Abgrund und Geist Gottes über dem Wasser mit Ausnahme des Abgrunds eindeutig identifizieren lassen243. Nicht ganz klar ist nämlich, ob der HD das Wort chaos in V. 4 als Synonym für tenebrae verwendet und den Abgrund unspezifisch mit cuncta umschreibt, oder ob chaos den gähnenden Abgrund bezeichnet, der zusammen mit der Finsternis „alles“ verdunkelt244. Proba dagegen scheint in V. 60–63 Vet. Lat. gen. 1,2 nicht als Urzustand der Materie zu deuten, sondern als eine Beschreibung des Zustands vor der Schöpfung245, der durch die Abwesenheit von Licht (V. 60–61) und gähnende Leere (V. 62–63)246 gekennzeichnet ist, wodurch sie den Eindruck einer creatio ex nihilo verstärkt247. Die Aspekte der Unsichtbarkeit und Formlosigkeit der Erde und des Geistes Gottes über dem Wasser finden sich bei ihr nicht. Gemeinsam ist beiden Dichtern in diesem Kontext das im Bibeltext nicht vorhandene Wort chaos an der selben metrischen Position (Hept. gen. 4 dum chaos [… ], Proba cento 62 et chaos […]), so dass eine über Proba vermittelte Vergilrezeption naheliegt. Die Erschaffung des Lichts nach Vet. Lat. gen. 1,3 ((L) et dixit deus fiat lux et facta est lux) gibt der HD in V. 5–6 wieder, wobei er mit der Rede Gottes in V. 6 („Lux fiat!“ […]) den biblischen Wortlaut fast wörtlich abbildet. Im Unterschied zu Vet. Lat. gen. 1,4, wonach Gott das erschaffene Licht von der Finsternis trennt ((L) […] et divisit deus inter lucem et tenebras), lässt der HD das Licht durch ein Auseinanderbewegen der Finsternis entstehen (V. 5 has [scil. tenebras] dum disiungi iussit […]). Proba unterdrückt die Rede Gottes, schildert ebenfalls ein Auseinanderbewegen der Finsternis (V. 65 aëra dimovit tenebrosum et dispulit umbras), ohne aber die Erschaffung des Lichts ausdrücklich zu erwähnen, und folgt dann sogar enger als der HD der biblischen Vorlage, indem sie in V. 66 (et medium luci atque umbris iam dividit orbem) die Scheidung von Licht und Finsternis nach Vet. Lat. gen. 1,4 klar beschreibt. Beide Dichter lassen die Benennung von Licht und Finsternis als Tag und Nacht nach Vet. Lat. gen. 1,5 weg. Während der HD nun zum zweiten Schöpfungstag übergeht, schließt sich bei Proba die Er243 Zur Unsichtbarkeit vgl. V. 2 […] fluctuque abscondita tellus, zur Formlosigkeit vgl. V. 2 informis, zur Finsternis über dem Abgrund vgl. V. 4 dum chaos et nigrae fuscabant cuncta tenebrae und zum Geist Gottes über dem Wasser vgl. V. 3 inmensusque deus super aequora vasta meabat. 244 Vgl. den Kommentar zu V. 4. 245 Vgl. Bažil 2007, 52. 246 In V. 62–63 (et chaos in praeceps tantum tendebat ad umbras, / quantus ad aetherium caeli suspectus Olympum) kombiniert Proba den Anfang von Verg. Aen. 6,265 (et Chaos) mit den teilweise abgewandelten Versen Verg. Aen. 6,578–579 (bis patet in praeceps tantum tenditque sub umbras / quantus ad aetherium caeli suspectus Olympum), die der Beschreibung der Unterwelt entnommen sind und denen zufolge sich der Tartarus doppelt so weit in die Tiefe erstreckt wie der Olymp in die Höhe. Vgl. dazu Nodes 1993, 80. 247 Vgl. Nodes 1993, 80.

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schaffung der Sterne und eine Digression über die von den Gestirnen indizierten Jahreszeiten an (V. 67–81). Fazit Eine Vergilimitation zweiten Grades über das Zwischenglied Proba liegt dann besonders nahe, wenn der HD und Proba im gleichen biblischen Kontext auf den gleichen Vergilvers zurückgreifen. Ein besonders wahrscheinlicher Fall ist Hept. gen. 120–121 und Proba cento 256–258, wo im identischen Bibelkontext die beiden gleichen Vergilverse miteinander kontaminiert werden. Gemeinsam ist beiden Dichtern die theologische Absicht, die Erschaffung des Menschen als Höhepunkt des Hexamerons herauszustellen, wobei sie den priesterschriftlichen und jahwistischen Bericht kontaminieren und die Gottesebenbildlichkeit des Menschen in einem körperlichen Sinne auffassen. Grundlegende Unterschiede zeigen sich v.a. im formal-strukturellen Bereich bezüglich der Deutlichkeit des Siebentagesschemas, der Reihenfolge der Schöpfungswerke und ihrer Verteilung auf die einzelnen Tage. Denn während der HD der biblischen Vorlage sehr genau folgt, nimmt sich Proba die Freiheit, zugunsten eines eigenen ästhetischen Konzepts von der biblischen Chronologie abzuweichen. Der meist knappen Darstellung des HD steht bei Proba bisweilen eine Tendenz zur schmückenden Ausmalung oder gar zur Digression gegenüber. Dass die sprachliche Nähe zur biblischen Vorlage, die der HD zeigt, von Proba aufgrund des vorgegebenen Wortmaterials nicht erreicht werden kann, liegt auf der Hand, ebenso wie die Problematik, dass mit den vergilischen Worten ein biblischer Sachverhalt nicht immer ganz klar ausgedrückt werden kann. In Hinblick auf die Stellung des HD im Rahmen der Gattung „alttestamentliches Bibelepos“ bestätigt der Vergleich mit Proba die relativ große Treue des HD gegenüber seiner biblischen Vorlage248. c. Der HD und Cl. M. Victorius Quellenforschung als Mittel der literarischen Priorätsbestimmung? In Ermangelung weiterer Anhaltspunkte zur Datierung des HD249 wurde in der Forschung versucht, durch einen Vergleich der zahlreichen wörtlichen Parallelen zwischen dem HD und der ins zweite Quartal des 5. Jahrhunderts datierbaren Alethia zu einer Prioritätsbestimmung zu gelangen. Nachdem Schenkl in seiner 1888 erschienenen Alethia-Ausgabe erstmals Similien gesammelt hatte250 und zu dem Ergebnis gelangt war, „daß M. Victorius mit seiner ‚freieren‘ Bibelparaphrase aus der enger an der biblischen Vorlage ausgerichteten Heptateuchdichtung 248 Vgl. Kapitel III.2. 249 Zur Datierungsproblematik vgl. S. 34–37. 250 Vgl. Schenkl (Alethia) 1888, 483.

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geschöpft habe“ und die Heptateuchdichtung somit vor der Alethia in der ersten Hälfte des 5. Jh.s entstanden sei251, wurde dieses Prioritätsverhältnis und die darauf basierende Datierung mit Peipers CSEL-Ausgabe von 1891 „kanonisch“252 und findet sich noch in der neueren Forschung vertreten253. Schon früh gab es jedoch Stimmen, die das Gegenteil behaupteten und Cl. M. Victorius als Vorgänger postulierten254. Inzwischen sind nicht nur die beim Similienvergleich angewandten Kriterien der Prioriätsbestimmung, nämlich „‚sklavische Versifizierung‘ beim Heptateuchdichter gegen ‚freie Bibelexegese‘ in der Alethia oder ‚klassizistische Metrik und Prosodie‘ bei Victor versus ‚metrische und prosodische Freiheiten‘ bei dem Heptateuchdichter, [...] zu Recht als subjektiv verworfen“ worden255, sondern auch grundsätzliche Zweifel an der Möglichkeit geäußert worden, durch den Vergleich der Parallelen die Priorität eines der beiden Dichter zu bestimmen256. So stellt Pollmann 1992 nach Sichtung der in der Forschung gesammelten Parallelen fest, dass jeweils nur wenige Worte oder Klauseln übereinstimmen, niemals jedoch ganze Verse, und dass auch die Imitation mehrerer Verse hintereinander fehle, wie dies etwa in Claud. 7,96–98 und der Kontrastimitation Hept. exod. 474–476 der Fall sei257. Die Übereinstimmungen seien „vage und allgemein“, insbesondere bei formelhaften Wendungen und Klauseln in meist unterschiedlichen biblischen Kontexten und bei identischen biblischen und geographischen Begriffen im gleichen Kontext258, oder die übereinstimmenden Junkturen fänden sich „bei mindestens noch einem paganen oder christlichen Dichter“ oder seien „sogar recht verbreitete Klauseln“259; ferner seien die ähnlichen Formulierungen auf die gleiche biblische Vorlage zurückzuführen260 oder durch die exegetische Tradition der Kirchenväter bedingt261. Pollmanns Ergebnis ist, „daß sich in den meisten Fällen gar keine eindeutige Abhängigkeit nachweisen läßt. Etwas über das Prioritätsverhältnis der beiden Dichter aussagen zu wollen, ist so nicht möglich. Die verbleibenden Stellen, bei denen man eventuell mit einer Beeinflussung rechnen muß, erlauben aufgrund ihrer zu schmalen Basis der Übereinstim-

251 Vgl. Pollmann 1992, 493. 252 Vgl. Jakobi 2010, 124 mit Verweis auf Peiper 1891, XXV. Zur zeitgenössischen Forschung, die ebenfalls die Priorität des HD gegenüber Cl. M. Victorius vertrat und teilweise weitere Parallelen sammelte, vgl. Becker 1889, 38–41 (mit Similien), Best 1891, 58, Manitius 1891, 167 und Maurer 1896, 61–67 (mit Similien). 253 S.o. S. 34 Anm. 44. 254 Vgl. Petschenig 1891, 780, Stutzenberger 1903, 17 und Hass 1912, 6, 12 und 40; vgl. hierzu auch Pollmann 1992, 493–494. 255 Vgl. Jakobi 2010, 124. 256 Bereits Herzog 1975 stellt S. 54 Anm. 20 bezugnehmend auf die Similiensammlung bei Maurer 1896 fest: „Indessen hält keine der über fünzig vorgebrachten Imitationsbehauptungen [...] der Nachprüfung stand.“ 257 Vgl. Pollmann 1992, 495, zu Claudian und Hept. exod. vgl. 492. 258 Vgl. ebd. 495. 259 Vgl. ebd. 496–497, das Zitat S. 496. 260 Vgl. ebd. 497–498. 261 Vgl. ebd. 499.

5. Das Verhältnis zu Proba und zu Cl. M. Victorius (Hept. gen. 1–362)

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mung ebenfalls keine Festlegung der Prioriät.“262 Dieses Ergebnis wird durch eine Auswertung der Parallelen zwischen Hept. gen. 1–362 und der Alethia, die am Ende dieses Unterkapitels in einer Übersicht zusammengestellt sind, bestätigt: In den meisten Fällen handelt es sich um Übereinstimmungen in Gestalt von häufiger belegten, ggf. formelhaften Wendungen oder gebräuchlichen Klauseln, wobei der (biblische) Kontext in mehreren Fällen unterschiedlich ist: Hept. gen. 1 caelum terramque (vgl. Gen 1,1) ~ aleth. prec. 54 caelum terrasque (einleitendes Gebet des Dichters)263 Hept. gen. 13 […] germina campis (Gen 1,12) ~ aleth. 2,210 […] germine campi (Gen 4,2)264 Hept. gen. 38 quapropter nati linquunt de more parentes (Gen 2,24) ~ aleth. 1,386 quod dulces nati postponendique parentes (Gen 2,24)265 Hept. gen. 64 […] cum coniuge fida (Gen 2,15) ~ aleth. 2,520 coniuge cum fida (Gen 8,16)266 Hept. gen. 66 […] praecerpere fructus (Gen 2,16) ~ aleth. 1,401 […] carpere fructus (Gen 3,5)267 Hept. gen. 82 […] pectora sensu (Gen. 3,6) ~ aleth. 1,422 […] pectora sensu (Gen 3,6)268 Hept. gen. 105 vipereis […] venenis (Gen 3,13) ~ aleth. 1,419 vipereo […] veneno (Gen 3,6)269

262 Vgl. ebd. 499. Derartige Parallelstellen, zu denen sie keine weiteren Analogien gefunden hat, gibt Pollmann S. 499–500 Anm. 33 an. 263 Die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 22.04.2016) gibt im Bereich der hexametrischen Dichtung 12 Belege für caelum terramque und 6 Belege für caelum terrasque an. 264 Die Klausel germin* camp* ist zwar neben dem HD und Cl. M. Victorius nur in Carm. adv. Marc. 2,233 (germina campis) und Paul. Petric. Mart. 5,455 (germina campi) belegt, dürfte aber von der häufigen Klausel gramin* camp* beeinflusst sein, für die die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 22.04.2016) 19 Belege in der hexametrischen Dichtung angibt. 265 Zu nat* […] parent* an derselben metrischen Position vgl. etwa Ov. met. 2,629 semina, sed natum flammis uteroque parentis, Verg. Aen. 2,138 nec dulcis natos exoptatumque parentem, Stat. silv. 5,3,137 Euboea et natis te monstravere parentes, Manil. 4,77 degenerant nati patribus vincuntque parentes und 4,82 ecce patrem nati perimunt natosque parentes. 266 Vgl. auch die Klausel […] coniuge fida in Hor. epist. 2,1,142 und Sil. 13,879, ferner z. B. Ov. met. 7,843–844 […] fidae / coniugis […], Sil. 17,334 fidae […] coniugis, Sen. Ag. 882 coniugis fidae, Herc. O. 957 fidae coniuges, aleth. 3,347 coniuge cum fida […]; ähnlich Ov. fast. 2,815 fido cum coniuge. 267 Zu dieser Klausel vgl. auch Hor. sat. 1,2,79 […] decerpere fructus, Ov. rem. 103 […] decerpere fructum, Paul. Nol. carm. 19,355 […] decerpere fructu und Hept. gen. 48 […] decerpite fructus. 268 Zur Klausel pectora sensu vgl. auch Sil. 13,316, Paul. Nol. carm. 6,145, Hept. exod. 323 und deut. 13, Ven. Fort. carm. app. 3,23; ähnlich Ov. met. 3,631 und Sil. 2,521 pectora sensus. 269 Zu dieser Junktur vgl. auch Lucan. 9,635 vipereumque […] venenum, Claud. 2,9 vipereo […] veneno, Prud. perist. 13,57 vipereis […] venenis, Sedul. carm. pasch. 2,186 vipereis […] venenis, Ps. Prosp. carm. de prov. 876 vipereum […] venenum.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung Hept. gen. 161 […] pro crimine tanto (Gen 4,11) ~ aleth. 2,255 tanto […] pro crimine (Gen 4,11)270 Hept. gen. 255 ter centum und 258 ter denis (Gen 6,15) ~ aleth. 2,402 ter centum und 2,404 ter denis (Gen 6,15)271 Hept. gen. 255 […] ter centum longa per ulnas (Gen 6,15) ~ aleth. 2,402 […] ter centum tendatur in ulnas (Gen 6,15)272 Hept. gen. 257 […] fastigia tecto (Vet. Lat. gen. 6,16) ~ aleth. 2,406 […] fastiget machina tecto (Vet. Lat. gen. 6,16)273 Hept. gen. 349 [...] somnoque gravatum (Gen 9,21) ~ aleth. 3,73 […] somnoque gravante (Gen 9,21)274.

Folgende Übereinstimmungen im gleichen biblischen Kontext finden sich bei mindestens einem weiteren Dichter oder lassen sich auf ein jeweils anderes Vorbild zurückführen: Hept. gen. 28 […] toto qui regnet in orbe ~ aleth. 1,160 […] ait, „qui regnet in orbe (Gen 1,26), vgl. Lucan. 3,230 […] Ganges, toto qui solus in orbe, Auson. praef. 1,34 at meus hic toto regnat in orbe suo; vgl. ferner Ov. fast. 5,495 […] lato qui regnat in aequore frater, trist. 1,5,77 […] tumidis qui regnat in undis, Verg. georg. 4,90 [...] melior vacua sine regnet in aula; bei in orbe handelt es sich außerdem um eine sehr häufige Hexameterklausel275 Hept. gen. 140 ast alius curvo terram vertebat aratro ~ aleth. 2,208 arva Cain duris vertebat pinguia rastris (Gen 4,2), vgl. Verg. Aen. 7,539 ([…] et terram centum vertebat aratris bzw. Hor. sat. 1,1,28 ille gravem duro terram qui vertit aratro und Verg. Aen. 7,725–726 […] vertunt felicia Baccho / Massica qui rastris, […] Hept. gen. 238 […] mole gigantes ~ aleth. 2,364 […] mole gigantes (Gen 6,4), vgl. Sil. 12,143 […] mole Gigantas und 17,649 […] mole Gigantum Hept. gen. 298 iamque relabenti descrescit in aequore pontus ~ aleth. 2,491 […] unda relabens (Gen 8,3), vgl. Lucan. 4,429 iamque relabenti crescebant litora ponto und Verg. Aen. 10,307 […] unda relabens.

Wörtliche Übereinstimmungen im gleichen biblischen Kontext, die durch die (gleiche) biblische Vorlage bedingt sind, finden sich in 270 Zur dieser Junktur vgl. auch Lucan. 8,827 pro tanto crimine, Prud. tituli 39,156 […] pro crimine tanto, Hept. num. 249 tanto pro crimine, Sedul. carm. pasch. 5,132 tanto pro crimine; für die Klausel crimine tanto führt die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 22.04.2016) insgesamt 10 hexametrische Belege an. 271 Zu diesen sehr geläufigen poetischen Umschreibungen für die Zahlen 300 und 30 vgl. die zahlreichen Belege der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 22.04.2016). 272 Zum Hexameterschluss in ulnas vgl. auch Verg. georg. 3,355, Sil. 6,153 und Claud. carm. min. 30,218; der Hexameterschluss per uln* scheint abgesehen von Hept. gen. 255 nicht belegt zu sein, so dass der HD hier offensichtlich die geläufige Klausel variiert. 273 Zur Klausel fastigia tect* vgl. Verg. Aen. 2,302 und 8,366 sowie Proba cento 375 [...] fastigia tecti, Paul. Nol. epist. 32,5 und carm. 10,257 fastigia tectis; Cl. M. Victorius scheint diese Klausel abzuwandeln. 274 Zur Klausel somnoque gravatum vgl. auch Verg. Aen. 6,520, Ov. met. 5,658 und Val. Fl. 2,568; Cl. M. Victorius wandelt diese Klausel ab. 275 Vgl. die Belege der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 22.04.2016).

5. Das Verhältnis zu Proba und zu Cl. M. Victorius (Hept. gen. 1–362)

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Hept. gen. 27 Hominem […] faciamus ~ aleth. 1,160 hominem faciamus (Gen 1,26), vgl. Vet. Lat. gen. 1,26 (L) faciamus hominem Hept. gen. 55 rigat ~ aleth. 1,269 rigat (Gen 2,10), vgl. Vet. Lat. gen. 2,10 (L) inrigabat (rigat/inrigat) Hept. gen. 59 carbunculus ~ aleth. 1,282 carbunculus (Gen 2,12), vgl. Vet. Lat. gen. 2,12 (L) carbunculus Hept. gen. 62 tertius est Tigris, Eufrati […] ~ aleth. 1,288–289 tertius […] Tigris / it comes Euphrati […] (Gen 2,14), vgl. Vet. Lat. gen. 2,14 (L) et flumen tertium Tigris […] et flumen quartum dicitur Eufrates Hept. gen. 124–125 donec [...] terrae reddare iacenti ~ aleth. 1,518–519 donec […] terraeque refundat (Gen 3,19), vgl. Vet. Lat. gen. 3,19 (L) donec revertaris in terram Hept. gen. 254 bituminis ~ aleth. 2,407 bitumen (Gen 6,14), vgl. Vet. Lat. gen. 6,14 (I) bitumine Hept. gen. 259 assere quadrato ~ aleth. 2,401 quadratis […] trabibus (Gen 6,14), vgl. Vet. Lat. gen. 6,14 (S/I) lignis quadratis.

Einige wörtliche Übereinstimmungen oder ähnliche Formulierungen im gleichen biblischen Kontext könnten dadurch bedingt sein, dass beide Dichter von der gleichen exegetischen Tradition beeinflusst sind: In Hept. gen. 11 tertia lux faciem terrarum fulva retexit bzw. aleth. 1,88–89 arida […] retectam / ostendit faciem [...] beschreiben der HD und Cl. M. Victorius das Sichtbarwerden des trockenen Landes durch die Sammlung der Wasser nach Gen 1,9 als ein Aufdecken des Gesichtes bzw. der Oberfläche der Erde, eine Vorstellung, die sich etwa in Ambr. hex. 3,2,7 (denique addidit [scil. Moyses] sublato velamine apparuisse aridam, quae ante non videbatur) und insbesondere hex. 3,3,14 (non enim diceret [scil. scriptura] „visa est terra“, nisi retectam vellet locis omnibus demonstrare) findet. In Hept. gen. 139 innocuas multa servabat cura bidentes ~ aleth. 2,211 innocuas pascebat oves et lacte parentes (vgl. Gen 4,2) heben beide Dichter über den Bibeltext hinausgehend die Unschuld von Abels Schafen hervor und übertragen dabei eine Eigenschaft Abels, die etwa in Prud. ham. praef. 20, Aug. c. Faust. 12,9 und Chromat. serm. 23,2 genannt wird, auf Abels Tiere276. Dass Abel in Hept. gen. 144 […] agno ~ aleth. 2,216 […] agno in Abweichung von Vet. Lat. gen. 4,4 ((E) de primitiis ovium suarum) explizit ein einzelnes Lamm opfert, entspricht stilisierenden Darstellungen in der frühchristlichen Kunst277. Bei ihrer Paraphrase derselben Bibelstelle verwenden beide Dichter gleiche oder ähnliche Begriffe, ohne dass ein Abhängigkeitsverhältnis nach der einen oder anderen Seite beweisbar wäre: Hept. gen. 38–39 quapropter nati […] parentes / coniugibusque […] ~ aleth. 1,386–387 quod dulces nati […] parentes / coniugibus. […] (Gen 2,24: Kinder verlassen ihre Eltern und binden sich an einen Ehepartner)

276 Vgl. Pollmann 1992, 499. 277 Vgl. Schrenk 2001, 964 mit Verweis auf frühchristliche Sarkophage.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung Hept. gen. 56 quadrifidos ~ aleth. 1,270 quadrifido (Gen 2,10: vier Arme des Paradiesflusses) Hept. gen. 62 Eufrati adiunctus ~ aleth. 1,289 […] iuncta quos mole ruentes (Zusatz zu Gen 2,14: Zusammenfluss von Euphrat und Tigris) Hept. gen. 131–133 membra […] pecudum […] vestibus ~ aleth. 1,520–521 membris / veste […] pecudum (Gen 3,21: Gott bekleidet die Menschen mit Tierfellen) Hept. gen. 143 nam prior uberibus fuerant quae prosata glaebis ~ aleth. 2,215 prima dicare deo. sacras prior impedit aras (Gen 4,3: Kain opfert Feldfrüchte) Hept. gen. 253 ac, ne fissilibus dissultent robora rimis ~ aleth. 2,408 exploret tenues et vestiat undique rimas (Gen 6,14: die Fugen der Arche werden mit Asphalt abgedichtet) Hept. gen. 257 at qua sublimi surgunt fastigia tecto (Gen 6,16: die Arche verjüngt sich nach oben hin) ~ aleth. 2,403 perque decem quinas pateat, consurgat in altum (Gen 6,15: die Höhe der Arche).

In den übrigen Fällen ist der Umfang der Zitatsegmente zu gering, um eine Abhängigkeit nach der einen oder anderen Seite erschließen zu können; ferner macht der ganz unterschiedliche biblische Kontext eine Abhängigkeit eher unwahrscheinlich, vgl. Hept. gen. 148 […] adloquio dignatus […] (Gen 4,6) ~ aleth. 3,586 alloquio dignatus […] (Gen 17,1)278 Hept. gen. 214 […] more futura (Gen 5,29) ~ aleth. 1,164 […] more futura (Gen 1,26) Hept. gen. 243 […] peccata nocentis (Gen 6,7) ~ aleth. 3,538 […] peccata nocentum (Gen 15,16)279.

Abgesehen von diesem Ergebnis eines non liquet bleibt aber die auffällige Beobachtung festzuhalten, dass bei der Behandlung der gleichen Bibelstelle bisweilen mehrere zusammenhängende Verse des HD und des Cl. M. Victorius punktuelle Übereinstimmungen in meist einzelnen Wörtern zeigen280, was dafür spricht, dass zwischen den beiden Dichtungen ein Verhältnis der Abhängigkeit besteht, sei sie jeweils einseitig oder auch gegenseitig. Ein besonders auffälliger Fall ist die Gestaltung von Gen 6,14–16, wo Gott Noah mit dem Bau der Arche beauftragt, in Hept. gen. 253–259 und aleth. 2,401–408281: Auch wenn die meisten der Übereinstimmungen, wie oben gezeigt, formelhaft oder auf die biblische Vorlage zurückzuführen sind, scheint doch die Summe der sprachlichen Berührungspunkte auf so geringem Raum für eine enge Verbindung zwischen den beiden Texten zu sprechen282. 278 Vgl. auch Hept. gen. 45 adloquio […] dignatur (Gen 1,28). 279 Vgl. auch Hept. exod. 936 […] peccata nocentes. 280 Hept. gen. 59.62 ~ aleth. 1,282.288–289 (Gen 2,12–14), Hept. gen. 124–125.131–133 ~ aleth. 1,518–521 (Gen 3,19.21), Hept. gen. 138–140.143–144 ~ aleth. 2,208–211.215–216 (Gen 4,2–4), Hept. gen. 253–259 ~ aleth. 2,401–408 (Gen 6,14–16). 281 Zu dieser besonders signifikanten Parallelstelle vgl. auch Roberts 1978, 283 Anm. 20. 282 Zu diesem Schluss kommt, bezogen auf die oben zitierten Parallelen und weitere enge Berührungspunkte, auch Charlet 1985, 638 Anm. 32. In Frage stellen lässt sich aber seine ebd. vor-

5. Das Verhältnis zu Proba und zu Cl. M. Victorius (Hept. gen. 1–362)

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Vor wenigen Jahren hat R. Jakobi die Meinung vertreten, dass man sich „nicht mit einem non liquet begnügen“ müsse283, da sich für einige Stellen ein Prioritätsnachweis mittels der Methodik der Prioritätsbestimmung nach Axelson führen lasse. Dessen Methode basiert nach seinen eigenen Worten auf der Frage, „ob die verdächtigte Fassung in ihrem organischen Zusammenhang (wenn sie überhaupt einen hat!) ohne die parallele Fassung genetisch denkbar ist oder nicht“284. Dabei folgt Jakobi bei den von ihm untersuchten Partien dem Grundsatz, „daß es sich zum einen um dichterische Fassungen der gleichen Bibelperikope handelt, zum anderen, daß sprachliche und sachliche Konvergenzen zwischen den Dichterfassungen gegen den Bibeltext – sei es Vetus Latina (VL), sei es die Vulgata – vorliegen.“285 Die Untersuchung von fünf einander entsprechenden Partien aus der Heptateuchdichtung und der Alethia286 soll den Nachweis erbringen, dass der HD Formulierungen aus dem harmonischen Zusammenhang der Alethia herausgelöst und in seinen eigenen Kontext ungeschickt bzw. deformiert oder sinnentleert eingefügt habe, was Jakobi zu dem Ergebnis führt, dass die Alethia als „Praetext“ der Heptateuchdichtung zu gelten habe287. Wenn auch Cl. M. Victorius jeweils die glattere Variante bietet und manche Wendungen bei ihm auf den ersten Blick besser motiviert sind, so kann doch meines Erachtens in keinem der von Jakobi behandelten Fälle gänzlich überzeugend behauptet werden, dass die Fassung des HD genetisch nicht auch ohne eine vorausgehende Parallelfassung denkbar ist: (I) In Hept. gen. 526–527 (admonitus vitulam trimi iam temporis aptat / coniungens alacrem torva cum fronte iuvencum) betrachtet Jakobi das Adverb iam als „ein überflüssiges Füllsel“ ohne Funktion und spricht von einem „überflüssige[n] und grammatisch bedenkliche[n]“ cum an einer Stelle, wo man aufgrund des poetischen Topos der schon oder noch nicht herangewachsenen Hörner ein iam erwartet hätte288. Dem könnte man entgegenhalten, dass iam hier deutlich macht, dass es sich bei der vitula nicht mehr um ein ganz junges, sondern um ein schon einigermaßen herangewachsenes Tier handelt, entsprechend dem gehörnten Jungstier (iuvencum); ferner könnte iam auch im Sinne von „sogleich“ auf das Prädikat aptat bezogen werden, um die Eilfertigkeit Abrams bei der Ausführung des göttli-

283 284

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287 288

getragene Vermutung, dass eher der „unbekannte“ HD den „berühmten“ massilischen Rhetor nachgeahmt haben dürfte als umgekehrt. Vgl. Jakobi 2010, 124. Vgl. B. Axelson, Lygdamus und Ovid. Zur Methodik der literarischen Prioritätsbestimmung, Eranos 58, 1960, 92–111, wiederabgedruckt in: ders., Kleine Schriften zur lateinischen Philologie, hrsg. von A. Önnerfors und C. Schaar, Stockholm 1987, 283–297, hier 296. Vgl. Jakobi 2010, 125, Hervorhebung im Original. (I) Hept. gen. 526–529 ~ aleth. 3,500–505, (II) Hept. gen. 138–140 ~ aleth. 2,207–211 und Hept. gen. 141–144 ~ aleth. 2,215–216, (III) Hept. gen. 534–538 ~ aleth. 3,521–522 und 3,531–532, (IV) Hept. gen. 565–566 ~ aleth. 3,558–563, (V) Hept. gen. 642–649 ~ aleth. 3,698–703. Vgl. Jakobi 2010, 129. Vgl. ebd. 125–126, die Zitate auf S. 125.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

chen Befehls zu unterstreichen289. Ein scheinbar überflüssiges cum beim Ablativus qualitatis findet sich beim HD mehrfach, an der gleichen metrischen Position etwa in Hept. gen. 238 progenuere sibi torva cum mole gigantes und Hept. iud. 323 illinc] innumeros torva cum mole camellos. (II) In Hept. gen. 139–140 (innocuas multa servabat cura bidentes: / ast alius curvo terram vertebat aratro) handelt es sich laut Jakobi bei dem Adjektiv innocuas, bezogen auf die von Abel gehüteten Schafe, um „ein isoliertes, funktionsloses Epitheton ornans“290, während innocuas in aleth. 2,211 „funktional im Kontext [wirke], in dem fortwährend die ethische Differenz zur Person und dem Opfer des Kain herausgearbeitet [werde]“291. Innocuas kann aber auch beim HD in Hinblick auf die ethische Differenz zwischen Kain und Abel verstanden werden, insofern als die Unschuld der Schafe auf Abels Charakter verweist und die Krummheit des Pfluges (curvo) die moralische „Krummheit“ Kains andeutet292. Ferner meint Jakobi, dass in Hept. gen. 143–144 (nam prior uberibus fuerant quae prosata glaebis, / obtulit, ast alius miti se devovet agno) „das bloße prior“ im Gegensatz zu aleth. 2,215 „keinen rechten Anschluß“ habe293; es kann jedoch im Sinne von „der erstgenannte“ (nämlich Kain) stehen und ist in der vergleichbaren Verbindung prior–alter schon in klassischer Zeit belegt294. (III) Die dritte Stelle ist Hept. gen. 534–538295. His super attonitus ist laut Jakobi „eine Doppelung zu terrentur“ und „ohne Motivation“296, doch beim HD treten immer wieder scheinbare Doppelungen als Mittel der synonymischen Amplificatio auf297. Dass Cl. M. Victorius in aleth. 3,531 durch talibus attonito visis deutlich an die inhaltlich vergleichbare Passage Verg. Aen. 3,172 anknüpft (talibus attonitus visis et voce deorum), lässt sich nicht bestreiten, doch es fragt sich, ob Hept. gen. 537 his super attonitus domini solacia sumit für eine „Rezeptionskette [...] Vergil→Victor→Heptateuchdichter“298 spricht: Es ist nämlich durchaus denkbar, dass der HD für seinen Vers formal auf ein anderes Vorbild zurückgreift, in welchem visis auch nicht vorkommt und attonitus sich an der gleichen metrischen Position befindet, etwa Verg. georg. 2,508 hic stupet attonitus rostris [...]. Dass ecce in der Verbindung mit terrentur nicht „sinnträchtig auf optische Phänomene ausgerichtet ist“, was dagegen in aleth. 3,521 (ecce niger terror, tremor horridus et sopor intrat) der Fall ist, muss nicht dafür sprechen, 289 Diese Lösung wird durch die Überlieferung iam trimi in Handschrift C gestützt, wonach iam sich nicht mehr in der geschlossenen Wortstellung (trimi iam temporis) befindet. 290 Vgl. Jakobi 2010, 126. 291 Vgl. ebd. 126. 292 Vgl. den Kommentar zu V. 139 und 140. 293 Vgl. Jakobi 2010, 127. 294 Vgl. den Kommentar zu V. 143–144a. 295 Ecce autem prima sub tempora noctis opacae / candida sanctifici terrentur pectora vatis / nigrantesque ruunt confusa luce tenebrae. / his super attonitus domini solacia sumit, / dum nova venturae praenoscit semina gentis. 296 Vgl. Jakobi 2010, 127. 297 Beispiele bei Petringa 1992, 149–150 Anm. 75. 298 Vgl. Jakobi 2010, 127.

5. Das Verhältnis zu Proba und zu Cl. M. Victorius (Hept. gen. 1–362)

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dass der HD sich hier „als gedankenloser Centoist des Victor“ zeigt299; es wäre nämlich auch denkbar, dass Hept. gen. 534–535 (ecce autem prima sub tempora noctis opacae / candida sanctifici terrentur pectora vatis) auf die poetische Vorlage Val. Fl. 2,587 zurückgeht (ecce autem prima volucrem sub luce dehiscens / terruit unda ratem [...]). Und den Vorwurf, dass venturae praenoscit in Hept. gen. 538 ein „hohler Pleonasmus“ sei300, müsste sich auch Statius in Theb. 3,490 (venturumque sinas caelo praenosse laborem) gefallen lassen. (IV) In Hept. gen. 566 (noscere, quo saltim genitor sit pignore vili) bezieht sich die Bezeichnung pignore vili auf das Kind, das Abram nach Saras Willen mit der Sklavin Hagar zeugen soll und das in Saras Augen minderwertig ist. Dabei handelt es sich zweifellos um eine „psychologisierende Neuinterpretation des Bibeltextes“301, die im Gegensatz zur bibeltreuen Fassung in aleth. 3,563 (progeniem vili concredere perpulit alvo) steht, wonach sich die Minderwertigkeit auf die Mutter und nicht auf das Kind bezieht. Doch es ist nicht auszuschließen, dass der HD unabhängig von dieser Fassung der Alethia auf den Gedanken kam, sich in Saras Perspektive zu versetzen302. (V) In Hept. gen. 646 (atque etiam natas cupide dementibus offert [scil. Lot]) erscheint das Adverb cupide in der Tat „merkwürdig“303, doch dass Lot seine Töchter mit einem gewissen Eifer den aufgebrachten Männern anbietet (cupide [...] offert), um seine Gäste zu schützen, lässt sich aus seiner eilfertigen Rede in Vet. Lat. gen. 19,8 durchaus ablesen. Keineswegs lässt sich aber sagen, dass sich diese Partie „ohne Herleitung aus der Alethia als schlicht unverständlich präsentiert“304. So ist meiner Ansicht nach die Frage, ob der HD oder Cl. M. Victorius der Nachahmer ist, nach wie vor offen. Ein Nachweis der Priorität der Alethia vor der Heptateuchdichtung wäre am sichersten dann zu gewinnen, wenn sich nachweisen ließe, dass der HD an einer bestimmten Stelle einen Dichter, den er sonst überhaupt nicht rezipiert, über das Vorbild der Alethia vermittelt rezipiert hat, wo dieser Dichter dagegen häufiger herangezogen wird; das Gleiche gilt umgekehrt auch für einen Nachweis der Priorität der Heptateuchdichtung vor der Alethia. Darüber hinaus ist mehr Aufschluss von einer Untersuchung des Gesamttextes des HD zu erwarten, denn eine hohe Zahl an Parallelen zwischen der Alethia und den Büchern Exodus bis Richter der Heptateuchdichtung würde dafür sprechen, dass der HD auf das deutlich kleinere Textcorpus der Alethia zurückgriff, während es unwahrscheinlich ist, dass Cl. M. Victorius für seine Genesisdichtung ein so umfängliches Textcorpus zu von ihm nicht bearbeiteten biblischen Büchern durchgearbeitet hätte. 299 300 301 302

Vgl. ebd. Vgl. ebd. 128. Vgl. ebd. Dagegen ebd.: „[D]ie vom biblischen Text abweichende Fassung des Heptateuchdichters, der das Attribut [...] psychologisierend auf den künftigen Stammhalter überträgt, setzt den Alethia-Text voraus.“ 303 Vgl. ebd. 304 Vgl. ebd.

122

III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

Die folgende Übersicht vereinigt die wörtlichen Parallelen zwischen Hept. gen. 1–362 und der Alethia305: Hept. gen.

aleth.

1 Principio dominus caelum terramque locavit

prec. 54 in caelum terrasque simul sedemque coruscam

11 tertia lux faciem terrarum fulva retexit:

1,88 arida tunc primum mundi pars ima retectam 1,89 ostendit faciem tremefactaque numine verbi

13 florea ventosis consurgunt germina campis

2,210 collibus aut nudis aut sicci germine campi

27 haec memorat: „Hominem nostris faciamus in unguem 28 vultibus adsimilem, toto qui regnet in orbe.“

1,160 nunc hominem faciamus“, ait, „qui regnet in orbe

38 quapropter nati linquunt de more parentes 39 coniugibusque suis positis cum sedibus haerent.

1,386 quod dulces nati postponendique parentes 1,387 coniugibus. quid? iam una duos in carne manere

55 quod rigat insignes liquidis de fluctibus hortos 56 quadrifidosque secat undante ex fonte meatus.

1,269 fons rigat et diti prolem virtute maritat, 1,270 quadrifido tumidum laetus caput amne resolvens

59 prasinus huic nomen, illi est carbunculus ardens – [60–61] 62 tertius est Tigris, Eufrati adiunctus amoeno

1,282 fulmineo rutilans carbunculus igne coruscat [1,283–287] 1,288 tertius hinc rapido procurrens gurgite Tigris 1,289 it comes Euphrati, iuncta quos mole ruentes

64 hic positus custos Adamus cum coniuge fida

2,520 coniuge cum fida natis nuribusque pudicis

66 Ne trepidate simul licitos praecerpere fructus

1,401 atque ideo augustos homini fas carpere fructus

82 sed tamen infirmo vincuntur pectora sensu

1,422 crevit et ignaro percussit pectora sensu

105 nam sua vipereis intexens verba venenis

1,419 plus quam vipereo mortem allatura veneno

124 donec in occiduo venientis tempore mortis, 125 unde geris corpus, terrae reddare iacenti. [126–130] 131 quis dominus, pigro ne frigore membra rigerent, 132 consuit evulsas pecudum de viscere pelles, 133 operiens nudos calidis de vestibus artus.

1,518 vive in miseriis, donec te lenta senectus 1,519 terram, quod magis es, faciat terraeque refundat. 1,520 dixit et ignaros caelum defendere membris 1,521 veste tegit pecudum miserans vitamque tueri

305 Zu diesen Parallelen vgl. auch die Similiensammlungen von Schenkl (Alethia) 1888, 483, Becker 1889, 39–40, Maurer 1896, 62–66 und Hovingh 1960, 272.

5. Das Verhältnis zu Proba und zu Cl. M. Victorius (Hept. gen. 1–362)

123

Hept. gen.

aleth.

138 Cainis hic nomen habet, cui iunctus Abelus 139 innocuas multa servabat cura bidentes: 140 ast alius curvo terram vertebat aratro.

2,208 arva Cain duris vertebat pinguia rastris; 2,209 at vivo gaudere lucro dignissimus Abel 2,210 collibus aut nudis aut sicci germine campi 2,211 innocuas pascebat oves et lacte parentes [2,212–214] 2,215 prima dicare deo. sacras prior impedit aras 2,216 frugibus ille novis, niveo magis hic litat agno

[141–142] 143 nam prior uberibus fuerant quae prosata glaebis, 144 obtulit, ast alius miti se devovet agno 148 quem deus adloquio dignatus talibus infit

3,586 alloquio dignatus ait iussitque trementem

161 nosce igitur mansura tibi pro crimine tanto

2,255 arguit et tanto leviter pro crimine punit

214 talia disseruit, dum vatum more futura

1,164 sive anima ac specie, forsan quo more futura

238 progenuere sibi torva cum mole gigantes

2,364 monstra hominum, celsa membrorum mole gigantes

243 Ius delere mihi mundi peccata nocentis

3,538 Nilus et Euphrates, sed cum peccata nocentum

253 ac, ne fissilibus dissultent robora rimis, 254 unguine praepingui linuit bituminis arcam. 255 ipsa fuit plenas ter centum longa per ulnas, 256 quinquaginta patens transversam lata per alvum. 257 at qua sublimi surgunt fastigia tecto, 258 edita ter denis in caelum tollitur ulnis, 259 assere quadrato, nullis cessura fluentis

2,401 quadratis igitur trabibus contexta paretur 2,402 arca tibi, quae ter centum tendatur in ulnas 2,403 perque decem quinas pateat, consurgat in altum 2,404 ter denis tantum; per †...† consummetur in unam 2,405 desuper. ac lateri servetur ianua, qua se 2,406 collecta obliquo fastiget machina tecto. 2,407 tunc calidum bibula spirans compage bitumen 2,408 exploret tenues et vestiat undique rimas

298 iamque relabenti decrescit in aequore pontus

2,491 seu clausis voluit, sensim quos unda relabens

349 quem propere expletum cyathis somnoque gravatum

3,73 persensit vivos latices somnoque gravante

124

III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

Makroskopischer Vergleich der Darstellungstechnik: Die sieben Schöpfungstage (Hept. gen. 1–41 und aleth. 1,48–222) Die folgende Tabelle306 gibt eine vergleichende Übersicht über die Verteilung der Schöpfungswerke bzw. Handlungen Gottes auf die sieben Tage in der Bibel, beim HD und bei Cl. M. Victorius: Tag 1

Vet. Lat. gen. 1,1–2,3 1,1–2: Erschaffung von Himmel und Erde und deren Urzustand 1,3–5: Erschaffung des Lichts, Scheidung von Licht und Finsternis, Tag und Nacht

2

1,6–8: Firmament; Scheidung der Wasser in solche oberhalb und unterhalb des Firmaments

3

1,9–13: Scheidung von Land und Meer, Pflanzen

4

1,14–19: Gestirne als Indikatoren der Zeit(en)

5

1,20–23: Wassertiere und Vögel

Hept. gen. 1–41 V. 1–4 Erschaffung von Himmel und Erde und deren Urzustand V. 5–6 Auflösung der Finsternis und Erschaffung des Lichts Zeitangabe in V. 7 (im Rückblick): cum dominus primi complesset facta diei V. 7–8 Firmament mit Wolken Zeitangabe in V. 7 (Überleitung zum 2. Tag): cum dominus primi complesset facta diei V. 9–14307 Sammlung des Wassers im Meer, trockenes Land; Pflanzen Zeitangabe in V. 11: tertia lux V. 15–18 Gestirne als Indikatoren der Zeit(en) Zeitangabe in V. 15: quarta die

V. 19–20 Fische und Vögel Zeitangabe in V. 19: quinta die

aleth. 1,48–222 1,48–56a: Erschaffung von Himmel und Erde und deren Urzustand 1,56b–62: Erschaffung des Lichts, Vertreibung der Finsternis, Tag und Nacht Zeitangabe in 1,63 (im Rückblick): […] primo iam vespere pulso 1,63–84: Firmament; Scheidung der Wasser in solche oberhalb und unterhalb des Firmaments Zeitangabe in 1,63–64: Rursum mane novum: primo iam vespere pulso / reddita lux nituit […] 1,85–95: Teilung der Fluten, Auftauchen des trockenen Landes; Pflanzen Zeitangabe in 1,85: Tertia lux 1,96–113: Gestirne; Abteilung der Jahreszeiten durch die Sonne Zeitangabe in 1,96–98: Iam tribus exactis motu succensa citato / in flammas ignisque globum se cogere iussa est / solis prima dies […] 1,114–133: Meerestiere und Vögel Zeitangabe in 1,114: Quinta dies

306 Die Tabelle ist angeregt von Bažil 2007, 55, der den biblischen Bericht und Probas Darstellung vergleicht und sich dabei auf sechs Tage beschränkt. Die der Alethia gewidmete Spalte orientiert sich an Martorelli 2008, 32–34 und Hovingh 1955, 20–22, der allerdings nur die Tage 1–6 behandelt. 307 Die der Überlieferung entsprechende, von Peiper wiedergegebene Versfolge 9–10–11–12 wird hier in 11–9–10–12 abgeändert, vgl. S. 185–186.

5. Das Verhältnis zu Proba und zu Cl. M. Victorius (Hept. gen. 1–362)

125

Tag 6

Vet. Lat. gen. 1,1–2,3 1,24–25: Tiere der Erde 1,26–27: Erschaffung des Menschen als Mann und Frau 1,28–2,2a: Vermehrungssegen, Herrschaftsauftrag, Übergabe der pflanzlichen Nahrung an Menschen und Tiere; Vollendung der Schöpfung am sechsten Tag

Hept. gen. 1–41 V. 21–24 Tiere der Erde V. 25–32 Erschaffung des Mannes V. 33–39 Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes Zeitangabe in V. 21: sexta

aleth. 1,48–222 1,134–143: Tiere der Erde 1,144–166: Erschaffung des Menschen als Mann und Frau 1,167–1,170: Einsetzung des Menschen als Herrscher, Vermehrungsauftrag Zeitangabe in 1,134: Iam bis terna dies claro radiabat Olympo

7

2,2b–3: Gottes Ruhe und Heiligung des 7. Tages

V. 40–41 Gottes Ruhe und Heiligung des 7. Tages Zeitangabe in V. 40: septima luce

1,171–222: Ruhe Gottes und Heiligung des 7. Tages; körperliche Erschaffung des Menschen Zeitangabe in 1,171: Septima lux

Bereits beim Vergleich mit Proba wurde erwähnt, dass sich der HD genau an das Siebentagesschema seiner biblischen Vorlage hält und die durch Numeralia gekennzeichneten stereotypen Zeitangaben deutlich erkennbar nachbildet308. Das Gleiche gilt für Cl. M. Victorius, wobei er die Zeitangaben zum Teil stärker episiert als der HD, vgl. besonders aleth. 1,63–64 [...] primo iam vespere pulso / reddita lux nituit [...] für den Übergang vom ersten zum zweiten Tag und 1,134 Iam bis terna dies claro radiabat Olympo für den 6. Tag309. Hinsichtlich des Versumfangs der einzelnen Tage schwankt die Heptateuchdichtung zwischen 2 und 6 Versen, was die Tage 1–6 (ohne die Menschenschöpfung) und 7 betrifft; aus diesem Schema sticht die Menschenschöpfung am 6. Tag mit insgesamt 15 Versen heraus (V. 25–39). In ähnlicher Weise zeigt sich in der Alethia bei den Tagen 1–6 (ohne die Menschenschöpfung) ein „ziemlich eintöniges Schema“, das sich jeweils in einem Umfang von zehn bis etwa zwanzig Versen bewegt310. Die Menschenschöpfung, einschließlich der vorausgehenden Rechtfertigungsverse des Dichters (1,144–146)311, umfasst bereits 27 Verse (aleth. 1,144–170) und der 7. Tag fällt mit seinen 52 Versen ganz aus dem bisherigen Rahmen. Was die Reihenfolge der einzelnen Schöpfungswerke und ihre Verteilung auf die sechs Schöpfungstage angeht, folgen sowohl der HD als auch Cl. M. Victorius der Chronologie ihrer biblischen Vorlage mit der Besonderheit, dass Cl. M. Victorius am 7. Tag die körperliche Erschaffung des Menschen aus Lehm stattfin308 Vgl. S. 104. 309 Vgl. dazu Smolak 1975, 353 mit Anm. 2. 310 Vgl. Smolak 1975, 353. 1. Tag: 15 Verse, 2. Tag: 22 Verse, 3. Tag: 11 Verse, 4. Tag: 18 Verse, 5. Tag: 20 Verse, 6. Tag (Landtiere): 10 Verse. 311 Vor der Menschenschöpfung bittet Cl. M. Victorius um Erlaubnis, nun einige Punkte nur kurz andeuten, übergehen oder in veränderter Reihenfolge wiedergeben zu dürfen. Martorelli 2008, 26 Anm. 32 bezieht diese Äußerung insbesondere auf die Paraphrase der nun folgenden Menschenschöpfung.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

den lässt, während beim HD der 7. Tag gemäß dem biblischen Bericht ausschließlich der Ruhe Gottes gewidmet ist312. Vergleicht man die Gestaltung der einzelnen Schöpfungswerke beim HD und Victorius, so zeigen sich die folgenden inhaltlichen, ästhetischen und exegetischen Besonderheiten: – Bei der Darstellung des ersten Schöpfungstages ist bei Cl. M. Victorius viel mehr als beim HD der Einfluss der Kirchenväterexegese spürbar313. – Das exegetische Problem der Wasser über dem Firmament am zweiten Tag (Gen 1,7) löst der HD durch eine Umdeutung dieser Wasser im Sinne von Wolken, die am Himmel entstehen und ihn weiß färben (V. 8). Aus der knappen Phrase condidit [...] axem (V. 8) geht nicht hervor, dass Gott nach Gen 1,6–8 das Firmament erschafft, um dadurch die Wasser zu scheiden, und dass das Firmament in einem zweiten Schritt „Himmel“ genannt wird. Dagegen gibt Cl. M. Victorius dem biblischen Bericht getreu und sogar in Anlehnung an dessen Wortlaut die Entstehung des Firmaments, die Teilung der Wasser in obere und untere und die Benennung als „Himmel“ wieder (aleth. 1,64–70)314 und reichert die biblischen Fakten durch lehrhafte Erläuterungen an: Die Wasser über dem Firmament liegen zwischen diesem und dem heißen Himmel (aleth. 1,67–68 [...] gelidumque profundum / axibus obiecit calidis [...]) und mit dem Namen caelum erhält das Firmament den Namen, den zuvor der am Anfang geschaffene Himmel hatte (aleth. 1,70 [...] et antiquum spoliavit nomine caelum). Anschließend setzt Cl. M. Victorius sich mit dem Gedanken auseinander, dass das Firmament die Aufgabe habe, durch seinen Schatten die Erde gegen die sengende Himmelshitze abzuschirmen, wobei es seinerseits von Wasser bedeckt sei (1,71–77): Statt derartige Erklärungen zu suchen, sollten die Menschen besser an die Allmacht Gottes glauben und die Existenz der Wasser über dem Firmament zugeben (1,77–84). Der Dichter spielt hier auf die Exegese des Basilius und Ambrosius an, denen zufolge die Wasser über dem Firmament als Schutzschild gegen die Himmelshitze dienen, und polemisiert gegen sie315. – Die Sammlung der Wasser im Meer und das Auftauchen des trockenen Landes am dritten Tag stellt der HD in V. 9–12316 weitgehend nach dem 312 Diese Besonderheit des 7. Tages der Alethia bezieht Smolak 1975 nicht in seine Untersuchung ein und kommt so S. 352–353 zu folgendem Ergebnis: „Noch weniger als Cyprianus entfernt sich Marius Victorius von der biblischen Chronologie. [...] Die in den Handbüchern [...] betonte Freiheit des Victorius gegenüber der Bibel ist auf die exornatio beschränkt, also nicht strukturell.“ 313 Vgl. den mikroskopischen Vergleich des ersten Schöpfungstages S. 133. 314 Vgl. aleth. 1,64 firmissima moles und 1,67 divisas [...] aquas ~ Vet. Lat. 1,7 (C/E) et fecit deus firmamentum et (C) divisit deus inter aquam etc. // (E) divisit inter medium aquae etc. sowie aleth. 1,70 caelum ~ Vet. Lat. gen. 1,8 (L) caelum. 315 Vgl. Hovingh 1955, 108–109 und Smolak 1972, 383. 316 Zur Umstellung der überlieferten und von Peiper abgedruckten Versreihenfolge (11–9–10– 12) vgl. S. 185–186.

5. Das Verhältnis zu Proba und zu Cl. M. Victorius (Hept. gen. 1–362)





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biblischen Bericht Gen 1,9–10 dar, während bei Cl. M. Victorius durch das Auseinandertreten des Wassers nicht nur das Land als der am tiefsten gelegene Teil der Welt zum Vorschein kommt, sondern auch Platz für den Luftraum geschaffen wird (vgl. aleth. 1,85–90, v.a. 1,87 aëreis magnum spatiis patefecit inane [scil. deus]). Dadurch knüpft er an das antike kosmologische Konzept an, dass die Elemente gemäß ihrem Gewicht ihren jeweiligen Platz im Universum einnehmen317. Bei der Erschaffung der Pflanzen (Gen 1,11–12) betonen beide Dichter über die biblische Vorlage hinausgehend die Fruchtbarkeit der Erde, der HD durch die an den locus amoenus und die aurea aetas erinnernden Motive der Blüten (V. 13 florea [...] germina) und der von Früchten schwer beladenen Zweige (V. 14 pomiferique simul procurvant brachia rami) und Cl. M. Victorius durch die vom frischen Schlamm üppig wachsenden Sprösslinge (aleth. 1,92 luxuriosa novo texerunt germina limo) und das üppige Laub der Waldbäume (aleth. 1,93–94 [...] laetis / iactavit se silva comis [...]). Während der HD die in Gen 1,11 und 1,12 erwähnten arteigenen Samen der fruchttragenden Bäume auslässt, greift Cl. M. Victorius dieses Element auf und verbindet damit einen Hinweis auf Gott als den „Sämann“ (aleth. 1,95 quaeque ferens proprium semen, testata satorem est) im Sinne eines abschließenden „theologischen ‚fabula docet‘“318. Den recht redundant wirkenden biblischen Bericht über die Erschaffung der Gestirne in Gen 1,14–18 verknappt der HD, indem er sich auf die Erschaffung von Sonne, Mond und Sternen und deren Funktion als Indikatoren der „Zeiten“ beschränkt (V. 15–18); in seiner knappen Zusammenfassung geht er kaum über den Bibeltext hinaus319. Dieses Kondensat des biblischen Berichts zum vierten Tag liegt auch aleth. 1,96–113 zugrunde, wird von Cl. M. Victorius aber um naturwissenschaftliche Erläuterungen und schmückende Metaphorik ausgeweitet: So beschreibt er die Entstehung der Sonne als eine Zusammenballung von Feuer (aleth. 1,97–98), nennt die beiden Alternativen, dass der Mond selbst leuchtet oder sein Licht von der Sonne bekommt (aleth. 1,100–101)320, und arbeitet das Leuchten der Sterne am nächtlichen Himmel unter Verwendung bildhafter Sprache anschaulich heraus (aleth. 1,103–107)321. Besonders ausführlich geht Cl. M. Victorius auf den Lauf der Sonne ein (aleth. 1,109–112), die die tempora ab-

317 Vgl. Nodes 1993, 96 und Hovingh 1955, 112. 318 Vgl. Smolak 1975, 353 mit Anm. 5. 319 Kleine Anreicherungen sind das flackernde Leuchten der Sterne (V. 16) und die wechselnden Aufgänge der Himmelskörper, durch die die Zeiten angezeigt werden (V. 18). 320 Hovingh 1955, 114 vermutet hier einen Einfluss der Ambrosius, der gemäß der Wissenschaft seiner Zeit die zweite Alternative vertritt, während der biblische Bericht das selbständige Leuchten des Mondes nahelegt. 321 U.a. wird in aleth. 1,103 die Metapher der Sterne als Bemalung des Himmels aufgegriffen, vgl. dazu Hovingh 1955, 114.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

teilt322, und beschließt auch diesen Tag mit einem fabula docet: Durch ihre wunderbare Konstruktion lege die Sonne von ihrem Schöpfer Zeugnis ab (aleth. 1,113)323. Den Werken des fünften Tages (Gen 1,20–23) widmet der HD lediglich zwei Verse (V. 19–20), in denen er sich auf die Erschaffung der Vögel und Fische durch Gott nach Gen 1,21 konzentriert; dass nun erstmals beseelte Wesen entstehen und dass das Wasser von Gott den Befehl erhält, diese hervorzubringen (Gen 1,20), erwähnt er nicht. Diese beiden Aspekte greift dagegen Cl. M. Victorius in seiner Darstellung auf, indem er in aleth. 1,114 von spirantia corpora, also von Körpern mit Lebensatem, spricht und die Entstehung der Fische aus dem Wasser (aleth. 1,115) und die der Vögel aus den Fischen (1,126–131) berichtet, wobei er auf eine reiche exegetische Tradition zurückgreifen konnte324. Die Erschaffung der Meeresungeheuer nach Gen 1,21 verbindet er mit dem Gedanken, dass aus unvollkommenen, nicht für sich selbst lebensfähigen Wesen nun selbständige belebte Wesen werden, die allerdings von monsterhafter Größe sind und aufgrund dessen nur eine kurze Lebensdauer haben (aleth. 1,117–125), und schöpft dabei möglicherweise aus einer populärphilosophischen Quelle325. Das theologische fabula docet am Ende dieses Schöpfungstages (aleth. 1,132–133 et docet aetherios contingere posse recessus / hoc animal, nitidis quod rursum nascitur undis), die erneute Geburt der Vögel durch das Wasser, kann darauf bezogen werden, dass das Wasser zuerst Fische hervorbringt, aus denen in einem zweiten Schritt Vögel entstehen, könnte aber auch in der Tradition des Physiologus auf den Adler anspielen, der sich durch das Eintauchen ins Wasser verjüngt und allegorisch auf die Wiedergeburt der Christen durch die Taufe verweist326. So wie der HD die Entstehung der Fische aus dem Wasser nicht erwähnt, erwähnt er auch nicht die Entstehung der Landtiere aus der Erde gemäß dem Befehl Gottes in Gen 1,24. Cl. M. Victorius steht hier dem biblischen Bericht näher, indem er den göttlichen Befehl (aleth. 1,137–138) und das prompte Hervorkommen der Tiere aus der fruchtbaren Erde beschreibt (aleth. 1,140–141). Umgekehrt nimmt der HD konkret auf die in Gen 1,25 erschaffenen Landtierarten Bezug und schildert die Erschaffung der

322 Da es um den Jahreslauf der Sonne geht (vgl. aleth. 1,112 […] revolutum conficit annum), dürften hiermit wohl die Jahreszeiten gemeint sein, vgl. die Übersetzung von Hovingh 1955, 67 („les saisons“) und von Papini 2006, 46 („le stagioni“), während Martorelli 2008, 33 sich nicht eindeutig festlegt („la divisione del tempo e delle stagioni“). 323 Vgl. Smolak 1975, 353 mit Anm. 5. 324 Zur schöpferischen Kraft des Wassers (vgl. aleth. 1,123 liquor genitalis) vgl. Hovingh 1955, 118 mit heidnischen und christlichen Belegen, zur Ornithogenese aus dem Wasser vgl. ebd. 118–119 mit Belegen aus Philo, Ambrosius und Augustinus. Vgl. hierzu auch Nodes 1993, 96. 325 Vgl. Hovingh 1955, 117, der Bezüge zu Empedokles sieht. 326 Vgl. Martorelli 2008, 113.

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Schlangen (V. 21) und der vierfüßigen Tiere (V. 22)327, während Cl. M. Victorius die Landtiere zusammenfassend und abstrakt durch ihre Eigenschaft charakterisiert, dass sie nur durch die Fähigkeit zur Bewegung am Leben gehalten werden (aleth. 1,138), also nicht wie der Mensch mit Verstand begabt sind328. Indem er in Übereinstimmung mit der Kirchenväterexegese die dienende Funktion dieser Tiere hervorhebt (aleth. 1,139) und ihr Verlangen nach einem Herrn, für den Gott alles geschaffen habe (aleth. 1,142)329, antizipiert er bereits die Erschaffung des Menschen. Vor dem Beschluss Gottes, den Menschen zu erschaffen, motiviert der HD die Menschenschöpfung mit der Erkenntnis Gottes, dass der Welt ein Herrscher fehle (V. 26); dieser Gedanke lässt sich aus Gen 1,26 ableiten330. Auch Cl. M. Victorius motiviert im Voraus die Menschenschöpfung, stellt hierbei aber ausführliche theologische Reflexionen an, die weit über den Bibeltext hinausgehen (aleth. 1,147–158): Nachdem die Heilige Dreifaltigkeit die Welt erschaffen hat, verleiht sie der Schöpfung nun eine tiefere Ursache, d.h. den Menschen331; denn wenn es keinen Betrachter gibt, der die Großartigkeit der Schöpfung bewundert, kann diese Gott nicht erfreuen bzw. ihm keinen Ruhm bringen332. Ein weiteres Motiv Gottes wird zu Beginn seiner Rede in aleth. 1,159–160 deutlich, nämlich die Erschaffung des Menschen als Krönung der nun in der Hauptsache fertigen, von Gott für gut befundenen Schöpfung. Beide Dichter geben den Beschluss Gottes, den Menschen zu erschaffen (Gen 1,26), in wörtlicher Rede und in Anlehnung an den biblischen Wortlaut wieder (vgl. Hept. gen. 27–28 und aleth. 1,158–162)333 und reichern

327 Mit angues nimmt der HD Bezug auf die Kriechtiere, mit quadrupedum fasst er offensichtlich die wilden Tiere und das Vieh zusammen. 328 Zu diesem Verständnis vgl. Hovingh 1955, 120. 329 Zum Gedanken, dass die Tiere dem Menschen dienen, vgl. Hovingh 1955, 120 mit Verweis auf Ambrosius, zum Gedanken, dass die Welt für den Menschen geschaffen worden sei, vgl. ebd. 121 mit Belegen aus Laktanz und Ambrosius. 330 Vgl. Vet. Lat. gen. 1,26 (L) [...] et habeat potestatem piscium maris et volatilium caeli et omnium pecorum et ferarum et omnis terrae et omnium reptilium quae super terram repunt. 331 Aleth. 1,152–153 causa datur mundo propior, cui iusta vicissim / causa prior [...] erklärt Martorelli 2008, 33 Anm. 4 folgendermaßen: „[L]a prima causa sembra essere l’armonia divina del creato, fonte di gloria per il Signore; la causa propior (più profonda) è invece la fruizione da parte dell’uomo, dunque l’essere umano“ (kursive Hervorherbung im Original); vgl. auch Hovingh 1955, 123, der causa propior mit „l’homme“ paraphrasiert. 332 Zu aleth. 1,157 quid possint conferre deo? […] in dem Sinne, dass die Schöpfung Gott keine Freude bereitet, wenn ein Betrachter fehlt, vgl. die Paraphrase von Hovingh 1955, 22 und 122. Martorelli 2008, 33 fasst die Stelle dagegen so auf, dass Gott kein Ruhm zuteil wird, wenn kein Betrachter der Schöpfung da ist. Der Gedanke, dass der Mensch zur Betrachtung der Schöpfung bestimmt ist, findet sich bereits in der heidnischen Philosophie, vgl. Hovingh 1955, 123–124 mit Belegen. Witke 1971, 158–159 wertet die Stelle als „a naif and almost fallaciously sympathetic reason for God’s creating man“, denn „[m]an’s fondness for having his handicraft admired is imputed to God.“ 333 Vgl. Vet. Lat. gen. 1,26 (L) et dixit deus faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram, Hept. gen. 27–28 haec memorat: „Hominem nostris faciamus in unguem / vultibus

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung



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337 338

diese Rede zugleich um ihr Verständnis der Gottesebenbildlichkeit an: Der HD fasst die Gottesebenbildlichkeit gemäß Irenaeus und Tertullian in einem körperlichen Sinne auf (V. 27–28 [...] nostris faciamus in unguem / vultibus adsimilem [...])334, Cl. M. Victorius bezieht die Gottesebenbildlichkeit gemäß Augustinus auf den Verstand des Menschen335, durch den er nach freiem Willen von der Schöpfung Gebrauch machen kann (aleth. 1,161–162 [...] similem decet esse creanti, / liber ad arbitrium fruitur qui mente creatis). Der HD versucht das inhomogene Nebeneinander der zwei unterschiedlichen Berichte zur Erschaffung des Menschen zu eliminieren, indem er den priesterschriftlichen und den jahwistischen Bericht kontaminiert, d.h. er legt den Beschluss Gottes zur Erschaffung des Menschen als sein Bild und Gleichnis (Gen 1,26), die Formung des Menschen aus Lehm (Gen 2,7) und die Erschaffung der Frau aus der Rippe Adams (Gen 2,21–22) auf den sechsten Tag zusammen (Hept. gen. 25–39). Dagegen folgt Cl. M. Victorius bei seiner Darstellung der Menschenschöpfung am sechsten Tag dem ersten biblischen Bericht (vgl. insbesondere aleth. 1,158–163) und erwähnt im Gegensatz zum HD auch den Vermehrungs- und Herrschaftsauftrag gemäß Gen 1,28 (aleth. 1,167–168)336. Statt eines Versuchs, die beiden biblischen Berichte zu harmonisieren, führt er in aleth. 1,163–166 drei Hypothesen dafür an, wie der Mensch am sechsten Tag erschaffen wurde, nämlich 1. in seiner Totalität (aleth. 1,163 […] seu corpore toto)337, 2. als Seele und Form (aleth. 1,164 sive anima ac specie […])338 oder 3. auf die Weise, in der in Gott alles, auch das noch nicht Erschaffene, immer gegenwärtig ist (aleth. 1,164–166 […] forsan quo more futura, / quo facienda facit, quo factum semper habebat / iam prope terito quod nondum accesserat aevo). Nach letzterem Konzept wäre, wenn der Mensch am sechsten Tag in seiner Gesamtheit erschaffen worden ist, der erneute Be-

adsimilem, toto qui regnet in orbe“ und aleth. 1,158–162 […] tunc rector Olympi: / „ […]. / nunc hominem faciamus“ ait, „qui regnet in orbe / et sit imago dei. similem decet esse creanti, / […].“ Vgl. den Kommentar zu V. 27–28a. Vgl. besonders Aug. gen. c. Manich. 1,17,28. Zum verkürzt wiedergegebenen Herrschaftsauftrag vgl. aleth. 1,167 et mox praepositum rebus cum coniuge iussit. Den Vermehrungsauftrag an die Menschen verbindet der Dichter mit dem Gedanken, dass nun alle lebenden Wesen die Fähigkeit zur Fortpflanzung erlangen (aleth. 1,169–170), die Übergabe der Nahrung entfällt. Vermehrungsauftrag und Übergabe der Nahrung finden sich beim HD unmittelbar vor der Anlage des Paradieses in V. 46–49. Vgl. die Paraphrase von Martorelli 2008, 148 mit „nella sua interezza“ bzw. „una creazione completa“. Hovingh 1955, 125 vermutet einen Einfluss von Aug. immort. 15,24, wonach die Seele (anima) dem Körper die Form (species) verleiht, welche sie selbst vom summum bonum erhalten habe. Papini 2006, 49 Anm. 11 sieht dagegen in anima ac specie eine Umschreibung für den augustinischen Begriff der causa, d.h. der Mensch wäre am sechsten Tag nur potentiell und als samenhafte Ursache geschaffen worden. Sie verweist auf Aug. gen. ad litt. 5,5 und 6,6.

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339 340 341 342 343 344

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richt seiner Erschaffung in Gen 2,7 mit der Zeitlosigkeit der göttlichen Schöpfungsaktivität zu erklären339. Der eklatanteste Unterschied zwischen dem HD und Cl. M. Victorius zeigt sich am siebten Schöpfungstag: Der HD widmet diesem Tag zwei Verse (V. 40–41) und füllt ihn gemäß Vet. Lat. gen. 2,2–3 mit der Ruhe Gottes von seinen Werken und mit der Heiligung dieses Tages. Dagegen weitet Cl. M. Victorius seine Darstellung des siebten Tages auf 52 Verse aus (aleth. 1,171–222)340, bei denen es sich zum größten Teil um einen theologischen Kommentar handelt, der von einer breiten Kenntnis der vorausgehenden Exegese zeugt341. In einem ersten Teil (aleth. 1,171–204) reflektiert Cl. M. Victorius über die Art und Weise, in der Gott am siebten Tag ruhte. Diese Ruhe ist nicht als ein Aufhören des göttlichen Wirkens zu verstehen, sondern Gott ruht und wirkt gleichzeitig ohne Ende (vgl. v.a. aleth. 1,185– 186 […] pariter sine fine quiescens / ac sine fine operans […]), ein Gedanke, der sich mit der Vorstellung Philos und Augustinus’ vom fortgesetzten schöpferischen Wirken Gottes berührt342. Die Ruhe Christi im Grab am Sabbat, während der er die Seelen der Gerechten des Alten Bundes aus der Unterwelt befreite (aleth. 1,181–183), ist ein Beispiel für diese Gleichzeitigkeit von Ruhe und Tätigkeit Gottes und hat im Wirken Gottes am siebten Schöpfungstag ihren typologischen Vorläufer343. Konkret bedeutet dies, dass Gott am siebten Tag sein Schöpfungswerk vollendet, indem er dem Menschen, der am sechsten Tag nur als causa im Sinne des Augustinus geschaffen wurde, seinen Körper verleiht (aleth. 1,187–190)344. Als Erklärung führt Cl. M. Victorius an, dass entweder der sechste und siebte Tag für Gott, für den ja alles Gegenwart ist, eine zeitliche Einheit sind (aleth. 1,190–194), oder dass Gott die Überlegenheit des Menschen gegenüber den anderen Lebewesen verdeutlichen will, indem er den Menschen persönlich von Hand formt, während die übrigen Lebewesen nur durch seinen Befehl geschaffen worden sind (aleth. 1,195–204). Letzteres ist ein exegetischer Gemeinplatz, den auch der HD im Rahmen des 6. Schöpfungstages einsetzt (Hept. gen. 29–30)345. In aleth. 1,204–212 folgt eine Beschreibung der Erschaffung des Menschen gemäß Gen 2,7, die im Vergleich zu Hept. gen. 30–31 nicht nur die Formung des Menschen durch Gott und die Einhauchung des göttlichen Atems enthält, sondern darüber

Vgl. hierzu Martorelli 2008, 148 mit Anm. 193. Eine knappe Paraphrase des Inhalts findet sich bei Martorelli 2008, 33–34. Vgl. Nodes 1988, 62 und Nodes 1993, 96–107. Vgl. Nodes 1988, 62–64 und Nodes 1993, 98–99 und 101. Vgl. Nodes 1988, 68 und Nodes 1993, 107. Dieser Gedanke könnte sich damit erklären lassen, dass Cl. M. Victorius hier auf die Vulgata zurückgreift, der zufolge Gott sein Schöpfungswerk nicht am sechsten, sondern am siebten Tag vollendet, vgl. Vulg. gen. 2,2 conplevitque Deus die septimo opus suum quod fecerat gegen Vet. Lat. gen. 2,2 (L) et consummavit deus in die sexto opera sua quae fecit; vgl. hierzu Nodes 1988, 62–63 und 67 sowie Nodes 1993, 99–100. 345 Vgl. Nodes 1988, 69 und den Kommentar zu V. 30.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

hinaus die Entstehung des menschliches Leibes konkret vor Augen führt und den vernunftbegabten Menschen Gott anbeten lässt. Die körperliche Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes berichtet Cl. M. Victorius gemäß der biblischen Chronologie nach der Einsetzung des Menschen ins Paradies und nach der Zuführung der Tiere ab aleth. 1,361, während der HD diesen Schöpfungsakt unmittelbar an die Erschaffung des Mannes anschließt (Hept. gen. 33–39). In einem weiteren reflexiven Abschnitt (aleth. 1,213–222) deutet Cl. M. Victorius die zweite biblische Erzählung von der Erschaffung des Menschen, sein Erstehen aus der Erde, als eine typologische Präfiguration der leiblichen Auferstehung des Menschen und steht damit in einer jüdisch-christlichen exegetischen Tradition346. Mikroskopischer Vergleich der Darstellungstechnik: Der erste Schöpfungstag (Hept. gen. 1–6 und aleth. 1,48–62) Während sich der HD bei seiner Paraphrase von Vet. Lat. gen. 1,1 ((L) In principio fecit deus caelum et terram) eng an den biblischen Wortlaut anlehnt (vgl. V. 1 Principio dominus caelum terramque locavit), ist Cl. M. Victorius in 1,48–50347 weit davon entfernt. Das biblische in principio klingt allenfalls in aleth. 1,50 pars prima est operis an und Gott als Schöpfer von Himmel und Erde wird überhaupt nicht erwähnt. Der Grund dafür ist wohl, dass Cl. M. Victorius bereits in 1,1–47 ausführlich über Gottes Existenzweise vor der Schöpfung und über Gott als Schöpfer der Welt reflektiert hat348. Vet. Lat. gen. 1,2349, den Urzustand von Himmel und Erde, behandelt der HD in V. 2–4, wobei sich die vier Aspekte Unsichtbarkeit der Erde, Formlosigkeit, Finsternis über dem Abgrund und Geist Gottes über dem Wasser mit Ausnahme des Abgrunds eindeutig identifizieren lassen350; letzterer wird entweder durch chaos (V. 4) oder unspezifisch durch cuncta (V. 4) repräsentiert351. Im Vergleich zur biblischen Vorlage lässt sich feststellen, dass der HD die Reihenfolge ändert (Formlosigkeit V. 2, Unsichtbarkeit V. 2, Geist Gottes über dem Wasser V. 3, Finsternis über dem Abgrund V. 4), teilweise den Wortlaut von Vet. Lat. 1,2 aufgreift (vgl. V. 4 tenebrae)352 und in zwei Punkten exegetische Ansätze einbringt: 346 Vgl. Nodes 1988, 69–70. 347 Aleth. 1,48–50 Quis modus in toto, quae summa in munere, cuius / excelsi convexa poli terraeque iacentes / pars prima est operis? […]. 348 Vgl. hierzu Nodes 1993, 93–94 mit einer Zusammenfassung der wichtigsten Gedanken und dem Hinweis, dass Cl. M. Victorius hier zahlreiche kosmologische Theorien anspricht. 349 Vet. Lat. gen. 1,2 (L) terra autem erat invisibilis et inconposita et tenebrae erant super abyssum et spiritus dei superferebatur super aquas. 350 S.o. S. 112 mit Anm. 243. 351 Vgl. den Kommentar zu V. 4. 352 Ob es sich bei der Vetus-Latina-Variante informis anstelle von incomposita um Bibeltext handelt, ist nicht sicher (vgl. Fischer 1951, 6); somit lässt sich auch nicht sicher sagen, inwieweit der HD mit V. 2 informis auf seine biblische Vorlage Bezug nimmt.

5. Das Verhältnis zu Proba und zu Cl. M. Victorius (Hept. gen. 1–362)

133

So interpretiert er entsprechend Eustathius und Ambrosius die Unsichtbarkeit der Erde als Bedecktsein von der Urflut (V. 2 […] fluctuque abscondita tellus)353 und ersetzt das biblische spiritus dei in V. 3 durch inmensusque deus, um möglicherweise durch das Adjektiv inmensus die Immaterialität und Transzendenz Gottes zu verdeutlichen354. Die Darstellung des Urzustandes von Himmel und Erde bei Cl. M. Victorius (aleth.1,50–56a) enthält die vier oben genannten Kennzeichen ohne den Abgrund355 und auch hier wird die biblische Reihenfolge verändert, wenn auch in anderer Weise als beim HD (Unsichtbarkeit 1,50, Finsternis 1,51– 52, Geist Gottes über dem Wasser 1,53, Formlosigkeit/Ungeordnetheit 1,55). Anknüpfungen an den Wortlaut von Vet. Lat. gen. 1,2 zeigen sich in aleth. 1,52 tenebris, 1,53 spiritus und 1,55 nondum compositis. Der entscheidende Unterschied zum HD ist die wesentlich intensivere Anreicherung mit exegetischen Gedanken und zusätzlichen inhaltlichen Aspekten: Nicht nur wird die Unsichtbarkeit der Erde im Sinne eines Bedecktseins vom Wasser gedeutet (aleth. 1,50 […] sed terras texerat aequor), sondern die Finsternis wird als Schatten des Himmelsgewölbes aufgefasst356, der die feuchte Luft in der Mitte zwischen Himmel und Erde verdunkelt (aleth. 1,51–1,52). Der Geist Gottes über dem Wasser erscheint entsprechend der Kirchenväterexegese als Heiliger Geist, der den Wassern belebende Kraft verleiht (aleth. 1,53–1,54 et sacer extensis impendens spiritus undis / altrices animabat aquas [...]) und die Samen der Dinge bereitstellt, die einmal in die Erde eingebracht werden sollen (aleth. 1,54–56 [...] ac semina rerum / [...] terris / insinuanda dabat [...])357. Die Formlosigkeit bzw. Ungeordnetheit der Erde erklärt Cl. M. Victorius in dem Sinne, dass diese noch nicht zum Auskeimen disponiert war (aleth. 1,55 nondum compositis fundenda ad germina terris)358. Bei der Erschaffung des Lichts gibt der HD die Rede Gottes in Vet. Lat. gen. 1,3 ((L) et dixit deus fiat lux) fast wörtlich wieder (V. 6 „Lux fiat!“ […]), weicht aber insofern von seiner biblischen Vorlage ab, als er die Lichtentstehung durch eine Auflösung der Finsternis erfolgen lässt (V. 5 has [scil. tenebras] dum disiungi iussit, a cardine fatur), die Scheidung von Licht und Finsternis nach Vet. Lat. gen. 1,4 nicht erwähnt und auch die Benennung von Licht und Finsternis als Tag und Nacht nach Vet. Lat. gen. 1,5 auslässt. Cl. M. Victorius verzichtet auf eine wörtliche Wiedergabe des göttlichen Befehls fiat lux und reduziert ihn auf den 353 Vgl. den Kommentar zu V. 2. 354 Vgl. dazu Nodes 1993, 26 und den Kommentar zu V. 3. 355 Zur Unsichtbarkeit vgl. aleth. 1,50 […] sed terras texerat aequor, zur Formlosigkeit bzw. Ungeordnetheit vgl. 1,55 nondum compositis [...] terris, zur Finsternis vgl. 1,51–52 aëraque in medio sordenti nube madentem / umbra poli densis urgebat caeca tenebris und zum Geist Gottes über dem Wasser 1,53 et sacer extensis impendens spiritus undis. 356 Vgl. Hovingh 1955, 106, der auf Basilius verweist. 357 Zur Auffassung des Geistes Gottes über dem Wasser als Heiliger Geist vgl. Hovingh 1955, 106 mit Hinweis auf Tertullian, Basilius, Ambrosius und Augustinus, zur Belebung des Wassers durch den Heiligen Geist vgl. ebd. 107, wo auf Ambrosius als wahrscheinliche Quelle des Cl. M. Victorius verwiesen wird. 358 Vgl. hierzu Hovingh 1955, 63: „la terre, qui n’était pas encore propre à produire des rejetons“.

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III. Untersuchungen zum Buch Genesis der Heptateuchdichtung

Ablativus absolutus cogente deo (aleth. 1,56b–57 […] cum lux immissa superne / emicuit cogente deo […]). Auf der anderen Seite gibt er den biblischen Bericht vollständiger als der HD wieder, da er nämlich die Scheidung von Licht und Finsternis andeutet (aleth. 1,57–58 [...] discretaque nigrum / umbra peplum retrahens summo discessit Olympo)359, die Benennung des Lichtes als Tag erwähnt (aleth. 1,60–61 [...] nomen sic meta diei / imposuit lucis spatiis [...]) und den Begriff der Nacht aufgreift (aleth. 1,62 noctem […])360. Während sich die Darstellung des HD durch Knappheit und Schlichtheit auszeichnet, beschreibt Cl. M. Victorius die Absonderung der Finsternis vom Licht unter Verwendung einer poetischer Metapher (aleth. 1,57–58 [...] nigrum / umbra peplum retrahens [...])361 und befasst sich über den biblischen Bericht hinausgehend mit der Entstehung der Abfolge von Tag und Nacht, welche beide gleich lang sind (aleth. 1,59–62)362. Fazit Die Untersuchung der wörtlichen Übereinstimmungen zwischen Hept. gen. 1–362 und der Alethia bestätigt das von Pollmann 1992 festgestellte non liquet in der Frage nach der Priorität des HD vor Cl. M. Victorius und umgekehrt. Gemeinsam ist beiden Dichtern die strukturelle Nähe zum biblischen Bericht bezüglich des Siebentagesschemas, der Reihenfolge der Schöpfungswerke und ihrer Verteilung auf die sechs Tage mit der Ausnahme, dass Cl. M. Victorius zufolge der Menschenkörper am 7. Tag geschaffen wird. Außerdem widmen beide der Erschaffung des Menschen die größte Aufmerksamkeit, worin zugleich die deutlichsten Unterschiede liegen: Während nämlich der HD die beiden biblischen Berichte zur Menschenschöpfung kontaminiert, gibt Cl. M. Victorius diese getrennt wieder und deutet sie theologisch als zunächst nur ursächliche und dann körperliche Erschaffung des Menschen. Ferner wird die Gottesebenbildlichkeit vom HD körperlich, bei Cl. M. Victorius dagegen mental interpretiert. Die knappe und durch starke Kürzungen des biblischen Berichts gekennzeichnete Darstellungsweise des HD steht im deutlichen Gegensatz zur Arbeitsweise des Cl. M. Victorius, der die biblische Vorlage oft detaillierter wiedergibt und sie durch zahlreiche naturwissenschaftliche und theologische, vorwiegend auf Augustinus fußende Betrachtungen und Spekulationen anreichert, was seiner didaktischen Absicht entspricht. Im Gegensatz zum eher bibelnahen Wortlaut des HD entfernt sich der Dichter der Alethia tendenziell weit von seiner Vorlage, um deren Episierung und rhetorischpoetische Ausschmückung er erheblich mehr als der HD bemüht ist. Somit bestätigt der Vergleich mit Cl. M. Victorius zwar einerseits die relativ große Treue des HD zum biblischen Wortlaut, verdeutlicht aber andererseits auch seine Eigenstän-

359 360 361 362

Vgl. Vet. Lat. gen. 1,4 (L) […] et divisit (discrevit) deus inter lucem et tenebras. Vgl. Vet. Lat. gen. 1,5 (L) et vocavit deus lucem diem et tenebras vocavit noctem. Zu poetischen Quellen vgl. Hovingh 1955, 107. Zu diesen Versen vgl. die hilfreiche Paraphrase von Hovingh 1955, 21.

5. Das Verhältnis zu Proba und zu Cl. M. Victorius (Hept. gen. 1–362)

135

digkeit im Umgang mit der biblischen Vorlage, in die er v.a. kürzend und harmonisierend eingreift.

IV. HEPT. GEN. 1–362: TEXT UND ÜBERSETZUNG 1

Principio dominus caelum terramque locavit: namque erat informis fluctuque abscondita tellus inmensusque deus super aequora vasta meabat, dum chaos et nigrae fuscabant cuncta tenebrae;

5

has dum disiungi iussit, a cardine fatur: „Lux fiat!“ et clare nituerunt omnia mundo. cum dominus primi complesset facta diei, condidit albentem nebulis nascentibus axem.

11

tertia lux faciem terrarum fulva retexit:

9

accipit inmensus errantia litora pontus,

10

multiplices rapiens validis cum tractibus amnes;

12

arida mox posito narratur nomine terra.

1 locavit ACG creavit Morel 5 has (ast C) dum disiungi iussit a cardine fatur AC has dum sidereo disiungit // (a eras.) cardine fatur G 6 clare AC laeto G 7 cum dominus AC cumque deus G 9–12 ordinem versuum immutandum esse putavi 9/10(amnes.)/11(retexit.)/12 Peiper ex ACG (V. 9 ante V. 8 positus A) 9 errantia ACG verrentia Morel 10 rapiens ACGER rapfens Peiper per errorem Vet. Lat. gen. 1,1 (L) In principio (principio) fecit deus caelum et terram 1,2 (L) terra autem erat invisibilis et inconposita (informis) et tenebrae erant super abyssum et spiritus dei superferebatur super aquas 1,3 (L) et dixit deus fiat lux et facta est lux 1,5 (L) et vocavit deus lucem diem et tenebras vocavit noctem et facta est vespera et factum est mane dies unus (primus) 1,7 (C) et fecit deus

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

137

[1] Am Anfang gab der Herr Himmel und Erde ihren Platz: Die Erde aber war ungestaltet und unter der Flut verborgen und der unermessliche Gott ging über die wüsten Wasser, während der Abgrund und schwarze Finsternis alles verdunkelten. [5] Indem er dieser befahl sich aufzulösen, spricht er vom Himmelspol: „Licht soll werden!“, und hell erstrahlte alles auf der Welt. Als der Herr die Werke des ersten Tages vollendet hatte, schuf er den von entstehenden Wolken weißen Himmel. [11] Der dritte Tag enthüllte rötlich golden das Gesicht der Erde: [9] Unstete Küsten empfängt das unermessliche Meer, [10] das vielfältige Flüsse mit kräftigen Strömungen an sich reißt; [12] das trockene Land wird alsbald mit dem ihm zugewiesenen Namen „Erde“ [genannt.

firmamentum et divisit deus inter aquam quae est super firmamentum et inter aquam quae est sub firmamento // (E) et fecit deus firmamentum et divisit inter medium aquae quae erat sub firmamento et inter medium aquae quae erat super firmamentum 1,9 (L) et dixit deus congregetur aqua quae sub caelo est in congregatione(m) una(m) (C) et videatur arida et sic est factum et congregata est aqua in congregatione(m) una(m) // (E) et pareat arida et factum est sic et congregata est aqua quae est sub caelo in congregationes suas et paruit arida 1,10 (C) et vocavit deus aridam terram et congregationem aquae vocavit mare // (E) et vocavit deus aridam terram et congregationes aquarum vocavit maria (L) et vidit deus quia bonum est 1,13 (L) et facta est vespera et factum est mane dies tertius (tertia)

138

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

florea ventosis consurgunt germina campis pomiferique simul procurvant brachia rami. 15

quarta die generat solis cum lampade lunam, et stellas tremulo radiantes lumine fingit. haec elementa dedit subiecto insignia mundo, tempora quae doceant varios mutanda per ortus. quinta die accipiunt liquentia flumina pisces

20

et volucres varia suspendunt corpora penna. sexta pater gelidos in spiras lubricat angues quadrupedumque greges totos diffundit in agros cunctaque multiplici mandavit crescere passim germine et inmensis errare et pascere terris.

15 die ACGER dies Morel 16 fingit AC pingit G figit Peiper 20 varia suspendunt corpora pinna (penna m2 corr.) G varias suspendunt corpore pennas AC (pinnas A) variae suspendunt aere pennae Gronovius (aere cum Cauchio) varias suspendunt aere pinnas Peiper 21 in spiras Morel in spira A inspirat CG | lubricat A lubricas CG Vet. Lat. gen. 1,12 (C) et eiecit terra herbam pabuli ferentem semen secundum suum genus et lignum fructiferum faciens fructum cuius semen est in se secundum suam similitudinem // (E) et produxit terra herbam faeni seminantem semen secundum genus et secundum similitudinem et lignum fructiferum faciens fructum cuius semen in ipso ad genus super terram (L) et vidit deus quia bonum est 1,14 (L) et dixit deus fiant luminaria in firmamento caeli ita ut luceant super terram et dividant inter diem et noctem et sint in signis (signa) et in temporibus (tempora) et in diebus et in annis 1,16 (K) et fecit deus duo luminaria maiora luminare maius in initium diei et luminare minus in initium noctis et stellas // (E) et fecit deus duo luminaria magna luminare maius in inchoatione(m) diei et luminare minus in inchoatione(m) noctis et stellas 1,17 (L) et posuit illa(s) (ea(s)) deus in firmamento caeli sic ut luceant super terram 1,19 (L) et facta est vespera et factum est

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

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Blühende Gräser sprossen auf den windbewegten Feldern empor und zugleich krümmen Obst tragende Bäume ihre Zweige nach vorn. [15] Am vierten Tag erschafft er zusammen mit der Leuchte der Sonne den Mond und formt die mit flackerndem Licht strahlenden Sterne. Diese Elemente gab er der darunterliegenden Welt als Zeichen, damit sie durch ihre wechselnden Aufgänge den Wechsel der Jahreszeiten [anzeigen. Am fünften Tag empfangen die fließenden Ströme Fische [20] und Vögel halten mit bunten Flügeln ihre Körper in der Schwebe. Am sechsten erschafft der Vater eiskalte glatte Schlangen dergestalt, dass [sie sich winden, und Herden von vierfüßigen Tieren lässt er sich über alle Felder ausbreiten, und er befahl allem, sich weit und breit zu vermehren mit vielfacher Nachkommenschaft und auf der unermesslich weiten Erde umherzustreifen und [Nahrung aufzunehmen.

mane dies quartus (quarta) 1,21 (L) et fecit deus coetos magnos et omnem animam animalium repentium quae (C) eiecerunt aquae secundum uniuscuiusque genus // (I) eduxerunt aquae secundum genus suum (L) et omne volatile pennatum secundum suum genus et vidit deus quia bona sunt 1,22 (L) et benedixit illa deus dicens crescite et multiplicamini et implete aquas maris et volatilia multiplicentur super terram 1,23 (L) et facta est vespera et factum est mane dies quintus (quinta) 1,25 (L) et fecit deus bestias terrae secundum genus et pecora secundum genus et omnia serpentia terrae secundum genus et vidit deus quia bonum est 1,30 (I) et omnibus bestiis terrae et omnibus volatilibus caeli et omnibus repentibus quae repunt super terram quod habet in se spiritum vitae et omne faenum viride ad escam et factum est sic // (C) pabulum viride in escam et sic est factum 1,31 (L) et vidit deus omnia quaecumque fecit et ecce bona valde et facta est vespera et factum est mane dies sextus

140 25

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

Haec ubi constituit divina potentia iussu, rectorem inspiciens mundanis defore rebus, haec memorat: „Hominem nostris faciamus in unguem vultibus adsimilem, toto qui regnet in orbe.“ et licet hunc solo posset componere verbo,

30

ipse tamen sancta dignatus ducere dextra inspirat brutum divino a pectore pectus. quem postquam effigie formatum ceu sua vidit, metitur solum mordaces volvere curas. ilicet inriguo perfundit lumina somno,

35

mollius ut vulsa formetur femina costa atque artus mixta geminos substantia firmet, inditur et nomen Vitae, quod dicitur Aevva.

27 in unguem AGRE in oris C ad unguem Fabricius 29 hunc solo G uno solo AC licet hoc uno solo R hoc uno solo E 36 mixta geminos ACGER mixtu gemino Morel 37 Vitae scripsi vitae Peiper | Aevva Peiper aeva AC evva (v post e expunxit m2) G | nomen Vitae, quod dicitur Aevva interpunxi nomen, vitae quod dicitur, Aevva interpunxit Peiper Vet. Lat. gen. 1,26 (L) et dixit deus faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram et habeat potestatem piscium maris et volatilium caeli et omnium pecorum et ferarum et omnis terrae et omnium reptilium quae super terram repunt 2,7 (L) et tunc finxit (formavit) deus hominem (+ ad imaginem (suam)/ad imaginem similitudinis suae/ad imaginem et similitudinem suam/ad suam imaginem similitudinemque) de limo terrae et insufflavit (inspiravit) in faciem eius (in eum) spiritum vitae et factus est homo in animam viventem 2,18 (L) et dixit dominus deus non est bonum esse hominem solum faciamus illi adiutorium simile(m) sibi 2,21 (L) et inmisit deus soporem (somnum) in Adam et obdormivit et sumpsit deus unam de costis eius et implevit locum eius carne

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

141

[25] Sobald Gott in seiner Macht1 dies durch seinen Befehl geschaffen hat, sagt er, da er erkennt, dass den Dingen der Welt ein Herrscher fehlen wird, Folgendes: „Lasst uns einen Menschen machen, unseren Gesichtszügen aufs Ge[naueste ähnlich, der auf der ganzen Welt König sein soll.“ Und wenn er diesen auch nur durch sein Wort hätte erschaffen können, [30] geruht er doch ihn persönlich mit seiner heiligen Rechten zu formen und erfüllt die empfindungslose Brust von seiner göttlichen Brust mit Atem. Nachdem er gesehen hat, dass dieser gleichsam nach seinem Bild geschaffen ist, erwägt er, dass dieser als Alleinstehender nagende Sorgen wälzen könnte. Sogleich übergießt er seine Augen mit rieselndem Schlaf, [35] damit sanfter aus der herausgerissenen Rippe die Frau gebildet wird und damit die gemeinsame Substanz die beiden Leiber stärkt, und es wird [ihr] der Name „Leben“ gegeben, welcher „Eva“ lautet.

2,22 (L) et (C) formavit deus costam quam accepit ab Adam in mulierem et adduxit illam ad Adam ut videret quid eam vocaret // (I) aedificavit dominus deus costam quam sumpsit de Adam in mulierem et adduxit eam ad Adam 2,23 (L) et dixit Adam hoc nunc os ex ossibus meis et caro de carne mea haec vocabitur mulier quoniam de viro suo sumpta est et haec erit mihi adiutorium 3,20 (C) et tunc Adam imposuit nomen uxori suae Vita quia mater est omnium vivorum // (I) et vocavit Adam nomen uxoris suae (+ Eva id est) Vita(m) quoniam ipsa est mater omnium viventium

1

Die wörtliche Übersetzung „die göttliche Macht“ wird bewusst nicht gewählt, um das feminine Genus in Bezug auf Gott („durch ihren Befehl“ und „sagt sie, da sie erkennt“) zu vermeiden.

142

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

quapropter nati linquunt de more parentes coniugibusque suis positis cum sedibus haerent. 40

septima luce deus factorum fine quievit, sacratam statuens venturi ad gaudia saecli. ilicet exhibitis animantum ex ordine turbis, viritim cunctis nomen, quod permanet, indit Adamus, donata sibi prudentia sollers.

45

quem deus adloquio, iunctam dignatur et Aevvam: „Crescite multimodo ventura in tempora partu, ut polus et plenae vestro sint germine terrae, heredesque mei varios decerpite fructus, quos nemora et pingui reddunt de caespite campi.“

45 Aevvam Peiper aevam AC evvam G Vet. Lat. gen. 1,28 (L) et benedixit eos deus dicens crescite et multiplicamini et replete terram et dominamini eius et habete potestatem piscium maris et volatilium caeli (C) et repentium omnium // (I) et omnium pecorum terrae et omnium reptilium (L) quae repunt super terram 1,29 (E) et dixit deus ecce dedi vobis omne pabulum sativum seminans semen quod est super omnem terram et omne lignum quod habet in se fructum (fructus) seminis sativi erit vobis in escam 2,2 (L) et consummavit deus in die sexto opera sua quae fecit et requievit die septimo (septima) ab omnibus operibus suis quae fecit 2,3 (L) et benedixit deus diem septimum et sanctificavit eum quia in eo requievit ab omnibus operibus suis quae inchoavit deus facere 2,19 (C) et quaecumque finxerat deus ex omni genere pecorum et ex omni genere bestiarum agri et ex omni genere volatilium volantium sub caelo perduxit ea ad Adam ut videret quid ea vocaret // (I) et finxit deus adhuc de terra omnes bestias agri et omnia volatilia caeli et adduxit illa ad Adam ut videret quid vocaret illa (C) et quod vocavit ea omnia Adam animam vivam hoc est nomen eius // (A) et omne quodcumque vocavit illud Adam animam vivam hoc nomen illius 2,20 (C) et post haec vocavit Adam nomina

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

143

Deshalb verlassen die Kinder üblicherweise ihre Eltern und hängen an ihren Ehegatten, wobei sie Wohnsitze errichten. [40] Am siebten Tag ruhte Gott am Ende seiner Werke, wobei er ihn als geheiligten festsetzte zur Freude der künftigen Zeit. Sogleich gibt Adam, nachdem die Scharen der Tiere ihm der Reihe nach zuge[führt worden sind, allen einzeln einen Namen, der bestehen bleibt, erfinderisch durch den ihm geschenkten Verstand. [45] Ihn und die mit ihm verbundene Eva hält Gott einer Ansprache für würdig: „Vermehrt euch durch vielfache Geburt in der Zukunft, damit Himmel und Erde voll sind von eurer Nachkommenschaft, und als meine Erben pflückt die mannigfaltigen Früchte ab, die die Wälder und die Felder mit ihrem fetten Boden hervorbringen.“

omnium pecorum et omnium avium caeli et omnium bestiarum agri et secundum quod vocavit ea Adam hoc est nomen eorum usque in hodiernum diem ipsi autem Adae nondum fuit adiutorium simile illi // (I) et inposuit Adam nomina (nomen) omnibus pecoribus et omnibus volatilibus caeli et omnibus bestiis agri Adae autem non est inventus adiutor similis ipsi 2,24 (L) propter hoc (propter quod) relinquet (linquet) homo patrem et matrem et adiungetur (adhaerebit) uxori suae et erunt duo in carne(m) una(m)

144 50

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

Haec ubi disseruit, laeta paradisus in aula instruitur primique adspectat lumina solis. gignitur haec inter pomis letalibus arbos coniunctum generans vitae mortisque saporem. Aedibus in mediis puro fluit agmine flumen,

55

quod rigat insignes liquidis de fluctibus hortos quadrifidosque secat undante ex fonte meatus. Fisonus auriferis praedives fluctuat undis conspicuasque terit rauco de gurgite gemmas – prasinus huic nomen, illi est carbunculus ardens –

60

perspicuisque vadis terram praelambit Evilam. post hunc Aethiopas Geon adlapsus opimat, tertius est Tigris, Eufrati adiunctus amoeno, Assyriam celeri discretim flumine sulcans.

54 Aedibus scripsi aedibus Peiper (cf. ACG) sedibus Mayor 55 hortos Peiper hortus A ortus CG 56 undante A undanti CG 57 Fisonus scripsi fisonus CG fissonis A Phisonus Peiper 60 Evilam Peiper evilam A aevilam C evillam G 62 Eufrati scripsi eufrati ACG Euphrati Peiper Vet. Lat. gen. 2,8 (L) et tunc plantavit deus paradisum (+ voluptatis/deliciarum) in Eden (in deliciis) ad orientem et posuit ibi hominem quem finxerat 2,9 (L) et produxit adhuc deus de terra omne lignum formosum ad aspectum et bonum ad escam et lignum (arborem) vitae plantavit in medio paradisi et lignum scientiae boni et mali 2,10 (L) flumen autem prodibat ex Eden et inrigabat (quod inrigabat/qui rigat) paradisum quod inde dividitur in quattuor (C) partes // (I) principia 2,11 (C) nomen uni Fison hoc est quod circuit totam terram Evilath ibi // (I) nomen est uni Fison hic est qui circuit omnem terram Evilat ubi (L) est aurum 2,12 (L) aurum autem terrae illius optimum ibi

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

145

[50] Nachdem er dies ausgeführt hat, wird in einem fröhlichen Palast das Paradies angelegt und blickt nach den Lichtstrahlen der aufgehenden Sonne hin. Darin wächst ein Baum mit todbringenden Früchten, der den Geschmack des Lebens und des Todes vereint hervorbringt. Mitten in Eden fließt ein Fluss mit reiner Strömung, [55] der mit seinen klaren Fluten die auffallend schönen Gartenanlagen bewässert und von seiner wallenden Quelle herkommend einen viergeteilten Flusslauf ein[schneidet. Der Phison wogt sehr reich an goldführenden Wellen und schleift mit tosendem Strudel strahlende Edelsteine – dieser heißt „Smaragd“, jener „glühender Karfunkel“ – [60] und bespült mit seinen durchsichtigen Wassern das Land Hevilat. Nach diesem bereichert der Geon heranwogend die Äthiopier; der dritte ist der Tigris, mit dem lieblichen Euphrat vereint, der Assyrien mit schneller Strömung durchschneidet und durchfurcht.

est carbunculus et lapis prasinus 2,13 (L) et nomen (C) secundi fluminis Geon hoc circuit totam terram Aethiopiae // (I) secundo Geon hic est qui circuit omnem Aethiopiam 2,14 (L) et flumen tertium Tigris hoc est quod vadit contra Assyrios et flumen quartum dicitur Eufrates

146

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

hic positus custos Adamus cum coniuge fida 65

atque opifex tali formatur voce Tonantis: „Ne trepidate simul licitos praecerpere fructus, quos nemus intonsum ramo frondente creavit, solliciti, ne forte malum noxale legatis, quod viret ex gemino discreta ad munia suco.“

70

nec minus interea caecos nox alta tenebat, ac modo formatos vestis non texerat artus. Has inter sedes et bacis mitibus hortos spumeus astuto vincens animalia sensu serpebat tacite spiris frigentibus anguis;

75

livida mordaci volvens mendacia sensu femineo temptat sub pectore mollia corda: „Dic mihi, cur metuas felicia germina mali? numquid poma deus non omnia nata sacravit? atqui si studeas mellitos carpere victus,

80

aureus astrigero ridebit cardine mundus.“

65 Tonantis scripsi tonantis Peiper 68 legatis AC legatur G 72 hortos G hortus A ortus C Vet. Lat. gen. 2,15 (L) et sumpsit dominus deus hominem quem fecerat et posuit eum in paradiso ut operaretur ibi et custodiret eum 2,16 (L) et praecepit dominus deus Adae dicens ex omni ligno quod est in paradiso edes (edetis) ad escam 2,17 (L) de ligno autem scientiae boni et mali non edetis ab eo qua die enim ederitis ab illo morte moriemini 2,25 (L) et erant ambo nudi Adam et mulier eius et non confundebantur 3,1 (L) serpens autem erat sapientior (astutior) omnium bestia-

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

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Nachdem Adam mit seiner treuen Gattin hier hingesetzt worden ist als Bewahrer [65] und Bearbeiter, wird er mit folgender Rede des Donnerers unterwiesen: „Scheut euch nicht, die erlaubten Früchte abzupflücken, die der blätterreiche Hain an seinen belaubten Zweigen hervorgebracht hat, wobei ihr zugleich darum besorgt sein sollt, dass ihr nicht zufällig das unheilvolle [Übel pflückt, das vom doppelten Saft für Aufgaben anderer Art strotzt.“ [70] Auch hielt indessen tiefe Nacht sie blind und die eben erst geschaffenen Glieder bedeckte kein Kleid. Inmitten dieser Wohnstätte und der Gartenanlagen mit reifen Baumfrüchten schlängelte sich schäumend, durch ihren verschlagenen Verstand die [übrigen] [Tiere übertreffend, lautlos in kalten Windungen die Schlange; [75] indem sie sich missgünstige Lügen in ihrem gehässigen Sinn ausdenkt, führt sie in der Frauenbrust das weiche Herz in Versuchung: „Sag mir: Warum fürchtest du die köstlichen Früchte des Apfelbaums? Hat Gott etwa nicht alle gewachsenen Früchte gesegnet? Wenn du nun aber danach trachten solltest, die honigsüße Kost zu pflücken, [80] wird der Himmel golden lachen mit seinem sternenbesetzten Gewölbe.“

rum (omnibus animalibus) quae erant super terram quas fecerat dominus deus et dixit serpens ad mulierem quare dixit deus ne edatis ab omni ligno quod est in paradiso 3,5 (L) sciebat enim deus quoniam qua die (si) ederitis ex illo aperientur oculi vestri et eritis sicut dii scientes bonum et malum

148

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

illa negat vetitosque timet contingere ramos: sed tamen infirmo vincuntur pectora sensu. ilicet ut niveo iam mitia dente momordit, adfulsit nulla maculatum nube serenum. 85

tum sapor inlecebram mellitis faucibus indens perpulit insueto munus deferre marito. quod simul ac sumpsit, detersa nocte nitentes emicuere oculi mundo splendente sereni. ergo ubi nudatum prospexit corpus uterque,

90

quae pudenda vident, ficulnis frondibus umbrant. Forte sub occiduo domini iam lumine solis agnoscunt sonitum trepidique ad devia tendunt. tum dominus caeli maestum conpellat Adamum: „Dic, ubi nunc degas!“ respondit talia supplex:

95

„O domine, adfatus pavido sub corde tremesco, magne, tuos, nudusque metu frigente fatigor.“

85 mellitis ACG mellitus Mayor 89 sine interpunctione Peiper 94 degas! scripsi, degas? Peiper

Vet. Lat. gen. 3,3 (L) a fructu autem ligni quod est in medio paradiso dixit deus ne edamus sed neque tangamus (contingetis) ne moriamur 3,6 (L) et vidit mulier quia bonum est lignum (C) in escam et quia bonum est oculis ad videndum et cognoscendum et sumpsit fructum de ligno illo et manducavit et dedit viro suo et accepit Adam et manducavit // (I) ad manducandum et quia gratum oculis ad videndum et speciosum est ad intuendum et accipiens de fructu eius manducavit et dedit

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

149

Jene weigert sich und scheut sich, die verbotenen Zweige zu berühren: Aber trotzdem wird ihr Herz bezwungen aufgrund ihres haltlosen Sinnes. Schon hatte sie mit schneeweißen Zähnen in die reife Frucht gebissen, da erstrahlte sofort von keiner Wolke befleckt der klare Himmel. [85] Dann trieb sie der Geschmack, der seine verlockende Kraft in ihren mit der [honigsüßen Speise benetzten Gaumen eindringen ließ, dazu, die Gabe ihrem unerfahrenen Ehemann zu überreichen. Sowie er diese genommen hatte, strahlten, da die Nacht von ihnen abgewischt [war, seine Augen und leuchteten hervor, hell im Glanz des Himmels. Sobald daher beide gesehen haben, dass ihre Körper entblößt sind, [90] beschatten sie das, was sie als schamerregend ansehen, mit Feigenlaub. Zufällig hören sie bei schon untergehendem Sonnenlicht den Herrn2 und suchen ängstlich abgelegenes Gelände auf. Da fährt der Herr des Himmels den betrübten Adam an: „Sag, wo du jetzt bist!“ Der antwortet flehentlich Folgendes: [95] „Oh Herr, vor deiner Anrede erzittere ich in meinem vor Angst bebenden [Herzen, du Großer, und in meiner Nacktheit werde ich von kalter Furcht gequält.“ viro suo secum et manducaverunt 3,7 (C) et aperti sunt oculi eorum et tunc scierunt quia nudi erant et suerunt sibi // (I) et aperti sunt oculi eorum et cognoverunt (viderunt) quod nudi essent et consuerunt (L) folia fici (ficulnea) et fecerunt sibi tegimenta 3,8 (L) et audierunt vocem domini deambulantis in paradiso ad vesperam et absconderunt se Adam et mulier eius (C) abante faciem domini dei ad illam arborem quae erat in medio paradiso // (I) a facie domini in medio ligni paradisi 3,9 (L) et vocavit dominus deus Adam et dixit illi Adam ubi es 3,10 (L) et dixit illi vocem tuam audivi domine in paradiso et timui (C) et abscondi me quia nudus sum // (I) quoniam nudus sum et abscondi me

2

Wörtlich: „nehmen sie [...] den Klang [d.h. der Stimme/der Schritte] des Herrn wahr“.

150

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

tum dominus: „Quis poma dedit noxalia vobis?“ „Tradidit haec mulier, dum dicit lumina promptim candenti perfusa die liquidumque serenum 100

adfulsisse sibi solemque et sidera caeli.“ protinus ira dei turbatam territat Aevvam, auctorem vetiti dum quaerit maximus acti. illa sub haec pandit: „Serpentis suasa loquellis accepi, fallente dolo blandoque rogatu.

105

nam sua vipereis intexens verba venenis haec mihi prae cunctis narravit dulcia pomis.“ Ilicet omnipotens condemnat gesta draconis praecipiens cunctis invisum vivere monstrum, pectore mox fuso prorepere, tum sola morsu

110

mandere, mansuro quaecumque in tempora bello humanos inter sensus ipsumque labentem,

101 Aevvam Peiper evam A aevam C evvam G 103 loquellis G loquentis A loq.la C Vet. Lat. gen. 3,11 (C) et dixit dominus deus quis nuntiavit tibi quia nudus es nisi quia ab illa arbore de qua dixeram tibi ex illa sola non manducare ex illa edisti // (I) et dixit illi deus quis tibi indicavit quia nudus es nisi de ligno de quo praeceperam tibi de hoc solo ne manducares ex eo manducasti 3,12 (C) et dixit Adam mulier quam dedisti mihi dedit ut ederem et edi // (I) et dixit Adam mulier quam dedisti ipsa mihi dedit de ligno et manducavi 3,13 (L) et dixit deus mulieri quid hoc fecisti et dixit mulier serpens seduxit (suasit) me (mihi) et manducavi 3,14 (K) tunc dixit deus ad serpentem quia tu hoc fecisti maledictus tu ab omni pecore et ab omni genere bestiarum terrae pectore tuo et ventre repes et erit tibi terra cibus in omnibus diebus vitae tuae // (E) et dixit

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

151

Daraufhin fragte der Herr: „Wer hat euch die unheilvollen Früchte gegeben?“ „Diese Frau hier hat sie [mir] übergeben, während sie sagte, dass ihre Augen un[verzüglich überströmt worden seien vom glänzenden Tageslicht und dass der helle, heitere [Himmel [100] ihr entgegengestrahlt habe und die Sonne und die Sterne des Himmels.“ Sogleich versetzt der Zorn Gottes die bestürzte Eva in Schrecken, während der Höchste nach dem Urheber der verbotenen Tat fragt. Unmittelbar darauf erklärt jene: „Von den Worten der Schlange überredet habe ich [die Frucht] genommen, da sie mich mit Arglist und schmeichelnder Bit[te täuschte. [105] Denn indem sie ihre Worte mit Schlangengift durchwebte, erzählte sie mir, dass diese süßer als alle anderen Früchte seien.“ Sofort verurteilt der Allmächtige die Taten des Drachens und befiehlt, dass er als ein allen verhasstes Scheusal leben soll, dann, dass er mit hingestreckter Brust vorwärtskriechen soll, ferner, dass er mit [seinem Biss Erdboden [110] fressen soll, wobei für alle erdenklichen Zeiten ein Krieg bestehen bleiben [solle zwischen dem menschlichen Empfinden und dem Dahingleitenden,

dominus deus serpenti quia fecisti hoc maledictus tu ab omnibus pecoribus et ab omnibus bestiis quae sunt super terram super pectus tuum et ventrem tuum ambulabis et terram edes (manducabis) omnibus diebus vitae tuae 3,15 (K) et ponam inimicitiam // (E) et inimicitias ponam (L) inter te et mulierem et inter semen tuum et semen eius […]

152

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

vertice ut abiecto pronus post crura virorum serperet et calces, dum labens comminus instat. femina fraudigeris misere decepta suadellis 115

praecipitur duro discrimine ponere partum servitiumque sui studio perferre mariti. „Tu vero, cui visa fuit sententia verax coniugis, inmiti cessit quae victa draconi, deflebis miserum per tempora longa laborem.

120

nam tibi triticeae surget pro germine messis carduus et spinis multum paliurus acutis, ut cum visceribus lassis et pectore maesto plurima sollicitos praestent suspiria victus, donec in occiduo venientis tempore mortis,

125

unde geris corpus, terrae reddare iacenti.“

116 post v. 116 versus excidisse videtur, in quo deus Adamum appellat.

Vet. Lat. gen. 3,15 (L) […] ipse tuum calcabit caput et tu observabis calcaneum eius 3,16 (L) et mulieri dixit multiplicans multiplicabo tristitias tuas et gemitus tuos et in tristitia paries filios et conversio tua ad virum tuum et ipse tui dominabitur 3,17 (K) et tunc dixit deus ad Adam quia exaudisti vocem mulieris tuae et manducasti ex illa arbore de qua sola praeceperam tibi ne manducares maledicta terra erit in omnibus operibus tuis in tristitia et gemitu edes ex ea omnibus diebus vitae tuae // (E) Adae autem dixit quoniam audisti vocem uxoris tuae et edisti de ligno de quo praeceperam tibi ex illo solo ne ederes ex eo edisti maledicta terra in operibus tuis in maeroribus manducabis eam omnes dies vitae tuae 3,18 (K) spinas et tribulos eiciet tibi et edes pabulum agri // (E) spinas et tribulos generabit tibi et manducabis faenum agri 3,19 (L) in sudore vultus tui edes

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

153

so dass er mit niedergesenktem Haupt vorwärtsgeneigt hinter den Beinen der [Menschen und ihren Fersen herkriecht, während er sie dahingleitend aus nächster Nähe be[drängt. Der Frau, die durch betrügerische Überredungskünste in erbarmenswerter Weise [getäuscht worden ist, [115] wird befohlen, in schmerzhafter Gefahr ihre Leibesfrucht abzulegen und den Sklavendienst an ihrem Ehemann mit Neigung zu ertragen. „Du aber, dem die Meinung deiner Gattin wahr erschienen ist, welche, besiegt, dem unerbittlichen Drachen nachgegeben hat, wirst deine elende Mühsal lange Zeit hindurch beweinen. [120] Denn anstelle des Keims der Weizenernte wird dir die Distel emporwachsen und der Christdorn mit sehr spitzen Stacheln, so dass mit matten Eingeweiden und betrübtem Herzen sehr viele Seufzer [dir] sorgenvolle Nahrung verschaffen, bis du, wenn deine Zeit sich dem Ende zuneigt, wenn nämlich der Tod kommt, [125] der ebenen Erde zurückgegeben wirst, von der du deinen Körper hast.“

panem tuum donec revertaris in terram de qua (unde) sumptus es quoniam terra es et in terra(m) ibis

154

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

His actis dominus trepidis dat taedia vitae deiectosque procul sacratis dimovet hortis obversosque locat medioque eliminat igni, in quo perceleri Cherubin evolvitur aestu, 130

dum calidus defervet apex flammasque volutat. quis dominus, pigro ne frigore membra rigerent, consuit evulsas pecudum de viscere pelles, operiens nudos calidis de vestibus artus. Ergo ubi coniugio sese iam fidus Adamus

135

esse virum sensit, nomen genetricis amatae exhibet uxori: binos e germine foetus continuo genitor diversis nuncupat orsis: Cainis hic nomen habet, cui iunctus Abelus innocuas multa servabat cura bidentes:

140

ast alius curvo terram vertebat aratro.

129 evolvitur A aevolvitur C evolabitur G 136 foetus Martène fetus Peiper factus ACGRE Vet. Lat. gen. 3,20 (C) et tunc Adam imposuit nomen uxori suae Vita quia mater est omnium vivorum // (I) et vocavit Adam nomen uxoris suae (+ Eva id est) Vita(m) quoniam ipsa est mater omnium viventium 3,21 (C) et tunc // (I) et (L) fecit dominus deus Adae et mulieri eius tunicas pellicias et induit (vestivit) (C) illos // (I) eos 3,23 (L) dimisit illum dominus deus de paradiso suavitatis ut operaretur terram (C) de qua et sumptus fuerat // (A) ex qua sumptus est 3,24 (C) et eiectus foras de paradiso moratus est contra paradisum voluptatis et cherubim et illam flammeam frameam quae versatur (volvitur) posuit deus ad custodiendam viam arboris vitae // (I) et eiecit Adam et conlocavit eum (eos) contra paradisum voluptatis et posuit cherubim et flammeam rom-

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

155

Danach erlegt der Herr den Verängstigten die Widerwärtigkeiten des Lebens auf, verjagt sie und entfernt sie weit weg von den geheiligten Gartenanlagen und weist ihnen einen Platz gegenüber zu und hält sie von der Schwelle fern durch [ein dazwischenliegendes Feuer, in dem sich unter blitzschnellem Wallen der Hitze der Cherub dreht, [130] wobei der heiße Kegel des Feuers heftig glüht und seine Flammen herum[rollen lässt. Ihnen nähte der Herr, damit nicht von der lähmenden Kälte ihre Glieder starr wa[ren, Felle zusammen, die vom Fleisch von Tieren abgerissen worden waren, und bedeckte die nackten Glieder mit wärmenden Kleidern. Sobald sich nun der treue Adam durch die eheliche Vereinigung schon [135] bewusst geworden ist, dass er ein Mann ist, verschafft er seiner geliebten [Ehefrau den Namen „Mutter“: Zwei Leibesfrüchte aus seinem Samen benennt er als Vater nacheinander mit unterschiedlichen Namen: Dieser hat den Namen „Kain“; mit ihm war Abel geschwisterlich verbunden und hütete unschuldige Schafe mit großer Fürsorge; [140] aber der andere wendete mit gekrümmtem Pflug die Erde um.

phaeam (+ et) versatilem (vertiginem) custodire viam ligni vitae 4,1 (E) et cognovit Adam mulierem suam et concepit et peperit Cain et dixit adquisivi hominem per deum 4,2 (E) et adiecit parere (fratrem eius) Abel et factus est Abel pastor ovium Cain autem operabatur terram

156

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

hi cum perpetuo ferrent sua dona Tonanti, dissimiles fructus sensu suadente dedere. nam prior uberibus fuerant quae prosata glaebis, obtulit, ast alius miti se devovet agno, 145

exta gerens sincera manu adipemque nivalem, confestimque placet domino pia vota tuenti. quod propter gelida Cain incanduit ira. quem deus adloquio dignatus talibus infit: „Dic mihi, si rectum vivas et noxia cernas,

150

degere num possis contracto a crimine purus? desine mordaci fratrem disperdere sensu, qui tibi ceu domino subiectus colla praebebit.“ nec tamen his fractus fratrem deducit ad arva atque, ubi deprensum deserto in gramine vidit,

155

elidit geminis frendens pia guttura palmis. quod factum dominus caelo speculatus ab alto disquirit, quonam terrarum degat Abelus? ille negat positum custodem se fore fratris.

141 Tonanti scripsi tonanti Peiper 150 num G non ACR Peiper Vet. Lat. gen. 4,3 (E) et factum est post dies obtulit Cain de fructu (fructibus) terrae sacrificium domino 4,4 (E) et Abel obtulit et ipse de primitiis ovium suarum (et de/ex adipibus/adipe earum/illarum) et respexit deus super Abel et super munera eius 4,5 (E) super Cain autem et super

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

157

Als diese dem ewigen Donnerer ihre Gaben darbrachten, opferten sie unterschiedliche Früchte [ihrer Arbeit], da ihre Gesinnung sie dazu [trieb. Der erste brachte nämlich dar, was von den fruchtbaren Schollen nach der Aussaat [hervorgebracht worden war, aber der andere gibt sich selbst hin mit einem sanftmütigen Lamm, [145] wobei er makellose Eingeweide in der Hand trägt und schneeweißes Fett, und sofort findet er Gefallen beim Herrn, der seine gottgefälligen Opfergaben [ansieht. Deswegen wurde Kain heiß vor eiskaltem Zorn. Ihn hält Gott der Anrede für würdig und hebt mit folgenden Worten zu sprechen [an: „Sag mir, wenn du in rechter Weise lebst und dich doch für das Schädliche ent[scheidest, [150] kannst du dann etwa frei von einer begangenen Schuld leben? Hör auf, mit gehässigem Sinn deinen Bruder zugrunde zu richten, der sich dir wie einem Herrn unterwürfig beugen wird.“ Und dennoch lässt er sich von diesen Worten nicht umstimmen und führt seinen [Bruder aufs Feld weg, und sobald er gesehen hat, dass dieser im einsamen Gras sein Gefangener ist, [155] zerquetscht er, mit den Zähnen knirschend, mit beiden Händen die recht[schaffene Kehle. Nachdem der Herr diese Tat vom hohen Himmel aus beobachtet hat, forscht er nach, wo denn in aller Welt Abel sei. Jener sagt, dass er nicht als Hüter seines Bruders eingesetzt worden sei.

sacrificia eius non respexit et contristatus est Cain valde et concidit facies eius 4,6 (E) et dixit deus ad Cain quare tristis factus es et quare concidit vultus tuus 4,7 (E) nonne si recte offeras recte autem non dividas peccasti quiesce (desine) ad te conversio eius et tu dominaberis eius 4,8 (E) et tunc dixit Cain ad Abel fratrem suum eamus in campum et factum est cum essent ipsi in campo insurrexit Cain super Abel fratrem suum et occidit eum 4,9 (E) et tunc dixit deus ad Cain ubi est frater tuus et dixit nescio numquid custos fratris mei sum ego

158

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

cui deus effatur: „Nonne vox sanguinis eius 160

ad me missa sonat celsumque ascendit ad axem? nosce igitur mansura tibi pro crimine tanto: nam modo quae maduit germani sanguine terra, inviso maledicta tibi conmissa negabit semina et absumptis fructum non proferet herbis,

165

torpidus ut multo conlidens membra tremore funere ceu iuncto semper suspiria ducas.“ territus ille gemit mortemque a numine poscit: quae tamen infenso non est concessa Tonante: nam mala promeritus signo fit notus inusto,

170

sternere ne ferro liceat cuicumque nocentem, ne maius septena parent discrimina funus. ilicet a facie domini ceu perditus exit Aedibus obversis Naidae in caespite terrae, nec minus ex natis, genetrix quos fida creavit,

175

nomine primaevi sublimem condidit urbem.

168 Tonante scripsi tonante Peiper 172 exit, interpunxit Peiper 173 Aedibus scripsi aedibus Peiper Vet. Lat. gen. 4,10 (L) et dixit deus quid fecisti hoc vox sanguinis fratris tui clamat ad me de terra 4,11 (L) et nunc maledictus tu a terra (maledicta terra) quae aperuit os suum ad excipiendum sanguinem fratris tui de manu tua 4,12 (I) quoniam operaberis terram et non adiciet virtutem suam dare tibi (E) gemens et tremens eris super terram 4,14 (I) si eicis me hodie a facie terrae et a facie

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

159

Zu ihm spricht Gott: „Tönt etwa nicht die Stimme seines Blutes, [160] die sich erhoben hat, zu mir und steigt zum hohen Himmel empor? Nimm also zur Kenntnis, was dir als Vergeltung für ein so schweres Verbrechen [beschieden sein wird: Die Erde nämlich, die eben erst feucht geworden ist vom Blut deines Bruders, wird dir, weil du verhasst bist, verflucht sein und die ihr anvertrauten Samen ab[lehnen und wird, nachdem die Getreidehalme abgestorben sind, keine Frucht hervorbrin[gen; [165] so wirst du, erstarrt unter heftigem Zittern deine Glieder aneinanderschla[gend, immer Seufzer hervorstoßen, wie wenn der Tod unmittelbar bevorsteht.“ Erschrocken stöhnt jener und verlangt von Gott den Tod: Doch dieser wurde ihm vom aufgebrachten Donnerer nicht gewährt: Denn da er Übles verdient hat, wird er bekannt gemacht durch ein eingebranntes [Zeichen, [170] auf dass es nicht jedem erlaubt sei, den Übeltäter mit dem Schwert nieder[zustrecken in der Absicht, dass die sieben Gefahren [ihm] nicht ein noch schlimmeres Ende [bereiten. Sogleich geht er weg vom Angesicht des Herrn wie ein Verlorener auf den Grund und Boden des Landes Naid, wobei Eden ihm zugekehrt ist, und nichtsdestoweniger gründete er aus der Schar der Kinder, die die treusorgende [Mutter gebar, [175] eine hoch aufragende Stadt, benannt nach dem Namen seines Erstgebore[nen.

tua abscondam me et ero gemens et tremens super terram et erit omnis qui invenerit me occidet me 4,15 (I) et dixit ei dominus non sic omnis qui occiderit Cain septem vindictas exsolvet et posuit dominus deus Cain signum ne (+ quisquam) eum occideret omnis qui invenisset 4,16 (I) et exi(v)it Cain a facie dei (domini) et habitavit in terra Naid contra Edem 4,17 (I) et cognovit Cain uxorem suam et concipiens peperit Enoch et erat aedificans (condidit) civitatem in nomine (nomine) filii sui Enoch

160

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

Enochus Gaidada creat ac deinde Malechum, quo Mathusalamus sensim genitore sub auras exiit et longae produxit tempora vitae. ast Amalech, dirum qui perculit ense Cainem, 180

perpetitur caeso multum graviora nocente; crimina nam meritum decies septena cohercent. coniugibus hic facta gemens sese increpat ultro, quarum prima fuit Ada atque altera Sella. Iobelum sed prima creat, qui pastor in arvis

185

gramineis laeta pecudes pascebat in herba. Iobalus quem deinde subit, qui musica plectra repperit et vario concordes murmure chordas. Tobelum mox Sella parit, cui fundere rivos aeris erat moris ferrumque incude subactum

190

diversis formare modis stridente camino: quem Noemma sequens uno genitore creata est.

176 Gaidada Peiper naida AG naidã C | ac ACG hic Peiper | malechum AG melechum C Malelum Peiper; post Malelum non interpunxit Peiper 179 amalech AC amalec G Lamech Peiper 184 Iobelum conieci Iabelum Peiper aelum ACG 187 vario CG nervo A Vet. Lat. gen. 4,18 (I) Enoch genuit Gaidad Gaidad genuit Mevia Mevia genuit Mathusael Mathusael genuit Lamech 4,19 (I) et sumpsit sibi Lamech duas uxores nomen uni Ada et nomen secundae (alteri) Sella 4,20 (I) et peperit Ada Iobel hic erat pater habitantium in tabernaculis pecuariorum 4,21 (A) et nomen fratris eius Iobal (I) hic fuit (+ pater) qui ostendit psalterium et citha-

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

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Enoch zeugt Gaidad und dann Malechus (Maiel), von welchem Vater [abstammend] Mathusala behutsam ins Licht der Welt hinaustrat und die Zeit eines langen Lebens hinbrachte. Aber Amalech (Lamech), der den grässlichen Kain mit dem Schwert erschlug, [180] erleidet viel Schlimmeres als der getötete Verbrecher; denn weil er es verdient hat, züchtigen ihn zehnmal sieben Verbrechen. Vor seinen Ehefrauen beklagt dieser seine Tat und macht sich obendrein noch [selbst Vorwürfe; von ihnen war die erste Ada und die zweite Sella. Den Jobel aber gebiert die erste, der als Hirte auf grasbewachsenen Fluren [185] das Vieh im üppigen Gras weidete. Auf ihn folgt sodann Jobal (Jubal), der das Plektron zum Musizieren erfand und harmonisch zusammenklingende Saiten von unterschiedlichem Klang. Den Thobel gebiert darauf Sella, der die Gewohnheit hatte, Ströme von Erz flie[ßen zu lassen und das Eisen durch Bearbeitung auf dem Amboss [190] auf verschiedene Arten zu formen, während das Feuer in der Schmiedeesse [prasselte: Ihm folgte Noema; sie wurde von ein und demselben Vater gezeugt.

ram 4,22 (I) Sella autem peperit et ipsa Tobel et erat malleator (et) aerarius aeramenti et ferri soror autem Tobel Noemma 4,23 (E) dixit autem Lamech mulieribus suis Adae et Sellae audite vocem meam mulieres Lamech intuemini verba mea quoniam virum occidi in vulnere mihi et iuvenem in livore meo // (X) ad uxores suas Ada et Sella audite verba mea uxores Lamech auribus percipite verba mea quia virum occidi in vulnus meum et iuvenem in livorem meum 4,24 (E) quoniam septies vindicatum est de Cain de Lamech autem septuagies septies

162

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

Haec inter vegetis Adam non languidus annis, Sethum progenerat post mortem mitis Abelis. Enochum is deinde creat, cui candida corda 195

largitus dominus; hoc se poscente rogari adnuit et placidae suscepit munera mentis. nongentos igitur postquam conplerat Adamus ter denosque annos, sopitus morte quievit. longaevusque dehinc nongentos quinque per annos

200

Enochus vixit, quem Cainanus adaequans quinque fuit tantum protentis longior annis. iunior hoc iterum ter quinis decubat annis Maleleela senex; ter denis deinde Iaretus atque tribus vixit longo constrictior aevo.

205

Enochus, cui cura fuit servire potenti et mentem sociare deo, sat iunior istis,

195 dominus; interpunxi dominus, interpunxit Peiper 202 decubat G deducat A deputhat C 203 Maleleela scripsi maleleęla C malaleela AG Malaleela Peiper Vet. Lat. gen. 4,25 (E) et cognovit Adam Evam mulierem suam et concepit et peperit filium et vocavit nomen eius Seth dicens suscitavit enim mihi deus semen aliud pro Abel quem occidit Cain 4,26 (A) et Seth natus est filius (I) et nominavit nomen eius Enos (Enoch) hic speravit invocare nomen domini dei 5,5 (I) et fuerunt omnes dies Adae quos vixit anni .DCCCCXXX. et mortuus est 5,11 (I) et fuerunt omnes dies Enos anni .DCCCCV. et mortuus est 5,14 [kai? eögeßnonto paqsai aiÖ hÖmeßrai] (I) Cainan anni .DCCCCX. et mortuus est 5,17 [kai? eögeßnonto paqsai aiÖ hÖmeßrai] (I) Malelehel anni .DCCCXCV. et mortuus est 5,20 [kai? eögeßnonto paqsai aiÖ hÖmeßrai§Iaßred] (I) anni

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

163

Unterdessen zeugt Adam, aufgrund seiner noch kraftvollen Jahre nicht erschlafft, den Seth nach dem Tod des sanftmütigen Abel. Der zeugt dann Enoch (Enos), dem der Herr ein reines Herz [195] in Fülle schenkte; als dieser [d.h. Enoch (Enos)] ihn [d.h. den Herrn] bat, gestattete er es, dass er angerufen wurde, und nahm die Opfergaben des friedferti[gen Herzens an. Nachdem nun Adam volle 930 Jahre gelebt hatte, entschlief er und fand im Tod Ruhe. Mit einem langen Leben gesegnet lebte sodann 905 Jahre lang [200] Enoch (Enos); ihm kam Kainan gleich und war nur um eine Verlängerung von fünf Jahren älter. Dreimal fünf Jahre jünger als dieser sinkt dagegen der Greis Maleleel ins Grab; dreimal zehn und drei [Jahre] kürzer als [dessen] lange Lebenszeit lebte sodann Jared. [205] Enoch, dem daran gelegen war, dem Mächtigen zu dienen und sein Herz mit Gott zu vereinen, wird, erheblich jünger als diese,

.DCCCCLXII. et mortuus est 5,22 (I) placuit autem Enoch deo (X) postquam genuit Matusalam annos .CC. et genuit filios et filias 5,23 [kai? eögeßnonto paqsai aiÖ hÖmeßrai &Envßx] (I) anni .CCCLXV.

164

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

ter centum explicitis si quinque adiungere cures sexies et denos, subita caligine tectus abditur et domino multum miserante remotus 210

felicem placido vivit cum tempore vitam. at Mathusalamus nongentos porrigit orbes septies et denos, unum si iungere fas est. Lamechus, hoc patre satus, Noele creato talia disseruit, dum vatum more futura

215

praevidet et sensus venturum mittit in aevum: „Hic secura dabit nobis commercia vitae et durum removebit onus pacemque reducet, quae factis est pulsa malis nostroque reatu tristibus et dextris, quarum sulcata labore

220

terra negat fructum, domino maledicta loquente.“ septies hic centum vixit septemque per annos, septuaginta super positis, ut summula poscit.

212 si proposuit Peiper in apparatu quis ACG Peiper | iungere ACG demere Arevalus stringere Mayor | fas A ius CG 220 loquente CG dicente A

Vet. Lat. gen. 5,23 (I) anni .CCCLXV. 5,24 (K) et conplacuit Enoch deo et non est inventus postmodum quia deus illum transtulit // (E) et placuit Enoch deo et non inveniebatur quia transtulit illum deus 5,25 (E) et vixit Mat(h)usalam annis .CLXVII. et genuit Lamech 5,27 (I) et fuerunt omnes dies Mathusalae quos vixit anni .DCCCCLXVIIII. et mortuus est 5,28 (I) et vixit Lamech

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

165

wenn man sich etwa die Mühe machen wollte, den dreihundert abgelaufenen Jah[ren fünf und sechsmal zehn hinzuzufügen, von plötzlicher Finsternis verhüllt verborgen, und nachdem er durch die große Barmherzigkeit Gottes entrückt wor[den ist, [210] verbringt er ein glückliches Leben in friedlicher Zeit. Aber Mathusala verlebt 900 und siebenmal zehn Jahresläufe, wenn es erlaubt ist, einen hinzuzufügen. Lamech, diesem Vater entsprossen, erklärte nach der Geburt des Noah Folgendes, während er nach Art der Propheten die Zukunft [215] voraussah und seine Gedanken auf die künftige Zeit richtete: „Dieser wird uns ein sorgloses Leben verschaffen und die drückende Last beseitigen und den Frieden zurückbringen, welcher vertrieben worden ist durch böse Taten und durch unsere Schuld und durch unsere unglückseligen Hände, von deren Mühe durchfurcht [220] die Erde die Frucht verweigert, da der Herr Fluchworte spricht.“ Dieser lebte siebenmal hundert und sieben Jahre lang, zu denen dann noch siebzig dazugelegt werden, wie das Sümmchen es erfordert.

annis .CLXXXVIII. (E) et genuit filium 5,29 (E) et vocavit nomen eius Noe dicens hic nobis dabit requiem ab omnibus operibus nostris et a tristitiis manuum nostrarum et a terra cui maledixit dominus deus 5,31 (I) et fuerunt omnes dies quos vixit Lamech anni .DCCLIII. et mortuus est

166

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

hoc generante probis Noelus nobilis actis editur, innocuo daturus semina saeclo, 225

tresque creat natos, Sethum Chamumque Iafetumque, in numerum solitos mollitum tundere ferrum et scintillantes promptim procudere massas. sexies hic vatis centum iam vixerat annis, cum dominus, diri pertaesus crimina mundi

230

multimodosque hominum longa sub luce reatus, constringit miserans prolixae incommoda vitae inposuitque modum bis sexaginta per annos, vincere quem nullus posita sub lege valeret. Haec inter sanctos lactat terrena voluptas

235

captivosque tenet caelesti ex arce meantes; dum facies pulchro ridentes corpore cernunt femineas placitisque nimis conplexibus haerent, progenuere sibi torva cum mole gigantes:

225 chamumque iafetumque AG (Iaphetumque Peiper) canũq. Iaf&hq. C 226 in numerum Arevalus innumerum ACG 228 vatis ACG vates Peiper 231 vitae, interpunxit Peiper Vet. Lat. gen. 5,32 (I) et erat Noe annorum .D. et genuit Noe tres filios Sem Cham Iaphet 6,2 (E) videntes autem angeli (filii) dei filias hominum quod essent formonsae (pulchrae) acceperunt sibi mulieres ex omnibus quas elegerunt 6,3 (E) et tunc dixit deus non permanebit spiritus meus in hominibus istis in aeternum propter quod caro sunt erunt autem dies eorum centum viginti anni 6,4 (I) gigantes autem erant super terram in diebus illis et post illud cum intrarent filii dei ad filias ho-

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

167

Durch dessen Vaterschaft kommt der durch seine rechtschaffenen Taten herausra[gende Noah zur Welt, der Samen für ein unschuldiges Menschengeschlecht geben soll, [225] und zeugt drei Söhne, Seth (Sem), Cham und Japheth, die es gewohnt sind, im Takt erweichtes Eisen zu hämmern und die Funken sprühenden Klumpen eilends in Form zu schlagen. Sechsmal hundert Jahre hatte dieser Prophet schon gelebt, als der Herr, voll Abscheu gegenüber den Verbrechen der grauenvollen Welt [230] und gegenüber der vielfältigen Schuld der Menschen während ihres langen [Lebens, in seiner Barmherzigkeit die Nachteile des langen Lebens beschränkt und eine Grenze auf zweimal sechzig Jahre festsetzte, auf dass keiner sie unter dem erlassenen Gesetz zu überwinden vermöge. Unterdessen verlockt die irdische Lust die Heiligen [235] und hält sie gefangen, als sie aus der Himmelsburg gehen: Während sie die lächelnden Frauengesichter am schönen Körper sahen und in den Umarmungen, die ihnen allzu gut gefielen, festhingen, zeugten sie sich Riesen von furchteinflößender Körpergröße:

minum et generabant sibi illi erant gigantes a saeculo homines nominati 6,5 (K) et vidit dominus deus redundasse nequitias hominum super terram et quod omnes in malum recordarentur a principio dierum suorum // (I) videns autem dominus deus quia multiplicatae sunt malitiae hominum super terram et omnis quisque cogitat in corde suo diligenter super maligna omnes dies 6,9 (A) hae autem generationes Noe (E) Noe homo iustus et perfectus erat in generatione sua et placuit deo 7,6 (I) et erat Noe annorum sexcentorum factum est diluvium

168

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

quorum criminibus domini patientia tandem 240

cogitur offendi; longam dum concipit iram atque dolet hominem dextra formante creatum siderea, sancto permotus pectore fatur: „Ius delere mihi mundi peccata nocentis fluctibus aequoreis totamque involvere terram

245

humanumque genus vastis mersare fluentis omnigenasque simul pecudes, quae laeta per agros gramina detondent, celsis dum collibus errant. serpentes nex una premat volucresque ferasque, ut mea deletis mitescat fraudibus ira.“

250

accipit ergo dei mandata ingentia Noe, duplicibus cameris arcam conpangere iussus, quae teneat volucrum mansura ad germina nidos. ac, ne fissilibus dissultent robora rimis, unguine praepingui linuit bituminis arcam.

240 longam ACG lentam Mayor 248 nex AG nox C Vet. Lat. gen. 6,6 (I) et cogitavit (iratus est) deus quia fecit hominem super terram et paenituit (+ in corde suo) 6,7 (L) et dixit deus perdam (deleam/delebo) hominem quem feci a facie terrae ab homine usque ad pecus et a reptilibus usque ad volatilia caeli (I) quoniam paenitet me (iratus sum) quod feci eos 6,14 (S) fac itaque tibi arcam de lignis quadratis nidos et nidos facies et bituminabis eam // (I) fac ergo tibi arcam ex lignis quadratis nidos facies in arca(m) et bituminabis ((in)linies) eam ab intus et a foris bitumine 6,16 (S) […] et bicameratam et tricameratam facies eam // (I) infe-

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

169

Durch deren Verbrechen wird die Geduld des Herrn endlich [240] dazu genötigt, sich beleidigt zu fühlen; während er lange währenden Zorn in [sich aufkommen lässt und schmerzlich bereut, dass der Mensch erschaffen worden ist, indem seine [himmlische Rechte ihn bildete, spricht er, in seinem heiligen Herzen aufgebracht: „Mir steht das Recht zu, die Sünden der schuldigen Welt zu tilgen und die ganze Erde in Meeresfluten einzuhüllen [245] und das Menschengeschlecht in ungeheuren Wasserströmen zu versenken und zugleich das Vieh aller Art, das auf den Weideflächen das üppige Gras abfrisst, während es auf hohen Hügeln umherstreift. Die Schlangen soll ein und derselbe Tod bedrängen und die Vögel und die wilden [Tiere, damit mein Zorn durch die Auslöschung der Missetaten besänftigt wird.“ [250] Also empfängt Noah gewaltige Aufträge von Gott, indem er den Befehl erhält, einen Kasten mit zwei gewölbten Decken zusammen[zufügen, der Vogelnester enthalten soll für die Jungen, die darin wohnen sollen. Und damit die Balken aus Kernholz nicht an den Fugen, die sich öffnen könnten, [auseinanderspringen, bestrich er den Kasten mit der sehr fetten Schmiere des Erdpechs.

riora bicamerata et tricamerata facies 6,17 (P) ecce adducam diluvium aquae super terram et interficiam omnem carnem in qua est spiritus vitae sub caelo (M) et omnia quae sunt in terra morientur

170 255

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

ipsa fuit plenas ter centum longa per ulnas, quinquaginta patens transversam lata per alvum. at qua sublimi surgunt fastigia tecto, edita ter denis in caelum tollitur ulnis, assere quadrato, nullis cessura fluentis,

260

ad medium gestans facili cum cardine postes. haec perfecta deus postquam despexit ab astris, talibus adfatur mittendum in aequora vatem: „Scande citus, natique tui nataeque, fluentem fluctibus in tumidis cumbam, quia pectora vidi

265

iusta tibi dudumque mihi tua nota voluntas emeruit maiora praesentibus; atque coactas claude simul pecudes omni de germine mites septenis paribus; inmundo de grege bina esse sines tecum, escamque his omnibus infers

270

atque tibi suetam, ne, cum per vasta fluenta

257 at qua G atque AC 260 gestans G giptans A girptans C gyrans Mayor 267 mites ACG mundo Arevalus Vet. Lat. gen. 6,14 (S) fac itaque tibi arcam de lignis quadratis // (I) fac ergo tibi arcam ex lignis quadratis […] 6,15 (I) et sic (E) facies arcam trecentorum cubitorum longitudine(m) et quinquaginta cubitorum latitudine(m) et triginta cubitorum altitudine(m) (I) eius 6,16 (S) collectam facies arcam et in cubito consummabis eam desuper et ostium facies de latus […] // (I) colligens facies arcam et in cubitum consummabis eam a summo ostium vero arcae facies ex transverso […]

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

171

[255] Dieser war volle dreimal hundert Ellen lang und erstreckte sich 50 [Ellen] quer durch den Bauch in der Breite. Aber dort, wo sich die Spitze des hohen Daches erhebt, ragt er dreimal zehn Ellen hoch in den Himmel empor, aus Vierkantbalken, dazu bestimmt, keinen Fluten nachzugeben, [260] wobei er in der Mitte eine Tür mit leicht drehbaren Angeln trägt. Nachdem Gott von den Sternen herab gesehen hat, dass dies vollendet ist, spricht er den Propheten, der aufs Meer geschickt werden soll, mit folgenden [Worten an: „Besteige du schnell, und deine Söhne und Töchter, den Kahn, der in den schwellenden Fluten treibt, weil ich gesehen habe, dass [265] du ein gerechtes Herz hast, und weil dein guter Wille, der mir schon lange [bekannt ist, Besseres verdient hat als deine Zeitgenossen; und zahme Tiere von jeder Gattung treibe zusammen und schließe zusammen [mit dir] [ein, in je sieben Paaren; von der unreinen Schar sollst du je zwei mit dir sein lassen, und du trägst die diesen allen [270] und dir gewohnte Nahrung hinein, damit du nicht, wenn wegen der unge[heuren Wasserströme

6,18 (I) et statuam testamentum meum ad te (E) introibis autem in arcam tu et filii tui et uxor tua et uxores filiorum tuorum 6,21 (I) tu autem accipe tibi ipsi ab omnibus escis quae eduntur et congregabis ad temetipsum et erunt tibi et ipsis ad edendum 6,22 (I) et fecit Noe omnia quae praecepit ei dominus deus sic fecit 7,1 (S) et locutus est dominus ad Noe dicens (I) intra tu et omnis domus tua in arcam quia te vidi iustum in generatione ista 7,2 (E) a (de) pecoribus autem mundis induces ad te (tecum) septem et septem et a (de) pecoribus inmundis bina et bina (bina)

172

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

cultio destiterit, pariter patiare molestam provisis non ante cibis per glauca vehendus salsa famem; nam clara polo cum lumina solis septima prodierint, totos defundere nimbos 275

cardine ab aetherio cunctosque evolvere fontes adlapsu maiore paro, quo grandior undis aestuet oceanus spumosis largius amnes accipiens fusoque oblimans omnia tractu. namque quater denis iuncta cum nocte diebus

280

grandine perpetua nubes complebo madentes, ut, quidquid vivit, tumidis mergatur in undis.“ haec ubi dicta, fiunt domini mandata volente festinoque sene, longo qui nobilis aevo, sescentos agitans annos, se credidit undis

285

coniunctosque simul natos natasque recepit, confisus tenui quamvis foret abditus antro.

271 molestam corr. Mayor molesta ACG 274 defundere Peiper deffundere A diffundere CG 277 spumosis ACG spumosos coni. Arevalus, quem Peiper secutus est 280 perpetua CG perpetuo A Vet. Lat. gen. 6,21 (I) tu autem accipe tibi ipsi ab omnibus escis quae eduntur et congregabis ad temetipsum et erunt tibi et ipsis ad edendum 7,4 (S) post septem dies inducam diluvium aquae per dies quadraginta totidemque noctes et deleam omnem generationem quam feci a facie terrae // (A) adhuc enim septem dies ego inducam pluviam super terram (I) et delebo omnem resurrectionem carnis a facie terrae 7,5 (I) et fecit omnia Noe quae mandavit ei dominus deus 7,6 (I) et erat Noe

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

173

der Ackerbau aufhört, auch noch lästigen Hunger leiden musst auf deiner Fahrt durch die blaugrünen Salzfluten, weil zuvor keine Vorsorge für [Nahrungsmittel getroffen wurde; denn sobald die hellen Lichtstrahlen der Sonne am Himmel zum siebten Mal hervorgekommen sind, habe ich vor, sämtliche Regenschauer [herabzugießen [275] vom himmlischen Pol und alle Quellen mit größerem Schwall entströmen zu lassen, damit desto höher der Ozean mit schäumenden Wellen wogt, während er reichlicher Flüsse in sich aufnimmt und, indem seine Strömung sich ergießt, alles mit Schlamm [überzieht. Ich werde nämlich an viermal zehn Tagen mit der [jeweils] folgenden Nacht [280] die triefenden Wolken ununterbrochen mit Hagel füllen, damit alles, was lebt, in den schwellenden Wogen versinkt.“ Sobald dies gesagt worden ist, werden die Anweisungen des Herrn bereitwillig und eilig ausgeführt von dem Greis, der, herausragend durch sein hohes Lebensal[ter, als er nämlich schon sechshundert Jahre alt war, sich den Wellen anvertraute [285] und vereint mit sich zugleich seine Söhne und Töchter an Bord nahm, voll Vertrauen, wenn er auch nur in einer dünnwandigen Höhle verborgen war.

annorum sexcentorum factum est diluvium 7,7 (I) ingressus est autem Noe et filii eius et uxor eius et uxores filiorum eius (cum eo) in arcam [dia? to? uÄdvr touq kataklusmouq]

174

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

interea totos laxarunt nubila nimbos, atque abyssus riguos dimisit in aequora fontes. iamque quater denis stagnantur cuncta diebus. 290

non volucres levibus suspendunt corpora pinnis, nec fera celsiiugo devitat marmora colle, omnia conduntur pelago, mors omnibus una est. nec minus interea tumidum suspensa per aequor arca fluens clausum munibat pendula vatem

295

venturisque parens servabat semina saeclis naufragio secura suo. mox rarior aether nubibus in piceis coepit constringere nimbos. iamque relabenti decrescit in aequore pontus ac, postquam modico fluitabat flumine cumba,

300

emittit senior nigrantem pectora corvum, qui levibus pinnis volucri dum flamine fertur, non rediit, iusti suspendens vota prophetae.

288 atque delendum esse suspicatus est Peiper 290 pinnis G pennis AC 300 pectora AG pectore C 301 pinnis AG pennis C Vet. Lat. gen. 7,11 (I) sescentesimo anno vitae Noe secundo mense septima et vicensima mensis (K) proruperunt omnes abyssi et cataractae caeli patefactae sunt // (E) et erupti sunt omnes fontes abyssi et cataractae caeli apertae sunt 7,12 (S) et factae sunt pluviae diluvii super omnem terram // (I) et facta est pluvia super terram quadraginta diebus et quadraginta noctibus 7,17b (M) exundavit aqua et levavit arcam 7,18 [kai? eöpekraßtei to? uÄdvr kai? eöplhjußneto sfoßdra eöpi? thqw ghqw] (M)

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

175

Unterdessen ließen die Wolken sämtliche Regenschauer los und die Tiefe entließ wasserreiche Quellen ins Meer. Und schon wird viermal zehn Tage lang alles zur Seenlandschaft. [290] Nicht halten die Vögel mit leichten Schwingen ihre Körper in der Schwebe und nicht entgeht das wilde Tier dem Meer auf dem Hügel mit hohem Kamm, alles wird vom Meer bedeckt, alles findet ein und denselben Tod. Und ebenso schützte indessen die Arche, während sie schwebend über das ange[schwollene Meer trieb, schwankend den eingeschlossenen Propheten [295] und bewahrte als Mutter die Samen für künftige Generationen sicher vor ihrem Schiffbruch. Bald begann der Himmel weniger dicht bewölkt die Regengüsse in den pechschwarzen Wolken zurückzuhalten. Und schon sinkt, während das Meer zurückfließt, die Flut, und als der Kahn auf dem nur noch mäßig tiefen Wasser dahintrieb, [300] lässt der Alte einen an der Brust schwarzen Raben hinaus, der, während er auf leichten Schwingen von einem schnellen Wind getragen wur[de, nicht zurückkehrte und so die Hoffnungen des gerechten Propheten im Ungewis[sen ließ.

et ferebatur super summum aquarum 7,21 (I) et mortua est omnis caro quae movebatur super terram (A) volatilium pecorum et iumentorum et ferarum et omnis serpens qui movetur super terram et omnis homo 7,23b (I) et derelictus est solus Noe in arca cum iis qui cum ipso erant 8,2 (I) et conclusi sunt fontes abyssi et cataractae caeli (A) et detenta est pluvia de caelo 8,3 (O) cessavit aqua super terram [eönedißdou kai? hölattonouqto to? uÄdvr meta? penthßkonta kai? eÖkato?n hÖmeßraw] 8,7 (E) et emisit corvum ut videret utrum cessasset aqua et exiens non est reversus (rediit) donec siccaret aqua a terra

176

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

post hunc albentem mittit per stagna columbam, quae super aequoreum campum defessa volatu, 305

nusquam nancta solum, vati se reddidit almo. cumque recurrentis fulgerent septima solis lumina, dimittit pinna plaudente volucrem, quae nemore invento ramis praepinguis olivae ora referta tulit, cum iam per sidera vesper

310

surgeret ac tremulo noctem praecurreret igni. inde iterum septem transcursis rite diebus mittitur in pelagus ales, quae lapsa meatu perceleri numquam sociae se reddidit aulae. sescentos igitur iam tum transgressus et unum

315

orbes erat vatis, primo iam mense secuto atque die mensis primo, cum libera tellus visa aperire procul montes ac volvere fumum, quos super undarat ter quinas pontus in ulnas:

307 pinna CG penna A 315 vatis ACG vates Peiper Vet. Lat. gen. 7,20 (I) quindecim cubitis superavit aqua super excelsos montes 8,5 (I) aqua autem minuebatur usque ad undecimum mensem in undecimo autem mense prima die mensis (ap)paruerunt (visa sunt) capita montium 8,8 (E) et emisit (misit) columbam post eum (X) ut videret si cessasset [to? uÄdvr aöpo? prosvßpou thqw ghqw] 8,9 (L) non inveniens columba requiem pedibus suis reversa est ad eum in arca(m) [oÄti uÄdvr hQn eöpi? panti? prosvßpv# paßshw thqw ghqw] (A) et extendit manum suam accepit eam et induxit eam ad semetipsum in arcam // (M) extendens

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

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Nach diesem schickt er eine weiße Taube über die stehenden Wasser, die, völlig erschöpft vom Flug über die Meeresfläche, [305] da sie nirgends Grund vorgefunden hatte, sich zu dem lebensspendenden [Propheten zurückbegab. Und als zum siebten Mal die Lichtstrahlen der zurückkehrenden Sonne aufleuch[teten, entlässt er den Vogel mit klatschenden Flügeln, der, nachdem er ein Gehölz gefunden hatte, den Schnabel angefüllt mit Zweigen [des sehr fetten Ölbaums trug, als schon unter den Sternen der Abendstern [310] emporstieg und mit funkelndem Licht der Nacht vorausging. Hierauf wird, nachdem wiederum sieben Tage in gehöriger Weise durchlaufen [worden sind, der Vogel aufs Meer geschickt, der in sehr schnellem Flug dahinglitt und sich niemals [mehr] zum schützenden Stall zurückbegab. Sechshundert und einen Jahreslauf hatte der Prophet damals nun schon überschrit[ten – [315] es folgte nämlich schon der erste Monat [seines neuen Lebensjahres] und der erste Tag des Monats –, als man sah, dass die Erde frei [vom Wasser] in der Ferne Berge zum Vorschein brachte, über welche das Meer dreimal fünf Ellen hinausgewogt war, und Dunst in Wir[beln aufsteigen ließ.

manum suscepit eam et introduxit ad se 8,10 (M) tenuit septem diebus aliis (L) et iterum dimisit columbam ex arca 8,11 (L) et reversa est (S) columba ad eum sub vespera(m) habens ramum oleae (olivae) in ore suo // (M) regressa est igitur columba ad vesperam habens folium oleae et ramum in ore suo // (A) habebat olivae folia surculum in ore suo (M) et cognovit Noe quia defecit aqua a terra 8,12 [kai? eöpisxv?n] (I) alios septem dies iterum dimisit (misit) columbam (A) et non adposuit reverti ad eum amplius 8,13 (I) in primo et sescentesimo anno vitae Noe (M) primo die mensis (im)minuta est aqua a facie terrae et denudavit Noe tectum arcae [, hÜn eöpoißhsen, kai? eiQden] quod recessit aqua [aöpo? prosvßpou thqw ghqw]

178

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

decurso iam mense dehinc cum trina secundo 320

lumina restarent, toto iam libera fluctu terra fuit propriumque ostendit laeta virorem. ergo ubi nudatis consedit montibus arca, Araratum qui nomen habent sermone vetusto, laxat claustra senex reddens nova semina terrae

325

exstruxitque libens sacraria festa Tonanti atque memor voti, adolet dum altaria flammis. hostia digna fuit, mites dum gignit odores, qui dominum coram laetis cum flatibus alant. tum, ne consimili pereat discrimine terra,

330

diluvium dominus ventura in tempora tollit, festinos menses et tempora mobilis anni inrequieta iubens consuetos volvere cursus;

322 nudatis AC undatis G 323 Araratum corr. Peiper araracum ACG 325 Tonanti scripsi tonanti Peiper 326 voti, adolet dum altaria flammis. interpunxi voti adolet dum altaria flammis, interpunxit Peiper 328 alant AC halant Peiper Pitram secutus V. 325–378 hi versus desunt in G Vet. Lat. gen. 8,4 (I) et sedit (consedit) arca in mense septimo septima et vicensima mensis super montes Ararat 8,14 (I) in secundo autem mense septima et vicesima die mensis siccata est terra 8,18 (I) et exi(v)it Noe et uxor eius et filii eius et uxores filiorum eius 8,19 (X) et omnes bestiae et reptilia et volatilia et pecora [eöpi? thqw ghqw kata? geßnow auötvqn] exierunt de arca 8,20 (E) et aedificavit Noe (S) altare deo et accepit ab omnibus pecoribus mundis et ab omnibus volatilibus mundis et obtulit hostiam super altare deo // (M) aram deo et sumpsit a bestiis et a volatilibus mundis et obtulit holocausta // (X) altare domino et sumpsit ex omni pecude mundo et ex omni ave munda et

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

179

Als dann schon der zweite Monat durchlaufen worden war und noch drei [320] Tage übrig blieben, war die Erde bereits von aller Flut frei und zeigte fruchtbar das ihr eigene Grün. Sobald nun die Arche an dem entblößten Gebirge gelandet ist, das in der Sprache der Vorzeit den Namen „Ararat“ hat, löst der Greis die Riegel und gibt der Erde neue Samen, [325] und er errichtete mit Freude dem Donnerer ein Heiligtum für den Festtag und dachte an sein Gelübde, während er den Altar von Flammen auflodern ließ. Das Opfer war würdig, indem es liebliche Wohlgerüche erzeugte, die vor dem Herrn in wohlgefälligen Dunstwolken duften. Dann schafft der Herr, damit die Erde nicht durch eine ganz ähnliche Gefahr zu[grunde geht, [330] die Sintflut für die künftigen Zeiten ab, wobei er befiehlt, dass die dahineilenden Monate und die Zeiten des schnell ver[rinnenden Jahres rastlos ihre gewohnten Verläufe nehmen sollen;

obtulit hostias ad altare et immolavit et cremavit 8,21 (K) et delectatus est deus in odorem suavitatis // (E) et odoratus est dominus odorem suavitatis (I) et dixit dominus deus recogitans non adiciam ultra maledicere terram propter opera hominum quia adposita est mens hominis diligenter ad maligna a iuventute (M) non ergo adhuc adiciam percutere omnem carnem sicut feci // (A) non adiciam ergo adhuc percutere omnem carnem vivam quemadmodum feci 8,22 (I) omnibus diebus terrae semen et messis hiemps et aestus die et nocte non requiescent 9,11 [kai? sthßsv th??n diajhßkhn mou pro?w uÖmaqw, kai? ouök aöpojaneiqtai paqsa sa?rc eäti aöpo? touq uÄdatow touq kataklusmouq] (M) non erit diluvium ut corrumpat omnem terram

180

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

sed croceum tantum curvandum in nubibus arcum, candida cum sudo praerorant sidera nimbo. 335

prosequitur vatem domini benedictio mitem, scilicet ut cunctis, quae tellus et mare gignit, imperitet fidus, cum sint subiecta regenti, admonitus pecudum carnes secernere mensis, quae non laxato vitam liquere cruore:

340

idcirco quoniam mutis haec indita mens est. „Ast homo si ferro fuerit vel dente ferino perditus, inquiram,“ dixit; „qui talia faxunt, similibus dant colla modis fusura cruorem.“ dividit hinc dominus placiti mox pignora vatis

345

fecundasque iubet discretim sumere terras, ut vacuum denso conplerent germine mundum. accipit hoc meritum domino donante propheta, vitis ut inventor delibet candida vina.

337 regenti, interpunxi regenti; Peiper 338 pecudum carnes C pecodum carnem A 340 mutis Mayor multis AC Peiper 342 dixit C dicit A | faxunt AC faxint Mayor | dixit; qui talia faxunt, interpunxi dixit, qui talia faxunt; interpunxit Peiper 343 dant AC dent Mayor 344 placiti C placidi A Vet. Lat. gen. 9,1 (M) et benedixit dominus Noe et filios eius dicens (I) crescite et multiplicamini et replete terram et dominamini eius 9,2 (M) et timor vestri et tremor erit (E) omnibus bestiis terrae et omnibus avibus caeli et in omnibus quae moventur super terram et in omnibus piscibus maris dedi vobis omnia sub potestate 9,4 (L) praeter carnem in sanguine animae non edetis 9,5 (E) et-

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

181

und es müsse nur ein gelblichroter Bogen in den Wolken gebildet werden, wenn diese das strahlende Gestirn von vorne mit einem heiteren Regen benetzen. [335] Dem sanftmütigen Propheten folgt der Segen des Herrn, dass er nämlich über alles, was die Erde und das Meer hervorbringt, zuverlässig gebieten soll, da es ihm als Herrscher unterworfen ist, mit der Anweisung, das Fleisch von solchen Tieren von seinen Speisen auszu[nehmen, die nicht durch das Vergießen ihres Blutes ihr Leben gelassen haben: [340] Und zwar deswegen, weil ja den sprachlosen Lebewesen dieses als Seele [innewohnt. „Aber wenn ein Mensch durch das Schwert oder den Zahn eines wilden Tieres getötet worden ist, werde ich [sein Blut] einfordern“, sprach er; „diejenigen, die [solches tun, strecken ihre Hälse hin, damit sie in gleicher Weise ihr Blut vergießen.“ Dann teilt der Herr bald die Kinder des [ihm] wohlgefälligen Propheten auf [345] und befiehlt ihnen, getrennt fruchtbare Länder in Besitz zu nehmen, damit sie die leere Welt mit einer zahlreichen Nachkommenschaft erfüllen. Folgendes Geschenk empfängt der Prophet, da der Herr es ihm gewährt, dass er als Entdecker des Weinstocks hellen Wein kostet.

enim vestrum sanguinem animarum vestrarum exquiram (requiram/inquiram) de manibus omnium bestiarum et de manu hominis fratris exquiram animam hominis 9,6 (E) qui effuderit sanguinem hominis pro sanguine illius effundetur (fundetur) (+ sanguis illius) quia ad imaginem dei feci hominem 9,7 [uÖmeiqw de? auöcaßnesje kai? plhjußnesje kai? plhrvßsate th?n ghqn kai? plhjußnesje eöp öauöthqw.] 9,13 (I) arcum meum ponam in nube (nubibus) et erit signum testamenti aeterni inter me et terram 9,14 (I) et erit (E) cum innubilavero nubes super terram (I) parebit arcus meus in nube (nubibus) 9,19 (M) isti erant tres filii Noe [apo? toußtvn diespaßrhsan eöpi? paqsan thqn ghqn.] 9,20 (I) et coepit Noe homo agricola esse terrae et plantavit vineam (vitem)

182

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

quem propere expletum cyathis somnoque gravatum 350

derisit Chamus, de quo Channana iuventus nascitur et proceris dixit de nomine gentem, fratribus ostentans nudatum membra parentem. qui pariles pietate tegunt velantque iacentem: tergoribus studio iunctis dum lumina vertunt,

355

sopitum texere senem, nec turpia dictu membra vident tenero flectentes colla pudore. id pietatis opus postquam iam mente serena cognovit vatis, grassatum damnat in aevum, germanis faciens ut sit postremus et acro

360

subditus imperio fortesque exterritus oret. inde senex functus nongentos transit in annos quinquies et denos, ut legis formula cavit.

351 dixit C dicit A 355 texere conieci gessere AC Peiper 356 vident, tenero interpunxit Peiper 358 vatis AC vates Peiper 359 et acro A aetati C et acri Pitra 361 in annos, interpunxit Peiper Vet. Lat. gen. 9,21 (L) et bibit de vino et inebriatus est (obdormivit) et nudatus est in domo sua 9,22 (L) et vidit Cham pater Chanaan nuditatem patris et egressus nuntiavit duobus fratribus suis foras 9,23 (A) et sumentes Sem et Iaphet vestimentum posuerunt supra dorsa sua et intraverunt aversi et operuerunt (texerunt) nuditatem patris sui nec // (M) et accipientes Sem et Iapheth vestimentum imposuerunt supra humeros suos et perrexerunt retrorsum et operuerunt nudum patrem (pudenda patris) et non (I) viderunt nudationem eius (virilia patris) 9,24 (I) et sobrius factus est Noe a vino (M) et cognovit omnia quae fecit ei filius iunior 9,25 (L) et dixit maledictus Cham puer servus erit fratribus suis 9,29 (I) et facti sunt omnes dies Noe .DCCCCL. anni (X) et mortuus est

IV. Hept. gen. 1–362: Text und Übersetzung

183

Als er sich eilig mit Bechern [von Wein] gesättigt hatte und vom Schlaf beschwert [war, [350] verspottete ihn Cham – von ihm stammt die kanaanäische Jugend ab und benannte das Volk nach dem Namen ihres Oberhauptes –, indem er seinen Brüdern den an den Schamteilen entblößten Vater zeigte. Diese bedecken und verhüllen, gleich an Pflichtgefühl, den Schlafenden: Während sie voll Eifer Rücken neben Rücken stellten und ihre Augen abwandten, [355] bedeckten sie den eingeschlafenen Greis, und sie sehen nicht die Glieder, die zu nennen unanständig ist, da sie in zarter Scheu [ihre Nacken beugen. Nachdem der Prophet von diesem Werk kindlichen Pflichtgefühls bei schon wie[der klarem Verstand erfahren hat, verflucht er den Übeltäter in alle Ewigkeit, wobei er veranlasst, dass er der Letzte unter seinen Brüdern und einer harten [360] Herrschaft unterworfen ist und die Mächtigen erfüllt von Schrecken anfleht. Hierauf geht der Greis in das Alter von 950 Jahren über, wie der Wortlaut des Gesetzes es verbürgt hat, und stirbt.

9. Noah und seine Söhne; Noahs Tod (V. 344–362)

45

V. KOMMENTAR ZU HEPT. GEN. 1–362 1. DIE ERSCHAFFUNG DER WELT UND DES MENSCHEN (V. 1–41) Bei seiner Darstellung des Schöpfungsberichts übernimmt der HD das Siebentagesschema des priesterschriftlichen Berichts und kontaminiert diesen bei der Erschaffung des Menschen am sechsten Tag mit dem jahwistischen Bericht, so dass sich der in Kapitel III.5.b skizzierte Aufbau ergibt1. Bis zu Gottes Beschluss, den Menschen als sein Ebenbild zu erschaffen (vgl. Gen 1,26, V. 27–28), folgt der HD mit geringfügigen Umstellungen2 der biblischen Vorlage, lässt aber einige Bibelverse vollkommen aus, nämlich Gen 1,4 (das Gutheißen des Lichtes und die Scheidung von Licht und Finsternis), Gen 1,6 und 1,8 (Gottes Befehl, dass das Firmament im Wasser entstehen soll, und die Benennung des Firmaments als Himmel), Gen 1,11 (Gottes Befehl, dass die Erde Pflanzen hervorbringen soll), Gen 1,15 und 1,18 (die Leuchtfunktion der Gestirne und die Funktion, Tag und Nacht zu scheiden), Gen 1,20 (Gottes Befehl, dass die Wasser Kriechtiere und Vögel hervorbringen sollen) und Gen 1,24 (Gottes Befehl, dass die Erde die Tiere des Landes hervorbringen soll). Dabei ist es offensichtlich das Ziel des HD, die Redundanzen zu vermeiden, die sich im biblischen Bericht durch Gottes fiat-Befehl und die anschließende Erschaffung des jeweiligen Werkes ergeben, oder auch Details auszusondern, die als selbstverständlich empfunden werden. Durch die Auslassung von Gen 1,11, 1,20 und 1,24 eliminiert der HD ferner die „ursprünglich mythisch-zeugende Funktion“ der Elemente Erde und Wasser, die im Bibeltext noch durchscheint3, und umgeht das Problem, erklären zu müssen, dass die Vögel genauso wie die Fische aus dem Wasser hervorgehen4. Zum Zweck der Redundanzvermeidung bzw. der Kürzung unwesentlicher Details werden auch einige Bibelverse in reduzierter Form wiedergegeben, nämlich Gen 1,5 (ohne Benennung des Lichts als Tag und der Finsternis als Nacht), Gen 1,7 1 2 3 4

Vgl. die Übersicht S. 103–104 sowie das gesamte Kapitel zur Darstellung der sieben Schöpfungstage beim HD und Proba im Vergleich. Vgl. insbesondere die Kontamination von Gen 1,30 (Übergabe der Pflanzennahrung an die Tiere) mit Gen 1,22 (Vermehrungsauftrag an die Tiere) in V. 23–24. Vgl. Soggin 1997, 49. In der patristischen Exegese finden sich verschiedene Erklärungsansätze: So versucht etwa Augustinus in gen. ad litt. 3,3 die Entstehung beider Arten von Lebewesen aus dem Wasser dadurch plausibel zu machen, dass es sich bei der Luft um dunstartig verdünntes Wasser handle, das genauso wie das flüssige Wasser dem feuchten Element zuzurechnen sei. Nach Ambr. hex. 5,14,45 ist die Verwandtschaft zwischen Vögeln und Fischen zum einen daran erkennbar, dass Wasservögel fliegen und schwimmen können, zum anderen daran, dass die Bewegungen beim Fliegen und Schwimmen ähnlich sind. Cl. M. Victorius berichtet im Gegensatz zum HD in aleth. 1,126–131 von der Herkunft der Vögel aus dem Meer, s.o. S. 128.

1. Die Erschaffung der Welt und des Menschen (V. 1–41)

185

(ohne Scheidung der Wasser in solche über und unter dem Firmament), Gen 1,9 (ohne Befehl Gottes, dass das Wasser sich unter dem Firmament sammeln und das Trockene erscheinen soll), Gen 1,10 (ohne ausdrückliche Benennung der Wasseransammlung als Meer), Gen 1,12 (ohne die Samen von Gras und Fruchtbäumen) und Gen 1,14 (ohne Befehl Gottes, dass die Gestirne entstehen sollen, und ohne ihre Funktion, über die Erde hin zu leuchten, Tag und Nacht zu scheiden und Tage und Jahre anzuzeigen). Schließlich entfällt stets die Billigungsformel („Gott sah, dass es gut war“)5. Die Verse 9–12 werden von Peiper in der folgenden, der Überlieferung entsprechenden Reihenfolge abgedruckt: accipit inmensus errantia litora pontus, / multiplices rapiens validis cum tractibus amnes. / tertia lux faciem terrarum fulva retexit. / arida mox posito narratur nomine terra.

Die Originalität dieser Versfolge ist allerdings anzuzweifeln, denn so findet die Sammlung der Wasser unterhalb des Firmaments im Meer noch am 2. Tag statt (V. 9–10), während das Auftauchen des trockenen Landes am 3. Tag erfolgt (V. 11–12). Diese Darstellung widerspricht nicht nur der biblischen Vorlage, nach der beide Vorgänge am 3. Tag stattfinden (vgl. Gen 1,9), sondern bringt auch das logische Problem mit sich, dass in V. 9 mit den Küsten (litora) schon am 2. Tag Land in Erscheinung tritt, das V. 11 zufolge aber erst am 3. Tag sichtbar wird. Während sich der HD ansonsten exakt an die biblische Tageseinteilung hält, würde er hier erheblich davon abweichen und stünde im Vergleich zu anderen bibelepischen Genesisdarstellungen wie denen der Proba, des Cl. M. Victorius, des Avitus und des Dracontius alleine da6. Petringa versucht diesen (vermuteten) inhaltlichen Eingriff des HD in die biblische Vorlage mit einer formal-strukturellen Überlegung zu erklären, die aber für sich allein genommen kaum überzeugen kann: Demnach sollen je vier Verse auf den 2.–4. Tag entfallen, während sich der 1. Tag mit 4 + 2 Versen und der 5. und 6. Tag mit 2 + 4 Versen spiegelsymmetrisch entsprechen7. Damit der 2. Tag genauso wie der 3. und 4. Tag vier Verse umfasst, muss er inhaltlich noch etwas gefüllt werden, weshalb der HD die Sammlung des Wassers unter dem Firmament dem 2. Tag zuschlage. Wahrscheinlicher ist die Annahme, dass im Laufe der Überlieferung die ursprüngliche Versreihenfolge vertauscht worden ist8, so dass hier die Versfolge 11–9–10–12 vorge5 6

7

8

Vgl. Gen 1,4.10.12.18.21.25.31. In diesen Werken finden die Wasseransammlung und das Auftauchen des trockenen Landes an ein und demselben Tag statt, vgl. Proba cento 84–85, Mar. Victor. aleth. 1,85–90, Alc. Avit. carm. 1,14–16, Drac. laud. dei 1,149–166. Vgl. Petringa 1992, 140. Damit ergäbe sich folgendes Schema: 1. Tag: 4 Verse (Urzustand, V. 1–4) + 2 Verse (Erschaffung des Lichts, V. 5–6) 2. Tag: 4 Verse (Firmament und Sammlung des Wassers im Meer, V. 7–10) 3. Tag: 4 Verse (trockenes Land und Pflanzen, V. 11–14) 4. Tag: 4 Verse (Gestirne, V. 15–18) 5. Tag: 2 Verse (Fische und Vögel, V. 19–20) 6. Tag: 4 Verse (auf dem Land lebende Tiere, V. 21–24). In der Tat kam es in diesem Bereich des Textes zu Versvertauschungen, denn in A steht V. 9 sinnwidrig vor V. 8.

186

V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

schlagen wird, die dem biblischen Bericht inhaltlich entspricht und darüber hinaus der Tendenz des HD folgt, jeden neuen Schöpfungstag mit einer Tagesangabe einzuleiten (vgl. V. 7, 15, 19, 21, 40). Bei der Erschaffung des Menschen steht der HD vor dem Problem, dass die biblische Vorlage zwei voneinander abweichende Berichte enthält9: Nach dem priesterschriftlichen Schöpfungsbericht wird der Mensch am sechsten Schöpfungstag nach dem Ebenbild Gottes als Mann und Frau gemacht, wobei nicht näher erläutert wird, wie dies geschieht (vgl. Gen 1,26–27); nach dem jahwistischen Bericht wird der Mensch zunächst als Mann geschaffen, indem Gott ihn aus Lehm formt und in sein Gesicht den Lebensatem bläst (vgl. Gen 2,7), erst später wird aus seiner Rippe die Frau gebildet (vgl. Gen 2,21–22). Diese „zweifache Schöpfung“ des Menschen in der Bibel deutet etwa Augustinus in gen. ad litt. 6,6 dahingehend, dass der Mensch am sechsten Tag als Mann und Frau unsichtbar und potentiell, als Möglichkeit und Ursache geschaffen worden sei, in einem zweiten Schritt dann sichtbar, der Mann aus Lehm, die Frau aus seiner Rippe. Während Cl. M. Victorius von diesem Konzept einer zweistufigen Menschenschöpfung beeinflusst ist10, nehmen die übrigen Bibeldichter seit Proba11 eine Verschmelzung der beiden Berichte vor unter der Prämisse, dass der zweite Schöpfungsbericht „als genauere Ausführung der ersten, nur summarisch referierten Menschschaffung“ zu verstehen ist12. Diese Harmonisierung dient der Herstellung eines homogenen, widerspruchsfreien Sinns des heiligen Textes und ist darüber hinaus durch die rhetorische Notwendigkeit bedingt, Redundanzen und Wiederholungen zu vermeiden13. In diesem Sinne verknüpft der HD den Beschluss Gottes am 6. Tag, den Menschen nach seinem Ebenbild und als Herrscher über die Erde zu erschaffen (Gen 1,26, vgl. V. 25–28), unmittelbar mit der Formung des Menschen durch Gott aus Lehm und seiner Belebung durch das Einhauchen des Lebensatems (Gen. 2,7, vgl. V. 29–32). Der dazwischenliegende biblische Bericht wird teilweise aus Gründen der Redundanzvermeidung und Kondensierung ausgelassen, so Gen 1,27 (Gott erschafft den Menschen als sein Ebenbild und als Mann und Frau), Gen. 2,1 (Vollendung der gesamten Schöpfung am 6. Tag) und Gen 2,4–6 (Abschluss des priesterschriftlichen Schöpfungsberichts; Beginn des jahwistischen Schöpfungsberichts mit den Anfängen; Quelle, die die Erde bewässert); teilweise wird er später nachgetragen, nämlich Vermehrungssegen, Herrschaftsauftrag und Übergabe der Pflanzennahrung an die Menschen (Gen 1,28– 1,29, vgl. V. 45–49) sowie die Ruhe Gottes am siebten Tag und dessen Heiligung (Gen 2,2–3, vgl. V. 40–41). Auf die Erschaffung des männlich gedachten Men-

9

10 11 12 13

Zum Verhältnis der beiden biblischen Schöpfungsberichte zueinander vgl. R. G. Kratz/ H. Spieckermann, Art. „Schöpfer/Schöpfung II“, in: TRE 30, 1999, 258–283, insbesondere 269–274. Vgl. aleth. 1,188–190: Der Mensch, der zunächst nur ursächlich geschaffen wurde, erhält – am siebten Tag – in einem zweiten Schritt seinen Körper; vgl. hierzu S. 131. Vgl. Proba cento 115–135 und S. 108–109. Vgl. Kreuz 2006, 277. Vgl. Deproost 2007, 107.

1. Die Erschaffung der Welt und des Menschen (V. 1–41)

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schen nach Gen 2,7 lässt der HD wie auch Proba14 unmittelbar die Problematisierung der menschlichen Einsamkeit durch Gott (Gen 2,18, vgl. V. 33) und die Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes folgen (Gen 2,21–24, vgl. V. 34– 39), was weitere Umstellungen nach sich zieht: So werden der Bericht über die Anlage des Paradieses, die Einsetzung des Menschen in den Garten und seine Instruktion bezüglich der verbotenen Früchte (Gen 2,8–17, vgl. V. 50–69) sowie die Benennung der Tiere durch Adam (Gen 2,19–20, vgl. V. 42–44) nachgetragen. In Bezug auf die gesamte Schöpfungserzählung des HD lässt sich beobachten, dass vom dritten bis einschließlich fünften Tag Gott als handelndes Subjekt zurücktritt, indem entweder die entstehenden bzw. von Gottes Schöpfungsaktivität betroffenen Dinge Subjekt der Handlung sind15 oder der jeweilige Tag selbst (V. 11 tertia lux [...] retexit), oder aber Gott als Subjekt ergänzt werden muss (V. 15 generat, V. 16 fingit, V. 17 dedit). Erst am sechsten Tag tritt Gott in Gestalt von pater (V. 21) wieder als Subjekt in Erscheinung, wodurch die besondere Bedeutung dieses Tages als Tag der Erschaffung des Menschen hervorgehoben wird16. V. 1 Principio dominus caelum terramque locavit: Der HD verzichtet der Überlieferung nach zu urteilen im Gegensatz zu anderen alttestamentlichen Bibeldichtern auf ein Proömium oder eine Anrufung Gottes und steigt unmittelbar in die Darstellung der Schöpfung ein17. In diesem ersten Vers18 folgt er fast wörtlich Vet. Lat. gen. 1,1 In principio (principio) fecit deus caelum et terram, wobei sich die Junktur caelum terramque in der hexametrischen Dichtung vor und nach ihm mehrfach an der gleichen metrischen Position findet19. Nichts spricht dafür, mit Kuhnmuench20 für principio die Bedeutung „on the first day“ anzunehmen, vielmehr dürfte hier der absolute Anfang der Schöpfung21 gemeint sein, so wie dies etwa Ambrosius in hex. 1,4,12 als eine Bedeutungsmöglichkeit erwägt22. Auffallend ist die Ersetzung des biblischen Verbums fecit23 durch locavit: Dieses erinnert in Verbindung mit terram zunächst an Stellen wie Cic. nat. deor. 2,98 (terra universa cernatur locata in media sede mundi), Ov. fast. 6,273 (cumque sit in media rerum regione locata [scil. terra]) und Sil. 11,456 (tellurisque globum media compage locasset [scil. deus]), wo jeweils von der Situierung der Erdkugel in 14 15

16 17 18 19 20 21 22 23

Vgl. Proba cento 122–135. Vgl. V. 9 accipit [...] pontus, V. 12 arida [...] narratur, V. 13 florea [...] consurgunt germina, V. 14 pomiferique [...] procurvant [...] rami, V. 19 accipiunt liquentia flumina, V. 20 volucres [...] suspendunt. Vgl. Nodes 1993, 85–87. Vgl. auch Petringa 1992, 135 mit Anm. 9. Vielleicht rezipiert in Greg. Tur. Franc. 1,1 Principio Dominus caelum terramque in christo suo, qui est omnium principium, id est in Filio suo, furmavit […]. Vgl. etwa Lucr. 5,78 und 6,601, Stat. Theb. 11,692, Carm. de resurr. 28, Sedul. hymn. 1,85, Coripp. Ioh. 7,157. Vgl. Kuhnmuench 1929, 442. Vgl. Soggin 1997, 22–23. Vgl. Ambr. hex. 1,4,12 ad tempus refertur, si velis dicere in quo tempore deus fecit caelum et terram, id est in exordio mundi, quando fieri coepit […]. Die Vulg. hat hier creavit.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

der Mitte des Weltalls gesprochen wird, und könnte vor diesem Hintergrund bedeuten, dass Gott Himmel und Erde zugleich mit ihrer Erschaffung auch ihren festen Platz im Universum angewiesen hat24. Mit diesem Gedanken beschäftigt sich Ambrosius in hex. 1,6,22, indem er ausgehend von Ijob 26,7 erläutert, dass die Erde durch den Willen Gottes im leeren Raum schwebe und befestigt werde25. Ferner wird durch locavit die Vorstellung eines Gebäudes evoziert, das errichtet wird26, und auch dies findet sich bei Ambrosius: So vergleicht er in hex. 1,7,25 Gott, der im Anfang das Fundament der Erde gelegt und den Himmel befestigt hat, mit einem guten Baumeister, der zuerst das Fundament legt und dann die einzelnen Teile des Gebäudes ausführt und ausschmückt27. Ähnlich bringt Eustathius in Basil. hex. 1,6,3 zum Ausdruck, dass Himmel und Erde zunächst einmal wie ein Wohngebäude ein Fundament erhalten und dann vom schöpferischen Wort Gottes ausgeschmückt worden seien28. Der Beginn mit dem präpositionslosen principio und die Bezugnahme auf Himmel und Erde ließen den literarisch gebildeten Rezipienten über den Bibeltext hinausgehend wohl auch an Lucr. 5,92 (principio maria ac terras caelumque tuere) und Verg. Aen. 6,724 (Principio caelum ac terras camposque liquentis)29 denken, wo jedoch in einer ganz anderen Weise von der Beschaffenheit der Welt gesprochen wird. Lukrez beginnt in 5,91– 95 damit, darzulegen, dass die ganze Welt – Meer, Erde und Himmel – an einem bestimmten Tag untergehen werde, da sie sterblich sei; diese Darlegung wird durch eine Passage unterbrochen (5,110–234), in der Lukrez eine göttliche Beteiligung an der Schöpfung der Welt leugnet, da die Welt durch zufällige Atomverbindungen entstanden sei. Im Gegensatz zu dieser Untergangsvision beginnt der HD mit einer Darstellung der Erschaffung der Welt, und zwar durch einen göttlichen Schöpfer. Verg. Aen. 6,724 leitet die Erläuterung der stoischen Vorstellung von einer anima mundi ein, d.h. von einem feurigen Äther göttlichen Ursprungs, der alles in der Welt durchdringt und lebendig macht. Von diesem Äther stammen auch die menschlichen Seelen, die im Körper eingeschlossen sind und daher nach 24 25

26 27

28

29

Vgl. ThlL 7,2 s.v. loco 1564,27 unter II A 1 d α (I) sidera, terra sim. Entsprechend übersetzt Nodes 1993, 84 „the Lord gave a place to heaven and earth“. Vgl. Ambr. hex. 1,6,22 de terrae quoque vel qualitate vel positione tractare nihil prosit ad speciem futuri, cum satis sit ad scientiam quod scripturarum divinarum series conprehendit quia suspendit terram in nihilo. […] non ergo quod in medio sit terra, quasi aequa lance suspenditur, sed quia maiestas dei voluntatis suae eam lege constringit, ut supra instabile atque inane stabilis perseveret, sicut David quoque propheta testatur dicens: fundavit terram super firmitatem eius: non inclinabitur in saeculum saeculi. Vgl. ThlL 7,2 s.v. loco 1563,57–76 unter II A 1 c α oppida, domicilia, fundamenta sim. condenda, aedificanda. Vgl. Ambr. hex. 1,7,25 bonus artifex prius fundamentum ponit, postea fundamento posito aedificationis membra distinguit et adiungit ornatum. posito igitur fundamento terrae et confirmata caeli substantia – duo enim ista sunt quasi velut cardines rerum – subtexuit: […]. Vgl. Eustath. Basil. hex. 1,6,3 deinde [possibile tibi est discere] quia, velut sedes et repagula quaedam, caelum terraque fundata sunt, et quia est artifex verbum, quod decorationem omnium quae videntur effecit […]. Vgl. auch Smolak 1975, 352 Anm. 2. Dieser Aeneis-Vers wird in Proba cento 56 zu Beginn der Schöpfungsdarstellung aufgegriffen.

1. Die Erschaffung der Welt und des Menschen (V. 1–41)

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dem Tod einen Prozess der Reinigung durchlaufen müssen, nach welchem sie in die Welt zurückgeschickt werden und neue Körper beseelen. Dieser stoischen Kosmologie steht beim HD ein personaler Gott (vgl. dominus) gegenüber, der eine Welt mit einer teleologischen, linearen Zeitstruktur erschafft. Während Gen 1,1 in der modernen Exegese meist als eine programmatische Zusammenfassung des gesamten ersten Kapitels bzw. als eine Art zusammenfassende Überschrift des Schöpfungsberichts gedeutet wird30, legt das anknüpfende namque in V. 2 nahe, dass der HD Himmel und Erde in Gen 1,1 nicht als fertige Produkte sieht, sondern in Einklang mit der Exegese des Augustinus als noch formlose Materie, die in Gen 1,2 näher charakterisiert wird und die Gott sukzessive ausgestaltet31. V. 2 namque erat informis fluctuque abscondita tellus: Mit diesem Vers gibt der HD den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 1,2 wieder, wo der Urzustand der Schöpfung vor Gottes formendem Eingreifen beschrieben wird32, nämlich (L) terra autem erat invisibilis et inconposita. Auffallend ist die Ersetzung des biblischen autem durch namque, welches hier in begründender Funktion keinen Sinn ergibt33. Daher sollte erwogen werden, namque in der Funktion eines anknüpfenden bzw. weiterführenden dééeß aufzufassen, welche erst für die spätere Latinität anzusetzen ist34. Mit informis greift der HD das Adjektiv inconposita der biblischen Vorlage auf, das dort erst an zweiter Stelle erscheint, und charakterisiert damit die am Anfang von Gott (aus dem Nichts) geschaffene, noch ungestaltete und ungeordnete Materie35, die in V. 1 in Gestalt von caelum terramque präsent ist. In seiner Vetus-Latina-Ausgabe gibt Fischer informis als Variante zu inconposita an, wobei aber nicht sicher ist, ob es sich hier wirklich um Bibeltext handelt36. Besonders häufig wird das Adjektiv von Augustinus zur Bezeichnung dieser noch ungeformten Anfangsmaterie benutzt37 und auch Ps.-Hilarius verwendet es in gen.

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Vgl. etwa Westermann 1976, 131 und Soggin 1997, 24. Vgl. etwa Aug. gen. ad litt. 1,14. Dieses Verständnis von Hept. gen. 1 spiegelt sich auch bei Nodes 1993, 84, der in diesem Zusammenhang von „the placement of a formless heaven and earth“ spricht. Vgl. Petringa 1992, 135. In diesem kausalen Sinn übersetzen aber Kuhnmuench 1929, 38 („for the earth’s globe was a shapeless mass“) und Nodes 1993, 84 („for the land was formless and hidden by the water“). Vgl. LHS 505–506 § 274 unter b sowie Löfstedt 1911, 34–35. Vgl. ThlL 7,1 s.v. informis 1475,44–45 unter I A 1 b de materia mundi indigesta. Vgl. Fischer 1951, 6; als Zeugen sind nur Hept. gen. 2 und Chalc. 278 angegeben. Vgl. etwa Aug. conf. 12,8,8 Tu enim, domine, fecisti mundum de materia informi [...]. […] sed caelum terrae huius et maris, quae fecisti tertio die dando speciem visibilem informi materiae, quam fecisti ante omnem diem. […] Terra autem ipsa, quam feceras, informis materies erat, quia invisibilis erat et incomposita et tenebrae super abyssum: […]; gen. ad litt. 1,15 Non quia informis materia formatis rebus tempore prior est […]: ita et deus creator non priore tempore fecit informem materiam […]. […] non itaque dubitandum est ita esse utcumque istam informem materiam prope nihil […]; gen. ad litt. imperf. 3 […] an ipsam primo informem universitatis materiem, quae in has formatas et speciosas naturas […] digesta est, caeli et terrae nomine nuncupavit. quamquam enim scriptum legimus: qui fecisti mundum de informi materia, […] (vgl. Weish 11,17(18)); gen. c. Manich. 1,5,9 Primo ergo materia facta est confusa et informis, unde omnia fierent quae distincta atque formata sunt,

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

24 im Zusammenhang mit der Materie des am Anfang formlosen Kosmos (informis corpora mundi)38. Das Adjektiv invisibilis der biblischen Vorlage ersetzt der HD durch die exegetische Erläuterung fluctuque abscondita, die sich bei Eustathius und Ambrosius findet: Die Erde ist nämlich deshalb unsichtbar, weil sie noch von den Wassern der Urflut bedeckt ist39. Diese Auslegung des biblischen Wortlauts begegnet auch in Mar. Victor. aleth. 1,50 in der Formulierung sed terras texerat aequor40. V. 3 inmensusque deus super aequora vasta meabat: Während in Vet. Lat. gen. 1,2 nun auf die Finsternis über dem Abgrund eingegangen wird ((L) et tenebrae erant super abyssum) und erst an dritter Stelle vom Geist Gottes über den Wassern die Rede ist ((L) et spiritus dei superferebatur super aquas), zieht der HD diese Aussage vor und knüpft mit den aequora vasta unmittelbar an die Flut an, von der die Erde bedeckt ist (vgl. V. 2 […] fluctuque abscondita tellus). Im Gegensatz zur biblischen Vorlage spricht der HD nicht vom Geist Gottes (spiritus dei)41, sondern vom unermesslichen Gott (inmensusque deus), wodurch er vielleicht die Immaterialität und Transzendenz des Schöpfers exegetisch herausarbeiten will42. Inmensus ist ferner ein häufigeres Attribut Gottes bei Kirchenschriftstellern43, findet sich auch innerhalb der Heptateuchdichtung mehrfach in

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quod credo a Graecis chaos appellari. Sic enim et alio loco legimus dictum in laudibus dei: qui fecisti mundum de materia informi […] (vgl. Weish 11,17(18)). Um einen rein zufälligen sprachlichen Anklang dürfte es sich bei Verg. georg. 3,354–355 handeln (sed iacet aggeribus niveis informis et alto / terra gelu late septemque adsurgit in ulnas), wo Vergil das dunkle, kalte Skythenland beschreibt, das unförmig unter Schneewällen und einer dicken Eisschicht verborgen liegt. Nichtsdestoweniger zeigt sich eine gewisse inhaltliche Parallele zur anfänglichen Situation der Erde, die ebenfalls (unter dem Wasser) verborgen ist und in Finsternis liegt (vgl. V. 4). Vgl. Eustath. Basil. hex. 2,1,8 Terram autem invisibilem ob duas causas, aut quia necdum spectator eius homo processerat, aut quia sub aquis, quae tunc ei supererant, latens nullo modo cernebatur; Ambr. hex. 1,7,26 nisi forte, quia dixit: terra autem erat invisibilis, invisibilem eam per substantiam credant et non ideo, quia aquis operta visibilis corporeis oculis esse non poterat, quemadmodum pleraque in profundo aquarum sita visum oculorum aciemque praetereunt; 1,8,30 et erat invisibilis [scil. terra], quia exundabat aqua et operiebat eam; 3,2,7 invisibilem ideo fuisse terram, quod aquis operta tegeretur, ut corporeis oculis non posset videri. [...] nonne videtur dicere: non dixi invisibilem secundum naturam, sed secundum superfusionem aquarum? Auf die Passagen bei Eustathius/Basilius und Ambrosius weist auch Petringa 1992, 136 und 137 Anm. 17 hin. Dagegen sieht Augustinus in conf. 12,4,4 die Wendung invisibilis und incomposita zusammengenommen als Bezeichnung für die Gestaltlosigkeit der Materie: Cur ergo non accipiam informitatem materiae, quam sine specie feceras, unde speciosum mundum faceres, ita commode hominibus intimatam, ut appellaretur terra invisibilis et incomposita? Vgl. auch Mar. Victor. aleth. 1,53 et sacer extensis impendens spiritus undis. Vgl. Nodes 1993, 26. Vgl. ThlL 7,1 s.v. immensus 451,54–58 mit Prosabelegen; zur Dichtung vgl. etwa Carm. adv. Marc. 1,134 Immensus solus dominus, 1,238 Immensum virtute deum, 2,97–98 At deus omnipotens, caeli terraeque creator, / Immensus, vivus, perfectus, luce perennis, Drac. laud. dei 2,105 spiritus immensus sanctus bonus arbiter index, satisf. 1 Rex immense Deus.

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Bezug auf Gott44 und korrespondiert gerade in diesem Kontext deutlich mit der unendlichen Weite der Urflut (V. 9 inmensus [...] pontus). Indem der HD das biblische Verbum superferebatur durch meabat ersetzt, nähert er sich zum einen der in Ijob 9,8 ausgedrückten Vorstellung, dass Gott auf dem Meer wandelt wie auf der Erde45, zum anderen bedient er sich eines der gehobenen und poetischen Diktion entsprechenden Verbums, das in der Dichtung öfters das Sich-Bewegen von Gottheiten bezeichnet46. Die recht konkrete Vorstellung des Über-das-WasserGehens Gottes steht im deutlichen Gegensatz zur Auffassung des Augustinus, demzufolge das biblische superferebatur nicht als räumliche Bewegung Gottes über dem Wasser zu verstehen ist, sondern als machtvolles und schöpferisches Wirken, das mit einem Ausbrüten von Eiern durch eine Vogelmutter vergleichbar ist47. Indem der HD die Fluten um das Adjektiv vasta anreichert, evoziert er sowohl die Vorstellung von der wüstenhaften Leere der Urflut, da Gott noch kein Land hat auftauchen lassen und noch kein Leben erschaffen hat48, als auch von deren endloser Ausdehnung, die etwa auch bei Eustathius in diesem Kontext betont wird49. Darüber hinaus steht er in der Tradition Vergils, der dieses Adjektiv bevorzugt mit Substantiven wie aequor, gurges, pontus oder fluctus verbindet, um die Weite oder Wucht des Meeres zu veranschaulichen50. V. 4 dum chaos et nigrae fuscabant cuncta tenebrae: Dieser Vers greift Vet. Lat. gen. 1,2 (L) et tenebrae erant super abyssum auf, wobei die parataktische Reihung der biblischen Vorlage durch die Konjunktion dum in ein hypotaktisches Gefüge umgewandelt wird. Dum in der Bedeutung „während“ mit Indikativ Imperfekt bei präteritalem Hauptsatz tritt gelegentlich schon in klassischer Zeit auf 44

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Vgl. Hept. exod. 170 inmensus ubicumque deus, exod. 452 inmenso reddenda deo, num. 249 inmensumque deum, num. 557 Inmensus dominus; ähnlich lev. 230 inmensum domini nomen und Ios. 543 deus inmensi [...] facti. Vgl. Vet. Lat. Iob 9,8 (Sabatier) Qui [scil. Dominus] extendit coelum solus, & ambulat, tanquam super terram, super mare. Vgl. ThlL 8 s.v. meo 785,8–9 und 37–43 unter A 1 b de deis mit Belegen aus Stat. und Mart. Cap. Vgl. Aug. gen. ad litt. 1,18 nam et illud, quod per graecam et latinam linguam dictum est de spiritu dei, quod superferebatur super aquas, secundum syrae linguae intellectum [...] non superferebatur, sed fovebat potius intellegi perhibetur, nec sicut foventur tumores aut vulnera in corpore [...], sed sicut ova foventur ab alitibus, ubi calor ille materni corporis etiam formandis pullis quodammodo adminiculatur per quendam in suo genere dilectionis adfectum; gen. c. Manich 1,5,8 Et tamen non sic spiritus dei superferebatur super aquam, sicut superfertur sol super terram, sed alio modo quem pauci intellegunt. Non enim per spatia locorum superferebatur aquae ille spiritus, sicut terrae sol superfertur, sed per potentiam invisibilis sublimitatis suae; gen. ad litt. imperf. 4 item cavendum est, ne quasi locorum spatiis dei spiritum superferri materiae putemus, sed vi quadam effectoria et fabricatoria, ut illud cui superfertur efficiatur et fabricetur [...]. Vgl. OLD s.v. vastus 2015 unter 2 (of the sea and other wide expanses) Desolate on account of great extent or lack of features, dreary, endless. Vgl. Eustath. Basil. hex. 3,5,2 infinita erat, quantum datur intellegi, aquarum diffusio undique alluentium terram. Vgl. Fordyce 1977, 118 zu Aen. 7,302; zur Verbindung mit aequor vgl. Verg. Aen. 2,780; 3,191; 7,228; 10,693.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

und wird im Spätlatein häufiger51. Der HD intensiviert gegenüber seiner biblischen Vorlage den Gedanken der Finsternis (tenebrae) durch das Adjektiv nigrae und das Verb fuscabant, wozu nach Petringa auch der im Vetus-Latina-Text nicht vorhandene Begriff chaos dient; dieser sei hier als Synonym zu tenebrae aufzufassen und werde zum Zwecke der Amplificatio eingebracht52. Darüber hinaus wird durch diesen Begriff die Chaos-Vorstellung der antiken Kosmologien evoziert, wie sie insbesondere in Ov. met. 1,5–20 entwickelt wird53: Das Chaos ist demnach eine präexistente, rohe und ungeordnete Masse ohne Licht, wobei nach christlicher Auffassung freilich auch diese Urmaterie von Gott geschaffen ist. Auch in Ps. Hil. gen. 23 begegnet chaos in dieser Bedeutung (Omnia cum tegeret nigrum chaos)54. Die Auffassung von chaos als Synonym für tenebrae bzw. als ungeordnete Urmaterie impliziert allerdings, dass der HD den Begriff des Abgrunds, der im Bibeltext enthalten ist (super abyssum), weggelassen oder nur unspezifisch mit cuncta umschrieben hätte55. Daher ist eine dritte Deutungsmöglichkeit in Erwägung zu ziehen, nämlich chaos als Bezeichnung für den klaffenden Abgrund56, so wie dies auch in Proba cento 62 (et chaos in praeceps tantum tendebat ad umbras) im gleichen biblischen Kontext der Fall ist. Dieser Abgrund ist als Subjekt zu fuscabant durchaus passend, da er aufgrund seiner lichtlosen Tiefe das in ihm Befindliche verdunkelt, während die tenebrae das über ihm Liegende verdunkeln. V. 5 has dum disiungi iussit, a cardine fatur: Mit dem Versschluss a cardine fatur, der an zahlreiche ähnlich gestaltete Redeeinleitungen bei Vergil erinnert57, nimmt der HD auf den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 1,3 Bezug, wo die erste Rede Gottes mit den Worten (L) et dixit deus eingeleitet wird. Durch das historische Präsens fatur wird der erste formende Akt Gottes, der hier das Licht erschafft, besonders hervorgehoben. Im Gegensatz zur biblischen Vorlage lokalisiert der 51 52

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Vgl. LHS 613 § 330 a. E. Vgl. Petringa 1992, 137. In ähnlicher Weise bezeichnet Smolak 1975, 353 Anm. 7 chaos in Hept. gen. 4 als „erweiternde Juxtaposition des biblischen (Gen. 1,2) tenebrae“. Zu chaos im Sinne von „Finsternis“ vgl. ThlL 3 s.v. chaos 991,65–78 unter 3 i.q. tenebrae mit mehreren christlichen Belegen, u.a. Drac. laud. dei 1,23 (Taetrum chaos igne resolvens) im Kontext der Schöpfungserzählung. Diesen Zusammenhang sehen auch Smolak 1972, 383, Kartschoke 1975, 99 und Petringa 1992, 137 Anm. 19 (dagegen Roberts 2002, 404), und entsprechend wird Hept. gen. 4 in ThlL 3 s.v. chaos 991,4–5 unter 1 i.q. confusio rerum atque elementorum, quae erat ante mundum conditum eingeordnet. Vgl. Kreuz 2006, 185 mit Anm. 439, wo auf die früheren Genesiskommentare des Augustinus verwiesen wird, etwa gen. c. Manich. 1,5,9 Primo ergo materia facta est confusa et informis, unde omnia fierent quae distincta atque formata sunt, quod credo a Graecis chaos appellari. Die Auffassung, dass cuncta hier für abyssus stehen könnte, würde sich mit Smolaks Deutung von Ps. Hil. gen. 23 (Omnia cum tegeret nigrum chaos […]) decken, wo omnia den biblischen Abgrund ersetze, vgl. Smolak 1975, 353 Anm. 7. Vgl. ThlL 3 s.v. chaos 991,79–992 l.23 unter 4 i.q. profundum. Die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 10.05.2016) verzeichnet in Verg. Aen. 27 Redeeinleitungen mit fatur am Vers- und Satzende.

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HD Gott, während er spricht, am höchsten Punkt des Himmels (a cardine)58, ähnlich wie Vergil in Aen. 1,223–22659 Jupiter als vom hohen Äther herabblickend und am Scheitel des Himmels stehend beschreibt, bevor er seine Rede an Venus richtet. Mit der Konjunktion dum, die in der Bedeutung „während, indem“ in Verbindung mit einem Indikativ Perfekt und Präsens im Hauptsatz erst spät belegt ist60, wird an die Redeeinleitung ein Nebensatz angeschlossen, mit dem der HD über seine biblische Vorlage deutlich hinausgeht: Gleichzeitig mit seinem verbalen Befehl „Lux fiat!“ (V. 6) lässt Gott die Finsternis sich auflösen, ein Akt, der durch die Alliteration bei dum disiungi klanglich hervorgehoben wird. Dem ThlL zufolge ist bei disiungi an eine Scheidung in sich61, also an ein Sich-Zerstreuen bzw. Sich-Auflösen, zu denken und nicht an eine Vorwegnahme der Scheidung von Licht und Finsternis, die im folgenden Vers der biblischen Vorlage (Vet. Lat. gen. 1,4) mit den Worten (L) et divisit deus inter lucem et tenebras ausgedrückt ist. In der Tat wäre ein proleptisches Verständnis von disiungi im Sinne von a luce disiungi nicht naheliegend und würde der chronologischen Abfolge des Schöpfungsprozesses widersprechen, bei dem Gott zuerst das Licht erschafft und dann von der Finsternis scheidet62. Allenfalls ist daran zu denken, dass der HD die Scheidung von Licht und Finsternis hier in die Vorstellung transformiert, dass, wie bei einem Tagesanbruch, die Finsternis sich auflöst und es gleichzeitig hell wird, da diese Vorstellung für seine Leser vielleicht besser nachvollziehbar ist. Der Gedanke, dass sich die Finsternis gleichzeitig mit der Erschaffung des Lichts zerstreut, findet sich in ähnlicher Form in Rufin. Orig. in gen. 1,163, und auch Proba spricht in cento 65–66 davon, dass Gott die finstere Luft „auseinanderbewegte“ und die Schatten zerstreute, ehe sie dann ausdrücklich von der Scheidung zwischen Licht und Finsternis berichtet (aëra dimovit tenebrosum et dispulit umbras / et medium luci atque umbris iam dividit orbem). In textkritischer Hinsicht hat V. 5 zur Diskussion Anlass gegeben, denn Mayor 1889 gibt der Überlieferung von G has dum sidereo disiungit cardine, fatur64 den Vorzug: Sidereo sei zu cha-

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Vgl. OLD s.v. cardo 276 unter 4b summus, superus, ~o, the highest part of the sky, the zenith. Vgl. Verg. Aen. 1,223–226 […] cum Iuppiter aethere summo / despiciens mare velivolum terrasque iacentis / litoraque et latos populos, sic vertice caeli / constitit et Libyae defixit lumina regnis. Vgl. ThlL 5,1 s.v. dum 2207,41–46 mit Belegen ab Curtius Rufus. Vgl. ThlL 5,1 s.v. disiungo 1386,25 unter I B 2 a plures inter se (vel singulas in binas pluresve partes); vgl. auch die Paraphrase bei Petringa 1992, 138 „il ‘dividersi’ […] delle tenebre tra loro“ und die Übersetzung bei Kuhnmuench 1929, 38 „And as he bade this gloom to dissipate“. Anders liegt der Fall in Mar. Victor. aleth. 1,56–58 […] cum lux immissa superne / emicuit cogente deo discretaque nigrum / umbra peplum retrahens summo discessit Olympo: Hier erstrahlt, der biblischen Reihenfolge gemäß, zuerst das Licht, dann trennt sich die Finsternis vom Himmel. Vgl. Rufin. Orig. in gen. 1,1 Propterea ergo Deus solvit tenebras dicente Scriptura: „et dixit Deus: fiat lux, et facta est lux. […]“. „Während er diese (d.h. die Finsternis) vom gestirnten Himmel trennt, spricht er“.

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rakteristisch für den Autor, als dass es auf einen Schreiber zurückgehen könnte65. In der Tat findet sich das Adjektiv sidereus beim HD elfmal, doch da die Gestirne erst am vierten Tag geschaffen werden, wäre es im Kontext von V. 5 eher widersinnig, es sei denn, man würde von der mechanischen Benutzung eines gängigen Epithetons ausgehen. So dürfte die Überlieferung von G eher auf eine intelligente Schreiberkonjektur zurückzuführen sein, bei der in einem ersten Schritt das nach dum anstößige Perfekt iussit durch das Präsens disiungit beseitigt wurde und in einem zweiten Schritt der nun zu kurze Vers durch das Epitheton sidereo aufgefüllt wurde. V. 6 „Lux fiat!“ et clare nituerunt omnia mundo: Der HD behält die wörtliche Rede der biblischen Vorlage Vet. Lat. gen. 1,3 (L) fiat lux bei, dreht aber die Wortfolge um, wodurch das Substantiv lux in betonter Position am Versanfang steht. Die kurze Messung des i in fiat tritt als prosodische Lizenz innerhalb der Heptateuchdichtung häufiger auf66. Während im Bibeltext mit dem Satz (L) et facta est lux die sofortige Wirkung von Gottes Befehl lapidar festgestellt wird, bedient sich der HD zu diesem Zweck der anschaulichen, etwas hyperbolisch wirkenden Formulierung et clare nituerunt omnia mundo67, die in deutlichem Kontrast zur in V. 4 dargestellten Finsternis steht68: So entsprechen sich nigrae und clare, fuscabant cuncta und nituerunt omnia als Gegensatzpaare. In ähnlich hyperbolischer Weise beschreibt Ambrosius in hex. 1,9,33 das plötzliche Aufstrahlen des Lichts und seine alles erhellende Wirkung69. Bei clare handelt es sich um die Überlieferung in AC, während G die deutlich abweichende, aber ebenso sinnvolle und syntaktisch korrekte Variante laeto bietet, d.h. „und alles erstrahlte in der (nunmehr) hellen Welt“70. Als ein Argument für clare kann vielleicht die Wendung omnia clara nitent in Stat. Theb. 6,580 gelten, eine Stelle, an der das Leuchten der sich im Meer spiegelnden Sterne beschrieben wird, denn hier findet sich nicht nur die Verbindung von clarus mit nitere, sondern auch die vergleichbare Junktur omnia [...] nitent. Das abweichende laeto in G könnte als intelligente Schreiberkonjektur erklärt werden, die das neben nituerunt als tautologisch empfundene clare beseitigen soll. V. 7 cum dominus primi complesset facta diei: Durch den mit cum eingeleiteten Nebensatz markiert der HD das Ende des ersten Schöpfungstages und ersetzt damit die formelhafte Wendung des Bibeltextes am Ende von Vet Lat. gen. 1,5 (L) et facta est vespera et factum est mane dies unus, die auch im weiteren Ver65 66 67 68 69

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Vgl. Mayor 1889, 3. Vgl. Peiper 1891, 345; auch die Formen fiam, fias, fiet, fiunt und fiant erscheinen manchmal mit kurzem i (ebd.). Zur Klausel omnia mund* vgl. auch Stat. Theb. 3,26, Comm. instr. 1,26,23, Iuvenc. 2,198 und 4,710, Ps. Hil. gen. 40 und 158, Paul. Nol. carm. 32,194. Darauf weist auch Petringa 1992, 138 hin. Vgl. Ambr. hex. 1,9,33 Resplenduit subito igitur aer et expaverunt tenebrae novi luminis claritate, repressit eas et quasi in abyssos demersit repente per universa mundi fulgor lucis infusus. Vergleichbar ist Hept. Ios. 149 septima iamque dies laetum patefecerat orbem, womit ein Sonnenaufgang bezeichnet wird.

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lauf der Schöpfungserzählung jeweils das Ende eines Schöpfungstages angibt71. Statt der Kardinalzahl unus verwendet er die Ordinalzahl primi, wohl zum Zwecke der Vereinheitlichung, da auch die folgenden Schöpfungstage – wie in der biblischen Vorlage – mit Ordinalzahlen bezeichnet werden. Denkbar ist freilich auch, dass er einen Vetus-Latina-Text mit der Variante primus anstelle von unus vorliegen hatte72. Als primi […] facta diei sind somit die Erschaffung von Himmel und Erde in ihrer noch ungeformten Gestalt einschließlich des die Erde bedeckenden Wassers, die Auflösung der Finsternis und die Erschaffung des Lichts anzusehen, eine Vorstellung, die sich mit Ambr. hex. 2,1,1 deckt73. Mit der Wendung complesset facta deutet der HD nur sehr summarisch an, was nach der biblischen Darstellung am ersten Schöpfungstag auf die Erschaffung des Lichts folgt, nämlich die Erkenntnis Gottes, dass das Licht gut sei, die Scheidung von Licht und Finsternis (Gen 1,4) sowie die Benennung des Lichtes als „Tag“ und der Finsternis als „Nacht“ (Gen 1,5). V. 8 condidit albentem nebulis nascentibus axem: Beim zweiten Schöpfungstag konzentriert sich der HD auf die Erschaffung des Firmaments (axem)74 nach Vet. Lat. gen. 1,7. Da das Verbum condidit hier für das biblische fecit eintritt, ist es naheliegend, es im Sinne von creavit aufzufassen, welche Bedeutung es im christlichen Latein der Spätantike im Kontext der Schöpfung häufig annimmt75; nebulis nascentibus ist dann als Ablativus causae in Abhängigkeit von albentem zu verstehen („weiß aufgrund der entstehenden Wolken“)76. Weniger überzeugen kann dagegen eine Auffassung im Sinne von „er barg den weißen Himmel in den entstehenden Wolken“77. Mit nebulis nascentibus78, also mit aufsteigendem, verdunstetem Wasser versucht der HD offensichtlich, die exegetisch schwierigen Wasser oberhalb des Firmaments deutend zu umschreiben79. Ein ähnlicher Gedanke findet sich bei Eustathius, der in Basil. hex. 3,7,680 das Wasser in 71 72

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Vgl. auch Vet. Lat. gen. 1,8; 1,13; 1,19; 1,23; 1,31. Bezeugt durch Caes. Arel., welchen Zeugen Fischer mit ? versieht, Acta suppositi concilii Caesareae (Variante), Paschale der Supputatio Romana (Anspielung); abgelehnt von Ambr. hex., Aug. civ., Aug. loc. hept., Hier. in Ezech. und Rufin. (vgl. Fischer 1951, 10 und 530). Vgl. Ambr. hex. 2,1,1 Diem primum vel potius unum […] ut potuimus absolvimus. in quo conditum caelum, terram creatam, aquarum exundantiam, circumfusum aerem, discretionem factam lucis atque tenebrarum dei omnipotentis et domini Iesu Christi, sancti quoque spiritus operatione cognovimus. Die Verwendung von axis in der Bedeutung von caelum ist seit Ovid belegt, vgl. ThlL 2 s.v. 1. axis 1638,38–39. Vgl. Blaise s.v. condo 193 unter 1. créer (en parl. de Dieu). Zum Ablativus causae bei Adjektiven vgl. LHS 134 § 82 unter b. Vgl. Kuhnmuench 1929, 38 „he fixed the whitening pole in the rising clouds“. Zu dieser Junktur vgl. auch Ov. met. 13,602–603 veluti cum flumina natas / exhalant nebulas […]. Vgl. Smolak 1972, 383 und Nodes 1993, 85. Vgl. Eustath. Basil. hex. 3,7,6 Ob hoc caelestis facta est aqua, loco superiore collecta, quam paludes et fluvii pelagusque surgentibus de se vaporibus exhalant, ut non ardor aetherius omnia quae subiecta sunt conflagraret […]. Auf diese Textstelle weist auch Petringa 1992, 139 hin.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

der Höhe mit von irdischen Gewässern aufsteigenden Dünsten erklärt und ihm die Funktion zuweist, die Erde gegen die Hitze des Äthers zu schützen; diese in den Wolken enthaltenen Dünste, so erläutert er in Basil. hex. 3,8,4–681, werden durch Verdichtung zu Regen. Augustinus greift diese Erklärung des Wassers oberhalb des Firmaments in gen. ad litt. 2,482 auf und lobt sie nachdrücklich. V. 1183 tertia lux faciem terrarum fulva retexit: Im Vergleich zu Vet. Lat. gen. 1,13, wo die Zeitangabe erst am Ende der Darstellung des dritten Tages folgt ((L) et facta est vespera et factum est mane dies tertius), benennt der HD den dritten Tag gleich zu Beginn von V. 11 und verleiht seiner Ausführung dadurch mehr Übersichtlichkeit. Dieses Prinzip behält er auch beim vierten, fünften und sechsten Tag bei84. Mit tertia lux bedient er sich einer epischen Formulierung, die in Bezug auf den anbrechenden Tag erstmals in Verg. Aen. 11,210 auftritt (tertia lux gelidam caelo dimoverat umbram) und im Bereich der Bibeldichtung in diesem Kontext auch in Proba cento 95 (tertia lux gelidam caelo dimoverat umbram), Mar. Victor. aleth. 1,85 (Tertia lux tumidos stupuit discedere fluctus) und Drac. laud. dei 1,149 (Tertia caeruleum ponti lux edidit aequor) aufgegriffen wird. Wie in Verg. Aen. 11,210 wird lux dabei jeweils personifiziert und zum Träger einer Handlung85. Möglicherweise ist die Verwendung von lux im Sinne von dies in V. 11 zugleich durch den Wortlaut von Vet. Lat. gen. 1,5 motiviert, wo die Benennung des Lichtes als „Tag“ thematisiert wird ((L) et vocavit deus lucem diem)86. Der HD nimmt Bezug auf das Ende von Vet. Lat. gen. 1,9 (E) et paruit arida und präsentiert im Gegensatz zur biblischen Vorlage zuerst das Auftauchen des trockenen Landes als das entscheidende Ergebnis des dritten Tages, bevor er in den beiden folgenden Versen (9–10) beschreibt, wie dieses durch die Sammlung des Wassers zustande kommt. Die lakonische biblische Feststellung (E) et paruit arida wird vom Dichter rhetorisch ausgeschmückt: Der personifizierte Tag wird durch das Farbadjektiv fulva, das eine Farbnuance zwischen einem fahlen Gelb und einem rötlichen Braun bezeichnen kann, ganz offensichtlich in seinem

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Vgl. Eustath. Basil. hex. 3,8,4–6 Quando ergo de caelo dicit [Moyses] emitti rorem vel pluviam, aquas intellege quae superiorem tenere iussae sunt regionem. conglomeratis enim vaporibus in altum et aëre ventorum flatibus condensato, exhalationes hae quae subtiliter nubibus inseruntur, per mutuas accessiones guttae perficiuntur suoque pondere conlisae deorsum pelluntur: haec est imbrium generatio. Vgl. Aug. gen. ad litt. 2,4 cum ergo probasset [d.h. der nicht namentlich genannte Basilius] et hunc aerem caelum dici, nulla alia causa etiam firmamentum appellatum voluit existimari, nisi quia intervallum eius dividit inter quosdam vapores aquarum et istas aquas, quae corpulentius in terris fluitant. […] ergo ex aere, qui est inter vapores umidos, unde superius nubila conglobantur, et maria subterfusa, ostendere ille voluit esse caelum inter aquam et aquam. hanc ergo diligentiam considerationemque laude dignissimam iudico. Zur Umstellung der Verse 9–12 s.o. S. 185–186. Vgl. V. 15 quarta die (gegen Vet. Lat. gen. 1,19), V. 19 quinta die (gegen Vet. Lat. gen. 1,23), V. 21 sexta (gegen Vet. Lat. gen. 1,31). Vgl. hierzu Smolak 1975, 351–352. Vgl. Petringa 1992, 142 Anm. 38.

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morgendlichen Heraufdämmern charakterisiert87. Die gleiche Junktur erscheint im Ablativ in Prud. cath. 9,76 (Sed deus dum luce fulva mortis antra inluminat), wo davon die Rede ist, dass Gott die Höhlen des Todes erhellt und der Finsternis den Tag bringt. Das Verbum retexit vemittelt in einem ganz plastischen Sinn die Vorstellung, dass das „Gesicht“ (faciem) der Erde vom dritten Tag „entblößt“ wird, indem gleichsam der Schleier des Wassers von ihm weggezogen wird88. Dieser Gedanke findet sich deutlich in Ambr. hex. 3,2,7 (denique addidit [scil. Moyses] sublato velamine apparuisse aridam, quae ante non videbatur)89, in hex. 3,3,14 wird zudem das Verbum retegere verwendet (non enim diceret [scil. scriptura] ‘visa est terra’, nisi retectam vellet locis omnibus demonstrare), und Cl. M. Victorius bedient sich in aleth. 1,88–89 im gleichen biblischen Kontext einer sehr ähnlichen Formulierung (arida tunc primum mundi pars ima retectam / ostendit faciem)90. Weniger passend erscheint dagegen die Übersetzung „der dritte Tag machte das Gesicht der Erde (durch sein Licht) sichtbar/erhellte das Gesicht der Erde“ nach Art von Verg. Aen. 9,461 ~ Proba cento 89 (iam sole infuso, iam rebus luce retectis) oder auch Lucan. 7,787 (postquam clara dies Pharsalica damna retexit), da dies voraussetzen würde, dass die Erdoberfläche bereits von der Flut befreit und somit prinzipiell sichtbar ist. Die Junktur faciem terrarum, bei der terrarum sicherlich als poetischer Plural aufzufassen ist91, entspricht biblischer Diktion und findet sich z. B. auch in Vet. Lat. gen. 2,6 bei der Paradiesschilderung ((L) fons autem ascendebat de terra et inrigabat omnem faciem terrae). Der ThlL versteht faciem in V. 11 als „Oberfläche“92, doch darf im Rahmen der bildlichen Vorstellung vom Schleier des Wassers, der weggezogen wird, auch an das „Gesicht“ der personifizierten Erde gedacht werden. V. 9 accipit inmensus errantia litora pontus: In V. 9–10 beschreibt der HD unter Bezugnahme auf Vet. Lat. gen. 1,9 die Sammlung des Wassers unterhalb des Firmaments, durch die die in V. 11 erwähnte Enthüllung der Erdoberfläche zustande kommt, und deutet durch das Substantiv pontus implizit die Benennung der Wasseransammlung als „Meer“ an, die in Vet. Lat. gen. 1,10 erfolgt93. Im Gegensatz zur biblischen Vorlage verzichtet er zur Redundanzvermeidung auf den göttlichen Befehl94 und gibt gleich dessen Ausführung wieder. In V. 9 begegnet 87

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Vgl. OLD s.v. fulvus 745; daneben mag fulva auch die Funktion haben, das Licht des dritten Tages farblich vom hell strahlenden, neu geschaffenen Licht des ersten Tages abzusetzen (vgl. Petringa 1992, 142). Ein ähnliches Bild findet sich in Stat. Theb. 11,44 in Bezug auf die Flut, die den Sand bald entblößt, bald bedeckt: nunc retegit bibulas, nunc induit aestus harenas. Ähnlich Eustath. Basil. hex. 4,2,3 velamentum subducitur, ut conspicua fieret quae interim non videbatur. Im Kontext von Gottes Sintflutbeschluss wird dieses Bild in Alc. Avit. carm. 4,163 ins Gegenteil verkehrt: Terrarum facies informis contegat umor. Vgl. LHS 16–17 § 26. Vgl. ThlL 6,1 s.v. facies 50,10 unter II rerum: superficies, forma, figura; imago, aspectus […] A corporalium. Vgl. auch Petringa 1992, 143. Vgl. Vet. Lat. gen, 1,9 (L) et dixit deus congregetur aqua quae sub caelo est in congregatione(m) una(m) (C) et videatur arida // (E) et pareat arida.

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das eher ungewöhnliche und in der biblischen Vorlage nicht vorhandene Bild vom Meer, das Küsten „empfängt“ (accipit [...] litora pontus); gängiger ist, zumindest in der Prosa, das Bild des Meeres, das in den Buchten von Küsten empfangen wird95. Eine inhaltliche Parallele könnte in Ov. met. 1,343 (iam mare litus habet, plenos capit alveus amnes) vorliegen, wo das Zurückgehen der großen Flut beschrieben wird: Das Meer, das zuvor alles überschwemmt hat, hat nun wieder Küsten. Ferner geht Ambrosius in hex. 3,2,10 der Frage nach, wie es sein könne, dass alles Wasser sich im Meer sammle und dieses trotzdem nicht überfließe, und erläutert unter Verweis auf Jer 5,22, dass die Gewalt des Meeres durch das Ufer gebrochen werde, denn Gott habe den Sand dem Meer als Grenze gesetzt96. Die einhellig überlieferte Junktur errantia litora ist singulär und dürfte sich im Sinne von „unstete Küsten“ auf die Tatsache beziehen, dass die Küstenstreifen durch die Brandung bald mit Wasser bedeckt, bald wieder von Wasser frei sind und sich dadurch für den Betrachter bald zurückzuziehen, bald wieder auszudehnen scheinen; auch auf das Phänomen von Ebbe und Flut könnte hier angespielt werden97. Eine vergleichbare Formulierung, bei der das Adjektiv dubius an die Stelle des Partizips errans tritt, findet sich in Hept. gen. 469 (quas [scil. harenas] pelagus dubio nonnumquam litore nudat)98. Weniger naheliegend erscheint dagegen eine Auffassung im Sinne von unstet auf dem Wasser umhertreibenden Küsten(stücken), die sich nun zu einer Art kreisförmigen Begrenzung um das Meer herum zusammensetzen99. Das Adjektiv inmensūs100, hier Attribut zu pontus, wird vom HD innerhalb der Heptateuchdichtung insgesamt 35-mal in ganz unterschiedlichen Kontexten verwendet101 und dient gerade bei Vergil öfters zur näheren

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Vgl. Petringa 1992, 140 mit Anm. 33. Vgl. Ambr. hex. 3,2,10 nonne ipsi videmus mare frequenter undosum […], ubi impetum suum ad litus inliserit, in spumas resolvi repagulis quibusdam harenae humilis repercussum, secundum quod scriptum est: aut non timebitis me, dicit dominus, qui posui harenam fines mari? Ähnlich Eustath. Basil. hex. 4,3,7: propterea pelagus, ventis saepe turbatum ac fluctibus aestuans in altumque consurgens, ubi litora vicina tetigerit, fervoris impetum spumando resolvens, mox frangitur atque subducitur. „aut me non timebitis, dicit dominus, qui harenam terminum pono mari?“ Auf diese Stellen verweist auch Petringa 1992, 140–141 Anm. 34. 97 Dementsprechend übersetzt Nodes 1993, 86 „The vast sea receives its meandering shoreline“. 98 Diese Stelle paraphrasiert der ThlL 5,1 s.v. 2. dubius 2107,48–50 mit i. modo undis operto, modo nudo. 99 So ist offensichtlich Petringa 1992, 140 zu verstehen: „interpretando con inmensus pontus l’oceano che allo stato primordiale del mondo ‚riceve le sponde‘ fino ad allora sparse (errantia) quasi come se venisse limitato internamente da un cerchio da cui trascina via (rapiens) attraverso possenti corsi (cum validis tractibus) tutte le acque che coprivano la terra (multiplices amnes)“ (kursive Hervorhebungen im Original). In diesem Sinne wird die Stelle auch in ThlL 5,2 s.v. 1. erro 809,57–58 aufgefasst, wo sie unter I de motu incerto D de fabulosis motibus eingeordnet wird, zusammen mit Verg. Aen. 3,76, wo von der früher unstet umherschwimmenden Insel Delos die Rede ist. 100 Zur Dehnung der kurzen Endsilbe -us vgl. Peiper 1891, 345. 101 In Bezug auf das Meer auch in Ios. 105 usque ad inmensum dubiis cum fluctibus aequor.

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Charakterisierung des Meeres102. In diesem Kontext ist es eine sehr treffende Bezeichnung für das Meer, da dieses ja, bevor es die Küsten empfangen hat, im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos gewesen ist. V. 10 multiplices rapiens validis cum tractibus amnes: Dieses sehr dynamische Bild vom Meer, das Flüsse an sich reißt, findet sich nicht in der biblischen Vorlage. Offensichtlich will der HD damit Vet. Lat. gen. 1,9 veranschaulichen, wo derselbe Sachverhalt umgekehrt ausgedrückt ist, dass nämlich das auf der Erde befindliche Wasser an den Sammelort bzw. an die Sammelorte strömt, welche(n) Gott nach Vet. Lat. gen. 1,10 (C) mare bzw. (E) maria nennt. Die Vielzahl bzw. Vielfalt der Flüsse, in denen das die Erde bedeckende Wasser ins Meer strömt (multiplices [...] amnes)103, hat eine gedankliche Parallele in Ambr. hex. 3,2,8, wo erläutert wird, dass durch Gottes Befehl das Wasser zu fließen und an einen Sammelort zusammenzuströmen begann, welches zuvor in sehr vielen Becken über die Erde hin verteilt war104. Ausführlicher beschreibt Ambrosius diesen Vorgang in hex. 3,3,12, wo er sich mit der Frage befasst, warum in der Bibel von einem einzigen Sammelbecken die Rede ist, wenn es heute doch verschiedene Meere gibt. Er nennt hier eine Vielzahl von Orten wie Seen, Täler und Ebenen, über die das Wasser zunächst verteilt war, und spricht davon, dass es in Quellen und Flüssen abfloss105. Der von multiplices [...] amnes eingerahmte und abhängige Ablativus qualitatis validis cum tractibus106 korrespondiert inhaltlich mit dem Partizip rapiens, so als würden die starken Strömungen (tractibus)107 des Wassers durch die Kraft des Meeres erzeugt, das es in sich hineinreißt. Formales Vorbild ist hier offensichtlich Lucr. 1,287 molibus incurrit validis cum viribus amnis, wo von einem durch Regengüsse reißend gewordenen Fluss die Rede ist, der mit Wucht gegen einen Damm anprallt. Neben dieser Erklärung von V. 10, die einen Bezug zu Vet. Lat. gen. 1,9 herzustellen versucht, ist es auch denkbar, dass der HD auf die generelle, auch heute noch zutreffende Eigenschaft des Meeres an102 Vgl. Verg. georg. 1,29 immensi [...] maris, georg. 2,541 immensum [...] aequor, Aen. 6,355 immensa per aequora. 103 Vgl. OLD s.v. multiplex 1142 unter 4b bzw. unter 6. Nodes 1993, 86 übersetzt „multibranched rivers“ und denkt dabei wohl an sich aufspaltende Flussarme bzw. Flussdeltas, doch eine derartige Verwendung von multiplex scheint sonst nicht belegt zu sein. 104 Vgl. Ambr. hex. 3,2,8 coepit labi aqua et in unam confluere congregationem, quae ante erat diffusa per terras et plurimis receptaculis inhaerebat. 105 Vgl. Ambr. hex. 3,3,12 Quaero nunc cum dixerit [deus]: colligatur aqua in congregationem unam, quomodo diffusas per lacus paludes stagna aquas et superfusas vallibus et campis omnibusque planioribus locis currentes fontibus atque fluminibus una potuerit recipere collectio, aut quomodo una collectio, cum hodieque diversa sint maria? Auch Eustathius äußert in Basil. hex. 4,4,1 den Gedanken, dass es viele und auf verschiedene Arten verteilte Wasser gab: Deinde, cum diceret: congregentur in unam congregationem, docuit quia multae erant aquae variis divisae modis. 106 Das verdeutlichende cum beim Ablativus qualitatis zeigt dessen soziativen Charakter und findet sich bereits häufig im Altlateinischen, vgl. LHS 117 § 78. Zur Junktur, allerdings mit völlig anderer Semantik, vgl. Iuvenc. 4,491 Incumbens valido nobis violentia tractu. 107 Zu tractus in dieser Bedeutung vgl. OLD s.v. tractus2 1955 unter 2 nach dem Hinweis (of rivers, the sea).

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spielt, das Wasser von einmündenden Flüssen in sich aufzunehmen. In dieser Eigenschaft ist es Teil des Wasserkreislaufs, zu dem auch die in V. 8 erwähnten Wolken gehören. V. 12 arida mox posito narratur nomine terra: In V. 12 erhält das nunmehr vom Wasser befreite trockene Land seinen Namen. Mit den Substantiven arida108 und terra, die am Versanfang und -schluss stehend einen Spannungsbogen bilden, knüpft der HD wörtlich an Vet. Lat. gen. 1,10 (C/E) et vocavit deus aridam terram an, verwandelt den aktiven Benennungsvorgang durch Gott aber in ein urheberloses Passiv109. Die Konstruktion aliquid nomine narrare im Sinne von „benennen“ scheint sich auf den HD zu beschränken110. Durch die etwas redundant wirkende Formulierung posito111 narratur nomine wird der Benennungsakt besonders betont; die bisherigen Benennungen, nämlich des Lichtes als Tag und der Finsternis als Nacht (Gen 1,5) sowie des Firmamentes als Himmel (Gen 1,8), lässt der HD dagegen aus. V. 13 florea ventosis consurgunt germina campis: In V. 13–14 fasst der HD Vet. Lat. gen. 1,12 zusammen und umschreibt mit florea […] germina den biblischen Ausdruck für die grasartigen Grünpflanzen, nämlich (C) herbam pabuli bzw. (E) herbam faeni112. Das Substantiv germina knüpft offensichtlich an das Verbum germinet in dem sonst ausgelassenen Vers Vet. Lat. gen. 1,11 an, das dort den göttlichen Befehl an die Erde enthält, Pflanzen hervorsprießen zu lassen. Auch Ambrosius verwendet im Zusammenhang mit der Erschaffung der Grünpflanzen mehrfach das Wort germen, um das Hervorsprossen bzw. Aufkeimen der neuen Pflanzen zu bezeichnen, in hex. 3,17,70 auch in Kombination mit dem Verbum surgere113, und Cl. M. Victorius spricht in aleth. 1,92 von germina, die üppig vom frischen Schlamm die Erde bedecken (luxuriosa novo texerunt germina limo [scil. terras]). Durch das Attribut florea, das hier in der Bedeutung flores generans, habens verwendet ist114, geht der HD deutlich über den Bibeltext hinaus und 108 Das Sustantiv arida in der Bedeutung „trockenes Land“ findet sich erst seit der Vetus Latina und dann bei Kirchenvätern und in der Vulgata, vgl. ThlL 2 s.v. aridus/arida 569,40–56. 109 Vgl. auch Petringa 1992, 143. 110 Vgl. ThlL 9,1 s.v. narro 75,46–49 unter II B 2 speciatim, sc. appellando; pro obi. est [...] audacius res, cui nomen imponitur; hier werden nur Hept. gen. 12 und Hept. gen. 576 ([…] a simili narravit nomine fontem) als Belege genannt. 111 Zur Junktur nomen ponere im Sinne von imponere, attribuere vgl. ThlL 10,1 s.v. pono 2657,40–51. Eine ähnlich redundante Formulierung findet sich in Hept. gen. 1067 nomine quae fixo placuit vocitare Tabernas. 112 Zu germen in der Bedeutung i.q. herba vgl. ThlL 6,2 s.v. germen 1922,62–72. 113 Vgl. die bei Petringa 1992, 144 Anm. 48 angeführten Stellen Ambr. hex. 3,8,33 in omnibus quae dicuntur nascentia terrae primum germen est. ubi se paululum sustulerit, fit herba, postea faenum, inde fit fructus; 3,8,34 et continuo parturiens terra […] gratiam fecunditatis adsumpsit diversisque compta germinibus proprios suscepit ornatus; 3,17,70 Germinet inquit terra, et statim omnis surgenti germine terra completa est; 4,1,1 […] terram aspice, quae antequam sol procederet, coepit esse visibilis atque composita, germina eius aspice anteriora solis lumine; 5,1,1 Vestita diversis terra germinibus virebat omnis. 114 Vgl. ThlL 6,1 s.v. floreus 924,65–66 unter 1 c; vgl. auch Hept. gen. 1148 disquirunt laetas per florea gramina valles.

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hebt die Fruchtbarkeit der Erde hervor, die im nächsten Vers durch die sich krümmenden Obstbaumzweige noch einmal thematisiert wird. Auch Proba spricht in cento 92 bei der Entstehung der Pflanzen von Blumen (fundit humus flores et frondes explicat omnes) und Ambrosius erwähnt sie mehrfach im Kontext des dritten Tages115. Eine weitere Anreicherung der biblischen Vorlage nimmt der HD in Gestalt der windbewegten Felder (ventosis [...] campis) vor, welche ganz unterschiedliche Anspielungshorizonte eröffnen. Zum einen lassen die Stichworte Gräser, Blüten, Felder und Wind an an einen biblischen Subtext wie Jes 40,6–7 oder Ps 102(103),15–16 denken, wo der Mensch mit dem Gras und der Blume des Feldes verglichen wird, die verwelkt, wenn der Hauch des Herrn über sie fährt; auf diesen biblischen Hintergrund verweisen auch Eustathius und Ambrosius im Zusammenhang mit der Entstehung der Pflanzen116. Zum anderen kann der Wind auch positiv konnotiert sein wie etwa in der Aurea-aetas-Darstellung in Ov. met. 1,107–108, wo sanfte Westwinde mit lauen Lüften über die (ohne Samen entstandenen!) Blumen hinstreichen: Ver erat aeternum, placidique tepentibus auris / mulcebant Zephyri natos sine semine flores. Eine nährende, Wachstum fördernde Kraft schreibt Dracontius in laud. dei 1,587–589 dem Wind zu117, wobei er sich eines Konzeptes bedient, das von Seneca in nat. 5,18,13 dargestellt wird118. Abschließend ist die fast wörtliche, im gleichen biblischen Kontext auftretende Übereinstimmung der zweiten Vershälfte consurgunt germina campis mit der zweiten Vershälfte von Ps. Hil. gen. 101 zu erwähnen (herbarum varia consurgunt gramina campis), wobei die Klausel germin* camp* des HD erheblich seltener belegt ist als die Klausel gramin* camp* des Ps.-Hilarius119. V. 14 pomiferique simul procurvant brachia rami: Mit der Junktur pomiferi […] rami, die als Hyperbaton den gesamten Vers umrahmt, nimmt der HD Bezug 115 Vgl. etwa Ambr. hex. 3,7,29 illa herba et flos faeni figura est carnis humanae, sicut bonus divinitatis interpres organo suae vocis expressit dicens: clama. quid clamabo? omnis caro faenum et omnis gloria hominis ut flos faeni. aruit faenum et flos decidit, verbum autem domini manet in aeternum; 3,8,36: quid igitur describam purpurescentes violas, candida lilia, rutilantes rosas, depicta rura nunc aureis, nunc variis, nunc luteis floribus, in quibus nescias utrum species amplius florum an vis odora delectant?; 3,11,47 dixit et facta sunt et subito ut supra floribus herbarumque viriditatibus ita hic nemoribus terra vestita est; 3,16,65 festinarunt campi non commissam sibi frugem edere, ignorata horti holerum genera, florum miracula germinare […]. 116 Vgl. Eustath. Basil. hex. 5,2,9 Et ante omnia, cum videris herbam faeni vel florem, mox te ad humanae naturae convertas imaginem, recordatus Esaiae sapientis exemplar, quia „omnis caro tamquam faenum et omnis gloria hominis tamquam flos faeni“; zu Ambr. hex. 3,7,29 s.o. Anm. 115. 117 Vgl. Drac. laud. dei 1,587–589 ventus alit fructus et ventus spicat aristas, / ventilat aestivo quas flatu mollior aura; / deflorat fructus et decutit arbore flores. 118 Vgl. Moussy/Camus 2002, 311 zu Drac. laud. dei 1,587. In diesem Sinne scheint auch Nodes 1993, 86 Hept. gen. 13 aufzufassen: „Then vegetation appears in the presence of fertile winds, but without a divine command“. 119 Zu germin* camp* vgl. Carm. adv. Marc. 2,233 (germina campis), Mar. Victor. aleth. 2,210 (germine campi) und Paul. Petric. Mart. 5,455 (germina campi); zu gramin* camp* verzeichnet die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 22.04.2016) 19 Belege in der hexametrischen Dichtung.

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auf Vet. Lat. gen. 1,12 (C/E) lignum fructiferum faciens fructum. Rami ist hier als Synekdoche im Sinne von arbores verwendet120, während das Attribut pomiferi als eine Annäherung an Vulg. gen. 1,11 bzw. 1,12 erscheinen könnte, wo an der entsprechenden Stelle lignum(que) pomiferum steht121. Wenn auch ein gelegentlicher Vulgata-Einfluss auf den Vetus-Latina-Text des HD wahrscheinlich ist122, lässt sich der Ersatz des biblischen fructiferum durch pomiferi auch damit erklären, dass letzteres in der Poesie wesentlich verbreiteter ist123; ferner verwendet auch Ambrosius im 3. Buch seines Hexaëmerons mehrfach den Begriff pomum zur Bezeichnung der Baumfrüchte124. Wieder gestaltet der Dichter die wenig anschauliche Bibelvorlage zu einem plastischen Bild aus, indem er die Obstbäume (unter der Last ihrer Früchte) ihre Zweige nach vorne krümmen lässt (procurvant brachia) und so die Üppigkeit des neu geschaffenen pflanzlichen Lebens hervorhebt125. Procurvant verdeutlicht gegenüber dem Verbum simplex curvant die Vorwärtsneigung der Äste und ist in dieser Verwendung sonst nur noch in Hept. gen. 608 in Bezug auf nach vorne gekrümmte Hörner belegt (tum vitulus tumida procurvans cornua fronte)126; das Substantiv brachia legt einen impliziten Vergleich der Zweige mit Armen nahe, wodurch die Bäume personifiziert werden. Durch die Gleichzeitigkeit (vgl. simul) von Früchten und Blüten (vgl. V. 13) wird die Vorstellung einer aurea aetas evoziert, wie sie insbesondere im Garten des Alkinoos (vgl. Hom. Od. 7,112–132) zum Ausdruck kommt. V. 15 quarta die generat solis cum lampade lunam: Der HD bezieht sich auf Vet. Lat. gen. 1,16 und greift (K/E) luminaria in Form von lampade auf, ersetzt aber die Funktion dieser luminaria, zu Beginn des Tages und der Nacht zu leuchten, durch ihre Benennung als Sonne (solis) und Mond (lunam). Mit der Bezeichnung der Sonne als Lampe127 steht der HD in der Tradition der lateinischen Dichtung seit Lukrez128 und befindet sich zugleich in Einklang mit der exegetischen Tradition: So erklärt Eustathius in Basil. hex. 6,2,8–9 den Unterschied zwischen dem am ersten Tag geschaffenen Licht und den Leuchten Sonne und Mond in der Weise, dass ersteres das eigentliche Licht sei, während Sonne und Mond nur als 120 Vgl. Forc. 4 s.v. ramus 8 unter I 2; vgl. auch Verg. Aen. 3,649–650 victum infelicem, bacas lapidosaque corna, / dant rami […] und 8,318 sed rami atque asper victu venatus alebat. 121 In Vulg. gen. 1,12 findet sich pomiferum nur als Zusatz, bezeugt durch die Vulgatahandschrift ΩM und abhängig von Vulg. gen. 1,11, vgl. Fischer 1951, 16. 122 Vgl. Kapitel III.2.c S. 76. Fischer 1951 scheint von einem solchen Einfluss in Hept. gen. 14 auszugehen, vgl. den Zeugenapparat zu Vet. Lat. gen. 1,12 S. 17. 123 Fructifer scheint sich in der Dichtung auf Ambr. nat. rer. 93, Paul. Nol. carm. 21,311 und Maxim. eleg. 5,122 zu beschränken; zu pomifer vgl. die poetischen Belege in ThlL 10,1 s.v. pomifer 2592,62–2593,4, insbesondere Sen. Herc. f. 700 non ulla ramos silva pomiferos habet; vgl. auch Petringa 1992, 143–144 mit Anm. 44. 124 Vgl. etwa Ambr. hex. 3,13,55.57; 3,14,58–59. 125 Vgl. auch Petringa 1992, 143. 126 Vgl. ThlL 10,2 s.v. procurvo 1592,32–35 (significatur actio eius […] qui partes suas curvando promittit). 127 Vgl. auch Hept. exod. 248 solis lampada, exod. 550 lampada solis, exod. 602 lampade solis. 128 Vgl. Lucr. 5,402 obvius aeternam suscepit lampada mundi, 5,610 forsitan et rosea sol alte lampade lucens.

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dessen Träger und Transportmittel dienten. Der gleiche Unterschied bestehe zwischen Feuer und Lampe, denn während das Feuer die Leuchtkraft habe, diene die Lampe dazu, bei Bedarf Licht zu spenden129. Auf sprachlicher Ebene fällt die Kürzung der Ablativ-Singular-Endung -ā bei der Zeitangabe quartă die130 auf, die der HD aus Vet. Lat. gen. 1,19 vorzieht, eine Erscheinung, die auch in V. 19 (quintă die), V. 21 (sextă) und V. 40 (septimă luce) begegnet und als eine häufige prosodische Lizenz in der Heptateuchdichtung anzusehen ist131. Zu dem einhellig überlieferten Verbum generat, das in der heidnischen und christlichen Literatur öfters in Bezug auf einen göttlichen Schöpfer verwendet wird132, ist als Subjekt dominus aus V. 7 zu ergänzen wie auch zu den folgenden Prädikaten fingit (V. 16) und dedit (V. 17). Unnötig erscheint es dagegen, einen ursprünglichen Nominativ dies anzunehmen133, der als Subjekt zu generat noch denkbar wäre, als Subjekt zu fingit aber doch zu eigenwillig wirkt. V. 16 et stellas tremulo radiantes lumine fingit: Hier knüpft der HD an das Ende von Vet. Lat. gen. 1,16 (K/E) et stellas an und variiert durch das in AC überlieferte fingit das Prädikat generat in V. 15; sowohl generat als auch fingit dienen der Umschreibung des biblischen fecit (Vet. Lat. gen. 1,16)134. Peipers Emendation figit, die vom Motiv der am Himmel befestigten Sterne inspiriert ist135, scheint dagegen unnötigerweise von Vet. Lat. gen. 1,17 als Vorlage auszugehen, wo es heißt, dass Gott Sonne, Mond und Sterne bzw. nur die Sterne ans Firmament setzt, damit sie über der Erde leuchten ((L) et posuit illa(s) deus in firmamento caeli sic ut luceant super terram)136. Bei pingit, der Überlieferung in G, dürfte es sich um eine Verschreibung handeln, denn das Motiv des „bemalten Himmels“, das hier anzuklingen scheint, begegnet gewöhnlich dergestalt, dass der Himmel bzw. die Nacht mit Sternen bemalt sind137; in V. 16 müsste dagegen gedanklich ergänzt werden, dass Gott die Sterne auf den Himmel aufmalt. Über den Bibeltext hinaus129 Vgl. Eustath. Basil. hex. 6,2,8–9 tunc enim natura luminis est producta; nunc autem solanum corpus effectum est, quo superfertur illud primogenitum lumen. Sicut enim aliud est ignis, aliud lucerna, quorum unum inlustrandi vim possidet, aliud ministrandi causa luminis his qui eius indigent est formatum, sic et mundissimae illi et sincerissimae luci pro vehiculis quibusdam luminaria ista subiecta sunt. In der modernen Exegese wird die Erschaffung der Gestirne und ihre Leuchterfunktion im Sinne einer „Entmythisierung der mit Gottheiten verbundenen Gestirne“ gesehen (vgl. Soggin 1997, 38). 130 Zum unterschiedslosen Gebrauch von femininem und maskulinem dies in der Bedeutung „Tag“ bei Dichtern vgl. KS I 408–409 § 93; die feminine Form ist auch in Vet. Lat. gen. 1,19 (dies quarta) bzw. 1,23 (dies quinta) als Variante bezeugt, vgl. Fischer 1951, 20 und 23. 131 Vgl. Peiper 1891, 344. 132 Vgl. ThlL 6,2 s.v. genero 1794,52–73 unter II A 1 b speciatim de deo creatore. 133 Vgl. Morel sowie Kuhnmuench 1929, 442. 134 Zu fingere in Bezug auf den göttlichen Schöpfungsakt vgl. die christlichen Belege in ThlL 6,1 s.v. fingo 773,4–20. 135 Vgl. ThlL 6,1 s.v. figo 711,39–44. 136 Zugunsten des in AC überlieferten fingit plädieren auch Petschenig 1891, 781, Luthardt 1891, 425, Huemer 1891, 1532 und Mohr 1892, 104. 137 Zu diesem Motiv vgl. Kreuz 2006, 237 in Bezug auf Ps. Hil. gen. 73–74 […] et regia summi / picta parens varia stellarum luce coruscat. Bedenken gegen pingit äußert auch Mayor 1889, 4.

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gehend veranschaulicht der HD das Leuchten der Sterne durch das Partizip Präsens radiantes, welches in der Poesie häufiger auf das Licht von Himmelskörpern bezogen wird138, und durch das Adjektiv tremulo, das das Sternenlicht als ein unstet flackerndes charakterisiert139. Innerhalb der Heptateuchdichtung findet sich tremulus ferner in Bezug auf das Licht des Abendsterns und des Mondes, vgl. Hept. gen. 310 surgeret ac tremulo noctem praecurreret igne [scil. vesper], Hept. gen. 1142 coniunctamque simul tremulo cum lumine lunam und Hept. Ios. 348 nec moveat tremulos lunaris circulus ignes. V. 17 haec elementa dedit subiecto insignia mundo: Mit dem Substantiv elementa, das in Hinblick auf das feurige Element alle Arten von Himmelskörpern bezeichnen kann140, fasst der HD die in V. 15–16 genannten Gestirne zusammen. Der ganze Vers bewegt sich eng an der biblischen Vorlage Vet. Lat. gen. 1,17 entlang, wo auf die Himmelskörper ebenfalls mit einem Demonstrativpronomen Bezug genommen wird (illa bzw. ea), und paraphrasiert mit dedit [...] subiecto mundo offensichtlich (L) posuit [...] in firmamento caeli sic ut luceant super terram. Zusätzlich bringt der HD in Gestalt des Prädikativums insignia die Zeichenfunktion ein, die Gott den „Leuchten“ am Firmament in Vet. Lat. gen. 1,14 zuweist ((L) et sint in signis (signa)). Das Substantiv insigne kann in Bezug auf Gestirne die Bedeutung „Zierde“141 haben, hier ist es aber im Sinne eines Indikators für die verschiedenen tempora (vgl. V. 18) verwendet. V. 18 tempora quae doceant varios mutanda per ortus: Der mit quae eingeleitete konjunktivische Relativsatz mit finalem Nebensinn bestimmt die Zeichenfunktion der Gestirne näher, nämlich den Wechsel der „Zeiten“ anzuzeigen. Das Substantiv tempora, mit dem der HD wörtlich Vet. Lat. gen. 1,14 (L) et in temporibus (tempora) aufgreift, könnte im Sinne der vier Jahreszeiten aufzufassen sein, wie dies auch in Proba cento 72, Mar. Victor. aleth. 1,110142, Ambr. hex. 4,5,21 und Eusthat. Basil. hex. 6,8,2 der Fall ist; vergleichbar ist bei den beiden Letzteren auch der Gedanke des Wechsels (vgl. mutanda) der Zeiten und die Verbindung dieses Wechsels mit den Bewegungen der Gestirne, insbesondere der Sonne

138 Vgl. etwa Lucr. 4,213 sidera respondent in aqua radiantia mundi, Verg. Aen. 8,23 radiantis imagine lunae, Ov. met. 7,325–326 […] et quarta radiantia nocte micabant / sidera […]. 139 Zu tremulus in Bezug auf das Licht von Himmelskörpern vgl. auch Lucr. 4,404 Iamque rubrum tremulis iubar ignibus erigere alte, 5,697 sub terris ideo tremulum iubar haesitat ignis, Verg. Aen. 7,9 luna negat, splendet tremulo sub lumine pontus, 8,22–23 sicut aquae tremulum labris ubi lumen aënis / sole repercussum aut radiantis imagine lunae (in den letzten beiden Beispielen bezieht sich tremulus sachlich auf das zitternde Spiegelbild im Wasser), Ov. epist. 18,59 Luna fere tremulum praebebat lumen eunti. 140 Vgl. ThlL 5,2 s.v. elementum 346,72–347,7; vgl. auch Hept. Ios. 349 ut elementa, suis ceu nescia currere metis. 141 Vgl. ThlL 7,1 s.v. insigne 1900,15–17. Zum Versschluss vgl. auch Prud. c. Symm. 2,133 principio institui nitidoque insignia mundo, wo insignia aber als Adjektiv auf ornamenta im Folgevers bezogen ist. 142 Vgl. Proba cento 72 temporibusque parem diversis quattuor annum; Mar. Victor. aleth. 1,109–112 […] signataque limite certo / tempora dissiciens [scil. iubar], certa statione peracta / praecipitisque poli numerosa vice redire, / ire semel iussus revolutum conficit annum.

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(vgl. varios [...] per ortus)143. Das Gerundiv mutanda sollte hier nicht final aufgefasst werden („die zu verändernden Jahreszeiten“), sondern im Sinne eines Partizips Präsens Aktiv wie etwa in Lucr. 5,1276 sic volvenda aetas commutat tempora rerum oder Verg. Aen. 9,7 volvenda dies144. Varios [...] per ortus lässt sich grammatikalisch gesehen zum einen auf doceant beziehen, d.h. durch ihre wechselnden Aufgänge zeigen die Gestirne den Wechsel der Jahreszeiten an145, zum anderen auf mutanda, d.h. der Wechsel der Jahreszeiten erfolgt durch die wechselnden Aufgänge der Gestirne146. Doch da die Zeichenfunktion der Gestirne (V. 17 insignia) im Vordergrund steht und gerade in den unterschiedlichen zu beobachtenden Aufgängen besteht, ist die erstere Auffassung vorzuziehen. Konkret ist bei varios [...] ortus wohl an den früheren bzw. späteren Aufgang der Sonne im Jahreslauf zu denken, aber auch an sogenannte Früh- und Spätaufgänge bestimmter Sternbilder, die in der Antike als Orientierungsmittel für den Jahreszeitenbeginn dienten147. Abgesehen von der Auffassung der tempora als Jahreszeiten ist auch ein Bezug auf die Tageszeiten vorstellbar, die durch die sich abwechselnden Aufgänge von Sonne, Mond und bestimmten Sternen angezeigt werden; ein solches Verständnis von tempora findet sich etwa in Ambr. hex. 4,4,12 und Aug. gen. ad litt. 2,14148. V. 19 quinta die accipiunt liquentia flumina pisces: Bei der Zeitangabe quinta die, die aus Vet. Lat. gen. 1,23 vorgezogen ist, fallen nicht nur die Kürzung der Ablativendung –ā und das feminine Genus von dies in der Bedeutung „Tag“

143 Vgl. Ambr. hex. 4,5,21 […] tempora autem quae sunt nisi mutationum vices, hiemps, ver, aestas atque autumnus?; Eustath. Basil. hex. 6,8,2 tempora sane intellegimus esse partes quattuor anni vertentis, id est ver, aestatem, autumnum atque hiemem. haec sibimet succedendo vicissim pro luminariorum dispositis cursibus temperantur. Beide Autoren erläutern jeweils im Anschluss, wie der Jahreslauf der Sonne mit der Entstehung der Jahreszeiten zusammenhängt. Auf diese Belege verweist auch Petringa 1992, 145–146 Anm. 53 und 54. 144 Vgl. KS I, 699 § 171 unter 2. 145 Ähnlich Lucr. 5,1437–1438 sol et luna suo lustrantes lumine circum / perdocuere homines annorum tempora verti. 146 Vgl. die Übersetzungen bzw. Paraphrasen von Nodes 1993, 86 („as signs to teach the seasons which would change through their various risings“) und Petringa 1992, 146 („l’avvicendarsi delle stagioni che viene assicurato attraverso le diverse posizioni in cui sorgono gli astri“). 147 Vgl. Hübner 1998, 837–838. 148 Vgl. Ambr. hex. 4,4,12 fecit ergo solem et lunam et stellas et praestituit illis mensuras temporum, soli diurnas, lunae et stellis nocturnas, ut iste augeat diei gratiam, illae umbram tenebrasque inluminent et sint in signa et in tempora et in dies et in annos. divisa tempora habent paresque mensuras pro mensuum vicibus sol et luna cum stellis [...]; Aug. gen. ad litt. 2,14 itaque si hoc modo intellegamus tempora, dies et annos, ut articulos quosdam, quos per horologia conputamus, vel in caelo notissimos, cum ab oriente usque in meridianam altitudinem sol insurgit atque inde rursus usque in occidentem vergit, ut possit deinceps adverti vel lunam vel aliquod sidus ab oriente statim post occasum solis emergere, quod item cum ad meridianam caeli venerit altitudinem, medium noctis indicet, tunc scilicet occasurum, cum sole redeunte fit mane; […].

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auf149, sondern auch die seltene Elision des -ē bei die150. Der HD fasst mit pisces knapp und verallgemeinernd die in Vet. Lat. gen. 1,21 genannten Wassertiere zusammen, nämlich die großen Seetiere ((L) coetos magnos) und die beseelten „kriechenden“ Tiere ((L) omnem animam animalium repentium)151. Unter letzteren sind nach Ambr. hex. 5,1,4 schwimmende Tiere aller Art zu verstehen, da sie beim Schwimmen mit dem Körper gleichsam kriechende Bewegungen vollführen, einschließlich der Amphibien. Allerdings wird die zusammenfassende Bezeichnung pisces für die Wasserlebewesen auch in Vet. Lat. gen. 1,26 und 1,28 verwendet, wenn von der Herrschaft des Menschen über die Fische des Meeres die Rede ist. Während in Vet. Lat. gen 1,21 ganz allgemein von den Wassern (aquae) gesprochen wird, nimmt der Dichter die Flüsse im Besonderen in den Blick, die er bereits in V. 10 über seine Vorlage hinausgehend erwähnt hat (multiplices [...] amnes), und knüpft mit liquentia flumina an Verg. Aen. 9,679 (quales aëriae liquentia flumina circum) an. Bei der Länge in līquentia handelt es sich wohl nicht um eine prosodische Lizenz152, da der HD hier wie Vergil das Partizip Präsens zum Deponens līqui und nicht zum Verbum liquere gebildet haben dürfte153. Auch Ambrosius geht in seinem anschaulichen Tableau der sich belebenden Gewässer in hex. 5,1,2 auf die Flüsse ein, aus denen Fische emporhüpfen (pisces exilibant de flumine). Auffallend ist die veränderte Rolle, die der HD dem Wasser zuweist, denn im Gegensatz zu Vet. Lat. gen. 1,21, wonach die Wasser selbst auf Gottes Befehl hin die Tiere hervorbringen, werden in V. 19 die Flüsse zu passiven Empfängern (accipiunt) ihrer Ausstattung, die offenbar außerhalb von ihnen erzeugt worden ist154. Denkbar ist, dass dieses Konzept des HD von Ov. ars 2,471–472 angeregt ist, wo ebenfalls die Anfänge der Welt und deren Besiedlung durch Lebewesen beschrieben werden: silva feras, volucres aer accepit habendas; / in liquida, pisces, delituistis aqua. Auch hier „empfängt“ der Wald wilde Tiere und die Luft Vögel. Dass darüber hinaus die Begriffe pisces und liquida (~ liquentia) auftreten, könnte ein Indiz dafür sein, dass der HD in V. 19 unmittelbar von Ovid inspiriert wurde. V. 20 et volucres varia suspendunt corpora penna: Dieser Vers wirft einige textkritische Fragen auf. So lautet die Überlieferung in AC et volucres varias suspendunt corpore pennas (pinnas A), d.h. die Vögel halten ihre bunten Flügel mit 149 Vgl. den Kommentar zu V. 15 (quarta die); ähnlich Mar. Victor. aleth. 1,114 Quinta dies movit spirantia corpora ponto. 150 Vgl. auch Sil. 11,454 non surgente die, ac mundum sine luce canebat und Prud. c. Symm. 2,569 forte die, infaustas tegerent cum funera Cannas. 151 Von pisces sprechen auch Alc. Avit. carm. 1,35 und Drac. laud. dei 1,238. Proba hingegen entwirft in cento 86–90 ein lebendiges Bild der neuen Wasserpopulation, indem sie die inmania cete mit ihren Schwänzen über das Meer fegen und die Wasserwesen im Meer planschen lässt, und Cl. M. Victorius hebt die Beseeltheit der neu geschaffenen Wesen hervor, vgl. aleth. 1,114 spirantia corpora und 1,119 […] et in brutas animam dedit ire figuras. 152 So aber Peiper 1891, 347. 153 Vgl. auch Hept. exod. 556–557 et fremitu denso vatem līquentia poscunt / flumina […] und exod. 732 sueta sibi cunctosque iubet līquentibus undis. 154 Vgl. Nodes 1993, 86.

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dem Körper in der Schwebe – eine eigenartige Vorstellung, da es doch der Körper ist, der von den Flügeln getragen wird. Daher ist es plausibel, wenn Mayor von der Überlieferung in G als ursprünglichem Text ausgeht (et volucres varia suspendunt corpora pinna (penna m2 corr.)), wonach die Vögel ihren Körper mittels ihrer bunten Flügel in der Schwebe halten. Im Laufe der Überlieferung wurde zunächst varia, wohl unter dem Einfluss des anlautenden s von suspendunt, zu varias korrumpiert und dann pinna (bzw. penna) zu pinnas (bzw. pennas) und corpora zu corpore verbessert, um die grammatikalische Korrektheit – freilich auf Kosten des Sinns – wieder herzustellen155. Auch angesichts des sehr ähnlichen Wortlauts in Hept. gen. 290 (non volucres levibus suspendunt corpora pinnis) ist der Überlieferung von G der Vorzug zu geben. Die Entscheidung zwischen pinna und penna, welches eine Korrektur von zweiter Hand in G darstellt, fällt angesichts der gleichen Bedeutung nicht leicht156, und innerhalb der Heptateuchdichtung ist die Überlieferung uneinheitlich157. Für penna spricht eventuell der vergleichbare Gebrauch dieser Vokabel im kollektiven Singular in Ov. met. 2,376 penna latus velat […]158. Durch die Konjektur aere gewinnt der Text dagegen nicht: So liest Peiper in Abänderung der Überlieferung von A et volucres varias suspendunt aere pinnas, doch dass die Vögel ihre Flügel in der Luft schweben lassen, ist nichts Besonderes, während es durchaus der Erwähnung wert ist, dass sie (schwere) Körper in der Höhe halten159. Auch Gronovius bedient sich der Konjektur aere und liest et volucres variae suspendunt aere pennae, eine zwar sinnvolle Aussage (bunte Flügel halten die Vögel in der Schwebe), die sich aber inhaltlich kaum von der Überlieferung in G unterscheidet und starke Eingriffe in den Text nötig macht. In V. 20 zeigt der HD wieder mehr Textnähe, denn mit den Begriffen volucres160 und penna knüpft er unübersehbar an Vet. Lat. gen. 1,21 (L) volatile pennatum an. Auch das anschauliche Bild von Vögeln, die mit ihren Flügeln ihre Körper in der Schwebe halten, auf klanglicher Ebene durch Alliteration (volucres varia) unterstrichen, hat einen Bezug zum Bibeltext, da in Vet. Lat. gen. 1,20 von fliegenden Vögeln ((L) volantia volatilia super terram) die Rede ist. 155 Vgl. Mayor 1889, 4. 156 Vgl. Petringa 1992, 148 Anm. 70; in ThlL 10,1 s.v. penna et pinna 1084,56–58 wird darauf hingewiesen, dass die Form pinna in den ältesten Inschriften und Codices auftritt und dass in mittelalterlichen Handschriften die Formen pinna und penna gemischt vorkommen. 157 Vgl. Hept. gen. 290 pinnis G, pennis AC, gen. 301 pinnis AG, pennis C, gen. 307 pinna CG, penna A, exod. 715 pinnarum AC (G fehlt), exod. 1081 pinnas AC (G fehlt), deut. 209 pinnis AB, pennis C. 158 Vgl. Petringa 1992, 148 Anm. 70. 159 Vgl. Mayor 1889, 4. Gegen aere bei Peiper plädieren auch Luthardt 1891, 425 und Mohr 1892, 104. 160 Der Begriff volucres findet sich, teilweise in Kombination mit pinnis bzw. pennis, auch bei anderen Bibeldichtern im Kontext der Erschaffung der Vögel, vgl. Mar. Victor. aleth. 1,126 hinc volucres quoque, molle genus, traxere vigorem, Ps. Hil. gen. 110 […] pictis volucres per nubila pinnis, Alc. Avit. carm. 1,32–34 Elatae in altum volucres [...] / [...] / Praepetibus librant membrorum pondera pinnis, Drac. laud. dei 1,253–254 […] volucres, / et rudibus tenuem subtexunt aera pennis und 1,269 unda creat volucres, producit flamma volucres; vgl. hierzu auch Petringa 1992, 147 Anm. 63.

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Ferner steht der HD auf lexikalischer Ebene in der poetischen Tradition: So tritt zwar nicht die Junktur varia penna, aber variae volucres zur Bezeichnung bunter Vögel mehrfach bei Vergil und Lukrez auf161, und das Verbum suspendere in Verbindung mit corpus zur Bezeichnung des In-der-Luft-Schwebens findet sich etwa in Sil. 12,94 (suspensum hic [i.e. Daedalus] librans media inter nubila corpus) und Paul. Nol. carm. 24,876 (suspensa pennis corpora). V. 21 sexta pater gelidos in spiras lubricat angues: Im Kontext des sechsten Tages (sextă [scil. die])162 nimmt der HD mit dem Begriff pater wieder Gott als Akteur der Schöpfung in den Blick, nachdem Gott seit V. 7 (dominus) nicht mehr ausdrücklich erwähnt worden ist. Dabei bedient er sich einer typisch christlichbiblischen Wortbedeutung, steht aber zugleich in der Tradition der heidnischen Dichtung, in der insbesondere Jupiter der Titel pater verliehen wird163. Mit angues gibt der HD Vet. Lat. gen. 1,25 (L) serpentia wieder, wobei er eine Bezeichnung wählt, die deutlich negativ konnotiert ist und insbesondere in Sprichwörtern auftritt, vgl. etwa Verg. ecl. 3,93 frigidus, o pueri, fugite hinc, latet anguis in herba und Hor. epist. 1,17,30–31 alter Mileti textam cane peius et angui / vitabit chlanidem […] 164. Der Dichter bereitet damit ganz offensichtlich die Szene der Paradieserzählung vor, in der die Schlange, ebenfalls als anguis bezeichnet, Eva zum Essen der verbotenen Frucht veranlasst (vgl. V. 74 serpebat tacite spiris frigentibus anguis). Die Schlangen werden über die biblische Vorlage hinausgehend durch die drei topischen Eigenschaften Kälte, Sich-Winden und Glätte näher charakterisiert, was der HD auf grammatikalischer Ebene abwechslungsreich gestaltet: Mit dem Adjektiv gelidos als Attribut zu angues wird die Kälte bezeichnet; gelidus findet sich häufiger in Bezug auf Schlangen und transportiert die Konnotation des Todbringenden, was insbesondere für die später im Paradies auftretende Schlange gilt (vgl. V. 74 spiris frigentibus)165. Der Präpositionalausdruck in spiras verweist auf das Sich-Winden (vgl. auch V. 74 spiris) und ist offensichtlich von Verg. georg. 2,154 squameus in spiram tractu se colligit anguis inspiriert, welchen Vers der HD in Hept. exod. 193 fast unverändert aufgreift (spumeus in spiram tractu se colligit anguis). Schließlich veranschaulicht das Verbum lubricat die Glätte der Schlangen, die in der klassischen Dichtung wie bei den christlichen Exegeten häufig mit dem Adektiv lubricus beschrieben wird166. Lubricat steht 161 Vgl. Lucr. 1,589; 2,145.344; 4,1007; 5,801.1078; Verg. Aen. 7,32–33, georg. 1,383. 162 Zur Kürzung der Ablativendung -ā vgl. den Kommentar zu V. 15. Die Zeitangabe ist aus Vet. Lat. gen. 1,31 vorgezogen. 163 Vgl. ThlL 10,1 s.v. pater 685,27–66 mit zahlreichen epischen Belegen. 164 Vgl. ThlL 2 s.v. anguis 52,1–10 unter I 1 animal taetrum venenatum lubricum. proverbia, sim. 165 Vgl. ThlL 6,2 s.v. gelidus 1729,65–69 unter I B 3 de serpentibus, subaudienda ut videtur notione mortiferi; vgl. auch Lucan. 6,488–489 […] gelidos his explicat orbes / inque pruinoso coluber distenditur arvo, Mart. 12,28,5 cervinus gelidum sorbet sic halitus anguem, Drac. laud. dei 3,304 […] gelidis obsessa cerastis. 166 Vgl. die bei Petringa 1992, 149 Anm. 72 zitierten Belege Lucr. 4,60 lubrica serpens, Verg. Aen. 5,84 lubricus anguis, 7,352–353 coluber […] lubricus, Ambr. hex. 5,14,46 coluber lubricus, Eustath. Basil. hex. 9,5,13 velut serpens […] lubricus (als Vergleich für den Elefan-

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hier in einmaliger Verwendung mit effiziertem Objekt, d.h. es bezeichnet nicht das Glattmachen von etwas bereits Vorhandenem, sondern die Hervorbringung der glatten Schlangen im Sinne von Vet. Lat. gen. 1,25 (L) fecit167. Morels Text in spiras lubricat angues stellt eine sinnvolle Verbesserung der Überlieferung von A in spira lubricat angues dar, denn so gibt in mit dem Akkusativ in Anlehnung an Verg. georg. 2,154 (in spiram) an, zu welcher Form Gott die Schlangen gestaltet, und werden die Windungen der Schlangen passenderweise im Plural genannt. Dieser Text ist trotz des singulären Gebrauchs von lubricat dem in CG überlieferten inspirat lubricas angues vorzuziehen, da in diesem Falle zwei unverbundene Attribute unterschiedlichen Geschlechts auf angues zu beziehen sind, nämlich gelidos und lubricas; zudem wäre das a im Akkusativ Plural bei lubricas kurz und müsste folglich als eine prosodische Lizenz angesehen werden. Es ist anzunehmen, dass ein ursprüngliches in spiras lubricat durch die Vertauschung der Endungen zu inspirat lubricas verdorben wurde168. Auf lautlicher Ebene fällt in diesem Vers die Häufung des Konsonanten s am Wortanfang und –ende auf, wodurch der Dichter vielleicht noch eine vierte Eigenschaft der Schlangen, nämlich das Zischen, einbringt. V. 22 quadrupedumque greges totos diffundit in agros: Mit quadrupedumque greges169, welches am Versbeginn stehend klanglich an den bekannten Vergilvers Aen. 8,596 quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum anknüpft, fasst der HD Vet. Lat. gen. 1,25 (L) bestias und pecora zusammen; quadrupedum steht auch in dem ansonsten ausgelassenen Bibelvers Vet. Lat. gen. 1,24 für die vierfüßigen Landtiere170. Die schlichte Feststellung des göttlichen Schöpfungsaktes in Gestalt des biblischen (L) fecit ersetzt der HD durch das anschauliche Bild von Herden, die Gott sich über alle Felder (totos [...] in agros)171 ausbreiten lässt. Auch bei Proba werden im Kontext der Erschaffung der Landtiere Tierherden erwähnt, vgl. cento 106 nec gregibus liquidi fontes nec gramina desunt. Der Gebrauch von diffundere in Bezug auf Tierherden scheint singulär zu sein172 und impliziert die Vorstellung, dass Gott die Tiere in großer Fülle über die Felder verteilt, wodurch bereits das Motiv der vielfachen Vermehrung und Ausbreitung auf der Erde (V. 23–24) anklingt. Ähnliche Hexameterschlüsse finden sich vor dem

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tenrüssel), Aug. civ. 14,11 animal scilicet lubricum (in Bezug auf die Schlange im Paradies); ferner Hept. exod. 266 lubricus anguis. Vgl. ThlL 7,2 s.v. 1. lubrico 1685,71–73 mit Hept. gen. 21 als einzigem Beleg. Das Verbum selbst scheint erst seit Juvenal belegt zu sein, vgl. ebd. 1685,64. Vgl. Mayor 1889, 5. Am Versbeginn auch in Hept. exod. 329 und Alc. Avit. carm. 4,486. Vgl. Vet. Lat. gen. 1,24 (C) quadrupedum // (E) quadrupedia // (M) quadrupedes. Zur häufigen Verwendung von toti als Synonym für omnes im Spätlateinischen vgl. Löfstedt 1936, 210; zu totos […] agros mit agros am Hexameterende vgl. auch Tib. 1,3,61, Lucan. 6,273; 7,538.546, Coripp. Ioh. 1,548; 4,628. In ThlL 5,1 s.v. diffundo 1110,10–11 wird Hept. gen. 22 nach der Anmerkung nota unter I B de animantibus ohne weitere gleichartige Belege verzeichnet.

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HD in Sil. 6,648 […] se fundit in agros und Lucan. 7,546 […] perfuderat agros173. V. 23–24a cunctaque multiplici mandavit crescere passim / germine: Hier weicht der HD deutlich von seiner biblischen Vorlage ab, in welcher bei der Erschaffung der Landtiere kein Vermehrungsauftrag erwähnt wird. Ein solcher findet sich zuvor in Vet. Lat. gen. 1,22 in Hinblick auf Wassertiere und Vögel ((L) crescite et multiplicamini et implete aquas maris et volatilia multiplicentur super terram), und darauf rekurriert der Dichter hier offensichtlich174, indem er durch multiplici multiplicamini bzw. multiplicentur und durch crescere crescite aufgreift. Während der biblische Bericht die Frage aufkommen lässt, warum von den Tieren nur und ausgerechnet Fische und Vögel mit einem Vermehrungssegen bedacht werden175, erwähnt der HD den Vermehrungssauftrag erst bei der letzten erschaffenen Tiergruppe, und zwar so, dass in V. 23 unter dem zusammenfassend gebrauchten Neutrum Plural cuncta auf den ersten Blick alle bisher geschaffenen Tiere verstanden werden können; erst in V. 24 wird durch errare et pascere terris deutlich, dass hier nicht die Fische gemeint sein können176. Mandare mit dem AcI im Sinne von iubere ist im späten Latein verbreitet und findet sich innerhalb der Heptateuchdichtung noch öfter177. Im Vergleich zu Vet. Lat. gen. 1,22 ((L) crescite et multiplicamini) wird der Vermehrungsauftrag vom HD geradezu hyperbolisch gesteigert: Durch die Alliteration bei multiplici mandavit und das viersilbigen Adjektiv multiplici vor der Penthemimeres wird der Aspekt der Vervielfältigung hervorgehoben und durch germine explizit auf die Zeugung von Nachkommen bezogen. Germen findet sich gerade bei christlichen Autoren häufig in Bezug auf menschliche Nachkommen, während es für Nachkommen von Tieren seltener belegt ist178; der HD benutzt es nochmals in dieser Bedeutung, bezogen auf Jungvögel, in Hept. gen. 252 (quae [scil. arca] teneat volucrum mansura ad germina nidos). Während in Vet. Lat. gen. 1,22 die Vermehrung der Fische und Vögel räumlich auf Meer und Land eingegrenzt wird, wird sie in V. 23 durch das Adverb passim ins Grenzenlose gesteigert, wobei das Enjambement passim / germine diese Entgrenzung auf metrischer Ebene sinnfällig macht. Eine ähnlich hyperbolische Formulierung mit wörtlichen Anklängen an V. 23–24a verwendet der HD in Hept. gen. 46–47, wo der Vermehrungsbefehl Gottes an die Menschen wiedergegeben 173 Um eine Rezeption des HD dürfte es sich bei Coripp. Ioh. 1,548 […] et totos agmen diffundit in agros handeln. 174 Vgl. auch Petringa 1992, 149. 175 Vgl. etwa Aug. gen. ad litt. 3,13. 176 Eindeutig auf alle Tiere bezogen ist der Vermehrungsauftrag in Mar. Victor. aleth. 1,169– 170, wo er unmittelbar nach dem Vermehrungsauftrag an die Menschen am Ende des sechsten Tages erwähnt wird: iam bene sic dicente deo natura creandi / imposita est cunctis, quae per se viva moventur. 177 Vgl. LHS 356 § 195 unter c. Zu weiteren Belegen für mandare mit Infinitivkonstruktion beim HD vgl. Peiper 1891, 328 s.v. mando. 178 Vgl. ThlL 6,2 s.v. germen 1923,28–80 (menschliche Nachkommen) und 1923,80–84 (tierische Nachkommen) mit den drei Belegen Nemes. cyn. 146, Avian fab. 33,1 und Mart. Cap. 7,729.

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wird: Crescite multimodo ventura in tempora partu, / ut polus et plenae vestro sint germine terrae. V. 24b et inmensis errare et pascere terris: Durch den Auftrag, auf der Erde umherzuschweifen und zu fressen, wird der Gedanke aus V. 22, dass die Vierfüßer sich über alle Felder ausbreiten sollen (totos diffundit in agros), wieder aufgegriffen. Das Adjektiv inmensis, das der HD innerhalb der Heptateuchdichtung 35mal in ganz unterschiedlichen Kontexten benutzt und bereits in V. 9 auf das Meer bezieht (inmensus […] pontus), hebt die enorme Weite des Erdkreises hervor179 und knüpft inhaltlich an passim in V. 23 an. Insofern als errare speziell bei Herdentieren und Vieh die Bedeutung per pascua palari („weiden“) annimmt180, überschneidet es sich inhaltlich mit dem hier intransitiv verwendeten pascere181, so dass an dieser Stelle von einer synonymischen Amplificatio gesprochen werden kann182. Im weiteren Sinne von vagari kann sich errare aber, ebenso wie pascere, auf alle möglichen Tiere beziehen183, so dass V. 24 tatsächlich alle auf dem Land lebenden Tiere, also Vierfüßer, Kriechtiere und Vögel, umfassen könnte. Damit erscheint V. 24 als eine Anspielung auf Vet. Lat. gen. 1,30, wo Gott den Tieren der Erde, den Vögeln und den Kriechtieren das grüne Gras zur Nahrung gibt184. Der HD könnte diesen Gedanken in den Zusammenhang der Erschaffung der Tiere eingegliedert haben, da er ihm in seinem ursprünglichen Zusammenhang, nämlich unmittelbar nach der Zuweisung der Nahrung an die Menschen (Gen 1,29), weniger stimmig erschien. Außerdem wird durch die freie Paraphrase von Vet. Lat. gen. 1,30 und die Abtrennung vom ursprünglichen Kontext die biblische Wiederholungsstruktur (Gen 1,29 Nahrung für die Menschen, 1,30 Nahrung für die Tiere) unterdrückt. V. 25 Haec ubi constituit divina potentia iussu: Dieser Vers, mit dem offensichtlich alle bisherigen Schöpfungswerke zusammengefasst werden sollen, hat keine direkte Entsprechung in der biblischen Vorlage und ist allenfalls mit dem ersten Teil von Vet. Lat. gen. 1,31 vergleichbar, wo Gott am Ende des sechsten Tages auf sein Gesamtwerk zurückblickt und es für gut befindet185. Constituit ist hier im Sinne von creavit gebraucht, eine bereits in der klassischen Literatur belegte Verwendungsweise186, die auch in Hept. deut. 181 (hic [scil. deus] te constituit, creavit ille) zu finden ist. Eine ähnliche Bilanz vor der nun folgenden Er179 Vgl. auch Ov. trist. 4,2,59 illa per inmensas spatiatur libera terras. 180 Vgl. ThlL 5,2 s.v. 1. erro 807,68–77. 181 Proba verwendet im gleichen Kontext das Deponens pasci, vgl. cento 105 cetera pascuntur virides armenta per herbas. 182 Vgl. Petringa 1992, 149. 183 Vgl. ThlL 5,2 s.v. 1. erro 807,78–808,15 (Einzeltiere, Vögel, Schlangen) und ThlL 10,1 s.v. pasco/pascor 598,12–55, wo neben Herdentieren auch verschiedene Einzeltiere genannt werden. 184 Eine Anspielung auf diesen Bibelvers sieht auch Martorelli 2008, 55 Anm. 8. 185 Eine derartige Parallele zu Gen 1,31 sieht Kreuz 2006, 268 in Bezug auf Ps. Hil. gen. 111 (His ubi perfectis genitor iam divite mundo), welcher Vers ebenfalls unmittelbar der Erkenntnis Gottes vorausgeht, dass der Welt ein Herrscher fehlt. 186 Vgl. ThlL 4 s.v. constituo 514,15–59.

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schaffung des Menschen wird auch im Cento der Proba und in der Alethia des Cl. M. Victorius gezogen: Bei Proba wird von einem (vorläufigen) Abschluss des Schöpfungswerkes gesprochen (vgl. cento 109 prospiciens genitor perfectis ordine rebus), in aleth. 1,159 stellt Gott fest, dass sein gesamtes Werk vollendet und gut ist (stat data summa operi, bona sunt quaecumque creavi)187. Das Abstractum potentia, das hier als Agens verwendet ist188, dient als Periphrase für Gott unter besonderer Betonung seiner Macht als Schöpfer189. Ebenfalls als Agens und in Kombination mit dem Adjektiv divina sowie an der gleichen metrischen Position, aber in einem konträren inhaltlichen Kontext findet sich potentia in Ov. Pont. 4,3,49 ludit in humanis divina potentia rebus: Hier tritt die göttliche Macht nicht planvoll handelnd auf, sondern treibt ihr Spiel mit dem menschlichen Leben190. Mit constituit […] iussu wird auf die Schöpfungsbefehle angespielt, in denen die Macht Gottes als Schöpfer offenbar geworden ist, die der HD aber in seiner Darstellung zur Vermeidung von Redundanzen stets ausgelassen hat. Jedes neue Schöpfungswerk – mit Ausnahme von Himmel und Erde in Gen 1,1 – wird in der Bibel durch einen im Jussiv ausgedrückten Befehl, öfters in Form von fiat, eingeleitet, bevor von der Ausführung berichtet und das Werk durch Gott gebilligt wird191. Zugleich wird durch iussu ein Kontrast zu der bevorstehenden Erschaffung des Menschen aufgebaut, der eben nicht durch ein befehlendes Wort Gottes ins Leben tritt, sondern von Gottes eigener Hand geformt wird (vgl. V. 29–30). V. 26 rectorem inspiciens mundanis defore rebus: Während Gott unmittelbar nach der Erschaffung und Billigung der Landtiere in Vet. Lat. gen. 1,26 die Erschaffung des Menschen als sein Ebenbild beschließt und den Menschen zum Herrscher über die Schöpfung bestimmt, leitet der HD diese Zweckbestimmung aus einem bestehenden Mangel ab und motiviert damit Gottes Entschluss, den Menschen zu schaffen: Weil Gott erkennt (inspiciens)192, dass der Welt ein Herrscher fehlen wird193, erschafft er den Menschen. Ähnlich heißt es bereits in Ov. met. 1,76–77, dass nach der Erschaffung des Kosmos noch ein vernunftbegabtes Wesen gefehlt habe, das über die übrigen herrschen könnte (Sanctius his animal mentisque capacius altae / deerat adhuc et quod dominari in cetera posset), und auch andere Bibeldichter greifen dieses Motiv auf, so dass nach Proba ein Herrscher über die Schöpfung und Bearbeiter der Erde fehlt, nach Cl. M. Victorius ein 187 Vgl. ferner Ps. Hil. gen. 111 (s.o. Anm. 185), Alc. Avit. carm. 1,53 Et tamen impletum perfectis omnibus orbem, Drac. laud. dei 1,329 Omnibus his genitis animal rationis amicum. 188 Vgl. ThlL 10,2 s.v. potentia 294,1–5 mit Belegen für göttliche potentia als Agens. 189 Zur Periphrase handelnder Personen durch abstrakte Begriffe im Bibelepos vgl. auch Herzog 1975, 137–139. 190 Weitere Belege mit divina potentia an der gleichen Position im Hexameter sind Manil. 2,451 und 3,90, Paul. Nol. carm. 16,142 und 19,48, Ven. Fort. carm. 2,3,15; 7,22,3; 11,25,31. 191 Zu dieser Struktur vgl. Westermann 1976, 117. 192 Zu inspicere im Sinne von cognoscere mit AcI vgl. ThlL 7,1 s.v. inspicio 1955,72–85 mit fast ausschließlich christlichen Belegen. 193 Der Infinitiv Futur defore kann hier, im Gegensatz zu anderen Stellen in der Heptateuchdichtung, tatsächlich auf die Zukunft bezogen werden und muss nicht nach Art des späten Lateins im Sinne eines Infinitivs Präsens verstanden werden. Zu defore im Sinne von deesse beim HD vgl. dagegen Peiper 1891, 319 s.v. defore.

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Betrachter und Besitzer, nach Ps.-Hilarius ein König, der zugleich die Werke Gottes preist, und nach Alcimus Avitus ein Bearbeiter194. Das Adjektiv mundanus, das sich bei Kirchenschriftstellern großer Beliebtheit erfreut195, begegnet in der christlichen Literatur öfters im abwertenden Sinne von „weltlich, heidnisch“196, doch in V. 26 ist mit der Junktur mundanis [...] rebus wertneutral die Erde gemeint197, über die der Mensch als rector herrschen soll, was in der Kirchenväterliteratur gewöhnlich von Gott selbst gesagt wird198. V. 27–28a haec memorat: „Hominem nostris faciamus in unguem / vultibus adsimilem: Nachdem der HD in V. 26 über die biblische Vorlage hinausgehend Gottes Motivation für die Erschaffung des Menschen angeführt hat, nämlich den Mangel eines Herrschers über die Welt, paraphrasiert er nun in enger Anlehnung an Vet. Lat. gen. 1,26 die wörtliche Rede Gottes. Nach der Redeeinleitung haec memorat, die an Verg. Aen. 3,182 und 8,532 tum memorat erinnert und dem biblischen (L) et dixit deus entspricht, folgt der Hortativ hominem […] faciamus, der abgesehen von der umgekehrten Wortreihenfolge die Bibelworte (L) faciamus hominem wörtlich aufgreift. Der Hortativ faciamus wird in der Kirchenväterexegese als Anzeichen für die Beteiligung Christi an der Schöpfung gelesen, da Gott hier zu seinem Sohn spreche199, oder als ein Sprechen des dreifaltigen Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist gedeutet200, doch derartige Erwägungen finden sich beim HD nicht. In jedem Falle wird dadurch, dass Gott nicht einen Befehl im Jussiv ausspricht wie bei der Erschaffung des Lichts (V. 6 „Lux fiat!“), sondern in Form des Hortativs bei sich selbst einen Entschluss fasst, der Mensch unter den übrigen Schöpfungswerken herausgehoben201. Der nächste Aspekt, der die besondere Stellung des Menschen in der Schöpfung betont, ist der Entschluss Gottes, 194 Vgl. Proba cento 112–114 […] secumque volutat, / qui mare, qui terras omni dicione tenerent, / neu segnes iaceant terrae […]; Mar. Victor. aleth. 1,155–158 ni spectator adest, quem tantae gloria molis / impleat atque oculis avidum per singula ducat, / quid possint conferre deo? possessio nulla est, / si rerum possessor abest […]; Ps. Hil. gen. 112–115 cuncta videt curam magni deposcere regis, / qui mare, qui terras atque omnia nata gubernet, / quique altum spectet caelum laudetque potenter / munera magna dei, ne sint haec condita frustra; Alc. Avit. carm. 1,53–54 Et tamen impletum perfectis omnibus orbem / Quid iuvat ulterius nullo cultore teneri? Vgl. zu diesen Belegen auch Petringa 1992, 150–151 Anm. 76. 195 Ansonsten ist es einmal bei Cicero (Tusc. 5,108) und dann seit Apuleius belegt, vgl. ThlL 8 s.v. mundanus 1621,37–40. 196 Vgl. ThlL 8 s.v. mundanus 1621,77–1622,51. 197 Vgl. auch Alc. Avit. carm. 1,133–135 (Gott spricht den Menschen an): Haec quae mundanis cernis pulcherrima rebus / Incrementa novis ornatum tensa per orbem, / Solus habe totisque prior dominare fruendo. 198 Vgl. etwa Cypr. Demetr. 5 Nam cum ipse [scil. deus] sit mundi dominus et rector; Lact. instr. 2,16,8 ille autem praeses mundi et rector universi; 3,15,5 et sicut unus est huius mundi constitutor et rector deus; opif. 16,4 […] sicut ipse mundi dominus et rector in summo est; ira 10,53 Quod si est conditor rectorque mundi deus; Ambr. Noe 17,61 deum esse operatorem mundi atque rectorem. 199 Vgl. etwa Ambr. hex. 6,7,40. 200 Vgl. etwa Aug. gen. ad litt. 3,19; was genau mit dem Plural gemeint ist, ist auch in der modernen Exegese noch nicht befriedigend geklärt, vgl. Soggin 1997, 43. 201 Vgl. auch Petringa 1992, 151.

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den Menschen nach seinem Bild zu gestalten, vgl. Vet. Lat. gen. 1,26 (L) ad imaginem et similitudinem nostram. Der HD führt diesen Gedanken in Form des versübergreifenden Chiasmus Hominem nostris […] / vultibus adsimilem aus, indem er mit adsimilem eng an similitudinem anknüpft und imaginem […] nostram freier mit nostris […] vultibus wiedergibt. Vultus kann, ebenso wie imago in Vet. Lat. gen. 1,26, die äußere Gestalt bezeichnen, wobei der Plural vultibus dann als poetischer Plural zu erklären ist202. Diese anthropomorphe Gottesvorstellung, die der HD aus dem alttestamentlichen Bibeltext übernimmt, wird noch gesteigert, wenn man vultibus im Sinne von „Gesichtszüge“ auffasst, so wie dies in Proba cento 120 (os umerosque deo similis) und Ps. Hil. gen. 119–120 (Sed „Faciamus, ais, hominem, cui[us] vultus imago / noster erit […]) der Fall ist. In der Exegese des Origenes, Ambrosius und Augustinus wird dieser Anthropomorphismus deutlich abgelehnt mit der Begründung, dass der Mensch nur in Hinblick auf seine Seele bzw. Vernunft, durch die er die übrigen Lebewesen übertreffe, Gott ebenbildlich sei, nicht aber dem Körper nach203; dagegen findet sich der Gedanke, dass der Mensch als geistig-seelische und körperliche Einheit als Gottes Ebenbild geschaffen wird, bei Irenaeus, und nach Tertullian formt Gott den Lehm insofern nach seinem Ebenbild, als er ihn nach dem Modell Christi, des in der Zukunft Mensch werdenden Gottes, formt204. Über den Bibeltext hinausgehend betont der HD die exakte Ähnlichkeit zwischen Gott und dem zu schaffenden 202 Vgl. Bömer 1969, 192 zu Ov. met. 1,611 ([scil. in] Inachidos vultus mutaverat ille iuvencam): „vultus, fere i.q. ‘forma’, ‘species’“. 203 Vgl. etwa Rufin. Orig. in gen. 1,13 Hunc sane hominem, quem dicit ‚ad imaginem Dei‘ factum, non intellegimus corporalem. Non enim corporis figmentum Dei imaginem continet [...]. Is autem, qui ‚ad imaginem Dei‘ factus est, interior homo noster est, invisibilis et incorporalis et incorruptus atque immortalis; Ambr. hex. 6,7,43 anima igitur nostra ad imaginem dei est. [...] haec est, per quam ceteris ferarum aviumque dominaris animantibus, haec est ad imaginem dei, corpus autem ad speciem bestiarum. in hac pium divinae imitationis insigne, in illo cum feris ac beluis vile consortium; Aug. gen. ad litt. 3,20 Hic etiam illud non est praetereundum, quia, cum dixisset: ad imaginem nostram, statim subiunxit: et habeat potestatem piscium maris et volatilium caeli et ceterorum animalium rationis expertium, ut videlicet intellegamus in eo factum hominem ad imaginem dei, in quo inrationalibus animantibus antecellit. id autem est ipsa ratio vel mens vel intellegentia vel si quo alio vocabulo commodius appellatur; gen. c. Manich. 1,17,28 […] non credere deum forma corporea definitum et, quod homo ad imaginem dei factus dicitur, secundum interiorem hominem dici, ubi est ratio et intellectus; [...]. Cum enim dixisset: faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram, addidit continuo: et habeat potestatem piscium maris et volatilium caeli et cetera, ut intellegeremus non propter corpus dici hominem factum ad imaginem dei, sed propter eam potestatem qua omnia pecora superat. Zu diesem Gedanken vgl. auch Mar. Victor. aleth. 1,161–162 et sit imago dei. similem decet esse creanti, / liber ad arbitrium fruitur qui mente creatis. 204 Vgl. Iren. 5,6,1 Per manus enim Patris, hoc est per Filium et Spiritum, fit homo secundum similitudinem Dei, sed non pars hominis. Anima autem et Spiritus pars hominis esse possunt, homo autem nequaquam: perfectus autem homo commixtio et adunitio est animae assumentis Spiritum Patris et admixtae ei carni quae est plasmata secundum imaginem Dei; Tert. resurr. 6,3 Quodcumque enim limus exprimebatur, Christus cogitabatur, homo futurus, quod et limus, et sermo caro, quod et terra tunc; vgl. hierzu auch Badini/Rizzi 2011, 163.

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Menschen durch die Wendung in unguem205, die im übertragenen Sinne ein genaues Maß bezeichnet und der Sprache der Bildhauer entlehnt ist, welche mit dem Fingernagel abschließend die Glätte ihrer Arbeit prüften („bis auf die Nagelprobe“)206. Dieses auf Platon zurückgehende Konzept des deus artifex bzw. opifex begegnet im gleichen biblischen Kontext in Alc. Avit. carm. 1,76–81 und Drac. laud. dei 1,603–605207. V. 28b toto qui regnet in orbe“: In dem konjunktivischen Relativsatz mit finalem Nebensinn bestimmt Gott den zu erschaffenden Menschen zum Herrscher über die Schöpfung208. Der HD paraphrasiert hier knapp den Rest von Gottes direkter Rede in Vet. Lat. gen. 1,26, wobei er mit dem finalen Konjunktiv regnet den Jussiv (L) habeat potestatem209 wiedergibt und damit an die Vorstellung vom Menschen als „König“ über die Schöpfung anknüpft, wie sie etwa Ambr. Noe 10,31 (homo, cui regalem quandam dominus deus in omne animantium genus potestatem dedit) zum Ausdruck kommt. Mit toto [...] in orbe210 werden die in der Bibel aufgezählten Lebewesen mitsamt der ganzen Erde auf abstraktere Weise zusammenfasst, vgl. (L) piscium maris et volatilium caeli et omnium pecorum et ferarum et omnis terrae et omnium reptilium quae super terram repunt. Eine fast wörtliche Wiederholung von V. 28b findet sich in Hept. exod. 721 […] ut toto fortes regnetis in orbe, wo Gott Mose in der Wüste die Herrschaft des Volkes Israel in der ganzen Welt prophezeit. Wörtliche Parallelen zeigen sich insbesondere zu Lucan. 3,230 qua colitur Ganges, toto qui solus in orbe, Auson. praef. 1,34 at meus hic toto regnat in orbe suo und im gleichen biblischen Kontext zu Mar. Victor. aleth. 1,160 nunc hominem faciamus“ ait, „qui regnet in orbe211. V. 29 et licet hunc solo posset componere verbo: Mit V. 29 bereitet der HD die Darstellung der Erschaffung des Menschen nach Vet. Lat. gen. 2,7 vor und bringt eine über die biblische Vorlage hinausgehende Erläuterung ein, die die besondere Würde des Menschen gegenüber den anderen Geschöpfen hervorheben soll: Obwohl Gott den Menschen wie diese durch ein bloßes Wort erschaffen 205 Es ist nicht nötig, mit Fabricius in unguem in Anlehnung an Hor. sat. 1,5,32 zu ad unguem umzuändern, denn in unguem ist in der Poesie auch in Verg. georg. 2,277 belegt. Der Anstoß an dem seltenen in unguem dürfte dazu geführt haben, dass in C zu in oris verbessert wurde, zu Lasten der Syntax, da von adsimilem nun in mit dem Ablativ (in oris / vultibus) abhängig gemacht wird. 206 Vgl. OLD s.v. unguis 2093 unter 1 b und Georges 2 s.v. unguis 3304 unter I a. 207 Vgl. auch Moussy/Camus 2002, 313 zu Drac. laud. dei 1,604. 208 Ähnliche Formulierungen finden sich in Bezug auf Herrscher auch in Ov. fast. 5,495 Iuppiter et lato qui regnat in aequore frater (Poseidon), trist. 1,5,77 cumque minor Iove sit tumidis qui regnat in undis (Poseidon) sowie Verg. georg. 4,90 [...] melior vacua sine regnet in aula (Bienenkönig). 209 Die Vet. Lat. hat hier mehrere Varianten, vgl. domine(n)tur, dominabuntur, principatum habebunt, principatum gerat, praesint. 210 Diese Junktur ist in der Dichtung sehr häufig; mit in orbe am Hexameterende findet sie sich besonders in Ov. met. (1,6; 5,556; 13,622; 14,680; 15,177) und Lucan. (2,280.643; 3,230; 4,232; 8,129; 10,157). 211 Um eine HD-Reminiszenz dürfte es sich bei Ven. Fort. carm. 1,15,97 imperii fastus toto qui rexit in orbe handeln.

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(componere212) könnte, hält er ihn doch der eigenhändigen Formung für würdig (vgl. V. 30). Das als konzessive Konjunktion verwendete licet steht hier mit dem Konjunktiv eines Nebentempus, um einen Irrealis der Gegenwart auszudrücken213. Der Überlieferung hunc solo in G steht die Überlieferung uno solo in AC gegenüber, die entweder auf eine Verschreibung von hunc zu uno zurückzuführen ist oder aber zwei Varianten nebeneinander enthält, von denen uno möglicherweise die ältere ist214; daher könnte der Vers ursprünglich et licet hunc uno posset componere verbo gelautet haben, wobei mit dem einzigen Wort ein göttliches fiat gemeint wäre215. Theologisch betrachtet lassen sich in diesem biblischen Kontext sowohl solo [...] verbo („nur durch sein Wort“) als auch uno [...] verbo („durch ein einziges Wort“) stützen, ersteres etwa durch Tert. resurr. 5,7 (sola vocali potestate), letzteres z. B. durch Ambr. in Luc. 2,85 (uno verbo). Im Gegensatz zur Junktur solo [...] verbo findet sich uno [...] verbo häufiger in der Poesie216, was freilich nicht gegen solo [...] verbo sprechen muss. Aus dem sonstigen Sprachgebrauch des HD lässt sich kein Argument zugunsten der einen oder anderen Überlieferung gewinnen217, so dass kein Grund besteht, von Peipers Text (solo) abzuweichen. V. 30 ipse tamen sancta dignatus ducere dextra: Mit der durch dreifache Alliteration hervorgehobenen Formulierung sancta dignatus ducere dextra spielt der HD auf die Formung des Menschen durch Gott aus Lehm an, wie sie in Vet. Lat. gen. 2,7 dargestellt wird. Das Verbum ducere nimmt hier die Bedeutung „formen“ an und kommt in diesem Sinne bei der Anfertigung von Kunstwerken vor, wodurch das Konzept des deus artifex aus V. 27 fortgeführt wird218; ähnlich heißt es in Mar. Victor. aleth. 1,204–206 von Gott facilem nam cedere limum / et flexum formamque sequi qua ducitur arte/ arripit […]. Interessanterweise nennt der HD im Gegensatz zu den anderen einschlägigen Bibeldichtungen nicht das Material, aus dem der Mensch gebildet wird219, betont aber über Vet. Lat. gen. 2,7 hinausgehend die Besonderheit, dass der Mensch von Gott persönlich von Hand geschaffen worden sei (ipse [...] sancta [...] dextra), während die übrigen Schöpfungswerke durch seinen Befehl (vgl. V. 25 iussu) und durch sein bloßes Wort (V. 29 solo […] verbo) entstanden seien. Diese besondere Art der Erschaffung des Menschen wird durch den Parallelismus der jeweils am Versende stehenden Wendun212 Zu componere für die Erschaffung von Lebewesen vgl. ThlL 3 s.v. compono 2123,43–49 mit Belegen ab Ps. Apul. Ascl. 213 Vgl. KS II,2, 444 § 221 unter Anm. 2 mit Hinweis auf Mart. 5,39,8 und 9,91,3. 214 Vgl. Mayor 1889, 5. 215 So Hartel 1871, 284. 216 Vgl. etwa Catull. 67,15, Prop. 2,4,21, Ov. am. 2,16,11, Comm. instr. 1,31,2. 217 Hept. exod. 647–648 […] nec murmure solo, / sed paene est grassata manu […] ist inhaltlich nicht mit Hept. gen. 29–30 solo [...] verbo – dextra vergleichbar. 218 Vgl. Petringa 1992, 152 und ThlL 5,1 s.v. 1. duco 2149,11–12; vgl. auch Verg. Aen. 6,848 […] vivos ducent de marmore vultus. Weniger sinnvoll, da im Kontext kaum verständlich ist die wörtliche Auffassung von ducere im Sinne von „führen“, wie sie sich in der Übersetzung von White 2000, 101 findet: „Yet he was kind enough to lead him with his holy hand“. 219 Der Lehm bzw. die Erde wird dagegen erwähnt in Proba cento 116–117, Mar. Victor. aleth. 1,204, Ps. Hil. gen. 121, Alc. Avit. carm. 1,73–74, Drac. laud. dei 1,337.

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gen componere verbo (V. 29) und ducere dextra (V. 30) unterstrichen und erscheint durch dignatus als ein Akt göttlicher Gnade und göttlichen Wohlwollens gegenüber dem Menschen220. Der HD greift hier Gedanken aus der Kirchenväterexegese auf, die sich im Wesentlichen den folgenden Gegensatzpaaren zuordnen lassen221: 1. Die übrigen Werke sind durch Gottes Wort bzw. Befehl entstanden, der Mensch dagegen durch Gottes Hand. Dieses Konzept findet sich etwa in Tert. adv. Marc. 2,4, in Basil. De creatione hominis 2,2 und in Iren. Demonstratio apostolicae praedicationis 10–11, im Bereich der Bibeldichtung auch in Ps. Hil. gen. 125–126, Mar. Victor. aleth. 1,195–199, Alc. Avit. carm. 1,302–303, Drac. laud. dei 2,230–231 und Ps. Prosper carm. de prov. 220–222. 2. Die übrigen Werke sind durch Gottes Wort bzw. Befehl entstanden, der Mensch dagegen ist von Gott selbst erschaffen worden. Dieser Gedanke wird etwa in Tert. resurr. 5,7 und in Rufin. Orig. in gen. 1,12 aufgegriffen, wonach sich die Größe des Menschen darin zeigt, dass er wie die großen kosmischen Elemente von Gott selbst geschaffen worden sei222. Augustinus lehnt dagegen in gen. ad litt. 6,12 die Vorstellung ab, dass Gott den Menschen gleichsam mit körperlichen Händen geschaffen habe, und deutet die Hand Gottes im übertragenen Sinne als Gottes Macht. Auch zeichne sich der Mensch nicht dadurch vor den übrigen Geschöpfen aus, dass diese durch Gottes Wort entstanden seien, während er von Gott selbst geschaffen worden sei, sondern vielmehr dadurch, dass Gott ihn als sein Ebenbild geschaffen habe. Rein formal erinnert der Versschluss dignatus ducere dextra an Iuvenc. 2,406 Frigentis dextram dignatus prendere dextra, während die von Petringa behauptete inhaltliche Parallele zu Verg. Aen. 12,436–437 ([…] nunc te mea dextera bello / defensum dabit et magna inter praemia ducet) die sprachliche Ähnlichkeit zu sehr zu belasten scheint223. 220 Vgl. auch Evans 1968, 138. Zu dignari in diesem Kontext vgl. auch Mar. Victor. aleth. 1,202–204 […] nos circum impendere sacri / dignatur curam studii suadetque putari / paene laboris opus […], Alc. Avit. carm. 1,73 Haec ait et fragilem dignatus tangere terram und Ps. Prosp. carm. de prov. 221–222 […] hunc manibus, quo plus genitoris haberet, / dignatur formare suis; […]. 221 Vgl. zum Folgenden auch Nodes 1993, 28–29 Anm. 20 und Smolak 1972, 389 Anm. 32. 222 Vgl. Rufin. Orig. in gen. 1,12 Videamus autem, quae sunt, quae ipse Deus fecit, et per haec, quae magnitudo sit hominis, advertamus. „In principio fecit Deus coelum et terram“. Similiter ait: „et fecit duo luminaria magna“, et nunc iterum: „faciamus hominem“. In his solis factura ipsius Dei adscribitur, in aliis vero nullis; sed tantummodo coelum et terra, sol et luna ac stellae, et nunc homo a Deo facta sunt, omnia vero reliqua iussione eius facta esse dicuntur. Ex hoc ergo considera, quanta sit magnitudo hominis, qui tam magnis elementis tamque praecipuis adaequatur, [...]. Allerdings wird auch von den Vögeln und Fischen gesagt, dass sie von Gott geschaffen wurden (Gen 1,21), vgl. hierzu Habermehl 2011, 13 Anm. 44 und 50 Anm. 68. 223 Nach Petringa 1992, 151–152 und Petringa (La presenza) 2007, 160–161 hat der HD die Wendung dexteră […] ducet von Vergil in Gestalt von ducere dextrā nicht nur syntaktisch, sondern auch semantisch völlig verändert, denn ducere heißt ja bei Vergil nicht „formen“, sondern „führen“. Zugleich werde aber eine Parallele zwischen Adam und dem bei Vergil angeredeten Ascanius aufgebaut, insofern als beiden die Aufgabe eines rex vorherbestimmt sei: So sei Adam als Ebenbild Gottes dazu bestimmt, über alle anderen Lebewesen zu herrschen, während Ascanius zur Herrschaft über alle italischen Völker ausersehen sei.

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V. 31 inspirat brutum divino a pectore pectus: Der HD gibt hier den zweiten Teil von Vet. Lat. gen. 2,7 wieder, in dem beschrieben wird, wie Gott den aus Lehm gefertigten Menschen durch das Einhauchen des Lebensatems zu einer „lebendigen Seele“ macht, vgl. (L) et insufflavit (inspiravit) in faciem eius (in eum) spiritum vitae et factus est homo in animam viventem. Der Dichter folgt offenbar der vielfach bezeugten224 Vetus-Latina-Variante inspiravit, wobei er das Verbum inspirare im Sinne von spirando implere verwendet225. Während die Einhauchung des Lebensatems nach der biblischen Darstellung ins Gesicht des Menschen erfolgt (in faciem eius), lässt der HD Gott die Brust des Menschen mit Lebensatem erfüllen und ersetzt so eine Vorstellung, die für seine Leser fremdartig gewesen sein mag, durch das in paganer und christlicher Antike gängige Bild der Brust als Sitz der Seele226. Durch brutum kommt zum einen die Fühllosigkeit des noch unbelebten Menschenkörpers zum Ausdruck, der durch die Einhauchung des göttlichen Atems zu empfinden beginnt227, zum anderen dürfte hier auch daran zu denken sein, dass die zunächst vernunftlose Menschenbrust durch den göttlichen Atem mit Verstand begabt wird, durch welchen der Mensch sich von den übrigen Lebewesen unterscheidet. Diesen Aspekt der Vernunftbegabung betonen auch Proba und Cl. M. Victorius im Kontext der Menschenschöpfung228. Durch die chiastische Wortstellung brutum divino a pectore pectus stehen brutum und divino unmittelbar nebeneinander, wodurch der Kontrast zwischen dem noch gefühllosen und unvernünftigen Menschen und seinem Schöpfer hervorgehoben wird. Darüber hinaus wird durch das Polyptoton pectore pectus, das sich vor dem HD in Lucil. 305, Lucan. 4,624.783 und Sil. 5,219 findet, die enge Verwandtschaft zwischen Gott und dem Menschen hervorgehoben, der ja nach Gottes Bild geschaffen ist. In ähnlicher Weise bringt Adam in Vet. Lat. gen. 2,23 seine enge Verwandtschaft mit der neu geschaffenen Frau durch die Worte (L) hoc nunc os ex ossibus meis et caro de carne mea zum Ausdruck. Durch die anthropomorphe Vorstellung von der Brust Gottes und der physisch aufgefassten Beatmung des Menschen steht der HD im Gegensatz zu Augustinus, der in gen. ad litt. 7,1–3 den Gedanken ablehnt, Gott habe sozusagen körperlich mit Mund und Lippen gehaucht; auch sei der Hauch nicht ein Teil von Gottes Substanz, sondern etwas von ihm Geschaffenes. V. 32 quem postquam effigie formatum ceu sua vidit: Dieser Vers hat in der biblischen Vorlage keine unmittelbare Entsprechung. Der HD nimmt durch effigie formatum ceu sua nochmals Bezug auf die Gottesebenbildlichkeit des soeben ge224 Vgl. Fischer 1951, 39. 225 Vgl. ThlL 7,1 s.v. inspiro 1961,17–35, bezogen auf das Einhauchen des spiritus vitalis, mit ausschließlich christlichen Belegen. 226 Vgl. ThlL 10,1 s.v. pectus 914,5–19. 227 Vgl. Aug. gen. ad litt. 7,16 Non mihi ergo videtur dictum: factus est homo in animam vivam, nisi quia sentire coepit in corpore: quod est animatae viventisque carnis certissimum indicium. 228 Vgl. Proba cento 120–121 […] cui mentem animumque / maior agit deus atque opera ad maiora remittit und aleth. 1,211–212 et mentis iam plenus homo est terraque repulsus / exilit ac dominum prudens rationis adorat.

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schaffenen Menschen, die sich in Form von Zusätzen auch in Vet. Lat. gen. 2,7, der biblischen Vorlage der beiden vorausgehenden Verse, ausgedrückt findet229. Der Gedanke, dass Gott sieht, dass der Mensch nach seinem Ebenbild geschaffen ist, lässt sich im Sinne einer Begutachtung des neuen Werkes auffassen, wie dies im Schöpfungsbericht mehrfach in Gestalt der sog. Billigungsformel geschieht, erstmals in Vet. Lat. gen. 1,4 ((L) et vidit deus lucem quia bona est) und zuletzt in Vet. Lat. gen. 1,31 ((L) et vidit deus omnia quaecumque fecit et ecce bona valde). Ferner lässt sich dieser ausdrücklich erwähnte Blick Gottes auf dieses Geschöpf, das sein Ebenbild ist, auch als eine besonders aufmerksame Zuwendung Gottes zum Menschen deuten, und diese bildet wiederum den Hintergrund dafür, dass Gott die Einsamkeit des Menschen wahrnimmt und ihm eine Gefährtin erschafft (vgl. V. 33–37). Effigies findet sich als Bezeichnung für die körperliche Gestalt230 in Vet. Lat. gen. 5,3 in einem mit Gen 2,7 vergleichbaren Kontext, nämlich in Hinblick darauf, dass Adam seinen Sohn Seth nach seinem Bild gezeugt hat ((E) et genuit secundum effigiem suam et similitudinem suam). Ferner verwendet Ovid es in met. 1,83, wo Prometheus die mit Regenwasser vermischte Erde zum Bild der Götter formt und so den Menschen erschafft (finxit in effigiem moderantum cuncta deorum). Das hier nachgestellte ceu wird vom HD innerhalb der Heptateuchdichtung achtundzwanzigmal benutzt und tritt in der Dichtung mit Ausnahme der alten Bühnendichter seit Ennius auf231. Neben dem Ablativus modi effigie [...] suă232, der anstelle von secundum/ad effigiem steht, wirkt die Partikel überflüssig, was Mayor zu dem Vorschlag veranlasste, ceu sua durch caelite (d.h. „nach seinem himmlischen Bild“) zu ersetzen233. Dem HD geht es aber offensichtlich darum, durch diese Vergleichspartikel die Ähnlichkeit zwischen Gott und seinem Geschöpf herauszuarbeiten, wie sie in dem biblischen Begriff similitudo zum Ausdruck kommt, im Gegensatz zu einer völligen Gleichheit234. Das Verbum formatum entspricht sowohl einer vielfach bezeugten Variante in Vet. Lat. gen. 2,7235 als auch der Vulgata (formavit). V. 33 metitur solum mordaces volvere curas: Der HD knüpft in freier und interpretierender Weise an Vet. Lat. gen. 2,18 an, wo Gott feststellt, es sei nicht gut, dass der Mensch allein sei, und ihm eine Hilfe zu machen beschließt, die ihm ähnlich ist. Während diese Überlegung Gottes in der Bibel in direkter Rede wiedergegeben wird, wird sie vom HD als Gedanke Gottes in indirekter Rede dargeboten236. Metitur ist hier im Sinne von aestimare, considerare verwendet und mit

229 + ad imaginem (suam)/ad imaginem similitudinis suae/ ad imaginem et similitudinem suam/ad suam imaginem similitudinemque. 230 Vgl. ThlL 5,2 s.v. effigies 183,1–74. 231 Vgl. ThlL 3 s.v. ceu 977,62–63. 232 Zur Kürzung der Endung -ā im Ablativ Singular Femininum vgl. Peiper 1891, 344. 233 Vgl. Mayor 1889, 5. 234 Vgl. die in Anm. 229 zitierten Zusätze zu Vet. Lat. gen. 2,7 sowie Vet. Lat. gen. 1,26 (L) ad imaginem et similitudinem nostram. 235 Zur Bezeugung von formavit vgl. Fischer 1951, 38. 236 Vgl. auch Petringa 1992, 153.

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dem AcI verbunden, wofür der ThlL nur wenige weitere Belege anführt237. Mit dem Adjektiv solum, das sinnvollerweise als prädikatives Zustandsattribut auf ein zu ergänzendes eum bzw. auf quem in V. 32 bezogen wird, nimmt der Dichter wörtlich Bezug auf Vet. Lat. gen. 2,18 (L) esse hominem solum. Die aus dem Bibeltext zu erschließende Begründung für die Problematik des Alleinseins, nämlich das Fehlen einer dem Menschen entsprechenden Hilfe, vertieft er aber psychologisch, indem er von den „nagenden Sorgen“ (mordaces [...] curas) des alleinstehenden Menschen spricht, deren Last durch die Spondeenhäufung im gesamten Vers auf metrischer Ebene sinnfällig gemacht wird. Zugleich zeigt sich in dieser Einfühlung Gottes in den Menschen ein Ansatz zur Ethopoiie, die Dracontius im gleichen biblischen Kontext zum Motiv der misericordia dei ausbaut238. Worin genau die Hilfe für den Menschen bestehen soll bzw. worauf sich die Sorgen beziehen, wird weder in der Bibel noch vom HD genauer ausgeführt; es ist dabei wohl nicht nur an Arbeit und Fortpflanzung zu denken, sondern überhaupt an den Aspekt der menschlichen Gemeinschaft239, so dass Gott den Menschen „vor dem negativen und zerstörerischen Einfluss der Einsamkeit schützen“ will240. In mordaces volvere curas kontaminiert der Dichter die in der vorausgehenden Dichtung geläufige Junktur volvere curas241 mit der Junktur mordaces curas, die erstmals in Lucan. 2,681 belegt ist und gehäuft in der christlichen Literatur auftritt, insbesondere bei Augustinus242. Der HD selbst benutzt die Wortverbindung innerhalb der Heptateuchdichtung nochmals in exod. 459 und num. 87. V. 34 ilicet inriguo perfundit lumina somno: Im Gegensatz zum biblischen Bericht, nach dem Gott zunächst den Versuch unternimmt, Adams Einsamkeit durch die Zuführung der Tiere zu beheben, zieht Gott in der Darstellung des HD aus seiner Überlegung sofort (ilicet) die Konsequenz, den Menschen in Tiefschlaf zu versetzen und aus seiner Rippe die Frau zu bilden243. Ilicet findet sich beim HD und auch sonst in der daktylischen Dichtung oft am Satz- bzw. Versbeginn244 und kommt in Verbindung mit inriguo nochmals in Hept. gen. 728 vor (ilicet inriguo 237 Vgl. ThlL 8 s.v. metior 887,10–13; vgl. auch Hept. gen. 520–521.1168 sowie Ennod. epist. 4,6,1. 238 Vgl. Smolak 1972, 391 Anm. 41 und Drac. laud. dei 1,360–363 Viderat Omnipotens haec illum corde moventem / et miseratus ait: „demus adiutoria facto / participem generis.“ […]. 239 Vgl. Westermann 1976, 309–310. Augustinus betont dagegen in gen. ad litt. 9,5, dass die Frau nur zum Zwecke der Erzeugung von Nachkommen geschaffen worden sei; als Hilfe bei der Feldarbeit oder als Trost in der Einsamkeit wäre ein zweiter Mann sinnvoller gewesen. 240 Vgl. Soggin 1997, 74. 241 Vgl. Catull. 64,250, Lucan. 1,272, Sil. 2,482 und 15,19, Claud. 28,147–148 . 242 Vgl. etwa Aug. conf. 7,5,7 Talia volvebam pectore misero, ingravidato curis mordacissimis de timore mortis et non inventa veritate; conf. 9,1,1 Iam liber erat animus meus a curis mordacibus ambiendi et adquirendi et volutandi atque scalpendi scabiem libidinum […]; civ. 22,22 Quid amor ipse tot rerum vanarum atque noxiarum et ex hoc mordaces curae, perturbationes, maerores, formidines, insana gaudia, […]. 243 Eine vergleichbare Eile legt Gott in Proba cento 124–125 an den Tag, allerdings erst, als sich zeigt, dass kein anderes Lebenwesen Adam ebenbürtig ist: haut mora continuo placidam per membra quietem / dat iuveni […]. 244 Vgl. ThlL 7,1 s.v. ilicet 329,35–43; beim HD 41-mal am Versbeginn.

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scatebras de gurgite libans), wodurch sich jeweils eine auffallende Häufung des Vokals i ergibt. Der HD bezieht sich auf Vet. Lat. gen. 2,21 ((L) et inmisit deus soporem (somnum) in Adam et obdormivit) und stimmt wörtlich mit der Variante somnum überein. Zugleich schöpft er mit den Junkturen inriguo [...] somno245, perfundit […] somno246 und dem Hexameterschluss lumina somno247, der in Proba cento 125 im gleichen Kontext erscheint, aus der Tradition der klassischen Dichtung. Durch die Kombination dieses Versschlusses mit perfundit […] somno ergibt sich als neue Junktur perfundit lumina, die der HD nach Art von Ov. met. 10,360 aestuat et tepido suffundit lumina rore selbst geprägt zu haben scheint. Diese Junktur benutzt er in Hept. gen. 98–99 noch einmal, um einen konträren Sachverhalt auszudrücken (Tradidit haec mulier, dum dicit lumina promptim / candenti perfusa die […]), denn dort erklärt Adam, die Frau habe ihm von den verbotenen Früchten gegeben und gesagt, dass durch deren Genuss ihre Augen plötzlich von Tageslicht überströmt worden seien. Zwischen den beiden Textstellen besteht auch insofern ein Kontrastverhältnis, als Gott in V. 34 den Mann in einen Schlaf versetzt, um ihm die Frau als Abhilfe gegen die nagenden Sorgen zu erschaffen, während Adam im Kontext von V. 98–99 durch eben diese Frau in Sorgen geraten ist und sich vor Gott für eine Verbotsübertretung rechtfertigen muss. V. 35 mollius ut vulsa formetur femina costa: In V. 35 und 36 wird in Form des mit ut eingeleiteten Finalsatzes der Zweck der Einschläferung des Mannes angegeben, wobei es zunächst um die Erschaffung der Frau aus der Rippe des Mannes geht. Der HD bezieht sich hier auf Vet. Lat. gen. 2,21–22 und nähert sich mit formetur, welches formatum aus V. 32 wieder aufnimmt, der Textform C in Vet. Lat. gen. 2,22 an (formavit deus costam quam accepit ab Adam in mulierem), wandelt aber den schöpferischen Akt Gottes ins Passiv um und lässt so Gott als Akteur zurücktreten248. Zugleich kürzt er deutlich in Vet. Lat. gen. 2,21, indem er den Hauptsatz (L) et sumpsit deus unam de costis eius auf den Ablativ vulsa [...] costa reduziert und das Detail der durch Fleisch substituierten Rippe ((L) et implevit locum eius carne) weglässt. Durch das Partizip vulsa, das gemäß der Grundbedeutung von vellere an das Ausrupfen von Haaren oder Federn249 erinnert, arbeitet der HD über den Bibeltext hinausgehend das Gewaltsame und Destruktive der Operation heraus250, stellt diesem aber durch mollius die sedierende 245 Vgl. auch Pers. 5,56 hic satur inriguo mavult turgescere somno; an beiden Stellen wird irriguus metaphorisch auf den Schlaf bezogen, der die Augen bzw. den Körper überströmt, vgl. ThlL 7,2 s.v. 1. irriguus 421,64–67. 246 Vgl. auch Verg. georg. 1,78 urunt Lethaeo perfusa papavera somno; ähnlich Stat. Theb. 2,143–145 […] illos post verbera fessos / exceptamque hiemem cornu perfuderat omni / Somnus […]. 247 Die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 15.05.2016) verzeichnet 24 Belege, beginnend mit Catull. 64,122. 248 Vgl. auch Petringa 1992, 154. 249 Vgl. OLD s.v. vello 2023 unter 1. 250 Ähnlich Proba cento 128–129 harum [scil. costarum] unam iuveni laterum conpagibus artis / eripuit […].

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Wirkung des Schlafes und damit Gottes Fürsorge für den Menschen gegenüber. Der doppelte Anlaut mit labiodentalem Frikativ in formetur femina könnte auf lautlicher Ebene dazu beitragen, die in mollius ausgedrückte Sanftheit der Operation zu unterstreichen. V. 36 atque artus mixta geminos substantia firmet: Dieser Vers mit seinem Prädikat firmet ist weiterhin von ut in V. 35 abhängig und führt die Zweckbestimmung der Einschläferung Adams weiter. Das einhellig überlieferte mixtā […] substantiă kann sowohl als Nominativ und damit als Subjekt zu firmet verstanden werden, wenn man von einer Dehnung der Nominativendung –ă bei mixta ausgeht, als auch als Ablativus instrumentalis, wenn man eine Kürzung der Ablativendung –ā bei substantia annimmt – beides sind metrische Lizenzen, die beim HD oft vorkommen251. Abgesehen von diesen unterschiedlichen grammatikalischen Auffassungsmöglichkeiten von mixta [...] substantia wird das Verständnis des Verses auch durch die nicht ohne Weiteres auf der Hand liegende Semantik von mixta [...] substantia und artus [...] geminos erschwert, so dass es sinnvoll erscheint, zunächst verschiedene Bedeutungsmöglichkeiten des Verses zu erwägen: 1. In der christlichen Dichtung begegnen in Hinblick auf das Wesen des Menschen die Wendungen mixta [...] substantia (Prud. c. Symm. 2,212) und duplex substantia (Prud. psych. 909) bzw. substantia duplex (Ps. Prosp. carm. de prov. 222) und bezeichnen jeweils die aus Körper und Seele bestehende menschliche Natur, insbesondere bei der Erschaffung Adams252. Im biblischen Kontext der Erschaffung der Frau wird aber die Einhauchung einer Seele in den aus der Rippe geschaffenen Frauenkörper nicht thematisiert, und auch im Text des HD weist nichts darauf hin, dass mit der mixta [...] substantia die Verbindung von Evas Körper und Seele gemeint sein könnte. Daher wird diese semantische Möglichkeit im Folgenden ausgeschlossen. 2. Wenn mixta [...] substantia Subjekt zu firmet ist, könnte hier, wie Deproost253 vermutet, eine Anspielung auf Aug. gen. ad litt. 9,18 vorliegen, wo Augustinus erklärt, die Frau sei durch den Mann stark geworden, weil sie gleichsam durch seinen Knochen gestärkt worden sei, der Mann dagegen sei durch die Frau schwach geworden, weil an die Stelle der Rippe nur Fleisch gefüllt worden sei254. Somit wäre mixta [...] substantia auf die in V. 35 erwähnte Rippe des Mannes (costa) zu beziehen, die sich aber allenfalls als ein Gemisch aus „Mark und Bein“ verstehen lässt. Daher ist hier vielleicht an Adams Ausspruch in Vet. Lat. gen. 2,23 zu denken, dass die Frau Knochen von seinem Knochen und Fleisch von seinem Fleisch sei ((L) os ex ossibus meis et caro de carne mea), so dass die 251 Vgl. Peiper 1891, 344–345. 252 Letzteres bei Ps. Prosp. 253 Vgl. Deproost 2007, 121, der aber entgegen der handschriftlichen Überlieferung Morel folgt und mixtu gemino liest („qu’ ‚une substance issue d’un double mélange affermit les membres‘ de la première femme“). 254 Vgl. Aug. gen. ad litt. 9,18 […] quod ita mulier facta est de latere viri, et hoc dormientis, quae per ipsum firma facta est, tamquam eius osse firmata, ille autem propter ipsam infirmus, quia in locum costae non costa sed caro subpleta est, […].

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mixta [...] substantia eine Zusammensetzung255 aus Knochen und Fleisch bezeichnet. Will man den Vers vor dem Hintergrund der Augustinusstelle verstehen, so wäre geminos [...] artus eine Umschreibung für die Frau, die aus dem Mann entstanden und ihm daher ganz ähnlich ist, als eine Art Zwilling256. Als Übersetzung ergibt sich „und damit die (aus Knochen und Fleisch) zusammengesetzte Substanz die Zwillingsglieder (= die Frau) stärkt.“ Problematisch ist bei dieser Lösung die Auffassung von mixta [...] substantia als Gemisch aus Knochen und Fleisch, da in V. 35 lediglich die Rippe, d.h. der Knochen erwähnt wird. 3. Als Subjekt ließe sich mixta [...] substantia ferner im Sinne der gemeinsamen Grundsubstanz von Mann und Frau verstehen, insofern die Frau nach Gen 2,23 Fleisch und Bein vom Fleisch und Bein des Mannes ist257. „Gemischt“ ist diese Substanz deshalb, weil es sozusagen nicht eine eigene Substanz für den Mann und eine eigene für die Frau gibt, sondern Mann und Frau jeweils im Leib des anderen ihren eigenen Leib erkennen können, wie dies in Mar. Victor. aleth. 1,380 (semet in alterius cogens agnoscere membris) und Drac. laud. dei 1,380 (noscere in uxorem voluit sua membra maritum) ausgedrückt ist. Diese Gemeinsamkeit der leiblichen Substanz stärkt (vgl. firmet) zum einen den Mann (3.a.), da er in der leiblich verwandten Frau nun eine ihm entsprechende Hilfe gefunden hat (vgl. Vet. Lat. gen. 2,23 (L) haec erit mihi adiutorium), und somit wäre artus [...] geminos auf den Mann zu beziehen, dessen Glieder sich verdoppelt haben258: „damit die gemeinsame Substanz die Glieder (des Mannes) stärkt, die nunmehr doppelt vorhanden sind“. Fraglich ist allerdings, ob artus [...] geminos ohne Weiteres im Sinne von artus, qui geminati sunt verstanden und alleine auf den Mann bezogen werden kann259. Zum anderen stärkt die leibliche Verwandtschaft in einer moralischen Dimension die Gemeinschaft von Mann und Frau (3.b.), da sie die Grundlage für Liebe und Zusammenhalt ist. Die Stiftung dieser Liebe ist nach Ps. Hil. gen. 123–124, Mar. Victor. aleth. 1,378–380 und Drac. laud. dei 1,377–380 der Grund dafür, dass Gott die Frau aus der Rippe des Mannes geschaffen hat. Somit würde artus [...] geminos Mann und Frau bezeichnen, als „verdoppelte“260 Glieder oder auch als die beiden Leiber, indem geminos die Bedeutung duo261 annimmt und der Plural artus die in der Dichtung gängige Bedeutung corpus bzw.

255 Zu mixtus im Sinne von compositus vgl. ThlL 8 s.v. misceo/mixtus 1097,55–76. 256 Vgl. ThlL 6,2 s.v. geminus 1748,52–85 unter V de similitudine et affectu (persimilis, fere par, coniunctissimus). 257 Diesen Zusammenhang sieht auch Petringa 1992, 154. Zu mixtus im Sinne von communis vgl. ThlL 8 s.v. misceo/mixtus 1097,64–66. 258 Vgl. Paul. Nol. carm. 25,21–22 [scil. Adam] nec lateris damnum suppleta carne vicissim / sensit et agnovit quod geminatus erat. 259 Ein Beleg dafür, dass geminus sich auf denjenigen Gegenstand bezieht, der sich verdoppelt hat, konnte nicht gefunden werden. 260 Vgl. ThlL 6,2 s.v. geminus 1747,32–35. 261 Vgl. OLD s.v. geminus 756 unter 5 (often the equivalent of ʻtwoʼ or ʻtwinʼ with plural sb.).

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in diesem Falle corpora262. Diese Auffassung von geminos [...] artus kommt zudem Vet. Lat. gen. 2,24 (L) et erunt duo in carne(m) una(m) sehr nahe. 4. Wenn mixta [...] substantia als Ablativ aufgefasst wird, ließe sich zum einen Gott als Subjekt zu firmet ergänzen, der mit der aus Fleisch und Knochen zusammengesetzten Substanz die Frau (vgl. 2.) oder durch die gemeinsame körperliche Substanz den Mann (vgl. 3.a.) bzw. Mann und Frau (vgl. 3.b.) stärkt. Inhaltlich gesehen besteht kein großer Unterschied zwischen dieser und den unter 2., 3.a. und 3.b. genannten Deutungen, doch gegen den Ablativus instrumentalis und Gott als Subjekt zu firmet spricht, dass im unmittelbar vorausgehenden V. 35 ein Wechsel vom Subjekt Gott zum Subjekt femina vollzogen wird und ein erneuter Wechsel zurück zum Subjekt Gott die Darstellung etwas sprunghaft erscheinen ließe. 5. Eine weitere grammatikalische Möglichkeit besteht darin, das Subjekt femina aus V. 35 auch als Subjekt zu firmet aufzufassen, d.h. die Frau stärkt durch ihre mit dem Mann gemeinsame Substanz den Mann im Sinne eines ihm adäquaten adiutorium. Hier stellt sich wieder das unter 3.a. angesprochene Problem, dass geminos [...] artus sich allein auf den Mann beziehen müsste, dessen Glieder sich verdoppelt haben. Insgesamt erscheint Möglichkeit 3.b. als die in syntaktischer und inhaltlicher Hinsicht am wenigsten anstößige Lösung, d.h. die Mann und Frau gemeinsame körperliche Substanz führt dazu, dass die beiden durch eine besonders enge Verbundenheit gestärkt werden. Diese Verbundenheit wird auf stilistischer Ebene durch die Verschränkung syntaktisch zusammengehöriger Wörter (artus mixta geminos substantia) unterstrichen. V. 37 inditur et nomen Vitae, quod dicitur Aevva: In Vet. Lat. gen. 2,23 nennt Adam das neue Wesen „Frau“, da es vom Mann genommen sei ((L) haec vocabitur mulier quoniam de viro suo sumpta est): Dahinter verbirgt sich das im Lateinischen und Griechischen kaum nachzuahmende Wortspiel des hebräischen Textes, in dem es heißt: „sie soll ’iššāh (Frau) heißen, denn aus dem ’îš (Mann) wurde sie genommen!“263 Wohl auch, um diese sprachliche Problematik zu umgehen, gestaltet der HD seine Vorlage hier um, indem die Frau zwar benannt wird, aber nach Vet. Lat. gen. 3,20 den Namen Vita („Leben“) bzw. Eva erhält. Der HD steht damit einer um einen Zusatz erweiterten Fassung der Textform I in gen. 3,20 nahe, die statt eines bloßen Vita(m) Eva id est Vita(m) enthält264; ferner erklärt Hieronymus in quaest. hebr. den Namen Eva fünfmal im Sinne von vita265. Die Verleihung des Namens „Eva“ und sein Bezug auf die Mutterfunktion der Frau 262 Vgl. ThlL 2 s.v. 1. artus 715,10–16. In diese Richtung denkt offenbar auch Petringa 1992, 154, wenn sie artus […] geminos mit „i due organismi“ paraphrasiert. 263 Vgl. Soggin 1997, 71. Mit der Problematik, dass die Begriffe mulier und vir im Lateinischen keine Ähnlichkeit haben, befasst sich etwa Augustinus in gen. c. Manich. 2,13,18 und versucht, das hebräische Wortspiel durch haec vocabitur virago, quoniam de viro suo sumpta est nachzubilden. Entsprechend übersetzt Luther „Männin“. 264 Bezeugt in Aug. gen. ad litt. 11,1 in einer textkritischen Variante (Fischer 1951, 75); vgl. auch den Hinweis bei Petringa 1992, 154–155 mit Anm. 92 und 93. 265 S.o. S. 92 Anm. 159.

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(vgl. Vet. Lat. gen. 3,20 (C) quia mater est omnium vivorum // (I) quoniam ipsa est mater omnium viventium) stehen im ursprünglichen biblischen Kontext in einem positiven Kontrast zur eben auferlegten Sterblichkeit des Menschen (vgl. Gen 3,19)266. Im neuen Kontext des HD lässt sich die lebensspendende Funktion der Frau zum einen mit der engen Gemeinschaft von Mann und Frau in Beziehung setzen, die die Voraussetzung für die Zeugung von Nachkommen bildet (vgl. V. 36), zum anderen mit der Tatsache, dass die Söhne ihre Eltern verlassen und nach Gründung eigener Wohnsitze ihren Frauen anhängen (V. 38–39), denn Ehe und eigener Hausstand dienen auch wiederum der Zeugung und Aufzucht eigener Nachkommen. Auffallend ist, dass aus der Darstellung des HD nicht klar hervorgeht, ob Gott oder der Mann der Frau den Namen gibt, da der Benennungsakt im urheberlosen Passiv (inditur et nomen) ausgedrückt wird und zuvor auch nicht erwähnt worden ist, dass Gott dem Mann die Frau zugeführt hat, damit er sie benenne (vgl. Gen. 2,22). Der Dichter setzt also bei seinem Publikum die genaue Kenntnis des biblischen Inhalts voraus, während etwa Proba in cento 133–134 und Cl. M. Victorius in aleth. 1,370 keinen Zweifel daran lassen, dass der Mann selbst seine Gefährtin benennt. Während Peiper durch die Abtrennung des Relativsatzes vitae quod dicitur („welcher dem Leben zugesprochen wird“, d.h. etwa „welcher Leben bedeutet“) offensichtlich Vet. Lat. gen. 3,20 (I) + Eva id est Vita(m) syntaktisch nachbilden will, liegt es näher, nomen mit dem unmittelbar folgenden Genitiv Vitae zusammenzunehmen und den Relativsatz quod dicitur Aevva („welcher Eva lautet“) als Ergänzung der biblischen Namensentsprechung für das lateinische Vita zu betrachten. V. 38 quapropter nati linquunt de more parentes: In diesem und dem folgenden Vers knüpft der HD an Vet. Lat. gen. 2,24 an, wobei er durch quapropter267 fast wörtlich (L) propter hoc (quod) und durch linquunt (L) relinquet (linquet) aufgreift268. Gegenüber seiner Vorlage hebt er den Naturgesetzcharakter der biblischen Aussage noch stärker hervor, indem er das Futur relinquet ins Präsens linquunt umwandelt und die adverbiale Wendung de more einbringt269. Eine weitere Generalisierung gegenüber dem Bibeltext gelingt ihm durch die Wahl von nati anstelle von homo: Während in der Bibel auf den männlichen Menschen Bezug genommen wird, der seiner Gattin anhängen wird ((L) relinquet homo patrem et matrem et adiungetur uxori suae), kann nati auch ohne geschlechtsspezifische Festlegung „die Kinder“270 heißen, genauso wie coniugibusque suis im folgenden Vers die Gatten beiderlei Geschlechts bezeichnen kann. Somit zeigt der HD das Verlassen der Eltern zugunsten des Eingehens der Mann-Frau-Beziehung aus der Perspektive beider Geschlechter. Ferner korrespondiert nati viel stärker mit pa266 Zur Funktion von Gen 3,20 vgl. Westermann 1976, 364–365. 267 Eine signifikante Häufung von quapropter am Hexameterbeginn zeigt sich bei Lukrez (18 Belege). 268 Fischer 1951, 54 vermerkt linquet als Variante zu relinquet, führt aber nur den HD als Textzeugen an und versieht diesen zudem mit einem Fragezeichen. 269 Zum Hexameterschluss de more parent* vgl. auch Stat. Theb. 4,465, Sil. 6,484; 7,177; 8,548 und Drac. Romul. 2,11. 270 Vgl. OLD s.v. natus 1160 (pl.) children.

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rentes als im biblischen Text homo mit patrem et matrem, so dass die ElternKind-Bindung, die zugunsten der ehelichen Verbindung aufgelöst wird, noch deutlicher in den Blick gerückt wird. Auch durch die metrische Gestaltung wird der gesetzesartige Charakter von V. 38 hervorgehoben, da das Wort quapropter mit seinen drei langen Silben am Versanfang und die Spondeenhäufung im gesamten Vers der Aussage Gewicht verleihen. Vergleicht man V. 38–39 mit der entsprechenden Passage bei Cl. Marius Victorius, so fallen mehrere wörtliche Übereinstimmungen an der gleichen metrischen Position auf, wenngleich die syntaktischen Bezüge unterschiedlich sind, vgl. V. 38–39 quapropter nati linquunt de more parentes / coniugibusque […] und aleth. 1,386–387 quod dulces nati postponendique parentes / coniugibus […]. Während aber der HD dem biblischen Inhalt relativ treu folgt, geht es in der Alethia nicht darum, dass die Söhne bzw. Kinder aufgrund der engen Zusammengehörigkeit von Mann und Frau ihre Eltern im lokalen Sinne verlassen und eine Ehe eingehen, sondern die enge Zusammengehörigkeit von Mann und Frau führt zu der Erkenntnis, dass die Beziehung zu den (eigenen) Kindern und den Eltern in ideeller Hinsicht einen geringeren Stellenwert haben muss als die Beziehung zum Ehepartner. V. 39 coniugibusque suis positis cum sedibus haerent: Mit haerent, das wie linquunt (V. 38) als Ausdruck der Naturgesetzlichkeit im Präsens steht, nähert sich der HD der Vetus-Latina-Variante adhaerebit, die anstelle von (L) adiungetur vielfach bezeugt ist und mit der Vulgata identisch ist271. Durch haerere bzw. adhaerere kommt viel deutlicher als durch adiungere der dauerhafte Charakter der ehelichen Bindung zum Ausdruck272, der in V. 39 durch die Gründung eigener Wohnsitze (positis cum sedibus) noch unterstrichen wird. Positis cum sedibus lässt sich als Ablativ der begleitenden Umstände auffassen273 und sollte nicht im Sinne von depositis cum sedibus als „abandoning their homes“274 verstanden werden, weil dies einer bloßen Doppelung von linquunt […] parentes (V. 38) gleichkäme; vielmehr bezeichnet die Junktur ponere sedes hier die Errichtung eines Heims für die eigene zu gründende Familie. In dieser Bedeutung von „Wohnsitze errichten“ findet sich sedem bzw. sedes ponere mehrfach in der Dichtung275 und so auch ein weiteres Mal in Hept. gen. 680 (Interea excedit positis de sedibus Abram). V. 40 septima luce deus factorum fine quievit: Mit dem Wechsel vom Präsens der vorausgehenden Verse ins Perfekt bei quievit markiert der HD die Rückkehr zur Siebentagesstruktur der Schöpfungserzählung und paraphrasiert sehr wortgetreu den zweiten Teil von Vet. Lat. gen. 2,2, nämlich (L) et requievit die septimo ab omnibus operibus suis quae fecit. Mit septimă luce276 knüpft er unmittelbar an die septimo an, mit quievit an requievit, und mit dem durch Alliteration 271 272 273 274 275 276

Vgl. Fischer 1951, 54–55; vgl. auch den Hinweis bei Petringa 1992, 155 mit Anm. 94. Vgl. ThlL 6,3 s.v. haereo 2496,53–57 unter II A 2 de coniunctione perpetua b α (V) coniux. Wörtlich „unter Errichtung von Wohnsitzen“, vgl. KS II,1 410–411 § 81 Anm. 31. Vgl. White 2000, 101. Vgl. etwa Lucr. 1,994, Verg. Aen. 3,88 = Proba cento 644, Lucan. 9,897. Zur Kürzung der Ablativendung –ā vgl. den Kommentar zu V. 15; ähnlich Mar. Victor. aleth. 1,171 Septima lux magnum vidit cessasse parentem.

1. Die Erschaffung der Welt und des Menschen (V. 1–41)

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hervorgehobenen factorum fine umschreibt er ab omnibus operibus suis quae fecit. Zugleich wird diese wörtliche Anknüpfung an die biblische Vorlage durch eine Reminiszenz an Verg. Aen. 3,718 conticuit tandem factoque hic fine quievit überlagert. Um ein Selbstzitat handelt es sich bei Hept. exod. 772 (septima perfecto virtutum fine quievit)277, wo der HD im Rahmen des Dekalogs auf die Sabbatheiligung eingeht. V. 41 sacratam statuens venturi ad gaudia saecli: Die Einsetzung des siebten Tages als eines heiligen Tages, d.h. die Einsetzung des Sabbats, fasst der HD in dem knappen Partizipialausdruck sacratam [scil. septimam lucem] statuens278 zusammen, der durch die Häufung des Vokals a und des Konsonanten s hervorgehoben ist; er entspricht Vet. Lat. gen. 2,3 (L) et benedixit deus diem septimum et sanctificavit eum. Anstelle der Begründung für die Heiligung des siebten Tages, dass nämlich Gott an diesem Tag von seinen Werken geruht habe (vgl. Vet. Lat. gen. 2,3 (L) quia in eo requievit ab omnibus operibus suis quae inchoavit deus facere), bringt der HD über den Bibeltext hinausgehend eine Erläuterung ein, die die Bedeutung des geheiligten siebten Tages für die Zukunft der Menschen angibt: venturi ad gaudia saecli279. Bei den gaudia lässt sich zunächst an die Sabbatruhe denken, die als willkommene Erholung von der Mühsal der Arbeit und insofern als Freude gesehen werden kann. Mit venturi [...] saecli ist dann die nun anbrechende, sich in die Zukunft hinein erstreckende Zeit gemeint, in der die Menschen diese Sabbatruhe genießen können, oder auch konkreter die Generation von Menschen, die später im Rahmen der Zehn Gebote durch Mose das Gebot der Sabbatruhe erhalten wird. Ferner kann die Wendung saeculum venturum im biblisch-christlichen Sprachgebrauch die künftige Welt als das ewige Leben bezeichnen280, und so könnten sich die Freuden der kommenden Zeit möglicherweise auch auf die ewige Ruhe nach dem Tod beziehen, die durch die Ruhe Gottes am siebten Tag präfiguriert wird, wie dies Cl. M. Victorius in aleth. 1,178–180 andeutet281. Gerade das Wort saeculum ließe sich darüber hinaus mit den Weltzeitspekulationen der patristischen Literatur und jüdischen Apokalyptik in Verbindung bringen, wonach die Weltzeit in Analogie zu den sechs Schöpfungstagen periodisiert wird und die Geschichte mit der Heilsperiode des Weltensabbats endet, der in unterschiedlicher Weise „ganz allgemein als Chiffre für das Eschaton“, als „das Ziel und die Vollendung der Schöpfung bei der Parusie Christi“ oder auch chiliastisch als „ein tausendjähriges Zwischenreich“ verstanden wird, „in 277 Vgl. Homey 2014, 194 Anm. 46. 278 Ähnlich Mar. Victor. aleth. 1,173 […] meritoque sacrata est. 279 Zum Hexameterschluss gaudia saecl* vgl. auch Carm. de resurr. 132 und Paul. Petric. Mart. 4,605; zur Junktur venturum saec(u)lum in der Dichtung vgl. auch Verg. ecl. 4,52, Sil. 8,407, Val. Fl. 6,103, Paul. Nol. carm. 6,241; 10,180.328, Prud. c. Symm. 1,560, Hept. gen. 295, deut. 12, Mar. Victor. aleth. 3,1.124.522. 280 Vgl. Vet. Lat. Marc. (Jülicher) 10,30 in aevo (codex a, f, l: saeculo) venturo vitam aeternam accipiet; zitiert etwa in Cypr. laps. 12, Fort. 12, epist. 58,2,2, Ambr. Abr. 2,10,69, virg. 1,11,64. 281 Vgl. Mar. Victor. aleth. 1,178–180 septima lux docuit veneranda exempla quietis, / quam sperare iubet populos pro munere vitae / semper post operum tribuendam facta piorum.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

dem die Heiligen mit Christus auf Erden herrschen.“282 Somit wären mit den venturi [...] gaudia saecli die Freuden der kommenden Heilszeit gemeint, auf die die Etablierung und Heiligung des Sabbats durch Gott vorausweist. Da der Text des HD auch an anderen Stellen für eine eschatologische Dimension durchlässig ist, sollte ein solches Textverständnis zumindest nicht von vornherein ausgeschlossen werden283. 2. ÜBERGANG ZUR PARADIESERZÄHLUNG (V. 42–49) Nachdem der HD in V. 1–41 durch eine Kontamination der beiden biblischen Schöpfungsberichte innerhalb des priesterschriftlichen Berichts bis zum siebten Schöpfungstag (Gen 2,3, vgl. V. 41) und innerhalb des jahwistischen Berichts bis zur engen Gemeinschaft von Mann und Frau (Gen 2,24, vgl. V. 39) vorgedrungen ist, werden nun Teile aus beiden Schöpfungsberichten nachgetragen. Zunächst folgt in V. 42–44 die Zuführung der Tiere an Adam und ihre Benennung (vgl. Gen 2,19–20), wobei der HD den in Gen 2,20 geschilderten defizitären Charakter der Tiere als Gefährten des Menschen auslässt, denn der Mensch hat ja nach seiner Darstellung bereits eine adäquate Partnerin erhalten284. Dann gibt der HD in V. 45–49 die Rede Gottes an das Menschenpaar nach Gen 1,28–29 wieder, in der die Menschen einen Vermehrungssegen, den Auftrag zur Herrschaft über die Schöpfung und die Pflanzen als Nahrung erhalten285. Durch die Auslagerung dieser beiden biblischen Episoden aus ihrem ursprünglichen Kontext und ihre Kombination erzielt der Dichter mehrere Effekte: Zum einen wird, nachdem im Rahmen des Siebentagesschemas Gott der eigentliche Akteur gewesen ist, nun der Mensch als Handelnder fokussiert, der sich die Schöpfung durch Namengebung und Nutzung unterwirft. Zwischen der Benennung der Tiere durch Adam und der Ansprache Gottes lässt sich vielleicht auch die logische Folge von Gehorsam und Belohnung erkennen, indem Adam die Tiere benennt, wie Gott dies vom ihm verlangt, und daraufhin – zusammen mit seiner Frau – des segnenden und beauftragenden Wortes Gottes für würdig erachtet wird (vgl. V. 45 dignatur). In diesem Falle würde das Relativpronomen quem in V. 45 gleichsam eine kausale Nuance annehmen. Insofern, als nun das menschliche 282 Vgl. Kaiser 1998, 529. 283 Vgl. auch die eschatologische Ausgestaltung von Isaaks Tod in Hept. gen. 1104–1107, insbesondere Hept. gen. 1107 invitat niveos secura ad gaudia iustos; vgl. hierzu Homey 2009, 156–163. 284 Proba und Cl. M. Victorius belassen dagegen die Zuführung der Tiere in ihrem ursprünglichen Kontext, d.h. vor der Erschaffung der Frau, und stellen den defizitären Charakter der Tiere als Gefährten für den Menschen fest, vgl. Proba cento 122–123 und aleth. 1,355–360. 285 Cl. M. Victorius belässt Vermehrungssegen und Herrschaftsauftrag im Kontext des sechsten Schöpfungstages nach der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau, vgl. aleth. 1,167– 168, bei Proba findet sich der Segen in eher impliziter Form an der Stelle, wo Gott die Menschen ins Paradies führt, vgl. cento 139–140 vivite felices interque nitentia culta / fortunatorum nemorum sedesque beatas.

2. Übergang zur Paradieserzählung (V. 42–49)

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Handeln in den Mittelpunkt tritt, übernimmt der Abschnitt V. 42–49 die Funktion einer Überleitung zur Paradieserzählung (ab V. 50), in der das Handeln des Menschen dessen weiteres Schicksal bestimmt. Darüber hinaus stellt die Aufforderung, die Früchte als Nahrung zu pflücken (V. 48–49), einen passenden Anknüpfungspunkt für die Anlage des Paradieses und die Aufforderung an die Menschen dar, alle Früchte mit Ausnahme der verbotenen zu essen (V. 66–69); nachdem den Menschen zunächst pauschal die Wald- und Feldfrüchte als Nahrung zugewiesen worden sind, wird diese Zuweisung in der folgenden Erzählung vom Paradies spezifiziert. V. 42 ilicet exhibitis animantum ex ordine turbis: Durch das handlungsbeschleunigende ilicet286 wird nach der Ruhe Gottes am siebten Tag wieder Dynamik in die Erzählung gebracht. Nicht ganz klar ist der Bezug des Adverbs: Es erscheint wenig zweckmäßig, ilicet im Sinne einer zeitlichen Abfolge auf das unmittelbar Vorausgehende zu beziehen, im Sinne von „gleich nach Ende des siebten Tages“, es sei denn, der HD will durch diesen raschen Übergang den inhaltlichen Sprung vom Ende des ersten biblischen Schöpfungsberichts (Gen 2,3) mitten hinein in den zweiten (Gen 2,19) ein wenig eskamotieren. Sinnvoller wird ilicet darauf bezogen, dass Adam allen Tieren gleich, nachdem sie zu ihm gebracht worden sind, einen individuellen Namen gibt, denn aufgrund seiner von Gott geschenkten Intelligenz (vgl. V. 44 donata sibi prudentia sollers) braucht er nicht lange zu überlegen. Der HD folgt Vet. Lat. gen. 2,19 und bedient sich verschiedener Verknappungsstrategien: Den Akt Gottes, der Adam die Tiere zuführt, um zu sehen, wie er sie benennen wird287, kondensiert der Dichter auf den Ablativus absolutus exhibitis animantum […] turbis, aus dem Gott als Handelnder nicht mehr hervorgeht. Exhibere ist hier zweifellos in der Bedeutung (bestias) producere, afferre288 und nicht, wie im ThlL vorgeschlagen, in der Bedeutung procreare, gignere verwendet289, da die Erschaffung der Tiere bereits berichtet worden ist und der HD die Absicht verfolgt, Wiederholungen und Redundanzen des biblischen Berichts zu eliminieren. Das Substantiv animans findet sich auch in Vulg. gen. 2,19, wo es die Erdentiere neben den Vögeln bezeichnet290, kommt aber in der Bedeutung bestia seit Lukrez vor291; der Genitiv Plural auf –um ist in der Dichtung vielfach bei Lukrez und dann ab Manilius belegt292, z. B. auch in 286 Zu ilicet vgl. auch den Kommentar zu V. 34; der gleiche Versbeginn findet sich nochmals in Hept. exod. 1323 ilicet exhibitis populo certante metallis. 287 Vgl. Vet. Lat. gen. 2,19 (C) et quaecumque finxerat deus ex omni genere pecorum et ex omni genere bestiarum agri et ex omni genere volatilium volantium sub caelo perduxit ea ad Adam ut videret quid ea vocaret // (I) et finxit deus adhuc de terra omnes bestias agri et omnia volatilia caeli et adduxit illa ad Adam ut videret quid vocaret illa. 288 Vgl. ThlL 5,2 s.v. exhibeo 1421,36–45; vgl. auch Hept. gen. 1456 certatim exhibitis gregibus Memphitica turba (die Ägypter bringen in Ermangelung von Geld ihr Vieh herbei, um es bei Joseph gegen Brot einzutauschen). 289 Vgl. ThlL 5,2 s.v. exhibeo 1421,84–1422,2 mit Verweis auf Vulg. gen. 2,19 formatis igitur Dominus Deus de humo cunctis animantibus terrae et universis volatilibus caeli etc. 290 Vgl. Anm. 289. 291 Vgl. ThlL 2 s.v. animans (subst.) 85,18–46. 292 Vgl. die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 16.05.2016) mit 15 Lukrez-Belegen.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

Mar. Victor. aleth. 1,355 im gleichen biblischen Kontext. Zur Verknappung trägt ferner bei, dass die nach den Kategorien Vieh, Wild und Vögel geordnete Aufzählung der Tiere in Vet. Lat. gen. 2,19 in allgemeiner Form mit animantum ex ordine turbis zusammengefasst wird. Durch die antonymische Nebeneinanderstellung von ex ordine und turbis transportiert der Dichter zum einen die Vorstellung, dass die Tiere nach Gruppen geordnet der Reihe nach aufeinander folgen, zum anderen, dass es sich bei den Tiergruppen um dicht gedrängte und möglicherweise auch in sich ungeordnete Massen handelt293. V. 43 viritim cunctis nomen, quod permanet, indit: Die Benennung der Tiere gestaltet der HD in Anlehnung an Vet. Lat. gen. 2,20. Zu cunctis294 ist sinngemäß animantibus zu ergänzen, während turbis in V. 42 nicht als Dativ und Bezugswort für cunctis, sondern zusammen mit exhibitis als Ablativus absolutus aufgefasst werden sollte295. Denn durch viritim hebt der Dichter über den Bibeltext hinausgehend hervor, dass Adam den einzelnen Tieren individuell einen Namen gibt und nicht den Tierscharen (turbis). Das Adverb vĭrītim, dessen erste Silbe in V. 43 per Lizenz gedehnt wird296, bedeutet eigentlich „Mann für Mann“, kann aber seit Seneca auch abgeschwächt im Sinne von „individuell“ verwendet werden297. Dieser Gedanke, dass jedes einzelne Tier seinen Eigennamen erhält, findet sich auch in Mar. Victor. aleth. 1,345 (qui dedit et nomen proprium). Die Vorstellung, dass der von Adam jeweils gegebene Name bestehen bleibt (nomen, quod permanet), begegnet in der Bibel zuerst in Vet. Lat. gen. 2,19 und dann in noch deutlicherer Form in Vet. Lat. gen. 2,20, allerdings ausschließlich in der Textform C298. Durch den bleibenden Namen erhalten die Tiere nicht nur die Bestimmung dessen, was sie für den Menschen bedeuten, sondern die Namensgebung ist auch „Zeichen der Souveränität eines Höhergestellten über das benannte Wesen oder den benannten Gegenstand“299. Diese Souveränität Adams, die sich sowohl auf die Gesamtheit der Tiere (cunctis) als auch auf jedes einzelne von ihnen erstreckt (viritim), wird in V. 43 auf metrischer Ebene durch die Spondeenhäufung unterstrichen. V. 44 Adamus, donata sibi prudentia sollers: Erstmals wird der Name des Mannes genannt, betont durch die exponierte Stellung am Versanfang und die drei 293 Vgl. OLD s.v. turba 1990 unter 2 bzw. 2 b. Zu turba in Bezug auf verschiedenartige Tiermassen vgl. etwa Ov. met. 4,723 turba canum, Lucan. 9,608 serpentum turba, Stat. Theb. 10,458 volucrum sic turba recentum, Sil. 7,129 turba luporum sowie Hept. exod. 1027 und iud. 79 turba ferarum. In Lucr. 2,920 bezieht sich die Wendung turbamque animantum dagegen auf die Verbindung von Atomen, von denen hier angenommen wird, dass sie belebte Wesen seien. 294 Der HD verknappt mit diesem Ausdruck Vet. Lat. gen. 2,20 (C) et post haec vocavit Adam nomina omnium pecorum et omnium avium caeli et omnium bestiarum agri // (I) et inposuit Adam nomina omnibus pecoribus et omnibus volatilibus caeli et omnibus bestiis agri. 295 Wohl um dieses Verständnis nahezulegen, setzt Peiper in V. 42 nach turbis ein Komma. 296 Vgl. Peiper 1891, 347, ebenso Hept. gen. 1398; dagegen vĭrītim in num. 16 und Ios. 404. 297 Vgl. OLD s.v. viritim 2073 unter 2; vgl. Sen. nat. 5,7,1 in Bezug auf Winde. 298 Vgl. Vet. Lat. gen. 2,19 (C) et quod vocavit ea omnia Adam animam vivam hoc est nomen eius // (A) et omne quodcumque vocavit illud Adam animam vivam hoc nomen illius und 2,20 (C) et secundum quod vocavit ea Adam hoc est nomen eorum usque in hodiernum diem. 299 Vgl. Soggin 1997, 75.

2. Übergang zur Paradieserzählung (V. 42–49)

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aufeinanderfolgenden Längen und abgehoben durch die unmittelbar folgende Trithemimeres. Abgesehen von Hept. gen. 192, wo der HD die geläufige und der biblischen Überlieferung entsprechende indeklinable Form Ādām wählt300, tritt innerhalb der Heptateuchdichtung nur die latinisierte, an die o-Deklination assimilierte Form Adamus auf301. Der Dichter behandelt die Prosodie dieses Namens recht willkürlich, indem er die Silben bald Ādāmus (Hept. gen. 44), Ădămus (gen. 64) oder auch Ădāmus (gen. 134, gen. 197, deut. 193) bzw. Ădāmum (gen. 93) misst302. Inhaltlich geht der HD in V. 44 weit über die biblische Vorlage hinaus, da er durch donată sibi prudentiă sollers303 die von Gott geschenkte intellektuelle Fähigkeit des Menschen hervorhebt, die bei der Benennung der Tiere erstmals zum Tragen kommt304. Durch diese prudentia, die hier in einem weiteren Sinne für ratio bzw. mens zu stehen scheint305, unterscheidet sich Adam nicht nur von den unvernünftigen Tieren, sondern er wird auch erfinderisch und schöpferisch (sollers), indem er jedem einzelnen Tier den passenden Namen gibt. Dabei ist zu fragen, ob der HD die prudentia hier bewusst nur auf den Mann bezieht, um diesen schon im Voraus von der Frau abzuheben, die sich später von der Schlange überlisten lässt und an deren Verstand daher gezweifelt werden kann (vgl. V. 82 sed tamen infirmo vincuntur pectora sensu). V. 45 quem deus adloquio, iunctam dignatur et Aevvam: In V. 45–46 folgt der HD Vet. Lat. gen. 1,28, wo Gott die als Mann und Frau geschaffenen Menschen segnet und anspricht ((L) et benedixit eos deus dicens). Dass dieser Segen ein Akt der göttlichen Gnade ist, kommt durch die Wendung adloquio […] dignatur zum Ausdruck306. Gegenüber der biblischen Vorlage hebt der Dichter stärker hervor, dass der Segen an Adam und Eva als Paar gerichtet ist, indem er Mann und Frau am Versanfang und -schluss einander komplementär gegenüberstellt und als Bindeglied genau in die Versmitte das Partizip iunctam setzt. Iungere kommt insbesondere in der Dichtung in Bezug auf Liebesbeziehungen vor307, wobei gewöhnlich eine Ergänzung im Dativ angibt, mit wem jemand in Liebe bzw. ehelich

300 Vgl. ThlL 1 s.v. Adam 563,85–564,14. 301 Vgl. Hept. gen. 44, 64, 93, 134, 197 und deut. 193. Zur Strategie des HD, die biblischen Namen zu latinisieren und mit Vorliebe an die erste und zweite Deklination anzupassen, vgl. Ciarlo 2008, 731 Anm. 13. 302 Indiskutabel sind Mayors Versuche, die Prosodie in Hept. gen. 44 und 64 an die überwiegend vorkommende Form Ădāmus anzugleichen, denn er nimmt dafür die Umstellung von Wörtern und andere Textveränderungen in Kauf, vgl. Mayor 1889, 6–7. 303 Zur Kürzung der Ablativendung –ā vgl. Peiper 1891, 344. Anders bezieht sich in Alc. Avit. carm. 1,128 Postquam nascentem sollers prudentia sensum das Adjektiv sollers auf die prudentia, die den Sinn des soeben von Gott beseelten Menschen durchdringt. 304 Diese Verbindung der von Gott gegebenen Weisheit mit der Benennung der Tiere findet sich nach Evans 1968, 39–40 auch in der rabbinischen Tradition. 305 Vgl. ThlL 10,2 s.v. prudentia 2378,9–11. 306 Vgl. den Kommentar zu V. 30, ferner Hept. gen. 148 (Gott redet Kain an) quem deus adloquio dignatus talibus infit und Mar. Victor. aleth. 3,586 (Gott redet Abram an) alloquio dignatus adit iussitque trementem. 307 Vgl. ThlL 7,2 s.v. iungo 658,60–659,10.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

verbunden ist; daher kann in V. 45 zu iunctam sinngemäß ei bzw. Adamo ergänzt werden. V. 46 „Crescite multimodo ventura in tempora partu: Am Anfang des Verses arbeitet der HD nahe an Vet. Lat. gen. 1,28 (L) crescite et multiplicamini und wandelt den Imperativ multiplicamini in die substantivische Fügung multimodo308 […] partu um, was auch schon beim Vermehrungsauftrag an die Tiere in V. 23– 24 der Fall ist (cunctaque multiplici mandavit crescere passim / germine […])309. Mit multimodo […] partu kann hier, entsprechend der Grundbedeutung des Substantivs partus, eine große Zahl von Geburten gemeint sein, aber auch im übertragenen Sinne eine große Menge an Kindern310. Über den Bibeltext hinausgehend betont der HD durch ventura in tempora311 den Aspekt der Zukunft, in der Adam und Eva und ihre Nachkommen sich vielfach vermehren sollen. In mit Akkusativ steht hier offensichtlich in der Bedeutung per, intra zur Bezeichnung eines längeren Zeitraums312, ließe sich aber ggf. auch ganz wörtlich zur Angabe der Zeit auffassen, „in die hinein“ die Vermehrung erfolgen soll313. Auffallend ist, dass der Vermehrungssegen für die Menschen entsprechend der biblischen Vorlage in direkter Rede wiedergegeben wird, während der gleiche Vorgang in Bezug auf die Tiere nur implizit im Rahmen der Erzählung angedeutet ist (V. 23–24)314; auf diese Weise vermeidet der HD nicht nur eine biblischen Wiederholungsstruktur, sondern unterstreicht auch die ganz besondere Zuwendung Gottes zu den Menschen. V. 47 ut polus et plenae vestro sint germine terrae: In dem Finalsatz, der den Zweck des Imperativs crescite angibt, steigert der HD den in Vet. Lat. gen. 1,28 ausgedrückten Gedanken (L) replete terram: Nicht nur die Erde, sondern auch der Himmel soll voll sein von den Nachkommen der Menschen, was durch die Alliteration polus et plenae klanglich hervorgehoben wird. Diese hyperbolisch wirkende Formulierung könnte zum einen als Bezeichnung für die ganze Welt stehen, wie dies auch in Stat. Theb. 7,216 tellusque polusque, Stat. silv. 1,1,93 terra polusque oder Prud. perist. 2,415 o factor orbis et poli der Fall ist315. In diesem Sinne fordert Gott nach der Sintflut die Kinder Noahs auf, die leere Welt mit ihrer Nachkommenschaft zu füllen, vgl. Hept. gen. 346 ut vacuum denso conplerent germine mundum. Zum anderen ist vor dem Hintergrund des Stichworts heredes im folgenden Vers316 auch eine interpretatio christiana nicht auszuschließen, d.h. 308 Das Adjektiv multimodus ist erst seit Tertullian belegt, möglicherweise aber auch schon seit Lucr. 3,856 (multimodis B Lachmann), vgl. ThlL 8 s.v. multimodus 1589,55–56. Der HD verwendet es insgesamt zwölfmal. 309 In Vet. Lat. gen. 1,22 heißt es entsprechend (L) crescite et multiplicamini. 310 Vgl. ThlL 10,1 s.v. 2. partus 542,46–60. 311 An der gleichen metrischen Position in Hept. gen. 330, exod. 688, Ios. 459. 312 Vgl. ThlL 7,1 s.v. 2. in 754,1–24 mit Belegen ab Vergil. Zu ventura in tempora an der gleichen metrischen Position vgl. Hept. gen. 330, exod. 688 und Ios. 459. 313 Vgl. KS II,1, 565 § 107 unter 2.a. 314 Vgl. Martorelli 2008, 56 Anm. 13. 315 Vgl. ThlL 10,1 s.v. polus 2574,11–14 unter I A 1 γ (I) (B) in enumeratione, qua totus mundus, universitas rerum comprehenditur: […] bimembri. 316 Vgl. den Kommentar zu V. 48.

2. Übergang zur Paradieserzählung (V. 42–49)

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die Menschen sind dazu bestimmt, dereinst durch Christus, den „neuen Adam“, das Himmelreich zu erben317. Ein ähnlicher Gedanke begegnet in Drac. laud. dei 3,166–167, wonach die unmermesslich zahlreiche Nachkommenschaft des Isaak nicht nur die ganze Erde bevölkert und über das Meer herrscht, sondern auch den Himmel und die weiten Räume besitzt, die für die Gerechten bestimmt sind ([…] caelum possedit origo / sancta prophetarum, tenet et loca magna piorum). Das Substantiv germen, das der HD bereits für die Nachkommen der Tiere in V. 24 verwendet, kommt in Bezug auf menschliche Nachkommen insbesondere in biblischen und christlichen Texten gehäuft vor und findet sich innerhalb der Heptateuchdichtung noch öfter in dieser Bedeutung318. V.48 heredesque mei varios decerpite fructus: Bei heredesque mei könnte es sich um eine verkürzende und interpretierende Bezugnahme auf den Herrschaftsauftrag in Vet. Lat. gen. 1,28 handeln319, der unmittelbar auf den Vermehrungsauftrag folgt und mehr oder weniger eine Wiederholung von Vet. Lat. gen. 1,26 darstellt, wo Gott plant, den Menschen als sein Ebenbild und als Herrscher über die Schöpfung zu erschaffen. Letzteren Gedanken hat der HD bereits in V. 26 und 28 dargelegt, so dass er durch die dezente Anspielung heredesque mei die in der Bibel vorliegende Wiederholung vermeiden würde. In biblischen Kontexten kann das Substantiv heres die Bedeutung possessor annehmen320, so dass heredesque mei im Sinne von „Besitzer dessen, was mir gehört“ verstanden werden und auf die Verfügungsgewalt über die Erde mitsamt ihrem Inventar bezogen werden kann. Ferner ergeben sich durch heres verschiedene neutestamentliche Bezüge, für die der Text des HD hier durchlässig sein könnte: So heißt es in Hebr. 1,2, dass Gott seinen Sohn zum Erben von allem eingesetzt habe. Christus ist sozusagen der neue Adam, der alles als Erbe erhält, nachdem der alte Adam (und mit ihm Eva) durch den Sündenfall den Anspruch auf sein Erbe verwirkt hat321. Andere Passagen legen ein Verständnis von heredes in Bezug auf das Himmelreich nahe, auf das in V. 47 möglicherweise durch polus angespielt wird, denn in Röm 8,17 bezeichnet Paulus die Menschen als Kinder und Erben Gottes, die als Miterben Christi zur himmlischen Herrlichkeit bestimmt sind, nach Tit 3,7 sind die Menschen durch Christi Gnade gerecht gemacht und Erben des ewigen Lebens. Mit varios decerpite fructus paraphrasiert der HD frei Vet. Lat. gen. 1,29, wo Gott den Menschen samentragendes Kraut und samentragende Baumfrüchte zur Nahrung gibt. Während die Übergabe der Pflanzennahrung an die Menschen in der Alethia überhaupt nicht erwähnt wird und Proba bestenfalls implizit darauf hin317 Zu polus für den christlichen Himmel vgl. ThlL 10,1 s.v. polus 2572,66–2573,22. 318 Vgl. ThlL 6,2 s.v. germen 1923,28–80; vgl. auch Hept. gen. 508, 671, 702 und exod. 98. 319 Vgl. Vet. Lat. gen. 1,28 (L) et dominamini eius et habete potestatem piscium maris et volatilium caeli (C) et repentium omnium // (I) et omnium pecorum terrae et omnium reptilium (L) quae repunt super terram. 320 Vgl. ThlL 6,3 s.v. heres 2656,1–8. 321 So interpretiert Kreuz 2006, 306–307 Ps. Hil. evang. 42 heres tantorum solus tu iure bonorum vor dem Hintergrund von Ps. Hil. gen. 157 […] heresque vocetur [scil. homo], wo es um die Einsetzung des Menschen als Herrscher über die Welt geht; bei heresque vocetur handelt es sich um eine Konjektur von Kreuz unter Rückgriff auf Hept. gen. 48.

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weist322, widmet der HD diesem Aspekt immerhin zwei Verse (V. 48–49), wobei er sich auf die Früchte konzentriert, die ja in der folgenden Paradieserzählung eine besondere Rolle spielen. Die Junktur decerpite fructus nimmt wörtlich auf das Wort (E) fructum in der biblischen Vorlage Bezug und findet sich an der gleichen metrischen Position, wenn auch in anderer morphologischer Gestalt und übertragener Bedeutung, in Ov. rem. 103 (Veneris decerpere fructum) und Hor. sat. 1,2,79 (ex re decerpere fructus)323. V. 49 quos nemora et pingui reddunt de caespite campi“: Der HD schmückt Vet. Lat. gen. 1,29 aus, indem er das fruchttragende Holz ((E) omne lignum quod habet in se fructum seminis sativi) zu Wäldern (nemora) weiterentwickelt und das samentragende Kraut, das auf der ganzen Erde wächst ((E) omne pabulum sativum seminans semen quod est super omnem terram), durch Feldfrüchte substituiert (vgl. reddunt […] campi). Hierbei evoziert er Kontexte der klassischen antiken Literatur, die zugleich auf die folgende Paradiesschilderung vorausweisen: Zum einen gehören die Begriffe nemus und caespes zum Inventar der locus-amoenusSchilderung und bezeichnen in derartigen Zusammenhängen einen lichten Wald bzw. Hain und grünen Rasen, neben Elementen wie Quelle, Duft und sanften Winden324; zum anderen klingt in reddunt […] campi das Automaton-Motiv der aurea aetas an, demzufolge die Erde ohne Zutun des Menschen ihre Früchte hervorbringt325. Mit pingui […] de caespite ist hier freilich nicht ein dichter grüner Rasen nach Art des locus amoenus gemeint, sondern der fruchtbare, fette Boden der Felder326, wobei der Präpositionalausdruck pingui de caespite nach Art des späten Lateins anstelle eines bloßen Ablativus instrumentalis steht327.

322 Pflanzliche Nahrung ist zu erschließen aus Proba cento 144 non rastros patietur humus, non vinea falcem. 323 Ähnlich formuliert Proba in cento 151 unter Rückgriff auf die zweite Hälfte von Verg. Aen. 6,141 Gottes Verbot, die Früchte vom Baum der Erkenntnis zu pflücken: hac quicumque sacros decerpserit arbore fetus. 324 Vgl. etwa Ov. ars 3,688–689 fons sacer et viridi caespite mollis humus; / silva nemus non alta facit; tegit arbutus herbam und epist. 15,158–160 Fons sacer – hunc multi numen habere putant,– / Quem supra ramos expandit aquatica lotos, / Una nemus; tenero caespite terra viret. Nemus greift der HD im Kontext der erlaubten Paradiesfrüchte wörtlich wieder auf, vgl. V. 67 quos [scil. fructus] nemus intonsum ramo frondente creavit. 325 Vgl. etwa Ov. met. 1,101–102 ipsa quoque inmunis rastroque intacta nec ullis / saucia vomeribus per se dabat omnia tellus. 326 Zu pinguis in Bezug auf fruchtbaren Boden vgl. auch Hept. gen. 1319, exod. 995, lev. 284 (pingui […] caespite), num. 356, Ios. 34; zu caespes in der Bedeutung terra, ager, fundus vgl. ThlL 3 s.v. caespes 112,65–113,34; zum Hexameterschluss caespite camp* vgl. auch Avien. orb. terr. 1103, Prud. psych. 266, Paul. Nol. carm. 18,132, Mar. Victor. aleth. 3,778 und Paul. Petric. Mart. 4,554. 327 Vgl. LHS 126 § 79. Zu de beim Ablativus instrumentalis vgl. auch Hept. gen. 55 liquidis de fluctibus, 58 rauco de gurgite und 133 calidis de vestibus.

3. Das Paradies und die Einsetzung der Menschen in den Garten (V. 50–71)

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3. DAS PARADIES UND DIE EINSETZUNG DER MENSCHEN IN DEN GARTEN (V. 50–71) Während der biblische Bericht in Gen 2,8–14 nur eine kurze und dürre Beschreibung der Paradieslandschaft liefert, widmet der HD der Schilderung des Gartens und der Flüsse immerhin vierzehn Verse (V. 50–63), wobei er der Reihenfolge des biblischen Berichts weitestgehend folgt und nichts Wesentliches auslässt. Er bemüht sich, wenn auch in vergleichsweise bescheidenem Maße, um eine anschauliche Darstellung, die hauptsächlich durch den reichlichen Einsatz von Adjektiven und die (eher) dezente Einbringung einiger locus-amoenus-Topoi zustandekommt. Proba und Cl. M. Victorius schmücken dagegen ihre Paradiesbeschreibungen in viel höherem Maße mit Elementen der Ideallandschaft heidnischer Tradition aus, die sich auf unterschiedliche Sinneswahrnehmungen beziehen, wie etwa mit Blumen, Schatten, Pflanzendüften, warmem Klima und Blätterrauschen328. Gründe dafür, dass der HD im Gegensatz zur Knappheit seiner sonstigen Darstellung beim Paradies länger verweilt, könnten zum einen literarischästhetischer Art sein, d.h. der Dichter nutzt die sich bietende Gelegenheit, einen locus amoenus poetisch zu gestalten, und bedient damit auch eine Erwartung seines literarisch gebildeten Publikums; er episiert seine Erzählung durch die Einbringung einer deskriptiven Passage oder will sich als poeta doctus zeigen, indem er die für römische Ohren wohl exotisch klingenden Namen der Paradiesflüsse vollständig in seine Darstellung aufnimmt. Darüber hinaus ist das theologische Anliegen denkbar, dass durch die vergleichsweise ausführliche Beschreibung des Gartens und seiner Ausstattung die Fürsorge Gottes für den Menschen hervorgehoben werden soll, die der HD bereits bei der Formung des Menschen durch Gottes Hand betont hat (vgl. V. 29–30). Das Paradies wird vom HD wie ein realer irdischer Ort behandelt, Ansätze zu einer allegorischen Deutung, die sich in der Alethia explizit finden329, sind in der Heptateuchdichtung nicht erkennbar, zumindest nicht in einer Weise, die eine solche allegorische Deutung überzeugend nahelegen würde. Bei der Einsetzung des Menschen ins Paradies330 (vgl. Gen 2,15–2,17, Hept. gen. 64–69) folgt der HD der Chronologie der biblischen Erzählung, doch da Eva nach seiner Darstellung bereits geschaffen ist, werden, wie im Cento der Proba, beide Menschen zugleich im Garten angesiedelt und von Gott belehrt. Auf diese

328 Vgl. Proba cento 160–169 und Mar. Victor. aleth. 1,223–304; vgl. hierzu auch Mandile 2011, 144–146 sowie 153–159. 329 Vgl. aleth. 1,252–304 zur allegorischen Deutung der im Paradies wachsenden Bäume als Regungen und Antriebe der menschlichen Seele und zur Interpretation der vier Paradiesflüsse als Kardinaltugenden; vgl. auch Mandile 2011, 156–158. 330 Zur Redundanzvermeidung erwähnt der HD diese Einsetzung nur hier im Kontext von Gen 2,15 und lässt sie im Kontext von Gen 2,8 aus.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

Weise ergeht Gottes Verbot, von dem Baum der Erkenntnis zu essen, eindeutig auch an Eva, die ja als erste gegen die Anweisung Gottes verstößt331. Nachdem der HD Gen 2,18–24 bereits an anderer Stelle behandelt hat332, schließt sich der als natürlich empfundene Zustand der Nacktheit (Gen 2,25, V. 70–71) unmittelbar an die Warnung Gottes vor dem verbotenen Baum an. Dadurch erhält die Abwesenheit von Scham eine logische Begründung – Adam und Eva haben eben noch nicht von dem Baum der Erkenntnis gegessen –, was im biblischen Bericht so nicht der Fall ist, denn hier werden Nacktheit und Abwesenheit von Scham an die Stiftung der ehelichen Gemeinschaft angeschlossen. Auffallend ist die verklausulierte Art und Weise, in der der HD in den erzählenden Partien und in der Rede Gottes an die Menschen über den Baum der Erkenntnis und dessen verbotene Früchte spricht; dass der Ungehorsam den Tod nach sich zieht, wird nicht explizit gesagt. Offensichtlich geht es dem Dichter hier um die Erzeugung von obscuritas zur Freude und Herausforderung seiner Leser und zur Demonstration seines poetischen Vermögens, denn aus der Perspektive des Menschenpaares erschiene Gottes Ermahnungsrede zu voraussetzungsreich und wäre bestenfalls als Auffrischung einer bereits erfolgten, klaren Instruktion geeignet. V. 50–51a Haec ubi disseruit, laeta paradisus in aula / instruitur: Mit der Übergangsformel haec ubi disseruit, die in ihrer Struktur an V. 25 Haec ubi constituit erinnert und innerhalb der Heptateuchdichtung mehrfach vorkommt333, leitet der HD von der Ansprache Gottes an Adam und Eva zur Paradieserzählung über (vgl. Vet. Lat. gen. 2,8 (L) et tunc plantavit deus paradisum in Eden). Disserere kommt laut ThlL in der Poesie abgesehen von Lukrez und einigen späteren Dichtern nicht vor und steht hier in Verbindung mit haec im Sinne von enarrare334, wodurch die vorausgehende Rede Gottes (V. 46–49) als eine eingehende, ausführliche Darlegung erscheint. Dies scheint in einem gewissen Widerspruch zur Kürze dieser Rede zu stehen, so dass die Vermutung nahe liegt, dass durch disserere die Bedeutung und das Gewicht von Gottes Ansprache hervorgehoben werden soll. Die aktive Handlung des Gartenpflanzens durch Gott (vgl. Vet. Lat. gen. 2,8 (L) plantavit deus) wandelt der Dichter ins Passiv um, so dass Gott als Handelnder in der Hintergrund tritt335, und ersetzt das biblische plantare durch instruere, welches in der hier naheliegenden Bedeutung creare insbesondere für das Errichten von Gebäuden geläufig ist336. Diese von der Architektur herrühren331 Proba geht hier sogar noch einen Schritt weiter und lässt Gott am Ende seiner Rede die Frau ganz besonders mahnen, sich von niemandem zu einem Vergreifen am verbotenen Baum verführen zu lassen, vgl. cento 153–156. 332 Vgl. V. 33–39 und 42–44. 333 Vgl. auch Hept. exod. 467 und 611, num. 663, Ios. 222 und 567. 334 Vgl. ThlL 5,1 s.v. 2. dissero 1459,25–26 und 1461,34–53. 335 Die Umwandlung von in der Bibel aktiv dargestellen Handlungen ins Passiv findet sich bereits bei der Formung Evas durch Gott (V. 35 mollius ut vulsa formetur femina costa), bei der Benennung Evas durch Adam (V. 37 inditur et nomen) und bei der Zuführung der Tiere an Adam durch Gott (V. 42 ilicet exhibitis animantum ex ordine turbis). 336 Vgl. ThlL 7,1 s.v. instruo 2015,33–55 unter I A praevalet notio comparandi sc. erigendi, creandi 1 exstruendo, aedificando, fundando sim. a α (I). In Bezug auf Gärten und Grundstü-

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de Vorstellung337 ist in der Darstellung des HD insofern stimmig, als das Paradies in einer aula angelegt wird, worunter man sich vielleicht eine Palastanlage vorstellen darf338, in der der zum König über die Schöpfung bestimmte Mensch (vgl. V. 28 […] toto qui regnet in orbe) residiert; denkbar ist aber auch, dass aula den Königspalast Gottes, des eigentlichen Herrn des Gartens, bezeichnet, in dem der Mensch wohnen darf und aus dem er schließlich verstoßen wird. Darüber hinaus zeigt sich in der Umfriedung des Gartens durch einen Gebäudekomplex auch die Fürsorge Gottes für den Menschen. Die Qualifizierung dieser Palastanlage als laeta in der aktiven Bedeutung „froh machend, erfreulich“339 könnte zum einen auf das Verständnis von Eden im Sinne von deliciae bzw. voluptas anspielen, das sich in der Kirchenväterliteratur findet340 und in Vet. Lat. gen. 2,8 in Gestalt der Zusätze voluptatis bzw. deliciarum zu dem Wort paradisum präsent ist341. Zum anderen könnte sich laeta insbesondere auf den glücklichen Zustand der Menschen vor dem Sündenfall beziehen, als sie diesen Garten bewohnten342. Homey schlägt eine eschatologische Deutung von laeta [...] in aula vor, indem er darin eine Anspielung auf das himmlische, endzeitliche Paradies sieht, das sich in der jüdischen und christlichen Vorstellungswelt bisweilen mit dem urzeitlichen Paradies überlagert343. Er erläutert, dass das Wort aula auch den Himmel bezeichnen könne, was beim HD mehrfach in eindeutiger Weise der Fall ist, und nennt christliche Belege für aula im Sinne des himmlischen Paradieses; das Adjektiv laetus bezeichne den Zustand der im himmlischen Paradies Weilenden „schlechthin“344. Es soll hier nicht die Möglichkeit einer solchen Deutung bestritten werden, zumal Proba bei ihrer Paradiesdarstellung an die Darstellung des Elysiums in Vergils Aeneis anknüpft345, doch sind die Begriffe aula und laeta für sich allein genommen so vieldeutig, dass sich eine eschatologische Perspektive nicht unbedingt aufdrängt.

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cke steht instruere in der Bedeutung ornare (vgl. ebd. 2018,17–24), was mit Blick auf das im Folgenden genannte Inventar des Paradieses nicht auszuschließen ist, doch in Gen 2,8 ist zunächst einmal von der Anlage des Gartens die Rede, nicht schon von seiner Ausstattung. Vgl. dagegen Verg. Aen. 1,637–638 at domus interior regali splendida luxu / instruitur […], wo Didos Palast für Aeneas’ Ankunft hergerichtet wird. Vgl. Homey 2009, 153 Anm. 6. Vgl. ThlL 2 s.v. 2. aula 1456,15–67; für den Palast des Pharao steht aula etwa in Hept. gen. 1210, 1369, 1443 und exod. 174. Vgl. ThlL 7,2 s.v. 1. laetus 887,69–70 unter II A 2 vi obiectiva fere i.q. gaudium praestans, iucundus, gratus sim. a α (I). Vgl. etwa Aug. gen. ad litt. 8,3 Plantavit ergo deus paradisum in deliciis – hoc est enim in Eden – ad orientem […]; Hier. nom. hebr. p. 5,15 (Lagarde) Eden voluptas sive deliciae vel ornatus. Vgl. Fischer 1951, 42; vgl. auch Vulg. gen. 2,8 paradisum voluptatis. Ob es sich bei der Variante in deliciis anstelle von in Eden um Bibeltext handelt, ist fraglich, vgl. ebd. Vgl. die Paraphrase von laeta [...] in aula bei Mandile 2011, 151: „nella lieta dimora che Dio e gli uomini condividevano, prima della caduta“. Vgl. Homey 2009, 151 mit Anm. 3. Vgl. ebd. 151–152 mit Anm. 4 und 5, das Zitat S. 152. Vgl. Proba cento 140 fortunatorum nemorum sedesque beatas entsprechend Verg. Aen. 6,639.

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V. 51b primique adspectat lumina solis: Der HD bezieht sich nun auf die Lokalisierung des Paradieses in östlicher Richtung und gibt die schlichte Formulierung Vet. Lat. gen. 2,8 (L) ad orientem mit einer an die epische Sprache angelehnten Periphrase wieder, wobei primi [...] solis im Sinne von solis orientis zu verstehen ist346 und der ganze Ausdruck metonymisch im Sinne von adspectat orientem. Der Dichter knüpft hier möglicherweise an Verg. Aen. 6,255 ecce autem primi sub limina solis et ortus an, welchen Vers er auch in Proba cento 160 im Kontext der Paradiesbeschreibung vorfinden konnte (bei Sonnenaufgang betreten Adam und Eva das Paradies). Sowohl bei Vergil als auch bei Proba findet sich in der Überlieferung neben limina das vom HD übernommene lumina347, und darüber hinaus ist lumina solis ein häufiger Hexameterschluss348. Zur Bezeichnung der Lage eines Ortes wird aspectare auch in Verg. Aen. 1,420 ([…] adversasque aspectat desuper arces [scil. collis]) verwendet. V. 52 gignitur haec inter pomis letalibus arbos: Der Dichter weicht deutlich von Vet. Lat. gen. 2,9 ab, indem er die schön anzusehenden und zum Essen guten Bäume auslässt, die Gott im Paradies pflanzt349, und statt des Baums des Lebens und des Baums der Erkenntnis von Gut und Böse nur einen einzigen Baum erwähnt. Dieser Baum wird als Subjekt zum passiven Prädikat gignitur besonders hervorgehoben350 und durch haec inter351 etwas vage innerhalb des in V. 50 genannten Paradieses lokalisiert, wobei aber auch der Ausdruck (L) in medio paradisi nicht den genauen geographischen Mittelpunkt meint352. Eine erste Charakterisierung des Baums erfolgt durch den Ablativus qualitatis pomis letalibus: Dadurch, dass dem Baum todbringende Früchte zugewiesen werden, wird klar, dass es sich um den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse handeln muss, denn das unerlaubte Essen von seinen Früchten wird mit der Sterblichkeit bestraft (vgl. Gen 2,17)353. Ebenso spricht Avitus im Rahmen der Sündenfallgeschichte in carm. 2,210 vom todbringenden Baum (letali ex arbore) und in carm. 2,214 von der todbringenden Frucht (pomum letale). Augustinus betont dagegen in gen. ad litt. 8,6, dass nicht der Baum selbst durch seine Früchte für die Menschen schädlich gewesen sei, sondern vielmehr die Gebotsübertretung, denn Gott, der alles sehr gut geschaffen habe, hätte wohl nicht im Paradies etwas Schlechtes wachsen

346 Vgl. Forc. 3 s.v. primus 862 unter 2 b. 347 Vgl. Conte 2009, 169 und Schenkl (Proba) 1888, 578 (lumina als Korrektur von 2. Hand). 348 Vgl. die 25 Belege der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 26.06.2015), beim HD auch in Hept. gen. 273, 425, num. 185, 729. 349 Vgl. Vet. Lat. gen. 2,9 (L) et produxit adhuc deus de terra omne lignum formosum ad aspectum et bonum ad escam. 350 In Vet. Lat. gen. 2,9 ist es dagegen Gott, der die Bäume pflanzt, vgl. (L) plantavit. 351 Die Stellung der Präposition inter nach den Nomina bzw. Pronomina findet sich v.a. in der Dichtung, vgl. Neue/Wagener 2, 947. Häufiger steht haec inter bzw. inter haec in temporaler Bedeutung oder im Sinne eines überleitenden interea, so an den 26 weiteren Belegstellen für haec inter innerhalb der Heptateuchdichtung. 352 Vgl. Soggin 1997, 63. 353 Vgl. auch Mandile 2011, 152 Anm. 63.

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lassen354. Bei der Auslassung des lignum vitae konnte der HD auf das Vorbild der Proba zurückgreifen, die sich ebenfalls auf den einen, verbotenen Baum konzentriert (vgl. cento 148 est in conspectu ramis felicibus arbos)355; dabei legen die unspezifische Lokalisierung des Baumes am Versbeginn bei gignitur haec inter bzw. est in conspectu und der syntaktisch parallel gestaltete Versschluss pomis letalibus arbos bzw. ramis felicibus arbos nahe, dass der HD ganz bewusst an dieses Vorbild anknüpft. Zugleich entwickelt er seinen vermuteten Prätext weiter, indem er konkretisierend anstatt der Äste die Früchte ins Auge fasst und das harmlos-positive Attribut felicibus antizipatorisch durch den kontrastiven Begriff letalibus ersetzt. Ferner liegt die Auslassung des Lebensbaums im Kontext von Gen 2,9 für den HD nahe, weil er diesen Baum auch im Kontext der Vertreibung aus dem Paradies (Gen 3,22.24) nicht erwähnt, wo allein der Lebensbaum für die biblische Erzählung von Bedeutung ist. Ansonsten spielt er in der Paradies- und Sündenfallerzählung keine Rolle356, und dementsprechend wird in der Rede Evas gegenüber der Schlange in Gen 3,3 nur auf einen Baum in der Mitte des Paradieses Bezug genommen, bei dem es sich um den Baum der Erkenntnis mit den verbotenen Früchten handelt. V. 53 coniunctum generans vitae mortisque saporem: Auch hier geht der HD weit über seine biblische Vorlage hinaus: Das (L) lignum scientiae boni et mali nach Vet. Lat. gen. 2,9 wird interpretiert als Baum, der den Geschmack des Lebens und des Todes zusammen hervorbringt, wobei boni mit vitae und mali mit mortis gleichgesetzt wird357. Auf diese Weise deutet der HD Gut und Böse entsprechend ihrer Konsequenz für den Menschen, wie dies etwa ganz explizit in Dtn 30,15 oder auch in Röm 6,20–23 geschieht. Gut und Böse und ihre Folgen Leben und Tod sind insofern miteinander verbunden (vgl. coniunctum), als ein Verständnis dessen, was mit dem Guten bzw. dem Leben gemeint ist, nicht möglich ist ohne eine Vorstellung von seinem Gegenteil und umgekehrt358. Diese enge Verknüpfung wird auf syntaktisch-stilistischer Ebene versinnbildlicht, indem vitae und mortis durch que miteinander verbunden359 und von coniunctum […] saporem eingerahmt werden. Durch die Verwendung von saporem360 zur Umschreibung von scientiae eröffnet der HD verschiedene Deutungshorizonte, denn zum einen ist hier wie später in V. 85 ganz konkret an den Geschmack der Früchte zu den354 Vgl. Aug. gen. ad litt. 8,6 […] non fuisse illam arborem cibo noxiam – neque enim qui fecerat omnia bona valde in paradiso institueret aliquid mali – sed malum fuisse homini transgressionem praecepti. 355 Proba kontaminiert hier Verg. Aen. 2,21 Est in conspectu Tenedos, notissima fama und georg. 2,81 exiit ad caelum ramis felicibus arbos. 356 Vgl. Westermann 1976, 368–369. 357 Vgl. Mandile 2011, 152. 358 Vgl. etwa Ambr. parad. 2,8 nam neque quod malum erat malum iudicaremus esse, nisi esset scientia boni [...] neque rursus quod bonum erat sciremus bonum esse, nisi esset scientia mali. 359 Zur Verbindung vitae mortisque vgl. auch Sen. Med. 307, Stat. Theb. 1,155, Carm. de resurr. 375 und Drac. laud. dei 1,545. 360 Vgl. auch Drac. laud. dei 1,415 arboris unius tantum nescite saporem.

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ken: Durch den Genuss der Früchte und die folgende Strafe der Sterblichkeit bekommen die Menschen für die Sinne erfahrbar am eigenen Leib zu spüren, was der Unterschied zwischen Leben und Tod ist. Zum anderen lässt sich sapor auch auf die „Geschmacksfähigkeit“ beziehen, die durch das Essen der Früchte erworben wird, und damit in einem übertragenen Sinn auf die intellektuelle Fähigkeit zur Unterscheidung von Gut und Böse gemäß der Bedeutung des Verbums sapere361. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, in vitae mortisque saporem eine Verschmelzung der beiden Paradiesbäume zu sehen, wobei sich mortisque auf die Früchte des Baums der Erkenntnis beziehen würde, deren Genuss zum Tod führt362. Gegen diese Auffassung spricht allerdings, dass die Früchte des Baumes ausschließlich negativ als todbringend (V. 52 pomis letalibus) bzw. als schädlich (V. 68 malum noxale) bezeichnet werden, so dass der Aspekt des Lebens nicht anklingt. V. 54 Aedibus in mediis puro fluit agmine flumen: In V. 54 und 55 gestaltet der HD den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 2,10 aus ((L) flumen autem prodibat ex Eden). Flumen übernimmt er wörtlich, ersetzt aber das wenig anschauliche prodibat363 durch das dynamischere Verbum fluit, das hier mit einem etymologisch verwandten Subjekt zusammengestellt ist364; außerdem hebt er durch puro [...] agmine die Klarheit des strömenden Wassers hervor365, die in V. 55 in Form von liquidis de fluctibus wieder aufgegriffen wird und in Bezug auf den Fluss Phison, der aus dem paradiesischen Urfluss hervorgeht, nochmals genannt wird (V. 60 perspicuisque vadis). Der Dichter spielt hier offensichtlich auf Verg. Aen. 2,782 inter opima virum leni fluit agmine Thybris an, für welchen Vers wiederum Enn. ann. 163 Sk. (= 173 V.) Quod per amoenam urbem leni fluit agmine flumen das Vorbild ist; auszuschließen ist aber nicht, dass der HD unmittelbar auf diesen Prätext zugegriffen hat366. Ungewöhnlich erscheint auf den ersten Blick die durch die Penthemimeres abgetrennte Ortsangabe aedibus in mediis, die Vet. Lat. gen. 2,10 (L) ex Eden in entspricht367. Es entsteht der Eindruck, dass der HD damit die Vorstellung vom Paradies innerhalb eines Gebäudekomplexes aus V. 50 (laeta paradisus in aula) weiterentwickelt. Herzog vermutet, dass der HD hierbei die Architektur der antiken Gartenvilla vor Augen gehabt habe, und wertet dies als Beleg für die „Romanisierung“, d.h. das „Eindringe[n] römisch-antiker Vorstel361 362 363 364

Vgl. Forc. 4 s.v. sapio 221 unter II 2. Vgl. Evans 1968, 139. Daneben sind die Varianten procedit, exi(i)t, egredi(eba)tur überliefert. Zu diesem aus der eigentlichen Figura etymologica abgeleiteten Typus vgl. LHS 792 § 38 unter D: Subjekt und Prädikat vom selben Stamm „ist im allgemeinen selten, […] doch auch in der höheren Dichtung zu finden, […] gelegentlich auch im Spätlatein“. 365 Da purus sehr häufig auf die Reinheit von Wasser bezogen wird (vgl. die Belege in ThlL 10,2 s.v. 1. purus 2718,26–42), berechtigt es für sich allein genommen wohl kaum dazu, hier eine allegorische Bedeutungsebene anzunehmen, etwa eine Bezugnahme auf den reinen Zustand des Menschen vor dem Sündenfall. 366 Zu weiteren Belegen für agmen in Bezug auf die Strömung von Flüssen u.ä. vgl. ThlL 1 s.v. agmen 1340,34–56. 367 Ebenso Hept. gen. 173 aedibus obversis entsprechend Vet. Lat. gen. 4,16 (I) contra Edem, vgl. Homey 2009, 154–155.

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lungen in die Wiedergabe der Bibel“368. In der Tat waren repräsentative römische Häuser seit dem 2. Jh. v. Chr. mit Peristylhöfen ausgestattet, in denen Gärten angelegt waren und Wasser in Springbrunnen, Becken, Kanälen, Teichen oder auch großen Wasserläufen floss369. Doch Homey wendet mit Recht ein, dass eine solche römisch-antike Vorstellung bei dem heilsgeschichtlich so zentralen Thema des Paradieses das christliche Publikum eher befremdet hätte370. Homey hält es für möglich, dass bei aedibus und dem Fluss in der Mitte an „eine Anspielung auf den endzeitlichen Tempel in Jerusalem“ zu denken ist, aus dem nach Ez 47,1 und Joel 4,18 Wasser hervorgeht; nach Offb 22,1 entspringt der Fluss des Lebenswassers aus dem Thron Gottes und des Lammes, der in dem vom Himmel herabgekommenen Jerusalem an die Stelle des Tempels getreten ist371. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass das Wort aedibus wie laeta und aula in V. 50 für sich genommen nicht signifikant genug ist, um eine endzeitliche Dimension der Paradiesdarstellung wirklich nahezulegen372. Außerdem dürfte in dem endzeitlichen Paradies ein Baum mit todbringenden Früchten (V. 52) keinen Platz mehr haben. Weiterführend erscheint der Ansatz Homeys, dass der HD seine Idee vom Paradies als Gebäude durch ein „fruchtbare[s] ‚Missverständnis‘“ entwickelt haben könnte: Der HD habe möglicherweise eine Vetus-Latina-Version vor sich gehabt, in der statt EDEN AEDEM stand, und da er mit Ortsangaben ganz offensichtlich Probleme hatte, habe er AEDEM als Gebäudebezeichnung aufgefasst und es grammatikalisch und metrisch an seinen Vers angepasst373. Dass der Dichter das Wort AEDEM in diesem Kontext, den ein bibelkundiger Leser fest mit dem Begriff „Eden“ verbindet, wirklich missverstanden haben könnte, ist fraglich, und es wäre auch erstaunlich, wenn er diesen prominenten Namen im Rahmen seiner Paradieserzählung überhaupt nicht nennen würde, während er die Namen der Paradiesflüsse mitsamt den von ihnen durchflossenen Ländern genau erwähnt (V. 57–63). Dagegen ist es durchaus denkbar, dass der HD durch eine solche Schreibung in seiner biblischen Vorlage dazu inspiriert wurde, den Namen wie das lateinische Substantiv aedes zu deklinieren, weshalb hier im Gegensatz zu Peiper die Großschreibung Aedibus vorgeschlagen wird. Dabei konnte er sich zugleich das Doppeldeutigkeitspotential von aedibus zu Nutze machen, so dass der Leser eben nicht nur an den Namen Eden denkt, den er in diesem Kontext erwartet, sondern auch an einen architektonischen Komplex, wie er in V. 50 durch aula evoziert wird. Allzu einfach erscheint dagegen der Lösungsansatz Mayors, der

368 Herzog 1975, 108. 369 Vgl. Carroll-Spillecke 1998, 789. Vor dem Hintergrund der Peristylgärten wäre hier nicht an ein „Gebäude mit umgebendem Garten“ (vgl. Herzog 1975, 108) zu denken, sondern an einen Garten in einem Innenhof des Hauses. 370 Vgl. Homey 2009, 154. 371 Vgl. ebd. 153. 372 Im Unterschied zu V. 54 wird in Hept. exod. 1265 und lev. 226 aedibus durch das Attribut domini bzw. den Kontext eindeutig als Tempel Gottes bestimmt. 373 Vgl. Homey 2009, 155 sowie Fischer 1951, 41 und 43 im Zeugenapparat zu Vet. Lat. gen. 2,8 und 2,10.

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aedibus durch sedibus im Sinne von „mitten auf dem Platz“ ersetzen will374. Mit der Junktur aedibus in mediis, die in der vorausgehenden daktylischen Dichtung mehrfach am Versanfang begegnet375, verlegt der HD statt der beiden Bäume den Fluss in die Mitte des Paradieses376 und verändert so die Paradiestopologie. Abgesehen davon, dass sich diese Vorstellung auch in der Kirchenväterliteratur spiegelt377, kommen für den Fluss in der Mitte des Paradieses ganz verschiedene Vorbilder in Frage: Etwa die Vorstellung von der Quelle des Lebenswassers, die aus der Mitte des Neuen Jerusalem hervorgeht378, oder das Bild des paradiesähnlichen, im Osten gelegenen Hains der Sonne, in dem der Vogel Phönix sich aufhält und in dessen Mitte sich eine monatlich austretende Quelle befindet379. Oder sollte der HD gar eine geostete frühchristliche Basilika vor Augen gehabt haben, welcher ein Atrium vorgelagert war, in dessen Mitte sich der Cantharus, ein Brunnen für Waschungen, befand?380 In jedem Falle wird durch die Verlagerung des Paradiesflusses in die Paradiesmitte dessen Bedeutung als Usprung der vier Paradiesflüsse und letztlich aller Flüsse, die die Erde fruchtbar machen, hervorgehoben. V. 55 quod rigat insignes liquidis de fluctibus hortos: Auch hier schmückt der HD die dürren Informationen der biblischen Vorlage aus (vgl. Vet. Lat. gen. 2,10 (L) et inrigabat paradisum), wobei der mit quod rigat eingeleitete Relativsatz eine gewisse Nähe zu den Vetus-Latina-Varianten quod inrigabat und qui rigat zeigt381. Den biblischen Begriff paradisum gibt der HD durch hortos382 wieder und greift damit zum einen auf die gängige Übersetzung von paradisus durch

374 Vgl. Mayor 1889, 6; in der Tat werden aedes und sedes in den Codices öfters verwechselt, vgl. ThlL 1 s.v. aedes 907,68–70. 375 Vgl. Verg. Aen. 2,512, Sil. Pun. 13,277, Mart. 9,61,5. 376 In ähnlicher Weise lässt Cl. M. Victorius in aleth. 1,268–269 eine Quelle den innersten Bereich des Paradieses (gremium sacri nemoris) bewässern. 377 Vgl. Isid. orig. 14,3,3 E cuius medio fons prorumpens totum nemus inrigat; in Bezug auf das himmlische Paradies vgl. Ps. Cypr. laud. mart. 21 […] ubi fons scaturiens medius sinu alvei prorumpentis emergit et rauco per intervalla circuitu sinuosis flexibus labitur […]. 378 Vgl. etwa Hier. epist. 120,8,10 […] ut aedificetur pro ea nova civitas, quam fluminis impetus laetificat et de cuius medio egreditur fons, qui totius orbis amaritudinem mitigavit, […]. 379 Vgl. Lact. Phoen. 25 Sed fons in medio , quem vivum nomine dicunt. 380 Vgl. Kraus 1882, 121–122. Das Atrium konnte auch bepflanzt sein und wurde vermutlich seit dem 6. Jahrhundert auch als Paradisus bezeichnet, vgl. ebd. 122. Zum frühchristlichen Kirchenbau vgl. auch Holtzinger 1898. 381 Quod inrigabat ist bezeugt durch Aug. gen. ad litt. 8,7, qui rigat durch Ambr. parad. 4 (vgl. Fischer 1951, 43). 382 Die handschriftliche Überlieferung bietet hortus A und ortus CG; Peiper setzt in Anlehnung an V. 72 (hortos G, hortus A, ortus C) sinnvollerweise hortos in den Text. Ortūs wäre allenfalls mit Blick auf Vet. Lat. gen. 2,10 (I) principia zu erwägen, womit die „Anfänge“ der vier Flüsse gemeint sind, in die sich der Paradiesfluss aufspaltet; diese würde der Paradiesfluss mit seinen Fluten speisen (rigat […] fluctibus). Problematisch ist dabei das Adjektiv insignes, das für die schönen Gartenanlagen passt, aber kaum für die Ursprünge der vier Flüsse, und die Doppelung mit V. 56, wo die Aufspaltung des Paradiesflusses in die vier Flussarme erwähnt wird.

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hortus zurück383, zum anderen deutet er durch den Plural an, dass es sich beim Paradies um ausgedehnte Gartenanlagen handelt. Diese Gärten werden als „auffallend“ (insignes) im positiven Sinn bezeichnet, was sich besonders auf ihre Ausstattung mit schön anzusehenden Bäumen beziehen könnte (vgl. Vet. Lat. gen. 2,9 (L) omne lignum formosum ad aspectum), welche der HD ansonsten nicht erwähnt. Durch liquidis de fluctibus384 wird die Klarheit des Paradiesflusses hervorgehoben, womit nach Homey in einer eschatologischen Perspektive auf den kristallklaren Fluss des Lebenswassers in Offb 22,1 angespielt wird, der im endzeitlichen Jerusalem aus dem Thron Gottes und des Lammes entspringt385; der klare Fluss findet sich aber auch in Probas Paradiesbeschreibung (vgl. cento 164 hic liquidi fontes) oder in der Beschreibung des Hains der Sonne in Lact. Phoen. 26 ([scil. fons] Perspicuus, lenis, dulcibus uber aquis) und ist Bestandteil des locusamoenus-Inventars, etwa in Verg. georg. 4,18 (At liquidi fontes et stagna virentia musco). Darüber hinaus wird das Adjektiv liquidus in der Dichtung häufig als Epitheton zu verschiedenen Gewässern hinzugefügt386. Auf klanglicher Ebene wird die Klarheit des Wassers durch die Häufung des hellen Vokals i sinnfällig gemacht, die durch die chiastische Wortstellung (rigat insignes liquidis de fluctibus hortos) zustandekommt. V. 56 quadrifidosque secat undante ex fonte meatus: Der HD bezieht sich hier auf den zweiten Teil von Vet. Lat. gen. 2,10, wonach der im Paradies entspringende Fluss sich in vier Teilflüsse bzw. „Anfänge“ verzweigt, vgl. (L) quod inde dividitur in quattuor (C) partes // (I) principia. Während in der Bibel der Sachverhalt durch dividitur passivisch bzw. medial-reflexiv ausgedrückt wird, ist es beim HD der Fluss selbst, der einen viergeteilten Lauf (in den Erdboden) einschneidet (secāt)387. Secare findet sich in dieser Bedeutung seit Lukrez insbesondere in der Junktur viam secare388, in Kombination mit meatus im Sinne von „Wege einschlagen“ in Claud. 15,223. Die Bezeichnung quadrifidosque [...] meatus für das vierarmige Flussbett389 wird hier sinnvollerweise als poetischer Plural aufgefasst390 und begegnet in ähnlicher Form in Mar. Victor. aleth. 1,270 (quadrifido tumidum laetus caput amne resolvens) im gleichen biblischen Kontext; Prudentius verwendet in cath. 3,105 (quadrifluo celer amne rigat) für den sich teilenden Paradiesfluss das ähnlich klingende Adjektiv quadrifluus. Quadri383 Vgl. etwa Lact. inst. 2,12,15 post haec deus hominem [...] posuit in Paradiso id est in horto fecundissimo et amoenissimo; Hier. quaest. hebr. in gen. p. 4,31 (Lagarde) Pro paradiso hortum habet, id est gan. 384 Zum instrumentalen de vgl. den Kommentar zu V. 49. 385 Vgl. Homey 2009, 153. 386 Vgl. etwa Verg. georg. 2,200 (Quellen), Ov. epist. 18,58 (Meer), Iuvenc. 3,102.113 (See von Galiläa), Lucr. 3,427, Tib. 1,9,12 und Ov. ars 2,472 (Wasser im Allgemeinen). 387 Zur Dehnung der Endung -at in secāt vgl. Peiper 1891, 345. 388 Vgl. OLD s.v. seco 1717 unter 6. 389 Zu meatus in der Bedeutung alveus vgl. ThlL 8 s.v. meatus 513,71–80; vgl. auch Claud. 26,336 divisum bifido consumit, Rhene, meatu in Bezug auf die beiden Mündungsarme des Rheins. 390 In diesem Sinne übersetzt auch White 2000, 101 „cutting a fourfold channel“.

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fidus kommt vor dem HD und Cl. M. Victorius nur selten, hauptsächlich in der epischen Dichtung und sonst nicht in Bezug auf geteilte Flussläufe vor391, wobei es am Hexameterbeginn in Verbindung mit -que auch in Verg. georg. 2,25 steht (quadrifidasque sudes et acuto robore vallos). Undante392 ex fonte gibt zum einen den Ausgangspunkt des Flusses an („von seiner wogenden Quelle herkommend“), zum anderen scheint die Präposition ex hier auch eine kausale Färbung zu haben, d.h. der Fluss kann sich deshalb in die vier Arme verzweigen, weil er seinen Ursprung in einer so wasserreichen Quelle hat. V. 57 Fisonus auriferis praedives fluctuat undis: In V. 57–60 gestaltet der HD die trockenen Informationen in Vet. Lat. gen. 2,11–12 zum Paradiesfluss Phison (Fisonus)393 poetisch aus und nimmt eine leichte Umakzentuierung seiner biblischen Vorlage vor, indem er den Goldreichtum des Landes Hevilat – ebenso wie das dortige Edelsteinvorkommen – den Wellen des Phison zuschreibt394; dabei kann er insbesondere auf poetische Beschreibungen der goldführenden Flüsse Tagus und Paktolus zurückgreifen, in denen jeweils das Adjektiv aurifer verwendet wird395. Bei dem Versschluss fluctuat undis, der sich nochmals in Hept. Ios. 11 in Bezug auf das Meer findet, könnte es sich um eine Anleihe bei Catull. 64,62 (prospicit et magnis curarum fluctuat undis) handeln, wo freilich in einem übertragenen Sinne von im Herzen wogenden Sorgen die Rede ist. Der Ablativ auriferis [...] undis kann wie in dem Catull-Vers auf fluctuat bezogen werden, so dass praedives für sich allein steht und sinngemäß den Reichtum des Phison an Gold und Edelsteinen angibt („der sehr reiche Phison wogt mit goldführenden Wellen“)396. Sinnvoller ist aber wohl der Bezug auf praedives, so dass der Reichtum an goldführenden Wellen gemeint ist; ein solcher Ablativ in Abhängigkeit von Adjektiven der Fülle kommt in der Dichtung regelmäßig vor397, findet sich in Verbindung mit dem Adjektiv praedives allerdings erst in späterer Zeit398. In sti391 Vgl. Verg. georg. 2,25 (quadrifidasque sudes), Aen. 7,509 (quadrifidam quercum), Val. Fl. 1,663 (quadrifida trabe), Iuvenc. 4,158 (quadrifido […] ab axe) und Claud. 1,268 (quadrifidum […] laborem). 392 Peiper zieht die Überlieferung undante in CG dem in A überlieferten undanti vor, was mit dem partizipialen Charakter von undante zu rechtfertigen ist, vgl. KS I, 351 Anm. 8 unter a; ferner spricht die Elision für –ĕ statt –ī, vgl. ebd. Anm. 7 zur Bevorzugung von –ĕ in der Dichtung aus metrischen Gründen. 393 Die latinisierte Form Fisonus scheint außerhalb der Heptateuchdichtung nicht belegt zu sein. 394 Nach Vet. Lat., Vulg. und LXX gen. 2,11–12 befinden sich Gold und Edelsteine im Land Hevilat; der Phison als Träger von Gold und Edelsteinen erscheint dagegen in Ambr. parad. 3,15 Phison igitur prudentia est et ideo habet bonum aurum, splendidum carbunculum et prasinum lapidem und 3,22 et quia Phison aurum bonum terrae et carbunculum et lapidem prasinum habere dictus est […]. 395 Vgl. etwa Ov. am. 1,15,34 cedat et auriferi ripa benigna Tagi, Sil. 1,155 auriferi Tagus adscito cognomine fontis, 16,450 aurifero perfusa Tago. […], Tib. 3,3,29 […] nec Lydius [scil. Pactolus] aurifer amnis, Claud. 24,61 quae sic aurifero Pactoli fonte tumescit. 396 So übersetzt White 2000, 101: „The rich Phisonus flows with gold-bearing waters“. 397 Vgl. KS II,1, 385–386 § 81 unter 7.a, z. B. dives. 398 Vgl. ThlL 10,2 s.v. praedives 576,37–38 (Sulp. Sev.), 52–54 (Prud., HD) und 66–67 (Greg. Tur.).

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listischer Hinsicht fällt die verschränkte Stellung von Substantiven und zugehörigen Attributen (Fisonus auriferis praedives fluctuat undis) auf. V. 58 conspicuasque terit rauco de gurgite gemmas: Der Erwähnung der Edelsteine prasinus und carbunculus im Lande Hevilat bzw. im Fluss Phison (vgl. Vet. Lat. gen. 2,12)399 schaltet der HD mit V. 58 eine einleitende Bemerkung vor, die zur poetischen Ausschmückung dient: Der Glanz der Edelsteine wird durch das Adjektiv conspicuas hervorgehoben400, das innerhalb der Heptateuchdichtung insgesamt 27-mal vorkommt, davon zweimal in Bezug auf das ebenfalls glänzende Gold (vgl. exod. 1073 und 1105). Ferner veranschaulicht der HD das Tosen der Strömung, die die Edelsteine glättet, durch das Adjektiv raucus, das sich in Bezug auf Gewässer sowohl in der vorausgehenden Dichtung als auch beim HD mehrfach findet401. Die Dynamik der Strömung kommt durch gurgite zum Ausdruck402, welches auch Cl. M. Victorius in aleth. 1,288 zur Darstellung der schnellen Strömung des Tigris benutzt (tertius hinc rapido procurrens gurgite Tigris); dabei steht der Präpositionalausdruck de gurgite anstelle eines instrumentalen Ablativs403. V. 59 prasinus huic nomen, illi est carbunculus ardens: Bei der Benennung der Edelsteine, die vom Fluss Phison geglättet werden, zeigt sich eindeutig, dass der HD Vet. Lat. gen. 2,12 (L) carbunculus et lapis prasinus und nicht der Vulgata folgt, denn diese liest bdellium et lapis onychinus. Das Substantiv prasinus, dessen erste Silbe hier gegen die übliche Prosodie gedehnt wird404, bezeichnet einen lauchgrünen Stein405 und wird in diesem biblischen Kontext meist mit dem Smaragd identifiziert406. Unter dem Karfunkel sind verschiedene rote Edelsteine wie der rote Granat, der rote Spinell, der Almandin und der heutige Rubin zu verstehen407. Den feurigen Glanz veranschaulicht der Dichter durch das Partizip ardens408, welches in der Heptateuchdichtung auch in Bezug auf Purpur (exod. 1091 399 Wie das Gold weist der HD auch die Edelsteine nicht direkt dem Land Hevilat, sondern dem Fluss Phison zu, vgl. den Kommentar zu V. 57. 400 Eine Verbindung des Adjektivs conspicuus mit dem Substantiv gemma findet sich vor dem HD offenbar nicht; in Ov. medic. 20 conspicuam gemmis vultis habere manum liegen andere syntaktische Bezüge vor. 401 Vgl. etwa Verg. Aen. 6,327 rauca fluenta, Ov. epist. 10,26 und 18,26 raucis […] aquis, met. 11,783 rauca […] unda, Avien. Arat. 1200 Oceano […] rauco, 1487 rauci […] gurgitis; ferner Hept. exod. 52 rauca fluenta, Ios. 53 flumina rauca, Ios. 96 rauco […] fluctu, iud. 354 raucos […] amnes. 402 ThlL 6,2 s.v. gurges 2361,63–2363,5 unter II praevalet notio fluctuantis, aestuantis sim. aquae, liquoris: fere i.q. fluctus, aestus, undarum cursus sim. A 1 a. 403 Vgl. den Kommentar zu V. 49. 404 Vgl. ThlL 10,2 s.v. prasinus 1128,55–56 mit dem weiteren Beleg Carm. de resurr. 214. 405 Vgl. Georges 2 s.v. prasinus 1907 unter I. 406 Vgl. etwa Mar. Victor. aleth. 1,282–283 fulmineo rutilans carbunculus igne coruscat / ac viridi radiat fulgescens luce smaragdus. 407 Vgl. Glau 2004, 137–138. 408 Als Bezeichnung einer feurigen Färbung auch in Verg. georg. 4,91 maculis auro squalentibus ardens und 4,99 ardentes auro, jeweils bezogen auf die goldene Musterung des Bienenkörpers.

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ardenti e murice) und einen silbernen Becher (gen. 1403 scyphusque […] ardens) verwendet wird und als Verbum finitum in exod. 1099 nochmals den Karfunkel charakterisiert (sapphirus hanc sequitur, cum qua carbunculus ardet). Den Kontrast der Komplementärfarben grün und rot, der durch die beiden Edelsteine repräsentiert wird, arbeitet der HD durch die chiastische Wortstellung (prasinus huic nomen, illi […] carbunculus ardens) heraus, durch welche die Kontrastbegriffe an die exponierte Position des Versanfangs bzw. Versendes gerückt werden. Die Gegenüberstellung wird zusätzlich durch die Antonyme huic – illi unterstrichen409 und durch die Penthemimeres strukturiert, die mit dem syntaktischen Einschnitt nach nomēn410 zusammenfällt. Sowohl in lexikalischer als auch in struktureller Hinsicht fällt die starke Ähnlichkeit zwischen diesem Vers und Carm. de resurr. 214 auf (prasinus inde nitet, illinc carbunculus ardet), wobei es sich um eine Imitation des HD durch den anonymen, um 500 n. Chr. anzusetzenden Autor handeln dürfte411. V. 60 perspicuisque vadis terram praelambit Evilam: Die Verbindung des Flusses Phison mit dem Land Hevilat, die in Vet. Lat. gen. 2,11 unmittelbar nach der Nennung des Flusses hergestellt wird, erfolgt beim HD erst nach dem Hinweis auf das Gold und die Edelsteine. Wie bereits bei Fisonus (V. 57) und Adamus (V. 44) latinisiert der HD den biblischen Namen (C) Evilath bzw. (I) Evilat und passt ihn an die a-Deklination an; diese Form findet sich außerdem in Hier. in Is. 15,54,11/14 sowie in Hier. sit. et nom. p. 81,22 und p. 167,12 (Klostermann). Während in der Vetus Latina, Vulgata und LXX einhellig davon die Rede ist, dass der Phison um das Land Hevilat herumfließt412, lässt der HD den Fluss das Land bespülen (praelambit); in dieser Verwendung ist das Verbum praelambere erst spät belegt413. Durch perspicuisque vadis hebt der Dichter wie in V. 55 (liquidis de fluctibus) die Klarheit des Flusses hervor, wobei perspicuus in Bezug auf durchsichtige Gewässer in der Dichtung seit Ovid gängig ist414 und vadum im Sinne von Fluss- oder Meerwasser in der antiken Poesie ebenfalls häufig belegt ist415. V. 61 post hunc Aethiopas Geon adlapsus opimat: Nach der vier Verse umfassenden Darstellung des Flusses Phison (V. 57–60) geht der HD auf den Fluss Geon416 nur sehr knapp ein (vgl. Vet. Lat. gen. 2,13). Auch hier ändert er die bi-

409 Ähnlich Verg. Aen. 8,358 Ianiculum huic, illi fuerat Saturnia nomen. 410 Zur Dehnung der Endsilbe in nomēn vgl. Peiper 1891, 345. 411 Zur Datierung des Carm. de resurr. vgl. Pollmann 2002, 279, zur Datierung des HD in die erste Hälfte des 5. Jh. n. Chr. s.o. S. 37. 412 Vgl. Vet. Lat. gen. 2,11 (C) quod circuit // (I) qui circuit, Vulg. qui circuit, LXX oÖ kuklvqn. 413 Vgl. ThlL 10,2 s.v. praelambo 683,45–60 mit Belegen ab Avien., vgl. v.a. Prud. cath. 5,120 praelambens fluvius portat in exitum, wo ein Fluss im endzeitlichen Paradies beschrieben wird. 414 Vgl. die Belege in ThlL 10,1 s.v. perspicuus 1748,12–25. 415 Vgl. die Belege in Forc. 4 s.v. vadum 903 unter II 2. 416 Der Name Geon ist ohne Abänderung aus der Bibel übernommen, vgl. Vet. Lat. gen. 2,13 (C/I) Geon, ebenso lautet die Vulgata.

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blische Vorlage ab, nach der der Geon das Land Äthiopien umfließt417, und bringt stattdessen durch opimat eine positive Qualifizierung des Flusses als fruchtbar machend ein. Opimare ist nur selten und hauptsächlich in der Prosa seit Columella belegt, in Bezug auf fruchtbar machende Flüsse auch bei Solinus und Hegesippus418. Da der Geon u.a. mit dem Nil identifiziert wurde419, könnte in V. 61 an den fruchtbaren Nilschlamm gedacht sein, der den Überschwemmungen zu verdanken ist420; das Partizip adlapsus, das hier ganz offensichtlich in der Funktion eines Partizips Präsens mit modalem Nebensinn aufgefasst werden muss421, spielt dann auf das Heranfließen des Hochwasser führenden Nils an422. Ferner variiert der Dichter Vet. Lat. gen. 2,13, indem er (C) Aethiopiae bzw. (I) Aethiopiam metonymisch durch den Völkernamen Aethiopas ersetzt. Die griechische Akkusativ-Plural-Endung auf -as ist bei der Deklination griechischer Wörter der dritten Deklination sehr häufig423. V. 62 tertius est Tigris, Eufrati adiunctus amoeno: In V. 62–63 variiert der HD Vet. Lat. gen. 2,14. Während die vier Paradiesflüsse in Vet. Lat. gen. 2,11.13–14 durch Numeralia aneinandergereiht werden, vermeidet der HD abgesehen von der Ordinalzahl tertius (vgl. Vet. Lat. gen. 2,14 (L) tertium) eine „Durchnummerierung“ der Flüsse, indem er den Geon in V. 61 nicht mit secundus, sondern mit post hunc anschließt und in V. 62 den Euphrat nicht als viertes Glied der Aufzählung behandelt, sondern stattdessen auf seinen Zusammenfluss mit dem Tigris424 anspielt (adiunctus). Während Euphrat und Tigris heute vereint in den Persischen Golf münden, herrschten in der Antike divergierende Vorstellungen darüber, ob die beiden Flüsse eine gemeinsame oder getrennte Mündungen haben425. Da aber adiungere in Bezug auf sich vereinigende Flüsse auch anderweitig belegt ist426 und in Mar. Victor. aleth. 1,289 ebenfalls der Zusammenfluss von Euphrat und Tigris erwähnt wird (vgl. iuncta quos mole ruentes), kann adiunctus hier durchaus auf diesen Sachverhalt Bezug nehmen. Ansonsten könnte

417 Vgl. Vet. Lat. gen. 2,13 (C) hoc circuit totam terram Aethiopiae // (I) hic est qui circuit omnem Aethiopiam. 418 Vgl. ThlL 9,2 s.v. opimo 708,4–6 und 34–37. 419 Vgl. Soggin 1997, 67 sowie Ambr. parad. 3,14, Aug. gen. ad litt. 5,7 und 8,7, Alc. Avit. carm. 1,262–263. 420 In Mar. Victor. aleth. 1,284–286 erscheint der Geon als Zufluss des Nils und verhindert durch Überschwemmung das Austrocknen des Landes, in Alc. Avit. carm. 1,262–289 wird der Geon mit dem Nil gleichgesetzt und ausführlich das Nilhochwasser beschrieben. 421 Vgl. KS II,1, 759–760 § 136 unter β zu dieser Erscheinung in Poesie und nachklassischer Prosa. Entsprechend übersetzt White 2000 „enriching the Ethiopians as it flows“. 422 Zu allabi in Bezug auf Flüssigkeiten vgl. ThlL 1 s.v. allabor 1659,16–22 mit Belegen ab Cicero. 423 Vgl. KS I, 372–373 § 82 unter 4. 424 Zur Dehnung der kurzen Endsilbe –is in Tīgrīs, hier unter dem Einfluss der Penthemimeres, vgl. Peiper 1891, 345; die erste Silbe in Tigris kann kurz oder lang gemessen werden, vgl. Quicherat s.v. 2. Tīgrĭs/Tĭgrĭs 1141. 425 Vgl. Hunink 1992, 131 zu Lucan. 3,258. 426 Vgl. ThlL 1 s.v. adiungo 705,76–79.

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adiunctus mit dem Dativ auch im Sinne von finitimus, vicinus427 auf das Nebeneinanderherfließen der beiden Ströme bezogen werden, was in Mar. Victor. aleth. 1,288–289 durch […] Tigris / it comes Euphrati […] zum Ausdruck kommt und sich durch zwei weitere Stellen aus der Heptateuchdichtung stützen lässt: So bezieht sich adiunctus in dem sehr ähnlich klingenden Vers Hept. Ios. 263 audit Amorreus Iordani adiunctus amoeno auf die Nachbarschaft der Amoriter zum Jordan, und in Hept. num. 649–650 wird von Euphrat und Tigris als den „Zwillingsflüssen“ gesprochen (quaque iacet tellus geminis inclusa fluentis / Tigris et Euphratis […]). Auf stilistischer Ebene wird die enge Verbundenheit der beiden Flüsse, sei sie auf die benachbarte Lage oder auf den Zusammenfluss bezogen, durch die verschränkte Wortstellung (tertius est Tigris, Eufrati adiunctus amoeno) sinnfällig gemacht428. Fraglich ist, ob es sich bei amoenus um ein wirklich qualifizierendes Adjektiv oder eher um ein stereotyp benutztes Epitheton handelt, denn die dem Euphrat eher zugeschriebenen Eigenschaften sind Größe und vor allem Fruchtbarkeit429, nicht aber ein besonderer ästhetischer Reiz; ferner findet sich amoenus beim HD auch in Bezug auf den Nil und den Jordan430 und in der Dichtung überhaupt häufig in Bezug auf Flüsse und Quellen431, was auf eine eher formelhafte Verwendung schließen lässt. V. 63 Assyriam celeri discretim flumine sulcans: Während der Tigris nach Vet. Lat. gen. 2,14 „gegenüber von Assyrien“ fließt (vgl. (L) contra Assyrios), fließt er nach der Darstellung des HD durch das Land hindurch, was durchaus den geographischen Verhältnissen entspricht432; auch in Mar. Victor. aleth. 1,298 durchschneidet der Tigris Assyrien ([…] Assyrios celeri secat agmine campos). Dabei bezeichnet sulcare433 nicht nur den Durchfluss des Tigris durch das Land, sondern spielt in seiner Grundbedeutung „durchpflügen“ zugleich auf die Fruchtbarkeit an, die der Fluss dem Ackerland bringt. Vor diesem Hintergrund lässt sich das Adverb discretim, das hier in offenbar einmaliger Verwendung im aktiven Sinne von dissecando verwendet ist434, vielleicht auf die Bewässerungskanäle beziehen, die vom Tigris ausgehend Assyrien durchziehen und somit „durchschneiden“; ansonsten würde es sich bei discretim um eine inhaltliche Verdoppelung von sulcat handeln, mit der betont werden soll, dass das Land Assyrien durch den Tigris geteilt wird. Denkbar ist aber auch, dass nach der Anspielung auf den Zusammenfluss des Tigris mit dem Euphrat (V. 62 Eufrati adiunctus amoeno) durch discretim ausgedrückt werden soll, dass der Tigris zunächst getrennt vom 427 Vgl. ebd. 712,5–11. 428 Darüber hinaus fällt die klangliche Gestalt des Verses auf: tertius est Tigris, Eufrati adiunctus amoeno. 429 Vgl. etwa Lucan. 3,256–257 magnus / Euphrates und 3,260 fertilis Euphrates, Ambr. parad. 3,18 Euphrates, qui latine fecunditas atque abundantia fructuum nuncupatur. 430 Vgl. Hept. gen. 1248 (Nil), Ios. 3 und 263 (Jordan). 431 Vgl. die Belege in ThlL 1 s.v. amoenus 1963,55–70. 432 Vgl. Kessler 2002, 569. 433 In Bezug auf einen Fluss vgl. auch Sil. 6,140 Turbidus arentes lento pede sulcat harenas [scil. Bagrada]. 434 Vgl. ThlL 5,1 s.v. discerno/discretim 1308,69–71.

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Euphrat Assyrien durchfließt, für das der HD hier – im Gegensatz zum Bibeltext und als Variation zu Aethiopas in V. 61 – nicht den Völkernamen Assyrios, sondern den Ländernamen Assyriam setzt. Ferner reichert der HD die knappe Information der biblischen Vorlage durch den Hinweis auf die schnelle Strömung435 des Tigris an, die bereits in der vorausgehenden Literatur und auch in Mar. Victor. aleth. 1,298 (s.o.) erwähnt wird436 und die auf metrischer Ebene durch die Aufeinanderfolge von zwei Daktylen in Āssўrĭām cĕlĕri sinnfällig gemacht wird. V. 64–65a hic positus custos Adamus cum coniuge fida / atque opifex: Der HD nimmt hier Bezug auf Vet. Lat. gen. 2,15, mit dem Unterschied, dass Gott Adam437 zusammen mit der bereits erschaffenen Frau ins Paradies setzt. Die Junktur cum coniuge fida kann in einem theologischen Sinn auf Vet. Lat. gen. 2,24 bzw. Hept. gen. 38–39 bezogen werden, wo von der engen Verbindung von Mann und Frau als Ehepartner die Rede ist; zugleich bedient sich der Dichter mit fida eines schon in der heidnischen Antike gängigen Epithetons für die Gattin438 und lehnt sich bei dem alliterierenden Hexameterschluss cum coniuge – x an ein Schema an, das gerade bei Ovid häufig begegnet439. Auffällig ist die enge Anknüpfung an den biblischen Wortlaut, denn mit positus greift der HD Vet. Lat. gen. 2,15 (L) posuit eum auf440, mit custos und opifex (L) ut operaretur ibi et custodiret eum, wobei die biblischen Verben unter Umkehrung der Reihenfolge in stammverwandte Substantive umgewandelt werden. Mit opifex bzw. ut operaretur ist zunächst das landwirtschaftliche Bebauen des Paradieses gemeint441, dann aber auch „die Arbeit des Menschen überhaupt“442. Beim biblischen Paradies handelt es sich also nicht um ein „Schlaraffenland“ für „menschlichen Müßiggang“, doch ist keineswegs an „schwere oder gar entwürdigende Arbeit“ gedacht443. So weist Augustinus in gen. ad litt. 8,8 den Gedanken zurück, dass der Mensch vor dem Sündenfall etwa zu einer qualvollen Arbeit verurteilt worden sei, indem er Ackerbau betreiben sollte; vielmehr könne landwirtschaftliche Tätigkeit sehr lustvoll sein und sie sei dies zur Zeit des Paradieses umso mehr gewesen, als es von Seiten der Erde und des Klimas keine widrigen Faktoren gegeben habe und das Ge435 Zu flumen für die Strömung von Flüssen vgl. ThlL 6,1 s.v. flumen 965,67–81. 436 Vgl. etwa Hor. carm. 4,14,46 rapidus Tigris, Lucan. 3,256–257 quaque caput rapido tollit cum Tigride magnus / Euphrates […], Sen. Herc. f. 1324 violentus unda Tigris, Ambr. parad. 3,17 hic fluvius [scil. Tigris] dicitur velocior esse omnibus […]. 437 Zur prosodischen Behandlung des Namens Adam beim HD vgl. den Kommentar zu V. 44. 438 Zur Hexameterklausel […] coniuge fida vgl. auch Hor. epist. 2,1,142 und Sil. 13,879, ferner z. B. Ov. met. 7,843–844 […] fidae / coniugis […], Sil. 17,334 fidae […] coniugis, Sen. Ag. 882 coniugis fidae, Herc. O. 957 fidae coniuges, Mar. Victor. aleth. 2,520 und 3,347 coniuge cum fida […]. 439 Vgl. die 15 Belege der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 18.05.2016). 440 Die gleiche Junktur positus custos findet sich in Bezug auf den Herrn der Winde in Sil. 9,491 cum ventis positus custos, cui flamina carcer; die Übereinstimmung mit Hept. gen. 64 dürfte zufällig sein. Vgl. ferner Hept. gen. 158 ille [scil. Cain] negat positum custodem se fore fratris. 441 Vgl. ThlL 9,2 s.v. opifex 703,73–74. 442 Vgl. Westermann 1976, 301. 443 Vgl. Soggin 1997, 69.

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pflanzte noch üppiger gediehen sei. Während auch Cl. M. Victorius in aleth. 3,310–311 den Aspekt der menschlichen Arbeit im Paradies erwähnt ([…] discitque labore mereri, / quo potitur […]), ist er im Cento der Proba nicht zu finden; dort wird dagegen konsequent die Idee einer aurea aetas entworfen, in der die Arbeit des Menschen nicht erwünscht und nicht notwendig ist444. Mit der Aufgabe, den Garten zu bebauen, hängt eng die Pflicht seiner Bewahrung zusammen (vgl. custos). Indem der HD im Gegensatz zur Bibel diesen Bewahrungsauftrag noch vor dem Bearbeitungsauftrag nennt, verleiht er ihm ein besonderes Gewicht, was gerade im Vorfeld der Sündenfallerzählung (ab V. 72) verständlich ist, die ja die menschliche Unfähigkeit zeigt, das Paradies (für sich) zu bewahren. V. 65b tali formatur voce Tonantis: Im Unterschied zu Vet. Lat. gen. 2,16 ((L) et praecepit dominus deus Adae dicens) wandelt der HD den Unterweisungsakt Gottes vom Aktiv ins Passiv um445. Formare kommt im Zusammenhang mit verbalen Belehrungen bereits in der klassischen Dichtung vor446, im biblischen Kontext erinnert es aber auch an die Formung des Menschenkörpers durch Gott (vgl. V. 32 formatum, V. 35 formetur); so wie der Körper des Menschen von Gottes Hand geformt wird, wird nun der menschliche Geist durch Gottes Wort „geformt“. Das biblische Partizip dicens gibt der Dichter durch den Ablativ tali [...] voce wieder, der zur Einleitung einer Rede in der epischen Dichtung oft begegnet, insbesondere bei Juvencus447. Die Übertragung des im paganen Epos gängigen Jupiter-Epithetons Tonantis auf den jüdisch-christlichen Gott findet sich häufig in der christlichen Dichtung und verleiht dem biblischen Stoff ein episches Kolorit448. Im Kontext von V. 65 dürfte Tonantis ganz bewusst gesetzt sein, um die Ernsthaftigkeit der Ermahnung durch die göttliche Autorität hervorzuheben. V. 66 „Ne trepidate simul licitos praecerpere fructus: Nach der Redeeinleitung in V. 65 gibt der HD in V. 66–69 die wörtliche Rede Gottes gemäß Vet. Lat. gen. 2,16–17 wieder. V. 66 entspricht dem zweiten Teil von Vet. Lat. gen. 2,16, wo Gott sich mit den Worten (L) ex omni ligno quod est in paradiso edes ad escam an Adam wendet. Da im biblischen Bericht die Erschaffung der Frau im Gegensatz zur Darstellung des HD erst noch folgt, wird der Mensch im Singular angesprochen, doch finden sich in der Vetus Latina auch die Plural-Varianten edetis, comedite und manducabitis für edes449, und in Vet. Lat. gen. 2,17 wechselt die Anrede in den Plural (vgl. (L) edetis). Während Gott nach Vet. Lat. gen. 2,16 Adam zunächst einmal pauschal dazu auffordert, von jedem Baum im Paradies zu 444 Vgl. Proba cento 144 non rastros patietur humus, non vinea falcem und 168–169 […] ipsaque tellus / omnia liberius nullo poscente ferebat. 445 Zu dieser beim HD häufigeren Erscheinung vgl. auch den Kommentar zu V. 50–51a (paradisus [...] instruitur); bereits die Versetzung Adams ins Paradies (vgl. Vet. Lat. gen. 2,15 (L) posuit eum) wird durch positus (V. 64) ins Passiv umgewandelt. 446 Vgl. etwa Ov. met. 3,287–288 und Hor. sat. 1,4,121. 447 Vgl. die 11 Belege der Datenbank Musisque Deoque (aufgerufen am 16.05.2016). 448 Vgl. Thraede 1962, 1037–1038; in der christlichen Epik findet sich der Hexameterschluss Tonantis, bezogen auf Gott, z. B. viermal bei Iuvenc., siebenmal beim HD und 13-mal in Drac. laud. dei. 449 Vgl. Fischer 1951, 47.

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essen, und erst in einem zweiten Schritt eine Einschränkung macht (vgl. Vet. Lat. gen. 2,17), bereitet er beim HD das Essverbot aus Vet. Lat. gen. 2,17 gedanklich schon vor, denn er spricht explizit von erlaubten (licitos)450 Früchten und ermutigt die Menschen dazu, vor deren Genuss keine Scheu zu haben (ne trepidate simul451 […] praecerpere). Der mit ne negierte Imperativ I findet sich in der Dichtung häufiger452 und auch die Konstruktion von trepidare mit dem Infinitiv ist in der Dichtung vor dem HD belegt453. Ganz offensichtlich spielt der Dichter mit V. 66 auf Verg. Aen. 9,114 ne trepidate meas, Teucri, defendere navis an, denn abgesehen von der identischen Verseinleitung bildet jeweils ein Infinitiv mit zugehörigem Akkusativobjekt den Versschluss. Die beiden Textstellen scheinen inhaltlich nichts miteinander zu tun zu haben – in dem Aeneisvers werden die Trojaner aufgefordert, nicht in ängstlicher Hast die Schiffe der Kybele zu verteidigen –, doch aus dem weiteren Kontext lässt sich insofern ein Kontrastverhältnis herauslesen, als Kybele Aeneas die ihr heiligen Pinien überlassen hat, damit er daraus seine Schiffe bauen konnte (vgl. Verg. Aen. 9,85–89), Gott aber die Menschen gerade von einem bestimmten Baum abhalten will, damit sie sich nicht daran vergreifen454. Bei praecerpere ist die Bedeutung des Präfixes weitestgehend abgeschwächt455, wie auch in Hept. deut. 112–113 […] praecerpere sane / racemos spicasque licet […]. V. 67 quos nemus intonsum ramo frondente creavit: Dieser Vers, der keine direkte Entsprechung in der Bibel hat, dient der poetischen Ausschmückung und erinnert in seinem Wortlaut an den Beginn von V. 49 (quos [i.e. fructus] nemora et pingui reddunt de caespite campi) im Zusammenhang mit der Übergabe der pflanzlichen Nahrung an die Menschen. Während dort aber mit nemora offenbar frei in der Landschaft liegende Wälder gemeint sind, vergleichbar den ebenfalls genannten Feldern (campi), bezeichnet nemus in V. 67 die Bäume im Paradies456, und während die locus-amoenus-Topik in V. 49 durch die Begriffe nemora und caespite nur anzitiert wird457, entspricht der blätterreiche (vgl. intonsum ramo frondente) und damit schattenspendende Hain des Paradieses zusammen mit dem 450 Licitus im Sinne von permissus ist seit Verg. Aen. 8,468 belegt, vgl. ThlL 7,2 s.v. liceo/licitus 1370,8. 451 Zu simul, welches die Gleichzeitigkeit der durch ne trepidate und solliciti (V. 68) ausgedrückten Handlungen markiert, vgl. den Kommentar zu V. 68. 452 Vgl. KS II,1, 202–203 § 51 unter 1.b. 453 Vgl. ebd. 674 § 124 unter b; genannt werden hier Verg. Aen. 9,114, Hor. carm. 2,4,23–24 und Stat. Theb. 1,640. 454 Dingel 1997, 72 bemerkt zu Verg. Aen. 9,88f: „Daß ein Mensch die Bäume eines heiligen Hains haben möchte und daß die Gottheit sie ihm schenkt, gehört, soweit ich sehe, nicht zu den traditionellen Themen und Szenen. Das Gegenteil aber sehr wohl: daß ein Mensch sich an einem Hain (oder überhaupt an etwas Heiligem) vergreift, daß ihm Einhalt geboten wird, daß er fortfährt und seine Strafe findet.“ Letztere Bemerkung trifft im Wesentlichen auf die biblische Paradieserzählung zu. 455 Vgl. ThlL 10,2 s.v. praecerpo 426,37–48; ebenfalls mit Bezug auf die verbotenen Früchte Prosp. carm. de ingrat. 599 parcite de fractis praecerpere noxia poma. 456 Vgl. auch Proba cento 140 und Mar. Victor. aleth. 1,225.245.255.268. 457 Vgl. den Kommentar zu V. 49.

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klaren Fluss (V. 54) dieser Topik ganz deutlich. Intonsum findet sich seit Vergil in Bezug auf belaubte Baumwipfel und Berggipfel458 und begegnet in diesem Zusammenhang auch in Hept. iud. 135 und 381. In der Grundbedeutung „nicht gestutzt“ könnte hier auch eine Note von aurea aetas mitschwingen, da das Beschneiden der Bäume zu ihrer Kultivierung und Veredelung nicht notwendig ist; dementsprechend bringt der Hain die Früchte von sich aus hervor (creavit)459. Der Versschluss ramo frondente creavit knüpft formal an Verg. Aen. 7,67 examen subitum ramo frondente pependit an, wo es um einen am Baum hängenden Bienenschwarm geht, könnte vom HD aber auch über Proba cento 176 rezipiert worden sein, wo unter Benutzung des Vergilverses die am Baum hängende Schlange beschrieben wird (obliqua invidia ramo frondente pependit). Für einen Leser, der Proba cento 176 im Kopf hat, hätte V. 67 dann schon einen unheilvollen Beigeschmack, denn es ist hier zwar von den erlaubten Früchten die Rede, die an den Zweigen des Hains hängen, doch unter dem Einfluss der Schlange werden die Menschen bald von den verbotenen Früchten essen. Das Partizip frondente460 ist als Synonym zu intonsum aufzufassen und dient innerhalb des parallel gebauten Ausdrucks nemus intonsum ramo frondente der Amplificatio. V. 68 solliciti, ne forte malum noxale legatis: Der HD paraphrasiert hier das göttliche Essverbot nach Vet. Lat. gen. 2,17 ((L) de ligno autem scientiae boni et mali non edetis ab eo) und bringt über seine biblische Vorlage hinausgehend den Aspekt der Sorge (solliciti) ein, die die Menschen in Bezug auf die verbotene Frucht erfüllen soll. Das viersilbige solliciti hat am Versanfang besonderes Gewicht und ist prädikativ auf ne trepidate (V. 66) zu beziehen, so dass es ebenfalls eine imperativische Färbung anzunehmen scheint und sich am besten mit einem Nebensatz wiedergeben lässt („wobei ihr besorgt sein sollt ...“); auch bietet es sich an, das Adverb simul, das die Gleichzeitigkeit der Handlungen non trepidare und sollicitum esse angibt, zu solliciti zu ziehen. Wenn Gott in Vet. Lat. gen. 2,17 das Essen vom Baum der Erkenntnis verbietet, geht er von einem bewussten und absichtsvollen Handeln der Menschen aus, während er beim HD von der Sorge der Menschen spricht, forte eine schädliche Frucht zu pflücken: Das Adverb forte kann im Sinne von fortasse, forsitan („vielleicht“) stehen, aber auch die Bedeutung sine consilio, casu, fortuitu („unbeabsichtigt, durch Zufall“) annehmen461. Beide Sinnrichtungen sind hier denkbar und bringen zum Ausdruck, dass Gott vom Menschen in seinem Zustand der Unschuld ausgeht, so dass der Mensch nicht aus Absicht, sondern nur aus Versehen nach der unheilvollen Frucht greifen würde. Das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, und seine Sanktionierung durch die Androhung des Todes (vgl. Vet. Lat. gen. 2,17 (L) qua die enim ederitis ab illo morte moriemini) kondensiert der HD in ne […] malum noxale legatis462, 458 Vgl. ThlL 7,2 s.v. intonsus 30,52–63. 459 Vgl. auch Ov. met. 1,103 contentique cibis nullo cogente creatis im Rahmen der aureaaetas-Schilderung. 460 In Verbindung mit ramus vgl. auch Verg. Aen. 3,25 und 7,135. 461 Vgl. ThlL 6,1 s.v. fors 1131,71–1132,40 und 1130,22–1131,70. 462 Die persönliche Form legatis ist dem in G überlieferten Passiv legatur vorzuziehen, da Gott sich ja unmittelbar an das Menschenpaar wendet (so auch Mayor 1889, 7).

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worin der Aspekt des Todes nur vage angedeutet wird463 und das Substantiv malum einen doppelten Bedeutungshorizont eröffnet: Durch die Kurzmessung des a in V. 68 muss hier in erster Linie das Übel (mălum) der Sterblichkeit gemeint sein, das sich die Menschen von dem bewussten Baum pflücken; sekundär tritt, vermittelt durch die graphemische Identität mit mālum und unterstrichen durch legatis und V. 69 quod viret […] suco, die Bedeutung „Apfel“ hinzu464. Diese Konkretisierung der Paradiesfrucht ist in der Literatur möglicherweise erstmals beim HD (vgl. V. 77 germina māli) belegt und begegnet auch in Alc. Avit. carm. 2,210 Unum de cunctis letali ex arbore mālum465. Das Adjektiv noxale, das innerhalb der Heptateuchdichtung elfmal vorkommt und auch in V. 97 die verbotenen Früchte charakterisiert, verwendet der HD anstelle das geläufigeren noxius in der Bedeutung „unheilvoll, verderbenbringend“466. Sonst scheint noxalis nur in juristischen Texten mit der Bedeutung „den Schaden betreffend“467 zu begegnen. V. 69 quod viret ex gemino discreta ad munia suco“: Es folgt die nähere Bestimmung des unheilvollen Apfels, wobei der HD in verklausulierter Weise auf Vet. Lat. gen. 2,17 (L) de ligno autem scientiae boni et mali Bezug nimmt. Nicht eindeutig bestimmbar ist der Sinn von viret, das hier ganz wörtlich eine grüne Apfelsorte bezeichnen könnte468, aber wohl eher im einem übertragenen Sinne auf die Frische und Saftigkeit des Apfels zu beziehen ist, der traditionell eine rote Farbe hat469. Unter dem „doppelten Saft“, von dem (ex)470 der Apfel strotzt, ist offenbar der Saft des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse zu verstehen, auf welchen der HD in V. 53 ebenfalls verklausuliert mit coniunctum generans vitae mortisque saporem anspielt. Der Apfel ist für „Aufgaben“ (munia)471 da, die vom Zweck der anderen, erlaubten Früchte verschieden (discreta) sind; während letztere nämlich schön zum Anschauen und gut zum Essen sind (vgl. Gen 2,9), verlei463 Der Tod wird dagegen angedroht in Proba cento 151–152 und Mar. Victor. aleth. 1,324. 464 Nicht überzeugend versucht Leder 1961, 181–183 nachzuweisen, dass es dieses Wortspiel in der Alten Kirche nicht gegeben haben könne. Er verweist auf patristische Literatur, in der im Zusammenhang mit dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen das Stichwort malum bzw. mali gegeben ist und ein Eingehen auf das naheliegende Wortspiel zu erwarten gewesen wäre, wenn es denn ein solches gegeben hätte; ferner weist er darauf hin, dass etwa für Augustinus dieses Wortspiel „theologisch untragbar“ gewesen wäre (S. 182), da nach gen. ad litt. 8,6 nicht die Frucht selbst schädlich war, sondern die Übertretung des göttlichen Gebots, und Gott als Schöpfer alles Guten wohl nichts Böses im Paradies geschaffen hätte. 465 Vgl. Leder 1961, 176 und 179. Die Identifizierung der Paradiesfrucht mit dem Apfel dürfte auf der althergebrachten literarisch-mythologischen Prominenz dieser Frucht beruhen und nicht, wie Leder 1961, 184–186 behauptet, von der Rolle des Apfels in der gallischen Volksfrömmigkeit beeinflusst sein. 466 Vgl. Stutzenberger 1903, 9–10 und Blaise s.v. noxalis 559 funeste, fatal mit Verweis auf Hept. gen. 68 und 97. 467 Vgl. OLD s.v. noxalis 1198. 468 Eine rein formale Parallele ist Stat. silv. 2,2,91 quod viret et molles imitatur rupibus herbas in Bezug auf die grüne Farbe von Marmor. 469 Vgl. etwa die roten Äpfel in der Paradiesszene in Alc. Avit. carm. 2,138–139. 470 Zur kausalen Bedeutung von ex vgl. LHS 266 § 147; dieser Gebrauch findet sich klassisch v.a. in Wendungen mit noch durchscheinender lokaler Bedeutung und wird später freier. 471 Vgl. ThlL 8 s.v. 1. munia 1645,6–13 unter C rerum mit wenigen Belegen ab Columella.

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hen die Früchte des verbotenen Baumes die Erkenntnis von Gut und Böse. Insofern eröffnet munia vielleicht auch einen Durchblick auf das Wort munera („Gaben“)472. V. 70 nec minus interea caecos nox alta tenebat: Mit der innerhalb der Heptateuchdichtung mehrfach vorkommenden Wendung nec minus interea473 greift der HD eine bei Vergil häufige Überleitungsformel auf474. Der Dichter spielt hier ganz offensichtlich auf den zweiten Teil von Vet. Lat. gen. 2,25 an, wonach sich Adam und Eva trotz ihrer Nacktheit nicht schämen, vgl. (L) et non confundebantur (pudebat eos / illos). Dieser Zustand der Menschen wird in V. 70 sehr dezent durch die „Blindheit“ (caecos) umschrieben, in der Adam und Eva durch „tiefe Nacht“ (nox alta)475 gehalten werden, bevor ihnen, wie in Gen 3,7 berichtet wird, die Augen geöffnet werden und sie erkennen, dass sie nackt sind. Gegen die Vorstellung, dass die ersten Menschen in einem körperlichen Sinne blind gewesen seien, wendet sich entschieden Augustinus in gen. ad litt. 11,31: Keineswegs hätten sich Adam und Eva zunächst mit geschlossenen Augen tastend durchs Paradies bewegt, denn in diesem Falle hätten sie die verbotenen Früchte unwissentlich gepflückt, Adam hätte die ihm zur Benennung zugeführten Tiere nicht sehen können und er hätte auch nicht erkennen können, dass die Frau Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch ist, und schließlich hätte Eva nicht sehen können, dass der Baum der Erkenntnis gut zum Essen und schön zum Anschauen sei. Vielmehr gehe es um eine veränderte Wahrnehmung, indem die Menschen nach dem Essen der verbotenen Frucht ihren bisher nicht erkannten geschlechtlichen Unterschied bemerken, einander mit Begehrlichkeit ansehen und Scham empfinden476. Der Bischof Filastrius, ein Zeitgenosse des Ambrosius und Augustinus, bezeichnet die Vorstellung von der wörtlich zu nehmenden Blindheit Adams und Evas sogar als Irrlehre und entlarvt in ähnlicher Weise wie Augustinus ihre Absurdität (vgl. Filastr. 116,1). Ausgehend von der Prämisse, dass es dem HD grundsätzlich um eine getreue Nachbildung der Bibel, um deren besseres Verständnis durch seine Leser oder auch um originelle poetische Gestaltung geht, nicht aber um eine bewusste Verfälschung der Bibel, und ausgehend davon, dass der HD in der zeitgenössischen Exegese bewandert ist, liegt es nahe, dass die Blindheit der Menschen hier in einem metaphorischen Sinn für ihre Unschuld verwendet wird; entsprechend stehen caecus und nox auch für geistig-moralische

472 Ob munia auch die Bedeutung dona haben kann, ist unsicher, vgl. ebd. 1645,14–20. 473 Vgl. auch Hept. gen. 293 , 835, 1452 und num. 114. 474 Vgl. Verg. Aen. 1,633; 6,212; 7,572; 12,107; georg. 2,429; 3,311. Nach Mynors 1990, 158 (zu Verg. georg. 2,429–430) handelt es sich um eine Übergangsformel „which gives the impression that what follows is at least as important as what has gone before“; interea ist hier eher im Sinne einer lockeren Anknüpfung als im Sinne der Gleichzeitigkeit („inzwischen“) verwendet, vgl. Horsfall 2000, 376 zu Verg. Aen. 7,572. 475 Zu dieser häufigen Junktur vgl. etwa Ov. am. 3,5,46, Sen. Phoen. 144, Ag. 727, Val. Fl. 3,206; 6,14, Paul. Nol. carm. 16,150. 476 Vgl. auch Aug. loc. hept. 1,9 und Aug. civ. 14,17, wo die Auffassung wirklicher Blindheit als Meinung des inperitum vulgus und als absurd entlarvt wird.

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Blindheit477 und werden sowohl in der griechisch-römischen Philosophie als auch im Christentum Blindheit und Nacht als Bilder für Unwissenheit verwendet478. Komplementär dazu setzt der HD ab V. 80 eine sehr eindringliche Lichtmetaphorik ein479, um den Übergang vom Urzustand zur Erkenntnis sinnfällig zu machen, welcher zum einen ein abstrakter, schwer fassbarer Prozess ist und zum anderen eine sensationell neue Erfahrung für die Menschen. Eher abwegig erscheint die von Evans entwickelte Vorstellung, dass die Nacht wörtlich zu nehmen sei und die Menschen deshalb blind seien480: Es wird nicht gesagt, dass es Nacht wird, und darüber hinaus hätte die Erwähnung der Nacktheit in V. 71 keine Funktion, wenn mit der Blindheit einfach nur die schlechte Sicht aufgrund der Dunkelheit und nicht eine psychologisch-ethische Dimension gemeint wäre. V. 71 ac modo formatos vestis non texerat artus: Die Folge der in V. 70 beschriebenen „Blindheit“ der Menschen ist die Abwesenheit von Scham und daher auch das fehlende Bedürfnis, sich zu bekleiden. Im ersten Teil von Vet. Lat. gen. 2,25 wird lediglich von der Nacktheit der Menschen gesprochen ((L) et erant ambo nudi), doch der HD antizipiert hier bereits den Zustand nach dem Sündenfall, als Gott den Menschen Kleider aus Fellen näht (Gen. 3,21). Dementsprechend bestehen auch deutliche Korrespondenzen im Wortmaterial und Versbau zwischen V. 71 ac modo formatos| vestis non texerat artus und V. 133 operiens nudos| calidis de vestibus artus. Über Vet. Lat. gen. 2,25 hinausgehend betont der HD durch modo formatos [...] artus481 die Frühphase der menschlichen Existenz vor dem Essen vom verbotenen Baum und unterstreicht damit auch die Wehrlosigkeit des noch jungen Menschenpaares gegenüber der ab V. 72 in Erscheinung tretenden Schlange. Das Plusquamperfekt texerat bezeichnet hier einen aus einer vollendeten Handlung sich ergebenden Zustand, ist also gleichbedeutend mit dem Imperfekt tegebat482.

477 Vgl. die Belege in ThlL 3 s.v. caecus 43,38–44,28 unter I B translate 1 de animantibus und OLD s.v. nox1 1197 unter 6 b (blindness); (also fig.). 478 Unwissenheit ist dabei jeweils eine von mehreren metaphorischen Bedeutungen und grundsätzlich negativ konnotiert, während die Unschuld der Menschen vor dem Sündenfall ein positiver Zustand ist; vgl. E. Lesky, Art. „Blindheit“, in: RAC 2, 1954, 433–446, hier 442 (Antike) und 446 (Christentum) und M. Becker, Art. „Nacht (Dunkelheit)“, in: RAC 25, 2013, 565–594, hier 584–585 (Antike) und 590–592 (Christentum). 479 Vgl. S. 257. 480 Vgl. Evans 1968, 139–140 mit Anm. 5. 481 Um eine formale Parallele handelt es sich bei Ov. fast. 1,153 et modo formatis operitur frondibus arbor. 482 Vgl. KS II,1, 125–126 § 33 unter 3.

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4. SÜNDENFALL UND VERTREIBUNG AUS DEM PARADIES (V. 72–133) In diesem Abschnitt der biblischen Erzählung folgt der HD weitestgehend chronologisch seiner Vorlage Gen 3,1–24, wobei sich folgende Grobgliederung ergibt: V. 72–90: Verführung durch die Schlange und deren Folgen (Öffnen der Augen, Erkenntnis der Nacktheit) V. 91–106: Stellung und Vernehmung der Täter durch Gott V. 107–125: Urteilsverkündung (V. 107–113 Bestrafung der Schlange, V. 114–116 Bestrafung Evas, V. 117–125 Bestrafung Adams) V. 126–133: Vertreibung der Menschen aus dem Paradies.

Auffallende strukturelle Eingriffe nimmt der HD nur an zwei Punkten vor: Zum einen wird das Gespräch zwischen Eva und der Schlange (Gen 3,1–5, vgl. V. 77– 81) stark verkürzt, indem Gen 3,2483 und 3,4484 vollkommen ausgelassen werden, die beiden direkten Reden der Schlange in Gen 3,1 und 3,5 zu einer einzigen, zusammenhängenden verschmolzen werden (V. 77–80) und auf Evas Entgegnung in Gen 3,3 nur kurz berichtend hingewiesen wird (V. 81). So steht den vier Versen direkter Rede der Schlange ein einziger Vers mit der Reaktion Evas gegenüber, wodurch die Schlange als übermächtiger Gegner erscheint. Zum anderen entfällt gegen Ende der Sündenfallerzählung die Benennung der Frau als Eva bzw. Leben nach Gen 3,20, da der HD auf diesen Vers bereits in V. 37 eingegangen ist bzw. ihn im Zusammenhang mit Gen 4,1 noch einmal aufgreift (vgl. V. 135b–136a). Als Konsequenz der Unterdrückung des Lebensbaums bei der Paradiesbeschreibung485 fällt Gen 3,22 aus, wo Gott die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies damit begründet, dass dieser nicht auch noch vom Baum des Lebens essen und unsterblich werden solle. Ferner schließt der HD die Sündenfallerzählung nicht mit der Vertreibung der Menschen aus dem Paradies ab (vgl. Gen 3,23–24), sondern mit ihrer Bekleidung durch Gott (Gen 3,21, vgl. V. 131–133), so dass nicht die harte Strafe und der unwiederbringliche Verlust des Paradieses, sondern Gottes Barmherzigkeit und Fürsorge gegenüber den Menschen das letzte Wort haben486. Besondere Amplifikationen der biblischen Vorlage zeigen sich zum einen bei der Einführung der Schlange (vgl. Gen 3,1), deren Aussehen und Charakter ausführlich beschrieben werden (V. 72–75), zum anderen, verbunden mit einer deutlichen inhaltlichen Veränderung, im Kontext des menschlichen Erkenntnisprozesses: Während die biblische Schlange in Gen 3,5 verheißt, dass den Menschen, wenn sie die Frucht essen, die Augen geöffnet werden, so dass sie wie Götter sein

483 Vgl. Vet. Lat. gen. 3,2 (L) et dixit mulier ad serpentem: ex omni ligno quod est in paradiso edemus. 484 Vgl. Vet. Lat. gen. 3,4 (L) et dixit serpens mulieri non morte moriemini. 485 Vgl. den Kommentar zu V. 52. 486 Zu dieser Aussagetendenz des HD vgl. auch Evans 1968, 141.

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und Gut und Böse kennen werden487, verheißt die Schlange Eva in V. 80 das Leuchten des Himmels, und während nach Gen 3,7 den Menschen die Augen aufgetan werden, erstrahlt Eva der wolkenlose Himmel (V. 84) bzw. leuchten Adams Augen im Glanz des Himmels (V. 87–88); schließlich rechtfertigt sich Adam über den Bibeltext hinausgehend in V. 98–100 vor Gott damit, dass Eva ihm von ihrem optischen Erlebnis erzählt habe, nämlich vom hellen Tageslicht und dem Leuchten der Sonne und der Sterne. Diese eindringliche Lichtmetaphorik, die bereits in V. 70 durch die bildliche Blindheit und Umnachtung der Menschen anklingt (caecos nox alta tenebat)488, hat offensichtlich den Zweck, den abstrakten, schwer fassbaren Prozess der Erkenntnis und seinen für die Menschen sensationellen Charakter sinnlich begreifbar zu machen. Der Betonung des Sensuellen entspricht auch die Akzentuierung des Essvorgangs (vgl. V. 83 und V. 85), so dass sich der abstrakt-theologische „Sündenfall“ aus Sicht der Menschen als ein optisches und gustatorisches Feuerwerk darstellt. Die Lichtmetaphorik konnte der HD im Kern schon bei Proba finden, die in cento 206 davon spricht, dass den Augen der Menschen ein neuartiges Licht erstrahlt (continuo nova lux oculis effulsit), wobei dieser plötzliche Anblick die Menschen aber nicht begeistert, sondern in Schrecken setzt (vgl. cento 206–207 […] at illi / terrentur visu subito […]). Darüber hinaus wird Licht bereits in der heidnischen Philosophie mit Erkenntnis in Verbindung gebracht, so dass etwa im platonischen Höhlengleichnis „der Weg von der Unwahrheit und Unwissenheit zur Erkenntnis als Weg vom Dunkel ins L[icht] beschrieben“ wird489. Während aber das Licht im breiten Spektrum metaphorischsymbolischer Bedeutungen, sei es in der heidnischen Philosophie und Religion, sei es im Christentum, etwas grundsätzlich Positives ist490, hat das Licht, das Adam und Eva in der Darstellung des HD aufstrahlt, unheilvolle Konsequenzen. Da der Himmel und seine Gestirne so auffallend hervorgehoben werden491, ist es denkbar, dass der HD die Erkenntnis insbesondere auf die überirdischen Dinge bezogen sehen will und durch den nach oben gerichteten Blick der Menschen auf die rectus-status-Anthropologie anspielen will, worauf die Schlange in Alc. Avit. carm. 2,194–195 explizit Bezug nimmt (Consilium mage sume meum mentemque supernis / Insere et erectos in caelum porrige sensus)492. Abwegig erscheint dagegen der Gedanke, dass nach Meinung des HD die Menschen tatsächlich zuerst 487 Diese Prophezeiung ist in Gen 3,5 mit dem fjoßnow-jevqn-Motiv verknüpft, indem die Schlange Gott implizit unterstellt, durch das Essverbot den Menschen die Allwissenheit zu missgönnen, vgl. Soggin 1997, 83. Sowohl Proba (cento 187–190) als auch Cl. M. Victorius (aleth. 1,398–405) folgen hier dem Bibeltext. 488 Vgl. den Kommentar zu V. 70. 489 Vgl. Wallraff 2010, 131. 490 Vgl. ebd. 120–131, insbesondere die Ausführungen zum Licht als Metapher für die christliche Lehre, für Christus oder Gott und die Trinität. 491 Vgl. V. 80 aureus astrigero ridebit cardine mundus, V. 84 adfulsit […] serenum, V. 99–100 […] liquidumque serenum / adfulsisse sibi solemque et sidera caeli. 492 Vgl. Döpp 2009, 82–83; zur rectus-status-Anthropologie vgl. etwa A. Wlosok, Laktanz und die philosophische Gnosis. Untersuchungen zu Geschichte und Terminologie der gnostischen Erlösungsvorstellung, Heidelberg 1960, 8–47.

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blind gewesen seien493; dies verwirft auch Avitus, der im gleichen biblischen Kontext die Metapher des aufstrahlenden Lichts verwendet494. Nicht recht überzeugen kann auch die Deutung, dass der HD den Sündenfall als nächtlichen Besuch der Schlange darstelle, die den Menschen (lediglich) die Rückkehr des Tageslichtes verspreche, falls sie die verbotene Frucht essen; der HD adaptiere hier angeblich den Mythos von der Furcht des Urmenschen vor der Nacht und mildere die menschliche Schuld ab, indem die Menschen in ihrer Unkenntnis des TagNacht-Rhythmus verständlicherweise auf die Lockung der Schlange eingingen495. Selbst wenn man die in V. 70 erwähnte Nacht wörtlich nähme, finden sich doch im Text des HD keine Hinweise darauf, dass die Schlange eine Wiederkehr des Lichtes verspricht496 oder dass nach dem Genuss der Frucht das Tageslicht wieder strahlt; auch handelt es sich offenbar nicht um einfaches Tageslicht, da dieses nach V. 100 nicht nur von der Sonne, sondern auch von den Sternen ausgeht (solemque et sidera caeli). Zudem stellt sich die Frage, warum Adam und Eva ihre Nacktheit erst beim neuen Anbruch des Tageslichts bemerken sollten, wo sie sich doch bereits zuvor bei Tageslicht sehen konnten. Smolak beobachtet, dass die Menschen in der Bibel nach dem Fruchtgenuss ihre Nacktheit erkennen und sich schämen, während sie in der Darstellung des HD nach dem Essen „zunächst den Sternenhimmel [sehen] und [...] erst dann ihren Zustand [erkennen]“; dies deutet er dahingehend, „daß ‚Cyprianus‘ hier die stoische Erkenntnistheorie als Werk des Teufels hinstellt, derzufolge die alte delphische Forderung ‚Erkenne dich selbst‘ sich nur über den Umweg der Erkenntnis der Welt (Makrokosmos) verwirklichen läßt, die dann zur Erkenntnis des Menschen führt, der ja als Welt im kleinen (Mikrokosmos) aufgefaßt wurde“497. Diese Interpretation erscheint sehr voraussetzungsreich und insofern fragwürdig, als der HD sich ansonsten nicht kritisch mit antiker Philosophie auseinandersetzt. Während Gott die Frau im Cento der Proba als eigentliche Ursache der Übel apostrophiert und zum Tod verurteilt498 und sie in der Alethia als böswillige Verführerin des Mannes bezeichnet499, fällt beim HD die verständnisvolle, nachsichtige Behandlung Evas auf. So zieht sich das psychologische Motiv der geschlechtsbedingten weiblichen Schwäche von der Verführungsszene (V. 76 mollia 493 Vgl. den Kommentar zu V. 70. 494 Vgl. Alc. Avit. carm. 2,263–266 Ecce repentinus fulgor circumstetit ora / Lugendoque novos respersit lumine visus. / Non caecos natura dedit nec luminis usu / Privatam faciem peperit perfectio formae. Gärtner 2000, 138 geht davon aus, dass Avitus dieses Motiv vom HD übernommen hat. 495 Vgl. Evans 1968, 139–140 und 254–255 mit dem Hinweis auf Parallelen zur altenglischen Genesis B sowie White 2000, 99–100 und Roberts/Donaldson 1913, 133 Anm. 17. 496 In diesem Sinne will aber Evans 1968, 140 Anm. 1 V. 80 übersetzen: „the golden world will smile again with its star-bearing pole.“ 497 Vgl. Smolak 1978/79, 25. 498 Vgl. Proba cento 263–264 […] tuque, o saevissima coniunx, / non ignara mali, caput horum et causa malorum sowie 267 nunc morere, ut merita es, tota quod mente petisti; die Bestrafung Evas stellt Proba wirkungsvoll an den Schluss der drei Strafsprüche. 499 Vgl. Mar. Victor. aleth. 1,499–500 […] misero iam mente nocendi / insidiata viro dominataque crimine tanto es.

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corda, V. 82 infirmo [...] sensu) bis zu Gottes Strafrede an den Mann (V. 118 […] inmiti cessit quae victa draconi) durch, und der Bestrafung Evas wird eine Art Rechtfertigung vorgeschaltet, bei der sich die Anteilnahme des Erzählers zeigt (vgl. V. 114 […] fraudigeris misere decepta suadellis). Wie in der biblischen Vorlage hat die Bestrafung der Frau beim HD den geringsten Umfang von den drei Reden (3 Verse versus 7 bzw. 9 Verse), während bei Proba die Rede an Schlange und Frau und in der Alethia die Rede an Frau und Mann etwa gleich lang sind500; daran lässt sich zumindest die Tendenz ablesen, die Schuld der Frau nicht mehr herauszustellen als im Bibeltext. Schließlich scheint der HD dadurch, dass er die Strafreden an die Schlange und die Frau in Bericht umwandelt, den Strafspruch über den Mann aber in direkter Rede belässt, die Aufmerksamkeit des Lesers eher auf die Schuld und Verantwortung des Mannes zu lenken. V. 72 Has inter sedes et bacis mitibus hortos: Diese kurze Schilderung des idyllischen Schauplatzes, in den die Schlange als „störendes Element“ eindringt501, hat keine direkte Entsprechung in der biblischen Vorlage; Ansätze dazu finden sich bereits in Proba cento 172–173 (iamque dies infanda aderat: per florea rura / ecce inimicus atrox inmensis orbibus anguis). Mit has inter502 sedes bezeichnet der HD das Paradies in dem palastartigen Komplex (vgl. V. 50 laeta paradisus in aula) als Wohnsitz, den Gott für die Menschen als feste Bleibe vorgesehen hat, ganz in der Tradition Probas, bei der Gott die Menschen auffordert, inmitten der glückseligen Wohnstätte (vgl. cento 140 sedesque beatas) zu leben; diese sei ihr Haus, ihre Heimat und ihr Ruheort (vgl. cento 141). Von dem gesamten Lebensraum (sedes) wird der Blick nun auf die Gartenanlagen (hortos) im Besonderen und auf deren reife bzw. süße Baumfrüchte (bacis mitibus)503 gelenkt, wobei durch mitibus nicht nur die Fürsorge Gottes für das leibliche Wohl der Menschen zum Ausdruck kommt, sondern auch das Verführerische der verbotenen Früchte (vgl. V. 79 mellitos [...] victus) antizipiert wird, dem Eva unterliegen wird (vgl. V. 83 mitia dente momordit). Durch das Überwiegen des Spondeus kommt es gleichsam zu einer Verlangsamung des Tempos, wodurch Spannung erzeugt wird. V. 73 spumeus astuto vincens animalia sensu: In Anknüpfung an Vet. Lat. gen. 3,1 beginnt der HD hier mit der Charakterisierung der Schlange, die zum Zwecke der Spannungssteigerung erst am Ende des nächsten Verses genannt wird (V. 74 anguis). Dabei fällt die recht große Nähe zum Wortlaut bestimmter VetusLatina-Varianten auf: Astuto [...] sensu zur Bezeichnung der Verschlagenheit der Schlange entspricht der Variante astutior, die in Aug. gen. ad litt. 11,2 bezeugt ist; damit entscheidet sich der HD für ein Adjektiv, das im Gegensatz zu (L) sapienti500 Vgl. Proba cento 246–251 (Schlange = 6 Verse) und 263b–268 (Frau = 5,5 Verse) sowie Mar. Victor. aleth. 1,498–507 (Frau = 10 Verse) und 1,508–519 (Mann = 12 Verse). 501 Vgl. Soggin 1997, 78. 502 Die Verwendung von inter im Sinne von intra auf die Frage „wo“ findet sich in Ansätzen schon in klassischer Zeit, zu einer Vermengung von inter und intra kommt es häufiger im Spätlatein, vgl. LHS 233 § 126 Zusatz β. 503 Vgl. ThlL 8 s.v. mitis 1152,41–48 mit Belegen ab Catull für die Bedeutung maturus, suavis in Bezug auf Früchte.

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or und zu den Varianten prudentior, sapientissimus bzw. prudentissimus eindeutig negativ konnotiert ist504 und von Kirchenschriftstellern in Bezug auf den Teufel verwendet wird505. Animalia korrespondiert mit der bei Rufin belegten VetusLatina-Variante animalibus506, die in Vet. Lat. gen. 3,1 alternativ zu (L) bestiarum überliefert ist. Dies spricht dafür, dass der HD mit vincens animalia die Überlegenheit der Schlange über die übrigen Tiere zum Ausdruck bringen will, doch da animalia Lebewesen im weitesten Sinne bezeichnen kann, ist vor dem Hintergrund des Sündenfalls vielleicht an Tiere und Menschen zu denken. Diese Interpretation wird auch durch das Verbum vincens nahe gelegt, das bei der Überredung Evas durch die Schlange in Form von vincuntur (V. 82) wieder aufgegriffen wird. Während der Bibel zufolge die Schlange kein übernatürliches Wesen, sondern ein Tier der Erde ist, das wie die übrigen von Gott geschaffen wurde und nur listiger ist als sie507, zeigen sich beim HD Ansätze zur Dämonisierung der Schlange, wenngleich diese nicht explizit mit dem Teufel gleichgesetzt oder als sein Werkzeug bezeichnet wird508. Indem der HD sie nämlich als „schäumend“ (spumeus) bezeichnet, evoziert er die Vorstellung von Schaum am Maul eines wütenden Tieres509, aber auch von schäumendem (Schlangen-)Gift510, wobei der Aspekt der Giftigkeit auch in Proba cento 177 und Mar. Victor. aleth. 1,395 hervorgehoben wird. Bei dem am Versanfang stehenden spumeus scheint es sich außerdem um eine Anspielung auf Verg. georg. 2,154 squameus in spiram tractu se

504 Vgl. Fischer 1951, 56. Zur negativen Konnotation von astutior im Gegensatz zu sapientior vgl. Aug. gen. ad litt. 11,2: [...] cum proprie magisque usitate in latina dumtaxat lingua sapientes laudabiliter appellentur, astuti autem male cordati intellegantur. unde nonnulli, sicut in plerisque codicibus invenimus, [...] astutiorem omnibus bestiis istum serpentem quam sapientiorem dicere maluerunt. 505 Vgl. ThlL 2 s.v. astutus 987,40–53 mit besonders vielen Belegen aus Augustinus, insbesondere gen. ad litt. 11,29 Proinde prudentissimus omnium bestiarum, hoc est astutissimus, ita dictus est serpens propter astutiam diaboli, quae in illo et de illo agebat dolum […]. 506 Vgl. Rufin. Orig. in exod. 4,6, wo animalibus als Dublette neben bestiis steht (Fischer 1951, 56–57). 507 Vgl. Soggin 1997, 79 und Vet. Lat. gen. 3,1 (L) serpens autem erat sapientior omnium bestiarum quae erant super terram quas fecerat dominus deus. 508 Vgl. Döpp 2009, 50–53 mit Beispielen aus der patristischen Exegese. Zur Identifikation der Schlange mit dem Teufel vgl. insbesondere Offb 20,2; zur Verbindung der Schlange mit dem Bösen vgl. auch Mt 3,7 und Sir 21,2. 509 Spumeus bzw. spumare finden sich häufig in Bezug auf den Eber, vgl. Mart. 14,221,2, Sen. Phaedr. 347 und Claud. rapt. Pros. 2,243; in Ov. met. 4,501 ist vom giftigen Schaum am Mund des Cerberus die Rede. 510 Vgl. etwa Val. Fl. 6,447 quamvis Atracio lunam spumare veneno und 8,83 contra Tartareis Colchis spumare , Sil. 2,538 […] ac mixto quae spumant felle venena und 3,210 et late umectat terras spumante veneno [scil. serpens], Stat. Theb. 1,360 […] et veteri spumavit Lerna veneno und 5,508–509 […] tumidi stat in ore veneni / spuma virens […] (in Bezug auf grünlichen, giftigen Schaum am Maul einer Schlange), Stat. silv. 1,4,102–103 […] anguis abundat / spumatu […]; vgl. auch Drac. laud. dei 1,461–462 bei der Beschreibung der Schlange im Paradies: […] mellitum ex ore venenum / funereo sub dente parans spumante palato.

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colligit anguis zu handeln, welcher Vers dem HD auch in V. 74 ([…] spiris frigentibus anguis) vor Augen gestanden haben dürfte511. V. 74 serpebat tacite spiris frigentibus anguis: Der HD führt seine Charakterisierung der Schlange aus V. 73 fort und bringt über Vet. Lat. gen. 3,1 hinausgehend weitere Details ein. Für die Fortbewegung der Schlange benutzt er das Verbum serpebat, das in Bezug auf Schlangen gewöhnlich „kriechen“ bedeutet512, doch da die Schlange erst in Gen 3,14 (vgl. Hept. gen. 109) zum Kriechen auf dem Bauch verurteilt wird, kann hier wohl nicht schon diese Art der Fortbewegung gemeint sein. Denkbar ist, dass sich die Schlange entsprechend gängiger Darstellungen in der frühchristlichen Kunst „wendelförmig um den Stamm des Baumes der Erkenntnis“ ringelt513, was etwa in Proba cento 174–176 und Alc. Avit. carm. 2,142–143 der Fall ist und auch durch das Bedeutungsspektrum von serpere abgedeckt ist514. Darüber hinaus kann serpebat, gerade in Verbindung mit tacite, eine schleichende Bewegung zum Ziel einer heimtückischen Annäherung bezeichnen515, sei es, dass damit das Sich-Schlängeln am Baum gemeint ist oder auch eine Fortbewegung mit aufrechtem Körper auf Füßen, wie andere frühchristliche Darstellungen dies zeigen516; dieses Schleichen kommt auf prosodischer Ebene durch die drei Längen in sērpēbāt zum Ausdruck. Die Windungen der Schlange werden durch frigentibus näher bestimmt517, womit der HD die Beschreibung der Schlange um eine weitere sinnliche Ebene ergänzt. Von der topischen Kälte der Schlangen war schon bei ihrer Erschaffung in V. 21 (gelidos) die Rede518; darüber hinaus weist frigentibus auf die Konsequenzen des durch die Schlange bewirkten Sündenfalls voraus, nämlich auf die kalte Angst Adams, als er Gott aus seinem Versteck heraus antwortet (V. 96 […] nudusque metu frigente fatigor), auf das Frieren der Menschen, die nun der Kleider bedürfen (V. 131 […] pigro ne frigore membra rigerent), und letztendlich auf die Kälte des Todes, die in der Dichtung häufig durch frigens ausgedrückt wird519. Mit tacite wird schließlich ein akustischer Eindruck eingebracht, nämlich die lautlose Bewegung der Schlange, die wie das Schleichen als Hinterhältigkeit gedeutet werden kann. Während in Vet. Lat. gen. 3,1 die Schlange gleich zu Beginn genannt wird, setzt der

511 Eine eindeutige Bezugnahme auf Verg. georg. 2,154 findet sich dagegen in Hept. exod. 193 (spumeus in spiram tractu se colligit anguis). 512 Vgl. OLD s.v. serpo 1745 unter 1. 513 Vgl. Erffa 1989, 171. 514 Zu serpere im Sinne eines schlangenartigen Sich-Windens vgl. OLD s.v. serpo 1745 unter 2. 515 Vgl. OLD s.v. serpo 1745 unter 1 b, vgl. etwa Prop. 3,13,64 fallacem patriae serpere dixit equum, wo serpere die heimtückische Annäherung des hölzernen Pferdes an die Stadt Troja bezeichnet. 516 Vgl. Erffa 1989, 171. 517 Die i-Häufung in spiris frigentibus hebt den gesamten Ausdruck hervor. 518 Zur Kälte der Schlangen vgl. den Kommentar zu V. 21 sowie Verg. ecl. 3,93 frigidus, o pueri, fugite hinc, latet anguis in herba und 8,71 frigidus in pratis cantando rumpitur anguis. 519 Vgl. ThlL 6,1 s.v. frigeo/frigens 1323,6–20 unter 1 a de animantibus (imprimis de mortuis sive moribundis).

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HD das entsprechende Substantiv anguis520 an den Schluss seiner Charakterisierung des Tieres, um Spannung zu erzeugen und dem Wort besonderes Gewicht zu verleihen. Durch die konsequente s-Häufung in V. 72–74 wird wie in V. 21 auf das Zischen als charakteristische Eigenschaft der Schlangen angespielt. V. 75 livida mordaci volvens mendacia sensu: Während in Vet. Lat. gen. 3,1 lediglich auf die herausragende Klugheit der Schlange hingewiesen wird ((L) sapientior (astutior) omnium bestiarum), spricht der HD ganz deutlich von den negativen Motiven und Absichten der Schlange, nämlich von Missgunst, Gehässigkeit und Lüge. Ein unmittelbares Vorbild für diese Gestaltung konnte er bei Proba finden, die die Bosheit der Schlange vor ihrer Rede noch wesentlich ausführlicher charakterisiert (vgl. cento 172–181)521. Livida bezeichnet im eigentlichen Sinne eine bleiartige, bläuliche Farbe, die auf Verletzung, Krankheit oder Vergiftung zurückzuführen ist oder auch negativ besetzten Dingen eigen ist522. Dies ist im Hintergrund mitzudenken, wenn livida in V. 75 im metaphorischen Sinne von „neidisch, missgünstig“523 auf die Lügen der Schlange bezogen wird, wobei hier wohl von einer Enallage (d.h. livido [...] sensu) auszugehen ist. Das Motiv des Neides wird dem Teufel seit den alttestamentlichen Apokryphen von vielen Bibelexegeten zugesprochen524. So erklärt Ambrosius in parad. 12,54 unter Bezugnahme auf Weish. 2,24 (durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt), worin dieser Neid besteht: Der Teufel missgönne es dem Menschen, dass dieser als niedere Kreatur aus Lehm zur Glückseligkeit im Paradies und zur Ewigkeit bestimmt sei, während er selbst als ursprünglich himmlisches Wesen diese Gnade verloren habe und gefallen sei. Augustinus gibt in gen. ad litt. 11,14 die traditionelle Meinung wieder, dass der Teufel einst zu den Engeln gehört habe, aber vom Himmel gestürzt sei, da er den nach Gottes Ebenbild geschaffenen Menschen beneidet habe. In diesem theologisch begründeten Sinn findet sich lividus bzw. livor häufiger in der christlichen Dichtung zur allgemeinen Charakterisierung des Teufels525 und insbesondere im Kontext der Paradieserzählung, etwa in Alc. Avit. carm. 2,82 und Drac. laud. dei 1,463. Aufgrund ihres Neides will die Schlange den Menschen zu Fall bringen, wozu sie sich der Lügen (mendacia) bedient, an denen sie, wie aus volvens [...] sensu hervorgeht, offenbar schon seit längerem intensiv arbeitet526. Ambrosius erläutert in parad. 12,56 und 13,61, inwiefern die Schlange in der sich anschließenden Rede lügt: Sie gibt vor, das Gebot Gottes zu zitieren, verdreht es aber, indem sie unterstellt, Gott habe das Essen von jedem 520 Zur negativen Konnotation von anguis vgl. den Kommentar zu V. 21; vgl. auch Proba cento 173 ecce inimicus atrox inmensis orbibus anguis. 521 Vgl. Proba cento 172–181, v.a. 173 inimicus atrox, 176 obliqua invidia, 180–181 ne quid inausum / aut intemptatum scelerisque dolive relinquat. 522 Vgl. ThlL 7,2 s.v. lividus 1545,54–1546,27 und 1546,28–41. 523 Vgl. ebd. 1547,20–21. 524 Vgl. Döpp 2009, 56. 525 Vgl. etwa Iuvenc. 1,384 vis livida, Paul. Nol. carm. 15,130 draco lividus, 19,72 lividus […] serpens. 526 Vgl. OLD s.v. volvo 2102 unter 11 To turn over in the mind; statt sensu findet sich eher animo.

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Baum im Paradies verboten; sie behauptet, die Menschen würden durch den Genuss der verbotenen Früchte nicht sterben, wo sie doch tatsächlich ihre Unsterblichkeit verlieren werden, und sie prophezeit, dass die Menschen sein werden wie Götter, wo es doch nicht mehrere Götter gibt und wo doch die Menschen gerade ihren quasi-göttlichen Status und die Gnade Gottes verlieren werden. Die einzig wahre Aussage besteht darin, dass den Menschen die Augen geöffnet werden, doch dies ist eine für die Menschen schädliche Wahrheit527. Mit dem Neid der Schlange auf die Glückseligkeit der Menschen hängt ihre „Bissigkeit“ eng zusammen, die in mordaci [...] sensu zum Ausdruck kommt528. Da mordax im eigentlichen Sinne „(mit Zähnen) beißend“ bedeutet und insbesondere bissige Tiere bezeichnet529, können damit zunächst einmal die (Gift-)Zähne der Schlange assoziiert werden oder auch die bildliche Gefräßigkeit des Teufels nach 1 Petr 5,8, der die Seelen der Menschen in seine Gewalt bringen will; ferner warnt Augustinus in serm. 20,2 vor der Sünde, da diese den Sünder wie eine Schlange mit giftigem Biss töte530. Die Verbindung mit sensu legt jedoch die übertragene Bedeutung „gehässig“531 nahe, in dem Sinne, dass die Schlange die Menschen aus Neid auf ihre Glückseligkeit hasst und daher Lügen ersinnt, um sie zu Fall zu bringen. Dafür, dass mordax hier fast als Synonym zu lividus aufgefasst werden kann, spricht, dass dieselbe Junktur in Hept. gen. 151 in Bezug auf Kain verwendet wird, der missgünstig auf seinen Bruder Abel sieht (desine mordaci fratrem disperdere sensu). Auf stilistisch-syntaktischer Ebene setzt der Dichter einige gestalterische Effekte ein, die der Hervorhebung der Aussage dienen: So stehen durch die verschränkte Stellung von Attributen und Bezugswörtern in livida mordaci volvens mendacia sensu die Adjektive livida und mordaci direkt nebeneinander, die auch inhaltlich korrespondieren (der Neid bedingt die Gehässigkeit); ferner setzt der HD die ähnlich klingenden Wörter mordaci und mendacia fast nebeneinander und verklammert so die Gehässigkeit der Schlange und die daraus resultierenden Lügen. Dadurch, dass mordaci [...] sensu und zwei Verse zuvor astuto [...] sensu an der gleichen metrischen Position stehen, werden außerdem die Aspekte Gehässigkeit und List miteinander in Verbindung gebracht. V. 76 femineo temptat sub pectore mollia corda: Durch den Wechsel vom Imperfekt der vorausgehenden Schilderung (V. 74 serpebat) ins Präsens bei temptat wird die Aufmerksamkeit des Lesers auf die plötzlich eintretende, mit Spannung erwartete Handlung der Verführung gelenkt. Während in Vet. Lat. gen. 3,1 neutral festgestellt wird, dass die Schlange zur Frau spricht ((L) et dixit serpens ad 527 Ambrosius verwendet selbst das das Wort mendacium, vgl. parad. 12,56 […] serpens quasi interrogans mulierem […] inseruit mendacium […] und parad. 13,61 discamus igitur temptamenta diaboli plena esse mendacii. 528 Zu mordax in Bezug auf die Paradiesschlange vgl. auch Drac. laud. dei 1,463–464 […] coctum serpente venenum / invidiae mordacis habens sub fronte modesta. 529 Vgl. ThlL 8 s.v. mordax 1483,56–69. 530 Vgl. Aug. serm. 20,2 Ante omnia quippe danda est opera ne peccemus, ne quandam familiaritatem et amicitiam cum peccato tamquam cum serpente faciamus. Morsu quippe venenato perimit peccantem [...]. 531 Vgl. ThlL 8 s.v. mordax 1484,38.

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mulierem), findet sich beim HD eine wertende und emotionalisierende Darstellung: Das Ansprechen durch die Schlange wird durch temptare wiedergegeben, das in der christlichen Literatur insbesondere für die Versuchung durch den Teufel verwendet wird532, die Frau wird durch ihr besonders zugängliches, zu wenig gefestigtes Herz (mollia corda)533 als ideales Opfer für die schlaue Schlange stilisiert, so dass mollia corda und astuto [...] sensu (V. 73) in Kontrast zueinander treten. Die Junktur mollia corda, die im Singular gerade bei Ovid häufiger auftritt534, spielt auf die traditionelle Vorstellung an, dass die Frau „in psychologischer Sicht schwächer oder schwankender und leichter beeinflussbar als der Mann“ sei535; dieser Gedanke spiegelt sich in der Kirchenväterexegese insbesondere bei Augustinus: So hat sich etwa der Teufel nach Aug. civ. 14,11 an die Frau als den unterlegenen Teil des Menschenpaares gewandt in der Meinung, dass der Mann sich nicht leichtgläubig täuschen lasse536; nach Aug. gen. c. Manich. 2,11,15 und 2,14,20–21 ist die Frau mit dem animalischen Teil des Menschen (vgl. appetitus animae, cupido bzw. libido) gleichzusetzen, der von der „männlichen“ Vernunft (ratio) gezügelt werden muss, damit sozusagen der innere Haushalt in Ordnung ist und der Mensch nicht in Sünde gerät. In Proba cento 153–156 wird die Frau von Gott noch einmal gesondert ermahnt, sich ja nicht von einem klugen Verführer zum Essen der verbotenen Früchte überreden zu lassen, in Alc. Avit. carm. 2,140–144 wendet sich die Schlange an Eva in der Befürchtung, den Mann aufgrund seines festen Sinns (vgl. 2,140 firma [...] mente virili) nicht zu Fall bringen zu können, und aus eben diesem Grund spricht sie in Drac. laud. dei nicht zum starken Herzen des Mannes (1,468 Fortia corda viri), sondern zum weichen Herzen der Frau (1,471 mollia corda puellae). Vor diesem Hintergrund kann femineo, das als Attribut zu pectore scheinbar neutral im Sinne von feminae steht537, hier auch den Beigeschmack von (wesensbedingter) Weichlichkeit und Schwäche der Frau gegenüber der Schlange haben538. V. 77 „Dic mihi, cur metuas felicia germina mali: Wie in Vet. Lat. gen. 3,1 ((L) quare) leitet die Schlange ihre erste Frage an Eva mit einem „Warum?“ ein. Während aber in der Bibel die Frage lautet, warum Gott (angeblich) verboten habe, von allen Bäumen des Paradieses zu essen, fragt die Schlange beim HD nach dem Grund für Evas Angst vor den Früchten des Baumes der Erkenntnis, der hier 532 Vgl. Blaise s.v. tento 812 unter 2. Proba und Cl. M. Victorius entscheiden sich für das theologisch weniger vorbelastete Verbum (per)suadere, vgl. cento 153 und aleth. 1,397. 533 Vgl. ThlL 8 s.v. mollis 1378,15–31 unter II A 2 in deteriorem vel etiam contemnendam partem i.q. parum obduratus, effeminatus, dissolutus, iners a de hominibus α de animis, mentibus, moribus sim. 534 Vgl. Ov. epist. 15,79, trist. 4,10,65–66; 5,8,28, Pont. 1,3,32. 535 Vgl. Soggin 1997, 82. 536 Vgl. Aug. civ. 14,11 […] fallacia sermocinatus est feminae, a parte scilicet inferiore illius humanae copulae incipiens, ut gradatim perveniret ad totum, non existimans virum facile credulum nec errando posse decipi, sed dum alieno cedit errori. 537 Vgl. ThlL 6,1 s.v. femineus 465,70–71. Zur Junktur femineo [...] pectore vgl. auch Ov. met. 13,693 und Drac. Romul. 9,60. 538 Diese abwertende Verwendung begegnet gewöhnlich in Bezug auf Männer, die sich wie Frauen verhalten, vgl. ThlL 6,1 s.v. femineus 466,55–467,5.

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mit dem Apfelbaum539 identifiziert wird. Die biblische Schlange zeigt sich besonders vorsichtig, indem sie nicht gleich die Gültigkeit von Gottes Gebot anzweifelt und dadurch vielleicht Evas Misstrauen erregt, sondern das Verbot Gottes durch die Ausweitung auf alle Bäume sogar als noch umfassender darstellt und Eva fast dazu nötigt, Gott zu verteidigen540. In Gen 3,2–3,3 korrigiert Eva dann auch umgehend den Wortlaut des göttlichen Gebots, das sich nur auf den Baum in der Mitte des Paradieses bezieht. Beim HD tritt die Schlange dagegen als ein viel aggressiverer Verführer auf, da sie ohne Umschweife auf den Apfelbaum zu sprechen kommt und Eva Furcht (cur metuas)541 vor scheinbar unschädlichen Früchten (felicia germina542) unterstellt. Felicia ist hier im aktiven Sinne von „glücklich machend“, also „erfrischend“, „köstlich“, verwendet543, darüber hinaus könnte auch die Bedeutung „glückbringend“ oder gar „heilkräftig“ mitschwingen544, worin dann die Perfidität und Verlogenheit der Schlange zum Ausdruck kommt, da das Essen der Äpfel ja im Gegenteil zum Verlust des paradiesischen Zustands führt545. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass die Schlange in der Darstellung des HD ansonsten nicht lügt, da sie im Gegensatz zur biblischen Schlange weder das göttliche Verbot verzerrt wiedergibt noch behauptet, die Menschen würden nicht sterben. V. 78 numquid poma deus non omnia nata sacravit: Ihrer Frage nach dem Grund für Evas Furcht vor den Äpfeln fügt die Schlange eine rhetorische, mit numquid546 eingeleitete Frage an, die ein erstes Argument gegen Evas Zurückhaltung enthält; dieses findet sich in der biblischen Vorlage nicht. Inhaltlicher Anknüpfungspunkt für diesen Vers ist offensichtlich Vet. Lat. gen. 3,1 (L) ne edatis ab omni ligno, also die Frage der Schlange, warum Gott verboten habe, von allen Früchten im Garten zu essen547. Der Gedanke, dass Gott alle gewachsenen Früch539 Vgl auch den Kommentar zu V. 68. 540 Vgl. Soggin 1997, 82. 541 Der Aspekt der Furcht findet sich bei Proba noch drastischer ausgedrückt, denn Eva wird dort von der Schlange Feigheit vorgeworfen, vgl. cento 185 […] quae tanta animis ignavia venit? 542 Für germen in der Bedeutung „Frucht“ führt der ThlL 6,2 s.v. germen 1922,73–83 Belege ab Lucan an, wobei die meisten aus christlicher Zeit stammen. 543 Vgl. Bömer 1977, 301 zu Ov. met. 9,92 felicia poma; zu dieser Junktur vgl. auch Ov. met. 13,719 und 14,627. 544 Vgl. ThlL 6,1 s.v. 1. felix 437, 47–73 unter II A i.q. faustus, bene ominatus, sacer, sanctus 1 a α de arboribus, herbis, fructibus, etwa Verg. Aen. 6,230 ramo felicis olivae („Glück verheißend“) und georg. 2,127 felicis mali (Heilkraft einer Zitrusfrucht). 545 Weniger überzeugen kann die Einordnung von V. 77 in ThlL 6,1 s.v. felix 436,9–10 unter I A i.q. fecundus, prole auctus, de ipsa prole [...] i.q. numerosus, uber 1 de arboribus, herbis, ramis sim., wonach mit felicia germina die fruchtbaren bzw. mit vielen Früchten beladenen Zweige des Apfelbaums gemeint wären. Die Fokussierung auf die köstlichen bzw. glückverheißenden Früchte selbst scheint besser zur Verführungsabsicht der Schlange zu passen als eine Erwähnung der fruchtbeladenen Zweige. 546 Numquid tritt im Spätlateinischen in der Regel als Ersatz für das einfache num ein, vgl. KS II,2, 514 § 231 unter d; vgl. auch Hept. Ios. 493 und 497. 547 Smolak 1978/79, 25 sieht in omnia einen Bezug zu Vet. Lat. gen. 1,29, wo Gott den Menschen alle pflanzliche Nahrung übergibt.

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te „geheiligt“, also gesegnet habe548, ist nicht falsch, denn in der Tat hat Gott nach Gen 1,12 die von ihm erschaffenen Pflanzen für gut befunden und abschließend sein gesamtes Schöpfungswerk für sehr gut (Gen 1,31); eine ausdrückliche Segnung war aber den Tieren und Menschen vorbehalten (Gen 1,22 und 1,28). Dementsprechend betont auch Augustinus in gen. ad litt. 8,6, dass der Baum der Erkenntnis nicht durch seine Früchte schädlich gewesen sei, sondern durch die Übertretung des göttlichen Gebots, denn Gott, der alles sehr gut geschaffen habe, hätte im Paradies wohl nichts Schlechtes eingerichtet. Evas Furcht vor den Äpfeln erscheint in der Argumentation der Schlage somit nicht nur als unbegründet, sondern sogar als Missachtung der von Gott gesegneten Schöpfung. V. 79 atqui si studeas mellitos carpere victus: Der HD nimmt hier Bezug auf Vet. Lat. gen. 3,5 (L) qua die (si549) ederitis ex illo und stellt durch den mit atqui si eingeleiteten, adversativ gefärbten Konditionalsatz550 Evas Furcht vor den Früchten des Apfelbaums (vgl. V. 77) die Alternative des Verlangens (studeas) gegenüber. Das Geschick des Versuchers zeigt sich darin, dass er Eva nicht direkt in Form eines Imperativs zum Pflücken der Äpfel auffordert, sondern durch den Potentialis studeas und den Konditionalsatz eine bloße Möglichkeit entwirft. Während der Geschmack der Früchte in Vet. Lat. gen. 3,5 keine Rolle spielt, sucht die Schlange in der Darstellung des HD Eva auch durch den Hinweis auf die honigartige Süße zu verführen (mellitos)551. Vor dem Hintergrund alttestamentlicher Stellen, an denen Honig mit dem heilbringenden Handeln Gottes verbunden ist – man denke an das nach Honig schmeckende Manna, mit dem Gott die Israeliten in der Wüste nährt (Ex 16,31), und an Gottes Versprechen eines Landes, in dem Milch und Honig fließen werden (Ex 3,8) –, erscheint die Verführung zum Pflücken der honigsüßen Früchte besonders perfide, da dieses ja eine Bestrafung durch Gott nach sich ziehen wird. Auch das Wort victus, das von der Schlange bewusst statt poma oder mala gewählt wird, dient dazu, Eva in die Irre zu führen, da es aufgrund seiner Etymologie suggeriert, dass die Früchte zum Leben dienen, wo ihr Genuss doch letztlich die Sterblichkeit der Menschen herbeiführen wird. Somit entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen mellitos carpere victus und malum noxale legatis (V. 68) in Gottes Ermahnungsrede, und es ist denkbar, dass der HD durch victus auf die Behauptung der Schlange in Gen 3,4 anspielen will, dass die Menschen durch den Genuss der Früchte nicht sterben werden. V. 80 aureus astrigero ridebit cardine mundus“: Im letzten Satz ihrer Rede nennt die Schlange die Konsequenz des Früchtegenusses und somit das zweite Argument, das Eva von ihrer Zurückhaltung gegenüber den felicia germina mali 548 Die Bedeutung „segnen“ für sacrare ist in OLD, Forc., Blaise und Georges s.v. sacro nicht belegt; es liegt jedoch nahe, dass der HD sacrare hier in dieser Bedeutung verwendet, vgl. auch Hept. exod. 1015 mox victum sacrabo tuum fontesque meantes und Vet. Lat. exod. 23,25 (Sabatier) & benedicam panem tuum, & vinum tuum, & aquam tuam. Dementsprechend übersetzt White 2000, 102 sacravit mit „blessed“. 549 Zu dieser mehrfach bezeugten Variante vgl. Fischer 1951, 59. 550 Atqui ist in der daktylischen Dichtung selten, vgl. ThlL 2 s.v. atqui 1085,28. 551 Vgl. ThlL 8 s.v. mellitus 622,79; vgl. auch Hept. exod. 640 melliti muneris esca in Bezug auf das Manna.

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abbringen soll. Die biblische Schlange spricht in Gen 3,5 vom Öffnen der Augen und deutet dieses Bild sogleich als Gewinn der Erkenntnis von Gut und Böse, wodurch die Menschen „wie Götter“ sein werden. Dagegen führt der HD hier sein bildhaftes Sprechen über den Prozess der Erkenntnis von Gut und Böse aus V. 70 fort (caecos nox alta tenebat) und lässt die Schlange ein sensationelles optisches Erlebnis versprechen552. Mundus kann hier die Welt bezeichnen, die an ihrem gestirnten Himmel (astrigero553 [...] cardine) golden lachen wird, also durch das Licht der Gestirne hell sein wird, wie dies in ähnlicher Weise bei der Erschaffung des Lichts beschrieben wird (vgl. V. 6 […] et clare nituerunt omnia mundo). Vor dem Hintergrund von V. 84 und 99–100, wo die Wirkung des Apfelgenusses eindeutig als das Aufleuchten des Himmels und nicht etwa als das Sichtbarwerden des irdischen Lebensraumes beschrieben wird, scheint es allerdings sinnvoller, mundus im Sinne von „Himmel“ aufzufassen554 und das mehr oder weniger synonyme cardine555 als Spezifizierung, etwa als das mit den Gestirnen besetzte Himmelsgewölbe, mit dem bzw. an dem der Himmel „lacht“. Das Leuchten des Himmels veranschaulicht der HD durch das prädikativ verwendete aureus, das sich in der Dichtung vor dem HD mehrfach in Bezug auf das Licht von Sonne und Sternen findet556, und durch das Verbum ridebit, das als Bezeichnung eines hellen und heiteren Aussehens unbelebter Dinge ebenfalls besonders in der Dichtung begegnet557. V. 81 illa negat vetitosque timet contingere ramos: Mit illa negat558 spielt der HD auf Evas Wiedergabe des göttlichen Verbots in Vet. Lat. gen. 3,3 an ((L) dixit deus ne edamus), mit vetitosque timet contingere ramos auf Evas verschärfenden Zusatz zum göttlichen Verbot am Ende von Vet. Lat. gen. 3,3 ((L) sed neque tangamus ne moriamur). Durch contingere steht er der Vetus-LatinaVariante contingetis anstelle von tangamus nahe559, doch als sprachliches Vorbild diente wohl eher Verg. ecl. 8,40 iam fragilis poteram ab terra contingere ramos560. Vetitosque timet contingere ramos stellt eine Art kontrastive Entsprechung zu V. 66 Ne trepidate simul licitos praecerpere fructus dar, wo Gott die 552 Zur Lichtmetaphorik ab V. 80 s.o. S. 257. 553 Das poetische astriger ist laut ThlL 2 s.v. astriger 959, 23–24 seit Statius belegt, vgl. auch Hept. gen. 1012 und 1106, exod. 559, num. 5, Ios. 403. 554 Vgl. ThlL 8 s.v. 3. mundus 1635, 13–83 mit überwiegend poetischen Belegen; in dieser Bedeutung steht mundus auch in Hept. exod. 343 (mundo […] aperto) und iud. 582 (occiduus […] mundus). 555 Vgl. ThlL 3 s.v. 1. cardo 445,13–16 unter I B mundi [...] fere i.q. caelum. Der Hexameterschluss cardine mund* findet sich besonders häufig (sechsmal) bei Manilius. 556 Vgl. etwa Verg. georg. 1,232 und 4,51, Aen. 2,488 und 11,832–833, Ov. met. 7,193.663. 557 Vgl. OLD s.v. rideo 1653 unter 3; in Hinblick auf den Himmel z. B. Lucr. 3,22, Paul. Nol. carm. 14,46–47 und Prud. apoth. 663. 558 Am Versbeginn vgl. auch Hept. gen. 158 (ille negat), gen. 619 (illa negat) und num. 586 (ille negat). 559 Die Variante contingetis begegnet als Überlieferungsvariante in Aug. gen. ad litt. 11,30, aber es ist fraglich, ob sie Bibeltext ist, vgl. Fischer 1951, 58. 560 Ähnlich ist Mar. Victor. aleth. 1,481–482 (bei der Verfluchung der Schlange): deiecisti homines vetitasque attingere fruges / fraude tua impulsis praedurae mortis origo es.

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Menschen zum furchtlosen Genuss der erlaubten Früchte auffordert und durch licitos das folgende Essverbot gedanklich vorwegnimmt561. Während Eva bei Proba der Rede der Schlange nichts entgegenzusetzen hat und mit ihr im Nu ein Mahl vorbereitet (vgl. cento 197–199)562, ja sogar dem bevorstehenden Unheil „ergeben“ ist (vgl. cento 200 pesti devota futurae), zeigt sie in der Darstellung des HD zumindest kurzzeitig eine ablehnende Haltung (negat) und Furcht (timet) vor Gottes Verbot. V. 82 sed tamen infirmo vincuntur pectora sensu: Während im ersten Teil von Vet. Lat. gen. 3,6 sachlich festgestellt wird, dass Eva die Vorzüge des Baumes sieht563 und daraufhin eine Frucht pflückt, präsentiert der HD Evas Sinneswandel durch vincuntur pectora sensu564 als innerpsychischen Konflikt. Durch die adversative Satzeinleitung sed tamen werden die beiden Verhaltensalternativen – Gehorsam gegenüber Gottes Gebot oder Gehorsam gegenüber den Verlockungen der Schlange – einander kontrastierend gegenübergestellt. Die Ursache für Evas Nachgeben gegenüber der Schlange wird in Form des Ablativus causae infirmo [...] sensu angegeben565, der verschiedene Deutungsmöglichkeiten zulässt: 1. Zunächst liegt es nahe, infirmo [...] sensu als antithetische Entsprechung zu astuto [...] sensu in V. 73 aufzufassen, wo die Schlauheit der Schlange beschrieben wird, denn die beiden Junkturen befinden sich in paralleler Anordnung an der gleichen metrischen Position und in beiden Fällen folgt auf das Adjektiv eine Form des Verbums vincere. Im Gegensatz zum schlauen Verstand der Schlange hat Eva also einen schwach ausgeprägten, mangelhaften Verstand, so dass sie sich von den Verlockungen der Schlange überlisten lässt, sie ist arglos und naiv; in der Alethia wird dies durch incautam (aleth. 1,397) und credula (aleth. 1,411) zum Ausdruck gebracht. Augustinus trägt in gen. ad litt. 11,42 die Vermutung vor, dass die Frau deshalb der Schlange Glauben schenkte, weil sie intellektuell minderbemittelt gewesen sei und im Gegensatz zum Mann vielleicht noch nach dem Sinn des Fleisches, nicht aber nach dem Geist gelebt habe566; von Ambrosius wird Eva in parad. 13,62 als infirma auctor iudicii bezeichnet, weil sie sich auf den positiven 561 Vgl. den Kommentar zu V. 66. 562 Auch in der Alethia wird auf Evas Redepart im Gespräch mit der Schlange nicht eingegangen, sondern nur ihr Verbotsbruch berichtet, vgl. Mar. Victor. aleth. 1,411–412. 563 Nämlich dass er gut zum Essen und schön zum Anschauen ist. 564 Vgl. auch Tib. 3,4,76 Vincuntur molli pectora dura prece und Stat. Theb. 10,418–419 […] amor crudelia vincit / pectora […]. Der Hexameterschluss pectora sensu findet sich erstmals in Sil. 13,316 und dann in der christlichen Dichtung, vgl. Paul. Nol. carm. 6,145, Mar. Victor. aleth. 1,422, Hept. exod. 323, deut. 13, Ven. Fort. carm. app. 3,23. 565 Da dem sensus Schwäche zugeschrieben wird, ist es nicht sinnvoll, ihn hier als Agens zu vincuntur aufzufassen im Sinne eines Ablativs des Urhebers beim Passiv, vgl. die Übersetzung von White 2000, 102 „But her weakness of mind overcame her resolve“. Als Urheber der in vincuntur ausgedrückten Handlung sind eher die verlockenden Worte der Schlange zu verstehen bzw. der schlaue Verstand der Schlange (vgl. V. 73 […] astuto vincens animalia sensu). 566 Vgl. Aug. gen. ad litt. 11,42 an quia hoc credere ipse [scil. homo] non posset, propterea mulier addita est, quae parvi intellectus esset et adhuc fortasse secundum sensum carnis, non secundum spiritum mentis viveret, [...]?

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äußeren Eindruck des verbotenen Baums verlässt und sich zu einem oberflächlichen Urteil über ihn verleiten lässt. 2. Ferner wird das Adjektiv infirmus bereits in der heidnischen Literatur verwendet, um aus einer männlich gefärbten Perspektive heraus das Wesen der Frau zu bezeichnen, die nicht nur körperlich schwächer als der Mann sei, sondern auch weniger standhaft und mit weniger Selbstkontrolle gegenüber ihren Leidenschaften ausgestattet567; diese Perspektive ist bereits in V. 76 mollia corda zum Ausdruck gekommen568. Infirmo [...] sensu meint dann den haltlosen Sinn Evas, die nicht konsequent bei ihrer Ablehnung der verbotenen Früchte bleibt (vgl. V. 81), sondern sich schließlich doch zum Genuss hinreißen lässt. Dass die Schlange sich an die Frau und nicht an den Mann gewandt hat, erscheint dann als besonders geschickter Zug des Versuchers, und dementsprechend stellt Ambrosius in parad. 14,70 fest, dass das „schwächere“ Geschlecht zuerst das göttliche Gebot übertreten habe569. V. 83 ilicet ut niveo iam mitia dente momordit: Der HD gestaltet hier die sachliche Aussage in Vet. Lat. gen. 3,6, dass Eva eine Frucht vom Baum nimmt und isst570, poetisch aus. Durch die Nebensatzeinleitung mit ilicet ut, die einem ut primum entspricht571, wird die Schlagartigkeit des aufstrahlenden Lichts in V. 84 vorbereitet, während iam den Vorgang des Hineinbeißens dramatisiert572. Der Tempuswechsel vom vorher dominierenden Präsens (ab V. 76 temptat) ins Perfekt markiert die gravierende Wendung im Schicksal Evas. Die seltene Junktur dente momordit573 könnte auf Ov. met. 13,943 (pabula decerpsi decerptaque dente momordi) anspielen, wo Glaucus berichtet, dass er Kräuter, die bisher von Tier und Mensch unberührt gewesen seien, gepflückt und gegessen habe, woraufhin er in einen Meergott verwandelt worden sei; dieser Prozess hat in der biblischen Erzählung insofern eine Entsprechung, als Eva in eine Frucht des Baumes beißt, von dem vorher niemand gegessen hat, und dadurch eine ihr Wesen betreffende, irreversible Verwandlung erfährt. Weiße Zähne (vgl. niveo [...] dente) sind ein Standardattribut weiblicher Schönheit574, so dass sich bereits hier die verführerische Wirkung andeutet, die Eva wenig später auf Adam ausüben wird, als sie ihm die Frucht gibt (vgl. V. 85–86). Auf die reife Frucht wird in ungewöhnlicher Weise

567 Vgl. etwa Ov. epist. 19,6–7 Fortius ingenium suspicor esse viris. / Ut corpus, teneris ita mens infirma puellis und Kenney 1996, 165 ad loc. 568 Vgl. den Kommentar zu V. 76. 569 Vgl. Ambr. parad. 14,70 […] sed a praevaricatione sexus infirmior coeperit […]. In ähnlicher Weise spricht Augustinus in serm. 9,12 von der größeren infirmitas der Frau, die einer größeren custodia bedürfe. 570 Vgl. Vet. Lat. gen. 3,6 (C) et sumpsit fructum de ligno illo et manducavit // (I) et accipiens de fructu eius manducavit. 571 Vgl. Smolak 1978/79, 25. 572 Nicht sinnvoll wäre in diesem Kontext ein Bezug von iam auf mitia, d.h. „die schon reife Frucht“. 573 Am Hexameterende sonst nur in Ov. met. 13,943 (dente momordi) und Drac. Orest. 786 (dente momordit), im Versinneren in Ov. trist. 4,10,124 (dente momordit). 574 Vgl. etwa Ov. epist. 18,18 und Mart. 5,43,1.

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durch das substantivierte Adjektiv mitia im Neutrum Plural Bezug genommen575; eine Ergänzung der fünf Verse zuvor erwähnten poma (V. 78) ist zwar sinngemäß möglich, doch es ist fraglich, ob mitia bei dieser Distanz noch als Attribut zu poma empfunden würde. Dadurch, dass mitia für sich allein steht, tritt hier ganz die Qualität des süßen Geschmacks (vgl. V. 79 mellitos [...] victus) bzw. auch der Weichheit in den Vordergrund576 und bildet einen wirkungsvollen Kontrast zur Härte der beißenden Zähne. V. 84 adfulsit nulla maculatum nube serenum: Der HD beschreibt hier die Wirkung des Apfelgenusses in Anlehnung an den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 3,7 (C/I) et aperti sunt oculi eorum. Während aus der biblischen Darstellung zu schließen ist, dass sich die Augen beider Menschen gleichzeitig öffnen, und zwar nachdem sowohl Eva als auch Adam gegessen haben, ist es offenbar die Absicht des Dichters, der Handlung mehr Logik zu verleihen, indem er Evas Augen sich gleich nach dem Hineinbeißen in die Frucht öffnen lässt577. Der biblische Vorgang des Augen-Öffnens wird vom HD durch die Lichtmetaphorik veranschaulicht, die er bereits in V. 80 in Bezug auf die Prophezeiung der Schlange eingesetzt hat und die er in Proba cento 206 im gleichen biblischen Kontext vorfinden konnte (continuo nova lux oculis effulsit)578. Das Versprechen der Schlange an Eva in V. 80, dass der Himmel mit seinem gestirnten Gewölbe golden lachen werde, tritt nun ein und wird in der Formulierung variiert: Ridebit wird durch adfulsit579 aufgegriffen, und entsprechend der Verheißung des Goldglanzes (aureus) des sternenbedeckten Himmels erscheint der Himmel jetzt klar und frei von Wolken, wobei […] nulla maculatum580 nube serenum offensichtlich eine formale Reminiszenz an Claud. 17,208 perpetuum nulla temeratus nube serenum darstellt und vielleicht auch an Stat. Theb. 4,745 […] nullaque umbratam nube Syenen anklingt581. Eine vergleichbare Wolkenmetapher findet sich bei Cl. M. Victorius in der Rede der Schlange, wird dort aber explizit auf die mentale Erkenntnis bezogen, vgl. aleth. 1,401–403 atque ideo augustos homini fas carpere fructus / noluit esse deus, ne mentis nube remota / dent animis oculos [...]. Während das plötzlich erstrahlende Licht die Menschen bei Proba in Schrecken versetzt und bei ihnen den Wunsch weckt, sich zu verbergen (vgl. cento 206–208), da sie sich schuldig fühlen und die Irreversibilität ihres neuen Zustands erkennen582, haftet der Helligkeit beim HD 575 Vgl. ThlL 8 s.v. mitis 1152,50; es sind keine weiteren Belege für diese Verwendungsweise angegeben. 576 Zu mitis im Sinne von „weich“ in Bezug auf reife Früchte vgl. ThlL 8 s.v. mitis 1152,36–40. 577 Proba folgt dagegen genau der Bibel, vgl. cento 200–206. 578 Zur Lichtmetaphorik und ihrer Funktion, den abstrakten Erkenntnisprozess zu veranschaulichen, s.o. S. 257. 579 Das seltene Verbum ist erstmals in Hor. carm. 4,5,7 belegt und kommt fast ausschließlich im Perfektstamm vor, vgl. ThlL 1 s.v. affulgeo 1247,49–51. 580 Zu maculare in Bezug auf Wolken vgl. auch Carm. de Iona 28 parvula nam subito maculaverat aera nubes. 581 Zum Hexameterschluss nube serenum vgl. auch Ov. Pont. 2,1,5, Alc. Avit. carm. 4,637 und Ven. Fort. Mart. 3,456. 582 Vgl. Badini/Rizzi 2011, 172.

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zunächst nichts Negatives an; insofern steht er – ganz im Gegensatz zu Proba – in der christlichen Tradition, die Licht grundsätzlich als etwas Positives bewertet583. V. 85–86a tum sapor inlecebram mellitis faucibus indens / perpulit: Dieser Vers hat keine direkte Entsprechung in der biblischen Vorlage, denn in Vet. Lat. gen. 3,6 wird lediglich berichtet, dass Eva isst und dann ihrem Mann zu essen gibt584; über die Triebkräfte, die sie dazu veranlassen, wird nichts ausgesagt. Der HD will dagegen die Übergabe der Frucht an Adam psychologisch motivieren, indem er den verführerischen Geschmack für Evas Handeln verantwortlich macht. Perpulit bringt zum Ausdruck, dass Eva durch den Geschmack dazu gebracht wird, die vom Versucher intendierte Handlung bis zum Ende auszuführen585, nämlich Adam den Apfel zu geben. Durch inlecebram [...] faucibus indens wird die Wirkung des Geschmacks auf Eva genauer erläutert: Dieser lässt seine verlockende Kraft (inlecebram) in ihren Gaumen eindringen, was durch den Gebrauch von indere mit dem abstrakten Objekt inlecebram sinnfällig gemacht werden soll586. Mellitis nimmt hier offensichtlich singulär die Bedeutung cibo dulci repletis an587, soll also konkret zum Ausdruck bringen, dass Evas Gaumen mit dem honigsüßen Apfelbrei bzw. dem Saft des Apfels benetzt ist588. Neben diesem Bezug von inlecebram [...] faucibus indens auf die Verlockung Evas könnte der HD aber auch darauf anspielen, dass der Geschmack des Apfels Evas Kehle, die beim Schlucken mit der Süße in Berührung gekommen ist (d.h. mellitis), verlockende Kraft verleiht, also eine verlockende Stimme bzw. verlockende Worte589. Dass Eva Adam verbal verlockt hat, geht zwar nicht aus dem Bibeltext hervor, wird aber in V. 98– 100 von Adam selbst berichtet und von Augustinus in gen. ad litt. 11,30 vermutet590. Während dem HD zufolge Eva von einem sinnlichen Erlebnis dazu getrieben wird (vgl. perpulit), ihren Mann ebenfalls zum Genuss der Frucht zu veranlassen, stellt Proba in cento 203–205 die Frau als aktive Täterin dar, die, nachdem sie selbst von der verbotenen Frucht gekostet hat, nun ein noch größeres Unrecht 583 Vgl. ebd. 172–173. 584 Vgl. Vet. Lat. gen. 3,6 (C/I) manducavit et dedit viro suo (I) secum. 585 Vgl. ThlL 10,1 s.v. perpello 1613,71–1614,3 unter I vi praeverbii sollemni i.q. impellere, compellere aliquem usque ad finem, sc. ad actionem vel condicionem quandam B agunt res, quae homines stimulant 2 affectiones, cogitationes sim.; der Infinitiv nach perpellere ist seit Tacitus gebräuchlich, vgl. LHS 346 § 191 unter C. 586 Vgl. ThlL 7,1 s.v. indo 1215, 27. 587 Vgl. die mit einem Fragezeichen versehene Paraphrase in ThlL 8 s.v. mellitus 622,81–82. 588 Da mellitis in Bezug auf faucibus durchaus Sinn ergibt, ist es nicht nötig, mit Mayor 1889, 7 von der einhelligen Überlieferung mellitis abzuweichen und in Analogie zu V. 79 (mellitos [...] victus) mellitus als Attribut zu sapor zu konjizieren. 589 In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass mellitus auch in Bezug auf sprachliche Äußerungen vorkommt, vgl. ThlL 8 s.v. mellitus 623,13–22 unter 1 b transl., fere i.q. suavis, venustus, iucundus sim. β pertinet ad cantum, sermonem. In Drac. laud. dei 1,461 wird mellitus in Bezug auf das Gift der Schlange verwendet, die Eva mit freundlichen Worten verführt (pectore vipereo mellitum ex ore venenum). 590 Vgl. Aug. gen. ad litt. 11,30 atque ideo sumsit de fructu eius et manducavit et dedit etiam viro suo secum, fortassis etiam cum verbo suasorio, quod scriptura tacens intellegendum relinquit.

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begeht. Noch kritischer wird Eva in Mar. Victor. aleth. 1,413–416 beurteilt, wonach sie angesichts ihrer Schuld Trost gesucht habe und deshalb mit der gleichen List, der sie selbst zum Opfer gefallen sei, auch Adam zum Unrecht habe verleiten wollen; dieser sei somit einem doppelten Feind erlegen. V. 86b insueto munus deferre marito: Eine weitere psychologische Vertiefung von Vet. Lat. gen. 3,6 erfolgt durch insueto. Zum einen ist daran zu denken, dass die Frau, überwältigt von dem verlockenden Geschmack, auch den Mann an diesem Erlebnis teilhaben lassen will, der an den Genuss und die Wirkung der Frucht noch nicht gewöhnt ist591; sie will also etwas Neues und als positiv Empfundenes mit ihm teilen. Unter dieser Perspektive könnte munus nicht nur als Akkusativobjekt zu deferre in der Bedeutung „Gabe des Baumes, Frucht“592 stehen, sondern auch prädikativ im Sinne von „als Geschenk“, wobei dann pomum als Akkusativobjekt zu ergänzen wäre. Zum anderen wird der Mann durch insueto gleichsam im Voraus für sein Verhalten entschuldigt, weil er aus Ignoranz und Unerfahrenheit von der Frucht isst593. V. 87–88a quod simul ac sumpsit, detersa nocte nitentes / emicuere oculi: Der erste Versteil bis zur Penthemimeres (sumpsit) rekurriert auf Vet. Lat. gen. 3,6 in der Textform C (et accepit Adam et manducavit), denn in der Textform I wird nicht erwähnt, dass Adam die Frucht nimmt, und außerdem essen nach dieser Überlieferung beide gemeinsam (et manducaverunt)594. Durch simul ac wird in ähnlicher Weise wie durch ilicet ut in V. 83 die Unmittelbarkeit der Auswirkung des Apfelgenusses betont (vgl. Vet. Lat. gen. 3,7). Diese Auswirkung, die in Hinblick auf Eva in V. 84 bereits dargestellt worden ist, wird nun wieder unter Einsatz der Lichtmetaphorik595 veranschaulicht, wobei sich im Vergleich zu V. 84 eine Steigerung in der Intensität der Bildlichkeit feststellen lässt. Detersa nocte knüpft an V. 70 […] caecos nox alta tenebat an und lässt sich als Kausaladverbiale zu nitentes auffassen: Weil die (bildliche) Nacht von Adams Augen abgewischt worden ist596, strahlen diese nun (nitentes) und können sehen, d.h. der Zustand der Unkenntnis von Gut und Böse ist der Erkenntnis gewichen; dabei wird die antithetische Nebeneinanderstellung von nocte und nitentes durch die Alliteration unterstrichen. Das Hervorstrahlen der Augen wird darüber hinaus durch emicuere ausgedrückt, das wie eine hyperbolische Überbietung von nitentes wirkt. In Verbin591 Vgl. ThlL 7,1 s.v. 1. insuetus 2031,23–38; für diesen absoluten Gebrauch von insuetus führt der ThlL Belege ab Vergil an. 592 Zu munus in Bezug auf Gaben der Natur vgl. etwa Hor. carm. 2,14,10 quicumque terrae munere vescimur und Ov. fast. 3,766 […] gravidae munera vitis amat. 593 In einer Weise, die ganz deutlich der Frau die Schuld zuschiebt, wird Adam dagegen bei Proba und Cl. M. Victorius als unglückliches Opfer beklagt, vgl. Proba cento 204–205 heu misero coniunx aliena ex arbore germen / obicit […] und aleth. 1,415–416 […] sic hoste subactus / a gemino cedit sceleri miserabilis Adam. 594 Auch die LXX und die Vulgata erwähnen nicht, dass Adam die Frucht nimmt. 595 Vgl. den Kommentar zu V. 84 sowie S. 257. 596 Zu detergere in Bezug auf die Beseitigung von Nacht bzw. Wolken vgl. auch Ambr. hex. 4,6,27, Hept. deut. 20 und Claud. 28,539–540; in Bezug auf die Beseitigung wirklicher Blindheit vgl. Hier. in Is. 3,8,5/8.

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dung mit der Nacht (detersa nocte) wird dadurch vielleicht auf die Metapher des Augensterns angespielt, die sich insbesondere in der erotischen Dichtung findet, wo die leuchtenden Augen des bzw. der Geliebten mit Sternen verglichen werden597. Ferner verwendet Augustinus in gen. ad litt. im Zusammenhang mit seiner Theorie des Sehens mehrfach das Verbum emicare, denn Sehen vollzieht sich dieser Theorie zufolge durch Lichtstrahlen, die aus unseren Augen hinausdringen598. V. 88b mundo splendente sereni: Durch sereni, das auf das helle Leuchten der von der Dunkelheit befreiten Augen Adams Bezug nimmt, wird eine Verklammerung mit V. 84 hergestellt, wo das Substantiv serenum den heiteren, wolkenlosen Himmel bezeichnet, der für Eva aufleuchtet; entsprechend wird serenus auch häufig auf das Leuchten von Gestirnen bezogen599, dem Adams Augen hier implizit angenähert werden. Mundo ist hier wie in V. 80 im Sinne von „Himmel“ aufzufassen600, da auch im Falle Evas das Sehend-Werden mit einem Leuchten des Himmels und nicht etwa der Welt einhergeht, vgl. V. 84 adfulsit [...] serenum601. V. 89 ergo ubi nudatum prospexit corpus uterque: Mit ergo schließt der HD eine Folgerung aus dem Vorhergehenden an, dass nämlich die Menschen nach dem bildlichen Öffnen ihrer Augen ihre Nacktheit erkennen (vgl. Vet. Lat. gen. 3,7 (C) et tunc scierunt quia nudi erant // (I) et cognoverunt (viderunt) quod nudi essent). Während im Haupttext der Vetus Latina eher von einer intellektuellen Wahrnehmung die Rede ist (vgl. scierunt/cognoverunt)602, verwendet der HD das Verbum prospexit, was seiner Intention entspricht, den Gewinn der Erkenntnis als optisches Phänomen darzustellen (vgl. V. 70, 80, 84, 87–88); dabei verdeutlicht das Präfix pro-, dass Adam und Eva jeweils den Körper des anderen vor sich sehen603. Ob es sich bei der Vetus-Latina-Variante viderunt um Bibeltext handelt, ist 597 Vgl. etwa Prop. 2,3,14 non oculi, geminae, sidera nostra, faces, Ov. am. 2,16,44 […] perque oculos, sidera nostra, tuos und epist. 20,55–56 […] oculique tui, quibus ignea cedunt / Sidera […]. 598 Vgl. Aug. gen. ad litt. 4,34 et certe iste corporeae lucis est radius, emicans ex oculis nostris et tam longe posita tanta celeritate contingens, ut aestimari conpararique non possit; 12,16 [...] cum illud, quod est subtilissimum in corpore et ob hoc animae vicinius quam cetera, id est lux primum per oculos sola diffunditur emicatque in radiis oculorum ad visibilia contuenda [...]. 599 Vgl. OLD s.v. serenus 1742–1743 unter 1 c sowie den Kommentar zu V. 87–88a zur Metapher des Augensterns. Fraglich ist, ob durch die Verklammerung der strahlenden Augen mit dem strahlenden Himmel ein Erkenntnisprozess ausgedrückt werden soll; so setzt der HD nach Smolak 1978/79, 25 „für den biblischen Ausdruck aperti sunt oculi eorum (Gen. 3,7) das Adjektiv sereni ein, entsprechend dem alten Erkenntnisprinzip ‚Gleiches durch Gleiches‘ (Analogie): Adams ‚klare‘ Augen erkennen den ‚klaren‘ Himmel“. 600 Vgl. den Kommentar zu V. 80. 601 Gegen Evans 1968, 140 Anm. 3 „over the resplendent world“ und White 2000, 102 „while the world shone bright around him“. 602 Vgl. auch LXX (eägnvsan) und Vulg. (cognovissent). 603 Vgl. OLD s.v. prospicio 1501 unter 1. Das gegenseitige Sich-Anblicken wird auch erwähnt in Aug. gen. ad litt. 11,31 [...] in sua membra oculos iniecerunt eaque motu eo, quem non noverant, concupiverunt.

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fraglich, jedenfalls nehmen mehrere Kirchenväter auf die Erkenntnis der Nacktheit durch videre Bezug604. Nudatum, welches als prädikatives Partizip605 oder als elliptischer AcI (nudatum esse) aufgefasst werden kann, bringt eindringlicher als das biblische nudi zum Ausdruck, dass die Körper aufgrund der neuartigen Wahrnehmungsweise der Menschen nach dem Verzehr der verbotenen Frucht gleichsam entblößt erscheinen, während die Nacktheit vorher von Adam und Eva nicht bemerkt wurde (vgl. V. 70–71)606. Im Kontext von Gen 3,7 benutzt auch Augustinus in gen. ad litt. 11,31 das Verbum nudare, wobei er die Entblößung freilich in einem spirituellen Sinne versteht: Nach der Verbotsübertretung sind die Menschen innerlich der Gnade Gottes entblößt, die ihre Nacktheit zuvor bedeckt hat und dafür gesorgt hat, dass sie ihr Nacktsein nicht als etwas Ungehöriges empfanden607. In einem ebenfalls übertragenen Sinne bezeichnet Ambrosius in Noe 30,115 Adam als nudatus, da er durch die Gebotsübertretung des Mantels der Weisheit und Gerechtigkeit entkleidet worden sei608. Nachdem der HD im Gegensatz zu Vet. Lat. gen. 3,7 das Öffnen der Augen für Frau und Mann getrennt dargestellt hat, will er durch uterque jetzt offenbar unterstreichen, dass die Wahrnehmung der Nacktheit bei beiden gleichzeitig und gegenseitig erfolgt. V. 90 quae pudenda vident, ficulnis frondibus umbrant: Der HD nimmt hier verkürzend Bezug auf den letzten Teil von Vet. Lat. gen. 3,7, wo berichtet wird, dass Adam und Eva Feigenblätter zusammennähen und sich daraus „Bedeckungen“ machen ((C) et suerunt sibi // (I) et consuerunt (L) folia fici et fecerunt sibi tegimenta). Die Formulierung ficulnis frondibus umbrant könnte durch Proba cento 208 corpora sub ramis obtentu frondis inumbrant angeregt sein, deren Prätext wiederum Verg. Aen. 11,66 ist (exstructosque toros obtentu frondis inumbrant), wo für den Leichnam des Pallas eine Bahre angefertigt und mit Laub bedeckt wird. Durch umbrare kommt zum einen auf poetische Weise die Wirkung der urtümlichen Laubbekleidung zum Ausdruck609, zum anderen wird Schatten mit dem Tod bzw. mit der (heidnischen) Unterwelt, dem Schattenreich, assoziiert, und dies entspricht im biblischen Kontext der Tatsache, dass die Menschen wegen ihres Ungehorsams dem Gesetz der Sterblichkeit unterworfen werden. Insbesondere ist hier an die christliche, an Jes 9,1(2) anknüpfende Vorstellung vom Schat604 Fischer 1951, 61 versieht die Variante viderunt mit einem Fragezeichen und gibt als Zeugen u.a. Aug. gen. c. Manich. 2,15,23 an, ferner mehrere darauf anspielende Autoren, u.a. Ambr., vgl. ebd. 61 und 537. 605 Zu prospicere mit prädikativem Partizip vgl. ThlL 10,2 s.v. prospicio 2221,27–36. 606 Zur Junktur nudatum [...] corpus vgl. etwa Catull. 64,17 […] nudato corpore nymphas, Sil. 10,604 […] nudato corpore Maurus. 607 Vgl. Aug. gen. ad litt. 11,31 mox ergo ut praeceptum transgressi sunt intrinsecus gratia deserente omnino nudati [...] in sua membra oculos iniecerunt [...]. 608 Vgl. Ambr. Noe 30,115 et redopertus amictu sapientiae ac iustitiae mandatorumque caelestium praevaricatione nudatus nudum vidit [scil. Adam] […]. 609 Zur überwiegend poetischen Bezeugung von umbrare vgl. vgl. OLD s.v. umbro 2088 mit Belegen ab Lucr. 2,628. Das Kompositum obumbrare benutzt Ambrosius in parad. 13,63 im gleichen biblischen Kontext: […] quibus [scil. foliis] obumbrarent genitale secretum. Bei Cl. M. Victorius ist das Element des Schattens in Gestalt des schattigen Feigenbaums (aleth. 1,439 […] umbrosae foliis nova tegmina fici) präsent.

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ten des Todes zu denken, in dem sich die Sünder befinden610. Diese Schattenmetaphorik steht im deutlichen Gegensatz zu der ab V. 80 auftretenden Lichtmetaphorik und zeigt die Kehrseite der neu erworbenen Erkenntnis von Gut und Böse. Indem der HD die Verhüllung der Menschen mit Feigenblättern (ficulnis611 frondibus) explizit auf die Schamglieder (pudenda) bezieht, geht er verdeutlichend über den Bibeltext hinaus, in dem ganz allgemein von Bedeckungen oder auch genauer von Schurzen gesprochen wird612, und unterscheidet sich auch von Proba und Cl. M. Victorius, bei denen die Verhüllung mit Laub entweder nicht mit Scham in Verbindung gebracht wird, sondern mit dem Erschrecken über die eigene Tat (cento 206–209), oder aber das neu entstandene Schamgefühl der Menschen offenbart (aleth. 1,439–441). Ganz explizit wird dagegen in der Kirchenväterexegese auf die Verhüllung der membra pudenda Bezug genommen, vgl. etwa Aug. civ. 14,17 consuerunt folia fici et fecerunt sibi campestria, id est succinctoria genitalium, gen. ad litt. 11,32 succinctoria consuerunt et quia glorianda deseruerant pudenda texerunt, oder auch Aug. grat. Christ. 2,34,39 […] quae pudenda iudicavit, operienda curavit [scil. homo]. Durch die Konstruktion von vident mit dem doppelten Akkusativ quae pūdenda613 im Sinne von „ansehen als“, „betrachten als“ bringt der HD zum Ausdruck, dass die Glieder nicht per se zu Scham Anlass geben, sondern dass dies auf die neue Art von Wahrnehmung zurückzuführen ist, die sich bei den Menschen nach dem Überschreiten des göttlichen Verbots eingestellt hat. Der Tempuswechsel vom Perfekt ins Präsens markiert das Eintreten der Scham als neuen, irreversiblen Schritt in der Entwicklung der Menschen. V. 91–92a Forte sub occiduo domini iam lumine solis / agnoscunt sonitum: Der HD lehnt sich hier an den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 3,8 an ((L) et audierunt vocem domini deambulantis in paradiso ad vesperam). Durch forte wird über die biblische Vorlage hinausgehend unterstrichen, wie unvorhergesehen das Erscheinen Gottes Adam und Eva trifft, die sich nun sozusagen auf frischer Tat ertappt fühlen und in ihrem Schuldbewusstsein gleich ein Versteck suchen. Hinter der poetischen Periphrase sub occiduo [...] iam lumine solis, die im Wesentlichen aus poetischen Versatzstücken besteht614, verbirgt sich Vet. Lat. gen. 3,8 (L) ad vesperam, während in der Vulgata vom Westwind die Rede ist, der in Mittelmeergegenden am späten Nachmittag für Abkühlung sorgt, so dass man um diese Zeit spazieren gehen kann615. Dass der HD diese Zeitangabe, die bei Proba und in der Alethia weggelassen wird, so wortreich aufgreift, könnte auf eine exegetische Bedeutung schließen lassen, wie sie etwa in Aug. gen. ad litt. 11,33 erläutert wird: 610 Vgl. auch Ambr. parad. 5,29. 611 Vgl. auch Prud. tituli 1,4 dat nudis ficulna draco mox tegmina victor. 612 Dies trifft für die Vetus Latina mit ihren Varianten, für die LXX und für die Vulgata zu, vgl. Fischer 1951, 62. 613 Zur Dehnung des ŭ in pudenda vgl. Peiper 1891, 347. 614 Vgl. den Hexameterbeginn sole sub occiduo in Hept. gen. 558, Sidon. carm. 7,88 und Alc. Avit. carm. 5,533, ferner Ov. fast. 5,558 seu quis ab occiduo sole domandus erit und met. 1,63 vesper et occiduo quae litora sole tepescunt; der Hexameterschluss lumine solis findet sich seit Enn. ann. 265 Sk. (= 283 V.), vgl. auch Hept. exod. 606 und 1064. 615 Vgl. Vulg. gen. 3,8 ad auram post meridiem und Soggin 1997, 86.

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Demnach hat Gott Adam und Eva gerade am Abend aufgesucht, weil diese Zeit dazu passt, dass die beiden sich vom Licht der Wahrheit, also vom Licht Gottes, entfernt haben. Vor dem Hintergrund einer solchen Deutung von ad vesperam würde auch das weit vorgezogene Genitivattribut domini, das sich sinngemäß auf sonitum im nächsten Vers bezieht, eine sinnvolle Erklärung finden616, denn es könnte dann zunächst einmal mit lumine zusammengelesen werden in Anlehnung an den bekannten Vers Vet. Lat. Is. 2,5 (X) et tu domus Iacob venite eamus in lumine domini617. Das Licht symbolisiert in diesem Kontext die gnadenreiche Gegenwart Gottes und verlangt vom Menschen als Antwort einen Lebenswandel in diesem Licht618. Adam und Eva wandeln nach dem Verzehr der verbotenen Frucht sozusagen „bei schon schwindendem Licht des Herrn“, d.h. sie sind der Gnade Gottes verlustig gegangen und in die Finsternis des Todes geraten, der als Strafe für ihr Vergehen über sie verhängt wird619. Das Aufscheinen des Lichts der Erkenntnis620 nach der Übertretung des göttlichen Verbots zieht also ein Schwinden der lichtvollen Gnade Gottes und insofern einen Untergang der Sonne nach sich. Das eigentliche Bezugswort von domini ist freilich sonitum in V. 92, das im Gegensatz zur Stimme Gottes nach Vet. Lat. gen. 3,8 (vgl. (L) vocem domini) ein mehr oder weniger lautes Geräusch621 bezeichnet; dieses kann die Stimme Gottes meinen, der Adam beim Namen ruft (vgl. Gen 3,9) oder lautstark seine Verärgerung über die Menschen äußert (vgl. Proba cento 215 dira frementem), aber auch den Hall von Gottes Schritten, der im Garten spazieren geht – letzteres Detail erwähnt der HD sonst nicht. Im zuletzt genannten Sinne resümiert Hieronymus die Bibelstelle622, ferner wird bei Proba im gleichen Kontext zweimal das Geräusch von Gottes Schritten erwähnt623. Agnoscunt entspricht Vet. Lat. gen. 3,8 (L) audierunt, bezeichnet aber im Gegensatz dazu nicht eine bloße akustische Wahrnehmung, sondern ein (Wieder-)Erkennen und bewusstes Identifizieren des Geräusches624 wie etwa in dem fast identisch beginnenden Vers Verg. Aen. 8,531 agno-

616 Nicht überzeugen kann die Erklärung von Mayor 1889, 8: Um die synkopierte Form domni zu meiden, habe der Dichter die Wortreihenfolge umgestellt „to the ruin of the sense“, man solle stattdessen lesen forte sub occiduo solis iam lumine domni / agnoscunt sonitum. 617 Auch die Vetus-Latina-Textform K und die Vulgata haben in lumine domini. 618 Vgl. Wildberger 1972, 87–88. 619 Zur Verbindung von Finsternis und Sünde vgl. den Kommentar zu V. 90 (umbrant); vgl. auch den wörtlich anklingenden Vers Hept. gen. 124 donec in occiduo venientis tempore mortis in der Bestrafungsrede Gottes. 620 Vgl. die Lichtmetaphorik in V. 80, 84, 87–88. 621 Das OLD s.v. sonitus 1791 definiert die Bedeutung folgendermaßen: A sound of any sort, esp. a loud one, noise. 622 Hier. in Is. 9,29,15/16 Hoc errore decepti Adam et Eva, audientes sonitum pedum deambulantis in paradiso Dei, absconderunt se sub arbore, [...]. 623 Adam und Eva hören im Versteck Gottes Schritte, vgl. Proba cento 220–221 […] cum creber ad aures / visus adesse pedum sonitus […]; Adam erzittert sowohl vor dem Geräusch von Gottes Schritten als auch vor seiner Stimme, vgl. cento 235 […] sonitumque pedum vocemque tremesco. 624 Vgl. OLD s.v. agnosco 87 unter 1.

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vit sonitum et divae promissa parentis (Aeneas erkennt in den dröhnenden Waffen, die am Himmel erscheinen, die Verheißung seiner Mutter). V. 92b trepidique ad devia tendunt: Über Vet. Lat. gen. 3,8 ((L) et absconderunt se Adam et mulier eius) hinausgehend veranschaulicht der HD durch trepidi die ängstliche Hast, mit der die Menschen ein Versteck suchen625. Diese ist zum einen bedingt durch die Furcht vor Strafe, zum anderen wohl auch durch die Scham über die eigene Nacktheit, die die Menschen nun vor Gott verbergen wollen626. Mit ad devia tendunt627 entfernt sich der Dichter deutlich von Vet. Lat. gen. 3,8 (C) abante faciem domini dei ad illam arborem quae erat in medio paradiso bzw. (I) a facie domini in medio ligni paradisi, wonach sich die Menschen in der Mitte des Paradieses beim Baum der Erkenntnis verstecken. Das pluralische Substantiv devia als Bezeichnung für einen abseits vom Weg gelegenen und daher verborgenen Ort ist seit Tibull belegt628, wird aber v.a. in christlichen Kontexten auch im übertragenen Sinne für ein Abirren vom rechten Weg bzw. für Sünde verwendet629. So ist es denkbar, dass der HD mit devia nicht nur ein Versteck abseits vom Gartenweg meint, auf dem Gott spazieren geht, sondern auch die (moralische) Entfernung der Menschen von Gott verdeutlichen will630. V. 93 tum dominus caeli maestum conpellat Adamum: Durch dominus caeli631 […] conpellat Ădāmum632 verschärft der HD den Ton von Vet. Lat. gen. 3,9, wonach Gott Adam ruft und dann zu ihm spricht (vgl. (L) et vocavit dominus deus Adam et dixit illi), denn wie Augustinus in gen. ad litt. 11,34 (increpantis vox est, non ignorantis) und Proba in cento 223 ([…] atque increpat ultro) zeigt er Gott als Schimpfenden633. Darüber hinaus erscheint compellare auch als juristischer Terminus technicus in der Bedeutung „vor Gericht zur Rede stellen, anklagen“634, und diese Bedeutungsnuance ist hier insofern sehr passend, als Gen. 3,9–24 in seinem Aufbau an eine Gerichtsverhandlung mit Verhören, Strafsprüchen und 625 Vgl. auch Mar. Victor. aleth. 1,442–443 nec satis hoc trepidis. quid agant, qua crimen inustum / seque ipsos fugiant? […]. 626 Vgl. Soggin 1997, 87. 627 Vgl. auch die Hexameterschlüsse Verg. Aen. 2,205 ad litora tendunt, 5,256 ad sidera tendunt und 11,871 ad moenia tendunt. 628 Vgl. ThlL 5,1 s.v. devius/devium, -i 867,62–84; vgl. auch Hept. exod. 547 […] per devia tendunt (gemeint ist die Wüste Sur). 629 Vgl. ebd. 867,84–868,9. 630 Auch Proba und Cl. M. Victorius variieren Gen 3,8 bezüglich des Verstecks der Menschen: Nach Proba cento 217–219 flüchten die beiden in Wälder und Höhlen und meiden offenes Gelände, nach aleth. 1,446–447 suchen sie waldige, schattige Orte auf. 631 Zu dominus caeli in Bezug auf Gott in der christlichen Dichtung vgl. auch Comm. instr. 1,2,1, Iuvenc. 1,35, Carm. de resurr. 292, Hept. exod. 1305, Sedul. carm. pasch. 2,237, Alc. Avit. carm. 4,203 u.a. 632 Zur Prosodie des Namens Adam beim HD vgl. den Kommentar zu V. 44. 633 Compellat mit folgender wörtlicher Rede findet sich mehrfach bei Vergil, allerdings meist im Sinne einer bloßen Anrede und seltener im Sinne eines Scheltens, vgl. Verg. Aen. 1,581; 2,372; 3,474; 4,304 (Dido schimpft Aeneas); 5,161 (Gyas schreit den Steuermann seines Schiffes an); 6,499; 10,606. 634 Vgl. ThlL III s.v. 1. compello 2028,32–45 mit Belegen ab Cicero.

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Urteilsvollstreckung angelehnt ist. Eine psychologische Vertiefung der Szene gelingt dem HD durch maestum, das Adams Zustand angesichts seiner Scham, seines Schuldbewusstseins und seiner Angst vor der drohenden Strafe beschreibt; es steht im Gegensatz zur laeta [...] aula (V. 50) des Paradieses, in der die Menschen vor dem Sündenfall ein glückliches Leben geführt haben, und nimmt die Trübsal vorweg, in der Adam seinen Lebensunterhalt wird erwerben müssen (vgl. V. 122– 123). Auch Proba bezeichnet Adam, der sich vor Gott versteckt hat, in cento 222 als maestum und Cl. M. Victorius schildert die Trauer des Menschenpaares im Zusammenhang mit der plötzlichen Scham voreinander (vgl. aleth. 1,438–439 […] tacitis miserabile questi / fletibus […]). V. 94 „Dic, ubi nunc degas!“ respondit talia supplex: Der HD gibt hier die Frage Gottes am Ende von Vet. Lat. gen. 3,9 wieder ((L) Adam ubi es), die die Vernehmung einleitet. Er verzichtet auf die namentliche Anrede, vielleicht um eine Wiederholung des im vorausgehenden Vers genannten Namens Adamus zu vermeiden, und ersetzt die direkte Frage der Bibel durch den Imperativ dic mit indirekter Frage, wodurch der „anstößig[e] Eindruck der Unwissenheit Gottes“ vermieden werden soll635; Adam wird hier vielmehr die Möglichkeit gegeben, sich selbst zu stellen und seine Schuld einzugestehen636. Die Benutzung des gesuchteren degas anstelle des „Allerweltsverbs“ es könnte mit dem Streben nach Variatio und Anhebung der Stilebene erklärt werden, und in der Tat kann degere, das in absoluter Verwendung „leben“ bedeutet637, in abgeschwächter Bedeutung für esse stehen638. Gottes Frage, wo Adam jetzt sei, kann zum einen darauf bezogen werden, dass Adam, der eigentlich von Gott als Wächter des Gartens eingesetzt worden ist, seinen Posten verlassen hat639. Ein ähnlicher Gedanke findet sich in Proba cento 225–226, wo Gott im gleichen Kontext Adam und Eva vorwirft, ihre Pflichten als Herrscher zu vernachlässigen (quo nunc, quo tenditis‘ inquit / ‚regnorum inmemores, quae mentem insania mutat?)640. Zum anderen kann ubi eine modale Bedeutung im Sinne von quomodo annehmen („Sag, wie du dich jetzt befindest!“), welche im Alt- und Spätlatein und dort hauptsächlich in Fragen bezeugt ist641 und welche insbesondere durch Ambr. parad. 14,70 nahegelegt wird. Ambrosius erklärt hier, dass ubi in der Frage Gottes keinen lokalen Sinn habe, sondern sich vielmehr auf den unglücklichen Zustand beziehe, in dem Adam sich nach dem Sündenfall befinde642; durch sein Vergehen habe er die paradiesische Glückseligkeit und das ewige Leben verloren und sich voll Angst vor Gott ver-

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Vgl. Arweiler 1999, 31 Anm. 71. Vgl. Soggin 1997, 87. Vgl. ThlL 5,1 s.v. dego 385,27–386,18. Vgl. Blaise s.v. dego 249 intr., être, exister; vgl. auch Hept. gen. 157, wo Gott Kain fragt, wo sein Bruder Abel sei (disquirit, quonam terrarum degat Abelus?). Vgl. Soggin 1997, 87. Vgl. dazu Badini/Rizzi 2011, 174. Vgl. Löfstedt 1911, 130–131. Vgl. id est non in quo, sed in quibus es? bzw. hoc est non in quo loco quaero, sed in quo statu.

4. Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies (V. 72–133)

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borgen. Mit respondit talia supplex643 verdeutlicht der HD über Vet. Lat. gen. 3,10 ((L) et dixit illi) hinausgehend den demütigen Ton der nun folgenden Antwort Adams. Da in der gesamten Verhörszene einschließlich der Strafsprüche die Verba dicendi im Präsens stehen (vgl. V. 93 conpellat bis V. 115 praecipitur) und ein Wechsel ins Perfekt bei Adams Antwort sich nicht sinnvoll begründen lässt, sollte das einhellig überlieferte respondit als Präsens der konsonantischen Konjugation aufgefasst werden, wie dies für respondis in Comm. instr. 2,31(35),16 und für respondit in Mart. Cap. 9,898 belegt ist644. V. 95–96a „O domine, adfatus pavido sub corde tremesco, / magne, tuos: In diesem ersten Teil der Erwiderung Adams nimmt der HD Bezug auf Vet. Lat. gen. 3,10 (L) vocem tuam audivi domine in paradiso et timui. Indem er den Vokativ domine mit einem emphathischen o versieht und an den Anfang des Verses stellt, arbeitet er den demütigen Ton Adams heraus (vgl. V. 94 supplex), und durch die Elision des auslautenden -e bei domine entsteht der Eindruck von Atemlosigkeit, da die syntaktisch bedingte Pause zwischen domine und adfatus auf diese Weise überbrückt wird. Durch die nachgeschobenen Attribute magne und tuos zu Beginn von V. 96 wirkt die Syntax etwas unübersichtlich, worin sich die Verwirrung und Angst (vgl. tremesco) Adams spiegeln könnte. Es ist aber auch denkbar, dass magne substantivisch aufzufassen ist und Adam in seiner Demut Gott neben domine noch einen weiteren, ehrenvollen Titel verleiht645. Mit adfatūs [...] tuos646 meint Adam die gerade erfolgte Anrede durch Gott (vgl. V. 94), vor der er eben jetzt erzittert (vgl. tremesco); in der Bibel ist mit vocem tuam audivi und timui dagegen die bereits in der Vergangenheit liegende Situation gemeint, als Adam die Stimme des im Paradies spazieren gehenden Gottes hörte und sich aus Angst versteckte (vgl. Gen 3,8). Tremesco verwendet Proba im gleichen biblischen Kontext ebenfalls am Hexameterende (vgl. cento 235 omnipotens, sonitumque pedum vocemque tremesco), so dass die Darstellung des HD davon angeregt sein könnte. Das Adjektiv pavidus scheint in diesem Kontext insofern besonders passend gewählt, als es in heidnischen und christlichen Zusammenhängen auftritt, in denen die Gegenwart des Göttlichen in der menschlichen Sphäre spürbar wird647. V. 96b nudusque metu frigente fatigor“: Das prädikative nudus lässt sich kausal auffassen im Sinne von „weil ich nackt bin“, der Kausalzusammenhang

643 Vgl. auch Verg. Aen. 10,523 et genua amplectens effatur talia supplex mit folgender wörtlicher Rede. 644 Vgl. Neue/Wagener 3, 272 und 4, 311; diese Erscheinung wäre dann auch für Hept. Iud. 130 zu erwägen, wo Peiper respondet konjiziert. 645 Vgl. auch Hept. exod. 1173 (Anrede des Mose an Gott): dum te, magne, timet, dum celsae robora dextrae. Magne am Versanfang mit einer Form von tuus findet sich, bezogen auf Pompeius, gehäuft bei Lucan, vgl. 8,102.608.850; 9,1101; 10,7. 646 Das poetisch-rhetorische Substantiv affatus ist seit Verg. Aen. 4,284 belegt, vgl. ThlL 1 s.v. affatus 1174,33–34. Der Plural soll hier wohl verdeutlichen, dass Gott mehr als nur ein Wort an Adam gerichtet hat. 647 Vgl. ThlL 10,1 s.v. pavidus 814,37–49 mit Belegen ab Vergil.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

zwischen Nacktheit und Angst (vgl. nudusque metu [...] fatigor)648 ist darin zu sehen, dass die mit Scham verbundene Wahrnehmung der eigenen Nacktheit ein „Symptom des geschehenen Bruches mit Gott“649 ist und beim Menschen zum Bewusstsein seiner Schuld und damit auch zur Angst vor der angedrohten Strafe führt. Während sich dieser Zusammenhang von Nacktheit und Angst auch in Vet. Lat. gen. 3,10 (I) et timui quoniam nudus sum findet, wird in der Textform C ein Zusammenhang zwischen Nacktheit und Sich-Verstecken hergestellt (et abscondi me quia nudus sum), welches der HD unerwähnt lässt. Über den Bibeltext hinausgehend bringt der HD den Aspekt der Kälte ein (vgl. metu frigente fatigor), wobei frigente laut ThlL als Enallage zu verstehen ist650, etwa in der Form nudusque et frigens metu fatigor. Die Kälte wäre dann primär als Folge der Nacktheit zu betrachten und würde auf die Einkleidung der Menschen mit Fellen vorausweisen (vgl. V. 131–133). Darüber hinaus kann metu frigente aber auch den eisigen Schrecken bzw. die kalte Angst bedeuten, die Adam angesichts des ErtapptWerdens durch Gott und der nahen Strafe durchfahren651. Weitere Bedeutungsdimensionen eröffnen sich mit Blick auf den Zusammenhang von Kälte und Tod, welcher den Menschen als Strafe für die Verbotsübertretung auferlegt wird652, und den Zusammenhang von Kälte und Sünde, wie er etwa in Ps. Hil. gen. 167 (frigore peccati torpentia corda rigescunt) bezüglich der Menschen nach dem Sündenfall hergestellt wird653. Da die Angst Adams in V. 95 sich primär auf die Anrede Gottes bezieht, während die in V. 96 ausgedrückte Angst mit der Nacktheit zusammenhängt, handelt es sich hier nicht um eine synonymische Amplifikation von Sätzen654. V. 97 tum dominus: „Quis poma dedit noxalia vobis?“: Der HD bezieht sich hier auf Vet. Lat. gen. 3,11, wo Gottes Entgegnung auf Adams Antwort wiedergegeben wird, verknappt die biblische Vorlage aber so stark, dass er im Grunde nur die Einleitung von Gottes Frage mit quis übernimmt655. In der Bibel findet sich eine logische Gedankenfolge, denn Gott schließt aus Adams Bewusstsein der Nacktheit, dass dieser von dem verbotenen Baum gegessen hat; dies bildet den impliziten Vorwurf, auf den Adam in Gen 3,12 reagiert, indem er Eva die Schuld zuschiebt. Der HD lässt Gott dagegen nach demjenigen fragen, der den Menschen die „unheilvollen Früchte“ (poma [...] noxalia656) gegeben habe, wobei der Zu648 Zur Junktur metu [...] fatigor vgl. Verg. Aen. 1,280 quae mare nunc terrasque metu caelumque fatigat. 649 Vgl. Soggin 1997, 87. 650 Vgl. ThlL 6,1 s.v. frigeo/frigens 1323,25. 651 Vgl. etwa Sen. Phaedr. 1053 […] omnis frigido exsanguis metu oder Ov. fast. 1,97–98 extimui sensique metu riguisse capillos, / et gelidum subito frigore pectus erat. 652 Vgl. den Kommentar zu V. 74. 653 Zu diesem Zusammenhang verweist Kreuz 2006, 314 auf Sach 14,6 und Mt 24,12 sowie auf Passagen der Kirchenväterexegese. 654 So aber Roberts 1978, 292 Anm. 91. 655 Vgl. Vet. Lat. gen. 3,11 (C) quis nuntiavit tibi quia nudus es // (I) quis tibi indicavit quia nudus es. 656 Vgl. den Kommentar zu V. 68 (malum noxale).

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sammenhang zwischen der Erkenntnis von Adams Nacktheit und den Früchten vom Leser selbst hergestellt werden muss. Indem Gott in V. 97 keinen impliziten Vorwurf an Adam formuliert, dass dieser sich aktiv dem göttlichen Verbot widersetzt habe657, sondern sich auf einen schuldigen Dritten konzentriert, der den Menschen die Früchte gegeben hat, wird die Verantwortung der Menschen im Vergleich zur Bibel deutlich abgemildert. Darüber hinaus impliziert vobis, dass beide Menschen in gleicher Weise Opfer der Schlange sind, im Gegensatz zur nun folgenden Reaktion Adams (V. 98–100). V. 98–99a „Tradidit haec mulier, dum dicit lumina promptim / candenti perfusa die: In V. 98–100 gestaltet der HD die Rede Adams nach Vet. Lat. gen. 3,12, wobei er auf die Redeeinleitung (vgl. (L) et dixit Adam) verzichtet. Dieser abrupte Anschluss von Adams Entgegnung auf Gottes Frage veranlasste Mayor zu der Vermutung, dass vor V. 98 ein Vers, etwa vultu confuso trepidans respondet Adamus, ausgefallen sein müsse658. Dies überzeugt keineswegs, denn gerade durch den uneingeleiteten Redewechsel wird deutlich, wie schnell Adam eine Antwort parat hat, mit der er alle Verantwortung von sich selbst abwälzen kann. Haec lässt sich grammatikalisch gesehen auf die in V. 98 erwähnten poma beziehen, doch der Intention Adams, die Schuld auf die Frau zu schieben, entspricht eher ein Bezug auf mulier („diese Frau hier“). Dementsprechend eröffnet Adam seine Rede in Vet. Lat. gen. 3,12 mit dem Wort (C/I) mulier und lenkt die Aufmerksamkeit Gottes zusätzlich durch den Relativsatz (C) quam dedisti mihi bzw. (I) quam dedisti auf die Frau659. Die emphatische Wendung haec mulier erinnert ein wenig an den mehrfachen Gebrauch von hic in Vet. Lat. gen. 2,23, wo Adam die eben geschaffene und ihm zugeführte Gefährtin enthusiastisch als sein eigen Fleisch und Bein und als seine Gehilfin begrüßt660; während Adam dort seine Gemeinschaft mit der Frau betont, will er sich jetzt in der Situation der Schuld von ihr distanzieren. In dem mit dum eingeleiteten Nebensatz führt Adam nun das Argument an, mit dem Eva ihn zum Genuss der verbotenen Frucht veranlasst hat, welchen er im Gegensatz zu Vet. Lat. gen. 3,12 ((C) et edi bzw. (I) et manducavi) überhaupt nicht erwähnt – auch dies eine Taktik zur Verschleierung der eigenen Schuld. In der biblischen Vorlage ist von verführenden Worten Evas nicht die Rede, so dass der Adam des HD die Frau noch mehr zu belasten scheint, um seinen Ungehorsam Gott gegenüber überzeugender zu motivieren. Der Eifer, den er dabei an den Tag legt, spiegelt sich in der Alliteration dum dicit und in den Enjambements zwischen V. 98 und 99 sowie 99 und 100. Der Inhalt von Evas Rede, den Adam in V. 98–100 referiert, entspricht im Wesentlichen der Schilderung von Evas und Adams „Erleuchtung“ in V. 83–84 und 87–88: So greift das nur beim 657 Vgl. Vet. Lat. gen. 3,11 (C) nisi quia ab illa arbore de qua dixeram tibi ex illa sola non manducare ex illa edisti // (I) nisi de ligno de quo praeceperam tibi de hoc solo ne manducares ex eo manducasti. 658 Vgl. Mayor 1889, 9. 659 Mit diesem Relativsatz schiebt Adam implizit Gott die Verantwortung für seine Verfehlung zu, vgl. Soggin 1997, 87. 660 Vgl. Vet. Lat. gen. 2,23 (L) hoc nunc os ex ossibus meis et caro de carne mea haec vocabitur mulier quoniam de viro suo sumpta est et haec erit mihi adiutorium.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

HD vorkommende Adverb promptim661 ilicit aus V. 83 auf und bezieht sich auf Evas schlagartiges Lichterlebnis unmittelbar nach dem Hineinbeißen in die Frucht. Das Überströmtwerden der Augen mit hellem Tageslicht (lumina [...] candenti perfusa die) korrespondiert mit dem Abwischen der Nacht von Adams Augen in V. 87 (detersa nocte)662. V. 99b–100 liquidumque serenum / adfulsisse sibi solemque et sidera caeli“: Durch adfulsisse und serenum wird wörtlich an die Schilderung in V. 84 angeknüpft (vgl. adfulsit [...] serenum); liquidum kann als Variation von nulla maculatum nube in V. 84 aufgefasst werden und stellt wie dieses eine ausschmückende Ergänzung zu serenum dar, da dieses Wort an sich schon den klaren, unbedeckten Himmel bezeichnet663. Hyperbolisch wirkt die Erwähnung der Sonne (vgl. solem) zusätzlich zum heiteren Himmel, der den Sonnenschein ja schon impliziert664, und besonders der Sterne (vgl. sidera caeli)665, deren Leuchten eigentlich auf die Nachtzeit beschränkt ist; Adam will damit möglicherweise den kaum fassbaren, überirdischen Glanz des Himmels zum Ausdruck bringen, den Eva ihm beschrieben hat, so dass er sich zum Verzehr der verbotenen Frucht hat verlocken lassen. Darüber hinaus könnte durch die Sonne in Verbindung mit candenti (V. 99) und adfulsisse (V. 100) der erotische Kontext von Catull. 8,3.8 aufgerufen werden (fulsere quondam candidi tibi soles bzw. fulsere vere candidi tibi soles) und Evas Worten auch eine in erotischer Hinsicht verführerische Kraft beigemessen werden, die Adam als Mann zusätzlich entlasten würde. Wohl nicht zufällig setzt der HD in V. 99b–100 auf klanglicher Ebene die Häufung von s-Lauten ein, die nicht nur den verlockenden Tonfall Evas veranschaulichen soll, sondern auch schon in V. 72–74 bei der Beschreibung der Paradiesschlange, also des Verführers schlechthin, auffällt666. V. 101 protinus ira dei turbatam territat Aevvam: In V. 101–102 amplifiziert der HD den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 3,13, in dem Gott Eva nach dem Grund für die Tat fragt, die Adam ihr zur Last legt ((L) et dixit deus mulieri quid hoc fecisti). Während in der biblischen Vorlage weder vom Zorn Gottes noch von Evas Angst die Rede ist, liefert V. 101 eine psychologische Vertiefung. Protinus steigert die Dynamik der Handlung an dem Punkt, wo der Dichter nach Adams Reaktion auf Gottes Frage nun Evas Verhalten fokussiert667, und macht deutlich, 661 Vgl. ThlL 10,2 s.v. promptim 1891,59–68 mit der Definition i.q. prompte, sc. potius notione q.e. incunctanter, sine mora; das Wort ist 13-mal belegt. 662 Zur Korrespondenz zwischen lumina [...] perfusa die und V. 34 perfundit lumina somno vgl. den Kommentar zu V. 34. 663 Zur Junktur liquidum serenum vgl. auch Prud. c. Symm. 1,414. 664 Petringa 1992, 149 Anm. 75 bezeichnet dieses Phänomen als synonymische Amplificatio, vgl. auch Roberts 1978, 291 Anm. 90. 665 Der in der hexametrischen Dichtung gängige Versschluss sidera caeli findet sich seit Vergil (georg. 2,1 und 4,58 sowie Aen. 1,259); vgl. auch Hept. gen. 1117 und exod. 1191. 666 Vgl. den Kommentar zu V. 74. 667 Diese handlungsbeschleunigende Funktion hat auch das beim HD häufig am Vers- und Satzbeginn vorkommende Adverb ilicet, vgl. den Kommentar zu V. 34. Zu protinus am Versund Satzbeginn in anderen epischen Texten vgl. insbesondere Verg. Aen. (10 Belege) und Ov. met. (29 Belege).

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dass Gottes Verhör sich ohne Pausen vollzieht. Der Zorn Gottes (ira dei) kommt bereits in conpellat (V. 93) zum Ausdruck und wird besonders von Proba in einer anthropomorph anmutenden Weise herausgearbeitet668; im Gegensatz dazu bemüht sich die Kirchenväterexegese um ein vertieftes Verständnis in Abgrenzung zur epikureischen und stoischen Philosophie, wonach der Zorn als Affekt negativ besetzt ist und die Götter frei davon sind. So betont Laktanz in De ira dei, dass in Gott sowohl Zorn als auch Gnade sei, dass es also eine bestrafende und belohnende göttliche Gerechigkeit gebe, was für ihn die Grundlage der Religion ist; Augustinus verwirft in epist. 184 A 1,2 die Vorstellung, dass Gott von Gemütsregungen ergriffen werde wie der wandelbare Sinn des Menschen, und interpretiert den Zorn Gottes im Sinne der gerechten Strafe für Sünde. Dieser Zorn muss auf Eva besonders erschreckend wirken (vgl. territat)669, da Adam soeben alle Verantwortung auf sie abgeschoben hat (V. 98–100), und trifft sie daher in einem Zustand seelischer Verwirrung und Bestürzung (vgl. turbatam)670. V. 102 auctorem vetiti dum quaerit maximus acti: Während in Vet. Lat. gen. 3,13 Gottes Frage an Eva, warum sie Adam die Frucht gegeben habe, in wörtlicher Rede referiert wird (vgl. (L) quid hoc fecisti), verzichtet der HD auf eine direkte Wiedergabe und hebt die Frage auf eine allgemeinere Ebene: Gott geht es nicht in erster Linie um Eva, sondern um den eigentlichen Schuldigen, der sie und durch sie auch den Mann zum Verzehr der Früchte veranlasst hat (vgl. auch V. 97 vobis). Die Junktur auctorem vetiti [...] acti671 tritt in vergleichbaren Zusammenhängen und ähnlicher Gestalt insbesondere bei Ambrosius auf, wobei vetiti [...] acti durch praevaricationis, peccati, culpae oder erroris ersetzt wird672. Innerhalb des quasi-juristischen Kontexts der Gerichtsverhandlung vor Gott als höchstem Richter, der hier in Anlehnung an Iuppiter Optimus Maximus mit dem Titel maximus bedacht wird, nimmt auch das Verbum quaerit eine iuristische Färbung an673.

668 Vgl. Proba cento 215 dira frementem und insbesondere die Verba dicendi in Bezug auf Gott in cento 213 (invadit), 223 (increpat) und 252 (exclamat). 669 Der HD verwendet hier bewusst das Intensivum und hebt Evas Schrecken durch die Häufung von t-Lauten in turbatam territat hervor. 670 Denkbar wäre auch, turbatam proleptisch aufzufassen im Sinne von ira dei territat Aevvam, ut turbetur, vgl. KS II,1, 239 § 64 mit dem vergleichbaren Beispiel Ov. met. 4,802 […] ut attonitos formidine terreat hostes. Turbatam wäre dann aber nicht viel mehr als eine Intensivierung von territat, während die oben vorgeschlagene Auffassung in interpretatorischer Hinsicht ergiebiger ist – Eva ist schon bestürzt durch Adams Verhalten und wird nun noch durch Gottes Anrede erschreckt. 671 Der HD benutzt in Verbindung mit vetitus sonst das Substantiv actus, -us, vgl. Hept. lev. 133 und num. 435. 672 Vgl. etwa Ambr. in psalm. 118 serm. 1,13 accipe dicentem Evam praevaricationis suae auctorem fuisse serpentem, in psalm. 38,8 primum de ipso auctore peccati et angelis eius intellege, parad. 10,47 si igitur viro culpae auctor est mulier, 12,56 viro enim mulier, non mulieri vir auctor erroris est. 673 Quaerit bedeutet hier „er fragt nach“, das Verbum kann aber auch im Sinne von „verhören“, „peinlich befragen“ verwendet werden, wobei die Person dann in der Regel mit de und Abla-

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V. 103–104a illa sub haec pandit: „Serpentis suasa loquellis / accepi: Der kurzen Antwort Evas in Vet. Lat. gen. 3,13 ((L) serpens seduxit me et manducavi) widmet der HD immerhin dreieinhalb Verse (V. 103b–106)674 und trägt dieser Gewichtung durch das einleitende pandit Rechnung, welches für ein ausführlicheres Darlegen stehen kann675. Mit der vergilischen Formel illa sub haec676 wird von der Rede Gottes, deren Inhalt in V. 102 indirekt angegeben worden ist, unmittelbar zu Evas Rede übergeleitet, wodurch das Tempo des Verhörs (vgl. V. 101 protinus) aufrechterhalten wird. Wie im Bibeltext beginnt Eva ihre Rechtfertigung mit dem Hinweis auf die Schlange (serpentis), die sie verführt habe. Indem das aktive seduxit der Vorlage in eine passive Konstruktion umgewandelt wird (suasa)677, die an die Vetus-Latina-Variante suasit anstelle von seduxit erinnert678, betont Eva ihre Opferrolle, wenngleich sie, im Gegensatz zu Adam, durch accepi zu Beginn von V. 104 ihre aktive Beteiligung an der Tat offen eingesteht (vgl. Vet. Lat. gen. 3,13 (L) et manducavi). Ferner wird durch suasa und zusätzlich durch loquellis679 der verbale Aspekt der Verführung über die biblische Vorlage hinausgehend verdeutlicht. Durch die Häufung der s-Laute in serpentis suasa loquellis wird der lockende Ton der Schlange sinnfällig gemacht680. V. 104b fallente dolo blandoque rogatu: Loquellis (V. 103) wird von Eva nun genauer aufgeschlüsselt: Die Worte der Schlange bestanden zum einen aus List (dolo), zum anderen aus schmeichelnder Bitte (blandoque rogatu681). Die Schlange hat Eva in ihrer Rede V. 77–80 zwar nicht direkt belogen, da sich ihre Verheißung erfüllt hat, doch insofern getäuscht, als sie die negative Konsequenz des Fruchtgenusses, nämlich den Tod infolge des Ungehorsams Gott gegenüber, verschwiegen hat und die Furcht vor Gottes Gebot in Frage gestellt hat682.

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tiv angegeben wird, vgl. OLD s.v. quaero 1533 unter 10 c. Zur Formulierung vgl. auch Hept. iud. 296–297 […] auctor per moenia facti / quaeritur […]. Bei Proba kommt die Frau dagegen nicht zu Wort. Vgl. ThlL 10,1 s.v. 2. pando 200,10–11 unter I B 2 dictis, scriptis (sive mero respectu eloquendi, proferendi [...], sive cum colore explicandi, illustrandi [...] d cum oratione recta. Vgl. Verg. Aen. 5,394 ille sub haec ~ Proba cento 233, wo Adams Entgegnung auf Gottes Schimpfen eingeleitet wird; die Formel findet sich noch häufiger in der hexametrischen Dichtung nach Vergil, vgl. etwa Stat. Theb. 3,516 und 11,298, Sil. 13,772, Iuvenc. 2,113 u.ö. Persönliches Passiv bei intransitiven Verben ist vorklassisch oder spät, vgl. KS II,1, 102–103 §27 unter 4. sowie etwa Carm. de resurr. 75 Eva persuasa male. Bezeugt durch Lucif. und Ambr., vgl. Fischer 1951, 66. Für loquellis (G) anstelle von loquella (gemäß loq.la A) spricht, dass das Wort in der Dichtung seit Lucr. 1,39 häufig im (poetischen) Plural auftritt, vgl. den Hinweis in ThlL 7,2 s.v. loquela 1656,45–46. Vgl. auch die s-Häufung in Adams Rechtfertigungsrede in V. 99b–100. Das Substantiv rogatus findet sich nur im Ablativ (vgl. OLD s.v. rogatus 1659) und ist fast ausschließlich in der Prosa, insbesondere bei Cicero, belegt, während es in der Dichtung nur selten vorkommt, vgl. Hept. iud. 673, Orient. comm. 1,33, Paul. Petric. Mart. 2,510 und 4,86 (Plaut. Stich. 429 ist zweifelhaft, vgl. H. Petersmann, T. M. Plautus: Stichus, Einleitung, Text, Kommentar, Heidelberg 1973, 160–161). Der Aspekt der Täuschung findet sich teilweise auch im Bibeltext, vgl. die durch Ambr. parad. 71 und 73 bezeugte Variante decepit anstelle von (L) seduxit sowie Vulg. decepit und LXX höpaßthseßn me (vgl. Fischer 1951, 66). Deutlich herausgearbeitet wird er in Alc. Avit.

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Blandoque rogatu trifft nur insofern zu, als die Schlange Eva mit lockenden Worten bezüglich der Süße der Früchte und des strahlenden Lichts verführt hat, während von einer Bitte nicht die Rede sein kann; offensichtlich will Eva ihr Unterliegen gegenüber dem Verführer als Nachgeben gegenüber einer Bitte darstellen. Fallente lässt sich zusammen mit dolo blandoque rogatu683 als Ablativus absolutus auffassen („weil ihre List und schmeichelnde Bitte mich täuschte“), doch tritt bei dieser Auffassung die Schlange als Agens zurück. Sinnvoller und Evas Argumentationsziel adäquater ist es daher, ein Pronomen wie eo (= serpente) zu fallente zu ergänzen684 und dolo blandoque rogatu als Ablativus instrumentalis zu verstehen. V. 105 nam sua vipereis intexens verba venenis: Mit nam leitet Eva eine nähere Erklärung für ihre Behauptung ein, die Schlange habe sie mit List und schmeichelnder Bitte getäuscht; dabei wird loquellis (V. 103) durch verba und fallente dolo (V. 104) durch vipereis intexens [...] venenis inhaltlich aufgegriffen. Mit vipereis [...] venenis bedient sich der HD einer in der Poesie gängigen Junktur685, die hier möglicherweise deshalb im Plural steht, weil der Dichter die bildhafte Vorstellung giftiger Fäden evozieren will, mit denen die Schlange gleichsam das Gewebe ihrer Worte durchwirkt (intexens verba). Die verschränkte Wortstellung sua vipereis intexens verba venenis macht die Verflechtung der Worte der Schlange mit ihrem Gift sinnfällig. In einem ähnlichen Kontext, wenn auch im Rahmen einer andersartigen grammatikalischen Konstruktion, verwendet Ambrosius in parad. 12,56 das Verbum intexere: Bezug nehmend auf die Frage der Schlange, warum Gott angeblich gesagt habe, dass die Menschen von keinem Baum im Paradies essen dürften, heißt es dort simulat [scil. serpens] se verba dei dicere et proprios intexit dolos. V. 106 haec mihi prae cunctis narravit dulcia pomis“: Eva erläutert genauer, was sie mit blando [...] rogatu (V. 104) meint, nämlich das Werben der Schlange für die süßen Früchte des verbotenen Baumes (vgl. V. 79). Mit ihrer Aussage, dass die Schlange die verbotenen Früchte süßer als alle übrigen genannt habe (haec [...] prae cunctis [...] dulcia pomis)686, übertreibt sie deutlich, wohl um ihr Unterliegen gegenüber der Versuchung vor Gott verständlicher zu machen. Narravit, welches hier mit einem elliptischen AcI verbunden ist, lässt sich im abgeschwächten Sinn von „sagen“ auffassen, kann darüber hinaus aber andeuten,

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carm. 2,37 Vinceret oppressos fallacem culpa per hostem, 2,204 Talia fallaci spondentem dona susurro und 2,225 Nec tamen incentor desistit fallere serpens. Auffallend ist die o-Häufung. Vgl. dazu KS II,1, 773 § 138 Anm. 7: Beim Ablativus absolutus kann das Subjekt weggelassen werden, wenn es aus dem vorhergehenden Kontext zu erschließen ist und in Form eines unbetonten Pronomens ergänzt werden kann; dies kommt selten in klassischer, oft aber in späterer Zeit vor, v.a. bei Tacitus. Vgl. auch Lucan. 9,635, Claud. 2,9, Prud. perist. 13,57, Mar. Victor. aleth. 1,419, Sedul. carm. pasch. 2,186, Ps. Prosp. carm. de prov. 876. Prae cunctis begegnet in der Dichtung gehäuft bei Paulinus von Nola, vgl. carm. 16,264; 18,165; 27,181. Zur Junktur dulcia poma vgl. etwa Hor. sat. 2,5,12, Tib. 1,5,31, Ov. fast. 2,256, Drac. laud. dei 1,718.

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dass Eva die Worte der Schlange im Nachhinein als zweifelhaftes, ja sogar falsches Gerede durchschaut687. Dass sie die Aussicht auf „Erleuchtung“ nicht erwähnt, mit der die Schlange sie ebenfalls gelockt hat (vgl. V. 80), könnte dadurch begründet sein, dass der HD eine Wiederholung gegenüber Adams Rede (vgl. V. 99–100) vermeiden will. V. 107 Ilicet omnipotens condemnat gesta draconis: Ilicet688 unterstreicht, dass Gott aus Evas Schuldzuweisung gegenüber der Schlange (V. 103–106) unverzüglich die Konsequenz zieht. In V. 107–108 nimmt der HD auf den ersten der drei Aspekte in Gottes Strafrede an die Schlange Bezug, nämlich auf deren Verfluchung vor allem Vieh und allen Wildtieren, vgl. Vet. Lat. gen. 3,14 (K) maledictus tu ab omni pecore et ab omni genere bestiarum terrae bzw. (E) maledictus tu ab omnibus pecoribus et ab omnibus bestiis quae sunt super terram. Während im Bibeltext eine „alte Form des Fluchspruchs erhalten“ ist689, tritt Gott in der Darstellung des HD nicht als Fluchender, sondern als Richter auf, indem er die Taten der Schlange verurteilt (vgl. condemnat gesta)690. Auf diese Weise versachlicht der HD ein Element aus seiner alttestamentlichen Vorlage, das aufgrund seines magischen Charakters691 für sein christliches Publikum anstößig gewesen sein könnte. Zudem mag der Dichter die Vorstellung als widersprüchlich empfunden haben, dass Gott nach Gen 1,31 alles von ihm Geschaffene für gut befunden hat, dann aber eines seiner Geschöpfe verflucht, und schließlich kommt Gott bereits im Alten692, erst recht aber im Neuen Testament in der Person Jesu gerade die Rolle des Segnenden und nicht die des Verfluchenden zu. Durch gesta draconis knüpft der HD an Vet. Lat. gen. 3,14 (K) quia tu hoc fecisti bzw. (E) quia fecisti hoc an und variiert mit draconis nicht nur die Begriffe anguis (V. 74) und serpentis (V. 103), sondern spielt möglicherweise in Anlehnung an Offb 12,9 bzw. 20,2 auf den „Drachen“ als den Teufel an, der sich in Wahrheit hinter der Schlange verbirgt. Vor diesem Hintergrund könnte das heidnische Jupiter-Epitheton omnipotens, das hier auf den biblisch-christlichen Gott übertragen wird693, nicht nur variierend für Vet. Lat. gen. 3,14 (K) deus bzw. (E) dominus deus stehen, sondern in seiner wörtlichen Bedeutung Gottes Allmacht hervorheben, die sich in seiner Rolle als Verurteilender und Strafender und insbesondere als Gegenspieler des Teufels zeigt. Auch Proba (vgl. cento 244) und Cl. M. Victorius (vgl. aleth. 1,472) verwenden bei der Eröffnung der Strafsprüche in Bezug auf Gott diesen Begriff. 687 Zu dieser Bedeutungsnuance vgl. ThlL 9,1 s.v. narro 70,57–71,11 unter I A 1 a β (III) circumferendi rumores, parum certa. 688 Zu ilicet vgl. den Kommentar zu V. 34. 689 Vgl. Westermann 1976, 352. Dieser Fluch wird in Mar. Victor. aleth. 1,479 fast wörtlich wiedergegeben (tu maledictus eris). 690 Zu dieser Übertragung von condemnare auf sächliche Objekte im Sinne von improbare, reprehendere, repudiare vgl. ThlL 4 s.v. condemno 125,47–69. 691 Zum Fluch als Relikt „aus der Epoche des magischen Denkens“ vgl. Westermann 1976, 351. 692 Vgl. ebd. 1976, 352. 693 Zum Adjektiv bzw. Substantiv omnipotens in Bezug auf Jupiter vgl. ThlL 9,2 s.v. omnipotens 604,73–605,12 und 605,35–41; zum christlichen Gebrauch vgl. ebd. 605,42–608,3. Beim HD finden sich insgesamt 14 Belege.

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V. 108 praecipiens cunctis invisum vivere monstrum: Die Verfluchung der Schlange nach Vet. Lat. gen. 3,14 deutet der HD hier im Sinne einer ersten Strafe, die von Gott angeordnet wird (praecipiens)694. Das Verfluchtsein „weg von“ (vgl. (K/E) ab) allem Vieh und allen Tieren der Erde grenzt die Schlange aus dem Kreis der übrigen Tiere aus695, und der HD steigert diesen Gedanken zum Hass (vgl. invisum), der der Schlange von allen Lebewesen (vgl. cunctis), also auch vom Menschen, entgegengebracht wird696. Auf diese Weise wird die Feindschaft zwischen Schlange und Mensch (vgl. V. 110b–113) schon vorbereitet. Denkbar ist ferner, dass durch invisum ein Spiel mit Homonymen intendiert ist, denn invisus kann auch „unsichtbar“ bedeuten697 und sich dann auf die am Boden kriechende Lebensweise der Schlange beziehen, durch die sie von anderen Lebewesen oft gar nicht oder erst (zu) spät wahrgenommen wird. In Verbindung mit monstrum698, das in der antiken Etymologie von monstrare hergeleitet wird699, kommt geradezu ein Paradoxon zustande, da das, was sich per definitionem zeigt und somit sichtbar sein müsste, zu einem Leben in Unsichtbarkeit verdammt wird. Darüber hinaus wird durch monstrum die Assoziation mit verschiedenen grauenhaften monstra des antiken Mythos wachgerufen und das Verhalten der Schlange mit deren Untaten auf eine Stufe gestellt. V. 109–110a pectore mox fuso prorepere, tum sola morsu / mandere: Durch mox und tum werden der zweite und dritte Aspekt aus Gottes Rede in Vet. Lat. gen. 3,14 angeschlossen, nämlich die Bestrafung der Schlange mit kriechender Fortbewegung und das Fressen von Erde. Bis zur bukolischen Diärese nach prorepere widmet sich der HD dem Kriechen der Schlange und steht durch eben dieses Verbum dem Wortlaut der Vetus-Latina-Textform K (pectore tuo et ventre repes) näher als der Textform E (super pectus tuum et ventrem tuum ambulabis). Im Vergleich zum Bibeltext konzentriert sich der HD auf die Brust der Schlange, die ja als Sitz ihrer bösen Gesinnung (vgl. V. 75 mordaci [...] sensu) die Strafe im Besonderen verdient, und deutet durch das hier adjektivisch verwendete fuso den Aspekt des Hingestrecktseins an700. Nach der bukolischen Diärese behandelt der HD die Ernährungsweise der Schlange, wobei der Gedanke syntaktisch über die Versgrenze hinausreicht (vgl. mandere). Hier steht sein Text der Textform E (et terram edes) und insbesondere der Variante manducabis701 deutlich näher als der 694 Praecipere tritt mit aktivem AcI im Sinne von iubere seit Apuleius und allgemein im Spätlatein auf, wo es iubeo teilweise ganz verdrängt, vgl. LHS 356 § 195 unter A. 695 Vgl. Westermann 1976, 352. 696 Diese Generalisierung findet sich auch in Mar. Victor. aleth. 1,478–479 inter cuncta, frui toto quae iussimus orbe, / tu maledictus eris […]. 697 Vgl. ThlL 7,2 s.v. 2. invisus 224,26–225,32. 698 Als Akkusativ des AcI aufzufassen („dass das Ungeheuer allen verhasst leben soll“) oder mit invisum als Prädikativum zu einem zu ergänzenden draconem („dass er als ein allen verhasstes Ungeheuer leben soll“). 699 Vgl. ThlL 8 s.v. monstrum 1446,5–25. 700 Zu fundo im Sinne von prosterno, bezogen auf Lebewesen und ihre Körper, vgl. ThlL 6,1 s.v. 2. fundo 1569,70–1570,19; meist liegt hier aber die Bedeutung necare vor. 701 Zur vielfachen Bezeugung vgl. Fischer 1951, 67.

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Textform K (et erit tibi terra cibus). Mandere gehört nicht der Alltagssprache an – dort begegnet manducare – und kommt in der Dichtung insbesondere bei Vergil, Silius Italicus und dem HD vor702. Durch die Verbindung mit sola kann die homerische Wendung oöda?c eÄlon ouQdaw (Ilias 11,749 u.ö.) assoziiert werden, die von Vergil in Aen. 11,669 (mandit humum) aufgegriffen wird und sich auf das Sterben verwundeter Männer im Kampf bezieht. Nun wird die Schlange zwar nicht von Gott getötet, doch der HD könnte durch die Evokation des In-die-Erde-Beißens in der Schlacht ebenso wie durch fuso im Sinne eines gewaltsamen Niederstreckens auf die Härte der göttlichen Strafe anspielen. Der Plural sola kann die Funktion haben, auf das immerfort wiederholte Erdefressen anzuspielen, das der HD im Gegensatz zum Bibeltext ansonsten nicht zum Ausdruck bringt (vgl. Vet. Lat. gen. 3,14 (K/E) (in) omnibus diebus vitae tuae), oder auch im Sinne einzelner Erdbröckchen verstanden werden, wenn nicht von einem „poetischen“ Plural auszugehen ist. Durch die Hinzufügung von morsu zu mandere wird zum einen die Assoziation mit dem homerischen oöda?c eÄlon ouQdaw verstärkt, zum anderen erinnert morsu an Evas Biss in den Apfel (vgl. V. 83 mitia dente momordit), so dass hier vielleicht im Kern das Prinzip der Vergeltung angedeutet wird, das Cl. M. Victorius in aleth. 1,486–487 explizit ausführt: Die Schlange wird mit dem Fressen von Erde bestraft, weil sie die Menschen dazu veranlasst hat, durch den Verzehr einer Speise zu sündigen703. Auf klanglicher Ebene fällt die o-Häufung in V. 109 und die die Versgrenze überschreitende m-Alliteration morsu / mandere, mansuro auf, die zusätzlich mit der Paronomasie mandere–mansuro kombiniert ist704. V. 110b mansuro quaecumque in tempora bello: V. 110b–113 nehmen Bezug auf Vet. Lat. gen. 3,15, wo Gott die Feindschaft zwischen Frau und Schlange und beider Nachkommenschaft stiftet. Den Begriff der Feindschaft ((K) inimicitiam bzw. (E) inimicitias) steigert der HD zum Krieg (bello), und in der Tat wird sich die hier gemeinte Feindschaft „in der Weise verwirklichen, dass Mensch und Schlange immer wieder [...] sich gegenseitig zu töten versuchen werden: die Menschen, indem sie der Schlange den Kopf zertreten, die Schlangen, indem sie den Menschen von hinten in den Fuß beißen.“705 Durch bellum steht der HD zudem in einer Tradition überwiegend mythologischer und biblischer Texte, in denen Kämpfe zwischen Menschen und Tieren als bellum bzw. bella bezeichnet werden706. Der Ablativus absolutus mansuro quaecumque in tempora bello707 betont

702 Vgl. ThlL 8 s.v. 2. mando 269, 31–33. 703 Vgl. hierzu Martorelli 2008, 92–93. Abgesehen davon lässt sich morsu mandere auch rein formal als poetische Periphrase des Essvorgangs erklären, vgl. Roberts 1985, 134. 704 Vgl. auch Roberts 1985, 134. 705 Vgl. Westermann 1976, 353–354. 706 Vgl. ThlL 2 s.v. bellum 1829,61–1830,4. 707 Der Ablativus absolutus mit Partizip Futur Aktiv begegnet häufiger bei Livius, Tacitus und im späteren Latein, vgl. KS II,1, 761 § 136 unter β.

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durch quaecumque, das hier im Sinne von omnia steht708, die unbegrenzte Fortdauer des Krieges zwischen Menschen und Schlangen; diese kommt im Bibeltext nicht explizit zum Ausdruck, ist aber daraus zu schließen, dass die Feindschaft auf die Nachkommenschaft von Frau und Schlange bezogen wird, vgl. Vet. Lat. gen. 3,15 (L) inter semen tuum [scil. serpentis] et semen eius [scil. mulieris]. In diesem Sinne lässt auch Cl. M. Victorius in aleth. 1,492 Gott anordnen, dass die Schlange immer (semper) von den Menschen gefürchtet werden soll. V. 111 humanos inter sensus ipsumque labentem: Der HD benennt hier die beiden Parteien der Feindschaft nach Vet. Lat. gen. 3,15 und nimmt im Vergleich zu seiner biblischen Vorlage eine deutliche Umakzentuierung vor: Während nach Vet. Lat. gen. 3,15 die Feindschaft zwischen Schlange und Frau und zwischen der jeweiligen Nachkommenschaft etabliert wird (vgl. (L) inter te et mulierem et inter semen tuum et semen eius), beschränkt sich der HD auf den allgemeingültigen, nicht geschlechtsspezifischen Aspekt der biblischen Aussage, nämlich auf den Antagonismus zwischen Schlange und Mensch. Dabei bedient er sich der gesucht wirkenden Periphrasen humanos [...] sensus709 anstelle von homines und ipsum[...] lăbentem710 anstelle von draconem. Labentem unterstreicht das Gleiten der nun flach auf dem Boden ausgestreckten Schlange711, das bereits in V. 109 pectore mox fuso prorepere zum Ausdruck gekommen ist. Das Pronomen ipsum lässt sich hier am besten im Sinne eines generalisierenden Artikels verstehen, der die Tiergattung „Schlange“ bezeichnet712. V. 112–113a vertice ut abiecto pronus post crura virorum / serperet et calces: Durch das konsekutive ut wird die Folge der eben etablierten Feindschaft zwischen Schlange und Menschen eingeleitet, die in Vet. Lat. gen. 3,15 als ein gegenseitiges Sich-Bekämpfen mit dem Zweck der Vernichtung dargestellt wird: Der menschliche Nachwuchs wird auf den Kopf der Schlange treten, während die Schlange der Ferse der Menschen auflauern wird (vgl. (L) ipse713 tuum calcabit caput et tu observabis calcaneum eius). Der HD verschweigt dagegen die Aggression des Menschen gegenüber der Schlange und spricht ausschließlich von deren feindlichem Agieren gegenüber dem Menschen, wodurch die Schlange in einem noch negativeren Licht erscheint714. Die an die Schlange gerichtete Aussage (L) et 708 Das verallgemeinernde Indefinitpronomen quicumque begegnet im Sinne von „jeder“ zunächst in Wendungen wie quacumque ratione oder quocumque modo und wird seit Livius häufig, vgl. LHS 202 §108 unter c. 709 Ähnlich gesucht ist Hept. gen. 1123 fraternos sensus livoris frigore movit. 710 Die Kürze des a in lăbentem ist eine metrische Lizenz, vgl. Peiper 1891, 345; vgl. auch Drac. laud. dei 2,40 continuanda manent et succidenda lăbuntur. 711 Zu labi in Bezug auf die Fortbewegung von Schlangen vgl. ThlL 7,2 s.v. 1. labor 787,48–56 mit Belegen ab Vergil. 712 Vgl. ThlL 7,2 s.v. ipse 310,5–11 unter caput primum, pars altera II vi demonstrativa attenuata B ponitur vice articuli 3 pron. ipse auget vim generalem q.d. vocis (respicitur proprium omnibus, qui eiusdem generis sunt); erster Beleg ist Plin. epist. 2,10,4. 713 Bezieht sich sinngemäß auf (L) semen eius [scil. mulieris]. 714 Proba erwähnt die Feindschaft zwischen Mensch und Schlange und den gegenseitigen Vernichtungswillen überhaupt nicht, Cl. M. Victorius betont deutlich die Aggression des Menschen bzw. der Frau gegenüber der Schlange, vgl. aleth. 1,489–492 (an die Schlange gerich-

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tu observabis calcaneum eius [scil. seminis mulieris] amplifiziert und veranschaulicht der Dichter, indem er das statische Belauern (observabis) durch das dynamische Bild einer Verfolgungsjagd (post crura virorum / serperet et calces) ersetzt und zusätzlich zu den Fersen die Beine bzw. Unterschenkel der Menschen (crura virorum)715 einbringt. Hierbei handelt es sich wohl nicht nur um eine synonymische Amplificatio716 zur Steigerung der Stilhöhe, sondern durch die Erwähnung der menschlichen Beine könnte auch auf den aufrechten Gang des Menschen im Gegensatz zur Schlange angespielt werden, die zum Kriechen auf Brust und Bauch verurteilt ist. Ferner wird durch die Wortfolge crura – calces der Blick in der Vorstellung von oben nach unten gelenkt, wodurch die „Abwärtsorientierung“ der Schlange hin zu einem flach am Boden erfolgenden Kriechen verdeutlicht wird. Dieser Intention dienen auch der Ablativus modi vertice [...] abiecto und das durch Alliteration (pronus post) hervorgehobene pronus, das auch Cl. M. Victorius in Bezug auf die Bestrafung der Schlange benutzt (vgl. aleth. 1,494 inferior pedibus degens et pectore pronus): Abicere tritt, insbesondere in Form des Partizips abiectus, in Kontexten auf, in denen die vornübergebeugte Haltung der Tiere dem aufrechten Gang und aufwärtsgerichteten Blick des Menschen gegenübergestellt wird717; darüber hinaus kann der abwärts gesenkte Kopf der Schlange für ihre Demütigung stehen, so wie der hoch erhobene Kopf im Sinne von superbia gedeutet werden kann. Indem der HD für den Kopf das Substantiv vertex verwendet, das für den höchsten Punkt des Kopfes, also den Scheitel, steht718, verdeutlicht er gleichsam die große Fallhöhe der Schlange. Pronus kann ebenfalls die abwärts geneigte Körperhaltung der Tiere bezeichnen und wird in solchen Kontexten insbesondere mit dem aufrechten Gang des Menschen kontrastiert719. Im Zusammenhang mit vertice [...] abiecto und pronus nimmt das Verbum serpe-

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tet) […] poena moriere cruenta / humanique odium generis specialiter armans / in genus omne tuum, saevis imbute venenis, / ut perimare magis, semper timeare iubebo sowie aleth. 1,495–496 extremis tantum sic insidiabere plantis [scil. mulieris], / ut capiti trepidans etiam vestigia figat. Es erscheint wenig sinnvoll, virorum hier mit „Männer“ zu übersetzen, da in Vet. Lat. gen. 3,15 ganz allgemein vom Nachwuchs der Frau die Rede ist. Vgl. Roberts 1985, 135 und Petringa 1992, 149 Anm. 75. Vgl. etwa Cic. leg. 1,26 Nam cum ceteras animantis abiecisset ad pastum, solum hominem erexit et ad caeli quasi cognationis domiciliique pristini conspectum excitavit [...]; Lact. inst. 2,18,6 [...] hic denique caelo dignus iudicabitur, quem suus parens non humilem nec ad terram more quadrupedis abiectum, sed stantem potius ac rectum sicut eum fecit adgnoverit; 7,9,11 an aliquis cum ceterarum animantium naturam consideraverit, quas pronis corporibus abiectas in terramque prostratas summi dei providentia effecit, [...] potest non intellegere solum ex omnibus caeleste ac divinum animal esse hominem, cuius corpus ab humo excitatum, vultus sublimis, status rectus originem suam quaerit [...]. Vgl. OLD s.v. vertex 2042 unter 2. Vgl. etwa Ov. met. 1,84–86 pronaque cum spectent animalia cetera terram, / os homini sublime dedit caelumque videre / iussit et erectos ad sidera tollere vultus; Sall. Catil. 1,1 Omneis homines, qui sese student praestare ceteris animalibus, summa ope niti decet, ne vitam silentio transeant veluti pecora, quae natura prona atque ventri oboedientia finxit.

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ret720, das in V. 74 das Sich-Schlängeln bzw. die schleichende Fortbewegung der Schlange vor ihrer Bestrafung bezeichnet721, nun eindeutig die Bedeutung „kriechen“ an. V. 113b dum labens comminus instat: Der HD gestaltet hier den letzten Teil von Vet. Lat. gen. 3,15 ((L) et tu observabis calcaneum eius) noch weiter aus. Die Verfolgung der menschlichen Beine und Fersen wird durch die dem Kriegswesen entstammende Junktur comminus instat veranschaulicht722, wodurch das dynamische Bild eines Nahkampfes evoziert wird, in dem die Schlange die Menschen bedrängt. Sie kriecht also unmittelbar hinter Beinen und Fersen der Menschen her und wird dabei „handgemein“, was auf ihre Absicht zu beißen zu beziehen ist. Durch die Wiederaufnahme von labens aus V. 111 wird nicht nur die kriechende Fortbewegung der Schlange betont, sondern auch auf ihre besondere „Kampftaktik“ hingewiesen, die darin besteht, sich ihrem Gegner lautlos anzunähern. V. 114 femina fraudigeris misere decepta suadellis: Ohne Überleitung lässt der HD die Verurteilung der Frau folgen, schaltet der Beschreibung der Strafe aber im Gegensatz zum Bibeltext eine Art Rechtfertigung der Frau vor, in der Evas eigene Verteidigungsworte sinngemäß wieder aufgegriffen werden: So findet fraudigeris [...] decepta suadellis eine Entsprechung in fallente dolo (V. 104) und suădellis723 in suasa loquellis (V. 103). Das Adjektiv fraudigeris, das durch die Alliteration (femina fraudigeris) und seine Stellung vor der Penthemimeres besonders hervorgehoben ist, ist ausschließlich in Hept. gen. 114 belegt724. Suadellis verwendet auch Prudentius an einer Stelle, an der Eva sich gegenüber Gott mit Verweis auf die üblen Überredungskünste der Schlange verteidigt, vgl. ham. 714–715 respondit domino suadellis se male fabris / inlectam suasisse viro […]. Durch misere gibt der Erzähler sein Mitgefühl mit Eva zu erkennen, die insofern in erbarmenswerter Weise von der Schlange getäuscht worden ist, als sie diese Täuschung hart büßen muss (vgl. V. 115 duro discrimine, V. 116 servitium); von einer eigenen Verantwortung Evas für ihr Tun ist hier nicht die Rede. Diese empathische, eher nachsichtige Haltung des HD gegenüber Eva verbindet ihn mit Ambrosius, der in parad. 15,73 erklärt, Gott habe Evas Schuld als verzeihlich angesehen in dem Wissen, dass die Schlange viele Wege kenne, um den Menschen zu täuschen725. Dagegen lässt Augustinus in gen. ad litt. 11,35 Evas Rechtfertigung nicht gelten, da sie voll Hochmut ihre Schuld auf die Schlange abwälze, statt sie zu bekennen, und da sie die verführerischen Worte der Schlange nicht hätte über

720 Zur präteritalen Zeitenfolge nach einem Praesens historicum (V. 107 condemnat) vgl. KS II,2, 176–177 § 180 unter 2. 721 Vgl. den Kommentar zu V. 74. 722 Zu diesem Hexameterschluss vgl. auch Lucan. 7,106 (comminus instent) sowie Hept. exod. 488 und 583 (comminus instat). 723 Das kurze a in suădellis ist eine metrische Lizenz, vgl. Peiper 1891, 345. 724 Vgl. ThlL 6,1 s.v. fraudiger 1261,70–72 i.q. fraudulentus, fallax; auf diesen offensichtlichen Neologismus weisen auch Mayor 1889, 9, Best 1891, 14 und Becker 1889, 22 hin. 725 Vgl. Ambr. parad. 15,73 Serpens inquit suasit, et hoc veniabile deo visum est eo quod nosset multas ad decipiendum vias esse serpentis [...].

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Gottes Gebot stellen dürfen726. Auch Proba und Cl. M. Victorius lassen Gott in seiner Rede an Eva die eigene Schuld der Frau betonen, die Adam bewusst zum Verbotenen verleitet und die harte Strafe daher verdient habe727. V. 115 praecipitur duro discrimine ponere partum: Die Bestrafung der Frau wird, wie die der Schlange in V. 108 (praecipiens), durch eine Form des Verbums praecipere eingeleitet728, wodurch Gottes Autorität als Strafender hervorgehoben wird. Gott selbst tritt aber durch die passive Konstruktion ohne Nennung des Urhebers in auffälliger Weise zurück, während er bei der Bestrafung der Schlange Subjekt zu condemnat (V. 107) und Bezugswort zu praecipiens (V. 108) ist und bei der Bestrafung Adams sich in direkter Rede unmittelbar an den Mann wendet (vgl. V. 117 Tu vero). Da dem HD offenbar daran gelegen ist, Evas eigene Verantwortung für den Sündenfall eher abgemildert darzustellen, könnte er durch diese versachlichende Gestaltung den emotionalen Gehalt des göttlichen Strafaktes etwas neutralisieren wollen. Durch ponere partum knüpft der HD recht eng an den Wortlaut von Vet. Lat. gen. 3,16 (L) paries filios an, wobei die Junktur ponere partum außer beim HD729 nur in Max. Taur. 97,3 belegt ist (Nam Ioseph suscepit filium, quem non genuit; Maria partum posuit, quem sexus consuetudine non creavit). Hier bezieht sich ponere offensichtlich nicht ausschließlich auf den Gebärakt, der ja schon durch creavit zum Ausdruck kommt, sondern auch auf das bei den Römern übliche Hinlegen des Neugeborenen auf den Boden, damit es von seinem Vater aufgehoben und als Kind anerkannt wird (vgl. Ioseph suscepit filium). Ansonsten findet sich ponere in Bezug auf das Gebären in Ov. epist. 11,64, wo Canace über ihr inzestuöses Kind spricht (Et positum est uteri crimen onusque mei), sowie bei Tieren und eierlegenden Vögeln730. Denkbar ist, dass der HD hier auf beide Arten von Kontexten anspielt, auf das Gebären als „Ablegen“ einer Leibesfrucht und auf das rituelle Hinlegen des Babys auf den Boden. Während in Vet. Lat. gen. 3,16 explizit von Betrübnis bzw. Schmerzen bei der Geburt die Rede ist (vgl. (L) in tristitia paries filios)731, deutet der HD diesen Gedanken durch duro nur an und bringt über den Bibeltext hinausgehend den Aspekt der (Lebens)gefahr (discrimine) ein, auf den Proba in cento 266 unspezifisch und Cl. M. 726 Vgl. Aug. gen. ad litt. 11,35 nec ista confitetur peccatum, sed in alterum refert inpari sexu, pari fastu. [...] serpens, inquit, seduxit me, et manducavi: quasi cuiusquam suasio praecepto dei debuerit anteponi. 727 Vgl. Proba cento 263–265 […] tuque, o saevissima coniunx, / non ignara mali, caput horum et causa malorum, / magna lues commissa tibi […] sowie 267 nunc morere, ut merita es, tota quod mente petisti; Mar. Victor. aleth. 1,499–500 […] misero iam mente nocendi / insidiata viro dominataque crimine tanto es. 728 Die persönliche Konstruktion von praecipitur mit dem NcI ist spätlateinisch, vgl. LHS 365 § 199 unter II; einige Belege aus Ammian nennt KS II,1, 102 § 27 unter 3. Vgl. auch Hept. exod. 191 praecipitur lentam propere dimittere virgam [scil. vates]. 729 Vgl. ferner Hept. gen. 563 et quia praegelida partum non poneret alvo. 730 Vgl. etwa Phaedr. 2,4,3 Sus nemoris cultrix fetum ad imam [scil. quercum] posuerat oder Ov. met. 8,258 propter humum volitat ponitque in saepibus ova. Zu diesem Gebrauch von ponere vgl. ThlL 10,1 s.v. pono 2648,23–37. 731 Für tristitia finden sich die Varianten tristitiis, doloribus, dolore, gemitu und maeroribus, vgl. Fischer 1951, 70.

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Victorius in aleth. 1,504–507 sehr drastisch Bezug nimmt732. Die vielfältigen Beschwerden, die Gott nach Vet. Lat. gen. 3,16 für die Frau ankündigt und die sich nicht ausschließlich auf das Gebären beziehen müssen (vgl. (L) multiplicans multiplicabo tristitias tuas et gemitus tuos)733, lässt der HD unerwähnt und reduziert die ausführliche und emotional aufgeladene Darstellung der Bestrafung der Frau in der Bibel auf die Formel duro discrimine734. Auch diese Verknappung könnte dazu dienen, die Schwere von Evas Schuld abzumildern. V. 116 servitiumque sui studio perferre mariti: Der HD paraphrasiert hier den letzten Teil von Vet. Lat. gen. 3,16, nämlich (L) et conversio tua ad virum tuum et ipse tui dominabitur, und stellt dabei die Herrschaft des Mannes über die Frau unter Umkehrung der Perspektive aus Sicht der Frau dar (servitiumque sui [...] perferre mariti). Servitium wird, ebenso wie das Verbum servire, in Kirchenvätertexten als Bezeichnung für die Unterordnung der Frau unter den Mann verwendet735 und vom HD in seinem leidvollen Bedeutungsgehalt durch die Verbindung mit perferre unterstrichen736; das Präfix per- im Sinne von „bis ans Ende“737 könnte in diesem Zusammenhang auf die lebenslange Ehegemeinschaft hinweisen, in der die Frau ihrem Mann dienen muss. Zwischen diesem Beherrschtwerden durch den Ehemann und der gleichzeitigen „Hinwendung“ zu ihm (vgl. Vet. Lat. gen. 3,16 (L) et conversio tua ad virum tuum) besteht ein Spannungsverhältnis, das der HD in der durch Alliteration hervorgehobenen Wendung servitiumque sui studio zum Ausdruck bringt. Den biblischen Begriff conversio738 interpretiert er durch studio im Sinne von „Eifer, Hingabe“ oder auch „Neigung, Verlangen“739 und steht damit der griechischen Übersetzung des Symmachus (oÖrmhß) nahe, welche von Hieronymus in quaest. hebr. in gen. p. 7,20 (Lagarde) mit appetitus bzw. impetus, also etwa „Verlangen, Drang“, wiedergegeben wird. Ausgehend von der Annahme, dass der HD ein in der heidnisch-antiken Literatur versiertes Publikum 732 Vgl. Proba cento 266 nec quae te circum stent deinde pericula cernis und aleth. 1,504–507 […] multis versere periclis, / et pariens crebris adeo torquebere natis, / ut quos mortalis faciet tua culpa creari, / mortis nonnumquam lacerae sint causa parenti. 733 Im hebräischen Text handelt es sich um Beschwerden in der Schwangerschaft, vgl. Westermann 1976, 356. 734 Die Junktur duro discrimine mit Bezug auf Gefahr ist vor dem HD offenbar nicht belegt; in Verg. Aen. 10,393 at nunc dura dedit vobis discrimina Pallas tritt discrimina im Sinne von „Unterschiede“ auf. 735 Vgl. etwa Iren. 3,23,3 similiter autem et mulier [scil. accepit] taedia et labores et gemitus et tristitias partus et servitium, id est ut serviret viro suo; Aug. c. Faust. 22,31 quis enim nescit uxorem marito tamquam domino debere servire?; Tert. adv. Marc. 2,11 statim mulier in doloribus parere et viro servire damnatur, [...] sed quae in adiutorium masculo, non in servitium fuerat destinata; [...]. 736 Zur Junktur servitium perferre vgl. auch. Sil. 2,51. 737 Vgl. ThlL 10,1 s.v. perfero 1355,37 i.q. ferre per spatium, tempus quoddam vel usque ad finem quendam. 738 Vgl. auch LXX gen. 3,16 kai? pro?w to?n aändra sou hÖ aöpostrofhß sou. In der Vulgata ist von dieser Hinwendung nicht die Rede, sondern nur von der Unterwerfung der Frau unter den Mann, vgl. sub viri potestate eris et ipse dominabitur tui. 739 Vgl. OLD s.v. studium 1830 unter 1 und 1 b.

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vor sich hatte, wäre es nicht abwegig, bei servitium […] mariti auch an eine Anspielung auf das in der augusteischen Elegie entwickelte Konzept des servitium amoris zu denken: Sowohl in der biblischen als auch in der elegischen MannFrau-Beziehung spielt Unterwerfung eine Rolle, die mit Bereitwilligkeit oder gar Eifer ertragen werden soll740. Die gravierenden Unterschiede liegen allerdings auf der Hand, insbesondere die Unterwerfung der Frau unter den Ehemann versus die Unterwerfung eines Mannes unter eine domina und der Kontext der Bestrafung durch Gott versus das Konzept eines alternativen und provokativen Lebensentwurfes741. Den Aspekt der Unterwerfung der Frau unter den Mann lässt Proba ganz aus742, während Cl. M. Victorius in aleth. 1,501–503 das harte Joch der Ehe besonders drastisch ausmalt und unmittelbar mit den Geburtsschmerzen verknüpft (praebebis famulare iugum subiectaque duri / arbitrium sensura viri patiere labores / casibus assiduis […]). V. 117–118a „Tu vero, cui visa fuit sententia verax / coniugis: V. 117–119 nehmen Bezug auf die Verurteilung Adams in Vet. Lat. gen. 3,17. Der unmittelbare Anschluss der direkten Rede Gottes an die berichtende Zusammenfassung der an Schlange und Frau gerichteten Reden (V. 107–116) wirkt abrupt und setzt bei den Lesern die Kenntnis des biblischen Inhalts voraus, da auf den angeredeten Adam nicht explizit Bezug genommen wird – ganz im Gegensatz zur Ansprache an die Schlange (V. 107 gesta draconis) und Eva (V. 114 femina). Uneingeleitet ist freilich auch die Antwort Adams auf Gottes Frage in V. 98–100, doch dies kann im Sinne eines schnellen Wortwechsels erklärt werden743. Ansonsten wird im Buch Genesis der Heptateuchdichtung die wörtliche Wiedergabe von Reden bzw. Gedanken stets vorbereitet und meist mit einem verbum dicendi eingeleitet, das gelegentlich auch in die Rede eingeschoben ist744. Daher ist es plausibel, hier den Ausfall eines Verses anzunehmen, der Gottes Spruch an Adam eröffnet745. Mit tu vero bedient sich der HD einer emphatischen Redeeinleitung746, die an diejenige bei Proba (cento 252 at tibi) und Cl. M. Victorius (aleth. 1,508 tu quoque) im entsprechenden Kontext erinnert; zugleich kann man darin einen Anklang an Vet. Lat. gen. 3,17 sehen, wo Gottes Anrede an Adam ebenfalls adversativ angeschlossen wird, vgl. (E) Adae autem dixit747. Dem Nachdruck dient auch die vHäufung in vero, visa und verax sowie die Setzung der etymologisch verwandten Wörter vero und verax. In dem Relativsatz cui visa fuit sententia verax / coniugis knüpft der HD an den Anfang von Vet. Lat. gen. 3,17 an, wo Gott Adam dafür zur Rechenschaft zieht, dass er auf die Stimme seiner Frau gehört hat, vgl. (K) quia 740 Vgl. dazu Murgatroyd 1981, 604–605 mit Belegen aus Properz, Tibull und Ovid. 741 Vgl. Lyne 1979, 117. 742 Nach Badini/Rizzi 2011, 175 haben in Probas Darstellung Mann und Frau die gleiche Würde, woran sich auch im Zustand der Sünde nichts ändert. 743 Vgl. den Kommentar zu V. 98–99a. 744 Vgl. Hept. gen. 342 und 1230. 745 Einen Versausfall postuliert Mayor 1889, 9 vor V. 98, vgl. den Kommentar zu V. 98–99a. 746 Der Emphase dient auch die Häufung von Längen (tū vērō). Die Wendung tritt gehäuft bei Properz auf, vgl. 1,13,33; 2,13,27; 3,8,5. 747 Vgl. auch Vulg. gen. 3,17 ad Adam vero dixit.

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exaudisti vocem mulieris tuae bzw. (E) quoniam audisti vocem uxoris tuae. In der Bibel wird also dem Mann „als dem Repräsentanten seines Hauses“ vorgeworfen, „auf die Anstifterin gehört zu haben“, bei der man wiederum in Gen 3,16 „von keinem (noch so berechtigten) Vorwurf“ erfährt; somit wird der Mann „drastisch von seiner Frau abgehoben“748. Dass Adam für seine Verbotsübertretung selbst verantwortlich ist und im vollen Bewusstsein des göttlichen Verbots die Frucht gegessen hat, betont auch Augustinus in civ. 14,11: Adam sei nicht von seiner Frau verführt worden, indem er ihre Worte für wahr gehalten habe, er habe vielmehr gesündigt, weil er die Gemeinschaft mit seiner Gefährtin auch im Zustand der Sünde habe bewahren wollen und seine Schuld für verzeihlich gehalten habe749. Eine geradezu gegensätzliche Einschätzung von Adams Handeln liefert der HD in V. 117, indem er Gott feststellen lässt, dass der Mann die sententia seiner Frau für wahr gehalten habe; damit erscheint Adam ebenso als ein Getäuschter wie die Frau und wird gleichsam gerechtfertigt. Aus diesem Grund hat der HD wohl auch die ausdrückliche Bezugnahme auf das Essverbot weggelassen, die in der Bibel auf den Vorwurf Gottes folgt750, da die Erinnerung an das Verbot der Entschuldigung Adams zuwiderliefe. Unter der sententia Evas, die Adam als wahr erschienen ist (visa fuit751[...] verax), dürfte die von der Schlange vermittelte Meinung zu verstehen sein, dass der Verzehr der verbotenen Früchte nicht mit negativen Konsequenzen verbunden sei und es keinen Grund gebe, sich von ihnen fernzuhalten752. Durch coniugis, das zum einen durch seine Stellung am Anfang von V. 118, zum anderen durch seine Position am Ende des Relativsatzes betont ist, der durch das Enjambement über V. 117 hinausreicht, bringt der HD den As748 Vgl. Seebass 1996, 127. 749 Vgl. Aug. civ. 14,11 ita credendum est illum virum suae feminae, uni unum, hominem homini, coniugem coniugi, ad Dei legem transgrediendam non tamquam verum loquenti credidisse seductum, sed sociali necessitudine paruisse. Non enim frustra dixit apostolus: Et Adam non est seductus, mulier autem seducta est, nisi quia illa quod ei serpens locutus est, tamquam verum esset, accepit, ille autem ab unico noluit consortio dirimi nec in communione peccati; nec ideo minus reus, si sciens prudensque peccavit. [...] Hos autem seductos intellegi voluit [scil. Paulus apostolus], qui id, quod faciunt, non putant esse peccatum; ille [scil. Adam] autem scivit. [...] Sed inexpertus divinae severitatis in eo falli potuit, ut veniale crederet esse commissum. 750 Vgl. Vet. Lat. gen. 3,17 (K) et manducasti ex illa arbore de qua sola praeceperam tibi ne manducares // (E) et edisti de ligno de quo praeceperam tibi ex illo solo ne ederes ex eo edisti. 751 Hier liegt eine Tempusverschiebung beim Perfekt Passiv vor. Nach LHS 322 § 179 unter b sind deutliche Fälle von Verschiebung erst in nachklassischer Zeit häufiger nachweisbar, wobei sich eine auffällige Häufung bei Commodian zeigt; eine bemerkenswerte Verbreitung findet sich aber erst im 7. Jh. 752 Eher unwahrscheinlich ist ein Bezug von sententia auf den von Eva ausgesprochenen und von Adam in V. 98–100 referierten „Satz“, dass sie nach dem Verzehr der Frucht helles Licht und die leuchtenden Gestirne gesehen habe, denn dieser Satz hat sich für Adam in der Tat als wahr herausgestellt. Die Junktur sententia verax findet sich nochmals in Hept. num. 288 in Bezug auf den göttlichen Willen, der Mose kundgetan wird, und mehrfach in den Schriften des Augustinus im Sinne einer wahren Aussage bzw. einer wahren Ansicht oder eines wahren Urteils, vgl. Aug. epist. 95,7; 248,1, c. Cresc. 1,18,22, serm. 35,2.

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pekt der ehelichen Verbundenheit (vgl. coniungere) ein, der im Bibeltext nicht explizit enthalten ist (vgl. Vet. Lat. gen. 3,17 (K) vocem mulieris bzw. (E) uxoris), aber gerade von Augustinus in civ. 14,11 als Movens für Adams Gebotsübertretung gesehen wird753. Auch damit könnte eine Rechtfertigung Adams intendiert sein. Im Gegensatz zum HD finden sich bei Proba und in der Alethia keine Versuche, Adams Tun in irgendeiner Weise zu rechtfertigen, vielmehr wird seine Dreistigkeit bei der bewussten Übertretung von Gottes Gebot hervorgehoben754. V. 118b inmiti cessit quae victa draconi: Dieser Relativsatz, den der HD über die biblische Vorlage hinausgehend einfügt, enthält eine zusätzliche Rechtfertigung Evas. Es handelt sich um eine Verschärfung der in V. 114 getroffenen Aussage, insofern Eva von der Schlange nicht mehr nur getäuscht (V. 114 decepta), sondern besiegt (victa) erscheint und die Schlange nicht nur indirekt durch fraudigeris [...] suadellis als betrügerisch, sondern in eigener Person als unerbittlich charakterisiert wird (inmiti [...] draconi)755. Durch victa ergibt sich eine Verbindung zu V. 82 (vincuntur pectora), wo das Nachgeben Evas gegenüber den Verführungsworten der Schlange mit ihrer mentalen bzw. psychischen „Schwäche“ als Frau begründet wird756. Diesen Aspekt stellt der HD hier durch die antithetische Wortverbindung inmiti cessit heraus. Zusammengenommen übernehmen V. 117 und 118 die Funktion eines Resümees, in dem Gott die Schuld zu ihrer Quelle zurückverfolgt, vom Mann (Tu vero) über die Frau (coniugis) hin zur Schlange (draconi). V. 119 deflebis miserum per tempora longa laborem: Der Vers bezieht sich auf den letzten Teil von Vet. Lat. gen. 3,17, in dem Gott die Konsequenzen für die Verbotsübertretung des Mannes nennt757. Die Verfluchung des Ackerbodens, aus der der mühevolle Nahrungserwerb resultiert, lässt der HD wie seine Vorgängerin Proba weg758; offensichtlich wollte er dieses magische, für seine christlichen Leser möglicherweise anstößige Element wie bei der Verfluchung der Schlange759 eliminieren. Deflebis und miserum („unglücklich“)760 umschreiben die Tatsache, dass Adam in Trauer und Klage sein Brot essen wird (vgl. (K) in tristitia et gemitu bzw. (E) in maeroribus), da die Feldarbeit von nun an mühsam und frustrierend 753 S.o. S. 295 Anm. 749. 754 Vgl. Proba cento 252 „at tibi pro scelere“ exclamat, „pro talibus ausis / [...]“ und aleth. 1,508–510 „tu quoque, cui monitus nostros et prima salutis / vincula femineis postponere fraudibus auso / sponte mori placuit [...]“. 755 Zu immitis in Bezug auf Schlangen vgl. auch Ov. met. 13,804 […] calcato inmitior hydro, Plin. nat. 10,207 quid, non et adfectus indicia sunt etiam in serpentibus, inmitissimo animalium genere? und Sedul. op. pasch. 1,8 Mitis virgae natura tractabilis in inmitem et intractabilem mutata est draconem. 756 Vgl. den Kommentar zu V. 82. 757 Vgl. Vet. Lat. gen. 3,17 (K) maledicta terra erit in omnibus operibus tuis in tristitia et gemitu edes ex ea omnibus diebus vitae tuae // (E) maledicta terra in operibus tuis in maeroribus manducabis eam omnes dies vitae tuae. 758 Vgl. dagegen Mar. Victor. aleth. 1,511–512 criminibus tellus, quam tu sulcabis aratro, / sit maledicta tuis […]. 759 Vgl. den Kommentar zu V. 107. 760 Vgl. auch Mar. Victor. aleth. 1,518 vive in miseriis [...].

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sein wird (vgl. Gen 3,18–19). In miserum könnte sich ferner das Mitleid Gottes mit seinem Geschöpf andeuten, das sich die Härte der neuen Lebensumstände durch eigene Schuld zugezogen hat, ähnlich wie sich in V. 114 durch misere das Mitgefühl des Berichtenden mit der durch die Schlange getäuschten Eva andeutet; in vergleichbarer Weise spricht Gott Adam in Proba cento 254 mit heu miserande puer an. Das Hyperbaton miserum [...] laborem umspannt gleichsam per tempora longa761 und versinnbildlicht auf syntaktischer Ebene die lange Dauer der Mühsal, die durch die Alliteration longa laborem hervorgehoben ist. Vor dem Hintergrund der biblischen Vorlage (vgl. (K) omnibus diebus vitae tuae bzw. (E) omnes dies vitae tuae) ist dabei zunächst an die Verurteilung Adams zu lebenslänglicher Arbeit zu denken, darüber hinaus auch an Adams lange Lebenszeit von 930 Jahren (vgl. V. 197–198). Angesichts der in V. 124–125 verheißenen Sterblichkeit des Menschen könnte in longa ein gewisser Trost mitschwingen, da die Mühe lange, aber nicht ewig dauern wird. V. 120 nam tibi triticeae surget pro germine messis: In V. 120–121 gibt der HD den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 3,18 wieder ((K) spinas et tribulos eiciet tibi // (E) spinas et tribulos generabit tibi). Der Gedanke, dass statt Weizen dornige Pflanzen wachsen werden, erhält durch das einleitende nam die Funktion einer Erläuterung für die elende Mühsal (V. 119), während im Bibeltext Gen 3,18 asyndetisch an den vorausgehenden Kontext angeschlossen wird. Der HD gestaltet die Aussage, dass die Erde Dornen hervorbringen werde ((K) eiciet tibi bzw. (E) generabit tibi), zu der Vorstellung um, dass die Dornen selbst hervorwachsen werden (tibi [...] surget), entsprechend V. 13 (consurgunt germina campis) im Kontext der Erschaffung der Pflanzen (vgl. Gen 1,12). Die beiden biblischen Kontexte sind beim HD durch die Wortwahl erkennbar und kontrastiv aufeinander bezogen, vgl. V. 13 florea ventosis consurgunt germina campis und V. 120–121 nam tibi triticeae surget pro germine messis / carduus et spinis multum paliurus acutis. Bereits in V. 120, insbesondere aber in V. 121 zeigt sich eine deutliche Beeinflussung durch Vergil, den der HD zum größten Teil auch in der Gestaltung des gleichen biblischen Kontexts bei Proba rezipieren konnte. Zum einen erinnert triticeae [...] messis an Verg. georg. 1,219–220 (At si triticeam in messem robustaque farra / exercebis humum […]), woran Proba sich in cento 258–259 wörtlich anlehnt; durch die Kombination mit tibi gelingt dem HD eine klangliche Hervorhebung durch Lauthäufungen (tibi triticeae). Zum anderen sind pro germine und surget ganz offensichtlich von Verg. ecl. 5,38–39 inspiriert (pro molli viola, pro purpureo narcisso / carduos et spinis surgit paliurus acutis)762, wobei der zweite dieser Verse in V. 121 fast wörtlich übernommen wird763. Für die Integration des Weizens in den biblischen Kontext dürfte primär das Vorbild Vergils 761 An der gleichen Position im Hexameter in Ov. epist. 16,91, met. 4,40; 5,647, fast. 5,501, Iuvenc. praef. 2,7, Alc. Avit. carm. 4,179 u.a. 762 Carduus P2R, surget recc. 763 Vgl. den Kommentar zu V. 121. Auffallend ist die Nähe zwischen Hept. gen. 120 und Alc. Avit. carm. 3,165 Nam pro triticeo lolium consurgere fructu im gleichen biblischen Zusammenhang; Gärtner 2000, 145 deutet diese Parallele im Sinne einer Priorität des HD.

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bzw. Probas verantwortlich sein, darüber hinaus wird der Gedanke an Weizen auch durch Gen 3,19 nahegelegt, wo vom Brot die Rede ist, das der Mensch im Schweiße seines Angesichts essen wird. Durch die etwas eigenwillige Verbindung pro germine messis, in der die Vorstellung vom keimenden Weizensprössling764 mit der Vorstellung von der Ernte der reifen Ähren kombiniert wird, soll offenbar sinnfällig gemacht werden, dass die Weizenpflanzen durch die Dornen bereits im Keim erstickt werden, noch bevor sie zur Reife der Ernte gelangen765. Vor diesem Hintergrund könnte auch an andere biblische Kontexte zu denken sein, in denen Getreide, Weizen oder allgemein eine Saat durch Dornen verdrängt wird, etwa an Ijob 31,40, Jer 12,13 oder das Gleichnis vom Sämann in Mt 13,7. Das Gras des Feldes, das Adam nach Vet. Lat. gen. 3,18 immerhin noch als etwas Essbares bleibt, erwähnt der HD nicht, vielleicht, um die Hoffnungslosigkeit der Situation Adams zu verstärken766. V. 121 carduus et spinis multum paliurus acutis: Dieser Vers erweist sich als eine fast wortwörtliche Übernahme von Verg. ecl. 5,39 (carduos et spinis surgit paliurus acutis)767, wobei der HD surgit durch das metrisch äquivalente Adverb multum ersetzt, das acutis im Sinne eines Elativs steigert768. Proba bietet den vollständigen Vergilvers im gleichen Zusammenhang (vgl. cento 256)769 und auch Sedulius greift ihn in carm. pasch. 1,279 auf770. So wie im Kontext von Verg. ecl. 5,38–39 anstelle von Veilchen und Narzissen Disteln und Dornen wachsen, um die Trauer der Erde über den Tod des Daphnis zum Ausdruck zu bringen, lässt die Erde im biblischen Zusammenhang anstelle von Weizen Dornen und Disteln wachsen, um gleichsam ihre Anteilnahme an der Todesverfallenheit des schuldig gewordenen Menschen zu bekunden771. V. 122 ut cum visceribus lassis et pectore maesto: In V. 122–123 gestaltet der HD den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 3,19, nämlich (L) in sudore vultus tui edes panem tuum. Durch ut wird ein logischer, hier konsekutiver Zusammenhang mit dem vorausgehenden Kontext hergestellt, d.h. die Erschöpfung und Betrübnis ist die Folge davon, dass nur dorniges Unkraut auf dem Acker wächst; in der Bibel wird der neue Gedanke nur asyndetisch angereiht. Den Aspekt der körperli764 Im Gegensatz zu florea [...] germina in V. 13, worunter blühende Kräuter zu verstehen sind (vgl. den Kommentar zu V. 13), ist bei germine in V. 120 von der Bedeutung „Keim, Spross“ auszugehen, vgl. ThlL 6,2 s.v. germen 1921,68. 765 Vgl. zu diesem Gedanken, jeweils in Anspielung auf Gen 3,18, Ambr. Noe 14,48 […] spinas et tribulos pro fructibus ferens [scil. terra] und Hier. epist. 22,19,2 […] cui [scil. homini] terra tribulos generat et spinas, cuius herba sentibus suffocatur: […]. 766 Noch weiter geht Proba in cento 258–260, wonach Adam den Acker pflügen und vergeblich auf eine Getreideernte warten wird, so dass er seinen Hunger mit Eicheln stillen muss. 767 Carduus P2R, surget recc. 768 Vgl. Hofmann 77 § 72: „Von den Quantitätsausdrücken ist spezifisch volkstümlich multum“; dieses tritt häufig bei Plautus auf, öfters in Hor. sat. und epist. und „bleibt bis ins Spätlatein bevorzugt von volkstümlich und umgangssprachlich schreibenden Autoren“. Multum beim Elativ findet sich beim HD auch in Hept. exod. 764 misericors multum. 769 Carduus et spinis surget paliurus acutis. 770 Carduus et spinis surgat paliurus acutis. 771 Vgl. auch Petringa (La presenza) 2007, 161.

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chen Erschöpfung, der im Bibeltext durch den Schweiß repräsentiert wird, bezieht der HD ganz konkret auf die Eingeweide (cum visceribus lassis)772, hier wohl insbesondere den Magen und Darm, die deshalb „matt“ sind, weil Adam mangels Weizenernte hungern muss. Darüber hinaus kann der Plural viscera auch das Fleisch bezeichnen773, womit dann in größerer Nähe zum Bibeltext die muskuläre Beanspruchung durch die harte Feldarbeit gemeint wäre. Den körperlichen Gesichtspunkt ergänzt der HD um die psychische Niedergeschlagenheit (pectore maesto)774, die insbesondere auf die Frustration durch die von Dornen erschwerte Feldarbeit und auf die Trauer über den Verlust der paradiesischen Lebensumstände bezogen werden kann. Das Nebeneinander von körperlichen und seelischen Belastungen beim Nahrungserwerb wird durch den Parallelismus visceribus lassis et pectore maesto unterstrichen. V. 123 plurima sollicitos praestent suspiria victus: Die Seufzer (suspiria), die hier personifiziert als Subjekt zu praestent auftreten775, amplifizieren die Mühsal des Broterwerbs nach Vet. Lat. gen. 3,19 und haben eine gewisse Entsprechung in Vet. Lat. gen. 3,17 (K) in tristitia et gemitu edes ex ea [scil. e terra]. Die unauflösliche Verwobenheit von Ernährung und Mühsal wird auf syntaktischer Ebene durch die Überkreuzstellung von Substantiven und zugehörigen Attributen sinnfällig gemacht, vgl. plurima sollicitos praestent suspiria victus. Indem der HD (L) panem tuum in Vet. Lat. gen. 3,19 durch victus ersetzt, verdeutlicht er zum einen, dass mit panem die für den Menschen nötigen Lebensmittel überhaupt gemeint sind776, zum anderen erzeugt er einen Kontrast zu dem ebenfalls am Versende stehenden mortis in V. 124: Die Nahrungsmittel dienen nun dem Erhalt eines Lebens, das mit dem Tod endet. Durch sollicitos […] victus ergibt sich außerdem ein Kontrastverhältnis zu V. 79, wo die Schlange die verbotenen Früchte als mellitos [...] victus angepriesen hat; deren Verzehr ist die Ursache dafür, dass für die Menschen der Nahrungserwerb mit Sorgen verbunden ist777. V. 124 donec in occiduo venientis tempore mortis: Dem zweiten Teil von Vet. Lat. gen. 3,19, der Rückkehr Adams zur Erde, widmet der HD V. 124 und 125. Wie in der biblischen Vorlage wird der temporale Nebensatz, der die zeitliche Begrenzung der irdischen Mühsal angibt, durch donec mit Konjunktiv eingeleitet (vgl. Vet. Lat. gen. 3,19 (L) donec revertaris in terram de qua sumptus

772 Die Junktur visceribus lassis findet sich in Lucan. 2,340 in Bezug auf eine Frau, deren Leib von Geburten erschöpft ist. 773 Vgl. OLD s.v. viscus1 2076 unter 1. 774 Zur dieser Junktur vgl. auch Catull. 64,202, Sen. Phaedr. 1255 und Paul Nol. carm. 15,210. 775 Zu suspiria als Subjekt vgl. auch Prop. 2,22,47 quanta illum toto versant suspiria lecto, Stat. Theb. 6,796 et iam utrumque labor suspiriaque aegra fatigant und Prud. psych. 35 difficilemque obitum suspiria longa fatigant. 776 Vgl. die Bitte um das tägliche Brot im Vaterunser (Mt 6,11). 777 Zu dieser Bedeutung von sollicitus vgl. OLD s.v. sollicitus 1785–1786 unter 3 bzw. 3b; erster Beleg ist hier Hor. sat. 2,6,79 sollicitas […] opes.

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es)778. Während aber in der Bibel der Tod nicht explizit genannt, sondern in Form einer Metapher umschrieben wird, spricht der HD den Gedanken des Todes deutlich und sogar in doppelter Gestalt aus, vgl. in779occiduo [...] tempore780 und venientis [...] mortis. Die beiden Wendungen sind durch die verschränkte Stellung der Attribute und Bezugswörter eng miteinander verbunden (occiduo venientis tempore mortis) und im Grunde synonym, so dass man venientis [...] mortis als Genitivus appositivus auffassen kann781. Aufgrund dieser starken Hervorhebung des Todes ist davon auszugehen, dass der HD den Tod wie Proba als eine harte Strafe betrachtet782 und nicht etwa als eine im Grunde gnädige Reduzierung der Lebensmühen. Auffällig ist die lexikalische und syntaktische Parallelität zu V. 91, wo die schuldig gewordenen Menschen bei untergehendem Sonnenlicht Gott hören und sich verstecken, vgl. V. 91 Forte sub occiduo| domini iam lumine solis und V. 124 donec in occiduo| venientis tempore mortis; ein Zusammenhang zwischen den beiden Situationen lässt sich insofern herstellen, als das Schuldigwerden der Menschen das Ende ihres Lebens zur Folge hat. V. 125 unde geris corpus, terrae reddare iacenti“: Der HD kehrt hier die gedankliche Reihenfolge des Bibeltextes um, indem er die Rückkehr des Menschen zur Erde an zweiter Stelle und seine Abstammung von ihr an erster Stelle nennt, vgl. dagegen Vet. Lat. gen. 3,19 (L) donec revertaris in terram de qua (unde)783 sumptus es. Auf diese Weise wird der zeitliche Bogen des menschlichen Lebens von der Erschaffung des Körpers aus Erde bis zu Tod und Verwesung gespannt. Die redundante Erläuterung (L) quoniam terra es et in terra(m) ibis am Ende von Vet. Lat. gen. 3,19 hat der HD weggelassen. Über die biblische Vorlage hinausgehend bringt er die Vorstellung des Körpers ein, den der Mensch von der Erde „an sich trägt“784, und verleiht damit möglicherweise seiner eigenen christlichen 778 Vgl. auch Mar. Victor. aleth. 1,518–519 […] donec te lenta senectus / terram, quod magis es, faciat terraeque refundat. Der Konjunktiv tritt bei donec schon seit Tacitus und v.a. im Spätlatein ohne erkennbaren Grund auf, bei Cyprian und Ambrosius steht nur Konjunktiv, vgl. LHS 629–630 § 339 unter b. 779 Die Präposition in bei einfachen Zeitbestimmungen im Ablativ auf die Frage „wann?“ findet sich bereits seit Cato und entspricht einer verdeutlichenden Tendenz der Volkssprache, die in der späteren Latinität immer mehr zunimmt; im Kirchenlatein ist in sogar die Regel, vgl. KS II,1, 359 § 79 Anm. 9. 780 Zu dieser Junktur vgl. auch Hept. deut. 287 occiduo sub tempore und Prosp. epigr. 101,9 tempore in occiduo. 781 Vgl. KS II,1, 420 Anm. 6: „Erst dem späteren (namentlich dem afrikanischen) Latein gehört die Verbindung zweier Synonyma durch den gen. appositivus an, die zur Verstärkung des einfachen Begriffs dient“ ; genannt werden Verbindungen wie aetas temporis nostri, ira furoris, caecitas imperitiae oder auch mortis occasus. Geschickt ist die Übersetzung von White 2000, 103: „Until in the evening of your life, when death is at hand“. 782 Vgl. Proba cento 262 [...] et durae rapit inclementia mortis; Cl. M. Victorius steht hier dem Bibeltext näher, indem er nur von der Rückkehr zur Erde spricht (aleth. 1,518–519). 783 Zu dieser mehrfach bezeugten Vetus-Latina-Variante vgl. Fischer 1951, 74 und 538. 784 Zur Junktur corpus gerere im Sinne von habere vgl. auch Ov. fast. 2,299 […] corpora nuda gerebant; Vell. 2,74,3 […] Fulvia, nihil muliebre praeter corpus gerens, […]; Tert. patient. 8,1 Ipsam animam ipsumque corpus in saeculo isto expositum omnibus ad iniuriam gerimus […]; Aug. civ. 5,2 [...] tam similia corpora gererent, ut etiam ad aegrotandum uno tempore

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Überzeugung und der seines Publikums Ausdruck, dass nur der irdische Körper vergehe, nicht aber die Seele. Mit der Formulierung, dass Adam der Erde „zurückgegeben“ wird (terrae reddare), greift er ein Bild auf, das schon in heidnischer Zeit existierte785, und betont durch iacenti die ebene Fläche der Erde786 und somit die horizontale Ausrichtung des toten Menschenkörpers. V. 126 His actis dominus trepidis dat taedia vitae: Auf die Verkündung der Strafsprüche (vgl. his actis)787 folgt nun der Vollzug der Strafen, deren Härte auf lautlicher Ebene durch die Häufung von Dentalen hervorgehoben ist. Taedia vitae788 kann im Sinne von Widerwärtigkeiten bzw. Kümmernissen789 des Lebens auf das Leben außerhalb des Paradieses und insbesondere auf den mühevollen Nahrungserwerb bezogen werden, vgl. Vet. Lat. gen. 3,23 (L) dimisit illum dominus deus de paradiso suavitatis ut operaretur terram; darüber hinaus lässt sich vitae auch als Genitivus obiectivus verstehen, so dass Gott den Menschen durch die Vertreibung aus dem Paradies Überdruss oder gar Ekel gegenüber dem Leben einflößt. Die seelische Erschütterung der verurteilten Menschen wird durch trepidis angedeutet, welches bereits in V. 92 (trepidi) die ängstliche Unruhe der schuldig Gewordenen angesichts von Gottes Herannahen ausdrückt. V. 127 deiectosque procul sacratis dimovet hortis: Mit procul sacratis dimovet790 hortis nimmt der HD deutlich Bezug auf Vet. Lat. gen. 3,23 (L) dimisit illum dominus deus de paradiso suavitatis, betont aber im Unterschied zur Bibel nicht den Lustgartenaspekt, sondern den Aspekt des Heiligen (sacratis)791. Während die Entfernung des Menschen aus dem Garten in Gen 3,22 dadurch motiviert wird, dass Adam nicht auch noch vom Baum des Lebens essen und unsterblich werden soll, wird sie beim HD implizit damit begründet, dass die Menschen als Sünder nicht mehr an dem geheiligten Ort weilen dürfen, sondern diesem fern bleiben müssen (vgl. procul). Hierbei könnte der HD Proba cento 213 vor Augen gehabt haben, wo Gott die Menschen nach ihrer Tat mit den Worten „procul, o procul este profani“ anschreit; profani ist hier im Sinne von peccatores verwendet792. Die Wendung deiectosque [...] dimovet, in der der Aspekt des Entfernens zweifach ausgedrückt ist, scheint die biblische Vorlage zu spiegeln, in der eben-

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eisdemque causis similiter moverentur; Prud. apoth. 776–777 ipse gerit, quod struxit, opus nec ferre pudescit / factor, quod peperit. corpus loquor atque animae vim. Vgl. etwa Cic. Tusc. 3,59 reddenda terrae est terra, tum vita omnibus / metenda ut fruges. Sic iubet Necessitas (vgl. Eur. Hyps. Frg. 757), leg. 2,56 redditur enim terrae corpus, et ita locatum ac situm quasi operimento matris obducitur. Zu diesem Gebrauch von iacere vgl. ThlL 7,1 s.v. iaceo 22,40–57 unter I C 1 b i.q. depressum, planum, humilem esse (opp. editum esse). His actis am Hexameterbeginn findet sich insgesamt fünfzehnmal innerhalb der Heptateuchdichtung und ist vor dem HD in Verg. Aen. 6,236 und 12,843 sowie Sil. 16,275.457 belegt. Vgl. auch, jeweils am Hexameterende, Ov. met. 10,482.625, Pont. 1,9,31, Nux 159, Stat. Theb. 7,464, Val. Fl. 6,325, Iuv. 11,207. Zu diesem spezifisch christlichen Wortgebrauch vgl. Blaise s.v. taedium 807 unter 2. Zu dimovere mit Ablativus separativus vgl. auch Hept. gen. 414 […] patriis te dimove terris und Ios. 19 legiferoque simul visus ne dimove libro. Vgl. auch Mar. Victor. aleth. 1,529 continuo sacris iussos decedere lucis. Vgl. Badini/Rizzi 2011, 173–174.

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falls zweimal von Vertreibung die Rede ist, vgl. Vet. Lat. gen. 3,23 (L) dimisit illum und Vet. Lat. gen. 3,24a (C) et eiectus foras de paradiso bzw. (I) et eiecit Adam. Gemeint ist offensichtlich, dass Gott die Menschen zunächst aus dem Garten entfernt (deiectos)793 und dann außerhalb in weiter Entfernung vom Paradies ansiedelt (procul [...] dimovet)794. Darüber hinaus mag in deiectos die übertragene Bedeutung der Niedergeschlagenheit und Mutlosigkeit mitschwingen795, die die Menschen angesichts der taedia vitae empfinden. V. 128 obversosque locat medioque eliminat igni: Die Verse 128–130 entsprechen Vet. Lat. gen. 3,24b. Mit obversosque locat folgt der HD offenbar der Vetus-Latina-Textform I (et conlocavit eum contra paradisum voluptatis) und verdeutlicht durch obversos im Vergleich zum biblischen contra die Vorstellung, dass die Menschen dem Paradies mit dem Gesicht zugekehrt sind und somit den Ort ihres verlorenen glücklichen Daseins vor Augen haben. Der Sinn dieser Bibelstelle ist im hebräischen Urtext freilich ein ganz anderer und auch einleuchtender, was aus der Vulgata hervorgeht und von Hieronymus in quaest. hebr. in gen. p. 8,4–8 (Lagarde) hervorgehoben wird: Nicht Adam wird von Gott gegenüber dem Paradies angesiedelt, sondern die Cherubim und das Flammenschwert werden vor dem Paradies aufgestellt796. An die Positionierung dieser Wachen mit dem Zweck, den Weg zum Baum des Lebens zu bewachen, knüpft der HD durch medioque eliminat igni sowie die beiden folgenden Versen an, mit einem entscheidenden Unterschied: Da er das Lebensbaummotiv beseitigt hat, hat die Wache nicht die Aufgabe, Adam und Eva vom lignum vitae fernzuhalten, sondern von der Schwelle (eliminat)797 des Paradieses selbst. In eliminare könnte die Vorstellung vom Paradies als Gebäudekomplex anklingen (vgl. V. 50 laeta paradisus in aula)798, ferner spricht Proba in cento 274 ausdrücklich davon, dass die Menschen das li793 Vgl. ThlL 5,1 s.v. deicio 397,60–62. 794 Dass es sich bei Gen 3,23 und 3,24a nicht um Dubletten handelt, sondern um zwei unterschiedliche Vorgänge, nimmt Seebass 1996, 132 an: „Nach der Ausweisung läßt Jahwe den Menschen (und seine Frau) regelrecht vertreiben – man befindet sich schon nicht mehr im Garten, sondern außerhalb“. 795 Vgl. ThlL 5,1 s.v. deicio/part. perf. pass. pro adiect. deiectus 401,24–29 unter 3 i.q. humilis, abiectus, debilitatus […] de personis. Diese Auffassung vertritt White 2000, 104 in ihrer Übersetzung: „And removed them, dispirited, from the blessed garden“. 796 Vgl. Vulg. gen. 3,24 eiecitque Adam et conlocavit ante paradisum voluptatis cherubin et flammeum gladium atque versatilem; Hier. quaest. hebr. in gen. p. 8,4–8 (Lagarde) Non quod ipsum Adam, quem eiecerat deus, habitare fecerit contra paradisum voluptatis. Sed quod illo eiecto ante fores paradisi cherubin et flammeum gladium posuerit ad custodiendum paradisi vestibulum, ne quis posset intrare. 797 Da die Menschen bereits aus dem Paradies vertrieben worden sind (vgl. V. 127), ist mit eliminat hier nicht ein nochmaliges Austreiben aus dem Paradies gemeint, sondern ein Fernhalten durch Abriegelung des Ortes, vgl. ThlL 5,2 s.v. elimino 388,35–69 unter B 1 animantia a i.q. extra limen, foras eicere; inde latiore sensu i.q. excludere (expellendo vel non admittendo) loco, hominum consortio sim.; die Belege sind überwiegend christlich. 798 Die Vorstellung von einem Eingang bzw. Ausgang des Paradieses, der bewacht wird, findet sich darüber hinaus etwa in Ambr. in psalm. 1,38 sicut enim romphaea est in ingressu paradisi ignea und in psalm. 118 serm. 20,12 […] posuit deus in exitu paradisi gladium igneum versatilem.

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men des Gartens verlassen. Außerdem erweist sich gerade eliminare als geeignet für die auffällige klangliche Gestaltung des Verses, in dem zunächst der Vokal o und dann i dominiert (obversosque locat medioque eliminat igni). Während die genaue Position der Cherubim und des Flammenschwerts aus dem Bibeltext nicht hervorgeht, entwickelt der HD die anschauliche Vorstellung von einem Feuer, das sich gleichsam als Hindernis in der Mitte zwischen dem Paradies und den Menschen befindet (medioque [...] igni)799. V. 129 in quo perceleri Cherubin evolvitur aestu: In diesem und dem folgenden Vers geht der HD sehr frei mit Vet. Lat. gen. 3,24b um, wo in Hinblick auf die Cherubim nur ihre Aufstellung als Wachen zusammen mit dem rotierenden Flammenschwert erwähnt wird, und entwickelt eine Bildlichkeit, die nicht in allen Punkten eindeutig zu verstehen ist. Zunächst fällt auf, dass der HD nur von einem Cherub spricht (Cherubin evolvitur)800. Auf grammatikalischer Ebene böte sich als Erklärung ein kollektiver Singular an, auf ikonographischer Ebene ist an bildliche Darstellungen der Vertreibung aus dem Paradies zu denken, bei denen gewöhnlich nur ein Engel gezeigt wird801. Vor dem Hintergrund des Feuers (V. 128), in welchem der Cherub sich befindet, könnte hier auch auf Ex 3,2 angespielt werden, wo der Engel des Herrn Mose im brennenden Dornbusch erscheint. Diese Verlagerung des Cherubs ins Feuer nach Art des Engels im Dornbusch ist eine weitere Abweichung vom Bibeltext, in welchem das Feuer von dem Flammenschwert ausgeht (vgl. (C) flammeam frameam bzw. (I) flammeam romphaeam). Ferner dreht sich Vet. Lat. gen. 3,24b zufolge das Flammenschwert, vgl. (C) et illam flammeam frameam quae versatur (volvitur) bzw. (I) et flammeam romphaeam (+et) versatilem, während es beim HD der Cherub selbst ist, der sich dreht (evolvitur), und ein Flammenschwert nicht erwähnt wird. Dahinter könnte die Intention stehen, das magische Element des sich selbsttätig drehenden Schwertes zu eliminieren und durch die rationale Vorstellung zu ersetzen, dass der Wächterengel selbst sich dreht und dabei ein – gedanklich zu ergänzendes – Schwert in der Hand hält802. Ausgehend von dieser Erklärung lässt sich evolvitur 799 Dementsprechend übersetzt White 2000, 104 treffend „putting a fire to block their path“. Zu medius in dieser Verwendung vgl. ThlL 8 s.v. medius 583,36–50 unter I A 1 a β spectatur spatium interiacens inter res rei mediae dissimiles (accedente notione separandi, prohibendi [...]) (I) de loco: attr. 800 Bei der in Vet. Lat. gen. 3,24b C/I auftretenden Form auf -bim handelt es sich um den Plural, vgl. ThlL Onomasticon 2 s.v. Cherub 389,79; vgl. auch den eindeutigen Plural ta? xeroubißm in der LXX. Zum Singular auf -bin und zur gängigen Kürzung des u vgl. ebd. 390,5–10.21– 22. 801 Vgl. Erffa 1989, 240–241. Zur Ikonographie des Cherubim in der christlichen Kunst vgl. auch O. Wulff, Cherubim, Throne und Seraphim. Ikonographie der ersten Engelshierarchie in der christlichen Kunst, Diss. Leipzig 1894. 802 Der Gedanke, dass das Schwert dem bzw. den Cherubim zuzuordnen ist, findet sich auch in Hil. in psalm. 118 koph 12 (qui clausum vitae lignum Cherubim flammeo gladio convertibili legerit), wo Cherubim offenbar als Genitivattribut zu gladio aufzufassen ist; in Hier. epist. 39,4,2 ist in einem Teil der Überlieferung von dem Flammenschwert und dem „Wirbel“ der Wache stehenden Cherubim die Rede (flammeam illam romphaeam et vertiginem praesidentium cherubin).

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unter Abschwächung der Präposition ex im Sinne eines einfachen volvitur auffassen803, welches zudem in Vet. Lat. gen. 3,24b als Variante zu (C) versatur auftritt804. Darüber hinaus ist der sich drehende Cherub vielleicht von der ebenfalls im AT vorhandenen Vorstellung beeinflusst, dass die Cherubim die starken Winde verkörpern, welche die Wolken am Himmel bewegen805; es wäre dann an eine Art (feurigen) Wirbelwind zu denken, was insbesondere durch perceleri806 [...] aestu nahegelegt wird. Damit sind im Kontext des Feuers (V. 128) und der Drehbewegung des Cherubs wohl schnell hin- und herzuckende Flammen gemeint, die entweder zu dem Feuer selbst gehören oder von einem (nicht explizit erwähnten) Flammenschwert in der Hand des Cherubs ausgehen wie zuckende Blitze807. V. 130 dum calidus defervet apex flammasque volutat: Calidus [...] apex lässt sich im Zusammenhang mit V. 128–129 in naheliegender Weise auf das Feuer beziehen, in dem sich der Cherub befindet, wobei apex, das eigentlich die Flammenspitze bezeichnet, als pars pro toto für das gesamte, kegelförmig gedachte Feuer stehen kann808. Defervet ist hier in der Bedeutung valde fervere verwendet809 und begegnet in Verbindung mit apex auch in Hept. exod. 1333, wo eine feurige Wolke beschrieben wird, in der sich nachts die Gegenwart Gottes manifestiert (dum volucris defervet apex numenque praesentat). Darin, dass das Feuer seine Flammen herumrollen lässt (flammasque volutat)810, spiegelt sich offensichtlich das sich drehende Flammenschwert aus Vet. Lat. gen. 3,24b ((C) et illam flammeam frameam quae versatur (volvitur) bzw. (I) et flammeam romphaeam (+et) versatilem). V. 131 quis dominus, pigro ne frigore membra rigerent: In V. 131–133 gestaltet der HD Vet. Lat. gen. 3,21. Durch den relativen Satzanschluss (quis)811, der auf die in V. 128 zuletzt genannten Menschen (obversosque) zurückgreift, wird Gottes barmherziges Handeln unmittelbar an die Beschreibung der feurigen Wa803 Vgl. ThlL 5,2 s.v. evolvo 1068,23–25, wo Hept. gen. 129 explizit mit dem sich drehenden Flammenschwert in Verbindung gebracht wird. Ferner erscheint das Wort in Tycon. reg. 7 in Bezug auf das Flammenschwert (inter ipsam et arborem flammeus ensis evolvitur). 804 Fischer 1951, 78 versieht diese Variante mit einem Fragezeichen; zur Bezeugung vgl. ebd. 78–79. 805 Vgl. Cassuto 1961, 175–176, mit Belegen. 806 Zu dem sehr seltenen Adjektiv perceler vgl. ThlL 10,1 s.v. perceler 1194,67–70; vgl. auch Hept. gen. 313. 807 Ausgehend von dem Gedanken, dass die Cherubim in Gen 3,24 auch die Winde verkörpern, vermutet Cassuto 1961, 176, dass mit dem sich drehenden Flammenschwert „the lightning flashes“ gemeint seien, „which appear in the clouds like a sharp sword, drawn by the hand of the cherubim, and turning [...], that is, revolving hither and thither“ (kursive Hervorhebung im Original). 808 Vgl. ThlL 2 s.v. apex 227,27–39 unter I 8 de summa parte flammae, flamma, stella (Hervorhebung von mir, H.S.). 809 Vgl. ThlL 5,1 s.v. deferveo 321,56–57. Eher unwahrscheinlich ist die bei Blaise s.v. deferveo 246 vertretene Auffassung, dass defervet in Hept. gen. 130 „erkalten“ oder „abnehmen“ bedeute, da dies im Gegensatz zu flammasque volutat stehen würde und das Flammenschwert ja als langfristige Abschreckungsmaßnahme von Gott eingesetzt wird. 810 Zu dieser Grundbedeutung von volutare vgl. Forc. 4 s.v. voluto 1035 im Artikelkopf. 811 Zur in der Dichtung häufigen Nebenform quīs für quibus vgl. KS I, 613 § 140 unter 9.

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che vor dem Paradies angeschlossen; der Härte des Ausschlusses aus dem Paradies wird Gottes Güte als positiver Schlusspunkt der Paradieserzählung gegenübergestellt. Die vorausschauende göttliche Fürsorge kommt insbesondere durch den mit ne eingeleiteten Finalsatz zum Ausdruck, in dem über die biblische Vorlage hinausgehend die Schutzfunktion der Kleider genannt wird; sowohl bei pigro [...] frigore also auch bei membra rigerent812 handelt es sich um Junkturen, die in der Poesie häufiger vorkommen813. Durch die r-Häufung in pigro ne frigore membra rigerent wird gleichsam das Frieren und Zähneklappern der unbekleideten Menschen sinnfällig gemacht, das im Gegensatz zur Hitze des Feuers und des Flammenschwertes in V. 129–130 steht814. Auch in Mar. Victor. aleth. 1,520–522 wird der Zweck der Kleidung im Schutz gegen die (kalte) Witterung gesehen. V. 132 consuit evulsas pecudum de viscere pelles: Mit consuit bezieht sich der HD auf Vet. Lat. gen. 3,21 (L) fecit, spricht aber im Vergleich zum Bibeltext vom Zusammennähen und betont so, dass es sich um handwerklich gefertigte, richtige Kleider handelt im Gegensatz zu den eher provisorisch zusammengefügten Feigenblättern, mit denen Adam und Eva ihre Blöße lediglich „beschattet“ haben (vgl. V. 90 ficulnis frondibus umbrant). Im Bibeltext findet sich consuere dagegen bei der Anfertigung der behelfsmäßigen Feigenblattschurze, wo es weniger passend erscheint815. Während in Vet. Lat. gen. 3,21 (L) tunicas pellicias die tierische Herkunft der Kleider nur angedeutet ist, erläutert der HD ausführlich deren Herstellung: Felle (pelles), die vom Fleisch von Tieren abgerissen worden sind (evulsas pecudum de816 viscere), werden von Gott zusammengenäht. Durch das eine Gewaltanwendung implizierende evulsas und die Reduzierung der Tiere auf ihr Fleisch arbeitet der Dichter den Gedanken heraus, dass die Tiere getötet worden sind, weswegen die Fellkleider nach Aug. gen. c. Manich. 2,21,32 als Sinnbilder für die Sterblichkeit des Menschen zu verstehen sind. Darüber hinaus hebt der HD den Kontrast zwischen Zerstörung und Neugestaltung hervor (consuit evulsas), so dass der Tod der Tiere auch im Rahmen von Gottes Fürsorge für den Menschen zu sehen ist, und zeigt, dass Gott zum Wohl des Menschen das Leben anderer Geschöpfe opfert. V. 133 operiens nudos calidis de vestibus artus: Mit ōperiens817 [...] artus paraphrasiert der HD das Ende von Vet. Lat. gen. 3,21 ((L) et induit (C) illos // (I) 812 Zur präteritalen Zeitenfolge in Abhängigkeit von einem Praesens historicum (V. 132 consuit) vgl. KS II,2, 176–177 § 180 unter 2. 813 Zu pigro [...] frigore vgl. Tib. 1,2,31, Sen. Med. 736, Mart. 4,3,4, Paul. Nol. carm. app. 3,25, Alc. Avit. carm. 2,127; zu membra rigerent vgl. Lucan. 2,25, Val. Fl. 5,29, Sil. 6,170, Avian. fab. 9,13. 814 Dieser Gegensatz erscheint auf den ersten Blick paradox, doch ist zu bedenken, dass Gott die Menschen fern vom Paradies (V. 127 procul) platziert hat, so dass die Hitze der feurigen Wache an der Paradiesschwelle nicht zu ihnen dringt. 815 Vgl. Vet. Lat. gen. 3,7 (I) consuerunt, ebenso die Vulgata. 816 Die Verwendung von de anstelle von ab, ex oder bloßem (hier separativem) Ablativ ist nach Gamber 1899, 187–188 eine späte, insbesondere vulgärsprachliche Entwicklung. Zur späten Verdrängung des Ablativus separativus durch de vgl. auch LHS 264 § 147 unter c. 817 Zu dieser metrischen Lizenz vgl. Peiper 1891, 347.

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eos), mit vestibus greift er (L) tunicas auf818, wobei der Präpositionalausdruck de vestibus nach Art des späten Lateins anstelle eines bloßen Ablativus instrumentalis steht819. Durch die direkte Kontrastierung der nackten, d.h. frierenden Glieder mit der wärmenden Kleidung (nudos calidis) wird das Bekleiden der Menschen als Akt der göttlichen Fürsorge und Barmherzigkeit herausgestellt, welche die schuldig Gewordenen auch nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies nicht verlässt. Der Hexameterschluss vestibus artus820 scheint an V. 71 [...] vestis non texerat artus anzuknüpfen, wo sich die menschliche Nacktheit ganz anders, nämlich als Zustand der Unschuld, darstellt. 5. KAIN UND ABEL (V. 134–171) Die Geschichte von Kain und Abel (Gen 4,1–15) trägt der HD gemäß der biblischen Chronologie vor und lässt nur Vet. Lat. gen. 4,13 aus, wonach Kain auf die Strafrede Gottes hin sagt, seine Schuld sei größer, als dass sie ihm vergeben werden könne. Im Neuen Testament821 werden Kain und Abel im Anschluss an die frühjüdische Exegese in das „theologisch[e] Kontrast-Schema des Gerechten und des Frevlers eingeordnet“, welches in der christlichen Auslegung von den Kirchenvätern bis in die Gegenwart vielfach übernommen wurde822. Ferner wurde von frühchristlichen Kommentatoren und Dichtern schon bald der Versuch unternommen, die in der Bibel nicht begründete Ablehnung von Kains Opfer durch Gott „menschlichem Rechtsempfinden plausibel erscheinen zu lassen, indem man den Grund in erster Linie in der unterschiedlichen inneren Haltung der beiden Brüder zu erkennen glaubte, die ungeheuerliche biblische Aussage also ‚domestizierte‘ und ihr dadurch viel von ihrer ursprünglichen Wucht nahm“823. So wurden Abel, auf dessen Opfer Gott schaut, eine Reihe von positiven Attributen beigelegt, insbesondere das Attribut iustus in Anknüpfung an das Blut des gerechten Abel nach Mt 23,35824, womit wiederum die typologische Verbindung zwischen Abel und dem Martyrium Jesu vorbereitet wird825. Wenn auch die Darstellung des HD in dieser Tradition steht – besonders deutlich wird dies durch die spätere Qualifizierung von Kain als dirum (V. 179) und Abel als mitis (V. 193) –, ist doch festzuhalten, dass der HD im Rahmen der Geschichte von Kain und Abel sehr subtile und implizite Signale einsetzt, um die charakterliche Unterschiedlichkeit der Brüder herauszuarbeiten. So erfolgt die Charakterisierung Abels schrittweise und be818 Vestibus könnte evtl. auch durch die mehrfach bezeugte Vetus-Latina-Variante vestivit anstelle von induit inspiriert sein, vgl. Fischer 1951, 76. 819 Vgl. den Kommentar zu V. 49. 820 Vgl. auch Ov. met. 10,263. 821 Vgl. Mt 23,35, 1 Joh 3,12, Hebr 11,4 und 12,24. 822 Vgl. Westermann 1976, 433–434, das Zitat S. 433, sowie Schrenk 2001, 953. 823 Vgl. Homey 2009, 169–170. 824 Vgl. Homey 2009, 170. 825 Vgl. Schrenk 2001, 953.

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ginnt indirekt, indem sie sich auf die unschuldigen Schafe Abels (V. 139 innocuas [...] bidentes), auf das von ihm geopferte sanfte Lamm (V. 144 miti [...] agno) und dessen makellose Eingeweide und schneeweißes Fett bezieht (V. 145 exta [...] sincera [...] adipemque nivalem). Deutlicher auf Abel selbst bezogen sind dann seine gottgefälligen Opfergaben (V. 146 pia vota) und seine fromme Kehle, die von Kain zerquetscht wird (V. 155 pia guttura)826, eine direkte Qualifizierung erfolgt aber erst in V. 193 (mitis Abelis) im Rahmen von Adams Stammbaum. Als ein erster, dezenter Hinweis auf Kains böse Gesinnung lässt sich ggf. der krumme Pflug (V. 140 curvo [...] aratro) auffassen, mit dem Kain die Erde umwendet; deutlicher spricht Gott in V. 151 von Kains bissigem Sinn (mordaci [...] sensu) und seiner Vernichtungsabsicht gegenüber dem Bruder (fratrem disperdere), und schließlich trägt die Ausgestaltung der Mordszene (V. 153–155) zu einer negativen Charakterisierung bei. Abgesehen von diesen wenigen qualifizierenden Angaben ergibt sich Kains negative Bewertung in erster Linie als Kehrseite der positiven Bewertung Abels. V. 134–135a Ergo ubi coniugio sese iam fidus Adamus / esse virum sensit: Von der Vertreibung aus dem Paradies leitet der HD durch ergo ubi zu einem neuen Abschnitt der Genesis-Erzählung über827, nämlich zur Genealogie Kains und damit verbunden zur Geschichte von Kain und Abel; durch iam wird eine Steigerung des Erzähltempos erzielt828. Der Nebensatz bezieht sich offenbar auf den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 4,1 (E) et cognovit Adam mulierem suam, wo cognoscere den Geschlechtsakt im Sinne eines „Erkennen[s] in der Begegnung“ bezeichnet829. Im Gegensatz dazu „erkennt“ aber Adam830 beim HD nicht die Frau, sondern wird sich durch den Vollzug der Ehe seiner eigenen Männlichkeit bewusst. Virum bezeichnet hier den Mann im biologischen Sinne831 und kommt in dieser Bedeutung öfters in erotischen Kontexten vor832, weshalb coniugio hier insbesondere die carnalis coniunctio bedeuten dürfte833. Denkbar ist, dass sich in dieser Entdeckung der eigenen Sexualität durch Adam der in der Kirchenväterexegese mehrfach erörterte Gedanke spiegelt, dass die Menschen sich im Paradies noch nicht geschlechtlich vereinigt hätten und dies erst nach dem Sündenfall getan hätten834. Fidus korrespondiert mit coniuge fida in V.64 und unterstreicht über 826 Vgl. zu dieser schrittweisen Charakterisierung Homey 2009, 171. 827 Zu dieser überleitenden Funktion von ergo ubi vgl. ThlL 5,2 s.v. 1. ergo 774,2–4. Ergo ubi am Versbeginn kommt innerhalb der Heptateuchdichtung insgesamt 11-mal vor. 828 Zur Verbindung ergo ubi iam vgl. auch Val. Fl. 4,433, Paul. Nol. carm. 20,395, Hept. gen. 798, 974, 1102. 829 Vgl. Westermann 1976, 393. 830 Zur prosodischen Behandlung des Namens Adam beim HD vgl. den Kommentar zu V. 44. 831 Vgl. OLD s.v. vir 2069 unter 1 b. 832 Vgl. etwa Ov. am. 3,7,20, Mart. 8,46,8 und 11,78,12, Catull. 63,6 (bezogen auf verlorene Manneskraft). 833 Diese Bedeutung ist speziell in Bezug auf Tiere belegt, vgl. OLD s.v. coniugium 408 unter 1 b mit den Belegen Verg. georg. 3,275 und Ov. fast. 4,336. 834 Vgl. etwa Aug. gen. ad litt. 9,4 sowie Mar. Victor. aleth. 2,197–198 (in Bezug auf Adam, der nun Eva „erkennt“) nullum aliud prius officium quam coniuge dignum / egit et ignotos natis impendit amores.

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die biblische Vorlage hinausgehend die Bedeutung der ehelichen Treue, wie sie in christlicher Zeit gerade vom Mann als unbedingte Pflicht unter Verweis auf das göttliche Gericht gefordert wird835. Abgesehen davon begegnet fidus freilich schon in der heidnischen Dichtung als Epitheton des Ehegatten836. V. 135b–136a nomen genetricis amatae / exhibet uxori: Der HD scheint zwei biblische Kontexte miteinander verwoben zu haben: Zum einen legt die Logik der Erzählung nahe, dass auf das „Erkennen“ in V. 134–135a Empfängnis und Geburt folgen, was in Vet. Lat. gen. 4,1 durch (E) et concepit et peperit Cain zum Ausdruck kommt. Mit dem Namen „Mutter“, den Adam seiner geliebten Ehefrau gibt (exhibet)837, ist dann nicht ein Name im wörtlichen Sinne, sondern ein persönlicher Status gemeint, den Eva durch ihre Schwangerschaft von Adam erhält838. Somit bedeutet nomen genetricis [...] exhibet uxori im Grunde so viel wie uxorem genetricem facit; dieses Verständnis wird insbesondere durch Ov. trist. 4,5,33–34 (sic faciat socerum taeda te nata iugali, / nec tardum iuveni det tibi nomen avi) nahegelegt, wo durch die unmittelbare Nebeneinanderstellung von faciat socerum [...] te und det tibi nomen avi die Gleichwertigkeit beider Konstruktionen deutlich wird. Zum anderen handelt es sich bei V. 135b–136a offensichtlich um einen Nachhall von Vet. Lat. gen. 3,20, welchen Vers der HD nicht in seinem ursprünglichen biblischen Kontext behandelt, sondern bereits im Zusammenhang mit der Benennung der neu geschaffenen Frau durch Adam (Gen 2,23, vgl. V. 37) andeutet839 und nun wieder aufgreift, diesmal mit dem Akzent auf Evas Mutterschaft. Dass der HD statt (C/I) mater in Vet. Lat. gen. 3,20 genetricis wählt, mag dem Bestreben nach poetischer Diktion zuzuschreiben sein840; darüber hinaus bietet genetrix die Möglichkeit, in V. 137 mit genitor das männliche Gegenstück einzuführen und Adam und Eva somit als die Ureltern des Menschengeschlechts herauszustellen. Entscheidend ist sicherlich auch, dass die nun entstehenden Menschen nicht mehr von Gott (aus Erde) geformt, sondern von menschlichen Eltern gezeugt und geboren werden, was beides in dem zugrundeliegenden Verbum gignere enthalten ist. Durch amatae, das sich im Rahmen der Mann-Frau-Beziehung eher auf uxori841 als auf genetricis („der geliebten Mutter“) beziehen dürfte, wird der über den Bibeltext hinausgehende Gedanke der erotischen Liebe eingebracht. V. 136b–137 binos e germine foetus / continuo genitor diversis nuncupat orsis: Die Verse 136b–138 fassen die Geburt Kains nach Vet. Lat. gen. 4,1 ((E) et peperit Cain) und die Geburt Abels nach Vet. Lat. gen. 4,2 ((E) et adiecit parere Abel) zusammen, wobei das Nacheinander der zwei Geburten durch continuo als ein unmittelbares Aufeinanderfolgen erscheint. Die Möglichkeit, dass der HD 835 Vgl. Hebr 13,4 sowie Delling 1959, 675. 836 Vgl. etwa Ov. fast. 2,815 fido cum coniuge und Stat. Theb. 5,69 fidi […] mariti. 837 Für exhibere im Sinne von dare, donare, tribuere mit abstraktem Objekt und Dativus commodi nennt der ThlL nur späte Belege ab Apuleius, vgl. ThlL 5,2 s.v. exhibeo 1432,36–47. 838 Vgl. OLD s.v. nomen 1185 unter 4 b. 839 Vgl. den Kommentar zu V. 37. 840 In Prosa kommt genetrix selten vor, vgl. ThlL 6,2 s.v. genitor/genetrix 1821,41–44. 841 Vgl. auch Mayor 1889, 10.

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dabei an eine Zwillingsgeburt denkt, bei der als erstes Kind Kain und als zweites Abel zur Welt kommt, sollte zumindest in Betracht gezogen werden842, denn die Junktur binos [...] foetus findet sich an der gleichen metrischen Position in Verg. ecl. 3,30 in Bezug auf zwei Kälber, die gleichzeitig von ihrer Mutter gesäugt werden ([…] binos alit ubere fetus). Ferner werden in Ov. epist. 6,122 die Zwillingssöhne der Medea als pignora [...] bina bezeichnet, woran sich der HD offenbar in Hept. gen. 1296 anlehnt, um die Geburt der beiden Söhne des Joseph und der Asenneth als Zwillingsgeburt zu stilisieren (ex qua confestim genitor fit pignore bino). Proba spricht in cento 285 sogar explizit von Zwillingsbrüdern (gemini fratres). Bei foetus handelt es sich um die Konjektur Martènes anstelle des einhellig überlieferten factus, welches offensichtlich keinen Sinn ergibt843; foetus dürfte dem ursprünglichen Text näher kommen als das von Peiper vorgeschlagene fetus, da eine Textverderbnis von foetus über faetus zu factus leichter zu erklären ist als eine Verderbnis von fetus zu factus. Bezogen auf Menschen findet sich das Wort in der allgemeinen Bedeutung i.q. proles überwiegend in der Dichtung, wo es seit Ov. epist. 6,143 belegt ist844. Während in Vet. Lat. gen. 4,1 von Evas Empfängnis und Niederkunft ((E) concepit et peperit) und in Vet. Lat. gen. 4,2 ebenfalls von ihrer Gebärtätigkeit ((E) adiecit parere) die Rede ist, wird in V. 136b Adams Samen als männlicher Anteil an der Fortpflanzung hervorgehoben (e germine)845. Die Vaterrolle Adams wird zudem durch das am besten prädikativ aufzufassende Substantiv genitor deutlich, das einer poetischen, gehobenen Diktion entspricht846 und das Gegenstück zu genetricis in V. 135 bildet. Im Gegensatz zu Vet. Lat. gen. 4,1, wo Eva den Namens Kains mit den Worten erklärt (E) adquisivi hominem per deum847, nimmt beim HD Adam die Benennung der Söhne vor (nuncupat), was abgesehen von der maskulin zentrierten Perspektive auch im Sinne einer Romanisierung gedeutet werden kann848. Das Substantiv orsa, -orum (eigentlich: „das Beginnen“) kann sich in einer abgeschwächten Bedeutung auf gesprochene oder geschriebene Worte beziehen, wobei aber die Bedeutung „Name“ außerhalb der Heptateuchdichtung nicht belegt zu sein scheint849. Dass die im Grunde selbstverständliche Unterschiedlichkeit der Namen besonders hervorgehoben wird (diver842 Nach Westermann 1976, 398 soll in Gen 4,2 lediglich der Bruder Kains eingeführt werden: „Die Frage, ob Kain und Abel hier als Zwillinge bezeichnet werden sollen [...], kann dann unterbleiben.“ 843 Mayor 1889, 10 versucht das überlieferte factus zu halten, indem er die Überlieferung von A (bino seu germine) zu bino sed germine verändert. Er übersetzt „but when presently two sons made a father of him, cet.“, doch ein adversatives Verhältnis zur vorher erwähnten Mutterschaft Evas scheint nicht sinnvoll zu sein. 844 Vgl. ThlL 6,1 s.v. 1. fetus 637,41–51. 845 Vgl. ThlL 6,2 s.v. germen 1924,11–13; vgl. auch Hept. gen. 694 und 1308 sowie exod. 838. 846 Vgl. ThlL 6,2 s.v. genitor 1816,52–53. 847 Vgl. hierzu Westermann 1976, 394–395. 848 Zur maskulinen Perspektive des HD vgl. auch Homey 2014, 199 Anm. 57; zur römischen Tradition der Namengebung durch Vater (oder Onkel) vgl. LAW 2 s.v. „Namengebung“ 2056. 849 Vgl. ThlL 9,2 s.v. ordior/orsa, -orum 950,47–68 mit Belegen ab Vergil; in der Bedeutung „Name“ vgl. auch Hept. gen. 678 altera disparibus Ammanum nuncupat orsis.

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sis nuncupat orsis), könnte den Sinn haben, bereits hier eine Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten und Charaktere der beiden Brüder zu suggerieren, wie sie im Folgenden näher ausgeführt wird. V. 138 Cainis hic nomen habet, cui iunctus Abelus: Die berufliche und charakterliche Diskrepanz zwischen den beiden Brüdern, die in V. 139–140 thematisiert wird, wird durch die kontrastive Positionierung der Namen Cainis und Abelus am Beginn und Ende eines einzigen Verses vorbereitet; in der biblischen Vorlage werden dagegen die beiden Namen ohne eine kontrastive Intention eingeführt, vgl. Vet. Lat. gen. 4,1 (E) peperit Cain et dixit adquisivi hominem per deum 4,2 (E) et adiecit parere Abel. Durch Cainis hic nomen habet wird auf den Akt der Benennung durch Adam zurückverwiesen (vgl. V. 137), zugleich wirken die drei Längen in Cāīnīs850 am Versbeginn sehr gewichtig und schaffen auf metrischer Ebene einen zusätzlichen Kontrast zu dem Namen Ăbēlŭs851 mit zwei Kürzen und nur einer Länge. Iunctus steht häufiger zur Bezeichnung von Blutsverwandtschaft852 und könnte durch die nähere Bestimmung fratrem eius inspiriert sein, die sich als Variante in Vet. Lat. gen. 4,2853 sowie in der Vulgata und sinngemäß auch in der LXX findet. Darüber hinaus wird durch iungere die enge geschwisterliche Verbindung betont, vor deren Hintergrund der Greuel des folgenden Brudermordes umso deutlicher hervortritt. V. 139 innocuas multa servabat cura bidentes: Der HD behält die chiastische Struktur der Namens- und Berufsnennung von Cain und Abel nach Vet. Lat. gen. 4,1–2 bei854 und unterstreicht durch den Wechsel ins Imperfekt (vgl. V. 139 servabat, V. 140 vertebat) den Aspekt der gewohnheitsmäßigen beruflichen Handlungen. Die lapidare und neutrale Feststellung in Vet. Lat. gen. 4,2 (E) et factus est Abel pastor ovium amplifiziert der HD sichtbar, um Abels Hirtentätigkeit und implizit auch ihn selbst in einem positiven Licht erscheinen zu lassen. Innocuas charakterisiert hier im Sinne von „unschuldig“ die von Abel gehüteten Schafe855, kann aber auch indirekt auf Abel als unschuldiges Mordopfer vorausweisen856. Ferner ist in den unschuldigen Schafen rudimentär eine Stilisierung Abels als schuldloses Opferlamm im Sinne einer Praefiguratio Christi angelegt, die in V. 144 dezent weitergeführt wird857. In diesem Zusammenhang ist auch der 850 Zu Grammatik und Prosodie vgl. ThlL Onomasticon 2 s.v. Cain 61,12–13.19–22: Der Name ist indeklinabel außer in Hept. gen. 138 und 179 (Cainem); die zweite Silbe von Cain wird nie gekürzt, die erste ist bei den Dichtern lang oder kurz. Zur Dehnung der kurzen Endsilbe -is beim HD vgl. Peiper 1891, 345. 851 Zur Grammatik vgl. ThlL 1 s.v. Abel 63,53–55: Der Name ist mit wenigen Ausnahmen (darunter auch Hept. gen. 193 Abelis) indeklinabel. 852 Vgl. Forc. 2 s.v. iungo 966 unter II 3, vgl. etwa Ov. met. 2,368 und fast. 2,788. 853 Bezeugt in Aug. loc. hept. 1,12, vgl. Fischer 1951, 79. 854 Vgl. Cain (Name) – Abel (Name) – Abel (Beruf) – Cain (Beruf). 855 Zu innocuus in Bezug auf Tiere vgl. ThlL 7,1 s.v. innocuus 1709,59–64; in Bezug auf Schafe vgl. Mar. Victor. aleth. 2,211 im gleichen biblischen Kontext sowie Alc. Avit. carm. 6,30. 856 Zu innocens bzw. innocentia als Attribut Abels vgl. die Belege bei Homey 2009, 170 Anm. 59 und Pollmann 1992, 499. 857 Vgl. etwa Paul. Nol. epist. 32,17 Sub cruce sanguinea niveo stat Christus in agno, / Agnus ut innocua iniusto datus hostia leto sowie den Kommentar zu V. 144b.

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Ersatz des biblischen ovium durch bidentes von Interesse, welches in seiner ursprünglichen Bedeutung eine bestimmte Art Opfertier bezeichnet858. Die große Fürsorge (multā [...] cură)859, mit der Abel die Schafe hütet, lässt sich „als präfigurierendes, auf den pastor bonus Christus verweisendes Handeln verstehen“860, wobei der HD möglicherweise ganz konkret auf Joh 10,13 anspielt, eine Bibelpassage, die auch in der patristischen Literatur seiner Zeit mehrfach zitiert und behandelt wird861: Hier erscheint die Sorge als Eigenschaft, die dem bezahlten Knecht im Gegensatz zum guten Hirten fehlt, welcher sein Leben für seine Schafe hingibt862. Servabat, das im Sinne von „hüten“ in Verg. ecl. 5,12 ([…] servabit Tityrus haedos) in phonetisch ähnlicher Form, vergleichbarer Konstruktion und an der gleichen metrischen Position auftritt, „nimmt in diesem Lichte bewahrenden, ja rettenden Charakter an.“863 Der positiven Qualifizierung Abels entspricht die ausgewogene formale Gestaltung des Verses, in dem syntaktisch zusammengehörige Wörter gleichsam um eine zentrale, durch servabat gebildete Symmetrieachse gruppiert sind. V. 140 ast alius curvo terram vertebat aratro: Wie in Vet. Lat. gen. 4,2 ((E) Cain autem) schließt der HD die berufliche Tätigkeit Kains adversativ durch ast an864. Die Wiederholung des Namens Cain wird durch die Setzung von alius vermieden, welches hier, wie häufig im späten Latein, im Sinne von alter865 steht und in der alliterierenden Verbindung mit ast innerhalb der Heptateuchdichtung insgesamt zehnmal vorkommt. Die schlichte Feststellung in Vet. Lat. gen. 4,2 (E) Cain autem operabatur terram wird durch die Kombination der bildhaften poetischen Junkturen terram vertebat aratro und curvo [...] aratro veranschaulicht. Erstere Junktur begegnet erstmals in Verg. Aen. 7,539 ([…] et terram centum vertebat aratris) in Bezug auf den greisen, sehr gerechten Galaesus, der gleichsam als Kontrastfigur zum bösen Kain funktionieren würde, dürfte aber eher von Hor. sat. 1,1,28 inspiriert sein (ille gravem duro terram qui vertit aratro), wo allgemein auf die harte Arbeit des Bauern angespielt wird; denn beide Verse sind ab der Trithe858 Vgl. Forc. 2 s.v. bidens 447 unter B 2. 859 Zur häufigen Kürzung der Ablativendung -ā beim HD vgl. Peiper 1891, 344. Zur Junktur multa cura vgl. Sall. Iug. 7,4 und Tac. ann. 14,15,4; häufiger ist magna (maiore, maxima) cura, vgl. ThlL 4 s.v. cura 1454,55–63. 860 Vgl. Homey 2009, 173 (kursive Hervorhebung im Original). 861 Vgl. Vet. Lat. Ioh. 10,13 (Jülicher) Mercennarius autem fugit, quia mercennarius est et non pertinet ad eum de ovibus; einige Codices haben hier: non est ei (f: illi) cura de ovibus (l,r1) bzw. cura ei non est de ovibus (d). Zu Bezugnahmen auf diese Stelle vgl. etwa Aug. in psalm. 141,11, in evang. Ioh. 46,7–8 und Ambr. in psalm. 48,21. 862 In einem ganz anderen Kontext, nämlich in Bezug auf die sieben Töchter des Priesters Iothorus, begegnet eine sehr ähnliche Formulierung, vgl. Hept. exod. 100–101 haec molles commissa sibi cum cura bidentes / servabant […]. 863 Vgl. Homey 2009, 173. Ferner weist Homey ebd. Anm. 69 darauf hin, dass servator bei Juvencus öfters „Beiwort oder Umschreibung Jesu“ sei. 864 Zur Bevorzugung von ast anstelle von at am Versbeginn durch die augusteischen Dichter vgl. ThlL 2 s.v. ast 943,23–25. 865 Vgl. die Hinweise bei Mayor 1889, 10, Stutzenberger 1903, 12 und Gamber 1899, 190 sowie LHS 207–208 § 111; ebenso Hept. gen. 144 [...] ast alius miti se devovet agno.

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mimeres in syntaktischer und metrischer Hinsicht sehr ähnlich gebaut866. Das Bild des curvum aratrum findet sich seit Lukrez in der klassischen Poesie und wird vom HD noch häufiger verwendet867; an der gleichen metrischen Position tritt es in Verg. georg. 1,170 (in burim et curvi formam accipit ulmus aratri) und 2,189 (et filicem curvis invisam pascit aratris) auf. Die Häufung des rollenden r in curvo terram vertebat aratro könnte darauf abzielen, die Person des künftigen Mörders schon im Voraus unterschwellig als grausam und unerbittlich zu charakterisieren, was offenbar auch Cl. M. Victorius in dem ähnlich gestalteten Vers aleth. 2,208 beabsichtigt (arva Cain duris vertebat pinguia rastris)868. Die positiv konnotierte Beschreibung von Abels Tätigkeit in V. 139869 findet ihre kontrastive Entsprechung in dem krummen Pflug, der auf eine ebenso „krumme“ Gesinnung hinweisen könnte870, und in dem mit Gewalt verbundenen Umwühlen der Erde (vertebat), wie es etwa in Kulturentstehungsmythen als Zeichen moralischer Depravation der Menschen auftritt871. V. 141 hi cum perpetuo ferrent sua dona Tonanti: V. 141–142 haben keine unmittelbare Entsprechung in der Bibelvorlage, sie bilden vielmehr eine Einleitung und antizipierende Zusammenfassung von Vet. Lat. gen. 4,3–4: Während dort nacheinander von Kains und Abels Opfer berichtet wird, fasst der HD in V. 141 durch den Plural ferrent mehr das gemeinsame Darbringen der Opfergaben ins Auge und betont in V. 142 deren Unterschiedlichkeit (dissimiles fructus). Dabei lässt er die Zeitangabe (E) et factum est post dies zu Beginn von Vet. Lat. gen. 4,3 weg, die in der Kirchenväterliteratur zu Ungunsten Kains gedeutet wurde und deren Sinn in der modernen Exegese umstritten ist872. Dona ferre in einem sakralen Sinn ist bereits in der heidnischen Poesie geläufig873, perpetuo, das hier Attribut zu Tonanti874 ist, findet sich noch häufiger in Bezug auf heidnische Götter bzw. den christlichen Gott875 und bezeichnet auch in Hept. gen. 471, exod. 1077 und iud. 437 die Ewigkeit Gottes. V. 142 dissimiles fructus sensu suadente dedere: Über den Bibeltext hinausgehend betont der HD die Unterschiedlichkeit der von Kain und Abel dargebrach866 Vgl. hierzu auch Petringa (La presenza) 2007, 158–159. Das vergilische Bild des terram vertere aratro wird zu einem häufigen Topos in der Poesie und Prosa, vgl. ebd. Anm. 39. 867 Vgl. Petringa (La presenza) 2007, 159 Anm. 42 mit poetischen Belegen ab Lucr. 5,933; vgl. auch Hept. gen. 737, exod. 376 und 856. 868 Vgl. Martorelli 2008, 117 Anm. 63. 869 Vgl. den Kommentar zu V. 139. 870 Vgl. Blaise s.v. curvus 236 (moral.) dépravé; bereits in Hesiods Theogonie wird Kronos mit dem Attribut aögkulomhßthw („krummsinnig“) versehen. 871 Vgl. etwa Ov. met. 1,138–140 (das Durchwühlen der Erde auf der unheilvollen Suche nach Metallen) im Gegensatz zu 1,101–102 (die vom Pflug unberührte Erde der Goldzeit). 872 Nach Ambr. Cain et Ab. 1,7,25 hat sich Kain bei seinem Opfer u.a. dadurch schuldig gemacht, dass er dieses nicht unverzüglich, sondern erst nach einigen Tagen dargebracht habe. Zur modernen Exegese vgl. etwa Westermann 1976, 401. 873 Vgl. etwa Verg. georg. 3,22, Aen. 5,101, Tib. 2,6,31–32, Ov. am. 3,9,50, epist. 1,27, fast. 2,545, Sil. 16,307. 874 Zu Tonanti vgl. den Kommentar zu V. 65b. 875 Vgl. ThlL 10,1 s.v. perpetuus 1644,55–70.

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ten Opfer durch das am Versanfang stehende dissimiles, bevor er in V. 143–145 genauer von den Opfergaben berichtet. Diese werden als fructus bezeichnet, worunter im Sinne von „Früchten der Arbeit“876 die Erträge aus Ackerbau und Schafzucht verstanden werden können877. Die Verschiedenheit der Opfergaben korrespondiert mit der unterschiedlichen Benennung der Brüder durch Adam (vgl. V. 137 diversis nuncupat orsis) und den bereits in V. 139–140 angedeuteten charakterlichen Divergenzen; sie ist durch die innere Haltung von Kain und Abel motiviert, auf die durch sensu suadente angespielt wird. So interpretiert Chromatius in serm. 23,2 die Art der Opfergaben als Abbild der unterschiedlichen Gesinnung und Handlungsweise der Brüder: In Kains Feldfrüchteopfer zeige sich sein irdisches Denken, in Abels Schaf- und Fettopfer zeigten sich dagegen seine Unschuld und seine Werke der Barmherzigkeit878. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass unter sensu suadente nicht nur allgemein das geistig-seelische Vermögen im Sinne von „Verstand“ bzw. „Herz“ gemeint ist879, sondern ganz konkret die innere Einstellung bzw. die Sinnesart880 von Kain und Abel, die ihnen gleichsam „rät“, ihre je unterschiedlichen Gaben darzubringen881. V. 143–144a nam prior uberibus fuerant quae prosata glaebis, / obtulit: Mit einem erläuternden nam882 leitet der HD die genaue Beschreibung der unterschiedlichen Gaben von Kain und Abel ein. Um eine Wiederholung der Namen zu vermeiden, ersetzt er Kain durch prior im Sinne des zuerst Genannten von zweien (vgl. V. 138)883 und Abel durch alius. Da dieses wie in V. 140 für alter steht884, ist die Kombination prior–alius mit der auch in klassischer Zeit belegten Verbindung prior–alter vergleichbar885. Der HD arbeitet hier relativ eng an Vet. Lat. gen. 4,3 (E) obtulit Cain de fructu terrae sacrificium domino und übernimmt wörtlich obtulit in der spezifisch christlichen Bedeutung i.q. sacrificare, immolare886. Die schlichte biblische Feststellung de fructu terrae ersetzt er durch die Periphrase 876 Vgl. auch Prud. ham. praef. 3–4 in Bezug auf Kain und Abel: sistunt ad aram de laborum fructibus / deo sacranda munerum primordia. 877 Vgl. ThlL 6,1 s.v. fructus 1381,71–1384,48 (verschiedene Früchte, die den Menschen zur Nahrung dienen, insbesondere Getreide) sowie 1386,3–25 (Nachwuchs von Tieren). 878 Vgl. Chromat. serm. 23,2 Nam et ipsa munera iuxta typicam rationem offerentium grandem distantiam manifestant. Cain de fructibus terrae munera obtulit, quia terrena erat cogitatio eius: Abel vero de fructibus ovium munera obtulit, ut innocentiae suae signum ostenderet. Et non solum de fructibus ovium munera obtulit Abel, sed pinguamina ovium, ubi pinguia misericordiae opera demonstrantur. 879 Vgl. OLD s.v. sensus 1735 unter 6 und 6 c; im Ablativus absolutus auch in Hept. gen. 653 (sensu torpente), gen. 948 (sensu gaudente), exod. 163 (sensu […] ovanti) und num. 210 (sensu meliora petente). 880 Vgl. OLD s.v. sensus 1735 unter 8 und 8 b. 881 Zu suadere mit sächlichem bzw. abstraktem Subjekt vgl. Forc. 4 s.v. suadeo 518 unter 1b. 882 Vgl. OLD s.v. nam 1153 unter 2 bzw. 2 c. 883 Vgl. OLD s.v. prior 1460 unter 5. 884 Vgl. den Kommentar zu V. 140. 885 Vgl. ThlL 1 s.v. alter 1744,18–29. 886 Vgl. ThlL 9,2 s.v. offero 503,31–504,46 mit ausschließlich christlichen Belegen; vgl. auch Blaise s.v. offero 575 unter 3.

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uberibus fuerant887 quae prosata glaebis, die auf den ersten Blick hauptsächlich einer rhetorischen Aufblähung zu dienen scheint: Uber ist in Dichtung wie Prosa gängig zur Bezeichnung der Fruchtbarkeit von Land oder auch Pflanzen888 und findet sich als Attribut zu gl(a)eba auch in Hept. exod. 967, während in poetischen Texten ansonsten das Substantiv uber („Fruchtbarkeit“) in Verbindung mit dem Genitiv gl(a)ebae beliebter ist889. Selten begegnet proserere in Bezug auf das Hervorbringen von Pflanzen890, wobei sich die Kombination mit einem Ablativ des Urhebers (uberibus [...] glaebis) sonst auf die Herkunftsangabe von Menschen, Tieren und Göttern beim Partizip prosatus zu konzentrieren scheint891. Über die ausschmückende Wirkung hinaus wird hier aber auch angedeutet, dass Kains Gaben lediglich von ihm gesät und dann von den fruchtbaren Schollen aus eigener Kraft hervorgebracht worden sind (vgl. prosata), während Abel sich fortwährend um seine Schafe kümmern musste (vgl. V. 139). V. 144b ast alius miti se devovet agno: Wie in V. 140 bei der Nennung von Abels und Kains unterschiedlichen Berufen wird nun die unterschiedliche Art der Opfer durch ast alius hervorgehoben892; in Vet. Lat. gen. 4,4 wird das Opfer Abels dagegen rein kopulativ durch et an Kains Opfer angeknüpft. Der Vers bezieht sich zusammen mit dem folgenden auf Vet. Lat. gen. 4,4 (E) et Abel obtulit et ipse de primitiis ovium suarum, wo berichtet wird, dass Abel von den Erstlingen seiner Schafe ein Opfer darbringt. In der Darstellung des HD spielt der Aspekt des Primitialopfers, der in der zeitgenössischen Exegese für die Erklärung der Ablehnung von Kains Opfer von Bedeutung ist893, keine Rolle, denn bei dem in V. 144b genannten Lamm muss es sich ja nicht um eine Erstgeburt handeln. Ein Grund dafür könnte sein, dass die alttestamentlich-jüdischen Opfervorschriften für die christlichen Leser des HD nicht von Interesse und ihnen auch nicht vertraut waren; so begegnet der Begriff der Erstlinge im NT nur im übertragenen Sinn in Bezug auf Christus, den Geist und die Christen894. Das (einzelne) Lamm als Opfer Abels entspricht darüber hinaus stilisierenden Darstellungen in der frühchristlichen Kunst, die Abels Erstlingsopfer in Form eines Lammes und Kains Opfer in Form eines Ährenbündels, Brotes oder Früchtekorbes zeigen895, und wird auch von Cl. M. Victorius in aleth. 2,216 genannt (frugibus ille novis, niveo magis 887 Zur Tempusverschiebung beim Plusquamperfekt Passiv vgl. KS II,1, 165–166 § 41 Anm. 4, insbesondere Punkt b: Die Verschiebung nach dem Muster amatus fueram begegnet schon seit Plautus, vereinzelt auch bei Cicero, seit Apuleius wird „das mißbräuchliche fuerat häufiger [...] als erat“ (166). 888 Vgl. OLD s.v. uber2 2016 unter 1 b mit Belegen aus Prosa und Poesie ab Cicero. 889 Vgl. etwa Verg. Aen. 1,531 = 3,164, Sen. Oed. 156, Lucan. 3,68, Drac. laud. dei 3,312. 890 Vgl. ThlL 10,2 s.v. 2. prosero 2193,47–51; neben Hept. gen. 143 sind hier nur Lucan. 4,411 und Carm. adv. Marc. 1,127 genannt. 891 Vgl. ebd. 2193,51–60. 892 Diesmal ist es freilich nicht Kain, sondern Abel, auf den sich alius bezieht. 893 So erklärt Ambrosius in Cain et Ab. 1,7,25 die Nicht-Annahme von Kains Opfer damit, dass er eben keine Erstlinge dargebracht habe. 894 Vgl. Haag 1968, 425 s.v. „Erstlinge“; zur Bedeutung des Primitialopfers im Rahmen der Nahrungsgewinnung vgl. Westermann 1976, 402. 895 Vgl. Schrenk 2001, 964 mit Verweis auf frühchristliche Sarkophage.

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hic litat agno). Ein viel wesentlicherer Unterschied zur biblischen Vorlage besteht in der Abänderung von Vet. Lat. gen. 4,4 (E) et Abel obtulit et ipse zu se devovet, wodurch Abels Opfer als eine Art von Selbsthingabe erscheint, die durch das dargebrachte Lamm besiegelt wird. Schon nach antiker Auffassung ist das Opfer „auch eine Darbringung eines Teils des Opfernden selber und wirkt somit eine Gemeinschaft zwischen ihm und seinem Gott, der sich durch die Annahme der Gabe mit ihm verbindet“; dementsprechend wurde beim Brand- und Dankopfer in alttestamentlicher Zeit den Opfertieren die Hand aufgelegt, wodurch sie symbolisch an die Stelle des Opfernden traten896. Darüber hinaus sind folgende Verständnismöglichkeiten für se devovet agno denkbar897: 1. Mit se devovet agno soll zum Ausdruck gebracht werden, dass Abel mit der Opferung des Lammes zugleich sein eigenes Leben Gott „weiht“, sich selbst also ganz Gott und seinem Willen ergibt898. Ein weiterer, wenn auch später christlicher Beleg für se devovere in dieser Bedeutung ist Greg. M. in Ezech. 2,8,15 Qui enim se per fidem in conversatione sancta Domino devoverunt, holocaustum Domino facti sunt. In diesem Sinne deutet Hil. myst. 1,6 Abels Opfer als Opferung einer inneren Frucht bzw. des eigenen Inneren899, also als „Selbsthingabe“ an Gott900. Augustinus wiederum betont in civ. 15,7, dass Gott nicht auf Kains Opfer gesehen habe, weil Kain eine schlechte Teilung vorgenommen habe, indem er Gott zwar etwas von dem Seinen gegeben habe, sich selbst aber für sich zurückbehalten habe. Durch seine Selbsthingabe zeigt Abel also seine fromme, Gott ergebene Gesinnung, die im christlichen Latein, und dort gerade in Bezug auf Abel, oft mit devotus bezeichnet wird901. 2. Durch se devovet agno könnte der HD Abel im Sinne neutestamentlicher Aussagen und der kirchlichen Exegese seiner Zeit dezent zur Praefiguratio Christi stilisieren902. Se devovet hat hier also die Bedeutung „sich (d.i. sein Leben) aufopfernder Hingabe“ und weist auf den Opfertod Christi als das Sühnopfer für viele voraus, welcher häufig mit se offerre umschrieben wird; somit ist se devovet an dieser Stelle gleichbedeutend mit se offert903. Das Lamm, mit dem Abel seine Selbstaufopferung besiegelt, wird im Neuen Bund das Lamm Gottes sein, das für 896 Vgl. Haag 1968, 1264 s.v. „Opfer“ unter (C). 897 Die Möglichkeit, dass se devovet im Sinne von se redimit bedeuten soll, dass Abel mit dem Lamm sich selbst loskauft – von einer Schuld? –, wird in ThlL 1 s.v. 1. agnus 1364,12–13 vorgeschlagen. Diese Bedeutung von se devovere ließ sich aber mit Hilfe der einschlägigen Wörterbücher (ThlL, Forc., OLD, Blaise) nicht verifizieren. 898 Dieser Gebrauch von se devovere ist nicht auf sakrale Kontexte beschränkt, vgl. ThlL 5,1 s.v. devoveo 882,57–77 unter II A se devovere (etiam caput, vitam sim.). 899 Vgl. Hil. myst. 1,6 [...] et solae in adipibus placent ovium primitiae, interni videlicet fructus et ipsius conscientiae nostrae sacrificia delectant, […]. 900 Vgl. Schrenk 2001, 961. 901 Vgl. Blaise s.v. devotus 267 unter 4 sowie ThlL 5,1 s.v. devoveo/devotus, -a, -um 884,34–69 mit zahlreichen christlichen Belegen. Zu devotus als Attribut zu Abel vgl. Homey 2009, 170 mit Anm. 60. 902 Vgl. Homey 2009, 171. 903 Vgl. Homey 2009, 171 Anm. 65. Homey zitiert S. 171–172 Anm. 65 mehrere Textpassagen aus Ambr. und Aug., in denen se offere in Bezug auf das Opfer Christi steht, auf das der Tod Abels typologisch vorausweist.

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die Sünde der Welt geopfert wird. Dafür, dass das Lamm auf Christus verweist, spricht gerade das Attribut mitis, das in christlichen Texten immer wieder in Bezug auf Christus als das Lamm Gottes verwendet wird904; ferner bezeichnet Jesus sich selbst in Vet. Lat. Matth. 11,29 (Jülicher) als mitis905. In V. 193 begegnet mitis dann als direktes Attribut zu Abel, wodurch „[Sich Auf-]Opfernder und Opferlamm zur Deckung gebracht werden und damit eine Identität zwischen beiden suggeriert wird“906. In ähnlicher Weise werden durch pius in V. 146 (pia vota) und V. 155 (pia guttura) „die im Opfer zum Ausdruck kommende Hingabe [...] und der gewaltsam erlittene Tod des Unschuldigen [...] miteinander verklammert“907. Während die typologischen Beziehungen zwischen Abel und Christus vom HD nur implizit im Text angelegt sind, stellt Cl. M. Victorius sie in aleth. 2,217–219 ganz explizit heraus; Abel wird hier gesehen als „gottloses“ Opfer seines Bruders, das aber bereits das Zeichen des künftigen gottgefälligen Opfers (Christi) trägt. V. 145 exta gerens sincera manu adipemque nivalem: Der Vers, der metrisch durch den Hiat nach manu auffällt, ist durch die parallele Anordnung von Akkusativobjekten und zugehörigen Attributen hervorgehoben (exta [...] sincera [...] adipemque nivalem). Daran, dass der HD das Opferfett erwähnt (adipemque nivalem), ist erkennbar, dass er einer Variante von Vet. Lat. gen. 4,4 folgt, in der im Gegensatz zum Haupttext zusätzlich das Fett genannt ist (et de/ex adipibus/ adipe earum/illarum)908. Das Farbadjektiv nivalem909 dient nicht nur der Veranschaulichung wie in Hept. exod. 989 ([…] adipemque nivalem), sondern kann wie innocuas (V. 139) indirekt auf die Reinheit von Abels Charakter bezogen werden910; in dieser moralischen Qualität kommt nivalis etwa in Prud. c. Symm. 2,250–251 in Bezug auf die pietas vor. Im Unterschied zur biblischen Vorlage lässt der HD Abel auch makellose Eingeweide darbringen (exta gerens sincera manu), wobei er Aspekte der heidnisch-römischen und der jüdischen Opferpraxis zu vermischen scheint. Die Opferung der exta, also der edleren Eingeweide wie Herz, Lunge oder Leber, fand in der heidnischen Antike nach der Opferschau statt, bei der die Makellosigkeit der Eingeweide entscheidend war911. In alttestamentlicher Zeit beschränkte sich die Opferung von Eingeweiden auf die Nieren und Leberlappen, ansonsten wurden das Fett und das Blut dargebracht912; Vorschriften zur Makellosigkeit der Opfertiere enthält Lev 22, doch dort geht es um 904 905 906 907 908 909 910 911 912

Vgl. etwa Aug. virg. 37,37, Sedul. op. pasch. 1,5 und 5,11, carm. pasch. 5,140. Zum Christus mitis vgl. auch Homey 2009, 172 Anm. 66. Vgl. Homey 2009, 172. Vgl. ebd. Die Varianten sind mehrfach bezeugt, vgl. Fischer 1951, 80 und 540; das Fett wird auch in der Vulgata und in der LXX erwähnt. Ähnlich Mar. Victor. aleth. 2,216 [...] niveo magis hic litat agno im gleichen Kontext. Vgl. Blaise s.v. nivalis 555 (fig.) pur, candide. In diese Richtung geht auch die Zuschreibung eines purum cor an Abel in Ambr. Cain et Ab. 1,10,41. Vgl. Latte 1914, 1130. Zu sincerus in Bezug auf die Unversehrtheit von Opfertieren vgl. OLD s.v. sincerus 1768 unter 1 nach dem Hinweis (of sacrificial victims). Vgl. Janowski/Backhaus 2001, 39–40.

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äußerlich sichtbare Mäkel der Opfertiere, nicht um deren Eingeweide. Abgesehen von einer Amplifizierung des Opfers Abels und der Hervorhebung seiner Großzügigkeit gegenüber Gott ist durch exta [...] sincera wohl wiederum eine indirekte Charakterisierung Abels intendiert, dessen Charakter sincerus, also aufrichtig und rechtschaffen ist913; in dieser Bedeutung kommt sincerus innerhalb der Heptateuchdichtung mehrfach vor914. Dieser implizite Bezug von sincera auf Abel selbst wird noch deutlicher, wenn man unter Annahme einer beim HD gängigen metrischen Lizenz sinceră auf manu bezieht915, Abel also die Eingeweide „mit aufrichtiger Hand“ darbringt. V. 146 confestimque placet domino pia vota tuenti: Den neutralen biblischen Bericht von der Annahme des Opfers Abels durch Gott in Vet. Lat. gen. 4,4 ((E) et respexit deus super Abel et super munera eius) färbt der HD dahingehend positiv wertend ein, dass Abel Gott gefallen habe (placet)916, und zwar unverzüglich (confestim). Das in der Dichtung gewöhnlich sehr seltene cōnfēstīm917 ist durch seine Stellung am Versanfang und die drei Längen stark betont. Der Bibeltext selbst bietet keinen inhaltlichen Anknüpfungspunkt für die so schnelle positive Reaktion Gottes auf Abels Opfer, doch in der Darstellung des HD erklärt sie sich durch die gottgefälligen Gaben (pia vota)918 Abels. Indem munera durch vota ersetzt wird, wird den Opfergaben der Charakter von Votivgaben verliehen, die Abel Gott gelobt hat919, und darüber hinaus eine Verbindung zu V. 144 se devovet geschaffen, wodurch Abels Opfer im Sinne einer Selbsthingabe stilisiert wird920. Gerade vor diesem Hintergrund liegt es nahe, pia nicht nur auf die Gaben selbst, sondern auch als Enallage auf Abel zu beziehen. Auch sonst wird in der patristischen Literatur in Bezug auf Abel das Adjektiv pius verwendet, während Kain als impius bezeichnet wird, vgl. etwa Ambr. Cain et Ab. 1,1,3 pia devotus mentis ad913 Vgl. OLD s.v. sincerus 1768 unter 4; vgl. auch Cutino 2009, 175 Anm. 94, wonach hier der aufrichtige Charakter von Abels Opfer hervorgehoben wird, mit dem Hinweis auf Ps. Prosp. carm. de prov. 307 convertit Domini sincera in munera vultum. 914 Vgl. Hept. gen. 521, exod. 564, exod. 1001, lev. 266, deut. 58. 915 Zur Kürzung der Ablativendung –ā beim HD vgl. Peiper 1891, 344. 916 Vgl. auch Ambr. epist. 5,22,9 Ideo placuit Abel, quia non est suum munus moratus, qui de primitivis ovium obtulit; in psalm. 35,7 iustus Abel, qui de ovibus suis, quas ei dominus dederat, primitias domino putaverit offerendas, et ideo plus placuit deo, quia moram non fecit, devotionem probavit; Chromat. serm. 23,2 In Cain ergo et Abel munera oblationum Deus intuebatur, sed internae mentis conscientiam considerabat, ut ille placeret in munere, qui placebat in corde; et ille displiceret in munere, qui displicebat in corde. Placuit munus Abel Deo, quia puro corde munus Domino offerebat; displicuit munus Cain Deo, quia non puro corde sed mente scelerata, munus Domino offerebat, qui de fratris interitu cogitabat. 917 Vgl. ThlL 4 s.v. confestim 192,65–68; beim HD tritt confestim aber sogar 28-mal auf. 918 Diese Junktur ist in der heidnischen und christlichen Dichtung häufig; in Bezug auf fromme Gebete bzw. Gelübde vgl. u.a. Prop. 3,3,10, Ov. am. 2,6,43, rem. 813, met. 1,221, Paul. Nol. carm. 25,230, Prud. c. Symm. 2,479, Drac. laud. dei 2,752; in Bezug auf fromme Opfergaben vgl. auch Hept. lev. 100 sacerdos pia vota ferens […]. 919 Vgl. OLD s.v. votum 2103–2104 unter 1 d. Der biblische Kontext spricht für diese Bedeutung von vota und eher nicht für eine Auffassung im Sinne der „frommen Gebete des Opfernden“ (so Homey 2009, 171). 920 Vgl. den Kommentar zu V. 144.

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tentione, Ambr. Abr. 2,9,64 erat illic Abel pia victima und Aug. civ. 18,51 Abel, quem primum iustum impius frater occidit921. Ferner könnte confestim durch den von Ambrosius mehrfach geäußerten Gedanken angeregt sein, dass Gott Kains Opfer nicht angenommen habe, weil er es erst nach einigen Tagen (vgl. Vet. Lat. gen. 4,3 (E) post dies) dargebracht habe, während Abel unverzüglich geopfert habe und daher Gott gefallen habe922. V. 147 quod propter gelida Cain incanduit ira: Der HD bezieht sich auf Vet. Lat. gen. 4,5, wo von Kains zorniger Reaktion angesichts der Erfahrung berichtet wird, dass Gott auf sein Opfer nicht schaut, auf das seines Bruders aber schon (vgl. (E) super Cain autem et super sacrificia eius non respexit). Im Vergleich zur biblischen Vorlage erwähnt der HD das Ignorieren von Kains Opfer durch Gott überhaupt nicht; die kausale Satzeinleitung quod propter923 knüpft unmittelbar an Gottes positive Reaktion auf Abels Opfer an. Wenn man nicht einen Versausfall zwischen V. 146 und 147 annehmen möchte, durch den eine Bemerkung über die Nichtbeachtung von Kains Opfer verloren gegangen wäre, muss man von einer bestimmten Darstellungsintention des HD ausgehen. Im Bibeltext erscheint Kains Zorn nur allzu menschlich und verständlich, da er sich von Gott zurückgesetzt und ungerecht behandelt fühlt924. Anders beim HD: Ob Kains Opfer von Gott angenommen wurde oder nicht, ist für ihn offenbar nicht der springende Punkt; nach seiner Interpretation entzündet sich Kains Zorn allein daran, dass der Bruder überhaupt oder so schnell (vgl. V. 146 confestim) Gottes Wohlgefallen erregt, wodurch er als ein Mensch erscheint, der nicht aufgrund einer objektiv vorhandenen Zurücksetzung, sondern allein aus Missgunst zornig und schließlich zum Mörder wird. Durch diese Umakzentuierung unterscheidet sich der HD auch von Proba, die zumindest die Problematik einer Bevorzugung andeutet (vgl. cento 286 alter in alterius praelato invidit honore), und von Cl. M. Victorius, der in aleth. 2,221–224 verschiedene Gründe dafür erwägt, dass Gott Kain bei seinem Opfer keine Bestätigung gewährt. Bei der Erwähnung von Kains Zorn (incanduit ira) wechselt der HD vorübergehend vom Präsens ins Perfekt und setzt dadurch ein besonderes Aufmerksamkeitssignal für den Leser. Er entfernt sich im Wortlaut deutlich von Vet. Lat. gen. 4,5 (E) et contristatus est Cain valde und steht der Vulgata nahe (iratusque est Cain vehementer), was allerdings nicht bedeuten muss, dass er diese hier als Vorlage benutzte; vielmehr könnte der HD durch ira auf biblische Kontexte wie Mt 5,22 oder Weish 10,3 anzuspielen, wo der Zorn gegenüber dem Bruder bzw. Brudermord aus Zorn thematisiert werden925. Auch sonst finden sich in der Kirchenväterliteratur ira bzw. irasci in Bezug auf Kains

921 Vgl. auch Homey 2009, 170 mit Anm. 58. 922 Vgl. Ambr. epist. 5,22,9 sowie in psalm. 35,7, s.o. S. 317 Anm. 916. 923 Quod propter scheint in der Dichtung äußerst selten zu sein, vgl. den einzigen Beleg Hept. gen. 147 der Datenbank Musisque Deoque (aufgerufen am 27.05.2016). 924 Vgl. Westermann 1976, 405. 925 Vgl. Vet. Lat. Matth. 5,22 (Jülicher) Ego autem dico vobis, quod omnis, qui irascitur fratri suo sine causa, reus erit iudicio; Vulg. sap. 10,3 ab hac [scil. sapientia] ut recessit iniustus in ira sua per iram homicidii fraternitatis deperiit.

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Empfinden gegenüber seinem Bruder926. Statt der äußerlich sichtbaren Veränderung von Kains Mimik (vgl. Vet. Lat. gen. 4,5 (E) et concidit facies eius) schildert der HD Kains inneres Empfinden, indem er von seiner „Erhitzung“ (incanduit) berichtet. Incandescere ist in der Poesie seit Catull, Vergil und Ovid belegt, wobei der übertragene Gebrauch in Bezug auf belebte Subjekte sich auf das späte Latein beschränkt927. Unter den hexametrischen Belegen mit incanduit an der gleichen metrischen Position928 weist insbesondere Verg. georg. 3,479 (tempestas totoque autumni incanduit aestu) eine gewisse inhaltliche Parallele zu V. 147 auf, denn während bei Vergil eine Verpestung der Luft in Verbindung mit der herbstlichen Hitze (aestu) zum Ausbruch einer Seuche führt, die alle Arten von Tieren dahinrafft, wird beim HD Kain von seinem Zorn (ira) zur Tötung seines Bruders veranlasst929. Weitere, eher formale Parallelen zeigen sich zu Ov. met. 3,707 [...] et audito clamore recanduit ira (in Bezug auf Pentheus) und Claud. 22,82 [...] numquam Stilicho sic canduit ira930. Ungewöhnlich ist die Verbindung von ira mit gelida, welches zusammen mit incanduit ein Oxymoron bildet. Wenn gelidus zu Abstrakta hinzutritt, sind dies gewöhnlich Substantive wie frigor, tremor, metus, horror oder formido, die ein Kälteempfinden implizieren931, während Wut mit Hitze assoziiert wird (vgl. incanduit); daher ist es verständlich, dass für gelida verschiedene Konjekturen vorgeschlagen wurden, um den Sinn zu glätten932. Hinter der „eiskalten Wut“ könnte aber wie bei V. 96 metu frigente der Zusammenhang von Kälte und Sünde stehen933, da Kain in seiner Wut seinen Bruder umbringt. Gelida könnte hier zudem in Richtung mortifera gehen, d.h. Kains Zorn ist im wahrsten Sinne des Wortes „kalt machend“ für seinen Bruder934. V. 148 quem deus adloquio dignatus talibus infit: Mit diesem Vers leitet der HD die Rede Gottes an Kain ein (vgl. Vet. Lat. gen. 4,6 (E) et dixit deus ad Cain)

926 Vgl. etwa Tert. patient. 5,16 Frustra illud inpatientiae adscripserim, si Cain ille primus homicida et primus fratricida oblationes suas a domino recusatas aequanimiter nec inpatienter tulit, si iratus fratri suo non est, si neminem denique interemit; Rufin. Orig. in gen. 1,17 Indicium namque est huius operis Cain, qui innocentem fratrem ira decepit invidiae; Chromat. in Matth. 21,3,2 Invenimus denique offerentis Cain munera idcirco a Deo repudiata, quia caritatis iura non servans, adversus fratrem iram animo retinebat; Hier. quaest. hebr. in gen. p. 8,28–29 (Lagarde) ait enim dominus ad Cain: Quare irasceris et quare concidit vultus tuus? 927 Vgl. ThlL 7,1 s.v. incandesco 844,68–69 und 845,17–21. 928 Die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 09.06.2015) verzeichnet abgesehen von Hept. gen. 147 noch sieben weitere Belege, beginnend mit Catull. 64,13. 929 Vgl. Petringa (La presenza) 2007, 163. 930 Zu diesen beiden Parallelen vgl. ebd., 163–164. 931 Vgl. ThlL 6,2 s.v. gelidus 1729,7–23. 932 Vgl. Peiper 1891, 6 und Mayor 1889, 11. 933 Vgl. den Kommentar zu V. 96b, ebenso Hept. gen. 1123 in Bezug auf den Neid von Josephs Brüdern: fraternos sensus livoris frigore movit. 934 Vgl. ThlL 6,2 s.v. gelidus 1729,58–64, mit abstraktem Bezugswort vgl. etwa Sedul. carm. pasch. 3,35 gelidis […] periclis. In diese Richtung denkt auch Petringa (La presenza) 2007, 163, indem sie das „Zu-Eis-Werden“ auf das Opfer von Kains Zorn, also auf den ermordeten Abel, bezieht.

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und bedient sich dabei der gängigen Hexameterschlussformel talibus infit935. Wie beim Vermehrungsauftrag an Adam und Eva in V. 45 (adloquio […] dignatur)936 kommt auch hier durch dignari ein Akt göttlicher Gnade zum Ausdruck; denn indem Gott Kain ins Gewissen redet, will er ihn vor der Schuld bewahren. V. 149 „Dic mihi, si rectum vivas et noxia cernas: Bei der Rede Gottes an Kain, die bei Proba und in der Alethia ausgelassen ist, lässt der HD die einleitende Frage weg (vgl. Vet. Lat. gen. 4,6 (E) quare tristis factus es et quare concidit vultus tuus), da diese das Ende von Vet. Lat. gen. 4,5 wiederholt; die Einleitung der Ansprache mit dic erinnert an die Art und Weise, wie Gott Adam in V. 94 zur Rede stellt. Durch rectum und die Struktur des Satzes in V. 149–150, der aus einem konditionalen Nebensatz mit zwei Prädikaten im potentialen Konjunktiv Präsens (si [...] vivas et [...] cernas) und einer Frage als Hauptsatz besteht (V. 150), wird deutlich, dass der HD hier auf die Vetus Latina und nicht auf die Vulgata zurückgreift, die sich lexikalisch und syntaktisch davon unterscheidet, vgl. Vet. Lat. gen. 4,7 (E) nonne si recte offeras recte autem non dividas peccasti gegen Vulg. gen. 4,7 nonne si bene egeris recipies sin autem male statim in foribus peccatum aderit. So scheint der HD mit rectum vivas Vet. Lat. gen. 4,7 (E) recte offeras zu umschreiben, wobei rectum als Akkusativ des Inhalts in adverbialer Verwendung zu verstehen ist937. Während sich allerdings in der Bibel das rechte Tun auf die Opferhandlung bezieht (offeras), abstrahiert der HD vom kultischen Verhalten und denkt ganz allgemein an ein rechtes Leben (vivas). Eine ähnliche Abstrahierung vom kultischen Kontext scheint bei noxia cernas vorzuliegen, denn an die Stelle des nicht richtigen Teilens beim Opfer (vgl. Vet. Lat. gen. 4,7 (E) recte autem non dividas)938 tritt ein Sich-Entscheiden939 für das Schädliche, Schuldhafte. Da die beiden Verhaltensweise wie in der biblischen Vorlage (vgl. autem) in einem Gegensatz zueinander stehen, sollte et hier adversativ im Sinne von et tamen oder gar sed aufgefasst werden940; gemeint ist offensichtlich, dass Kain zwar nach außen hin regelkonform lebt, indem er das Gott geschuldete Opfer darbringt, sich aber in seinem Inneren dem Bösen zuneigt. Ein Ansatz, der dieses Textverständnis stützen könnte, findet sich etwa in Ambr. Cain et Ab. 2,6,18, wonach in Vet. Lat. gen. 4,7 gemeint ist, dass Gott nicht durch dargebrachte Gaben gnädig gestimmt werde, sondern durch die innere Haltung des Op-

935 Vgl. auch Verg. Aen. 10,860, Val. Fl. 1,666; 2,610; 8,414, Sil. 16,139, Iuvenc. 4,245 sowie Hept. Ios. 134. 936 Vgl. den Kommentar zu V. 45. 937 Zu diesem Akkusativgebrauch, der unter griechischem Einfluss mit Catull. 51,5 dulce ridentem im eigentlichen Sinne beginnt, bei den Augusteern häufig wird und auch noch in später Zeit zu gewagten Neubildungen führt, vgl. LHS 40 § 45 unter d. 938 Wie dieses nicht richtige Teilen beim Opfern verstanden werden könnte, diskutiert etwa Augustinus in civ. 15,7. 939 Zu cernere im Sinne von decernere vgl. ThlL 3 s.v. cerno 864,66–81. 940 Dieses adversative et findet sich bereits bei Cicero, vgl. LHS 481 § 256 unter d.

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fernden941. Ferner erklärt Augustinus in civ. 15,7 Gottes Worte an Kain dahingehend, dass Menschen wie Kain Gott zwar Opfergaben darbrächten, dies aber in der Absicht täten, Gott für ihre eigenen üblen Wünsche zu instrumentalisieren; das nicht richtige Teilen sei zu verstehen als ein Leben nicht nach dem Willen Gottes, sondern nach dem eigenen Willen bzw. als ein Leben mit nicht aufrichtigem, sondern verkehrtem Herzen942. V. 150 degere num possis contracto a crimine purus: Wenn V. 149–150 Vet. Lat. gen. 4,7 entspricht943, müsste V. 150 auf den Hauptsatz (E) nonne [...] peccasti („Hast du dann etwa nicht gesündigt?“) Bezug nehmen. Dieser Sinn ergibt sich beim HD nur, wenn gemäß Codex G num in den Text gesetzt wird (sinngemäß: „kannst du dann etwa ohne Schuld sein?“) und nicht non gemäß ACR. Während Gott in Vet. Lat. gen. 4,7 vom Nicht-Sündigen spricht, drückt der HD diesen Sachverhalt umgekehrt als ein Freisein von begangener Schuld aus (contracto a crimine purus944), wobei er sich mit contracto [...] crimine einer juristischen Wendung945 bedient. Degere könnte hier wie in V. 94 in der abgeschwächten Bedeutung von esse stehen946, es ergibt sich aber auch kein großer Unterschied in der Bedeutung, wenn es im Sinne von vivere verwendet wird und somit V. 149 vivas variiert. Der potentiale Konjunktiv possis lässt Gottes Frage vorsichtiger erscheinen als in der biblischen Vorlage, wo der Indikativ peccasti steht; während Gott Kain in Vet. Lat. gen. 4,7 dazu bringen will, seine Schuld einzugestehen, soll Kain in V. 150 darüber nachdenken, ob es denn überhaupt möglich ist, frei von Schuld zu sein, wenn man zwar regelkonform lebt, aber Böses im Sinn hat (vgl. V. 149). V. 151 desine mordaci fratrem disperdere sensu: Bei diesem Vers handelt es sich um eine deutliche Erweiterung und Ausdeutung des Imperativs (E) quiesce in Vet. Lat. gen. 4,7, vielleicht beruhend auf der Variante desine, bei der aber fraglich ist, ob es sich um Bibeltext handelt947. Die Aufforderung zum Ruhigwerden, die in der Vulgata keine Entsprechung hat, ist in der Vetus Latina bzw. LXX (hÖsußxason) wohl auf die grimmige Reaktion Kains in Gen 4,5 zu beziehen; beim HD gibt Gott Kain dagegen eine konkretere Handlungsanweisung, die seine Mordgedanken gegenüber dem Bruder antizipiert und ihnen Einhalt gebieten soll. 941 Vgl. Ambr. Cain et Ab. 2,6,18 Nunc consideremus quid sit quod ait dominus: si recte offeras, non recte autem dividas, peccasti; quiesce. quod indicium est deum non muneribus oblatis placari, sed offerentis affectu. 942 Vgl. Aug. civ. 15,7 datur intellegi propterea Deum non respexisse in munus eius, quia hoc ipso male dividebat, dans Deo aliquid suum, sibi autem se ipsum. Quod omnes faciunt, qui non Dei, sed suam sectantes voluntatem, id est non recto, sed perverso corde viventes, offerunt tamen Deo munus, quo putant eum redimi, ut eorum non opituletur sanandis pravis cupiditatibus, sed explendis. 943 Vgl. den Kommentar zu V. 149. 944 Zu purus in Bezug auf das Freisein von Schuld, Verbrechen, üblen Leidenschaften u.ä. vgl. ThlL 10,2 s.v. 1. purus 2722,19–44. 945 Vgl. die Belege zu crimen contrahere in ThlL 4 s.v. contraho 763,40–42; vgl. auch Hept. Ios. 504 nonne malum praeceps contracti criminis egit. 946 Vgl. den Kommentar zu V. 94. 947 Vgl. Fischer 1951, 83; bezeugt durch Hier. epist. 100,3,1.

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Die Vernichtungsabsicht Kains kommt durch disperdere zum Ausdruck, das in Vetus Latina und Vulgata häufig auftritt948, die Junktur mordaci [...] sensu, mit der Gott Kains neidische, gehässige Gedanken gegenüber dem Bruder benennt, ist bereits in V. 75 in Bezug auf die Paradiesschlange vorgekommen949, wodurch der Einfluss des Bösen verdeutlicht wird, unter den Kains Denken geraten ist. In ähnlicher Weise bezeichnet Cl. M. Victorius Kain in aleth. 2,224 als mente nocens. V. 152 qui tibi ceu domino subiectus colla praebebit“: Der HD bezieht sich hier auf das Ende von Vet. Lat. gen. 4,7 (E) ad te conversio eius et tu dominaberis eius, wo, wie in der LXX, die „Hinwendung“ Abels zu seinem Bruder und dessen Herrschaft über ihn auf ein Missverständnis des hebräischen Textes zurückzuführen ist; gemeint ist eigentlich, dass die Sünde es auf Kain abgesehen hat und dass er ihrer Herr werden soll950. Dieses Missverständnis wird auch von Kirchenvätern wie Ambrosius, Augustinus, Hieronymus und Filastrius richtiggestellt951, was der HD aber nicht berücksichtigt. Kains Dominanz über Abel, die ihn in seinem Zorn und Neid beschwichtigen soll, wird in V. 152 in dreifacher Weise ausgedrückt und dadurch stark hervorgehoben, zum einen durch das wörtlich an die Bibelvorlage anklingende (tibi ceu) domino, ferner durch subiectus und die Junktur tibi […] colla praebebit, welche abgesehen von dominaberis vielleicht auch durch die „Hinwendung“ Abels zu seinem Bruder (vgl. ad te conversio eius) inspiriert ist. Collum steht häufig für den Nacken von Zugtieren, die sich unter das Joch beugen, und wird bildlich auf Personen übertragen, die sich in unterschiedlicher Weise unterwerfen952. In Verbindung mit praebere953 wird ein Sich-Ausliefern an etwas negativ Konnotiertes bezeichnet, z. B. wenn Tiere unters Joch geschirrt werden, Opfertiere dem Schlachtbeil preisgegeben werden oder Menschen besiegt 948 Vgl. die zahlreichen Belege in ThlL 5,1 s.v. disperdo 1404,52–80. 949 Vgl. den Kommentar zu V. 75. 950 Vgl. Vulg. gen. 4,7 statim in foribus peccatum aderit sed sub te erit appetitus eius et tu dominaberis illius; den hebräischen Text übersetzt Westermann 1976, 384 folgendermaßen: „Zur Tür hin lagert die Sünde, und auf dich geht ihre Gier, du aber sollst über sie herrschen.“ Zur Deutungsproblematik von Gen 4,6–7 vgl. ebd. 406–410. 951 Vgl. Ambr. Cain et Ab. 2,7,24 culpae ipsius ad te conversio est. non enim frater ei addicitur, sed error adscribitur, cuius ipse sibi auctor est. in te inquit revertitur crimen, quod a te coepit. [...] in te retorquetur inprobitas tua, tu princeps es illius; noch deutlicher Aug. civ. 15,7 Non tamen eum dimittens sine mandato sancto, iusto et bono: Quiesce, inquit; ad te enim conversio eius, et tu dominaberis illius. Numquid fratris? Absit. Cuius igitur, nisi peccati? Dixerat enim: Peccasti, tum deinde addidit: Quiesce; ad te enim conversio eius, et tu dominaberis illius; Hier. quaest. hebr. in gen. p. 8,26–9,7 (Lagarde) [...] siquidem et nunc multo alius in hebraeo quam in LXX translatoribus sensus est ait enim dominus ad Cain: [...] et si non bene egeris, ante fores peccatum tuum sedebit, et ad te societas eius: sed tu magis dominare eius. Quod autem dicit, hoc est. [...] quod si male egeris, ilico peccatum ante vestibulum tuum sedebit, et tali ianitore comitaberis. Verum quia liberi arbitrii es, moneo ut non tui peccatum, sed tu peccato domineris; Filastr. 131,3 Non ergo hic dicit scriptura, dominari illum fratri suo, ut eum interficeret, sed: Dominaberis cogitationis tuae malae utique, quae est in arbitrio tuo et cuiusque hominis atque voluntate, ut aut proiciat de corde suo malam cogitationem inmissam a diabolo, aut non proiciendo crimen incurrat perpetuum. 952 Vgl. ThlL 3 s.v. collum 1662,67–1663,4. 953 Zur Kürzung des Diphthongs ae in praebebit vgl. Peiper 1891, 344.

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bzw. gefangen genommen worden sind954. Gerade mit Blick auf Tiere unter dem Schlachtbeil ist bei tibi [...] colla praebebit nicht nur an eine Unterordnung Abels unter Kain, sondern auch an eine Vorausdeutung auf den Brudermord zu denken, der in V. 155 mit den Worten elidit [...] guttura beschrieben wird, ferner an Abel als Praefiguratio des Opferlammes Christus955: Die „Demut Abels“ ist hier nach Homey „zur totalen, die Lebenshingabe einschließenden Unterwerfung gesteigert“ und „deutet [...] auf Christus hin“956, ähnlich wie in Prud. perist. 10,750 colla praebere in Bezug auf Isaak begegnet, der ebenfalls als Prototyp Christi erscheint (ultro sacranti colla praebuerit seni)957. Subiectus kann hier als Adjektiv („unterworfen“) oder als Substantiv („als Unterworfener, als Untertan“)958 aufgefasst werden und lässt an den prominenten Vergilvers Aen. 6,853 parcere subiectis et debellare superbos denken, so dass die implizite Aufforderung an Kain mitschwingen könnte, seinen Bruder zu schonen. Ferner kann subiectus im vorliegenden Kontext auch das unterwürfige, demütige Verhalten Abels gegenüber seinem Bruder bezeichnen959, ganz im Sinne der Demut und Hingabe Christi. Tibi ceu domino ist in erster Linie Objekt zu colla praebebit, kann aber zusätzlich auch von subiectus abhängig gemacht werden („dir wie einem Herrn unterworfen“). Durch die unmittelbare Nebeneinanderstellung der Antonyme domino und subiectus wird die Dominanz Kains über seinen Bruder betont, wobei der HD aber durch die Vergleichspartikel ceu in Abgrenzung gegenüber dem Bibeltext deutlich macht, dass nicht eine wirkliche Herrschaft Kains über Abel gemeint ist, sondern dass die Beziehung zwischen den Brüdern einer solchen lediglich ähnelt960. V. 153 nec tamen his fractus fratrem deducit ad arva: In V. 153–155 gibt der HD Vet. Lat. gen. 4,8 wieder, wo von der Ermordung Abels berichtet wird. V. 153 bezieht sich auf den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 4,8, nämlich (E) et tunc dixit Cain ad Abel fratrem suum eamus in campum. Durch die Folge von drei Spondeen nach dem daktylischen Versbeginn (hīs frāctūs frātrēm dēducit) wird dem spannungsreichen Moment unmittelbar vor dem Mord auf metrischer Ebene Gewicht verliehen; dieses Gestaltungsmittel wendet der HD auch im folgenden Vers an (dēprēnsūm dēsērt(o) īn). Während in der Bibel lediglich durch et tunc von Gottes warnenden Worten an Kain zu Kains Tat übergeleitet wird, arbeitet der HD durch die konzessive Satzverknüpfung mit nec tamen und das verdeutlichende

954 Vgl. etwa Ov. fast. 4,403, trist. 4,6,2, Sen. Med. 1023–1024, Stat. Ach. 1,280 (Tiere unter dem Joch); Ov. fast. 1,83 und Pont. 4,4,31 (Schlachtung von Tieren); Ov. trist. 4,2,45 und Claud. 28,382 (Unterwerfung/Gefangennahme von Menschen). 955 Vgl. den Kommentar zu V. 144. 956 Homey 2009, 172. 957 Vgl. ebd. 173 Anm. 68. 958 Vgl. OLD s.v. subiectus1 1840 unter 5 b. 959 Vgl. OLD s.v. subiectus1 1840 unter 5 c. 960 Ähnlich formuliert der HD in Hept. gen. 1144 (et sibi ceu domino procurva inflectere colla), wo Joseph träumt, dass Sonne, Mond und elf Sterne sich vor ihm „wie vor einem Herrn“ verneigen.

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his [scil. dictis] fractus961 heraus, dass Kain Gottes Ermahnung nicht beherzigt, wodurch sein Verbrechen umso schwerer wiegt962. Durch die Wiederholung des gleichen Anlauts in fractus fratrem wird Kains Unbeugsamkeit unterstrichen. Anstatt seinen Bruder aufzufordern, mit ihm aufs Feld zu gehen (vgl. Vet. Lat. gen. 4,8 (E) eamus in campum), was Abel ablehnen könnte, führt Kain nach der Darstellung des HD Abel aufs Feld (deducit), wodurch Abel deutlicher in der Opferrolle erscheint. Das Präfix de- kann hier auch implizieren, dass Abel von zu Hause, wo er in Gegenwart der Eltern in Sicherheit wäre, weggeführt wird, damit es für den Mord keine Zeugen gibt. Darüber hinaus weckt deducere Assoziationen, die mit Abels Rolle als Mordopfer korrespondieren: Zum einen kann deducere sich in militärischen Kontexten darauf beziehen, dass der Feind an einen für ihn ungünstigen Ort bzw. in einen Hinterhalt gelockt wird, um ihn zu töten963, was auch auf den einsamen Ort in V. 154 (deserto in gramine) zutrifft. Zum anderen ist an Kontexte zu denken, in denen Tiere bzw. Menschen zur Schlachtung bzw. Opferung abgeführt werden, was wiederum Abels Stilisierung als Prototypus des Opferlammes Christus964 entspricht. So wäre statt ad arva hier geradezu der häufige Hexameterschluss ad aram bzw. ad aras zu erwarten965, der sich in Opferkontexten und in Verbindung mit (de)ducere etwa in Lucr. 1,95–96 (nam sublata virum manibus tremibundaque ad aras / deductast [scil. Iphianassa]), Ov. trist. 4,4,73 (protinus evincti tristem ducuntur ad aram) und Comm. apol. 415 (Esaias ait: Tamquam ovis ductus ad aram) findet. Letzter Beleg bezieht sich auf den gerechten Gottesknecht, von dem es in Vet. Lat. Is. 53,7 heißt (X) tanquam ovis ad victimam adductus (deductus) est. V. 154 atque, ubi deprensum deserto in gramine vidit: Der mit ubi eingeleitete Nebensatz entspricht Vet. Lat. gen. 4,8 (E) cum essent ipsi in campo. Während im Bibeltext die Anwesenheit von Kain und Abel am Tatort neutral festgestellt wird, erzählt der HD aus der Perspektive des künftigen Mörders, der sich vor seiner Tat durch Umschauen vergewissert, dass er nicht beobachtet wird (vgl. vidit). Durch deprensum kommt zum Ausdruck, dass Abel an einem einsamen Ort (deserto in gramine) gleichsam in einer Falle gefangen und Kain hilflos ausgeliefert ist966. Dieser Gedanke wird durch die Wiederholung des gleichen Anlauts in deprensum deserto hervorgehoben und insbesondere dadurch nahegelegt, dass depre(he)ndere in militärischen Kontexten öfters im Sinne einer Gefangennahme

961 Zu his [dictis] fractus vgl. auch Sil. 7,253 und 13,82 sowie in abgewandelter Form Hept. num. 341 und Ios. 306 (frangitur his). 962 Cl. M. Victorius baut diesen Aspekt im Rahmen der Bestrafung Kains ein, vgl. aleth. 2,257– 258 ut, quia praemonitus facinus committere dirum / non timuit, tremeret [...]. 963 Vgl. ThlL 5,1 s.v. deduco 275,43–51. 964 Vgl. den Kommentar zu V. 139, 144b und 152. 965 Vgl. die zahlreichen Belege der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 28.05.2016). 966 Dieser Aspekt der hinterhältigen Ermordung Abels findet sich in etwas anderer Gestalt auch bei Proba und in der Alethia, wo Abels Arglosigkeit und Ahnungslosigkeit hervorgehoben wird, vgl. Proba cento 288 excipit incautum patriasque obtrunctat ad aras und aleth. 2,225– 226 [...] fratremque cavendi / ignarum saeva mactatum caede trucidat.

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mit anschließender Tötung begegnet967. Die Wendung deserto in gramine hat der HD ganz offensichtlich Verg. Aen. 12,664 [...] tu currum deserto in gramine versas entlehnt, wo sie sich an der gleichen metrischen Position befindet968. Es handelt sich dort um die Rede des zu Tode verwundeten Saces an Turnus, der von seiner Schwester Iuturna am Rande des Schlachtfeldes gehalten wird, damit er nicht Aeneas begegnet. Saces hebt hervor, dass Turnus die einzige Hoffnung der Latiner im Kampf gegen die Trojaner sei, und schließt mit dem bitteren Sarkasmus und dem impliziten Vorwurf der Feigheit, dass Turnus seinen Wagen statt im Schlachtgetümmel im einsamen Gras wende. Denkbar ist, dass der HD Kain hier mit der negativen vergilischen Schlüsselfigur Turnus identifizieren will: Beide agieren an einem abgelegenen Ort, Turnus, um – nach Saces’ Auffassung – dem Kampfgetümmel zu entgehen, Kain, um seinen Bruder zu töten. Zugleich spiegelt der einsame Ort, an dem Turnus mit dem Wagen fährt, dessen bevorstehendes Schicksal, denn er wird, hilflos und ohne einen Ausweg zu finden, von Aeneas gejagt und schließlich getötet969. Ebenso steht das einsame Gras in V. 154 für das Verlassensein Abels, der im nächsten Augenblick von seinem Bruder getötet wird. Für die Klausel in gramine vidit nennt Petringa als mögliche Vorbilder Verg. Aen. 3,537 quattuor hic, primum omen, equos in gramine vidi und Aen. 6,684 isque ubi tendentem adversum per gramina vidit [scil. Anchises Aenean]; Vergil liefere hier allerdings nur das Wortmaterial und trage nicht zur konnotativen Anreicherung des Bibeltextes bei970. In Hinblick auf letztere Stelle wäre es jedoch denkbar, dass der HD bewusst einen Kontrast herstellen will zwischen der negativen Begegnung der beiden Brüder auf dem Feld und der positiven Begegnung von Vater und Sohn, also ebenfalls zweier naher Verwandter, im Elysium, zumal er die Kenntnis dieser prominenten Aeneis-Episode bei seinem Publikum wohl voraussetzen kann: Während Anchises seinen Sohn voll Freude auf sich zukommen sieht und ihm beide Hände entgegenstreckt (vgl. Verg. Aen. 6,685 [...] alacris palmas utrasque tetendit), sieht Kain seinen Bruder mit hinterhältiger Absicht im einsamen Gras und erwürgt ihn mit beiden Händen (V. 155), und während Anchises und Aeneas einander im Totenreich begegnen, wobei Aeneas dann wieder zu den Lebenden zurückkehrt, findet die Begegnung von Kain und Abel sozusagen im Reich der Lebenden statt, nimmt aber für Abel einen tödlichen Ausgang. Dieser inhaltliche Kontrast wird durch die syntaktischen Parallele zwischen V. 154 atque ubi deprensum [...] vidit und Verg. Aen. 6,684 isque ubi tendentem [...] vidit noch hervorgehoben971. Eine negative Umfunktionierung von Verg. Aen. 6,684 konnte der HD bereits in Proba cento 433 vorfinden (hunc ubi tendentem adversum per

967 Vgl. etwa Caes. Gall. 5,45,1 quorum pars deprehensa in conspectu nostrorum militum cum cruciatu necabatur; 5,58,6 […] in ipso fluminis vado deprehensus Indutiomarus interficitur […]; Curt. 5,3,19 [...] quod ferarum ritu veluti in fovea deprehensi caederentur. 968 Vgl. zum Folgenden Petringa (La presenza) 2007, 164–165. 969 Vgl. Thomas 1981, 149; Hinweis darauf bei Petringa (La presenza) 2007, 165 Anm. 56. 970 Vgl. Petringa (La presenza) 2007, 165. 971 Ferner ließe sich ggf. eine Parallele zwischen dem rechtschaffenen Abel (V. 155 pia guttura) und dem pius Aeneas konstruieren.

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gramina vidit), wo der Teufel Jesus auf sich zukommen sieht und ihn anschließend in Versuchung führt. V. 155 elidit geminis frendens pia guttura palmis: Der HD gibt hier das Ende von Vet. Lat. gen. 4,8 wieder, nämlich (E) insurrexit Cain super Abel fratrem suum et occidit eum. Während in der Bibel an eine Tötung durch Erschlagen gedacht sein dürfte, wozu Kain sich über seinen Bruder „erhob“ (vgl. insurrexit)972, wird Abel dem HD zufolge von Kain erwürgt. Dieses Erwürgen wirkt vor dem Hintergrund von V. 152 (tibi [...] colla praebebit) geradezu zynisch, so als habe Kain diese Voraussage Gottes allzu wörtlich genommen und seinem Bruder gleich den Hals umgedreht; zum anderen könnte der HD damit einen Kontrast zur Stimme von Abels Blut schaffen wollen (vgl. V. 159–160), die zu Gott schreit, während Abels Schreie von Kain erstickt worden sind. Den Akt des Erwürgens gestaltet der HD im Vergleich zu dem sehr knappen Bericht der Bibel anschaulich aus: So stellt er das Prädikat ēlīdīt an den Versanfang, wo es durch die Abfolge von drei Längen besonders stark unterstrichen wird. Das Hyperbaton geminis [...] palmis973 umklammert gleichsam pia guttura und macht die Erwürgung auf stilistischer Ebene sinnfällig. Bei elidit [....] guttura handelt es sich um eine insbesondere in der Poesie gängige Junktur zur Bezeichnung eines Erwürgens bzw. Erhängens974, der Hexameterschluss guttura palmis findet sich auch in Claud. carm. min. app. 2,57 in Bezug auf den kleinen Herkules, der die Schlangen erwürgt. Durch frendens bringt der HD die sich im Zähneknirschen äußernde Wut Kains auf seinen unschuldigen Bruder zum Ausdruck975 und spielt damit vielleicht auf Ps 36(37),12 an, wonach der Sünder dem Gerechten auflauert und über ihn mit den Zähnen knirscht; in ähnlicher Weise steht frendentes in Hept. gen. 1159 in Bezug auf Josephs hasserfüllte Brüder, die Joseph töten wollen. Pia kann hier im Sinne einer Enallage auf Abel bezogen werden976 und verklammert die Ermordung des rechtschaffenen Abel mit seinen gottgefälligen Opfergaben (V. 146 pia 972 Im Sinne von „erschlagen“ übersetzen etwa Westermann 1976, 384, die Einheitsübersetzung, Luther 1984, die Elberfelder Bibel, Schlachter 2000 und die Neue Evangelische Übersetzung den hebräischen Text an dieser Stelle. Eher unspezifisch drücken sich die LXX (aöpeßkteinen), die Vetus Latina (occidit bzw. die mehrfach bezeugte Variante interfecit, vgl. Fischer 1951, 84) sowie die Vulgata (interfecit) aus. In der bildenden Kunst ist die Mordwaffe u.a. eine Keule aus Holz vom Baum der Erkenntnis, ein Ackergerät, Messer, Schwert oder Stein, daneben wird auch „das waffenlose Töten durch Erwürgen oder Totbeißen“ dargestellt (vgl. Erffa 1989, 370–371, das Zitat S. 371). 973 Zu dieser in der Dichtung häufigen Junktur vgl. etwa Lucan. 8,583, Val. Fl. 4,473, Sil. 15,561.696, Auson. Mos. 132, Claud. 26,254, Sedul. carm. pasch. 5,219. Im Kontext des Brudermordes könnte in geminis auch der Gedanke mitschwingen, dass Kain und Abel Zwillinge sind (vgl. den Kommentar zu V. 136b–137), Abel also von den Händen seines Zwillingsbruders erwürgt wird. 974 Vgl. ThlL 5,2 s.v. elido 372,48–52 mit Belegen ab Ov. Ib. 569. Der poetische Plural begegnet bei guttur seit Prop. 4,5,66, vgl. ThlL 6,2 s.v. guttur 2374,78–79. 975 Das Partizip frendens tritt v.a. bei Dichtern und Rhetoren auf, vgl. ThlL 6,1 s.v frendo (frendeo) 1286,57. 976 Vgl. Homey 2009, 171; zu pius als Attribut Abels in der patristischen Literatur vgl. ebd. 170 Anm. 58.

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vota), deren Darbringung in V. 144 wiederum als eine Art Selbstaufopferung (se devovet) dargestellt worden ist; vor dem Hintergrund dieser Bezüge lässt sich der Tod des Unschuldigen hier als Präfiguration des Opfertodes Christi verstehen977. V. 156 quod factum dominus caelo speculatus ab alto: V. 156–158 beziehen sich auf Vet. Lat. gen. 4,9, wobei V. 156 allerdings keine unmittelbare Entsprechung in der biblischen Vorlage hat, denn dort beginnt nach der erfolgten Mordtat sogleich Kains Verhör durch Gott. Mit dem Szenenwechsel von der Erde zum Himmel, wo Gott das Tun der Menschen beobachtet, knüpft der HD an die auf Homer zurückgehende epische Tradition an, dass die Götter und insbesondere Jupiter von ihrer himmlischen Warte aus das irdische Geschehen verfolgen978; die christliche Dichtung hat diese Vorstellung übernommen und umgeformt979. Die zweite Vershälfte klingt formal an Verg. Aen. 5,515 […] caelo speculatus et alis und Sil. 5,378 […] tumulo speculatus ab alto an, während sich für die Junktur caelo ab alto in der dem HD vorausgehenden Dichtung zahlreiche Belege finden980. Indem der HD im Gegensatz zu seiner biblischen Vorlage explizit erwähnt, dass Gott Zeuge der Mordtat gewesen ist, macht er deutlich, dass Gott seine nun folgende Frage nicht aus Unwissenheit stellt, sondern um Kain die Möglichkeit zu geben, sein Verbrechen zu gestehen. V. 157 disquirit, quonam terrarum degat Abelus: Die Frage Gottes nach dem Verbleib Abels981 (vgl. Vet. Lat. gen. 4,9 (E) et tunc dixit deus ad Cain ubi est frater tuus) gibt der HD in indirekter Form wieder, ebenso wie Kains Entgegnung in V. 158. Der Ernst dieses Verhörs wird durch die Aufeinanderfolge von vier Spondeen (dīsquīrīt quōnām tērrārūm) und die Häufung des Vokals i in disquirit982 hervorgehoben. Der Ersatz des biblischen ubi durch den für die Umgangssprache charakteristischen Ausdruck quonam terrarum983 verleiht Gottes Frage eine gewisse Ironie, denn während Gott fragt, „wo in aller Welt“ denn Abel sei, weiß er doch ganz genau, dass Abels Leiche an Ort und Stelle auf dem Feld vergraben ist984. Ebenso enthält degat einen gewissen ironischen Unterton. Denn 977 Vgl. den Kommentar zu V. 144b, insbesondere die dortigen Verweise auf Homey 2009. 978 Vgl. Gruzelier 1993, 133 zu Claud. rapt. Pros. 1,214 (viderat haec dudum summa speculatus ab arce [scil. Iuppiter]) mit weiteren epischen Belegen. 979 Vgl. etwa Paul. Nol. carm. 17,158–159 qua deus nitens ad humum coruscis / e thronis spectat varios labores, Prud. cath. 2,105–107 Speculator adstat desuper, / qui nos diebus omnibus / actusque nostros prospicit, apoth. 317–318 [...] si solus ab arce / siderea spectet pater aut ardescit in iras?, ham. 646 condidit ergo malum dominus, quod spectat ab alto, Ps. Prosp. carm. de prov. 83 quae si cura Dei celsa spectaret ab arce. Homey 2014, 198 Anm. 53 nennt Hept. gen. 156 als einen von zahlreichen Belegen dafür, dass der HD über die biblische Vorlage hinausgehend betont, dass der transzendente Gott vom Himmel her agiere. 980 An der gleichen metrischen Position etwa in Verg. Aen. 5,542; 8,423, Manil. 4,817, Sil. 9,482, Avien. Arat. 1253, Proba 338, Paul. Nol. carm. 27,62. 981 Zur prosodischen Behandlung von Abelus vgl. den Kommentar zu V. 138. 982 Dieses Verb ist nur im Präsens gebräuchlich, begegnet erstmals bei Horaz und dann erst wieder ab den Scriptores Historiae Augustae, vgl. ThlL 5,1 s.v. disquiro 1450,54–55. 983 Vgl. LHS 53 § 52 unter a. Quo kann im späteren Latein an die Stelle von ubi treten, vgl. ebd. 277 § 156 unter ζ. 984 Vgl. Seebass 1996, 154.

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wenngleich es hier wie in V. 94 abgeschwächt im Sinne von esse gebraucht ist985, steht doch die gängige Bedeutung i.q. vivere986 in einem Spannungsverhältnis zu dem Umstand, dass Abel tot ist. V. 158 ille negat positum custodem se fore fratris: Im Gegensatz zum biblischen Kain, der auf Gottes Frage mit einer Lüge antwortet (vgl. Vet. Lat. gen. 4,9 (E) et dixit nescio), aber immerhin eine Antwort gibt, zeigt sich Kain beim HD als erstaunlich dreist, da er Gott eine Antwort auf seine Frage schuldig bleibt. Stattdessen streitet er gleich die Verantwortung für seinen Bruder ab und tut dies mit noch größerer Entschiedenheit als der biblische Kain, indem er statt der rhetorischen Gegenfrage an Gott (vgl. Vet. Lat. gen. 4,9 (E) numquid custos fratris mei sum ego) eine klare Aussage trifft (vgl. ille negat)987. Bei custodem … fratris arbeitet der HD eng am Wortlaut der Vetus Latina, ersetzt jedoch sum durch positum [...] se fore988 und lässt Kain dadurch betonen, nicht als Hüter seines Bruders eingesetzt worden zu sein, wodurch Kain die Verantwortung auf eine höhere Instanz, etwa seine Eltern oder Gott, abzuschieben scheint. V. 159–160a cui deus effatur: „Nonne vox sanguinis eius / ad me missa sonat: Mit seiner Erwiderung in V. 159–160 (vgl. Vet. Lat. gen. 4,10) schließt Gott das Verhör ab. Die schlichte Redeeinleitung (L) et dixit deus ersetzt der HD durch die poetische, feierlich wirkende Formel cui deus effatur989, wodurch die nun folgende direkte Rede Gottes (V.159–166) besonderes Gewicht erhält. Gottes Frage (L) quid fecisti hoc?, mit der Gott Kain seine Tat implizit „auf den Kopf zusagt“990, lässt der HD wohl aus Gründen der Redundanzvermeidung aus, da Gott die Tat im Folgenden ganz explizit benennt, vgl. (L) vox sanguinis fratris tui clamat ad me de terra. Diese Feststellung, dass Abels Blut von der Erde zu Gott schreie, kleidet der HD in eine mit nonnē991 eingeleitete rhetorische Frage, aus der man Gottes Unwillen über Kains leugnende Haltung heraushören kann. Die Personifikation des Blutes (vox sanguinis) übernimmt der HD wörtlich aus seiner biblischen Vorlage, variiert aber vox [...] clamat durch die zwei poetischen Junk-

985 Vgl. den Kommentar zu V. 94. 986 Vgl. ThlL 5,1 s.v. dego 385,27–386,18. 987 Zu ille bzw. illa negat am Versanfang vgl. auch Hept. gen. 81, 619 und num. 586. Hervorhebend wirkt die Alliteration fore fratris. 988 Fore ist hier spätlateinischer Ersatz für esse, vgl. Georges 1 s.v. forem 2813–2814 unter 3. Fore mit Partizip Perfekt Passiv findet sich auch in Hept. gen. 619 und exod. 254. Überhaupt verwendet der HD öfters fore anstelle von esse, vgl. Peiper 1891, 339 s.v. sum und Stutzenberger 1903, 18. 989 Zur Poetizität von effari vgl. ThlL 5,2 s.v. effor 198,27–28, zur Konnotation des feierlichen Sprechens vgl. OLD s.v. effor 592 unter 1. Zu effatur in Redeeinleitungen vgl. etwa Verg. Aen. 9,295.737; 10,523, Lucan. 3,435, Val. Fl. 4,740, Sil. 6,118; 15,274, Claud. 3,85. 990 Vgl. Westermann 1976, 415. 991 Beim HD wird ein kurzes -e am Wortende oft gedehnt, vgl. Peiper 1891, 345.

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turen vox [...] missa992 und vox [...] sonat993, auf deren letztere ad me in erster Linie bezogen werden sollte, in Analogie zu clamat ad me in Vet. Lat. gen. 4,10. Daneben ist auch ein Bezug von ad me auf missa möglich („die Stimme seines Blutes, die zu mir gesandt worden ist, d.h. sich zu mir erhoben hat“), was implizieren würde, dass die Stimme des Opfers nicht nur zufällig zu Gottes Ohr gedrungen, sondern ganz bewusst an ihn gerichtet worden ist. V. 160b celsumque ascendit ad axem: Während in Vet. Lat. gen. 4,10 die Erde als der Ort ins Auge gefasst wird, von dem aus die Stimme von Abels Blut zu Gott schreit (vgl. (L) clamat ad me de terra), entwirft der HD die Vorstellung vom Himmel, zu dem die Stimme emporsteigt994, und bedient sich bei celsum [...] axem gängiger poetischer Terminologie995. V. 160b lässt sich zum einen als synonymische Amplificatio von V. 160a ad me missa sonat auffassen996, wodurch betont werden soll, dass Gott die Stimme von Abels Blut tatsächlich hört, auch wenn er sich hoch oben im Himmel befindet. Ausgehend von der These Homeys, dass der HD in seinem Text implizit typologische Bezüge anlegt und Abel dezent als Praefiguratio Christi stilisiert997, könnte darüber hinaus erwogen werden, ob durch das Aufsteigen von Abels Stimme zum Himmel Abel als Prototyp des Auferstandenen erscheinen soll. Der Gedanke, dass Abel über seinen Tod hinaus lebt, kann aus Hebr 11,4 abgeleitet werden, denn dort wird unter Bezugnahme auf Gen 4,10 betont, „daß A[bel] durch den Glauben über seinen Tod hinaus ‚noch redet‘ [...]. Damit wird die todüberwindende Kraft des Glaubens verdeutlicht [...]“.998 Ambrosius erklärt in Cain et Ab. 2,9,31 das Schreien der Stimme von Abels Blut damit, dass Gott seine Gerechten höre, auch wenn sie tot seien, da sie in Gott lebten; auch wenn sie körperlich gestorben seien, erlangten sie doch ein körperloses Leben und genössen das ewige Licht999. In der apokryphen „Himmelfahrt des Jesaja“ 992 Vgl. etwa Catull. 64, 166 nec missas audire queunt nec reddere voces, Lucr. 5,1173–1174 […] vocesque superbas / mittere, Hor. ars 390 [...] nescit vox missa reverti, Prop. 4,7,11 spirantisque animos et vocem misit [...], Epiced. Drusi 352 nec vox missa potest principis ore tegi, Iuvenc. 1,163 Talis et attonitis caelo vox missa cucurrit, 1,184 Quod Mariae vox missa Deo praecepit […], 1,360 Tunc vox missa Dei longum per inane cucurrit, Prud. ham. praef. 10 vox ecce summo missa persultat throno, Hept. exod. 89 […] missas de pectore voces, 141 tum vox missa sonat […], 1204 […] multimodas in caelum mittere voces. 993 Vgl. etwa Catull. 63,21, Verg. Aen. 1,328, Sen. Phaedr. 1154, Val. Fl. 2,226, Sil. 2,252. 994 Zu dieser Vorstellung vgl. auch Comm. instr. 1,26,31 Sanguis enim fratris ad me perclamavit in altum. Zu ascendere bezogen auf Hörbares vgl. auch Vulg. exod. 2,23 (clamor), I Sam. 5,12 (ululatus), I Macc. 5,31 (clamor) und IV Esdr. 12,7 (deprecatio). 995 Zu axis als Bezeichnung für den ganzen Himmel vgl. OLD s.v. axis1 222 unter 5 mit ausschließlich poetischen Belegen, insbesondere von Vergil; zu celsus als Attribut zu Himmel und Gestirnen vgl. ThlL 3 s.v. celsus 773,50–61 mit fast ausschließlich poetischen Belegen ab Manilius; zu celsum [...] axem vgl. auch Avien. Arat. 974. 996 Vgl. Roberts 1978, 292 Anm. 91. 997 Vgl. Homey 2009, 169–173 sowie den Kommentar zu V. 144b. 998 Vgl. Schrenk 2001, 954. 999 Vgl. Ambr. Cain et Ab. 2,9,31 Non mediocre etiam dogma quod ait: vox sanguinis fratris tui ad me clamat, quia deus iustos suos audit etiam mortuos, quoniam deo vivunt. et merito pro viventibus habentur, quia etsi corporis gustaverint mortem, vitam incorpoream tamen carpunt et inluminantur suorum splendore meritorum, luce quoque fruuntur aeterna. Vgl. auch

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

(Asc. Jes. 9,8) „sitzt der ‚hl. A[bel]‘ mit allen Gerechten, aber noch ohne Thron und Krone, im Himmel und wartet auf die Menschwerdung und Auferstehung des ‚Geliebten‘“1000. Als weiteres Argument dafür, dass der HD durch ascendit den Bibeltext für eine christologische Perspektive öffnen will, ließe sich anführen, dass ascendere in christlichen Kontexten insbesondere zur Bezeichnung der Himmelfahrt Jesu verwendet wird1001. V. 161 nosce igitur mansura tibi pro crimine tanto: Die Bestrafung Kains, die in Vet. Lat. gen. 4,11 unmittelbar auf die Feststellung von Kains Vergehen folgt, bereitet der HD hier vor. Durch igitur erscheint die Bestrafung als logische Schlussfolgerung aus dem Verbrechen, mit dem Imperativ nosce fordert Gott Kains Aufmerksamkeit für die nun folgenden Worte ein1002. Über den Bibeltext hinausgehend will der HD offenbar den dauerhaften Charakter der Strafe und die Schwere von Kains Verbrechen hervorheben, angesichts derer die Strafe verhältnismäßig erscheint: So steht manere, das sich im Sinne von imminere, instare, destinatum esse an sich schon auf die Zukunft bezieht1003, zusätzlich im Futur (mansura)1004, um die lebenslange Gültigkeit der im Folgenden verhängten Strafe zu betonen. Bei pro crimine tanto steht das Attribut tanto zum Zwecke der Hervorhebung entgegen der usuellen Wortstellung nach seinem Bezugswort1005. V. 162 nam modo quae maduit germani sanguine terra: Der HD bezieht sich zunächst auf den zweiten Teil von Vet. Lat. gen. 4,11, wo die Erklärung für die Verfluchung geliefert wird (vgl. (L) quae [scil. terra] aperuit os suum ad excipiendum sanguinem fratris tui de manu tua). Dabei ersetzt er die magische Vorstellung von der Erde als einem Wesen, das das Blut des Ermordeten geschluckt hat1006, durch das in der heidnischen und christlichen Literatur gängige Bild von der Erde, die vom Blut getöteter Menschen trieft bzw. nass wird1007. Drastischer stellt Cl. M. Victorius den Sachverhalt in aleth. 2,252 dar, indem er nicht die Erde, sondern Kain selbst vom Blut des Mordes triefen lässt ( [...] tali tunc caede madentem). Petringa sieht in V. 162 einen bewussten Anklang an Verg. Aen. 12,691

2,9,37 vide igitur quam perpetua vita iustorum et nulla sit inproborum. iusti sanguis clamat et mortui, vita autem peccatoris absconditur. 1000 Vgl. Schrenk 2001, 955. 1001 Vgl. ThlL 2 s.v. ascendo 756,30–37. 1002 Nosce begegnet in der Heptateuchdichtung ferner in exod. 979 und 986, wo Gott zur Kenntnisnahme seiner Gebote auffordert. 1003 Vgl. ThlL 8 s.v. maneo 290,71–291,10. 1004 Die Substantivierung des Partizips Futur Aktiv im Neutrum Plural findet sich, wenn auch selten, bereits in klassischer Zeit, vgl. LHS 157 § 91 unter c. 1005 Zu crimine tanto am Hexameterende vgl. auch Stat. Theb. 1,156, Prud. tituli 39,156, Mar. Victor. aleth. 1,500, Claud. 5,71 u.ö. 1006 Vgl. Westermann 1976, 416. 1007 Das Perfekt maduit ist hier nicht auf madere, sondern auf madescere zurückzuführen, vgl. ThlL 8 s.v. madesco 35,40. Zur Tradition des Bildes vgl. Petringa (La presenza) 2007, 166 Anm. 59 mit Belegen von Vergil bis Coripp. In etwas abgewandelter Form begegnet das Bild in Lucan. 1,95 in Bezug auf das Blut des ermordeten Remus, vgl. fraterno primi maduerunt sanguine muri (vgl. ebd. 166 Anm. 61).

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sanguine terra madet striduntque hastilibus aurae1008, eine Passage im Kontext des Krieges zwischen Latinern bzw. Rutulern und Trojanern: An der Stadtmauer, wo die Erde nass vom Blut der vielen getöteten Krieger ist, erklärt Turnus, dass er zum Zweikampf mit Aeneas bereit sei, um den Krieg zu entscheiden. Der HD spiele zum Zwecke der Kontrastimitation auf diesen Vergilkontext an, da Turnus, der sich zunächst dem Kampfgeschehen im einsamen Gras entzogen habe (vgl. Aen. 12,664)1009, nun im heroischen Kampf seine Ehre wiederherstellen könne, während dem Brudermörder Kain dies nicht gelingen werde; Kain werde vielmehr gezwungen sein, als Flüchtiger zu leben, und werde sich nicht einmal durch den Tod rehabilitieren können, da Gott ihm diesen verweigere. Aufgrund der deutlichen syntaktischen Unterschiede zwischen V. 162 und Verg. Aen. 12,691 dürfte sich diese Parallele dem Rezipienten nicht gerade aufdrängen, so dass durch das häufige Bild der bluttriefenden Erde vielleicht eher allgemein die Vorstellung von Krieg und Mord evoziert wird. Darüber hinaus konnte der HD dieses Bild in Ambr. Cain et Ab. 2,9,30 im gleichen Kontext vorfinden (quae [scil. terra] adhuc parricidii tui sanguine madet), wo ebenfalls betont wird, dass der Mord nur kurze Zeit zurück liegt (vgl. quae adhuc [...] madet und modo quae maduit). Die biblische Wendung sanguinem fratris greift der HD in Form von germani sanguine auf, um durch das Substantiv germani die enge, auf Blutsverwandtschaft beruhende Bruderbeziehung zwischen Kain und Abel hervorzuheben1010, welche den Mord umso schlimmer erscheinen lässt. Diesen Aspekt hebt auch Proba in cento 287–288 hervor ([...] consanguinitate propinquum / excipit incautum patriasque obtruncat ad aras) sowie Prudentius in ham. praef. 16 (germana curvo colla frangit sarculo), wonach Kain das Genick seines leiblichen Bruders mit einer Hacke bricht. Die Junktur germani sanguine findet sich im Zusammenhang mit wirklichem oder unterstelltem Brudermord auch in Culex 257 (impia germani manat quod sanguine dextra) und an der gleichen metrischen Position in Paul. Nol. carm. 21,416 (cumque laborarem germani sanguine caesi)1011, wobei aber fraglich ist, ob diese Texte prominent genug sind, um sich allein durch die Junktur germani sanguine beim Rezipienten in Erinnerung zu bringen1012. V. 163–164a inviso maledicta tibi conmissa negabit / semina: Der HD nimmt hier zum einen auf den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 4,11 ((L) et nunc maledictus tu a terra) Bezug. Während aber dem Bibeltext zufolge Kain selbst „weg von der Erde“ verflucht wird, tilgt der HD diese für seine christlichen Leser problematische Vorstellung und lässt die Erde verflucht sein, in Anlehnung an Vet. 1008 Vgl. Petringa (La presenza) 2007, 165. 1009 Zur Beziehung zwischen Verg. Aen. 12,664 und Hept. gen. 154 vgl. Petringa (La presenza) 2007, 164–165 sowie den Kommentar zu V. 154. 1010 Vgl. ThlL 6,2 s.v. germanus 1915,10–24: Ursprünglich und im strengen Sinn bezieht sich germanus auf Brüder bzw. Schwestern derselben Eltern; seit der augusteischen Dichtung steht es ganz allgemein für den Bruder bzw. die Schwester. 1011 In Culex 257 geht es um die Brüder Eteocles und Polynices, während Paulinus von Nola berichtet, dass er zu Unrecht des Mordes an seinem Bruder angeklagt worden sei. 1012 Vgl. dagegen Petringa (La presenza) 2007, 166–167, die eine subtile Bezugnahme des HD auf Paulinus von Nola annimmt.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

Lat. gen. 3,17, wo der Erdboden bei Adams Werken mit einem Fluch belegt wird1013. Dabei hatte er möglicherweise die mehrfach bezeugte Vetus-LatinaVariante maledicta terra anstelle von maledictus tu a terra vor sich1014. Trotzdem ist der ursprüngliche Bezug des Fluches auf Kain durch īnvīsō noch spürbar, welches bereits in V. 108 die von Gott verfluchte Schlange bezeichnet (praecipiens cunctis invisum vivere monstrum) und durch die drei langen Silben am Versanfang hervorgehoben ist: Kain ist vor Gott verhasst, so wie die Schlange als ein allen verhasstes Untier leben muss. Der von maledicta abhängige Dativ inviso [...] tibi1015 sollte nach Art eines Participium coniunctum kausal aufgefasst werden, d.h. die Erde ist für Kain verflucht, weil er Gott verhasst ist. Zum anderen verarbeitet der HD hier den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 4,12 ((I) quoniam operaberis terram et non adiciet virtutem suam dare tibi); die Erde, die das Blut des Ermordeten aufgenommen hat, wird Kain künftig ihre fruchtbare Kraft verweigern, wenn er sie bearbeitet. Der HD konkretisiert diese Vorstellung, indem er davon spricht, dass die Erde die Samen „ablehnen“ wird (negabit / semina), die man ihr anvertraut (conmissa). Die Junktur semina committere ist in der Dichtung seit Vergil geläufig1016; während aber negare gewöhnlich den Umstand bezeichnet, dass die personifizierte Erde die Hervorbringung von Pflanzen und Früchten „verweigert“1017, scheint die Verbindung semina negare sonst nur in Boeth. cons. 1 carm. 6,3–4 aufzutreten (tum qui larga negantibus / sulcis semina credidit), wonach die Ackerfurchen für die zur Unzeit ausgesäten Samen nicht aufnahmebereit sind und folglich auch keine Frucht hervorbringen. V. 164b et absumptis fructum non proferet herbis: Der Gedanke, dass die Erde überhaupt keine Frucht hervorbringen wird (fructum non proferet), findet sich in dieser Deutlichkeit nicht in Vet. Lat. gen. 4,12 ((I) et non adiciet [scil. terra] virtutem suam dare tibi), wohl aber in der Vulgata (non dabit tibi fructus suos). Es ist aber fraglich, ob dieser Umstand für eine Kenntnis und Verwendung der Vulgata durch den HD spricht, denn bereits in Gottes Strafrede an Adam deutet der HD die Erschwerung der landwirtschaftlichen Arbeit durch das Unkraut verschärfend dahingehend um, dass das Unkraut anstelle des Weizens wächst (vgl. V. 120–121). Noch radikaler spricht Proba in diesem Zusammenhang davon, dass Adam vergeblich auf die Ernte warten werde und seinen Hunger mit Hilfe 1013 Vgl. Vet. Lat. gen. 3,17 (K) maledicta terra erit in omnibus operibus tuis // (E) maledicta terra in operibus tuis. 1014 Zur Bezeugung vgl. Fischer 1951, 85. 1015 Zur Verbindung von maledictus mit dem Dativ vgl. etwa maledicta terra erit tibi in Aug. gen. c. Manich. 1,13,19; 2,1,2; 2,20,30 bezugnehmend auf Vet. Lat. gen. 3,17. Zum christlichen Sprachgebrauch von maledictus im Sinne von i.q. exsecratione obstrictus vel dignus vgl. ThlL 8 s.v. maledico/maledictus 167,45–168,23. 1016 Vgl. etwa Verg. georg. 1,223, Moret. 69, Tib. 1,7,31, Avien. orb. terr. 1186, Prud. c. Symm. 2,1024. 1017 Vgl. etwa Ov. trist. 3,10,73 poma negat regio […], Plin. nat. 21,5 cum terra flores negat, Ambr. in Luc. 5,79 […] malis fecunda non negat terra proventus, Petr. Chrys. serm. 45,7 Terra negat fructus [...], Amm. 28,5,14 [...] vel segetum copiam negaverit terra, Hept. gen. 220 terra negat fructum […].

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von Eicheln werde stillen müssen (vgl. cento 258–260). Da die Erde aufgrund ihrer Verfluchung die von Kain gesäten Samen ablehnt (vgl. V. 163–164a conmissa negabit / semina), bringt sie Halme hervor (vgl. herbis)1018, die offenbar so kraftlos und wenig widerstandsfähig gegen Umwelteinflüsse sind, dass sie absterben (absumptis)1019, bevor sie Früchte ansetzen können. Neben dieser Ursache für das Absterben der Halme, die in der Verfluchung der Erde und ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den Samen wurzelt, könnte sekundär auch an eine Getreidekrankheit zu denken sein, wie dies in Proba cento 294–295 im gleichen biblischen Kontext zum Ausdruck kommt1020. V. 165 torpidus ut multo conlidens membra tremore: In V. 165–166 wird der zweite Teil von Vet. Lat. gen. 4,12 behandelt ((E) gemens et tremens eris super terram). Durch das konsekutive ut erscheint das Zittern und Seufzen (vgl. V. 166 suspiria ducas) deutlicher als in der Bibel, wo diese Aussage unverbunden angeschlossen wird, als Folge der Unfruchtbarkeit der Erde und des sich daraus ergebenden Nahrungsmangels. Der HD zieht an dieser Stelle ganz offensichtlich nicht die Vulgata heran, denn diese lautet vagus et profugus eris super terram; von einem unsteten und flüchtigen Dasein Kains wird in der Heptateuchdichtung nicht gesprochen. In V. 165 veranschaulicht der HD den Aspekt des Zitterns ((E) tremens) auf geradezu hyperbolische Weise durch conlidens membra und multo [...] tremore. Collidere begegnet häufiger in der Prosa als in der Dichtung1021 und findet sich in Bezug auf das Aneinanderschlagen von Gliedmaßen durch Zittern auch in Hier. epist. 14,10,3 (super nudam metuis humum exesa ieiuniis membra conlidere?), wo es um einen durch Fasten geschwächten Körper geht; ein ähnlicher Gedanke könnte auch V. 165 zugrunde liegen: Denn wenn die Erde Kain keine Nahrung mehr gewährt, wird er durch Hunger entkräftet sein. In Verbindung mit torpidus, das eine Erstarrung zum Ausdruck bringt, ist bei dem Zittern ferner an eine Schüttellähmung zu denken oder auch an Kälte, die wiederum in theologischer Hinsicht mit der Sünde verbunden werden kann1022. Noch drastischer als der HD arbeitet Cl. M. Victorius Kains Zittern heraus und erklärt es als Folge von Kains Abscheu gegenüber seiner Untat1023. V. 166 funere ceu iuncto semper suspiria ducas: Mit suspiria ducas veranschaulicht der HD den Aspekt des Seufzens in Vet. Lat. gen. 4,12 ((E) gemens) und bedient sich dabei einer in der Poesie gängigen Junktur1024. Zugleich scheint suspiria an V. 123 (plurima sollicitos praestent suspiria victus) anzuknüpfen, wo Gott in seiner Strafrede an Adam ankündigt, dass dieser nun unter vielen Seufzern 1018 Vgl. ThlL 6,3 s.v. herba 2622,57–2623,28 unter II tenera satorum gramina, prima quae exit ex terra viriditas, praecipue frumenti. 1019 Zu absumi im Sinne von perire, mori vgl. ThlL 1 s.v. absumo 218,54–78. 1020 Vgl. Proba cento 294–295 mox et frumentis labor additus, ut mala culmos / esset robigo et victum seges aegra negaret. 1021 Vgl. ThlL 3 s.v. collido 1601,74–77. 1022 Zum Zusammenhang von Kälte und Sünde vgl. den Kommentar zu V. 96b. 1023 Vgl. Mar. Victor. aleth. 2,262–264 […] corpus quoque frangeret horror / criminis ac totos vehemens exiret in artus / motaque praecipiti raperentur membra rotatu. 1024 Vgl. etwa Ov. met. 1,656; 10,402, Prop. 1,3,27, Mart. 11,39,9, Sil. 8,209, Stat. silv. 3,5,2.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

seinen Lebensunterhalt werde erwerben müssen. Über die biblische Vorlage hinausgehend betont semper, das durch die s-Häufung in semper suspiria hervorgehoben ist, dass das Seufzen für Kain zu einem Dauerzustand werden wird, der dem Gefühl einer ständigen Bedrohung durch den bevorstehenden (Hunger-)Tod gleichkommt (funere ceu iuncto). Funere ist hier im Sinne von morte, obitu verwendet1025, iuncto im Sinne von instante wie in Stat. Theb. 4,615 iunctae sentit confinia mortis oder Hept. gen. 1492 […] iuncti metitus tempora leti1026. V. 167 territus ille gemit mortemque a numine poscit: Durch territus ille1027 gemit fasst der HD sehr knapp Kains Klagereaktion auf Gottes Worte in Vet. Lat. gen. 4,14 zusammen, wobei gemit offensichtlich an (I) ero gemens anknüpft: Wenn Gott Kain heute vom Acker und von seinem Angesicht vertreibe, werde er sich verbergen ((I) si eicis me hodie a facie terrae et a facie tua abscondam me); seufzend und zitternd werde er auf der Erde sein und jeder, der ihn finde, werde ihn töten können ((I) et ero gemens et tremens super terram et erit omnis qui invenerit me occidet me). Während aber der biblische Kain fürchtet, als Ausgestoßener getötet zu werden1028, verlangt Kain dem HD zufolge nach dem Tod (mortemque […] poscit)1029, wohl um der Strafe des qualvollen Lebens zu entkommen; in diesem Sinne deutet auch Hieronymus in epist. 36,2–31030 Kains Worte. Poscere kann im Sinne von orare, precari verwendet werden und steht dann in heidnischen wie christlichen Zusammenhängen, in denen jemand etwas von den Göttern bzw. Gott erbittet1031, so auch in Hept. exod. 558 (ille [scil. Moyses] deum poscit), num. 106 (hoc Christum poscite fatu) und num. 249 (inmensumque deum tanto pro crimine poscit [scil. Moyses]). Die metonymische Verwendung von numen für einen bestimmten Gott1032 wird in der christlichen Dichtung auf den jüdischchristlichen Gott übertragen1033 und begegnet in der Heptateuchdichtung auch in gen. 708 (mandata […] numinis alti), gen. 741 (numinis orsis) und iud. 268 (numinis iras). V. 168 quae tamen infenso non est concessa Tonante: V. 168–171 entsprechen Vet. Lat. gen. 4,15 mit Gottes Erwiderung auf Kains Rede und der Zeich1025 Vgl. ThlL 6,1 s.v. funus 1604,52–1605,35 mit zahlreichen poetischen Belegen. 1026 Vgl. ThlL 7,2 s.v iungo 655,76–78. 1027 Territus ille findet sich in der hexametrischen Dichtung mehrfach am Versende, vgl. Verg. Aen. 9,793, Stat. Theb. 5,553; 9,814, Claud. 21,335, Paul. Nol. carm. 18,391. 1028 Vgl. Westermann 1976, 422. 1029 Zur Formulierung vgl. auch Lucan. 6,821 stat vultu maestus tacito mortemque reposcit; den Unterschied zur biblischen Vorlage erkannte bereits Best 1891, 6. 1030 Vgl. Hier. epist. 36,2,4 verum deus nolens eum conpendio mortis finire cruciatus [...] ait: non sic, id est: ʻnon, ut aestimas, morieris et mortem pro remedio accipies […]ʼ; 36,3 (vergleichend) loquatur inter verbera servus ad dominum: ʻquia incendi domum tuam et universam substantiam dissipavi, interfice meʼ dominusque respondeat: ʻnon, ut vis, morieris et finies morte supplicia […]ʼ. 1031 Vgl. ThlL 10,2 s.v. 1. posco 75,75–76,2 (heidnisch) und 76,31–41 (christlich). 1032 Vgl. Forc. 3 s.v. numen 406 unter II 5 mit überwiegend poetischen Belegen. 1033 Vgl. etwa Iuvenc. 1,89 […] mater numinis alti [scil. Maria], Ps. Hil. evang. 2 […] verbo conceptum numinis alti, Paul. Nol. carm. 22,116–117 […] avertit et iras / numinis […], Prud. cath. 5,106 insignis pietas numinis unici.

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nung Kains. Gottes Rede fasst der HD berichtend zusammen, wobei er mit V. 168 den Anfang von Vet. Lat. gen. 4,15 wiedergibt ((I) et dixit ei dominus non sic). In der Bibel widerspricht Gott Kains Befürchtung, dass jeder, der ihn finde, ihn töten könne, d.h. Gott lässt sich auf eine Milderung der Strafe1034 ein, indem er eine straflose Tötung Kains unterbindet. Beim HD dagegen ist Gottes Widerspruch gerade nicht als ein Eingehen auf Kain zu verstehen, sondern als eine klare Ablehnung von dessen Bitte: In seinem Zorn (infenso) gewährt Gott, der hier situationsgerecht als Donnerer (Tonante)1035 bezeichnet wird, Kain nicht den ersehnten Tod, damit er sich seiner Strafe nicht entziehen kann, er verurteilt ihn sozusagen zum Leben. Diesen Gedanken konnte der HD bereits bei Ambrosius vorfinden, der in Cain et Ab. 2,9,37 erklärt, das lange Leben Kains stelle die Strafe dar, da er es in Angst und fruchtloser Mühe hinbringe; keine Strafe sei schwerer, als wenn jemand sich selbst Ursache für noch größere Strafen sei1036. Ebenso deutet Hieronymus in epist. 36,2–3 Gottes negierende Antwort in Gen 4,15 dahingehend, dass Kain seine Strafe nicht durch den Tod abkürzen soll1037. V. 169 nam mala promeritus signo fit notus inusto: Durch nam arbeitet der HD den Kausalzusammenhang zwischen der Verweigerung des Todes (V. 168) und der Setzung des Zeichens heraus (vgl. Vet. Lat. gen. 4,15 (I) et posuit dominus deus Cain signum). Kain wird durch das Zeichen bekannt oder gar berüchtigt gemacht (notus)1038, damit er nicht getötet wird und auf diese Weise seiner Strafe entgehen kann, die in seinem jämmerlichen Dasein besteht1039. Dieser Zusammenhang zwischen dem Zeichen und Kains Strafwürdigkeit kommt insbesondere durch mala promeritus zum Ausdruck, was gemäß der Grundbedeutung von promerere bzw. promereri bedeuten kann, dass Kain Übles verdient hat1040, also ein qualvolles Leben als Strafe; weniger naheliegend erscheint die Einordnung von V. 169 im ThlL, wonach mala promeritus hier im Sinne von „Böses verschulden“ aufzufassen ist1041. In der Bibel erfolgt die Kennzeichnung Kains dagegen im Sinne einer Strafmilderung zu Kains Schutz1042. Während sich der Bibeltext nicht zur Art des Zeichens äußert1043, denkt der HD an eine Brandmarke (signo [...] inusto), wie sie in der Natur etwa durch einen Blitz zustandekommt1044, insbesondere aber 1034 Vgl. Westermann 1976, 422. 1035 Vgl. den Kommentar zu V. 65b. 1036 Vgl. Ambr. Cain et Ab. 2,9,37 ergo et isti Cain longaevitas indulta vindicta est, eo quod vixit in metu et prolixum spatium multo cucurrit et infructuoso labore, qua poena nihil gravius quam ut quis ipse sibi maiorum causa poenarum sit. 1037 Zitiert in Anm. 1030 S. 334. 1038 Vgl. OLD s.v. notus1 1194 unter 7. 1039 Zu diesem Zweck des Zeichens vgl. auch Mar. Victor. aleth. 2,280–281 ne quisquam perimat ferroque abolere laboret / quem poenas solvisse videt. 1040 Vgl. ThlL 10,2 s.v. promereo(r) 1844,35–56. 1041 Vgl. ebd. 1846,17–18; Hept. gen. 169 wird hier im Zusammenhang mit Plaut. Men. 983b (postquam malum promeriti) genannt. 1042 Vgl. Westermann 1976, 419 und 423. 1043 In der modernen Exegese ist viel über die Art des Zeichens spekuliert worden, vgl. etwa Westermann 1976, 427 und Seebass 1996, 159. 1044 Vgl. Lucr. 6,220–221 fulmina, declarant ictus et inusta vaporis / signa […].

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zur Kennzeichnung von Schwerverbrechern und von Sklaven verwendet wurde, um ein Entlaufen zu verhindern1045. Übertragen auf Kain bedeutet dies, dass er stigmatisiert wird, damit er nicht durch den Verlust seines Lebens seiner eigentlichen Strafe „entlaufen“ kann. Die Vorstellung, dass es sich bei dem signum Kains um eine Brandmarke wie bei einem Sklaven handelt, findet sich auch in Ambr. epist. 2,7,31 (Itaque quasi servus signum accepit nec sic tamen necem potuit evadere), allerdings in einem anderen argumentativen Kontext als beim HD1046. V. 170 sternere ne ferro liceat cuicumque nocentem: In recht enger Anlehnung an den biblischen Wortlaut gibt der HD den Zweck von Kains Kennzeichnung ebenfalls mit einem mit ne eingeleiteten Finalsatz wieder (vgl. Vet. Lat. gen. 4,15 (I) ne eum occideret omnis qui invenisset) und greift omnis in Gestalt von cuicumque auf1047. Dabei spielt er zum Zwecke der Kontrastimitation auf den Vergilvers Aen. 7,692 (quem neque fas igni cuiquam nec sternere ferro) an, der sich auf die Unverwundbarkeit des Messapus, eines Verbündeten des Turnus, bezieht1048: Abgesehen von der Junktur sternere ferro1049, die in beiden Fällen im Infinitiv erscheint, entsprechen sich ne [...] liceat und neque fas sowie in formaler Hinsicht die Indefinitpronomina cuicumque und cuiquam. Während aber die Unverwundbarkeit des Messapus, die mit seiner Abkunft von dem Gott Neptun in Verbindung gebracht werden kann, eine positive Eigenschaft ist, die ihm im Kampf nützt und ihn zu einem sehr tapferen Krieger macht1050, handelt es sich bei Kains von Gott auferlegter „Unverletzbarkeit“ um eine Strafe1051. Außerdem ist Kain das Gegenteil eines tapferen Kämpfers, da er seinen Bruder an dem einsamen Ort feige ermordet hat und daher mit dem Substantiv nocentem zu bezeichnen ist. Dieses steht allgemein für den Verbrecher, in christlichen Kontexten aber insbesondere für den Sünder1052 und kommt innerhalb der Heptateuchdichtung mehrfach in Bezug auf Personen vor, die sich schuldig machen1053. Durch nocentem wird ferner über den Bibeltext hinausgehend plausibel gemacht, warum jeder einen Grund dazu hätte, Kain zu töten. V. 171 ne maius septena parent discrimina funus: Hier nimmt der HD auf den zunächst ausgelassenen Teil von Vet. Lat. gen. 4,15 Bezug, wonach jeder, der Kain tötet, siebenfach bestraft werden soll, vgl. (I) omnis qui occiderit Cain septem vindictas exsolvet. Die Formulierung des Verses wirkt kryptisch und lässt 1045 Vgl. G. Schiemann, Art. „Signum [3]“, in: DNP 11, 2001, 540 sowie A. Hug, Art. „Stigmatißaw“, in: RE 2. Reihe 3,2, 1929, 2520–2522. 1046 Wer Angst vor dem Tod hat und am Leben hängt, ist unfrei und gleichsam ein Sklave. Als Beispiel für einen solchen Menschen wird Kain genannt, der trotz des Zeichens, das sein Leben schützen sollte, dem Tod nicht entgangen ist. 1047 Zu quicumque im Sinne von omnis vgl. den Kommentar zu V. 110b. 1048 Proba entlehnt diesen Vergilvers im Zusammenhang mit dem verbotenen Baum im Paradies, vgl. cento 149 quam neque fas igni cuiquam nec sternere ferro. 1049 Zu ferro vgl. auch Mar. Victor. aleth. 2,280 im gleichen Kontext. 1050 Zu Messapus vgl. H. Lamer, Art. „Messapos 2“, RE 15,1, 1931, 1209. 1051 Vgl. den Kommentar zu V. 169. 1052 Vgl. OLD s.v. nocens 1183 unter 2 b und Blaise s.v. nocens 555 unter 2. 1053 Vgl. etwa Hept. gen. 180, exod. 738, 815, 886, 936.

5. Kain und Abel (V. 134–171)

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verschiedene Auffassungsmöglichkeiten zu: 1. Während in der Bibel Kains Leben geschützt werden soll, indem seinem potentiellen Mörder eine siebenfache Strafe droht, geht es beim HD offenbar darum, dass Kains Mitmenschen vor der Strafe bewahrt werden sollen, die eine Tötung Kains nach sich zieht. Diese siebenfache Strafe fasst der HD im Sinne von sieben Gefahren (septena discrimina)1054 auf, welche ein „größeres Begräbnis“ bzw. „größeres Sterben“ (maius [...] funus) hervorrufen1055 als den Tod des einen Kain, d.h. wenn jemand Kain tötet, müssen nach dem Talionsprinzip sieben Menschen aus seiner Familie sterben1056. Dieses im Vergleich zu Kains Tod größere Ausmaß an Tod wird auf syntaktischer Ebene durch das Hyperbaton maius [...] funus hervorgehoben. Discrimina steht hier also für die tödliche Gefahr und konkret für den Tod, wie dies in der Heptateuchdichtung häufiger der Fall ist1057. 2. Eine andere Deutungsmöglichkeit, die sich auf die Exegese des Hieronymus stützen kann, besteht darin, die siebenfache Bestrafung auf Kain selbst zu beziehen; derjenige, der Kain tötet, wird Kains siebenfache Bestrafung aufheben, also beenden (vgl. Vet. Lat. gen. 4,15 (I) septem vindictas exsolvet)1058. In den apokryphen gnostischen Adamschriften werden diese sieben Strafen Kains aufgeführt, die aufgrund ihrer Schwere durchaus als „Gefahren“ (discrimina) bezeichnet werden können1059. Gott will somit durch die Zeichnung Kains verhindern, dass jemand ihn in der (mitleidigen) Absicht tötet, dass seine siebenfache Bestrafung ihm nicht ein noch schlimmeres Ende (maius [...] funus)1060 bereitet; denn noch schlimmer, als gleich mit dem Schwert getötet zu werden, ist es, für den Rest seines Lebens eine siebenfache Strafe zu verbüßen1061. Der mit ne eingeleitete Finalsatz in V. 171 gibt somit die Absicht des in V. 170 genannten cuicumque wieder. Diese Auffassungsmöglichkeit wird durch V. 180– 181 nahegelegt, wo der HD die siebenfache Rache für die Tötung Kains und die

1054 Der Anklang an Verg. Aen. 6,646 obloquitur numeris septem discrimina vocum, der von Petringa (La presenza) 2007, 167–168 und von Peiper 1891, 276 festgestellt wird, ist rein formal, da es bei Vergil um die sieben verschiedenen Saiten bzw. Töne der Lyra geht. 1055 Zu funus im Sinne von mors, obitus, caedes vgl. ThlL 6,1 s.v. funus 1604,52–1605,35. 1056 Vgl. Gunkel 1964, 46. 1057 Vgl. Hept. gen. 115 (tödliche Gefahr bei Geburten), gen. 329 (Sintflut), exod. 592 (drohender Hungertod in der Wüste), exod. 814 (Totschlag), num. 452 (Massensterben). 1058 Vgl. insbesondere Hier. epist. 36,2,4 […] non quod ipse, qui percusserit Cain, septem ultionibus subiciendus sit, sed quod septem vindictas, quae in Cain tanto tempore cucurrerunt, solvat interfector occidens eum, qui vitae fuerat derelictus ad poenam. 1059 Vgl. Ranke-Graves/Patai 1986, 115: „Gott verhängte sieben Strafen über Kajin, die schlimmer waren als der Tod selbst, nämlich ein schmachvolles Horn, das aus seiner Stirn wuchs; den Schrei ‚Brudermord!‘, von dem Berge und Täler widerhallten; eine Lähmung, die ihn wie ein Pappelblatt zittern ließ; einen unersättlichen Hunger, der nie gestillt wurde; Nichterfüllung eines jeden Wunsches; ein ständiger Mangel an Schlaf und eine Anordnung, derzufolge sich kein Mensch mit ihm anfreunden oder ihn töten durfte.“ Vgl. auch 117 Anm. 9. 1060 Zu funus im Sinne von exitium, finis vgl. ThlL 6,1 s.v. funus 1605,68–1606,17. 1061 Unklar ist Petringa (La presenza) 2007, 167–168 zu dieser Stelle: „Il parafraste, nel descrivere i sette pericoli (septena discrimina) alle cui prove Caino sarà sottoposto dal Signore perché essi non gli procurino una fine più grave, [...].“

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siebzigfache Rache für die Tötung Lamechs (vgl. Vet. Lat. gen. 4,24) dahingehend deutet, dass Kain und Lamech selbst die Strafe erleiden1062. 6. DIE NACHKOMMEN VON KAIN UND SETH; VON ADAM BIS NOAH (V. 172–222) In V. 172–222 fasst der HD den Abschnitt Gen 4,16–5,31 zusammen: Nachdem Kain ins Land Naid weggezogen ist (Gen 4,16), werden seine Nachkommen bis zu Lamech und seiner Familie vorgestellt (Gen 4,17–24), dann wird eine neue genealogische Linie von Adam über Seth bis zu Enos aufgezeigt (Gen. 4,25–26) und die Generationenfolge von Adam bis Noah, also die Generationenfolge der Menschen vor der Sintflut, an die Erschaffung des Menschen angeknüpft (Gen 5,1–31)1063. In seiner Paraphrase von Gen 4,16–26 (vgl. V.172–196) folgt der HD fast durchgängig der Chronologie seiner biblischen Vorlage und nimmt nur im Zusammenhang mit Lamech eine Umstellung vor, indem er die Geschehnisse zwischen Lamech und Kain und Lamechs darauf bezugnehmende Rede vor seinen Frauen vorzieht (Gen 4,23–24, vgl. V. 179–182) und erst dann die Namen von Lamechs Frauen und seinen Kinder mit ihnen folgen lässt (Gen 4,19–22, vgl. V. 183–191). Im Abschnitt Gen 5,1–31 lässt der HD den redundant wirkenden Beginn aus (Gen 5,1–4), der nochmals mit der Schöpfung des Menschen als Mann und Frau ansetzt und Seths Zeugung durch Adam wiederholt, und beginnt erst mit Adams Tod nach Gen 5,5 (V. 197–198). Das monotone biblische Schema, nach dem die Lebensdauer vor der Zeugung des namentlich genannten Sohnes, dessen Zeugung, die Lebensdauer nach der Zeugung des Sohnes, das Zeugen weiterer Söhne und Töchter, das insgesamt erreichte Lebensalter und schließlich der Tod angegeben werden1064, reduziert der HD auf die Namen der aufeinanderfolgenden männlichen Personen und das am Lebensende erreichte Alter1065; dabei fällt auf, dass das Zwischenglied Seth zwischen Adam und Enos fehlt, was angesichts der ansonsten vollständigen genealogischen Reihe vielleicht mit Textverlust zu erklären ist1066. Zusätzlich zu dieser Verknappungstechnik setzt der HD Kunstgriffe ein, die die Eintönigkeit der Namensauflistung auflockern. Erkennbar ist das Be-

1062 Vgl. den Kommentar zu V. 180 und 181. 1063 Die Gleichheit bzw. Ähnlichkeit zwischen den Personennamen des 5. Genesiskapitels und denen in Gen 4,17–18 sowie 4,25–26 ist durch die Entstehungsgeschichte des biblischen Textes bedingt, vgl. dazu ausführlich Westermann 1976, 472–473; nach Seebass 1996, 181 scheidet aber eine direkte Bezugnahme der zweiten Namensliste auf die erste aus. 1064 Zur Funktion der monotonen Struktur und der überdimensionalen Altersangaben vgl. Westermann 1976, 479–480. 1065 Dadurch entfällt die im Bibeltext gegebene Möglichkeit, eine Chronologie zu errechnen, was für den HD offenbar nicht relevant ist. Der HD lässt folgende Bibelverse vollständig aus: Gen 5,6–10.12–13.15–16.18–19.21.26.30. 1066 Vgl. den Kommentar zu V. 199–200a.

6. Die Nachkommen von Kain und Seth; von Adam bis Noah (V. 172–222)

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mühen um Variatio bei Ausdrücken des Zeugens und Gebärens1067, des Aufeinanderfolgens1068 sowie des Erreichens eines bestimmten Alters und Sterbens1069, wobei sich aber auch etliche Wiederholungen finden1070. Darüber hinaus bedient sich der HD verschiedener Spielarten der in der lateinischen Dichtung beliebten Zahlenperiphrase1071, indem er Altersangaben durch Addition oder Subtraktion1072 sowie durch multiplikative Zahlenzerlegung1073 wiedergibt. Signifikante Amplifikationen der biblischen Vorlage zeigen sich in Bezug auf die Personen, die auch im Bibeltext ausführlicher behandelt werden, nämlich Enoch, der von Gott entrückt wird (V. 205–210), und Lamech, der eine Prophezeiung über seinen Sohn Noah abgibt (V. 213–220); im letzteren Fall scheint der HD den alttestamentlichen Text für eine christologische Perspektive zu öffnen. Im Vergleich zu Proba, bei der die Genealogien völlig fehlen, und zu Cl. M. Victorius, der in aleth. 2,300–342 die Geschlechterfolgen von Gen 4,17–5,31 synthetisiert, nur wenige Namen nennt (2,322 Seth, 2,326 Enos und 2,335 Enoc) und nur allgemein auf die Langlebigkeit der Urväter aufmerksam macht (2,340–342), fällt das Bestreben des HD nach Vollständigkeit auf. V. 172 ilicet a facie domini ceu perditus exit: Durch ilicet und die drei aufeinanderfolgenden Daktylen in īlĭcĕt ā făcĭē dŏmĭni wird ein Eindruck von Beschleunigung erzeugt: Der Vollzug von Kains Strafe folgt sogleich. Der HD arbeitet hier sehr eng an seiner biblischen Vorlage Vet. Lat. gen. 4,16 (I) et exi(v)it Cain a facie dei (domini1074). Das Fortgehen von Gottes Angesicht ist in der Bibel bereits in Vet. Lat. gen. 4,14 vorbereitet worden, wo Kain davon spricht, dass Gott ihn heute vom Angesicht des Ackers und von seinem eigenen Angesicht vertreibe ((I) si eicis me hodie a facie terrae et a facie tua); diese Vertreibung ist durch die Verfluchung Kains bedingt, die ihn zu einem aus der menschlichen Gesellschaft und aus Gottes Gegenwart Ausgestoßenen macht und zur Folge hat, dass er seinen unfruchtbar gewordenen Acker verlassen muss1075. Der HD er1067 Vgl. V. 176 creat, V. 177–178 quo [...] genitore sub auras / exiit, V. 188 parit, V. 191 […] uno genitore creata est, V. 193 progenerat, V. 213 [...] hoc patre satus, Noele creato. 1068 Vgl. V. 176 hic deinde, V. 186 quem deinde subit, V. 188 mox, V. 191 quem Noemma sequens, V. 199 dehinc. 1069 Vgl. V. 197–198 [...] postquam conplerat Adamus / [...] annos, sopitus morte quievit, V. 199–200 [...] per annos / Enochus vixit, V. 202 decubat, V. 211 [...] porrigit orbes. 1070 Vgl. creat in V. 176, 184, 194, jeweils vor der Hephthemimeres, deinde in V. 176, 186, 194, 203, vixit in V. 200, 204, 221. 1071 Vgl. hierzu die einschlägige Monographie von M. Vogel, Ter quinque volumina. Zahlenperiphrase in der lateinischen Dichtung von ihren Anfängen bis ins zweite Jahrhundert n. Chr., Orbis antiquus 46, Münster 2014. 1072 Vgl. V. 201 (Addition im Vergleich zum Vorgänger), 202 (Subtraktion im Vergleich zum Vorgänger), 203–204 (Subtraktion im Vergleich zum Vorgänger), 207–208 (Addition), 212 (Addition), 222 (Addition). 1073 Vgl. V. 202 ter quinis, V. 203 ter denis, V. 207 ter centum, V. 208 sexies et denos, V. 212 septies et denos, V. 221 septies [...] centum. 1074 Zu dieser mehrfach bezeugten Variante vgl. Fischer 1951, 88 und 541; ferner findet sich domini in der Vulgata. 1075 Vgl. Westermann 1986, 55–56.

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wähnt dagegen erst hier Kains Entfernung von Gottes Angesicht und motiviert sie durch ceu perditus, d.h. Kain verlässt die Gegenwart Gottes, als wäre er ein Verlorener, für den keine Hoffnung auf Rettung mehr besteht1076. Darüber hinaus ist auch der christliche Gehalt von perditus im Sinne des Sünders zu bedenken, welcher verloren ist, aber von Gott gesucht und wiedergefunden wird1077, was Jesus in den Gleichnissen vom verlorenen Schaf, von der verlorenen Drachme und vom verlorenen Sohn (Lk 15,3–32) verdeutlicht. Wie ein verlorener Sohn lebt nun auch Kain fern von Gottes Gegenwart; doch dass er nicht von Gottes Gnade verlassen ist, erkennt man daran, dass er von Gott mit Nachkommen beschenkt und zum Gründer einer Stadt wird (vgl. V. 174–175). V. 173 Aedibus obversis Naidae in caespite terrae: In enger Anlehnung an Vet. Lat. gen. 4,16 (I) et habitavit in terra Naid contra Edem gibt der HD in terra Naid mit Nāīdae1078 in caespite terrae wieder, wobei er das ansonsten indeklinable Wort Naid der a-Deklination zuordnet. Der Präpositionalausdruck in caespite leistet auf den ersten Blick keinen erkennbaren inhaltlichen Beitrag, da caespes hier im Grunde mit terra identisch ist1079. Untersucht man aber die Kontexte, in denen caespes innerhalb der Heptateuchdichtung auftritt, so stellt man fest, dass es sich immer um fruchtbares Land handelt1080. Daher könnte der HD durch caespite andeuten wollen, dass Kain zwar sein ursprüngliches Land verlassen muss, weil es für ihn verflucht ist und keine Früchte mehr hervorbringt, aber neues Land findet, das ihn schließlich doch ernährt. Als Prädikat zu Naidae in caespite terrae lässt sich exit aus V. 172 ergänzen, wenn man davon ausgeht, dass in mit Ablativ im späteren Latein unter dem Einfluss der Umgangssprache auch als Richtungsangabe auf die Frage „wohin“ stehen kann1081. Die ungewöhnliche Formulierung Aedibus obversis, bei der es sich um einen Ablativus absolutus handelt, wird im ThlL und von Homey überzeugend auf contra Edem bezogen1082, so wie in V. 54 mit Aedibus in mediis auf ex Eden in Vet. Lat. gen. 2,10 Bezug genommen wird1083; daher wird auch hier im Gegensatz zu Peiper die Großschreibung vorgeschlagen. Ferner knüpft der HD mit Aedibus obversis an V. 128 an, wonach Gott das vertriebene Menschenpaar gegenüber dem Paradies ansiedelt (obversosque locat, vgl. Vet. Lat. gen. 3,24 (C/I) contra paradisum voluptatis)1084, kehrt aber 1076 Vgl. ThlL 10,1 s.v. perdo/perditus 1274,34–53. 1077 Vgl. ebd. 1274,54–63. 1078 In den einschlägigen Lexika und Hilfsmitteln finden sich keine Hinweise auf die metrische Behandlung des Wortes Naid, und Belege für Naid in anderen metrischen Texten konnten nicht ermittelt werden. Die Messung Nāīd(ae) īn wird auch von der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 29.05.2015) vorgeschlagen und hat gegenüber Năĭdae| īn (zwei Kürzen, eine Länge) oder Nai-dae| īn (zwei Längen) den Vorteil, dass kein Hiat entsteht. 1079 Vgl. ThlL 3 s.v. caespes 112,78. 1080 Vgl. Hept. gen. 49 quos nemora et pingui reddunt de caespite campi, gen. 834 centenos laeto carpsit de caespite fructus, exod. 335 [...] mandunt herbasque in caespite laetas, lev. 284 et quamvis pingui generetur caespite terrae. 1081 Vgl. LHS 277 § 156 und ThlL 7,1 s.v. 2. in 798,31–65 mit Belegen ab Petron. 1082 Vgl. ThlL 9,2 s.v. obverto/obversus 314,66–67 und Homey 2009, 155. 1083 Vgl. dazu ausführlich den Kommentar zu V. 54. 1084 Vgl. hierzu auch Homey 2009, 155.

6. Die Nachkommen von Kain und Seth; von Adam bis Noah (V. 172–222)

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die Perspektive um: Während Adam und Eva dem Paradies zugekehrt positioniert werden, ist das Paradies Kain zugekehrt. Eine ähnliche Konstruktion begegnet in Hept. exod. 419 ([…] obverso confinis Bellisephoni), wo obverso […] Bellisephoni Vulg. exod. 14,2 contra Beelsephon1085 entspricht. Da in Vulg. gen. 4,16 weder der Name Naid erscheint noch auch Kain gegenüber von Eden wohnt, sondern vielmehr östlich von Eden (vgl. ad orientalem plagam Eden), scheidet die Vulgata als Vorlage für V. 173 eindeutig aus. V. 174 nec minus ex natis, genetrix quos fida creavit: V. 174–175 nehmen Bezug auf Vet. Lat. gen. 4,17. Nec minus sollte hier nicht kopulativ im Sinne von item („und er gründete auch etc.“) aufgefasst werden, sondern konzessiv im Sinne von nihilo minus1086: Obwohl Kain wie ein Verlorener vom Angesicht des Herrn fortgegangen ist (V. 172), erfährt er doch die Gnade Gottes dadurch, dass er eine Frau bekommt, Nachkommen mit ihr zeugt und eine Stadt gründet. V. 174 entspricht dem ersten Teil von Vet. Lat. gen. 4,17 ((I) et cognovit Cain uxorem suam et concipiens peperit Enoch), weicht aber deutlich von der biblischen Vorlage ab. Zum einen variiert der HD die Zeugung und Geburt bezeichnende Formel1087 durch genetrix quos fida creavit1088 und bringt durch fida den Aspekt der mütterlichen Liebe zu den Kindern ein1089; zum anderen spricht er von mehreren Kindern Kains, wobei der Name Enoch zunächst nicht erwähnt wird. Durch die Vielzahl der Nachkommen wird der Aspekt der Fruchtbarkeit zum Ausdruck gebracht, der im Gegensatz zu Kains Bestrafung steht und Gottes Güte verrät1090. Ferner steht dahinter offensichtlich die Vorstellung, dass eine Stadtgründung (V. 175) eine gewisse Bevölkerungsmenge voraussetzt, wie dies auch aus Mar. Victor. aleth. 2,309–313 hervorgeht; ex natis ist somit ganz wörtlich in dem Sinne zu verstehen, dass Kain aus der Schar seiner Kinder die Stadt gründet. V. 175 nomine primaevi sublimem condidit urbem: Nach einer längeren Passage im historischen Präsens kehrt der HD vorübergehend zum Perfekt als Erzähltempus zurück (condidit), um nach der Schilderung von Kains Bestrafung den Übergang zu einem neuen Ereignis von besonderer Bedeutung zu markieren1091: Der aus Gottes Gegenwart vertriebene Brudermörder wird zum Stadtgründer (vgl. Vet. Lat. gen. 4,17 (I) et erat aedificans civitatem in nomine filii sui Enoch). Indem der HD et erat aedificans civitatem durch condidit urbem ersetzt, bedient er

1085 Eine versio antiqua wird von Sabatier nicht angegeben. 1086 Vgl. OLD s.v. minus2 1114 unter 3 c. 1087 Vgl. auch Vet. Lat. gen. 4,1 (E) et cognovit Adam mulierem suam et concepit et peperit Cain. 1088 Zum Versschluss vgl. Verg. Aen. 12,271 […] quos fida crearat, wo fida sich allerdings auf ein folgendes coniunx bezieht; zu genetrix vgl. den Kommentar zu V. 64–65a. 1089 Vgl. auch Stat. Ach. 1,197 (fida parens), Theb. 3,93 (fidique parentes, von Snijder 1968, 81 mit „loving parents“ wiedergegeben) und Theb. 9,652 (fida […] genetrix). 1090 Dieser Gedanke findet sich explizit in Mar. Victor. aleth. 2,307–310; vgl. dazu Martorelli 2008, 159. 1091 Vgl. KS II,1, 115 § 31 am Ende und 116 Anm. 1.

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sich nicht nur einer in Prosa und Poesie gängigen Junktur1092, sondern stilisiert auch Kain als Stadtgründer in der Tradition des Romulus, der ebenfalls ein Brudermörder war1093. Ferner könnte es sich bei condidit auch um eine Variante des Vetus-Latina-Textes anstelle von erat aedificans handeln1094. Durch sublimem trägt der HD zu einer wenn auch bescheidenen Veranschaulichung des Bibeltextes bei, indem er die Vorstellung von einer hoch gelegenen oder hoch aufragenden Stadt mit hohen Mauern und Gebäuden evoziert1095. Angesichts der Parallele zwischen Kain und Romulus ist hier insbesondere an die altae moenia Romae (Verg. Aen. 1,7) zu denken, so dass sich sublimis eher auf die imposante Bauhöhe als auf die Lage von Kains Stadt beziehen dürfte. Während es sich bei nomine um eine wörtliche Anlehnung an Vet. Lat. gen. 4,17 handelt, liegt bei primaevi eine Abwandlung des Bibeltextes vor, denn dort wird lediglich der Name des Sohnes, Enoch, genannt, der in V. 175 dagegen als bekannt vorausgesetzt wird und erst in V. 176 erscheint. Das überwiegend poetische Adjektiv primaevi, zu dem sinngemäß nati ergänzt werden kann (vgl. V. 174 ex natis), ist erstmals in Catull. 64,401 belegt und bezieht sich im Sinne des homerischen prvjhßbhw auf das jugendliche Alter von Menschen1096; in Verbindung mit natus tritt es an der genannten Catullstelle sowie in Auson. epist. 17,36 auf. Es ist auf den ersten Blick nicht recht einleuchtend, warum Kain die Stadt nach seinem jugendlichen Sohn benannt haben sollte, und man würde statt primaevi eher primogeniti oder primi erwarten. Zwei Lösungsansätze scheinen hier denkbar: 1. Kain hat die Stadt nicht schon bei Enochs Geburt gegründet und nach ihm benannt, weil es zu diesem Zeitpunkt noch nicht genügend Menschen für eine Stadtgründung gab; er wartete also einen Bevölkerungszuwachs ab und gründete und benannte die Stadt erst später, als Enoch bereits in jugendlichem Alter war. Ein ähnlicher Gedanke wird etwa von Augustinus in civ. 15,8 vertreten1097, doch es ist fraglich, ob ein solcher Gedankengang beim Rezipienten vorausgesetzt werden kann. 2. Sinnvoller ist daher die Annahme, dass primaevi hier in bewusst gesuchter Weise synonym für primi bzw. 1092 Zur Junktur urbem condere vgl. ThlL 4 s.v. condo 152,66–153,15; zum Hexameterschluss condidit urbem bzw. urbes vgl. auch Calv. carm. frg. 6,2, Manil. 4,776; 5,739, Sil. 14,681, Claud. 18,337. 1093 Vgl. Aug. civ. 15,5 Primus itaque fuit terrenae civitatis conditor fratricida; nam suum fratrem civem civitatis aeternae in hac terra peregrinantem invidentia victus occidit. [...] Sic enim condita est Roma, quando occisum Remum a fratre Romulo Romana testatur historia; vgl. dazu auch Schrenk 2001, 962 und Seebass 1996, 167. 1094 Es ist fraglich, ob dies Bibeltext ist; zur mehrfachen Bezeugung vgl. Fischer 1951, 89 und 542. 1095 Vgl. OLD s.v. sublimis 1843 unter 1 bzw. 5; zur Junktur vgl. auch Sil. 15,227–228, Hept. exod. 18, Sidon. carm. 24,25, Arator act. 1,966. 1096 Vgl. ThlL 10,2 s.v. primaevus 1233,7–8.17–59. 1097 Vgl. Aug. civ. 15,8 Sed etiamsi conditori civitatis illius iste filius primus est natus, non ideo putandum est tunc a patre conditae civitati nomen eius inpositum, quando natus est, quia nec constitui tunc ab uno poterat civitas, quae nihil est aliud quam hominum multitudo aliquo societatis vinculo conligata; sed cum illius hominis familia tanta numerositate cresceret, ut haberet iam populi quantitatem, tunc potuit utique fieri, ut et constitueret et nomen primogeniti sui constitutae inponeret civitati.

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primogeniti verwendet wird. So kann primaevus auch das bezeichnen, was am Anfang steht1098, d.h. Enoch ist das Kind, das ganz am Anfang der reichen Vermehrung von Kain und seiner Frau steht. Dass Enoch Kains erster Sohn war, wird von Augustinus in civ. 15,8 zwar nicht für notwendig, aber für möglich gehalten1099. V. 176 Enochus Gaidada creat ac deinde Malechum: In V. 176–178 bearbeitet der HD Vet. Lat. gen. 4,18, wo der Stammbaum Kains von Enoch bis Lamech fortgeführt wird, und ersetzt das biblische (I) genuit durch creāt1100 im Sinne von „zeugen“1101. Er wechselt hier wieder ins historische Präsens als eigentliches poetisches Erzähltempus1102 und behält dieses bis V. 196 für die Entwicklung der Generationenfolge meistens bei1103, während außerhalb dieses Erzählzusammenhangs stehende Erläuterungen im konstatierenden Perfekt erscheinen1104 oder nach Art gewohnheitsmäßiger Handlungen im Imperfekt wiedergegeben werden1105. Abweichungen von Vet. Lat. gen. 4,18 (I) Enoch genuit Gaidad Gaidad genuit Mevia zeigen sich zum einen bei der Schreibung der Eigennamen: So wird der Name Enoch an die o-Deklination angepasst (Enochus), wofür es außerhalb der Heptateuchdichtung keine Belege gibt1106; auch mit den meisten anderen männlichen Eigennamen in V. 176–196 verfährt der HD auf diese Weise1107. Bei Găĭdādă1108 handelt es sich um eine sinnvolle Konjektur Peipers anstelle des offensichtlich verdorbenen naida in AG bzw. naidã in C; dieses scheint jedenfalls auf Gaidad in der Vetus Latina zurückzugehen und nicht auf Irad in der Vulgata. Malechum1109 bezieht sich auf Mevia, welches in den Vetus-Latina-Zeugen und 1098 Vgl. ThlL 10,2 s.v. primaevus 1234,16–27 unter B laxius pertinet ad quodlibet tempus primum, ut significetur qui (quod) initio est, primordialis mit fast ausschließlich christlichen Belegen, etwa Alc. Avit. carm. 1,215 primaevi criminis auctor [scil. diabolus] und 2,405 primaeva virago [scil. Eva]. 1099 Vgl. Aug. civ. 15,8 Nec illud necessario est argumento, ut primogenitum patri existimemus Enoch, quod eius nomine civitas nuncupata est. [...] Sed etiamsi conditori civitatis illius iste filius primus est natus, […]. 1100 Zur häufigen Dehnung der Endung -ăt beim HD vgl. Peiper 1891, 345; hier erfolgt die Dehnung unter dem Einfluss der Hephthemimeres. 1101 Vgl. ThlL 4 s.v. creo 1159,79–1160,20. 1102 Vgl. KS II,1, 116 § 31 Anm. 1. 1103 Unterbrochen wird dieses Tempus-Konzept in Bezug auf Mathusala (V. 178 exiit und produxit) und Noema (V. 191 creata est). 1104 Vgl. die folgenden (Relativ-)sätze mit überwiegend charakterisierender Funktion: V. 179 dirum qui perculit ense Cainem, V. 183 quarum prima fuit Ada atque altera Sella, V. 186– 187 [...] qui musica plectra / repperit etc., V. 194–196 [...] cui candida corda / largitus dominus; … / adnuit et placidae suscepit munera mentis. 1105 Vgl. die Relativsätze V. 184–185 [...] qui pastor in arvis / … pascebat in herba und V. 188– 190 [...] cui fundere rivos / aeris erat moris etc., die berufsmäßige Tätigkeiten angeben. 1106 Abgesehen von den an die o-Deklination angepassten Formen in Hept. gen. 176, 194, 200 und 205 ist der Name indeklinabel, vgl. Quicherat s.v. Enoch 372. 1107 Vgl. auch V. 176 Malechum, V. 177 Mathusalamus, V. 184 Iobelum (meine Konjektur für das überlieferte Aelum), V. 186 Iobalus, V. 188 Tobelum, V. 193 Sethum. 1108 Entsprechend den griechischen Substantiven der 3. Deklination mit Stamm auf -ad. 1109 Malechum AG, melechum C; Peiper konjiziert Malelum.

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deren textkritischen Varianten hinsichtlich der Schreibung sehr stark variiert1110 und in der LXX deutsch in Form von Maiel erscheint1111. Zum anderen weicht V. 176 inhaltlich von Vet. Lat. gen. 4,18 ab, wonach Enoch Gaidad und Gaidad Maiel zeugt, während dem HD zufolge Enoch erst Gaidad und dann auch Maiel (ac deinde Malechum) zeugt. Da die Überlieferung einhellig ac deinde Malechum (Melechum) lautet, ist an einen sachlichen Fehler des HD zu denken; Peipers Konjektur hic anstelle von ac stellt zwar den Sinn der biblischen Vorlage her, trägt aber dem Überlieferungsbefund zu wenig Rechnung. V. 177–178a quo Mathusalamus sensim genitore sub auras / exiit: Der HD variiert hier Vet. Lat. gen. 4,18 (I) Mevia genuit Mathusael, wobei quo [...] genitore1112 an das biblische genuit anzuklingen scheint. Der Name Māthūsălămus1113 entspricht der Namensform Mat(h)usalam, die in den Textzeugen zu Vet. Lat. gen. 4,18 mehrfach begegnet1114. Der bildhafte Ausdruck sub auras exiit im Sinne von natus est ist in ähnlicher Gestalt in Ov. met. 7,127 belegt ([scil. infans] nec nisi maturus communes exit in auras); daneben verwendet Ovid die Junktur sub auras exire im wörtlichen Sinne von „in die Lüfte hinausgehen“ in met. 3,296 ([...] exierat iam vox properata sub auras) und met. 12,525 (vidit avem pennis liquidas exire sub auras). Sensim befremdet in diesem Kontext, in dem von der Geburt des Mathusala die Rede ist: Eine allmähliche bzw. langsame Geburt scheint nur insofern einen Sinn zu ergeben, als sie mit Mathusalas lang ausgedehnter Lebenszeit korrespondieren würde (vgl. V. 178). Vielleicht ist eher an eine „sanfte“ Art der Geburt1115 zu denken, die im Gegensatz zu der für Eva bestimmten Strafe steht (vgl. V. 115 praecipitur duro discrimine ponere partum). V. 178b et longae produxit tempora vitae: Die lange, 969-jährige Lebenszeit des Mathusala wird erst in Vet. Lat. gen. 5,27 thematisiert und der HD behandelt diesen Bibelvers noch einmal eigens in V. 211–212. Dass Mathusalas Langlebigkeit bereits hier hervorgehoben wird, könnte zum einen die Funktion haben, die Einführung dieser Person mit einer außergewöhnlichen, für sie sprichwörtlich gewordenen Eigenschaft zu verbinden, zum anderen, einen Kontrast zu der im Anschluss berichteten Ermordung Kains zu schaffen (vgl. V. 179). Produxit hat hier in Verbindung mit longae […] tempora vitae die Bedeutung transigere,

1110 Vgl. Fischer 1951, 89. 1111 Vgl. Septuaginta deutsch 2010, 8. 1112 Der bloße Ablativus originis ist gewöhnlich auf bestimmte Partizipien wie natus (auch creatus, vgl. V. 191) und das Verbum finitum nasci beschränkt, bei anderen Verba finita des Entstehens, Abstammens und Erzeugens steht in der Regel die Präposition ab, de oder ex, vgl. KS II,1, 375–376 § 80 unter 6. sowie Anm. 6. 1113 Vgl. C; matusalamus AG. 1114 Vgl. Fischer 1951, 89; ferner erscheint Mat(h)usalam im Haupttext von Vet. Lat. gen. 5,21 und 5,25. 1115 Vgl. OLD s.v. sensim 1735 unter b cautiously, tentatively.

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peragere1116, wobei der Versschluss tempora vitae in der hexametrischen Dichtung oft belegt ist1117. V. 179 ast Amalech, dirum qui perculit ense Cainem: Während in Vet. Lat. gen. 4,18 Lamech als Sohn des Mathusala erscheint ((I) Mathusael genuit Lamech), wird dieser Zusammenhang vom HD bei seinen Lesern vorausgesetzt; in ähnlicher Weise ist auch Enoch ohne explizite Verbindung zu seinem Vater Kain eingeführt worden (vgl. V. 176). Ob die Entstellung des Namens Lamech in Gestalt von amalech (AC) bzw. amalec (G) auf den HD selbst bzw. eine fehlerhafte Vetus-Latina-Vorlage1118 oder auf die Überliefungsgeschichte zurückgeht, ist schwer zu entscheiden1119. Durch das adversative ast wird ein Kontrast zwischen der positiv konnotierten, mit einer langen Lebenszeit gesegneten Figur Mathusala (V. 178) und Lamech hergestellt, der laut Vet. Lat. gen. 4,23 allerdings nicht Kain, sondern einen Mann und einen Jüngling getötet hat1120. Die Gleichsetzung des von Lamech getöteten Mannes mit Kain geht auf eine jüdische Erzählung zurück, nach der Lamech Kain in der siebten Generation seit Adam versehentlich erschossen hat: Der schon alte und blinde Lamech ging weiterhin auf die Jagd, geführt von seinem Sohn Tubal Cain. Dieser hielt den im Gebüsch verborgenen Kain aufgrund des an seiner Stirn als Kainsmal angewachsenen Hornes für ein Tier und ließ seinen Vater einen Pfeil auf ihn abschießen1121. In der lateinischen Kirchenväterliteratur findet sich bei Hieronymus in epist. 36,4,1 eine Anspielung auf diese jüdische Geschichte1122, und auch Ambrosius geht in Cain et Ab. 2,9,38 davon aus, dass Lamech Kain umgebracht habe1123, während Cl. M. Victorius in aleth. 2,314–318 nur sehr dunkel auf eine Tötung Kains anspielt, ohne den Namen 1116 Vgl. ThlL 10,2 s.v. produco 1638,41–59; die Bedeutung protrahere, longius continuare (vgl. ebd. 1639,8–32) liegt dagegen in Hept. exod. 1019–1020 vor (longinquos praestabo dies, quis terminus aevi / laxior optatae producat tempora vitae), wo von einer Verlängerung der Lebenszeit die Rede ist. 1117 Vgl. die 46 Belege der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 29.05.2015), beim HD auch Hept. gen. 1464, exod. 1020, deut. 74. 1118 Zu dieser Erklärung von Namensabweichungen beim HD vgl. Peiper 1891, XXVII Anm. 2 und Ciarlo 2008, 731 Anm. 13. 1119 Der Name erscheint in V. 213 in der korrekten Form Lamechus gemäß Vet. Lat. gen. 5,25; bei diesem Lamech handelt es sich allerdings um einen Nachkommen Seths, während der Lamech in V. 179 zum Stammbaum Kains gehört. 1120 Vgl. Vet. Lat. gen. 4,23 (E) quoniam virum occidi in vulnere mihi et iuvenem in livore meo // (X) quia virum occidi in vulnus meum et iuvenem in livorem meum. 1121 Vgl. Ranke-Graves/Patai 1986, 133. 1122 Vgl. Hier. epist. 36,4,1 […] maiorum nostrorum ista sententia est, quod putent in septima generatione a Lamech interfectum Cain. Adam quippe genuit Cain, Cain genuit Enoch, Enoch genuit Gaidad, Gaidad genuit Maleleel, Maleleel genuit Mathusalam, Mathusalam genuit Lamech, qui septimus ab Adam non sponte, sicuti in quodam Hebraeo volumine scribitur, interfecit Cain. 1123 So ausdrücklich Siniscalco 1984, 303 Anm. 10 zu Ambr. Cain et Ab. 2,9,38; vgl. die folgende Passage: Cain impetu quodam improvido ante peccaverat, Lamech utique quod in altero reprehensum adverterat cavere debuerat. [...] et ut ad mysterium venias, non debuit [scil. Lamech] interimere eum [scil. Cain] qui usque ad naturalem terminum mortis suae agendae habebat spatium paenitentiae.

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des Mörders zu nennen1124. Die poetische Wendung perculit ense1125 lässt offen, ob der HD hier gemäß der jüdischen Erzählung an eine versehentliche oder aber an eine absichtliche Tötung denkt; in jedem Falle wird durch diese Todesart an V. 170 angeknüpft, wo Gott durch das Zeichen gerade verhindern will, dass jeder, der Kain begegnet, ihn mit dem Schwert niederstrecken kann. Dirum [...] Căīnem1126 dient der negativen Qualifizierung des Brudermörders im Gegensatz zum sanftmütigen Abel (vgl. V. 193 mitis Abelis) und erinnert an Wendungen wie dirus Ulixes (Verg. Aen. 2,261 und 2,762) oder auch Hannibalemque dirum (Hor. carm. 3,6,36) bzw. dirus [...] Afer (Hor. carm. 4,4,42), in denen dirus sich jeweils auf die Grausamkeit des Odysseus bzw. Hannibal bezieht. V. 180 perpetitur caeso multum graviora nocente: V. 180 hat keine direkte Entsprechung im Bibeltext, sondern ist als Vorbereitung auf V. 181 zu sehen, wo der HD Vet. Lat. gen. 4,24 verarbeitet und im Sinne einer Bestrafung Lamechs deutet, die ein Vielfaches der Strafe Kains darstelle. Darauf wird mit perpetitur [...] multum graviora angespielt, wobei die Junktur graviora pati mehrfach in der Dichtung belegt ist1127 und multum unklassisch für den Ablativ multo eintritt1128. Caeso [...] nocente nimmt auf den getöteten Verbrecher Kain Bezug und knüpft wörtlich an V. 170 (sternere ne ferro […] nocentem) an1129. Bei dem sogenannten Lamech-Lied in Gen 4,23–24 handelt es sich eigentlich um ein „Prahllied“ Lamechs gegenüber seinen beiden Ehefrauen, in dem es „um Tötung bei bloßen Wunden“ (vgl. Gen 4,23) und „um das Ausmaß der Tötungen bei Tötung“ (vgl. Gen 4,24) geht1130. Es zeugt von einer unglaublichen „Selbstüberhebung“ eines mächtigen Individuums, „die [...] der [alttestamentlichen] Humanität ein Greuel war“1131. Durch die Mehrdeutigkeit der LXX-Übersetzung von Gen 4,24, die sich auch in der Vetus Latina spiegelt ((E) septies vindicatum est de Cain de Lamech autem septuagies septies)1132, kam es zu einem veränderten Textverständnis, nach dem nicht für Lamechs Tötung eine Rache genommen werden soll, die die Rache für Kains Tötung um ein Vielfaches übersteigt, sondern Lamech selbst eine Bestrafung erfährt, die ein Vielfaches der Bestrafung Kains darstellt1133. 1124 Vgl. dazu Martorelli 2008, 37, v.a. Anm. 10. 1125 Vgl. etwa auch Stat. Theb. 3,20–21, Hept. Ios. 339, Drac. laud. dei 3,344. 1126 Zur grammatikalischen und prosodischen Behandlung von Cain vgl. den Kommentar zu V. 138. 1127 Vgl. etwa Verg. Aen. 1,199, Ov. Pont. 1,2,14, Sen. Tro. 907, Sil. 2,522, Hept. num. 368. 1128 Vgl. LHS 136 § 84 Zusatz γ (erstmals bei Plautus, dann Plin. nat. und bei Späteren). 1129 Vgl. den Kommentar zu V. 170 sowie die ähnlichen Formulierungen Ov. Pont. 1,8,19 (caede nocentum) und fast. 1,350 (caede nocentis). 1130 Vgl. Seebass 1996, 171; die Übersetzung des hebräischen Textes lautet ebd. 165 „Einen Mann tötete ich für meine Strieme und einen Jungen für meine Wunde“ (Gen 4,23) und „Ja, siebenmal wird Kain gerächt; aber Lemech 77mal“ (4,24). 1131 Vgl. ebd. 172. 1132 Vgl. LXX gen. 4,24 eÖptaßkiw eökdedißkhtai eök Kaßin, eök de? Laßmex eÖbdomhkontaßkiw eÖptaß. Zu diesem Problem vgl. Schrenk 2001, 947 mit weiterführender Literatur. 1133 Vgl. etwa Ambr. in Luc. 8,24 septuagies itaque et septies Lamech condemnatur [...]; dazu bemerkt Tissot 1958, 110 Anm. 1: „Le texte original de la Genèse signifie que Lamech tirera vengeance soixante-dix-sept fois; le latin, moins clair, a été interprété par saint Ambroise au

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V. 181 crimina nam meritum decies septena cohercent: Der Vers nimmt Bezug auf Vet. Lat. gen. 4,24, wo Lamech die folgenden Worte spricht: (E) quoniam septies vindicatum est de Cain de Lamech autem septuagies septies. So wie der HD bereits in V. 171 im Zusammenhang von Vet. Lat. gen. 4,15 die septem vindictas offensichtlich nicht auf Kains Mörder, sondern auf Kain selbst bezieht (vgl. septena [...] discrimina)1134, bezieht er nun die Zahl septuagies septies auf eine Bestrafung Lamechs: Damit, dass zehnmal sieben1135 Verbrechen Lamech züchtigen (cohercent), ist offenbar gemeint, dass er für zehnmal sieben Verbrechen bestraft wird, und das aktiv gebrauchte Partizip meritum unterstreicht, dass er diese Züchtigung verdient hat1136. Der HD will hier wahrscheinlich zum Ausdruck bringen, dass Lamechs Mordtat um ein Vielfaches schwerer wiegt als Kains Schuld und daher auch eine vielfache Strafe nach sich zieht, ein Gedanke, der sich in der dem HD vorausgehenden Kirchenväterliteratur mehrfach findet. So wird Lamech nach Ambr. Cain et Ab. 2,9,38 siebzigmal siebenmal bestraft, weil seine Schuld schwerer als die Kains ist, denn er hätte sich die vorausgegangene Bestrafung Kains zu Herzen nehmen, sich bessern und ein gleiches Fehlverhalten bei sich selbst vermeiden müssen1137. Ähnlich heißt es in Ambr. in Luc. 8,24 in Bezug auf Lamech, dass dieser 77-fach verurteilt werde, da derjenige schwerer sündige, der, während er einen anderen bestrafe, selbst ein Verbrechen begehe (septuagies itaque et septies Lamech condemnatur, quia gravius delinquit qui scelus dum punit admittit). Ganz explizit erklärt Hilarius in myst. 1,9, dass Lamech eine Strafe für den von ihm begangenen Mord „anhäufe“, die über die Strafe Kains hinausgehe ([...] ultra Cayn poenam ultionem commissae a se caedis accumulat). Der Zusammenhang mit Kains siebenfacher Bestrafung wird vom HD durch die Worte crimina nam meritum hergestellt, die durch die Nasalhäufung hervorgehoben sind und deutlich auf V. 169 nam mala promeritus und V. 171 septena [...] discrimina anspielen. Waren dort auch die sieben Strafen Kains gemeint1138, während in V. 181 von zehnmal sieben Verbrechen die Rede ist, so gibt es doch auch die Vorstellung von den sieben peccata Kains, die etwa von Hieronymus in epist. 36,6,1 überliefert werden1139. Die Zahlenangabe eÖbdomhkontaßkiw eÖptaß in LXX gen. 4,24 ist mehrdeutig und wird in der Kirchenväterliteratur sowohl im Sinne sens qu’on tirera vengeance de Lamech lui-même.“ Aus Vulg. gen. 4,24 geht dagegen die Bedeutung des hebräischen Textes, also die Rache für Kains bzw. Lamechs Tötung, deutlicher hervor, vgl. septulum ultio dabitur de Cain de Lamech vero septuagies septies. 1134 Vgl. den Kommentar zu V. 171. 1135 Auf die Abweichung von der biblischen Zahl siebzigmal sieben bzw. 77 wird am Ende dieses Lemmas eingegangen. 1136 Vgl. ThlL 8 s.v. mereo/meritus 813,16–30 mit fast ausschließlich poetischen Belegen. 1137 Vgl. Ambr. Cain et Ab. 2,9,38 unde in Lamech septuagies septies vindicatur, quia gravior culpa eius est qui nec post damnationem se correxit alterius. Cain impetu quodam inprovido ante peccaverat, Lamech utique quod in altero reprehensum adverterat cavere debuerat. 1138 Vgl. den Kommentar zu V. 171. 1139 1. Das nicht korrekte Teilen beim Opfer, 2. der Neid auf den Bruder, 3. die Hinterlist in den Worten „Lass uns aufs Feld gehen“, 4. der Mord, 5. die freche Leugnung des Mordes, 6. die Selbstverurteilung („meine Schuld ist größer, als dass sie mir vergeben werden könnte“), 7. keine Reue nach der Verurteilung.

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von siebzigmal siebenmal als auch 77-mal verstanden1140. Doch von beiden Zahlen weichen die zehnmal sieben crimina des HD ab. Da es bei der biblischen Zahlenangabe nicht um eine exakte Zahl, sondern um den Aspekt der Vollkommenheit bzw. um ein Maximum geht1141, könnte sich der HD die Freiheit genommen haben, diesen symbolischen Wert mit der gängigeren, da runden Zahl zehn als Vervielfältigungsfaktor darzustellen, die gerade in der Dichtung eine unbestimmt große Häufigkeit bezeichnet1142. V. 182 coniugibus hic facta gemens sese increpat ultro: Lamechs Ansprache an seine beiden Ehefrauen wird in Vet. Lat. gen. 4,23 mit einer nachdrücklichen Einforderung von Aufmerksamkeit eingeleitet (vgl. (E) audite vocem meam mulieres Lamech intuemini verba mea // (X) audite verba mea uxores Lamech auribus percipite verba mea) und dann recht ausführlich in wörtlicher Rede wiedergegeben; der HD nimmt dagegen nur knapp und andeutungsweise auf den Inhalt Bezug (facta gemens) und arbeitet mehr Lamechs psychische Befindlichkeit heraus (sese increpat ultro). Mit den facta ist im Kontext von V. 179–181 ganz offensichtlich die Tötung Kains gemeint, so dass der Plural facta hier als ein poetischer zu erklären ist1143 und sich eher nicht auf die Tötung des Mannes und des Jünglings bezieht, von der im Bibeltext die Rede ist ((E/X) virum occidi [...] et iuvenem) und die einer jüdischen Erzählung zufolge auf die versehentliche Tötung Kains und von Lamechs eigenem Sohn Tubal Cain bezogen wird1144. Der klagende Ton, in dem Lamech seinen Frauen von seiner Tat berichtet (facta gemens)1145, ist im Bibeltext nicht zu finden und könnte durch die in V. 181 erwähnte harte Bestrafung motiviert sein, darüber hinaus vielleicht auch durch die Ausdrücke (E) in vulnere mihi // (X) in vulnus meum und (E) in livore meo // (X) in livorem meum, die im Sinne von „mir zur Wunde“ und „mir zur Strieme“ verstanden werden können1146. In der jüdischen Erzählung beklagt Lamech vor seinen Frauen sein zweifaches Missgeschick mit tödlichem Ausgang1147, und so könnte auch der HD hier zum Ausdruck bringen wollen, dass Lamech seine (versehentliche) Tötung Kains leid tut. Die Verbindung von gemere mit einem Akkusativ der Sache und einem Dativ der Person (coniugibūs1148) lässt sich anhand der einschlägigen Wörterbücher und Grammatiken nicht belegen, doch liegt hier vielleicht eine Analo-

1140 Ersteres ist die Übersetzung von Vetus Latina und Vulgata (septuagies septies), zu 77-mal vgl. etwa septuagies et septies in Ambr. in Luc. 8,24 und Hil. in Matth. 18,10 sowie die septuaginta septem vindictae in Hier. epist. 36,5,1. Auf beide Übersetzungsmöglichkeiten weist die Septuaginta deutsch 2010, 8 in der Anmerkung zu Gen 4,24a hin. 1141 Vgl. Westermann 1976, 455. 1142 Vgl. ThlL 5,1 s.v. decie(n)s 168,55–74 mit zahlreichen poetischen Belegen. 1143 Vgl. KS II,1, 85 § 23 unter 3. zum poetischen Plural bei Abstracta. 1144 Vgl. Ranke-Graves/Patai 1986, 133: Nach der versehentlichen Tötung Kains tötet Lamech durch ein weiteres Missgeschick auch noch seinen eigenen Sohn Tubal Cain. 1145 Möglicherweise liegt hier ein Anklang an Catull. 65,14 Daulias absumpti fata gemens Itylei vor; zu facta gemens vgl. auch Drac. laud. dei 3,80. 1146 Vgl. die Übersetzung von Gen 4,23 in der Septuaginta deutsch 2010, 8. 1147 Vgl. Ranke-Graves/ Patai 1986, 134. 1148 Zur Dehnung kurzer Endsilben vor h vgl. Peiper 1891, 345.

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giebildung zu queri vor, welches mit dieser Konstruktion vorkommt1149. Der Gedanke der Selbstbeschuldigung Lamechs (sese increpat)1150 amplifiziert den der Klage und wird durch ultro betont, welches hier eher im steigernden Sinne von „obendrein“1151 aufzufassen ist und weniger passend mit „von sich aus“ übersetzt wird, da sich so eine Redundanz gegenüber se ergeben würde. Am Hexameterende begegnet increpat ultro mehrfach bei Vergil1152, außerdem in Proba cento 223. V. 183 quarum prima fuit Ada atque altera Sella: Peiper1153 ordnet diesen Vers wie V. 182 Vet. Lat. gen. 4,23 zu, vgl. (E) mulieribus suis Adae et Sellae // (X) ad uxores suas Ada et Sella. Aufgrund der Formulierung prima [...] atque altera ist aber eher an den ansonsten ausgelassenen Bibelvers Vet. Lat. gen. 4,19 als Vorlage zu denken1154, in dem die beiden Ehefrauen Lamechs mit den folgenden Worten eingeführt werden: (I) et sumpsit sibi Lamech duas uxores nomen uni Ada et nomen secundae (alteri1155) Sella. Alter in der Bedeutung „der zweite aus derselben Gattung“1156 findet sich in Kombination mit primus auch in Hept. gen. 677–678, wo von den beiden Töchtern Lots die Rede ist1157. Die Tatsache, dass Lamech zwei Ehefrauen hat, wird vom HD wie in seiner biblischen Vorlage ohne Wertung festgestellt und hat wie dort die Funktion, die Kinder Lamechs in zwei Gruppen zu gliedern1158; eine christlich motivierte Bigamiekritik, wie sie etwa in Tert. monog. 4,4 oder Hier. epist. 79,10,3 erfolgt, ist hier nicht zu erkennen. Gleichwohl sticht der Vers durch die auffallende a-Häufung sowie in metrischer Hinsicht durch die Dehnung der kurzen Endsilben in fuīt und Adā1159 und durch den Hiat nach der Hephthemimeres heraus. V. 184a Iobelum sed prima creat: Bei der Behandlung der drei Söhne Lamechs, auf die jeweils bestimmte kulturelle Errungenschaften zurückgeführt werden, fällt das Bemühen um eine parallele sprachliche Gestaltung auf: In allen drei Fällen wird die neue Person mit einer ähnlichen Formulierung eingeführt (vgl. V. 184 Iobelum sed prima creat, V. 186 Iobalus quem deinde subit, V. 188 Tobelum mox Sella parit) und in einem Relativsatz, der genau nach der Hephthemimeres beginnt, in Hinblick auf ihre kulturelle Leistung näher beschrieben. Unter Bezugnahme auf Vet. Lat. gen. 4,20 berichtet der HD in V. 184–185 von Adas erstem Sohn Jobel. Das einhellig überlieferte aelum kann aus einem ursprünglichen 1149 Vgl. etwa Ov. fast. 5,233 ibat ut Oceano quereretur facta mariti. 1150 Sonst offenbar nur in Coripp. Ioh. 4,207 belegt; sese increpitat findet sich dagegen in Sil. 2,623 und 13,8. 1151 Vgl. OLD s.v. ultro 2086–2087 unter 3. 1152 Vgl. Verg. Aen. 6,387; 9,127; 10,278.830. 1153 Vgl. Peiper 1891, 8. 1154 Dementsprechend zitiert Fischer 1951, 90 Hept. gen. 183 im Zeugenapparat zu Vet. Lat. gen. 4,19. 1155 Alteri ist bei Ps. Philo bezeugt und findet sich auch in der Vulgata, vgl. Fischer 1951, 89. 1156 Vgl. KS II,1, 650 § 119 unter 9. 1157 Vgl. Hept. gen. 677–678 prima creat puerum patrio sermone Moabum, / altera disparibus Ammanum nuncupat orsis; vgl. auch Ov. fast. 4,653 in Bezug auf zwei Opferschafe: prima cadit Fauno, leni cadit altera Somno. 1158 Vgl. Westermann 1976, 448. 1159 Vgl. Peiper 1891, 345.

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[Iob-]aelum entsprechend Vet. Lat. gen. 4,20 (I) Iobel bzw. LXX §Ivbeßl oder auch aus [Iab-]aelum entsprechend Vulg. gen. 4,20 Iabel entstanden sein. Peipers Konjektur Iābēlum schließt sich an die Vulgata an, doch da der HD bei den Eigennamen gewöhnlich der Vetus Latina folgt, ist es sinnvoller, von einem ursprünglichen Iōbēlum auszugehen. Die Tendenz, den Namen des nachfolgenden Sohnes betont an den Vers- bzw. Satzanfang zu stellen (vgl. dagegen Vet. Lat. gen. 4,20 (I) et peperit Ada Iobel), zeigt sich im Folgenden noch öfter (vgl. V. 186 Iobalus, V. 188 Tobelum, V. 193 Sethum, V. 194 Enochum). Sed ist hier in seiner kontrastiven Bedeutung so weit abgeschwächt, dass es im Sinne eines autem, et oder atque einfach zur Anknüpfung eines neuen Gedankens dient1160, nämlich der Aufzählung von Lamechs Kindern, die seine beiden Ehefrauen Ada und Sella geboren haben. Prima greift die in V. 183 zuerst genannte Ada auf. V. 184b–185 qui pastor in arvis / gramineis laeta pecudes pascebat in herba: Die Information, dass Jobel der Stammvater der zeltbewohnenden, d.h. als Nomaden lebenden Viehzüchter gewesen sei (vgl. Vet. Lat. gen. 4,20 (I) hic erat pater habitantium in tabernaculis pecuariorum), reduziert der HD auf Jobels Hirtentätigkeit und führt diese mit Sorgfalt aus, da dieser Aspekt für sein christliches Publikum aufgrund des Bildes vom guten Hirten besonders ansprechend gewesen sein dürfte; zugleich kann durch die Hirtenthematik ein bukolisches Kolorit in den Text eingebracht werden. Auf stilistischer Ebene fällt die Wendung pastor [...] pascebat auf, bei der wie in V. 54 (fluit [...] flumen) ein etymologisch verwandtes Subjekt und Prädikat zusammengestellt werden1161. Ferner alliterieren das an das biblische pecuariorum anklingende pecudes und pascebat1162. Inhaltlich gesehen tragen in arvis / gramineis1163 und laeta [...] in herba1164 zu einer Veranschaulichung des Hirtenbildes bei, indem zunächst das grasreiche Weideland als Ganzes und in einem zweiten Schritt das üppige Gras selbst ins Auge gefasst wird. Durch die Betonung der üppigen Weide wird nicht nur die besondere Fürsorge Jobels für sein Vieh herausgestellt, sondern auch ein Kontrast zum unfruchtbaren Acker seines Vorfahren Kain aufgebaut, auf dem die Getreidesaaten absterben (vgl. V. 164 absumptis [...] herbis). V. 186a Iobalus quem deinde subit: Adas zweiten Sohn Jubal behandelt der HD in V. 186–187. Während sich die biblische Vorlage Vet. Lat. gen. 4,21 ((A) et nomen fratris eius Iobal) damit begnügt, Jubal als den Bruder des Jobel einzuführen, hebt der HD durch deinde subit die Aufeinanderfolge der beiden Geburten und damit die Fruchtbarkeit des Elternpaares Lamech und Ada hervor. Subire im

1160 Vgl. KS II,2, 76–77 § 161 unter 6. Zur dichterischen Nachstellung von sed seit den Augusteern vgl. LHS 488 § 260 unter f. 1161 Vgl. den Kommentar zu V. 54. 1162 Nicht auszuschließen ist, dass der HD sich hier an die bei Pseudo-Philo belegte VetusLatina-Variante et pascentium pecora anlehnt, die Fischer 1951, 90 allerdings mit einem Fragezeichen versieht. 1163 Am Hexameterbeginn auch in Val. Fl. 8,255 und Iuvenc. 3,84. 1164 Im Plural findet sich diese Junktur in Verg. georg. 1,339; 3,494, Stat. Theb. 4,98 und Hept. exod. 335.

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Sinne einer Abfolge von Geburten findet sich auch in Hept. gen. 970 im Kontext von Jakobs zahlreichen Kindern (sexta subit proles nomen Zabulonis adepta). V. 186b–187 qui musica plectra / repperit et vario concordes murmure chordas: Den zweiten Teil von Vet. Lat. gen. 4,21, in dem Jubal als Lehrer bzw. Einführer des Psalter- und Zitherspiels erwähnt wird ((I) hic fuit qui ostendit psalterium et citharam), gestaltet der HD durch eigene Akzentuierungen anschaulich um. Ihm zufolge ist Jubal nicht nur der Lehrer (vgl. (I) ostendit), sondern der Erfinder (repperit)1165 der Saiteninstrumente, ein Gedanke, der möglicherweise durch den Zusatz pater in einer Variante zu Vet. Lat. gen. 4,21 nahegelegt wird1166, sich aber auch in der Kirchenväterliteratur findet1167. Während in der Bibel lediglich von zwei mehr oder weniger ähnlichen Saiteninstrumenten die Rede ist1168, führt der HD deren Funktionsweise vor Augen: Er erwähnt zum einen das Plektron (plectra), mit dem die Saiten angeschlagen werden1169, zum anderen die Saiten selbst (chordas). Das Adjektiv musica ordnet das Plektron explizit dem Bereich der Musik zu1170, der durch Jubals Erfindungen für die Menschen erschlossen worden ist. Durch die verschränkte Stellung von Substantiven und zugehörigen Attributen in vario concordes murmure chordas, durch die die auf den ersten Blick gegensätzlichen Begriffe vario und concordes unmittelbar nebeneinander stehen, verdeutlicht der HD das „Geheimnis“ der Musik, dass ganz unterschiedliche Töne (vario)1171 zu einem harmonischen Klang (concordes) vereint werden. Mehrere wörtliche Anklänge legen nahe, dass der HD hier von Ov. met. 10,145–147 inspiriert wurde, wo Orpheus vor dem Singen seine Lyra stimmt, vgl. ut satis inpulsas temptavit pollice chordas / et sensit varios, quamvis diversa sonarent, / concordare modos, hoc vocem carmine movit1172. Durch die Kombination von chordas mit concordes ergibt sich ein reizvolles Klang- und Wortspiel, zumal wenn chordas, wie dies in Handschrift C und auch sonst in Codices häufig der Fall ist, in der Form cordas geschrieben wird1173. In ähnlicher Weise spielt Augustinus mit den Worten concors, cor und chorda in serm. 243,9 (concordibus cordibus melius quam citharae chordis, dicimus laudes Deo). Etwas ungewöhn1165 Ähnlich Ov. met. 1,687–688 [...] (namque reperta / fistula nuper erat) [...]. 1166 Bezeugt in Ambr. hex. 1,25, vgl. Fischer 1951, 90; vgl. auch Vulg. 4,21 ipse fuit pater canentium cithara et organo. 1167 Vgl. Hier. in Is. 2,5,11/12 Requirit citharam et psalterium, cuius repertor est Iubal; Isid. chron. 14 Hac quoque aetate Iubal ex genere Cain artem musicam repperit […]. 1168 Bei der Kithara bzw. Leier steigen vom Resonanzkasten zwei Arme auf, die oben durch ein Joch verbunden sind; das Psalterium dagegen gehört zu den Harfen, vgl. Zaminer 2000, 543– 547. 1169 Der poetische Plural findet sich seit Properz häufig, vgl. ThlL 10,1 s.v. plectrum 2397,58–59. 1170 In ThlL 8 s.v. musicus 1702,61–74 finden sich für musicus in Bezug auf Musikinstrumente nur christliche Belege ab der Vetus Latina. 1171 Bei nervo in A handelt es sich ganz offensichtlich um einen Fehler, vgl. auch Mayor 1889, 12. 1172 Diese Ovidstelle könnte auch Augustinus in civ. 17,14 inspiriert haben, wo es um den wohlgeordneten Zusammenklang verschiedener Töne geht, der durch seine „harmonierende Verschiedenheit“ (concordi varietate) auf die Einheit eines gut geordneten Staates verweise. 1173 Vgl. ThlL 3 s.v. chorda 1017,54.

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lich erscheint murmure als Bezeichnung für den Klang von Saiteninstrumenten, da murmur sich sonst auf das Dröhnen von Blas- bzw. Pfeifeninstrumenten zu beschränken scheint1174. Vielleicht hatte der HD das Summen der angeschlagenen Saiten vor Augen und bezeichnet es wie das Summen von Bienen in Verg. Aen. 6,709 mit dem Begriff murmur; diese Vorstellung wird durch die Häufung der dunklen Vokale o und u nahegelegt. Ähnlich eigenwillig ist die Verwendung von strepitus für den Klang von Saiteninstrumenten in Hor. carm. 4,3,18 und epist. 1,2,311175. V. 188a Tobelum mox Sella parit: In V. 188–190 befasst der HD sich mit Thobel, dem Sohn von Lamechs zweiter Frau Sella, wobei er in V. 188a dem Wortlaut von Vet. Lat. gen. 4,22 (I) Sella autem peperit et ipsa Tobel sehr nahe steht. Dass der HD hier nicht die Vulgata als Vorlage hatte, geht daraus hervor, dass der Name dort Tubalcain lautet. Mox tritt hier im nicht-klassischen Sinne von tum zur Bezeichnung einer Reihenfolge auf1176. V. 188b–189 cui fundere rivos / aeris erat moris ferrumque incude subactum: In dem mit cui eingeleiteten Relativsatz in V. 188b–190 nimmt der HD Bezug auf Vet. Lat. gen. 4,22 (I) et erat malleator (et) aerarius aeramenti et ferri. Die Herstellung von Bronze- und Eisengeräten wird durch cui [...] erat moris als gewohnheitsmäßige berufliche Tätigkeit Thobels bezeichnet; mit dem Infinitiv ist diese Wendung offenbar erst ab Seneca belegt1177. Der HD knüpft hier deutlich an seine biblische Vorlage an, indem er durch das auf dem Amboss bearbeitete Eisen (ferrumque incude subactum) das Wort malleator („Hämmerer“) aufgreift und durch aeris und ferrum die auch in der Bibel genannten Metalle aeramenti et ferri. Darüber hinaus ist er aber um Konkretisierung bemüht und führt dem Leser in Kürze den Prozess des Bronzegusses und des Schmiedens von Eisen vor Augen. So ist fundere der Fachbegriff für den Metallguss, vgl. etwa Plin. nat. 36,168 ex iis formae fiunt, in quibus aera funduntur1178. Die metonymische Verwendung von rivos für Ströme von geschmolzenem Metall findet sich etwa in Lucr. 5,1256–1257 ([…] argenti rivus et auri, / aeris item et plumbi […]) sowie in Vergils Beschreibung der Kyklopenschmiede in Aen. 8,445 ([...] fluit aes rivis aurique metallum); auf den Metallreichtum Italiens beziehen sich im übertragenen Sinne die Silberbäche in Verg. georg. 2,165 (Haec eadem argenti rivos aerisque 1174 In ThlL 8 s.v. murmur 1676,10–18 unter I D instrumentorum musicorum finden sich abgesehen von Hept. gen. 187 keine Belege für Saiteninstrumente; im OLD s.v. murmur 1147 unter 1 a wird explizit auf wind-instruments verwiesen. Innerhalb der Heptateuchdichtung begegnet murmur in Kombination mit concors, concordare oder varius an drei weiteren Stellen, vgl. Hept. Ios. 155 sed fragor et vastae concordi murmure voces (Kriegsgeschrei), iud. 80 [...] et vario proterret murmure saltus [scil. turba ferarum] (Tiergebrüll) und iud. 246 protinus et vestrae concordent murmura voci (murmura bezogen auf das Tönen von Hügeln, Wald und Himmel zum Lob Gottes). 1175 Vgl. hierzu C. Schubert, Was bedeutet „strepitus“?, Glotta 86, 2010, 145–158. 1176 Vgl. KS II,2, 69 § 160 Anmerkung. 1177 Vgl. ThlL 8 s.v. 1. mos 1529,11–17 mit dem ersten Beleg Sen. dial. 10,13,8. 1178 Vgl. Blümner 1907, 608 und Blümner 1887, 278; ebd. 278–279 Anm. 4 finden sich weitere literarische Belege.

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metalla). Das Hämmern des bis zur Rotglut erhitzten Eisenrohlings auf dem Amboss (incude) wird mit dem Verbum subigere bezeichnet, das im Sinne von katergaßzomai ganz allgemein für ein mechanisches Bearbeiten unter Druckanwendung steht1179. Da das Eisen ja während der Bearbeitung mit dem Hammer und nicht erst danach in Form gebracht wird (vgl. V. 190 diversis formare modis)1180, sollte das Partizip Perfekt subactum hier als gleichzeitig zu formare aufgefasst werden1181. V. 190 diversis formare modis stridente camino: Die am Versbeginn stehende Wendung diversis formare modis erinnert rein formal an Stat. silv. 1,2,248 diversis certare modis […] (bezogen auf unterschiedliche Versmaße) und Paul. Nol. carm. 21,651 diversis exstare modis (bezogen auf verschiedene Baustile). Während formare ganz unspezifisch die verschiedensten formenden Tätigkeiten bezeichnen kann1182 und hier auf das Zurechtschmieden des Eisens auf dem Amboss zu beziehen ist, ist mit camino die Schmiedeesse gemeint1183, in deren Feuer das Eisen auf Schmiedetemperatur erhitzt wird, um dann auf dem Amboss (vgl. V. 189 incude subactum) bearbeitet werden zu können. Möglicherweise wurde der HD hier von Iuv. 14,118 (incude adsidua semperque ardente camino) inspiriert, wo das Schmieden allerdings als Metapher verwendet wird1184. Mit stridere wird in Kontexten der Metallverarbeitung gewöhnlich das zischende Geräusch bezeichnet, das sich ergibt, wenn heißes Metall in Wasser getaucht wird1185, doch abgesehen davon kann stridere sich auch auf das Geräusch eines brennenden Feuers beziehen1186. Dieses Prasseln des Feuers im Schmiedeherd wird auf lautlicher Ebene durch die auffallende i- und s-Häufung veranschaulicht. Um ein offensichtliches Rezeptionsdokument handelt es sich bei Aethelwulfs Carmen de abbatibus 10,2–4 (9. Jh.), in welchem der Verfasser unter Rückgriff auf einzelne Wörter und Junkturen aus Hept. gen. 189–190 die Schmiedekunst eines Mönches beschreibt1187.

1179 Vgl. Georges 2 s.v. subigo 2855 unter II 1. 1180 Zur Eisenbearbeitung vgl. Blümner 1887, 341. 1181 Vgl. KS II,1, 758–759 § 136 unter α mit Belegen ab Cicero. 1182 Vgl. ThlL 6,1 s.v. formo 1102,25–1104,4 unter I A res corporeas; im Zusammenhang mit der Metallbearbeitung bezeichnet formare öfters das Metallgießen, vgl. 1102,43–48. 1183 Vgl. Georges 1 s.v. caminus 945 unter I B, im Gegensatz zum Schmelzofen (unter A). 1184 Zu dieser Parallele vgl. auch Petringa 2001, 531 und De Gianni 2015, 56. Die Klausel stridente camino findet sich leicht abgewandelt in Ven. Fort. Mart. 4,610 qualiter effugiam flamma stridente caminum (vgl. Petringa 2001, 531 Anm. 66). 1185 Vgl. etwa Lucr. 6,148–149 ut calidis candens ferrum e fornacibus olim / stridit, ubi in gelidum propter demersimus imbrem, Verg. georg. 4,172–173 = Aen. 8,450–451 [...] alii stridentia tingunt / aera lacu […], Ov. met. 12,276–279 terribilem stridore sonum dedit, ut dare ferrum / igne rubens plerumque solet, quod forcipe curva / cum faber eduxit, lacubus demittit; at illud / stridet et in tepida submersum sibilat unda. 1186 Vgl. OLD s.v. strido (strideo) 1827–1828 unter 1 d (also applied to the sound of burning), etwa Iuv. 10,61 iam strident ignes. 1187 Vgl. [scil. frater] ferrea qui domitans potuit formare metalla, / diversisque modis sapiens incude subactum / malleus in ferrum peditat stridente camino, zit. nach Petringa 2001, 530.

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V. 191 quem Noemma sequens uno genitore creata est: Der HD paraphrasiert hier das Ende von Vet. Lat. gen. 4,22, nämlich (I) soror autem Tobel Noemma, und hebt durch sequens über den Bibeltext hinausgehend die Abfolge der Geburten hervor. Der Begriff soror wird durch uno genitore creata est umschrieben, wodurch der Rückbezug auf Lamech als Vater der in V. 184–191 genannten Kinder hergestellt wird. Die Junktur genitore creat* begegnet innerhalb der Heptateuchdichtung und in der vorausgehenden hexametrischen Dichtung mehrfach am Versende1188. V. 192 Haec inter vegetis Adam non languidus annis: Nach der Aufzählung von Kains Nachkommen wird mit haec inter im Sinne von interea1189 zur Behandlung einer neuen genealogischen Linie übergeleitet, die parallel zu der Nachkommenschaft Kains von Adams weiterem Sohn Seth ausgeht. In Vet. Lat. gen. 4,25 heißt es in Bezug auf Adam1190 lediglich, dass er seine Frau (ein weiteres Mal) erkannt habe, vgl. (E) et cognovit Adam Evam mulierem suam. Der HD hebt dagegen den Gedanken hervor, dass Adam immer noch nicht altersschwach und noch immer in der Lage ist, Nachkommen zu zeugen, wodurch auf das erstaunliche Lebensalter von 930 Jahren (V. 197–198) vorausgewiesen wird. Das Adjektiv languidus bezeichnet Entkräftung unterschiedlicher Art, in Bezug auf das Alter begegnet es etwa in Lucan. 1,504 ([...] iam languidus aevo). Da im vorliegenden Kontext von Zeugung die Rede ist, könnte es sich explizit auf die bei Adam noch erhaltene Zeugungskraft beziehen1191. Der Ablativus causae vegetis [...] annis1192 liefert die Begründung dafür, dass Adam nicht languidus ist: Seine Lebensjahre sind noch voller Kraft und Energie (vegetis)1193. Vegetus ist in der Poesie nur selten belegt1194 und kommt innerhalb der Heptateuchdichtung in ähnlicher Bedeutung in lev. 10 vor (Interea iuvenes vegeti iam fortibus annis). V. 193 Sethum progenerat post mortem mitis Abelis: Während in Vet. Lat. gen. 4,25 die Rolle der Frau bei Seths Geburt deutlich herausgearbeitet wird – sie empfängt, gebiert und benennt den Sohn (vgl. (E) et concepit et peperit filium et vocavit nomen eius Seth) –, beschränkt der HD sich auf die zeugende Funktion 1188 Vgl. Hept. gen. 1056, Ov. met. 5,145; 11,295, Ib. 565, Avien. Arat. 576. 1189 Vgl. Georges 2 s.v. inter 356 unter II B CC h inter haec. Die Formel haec inter findet sich mit Ausnahme Ammians ausschließlich in der Poesie (vgl. ThlL 7,1 s.v. inter 2131,43–44) und tritt beim HD ingesamt 27-mal auf, allerdings nicht immer in temporaler Bedeutung (vgl. etwa Hept. gen. 52). 1190 Die Form Ādām kommt innerhalb der Heptateuchdichtung nur hier vor, ansonsten wird der Name immer an die o-Deklination angepasst, vgl. Hept. gen. 44, 64, 93, 134, 197 und deut. 193. Zur willkürlichen prosodischen Behandlung dieses Namens beim HD vgl. den Kommentar zu V. 44. 1191 Vgl. ThlL 7,2 s.v. languidus 924,32–33, etwa Mart. 11,29,1 (Languida […] virilia). 1192 Zum Ablativus causae bei Adjektiven vgl. LHS 134 § 82 unter b. 1193 Das stammverwandte Verbum vegetare findet sich in einem vergleichbaren Zusammenhang in Aug. nupt. et concup. 2,19,34 in Bezug auf das altersschwache Paar Abraham und Sarra, deren Glieder Gott „belebt“, so dass Sarra schwanger wird: [...] deus Abrahae et Sarrae marcentia aevo membra vegetavit […]. 1194 Erstmals in Catull. 63,41; vgl. die fast ausschließlich prosaischen Belege in OLD s.v. vegetus 2019–2020 sowie Forc. 4 s.v. vegetus 923–924.

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Adams (Sethum progenerat1195). Diese männlich zentrierte Perspektive zeigt sich bereits in V. 134–137 bei der Geburt von Kain und Abel1196. Eine starke Verknappung der biblischen Erzählung liegt bei post mortem mitis Abelis vor, denn in Vet. Lat. gen. 4,25 erscheint eine wörtliche Rede Evas, in der die Bedeutung Seths als Ersatz für den getöteten Abel herausgestellt wird ((E) dicens suscitavit enim mihi deus semen aliud pro Abel quem occidit Cain). Diese Rolle Seths betont Cl. M. Victorius ganz explizit, indem er in aleth. 2,322–324 davon spricht, dass Seth nach dem Willen Gottes den Platz des Abel einnimmt. Der HD schwächt dagegen den Supplementärcharakter Seths durch die rein temporale Angabe post mortem ab und erinnert stattdessen durch mitis an die besondere Qualität des Getöteten. Bereits in V. 144 tritt mitis in Bezug auf das von Abel geopferte Lamm auf, mit dem er gleichsam sich selbst Gott darbringt und auf diese Weise zur Präfiguration des Opferlamms Christus wird (miti se devovet agno); in V. 193 wird das Adjektiv nun direkt auf Abel bezogen1197. Wenn auch der Name des neuen Sohnes (Sethum) betont an den Versanfang gerückt ist, bildet doch Abelis1198 am Versschluss ein Gegengewicht, zumal Abel und sein Tod durch Alliterationen (progenerat post mortem mitis) hervorgehoben sind. V. 194–195a Enochum is deinde creat, cui candida corda / largitus dominus: In V. 194–196 verarbeitet der HD Vet. Lat. gen. 4,26, wonach auf Seths Sohn Enos der Ursprung der Religion zurückzuführen ist1199. Der erste Teil von V. 194 bis zur Hephthemimeres gibt verknappend die erste Hälfte von Vet. Lat. gen. 4,26 wieder, nämlich (A) et Seth natus est filius (I) et nominavit nomen eius Enos. Der Name Enochūm, dessen kurze Endsilbe unter dem Einfluss der Trithemimeres gedehnt wird und auf den ein Hiat folgt1200, weicht von der in der Vetus Latina, LXX und Vulgata überlieferten Namensform Enos (§Envßw) ab, doch für die Vetus Latina ist auch die Variante Enoch bezeugt1201. Dass der HD diesen Enoch nicht mit dem in Gen 5,23–24 genannten Enoch verwechselt, der von Gott entrückt wurde (vgl. V. 205 Enochus), geht daraus hervor, dass er für beide Personen unterschiedliche, der biblischen Vorlage genau entsprechende Altersangaben macht (vgl. V. 199 und V. 207–208). Der Relativsatz cui candida corda / largitus dominūs1202 mit dem elliptischen Prädikat largitus1203 hat keine Entsprechung in der biblischen Vorlage, doch eine explizit positive Qualifizierung von Enos ist in

1195 Dieses Verbum kommt in der Poesie nur vereinzelt vor, allerdings viermal beim HD, vgl. ThlL 10,2 s.v. progenero 1756,18–19. 1196 Vgl. den Kommentar zu V. 136b–137. 1197 Vgl. dazu ausführlich den Kommentar zu V. 144b. 1198 Zur Deklination und prosodischen Behandlung des Namens Abel beim HD vgl. den Kommentar zu V. 138. 1199 Vgl. Westermann 1976, 461. 1200 Zur Metrik von V. 194 vgl. Best 1891, 22. 1201 Vgl. Fischer 1951, 92. 1202 Zur Dehnung der Endsilbe -ŭs, insbesondere vor anlautendem h, vgl. Peiper 1891, 345. 1203 Ähnlich Mar. Victor. aleth. prec. 55–56 [...] quis libera corda / arbitriumque sui largitus mente benigna [scil. deus].

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der Kirchenväterliteratur etwa bei Ambrosius zu finden1204. Das reine Herz (candida corda), das Enos von Gott geschenkt bekommen hat, ist offenbar die charakterliche und moralische Voraussetzung für seine Bitte, Gott anrufen zu dürfen, sowie für die Gewährung dieser Bitte und für die Annahme seiner Gaben durch Gott (vgl. V. 195b–196). Candidus begegnet im übertragenen Sinne von „redlich, aufrichtig“ seit Hor. epod. 11,11–12 ([…] candidum / pauperis ingenium […]) und nimmt in der christlichen Literatur auch die Bedeutung „rein, unschuldig“ an1205; in der Heptateuchdichtung qualifiziert es auch Abraham (vgl. Hept. gen. 535 candida sanctifici terrentur pectora vatis), Isaak (Hept. gen. 1104 solvitur et lasso de corpore candidus exit), Joseph (Hept. gen. 1497 sic demum longae post tempora candida vitae) und Phinees (Ios. 485 Phineus legitur, Aaronis candidus heres)1206. Zusammen mit corda ergibt sich eine vierfache c-Alliteration (creat, cui candida corda), durch die Enos’ moralische Qualität hervorgehoben wird. Denkbar ist, dass durch candida auf die Darstellung von Abels Opfer in V. 145 angespielt werden soll, wo die Makellosigkeit der Eingeweide (exta [...] sincera) und die schneeweiße Farbe des Fettes (adipemque nivalem) zu einer indirekten Charakterisierung Abels beitragen1207. Für eine bewusste Parallelisierung der Figuren Enos und Abel spricht insbesondere die Begrifflichkeit in V. 196b1208. V. 195b–196a hoc se poscente rogari / adnuit: Der HD bezieht sich hier offensichtlich auf die zweite Hälfte von Vet. Lat. gen. 4,26 ((I) hic speravit invocare nomen domini dei). Mit hoc se poscente wird hic speravit aufgegriffen, wobei die Hoffnung Enos’ darauf, den Namen Gottes anzurufen, im Sinne einer Bitte an Gott interpretiert wird1209. Poscere steht hier wie in V. 167 in der Bedeutung orare, precari1210 und rogare im Sinne von „(Gott) anflehen, (zu Gott) beten“1211 wie etwa auch in Hept. exod. 1227 aeternumque rogat populi pro crimine regem und iud. 142 ac dominum prostrata rogat [...]. Während im Bibeltext nur von Enos’ Hoffnung die Rede ist, wird das Erhoffte nach der Darstellung des HD auch von Gott gewährt (vgl. adnuit)1212, was auch in Mar. Victor. aleth. 2,328–329 (posse ciere piis precibus et nomine vero / speravit meruitque deum […]) der Fall ist. Die Konstruktion in V. 195b–196a (adnuit) lässt sich am besten als eine offene auffassen, da verschiedene syntaktische Erklärungsmöglichkeiten gegeben sind: 1. Hoc (= Enocho) poscente se rogari adnuit: „Als dieser (= Enos) bat, gestattete der 1204 Vgl. Ambr. parad. 3,19 [...] et Enos, hoc est homo ad imaginem dei factus, qui speravit invocare nomen domini dei [...] und 3,23 videtur enim nobis tamquam aurum bonum Enos, qui prudenter dei nomen scire desideravit. 1205 Vgl. ThlL 3 s.v. candidus 244,43–80. 1206 Vgl. Homey 2009, 157 Anm. 21. 1207 Vgl. den Kommentar zu V. 145. 1208 Vgl. den Kommentar zu V. 196b. 1209 In der Vulgata ist der Gedanke der Hoffnung dagegen nicht enthalten, vgl. iste coepit invocare nomen domini. 1210 Vgl. den Kommentar zu V. 167. 1211 Vgl. Blaise s.v. rogo 725 unter 3. 1212 Adnuit bzw. annuit findet sich in der daktylischen Dichtung am Versbeginn besonders häufig bei Ovid, vgl. die insgesamt 15 Belege der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 25.06.2015).

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Herr es, dass er angerufen werde“; se ist hier Subjektsakkusativ des von adnuit abhängigen AcI1213. 2. Hoc (= Enocho) se poscente [se] rogari adnuit: „Als dieser (= Enos) ihn bat, gestattete der Herr es, dass er angerufen werde“; se ist in erster Linie Akkusativobjekt zu poscente und kann zusätzlich entsprechend 1. als Subjektsakkusativ zu rogari ergänzt werden. 3. Hoc se poscente [scil. Enocho] [se] rogari adnuit: „Als er (= Enos) ihn darum bat, nämlich dass er sich anrufen lasse, gestattete der Herr es“. Im Unterschied zu 1. und 2. wird hoc hier als Akkusativ Singular Neutrum aufgefasst, welcher auf den epexegetischen Infinitiv rogari vorausweist, zu dem sinnvollerweise noch einmal se als Subjektsakkusativ ergänzt wird; das Subjekt des Ablativus Absolutus, Enocho, ist aus dem vorausgehenden Kontext leicht zu ergänzen1214. V. 196b et placidae suscepit munera mentis: Mit placidae suscepit munera mentis geht der HD noch weiter über Vet. Lat. gen. 4,26 hinaus und führt den Gedanken rogari / adnuit aus V. 195b–196a weiter: Gott lässt sich nicht nur von Enos anflehen, sondern nimmt auch dessen Opfergaben an (suscepit munera)1215. Placidae [...] mentis steht zum einen metonymisch für Enos selbst und charakterisiert ihn als sanft und friedfertig1216, so wie in V. 193 Abel als mitis bezeichnet wird; in seiner Gesinnung ist, wie auch bei Abel, der Grund dafür zu sehen, dass Gott seine Opfergaben annimmt (vgl. V. 146 confestimque placet domino pia vota tuenti)1217. Zum anderen könnte placidae [...] mentis auch als Genitivus definitivus gedeutet werden, d.h. Gott nimmt die Gaben an, die in Enos’ friedfertigem Herzen bestehen1218. Gemeint wäre hier dann eine Art der Selbstaufopferung, die mit der Abels in V. 144 vergleichbar ist ([...] ast alius miti se devovet agno)1219. Durch die Annäherung der Charakterisierung von Enos an die Abels macht der HD deutlich, dass die neue, über Seth und Enos führende Menschheitslinie in der Tradition Abels steht, den Gott durch die Annahme seines Opfers erwählt hat1220.

1213 Zu annuo mit AcI bzw. Infinitiv nennt der ThlL überwiegend dichterische Belege ab Ennius, vgl. ThlL 1 s.v. adnuo 792,30–41. 1214 Vgl. dazu KS II,1, 773 § 138 Anm. 7. Nicht naheliegend und auch nicht nötig erscheint der von Peiper 1891, 339 s.v. suus und Becker 1889, 25 vertretene Gedanke, dass se hier nach Art des späten Lateins ungenau im Sinne von eo zu verstehen und auf Enos zu beziehen sei. 1215 Zu suscipere in der Bedeutung eines gnädigen Annehmens vgl. Blaise s.v. suscipio 802 unter 5; zu munera suscipere in christlichen Kontexten vgl. etwa Vulg. Sirach 7,11 et offerentem me Deo altissimo suscipiet munera mea; 35,14 noli offerre munera prava non enim suscipiet illa; Ambr. sacr. 4,6,27 (in Bezug auf das Messopfer, auf das Abels Opfer vorausweist) Et petimus et precamur, uti hanc oblationem suscipias in sublime altare tuum per manus angelorum tuorum, sicut suscipere dignatus es munera pueri tui iusti Abel et sacrificium patriarchae nostri Abrahae et quod tibi obtulit summus sacerdos Melchisedech. 1216 Zur Junktur vgl. auch Ov. met. 13,214, Val. Fl. 4,103, Mart. 9,79,5; 10,103,11, Claud. 22,66, Ps. Hil. evang. 37, Paul. Nol. carm. 18,63; 21,756, Mar. Victor. aleth. 3,634, Hept. gen. 869. 1217 Vgl. den Kommentar zu V. 146. 1218 Hervorgehoben durch die Alliteration munera mentis. 1219 Vgl. den Kommentar zu V. 144b. 1220 Vgl. Seebass 1996, 173.

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V. 197–198a nongentos igitur postquam conplerat Adamus / ter denosque annos: In V. 197–198 behandelt der HD das Lebensende Adams (Ădāmŭs)1221 nach Vet. Lat. gen. 5,5. Um nach den Ausführungen über Seth und Enos die Rede wieder auf Adam zu bringen (vgl. V. 192), bedient er sich des Adverbs igitur, das im späten Latein oft eine fortführende (= deinde) oder rein anknüpfende Bedeutung hat, in Entsprechung zum griechischen deß1222. Das von Adam erreichte Lebensalter ((I) et fuerunt omnes dies Adae quos vixit anni .DCCCCXXX.) gibt der HD mit einer kleinen sprachlichen Variation an, indem er triginta durch die poetische Periphrase ter denos ersetzt1223, und hebt durch complerat1224 hervor, dass Adam diese beträchtliche Zeitspanne wirklich „voll gemacht“ hat; eine ähnliche Formulierung begegnet etwa in Sil. 10,492–493 ([…] bis Cloelia senos / nondum complerat primaevi corporis annos). V. 198b sopitus morte quievit: V. 198b entspricht dem Ende von Vet. Lat. gen. 5,5 (I) et mortuus est. Indem der HD den Tod Adams in das Bild des Einschlafens kleidet, das durch die Kombination von sopitus und quievit fast schon hyperbolisch wirkt, bringt er zum Ausdruck, dass Adam nach der lebenslangen Mühsal, die er als Konsequenz für seinen Ungehorsam Gott gegenüber hat ertragen müssen (vgl. V. 119), nun Ruhe gefunden hat. Dieses Bild der Ruhe wird auf lautlicher Ebene durch die Häufung des dunklen Vokals o in V. 198 verstärkt. Der Ablativus causae morte ist wohl in erster Linie auf quievit zu beziehen („er kam im Tod zur Ruhe“), entsprechend Verg. Aen. 9,445 […] placidaque ibi demum morte quievit1225; außerdem legt die bukolische Diärese nach sopitus nahe, morte quievit als syntaktisch-semantische Einheit aufzufassen. Andererseits wird auch sopiri und insbesondere das Partizip sopitus mit dem Ablativ morte oder sinngleichen Substantiven verbunden und bedeutet dann „im Tod entschlafen“1226, so dass sich für morte eine gewisse Doppeldeutigkeit der Bezüge ergibt. V. 199–200a longaevusque dehinc nongentos quinque per annos / Enochus vixit: Dehinc sollte sich, wie deinde in den Versen V. 176 und 194, erwartungsgemäß auf die unmittelbar an Adam anschließende Generation beziehen, was hier jedoch nicht der Fall ist, denn zwischen Adams Tod (V. 197–198) und dem von Enos wird in Vet. Lat. gen. 5,8 noch vom Lebensende des Seth im Alter von 912 Jahren berichtet. Da der HD die genealogische Reihe von Adam bis Noah und seinen Söhnen ansonsten vollständig wiedergibt, ist es durchaus wahrscheinlich, dass an dieser Stelle Verse ausgefallen sind, in denen das Gesamtlebensalter Seths genannt wurde. Neben dehinc wirkt -que pleonastisch und ist am sinnvollsten mit 1221 Zur prosodischen Behandlung des Namens Adam beim HD vgl. den Kommentar zu V. 44. 1222 Vgl. LHS 513 § 279 Zusatz α. 1223 Vgl. auch Hept. gen. 203, 258, exod. 868, lev. 42, iud. 399, 472, 561, 590. 1224 Postquam mit dem Plusquamperfekt ist in klassischer Zeit selten und tritt insbesondere bei Livius und Tacitus gehäuft auf, vgl. KS II,2, 355–356 § 207 unter 4. 1225 Ähnlich auch Verg. Aen. 6,371 […] in morte quiescam, Sil. 10,257 […] nec in ipsa morte quiescunt, Paul. Nol. carm. 18,95 […] placida caro morte quiescit. 1226 Vgl. etwa Lucr. 3,904 tu quidem ut es leto sopitus […], 3,1038 [...] eadem aliis sopitus quietest, Lact. mort. pers. 17,9 morte sopitus, opif. 18,3 […] quod anima morte sopiatur und 18,8 […] perpetua morte sopiri, Paul. Nol. carm. 26,65 [...] sopiti pace beata.

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seinem zunehmenden Bedeutungsschwund im späten Latein zu erklären, wo sinnentleertes -que sich nach beliebigen satzeinleitenden Wörtern zur Füllung des Verses findet1227. Der HD nimmt hier Bezug auf die Gesamtlebensdauer von Seths Sohn Enos nach Vet. Lat. gen. 5,11, wobei er die Namensform Enoch(us) aus V. 194 konsequent beibehält1228. Die Bedeutung „alt, hochbetagt“, die sich für longaevus in Bezug auf Lebewesen seit Vergil findet1229, ist im Kontext der langen Lebensdauer nicht sinnvoll, außer man deutet longaevus als proleptisches Prädikativum1230 in dem Sinne „905 Jahre lang lebte Enoch (Enos), so dass er zu einem hochbetagten Mann wurde“. Daher sollte hier die seit Gaius und überwiegend in der christlichen Prosa belegte Bedeutung „langlebig“ angenommen werden1231. In ähnlicher Weise wird mit longo [...] aevo (V. 204) die lange Lebenszeit des Maleleel unterstrichen. V. 200b–201 quem Cainanus adaequans / quinque fuit tantum protentis longior annis: Die Summe von 910 Jahren, die Enos’ Sohn Cainan (Cāīnānus)1232 nach Vet. Lat., Vulg. und LXX gen. 5,14 lebt, umschreibt der HD zum Zwecke der Variatio, indem er von Enos’ Alter ausgeht und dazu fünf Jahre addiert. Für longus in Bezug auf Menschen hohen Alters verzeichnet der ThlL sonst nur einen Beleg aus Pseudo-Rufin1233, während longus in Verbindung mit vita oder aetas nicht ungewöhnlich ist. Vielleicht lässt sich die eigenartige Wortverwendung mit dem Bestreben des HD erklären, die Altersangaben der Patriarchen möglichst abwechslungsreich wiederzugeben; so findet sich in V. 199 longaevus, in V. 201 longior und in V. 204 longo [...] aevo. Auch der Ablativus mensurae quinque [...] tantum protentis [...] annis wirkt durch das im Grunde überflüssige protentis recht eigenwillig. Protendere im temporalen Sinne von protrahendo addere („ausdehnend hinzufügen“) ist nur selten belegt, wobei die Junktur annos protendere singulär zu sein scheint1234. V. 202–203a iunior hoc iterum ter quinis decubat annis / Maleleela senex: Auch die für Maleleel (Mālĕlĕēlă)1235 angegebene Gesamtlebenszeit von 895 Jahren entspricht der biblischen Überlieferung nach Vet. Lat., LXX und Vulg. gen. 1227 Vgl. LHS 475–476 § 254 unter c, Löfstedt 1936, 43 („abundierendes -que als blosses Füllsel im Vers“) und insbesondere Müller 1933, 67–68 mit Beispielen aus dem Carmen Eucharisticum des Paulinus Pellaeus. 1228 Vgl. den Kommentar zu V. 194–195a. 1229 Vgl. ThlL 7,2 s.v. longaevus 1617,55–1618,9. 1230 Zu dieser Erscheinung, die sich in der Dichtung seit den Augusteern findet, vgl. LHS 413– 414 § 219 Zusatz α. 1231 Vgl. ThlL 7,2 s.v. longaevus 1619,7–39. 1232 Der Name ist sonst indeklinabel, vgl. ThlL Onomasticon 2 s.v. Cainan 62,22. 1233 Vgl. ThlL 7,2 s.v. longus 1640,58–61 mit dem weiteren Beleg Ps. Rufin. Ios. bell. Iud. 4,6 aevo pontificum longissimus. 1234 Vgl. ThlL 10,2 s.v. protendo 2268,4–10; neben Hept. gen. 201 werden nur Don. Ter. Andr. 615 (moram) und Euseb. Emes. serm. 18,45 (biennium tempus) genannt. 1235 Maleleela, welches der Überlieferung in C entspricht, ist gegenüber dem von Peiper aus AG übernommenen Malaleela vorzuziehen, da es dem Wortlaut von Vet. Lat. gen. 5,17 (I) Malelehel (vgl. auch LXX Malelehßl) näher kommt. Der Akkusativ auf -a (vgl. auch V. 176 Gaidada) entspricht den griechischen Substantiven der 3. Deklination.

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5,17. Diesmal wird die Variatio der Altersangabe durch Subtraktion vom Lebensalter des Vorgängers bewirkt (iunior hōc [...] ter quinis [...] annis); der Gegensatz zwischen der (geringfügigen) Zunahme des Lebensalters bei Kainan und der Abnahme bei Maleleel kommt durch das adversativ verwendete iterum zum Ausdruck1236. Dennoch handelt es sich bei den 895 Lebensjahren des Maleleel im Vergleich zu der viel kürzeren Lebensspanne des entrückten Enoch (V. 206–208) immer noch um ein sehr hohes Alter, weshalb Maleleel mit Recht als senex bezeichnet wird. Die Kombination eines Eigennamens mit dem Substantiv senex unmittelbar vor der Penthemimeres begegnet in der Dichtung vor dem HD mehrfach1237. Ungewöhnlich und offenbar nur hier belegt ist die Verwendung von decubat in der Bedeutung mori1238, womit der HD Vet. Lat. gen. 5,17 (I) et mortuus est wiedergibt; dieser Sinn von decubare ist angesichts der anderen übertragenen Bedeutungen i.q. in terram cadere und i.q. iacere nachvollziehbar und lässt sich im Deutschen durch Übersetzungen wie „sterbend niedersinken“ oder „tot daliegen“ verdeutlichen1239. In jedem Falle ist das in G überlieferte decubat dem sinnlosen deducat in A und deputhat in C vorzuziehen. V. 203b–204 ter denis deinde Iaretus / atque tribus vixit longo constrictior aevo: Bei der Angabe von Jareds (Ĭărētus)1240 Gesamtlebensdauer weicht der HD von seiner biblischen Vorlage Vet. Lat. gen. 5,20 ab, denn während dort – wie auch in der LXX und in der Vulgata – die Zahl 962 erscheint, lebt Jared dem HD zufolge 895 minus 33, also 862 Jahre. Wie diese Zahl rein rechnerisch zustande gekommen sein könnte, erklärt nachvollziehbar Mayor1241: Vor der Zeugung von Enoch lebte Jared dem masoretischen Text zufolge, mit dem die Vetus Latina, die Vulgata und die LXX übereinstimmen, 162 Jahre lang, dem samaritanischen Pentateuch zufolge aber nur 62 Jahre (vgl. Gen 5,18). Wenn man diese zu der Summe von 800 Jahren addiert, die Jared nach der Zeugung des Enoch noch lebte (vgl. Gen 5,19)1242, kommt man auf 862 Lebensjahre. Da der HD sich bei den anderen Altersangaben im Stammbaum Adams entweder genau an die Vetus Latina hält oder sich für eine Abänderung rechtfertigt (V. 211–212), ist diese Abweichung erklärungsbedürftig. Denkbar ist, dass der Dichter in seinem Vetus-Latina-Text zu Gen 5,18 statt CLXII die Variante LXII stehen hatte, die als textkritische Variante in Isid. chron. 9 bezeugt ist1243, und bei der Hinzufügung der 800 Jahre nach Gen 5,19 zu dem von Gen 5,20 abweichenden Ergebnis gelangte. Wie bei Maleleel 1236 Zu diesem adversativen Gebrauch von iterum im Spätlateinischen vgl. LHS 491 § 263. 1237 Vgl. etwa Verg. Aen. 7,180 Saturnusque senex, Ov. epist. 1,98 Laertesque senex, met. 1,580 Apidanusque senex, 2,243 Peneusque senex, 11,757 Laomedonve senex, Stat. silv. 1,2,253 Callimachusque senex, 5,2,108 Dardaniusque senex. 1238 Vgl. ThlL 5,1 s.v. decubo 221,19–20. 1239 Vgl. ebd. 221,4–10. 1240 Vgl. Vet. Lat. gen. 5,15 (I) und 5,18 (I) Iaret bzw. 5,19 (X) Iareth (für Vet. Lat. gen. 5,20 ist die erste Hälfte nicht bezeugt). Denkbar wäre auch, Iărētus mit konsonantischem j zu lesen. 1241 Vgl. Mayor 1889, 13; zu den Zahlendivergenzen zwischen masoretischem Text, samaritanischem Pentateuch und LXX vgl. auch die Tabelle bei Seebass 1996, 178. 1242 Vetus Latina, LXX und Vulgata stimmen hier überein. 1243 Vgl. Fischer 1951, 96.

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(V. 202–203) umschreibt der HD auch bei Jared das Gesamtlebensalter durch Subtraktion vom Alter des Vaters. Der Komparativ constrictior entspricht iunior in V. 202 und ist in dieser temporalen Bedeutung sonst offenbar nicht belegt1244. Durch die Nebeneinanderstellung von constrictior und longo ergibt sich ein reizvoller Kontrast, durch den die Abnahme der Lebenszeit im Vergleich zum Vorgänger betont wird. Longo [...] aevo1245 lässt sich am einfachsten als Ablativus comparationis zu constrictior auffassen und auf das zuvor genannte, 895 Jahre lange Lebensalter des Maleleel beziehen, so wie auch iunior in V. 202 mit einem Ablativus comparationis (hoc) verbunden ist. Die Parallelität beider Konstruktionen wird insbesondere durch die ähnlich formulierten Ablativi mensurae ter quinis (V. 202) und ter denis (V. 203) deutlich, die beide nach der Penthemimeres stehen und die zunehmende Verkürzung der Lebenszeit bis hin zu Enoch veranschaulichen1246. V. 205 Enochus, cui cura fuit servire potenti: Mit Enoch beschäftigt sich der HD aufgrund seiner theologischen Bedeutung ausführlicher (vgl. V. 205–210). Die Verse 205–206a heben seine besonders enge Gottesbeziehung hervor, die in der biblischen Vorlage Vet. Lat. gen. 5,22 nur durch (I) placuit autem Enoch deo angedeutet wird; dieses Wohlgefallen bei Gott, das zu Beginn von Vet. Lat. gen. 5,24 nochmals genannt wird1247, erscheint auch in der LXX (gen. 5,22 euöhreßsthsen de? &Envßx tv#q jev#q), während die Vulgata deutlicher davon spricht, dass Enoch „mit Gott wandelte“ (gen. 5,22 et ambulavit Enoch cum deo)1248. Mit cui cura fuit1249 servire potenti interpretiert der HD das biblische placuit [...] deo weit über seine Vorlage hinausgehend und viel konkreter als etwa Cl. M. Victorius1250 im Sinne eines eifrigen Dienstes an Gott, worunter ein besonderer Gehorsam ver-

1244 Vgl. ThlL 4 s.v. constringo/constrictus 546,12–13 mit Hept. gen. 204 als einzigem Beleg dieser Art; für constringere im Sinne von „(zeitlich) verkürzen“ finden sich ebd. 543,44–46 nur zwei Belege, nämlich Hept. gen. 231 (Gott reduziert die menschliche Lebenszeit auf 120 Jahre) constringit miserans prolixae incommoda vitae und Boeth. in top. Cic. 1 omnia quae diuturna sunt bona, meliora esse iis quae sunt temporis brevitate constricta. 1245 Zu dieser im Hexameter häufigen Junktur vgl. auch Hept. gen. 283, 867, 1482, Ios. 522 sowie Ov. am. 1,13,35, met. 3,445; 14,731; 15,306, trist. 5,14,35 etc. 1246 Vgl. auch die Hervorhebung von ter denis deinde durch gleichen Anlaut. So lebt Maleleel 3 mal 5 Jahre kürzer als sein Vorgänger, Jared schon 3 mal 10 Jahre kürzer als sein Vorgänger und zwischen den 862 Jahren des Jared und den 365 des Enoch ist ein Unterschied von fast 500 Jahren. 1247 Vgl. Vet. Lat. gen. 5,24 (K) et conplacuit Enoch deo // (E) et placuit Enoch deo. 1248 Dieser Ausdruck, der sich auch im masoretischen Text findet, wird gewöhnlich im Sinne einer besonders engen Gemeinschaft Enochs mit Gott gedeutet, vgl. Westermann 1976, 485. 1249 Cura est alicui mit dem Infinitiv tritt v.a. in der Dichtung und im späteren Latein auf, vgl. Vgl. ThlL 4 s.v. cura 1456,19–39; um einen rein formalen Anklang handelt es sich bei Prud. c. Symm. 1,14 vir solus, cui cura fuit, ne publica morum. 1250 Dieser beschränkt sich in aleth. 2,335 auf eine allgemeine Andeutung von Enochs Tugenden (usque adeo ut cunctis pollens virtutibus Enoc).

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standen werden kann1251, aber vielleicht auch ein kultischer Dienst1252. Servire bezeichnet, ebenso wie das Substantiv servus, bereits im lateinischen Alten und Neuen Testament Gehorsam und Treue gegenüber Gott1253 und tritt mit dem Objekt deo in Hept. exod. 293 und 1014 sowie iud. 277 auf. Auch das substantivierte Adjektiv potenti anstelle von deo entspricht biblischer Diktion1254 und wird vom HD in der Junktur servire potenti nochmals in lev. 132 verwendet, wo es sich allerdings nicht auf Jahwe, sondern auf den Moloch bezieht. V. 206a et mentem sociare deo: Während durch servire potenti (V. 205) mehr die Unterordnung unter den machtvollen Willen Gottes betont wird, lässt mentem sociare deo mehr an ein partnerschaftliches Verhältnis mit Gott denken1255; so verwendet Silius in 9,406–407 die Wendung sociata [...] mens, um die lebenslange Seelengemeinschaft zweier Freunde bis in den Tod zu beschreiben. Zugleich könnte der in Vet. Lat. I Joh 1,3.6–7 ausgedrückte Gedanke der societas des Menschen mit Gott dahinterstehen, die nur besteht, wenn der Mensch nicht in der Finsternis, sondern im Licht wandelt, was ja auf Enoch zutrifft1256. Eine weitere Bedeutungsnuance ergibt sich mit Blick auf die vergleichbare Wendung iungere corda deo in Hept. exod. 379, womit in diesem Kontext (vgl. Ex 12,16) gemeint ist, dass die Israeliten den ersten und den siebten Tag des Festes der ungesäuerten Brote heiligen sollen; sie sollen diese Tage feiern und alle Arbeiten abgesehen von den lebensnotwendigen ruhen lassen. Somit könnte mit mentem sociare deo vielleicht auch gemeint sein, dass Enoch darum bemüht war, seine Lebenszeit nicht primär der Notdurft der Lebensführung, sondern Gott zu widmen. V. 206b–208a sat iunior istis, / ter centum explicitis si quinque adiungere cures / sexies et denos: Hier nimmt der HD Bezug auf Vet. Lat. gen. 5,23, wo das Gesamtlebensalter Enochs vor seiner Entrückung in Übereinstimmung mit der LXX und der Vulgata mit 365 Jahren angegeben wird1257. Auf die auffallende Kürze von Enochs Erdenleben im Vergleich zu seinen Vorgängern wird durch sat iunior istis hingewiesen, wobei sat beim Komparativ erst im späten Latein begeg-

1251 Zum Gehorsam Enochs vgl. Clem. ad Cor. 9,3 laßbvmen §Envßx, oÜw eön uÖpakoh#q dißkaiow euÖrejei?w meteteßjh. 1252 Vgl. Hier. epist. 73,2,2 [...] cum Abel quoque et Enoch et Noe placuerint deo et victimas obtulerint [...]. 1253 Vgl. Blaise s.v. servio 756 unter 2 servir (Dieu) und s.v. servus 756–757 unter 2 mit biblischen Belegen. 1254 ThlL 10,2 s.v. potens 281,56–66 mit biblischen Belegen. 1255 OLD s.v. socio 1778 unter 1; sociare mit dem Dativ anstelle von cum mit Ablativ ist in der Dichtung häufig, vgl. KS II,1, 317–318 § 76 unter 6a. 1256 Vgl. Vet. Lat. I Ioh. 1,3 (T) ut et vos societatem habeatis nobiscum et societas vestra sit cum patre et cum filio eius Iesu Christo; 1,6 (T) si dixerimus nos societatem habere cum eo et in tenebris ambulamus mentimur et non facimus veritatem 1,7 (T) si in lumine ambulemus sicut et ipse est in lumine societatem habemus cum eo et sanguis Iesu Christi filii eius purgat nos ab omni peccato. 1257 Zu der vom Sonnenjahr entlehnten Zahl 365 bemerkt Westermann 1976, 485: „[Der] Entrückung zu Gott entspricht es, daß die Lebenszeit des Henoch eine volle, runde, ganzheitliche Zeit war. Diese runde Zahl konnte eine kurze sein, weil sie ja nicht mit dem Tod endete.“

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net1258. Für dieses ist auch die Verwendung von istis anstelle von his charakteristisch1259. Die Zahl 365 wird durch Addition (ter centum [...] quinque [...] sexiĕs et1260 denos) zusammengesetzt1261, wobei das offensichtliche Streben nach Variatio den HD zu einer verbalen Aufschwellung veranlasst: Explicitis, welches die dreimal hundert Jahre als abgelaufen bezeichnet, ist inhaltlich gesehen überflüssig und trägt allenfalls durch das dreifache i zu einer lautlichen Hervorhebung der Textpassage bei (explicitis si quinque). In Bezug auf das Ablaufen von Tagen, Monaten und Jahren ist explicare erst seit Lukan belegt und findet sich mehrfach innerhalb der Heptateuchdichtung1262. Etwas geziert wirkt der Potentialis si [...] cures1263, der auch in Hept. num. 15–16 im Rahmen einer Zahlenperiphrase vorkommt ([…] quingentos pariter si iungere cures / quinquies et denos [...]). V. 208b–209a subita caligine tectus / abditur: Die Verse 208b–210 beziehen sich auf Enochs Entrückung nach Vet. Lat. gen. 5,24, schmücken diese aber weit über den Bibeltext hinausgehend aus. Während dort keine Informationen zur „Methode“ der Entrückung gegeben werden und lediglich festgestellt wird, dass Enoch später nicht mehr auffindbar gewesen sei, weil Gott ihn an einen anderen Ort versetzt habe (vgl. Vet. Lat. gen. 5,24 (K) et non est inventus postmodum quia deus illum transtulit // (E) et non inveniebatur quia transtulit illum deus), spricht der HD von einer plötzlichen Finsternis, durch die Enoch den Blicken der Menschen entzogen wird. Dabei bedient er sich gängiger poetischer Junkturen: Subita caligine, welches durch die s-Häufung in V. 208 hervorgehoben ist (sexies et denos subita), findet sich an der gleichen metrischen Position in Lucan. 9,817 in Bezug auf die tödliche Umnachtung unmittelbar nach einem Schlangenbiss (testatus morsus subita caligine mortem) und in Stat. Theb. 10,146 in Bezug auf das plötzliche Dunkel, durch das sich die Ankunft des Somnus bemerkbar macht (primus adesse deum subita caligine sensit). Caligine tectus begegnet gerade am Versschluss häufig in der hexametrischen Dichtung zur Bezeichnung eines umhüllenden Dunkels1264, insbesondere in Ov. met. 5,622 (me super iniecit: lustrat caligine tectam), wo die von Alpheus verfolgte Arethusa von der Göttin Diana in einer Wolke verborgen wird. Hier zeigt sich insofern auch eine gewisse inhaltli-

1258 Vgl. LHS 164–165 § 97 unter b. 1259 Vgl. ebd. 184 § 105 unter b. 1260 Zur Kürzung der Endsilbe -ēs bei Zahladverbien vgl. Peiper 1891, 344; zur dichterischen Nachstellung von et seit Vergil vgl. LHS 484 § 256 unter n. 1261 Ähnlich Ov. fast. 3,163 is decies senos ter centum et quinque diebus und Auson. ecl. 15,18 ter centum ac senis decies et quinque diebus. 1262 Vgl. ThlL 5,2 s.v. explico 1728,57–77; vgl. auch Hept. exod. 382 mensibus explicitis, lev. 66 explicito […] anno, num. 2 mensibus explicitis, 98 expliciti […] anni. 1263 Zur Bedeutung vgl. OLD s.v. curo 475 unter 8 f (w. inf.) to take the trouble to, bother to. 1264 Vgl. Ov. met. 1,265 terribilem picea tectus caligine vultum (in Bezug auf das in schwarze Wolken gehüllte Gesicht des Südwindes), 2,233 quoque eat aut ubi sit, picea caligine tectus (in Bezug auf den in schwarzen Qualm gehüllten Phaeton im Sonnenwagen), 6,706 verrit humum pavidamque metu caligine tectus (in Bezug auf den in Dunkel gehüllten Boreas, der Orithyia raubt), Sil. 4,668 Mulciber obscurae tectus caligine nubis (in Bezug auf Vulcanus, der in eine Wolke gehüllt eine Schlacht verfolgt).

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che Parallele zum HD, als ein Mensch durch göttlichen Einfluss entrückt wird1265. Abditur, das durch seine Position am Versanfang besonders betont ist, ist im Grunde synonym zu tectus verwendet und amplifiziert dieses1266. Abgesehen von der Entrückung der Arethusa in Ov. met. 5,622 kommt für die Gestaltung des HD auch das prominente Vorbild des Romulus in Frage, der nach Liv. 1,16,1 in einem plötzlich (!) aufziehenden Unwetter durch eine sehr dichte Wolke den Blicken der Anwesenden entzogen wird1267. Ferner dürfte für das christliche Publikum des HD die Himmelfahrt Christi als Subtext präsent gewesen sein, der nach Apg 1,9 durch eine Wolke vor den Augen der Jünger hinweggenommen wird. Das äthiopische Henochbuch, das bei den ältesten Kirchenvätern große Anerkennung genoss, bis es v.a. durch Hieronymus in den apokryphen Bereich abgedrängt wurde1268, scheidet dagegen als Vorbild aus, da Enoch im 70. Kapitel „auf Wagen des Geistes“1269 in den Himmel erhoben wird. Während andere Dichter die Entrückung des Enoch mit der Himmelfahrt des Elia im feurigen Wagen verknüpfen, verzichtet der HD auf diese Verbindung1270. V. 209b et domino multum miserante remotus: Remotus nimmt Bezug auf die Entrückung Enochs durch Gott nach Vet. Lat. gen. 5,24 (K) quia deus illum transtulit // (E) quia transtulit illum deus. Während das biblische transtulit einen Ortswechsel bezeichnet1271, legt remotus das Augenmerk mehr auf den Aspekt des Entfernens; ein vergleichbarer Wortgebrauch findet sich in Hor. carm. 1,28,7 in Bezug auf die Entrückung von Tithonus durch Eos (Tithonusque remotus in auras). Über den Bibeltext hinausgehend, der das wunderbare Ereignis lediglich feststellt, begründet der HD das Geschehen mit Gottes großer Barmherzigkeit und bedient sich dabei des Ablativus absolutus domino […] miserante, der in ähnlicher Gestalt das Erbarmen heidnischer Gottheiten beschreibt1272 und im christlichen Latein auch formelhaft im Sinne von dei gratia stehen kann1273. Multum miserante ähnelt Hept. exod. 764 misericors multum [scil. dominus] und ist durch die m-Alliteration hervorgehoben, wie überhaupt der ganze Vers 209 durch den Nasal m dominiert wird (domino multum miserante remotus). Die Vorstellung, dass Gott sich Enochs erbarmt und ihn deshalb entrückt, geht ganz offensichtlich von der zu Beginn von Vet. Lat. gen. 5,24 erwähnten Tatsache aus, dass Enoch Gott (aufgrund seines Lebenswandels) gefallen habe. Dieses Wohlgefallen vor 1265 Bömer 1976, 382 weist in seinem Kommentar zu Ov. met. 5,621 darauf hin, dass hier ein Beispiel für „Entrückung (Schutz vor den Blicken der Menschen u. dgl.) durch eine Wolke“ vorliegt. 1266 Zu abdere im Sinne von contegere vgl. ThlL 1 s.v. abdo 57,24–35. 1267 Vgl. Liv. 1,16,1 [...] subito coorta tempestas cum magno fragore tonitribusque tam denso regem operuit nimbo ut conspectum eius contioni abstulit; nec deinde in terris Romulus fuit. 1268 Vgl. Kautzsch 1900, 218. 1269 Vgl. ebd. 277. 1270 Vgl. Auson. ephem. 3,41–42, Alc. Avit. carm. 4,178–184, Ps. Prosp. carm. de prov. 321– 328. 1271 Vgl. OLD s.v. transfero 1963 unter 1. 1272 Vgl. etwa Ov. met. 11,741 superis miserantibus und Drac. Orest. 81 miserante Diana. 1273 Vgl. ThlL 8 s.v. miseror 1132,76–81; zu domino miserante vgl. auch Paul. Nol. carm. 20,207 (solvitur et pedibus domino miserante refectis) und Sedul. carm. pasch. 3,202.

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Gott wird in Weish 4,10–14 mit dem Gedanken verknüpft, dass Gott den Gerechten hinweggenommen habe, um ihn vor den negativen Einflüssen seiner bösen Zeitgenossen zu bewahren; in Weish 4,15 heißt es dann ausdrücklich, dass Gott seinen Heiligen Gnade und Barmherzigkeit erweise (vgl. Vet. Lat. sap. 4,15 (V) quoniam gratia dei et misericordia in sanctos illius). Eine andere Möglichkeit, das Erbarmen Gottes mit Enoch zu deuten, ergibt sich vor dem Hintergrund von Hebr 11,5, wonach Enoch entrückt wurde, um vor dem Tod bewahrt zu werden (vgl. Vet. Lat. Hebr. 11,5 (I) fide Enoch translatus est ne videret mortem). V. 210 felicem placido vivit cum tempore vitam: Dieser Vers, in dem Enochs Dasein als von Gott Entrückter beschrieben wird, hat keinen Anknüpfungspunkt in Vet. Lat. gen. 5,24, denn dort wird über die Existenzweise des nicht mehr anwesenden Enoch nichts ausgesagt. Die Figura etymologica vivit [...] vitam1274 betont, dass Enoch nicht gestorben ist, sondern (nach wie vor) lebt – das Präsens ist hier als wirkliches, nicht als historisches wie abditur (V. 209) aufzufassen. Diese Aussage wird durch Vet. Lat. Hebr. 11,5 ((I) fide Enoch translatus est ne videret mortem) gestützt sowie durch zahlreiche Belege in der Kirchenväterliteratur, in denen nicht nur Enochs Tod negiert, sondern auch unter Verwendung des Verbums vivere von seinem Leben als Entrückter gesprochen wird1275. Felicem [...] vitam und placido cum tempore, die chiastisch ineinander geschachtelt sind (felicem placido [...] tempore vitam), charakterisieren Enochs Leben als glücklich und friedvoll, wobei im christlichen Kontext insbesondere an Darstellungen des paradiesischen Lebens von Adam und Eva zu denken ist: So sieht nach Alc. Avit. carm. 2,77–80 der Teufel, dass Adam und Eva an einer ruhigen Stätte ein glückliches Leben ohne Gefahr und in friedvoller Freude genießen1276, und in Proba cento 139–141 fordert Gott die neu geschaffenen Menschen dazu auf, glücklich im Paradies zu leben, das ihr sicherer Ruheort sei1277; als sedibus [...] placidis bezeichnet Dracontius in laud. dei 1,517 das Paradies, das Adam und Eva verlassen müssen. Dass Enoch und Elija ins Paradies entrückt wurden, nimmt etwa Augustinus an1278. Während andere christliche Autoren die Entrückung Enochs auf 1274 Zur grundsätzlichen Volkstümlichkeit der Figura etymologica vgl. LHS 790 § 38; bei Kirchenschriftstellern tritt sie unter griechischem Einfluss gehäuft auf, vgl. ebd. 38–39 § 45 unter a. 1275 Vgl. etwa Ambr. parad. 3,23 Enoch autem, qui translatus est et mortem non vidit, [...]; Aug. civ. 15,10 […] ubi ille qui natus est Enoch non mortuus, sed quod Deo placuerit translatus esse narratur [...]; serm. 299,10 Enoch translatus est, et Elias translatus est, et vivunt sowie 299,11 Vivunt Enoch et Elias; translati sunt, ubicumque sint, vivunt; grat. Christ. 2,23,27 [...] vel cum quaeritur, utrum ibi sit nunc Helias vel Enoch an alicubi alibi, quos tamen non dubitamus in quibus nati sunt corporibus vivere […]. Vgl. ferner Ps. Prosp. carm. de prov. 321 quid, cum viventem de terris transtulit Enoch und Sedul. carm. pasch. 1,106 Terra tulit genitum, sed mors miratur ademptum. 1276 Vgl. Alc. Avit. carm. 2,77–80 Vidit ut iste novos homines in sede quieta / Ducere felicem nullo discrimine vitam, / [...] / Subiectisque frui placida inter gaudia rebus. 1277 Vgl. Proba cento 139–141 vivite felices interque nitentia culta / fortunatorum nemorum sedesque beatas. / haec domus, haec patria est, requies ea certa laborum. 1278 Vgl. Aug. c. Iulian. op. imperf. 6,30 Nam quo eos [scil. Enoch et Eliam] credendum est fuisse translatos, nisi ubi est ipsum vitae lignum, unde illis sit potestas vivendi, nec ulla

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das ewige Leben im Himmelreich beziehen und als Präfiguration der Auferstehung und Himmelfahrt Christi deuten1279, geht ein solches Verständnis aus dem Text des HD nicht hervor; felicem und placida können zwar auch Attribute des ewigen Lebens sein1280, sind aber für sich allein genommen zu unbestimmt, um eine derartige Deutung nahezulegen. V. 211 at Mathusalamus nongentos porrigit orbes: Durch das adversative at wird von der vergleichsweise kurzen Lebenszeit Enochs zu der besonders langen des Mathusala (Māthūsălămus)1281 nach Vet. Lat. gen. 5,27 übergeleitet. Die außergewöhnliche Länge seines Lebens kommt durch porrigit zum Ausdruck, das in diesem Kontext zwar in Richtung eines bloßen peragere tendiert, grundsätzlich aber ein Ausdehnen bezeichnet1282, sowie durch das Substantiv orbes, das nicht nur zum Zwecke einer poetischen Variatio anstelle von annos steht (vgl. V. 199, 201, 202)1283, sondern bildhaft den Jahreskreis vor Augen führt, den Mathusala 970-mal durchlaufen hat. Während orbis in dieser Bedeutung gewöhnlich durch Attribute näher definiert wird, verwendet der HD das Wort absolut in der Bedeutung annus1284.

moriendi necessitas; sicut esset in paradiso hominibus, in quibus nulla peccandi oriretur voluntas, quae illos ibi esse non sineret, ubi nulla aequitas mori cogeret? [...] Deus quippe in his duobus ostendit, quid etiam illis quos dimisit de paradiso, praestaturus esset, si peccare noluissent: inde namque eiecti sunt isti, quo traiecti sunt illi. 1279 Vgl. etwa Mar. Victor. aleth. 2,337–338 redditus in sedes patrias orbemque beatum / vivat adhuc vitaeque habitet iam regna futurae; Ps. Prosp. carm. de prov. 321–324 quid, cum viventem de terris transtulit Enoch, / spernebat terrena Deus? namque omnibus illud / proderat exemplum, quo mortis terror abiret, / spemque inconcussam caperet substantia carnis; Ambr. in Luc. 3,48 Enoch vero nonne manifestum et pietatis dominicae et divinitatis indicium est, eo quod nec mortem senserit dominus et ad caelum remeaverit, cuius generis auctor raptus ad caelum est?; Hel. 22,85 clauserat caelum hominibus perfidia, sed aperuit fides. patebat et ante hoc caelum hominibus. denique Enoch raptus ad caelum est. iterum clausum est, sed aperuit Helias, qui raptus est curru. et vos potestis ascendere, si sacramenti gratiam consequamini; Hier. epist. 119,2,2 Enoch enim et Helias mortis necessitate superata ita, ut erant in corporibus, de terrena conversatione ad caelestia regna translati sunt;119,4 quosdam non esse morituros et de praesenti vita rapiendos in futuram, ut mutatis glorificatisque corporibus sint cum Christo, quod nunc de Enoch et Helia credimus. Zu Enochs Entrückung als Beweis für bzw. Hoffnung auf die Auferstehung vgl. auch Berger 1988, 491– 492. 1280 Vgl. etwa Aug. civ. 6,12 Vitam igitur aeternam, id est sine ullo fine felicem, solus ille dat, qui dat veram felicitatem und Hil. in psalm. 147, 5 [...] tamen post harum praesentium acerbitatum rigores deo eos resolvente in placidis et tranquillis et serenis quiescemus. 1281 Zur Namensform Mathusalamus vgl. auch den Kommentar zu V. 177–178a. 1282 Vgl. ThlL 10,1 s.v. 2. porrigo 2764,38–39 (Hept. gen. 211), worauf ebd. 2764,33–34 mit den Worten vergit in meram notionem peragendi hingewiesen wird; zu porrigere im Sinne eines Ausdehnens der menschlichen Lebenszeit vgl. ebd. 2764,33–43. 1283 Zu orbis für den Jahreslauf vgl. ThlL 9,2 s.v. orbis 912,37–51 mit Belegen ab Vergil; vgl. auch Hept. gen. 315, 1271 und iud. 641. 1284 Vgl. Stutzenberger 1903, 12–13; vgl. etwa Verg. Aen. 1,269 magnos […] orbes, 5,46 annuus […] orbis, Manil. 3,479 anni […] orbis, Stat. Theb. 1,505 orbibus anni, Ach. 2,110 annorum […] orbes u.a.

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V. 212 septies et denos, unum si iungere fas est: In der handschriftlichen Überlieferung lautet das Ende dieses Verses unum quīs [=quibus] iungere fas (A) bzw. ius (CG) est („denen man eines hinzurechnen darf“)1285, wodurch sich das Problem ergibt, dass Mathusalas Alter sich auf 971 Jahre belaufen würde. Diese Zahl lässt sich kaum sinnvoll erklären, so dass verschiedene Versuche zur Emendation des Verses unternommen wurden. Zum einen wurde vorgeschlagen, iungere durch sein Gegenteil zu ersetzen, nämlich durch demere (Arevalo) oder stringere (Mayor), welches im bildlichen Sinne von „to strip off“ gemeint sei1286; auf diese Weise ergibt sich zwar wieder die biblische Zahl 969 (vgl. Gen 5,27)1287, aber der Eingriff in den überlieferten Text ist erheblich. Auch nicht recht überzeugen kann Rieses Vorschlag, unum disiungere ius est zu lesen, d.h. „es ist erlaubt, eines (von 970) abzutrennen“1288, da dieser Hauptsatz abrupt an den vorhergehenden anschließen würde. Wenig passend erscheint dann auch die Floskel fas bzw. ius est, da in diesem Zusammenhang eher ein Ausdruck des Müssens wie etwa decet oder oportet zu erwarten wäre. Überzeugender ist es daher, mit Peiper bei quis anzusetzen und dieses gegen si auszutauschen, welches im Rahmen von Zahlenperiphrasen auch in Hept. gen. 207 […] si quinque adiungere cures und num. 15 […] quingentos pariter si iungere cures auftritt; der neue Wortlaut unum si iungere fas (ius) est ist dann als Bitte des HD um die Erlaubnis zu verstehen, die biblische Zahl 969 um ein Jahr aufrunden zu dürfen. Da eine exegetische Vorlage für diese Abänderung nicht ermittelt werden konnte1289, ist von der naheliegenden Erklärung auszugehen, dass der HD die Vollkommenheit dieses von keinem anderen Urvater übertroffenen Alters durch eine glatte Zahl darstellen wollte, die zudem mit einem Vielfachen der heiligen, Vollkommenheit symbolisierenden Zahl sieben1290 zusammengesetzt ist (vgl. septiĕs1291 et denos). Während für den in CG überlieferten Versschluss iungere ius est das stilistische Argument des gleichen Anlauts spricht, spricht für das in A überlieferte iungere fas est die Wiederholung dieses Versschlusses in Hept. exod. 391 und lev. 214; außerdem kommt durch fas die religiöse Dimension ins Spiel1292 und damit das Bewusstsein des HD, dass eine Aufrundung der biblischen Zahl einer göttlichen Erlaubnis bedarf. V. 213 Lamechus, hoc patre satus, Noele creato: Mit Lamechus, hoc patre satus knüpft der HD an das Ende des ansonsten ausgelassenen Verses Vet. Lat. 1285 Zu iungere in dieser Bedeutung vgl. ThlL 7,2 s.v. iungo 656,74–83 mit überwiegend poetischen Belegen. 1286 Vgl. Mayor 1889, 13. 1287 In Vet. Lat., LXX und Vulgata einhellig überliefert; der samaritanische Pentateuch weicht mit der Zahl 720 ab, vgl. Ruppert 1998, 209. 1288 Vgl. Riese 1891, 1161. 1289 Geprüft wurde u.a. Philos Werk De posteritate Caini, in welchem Mathusala mehrfach erwähnt wird, allerdings ohne Thematisierung seines Alters. 1290 Vgl. Herrmann 2004, 472–473 und Holtz 2004, 461. 1291 Zur Kürzung der Endung -ēs bei septies und zur dichterischen Nachstellung von et vgl. den Kommentar zu V. 206b–208a (sexies et denos). Die Umschreibung der Zahl siebzig in Gestalt von septies et denos findet sich auch in Hept. gen. 781, 1437 und num. 34. 1292 Vgl. ThlL 6,1 s.v. fas 290,48–83.

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gen. 5,25 an, wo von Lamechs Zeugung durch Mathusala die Rede ist ((E) et genuit Lamech), mit Noele creato1293 fasst er Zeugung und Benennung Noahs durch Lamech zusammen (vgl. Vet. Lat. gen. 5,28 (E) [...] et genuit filium 5,29 (E) et vocavit nomen eius Noe). Während in der Bibel der Akt der Namensgebung ausdrücklich genannt wird, um die sich anschließende Namenserklärung durch Lamech zu motivieren (vgl. Vet. Lat. gen. 5,29 (E) dicens hic nobis dabit requiem etc.), verknappt der HD hier, da ihm der Zusammenhang zwischen dem Namen Noe und der prophezeiten Ruhe entweder nicht wichtig ist oder da er diesen bei seinen Lesern voraussetzt. Der Vers ist durch Trithemimeres und Hephthemimeres deutlich in drei Teile geteilt, die inhaltlich den drei Generationen Lamech (Lāmēchūs)1294, Mathusala (hoc patre satus) und Noah entsprechen. Satus mit Ablativus originis begegnet in der Dichtung sehr oft mit dem Namen des Vaters1295, seltener mit patre bzw. genitore1296. Den biblischen Namen Noe passt der HD hier an die dritte Deklination an (Nōēlĕ), wobei hebräische Namen wie etwa Isrāēl, Isrāēlis als Vorbild gedient haben mögen, in V. 223 wird der Name dagegen nach der o-Deklination flektiert (Nōēlus) und in V. 250 erscheint er in seiner üblichen, indeklinablen Gestalt (Nōĕ bzw. Nōē)1297. V. 214–215a talia disseruit, dum vatum more futura / praevidet: In Vet. Lat. gen. 5,29 wird Lamechs Rede, in der er die Erklärung des Namens Noah mit einer Verheißung verknüpft, ganz schlicht durch das Partizip dicens eingeleitet, während der HD diese Redeeinleitung über zwei Verse hinweg ausbaut, um der folgenden Rede besonderes Gewicht zu verleihen. Disseruit lässt eine gewisse Ausführlichkeit der Darstellung erwarten1298, was in Anbetracht des komplexen Gedankengangs in V. 216–220 durchaus zutrifft, ferner wird der prophetische Charakter von Lamechs Äußerung durch vatum more1299 und die mehr oder weniger identischen, einander verstärkenden Wendungen futura / praevidet und sensus venturum mittit in aevum (V. 215b) hervorgehoben1300. Mit vates kann nicht nur der Seher der heidnischen Antike, sondern auch der christlich-jüdische Prophet bezeichnet werden, so etwa Elija und David1301. Praevidere findet sich ebenfalls

1293 Zu creare in der Bedeutung „zeugen“ vgl. auch Hept. gen. 176 (Enochus Gaidada creat [...]), 191 ([...] uno genitore creata est) und 194 (Enochum is deinde creat […]). 1294 Zur häufigen Dehnung der kurzen Endsilbe -us, insbesondere vor h, vgl. Peiper 1891, 345. 1295 Vgl. etwa Verg. Aen. 4,198 Hammone satus, 5,244.424 und 7,152 satus Anchisa, 6,331 Anchisa satus, 7,656 satus Hercule u.a. 1296 Vgl. etwa Ov. met. 11,271 Lucifero genitore satus [...], Auson. technop. 3,8 Mars nullo de patre satus […], epigr. 2,6 [...] figulo sum genitore satus und epigr. 102,1 Mercurio genitore satus […]. 1297 Vgl. Quicherat s.v. Noe 726. 1298 Vgl. den Kommentar zu V. 50–51a. 1299 Ähnlich Stat. Theb. 10,829 non mihi iam solito vatum de more canendum. 1300 Roberts 1978, 292 Anm. 91 führt V. 214–215 als Beleg für die synonymische Amplificatio von Sätzen beim HD an. 1301 Vgl. Blaise s.v. vates 837 unter 1 mit Verweis auf Ambr. Hel. 6,18 (Elija) und Prud. ham. 575 (David).

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in paganen wie jüdisch-christlichen Zusammenhängen in Bezug auf divinatorische Aktivitäten und ist in der Dichtung selten1302. V. 215b et sensus venturum mittit in aevum: Sensus [...] mittit erinnert an die bei Seneca belegten Wendungen animum bzw. cogitationes mittere, womit jeweils die Ausrichtung der Gedanken auf eine andere Zeit bzw. auf einen anderen Ort bezeichnet wird1303. Mit venturum [...] aevum variiert der HD futura in V. 214 und bedient sich einer in der hexametrischen Dichtung geläufigen Formulierung1304. Das Partizip venturus zur Bezeichnung künftiger Zeiten erfreut sich innerhalb der Heptateuchdichtung besonderer Beliebtheit, insbesondere in Verbindung mit tempus und saeclum1305. V. 216 „Hic secura dabit nobis commercia vitae: Die direkte Rede Lamechs in V. 216–220 bezieht sich auf die ebenfalls direkte Rede in Vet. Lat. gen. 5,29. Lamech erklärt den Namen Noah im Sinne der Ruhe, die Noah seinen Zeitgenossen verschaffen werde ((E) hic nobis dabit requiem) 1. von all ihren Mühen ((E) ab omnibus operibus nostris), 2. von den Betrübnissen ihrer Hände ((E) et a tristitiis manuum nostrarum) und 3. von der Erde, die der Herr verflucht habe ((E) et a terra cui maledixit dominus deus). Gemeint ist hier die Mühsal des Nahrungserwerbs von der Erde1306, mit der die Menschen nach dem Sündenfall von Gott bestraft worden sind. Mit hic [...] dabit nobis wird der biblische Wortlaut bis auf die Wortstellung unverändert übernommen; dass der HD die Vetus Latina und nicht die Vulgata als Vorbild hatte, ist offensichtlich, denn in der Vulgata lautet der Text iste consolabitur nos. In dem seltenen Ausdruck secura [...] commercia vitae1307 steht commercium in der übertragenen Bedeutung negotium, munus, actio und bezeichnet eine sorglose Lebensführung bzw. ein sorgloses Leben, wenn commercia vitae als bloße Umschreibung für vitam aufgefasst wird1308; damit wird offenbar zusammenfassend auf die Ruhe von den Mühen des Nahrungser1302 Vgl. ThlL 10,2 s.v. praevideo 1111,45–46 sowie 1112,41–66. 1303 Vgl. Sen. dial. 11,10,3 Itaque in praeteritum tempus animus mittendus est [...]; epist. 55,8 huc usque cogitationes tuas mitte und epist. 91,17 [...] trans oceanum cogitationes suas mittens. Zum Plural sensus in Bezug auf die Gedanken vgl. OLD s.v. sensus 1735–1736 unter 9. 1304 Vgl. etwa Verg. Aen. 8,627 = Proba cento 447 haud vatum ignarus venturique inscius aevi, Sil. 3,630 Dum pandit seriem venturi Iuppiter aevi, Paul. Nol. carm. 32,254 sic iteranda salus venturo ostenditur aevo, Iuvenc. 4,93 Ut sibi venturi tempus distingueret aevi, Nemes. ecl. 3,23 hunc pater omnipotens, venturi providus aevi. 1305 Vgl. Wacht 2004, 580 s.v. venire, z. B. Hept. gen. 41 venturi […] saecli, 46 und 330 ventura in tempora, 295 venturis […] saeclis. 1306 Dieser Sinn geht deutlicher aus Vulg. gen. 5,29 hervor, vgl. iste consolabitur nos ab operibus et laboribus manuum nostrarum in terra cui maledixit Dominus. 1307 Vgl. auch Hept. gen. 889 nam post optata longae commercia vitae, exod. 365 contentisque vehunt umeris commercia vitae, Drac. laud. dei 1,591 Flatibus alternis redeunt commercia vitae und Stat. Theb. 5,668 mitius et sociae veritus commercia vitae (in einem Teil der handschriftlichen Überlieferung neben dem sinnvolleren commercia vittae). 1308 Vgl. die Einordnung des vergleichbaren Verses Hept. gen. 889 in ThlL 3 s.v. commercium 1878,68 sowie den Hinweis auf die abgeschwächte, rein umschreibende Bedeutung von commercium mit dem Genitiv 1878,75–77; als Beleg wird Drac. Orest. 518 flatibus alternis perflans commercia somni (fere i.q. somnum?) genannt.

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werbs durch harte landwirtschaftliche Arbeit Bezug genommen. In der modernen Exegese wird diese Ruhe oft auf die Erfindung des Weinbaus durch Noah bezogen (vgl. Gen 9,20)1309, doch eine solche Erklärung scheidet für secura [...] commercia vitae wohl aus, da die sorgenlösende Kraft des Weines gerade an der Stelle, wo die Erfindung des Weinbaus durch Noah erwähnt wird, vom HD überhaupt nicht behandelt wird (vgl. Hept. gen. 347–348). Durch den Aspekt der Sorgenfreiheit (secura), der im Bibeltext so nicht enthalten ist, nähert sich der HD Ambr. Noe 1,2 an, wonach mit der Ruhe, die Noah bringen soll, die von ihm verkörperte Gerechtigkeit gemeint ist, die die Menschen von den Werken der Ungerechtigkeit ausruhen lasse und ihnen auf diese Weise die Sorgenfreiheit (securitate) eines reinen Gewissens schenke1310. V. 217 et durum removebit onus pacemque reducet: Dieser Vers hat keine unmittelbare Entsprechung in der biblischen Vorlage und dient der weiteren Entfaltung von secura [...] commercia vitae. Mit der Beseitigung der drückenden Last (durum removebit onus)1311 wird zunächst auf die Mühen beim Nahrungserwerb Bezug genommen, von denen Noah den Menschen Ruhe verschaffen wird (vgl. Vet. Lat. gen. 5,29 (E) dabit requiem ab omnibus operibus nostris), so dass V. 217 als eine synonymische Amplificatio zu V. 216 aufgefasst werden kann. Darüber hinaus liegt hier ganz offensichtlich eine Anspielung auf Mt 11,28 vor, welchen Bibelvers auch Origenes und Hilarius durch die typologische Verbindung Noah-Jesus mit Gen 5,29 in Zusammenhang bringen1312, vgl. Vet. Lat. Matth. 11,28 (Jülicher) Venite ad me omnes, qui laboratis et onerati estis, et ego vos reficiam. Dieser Ausspruch Jesu kann insbesondere auf die drückende Sündenlast der Menschen bezogen werden, von der Christus die Menschheit befreien will1313, und

1309 Vgl. Westermann 1976, 488 und Seebass 1996, 179.184–185. 1310 Vgl. Ambr. Noe 1,2 haec [scil. iustitia] nos requiescere facit ab operibus iniquitatis, haec revocat a tristitia, quia dum ea quae iusta sunt gerimus, nihil timemus purae conscientiae securitate […]. 1311 Die Junktur onus removere findet sich, ebenfalls in einem übertragenen Sinne, in Ov. met. 12,626 a se Tantalides onus invidiamque removit. Zu durum onus vgl. auch Aug. serm. 352,1,6 Premebant te peccata tua duro onere servitutis und Ambr. in psalm. 118 serm. 19,10 [...] dura in Aegypto servitutis onera subire. 1312 Vgl. Rufin. Orig. in gen. 2,3 Si vero respicias ad Dominum nostrum Iesum Christum, de quo dicitur: „ecce agnus Dei, ecce qui tollit peccatum mundi“, et iterum de quo dicitur: „factus pro nobis maledictum, ut nos de maledicto legis redimeret“, et iterum cum dicit: „venite ad me qui laboratis et onerati estis, et ego reficiam vos, et invenietis requiem animabus vestris“, invenies hunc esse, qui vere requiem dedit hominibus et liberavit terram de maledicto, quo maledixit ei Dominus Deus. Huic ergo spiritali Noe, qui requiem dedit hominibus et tulit peccatum mundi, dicitur: „facies tibi arcam ex lignis quadratis“; Hil. myst. 1,13 erit ergo huic Noe dominus noster, qui verbum caro factum est, comparatus, qui et ait in evangeliis: venite ad me omnes, qui laboratis et onerati estis, et ego vos reficiam. tollite iugum meum super vos et discite, quia mitis sum et humilis corde, et invenietis requiem animabus vestris. iugum enim meum suave est et onus meum leve est. facit ergo requiescere et animabus requiem impertit [...]. 1313 Vgl. etwa Aug. serm. 164,2,4 Onera quae unusquisque sua portat, peccata sunt. Has detestabilium onerum sarcinas portantibus hominibus, et sub eis frustra sudantibus, Dominus di-

6. Die Nachkommen von Kain und Seth; von Adam bis Noah (V. 172–222)

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vor diesem Hintergrund lässt sich auch die Rückführung des Friedens (pacemque reducet)1314, die weit über die biblische Vorlage hinausgeht, nicht nur vordergründig auf die Freiheit von den landwirtschaftlichen Strapazen beziehen, sondern auch auf den Frieden der Menschen mit Gott und den Frieden untereinander, der durch die menschliche Schuld gestört ist und durch Christus wiederhergestellt wird1315. Für diese höhere Dimension des pax-Begriffes spricht auch die Personifikation von pax durch reducet und est pulsa (V. 218), wodurch man sich an Passagen wie Hor. carm saec. 57–59 iam Fides et Pax et Honos Pudorque / priscus et neglecta redire Virtus / audet [...] und Ov. met. 1,129 [...] fugere pudor verumque fidesque erinnert fühlen kann. Durch die signifikante Anreicherung von Vet. Lat. gen. 5,29 um die Begriffe onus und pax, die im christlichen Sprachgebrauch mit Bedeutung aufgeladen sind, öffnet der HD den alttestamentlichen Text für eine christologische Perspektive, in der Noah auf Christus vorausweist, wenngleich er diesen typologischen Zusammenhang nicht explizit herstellt1316. V. 218 quae factis est pulsa malis nostroque reatu: Der Gedanke der menschlichen Schuld, die für den Verlust des Friedens (V. 217) verantwortlich ist, wird vom HD über Vet. Lat. gen. 5,29 hinausgehend eingebracht. Die Junktur factum malum bzw. facta mala tritt abgesehen von Plautus v.a. in der christlichen Latinität gehäuft auf1317, und auch reatus in der Bedeutung culpa begegnet überwiegend in christlichen Kontexten1318. Bei den bösen Taten und der Schuld ist wohl zunächst einmal an den Sündenfall zu denken, durch den der Friede zwischen Gott und Mensch gestört wurde, und dann an Kains Brudermord, der eine Störung des Friedens unter den Menschen herbeigeführt hat; diese Verfehlungen sind es auch, die mit Mühsalen bzw. völliger Erfolglosigkeit bei der Feldarbeit bestraft worden sind, wovon in V. 219–220 die Rede ist. Nostro macht aber deutlich, dass Lamech die Schuld nicht nur auf die Vorfahren bezieht, sondern auch auf sich selbst und seine Generation bzw. auf die Menschheit im Allgemeinen. V. 219 tristibus et dextris, quarum sulcata labore: In Vet. Lat. gen. 5,29 erscheinen die menschlichen Hände nur im Zusammenhang mit der Mühsal der landwirtschaftlichen Arbeit: Von ihren „Betrübnissen“ werde Noah die Menschen ausruhen lassen, vgl. (E) et a tristitiis manuum nostrarum. An diesen Aspekt wird in V. 219 durch tristibus et1319 dextris wörtlich angeknüpft, wobei durch quarum cit: Venite ad me, omnes qui laboratis et onerati estis, et ego reficiam vos. Quomodo reficit peccatis oneratos, nisi indulgentia peccatorum? 1314 In Gestalt von pacemque reducit am Hexameterende auch in Val. Fl. 5,690 (Iuppiter beendet einen Streit) und Hept. exod. 88 (Mose will einen Streit zwischen zwei Ägyptern schlichten). 1315 Vgl. insbesondere Joh 14,27; 16,33 und Kol 1,20. 1316 Vgl. dagegen die in Anm. 1312 S. 370 zitierten Deutungen in Rufin. Orig. in gen. 2,3 und Hil. myst. 1,13. Diese und andere übertragene Deutungen von Gen 5,29 in der Kirchenväterliteratur sind insbesondere durch die Diskrepanz motiviert, die zwischen der von Noah zu bringenden Ruhe und der bevorstehenden Sintflut besteht, der die meisten Menschen zum Opfer fallen werden; vgl. dazu etwa Rufin. Orig. in gen. 2,3 und Ambr. Noe 1,2. 1317 Vgl. ThlL 6,1 s.v. facio/factum 131,6–10. 1318 Vgl. Blaise s.v. reatus 698 unter 2. 1319 Zur poetischen Nachstellung von et vgl. den Kommentar zu V. 206b–208a.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

sulcata labore die drastische Vorstellung evoziert wird, dass die Erde mit den bloßen Händen durchpflügt wird. Darüber hinaus werden die Hände in Verbindung mit den bösen Werken und der Schuld genannt, durch welche der Friede vertrieben worden sei (V. 218–219 quae factis est pulsa malis nostroque reatu / tristibus et dextris), so dass tristibus auch im Sinne von „unglückselig“ bzw. „Unglück bringend“1320 verstanden werden kann. Der Konnex zwischen den schuldigen Händen und den sich beim Ackerbau mühenden Händen lässt sich am leichtesten mit Blick auf Kain begreifen, der nach der Darstellung des HD seinen Bruder mit beiden Händen erwürgt hat (V. 155) und für diese Tat mit der Fruchtlosigkeit seiner landwirtschaftlichen Arbeit bestraft worden ist (V. 163–164). Daneben mag auch an die Hände des ersten Menschenpaares zu denken sein, die die verbotenen Früchte gepflückt bzw. angenommen haben und so die Bestrafung mit den Mühsalen des Nahrungserwerbs verschuldet haben (V. 119–121). V. 220 terra negat fructum, domino maledicta loquente“: Der HD knüpft hier recht wörtlich an den letzten Teil von Vet. Lat. gen. 5,29 an ((E) et a terra cui maledixit dominus deus). Deutlicher als im Bibeltext wird die Problematik aufgezeigt, dass der Erdboden aufgrund seiner Verfluchung durch Gott die Fruchtbarkeit verweigert, und dies, obwohl er von den menschlichen Händen mühevoll bearbeitet wird (vgl. V. 219 quarum sulcata labore). In der Bibel betont das Perfekt maledixit den gegenwärtigen Zustand, der sich aus der vergangenen Handlung des Fluches ergibt, während der HD durch das Partizip Präsens Aktiv loquente in Verbindung mit maledicta1321 den Anschein erweckt, dass die Handlung des Verfluchens in der Gegenwart fortdauert, Gott also die Erde fortwährend verflucht. Anstelle des in den Handschriften CG überlieferten loquente findet sich in A dĭcente, welches eine (beim HD häufige) metrische Lizenz voraussetzen würde1322, aber insofern nicht unwahrscheinlich ist, als die Nebeneinanderstellung etymologisch verwandter Wörter (maledicta dicente) beim HD nicht selten ist, vgl. auch V. 184–185 pastor [...] pascebat, V. 210 vivit [...] vitam und insbesondere Hept. lev. 229 dicunt maledicta. Aufgrund der identischen Bedeutung ist die Entscheidung schwierig, doch für das von Peiper bevorzugte loquente spricht, dass beim HD in immerhin fünf weiteren Versen eine Form von loquens am Hexameterende steht1323, während sich keine entsprechenden Belege für dicens finden. Durch die wörtlichen Anklänge von V. 220 an V. 163–164 (inviso maledicta tibi conmissa negabit / semina et absumptis fructum non proferet herbis) bringt der HD die Verfluchung der Erde und die damit zusammenhängenden Mühsale beim Nahrungserwerb insbesondere mit der Bestrafung des Brudermörders Kain in Verbindung.

1320 Vgl. OLD s.v. tristis 1977 unter 5 Unhappy in effect or outcome, grim, dreadful. 1321 In der Bedeutung „Fluch“ kommt maledictum fast ausschließlich im christlichen Latein vor, vgl. ThlL 8 s.v. maledico/maledictum 169,66–170,35. 1322 Vgl. Peiper 1891, 344–345 zur Kürzung von Vokalen im Wort. 1323 Vgl. Hept. gen. 1136, 1411 und exod. 394 loquentes, gen. 1239 loquentem A, loquente G (C fehlt), von Peiper korrigiert zu loquendo, Ios. 40 loquentis.

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V. 221 septies hic centum vixit septemque per annos: Bei der Angabe von Lamechs Gesamtlebensalter in V. 221–222 übernimmt der HD nicht die Zahl 753 nach Vet. Lat. und LXX gen. 5,31, sondern die Zahl 777, die in der Vulgata und im masoretischen Text bezeugt ist1324. Allerdings weist bereits Augustinus in civ. 15,10 darauf hin, dass Lamechs Alter dem hebräischen Text zufolge um 24 Jahre von dem ihm vorliegenden Bibeltext abweicht, und Fischer führt für die Zahl 777 noch einen weiteren Textzeugen an1325. Wie bei Mathusala, dessen Alter der HD auf die Zahl 970 aufrundet (V. 212), ist auch hier davon auszugehen, dass der Dichter die Zahl 777 aufgrund ihres symbolischen Charakters vorgezogen hat1326. Zudem eröffnet diese Zahl verschiedene sprachlich-stilistische Gestaltungsmöglichkeiten, die im Zusammenhang mit V. 222 dargestellt werden. V. 222 septuaginta super positis, ut summula poscit: V. 221–222 fallen durch ihre stilistische Durchformung auf lautlicher Ebene auf: So werden gleiche Silben bzw. Lautkombinationen im Anlaut wiederholt (vgl. septiĕs1327, septem, septuăginta1328, super positis, summula poscit) und es findet sich eine s- und uHäufung (vgl. septuaginta super positis, ut summula poscit). Die Kombination von ponere mit dem Adverb super im abstrakten Sinne von „dazuzählen“1329 gebraucht der HD auch in num. 40 (quinquaginta super positis [...]). Da es widersinnig wäre, den Ablativus absolutus septuaginta [scil. annis] super positis hier vorzeitig aufzufassen („dieser lebte siebenmal hundert und sieben Jahre, nachdem siebzig hinzugefügt worden sind“), muss davon ausgegangen werden, dass damit ein nachfolgender Umstand bezeichnet werden soll, wie dies in der Dichtung und im späteren Latein möglich ist1330. Dass es sich bei den 777 Jahren nach der Meinung des HD wirklich um eine „kleine Summe“ (summula) handelt, ist nicht anzunehmen. Die seltene, seit Seneca belegte Deminutivform1331 ist entweder gleichbedeutend mit summa und dann mit metrischen Gründen (Vergrößerung des Wortumfangs)1332, volkssprachlichen Einflüssen oder auch mit der Entwertung von Deminutivsuffixen in Nachklassik bzw. Spätlatein zu erklären1333, oder aber 1324 Vgl. Fischer 1951, 101. 1325 Es handelt sich um PROL gen 28 (vgl. Fischer 1951, 544), worunter nach Frede 1981, 503 Genealogien am Anfang von spanischen Bibelhandschriften zu verstehen sind. Ob hinter der Bevorzugung der hebräischen Überlieferung eine bewusste theologische Entscheidung des HD zugunsten der Hebraica veritas steht, ist schwer zu sagen. Meistens hält er sich in dem untersuchten Abschnitt Hept. gen. 1–362 an die Vetus Latina und weicht von der Vulgata ab, s.o. S. 75–76. Zur Problematik der Hebraica veritas vgl. etwa C. J. Markschies, Hieronymus und die „Hebraica veritas“, in: M. Hengel/A. M. Schwemer (Hrsg.), Die Septuaginta zwischen Judentum und Christentum, Tübingen 1994, 131–181. 1326 Vgl. den Kommentar zu V. 212. 1327 Zur Kürzung der Endung -ēs bei Zahladverbien vgl. den Kommentar zu V. 206b–208a. 1328 Zur Kürzung von Vokalen im Wort vgl. Peiper 1891, 345, zu septuăginta vgl. auch Hept. num. 254 und iud. 18. 1329 Vgl. Forc. 4 s.v. superpono 608 unter II 3. 1330 Vgl. KS II,1, 759 § 136 unter α. 1331 Vgl. OLD s.v. summula 1868 und Blaise s.v. summula 793 mit christlichen Belegen. 1332 Vgl. LHS 758 § 26. 1333 Vgl. ebd. 775–776 § 31 unter d.

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der Deminutiv signalisiert eine emotionale Beteiligung des Dichters1334, der sich gleichsam an der „Schönheit“ und Vollkommenheit der Summe aus 700 + 70 + 7 erfreut. Die Formel ut summula poscit bezieht sich unmittelbar auf septuaginta super positis und soll zum Ausdruck bringen, dass es erforderlich ist, diese 70 Jahre zu den zuvor genannten 707 hinzuzuzählen, damit insgesamt 777 herauskommen1335. Vergleichbar sind die formelhaften Versschlüsse Hept. gen. 362 ut legis formula cavit und 1437 Genesis ut formula cavit, die jeweils unterstreichen, dass eine durch Addition zustande gekommene Summe der in der Bibel überlieferten Zahl entspricht. 7. SINTFLUT UND RETTUNG (V. 223–321) Der HD eröffnet die Sintfluterzählung kontrastiv mit der positiven Charakterisierung Noahs (V. 223–224), die er aus Gen 6,9 vorzieht, und mit dem Hinweis auf Noahs Bedeutung als Begründer eines unschuldigen Menschengeschlechts, und verbindet damit die Zeugung von Noahs drei Söhnen, die am Ende der im 5. Genesiskapitel enthaltenen Genealogie steht (Gen 5,32, vgl. V. 225–227). In den Beginn des sechsten Genesiskapitels (Gen 6,1–7), der die Vorgeschichte der Sintflut bis hin zu Gottes Sintflutbeschluss berichtet, hat er stark eingegriffen, indem er insbesondere die Erzählchronologie und die logischen Zusammenhänge deutlich verändert hat (vgl. V. 228–249). In der biblischen Vorlage folgt hier die in sich geschlossene Episode von den Gottessöhnen bzw. Engeln Gottes und den Riesen (Gen 6,1–4): Als die Menschen auf der Erde zahlreich werden und ihnen Töchter geboren werden (6,1), sehen die Gottessöhne bzw. Engel Gottes die Schönheit der Menschentöchter und gehen Verbindungen mit ihnen ein (6,2). Daraufhin beschließt Gott, dass sein Geist nicht für immer in den Menschen bleiben solle, da diese Fleisch seien, und beschränkt ihre Lebenszeit auf 120 Jahre (6,3). Die Gottessöhne bzw. Engel Gottes zeugen mit den Menschentöchtern die Riesen, die in jenen Tagen und danach auf der Erde sind; diese Riesen werden zugleich als berühmte Männer bezeichnet1336. Mit Gen 6,5 beginnt dann die eigentliche Sintfluterzählung: Gott sieht, dass die Bosheit der Menschen auf Erden überhand nimmt; er bereut, den Menschen geschaffen zu haben (6,6), und äußert schließlich in einer Rede seinen Beschluss, den Menschen mitsamt den Tieren zu vernichten (6,7). Bei Gen 6,1–4 handelt es sich um eine mythische Erzählung, in der es „um eine Überschreitung der Grenzen des Menschen“ geht, nämlich um „die Überhöhung des genus humanum in einer Gruppe von Übermenschen, entstanden aus einer Verbindung von ‚Göttersöhnen‘ und Menschenfrauen“; diese Episode fügt 1334 Vgl. Löfstedt 1933, 336. 1335 Formal ähnlich ist Manil. 2,335 hic poscit quintam partem centesima summa, was in ThlL 10,2 s.v. 1. posco 80,22–23 folgendermaßen erläutert wird: sc. ut efficiantur centum et viginti. 1336 Zur Problematik, dass hier offenbar zwei unterschiedliche Erzählschlüsse miteinander verknüpft wurden, vgl. Westermann 1976, 511–512 zu Gen 6,4b.

7. Sintflut und Rettung (V. 223–321)

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sich in den Rahmen der Erzählungen von Schuld und Strafe in Gen 1–11 ein1337. Die Beschränkung der menschlichen Lebenszeit ist zu deuten als „das Zurückweisen der Überschreitung der Grenzen des Menschen durch die Begrenzung der Lebensdauer, entsprechend der Verwehrung des Lebensbaumes“1338. Ein logischer Zusammenhang zwischen der Erzählung von den Gottessöhnen und Riesen und der Sintflutgeschichte wurde in der früheren Exegese insofern angenommen, als man in Gen 6,1–4 eine Begründung für das Gottesgericht der Sintflut und eine Veranschaulichung der gesteigerten menschlichen Sünde sehen wollte1339, doch Gen 6,5 bezieht sich ursprünglich wohl nicht auf das zuvor berichtete Handeln der Gottessöhne, sondern ganz allgemein auf einen Zustand menschlicher Verderbnis, der von Gott festgestellt wird1340. Der HD lässt Gen 6,1 aus und setzt mit Gen 6,5 ein, wonach Gott die vielen Verbrechen der Menschen sieht (V. 229–230); als Konsequenz verkürzt Gott die menschliche Lebenszeit (Gen 6,3, vgl. V. 231– 233). Erst jetzt wird von den Gottessöhnen berichtet, die mit den Menschenfrauen Verbindungen eingehen (Gen 6,2, vgl. V. 234–237), aus denen die Riesen entstehen (Gen 6,4, vgl. V. 238). Durch deren (!) Verbrechen wird Gott zornig und bereut die Erschaffung des Menschen (Gen 6,6, vgl. V. 239–242a), so dass er die Vernichtung der Menschheit mitsamt den Tieren beschließt (Gen 6,7, vgl. V. 242b –249); dass dies durch eine Sintflut geschehen soll (vgl. Gen 6,17), wird im diesem Zusammenhang gleich gesagt (V. 244–245). Zwischen dem göttlichen Vernichtungsbeschluss und Gottes erster Rede an Noah (Gen 6,13–21) überspringt der HD ein Stück Bibeltext (Gen 6,8–12), welches er, abgesehen von dem bereits vorgezogenen Vers Gen 6,9 (s.o.), vollkommen auslässt; die darin enthaltenen Informationen dürfte er als redundant gegenüber dem bereits Gesagten empfunden haben. Auch bei der nun folgenden Rede Gottes an Noah (Gen 6,13–21, vgl. V. 250–260) strafft er stark, indem er sich auf die Anweisungen zum Bau der Arche beschränkt (Gen 6,14–16); die übrigen Informationen entfallen entweder vollständig, um insbesondere Doppelungen mit Gottes zweiter Rede an Noah zu vermeiden (vgl. Gen 6,13.19–20), oder werden gleich in diese zweite Rede integriert (Gen 6,18, vgl. V. 263, und Gen 6,21, vgl. V. 269b–273a)1341. Diese zweite Ansprache Gottes an Noah (Gen 7,1–4, vgl. V. 262–281), die Anweisungen bezüglich der mitzunehmenden Menschen und Tiere enthält und in der Noah von Gottes Vernichtungsplan erfährt, gibt der HD vollständig wieder mit Ausnahme von Gen 7,3, wo die Mitnahme der reinen und unreinen Vögel im Besonderen geregelt wird. Sehr knapp fallen beim HD die Umsetzung von Gottes Aufträgen durch Noah und der Ausbruch der Sintflut aus (Gen 7,5–24, vgl. V. 282–296a). Abgesehen von dem später nachgetragenen Vers Gen 7,20 (vgl. V. 318) entfallen etliche Bibelverse vollständig (Gen 7,8–10.13– 17a.19.22–23a.24), wobei es dem HD hauptsächlich darum zu gehen scheint, 1337 Vgl. Westermann 1986, 68. 1338 Vgl. Westermann 1976, 508. 1339 Vgl. ebd. 498. 1340 Vgl. Seebass 1996, 208. 1341 Den hier ebenfalls ausgelassenen Vers Gen 6,17 behandelt der HD bereits in V. 244–245.

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Doppelungen gegenüber Gottes Anweisungen an Noah zu vermeiden und die Redundanzen zu beseitigen, die der Bibeltext in Bezug auf das Ansteigen des Wassers und seine zerstörerischen Wirkungen enthält. Indem der HD dem Tableau der allgemeinen Vernichtung (Gen 7,21, vgl. V. 290–292) in konzentrierter Form die Rettung Noahs in der Arche gegenüberstellt (Gen 7,17b–18.23b, vgl. V. 293–296a), verdeutlicht er gegenüber der biblischen Vorlage den Gegensatz von Tod und Bewahrung. Beim Ende der Sintflut (Gen 8,1–8,14, vgl. V. 296b– 321) lässt der HD nur wenige Bibelverse vollständig aus, nämlich Gen 8,1, wonach Gott in seiner Barmherzigkeit Noahs und der Tiere in der Arche gedenkt und einen trocknenden Lufthauch schickt, und Gen 8,6 mit der Information, dass Noah nach vierzig Tagen die Tür bzw. das Fenster der Arche öffnet, um den Raben hinauszulassen. Er greift jedoch deutlich in die biblische Chronologie ein, indem er vorerst Gen 8,4 und 8,5 überspringt, wonach die Arche am 27. Tag des siebten Monats auf dem Gebirge Ararat aufsetzt und nach weiterem Absinken des Wassers am ersten Tag des elften Monats die Berggipfel sichtbar werden; diese Bibelverse werden unter Wegfall der Zeitangaben1342 an späterer Stelle eingebaut (vgl. V. 317 zu Gen 8,5 und V. 322–323 zu Gen 8,4). Gestalterische Schwerpunkte setzt der HD bei der Verkündigung von Gottes Vernichtungsbeschluss (V. 243–249) und bei Gottes zweiter Rede an Noah (V. 263–281); diese Reden werden in ausführlicher Form und in oratio recta wiedergegeben, während Gottes erste Rede an Noah mit den Bauanweisungen im Wesentlichen in einen Ergebnisbericht umgewandelt wird (V. 250–260). Auffallend ist, dass der HD der Sintflutschilderung an sich nur wenige Verse widmet (V. 287–296a) und auf die gestalterische Gelegenheit verzichtet, die Szene nach Art einer epischen Seesturmschilderung auszubauen und das Ausmaß der Vernichtung detailreich zu beschreiben, wie dies etwa in Mar. Victor. aleth. 2,456– 481 der Fall ist; offensichtlich ist für ihn die Wirkung der göttlichen Gnade und der Neubeginn des Lebens nach der Sintflut theologisch wichtiger als Gottes Zorn und seine vernichtende Wirkung. Vor dem Hintergrund der zeitgenössischen theologischen Literatur, die die Sintflut als Typus der Taufe auffasst1343 und die Arche mit Vorliebe allegorisch ausdeutet, insbesondere als Sinnbild der Kirche oder des menschlichen Körpers1344, ist festzustellen, dass der HD sich allenfalls auf Andeutungen dieser soteriologischen Dimension beschränkt; dazu gehört die Samenmetapher in Bezug auf Noah und die mit ihm Geretteten in V. 224 und 2951345 und die Bezeichnung der Arche als Mutter (V. 295 parens).

1342 Das komplexe, nicht immer widerspruchsfreie Zeitsystem der Sintflut mit seinen zahlreichen Tages- und Monatsangaben (vgl. dazu Westermann 1976, 581–582 und Seebass 1996, 219) reduziert der HD auf wenige Angaben; eine genaue chronologische Nachvollziehbarkeit ist für ihn nicht von Interesse. 1343 Vgl. Roberts 1985, 102 Anm. 161 mit Hinweisen zur theologischen Sekundärliteratur. 1344 Vgl. Schmidtke 1950, 600; insbesondere ist hier Ambrosius’ Werk De Noe zu nennen. 1345 Vgl. hierzu auch Roberts 1985, 185–186 und 186 Anm. 68 sowie den Kommentar zu V. 224b und 295–296a.

7. Sintflut und Rettung (V. 223–321)

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V. 223–224a hoc generante probis Noelus nobilis actis / editur: In der Bibel endet das 5. Genesiskapitel mit der Information, dass Noah (Noelus)1346 im Alter von 500 Jahren drei Söhne zeugt (Gen 5,32); dies erwähnt der HD erst in V. 225. Stattdessen greift er mit hoc generante [...] editur ausdrücklich noch einmal auf die Zeugung bzw. Geburt Noahs nach Vet. Lat. gen. 5,28–29 (vgl. V. 213) zurück, um nach dem Ausblick in Noahs Zukunft durch Lamechs Prophezeiung und nach der Erwähnung von Lamechs Lebensende Noahs Geschichte, welche schließlich bis V. 362 Thema ist, chronologisch von Anfang an zu erzählen. Die Stellung von editur am Versanfang und der Wechsel ins historische Präsens lenken die Aufmerksamkeit des Lesers auf diesen Neueinsatz. Etwas ungewöhnlich wirkt der Ablativus absolutus hoc generante in Bezug auf Noahs Vater Lamech, denn geläufiger ist generatus mit einem Ablativus originis1347; eine ähnliche Verbindung von Zeugung und Geburt lässt sich bereits bei dem Mathusala der Kainitenliste beobachten, vgl. V. 177–178 quo Mathusalamus sensim genitore sub auras / exiit […]. Mit der Erwähnung von Noahs Zeugung und Geburt wird eine kurze Charakterisierung verknüpft (probis [...] nobilis actis), die der HD aus Vet. Lat. gen. 6,9 vorzieht: Dort werden Noahs Gerechtigkeit und moralische Vollkommenheit im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen und sein Wohlgefallen vor Gott hervorgehoben ((E) Noe homo iustus et perfectus erat in generatione sua et placuit deo). Der HD benutzt probis („rechtschaffen“) gleichsam als Zusammenfassung für iustus und perfectus und bezieht diese Eigenschaft Noahs insbesondere auf dessen Taten (actis), was sich später in der gehorsamen und prompten Ausführung von Gottes Anweisungen zeigt (vgl. besonders V. 282–283). Nobilis, das durch die Wiederholung des Anlauts (Noelus nobilis) hervorgehoben ist, sollte daher nicht im Sinne von „berühmt“, sondern vielmehr im Sinne von „herausragend“ aufgefasst werden1348, da der HD damit offensichtlich den Aspekt des SichAuszeichnens vor den Zeitgenossen andeuten will. V. 224b innocuo daturus semina saeclo: Dieser Vers hat keine unmittelbare Entsprechung im Bibeltext, sondern stellt eine eigenständige Prophezeiung des Erzählers dar, die bereits auf die Sintflut und den auf sie folgenden Neuanfang vorausweist. Dāturus1349 semina lässt sich metaphorisch auf die drei Söhne Noahs beziehen, die im folgenden Vers genannt werden und als „Samen“, d.h. Stammväter der verschiedenen Völker der nachsintflutlichen Menschheit (vgl. innocuo […] saeclo) im 10. Genesiskapitel in Erscheinung treten1350. Die Samenmetapher, die hier durch die Alliteration semina saeclo hervorgehoben ist, begegnet im Buch Genesis der Heptateuchdichtung noch an drei weiteren Stellen: In V. 295 bezieht sie sich auf alle Menschen und Tiere an Bord der Arche, die von dieser als Samen 1346 Zur willkürlichen Behandlung des Namens Noe beim HD vgl. den Kommentar zu V. 213. 1347 Vgl. die Belege in ThlL 6,2 s.v. genero 1790,45–51. 1348 Vgl. OLD s.v. nobilis 1182 unter 4; zu nobilis mit dem Ablativus causae vgl. auch Hept. gen. 283 […] longo qui nobilis aevo und 494 […] sancto qui nobilis actu. 1349 Zur häufigen Dehnung des kurzen a in Formen von dare beim HD vgl. Peiper 1891, 346. 1350 Vergleichbar in der Formulierung ist Ov. fast. 3,9–10, wonach Mars als Erzeuger von Romulus und Remus der Stadt Rom „große Samen“ verleiht: […] cum te Romana sacerdos / cepit, ut huic urbi semina magna dares.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

für die künftigen Generationen aufbewahrt werden (venturisque parens servabat semina saeclis), in V. 324 auf die Lebewesen, die von Noah aus der Arche herausgelassen werden (laxat claustra senex reddens nova semina terrae), und in V. 538 auf Abrahams Nachkommen, die als Samen eines künftigen Volkes bezeichnet werden (dum nova venturae praenoscit semina gentis). Im Bereich der Kirchenväterliteratur ist es insbesondere Ambrosius, der die Samenmetapher auf Noah anwendet: So ist Noah nach Noe 1,1 von Gott dazu bewahrt worden, „den Samen der Menschen zu erneuern, daß er die Pflanzschule der Gerechtigkeit würde“1351 (etenim quem dominus deus ad renovandum semen hominum reservavit, ut esset iustitiae seminarium), ein Gedanke, der in sacr. 2,1,1 wiederkehrt (Quid est diluvium nisi in quo iustus ad seminarium iustitiae reservatur, peccatum moritur?) und in Noe 5,11 variiert wird (ergo quia in diluvio per arcam Noe servatae sunt reliquiae generis humani ad seminarium reparationis et renovationis futurae). Gemäß Ambr. in psalm. 39,6 ist Noah als Same der kommenden Dinge bewahrt worden, damit durch ihn die Samen der Gerechtigkeit unter den Menschen auskeimen (qui ad semen futurorum est reservatus, ut ex eo iustitiae semina in hominibus pullularent), nach parad. 3,23 ist er als lebensspendender Same der künftigen Ordnung bewahrt worden (Noe [...] solus velut ad futurae constitutionis vitale semen in illa arca est reservatus), nach off. 1,25,121 als Same aller und Stammvater der künftigen Generation1352. Das Adjektiv innocuo in Bezug auf das neue Menschengeschlecht bzw. die neue Menschengeneration (saeclo)1353 impliziert zum einen, dass die gegenwärtige Menschheit das Gegenteil von unschuldig ist, was ab V. 229 thematisiert wird, zum anderen weist es auf den neuen Anfang nach der Sintflut in Gestalt von Noah und den mit ihm Geretteten voraus, und in diesem Sinne bezeichnet bereits Philo in De praemiis et poenis 23 Noah als aörxh?n thqw aönupaitißou [geneaqw]1354. V. 225 tresque creat natos, Sethum Chamumque Iafetum/-que: Hier nimmt der HD Bezug auf Vet. Lat. gen. 5,321355 und betont in Übereinstimmung mit der biblischen Vorlage die Dreizahl der von Noah gezeugten Söhne (vgl. (I) et genuit Noe tres filios)1356. Der einhellig überlieferte Name Sethus weicht morphologisch deutlich vom Bibeltext ab, denn dort heißt der erstgenannte Sohn Sem (Vet. Lat. und Vulg.) bzw. Shßm (LXX). Eine Verwechslung bzw. Identifizierung mit Adams

1351 Übersetzung nach Schubert 2006, III, 71. 1352 Vgl. Ambr. off. 1,25,121 Quam iustus qui ad semen omnium reservatus, solus ex omnibus et praeteritae generationis superstes est factus et auctor futurae, mundo potius et universis magis quam sibi natus! 1353 Vgl. OLD s.v. saec(u)lum 1676 unter 1. 1354 Zit. nach Philonis Alexandrini opera quae supersunt, vol. 5 ed. L. Cohn, Berlin 1906. 1355 Nicht überzeugen kann Peiper 1891, 9, der V. 225 Gen 6,10 zuordnet. Dieser Bibelvers, für den keine Vetus Latina bezeugt ist (vgl. Fischer 1951, 107), stellt eine bloße Wiederholung von Gen 5,32 dar. 1356 Zu tres [...] natos vor der Penthemimeres vgl. auch Mart. 2,34,2 sowie 8,31,6, wo die Junktur vor Pentameterzäsur steht.

7. Sintflut und Rettung (V. 223–321)

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Sohn Seth (vgl. V. 193 Sethum) ist sicher auszuschließen1357, und so liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine Entstellung handelt, die auf den HD selbst bzw. den von ihm verwendeten Vetus-Latina-Text zurückgeht oder aber in einem frühen Stadium der Überlieferung entstanden ist1358. Dass aus einem ursprünglichen Semum durch Verlängerung des zweiten senkrechten m-Strichs ein Seτhum wird, wäre nicht ganz abwegig. Die ansonsten indeklinablen Namen Cham und Iaphet1359 passt der HD in der Überlieferung von AG an die o-Deklination an, wodurch V. 225 freilich zu einem Hypermeter gerät ([…] Chāmūmqu(e) Ĭăphētum/-qu(e) in numerum etc.)1360. Dieser findet sich aber auch bei Vergil nicht selten und könnte hier die Funktion haben, die nicht endende Generationenfolge der Menschheit nach der Sintflut anzudeuten, die mit Noahs Söhnen beginnt1361. In Codex C erscheint der Name des dritten Sohnes dagegen in seiner indeklinablen Gestalt (Iaf&h), wodurch der Vers metrisch unauffällig wird1362, aber das offenbar intendierte Homoioteleuton verlorengeht, das sich durch die dreifache Endung -um ergibt und die Dreizahl der Söhne hervorhebt. Daher erscheint die Entscheidung Peipers, die Überlieferung von AG zu bevorzugen, gerechtfertigt. V. 226 in numerum solitos mollitum tundere ferrum: Von handwerklichen Tätigkeiten der drei Söhne Noahs, sei es im Bereich der Metallbearbeitung oder in einem anderen Bereich, wird in der Bibel nichts gesagt, und erst recht nicht von einer gewohnheits- bzw. berufsmäßigen Ausübung derselben (vgl. solitos)1363. Ganz offensichtlich soll hier an Thobel, den Sohn des Kain-Nachkommen Lamech, angeknüpft werden, auf den die Bearbeitung von Eisen zurückgeführt wird (V. 188–190); diese wichtige kulturelle Errungenschaft wird also in der auf Seth zurückgehenden positiven Menschheitslinie weitergepflegt und durch die Söhne Noahs, die mit ihm die Arche besteigen, über die Sintflut hinaus gerettet. Das poetische Vorbild für V. 226–227 dürfte aufgrund mehrerer wörtlicher Anklänge Verg. georg. 4,170–175 sein, eine Passage, in der der Eifer der Bienen mit dem der Kyklopen in ihrer Schmiede im Aetna verglichen wird:

1357 Es ist fraglich, ob der HD, wie Herzog 1975, 110 Anm. 228 vermutet, die Namen Seth und Sem versehentlich vertauscht hat, da es sich bei den Söhnen Adams und Noahs doch um vergleichsweise prominente Personen handelt. 1358 Vgl. auch den Kommentar zu V. 179 (Amalech). 1359 Vgl. Quicherat s.v. Cham 193 und Georges 2 s.v. Iaphet 15. 1360 Bzw., mit konsonantischem j, Chāmūmquĕ Iăphētum/-qu(e) in numerum etc. Während auch Peiper 1891, 348 und Becker 1889, 13 Anm. 1 von einem Hypermeter ausgehen, ist dies für Preuschen 1891, 540 „ein metrisches Unding“, weshalb er Chamum Iaphetumque vorschlägt. 1361 Zum Hypermeter bei Vergil vgl. G.P. Goold, Hypermeter and Elision in Virgil, in: F. Miller/C. Damon/K. S. Myers (Hrsg.), Vertis in usum. Studies in Honor of Edward Courtney, Beiträge zur Altertumskunde 161, München/Leipzig 2002, 76–89. 1362 Vgl. [...] Chāmūmqu(e) Ĭăfēthque bzw. […] Chāmūmquĕ Iăphēthque. 1363 Dies bemerkt bereits Best 1891, 6. Denkbar ist, dass der HD den Schmiedeberuf von Noahs Söhnen aus einer bisher nicht identifizierten apokryphen Quelle übernommen hat, da gerade solche Schriften zu einer inhaltlichen Ausschmückung der biblischen Inhalte tendieren.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362 Ac veluti lentis Cyclopes fulmina massis / cum properant, alii taurinis follibus auras / accipiunt redduntque, alii stridentia tingunt / aera lacu; gemit inpositis incudibus Aetna; / illi inter sese magna vi bracchia tollunt / in numerum versantque tenaci forcipe ferrum.

Die beiden letzteren Verse begegnen in leicht abgewandelter Gestalt noch einmal in Aen. 8,452–453 in Bezug auf die Kyklopen, die Aeneas’ neue Waffen schmieden (illi inter sese multa vi bracchia tollunt / in numerum versantque tenaci forcipe massam). Bei Vergil bezeichnet in numerum den Umstand, dass die Kyklopen beim Schmieden im Takt1364 ihre Arme heben. Diese Vorstellung passt exakt zum Hämmern des im Feuer erweichten Eisens in V. 226 (mollitum tundere ferrum)1365, so dass es geboten erscheint, das einhellig überlieferte innumerum zu teilen. Abgesehen davon wäre die Vorstellung, dass Noahs Söhne „unzählbar viel Eisen“ hämmern, doch recht übertrieben1366. Wenn auch sonst keine Parallelen zwischen den Söhnen Noahs und den – hier positiv konnotierten – Kyklopen in der Waffenschmiede vorzuliegen scheinen, wird durch das Bild des gemeinsamen rhythmischen Hämmerns doch die Vorstellung evoziert, dass Noahs drei Söhne einträchtig und harmonisch zusammenwirken, ganz im Gegensatz zu dem Bruderpaar Kain und Abel; das Eisen und seine Bearbeitung, die in Ov. met. 1,127–150 am Ende einer Deszendenzentwicklung der Menschheit stehen, haben beim HD ganz offensichtlich keinerlei negativen Beigeschmack, da Noahs Söhne ja für ein innocuum saeclum (vgl. V. 224) und nicht für eine ferrea proles stehen. Auf lautlicher Ebene wird das dumpfe Dröhnen der Hammerschläge durch die Häufung der Lautverbindungen um, tum und tun (vgl. in numerum solitos mollitum tundere ferrum) veranschaulicht. V. 227 et scintillantes promptim procudere massas: V. 227 führt die gleiche Tätigkeit des Schmiedens vor Augen wie V. 226, so dass die parallel aufgebauten Wendungen tundere ferrum und procudere massas im Grunde Synonyme sind1367. Für die synonyme Verwendung der Begriffe ferrum und massas, welch letzterer die im Feuer geschmeidig gemachten Eisenklumpen bezeichnet1368, spricht insbesondere der Umstand, dass diese Wörter in den inhaltsgleichen und fast identischen Vergilversen georg. 4,175 (in numerum versantque tenaci forcipe ferrum) und Aen. 8,453 (in numerum versantque tenaci forcipe massam) im Grunde austauschbar sind. Trotzdem handelt es sich bei V. 227 nicht um eine bloße synonymische Amplificatio, da in beiden Versen unterschiedliche Aspekte des Arbeitsprozesses ins Auge gefasst werden: In V. 226 werden die Weichheit des Materials (mollitum) und das rhythmische Schlagen (in numerum) hervorgehoben, 1364 Vgl. OLD s.v. numerus 1204 unter 13 c. 1365 Zu tundere als Bezeichnung für das Schmieden vgl. OLD s.v. tundo 1990 unter 1 nach dem Hinweis (metals in a forge). 1366 Auch eine adverbiale Auffassung von innumerum im Sinne von „unzählige Male“ (vgl. Blaise s.v. innumerus 450) ist nicht viel besser, da es beim Schmieden weniger auf die Quantität der Schläge als auf einen exakten Rhythmus ankommt, vgl. Mynors 1990, 281 zu Verg. georg. 4,170–175. 1367 Vgl. auch ThlL 10,2 s.v. procudo 1556,57–58; das eher seltene Wort begegnet in der Dichtung gehäuft (fünfmal) bei Lukrez, vgl. ebd. 1556,36–38. 1368 Vgl. ThlL 8 s.v. 1. massa 429,74–75.

7. Sintflut und Rettung (V. 223–321)

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in V. 227 die beim Schmieden sprühenden Funken (scintillantes) und die Arbeitsgeschwindigkeit (promptim). Das Adverb promptim findet sich nur beim HD1369 und könnte in diesem Zusammenhang durch Verg. georg. 4,170–171 angeregt sein, wo ebenfalls von der Eile der schmiedenden Kyklopen die Rede ist (Ac veluti lentis Cyclopes fulmina massis / cum properant […]). Eine onomatopoetische Veranschaulichung der Hammerschläge ließe sich ggf. in der Wiederholung der Silbe pro- in promptim procudere erkennen. V. 228 sexies hic vatis centum iam vixerat annis: Mit hic vatis1370 greift der HD auf Noah (V. 223) zurück, für den er noch öfter den Begriff vates verwendet1371; dieser substituiert in der christlichen Epik sehr häufig das griechische Lehnwort propheta (vgl. V. 302 und V. 347 in Bezug auf Noah)1372. Die Bezeichnung Noahs als Prophet mag befremden, da Noah im Buch Genesis nicht als Verkünder göttlicher Offenbarung bzw. als Sprachrohr Gottes hervortritt. Allerdings erscheint er in 2 Petr. 2,5 als Prediger der Gerechtigkeit, was auf eine jüdische Tradition zurückgeht, der zufolge Noah nach Art eines Propheten als Umkehrprediger wirkte und sogar eine Wiedergeburt der Welt verkündete1373, und nach Vet. Lat. Tob 4,13 sind Noah, Abraham, Isaak und Jakob Propheten1374. Eingewirkt haben könnte auch die in der hellenistischen Diaspora gebildete Auffassung, „daß die göttliche Weisheit jeden, den sie ergreift, zum Propheten machen kann“, weshalb „Philo alle herausragenden Gestalten der Heilsgeschichte als Propheten ein[stuft] und [...] Israel zu einem Volk von Priestern und Propheten (Abr 98) [erklärt].“1375 Damit könnte erklärt werden, warum der HD den vates-Begriff im Buch Genesis auch noch auf andere Hauptpersonen der Patriarchenlinie anwendet1376. Der Ablativ der Zeitdauer, der bei sexiĕs1377 [...] centum [...] annis vorliegt, ist bei Livius häufig und nimmt von da an zu1378. Diese Angabe von Noahs 1369 Vgl. den Kommentar zu V. 98. 1370 Bei der einhellig überlieferten Nominativform vatis, die Peiper hier und an vielen weiteren Stellen durch vates ersetzt, handelt es sich um eine Nebenform, vgl. Neue/Wagener 1, 281. Petschenig 1891, 782 weist darauf hin, dass an allen (d.h. mehr als 60) Stellen bis auf Hept. gen. 1328 und exod. 457 einhellig vatis überliefert sei, was gegen Peiper für eine Beibehaltung der Überlieferung spreche; diese Meinung vertritt auch Mohr 1892, 104. 1371 Vgl. auch Hept. gen. 262, 294, 305, 315, 335, 344, 358. 1372 Vgl. Mohrmann 1961, 155–156. 1373 Vgl. Grundmann 1986, 93 mit Verweis auf Flavius Josephus, Antiquitates Iudaicae 1,74 (Noah fordert die bösen Menschen vergeblich zur Umkehr auf und muss dann sogar aus Angst, von ihnen getötet zu werden, mit seiner Familie das Land verlassen) sowie auf Clem. ad Cor. 7,6 (Noah predigt Umkehr und die, die auf ihn hören, werden gerettet) und 9,4 (Noah verkündet der Welt eine Wiedergeburt). 1374 Vgl. Vet. Lat. Tob. 4,13 (Sabatier) quoniam filii prophetarum sumus, qui in veritate prophetaverunt priores. Noe prophetavit prior, & Abraham, & Isaac, & Jacob, parentes nostri a principio saeculi. 1375 Vgl. Koch 1997 , 495. 1376 Vgl. etwa Hept. gen. 578 (Abram), 829 (Isaak), 1079 (Jakob), 1413 (Joseph) sowie Herzog 1975, 128. 1377 Zur häufigen Kürzung der Endung -ēs bei Zahladverbien vgl. den Kommentar zu V. 206b– 208a. 1378 Vgl. KS II,1, 361 § 79 Anm. 12.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

Alter findet sich in der Bibel erst in Gen 7,6, um den Beginn der Sintflut zeitlich zu fixieren (vgl. V. 284 sescentos agitans annos), beim HD aber wird sie zusätzlich schon im Vorfeld der Sintflut erwähnt und dient dazu, den Zeitpunkt der Reduzierung des menschlichen Lebensalters auf 120 Jahre zu bestimmen (vgl. V. 229–233)1379. Denkbar ist ferner, dass der HD einen Kontrast zwischen dem hohen Alter des gerechten Noah, betont durch iam, und der vergleichsweise kurzen Lebensspanne von 120 Jahren erzeugen will, die von Gott nun für die sündigen Menschen vorgesehen wird. Dieses Schrumpfen der menschlichen Lebenszeit wird dadurch sinnfällig gemacht, dass der HD die Zahlen 600 und 120 aus sich jeweils verringernden Multiplikatoren und Multiplikanden zusammensetzt, vgl. V. 228 sexies [...] centum und V. 232 bis sexaginta. V. 229 cum dominus, diri pertaesus crimina mundi: In V. 229–230 nimmt der HD Bezug auf Vet. Lat. gen. 6,5, wonach Gott sieht, dass die Bosheit der Menschen auf Erden überhand nimmt und alle Menschen immer nur auf Böses sinnen. Während aber diese Feststellung in der biblischen Vorlage als Auslöser dafür erscheint, dass Gott die Erschaffung des Menschen überdenkt und bereut (6,6) und dann den Beschluss fasst, die Menschen mitsamt den Tieren zu vernichten (6,7), zieht der HD den Inhalt von Vet. Lat. gen. 6,5 vor und funktioniert ihn als Begründung für die Verkürzung der menschlichen Lebenszeit um (vgl. V. 231 bzw. Vet. Lat. gen. 6,3). Im Vergleich zu Vet. Lat. gen. 6,5 nimmt der Dichter einige Steigerungen vor: So sieht Gott nicht nur die Verdorbenheit der Menschen auf Erden (vgl. (K) vidit // (I) videns), sondern empfindet Abscheu davor (pertaesus)1380. Anstelle der Nichtswürdigkeit bzw. Bosheit der Menschen und ihrer bösen Gedanken1381 spricht der HD von crimina und reatus (V. 230), um durch diese ihrer Grundbedeutung nach juristischen Termini Gottes Rolle als Richter vorzubereiten1382. Indem der Dichter das biblische hominum durch mundi ersetzt, bedient er sich einer spezifisch christlichen, abwertenden Diktion, die insbesondere die Sündhaftigkeit der Menschen hervorhebt1383, was durch das Attribut diri noch verstärkt wird. Dieses tritt bereits in V. 179 in Bezug auf den Brudermörder Kain auf und begegnet in Verbindung mit mundus auch in Prud. cath. 7,34, wonach Elija entrückt wird, um vor der Verderbnis der Welt bewahrt zu werden ([scil. ne] dirus quietum mundus afflaret virum). Die Junktur crimina bzw. crimine mundi

1379 Vgl. den Kommentar zu V. 232. 1380 Das in aktiver Bedeutung verwendete Partizip pertaesus findet sich in Verbindung mit einem Akkusativ auch bei Sueton, Justinus und Ps.-Ambrosius, vgl. ThlL 10,1 s.v. pertaedeo 1775,72–1776,5. 1381 Vgl. Vet. Lat. gen. 6,5 (K) redundasse nequitias hominum […] et quod omnes in malum recordarentur // (I) quia multiplicatae sunt malitiae hominum […] et omnis quisque cogitat in corde suo diligenter super maligna. 1382 Zu reatus vgl. den Kommentar zu V. 230. In christlichen Kontexten kann crimen freilich auch im Sinne von „Sünde“ verwendet werden, vgl. Blaise s.v. crimen 230 unter 2. 1383 Vgl. ThlL 8 s.v. 3. mundus 1639,42–64 sowie Blaise s.v. II. mundus 544 unter 4 (am Ende) le monde pécheur (l’ensemble des créatures rebelles).

7. Sintflut und Rettung (V. 223–321)

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findet sich in der christlichen Dichtung noch häufiger am Hexameterende1384 und weist auf mundi peccata (V. 243) voraus. V. 230 multimodosque hominum longa sub luce reatus: Im Kontext des bevorstehenden göttlichen Gerichts scheint bei reatus, das hier in der Bedeutung culpa steht, die juristische Grundbedeutung des Angeklagtseins (vgl. reus) durch1385. Durch multimodos1386 wird die Masse der menschlichen Schuld hervorgehoben, zumal dieses schon durch seine vier Silben gewichtige Wort am Versanfang steht. Zum einen könnte hier ein wörtlicher Anklang an die Textform I in Vet. Lat. gen. 6,5 vorliegen, die mit quia multiplicatae sunt malitiae hominum deutlich von der Textform K (redundasse nequitias hominum) abweicht, zum anderen könnte eine fast ironische Anknüpfung an V. 46 gemeint sein: Gottes Auftrag an die Menschen, sich durch vielfältige Geburt in die Zukunft hinein zu vermehren (crescite multimodo ventura in tempora partu), ist sozusagen zu einer Vermehrung der Schuld hin entartet. Mit longa sub luce1387 bereitet der HD schon die Verkürzung der langen menschlichen Lebenszeit zum Zwecke der Sündenreduktion vor (vgl. V. 231 prolixae [...] vitae), nimmt aber vielleicht auch auf die Aussage in Vet. Lat. gen. 6,5 Bezug, dass die Menschen von Anbeginn ihrer Tage ((K) a principio dierum suorum) bzw. alle ihre Tage ((I) omnes dies) Böses ersinnen. V. 231 constringit miserans prolixae incommoda vitae: Die Verse 231–233 beziehen sich auf die Verkürzung der menschlichen Lebenszeit, die im biblischen Kontext im Rahmen der Geschichte von den Gottessöhnen und Menschentöchtern von Gott beschlossen wird (Gen 6,3): Die Gottessöhne sehen die Schönheit der Menschentöchter und nehmen sie sich zu Frauen; Gott verkündet daraufhin, dass sein Geist nicht für immer in den Menschen bleiben solle, da sie Fleisch seien, und beschränkt ihr Leben auf 120 Jahre. Der HD hat dieses Element aus seinem ursprünglichen Zusammenhang gelöst und zu einer Stufe auf dem Weg zur Sintflut umfunktioniert, indem Gott mit Blick auf die Verbrechen der Menschen zuerst den Versuch macht, die „Nachteile“ des langen menschlichen Lebens (prolixae incommoda vitae) zeitlich zu begrenzen, und dann zum Vernichtungsbeschluss schreitet (vgl. V. 243–249). Eine vergleichbare temporale Verwendung von constringere findet sich in V. 204 (longo constrictior aevo) bei der Angabe von Jareds Lebenszeit1388, das Adjektiv prolixus ist in Bezug auf die Länge des Menschenlebens ab Fronto belegt1389. Während der Gedanke der zeitlichen Beschränkung des menschlichen Lebens eine inhaltliche Entsprechung in Vet. Lat. 1384 Zu crimina mundi vgl. Hept. deut. 138, Paul. Petric. Mart. 3,402, Ven. Fort. carm. 4,5,17 und 4,8,3; zu crimine mundi vgl. Paul. Nol. carm. 31,19. 1385 Vgl. Forc. 4 s.v. reatus 19 unter I Proprie est status rei, sive tempus, quo reus nec absolutus est, nec damnatus […] sowie unter II 1 Accipitur pro ipsa culpa, qua quis reus est. 1386 Für multimodus in Bezug auf abstrakte Dinge führt der ThlL nur Belege ab Tertullian an, vgl. ThlL 8 s.v. multimodus 1589,59–76. 1387 Zu sub luce an der gleichen Position im Hexameter vgl. auch Verg. Aen. 6,720, Hor. ars 363, Ov. met. 1,494, Stat. Theb. 2,272; 8,272, silv. 3,1,134 u.ö. 1388 Vgl. den Kommentar zu V. 203b–204. 1389 Vgl. ThlL 10,2 s.v. prolixus 1829,6–16.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

gen. 6,3 hat (vgl. (E) non permanebit spiritus meus in hominibus istis in aeternum), ist dort von „Nachteilen“ (incommoda) nicht die Rede, sondern vielmehr von der Fleischesnatur der Menschen ((E) propter quod caro sunt), die Gott als Begründung für die Lebenszeitreduktion nennt. So ist die Junktur incommoda vitae, die sich gewöhnlich auf die Beschwerlichkeiten und Widrigkeiten des menschlichen Lebens bezieht1390, offenbar auf die sündige Natur der Menschen zu beziehen; diese wird im unmittelbar vorausgehenden Vers durch multimodosque [...] reatus hervorgehoben und hat zur Folge, dass die Menschen während ihres langen Lebens für sich selbst und andere viel Leid und Schaden anrichten. Während als Motivation für Gottes radikale Maßnahme zunächst seine Abscheu gegenüber den Verbrechen der Welt genannt wird (V. 229 diri pertaesus crimina mundi), wird Gott durch miserans in seinem Tun zugleich als barmherzig charakterisiert; dies lässt sich dahingehend verstehen, dass die Menschen nun früher von ihrem schuld- und leidvollen Leben erlöst werden, aber auch dahingehend, dass Gott zu diesem Zeitpunkt noch Geduld mit den Menschen hat und die harte Strafe der Vernichtung durch die Sintflut noch aufschiebt. Miserans verwendet der HD bereits in V. 209, um Enochs Entrückung als barmherzigen Akt Gottes darzustellen, und auch sonst dient es in der christlichen Dichtung zur Bezeichnung von Gottes bzw. Jesu Erbarmen1391. Um ein Rezeptionsdokument dieses Verses, der auf lautlicher Ebene durch die Häufung des Vokals i hervorgehoben ist, handelt es sich bei Theodulf carm. 73,73 (nemo gemit miserans alienae incommoda vitae)1392. V. 232 inposuitque modum bis sexaginta per annos: Indem der HD vom historischen Präsens constringit (V. 231) ins Perfekt wechselt, markiert er die Festlegung der menschlichen Lebensgrenze (inposuitque modum)1393 als Resultat1394 von Gottes Abscheu gegenüber den menschlichen Sünden. Mit bis sexaginta per annos1395 nimmt er konkret Bezug auf das Ende von Vet. Lat. gen. 6,3 (E) erunt autem dies eorum centum viginti anni, wobei sich dieser Präpositionalausdruck als appositionelle Erweiterung zu modum auffassen lässt im Sinne von modum, scil. per CXX annos vivere. Da nach der Darstellung des HD die Reduktion der menschlichen Lebenszeit auf 120 Jahre und der Ausbruch der Sintflut beide stattfinden, als Noah 600 Jahre alt ist (vgl. V. 228 und V. 284), geht der HD ganz offensichtlich nicht von der bei Augustinus und Hieronymus vertretenen Vorstellung aus, dass mit den 120 Jahren die Frist gemeint sei, die den damaligen Menschen noch bis zum Ausbruch der Sintflut geblieben sei, denn schließlich seien

1390 Vgl. die Belege in ThlL 7,1 s.v. incommodus/n. pro subst. incommodum 988,4–6; ebenfalls am Hexameterende in Val. Fl. 4,86 und Iuv. 13,21. 1391 Vgl etwa Iuvenc. 2,79; 4,135, Paul. Nol. carm. 31,54, Mar. Victor. aleth. 1,521; 2,84.488; 3,746. 1392 Zit. nach Theodulfi Carmina, rec. E. Dümmler, MGH PLAC I, Berlin 1881, 571. 1393 Für modum imponere führt der ThlL 7,1 s.v. impono 659,3–9 fast nur Prosabelege an; in der Poesie vgl. etwa Ov. ars 2,20, trist. 3,13,4, Manil. 1,96; 4,208, Lucan. 10,172–173. 1394 Vgl. KS II,1, 115 § 31 am Ende. 1395 Vgl. auch Hept. deut. 284 an der gleichen Position.

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nach der Sintflut Menschen weitaus älter geworden als 120 Jahre1396. Nach dem HD erscheint die Reduktion der Lebensspanne der Menschen dagegen als eine Maßnahme, die noch Gottes Erbarmen mit den frevelnden Menschen zeigt (vgl. V. 231 miserans), aber angesichts der Verbrechen der Giganten von dem nunmehr zornigen, in seiner Geduld erschöpften Gott durch eine härtere Vorgehensweise, nämlich durch die Sintflut, ergänzt wird (vgl. V. 239–249). V. 233 vincere quem nullus posita sub lege valeret: Über Vet. Lat. gen. 6,3 hinausgehend unterstreicht der HD in diesem Relativsatz mit finalem Nebensinn die Rigorosität von Gottes Beschluss: Dieser hat Gesetzescharakter (posita sub lege)1397 und lässt keine Ausnahmen zu (vincere quem nullus [...] valeret)1398. Die Wortverbindung vincere [...] nullus [...] valeret könnte auf Ov. trist. 3,6,18 seu ratio fatum vincere nulla valet anspielen; eine inhaltliche Parallele besteht zwischen dem Begriff fatum und der Grenze, die dem menschlichen Leben durch das göttliche Gesetz gegeben ist. V. 234 Haec inter sanctos lactat terrena voluptas: Nachdem Gott in der Darstellung des HD mit der Lebenszeitverkürzung eine erste Maßnahme gegen die überhandnehmende Bosheit der Menschen getroffen hat, wird mit haec inter1399 sozusagen die nächste Eskalationsstufe angeschlossen: Die Gottessöhne gehen Verbindungen mit den Menschentöchtern ein (Gen 6,2, vgl. V. 234–237), aus denen die Giganten entstehen, deren Verbrechen endgültig Gottes Zorn hervorrufen (V. 238–240). Die Gottessöhne, die in Vet. Lat. gen. 6,2 angeli dei bzw. filii dei heißen1400, bezeichnet der HD als sanctos, womit er offensichtlich den Begriff angeli umschreibt; in dieser Bedeutung begegnet das Substantiv sanctus mehrfach im biblischen Latein1401. Während in Vet. Lat. gen. 6,2 berichtet wird, dass die Engel bzw. Söhne Gottes die Schönheit der Menschentöchter sehen ((E) videntes autem angeli dei filias hominum quod essent formonsae) und sie sich zu Frauen nehmen ((E) acceperunt sibi mulieres ex omnibus quas elegerunt), findet beim HD durch lactat terrena voluptas eine deutliche Akzentverschiebung und wertende Einfärbung statt. Die Gottessöhne erscheinen hier nicht mehr als die Aktiven, sondern in der passiven Rolle der Verlockten (lactat), die in V. 235 durch captivosque tenet noch deutlicher herausgearbeitet wird. Das negativ konnotierte, in 1396 Vgl. Aug. civ. 15,24 und Hier. quaest. hebr. in gen. p.12,9–19 (Lagarde). 1397 Zu den gängigen Junkturen legem ponere und sub lege vgl. ThlL 7,2 s.v. lex 1254,30–31 (legem ponere mit Belegen ab Cicero) sowie 1253,26–35 (sub lege bzw. legibus mit Belegen ab Vergil). 1398 Valere wird in der Dichtung seit Lukrez mit dem Infinitiv verbunden, vgl. KS II,1, 674 § 124 unter b. 1399 Vgl. den Kommentar zu V. 192. 1400 Vgl. auch LXX gen. 6,2 oiÖ uiÖoi? touq jeouq mit der Variante aäggeloi sowie Vulg. gen. 6,2 filii Dei in Übereinstimmung mit dem masoretischen Text (Fischer 1951, 102). 1401 Vgl. Blaise s.v. sanctus 736 unter 5. sowie etwa Vulg. deut. 33,2 et cum eo [scil. Domino] sanctorum milia, Dan. 4,10 et ecce vigil et sanctus de caelo descendit, Iob 5,1 voca ergo si est qui tibi respondeat et ad aliquem sanctorum convertere und Vet. Lat. I Thess. 3,13 (X) in adventu domini nostri Iesu Christi cum universis sanctis eius. Augustinus vertritt dagegen in civ. 15,22–23 die Meinung, dass es sich bei den sog. Gottessöhnen nicht um himmlische Wesen gehandelt haben könne, sondern nur um Menschen.

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Richtung decipere tendierende Verbum lactare ist bei den Bühnendichtern ab Plautus sowie bei Varro und dann erst wieder in der christlichen Literatur ab der Vetus Latina belegt1402. Terrena spielt zum einen auf die Menschentöchter an ((E) filias hominum), die der HD nicht explizit erwähnt, zum anderen bildet es einen scharfen Gegensatz zur himmlischen Sphäre der sancti. In der Junktur terrena voluptas bezeichnet es in der Kirchenväterliteratur die Verlockungen der Welt, die den Weg zu Gott und zum ewigen Leben verstellen1403, und bezieht sich im Kontext von Vet. Lat. gen. 6,2 konkret auf den (sexuellen) Kontakt der sancti mit den Menschenfrauen1404, der im Gegensatz zu ihrer himmlischen Natur steht. V. 235 captivosque tenet caelesti ex arce meantes: Der Gedanke, dass die sancti von der irdischen Lust verlockt ihre himmlische Behausung verlassen (caelesti ex arce meantes), ist in Vet. Lat. gen. 6,2 nicht enthalten; bestenfalls kann er daraus erschlossen werden, dass die Gottessöhne bei den Menschentöchtern eintreten (vgl. Vet. Lat. gen. 6,4 (I) cum intrarent filii dei ad filias hominum). Eine ganz ähnliche Vorstellung wird aber von Sulpicius Severus in chron. 1,2,7 mit der Episode von den Gottessöhnen und Menschentöchtern verbunden1405. Dahinter steht offensichtlich die aus dem jüdischen Bereich übernommene Deutung von Gen 6,1–4 im Sinne eines Engelfalls aufgrund sexueller Verfehlungen mit Menschenfrauen, die vor allem im Henochbuch (äthHen 6,1–16,4) ausgeführt wird und während der ersten drei nachchristlichen Jahrhunderte, aber auch noch in späterer Zeit weit verbreitet war1406. Während aber bei anderen Kirchenvätern dieser Engelfall ganz wörtlich oder im Sinne einer Abwendung der Engel von Gott zum Ausdruck gebracht wird1407, ist diese Vorstellung in dem Verbum meantes wohl 1402 Vgl. ThlL 7,2 s.v. 2. lacto 855,16–17.61–68; in Verbindung mit voluptas vgl. auch Caecil. com. 91. 1403 Aus der Vielzahl der Belege seien hier nur einige aus Ambrosius und Augustinus genannt: Ambr. Noe 34,128 [...] quod qui terrenas diligit voluptates et eas sequitur et putat his se posse ad dei gratiam pervenire et regnum caeleste huiusmodi erroribus deferendum, is adversum caelestia contumaci proeliatur affectu; in psalm. 118 serm. 11,6 [...] non postremo partes vulpium simus in terrenae voluptatis interiora demersi tamquam exules aeternorum et de illa supernae spei praesumptione deiecti; in Luc. 10,49 iustus autem homo ad imaginem dei est, si propter imitandam divinae conversationis similitudinem mundum hunc dei cognitione contemnat voluptatesque terrenas verbi perceptione despiciat quo alimur in vitam; Aug. in Iob 9 de superioribus, in quibus naturaliter animae rationales beatae sunt, id est operibus iustitiae, inclinaverunt se ad terrenas voluptates; in evang. Ioh. 26,5 Si ergo ista quae inter delicias et voluptates terrenas revelantur amantibus, trahunt; quoniam verum est, „Trahit sua quemque voluptas“[…]; in psalm. 17,19 Et quoniam amaritudine miseriarum firmamentum terrenae voluptatis conturbatum atque convulsum est, factus est Dominus firmamentum meum. 1404 Zu bedenken ist hier die spezielle Bedeutung von voluptas im Sinne des Koitus, vgl. OLD s.v. voluptas 2102 unter 5. 1405 Vgl. Sulp. Sev. chron. 1,2,7 [...] angeli, quibus caelum sedes erat, speciosarum forma virginum capti illicitas cupiditates appetierunt: ac naturae suae originisque degeneres, relictis superioribus, quorum incolae erant, matrimoniis se mortalibus miscuerunt. 1406 Vgl. Speyer 1978, 1264, ferner Grözinger 1982, 591 und Böcher 1982, 598. 1407 Vgl. etwa Tert. cult. fem. 1,2,1 [...] illi scilicet angeli qui ad filias hominum de caelo ruerunt, [...]; 1,4,1 [...] nihil angelis illis imputetur praeter repudium caeli et matrimonium

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kaum enthalten1408. Arx steht überwiegend in der Dichtung metaphorisch für den Himmel1409, wobei durch das Attribut caelestis1410 auch ein Kontrast zur terrena voluptas (V. 234) aufgebaut wird. Auch der Gedanke, dass die sancti durch die irdische Lust gefangen gehalten werden (captivosque tenet), geht weit über den Bibeltext hinaus und könnte durch die Rezeption von exegetischer Literatur beeinflusst sein. Eine besondere Nähe zeigt sich zu Ambr. in psalm. 118 serm. 8,58 (quia angeli amaverunt filias hominum, eo quod terrenis capti detineantur inlecebris princeps mundi istius ac ministri eius [...]), ferner erscheinen die Gottessöhne bzw. Engel Gottes als Gefangene ihrer Leidenschaft für die Menschenfrauen in Ambr. in psalm. 118 serm. 4,8 (qui ergo, cum angeli viderentur, capti sunt decore femineo, hi caro sunt), Aug. civ. 15,22 (ac sic filii Dei filiarum hominum amore sunt capti) sowie Sulp. Sev. chron. 1,2,7 ([…] angeli, quibus caelum sedes erat, speciosarum forma virginum capti illicitas cupiditates appetierunt). Darüber hinaus bezieht sich die Junktur captivum tenere in der christlichen Literatur häufig auf die Herrschaft des Teufels bzw. der fleischlichen Begierden über den Menschen1411, so dass der HD dadurch und durch terrena voluptas (V. 234)1412 seiner alttestamentlichen Vorlage eine spezifisch christliche Färbung verleiht. V. 236–237a dum facies pulchro ridentes corpore cernunt / femineas: Durch den mit dum eingeleiteten Nebensatz verbindet der HD Vet. Lat. gen. 6,2 unmittelbar mit der Zeugung der Giganten nach Vet. Lat. gen. 6,4 (vgl. V. 238). Um eine mehr oder weniger direkte Bezugnahme auf Vet. Lat. gen. 6,2 handelt es sich bei pulchro [...] corpore (vgl. (E) quod essent formonsae (pulchrae)1413) und bei cernunt (vgl. (E) videntes). Während aber im Bibeltext lediglich gesagt wird, dass die Menschentöchter schön sind, konkretisiert der HD diese Aussage durch die lächelnden Frauengesichter (facies [...] ridentes [...] femineas), die die sancti am schönen Körper der Frauen sehen (pulchro [...] corpore cernunt)1414. Die Junktur carnis [...]; virg. vel. 7,4 [...] angelos, scilicet quos legimus a deo et caelo excidisse ob concupiscentiam feminarum, [...]; orat. 22,5 [...] quod angeli propter filias hominum desciverunt a Deo. 1408 Die Grundbedeutung ist eine Vorwärtsbewegung, vgl. ThlL 8 s.v. meo 785,16–17. 1409 Vgl. ThlL 2 s.v. arx 742,68–743,32 mit Belegen ab Vergil. 1410 Zu arx caelestis vgl. auch Iuv. 15,146, Paul. Nol. carm. 16,122, Prud. perist. 14,125, Hept. exod. 993 und Alc. Avit. carm. app. 9,21. 1411 Aus der Vielzahl der Belege seien wenige besonders markante herausgegriffen: Vet. Lat. II Tim. 2,26 (D) et resipiscant de diaboli laqueis a quo capti (captivi) tenentur secundum ipsius voluntatem, Carm. adv. Marc. 1,37 Tamen lux animae carnis captiva tenetur, Aug. civ. 20,7 [...] diabolum volens intellegi fortem, quia ipse genus humanum potuit tenere captivum, epist. 175,6 [...] quia nihil est in eis vitiatum, nihil tenetur sub diaboli potestate captivum [...], epist. 220,10 [...] anima vero non perit, si non malignis cupiditatibus captiva teneatur [...], nupt. et concup. 1,31,35 [...] id est eidem ipsi concupiscentiae, quae hoc carnale nostrum captivum tenet. 1412 Vgl. den Kommentar zu V. 234. 1413 Zu dieser mehrfach bezeugten Variante, die der Vulgata entspricht, vgl. Fischer 1951, 102 und 544. 1414 Zur freien Verwendung des Ablativs der Ortsruhe in der Dichtung vgl. KS II,1, 354 § 79 Anm. 5; zu pulchro corpore vgl. auch Lucr. 5,1116, Verg. Aen. 5,344, Hept. exod. 47, Alc. Avit. carm. 2,64.

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facies [...] femineas1415 könnte auf den Titel von Ovids Kosmetikratgeber Medicamina faciei femineae anspielen und somit auf eine äußerliche Vorstellung von Schönheit, und noch deutlicher wird durch pulchro [...] corpore die Schönheit der Menschentöchter auf den rein körperlichen Bereich bezogen, wie dies im gleichen biblischen Kontext in Aug. civ. 15,22 geschieht (amatae sunt a filiis Dei [...] propter pulchritudinem corporis). V. 237b placitisque nimis conplexibus haerent: Während in Vet. Lat. gen. 6,2 lediglich davon die Rede ist, dass die Gottessöhne sich ausgewählte Menschenfrauen zur Ehe nehmen ((E) acceperunt sibi mulieres ex omnibus quas elegerunt), färbt der HD diesen Aspekt wertend ein. Die Umarmungen mit den Menschenfrauen (conplexibus) werden durch das Attribut placitis[...] nimis1416 eindeutig negativ qualifiziert, und vor dem Hintergrund der „Gefangenschaft“ der Gottessöhne (vgl. V. 235 captivosque tenet) durch die terrena voluptas (vgl. V. 234) könnte bei conplexibus haerent an ein Festhängen in den Armen der Frauen gedacht werden; dies wird insbesondere durch den ähnlich endenden Vers Ov. met. 4,184 in mediis ambo deprensi amplexibus haerent nahegelegt, wo Venus und Mars mitten in ihrer Umarmung in dem von Vulcanus gefertigten Netz gefangen werden1417. Gerade dieser mögliche Prätext lässt die Vermutung zu, dass complexibus sich hier (auch) auf den Koitus bezieht1418, dessen Ergebnis, die Giganten, im nächsten Vers genannt wird. V. 238 progenuere sibi torva cum mole gigantes: Der HD knüpft hier wörtlich an Vet. Lat. gen. 6,4 an, indem er durch progenuere sibi1419 auf (I) generabant sibi Bezug nimmt und den Begriff gigantes aufgreift ((I) illi erant gigantes)1420. Deutlicher als im Text der Vetus Latina ((I) et generabant sibi illi erant gigantes a saeculo) und in Übereinstimmung mit einer vom Spätjudentum übernommenen Vorstellung, die sich auch in der zeitgenössischen Kirchenväterexegese spiegelt, bringt er zum Ausdruck, dass die Giganten aus der Verbindung der

1415 Femineus kommt hauptsächlich in der Dichtung vor, vgl. ThlL 6,1 s.v. femineus 465,15, beim HD insgesamt 10-mal. 1416 Das adjektivisch verwendete Partizip placitus findet sich seit Vergil, ein häufigerer Gebrauch ist erst in der Bibel und bei den Kirchenschriftstellern belegt, vgl. ThlL 10,1 s.v. placeo/placitus 2270,9–11. 1417 Der Hexameterschluss amplexibus haerent bzw. haeret ist vor dem HD nicht allzu häufig (vgl. auch Ov. met. 7,143, Val. Fl. 1,316, Sil. 13,297) und die von Ovid dargestellte mythologische Episode prominent, so dass der HD durchaus mit einem Wiedererkennungseffekt bei seinem Publikum rechnen konnte. 1418 Vgl. Blaise s.v. complexus 183 unter 1 étreinte charnelle (postcl.); etwa Lucan. 8,403–404 [...] tot femineis complexibus unum / non lassat nox tota marem. [...], Aug. serm. 195,2 [scil. Christus] sine virili complexu unicus matri, Hil. trin. 1,10 [...] non ex conplexu carnis neque ex conceptu sanguinis neque ex corporum voluptate sed ex Deo natos, Hier. epist. 49,21,4 volumus opipare comedere, uxorum haerere conplexibus et in numero virginum ac viduarum regnare cum Christo: […]. 1419 Vgl. auch Paul. Nol. carm. 27,219 progenuere deo […]. 1420 Der HD hatte hier offensichtlich die Vetus Latina und nicht die Vulgata vor Augen, die an der entsprechenden Stelle isti sunt potentes lautet.

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Gottessöhne und der Menschentöchter hervorgegangen sind1421. Während die Giganten in Vet. Lat. gen. 6,4 keineswegs negativ, sondern vielmehr als namhafte Männer ((I) homines nominati) charakterisiert werden, hebt der HD durch torva cum mole1422 ihre bedrohlich wirkende Körpergröße hervor und bedient sich bei mole eines Begriffs, der in verschiedenen poetischen Kontexten die Körpermasse riesenhafter und dadurch furchteinflößender Wesen beschreibt1423. Der Versschluss mole gigantes begegnet im gleichen biblischen Kontext in Mar. Victor. aleth. 2,364 (monstra hominum, celsa membrorum mole gigantes), und in ähnlicher Weise spricht Dracontius in laud. dei 2,373 von der moles praesumpta gigantum in Bezug auf die vorsintflutlichen Riesen1424. Durch torva, das in erster Linie einen finsteren Gesichtsausdruck und Blick bezeichnet und dann auch auf andere physische Gegebenheiten übertragen werden kann1425, wird die Bedrohlichkeit des Aussehens unterstrichen, wozu auch die Häufung des dunklen Vokals o (torva cum mole) beiträgt. V. 239–240a quorum criminibus domini patientia tandem / cogitur offendi: V. 239–242a nehmen auf Vet. Lat. gen. 6,6 Bezug, gehen aber deutlich darüber hinaus und integrieren den Bibelvers in einen etwas andersartigen Zusammenhang. In Gen 6,6 bedenkt Gott die Erschaffung des Menschen und empfindet Reue, nachdem er gesehen hat, dass die Bosheit der Menschen auf der Erde überhand genommen hat und alle von Anfang an nur Böses im Sinn haben (vgl. Gen 6,5). Diese Wahrnehmung der allgemeinen menschlichen Bosheit durch Gott hat der HD bereits in V. 229–230 behandelt und als Begründung für die Verkürzung der menschlichen Lebenszeit eingeführt. Sie stellt zweifellos auch den Hintergrund für das Ende der göttlichen Geduld in V. 239–240 dar1426, doch unmittelbarer Anlass hierfür sind nach der Darstellung des HD die Verbrechen der Giganten (V. 238 gigantes), auf welche sich quorum criminibus bezieht. Eine negative Charakterisierung der Giganten in Anknüpfung an Gen 6,1–4, die mit ihrer Vernichtung (durch die Sintflut) verbunden wird, findet sich in mehreren alttestamentlichen und apokryphen Quellen1427, besonders aber im apokryphen Henochbuch

1421 Vgl. etwa Ambr. Noe 4,8, Filastr. 108,1, Aug. civ. 15,23; auch im 7. Kapitel des Henochbuches (äthHen) findet sich diese Tradition. Vgl. ferner Michl 1962, 188. 1422 Zu cum beim Ablativus qualitatis vgl. den Kommentar zu V. 10 (validis cum tractibus), zum Versschluss vgl. auch Hept. iud. 323 […] torva cum mole camellos. 1423 Vgl. etwa Polyphem in Verg. Aen. 3,656 ([…] vasta se mole moventem) und Sil. 14,529–530 ([...] corporis alti / terribilis moles [...]), Cacus in Verg. Aen. 8,199 ([…] magna se mole ferebat), den Krieger Othrys von Marmarika in Sil. 5,436 (mole gigantei vertebat corporis alas) und Hercules in Sen. Herc. O. 1242 (his mundus umeris sedit? haec moles mei est) sowie 1760 (o quanta, Titan, ad nihil moles abit!). 1424 Vgl. ferner Sil. 12,143 […] mole gigantas und 17,649 […] mole gigantum. 1425 Vgl. OLD s.v. torvus 1953 unter 2 und 2 b. 1426 So klingt V. 239 criminibus an V. 229 crimina mundi an. 1427 Vgl. Speyer 1978, 1260 mit Belegen, etwa Bar 3,26–28 (Untergang der Giganten wegen ihrer Torheit), Weish 14,6 (Untergang der hochmütigen Giganten in der Sintflut) und 3 Makk 2,4 (Vernichtung der auf Kraft und Kühnheit vertrauenden Giganten, die Unrecht getan haben, durch eine Sintflut).

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(äthHen 7,2–10,2)1428; im Bereich der Kirchenväterexegese spricht etwa Hieronymus in epist. 10,1 explizit von der impietas der Giganten, die die Sintflut herbeigeführt habe. Auch nach Mar. Victor. aleth. 2,365–381 und Drac. laud. dei 2,373–385 nehmen die Verbrechen der Giganten ein solches Ausmaß an, dass Gott schließlich die Sintflut beschließt, während Avitus in carm. 4,87 die saevos [...] gigantes zum Anlass nimmt, eine Verbindung mit dem heidnisch-antiken Gigantenmythos zu verwerfen1429. Den Gedanken von Gottes Geduld (domini patientia) mit der Verderbnis der Welt zur Zeit des Noah konnte der HD in Vet. Lat. I Petr. 3,20 vorfinden ((C) in diebus Noe quibus adhuc expectabat dei patientia); zudem ist die unvorstellbare Geduld Gottes, die dem Sünder zunächst die Gelegenheit zur Umkehr geben will, bevor sie strafend einschreitet, ein Thema in der Kirchenväterliteratur1430. Durch tandem und cogitur offendi statt eines einfachen offenditur wird verdeutlicht, wie groß Gottes Geduld ist und dass sie allein durch das Übermaß der Freveltaten dazu genötigt wird, sich „gekränkt“ zu fühlen1431. Gerade diese Personifikation der Geduld verleiht der Darstellung Eindringlichkeit. V. 240b longam dum concipit iram: Gottes Zorn geht offensichtlich auf die Variante iratus est zurück, die in Ambr. Noe 4,9 für Vet. Lat. gen. 6,6 (I) cogitavit bezeugt ist1432. Die Junktur iram concipere ist in der Poesie vor dem HD und innerhalb der Heptateuchdichtung geläufig1433, was ebenso für longam [...] iram1434 gilt. Mayor nimmt an der Vorstellung vom lange währenden Zorn Gottes Anstoß und will longam durch lentam ersetzen, denn „‘[s]low to wrath’, ‘slow to anger’, is the character of Jehovah and of His elect.“1435 Longam [...] iram ist aber angesichts der langen Dauer der Sintflut durchaus angebracht, und zudem ergibt sich so ein Pendant zu der lange währenden Geduld Gottes (vgl. V. 239–240a). Während der HD Gott gemäß seiner biblischen Vorlage mit großer Selbstverständlich-

1428 Die 3000 Ellen großen Riesen (äthHen. 7,2) verzehren den ganzen Erwerb der Menschen, dann die Menschen selbst und versündigen sich auch an den Tieren; schließlich fressen sie sich auch gegenseitig (äthHen. 7,3–5). Durch sie ist die ganze Erde voll Blut und Unrecht (äthHen. 9,9), bis Gott beschließt, sie durch eine Flut zu vernichten (äthHen. 10,2). 1429 Vgl. Alc. Avit. carm. 4,94–109. Zu einer Abgrenzung gegen den heidischen Gigantenmythos vgl. auch Ambr. Noe 4,8. 1430 Vgl. etwa Cypr. patient. 4 und Ambr. Abr. 1,6,46. 1431 Zu offendere in Bezug auf Beleidigungen Gottes vgl. Blaise s.v. offendo 574 unter II 3; vgl. auch Sulp. Sev. chron. 1,3,1 im gleichen Kontext: Quibus rebus offensus Deus maximeque malitia hominum, quae ultra modum processerat, delere penitus humanum genus decreverat. 1432 Vgl. Fischer 1951, 105; ferner findet sich für Vet. Lat. 6,7 (I) paenitet me die mehrfach bezeugte Variante iratus sum, vgl. ebd. 106. 1433 Vgl. Ov. met. 1,166 […] concipit iras und Hor. ars 159–160 […] iram / concipit […] sowie Hept. gen. 899, exod. 1209 und iud. 81. 1434 Vgl. Ov. epist. 9,46 […] iraque longa deae, Sil. 12,270–271 […] longasque viritim / exsatiant iras […] und Hept. deut. 276. 1435 Vgl. Mayor 1889, 14 mit Verweis auf Ov. epist. 3,22 und 17,249; in diesem Sinne weist Peiper 1891, 276 auf Iuv. 13,100 hin: ut sit magna, tamen certe lenta ira deorum est.

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keit anthropopathische Züge verleiht1436, bereitet Gottes Zorn in Gen 6,6–6,7 Kirchenvätern wie Ambrosius und Augustinus ein Problem1437, da Gott ihrer Ansicht nach keinen Affekten wie ein Mensch ausgesetzt und unveränderlich ist. Die anthropomorphe, übertreibende Darstellung Gottes erscheint hier als ein biblisches Gestaltungsmittel, um das Gericht Gottes zu verdeutlichen, das über die Sünde verhängt wird (Aug. civ. 15,25)1438, bzw. um das ungeheuerliche Ausmaß der menschlichen Sünden zum Ausdruck zu bringen (Ambr. Noe 4,9)1439. Nach Tert. adv. Prax. 16,1–4 zeigt Gott dagegen schon im AT menschliche Verhaltensweisen, damit die Menschen an seine spätere Menschwerdung in Jesus Christus besser glauben können, und deshalb heißt es auch von ihm, dass er Reue über die Erschaffung des Menschen empfunden habe. V. 241–242a atque dolet hominem dextra formante creatum / siderea: Mit dolēt1440 nimmt der HD variierend Bezug auf das Ende von Vet. Lat. gen. 6,6 (I) et paenituit. In der Vulgata wird erwähnt, dass Gott innerlich von Schmerz berührt worden sei (Vulg. gen. 6,6 et tactus dolore cordis intrinsecus), doch bezieht sich dieser Schmerz bereits auf die folgende Rede, in der Gott die Vernichtung seines eigenen Geschöpfes verkündet (vgl. Gen 6,7). Dextra formante [...] siderea hat eine deutliche Entsprechung in V. 30 [...] sancta dignatus ducere dextra, wo die Erschaffung des Menschen durch Gottes Hand beschrieben wird. Während dort aber die heilige Hand als Werkzeug fungiert, mit dessen Hilfe der Mensch geformt wird, erscheint sie in V. 241–242a zum handelnden Subjekt gesteigert1441, und während Gott in V. 30 den Menschen der persönlichen Formung durch seine Hand für würdig erachtet (dignatus), bereut er diesen Akt in V. 241 (dolet). Das Adjektiv siderea, das der HD insgesamt 11-mal in Bezug auf Gott bzw. mit Gott Zusammenhängendes verwendet, findet sich in der übertragenen Bedeutung „himmlisch, göttlich“ erst in nachklassischer Zeit1442. Als Attribut zu dextra betont es den Kontrast zwischen der Heiligkeit des Schöpfers und der Schuldhaftigkeit seines Geschöpfes, der Gott hier schmerzlich bewusst wird; ferner kommt 1436 Vgl. Westermann 1976, 549 im Zusammenhang mit dem doppelt ausgedrückten Gedanken der Reue Gottes in Gen 6,6 und 6,7. 1437 Zur Problematik des Zornes Gottes vgl. auch Laktanzens Schrift De ira dei, ferner den Kommentar zu V. 101 (ira dei). 1438 Vgl. Aug. civ. 15,25 Ira Dei non perturbatio animi eius est, sed iudicium quo inrogatur poena peccato. Cogitatio vero eius et recogitatio mutandarum rerum est inmutabilis ratio. [...] Sed si non utatur scriptura talibus verbis, non se quodam modo familiarius insinuabit omni generi hominum, quibus vult esse consultum [...]. 1439 Vgl. Ambr. Noe 4,9 neque enim deus cogitat sicut homines, ut aliqua ei nova succedat sententia, neque irascitur quasi mutabilis, sed ideo haec leguntur, ut exprimatur peccatorum nostrorum acerbitas, quae divinitatis meruerit offensam, tamquam eo usque culpa increverit, ut etiam deus, qui naturaliter non movetur aut ira aut odio aut passione ulla, provocatus ad iracundiam videretur. 1440 Zur häufigen Dehnung der Endsilbe -ĕt und insbesondere zur Dehnung kurzer Silben vor anlautendem h vgl. Peiper 1891, 345. 1441 Die Vorstellung von Gottes Hand als einem quasi eigenständig handelnden Wesen begegnet auch in Ps. Hil. gen. 125–126 O felix animal, summi cui dextra tonantis / est pater [...]. 1442 Vgl. Blaise s.v. sidereus 758 unter 3.

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siderea durch das Enjambement V. 241/242 unmittelbar neben dem synonymen sancto zu stehen, wodurch dieses ampflifiziert wird und der Gegensatz zwischen Gott und den Sünden der schuldigen Welt (V. 243 mundi peccata nocentis) vorbereitet wird. V. 242b sancto permotus pectore fatur: Mit fatur leitet der HD die direkte Rede Gottes nach Vet. Lat. gen. 6,7 ein ((L) et dixit deus). Die Bezugnahme auf Gottes innere Erregung (sancto permotus pectore), hervorgehoben durch die doppelte Alliteration siderea sancto und permotus pectore, schließt an das Ende von Vet. Lat. gen. 6,6 ((I) et paenituit) an, das nach einer Variante um die Worte in corde suo ergänzt ist1443. In ähnlicher Weise spricht Proba in cento 307 von Gottes heftiger innerer Erregung (tum pater omnipotens graviter commotus ab alto), die zur Auslösung der Sintflut führt. Während permovere in der Poesie selten ist1444, findet sich der Hexameterschluss pectore fatur mehrfach, insbesondere bei Vergil1445. Sancto [...] pectore begegnet an der gleichen metrischen Position und ebenfalls vor einer wörtlichen Rede in Iuvenc. 4,348 in Bezug auf Jesus (Christus item sancto depromit pectore uocem). V. 243 „Ius delere mihi mundi peccata nocentis: Mit delere knüpft der HD wörtlich an Vet. Lat. gen. 6,7 an, wo neben (L) perdam hominem die Varianten deleam und delebo mehrfach bezeugt sind1446. Die Aussage Gottes, dass er den von ihm geschaffenen Menschen vom Angesicht der Erde tilgen wolle ((L) perdam hominem quem feci a facie terrae), wird vom HD dahingehend geändert, dass Gott die Sünden der Welt tilgen will, womit ganz offensichtlich ein christlicher Akzent gesetzt wird: Die Junktur mundi peccata1447 erinnert deutlich an Vet. Lat. Ioh. 1,29 (Jülicher) Ecce agnus Dei, ecce qui tollit peccatum (codex aur, l, e: peccata) mundi, ferner bezeichnet delere in der Bibel und in der Kirchenväterliteratur in Verbindung mit peccatum/peccata häufig das Tilgen der menschlichen Schuld, wobei in neutestamentlichen Kontexten diese Tilgung oft auf Christus bezogen wird1448. Während der HD es aber bei einem vorsichtigen christologischen Durchblick belässt, wird von anderen Bibeldichtern in Anknüpfung an 1 Petr 3,20–21 1443 Bezeugt durch Rufin, vgl. Fischer 1951, 105. 1444 Vgl. ThlL 10,1 s.v. permoveo 1567,34–35. 1445 Die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 23.06.2015) verzeichnet insgesamt 12 Belege, u.a. Verg. Aen. 2,107; 10,556; 11,685; 12,888. 1446 Vgl. Fischer 1951, 105; delebo entspricht der Vulgata. 1447 Zum spezifisch christlichen Gebrauch von peccatum vgl. ThlL 10,1 s.v. pecco/peccatum 895,21–901,4. 1448 Vgl. etwa Vet. Lat. act. 3,19 (Sabatier) Poenitemini ergo, & revertimini, ut deleantur vestra peccata, Aug. civ. 21,27 Oratio vero cotidiana, quam docuit ipse Iesus, unde et dominica nominatur, delet quidem cotidiana peccata, cum cotidie dicitur: Dimitte nobis debita nostra […], Rufin. Orig. in num. 10,2 Et quidem quod Dominus noster Iesus Christus venerit, ‚ut tolleret peccatumʻ mundi et morte sua peccata nostra deleverit, nullus, qui Christo credit, ignorat, Chromat. serm. 27,2 Aut forte idcirco flevit Dominus, ut lacrimis suis mundi peccata deleret. Si Petrus potuit lacrimarum suarum fusione propria peccata abstergere, cur non credimus lacrimis Domini peccata mundi deleta fuisse? und ähnlich Aug. pecc. mer. 1,23,33 ab hoc peccato, ab hac aegritudine, ab hac ira dei [...] non liberat nisi agnus dei qui tollit peccata mundi, [...] non nisi redemptor, cuius sanguine deletur debitum nostrum.

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die Sintflut explizit als Typus der Taufe gedeutet, so etwa von Cl. M. Victorius in aleth. 2,557–558 (ut nunc edocuit populos sic posse necari, / ipse docebit aquis populos sic posse renasci)1449. Der Gedanke der Sündhaftigkeit der Welt wird durch nocentis unterstrichen1450, das sich in Kombination mit mundus bereits in Stat. Theb. 8,39 findet und dort die Unterwelt bezeichnet, deren Insassen Pluto für ihre Verfehlungen bestraft. Indem Gott das ihm zukommende Recht unterstreicht (ius [...] mihi), die Sünden der Welt zu tilgen und zu diesem Zwecke die Menschheit mitsamt den Tieren zu vernichten, scheint er sich für seinen Vernichtungsbeschluss implizit zu rechtfertigen; dieser Gedanke kommt in Vet. Lat. gen. 6,7 auf andere Weise, nämlich in der betonten Reue Gottes über die Erschaffung der Welt, zum Ausdruck (vgl. (I) quoniam paenitet me quod feci eos). Ius mihi mit dem Infinitiv zur Bezeichnung der göttlichen Strafvollmacht verwendet der HD nochmals in deut. 263 (ius est parcere, ius mihi ferire!). V. 244 fluctibus aequoreis totamque involvere terram: Die Vernichtung durch eine Flut wird in der Bibel erst in Vet. Lat. gen. 6,17, nämlich in Gottes Rede an Noah, erwähnt, vom HD aber in Gottes Selbstgespräch vorgezogen. Der Anschluss an den vorausgehenden Satz erfolgt durch -que, welches in der Dichtung auch nach mehreren (hier drei) Wörtern stehen kann1451. Indem der HD die biblische Formulierung (P) diluvium aquae durch fluctibus aequoreis und (P) adducam [...] super terram durch totamque involvere terram ersetzt, bedient er sich einer explizit poetischen Diktion: So handelt es sich bei aequoreus um ein von den Neoterikern geprägtes, insbesondere bei Ovid beliebtes Adjektiv1452, das in Verbindung mit fluctus überwiegend in der Dichtung vorkommt1453, und auch involvere begegnet im Sinne von demergere zuerst in der Dichtung1454. Ferner fällt auf, dass der HD im Gegensatz zur biblischen Formulierung (P) diluvium aquae explizit von Meeresfluten (fluctibus aequoreis) spricht, wodurch er zum einen an die Wasser der Urflut anknüpft, die in V. 2–3 mit fluctu und aequora vasta bezeichnet werden, vielleicht aber auch für den theologisch gebildeten Leser eine Perspektive auf Ex 14,27 eröffnet, wo die Ägypter von Gott in den Fluten des Roten Meeres vernichtet werden1455. Auch diese Szene wird, wie die Sintflut, in der Kirchenväterliteratur seit Tertullian und Cyprian typologisch in Hinblick auf die Taufe gedeutet, wobei 1 Kor 10,1–2 den biblischen Ausgangspunkt bildet1456. 1449 Vgl. Roberts 1985, 102 Anm. 161 mit weiteren Belegen aus der Bibeldichtung und Hinweisen zur theologischen Sekundärliteratur, ferner R. Feldmeier, Der erste Brief des Petrus, Theologischer Handkommentar zum NT 15,1, Leipzig 2005, 137–139. 1450 Zum Versschluss vgl. auch Hept. exod. 936 [...] peccata nocentes und Mar. Victor. aleth. 3,538 [...] peccata nocentum. 1451 Vgl. den Hinweis in Forc. 3 s.v. que 1008 unter 1 a (Poetae etiam post plures). 1452 Vgl. ThlL 1 s.v. aequoreus 1027,56–57. 1453 Vgl. etwa Ov. met. 15,604–605, Culex 357, Hept. Ios 185–186, Drac. laud. dei 2,139.797, Orest. 106, 356. 1454 Vgl. ThlL 7,2 s.v. involvo 262,45–61 mit Belegen ab Vergil. 1455 Beachtenswert sind in diesem Zusammenhang die ähnlichen Formulierungen in Hept. gen. 245 humanumque genus vastis mersare fluentis (Sintflut) und exod. 523 vastis fluctibus abdidit cohortes (Rotes Meer). 1456 Vgl. hierzu ausführlich Daniélou 1969, 33–39.

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V. 245 humanumque genus vastis mersare fluentis: Nachdem Gott in V. 244 summarisch die Vernichtung der ganzen Erde angekündigt hat, werden nun in V. 245–248 unter Anknüpfung an Vet. Lat. gen. 6,7 ((L) ab homine usque ad pecus et a reptilibus usque ad volatilia caeli) die einzelnen Gruppen der Lebewesen, beginnend mit den Menschen, genannt. Der Versbeginn humanumque genus, mit dem der HD (L) ab homine umschreibt, findet sich auch in Homer. 112 und Claud. 24,151 und hebt den universalen Charakter von Gottes Vernichtungsbeschluss hervor. Ähnliche Formulierungen begegnen im ersten Buch von Ovids Metamorphosen im Zusammenhang mit Jupiters Beschluss, das verdorbene Menschengeschlecht zu vernichten, vgl. Ov. met. 1,188 perdendum est mortale genus [...], 1,246 est tamen humani generis iactura dolori und 1,260–261 [...] genus mortale sub undis / perdere [...]. Durch vastis1457 mersare fluentis amplifiziert der HD den bereits in V. 244 ausgedrückten Gedanken des Einhüllens der Erde in den Meeresfluten (fluctibus aequoreis [...] involvere), wobei mersare fluentis an Verg. georg. 1,272 balantumque gregem fluvio mersare salubri erinnert, welchen Vers wiederum Proba in cento 395 benutzt, um die Taufe Jesu durch Johannes darzustellen1458. Zwar ist mersare offenbar kein spezifischer Terminus für die Taufe, doch für mergere und die Substantive mersio und demersio verzeichnet Blaise diese besondere christliche Bedeutung1459. Falls der HD V. 243–245 dahingehend angelegt hat, dass der Leser eine typologische Verbindung zwischen Sintflut und Taufe bzw. zwischen Sintflut, Durchzug durch das Rote Meer und Taufe herstellen soll, geschieht dies jedenfalls mit äußerst subtilen Mitteln, die beim Rezipienten theologisches und literarisches Wissen voraussetzen, ganz im Gegensatz zu anderen Bibeldichtern, die die Tauftypologie im Kontext der Sintflut ganz explizit herausarbeiten1460. V. 246a omnigenasque simul pecudes: Von der Vernichtung der Menschen geht der HD gemäß Vet. Lat. gen. 6,7 zum Vieh über und baut die knappe biblische Bemerkung (L) usque ad pecus über zwei Verse hinweg aus. Die Universalität der Vernichtung kommt durch omnigenas zum Ausdruck, welches mit seinen vier Silben am Versanfang sehr gewichtig wirkt und sich in Verbindung mit pecus auch in Proba cento 100 (omnigenumque pecus nullo custode per herbam)1461, Paul. Nol. carm. 18,380 (omnigenum pecus [...]) und Coripp. Ioh. 3,87 (omnige-

1457 Zu vastus in Bezug auf Meeresfluten vgl. den Kommentar zu V. 3. 1458 Vgl. Proba cento 395–396 haec ubi dicta dedit, fluvio mersare salubri / accepit venientem [scil. Iesum] ac mollibus extulit undis. 1459 Ein Lemma merso existiert bei Blaise nicht und auch der ThlL und Forcellini weisen s.v. merso nicht auf eine christliche Spezialbedeutung hin. Vgl. aber Blaise s.v. mergo 527 unter 1 [...] plonger (dans lʼeau pour baptiser), s.v. mersio 528 action de plonger dans, immersion [...]: (en parlant du baptême) und s.v. demersio 253 immersion baptismale. 1460 Vgl. den Kommentar zu V. 243–244. 1461 Proba kontaminiert hier Verg. Aen. 8,698 omnigenumque […] und Aen. 3,221 […] pecus nullo custode per herbas; der biblische Kontext ist geradezu konträr, nämlich die Erschaffung der Landtiere durch Gott.

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numque pecus […]) findet1462. Durch simul wird über die biblische Vorlage hinausgehend die nicht unanstößige Tatsache hervorgehoben, dass zusammen mit den schuldig gewordenen Menschen auch die offensichtlich unschuldigen Tiere vernichtet werden sollen (vgl. auch V. 248 nex una). Diese Problematik wird etwa von Ambrosius in Noe 4,10 und 10,31–33 eingehend erörtert, wobei ein zentraler Gedanke ist, dass die Tiere zum Nutzen des Menschen geschaffen worden sind und bei Vernichtung ihres Nutznießers und Beherrschers konsequenterweise mit diesem sterben müssen. Nach Augustinus civ. 15,25 wird der Tod der Tiere zusammen mit dem der Menschen angekündigt, um das große Ausmaß des bevorstehenden Untergangs zu verdeutlichen. V. 246b–247 quae laeta per agros / gramina detondent, celsis dum collibus errant: Diese kurze, ein bukolisches Idyll heraufbeschwörende Schilderung des weidenden Viehs hat der HD aus verschiedenen poetischen Junkturen zusammengesetzt: Laeta [...] gramina1463 findet sich in ähnlicher Form in Verg. georg. 2,525 ([...] pinguesque in gramine laeto [scil. haedi]), gramina detondent ist ansonsten offenbar nur in Nemes. ecl. 1,6–7 belegt ([...] dum gramina vaccae / detondent […]), während die Junktur gramen bzw. gramina tondere in der Dichtung häufiger begegnet1464. Errare bezeichnet überwiegend in poetischen Texten weidende Tiere1465 und tritt in dieser Bedeutung bereits in V. 24 bei der Erschaffung der Landtiere auf ([...] et inmensis errare et pascere terris); auf Hügeln bzw. Bergen grasende Tiere begegnen auch in Verg. ecl. 2,21 (Mille meae Siculis errant in montibus agnae) und 6,40 (rara per ignaros errent animalia montis), und celsus als Attribut zu collis ist in der Dichtung vor dem HD geläufig1466. Der in der hexametrischen Poesie geradezu massenhaft vorkommende Versschluss per agros1467 bezeichnet hier offenbar die auf den Hügeln befindlichen Weideflächen und nicht die Ebene im Gegensatz zu den Hügeln. Vor dem Hintergrund von Gottes Vernichtungsbeschluss wirkt das friedliche Bild des im üppigen Gras weidenden Viehs verstörend und geradezu zynisch und es ist nach seiner Funktion zu fragen. Abgesehen davon, dass die beschlossene Katastrophe vor der Kontrastfolie des bukolischen Idylls umso dramatischer wirkt, könnte der HD den Eindruck erwecken wollen, als blicke Gott etwas wehmütig auf die friedlich lebenden Tiere, die durch das Verschulden des Menschen dem bevorstehenden Untergang geweiht sind. Ferner kann man in celsis [...] collibus eine Antizipation von V. 291 sehen (nec fera celsiiugo devitat marmora colle), wonach selbst Tiere auf hohen Hügeln nicht vom Wasser verschont bleiben. 1462 Laut ThlL 9,2 s.v. 2. omnigenus 591,7–9 ist dieses Adjektiv erst bei Vergil sicher belegt und danach erst ab dem 2. Jahrhundert. 1463 Ähnlich Hept. gen. 185 gramineis laeta pecudes pascebat in herba [scil. Iobelus]. 1464 Vgl. Lucr. 2,660 […] tondentes gramina campo [scil. lanigerae pecudes], Culex 50 tondebant tenero viridantia gramina morsu, Ov. rem. 178 aspice tondentes fertile gramen oves und Hept. gen. 1250 tondentes viridis pubentia gramina ripis [scil. iuvencas]. 1465 Vgl. ThlL 5,2 s.v. 1. erro 807,68–77. 1466 Vgl. Verg. Aen. 8,604, Sen. Ag. 96, Lucan. 4,158–159, Sil. 4,222; 12,567; 14,68–69; 15,101.174–175. 1467 Vgl. die 98 Belege der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 25.06.2015).

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V. 248 serpentes nex una premat volucresque ferasque: Der Vers bezieht sich auf Vet. Lat. gen. 6,7 (L) et a reptilibus usque ad volatilia caeli und erweitert die Reihe der Lebewesen um die wilden Tiere (ferasque). Der Ersatz von reptilibus durch serpentes und die Hinzufügung von feras kann durch Vet. Lat. gen. 7,21 bedingt sein, wo vom Tod aller Lebewesen einschließlich der wilden Tiere in den hohen Fluten erzählt wird (vgl. (A) volatilium pecorum et iumentorum et ferarum et omnis serpens qui movetur super terram); ferner finden sich in der Poesie ähnlich gestaltete Aufzählungen von Tieren, in denen neben den zahmen pecudes die ferae erwähnt werden1468, und auch der Hexameterschluss volucresque ferasque (bzw. feraeque) ist vor dem HD mehrfach belegt1469. Die Wahl von serpentes anstelle von reptilibus kann ferner als Anspielung auf die Paradiesschlange aufgefasst werden (vgl. V. 103 serpentis), wodurch die harte Formulierung nex una premat und besonders das Wort fraudibus in V. 249 verständlicher wird, welches an die Täuschungstaktik der Schlange im Rahmen der Paradieserzählung erinnert1470. Nex una premat betont wie simul in V. 246 die Schicksalsgemeinschaft der Tiere mit dem Menschen1471 und spielt offensichtlich mit dem ähnlich lautenden Wort nox, welches sogar in Codex C überliefert ist; für nex (AG) spricht allerdings Hept. num. 446 ac velut in totos pariter nex una (AC) venire, wo alternativ nur das sinnlose nix (B) überliefert ist. Während die Junktur nex una in der Dichtung offenbar nur beim HD und in Orient. comm. 2,286 ([…] unam […] necem) belegt ist, ist bei dem alludierten nox una an prominente Verse wie Hor. carm. 1,28,15 [...] sed omnis una manet nox oder auch Catull. 5,6 nox est perpetua una dormienda zu denken, und auch die Verbindung von nox mit premere zur Bezeichnung des Todes ist in der Poesie vor dem HD geläufig1472. V. 249 ut mea deletis mitescat fraudibus ira“: Inhaltlicher Anknüpfungspunkt für diesen Vers ist offensichtlich das Ende von Vet. Lat. gen. 6,7 ((I) quoniam paenitet me quod feci eos), wobei anstelle von paenitet die Variante iratus sum mehrfach bezeugt ist1473. Außerdem wird so ein Bogen zu Gottes Zorn geschlagen, der der Anlass für seine Rede gewesen ist (vgl. V. 240 [...] longam dum concipit iram). Der Gedanke, dass Gott sich von der Tilgung der fraudes eine Besänftigung seines Zornes erwartet (ut mea [...] mitescat [...] ira)1474, geht deutlich über 1468 Vgl. Verg. georg. 3,242–243 […] hominumque ferarumque / et genus aequoreum, pecudes pictaeque volucres, Calp. ecl. 2,10 affuit omne genus pecudum, genus omne ferarum, Sil. 15,86 cum pecudes volucrumque genus formasque ferarum, Stat. Theb. 10,141 [...] volucres pecudesque ferasque. 1469 Vgl. Ov. met. 7,185, fast. 3,193, Lucan. 3,223; 10,158, Stat. Theb. 7,404, silv. 5,4,3. 1470 Vgl. den Kommentar zu V. 249. 1471 Vgl. den Kommentar zu V. 246a sowie im gleichen biblischen Kontext Drac. laud. dei 2,389 […] cunctos mors una tenebat. 1472 Vgl. etwa Hor. carm. 1,4,16 iam te premet nox fabulaeque Manes, Verg. Aen. 6,827 concordes animae nunc et dum nocte prementur und Sen. Herc. O. 841 destituit animus membra, nox oculos premit. 1473 Bezeugt durch die Vetus-Latina-Handschriften 91–95 und Aug. civ. 15,24, vgl. Fischer 1951, 106. 1474 Zu dieser Formulierung in der Dichtung vgl. Paneg. in Mess. 46–47 [...] seu iudicis ira / Sit placanda, tuis poterit mitescere verbis, Ov. Pont. 2,7,79 spes quoque posse mora mitescere

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die biblische Darstellung hinaus und verleiht Gott noch stärker anthropomorphe Züge als in der Vorlage. Durch dēlētīs [...] fraudibus, welches durch die Längenhäufung vor der Penthemimeres deutlich hervorgehoben ist, greift der HD V. 243 delere [...] mundi peccata nocentis wieder auf. Doch fraudibus ist hier wohl nicht nur als Synonym zu peccata anzusehen1475, sondern transportiert auch die Bedeutungsnuance von „Betrug, Täuschung“, welche insbesondere auf das Verhalten der Schlange im Paradies bezogen werden kann (vgl. V. 104 fallente dolo, V. 114 fraudigeris […] suadellis). V. 250 accipit ergo dei mandata ingentia Noe: Der HD bezieht sich hier zunächst summarisch auf Vet. Lat. gen. 6,14–16, bevor er auf die Anweisungen zum Bau der Arche im Einzelnen eingeht. Ergŏ1476 könnte durch den Wortlaut von Vet. Lat. gen. 6,14 nach der Textform I inspiriert sein, wo Gott seine Anordnungen mit den Worten fac ergo tibi arcam ex lignis quadratis einleitet, und kann im Sinne einer logischen Schlussfolgerung aufgefasst werden1477: Nachdem Noahs Bedeutung für die Zukunft der Menschheit in V. 224 angedeutet worden ist, ergibt sich aus Gottes Vernichtungsbeschluss (V. 243–249) konsequenterweise die Notwendigkeit der Bewahrung Noahs, wozu wiederum die Arche gebaut werden muss. Dadurch, dass der Name Nōe1478 betont am Versende steht, wird dieser Übergang vom göttlichen Vernichtungsplan zum Rettungsplan verdeutlicht. Die Bezeichnung von Gottes Aufträgen als mandata lässt sich zum einen mit Blick auf Vet. Lat. gen. 7,5 erklären ((I) et fecit omnia Noe quae mandavit ei dominus deus)1479, worauf auch in der Kirchenväterliteratur mit dem Substantiv mandatum Bezug genommen wird1480, vor allem aber konnte der HD bei dei mandata auf eine vorgeprägte poetische Junktur zurückgreifen1481. Sehr ähnlich formuliert der HD in Ios. 229 (accipit hic domini mandata insignia rector), wo er sich ebenfalls der Junktur mandata accipere bedient, die in vergleichbaren christlichen Kontexten in Paul. Nol. carm. 6,43–44 und 15,245 belegt ist. Ingentia lässt sich auf die Schwierigkeit des Auftrags beziehen, einen Kasten von derartigen Ausmaßen zu

principis iram und 3,3,83 pone metus igitur: mitescet Caesaris ira, Paul. Petric. Mart. 5,836 finita tandem penitus mitesceret ira. 1475 Vgl. OLD s.v. fraus 732 unter 3 Conduct involving guilt, wrongdoing; an offence, crime. 1476 Die zweite Silbe ist in der älteren Latinität lang, wird in Ov. epist. 5,59 und trist. 1,1,87 gekürzt und ist ab Seneca mit wenigen Ausnahmen gewöhnlich kurz, vgl. ThlL 5,2 s.v. 1. ergo 759,12–18. 1477 Vgl. LHS 511 § 279. 1478 Zur prosodischen Behandlung dieses Namens beim HD vgl. den Kommentar zu V. 213. 1479 Vgl. auch die auf Vet. Lat. gen. 7,5 Bezug nehmenden Verse 282–283 haec ubi dicta, fiunt domini mandata volente / festinoque sene [...]. 1480 Vgl. etwa Ambr. Noe 13,47 Et fecit inquit omnia Noe quae mandavit ei dominus deus. iustus mandata accipit, servus imperia und Rufin Orig. in gen. 2,1 […] de arca, quae secundum mandatum Dei a Noe constructa est, […]. 1481 Zu dei mandata vgl. auch Stat. Theb. 3,321, Carm. adv. Marc. 4,157 sowie Hept. iud. 119, zu mandata dei vgl. Sil. 13,343, Carm. adv. Marc. 3,138; 5,122, Iuvenc. 1,38, Paul. Nol. carm. 6,44.198; 15,245 sowie Hept. exod. 447, 556, iud. 740.

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bauen, darüber hinaus ist auch an die Wichtigkeit und Dringlichkeit der göttlichen mandata zu denken1482. V. 251 duplicibus cameris arcam conpangere iussus: Gottes Worte zu Beginn seiner Rede an Noah in Vet. Lat. gen. 6,14, nämlich (S) fac itaque tibi arcam // (I) fac ergo tibi arcam umschreibt der HD in recht wörtlicher Anlehnung an seine Vorlage mit arcam conpangere iussus. Con- bzw. compangere anstelle des üblichen con- bzw. compingere ist offenbar nur hier belegt1483, während letzteres im gleichen biblischen Kontext auch in Aug. civ. 15,27 (tantae magnitudinis arcam non potuisse conpingi) erscheint. Da die mandata ingentia (V. 250) sachlich und zeitlich mit der Bauanweisung zusammenfallen, sollte das Partizip Perfekt iussus in gleichzeitiger Bedeutung aufgefasst werden1484; mit einem vorausgehenden Infinitiv Präsens Aktiv findet es sich recht häufig am Hexameterende1485. Um eine aus Vet. Lat. gen. 6,16 vorgezogene Information handelt es sich bei duplicibus cameris, was sich auf den mehrstöckigen Aufbau der Arche bezieht; offenbar hält der HD es für sinnvoll, zunächst Grundsätzliches zur Architektur des Kastens zu sagen, bevor Details wie Baumaterial und Verpichung genannt werden. Das Ende von Gen 6,16 lautet in der Vetus Latina nach der Textform S et bicameratam et tricameratam facies eam (sinngemäß: „du wirst sie zweistöckig und dreistöckig machen“), nach der Textform I inferiora bicamerata et tricamerata facies (sinngemäß: „du wirst ein unteres Stockwerk, ein zweites Stockwerk und ein drittes Stockwerk machen“): Die Arche soll also aus einem Erdgeschoß und zwei weiteren Geschoßen bestehen. Camera bezeichnet insbesondere beim Schiff die gewölbte Decke1486 und könnte in duplicibus cameris („mit doppelter Decke bzw. mit zwei Decken“)1487 die zwei Zwischendecken meinen, durch die der Raum der Arche in drei Geschoße geteilt wird; das oberste Geschoß wird dann durch das in V. 257 genannte Dach (tecto) abgeschlossen. Ähnlich spricht auch Cl. M. Victori-

1482 Zu ingens im Sinne von difficilis, gravis mit der gelegentlichen Konnotation magni momenti vgl. ThlL 7,1 s.v. ingens 1538,62–74. Die gleiche Doppeldeutigkeit liegt offenbar auch Verg. Aen. 7,241 [...] iussisque ingentibus urget Apollo zugrunde, wozu Horsfall 2000, 183 bemerkt: „weighty perhaps both in divine authority and in difficulty of fulfilment“. 1483 Vgl. ThlL 3 s.v. 1. compingo 2072,3. Zu denken ist hier an die Nicht-Umlautung von Komposita als Tendenz des biblischen Lateins (vgl. Rönsch 1875, 466) bzw. an die Tendenz zur Bildung sog. Verba recomposita unter lautlicher Wiederherstellung des Stammes des zugrundeliegenden Verbums in der lateinischen Volkssprache bzw. im späten Latein (vgl. Svennung 1935, 546–547). 1484 Zum Partizip Perfekt Passiv als Vertreter des fehlenden Partizips Präsens Passiv vgl. KS II,1, 757–758 § 136 unter b. 1485 Vgl. etwa Hor. sat. 1,3,80, Ov. met. 7,374, Stat. Theb. 7,14, Lucan. 1,339; 8,575, Iuv. 5,12; 14,331 u.ö. 1486 Vgl. ThlL 3 s.v. camera (camara) 204,33–37 mit den Belegen Suet. Nero 34,2 (camarae ruina), Hept. gen. 251 und Arator act. 2,803 (fulta tribus cameris Noe describitur arca), ferner Georges 1 s.v. camera 944 unter I das Gewölbe, die gewölbte Decke, Wölbung [...] eines Schiffes. 1487 Zu duplex mit pluralischem Substantiv im Sinne von duo vgl. ThlL 5,1 s.v. duplex 2269,11– 39.

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us in aleth. 2,412 von zwei Flächen, durch die der Raum der Arche dreigeteilt ist (cumque triplex spatium discreverit area duplex)1488. V. 252 quae teneat volucrum mansura ad germina nidos: Mit nidos nimmt der HD auf den mittleren Teil von Vet. Lat. gen. 6,14 ((S) nidos et nidos facies // (I) nidos facies in arca(m)) Bezug. Mit den „Nestern“, die auch in der LXX (nossiaßw) erscheinen, während in der Vulgata von „Kämmerchen“ (mansiunculas) die Rede ist, sind Zellen bzw. Kammern gemeint, um insbesondere die Tiere getrennt voneinander zu halten1489, und so wird der Begriff bereits in Rufin. Orig. in gen. 2,1.3 definiert1490. Der HD fasst nidos dagegen ganz wörtlich im Sinne von Vogelnestern auf, welche der Kasten in sich bergen soll (teneat)1491. Aufgrund der sich im Text manifestierenden theologischen Bildung des HD ist eher nicht von einem Missverständnis des Begriffs nidos auszugehen1492, vielmehr scheint der HD die Möglichkeit entdeckt zu haben, durch die wörtliche Auffassung der „Nester“ an dieser Stelle die Vögel unterzubringen, die er bei den Anweisungen bezüglich der an Bord zu nehmenden Tiere nicht erwähnt1493. Während im vorausgehenden Vers die Grobgliederung der Arche in drei Geschoße besprochen wird, wird anhand der Vogelnester gezeigt, wie sie im Kleinen eingerichtet ist. Darüber hinaus ist es denkbar, dass der HD hier auf Ps 83(84),4 anspielen will, welchen auch Ambrosius in Noe 6,14 am Ende seiner allegorischen Auslegung von Gen 6,14 zitiert: Hier hebt der Psalmist hervor, dass auch die Turteltaube im Hause des Herrn einen Ort für ihr Nest gefunden hat, in das sie ihre Jungen legen kann1494. Die Arche wird somit als ein Ort aufgefasst, der nicht nur den Menschen und großen Tieren, sondern auch den kleinen Schutz und Geborgenheit bietet. Germina ist in Bezug auf tierische Sprösslinge nur selten belegt1495 und wird durch die finale Präposition ad von nidos abhängig gemacht, um den Zweck der Nester anzugeben1496. Das attributive Partizip Futur Aktiv mansura1497 verstärkt diese finale

1488 Vgl. dazu Martorelli 2008, 91. 1489 Vgl. Soggin 1997, 131 sowie Mar. Victor. aleth. 2,413 sic discernantur propriis animantia nidis. 1490 Vgl. Rufin. Orig. in gen. 2,1 Istae ergo habitationum discretiones nidi appellantur und 2,3 Construit ergo arcam et facit in ea nidos, id est promptuaria quaedam, quibus diversi generis animalia recipiantur. 1491 Vgl. OLD s.v. teneo 1919 unter 4 mit überwiegend poetischen Belegen. 1492 Herzog 1975, 110 sieht darin eine Fehldeutung des HD, zustande gekommen durch „Mangel an Vorkenntnissen und offensichtlich auch an exegetischen Hilfsmitteln“. 1493 Vgl. Hept. gen. 266–269 und dagegen Gen 7,3, wo die Vögel eigens erwähnt werden. 1494 Vgl. Vet. Lat. psalm. 83,4 (Sabatier) Etenim passer invenit sibi domum: & turtur nidum sibi, ubi reponat pullos suos. 1495 Vgl. ThlL 6,2 s.v. germen 1923,81–84; hier finden sich nur die drei Belege Nemes. cyn. 146 (Hunde), Avian. fab. 33,1 (Gans) und Mart. Cap. 7,729 (Wasserschlange). 1496 Zu diesem Gebrauch von ad in Abhängigkeit von Substantiven vgl. ThlL 1 s.v. ad 539,1– 541,31. 1497 Zur attributiven Verwendung des Partizips Futur Aktiv vgl. LHS 390 § 208 unter a (zum Gebrauch in der Dichtung bei Vergil, Properz und v.a. Ovid sowie zum seltenen Auftreten im Spätlatein abgesehen von Dichtern wie Prudentius).

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Bedeutung und steht hier offensichtlich in der Bedeutung i.q. habitare1498; weniger sinnvoll erscheint eine Auffassung im Sinne von „am Leben bleiben, fortleben“1499, da ja nicht nur die Vogeljungen, sondern alle Lebewesen an Bord der Arche dazu bestimmt sind, über die Sintflut hinaus gerettet zu werden. V. 253 ac, ne fissilibus dissultent robora rimis: In V. 253–254 amplifiziert der HD das Ende von Vet. Lat. gen. 6,14 ((S) et bituminabis eam // (I) et bituminabis eam ab intus et a foris bitumine). Über die biblische Vorlage hinausgehend erläutert er den Zweck des Verpichens, das im Abdichten der technisch bedingten Fugen (rimis)1500 zwischen den Vierkantbalken besteht, damit sich das Balkengefüge nicht durch eindringendes Wasser lockert, die Balken also nicht an den Fugen „auseinanderspringen“ (dissultent)1501. Fissilibus soll hier laut ThlL die Sonderbedeutung i.q. fissura factus1502 haben, was aber insofern problematisch ist, als mit den rimae nicht durch Spaltung entstandene Risse im Holz gemeint sind, sondern die Fugen, die natürlicherweise zwischen den Balken bestehen bleiben; sinnvoller ist es daher, von der Bedeutung „spaltbar“ auszugehen1503, d.h. die Fugen können aufklaffen, es können sich an ihnen größere Spalten bilden, so dass das Balkengefüge sich lockert. Auf klanglicher Ebene fällt besonders die Wiederholung der Lautkombination -is- auf, ferner der alliterierende Hexameterschluss robora rimis, der rein phonetisch an Lucan. 4,139 [...] robora ripis erinnert. V. 254 unguine praepingui linuit bituminis arcam: Das Erdpech bezeichnet der HD in wörtlicher Anknüpfung an Vet. Lat. gen. 6,14 (S) bituminabis eam // (I) bituminabis eam ab intus et a foris bitumine mit dem Wort bītuminis1504. Seine zäh-klebrige Beschaffenheit veranschaulicht er durch die Junktur unguine praepingui, die durch die Wiederholung der Lautkombination -ngui- hervorgehoben ist und von der bituminis als Genitivus explicativus abhängt1505. Praepinguis im Sinne von „sehr fett“ steht in Bezug auf Dinge ab Vergil und bezeichnet überwiegend fetten Erdboden und Ähnliches, seltener andere Substanzen wie Öl, Pech oder

1498 Vgl. ThlL 8 s.v. maneo 283,54–58, etwa Vet. Lat. Matth. 13,32 (Jülicher) (codex e) ita ut habes [sic!] caeli maneant in ramis eius. 1499 Vgl. ebd. 288,30–62. 1500 Ähnlich Mar. Victor. aleth. 2,407–408 tunc calidum bibula spirans compage bitumen / exploret tenues et vestiat undique rimas. 1501 Zu dissultare im Sinne von rumpi vgl. ThlL 5,1 s.v. dissulto 1508,56–63 mit Belegen ab Vergil; zur Sache vgl. auch Ambr. Noe 6,15 ob hanc causam intus et foris bitumine arca constringitur, ne conexio illa facile rumpatur. 1502 Vgl. ThlL 6,1 s.v. fissilis 828,13–14. 1503 Vgl. ThlL 6,1 s.v. fissilis 827,82–828,9 unter qui findi potest (maxime de ligno et rebus ligneis […]), mit Belegen ab Vergil. 1504 Zu Dehnung kurzer Vokale im Wort beim HD vgl. Peiper 1891, 346; vgl. auch Hept. gen. 394 bītumen. 1505 Zur Verbindung von unguen und pinguis vgl. auch Val. Fl. 6,360 [...] pingui fluit unguine tellus (in Bezug auf Olivenöl), zur bloßen Juxtaposition vgl. Verg. georg. 3,450 [...] pinguis unguine ceras und Sil. 14,427 [...] per pingues unguine taedas; pinguis findet sich auch direkt in Bezug auf bitumen, vgl. etwa Aetna 391 pingue bitumen adest [...] und Val. Fl. 3,124–125 Ecce gravem nodis pinguique bitumine quassans / lampada […].

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auch Opferdunst1506. Bei dem Perfekt linuit1507 lehnt sich der HD offenbar an die Variante (in)linies1508 an, die für die Textform I anstelle von bituminabis bezeugt ist. Dass die Arche innen und außen verpicht wird, wird nicht eigens erwähnt, doch auch in der Vetus-Latina-Textform S fehlt diese Information. V. 255 ipsa fuit plenas ter centum longa per ulnas: Die Maße der Arche, die in Vet. Lat. gen. 6,15 angegeben werden, behandelt der HD unter Einhaltung der biblischen Reihenfolge in V. 255–258; in V. 255 bezieht er sich auf den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 6,15 ((I) et sic (E) facies arcam trecentorum cubitorum longitudine(m)) und knüpft durch longa unmittelbar an den biblischen Wortlaut an. Ipsa tritt hier, wie dies in der späteren Latinität vorkommt, an die Stelle eines einfachen ea1509, und charakteristisch für einen späten Sprachgebrauch ist auch die Verbindung von longa mit dem Präpositionalausdruck plenas ter centum [...] per ulnas anstelle eines Akkusativs der räumlichen Ausdehnung1510. Bei der Längenangabe selbst ersetzt der HD das biblische cubitorum durch ulnas und unterstreicht die beachtliche Länge von ganzen 300 Ellen durch Hinzufügung des Adjektivs plenas, das in Verbindung mit Längen- und Flächenangaben offenbar nur selten belegt ist1511; allerdings lässt sich plenus auch ganz wörtlich so verstehen, dass Noah das Maß der 300 Ellen voll macht und dadurch seinen Gehorsam Gott gegenüber zeigt. Der Vers weist deutliche Parallelen zu Mar. Victor. aleth. 2,402 auf (arca tibi, quae ter centum tendatur in ulnas), wo sich der geläufigere Hexameterschluss in ulnas findet1512. V. 256 quinquaginta patens transversam lata per alvum: Auch bei der Angabe der Breite der Arche knüpft der HD durch quinquagintă1513 und lata an den biblischen Wortlaut an, vgl. Vet. Lat. gen. 6,15 (E) et quinquaginta cubitorum latitudine(m). Patere steht hier mit dem Akkusativ der räumlichen Ausdehnung

1506 Vgl. ThlL 10,2 s.v. praepinguis 766,19–35; vgl. auch Hept. gen. 308 [...] ramis praepinguis olivae. 1507 Zur Perfektform linuit, die im christlichen Latein öfters belegt ist, vgl. ThlL 7,2 s.v. lino 1456,25–27 mit mehreren Belegen aus der Vetus Latina; vgl. auch Rönsch 1875, 287. 1508 Inlinies ist bezeugt durch Ambr. Noe 15, linies durch Rufin. Orig. in gen. 2,4 (Anspielung) und Chronicon Alexandrinum 13, außerdem ist es mit der Vulgata identisch (vgl. Fischer 1951, 108–109 sowie 544). 1509 Zur Verschiebung der Bedeutungsgrenzen der Pronomina ab der silbernen Latinität und im Spätlateinischen, insbesondere zur Abschwächung von ipse zu is, vgl. KS II,1, 632–633 § 118 Anm. 22. Vgl. auch Blaise s.v. ipse 473 unter 5 b (soit pour remplacer simplement is, hic, ille) mit christlichen Belegen. 1510 Zu diesem Gebrauch von per in Verbindung mit longus, latus, altus vgl. ThlL 10,1 s.v. per 1136,67–73 mit Belegen ab Ammian. 1511 Vgl. ThlL 10,1 s.v. plenus 2416,39–42 mit den einzigen Belegen Gratt. 32, Hept. gen. 255 und Paul. Pell. euch. 532. 1512 Vgl. auch Verg. georg. 3,355, Sil. 6,153 und Claud. carm. min. 30,218; der Hexameterschluss per uln* scheint abgesehen von Hept. gen. 255 nicht belegt zu sein. 1513 Zur häufigen Kürzung der Endsilbe -ā insbesondere bei Numeralia vgl. Peiper 1891, 344; vgl. auch Hept. num. 40 quinquagintă am Versbeginn. Ferner bemerkt Quicherat s.v. quinquagintā 925, dass das Wort in späterer Zeit quinquagintă gemessen wird.

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quinquaginta [scil. ulnas] in der Bedeutung i.q. extentum esse1514, wobei das prädikativ verwendete lata diese Maßangabe verdeutlichend auf die Breite bezieht. Durch den über die biblische Vorlage hinausgehenden Präpositionalausdruck transversam [...] per alvum wird zum einen die Messrichtung veranschaulicht („quer durch“)1515, zum anderen wird vom „Bauch“ der Arche gesprochen. Insofern als die Arche eine Art Schiff ist (vgl. auch V. 264 cumbam), kann alvus hier wie in Tac. hist. 3,47 die seltene Bedeutung „Schiffsbauch“ haben1516. Weniger wahrscheinlich ist, dass der HD durch alvus im Sinne von „Bauch“ auf die Arche als Sinnbild des menschlichen Körpers anspielen will, was etwa in Ambr. Noe 6,13–9,30 ausgeführt wird1517, denn es finden sich im Zusammenhang mit dem Bau der Arche keine weiteren derartigen Allusionen; allenfalls könnte in Hinblick auf V. 295, wo die Arche als Mutter (parens) bezeichnet wird, die Vorstellung von der Arche als Mutterleib evoziert werden1518. Durch das Versende lata per alvum1519 wird der Vers mit V. 255 ([…] longa per ulnas) verklammert, wobei aber keine syntaktische Parallelität vorliegt1520. V. 257 at qua sublimi surgunt fastigia tecto: Bevor der HD gemäß Vet. Lat. gen. 6,15 die Höhe der Arche angibt (V. 258), zieht er die Information zum Dach der Arche aus Vet. Lat. gen. 6,16 vor, um einen Bezugspunkt für die Messung der Höhe zu liefern. Die in Codex G überlieferte Lesart at qua [...] surgunt ist sicherlich dem bloß anknüpfenden atque (AC) vorzuziehen, bei welchem zudem eine metrische Lizenz nötig wäre (atquē). Vet. Lat. gen. 6,16 ((S) collectam facies arcam et in cubito consummabis eam desuper // (I) colligens facies arcam et in cubitum consummabis eam a summo) ist offenbar so zu verstehen, dass die Arche sich nach oben hin pyramidenartig verjüngt und an ihrem höchsten Punkt eine Firstfläche von einmal einer Elle aufweist1521, und entsprechend geht auch der HD von 1514 Vgl. ThlL 10,1 s.v. pateo 665,71–666,4; vgl. auch Mar. Victor. aleth. 2,403 perque decem quinas pateat [...] in Bezug auf die Arche. 1515 In dieser prädikativen Verwendung steht transversus z. B. auch in Cic. de orat. 3,133 transverso ambulantem foro („quer über das Forum“) und Colum. 2,4 semper ut transversus mons sulcetur („quer zum Hang“). 1516 Dies ist der einzige Beleg in ThlL 1 s.v. alvus 1804,10–12 mit dem Vermerk de navibus und in OLD s.v. alvus 112 unter 5 The hull (of a ship). 1517 So spricht Ambrosius in Noe 9,27 von den unteren, mehrfach gekammerten Teilen der Arche, die er mit dem Bauch und den darin liegenden Verdauungs- und Ausscheidungsorganen vergleicht. 1518 Vgl. den Kommentar zu V. 295. 1519 Zum Hexameterschluss per alvum vgl. auch Sil. 5,49. 1520 Per ulnas hängt von longa ab und ist eine Maßangabe, per alvum hängt dagegen nicht von lata, sondern von patens ab und gibt die Messrichtung an. 1521 Vgl. Rufin. Orig. in gen. 2,1 Quam [scil. arcam] ego puto [...] quattuor angulis ex imo consurgentem iisdemque paulatim usque ad summum in angustum attractis in spatium unius cubiti fuisse collectam. Sic enim refertur, quod in fundamentis eius trecenti cubiti in longitudine, in latitudine vero quinquaginta sint positi, triginta autem in altitudine aedificati, sed collecta in cacumen angustum, ita ut cubitus sit latitudinis et longitudinis eius. Von einem pyramidenförmigen Erscheinungsbild der Arche (puramoeideßw) ist in einem griechischen Fragment der 2. Genesis-Homilie des Origenes die Rede (abgedruckt in Habermehl 2011, 296). Ebenso ist LXX gen. 6,16 zu verstehen (eöpisunaßgvn poihßseiw th?n kibvto?n kai? eiöw

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einem spitz zulaufenden Dach aus, das er mit dem poetischen Plural fastigia1522 bezeichnet. Sublimi [...] tecto ist hier offenbar als Dativ aufzufassen („wo sich dem hohen Dach die Spitze erhebt“, d.h. „wo sich die Spitze des hohen Daches erhebt“); eine vergleichbare Konstruktion findet sich in Verg. Aen. 1,448 (aerea cui gradibus surgebant limina [...]) in Bezug auf einen Tempel1523. Sowohl bei sublimi [...] tecto als auch bei dem Hexameterschluss fastigia tecto handelt es sich um gängige poetische Junkturen bzw. Formeln1524. Wieder zeigen sich Ähnlichkeiten zum Wortlaut der entsprechenden Passage in Mar. Victor. aleth. 2,403– 4061525. V. 258 edita ter denis in caelum tollitur ulnis: Gemäß dem letzten Teil von Vet. Lat. gen. 6,15 ((E) et triginta cubitorum altitudine(m)) wird hier die Höhe der Arche mit dreißig Ellen angegeben. Der HD variiert den biblischen Wortlaut durch die poetische Umschreibung der Zahl triginta mit ter denis1526, wobei es sich um einen erst spät auftretenden Ablativ der Raumerstreckung in Abhängigkeit von edita handelt1527, ferner ersetzt er cubitorum durch ulnis und amplifiziert altitudine(m) durch die veranschaulichende Phrase edita [...] in caelum tollitur. Die Wendung in caelum tollitur, die hier die außerordentliche Höhe der Arche hervorheben soll, wird im medial-reflexiven Sinne von „sich erheben“ ansonsten offenbar nur metaphorisch in Verbindung mit clamor verwendet1528. V. 259 assere quadrato, nullis cessura fluentis: V. 259 bezieht sich auf den Anfang von Vet. Lat. gen. 6,14 ((S) fac itaque tibi arcam de lignis quadratis // (I) fac ergo tibi arcam ex lignis quadratis), wo das Baumaterial für die Arche genannt wird. Mit dem kollektiven Singular assere quadrato1529 knüpft der HD phqxun sunteleßseiw auth?n aänvjen), während der Text der Vulgata ganz anders lautet (fenestram in arca facies et in cubito consummabis summitatem). 1522 Peiper 1891, 277 verweist in seiner Sammlung von Parallelstellen auf Auson. Mos. 312–313 ([...] quadro cui in fastigia cono / surgit et ipsa suas consumit pyramis umbras). Ob der HD auf diese Darstellung einer Pyramide anspielen will, ist fraglich, doch kann damit die Vorstellung von einer pyramidenartigen Verjüngung der Arche nach oben hin gestützt werden. 1523 „Dem sich eine eherne Schwelle in Stufen erhob“, d.h. „dessen eherne Schwelle sich in Stufen erhob“. 1524 Vgl. Verg. Aen. 7,170 tectum […] sublime, Ov. medic. 7 sublimia tecta, met. 14,752 tectum sublime, Iuv. 3,269 tectis sublimibus, Auson. Mos. 329 sublimique […] tecto, Hept. Ios. 245 tectis sublimibus, wobei tectum hier teilweise nicht „Dach“, sondern „Haus“ bedeutet; vgl. ferner Verg. Aen. 2,302; 8,366 und Proba cento 375 […] fastigia tecti, Paul. Nol. epist. 32,5 und carm. 10,257 […] fastigia tectis, wobei fastigia hier teilweise nicht als poetischer Plural aufzufassen ist, sondern die zwei Giebel eines Daches bezeichnet. 1525 Vgl. Mar. Victor. aleth. 2,403–406 [...] consurgat in altum / ter denis tantum; per ... / ... consummetur in unam / desuper. ac lateri servetur ianua, qua se / collecta obliquo fastiget machina tecto. 1526 Vgl. den Kommentar zu V. 197–198a sowie im gleichen Kontext Mar. Victor. aleth. 2,403– 404 [...] consurgat in altum / ter denis tantum [...]. 1527 Vgl. LHS 40 § 46 unter a mit dem Hinweis, dass dieser Ablativ nach altus erstmals bei Vitruv belegt ist. 1528 Vgl. Enn. ann. 428 Sk. (= 442 V.), Verg. Aen. 11,745; 12,462, Proba cento 614, Sil. 16,319, Paul. Petric. Mart. 2,79; 2,319, Coripp. Iust. 2,391. 1529 Zum kollektiven Singular bei Materialbezeichnungen vgl. KS II,1, 69–70 § 19 unter d.

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wörtlich an de bzw. ex lignis quadratis an1530; die Erweiterung mit dem attributiv verwendeten Partizip Futur (nullis) cessura (fluentis) soll offensichtlich den Zweck der Vierkantbalken erklären, denn da diese sich etwa im Vergleich zu unbehauenen Baumstämmen mit nur minimalen Zwischenräumen glatt aneinanderfügen lassen, eignen sie sich besonders gut für eine Konstruktion, die möglichst kein Wasser einlassen soll1531. Auffallend ist der Anklang an den Schluss von V. 245 (vastis mersare fluentis), wodurch der Gegensatz zwischen dem göttlichen Vernichtungsplan und dem Plan der Rettung Noahs verdeutlicht wird. V. 260 ad medium gestans facili cum cardine postes: Der Vers nimmt Bezug auf den Mittelteil von Vet. Lat. gen. 6,16 ((S) et ostium facies de latus // (I) ostium vero arcae facies ex transverso). Während aber die Tür der Arche dem Bibeltext zufolge seitlich angebracht ist1532, befindet sie sich laut dem HD „in der Mitte“, d.h. wohl mittig an einer der beiden Längsseiten angebracht, wobei nicht genauer gesagt wird, ob an die Mitte zwischen Links und Rechts oder an die Mitte zwischen Oben und Unten gedacht wird. Der Präpositionalausdruck ad medium steht hier auf die Frage „wo?“1533 und scheint weder durch poetische Vorbilder motiviert zu sein noch durch eine Anspielung auf das Bundeszelt in Ex 25–27 oder den Tempel Salomos in 1 Kön 6–7, mit welchen Bauten die Arche verglichen werden kann1534. Denkbar ist, dass die mittlere Position der Tür die symmetrische Gestaltung der Arche unterstreichen soll, deren Tür genau am richtigen Platz sitzt. Bei dem in G überlieferten gestans, welches im Sinne von habere erst spät belegt ist1535, könnte es sich um eine richtige Rückkorrektur der in A (giptans) und C (girptans) entstellt überlieferten Form handeln1536. Mit facili cum cardine1537 postes bedient sich der HD des in der Poesie vorgeprägten Bildes der leicht beweglichen Türangeln1538 und eines in der hexametrischen Dichtung mehrfach belegten Versschlusses1539. Die leichte Drehbarkeit der Tür ist das letzte in einer Reihe von 1530 Vgl. auch Mar. Victor. aleth. 2,401 quadratis igitur trabibus contexta paretur. Ganz offensichtlich hatten beide Dichter nicht die Vulgata vor sich, in der von geglätteten Hölzern (de lignis levigatis) gesprochen wird, vgl. auch Pollmann 1992, 498. 1531 Vgl. auch Rufin. Orig. in gen. 2,1 Quadrata vero ligna fuisse referuntur, quo et facilius alterum alteri possit aptari et inundante diluvio totus aquarum prohiberetur incursus, cum intrinsecus et extrinsecus oblita bitumine iunctura muniretur. 1532 Vgl. auch die Varianten zur Textform I ex adverso und ex obliquo, Vulg. ex latere und LXX eök plagißvn. Auch Cl. M. Victorius hält sich an diese Überlieferung, vgl. aleth. 2,405 [...] ac lateri servetur ianua [...]. 1533 Vgl. ThlL 8 s.v. medius 588,17–19. 1534 Vgl. Soggin 1997, 132. 1535 Vgl. ThlL 6,2 s.v. gesto 1967,11–17 mit Belegen von Boethius und Cassiodor. 1536 Ein ursprüngliches gestans in karolingischer Minuskel, bei der das langgezogene s einem f ohne Querstrich ähnelt, könnte zu geptans verdorben worden sein, welches den Ausgangspunkt für giptans bzw. girptans bildete. 1537 Zu cum beim Ablativus qualitatis vgl. den Kommentar zu V. 10. 1538 Vgl. Hor. carm. 1,25,5–6 quae [scil. ianua] prius multum facilis movebat / cardines [...] und Iuv. 4,63 [...] facili patuerunt cardine valvae. 1539 Zu […] cardine postes vgl. Verg. Aen. 2,493, Prop. 4,8,49, Ov. am. 1,6,49, Val. Fl. 7,322, Hept. iud. 650, Claud. rapt. Pros. 3,147, Alc. Avit. carm. 4,422.

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Merkmalen, die die Perfektion der Arche zeigen und die der HD ab V. 258 aufzählt: So ragt die Arche bis in den Himmel, besteht aus Balken, die sich durch die Vierkantform perfekt aneinanderfügen, und ist flutbeständig. Dementsprechend kann Gott im folgenden Vers die Vollkommenheit des Werkes (perfecta) feststellen. V. 261 haec perfecta deus postquam despexit ab astris: Dieser Vers, in dem Gott sich von der Erledigung seiner Aufträge durch Noah überzeugt, knüpft offensichtlich an Vet. Lat. gen. 6,22 an, wo gesagt wird, dass Noah alles so ausführt, wie Gott es ihm aufgetragen hat. Durch despexit ab astris wird das Agieren des transzendenten Gottes von seiner himmlischen Warte aus betont1540, wobei ab astris ein häufig belegter Hexameterschluss ist1541. V. 262 talibus adfatur mittendum in aequora vatem: In V. 262–266a gibt der HD Vet. Lat. gen. 7,1 wieder und fasst die Redeeinleitung (S) et locutus est dominus ad Noe dicens knapp durch talibus adfatur1542 [...] vatem1543 zusammen. Durch die Erweiterung um das attributive Gerundiv1544 mittendum und die Wendung in aequora, die in der hexametrischen Dichtung sehr oft an der gleichen metrischen Position auftritt1545, wird der Eindruck erweckt, dass Noah auf eine Art Seereise geschickt werden soll. Diese Vorstellung wird in der Rede Gottes an Noah (V. 263–264 [...] fluentem / fluctibus in tumidis cumbam [...]) und beim Einsteigen Noahs in den Kasten (V. 284 [...] se credidit undis) wieder aufgegriffen. V. 263–264a „Scande citus, natique tui nataeque, fluentem / fluctibus in tumidis cumbam: In diesem Abschnitt verfolgt der HD Vet. Lat. gen. 7,1 weiter und gibt Gottes Aufforderung an Noah wieder ((I) intra tu et omnis domus tua in arcam). Den biblischen Imperativ intra ersetzt er durch scande, welches explizit für das Besteigen eines Schiffes stehen kann1546, und den Kasten (arcam) durch das poetische cumbam, welches sich meistens auf kleinere Boote bezieht, in Avien. Arat. 757 und orb. terr. 254 aber auf die Argo1547. Die cumba wird von Gott antizipatorisch als in den Fluten treibend bezeichnet, wobei die schwellenden Fluten (fluctibus in tumidis) ein gängiges poetisches Bild sind1548 und fluere hier in Verbindung mit dem etymologisch verwandten fluctibus die ungewöhnliche Bedeutung fluctuari1549 hat. Über die biblische Vorlage hinausgehend unter1540 Vgl. auch V. 156 […] caelo speculatus ab alto und den Kommentar zu diesem Vers. 1541 Vgl. die 37 Belege der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 26.06.2015). 1542 Zum Hexameterbeginn talibus adfatur vgl. auch Hept. exod. 10 sowie Ov. met. 14,807. 1543 Zur Verwendung des Begriffs vates für Noah vgl. den Kommentar zu V. 228. 1544 Der Gebrauch ist zunächst sehr beschränkt und findet sich mehr in nachklassischer und spätlateinischer Zeit, vgl. LHS 371 § 202 unter A. 1545 Vgl. die 42 Belege der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 25.06.2015). 1546 Vgl. OLD s.v. scando 1699 unter 2 b. 1547 Zur Schreibung cumba statt cymba in den Codices vgl. ThlL 4 s.v. cymba 1587,52–53 (Codex A hat cymbã), zur Bedeutung i.q. navicula, linter vgl. ebd. 1587,67–1588,20. 1548 Vgl. auch Verg. Aen. 5,125–126, Ov. met. 11,480–481, Germ. 63, Sen. Herc. f. 551, Lucan. 2,457, Homer. 170, Stat. Theb. 9,459, Ach. 2,147, Val. Fl. 4,726, Sil. 17,290 u.ö. 1549 Vgl. ThlL 6,1 s.v. fluo 971,26–27; vgl. auch Hept. gen. 294 arca fluens.

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streicht der HD den Aspekt der Eile durch citus, das im Sinne einer adverbialen Bestimmung verwendet ist1550 und in Verbindung mit scande einen schwungvoll wirkenden Choriambus vor der Trithemimeres bildet (scāndĕ cĭtūs); diese Eile wird auf metrischer Ebene durch die zahlreichen Enjambements veranschaulicht, die sich durch die gesamte Rede Gottes ziehen (V. 263–281)1551. Statt der zusammenfassenden Angabe (I) omnis domus tua nennt Gott beim HD die Söhne und Töchter, die Noah mit sich in die Arche nehmen soll (natique tui nataeque), und lehnt sich dabei an das Ende des ansonsten ausgelassenen Verses Vet. Lat. gen. 6,18 an, wo Gott im Zusammenhang mit den Bauanweisungen für die Arche auf das spätere Einsteigen Noahs und seiner Angehörigen hinweist ((E) introibis autem in arcam tu et filii tui et uxor tua et uxores filiorum tuorum). Dabei entspricht nati[...] tui dem biblischen filii tui, mit natae müssen die Ehefrauen der Söhne gemeint sein (uxores filiorum tuorum), also Noahs gleichsam an Tochters Statt angenommene Schwiegertöchter1552. Die Verwendung der episch-poetischen Junktur natique tui nataeque, die an Ov. met. 3,134 tot natas natosque [...] oder 6,302 exanimes inter natos natasque [...] erinnert und durch das wiederholte -que einen feierlich-archaisierenden Klang hat1553, hat für den HD offenbar den Vorrang vor der korrekten Verwendung von Verwandtschaftsbezeichnungen; denn die Bedeutung „Schwiegertochter“ lässt sich für nata anhand der einschlägigen Wörterbücher nicht belegen. Noahs Frau wird im Gegensatz zu Vet. Lat. gen. 6,18 nicht genannt, was insofern einleuchtend ist, als sie für die Begründung der neuen Menschengeneration nicht von Bedeutung ist. Aus diesem Grund erscheinen auch bei Avitus in diesem Kontext nur die Söhne und Schwiegertöchter zusammen mit Noah1554. Darüber hinaus scheint der HD, indem er die Ehefrauen der Söhne als Töchter Noahs bezeichnet und Noahs Frau unerwähnt lässt, ganz bewusst die Vater-Kind-Beziehung hervorzuheben und die Mann-Frau-Beziehung, die mit ehelicher Sexualität verbunden ist, auszublenden. Dies könnte der Stilisierung Noahs als quasi-priesterlicher Gestalt (vgl. V. 262 vatem) entsprechen und ist vielleicht vor dem Hintergrund von Überlegungen zu verstehen, wie sie in Ambr. Noe 21,76 anstellt werden: Die Beobachtung, dass beim Betreten der Arche die Geschlechter getrennt genannt werden (Noah, seine Söhne, seine Frau, die Frauen seiner Söhne), beim Verlassen der Arche dagegen gemischt (Noah, seine Frau, seine Söhne, 1550 Für diesen adverbialen Gebrauch nennt der ThlL 3 s.v. 1. citus 1209,47–74 fast ausschließlich poetische Belege. 1551 Nur V. 278/279 und 280/281 sind nicht durch Enjambement verbunden. Bisweilen alliterieren zusätzlich das letzte Wort des einen und das erste Wort des folgenden Verses, vgl. V. 263/264 fluentem / fluctibus, V. 266/267 coactas / claude, V. 273/274 solis / septima, V. 277/278 amnes / accipiens. 1552 Vgl. auch V. 285 (beim Einsteigen in die Arche) coniunctosque simul natos natasque recepit; anders Mar. Victor. aleth. 2,439 […] matrem natosque nurusque. 1553 Vgl. LHS 515 § 283 unter a. 1554 Vgl. Alc. Avit. carm. 4,188 Unius ob meritum natis nuribusque tuendis und 4,592 Curavit, natis pariter nuribusque vocatis sowie Ehlers 1985, 369 Anm. 40. Auch in Rufin. Orig. in gen. 2,1 wird Noahs Frau nicht erwähnt: […] quia fecit arcam Noe et introduxit animalia et filios et uxores eorum […].

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die Frauen seiner Söhne), wird dahingehend gedeutet, dass zur Zeit der Sintflut kein ehelicher Verkehr stattgefunden habe, da diese Freuden nicht zum allgemeinen Untergang gepasst hätten; erst beim Aussteigen aus der Arche sei der Verkehr wieder erlaubt gewesen aufgrund des göttlichen Vermehrungsauftrags. V. 264b–265a quia pectora vidi / iusta tibi: Hier übernimmt der HD fast wörtlich Vet. Lat. gen. 7,1 (I) quia te vidi iustum, womit die Rettung Noahs von Gott begründet wird. Indem er te durch pectora [...] tibi [scil. esse] ersetzt, betont er im Vergleich zu seiner Vorlage den Aspekt der gerechten inneren Haltung, während mit te vidi iustum auch die äußerlich sichtbaren Handlungen Noahs gemeint sein können. V. 265b–266a dudumque mihi tua nota voluntas / emeruit maiora praesentibus: In dieser Passage, die durch die u-Häufung klanglich hervorgehoben ist (dudumque mihi tua nota voluntas), geht der HD deutlich über Vet. Lat. gen. 7,1 hinaus. Zunächst wird in V. 265b, der sich in formaler Hinsicht möglicherweise an Verg. Aen. 12,808 (ista quidem quia nota mihi tua, magne, voluntas) orientiert, die Aussage (I) quia te vidi iustum amplifiziert: Noahs Gerechtigkeit wird zu einem guten Willen (voluntas)1555 hin abstrahiert, der hier als Liebe und Loyalität gegenüber Gott verstanden werden kann1556; diese innere Haltung hat Gott an Noah schon lange beobachtet (dudumque mihi [...] nota), so dass Noah eine Belohnung verdient hat (vgl. emeruit). Anknüpfungspunkt für V. 266a ist offensichtlich Vet. Lat. gen. 7,1 (I) in generatione ista, d.h. die Aussage, dass Gott Noah in seiner Generation gerecht gefunden hat. Der HD deutet dies so, dass Noah sich durch seine Gerechtigkeit vor dem verdorbenen Rest der Menschheit auszeichnet und daher Besseres verdient hat als seine Zeitgenossen, die in der Flut umkommen werden. Emerere maiora bedeutet wörtlich „Größeres bzw. größeren Lohn verdienen“1557, doch da der Rest der Menschheit nicht Lohn, sondern Strafe verdient hat, sollte maiora im positiv qualifizierenden Sinn von „Höheres, Besseres“ verstanden werden1558. Der Gedanke, dass Noah sich ein Verdienst bei Gott erworben hat bzw. seine eigene Rettung und die seines Hauses verdient hat, begegnet z. B. auch in Ambr. Noe 11,36 (itaque Noe iusti merito etiam domus eius in diluvio servatur) und Lact. inst. 2,10,11 ([...] et quis ob iustitiam meruerit genere humano pereunte servari [...]). Da praesentibus1559 hier offensichtlich die Zeitgenossen Noahs umschreibt (vgl. Vet. Lat. gen. 7,1 (I) in generatione ista), ist es 1555 Vgl. Forc. 4 s.v. voluntas 1034 mit der Definition Voluntas est facultas seu potentia, qua animus hominis bonum eligit atque amplectitur. Anders spricht Gott in Mar. Victor. aleth. 2,394 von seinem eigenen Willen, der Noah am Herzen liege: sed quia tu solus, cui cordi est nostra voluntas. 1556 Zu diesem Verständnis vgl. etwa Aug. civ. 12,9 Unde sine bona voluntate, hoc est Dei amore, numquam sanctos angelos fuisse credendum est. 1557 Zu emerere im Sinne von „eine Belohnung verdienen“ vgl. ThlL 5,2 s.v. emereo 471,78– 472,19. 1558 Zum Neutrum magnum/magna in der positiv qualifizierenden Bedeutung i.q. sublimis, semnoßw vgl. ThlL 8 s.v. magnus 135,53–73; vgl. etwa Lucan. 9,275 […] cur non maiora mereri / quam vitam veniamque libet?[…]. 1559 Der Diphthong ae ist hier kurz; zu dieser Erscheinung beim HD vgl. Peiper 1891, 344.

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hier nicht in gängiger Weise als Neutrum Plural in der Bedeutung „die Gegenwart, die gegenwärtigen Ereignisse“ aufzufassen1560, sondern als Maskulinum Plural zur Bezeichnung der gegenwärtig lebenden Menschen1561. V. 266b–268a atque coactas / claude simul pecudes omni de germine mites / septenis paribus: In relativ enger Anlehnung an den Bibeltext paraphrasiert der HD hier den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 7,2 ((E) a pecoribus autem mundis induces ad te (tecum) septem et septem). Mit pecudes knüpft er an pecoribus an und meint mit diesem Begriff offenbar nicht bloß Kleinvieh oder Landtiere, sondern Tiere im allgemeinen Sinn1562, da er die in Vet. Lat. gen. 7,3 genannten reinen und unreinen Vögel nicht eigens erwähnt. Simul nimmt Bezug auf ad te (tecum), septenis paribūs1563 auf septem et septem. Dass der Wortlaut des HD hier der Vulgata (septena (et) septena) näher steht, muss nicht bedeuteten, dass er ihr folgt, zumal sich auch in Rufin. Orig. in gen. 2,2 die Wendung paria septena für die sieben reinen Tierpaare findet und Cl. M. Victorius in aleth. 2,443–444 den Sachverhalt mit ähnlichen Worten umschreibt1564. Eine signifikante Abweichung von der biblischen Vorlage liegt bei mites vor, welches an die Stelle von mundis tritt, während in V. 268 bei inmundo de grege der biblische Wortlaut (Vet. Lat. gen. 7,2 (E) a pecoribus inmundis) erhalten bleibt. Diese Diskrepanz will Arevalo beseitigen, indem er statt mites mundo konjiziert, d.h. „Tiere von jeder reinen Gattung“, wobei wohl eher an mundas (bezogen auf pecudes) zu denken wäre. Allerdings handelt es sich im Kontext der reinen und unreinen Tiere bei mites wohl um die lectio difficilior und es ist daher unwahrscheinlich, dass ein ursprüngliches mundo bzw. mundas durch mites ersetzt wurde. Offenbar will der HD durch die bewusste Abwandlung seiner biblischen Vorlage eine Deutung liefern, d.h. „rein“ ist für ihn gleichbedeutend mit „zahm“1565 und „unrein“ folglich mit „wild“. Das ergibt insofern Sinn, als die Begriffe mundus und inmundus in Gen 7,2 in einem ganz allgemeinen Sinn eine Unterscheidung der Tiere „nach ihrer förderlichen oder nicht förderlichen Bedeutung für die Menschen“1566 oder auch nach ihrer Opferfähigkeit vornehmen1567, d.h. die zahmen Nutztiere sind rein, weil sie vom Menschen gegessen und als Opfer dargebracht werden dürfen, was für die wilden Tiere zumindest nicht in diesem Maße gilt. Die Erweiterung des Bibeltextes um die Angabe omni de germine1568 könnte ein Anklang an den ansonsten ausgelassenen Vers 1560 Vgl. ThlL 10,2 s.v. praesens 847,73–848,10. 1561 Für diese Verwendung nennt der ThlL ebd. 846,61–63 nur die Belege Vet. Lat. IV Esdr. 8,46 und Petr. Chrys. serm. 2,5. 1562 Vgl. ThlL 10,1 s.v. 2. pecus 959,9–30. Auch im masoretischen Text sind hier Tiere „in allgemeinem, umfassendem Sinn“ gemeint, die Vögel sind erst nachträglich aus Gründen der Genauigkeit hinzugefügt worden (vgl. Westermann 1986, 87). 1563 Zur häufigen Dehnung von Endsilben, hier insbesondere unter dem Einfluss der Penthemimeres, vgl. Peiper 1891, 345. 1564 Vgl. Mar. Victor. aleth. 2,443–444 per sexum septena, deus quae munda probavit, / bina pari [...]. 1565 Zu mitis in Bezug auf zahme Nutztiere vgl. ThlL 8 s.v. mitis 1154,82–1155,7. 1566 Vgl. Westermann 1986, 87. 1567 Vgl. Soggin 1997, 214. 1568 De mit Ablativ verdrängt in späterer Zeit den Genitivus partitivus, vgl. LHS 261 § 146.

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Vet. Lat. gen. 6,19 sein ((K) ex omnibus bestiis ex omni carne duo induces in arcam), wo Gott im Zusammenhang mit den Bauanweisungen für die Arche bereits auf die mitzunehmenden Tiere eingeht. Mit germine muss hier die „Abstammung“ der Tiere im Sinne ihrer Gattung bzw. Rasse gemeint sein, eine Wortbedeutung, für die der ThlL nur auf Menschen bezogene Belege anführt1569. Eine kleine Amplifikation des Bibeltextes stellt auch der Ersatz von (E) induces durch coactas / claude dar, denn durch diese Ausdrücke aus der Viehzucht und Hirtensprache1570 gewinnt die Darstellung an Realitätsnähe. V. 268b–269a inmundo de grege bina / esse sines tecum: Wörtliche Anklänge an das Ende von Vet. Lat. gen. 7,2 ((E) et a pecoribus inmundis bina et bina (bina)) liegen bei inmundo und bina vor. Letzteres kann im Sinne von zwei Paaren verstanden werden, wenn gemäß V. 268a (septenis paribus) das Wort paria ergänzt wird; nicht auszuschließen ist ferner, dass der HD die Variante bina1571 in seinem Bibeltext vorfand und zwei Stück von jeder Sorte, also je ein Paar, meint, was etwa in Mar. Victor. aleth. 2,444 der Fall ist ([...] immundi generis sed singula sexu). Mit inmundo de grege1572 werden die unreinen Tiere zusammengefasst, wobei der Begriff grex hier nicht eine Herde im engeren Sinne bezeichnet wie etwa eine Schafherde, sondern allgemeiner eine Menge von Tieren1573. Durch esse sines tecūm|1574 nimmt der HD eine subtile Wertung vor, die im Bibeltext nicht enthalten ist, denn während die zahmen = reinen Tiere von Noah zusammengetrieben und eingeschlossen werden sollen (V. 266b–267) und somit eine besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge verdienen, soll die Anwesenheit der unreinen lediglich gestattet werden (esse sines). Die imperativisch verwendete Futurform sines entspricht formal Vet. Lat. gen. 7,2 (E) induces; diese Verwendung des Futurs findet sich im Spätlateinischen und so auch beim HD öfters1575.

1569 Vgl. ThlL 6,2 s.v. germen 1924,32–48 mit christlichen Belegen. 1570 Zu cogere für das Zusammentreiben von Vieh durch Viehzüchter und Hirten vgl. ThlL 3 s.v. cogo 1520,83–1521,5, zu claudere für das Einschließen von Tieren in Ställen u.ä. vgl. ThlL 3 s.v. claudo 1308,49–70. 1571 Es ist fraglich, ob diese Variante Bibeltext ist; sie ist bezeugt durch Rufin in einer textkritischen Variante, Hier. und Aug. und entspricht dem masoretischen Text (vgl. Fischer 1951, 112 und 545). Zu der nicht ganz klaren Verständlichkeit des masoretischen Textes in Gen. 7,2–3 (Einzeltiere oder Paare) vgl. Westermann 1976, 575. 1572 Ähnlich Manil. 5,125 immundosque greges agitant per sordida rura, womit Schweine gemeint sind. Zu dem beim HD häufiger auftretenden Hexameterschluss de grege –x (ebenso Hept. gen. 410, 486, lev. 176) vgl. insbesondere den prominenten Vers Hor. epist. 1,4,16 […] Epicuri de grege porcum. 1573 Vgl. ThlL 6,2 s.v. grex 2330,47–51. 1574 Der Hiat nach tecum ist offensichtlich durch die Penthemimeres bedingt, der hier eine inhaltlich gliedernde Funktion zukommt; vgl. auch Hept. gen. 1029 Iordanemque tuūm| humili transmittere gressu. Eine weniger einleuchtende metrische Analyse, die die inhaltliche Strukturierung durch die Penthemimeres ignoriert, bietet die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 01.05.2015): Ēssĕ sĭnēs tēc(um) ͜ ēscāmquē| hīs ōmnĭbŭs īnfers. 1575 Vgl. LHS 311 § 174 unter b α; teilweise handelt es sich um Hebraismen der Übersetzungsliteratur. Vgl. auch Hept. exod. 954 non credes narrata tibi […] und 964 munera non sumes […].

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V. 269b–270a escamque his omnibus infers / atque tibi suetam: Hier baut der HD Vet. Lat. gen. 6,21 ein, welchen Vers er im Zusammenhang mit den Bauanweisungen in Gottes erster Rede an Noah weggelassen hat. Er knüpft mit escam wörtlich an seine Vorlage an ((I) escis), strafft aber die umständlich wirkende, redundante biblische Darstellung, indem er die Aufforderungen (I) tu autem accipe tibi ipsi und congregabis ad temetipsum in Gestalt des imperativisch verwendeten Indikativs Präsens infers1576 zusammenfasst und die Informationen (I) ab omnibus escis quae eduntur und erunt tibi et ipsis ad edendum auf den Aspekt der gewohnten Nahrung zuspitzt (escam[...] his omnibus [...] atque tibi suetam). V. 270b–271a ne, cum per vasta fluenta / cultio destiterit: Bei V. 270b–273a (salsa famem) handelt es sich um eine eigenständige Erweiterung von Vet. Lat. gen. 6,21. Der mit ne eingeleitete Finalsatz und der von ihm abhängige temporale cum-Satz mit dem Futur II destiterit begründen Gottes Anweisung, Nahrung an Bord zu nehmen, und zeigen seine große Fürsorge für Noahs Wohl. Durch das Stichwort cultiŏ1577 wird klar, dass die Menschen sich in dieser Phase noch von rein pflanzlicher Nahrung ernähren, d.h. es wird der Gedanke ausgeschlossen, dass Noah und seine Angehörigen sich im Falle des Hungers von den mitgenommenen Tieren ernähren könnten; erst nach der Sintflut wird den Menschen in Gen 9,3 Fleischnahrung erlaubt. Per vasta fluenta liefert eine Begründung für das Aufhören (vgl. destiterit)1578 des Ackerbaus und findet sich in ähnlicher Form bereits in V. 245 (vastis mersare fluentis); geläufiger ist in der Poesie die Verbindung von vastus mit fluctus1579. V. 271b–273a pariter patiare molestam / provisis non ante cibis per glauca vehendus / salsa famem: Mit pariter patiare molestam [...] famem wird der finale ne-Satz (V. 270b) fortgeführt. Pariter lässt sich hier in der abgeschwächten Bedeutung i.q. etiam, quoque, praeterea auffassen, die überwiegend in der Dichtung belegt ist1580, d.h. zusätzlich zu den Beschwerlichkeiten der Sintflut müsste Noah obendrein noch Hunger leiden. Auffallend ist das sich über drei Verse erstreckende Hyperbaton molestam1581 [...] famem, durch welches eine syntaktische Spannung erzeugt wird, die durch famem unmittelbar vor der Trithemimeres in V. 273 endet. Denkbar ist, dass der HD durch dieses Stilmittel die lange Qual des Hun-

1576 Im christlichen und insbesondere biblischen Latein steht der Indikativ öfters anstelle des Imperativs, vgl. Rönsch 1875, 294 mit Belegen aus der Vetus Latina für adfers statt adfer und offers statt offer und Koffmane 1879ff, 123, demzufolge die Form fers für fer in den patristischen Schriften die häufigere ist. 1577 Zur Kürzung langer Endsilben beim HD vgl. Peiper 1891, 344; ebenso Hept. iud. 73 cultiŏ. In ThlL 4 s.v. cultio 1317,63–67 unter i.q. agricultura finden sich nur wenige Belege von Cicero und aus christlicher Zeit. 1578 Zum absoluten Gebrauch von desistere vgl. ThlL 5,1 s.v. desisto 731,25–36 mit Belegen ab Lukrez, überwiegend aber aus der späteren Latinität. 1579 Vgl. etwa Verg. Aen. 1,86.333; 3,421–422, Sen. Tro. 649–650, Val. Fl. 8,382, Stat. silv. 3,2,129–130, Hept. exod. 523. 1580 Vgl. ThlL 10,1 s.v. par/pariter 284,78–285,8 mit Belegen ab Vergil. 1581 Bei molestam handelt es sich um eine sinnvolle Verbesserung der einhelligen Überlieferung molesta durch Mayor.

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gers unterstreichen will, die Noah ohne Nahrungsvorräte drohen würde1582. Zwischen molestam und famem sind die adverbialen Ergänzungen provisis non ante cibis und per glauca vehendus / salsa eingeschoben, die beide ein wenig redundant wirken, da von der vorsorglichen Beschaffung von Nahrung und von der Fahrt auf dem Wasser bereits in V. 269b–270a bzw. V. 263–264 die Rede gewesen ist. Durch diese Amplifikation und den doppelt ausgedrückten Aspekt der Vorsorge in provisis non ante cibis wird Gottes fürsorgliche Haltung gegenüber Noah besonders betont und Noah die Notwendigkeit einer Vorbereitung nachdrücklich bewusst gemacht, bevor Gott ihm in V. 273b–281 seinen Vernichtungsplan enthüllt. Das Gerundiv vehendus steht offenbar im Sinne eines medialen Partizips Präsens zum mediopassiven Verbum vehi ähnlich wie in Ov. am. 3,2,10 (insistam forti mente vehendus equis) oder auch Enn. ann. 545 Sk. (= 531 V. Clamor ad caelum volvendus per aethera vagit)1583. Ungewöhnlich ist die Junktur glauca [...] salsa, denn es stellt sich die Frage, welches der beiden Adjektive, die beide als nähere Bestimmungen des Meeres vorkommen1584, das Attribut und welches das (substantivierte) Bezugswort ist. Mayor und der ThlL sehen glauca als Attribut und salsa als Substantiv an1585, wobei dieses in der Bedeutung von „Salzflut, Meer“ sonst nicht vorkommt, sondern nur im Sinne von gesalzenen Dingen bzw. Speisen1586. Für diese Auffassung spricht die ebenfalls attributive Verwendung von glaucus in Hept. exod. 761 (glauca [...] marmora) und Ios. 411 ([...] marmora glauca), wo das Meer durch das übertragen verwendete Substantiv marmora (d.h. die wie Marmor glänzende Meeresfläche) umschrieben wird; ähnlich steht dann salsa in V. 273a übertragen für das salzhaltige Meer, wie dies bei sal in der Dichtung gängig ist1587. Eine Übersetzung mit „durch das salzige Grünblau“ ist freilich auch nicht unmöglich, denn die Substantivierung des Farbadjektivs glauca könnte mit caerula verglichen werden, welches substantiviert ebenfalls die Bläue des Meeres bezeichnen kann1588. V. 273b–274a nam clara polo cum lumina solis / septima prodierint: In V. 273b–281 gestaltet der HD Vet. Lat. gen. 7,4 aus, wobei er durch die kausale Anküpfung mit nam der Vetus-Latina-Textform A nahesteht (adhuc enim septem dies gegenüber (S) post septem dies). Die biblische Zeitangabe der sieben Tage 1582 In Mar. Victor. aleth. 2,415–417 betont Gott dagegen, dass er selbst dafür sorgen werde, dass die Vorräte den Passagieren der Arche nicht ausgehen. 1583 Vgl. hierzu Norberg 1943, 199, der darauf hinweist, dass das Gerundiv offensichtlich von Anfang an gleichbedeutend mit einem medialen Partizip Präsens gebraucht werden konnte; so sind die Adjektive secundus („folgend“) und oriundus („abstammend“) alte Gerundiva der medialen Verben sequor und orior. 1584 Zu glaucus vgl. ThlL 6,2 s.v. 1. glaucus 2039,40–59, zu salsus vgl. etwa Enn. ann. 453 Sk. (= 142 V.) mare salsum, Catull. 64,6 und Verg. Aen. 5,158 vada salsa, Verg. Aen. 5,182.237–238 salsos [...] fluctus. 1585 Vgl. Mayor 1889, 16 sowie ThlL 6,2 s.v. 1. glaucus 2039,45–46 (Hept. gen. 272 wird hier unter poetischen Belegen genannt, bei denen glaucus immer als Attribut zu einem Substantiv auftritt). 1586 Vgl. Georges 2 s.v. salsus 2464 unter I 1 (am Ende). 1587 Vgl. OLD s.v. sal 1680 unter 4. 1588 Vgl. ThlL 3 s.v. caeruleus, caerulus 107,27–44.

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bis zur Sintflut amplifiziert er durch eine poetische Periphrase, die klanglich durch die Wiederholung gleicher Vokale in der Folge a-o-u auffällt (nam clara polo cum lumina); ferner findet sich eine über die Versgrenze hinausgezogene sAlliteration in solis / septima. Während die Form prodierint, bei der es sich um ein Futur II in Bezug auf die geplante Vernichtung (vgl. 276 paro) handelt, in der Dichtung sonst nur in Ov. ars 3,171 belegt zu sein scheint1589, liegt bei dem Hexameterschluss lumina solis1590, bei der Junktur clara […] lumina1591 und bei polus in der Bedeutung i.q. caelum1592 gängiges poetisches Vokabular vor. Septima sollte prädikativ aufgefasst werden im Sinne des Adverbs septimum („zum siebten Mal“), wie auch in Hept. gen. 306–307 (cumque recurrentis fulgerent septima solis / lumina [...]) und exod. 950–951 ([...] sol postquam septimus altum / est permensus iter [...])1593. Ähnliche poetische Periphrasen für den Tagesanbruch mit der Ordinalzahl septimus in prädikativer Verwendung begegnen in Stat. Theb. 3,440–441 (septima iam nitidum terris Aurora deisque / purpureo vehit ore diem [...]) und 12,563–564 (septima iam surgens trepidis Aurora iacentes / aversatur equis [...]). V. 274b–275a totos defundere nimbos / cardine ab aetherio: Auch an dieser Stelle folgt der HD ganz offensichtlich der Vetus-Latina-Textform A, nach der in Übereinstimmung mit LXX und Vulgata ein Regen die Flut herbeiführen soll (vgl. Vet. Lat. gen. 7,4 (A) ego inducam pluviam super terram, gegen (S) inducam diluvium aquae). Die schlichte biblische Wendung inducam pluviam überführt der HD in das anschauliche Bild, dass Gott sämtliche Regenschauer vom Himmel herabgießt (totos1594 defundere nimbos). Ähnliche Bilder finden sich in Ov. met. in Bezug auf die große Flut (1,261 [...] et ex omni nimbos demittere caelo und 1,269 [...] hinc densi funduntur ab aethere nimbi) sowie in Alc. Avit. carm. 3,329, wo die Folgen der Vertreibung aus dem Paradies geschildert werden (Grandineos pavidis fuderunt nubila nimbos); ein ähnlicher Hexameterschluss begegnet in Mart. 7,36,3 (effundere nimbos)1595. Peipers Entscheidung für defundere gemäß Codex A (deffundere) und gegen das in CG überlieferte diffundere1596 ist aus zwei Gründen plausibel: Zum einen wird durch die lokale Angabe cardine ab aetherio klar, dass ein Herabgießen des Regens gemeint ist und nicht eine Ausbreitung nach allen Seiten hin (diffundere), und dementsprechend findet sich 1589 Vgl. Ov. ars 3,171 cum tot prodierint pretio leviore colores; hier ist prodierint allerdings Konjunktiv Perfekt. 1590 Vgl. den Kommentar zu V. 51b. 1591 Vgl. etwa Lucr. 1,144; 4,824, Ov. epist. 16,207–208, met. 2,110, Verg. georg. 1,5–6 (clarissima […] lumina), Sedul. carm. pasch. 1,250. 1592 Vgl. ThlL 10,1 s.v. polus 2571,44–2572,12 mit zahlreichen poetischen Belegen. 1593 Einen derartigen Gebrauch der Ordinalzahl belegt der ThlL für primus, das in Dichtung und späterer Zeit prädikativ im Sinne des Adverbs primum bzw. primo auftreten kann, vgl. ThlL 10,2 s.v. prior/primus 1348,49–69. 1594 Zur spätlateinischen Verwendung von toti als Synonym für omnes vgl. den Kommentar zu V. 22. 1595 Hier sollen allerdings Dachziegel Regengüsse vom Haus ablaufen lassen. 1596 Vgl. Peiper 1891, XXX.

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defundere noch häufiger in poetischen Kontexten, in denen es um Regen geht1597, zum anderen werden defundere und diffundere in den Handschriften oft verwechselt1598. Cardine ab aetherio erinnert formal an Hexameteranfänge wie Lucan. 4,672 cardine ab occiduo oder auch Paul. Nol. carm. 32,181 axe sub aetherio und bezeichnet hier den nördlichen Himmelspol bzw. den höchsten Punkt des Himmels1599, von dem aus das Wasser herabströmt, als Kontrast zu den in V. 275b genannten Quellen, die aus der Tiefe der Erde kommen. Geläufiger als cardo aetherius1600 ist in der Poesie die Junktur axis aetherius1601. V. 275b–276a cunctosque evolvere fontes / adlapsu maiore paro: Von den Quellen ist erst in Vet. Lat. gen. 7,11 beim Ausbruch der Sintflut die Rede ((E) et erupti sunt omnes fontes abyssi); in diesem Kontext werden sie vom HD auch in V. 288 erwähnt. Im Zusammenhang mit Vet. Lat. gen. 7,4 dient der Hinweis auf die Quellen zusätzlich zu den Regengüssen der Amplifikation und Dramatisierung, denn das Verderben bringende Wasser kommt nun gleichzeitig von oben und von unten. Diese Vorstellung wird durch die in syntaktischer und metrischer Hinsicht parallele Konstruktion von V. 274 und 275 ab der Penthemimeres unterstrichen, vgl. V. 274 [...] tōtōs dēfūndĕrĕ nīmbos und V. 275 [...] cūnctōsqu(e) ēvōlvĕrĕ fōntes. Evolvere findet sich in der Bedeutung i.q. provolvere, effundere in Bezug auf Gewässer ab Vergil1602, z. B. auch in Hept. exod. 996 ([...] evolvit nectaris undas [scil. terra]). Adlapsus bezeichnet bei Gewässern wörtlich das Heranfließen, Herausfließen bzw. Hervorsprudeln1603 und ist in Verbindung mit maiore am besten auf die Geschwindigkeit bzw. Menge des ausströmenden Quellwassers zu beziehen. V. 276b–277a quo grandior undis / aestuet oceanus spumosis: Vollkommen über Vet. Lat. gen. 7,4 hinausgehend veranschaulicht der HD in dem mit quo eingeleiteten Finalsatz in V. 276b–278 die Auswirkungen des Regens und des stärkeren Ausströmens der Quellen, nämlich den Anstieg des Meeresspiegels durch das Anschwellen der ins Meer mündenden Flüsse (V. 276b–278 quo grandior undis … accipiens), das Hinaustreten des Meeres über die Ufer (V. 278 fusoque [...] tractu) und damit verbunden die Schlammablagerungen auf dem Land (V. 278 oblimans omnia)1604. Der Hexameterbeginn aestuet oceanus begegnet auch in Avien. orb. terr. 736 sowie im Indikativ in Hept. exod. 1030 (aestuat oceanus), 1597 Vgl. etwa Stat. Theb. 1,352 defunditque imbres [...] [scil. Auster], Lucan. 4,81–82 [...] raptosque ad nubila fluctus / pertulit et caelo defusum reddidit aequor [scil. arcus]. 1598 Vgl. ThlL 5,1 s.v. diffundo 1107,32–33. 1599 Zu cardo, insbesondere in Verbindung mit summus und superus, im Sinne von the highest part of the sky, the zenith vgl. OLD s.v. cardo 276 unter 4 b. 1600 Sonst offenbar nur in Opt. Porf. carm. 8,22. 1601 Vgl. etwa Ov. met. 6,175, fast. 3,368, trist. 1,2,46, Stat. Theb. 8,43, Paul. Nol. carm. 32,181, Prud. c. Symm. 1,144. 1602 Vgl. ThlL 5,2 s.v. evolvo 1067,24–40. 1603 Vgl. Blaise s.v. adlapsus 53. Zu Belegen für adlapsus in Bezug auf Flüsse vgl. ThlL 1 s.v. allapsus 1660,26–32. 1604 Diese veranschaulichende Anreicherung der biblischen Vorlage um das Ansteigen der Flüsse und des Meeresspiegels wird in Mar. Victor. aleth. 2,474–481 hyperbolisch ausgebaut, vgl. Arweiler 1999, 228.

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die Junktur undis [...] spumosis1605 findet sich bereits in Ov. met. 1,570 ([…] spumosis volvitur undis) sowie im Singular in Verg. Aen. 6,174 ([…] spumosa immerserat unda), und die Kombination eines Komparativs im Nominativ (grandior) mit undis am Hexameterende ist in der Dichtung vor dem HD geläufig1606. V. 277b–278 largius amnes / accipiens fusoque oblimans omnia tractu: Durch largius amnes / accipiens wird der Anstieg der Wellenhöhe des Meeres mit der reichlicheren Wasserzufuhr durch die ins Meer fließenden Flüsse erklärt, welche wiederum durch die stärker strömenden Quellen (V. 275b–276a) mehr Wasser führen. Durch die Verbindung des Participium coniunctum oblimans (omnia) mit dem ihm untergeordneten Ablativus absolutus fuso [...] tractu gelingt es dem HD, in knapper Form die Begleitumstände des ansteigenden Meeresspiegels anzudeuten, nämlich die Schlammablagerung auf dem Festland durch dessen Überflutung1607. Das medial-reflexive Verbum fundi bezeichnet häufiger das SichErgießen bzw. Über-die-Ufer-Treten von Meer und Flüssen1608. Der HD verbindet fuso aber nicht in üblicher Weise mit einem Substantiv, welches das Wasser selbst bezeichnet, sondern mit tractu, das sich hier in erster Linie auf die Strömung des Ozeans beziehen dürfte1609, aber auch die weite Erstreckung des Meeres meinen könnte; in dieser Bedeutung verwendet Lukan tractus für das lange SichHinziehen von Wellenbergen des Meeres (5,565–566 [...] longo per multa volumina tractu / aestuat unda minax [...]) und für den langen Flusslauf des Nils (10,257 aequoreos sales longo mitescere tractu)1610. Der Gedanke an den in den Fluten mitgeführten Schlamm, der sich auf dem Land absetzt, scheint im Kontext der Sintflutankündigung zunächst nicht nahezuliegen, da der Schlamm ja erst am Ende der Flut nach dem Ablaufen des Wassers sichtbar wird1611; er könnte hier die Funktion einer Steigerung haben, indem das Land nicht nur unter dem Wasser, sondern zusätzlich unter dem Schlamm begraben wird. V. 279 namque quater denis iuncta cum nocte diebus: Nach den Erweiterungen seiner biblischen Vorlage folgt der HD nun genau Vet. Lat. gen. 7,4 (S) per dies quadraginta totidemque noctes. Die Umschreibung der Zahl vierzig durch quater denis findet sich beim HD und auch sonst in der hexametrischen 1605 Das einhellig überlieferte spumosis kann sinnvoll beibehalten werden (vgl. auch Luthardt 1891, 425), Arevalos Emendation spumosos (scil. amnes), die Peiper übernimmt, ist daher nicht nötig. 1606 Vgl. etwa Verg. Aen. 8,726 [...] mollior undis, Ov. epist. 3,133 […] ferocior undis, met. 13,799 […] fallacior undis, Lucan. 6,362 [...] fortior undis, Stat. Theb. 9,493 [...] amicior undis, Sil. 1,606 [...] ditior undis. 1607 Zur gleichzeitigen Auffassung des Partizips Perfekt Passiv beim Ablativus absolutus vgl. KS II,1,758–759 § 136 unter α, insbesondere bei Livius und Tacitus zur Bezeichnung begleitender Nebenumstände. 1608 Vgl. ThlL 6,1 s.v. 2. fundo/fundi 1571,32–46 mit Belegen ab Manilius. 1609 Vgl. bereits V. 10 […] validis cum tractibus amnes in Bezug auf die Strömung der Flüsse. 1610 Vgl. Forc. 4 s.v. tractus 761 unter I f [...] Sic de longo aquarum cursu. Eine mögliche Übersetzung für fuso [...] tractu wäre dann „indem es sich in seiner (ganzen) Ausdehnung ergießt“. 1611 Vgl. etwa die Erwähnung des Schlamms in den Baumkronen am Ende der großen Flut in Ov. met. 1,346–347.

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Dichtung mehrfach an der gleichen metrischen Position1612; der Ablativ der Zeitdauer quater denis [...] diebus tritt wie in V. 228 (sexies […] centum […] vixerat annis) an die Stelle des Akkusativs1613. Die Umschreibung des biblischen totidemque noctes durch iuncta cum nocte ist mit Ov. met. 11,96 per bis quinque dies et iunctas ordine noctes vergleichbar, wo auch eine ununterbrochene Aufeinanderfolge mehrerer Tage und Nächte gemeint ist1614. V. 280 grandine perpetua nubes complebo madentes: Der über die biblische Vorlage hinaus erwähnte Hagel (grandine) scheint nicht in den Zusammenhang zu passen: Zweck des vierzigtägigen Regens ist die Überschwemmung, in der alles Leben ertrinken soll (vgl. V. 281), während der zusätzliche Hagel, den Gott in die Regenwolken füllen will (nubes complebŏ1615 madentes), zur Überschwemmung nichts beiträgt. Mit Blick auf biblische Passagen, in denen Hagel als Strafgericht Gottes auftritt und Pflanzen, Tiere und Menschen zerschlägt1616, könnte der HD jedoch durch die Einführung des Hagels die Absicht verfolgen, den Strafcharakter der Sintflut herauszuarbeiten. V. 281 ut, quidquid vivit, tumidis mergatur in undis“: In diesem Vers, der durch die Häufung des Vokals i auffällt, bezieht sich der HD auf das Ende von Vet. Lat. gen. 7,4, wo Gott seine Rede an Noah mit den folgenden Worten beschließt: (S) et deleam omnem generationem quam feci a facie terrae // (I) et delebo omnem resurrectionem carnis a facie terrae. Über die biblische Vorlage hinausgehend verdeutlicht der HD durch tumidis mergatur in undis die Art der Vernichtung, wobei er sich bei tumidis [...] undis1617 einer gängigen poetischen Junktur bedient und mit mergatur in undis den geläufigen Hexameterschluss mergitur undis abwandelt1618. Quidquid vivit entspricht inhaltlich gesehen (S) omnem generationem quam feci bzw. (I) omnem resurrectionem carnis und könnte von dem ansonsten ausgelassenen Vers Vet. Lat. gen. 6,17 inspiriert sein, wonach Gott alles Fleisch, das Lebensatem in sich hat, zu töten beschließt ((P) et interficiam omnem carnem in qua est spiritus vitae sub caelo). Die gleiche Wendung benutzt Cl. M. Victorius in aleth. 2,392 ([…] et quicquid vivere iussi) in Gottes erster Rede an Noah. V. 282–283a haec ubi dicta, fiunt domini mandata volente / festinoque sene: Durch fiunt […] mandata und domini knüpft der HD recht eng an Vet. Lat. gen. 7,5 ((I) et fecit omnia Noe quae mandavit ei dominus deus) an. Durch die

1612 Vgl. Hept. gen. 289, exod. 1068, iud. 370, Sedul. carm. pasch. 2,175, Ps. Prosp. carm. de prov. 540, Alc. Avit. carm. 4,524 (ebenfalls im Kontext der Sintflut), 5,450, Arator act. 1,21. 1613 Vgl. den Kommentar zu V. 228. 1614 Zu dieser Bedeutung von iungo vgl. OLD s.v. iungo 982 unter 10; zum Hexameterschluss nocte diebus vgl. auch Manil. 2,427. 1615 Zur Kürzung langer Endsilben beim HD vgl. Peiper 1891, 344. 1616 Vgl. Haag 1968 s.v. „Hagel“ 655 mit Belegen, insbesondere Ex 9,13–35, Ps 77(78),47 und 104(105),32, Jos 10,11, Sir 46,5, Hag 2,17, Ez 13,11.13; 38,22, Offb 8,7; 11,19; 16,21. 1617 Vgl. etwa Ov. fast. 3,595, Ib. 275, trist. 1,5,77, Lucan. 1,370, Val. Fl. 8,13, Sil. 10,319, Stat. silv. 2,2,21, Theb. 9,315, Mart. 14,181,1 u.ö. 1618 Die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 26.06.2015) nennt 12 Belege.

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Umwandlung des aktiven biblischen Satzes ins Passiv (fĭunt)1619 kann der Leser sich an die Schöpfungsgeschichte erinnert fühlen, in der Gottes Befehle und ihre prompte Wirkung auch mehrfach mit Formen von fieri ausgedrückt werden1620. Der Aspekt der unverzüglichen Ausführung von Gottes Wort (domini mandata)1621 wird ferner hervorgehoben durch den temporalen Nebensatz haec ubi dicta [scil. sunt]1622, die unmittelbare Nebeneinanderstellung von dicta und fiunt und den präpositionslosen Ablativ des Urhebers volente / festinoque senē1623. Die Adjektive volente und festino sind in erster Linie prädikativ auf die bereitwillige und eilige Art der Ausführung zu beziehen, lassen sich aber ggf. auch attributiv auf Noahs Charakter beziehen, der gutwillig ist (vgl. V. 265 [...] dudumque mihi tua nota voluntas) und eifrig im Dienst für Gott1624. V. 283b–284 longo qui nobilis aevo, / sescentos agitans annos, se credidit undis: Sescentos agitans annos nimmt Bezug auf den Beginn von Vet. Lat. gen. 7,6 (I) et erat Noe annorum sexcentorum und ist daher wohl im Sinne von sescentesimum annum agens aufzufassen, d.h. als Altersangabe und nicht als Angabe eines verbrachten Zeitraums1625. Diese Altersangabe hat beim HD weniger die Funktion, den Eintritt der Sintflut zu datieren1626, als vielmehr zu betonen, dass Noah sich trotz seines so hohen Alters auf die „Seefahrt“ in der Arche einlässt, weil Gott es so befiehlt. Daher werden die 600 Lebensjahre Noahs nicht einfach nur konstatiert wie in der Bibel, sondern besonders hervorgehoben, indem sene (V. 283a) und longo qui nobilis aevo als vorbereitende Hinweise vorausgeschickt werden. Nobilis steht hier wie in V. 223 in der Bedeutung „herausragend“ mit einem Ablativus causae1627, wobei longo [...] aevo in der hexametrischen Dichtung häufig an der gleichen metrischen Position vorkommt1628. Mit dem Versschluss se credidit undis wird bereits das Einsteigen in die Arche ins Auge ge1619 Zur Kürzung des ī in Formen von fieri vgl. Peiper 1891, 345 sowie den Kommentar zu V. 6. Fĭunt findet sich in der hexametrischen Dichtung auch in Carm. adv. Marc. 2,229, Hept. gen. 483, exod. 395, 1283, num. 146, 460 und 485. 1620 Meistens in Gestalt von fiat bzw. fiant und sic est factum bzw. factum est sic, vgl. Vet. Lat. gen. 1,3.6.9.11.14.15.20.24. 1621 An der gleichen metrischen Position in Carm. de Sod. 29, Carm. de resurr. 71 und Hept. gen. 770. Vgl. auch dei mandata in V. 250. 1622 Haec ubi dicta [scil. sunt] bzw. haec ubi dicta dedit steht in der hexametrischen Dichtung häufig am Versbeginn, insbesondere bei Vergil (12-mal) und Juvencus (8-mal), vgl. die Belege der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 08.07.2015). 1623 Zur häufigen Dehnung des kurzen Endvokals -e beim HD, hier unter dem Einfluss der Penthemimeres, vgl. Peiper 1891, 345; zum präpositionslosen Ablativ des Urhebers bei Personen in der Dichtung und späteren Prosa vgl. KS II,1, 378 § 80 Anm. 7. 1624 Zu festinus im Sinne von „eifrig“ vgl. ThlL 6,1 s.v. festinus 621,43–55 unter 1 a i.q. alacer, celer, velox (Hervorhebung von mir, H.S.) und 622,51, wo als Synonym volens angegeben ist. Festinus tritt beim HD insgesamt 12-mal auf, was der Häufung dieses Adjektivs in späterer Zeit entspricht, vgl. den Hinweis ebd. 621,41–42. 1625 In eben diesem Sinne fasst aber der ThlL die Stelle auf, vgl. ThlL 1 s.v. agito 1338,18. 1626 So aber in der Bibel, vgl. Seebass 1996, 214. 1627 Vgl. den Kommentar zu V. 223–224a. 1628 Vgl. etwa Ov. am. 1,13,35, met. 3,445; 15,306, Lucan. 2,344, Sil. 3,8.593; 6,546; 12,391; 13,129 u.a.

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fasst, das zu Beginn von Vet. Lat. gen. 7,7 genannt wird ((I) ingressus est autem Noe [...] in arcam). Denkbar ist, dass der HD hier auf Claud. rapt. Pros. 1 praef. 5 anspielt (tranquillis primum trepidus se credidit undis)1629, wo metaphorisch auf die Anfänge der Seefahrt Bezug genommen wird: Derjenige, der das Schiff erfand und als erster das Meer befuhr, vertraute sich zuerst noch ängstlich der ruhigen See an und hielt sich in Küstennähe, bevor er zunehmend wagemutiger wurde. Auch der Erbauer der Arche kann in gewisser Weise als Erfinder des Schiffes angesehen werden, zumal die Arche in V. 264 als Kahn (cumbam) bezeichnet worden ist. Doch im Gegensatz zu dem bei Claudian erwähnten ersten Seefahrer wird Noah von Gott zugemutet, gleich auf angeschwollenen Fluten zu fahren (V. 264 fluctibus in tumidis). Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Noah seine Fahrt nicht furchtsam beginnt, sondern voll Vertrauen auf Gott (vgl. V. 286 confisus). Vor diesem Hintergrund kann bei se credidit auch die religiöse Bedeutungsdimension von credere („glauben“) mitgehört werden. V. 285 coniunctosque simul natos natasque recepit: Während Vet. Lat. gen. 7,7 zufolge nach Noah seine Söhne, seine Frau und die Frauen seiner Söhne in die Arche einsteigen, nennt der HD wie in V. 263 (natique tui nataeque) nur Noahs Söhne und „Töchter“1630. Die Junktur natos natasque, die sich in Ov. met. 6,302 an der gleichen metrischen Position befindet (exanimes inter natos natasque virumque), knüpft wörtlich an V. 263 an, wodurch die exakte Ausführung von Gottes Aufträgen durch Noah unterstrichen wird. Im Vergleich zur biblischen Vorlage, in der Noah lediglich als erster der Einsteigenden erwähnt wird, erscheint Noah in V. 285 in einer weitaus aktiveren Rolle: Er ist es, der seine Angehörigen bei sich in der bergenden Arche aufnimmt (recepit). Die Betonung der engen Verbindung zwischen Noah und seinen Söhnen und „Töchtern“ durch die etwas redundant wirkende Wendung coniunctosque simul könnte durch eine Variante von Vet. Lat. gen. 7,7 inspiriert sein, derzufolge Noahs Söhne, Frau und Schwiegertöchter mit ihm zusammen die Arche betreten (vgl. (I) [...] et uxores filiorum eius (cum eo) in arcam)1631. Coniunctos scheint hier zur Verstärkung von simul zu dienen wie in Hept. gen. 1142 (coniunctamque simul tremulo cum lumine lunam) und exod. 234 (coniunctique simul gaudentes basia figunt). V. 286 confisus tenui quamvis foret abditus antro: Dieser Vers hat keine unmittelbare Entsprechung im Bibeltext und ist als Amplifikation von Vet. Lat. gen. 7,7 anzusehen, denn er beschreibt Noahs gläubige Haltung (confisus) beim Einsteigen in die Arche. Dieser Glaube Noahs wird in Hebr 11,7 hervorgehoben und insbesondere auf den Bau der Arche bezogen, den Noah gehorsam und ohne Kenntnis der Zukunft ausführt. Confisus ist hier offensichtlich nicht mit antro als Dativ bzw. Ablativ zu verbinden, sondern absolut aufzufassen im Sinne von „voll

1629 Ähnlich Ov. trist. 2,329 non ideo debet pelago se credere [...], met. 13,900 [...] medio se credere ponto, ars 1,411 [...] tunc si quis creditur alto und Anth. 438,12 Sh.B. Aut credat dubiis se mea puppis aquis. 1630 Vgl. den Kommentar zu V. 263–264a. 1631 Bezeugt bei Ps. Philo, entspricht der LXX und Vulgata (vgl. Fischer 1951, 113).

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Vertrauen (in Gott)“1632, da antro als Ablativus instrumentalis bzw. loci auf abditus zu beziehen ist1633. Ähnliche Wendungen finden sich an der gleichen metrischen Position in Ov. met. 13,47 ([...] silvestribus abditus antris) und Claud. 1,42 ([...] nigrantibus abdidit antris). Die Bezeichnung der Arche als Höhle liegt insofern nahe, als Höhlen gerade in biblischen Kontexten oft als Zufluchtsorte dienen1634. Mit tenui dürfte die verhältnismäßig dünne Wandstärke der Arche gemeint sein, der zum Trotz (vgl. quamvis) Noah sich im Vertrauen auf Gott der Flut überantwortet. V. 287 interea totos laxarunt nubila nimbos: In V. 287–288 nimmt der HD Bezug auf Vet. Lat. gen. 7,11, lässt aber den ersten Teil dieses Bibelverses aus, in dem der Beginn der Sintflut noch genauer datiert wird als in Vet. Lat. gen. 7,6, nämlich auf den 27. Tag des zweiten Monats von Noahs 600. Lebensjahr. Interea markiert, wie häufig in der epischen Dichtung, den Übergang zu einem neuen Erzählschritt1635, indem es vom Einsteigen in die Arche zum Ausbruch der Sintflut überleitet. Während in Vet. Lat. gen. 7,11 zuerst das aus der Erde hervorbrechende Wasser und dann der Regen erwähnt wird, beginnt der HD mit letzterem und lässt die Quellen in V. 288 folgen, womit er der Reihenfolge in Gottes Rede (V. 274–276) treu bleibt. Auch durch totos1636 [...] nimbos wird eng an Gottes Worte angeknüpft (V. 274 [...] totos defundere nimbos), so dass das von Gott Angekündigte nun genau in Erfüllung geht. Das biblische Bild der sich öffnenden Himmelsschleusen (vgl. (K) et cataractae caeli patefactae sunt // (E) apertae sunt) wandelt der HD dahingehend ab, dass die Wolken das in ihnen angesammelte Regenwasser loslassen (laxarunt)1637. Diese Verwendung von laxare in Bezug auf ausströmende Flüssigkeiten findet sich in Mar. Victor. aleth. 2,464 im gleichen biblischen Kontext (antiquae laxantur aquae [...])1638. Der alliterierende Versschluss nubila nimb* begegnet noch häufiger in der hexametrischen Dichtung vor und nach dem HD1639.

1632 Vgl. ThlL 4 s.v. confido 206,52–79; hier finden sich auch mehrere biblische Belege, allerdings nicht im Partizip. Ebenfalls absolut verwendet ist confisus in Hept. exod. 210 Vade, ait, et plena confisus fare loquella. 1633 Zu dieser Konstruktion vgl. ThlL 1 s.v. abdo 58,4–5. 1634 Vgl. etwa Jos 10,16; Ri 6,2; 1 Sam 22,1; 1 Kön 19,9. 1635 Vgl. ThlL 7,1 s.v. interea 2183,52–73. 1636 Zur spätlateinischen Verwendung von toti als Synonym für omnes vgl. den Kommentar zu V. 22. 1637 Zur Kurzform laxarunt vgl. auch Eleg. in Maecen. 1,49 (-arant B), Sil. 11,286, Amm. 19,7,4. 1638 Damit ist allerdings nicht der Regen gemeint, sondern das in der Schöpfungserzählung erwähnte Wasser oberhalb des Firmaments, vgl. Martorelli 2008, 38 und 79 mit Anm. 100. Zu laxare in dieser Bedeutung vgl. auch Paul. Nol. carm. 21,782 laxatoque suis in faucibus ubere fontis, Hept. gen. 339 quae non laxato vitam liquere cruore, lev. 112 laxarit [scil. pecus mucrone peremptum] croceam sectis de faucibus undam und iud. 635 inriguos duris laxavit cotibus amnes. 1639 Vgl. Lucr. 3,19, Avien. orb. terr. 452, Auson. ephem. 7,35, Paul. Petric. Mart. 6,491, Alc. Avit. carm. 3,329; 5,439, Coripp. Ioh. 8,513, Ven. Fort. Mart. 4,185.

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V. 288 atque abyssus riguos dimisit in aequora fontes: In wörtlicher Anlehnung an Vet. Lat. gen. 7,11 kommt der HD nun auf das Wasser der Tiefe (abyssus)1640 zu sprechen und steht durch fontes der Textform E nahe, in der im Gegensatz zur Textform K die Quellen genannt werden, vgl. (E) et erupti sunt omnes fontes abyssi gegen (K) proruperunt omnes abyssi. Wie die Wolken in V. 287 ([…] laxarunt nubila nimbos) ist hier der Abgrund das handelnde Subjekt (vgl. dimisit). Während riguus sich gewöhnlich in einem positiven Sinne auf Gewässer bezieht, die Land fruchtbar machen und Menschen und Tiere mit Wasser versorgen1641, hat der Wasserreichtum der Quellen im Kontext von V. 288 eine zerstörerische Wirkung, da er zu einem Ansteigen des Meeresspiegels (dimisit in aequora fontes)1642 führt. V. 289 iamque quater denis stagnantur cuncta diebus: Durch die Anklänge an V. 279, wo Gott Noah den vierzigtägigen Regen ankündigt (namque quater denis iuncta cum nocte diebus), wird deutlich, wie konsequent und zügig (iamque) der göttliche Vernichtungsplan nun umgesetzt wird1643. Auf die biblische Vorlage Vet. Lat. gen. 7,12 (I) quadraginta diebus et quadraginta noctibus wird durch den Ablativ der Zeitdauer1644 quater denis [...] diebus Bezug genommen. Während aber in der Bibel die vierzig Tage (und Nächte) nur mit dem Regen in Verbindung gebracht werden ((S) et factae sunt pluviae diluvii super omnem terram // (I) et facta est pluvia super terram), lässt sich die Formulierung stagnantur cuncta zusammenfassend auf den Regen und das Wasser aus der Tiefe beziehen, welche gemeinsam zu einer umfassenden Überschwemmung führen1645. Auffallend ist der Wechsel ins historische Präsens, das bis V. 292 durchgehalten wird und in diesen Versen die Folgen der Sintflut vergegenwärtigt. V. 290 non volucres levibus suspendunt corpora pinnis: V. 290–292 stellen eine verkürzende Paraphrase von Vet. Lat. gen. 7,21 dar, wo im Einzelnen Vögel, Vieh, Zugtiere, wilde Tiere, Kriechtiere und Menschen genannt werden. Der HD greift die Lebewesen heraus, die aufgrund ihrer Lebensweise am besten vor dem 1640 Der Doppelkonsonant -ss- bildet hier keine Position, vgl. Peiper 1891, 344 und 348 sowie ThlL 1 s.v. abyssus 243,42–43. Die Ausnahme kann damit begründet werden, dass es sich um ein griechisches Lehnwort handelt (vgl. Mayor 1889, LI und Gamber 1899, 198). Peiper äußert S. XXX die Überlegung, ob vor abyssus das atque getilgt werden sollte; dadurch könnte zwar das y lang gemessen werden, doch das normalerweise kurze a würde lang. Ferner schlägt Peiper S. 348 in Abänderung der Überlieferung die Schreibung mit einfachem s vor, die sich bei Paulinus von Nola findet, vgl. ThlL 1 s.v. abyssus 243,40–42. Das Substantiv abyssus tritt erst bei christlichen Autoren auf, vgl. ebd. 243,22. 1641 Vgl. OLD s.v. riguus 1655 unter 1. Auch an den anderen vier Stellen der Heptateuchdichtung, an denen riguus vorkommt, ist dieses Adjektiv in einem positiven Sinn verwendet, vgl. Hept. gen. 937 (riguis […] undis), exod. 105 (riguas […] undas), num. 554 (riguos latices) und iud. 354 (fontes riguos). 1642 Zum Hexameterschluss aequora fontes vgl. auch Lucan. 2,419. 1643 Den gleichen Versbeginn hat im gleichen biblischen Kontext Avitus in carm. 4,524 (Iamque quater denis manabat noctibus imber). 1644 Vgl. den Kommentar zu V. 228. 1645 Zur transitiven Verwendung von stagnare im Sinne von „überschwemmen“ vgl. OLD s.v. stagno 1813 unter 1 b mit überwiegend poetischen Belegen.

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Wasser geschützt sein müssten, nämlich die Vögel in der Luft (V. 290, vgl. (A) volatilium) und die im Hochgebirge lebenden Wildtiere (V. 291 fera, vgl. (A) ferarum); der Gedanke, dass auch diese Lebewesen dem Wasser nicht entkommen, führt zu dem allgemeinen Fazit, dass alles (Leben) stirbt (V. 292). V. 290 weist in Wortwahl und Syntax unübersehbare Parallelen zu V. 20 auf, in dem die Erschaffung der Vögel beschrieben wird, vgl. V. 20 et volucres variā suspendunt corpora penna und V. 290 non volucres levibus suspendunt corpora pinnis. Indem am Versbeginn et durch die Negation non ersetzt wird, erscheint der Tod der Vögel als Gegenbild zu ihrer Erschaffung, so dass weitergedacht die Sintfluterzählung als Kontrafaktur zur Schöpfungserzählung gesehen werden kann: Gott macht sein Schöpfungswerk rückgängig. Wenn der HD hier als Attribut zu pinnis1646 gerade das Adjektiv levibus wählt, setzt er den poetischen Topos der leichten Schwingen1647 besonders passend als Kontrastmittel ein, denn aus dem Verhalten der Taube (V. 304 defessa volatu) lässt sich schließen, dass die Vögel außerhalb der Arche nach längerer Zeit ohne Landemöglichkeit erschöpft sind und ihnen die Flügel sozusagen schwer werden. V. 291 nec fera celsiiugo devitat marmora colle: Der Gedanke, dass auch Tiere auf hohen Bergen der Sintflut zum Opfer fallen, begegnet in ähnlicher Formulierung bereits in V. 247, wo Gott seinen Vernichtungsplan fasst, bezieht sich dort aber auf weidendes Vieh ([…] celsis dum collibus errant). Fera und celsiiugo [...] colle können jeweils als kollektiver Singular betrachtet werden, wobei Ersteres unmittelbar an Vet. Lat. gen. 7,21 (A) ferarum anknüpft und Letzteres durch den hier ausgelassenen Vers Vet. Lat. gen. 7,20 inspiriert sein könnte1648, in dem erwähnt wird, dass das Wasser 15 Ellen über den hohen Bergen steht ((I) quindecim cubitis superavit aqua super excelsos montes). Celsiiugus ist nur beim HD belegt1649 und findet sich sonst nur noch in Hept. gen. 375 (celsiiugum et collem [...]). Es verleiht der Passage einen hochepischen Ton, der durch marmora als episch-poetische Bezeichnung für das Meer1650 unterstrichen wird und dem Ernst der geschilderten Situation entspricht. V. 292 omnia conduntur pelago, mors omnibus una est: Dieser Vers bezieht sich auf das Resümee zu Beginn von Vet. Lat. gen. 7,21, dass alles Fleisch auf Erden stirbt (vgl. (I) et mortua est omnis caro). Der episch-getragene Ton von V. 291 wird durch das eindringlich wirkende Polyptoton omnia – omnibus und das poetische Wort pelago1651 fortgeführt. Condere bezeichnet hier den Sachverhalt, dass alles auf dem Festland vom Wasser der Flut bedeckt wird1652, doch kann 1646 Pinnis G, pennis AC. Zur Schwierigkeit der Entscheidung zwischen diesen beiden Schreibweisen vgl. den Kommentar zu V. 20. 1647 Zur Junktur levibus pennis bzw. pinnis vgl. auch Ov. am. 3,5,21, met. 2,581, Homer. 120. 420, Sil. 2,215, Paul. Nol. carm. 10,309, Claud. 10,83, Hept. gen. 301, Alc. Avit. carm. 4,283 u.a. 1648 Gen. 7,20 wird in V. 318 nachgetragen. 1649 Vgl. ThlL 3 s.v. celsiiugus 771,42–44 und Best 1891, 14. 1650 Vgl. ThlL 8 s.v. marmor 411,31–71. 1651 Vgl. ThlL 10,1 s.v. pelagus 989,61–66. 1652 Ähnlich Mar. Victor. aleth. 2,473 nulla manet rerum facies, tegit omnia fluctus.

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in diesem Kontext auch die Bedeutung „(Tote) begraben“ mitschwingen. Bei dem Versende mors omnibus una est fällt die Nähe zu einem Monostichon auf (Anth. 716,3 R.), in dem die Lebenswahrheit zum Ausdruck gebracht wird, dass der Tod für alle (Menschen) trotz unterschiedlicher Lebensweise gleich ist: Dispar vivendi ratio est, mors omnibus una. Über den wörtlichen Anklang hinaus lässt sich auch eine inhaltliche Parallele zu V. 292 erkennen, insofern als die unterschiedlichsten Lebensformen, von denen die Vögel in der Luft und die Wildtiere im Hochgebirge im Besonderen genannt wurden (V. 290–291), doch alle das gleiche Ende in den Fluten finden1653. Hauptreferenzstelle für den Hexameterschluss mors omnibus una est dürfte Verg. Aen. 5,616 sein ([...] vox omnibus una), welcher Versschluss auch von mehreren anderen Dichtern aufgegriffen wird1654. V. 293–294a nec minus interea tumidum suspensa per aequor / arca fluens: Durch die beim HD wie auch bei Vergil häufige Übergangsformel nec minus interea1655 wird der Blick von den Lebewesen außerhalb der Arche, die vom Meer begraben werden, auf Noah und die Insassen der Arche gelenkt, die sicher über die Fluten fahren (V. 293–296a). Der biblische Bezugspunkt für V. 293–294a ist Vet. Lat. gen. 7,17b–18, wonach die Arche von den Fluten emporgehoben wird und dann auf der Wasseroberfläche treibt. Der HD umschreibt diesen Umstand durch suspensa per aequor / arca fluens und bezeichnet mit dem prädikativ verwendeten suspensa nicht nur das Emporgehobensein der Arche und ihre Position oben auf dem Wasser (vgl. Vet. Lat. gen. 7,17b (M) exundavit aqua et levavit arcam)1656, sondern auch ein sozusagen schwereloses Schweben1657, das in einem deutlichen Kontrast zu den in V. 290 erwähnten Vögeln steht (non volucres levibus suspendunt corpora pinnis). Durch fluens im Sinne von fluctuans1658 und die formelhafte poetische Junktur tumidum [...] aequor1659 wird an V. 263–264 zu Beginn von Gottes Rede an Noah angeknüpft (Scande citus [...] fluentem / fluctibus in tumidis cumbam […]), so dass die rettende Aufforderung Gottes, den in den Fluten treibenden Kahn zu besteigen, und die tatsächliche Bewahrung Noahs in der Arche unmittelbar aufeinander bezogen werden. Um einen möglichen Referenztext handelt es sich bei Verg. Aen. 7,810–811 vel mare per medium fluctu suspensa tumenti / ferret iter, celeris nec tingeret aequore plantas: Suspensa befindet sich beim HD an der gleichen metrischen Position, mare per wird variiert 1653 Vgl. auch im gleichen Kontext Alc. Avit. carm. 4,428 Ultimus ille dies iam nunc dabit omnia leto und Drac. laud. dei 2,389 nec qui fleret erat: cunctos mors una tenebat. 1654 Vgl. Proba 541, Carm. de resurr. 185 ( […] una est), Ennod. carm. 1,9,58, Coripp. Iust. 1,347, Anth. 8,45 R. ([…] una est). 1655 Vgl. den Kommentar zu V. 70. 1656 Vgl. zu dieser Bedeutung von suspendere OLD s.v. suspendo 1890 unter 4 sowie Alc. Avit. carm. 4,503 im gleichen Kontext: commovitque cavam suspendens undique molem [scil. unda crescens]; vgl. auch den Hinweis bei Arweiler 1999, 223. 1657 Vgl. OLD s.v. suspendo 1890 unter 5 To maintain in a position in mid air, in the water, etc., without apparent support from below, keep poised (esp. in pf. pple.). 1658 Vgl. den Kommentar zu V. 263–264a. 1659 Zahlreiche Belege aus der heidnischen und christlichen Poesie nennt Petringa (La presenza) 2007, 153–154 Anm. 22.

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durch per aequor und tumenti, welches sich bei Vergil auf fluctu bezieht, korrespondiert beim HD mit tumidum als Attribut zu aequor1660. Vergil zeigt hier am Ende der Schau der italischen Krieger Camilla, die sich durch außergewöhnliche Schnelligkeit im Lauf auszeichnet; sie wäre über das Meer gelaufen, ohne sich die Fußsohlen nass zu machen, gleichsam über das Wasser schwebend1661. Vor dem Hintergrund des vergilischen Subtextes transportiert suspensa in V. 293 also die Konnotation einer Schnelligkeit und Leichtigkeit, mit der die Arche über die Fluten treibt, ein Gedanke, der sich z. B. auch in der altjüdischen Syrischen Schatzhöhle findet1662. Eine subtilere Vergil-Reminiszenz, die weniger auf sprachlicher Ähnlichkeit als auf der ähnlichen Bildlichkeit beruht, könnte bei Verg. Aen. 5,819–821 vorliegen, wo freilich ein geradezu entgegengesetzter Sachverhalt dargestellt wird: Hier „fliegt“ Neptun in seinem Wagen leicht über die Meeresoberfläche und beruhigt dadurch das angeschwollene Meer (caeruleo per summa levis volat aequora curru; / subsidunt undae tumidumque sub axe tonanti / sternitur aequor aquis […])1663. V. 294b clausum munibat pendula vatem: In V. 294b–296a gestaltet der HD den Gedanken der Bewahrung Noahs und der übrigen Insassen der Arche aus, der in Vet. Lat. gen. 7,23b zum Ausdruck kommt ((I) et derelictus est solus Noe in arca cum iis qui cum ipso erant). Das prädikativ verwendete pendula deckt sich einerseits mit der Bedeutung von suspensa (vgl. V. 293), insofern es auch ein Emporgehobensein und Schweben bezeichnen kann, tendiert hier aber in Richtung von „schwankend“1664. Trotz dieser Bewegung ist die Fahrt der Arche aber so sicher, dass sie keinen Schiffbruch erleidet (vgl. V. 296). In der Kirchenväterliteratur begegnet pendulus in ganz spezifischen Kontexten, die beim HD mögli-

1660 Vgl. Petringa (La presenza) 2007, 153. 1661 Petringa (La presenza) 2007 verweist S. 154 Anm. 23 auf das homerische Vorbild Ilias 20,228–229, wo von den schnellen Fohlen des Erichthonios die Rede ist. Den ganzen Vers Verg. Aen. 7,810 übernimmt der HD, wie auch Petringa ebd. anmerkt, mit einer kleinen Abweichung (ut statt vel) in Ios. 49 und veranschaulicht damit die wie hohe Mauern stehenden Wasser des Roten Meeres beim Auszug aus Ägypten: ut mare per medium fluctu suspensa tumenti [scil. unda]. 1662 Vgl. Syrische Schatzhöhle 19,5–6 (Übersetzung zitiert nach Riessler 1928, 964): „Und die Arche flog mit des Windes Flügeln über die Flut hin, von Ost nach West und von Nord nach Süd und beschrieb so ein Kreuz auf dem Wasser. Einhundertfünfzig Tage flog die Arche auf dem Wasser hin [...].“ 1663 Petringa (La presenza) 2007 arbeitet S. 154–155 die Parallelen zwischen V. 293 und den Vergilversen heraus, nämlich tumidum [...] per aequor versus per [...] aequora und tumidum [...] aequor, die Position von tumidum jeweils unmittelbar nach der Penthemimeres, die inhaltliche Entsprechung zwischen suspensa und volat sowie fluens und levis und die Korrespondenz der Begriffe arca und curru, die an entgegengesetzten Positionen im Vers stehen. 1664 Vgl. die Einordnung des Verses in ThlL 10,1 s.v. pendulus 1051,64–65 unter I B de eis, quae aliquo modo sublata itaque suspensa sunt (nonnullis locis accedit notio instabilitatis […]) 1 a; dementsprechend paraphrasiert Petringa (La presenza) 2007, 153 pendula mit „ondeggiante“. Vgl. auch, bezogen auf ein im Sturm schwankendes Schiff, Paul. Petric. Mart. 5,760 nutat in excelso rursum male pendula dorso.

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cherweise mitzuhören sind und dann dem Text zusätzliche Tiefe verleihen1665: Zum einen bezeichnet das Adjektiv den schwebenden Gang Jesu bzw. des Petrus auf dem Wasser, welches sie wundersamer Weise trägt und nicht einsinken lässt1666; dieses Bild könnte den in V. 294b ausgedrückten Gedanken stützen, dass Noah in der Arche gegen ein Versinken in den Fluten geschützt ist. Ferner wird pendulus bei der Kommentierung von Ps 135(136),6 eingesetzt, wobei die Aussage, dass Gott die Erde über dem Wasser gegründet habe, so gedeutet wird, dass diese über dem Wasser schwebend befestigt sei1667. In ähnlicher Weise schwebt auch die Arche über dem Wasser, ohne unterzugehen. Zum anderen wird mit pendulus in der übertragenen Bedeutung „schwankend, ungewiss“ die unruhige Erwartung des Jüngsten Tages bezeichnet, den keiner außer dem Vater kennt, bzw. ganz allgemein eine Erwartung, die im Ungewissen bleibt1668. In diesem Sinne könnte pendula sich auf die Insassen der Arche beziehen, die unruhig auf das Ende der Sintflut und ihre endgültige Rettung warten. Munibat1669 ist passend gewählt, da es aufgrund seiner Herleitung von moenia die Vorstellung schützender Mauern evoziert1670, in denen Noah gegen die Fluten eingeschlossen ist (clausum [...] vatem)1671. Darüber hinaus könnte es sich bei clausum um eine Anspielung auf den ansonsten ausgelassenen Vers Vet. Lat. gen. 7,16 handeln, in dem berichtet wird, dass Gott die Arche von außen verschließt ((I) et clausit dominus deus a foris arcam). V. 295–296a venturisque parens servabat semina saeclis / naufragio secura suo: Die Samen-Metapher (servabat semina saeclis) begegnet bereits in V. 224 ([...] innocuo daturus semina saeclo) in Bezug auf Noah als Ahnherrn eines zukünftigen, unschuldigen Menschengeschlechts1672 und dient hier als Bild für die in der Arche bewahrten Menschen und Tiere, mit denen die Erde nach der Sintflut neu besiedelt werden soll und aus denen künftige Generationen hervorgehen sollen (venturis[...] saeclis)1673. In diesem Kontext findet sie sich auch in Origenes’ zweiter Genesishomilie, wo betont wird, dass die Arche groß genug sei, um „die 1665 Auf diese exegetische Dimension von pendulus macht Petringa (La presenza) 2007, 153 Anm. 18 aufmerksam. 1666 Vgl. Marin (Due note) 1988, 413–417 mit Belegen, z. B. in Bezug auf Jesus Prud. apoth. 665–666 […] triverit udum / non submersus iter sola pendulus et pede sicco. 1667 Vgl. ebd. 417–419, etwa Hil. in psalm. 135,12 satis sit terram super aquas pendula firmitate consistere, ex prophetica auctoritate didicisse [...]. certe aquis pendulam contineri et in hoc, sicut in omnibus, ea causa est, quoniam in saecula misericordia eius. 1668 Vgl. Marin (Pendula expectatio) 1988, 408–411 mit Belegen. 1669 Zum Imperfekt -iba- statt -ieba- vgl. ThlL 8 s.v. 1. munio 1657,64–67: In den Codices findet sich beides, -iba- aufgrund des Metrums etwa in Moret. 61 und Homer. 229; vgl. auch Prosp. carm. de ingrat. 506 und Coripp. Ioh. 6,512. 1670 Vgl. die Definition der Grundbedeutung in Forc. 3 s.v. munio 312 unter I 1 Stricto sensu est muro vel moeniis cingere. 1671 Zur Vorstellung vgl. auch Alc. Avit. carm. 4,510 Navigat interea claustro commissus eunti [scil. Noe] (vgl. auch den Hinweis bei Arweiler 1999, 223); zur Bezeichnung Noahs als Prophet vgl. den Kommentar zu V. 228. 1672 Vgl. den Kommentar zu V. 224b mit Belegen zur Samen-Metapher aus Ambrosius. 1673 Zu dieser Junktur vgl. den Kommentar zu V. 41b.

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Keime der gesamten zu erneuernden Welt, die Samen sämtlicher wieder lebendig werdender Lebewesen aufzunehmen“1674. Auch in der Bibeldichtung wird die Samenmetapher für die in der Arche überlebenden Menschen und Tiere verwendet, vgl. Mar. Victor. aleth. 2,454–455 ([...] ergo omni semine vitae / praegravidam ut primum claudi deus imperat arcam), Ps. Hil. gen. 187 (arca tegit paucos, castorum semina servans) und Alc. Avit. carm. 4,399 (Ut ternis paribus servato semine salvis)1675. Ferner wird sie in Weish 14,6 mit der Arche verbunden, wonach sich die Hoffnung der Welt auf ein von Gott gesteuertes Floß geflüchtet und der Welt den Samen für ein neues Geschlecht hinterlassen habe1676. Mit dieser Metapher kombiniert der HD das Bild der Arche als Mutter (parens)1677, die die Samen bewahrt (vgl. servabat). Während etwa Dracontius in laud. dei 2,392 (conceptu paritura simul iuvenesque senesque) die Mutterrolle der Arche in Hinblick auf das „Gebären“ neuer Menschen nach der Sintflut konkretisiert und in der Kirchenväterliteratur der Mutterschoß der Arche typologisch auf den Mutterschoß der Kirche bezogen wird, „aus dem die in der Taufe geretteten Kinder eines neuen Geschlechtes hervorgehen“1678, entfaltet der HD diesen Mutteraspekt nicht weiter. Durch naufragio secura suo wird ein weiteres in der Kirchenvätertheologie präsentes Bild angeschlossen, nämlich das des Schiffbruchs. Die Symbolik der Sintflut als Schiffbruch der Welt und der Arche Noah als Rettung in diesem Schiffbruch beginnt mit Origenes1679, und auch in diesem Zusammenhang wird die Arche oft als Typus der Kirche gedeutet, die allein als „das sichere Schiff des Heils, das Gott selbst erbaut hat“, den Menschen „[v]or dem kosmischen und eschatologischen Schiffbruch rettet“1680. Auch dieses Bild entwickelt der HD nicht typologisch weiter, sondern bezieht den Schiffbruch ganz wörtlich auf die Arche selbst, die vor „ihrem“ Schiffbruch sicher ist (naufragio secura suo)1681. V. 296b–297 mox rarior aether / nubibus in piceis coepit constringere nimbos: Der HD beginnt seine Darstellung des Sinkens der Fluten mit dem Ende von 1674 Übersetzung zitiert nach Habermehl 2011, 73; vgl. Rufin. Orig. in gen. 2,2 [...] et longitudinis et latitudinis tanta spatia, quae vere totius mundi reparanda germina et universorum animantium capere potuerint rediviva seminaria. 1675 Bezogen auf drei Tierpaare, die jeweils als Samen am Leben bleiben sollen, während das jeweils siebte Tier als Opfer vorgesehen ist. 1676 Vgl. Vulg. sap. 14,6 (eine eigene versio antiqua wird von Sabatier nicht angegeben) […] spes orbis terrarum ad ratem confugiens remisit saeculo semen nativitatis quae manu tua erat gubernata. 1677 Diesen Hintergrund übersieht Wacht 2004, wenn er S. 375 den Vers s.v. parēre, pareo einordnet. Parens im Sinne von „gehorsam“ wäre zudem eine metrische Lizenz, da das naturlange a an dieser Stelle kurz gemessen werden müsste. 1678 Vgl. Rahner 1964, 531. 1679 Vgl. ebd. 443 mit dem Hinweis auf Rufin. Orig. in Ezech. 4,8 [...] et eundem post Noë in totius orbis naufragio solum cum ‚filiis‘ suis et ‚animalibusʻ in ‚arcaʻ servatum [...]. 1680 Vgl. ebd. 1681 Securus wird in dieser Bedeutung üblicherweise mit dem Genitiv oder ab mit Ablativ konstruiert, vgl. Forc. 4 s.v. securus 282 unter I 1 b β und γ; der bloße separative Ablativ naufragio […] suo lässt sich evtl. als Analogie zu tutus erklären, welches auch mit präpositionslosem Ablativ steht, vgl. Forc. 4 s.v. tueor/tutus 824 unter 1 1o a δ.

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Vet. Lat. gen. 8,2 ((A) et detenta est pluvia de caelo). Dabei knüpft er durch aether an caelo und durch constringere nimbos an detenta est pluvia an und schafft durch aether [...] coepit constringere nimbos gleichsam ein Gegenbild zu V. 287 interea totos laxarunt nubila nimbos. Denn während zuvor die Wolken die Regengüsse losgelassen haben, zieht der Himmel diese nun in den Wolken zusammen1682 und hält sie auf diese Weise zurück. Eine gewisse Spannung besteht zwischen dem Gedanken, dass die Himmelsluft, also die Wolkendecke des Himmels, weniger dicht geworden ist (rarior aether)1683, und der nach wie vor pechschwarzen Farbe der mit Regen gefüllten Wolken (nubibus in piceis)1684. Denkbar ist, dass durch diese Farbmetaphorik die noch fortbestehende Gefahr zum Ausdruck gebracht werden soll. Denn noch können Noah und die anderen Insassen der Arche nicht aussteigen. V. 298 iamque relabenti decrescit in aequore pontus: Durch iamque knüpft der HD an V. 289 an: Während dort von der vierzigtägigen Überschwemmung berichtet wird (iamque [...] stagnantur cuncta diebus), sinkt nun das Wasser (decrescit)1685. Wie in Gen 8,3, wofür die Vetus Latina nur bruchstückhaft bezeugt ist (vgl. (O) cessavit aqua super terram)1686, wird das Zurückfließen des Wassers vom Festland (relabenti [...] in aequore)1687 und das Sinken des Wasserspiegels (decrescit [...] pontus) ins Auge gefasst. Die sprachliche Gestaltung von V. 298 ist offensichtlich durch Lucan. 4,429 iamque relabenti crescebant litora ponto angeregt, wo das Zurückweichen der Flut und das gleichzeitige „Anwachsen“, d.h. Sichtbarwerden des Strandes beschrieben werden. Für eine direkte Bezugnahme des HD auf diesen Vers sprechen der identische Beginn mit iamque relabenti, die sich anschließende dreisilbige Form von crescere (crescebant/decrescit), durch die im Grunde der gleiche Sachverhalt aus umgekehrter 1682 Vgl. ThlL 4 s.v. constringo 543,46–47; auf die Antonyme constringere und laxare wird 546,2 hingewiesen. Ähnlich ist Lucan. 4,51 aethere constricto pluvias in nube tenebat [scil. bruma], wonach durch die winterliche Kälte die oberen Luftschichten fest werden, so dass kein Regen fällt. Prinzipiell könnte V. 296b–297 auch dahingehend aufgefasst werden, dass der Himmel nun seltener Regengüsse in den Wolken zusammenballt bzw. seltener Regenwolken zusammenzieht, die Regenschauer also seltener werden; gegen diese Lösung spricht aber Vet. Lat. gen. 8,2 selbst, wonach ja der Regen zurückgehalten wird (vgl. detenta est pluvia). 1683 Zu dieser Bedeutung von rarus vgl. ThlL 11,2 s.v. rarus 140,66–141,1; vergleichbar ist Lucan. 4,123 [...] iam rarior aer, bezogen auf sich lichtenden Nebel. 1684 Zum poetischen Topos der pechschwarzen Wolke(n) vgl. auch Ov. met. 11,549 [...] piceis e nubibus umbra, Sil. 5,37 [...] picea inter nubila caelum, 6,322 [...] piceaque e nube ruinam und 12,661–662 [...] piceam cum grandine multa / intorquens nubem […], Claud. rapt. Pros. 1,163–164 [...] piceaque gravatum / foedat nube diem [...]. 1685 Decrescere findet sich in Vulg. gen. 8,5 (at vero aquae ibant et decrescebant), aber auch sonst in Poesie und Prosa in Bezug auf abnehmende Gewässertiefe, vgl. die Belege in ThlL 5,1 s.v. decresco 219,51–60. 1686 Vgl. LXX gen. 8,3 kai? eönedißdou to? uÄdvr poreuoßmenon aöpo? thqw ghqw, eönedißdou kai? hölattonouqto to? uÄdvr […] und Vulg. gen. 8,3 reversaeque aquae de terra euntes et redeuntes et coeperunt minui [...]. 1687 Vgl. auch Mar. Victor. aleth. 2,491 [...] unda relabens im Kontext von Gen 8,3, in offensichtlicher Anlehnung an Verg. Aen. 10,307 [...] unda relabens.

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Perspektive wiedergegeben wird (Anwachsen der Küste ~ Sinken des Meeresspiegels), und das Versende auf ponto bzw. pontus. Den Ablativus absolutus relabenti [...] ponto Lukans verwandelt der HD unter Ersatz von ponto durch aequore in den Präpositionalausdruck relabenti [...] in aequore. Grundsätzlich wäre es möglich, diesen als Lokaladverbiale aufzufassen („und schon sinkt im zurückfließenden Meer das Wasser“). Da aber in Gen 8,3 gemeint ist, dass das Wasser auf der gesamten Erdoberfläche sinkt, ist es sinnvoller, von einem Ablativus absolutus auszugehen, der durch die Präposition in gestützt wird; diese Konstruktion ist bei Eusebius Vercellensis belegt1688. Das Nebeneinander der Synonyme aequore und pontus, das sich in der Poesie mehrfach findet1689, kann hier dahingehend differenziert werden, dass mit aequor das Meer bezeichnet wird, das sich wieder in seine Becken zurückzieht, und mit pontus das über die ganze Erde verteilte Meerwasser1690, dessen Spiegel sinkt. V. 299 ac, postquam modico fluitabat flumine cumba: Dieser mit postquam („als“) eingeleitete Nebensatz im Imperfekt, der keine unmittelbare Entsprechung in der biblischen Vorlage hat, zeigt die Auswirkungen der zurückgehenden Überschwemmung auf die Arche und stellt den Hintergrund der in V. 300 neu eintretenden Handlung, nämlich der Aussendung des Raben, dar1691. Darüber hinaus könnte postquam eine kausale Nuance enthalten1692, da die Tatsache, dass die Arche nur noch modico [...] flumine dahintreibt, auch als Anlass für Noahs Erkundungsbestrebungen angesehen werden könnte. Im Gegensatz zu dieser Darstellung sitzt in der Bibel die Arche zu dem Zeitpunkt, als Noah mit den Tierexperimenten beginnt, bereits auf dem Gebirge Ararat fest (vgl. Gen 8,4), was der HD wiederum erst später einbringt und wirkungsvoll mit dem Aussteigen aus der Arche verbindet (vgl. V. 322–324)1693. V. 299 knüpft unübersehbar an V. 263–264 in Gottes Rede an ([...] fluentem / fluctibus in tumidis cumbam [...]), wobei cumba

1688 Vgl. Bulhart 1957, 30, mit den Belegen Euseb. Verc. trin. 7,8 in baptismo operante (instrumental) und epist. 2,5,2 in ipsis concurrentibus (temporal); auch de kann als Stütze dienen, vgl. trin. 3,71 de loquente patre loquitur […] et filius „indem Gott Vater spricht, spricht auch Gott Sohn“ (Übersetzung zitiert nach Bulhart). 1689 Vgl. ThlL 10,1 s.v. pontus 2690,46–48 mit den Belegen Verg. Aen. 10,693–694 ille, velut rupes vastum quae prodit in aequor, / obvia ventorum furiis expostaque ponto, Ov. epist. 7,56–57 Multa tamen latus tristia pontus habet. / Nec violasse fidem temptantibus aequora prodest sowie Ov. met. 11,427 aequora me terrent et ponti tristis imago. Für den Hexameterschluss aequor* pont* führt die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 28.06.2015) insgesamt 29 Belege an, die Form aequore pontus findet sich etwa auch in Verg. Aen. 6,729 ~ Proba cento 41 und Val. Fl. 6,328. 1690 Vgl. ThlL 10,1 s.v. pontus 2690,14–22. 1691 Vgl. KS II,2, 356 § 207 unter 5; im Hauptsatz steht Perfekt oder Präsens historicum (vgl. V. 300 emittit). Diese Verwendung ist häufig bei Livius und Tacitus. 1692 Vgl. KS II,2, 359 § 207 Anm. 4. 1693 Vgl. den Kommentar zu V. 322. Avitus folgt hier genau der biblischen Chronologie, wenn er in carm. 4,542 (Nec fluitare natans ventosa per aequora lignum) Noah nach der Landung auf dem Ararat feststellen lässt, dass die Arche nicht mehr hin- und herschwankt.

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wörtlich wiederholt wird und fluitabat flumine1694 eine Variation von fluentem / fluctibus darstellt. Der entscheidende Unterschied besteht zwischen modico und tumidis: Während das Wasser zuvor angeschwollen war, weist es jetzt nur noch eine mäßige bzw. geringe Tiefe (modico)1695 auf; flumen hat dann die Bedeutung i.q. fluctus, aqua maris1696. Mögliche Dichterreminiszenzen liegen bei dem Hexameterschluss flumine cumba vor, der sonst offenbar nur in Prop. 2,4,19 (tranquillo tuta descendis flumine cumba) bezeugt ist, sowie bei der Junktur modico [...] flumine, die sich, ebenfalls im Kontext der Schifffahrt, in Ps. Cato dist. 2,6,2 findet (tuta mage est puppis, modico quae flumine fertur). V. 300 emittit senior nigrantem pectora corvum: In V. 300–302 behandelt der HD die Aussendung des Raben durch Noah (senior)1697 nach Vet. Lat. gen. 8,7. Durch emittit [...] corvum greift er den biblischen Wortlaut unmittelbar auf ((E) et emisit corvum), ersetzt aber die Begründung für dieses Experiment, die dem Leser sicherlich klar ist (vgl. (E) ut videret utrum cessasset aqua), durch ein veranschaulichendes Detail, das im Bibeltext nicht enthalten ist: So schafft die schwarze Farbe des Raben, die auch in Mar. Victor. aleth. 2,498 (iamque niger patula speculator missus ab arca) genannt wird, einen Kontrast zur weißen Taube (vgl. V. 303 [...] albentem [...] columbam)1698, der nicht nur äußerlich besteht, sondern auch in der Aussagekraft der Experimente mit beiden Vögeln. Denn während der fortbleibende Rabe Noah im Ungewissen lässt, lassen sich aus dem Verhalten der dreimal freigelassenen Taube relevante, für die Insassen der Arche zunehmend ermutigende Informationen gewinnen. In sprachlicher Hinsicht erinnert nigrantem pectora corvum recht deutlich an die zweimal bei Vergil vorkommende Wendung [...] nigrantis terga iuvencos (vgl. Verg. Aen. 5,97 und 6,243), bei der das adjektivisch verwendete Partizip nigrantis an der gleichen metrischen Position steht, ebenfalls gefolgt von einem Akkusativ der Beziehung (terga)1699. V. 301 qui levibus pinnis volucri dum flamine fertur: Dieser Vers hat keinen unmittelbaren Bezug zur biblischen Vorlage Vet. Lat. gen. 8,7, in der nur berichtet wird, dass der Rabe ausfliegt und nicht zurückkehrt, bis das Wasser getrocknet ist. Die Aussage, dass der Rabe nicht zurückkehrt, während (vgl. dum) er gleich-

1694 Bei (modico) fluitabat flumine handelt es sich um einen sog. etymologischen Instrumental, der in erster Linie volkstümlich ist; bei den Kirchenschriftstellern findet er sich v.a. ohne Attribut unter griechischem Einfluss, vgl. LHS 124–125 § 79 unter f. 1695 Vgl. die Einordnung von V. 299 in ThlL 8 s.v. modicus 1232,35 als Parallelstelle zu Mela 2,90 modicus amnis. 1696 Vgl. ThlL 6,1 s.v. flumen 965,12–13. 1697 Der substantivierte Komparativ senior ist hier, wie oft bei Vergil (vgl. Horsfall 2000, 76–77 zu Verg. Aen. 7,46), als Synonym für senex aufzufassen. 1698 Vgl. den Kommentar zu V. 303. 1699 Zum Akkusativ der Beziehung unter griechischem Einfluss nach Adjektiven und adjektivisch verwendeten Partizipien seit der augusteischen Zeit, insbesondere in der Poesie, vgl. KS II,1, 285–286 § 72. Die beiden Vergilstellen sprechen für die Überlieferung pectora in AG und gegen das in C überlieferte pectore, welches grammatikalisch gesehen aber auch haltbar ist; der Ablativus limitationis ist nach Adjektiven bereits in der klassischen Prosa geläufig, vgl. KS II,1, 392–393 § 81 Anm. 11.

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zeitig von einem schnellen Wind (volucri […] flamine)1700 getragen wird, könnte als Erklärung für sein Ausbleiben aufgefasst werden: Die Luft trägt ihn fortwährend, so dass er trotz mangelnder Landeplätze nicht wie die später ausgesandte Taube erschöpft zurückkehren muss. Diese Auffassung wird auch durch die wörtlichen Anspielungen auf V. 290 nahegelegt, wo der genau entgegengesetzte Sachverhalt ausgedrückt wird, dass nämlich die Vögel nicht mit leichten Schwingen ihre Körper in der Luft halten, weil sie aus Erschöpfung und in Ermangelung von Rastplätzen der Flut zum Opfer gefallen sind, vgl. V. 290 non volucres levibus suspendunt corpora pinnis und V. 301 qui levibus pinnis1701 volucri dum flamine fertur. Gemeinsam ist beiden Versen der Ablativ levibus pinnis und das Wort volucer in unterschiedlichen syntaktischen und semantischen Funktionen, der grundsätzliche Unterschied besteht zwischen der aktiven Handlung des Fliegens (suspendunt corpora) und dem passiven Getragenwerden (fertur). Ferner könnte durch volucri1702 [...] flamine impliziert sein, dass der Rabe von dem schnellen Wind von der Arche fortgeweht wird und aus diesem Grund nicht mehr zurückkehrt, und levibus könnte ggf. dahingehend verstanden werden, dass der Rabe sich leichtfertig vom Wind davontreiben lässt und sich seinem wartenden Herrn gegenüber unzuverlässig zeigt1703. Die Frage, warum der Rabe nicht zur Arche zurückkommt, wird in der patristischen Literatur mehrfach behandelt, so dass es denkbar ist, dass auch der HD einen Erklärungsansatz andeuten will1704. V. 302 non rediit, iusti suspendens vota prophetae: Non rediit entspricht einer mehrfach bezeugten Variante1705 für Vet. Lat. gen. 8,7 (E) non est reversus. Die etwas irreführende Fortsetzung (E) donec siccaret aqua a terra („bis das Wasser von der Erde trocknete“) lässt der HD weg, in Übereinstimmung mit Ambr. Noe 17,63, wonach dieser Nebensatz nicht so zu verstehen ist, als sei der Rabe später tatsächlich noch zurückgekehrt1706. Über den Bibeltext hinausgehend formuliert er die Wirkung des Fortbleibens des Raben auf Noah, nämlich dessen 1700 Möglicherweise ist dieser Wind von dem trocknenden Wind in Gen 8,1 inspiriert, den Gott am Ende der Sintflut schickt. 1701 Pinnis AG, pennis C; zur Schwierigkeit der Entscheidung zwischen diesen beiden Schreibweisen vgl. den Kommentar zu V. 20, zum Topos der leichten Schwingen vgl. den Kommentar zu V. 290. 1702 Zu volucer in Bezug auf Wind vgl. auch Ov. met. 13,807 [...] volucrique fugacior aura und Stat. silv. 3,1,156 [...] volucres zephyros [...]. 1703 Zu dieser übertragenen Bedeutung von levis vgl. ThlL 7,2 s.v. 1. levis 1208,42–1209,23. 1704 So gibt etwa Augustinus in quaest. hept. 1,13 den Gedanken wieder, dass der Rabe gestorben sei oder dass er überleben konnte, indem er sich auf einer im Wasser treibenden Leiche niedersetzte. Zu letzterer These vgl. auch Prud. tituli 3,11–12, Alc. Avit. carm. 4,565–568 und Mar. Victor. aleth. 2,498–500, wonach der Rabe durch eine Beute von der Rückkehr abgehalten wird. 1705 Bezeugt durch Hil., Hier., Aug. und Quodv. (Anspielung), vgl. Fischer 1951, 119 und 546. 1706 Vgl. Ambr. Noe 17,63 considerandum etiam quare non regressum dixerit corvum, donec siccaret aqua a terra, quasi vero postea sit regressus. sed elocutio familiaris scripturae est divinae, siquidem et in evangelio habes scriptum de sancta Maria quod non cognoverit eam Ioseph, donec peperit filium, cum utique nec postea cognoverit. Vgl. auch Aug. loc. hept. 1,23.

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Ungewissheit (iusti suspendens vota prophetae1707). Unter vota sind die Hoffnungen1708 Noahs zu verstehen, aus dem Verhalten des Raben auf ein Sinken des Wassers schließen und den Kasten bald verlassen zu können (vgl. Vet. Lat. gen. 8,7 (E) emisit corvum ut videret utrum cessasset aqua). Diese Hoffnungen lässt der ausbleibende Rabe im Ungewissen (suspendit)1709, da aus seinem Verhalten keine sicheren Schlüsse gezogen werden können. Das Adjektiv iusti kann mit Blick auf Vet. Lat. gen 7,1 ((I) quia te vidi iustum in generatione ista) als eine Art stehendes Beiwort für Noah betrachtet werden, das für seine zentrale Eigenschaft steht, doch scheint es gerade im Kontext von V. 302 durchaus situationsgerecht gewählt zu sein: Noahs Hoffnungen, dass das Wasser verschwunden ist und er endgültig gerettet ist, sind aufs Engste mit seiner Gerechtigkeit verbunden, denn aufgrund dieser Qualität wurde er von Gott dazu auserwählt, als Stammvater eines neuen Menschengeschlechts am Leben zu bleiben. Durch die sprachliche Gestaltung des Experiments mit dem Raben wird ein Schema vorgegeben, das auch bei den folgenden drei Tierversuchen durchgehalten wird: Zunächst wird die Aussendung des jeweiligen Vogels im Präsens genannt (V. 300 emittit, V. 303 mittit, V. 307 dimittit, V. 312 mittitur), dann wird das Ergebnis des Experiments in einem Relativsatz im Perfekt berichtet (V. 301–302 qui [...] non rediit [...], V. 304– 305 quae [...] se reddidit [...], V. 308–309 quae [...] tulit [...], V. 312–313 quae [...] numquam [...] se reddidit [...]). V. 303 post hunc albentem mittit per stagna columbam: In enger Anknüpfung an den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 8,8 (E) et emisit (misit)1710 columbam post eum gibt der HD die erste Aussendung der Taube wieder, welche er über den Bibeltext hinausgehend mit albentem charakterisiert1711. Während das Schwarz des Raben (vgl. V. 300) nicht ungewöhnlich ist, ist die weiße Farbe der Taube auffallend, da Tauben meistens graublau oder bräunlich gefärbt sind. Denkbar ist, dass hier die christliche Symbolik der weißen Geisttaube hineinwirkt, die sich etwa in Lact. inst. 4,15,3 (et descendit super eum spiritus dei formatus in specie columbae candidae) findet; ferner deutet Ambrosius in De Noe den Raben und die Taube allegorisch im Sinne von Bosheit und Schuld bzw. Einfalt und Tugend und verbindet diese Gegensätze mit Finsternis und Licht, wenn auch nicht explizit mit den Farben Schwarz und Weiß1712. Wörtliche Parallelen zeigen sich zu Alc. Avit. 1707 Prophetae variiert den Begriff vates (vgl. V. 228, 262, 294); zu Noah als Prophet vgl. den Kommentar zu V. 228. 1708 Vgl. OLD s.v. votum 2104 unter 3 A desire, hope. 1709 Vgl. OLD s.v. suspendo 1890 unter 7 mit dem Hinweis (so hopes, expectations, or sim.). Der Versschluss klingt rein formal an Manil. 2,947 [...] suspendit vota parentum an. 1710 Fischer 1951, 119 gibt die Variante misit an, nennt aber nur den HD, mit einem Fragezeichen versehen, als Zeugen. 1711 Albens findet sich innerhalb der Heptateuchdichtung mehrfach in Bezug auf Tiere, vgl. Hept. gen. 753 albentem [...] agnum, exod. 381 agnusque [...] albens und num. 137 haedus [...] albens. 1712 Vgl. Ambr. Noe 17,62 [...] siquidem omnis inpudentia atque culpa tenebrosa est et mortuis pascitur sicut corvus, lumini autem vicina virtus, quae mentis puritate et simplicitate resplendet. [...] 18,64 Nec illud vacuum, quod postea columba dimittitur; malitiam etenim simplicitas et culpam virtus resolvit.

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carm. 4,579 Protenus albentem mittit de sede columbam, wo der gleiche Sachverhalt beschrieben wird1713. V. 304 quae super aequoreum campum defessa volatu: In Vet. Lat. gen. 8,9 wird berichtet, dass die Taube zu Noah zurückkehrt, weil sie – aufgrund der immer noch herrschenden Überflutung – keinen Ruheplatz für ihre Füße findet ((L) non inveniens columba requiem pedibus suis). Diesen Aspekt expliziert der HD hier, indem er die Erschöpfung der Taube (defessa)1714 vor Augen führt und für die mit Wasser bedeckte Erde das Bild der Meeresfläche (aequoreum campum)1715 verwendet, das mit unendlicher Ausdehnung assoziiert werden kann (vgl. dementsprechend V. 305 nusquam nancta solum). Die Junktur aequoreum campum mit dem neoterischen, besonders bei Ovid beliebten Adjektiv aequoreus1716 ist sonst offenbar nur in Coripp. Ioh. 2,432–433 belegt ([...] erravit navita campis / aequoreis [...]). V. 305 nusquam nancta solum, vati se reddidit almo: Mit nusquam nancta solum umschreibt der HD den Beginn von Vet. Lat. gen. 8,9 (L) non inveniens columba requiem pedibus. Da mit dem Ruheplatz für die Füße der Taube nicht unbedingt der Erdboden, sondern jede Art Untergrund gemeint sein kann, z. B. auch ein aus dem Wasser ragender Baum, sollte die Bedeutung von solum hier weiter gefasst werden1717. Die Fortsetzung von Vet. Lat. gen. 8,9 wird in der zweiten Vershälfte zusammengefasst, wobei vati se reddidit auf (L) reversa est ad eum in arca(m) Bezug nimmt und mit almo das fürsorgliche, gleichsam mütterliche Verhalten Noahs auf den Punkt gebracht wird, der seine Hand ausstreckt, die Taube nimmt und zu sich in die Arche holt ((A) et extendit manum suam accepit eam et induxit eam ad semetipsum in arcam // (M) extendens manum suscepit eam et introduxit ad se). Das poetische Adjektiv almus1718 kann hier durchaus in seinem ursprünglichen Sinn von „nährend, lebensspendend“ aufgefasst werden1719, da Noah der Taube in der Arche Schutz und Nahrung bietet, welche sie außerhalb noch nicht finden kann. Auch in allgemeinerer Hinsicht kann Noah als „lebensspendend“ betrachtet werden, da er den Bestand der Menschheit über die Sintflut hinaus sichert, vgl. insbesondere V. 224 [...] innocuo daturus semina saeclo und V. 324 […] reddens nova semina terrae. Die von dieser Grundbedeutung aus entwickelte Bedeutung „gütig, gnädig“ oder auch „ehrwürdig, heilig“, in welcher 1713 Arweiler 1999, 224 deutet diese Parallele als Beleg für eine Rezeption des HD durch Avitus. Auch die beiden folgenden Avitus-Verse zeigen Parallelen zur Darstellung des HD, vgl. Alc. Avit. carm. 4,580–581 Illa memor iussi rapido petit arva volatu / Paciferaeque videns ramum viridantis olivae und Hept. gen. 304 quae super aequoreum campum defessa volatu sowie 308 quae nemore invento ramis praepinguis olivae. 1714 Vgl. auch Mar. Victor. aleth. 2,501 fessa columba refert [...] im gleichen Kontext. 1715 Zu campus als Bezeichnung für die Meeresfläche vgl. ThlL 3 s.v. campus 220,63–81 mit überwiegend poetischen Belegen. 1716 Vgl. ThlL 1 s.v. aequoreus 1027,56–57. 1717 Vgl. OLD s.v. solum1 1786 unter 1 The part of a structure, etc., on which it rests, base, foundation, or sim. 1718 Vgl. ThlL 1 s.v. almus 1703,32–33. 1719 Vgl. OLD s.v. almus 105 unter a.

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almus auf Gott, Christus und Heilige übertragen wird, mag darüber hinaus mitschwingen1720. V. 306–307a cumque recurrentis fulgerent septima solis / lumina: Hier beschreibt der HD die zweite Aussendung der Taube nach Vet. Lat. gen. 8,10. Der erste Teil dieses Bibelverses enthält die nicht ganz logische, bereits im hebräischen Text vorhandene Information, dass Noah nach dem ersten Versuch mit der Taube weitere sieben Tage wartet, vgl. (M) tenuit septem diebus aliis1721; offensichtlich ist zu Beginn von Gen 8,8, also vor dem ersten Taubenversuch, die erste Erwähnung einer siebentägigen Wartezeit verloren gegangen1722. Der HD beseitigt einfach das irritierende aliis aus seiner biblischen Vorlage und kleidet die nüchterne Zeitangabe in eine poetische Periphrase: So begegnet die Verbindung von sol mit recurrere in der Dichtung mehrfach in Bezug auf den Umlauf der Sonne bzw. ihre Rückkehr am Morgen1723, fulgere steht in der Poesie häufig für das Leuchten von Gestirnen bzw. Tageslicht1724 und die über die Versgrenze gezogene Junktur solis / lumina variiert den massenhaft vorkommenden Hexameterschluss lumina solis1725. Die Wortfolge septima solis / lumina, in der die Ordinalzahl septima prädikativ im Sinne des Adverbs septimum aufzufassen ist1726, knüpft deutlich an V. 273b–274a […] cum lumina solis / septima prodierint […] an, wo die Spanne von sieben Tagen gerade nicht mit einer Hoffnung auf Rettung und Neubeginn verbunden ist, sondern der Frist bis zum Ausbruch der Sintflut entspricht. V. 307b dimittit pinna plaudente volucrem: Der HD gestaltet hier den zweiten Teil von Vet. Lat. gen 8,10, nämlich (L) et iterum dimisit columbam ex arca, wobei er dimisit fast unverändert übernimmt und columbam durch volucrem variiert. Über den Bibeltext hinaus bringt er die Junktur pinna1727 plaudente ein, die als Ablativ der begleitenden Umstände mit fließendem Übergang zu einem Ablativus absolutus gedeutet werden kann. Das klatschende Fluggeräusch, ausgedrückt durch plaudere oder das Substantiv plausus in Verbindung mit pinna (penna) oder ala ist ein „poetischer Topos aus dem Bereich des Fliegens“1728, der in der Dichtung in unterschiedlicher Gestalt und in Bezug auf ganz unterschiedliche Vögel

1720 Vgl. Blaise s.v. almus 73 unter 1 und 3. Dieser Verwendung wird V. 305 in ThlL 1 s.v. almus 1703,83–84 zugeordnet. 1721 Vgl. auch LXX gen. 8,10 kai? eöpisxv?n eäti hÖmeßraw eÖpta? eÖteßraw und Vulg. expectatis autem ultra septem diebus aliis. 1722 Vgl. Seebass 1996, 217. 1723 Vgl. etwa Verg. Aen. 7,100 [...] qua sol utrumque recurrens ~ Proba cento 406, Manil. 1,513–514 [...] quotiensque recurrens / lustrarit mundum vario sol igneus orbe, Prud. cath. 11,1–2 Quid est, quod artum circulum / sol iam recurrens deserit?, Hept. gen. 464 […] quam sol utrumque recurrens, exod. 1004 […] quas sol utrumque recurrens (jeweils in Anlehnung an Verg. Aen. 7,100). 1724 Vgl. die überwiegend poetischen Belege in ThlL 6,1 s.v. fulgeo 1508,22–66. 1725 Vgl. den Kommentar zu V. 51b. 1726 Vgl. den Kommentar zu V. 273b–274a. 1727 Pinna CG, penna A; zur Schwierigkeit der Entscheidung zwischen pinna und penna sowie zum kollektiven Singular vgl. den Kommentar zu V. 20. 1728 Vgl. Bömer 1986, 172 zu Ov. met. 14,507.

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und geflügelte Wesen begegnet1729. Darüber hinaus könnte der Flügelschlag von Noahs Taube situationsbezogen als Freude über die nach sieben Tagen wiedererlangte Freiheit gedeutet werden, was sich durch Stellen wie Verg. Aen. 5,516 ([…] alis / plaudentem nigra figit sub nube columbam) und Prud. ham. 815–816 ([...] pars petit aetram / libera sideream plaudens super aëra pinnis) stützen lässt, wo der Flügelschlag einer Taube bzw. einer Taubenschar jeweils mit dem Gefühl von Freiheit verbunden ist1730. V. 308–309a quae nemore invento ramis praepinguis olivae / ora referta tulit: In V. 308–310 bearbeitet der HD Vet. Lat. gen. 8,11, wobei er die Information, dass Noah aus dem Ölbaumzweig bzw. den Ölbaumblättern im Schnabel der Taube auf das Sinken des Wasserspiegels schließt1731, weglässt. Bezüglich dessen, was die Taube im Schnabel trägt, steht der HD mit ramis [...] olivae der Textform S am nächsten, wo allerding nur ein Ölbaumzweig erwähnt wird (habens ramum oleae (olivae) in ore suo); in den anderen Textformen werden zusätzlich ein Ölbaumblatt bzw. Ölbaumblätter genannt, vgl. (M) habens folium oleae et ramum in ore suo und (A) habebat olivae folia surculum in ore suo. Während in der Kirchenväterliteratur und in anderen Bibeldichtungen der Ölbaumzweig der GenesisTaube als Symbol des Friedens und des Endes von Gottes Zorn gedeutet wird1732, verzichtet der HD auf eine solche Auslegung. Statt dessen reichert er das biblische Bild durch verschiedene Details an, so dass es per se zu einem Zeichen der Hoffnung und des Neuanfangs wird: So wird durch den Zusatz nemore invento deutlich, dass es sich bei den Zweigen im Schnabel der Taube nicht um abgestorbenes Treibgut handelt, sondern um Zweige, die das Tier von Bäumen abgebrochen hat, die die Sintflut überlebt haben. Die Taube hat nicht nur einen einzigen Zweig im

1729 Zahlreiche Belege vor und nach dem HD nennt Petringa (La presenza) 2007, 156 Anm. 29. 1730 Bei Vergil wird eine Taube, die als Kampfpreis an einem Schiffsmast angebunden ist, durch einen Schuss von ihrer Fessel befreit und fliegt froh am Himmel, bevor sie dann abgeschossen wird, bei Prudentius ist von Tauben die Rede, die nicht wie andere ihrer Artgenossinnen der Versuchung ausgelegter Köder erliegen und in Fallen gefangen sind, sondern frei zum Himmel fliegen und dabei mit den Flügeln schlagen; vgl. hierzu Petringa (La presenza) 2007, 155–158. Petringa weist ebd. noch auf Verg. Aen. 5,215 fertur in arva volans plausumque exterrita pinnis hin und sieht eine Parallele zwischen der in ihrer Felsenhöhle aufgeschreckten Taube, die laut mit den Flügeln schlägt, und der (vermuteten) Angst von Noahs Taube, als sie zum zweiten Mal aus der Arche geschickt wird. Abgesehen von der Problematik, dass der HD den Flügelschlag der Taube dann mit zwei geradezu entgegengesetzten Emotionen anreichern würde, nämlich mit Freude über die neu gewonnene Freiheit und Angst, ist die ganz andersartige Situation der Taube bei Vergil zu bedenken, die plötzlich aus ihrer Höhle verscheucht wird, während Noahs Taube ein zweites Mal auf einen Erkundungsflug ausgesandt wird. 1731 Vgl. Vet. Lat. gen. 8,11 (M) et cognovit Noe quia defecit aqua a terra, entsprechend der LXX und Vulg.; für die Textformen S und A ist dieser Teil nicht bezeugt, vgl. Fischer 1951, 121. 1732 Vgl. etwa Tert. bapt. 8, Ambr. Noe 19,67, Prud. tituli 3,10–12, Mar. Victor. aleth. 2,501– 502, Ps. Hil. gen. 192, Alc. Avit. carm. 4,580–582.

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Schnabel1733, sondern dieser ist gleichsam vollgestopft (ora referta tulit)1734 mit Zweigen, was als Zeichen der zurückgekehrten Fruchtbarkeit der Bäume angesehen werden kann. In diese Richtung weist auch praepinguis, welches zwar in erster Linie den hohen Fettgehalt1735 der Olive bezeichnet und durch den Topos der pinguis oliva bedingt ist1736, aber vielleicht auch an die (wieder erlangte) Fruchtbarkeit des Ölbaums denken lässt. In diesem Sinne wird pinguis als Attribut zu üppig wachsenden, an Früchten oder Samen reichen Pflanzen verwendet1737. Der gesamte Wortlaut von V. 308–309a erinnert stark an Prud. tituli 3,10 ore columba refert ramum viridantis olivae, was ein Zurückgreifen des HD auf diese Passage wahrscheinlich macht; dafür sprechen die in der Poesie gängige Junktur ramis [...] olivae bzw. ramum [...] olivae1738 am gleichen metrischen Ort, ora bzw. ore am Beginn des Hexameters und der – wenn auch rein phonetische und nicht etymologische – Anklang von referta an das Verbum refert bei Prudentius1739. V. 309b–310 cum iam per sidera vesper / surgeret ac tremulo noctem praecurreret igni: Der HD gestaltet hier die in Vet. Lat. gen. 8,11 enthaltene Zeitangabe (S) sub vespera(m) bzw. (M) ad vesperam zu einem poetischen Bild aus. Die Verbindung von vesper in der Bedeutung „Abendstern“ mit dem Verbum surgere findet sich auch in Hor. carm. 2,9,10–11 [...] nec tibi Vespero / surgente decedunt amores; die Junktur per sidera, die in der hexametrischen Dichtung sehr oft an der gleichen metrischen Position steht1740, ist hier in lokaler Bedeutung auf die bereits aufgegangenen Sterne zu beziehen, zwischen denen hindurch der Abendstern seinen Weg am Himmel nimmt1741, wobei durch die Nebeneinanderstellung von sidera und vesper deutlich wird, dass der Abendstern nicht einfach unter die übrigen Sterne zu subsumieren ist. In der Poesie wird gewöhnlich sein besonders helles oder auch rötliches Leuchten hervorgehoben1742, nicht aber ein Flackern oder

1733 In Mar. Victor. aleth. 2,502 ist sogar nur von einer kleinen „Probe“ die Rede, vgl. […] parvum libamen olivae. 1734 Zu ferre in Verbindung mit Körperteilen und einem prädikativen Adjektiv oder Partizip vgl. ThlL 6,1 s.v. fero 531,28–56. 1735 Zu praepinguis vgl. den Kommentar zu V. 254. 1736 Zu diesem Topos bei Vergil und in der nachfolgenden klassischen und christlichen Dichtung vgl. Petringa (La presenza) 2007, 156–157, insbesondere 157 Anm. 31. Beim HD vgl. auch num. 53 [...] pingui inroret olivo, 116 [...] pinguique inrorat olivo, deut. 218 et pingui pariter fluente olivo. 1737 Vgl. ThlL 10,1 s.v. pinguis 2171,51–72. 1738 Belege von Vergil bis Ambrosius, darunter etliche mit der Junktur ram* [...] olivae an der gleichen metrischen Position wie in Hept. gen. 308, nennt Petringa (La presenza) 2007, 156 Anm. 30. 1739 Vgl. Petringa (La presenza) 2007, 157. 1740 Vgl. die 43 Belege der Datenbank Pede certo (aufgerufen am 30.06.2015). 1741 Ähnlich Drac. laud. dei 2,504 misit ab arce pium caeli per sidera Christum, was Moussy/ Camus 2002, 220 mit „à travers les constellations“ übersetzen. 1742 Vgl. etwa Catull. 62,1–2 [...] Vesper Olympo / expectata diu vix tandem lumina tollit, Verg. georg. 1,251 illic sera rubens accendit lumina Vesper, Iuvenc. 3,225 Si ruber astrifero procedit vesper Olympo, Ps. Hil. gen. 67–68 Lucifer exsurgit roseus et fulgidus ore / vesper [...]. Zum Preis des Abendsterns in der griechischen und römischen Poesie aufgrund seiner be-

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Funkeln (vgl. tremulo [...] igni)1743, so dass es dem HD hier wohl mehr um die Poetizität der Junktur als um sachliche Korrektheit geht. Als Vorbote der Nacht (vgl. noctem praecurreret)1744 erscheint der Abendstern auch in Hept. lev. 72–73 ([...] donec iam vesper ab aethra / conspicuus laeto praecedat lumine noctem). Über die poetische Gestaltungsabsicht hinaus könnten V. 309b–310 auch den Zweck haben, zu betonen, dass Noah lange auf die Taube und die ersehnten Informationen über den Stand des Wassers warten muss. Denn der Vogel, der bei Sonnenaufgang (V. 306–307) losgeschickt wird, kehrt erst zurück, als es bereits Abend wird (vgl. iam)1745. V. 311 inde iterum septem transcursis rite diebus: V. 311–313 enthalten eine amplifizierende Ausgestaltung von Vet. Lat. gen. 8,12. In V. 311 knüpft der HD recht wörtlich an diesen Bibelvers an, für dessen Anfang die Vetus Latina nicht vollständig bezeugt ist ((I) alios septem dies iterum dimisit columbam)1746, und deutet das Durchlaufen weiterer sieben Tage (vgl. transcursis)1747 durch rite im Sinne eines rituell korrekten, der göttlichen Weisung entsprechenden Ablaufs1748. Dadurch wird einmal mehr Noahs Gehorsam gegenüber Gottes Anordnungen betont1749. V. 312a mittitur in pelagus ales: Zum Zwecke der Variatio ersetzt der HD bei der dritten Aussendung der Taube nicht nur das biblische columbam durch ales (vgl. V. 303 columbam, V. 307 volucrem), sondern gibt den beschriebenen Sachverhalt diesmal im Passiv wieder (mittitur, vgl. V. 303 mittit, V. 307 dimittit), unter gleichzeitiger Wahrung der Nähe zu seiner biblischen Vorlage Vet. Lat. gen. 8,12 (I) dimisit (misit1750) columbam. Durch in pelagūs1751 wird per stagna (V. 303) variiert. V. 312b–313 quae lapsa meatu / perceleri numquam sociae se reddidit aulae: Auf das Ende von Vet. Lat. gen. 8,12 ((A) et non adposuit reverti ad eum sonderen Schönheit und Helligkeit vgl. A. Rehm, Art. „Hesperos“, in: RE 8,1, 1912, 1250– 1257, v.a. 1252. 1743 Zu tremulus in Bezug auf das Licht von Gestirnen vgl. den Kommentar zu V. 16; zur Junktur vgl. auch Lucr. 4,404 Iamque rubrum tremulis iubar ignibus erigere alte (Sonnenaufgang) und Hept. Ios. 348 nec moveat tremulos lunaris circulus ignes (Mondlicht). 1744 Zu praecurrere für das zeitliche Vorausgehen von Phänomenen, die auf etwas Bevorstehendes hinweisen, vgl. ThlL 10,2 s.v. praecurro 518,81–519,8 mit Prosabelegen ab Cicero; als einziger poetischer Beleg ist Hept. gen. 310 genannt. 1745 Dieser Zeitpunkt ist sachlich damit zu erklären, dass die Vögel abends ihr Nest bzw. ihren Ruheplatz aufsuchen, vgl. Westermann 1976, 602 zu Gen 8,11. 1746 Vgl. LXX gen. 8,12 kai? eöpisxv?n eäti hÖmeßraw eÖpta? eÖteßraw und Vulg. expectavitque nihilominus septem alios dies. 1747 Zu dieser transitiven Verwendung von transcurrere in Bezug auf einen Zeitraum vgl. auch Paul. Petric. Mart. 2,179 tempora transcursis adstant praesentia saeclis und Ven. Fort. Mart. 2,244 interea medias quasi nox transcurrerat horas. 1748 Vgl. OLD s.v. rite 1656 unter 1. In dieser Bedeutung wird rite auch in Hept. exod. 479 verwendet, um auszudrücken, dass Mose gemäß der göttlichen Weisung seinen Stab hebt, woraufhin ein Wind das Rote Meer austrocknet. 1749 Vgl. auch V. 282–283 haec ubi dicta, fiunt domini mandata volente / festinoque sene [...]. 1750 Misit gibt Fischer 1951, 121 als Variante an, nennt aber als Zeugen nur den HD. 1751 Zur Dehnung der kurzen Endsilbe -ŭs vgl. Peiper 1891, 345.

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amplius) wird durch numquam sociae se reddidit aulae Bezug genommen, wobei die Endgültigkeit des Fortbleibens der Taube (non adposuit [...] amplius) durch numquam auf den Punkt gebracht wird. Aulae steht hier im Sinne von „Stall, Gehege“ für die Arche1752, deren Schutz die Taube nun nicht mehr benötigt, weil sie außerhalb überleben kann. Daher liegt es nahe, sociae in übertragener Bedeutung auf die Hilfsfunktion der Arche zu beziehen, die der Taube sozusagen als verlässliche Zuflucht zur Seite steht und ihr gleichsam Unterstützung gewährt1753. Für diese Verwendung von sociae spricht auch die Tatsache, dass sociae se reddidit aulae deutlich mit V. 305 […] vati se reddit almo korrespondiert, wo Noahs Funktion als Nährer und Schützer der Taube hervorgehoben wird1754. Diese Dimension von sociae geht verloren, wenn sociae [...] aulae den gemeinsamen Stall bezeichnen soll, den sich die Taube mit den anderen Tieren teilt1755. Eine über den Bibeltext hinausgehende Zutat des HD ist lapsa meatu / perceleri, der sehr eilige Flug der Taube, welcher auf ihren Freiheitsdrang hinweist. Während das Adjektiv perceler sehr selten vorkommt1756, ist meatus als Synonym für volatus1757 und labi als Bezeichnung des Fliegens in der Dichtung häufiger belegt1758, in Bezug auf Tauben etwa in Verg. Aen. 5,216 [...] mox aëre lapsa quieto und 6,202 […] liquidumque per aëra lapsae sowie in Prud. cath. 3,165 sidere lapsa columba fugat [scil. aquilas] und ham. 805 lapsa columbarum nubis descendat in arvum. Das Partizip Perfekt lapsa ist hier, wie öfters bei Deponentien, zur Bezeichnung der Gleichzeitigkeit entsprechend einem Partizip Präsens verwendet1759. V. 314–315a sescentos igitur iam tum transgressus et unum / orbes erat vatis: In V. 314–317 gibt der HD Vet. Lat. gen. 8,13 wieder und bewerkstelligt die Überleitung von den vorausgehenden Tierversuchen durch das anknüpfende igitur1760. Die Zeitangabe (I) in primo et sescentesimo anno vitae Noe paraphrasiert er unter Verwendung des poetischen, seit Vergil belegten Ausdrucks orbis für den Jahreskreis1761, und er betont das rasche Voranschreiten der Zeit durch das Adverb iam (vgl. auch V. 315 und 319) sowie durch die dynamische Vorstellung vom Überschreiten des 601. Lebensjahres (transgressus [...] / orbes erat), welche 1752 Vgl. ThlL 2 s.v. 2. aula 1455,71. 1753 Für diese übertragene Verwendung von socius in Bezug auf Dinge nennt Forc. 4 s.v. socius 399 unter A 3 (am Ende) die folgenden, jeweils mit einer Erläuterung versehenen Belege: Val. Fl. 7,625 socias [...] artes (h.e. tanquam auxiliatrices), 3,162 socia […] clava (h.e. quam semper secum habebat) und Cic. Phil. 2,45 nocte socia (col benefizio della notte). 1754 Vgl. den Kommentar zu V. 305. 1755 Zu dieser gebräuchlicheren Bedeutung von socius vgl. OLD s.v. socius1 1779 unter 4. In einer ganz anderen Bedeutung, nämlich im Sinne des verbündeten Herrscherhauses, verwendet Claudian die Junktur socia aula in carm. 7,156 ([...] sociaque nurum produxit ab aula). 1756 Vgl. den Kommentar zu V. 129. 1757 Vgl. ThlL 8 s.v. meatus 512,11–20, vgl. Manil. 5,371, Stat. Theb. 3,504 und Claud. carm. min. 27,78. 1758 Vgl. ThlL 7,2 s.v. 1. labor 786,65–75. 1759 Vgl. KS II,1, 759–760 § 136 unter β. 1760 Vgl. den Kommentar zu V. 197–198a. 1761 Vgl. den Kommentar zu V. 211. Zur metrischen Lizenz bei orbĕs (Kürzung der Endung -ēs im Nominativ bzw. Akkusativ Plural der 3. Deklination) vgl. Peiper 1891, 344.

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durch das Enjambement unterstrichen wird. Transgredi scheint in Verbindung mit Altersangaben ansonsten auf die Prosa beschränkt zu sein1762. V. 315b–316a primo iam mense secuto / atque die mensis primo: Der in V. 315b–316a enthaltene Ablativus absolutus lässt sich als Erläuterung zu V. 314– 315a auffassen: Das 601. Lebenjahr hat Noah eben dadurch überschritten, dass sich bereits der erste Tag des ersten Monats seines neuen Lebensjahres angeschlossen hat. Diese modale Nuance spricht dafür, das Partizip Perfekt secuto im Sinne der Gleichzeitigkeit wie ein Partizip Präsens aufzufassen, was bei Deponentien und insbesondere bei secutus bereits in der klassischen Prosa möglich ist1763. Durch die mensis primo greift der HD fast wortwörtlich die in Vet. Lat. gen. 8,13 enthaltene Angabe (M) primo die mensis auf, mit primo iam mense liefert er dagegen eine Information, die sich laut Fischer nicht in der Vetus Latina, sondern in der LXX und Vulgata findet1764. Der in Gen 8,13 wiederholten Zahl eins kommt in der Bibel die Bedeutung zu, den Beginn der nachsintflutlichen Ära zu unterstreichen, so dass „[d]er Tag des Endes der Flut [...] zum ‚Neujahrstag‘ [wird].“1765 Diesen Aspekt hebt der HD hervor, indem er die Zahlen an betonte metrische Positionen stellt, nämlich primo in V. 315 und 316 jeweils vor die Hephthemimeres und unum in V. 314 ans Versende. V. 316b–317 cum libera tellus / visa aperire procul montes ac volvere fumum: Der Anblick der vom Wasser freien Erde, der sich Noah nach dem Aufdecken des Daches der Arche bietet, wird am Ende von Gen 8,13 berichtet, wofür die Vetus Latina nur lückenhaft bezeugt ist1766. Die persönliche Konstruktion von videri mit dem NcI steht in diesem Kontext nicht im Sinne von „scheinen“, sondern im wörtlichen Sinne von „gesehen werden“, da es sich ja um eine tatsächliche Wahrnehmung Noahs handelt1767. Während die biblische Formulierung für das Verschwinden des Wassers ((M) quod recessit aqua) nicht besonders spektakulär wirkt, entfaltet der HD in V. 316b–317 ein eindrucksvolles und detailreiches Tableau, das sich Noahs Augen darbietet. Zu diesem Zweck integriert er zum einen den bisher ausgelassenen Vers Vet. Lat. gen. 8,5 in seine Darstellung, nämlich das Auftauchen der Berge (aperire [...] montes), das der biblischen Vorlage zufolge freilich schon zwei Monate zuvor stattgefunden hat und dabei auf die Gipfel der Berge beschränkt war ((I) (ap)paruerunt (visa sunt) capita montium). Zum 1762 Vgl. die Belege in OLD s.v. transgredior 1964 unter 3 b. 1763 Vgl. KS II,1, 759 § 136 unter β. 1764 Vgl. LXX gen. 8,13 touq prvßtou mhnoßw und Vulg. primo mense. Fischer 1951, 121 führt als Vetus-Latina-Zeugen Ambr. Noe 20,71 an, wo vom ersten Monat nicht die Rede ist, doch die Textgestalt der Passage ist umstritten: So konjiziert C. Schenkl in CSEL 32,1, 465 primo die mensis und Schubert 2006, III, 46 primo die mensis. 1765 Vgl. Westermann 1986, 95. 1766 Vgl. Vet. Lat. gen. 8,13 (M) [kai? eiQden] quod recessit aqua [aöpo? prosvßpou thqw ghqw] (vgl. den Nachtrag bei Fischer 1951, 547); die Vulg. lautet aspexit viditque quod exsiccata esset superficies terrae. 1767 Vgl. auch die Übersetzung von Horsfall 2006, 13 zu Verg. Aen. 3,205–206 (quarto terra die primum se attollere tandem / visa, aperire procul montis ac volvere fumum): „On the fourth day land was at last seen to rise up, to reveal mountains und to roll curls of smoke“ (Hervorhebung von mir, H.S.).

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anderen übernimmt er den gesamten Vers Verg. Aen. 3,206 (visa, aperire procul montis ac volvere fumum), in dem beschrieben wird, wie Aeneas und seine Gefährten auf ihrer Flucht von Troja nach einem mehrtägigen Seesturm in der Ferne die Strophaden sehen, insbesondere deren Berge und aufsteigenden Rauch. Wenn auch die Situation in beiden Textpassagen eine ähnliche ist – es geht jeweils um das Auftauchen von Festland (tellus bzw. Verg. Aen. 3,205 terra) aus dem Wasser am ersten Tag des ersten Monats bzw. am vierten Tag des Seesturms (Verg. Aen. 3,205) –, liegen die Unterschiede doch auf der Hand: Während in Verg. Aen. 3,206 das in Sicht gekommene Land Berge zeigt (aperire procul montis), meint aperire in V. 317 auch ganz konkret, dass die Erde, die nun zumindest teilweise frei von Wasser ist (vgl. V. 316b libera tellus)1768, die Berge von der Flut entblößt zum Vorschein bringt1769. Den Rauchschwaden (fumum), die für Aeneas und seine Gefährten ein Zeichen von Zivilisation sind, entsprechen im Text des HD Dunstwolken, die von der noch feuchten Erde aufsteigen. In der Bedeutung „Nebel, Dunst“ begegnet fumus erstmals in Ov. met. 1,571 in Bezug auf Nebelschleier über einem Fluss ([scil. Peneus] deiectuque gravi tenues agitantia fumos / nubila conducit [...])1770, in Bezug auf Ausdünstungen der Erde findet es sich in Verg. georg. 2,217 (Quae [scil. terra] tenuem exhalat nebulam fumosque volucris). Fumare bezeichnet allerdings schon bei Lukrez das Austreten von Wasserdampf aus der Erde1771. Mit der Junktur volvere fumum bzw. volumina fumi wird gewöhnlich das wirbelnde Aufsteigen von Rauch veranschaulicht1772, ein Bild, das hier auf die sich windenden Dunstschleier der trocknenden Erde übertragen wird. Abgesehen von diesen Unterschieden weist der Kontext von Verg. Aen. 3,205– 206 auch deutliche Gemeinsamkeiten zur Passage des HD auf, so dass diese um weitere Konnotationen angereichert wird: So lassen sich die Strophaden als das erste Stück Erde, das Aeneas und seine Gefährten nach dem Seesturm aufnimmt, mit der vom Wasser befreiten Erde vergleichen, auf der Noah, seine Angehörigen und die Tiere nach dem Verlaufen der Sintflut landen1773. Zu bedenken ist freilich, dass die Strophaden aufgrund der grässlichen Harpyien Aeneas und seinen Gefährten keine Bleibe bieten, während die aus der Sintflut geretteten Menschen und Tiere auf der Erde ein neues Leben beginnen. Außerdem lässt sich der pius Aeneas, der die vom fatum auferlegte Mission hat, ein neues Troja zu gründen, mit dem vates mitis Noah parallelisieren, der von Gott dazu auserwählt ist, ein 1768 Zur Junktur vgl. auch Sen. Herc. O. 1899. 1769 In Verg. Aen. 3,206 lässt sich aperire mit ostendere paraphrasieren, in Hept. gen. 317 eher mit operta, tecta detegere, vgl. ThlL 2 s.v. aperio 216,23. 1770 Vgl. ThlL 6,1 s.v. fumus 1542,52–60 nach dem Vermerk vapores terrestres, nebulae, pulveres sim. 1771 Vgl. Lucr. 5,463–464 exalantque lacus nebulam fluviique perennes / ipsaque ut inter dum tellus fumare videtur und 6,523 terraque cum fumans umorem tota redhalat. 1772 Neben Verg. Aen. 3,206 vgl. auch Lucr. 6,691 [...] et crassa volvit caligine fumum [scil. Aetna], Ov. met. 13,601 corruit igne rogus, nigrique volumina fumi, Lucan. 3,505 [...] nigri spatiosa volumina fumi und Alc. Avit. carm. 6,470 atque inter picei nebulosa volumina fumi. 1773 Vgl. Petringa (La presenza) 2007, 171.

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neues Menschengeschlecht auf der von der Sintflut gereinigten Erde zu begründen1774. V. 318 quos super undarat ter quinas pontus in ulnas: Hier holt der HD Vet. Lat. gen. 7,20 nach, welchen Vers er in seinem ursprünglichen Zusammenhang ausgelassen hat, und knüpft durch montes [...] / quos super1775 undarat recht deutlich an den biblischen Wortlaut an ((I) quindecim cubitis superavit aqua super excelsos montes). Indem vom aktuellen Zustand der vom Wasser befreiten Berge (V. 317) auf diese frühere Phase der Sintflut zurückgeblickt wird, wird deutlich, welch große Gefahr Noah und die übrigen Insassen der Arche nunmehr überstanden haben. Die Junktur in ulnas, bei der in mit dem Akkusativ als Maßangabe fungiert und eine räumliche Erstreckung angibt1776, begegnet in dieser Bedeutung auch in Verg. georg. 3,355 ([...] septemque adsurgit in ulnas) und Sil. 6,153 ([...] centum porrectus in ulnas), ferner in Mar. Victor. aleth. 2,402 in Bezug auf die Höhe der Arche ([…] quae ter centum tendatur in ulnas)1777. Die multiplikative Periphrase der Zahl 15 durch ter quinas und das Versende ulnas erinnern an die Maßangaben, die sich auf die Länge und Höhe der Arche beziehen, vgl. V. 255 ipsa fuit plenas ter centum longa per ulnas und V. 258 edita ter denis in caelum tollitur ulnis1778. V. 319–320a decurso iam mense dehinc cum trina secundo / lumina restarent: Auch die nächste im Bibeltext auftretende Zeitangabe übernimmt der HD exakt und knüpft durch mense [...] secundo wörtlich an den Beginn von Vet. Lat. gen. 8,14 (I) in secundo autem mense an. Für decurrere in Bezug auf das Durchlaufen einer Zeitspanne führt der ThlL überwiegend poetische und späte Belege an1779; innerhalb der Heptateuchdichtung findet es sich mehrfach in dieser Bedeutung1780. Durch cum trina [...] / lumina restarent wird die Tagesangabe (I) septima et vicesima die mensis durch Subtraktion umschrieben1781, wobei sich der poetische Gestaltungswille des HD besonders in der etwas pretiös wirkenden Wortstellung zeigt: So sind die Substantive und ihre jeweiligen Attribute über die Versgrenze hinaus miteinander verschränkt (decurso iam mense dehinc cum trina

1774 Vgl. ebd. 171–172. 1775 Zur überwiegend poetischen Nachstellung der Präposition super vgl. KS II,1, 586 § 113 unter e. 1776 Vgl. ThlL 7,1 s.v. 2. in 760,23–24. 1777 Zum Hexameterschluss in ulnas, allerdings in anderer Bedeutung, vgl. auch Claud. carm. min. 30,218. 1778 Vgl. auch Mar. Victor. aleth. 2,482–483 et iam ter quinis super omnia celsior ulnis / arca ferebatur; [...]. 1779 Vgl. ThlL 5,1 s.v. decurro 232,52–79. 1780 Vgl. Hept. gen. 525 [...] iam gelidis decursa ob tempora membris, exod. 396 quattuor atque decem postquam decurrere luces, lev. 225 ne decursa dies pallentes misceat umbras, num. 518 in quo decursae post tempora plurima vitae und insbesondere die folgenden Wendungen im Ablativus absolutus: exod. 981 decurso […] anno, lev. 87 decurso […] mense, lev. 253 decurso […] tempore, num. 172 decurso […] anno, iud. 154 decurso tramite vitae. 1781 Zu den verschiedenen Verfahren der Zahlenperiphrase in der lateinischen Dichtung vgl. die einschlägige Monographie von M. Vogel, zitiert S. 339 Anm. 1071.

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secundo / lumina), wodurch die Zahlwörter trina1782 und secundo unmittelbar nebeneinander zu stehen kommen. Der Versbeginn lumina restarent erinnert rein formal an Ov. fast. 5,361 lumina restabant […], doch während lumina beim HD metonymisch für dies steht1783, sind bei Ovid die zu Ehren der Göttin Flora entzündeten Fackeln gemeint. V. 320b–321 toto iam libera fluctu / terra fuit propriumque ostendit laeta virorem: Die schlichte Feststellung am Ende von Vet. Lat. gen. 8,14 (I) siccata est terra wird hier um zusätzliche Gedanken angereichert. Zum einen wird durch iam das außerordentlich schnelle Verschwinden des Wassers hervorgehoben, das ursprünglich 15 Ellen über den Bergen stand (vgl. V. 318), am ersten Tag des ersten Monats die Erde im Bereich der Berge nicht mehr bedeckte (vgl. V. 316b– 317) und bereits am 27. Tag des zweiten Monats (vgl. V. 319–320a) vollkommen von der Erde verdunstet ist (toto […] libera fluctu / terra fuit). Zum anderen erinnert der HD durch das Grün der vom Wasser entblößten Erde (virorem) an den dritten Schöpfungstag (vgl. Gen 1,11–12), an dem Gott nach der Trennung von Wasser und Land grüne Pflanzen wachsen lässt. Von einem spontanen Wachstum von Pflanzen auf der von der Sintflut getrockneten Erde ist in der Bibel nicht die Rede, doch Ambrosius entfaltet diesen Gedanken im Zusammenhang mit dem frischen Ölbaumblatt im Schnabel der Taube und stellt eine Parallele zur Schöpfungsgeschichte her1784; außerdem hebt er hervor, dass Gott die Erde zur Frühlingszeit durch die Sintflut zerstört und zur Frühlingszeit auch wieder im Reichtum ihrer Vegetation hergestellt habe1785. Durch ostendit erscheint die Erde personifiziert, so dass bei laeta hier die gewöhnlich auf Lebewesen bezogene Bedeutung gaudio affectus, alacer mitschwingen könnte1786: Die Erde zeigt, nachdem sie lange Zeit einer Wasserwüste glich, gleichsam voll Freude das Grün, das ihr eigentliches Charakteristikum ist (proprium [...] virorem) und ihrer wahren Bestimmung entspricht. Darüber hinaus steht laetus in Bezug auf das Grün der Erde für ihre Fruchtbarkeit1787 und vielleicht auch für den heiteren Anblick, den sie nun dem Betrachter bietet1788. Cl. M. Victorius erwähnt das erneute Grünen der Erde als einen von Noahs optischen Eindrücken nach dem Aussteigen aus der Arche, vgl. aleth. 2,534–535 [...] et desperata virescunt / fetibus arva novis. [...]. 1782 Zur Bevorzugung von Distributiva anstelle von Kardinalzahlen in der Dichtung vgl. KS II,1, 661–662 § 121 unter c. 1783 Zu diesem poetischen Gebrauch vgl. ThlL 7,2 s.v. lumen 1813,63–78. 1784 Vgl. Ambr. Noe 21,74, v.a. […] quid magnum si deo iubente uno die quo inminuta fuerit aqua statim germinavit et terra, cum idem sit fructuum reparator et conditor atque operis sui usum non fuerit oblitus? 1785 Vgl. Ambr. Noe 17,60 [...] eodem mense atque eodem die restituitur aequalitas terrae post diluvium, quo corrupta est incipiente infusione diluvii. veris enim tempore omnis ager viret et terra parturit fructus. tunc incipiunt gemmare arbores, germinare fructus. divitem ergo reformavit dominus et restituit qualitatem. 1786 Vgl. ThlL 7,2 s.v. 1. laetus 885,35–886,50. 1787 Vgl. ebd. 883,82–884,32; in Verbindung mit virere vgl. Hept. exod. 995–996 […] quae [scil. terra] pinguibus arvis / laeta viret […] und num. 700 vel quae [scil. silva] laeta viret sub ripis fluminis acta. 1788 Vgl. ebd. 889,28–52.

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8. DIE LANDUNG AM ARARAT UND DIE NEUORDNUNG DES LEBENS AUF DER ERDE (V. 322–343) Nachdem der HD in der biblischen Chronologie bereits bis Gen 8,14 vorgedrungen ist (vgl. V. 321), trägt er nun Gen 8,4, die Landung der Arche auf dem Ararat, nach (V. 322–323), wobei es durch den veränderten biblischen Kontext zu einer inhaltlichen Veränderung von Gen 8,4 kommt: Die Arche landet nicht während der Sintflut auf dem Gipfel des Ararat, sondern nach dem Verlaufen der Wasser an seinem Fuße1789. Unter Auslassung von Gen 8,15–17, d.h. des Auftrags Gottes an Noah, zusammen mit seinen Angehörigen und den Tieren die Arche zu verlassen und sich auf der Erde zu vermehren, konzentriert sich der HD auf das tatsächliche Verlassen der Arche und die anschließende Darbringung von Noahs Opfer, das Gott versöhnlich stimmt (Gen 8,18–22, vgl. V. 324–332). Diese Reaktion Gottes auf das Opfer verknüpft der HD unmittelbar mit Gottes Versprechen, keine Sintflut mehr zu schicken (Gen 9,11, vgl. V. 330), und mit der Bildung des Regenbogens (Gen 9,13–14, vgl. V. 333–334), dessen Funktion als Bundeszeichen beim Leser als bekannt vorausgesetzt wird. Überhaupt wird der Bundesschluss zwischen Gott und seiner Schöpfung nicht thematisiert, denn die auf den Bundesschluss bezogenen Bibelverse Gen 9,8–10.12.15–17 entfallen in der Darstellung des HD. Erst jetzt folgt der Abschnitt Gen 9,1–7, der den Vermehrungssegen und Herrschaftsauftrag an Noah und seine Söhne einschließlich des Tötungsverbots menschlichen Lebens enthält (V. 335–343). Hierbei lässt der HD den Vermehrungsaspekt (Gen 9,1 und Gen 9,7) ganz aus und beschränkt sich auf den Auftrag an Noah, über die Schöpfung zu herrschen. In Gen 9,3 erhalten Noah und seine Söhne über Gen 1,29 hinausgehend nicht nur die grünen Pflanzen, sondern auch die Tiere als Nahrung, d.h. zur Herrschaft des Menschen über die Schöpfung tritt die Möglichkeit des Tötens von Tieren zum Zwecke des Nahrungserwerbs1790. Diese bedeutsame Neuerung, die auch in der Kirchenväterliteratur vor dem HD Beachtung gefunden hat1791, ist für den HD offensichtlich nicht von Interesse, denn er eliminiert Gen 9,3 vollkommen und geht gleich zu dem in Gen 9,4 ausgedrückten Verbot über, bluthaltiges Fleisch zu essen. Während Cl. M. Victorius in aleth. 3,17–59 sämtliche Reden Gottes in diesem Zusammenhang als direkte Reden wiedergibt, erscheint beim HD nur beim Tötungsverbot menschlichen Lebens (Gen 9,5–6, vgl. V. 341–343) eine wörtliche Rede. V. 322 ergo ubi nudatis consedit montibus arca: Während in der biblischen Vorlage nun der Auftrag Gottes an Noah erfolgt, zusammen mit seinen Angehörigen und den Tieren aus der Arche auszusteigen (vgl. Gen 8,15–17), die nach Vet. Lat. gen. 8,4 seit dem 27. Tag des 7. Monats von Noahs 600. Lebensjahr auf dem 1789 Vgl. den Kommentar zu V. 322. 1790 Vgl. Westermann 1976, 619. 1791 Vgl. etwa Rufin. Orig. in gen. 1,17 Historia quidem huius sententiae manifeste indicat usum ciborum primitus a Deo ex herbis, id est oleribus et arborum fructibus, esse permissum. Postea vero cum ad Noe post diluvium fieret testamentum, facultas vescendarum carnium hominibus datur.

8. Die Landung am Ararat und die Neuordnung des Lebens auf der Erde (V. 322–343)

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Gebirge Ararat festsitzt, findet nach der Darstellung des HD erst jetzt die Landung der Arche statt (V. 322–323). Da die Erde bereits vollkommen frei von Wasser ist und Vegetation zeigt (V. 320b–321), kann mit consedit montibus unmöglich die in Vet. Lat. gen. 8,4 geschilderte Situation gemeint sein, dass die Arche, durch die Fluten emporgehoben, über dem Gebirge schwimmt und mit abnehmendem Wasserspiegel von oben auf dem Gipfel aufsetzt (vgl. (I) et sedit (consedit)1792 arca […] super montes Ararat)1793. Ganz offensichtlich will der HD die in V. 316b– 317 evozierte Vorstellung, dass für Noah in der Arche wie für Aeneas auf seinem Schiff Land in Sicht kommt1794, dahingehend weiterentwickeln, dass die Arche wie ein Schiff vor Anker geht, und so liegt der Gedanke nahe, dass der HD sich den Ararat als einen Berg am Meeresufer vorstellt, an dessen Fuß die Arche landet, während sie auf dem nunmehr gesunkenen, wieder an Ort und Stelle befindlichen Meer fährt. Considere kann im Besonderen das Landen eines Schiffes bezeichnen1795 und der präpositionslose Ablativ der Ortsruhe nudatis [...] montibus1796 entspricht dann in etwa einem iuxta nudatos montes, ähnlich wie in Verg. Aen. 7,176 perpetuis soliti patres considere mensis, wo sich die Väter an und eben nicht auf langen Tischen niedersetzen. Der Versschluss consedit montibus arca klingt formal an Homer. 654 umbrosisque simul consedit montibus Idae an, wo sich freilich der durch die Lüfte gleitende Jupiter oben auf dem Berg niederlässt. Denkbar ist, dass durch nudatis1797 montibus an V. 317 aperire procul montes angeknüpft werden soll, also die in der Ferne sichtbar gewordenen Berge nun mit dem Ararat identifiziert werden sollen; dies wird auch durch das vergilische Vorbild der Landung an den Strophaden nahegelegt, denn eben diese sind ja auch das aus dem Meer aufragende Land mit den Bergen. Nudare im Sinne eines Entblößens von bedeckendem Wasser begegnet auch in Aug. quaest. hept. 1,14 (nudata fuerant cacumina montium), wo auf die entblößten Berggipfel in Gen 8,5 Bezug genommen wird, und in Ov. met. 1,346 (nudata cacumina silvae), wo im Rahmen der Fluterzählung die Baumwipfel aus dem sinkenden Wasser ragen1798. Der gesamte Vers 322 zeigt wörtliche Parallelen zu Alc. Avit. carm. 4,539–540 (Armeniae celsis instabat montibus arca / Et nondum nudis fundo consedit in 1792 Für diese Variante gibt Fischer 1951, 118 nur den HD als Zeugen an, den er zudem mit einem Fragezeichen versieht. 1793 Auch in Ov. met. 1,313–323 landet das Boot mit Deukalion und Pyrrha deshalb am Doppelgipfel des Parnass, weil dieser aus dem Wasser der Flut herausragt. Die logische Problematik, wie die Arche nach dem gänzlichen Rückgang des Wassers oben auf dem Ararat landen kann, scheint Ciarlo 2008, 730 nicht zu sehen. 1794 Vgl. den Kommentar zu V. 316b–317. 1795 Vgl. etwa Verg. Aen. 3,378 […] considere portu und Sil. 15,178 considunt portu. […]. Etwas anders liegt der Fall in Val. Fl. 1,4 […] flammifero tandem consedit Olympo, wo vom Zur-Ruhe-Kommen der Argo am Firmament bei ihrer Verstirnung die Rede ist. 1796 Zum freien Gebrauch dieses Ablativs in der Dichtung vgl. KS II,1, 354 § 79 Anm. 5 (am Ende). 1797 Nudatis in AC ist sicherlich gegenüber dem sinnwidrigen undatis in G zu bevorzugen. 1798 Dagegen sind mit den entblößten Bergen in Val. Fl. 3,332 (Interea innumeras nudatis montibus urgent [scil. pyras]) und Lucan. 3,428 (inter nudatos stabat densissima montis [scil. silva]) abgeholzte bzw. kahle Berge gemeint.

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arvis), wobei Avitus aber der biblischen Chronologie folgt und die Arche noch während der Überflutung im Ararat-Gebirge landen lässt. V. 323 Araratum qui nomen habent sermone vetusto: Der Einführung des Namens Ararat, der sich in Vet. Lat. gen. 8,4 und in der LXX, nicht aber in der Vulgata findet1799, widmet der HD einen ganzen Vers, um möglicherweise den fremdartigen Klang dieses Wortes auszukosten. Der viersilbige, von nomen abhängige Genitiv Plural Ārărătum1800 wird betont an den Versanfang gestellt und sein eigenwilliger Klang damit erklärt, dass das Wort aus einer alten Sprache stamme (sermone vetusto). Die gleiche Junktur am Versende bezeichnet in Drac. laud. dei 2,592 Erzählungen aus der heidnischen Vorzeit (vel quicumque dei ficti sermone vetusto). Eine ähnliche Namenserläuterung mit Verweis auf das Alter der Sprache fügt der HD in Ios. 414 in Bezug auf König Og von Basan ein (Bassamum rector (Ocum dixere vetusti)). V. 324 laxat claustra senex reddens nova semina terrae: Während in Vet. Lat. gen 8,18–19 berichtet wird, dass der Reihe nach Noah, seine Angehörigen und die Tiere aussteigen, weist der HD Noah eine aktivere Rolle zu: Er öffnet die Riegel der Arche (laxat claustra) und lässt die anderen Insassen hinaus, die hier zusammenfassend als nova semina bezeichnet werden, so wie er sie beim Einsteigen in die Arche zu sich an Bord genommen hat (V. 285 recepit). Dass dem biblischen Bericht zufolge Gott von außen die Arche verschlossen hat (Gen 7,16) und diese dann wohl nicht einfach von innen zu öffnen ist, scheint den HD nicht zu interessieren, und dementsprechend hat er das Verschließen der Arche auch nicht explizit erwähnt1801. Vielmehr ist es seine Absicht, Noahs Schlüsselrolle bei der Neubesiedlung der Erde herauszuarbeiten, und zu diesem Zweck spielt er durch den Versbeginn laxat claustra senex deutlich auf Verg. Aen. 2,259 laxat claustra Sinon […]1802 an. In diesem Kontext der Aeneis wird berichtet, wie Sinon – allerdings von außen1803 – unter dem Schutz der Nacht die Riegel des hölzernen Pferdes löst und die im Inneren eingeschlossenen griechischen Soldaten herauslässt. So wie die Griechen anschließend Troja erobern, werden auch die freigelassenen nova semina die Erde „erobern“, mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Griechen Tod und Vernichtung über Troja bringen, während die aus der Arche aussteigenden Menschen und Tiere die Erde nach den Zerstörungen der Sintflut

1799 Vgl. Vulg. gen. 8,4 super montes Armeniae. 1800 Vgl. ThlL 2 s.v. Arārāt 397, 32 und Peiper 1891, 302. Bei Araratum handelt es sich um eine sinnvolle, da der biblischen Überlieferung entsprechende Emendation Peipers für das in allen Codices überlieferte araracum. 1801 Vgl. den Kommentar zu V. 294b. 1802 Zur Junktur laxare claustra in der Poesie vgl. auch Sen. Oed. 401 Dum nos profundae claustra laxamus Stygis, Tro. 430–431 Stygis profundae claustra et obscuri specus / laxantur […] und Iuv. 8,261 prodita laxabant portarum claustra […]. Auch in Mar. Victor. aleth. 2,519 ([…] sacris excedere claustris) begegnet claustra im Kontext des Aussteigens aus der Arche, allerdings ist damit die gesamte Arche als Raum gemeint, in dem Noah und die übrigen Insassen eingeschlossen waren. 1803 Vgl. Horsfall 2008, 229 zu Verg. Aen. 2,258.

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mit neuem Leben füllen. Reddens1804 steht hier wohl im Sinne eines einfachen dare, doch es könnte auch die Konnotation mitschwingen, dass Noah der Erde durch das Öffnen der Arche etwas zukommen lässt, das ihr gehört und ihr gleichsam geschuldet wird1805. Bei nova semina bedient sich der HD der Samenmetapher wie bereits in V. 224 und 2951806; die Junktur findet sich innerhalb der Heptateuchdichtung auch in gen. 538 in Bezug auf Abrahams Nachkommen (dum nova venturae praenoscit semina gentis) und in der Dichtung vor und nach dem HD mehrfach an der gleichen metrischen Position, wenn auch in ganz anderen Kontexten1807. V. 325 exstruxitque libens sacraria festa Tonanti: In V. 325–327a paraphrasiert der HD Vet. Lat. gen 8,20. V. 325 bezieht sich auf den ersten Teil dieses Bibelverses, nämlich (E) et aedificavit Noe (S) altare deo // (M) aram deo // (X) altare domino. Während in der Bibel nur von einem Altar gesprochen wird, errichtet Noah nach der Darstellung des HD abgesehen von dem Altar (V. 326 altaria) sogar ein richtiges Heiligtum (sacraria), das mit dem gleichen Begriff bezeichnet wird wie etwa das Bundeszelt mit der Bundeslade in Hept. exod. 1069 oder der Tempel Gottes in deut. 107 und Ios. 3141808. Im Gegensatz dazu betont Cl. M. Victorius in aleth. 3,4–7, dass der Altar unter freiem Himmel auf einem Felsen errichtet wird und dass gerade kein Tempel gebaut wird. Festa charakterisiert das Heiligtum als den Ort, an dem das festliche Opfer zu Ehren Gottes dargebracht werden soll1809, oder allgemeiner als eine Einrichtung, die mit dem feierlichen Charakter des Tages in Verbindung steht1810. Indem der HD über seine biblische Vorlage hinaus betont, dass Noah das Heiligtum gerne (libens) errichtet, soll vielleicht zum Ausdruck gebracht werden, dass Noah nicht auf Befehl Gottes, sondern aus einer ganz eigenen, inneren Motivation heraus handelt. Dieser Gedanke wird expliziter in Mar. Victor. aleth. 3,1–4 geäußert, wo Noah beschließt, zuallererst Gott Opfer darzubringen und für die Rettung aus der Sintflut zu danken. Auch Ambrosius betont in Noe 22,78, dass Noah dieses Dankopfer von sich aus begangen habe, ohne dass Gott es ihm befohlen habe; dies nämlich sei wahre Dankbarkeit.

1804 Vielleicht auch durch die Vergilpassage inspiriert, vgl. Verg. Aen. 2,259–260 [...] illos patefactus ad auras / reddit equus. 1805 Vgl. Forc. 4 s.v. reddo 40 unter II 1 mit der Erläuterung reddere est dare ea, quae aut debentur iis, quibus dantur, aut ad eos aliquo modo pertinent. 1806 Vgl. den Kommentar zu V. 224b und V. 295–296a. 1807 Vgl. Ov. met. 4,573 vipereos sparsi per humum, nova semina, dentes (die ausgesäten Drachenzähne sind „neuartige Samen“), fast. 5,221 prima per immensas sparsi nova semina gentes (Flora hat den neuartigen Samen der Blumen ausgestreut), Stat. Theb. 3,484 sic dedit effusum chaos in nova semina texens (neue Samen der Dinge), Prud. ham. 114 sevit et anguineo medicans nova semina suco (Samen des Bösen), Ven. Fort. Mart. 3,165 hinc rudibus populis Christi nova semina iactat [scil. Martinus] (das verkündete Wort Gottes). 1808 Zum poetischen Plural bei Örtlichkeiten vgl. KS II,1, 84 § 23 unter d. 1809 Vgl. ThlL 6,1 s.v. festus 630,55–60. 1810 Vgl. ebd. 630,61–631,9; festus hat dann die Bedeutung i.q. festivus, sollemnis, sacer, laetus.

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V. 326 atque memor voti, adolet dum altaria flammis: Durch die elliptische Wendung memor voti [scil. fuit]1811 wird das Entzünden des Brandaltars durch Noah als Einlösung eines Gelübdes dargestellt, von dem in der biblischen Vorlage allerdings nicht die Rede ist. Offensichtlich soll dadurch der schon in libens (V. 325) zum Ausdruck gekommene Aspekt unterstrichen werden, dass Noahs Opfer aus eigenem Antrieb, nämlich aus Dankbarkeit für die von Gott geschenkte Rettung, erfolgt. Über libens hinausgehend wird durch memor voti Noahs Pflichtbewusstsein hervorgehoben, da er sein Versprechen, Gott nach seiner Rettung ein Opfer darzubringen, nach Abwendung der Gefahr nicht vergessen hat. Dass es sich hierbei um ein Brandopfer handelt (adolet dum altaria flammis), wird in Vet. Lat. gen. 8,20 in der Textform M durch obtulit holocausta angedeutet und noch deutlicher in der Textform X durch cremavit ausgedrückt; in der Textform S findet sich dagegen kein expliziter Hinweis auf das Brandopfer. Bei der Formulierung lehnt sich der HD deutlich an Verg. Aen. 7,71 […] adolet dum altaria taedis1812 an und bedient sich mit altaria flammis eines gängigen Hexameterschlusses1813. In metrischer Hinsicht ist V. 326 durch den Hiat zwischen voti und adolet auffällig. V. 327 hostia digna fuit, mites dum gignit odores: Die Feststellung hostia digna fuit hat keine unmittelbare Entsprechung in Vet. Lat. gen. 8,20, doch mit dem Begriff hostia werden, ebenfalls im kollektiven Singular, in der Textform S die reinen Tiere zusammengefasst, die Noah auf dem Altar darbringt; in der Textform X begegnet das Wort im Plural (hostias). Digna fuit könnte auf die Opferung der reinen Tiere anspielen, da ein Opfer unreiner Tiere eben nicht Gottes würdig gewesen wäre; auf diese Weise hätte der HD die in der biblischen Vorlage und auch in der Alethia1814 eigens erwähnte rituelle Besonderheit, auf die er sonst nicht eingeht, zumindest angedeutet. Naheliegender ist aber, dass digna durch den unmittelbar folgenden dum-Satz erläutert wird, also auf den Gott erfreuenden und daher seiner würdigen Wohlgeruch zu beziehen ist. Bei odores knüpft der HD wörtlich an Vet. Lat. gen. 8,21a an ((K) et delectatus est deus in odorem suavitatis // (E) et odoratus est dominus odorem suavitatis), durch mites paraphrasiert er den biblischen Genitiv suavitatis. In Bezug auf süße bzw. liebliche Gerüche findet sich mitis auch in Lact. Phoen. 85 (casiae mitis) und Claud. 10,93 (mitis amomi), 1811 Zur Ellipse nichtpräsentischer Formen von esse v.a. in dichterischer Sprache vgl. LHS 421 § 223 unter c; zur Junktur memor voti vgl. auch Stat. Theb. 10,345 […] et totidem voti memor exige tauros, wo Phoebus aufgefordert wird, an das ihm geleistete Gelübde zu denken und das versprochene Opfer einzufordern. 1812 Vgl. auch Proba cento 285 […] adolent dum altaria taedis (beim Opfer von Kain und Abel) sowie Hept. iud. 267 [...] adolent dum altaria flammis. In der etwas anderen Bedeutung „mit Flammen ehren“ begegnet flammis adolere in Verg. Aen. 1,704 […] flammis adolere penates. 1813 Vgl. auch Verg. ecl. 8,105, Manil. 1,20, Stat. Theb. 10,55, Paul. Nol. carm. 6,38, Hept. iud. 267; zu altaria flammae vgl. Tib. 3,12,17, Sil. 1,543 und 3,29; zu altaria flamma vgl. Ps. Prosp. carm. de prov. 684. 1814 Vgl. Mar. Victor. aleth. 3,7–9 [...] septenis hostia praeceps / affluit e gregibus, mollis quos sustinet aër, / quos generant terrae [...] (von den reinen Tieren sind je sieben Paare mitgenommen worden, von den unreinen nur zwei).

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wo jeweils der Duft von Gewürzen bezeichnet wird. Um ein Rezeptionsdokument handelt es sich offensichtlich bei Aethelwulf, Carmen de abbatibus 6,35 […] gignit odores1815. V. 328 qui dominum coram laetis cum flatibus alant: Vet. Lat. gen. 8,21a wird weiter ausgeführt. Die in der biblischen Vorlage enthaltene anthropomorphe Vorstellung1816, dass Gott sich über den süßen Opferduft freut bzw. ihn riecht (vgl. (K) et delectatus est deus in odorem suavitatis // (E) et odoratus est dominus odorem suavitatis), wird vom HD deutlich abgeschwächt: Nicht Gott riecht den Duft, sondern die Opfergerüche duften vor Gott (dominum coram1817 [...] alant), und nicht Gott ist es, der sich daran erfreut, sondern die vom Altar aufsteigenden Duftwolken sind erfreulich (laetis cum flatibus)1818. Noch weiter geht Cl. M. Victorius in aleth. 3,12–16 mit der Reflexion, dass Gott sich in seiner Güte unseres Opfer annehme, so als sei es unsere eigene Gabe, obwohl es in Wirklichkeit von ihm gegeben sei, und dass er sich über unseren Gottesdienst freue, dessen er jedoch nicht bedürfe und durch den er vielmehr uns erlöse1819. Das in den Handschriften AC überlieferte alant1820, das eine Schreibvariante zum behauchten halant darstellt1821, meint eigentlich „einen Duft ausströmen lassen“, wird hier aber auf die Düfte selbst (vgl. V. 327 odores) bezogen1822. Laetis steht hier in der Bedeutung gaudium praestans, iucundus, gratus1823 und scheint insbesondere auf (K) et delectatus est deus Bezug zu nehmen. V. 329 tum, ne consimili pereat discrimine terra: In der nun folgenden Rede in Vet. Lat. gen. 8,21b beschließt Gott zunächst, die Erde nicht weiter wegen der Werke der Menschen zu verfluchen, da der Sinn des Menschen von Jugend an zum Bösen neige1824. Diese Überlegung Gottes lässt der HD weg und geht sogleich zu Gottes Beschluss über, nie mehr eine Sintflut zu schicken (V. 329–330), welcher bereits am Ende von Vet. Lat. gen. 8,21b angedeutet wird ((M) non ergo 1815 Zit. nach Petringa 2001, 533. 1816 Vgl. dazu Westermann 1976, 608–609. 1817 Zu coram mit dem Akkusativ nennt der ThlL 4 s.v. coram 947,23–37 nur christliche Belege ab der Vetus Latina; vgl. auch Hept. exod. 228 pedes coram sancti, num. 291 meos coram […] vultus, 508–509 coram […] Iudaeas acies und 735 coram cunctos vatemque. Zur Nachstellung von coram vgl. ebd. 943,11–16 mit Belegen ab Horaz. 1818 Zu flatus in Bezug auf Ausdünstungen vgl. ThlL 6,1 s.v. flatus 880,66–83 mit Belegen für Ausdünstungen der Erde, von Kräutern und Salben. Die gleiche Junktur begegnet im Singular in Paul. Nol. carm. 22,8 [...] laeto quatiet tua viscera flatu, womit allerdings der Heilige Geist gemeint ist. 1819 Vgl. dazu auch Martorelli 2008, 135. 1820 G hat hier eine Lücke. 1821 Vgl. ThlL 6,3 s.v. halitus 2516,32–36; die Aspiration fehlt oft in den späteren Handschriften. 1822 Vgl. ThlL 6,3 s.v. 1. halo 2519,41; vergleichbar ist Stat. silv. 5,3,41–42 [...] nam Sicanii non mitius halat / aura croci [...]. Zur Verbindung von odor mit (h)alare vgl. auch Ven. Fort. carm. 6,10,26 […] halat odor. 1823 Vgl. ThlL 7,2 s.v. 1. laetus 887,49–84. 1824 Vgl. Vet. Lat. gen. 8,21b (I) et dixit dominus deus recogitans non adiciam ultra maledicere terram propter opera hominum quia adposita est mens hominis diligenter ad maligna a iuventute.

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adhuc adiciam percutere omnem carnem sicut feci // (A) non adiciam ergo adhuc percutere omnem carnem vivam quemadmodum feci) und ganz explizit in Vet. Lat. gen. 9,11 im Rahmen des Bundesschlusses geäußert wird ((M) non erit diluvium ut corrumpat omnem terram). V. 329 knüpft durch ne consimili [...] discrimine1825 an Vet. Lat. gen. 8,21b (M) non […] percutere […] sicut feci bzw. (A) non […] percutere […] quemadmodum feci an, darüber hinaus könnte pereat [...] terra bereits durch Vet. Lat. gen. 9,11 (M) corrumpat omnem terram inspiriert sein. V. 330 diluvium dominus ventura in tempora tollit: Durch diluvium nimmt der HD wörtlich auf Vet. Lat. gen. 9,11 (M) non erit diluvium Bezug, mit ventura in tempora1826 wird der in erit vorhandene Zukunftsbezug verdeutlicht. Bei tollit könnte eine juristische Note mitschwingen1827, so dass der Beschluss von Gott in seiner Funktion als Weltenrichter ausgesprochen erscheint. Auch bei Gottes Entscheidung, die Sintflut herbeizuführen, findet sich in Gestalt von Ius delere mihi mundi peccata nocentis (V. 243) eine Formulierung aus dem juristischen Bereich. Das klangliche Gestaltungsmittel der Alliteration, das der HD massenhaft verwendet, kommt deutlich zum Tragen (diluvium dominus, tempora tollit). V. 331 festinos menses et tempora mobilis anni: In V. 331–332 paraphrasiert der HD Vet. Lat. gen 8,22, wonach Gott betont, dass an allen Tagen der Erde der Lauf der Zeiten wieder ungehindert und in gewohnten Rhythmen fließen soll. Während dieser Gedanke in der Bibel durch die ganz konkreten Komplementärbegriffe (I) semen et messis hiemps et aestus die et nocte veranschaulicht wird, verwendet der HD die abstrakten Zeitbegriffe menses und tempora [...] anni1828 und arbeitet durch festinos und mobilis die reibungslose, rasche Aufeinanderfolge der Monate und Jahreszeiten heraus1829. Festinus ist in der Bedeutung i.q. celer, velox in Bezug auf Abstrakta erst seit Valerius Flaccus belegt1830 und findet sich in ähnlichen Kontexten in Hept. exod. 707–708 ([...] mensis / festinus [...]) und Prud. cath. 11,6 (festina […] dies); mobilis steht seit Hor. epist. 2,2,172 (mobilis horae) für das schnelle Verrinnen der Zeit1831. Cl. M. Victorius arbeitet hier näher am Bibeltext, da er die konkreten Begriffe Samen und Ernte sowie Winter und Sommer aufgreift und sogar noch um Frühling und Herbst ergänzt1832.

1825 Die gleiche Junktur bezeichnet in Sil. 10,36 Sidonius non consimili discrimine miles unterschiedliche Arten der Tötung im Krieg. 1826 Vgl. den Kommentar zu V. 46. 1827 Vgl. OLD s.v. tollo 1948 unter 14 b to abolish, do away with (social, political institutions, etc.; also laws, rights, etc.). 1828 Vgl. die offenkundigen Parallelen zu Auson. ecl. 18,1 Aeternos menses et tempora quattuor anni. 1829 Ähnlich Mar. Victor. aleth. 3,34 [...] fugiens replicabitur annus. 1830 Vgl. ThlL 6,1 s.v. festinus 622,22–40. 1831 Vgl. ThlL 8 s.v. mobilis 1199,44. 1832 Vgl. Mar. Victor. aleth. 3,30–34 servabunt elementa vices cunctisque diebus / seminibus propriis reddetur debita messis. / curret opus mundi compar discordibus horis: / aestati certabit hiems ac tempora librans / veris et autumni fugiens replicabitur annus.

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V. 332 inrequieta iubens consuetos volvere cursus: Mit dem prädikativ verwendeten inrequieta knüpft der HD an Vet. Lat. gen. 8,22 (I) non requiescent an. Irrequietus findet sich seit Ovid für ununterbrochene Bewegungen im Bereich der Natur, insbesondere für den Umlauf von Himmelskörpern1833. Die Junktur volvere cursus, mit der der HD die zyklische Abfolge der Jahreszeiten in geregelten Bahnen bezeichnet1834, scheint in dieser Form und Bedeutung singulär zu sein: So sind Sen. Tro. 387–388 (quo cursu properat volvere saecula / astrorum dominus [...])1835, Prud. ham. 891 ([...] unus volvit sua saecula cursus)1836 inhaltlich, aber nicht syntaktisch vergleichbar, während Sen. Herc. O. 780 (septemque cursus volvit et totidem refert [scil. Euripus])1837 und Anth. 798,6 R. Inde Iovis cursus bis senis volvitur annis1838 syntaktisch vergleichbar, aber in der Bedeutung verschieden sind. Für sich genommen sind dagegen die Bestandteile volvere und cursus häufig in Bezug auf zeitliche Verläufe belegt1839. Der Gedanke, dass die Jahreszeiten nun wieder in ihrer gewohnten Ordnung (consuetos [...] cursus) ablaufen sollen, findet sich in ähnlicher Gestalt in Ambr. Noe 23,82 und wird dort als Voraussetzung für den Fortbestand der Welt gedeutet (ergo certum ordinem temporum dominus remota confusione diluvii ad perseverantiam mundi promittit futurum). V. 333 sed croceum tantum curvandum in nubibus arcum: Gottes Versprechen, die Erde nie mehr durch eine Sintflut zu vernichten und die ungestörte Abfolge der Jahreszeiten zu gewährleisten (V. 329–332), verbindet der HD nun durch das rein anknüpfende sed1840 unmittelbar mit der Verheißung des Regenbogens (V. 333–334), dessen Funktion als Bundeszeichen er bei seinen Lesern als bekannt voraussetzt (vgl. Vet. Lat. gen. 9,13 (I) et erit signum testamenti aeterni inter me et terram)1841. Durch in nubibus arcum knüpft der HD an den ersten Teil von Vet. Lat. gen. 9,13 an ((I) arcum meum ponam in nube (nubibus))1842, ersetzt aber ponam durch das anschaulichere curvandum [scil. esse], das von iubens (V. 332) abhängig ist, und macht durch das Farbadjektiv croceum anstelle des Possessivpronomens meum deutlich, dass hier das Lichtphänomen des Regenbogens und nicht der Schießbogen Jahwes gemeint ist, wie etwa Ambrosius den Bo1833 Vgl. ThlL 7,2 s.v. irrequietus 407,32–38. 1834 Ähnlich Hept. gen. 855 tempore quo medios evolvunt sidera cursus in Bezug auf die nächtlichen Bahnen der Sterne. 1835 „In welchem Kreislauf der Herr der Gestirne sich beeilt, die Jahrhunderte ablaufen zu lassen“. 1836 „Ein und derselbe Lauf lässt für einen jeden die Jahrhunderte ablaufen“. 1837 „Siebenmal wälzt er (d.h. der Euripos) seine Strömung heran und ebensooft zurück“, bezogen auf die Gezeiten der Meerenge. 1838 „Dann vollzieht sich der Umlauf des Jupiter [um die Sonne] innerhalb von zwölf Jahren“. 1839 Zu volvere vgl. OLD s.v. volvo 2101 unter 2 mit überwiegend poetischen Belegen, zu cursus vgl. ThlL 4 s.v. cursus 1537,11–80, v.a. 30–41 nach dem Hinweis tempora anni. 1840 Vgl. KS II,2, 76–77 § 161 unter 6.; sed steht dann im Sinne von autem, et oder atque. 1841 In Mar. Victor. aleth. 3,49–50 wird dagegen die Zeichenfunktion des Regenbogens expliziert: et sint signa, quibus caelo radiante remissas / diluvii testemur aquas [...]. 1842 Nubibus ist eine mehrfach bezeugte Variante und findet sich auch in der Vulgata, vgl. Fischer 1951, 128.

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gen in Noe 27,103–104 deutet. Croceus bezeichnet ein Farbspektrum zwischen Rot und Gelb1843, weshalb es sich in der Poesie häufig zur Charakterisierung der Morgen- und Abendröte findet1844, und deckt hier die Bandbreite vom Blauviolett bis hin zum Gelbrot der Spektralfarben des Regenbogens ab. Tantum lässt sich am sinnvollsten adverbial auffassen und so verstehen, dass eben nur ein Regenbogen, also ein unkompliziertes Witterungsphänomen, nötig ist, um Gott an sein Versprechen zu erinnern und den geregelten Lauf der Welt fortan zu gewährleisten. Es ist nicht einmal nötig, dass die Menschen von sich aus etwas leisten, etwa durch Gebete und Opfer, um bei Gott Schonung vor einer neuen Sintflut zu erwirken. V. 334 candida cum sudo praerorant sidera nimbo: Der cum-Satz entspricht dem ersten Teil von Vet. Lat. gen. 9,14 ((E) cum innubilavero nubes super terram), wonach Gottes Bogen immer dann erscheinen wird, wenn Gott Wolken über der Erde zusammenballt. Während eine genaue Beschreibung der Regenbogenentstehung in der biblischen Vorlage nicht intendiert ist, versucht der HD eben dies innerhalb eines einzigen Verses zu leisten, indem er die für den Regenbogen notwendigen Faktoren benennt: Zum einen ist dies die Sonne mit ihrem Licht, die durch die poetische Junktur candida [...] sidera1845 umschrieben wird; der poetische Plural sidera zur Bezeichnung eines einzigen Himmelskörpers findet sich sonst offenbar nur in Ov. met. 14,172 in Bezug auf die Sonne ([…] caelumque et sidera solis), in Ciris 37–38 in Bezug auf den Mond ([…] candida lunae / sidera […]) und in Val. Fl. 2,364 für den Planeten Saturn (Saturnia sidera). Der andere wichtige Faktor ist eine Regenwolke oder Regenwand, auf die die Sonne scheint, was der HD gleichsam aus umgekehrter Perspektive durch praerorant sidera nimbo1846 [scil. nubes] ausdrückt, d.h. die Wolken lassen vor der Sonne einen Regenschauer niedergehen1847. Praerorare ist laut ThlL sonst nicht belegt und wird vermutungsweise mit i.q. ante rorare, sc. rorando obducere sim. paraphrasiert, also „von vorne benetzen“1848; in die gleiche Richtung geht Blaise, der die Bedeutung mit arroser par devant angibt und V. 334 mit lorsqu’ elles envoient une légère pluie devant le soleil luisant übersetzt1849. Es handelt sich also bei nimbo 1843 Vgl. Forc. 1 s.v. croceus 896 unter 2. 1844 Zu croceus in Bezug auf die Morgenröte vgl. etwa Verg. georg. 1,447 = Aen. 4,585 = Aen. 9,460 [...] croceum linquens Aurora cubile, Ov. am. 2,4,43 […] placuit croceis Aurora capillis, ars 3,179–180 [...] (croceo velatur amictu, / roscida luciferos cum dea iungit equos), met. 3,150 cum croceis invecta rotis Aurora reducet, fast. 3,403 Cum croceis rorare genis Tithonia coniunx und Hept. Ios. 407 unde rubet croceum venientis flamma diei; zu croceus in Bezug auf die Abendröte vgl. etwa Prud. c. Symm. 2 praef. 4 cum vesper croceus rubet und Hept. exod. 615 inde ubi iam croceo radiavit vesper ab axe. 1845 Vgl. auch Lucr. 5,1210, Ciris 37–38, Sen. Phaedr. 333, Hept. iud. 528, jeweils auf unterschiedliche Gestirne bezogen. 1846 Zum Hexameterschluss vgl. auch den strukturell ähnlich gebauten Vers Laus Pis. 148 aurea terrificis occaecat sidera nimbis sowie Hept. iud. 40 […] sidera nimbis. 1847 Ähnlich Lucr. 3,19–20 quas [scil. divum sedes] neque concutiunt venti nec nubila nimbis / aspergunt [...]. 1848 Vgl. ThlL 10,2 s.v. praeroro 801,36–39. 1849 Vgl. Blaise s.v. praeroro 652.

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um einen leichten Regen, der die Sonne von vorne kommend lediglich „befeuchtet“1850. In diesem Sinne ist wohl auch sudo aufzufassen, welches in Bezug auf Witterungsphänomene „klar, heiter“ oder auch „nicht feucht, trocken“ 1851 bedeutet und in dem oxymoronartigen Ausdruck sudo [...] nimbo („mit einem heiteren (oder gar: trockenen) Regen“) zum Ausdruck bringen soll, dass eben nicht ein sintflutartiger Wolkenbruch während eines Unwetters niedergeht, sondern ein Nieselregen bei gleichzeitigem Sonnenschein und ansonsten freundlichem Wetter1852. Mit seiner Beschreibung der Regenbogenentstehung steht der HD in der Tradition des Lukrez, der dieses Phänomen knapp behandelt1853, nimmt auf diesen Vorgänger aber keinen erkennbaren Bezug. Dagegen knüpft die ausführliche Darstellung des Cl. M. Victorius in aleth. 3,49–59 erkennbar an Lukrez an1854 und liefert darüber hinaus eine Deutung des Regenbogens als Zeichen der künftigen Strafe für die Menschen1855. V. 335 prosequitur vatem domini benedictio mitem: Der Vers entspricht der Einleitung zu Gottes Segensworten in Vet. Lat. gen 9,1, nämlich (M) et benedixit dominus Noe et filios eius dicens. Während in der biblischen Vorlage und ihr folgend in Mar. Victor. aleth. 3,27–29 Noah und seine Söhne gesegnet werden, bezieht der HD den Segen nur auf Noah als Stellvertreter seines Hauses. Die Verbindung des Abstraktums benedictio1856 mit prosequitur im Sinne eines (freundlichen) Begleitens1857 erinnert an Hept. iud. 122–123 [...] sanctaque dei per templa petentes / prosequitur pietas [...], wonach sich den Israeliten die Barmherzigkeit Gottes zeigt, als sie Gott um Verzeihung bitten. Dass Noah gerade hier als sanftmütig (mitem) bezeichnet wird, ist möglicherweise vor dem Hintergrund des nun folgenden Herrschaftsauftrags (V. 336–337) zu sehen und mit Mt 5,4 in Verbindung zu bringen, wonach die Sanftmütigen selig zu preisen sind, da sie die Erde besitzen werden1858. Ferner nimmt mitis in einem spezifisch christlichen Sinn die Bedeutung patiens, humilis an1859, was auf Noah insofern zutrifft, als er Gottes Anweisungen willig gehorcht (vgl. v.a. V. 282–283) und die Sintflut erduldet hat.

1850 Vgl. OLD s.v. roro 1661 unter 4 To moisten, wet. 1851 Vgl. OLD s.v. sudus 1860 unter 1 und 2. 1852 Vgl. auch die Paraphrase von V. 334 in ThlL 10,2 s.v. praeroro 801,39–40: sc. cum nubes rorantes obducunt sidera nimbo sereno nec diluvium minante? 1853 Vgl. Lucr. 6,524–526 hic ubi sol radiis tempestatem inter opacam / adversa fulsit nimborum aspargine contra, / tum color in nigris existit nubibus arqui. 1854 Vgl. Papini 2006, 93 Anm. 3; insbesondere die schwarzen Wolken erscheinen auch in aleth. 3,52 (et nigras iam cogit aquas in concava nubes). 1855 Indem der Regenbogen durch die Wärme seines Lichts den Regen vertreibe, also mehr Feuer als Wasser sei, zeige er den Menschen, dass sie künftig nicht mehr durch eine Sintflut, sondern durch Feuer bestraft würden; vgl. Martorelli 2008, 39 und 94. 1856 Zu diesem spezifisch christlichen Wort in der Bedeutung „Segen“ vgl. ThlL 2 s.v. benedictio 1871,57–1872,70. 1857 Vgl. ThlL 10,2 s.v. prosequor 2190,32–55. 1858 Vgl. Vet. Lat. Matth. 5,4 (Jülicher) Beati mites, quoniam ipsi possidebunt terram. 1859 Vgl. ThlL 8 s.v. mitis 1153,73–1154,19. Zu mitis als Eigenschaft Abels vgl. den Kommentar zu V. 144b und 193.

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V. 336 scilicet ut cunctis, quae tellus et mare gignit: Mit dem explikativen scilicet ut1860 leitet der HD zum Inhalt des Segens nach Vet. Lat. gen 9,1 über, welcher sich zunächst auf Wachstum und Vermehrung von Noahs Familie und dann auf die Herrschaft über die Erde bezieht. Den Vermehrungssegen ((I) crescite et multiplicamini et replete terram) lässt der HD im Gegensatz zu Mar. Victor. aleth. 3,27–29 weg, da er vielleicht eine Doppelung mit der Schöpfungserzählung (vgl. V. 46–47 bzw. Gen 1,28) vermeiden will, den Aspekt der Herrschaft über die Schöpfung ((I) et dominamini eius) entwickelt er in V. 336–337 unter Einbeziehung von Vet. Lat. gen 9,2: So werden mit cunctis, quae tellus et mare gignit die dort genannten Lebewesen zusammengefasst ((E) omnibus bestiis terrae et omnibus avibus caeli et in omnibus quae moventur super terram et in omnibus piscibus maris), wobei die Vögel des Himmels als erdgeborene Wesen dem Begriff tellūs1861 zuzuordnen sind. V. 337 imperitet fidus, cum sint subiecta regenti: Mit cum sint subiecta regenti nimmt der HD inhaltlich Bezug auf das Ende von Vet. Lat. gen. 9,2 ((E) dedi vobis omnia sub potestate). Durch das substantivierte Partizip regenti1862 wird an V. 26 rectorem und V. 28 regnet angeknüpft, wo der HD Gottes Beschluss beschreibt, den Menschen als Beherrscher der Welt zu erschaffen. Insofern erscheint Noah hier implizit als neuer Adam. Imperitet umschreibt den Imperativ (I) dominamini eius am Ende von Vet. Lat. gen. 9,1, mit dem prädikativ verwendeten fidus1863 wird aber ganz offensichtlich eine andersartige Vorstellung von Herrschaft entwickelt als in der Bibel: Während durch die Worte Gottes in Vet. Lat. gen. 9,2, dass alle Lebewesen Noah und seine Söhne fürchten und vor ihnen erzittern werden ((M) et timor vestri et tremor erit (E) omnibus bestiis terrae etc.), die negative Seite der Herrschaft des Menschen über die Schöpfung offenbar wird1864, hebt der HD die Verantwortung Noahs als Herrscher hervor; er soll seine Herrschaft zuverlässig bzw. in Treue gegenüber der göttlichen Weisung ausüben. V. 338 admonitus pecudum carnes secernere mensis: Der HD setzt bei seinen Lesern die Übergabe der Fleischnahrung an die Menschen (vgl. Gen 9,3) als bekannt voraus und geht gleich auf das Verbot ein, bluthaltiges Fleisch zu verzehren (V. 338–340). Vet. Lat. gen. 9,4 (L) praeter carnem […] non edetis umschreibt er durch carnes secernere mensis, wobei mensis metonymisch für cibis steht1865 und secernere im übertragenen Sinne von excipere verstanden werden 1860 Vgl. OLD s.v. scilicet 1703–1704 unter 5 b. 1861 Zur Dehnung der kurzen Endsilbe -ŭs vgl. Peiper 1891, 345. 1862 Als Prädikativum auf ein zu ergänzendes ei zu beziehen. 1863 Die prädikative Verwendung von Adjektiven anstelle von Adverbien wird unter griechischem Einfluss in der Dichtersprache und durch die späteren Prosaiker weiter ausgebildet, vgl. KS II,1, 235–237 § 63. 1864 Vgl. Westermann 1976, 619–620. 1865 Vgl. ThlL 8 s.v. mensa 742,27–57. In dieser Bedeutung findet sich mensa auch an zwei anderen Stellen der Heptateuchdichtung, an denen Speisevorschriften gegeben werden, vgl. exod. 953 [...] mensis quae non sunt digna refutet und lev. 109 […] nullis prandentum est congrua mensis.

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kann1866. Das mit Infinitiv konstruierte Partzip admonitus1867, durch das die indirekte Wiedergabe von Gottes Gebot bewerkstelligt wird, wird von Peiper durch einen Strichpunkt vom vorausgehenden Vers abgetrennt, so dass V. 338 als elliptischer Hauptsatz (scil. admonitus est) zu deuten wäre. Dieser schlösse sich aber recht abrupt an den vorausgehenden Herrschaftsauftrag an, so dass es sinnvoller erscheint, nach regenti am Ende von V. 337 ein Komma zu setzen und admonitus als Participium coniunctum in den Finalsatz scilicet ut cunctis [...] / imperitet fidus (V. 336–337) zu ziehen. V. 339 quae non laxato vitam liquere cruore: Die Wendung (L) carnem in sanguine animae in Vet. Lat. gen. 9,4, die für seine christlichen Leser vielleicht nicht ohne Weiteres verständlich war, erläutert der HD in V. 339–3401868. In V. 339 wird erklärt, was „Fleisch mit Blut“ bedeutet, indem durch laxato [...] cruore auf die jüdische Praxis des Schächtens angespielt wird. Laxare in Bezug auf entströmende Flüssigkeiten steht bereits für den aus den Wolken fließenden Sintflutregen in V. 287 ([…] totos laxarunt nubila nimbos) und nochmals für das Schächten von Tieren in Hept. lev. 112 (laxarit [scil. pecus] croceam sectis de faucibus undam), die poetische Junktur vitam linquere begegnet auch in Sil. 11,438 (vincere linquentes vitam quae possit olores). V. 340 idcirco quoniam mutis haec indita mens est: Den mit quoniam eingeleiteten Nebensatz trennt Peiper sinnvoll durch einen Doppelpunkt vom vorausgehenden Vers ab, um dieser Begründung für das Speiseverbot mehr Gewicht zu verleihen. Idcirco quoniam ist in dieser unmittelbaren Nebeneinanderstellung erst seit der Vetus Latina belegt und findet sich gehäuft bei Boethius1869, innerhalb der Heptateuchdichtung tritt es sechsmal auf, jeweils am Versbeginn. Der ganze Vers dient dazu, die schwer verständliche Wendung (L) in sanguine animae (Vet. Lat. gen. 9,4) dahingehend zu erläutern, dass das Blut die „Seele“ bzw. die Lebenskraft der Tiere sei und deshalb nicht verzehrt werden dürfe, was etwa in Lev 17,10–11 und Dtn 12,23 thematisiert wird1870. Ebenfalls im Kontext von Gen 9,4 beschäftigt sich Ambrosius in Noe 25,92 ausführlich mit Lev 17,11, wonach die Seele des Fleisches das Blut ist1871. Das Substantiv mens, das der HD anstelle von 1866 Vgl. OLD s.v. secerno 1716 unter 2 b to set aside as unfit, discard, eliminate; vergleichbare Belege für secernere im Sinne eines gedanklichen Ausnehmens bzw. Ausschließens sind hier Cic. Catil. 4,15 hosce ego homines excipio et secerno lubenter und Mil. 21 […] neque vero [...] secrevit in iudicibus legendis amicos meos. 1867 Admonere im Sinne von hortari mit dem Infinitiv anstelle von ut mit Konjunktiv findet sich überwiegend in der Dichtung und späteren Prosa, vgl. ThlL 1,1 s.v. admoneo 766,26–67. 1868 Zu ähnlichen Erläuterungen jüdischer Einrichtungen für das christliche Publikum beim HD vgl. Herzog 1975, 113. 1869 Vgl. ThlL 7,1 s.v. idcirco 176,3–8. 1870 Vgl. Vet. Lat. lev. 17,10 (Sabatier) […] & statuam faciem meam super animam quae manducat sanguinem, & perdam illam de populo suo; 17,11 anima enim omnis carnis sanguis eius est: […]; Vulg. deut. 12,23 (laut Sabatier ist keine versio antiqua bezeugt) hoc solum cave ne sanguinem comedas sanguis enim eorum pro anima est et idcirco non debes animam comedere cum carnibus. 1871 Vgl. Ambr. Noe 25,92 illarum igitur et vitalis et delectabilis animae partium substantia sanguis appellatur a quibusdam, licet enim scriptura dixerit: anima totius carnis sanguis est.

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anima für das physische Lebensprinzip einsetzt1872, ist prädikativ auf indita [...] est1873 zu beziehen und nicht mit haec zusammenzunehmen, welches als Subjekt des Satzes inhaltlich auf cruore zurückgreift. Problematisch ist der in AC überlieferte und von Peiper im Text belassene Dativ multis1874, da der Satz „deshalb, weil vielen dieses als Seele innewohnt“ nicht verständlich ist; dies würde ja bedeuten, dass es auch Tiere gibt, deren Blut nicht die Seele ist und die folglich mitsamt ihrem Blut gegessen werden dürften. Daher ist mit Mayor hier ein ursprüngliches mutis anzunehmen, welches durch Verwechslung zu multis wurde1875 und welches Mayor mit Recht auch für die Parallelstelle Hept. lev. 110 idcirco quoniam multorum in sanguine mens est fordert1876. In Mar. Victor. aleth. 3,41–44 wird der Verzehr von totem Fleisch, das noch Blut enthält, zwar als ein schändliches Verbrechen bezeichnet, das von Gott sogar genauso schwer geahndet wird, wie wenn jemand Menschenblut trinkt, aber es wird im Gegensatz zur Darstellung des HD keine Begründung gegeben. V. 341–342a „Ast homo si ferro fuerit vel dente ferino / perditus: In V. 341– 343 wechselt der HD in die direkte Rede, um dem Tötungsverbot menschlichen Lebens besonderes Gewicht zu verleihen. V. 341–342a nehmen Bezug auf Vet. Lat. gen. 9,5, wonach Gott für vergossenes Menschenblut von allen Tieren und von anderen Menschen Vergeltung fordern will. Durch das adversative ast1877 arbeitet der HD den Gegensatz zum vorausgehenden Gedanken heraus: Tiere dürfen getötet werden, wenn auch ihr Blut nicht verzehrt werden darf, Menschen dagegen dürfen überhaupt nicht getötet werden1878. Deutlicher als in der biblischen Vorlage, in der lediglich vom Menschenblut bzw. der Seele des Menschen gesprochen wird (vgl. (E) vestrum sanguinem animarum vestrarum […] animam hominis), wird durch homo si [...] fuerit [...] perditus zum Ausdruck gebracht, dass es um die Tötung von Menschen geht. Bei dem Futur II fuerit [...] perditus proprie igitur animam carnis sanguinem appellavit; in carne enim delectatio et passio est, non mens et ratiocinatio. Ambrosius unterscheidet hier die Teile der Seele, die den Körper beleben und für Vergnügen empfänglich sind, vom rationalen Seelenteil (rationabile animae), dessen Substanz der göttliche Geist sei. 1872 Vgl. ThlL 8 s.v. mens 733,39–48 mit poetischen Belegen ab Sen. Herc. O.; inhaltlich genau vergleichbar ist Hept. lev. 110 idcirco quoniam mutorum (coniecit Mayor 1889,144; multorum AC Peiper) in sanguine mens est. 1873 Bei Augustinus findet sich die Junktur animam indere in Bezug auf die Einhauchung der (Vernunft-)Seele durch Gott, vgl. Aug. civ. 7,30 qui [scil. Deus] rationalem animam, quod dicitur animus, quibus voluit viventibus indidit; 12,24 Et cum virum terreno formasset ex pulvere eique animam qualem dixi sive quam iam fecerat sufflando indidisset [...]. 1874 G fehlt hier. 1875 Zum Neutrum Plural muta im Sinne von animalia vgl. ThlL 8 s.v. 1. mutus 1733,55–62; zur häufigen Verwechslung mit multus in den Codices vgl. ebd. 1733,23–25. 1876 Vgl. Mayor 1889, 73 und 144. Auf diesen Verbesserungsvorschlag Mayors verweist Peiper 1891, XXX und XXXIV, nimmt ihn aber nicht in seinen Text auf. 1877 Zu ast statt at in der Poesie vgl. den Kommentar zu V. 140. 1878 Zum logischen Zusammenhang zwischen Gen 9,4 und 9,5 vgl. Westermann 1976, 624. Dieser wird in der biblischen Vorlage Vet. Lat. gen. 9,5 durch die kausale Satzverknüpfung mit (E) etenim (Varianten: quoniam et/et) verunklärt, vgl. auch die LXX (καὶ γάρ) und Vulg. (enim).

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liegt eine seltene Passivform zu perdere1879 und eine im Spätlateinischen häufige Tempusverschiebung vor1880. Anstelle der „Hände“ von Tieren und der Hand des Menschenbruders (vgl. (E) de manibus omnium bestiarum et de manu hominis fratris), von denen Gott das Menschenblut einfordern wird, gibt der HD die konkreten Tötungsinstrumente Schwert (ferro)1881 und Tierzahn (dente ferino) an, wobei er die Reihenfolge der Vorlage umkehrt und so die Tötung durch den Mitmenschen gravierender erscheinen lässt als die Tötung durch ein Tier. In klanglicher Hinsicht ist V. 341 durch die f-Alliteration (ferro fuerit vel dente ferino) und den Einsatz der ähnlich lautenden Wörter ferro und ferino hervorgehoben. V. 342b inquiram,“ dixit; „qui talia faxunt: Peiper gibt V. 342b mit folgender Interpunktion wieder: inquiram,“ dixit, „qui talia faxunt; / […]. Gemeint wäre damit, dass Gott nach denjenigen fahnden wird, die einen Menschen getötet haben. Diese Auslegung würde davon ausgehen, dass der HD den eigentlichen Sinn von Gen 9,5 entweder nicht verstanden hat oder bewusst verändern wollte. Denn exquiram in Vet. Lat. gen. 9,5, auf das mit inquiram offensichtlich Bezug genommen wird, hat als Objekt das vergossene Menschenblut bzw. die Menschenseele, die Gott von den Mördern einfordern wird (vgl. (E) etenim vestrum sanguinem animarum vestrarum exquiram (inquiram)1882 […] et […] exquiram animam hominis). Bei einer Auffassung im Sinne von inquiram eos, qui talia faxunt wäre zudem im Relativsatz ein Futur II zum Ausdruck der Vorzeitigkeit zu erwarten, d.h. faxint1883, doch bei der einhellig überlieferten, sonst nur noch in grammatischen Werken belegten Form faxunt handelt es sich wohl um ein Futur I1884. Sinnvoller erscheint es daher, nach inquiram einen syntaktischen Einschnitt zu setzen und entsprechend Vet. Lat. gen. 9,5 sanguinem bzw. animam als Objekt zu ergänzen1885. Auch Cl. M. Victorius bezieht in aleth. 3,45 das entsprechende Verbum requiram nicht auf die Schuldigen, die gesucht werden sollen, sondern auf das Blut, das zurückgefordert werden soll, wobei er betont, dass dies auch für unverständige Tiere gelten soll1886. Der Relativsatz qui talia faxunt ist dann auf den in V. 343 enthaltenen Hauptsatz zu beziehen, so dass sich ein Satzgefüge ergibt, das 1879 Zu solchen Passivformen vgl. ThlL 10,1 s.v. perdo 1261,29–34; gewöhnlich wird das Passiv von perdere durch perire ersetzt. 1880 Vgl. LHS 324 § 180 Zusatz γ. 1881 Zur Junktur perdere ferro vgl. auch Hor. carm. 3,11,32 perdere ferro und Prop. 2,34,13 tu mihi vel ferro pectus vel perde veneno. 1882 Bei dieser Variante, für die Fischer 1951, 126 nur den HD als Zeugen angibt, ist es fraglich, ob sie Bibeltext ist. 1883 Vgl. den Vorschlag von Mayor 1889, 73. 1884 Faxunt ist die Überlieferung der Handschriften AC, G fehlt hier. In ThlL 6,1 s.v. facio 83,76–77 wird für faxunt die Bedeutung facient vermutet und nur Hept. gen. 342 als Beleg angegeben. Die LLT-A (aufgerufen am 13.04.2015) verzeichnet s.v. faxunt neben Hept. gen. 342 nur Grammatiker-Belege (Alkuin und Donatus Ortigraphus), Neue/Wagener erwähnen die Form nicht. 1885 Vgl. auch die Auffassung der Stelle in ThlL 7,1 s.v. inquiro 1816,44–45. 1886 Vgl. aleth. 3,43–47 [...] quam si / hauriat humanum quisquam ferus ense cruorem, / quem semper repetam vindex adeoque requiram, / ut mihi non solus pendat rationis abundans / supplicium, sed bruta quoque: [...].

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syntaktisch gesehen genau Vet. Lat. gen. 9,6 (E) qui effuderit sanguinem hominis pro sanguine illius effundetur nachempfunden ist1887. Diese Kombination aus Tatbestand und Straffolge ist der juristischen Diktion eigen, was der HD möglicherweise durch die an archaische Gesetzestexte erinnernde Form faxunt unterstreichen will1888. V. 343 similibus dant colla modis fusura cruorem“: Der Vers nimmt auf den in Vet. Lat. gen. 9,6 enthaltenen Hauptsatz (E) pro sanguine illius effundetur (fundetur1889) Bezug, der den Gedanken der Vergeltung in eine eigenwillige Vorstellung kleidet: Wer das Blut eines Menschen vergießt, wird selbst für dessen Blut vergossen werden. Dass damit das Blut bzw. Leben des Schuldigen gemeint ist, wird aus Varianten zu Vet. Lat. gen. 9,6 deutlich, in denen sich nach effundetur die Ergänzung anima (hominis) (illius) bzw. anima eius oder sanguis illius findet1890. Dieses Verständnis der Bibelpassage bringt auch der HD zum Ausdruck, wobei er durch fusura cruorem an den biblischen Wortlaut anknüpft. Etwas ungewöhnlich wirkt der Bezug von fusura auf die Hälse der Schuldigen (colla) anstatt auf die Schuldigen selbst, und der HD könnte hierbei Lucan. 7,566 vor Augen gehabt haben, wonach nicht die Vielen, sondern die Wunden vieler ihr Blut verströmen (vulnera multorum totum fusura cruorem)1891. Über die biblische Vorlage hinaus wird durch dant colla der Gedanke der Hinrichtung als Strafe eingebracht, der auch in Mar. Victor. aleth. 3,46–47 (ut mihi non solus pendat rationis abundans / supplicium, sed bruta quoque [...]) geäußert wird: Die Junktur dant1892 colla, die häufig als Bild für eine Unterwerfung verwendet wird1893, steht hier für das Hinstrecken des Halses zur Enthauptung. Zur Verdeutlichung des Vergeltungsaspekts (vgl. Vet. Lat. gen. 9,6 (E) pro sanguine illius effundetur) dient sīmilibus1894 [...] modis, welches in erster Linie auf fusura cruorem zu beziehen ist, da die Entsprechung ja zwischen dem Blutvergießen des getöteten Menschen und dem Blutvergießen des Schuldigen besteht. Darüber hinaus ist auch ein Bezug auf dant colla denkbar, wenn dieses in einem abstrakteren Sinn aufgefasst wird, d.h. die Schuldigen verlieren auf die gleiche Weise ihr Leben, 1887 Diese syntaktische Einteilung von V. 342 spiegelt auch der Zeugenapparat zu Vet. Lat. gen. 9,5–6 bei Fischer 1951, 126–127 wider. 1888 Die Konjunktiv-Perfekt- bzw. Futur-II-Formen faxim/faxo, faxis, ... , faxint, denen das Futur I (?) faxunt zumindest in phonetischer Hinsicht zugeordnet werden kann, sind archaisch und finden sich insbesondere in Gesetzes- und Gebetsformeln, vgl. Neue/Wagener 3, 506–507 und 512–514. 1889 Bezeugt durch Ps. Aug. und Concilia oecumenica, identisch mit der Vulgata, vgl. Fischer 1951, 127. 1890 Vgl. Fischer 1951, 127. 1891 Zum Hexameterschluss fusura cruorem vgl. ferner Drac. laud. dei 2,807. 1892 Zum Präsens im futurischen Sinn, insbesondere in der Umgangssprache und in Aussagesätzen bei futurischem Nebensatz (hier: qui talia faxunt = facient), vgl. KS II,1, 119–120 § 31 unter 7. 1893 Vgl. etwa Tib. 1,4,16 [...] paulatim sub iuga colla dabit, Prop. 3,11,38 vel tua si socero colla daturus eras, Sil. 15,246–247 [...] victa catenis / Poenus colla dedit [...], Stat. Ach. 1,944 [...] tuis dare colla catenis. 1894 Zur Dehnung unter dem Einfluss der ersten Hebung vgl. Best 1891, 20.

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wie sie es dem betreffenden Menschen genommen haben. Wer also jemanden mit dem Schwert tötet, wird auch durch das Schwert umkommen (Mt 26,52). Weggelassen ist die am Ende von Vet. Lat. gen. 9,6 genannte Begründung für das Tötungsverbot von Menschen, nämlich die Gottesebenbildlichkeit des Menschen ((E) quia ad imaginem dei feci hominem). 9. NOAH UND SEINE SÖHNE; NOAHS TOD (V. 344–362) In diesem Abschnitt folgt der HD chronologisch Gen. 9,18–29, wobei er den zuvor ausgelassenen Vers Gen 9,7, also den Vermehrungsauftrag Gottes an Noah und seine Söhne, in den Zusammenhang der Geschichte von Noahs Söhnen integriert (vgl. V. 346). Zu Beginn des Abschnitts entfällt der redundante Vers Gen 9,18, in dem die Namen von Noahs Söhnen wiederholt werden1895, und gegen Ende Gen 9,28, wo die Lebensspanne Noahs nach der Flut angegeben wird. Besonders auffallend ist die Auslassung der Segenssprüche Noahs über Sem und Japheth (Gen 9,26–27)1896, welche hingegen in Mar. Victor. aleth. 3,89–94 wiedergegeben werden; offensichtlich ist es das Anliegen des HD, sich ganz auf die Verfluchung des respektlosen Cham zu konzentrieren (vgl. V. 358–360). In stilistischer Hinsicht fällt, wie dies bereits häufiger festzustellen war, die Vermeidung wörtlicher Rede bei der Wiedergabe von Noahs Fluch über Cham auf, während Cl. M. Victorius Noahs Rede an seine Söhne in direkter Form darbietet (aleth. 3,88–94). V. 344 dividit hinc dominus placiti mox pignora vatis: In diesem Vers, der durch die d- und p-Alliteration und die i-Häufung klanglich auffallend gestaltet ist, leitet der HD zur Geschichte von Noahs Söhnen über und nimmt durch placiti [...] pignora vatis1897 erkennbar auf Vet. Lat. gen. 9,19 (M) isti erant tres filii Noe Bezug. Sowohl das in Codex C überlieferte placiti [scil. domino] als auch das in A überlieferte placidi1898 sind sinnvolle Attribute zu vatis, da Noah aufgrund seiner Gerechtigkeit und seines guten Willens Gott gefällt (vgl. V. 264–266) und in V. 335 explizit als sanftmütig (mitem) bezeichnet wird, und die Entscheidung wird zusätzlich dadurch erschwert, dass die beiden Adjektive in den Handschriften oft verwechselt werden1899. Für placiti [scil. domino]1900 spricht in diesem Kontext, dass Noah aufgrund seiner Gottgefälligkeit dazu ausersehen wurde, zum Stammvater eines neuen Menschengeschlechts zu werden, das sich durch seine drei Söhne über die ganze Welt verteilt (vgl. V. 344–346). Die Aufteilung der Kinder Noahs durch Gott (dividit hinc dominus) geht auf den zweiten Teil von 1895 Die Namen der Söhne werden bereits in Gen 5,32 (vgl. V. 225) erwähnt. 1896 Zu diesen Segenssprüchen und ihrer inhaltlichen Problematik vgl. Westermann 1976, 658– 660. 1897 Zum Hexameterschluss pignora vatis vgl. auch Hept. gen. 1061 und num. 192; rein formal klingt der Vers an Paul. Nol. carm. 20,83 [...] et in his placiti se pignora voti an. 1898 G fehlt hier. 1899 Vgl. ThlL 10,1 s.v. placeo/placitus 2270,11–12. 1900 Zu dieser Bedeutung von placitus vgl. ebd. 2270,27–36.

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Gen 9,19 zurück, wofür keine Vetus Latina bezeugt ist; in LXX und Vulgata heißt es hier, dass sich die Menschheit ausgehend von den drei Söhnen Noahs über die ganze Erde ausgebreitet habe1901. Offensichtlich sind auch V. 344–346 im Sinne eines solchen Ausblicks in die Zukunft zu verstehen, denn eine Aufteilung der Söhne Noahs auf verschiedene Länder würde an diesem Punkt der Erzählchronologie, wo sie noch mit ihrem Vater zusammenleben (vgl. V. 349–360), unlogisch wirken. Somit bezeichnen hinc und mox hier nicht eine unmittelbare zeitliche Folge, sondern eröffnen eine Perspektive auf das in naher Zukunft bevorstehende Handeln Gottes an Noahs Söhnen. Die Vorstellung, dass diese sich auf verschiedene Länder verteilen, wird von Filastrius ausführlich entfaltet1902, wonach es aber nicht Gott, sondern Noah ist, der den Erdkreis unter seinen drei Söhnen aufteilt. Von einer Dreiteilung der frühen Menschheit entsprechend den drei Söhnen Noahs spricht ferner Hilarius1903. V. 345 fecundasque iubet discretim sumere terras: Der Aspekt der Aufteilung von Noahs Söhnen (vgl. V. 344 dividit) wird durch discretim1904 wieder aufgegriffen, die Fruchtbarkeit der Länder, die sie in Besitz nehmen sollen (fecundas), korrespondiert mit ihrer eigenen Fruchtbarkeit, die zu einer Neubevölkerung der Erde führen soll (vgl. V. 346). Vielleicht darf man bei fecundas auch ganz konkret an den befruchtenden Schlamm der Überschwemmung denken, der sich auf der Erde abgelagert hat (vgl. V. 278 [...] oblimans omnia tractu) und der in Mar. Victor. aleth. 3,62–63 im Zusammenhang mit dem Ackerbau Noahs und seiner Söhne eigens erwähnt wird ([...] limo dulcique uligine laeta / arva [...]). V. 346 ut vacuum denso conplerent germine mundum: Den Ausblick auf die künftige Menschheit, die sich aus den drei Söhnen Noahs entwickelt, verknüpft der HD hier mit dem Auftrag, sich zu vermehren und die Erde zu erfüllen, den Gott Noah und seinen Söhnen in Gen 9,7 erteilt und den der HD bisher nicht behandelt hat; für diesen Bibelvers ist keine Vetus Latina bezeugt1905. Durch die Nebeneinanderstellung der Antonyme vacuum und denso im Rahmen der chiastischen Wortstellung vacuum denso complerent germine mundum wird der Gegensatz zwischen der leeren Erde nach der Sintflut und der reichen Nachkommen1901 Vgl. LXX gen. 9,19 apo? toußtvn diespaßrhsan eöpi? paqsan thqn ghqn und Vulg. et ab his disseminatum est omne hominum genus super universam terram. 1902 Vgl. Filastr. 121,1–2 Sunt quidam heretici qui de divisione orbis terrae et partitione habitationis recte non sentiunt, disputantes quod Greci coeperint aut Aegyptii aut Persae describere orbem terrae universum, non beatus Noe suis filiis tribus post diluvium diviserit, dederit ac definierit et partierit ordine. [...] Tribus itaque suis filiis beatus Noe, Sem, Cham et Iapheth omnem divisit orbem terrarum [...]. Danach werden die Gebiete aufgezählt, die Noah seinen drei Söhnen jeweils zugeteilt habe. 1903 Vgl. Hil. in Matth. 8,4 In exordio generis humani in tres fuit humani generis divisio, Noe scilicet filiorum, ex quibus secundum prophetiam Genesis Sem in possessionem Dei lectus est. 1904 Zu discretim im Sinne von disiunctim vgl. ThlL 5,1 s.v. discerno/discretim 1308,58–67 mit Belegen ab Apuleius. 1905 Vgl. LXX gen. 9,7 uÖmeiqw de? auöcaßnesje kai? plhjußnesje kai? plhrvßsate th?n ghqn kai? plhjußnesje eöp öauöthqw und Vulg. vos autem crescite et multiplicamini et ingredimini super terram et implete eam.

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schaft betont, die der Völkertafel im 10. Genesiskapitel zufolge aus den drei Söhnen Noahs hervorgehen wird. Germine in der Bedeutung von Nachkommenschaft verwendet der HD bereits in V. 47, wo Adam und Eva den Auftrag zu reicher Vermehrung erhalten (ut polus et plenae vestro sint germine terrae), denso kann hier ganz wörtlich die hohe Bevölkerungsdichte meinen1906, aber auch gemäß Verg. georg. 3,308 densior hinc suboles […]1907 im Sinne von „zahlreich“ aufgefasst werden. In vergleichbarer Weise wird densus in Hept. exod. 99 auf die sieben Töchter des Priesters von Midian bezogen, der sein Haus mit einer dichten, d.h. zahlreichen Nachkommenschaft angefüllt hat ([...] densaque domum de stirpe replerat). V. 347 accipit hoc meritum domino donante propheta: Bei der Wiedergabe von Vet. Lat. gen 9,20 in V. 347–348 verzichtet der HD auf die Information, dass Noah mit dem Ackerbau beginnt ((I) et coepit Noe homo agricola esse terrae), da diese Tätigkeit ja schließlich seit Adam von den Menschen betrieben wird1908, und konzentriert sich auf die Neuheit des Weinbaus ((I) et plantavit vineam). Diese kulturelle Leistung Noahs wird in V. 347 als ein Geschenk (meritum) dargestellt, das Gott Noah gewährt (domino donante), ähnlich wie in Hept. Ios. 15–16 Iosua die Eroberung des Westjordanlandes von Gott als Geschenk erhält (cui meritum insigne dominus largitus ab astris / praestitit, ut caperet dites sine vulnere terras). Meritum ist in der Bedeutung von donum erst seit Donat belegt1909 und findet sich in Bezug auf Gaben Gottes etwa auch in Aug. c. Faust. 22,53 (intellegentiae meritum) und gen. ad litt. 2,17 (merita humana). Auch der Ablativus absolutus domino donante, der in dieser und ähnlicher Form in Hept. num. 749 (domino donante) und deut. 138 (donante deo) wiederholt wird, ist für den christlichen Sprachgebrauch typisch, wobei er nicht selten die formelhafte Bedeutung „wenn Gott es gewährt“, also „mit Gottes Hilfe“, annimmt1910. Die Umrahmung des Verses durch accipit […] propheta1911 erinnert an V. 250 (accipit ergo dei mandata ingentia Noe), mit dem Unterschied, dass Noah jetzt keine Handlungsanweisung von Gott erhält, sondern durch ein Geschenk ausgezeichnet wird. V. 348 vitis ut inventor delibet candida vina: Durch vitis [...] inventor hebt der HD die Entdeckerrolle Noahs hervor, die in Vet. Lat. gen. 9,20 ((I) et

1906 So kann densus u.a. dicht gedrängte Gruppen von Menschen bezeichnen, vgl. etwa Catull. 68,60 per medium densi transit iter populi, Ov. epist. 16,185 Occurrent denso tibi Troades agmine matres, Pont. 4,9,24 densaque quam longum turba teneret iter, Lucan. 2,201 [...] densi vix agmina vulgi. 1907 Gemeint ist hier der Nachwuchs von Tieren. 1908 Dagegen wird in Mar. Victor. aleth. 3,62–67 beschrieben, wie Noah mit seinen Söhnen die durch die Überschwemmung fruchtbaren Felder pflügt und besät und reiche Ernte erzielt. 1909 Vgl. ThlL 8 s.v. mereo/meritum 815,24–32. 1910 Vgl. etwa Paul. Nol. epist. 18,1 […] id repente insperantibus domino donante provenit; Max. Taur. 5,1 […] sed corpus, quod domino donante susceperat, dominum confitendo deponeret; Aug. in evang. Ioh. 15,1 Ea quae dicturus sum Domino donante multi sic audituri estis, ut magis recognoscatis quam discatis; zu deo donante vgl. die Belege in ThlL 5,1 s.v. dono 2008,58–61. 1911 Zur Bezeichnung Noahs als Prophet vgl. den Kommentar zu V. 228.

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plantavit vineam (vitem)1912) nicht explizit benannt wird, und spielt möglicherweise auf Enn. trag. 108 R. (= 124 V.) Illis Lyaeus vitis inventor sacrae an, wo Bacchus als Erfinder des Weinbaus erscheint; somit könnte hier ein anti-paganer Zug vorliegen, indem der HD Noah als „wahren“ Erfinder des Weinbaus von dem heidnischen Gott absetzen will1913. Das erste Kosten von dem neuartigen Produkt wird durch delibet umschrieben. Ambrosius verwendet das Verbum simplex libare, um den Weingenuss Noahs als maßvolles Kosten darzustellen und den Gedanken an ein zügelloses Besäufnis abzuwenden1914, doch ein solches maßvolles Trinkverhalten ist mit delibet sicherlich nicht gemeint, denn gleich im nächsten Vers wird berichtet, dass Noah schnell mehrere Becher leert (V. 349 propere expletum cyathis). Die Junktur candida vina, die hier im Sinne eines poetischen Plurals aufzufassen ist1915, erinnert an Tib. 1,5,24 candida musta und ist wohl wie dort auf die helle Farbe des Weißweins zu beziehen1916. V. 349 quem propere expletum cyathis somnoque gravatum: Die äußerst knappen Bemerkungen in Vet. Lat. gen. 9,21 zu Noahs Weingenuss und Trunkenheit ((L) et bibit de vino et inebriatus est) lassen die Frage offen, wie genau es zu dieser Trunkenheit gekommen ist. In der Kirchenväterliteratur ist mehrfach die Tendenz feststellbar, Noah gegen den Vorwurf der Maßlosigkeit in Schutz zu nehmen, indem bekräftigt wird, dass er als Erfinder des Weinbaus die berauschende Wirkung des Weins noch nicht gekannt habe; er habe am neuen Getränk Gefallen gefunden und es ahnungslos bis zur Trunkenheit konsumiert1917. In diesem Sinne ist wohl auch die Darstellung des HD zu verstehen: Nachdem Noah von dem Wein gekostet hat (vgl. V. 348 delibet), schmeckt ihm dieser und er trinkt schnell einen Becher nach dem anderen bis zur völligen Sättigung (propere expletum cyathis), die Trunkenheit scheint also das Ergebnis von Unerfahrenheit

1912 Mehrfach bezeugt durch Ambrosius, vgl. Fischer 1951, 130. 1913 Vgl. auch Lact. inst. 2,13,4 […] terram studiose coluit ac vineam sua manu sevit. unde arguuntur qui auctorem vini Liberum putant. ille enim non modo Liberum, sed etiam Saturnum atque Uranum multis antecessit aetatibus. 1914 Vgl. Ambr. Noe 29,111 Et bibit inquit de vino et inebriatus est. non dixit: vinum bibit, neque iustus vinum ebibit, sed de vino, hoc est de eius portione libavit. ebriosi est omne obsorbere vinum et intemperantis evacuare quod sumpserit, continenti autem utendum mensura legitima est. Zu libare vgl. auch Mar. Victor. aleth. 3,72 indulgens epulis et dulcia pocula libans, wonach Noah sich allerdings im Rahmen eines religiösen Festes betrinkt. 1915 Zum poetischen Plural bei Bezeichnungen des Stoffs und der Masse vgl. KS II,1, 83–84 § 23 unter 2a. 1916 Vgl. ThlL 3 s.v. candidus 243,71–244,12. 1917 Vgl. etwa Lact. inst. 2,13,5 qua ex vinea cum primum fructum cepisset, laetus factus bibit usque ad ebrietatem iacuitque nudus; Ambr. Abr. 1,6,58 et Noe iustus deceptus est, quia vini vis adhuc ignorabatur; Ambr. Hel. 5,10 at nudatus erat per ignorantiam, non per intemperantiam; adhuc enim vinum nesciebatur. in principio generis humani ignorabatur ebrietas. primus vineam ipse plantavit: dedit naturam, ignoravit potentiam. itaque vinum nec suo pepercit auctori. [...] itaque cum delectaret eum reperti muneris gratia, temptavit vehementior creatura insuetos senis artus, turbavit nova potio [...]; Hier. epist. 22,8,4 Noe vinum bibit et inebriatus est rudi adhuc saeculo; et tunc primum plantavit vineam: inebriare vinum forsitan nesciebat.

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zu sein1918. Dass Noah durch den Weingenuss einschläft (somnoque gravatum), was in V. 355 durch sopitum nochmals unterstrichen wird, geht offensichtlich auf die in Ambr. hex. 3,17,72 bezeugte Vetus-Latina-Variante obdormivit anstelle von (L) inebriatus est zurück1919. Weggelassen hat der HD die am Ende von Vet. Lat. gen. 9,21 stehende Bemerkung, dass der betrunkene Noah sich in seinem Haus entblößt ((L) et nudatus est in domo sua), eine Information, die hingegen in Ambr. Noe 29,111 als Beweis für Noahs bedachtes und keineswegs zügelloses Verhalten hervorgehoben wird. Noahs Nacktheit wird vom HD wohl aus erzählökonomischen Gründen nur einmal erwähnt, nämlich in V. 352 (nudatum) im Zusammenhang von Vet. Lat. gen. 9,22. Für die sprachliche Gestaltung von V. 349 dürften zwei Aeneis-Verse als Vorbilder gedient haben. Zum einen wird durch das reflexiv verwendete Partizip Perfekt Passiv expletum vor der Penthemimeres in Verbindung mit dem dreisilbigen Ablativ cyathis1920 recht deutlich auf Verg. Aen. 3,630 angespielt (nam simul expletus dapibus vinoque sepultus), wo der mit Menschenfleisch gesättigte und vom Wein betrunkene Polyphem schlafend in seiner Höhle liegt; auch die Struktur der Versschlüsse, bestehend aus einem Ablativ Singular, der Konjunktion que und einem weiteren Partizip Perfekt Passiv (somnoque gravatum bzw. vinoque sepultus), ist sehr ähnlich1921. Wenn auch der gottlose Kyklop und der gottgefällige vates Noah in ihrer Person nichts gemeinsam haben, so verbindet sie doch gerade die Unerfahrenheit mit dem Wein. Ein noch deutlicherer Prätext ist Verg. Aen. 6,520 (tum me confectum curis somnoque gravatum), wobei nicht nur der Hexameterschluss somnoque gravatum1922 übereinstimmt, sondern auch eine syntaktische Parallele zwischen expletum cyathis und confectum curis vorliegt. Deiphobus berichtet hier Aeneas in der Unterwelt von seinem unrühmlichen Ende, denn während er in der Nacht des Untergangs von Troja erschöpft von seiner Verantwortung als Oberbefehlshaber1923 tief schlief, räumte seine Frau Helena alle Waffen aus dem Haus und ließ Menelaus und Odysseus hinein, die Deiphobus ermordeten und verstümmelten. Sowohl Deiphobus als auch Noah wird im Schlaf durch einen nahen Angehörigen große Schmach zugefügt. Denn ersterer wird von seiner eigenen Frau verraten und seinen Mör-

1918 Zu dieser Deutung von propere im Sinne eines unbeabsichtigten Sich-Berauschens aus Unerfahrenheit vgl. auch Petringa 1996, 115 mit Anm. 29. 1919 Vgl. Fischer 1951, 130. Auf die inhaltliche Übereinstimmung mit Ambr. hex. 3,17,72 verweist auch Petringa 1996, 114 Anm. 27. 1920 Cyathus findet sich im Sinne von vasculum potorium besonders häufig in der Komödie, auch bei Martial tritt es gehäuft auf, vgl. ThlL 4 s.v. cyathus 1581,82–1582,15. 1921 Zu beachten ist auch die chiastische Wortstellung in beiden Versen, vgl. expletum cyathis somnoque gravatum und expletus dapibus vinoque sepultus. 1922 Zu diesem Hexameterschluss vgl. auch Ov. met. 5,658 und Val. Fl. 2,568 und, in leichter Abwandlung, Mar. Victor. aleth. 3,73 im gleichen biblischen Kontext: persensit [scil. Noe] vivos latices somnoque gravante. 1923 So Norden 1984, 267 zu confectum curis.

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dern ausgeliefert und letzterer von seinem eigenen Sohn aufgrund seiner Entblößung verspottet1924. V. 350–351a derisit Chamus, de quo Channana iuventus / nascitur: In V. 350–352 bearbeitet der HD Vet. Lat. gen. 9,22, wo von Chams Vergehen gegen seinen Vater berichtet wird. Die Häufung von Spondeen in V. 350 und die Positionierung des Namens Chamus1925 unmittelbar vor der Penthemimeres könnte im Sinne einer Hervorhebung dieser folgenschweren Tat gedeutet werden. Dass Cham sich über seinen Vater lustig macht (derisit), wird in der biblischen Vorlage nicht erwähnt; hier heißt es stattdessen, dass Cham den nackten Vater sieht ((L) et vidit Cham pater Chanaan nuditatem patris), was der HD wiederum weglässt. Allerdings findet sich das Lachen Chams häufig in der Kirchenväterliteratur1926 und so auch in der Alethia, wo es ganz wörtlich als Gelächter interpretiert wird1927. Unter derisit ist hingegen weniger ein bloßes Lachen zu verstehen als vielmehr spöttische Bemerkungen, die Cham macht, während er seinen Brüdern von seiner Beobachtung erzählt1928. Mit dem Relativsatz de quo ... gentem wird die Apposition (L) pater Chanaan erläutert, wobei Chanaan sowohl auf Chams Sohn Kanaan (vgl. Gen 10,6) als auch auf das ganze Volk Kanaan bezogen werden kann, das sich aus den Nachkommen dieses Sohnes entwickelt (vgl. Gen 10,15–18). Die Junktur Channana1929 iuventus, die nach epischen Vorbildern wie Romana iuventus oder Troiana iuventus gebildet ist1930, legt nahe, dass nicht die Einzelperson Kanaan gemeint ist1931, sondern die Gruppe der männlichen kanaanäischen Jugend gleichsam stellvertretend für das Volk Kanaan. Das relativ seltene Präsens nascitur steht hier in einem resultativen Sinne zur Angabe der Abstammung1932. V. 351b et proceris dixit de nomine gentem: Zusätzlich zur Abstammung der Kanaanäer wird nun noch die Herkunft ihres Namens auf Cham zurückgeführt, 1924 Zu Verg. Aen. 6,520 als Prätext zu V. 349 vgl. auch Petringa 1996. Petringa schlägt ausgehend von dem HD-Vers die Konjektur confectum cyathis für Verg. Aen. 6,520 vor (vgl. ebd. S. 119–125). 1925 Der Name Cham ist indeklinabel außer in Hept. gen. 225 (Chamumque) und 350, vgl. ThlL Onomasticon 2 s.v. Cham 370,69–71. 1926 Vgl. etwa Ambr. Noe 30,115, off. 1,18,79, epist. 2,7,6; 6,27,12; Hil. in psalm. 118 phe 10, myst. 1,12; Iren. 4,31,1; Hier. epist. 73,3,1. 1927 Vgl. Mar. Victor. aleth. 3,75–77 et revoluta simul vestis secreta retexit / corporis ac risum tibi, Cham deterrime, movit / fons et origo tui [...] und 3,79–80 [...] quod rere cachinno / tu solus [...]. 1928 Vgl. die Definition in ThlL 5,1 s.v. derideo 629,63–64: i.q. deludere non modo ridendo, sed quovis alio contemnendi signo, ludibrio habere; vix adhibetur de mero risu. Ausdrücklich deutet Philo quaest. in gen. 2,71 Chams Lachen in dieser Weise. 1929 Channanus, auch Chanannus oder Chanānus, ist eine Nebenform zum regulären Adjektiv Chananaeus und findet sich nur beim HD, vgl. ThlL Onomasticon 2 s.v. Chanaan 372,75– 81. Zur Junktur vgl. auch Hept. iud. 23 […] Chananaea iuventus. 1930 Zu Romana iuventus am Hexameterende vgl. etwa Enn. ann. 499 Sk. (= 469 V.), 550 Sk. (= 537 V.), 563 Sk. (= 550 V.) und Lucan. 4,323; 9,481.938; zu Troiana iuventus am Hexameterende vgl. etwa Verg. Aen. 1,467.699; 2,63; 4,162; 8,182.545. 1931 So aber das Verständnis in Ambr. Noe 30,114. 1932 Vgl. den Hinweis in ThlL 9,1 s.v. nascor 80,48–53.

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wobei der HD sich in der Formulierung erkennbar an Verg. Aen. 1,533 = 3,166 Italiam dixisse ducis de nomine gentem anlehnt. Das in Codex C überlieferte Perfekt dixit übernimmt Peiper mit Recht anstelle des in A überlieferten dicit, da eine Angleichung an das Präsens nascitur nicht nötig ist; dieses hat ja, wie oben gezeigt, eine resultative Bedeutung. Mit dem Substantiv proceris, das meistens im Plural auftritt1933, innerhalb der Heptateuchdichtung aber 28-mal im Singular vorkommt, wird Cham als eine Art Oberhaupt bzw. Führungspersönlichkeit des kanaanäischen Volkes charakterisiert. Gemeint ist damit wohl seine Rolle als Stammvater dieses Volkes, welche Bedeutung procer auch in Hept. gen. 416 annimmt, wo Gott Abraham verkündet, ihn zum Stammvater eines großen Volkes machen zu wollen (nam procerem inmensae faciam te iam fore gentis). Auch Laktanz führt in inst. 2,13,6 das Volk Kanaan und seinen Namen auf den Stammvater Cham zurück, während dagegen Ambrosius in Noe 28,105 nicht schon den Vater Cham, sondern erst den Sohn Kanaan als Stammvater des Volkes Kanaan bezeichnet. V. 352 fratribus ostentans nudatum membra parentem: Die Nacktheit Noahs (nudatum [...] parentem), die Cham seinen beiden Brüdern meldet, formuliert der HD in Anlehnung an Vet. Lat. gen. 9,22 ((L) et vidit Cham pater Chanaan nuditatem patris)1934 und fügt verdeutlichend den Akkusativus Graecus membra hinzu1935, um den Aspekt des Skandalösen hervorzuheben. Dieser explizite Bezug der Nacktheit auf die Geschlechtsteile findet sich in Gen 9,22 nur in der Vulgata (verenda scilicet patris sui esse nudata), in Gen 9,23 aber auch in Varianten der Vetus Latina (pudenda patris für (M) nudum patrem und virilia patris für (I) nudationem eius), die jeweils durch Ambr. Tob. 20,75 bezeugt sind1936. Durch fratribus ostentans wird an das Ende von Vet. Lat. gen. 9,22 angeknüpft, nämlich (L) nuntiavit duobus fratribus suis. Ostentare kann zwar auch, wie das biblische nuntiare, ein rein verbales Offenlegen bedeuten, so dass nudatum membra parentem als elliptischer AcI aufzufassen wäre1937, darüber hinaus ist hier aber vorstellbar, dass Cham durch eine explizite Zeigegeste in Richtung des nackt daliegenden Vaters weist1938, wodurch seine Schamlosigkeit noch größer erscheint. Wie bereits im Kontext von Gen 9,21 (vgl. V. 349) lässt der HD die Hinweise auf den Schauplatz der Episode weg, erwähnt also nicht, dass Cham das Haus verlässt, in dem der nackte Vater liegt, und zu seinen Brüdern nach draußen geht (vgl. Vet. Lat. gen. 9,22 (L) et egressus nuntiavit duobus fratribus suis foras). V. 353 qui pariles pietate tegunt velantque iacentem: Das pflichtbewusste Verhalten von Chams Brüdern gegenüber ihrem Vater wird gemäß Vet. Lat. gen. 9,23 in V. 353–356 berichtet, wobei V. 353 als Resümee voransteht und die fol1933 Vgl. ThlL 10,2 s.v. 1. proceres 1515,38–39. 1934 Zu nudare in Bezug auf Noah vgl. Vet. Lat. gen. 9,21 (L) et nudatus est. 1935 Ähnlich Verg. Aen. 8,425 [...] et nudus membra Pyracmon. Zu membra im Sinne der Geschlechtsteile vgl. ThlL 8,1 s.v. membrum 636,49–637,13. 1936 Vgl. Fischer 1951, 131, der diesen Zeugen aber mit einem Fragezeichen versieht. 1937 Vgl. ThlL 9,2 s.v. ostento 1146,58–67. 1938 Vgl. ebd. 1145,26–36.

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genden drei Verse der Explizierung dienen. Bei pariles1939 pietate handelt es sich um eine moralische Bewertung des Tuns von Sem und Japheth, die zwar nicht in der biblischen Vorlage enthalten, aber häufig in der Kirchenväterliteratur zu finden ist; hier wird immer wieder die pietas der beiden Brüder Chams, also ihr kindliches Pflichtgefühl, ihre kindliche Liebe und Ehrfurcht vor dem Vater, im Gegensatz zum respektlosen Verhalten Chams hervorgehoben1940. Mit der synonymischen Amplificatio tegunt velantque1941 knüpft der HD an den Mittelteil von Vet. Lat. gen. 9,23 an ((A) et operuerunt nuditatem patris sui // (M) et operuerunt nudum patrem), wobei für die Textform A auch mehrfach die Variante texerunt bezeugt ist1942. Iacentem nimmt hier die spezielle Bedeutung i.q. sopitum, sine sensu cubare an, welche in der absoluten Verwendung ohne Ortsangabe überwiegend in der Dichtung vorkommt1943. V. 354 tergoribus studio iunctis dum lumina vertunt: Mit tergoribus studio iunctis wird auf den Anfang von Vet. Lat. gen. 9,23 Bezug genommen, nämlich (A) et sumentes vestimentum posuerunt supra dorsa sua bzw. (M) et accipientes Sem et Iapheth vestimentum imposuerunt supra humeros suos, d.h. die beiden Brüder legen sich gemeinsam eine Decke über die Schultern, die sie dann rückwärts gehend über den Vater breiten wollen. Tergus bezeichnet eher selten und überwiegend poetisch den Rücken von Menschen, gewöhnlich ist der Rücken von Tieren gemeint1944, und diese Bedeutung mag sogar als Konnotation mitschwingen, da bei iunctis auch an Wendungen wie iungere equos gedacht werden kann. Indem Sem und Japheth sich mit dem Rücken zum Vater nebeneinanderstellen, um die Decke über ihre Schultern zu breiten, und auf diese Weise ihre Rücken „verbinden“, bilden sie eine Art Zweigespann, das voll Eifer (studio) zum Einsatz für den Vater bereit ist. Dum lumina vertunt bezieht sich auf den unmittelbar folgenden Abschnitt von Vet. Lat. gen. 9,23, der in der Textform A et intraverunt aversi und in M et perrexerunt retrorsum lautet. Durch vertunt steht der HD der Textform A (aversi) näher1945, wobei die Junktur lumina vertunt hier wie in Ov. 1939 Dieses Adjektiv ist erheblich seltener als das Synonym par, vgl. ThlL 10,1 s.v. parilis 395,20–24. 1940 Vgl. etwa Ambr. Noe 31,116 littera evidentem pietatis expressit affectum, quod nudatum amictu patrem boni filii videre caverunt, ne paterna reverentia vel ipso minueretur aspectu, siquidem etiam tacito vultu pietas frequenter offenditur; in Luc. 6,44 (bezogen auf Sem) [...] benedictus alter, quod aversus licet, ne confusionem nudati patris hauriret, duce tamen patrem pietate texisset et fraterni maledictum seminis eluisset; in psalm. 36,12 in hac terra vitem illam fructiferam iustus Noe plantavit et de fructu eius bibit atque intimo corde solutus est, quando eum laudabili pietatis amictu induit virtutum suarum geminata posteritas; Hel. 5,10 Nudatus erat Noe, quando inebriatus est: texit eum pietas filiorum und 5,11 laesa pietas est, dum ridetur ebrietas. Vgl. auch Mar. Victor. aleth. 3,84–85 et palmam fratri rapuit pietatis uterque / sublatam medio. [...]. 1941 Vgl. Roberts 1985, 154. 1942 Vgl. Fischer 1951, 131 und 548. 1943 Vgl. ThlL 7,1 s.v. iaceo 15,6–21. 1944 Vgl. OLD s.v. tergus 1925 unter 1 b; beim HD kommt tergus sonst nur in Bezug auf den Rücken eines Kalbes vor, vgl. Hept. gen. 609 [...] nullo fuscatus tergora naevo. 1945 Vgl. auch Mar. Victor. aleth. 3,83 aversi patrium manibus texere pudorem.

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met. 5,232 (tum quoque conanti sua vertere lumina […])1946 das Abwenden der Augen bezeichnet und nicht, wie etwa in Verg. Aen. 8,438 (Gorgona desecto vertentem lumina collo), ein Verdrehen der Augen. V. 355a sopitum texere senem: Dieser Versteil wirft durch die von Peiper übernommene Überlieferung sopitum1947 gessere senem, die aus den beiden einzigen Textzeugen Codex A und C eindeutig hervorgeht, ein inhaltliches Problem auf. Dass Sem und Japheth ihren schlafenden Vater (in sein Bett?) tragen, mag man als gestalterische Freiheit des HD oder gar als besonderen Kunstgriff sehen, um die pietas der Brüder noch zu steigern. Problematisch ist diese Vorstellung aber dadurch, dass die beiden den Vater bereits eingehüllt haben (V. 353) und es somit nicht notwendig ist, ihn mit abgewendetem Blick auf dem Rücken zu tragen, denn so wäre V. 355a in Verbindung mit V. 354 zu interpretieren. Gessere ist somit stark anzuzweifeln und sollte inhaltlich stimmig durch texere1948 ersetzt werden, wobei die Wiederholung gegenüber V. 353 (tegunt) kein Hinderungsgrund ist, sondern im Gegenteil der Tendenz des HD entspricht, Wörter in identischer oder ähnlicher Form innerhalb weniger Verse zu wiederholen1949. Was in V. 353 resümierend vorweggenommen worden ist (tegunt velantque iacentem), wird nun detailliert beschrieben. Der wichtige Umstand, dass Sem und Japheth sich eine Decke über den Rücken gelegt haben, wird beim Leser freilich vorausgesetzt, während dagegen Cl. M. Victorius in aleth. 3,81–83 der biblischen Beschreibung genau folgt. V. 355b–356 nec turpia dictu / membra vident tenero flectentes colla pudore: Auf den letzten Teil von Vet. Lat. gen. 9,23 ((A) nec // (M) et non (I) viderunt nudationem eius) wird mit nec turpia dictu / membra vident recht wörtlich Bezug genommen, wobei die Erwähnung der Geschlechtsteile anstelle der Nacktheit auf die in Ambr. Tob. 20,75 bezeugte Variante virilia patris anstelle von (I) nudationem eius zurückgehen könnte1950. Interessanterweise werden nicht die Geschlechtsteile selbst als unanständig (turpia) bezeichnet wie etwa in Ov. rem. 412 turpiaque admisso membra notare die, Auson. epist. 12,34 ostentat foedas prope turpia membra lacunas oder auch Hept. exod. 1109 ne, dum sacra vehunt, denudent turpia vates, sondern lediglich ihre Nennung ist unanständig (turpia dictu), wodurch dem Körper des gottgefälligen Noah nichts Obszönes anhaftet. Eine psychologische Vertiefung der biblischen Vorlage gelingt dem HD durch tenero flectentes colla pudore: Das pflichtbewusste Abwenden des Blicks

1946 Hier versucht Phineus, seinen Blick vom Medusenhaupt abzuwenden. 1947 Zu Noahs Schlaf vgl. den Kommentar zu V. 349. 1948 Vgl. auch Mar. Victor. aleth. 3,83 aversi patrium manibus texere pudorem. 1949 Vgl. etwa Hept. gen. 300 emittit, 303 mittit, 307 dimittit und 312 mittitur, Hept. gen. 316 libera tellus und 320–321 libera fluctu / terra, Hept. gen. 330 ventura in tempora und 331 tempora mobilis anni. 1950 Vgl. Fischer 1951, 131, der diesen Zeugen aber mit einem Fragezeichen versieht. Ähnlich findet sich in der Vulg. an dieser Stelle patris virilia.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

(V. 354) wird von einem Senken des Kopfes begleitet1951, das als Zeichen der jugendlich-zarten Verschämtheit (tenero [...] pudore) von Sem und Japheth gedeutet wird. In ähnlicher Weise wird die Junktur tener pudor in der Poesie öfters für die Verschämtheit von jungen Mädchen verwendet1952. V. 357–358a id pietatis opus postquam iam mente serena / cognovit vatis: Mit iam mente serena wird der Anfang von Vet. Lat. gen. 9,24 paraphrasiert ((I) et sobrius factus est Noe a vino); es handelt sich um einen Ablativus absolutus mit prädikativem Adjektiv anstelle des Partizips, wie dies seit der klassischen Zeit gebräuchlich ist1953. Während unter einer mens serena gewöhnlich ein heiteres, ruhiges oder sorgenfreies Gemüt zu verstehen ist1954, ist im vorliegenden Kontext mehr von der auf das Licht von Himmelskörpern bezogenen Bedeutung „klar, hell, unbewölkt“ auszugehen1955, die auf das klare Licht des Verstandes im Gegensatz zur Umnachtung durch die Trunkenheit übertragen wird. Weitere Belege für diese metaphorische Verwendung von serenus scheinen sich auf die spätere Zeit zu beschränken1956. Im Unterschied zu Vet. Lat. gen. 9,24, wonach Noah von der Untat Chams erfährt ((M) et cognovit omnia quae fecit ei filius iunior), lässt der HD Noah von der pflichtbewussten Tat seiner beiden anderen Söhne erfahren (id pietatis opus), wobei er mit cognovit unmittelbar an den biblischen Wortlaut anknüpft. Durch diese Umkehrung wird ein Kontrast zu der nun folgenden Bestrafung Chams aufgebaut (V. 358b) und das Verhalten von Sem und Japheth zumindest ansatzweise gewürdigt, denn die Segenssprüche Noahs über diese beiden (vgl. Gen 9,26–27) lässt der HD vollkommen aus. Der Hexameterbeginn id pietatis opus erinnert formal an Verg. Aen. 10,469 hoc virtutis opus […], die Junktur pietatis opus selbst dürfte auf Mart. epigr. 16,2 (non fuit hoc artis, sed pietatis opus) zurückgehen1957.

1951 Häufiger bezeichnet die Junktur colla flectere eine Geste der Unterwerfung, vgl. etwa Hept. gen. 1144 et sibi ceu domino procurva inflectere colla und exod. 1036–1037 [...] longeque inflectere colla / aeterno summoque deo [...]. 1952 Vgl. etwa Ov. epist. 2,143 Stat nece matura tenerum pensare pudorem, Stat. Ach. 1,291– 292 [...] et expleto teneri iam fine pudoris / virginitas matura toris annique tumentes und Claud. rapt. Pros. 1,131–132 [...] tenerum iam pronuba flamma pudorem / sollicitat […]. 1953 Vgl. KS II,1, 779–780 § 139 unter 8. 1954 Vgl. OLD s.v. serenus 1743 unter 3 sowie z. B. Amm. 30,1,19 […] et modo serenae mentis Valentis indices litteras tradens; Sil. 16,191–192 quam te, Dardanide pulcherrime, mente serena / accipio intueorque libens! [...]; Sen. clem. 2,5,4 serena eius mens est, nec quicquam incidere potest, quod illam obducat; Claud. 7,182–183 natorum per regna venis, qui mente serena / maturoque regunt iunctas moderamine gentes; Paul. Nol. carm. 21,4–6 [...] gaudere serenis / mentibus abstersa diri caligine belli / suadet ovans Felix [...]. 1955 Vgl. OLD s.v. serenus 1742–1743 unter 1 c. 1956 Vgl. etwa Comm. instr. 1,21,3 Nam si purus animus et mens serena maneret, Aug. epist. 120,1,2 […] ut doctrinae meae, sicut dicis, ingeniique serenitas ita nebulam vestrae mentis abstergat, ut, quod nunc cogitare non potestis, intellegentiae a me lumine declaratum oculis quodam modo videre possitis […] oder auch Aug. divers. quaest. 52 […] quamquam divina providentia serena mente intuentibus apparet cuncta certissimo ordine administrare. 1957 Zu pietatis opus vgl. ferner Prud. ham. 628, psych. 239, Paul. Nol. carm. 15,327, Paul. Petric. Mart. 5,167, Drac. laud. dei 2,50, satisf. 290 und 298 u.a.

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V. 358b grassatum damnat in aevum: In V. 358b–360 bearbeitet der HD Vet. Lat. gen. 9,25 und umschreibt mit grassatum damnat in aevum die Verfluchung Chams durch Noah, die zu Beginn des Bibelverses in wörtlicher Rede wiedergegeben wird ((L) et dixit maledictus Cham puer). Durch grassari erscheint das respektlose Verhalten Chams gegenüber seinem Vater als eine feindselige, grausame und Schaden verursachende Tat1958 wie in Hept. iud. 207 die gewalttätige Unterdrückung des Volkes Israel durch die Kanaanäer (vincuntur Solymi passim grassante Chanano). Dieser Steigerung von Chams Tat entspricht seine über den Bibeltext hinausgehende Verfluchung in alle Ewigkeit (in aevum)1959, wobei sich damnare im Sinne von „verfluchen“ bereits in paganer Zeit findet1960, hier aber auch die spezifisch biblisch-christliche Bedeutung i.q. aönajematißzein mitgehört werden kann1961. Dadurch, dass sich grassatum eindeutig auf Cham bezieht, ist es offensichtlich, dass der HD einem Vetus-Latina-Text folgt, in welchem Cham selbst und nicht dessen Sohn Chanaan verflucht wird, wie dies in etlichen Vetus-Latina-Zeugen der Fall ist1962. V. 359–360a germanis faciens ut sit postremus et acro / subditus imperio: V. 359–360 enthalten eine Amplifikation des schmachvollen Urteils Noahs über Cham in Vet. Lat. gen. 9,25 ((L) servus erit fratribus suis). Den Dativ fratribus suis greift der HD in Gestalt des Ablativus comparationis germanis auf, der nach Art des späten Lateins vom Superlativ postremus abhängig ist1963, das Substantiv servus wird in seiner ganzen Bedeutungsdimension ausgelotet und in drei sich steigernden Vorstellungen umschrieben1964. So wird durch postremus auf den letzten Rang Bezug genommen, den Cham nun im Kreise seiner Brüder einnehmen wird. Deutlicher kommt durch subditus imperio1965 der Aspekt der Herrschaft der Brüder über Cham zum Ausdruck, deren Härte (acro) mit Chams schwerwiegendem Verbrechen (vgl. V. 358b grassatum) korrespondiert. Die Junktur acro bzw. acri imperio findet sich in etwas anderer Bedeutung bereits in Sil. 11,253–254 ([...] iam panditur acri / imperio carcer [...]) und Prud. ham. 712–713 (persuasit 1958 Vgl. die Definition in ThlL 6,2 s.v. grassor 2200,55–59 unter II: i.q. aliqua via ac ratione procedere, agere, plerumque in malam partem [...], unde abit in notiones q. sunt: hostiliter, crudeliter, scelerate agere [...], saevire [...], impetum facere [...], damnum dare [...]. 1959 Für in aevum am Hexameterende verzeichnet die Datenbank Pede certo (aufgerufen am 02.07.2015) 50 Belege. 1960 Vgl. ThlL 5,1 s.v. damno 18,39–19,27. 1961 Vgl. ebd. 19,28–74; Agens ist hier jeweils Gott oder die Kirche. 1962 Vgl. Fischer 1951, 131–132; vgl. auch Mar. Victor. aleth. 3,88 Cham maledicte, […]. 1963 Vgl. LHS 111 § 75 unter c; ein vergleichbarer Fall ist Hept. gen. 1310 minimum cunctis Beniaminum. 1964 Roberts 1978, 292 Anm. 91 nennt V. 359–360 als Beleg für eine synonymische Amplificatio von Sätzen, hier in Gestalt eines Tricolon. 1965 Zu dieser Junktur vgl. auch Prop. 3,11,26 iussit et imperio subdere Bactra caput, Prud. apoth. 550–551 [...] Christi sed victa negatrix / subditur imperio [...], Paul. Nol. carm. 31,26 grammatici duris subditus imperiis [scil. puer], carm. app. 3,192 hoc potius faceret subditus imperio und Hept. gen. 797 subditus imperiis agitur servire minoris. Letzterer Vers ist auch inhaltlich mit Hept. gen. 360a vergleichbar, denn es geht darum, dass der ältere von Rebekkas Zwillingen dem jüngeren dienen soll.

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V. Kommentar zu Hept. gen. 1–362

certe hortatu, non inpulit acri / imperio [...]). Der an die o-Deklination angelehnte Dativ acro, der in Codex A überliefert ist1966, ist erst spät belegt1967 und begegnet ebenfalls in Codex A am Versende von Hept. gen. 377, wofür in C die reguläre Form acri überliefert ist. Daher ist Pitras Emendation acri anstelle von acro in V. 359 durchaus berechtigt, wenn auch nicht zwingend notwendig. V. 360b fortesque exterritus oret: Die dritte Steigerungsstufe bei der Veranschaulichung des Begriffs servus ist die Vergegenwärtigung von Chams seelischem Zustand. Gegenüber seinen Brüdern, denen durch das Adjektiv fortes nicht nur körperliche Überlegenheit, sondern auch Macht zugeschrieben wird1968, empfindet Cham Schrecken (exterritus) und tritt als Flehender auf (oret). Eine vergleichbare Kombination beider Begriffe findet sich in Verg. Aen. 4,450–451 (Tum vero infelix fatis exterrita Dido / mortem orat [...]) und Sil. 13,259–260 ([…] aut gemitu trepidantum exterrita patrum [scil. Capua] / tormentis finem metamque laboribus orat), wo jeweils Menschen in einem Zustand tiefer Erschütterung eine flehende Bitte äußern: Dido die Bitte um den Tod, als ihr bewusst geworden ist, dass Aeneas sie für immer verlassen hat, und die von den Römern heftig belagerte Stadt Capua die Bitte um ein Ende ihrer Leiden. V. 361–362a inde senex functus nongentos transit in annos / quinquies et denos: Während in Vet. Lat. gen. 9,29 Noahs Tod den Schlusspunkt seiner Geschichte bildet (vgl. (X) et mortuus est), stellt der HD das Erreichen des 950. Lebensjahres (nongentos transit in annos / quinquiĕs1969 et denos) ans Ende von Noahs Geschichte (vgl. (I) et facti sunt omnes dies Noe .DCCCCL. anni). Durch das Enjambement V. 361/362 wird dieser Übergang ins neue Lebensjahr (transit)1970 unterstrichen, wohingegen der Aspekt des Todes (functus) zurücktritt. Das Partizip Perfekt functus ist am sinnvollsten nachzeitig aufzufassen, eine Erscheinung, die im dichterischen und späten Latein zumindest beim Partizip Perfekt Passiv aktiver Verben häufiger auftritt1971 und auch im Sinne einer Prolepse erklärt werden könnte1972. Die absolute Verwendung von fungi in der Bedeutung defungi, mori ist erst in später Zeit belegt1973 und findet sich innerhalb der Heptateuchdichtung auch noch in gen. 546 […] functus mandabere busto, Ios. 573 […] functus merito dat membra sepulchro und deut. 282–283 [...] functusque deinde /

1966 C überliefert statt et acro ein sinnloses aetati, G fehlt. 1967 Vgl. ThlL 1 s.v. acer 357,12–14. 1968 Vgl. ThlL 6,1 s.v. fortis 1149,17–44 mit Belegen ab Iustinus, besonders aus biblischen und christlichen Kontexten. 1969 Zur Kürzung der Endung -ēs bei Zahladverbien vgl. den Kommentar zu V. 206b–208a; vgl. auch die ähnlich lautenden Versanfänge Hept. gen. 631 quinquies ex denis […], num. 16 quinquies et denos […] und num. 444 quinquies et deni […]. 1970 Zu transire in dieser Bedeutung vgl. OLD s.v. transeo 1962 unter 2 d mit den Belegen Ov. met. 15,206 transit in aestatem post ver robustior annus und Pont. 4,6,6 iam tempus lustri transit in alterius. 1971 Vgl. KS II,1, 759 § 136 unter α. 1972 Vgl. KS II,1, 239 § 64 zum proleptischen Gebrauch von Adjektiven, wobei es sich bei mehreren Belegen um ein Partizip Perfekt Passiv handelt. 1973 Vgl. ThlL 6,1 s.v. fungor 1590,25–32 mit Belegen ab Paul. Nol.

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occubuit […], hier ebenfalls in Form eines nachzeitig aufzufassenden Partizips Perfekt („und sank dann hin und starb“). V. 362b ut legis formula cavit: Mit dieser kanzleisprachlichen Phrase bekräftigt der HD seinen Anspruch, den Inhalt des Bibeltextes genau zu reproduzieren. Eine ganz ähnliche Beglaubigungsformel begegnet in Hept. gen. 1437 ([…] Genesis ut formula cavit), nachdem die Zahl aller Menschen, die mit Jakob nach Ägypten ziehen, mit 75 angegeben worden ist; in beiden Fällen liefert der HD eine komplexe Zahlenperiphrase (V. 361–362 nongentos [...] / quinquies et denos bzw. V. 1436–1437 quinque / septies et denos)1974. In V. 362 scheint die Phrase zudem die Funktion zu haben, einen inhaltlichen Einschnitt zu markieren, da sich der HD ab dem nächsten Vers der Völkertafel des 10. Genesiskapitels widmet. Formula bezeichnet gewöhnlich im juristischen Bereich den ganz bestimmten Wortlaut eines Vertrags- oder Gesetzestextes1975, der rechtlich bindend ist. Bei der Junktur legis formula ist in erster Linie an Prop. 4,8,74 zu denken (accipe, quae nostrae formula legis erit), wo Cynthia die Fassung ihres „Gesetzes“ verkündet, dem sich ihr untreu gewordener Geliebter künftig unterwerfen muss. Dieser juristische Hintergrund ist in V. 362b mitzuhören, wenngleich das Wort lex hier in einem religiösen Sinne das Gesetz der Juden, also das Alte Testament und den Pentateuch im Besonderen bezeichnet1976. Auf den juristischen Bereich verweist ferner das Verbum cavit, das in Verbindung mit lex im Sinne von „verordnen, verfügen“ stehen kann1977. Der ThlL ordnet die Parallelstelle Hept. gen. 1437 dieser Bedeutung zu1978, doch sinnvoller erscheint es, für cavit die insbesondere bei Kirchenschriftstellern vorkommende Bedeutung i.q. scriptis confirmare, deponere („schriftlich verbürgen“) anzunehmen1979, was besser zur Intention der Beglaubigungsformel passt.

1974 Vgl. Herzog 1975, 100 mit Anm. 192; zur Zahlenperiphrase in der lateinischen Dichtung vgl. die Untersuchung von M. Vogel, zitiert S. 339 Anm. 1071. 1975 Vgl. ThlL 6,1 s.v. formula 1117,37–52. 1976 Vgl. Blaise s.v. lex 493 unter 1. 1977 Vgl. ThlL 3 s.v. caveo 639,52–64 unter III C 1 legibus, decretis, edictis, senatusconsultis sim. constituere aliquid c leges cavent. 1978 Vgl. ebd. 639,62–63. 1979 Vgl. ebd. 640,54–59.

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VI. ÜBERBLICK ÜBER HEPT. GEN. 363–1498 VORBEMERKUNGEN Der folgende Überblick über das restliche Buch Genesis der Heptateuchdichtung verfolgt das doppelte Ziel, einen übersichtlichen und zugleich möglichst genauen Eindruck vom Inhalt der Erzählung des HD zu vermitteln und relevante Zusatzinformationen philologischer, literaturwissenschaftlicher und theologischer Art zu liefern. Er geht in größeren Sinnabschnitten vor, an deren Anfang jeweils eine ausführliche Paraphrase steht; diese sucht einen zusammenfassenden Charakter mit Textnähe zu verbinden, so dass sie sich gelegentlich, wenn dies aus inhaltlichen Gründen geboten erscheint, einer Übersetzung annähert. In den Fußnoten finden sich sprachliche und inhaltliche Erläuterungen, die zum Verständnis des Textes erforderlich erscheinen, sowie Hinweise auf kleinere Differenzen zum Bibeltext. An die Paraphrase schließt sich jeweils ein kursiv gedruckter Teil mit Zusatzinformationen an, die den erzähltechnischen Umgang des HD mit dem jeweiligen Bibelabschnitt sowie ggf. ausgewählte textkritische Probleme und hilfreiche Sekundärliteratur betreffen1. Dabei konzentriert sich der Überblick über die Umsetzung der biblischen Vorlage auf signifikante inhaltliche Abweichungen des HD von der Bibel und informiert über vollständig ausgelassene Bibelverse, Bibelverse mit Kürzung wesentlicher Inhalte, stark gerafft wiedergegebene Bibelverse mit Kondensierung des Inhalts, Zusätze aus anderen biblischen Kapiteln, Kontamination von weiter entfernt stehenden Bibelversen sowie auffallende inhaltliche Veränderungen und Erweiterungen durch den HD2. Auf längere, vollständig ausgelassene Abschnitte des Bibeltextes wird in eckigen Klammern unter Angabe von Überschriften hingewiesen. Der Vergleich des HD-Textes erfolgt grundsätzlich mit der Vetus Latina, bei Bezeugungslücken wird auf die LXX zurückgegriffen. 1

2

Bei der Textkritik wurden Peipers Addenda et corrigenda (vgl. Peiper 1891, XXX–XXXI) berücksichtigt und ggf. zusätzlich die Handschriften ACG herangezogen; die jeweils erstgenannte Variante bzw. Emendation stellt den von mir bevorzugten Text dar, wobei Abweichungen von Peipers Text vermerkt sind. Die Literaturangaben beschänken sich auf ausführlichere Erwähnungen bzw. Behandlungen der betreffenden HD-Verse. Knappe Hinweise auf eine Fülle von Versen finden sich darüber hinaus bei Herzog 1975, Roberts 1978 und 1985 sowie bei Best 1891 und Stutzenberger 1903 (sprachliche und prosodische Aspekte). Ciarlo 2008 liefert S. 730–734 einen sehr summarischen Überblick über besonders auffallende Kürzungen des HD im Buch Genesis und nennt S. 740–745 einige der Passagen, an denen der HD seine Vorlage inhaltlich und ästhetisch anreichert. Nicht berücksichtigt werden episch-poetische Ausschmückungen von eher topischem Charakter (Beispiele bei Herzog 1975, 153 Anm. 384 und Roberts 1985, 207 Anm. 126–127), Umstellungen von biblischem Material ohne nennenswerte inhaltliche Auswirkungen und die Umwandlung von direkter Rede in indirekte Rede, da dies ein gängiges AbbreviatioVerfahren des HD ist und den Inhalt in der Regel nicht verändert.

Inhaltlicher Überblick

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Um die kursiv gedruckten Teile mit den Zusatzinformationen nicht zu überlasten, wurden erzähltechnische Besonderheiten ausgelagert und in einem eigenem Abschnitt am Schluss zusammengefasst. Sie konzentrieren sich auf die beim HD seltene Beibehaltung direkter Rede und auf Passagen, in denen der sonst kaum präsente Erzähler durch auktoriale Einschaltungen in den Vordergrund tritt. INHALTLICHER ÜBERBLICK Die Nachkommen Noahs (V. 363–386, Gen 10,1–32): Noahs Nachkommen gründen im Wettstreit hoch aufragende Städte, sie benennen die Hafenstädte Tharsis, Kition und Rhodos3. Aus ihnen geht Kanaan hervor4, Sidon, der Jebusäos, Chettäos, Amorräos, Gergesäos, Euäos, Arukäos, Asennäos, Samaräos, Aradios und Orus5, der Bewohner von Gaza sowie Gomorra, Sodom, Adama, Seboim und Lasa. Auch Masse und Sophera6 werden angelegt, ein hoher Berg7, der seine wolkenverhangenen Höhen im Osten erhebt (V. 363–376). Von ihnen stammt Nebrod ab8, ein eifriger Jäger von gewaltiger Körpergröße, der Freude daran hat, sich gegen9 Gott zu erheben, wild nach Art der Heroen, welche ihr steiler Nacken und ihr riesiger Kopf hoch in die Lüfte erhebt. Dieser gründet Babylon, Orech, Archad und Chalanne im Tal von Sennaar, Assur, Ninive, Rooboth, Kalach10 und das zwischen ihnen liegende Dasem (V. 377–386). Wiedergabe von Gen 10,1–32 ohne 10,1–3 (Noahs Söhne: Sem, Cham und Japheth; Nachkommen Japheths), 10,5–7 (weitere Verzweigung der auf Japheth zurückgehenden Völker; Nachkommen Chams), 10,13–14 (weitere Nachkommen Chams), 10,20–29 (Abschluss der Genealogie Chams; Nachkommen Sems), 10,31–32 (Abschluss der Genealogie Sems, Abschluss der Genealogie Noahs); Kürzungen in 10,4 (Nachkommen von Japheths Sohn Jovan: Elisa), 10,8 (Nebrods Vater Chous), 10,12 (Dasem ist eine große Stadt), 10,19 (Gerara im Gebiet der Kanaanäer); Erweiterungen: V. 365 (Wettweifer von Noahs Nachkommen bei der Städtegründung), V. 367 (Charakterisierung von Tharsis, Kition und Rhodos als Hafenstädte), 3

Der HD nennt hier die entsprechenden Städte anstelle der in Vet. Lat. gen. 10,4 genannten Völker der Kitier und Rhodier; es handelt sich dabei um Söhne von Japheths Sohn Jovan. 4 Vgl. V. 368 Channanus; der HD springt hier von der Genealogie Japheths in die Genealogie Chams. 5 V. 371 Orus (vgl. AC, G fehlt hier) steht beim HD anstelle von Vet. Lat. gen. 10,18 (I) Amatheum. 6 Vgl. V. 374; hier springt der HD von der Genealogie Chams in die Genealogie Sems. 7 Es erscheint sinnvoller, et in V. 375 nicht kopulativ („sie legen Masse und Sophera und den Berg an“) aufzufassen, sondern explikativ; entsprechend ist in Vet. Lat. und LXX gen. 10,30 das Gebirge im Osten Apposition zu (X) Gophera bzw. Svfhßra. 8 Vgl. V. 377; der HD springt von der Genealogie Sems zurück in die Genealogie Chams. 9 Zu V. 379 vgl. die Variante contra anstelle von (I) ante in Vet. Lat. gen. 10,9. 10 Besonders stark abweichend von der biblischen Vorlage sind die Namen Acalam V. 382 (vgl. acalam A, acalla CG; Vet. Lat. gen. 10,10 (I) Chalanne), Sinnacheros V. 383 (vgl. sinnacherus AC, synnacheros G; Vet. Lat. gen. 10,10 (I) Sennaar) und Calcham V. 385 (vgl. ACG; Vet. Lat. gen. 10,11 (I) Chalach).

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VI. Überblick über Hept. gen. 363–1498

V. 375–376 (poetische Beschreibung des Berges), V. 379–381 (Nebrods Freude am Widerstand gegen Gott und sein Vergleich mit den Heroen). Literatur: Ciarlo 2008, 743 zum gesamten Abschnitt. Der Turmbau zu Babel (V. 387–402, Gen 11,1–9): Während die Menschen um die Wette Städte gründen, kommen sie in das Land Sennaar und machen sich daran, Türme11 bis zum Himmel zu bauen. Sie verwenden anstelle von Steinen gebrannte Ziegel und anstelle von Kalkmörtel12 Asphalt, welcher mit einem weichen Vlies aufgestrichen wird und durch seine zähe Substanz die Steine miteinander verbindet. Sie wollen eine Stadt mit unermesslich hohen Dächern bauen, ehe sie durch eine erneute Wanderung zerstreut werden, denn alle sprechen die gleiche Sprache13 (V. 387–397). Gott steigt herab, sieht die Mauern und lässt die Menschen sogleich als einzelne Völker in verschiedenen Sprachen reden. Sie verteilen sich auf der ganzen Erde und der Ort der Teilung erhält den Namen „Wirrsal“ (Confusio) (V. 398–402). Wiedergabe von Gen 11,1–9 ohne 11,6 (Gottes Motiv für die Sprachverwirrung: den Menschen wird nichts mehr unmöglich sein); Kürzungen in 11,4 (die Menschen wollen sich durch den Bau einen Namen machen), 11,8 (Aufgabe des Bauvorhabens nach der Zerstreuung der Menschen); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 389 (Bau mehrerer Türme, gegen Vet. Lat. gen. 11,4: einer Stadt und eines Turmes), V. 394–395 (Beschreibung des zähen Erdpechs). Textkritik: V. 396 consona lingua G conscia lingua AC Peiper. [Die Nachkommen Sems (Gen 11,10–26)] Übergang zur Geschichte von Abram14 (V. 403–411, Gen 11,27–32): Es folgen der gläubige Abram, der Sohn Tharas15, und sein Bruder Lot. Als Abram und Lot herangewachsen sind, heiraten sie beide: Lot nimmt Melcha zur Frau und Abram Sara16, die bis ins hohe Alter kinderlos bleibt. Thara führt sie aus dem Gebiet der Chaldäer heraus, da ihm das Gebiet von Kanaan mit seinen bewaldeten Hügeln gefällt. Wiedergabe von Gen 11,27–32 ohne 11,28 (Tod Arrans), 11,32 (Tod Tharas); Kürzungen in 11,27 (weitere Söhne Tharas), 11,29 (Abstammung Melchas), 11,31 (Thara lässt sich in Charran nieder); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 403 (Abrams großer Glaube), V. 405 (Lot ist Abrams Bruder, gegen 11,27: Lot ist der Sohn von Abrams Bruder Arran), V. 407 (Lot heiratet Melcha, gegen 11,29: Abrams Bruder Nachor heiratet Melcha)17, V. 409 (Sara ist 11 In ACG ist für V. 389 einheitlich der Plural turres überliefert, im Gegensatz zum Singular in Vet. Lat. gen. 11,4 (vgl. auch LXX pußrgon und Vulg. turrem). Dass hier nicht von einem poetischen, sondern von einem wirklich gemeinten Plural auszugehen ist, wird auch durch den Plural inmensis [...] tectis („mit unermesslich hohen Dächern“) in V. 392 nahegelegt. 12 Vgl. V. 394 pro calce, dagegen ist in Vet. Lat. gen. 11,3 von Lehm ((I) lutum) die Rede. 13 Vgl. V. 396 consona lingua G. 14 Der Name Abram wird entsprechend der LXX deutsch 2010 bis Gen 17,5 verwendet, wo Abram den Namen Abraham erhält; ab 17,5 wird Abraham gesetzt. Beim HD findet sich nur die kürzere Namensform Abram bzw. Abramus. 15 Thara steht am Ende der Genealogie Sems (Vet. Lat. Gen. 11,10–26), die der HD auslässt. 16 Der Name Sara wird entsprechend der LXX deutsch 2010 bis Gen 17,15 beibehalten, wo Sara den Namen Sarra erhält; danach wird Sarra gesetzt. Beim HD findet sich, abgesehen von V. 585, nur die verlängerte Namensform Sarra. 17 Zu dieser wohl versehentlichen Vertauschung vgl. Herzog 1975, 110 Anm. 228.

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bis ins hohe Alter unfruchtbar), V. 411 (bewaldete Hügel Kanaans als Umzugsgrund). Abrams Berufung und seine Wanderung nach Kanaan (V. 412–427a, Gen 12,1–8): Gott befiehlt seinem Erwählten Abram, dessen Gesinnung er kennt, das Land seines Vaters und seine Verwandtschaft zu verlassen und sich in einer anderen Gegend niederzulassen, da er ihn zum Stammvater eines unermesslich großen Volkes machen will. Jeder, der Abram durch böse Worte verletzt, soll von Gott verflucht sein und Unglück ertragen, wer ihm dagegen Freundliches sagt, soll erhöht werden18 (V. 412–420). So zieht Abram nach Sichem um, welches der Herr ihm auf lange Zeit verspricht19, und errichtet dort einen Altar. Dann besteigt er einen Berg, an dem sich die Wellen brechen und der einen Ausblick auf das Morgenrot gewährt20, legt dort Bauten und einen weiteren Altar an und betet zu Gott (V. 421–427a). Wiedergabe von Gen 12,1–8 ohne 12,4–5 (Abram verlässt im Alter von 75 Jahren zusammen mit Lot, Sara und seinem ganzen Haus Charran); Kürzungen in 12,2 (Gott wird Abram segnen), 12,3 (alle Stämme der Erde sollen in Abram gesegnet werden), 12,6 (hohe Eiche bei Sichem), 12,7 (Gott erscheint Abram); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 412 (Gott erkennt die Gesinnung seines Erwählten), V. 424–425 (Abram besteigt einen am Meer gegen Osten gelegenen Berg, gegen 12,8: er geht zum Gebirge im Osten von Bethel, wobei Bethel meerwärts und Hangai im Osten liegt)21. Textkritik: V. 420 laeto Peiper laetus et AC laetos et G | actu C astu AG; V. 422 despondet Mayor despondit AG Peiper dispondet C; V. 423 aras; interpunxi aras: interpunxit Peiper; V. 425 solis. interpunxi solis, … interpunxit Peiper, qui versum excidisse suspicatus est. Literatur: Herzog 1975, 110–111 zu V. 424–425, Roberts 1978, 262 zu V. 417–420. Abram in Ägypten: Abram und Sara in Ägypten (V. 427b–449, Gen 12,9– 20): Daraufhin hält Abram sich in der Einöde auf, in welcher er aufgrund der anhaltenden Trockenheit Hunger leidet und in Sorge gerät. Deshalb zieht er in das fruchtbare Land am Nil. Da Sara sehr schön ist, befiehlt er ihr, sich nicht als seine Ehefrau, sondern als seine Schwester auszugeben, damit ihm nicht Neid erwächst, der ihm durch Gewalttaten der zügellosen Menge Schaden bringt, und damit kein Nebenbuhler auftritt (V. 427b–436). Bei seiner Ankunft wird Abram von den Ägyptern bewundert, Sara jedoch mit begehrlichen Blicken gemustert; die Vornehmsten rühmen sie vor dem König und bringen sie zu ihm und Abram wird mit freundlichen Worten und Wünschen aufgenommen (V. 437–440). Doch Gott duldet nicht, dass der König betrogen wird, und schlägt ihn mit vielen großen Schrecken; angesichts seiner Schuld macht er Abram Vorwürfe, dass er seine Frau als seine Schwester ausgegeben und ihn, den König, betrügerisch hintergangen habe. 18 In dieser Richtung ist wohl V. 420 sit laeto grandior actu zu verstehen. Der HD umschreibt mit dieser Wendung den Anfang von Vet. Lat. gen. 12,3, wonach Gott diejenigen segnen wird, die Abram segnen. 19 Vgl. V. 422 despondet Mayor. 20 Vgl. V. 424–425. Der HD umschreibt hier poetisch die Informationen (E) secundum mare und (E) contra orientem in Vet. Lat. gen. 12,8. 21 Zu der Zusammenziehung der Ortsangaben vgl. auch Herzog 1975, 110–111.

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Dann lässt er Abram mit seiner Frau und dem Vieh, das er aus seiner Heimat mitgebracht hat, fortziehen; Gott hat seinem treuen Diener nämlich großes Vermögen geschenkt (V. 441–449). Wiedergabe von Gen 12,9–20 mit Kürzungen in 12,20 (der Pharao lässt Abram von Männern fortgeleiten, Lot kommt mit); Zusatz aus 13,2 (Hinweis auf Abrams Vermögen, vgl. V. 448–449); Erweiterugen/inhaltliche Veränderungen: V. 429–430 (anhaltende Trockenheit als Ursache für den Hunger und damit verbundene Sorge Abrams), V. 435–436 (Furcht Abrams vor Neid der Ägypter bzw. vor einem Rivalen), V. 437–438 (die Ägypter bewundern Abram bei seiner Ankunft und betrachten Sara begehrlich), V. 440 (Abram wird mit freundlichen Wünschen und Worten aufgenommen, gegen 12,16: Abram bekommt verschiedene Tiere und Bedienstete geschenkt), V. 441 (Gott will nicht, dass der Pharao getäuscht wird), V. 447 (Abram nimmt sein aus der Heimat mitgebrachtes Vieh aus Ägypten mit), V. 448 (Abrams Reichtum als Lohn Gottes für seinen treuen Dienst). Textkritik: V. 429 aret Peiper, qui Arevalum secutus est ardet ACG cf. Luthardt 1891, 425. Abrams Trennung von Lot und Gottes Verheißung an Abram (V. 450– 471, Gen 13,1–18): Zusammen mit Lot, der auch sein Vermögen mitnimmt, kehrt Abram in seine Heimat zurück22. Dort kommt es zu einem Streit zwischen den Hirten beider, da ihr Land zu klein für die Muttertiere ist (V. 450–454). In dem Bestreben, den Streit beizulegen, bietet Abram Lot eine Aufteilung des Landes an. Lot wählt die Gegend am Jordan, welcher wie der Nil durch Überschwemmungen die Felder fruchtbar macht, und Abram nimmt Kanaan, auf dessen grünen Feldern er sein Vieh weidet (V. 455–461). Doch es ist ihm nicht erlaubt, einen bleibenden Wohnsitz zu errichten, denn ihm wird befohlen, das Land nach den verschiedenen Himmelsrichtungen betrachtend zu durchwandern23. Dieses Land ist Abrams Geschlecht versprochen, welches so zahlreich sein wird, dass man schneller die Sterne oder den Sand am Meer zählen könnte. So bricht Abram zur Eiche Mambre auf und weiht Gott einen Altar (V. 462–471). Wiedergabe von Gen 13,1–18 ohne 13,2–4 (Abrams großes Vermögen [vorgezogen in V. 448–449]; Abram kehrt an den Ort zwischen Bethel und Hangai zurück, wo er den Altar errichtet hat, und betet dort Gott an), 13,13 (Sündhaftigkeit der Bewohner von Sodom); Kürzungen in 13,1 (Aufbruch Abrams mit Frau und Besitz), 13,8 (Grund für die Streitschlichtung durch Abram: Abram und Lot sind „Brüder“), 13,10 (die Jordangegend ist vor der Zerstörung von Sodom und Gomorra bewässert gewesen wie das Paradies Gottes), 13,11 (Trennung von Abram und Lot), 13,12 (Lot lässt sich in Sodom nieder), 13,15 (Verheißung des Landes auf ewig), 13,18 (Eiche in Hebron); Kontamination in V. 463–465 (Abram soll das Land nach den verschiedenen Himmelsrichtungen betrachtend durchwandern, vgl. 13,14: Abram soll von seinem Standort aus nach allen Himmelsrichtungen blicken, und 13,17: er soll das gezeigte Land der Länge und Breite nach durchwandern); inhaltliche Veränderun22 Vgl. V. 451 patrias [...] ad oras; gemeint ist der in V. 424–427 genannte Berg, vgl. Vet. Lat. gen. 13,3–4. 23 Vgl. V. 463 lustrare tuendo; ich fasse lustrare als Synonym von (I) perambula in Vet. Lat. gen. 13,17 auf.

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gen/Erweiterungen: V. 453–454 (Streit der Hirten wegen Mangels an Platz für die Muttertiere, gegen 13,6–7: Ursachen für den Konflikt zwischen Lot und Abram: das Gebiet ist für die beiden reich gewordenen Familienverbände zu eng, ein Streit bricht zwischen den Hirten Abrams und Lots aus, im Land wohnen außerdem noch die Kanaanäer und Pherezäer)24, V. 461 (grüne Weiden Kanaans), V. 462 (Abram ist es nicht erlaubt, einen dauerhaften Wohnsitz zu errichten), V. 468 (zusätzlicher Vergleich von Abrams Nachkommenzahl mit den Sternen). Textkritik: V. 468 dicet Peiper dicit ACG. Literatur: Petringa (La presenza) 2007, 170 zu V. 464–465. Abram und Lot in Kriegswirren und Abrams Begegnung mit Melchisedek (V. 472–500, Gen 14,1–24): Bald nach der einvernehmlichen Trennung von Abram und Lot erheben sich vier Könige und verwüsten Sodom mit zahlreichen Soldaten, und die vier Heere mit ihren vier Feldherren kämpfen bis zum Salztal. Fünf Könige ergreifen die Flucht und verbergen ihre Überlebenden in den bewaldeten Bergen; die vier Könige aber sind Arioch, Adachar25, Chodollogomor26 und der nach schönen Waffen gierende Amarphal (V. 472–482). Inmitten dieser Kriegsgefahren wird Lot mit seiner gesamten Familie und seinem Haus gefangen genommen. Als Abram von einem Boten27 davon erfährt, mobilisiert er 318 seiner Bediensteten für den Kampf und überfällt mitten in der Nacht die ahnungslosen Feinde, welche er vertreibt und zum großen Teil tötet. Er befreit seinen Bruder Lot und nimmt diesen und Beute in einem langem Zug mit sich (V. 483–492). Von den Vornehmsten Sodoms und dem Priester und Herrscher von Salem Melchisedek wird er mit freudigem Lobpreis empfangen; Melchisedek segnet ihn, bringt ihm Brot und Wein und nimmt dafür den Zehnten von Abram. Er28 bittet Abram um die Herausgabe der Gefangenen, das Übrige solle er für seine Verdienste gemäß dem Kriegsrecht mitnehmen, doch Abram begnügt sich in seiner Tugend mit der Mitnahme seines Bruders (V. 493–500). Wiedergabe von Gen 14,1–24 ohne 14,4–8 (die fünf Stadtkönige sind im 13. Jahr von Chodollogomor abgefallen; im 14. Jahr bekämpfen Chodollogomor und die mit ihm verbündeten Könige zunächst verschiedene andere Völker, dann stellen sich ihnen die fünf Stadtkönige im Salztal zum Kampf), 14,11 (die vier Könige nehmen die Reiterei von Sodom und Gormorra gefangen), 14,24 (nur Abrams Verbündete sollen ihren Anteil von der Beute bekommen); Kürzungen in 14,1 (Namen der vier Könige), 14,2 (Namen der fünf Stadtkönige), 14,10 (die Könige von Sodom 24 Vgl. hierzu Bräumer 2011 (2. Teil), 71–72. 25 Vgl. V. 481; dieser Name findet sich beim HD anstelle von Thargal, vgl. LXX gen. 14,1.9 (die Vetus Latina ist hier nicht bezeugt). 26 Dieser Name ist im Text des HD entstellt, vgl. godolla gomurrus A, godolla gomerus C, godullagomurus G. 27 Vgl. V. 485 nuntius; nach Vet. Lat. gen. 14,13 handelt es sich bei dem Boten um einen Entronnenen. 28 Nach LXX gen. 14,21 (die Vetus Latina ist nicht bezeugt) spricht hier nicht Melchisedek, sondern der König von Sodom. Daher liegt es nahe, dass nach V. 496 ein Vers ausgefallen ist, in dem der König von Sodom eingeführt wird, auf welchen sich dann is petit in V. 497 bezieht, vgl. Mayor 1889, 25.

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und Gomorra fallen auf der Flucht in Asphaltgruben), 14,12 (Lot wird gefangen, weil er in Sodom wohnt), 14,13 (Angabe von Abrams Wohnort und seiner Verbündeten), 14,14 (Abram verfolgt die vier Könige bis nach Dan), 14,15 (Abram verfolgt die geschlagenen vier Könige bis Choba), 14,17 (Begegnung von Abram und dem König von Sodom in der Königsebene), 14,19–20 (Melchisedeks Segensworte); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 475 (die vier Könige verwüsten Sodom, gegen 14,2: sie beginnen Krieg gegen den König von Sodom und vier weitere Stadtkönige), V. 476–477 (die Heere der vier Könige kämpfen bis zum Salztal, gegen 14,3: alle Könige kommen überein beim Salztal), V. 482 (Amarphals Gier nach schönen Waffen), V. 492 (Abram nimmt Beute in einem langen Zug mit, gegen 14,16: er führt die ganze Reiterei von Sodom, Lots Besitz und die Bevölkerung zurück), V. 493 (Abram wird von den Vornehmsten Sodoms empfangen, gegen 14,17: vom König von Sodom), V. 499–500 (der tugendhafte Abram begnügt sich damit, den Bruder zurückzubekommen, gegen 14,22–23: Abram schwört bei Gott, dass er nichts von der Beute nehmen will, damit der König von Sodom nicht sagen kann, dass er Abram reich gemacht habe). Textkritik: V. 481 Arioch, Adachar Peiper ariocha dachar AC arioc hadachar G; V. 482 inhians Peiper inhians gaudens A inhiagaudens CG; V. 488 retractat Peiper retractans AC retractant G; V. 495–4951 Melchisedechus erat, princeps rectorque Salemae – / panem vinumque praesentans Peiper, qui Mayorem secutus est Melchisedechus ( Melchisedecus G) erat panem vinumque presentans (praesentant G) AG Melchisedecus erat panem vinumque praesentans / Princeps rector quae salemae C; post V. 496 versum excidisse, quo rex Sodomae introduceretur, iure suspicatus est Mayor 1889, 25. Verheißung eines Sohnes für Abram (V. 501–519, Gen 15,1–7): Bald darauf erscheint Gott Abram im Schlaf und fordert ihn auf, frei von aller Furcht zu sein, da er durch Gottes unbesiegbare Hand geschützt sei. Abram aber zweifelt an dem Geschenk, das Gott ihm so groß ankündigt29: Er sei durch sein hohes Alter entkräftet und hinterlasse nach seinem Tod keinen Sohn. Da er keine Nachkommen aus vornehmer Ehe habe, werde er einen Erben von niederer Abkunft haben, den eine Sklavin geboren habe (V. 501–509). Daraufhin bestärkt Gott Abram: Er solle sich nicht fürchten, nicht ein Sklave werde sein Erbe sein. Nur der, der die zahllosen Sterne oder den ganzen Sand des Meeres zählen könne, werde seine Nachkommenschaft auf dem ganzen Erdkreis zählen können, und es werde ein Sohn aus seinem Samen geboren werden, der sein Erbe antreten werde und auch Sohn des ewigen Königs sei30. Denn er, Gott, sei der Herr und Schöpfer der Himmel und habe ihn sicher aus dem Volk der Chaldäer zurückgeführt31 (V. 510– 29 Vgl. V. 505; damit bezieht sich der HD auf die von ihm nicht wiedergegebene Prophezeiung Gottes in Vet. Lat. gen. 15,1, dass Abrams Lohn sehr groß sein werde. 30 Vgl. V. 517 natus sit regis aeterni. Es wäre denkbar, dass der HD durch diesen Zusatz zum Bibeltext auf Christus, den Sohn Gottes, vorausweisen will, der seine Abstammung über David auf Abram zurückführen kann, vgl. Mt 1,1. 31 Das einhellig überlieferte reduxi in V. 519 ist nicht logisch, da Gott Abram ja aus Ur in Chaldäa in das verheißene Land weggeführt, nicht aber zurückgeführt hat, vgl. auch (E) eduxi in Vet. Lat. gen. 15,7.

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519). Wiedergabe von Gen 15,1–7 ohne 15,6 (Abram glaubt Gott, was ihm als Gerechtigkeit angerechnet wird); Kürzungen in 15,1 (Abrams Lohn wird sehr groß sein), 15,2 (Abrams Sohn Damaskos Eliezer von seiner Haussklavin Masek), 15,5 (Gott führt Abram nach draußen, um ihm die Sterne zu zeigen); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 506 (Abrams hohes Alter), V. 508–509 (Abram hat keine Erben aus vornehmer Ehe, sondern von niederer Abkunft), V. 511 (wiederholte Aufforderung Gottes, sich nicht zu fürchten), V. 513 (zusätzlicher Vergleich von Abrams Nachkommenzahl mit dem Sand des Meeres), V. 515 (Verbreitung von Abrams Nachkommen auf der ganzen Erde), V. 517 (Abrams Sohn soll auch der Sohn des „ewigen Königs“ sein), V. 519 (Gott hat Abram sicher aus Chaldäa zurückgeführt, gegen 15,7: er hat Abram aus Chaldäa herausgeführt, um ihm das verheißene Land zum Erbe zu geben). Ein Zeichen und weitere Verheißungen für Abram (V. 520–560, Gen 15,8–21): Abram glaubt Gott und erkennt durch seinen rechtschaffenen Verstand32, dass nichts an den Worten Gottes fehlt. Demütig bittet er Gott um Zeichen als Beglaubigung für das so große Geschenk, dass er mit seinem altersschwachen Leib noch einen Sohn zeugen soll. Nach Gottes Anweisung bereitet er ein dreijähriges33 weibliches Kalb, einen Jungstier, einen Schafbock, einen Ziegenbock, eine Ziege, ein Paar Tauben und eine Turteltaube vor und teilt die Körper der Tiere in je zwei Hälften mit Ausnahme der Vögel, die er ganz lässt; dann ordnet er alles auf einem Altar an34 und setzt sich aufmerksam35 daneben (V. 520– 533). Bei Einbruch der Nacht wird Abram von Schrecken erfüllt und schwarze Finsternis bricht über ihn herein. In seiner Bestürzung empfängt er Trost vom Herrn, indem er von seiner Nachkommenschaft, seinem künftigen Volk, erfährt, das unter dem hartherzigen König Ägyptens, dem Pharao, werde leben müssen. Vierhundert Jahre lang werde es Herren dienen müssen und dann in fruchtbares Land zurückgerufen werden; und nachdem es einst als Sklave gezittert habe, werde es machtvoll das Zepter über andere Völker führen. Abram werde in seiner Heimat sterben und begraben werden (V. 534–546). Sein Volk werde aus dem verhassten Aufenthaltsort befreit hierher zu den Häusern seiner Vorfahren zurückkommen und im Land am Nil und Euphrat, der am Gebiet der Syrer vorbeifließt, die Kenäer, Kenezäer, Kedmonäer36, Chettäer, Pherezäer, Raphain und Jebusäer beherrschen; die Kanaanäer würden aus ihrer geliebten Heimat vertrieben werden und die Amorräer würden zusammen mit den befreundeten Gergesäern 32 Vgl. V. 521 sincero acumine cordis. Damit nimmt der HD offenbar auf Vet. Lat. gen. 15,6 Bezug, wonach Abram sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet wird. 33 Vgl. V. 526 trimi iam temporis; nach Vet. Lat. gen. 15,9 sollen auch die Ziege und der Schafbock dreijährig sein. 34 Vgl. V. 532 disponit; nach Vet. Lat. gen. 15,10 legt Abram die jeweiligen Tierhälften einander gegenüber. 35 Vgl. V. 533 sensu versutus et aure. Das Adjektiv versutus soll hier in Verbindung mit den Ablativen sensu und aure offensichtlich eine besondere Aufmerksamkeit und Wachheit Abrams bezeichnen, vgl. die Umschreibung von versutus mit sagax, promptus in Forc. 4 s.v. versutus 957 unter II 1. 36 Vgl. Chalmoneos ACG.

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verjagt werden und den Ankömmlingen halbtot das von ihnen besessene Land überlassen37 (V. 547–556). Nach diesen Verheißungen gibt Gott bei Sonnenuntergang ein deutliches Zeichen durch einen Blitz; denn man sieht eine Flamme, die wie in einem Ofen lodert, an den Fleischstücken lecken (V. 557–560). Wiedergabe von Gen 15,8–21 mit Nachtrag von 15,6 (Abram glaubt Gott); Kürzungen in 15,11 (Raubvögel stoßen auf die Fleischstücke herab, weshalb Abram sich daneben setzt), 15,16 (Abrams Nachkommen werden in der vierten Generation zurückkehren, da die Sünden der Ammoräer noch nicht vollzählig sind), 15,18 (Gott schließt an diesem Tag einen Bund mit Abram); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 524–525 (Bezug des Zeichens auf den verheißenen Sohn, gegen 15,8: Bezug auf die Landverheißung), V. 527–529 (zusätzlich zu 15,9 Ziegenbock und Jungstier, Verdoppelung der Taube), V. 532 (Abram legt die Tiere auf einen Altar), V. 533 (Aufmerksamkeit Abrams), V. 536 (Finsternis bricht herein, gegen 15,12: finstere Furcht befällt Abram), V. 537–538 (Trost Abrams durch Prophezeiung des neuen Volkes), V. 539–540 (Abrams Nachkommen werden in Ägypten dem Pharao dienen), V. 443–444 (Umkehr des Schicksals von Abrams Nachkommen, so dass das einst versklavte Volk über andere herrschen wird, gegen 15,14: Gott wird die Ägypter richten und Abrams Nachkommen werden mit großem Reichtum ausziehen), V. 546 (Abram wird in seiner Heimat sterben und begraben werden, gegen 15,15: Abram wird friedlich in gutem Alter sterben), V. 550 (der Euphrat fließt an Syrien vorbei), V. 554–556 (besondere Betonung der Vertreibung von Kanaanäern und Amorräern), V. 558–560 (Gott gibt ein Zeichen durch einen Blitz und eine Flamme wie in einem Ofen beleckt die Fleischstücke, gegen 15,17: es erscheinen eine Flamme und ein rauchender Ofen und Feuerflammen fahren zwischen den Fleischstücken hindurch). Textkritik: V. 550 orbes G2 orbis G1 urbes AC cf. Best 1891, 7; V. 557 deus CG dei A Peiper | prompsisset Arevalus prompsissent Peiper promisissent A promississet C promisisset G. Literatur: Best 1891, 7 zu V. 550; Roberts 1985, 202–203 zu V. 549–556; Ciarlo 2008, 743 mit Anm. 66 zu V. 549–554, Jakobi 2010, 125–126 zu V. 526– 529, 127–128 zu V. 534–538. Sara und Hagar; die Geburt Ismaels (V. 561–576, Gen 16,1–16): Unterdessen hat Sara, schon ermüdet während der Jahre ihrer Unfruchtbarkeit, sogar den Wunsch nach einer Schwangerschaft38 verloren, und da sie aufgrund ihres kalten Bauches39 kein Kind bekommt, verlockt sie Abram zu einer zweitrangigen Freude40 und nötigt ihn zum Beilager mit einer Sklavin, auf dass er wenigstens durch einen minderwertigen Nachkommen Vater wird (V. 561–566). Sogleich wird die Ägypterin Hagar ins Schlafgemach geführt, und sie gebiert den uneheli37 Unter den hier aufgezählten Völkern fehlen nur die Heväer (vgl. Vet. Lat. gen. 15,21 (E) Euheos). 38 So ist wohl votum [...] parentis in V. 562 zu verstehen. 39 Vgl. V. 563 praegelida [...] alvo. Damit umschreibt der HD offenbar Saras Feststellung in Vet. Lat. gen. 16,2, dass der Herr sie verschlossen habe. 40 Vgl. V. 564–565 ad secunda [...] gaudia. Die Geburt Ismaels kann Abram nicht so erfreuen wie die Geburt seines ehelichen Sohnes Isaak, die ihm sozusagen prima gaudia bescheren wird, vgl. zu diesem Verständnis Mayor 1889, 28.

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chen Sohn Ismael. Da sie ihre Herrin mit sklavischer List verächtlich behandelt, wird sie verprügelt und flieht verwundet. Als sie in einer entlegenen Gegend an einem nahe gelegenen Brunnen Schutz sucht, steigt ein Engel vom Himmel herab, der sie zuerst tröstet41, dann zum Haus ihrer Herrschaften zurückschickt und sie zu ihrer Freude reich beschenkt42. Daraufhin benennt Hagar den Brunnen in Anlehnung daran, dass sie Gott in strahlendem Licht gesehen hat43 (V. 567–576). Wiedergabe von Gen 16,1–16 ohne 16,5 (Sara klagt vor Abram über das verächtliche Verhalten der schwangeren Hagar), 16,8 (der Engel fragt, woher Hagar komme und wohin sie gehe, Hagar antwortet, dass sie vor ihrer Herrin fliehe), 16,11–13 (der Engel verheißt Hagar die Geburt Ismaels, Ismael werde ein wilder Mensch sein; Hagar gibt dem Herrn, der zu ihr spricht, den Namen „Du, Gott, der du auf mich geblickt hast“), 16,16 (Abram ist bei der Geburt Ismaels 86 Jahre alt); Kürzungen in 16,1 (Sara hat eine ägyptische Magd namens Hagar), 16,3 (Verbindung Hagars mit Abram zehn Jahre nach seiner Niederlassung in Kanaan), 16,6 (Abram liefert Hagar an Sara aus), 16,7 (Brunnen am Weg nach Sur), 16,14 (der Brunnen liegt zwischen Kades und Barad); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 561–562 (Sara hat aufgrund ihrer langen Unfruchtbarkeit den Wunsch nach einer Schwangerschaft verloren), V. 564–566 (Minderwertigkeit des Nachkommens von der Sklavin), V. 568 (Hagar gebiert Ismael vor der Begegnung mit dem Engel, gegen 16,15: nach der Begegnung), V. 569 (Hagars sklavische List), V. 570 (Hagar ist verwundet), V. 573 (der Engel tröstet Hagar, gegen 16,9: der Engel befiehlt Hagar, sich unter die Hände ihrer Herrin zu erniedrigen), V. 574 (Gott beschenkt Hagar reich, gegen 16,10: der Engel verheißt Hagar eine zahllose Nachkommenschaft), V. 575 (Hagar hat Gott in strahlendem Licht gesehen). Textkritik: V. 564 secunda ACG Peiper fecunda LMueller. Literatur: Jakobi 2010, 128 zu V. 565–566. Gottes Bund mit Abram (V. 577–595, Gen 17,1–27): Im Alter von 99 Jahren erkennt Abram, dass er Vater eines Sohnes werden wird, der ihm dank eines großen Geschenkes geboren werden soll44. Gott schließt einen Bund mit Abram, welcher Stammvater und Führer unzähliger Völker werden soll und für lange Zeit einen friedlichen Wohnsitz erhält45. Er wird durch die Verlängerung seines Namens um einen Vokal geehrt46 und auch Sara soll nun Sarra heißen (V. 577–585). 41 Vgl. V. 573 consultamque prius; zu consulere im Sinne von consolari an dieser Stelle vgl. ThlL 4 s.v. consulo 584,78–79 unter IV. 42 Diese Andeutung in V. 574 ist wohl als Umschreibung von Vet. Lat. gen. 16,10 zu verstehen, wo der Engel Hagar eine zahllose Nachkommenschaft verheißt. Es kann jedenfalls nicht die Verheißung der Geburt des Sohnes Ismael nach Vet. Lat. gen. 16,11 gemeint sein, da der HD dessen Geburt bereits in V. 568 berichtet hat. 43 Vgl. V. 575–576. Nach Vet. Lat. gen. 16,14 nennt Hagar den Brunnen „Brunnen, bei dem ich ins Angesicht gesehen habe“, vgl. (S) Puteus coram quo vidi. 44 Vgl. V. 578–579. Diese Verheißung eines Sohnes von Sarra (!) erfolgt in Vet. Lat. gen. 17,16 erst nach dem Bundesschluss, während der HD sie an den Anfang des 17. Genesiskapitels zieht und ihr dadurch besonderes Gewicht verleiht. 45 Vgl. V. 582; nach Vet. Lat. gen. 17,8 gibt Gott Abram und seinen Nachkommen das Land Kanaan als ewigen Besitz. 46 Vgl. V. 583–584, d.h. Abram soll nun Abraham heißen, vgl. Vet. Lat. gen. 17,5.

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Ismael wird auf das Gebet seines Vaters hin reich gemacht, indem er zum Stammvater und König von zwölf Völkern wird. Nach diesen Ereignissen beschneidet Abraham (!) am achten Tag die männlichen Personen, auch solche, die nicht seinem Volk angehören. Als die Zeit der Erfüllung des Versprechens nahe ist47, bricht Abraham in bebendes Gelächter aus und überlegt, ob Gott wohl etwas schaffen könne, was es noch nie gegeben habe, und mittels geschwächter Glieder Stärke hervorbringen könne48 (V. 586–595). Wiedergabe von Gen 17,1–27 ohne 17,3 (Abram fällt vor Gott auf sein Gesicht), 17,6–7 (Gott wird Völker und Könige aus Abraham (!) hervorgehen lassen; er schließt einen ewigen Bund mit Abraham und seinen Nachkommen), 17,9–14 (Gott gebietet Abraham und seinen Nachkommen, seinen Bund zu bewahren, und setzt die Beschneidung aller männlichen Kinder am achten Tag als Bundeszeichen ein), 17,18–19 (Abraham bittet Gott für Ismael; Gott verheißt Abraham den Sohn Isaak von Sarra (!), mit dem Gott einen ewigen Bund schließen werde), 17,21–22 (Gott bekräftigt, dass er seinen Bund mit Isaak schließen werde, der in einem Jahr geboren werden solle; Gott verlässt Abraham), 17,24–27 (Abraham ist bei seiner eigenen Beschneidung 99 Jahre alt, Ismael 13 Jahre; Abraham beschneidet alle männlichen Personen seines Hauses); Kürzungen in 17,1 (Gott erscheint Abram und befiehlt ihm, sich untadelig vor ihm zu verhalten), 17,2 (Gott wird Abram zahlreich machen), 17,5 (Abram soll Abraham heißen, weil Gott ihn zum Vater vieler Völker gemacht hat), 17,8 (Gott sichert Abrahams Nachkommen seine Gegenwart zu), 17,16 (Gott wird Völker und Könige aus dem verheißenen Sohn hervorgehen lassen), 17,17 (Abraham fällt auf sein Gesicht); Kontamination in V. 588–590 (am achten Tag nach dem Bundesschluss beschneidet Abraham alle männlichen Personen, vgl. 17,12: Gott gebietet Abraham, dass alle männlichen Kinder am achten Tag beschnitten werden sollen, und 17,23: Abraham beschneidet unmittelbar nach dem Bundesschluss alle männlichen Personen seines Hauses). Textkritik: V. 582 sedes Peiper, qui Martenium secutus est edes AG aedes C. Drei Männer bei Abraham und Sarra (V. 596–620, Gen 18,1–15): Als Abraham in der Mittagshitze die Kühle des Schattens genießt, sieht er plötzlich drei junge Männer vor sich stehen. Er bemüht sich um alle drei eifrig, wendet sich aber einem von ihnen besonders zu49 und bittet ihn, an seinem Knecht nicht schnell vorüberzugehen, sondern sich unter das Dach seiner Eiche zu begeben, seine Füße mit kaltem Wasser zu waschen und das aufgetischte Brot anzunehmen. Man stimmt Abraham zu und dieser macht sich schnell an die Ausführung der ehrwür47 Vgl. V. 591. Der HD greift hier auf die Verheißung des Sohnes von Sarra zurück (vgl. V. 578–579). 48 Vgl. V. 594–595. Der HD umschreibt hier Vet. Lat. gen. 17,17, wo Abraham sich fragt, ob er als Hundertjähriger und Sarra als Neunzigjährige einen Sohn bekommen werden. Diese Reaktion auf Gottes Verheißung berichtet der HD in Abweichung vom Bibeltext nach der Durchführung der Beschneidung am Ende des 17. Genesiskapitels, wodurch die Thematik des verheißenen Sohnes den Abschnitt V. 577–595 gleichsam einrahmt. 49 Vgl. V. 599. Hier interpretiert der HD Vet. Lat. gen. 18,2–3, wonach Abraham den Männern entgegeneilt und ehrfürchtig auf die Erde niederfällt, bei der Anrede aber den Singular ((E) domine) benutzt.

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digen Anweisungen50. Auch Sarra selbst erscheint eilends und holt drei Maß feines Mehl, die sie in der Aschenglut bäckt. Dann wird ein bereits gehörntes, fleckenloses Kalb ausgewählt und Butter aufgetischt (V. 596–610). Während Abraham Gott zu essen gibt, der in dreifacher Gestalt bei ihm sitzt51, empfindet er Freude über dessen Frage, was Sarra gerade mache; Sarra befindet sich nämlich im Haus. Dann fährt das wahre Licht52 mit seiner Rede fort und verheißt Abraham, dass Sarra in einem Jahr Mutter sein werde, woraufhin die entfernt stehende Sarra fröhlich lacht und wegen ihres Alters nicht mehr an eine Geburt glaubt. Es wird nach dem Grund ihres Gelächters gefragt, doch aus Angst und Schuldbewusstsein leugnet sie, dass sie gelacht habe (V. 611–620). Wiedergabe von Gen 18,1–15 ohne 18,11 (Abraham und Sarra sind schon alt, Sarra ist nicht mehr fruchtbar), 18,14 (der Herr fragt, ob denn ein Wort von Gott unmöglich sei, und bekräftigt die verheißene Schwangerschaft); Kürzungen in 18,1 (Gott erscheint Abraham an der Eiche von Mambre), 18,2 (Abraham wirft sich vor den Männern auf die Erde nieder), 18,7 (Abraham gibt das Kalb einem Sklaven zur Zubereitung), 18,8 (Abraham tischt auch Milch auf, er steht während des Essens der Männer unter dem Baum), 18,10 (der Herr kündigt an, dass er in einem Jahr wiederkommen werde), 18,12 (Sarra lacht auch angesichts von Abrahams Alter), 18,13 (der Herr wiederholt Sarras ungläubige Worte), 18,15 (der Herr besteht darauf, dass Sarra gelacht habe); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 597 (Abraham sitzt im Schatten, gegen 18,1: am Eingang seines Zeltes), V. 599 (Abraham wendet sich an einen der drei Männer im Besonderen), V. 601–603 (Einladung zu Schatten, Fußwaschung und Brot im Singular, gegen 18,4–5: im Plural), V. 605–607 (Sarra eilt selbst herbei, holt Mehl und bäckt Brot, gegen 18,6: Abraham eilt zu Sarra ins Zelt und beauftragt sie mit dem Brotbacken), V. 608–609 (bereits gehörntes, fleckenloses Kalb, gegen 18,7: zartes und gutes Kalb), V. 611 (Deutung der drei Männer im Sinne der Dreifaltigkeit Gottes), V. 612 (Abraham freut sich über die Worte des Herrn), V. 614 (Bezeichnung des Sprechers als wahres Licht), V. 616 (Sarra hört die Worte des Herrn von fern, gegen 18,10: Sarra steht hinter dem Zelteingang, d.h. in der Nähe), V. 620 (Sarras Schuldgefühl wegen des Lachens). Textkritik: V. 605 ipsa A ipse CG. Literatur: Herzog 1975, 118 zu V. 611, Roberts 1978, 263 zu V. 597, Roberts 1985, 95 Anm. 136 zu V. 611, Pollmann 1992, 500 zu V. 611, Nodes 1993, 30–34 zu V. 611, Ciarlo 2008, 742 zu V. 611 und 745–746 zu V. 597. Abraham als Mittler für Sodom (V. 621–633, Gen 18,16–33): Die strahlenden jungen Männer erheben sich und richten ihren Blick auf das unter ihnen liegende Sodom53. Da der Herr Abraham nichts verheimlichen will, enthüllt er 50 Mit iussa [...] veneranda in V. 604 umschreibt der HD die Aufforderung der drei Männer an Abraham, das zu tun, was er angeboten hat (vgl. Vet. Lat. gen. 18,5). 51 Vgl. V. 611. Der HD reflektiert hier das in der Kirchenväterliteratur präsente theologische Verständnis von Gen 18 „als Zeichen für die trinitarische Einheit des einen Gottes in drei Personen“ (vgl. Pollmann 1992, 500). 52 Durch lux vera in V. 614 dürfte der HD die redende Person gemäß Joh 1,9 mit Christus identifizieren. 53 Vgl. V. 622, nach Vet. Lat. gen. 18,16 aber auch auf Gomorra.

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ihm den Grund für seinen Besuch in den bedeutenden Städten54: Er sei gekommen, weil er von dem maßlosen Geschrei über Sodom und Gomorra alarmiert worden sei, und wolle die wahren Umstände sehen, damit beide Städte infolge der Schuld ihrer Bewohner und des grauenhaften Geschreis durch einen Blitz in Brand gesteckt würden (V. 621–628). Der verängstigte Abraham fragt demütig, welche Zahl an Gottgefälligen die schuldigen Städte retten könne55. Er geht von einer Summe von fünfzig aus und erfährt, dass das lasterhafte Volk durch den starken Schutz von zehn Männern dem Untergang entkommen könne (V. 629– 633). Wiedergabe von Gen 18,16–33 ohne 18,18–19 (Gott begründet bei sich, warum er Abraham in seine Absicht einweiht), 18,22–23 (die Männer gehen nach Sodom, während Abraham vor Gott stehen bleibt und ihn fragt, ob er den Gerechten zusammen mit dem Gottlosen vernichten wolle), 18,33 (Gott verlässt Abraham, Abraham geht nach Hause); Kürzungen in 18,16 (Abraham geleitet die Männer fort), 18,20 (große Sünden von Sodom und Gomorra); starke Raffung in V. 629–633 (Abraham fragt, welche Zahl an Rechtschaffenen die Städte retten könne, geht von einer Zahl von 50 aus und erfährt, dass 10 genügen, vgl. 18,24– 32: Abraham fragt, ob Gott die Stadt Sodom vernichten werde, wenn er darin 50, 45, 40, 30, 20 und schließlich nur 10 Gerechte finde, und Gott sichert jeweils seine Gnade zu); Erweiterungen: V. 621 (Glanz der drei Männer), V. 627–628 (Gott will Sodom und Gomorra wegen der Schuld ihrer Bewohner durch einen Blitz vernichten). Literatur: Kriel 1991, 8–9 und 17–18 Anm. 6–15 zu V. 621–679, Pollmann 1992, 497 zu V. 621. Der Besuch der zwei Männer bei Lot (V. 634–651, Gen 19,1–11): Zwei Männer, der Sohn und der Ernährer56, kommen gegen Abend nach Sodom, wo Lot seiner Gewohnheit gemäß57 vor dem Tor sitzt. Dieser fällt vor den strahlenden, gleich aussehenden Männern anbetend nieder und führt sie zu seinem Haus, obwohl sie lieber draußen auf der Straße bleiben wollen. Er reicht ihnen weißes, ungesäuertes Brot aus feinem Mehl, dann legen sie sich zum Schlafen nieder58 54 Vgl. V. 624 graves [...] urbes, d.h. in Sodom und Gomorra. 55 Vgl. V. 630. Im Kontext von V. 628 (oppida bina) scheint Abraham sich hier auf Sodom und Gomorra zu beziehen, während er in Vet. Lat. bzw. LXX gen. 18,24–32 (die Vetus Latina ist hier nicht vollständig bezeugt) nur für Sodom um Gnade bittet. 56 Vgl. V. 634 Natus et Altor; in Vet. Lat. gen. 19,1 ist von zwei Engeln ((I) duo angeli) die Rede. Zu Natus und Altor als zwei Personen der Trinität und zu der nicht ganz klaren Bedeutung von Altor (wohl der Vater, evtl. aber auch der Heilige Geist) vgl. Pollmann 1992, 500 und 501 Anm. 37 sowie Nodes 1993, 34. 57 Vgl. V. 636 de more, ein Zusatz des HD. 58 Vgl. V. 641. Die Vetus Latina ist hier nicht bezeugt; in der LXX ist die Versgrenze zwischen Gen 19,3 und 19,4 unsicher überliefert (3 kai? eäfagon pro? touq koimhjhqnai. 4 kai? oiÖ aändrew etc. bzw. 3 kai? eäfagon. 4 pro? touq koimhjhqnai kai? oiÖ aändrew etc., vgl. Wevers 1993, 267), so dass die Bestimmung „bevor sie schlafen gingen“ auf das Essen zu beziehen ist (dafür plädiert Wevers 1993 ebd.) oder auf die folgende Umzingelung von Lots Haus durch die Männer der Stadt. Die Paraphrase des HD steht offensichtlich einer biblischen Vorlage nahe, die der ersteren Versabteilung der LXX entspricht, da die Männer vor dem Schlafengehen essen. Ganz offensichtlich ist hier nicht die Vulgata das Vorbild des HD, da dort eindeutig vor dem Schlafengehen der Gäste die Männer der Stadt Lots Haus umzingeln, vgl. Vulg. gen.

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(V. 634–641). Doch das ganze Volk von Gomorra umringt in wütendem Aufruhr Lots Haus und verlangt lautstark nach den Männern. Lot versucht um des Friedens willen die Lärmenden zu beruhigen und bietet den Wahnsinnigen sogar voller Eifer seine Töchter an59, damit sich ihre verkehrte Lust durch erlaubte Ausschweifung austobt und es nicht zu gleichgeschlechtlicher Unzucht kommt. Die Menge lässt sich aber von Lots Worten nicht beeindrucken, sondern bricht mit dem Schwert die Tür auf, wobei sich pechschwarze Finsternis auf ihre Augen legt (V. 642–651). Wiedergabe von Gen 19,1–11 ohne 19,6 (Lot tritt vor die Tür und schließt diese hinter sich), 19,10 (die beiden Männer ziehen Lot ins Haus hinein und verschließen die Tür); Kürzungen in 19,2 (Lot lädt die Männer zur Übernachtung in sein Haus ein), 19,5 (die Menge will mit den Männern Geschlechtsverkehr haben), 19,8 (Jungfräulichkeit der beiden Töchter), 19,9 (die Sodomiten sagen, dass Lot sich nicht als Richter aufspielen solle, und gehen gewaltsam auf ihn los), 19,11 (die beiden Männer schlagen die Sodomiten mit Blindheit; die Geblendeten lassen von der Tür ab); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 634 (Bezeichnung der beiden Männer als „Sohn“ und „Ernährer“, gegen 19,1: zwei Engel), V. 637 (Glanz und gleiches Aussehen der beiden Männer), V. 640 (das ungesäuerte Brot ist weiß und aus feinem Mehl), V. 642 (das ganze Volk von Gomorra umstellt Lots Haus, gegen 19,4: alle männlichen Bewohner von Sodom), V. 642–643 (wilder Aufruhr der Menge), V. 647–648 (die Menge soll ihre verkehrte Lust durch erlaubte Ausschweifung austoben, gleichgeschlechtliche Unzucht soll verhindert werden, gegen 19,8: die Menge soll den Männern kein Unrecht tun, da sie in Lots Haus zu Gast sind), V. 649–650 (die Menge bricht tatsächlich die Tür auf, gegen 19,9: sie versucht es). Literatur: Kriel 1991, 8–9 und 17–18 Anm. 6–15 zu V. 621–679, Pollmann 1992, 497 zu V. 637 und 500–501 zu V. 634, Nodes 1993, 34 zu V. 634, Jakobi 2010, 128–129 zu V. 642–649. Zerstörung von Sodom und Gomorra und Lots Rettung (V. 652–667, Gen 19,12–29): Daraufhin erhält Lot die Anweisung, seine Kinder weit wegzubringen. Seine Schwiegersöhne verweigern sich stumpfsinnig seiner Aufforderung60, doch seine Töchter und seine Frau lassen sich durch beharrliches Bitten aus der Stadt

19,4 prius autem quam irent cubitum viri civitatis vallaverunt domum. Kriel 1991, 8 geht dagegen von der Vulgata als Vorlage des HD aus und vermerkt V. 641 als Abweichung des Dichters. 59 Vgl. V. 646 natas cupide dementibus offert. Der Bezug des Adverbs cupide auf dementibus („den vor Begierde Wahnsinnigen“) ist in grammatikalischer Hinsicht problematisch, daher scheint ein Bezug auf offert näher zu liegen. Dass Lot den tobenden Männern seine Töchter eifrig anbietet (vgl. ThlL 4 s.v. cupidus/cupide 1428,81 ad loc. unter 1 i.q. avide, acriter, vehementer), scheint auf den ersten Blick zwar nicht zur ansonsten positiven Lot-Darstellung des HD zu passen, aber aus der biblischen Vorlage Vet. Lat. gen. 19,8 lässt sich durchaus ein gewisser Nachdruck ableiten, mit dem Lot seine Töchter anpreist, um auf diese Weise seine Gäste vor Übergriffen zu schützen: So erwähnt er, dass die Töchter noch jungfräulich seien und dass die Menge sie nach Belieben gebrauchen dürfe, wenn sie nur seine Gäste in Ruhe lasse. Zu einer Diskussion der Problematik von cupide vgl. Jakobi 2010, 128–129. 60 Vgl. V. 653 sensu torpente negantes; nach Vet. Lat. gen. 19,14 hat Lot den Eindruck, sich vor seinen Schwiegersöhnen lächerlich zu machen.

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führen. Während Lot vorwärtsgeht61, auf den Gipfel eines gegenüberliegenden Hügels steigt und überlegt, was dann geschehen wird62, blickt seine Frau auf die hinter ihr liegenden Burgen zurück und erstarrt zu Salz. Lot aber betritt sicher die Stadt Segor (V. 652–660). Bald fahren unter Krachen Blitze vom Himmel und schwefelige Flammen verzehren Mauern und Giebel63. Nachdem alles schnell zu Asche vernichtet worden ist, sieht Abraham von ferne64 die emporzüngelnden Flammen; er erinnert sich und bedenkt, dass die Worte Gottes niemals trügen (V. 661–667). Wiedergabe von Gen 19,12–29 ohne 19,13 (die beiden Männer verkünden Lot, dass sie auf Geheiß Gottes die Stadt vernichten werden), 19,15 (bei Tagesanbruch mahnen die Männer Lot, mit seiner Frau und seinen beiden Töchter zu fliehen), 19,18–22 (aus Angst, die Flucht ins Gebirge nicht zu schaffen, bittet Lot Gott, in die nahegelegene kleine Stadt flüchten zu dürfen; Gott geht auf Lots Bitte ein, die Stadt erhält den Namen Segor), 19,29 (während Gott die Städte zerstört, denkt er an Abraham und rettet Lot); Kürzungen in 19,12 (die beiden Männer weisen Lot an, seine Kinder und sonstige Angehörige aus der Stadt zu führen), 19,16 (Gott schont Lot, seine Frau und seine Töchter); Kontamination in V. 656–657 (Lot steigt auf einen gegenüberliegenden Berg, vgl. 19,17: die Männer fordern Lot auf, ins Gebirge zu gehen, um sich zu retten, und 19,30: Lot geht (erst später und von Segor aus!) ins Gebirge); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 654–655 (dank seiner beharrlichen Bitten führt Lot seine Frau und Töchter aus der Stadt, gegen 19,16: die Männer nehmen Lot, seine Frau und seine Töchter an den Händen und führen sie aus der Stadt), V. 657 (Lot denkt über das Kommende nach), V. 658–659 (Lots Frau erstarrt zu Salz vor dem Betreten Segors und der Zerstörung der Städte, gegen 19,26: danach), V. 661 (zusätzlich Donner und Blitze), V. 666–667 (Abraham erinnert sich an Gottes Verheißung und denkt darüber nach, dass die Worte Gottes niemals trügen). Literatur: Kriel 1991, 8–9 und 17–18 Anm. 6–15 zu V. 621–679. Die Töchter Lots (V. 668–679, Gen 19,30–38): In seiner sicheren Behausung65 tröstet Lot mit zärtlicher Liebe seine Töchter, die ohne Gatten keinen Nachwuchs bekommen können. Als diese erkennen, dass sie keine Aussicht auf die Ehre der Mutterschaft haben und dass nur noch ihr Vater übrig ist, bereiten sie Lot ein Essen zu und geben ihm Wein, so dass er ohne sein Wissen in verbotener Weise mit seinen Töchtern verkehrt. Beide werden sogleich schwanger, wobei die 61 Mit progreditur in V. 656 scheint sich der HD auf Vet. Lat. gen. 19,17 zu beziehen, wo die Männer Lot ermahnen, nicht zurückzublicken und nicht stehen zu bleiben. 62 Vgl. V. 657. Der Vers scheint zunächst keine inhaltliche Entsprechung in der biblischen Vorlage zu haben, es wäre aber denkbar, dass der HD hier an Vet. Lat. gen. 19,19 anknüpft, wo Lot seine Sorge äußert, dass er auf der Flucht ins Gebirge umkommen werde; somit wäre V. 657 auf Lots Sorgen um seine unmittelbare Zukunft zu beziehen. 63 Vgl. V. 663; in Vet. Lat. gen. 19,25 wird genauer gesagt, dass Gott die Städte Sodom und Gomorra und ihre gesamte Umgebung vernichtet. 64 Vgl. V. 666 eminus; nach Vet. Lat. gen. 19,27 handelt es sich um den Ort, an dem Abraham vor Gott gestanden hat (vgl. Vet. Lat. gen. 18). 65 Mit tuta [...] aula in V. 668 spielt der HD auf die Höhle an, die Lot nach Vet. Lat. gen. 19,30 im Gebirge bezieht.

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erste Moab, den Vater der Moabiter, und die zweite Amman, den Stammvater der Ammaniter, gebiert. Wiedergabe von Gen 19,30–38 ohne 19,32 (die ältere Tochter schlägt der jüngeren vor, Lot zu berauschen und gemeinsam von ihm schwanger zu werden); Kürzungen in 19,30 (Lot zieht aus Angst von Segor aus ins Gebirge und bezieht dort mit seinen beiden Töchtern eine Höhle), 19,38 (Bedeutung des Namens Amman); starke Raffung in V. 674 (ohne sein Wissen verkehrt Lot mit seinen Töchtern, vgl. 19,33–35: die Töchter verkehren jeweils in zwei aufeinanderfolgenden Nächten mit dem betrunken gemachten Lot); Erweiterungen: V. 669 (Lot tröstet seine Töchter), V. 673 (Lots Töchter bereiten auch ein Essen zu), V. 674 (Illegalität des Geschlechtsverkehrs). Literatur: Kriel 1991, 8–9 und 17–18 Anm. 6–15 zu V. 621–679. Abraham und Sarra in Gerar (V. 680–705, Gen 20,1–18): Unterdessen zieht Abraham mit seiner Frau nach Gerar. Hier verlangt König Abimelech mit fürstlicher Willkür66 Sarra zur Frau, welche Abraham als seine Schwester ausgegeben hat, damit ihre Schönheit nicht Hinterlist und Zorn von Rivalen gegen ihn erzeugt. Doch Abimelech kann seinen Wunsch nicht verwirklichen, da er von gewaltigen Schrecken heimgesucht wird, die immer dann den Geist befallen, wenn ein Verlangen verkehrt ist: Er wird nämlich von einem von Gott geschickten Strafvollstrecker geplagt. Nachdem er durch die furchterregende Erscheinung aus seinen Träumen erwacht ist, macht er Abraham voller Furcht und kaum wieder bei Sinnen Vorwürfe, dass er seine Ehefrau Sarra als seine Schwester bezeichnet habe, so als sei sie gar nicht verheiratet (V. 680–692). Abraham erklärt die Gründe für sein Tun und befreit sich von dem Vorwurf, ohne zu lügen, denn Sarra stammt von seinem Vater ab67. Daraufhin gibt Abimelech Abraham 1000 Talente, Diener und Vieh sowie ein großes Stück Land, um seine Schuld wiedergutzumachen68, denn das Königshaus hat dafür büßen müssen, indem es durch eine Menge von Krankheiten Fehlgeburten erlitten hat. Doch sobald Abraham bei Gott auf dem Gesicht liegend69 für Abimelech gebetet hat, kehrt sogleich bei allen die Fruchtbarkeit zurück (V. 693–705). Wiedergabe von Gen 20,1–18 ohne 20,4–7 (Abimelech beteuert Gott gegenüber seine Unschuld; Gott erkennt Abimelechs Unschuld an, deshalb habe er ihn auch davor bewahrt, Sarra zu berühren; Abimelech soll Sarra Abraham zurückgeben, dieser werde für ihn beten und er werde leben; andernfalls werde er mit allem, was ihm gehöre, sterben), 20,10 (Abimelech fragt nochmals nach dem Grund für Abrahams Tun), 20,13 (Abraham erklärt Abimelech, dass er Sarra darum gebeten habe, sich auf ihrer Wanderung stets als seine Schwester auszugeben); Kürzungen in 20,1 (Abraham zieht nach Süden und lässt sich zwischen Kades und Sur nieder), 20,8 (Abimelech teilt am Morgen die Worte, die Gott nachts zu ihm gesprochen hat, seinen Sklaven mit, welche darüber in Furcht geraten), 20,12 (Abraham gibt zu, seine Halbschwester 66 Vgl. V. 683 principis arbitrio, ein charakterisierender Zusatz des HD. 67 Vgl. V. 694–695; d.h. Sarra ist Abrahams Halbschwester. 68 Vgl. V. 699; genauer wird in LXX gen. 20,16 (die Vetus Latina ist hier nur bruchstückhaft bezeugt) gesagt, dass die Geldsumme zu Sarras Ehrenrettung dienen soll. 69 Vgl. V. 704 procubus, ein Zusatz des HD.

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zur Frau genommen zu haben), 20,14 (Abimelech gibt Abraham seine Frau zurück); starke Raffung in V. 693 (Abraham begründet gegenüber Abimelech seine Lüge, vgl. 20,11: Abraham erklärt, dass er befürchtet habe, aufgrund mangelnder Gottesfurcht der Bewohner wegen seiner Frau getötet zu werden); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 682 (Abimelech begehrt Sarra zur Frau, gegen 20,2: er lässt Sarra holen), V. 684–685 (Abrahams Sorge, dass Sarras Schönheit Hinterlist und den Zorn von Rivalen gegen ihn hervorrufen könnte, gegen 20,2: Sorge Abrahams, dass die Männer der Stadt ihn wegen Sarra töten könnten), V. 687 (Schrecken, die bei verkehrtem Verlangen auftreten), V. 688 (ein von Gott geschickter Strafvollstrecker plagt Abimelech, gegen 20,3: Gott erscheint Abimelech nachts und verkündet ihm, dass er wegen Sarra sterben werde, da sie bereits verheiratet sei), V. 689 (Abimelech erwacht durch die Schreckensvision), V. 690 (emotionale Erschütterung Abimelechs), V. 691–692 (Abimelech wirft Abraham vor, seine Ehefrau als seine Schwester ausgegeben zu haben, gegen 20,9: Abimelech fragt, warum Abraham über ihn und sein Reich eine so schwere Sünde gebracht habe), V. 701–702 (krankheitsbedingte Fehlgeburten, gegen 20,18: Gott hat jeden Mutterleib von außen verschlossen). Textkritik: V. 686 nec tamen ACG non tamen proposuit Peiper in apparatu, cf. Mayor 1889, 35. Isaaks Geburt (V. 706–713, Gen 21,1–8): Abraham wird trotz der Ungewöhnlichkeit seines Wunsches in seinem Greisenalter Vater und nennt das Kind „Isaak“ in Gedanken an den Trost fröhlichen Lachens70. Gemäß Gottes Auftrag beschneidet er Isaak am achten Tag und als er sieht, dass das Kind schon feste Schritte macht, hält er mit seinen Verwandten ein üppiges Freudenmahl. Denn wenn man die Hoffnung auf die Erfüllung eines Wunsches schon aufgegeben hat, ist die Dankbarkeit umso größer. Wiedergabe von Gen 21,1–8 ohne 21,1 (der Herr handelt an Sarra so, wie er es gesagt hat), 21,5–7 (Abraham ist bei Isaaks Geburt 100 Jahre alt; Sarra sagt, dass der Herr ihr ein Lachen bereitet habe, und staunt darüber, dass sie in ihrem Alter einen Sohn stillt); Kürzungen in 21,2 (Geburt Isaaks zu der von Gott verheißenen Zeit); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 706 (Ungewöhnlichkeit von Abrahams Wunsch), V. 707 (Erklärung des Namens „Isaak“ im Sinne von Lachen), V. 710 (Isaak kann bereits laufen, gegen 21,8: Isaak wird abgestillt), V. 711 (Abraham feiert mit seinen Verwandten), V. 713 (bei Hoffnungslosigkeit ist die Dankbarkeit umso größer). Vertreibung und Rettung Hagars und ihres Kindes (V. 714–731, Gen 21,9–21): Als Isaak und der Pflegesohn71 miteinander spielen, ruft dies bei Sarra glühenden Zorn hervor, so dass sie die ihr verhasste Dienerin72 mitsamt ihrem Kind verjagt. In Übereinstimmung mit Gottes Befehl und doch gegen seinen eigenen Willen verstößt Abraham die beiden ebenfalls. Nach ihrer Vertreibung durchstreift Hagar eine abgelegene Gegend. Schon hat sie die ganzen Brote und den Wein aufgezehrt und seufzt mit ermatteter Brust über ihren leblosen Sohn. Sie 70 V. 707 nimmt Bezug auf die in der Kirchenväterliteratur zu findende Erklärung des Namens Isaak mit risus, vgl. etwa Hier. nom. hebr. p. 7,15 (Lagarde). 71 Vgl. V. 714, gemeint ist Abrahams Sohn Ismael von der Sklavin Hagar. 72 Vgl. V. 716, gemeint ist Hagar.

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gelangt zu dem Brunnen, der nach dem Schwur benannt ist, und erfüllt die Einöde mit ihrer traurigen Klage (V. 714–724). Doch Gott wird von ihren Tränen gerührt und ermutigt die Verängstigte, indem er ihrem Sohn, dessen Tod sie gerade betrauert, ein riesiges Königreich verheißt73. Sogleich trinkt sie von dem hervorsprudelnden Wasser des Brunnens, fasst neuen Mut und freut sich zusammen mit ihrem Sohn. Gottes gütige Verheißungen erfüllen sich74 und schon beginnt der Kleine mit Pfeil und Bogen zu schießen (V. 725–731). Wiedergabe von Gen 21,9–21 ohne 21,13 (Gott verheißt Abraham, dass er seinen Sohn von Hagar zu einem großen Volk machen werde), 21,21 (Hagar verheiratet Ismael mit einer Ägypterin); Kürzungen in 21,12 (Gott befiehlt Abraham, auf Sarra zu hören, da von Isaak seine Nachkommenschaft abstammen werde), 21,14 (Abraham gibt Hagar, bevor er sie wegschickt, Brote und einen Schlauch Wasser und setzt ihr das Kind auf die Schultern), 21,15 (Hagar legt das Kind unter einen Baum), 21,18 (ein Engel fordert Hagar auf, sich zu erheben und das Kind zu nehmen), 21,19 (Gott öffnet Hagars Augen, so dass sie den Brunnen sieht), 21,20 (Ismael wächst heran und lebt in der Wüste); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 715 (glühender Zorn Sarras), V. 716 (Sarra vertreibt die verhasste Hagar mit ihrem Sohn, gegen 21,10: Sarra fordert Abraham auf, Hagar und ihren Sohn zu vertreiben, damit dieser nicht zusammen mit Isaak Erbe werde), V. 721 (Hagar hat alle Brote und den Wein aufgebraucht, gegen 21,15: das Wasser im Schlauch ist ausgegangen), V. 722 (Hagar beklagt das leblose Kind, gegen 21,16: Hagar setzt sich in einiger Entfernung von ihrem Kind nieder, um dessen Tod nicht mit ansehen zu müssen), V. 724–725 (Hagar erfüllt die Gegend mit ihrer Klage und Gott wird von ihren Tränen gerührt, gegen 21,16–17: das Kind schreit und Gott hört es), V. 728 (Hagar trinkt von dem Brunnenwasser, gegen 21,19: Hagar füllt ihren Schlauch und gibt dem Kind zu trinken), V. 729 (Hagar freut sich mit dem Kind), V. 730–731 (der kleine Ismael beginnt mit Pfeil und Bogen zu schießen, gegen 21,20: der herangewachsene Ismael wird Bogenschütze). Textkritik: V. 730 iam G nam AC. Abrahams Vertrag mit Abimelech (V. 732–740, Gen 21,22–34): Indessen schließt Abraham, damit Abimelech nicht heimlich etwas gegen ihn plant, einen Friedensvertrag mit ihm. Um nach den Streitigkeiten, die wegen der Brunnen entstanden sind75, den Frieden wiederherzustellen und zu sichern, wird ein Eid geleistet, und die Eintracht des Friedens hat Bestand. Abraham pflügt das Land76 und bringt reiche Ernte ein. Er betet Gott demütig an und lässt sich friedlich im Gebiet der Phylistiim nieder. Wiedergabe von Gen 21,22–34 ohne 21,22 (Abimelech wendet sich in Gegenwart seines Brautführers und seines Oberbefehlshabers an Abraham), 21,26 (Abimelech weiß nichts von den Brunnenstreitigkeiten), 73 Vgl. V. 726–727 ingentia [...] regna; in Vet. Lat. gen. 21,18 sagt Gott, dass er Ismael zu einem großen Volk machen werde. 74 Vgl. V. 730 procedunt pia iussa dei. Hiermit paraphrasiert der HD offensichtlich Vet. Lat. gen. 21,20 (E) et erat deus cum puero. 75 Vgl. V. 734; laut LXX gen. 21,25 (die Vetus Latina ist hier nur bruchstückhaft bezeugt) haben Sklaven des Abimelech Abraham die Brunnen weggenommen. 76 Vgl. V. 737 terram, gemeint ist das Land am Schwurbrunnen (Vet. Lat. gen. 21,33).

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21,28–32 (Abraham gibt Abimelech sieben Lämmer als Zeugnis dafür, dass er den Brunnen vor Ort gegraben hat; er nennt den Ort „Schwurbrunnen“; nach dem Vertragsschluss kehrt Abimelech mit seinen Begleitern nach Hause zurück); Kürzungen in 21,27 (Abraham gibt Abimelech Schafe und Rinder für den Vertragsschluss); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 732–733 (Abraham will durch den Friedensvertrag böse Absichten Abimelechs verhindern, gegen 21,23: Abimelech will durch den Friedensvertrag böse Absichten Abrahams verhindern), V. 735–736 (der Friede soll wiederhergestellt werden und hat nach dem Eid auch Bestand), V. 738 (Abrahams reiche Ernte). Textkritik: V. 736 manent CG77 manet Mayor. Die Opferung Isaaks (V. 741–754, Gen 22,1–19): Dort wird Abraham von Gott auf die Probe gestellt, indem er den Befehl erhält, seinen einzigen Sohn am Altar zu opfern. Unverzüglich besteigt er einen Berg, wobei er ein Pferd78, Diener und seinen Sohn mitnimmt. Am dritten Tag um die Mittagszeit entlässt er die Diener und packt seinen Sohn, damit dieser das Holz für das Feuer auf seinem Nacken trägt und zusammen mit ihm auf den vor ihnen liegenden Berg steigt. Schon wird Isaak mit auf den Rücken gebundenen Händen an den Altar gestellt, auf dem ein Feuer brennt. Doch als der Vater sich beeilt, den Sohn mit dem Messer zu töten, erblickt er in der Ferne ein weißes Lamm, welches das Opfer durch sein Blut besser vollenden soll. Wiedergabe von Gen 22,1–19 ohne 22,7–8 (Isaak fragt, wo das Schaf für das Opfer sei, Abraham antwortet, dass Gott sich dieses aussuchen werde), 22,1–12 (ein Engel erscheint Abraham und befiehlt ihm, den Sohn nicht zu töten, da er seine Gottesfurcht nun erkannt habe), 22,14–19 (Abraham nennt den Ort „Der Herr hat gesehen“; der Engel verheißt Abraham als Lohn für seinen Gehorsam Segen und zahllose Nachkommen, welche die Städte der Feinde besitzen werden; Abraham kehrt zu seinen Dienern zurück und sie gehen zum Schwurbrunnen, wo Abraham sich niederlässt); Kürzungen in 22,3 (Abraham spaltet Holz für das Opfer), 22,4 (Abraham sieht den von Gott gezeigten Ort für das Opfer aus der Ferne), 22,6 (Abraham nimmt Feuer und sein Schwert mit), 22,9 (Abraham errichtet einen Altar und legt das Holz darauf), 22,13 (ein Widder hat sich mit den Hörnern im Gestrüpp verfangen); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 745–746 (Mittagszeit), V. 747 (Abraham entlässt die Diener und ergreift Isaak, gegen 22,5: Abraham lässt die Diener mit der Eselin zurückbleiben und gibt vor, mit Isaak beten zu gehen und dann zurückzukommen), V. 750–751 (Isaak wird mit auf den Rücken gefesselten Händen vor den bereits brennenden Altar gestellt, gegen 22,9: Isaak wird mit gefesselten Füßen auf das (noch nicht brennende) Holz des Altars gelegt), V. 753 (Abraham sieht ein weißes Lamm, gegen 22,13: einen Widder). Textkritik: V. 744 vadentem ACG79 vadente Peiper proposuit in apparatu vacantem Mayor 1889, 37; V. 751

77 A hat hier eine Lücke. 78 Vgl. V. 744 cornipedem. Nach Vet. Lat. gen. 22,3 handelt es sich um eine Eselin. 79 Zur Befürwortung von vadentem vgl. auch die Diskussion bei Nazzaro (Il sacrificio) 2006, 16 Anm. 10.

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evinctus G evinctis A vox deest C. Literatur: Nazzaro (Il sacrificio) 2006 zum gesamten Abschnitt. [Die Nachkommen von Abrahams Bruder Nachor (Gen 22,20–24)] Eine Grabstätte für Sarra (V. 755–760, Gen 23,1–20): Sarra stirbt. Als die Söhne des Chet Abraham einen Ort für die Grabstätte schenken wollen, lehnt er ab und will einen Preis festlegen. Er zahlt Ephron 400 Sesterzen und bestattet seine Gattin in einem Doppelgrab. Der Ort hat in alter Zeit den Namen Mambre erhalten. Wiedergabe von Gen 23,1–20 ohne 23,1 (Sarra wird 127 Jahre alt), 23,3– 4 (Abraham bittet die Söhne des Chet, ein Grab bei ihnen erwerben zu können), 23,7–12 (Abraham verneigt sich vor den Söhnen des Chet und bittet darum, die Doppelhöhle auf dem Land des Ephron erwerben zu dürfen; Ephron will ihm das Land mit der Höhle schenken), 23,14–15 (Ephron nennt 400 Doppeldrachmen aus Silber als Kaufpreis), 23,17–18 (Abraham erwirbt Ephrons Grundstück mitsamt der Doppelhöhle), 23,20 (das Grundstück und die Höhle werden Abraham von den Söhnen des Chet als Besitz überlassen); Kürzungen in 23,2 (Sarra stirbt in der Stadt Arbok im Land Kanaan; Abraham kommt, um sie zu betrauern); starke Raffung in V. 756–757 (die Söhne des Chet wollen Abraham eine Grabstätte schenken, Abraham aber will einen Preis dafür bezahlen, vgl. 23,5–13: da Abraham „König von Gott her“ sei, bieten die Söhne des Chet ihm an, die Tote in einer ihrer vornehmen Grabstätten zu begraben; Abraham bittet sie dagegen, bei Ephron für ihn einzutreten, damit dieser ihm seine Doppelhöhle verkauft; Ephron will Abraham die Doppelhöhle mitsamt dem Grundstück geben, woraufhin Abraham ihm dafür Geld bietet); inhaltliche Veränderungen: V. 760 (der Ort der Doppelhöhle heißt Mambre, gegen 21,19: die Höhle liegt gegenüber von Mambre). Die Werbung um Rebekka und ihre Heirat mit Isaak (V. 761–779, Gen 24,1–67): Sogleich lässt Abraham einen seiner Diener, der sich durch sein Leben und seine Treue ausgezeichnet hat80, schwören, während er seine Hand unter seinen Oberschenkel legt81, dass Abrahams Sohn nicht mit einer Frau aus dem Volk der Kanaanäer verheiratet werden soll, da er eine Frau aus dem Stamm seiner Eltern82 heiraten müsse. Falls die Frau sich weigere, müsse jemand vom Himmel geschickt werden, der ihren Zorn leicht besänftige (V. 761–767). Der Diener lädt eifrig Geschenke auf Kamele und eilt nach Assyrien83; schon erblickt er die Häuser Nachors. Während er noch still bei sich über die Aufträge seines Herrn nachdenkt, sieht er die ausnehmend schöne Rebekka vom Brunnen kommen, die ihm sogleich kaltes Wasser reicht und ihn nach Hause einlädt. Sie sagt ihm, wessen 80 Vgl. V. 761–762. Damit interpretiert der HD Vet. Lat. gen. 24,2, wonach es sich um den ältesten Diener von Abrahams Haus handelt. 81 V. 763–764 […] dextram dum subdit amicam / conectitque femur umschreibt offensichtlich Vet. Lat. gen. 24,2 (I) pone manum tuam sub femore meo, woraus im Gegensatz zum HD eindeutig hervorgeht, dass der Diener seine Hand unter Abrahams Hüfte legen soll. Zu dieser Schwurpraxis vgl. Bräumer 2011 (2. Teil), 230–231. 82 Vgl. V. 765 de stirpe parentum; gemeint sind damit Abrahams Eltern, vgl. Vet. Lat. gen. 24,4 (I) ex tribu mea. 83 Vgl. V. 769 Assyriam; dieses setzt der HD für Mesopotamien in Vet. Lat. gen. 24,10.

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Tochter sie ist84. Der Diener ist ihr Gast und holt bald seine Geschenke85 hervor. Nachdem alles abgewickelt ist86, geht Rebekka als künftige Braut mit ihm (V. 768 –775). Isaak erblickt die beiden bei ihrer Ankunft und Rebekka sieht ihrerseits Isaak, gleitet vom Rücken des Kamels hinab und verhüllt ihren geneigten87 Kopf mit einem Schleier. Sie heiraten und empfinden durch Gottes Wirken stille Freude (V. 776–779). Wiedergabe von Gen 24,1–67 ohne 24,1 (Abraham ist schon alt), 24,5–6 (der Diener fragt, ob er Isaak in Abrahams Ursprungsland zurückführen solle, falls sich die Frau weigern sollte, mit ihm zu kommen; Abraham verbietet ihm dies), 24,9 (der Diener leistet den Schwur), 24,11 (der Diener lässt die Kamele vor der Stadt an einem Brunnen lagern, zu der abendlichen Zeit, als die Frauen zum Wasserholen kommen), 24,13–14 (der Diener bittet Gott um ein Zeichen: die Frau, die ihm und seinen Kamelen zu trinken gibt, soll die auserwählte Braut sein), 24,17 (der Diener eilt Rebekka entgegen und bittet sie, ihm zu trinken zu geben), 24,19–23 (Rebekka tränkt auch die Kamele, wobei der Diener sie schweigend beobachtet; dann gibt der Diener Rebekka goldene Ohrringe und zwei Armbänder, fragt sie nach ihrer Abkunft und bittet um Quartier), 24,26–30 (der Diener dankt Gott; Rebekka läuft mit dem angelegten Schmuck nach Hause und berichtet von ihren Erlebnissen, woraufhin ihr Bruder Laban zum Diener am Brunnen läuft), 24,33b–52 (vor dem Essen berichtet der Diener von Abrahams Auftrag, von seiner Bitte an Gott um ein Zeichen und von der Erfüllung dieses Zeichens durch Rebekka; Laban und Rebekkas Vater erkennen den Willen Gottes an und übergeben dem Diener Rebekka; dieser fällt vor Gott nieder), 24,54–60 (der Diener isst in Labans Haus; am folgenden Morgen drängt er zum Aufbruch, während Rebekkas Angehörige sie noch zehn Tage bei sich behalten wollen; sie lassen Rebekka entscheiden, welche zum sofortigen Aufbruch bereit ist, geleiten sie mit ihrem Besitz hinaus und segnen sie), 24,62 (Isaak geht zum Schwurbrunnen), 24,66 (der Diener erstattet Isaak Bericht); Kürzungen in 24,12 (der Diener bittet Gott um Hilfe bei seinem Unternehmen), 24,15–16 (genaue Abstammung Rebekkas; Rebekka trägt einen Wasserkrug auf den Schultern, sie ist noch jungfräulich), 24,63 (Isaak ist gegen Mittag aufs Feld hinausgegangen, als er die Ankommenden sieht), 24,65 (Rebekka erfährt vom Diener, dass der ihnen entgegenkommende Mann Isaak ist), 24,67 (Isaak führt Rebekka ins Zelt seiner Mutter; er gewinnt sie lieb und tröstet sich mit ihr über den Tod seiner Mutter); starke Raffung in V. 774 (der Diener wird gastfreundlich aufgenommen, vgl. 24,31–33a: Laban 84 Vgl. V. 773; nach LXX gen. 24,24 (die Vetus Latina ist hier nicht bezeugt) ist Rebekka die Tochter Bathuels, welcher wiederum der Sohn von Nachor und Melcha ist. 85 Vgl. V. 774 munera; nach Vet. Lat. bzw. LXX gen. 24,53 (die Vetus Latina ist hier nicht vollständig bezeugt) handelt es sich um goldene und silberne Gefäße, ein Gewand für Rebekka und nicht näher bezeichnete Geschenke für ihren Bruder und ihre Mutter. 86 Vgl. V. 775 omnibus explicitis. Der HD scheint damit auf die in Vet. Lat. bzw. LXX gen. 24,58–60 berichteten Formalitäten anzuspielen, also auf die Befragung Rebekkas nach ihrem Willen, ihr Einverständnis und ihre Hinausgeleitung aus dem väterlichen Haus mit ihrem Besitz und unter Segenssprüchen (die Vetus Latina ist in gen. 24,58.60 nicht vollständig bezeugt). 87 Vgl. V.778 obstipumque caput, eine Hinzufügung des HD.

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bittet den Diener in sein Haus, versorgt die Kamele und gibt ihm und seinen Begleitern Wasser für die Fußwaschung und Brot); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 766–767 (falls die Frau nicht mitkommen will, soll jemand vom Himmel geschickt werden, der ihren Zorn besänftigt, gegen 24,7–8: Gott wird bei der Brautwerbung einen Engel vor dem Diener herschicken; falls die Frau nicht mitkommen will, soll der Diener von seinem Eid frei sein, er soll nur nicht Isaak in sein Ursprungsland zurückführen), V. 779 (das Brautpaar freut sich still durch Gottes Wirken). Literatur: Herzog 1975, 128 zum gesamten Abschnitt; Roberts 1985, 118–119 zu V. 776–779. [Abrahams Nachkommen von Chettura (Gen 25,1–4)] Abrahams Ende (V. 780–784, Gen 25,5–11): Als Abraham über 170 Jahre alt ist88, macht er allen89 Geschenke, stirbt und wird in dem Doppelgrab bestattet. Sein Sohn90 erbt sein Haus und wohnt am Brunnen der Erscheinung. Wiedergabe von Gen 25,5–11 ohne 25,10 (Abraham hat das Grundstück mit der Doppelhöhle von den Söhnen des Chet gekauft, auch Sarra ist dort begraben); Kürzungen in 25,6 (Abraham schickt die Söhne seiner Nebenfrauen in den Osten fort), 25,8 (Abraham stirbt in hohem Alter), 25,9 (Isaak und Ismael begraben Abraham; genauer Ort der Doppelhöhle), 25,11 (Gott segnet Isaak); inhaltliche Veränderungen: V. 783 (Isaak erbt Abrahams Haus, gegen 25,5: seinen ganzen Besitz). [Ismaels Nachkommen und sein Tod (Gen 25,12–18)] Die Geburt von Esau und Jakob (V. 785–812, Gen 25,19–34): Isaak ist zum Zeitpunkt seiner Hochzeit bereits vierzig Jahre alt. Da seine Gattin zwar sehr schön, aber schon lange Zeit unfruchtbar ist, bittet er Gott um die Geburt eines rechtmäßigen Erben von Rebekka und wird erhört, denn sie wird mit Zwillingen schwanger (V. 785–791). Als sie sich über das Gewicht ihres wachsenden Bauches wundert, fragt sie Gott um Rat und erfährt, dass zwei Völker von unterschiedlicher Beschaffenheit91 in ihrem Leib heranwachsen, denn der Erstgeborene sei den Befehlen des Jüngeren unterworfen und müsse ihm dienen. Bei einer leichten Geburt kommen die beiden Söhne zur Welt, deren älterer purpurrot und am ganzen Körper mit schwarzen92 Borsten bedeckt ist und den sein Vater Esau nennt. Danach wird Jakob geboren, der mit seinen Händen die Ferse seines Bruders festhält und sehr reich an Verstand ist (V. 792–803). Während der ältere Bruder auf der Jagd die leeren Felder durchwandert und sein Horn mit dumpfem Dröhnen die Felsen erfüllt, bewahrt sich der jüngere ein freundliches Wesen93 und freut sich daran, wohlbehalten im Haus seines Vater zu wohnen. Den älteren Sohn liebkost der Vater mit zärtlicher Liebe, den jüngeren hätschelt die Mutter von ganzem Herzen. Als dieser ein Linsengericht gekocht hat, veranlasst er seinen

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Vgl. V. 780–781. Genau genommen sind es 175 Jahre, vgl. Vet. Lat. gen. 25,7. Vgl. V. 781 cunctis; nach Vet. Lat. gen. 25,6 beschenkt er die Söhne seiner Nebenfrauen. Vgl. V. 783; gemeint ist Isaak. Vgl. V. 795 disparibus meritis; der HD umschreibt damit Vet. Lat. gen. 25,23 (L) duo populi de ventre tuo dividentur. 92 Vgl. V. 800 nigrantes, ein veranschaulichender Zusatz des HD. 93 So ist wohl V. 806 blandi conservans pectoris acta zu verstehen.

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Bruder, der darauf dringt, das Gericht verzehren zu dürfen94, ihm die ersten Ehren95 abzutreten (V. 804–812). Wiedergabe von Gen 25,19–34 ohne 25,19 (Isaaks Abstammung von Abraham), 25,32–34 (Esau schätzt sein Erstgeburtsrecht gering und verkauft es für das Essen an Jakob); Kürzungen in 25,20 (Abstammung Rebekkas), 25,26 (Isaak ist bei der Geburt der Zwillinge 60 Jahre alt), 25,29 (Esau kommt erschöpft vom Feld), 25,30 (Esau erhält den Namen Edom); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 787 (Schönheit Rebekkas), V. 791 (Rebekka wird mit Zwillingen schwanger, vorgezogen aus 25,24), V. 792 (Rebekka wundert sich über das Gewicht ihres wachsenden Bauches, gegen 25,22: Rebekka ist beunruhigt, weil die Kinder in ihrem Bauch hüpfen), V. 798 (leichte Geburt), V. 801 (der Vater benennt Esau, gegen 25,25: Rebekka selbst), V. 803 (Intelligenz Jakobs), V. 805 (Esau bläst das Jagdhorn), V. 806 (Jakobs freundliches Wesen, gegen 25,27: Jakob ist ein „einfacher“, aufrichtiger Mensch), V. 807 (Jakob freut sich an einem wohlbehaltenen Leben im Haus seines Vaters). Textkritik: V. 786 cum dicta G conducta AC. Literatur: Roberts 1982 zu V. 804–807, Thraede 1994, 1199–1200 zum gesamten Abschnitt. Die Gefährdung Rebekkas in Gerar (V. 813–831, Gen 26,1–11): Eine übelberatende Hungersnot96, der Anfang der Übel, veranlasst Isaak dazu, das Land seines Vaters zu verlassen. So geht er ins Land der Phylistiim nach Gerar97, wo Abimelech herrscht. Auf seinem Weg erscheint ihm der Herr in hellem Licht und macht ihm klar, dass er nicht nach Ägypten gehen solle, sondern nur in dem Land wohnen solle, das der Herr ihm gebe. Denn wenn Isaak auch unter Unbekannten zu wohnen scheine98, so solle er doch Stammvater für ein unermesslich großes Land bleiben99 und sich an der vielfachen Vermehrung der Völker freuen, die Gottes große Verheißungen empfangen werden100 (V. 813–823). Daher bleibt 94 Vgl. V. 811 conpositos [...] nitentem sumere pastus, gemäß Vet. Lat. gen. 25,30, wonach Esau Jakob bittet, ihm von dem Linsengericht zu essen zu geben, da er von der Jagd erschöpft sei. Thraede 1994, 1200 fasst nitentem dagegen im Sinne von „müde“ (d.h. von der Jagd) auf. Unabhängig davon, ob das Partizip Präsens von niti den Zustand des Erschöpftseins bezeichnen kann, würde diese Übersetzung bedeuten, dass conpositos [...] sumere pastus von perpulit (V. 812) abhängen würde, d.h. in Umkehrung des Bibeltextes würde Jakob Esau dazu drängen, das Linsengericht zu essen. 95 Vgl. V. 812 primos [...] honores; gemeint ist das Erstgeburtsrecht, vgl. Vet. Lat. gen. 25,31. 96 Mit V. 813 malesuada fames knüpft der HD wörtlich an Verg. Aen. 6,276 (et Metus et malesuada Fames ac turpis Egestas) an. 97 Vgl. V. 815 Gargara ACG, wozu Peiper im Apparat anmerkt: immo Gerara; die korrekte Namensform begegnet wenige Verse weiter in V. 824, vgl. Geraris ACG. 98 Vgl. V. 820. Der Gedanke, dass Isaak in diesem Land als Fremder wohnen soll, geht aus Vet. Lat. gen. 26,3 (I) habita (incole/esto autem incola) in terra hac so nicht hervor, wenn auch incola gerade in biblischen Kontexten im Sinne von peregrinus, advena stehen kann (vgl. ThlL 7,1 s.v. incola 975,9–21). Denkbar ist, dass der HD hier von der Vulgata beeinflusst ist, wo der Text lautet peregrinare in terra ea. 99 Vgl. V. 821; in Vet. Lat. gen. 26,3–4 verheißt Gott Isaak, dass er ihm und seinem Samen dieses ganze Land, d.h. Gerar, geben werde. 100 Vgl. V. 823. Die Wendung testamenta mei [...] verbi legt nahe, dass der HD hier Vet. Lat. gen. 26,3 (L) et statuam iurationem meam quam iuravi Abrahae patri tuo umschreibt, d.h. dass Gott sein Bundesversprechen halten wird, das er Abraham gegeben hat.

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Isaak mit seiner Frau in Gerar und gibt sie, wie dies auch sein Vater getan hat, als seine Schwester aus, damit die Phylistiim nicht aus Gier zu den Waffen greifen und ihm seine Ehefrau wegnehmen. Doch als Abimelech durch ein Fenster Isaak mit seiner weißhäutigen Frau scherzen sieht, erkennt er, dass die beiden verheiratet sind, und schärft allen ein, dass niemand versuchen solle, Isaak seine Frau zu rauben (V. 824–831). Wiedergabe von Gen 26,1–11 ohne 26,5 (Gott begründet die Verheißung an Isaak mit Abrahams Gehorsam), 26,10 (Abimelech wirft Isaak vor, dass er durch seine Lüge beinahe große Sünde über sein Volk gebracht hätte); Kürzungen in 26,1 (Erinnerung an die Hungersnot zur Zeit Abrahams), 26,3– 4 (Segensverheißung für Isaak und die Völker der Erde), 26,8 (Isaak bleibt lange in Gerar), 26,9 (Abimelech hält Isaak seine Lüge vor, Isaak rechtfertigt sich mit seiner Angst, ermordet zu werden); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 813 (Bewertung der Hungersnot als „übelberatend“ und als Anfang der Übel), V. 817 (Erscheinung Gottes in hellem Licht), V. 825 (Isaak benutzt die gleiche Lüge wie sein Vater), V. 826–827 (Isaak gibt Rebekka als seine Schwester aus, damit die Phylistiim sie ihm nicht aus Gier gewaltsam wegnehmen, gegen 26,7: Isaak fürchtet, von den Phylistiim wegen Rebekkas Schönheit getötet zu werden), V. 829 (Rebekkas weißer Teint), V. 831 (Abimelech gebietet, dass niemand Isaak seine Frau rauben darf, gegen 26,11: jeder, der Isaak oder etwas, das ihm gehört, belästigt, soll sterben). Brunnenstreitigkeiten und Vertrag zwischen Isaak und Abimelech (V. 832–865, Gen 26,12–33): Isaak, der schon lange dem Hunger in seiner Heimat entkommen ist, sät Gerste und bringt vom fruchtbaren Boden eine hundertfache Ernte ein. Bei seinem friedlichen Tun wird er reich und besitzt vielerlei Vieh und fruchtbares Land101. Sogleich quält unseliger Neid die Herzen102, trübt die Brunnen und schüttet sie zu, damit Isaak weit weggeht und das von ihm in Besitz genommene Land verlässt (V. 832–839). Um die Gefahren eines Streits zu vermeiden, zieht Isaak fort und hält sich lange im Tal von Gerar auf, und während er voll Unruhe103 Brunnen gräbt, findet er kühles Quellwasser, das aus der Erde hervorsprudelt. Doch da er von den Hirten mit Arglist aufgenommen wird, verlässt er die Zornigen und nennt den verhassten Ort „Streit“. Er zieht weiter und gräbt wieder einen Brunnen, wird aber durch einen Streit vertrieben, woraufhin er seine Neider gehörig beschimpft. Nachdem Frieden die Streitigkeiten beendet hat, nennt er das Land „Überfließend“104 (V. 840–851). Doch in seinem Scharfsinn zieht Isaak schnell weiter und kommt zu einem Gebirge mit dem Namen „Schwur“. Dort erscheint ihm mitten in der Nacht Gott in strahlendem Licht und ermutigt ihn dazu, nicht traurig zu sein, da der unbesiegbare Gott ihn im Krieg und inmitten 101 Vgl. V. 836 terramque feracem. In dem entsprechenden Bibelvers Vet. Lat. gen. 26,14 lautet die Stelle dagegen bei dem einzigen Zeugen (X) ministerium magnum („eine große Dienerschaft“), vgl. auch familiae plurimum in der Vulgata. Somit scheint der HD hier der LXX näher zu stehen, der zufolge Isaak viel Ackerland (γεώργια πολλά) besitzt. 102 Vgl. V. 837; gemeint sind die Phylistiim, vgl. Vet. Lat. gen. 26,14. 103 Vgl. V. 842 sollicito [...] actu, ein Zusatz des HD. 104 Vgl. V. 851 Habundantis. In Vet. Lat. gen. 26,22 ist neben (I) Amplitudo u.a. die Variante Abundantia als Name bezeugt.

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von Feinden beschütze. Nach dem Erwachen rafft Isaak seine ausgekühlten Glieder auf, errichtet einen Altar und betet Gott an (V. 852–859). Unterdessen kommen die Könige Abimelech und Ochozath105 in Begleitung des mit einem Schwert bewaffneten106 Phichol, da Abimelech sich mit dem friedlichen Isaak verbünden und einen Vertrag mit ihm schließen will107. Er wird von Isaak friedfertig aufgenommen, isst mit ihm und bringt nach dem Streit den ersehnten Frieden zurück (V. 860–865). Wiedergabe von Gen 26,12–33 ohne 26,27 (Isaak fragt Abimelech und seine Begleiter nach dem Grund ihres Kommens, da sie ihn doch aus Hass vertrieben haben), 26,29 (durch den Friedensvertrag soll sichergestellt werden, dass Isaak Abimelechs Leuten nichts Böses tut, so wie auch sie Isaak nicht verflucht haben), 26,32–33 (Isaaks Sklaven berichten ihm von einem weiteren Brunnen, den er „Schwurbrunnen“ nennt; so heißt diese Stadt bis heute); Kürzungen in 26,12 (der Herr segnet Isaak), 26,15 (die Brunnen sind von Abrahams Sklaven gegraben worden), 26,20 (Streit zwischen den Hirten von Gerar und Isaaks Hirten), 26,25 (Isaak schlägt am Ort des Altars sein Zelt auf und seine Sklaven graben einen Brunnen), 26,28 (Begründung für den Vertragsschluss mit Isaak: Gott ist mit ihm); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 832 (Rückblick auf Isaaks Flucht vor der Hungersnot), V. 835 (Isaak wird durch friedliches Tun reich), V. 839 (die Phylistiim verschütten die Brunnen, damit Isaak das in Besitz genommene Land verlässt, gegen 26,16: Abimelech fordert Isaak zum Fortgehen auf, da er zu mächtig geworden sei), V. 840 (Isaak geht zur Streitvermeidung fort), V. 842–843 (beim Brunnengraben stößt Isaak auf Quellwasser, gegen 26,18–19: Isaak gräbt zuerst die von den Phylistiim zugeschütteten Brunnen seines Vaters wieder auf und gibt ihnen ihre alten Namen; dann stoßen seine Sklaven beim Graben im Tal von Gerar auf Quellwasser), V. 845 (Isaak nennt den Ort „Streit“, gegen 26,20: er nennt den Brunnen „Unrecht“, da die Hirten ihn ungerecht behandelt haben), V. 849 (Isaak beschimpft die neidischen Hirten mit angemessenen Worten, gegen 26,21: er nennt den zweiten Brunnen im Tal von Gerar „Feindschaft“), V. 850–851 (nachdem Friede eingekehrt ist, nennt Isaak das Land „Überfließend“, gegen 26,22: Isaak gräbt einen dritten Brunnen, um den es keinen Streit gibt; er gibt diesem Brunnen den Namen „Weite“ bzw. „Überfluss“108, da Gott ihnen weiten Raum geschaffen habe), V. 852 (Isaak zieht in seinem Scharfsinn schnell weiter), V. 853 (Isaak kommt zum Schwurgebirge, gegen 26,23: er steigt zum Schwurbrunnen empor), V. 854 (Gott erscheint in strahlendem Licht), V. 856–857 (Gott mahnt Isaak, nicht traurig zu sein, da der unbesiegbare Gott ihn im Krieg und inmitten der Feinde beschütze, gegen 26,24: Gott offenbart sich als Gott Abrahams; Isaak solle sich nicht fürchten, da Gott bei ihm sei; Gott werde ihn segnen und seine Nachkommen zahlreich machen wegen sei105 Beim HD erscheint der Name in ACG in der Gestalt Ozas. 106 Vgl. V. 861; nach Vet. Lat. gen. 26,26 ist Phichol der Oberbefehlshaber von Abimelechs Streitmacht. 107 Der Wechsel der Prädikate in den Singular in V. 862–865 ist wohl so zu verstehen, dass der HD nun Abimelech im Besonderen fokussiert. 108 Vgl. Vet. Lat. gen. 26,22 (I) Amplitudo (Latitudo/Latitudinem/Abundantia).

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nes Vaters Abraham), V. 858 (Isaak erwacht und erhebt sich), V. 860 (die Könige Abimelech und Ochozath kommen, gegen 26,26: Abimelech und sein Brautführer Ochozath), V. 865 (Abimelech legt den Streit bei, gegen 26,31: Abimelech, seine Begleiter und Isaak leisten sich gegenseitig einen Eid). Textkritik: V. 840 tumidae AG timide C; V. 842 demitteret Peiper dimitteret ACG; V. 851 Habundantis Peiper habundanti AC abundanti G; V. 859 domino A109CG dominum Peiper. [Esaus Frauen (Gen 26,34–35)] Der Betrug um den Erstgeburtssegen und die Folgen (V. 866–899, Gen 27,1–46): Daraufhin entsteht zwischen den Brüdern110 Zwietracht: Denn Isaak, der schon alt ist, mit Sanftmut den Verlust seines Augenlichts erträgt und an den bevorstehenden Tod denkt, veranlasst seinen Erstgeborenen, den er nur aufgrund seiner väterlichen Liebe sehen kann, auf die Jagd zu gehen und ihm nach seiner Gewohnheit Wildfleisch zu beschaffen, auf dass er Gaben von seines Vaters Zunge111 empfängt (V. 866–873). Rebekka bekommt dies mit, erzählt es ihrem Liebling Jakob und bringt ihn dazu, schnell zwei Ziegenböcke zu holen und in der Rolle seines auf der Jagd befindlichen Bruders für den Vater zu schlachten. Damit nicht durch seine glatte Haut die List bemerkt wird, wird er mit Fellen bedeckt, um den Anschein von Behaarung zu erwecken, und er legt das Gewand seines Bruders an. So bringt er Isaak das angeblich auf der Jagd erworbene Essen (V. 874–880). Doch vor dem Herzen seines Vaters kann er sich nicht verbergen, denn als dieser den ganzen Körper seines Sohnes mit der Hand betastet, erkennt er zwar an den Borsten Esau, aber an der Stimme Jakob. Nach dem Essen fordert er den Sohn dazu auf, näher heranzutreten. So nähert sich Jakob mit gesenktem Haupt der Hand des Vaters und vernimmt, während er ihn küsst, dessen gütige Worte: Isaak wünscht ihm ein langes Leben und verheißt dann, dass der ältere Bruder dem jüngeren dienen soll112 (V. 881–890). Unterdessen kommt Esau von seinen weiten Streifzügen zurück und bringt seinem Vater, der schon satt ist, das auf der Jagd erbeutete Fleisch. Obwohl er durch dieses pflichtbewusste Verhalten dem Vater sehr gefällt, kann er doch nicht den Segen erhalten, der ihm weggenommen worden ist. Daher wird er zornig, weint und sinnt auf eine schädliche List, welche Rebekka in seinem Herzen erkennt. Sie verrät sie Jakob und fordert ihn dazu auf, so lange in Charran bei Laban, dem Bruder seiner Mutter, zu bleiben, bis die Zeit den Zorn besänftigt (V. 891–899). Wiedergabe von Gen 27,1–46 ohne 27,10 (Jakob soll seinem Vater das Essen bringen, damit er ihn segnet), 27,12–14 (Jakob befürchtet, dass sein Vater durch Tasten seine wahre Identität 109 Entgegen Peipers Addenda et Corrigenda S. XXX steht in A nicht dominum, sondern genauso wie in CG die Abkürzung dnõ. 110 Vgl. V. 866, d.h. zwischen Jakob und Esau. 111 Mit patriae [...] munera linguae in V. 873 ist der väterliche Segen gemeint, den der Erstgeborene vor Isaaks Tod erhalten soll, vgl. Vet. Lat. gen. 27,4. 112 Vgl. V. 890. Dies ist freilich nicht aus der Perspektive des segnenden Vaters gesagt, der ja seinen Erstgeborenen Esau vor sich zu haben glaubt und diesem die Herrschaft über seinen Bruder verheißt (vgl. Vet. Lat. gen. 27,29), sondern aus der Außenperspektive: In Wirklichkeit hat Isaak seinen jüngeren Sohn Jakob vor sich und die Herrschaft über den Bruder versteht sich als Herrschaft über Esau.

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bemerkt und er sich dessen Fluch zuzieht; Rebekka will den Fluch auf sich nehmen; Jakob bringt die Böcke und Rebekka macht das Essen), 27,17 (Rebekka übergibt Jakob das Essen), 27,20–21 (Isaak fragt Jakob, was er so schnell gefunden habe; Jakobs Antwort: was Gott vor ihn hingegeben habe; Isaak fordert Jakob auf, zum Betasten an ihn heranzutreten), 27,23–24 (wegen der behaarten Hände hält Isaak Jakob für Esau und segnet ihn; Jakob bestätigt, dass er Esau sei), 27,32–34 (Isaak und Esau durchschauen Jakobs List; Esau bittet Isaak, auch ihn zu segnen), 27,36–40 (Esau erkennt, dass Jakob ihn schon zum zweiten Mal betrogen hat; er erfährt, dass für ihn kein Segen mehr übrig ist, und weint; Jakobs „Nachsegen“ für Esau: dieser muss fern von der Fruchtbarkeit der Erde von seinem Schwert leben und seinem Bruder dienen, wird dessen Joch aber einst abschütteln), 27,45–46 (Rebekka will Jakob zurückholen, wenn Esaus Zorn verraucht ist; sie will nicht, dass Jakob [wie Esau] eine Chettäerin heiratet); Kürzungen in 27,4 (Esau soll Isaak ein Essen nach seinem Geschmack zubereiten), 27,5 (Esau geht auf die Jagd), 27,15 (Rebekka nimmt Esaus schönes, im Haus befindliches Gewand und legt es Jakob um), 27,16 (Jakobs Arme und Hals werden mit den Fellen bedeckt), 27,25 (Jakob bedient seinen Vater mit Essen und Wein), 27,26 (Isaak bittet Jakob um einen Kuss), 27,27 (bei Jakobs Kuss riecht Isaak den Geruch von Esaus Kleid), 27,29 (Völker sollen dem gesegneten Sohn dienen, die Söhne seines Bruders sollen vor ihm niederfallen, wer ihn verflucht, soll verflucht sein, wer ihn segnet, soll gesegnet sein), 27,30 (nach dem Segen geht Jakob fort), 27,41 (Esau plant Jakobs Ermordung); starke Raffung in V. 874 (Rebekka erzählt Jakob von Isaaks Worten, vgl. 27,6–7: Rebekka wiederholt gegenüber Jakob die Rede Isaaks), V. 880 (Jakob bringt Isaak das angeblich auf der Jagd erworbene Essen, vgl. 27,18–19: Jakob bringt Isaak das Essen und wird von diesem gefragt, wer er sei; Jakob gibt sich als Esau aus, der den Auftrag des Vaters ausgeführt habe, und fordert den Vater auf, von seiner Jagdbeute zu essen und ihn zu segnen); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 869–870 (Sanftmut des blinden Isaak, er kann nur durch seine väterliche Liebe sehen), V. 874 (Jakob ist Rebekkas Liebling), V. 876 (Jakob soll die Ziegenböcke für den Vater schlachten, gegen 27,9: Rebekka wird die Ziegenböcke für den Vater nach seinem Geschmack zubereiten), V. 886 (Jakob nähert sich mit gesenktem Haupt der Hand des Vaters), V. 889 (beim Segen wünscht Isaak dem Sohn ein langes Leben, gegen 27,28: er wünscht ihm reichen Ertrag von der Erde), V. 890 (der ältere Bruder soll dem jüngeren dienen [Blick auf die wahren Umstände], gegen 27,29: Isaak verheißt, dass der vermeintliche Esau über seinen Bruder herrschen soll), V. 893 (obwohl Esau seinem Vater durch sein pflichtbewusstes Tun gefällt, kann er den Segen nicht mehr bekommen), V. 896 (Rebekka bemerkt Esaus bösen Plan in seinem Herzen, gegen 27,42: Esaus Drohungen werden ihr hinterbracht). Textkritik: V. 866 hinc Peiper haec ACG hic Mayor; V. 895 inde irae Peiper indie irae A inde et irae C inde ira G. Literatur: Roberts 1985, 118 Anm. 34 zu V. 874–899, Thraede 1994, 1200 zum gesamten Abschnitt, De Gianni 2015, 43–44 zu V. 895. Jakobs Abschied (V. 900–909, Gen 28,1–4): An die mütterlichen Ermahnungen schließt sich Isaak an, während er seinen Sohn mit ruhigen Belehrungen

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stärkt und ausrüstet113: Jakob solle keine Ehe mit einer Frau aus dem Volk Kanaan schließen, sondern sich an die Worte seines Vaters halten. Es gebe einen Ort in Assyrien, der von zwei Flüssen umgeben sei114; dort wohne der mit ihnen befreundete Bathuel, der Vater von Rebekka, und Isaaks Schwager Laban, der in ganz Charran fruchtbares Land besitze und Töchter in mannbarem Alter habe. Aus diesem Stamm, der seine herausragende Abkunft auf das Blut von Isaaks Familie zurückführe, solle Jakob sich eine Frau nehmen. Wiedergabe von Gen 28,1–4 ohne 28,3–4 (Isaak segnet Jakob und erbittet für ihn den Segen Abrahams, auf dass er das Abraham verheißene Land erbt); Kürzung in 28,1 (Isaak ruft Jakob zu sich und segnet ihn); Erweiterungen: V. 901 (Isaak stärkt und rüstet Jakob mit seinen Belehrungen), V. 906–907 (Landbesitz und heiratsfähige Töchter Labans), V. 909 (die Braut soll aus dem Blut der eigenen Familie stammen). Textkritik: V. 901 conmunit et ornat A cõmonet et ornat C communiter ornat G Peiper conmunit et orat Mohr 1892, 104115. Literatur: Thraede 1994, 1200 zum gesamten Abschnitt116. Jakobs Traum und Gelübde (V. 910–934, Gen 28,5–22): Jakob gehorcht freudig seinem Vater und verlässt seine Heimat. Von der Mühe des Weges erschöpft, geht er schlafen, wobei er sich auf den Steinen ein kaltes Lager zurechtmacht und einen harten Stein unter seinen Kopf legt (V. 910–914). In seinem erquickenden Schlaf schaut er ohne Furcht im Geist eine vom Himmel jenseits der Wolken herabhängende Leiter, von deren Stufen eine himmlische Schar hinabstürzt, während eine andere in den Himmel hinaufsteigt. Gott blickt, vornübergebeugt, über die kopfüber hinabrollenden Leiber hin und gibt sich als großer König des Himmels, als Jakobs Herr und Herr seines Vaters von Alters her zu erkennen. Jakob solle seine Furcht vertreiben, denn die Erde, auf der er liege, werde ihm und allen seinen Nachkommen unter seiner Führung ein sicherer Wohnsitz sein. Er solle nun aufbrechen und die begonnene Aufgabe nicht aufgeben; unter Gottes Führung werde er wieder in die Stadt zurückkehren, die er verlassen habe (V. 915–927). Gewaltige Furcht lässt Jakob erwachen, am ganzen Körper zittern und schwitzen. Er erkennt, dass hier das große Haus Gottes und das Tor des Himmels ist. Dann begießt er den Stein, der unter seinem Kopf gelegen hat, mit Öl, nennt den Ort „Haus des Herrn“, worauf der Stein hinweisen soll117, und verspricht, dass er den zehnten Teil seiner Erträge entrichten werde (V. 928–934). Wiedergabe von Gen 28,5–22 ohne 28,6–10 (Esau erfährt, dass Jakob nach Mesopotamien gegangen ist, um sich dort eine Frau zu holen, und erkennt, dass die Frauen der Kanaanäer in den Augen seines Vaters schlecht sind; daher nimmt er eine Tochter Ismaels zusätzlich zu seinen Frauen; Jakob geht vom Schwurbrunnen weg nach Charran), 28,14 (Gott prophezeit Jakob eine große Nachkommen113 114 115 116 117

Vgl. V. 901 conmunit et ornat A. Vgl. V. 904; der HD umschreibt damit Vet. Lat. gen. 28,2 (E) Mesopotamiam. Entgegen Mohrs Behauptung ist in A nicht orat, sondern ornat zu lesen. Die Angabe Gen 27,3f muss 28,3f lauten. Vgl. V. 933 indice saxo. Damit deutet der HD die Aufstellung des Steines als Gedenkstein nach Vet. Lat. gen. 28,18 an.

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schaft), 28,20–22a (Jakobs Gelübde: wenn der Herr ihn bewahrt und in seine Heimat zurückführt, wird er für ihn Gott sein und der aufgestellte Stein wird ihm ein Haus Gottes sein); Kürzungen in 28,5 (Jakob geht nach Mesopotamien zu Laban), 28,16 (Jakob erkennt, dass der Herr an diesem Ort ist und dass er es nicht gewusst hat), 28,18 (Jakob steht am Morgen auf), 28,19 (früherer Name des Ortes); inhaltliche Erweiterungen/Veränderungen: V. 910 (Jakob gehorcht freudig den Ermahnungen seines Vaters), V. 911–912 (Jakob schläft aus Erschöpfung, gegen 28,11: weil die Sonne untergegangen ist), V. 913 (kaltes Lager auf den Steinen), V. 916 (Jakob ist ohne Furcht), V. 917 (die Leiter hängt vom Himmel herab, gegen 28,12: die Leiter steht auf der Erde und reicht in den Himmel), V. 920 (die himmlische Schar rollt kopfüber die Leiter hinunter), V. 926 (Jakob soll aufbrechen und die begonnene Aufgabe nicht aufgeben, gegen 28,15: Gott versichert Jakob seines Beistandes auf seinem ganzen Weg), V. 928–929 (vor Furcht zittert und schwitzt Jakob). Textkritik: V. 926 haut desere Peiper, qui Arevalum (haud) secutus est adissere A adesere C aut dessere G; V. 930 hic CG Peiper haec A. Literatur: Thraede 1994, 1200–1201 zum gesamten Abschnitt, Petringa (La presenza) 2007, 172–173 zu V. 928–929, Ciarlo 2008, 746 zu V. 928–929. Jakob bei Laban und seine Heirat mit Leia und Rahel (V. 935–966, Gen 29,1–35): Jakob eilt auf seinem Weg weiter und kommt zu einem alleinstehenden Brunnen in einer abgelegenen Gegend, der schon immer Schafen zum Trinken gedient hat; dort tränken Hirten in der Sonnenhitze drei Herden. Jakob grüßt sie, stellt ihnen einige Fragen118 und erfährt, dass alle, an die er denkt, wohlauf sind (V. 935–941). Unterdessen kommt Rachel, mit schneeweißem Teint, und treibt die Schafe ihres Vaters zur gewohnten Tränke. Als Jakob sie mit brüderlichem Blick119 sieht, wälzt er den Stein weg, der auf dem Brunnen liegt, umarmt sie keusch und gibt sich als ihr Bruder aus verwandtem Blut zu erkennen120. Laban erblickt Jakob schon von fern, eilt freudig herbei und nimmt ihn in seinem Haus auf (V. 942–949). Da er nicht will, dass sein Verwandter ihm umsonst dient, verlobt er als Entgelt für Jakobs Arbeit seine Tochter mit ihm, der sie liebt. Nachdem Jakob sich innerhalb von sieben Jahren den Anspruch auf den Lohn erworben hat121, verlangt er, dass die Verlobte mit ihm vermählt wird, doch er bekommt durch einen Betrug die an einer Sehschwäche leidende, erstgeborene122 Tochter Leia. Um die versprochene Jungfrau betrogen, verkündet Jakob betrübt, dass das Versprechen seines Schwiegervaters eine Lüge gewesen sei. Noch einmal erduldet 118 Vgl. V. 940; damit bezieht sich der HD auf Vet. Lat. gen. 29,4–5, wo Jakob die Hirten fragt, woher sie seien und ob sie Laban kennen würden. 119 Vgl. V. 944 fraterno lumine Mayor (s.u. zur Textkritik). 120 Vgl. V. 947 iuncto germanum sanguine; genau genommen sind Jakob und Rachel Cousin und Cousine, vgl. Bräumer 2011 (2. Teil), 306–307. 121 In diesem Sinne ist wohl V. 952 mercedem [...] traxerat zu verstehen, was Mayor 1889, 46 mit „to draw pay“ erklärt. 122 Durch primo sed prosata partu in V. 955 spielt der HD auf Vet. Lat. gen. 29,26 an, wo Laban den Betrug gegenüber Jakob damit rechtfertigt, dass es in seiner Gegend nicht üblich sei, die jüngere Tochter vor der älteren zu verheiraten.

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Jakob eine lange Dienstzeit, um die andere Tochter als gesonderten Lohn zu erhalten, und bekommt ohne Betrug die verdiente Rachel (V. 950–960). Gott tilgt den Nachteil von Leias Aussehen durch eine vielfache Nachkommenschaft, denn sie gebiert Ruben, Simeon, den vortrefflichen Levi123, der sich an den heiligen Altären unseres Herrn aufhielt124, und Juda, der bald zum Vater eines Stammes wird125 (V. 961–966). Wiedergabe von Gen 29,1–35 ohne 29,3 (Gewohnheit der Hirten, den Stein von der Brunnenöffnung zu wälzen, die Schafe zu tränken und den Brunnen wieder zu verschließen), 29,7–8 (Gespräch Jakobs mit den Hirten, die mit dem Tränken der Schafe noch warten wollen, bis alle Hirten zusammengekommen sind), 29,14 (Laban sagt Jakob, dass er von seinem Fleisch und Knochen sei; Jakob bleibt Tage und Monate bei ihm), 29,16 (Labans zwei Töchter Leia und Rachel), 29,18 (Jakob will Laban für Rachel sieben Jahre dienen), 29,22 (Laban versammelt alle Männer des Ortes und veranstaltet ein Hochzeitsfest), 29,24 (Leia erhält Zelpha als Sklavin), 29,26–27 (Laban rechtfertigt sich damit, dass es in seiner Gegend nicht üblich sei, die jüngere Tochter vor der älteren herzugeben; er ist bereit, Jakob Rachel für sieben weitere Dienstjahre zu geben), 29,29–30 (Laban gibt Rachel Balla als Sklavin; Jakob wohnt Rachel bei, liebt diese mehr als Leia und dient Laban sieben weitere Jahre); Kürzungen in 29,1 (Jakob geht nach Osten zu Laban), 29,2 (großer Stein auf der Brunnenöffnung), 29,4–5 (Jakob fragt die Hirten, woher sie stammen und ob sie Laban kennen), 29,6 (Rachel kommt mit den Schafen ihres Vaters), 29,10 (Jakob tränkt Labans Schafe), 29,12 (Rachel eilt zu ihrem Vater und erzählt ihm von ihrer Begegnung mit Jakob), 29,13 (Laban umarmt und küsst Jakob, dieser erzählt ihm alles), 29,17 (Schönheit Rachels im Gegensatz zu Leia), 29,19 (Laban will Rachel lieber Jakob geben als einem anderen Mann), 29,20 (die sieben Jahre sind für Jakob wie wenige Tage), 29,25 (am Morgen bemerkt Jakob den Betrug), 29,31 (Rachel bleibt unfruchtbar), 29,32–35 (jeweiliger Ausspruch Leias bei der Geburt von Ruben, Simeon, Levi und Juda; nach Judas Geburt hört Leias Gebäraktivität auf); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 938–939 (Hirten tränken die drei Herden in der Sonnenhitze), V. 941 (Jakob erfährt, dass alle, an die er denkt, wohlauf sind; gegen 29,6: er erfährt, dass es Laban gut geht), V. 942 (Rachels schneeweißer Teint), V. 945 (Jakob umarmt Rachel keusch, gegen 29,11: er küsst sie und weint laut), V. 948 (Laban sieht Jakob schon von weitem und eilt freudig herbei; gegen 29,13: als Laban Jakobs Namen hört, eilt er ihm entgegen), V. 954 (die Zuführung Leias ist ein Betrug), V. 965 (Anspielung auf die levitischen Priester), V. 966 (Juda wird bald zum Stammvater eines Volkes). Textkritik: V. 935 quo CG qua A 123 Vgl. V. 964 Levitis, Vet. Lat. gen. 29,34 (E) Levvi. 124 Vgl. V. 965. Der HD spielt hier zum einen auf die jüdische Priesterklasse der Leviten an, die auf Levi zurückgeht (vgl. hierzu H. Seebaß, Art. „Levi/Leviten“, in: TRE 21, 1991, 36–40), zum anderen soll durch domini [...] nostri offensichtlich die Identität des alttestamentlichen Jahwe mit dem neutestamentlich-christlichen Gott hervorgehoben werden und eine Parallele zwischen dem levitischen Priester und dem der christlichen Gemeinde hergestellt werden. Zu diesem Christianisierungstypus beim HD vgl. Herzog 1975, 116 mit Anm. 239. 125 Vgl. V. 966; der HD will seinen christlichen Lesern hier offensichtlich die Etymologie des Wortes Iudaeus erklären.

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Peiper; V. 944 fraterno lumine Mayor 1889, 46, qui Arevalum secutus est fraterno e lumine ACG fraterno e limine Peiper; V. 945 castus Peiper castos CG castof A; V. 959 longae Peiper longe CG longaeva A; V. 965 possedit Peiper possedet A possidet CG. Weitere Kinder Jakobs (V. 967–973, Gen 30,1–24): Die Kinder, die Balla geboren hat, sollen an anderer Stelle erwähnt werden126; hier sollen dagegen die berühmten Kinder Jakobs genannt werden. Issachar wird als fünfter Sohn geboren, als sechster folgt Sebulon und dann die Tochter Dina. Endlich beschenkt Gott Rachel mit der Geburt Josephs. Wiedergabe von Gen 30,1–24 ohne 30,1–16 (die unfruchtbare Rachel veranlasst Jakob, mit ihrer Sklavin Balla Kinder zu zeugen; Balla gebiert Dan und Naphthali; als Leia keine weiteren Kinder bekommt, veranlasst sie Jakob, mit ihrer Sklavin Zelpha Kinder zu zeugen; Zelpha gebiert Gad und Ascher; Rachel erwirbt sich um den Preis, dass Jakob eine Nacht bei Leia schlafen darf, Leias Alraunenfrüchte), 30,23 (Ausspruch Rachels bei der Geburt ihres Sohnes: Gott habe ihre Schande weggenommen); Kürzungen in 30,17–18 (Gott erhört Leia und sie wird schwanger; Erklärung des Namens Issachar mit „Lohn“), 30,19–20 (Leia wird nochmals schwanger; Leias Ausspruch bei der Geburt Sebulons: jetzt werde ihr Mann sie lieben, da sie ihm sechs Söhne geboren habe), 30,24 (Erklärung des Namens Joseph mit Rachels Wunsch, dass Gott ihr einen weiteren Sohn schenken möge); Erweiterung: V. 967–968 (Bemerkung des Erzählers: Auslassung von Ballas Kindern und Beschränkung auf Jakobs berühmte Kinder)127. Textkritik: V. 967 ast alias Arevalus ast alios A Peiper Castalios CG | partus CG nothos A; V. 969 quinto G quino AC Peiper. Literatur: Herzog 1975, 127–128 zu V. 967–968 (mit einem Überblick über weitere Kürzungen im Bereich der Seitengenealogien gegenüber der Patriarchengenealogie). Jakob überlistet Laban (V. 974–989, Gen 30,25–43): Als Jakob von seinen beiden Frauen Kinder bekommen hat, bittet er seine Schwiegereltern128 um die Entlassung und um das, was er sich erworben hat129. Die Schwiegereltern sind zwar bereit, ihm für seine Verdienste einen Lohn zu geben, werden jedoch mutlos angesichts von Jakobs Forderung130. Jakob geht fort, ohne fremdes Eigentum zu verlangen und mit der Versicherung, dass er sich nur durch Gaben des Herrn bereichern wolle; er begnügt sich damit, seine beiden Gattinnen mitzunehmen, und 126 Vgl. V. 967 alias Arevalus (s.u. zur Textkritik). Während die Geburt von Dan und Naphthali, Jakobs Söhnen von Rachels Sklavin Balla, in Vet. Lat. gen. 30,5–8 genannt wird, holt der HD dies in Hept. gen. 1095–1096 nach. 127 Nach Herzog 1975, 127–128 kürzt der HD Seitengenealogien zugunsten der Patriarchengenealogie. 128 Vgl. V. 975 soceris; in Vet. Lat. gen. 30,25 verhandelt Jakob dagegen nur mit seinem Schwiegervater Laban. 129 Vgl. V. 975. Damit sind die Frauen und Kinder gemeint, für die Jakob Laban gedient hat, vgl. Vet. Lat. gen. 30,26. 130 Vgl. V. 977. Der HD spielt hier auf die etwas hilflose Frage Labans zu Beginn von Vet. Lat. gen. 30,31 an, was er Jakob denn als Lohn geben solle. Unmittelbar voraus gehen Jakobs Berufung auf seine große Leistung im Dienst Labans und seine Absicht, sich jetzt endlich selbst einen Hausstand aufzubauen (vgl. Vet. Lat. gen. 30,29–30), was der HD durch genero poscente andeutet.

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ist bestrebt, sich etwas zu schaffen, das lange an ihn erinnert131 (V. 974–981). Er reißt Ruten von Myrte132, Storaxstrauch und Nussbaum ab, damit sich, mit deren Saft bestrichen, die Wolle der Tiere bunt färbt. Denn während er das Vieh eilig ins Wasser taucht, kennzeichnet er es mit unterschiedlicher Farbe wegen der Missgunst seines Schwiegervaters, der nämlich gesagt hat, dass Jakobs Lohn, den er vor vielen Jahren133 weggenommen hat, buntfarbig sei134 (V. 982–989). Wiedergabe von Gen 30,25–43 ohne 30,27 (Laban bekennt, dass Gott ihn durch Jakobs Ankunft gesegnet habe), 30,40–43 (Jakob sondert die buntfarbigen Tiere für sich aus der von ihm geweideten Herde aus und überlässt die einfarbigen Laban; er wird sehr reich); Kürzungen in 30,31 (Jakob will wieder Labans Schafe weiden), 30,37 (Jakob schält aus den Ruten weiße Streifen heraus, so dass sie gesprenkelt erscheinen); starke Raffung in V. 977 (Jakobs Schwiegereltern verlieren den Mut angesichts seiner Forderung, vgl. 30,29–31a: Jakob beruft sich auf seine große Leistung im Dienst Labans und äußert seinen Wunsch, sich endlich selbst einen Hausstand aufzubauen; Laban fragt etwas hilflos, was er Jakob denn geben solle), V. 988–989 (Laban hat gesagt, dass Jakobs Lohn buntfarbig sein werde, und hat diesen Lohn vor vielen Jahren weggenommen, vgl. 30,32–36: Laban setzt den von Jakob selbst gemachten Vorschlag um: er separiert alle buntfarbigen Tiere aus der von Jakob geweideten Herde und übergibt sie in einer Entfernung von drei Tagesreisen seinen Söhnen; die buntfarbigen Tiere, die dann in Jakobs Herde geboren werden, sollen Jakobs Lohn sein); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 978–981 (Jakob will sich nur durch Gaben des Herrn bereichern, begnügt sich mit der Mitnahme seiner Gattinnen und will sich etwas schaffen, das lange an ihn erinnert), V. 984–987 (Jakob badet die Tiere und färbt dabei ihre Wolle mit dem Saft der Ruten bunt, gegen 30,38–39: Jakob legt die gesprenkelten Ruten in die Wassertröge, damit die Schafe, wenn sie zur Tränke kommen, bei ihrem Anblick trächtig werden; die Schafe werfen buntfarbige Junge135), V. 988 131 Vgl. V. 981 ut longa sibi monumenta pararet. Der HD scheint damit auf die Absicht Jakobs anzuspielen, sich im Rahmen seines Dienstes für Laban eine eigene Herde aus buntfarbigen Tieren zu züchten (vgl. Vet. Lat. gen. 30,31–33). 132 Vgl. V. 983 myrtea AC. Die von Fischer 1951, 325 angegebene Variante myrteam in Vet. Lat. 30,37 beruht allein auf Hept. gen. 983, ansonsten ist für die Vetus Latina hier (E) platani (de platano/plataninam) bezeugt. 133 Vgl. V. 989 multis quam dempserat annis. Zum Ablativ der Zeit im Sinne des deutschen „vor“ vgl. KS II,1, 357. 134 In V. 988–989 spielt der HD offensichtlich auf Vet. Lat. gen. 30,32–36 an, wonach Laban gemäß Jakobs Vorschlag alle buntfarbigen Tiere aus der von Jakob geweideten Herde aussondert. Die buntfarbigen Jungen, die zukünftig von den verbleibenden, ausschließlich einfarbigen Tieren geboren werden, sollen Jakobs Lohn sein (vgl. Bräumer 2011 (2. Teil), 330). Dieser Vorschlag Jakobs ist für Laban „ein klares, kontrollierbares Angebot ohne Risiko“, da buntgefleckte und -gestreifte Tiere selten sind und Jakobs zu erwartender Lohn somit nur äußerst gering ausfallen dürfte (vgl. Bräumer 2011 (2. Teil), 329–330, das Zitat 330). Insofern lässt sich von einer missgünstigen Haltung Labans (vgl. V. 988 invidiam) gegenüber Jakob sprechen. 135 Zu diesem züchterischen Kunstgriff, der auf der Vorstellung beruht, „daß sich visuelle Eindrücke im Augenblick der Befruchtung auf die Frucht auswirken“, vgl. Bräumer 2011 (2.

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(Neid Labans). Textkritik: V. 981 monumenta AC momenta G fomenta Mayor 1889, 47. Jakobs Trennung von Laban (V. 990–1010, Gen 31,1–55): Als Jakob sich von seinem selbst erworbenen Reichtum ernähren kann, erregt er den Neid seiner missgünstigen Schwiegereltern136. Während sein grässlicher137 Schwiegervater die Schafe schert, bietet sich ihm die Möglichkeit, seinen gesamten Gewinn und die im Ofen gebrannten Hausgötter mitzunehmen, an welche der Syrer138 in seiner Heimat Charran als Gottheiten glaubt und welche Rachel umsichtig in Decken versteckt hält, damit ihr Vater das Vergehen nicht bemerkt und bestraft (V. 990– 997). Nach seinem Fortgang überschreitet Jakob einen Fluss und besteigt den Berg Gilead. Am dritten Tag erfährt Laban vom Weggang seines Schwiegersohnes und seiner Töchter139 und bittet sogleich seine Brüder um Hilfe. Nachdem er Jakob lange gesucht hat, holt er ihn am sechsten Tag ein, wird aber durch einen heiligen Schrecken Gottes ermahnt, ihm nicht zu schaden, und so verlangt er von den Seinen friedfertig140 die Götter, an die er glaubt, und ist betrübt141, als er sie überall sucht, aber nicht findet. Nach der Beilegung der Streitigkeiten kehrt wieder Frieden ein und es wird ein hoher Steinhaufen errichtet, der als Zeuge bestehen bleiben und als Grenzmarkierung Gebietsstreitigkeiten entscheiden soll142 (V. 998–1010). Wiedergabe von Gen 31,1–55 ohne 31,3–17 (Gott befiehlt Jakob, ins Land seines Vaters zurückzukehren; Jakob versucht seine beiden Frauen für die Flucht zu gewinnen, indem er auf Labans veränderte Haltung und sein unfaires Verhalten ihm gegenüber verweist und die Vermehrung seines eigenen Viehs auf Gottes Wirken zurückführt; die Frauen sind mit der Flucht einverstanden, da ihr Vater sie als Fremde betrachte, sie verkauft und den Kaufpreis aufgezehrt habe; Jakob nimmt seine Frauen und Kinder und setzt sie auf Kamele), 31,20 (Jakob verheimlicht Laban seine Flucht), 31,25–28 (Zusammentreffen von Laban und Jakob auf dem Berg Gilead; Laban wirft Jakob vor, heimlich fortgegangen zu sein und seine Töchter wie Gefangene weggeführt zu haben, ohne dass er sich von ihnen verabschieden konnte), 31,31–32 (Jakob begründet seine Flucht mit der Angst, dass Laban ihm seine Frauen und seinen Besitz nehmen könnte; da er nicht weiß, dass Rachel die Götter gestohlen hat, sagt er, dass derjenige nicht leben solle, bei dem Laban die Götter finde), 31,35–43 (Rachel bleibt auf dem Sattel, in dessen Taschen sie die Götter versteckt hat, mit der Begründung sitzen, dass es

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Teil), 331 mit weiterer Literatur. Das vom HD berichtete Färbeverfahren erscheint dagegen als ein billiger Trick. Vgl. V. 991 laevo [...] livore dolentum. Vgl. V. 992 dirus, ein wertender Zusatz des HD. Vgl. V. 995 Syrus, d.h. Laban. Vgl. V. 1001 natarum, was der HD verdeutlichend gegenüber dem Bibeltext hinzusetzt. Vgl. V. 1005 mitificus. Der HD bezieht sich damit offenbar auf Vet. Lat. gen. 31,29, wo Laban Jakob erklärt, dass er Macht habe, ihm zu schaden, dass Gott ihm aber geboten habe, nichts Böses mit ihm zu sprechen. Vgl. V. 1006 maeret, ein Zusatz des HD. Vgl. V. 1009–1010; dieselbe Funktion hat nach LXX gen. 31,52 (die Vetus Latina ist hier nicht bezeugt) der von Jakob aufgestellte Gedenkstein, den der HD nicht erwähnt.

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ihr nach Art der Frauen ergehe; so durchsucht Laban ihr ganzes Haus und findet nichts; Jakob wird zornig wegen der Durchsuchung seines Eigentums und wirft Laban die zwanzig Jahre seines treuen Dienstes vor, um deren Lohn Laban ihn betrogen habe; Gott aber habe seine Erniedrigung gesehen; Laban beharrt darauf, dass seine Töchter, deren Kinder und der gesamte Besitz ihm gehören), 31,45 (Jakob stellt beim Vertragsschluss einen Gedenkstein auf), 31,47–51 (Laban und Jakob benennen den Steinhaufen; Laban verlangt von Jakob, seine Töchter nicht zu demütigen und keine weiteren Frauen zu heiraten), 31,53–55 (Jakob schwört bei Gott, bringt ein Schlachtopfer dar und speist mit seinen Verwandten); Kürzungen in 31,18 (Jakob will mit all seinem Besitz zu seinem Vater Isaak nach Kanaan ziehen), 31,23 (Laban holt Jakob am Berg Gilead ein), 31,30 (Laban zeigt Verständnis für Jakobs Sehnsucht nach der Heimat), 31,44 (die Initiative zum Friedensschluss geht von Laban aus), 31,46 (Laban lässt seine Brüder den Steinhaufen errichten; ein Mahl findet dort statt und Laban und Jakob benennen den Steinhaufen als ihren Zeugen); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 990 (Jakob ernährt sich von seinem selbst erworbenen Reichtum, gegen 31,1: Labans Söhne behaupten, dass Jakob Labans Eigentum genommen und sich dadurch bereichert habe), V. 991 (Jakob erregt den Neid seiner missgünstigen Schwiegereltern, gegen 31,2: Labans Gesichtsausdruck gegenüber Jakob ist nicht mehr so wie vorher), V. 994 (Jakob nimmt Labans Hausgötter mit, gegen 31,19: Rachel stiehlt sie), V. 994–995 (Labans Hausgötter sind im Ofen gebrannt, er verehrt sie in seiner Heimat Charran als Gottheiten), V. 996–997 (Rachel verbirgt die Götter in Decken, damit ihr Vater den Diebstahl nicht bemerkt und bestraft, gegen 31,34: Rachel hat die Götter in einem Kamelsattel versteckt, auf dem sie sitzt), V. 1003 (Laban holt Jakob am 6. Tag ein, gegen 31,23: nach sieben Tagesmärschen), V. 1004 (durch einen Schrecken Gottes wird Laban ermahnt, Jakob nicht zu schaden, gegen 31,24: Gott erscheint Laban nachts im Traum und gebietet ihm, nichts Böses mit Jakob zu sprechen). Textkritik: V. 990 alitus Peiper alitos ACG. Vorbereitung auf das Wiedersehen mit Esau (V. 1011–1034, Gen 32,1– 16): Mitten auf dem Weg sieht Jakob ein Heerlager in der Höhe, welches Gott anführt, und benennt den Ort, indem er bezeugt: „Dies hier erfüllt Gott“143. Unterdessen schickt er ausgewählte junge Männer mit Geschenken für seinen Bruder voraus, auf dass dieser ihm die Rückkehr und Frieden gewährt. Esau kommt dieser Bitte gerne nach und zieht seinem Bruder mit seinen Gefährten und einer großen Schar ohne Aufregung entgegen, und wenn auch die Menge seiner vierhundert Männer Schrecken bereitet, so ist doch eher ihr Anblick erschreckend, als dass ihre Waffen Schaden anrichten (V. 1011–1020). Jakob teilt seine Herden und lässt das vorangehen, was sein Bruder als Geschenk nehmen soll. Zugleich betet er zum Herrn, den er als Hoffnung und Inbegriff eines unermesslichen Reiches144 143 Vgl. V. 1013 Haec deus implet. Der HD bewegt sich hier sehr nah an Vet. Lat. gen. 32,3, wonach Jakob sagt: (S) concilium dei est hoc bzw. (I) castra dei haec sunt. 144 Vgl. V. 1024 inmensi [...] regni. Denkbar ist, dass der HD in diesem Vers, der sonst keine Entsprechung in der biblischen Vorlage hat, auf Vet. Lat. gen. 32,13 anspielt, wo Jakob am

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und als einzigen Gott seines Vaters und Großvaters anspricht. Gott lasse ihn aus der Verbannung zurückkehren und habe ihm, seinem Diener, großen Gewinn geschenkt145. Er habe ihm befohlen, mit einem Stab demütigen Schrittes146 den Jordan zu überschreiten, und sehe ihn jetzt in zwei getrennten Lagern, um durch diesen zweifachen Schutz vielfältigem Unglück zu entgehen. Gott, der Unbesiegbare, solle Jakob diesen Übeln entreißen und mit seinem unzerbrechlichen Schwert möglichst bald die Pfeile seines Bruders niederschlagen, damit dieser in seinem Ungestüm nicht Jakobs Brust durchbohre (V. 1021–1034). Wiedergabe von Gen 32,1–16 ohne 32,1 (Laban verabschiedet sich von seinen Töchtern und Enkeln und kehrt nach Hause zurück), 32,13–16 (Jakob erinnert Gott an seine Verheißung, seinen Samen zahlreich zu machen, und schläft ein; er stellt eine große Menge Tiere als Geschenke für Esau zusammen); Kürzungen in 32,2 (Jakob sieht die Engel Gottes), 32,4 (Jakob schickt die Boten ins Land Seїr ins Gebiet von Edom), 32,11 (Jakob preist Gottes Gerechtigkeit und Wahrheit, die er an ihm getan habe), 32,12 (Jakob fürchtet auch um das Leben seiner Söhne und deren Mütter); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 1015–1016 (Jakob schickt die Boten mit Geschenken zu Esau, damit dieser ihn zurückkehren lässt und ihm Frieden gewährt, gegen 32,5–6: Jakob schickt die Boten mit der Nachricht, dass er bei Laban gelebt und sich Reichtum erworben habe, und mit der Bitte um Gnade), V. 1017–1018 (Esau gewährt Jakobs Bitte gerne und zieht ihm mit großem Gefolge entgegen, gegen 32,7: die von Esau zurückkehrenden Boten melden, dass Esau selbst mit seinem Gefolge Jakob entgegenziehe), V. 1018–1020 (friedliche Einstellung Esaus und bloß schreckenerregender Anblick seines Gefolges, gegen 32,8: Jakob fürchtet sich sehr vor Esaus Gefolge), V. 1021–1022 (Jakob teilt seine Herden und lässt die Geschenke für seinen Bruder vorausgehen, gegen 32,8–9: Jakob teilt Menschen und Tiere in zwei Lager, damit bei einem Angriff Esaus zumindest der eine Teil gerettet werden kann; die Geschenke werden erst in 32,14– 16 erwähnt), V. 1024–1025 (Anrufung Gottes als Hoffnung und Inbegriff eines unermesslichen Reiches und als einziger Gott), V. 1031 (Jakobs getrennte Lager sollen als Schutz gegen Bedrohungen dienen, gegen 32,11: die zwei Lager Jakobs zeigen die starke Vermehrung seines Besitzes, nachdem er lediglich mit einem Stab ausgerüstet in die Fremde gezogen ist147), V.1032–1034 (Hervorhebung von Esaus Waffen und Grausamkeit, Betonung von Gottes Unbesiegbarkeit). Textkritik: V. 1029 humili A ilico CG. Literatur: Thraede 1994, 1201 zum gesamten Abschnitt, Petringa (La presenza) 2007, 169–170 zu V. 1032. Jakobs Gotteskampf (V. 1035–1050, Gen 32,17–33): Nachdem Jakob seine Begleiter geordnet hat und schlafen gegangen ist, müht er sich in der Nacht, Gott zu besiegen, der gegen ihn kämpft; durch den Druck auf seinen Oberschenkel Ende seines Gebetes Gott an seine Verheißung erinnert, seinen Samen zahllos wie den Sand des Meeres zu machen. 145 Vgl. V. 1027, womit der HD die Verheißung Gottes (E) et bene tibi faciam bzw. (O) et benedicam tibi in Vet. Lat. gen. 32,10 auszulegen scheint. 146 Vgl. V. 1029 humili [...] gressu, ein Zusatz des HD. 147 Zu diesem Verständnis vgl. Bräumer 2011 (2. Teil), 348 mit weiterer Literatur.

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wird dieser starr. Als Jakobs Gegner bei Tagesanbruch die Umschlingung ihrer Glieder lösen will, entlässt der Herr Jakob nach der Gewährung eines Geschenks und schickt ihn zurück148 (V. 1035–1040). Jakobs Name wird geändert, er wird nun von allen „Der, der den Herrn sieht“ genannt. Er wagt sogar, nach dem Namen des Herrn zu fragen, doch ohne Erfolg, da Gott allein diesen wissen darf. Den Ort nennt Jakob „Anblick des Herrn“, da er sein erhabenes Antlitz sehen durfte. Als die Nacht vorbei ist und der Herr sich entfernt hat, geht Jakob fort, indem er seine Schritte mit einer langen Lanze stützt. In Erinnerung daran essen die Juden nicht die Sehne, die den Oberschenkel starr befestigt (V. 1041–1050). Wiedergabe von Gen 32,17–33 ohne 32,23–24 (Jakob bringt seine Familie über den Fluss Jabok), 32,28 (der Gegner fragt Jakob nach seinem Namen); Kürzungen in 32,25 (Jakob bleibt alleine zurück), 32,26 (als der Gegner merkt, dass er Jakob nicht überwältigen kann, berührt er seine Hüfte), 32,27 (Jakob will den Gegner nur loslassen, wenn dieser ihn segnet), 32,31 (Jakob stellt fest, dass sein Leben gerettet ist); starke Raffung in V. 1035 (Jakob ordnet seine Begleiter, vgl. 32,17–22: Jakob lässt seine Diener einzeln jeweils mit einer Tierherde als Geschenk für Esau vorausgehen und seine Ankunft ankündigen; so hofft er, Esaus Gnade zu erwirken); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 1036 (Jakob kämpft gegen Gott, gegen 32,25: gegen einen Menschen bzw. einen Engel149), V. 1040 (nach dem Segen schickt Gott Jakob zurück), V. 1042 (Jakobs neuer Name ist „Der, der den Herrn sieht“, gegen 32,29: der Name ist Israel, weil Jakob stark gegen Gott geworden und bei den Menschen mächtig ist), V. 1044 (Jakob kann den Namen des Herrn nicht erfahren, weil nur Gott diesen kennen darf), V. 1047 (der Herr verlässt den Ort, gegen 32,32: Jakob zieht am „Anblick des Herrn“ vorbei), V. 1048 (Jakob stützt sich auf eine Lanze, gegen 32,32: er hinkt), V. 1050 (die Juden essen nicht die Sehne, die den Oberschenkel starr befestigt, gegen 32,33: die Sehne am Oberschenkel, die bei Jakob durch die Berührung steif geworden ist). Textkritik: V. 1040 praestita dimissum CG Mayor 1889,50 prestitit admissum A praestitit ac missum Peiper. Literatur: Thraede 1994, 1201 zum gesamten Abschnitt. Jakobs Begegnung mit Esau und sein Weg nach Sichem (V. 1051–1070, Gen 33,1–20): Als Jakob seinen Bruder von seiner Schar umgeben sieht, verneigt er sich vor ihm und begrüßt ihn als seinen Herrn; dann gehen sie aufeinander zu und umarmen einander unter vielen Tränen. Esau150 fragt nach Jakobs Begleitern und Gefolge und erfährt von seinem Bruder, von welchem Vater seine Ehefrauen 148 Vgl. V. 1040 praestita dimissum CG. Praestita […] post dona scheint sich auf die Gewährung des Segens zu beziehen, den Jakob von dem göttlichen Gegner erhält (vgl. Vet. Lat. gen. 32,30). Davon, dass Gott Jakob entlässt und zurückschickt, ist in der biblischen Vorlage nicht die Rede, aber es ist vorstellbar, dass der HD hier an Vet. Lat. gen. 32,25 denkt, wonach Jakob allein zurückgeblieben ist; somit würde Gott Jakob nach dem Kampf wieder zu seinem Gefolge zurückschicken. 149 Vgl. Vet. Lat. gen. 32,25 (E) homo mit der mehrfach bezeugten Variante angelus. 150 Vgl. V. 1054. Nach Vet. Lat. gen. 33,5 spricht hier Esau, was aus der Darstellung des HD syntaktisch aber nicht hervorgeht. Daher sollte mit Peiper der Ausfall eines Verses nach V. 1053 angenommen werden, in dem der Subjektswechsel zu Esau stattfindet.

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stammen und um welchen Preis er die verschiedenen Herden erworben hat. Sogleich fallen die jungen Frauen151 vor Esau nieder und halten ihm ihre kleinen Kinder hin, damit er als Verwandter sie küsst (V. 1051–1059). Esau lehnt zwar die Geschenke, die ehrfürchtig152 vorausgetragen worden sind, ab, doch er streichelt sanft die Kinder seines Bruders, der mit ihm eines Sinnes ist. Gerne will er zusammen mit seinem Bruder nach Hause eilen, damit sie einander ihre Taten erzählen können, aber da die Muttertiere nur langsam vorankommen, bleibt Jakob zur Beaufsichtigung seiner Herden und Diener zurück und baut kleine Hütten mit Laubdach, die er „Tabernae“ („Hütten“)153 nennt. Er kommt nach Sichem im Gebiet von Kanaan, kauft um einen bestimmten Preis154 ein in der Nachbarschaft gelegenes Grundstück und betet nach der Errichtung eines Altars eilig zu Gott (V. 1060–1070). Wiedergabe von Gen 33,1–20 ohne 33,2 (Jakob stellt die Sklavinnen, Leia und Rachel mit ihren jeweiligen Kindern hintereinander auf), 33,10– 11 (Jakob drängt Esau zur Annahme seiner Geschenke und Esau nimmt sie schließlich), 33,15–16 (Jakob lehnt Esaus Angebot ab, Leute bei ihm zurückzulassen; Esau kehrt nach Seїr zurück); Kürzungen in 33,1 (Jakob verteilt die Kinder auf seine Ehefrauen und Sklavinnen), 33,3 (Jakob geht den Frauen und Kindern voran und fällt siebenmal vor Esau nieder), 33,9 (Esau verzichtet auf die Geschenke, da er schon viel besitzt), 33,13 (Jakobs Kinder sind noch klein), 33,19 (Jakob kauft das Land von Sichems Vater Emmor); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 1053 die Brüder gehen aufeinander zu und umarmen einander, gegen 33,4: Esau eilt Jakob entgegen, umarmt und küsst ihn), V. 1054– 1057 (Esau fragt Jakob nach seinem Gefolge, Jakob erklärt die Abstammung seiner Frauen und um welchen Preis er die Herden erworben hat, gegen 33,5: Esau fragt nach dem Verhältnis, in dem die Frauen und Kinder zu Jakob stehen, Jakob antwortet, es seien die Kinder, mit denen Gott sich seiner erbarmt habe), V. 1059 (die Frauen halten Esau ihre Kinder zum Kuss hin, gegen 33,6–7: die Frauen fallen mit ihren Kindern vor Esau nieder), V. 1061 (Esau streichelt Jakobs Kinder), V. 1063 (Esau will sich auf dem Heimweg mit Jakob über ihre Taten austauschen), V. 1065 (Jakob bleibt zur Beaufsichtigung seiner Herden und Diener zurück, gegen 33,14: Jakob bittet Esau, vorauszugehen, während er selbst langsam gemäß dem Tempo der Kinder gehen will), V. 1068 (Jakob kommt nach Sichem, gegen 33,18: nach Salem, zur Stadt der Sikimer). Textkritik: Post V. 1053 versum excidisse Peiper iure suspicatus est. Literatur: Roberts 1978, 263 zu V. 1058, De Gianni 2015, 50 zu V. 1052. Die Gewalttat an Dina (V. 1071–1078, Gen 34,1–31): Dort entehrt der Chorräer155 Dina, die er lieb gewonnen hat, und raubt ihre Jungfräulichkeit. In der Absicht, sich mit seinen Schwiegereltern zu verbinden, nimmt er die Beschnei151 V. 1058 nurus umfasst die Sklavinnen und Ehefrauen Jakobs, vgl. Vet. Lat. gen. 33,6–7. 152 Das Adverb pie in V. 1060 nimmt offensichtlich auf Jakobs Erklärung Bezug, dass er mit diesen Geschenken Gnade bei seinem Herrn Esau finden wolle (Vet. Lat. gen. 33,8). 153 Vgl. V. 1067 Tabernas, gemäß Vet. Lat. gen. 33,17 (E) Tabernacula; das Laubdach in V. 1066 ist eine Zutat des HD. 154 Vgl. V. 1069 pretio, genau genommen für 100 Lämmer, vgl. Vet. Lat. gen. 33,19. 155 Vgl. V. 1071 Correus; gemeint ist Sichem, der Sohn des Emmor (Vet. Lat. gen. 34,2).

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dung vor und bringt Jakob große Geschenke für die Gattin, die er sich durch Raub angeeignet hat. Am dritten Tag, als sich die Entzündung der Wunden verschlimmert hat, wird er überfallen und zusammen mit allen erwachsenen Männern getötet. Jakob ist betrübt über diese Gewalttat seiner Söhne und sagt, dass das Bündnis mit dem verbündeten Volk gebrochen worden sei. Wiedergabe von Gen 34,1–31 ohne 34,1 (Leias Tochter Dina geht aus, um sich die Töchter der Einheimischen anzusehen), 34,4–18 (Jakob und seine Söhne erfahren von der Gewalttat an Dina; Sichems Vater bittet Jakob und seine Söhne für seinen Sohn um Dinas Hand und regt eine Verbindung ihrer Völker durch Heirat an; Sichem selbst bittet um Gnade und bietet eine hohe Mitgift für Dina; Jakobs Söhne Simeon und Levi nehmen durch einen hinterlistigen Plan Rache für Dinas Vergewaltigung: sie verlangen als Bedingung für die Verheiratung Dinas und die Heiratsverbindungen zwischen ihren Völkern, dass sich alle Männer der Stadt beschneiden lassen; Sichem und sein Vater sind einverstanden), 34,20–24 (Sichem und sein Vater gewinnen auch die anderen Männer der Stadt für die Beschneidung, damit beide Völker vereint werden können; alle männlichen Bewohner werden beschnitten), 34,27–29 (Jakobs Söhne plündern die Stadt und das Feld und nehmen die Sklaven und Frauen als Gefangene mit), 34,31 (Simeon und Levi rechtfertigen ihre Tat mit der Entehrung ihrer Schwester); Kürzungen in 34,2 (Sichem, der Sohn des Chorräers Emmor, des Landesfürsten, vergewaltigt Dina), 34,3 (Sichem redet Dina zu), 34,19 (Sichem ist der vornehmste Mann im Haus seines Vaters); starke Raffung in V. 1076 (Sichem wird überfallen und mit allen erwachsenen Männern getötet, vgl. 34,25–26: Simeon und Levi greifen zum Schwert und dringen in die Stadt ein; sie töten alle Männer mitsamt Emmor und Sichem und holen Dina aus Sichems Haus); inhaltliche Veränderungen: V. 1071–1072 (der Chorräer gewinnt Dina lieb und vergewaltigt sie, gegen 34,2–3: er vergewaltigt Dina und gewinnt sie danach lieb), V. 1077–1078 (Jakob bedauert die Tat seiner Söhne, durch die das Bündnis zwischen ihren Völkern gebrochen worden sei, gegen 34,30: Jakob bedauert, dass seine Söhne ihn bei den Bewohnern des Landes verhasst gemacht haben; er befürchtet, mitsamt seinem Volk getötet zu werden). Textkritik: V. 1076 pube CG plebe A. Literatur: De Gianni 2015, 56–57 zu V. 1076. Jakob in Bethel (V. 1079–1090, Gen 35,1–16a): Sogleich fordert Gott Jakob auf, fortzugehen und sich in Bethel niederzulassen. Jakob gehorcht eilends und bittet seine Söhne, die aus Metall gearbeiteten Heiligtümer der Götter zu zerschlagen und unter einem weißen Mantel die Toga anzulegen. Er selbst verbirgt die nichtigen Götzen156 in der Höhlung157 eines Terpentinbaums. Gott erscheint Jakob und spricht die gewohnten Worte158, dass nämlich159 Jakob der Prophet des erha156 Vgl. V. 1084 deos nullos, womit der HD Vet. Lat. gen. 35,4 (I) deos alienos paraphrasiert. Vgl. hierzu Homey 2014, 189 Anm. 25. 157 Vgl. V. 1084 in antro; nach Vet. Lat. gen. 35,4 unter dem Baum. 158 Vgl. V. 1085–1086 sueta / verba sibi. Die Landverheißung hat Gott Jakob bereits in Vet. Lat. gen. 28,13 gegeben, vgl. Hept. gen. 924–925. 159 Que in V. 1086 sollte explikativ aufgefasst werden, da mit den sueta verba offensichtlich die nachfolgende Prophezeiung (vatem[…] ... Abrae) gemeint ist, vgl. zu Letzterem auch Mayor 1889, 51.

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benen Gottes in dem reichen Land sein werde, das er Abraham versprochen habe. Jakob gibt dem Ort einen Namen160, weiht ein Steinmal, welches er feierlich mit Öl begießt, und errichtet sein Haus am Turm von Gader. Wiedergabe von Gen 35,1–16a ohne 35,3 (Jakob will mit seinen Leuten nach Bethel hinaufgehen, um Gott dort einen Altar zu errichten), 35,5–8 (Gottesfurcht überkommt die Städte ringsum und sie verfolgen die Israeliten nicht; Jakob kommt nach Luza in Kanaan, d.h. nach Bethel, und errichtet dort einen Altar; er nennt den Ort „Haus Gottes“, weil Gott ihm dort auf seiner Flucht vor Esau erschienen ist; Rebekkas Amme Debbora stirbt und wird unter einer Eiche begraben), 35,10–11 (Gott nennt Jakob Israel; er ist sein Gott und beauftragt ihn, sich zu vermehren; Völker und Könige werden aus Jakob hervorgehen), 35,13 (Gott entfernt sich von Jakob); Kürzungen in 35,1 (Gott befiehlt Jakob, dem Gott einen Altar zu errichten, der ihm bei seiner Flucht vor Esau erschienen sei), 35,4 (Jakobs Leute übergeben ihm die Götzen und ihre Ohrringe; Jakob vernichtet die Götzen bis auf den heutigen Tag), 35,9 (Gott erscheint Jakob in Luza und segnet ihn), 35,14 (Jakob gießt auch ein Trankopfer über dem Steinmal aus); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 1081–1083 (Jakob fordert seine Söhne auf, die aus Metall gefertigten Heiligtümer der Götter zu zerschlagen, gegen 35,2: Jakob fordert sein gesamtes Haus und seine Begleiter auf, die fremden Götter aus ihrer Mitte zu entfernen), V. 1083 (Aufforderung, unter einem weißen Mantel die Toga anzulegen, gegen 35,2: Aufforderung, sich zu reinigen und die Kleider zu wechseln161), V. 1085–1086 (Gott spricht die gewohnten Worte zu Jakob; Jakob wird Gottes Prophet sein). Literatur: Herzog 1975, 121 zu V. 1082–1083, Homey 2014, 189 Anm. 25 zu V. 1084. Von Benjamins Geburt zu Isaaks Tod (V. 1091–1107, Gen 35,16b–29): Unterdessen stirbt Rachel, von großem Schmerz erschöpft, bei der Geburt ihres Sohnes Benjamin. Neben seinen Kindern von rechtmäßigen Müttern hat Jakob auch noch außereheliche gezeugt und Ballas Söhne Dan und Naphthali freiwillig als die seinen anerkannt; weitere gebiert daraufhin Zelpha, nämlich Gad und Ascher (V. 1091–1097). Außerdem wird ihm zuteil, seinen Vater mit seiner so großen Nachkommenschaft wiederzusehen, was, wie er weiß, an seinen Verdiensten noch fehlt. So kann sich sein Vater, der von einer schon alten Mutter geboren worden ist, über zwölf Enkel freuen. Dieser stirbt im Alter von 180 Jahren nach einem langen Leben und verlässt lauter seinen müden Leib, um die himmlischen Wohnungen zu schauen, welche die Klugheit162 gewährt und in denen er, in Ewigkeit auf einem sternenbesetzten Lager ruhend, die weiß gekleideten Gerechten zu sorglosen Freuden einlädt (V. 1098–1107). Wiedergabe von Gen 35,16b– 29 ohne 35,16b–17 (Niederkunft Rachels bei Chabratha auf dem Weg nach Ephratha; während der schweren Geburt tröstet die Hebamme Rachel damit, dass 160 Vgl. V. 1088; nach Vet. Lat. gen. 35,15 lautet dieser (A) Bethel. 161 Nach Herzog 1975, 121 deutet der HD Gn 35,2 in Hinblick auf die Taufe um, indem er an die weißen Gewänder der zeitgenössischen Katechumenen erinnert. 162 Vgl. V. 1105 prudentia; zu einer Diskussion der möglichen Bedeutung dieses Wortes vgl. Homey 2009, 159–161.

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sie einen Sohn haben werde), 35,19–22 (Rachel stirbt und wird am Weg nach Ephratha begraben; Jakob errichtet eine Säule über ihrem Grab; er bricht auf und errichtet sein Zelt jenseits des Turmes von Gader; dort schläft Ruben mit Balla, der Nebenfrau seines Vaters; Jakob hat 12 Söhne), Kürzungen in 35,18 (Rachel nennt ihren Sohn „Sohn meines Schmerzes“, Jakob nennt ihn Benjamin), 35,25 (Balla ist Rachels Sklavin), 35,26 (Zelpha ist Leias Sklavin; Abschluss der Aufzählung: dies sind Jakobs Söhne, die ihm in Mesopotamien in Syrien geboren worden sind), 35,27 (Jakob geht zu Isaak in Mambre, in die Stadt der Ebene, d.h. Hebron); starke Raffung in V. 1093 (eheliche Söhne Jakobs, vgl. 35,23–24: Aufzählung der Söhne Leias und Rachels); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 1091 (Rachel ist von großem Schmerz erschöpft), V. 1094 (Jakob hat auch außereheliche Kinder gezeugt), V. 1095 (Jakob hat seine außerehelichen Söhne freiwillig anerkannt), V. 1098 (der Besuch beim Vater fehlt noch an Jakobs Verdiensten), V. 1100–1101 (der von einer schon alten Mutter stammende Isaak kann sich über zwölf Enkel freuen), V. 1104–1107 (bildhafte Ausmalung von Isaaks Tod und Eingehen ins Jenseits mit Elementen der jüdisch-christlichen Apokalyptik163, gegen 35,29: Isaak stirbt und wird zu seinen Vätern versammelt). Literatur: Herzog 1975, 117–118164 zu V. 1105–1107, Roberts 1985, 185 Anm. 66 zu V. 1104– 1107, Ciarlo 2008, 743 mit Anm. 67 zu V. 1095–1097, Homey 2009, 156–163 zu V. 1100–1107. [In Kanaan geborene Nachkommen Esaus (Gen 36,1–5)] Trennung von Jakob und Esau (V. 1108–1112, Gen 36,6–8): Jakob und Esau stecken ihre Wohnsitze ab und teilen sie auf, da das Gebiet für die wachsende Einwohnerzahl mitsamt den zahlreichen Herden zu eng ist. Nach Kanaan lässt Esau sich nun auf dem Berg Seїr nieder und nimmt, sehr reich geworden, das fruchtbare Land in Besitz. Wiedergabe von Gen 36,6–8; Kürzungen in 36,6 (Esau nimmt seine Frauen, Kinder, Sklaven und seinen ganzen Besitz aus Kanaan mit); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 1108 (die Brüder stecken ihr Wohngebiet ab und teilen es auf), V. 1110 (das Land ist zu eng wegen der wachsenden Einwohnerzahl und den vielen Herden, gegen 36,7: wegen des großen Besitzes der Brüder), V. 1112 (Esau ist sehr reich und nimmt fruchtbares Land in Besitz). Textkritik: V. 1110 multis A multi C multos G. [Weitere Nachkommen Esaus und deren Oberhäupter; die Nachkommen des Chorräers Seїr und deren Oberhäupter (Gen 36,9–43)] Josephs Träume (V. 1113–1146, Gen 37,1–11): Jakob verlässt Kanaan nicht, um sich pflichtbewusst immer an der Sitte seines Vaters zu erfreuen. Dort strahlt sein Sohn Joseph durch seine herausragenden Taten unter seinen Brüdern so deutlich hervor wie der Mond unter den kleinen Sternen am Himmel. Im Alter von siebzehn Jahren hütet er die Tiere seines Vaters, wobei er jünger als alle ehelichen oder außerehelichen, mit Sklavinnen gezeugten Söhne seines Vaters ist165.

163 Vgl. hierzu Homey 2009, 156–163. 164 Auf S. 117 unten muss es statt „Jakob“ „Isaak“ heißen. 165 Vgl. V. 1120–1121. Dabei wird der allerjüngste Sohn Benjamin nicht berücksichtigt.

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Weil er durch seine Jugendfrische unter den Brüdern herausragt166, erregt er in ihnen die Kälte des Neides. Ihn liebt sein Vater besonders unter all seinen Nachkommen und ihn liebkost er aufgrund seines zarten Alters inmitten seiner schon kräftigen Brüder, und damit er unter allen anderen noch mehr auffällt, umwallt ihn ein buntes Gewand (V. 1113–1127). Da Joseph schon von Jugend an Gott dient, träumt er einmal, dass er zusammen mit seinen Brüdern während der Getreideernte mitten auf dem Feld Garben bindet und dass seine Garbe sich aufrichtet und die Garben seiner Brüder vor der seinen niederfallen. Nachdem Joseph diesen Traum mit ruhigen Worten erzählt hat, geraten seine Brüder in Furcht und Unruhe; fürchterlich murrend nennen sie ihn einen König und Herrn und verraten dadurch, dass ihnen für ihr Verbrechen nur noch ein einsamer Ort fehlt (V. 1128–1137). Joseph erzählt seinem Vater in Anwesenheit aller Blutsverwandten noch einen weiteren Traum, wodurch er seine Brüder doppelt zornig macht. Er hat nämlich gesehen, dass die rosenfarbene Sonne, der Mond mit funkelndem Licht167 und elf Sterne aufgehen und sich vor ihm wie vor einem Herrn verneigen. Nachdem sein Vater dies mit feindseliger Miene168 aufgenommen hat, gibt er zu, dass seine Brüder ihn bald voll Furcht werden verehren müssen (V. 1138–1146). Wiedergabe von Gen 37,1–11 ohne 37,6 (Joseph wendet sich an seine Brüder, um den Traum zu erzählen); Kürzungen in 37,2 (Joseph weidet die Schafe mit seinen Brüdern), 37,4 (Josephs Brüder können nichts Friedfertiges zu ihm sagen), 37,11 (der Vater merkt sich Josephs Traum); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 1114 (Jakob bleibt aus Pflichtbewusstsein gegenüber seinem Vater in Kanaan), V. 1115– 1117 (Joseph ragt unter seinen Brüdern durch seine Taten hervor wie der Mond unter den Sternen), V. 1120–1121 (Joseph ist jünger als alle ehelichen und unehelichen Söhne seines Vaters, gegen 37,3: Joseph ist Jakob im Greisenalter geboren worden), V. 1122 (Josephs Jugendfrische als Grund für den Neid der Brüder, gegen 37,4: Grund ist die Liebe des Vaters zu Joseph), V. 1125 (Jakob bevorzugt Joseph aufgrund seiner Jugend, gegen 37,3: weil er ihm im Greisenalter geboren worden ist), V. 1126 (Joseph fällt durch das bunte Gewand noch mehr unter den Brüdern auf), V. 1128 (Joseph hat den Garbentraum, weil er Gott von Jugend an dient), V. 1134 (Joseph hat seinen Traum mit ruhigen Worten erzählt), V. 1135 (Joseph erregt durch seine Traumerzählung Furcht und Unruhe bei seinen Brüdern, gegen 37,8: er erregt noch mehr Hass), V. 1136 (die Brüder nennen Joseph murrend einen Herrn und König, gegen 37,8: die Brüder fragen vorwurfsvoll, ob Joseph etwa über sie herrschen werde), V. 1137 (durch ihr Verhalten verraten die 166 V. 1122 conspicuus [...] virebat bezieht sich im Kontext von V. 1120–1121 offensichtlich auf Josephs Jugend im Vergleich zu seinen älteren Brüdern. 167 Bei V. 1141 roseum und V. 1142 tremulo cum lumine handelt es sich um ausgestaltende Zusätze des HD. 168 Mit obliquo [...] ore in V. 1145 interpretiert der HD offensichtlich die tadelnde Reaktion des Vaters auf diesen Traum (vgl. Vet. Lat. gen. 37,10), durch den die soziale Ordnung verkehrt würde (vgl. Bräumer 2011 (3. Teil), 29); zu obliquus im Sinne von infestus, hostilis vgl. ThlL 9,2 s.v. obliquus 102,69–80. Weniger sinnvoll erscheint die Übersetzung „nachdem sein Vater dies durch die verblümte/mehrdeutige Rede erfahren hatte“, vgl. ebd. 102,25–56 zu obliquus im Sinne von obscurus, obtectus.

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Brüder, dass sie ein Verbrechen planen), V. 1138 (durch seine zweite Traumerzählung macht Joseph seine Brüder doppelt zornig, gegen 37,11: die Brüder beneiden Joseph), V. 1140 (Joseph erzählt den zweiten Traum in Anwesenheit aller Blutsverwandten, gegen 37,9: vor seinem Vater und seinen Brüdern), V. 1145– 1146 (feindselige Miene des Vaters und sein folgendes Bekenntnis, dass die Brüder Joseph werden verehren müssen, gegen 37,10: der Vater tadelt Joseph und fragt vorwurfsvoll, ob etwa er, die Mutter und die Brüder Joseph auf der Erde liegend verehren sollen). Textkritik: V. 1124 tota CG toto A Peiper. Literatur: De Gianni 2015, 50 zu V. 1136. Der Verkauf Josephs durch seine Brüder (V. 1147–1174, Gen 37,12–36): Sogleich gehen die Brüder fort und suchen für die Herden ihres Vaters fruchtbares Weideland. Joseph wird zu ihnen geschickt und irrt im stillen Gestrüpp umher, bis er von einem Mann erfährt, wohin sich seine Brüder nach dem Wechsel ihres Weideplatzes zurückgezogen haben. Die Brüder erkennen Joseph schon von weitem an seinem bunten Gewand und fassen einen unseligen Plan, wobei sie verschiedener Meinung sind. Alle wollen den verhassten Bruder umbringen und behaupten, er sei von wilden Tieren getötet worden; dabei murmeln sie umgestüm die eitlen Worte: „Lasst uns sehen, ob seine Träume seinen Tod abwenden können“ (V. 1147–1157). Der sanftere Ruben aber lehnt mit beschwichtigenden Worten diesen Plan ab und fordert seine mit den Zähnen knirschenden Brüder auf, das Schwert einzustecken, da es besser sei, Joseph in einem Sumpf zu versenken. Sogleich wird Joseph ausgezogen und nackt vom Schilf des Sumpfes eingehüllt. Unterdessen treiben Ismaeliten, die mit arabischen Waren zu handeln pflegen, schwer beladene Kamele vorbei, während sie arabische Ernteerzeugnisse nach Ägypten bringen. Als sein jüngerer Bruder keine Hoffnung mehr hat, sagt Juda, dass es besser sei, Joseph zu verkaufen; Ruben zerreißt sein Gewand (V. 1158– 1166.1169169). Vor dem Vater wird dies geheimgehalten und beim Anblick des mit Blut getränkten Gewandes glaubt er, dass Joseph ohne Hinterlist zu Tode gekommen sei, und legt einen schwarzen170 härenen Mantel an. In seiner Trauer sucht er nach dem verlorenen Sohn171, den längst der Eunuch des Pharaos erworben hat. Dieser pflegt die vergoldeten Tische des Pharaos mit Schüsseln zu beladen und sich am Lärm seiner großen Küche zu freuen (V. 1167–1174). Wiedergabe von Gen 37,12–36 ohne 37,13 (Jakob will Joseph zu seinen Brüdern nach Sichem schicken, Joseph ist bereit), 37,16 (Joseph fragt den Mann, wo seine Brüder die Schafe weiden), 37,19 (die Brüder bezeichnen Joseph als einen Träumer), 37,26 (Juda meint, dass es nichts nütze, ihren Bruder zu töten und sein Blut zu verbergen), 37,28 (die Brüder holen Joseph aus dem Wasserloch und verkaufen ihn den Ismaeliten für 20 Goldstücke; die Ismaeliten bringen ihn nach Ägypten), 27,30 (Ruben kehrt zu seinen Brüdern zurück und beklagt Josephs Fehlen), 37,32 (die Brüder schicken dem Vater das blutige Kleid, das sie angeblich gefunden 169 V. 1169 sollte sinnvollerweise unmittelbar auf V. 1166 folgen (s.u. zur Textkritik). 170 Vgl. V. 1170 nigrantes, ein Zusatz des HD. 171 Vgl. V. 1171 perquirit amissum; gemeint ist in diesen Zusammenhang wohl der Leichnam des angeblich getöteten Joseph.

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haben; er soll sagen, ob es das Kleid seines Sohnes sei), 37,35 (Jakob will sich von seinen Kindern in seiner Trauer um Joseph nicht trösten lassen); Kürzungen in 37,12 (die Brüder gehen mit den Schafen nach Sichem), 37,14 (Joseph soll seinem Vater melden, ob es den Brüdern und Schafen gut geht; er wird aus dem Tal von Hebron nach Sichem geschickt), 37,15 (ein Mann findet den irrenden Joseph und fragt ihn, was er suche), 37,17 (Joseph erfährt von dem Mann, dass die Brüder nach Dothaim gegangen sind, und findet sie dort), 37,18 (die Brüder wollen Joseph töten), 37,20 (die Brüder planen, den Ermordeten in ein Wasserloch zu werfen), 37,21 (Ruben hört den Mordplan der anderen Brüder und bewahrt Joseph davor), 37,22 (Ruben will Joseph befreien und zu seinem Vater zurückbringen), 37,25 (die Brüder setzen sich zum Essen nieder und sehen die Ismaeliten; diese kommen von Gilead und haben Räucherwerk, Pinienharz und Myrrhenöl dabei), 37,27 (Juda rät seinen Brüdern, Joseph den Ismaeliten zu verkaufen und keinen Brudermord zu begehen; die Brüder gehorchen ihm), 37,29 (Ruben kehrt zum Wasserloch zurück und findet Joseph nicht vor), 37,31 (das Blut für das Gewand stammt von einem geschlachteten Ziegenbock), 37,33 (der Vater erkennt das blutige Gewand als das seines Sohnes), 37,34 (Jakob zerreißt sein Gewand, er betrauert Joseph viele Tage), 37,36 (die Ismaeliten haben Joseph an Petephres verkauft); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 1149 (Joseph irrt im stillen Gestrüpp umher, gegen 37,15: auf dem Feld), V. 1152 (die Brüder erkennen Joseph wegen seines bunten Gewandes von weitem), V. 1153 (Zusammenfassung des Folgenden: die Brüder fassen einen unseligen Plan und sind verschiedener Meinung), V. 1156 (eitles Gemurmel der Brüder), V. 1157 (die Brüder wollen sehen, ob Josephs Träume seinen Tod verhindern können, gegen 37,20: sie wollen sehen, was aus seinen Träumen wird), V. 1158 (sanfte Gesinnung Rubens), V. 1160 (Ruben mahnt die Brüder, Joseph in einen Sumpf zu werfen, gegen 37,22: er mahnt sie, ihn in ein Wasserloch in der Wüste zu werfen), V. 1161 (Joseph wird im Schilf des Sumpfes versenkt, gegen 37,24: er wird in ein leeres Wasserloch geworfen), V. 1162 (die Ismaeliten handeln gewohnheitsmäßig mit arabischen Waren, gegen 37,25: es sind ismaelitische Reisende), V. 1165 (Joseph hat keine Hoffnung mehr), V. 1167 (der Verkauf Josephs wird vor dem Vater geheimgehalten), V. 1168 (Jakob schließt aus dem blutigen Kleid, dass Joseph ohne Hinterlist getötet worden sei, gegen 37,33: von einem wilden Tier), V. 1171 (Jakob sucht nach Joseph), V. 1173–1174 (Beschreibung der Tätigkeiten des Oberkochs). Textkritik: V. 1169 iure transtulit ante V. 1167 Mayor 1889, 55 Rubenus ACG Iacobus proposuit Peiper in apparatu. Die Geburt von Phares und Zara (V. 1175–1183, Gen 38,1–30): Unterdessen gebiert Thamar Zwillinge, wobei sie sich an ihrer Schuld freut172. Der Knabe, der als erster geboren werden soll, streckt seine Hand heraus, an welche die Hebamme einen roten Faden bindet; dann zieht er sich wieder in den Bauch zurück 172 V. 1175–1176 [...] dum gaudia culpae / laeta placent [...] ist wohl darauf zu beziehen, dass Thamar sich durch den erlisteten Geschlechtsverkehr mit ihrem Schwiegervater schuldig gemacht hat, dadurch aber zu Mutterfreuden gekommen ist, die ihr lange Zeit nicht vergönnt gewesen sind.

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und es wird sogleich der andere als erster geboren, der von Schicksals wegen der zweite hätte sein sollen. Der eine bekommt den Namen Zara, weil er durch eine Linie unterschieden worden ist, der andere den Namen Phares. Wiedergabe von Gen 38,1–30 ohne 38,1–26 (Juda zeugt mit der Kanaanäerin Sava drei Söhne; er verheiratet seinen erstgeborenen Sohn Er mit Thamar; Er wird aufgrund seiner Bosheit von Gott getötet und Juda lässt seinen Sohn Aunan Thamar heiraten; da Aunan seinem toten Bruder keine Nachkommenschaft gönnt, vergießt er seinen Samen auf die Erde und Gott lässt ihn ebenfalls sterben; Juda will, dass Thamar das Heranwachsen seines dritten Sohnes Selom abwartet, aber er verheiratet sie dann doch nicht mit ihm; um sich Nachkommen zu verschaffen, verkleidet sich Thamar unkenntlich als Prostituierte und verkehrt mit ihrem inzwischen verwitweten Schwiegervater, wodurch sie schwanger wird; sie verlangt von Juda ein Pfand bis zum Eintreffen seiner Bezahlung; da sie wieder ihre Witwenkleider anlegt, findet der Bote, der von Juda mit der Bezahlung zu der vorgeblichen Prostituierten geschickt wird, sie nicht; nach drei Monaten erfährt Juda, dass seine Schwiegertochter durch Prostitution schwanger geworden ist, und verlangt, dass sie verbrannt wird; Thamar schickt ihm das Pfand und lässt ausrichten, dass sie von dessen Besitzer schwanger sei; Juda erkennt, dass Thamar ihm gegenüber im Recht ist, weil er sie nicht mit seinem Sohn Selom verheiratet hat, und verkehrt nicht weiter mit ihr); Kürzungen in 38,29 (Erklärung des Namens Phares im Sinne von Riss); Erweiterungen / inhaltliche Veränderungen: V. 1175–1176 (Thamar freut sich an ihrer Schuld), V. 1181 (der Erstgeborene hätte von Schicksals wegen der zweite sein sollen), V. 1182 (Kennzeichnung Zaras durch den roten Faden als Erklärung für seinen Namen). Literatur: Weymann 1926, 113–114 zu V. 1178, De Gianni 2015, 47 zu V. 1172–1174. Aufstieg und Fall Josephs im Hause des Petephres (V. 1184–1209, Gen 39,1–23): Gottes treuer Schutz bewahrt Joseph und duldet nicht, dass er einem harten Gesetz unterworfen leben muss. Denn Josephs vorher erwähnter Herr überantwortet seinem Diener alles und seine Erwartung wird nicht enttäuscht, denn der gütige Gott mehrt alles, was Joseph in seiner Obhut hat (V. 1184–1188). Aber Joseph behält die Zuneigung des ungnädigen Petephres nicht: Da nämlich seine Augen in seinem schönen Angesicht strahlen173, verlangt seine liebeskranke Herrin danach, mit ihm zu schlafen, doch er versucht, den Greuel zu vermeiden und weigert sich, in maßloser Schuld auf dem geheiligten Bett zu liegen174. Aber die von der verbotenen Leidenschaft vergeblich entflammte Frau sucht nach Gelegenheiten, sich ihm zärtlich anzunähern, und lauert auf günstige Momente. Als sie einmal mit ihm im Haus allein ist, bedrängt sie ihn, zieht ihn an sich und nötigt ihn zum Beilager. Joseph springt auf, streift sein Gewand ab und entgleitet so den Armen seiner Herrin (V. 1189–1199). Daraufhin schreit die Frau, wobei sie aus ihrem Verbrechen Kraft bezieht, dass Joseph im Vertrauen auf seine Attraktivität die Zierde ihrer Sittsamkeit befleckt habe, indem er in der Glut seiner jugendli173 Vgl. V. 1190 fulgerent lumina; das Strahlen der Augen fügt der HD zur Beschreibung von Josephs Schönheit in Vet. Lat. gen. 39,6 hinzu. 174 In V. 1192–1193 expliziert der HD die Schuld des Ehebruchs gegenüber Vet. Lat. gen. 39,9.

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chen Haltlosigkeit versucht habe, das Bett seines Herrn zu besteigen. Sie wendet sich auch in strengem Ton an ihren Ehemann und will den unschuldigen Angeklagten einer ihr gefallenden Strafe unterziehen. Petephres hält das Behauptete für wahr und wirft Joseph ins Gefängnis, wo bereits Diener des Pharaos ihre Strafe absitzen. Doch der Aufseher des Gefängnisses umschmeichelt Joseph bald175 und gibt das Gefängnis in seine Hand, da er erkennt, dass Joseph unschuldig ist (V. 1200–1209). Wiedergabe von Gen 39,1–23 ohne 39,1 (Joseph kommt nach Ägypten, wo Petephres, der Eunuch und Oberkoch des Pharaos, ihn kauft), 39,3 (Petephres erkennt, dass Gott mit Joseph ist und sein Tun gelingen lässt), 39,10 (Joseph hört nicht auf seine Herrin), 39,13 (die Herrin sieht, dass Joseph sein Kleid in ihren Händen zurückgelassen hat und geflohen ist), 39,15–16 (die Herrin behauptet, Joseph sei unter Zurücklassung seiner Kleider geflohen, als sie geschrieen habe; sie behält Josephs Kleid bei sich; ihr Mann kommt nach Hause), 39,23 (der Gefängnisaufseher überantwortet Joseph alles, weil Gott bei ihm ist, und Gott lässt ihm alles gelingen); Kürzungen in 39,2 (Joseph ist ein erfolgreicher Mann), 39,4 (Joseph findet Gnade vor seinem Herrn), 39,6 (Petephres überantwortet Joseph alles und kümmert sich nicht um seine Angelegenheiten), 39,8–9 (Josephs Begründung für seine Ablehnung des Ehebruchs: sein Herr habe ihm alles in seinem Hause anvertraut, nur seine Ehefrau habe er ihm vorenthalten), 39,12 (Joseph verlässt das Haus), 39,14 (die Herrin ruft das Haus zusammen und behauptet, ihr Mann habe den hebräischen Sklaven hergebracht, damit er sein Spiel mit ihr treibe; sie habe geschrieen), 39,19 (Petephres wird zornig über Josephs angebliche Tat), 39,21 (Gott ist mit Joseph und erbarmt sich seiner); starke Raffung in V. 1204 (die Herrin wendet sich in strengem Ton an ihren Ehemann, vgl. 39,17–18: sie berichtet ihrem Ehemann von Josephs angeblichem Annäherungsversuch, dass sie geschrien habe und dass Joseph unter Zurücklassung seines Kleides geflohen sei); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 1185 (Gott will nicht, dass Joseph einem harten Gesetz unterworfen ist), V. 1187 (Petephres’ Erwartung an Joseph wird nicht enttäuscht), V. 1189 (Vorausdeutung: Joseph behält die Zuneigung des Petephres nicht), V. 1191 (die Herrin ist liebeskrank, gegen 39,7: sie wirft ihre Augen auf Joseph), V. 1194–1195 (die in Liebe entflammte Herrin sucht nach günstigen Gelegenheiten der Annäherung), V. 1200 (die Herrin bezieht Kraft aus ihrem Verbrechen), V. 1201–1203 (die Herrin wertet Josephs angebliche Tat moralisch und psychologisch), V. 1205 (die Herrin will den unschuldigen Joseph einer ihr gefallenden Strafe unterziehen), V. 1209 (der Gefängnisaufseher vertraut Joseph, weil er seine Unschuld erkennt). Joseph deutet die Träume des Mundschenks und des Oberbäckers (V. 1210–1244, Gen 40,1–23): Im Gefängnis befinden sich gerade zwei Männer, die der furchterregende Tyrann in seinem Zorn dort eingesperrt hat, und fürchten sich vor ihrer Strafe. Im Schlaf haben sie prophetische Träume. Als Joseph am Morgen sieht, dass sie betrübt sind, fragt er sie nach den Gründen und bringt sie dazu, das Geheime zu erzählen (V. 1210–1216). Sogleich erzählt der Mund175 Vgl. V. 1208 blando [...] pectore mulcet; in Vet. Lat. gen. 39,21 heißt es, dass Gott Joseph die Gunst des Gefängnisaufsehers verschafft.

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schenk176 des Pharaos, er habe von einem belaubten Weinstock mit grünen Zweigen geträumt, der sich dahinrankte und angebunden an seiner Stütze177 hing. Daran seien drei Ranken gewesen und eine rotgelbe Traube mit nektarsüßen Beeren sei daran gehangen. Dann habe der Trinkbecher des Pharaos vom jungen Most geschäumt, den er, der Mundschenk, mit seiner rechten Hand hineingepresst habe, und der Pharao habe den Becher bereitwillig in die Hand genommen und gehalten (V. 1217–1225). Joseph deutet den Traum dahingehend, dass die drei Ranken die drei Tage seien, nach deren Ablauf der Mundschenk die verlorene Gunst des Pharaos zurückerlangen werde178 und wieder den Trank für seinen besänftigten Herrn mischen werde, wie er dies vorhergesehen habe. Als Gegenleistung für seine Verdienste bittet Joseph den Mundschenk, wenn er Mut zum Sprechen gefasst hat, seine unverdiente Strafe aufzuheben. Er sei ein Hebräer, der durch das Verbrechen seiner Brüder ins Ausland verkauft und so entgegen seiner vornehmen Abkunft Sklave geworden sei (V. 1226–1234). Danach erzählt der Oberbäcker seinen Traum, in dem er drei Körbe voll von königlichen und üppigen Speisen179 auf seinem Kopf getragen habe, welche zahllose180 Vögel mit ihren Krallen gepackt und davongetragen hätten. Daraufhin legt Joseph mit zwar wahren, aber harten Worten dar, dass der Oberbäcker bald mit dem Schwert getötet werden müsse und dass sein abgeschlagener Kopf an einem hohen Pfahl befestigt und von den Vögeln mit gekrümmtem181 Schnabel zerfleischt werden müsse. Alles, was Joseph gesagt hat, erfüllt sich, und so wird der Mundschenk bald wieder in sein Amt eingesetzt, während der Oberbäcker geköpft wird (V. 1235–1244). Wiedergabe von Gen 40,1–23 ohne 40,1 (der Obermundschenk und der Oberbäcker vergehen sich vor dem Pharao), 40,4 (der Gefängnisaufseher übergibt den Obermundschenken und den Oberbäcker der Obhut Josephs, welcher ihnen beisteht; sie sind lange in Haft), 40,20 (nach drei Tagen hat der Pharao Geburtstag und veranstaltet für seine Diener ein Mahl, dabei erinnert er sich an das Amt des Mundschenken und des Oberbäckers), 40,23 (der Mundschenk vergisst Joseph); Kürzungen in 40,2 (es handelt sich um zwei Eunuchen des Pharaos, den Obermundschenken und den Oberbäcker), 40,5 (beide träumen in ein und derselben Nacht), 40,8 (der Obermundschenk und der Oberbäcker sagen, dass es niemanden gebe, der ihre Träume deuten könne; Joseph sagt, dass die Deutung durch Gott geschehe, und veranlasst sie so zum Erzählen), 40,16 (der Oberbäcker erkennt, das Joseph den Traum 176 Vgl. V. 1217 qui vina dabat consueta tyranno; genau genommen handelt es sich um den obersten Mundschenk, vgl. Vet. Lat. gen. 40,9. 177 Mit suo de verbere in V. 1220 ist offensichtlich der stützende Stock gemeint, an dem die Weinrebe gezogen wird. Belege für diese Bedeutung von verber konnten allerdings nicht ermittelt werden, und Mayor 1889, 56 beschränkt sich auf den Hinweis, dass der hier vorliegende Gebrauch von verber selten sei. 178 Der HD betont in V. 1228 das Wiedergewinnen der königlichen Gunst, während in Vet. Lat. gen. 40,13 die Wiedereinsetzung ins Mundschenkenamt betont wird. 179 Vgl. V. 1237; nach Vet. Lat. gen. 40,17 handelt es sich um alle Arten von Backwerk für den König; dieses befindet sich im obersten Korb. 180 Vgl. V. 1238 innumerae, ein ausmalender Zusatz des HD. 181 Vgl. V. 1242 curvo G.

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des Mundschenken richtig gedeutet hat), 40,18–19 (die drei Körbe stehen für drei Tage bis zur Hinrichtung des Oberbäckers); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 1212 (die beiden Gefangenen fürchten sich vor ihrer Strafe), V. 1214 (es handelt sich um prophetische Träume), V. 1220–1221 (Beschreibung des sich rankenden Weinstocks an seiner Stütze), V. 1222 (rotgelbe Farbe und Süße der reifen Traube), V. 1224 (der Kelch schäumt von jungem Most), V. 1230 (Joseph betont seine Verdienste gegenüber dem Mundschenken), V. 1231 (wenn der Mundschenk Mut zum Sprechen gefasst hat, soll er sich beim Pharao für Joseph einsetzen, gegen 40,14: wenn es dem Mundschenken gut geht), V. 1233 (Joseph ist von seinen Brüdern ins Ausland verkauft und trotz vornehmer Herkunft zum Sklaven geworden, gegen 40,15: er ist aus seiner Heimat entführt worden), V. 1238 (die Vögel packen die Speisen mit ihren Krallen und tragen sie fort, gegen 40,17: die Vögel fressen die Speisen aus dem obersten Korb), V. 1239 (Joseph sagt dem Oberbäcker wahre, aber harte Worte), V. 1241–1242 (der Kopf des Oberbäckers soll an einen Pfahl geheftet und zerfleischt werden, gegen 40,19: der geköpfte Leichnam), V. 1243 (Zusammenfassung des Folgenden: alles, was Joseph vorausgesagt hat, erfüllt sich), V. 1244 (der Oberbäcker wird geköpft, gegen 40,22: aufgehängt). Textkritik: V. 1239 loquendo Peiper loquentem A loquente G; V. 1242 curvo G turvo A torvo Peiper (VV. 1184–1498 desunt in C). Literatur: De Gianni 2015, 47–48 zu V. 1237. Joseph deutet die Träume des Pharaos (V. 1245–1284, Gen 41,1–36): Nach Ablauf von zwei Jahren hat der Pharao folgenden Traum: Während er den lieblichen Fluss betrachtet, sieht er sieben junge, wohlgenährte Kühe das üppige Gras am grünen Ufer182 abweiden. Zu diesen treten andere, die von Magerkeit entstellt sind, und während sie kraftlos – was für ein Wunder! – kaum an ihren Knochen haften, verschlingen sie mit offenem Maul die schönen Kühe. Darauf folgt ein gleichartiger Traum mit den gleichen Ursachen, in dem der Pharao sieben Ähren an einem fruchtbaren Halm sieht und andere, die dünn und leer sind und – wie schrecklich! – gleichsam die vollen Ähren auffressen (V. 1245–1257). In seiner Betrübnis behält der Pharao diesen Traum nicht für sich, sondern lässt beunruhigt alle Kundigen kommen und fragt sie nach dem Sinn der verschlüsselten Träume. Als die befragten ägyptischen Weissager schweigen, erwähnt der längst aus dem Gefängnis entlassene Mundschenk183, dass er gemäß der Offenbarung Josephs seine verlorene Stellung wiedererlangt habe und dass sein Gefährte getötet worden sei (V. 1258–1264). Daraufhin werden Leute geschickt, die Joseph, der nunmehr von dem so schweren184, schändlichen Vorwurf befreit ist, schnell aus dem Kerker holen sollen und ihm wieder zu seiner früheren Schönheit verhelfen sollen, indem sie seine entstellten Wangen und seine in der Haft gewachsenen Haare scheren. Nach seinem Rat gefragt185 erklärt der Rechtschaffene, 182 183 184 185

Vgl. V. 1250 viridi […] ripa G. Vgl. V. 1262, ein rekapitulierender Zusatz des HD. Vgl. V. 1265 tanto A. Vgl. V. 1269 consultus. Der HD verweist damit in äußerster Knappheit auf die vorausgehende Traumerzählung des Pharaos vor Joseph (Vet. Lat. gen. 41,15–24), die er auslässt.

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dass die Kühe auf Jahre verweisen und dass die leichten Ähren186 sieben Jahre bedeuten. Die Zeichen würden dergestalt eintreten, dass die Erde sieben Jahre lang sehr fruchtbar sein werde, und es werde eine furchtbare Hungersnot von gleicher Dauer eintreten und die in ihrem Innersten ausgedörrte Erde werde mit dürstenden Adern die bleichen Halme in den staubigen Ackerfurchen hinschwinden lassen. Denn doppelt aufeinanderfolgende Träume lasse Gott sicher feststehen187 (V. 1265–1278). Dann rät Joseph dem Pharao, solange noch Zeit ist und Abhilfe geschaffen werden kann, einen führenden Mann auszuwählen, der über das Bevorstehende informiert ist und unter Einsetzung von Richtern188 ganz Ägypten leiten und den fünften Teil von jeder Ernte eintreiben soll, damit der Vorrat, der während der Phase der Fruchtbarkeit von der Erde geliefert wird, in den unfruchtbaren Jahren als Nahrung dient, wenn die Feldfrüchte aufgebraucht sind (V. 1279–1284). Wiedergabe von Gen 41,1–36 ohne 41,10–12 (der Mundschenk erzählt vor dem Pharao, dass er und der Oberbäcker vom Pharao inhaftiert worden seien und beide in derselben Nacht einen Traum gehabt hätten; ein hebräischer Sklave des Oberkochs sei mit ihnen in Haft gewesen und habe ihre Träume gedeutet), 41,15–24 (da der Pharao gehört hat, dass Joseph Träume deuten könne, erzählt er ihm seine beiden Träume, die niemand hat deuten können), 41,28 (Gott hat dem Pharao durch die Träume die Zukunft gezeigt), 41,31 (das Gedeihen wird im Land nicht wiedererkannt werden aufgrund der folgenden schlimmen Hungersnot); Kürzungen in 41,2 (im Traum steigen die Kühe aus dem Fluss), 41,3 (sieben hässliche Kühe steigen hinter den schönen aus dem Fluss und weiden neben ihnen), 41,4.7 (der Pharao steht vom Schlaf auf), 41,6 (sieben dürre Ähren), 41,9 (der Mundschenk sagt, er erinnere sich heute an sein Vergehen gegen den Pharao), 41,14 (Joseph erhält ein neues Kleid und kommt zum Pharao), 41,25 (Joseph erklärt dem Pharao, dass es sich um einen einzigen Traum handle und dass Gott ihm darin die Zukunft gezeigt habe), 41,26–27 (die Kühe stehen jeweils für sieben Jahre, die vollen und die leeren Ähren stehen jeweils für sieben Jahre), 41,32 (Gott wird das Geträumte schnell wahr werden lassen), 41,35 (das Getreide soll in der Hand des Pharaos gesammelt und in den Städten aufbewahrt werden), 41,36 (das Land wird nicht durch den Hunger vernichtet werden); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 1252 (die mageren Kühe haften erstaunlicherweise kaum an ihren Knochen), V. 1254 (der zweite Traum ist gleichartig und hat die gleiche Ursache), V. 1257 (Schrecklichkeit des zweiten Traumes), V. 1265 –1266 (Joseph ist nunmehr von dem schändlichen Vorwurf befreit), V. 1267–1268 (Josephs frühere Schönheit soll wiederhergestellt werden), V. 1275–1276 (Beschreibung der Dürre, gegen 41,30: man wird in ganz Ägypten das Gedeihen ver186 Vgl. V. 1271 leves spicas, d.h. die Ähren ohne Körner. 187 Was mit V. 1278 iuncto [...] tonante G bzw. cuncto [...] tonante A gemeint sein soll, ist nicht klar, vgl. auch Mayor 1889, 59. An der entsprechenden Stelle in der biblischen Vorlage (Vet. Lat. gen. 41,32) heißt es, Gott werde sich beeilen, die Träume in die Tat umzusetzen. 188 Der Begriff iudicibus in V. 1281 steht hier für die Distriktgouverneure, vgl. Vet. Lat. gen. 41,34 (S) satrapes locorum bzw. (I) locorum principes; laut Blaise s.v. iudex 478 unter 4. wird iudex im christlichen Latein für verschiedene führende Beamte mit richterlicher Gewalt verwendet.

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gessen und der Hunger wird das Land aufzehren), V. 1279 (der Pharao soll handeln, solange noch Zeit ist). Textkritik: V. 1250 viridi [...] ripa G Mayor viridis [...] ripis A Peiper; V. 1265 tanto A toto G Peiper; V. 1272 digestis Peiper, qui Arevalum secutus est de gestis AG; V. 1274 signat A gignat G; V. 1278 iuncto [...] tonante G cuncto [...] tonante A iuncto [...] tenore Mayor 1889, 59 (VV. 1184–1498 desunt in C). Literatur: Roberts 1985, 117 zu V. 1269. Josephs Erhöhung durch den Pharao (V. 1285–1306, Gen 41,37–57): Josephs Worte finden Beifall bei den Vornehmsten189 und der nun endlich beruhigte Pharao verleiht ihm, weil er die Wahrheit spricht, eine hohe Auszeichnung und lässt ihn als Wesir190 durch alle Städte ziehen. Dann steckt er Joseph einen funkelnden Ring an den Finger, bekleidet ihn mit einem Kleid aus feinem Leinen und einem safranfarbenen Prachtgewand und legt ihm eine goldene Kette um den Hals. Als neuer Herrscher ragt Joseph auf einem Wagen191 noch höher heraus und ein laut schreiender Herold vermehrt den Schrecken, den er als Richter verbreitet. Er wird mit Asenneth, der Tochter des aus vornehmer Familie stammenden Priesters Petephres, verheiratet, von der er sogleich Vater zweier Kinder wird: Der ältere Sohn wird Manasse genannt, der jüngere Ephraim (V. 1285–1297). Auf einem erhöhten Sitz treibt Joseph so viele Nahrungsmittel ein, wie während der Hungerzeit kaum aufgegessen werden können, und hält die Speicher gefüllt192, damit er dann, wenn die Situation es erfordert, das beiseite geschaffte Getreide an alle Bittsteller verteilen kann. Als später eine schlimme Hungersnot überall auf der Erde die beunruhigten Menschen dazu zwingt, alles nur irgend Essbare zu essen, schreit das Volk laut und verlangt vom Pharao Nahrung. Dieser weist Joseph an, den Betrübten Getreide zu geben, und Joseph gehorcht und sättigt alle zu ihrem Jubel (V. 1298–1306). Wiedergabe von Gen 41,37–57 ohne 41,38 (der Pharao sagt zu seinen Dienern, dass Joseph vom Geist Gottes erfüllt sei), 41,44 (der Pharao sagt, dass ohne Joseph niemand in ganz Ägypten die Hand erheben werde), 41,46–47 (Joseph ist 30 Jahre alt und zieht durch ganz Ägypten; während der folgenden sieben Jahre bringt die Erde viel Getreide hervor), 41,53 (die sieben fruchtbaren Jahre vergehen), 41,57 (alle Gegenden der Erde kommen nach Ägypten zu Joseph); Kürzungen in 41,42 (der Pharao nimmt den Ring von seiner eigenen Hand), 41,43 (der Pharao setzt Joseph über ganz Ägypten), 41,45 (der Pharao nennt Joseph Psonthomphanech; Petephres ist Priester von Heliopolis), 41,51–52 (Erklärung der Namen Manasse und Ephraim), 41,54 (in Ägypten gibt es Brot), 41,55 (ganz Ägypten leidet an Hunger), 41,56 (im ganzen Land herrscht Hunger, Joseph öffnet die Speicher und verkauft Getreide); starke Raffung in V. 1287 (der Pharao verleiht Joseph eine hohe Auszeichnung, vgl. 41,40: der Pharao setzt Joseph über sein ganzes Haus, auf ihn wird das ganze Volk hören, der Pharao ist ihm nur durch den Thron überlegen); Erweiterungen/inhaltliche 189 190 191 192

Vgl. V. 1285 procerum; nach Vet. Lat. gen. 41,37 sind es der Pharao und seine Diener. Vgl. V. 1288 praefectum. Vgl. V. 1292; nach Vet. Lat. gen. 41,43 handelt es sich um den Zweitwagen des Pharaos. Vgl. V. 1300; genauer heißt es in Vet. Lat. gen. 41,48, dass Joseph in den Städten die Früchte der umliegenden Felder einlagert.

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Veränderungen: V. 1286 (der Pharao ist endlich beruhigt), V. 1287 (Joseph wird vom Pharao zum Wesir ernannt, weil er die Wahrheit spricht, gegen 41,39: weil Gott ihm all dies offenbart hat und es somit keinen weiseren Mann als ihn gibt), V. 1288 (der Pharao lässt Joseph als Wesir durch alle Städte ziehen, gegen 41,41: er setzt ihn über ganz Ägypten), V. 1290 (der Pharao bekleidet Joseph zusätzlich mit einem safranfarbenen Prachtgewand), V. 1292 (Joseph ist der „neue Herrscher“), V. 1293 (der schreiende Herold mehrt Josephs Schrecken als Richter), V. 1295 (vornehme Herkunft des Priesters Petephres), V. 1296 (Joseph wird sogleich Vater, gegen 41,50: vor den sieben Hungerjahren), V. 1298 (Joseph sitzt auf einem erhöhten Sitz), V. 1300–1301 (Zweck der Getreideeinlagerung ist, dass Joseph im Bedarfsfall allen Getreide geben kann), V. 1303 (der Hunger zwingt die Menschen, alles irgendwie Essbare zu essen), V. 1305–1306 (der Pharao befiehlt Joseph, den Menschen Getreide zu geben, und Joseph gehorcht, gegen 41,55: der Pharao befiehlt den Menschen, zu Joseph zu gehen und ihm zu gehorchen), V. 1306 (Jubel der von Joseph Gesättigten). Textkritik: V. 1298 exegit Mayor 1889, 60 exigit cum spatio duarum litt. vacuo A exgit G exigit hinc Peiper; V. 1299 adsumere AG absumere Mayor 1889, 60, qui Arevalum secutus est; V. 1306 qui Peiper, qui Mayorem secutus est que AG (VV. 1184–1498 desunt in C). Die erste Reise von Josephs Brüdern nach Ägypten (V. 1307–1348, Gen 42,1–28): Unterdessen schickt Jakob, nachdem er bereits den Tod seines Sohnes beweint hat, zehn junge Männer von seiner zahlreichen Nachkommenschaft aus, damit sie in weiter Ferne193 Getreide kaufen. Seinen jüngsten Sohn Benjamin lässt er nicht mitgehen, damit er nicht aufgrund seiner geringen Kräfte an der harten Strapaze scheitert. Bei ihrer Ankunft in Ägypten fallen die Brüder Joseph zu Füßen und begrüßen ihn, wobei sie ihn auf seinem hohen Sitz bewundern, doch sie erkennen ihn nach der langen Zeit nicht wieder. Nachdem Joseph sie aufgrund seines guten Gedächtnisses erkannt hat, schreit er sie an und erschreckt sie durch seine laute Stimme, wobei er behauptet, sie seien gekommen um auszukundschaften, was für ein Vorrat an Feldfrüchten vorhanden sei und welche mächtigen Männer das Land beherrschten (V. 1307–1319). Die Brüder bekräftigen, dass sie keine List im Schilde führen, und erzählen, dass sie einst zwölf gewesen seien und unter der Gewalt eines Vaters ein prächtiges Haus bewohnt hätten; der jüngste Sohn sei auf dem Landgut des Vaters geblieben und ein weiterer Sohn habe vor langer Zeit einen zu raschen Tod gefunden194. Sie seien auf der Flucht vor der schlimmen Hungersnot und voller Hass auf das Land Kanaan, das die Samen zu dürftigem Ertrag verurteile, und wollten Waren und Getreide195 kaufen (V. 1320– 1327). Daraufhin schwört Joseph beim Namen des Pharao, dass sie in Haft bleiben müssten, bis sie den Sohn, der sich in der Obhut ihres Vaters befinde, her-

193 Vgl. 1309 longinqua, d.h. in Ägypten (Vet. Lat. gen. 42,2). 194 Vgl. V. 1324 celeri A; Best 1891, 8 erklärt celeri im Sinne von praematurus. 195 Vgl. V. 1327 species und farra; in LXX gen. 42,10 (die Vetus Latina ist hier nicht bezeugt) ist von Nahrung (brvßmata) die Rede.

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brächten. So werden sie drei Tage lang196 alle zusammen in Haft gehalten, dann aber bis auf einen freigelassen. Von heimlichem Schmerz gequält stellen sie fest, wie gerecht die Gefahr ist, die ihnen erwächst, denn nachdem sie ihren unschuldigen Bruder verbotenerweise verkauft haben, werden sie jetzt, wenn auch erst spät, bestraft. Ruben verschlimmert dies noch durch seine Worte, indem er die Wahrheit sagt, dass nämlich gegen seinen Willen ein ungeheuerliches Verbrechen begangen worden ist. Durch diese Worte wird Josephs Herz erweicht und als er den Wortwechsel seiner Brüder mitbekommt197, wendet er sich schweigend198 ab und weint (V. 1328–1340). Unterdessen wird Simeon aus der Schar seiner Brüder in Gewahrsam genommen als treuer Bürge für alle Fortgehenden. Diese nehmen das Getreide, um das sie gebeten haben, und ihre Maultiere199 werden schwer beladen. Mitten auf dem Weg öffnet einer seinen Getreidesack, findet dort Geld vor und zeigt es seinen Brüdern. Alle tun es ihm gleich, finden ebenfalls Geld und preisen voll Verwunderung den Wesir um die Wette (V. 1341–1348). Wiedergabe von Gen 42,1–28 ohne 42,1 (Jakob erfährt, dass in Ägypten Getreide verkauft wird), 42,3 (Josephs Brüder ziehen nach Ägypten, um Getreide zu kaufen), 42,12 (Joseph beharrt darauf, dass die Brüder Spione seien), 42,14–15 (Joseph bekräftigt nochmals, dass die Brüder Spione seien; er will sie auf die Probe stellen, indem er sie festhält, bis der jüngste Bruder kommt), 42,20 (die Brüder sollen den jüngsten Sohn bringen, damit sie Glauben finden, sonst sollen sie sterben), 42,23 (die Brüder wissen nicht, dass Joseph sie versteht, da sie sich mittels eines Dolmetschers unterhalten), 42,25 (Joseph lässt die Säcke der Brüder mit Getreide füllen, jedem sein Kaufgeld zurückgeben und ihnen Reiseproviant mitgeben); Kürzungen in 42,5 (Jakobs Söhne gehen zusammen mit anderen Wanderern, da Hunger in Kanaan herrscht), 42,6 (Joseph ist der Regierende des Landes und verkauft dem ganzen Volk Nahrung), 42,7 (Joseph erfragt von den Brüdern, woher sie kommen), 42,8 (Joseph erkennt seine Brüder), 42,9 (Joseph denkt an seine Träume), 42,10 (die Brüder weisen den Spionagevorwurf von sich), 42,11 (die Brüder erklären, dass sie friedfertig seien), 42,16 (einer der Brüder soll den jüngsten holen; falls die Brüder gelogen haben, sollen sie als Spione gelten), 42,24 (nach dem Weinen tritt Joseph wieder zu seinen Brüdern), 42,27 (einer der Brüder öffnet den Sack, um die Esel zu füttern; das Geld findet sich an der Öffnung des Sackes), 42,28 (der Bruder identifiziert das Geld als das zurückgegebene Kaufgeld; alle fürchten sich und fragen sich, warum Gott ihnen das angetan habe); starke Raffung in V. 1332 (die Brüder werden freigelassen bis auf einen, vgl. 42,18–19: Joseph sichert den Brüdern zu, dass sie am Leben bleiben werden, wenn sie das Verlangte tun, da er Gott fürchte; unter der Bedingung, dass sie friedfertig sind, sollen alle Brüder bis auf einen frei sein und ihr gekauftes Getreide nach Hause 196 Vgl. V. 1331 trina [...] sub cura, eigentlich „unter dreifacher Obhut“; dass drei Tage gemeint sind, geht aus LXX gen. 42,17 hervor (die Vetus Latina ist hier nicht bezeugt). 197 Vgl. V. 1339 germana et iurgia noscens, und zwar ohne Wissen seiner Brüder, die aufgrund des Dolmetschers meinen, Joseph verstehe ihre Sprache nicht (Vet. Lat. gen. 42,23). 198 Vgl. V. 1340 luminibus tacitis, ein Zusatz des HD. 199 Vgl. V. 1344 muli; nach Vet. Lat. gen. 42,26 sind es Esel.

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bringen); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 1307 (Jakob hat Josephs Tod bereits beweint), V. 1310 (Jakob lässt seinen jüngsten Sohn nicht mitgehen), V. 1314 (Josephs Brüder bewundern ihn auf seinem hohen Sitz), V. 1315 (Josephs Brüder erkennen Joseph nach der langen Zeit nicht), V. 1316 (Joseph erkennt seine Brüder aufgrund seines guten Gedächtnisses), V. 1317 (Joseph schreit seine Brüder an und erschreckt sie mit seiner lauten Stimme, gegen 42,7: Joseph gibt sich ihnen gegenüber fremd und redet hart mit ihnen), V. 1318–1319 (Joseph unterstellt den Brüdern, sie wollten den Nahrungsvorrat und die Herrscher des Landes ausspionieren, gegen 42,9: die Pfade des Landes), V. 1322 (Herkunft der Brüder aus einem prächtigen Haus, gegen 42,13: aus Kanaan), V. 1324 (der andere Bruder sei vor langer Zeit allzu früh gestorben), V. 1325– 1326 (die Brüder sind auf der Flucht vor der Hungernot und voll Hass auf das unfruchtbare Kanaan), V. 1333–1334.1336 (verborgener Schmerz der Brüder angesichts ihrer gerechten, späten Strafe), V. 1335 (die Brüder erkennen ihre Schuld darin, dass sie Joseph verkauft haben, gegen 42,21: dass sie sein Flehen nicht erhört haben), V. 1339 (Joseph wird durch das Mithören der Worte seiner Brüder erweicht), V. 1342 (Simeon bürgt für die restlichen Brüder), V. 1347 (auch die anderen Brüder finden das Kaufgeld, vorgezogen aus 42,35), V. 1348 (angesichts des gefundenen Geldes wundern sich die Brüder und preisen den Wesir, gegen 42,35: sie fürchten sich). Textkritik: V. 1322 his AG ex his Mayor 1889, 61, qui Arevalum secutus est; V. 1324 celeri A Mayor 1889, 61 celibri G celebri Peiper; V. 1342 obeuntibus A200 rediuntibus G; V. 1344 invento A imento G immenso Martenius et Mayor 1889, 62 (VV. 1184–1498 desunt in C). Literatur: Best 1891, 7–8 zu V. 1324201. Rückkehr von Josephs Brüdern nach Kanaan (V. 1349–1359, Gen 42,29– 38): Schon betreten sie das väterliche Haus und der Vater beglückwünscht sie zu ihrer Rückkehr und vermisst den einen. Er erfährt alles, nimmt das Geld und das geschenkte Getreide202 und klagt, dass bereits ein anderer Sohn nicht mehr da ist. Als dann die Lebensmittel und das Getreide aufgezehrt sind203, wird der Kauf neuer Nahrung erforderlich, aber keiner will zurück nach Memphis reisen, wenn der Vater nicht den jüngsten Bruder mitgehen lässt. Da Jakob sich unter Klagen weigert, diesen irgendwohin gehen zu lassen, verlangt Ruben mit vertrauenswürdigen Worten seinen Bruder und vertraut seinem Vater im Gegenzug furchtlos seine eigenen beiden Kinder an. Wiedergabe von Gen 42,29–38 ohne 42,30–35 (die Brüder erzählen dem Vater von ihrer Abmachung mit Joseph, um ihre Unschuld zu erweisen; sie und ihr Vater finden auch in den anderen Säcken das Kaufgeld und geraten in Furcht [teilweise vorgezogen in V. 1347]); Kürzungen in 42,29 (Überleitung zur Erzählung der Söhne), 42,36 (Jakob wirft seinen Söhnen 200 Das absolut verwendete Verbum obire ist hier offensichtlich im Sinne von abire verwendet, vgl. ThlL 9,2 s.v. obeo 49,50 ad loc. 201 Der Vers ist dort versehentlich mit 1234 bezeichnet. 202 So ist V. 1351 dona offensichtlich aufzufassen, da ja der Kaufpreis für das Getreide zurückgegeben worden ist. 203 Vgl. V. 1353 tum Mayor und adfecta A (s.u. zur Textkritik).

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vor, ihn kinderlos gemacht zu haben, da Joseph und Simeon nicht mehr da seien und sie ihm Benjamin wegnehmen wollten); starke Raffung in V. 1357 (Jakob klagt vor seinen Söhnen, vgl. 42,38: ein Sohn sei tot, Benjamin allein bleibe ihm übrig; Benjamin könnte auf dem Weg von einer Schwäche befallen werden; er selbst werde voll Kummer sterben); Zusatz aus 43,2 (das Aufzehren des Getreides macht einen neuen Nahrungskauf erforderlich, V. 1353–1354) und 43,5 (keiner will nach Ägypten zurückkehren ohne Benjamin, V. 1355–1356); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 1350 (der Vater beglückwünscht die Söhne zu ihrer Rückkehr und fragt nach dem einen fehlenden), V. 1351 (Jakob nimmt das Geld und das geschenkte Getreide), V. 1357–1359 (auf Jakobs Weigerung folgt Rubens Angebot, gegen 42,37–38: nach Rubens Angebot beharrt Jakob auf seiner Weigerung), V. 1359 (Ruben vertraut dem Vater furchtlos seine beiden Kinder an, gegen 42,37: Ruben fordert seinen Vater auf, seine beiden Kinder zu töten, falls er Benjamin nicht wieder zurückbringt). Textkritik: V. 1353 tum Mayor 1889, 62 cum AG Peiper | adfecta A Mayor 1889, 62, cf. Hey 1905, 44–45 advecta G Peiper; V. 1355 Memphis204 Peiper memfis AG Memphim Peiper proposuit in apparatu (VV. 1184–1498 desunt in C). Literatur: Hey 1905, 44–45 zu V. 1353. Die zweite Reise von Josephs Brüdern nach Ägypten (V. 1360–1399, Gen 43,1–34): Juda fährt fort und ruft, dass er nicht nach Ägypten zurückkehren könne, wobei er sich auf die Worte des unerbittlichen Joseph beruft205. Schließlich lässt sich der alte Vater erweichen und gibt Benjamin unter vielen Tränen heraus. So brechen die Söhne auf und nehmen mild duftenden Weihrauch206, Räucherwerk, Myrrhenöl, Terebinthenfrüchte und Honig207 mit sowie die doppelte Geldsumme für den Fall, dass es sich bei den in den verschlossenen Säcken verborgenen Münzen um einen Irrtum handelt (V. 1360–1368). Sobald Joseph sie in seinem Palast gesehen hat, ordnet er an, dass sie ein frohes Mahl mit ihm halten sollen. Doch sie kommen unter Murmeln und vermuten mit unruhigem Schuldbewusstsein, dass sie in hinterhältiger Absicht eingeladen worden seien, weil sie die Sesterzen, die sie zuerst Joseph gezahlt hatten und die dann in ihre Säcke gelegt worden waren, nicht hätten zurückgeben können. Sie erklären, dass sie alles vollständig zurückbrächten und nicht von unterschlagenem Geld zu leben pflegten. Doch ein Diener hält sie von solchen Reden ab und versichert, er wisse, dass er um kein Geld betrogen worden sei; wenn irgendwelche günstigen Umstände ihnen einen Gewinn geschenkt hätten, dann nenne niemand dies sein oder Josephs oder des Pharaos Eigentum (V. 1369–1380). Simeon kommt ihnen entgegen, und während der Diener208 ihnen Wasser und den Maultieren Futter gibt, tritt 204 Memphis lässt sich als Dativ des Ziels auffassen, vgl. KS II,1, 320 § 76 unter f. 205 Vgl. V. 1361 rigidi [...] verba Iosepi, nämlich dass sie ihn nicht zu Gesicht bekommen werden, wenn nicht ihr jüngster Bruder mitkommt (Vet. Lat. gen. 43,5). 206 Vgl. V. 1364 tura; nach Vet. Lat. gen. 43,11 handelt es sich um Pinienharz ((E) resinae). 207 Die Nüsse (vgl. Vet. Lat. gen. 43,11) erwähnt der HD nicht. 208 Praebet in V. 1382 ist sinnvollerweise nicht auf den unmittelbar zuvor genannten Simeon (V. 1381) zu beziehen, sondern auf den zuvor redenden Diener. In Vet. Lat. gen. 43,24 ist aus den Pluralformen (S) adtulerunt und dederunt zu schließen, dass (nicht näher genannte) Diener Wasser und Futter bringen, in der LXX ist es der zuvor redende Hausvorsteher.

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Joseph umringt von zahlreichen Soldaten ein, woraufhin seine Brüder ihre ehrfürchtigen Geschenke hervorholen. Nachdem Joseph mit allen freundlich gesprochen hat, fragt er, ob ihr Vater bei Kräften sei, und erfährt, dass er wohlbehalten sei und dass es ihm gut gehe. Daraufhin bekräftigt er, dass Jakob für dieses Geschenk des Lebens209 Gott anhänge und immer am Rechten festhalte (V. 1381– 1389). Als ob Benjamin ihm nicht bekannt sei, fragt er seine Brüder nach ihm und erkennt ihn doch sogleich, dann erbittet er von Gott alles Gute zum Ruhm des Knaben. Doch er kann seine Klage und seine Tränen nicht zurückhalten und zieht sich, bedrückt durch die zärtliche Regung seines Herzens, in seine Gemächer zurück und sucht Linderung für seinen übergroßen Schmerz. Später legt er sich zu Tisch und seine Diener tragen das Essen auf. Beim Essen versucht er seine Brüdern durch leutselige Gespräche zu gewinnen und hat seine Freude darin, ihnen einzeln Portionen vorzusetzen, wobei er für den einen Bruder210 eine größere Portion bestimmt (V. 1390–1399). Wiedergabe von Gen 43,1–34 ohne 43,1 (Hungersnot), 43,2 (nach dem Aufzehren des Getreides will Jakob seine Söhne wieder zum Getreidekauf schicken; vorgezogen in V. 1353–1354), 43,3–4 (Juda erinnert an Josephs Worte, dass sie sein Angesicht nicht sehen würden, wenn sie ihm nicht Benjamin brächten; wenn Jakob Benjamin mitschicke, würden sie gehen und Getreide kaufen), 43,6–10 (Jakob wirft seinen Söhnen vor, ihren Bruder Benjamin vor dem Wesir erwähnt zu haben, die Söhne rechtfertigen sich; Juda drängt auf die Herausgabe Benjamins und verbürgt sich für seine Rückkehr; er mahnt zur Eile), 43,17 (der Hausvorsteher führt die Brüder ins Haus), 43,19–20 (die Brüder wenden sich an den Hausvorsteher und beginnen ihren Bericht von ihrer ersten Reise zum Zweck des Getreidekaufs), 43,22 (die Brüder erklären, dass sie weiteres Geld für den Getreidekauf mitgebracht haben und nicht wissen, wer ihnen das Kaufgeld in die Säcke zurückgelegt habe), 43,25 (die Brüder machen in Erwartung Josephs ihre Geschenke bereit), 43,31 (Joseph wäscht sich das Gesicht, beherrscht sich und lässt Brot auftragen), 43,33 (die Brüder setzen sich ihrem Alter entsprechend vor Joseph hin und fürchten sich); Kürzungen in 43,18 (die Brüder befürchten, zusammen mit ihren Eseln versklavt zu werden), 43,21 (die Brüder erzählen dem Hausvorsteher, dass sie bei ihrer Rückkehr ihr Kaufgeld in den Säcken gefunden haben), 43,26.28 (die Brüder fallen vor Joseph nieder), 43,32 (die Diener tragen das Essen für Joseph, die Brüder und die mitessenden Ägypter getrennt auf, da die Ägypter nicht mit den Hebräern essen können), 43,34 (Benjamins Portionen sind fünfmal so groß wie die der anderen; die Gäste betrinken sich mit Joseph); starke Raffung in V. 1370 (Joseph ordnet an, dass seine Brüder mit ihm Mahl halten sollen, vgl. 43,16: er befiehlt seinem Hausvorsteher, die Brüder ins Haus zu führen, Tiere zu schlachten und zuzubereiten, da er mit den Männern zu Mittag essen wolle); Kontamination in V. 1364–1368 (die Söhne nehmen die Geschenke und das doppelte Kaufgeld mit, vgl. 43,11–12: Jakob trägt den 209 Ich beziehe pro munere vitae in V. 1388 sinngemäß auf vivere recte in V. 1387. Joseph scheint hier anzudeuten, dass der Vater sich seine gute gesundheitliche Verfassung durch seine gottesfürchtige Lebensweise verdient habe. 210 Vgl. V. 1399 fratri [...] uni, gemeint ist Benjamin (Vet. Lat. gen. 43,34).

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Söhnen auf, die Geschenke und das doppelte Kaufgeld mitzunehmen, und 43,15: die Brüder nehmen die Geschenke, das Geld und Benjamin mit und treten schließlich vor Joseph); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 1363 (Jakob weint bei der Herausgabe Benjamins, gegen 43,14: Jakob erbittet für seine Söhne von Gott Gnade vor dem Wesir, damit er Simeon und Benjamin zurückschickt; er stellt fest, dass er gleichsam kinderlos sei), V. 1371 (unruhiges Schuldbewusstsein der Brüder), V. 1376 (die Brüder erklären, dass sie nicht von unterschlagenem Geld zu leben pflegen), V. 1379–1380 (wenn günstige Umstände den Brüdern einen Gewinn geschenkt hätten, nenne niemand dies sein oder des Wesirs oder des Pharaos Eigentum, gegen 43,23: ihr Gott und der Gott ihrer Väter habe ihnen die Schätze in ihre Säcke gelegt), V. 1383 (Joseph ist von Soldaten umringt), V. 1388–1389 (Joseph bekräftigt, dass der Vater mit Gott verbunden sei und immer am Rechten festhalte, gegen 43,28: Joseph sagt, dass der Vater von Gott gesegnet sei), V. 1390 (Joseph tut so, als kenne er Benjamin nicht), V. 1392 (Joseph erbittet von Gott Gutes für Benjamin zu dessen Ruhm, gegen 43,29: er bittet, dass Gott sich Benjamins erbarmen möge), V. 1397 (Joseph spricht bei Tisch leutselig mit den Brüdern). Textkritik: V. 1364 leve AG bene Mayor 1889, 63, qui Arevalum secutus est; V. 1367 consertus AG compertus Mayor 1889, 63 (VV. 1184– 1498 desunt in C). Der Becher (V. 1400–1412, Gen 44,1–34): Nachdem die Brüder sich sattgegessen haben, beladen sie wie beim vorigen Mal ihre Maultiere. In der bereits gewohnten Weise wird auf Josephs Befehl hin das gezahlte Geld versteckt211 und außerdem ein funkelnder, kunstvoll veredelter212 Becher in Benjamins Gepäck verborgen. Als sie nach ihrem Aufbruch noch nicht viele Meilen weg sind, umringt plötzlich ein Trupp des Pharaos die Arglosen, hält sie fest und fordert den Becher; derjenige, der schuldig sei, solle Sklave sein. Die Brüder sind einverstanden und öffnen alle gleichzeitig ihr Gepäck, fördern den verlangten Becher zutage und lassen ihren Bruder Benjamin zurück. Sie eilen zu Joseph, erzählen ihm, was geschehen ist, und legen ihm den Auftrag ihres Vaters213 dar. Wiedergabe von Gen 44,1–34 ohne 44,3 (am Morgen werden die Brüder mit ihren Eseln entlassen), 44,7–9 (die Brüder weisen den Diebstahlvorwurf von sich und weisen darauf hin, dass sie sogar das Kaufgeld zurückgebracht haben; sie schlagen vor, dass derjenige, bei dem der Becher gefunden werde, sterben solle, und dass die übrigen Sklaven sein sollen), 44,13 (nachdem der Becher bei Benjamin gefunden worden ist, zerreißen die übrigen Brüder ihre Kleider und kehren nach Hause zurück), 44,15–17 (Joseph stellt die Brüder zur Rede; Juda verzichtet auf Rechtfertigungen und sagt, dass Gott ihre Schuld gefunden habe; sie seien alle Josephs Sklaven; Joseph will aber nur Benjamin, bei dem der Becher gefunden worden ist, als Sklaven behalten und die anderen nach Hause schicken), 44,30–34 (um zu 211 D.h. im Gepäck der Brüder. 212 Vgl. V. 1404 pretiosior arte, eine ausschmückende Zutat des HD. 213 Vgl. V. 1412 iussa parentis, d.h. Benjamin wieder zurückzubringen. Dieser Auftrag lässt sich aus Vet. Lat. gen. 44,28–29 ableiten, wo Juda Jakobs Worte wiedergibt, dass er vor Kummer sterben werde, wenn er nach dem verstorbenen Sohn auch noch Benjamin verlieren sollte.

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verhindern, dass der Vater vor Kummer stirbt, weil Benjamin nicht zurückkommt, und weil er sich für Benjamin verbürgt hat, will Juda an seiner Stelle Josephs Sklave werden); Kürzungen in 44,1 (Joseph befiehlt seinem Hausvorsteher, die Säcke der Männer mit Getreide zu füllen), 44,10 (die übrigen Brüder, die den Kelch nicht haben, sollen frei sein), 44,14 (die Brüder fallen vor Joseph nieder); starke Raffung in V. 1407 (der königliche Trupp hält die Brüder fest und fordert den Becher, vgl. 44,4–6: Joseph trägt seinem Hausvorsteher auf, seine Brüder zu verfolgen, festzuhalten und ihnen vorzuwerfen, dass sie den Becher seines Herrn gestohlen hätten, aus dem er trinke und mit dem er Omendeutung betreibe; der Hausvorsteher findet die Brüder und sagt zu ihnen, was ihm aufgetragen worden ist), V. 1411–1412 (die Brüder erzählen Joseph, was geschehen ist, und legen den Auftrag des Vaters dar, vgl. 44,18–29: Juda holt aus bis zu Josephs Frage bei ihrem ersten Besuch, ob ihr Vater noch lebe; er erwähnt Jakobs besondere Liebe zu seinem jüngsten Sohn, Josephs unerbittlichen Auftrag, eben diesen Sohn mitzubringen, den Auftrag ihres Vaters, wieder nach Ägypten zum Getreidekauf zu gehen, ihre Weigerung, ohne Benjamin zu gehen, und die Aussage ihres Vaters, dass er vor Kummer sterben werde, wenn er nach dem verstorbenen Sohn auch noch Benjamin verliere); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 1400–1401 (die Brüder sind satt und beladen wie beim ersten Mal ihre Maultiere), V. 1406 (ein Trupp des Pharaos umringt die ahnungslosen Brüder, gegen 44,6: Josephs Hausvorsteher findet die Brüder), V. 1410 (die Brüder decken beim Öffnen ihrer Säcke den gesuchten Becher auf und lassen Benjamin zurück, gegen 44,12: der Hausvorsteher durchsucht die Brüder vom ältesten bis zum jüngsten und findet den Becher bei Benjamin). Textkritik: V. 1408 increpitans G Mayor 1889, 64 increpitant A Peiper | crimina AG crimine Arevalus; V. 1410 quaesitum et poculum Peiper quaesitumque et poculum AG (VV. 1184–1498 desunt in C). Literatur: Roberts 1985, 117 zu V. 1411–1412, De Gianni 2015, 60 zu V. 1403. Josephs Selbstenthüllung und Jakobs Reise nach Ägypten (V. 1413–1442, Gen 45,1–46,34): Von ihren Bitten bewegt lässt Joseph sein ganzes Gefolge fortgehen und sagt seinen Brüdern, dass er ihr Bruder sei. Diese sind starr vor Angst, verurteilen sich selbst wegen ihrer verschwiegenen Schuld und schweigen vor Entsetzen. Doch Joseph spricht beruhigend zu den Schuldigen, lässt sie näher herantreten und beauftragt sie, dem Vater freudige Nachrichten in Hinblick auf die Gegenwart, Vergangenheit und nahe Zukunft zu überbringen214, wobei er anregt, dass Jakob umziehen soll. Er bietet ihnen215, wenn sie mitsamt ihren Herden kommen, die benachbarten Hügel Arabiens an, um während der noch folgenden fünf Dürrejahre alle seine Verwandten mittels seiner Vorräte zu ernähren (V. 1413

214 Vgl. V. 1419. Der HD umschreibt hier offenbar Vet. Lat. gen. 45,9 und meint mit quae sint die Tatsache, dass Joseph seinem Vater eine Nachricht sendet, d.h. noch am Leben ist, mit quae fuerint, dass Gott ihn zum Herrn über ganz Ägypten eingesetzt habe, und mit quae mox ventura ferantur die Einladung an Jakob, zu seinem Sohn nach Ägypten zu kommen und nicht länger zu warten. 215 Venientibus in V. 1421 meint den Vater mitsamt seinen Söhnen und Enkeln (Vet. Lat. gen. 45,10).

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–1423). Von diesen Ereignissen und Josephs Worten216 erfährt der Pharao voll Freude, bittet Joseph, seine Angehörigen aufzunehmen, und lässt Josephs Brüdern Getreide schenken. Die Brüder erhalten Wagen, Getreide, Getränke und Brot, und die Maultiere schwitzen unter den schweren Lasten. Benjamin und sein Vater bekommen jeweils fünf Gewänder und dreihundert geprägte Münzen, die anderen Brüder unter Abstufung des Lohnes217 zwei schneeweiße Gewänder (V. 1424– 1432). Sobald der Vater benachrichtigt worden ist, nimmt er die mitgebrachten Gaben an und atmet wieder auf. Er beeilt sich, sein Land zu verlassen, und bricht nach Ägypten an der Grenze zu Arabien auf, wobei er 75 Nachkommen unter seiner väterlichen Führung mitnimmt, wie es im Buch Genesis verbürgt ist. Während die Scharen schnell dahineilen, läuft Juda seinen Brüdern voraus und informiert Joseph, dass sein Vater nicht weit weg sei. Freudig besteigt Joseph seinen Wagen und fährt seiner Familie entgegen, und nachdem er seinen Vater gesehen hat218, empfängt er die ersehnte Schar (V. 1433–1442). Wiedergabe von Gen 45,1–46,34 ohne 45,2 (Joseph lässt einen Schrei mit Weinen los, der von den Ägyptern gehört wird), 45,12–15 (Joseph trägt seinen Brüdern auf, dem Vater von seiner hohen Stellung in Ägypten zu berichten und ihn herzubringen; er fällt Benjamin um den Hals und weint, küsst alle seine Brüder und weint und dann reden seine Brüder mit ihm), 45,19–20 (Joseph soll seine Brüder im Auftrag des Pharaos anweisen, sich Wagen aus Ägypten zu nehmen und mit ihrem Vater herzukommen; alle Güter Ägyptens sollen ihnen gehören), 45,24–25 (Joseph entlässt seine Brüder und mahnt sie, auf dem Weg nicht zornig zu werden; sie kommen nach Kanaan zu ihrem Vater), 46,2–26 (Gott erscheint Jakob und ermutigt ihn, nach Ägypten zu ziehen; Gott werde ihn dort zu einem großen Volk machen und werde ihn wieder zurückführen und Joseph werde seine Augen zudrücken; Jakob zieht mit seinem Besitz und seinen sämtlichen Nachkommen, die im Folgenden aufgezählt werden, in Ägypten ein), 46,30–34 (Jakob sagt zu Joseph, dass er jetzt sterben wolle, nachdem er ihn lebend gesehen habe; Joseph will dem Pharao die Ankunft seiner Angehörigen mitsamt ihrem Vieh melden; sie sollen vor dem Pharao sagen, dass sie Viehhirten sind, damit er sie im Land Gesem wohnen lässt); Kürzungen in 45,1 (niemand steht bei Joseph, als er sich seinen Brüdern zu erkennen gibt), 45,3 (Joseph fragt seine Brüder, ob sein Vater noch lebe), 45,4 (Joseph sagt seinen Brüdern, dass er ihr Bruder sei, den sie nach Ägypten verkauft hätten), 45,10 (der Vater soll ins Land Gesem ziehen), 45,26 (Jakob erschrickt bei der Nachricht seiner Söhne, weil er ihnen nicht glaubt), 45,28 (Jakob will nach Ägypten gehen, um Joseph vor seinem Tod noch zu sehen), 46,1 (nach seinem Aufbruch opfert Jakob Gott am Schwurbrunnen), 46,27 (9 Kinder sind Joseph in Ägypten geboren worden), 46,28 (Juda soll Joseph bei der Stadt der Heroen im Land Ramesse begeg216 Dicta viri in V. 1424 meint im Kontext von Vet. Lat. gen. 45,16 wohl Josephs Selbstoffenbarung als Bruder der Ankömmlinge. 217 In diesem Sinne dürfte V. 1431 mercedis laude secunda zu verstehen sein. 218 Vgl. V. 1442 viso genitore. Die Behauptung von Ciarlo 2008, 734, dass der HD im Rahmen seiner Paraphrase des 46. Genesiskapitels „tralascia [...], singolarmente, anche l’incontro di Giuseppe col padre nella parte finale del capitolo“ scheint diesen Vers nicht zu berücksichtigen.

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nen), 46,29 (Joseph fährt zur Stadt der Heroen); starke Raffung in V. 1417 (Joseph spricht beruhigend mit den Schuldigen, vgl. 45,5–8: die Brüder sollen nicht traurig darüber sein, dass sie Joseph verkauft haben, denn Gott habe ihn zur Lebenserhaltung vor ihnen hergesandt, um sie in der Hungersnot zu ernähren; nicht sie hätten ihn nach Ägypten geschickt, sondern Gott, der ihn zum Herrn über das Haus des Pharaos und zum Herrscher über ganz Ägypten gemacht habe), V. 1425 (der Pharao bittet Joseph, seine Angehörigen aufzunehmen, vgl. 45,18: Joseph soll seinen Brüdern ausrichten, dass sie zusammen mit ihrem Vater und ihrem Besitz zum Pharao kommen sollen, der ihnen von allen Gütern Ägyptens geben werde), V. 1428 (die Maultiere schwitzen unter den schweren Lasten, vgl. 45,23: zehn Esel mit allen Gaben Ägyptens und zehn Maultiere mit Brot), V. 1433 (Jakob erhält Nachricht, vgl. 45,26: er erfährt von seinen Söhnen, dass Joseph lebt und Herr über Ägypten ist); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 1415– 1416 (die Brüder sind starr vor Angst und verurteilen sich wegen ihrer Schuld), V. 1431 (der Lohn der Brüder ist geringer als der Benjamins), V. 1432 (schneeweiße Gewänder), V. 1433 (Jakob nimmt die Geschenke an, gegen 45,27: Jakob sieht die Wagen, die Joseph zu seiner Abholung geschickt hat), V. 1435 (Ägypten an der Grenze zu Arabien), V. 1437 (Berufung auf das Buch Genesis219), V. 1440 (Juda informiert Joseph, dass sein Vater nicht weit weg sei), V. 1442 (Joseph empfängt die Schar seiner Angehörigen, gegen 46,29: er fällt seinem Vater um den Hals und weint). Textkritik: V. 1427 frumentum A frumenta G (VV. 1184– 1498 desunt in C). Josephs Vater und Brüder in Ägypten und seine Verwaltungstätigkeit (V. 1443–1463, Gen 47,1–27): Dann kehrt Joseph schnell zurück, eilt zum Hof des Pharaos und berichtet von der Ankunft der Viehhirten, auf dass die Schar seiner Lieben in dem abgegrenzten, fruchtbaren Gebiet leben darf. Der Pharao weist auch von sich aus Joseph an, seine Brüder in dem fruchtbaren Gebiet anzusiedeln. Daraufhin erzählt der hochbetagte Jakob auf Verlangen des Pharaos nach und nach, wie alt er ist220, woher er stammt und warum er nach Ägypten gekommen ist, und erweist dem vortrefflichen Pharao große Ehre (V. 1443–1451). Unterdessen schickt Joseph seinen Angehörigen angemessene Gaben221 und lässt die große Geldsumme zum Pharao bringen, um die der Hof durch den Getreideverkauf bereichert worden ist. Als die Ägypter kein Geld mehr zum Kaufen haben, bringen sie im Wettstreit ihre Viehherden herbei und erwerben dafür Getreide, wobei Joseph den Preis festsetzt. Schließlich geht ihnen auch das Vieh aus und sie geben sich selbst und ihren Landbesitz hin, wofür sie Samen für künftige Ernten erhalten. Nur den Priestern wird ihr Besitz nicht weggenommen, da der Pharao ihnen

219 Der HD will hier durch die kanzleisprachliche Formulierung Genesis ut formula cavit seinen Anspruch deutlich machen, den Bibeltext genau zu reproduzieren, vgl. Herzog 1975, 100 mit Anm. 192. 220 Nämlich 130 Jahre, vgl. Vet. Lat. gen. 47,9. 221 Vgl. V. 1452 munera; es handelt sich um Getreide (Vet. Lat. gen. 47,12).

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das Getreide schenken und nicht verkaufen will222. Dann wird dem Volk die Abführung des fünften Teils der Ernte auferlegt, eine bleibende und gesetzlich festgelegte Bestimmung (V. 1452–1463). Wiedergabe von Gen 47,1–27 ohne 47,2–3 (Joseph bringt fünf seiner Brüder vor den Pharao, diese sagen, dass sie Viehhirten sind), 47,5 (der Pharao sagt zu Joseph, dass seine Angehörigen in Gesem wohnen sollen und dass er, wenn unter ihnen fähige Männer seien, diesen die Aufsicht über sein Vieh geben solle), 47,7 (Joseph führt seinen Vater vor den Pharao und Jakob segnet diesen), 47,11 (Joseph siedelt seine Brüder und seinen Vater gemäß der Weisung des Pharaos in Gesem an), 47,13 (Hungersnot in Ägypten und Kanaan), 47,16 (Joseph fordert die Ägypter auf, ihr Vieh gegen Brot einzutauschen), 47,20–21 (Joseph bringt ganz Ägypten in den Besitz des Pharaos und versklavt alle Ägypter), 47,25 (die Ägypter sagen, dass Joseph sie gerettet habe), 27,27 (Israel lässt sich in Gesem nieder und vermehrt sich); Kürzungen in 47,1 (Joseph meldet dem Pharao, dass seine Angehörigen in Gesem seien), 47,14 (das gesammelte Geld stammt aus Ägypten und Kanaan), 47,15 (die mittellosen Ägypter verlangen von Joseph Brot, damit sie nicht sterben), 47,24 (dem Volk bleiben vier Teile der Ernte zum Säen und Essen), 47,26 (die Priester sind von den Abgaben ausgenommen); starke Raffung und Kontamination in V. 1449–1450 (Jakob erzählt dem Pharao, wie alt er ist, woher er stammt und weshalb er nach Ägypten gekommen ist, vgl. 47,9: Jakob erzählt dem Pharao, dass er 130 Jahre alt sei, dass die Tage seines Lebens wenige und böse gewesen seien und nicht die Tage seiner Väter erreichten, und 47,4: die fünf Brüder Josephs erklären dem Pharao, dass sie wegen der Hungersnot aus Kanaan nach Gesem gekommen seien, um dort zu bleiben), V. 1458–1459 (die ihres Viehs beraubten Ägypter geben sich selbst und ihr Land hin und erhalten Samen, vgl. 47,18–19: im zweiten Jahr sagen die Ägypter Joseph, dass ihnen ihr Geld, Besitz und Vieh ausgegangen sei und ihnen nur noch ihr Leib und Land übrig bleibe; damit sie nicht sterben und das Land nicht brach liegt, wollen sie sich mit ihrem Land in den Besitz des Pharaos geben und dafür Brot und Samen bekommen; dazu 47,23: Joseph gibt den nun zu Leibeigenen des Pharaos gewordenen Ägyptern Samen); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 1444–1445 (Joseph will vom Pharao erreichen, dass seine Angehörigen in dem fruchtbaren Gebiet leben dürfen, gegen 47,4: die fünf Brüder Josephs erklären dem Pharao, dass sie im Land Gesem bleiben wollen), V. 1451 (Jakob erweist dem Pharao große Ehre, gegen 47,10: er segnet ihn223). Textkritik: V. 1443 regreditur G ingreditur A (VV. 1184–1498 desunt in C). Jakobs Segen für Ephraim und Manasse (V. 1464–1479, Gen 47,28– 48,22): Indessen erkennt Jakob, dass sein Lebensende bevorsteht, und beschwört seinen Sohn, während er sich die Zukunft vergegenwärtigt, seinen Leichnam im Grab seiner Vorfahren zu bestatten. Joseph stimmt seiner Bitte zu, legt seine rech222 Vgl. V. 1461; vor dem Hintergrund von Vet. Lat. gen. 47,22 ist damit gemeint, dass die Priester das vom Pharao geschenkte Land behalten und von diesem Land weiterhin ihr Getreide essen. 223 Roberts 1978, 290 Anm. 72 sieht in V. 1451 dagegen eine bloße Periphrase für das biblische Verbum benedicere.

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te Hand unter Jakobs Hüfte und berührt während seines Gelöbnisses die Spitze des Stabes224 (V. 1464–1468). Der Greis spricht zärtlich225 mit seinen Enkeln, die auf beiden Seiten neben ihm stehen, und küsst sie. Aber welch Wunder, von seiner rechten Hand wird Manasse gesegnet und von seiner linken der ältere Ephraim berührt, so dass aufgrund der Vorahnung Jakobs der ältere Bruder dem jüngeren zu dienen gezwungen wird und die Hoffnung des Erstgeborenen226 dem zweiten Rang weichen muss. Wenngleich Joseph die überkreuzten Hände seines Vaters auseinanderziehen will, kann er doch dessen Segensworte nicht rückgängig machen. Nachdem Jakob das seinen Enkeln bestimmte Gute unverbrüchlich besiegelt hat227, gibt er seinem Sohn Sichem, sein Schwert und seine Pfeile, damit er strahlender als alle anderen zu hoher Ehre gelangt (V. 1469–1479). Wiedergabe von Gen 47,28–48,22 ohne 47,28 (Jakob lebt noch 17 Jahre in Ägypten und erreicht ein Alter von 147 Jahren), 48,1–9 (Joseph erfährt, dass sein Vater unwohl sei, und geht mit seinen Söhnen Ephraim und Manasse zu ihm; Jakob erinnert an die ihm von Gott gegebene Verheißung eines großen Volkes und des Landes Kanaan als ewigen Besitz und nimmt Ephraim und Manasse als seine eigenen Söhne an; er berichtet vom Tod und Begräbnis Rachels; als er Josephs Söhne sieht, lässt er Joseph diese zu sich führen, um sie zu segnen), 48,11–12 (Jakob sagt, dass es ihm vergönnt sei, nicht nur Joseph, sondern auch dessen Kinder zu sehen; die Kinder verneigen sich vor Jakob), 48,15–16 (Segensworte Jakobs für Ephraim und Manasse), 48,18 (Joseph protestiert gegen den Segen und verlangt, dass der Vater seine rechte Hand auf den Kopf seines Erstgeborenen legt), 48,21 (Jakob verkündet, dass er nun sterbe und dass Gott seine Nachkommen in das Land ihrer Väter zurückführen werde); Kürzungen in 47,29 (Joseph soll schwören, dass er Jakob nicht in Ägypten begraben wird), 48,10 (Jakob ist blind), 48,13 (Joseph nimmt Ephraim an seine rechte Hand, damit er zur Linken Jakobs steht, und Manasse an seine linke Hand, damit er zur Rechten Jakobs steht), 48,17 (Joseph missfällt, dass sein Vater die Kinder verkehrt herum segnet), 48,19 (Jakob prophezeit, dass auch der ältere Sohn groß und zu einem Volk werden wird); inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen: V. 1468 (Joseph berührt beim Schwören die Spitze des Stabes, gegen 47,31: Jakob verneigt sich betend über der Spitze von Josephs Stab bzw. über der seines eigenen Stabes228), V. 1469 (als Jakob die Enkel küsst, stehen 224 Ob der HD Josephs eigenen oder Jakobs Stab meint, geht aus V. 1468 nicht hervor; ein Vergleich mit der biblischen Vorlage Vet. Lat. gen. 47,31 ist schwierig aufgrund der unterschiedlichen Überlieferung und der deutlichen Abweichung des HD von seiner Vorlage, s.u. unter „inhaltliche Veränderungen/Erweiterungen“. 225 Vgl. V. 1470 permulcet dictis; nach Vet. Lat. gen. 48,10 umarmt er sie. Dagegen will Roberts 1978, 290 Anm. 72 darin eine Periphrase für Jakobs Segensworte (Vet. Lat. gen. 48,15–16) sehen. 226 In diesem Sinn ist wohl V. 1474 spes prima zu verstehen. 227 Mit rata commoda sanxit in V. 1477 paraphrasiert der HD Vet. Lat. gen. 48,20, wo Jakob die Kinder segnet und ihre Rangfolge bekräftigt. 228 Für Vet. Lat. gen. 47,31 ist neben (E) adoravit Istrahel super cacumen virgae eius (d.h. Josephs Stab) die Variante suae (d.h. Jakobs eigener Stab) bezeugt. Aug. quaest. hept. 1,162 erklärt letztere Variante in dem Sinne, dass Jakob sich beim Gebet über seinen Stock beugt, den

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sie zu seinen beiden Seiten, gegen 48,13: erst unmittelbar vor dem Segen stellt Joseph die Enkel seinem Vater zur Seite), V. 1471–1472 (Jakob segnet mit der rechten Hand Manasse und mit der linken den älteren Ephraim, gegen 48,14: er segnet mit der rechten Hand den jüngeren Ephraim und mit der linken den älteren Manasse229), V. 1473–1474 (der ältere Sohn muss dem jüngeren dienen, gegen 48,19: der jüngere Sohn wird größer als der ältere sein und zu einer Menge von Völkern werden), V. 1474 (die Hoffnung des Erstgeborenen muss dem zweiten Rang weichen), V. 1476 (Joseph kann Jakobs Segen nicht rückgängig machen), V. 1478 (Jakob gibt Joseph Sichem, sein Schwert und seine Pfeile, gegen 48,22: er gibt Joseph Sichem, das er mit seinem Schwert und seinen Pfeilen den Amorräern abgenommen hat). Textkritik: V. 1471–1472 [...] palma sacratur dextra Manasses, / anterior natu laeva contingitur Ephrem Peiper secundum AG [...] palma sacratur laeva Manasses / anterior natu, dextra contingitur Ephrem Best 1891, 7 (VV. 1184–1498 desunt in C). Literatur: Best 1891, 7 zu V. 1471–1472. Jakobs und Josephs Ende (V. 1480–1498, Gen 49,1–50,26): Dann ruft Jakob seine Söhne und verteilt an alle seine Kinder und deren Nachkommen Belohnungen, die lange Zeit währen sollen und ihnen vorher nicht gewährt worden sind, und spricht sie ihnen für lange Zeit zu; außerdem begründet er zwölf Stämme mit ihren Namen. Nachdem er alles erledigt hat, stirbt er nur in Hinblick auf seinen irdischen Leib230, auf beiden Augen erblindet. Die Menge beweint ihn 70 Tage lang, wobei sie das Grab des Verstorbenen verehrt. Auch seine Söhne beweinen ihn sieben Tage lang mit vielen Tränen und Joseph stellt den Frieden mit seinen Brüdern wieder her, indem er ihnen keinen Schaden zufügt231 und seinen alten Zorn aufgibt (V. 1480–1490). Als Joseph 110 Jahre alt ist und erkennt, dass sein Lebensende bevorsteht, verkündet er seinen Brüdern die zukünftige Ordnung, gemäß der sie zurückkehren und den Nil verlassen können. Sie sollen nur seine beigesetzte Asche und seine Knochen wieder zurückbringen und im Grab der Vorfahren bestatten. So stirbt er schließlich nach einem redlichen, langen Leben232, geht zu Gott und lässt seinen Leib zurück (V. 1491–1498). Wiedergabe von Gen 49,1–50,26 ohne 49,2 (Jakob ruft seine Söhne auf, ihm zuzuhören), 50,1–2 (Joseph beweint und küsst den toten Vater und veranlasst seine Einbalsamierung), 50,4–9 (nach der Trauerzeit wendet Joseph sich mit der Bitte an den Pharao, seinen Vater in Kanaan begraben zu dürfen, und erhält die Erlaubnis; Joseph zieht mit einem Ehrengeleit des Pharaos, seinem ganzen Haushalt und

229

230 231 232

er aus Altersgründen benutzt, für die erste Variante vermutet er die Bedeutung, dass Jakob Josephs Stock hält, während dieser schwört, und sich über diesem Stock betend verneigt. Zu dieser wohl versehentlichen Umkehrung der biblischen Vorlage vgl. auch Herzog 1975, 110 Anm. 228; in V. 1297 wird dagegen korrekt Manasse als der ältere und Ephraim als der jüngere Sohn bezeichnet. Best 1891, 7 schlägt eine Veränderung des Textes vor (s.u. unter „Textkritik“). Vgl. V. 1485 decessit solo terreno corpore. Herzog 1975, 139 Anm. 320 erkennt darin den „moralische[n] Nebensinn“, dass „die Welt [...] nur den Körper treffen [kann].“ Vgl. V. 1490 fratribus innocuis; innocuus steht hier in der Bedeutung illaesus, incolumis, vgl. ThlL 7,1 s.v. innocuus 1710,10–11 ad loc. Nämlich im Alter von 110 Jahren, vgl. Vet. Lat. gen. 50,26.

Erzähltechnische Besonderheiten

529

seinen Brüdern sowie Reitern aus), 50,11–14 (der Ort der siebentägigen Beweinung Jakobs wird „Trauer Ägyptens“ genannt; Jakob wird in Kanaan im Doppelgrab begraben und Joseph kehrt mit seinem Gefolge nach Ägypten zurück), 50,23 (Joseph erlebt die Geburt der Nachkommen von Ephraim und Manasse); Kürzungen in 49,1 (Jakob will seinen Söhnen die Zukunft verkünden), 49,28 (Jakob segnet jeden seiner zwölf Söhne), 49,33 (Jakob beendet seine Rede an die Söhne und hebt seine Füße ins Bett), 50,3 (die Einbalsamierung dauert 40 Tage), 50,10 (die siebentägige Beweinung erfolgt am Dreschplatz Atad jenseits des Jordans), 50,22 (Joseph lebt mit seinen Angehörigen in Ägypten), 50,24 (Gott wird nach Josephs Brüdern sehen und sie aus Ägypten in das verheißene Land führen), 50,26 (Joseph wird in einem Sarkophag in Ägypten bestattet); starke Raffung in V. 1480–1482 (Jakob verteilt an seine Söhne und deren Nachkommen Belohnungen, die lange währen sollen, vgl. 49,3–27: Weissagungen Jakobs über die Zukunft seiner Söhne und der aus ihnen hervorgehenden Stämme233), V. 1484 (Jakob hat alles erledigt, vgl. 49,29–32: Jakob erklärt seinen Söhnen ausführlich, dass sie ihn in der Doppelhöhle in Kanaan begraben sollen, die Abraham gekauft hat), V. 1489–1490 (Joseph stellt den Frieden mit seinen Brüdern wieder her, indem er ihnen keinen Schaden zufügt und seinen Zorn aufgibt, vgl. 50,15–21: Josephs Brüder fürchten, dass Joseph ihnen nun, da der Vater tot ist, ihre bösen Taten vergelten könnte, und bitten Joseph im Namen ihres verstorbenen Vaters um Verzeihung; Joseph weint, vergibt ihnen, beruhigt sie und verspricht ihnen, sie und ihre Häuser zu ernähren); Erweiterungen/inhaltliche Veränderungen: V. 1483 (Jakob gründet 12 Stämme mit den Namen seiner Söhne, gegen 49,28: dies sind die 12 Söhne bzw. Stämme234 Jakobs), V. 1484 (Jakob ist bei seinem Tod blind; nachgetragen aus 48,10), V. 1485 (Jakob stirbt nur in Hinblick auf seinen irdischen Körper), V. 1487 (die Ägypter verehren Jakobs Grab), V. 1496 (Joseph will im Grab der Vorfahren bestattet werden), V. 1497 (rechtschaffenes Leben Josephs), V. 1498 (er geht zu Gott). Textkritik: V. 1485–1486 […] corpore vatis / maestitiaeque dedit […] AG corpore ..... / * * * vates Peiper, qui post V. 1485 versus excidisse suspicatus est; V. 1490 fratribus innocuis AG fratribus, in nocuos Mayor 1889, 69; V. 1493 quis A qui G (VV. 1184–1498 desunt in C). Literatur: Roberts 1985, 156–157 zu V. 1497–1498. ERZÄHLTECHNISCHE BESONDERHEITEN Beibehaltung direkter Rede: V. 414–420 (Gottes Rede an Abram, vgl. Gen 12,1–3), V. 505–509 und 511–519 (Gespräch zwischen Abram und Gott, vgl. Gen 15,2–5.7), V. 541–556 (Gottes Rede an Abram, vgl. Gen 15,14–16.18–21), V. 594 –595 (Gedanken Abrahams (!), vgl. Gen 17,17), V. 613.615–616 (Rede eines der 233 Vgl. hierzu Bräumer 2011 (3. Teil), 220–244 mit weiterführender Literatur. Von einem „totale silenzio sulle benedizioni di Giacobbe del capitolo 49“, wie Ciarlo 2008, 734 dies behauptet, kann somit nicht die Rede sein. 234 Vgl. Vet. Lat. gen. 49,28 (S) filii mit der Variante tribu.

530

VI. Überblick über Hept. gen. 363–1498

drei Männer, vgl. Gen 18,9–10), V. 625–628 (Rede Gottes an Abraham, vgl. Gen 18,20–21), V. 820–823 (Gottes Rede an Isaak, vgl. Gen 26,3–4), V. 902–909 (Isaaks Rede an Jakob, vgl. Gen 28,1–2), V. 922–927 (Gottes Rede in Jakobs Traum, vgl. Gen 28,13.15), V. 930–931 (Jakobs Reaktion auf seinen Traum, vgl. Gen 28,17), V. 1013 (Jakob sieht das Heerlager Gottes, vgl. Gen 32,3), V. 1024– 1034 (Jakobs Gebet, vgl. Gen 32,10–12), V. 1157 (Rede von Josephs Brüdern, vgl. Gen 37,20), V. 1219–1225 (Traum des Mundschenken, vgl. Gen 40,10–11), V. 1230–1234 (Bitte Josephs an den Mundschenk, vgl. Gen 40,14–15), V. 1236– 1238 (Traum des Oberbäckers, vgl. Gen 40,16–17), V. 1279–1284 (Josephs Rat an den Pharao, vgl. Gen 41,33–36). Auktoriale Einschaltungen: – generalisierende Kommentare: V. 687 (Schrecken, die immer dann den Geist befallen, wenn ein Verlangen verkehrt ist), V. 713 (wenn man die Hoffnung auf die Erfüllung eines Wunsches schon aufgegeben hat, ist die Dankbarkeit umso größer) – Zusatzinformationen für den christlichen Leser: V. 965 (Hinweis auf den levitischen Priester), V. 966 (Juda als Stammvater des jüdischen Volkes) – Äußerungen des Erzählers zu seiner Darstellung: V. 967–968 (Jakobs Kinder von Balla sollen an anderer Stelle erwähnt werden, hier sollen nur seine berühmten Kinder genannt werden), V. 1437 (Berufung auf das biblische Buch Genesis) – Verringerte Distanz zum Erzählten: V. 965 domini […] nostri (Wechsel in die 1. Person Plural), V. 1252 mirum!, V. 1257 horrendum dictu! und V. 1471 sed mirum! (emotionale Anteilnahme), V. 1404 in rebus, Beniamine, tuis (Anrede des Erzählers an Benjamin)235.

235 Diese Apostrophe dient auch der epischen Verlebendigung, vgl. Herzog 1975, 146 mit Anm. 352.

57

VII. ÜBERSICHTEN Übersicht 1: Zum Umgang des HD mit der biblischen Erzählchronologie in Hept. gen. 1–3621 zäo lE D gandH U um bersicht1:Z Ü

Die Übersicht geht am Text von Hept. gen. 1–362 entlang und stellt den HDVersen (vgl. linke Spalte) die entsprechenden Bibelverse nach der Vet. Lat. (vgl. rechte Spalte) gegenüber. Der jeweils vom HD behandelte biblische Inhalt ist hinter dem betreffenen Bibelvers in Klammern angegeben. Fett hervorgehoben sind Abweichungen des HD von der biblischen Erzählreihenfolge, d.h. solche Bibelverse, deren Inhalte der HD in seiner Darstellung vorzieht, nachträgt oder miteinander kontaminiert.

Hept. gen.

1 2 3

Vom HD behandelte Bibelverse nach der Vet. Lat.2

V. 1

Gen 1,1 (Erschaffung von Himmel und Erde)

V. 2–4

Gen 1,2 (Urzustand der Erde)

V. 5–6

Gen 1,3 (Erschaffung des Lichts)

V. 7

Gen 1,5 (Ende des 1. Tages)

V. 8

Gen 1,7 (Erschaffung des Firmaments)

V. 113

Gen 1,13 vorgezogen (Zeitangabe: dritter Tag), Gen 1,9 (Auftauchen des Trockenen)

V. 9–10

Gen 1,9 (Sammlung des Wassers)

V. 12

Gen 1,10 (Benennung des Trockenen als Land)

V. 13–14

Gen 1,12 (Erschaffung der Pflanzen)

V. 15–16

Gen 1,19 vorgezogen (Zeitangabe: vierter Tag), Gen 1,16 (Erschaffung der Gestirne)

V. 17–18

Gen 1,14 nachgetragen (Zeichenfunktion der Gestirne), Gen 1,17 (Setzen der Gestirne ans Firmament)

V. 19–20

Gen 1,23 vorgezogen (Zeitangabe: fünfter Tag), Gen 1,21 (Erschaffung von Fischen und Vögeln)

V. 21–22

Gen 1,31 vorgezogen (Zeitangabe: sechster Tag), Gen 1,25 (Erschaffung der Landtiere)

V. 23–24

Gen 1,22 nachgetragen (Vermehrungsbefehl an Fische und Vögel, vom HD auf alle am Land lebenden Tiere bezogen), kontaminiert mit Gen 1,30 (Übergabe der Pflanzennahrung an die Tiere)

Zur Auswertung dieser Übersicht vgl. S. 67–68. Bei Bezeugungslücken wird auf die LXX zurückgegriffen. Zur Umstellung der bei Peiper abgedruckten Versfolge vgl. S. 185–186.

532

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Hept. gen.

Vom HD behandelte Bibelverse nach der Vet. Lat.

V. 25

keine unmittelbare Entsprechung im Bibeltext

V. 26–28

Gen 1,26 (Beschluss Gottes, den Menschen als sein Ebenbild zu erschaffen)

V. 29–39

Gen 2,7.18.21–24 vorgezogen: V. 29–32: Gen 2,7 (Formung des männlichen Menschen durch Gott) V. 33: Gen 2,18 (Gott erkennt, dass der Mensch nicht allein bleiben soll) V. 34–35: Gen. 2,21–22 (Einschläferung Adams und Erschaffung der Frau aus seiner Rippe) V. 36–37: Gen 2,23 (leibliche Verwandtschaft von Mann und Frau, Benennung der Frau) kontaminiert mit Gen 3,20 (Adam nennt die Frau Eva = Leben) V. 38–39: Gen 2,24 (Bestimmung von Mann und Frau zur Gemeinschaft)

V. 40–41

Gen 2,2–3 nachgetragen (Ruhe Gottes am siebten Tag und dessen Heiligung)

V. 42–44

Gen 2,19–20 nachgetragen (Gott führt Adam die Tiere zu und Adam benennt sie)

V. 45–47

Gen 1,28 (Vermehrungsauftrag an die Menschen)

V. 48–49

Gen 1,29 (Übergabe der pflanzlichen Nahrung an die Menschen)

V. 50–69

Gen 2,8–17 nachgetragen: V. 50–51: Gen 2,8 (Anlage des Paradieses) V. 52–53: Gen 2,9 (der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse) V. 54–56: Gen 2,10 (der aus Eden entspringende Fluss mit vier Armen) V. 57–60: Gen 2,11–12 (der Fluss Phison und das Land Hevilat) V. 61: Gen 2,13 (der Fluss Geon) V. 62–63: Gen 2,14 (die Flüsse Tigris und Euphrat) V. 64–65a: Gen 2,15 (Einsetzung des Menschen ins Paradies als Bearbeiter und Wächter) V. 65b–67: Gen 2,16 (Mahnrede Gottes: Erlaubnis, die Früchte des Paradieses zu essen) V. 68–69: Gen 2,17 (Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen)

V. 70–71

Gen 2,25 (Nacktheit der Menschen ohne Scham)

V. 72–78

Gen 3,1 (erste Rede der Schlange; Infragestellung des göttlichen Verbots)

V. 79–80

Gen 3,5 vorgezogen (zweite Rede der Schlange: Öffnung der Augen durch den Verzehr der verbotenen Früchte)

V. 81

Gen 3,3 (erste Entgegnung Evas, 2. Teil: Wiederholung des göttlichen Essverbots, ergänzt um das Verbot der Berührung; beim HD umgestaltet als Weigerung Evas und Furcht, die Zweige zu berühren)

V. 82–83

Gen 3,6a (Eva erliegt der Versuchung und isst vom verbotenen Baum)

V. 84

Gen 3,7 vorgezogen (Öffnung der Augen, beim HD nur auf Eva bezogen)

V. 85–87a

Gen 3,6b (Eva gibt Adam von den Früchten, er isst)

V. 87b–90

Gen 3,7 (Öffnung der Augen, beim HD jetzt auf Adam bezogen; Erkenntnis der Nacktheit, Feigenblätter als Schurz)

V. 91–92

Gen 3,8 (Adam und Eva verbergen sich vor Gott)

V. 93–94a

Gen 3,9 (Frage Gottes an Adam, wo er sei)

V. 94b–96

Gen 3,10 (Antwort Adams)

V. 97

Gen 3,11 (Frage Gottes nach dem Verzehr der verbotenen Früchte)

V. 98–100

Gen 3,12 (Antwort Adams mit Schuldzuweisung an die Frau)

Übersicht 1: Zum Umgang des HD mit der biblischen Erzählchronologie

533

Hept. gen.

Vom HD behandelte Bibelverse nach der Vet. Lat.

V. 101–106

Gen 3,13 (Anrede Gottes an Eva und deren Antwort)

V. 107–110a

Gen 3,14 (Verurteilung der Schlange)

V. 110b–113

Gen 3,15 (Stiftung der Feindschaft zwischen Schlange und Menschen)

V. 114–116

Gen 3,16 (Bestrafung der Frau)

V. 117–119

Gen 3,17 (Bestrafung des Mannes)

V. 120–121

Gen 3,18 (die Erde wird Dornen hervorbringen)

V. 122–125

Gen 3,19 (Mühsal des Broterwerbs und Tod)

V. 126–127

Gen 3,23–24a (Entfernung der Menschen aus dem Paradies)

V. 128–130

Gen 3,24b (Platzierung Adams gegenüber dem Paradies, beim HD auf beide Menschen bezogen; Aufstellung von Cherubim und Flammenschwert)

V. 131–133

Gen 3,21 nachgetragen (Fellkleider für die Menschen)

V. 134–135a

Gen 4,1 (Adam „erkennt“ Eva)

V. 135b–136a

Gen 3,20 nachgetragen (Benennung der Frau als „Leben“ aufgrund ihrer Mutterfunktion, beim HD Benennung der Frau als „Mutter“)

V. 136b–137

Gen 4,1–2 (summarisch: Geburt von Kain und Abel)

V. 138a

Gen 4,1 (Geburt Kains)

V. 138b–140

Gen 4,2 (Geburt Abels und Berufe der beiden)

V. 141–142

Gen 4,3–4 (summarisch: Gaben von Kain und Abel)

V. 143–144a

Gen 4,3 (Gaben Kains)

V. 144b–146

Gen 4,4 (Gaben Abels; Gott sieht auf Abels Gaben)

V. 147

Gen 4,5 (Zorn Kains)

V. 148–152

Gen 4,6–7 (mahnende Anrede Gottes an Kain)

V. 153–155

Gen 4,8 (Ermordung Abels)

V. 156–158

Gen 4,9 (Gott stellt Kain zur Rede, Kain leugnet)

V. 159–160

Gen 4,10 (Stimme von Abels Blut als Zeuge für den Mord)

V. 161–166

Gen 4,11–12 (Bestrafung Kains)

V. 167

Gen 4,14 (Entgegnung Kains: jeder, der ihn finde, werde ihn töten; vom HD als Wunsch Kains nach dem Tod umgedeutet)

V. 168–171

Gen 4,15 (Gott macht Kain ein Zeichen, damit er nicht getötet wird)

V. 172–173

Gen 4,16 (Kain lässt sich im Lande Naid nieder)

V. 174–175

Gen 4,17 (Kain gründet eine Stadt und nennt sie nach seinem Sohn Enoch)

V. 176–178

Gen 4,18 (Nachkommen Kains von Enoch bis Mathusala)

V. 179–182

Gen 4,23–24 vorgezogen (Lamechs Rede vor seinen Frauen)

V. 183

Gen 4,19 (Lamechs Frauen Ada und Sella)

V. 184–185

Gen 4,20 (Adas Sohn Jobel)

V. 186–187

Gen 4,21 (Adas Sohn Jubal)

V. 188–191

Gen 4,22 (Sellas Kinder Thobel und Noema)

V. 192–193

Gen 4,25 (Adams Sohn Seth)

V. 194–196

Gen 4,26 (Seths Sohn Enos)

V. 197–198

Gen 5,5 (Adams Tod)

534

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Hept. gen.

Vom HD behandelte Bibelverse nach der Vet. Lat.

V. 199–200a

Gen 5,11 (Tod des Enos)

V. 200b–201

Gen 5,14 (Tod des Kainan)

V. 202–203a

Gen 5,17 (Tod des Maleleel)

V. 203b–204

Gen 5,20 (Tod des Jared)

V. 205–206a

Gen 5,22 (Enochs gottgefälliger Lebenswandel)

V. 206b–208a

Gen 5,23 (Enochs Lebenszeit von 365 Jahren)

V. 208b–210

Gen 5,24 (Entrückung Enochs)

V. 211–212

Gen 5,27 (Tod des Mathusala)

V. 213

Gen 5,25 nachgetragen (Mathusalas Sohn Lamech), Gen 5,28–29a (Lamech zeugt einen Sohn und nennt ihn Noah)

V. 214–220

Gen 5,29b (Lamechs Prophezeiung über Noah)

V. 221–222

Gen 5,31 (Tod des Lamech)

V. 223–224

Gen 6,9 vorgezogen (Noahs guter Lebenswandel)

V. 225–227

Gen 5,32 (Noahs drei Söhne)

V. 228

Gen 7,6 vorgezogen (Noahs Alter von 600 Jahren)

V. 229–230

Gen 6,5 vorgezogen (Gott sieht die vielfache Bosheit der Menschen)

V. 231–233

Gen 6,3 vorgezogen (Gott verkürzt die menschliche Lebenszeit auf 120 Jahre)

V. 234–237

Gen 6,2 (die Engel Gottes sehen die Schönheit der Menschentöchter und nehmen sie zu Frauen)

V. 238

Gen 6,4 (die Giganten)

V. 239–242a

Gen 6,6 (Reue Gottes über die Erschaffung des bösen Menschen; vom HD auf die Untaten der Giganten bezogen)

V. 242b–249

Gen 6,7 (Beschluss Gottes, die Schöpfung zu vernichten) kontaminiert mit Gen 6,17 (Gott will die Schöpfung durch eine Flut vernichten, V. 244–245)

V. 250–260

Gen 6,14–16 (Anweisungen Gottes bezüglich des Baus der Arche, beim HD als Ausführung dargestellt)

V. 261

Gen 6,22 (Ausführung der Aufträge durch Noah)

V. 262–266a

Gen 7,1 (Aufforderung Gottes an Noah, mit seinem Haus in die Arche einzusteigen) kontaminiert mit Gen 6,18 (konkretere Angaben zu den mitzunehmenden Angehörigen, vgl. V. 263)

V. 266b–269a

Gen 7,2 (Aufforderung, von den reinen Tieren sieben Paare und von den unreinen zwei Paare mitzunehmen)

V. 269b–273a

Gen 6,21 nachgetragen (Aufforderung, Nahrung mitzunehmen)

V. 273b–281

Gen 7,4 (Ankündigung des Sintflutregens)

V. 282–283a

Gen 7,5 (Ausführung der Aufträge durch Noah)

V. 283b–284a

Gen 7,6 (Noahs Alter von 600 Jahren bei Beginn der Sintflut)

V. 284b–286

Gen 7,7 (Noah steigt mit seiner Familie in die Arche ein)

V. 287–288

Gen 7,11 (Hervorbrechen der Wasser aus dem Himmel und den Quellen des Abgrunds)

V. 289

Gen 7,12 (vierzigtägiger Regen)

V. 290–292

Gen 7,21 (Tod aller Lebewesen auf der Erde)

Übersicht 1: Zum Umgang des HD mit der biblischen Erzählchronologie

535

Hept. gen.

Vom HD behandelte Bibelverse nach der Vet. Lat.

V. 293–294a

Gen 7,17b–18 nachgetragen (das Wasser hebt die Arche empor und diese treibt oben auf der Flut)

V. 294b–296a

Gen 7,23b (Noah überlebt in der Arche)

V. 296b–297

Gen 8,2 (Aufhören des Regens)

V. 298–299

Gen 8,3 (Sinken des Wassers)

V. 300–302

Gen 8,7 (Aussendung des Raben, der nicht zurückkehrt)

V. 303

Gen 8,8 (erste Aussendung der Taube)

V. 304–305

Gen 8,9 (Rückkehr der Taube mangels eines Landeplatzes)

V. 306–307

Gen 8,10 (nach sieben Tagen zweite Aussendung der Taube)

V. 308–310

Gen 8,11 (Rückkehr der Taube gegen Abend mit Ölbaumblättern)

V. 311–313

Gen 8,12 (nach sieben Tagen dritte Aussendung der Taube, die nicht mehr zurückkehrt)

V. 314–318

Gen 8,13 (zu Beginn von Noahs 601. Lebensjahr ist das Wasser von der Erde gewichen), kontaminiert mit Gen 8,5 (Sichtbarwerden der Berggipfel, V. 317) und Gen 7,20 (das Wasser steigt 15 Ellen über die Berggipfel, V. 318)

V. 319–321

Gen 8,14 (am 27. Tag des 2. Monats ist die Erde trocken)

V. 322–323

Gen 8,4 nachgetragen (Aufsitzen der Arche auf dem Berg Ararat, beim HD umgedeutet als Landung der Arche am Fuß des Berges)

V. 324

Gen 8,18–19 (Noah verlässt mit seiner Familie und den Tieren die Arche)

V. 325–327a

Gen 8,20 (Noah bringt Gott ein Opfer dar)

V. 327b–330

Gen 8,21 (der Opferduft erfreut Gott; Gott beschließt, nie wieder in gleicher Weise alles Fleisch zu vernichten) kontaminiert mit Gen 9,11 (Gott verspricht, dass er die Erde nie mehr durch eine Sintflut vernichten wird, V. 330)

V. 331–332

Gen 8,22 (Gott gewährleistet die geregelte Abfolge der Jahreszeiten)

V. 333–334

Gen 9,13–14 vorgezogen (der Regenbogen)

V. 335–337

Gen 9,1–2 (Gottes Segen für Noah und seine Söhne; Auftrag, über die Schöpfung zu herrschen)

V. 338–340

Gen 9,4 (Verbot, bluthaltiges Fleisch zu essen)

V. 341–343

Gen 9,5–6 (für das vergossene Blut eines Menschen wird Gott das Blut des schuldigen Menschen oder Tieres einfordern)

V. 344–346

Gen 9,19 (ausgehend von Noahs Söhnen verbreitet sich die Menschheit; vom HD umgedeutet: Gott lässt Noahs Söhne getrennt die Erde in Besitz nehmen) kontaminiert mit Gen 9,7 (Vermehrungsauftrag, V. 346)

V. 347–348

Gen 9,20 (Erfindung des Weinbaus durch Noah)

V. 349

Gen 9,21 (Trunkenheit Noahs)

V. 350–352

Gen 9,22 (Chams Vergehen)

V. 353–356

Gen 9,23 (Chams Brüder bedecken abgewandt den Vater)

V. 357–358a

Gen 9,24 (Noah erfährt die Untat des Cham; beim HD: Noah erfährt die pietätvolle Tat der beiden anderen Söhne)

V. 358b–360

Gen 9,25 (Noah verflucht Cham)

V. 361–362

Gen 9,29 (Tod Noahs)

536

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Übersicht 2: Zu Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltlichen Veränderungen und interpretierender Wiedergabe der biblischen Vorlage in Hept. gen. 1–362 äIpo dakV üzng,G uK bersicht2:Z Ü

Die Übersicht geht an der biblischen Vorlage von Hept. gen. 1–362 entlang und nennt in der linken Spalte diejenigen Bibelverse, die von Kürzungen (K), Hinzufügung eigener Gedanken (E), inhaltlichen Veränderungen (V) oder interpretierender Wiedergabe (I) durch den HD betroffen sind; in Kammern sind die entsprechenden Verse des HD angegeben. Die rechte Spalte weist die jeweils erfolgten Eingriffe aus, wobei bei den Kürzungen unterschieden wird, ob der HD den betreffenden Bibelvers vollkommen unberücksichtigt lässt (K vollständig) oder nur einen Teil des Inhalts auslässt (K teilweise); dabei ist der entfallende Inhalt jeweils in Klammern angegeben. Werden Bibel und Darstellung des HD vergleichend einander gegenübergestellt, erfolgt dies mit den Kürzeln Gen und HD.

4

Bibelvers der Vet. Lat.4, in Klammern: entspr. Verse von Hept. gen.

Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltliche Veränderungen und interpretierende Wiedergabe der biblischen Vorlage in Hept. gen. 1– 362

Gen 1,2 (V. 2–4)

I (Unsichtbarkeit der Erde gedeutet als Bedecktsein der Erde von der Urflut, V. 2)

Gen 1,3 (V. 5)

I (Entstehung des Lichtes durch Auseinanderbewegen der Finsternis)

Gen 1,4

K vollständig (Gott sieht, dass das Licht gut ist, und scheidet es von der Finsternis)

Gen 1,5 (V. 7)

K teilweise (Benennung des Lichts als Tag und der Finsternis als Nacht)

Gen 1,6

K vollständig (Befehl Gottes, dass das Firmament im Wasser entstehen und die Wasser sich scheiden sollen)

Gen 1,7 (V. 8)

K teilweise (Scheidung der Wasser in solche über und unter dem Firmament) I (Deutung der Wasser über dem Firmament als Wolken)

Gen 1,8

K vollständig (Benennung des Firmaments als „Himmel“, Billigungsformel, Ende des zweiten Tages)

Gen 1,9 (V. 9–10)

K teilweise (Befehl Gottes, dass das Wasser unter dem Firmament sich sammeln und das Trockene erscheinen soll) E (Andeutung der Gezeiten (errantia litora), V. 9; ins Meer einmündende Flüsse, V. 10) V/I (Sammlung des Wassers unter dem Firmament dargestellt als Umgeben des Meeres mit Küsten, V. 9)

Gen 1,10 (V. 12)

K teilweise (Benennung der Wasseransammlung als Meer, Billigungsformel)

Bei fehlender Bezeugung wird auf die LXX Bezug genommen.

Übersicht 2: Zu Kürzungen, eigenen Gedanken, Veränderungen, Interpretation

537

Vet. Lat. (Hept. gen.)

Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltliche Veränderungen und interpretierende Wiedergabe der bibl. Vorlage in Hept. gen. 1–362

Gen 1,11

K vollständig (Befehl Gottes, dass die Erde die Pflanzen hervorbringen soll)

Gen 1,12 (V. 13–14)

K teilweise (Gras und Fruchtbäume bringen Samen nach ihrer Art hervor; Billigungsformel) E (Wind auf den Feldern, Blüten an den Gräsern, Obstbäume mit sich biegenden Ästen)

Gen 1,14 (V. 17–18)

K teilweise (Befehl Gottes, dass die Gestirne entstehen sollen; deren Funktion, über der Erde zu leuchten, Tag und Nacht zu scheiden und Tage und Jahre anzuzeigen) E (wechselnde Aufgänge der Gestirne als Zeichen für die „Zeiten“, V. 18)

Gen 1,15

K vollständig (Leuchtfunktion der zu erschaffenden Gestirne)

Gen 1,18

K vollständig (Funktion der Sterne, über Tag und Nacht zu herrschen bzw. diese zu scheiden; Billigungsformel)

Gen 1,20

K vollständig (Befehl Gottes, dass die Wasser Kriechtiere und Vögel hervorbringen sollen)

Gen 1,21 (V. 19–20)

K teilweise (Billigungsformel)

Gen 1,22 (V. 23–24)

V (Vermehrungsbefehl an Fische und Vögel auf alle am Land lebenden Tiere bezogen)

Gen 1,24

K vollständig (Befehl Gottes, dass die Erde die Landtiere hervorbringen soll)

Gen 1,25 (V. 21–22)

K teilweise (Billigungsformel)

Gen 1,26 (V. 26–28)

E (Erkenntnis Gottes, dass der Welt ein Lenker fehlt, V. 26)

Gen 1,27

K vollständig (Erschaffung des Menschen als Mann und Frau)

Gen 1,28 (V. 45–47)

K teilweise (Herrschaftsauftrag an die Menschen) E (auch der Himmel soll voll sein von Adams und Evas Nachkommenschaft, V. 47)

Gen 1,29 (V. 48–49)

E (die Menschen als „Erben“ Gottes, V. 48)

Gen 1,31 (V. 21)

K teilweise (Gott sieht, dass alles, was er gemacht hat, sehr gut ist)

Gen 2,1

K vollständig (Vollendung von Himmel und Erde)

Gen 2,2 (V. 40)

K teilweise (Gott vollendet sein Werk am sechsten Tag)

Gen 2,3 (V. 41)

K teilweise (Gott heiligt den siebten Tag, weil er an ihm von seinen Werken ausruht) E (die Heiligung des 7. Tages dient der Freude einer kommenden Zeit)

Gen 2,4–6

K vollständig (neues Ansetzen des Schöpfungsberichts; Quelle, die die Erde bewässert)

Gen 2,7 (V. 29–32)

K teilweise (Lehm als Material der Menschenformung) E (Gott würdigt den Menschen einer Erschaffung durch seine eigene Hand, V. 29–30) V (Gen: Gott haucht den Lebensatem ins Gesicht des Menschen, HD: in die Brust des Menschen, V. 31)

538

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Vet. Lat. (Hept. gen.)

Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltliche Veränderungen und interpretierende Wiedergabe der bibl. Vorlage in Hept. gen. 1–362

Gen 2,8 (V. 50–51)

K teilweise (Gott setzt den Menschen in den Garten) E (Gott legt das Paradies laeta [...] in aula an, V. 50)

Gen 2,9 (V. 52–53)

K teilweise (Gott pflanzt im Paradies alle Arten von Bäumen, die schön zum Ansehen und gut zum Essen sind; der Baum des Lebens) I (der Baum der Erkenntnis erscheint als Baum mit tödlichen Früchten, der den Geschmack von Leben und Tod in sich vereint)

Gen 2,10 (V. 54–56)

E (der Fluss entspringt in der Mitte des Paradieses, V. 54)

Gen 2,11 (V. 57.60)

V (Gen: das Land Hevilat enthält Gold, HD: der Fluss Phison enthält Gold, V. 57; Gen: der Fluss Phison umrundet das Land Hevilat, HD: er bespült es, V. 60)

Gen 2,12 (V. 58–59)

K teilweise (das Gold des Landes Hevilat ist das beste) E (der Fluss Phison schleift die Edelsteine, V. 58) V (Gen: Karfunkel und Smaragd befinden sich im Land Hevilat, HD: sie befinden sich im Fluss Phison)

Gen 2,13 (V. 61)

V (Gen: der Fluss Geon umrundet Aethiopien, HD: er bereichert Aethiopien)

Gen 2,14 (V. 62–63)

E (der Euphrat ist dem Tigris benachbart, V. 62) V (Gen: der Tigris fließt gegenüber von Assyrien, HD: er durchschneidet es, V. 63)

Gen 2,15 (V. 64–65a)

V (auch die Frau wird in den Garten gesetzt, V. 64)

Gen 2,16 (V.65b–67)

V (Gen: die Menschen sollen (grundsätzlich) von allen Bäumen im Paradies essen, HD: die Menschen sollen sich nicht scheuen, von den erlaubten Früchten zu essen, V. 66–67)

Gen 2,17 (V. 68–69)

V (Gen: die Menschen werden sterben, wenn sie vom Baum der Erkenntnis essen, HD: die Früchte des Baums sind schädlich, V. 68) I (der Baum der Erkenntnis erscheint als Baum mit zweifachem Saft, der „für andere Zwecke“ bestimmt ist, V. 69)

Gen 2,18 (V. 33)

K teilweise (Beschluss Gottes, dem Menschen eine Hilfe zu machen, die ihm ähnlich ist) E (Gott erkennt, dass den alleinstehenden Menschen Sorgen quälen könnten)

Gen 2,19 (V. 42)

K teilweise (Gott führt die Tiere zu Adam, um zu sehen, wie er sie benennt; so wie Adam die Tiere benennt, heißen sie fortan)

Gen 2,20 (V. 43–44)

K teilweise (die Tiere sind keine adäquate Hilfe für Adam) E (die Intelligenz befähigt Adam zur Benennung der Tiere, V. 44)

Gen 2,21 (V. 34–35)

K teilweise (Gott füllt den Platz der entnommenen Rippe mit Fleisch)

Gen 2,22 (V. 35)

K teilweise (Gott führt Adam die Frau zu)

Gen 2,23 (V. 36–37)

V (Gen: Adam nennt die Frau „Frau“, weil sie vom Mann genommen ist, HD (Kontamination mit Gen 3,20): sie erhält den Namen Eva = Leben, V. 37) I (Adams Ausruf, dass die Frau Bein von seinem Bein und Fleisch von seinem Fleisch ist, deutet der HD im Sinne der gemeinsamen substantia, die Mann und Frau stärkt, V. 36)

Übersicht 2: Zu Kürzungen, eigenen Gedanken, Veränderungen, Interpretation

539

Vet. Lat. (Hept. gen.)

Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltliche Veränderungen und interpretierende Wiedergabe der bibl. Vorlage in Hept. gen. 1–362

Gen 2,24 (V. 38–39)

K teilweise (Mann und Frau werden ein Fleisch) E (nach dem Verlassen der Eltern errichten die Kinder eigene Wohnsitze, V. 39)

Gen 2,25 (V. 70–71)

V (Gen: fehlende Scham der Menschen angesichts ihrer Nacktheit, HD: Blindheit durch tiefe Nacht, V. 70)

Gen 3,1 (V. 72–78)

E (Beschreibung der im Paradies kriechenden Schlange; sie sinnt auf missgünstige Lügen; sie führt Evas weiches Herz in Versuchung, V. 72–76) V (Gen: die Schlange gibt das göttliche Verbot verkehrt wieder („Warum hat Gott verboten, von allen Bäumen im Paradies zu essen?“), HD: die Schlange fragt, warum Eva die (angeblich) glückbringenden Früchte fürchte, wo Gott doch alle Früchte geheiligt habe, V. 77–78)

Gen 3,2

K vollständig (erste Entgegnung Evas, 1. Teil: die Menschen dürfen (grundsätzlich) von allen Bäumen im Paradies essen)

Gen 3,3 (V. 81)

K teilweise (Zweck des Essverbots: die Menschen sollen nicht sterben) V (Gen: Eva wiederholt das göttliche Essverbot, ergänzt um das Verbot der Berührung; beim HD umgestaltet als Weigerung Evas und Furcht, die Zweige zu berühren)

Gen 3,4

K vollständig (zweite Rede der Schlange, 1. Teil: die Menschen werden durch den Verzehr der verbotenen Frucht nicht sterben)

Gen 3,5 (V.79–80)

K teilweise (zweite Rede der Schlange, 2. Teil: Gott wusste, dass den Menschen an dem Tag, an dem sie von dem Baum essen, die Augen geöffnet werden; das Öffnen der Augen bedeutet, dass die Menschen wie Götter sind, in Kenntnis des Guten und Bösen) I (das von der Schlange prophezeite Öffnen der Augen interpretiert der HD so, dass für Eva der Himmel mit seinen Sternen erstrahlen wird, V. 80)

Gen 3,6 (V. 82–83. 85–87a)

E (Eva gibt Adam die Frucht, da sie von deren Geschmack dazu verlockt wird, V. 85–86) V (Gen: Eva sieht, dass der Baum gut zum Essen und schön zum Anschauen ist, HD: Eva erliegt der Versuchung aufgrund ihrer intellektuellen bzw. charakterlichen Schwäche, V. 82)

Gen 3,7 (V. 84.87b–90)

E (Adam und Eva bedecken die Schamglieder, V. 90) V (Gen: Adam und Eva öffnen gleichzeitig die Augen, HD: erst Eva, dann Adam, V. 84.87b–88) I (der HD beschreibt das Öffnen der Augen als Aufleuchten des unbewölkten Himmels (bei Eva, V. 84) bzw. als Aufleuchten der von der Nacht befreiten Augen (bei Adam, V. 87b–88)

Gen 3,8 (V. 91–92)

K teilweise (Gott geht im Garten spazieren) E (die Menschen fürchten sich, V. 92) V (Gen: die Menschen verstecken sich beim Baum in der Mitte des Paradieses, HD: in abgelegenem Gelände, V. 92)

Gen 3,10 (V. 94b–96)

K teilweise (Adam gesteht, sich versteckt zu haben) V (Gen: Adam hat Angst bekommen, als er Gottes Stimme im Garten hörte, HD: Adam erzittert vor Gottes Anrede, V. 95–96)

Gen 3,11 (V. 97)

V (Gen: Gott folgert aus Adams Erkenntnis seiner Nacktheit, dass Adam von den verbotenen Früchten gegessen haben muss, HD: Gott fragt, wer Adam und Eva die schädlichen Früchte gegeben habe)

540

5

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Vet. Lat. (Hept. gen.)

Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltliche Veränderungen und interpretierende Wiedergabe der bibl. Vorlage in Hept. gen. 1–362

Gen 3,12 (V. 98–100)

E (Rechtfertigung Adams: Eva habe ihm die Frucht gegeben mit der Erklärung, dass ihre Augen plötzlich von Licht überströmt worden seien und dass ihr der Himmel mit den Gestirnen aufgestrahlt sei)

Gen 3,13 (V. 101–106)

E (der Zorn Gottes erschreckt Eva, V. 101; Rechtfertigung Evas: List und Schmeichelei der Schlange, V. 104–106)

Gen 3,14 (V. 107–110a)

I (die Verfluchung der Schlange vor allen Tieren der Erde interpretiert der HD dahingehend, dass die Schlange als ein allen verhasstes Ungetüm leben muss, V. 108)

Gen 3,15 (V. 110b–113)

K teilweise (der Mensch wird den Kopf der Schlange zertreten)

Gen 3,16 (V. 114–116)

E (Eva ist durch betrügerische Überredungskunst getäuscht worden, V. 114) I (die „Hinwendung“ der Frau zu ihrem Mann wird gedeutet als Neigung (studio), mit der sie die Herrschaft des Mannes erträgt, V. 116)

Gen 3,17 (V. 117–119)

K teilweise (Begründung für die Bestrafung Adams: er hat von dem einzigen Baum gegessen, von dem zu essen Gott ihm verboten hatte; die Erde wird für Adam bei all seinen Werken verflucht sein) E (Adam hat auf seine Frau gehört, die der grausamen Schlange erlegen ist, V. 118)

Gen 3,18 (V. 120–121)

K teilweise (Adam wird das Kraut des Feldes essen) E (Dornen und Disteln werden anstelle des Weizens wachsen)

Gen 3,20 (V. 135b–136a)

V (Gen: Adam nennt seine Frau „Leben“, weil sie die Mutter aller Lebendigen ist, HD: Adam verschafft seiner Frau den Namen Mutter)5

Gen 3,21 (V. 131–133)

E (Zweck der Fellkleider: die nackten Menschen sollen nicht frieren)

Gen 3,22

K vollständig (Motivation Gottes für die Entfernung Adams aus dem Paradies: Adam soll nicht vom Baum des Lebens essen)

Gen 3,23 (V. 126–127)

K teilweise (Gott wirft die Menschen aus dem Paradies, damit Adam die Erde bearbeitet, von der er genommen ist) E (Gott flößt den Menschen Ekel gegenüber dem Leben ein, V. 126)

Gen 3,24 (V.127–130)

K teilweise (Cherubim und Flammenschwert sollen den Zugang zum Baum des Lebens bewachen) V (der HD formt die Cherubim und das sich drehende Flammenschwert in das Bild eines einzigen, sich in einem Feuer drehenden Cherubs um, das Schwert wird nicht eigens erwähnt, V. 129–130)

Gen 4,1 (V.134–135a. 136b–138a)

K teilweise (Eva empfängt und gebiert Kain; ihr Ausspruch nach der Geburt Kains) E (Adam benennt seine beiden Söhne, V.137) V/I (Gen: Adam „erkennt“ Eva, HD: Adam wird sich durch die eheliche Gemeinschaft seiner Männlichkeit bewusst, V. 134–135a)

Gen 4,4 (V. 144b–146)

E (Abel opfert neben dem Fett der Schafe auch Eingeweide, V. 145; er gefällt sogleich Gott, V. 146) V (Gen: Abel opfert von den Erstlingen seiner Schafe, HD: Abel bringt sich selbst „mit einem Lamm“ dar, V. 144b)

Die Benennung der Frau als Leben gemäß Gen 3,20 erfolgt in V. 37, wo der HD Gen 2,23 mit Gen 3,20 kontaminiert.

Übersicht 2: Zu Kürzungen, eigenen Gedanken, Veränderungen, Interpretation

6 7

541

Vet. Lat. (Hept. gen.)

Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltliche Veränderungen und interpretierende Wiedergabe der bibl. Vorlage in Hept. gen. 1–362

Gen 4,5 (V. 147)

K teilweise (Gott blickt nicht auf Kain und seine Opfergaben; Kains Gesicht verfinstert sich) V (Gen: Grund für Kains Verdrossenheit bzw. Zorn ist die Tatsache, dass Gott nicht auf seine Gaben schaut; HD: Grund ist die zuvor genannte Tatsache, dass Gott auf Abels Gaben schaut und daran Gefallen findet)

Gen 4,6 (V. 148)

K teilweise (Gott fragt Kain nach dem Grund seiner Verdrossenheit)

Gen 4,7 (V. 149–152)

E (ausdrückliche Aufforderung an Kain, nicht mehr auf das Verderben des Bruders zu sinnen, V. 151) V (der HD abstrahiert vom sakralen Kontext des richtigen Opfers hin zum richtigen Handeln im Allgemeinen, V. 1496)

Gen 4,8 (V. 153–155)

K teilweise (Kain fordert Abel auf, mit ihm aufs Feld zu gehen) E (Kain achtet darauf, mit Abel allein auf dem Feld zu sein, V. 154) V (Gen: Kain erhebt sich über Abel und tötet ihn, HD: Kain erwürgt Abel, V. 155)

Gen 4,9 (V. 156–158)

K teilweise (Kain sagt, er wisse nicht, wo sein Bruder sei)

Gen 4,10 (V. 159–160)

K teilweise (Gott fragt Kain nach dem Grund seiner Tat)

Gen 4,13

K vollständig (Entgegnung Kains auf Gottes Strafspruch, 1. Teil: Kains Schuld sei größer, als dass sie ihm vergeben werden könne)

Gen 4,14 (V. 167)

K teilweise (Entgegnung Kains auf Gottes Strafspruch, 2. Teil: wenn Gott Kain heute von der Erde und seinem Angesicht vertreibe, werde er sich verbergen, er werde seufzend und zitternd auf der Erde sein) E (Kain stöhnt angesichts des Strafspruchs entsetzt auf) V (Gen: Kain befürchtet, dass jeder, der ihn finde, ihn töten werde, HD: Kain verlangt nach dem Tod)

Gen 4,15 (V. 168–171)

E (bei Kains Zeichen handelt es sich um ein Brandzeichen, V. 169) V (Gen: Gott widerspricht Kains Befürchtung; jeder, der Kain töte, werde siebenfach bestraft werden; Gott macht Kain ein Zeichen, damit niemand ihn tötet; HD: Gott erfüllt Kains Wunsch nach dem Tod nicht, sondern macht ihm zur Strafe ein Zeichen, damit niemand ihn tötet; die siebenfache Strafe scheint sich auf Kain selbst zu beziehen, V. 1717)

Gen 4,17 (V. 174–175)

K teilweise (Name von Kains Sohn: Enoch)

Gen 4,18 (V. 176–178)

K teilweise (Mathusala zeugt Lamech) E („allmähliche Geburt“ und langes Leben des Mathusala, V.177–178)

Gen 4,20 (V. 184–185)

K teilweise (Jobel als Vater der Zeltbewohner)

Gen 4,23 (V. 179.182)

V (Gen: Lamech hat einen Mann und einen Jüngling getötet, HD: Lamech hat Kain getötet, V. 179) I (Lamechs Mitteilung an seine Frauen als Klage und Selbstvorwurf, V. 182)

Vgl. die ausführliche Erörterung im Kommentar zu V. 149. Vgl. den Kommentar zu V. 171.

542

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Vet. Lat. (Hept. gen.)

Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltliche Veränderungen und interpretierende Wiedergabe der bibl. Vorlage in Hept. gen. 1–362

Gen 4,24 (V. 180–181)

K teilweise (für Kain ist siebenmal Rache genommen worden) E (Lamech erleidet Schlimmeres als Kain, V. 180) V (Gen: für Lamech wird siebzigmal siebenmal Rache genommen werden, HD: Lamech züchtigen zehnmal sieben Verbrechen, V. 181)

Gen 4,25 (V. 192–193)

K teilweise (Eva benennt Seth; Seth als von Gott geschenkter Ersatz für den getöteten Abel)

Gen 4,26 (V. 194–196)

E (Gott hat Enos ein reines Herz geschenkt, er gewährt ihm die Bitte, seinen Namen anrufen zu dürfen, und nimmt seine Gaben an)

Gen 5,1–4

K vollständig (Neuansatz mit Adams Stammbaum von seiner Erschaffung bis zu Seth)

Gen 5,6–10

K vollständig (Seths Nachkommen mit namentlicher Nennung des Enos, Seths Tod, Enos’ Nachkommen mit namentlicher Nennung des Kainan)

Gen 5,12–13

K vollständig (Kainans Nachkommen, namentlich genannt: Maleleel)

Gen 5,15–16

K vollständig (Nachkommen des Maleleel, namentlich genannt: Jared)

Gen 5,18–19

K vollständig (Nachkommen des Jared, namentlich genannt: Enoch)

Gen 5,20 (V. 203b–204)

V (Gen: Jareds Alter beträgt 962 Jahre, HD: 862)

Gen 5,21

K vollständig (Enoch zeugt Mathusala)

Gen 5,22 (V. 205–206a)

K teilweise (Lebensjahre Enochs nach der Zeugung des Mathusala, Zeugung weiterer Nachkommen) V/I (Gen: Enoch gefällt Gott, HD: Enoch als Diener und Freund Gottes)

Gen 5,24 (V. 208b–210)

E (Enoch verbringt ein glückliches und friedliches Leben, V. 210) V (Gen: Enoch gefällt Gott sehr, HD: Gott ist barmherzig mit Enoch, V. 209; Gen: Enoch ist nicht mehr zu finden, weil Gott ihn an einen anderen Ort versetzt hat, HD: Enoch wird von Gott mittels einer plötzlichen Finsternis entrückt, V. 208b–209)

Gen 5,25 (V. 213)

K teilweise (Mathusalas Lebensjahre vor der Zeugung des Lamech)

Gen 5,26

K vollständig (weiteres Leben Mathusalas nach der Zeugung von Lamech und Zeugung weiterer Nachkommen)

Gen 5,27 (V. 211–212)

V (Gen: Mathusalas Alter beträgt 969 Jahre, HD: mit Aufrundung 970 Jahre)

Gen 5,28 (V. 213)

K teilweise (Lamechs Lebensjahre vor der Zeugung des Noah)

Gen 5,29 (V. 213–220)

E (Lamechs Worte werden ausdrücklich als Prophezeiung bezeichnet, V. 214 –215; Noah wird eine harte Last beseitigen und den Frieden wiederherstellen, der durch die menschliche Schuld zerstört worden ist, V. 217–218)

Gen 5,30

K vollständig (weitere Lebensjahre Lamechs nach der Zeugung Noahs, Zeugung weiterer Nachkommen)

Gen 5,31 (V. 221–222)

V (Gen: Lamech erreicht ein Lebensalter von 753 Jahren, HD (= Vulg.): 777 Jahre)

Gen 6,1

K vollständig (Vermehrung der Menschen, Geburt von Töchtern)

Gen 6,2 (V. 234–237)

E (negative Bewertung der Tatsache, dass die Gottessöhne schöne Menschentöchter zu Frauen nehmen: sie werden von irdischer voluptas verlockt und

Übersicht 2: Zu Kürzungen, eigenen Gedanken, Veränderungen, Interpretation Vet. Lat. (Hept. gen.)

543

Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltliche Veränderungen und interpretierende Wiedergabe der bibl. Vorlage in Hept. gen. 1–362 gefangen gehalten)

Gen 6,3 (V. 231–233)

K teilweise (Gott beschließt, dass sein Geist nicht auf ewig in den Menschen bleiben wird) V (Motivation Gottes für die Lebenszeitbeschränkung in Gen: die Menschen sind (nur) Fleisch, beim HD: Gott beschränkt in seiner Barmherzigkeit die Nachteile des langen Menschenlebens, V. 231)

Gen 6,4 (V. 238)

V (in Abweichung von Gen erscheinen die Giganten ausdrücklich als Kinder der Gottessöhne und Menschentöchter; nach Gen sind die Giganten berühmte Männer, nach dem HD bedrohliche Riesen)

Gen 6,5 (V. 229–230)

K teilweise (Gott sieht, dass alle Menschen ihr Leben lang auf das Böse bedacht sind) E (Gott empfindet Ekel gegenüber der bösen Welt, V. 229)

Gen 6,6 (V. 239–242a)

E (aufgrund der Verbrechen der Giganten wird Gottes Geduld überstrapaziert, V. 239–240)

Gen 6,7 (V.242b–249)

E (Gott will die Sünden der Welt tilgen, V. 243; Beschreibung des weidenden Viehs, das vernichtet werden soll, V. 246–247)

Gen 6,8

K vollständig (Noah findet Gnade vor Gott)

Gen 6,9 (V. 223–224)

K teilweise (Noah gefällt Gott) E (Prophezeiung: Noah als Stammvater e. unschuldigen Generation, V. 224)

Gen 6,10

K vollständig (Noahs drei Söhne)

Gen 6,11–13

K vollständig (Gott sieht die Verkommenheit der Erde und verkündet Noah seinen Beschluss, die Schöpfung zu vernichten)

Gen 6,14 (V. 250.252– 254.259)

E (Zweck des Verpichens und der Kanthölzer ist die Wasserresistenz der Arche, V. 253 und 259) I („Nester“ (Nischen) der Arche als Vogelnester, V. 252)

Gen 6,16 (V. 251.257. 260)

K teilweise (Firstfläche der Arche von einmal einer Elle) V (Gen: Türöffnung seitlich, HD: in der Mitte, V. 260)

Gen 6,18 (V. 263)

K teilweise (Gottes Bund mit Noah) V (Gen: Noah soll mit seinen Söhnen, seiner Frau und den Frauen der Söhne in die Arche einsteigen, HD: mit seinen Söhnen und Töchtern)

Gen 6,19–20

K vollständig (Noah soll von allen Tieren je ein Paar mitnehmen)

Gen 6,21 (V. 269b–273a)

E (Gott will Noah durch die Mitnahme von Vorräten vor Hunger bewahren, V. 270b–273a)

Gen 7,1 (V. 262.264– 266a)

E (Noah hat aufgrund seines guten Willens, den Gott seit langem kennt, Besseres verdient als seine Zeitgenossen, V. 265–266a)

Gen 7,2 (V. 266b–269a)

I (die reinen Tiere nach Gen werden vom HD als zahme Tiere gedeutet, V. 267)

Gen 7,3

K vollständig (Anweisung, von den reinen Vögeln sieben Paare und von den unreinen zwei Paare mitzunehmen)

Gen 7,4 (V. 273b–281)

E (neben dem Wolkenbruch tragen auch die Quellen zur Sintflut bei, V. 275; die angeschwollenen Flüsse lassen den Meeresspiegel ansteigen, das Meer überschwemmt alles und bedeckt es mit Schlamm, V. 276–278) V (Hagel statt Regen, V. 280)

544

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Vet. Lat. (Hept. gen.)

Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltliche Veränderungen und interpretierende Wiedergabe der bibl. Vorlage in Hept. gen. 1–362

Gen 7,7 (V. 284b–286)

E (Noahs (Gott-)Vertrauen, V. 286) V (Gen: Noah steigt mit seinen Söhnen, seiner Frau und den Frauen seiner Söhne in die Arche ein, HD: mit seinen Söhnen und Töchtern, V. 285)

Gen 7,8–10

K vollständig (Einsteigen der Tiere in die Arche; Ausbruch der Sintflut nach sieben Tagen)

Gen 7,11 (V. 287–288)

K teilweise (Datierung: im 600. Lebensjahr Noahs, im 2. Monat, am 27. Tag)

Gen 7,12 (V. 289)

K teilweise (40 Nächte der Sintflut)

Gen 7,13–17a

K vollständig (erneute Erwähnung, dass Noah, seine Familie und die Tiere in die Arche einsteigen; Schließen des Eingangs der Arche durch Gott; erneute Erwähnung der vierzig Tage und Nächte dauernden Überschwemmung)

Gen 7,19

K vollständig (das Wasser bedeckt die Berggipfel)

Gen 7,21 (V. 290–292)

K teilweise (Vieh, Kriechtiere und Menschen sterben)

Gen 7,22–23a

K vollständig (Wiederholung von Gen 7,21: alles Leben auf der Erde stirbt)

Gen 7,23b (V. 294b–296a)

E (die Arche als bergende Mutter, V. 295; sie erleidet keinen Schiffbruch, V. 296a) I (Begleiter Noahs in der Arche gedeutet als Samen für kommende Generationen, V. 295)

Gen 7,24

K vollständig (das Wasser steigt 150 Tage an)

Gen 8,1

K vollständig (Gott gedenkt der Insassen der Arche und lässt durch einen Lufthauch die Wasser sinken)

Gen 8,2 (V. 296b–297)

K teilweise (die Quellen des Abgrunds schließen sich)

Gen 8,3 (V. 298–299)

K teilweise (Zeitangabe: nach 150 Tagen weicht das Wasser von der Erde) E (die Arche treibt auf mäßig tiefem Wasser, V. 299)

Gen 8,4 (V. 322–323)

K teilweise (Zeitangabe: im 7. Monat am 27. Tag) V (Gen: Aufsetzen der Arche auf dem Gipfel des Ararat während des Sinkens der Wasser, HD: Zuruhekommen der Arche am Fuß des Ararat bei vollständig trockener Erde)

Gen 8,5 (V. 317)

K teilweise (Zeitangaben: das Wasser sinkt bis zum 11. Monat; Sichtbarwerden der Berggipfel am 1. Tag des 11. Monats) E (Aufsteigen von Dampf aufgrund der Verdunstung)

Gen 8,6

K vollständig (nach vierzig Tagen öffnet Noah die Tür bzw. das Fenster der Arche)

Gen 8,7 (V. 300–302)

K teilweise (Grund für die Entsendung des Raben: Noah will sehen, ob das Wasser gewichen ist; der Rabe kehrt nicht zurück, bis das Wasser von der Erde gewichen ist) E (schwarze Farbe des Raben; er wird von einem schnellen Wind davongetragen (Erklärung für sein Fortbleiben?); er lässt Noah im Ungewissen)

Gen 8,8 (V. 303)

K teilweise (Grund für die Entsendung der Taube: Noah will sehen, ob das Wasser gewichen ist) E (weiße Farbe der Taube)

Übersicht 2: Zu Kürzungen, eigenen Gedanken, Veränderungen, Interpretation

545

Vet. Lat. (Hept. gen.)

Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltliche Veränderungen und interpretierende Wiedergabe der bibl. Vorlage in Hept. gen. 1–362

Gen 8,9 (V. 304–305)

K teilweise (Noah streckt seine Hand aus, nimmt die Taube und holt sie zu sich in die Arche)

Gen 8,11 (V. 308–310)

K teilweise (an der Rückkehr der Taube mit dem Ölzweig erkennt Noah, dass das Wasser von der Erde gewichen ist) E (die Taube hat einen Wald gefunden, V. 308) V (Gen: die Taube hat einen Ölzweig (mit einem Blatt oder Blättern) im Schnabel, HD: die Taube hat den Schnabel voll von Ölzweigen, V. 308–309)

Gen 8,13 (V. 314–317)

K teilweise (Noah entblößt das Dach der Arche)

Gen 8,14 (V. 319–321)

E (die Erde zeigt Vegetation, V. 321)

Gen 8,15–17

K vollständig (Auftrag Gottes an Noah, mit seiner Familie und den Tieren die Arche zu verlassen)

Gen 8,18–19 (V. 324)

E (Noah öffnet die Arche) I (Noahs Frau, Söhne, Schwiegertöchter und die Tiere werden zusammenfassend als neue Samen für die Erde bezeichnet)

Gen 8,20 (V. 325–327a)

K teilweise (Noah opfert vom reinen Vieh und von den reinen Vögeln) E (Noah errichtet nicht nur einen Altar, sondern ein Heiligtum, V. 325; er löst mit dem Opfer ein Gelübde ein, V. 326)

Gen 8,21 (V. 327b–229)

K teilweise (Gott will die Erde nicht weiter verfluchen wegen der Werke der Menschen, da der Sinn des Menschen von Jugend an auf das Böse bedacht ist)

Gen 8,22 (V. 331–332)

V/I (Gen: Saat und Ernte, Winter und Sommer werden bei Tag und bei Nacht nicht ruhen; der HD spricht abstrakter von Monaten und Jahreszeiten)

Gen 9,1–2 (V. 335–337)

K teilweise (Vermehrungsauftrag; alle Tiere auf Erden, Vögel und Fische sollen Noah und seine Söhne fürchten) V (nach Gen segnet Gott Noah und seine Söhne, beim HD nur Noah, V. 335; nach Gen richtet sich der Herrschaftsauftrag an Noah und seine Söhne, beim HD nur an Noah, V. 336–337)

Gen 9,3

K vollständig (Gott übergibt den Menschen die Tiere als Nahrung)

Gen 9,4 (V. 338–340)

I (Verbot, Fleisch „mit Blut des Lebens“ zu essen, wird gedeutet als Verbot, ungeschächtete Tiere zu essen, V. 339) E (Erklärung des Verbots: im Blut ist die Seele der Tiere, V. 340)

Gen 9,5–6 (V. 341–343)

K teilweise (Begründung dafür, dass der Mörder eines Menschen sein eigenes Blut vergießen muss: Gottesebenbildlichkeit des Menschen)

Gen 9,7 (V. 346)

V (Vermehrungsauftrag in Gen an Noah und seine Söhne gerichtet, beim HD nur an die Söhne)

Gen 9,8–10

K vollständig (Gottes Bundesschluss mit Noah, seinen Söhnen und ihren Nachkommen sowie mit allen anderen Lebewesen)

Gen 9,11 (V. 330)

K teilweise (Gottes Bundesschluss)

Gen 9,12

K vollständig (Ankündigung eines Bundeszeichens)

Gen 9,13 (V. 333)

K teilweise (Funktion des Regenbogens: Zeichen des ewigen Bundes zwischen Gott und der Erde) E (rot-gelbe Farbe des Regenbogens)

546

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Vet. Lat. (Hept. gen.)

Kürzungen, Hinzufügung eigener Gedanken, inhaltliche Veränderungen und interpretierende Wiedergabe der bibl. Vorlage in Hept. gen. 1–362

Gen 9,14 (V. 334)

E (Entstehung des Regenbogens durch das Zusammenwirken von Regenwolken und Sonne)

Gen 9,15–18

K vollständig (der Regenbogen wird Gott an den Inhalt seines Bundes erinnern; wiederholte Aufzählung von Noahs Söhnen)

Gen 9,19 (V. 344–345)

V/I (Gen: ausgehend von Noahs drei Söhnen verbreitet sich das ganze Menschengeschlecht über die Erde; HD: Gott lässt Noahs Söhne getrennt Land in Besitz nehmen)

Gen 9,20 (V. 347–348)

K teilweise (Noah beginnt, ein Bauer zu sein) E (Erfindung des Weinbaus als Geschenk Gottes; Noah kostet vom Wein)

Gen 9,21 (V. 349)

K teilweise (Noah entblößt sich in seinem Haus) E (Noah trinkt schnell – Erklärung für die Trunkenheit?)

Gen 9,22 (V. 350–352)

K teilweise (Cham sieht die Nacktheit des Vaters, er geht zu seinen Brüdern hinaus) E (Cham verspottet Noah, V. 350)

Gen 9,23 (V. 353–356)

K teilweise (die beiden Brüder legen sich eine Decke über die Schultern) E (pietas der beiden anderen Söhne Noahs, V. 353; sie wenden nicht nur den Blick ab, sondern neigen auch den Kopf, V. 356)

Gen 9,24 (V. 357–358a)

E (pietas der beiden anderen Söhne, V. 357) V (Gen: Noah erkennt die Untat Chams, HD: Noah erkennt die pflichtbewusste Tat der beiden anderen Söhne)

Gen 9,25 (V. 358b–360)

E (Cham soll seine mächtigen Brüder voll Schrecken anflehen, V. 360)

Gen 9,26–28

K vollständig (Segen Noahs für Sem und Japheth; Lebensjahre Noahs nach der Sintflut)

Übersicht 3: Inhaltliche und lexikalische Übereinstimmungen von Hept. gen. 1– 362 mit der Vetus Latina gegen die Vulgata al L ugdV bersicht3:nm Ü

V. 2 namque erat informis fluctuque abscondita tellus vgl. Vet. Lat. gen. 1,2 (L) terra autem erat invisibilis et inconposita (informis) („unsichtbar und ungestaltet“) gegen Vulg. gen. 1,2 terra autem erat inanis et vacua („wüst und leer“) V. 11 tertia lux faciem terrarum fulva retexit vgl. Vet. Lat. gen. 1,9 (E) et paruit arida gegen Vulg. gen. 1,9, wo diese Worte ausgelassen sind V. 22 quadrupedumque greges totos diffundit in agros vgl. Vet. Lat. gen. 1,24 (C) quadrupedum // (E) quadrupedia // (M) quadrupedes gegen Vulg. gen. 1,24 iumenta V. 35 mollius ut vulsa formetur femina costa vgl. Vet. Lat. gen. 2,22 (C) et formavit deus costam [...] in mulierem gegen Vulg. gen. 2,22 et aedificavit Dominus Deus costam [...] in mulierem (vgl. auch Vet. Lat. Textform I)

Übersicht 3: Übereinstimmungen mit der Vetus Latina gegen die Vulgata

547

V. 37 inditur et nomen Vitae, quod dicitur Aevva vgl. Vet. Lat. gen. 3,20 (C) et tunc Adam imposuit nomen uxori suae Vita // (I) et vocavit Adam nomen uxoris suae (+Eva id est) Vita(m) gegen Vulg. gen. 3,20 et vocavit Adam nomen uxoris suae Hava (Eva) V. 48 heredesque mei varios decerpite fructus vgl. Vet. Lat. gen. 1,29 (E) omne lignum quod habet in se fructum (fructus) seminis sativi gegen Vulg. gen. 1,29 universa ligna quae habent in semet ipsis sementem generis sui V. 51 instruitur primique adspectat lumina solis vgl. Vet. Lat. gen. 2,8 (L) ad (contra / secundum) orientem gegen Vulg. gen. 2,8 a principio V. 54 Aedibus in mediis puro fluit agmine flumen vgl. Vet. Lat. gen. 2,10 (L) ex (de) Eden gegen Vulg. gen. 2,10 de loco voluptatis V. 59 prasinus huic nomen, illi est carbunculus ardens vgl. Vet. Lat. gen. 2,12 (L) carbunculus et lapis prasinus gegen Vulg. gen. 2,12 bdellium et lapis onychinus V. 66–68 Ne trepidate simul licitos praecerpere fructus, / [...] / solliciti, ne forte malum noxale legatis (Anrede an Adam und Eva im Plural) vgl. Vet. Lat. gen. 2,16 (L) ex omni ligno quod est in paradiso edes (edetis / comedite / manducabitis) ad escam 2,17 (L) de ligno autem scientiae boni et mali non edetis ab eo qua die enim ederitis ab illo morte moriemini8 (Anrede im Plural zumindest teilweise bezeugt) gegen Vulg. gen. 2,16 ex omni ligno paradisi comede 2,17 de ligno autem scientiae boni et mali ne comedas in quocumque enim die comederis ex eo morieris (Anrede nur im Singular) V. 87 quod simul ac sumpsit [...] vgl. Vet. Lat. gen. 3,6 (C) et accepit Adam gegen Vulg. gen. 3,6, wo diese Worte ausgelassen sind (ebenso Vet. Lat. Textform I) V. 91 Forte sub occiduo domini iam lumine solis vgl. Vet. Lat. gen. 3,8 (L) ad vesperam gegen Vulg. gen. 3,8 ad auram post meridiem V. 109 pectore mox fuso prorepere [...] vgl. Vet. Lat. gen. 3,14 (K) pectore tuo et ventre repes gegen Vulg. gen. 3,14 super pectus tuum gradieris (ähnlich Vet. Lat. Textform E: super pectus tuum et ventrem tuum ambulabis) V. 116 servitiumque sui studio perferre mariti vgl. Vet. Lat. gen. 3,16 (L) et conversio tua ad virum tuum et ipse tui dominabitur gegen Vulg. gen. 3,16 et sub viri potestate eris et ipse dominabitur tui V. 127–128 […] sacratis dimovet hortis / obversosque locat medioque eliminat igni [scil. Adamum et Aevvam] vgl. Vet. Lat. gen. 3,24 (C) et eiectus foras de paradiso moratus est [scil. Adam] contra paradisum voluptatis // (I) et eiecit Adam et conlocavit eum contra paradisum voluptatis gegen Vulg. gen. 3,24 eiecitque Adam et conlocavit ante paradisum voluptatis cherubin et flammeum gladium atque versatilem V. 140 ast alius curvo terram vertebat aratro vgl. Vet. Lat. gen. 4,2 (E) Cain autem operabatur terram gegen Vulg. gen. 4,2 et Cain agricola

8

Für jedes der drei Verben sind auch Varianten im Singular bezeugt, vgl. Fischer 1951, 47–48.

548

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

V. 149 Dic mihi, si rectum vivas et noxia cernas vgl. Vet. Lat. gen. 4,7 (E) si recte offeras recte autem non dividas gegen Vulg. gen. 4,7 si bene egeris recipies sin autem male V. 151 desine mordaci fratrem disperdere sensu vgl. Vet. Lat. gen. 4,7 (E) quiesce (desine9) gegen Vulg. gen. 4,7: Die Aufforderung an Kain hat hier keine Entsprechung. V. 152 qui tibi ceu domino subiectus colla praebebit [scil. frater] vgl. Vet. Lat. gen. 4,7 (E) ad te conversio eius et tu dominaberis eius (der Kontext legt einen Bezug von eius auf den Bruder nahe) gegen Vulg. gen. 4,7 sed sub te erit appetitus eius et tu dominaberis illius (eius bzw. illius beziehen sich auf das unmittelbar zuvor genannte peccatum) V. 162–163 […] quae maduit germani sanguine terra, / inviso maledicta tibi conmissa negabit vgl. Vet. Lat. gen. 4,11 (L) et nunc maledictus tu a terra (maledicta terra10) gegen Vulg. gen. 4,11 nunc igitur maledictus eris super terram V. 165–166 torpidus ut multo conlidens membra tremore / funere ceu iuncto semper suspiria ducas vgl. Vet. Lat. gen. 4,12 (E) gemens et tremens eris super terram gegen Vulg. gen. 4,12 vagus et profugus eris super terram V. 172 ilicet a facie domini ceu perditus exit vgl. Vet. Lat. gen. 4,16 (I) et exi(v)it Cain gegen Vulg. gen. 4,16 egressusque Cain V. 173 Aedibus obversis Naidae in caespite terrae vgl. Vet. Lat. gen. 4,16 (I) in terra Naid contra Edem gegen Vulg. gen. 4,16 in terra profugus ad orientalem plagam Eden V. 176 Enochus Gaidada (Peiper; naida AG, naidã C) creat ac deinde Malechum vgl. Vet. Lat. gen. 4,18 (I) Gaidad gegen Vulg. gen. 4,18 Irad V. 188 Tobelum mox Sella parit, cui fundere rivos vgl. Vet. Lat. gen. 4,22 (I) Tobel gegen Vulg. gen. 4,22 Thubalcain V.216 Hic secura dabit nobis commercia vitae vgl. Vet. Lat. gen. 5,29 (E) hic nobis dabit requiem ab omnibus operibus nostris gegen Vulg. gen. 5,29 iste consolabitur nos ab operibus V. 219 tristibus et dextris, quarum sulcata labore vgl. Vet. Lat. gen. 5,29 (E) et a tristitiis manuum nostrarum gegen Vulg. gen. 5,29 et laboribus manuum nostrarum V. 234 Haec inter sanctos lactat terrena voluptas vgl. Vet. Lat. gen. 6,2 (E) videntes autem angeli (filii) dei filias hominum gegen Vulg. gen. 6,2 videntes filii Dei filias eorum11 V. 238 progenuere sibi torva cum mole gigantes vgl. Vet. Lat. gen. 6,4 (I) et generabant sibi illi erant gigantes a saeculo gegen Vulg. gen. 6,4 illaeque genuerunt isti sunt potentes a saeculo

9

Es ist fraglich, ob diese Variante Bibeltext ist; bezeugt durch Hier. epist. 100,3,1 (vgl. Fischer 1951, 83). 10 Zur vielfachen Bezeugung dieser Variante vgl. Fischer 1951, 85. 11 Dass der HD mit sanctos dem Wort angeli im Haupttext der Vetus Latina näher steht als filii in der Vulgata, bemerkt auch Nazzaro (Cipriano) 2006, 1035.

Übersicht 3: Übereinstimmungen mit der Vetus Latina gegen die Vulgata

549

V. 246 omnigenasque simul pecudes, quae laeta per agros vgl. Vet. Lat. gen. 6,7 (L) usque ad pecus gegen Vulg. gen. 6,7 usque ad animantia V. 251 duplicibus cameris arcam conpangere iussus vgl. Vet. Lat. gen. 6,16 (S) et bicameratam et tricameratam facies eam // (I) bicamerata et tricamerata facies gegen Vulg. gen. 6,16 cenacula et tristega facies in ea V. 252 quae teneat volucrum mansura ad germina nidos vgl. Vet. Lat. gen. 6,14 (S) et nidos facies // (I) nidos facies in arca(m) gegen Vulg. gen. 6,14 mansiunculas in arca facies V. 257 at qua sublimi surgunt fastigia tecto vgl. Vet. Lat. gen. 6,16 (S) collectam facies arcam // (I) colligens facies arcam (die Arche soll sich nach oben hin verjüngen) gegen Vulg. gen. 6,16 fenestram in arca facies V. 259 assere quadrato, nullis cessura fluentis vgl. Vet. Lat. gen. 6,14 (S) de lignis quadratis // (I) ex lignis quadratis gegen Vulg. gen. 6,14 de lignis levigatis V. 267 claude simul pecudes omni de germine mites vgl. Vet. Lat. gen. 7,2 (E) a pecoribus autem mundis gegen Vulg. gen. 7,2 ex omnibus animantibus mundis V. 268 [...] inmundo de grege bina vgl. Vet. Lat. gen. 7,2 (E) et a pecoribus inmundis bina et bina (bina12/duo et duo) gegen Vulg. gen. 7,2 de animantibus vero non mundis duo duo V. 291 nec fera celsiiugo devitat marmora colle vgl. Vet. Lat. gen. 7,21 (A) ferarum gegen Vulg. gen. 7,21 bestiarum V. 311–312 inde iterum septem transcursis rite diebus / mittitur in pelagus ales [...] vgl. Vet. Lat. gen. 8,12 (I) alios septem dies iterum dimisit columbam gegen Vulg. gen. 8,12 expectavitque nihilominus septem alios dies et emisit columbam V. 322–323 ergo ubi nudatis consedit montibus arca, / Araratum qui nomen habent sermone vetusto vgl. Vet. Lat. gen. 8,4 (I) et sedit arca [...] super montes Ararat gegen Vulg. gen. 8,4 requievitque arca [...] super montes Armeniae V. 327 hostia digna fuit [...] vgl. Vet. Lat. gen. 8,20 (S) hostiam // (X) hostias gegen Vulg. gen. 8,20 holocausta (vgl. auch die Vetus-Latina-Textform M) V. 336–337 scilicet ut cunctis, quae tellus et mare gignit, / imperitet fidus, cum sint subiecta regenti vgl. Vet. Lat. gen. 9,1 (I) et dominamini eius und 9,2 (E) dedi vobis omnia sub potestate gegen Vulg. gen. 9,1 (ein Herrschaftsauftrag fehlt) und 9,2 manui vestrae traditi sunt V. 349 quem propere expletum cyathis somnoque gravatum vgl. Vet. Lat. gen. 9,21 (L) et bibit de vino et inebriatus est (obdormivit13) gegen Vulg. gen. 9,21 bibensque vinum inebriatus est

12 Es ist fraglich, ob diese Variante Bibeltext ist; bezeugt durch Rufin in einer textkritischen Variante, Hier. und Aug. (vgl. Fischer 1951, 112 und 545). 13 Die Variante obdormivit ist bezeugt in Ambr. hex. 3,72 (vgl. Fischer 1951, 130).

550

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

V. 357–358 id pietatis opus postquam iam mente serena / cognovit vatis [...] vgl. Vet. Lat. gen. 9,24 (M) et cognovit omnia quae fecit ei filius iunior gegen Vulg. gen. 9,24 cum didicisset quae fecerat ei filius suus minor

Übersicht 4: Übereinstimmungen von Hept. gen. 1–362 mit dem Wortlaut der Vetus Latina L olaV ugdW bersicht4:nm Ü

Die folgende Übersicht stellt Hept. gen. 1–362 dem entsprechenden Text der Vetus Latina gegenüber, wobei Übereinstimmungen im Wortlaut einschließlich etymologischer Verwandtschaft durch Fettdruck markiert und synonyme Begriffe unterstrichen sind. In den Fußnoten ist ggf. die Bezeugung der in Klammern stehenden Vetus-Latina-Varianten angegeben.

Hept. gen.

Vet. Lat.

V. 1 Principio dominus caelum terramque locavit

gen. 1,1 (L) in principio (principio14) fecit deus caelum et terram

V. 2 namque erat informis fluctuque abscondita tellus

gen. 1,2 (L) terra autem erat invisibilis et inconposita (informis15)

V. 3 inmensusque deus super aequora vasta meabat

gen. 1,2 (L) et spiritus dei superferebatur super aquas

V. 4 dum chaos et nigrae fuscabant cuncta tenebrae

gen. 1,2 (L) et tenebrae erant super abyssum

V. 6 „Lux fiat!“ et clare nituerunt omnia mundo

gen. 1,3 (L) et dixit deus fiat lux

V. 7 cum dominus primi complesset facta diei

gen. 1,5 (L) dies unus (primus16)

V. 12 arida mox posito narratur nomine terra

gen. 1,10 (C/E) et vocavit deus aridam terram

V. 15 quarta die generat solis cum lampade lunam

gen. 1,19 (L) dies quartus (quarta17)

V. 16 et stellas tremulo radiantes lumine fingit

gen. 1,16 (K/E) et stellas

V. 17–18 haec elementa dedit subiecto insignia mundo, / tempora quae doceant varios mutanda per ortus

gen. 1,14 (L) et sint in signis (signa) et in temporibus (tempora18) et in diebus et in annis

V. 19 quinta die accipiunt liquentia flumina

gen. 1,23 (L) dies quintus (quinta19)

14 Bezeugt durch Greg. Tur., welchen Zeugen Fischer 1951, 3 mit ? versieht. 15 Fraglich, ob informis Bibeltext ist; bezeugt durch Chalc. 278 (vgl. Fischer 1951, 6). 16 Bezeugt durch Caes. Arel., welchen Zeugen Fischer 1951 mit ? versieht, Acta suppositi concilii Caesareae (Variante), Paschale der Supputatio Romana (Anspielung); abgelehnt von Ambr. hex., Aug. civ., Aug. loc. hept., Hier. in Ezech. und Rufin. (vgl. Fischer 1951, 10 und 530). 17 Bezeugt durch die Vet.-Lat.-Handschrift 111 und Rufin. (vgl. Fischer 1951, 20). 18 Die Akkusative signa und tempora sind vielfach bezeugt (vgl. Fischer 1951, 18). 19 Bezeugt durch die Vet.-Lat.-Handschrift 111 und Rufin. (vgl. Fischer 1951, 23).

Übersicht 4: Übereinstimmungen mit dem Wortlaut der Vetus Latina Hept. gen.

551

Vet. Lat.

pisces V. 20 et volucres varia suspendunt corpora penna

gen. 1,21 (L) et omne volatile pennatum

V. 21 sexta pater gelidos in spiras lubricat angues

gen. 1,31 (L) dies sextus

V. 23–24 cunctaque multiplici mandavit crescere passim / germine [...]

gen. 1,22 (L) crescite et multiplicamini

V. 27–28 haec memorat: „Hominem nostris faciamus in unguem / vultibus adsimilem, toto qui regnet in orbe.“

gen. 1,26 (L) et dixit deus faciamus hominem ad imaginem et similitudinem nostram

V. 31 inspirat brutum divino a pectore pectus

gen. 2,7 (L) insufflavit (inspiravit20) in faciem eius spiritum vitae

V. 32 quem postquam effigie formatum ceu sua vidit

gen. 2,7 (L) et tunc finxit (formavit21) deus hominem (+ ad imaginem suam22)

V. 33 metitur solum mordaces volvere curas

gen. 2,18 (L) non est bonum esse hominem solum

V. 34 ilicet inriguo perfundit lumina somno

gen. 2,21 (L) et inmisit deus soporem (somnum23) in Adam

V. 35 mollius ut vulsa formetur femina costa

gen. 2,22 (C) et formavit deus costam [...] in mulierem

V. 37 inditur et nomen Vitae, quod dicitur Aevva

gen. 3,20 (I) vocavit Adam nomen uxoris suae (+ Eva id est24) Vita(m)

V. 38–39 quapropter nati linquunt de more parentes / coniugibusque suis positis cum sedibus haerent

gen. 2,24 (L) propter hoc (propter quod25) relinquet homo patrem et matrem et adiungetur (adhaerebit26) uxori suae

V. 40 septima luce deus factorum fine quievit

gen. 2,2 (L) et requievit die septimo (septima27) ab omnibus operibus suis quae fecit

V. 43 viritim cunctis nomen, quod permanet, indit

gen. 2,20 (I) et inposuit Adam nomina (nomen28) omnibus pecoribus etc.

V. 46–47 Crescite multimodo ventura in tempora partu, / ut polus et plenae vestro sint germine terrae

gen. 1,28 (L) crescite et multiplicamini et replete terram

20 Bezeugt durch viele Kirchenväter, mehrfach durch Ambr. und Aug. (vgl. Fischer 1951, 39). 21 Bezeugt durch viele Kirchenväter, mehrfach durch Aug. (vgl. Fischer 1951, 38). 22 Der Zusatz ad imaginem suam (bezeugt durch Ps. Vigil. Thaps., Pelag. I und Isid.) ist, wie auch die ähnlichen Zusätze ad imaginem similitudinis suae, ad imaginem et similitudinem suam und ad suam imaginem similitudinemque, von Vet. Lat. gen 1,26–27 beeinflusst (vgl. Fischer 1951, 39). 23 Bezeugt durch Aug. c. Adim. 3 (vgl. Fischer 1951, 51). 24 Der Zusatz ist bezeugt durch Aug. gen. ad litt. 11,1 in einer Variante (vgl. Fischer 1951, 75). 25 Bezeugt durch Hier. epist. 123,11,1 (vgl. Fischer 1951, 54–55). 26 Bezeugt durch viele Kirchenväter (vgl. Fischer 1951, 55 „alle übrigen“). 27 Bezeugt durch viele Kirchenväter (vgl. Fischer 1951, 35). 28 Es ist fraglich, ob nomen Bibeltext ist, einziger Zeuge ist Ambr. parad. 63 (vgl. Fischer 1951, 536).

552

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Hept. gen.

Vet. Lat.

V. 48 heredesque mei varios decerpite fructus

gen. 1,29 (E) et omne lignum quod habet in se fructum (fructus29) seminis sativi erit vobis in escam

V. 50 Haec ubi disseruit, laeta paradisus in aula

gen. 2,8 (L) et tunc plantavit deus paradisum in Eden

V. 52 gignitur haec inter pomis letalibus arbos

gen. 2,9 (L) et lignum (arborem30) scientiae boni et mali

V. 54–55 Aedibus in mediis puro fluit agmine flumen, / quod rigat insignes liquidis de fluctibus hortos

gen. 2,10 (L) flumen autem prodibat ex Eden et inrigabat (quod inrigabat/qui rigat31) paradisum

V. 57.60 Fisonus auriferis praedives fluctuat undis / [...] / perspicuisque vadis terram praelambit Evilam

gen. 2,11 (C) nomen uni Fison hoc est quod circuit totam terram Evilath // (I) nomen est uni Fison hic est qui circuit omnem terram Evilat (C) ibi // (I) ubi (L) est aurum

V. 59 prasinus huic nomen, illi est carbunculus ardens

gen. 2,12 (L) ibi est carbunculus et lapis prasinus

V. 62–63 tertius est Tigris, Eufrati adiunctus amoeno, / Assyriam […] flumine sulcans

gen. 2,14 (L) et flumen tertium Tigris

V. 64–65 hic positus custos Adamus cum coniuge fida / atque opifex [...]

gen. 2,15 (L) et posuit eum in paradiso ut operaretur ibi et custodiret eum

V. 73 spumeus astuto vincens animalia sensu

gen. 3,1 (L) serpens autem erat sapientior (astutior32) omnium bestiarum (omnibus animalibus33) quae erant super terram

V. 79 atqui si studeas mellitos carpere fructus

gen. 3,5 (L) qua die (si34) ederitis ex illo

V. 81 illa negat vetitosque timet contingere ramos

gen. 3,3 (L) sed neque tangamus (contingetis35) ne moriamur

V. 89–90 ergo ubi nudatum prospexit corpus uterque, / quae pudenda vident, ficulnis frondibus umbrant

gen. 3,7 (C) et tunc scierunt quia nudi erant et suerunt sibi // (I) et cognoverunt (viderunt36) quod nudi essent et consuerunt (L) folia fici (ficulnea37) et fecerunt sibi tegimenta

V. 94 „Dic, ubi nunc degas!“ [...]

gen. 3,9 (L) Adam ubi es

V. 95–96 „O domine, adfatus pavido sub

gen. 3,10 (L) et dixit illi vocem tuam audivi

29 Bezeugt durch Ambr. vid. 5 (vgl. Fischer 1951, 32). 30 Bezeugt durch mehrere Kirchenväter, mehrfach durch Rufin. (vgl. Fischer 1951, 43 und 534). 31 Quod inrigabat ist bezeugt durch Aug. gen. ad litt. 8,7, qui rigat durch Ambr. parad. 4 (vgl. Fischer 1951, 43). 32 Bezeugt durch Aug. gen. ad litt. 11,2, Anspielung in Aug. epist. 243,10 (vgl. Fischer 1951, 56 und 536). 33 Bezeugt durch Rufin. in einer Dublette (vgl. Fischer 1951, 56). 34 Bezeugt durch mehrere Kirchenväter, vgl. Fischer 1951, 59. 35 Es ist fraglich, ob contingetis Bibeltext ist; es ist bezeugt durch Aug. gen. ad litt. 11,30 in einer Variante (vgl. Fischer 1951, 58). 36 Fischer 1951, 61 versieht viderunt mit einem ? und gibt als Zeugen u.a. Aug. gen. c. Manich. 2,15,23 an, ferner mehrere darauf anspielende Autoren, u.a. Ambr., vgl. ebd. 61 und 537. 37 Es ist fraglich, ob dies Bibeltext ist; Anspielung darauf bei Tert., Iren., Prud. und Aug. (vgl. Fischer 1951, 537).

Übersicht 4: Übereinstimmungen mit dem Wortlaut der Vetus Latina

553

Hept. gen.

Vet. Lat.

corde tremesco, / magne, tuos, nudusque metu frigente fatigor.“

domine in paradiso et timui (I) quoniam nudus sum et abscondi me

V. 97 tum dominus: „Quis poma dedit noxalia vobis?“

gen. 3,11 (C) quis nuntiavit tibi quia nudus es // (I) quis tibi indicavit quia nudus es

V. 98 Tradidit haec mulier [...]

gen. 3,12 (C) mulier quam dedisti mihi // (I) mulier quam dedisti

V. 103 [...] Serpentis suasa loquellis

gen. 3,13 (L) serpens seduxit me (suasit38) et manducavi

V. 109–110a pectore mox fuso prorepere, tum sola morsu / mandere [...]

gen. 3,14 (K) pectore tuo et ventre repes (E) et terram edes (manducabis39)

V. 110–113 [...] bello / humanos inter sensus ipsumque labentem, / vertice ut abiecto pronus post crura virorum / serperet et calces [...]

gen. 3,15 (K) et ponam inimicitiam // (E) et inimicitias ponam (L) inter te et mulierem et inter semen tuum et semen eius ipse tuum calcabit caput et tu observabis calcaneum eius

V. 115 praecipitur duro discrimine ponere partum

gen. 3,16 (L) in tristitia paries filios

V. 121 carduus et spinis multum paliurus acutis

gen. 3,18 (K) spinas et tribulos eiciet tibi // (E) spinas et tribulos generabit tibi

V. 124–125 donec in occiduo venientis tempore mortis, / unde geris corpus, terrae reddare iacenti

gen. 3,19 (L) donec revertaris in terram de qua (unde40) sumptus es

V. 128 obversosque locat medioque eliminat igni

gen. 3,24 (I) et eiecit Adam et conlocavit eum contra paradisum voluptatis

V. 130 dum calidus defervet apex flammasque volutat

gen. 3,24 (C) et cherubim et illam flammeam frameam quae versatur (volvitur41) posuit deus // (I) et posuit cherubim et flammeam romphaeam versatilem

V. 132–133 consuit evulsas pecudum de viscere pelles, / operiens nudos calidis de vestibus artus

gen. 3,21 (L) fecit dominus deus Adae et mulieri eius tunicas pellicias et induit (vestivit42) (C) illos // (I) eos

V. 140 ast alius curvo terram vertebat aratro

gen. 4,2 (E) Cain autem operabatur terram

V. 142–144 dissimiles fructus sensu suadente dedere. / nam prior uberibus fuerant quae prosata glaebis, / obtulit [...]

gen. 4,3 (E) obtulit Cain de fructu (fructibus43) terrae sacrificium domino

V. 145 exta gerens sincera manu adipemque nivalem

gen. 4,4 (E) et Abel obtulit et ipse de primitiis ovium suarum (+ et de/ex adipibus/adipe44 earum/illarum)

38 39 40 41

Bezeugt durch Lucif. und Ambr. (vgl. Fischer 1951, 66). Bezeugt durch viele Kirchenväter, mehrfach durch Aug. (vgl. Fischer 1951, 67). Bezeugt durch Greg. Ilib., Rufin., Aug. und Isid. (vgl. Fischer 1951, 74 und 538). Es ist fraglich, ob dies Bibeltext ist; bezeugt durch eine Anspielung bei Ps.-Augustinus und Tyconius (vgl. Fischer 1951, 78–79). 42 Bezeugt durch Filastr., Ambr., Ps. Rufin. und Ps. Aug. (vgl. Fischer 1951, 76). 43 Bezeugt durch mehrere Kirchenväter (vgl. Fischer 1951, 80). 44 Bezeugt durch mehrere Kirchenväter (vgl. Fischer 1951, 80 und 540).

554

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Hept. gen.

Vet. Lat.

V. 149–152 „Dic mihi, si rectum vivas et noxia cernas, / degere num possis contracto a crimine purus? / desine mordaci fratrem disperdere sensu, / qui tibi ceu domino subiectus colla praebebit.“

gen. 4,7 (E) nonne si recte offeras recte autem non dividas peccasti quiesce (desine45) ad te conversio eius et tu dominaberis eius

V. 158 ille negat positum custodem se fore fratris

gen. 4,9 (E) numquid custos fratris mei sum ego

V. 159–160 [...] „Nonne vox sanguinis eius / ad me missa sonat celsumque ascendit ad axem?“

gen. 4,10 (L) vox sanguinis fratris tui clamat ad me de terra

V. 162–163 nam modo quae maduit germani sanguine terra, / inviso maledicta tibi [...]

gen. 4,11 (L) et nunc maledictus tu a terra (maledicta terra46) quae aperuit os suum ad excipiendum sanguinem fratris tui

V. 165 torpidus ut multo conlidens membra tremore

gen. 4,12 (E) gemens et tremens eris super terram

V. 169–171 nam mala promeritus signo fit notus inusto, / sternere ne ferro liceat cuicumque nocentem, / ne maius septena parent discrimina funus

gen. 4,15 (I) omnis qui occiderit Cain septem vindictas exsolvet et posuit dominus deus Cain signum ne (+ quisquam47) eum occideret omnis qui invenisset

V. 172–173 ilicet a facie domini ceu perditus exit, / Aedibus obversis Naidae in caespite terrae

gen. 4,16 (I) et exi(v)it Cain a facie dei (domini48) et habitavit in terra Naid contra Edem

V. 175 nomine primaevi sublimem condidit urbem

gen. 4,17 (I) et erat aedificans (condidit49) civitatem in nomine (nomine50) filii sui Enoch

V. 183 quarum prima fuit Ada atque altera Sella

Vet. Lat. gen. 4,19 (I) nomen uni Ada et nomen secundae (alteri51) Sella

V. 185 gramineis laeta pecudes pascebat in herba

gen. 4,20 (I) hic erat pater habitantium in tabernaculis pecuariorum

V. 188–189 Tobelum mox Sella parit, cui fundere rivos / aeris erat moris ferrumque incude subactum

gen. 4,22 (I) Sella autem peperit et ipsa Tobel et erat malleator (et) aerarius aeramenti et ferri

V. 216–220 „Hic secura dabit nobis commercia vitae / et durum removebit onus pacemque reducet, / quae factis est pulsa malis nostroque reatu / tristibus et dextris, quarum sulcata labore / terra negat fructum, domino male-

gen. 5,29 (E) hic nobis dabit requiem ab omnibus operibus nostris et a tristitiis manuum nostrarum et a terra cui maledixit dominus deus

45 Es ist fraglich, ob diese Variante Bibeltext ist; bezeugt durch Hier. epist. 100,3,1 (vgl. Fischer 1951, 83). 46 Bezeugt durch Tert., Rufin. (in einer Variante) und Hier., Anspielung bei Ps. Philo (vgl. Fischer 1951, 85). 47 Bezeugt durch Aug. c. Iulian. op. imperf. 6,23 (vgl. Fischer 1951, 87). 48 Bezeugt durch mehrere Kirchenväter (vgl. Fischer 1951, 88 und 541). 49 Es ist fraglich, ob dies Bibeltext ist; bezeugt durch mehreren Kirchenväter, u.a. mehrere Anspielungen bei Aug. (vgl. Fischer 1951, 89 und 542). 50 Bezeugt durch Tycon. reg. 4 (vgl. Fischer 1951, 89). 51 Bezeugt durch Ps. Philo (vgl. Fischer 1951, 89).

Übersicht 4: Übereinstimmungen mit dem Wortlaut der Vetus Latina Hept. gen.

555

Vet. Lat.

dicta loquente.“ V. 230 multimodosque hominum longa sub luce reatus

gen. 6,5 (I) videns autem dominus deus quia multiplicatae sunt malitiae hominum

V. 236 dum facies pulchro ridentes corpore cernunt

gen. 6,2 (E) videntes autem angeli dei filias hominum quod essent formonsae (pulchrae52)

V. 238 progenuere sibi torva cum mole gigantes

gen. 6,4 (I) gigantes autem erant super terram in diebus illis et post illud cum intrarent filii dei ad filias hominum et generabant sibi

V. 240 cogitur offendi; longam dum concipit iram

gen. 6,6 (I) et cogitavit (iratus est53) deus quia fecit hominem super terram

V. 243.245–249 „Ius delere mihi mundi peccata nocentis / [...] / humanumque genus vastis mersare fluentis / omnigenasque simul pecudes, quae laeta per agros / gramina detondent, celsis dum collibus errant. / serpentes nex una premat volucresque ferasque, / ut mea deletis mitescat fraudibus ira.“

gen. 6,7 (L) et dixit deus perdam (deleam / delebo54) hominem quem feci a facie terrae ab homine usque ad pecus et a reptilibus usque ad volatilia caeli (I) quoniam paenitet me (iratus sum55) quod feci eos

V. 252–254.259 quae teneat volucrum mansura ad germina nidos. / ac, ne fissilibus dissultent robora rimis, / unguine praepingui linuit bituminis arcam. / [...] / assere quadrato, nullis cessura fluentis

gen. 6,14 (I) fac ergo tibi arcam ex lignis quadratis nidos facies in arca(m) et bituminabis (inlinies, linies56) eam ab intus et a foris bitumine

V. 255–256 ipsa fuit plenas ter centum longa per ulnas, / quinquaginta patens transversam lata per alvum

gen. 6,15 (E) trecentorum cubitorum longitudine(m) et quinquaginta cubitorum latitudine(m)

V. 251 duplicibus cameris arcam conpangere iussus

gen. 6,16 (S) et bicameratam et tricameratam facies eam // (I) bicamerata et tricamerata facies

V. 267–269a claude simul pecudes omni de germine mites / septenis paribus; inmundo de grege bina / esse sines tecum [...]

gen. 7,2 (E) a pecoribus autem mundis induces ad te septem et septem et a pecoribus inmundis bina et bina (bina57)

V. 269b [...] escamque his omnibus infers

gen. 6,21 (I) tu autem accipe tibi ipsi ab omnibus escis quae eduntur

V. 279 namque quater denis iuncta cum nocte diebus

gen. 7,4 (S) per dies quadraginta totidemque noctes

V. 282–283 haec ubi dicta, fiunt domini mandata volente / festinoque sene [...]

gen. 7,5 (I) et fecit omnia Noe quae mandavit ei dominus deus

52 53 54 55

Durch mehrere Kirchenväter bezeugt (vgl. Fischer 1951, 102 und 544). Bezeugt durch Ambr. Noe 9 (vgl. Fischer 1951, 105). Bezeugt durch viele Kirchenväter (vgl. Fischer 1951, 105). Bezeugt durch die Vetus-Latina-Handschriften 91–95 und Aug. civ. 15,24 (vgl. Fischer 1951, 106). 56 Inlinies ist bezeugt durch Ambr. Noe 15, linies durch Rufin. Orig. in gen. 2,4 (Anspielung) und Chronicon Alexandrinum 13 (vgl. Fischer 1951, 108–109 sowie 544). 57 Es ist fraglich, ob diese Variante Bibeltext ist; bezeugt durch Rufin in einer textkritischen Variante, Hier. und Aug. (vgl. Fischer 1951, 112 und 545).

556

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Hept. gen.

Vet. Lat.

V. 288 atque abyssus riguos dimisit in aequora fontes

gen. 7,11 (E) et erupti sunt omnes fontes abyssi

V. 289 iamque quater denis stagnantur cuncta diebus

gen. 7,12 (I) quadraginta diebus et quadraginta noctibus

V. 290–292 non volucres levibus suspendunt corpora pinnis, / nec fera celsiiugo devitat marmora colle, / omnia conduntur pelago, mors omnibus una est.

gen. 7,21 (I) et mortua est omnis caro quae movebatur super terram (A) volatilium pecorum et iumentorum et ferarum

V. 300–302 emittit senior nigrantem pectora corvum, / qui levibus pinnis volucri dum flamine fertur, / non rediit [...]

gen. 8,7 (E) et emisit corvum ut videret utrum cessasset aqua et exiens non est reversus (rediit58) donec siccaret aqua a terra

V. 303 [...] mittit per stagna columbam

gen. 8,8 (E) et emisit columbam post eum

V. 307 [...] dimittit pinna plaudente volucrem

gen. 8,10 (L) et iterum dimisit columbam

V. 308–309 quae nemore invento ramis praepinguis olivae / ora referta tulit, cum iam per sidera vesper

gen. 8,11 (L) et reversa est (S) columba ad eum sub vespera(m) habens ramum oleae (olivae59) in ore suo

V. 311–312 inde iterum septem transcursis rite diebus, / mittitur in pelagus ales [...]

gen. 8,12 (I) alios septem dies iterum dimisit columbam

V. 317 visa aperire procul montes ac volvere fumum

gen. 8,5 (I) (ap)paruerunt (visa sunt60) capita montium

V. 319–321 decurso iam mense dehinc cum trina secundo / lumina restarent, toto iam libera fluctu / terra fuit [...]

gen. 8,14 (I) in secundo autem mense septima et vicesima die mensis siccata est terra

V. 322 ergo ubi nudatis consedit montibus arca

8,4 (I) et sedit arca in mense septimo septima et vicensima mensis super montes Ararat

V. 326–327a atque memor voti, adolet dum altaria flammis. / hostia digna fuit [...]

gen. 8,20 (S) et obtulit hostiam super altare deo

V. 327b […] mites dum gignit odores

gen. 8,21 (K) et delectatus est deus in odorem suavitatis // (E) et odoratus est dominus odorem suavitatis

V. 330 diluvium dominus ventura in tempora tollit

gen. 9,11 (M) non erit diluvium ut corrumpat omnem terram

V. 331–332 festinos menses et tempora mobilis anni / inrequieta iubens consuetos volvere cursus

gen. 8,22 (I) omnibus diebus terrae semen et messis hiemps et aestus die et nocte non requiescent

V. 333 sed croceum tantum curvandum in nubibus arcum

gen. 9,13 (I) arcum meum ponam in nube (nubibus61)

V. 335 prosequitur vatem domini benedictio mitem

gen. 9,1 (M) et benedixit dominus Noe

V. 338 admonitus pecudum carnes secernere mensis

gen. 9,4 (L) praeter carnem in sanguine animae non edetis

58 59 60 61

Bezeugt durch Hil., Hier., Aug. und Quodv. (Anspielung) (vgl. Fischer 1951, 119 und 546). Bezeugt durch mehrere Kirchenväter (vgl. Fischer 1951, 121 und 547). Bezeugt durch Ambr. Noe 60 (vgl. Fischer 1951, 119). Bezeugt durch mehrere Kirchenväter (vgl. Fischer 1951, 128).

Übersicht 5: Übereinstimmungen mit poetischen Vorgängern

557

Hept. gen.

Vet. Lat.

V. 343 similibus dant colla modis fusura cruorem

gen. 9,6 (E) qui effuderit sanguinem hominis pro sanguine illius effundetur (fundetur62) (+ sanguis illius63)

V. 348 vitis ut inventor delibet candida vina

Vet. Lat. gen. 9,20 (I) et plantavit vineam (vitem64)

V. 349 quem propere expletum cyathis somnoque gravatum

gen. 9,21 (L) et bibit de vino et inebriatus est (obdormivit65)

V. 354–356 tergoribus studio iunctis dum lumina vertunt, / sopitum texere66 senem, nec turpia dictum / membra vident tenero flectentes colla pudore

gen. 9,23 (A) et sumentes vestimentum posuerunt supra dorsa sua et intraverunt aversi et operuerunt (texerunt67) nuditatem patris sui nec (I) viderunt nudationem eius

V. 357–358 id pietatis opus postquam iam mente serena / cognovit vatis [...]

gen. 9,24 (M) et cognovit omnia quae fecit ei filius iunior

Übersicht 5: Übereinstimmungen zwischen Hept. gen. 1–362 und poetischen Vorgängern68 ä ugpoV bersicht5:nm Ü

Übereinstimmungen im Wortlaut einschließlich etymologischer Verwandtschaft sind durch Fettdruck markiert, rein syntaktische Entsprechungen und bloß klangliche Ähnlichkeit durch Unterstreichung. Falls sich bei einem Vers des HD mehrere Prätexte überlagern, wird darauf in den Fußnoten hingewiesen, ebenso, wenn ein Vergilvers wahrscheinlich über das Vorbild der Proba rezipiert wurde.

Anth.

Hept. gen.

716,3 R. Dispar vivendi ratio est, mors omnibus una69

292 omnia conduntur pelago, mors omnibus una est

Auson.

Hept. gen.

ecl. 18,1 Aeternos menses et tempora quattuor anni.

331 festinos menses et tempora mobilis anni

62 63 64 65 66 67

Bezeugt durch Ps. Aug. und Concilia oecumenica (vgl. Fischer 1951, 127). Bezeugt durch Hier. (vgl. Fischer 1951, 127). Mehrfach bezeugt durch Ambr. (vgl. Fischer 1951, 130). Bezeugt durch Ambr. hex. 3,72 (vgl. Fischer 1951, 130). Eigene Konjektur anstelle des überlieferten gessere. Bezeugt durch Anspielungen bei Ambr., Hier. und Aug. sowie durch Greg. M. (vgl. Fischer 1951, 131 und 548). 68 Ein Teil der hier versammelten Similien ist bereits in früheren Arbeiten angeführt worden, vgl. insbesondere Peiper 1891, 275–277, Fernández Vallina 1982, Petringa (La presenza) 2007 und Ciarlo 2008. 69 Vgl. auch Verg. Aen. 5,616 (s.u.).

558

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Auson.

Hept. gen.

praef. 1,34 at meus hic toto regnat in orbe suo70

28 vultibus adsimilem, toto qui regnet in orbe.“

Avien.

Hept. gen.

orb. terr. 736 Aestuet Oceanus, quibus ille flatibus omni

277 aestuet oceanus spumosis largius amnes

Ps. Cato

Hept. gen.

dist. 2,6,2 tuta mage est puppis, modico quae flumine fertur

299 ac, postquam modico fluitabat flumine cumba

Catull.

Hept. gen.

64,62 prospicit et magnis curarum fluctuat undis

57 Fisonus auriferis praedives fluctuat undis

Claud.

Hept. gen.

17,208 perpetuum nulla temeratus nube serenum 22,82 cum fremeret, numquam Stilicho sic canduit ira71 24,151 humanumque genus communi nomine fovit72 carm. min. app. 2,57 corripis exiguis mox grandia guttura palmis rapt. Pros. 1 praef. 5 tranquillis primum trepidus se credidit undis

84 adfulsit nulla maculatum nube serenum 147 quod propter gelida Cain incanduit ira 245 humanumque genus vastis mersare fluentis 155 elidit geminis frendens pia guttura palmis 284 sescentos agitans annos, se credidit undis

Culex

Hept. gen.

257 impia germani manat quod sanguine dextra73

162 nam modo quae maduit germani sanguine terra

Homer.

Hept. gen.

112 humanumque genus requies divumque tenebat74 654 umbrosisque simul consedit montibus Idae

245 humanumque genus vastis mersare fluentis 322 ergo ubi nudatis consedit montibus arca

Hor.

Hept. gen.

sat. 1,1,28 ille gravem duro terram qui vertit aratro75

140 ast alius curvo terram vertebat aratro

Iuv.

Hept. gen.

4,63 ut cessit, facili patuerunt cardine valvae

260 ad medium gestans facili cum cardine postes 231 constringit miserans prolixae incommoda vitae

13,21 hos quoque felices, qui ferre incommoda vitae76 70 71 72 73 74 75 76

Vgl. auch Lucan. 3,230 (s.u.). Vgl. auch Ov. met. 3,707 und Verg. georg. 3,479 (s.u.). Vgl. auch Homer. 112 (s.u.). Vgl. auch Paul. Nol. carm. 21,416 (s.u.). Vgl. auch Claud. 24,151 (s.o.). Vgl. auch Verg. Aen. 7,539 (s.u.). Vgl. auch Val. Fl. 4,86 (s.u.).

Übersicht 5: Übereinstimmungen mit poetischen Vorgängern

559

Iuv.

Hept. gen.

14,118 incude adsidua semperque ardente camino

190 diversis formare modis stridente camino

Iuvenc.

Hept. gen.

2,406 Frigentis dextram dignatus prendere dextra 4,348 Christus item sancto depromit pectore vocem:

30 ipse tamen sancta dignatus ducere dextra 242 siderea, sancto permotus pectore fatur:

Laus Pis.

Hept. gen.

148 aurea terrificis obcaecat sidera nimbis

334 candida cum sudo praerorant sidera nimbo

Lucan.

Hept. gen.

2,340 visceribus lassis partuque exhausta revertor 2,419 Hister casuros in quaelibet aequora fontis 3,230 qua colitur Ganges, toto qui solus in orbe77 4,429 iamque relabenti crescebant litora ponto 4,672 cardine ab occiduo vicinus Gadibus Atlans 7,106 qui, promptus metuenda pati, si comminus instent 7,566 vulnera multorum totum fusura cruorem 9,817 testatus morsus subita caligine mortem78

122 ut cum visceribus lassis et pectore maesto 288 atque abyssus riguos dimisit in aequora fontes 28 vultibus adsimilem, toto qui regnet in orbe 298 iamque relabenti decrescit in aequore pontus 275 cardine ab aetherio cunctosque evolvere fontes 113 serperet et calces, dum labens comminus instat 343 similibus dant colla modis fusura cruorem 208 sexies et denos, subita caligine tectus

Lucr.

Hept. gen.

1,287 molibus incurrit validis cum viribus amnis

10 multiplices rapiens validis cum tractibus amnes

Manil.

Hept. gen.

2,427 sed ratione pari est, aequatis nocte diebus 2,947 natura, ex illa suspendit vota parentum

279 namque quater denis iuncta cum nocte diebus 302 non rediit, iusti suspendens vota prophetae 268 septenis paribus; inmundo de grege bina

5,125 immundosque greges agitant per sordida rura Mart.

Hept. gen.

7,36,3 plurima, quae posset subitos effundere nimbos

274 septima prodierint, totos defundere nimbos

Ov.

Hept. gen.

fast. 1,153 et modo formatis operitur frondibus arbor

71 ac modo formatos vestis non texerat artus

77 Vgl. auch Auson. praef. 1,34 (s.o.). 78 Vgl. auch Stat. Theb. 10,146 (s.u.).

560

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Ov.

Hept. gen.

fast. 5,361 lumina restabant, quorum me causa latebat met. 1,166 ingentes animo et dignas Iove concipit iras met. 3,707 movit, et audito clamore recanduit ira79 met. 4,184 in mediis ambo deprensi amplexibus haerent [scil. Mars et Venus] met. 6,302 exanimes inter natos natasque virumque met. 10,145–147 ut satis inpulsas temptavit pollice chordas / et sensit varios, quamvis diversa sonarent, / concordare modos, […] met. 10,263 Heliadum lacrimas; ornat quoque vestibus artus met. 10,360 aestuat et tepido suffundit lumina rore met. 13,47 qui nunc, ut memorant, silvestribus abditus antris met. 13,943 pabula decerpsi decerptaque dente momordi met. 14,807 talibus adfatur divumque hominumque parentem: trist. 3,6,18 seu ratio fatum vincere nulla valet

320 lumina restarent, toto iam libera fluctu 240 cogitur offendi; longam dum concipit iram 147 quod propter gelida Cain incanduit ira 237 femineas placitisque nimis conplexibus haerent 285 coniunctosque simul natos natasque recepit 187 repperit et vario concordes murmure chordas 133 operiens nudos calidis de vestibus artus 34 ilicet inriguo perfundit lumina somno 286 confisus tenui quamvis foret abditus antro 83 ilicet ut niveo iam mitia dente momordit 262 talibus adfatur mittendum in aequora vatem: 233 vincere quem nullus posita sub lege valeret

Paul. Nol.

Hept. gen.

carm. 20,83 reliquias, et in his placiti se pignora voti carm. 20,207 solvitur et pedibus domino miserante refectis carm. 21,416 cumque laborarem germani sanguine caesi80 carm. 21,651 diversis exstare modis, excelsa per aulas81

344 dividit hinc dominus placiti mox pignora vatis 209 abditur et domino multum miserante remotus 162 nam modo quae maduit germani sanguine terra 190 diversis formare modis stridente camino

Pers.

Hept. gen.

5,56 hic satur inriguo mavult turgescere somno

34 ilicet inriguo perfundit lumina somno

Prop.

Hept. gen.

2,4,19 tranquillo tuta descendis flumine cumba 4,8,74 accipe, quae nostrae formula legis erit

299 ac, postquam modico fluitabat flumine cumba 362 quinquies et denos, ut legis formula cavit

Prud.

Hept. gen.

c. Symm. 1,14 vir solus, cui cura fuit, ne publica morum

205 Enochus, cui cura fuit servire potenti

79 Vgl. auch Claud. 22,82 (s.o.) und Verg. georg. 3,479 (s.u.). 80 Vgl. auch Culex 257 (s.o.). 81 Vgl. auch Stat. silv. 1,2,248 (s.u.).

Übersicht 5: Übereinstimmungen mit poetischen Vorgängern

561

Prud.

Hept. gen.

c. Symm. 2,133 principio institui nitidoque insignia mundo tituli 3,10 ore columba refert82 ramum viridantis olivae

17 haec elementa dedit subiecto insignia mundo 308–309 quae nemore invento ramis praepinguis olivae / ora referta tulit, [...]

Sil.

Hept. gen.

5,49 cautius interiora ligat mediamque per alvum 5,378 cedentem consul tumulo speculatus ab alto83 6,153 ulla virum, serpens centum porrectus in ulnas84 6,648 [...] tum Palladios se fundit in agros

256 quinquaginta patens transversam lata per alvum 156 quod factum dominus caelo speculatus ab alto 318 quos super undarat ter quinas pontus in ulnas 22 quadrupedumque greges totos diffundit in agros 329 tum, ne consimili pereat discrimine terra

10,36 Sidonius non consimili discrimine miles 12,143 tradunt Herculea prostratos mole Gigantas

238 progenuere sibi torva cum mole gigantes

Stat.

Hept. gen

silv. 1,2,248 diversis certare modis: eat enthea vittis85 silv. 2,2,91 quod viret et molles imitatur rupibus herbas Theb. 5,668 mitius et sociae veritus commercia vittae (vitae86) Theb. 10,146 primus adesse deum subita caligine sensit87

190 diversis formare modis stridente camino 69 quod viret ex gemino discreta ad munia suco 216 „Hic secura dabit nobis commercia vitae 208 sexies et denos, subita caligine tectus

Val. Fl.

Hept. gen.

4,86 fata deum et miserae solans incommoda vitae88 5,690 Dixerat. instaurat mensas pacemque reducit

231 constringit miserans prolixae incommoda vitae 217 et durum removebit onus pacemque reducet

Verg.

Hept. gen.

Aen. 1,533 (= 3,166) Italiam dixisse ducis de nomine gentem Aen. 2,259–260 laxat claustra Sinon. illos patefactus ad auras / reddit equus, [...] Aen. 2,782 inter opima virum leni fluit agmine Thybris89

351 nascitur et proceris dixit de nomine gentem 324 laxat claustra senex reddens nova semina terrae 54 Aedibus in mediis puro fluit agmine flumen

82 83 84 85 86 87 88 89

Der Anklang von referta an refert ist rein phonetisch und nicht etymologisch. Vgl. auch Verg. Aen. 5,515 (s.u.). Vgl. auch Verg. georg. 3,355 (s.u.). Vgl. auch Paul. Nol. carm. 21,651 (s.o.). In einem Teil der handschriftlichen Überlieferung. Vgl. auch Lucan. 9,817 (s.o.). Vgl. auch Iuv. 13,21 (s.o.). Vgl. Enn. ann. 163 Sk. (= 173 V.) Quod per amoenam urbem leni fluit agmine flumen.

562

VII. Übersichten

bersichtn I.Ü V

Verg.

Hept. gen.

Aen. 3,206 visa, aperire procul montis ac volvere fumum Aen. 3,630 nam simul expletus dapibus vinoque sepultus Aen. 3,648 prospicio sonitumque pedum vocemque tremesco90 Aen. 3,718 conticuit tandem factoque hic fine quievit Aen. 5,515 iam vacuo laetam caelo speculatus et alis91 Aen. 5,616 et tantum superesse maris, vox omnibus una92 Aen. 6,255 ecce autem primi sub limina (lumina PRωγ) solis et ortus93 Aen. 6,265 et Chaos et Phlegethon, loca nocte tacentia late94 Aen. 6,520 tum me confectum curis somnoque gravatum Aen. 6,646 obloquitur numeris septem discrimina vocum Aen. 6,684 isque ubi tendentem adversum per gramina vidit95 Aen. 7,67 examen subitum ramo frondente pependit96 Aen. 7,71 praeterea, castis adolet dum altaria taedis Aen. 7,539 armenta, et terram centum vertebat aratris97 Aen. 7,692 quem neque fas igni cuiquam nec sternere ferro Aen. 7,810 vel mare per medium fluctu suspensa tumenti Aen. 8,531 agnovit sonitum et divae promissa parentis Aen. 9,114 ‘ne trepidate meas, Teucri, defendere navis Aen. 9,445 confossus, placidaque ibi demum morte quievit Aen. 9,679 quales aëriae liquentia flumina circum

317 visa aperire procul montes ac volvere fumum 349 quem propere expletum cyathis somnoque gravatum 95 „O domine, adfatus pavido sub corde tremesco 40 septima luce deus factorum fine quievit

90 91 92 93 94 95

156 quod factum dominus caelo speculatus ab alto 292 omnia conduntur pelago, mors omnibus una est 51 instruitur primique adspectat lumina solis 4 dum chaos et nigrae fuscabant cuncta tenebrae 349 quem propere expletum cyathis somnoque gravatum 171 ne maius septena parent discrimina funus 154 atque, ubi deprensum deserto in gramine vidit 67 quos nemus intonsum ramo frondente creavit 326 atque memor voti, adolet dum altaria flammis 140 ast alius curvo terram vertebat aratro 170 sternere ne ferro liceat cuicumque nocentem 293 nec minus interea tumidum suspensa per aequor 92 agnoscunt sonitum trepidique ad devia tendunt 66 „Ne trepidate simul licitos praecerpere fructus 198 ter denosque annos, sopitus morte quievit 19 quinta die accipiunt liquentia flumina pisces

Wohl rezipiert über Proba cento 235, vgl. Kapitel III.5.b. Vgl. auch Sil. 5,378 (s.o.). Vgl. auch Anth. 716,3 R. (s.o.). Wohl rezipiert über Proba cento 160, vgl. Kapitel III.5.b. Wohl rezipiert über Proba cento 62, vgl. Kapitel III.5.b. Vgl. auch Verg. Aen. 12,664 (s.u.); vielleicht rezipiert über Proba cento 433, vgl. Kapitel III.5.b. 96 Vielleicht rezipiert über Proba cento 176, vgl. Kapitel III.5.b. 97 Vgl. auch Hor. sat. 1,1,28 (s.o.).

Übersicht 5: Übereinstimmungen mit poetischen Vorgängern Verg.

Hept. gen.

Aen. 10,523 et genua amplectens effatur talia supplex: Aen. 11,66 exstructosque toros obtentu frondis inumbrant98 Aen. 11,210 tertia lux gelidam caelo dimoverat umbram99 Aen. 12,271 corpora constiterant contra, quos fida crearat Aen. 12,664 [...]; tu currum deserto in gramine versas100 Aen. 12,808 ‘ista quidem quia nota mihi tua, magne, voluntas ecl. 3,30 bis venit ad mulctram, binos alit ubere fetus ecl. 5,38–39 pro molli viola, pro purpureo narcisso / carduos (-us P2R) et spinis surgit (-et recc.) paliurus acutis101 ecl. 8,40 iam fragilis poteram ab terra contingere ramos georg. 1,219 At si triticeam in messem robustaque farra102 georg. 2,81 exiit ad caelum ramis felicibus arbos103 georg. 2,154 squameus in spiram tractu se colligit anguis georg. 2,277 indulge ordinibus; nec setius omnis in unguem georg. 3,355 terra gelu late septemque adsurgit in ulnas104 georg. 3,479 tempestas totoque autumni incanduit aestu105 georg. 4,170.175 At veluti lentis Cyclopes fulmina massis / […] / in numerum versantque tenaci forcipe ferrum

94 „Dic, ubi nunc degas!“ respondit talia supplex: 90 quae pudenda vident, ficulnis frondibus umbrant 11 tertia lux faciem terrarum fulva retexit

98 99 100 101 102 103 104 105

563

174 nec minus ex natis, genetrix quos fida creavit 154 atque, ubi deprensum deserto in gramine vidit 265 iusta tibi dudumque mihi tua nota voluntas 136 exhibet uxori: binos e germine foetus 120–121 nam tibi triticeae surget pro germine messis / carduus et spinis multum paliurus acutis 81 illa negat vetitosque timet contingere ramos 120 nam tibi triticeae surget pro germine messis 52 gignitur haec inter pomis letalibus arbos 21 sexta pater gelidos in spiras lubricat angues 27 haec memorat: „Hominem nostris faciamus in unguem 318 quos super undarat ter quinas pontus in ulnas 147 quod propter gelida Cain incanduit ira 226–227 in numerum solitos mollitum tundere ferrum / et scintillantes promptim prucudere massas

Wohl rezipiert über Proba cento 208, vgl. Kapitel III.5.b. Wohl rezipiert über Proba cento 95, vgl. Kapitel III.5.b. Vgl. auch Verg. Aen. 6,684 (s.o.). Ecl. 5,39 wohl rezipiert über Proba cento 256, vgl. Kapitel III.5.b. Wohl rezipiert über Proba cento 258, vgl. Kapitel III.5.b. Wohl rezipiert über Proba cento 148. Vgl. auch Sil. 6,153 (s.o.). Vgl. auch Claud. 22,82 und Ov. met. 3,707 (s.o.).

57

VIII. LITERATURVERZEICHNIS Den folgenden Literaturangaben geht jeweils die Abkürzung bzw. der Kurztitel voraus, mit dem sie in der Arbeit zitiert werden. Die Titel von Zeitschriften werden nach dem Verzeichnis der Année Philologique abgekürzt. Zitiert wird nach den maßgeblichen Textausgaben, die im Indexband des ThlL (editio altera, 5. Aufl. 1990) verzeichnet sind; sind dort mehrere maßgebliche Ausgaben genannt, wird grundsätzlich die neueste herangezogen. Im Folgenden sind unter Punkt 2.c. und d. nur diejenigen Textausgaben aufgeführt, die in Abweichung von diesem Grundsatz herangezogen wurden1, sowie diejenigen, auf die in der Arbeit explizit Bezug genommen wird. 1. LEXIKA UND PHILOLOGISCH-THEOLOGISCHE HILFSMITTEL AL: C. Mayer u.a. (Hrsg.), Augustinus-Lexikon, Bd. 1: Basel 1986–1994, Bd. 2: Basel 1996– 2002, Bd. 3: Basel 2004–2010. Biblia Patristica: J. Allenbach u.a. (Hrsg.), Biblia Patristica. Index des citations et allusions bibliques dans la littérature patristique, 7 Bde., Paris 1975–2000. Blaise: A. Blaise, Dictionnaire latin-français des auteurs chrétiens, Strasbourg 1954. Dekkers 1995: E. Dekkers, Clavis Patrum Latinorum, editio tertia aucta et emendata, Steenbrugis in abbatia Sancti Petri 1995. DNP: H. Cancik u.a. (Hrsg.), Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 1–16, Stuttgart/Weimar 1996–2003. Forcellini: A. Forcellini u.a., Lexicon totius Latinitatis. Secunda impressio anastatice confecta quartae editionis aa. 1864–1926 Patavii typis mandatae cum appendicibus quibus aucta est prima anastatica impressio a. 1940 edita, Bd. 1–4, ND Padua 1965. Frede 1981: H. J. Frede, Kirchenschriftsteller. Verzeichnis und Sigel, 3., neubearbeitete und erweiterte Auflage des „Verzeichnis der Sigel für Kirchenschriftsteller“ von Bonifatius Fischer, Freiburg 1981. Georges: K. E. Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, 2 Bde., unveränderter ND der 8., verbesserten und vermehrten Auflage Hannover 1913 und 1916–19, Darmstadt 1998. Haag 1968: H. Haag (Hrsg.), Bibel-Lexikon, 2., neubearbeitete und vermehrte Auflage, Einsiedeln/Zürich/Köln 1968. Hofmann: J. B. Hofmann, Lateinische Umgangssprache, 2., durch Nachträge vermehrte Auflage, Heidelberg 1936. KP: Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike. Auf der Grundlage von Paulyʼs Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter bearbeitet und herausgegeben von K. Ziegler u.a., 5 Bde., Stuttgart 1964–1975.

1

Vgl. die Hinweise zur Benutzung S. 27.

566

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2. TEXTAUSGABEN, KOMMENTARE, ÜBERSETZUNGEN a. Zu Bibel und Apokryphen Bräumer 2011 (1./2./3. Teil): Das erste Buch Mose erklärt von H. Bräumer. 1. Teil: Kap. 1 bis 11, 2. Teil: Kap. 12 bis 36, 3. Teil: Kap. 37 bis 50. Wuppertaler Studienbibel, Reihe AT, Bd. 1, 2. gebundene Sonderauflage, Witten 2011. Cassuto 1961: U. Cassuto, A Commentary on the Book of Genesis. Part 1: From Adam to Noah. Genesis I–VI 8, Jerusalem 1961.

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4. TEXTDATENBANKEN LLT-A: Library of Latin Texts, Series A; verfügbar über www.brepolis.net. Musisque Deoque: verfügbar über www.mqdq.it. Pede certo: verfügbar über www.pedecerto.eu.

IX. REGISTER 1. STELLENREGISTER (IN AUSWAHL) Das Stellenregister bezieht sich auf die Kapitel I–III und den Kommentar (V.), wobei die kommentierten Verse Hept. gen. 1–362 nicht aufgeführt werden. Das Register der Bibelstellen ist nach der Vulgata normiert. Aus dem Kommentar werden solche Stellen aus jüdischer, christlicher und paganer Literatur angeführt, die in einem engeren inhaltlichen und/oder sprachlichen Verhältnis zum jeweils kommentierten Vers stehen und in besonderer Weise zur Erklärung des HD beitragen; zusätzliche Belege für einen bestimmten Gedanken oder ein sprachliches Phänomen werden nur in Auswahl angegeben, insbesondere, wenn es sich um häufige Junkturen oder Klauseln handelt. Biblische Schriften Altes Testament Gen 1: 69 1,1: 111, 115, 132, 187, 189 1,1–2,3: 103–109, 124–131 1,1–26: 184–185 1,2: 71, 83, 90, 101, 112, 132–133, 189–191 1,3: 83, 112, 133, 192, 194 1,4: 112, 133, 134 Anm. 359, 193, 195, 219 1,5: 112, 133, 134 Anm. 360, 194–196, 200 1,7: 83, 195 1,8: 195 Anm. 71, 200 1,9: 83, 117, 196–197, 199 1,10: 197, 199–200 1,11–12: 200, 439 1,12: 70, 75, 115, 202, 266, 297 1,13: 101, 195 Anm. 71, 196 1,14: 204 1,16: 202–203 1,17: 203–204 1,19: 195 Anm. 71, 203 1,20: 207

1,21: 206–207 1,22: 210, 266 1,23: 195 Anm. 71, 205 1,24: 209 1,25: 208–209 1,26: 116–117, 206, 212– 215, 233 1,26–27: 67, 186 1,28: 206, 231–233, 266, 450 1,28–29: 186, 228 1,29: 211, 233–234, 265 Anm. 547 1,30: 184 Anm. 2, 211 1,31: 185 Anm. 5, 195 Anm. 71, 211, 219, 266, 286 2,1–3: 186 2,2: 226 2,3: 227 2,4–6: 69, 186 2,6: 197 2,7: 70, 110, 130–131, 186–187, 215– 216, 218–219 2,7–24: 67 2,8: 102, 236–237 2,8–9: 71, 238 2,8–17: 187, 235

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IX. Register

Gen 2,9: 103, 239, 243 2,10: 117–118, 240, 242–243, 340 2,11: 246 2,11–12: 244 2,12: 70, 117, 245 2,12–14: 118 Anm. 280 2,13: 246–247 2,14: 117–118, 247–248 2,15: 115, 249 2,16: 103, 115, 250 2,17: 250–253 2,18: 110, 187, 219–220 2,18–25: 236 2,19: 75, 229 2,19–20: 110, 187, 228, 230 2,20: 73 2,21: 101 2,21–22: 186, 221 2,21–24: 110, 187 2,22: 73 2,23: 41, 218, 222–224, 281, 308 2,24: 109, 111, 115, 117, 225–226, 249 2,25: 254–255 3,1: 70, 259, 260 Anm. 507, 261–265 3,1–24: 256–257 3,2–3: 265 3,3: 77 Anm. 76, 239, 267 3,4: 266 3,5: 266–267 3,6: 73, 115, 268–269, 271–272 3,7: 102, 270, 272–274 3,8: 275–277 3,9: 276–278 3,10: 103, 279–280 3,11–12: 280–281 3,13: 70, 115, 282–284 3,14: 73, 261, 286–288 3,15: 288–291 3,16: 92, 292–293, 295 3,16–17: 70 3,17: 294–296, 299, 332 3,18: 102, 297–298 3,19: 117, 118 Anm. 280, 225, 297–300 3,20: 73, 92, 224–225, 308 3,21: 70, 118, 255, 304–306 3,22: 239, 301 3,23: 301–302 3,24: 73, 239, 302–304, 340 4,1: 307–310 4,1–15: 306 4,2: 116–117, 308–311

4,2–4: 118 Anm. 280 4,3: 118, 312–313, 318 4,4: 71, 117, 312, 314–317 4,5: 75, 318–321 4,6: 118, 319–320 4,7: 320–322 4,8: 101, 323–324, 326 4,9: 327–328 4,10: 328–329 4,11: 116, 330–331 4,12: 75, 332–333 4,14: 339 4,14–15: 71, 334 4,15: 85, 101, 335–337, 347 4,16: 339–341 4,16–5,31: 338–339 4,17: 341–342 4,17–5,31: 41 4,18: 343–345 4,19: 349 4,20: 349–350 4,21: 350–351 4,22: 352, 354 4,23: 345, 348–349 4,23–24: 85, 346 4,24: 338, 347 4,25: 354–355 4,26: 355–357 5: 69 5,1–4: 69 5,3: 219 5,5: 358 5,8: 358 5,11: 359 5,17: 359–360 5,18: 360 5,19: 360 5,20: 360 5,22: 361 5,23: 362 5,23–24: 355 5,24: 70–71, 363–365, 361 5,25: 368 5,27: 344, 366–367 5,28: 368, 377 5,29: 70, 118, 368–372, 377 5,31: 373 5,32: 374, 377–378, 455 Anm. 1895 6,1–4: 67–68, 386, 389 6,1–7: 374–375 6,2: 89, 385–388 6,3: 68, 382–385

581

IX. Register 6,4: 89, 116, 386–389 6,5: 73, 383, 389 6,5–7: 68, 382 6,6: 389–392 6,7: 70, 101–102, 118, 391–394, 396 6,8–21: 375 6,9: 70, 374, 377 6,14: 70, 74, 81, 86, 117–118, 398–400, 403–404 6,14–16: 118, 397 6,15: 401–403 6,15–16: 116, 402 6,16: 118, 398, 404 6,17: 101, 375, 393, 415 6,18: 406 6,19: 409 6,19–20: 69 6,21: 410 6,22: 405 7,1: 405–407, 429 7,1–24: 375–376 7,2: 75, 81, 409 7,2–3: 69, 408 7,4: 70, 74, 411–415 7,5: 397, 415 7,6: 416, 418 7,7: 417 7,8–9: 69 7,11: 73, 413, 418–419 7,12: 419 7,14–16: 69 7,16: 423, 442 7,17–18: 421 7,20: 420, 438 7,21: 396, 419–420 7,23: 422 7–8: 69 8,1: 428 Anm. 1700 8,1–14: 376 8,2: 425 8,3: 116, 425–426 8,4: 35 Anm. 51, 68, 426, 440–442 8,5: 77 Anm. 76, 436, 441 8,7: 86 Anm. 126, 427–429 8,8: 429, 431 8,9: 430 8,10: 431 8,11: 74, 77 Anm. 76, 432–433 8,12: 434–435 8,13: 435–436 8,14: 438–439 8,15–22: 440

8,18–19: 442 8,20: 74, 77 Anm. 76, 101, 443–444 8,21: 73, 444–446 8,22: 446–447 9,1: 449–450 9,1–17: 440 9,2: 450 9,3: 410, 450 9,4: 70, 450–451 9,4–5: 452 Anm. 1878 9,5: 452–453 9,6: 454–455 9,7: 455–456 9,11: 446 9,13: 447 9,14: 448 9,18–29: 455 9,19: 456 9,20: 370, 457–458 9,21: 116, 458–459, 461 9,22: 75, 459–461 9,23: 74, 461–463 9,23–24: 70 9,24: 464 9,25: 465 9,26–27: 464 9,29: 466 10: 457 19: 36 19,8: 121 Ex 3,2: 303 3,8: 266 14,27: 393 16,31: 266 25–27: 404 Lev 17,10–11: 451 22: 316 Dtn 12,23: 451 30,15: 239 1 Kön 6–7: 404 Tob 4,13: 381 Ijob 9,8: 191 26,7: 188 31,40: 298 Ps 36,12: 326 83,4: 86, 399

582

IX. Register

Ps 102,15–16: 201 135,6: 423 Weish 2,24: 262 4,10–15: 365 10,3: 318 11,18: 189–190 Anm. 37 14,6: 389 Anm. 1427, 424 Sir 21,2: 260 Anm. 508 Jes 2,5: 276

9,2: 274–275 40,6–7: 201 53,7: 324 Jer 5,22: 198 12,13: 298 Bar 3,26–28: 389 Anm. 1427 Ez 47,1: 241 Joel 4,18: 241

Neues Testament Mt 3,7: 260 Anm. 508 5,4: 449 5,22: 318 11,28: 81, 370 11,29: 316 13,7: 298 23,35: 306 26,52: 455 Lk 15,3–32: 340 Joh 1,29: 392 10,13: 311 Apg 1,9: 364 Röm 6,20–23: 239 8,17: 233 1 Kor 10,1–2: 393 Tit 3,7: 233

Hebr 1,2: 233 11,4: 306 Anm. 821, 329 11,5: 365 11,7: 417 12,24: 306 Anm. 821 13,4: 308 Anm. 835 1 Petr 3,20: 390 3,20–21: 392–393 5,8: 263 2 Petr 2,5: 381 1 Joh 1,3.6–7: 362 3,12: 306 Anm. 821 Offb 12,9: 286 20,2: 260 Anm. 508, 286 22,1: 241, 243

Apokryphe Schriften Asc. Jes. 9,8: 330 äthHen 6,1–16,4: 386 7: 389 Anm. 1421 7,2–10,2: 390 70: 364

3 Makk 2,4: 389 Anm. 1427 Syrische Schatzhöhle 19,5–6: 422 Anm. 1662

583

IX. Register

Jüdische Literatur Flav. Ios. ant. Iud. 1,74: 381 Anm. 1373

Philo De praem. et poen. 23: 378 quaest. in gen. 2,71: 460 Anm. 1928

Christliche Literatur Aethelwulf Carm. de abbatibus 6,35: 445 10,2–4: 353 Alc. Avit. carm. 1,14–16: 185 Anm. 6 1,32–34: 207 Anm. 160 1,35: 206 Anm. 151 1,53: 212 Anm. 187 1,53–54: 213 Anm. 194 1,73: 217 Anm. 220 1,73–74: 216 Anm. 219 1,76–81: 215 1,128: 231 Anm. 303 1,133–135: 213 Anm. 197 1,262–263: 247 Anm. 419 1,262–289: 247 Anm. 420 1,302–303: 217 2,37: 284–285 Anm. 682 2,77–80: 365 2,82: 262 2,138–139: 253 Anm. 469 2,140–144: 264 2,142–143: 261 2,194–195: 257 2,204: 285 Anm. 682 2,210: 238, 253 2,214: 238 2,263–266: 258 Anm. 494 3,165: 35 Anm. 52, 297 Anm. 763 3,329: 412 4,87: 390 4,94–109: 390 Anm. 1429 4,163: 197 Anm. 90 4,178–184: 364 Anm. 1270 4,188: 406 Anm. 1554 4,399: 424 4,428: 421 Anm. 1653

4,486: 209 Anm. 169 4,503: 35–36 Anm. 52, 421 Anm. 1656 4,510: 423 Anm. 1671 4,524: 419 Anm. 1643 4,539–540: 35 Anm. 51, 36 Anm. 52 , 441–442 4,542: 426 Anm. 1693 4,565–568: 428 Anm. 1704 4,579: 36 Anm. 52, 429–430 4,580–581: 430 Anm. 1713 4,580–582: 432 Anm. 1732 6,30: 310 Anm. 855 Ambr. Abr. 1,6,46: 390 Anm. 1430 1,6,58: 458 Anm. 1917 2,9,64: 318 Cain et Ab. 1,1,3: 317–318 1,7,25: 312 Anm. 872, 314 Anm. 893 1,10,41: 316 Anm. 910 2,6,18: 320–321 2,7,24: 322 Anm. 951 2,9,30: 331 2,9,30–31: 85 2,9,31: 329 2,9,37: 330 Anm. 999, 335 2,9,37–38: 85 2,9,38: 345, 347 epist. 2,7,6: 460 Anm. 1926 2,7,31: 336 5,22,9: 317 Anm. 916, 318 Anm. 922 6,27,12: 460 Anm. 1926

584

IX. Register Hel.

6,15: 86 Anm. 126, 400 Anm. 1501 10,31: 215 10,31–33: 86 Anm. 126, 395 11,36: 407 13,47: 397 Anm. 1480 14,48: 298 Anm. 765 17,60: 86 Anm. 126, 439 Anm. 1785 17,62: 429 Anm. 1712 17,62–63: 86 Anm. 126 17,63: 90 Anm. 148, 428 18,64: 86 Anm. 126, 429 Anm. 1712 19,67: 432 Anm. 1732 20,71: 436 Anm. 1764 21,74: 439 Anm. 1784 21,76: 406 22,78: 86 Anm. 126, 443 23,82: 447 25,92: 451 27,103–104: 447–448 28,105: 461 29,111: 87, 458 Anm. 1914, 459 30,114: 460 Anm. 1931 30,115: 86, 274, 460 Anm. 1926 31,116: 462 Anm. 1940

5,10: 458 Anm. 1917, 462 Anm. 1940 5,11: 462 Anm. 1940 22,85: 366 Anm. 1279 hex. 1,4,12: 187 1,6,22: 188 1,7,25: 83 Anm. 112, 188 1,7,26: 83, 190 Anm. 39 1,8,30: 83, 190 Anm. 39 1,9,33: 83, 194 2,1,1: 195 3,2,7: 83, 117, 190 Anm. 39, 197 3,2,8: 83 Anm. 112, 199 3,2,10: 83, 198 3,3,12: 83 Anm. 112, 199 3,3,14: 84, 117, 197 3,7,29: 201 Anm. 115 3,8,33–34: 200 Anm. 113 3,8,36: 201 Anm. 115 3,11,47: 201 Anm. 115 3,13,55.57: 202 Anm. 124 3,14,58–59: 202 Anm. 124 3,16,65: 201 Anm. 115 3,17,70: 200 3,17,72: 459 4,1,1: 200 Anm. 113 4,4,12: 205 4,5,21: 204–205 5,1,1: 200 Anm. 113 5,1,2: 83 Anm. 112, 206 5,1,4: 206 5,14,45: 184 Anm. 4 6,7,40: 213 Anm. 199 6,7,43: 83, 214 Anm. 203 in Luc. 2,85: 216 3,48: 366 Anm. 1279 6,44: 462 Anm. 1940 8,24: 346 Anm. 1133, 347, 348 Anm. 1140 Noe 1,1: 86, 378 1,2: 85–86, 370, 371 Anm. 1316 4,8: 389 Anm. 1421 4,9: 86, 390–391 4,10: 86 Anm. 126, 395 5,11: 86, 378 6,13–9,30: 402 6,14: 86, 399

off. 1,18,79: 460 Anm. 1926 1,25,121: 378 parad. 2,8: 239 Anm. 358 3,14: 247 Anm. 419 3,15: 84 Anm. 117, 244 Anm. 394 3,17: 84 Anm. 117 3,19: 84 Anm. 117, 356 Anm. 1204 3,22: 84 Anm. 117, 244 Anm. 394 3,23: 84 Anm. 117, 356 Anm. 1204, 365 Anm. 1275, 378 5,29: 275 Anm. 610 10,47: 283 Anm. 672 12,54: 84, 262 12,56: 84–85, 262–263, 283 Anm. 672, 285 13,61: 84 Anm. 117, 262–263 13,62: 268–269 13,63: 84, 274 Anm. 609 14,48: 298 Anm. 765 14,70: 269 Anm. 569, 278–279 15,73: 84, 291

IX. Register in psalm. 1,38: 302 Anm. 798 35,7: 317 Anm. 916, 318 Anm. 922 36,12: 462 Anm. 1940 38,8: 283 Anm. 672 39,6: 378 in psalm. 118 serm. 1,13: 283 Anm. 672 serm. 4,8: 387 serm. 8,58: 387 serm. 20,12: 302 Anm. 798 sacr. 2,1,1: 378 Tob. 20,75: 461, 463 Aug. civ. 7,30: 452 Anm. 1873 12,9: 407 Anm. 1556 12,24: 452 Anm. 1873 14,11: 89 Anm. 139, 90, 264, 295– 296 14,17: 89 Anm. 138, 254 Anm. 476, 275 15,5: 342 Anm. 1093 15,7: 90 Anm. 143, 315, 320 Anm. 938, 321, 322 Anm. 951 15,8: 342–343 15,10: 365 Anm. 1275, 373 15,22: 387–388 15,22–23: 89, 385 Anm. 1401 15,23: 389 Anm. 1421 15,24: 384–385 15,24–25: 90 Anm. 143 15,25: 391, 395 15,27: 398 17,14: 351 Anm. 1172 18,51: 318 conf. 12,4,4: 190 Anm. 40 12,8,8: 189 Anm. 37 divers. quaest. 52: 464 Anm. 1956 epist. 120,1,2: 464 Anm. 1956 184 A 1,2: 283 c. Faust. 12,9: 117 22,31: 293 Anm. 735 22,53: 457

585 gen. ad litt. 1,14: 189 Anm. 31 1,15: 189 Anm. 37 1,18: 89 Anm. 136, 191 Anm. 47 2,4: 90, 196 2,14: 205 2,17: 457 3,3: 184 Anm. 4 3,13: 210 Anm. 175 3,19: 213 Anm. 200 3,20: 89 Anm. 137, 214 Anm. 203 4,34: 273 Anm. 598 5,5: 130 Anm. 338 5,7: 247 Anm. 419 6,6: 89 Anm. 140, 130 Anm. 338, 186 6,12: 89 Anm. 138, 217 7,1–3: 89 Anm. 138, 218 7,16: 218 Anm. 227 8,3: 237 Anm. 340 8,6: 89, 238–239, 266 8,7: 247 Anm. 419 8,8: 249 9,4: 307 Anm. 834 9,5: 220 Anm. 239 9,18: 222 11,1: 92 Anm. 160, 224 Anm. 264 11,2: 90, 91 Anm. 152, 259–260 11,14: 90, 262 11,29: 91 Anm. 152, 260 Anm. 505 11,30: 89 Anm. 139, 271 11,31: 89 Anm. 138, 254, 273 Anm. 603, 274 11,32: 275 11,33: 275–276 11,34: 277 11,35: 89 Anm. 139, 291, 292 Anm. 726 11,42: 90, 268 12,16: 273 Anm. 598 gen. ad litt. imperf. 3: 189 Anm. 37 4: 89 Anm. 136, 191 Anm. 47 gen. c. Manich. 1,5,8: 89 Anm. 136, 191 Anm. 47 1,5,9: 189–190 Anm. 37, 192 Anm. 54 1,17,28: 89 Anm. 137, 214 Anm. 203 2,11,15: 264 2,13,18: 224 Anm. 263

586 gen. c. Manich. 2,14,20–21: 264 2,21,32: 305 grat. Christ. 2,23,27: 365 Anm. 1275 2,34,39: 275 immort. 15,24: 130 Anm. 338 c. Iulian. op. imperf. 6,30: 365–366 Anm. 1278 loc. hept. 1,9: 89 Anm. 138, 254 Anm. 476 1,23: 90 Anm. 148, 428 Anm. 1706 c. Maximin. 2,25,7: 36 nupt. et concup. 2,19,34: 354 Anm. 1193 quaest. hept. 1,13: 428 Anm. 1704 1,14: 441 serm. 7,6: 36 9,12: 269 Anm. 569 20,2: 263 164,2,4: 370–371 Anm. 1313 243,9: 351 299,10: 365 Anm. 1275 trin. 2,12,22: 36 virg. 37,37: 316 Anm. 904 Auson. ecl. 15,18: 363 Anm. 1261 18,1: 95, 446 Anm. 1828 ephem. 3,41–42: 364 Anm. 1270 epist. 12,34: 463 Mos. 312–313: 403 Anm. 1522 praef. 1,34: 116, 215 Basil. De creatione hominis 2,2: 217 Boeth. cons. 1 carm. 6,3–4: 332 in top. Cic. 1: 361 Anm. 1244

IX. Register Carm. de Iona 28: 270 Anm. 580 Carm. de resurr. 214: 246 Chromat. in Matth. 21,3,2: 319 Anm. 926 serm. 23,2: 117, 313, 317 Anm. 916 Clem. ad Cor. 7,6: 381 Anm. 1373 9,3: 362 Anm. 1251 9,4: 381 Anm. 1373 Comm. apol. 415: 324 instr. 1,21,3: 464 Anm. 1956 1,26,31: 329 Anm. 994 2,31(35),16: 279 Coripp. Ioh. 1,548: 210 Anm. 173 2,432–433: 430 3,87: 394–395 4,207: 349 Anm. 1150 Cypr. patient. 4: 390 Anm. 1430 Ps. Cypr. laud. mart. 21: 242 Anm. 377 Drac. laud. dei 1,23: 192 Anm. 52 1,149: 196 1,149–166: 185 Anm. 6 1,238: 206 Anm. 151 1,253–254: 207 Anm. 160 1,269: 207 Anm. 160 1,329: 212 Anm. 187 1,337: 216 Anm. 219 1,360–363: 220 Anm. 238 1,377–380: 223 1,380: 223 1,415: 239 Anm. 360 1,461: 271 Anm. 589 1,461–462: 260 Anm. 510 1,463: 262 1,463–464: 263 Anm. 528 1,468: 264

IX. Register 1,471: 264 1,517: 365 1,587–589: 201 1,591: 369 Anm. 1307 1,603–605: 215 2,230–231: 217 2,373: 389 2,373–385: 390 2,389: 396 Anm. 1471, 421 Anm. 1653 2,392: 424 2,504: 433 Anm. 1741 2,592: 442 2,807: 454 Anm. 1891 3,166–167: 233 Orest. 518: 369 Anm. 1308 Eustath. Basil. hex. 1,6,3: 83 Anm. 112, 188 2,1,8: 83, 190 Anm. 39 3,5,2: 191 Anm. 49 3,7,6: 83, 90, 195–196 3,8,4–6: 83, 90, 196 4,2,3: 197 Anm. 89 4,3,7: 83, 198 Anm. 96 4,4,1: 83 Anm. 112, 199 Anm. 105 5,2,9: 201 Anm. 116 6,2,8–9: 83 Anm. 112, 202–203 6,8,2: 204–205 Filastr. 108,1: 389 Anm. 1421 116,1: 254 121,1–2: 456 Anm. 1902 131,3: 322 Anm. 951 Greg. M. in Ezech. 2,8,15: 315 Greg. Tur. Franc. 1,1: 187 Anm. 18 Hept. gen. 375: 420 416: 461 469: 198 526–527: 119–120 534–538: 120–121 535: 356 538: 443 546: 466 563: 292 Anm. 729

587 566: 121 576: 200 Anm. 110 608: 202 611: 33 Anm. 33 634: 16, 33 Anm. 33, 36 646: 121 677–678: 349 678: 309 Anm. 849 797: 465 Anm. 1965 855: 447 Anm. 1834 889: 369 Anm. 1307 967–968: 66 970: 351 1067: 200 Anm. 111 1104: 356 1104–1107: 228 Anm. 283 1123: 289 Anm. 709, 319 Anm. 933 1144: 323 Anm. 960 1159: 326 1310: 465 Anm. 1963 1437: 65 und 66 Anm. 29, 374, 467 1456: 229 Anm. 288 1492: 334 1497: 356 exod. 88: 371 Anm. 1314 99: 457 100–101: 311 Anm. 862 193: 208, 261 Anm. 511 210: 418 Anm. 1632 329: 209 Anm. 169 365: 369 Anm. 1307 379: 362 413: 33 Anm. 33 419: 341 474–476: 14, 17 Anm. 25, 34, 114 479: 434 Anm. 1748 507–542: 41 523: 393 Anm. 1455 707–708: 446 721: 215 761: 411 772: 227 953: 450 Anm. 1865 1015: 266 Anm. 548 1030: 413 1069: 443 1082–1086: 42 1099: 246 1109: 463

588 Hept. exod. 1333: 304 lev. 10: 354 34: 42 72–73: 434 109: 450 Anm. 1865 110: 452 112: 451 num. 15–16: 363 288: 295 Anm. 752 557–567: 41 649–650: 248 deut. 107: 443 152–278: 41–42 263: 393 282–283: 466–467 Ios. 15–16: 457 49: 422 Anm. 1661 155: 352 Anm. 1174 229: 397 263: 248 314: 443 348: 434 Anm. 1743 411: 411 414: 442 485: 356 573: 466 iud. 80: 352 Anm. 1174 122–123: 449 207: 465 246: 352 Anm. 1174 267: 444 Anm. 1812 Hier. epist. 10,1: 390 14,10,3: 333 22,8,4: 458 Anm. 1917 22,19,2: 298 Anm. 765 36,2,4: 337 Anm. 1058 36,2–3: 334–335 36,4,1: 345 36,5,1: 348 Anm. 1140 36,6,1: 347 39,4,2: 303 Anm. 802 73,2,2: 362 Anm. 1252 73,3,1: 460 Anm. 1926

IX. Register 79,10,3: 349 119,2,2: 366 Anm. 1279 119,4: 366 Anm. 1279 120,8,10: 242 Anm. 378 in Is. 2,5,11/12: 351 Anm. 1167 9,29,15/16: 276 Anm. 622 15,54,11/14: 246 nom. hebr. p. 5,15 (Lagarde): 237 Anm. 340 p. 5,16–17 (Lagarde): 92 Anm. 159 p. 75,19–20 (Lagarde): 92 Anm. 159 p. 76,7 (Lagarde): 92 Anm. 159 p. 78,20 (Lagarde): 92 Anm. 159 p. 81,12 (Lagarde): 92 Anm. 159 quaest. hebr. in gen. p. 4,31 (Lagarde): 243 Anm. 383 p. 7,20 (Lagarde): 92, 293 p. 8,4–8 (Lagarde): 92 Anm. 162, 302 p. 8,23–9,11 (Lagarde): 92 p. 8,26–9,7 (Lagarde): 322 Anm. 951 p. 8,28–29 (Lagarde): 319 Anm. 926 p. 12,9–19 (Lagarde): 92 Anm. 162, 394–385 sit. et nom. p. 81,22 (Klostermann): 92 Anm. 161, 246 p. 167,12 (Klostermann): 92 Anm. 161, 246 Hil. in Matth. 8,4: 456 Anm. 1903 18,10: 348 Anm. 1140 myst. 1,6: 315 1,9: 347 1,12: 460 Anm. 1926 1,13: 81, 370 Anm. 1312, 371 Anm. 1316 in psalm. 135,12: 423 Anm. 1667 in psalm. 118 phe 10: 460 Anm. 1926 koph 12: 303 Anm. 802 Ps. Hil. evang. 42: 233 Anm. 321

IX. Register gen. 23: 192 24: 189–190 73–74: 203 Anm. 137 101: 201 110: 207 Anm. 160 111: 211 Anm. 185, 212 Anm. 187 112–115: 213 Anm. 194 119–120: 214 121: 216 Anm. 219 123–124: 223 125–126: 217, 391 Anm. 1441 167: 280 187: 424 192: 432 Anm. 1732 Iren. 3,23,3: 293 Anm. 735 4,31,1: 460 Anm. 1926 5,6,1: 214 Anm. 204 Demonstratio apostolicae praedicationis 10–11: 217 Isid. chron. 14: 351 Anm. 1167 orig. 14,3,3: 242 Anm. 377 Iuvenc. 2,406: 217 4,348: 392 4,491: 199 Anm. 106 Lact. inst. 2,10,11: 407 2,12,15: 243 Anm. 383 2,13,4: 458 Anm. 1913 2,13,5: 458 Anm. 1917 2,13,6: 461 2,18,6: 290 Anm. 717 4,15,3: 429 7,9,11: 290 Anm. 717 Phoen. 25: 242 Anm. 379 26: 243 85: 444 Mart. Cap. 9,898: 279 Mar. Victor. aleth. prec. 54: 115, 122 prec. 55–56: 355 Anm. 1203 prec. 104–105: 43 Anm. 108 1,48–62: 132–134

589 1,48–222: 124–132 1,50: 190 1,53: 190 Anm. 41 1,56–58: 193 Anm. 62 1,85: 196 1,85–90: 185 Anm. 6 1,88–89: 84, 117, 122, 197 1,92: 200 1,109–112: 204 Anm. 142 1,114: 206 Anm. 149 und 151 1,119: 206 Anm. 151 1,126: 207 Anm. 160 1,126–131: 184 Anm. 4 1,155–158: 213 Anm. 194 1,159: 212 1,160: 116–117, 122, 215 1,161–162: 214 Anm. 203 1,164: 118, 123 1,167–168: 228 Anm. 285 1,169–170: 210 Anm. 176 1,171: 226 Anm. 276 1,173: 227 Anm. 278 1,178–180: 227 1,188–190: 186 Anm. 10 1,195–199: 217 1,202–204: 217 Anm. 220 1,204: 216 Anm. 219 1,204–206: 216 1,211–212: 218 Anm. 228 1,223–304: 235 Anm. 328 1,252–304: 235 Anm. 329 1,268–269: 242 Anm. 376 1,269: 117, 122 1,270: 118, 122, 243 1,282: 117, 118 Anm. 280, 122 1,282–283: 245 Anm. 406 1,284–286: 247 Anm. 420 1,288: 245 1,288–289: 117, 118 Anm. 280, 122, 248 1,289: 118, 247 1,298: 248–249 1,324: 253 Anm. 463 1,345: 230 1,355: 230 1,355–360: 228 Anm. 284 1,370: 225 1,378–380: 223 1,380: 223 1,386: 115 1,386–387: 117, 122, 226 1,395: 260

590 Mar. Victor. aleth. 1,397: 268 1,398–405: 257 Anm. 487 1,401: 115, 122 1,401–403: 270 1,411: 268 1,413–416: 272 1,415–416: 272 Anm. 593 1,419: 115, 122 1,422: 115, 122 1,438–439: 278 1,439: 274 Anm. 609 1,439–441: 275 1,442–443: 277 Anm. 625 1,446–447: 277 Anm. 630 1,472: 286 1,478–479: 287 Anm. 696 1,479: 286 Anm. 689 1,481–482: 267 Anm. 560 1,486–187: 288 1,489–492: 289–290 Anm. 714 1,492: 289 1,494: 290 1,495–496: 290 Anm. 714 1,498–519: 259 Anm. 500 1,499–500: 258 Anm. 499, 292 Anm. 727 1,501–503: 294 1,504–507: 293 1,508: 294 1,508–510: 296 Anm. 754 1,511–512: 296 Anm. 758 1,518: 296 Anm. 760 1,518–519: 117, 300 Anm. 778 und 782 1,518–521: 118 Anm. 280, 122 1,520–521: 118 1,520–522: 305 1,529: 301 Anm. 791 2,197–198: 307 Anm. 834 2,208: 116, 312 2,208–211: 118 Anm. 280, 123 2,210: 115, 122 2,211: 117, 120, 310 Anm. 855 2,215: 118, 120 2,215–216: 118 Anm. 280, 123 2,216: 117, 314–315, 316 Anm. 909 2,217–219: 316 2,221–224: 318 2,224: 322

IX. Register 2,225–226: 324 Anm. 966 2,252: 330 2,255: 116, 123 2,257–258: 324 Anm. 962 2,262–264: 333 Anm. 1023 2,280: 336 Anm. 1049 2,280–281: 335 Anm. 1039 2,300–342: 339 2,307–310: 341 Anm. 1090 2,309–313: 341 2,314–318: 345–346 2,322–324: 355 2,328–329: 356 2,335: 361 Anm. 1250 2,337–338: 366 Anm. 1279 2,364: 116, 123, 389 2,365–381: 390 2,392: 415 2,394: 407 Anm. 1555 2,401: 117, 404 Anm. 1530 2,401–408: 118, 123 2,402: 116, 401, 438 2,403: 118 2,403–406: 403 2,404: 116 2,405: 404 Anm. 1532 2,406: 116 2,407: 117 2,407–408: 400 Anm. 1500 2,408: 118 2,412: 399 2,413: 399 Anm. 1489 2,415–417: 411 Anm. 1582 2,439: 406 Anm. 1552 2,443–444: 408 2,444: 409 2,454–455: 424 2,456–481: 376 2,464: 418 2,473: 420 Anm. 1652 2,474–481: 413 Anm. 1604 2,482–483: 438 Anm. 1778 2,491: 116, 122, 425 Anm. 1687 2,498: 427 2,498–500: 428 Anm. 1704 2,501: 430 Anm. 1714 2,501–502: 432 Anm. 1732 2,502: 433 Anm. 1733 2,519: 442 Anm. 1802 2,520: 115, 122 2,534–535: 439 2,557–558: 393

IX. Register 3,1–7: 443 3,7–9: 444 Anm. 1814 3,12–16: 445 3,17–59: 440 3,27–29: 449, 450 3,30–34: 446 Anm. 1832 3,34: 446 Anm. 1829 3,41–44: 452 3,43–47: 453 Anm. 1886 3,46–47: 454 3,49–50: 447 Anm. 1841, 449 3,52: 449 Anm. 1854 3,62–63: 456 3,62–67: 457 Anm. 1908 3,72: 458 Anm. 1914 3,73: 116, 123, 459 Anm. 1922 3,75–77: 460 Anm. 1927 3,79–80: 460 Anm. 1927 3,81–83: 463 3,83: 462 Anm. 1945, 463 Anm. 1948 3,84–85: 462 Anm. 1940 3,88: 465 Anm. 1962 3,88–94: 455 3,310–311: 250 3,521: 120 3,531: 120 3,538: 118, 123 3,563: 121 3,586: 118, 123, 231 Anm. 306 Max. Taur. 97,3: 292 Orient. comm. 2,286: 396 Paul. Nol. carm. 6,43–44: 397 15,245: 397 18,380: 394 19,355: 115 Anm. 267 20,83: 455 Anm. 1897 20,207: 364 Anm. 1273 21,416: 331 21,651: 353 22,8: 445 Anm. 1818 24,876: 208 25,21–22: 223 Anm. 258 32,181: 413 epist. 32,17: 310 Anm. 857

591

Paul. Petric. Mart. 2,179: 434 Anm. 1747 5,760: 422 Anm. 1664 Proba cento 56: 188 Anm. 29 56–81: 111–113 56–135: 103–111 62: 101, 192 65–66: 193 72: 204 84–85: 185 Anm. 6 86–90: 206 Anm. 151 89: 197 92: 201 95: 101, 196 100: 102, 394 105: 211 Anm. 181 106: 209 109: 212 112–114: 213 Anm. 194 115–135: 186 Anm. 11 116–117: 216 Anm. 219 120: 214 120–121: 218 Anm. 228 122–123: 228 Anm. 284 122–135: 187 Anm. 14 124–125: 220 Anm. 243 125: 101, 221 128–129: 221 Anm. 250 133–134: 225 139: 109 Anm. 224 139–140: 228 Anm. 285 139–141: 365 140: 237 Anm. 345 140–141: 259 144: 234 Anm. 322, 250 Anm. 444 148: 239 149: 101, 336 Anm. 1048 151: 234 Anm. 323 151–152: 253 Anm. 463 153–156: 236 Anm. 331, 264 160: 102, 238 160–169: 235 Anm. 328 164: 243 168–169: 250 Anm. 444 172–173: 259 172–181: 262 174–176: 261 176: 252 177: 260

592

IX. Register

Proba cento 185: 265 Anm. 541 187–190: 257 Anm. 487 197–200: 268 203–205: 271 204–205: 272 Anm. 593 206–207: 257 206–208: 270 206–209: 275 208: 85, 102, 274 213: 301 215: 276, 283 Anm. 668 217–219: 277 Anm. 630 220–221: 276 Anm. 623 222: 278 223: 277, 349 225–226: 278 233: 284 Anm. 676 235: 276 Anm. 623, 279 244: 286 246–251: 259 Anm. 500 252: 294, 296 Anm. 754 254: 297 256: 95, 100 Anm. 187, 298 256–258: 96, 102, 113 258–259: 297 258–260: 298 Anm. 766, 332–333 262: 300 Anm. 782 263–264: 258 Anm. 498 263–265.267: 292 Anm. 727 263–268: 259 Anm. 500 266: 292–293 267: 258 Anm. 498 274: 302–303 285: 100 Anm. 187, 101, 309, 444 Anm. 1812 286: 318 287–288: 331 288: 324 Anm. 966 294–295: 333 307: 392 395: 101 395–396: 394 433: 101, 325–326 Prosp. carm. de ingrat. 599: 251 Anm. 455 Ps. Prosp. carm. de prov. 220–222: 217 222: 222

307: 317 Anm. 913 321: 365 Anm. 1275 321–324: 366 Anm. 1279 321–328: 364 Anm. 1270 Prud. apoth. 665–666: 423 Anm. 1666 cath. 3,105: 243 3,165: 435 5,120: 246 Anm. 413 7,34: 382 9,76: 197 11,6: 446 ham. praef. 3–4: 313 Anm. 876 praef. 16: 331 praef. 20: 117 712–713: 465–466 714–715: 291 805: 435 815–816: 432 891: 447 perist. 2,415: 232 10,750: 323 psych. 909: 222 c. Symm. 1,14: 361 Anm. 1249 2,133: 204 Anm. 141 2,212: 222 2,569: 206 Anm. 150 tituli 1,4: 275 Anm. 611 3,10: 433 3,10–12: 432 Anm. 1732 3,11–12: 428 Anm. 1704 Rufin. Orig. in gen. 1,1: 80, 193 1,12: 80, 217 1,13: 80 Anm. 95, 214 Anm. 203 1,17: 319 Anm. 926, 440 Anm. 1791 2,1: 397 Anm. 1480, 402 Anm. 1521, 404 Anm. 1531, 406 Anm. 1554 2,1–3: 81, 399 2,2: 408, 423–424 2,3: 370 Anm. 1312, 371 Anm. 1316

593

IX. Register in exod. 4,6: 260 Anm. 506 in Ezech. 4,8: 424 Anm. 1679 Ps. Rufin. Ios. bell. Iud. 4,6: 359 Anm. 1233 Sedul. carm. pasch. 1,106: 365 Anm. 1275 1,279: 298 5,140: 316 Anm. 904 op. pasch. 1,5: 316 Anm. 904 5,11: 316 Anm. 904 Sulp. Sev. chron. 1,2,7: 386, 387 1,3,1: 390 Anm. 1431 Tert. bapt. 8: 432 Anm. 1732 cult. fem. 1,2,1: 386 Anm. 1407 1,4,1: 386–387 Anm. 1407 adv. Marc. 2,4: 217 2,11: 293 Anm. 735

monog. 4,4: 349 orat. 22,5: 387 Anm. 1407 patient. 5,16: 319 Anm. 926 adv. Prax. 16,1–4: 391 resurr. 5,7: 216–217 6,3: 214 Anm. 204 virg. vel. 7,4: 387 Anm. 1407 Theodulf carm. 73,73: 384 Tycon. reg. 7: 304 Anm. 803 Ven. Fort. carm. 1,15,97: 215 Anm. 211 6,10,26: 445 Anm. 1822 Mart. 2,244: 434 Anm. 1747 4,610: 353 Anm. 1184

Pagane Literatur Anth. 716,3 R.: 421 798,6 R.: 447 Avien. Arat. 757: 405 orb. terr. 254: 405 736: 413 Ps. Cato dist. 2,6,2: 427 Catull. 5,6: 396 8,3.8: 282 64,62: 244 65,14: 348 Anm. 1145 Cic. leg. 1,26: 290 Anm. 717 2,56: 301 Anm. 785

nat. deor. 2,98: 187 Phil. 2,45: 435 Anm. 1753 Tusc. 3,59: 301 Anm. 785 Ciris 37–38: 448 Claud. 1,42: 418 7,96–98: 14, 17 Anm. 25, 34, 114 10,93: 444 17,208: 270 22,82: 96, 319 24,151: 394 26,336: 243 Anm. 389 carm. min. 30,218: 116 Anm. 272 carm. min. app. 2,57: 98, 326

594

IX. Register

Claud. rapt. Pros. 1 praef. 5: 95, 98–99, 417 Culex 257: 331 Enn. ann. 163 Sk. (= 173 V.): 240 545 Sk. (= 531 V.): 411 trag. 108 R. (= 124 V.): 458 Hom. Od. 7,112–132: 202 Homer. 112: 394 654: 441 Hor. carm. 1,25,5–6: 404 Anm. 1538 1,28,7: 364 1,28,15: 396 2,9,10–11: 433 3,11,32: 453 Anm. 1881 carm. saec. 57–59: 371 epist. 1,4,16: 409 Anm. 1572 1,17,30–31: 208 2,1,142: 115 Anm. 266, 249 Anm. 438 2,2,172: 446 sat. 1,1,28: 116, 311 1,2,79: 115 Anm. 267, 234 Iuv. 4,63: 404 Anm. 1538 13,21: 384 Anm. 1390 14,118: 353 Laus Pis. 148: 448 Anm. 1846 Liv. 1,16,1: 364 Lucan. 1,504: 354 2,340: 95, 299 Anm. 772 2,419: 419 Anm. 1642 3,230: 116, 215 4,51: 425 Anm. 1682 4,123: 425 Anm. 1683 4,139: 400 4,429: 96, 116, 425

4,672: 413 5,565–566: 414 6,821: 334 Anm. 1029 7,106: 291 Anm. 722 7,546: 210 7,566: 454 7,787: 197 9,275: 407 Anm. 1558 9,817: 363 Lucr. 1,95–96: 324 1,287: 199 3,19–20: 448 Anm. 1847 4,404: 434 Anm. 1743 5,92: 188 5,1256–1257: 352 5,1276: 205 5,1437–1438: 205 Anm. 145 6,220–221: 335 Anm. 1044 6,524–526: 449 Anm. 1853 Manil. 2,335: 374 Anm. 1335 2,427: 415 Anm. 1614 2,947: 429 Anm. 1709 5,125: 409 Anm. 1572 Mart. 7,36,3: 412 epigr. 16,2: 464 Nemes. ecl. 1,6–7: 395 Ov. am. 3,2,10: 411 ars 2,471–472: 206 3,688–689: 234 Anm. 324 epist. 6,122: 309 11,64: 292 15,158–160: 234 Anm. 324 19,6–7: 269 Anm. 567 fast. 1,153: 255 Anm. 481 3,9–10: 377 Anm. 1350 3,163: 363 Anm. 1261 4,336: 307 Anm. 833 4,653: 349 Anm. 1157 5,361: 439 5,495: 116, 215 Anm. 208 6,273: 187

595

IX. Register met. 1,76–77: 212 1,83: 219 1,84–86: 290 Anm. 719 1,101–102: 234 Anm. 325, 312 Anm. 871 1,103: 252 Anm. 459 1,107–108: 201 1,127–150: 380 1,129: 371 1,138–140: 312 Anm. 871 1,166: 390 Anm. 1433 1,188: 394 1,246: 394 1,260–261: 394 1,261: 412 1,269: 412 1,313–323: 441 Anm. 1793 1,343: 198 1,346: 441 1,346–347: 414 Anm. 1611 1,570: 414 1,571: 437 2,376: 207 3,134: 406 3,296: 344 3,707: 96, 319 4,184: 98, 388 5,232: 462–463 5,622: 363–364 5,658: 116 Anm. 274, 459 Anm. 1922 6,302: 406, 417 7,127: 344 7,143: 388 Anm. 1417 10,145–147: 351 10,263: 306 Anm. 820 10,360: 221 11,96: 415 12,525: 344 13,47: 418 13,943: 269 14,172: 448 14,807: 95 15,206: 466 Anm. 1970 Pont. 4,3,49: 212 4,6,6: 466 Anm. 1970 rem. 103: 115 Anm. 267, 234 412: 463

trist. 1,5,77: 116, 215 Anm. 208 3,6,18: 385 4,4,73: 324 4,5,33–34: 308 Pers. 5,56: 95, 97, 221 Anm. 245 Plin. nat. 36,168: 352 Prop. 2,4,19: 427 2,34,13: 453 Anm. 1881 3,13,64: 261 Anm. 515 4,8,74: 97, 467 Sall. Catil. 1,1: 290 Anm. 719 Sen. Herc. f. 700: 202 Anm. 123 Herc. O. 780: 447 nat. 5,7,1: 230 Anm. 297 Tro. 387–388: 447 Sil. 2,51: 293 Anm. 736 5,49: 402 Anm. 1519 5,378: 327 6,140: 248 Anm. 433 6,153: 116 Anm. 272, 438 6,648: 210 9,406–407: 362 9,491: 249 Anm. 440 10,36: 446 Anm. 1825 10,492–493: 358 11,253–254: 465 11,438: 451 11,454: 206 Anm. 150 11,456: 187 12,94: 208 12,143: 116, 389 Anm. 1424 13,259–260: 466 13,297: 388 Anm. 1417 13,879: 115 Anm. 266, 249 Anm. 438 17,649: 116, 389 Anm. 1424 Stat. silv. 1,1,93: 232 1,2,248: 353

596

IX. Register

Stat. silv. 2,2,91: 253 Anm. 468 5,3,41–42: 445 Anm. 1822 Theb. 3,440–441: 412 3,490: 121 4,615: 334 4,745: 270 5,668: 369 Anm. 1307 6,580: 84, 194 7,216: 232 8,39: 393 10,146: 363 10,345: 444 Anm. 1811 10,829: 368 Anm. 1299 11,44: 84, 197 Anm. 88 12,563–564: 412 Tac. hist. 3,47: 402 Tib. 1,5,24: 458 Val. Fl. 1,4: 441 Anm. 1795 1,316: 388 Anm. 1417 2,364: 448 2,568: 116 Anm. 274, 459 Anm. 1922 2,587: 121 3,162: 435 Anm. 1753 4,86: 384 Anm. 1390 5,690: 95, 371 Anm. 1314 7,625: 435 Anm. 1753 Verg. Aen. 1,7: 342 1,223–226: 193 1,280: 280 Anm. 648 1,448: 403 1,533 (= 3,166): 461 1,704: 444 Anm. 1812 2,259: 95, 442 2,259–260: 98, 443 Anm. 1804 2,782: 240 3,76: 198 Anm. 99 3,182: 213 3,205–206: 436 Anm. 1767, 437 3,206: 40, 77 Anm. 76, 95, 97 3,221: 102 3,537: 325 3,630: 459 3,648: 103

3,718: 227 4,185: 101 4,450–451: 466 5,97: 427 5,215: 432 Anm. 1730 5,216: 435 5,515: 327 5,516: 432 5,616: 421 5,819–821: 422 6,11: 110 6,174: 414 6,202: 435 6,243: 427 6,255: 102, 238 6,265: 101, 112 Anm. 246 6,520: 95, 116 Anm. 274, 459, 460 Anm. 1924 6,578–579: 112 Anm. 246 6,646: 337 Anm. 1054 6,709: 352 6,724: 111, 188 6,726: 111 6,684: 98, 101, 325 6,685: 325 6,808: 77 Anm. 76 6,853: 323 7,67: 103, 252 7,71: 77 Anm. 76, 101, 444 7,176: 441 7,241: 398 Anm. 1482 7,539: 116, 311 7,692: 96, 101, 336 7,725–726: 116 7,810: 98 7,810–811: 421–422 8,425: 461 Anm. 1935 8,438: 463 8,445: 352 8,452–453: 380 8,531: 276–277 8,532: 213 8,596: 209 8,698: 102 9,7: 205 9,114: 95, 251 9,445: 358 9,461: 197 9,679: 206 10,307: 116, 425 Anm. 1687 10,469: 464 10,523: 279 Anm. 643

597

IX. Register 11,66: 85 Anm. 119, 102, 274 11,210: 101, 196 11,669: 288 12,271: 341 Anm. 1088 12,436–437: 217 12,664: 95, 97, 325, 331 12,691: 330–331 12,808: 407

2,25: 244 2,81: 103, 239 Anm. 355 2,154: 95–96, 208–209, 260–261 2,165: 352–353 2,189: 312 2,217: 437 2,277: 215 Anm. 205 2,508: 120 2,525: 395 3,275: 307 Anm. 833 3,308: 457 3,354–355: 190 Anm. 38 3,355: 116 Anm. 272, 438 3,479: 96, 319 4,18: 243 4,90: 116, 215 Anm. 208 4,91: 245 Anm. 408 4,99: 245 Anm. 408 4,170–171: 381 4,170–175: 379–380 4,175: 95, 380

ecl. 2,21: 395 3,30: 97, 309 3,93: 208 5,12: 311 5,38–39: 96, 102, 297–298 5,39: 95 6,40: 395 8,40: 77 Anm. 76, 95, 267 georg. 1,170: 312 1,219: 96, 102 1,219–220: 297 1,272: 101, 394

2. NAMENSREGISTER (IN AUSWAHL) Das Namensregister bezieht sich auf die Kapitel I–III und den Kommentar (V.); die biblischen Namen folgen der Septuaginta deutsch mit Ausnahme des Namens Eden. Biblische Namen Abel 66 Anm. 33, 71, 85, 88, 97–98, 101, 117, 120, 263, 306–318, 319 Anm. 934, 322–331, 346, 354–357, 380, 449 Anm. 1859 Abra(ha)m 119, 121, 354 Anm. 1193, 356, 378, 381, 443, 461 Ada 349–350 Adam 41, 69–70, 73, 89, 92 Anm. 162, 97, 101–103, 108–110, 111 Anm. 236, 130, 187, 217 Anm. 223, 218–222, 224, 228–233, 236, 238, 249–250, 254, 256– 258, 261, 269–284, 286, 292, 294–299, 301–302, 305, 307–310, 313, 320, 332– 333, 338, 341, 345, 354–355, 358, 360, 365, 378, 450, 457 Amalech (V. 179) siehe Lamech Ararat 35 Anm. 51, 68, 376, 426, 440–442

Assyrien 248–249 Äthiopien 247 Cham 70, 86, 378–379, 455, 460–462, 464– 466 Cherubim 92 Anm. 162, 302–304 Christus 21 Anm. 43, 33 Anm. 33, 66 Anm. 33, 80–81, 88, 101, 109–110, 131, 213– 214, 227–228, 233, 257 Anm. 490, 286, 306, 310–311, 314–316, 323–324, 326– 327, 329–330, 340, 355, 364, 366, 370– 371, 384, 391–392, 394, 423, 431 Eden 109, 236–237, 240–241, 340–341 Elija 365, 368, 382 Enoch (Sohn des Jared) 70–71, 339, 360– 366, 384 Enoch (Sohn des Kain) 341–345 Enochus (V. 194) siehe Enos

598

IX. Register

Enos 84 Anm. 117, 338–339, 355–359 Euphrat 117–118, 247–249 Eva 19 Anm. 31, 70, 73, 84, 89, 92 Anm. 162, 97, 102, 109 Anm. 227, 111 Anm. 236, 208, 222, 224– 225, 231– 233, 235–236, 238– 239, 254, 256–260, 264–276, 278, 280–286, 288, 291–297, 302, 305, 307 Anm. 834, 308–309, 320, 341, 344, 354–355, 365, 457 Evila siehe Hevilat Gaidad 343–344 Geon 246–247 Giganten 67–68, 116, 385, 387–390 Hevilat 84 Anm. 117, 92, 244–246 Iobalus (V. 186): siehe Jubal Isaak 228 Anm. 283, 233, 323, 356, 381 Jakob 66, 351, 381, 467 Japheth 70, 379, 455, 462–464 Jared 360–361, 383 Jesus siehe Christus Jobel 349–350 Joseph 309, 319 Anm. 933, 323 Anm. 960, 326, 356, 381 Anm. 1376 Jubal 350–351 Kain 41, 71, 75 Anm. 67, 85, 88, 90 Anm. 143, 92, 97– 98, 101, 118, 120, 263, 278 Anm. 638, 306–315, 317–328, 330–348, 350, 354–355, 371–372, 380, 382 Kainan 359–360

Kanaan 460–461 Lamech 41, 80, 85, 338–339, 343, 345–350, 352, 354, 367–369, 371, 373, 377, 379 Lot 16, 36, 121, 349 Maiel 343–344 Malechus (V. 176) siehe Maiel Maleleel 359–361 Mathusala 66, 343 Anm. 1103, 344–345, 366–368, 373, 377 Mose 20, 215, 227, 295 Anm. 752, 303, 371 Anm. 1314, 434 Anm. 1748 Naid 338, 340–341 Nil 247–248, 414 Noah 40–41, 62, 66 Anm. 33, 69–70, 80–82, 85–87, 97–99, 101, 118, 232, 338–339, 358, 367–371, 374–382, 384, 390, 393, 397–398, 401, 404–407, 409–411, 415– 419, 421–432, 434–444, 449– 450, 455–459, 461, 463–466 Noema 343 Anm. 1103, 354 Phison 70, 84 Anm. 117, 240, 244–246 Sar(r)a 121, 354 Anm. 1193 Sella 349–350, 352 Sem 70, 378, 379 Anm. 1357, 455, 462–464 Seth 69, 219, 338, 354–355, 357–359, 379 Sethus (V. 225) siehe Sem Tigris 84 Anm. 117, 117–118, 245, 247–249 Thobel 345, 348, 352, 379 Tubal Cain siehe Thobel

Sonstige Namen Aeneas 20 Anm. 38, 40, 97–98, 101–102, 251, 277, 325, 331, 380, 437, 441, 459, 466 Aethelwulf 53, 353, 445 Aldhelm 17, 25, 30, 34, 49, 51–52 Alkuin 30, 51 Ambrosius 14–15, 31, 33 Anm. 35, 37, 72, 74, 77–78, 81–87, 126, 127 Anm. 320, 128 Anm. 324, 129 Anm. 329, 133 und passim; vgl. auch das Stellenregister Anchises 98, 101, 111, 325 Arethusa 363–364 Ascanius 217 Anm. 223 Augustinus 15 Anm. 20, 16, 31, 36, 72, 74, 77–78, 87–92, 128 Anm. 324, 130–131, 133 Anm. 357, 134 und passim; vgl. auch das Stellenregister

Avitus 15 Anm. 20, 16, 29 Anm. 1, 31–32, 35, 37–39, 45, 49, 52, 55, 66 und passim; vgl. auch das Stellenregister Bacchus 458 Basilius 78, 81–82, 90, 126, 133 Anm. 356 und 357 Beda 30, 51 Camilla 98, 422 Cena Cypriani 15–16, 30 Claudian 15, 34, 37, 94, 114 Anm. 257; vgl. auch das Stellenregister Cynthia 97, 476 Cyprian(us) Name des Heptateuchdichters 15, 19– 20, 22, 29–31, 33, 45–49, 52, 56 Presbyter und Adressat von Hieronymus’ 140. Brief 15–16, 30

IX. Register Schüler des Caesarius von Arles und Bischof von Toulon 12, 30 Heiliger C. von Karthago 29–31, 47– 48, 54, 56 Daphnis 102, 298 Deiphobus 459 Deukalion und Pyrrha 441 Anm. 1793 Dido 466 Durand, U. 53, 55–56 Elysium 98, 101, 237, 325 Eustathius 78, 81–83, 87, 133 und passim; vgl. auch das Stellenregister Galaesus 311 Glaucus 269 Hartel, W. A. von 56 Hercules 98, 326 Hieronymus 14–16, 30–31, 33 Anm. 35, 34 Anm. 40, 37, 78, 91–92 und passim; vgl. auch das Stellenregister Jupiter 41, 93, 193, 208, 250, 283, 286, 327, 394, 441 Juvencus 14, 20, 22–23, 29 Anm. 1, 31, 38– 39, 43–44, 48, 55–56, 94; vgl. auch das Stellenregister Kybele 251 Kyklopen 103, 352, 379–381 Mars 98, 377 Anm. 1350, 388 Martène, E. 12, 53, 55–56 Mayor, J. E. B. 12, 26, 56–57 Messapus 101, 336 Mico von St. Riquier 31–32, 49, 52 Morel, G. 12, 53–54

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Neptun 101, 336, 422 Origenes 78–81 und passim; vgl. auch das Stellenregister unter Rufin. Orig. Orpheus 351 Pallas 102, 274 Peiper, R. 11, 33–34, 44, 50, 56–57 und passim Pitra, J. F. B. 12, 53, 55–56 Polyphem 459 Proba 15, 37–39, 45, 94, 99–113 und passim; vgl. auch das Stellenregister Remus 330 Anm. 1007, 377 Anm. 1350 Romulus 342, 364, 377 Anm. 1350 Rufin von Aquileja 78, 80 Sinon 95, 98, 442 Sirmond, J. 53–55 Strophaden 40, 97, 102, 437, 441 Tartarus 112 Anm. 246 Tithonus 364 Troja/Trojaner 40, 97–98, 251, 261 Anm. 515, 325, 331, 437, 442, 459 Turnus 97, 325, 331, 336 Venus 98, 193, 388 Vergil 18, 38, 40, 44, 51, 63, 79, 85, 94, 96– 97, 99–103, 113 und passim; vgl. auch das Stellenregister Cl. M. Victorius 14, 16, 19–20, 34–39, 43, 53–54, 66, 72, 84, 99–100, 113–135 und passim; vgl. auch das Stellenregister Wigbod 31, 45, 50

3. SACHREGISTER (IN AUSWAHL) Allegorese/Allegorische Schriftauslegung 32, 36, 39, 43, 66, 78, 80, 82, 86–88, 128, 235, 240 Anm. 365, 376, 399, 429 Alliteration 15, 41, 43, 61, 193, 195, 207, 210, 216, 222, 226–227, 232, 249, 272, 275, 280–281, 285, 288, 290–293, 297, 311, 324, 328 Anm. 987, 350, 355–356, 357 Anm. 1218, 361, 364, 367, 377, 381, 383, 392, 400, 406 Anm. 1551, 409–410, 412, 414, 418, 423, 427, 430– 431, 446, 453, 455, 457, 462 Analoge Reminiszenz/Analogie 20 Anm. 38, 96–99 Anthropomorphismus/anthropomorphe Darstellung 80, 83, 86, 89 Anm. 137, 214, 218, 283, 391, 397, 445

Aurea aetas 107, 127, 201–202, 234, 250, 252 Blindheit 89 Anm. 138, 254–255, 257–258, 272 Anm. 596, 345, 481, 494, 527–529 Brudermord/Brudermörder 310, 318, 323, 326 Anm. 973, 331, 337 Anm. 1059, 341–342, 346, 371–372, 382, 510 Cantica 15, 17, 39, 41, 51 Christologische Perspektive 13, 66, 85, 330, 339, 371, 392 Creatio ex nihilo 107, 112 Datierung des HD 14–17, 19–20, 20–21 Anm. 40, 22, 34–37, 55, 113–121; siehe auch Priorität, Terminus ante quem, Terminus post quem Deus artifex 215–216

600

IX. Register

Dreifaltigkeit siehe Trinität Epitheton 40–41, 68 Anm. 45, 120, 194, 243, 248–250, 286, 308 Epos/Epische Sprache 23, 38–42, 93–94, 97, 105, 196, 208 Anm. 163, 238, 244, 250, 282 Anm. 667, 327, 376, 406, 418, 420, 460, 468 Anm. 2, 530 Anm. 235 Erotik siehe Sexualität Eschatologische Perspektive 13, 66 Anm. 33, 227–228, 237, 241, 243, 424 Ethopoiie 220 Fehler des HD 32, 76 Anm. 75, 344–345, 379, 470 Anm. 17 Figura etymologica und Verwandtes 62, 240, 294, 350, 365, 372, 405, 427 Anm. 1694 Genealogie 41, 69, 307, 338–339, 343, 345 Anm. 1119, 354, 358, 360, 374, 469, 470 Anm. 15, 498 Goldenes Zeitalter siehe Aurea aetas Gott Barmherzigkeit 220, 256, 297, 304, 306, 364–365, 376, 384–385, 449, 504, 512, 522 Fürsorge für den Menschen 222, 235, 237, 256, 259, 305–306, 410–411 Gnade 217, 231, 263, 274, 276, 283, 320, 340–341, 365, 376, 480 Transzendenz 21 Anm. 43, 133, 190, 327 Anm. 979, 405 Zorn 85–86, 90 Anm. 143, 282–283, 335, 375–376, 385, 390–391, 396, 432 Hebräischer Bibeltext 91, 224, 293 Anm. 733, 302, 322, 326 Anm. 972, 346 Anm. 1130, 347 Anm. 1133, 373, 431 Hendecasyllabus, phalaeceischer 15, 17, 41– 42, 51 Herkunft des HD siehe Lokalisierung Hiat 63, 316, 349, 355, 409 Anm. 1574, 444 Himmelfahrt 329–330, 364, 366 Hyperbolik 83, 194, 210, 232, 272, 283, 333, 358, 413 Anm. 1604 Ikonographie siehe Kunst, frühchristliche Juristisches Vokabular 97, 253, 277, 283, 321, 382–383, 446, 454, 467 Kälte 70, 190 Anm. 38, 208, 261, 280, 305, 319, 333, 476, 508 Konstrastimitation 98–99, 114, 251, 311, 325, 331, 336 Kryptische Darstellung siehe Verklausulierung

Kunst, frühchristliche 117, 261, 303, 314, 326 Anm. 972 Lauthäufung 61, 209, 221, 227, 243, 248 Anm. 428, 261 Anm. 517, 262, 282, 283 Anm. 669, 284, 285 Anm. 683, 288, 294, 297, 301, 305, 312–313, 327, 334, 347, 349, 352–353, 358, 363, 373, 380, 384, 389, 400, 407, 412, 415, 455 Lichtmetaphorik/Lichtsymbolik 255, 257– 258, 270, 272, 275–276 Literalexegese 13, 32, 36, 66, 78, 82, 87 Locus amoenus 107, 127, 234–235, 243, 251 Lokalisierung des HD 14–17, 19–20, 33, 56, 72 Magisches Element 286, 296, 303, 330 Männlich zentrierte Perspektive 269, 309, 355 Masoretischer Text 360, 361 Anm. 1248, 373, 385 Anm. 1400, 408 Anm. 1562, 409 Anm. 1571 Mythos/Mythisches Element 41, 184, 203 Anm. 129, 258, 287, 374, 388 Anm. 1417, 390 Nacktheit 236, 254–256, 258, 273–274, 277, 279–281, 306, 459–461, 463, 509 Neologismus 59, 291 Anm. 724 Neutrale Reminiszenzen 96–97 Oxymoron 319, 449 Paronomasie 224, 253 Anm. 464, 288, 351, 396 Periphrase, poetische 68 Anm. 45, 212, 238, 275, 288 Anm. 703, 289, 313–314, 412, 431, 471 Anm. 20, 526 Anm. 223, 527 Anm. 225; zur Zahlenperiphrase siehe dort Personifikation 196–197, 202, 299, 328, 332, 371, 390, 439 Philosophie, antike 128, 129 Anm. 332, 188–189 (Stoa), 255, 257–258, 283 Präfiguration, v.a. Praefiguratio Christi 66 Anm. 33, 132, 227, 310–311, 315, 323, 327, 329, 355, 366 Priorität Claudians vor dem HD 34 des HD vor Avitus 16, 35, 258 Anm. 494, 297 Anm. 763, 430 Anm. 1713 des HD vor Cl. M. Victorius oder des Cl. M. Victorius vor dem HD 16, 20–21 Anm. 40, 34–36, 100, 113– 121, 134 Pseudepigraphie 20, 30–31, 56

IX. Register Psychologische Vertiefung/Motivierung 70, 220, 258–259, 271–272, 278, 282, 463 Rectus-status-Anthropologie 257, 290 Romanisierung 20 Anm. 37, 240–241, 309 Samaritanischer Pentateuch 360, 367 Anm. 1287 Samenmetapher 81, 86, 376–378, 424, 443 Schwäche der Frau 89–90, 258–259, 264, 268–269, 296 Sexualität 111, 282, 307–308, 386, 406, 481, 483, 510 Anm. 172 Stammbaum siehe Genealogie Symbolische (Schrift-)Deutung 276, 424, 429, 432 Synonymische Amplificatio 62, 68 Anm. 45, 120, 192, 211, 252, 280, 282 Anm. 664, 290, 329, 364, 368 Anm. 1300, 370, 380, 392, 462, 465 Anm. 1964 Terminus ante quem (für den HD) 14, 16, 34 Terminus post quem (für den HD) 14, 16, 34, 36–37, 99 Topos/Topik 40, 119, 208, 251–252, 261, 312 Anm. 866, 420, 425 Anm. 1684, 428 Anm. 1701, 431, 433, 468 Anm. 2 Trinität 16, 21 Anm. 43, 33 Anm. 33, 36, 129, 213, 257 Anm. 490, 479, 480 Anm. 56

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Typolologie/Typologische Schriftdeutung 21 Anm. 43, 32, 36, 39, 43, 66, 80, 131– 132, 306, 315 Anm. 903, 316, 324, 329, 370–371, 376, 393–394, 424 Verklausulierung 41, 43, 236, 253, 336–338 Versausfall 281, 294, 318, 358, 473 Anm. 28, 503 Anm. 150 Versus hypermeter 63, 379 Vulgata Abweichung des HD von der Vulgata 75–76, 245, 272 Anm. 594, 275, 293 Anm. 738, 302, 320–321, 333, 341, 343, 352, 356 Anm. 1209, 361, 369, 388 Anm. 1420, 399, 403 Anm. 1521, 404 Anm. 1530, 442, 480–481 Anm. 58, 546–550 Nähe des HD zur Vulgata/VulgataEinfluss auf den HD 16, 25, 34 Anm. 40, 37, 66, 72, 75–76, 202, 318, 332, 373, 408, 461, 490 Anm. 98 Wortspiel siehe Paronomasie Wortwiederholung 62, 339, 463 Zahlenperiphrase 339, 358–359, 361, 363, 367, 403, 414, 438, 467 Zahlensymbolik 348, 367, 373

pa l i ng e n e s i a Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft

Begründet von Rudolf Stark, herausgegeben von Christoph Schubert.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0552–9638

54. Poulheria Kyriakou Homeric hapax legomena in the Argonautica of Apollonius Rhodius A Literary Study 1995. X, 276 S., kt. ISBN 978-3-515-06596-2 55. Michaela Kostial Kriegerisches Rom? Zur Frage von Unvermeidbarkeit und Normalität militärischer Konflikte in der römischen Politik 1995. 192 S., kt. ISBN 978-3-515-06775-1 56. Friedhelm L. Müller Eutropii Breviarium ab urbe condita / Eutropius, Kurze Geschichte Roms seit Gründung (753 v. Chr. – 364 n. Chr.) Einleitung, Text und Übersetzung, Anmerkungen, Index nominum 1995. IX, 336 S., kt. ISBN 978-3-515-06828-4 57. Rigobert W. Fortuin Der Sport im augusteischen Rom 1996. VIII, 440 S., kt. ISBN 978-3-515-06850-5 58. Theokritos Kouremenos Aristotle on Mathematical Infinity 1995. 131 S., kt. ISBN 978-3-515-06851-2 59. Bruno Vancamp Platon Hippias Maior – Hippias Minor 1996. 131 S., kt. ISBN 978-3-515-06877-2 60. Karsten Thiel Aietes der Krieger – Jason der Sieger Zum Heldenbild im hellenistischen Epos 1996. XI, 100 S., kt. ISBN 978-3-515-06955-7 61. Paul Dräger Untersuchungen zu den Frauenkatalogen Hesiods 1997. VII, 171 S., kt.

ISBN 978-3-515-07028-7 62. Karin Luck-Huyse Der Traum vom Fliegen in der Antike 1997. VIII, 264 S., kt. ISBN 978-3-515-06965-6 63. Friedhelm L. Müller Das Problem der Urkunden bei Thukydides Die Frage der Überlieferungsabsicht durch den Autor 1997. 213 S., kt. ISBN 978-3-515-07087-4 64. Anika Strobach Plutarch und die Sprachen Ein Beitrag zur Fremdsprachenproblematik in der Antike 1997. VIII, 258 S., kt. ISBN 978-3-515-07007-2 65. Farouk Grewing (Hg.) Toto notus in orbe Perspektiven der Martial-Interpretation 1998. 366 S., kt. ISBN 978-3-515-07381-3 66. Friedhelm L. Müller Die beiden Satiren des Kaisers Julianus Apostata (Symposion oder Caesares und Misopogon oder Antiochikos) Griechisch und deutsch. Mit Einleitung, Anmerkungen und Index 1998. 248 S., kt. ISBN 978-3-515-07394-3 67. Reinhard Markner / Giuseppe Veltri (Hg.) Friedrich August Wolf Studien, Dokumente, Bibliographie 1999. 144 S., kt. ISBN 978-3-515-07637-1 68. Peter Steinmetz Kleine Schriften Aus Anlaß seines 75. Geburtstages herausgegeben von Severin Koster 2000. X, 506 S., geb. ISBN 978-3-515-07629-6 69. Karin Sion-Jenkis Von der Republik zum Prinzipat

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Ursachen für den Verfassungswechsel in Rom im historischen Denken der Antike 2000. 250 S., kt. ISBN 978-3-515-07666-1 Georgios Tsomis Zusammenschau der früh­ griechischen monodischen Melik (Alkaios, Sappho, Anakreon) 2001. 306 S., geb. ISBN 978-3-515-07668-5 Alessandro Cristofori / Carla Salvaterra / Ulrich Schmitzer (Hg.) La rete di Arachne – Arachnes Netz Beiträge zu Antike, EDV und Internet im Rahmen des Projekts „Telemachos“ 2000. 281 S., geb. ISBN 978-3-515-07821-4 Hans Bernsdorff Hirten in der nicht­bukolischen Dichtung des Hellenismus 2001. 222 S., geb. ISBN 978-3-515-07822-1 Sibylle Ihm Ps.­Maximus Confessor Erste kritische Edition einer Redaktion des sacro-profanen Florilegiums Loci communes, nebst einer vollständigen Kollation einer zweiten Redaktion und weiterem Material 2001. 12*, CVIII, 1153 S., geb. ISBN 978-3-515-07758-3 Roderich Kirchner Sentenzen im Werk des Tacitus 2001. 206 S. mit 4 Tab., geb. ISBN 978-3-515-07802-3 Medard Haffner Das Florilegium des Orion Mit einer Einleitung herausgegeben, übersetzt und kommentiert 2001. VII, 267 S., geb. ISBN 978-3-515-07949-5 Theokritos Kouremenos The proportions in Aristotle’s Phys. 7.5 2002. 132 S., geb. ISBN 978-3-515-08178-8 Christian Schöffel Martial, Buch 8 Einleitung, Text, Übersetzung, Kommentar 2002. 723 S., geb. ISBN 978-3-515-08213-6 Argyri G. Karanasiou Die Rezeption der lyrischen Partien der attischen Tragödie in der griechischen Literatur

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Von der ausgehenden klassischen Periode bis zur Spätantike 2002. 354 S., geb. ISBN 978-3-515-08227-3 Wolfgang Christian Schneider Die elegischen Verse von Maximian Eine letzte Widerrede gegen die neue christliche Zeit. Mit den Gedichten der Appendix Maximiana und der0 Imitatio Maximiani. Interpretation, Text und Übersetzung 2003. 255 S., geb. ISBN 978-3-515-07926-6 Marietta Horster / Christiane Reitz (Hg.) Antike Fachschriftsteller Literarischer Diskurs und sozialer Kontext 2003. 208 S., geb. ISBN 978-3-515-08243-3 Konstantin Boshnakov Die Thraker südlich vom Balkan in den Geographika Strabos Quellenkritische Untersuchungen 2003. XIV, 399 S., geb. ISBN 978-3-515-07914-3 Konstantin Boshnakov Pseudo­Skymnos (Semos von Delos?) Ta; ajristera; tou` Povntou Zeugnisse griechischer Schriftsteller über den westlichen Pontosraum 2004. X, 268 S., geb. ISBN 978-3-515-08393-5 Mirena Slavova Phonology of the Greek inscriptions in Bulgaria 2004. 149 S., geb. ISBN 978-3-515-08598-4 Annette Kledt Die Entführung Kores Studien zur athenisch-eleusinischen Demeterreligion 2004. 204 S., geb. ISBN 978-3-515-08615-8 Marietta Horster / Christiane Reitz (Hg.) Wissensvermittlung in dichterischer Gestalt 2005. 348 S., geb. ISBN 978-3-515-08698-1 Robert Gorman The Socratic Method in the Dialogues of Cicero 2005. 205 S., geb. ISBN 978-3-515-08749-0 Burkhard Scherer Mythos, Katalog und Prophezeiung Studien zu den Argonautika des Apollonios

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Rhodios 2006. VI, 232 S., geb. ISBN 978-3-515-08808-4 Mechthild Baar dolor und ingenium Untersuchungen zur römischen Liebeselegie 2006. 267 S., geb. ISBN 978-3-515-08813-8 Evanthia Tsitsibakou-Vasalos Ancient Poetic Etymology The Pelopids: Fathers and Sons 2007. 257 S., geb. ISBN 978-3-515-08939-5 Bernhard Koch Philosophie als Medizin für die Seele Untersuchungen zu Ciceros Tusculanae Disputationes 2007. 218 S., geb. ISBN 978-3-515-08951-7 Antonina Kalinina Der Horazkommentar des Pomponius Porphyrio Untersuchungen zu seiner Terminologie und Textgeschichte 2007. 154 S., geb. ISBN 978-3-515-09102-2 Efstratios Sarischoulis Schicksal, Götter und Handlungs­ freiheit in den Epen Homers 2008. 312 S., geb. ISBN 978-3-515-09168-8 Ugo Martorelli Redeat verum Studi sulla tecnica poetica dell’Alethia di Mario Claudio Vittorio 2008. 240 S., geb. ISBN 978-3-515-09197-8 Adam Drozdek In the beginning was the apeiron Infinity in Greek philosophy 2008. 176 S. mit 11 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09258-6 Eckart Schütrumpf Praxis und Lexis Ausgewählte Schriften zur Philosophie von Handeln und Reden in der klassischen Antike 2009. 368 S., geb. ISBN 978-3-515-09147-3 Theokritos Kouremenos Heavenly Stuff The constitution of the celestial objects and the theory of homocentric spheres

in Aristotle’s cosmology 2010. 150 S., geb. ISBN 978-3-515-09733-8 97. Bruno Vancamp Untersuchungen zur hand­ schriftlichen Überlieferung von Platons „Menon“ 2010. 115 S., geb. ISBN 978-3-515-09811-3 98. Marietta Horster / Christiane Reitz (Hg.) Condensing texts – condensed texts 2010. 776 S., geb. ISBN 978-3-515-09395-8 99. Severin Koster Ciceros Rosciana Amerina Im Prosarhythmus rekonstruiert 2011. 178 S., geb. ISBN 978-3-515-09868-7 100. Theokritos Kouremenos Aristotle’s de Caelo Γ Introduction, Translation and Commentary 2013. 121 S., geb. ISBN 978-3-515-10336-7 101. Hendrik Obsieger Plutarch: De E apud Delphos / Über das Epsilon am Apolltempel in Delphi Einführung, Ausgabe und Kommentar 2013. 417 S., geb. ISBN 978-3-515-10606-1 102. Theokritos Kouremenos The Unity of Mathematics in Plato’s Republic 2015. 141 S. mit 8 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11076-1 103. Stefan Freund / Meike Rühl / Christoph Schubert (Hg.) Von Zeitenwenden und Zeitenenden Reflexion und Konstruktion von Endzeiten und Epochenwenden im Spannungsfeld von Antike und Christentum 2015. 219 S., geb. ISBN 978-3-515-11174-4 104. Sonja Nadolny Die severischen Kaiserfrauen 2016. 257 S. mit 10 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11311-3 105. Michael Müller Tod und Auferstehung Jesu Christi bei Iuvencus (IV 570–812) Untersuchungen zu Dichtkunst, Theologie und Zweck der Evangeliorum Libri Quattuor 2016. 413 S., geb. ISBN 978-3-515-11340-3

Die Bedeutung der Bibelepik als einer Leitgattung der christlichen Spätantike ist unumstritten. Zugleich ist die philologische Erschließung des längsten erhaltenen Bibelepos in lateinischer Sprache, der sogenannten Heptateuchdichtung, ein noch weitgehend unbestelltes Feld. Diese Dichtung, deren nicht näher bekannter Autor oft als Cyprianus Gallus bezeichnet wird, ist wohl in die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. zu datieren und umfasst in ihrer heute bekannten Form über 5500 Verse, in denen die ersten sieben Bücher des Alten Testaments behandelt werden. Hedwig Schmalzgruber konzentriert sich in dieser Studie auf das Buch Genesis der

Heptateuchdichtung. Ihr Ziel ist es zum einen, die biblische Vorlage des Dichters und seinen erzähltechnischen Umgang mit ihr sowie sein Verhältnis zur patristischen Genesisexegese und die Rezeption poetischer Vorgänger zu untersuchen. Damit nimmt Schmalzgruber seine poetische und exegetische Leistung im Rahmen der Gattung Bibelepik in den Blick. Zum anderen erschließt ein musterhafter Kommentar der ersten großen Erzähleinheit (V. 1–362, Gen 1–9) den Text philologisch und im Hinblick auf seine theologischen Kontexte und beleuchtet die Arbeitsweise des Heptateuchdichters im Detail.

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ISBN 978-3-515-11596-4

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7835 1 5 1 1 5964