Studien zu Vertrag und Eigentumserwerb im römischen Recht [1 ed.] 9783428539864, 9783428139866

In diesem Band sind vier Studien zu Grundfragen des römischen Vertragsrechts zusammengefasst: Weshalb entwickelte sich g

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Studien zu Vertrag und Eigentumserwerb im römischen Recht [1 ed.]
 9783428539864, 9783428139866

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Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 160

Studien zu Vertrag und Eigentumserwerb im römischen Recht

Von

Jan Dirk Harke

Duncker & Humblot · Berlin

JAN DIRK HARKE

Studien zu Vertrag und Eigentumserwerb im römischen Recht

Schriften zur Rechtsgeschichte

Heft 160

Studien zu Vertrag und Eigentumserwerb im römischen Recht Von

Jan Dirk Harke

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-13986-6 (Print) ISBN 978-3-428-53986-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-83986-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

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Inhaltsverzeichnis Vertragsbegriff und antike Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. Verpflichtung aus Versprechen als Merkmal der römischen Rechtskultur . . . . . . . . . 7 II. Andere antike Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 III. Palast- und Tempelwirtschaft in Griechenland und Mesopotamien . . . . . . . . . . . . . . 10 IV. Zentralistische Wirtschaft im frühen Rom? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 V. Fazit: Das römische Vertragsrecht – eine Gnade der späten Geburt . . . . . . . . . . . . . . 16 Ein System des römischen Vertragsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Die herkömmliche Ansicht: Vom Typenzwang zur Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Eine ,unfruchtbare‘ Einteilung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 III. Die zeitliche Abfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 IV. Die dogmatische Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Die Realverträge: Haftung aus Vorenthaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Die Stipulation: Verpflichtung aus Rechtsfolgenanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3. Die Konsensualverträge: Verpflichtung durch Bestimmung des Geschäftsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Dolus in contrahendo, Mitverschulden und reine Vermögensschäden im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 I. Culpa in contrahendo oder Haftung für Leistungspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II. Dolus in contrahendo beim Austauschvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 III. Eine Erklärung aus der Struktur des Deliktsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 IV. Der Parallelfall des Mitverschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

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Inhaltsverzeichnis V. Mitverschulden und die Haftung wegen vorvertraglichen Fehlverhaltens . . . . . . . . . 52

Gutgläubiger Erwerb und Rechtsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 I. Die usucapio des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Streit um die Putativtitelersitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Proculus und die Mitgift ohne Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Neraz, Julian und der error in facti alieni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 c) Ablehnung der Putativtitelersitzung in Spät- und Nachklassik . . . . . . . . . . . . . 66 2. Zwei Sonderfälle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Der Kauf vom Geschäftsunfähigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Ersitzung beim Erbfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3. Ein unterschiedliches Konzept der bona fides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4. Ersitzung als derivativer und originärer Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 II. Der Erwerb vom Nichtberechtigten in den Kodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Zwei moderne Varianten der römischen Positionen zum Putativtitel: Code civil und ABGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Zwei inkonsequente Modelle: ZGB und BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Verzeichnis der römischen juristischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

Vertragsbegriff und antike Wirtschaftsverfassung I. Verpflichtung aus Versprechen als Merkmal der römischen Rechtskultur Eine der hervorstechenden Eigenheiten des römischen Rechts entstand lange, bevor sich dieses durch seine wissenschaftliche Bearbeitung von anderen antiken Rechten zu unterscheiden begann: Die Vorstellung, dass sich aus dem bloßen Versprechen einer Person ihre Verpflichtung zu einer Leistung ergibt, ist so alt wie die früheste Quelle des römischen Rechts, das Zwölftafelgesetz von 450 v. Chr. Nach dem Zeugnis des Hochklassikers Gaius wurde mit ihm die actio per iudicis arbitrive postulationem für Ansprüche aus einer sponsio eingeführt:1 Gai 4.17a Per iudicis postulationem agebatur, si qua de re ut ita ageretur lex iussisset, sicuti lex XII tabularum de eo quod ex stipulatione petitur, eaque res talis fere erat. qui agebat sic dicebat: EX SPONSIONE TE MIHI X MILIA SESTERTIUM DARE OPORTERE AIO: ID POSTULO AIAS AN NEGES. … Durch Anforderung eines Richters klagte man, wenn das Gesetz angeordnet hatte, dass man auf eine Sache derart klagen sollte, wie zum Beispiel das Zwölftafelgesetz für das, was aus einer Stipulation gefordert wurde. Und dies geschah ungefähr folgendermaßen: Wer klagte, sprach so: „Ich behaupte, dass du mir aus einem Versprechen 10.000 Sesterzen geben musst; ich fordere dich auf, dies zuzugestehen oder zu leugnen.“ …

Die Stipulation, die im Zwölftafelgesetz mit einer besonderen Klage versehen wird, muss als Einrichtung des Gewohnheitsrechts noch älter gewesen sein. Spätestens mit ihrer Anerkennung als Klagegrund für eine gesetzlich vorgesehene actio wurde sie voll durchsetzbar und der ihr inhärente Gedanke zum Merkmal des römischen Rechts. Fortan galt, dass es für die Begründung einer Verpflichtung genügte, wenn eine Seite eine bestimmte Leistung zusagte, sei es, dass dies einseitig und freigiebig geschah, sei es, dass es beiderseitig und damit etwa zur Durchführung einer Kaufvereinbarung erfolgte. Die dabei einzuhaltende Form stellte die Parteien nicht als solche vor besondere Schwierigkeiten, da sie sich auf die mündliche Frage des Gläubigers nach der Zusage der Leistung und die wiederum mündliche Bejahung durch den Schuldner beschränkte. Nachteile brachte dieser Abschlussmechanismus aber für den Gläubiger mit sich, der die Leistung, die er vom Schuldner erwartete, in 1 Vgl. hierzu Waldstein, Haftung und dare oportere, in: Klingenberg (Hg.), Vestigia iuris Romani. Festschrift für Wesener, Graz 1992, S. 519, 528 f.

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Vertragsbegriff und antike Wirtschaftsverfassung

einer vollstreckungsfähigen Formel abschließend beschreiben musste und sich nicht darauf verlassen konnte, dass Richter Fehlendes in seinem Sinne ergänzen würde. Erleichterung verschaffte ihm in dieser Hinsicht erst die Einführung der Konsensualverträge, bei deren Abschluss die Parteien sich mit der Auswahl des Geschäftsgegenstands begnügen und alles Weitere der Beurteilung des Richters nach der bona fides überlassen konnten. Trotz dieser Weiterentwicklung des Vertragsrechts, die sich im dritten oder frühen zweiten Jahrhundert v. Chr. vollzog, war die Stipulation auch danach noch prägend für die Vertragspraxis. Die Parteien setzten sie außer zur Besicherung und Übertragung von Forderungen vor allem dazu ein, Ansprüche auf Leistungen, die schon durch einen Konsensualvertrag begründet waren, leichter durchsetzbar zu machen: Wurden die Leistungen erneut durch Stipulation versprochen, genügte für ihre Geltendmachung, den Abschluss dieses Vertrags nachzuweisen, während anspruchswidrige Umstände, die den Konsensualvertrag und seinen Vollzug betrafen, vom jeweiligen Schuldner durch Erhebung einer Einrede zum Prozessstoff gemacht werden mussten. In dieser Ergänzungsfunktion der Stipulation blieb ihre ursprüngliche Eigenart erhalten, einfach für die Begründung von Leistungsansprüchen zu sorgen.

II. Andere antike Rechte Die Bedeutung der Stipulation für die Entwicklung des Privatrechts erschließt sich kaum, wenn man von den modernen Rechtsordnungen ausgeht, in denen die Vorstellung einer Verpflichtung aus Versprechen selbstverständlich ist. Sie erhellt erst durch den Vergleich mit anderen antiken Rechten, in denen dieses Konzept eben noch unbekannt ist. So kennt insbesondere das griechische Recht keine direkte Verpflichtung durch Zusage einer Leistung, sondern nur deren indirekte Sanktion durch Ansprüche wegen Vorenthaltung.2 Deren Anknüpfungspunkt war, wie H. J. Wolff es genannt hat, eine „Zweckverfügung“:3 Der Verkäufer schuldete nicht die Lieferung der Kaufsache, sondern, falls er sie nicht lieferte, die Rückgewähr eines vom Käufer geleisteten Angelds (arrha) oder eines Darlehens, als das der im Voraus entrichtete Kaufpreis angesehen wurde; und der Käufer schuldete auch nicht dessen Zahlung, sondern die Rückerstattung eines Darlehens, das der Verkäufer ihm dadurch gewährte, dass er nicht auf sofortiger Zahlung des Kaufpreises bestand. Die Einigung der Parteien war demnach nicht auf das Versprechen einer Leistung, stattdessen auf das Zugeständnis gerichtet, dass ein bestimmter Gegenstand zum Gläubigervermögen gehört, woraus dann wiederum im Fall einer Leistungsstörung 2 Vgl. Pringsheim, The Greek Law of Sale, Weimar 1950, S. 245 ff. und vor allem H. J. Wolff, Die Grundlagen des griechischen Vertragsrechts, SZ 74 (1957) 26 ff., ferner Herrmann, Verfügungsermächtigungen als Gestaltungselemente verschiedener griechischer Geschäftstypen, in: Wolff (Hg.), Symposion 1971, S. 321, 331, Jakab, Risikomanagement beim Weinkauf, München 2009, S. 73 ff. – Zur Wirkung des griechischen Vertragsrechts auf die aristotelische Philosophie Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, Berlin 2005, S. 11 ff. 3 Wolff, SZ 74 (1950) 26, 63 ff.

II. Andere antike Rechte

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ein Anspruch auf seine Herausgabe folgte. In seiner praktischen Einsatzfähigkeit stand dieses Vertragsmodell der römischen Stipulation nicht wesentlich nach. Da sich das Zugeständnis des Schuldners, im Besitz von Sachen zu sein, die dem Gläubiger zugewiesen sind, auch auf Gegenstände beziehen ließ, die dem Gläubiger nie gehörten und auf die er vorher keinen Anspruch hatte, konnte man es auch auf fiktive Zuwendungen beziehen, die in ihrem Wert der vom Schuldner erwarteten Leistung entsprachen. Der Gläubiger erhielt dann zwar keinen Anspruch auf diese selbst, wohl aber auf ein Äquivalent, das man seinem Vermögen zuordnete und einem entsprechenden Herausgabeanspruch unterstellte. Hinter dem römischen Konzept einer Verpflichtung aus Versprechen bleibt das griechische Vertragsmodell vor allem in theoretischer Hinsicht zurück, weil es nicht zur Wurzel der vertraglichen Bindung vordringt, sondern diese auf einem Umweg herstellt. Bezeichnenderweise hat dieses Vertragsmodell denn auch nur insoweit Eingang in das römische Recht gefunden, als es um wirkliche Verfügungen des Gläubigers zugunsten des Schuldners ging.4 Sie wurden in Gestalt der Klagen aus Realverträgen durch Ansprüche auf Rückgewähr von Gegenständen sanktioniert, um die ihr Besitzer, wenn sie bei ihm verblieben wären, unberechtigt bereichert gewesen wäre: Der Entleiher musste die ihm entliehene, der Verwahrer die hinterlegte Sache und der Darlehensnehmer die Darlehensvaluta herausgeben. Mit diesen Klagen aus commodatum, depositum und mutuum sollte lediglich verhindert werden, dass der Empfänger der Sachen sie behielt; dagegen sollte keine Leistungszusage umgesetzt werden, für die bis zur Einführung der Konsensualverträge allein die Stipulation zuständig war. Das griechische Recht stand mit seinem Vertragskonzept keineswegs allein, sondern folgte bloß dem Modell der mesopotamischen Keilschriftrechte: Auch hier kam die Verpflichtung eines Vertragspartners beim Distanzgeschäft nur durch Zuweisung eines Gegenstands zum Vermögen des Gläubigers und insbesondere durch die Annahme eines Darlehens zustande: Sollte der Verkäufer den Kaufpreis nicht sofort leisten, wurde die Lieferung des Verkäufers entweder als Sachdarlehen angesehen, oder der noch nicht entrichtete Kaufpreis selbst wurde zum Gegenstand eines imaginären Darlehensvertrags.5 Hier wie dort war die Verpflichtung, die den Käufer traf, nicht durch sein Versprechen begründet, sondern auf die Rückgewähr dessen gerichtet, was ihm vom Verkäufer zeitweise überlassen wurde und diesem gewissermaßen noch gehörte. Wie schon die Vorschriften über den Eheschluss im Codex Hammurabi (§§ 159 f.) zeigen, gab es daneben zumindest auch in Babylon den Arrhalkauf,6 bei dem der Verkäufer, der die von ihm erwartete Leistung nicht erbringen wollte, das Angeld zurückerstatten musste und der Käufer dieses verlor, 4

s. u. S. 32. San Nicolò, Die Schlussklauseln der altbabylonischen Kauf- und Tauschverträge, München 1922, S. 76 ff. 6 Vgl. Koschaker, Rechtsvergleichende Studien zur Gesetzgebung Hammurapis Königs von Babylon, Leipzig 1917, S. 136 f. 5

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Vertragsbegriff und antike Wirtschaftsverfassung

wenn er den Kaufpreis nicht zahlte. Zwar ist durchaus ungewiss, inwieweit das griechische Vertragsrecht mit der mesopotamischen Tradition verbunden ist. Sicher ist zumindest, dass das griechische Recht, als es sich im Hellenismus auf den östlichen Mittelmeerraum und nahen Osten ausdehnte, keineswegs im Widerspruch zu einheimischen Rechtsgewohnheiten stand. Um so stärker hebt sich von diesem ähnlichen, ja fast einheitlichen Regime das römische Modell einer Verpflichtung aus Versprechen ab, mit der das antike Vertragsrecht revolutioniert und zugleich einer der Gründe für die spätere Wirkung des römischen Rechts geschaffen wurde.

III. Palast- und Tempelwirtschaft in Griechenland und Mesopotamien Der Quantensprung, den die Entwicklung des Vertragsrechts mit der römischen Stipulation machte, kann durchaus religiösen Ursprungs gewesen sein und insbesondere darin bestanden haben, dass man die Bindung des Gläubigen durch seinen Eid gegenüber einer Gottheit zum Muster für zwischenmenschliche Rechtsbeziehungen machte.7 Dass dieser Schritt in Rom vollzogen wurde, ist damit aber noch nicht erklärt und müsste darauf zurückgeführt werden, dass hier zumindest in der Frühzeit der Einfluss religiöser Vorstellungen auf das Rechtsleben stärker als in anderen antiken Kulturen war. Dies ist zwar nicht auszuschließen, aber auch nicht wahrscheinlicher, als dass es einen Unterschied in der Wirtschaftsverfassung gab, der die direkte Ableitung der Verpflichtung eines Schuldners aus seinem Versprechen in Rom näher legte als in Griechenland oder Mesopotamien. Einen solchen Unterschied auszumachen fällt freilich deshalb nicht leicht, weil die Grenze der Wirtschaftskulturen gewöhnlich nicht zwischen Rom und dem östlichen Mittelmeerraum, sondern zwischen Mesopotamien und der als Einheit begriffenen griechisch-römischen Welt gezogen wird: Während hier eine von privater Initiative getragene Marktwirtschaft gegolten habe, sei Mesopotamien einer zentralistischen, redistributiven Tempel- und Palastwirtschaft unterworfen gewesen, die über die Produktion und die Verteilung der Güter bestimmt habe.8 Diese Gegenüberstellung ist, wenn auch überzeichnet, so doch zumindest in der Tendenz richtig. Sie leidet aber daran, dass mit Hilfe geographischer Kriterien Ungleichzeitiges gegenübergestellt wird. Blickt man auf die griechische Frühzeit, schwindet der Gegensatz zum Zweistromland. Stattdessen findet man auch in Griechenland eine Palastwirtschaft, die geradezu ein verbindendes Element zur frühen Kultur Mesopotamiens ist: Lässt man die griechische Kultur dort beginnen, wo die griechische Sprache auftaucht, liegen ihre Anfänge nicht in den dunklen Jahrhunderten, sondern in den 7

So die seit jeher ganz herrschende Meinung; vgl. Kaser, Römisches Privatrecht, Bd. 1, 2. Aufl., München 1971, S. 168 m. w. N. Kaser, Das altrömische ius, Göttingen 1949, S. 261 ff. selbst setzt die sponsio in Parallele zum völkerrechtlichen Eid. 8 So vor allem Finley, The ancient economy, London 1973, S. 28 f.

III. Palast- und Tempelwirtschaft in Griechenland und Mesopotamien

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mykenischen Staaten, deren schriftliches Vermächtnis auf den Linear B-Täfelchen schon in Griechisch gefasst ist. Diese Texte, die vor allem aus Pylos und Knossos stammen, betreffen in erster Linie die Wirtschaftsverwaltung und lassen erkennen, dass diese weitgehend in den Händen einer zentralen Palastorganisation lag. Sie erhob Abgaben in Gestalt von Nahrungsmitteln und Rohstoffen, lagerte diese in Magazinen, wie sie sich insbesondere im Westflügel des Palastes von Knossos finden, und verteilte sie schließlich zum Konsum und als Arbeitsmaterial an Arbeiter und Handwerker. Neben den hierüber errichteten Verwaltungsurkunden gibt es so gut wie keine Dokumente, die auf privaten Handel oder eine kaufmännische Tätigkeit schließen lassen.9 Natürlich ist deren Existenz dadurch nicht ausgeschlossen. Denn die überlieferten Urkunden aus Pylos und Knossos wurden eben von der Palastverwaltung verfasst und decken sowohl sachlich als auch räumlich nur den Bereich ab, der der Palastkontrolle unterstand.10 Damit bleibt ein Austausch auf anderen gesellschaftlichen Ebenen denkbar,11 und zwar durchaus unter Beteiligung der in den Palastarchiven genannten Personengruppen wie etwa der Handwerker, die zum Teil über so viel Personal verfügten, dass sie wahrscheinlich nicht nur für den Palast tätig waren12. Dieser Austausch konnte sich jedoch nicht unter Einsatz von Geld oder auch nur eines als Währung eingesetzten Rohstoffs vollzogen haben, da es in den Urkunden keinen Anhaltspunkt für einen gemeinsamen Standard gibt, dessen sich ja auch die Palastverwaltung zuweilen hätte bedienen müssen.13 Zudem lässt sich am archäologischen Befund der Verteilung wertvoller Prestigeobjekte ablesen, dass deren Produktion sowie die Beschaffung der hierfür erforderlichen Rohstoffe auf die Paläste konzentriert war, so dass sie entweder ihrem direkten Zugriff unterlag oder von Privaten unter Kontrolle der Palastverwaltung betrieben worden sein muss.14 Dementsprechend kann auch die handwerkliche Spezialisierung nur unter dem Regime der Palastverwaltung erfolgt sein.15 Dass in den Urkunden aus Pylos auch der da¯mos, also eine Gemeinschaft, als Besitzer von Länderein erscheint, spricht keineswegs gegen die Annahme einer zentralen Wirtschaftsverwaltung.16 Denn der Palast übte über das dem da¯mos zugewiesene Land ebenso eine Abgabenkontrolle aus wie über Ländereien, die bestimmten einzelnen Personen, insbesondere Funk9

Chadwick, Die mykenische Welt, Stuttgart 1979, S. 209. Bennett, The Aegean Bronze Age, in: Scheidel u. a. (Hg.), The Cambridge economic history of the Greco-Roman world, Cambridge 2007, S. 175, 195. 11 de Fidio, Centralization and its limts, in: Voutsaki/Killen (Hg.), Economy and politics in the Mycenean palace states, Cambridge 2001, S. 15, 17. 12 de Fidio (Fn. 11), S. 18 ff. 13 Chadwick (Fn. 9), S. 209, Killen, Mycenaean Economy, in: Duhoux/Morpugo Davies (Hg.), A companion to Linear B, Bd. 1, Löwen 2008, S. 159, 174. 14 Voutsaki, Economic control, power and prestige: the archaeological evidence, in: Voutsaki/Killen (Hg.), Economy and politics in the Mycenean palace states, Cambridge 2001, S. 195 ff. 15 Killen (Fn. 13), S. 175. 16 So aber de Fidio (Fn. 11), S. 23 f. 10

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Vertragsbegriff und antike Wirtschaftsverfassung

tionären der Palasthierarchie, zustanden,17 so dass der Vergleich mit mittelalterlichen Pacht- oder Lehensverhältnissen keineswegs fernliegt18. Kann man deshalb auch noch nicht von einer „redistributiven Wirtschaft“ sprechen,19 so darf man in den Palästen doch zumindest redistributive Zentren sehen,20 die für die Wirtschaft des mykenischen Zeitalters prägend waren. Dass die mykenische Wirtschaftsstruktur mit der Zerstörung der Paläste um 1200 nicht verschwunden ist, sondern nur ihr Format verloren hat, lässt sich der Dichtung Homers entnehmen. Die hier beschriebene, seit dem 19. Jahrhundert sogenannte oikos-Wirtschaft zeichnet sich durch die Einheit von Produktion und Konsumtion im Wirtschaftskreis des Fürsten aus:21 Er bestimmt über die vor allem landwirtschaftliche Erzeugung, deren Produkte er an die ihm Untergegebenen verteilt und im Übrigen thesauriert22. Ein Austausch23 findet in erster Linie auf der Ebene der Fürsten und hier nur in der atavistischen Gestalt des gegenseitigen Geschenks statt.24 Regelrechter Handel bleibt dagegen den als kriminell gescholtenen Phöniziern überlassen und ist mit dem Makel von Betrug und Diebstahl behaftet.25 Das Bild, das Homer von der Wirtschaft an den Höfen seiner Helden zeichnet, ist demnach nur eine übersteigerte Variante dessen, was sich aus den Linear B-Urkunden ergibt. Unabhängig davon, ob dies auf seiner mangelnden Realitätsnähe oder auf der Schrumpfung der Wirtschaftseinheiten nach dem Untergang der mykenische Paläste beruht, zeigt sich hieran, dass eine Kontinuität zwischen mykenischer Welt und archaischem Griechenland nicht nur in sprachlicher, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht bestand, die mykenische Welt also trotz möglicher Völkerbewegungen in den dunklen Jahrhunderten zumindest insoweit durchaus griechische Frühzeit ist. Zwangsläufig uneinheitlicher als die bloß punktuell dokumentierte Wirtschaftsstruktur der mykenischen Palastgesellschaft ist die des Zweistromlandes. Das pauschale Urteil einer redistributiven Wirtschaft ist hier schon deshalb unangebracht, weil sich bereits zwischen der Epoche der dritten Dynastie von Ur und der altbabylonischen Periode ein grundlegender Wandel vollzog: Prägend für die Ur III-Zeit

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Killen (Fn. 13), S. 162, 165. So insbesondere Chadwick (Fn. 9), S. 152 ff. 19 In diese Richtung geht etwa Finley, The Mycenaean tablets and economic history, Economic history review 10 (1957) 128, 135. 20 Killen (Fn. 13), S. 173 f., Bennett (Fn. 10), S. 206 f. 21 Hasebroek, Griechische Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte bis zur Perserzeit, Tübingen 1931, S. 15, Kloft, Die Wirtschaft der griechisch-römischen Welt, Darmstadt 1992, S. 101 f., Fellmeth, Pecunia non olet. Die Wirtschaft der antiken Welt, Darmstadt 2008, S. 21 f. 22 Vgl. zur Vorratshaltung am Hof der homerischen Helden Od. 2.338 ff. 23 Hierzu Hasebroek (Fn. 21), S. 30 f., Fellmeth (Fn. 21), S. 23 und Morris, Early Iron Age Greece, in: Scheidel u. a. (Hg.), The Cambridge economic history of the Greco-Roman world, Cambridge 2007, S. 211, 235 f. 24 Vgl. etwa Il. 6.215 ff. 25 Vgl. Od. 14.288 ff., 15.454 ff. 18

III. Palast- und Tempelwirtschaft in Griechenland und Mesopotamien

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sind Verwaltungsurkunden,26 die eine direkte Organisation der landwirtschaftlichen und handwerklichen Produktion und ihre Verteilung durch die Tempel- oder Palastverwaltung dokumentieren. Dagegen kennzeichnet die altbabylonische Urkundenpraxis die Vergabe von Aufträgen an Private, vor allem an Pächter und Handeltreibende, unter Einsatz von Vertrags- oder vertragsähnlichen Dokumenten, die nicht verwaltungsinterne Vorgänge, sondern Rechtspflichten zwischen Verwaltung und privaten Unternehmern wiedergeben27. Mit Einführung dieser „tributären“28 Wirtschaftsweise oder „Privatisierung“29 musste auch der Austausch ohne staatliche Beteiligung wachsen, weshalb Silber und Gerste in Babylon, wie sich schon aus dem Codex Hammurabi ergibt,30 eine Geldfunktion zukam31. Trifft das Modell der homerischen oikos-Wirtschaft daher sicher nicht mehr auf die altbabylonische Zeit zu, kann man auch schon daran zweifeln, ob es die Wirtschaft der Ur III-Zeit richtig trifft.32 Denn auch hier lässt sich bereits privates wirtschaftliches Handeln in mancherlei Hinsicht erahnen. So können die von Tempel oder Palast ausgereichten Darlehen durchaus schon für private Investitionen gedient haben;33 und diejenigen, die im Auftrag von Tempel oder Palast Handel trieben, können angesichts des Umfangs ihrer Aktivitäten keineswegs nur Angestellten, sondern auch privaten Unternehmern vergleichbar gewesen sein34. Da es zudem Arbeitsverträge mit Handwerkern gab,35 ist auch bei ihnen zweifelhaft, ob man sie eher als Versor-

26 Postgate, System and style in three near eastern bureaucracies, in: Voutsaki/Killen (Hg.), Economy and politics in the Mycenaean palace states, Cambridge 2001, S. 181, 187 27 Postgate (Fn. 26), S. 190, Renger, Wirtschaftsgeschichte des alten Mesopotamien: Versuch einer Standortbestimmung, in: Hausleiter u. a. (Hg.), Material Culture and Mental Spheres. Rezeption archäologischer Denkrichtungen in der Vorderasiatischen Altertumskunde, Münster 2002, S. 256. 28 Renger (Fn.27), S. 244 f. 29 Postgate (Fn. 26), S. 189. 30 Dessen § 108 sanktioniert die Preismanipulationen einer Schankwirtin mit der Todesstrafe; vgl. zu den einzelnen Tatbeständen G. G. W. Müller, Die Wirtschaft im Spiegel altorientalischer Rechtssatzungen, in: Hengstl/Sick (Hg.), Recht gestern und heute. Festschrift für Richard Haase, Wiesbaden 2006, S. 21, 22 ff. 31 Powell, Monies, motives and methods in Babylonian economics, in: Dercksen (Hg.), Trade and finance in ancient Mesopotamia, Leiden 1999, S. 5, 14 ff. 32 Dafür ist Renger (Fn. 27), S. 243 ff., dagegen Neumann, Die sogenannte Oikos-Ökonomie und das Problem der Privatwirtschaft im ausgehenden 3. Jahrtausend v. Chr. in Mesopotamien, in: Hausleiter u. a. (Hg.), Material Culture and Mental Spheres. Rezeption archäologischer Denkrichtungen in der Vorderasiatischen Altertumskunde, Münster 2002, S. 273, 275. 33 Neumann, Ur-Dumuzida und Ur-DUN. Reflections on the Relationship between stateinitiated foreign trade and private economic actitivity in Mesopotamia towards the end of the 3rd millenium BC, in: Dercksen (Hg.), Trade and finance in ancient Mesopotamia, Leiden 1999, S. 43, 53, ders. (Fn. 32), S. 276. 34 Neumann (Fn. 33), S. 43, 45 ff. 35 Hierauf weist Neumann (Fn. 32), S. 277 hin.

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Vertragsbegriff und antike Wirtschaftsverfassung

gungsempfänger oder nicht doch als freie Unternehmer anzusehen hat, die ihre Arbeitskraft dem Tempel oder Palast zur Verfügung stellten. Nichtsdestoweniger bleibt der Befund einer Dominanz der institutionellen Wirtschaftseinheiten, der es rechtfertigt, sie ebenso wie die mykenischen Paläste als redistributive Zentren anzusehen, und zwar nicht nur für die Ur III-, sondern auch für die altbabylonische Zeit; denn ungeachtet der Zunahme privater wirtschaftlicher Aktivität bleibt auch die tributäre Wirtschaft, bei der Aufgaben gegen Entgelt an Unternehmer vergeben werden, unter zentraler Führung; und die zugrunde liegenden Vereinbarungen werden in einem Ober- und Unterordnungsverhältnis getroffen. Ein entscheidender Unterschied zu Griechenland liegt allerdings darin, dass sich das Gewicht der Zentrale im Vergleich zwischen mykenischer und homerischer Wirtschaft verstärkt, während es in Mesopotamien mehr als tausend Jahre früher deutlich zurückgeht und Raum für private wirtschaftliche Initiative lässt. Ungeachtet der unterschiedlichen Tendenz in der Entwicklung der Wirtschaftsstruktur ist bemerkenswert, dass sie in Griechenland und dem Zweistromland gerade in der Zeit ähnelt, in der sich Rechtsvorstellungen erstmals entwickelt haben oder zumindest entwickelt haben könnten. Schon dies genügt, um einen Zusammenhang mit dem griechischen und babylonischen Vertragsrecht denkbar werden zu lassen. Denn beider Merkmal ist ja nicht, dass es die Vereinbarung über einen Leistungsaustausch gänzlich ignorierte oder unsanktioniert ließ. Ihr gemeinsames Charakteristikum ist vielmehr der gedankliche Umweg um die direkte Vorstellung einer Verpflichtung aus Versprechen. Dieser Umweg kann nur deshalb eingeschlagen worden sein, weil für die Annahme einer Haftung kraft Zusage anfangs kein oder wenig Raum war, so dass man in dem Moment, in dem das Bedürfnis hierzu entstand oder drängender wurde, auf die Mechanismen zum Schutz schon vorhandenen Vermögens verfiel und später hierbei verblieb. Es ist also gerade die Frühzeit, auf die es ankommt; und wenn hier sowohl in Griechenland als auch in Mesopotamien eine Zentralwirtschaft bestand, die dem Gedanken einer Verpflichtung des Einzelnen kraft seines freiwilligen Versprechens widerstrebte, liegt nahe, den Mangel dieser Vorstellung im entwickelten Recht beider Kulturkreise auf eben diese frühzeitliche Wirtschaftsstruktur zurückzuführen.

IV. Zentralistische Wirtschaft im frühen Rom? Ist die zentralistische Palast- oder Tempelwirtschaft der Frühzeit der gemeinsame Nenner für Griechenland und Mesopotamien, müsste sie, damit der Zusammenhang mit der Vertragsordnung wahrscheinlich wird, in Rom gerade fehlen. Und tatsächlich gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich hier je eine Zentralwirtschaft etablierte, die den freiwilligen Austausch unter Privaten verdrängte oder auch nur einschränkte. Zwar fehlt es für die Frühzeit in Rom anders als in Griechenland und Mesopotamien an einschlägigen wirtschaftshistorischen Quellen. Die politischen Rahmenbedingungen lassen, soweit sie sich rekonstruieren lassen, jedoch kaum Platz für die

IV. Zentralistische Wirtschaft im frühen Rom?

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Annahme, in Rom habe es jemals ein redistributives Zentrum gegeben. Ein solches ist nämlich sowohl mit der vorstaatlichen Struktur der Gentilverbände als auch mit dem ursprünglichen römischen Königtum unvereinbar, dessen mythische Reflexion Romulus und die auf ihn folgenden Könige sein könnten. Es mag schon fraglich sein, ob beide Einrichtungen überhaupt in eine Phase fallen, in der sich vertragsrechtliche Vorstellungen überhaupt entwickeln konnten. Die gentes waren aber jedenfalls zu klein, um eine abgeschlossene Hauswirtschaft zu bilden,36 und die altrömischen Könige bestenfalls Anführer ohne Zentralgewalt oder -organisation37. Damit bleibt als möglicher Kandidat für eine Palastwirtschaft allein das etruskische Königtum des siebten und sechsten Jahrhunderts v. Chr., unter dem auch Warenaustausch und Handwerk maßgebliche Entwicklungsschritte taten38. Diese Zeit, in die auch die ersten Zeugnisse der lateinischen Sprache fallen, dürfte in der Tat die entscheidende Periode für die Herausbildung grundlegender Rechtsvorstellungen wie der einer Verpflichtung durch Versprechen gewesen sein. Gleichwohl kam sie viel zu spät, um noch eine Zentralwirtschaft hervorzubringen. Denn nicht nur in Griechenland, sondern auch in Etrurien hatte sich die neue Gesellschaftsverfassung der Polis etabliert, deren Grundlagen zur Zeit der homerischen Dichtung gelegt wurden und die für die hier noch propagierte Zentralwirtschaft keinen Raum mehr ließ. Dass es diese neue Stadtkultur war, die auch den römischen Königsstaat kennzeichnete,39 zeigen die Berichte über die angeblichen Leistungen der etruskischen Könige, die ebenso wie diese selbst nicht historisch sein müssen, aber doch einen historischen Kern enthalten könnten: Die äußere Seite der städtischen Kultur zeigt sich in der Entsumpfung durch Tarquinius Priscus40 sowie in der Errichtung von Mauern, die sowohl von Tarquinius Priscus41 als auch Servius Tullius42 geschaffen und von Tarquinius Superbus43 noch verstärkt worden sein sollen. Die innere Seite der Polis-Kultur betrifft die durch ihre Namensgebung als etruskisch erwiesene Einführung der Tribuseinteilung, mit der vermutlich eine ältere Kurienverfassung reformiert wurde,44 sowie vor allem die große Heeres- und Steuerreform des Servius 36 Vgl. de Martino, Wirtschaftsgeschichte des alten Rom, München 1985, S. 178, der hierin die Grundlage für die unglaubhafte Überlieferung sieht, schon Numa Pompilius habe collegia der Handwerker geschaffen. 37 Zur Abwägung der ursprünglichen und etruskischen Anteile am römischen Königtum eingehend Wieacker, Römische Rechtsgeschichte, Bd. 1, München 1988, S. 208 ff. 38 de Martino (Fn. 36), S. 22, Wieacker (Fn. 37), S. 219. 39 Alföldi, Das frühe Rom und die Latiner, Darmstadt 1977, S. 181 ff., Wieacker (Fn, 37), S. 206 f., 218, Aigner-Foresti, Die Etrusker und das frühe Rom, 2. Aufl., Darmstadt 2009, S. 138. 40 Dion. 3.67.5, Liv. 1.38.6 41 Dion. 3.67.4, Liv. 1.38.6. 42 Dion. 4.14.1, Liv. 1.44.4. 43 Dion. 4.54.2. 44 Vgl. Wieacker (Fn. 37), S. 200 f.

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Vertragsbegriff und antike Wirtschaftsverfassung

Tullius45, der die Bewohner in Zenturien eingeteilt und so eine Verfassung geschaffen haben soll, die dem griechischen und etruskischen Hoplitensystem entsprach. Dem etruskischen Königtum wird damit gerade eine Leistung unterstellt, mit der die neue Bürgerordnung der Polis zum Durchbruch kam46. Vor diesem Hintergrund ist die zeitgleiche Errichtung einer Zentralwirtschaft kaum wahrscheinlich, zumal sie eine politische Macht vorausgesetzt hätte, über die die etruskischen Könige offenbar auch gar nicht verfügten: Entweder bildeten sie mit ihrem Anhang eine kleine Elite, die eine regelrechte Fremdherrschaft ausübte, oder sie verschmolzen mit dem einheimischen römischen Adel. In beiden Fällen war die Herrschaftsbasis dünn und die Vertreibung des Königs, die man später nach athenischem Vorbild ins Jahr 510 v. Chr. datierte, kein Zufall.

V. Fazit: Das römische Vertragsrecht – eine Gnade der späten Geburt Lässt sich eine zentralistische Palast- oder Tempelwirtschaft in Rom mit einiger Sicherheit ausschließen, bedeutet dies, dass von vornherein mehr Raum für Vereinbarungen über den Leistungsaustausch zwischen Privaten und damit auch ein stärkeres Bedürfnis für seine rechtliche Absicherung vorhanden war. Dies legt nahe, dass deshalb auch unumwunden auf die Vorstellung einer Verpflichtung aus Versprechen zugegriffen wurde, die sich in den zentralistischen Verteilungssystemen Griechenlands und Mesopotamiens nicht etablieren konnte. Der Fortschritt, den das Vertragsrecht der Römer bewirkte, wäre damit eine Folge der späten Gründung ihres Gemeinwesens, das erst in einer Zeit entstand, als die Palast- und Tempelwirtschaft bereits überwunden waren. Einen Beweis für diesen Zusammenhang zwischen Vertragsordnung und Wirtschaftsstruktur gibt es natürlich nicht und wird es ohne Revolution der Quellenlage auch nicht geben. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht jedoch; und sie ist keineswegs geringer als die einer Genese des römischen Vertragsrechts aus der besonderen Spiritualität der Römer.

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Liv. 1.42 f. Wieacker (Fn. 37), S. 227.

Ein System des römischen Vertragsrechts?* I. Die herkömmliche Ansicht: Vom Typenzwang zur Vertragsfreiheit Das herkömmliche, ja ganz unumstrittene Bild der gemeineuropäischen Vertragsrechtsentwicklung ist das einer Abfolge von Typenzwang und inhaltlicher Vertragsfreiheit:1 Während das römische Recht die Parteien eines Schuldvertrags auf einen numerus clausus zulässiger Vertragstypen festgelegt habe, sei diese Bindung zunächst im Mittelalter gelockert2 und in der Neuzeit durch die Herausbildung eines typenübergreifenden Vertragsbegriffs3 überwunden worden. Grundlage dieser Ansicht ist die römische Unterscheidung zwischen klagebewehrten contractus und einfachen pacta: Jene konnten von den Kontrahenten aktiv durch Erhebung einer Klage (actio), diese nur im Wege der Verteidigung mit einer Einrede (exceptio) durchgesetzt und daher nicht zum Träger einer Leistungspflicht werden.4 Sie war das Merkmal der contractus, die entsprechend ihrem Abschlussmodus wiederum in vier Gruppen, namentlich danach eingeteilt wurden, ob sie durch Sachhingabe (re), mündliche Wortformel (verbis), Schriftakt (litteris) oder einfache Einigung (consensu) zustande kamen. An diesen Kriterien orientiert sich zumindest der in der Mitte des zweiten Jahrhunderts wirkende Schuljurist Gaius in seinem Anfängerlehrbuch, den institutiones:

* Dieser Aufsatz erschien zuerst als Teil meines Beitrags zu „System und Auslegung im klassischen römischen Vertragsrecht“ in: Riesenhuber (Hg.), Europäische Methodenlehre, 1. Aufl., Berlin 2006, S. 5 ff. 1 Vgl. nur Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, 2. Aufl., München 1971, S. 477, Coing, Europäisches Privatrecht, Bd. 1, München 1985, S. 398 ff., Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, 4. Aufl., Berlin/Heidelberg 1987, S. 250, Zimmermann, The Law of Obligations, Kapstadt 1990, S. 508 ff. 2 Vgl. vor allem Söllner, Die causa im Kondiktionen- und Vertragsrecht des Mittelalters, SZ 77 (1960) 182 ff. und Dilcher, Der Typenzwang im mittelalterlichen Vertragsrecht, SZ 77 (1960) 270 ff. 3 Hierzu vor allem Nanz, Die Entstehung des allgemeinen Vertragsbegriffs im 16. bis 18. Jahrhundert, München 1985. 4 Vgl. D 2.14.7 Ulp 4 ed: Iuris gentium conventiones quaedam actiones pariunt, quaedam exceptiones. (1) Quae pariunt actiones, in suo nomine non stant, sed transeunt in proprium nomen contractus: ut emptio venditio, locatio conductio, societas, commodatum, depositum et ceteri similes contractus. (4) … igitur nuda pactio obligationem non parit, sed parit exceptionem.

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Ein System des römischen Vertragsrechts? Gai 3.88 Nunc transeamus ad obligationes, quarum summa divisio in duas species diducitur: omnis enim obligatio vel ex contractu nascitur vel ex delicto. (89) Et prius videamus de his, quae ex contractu nascuntur. harum autem quattuor genera sunt: aut enim re contrahitur obligatio aut verbis aut litteris aut consensu. (90) Re contrahitur obligatio velut mutui datione … (91) Is quoque, qui non debitum accepit ab eo, qui per errorem solvit, re obligatur; nam proinde ei condici potest SI PARET EUM DARE OPORTERE, ac si mutuum accepisset. … sed haec species obligationis non videtur ex contractu consistere, quia is qui solvendi animo dat, magis distrahere vult negotium quam contrahere. (92) Verbis obligatio fit ex interrogatione et responsione, velut DARI SPONDES? SPONDEO, DABIS? DABO … FACIES? FACIAM. … (128) Litteris obligatio fit veluti in nominibus transscripticiis. fit autem nomen transscripticium duplici modo, vel a re in personam vel a persona in personam. (129) A re in personam transscriptio fit, veluti si id quod tu ex emptionis causa aut conductionis aut societatis mihi debeas, id expensum tibi tulero. (130) A persona in personam transscriptio fit, veluti si id quod mihi Titius debet, tibi id expensum tulero … (131) Alia causa est eorum nominum, quae arcaria vocantur: in his enim rei, non litterarum obligatio consistit, quippe non aliter valet, quam si numerata sit pecunia; numeratio autem pecuniae rei facit obligationem. qua de causa recte dicemus arcaria nomina nullam facere obligationem, sed obligationis factae testimonium praebere. … (135) Consensu fiunt obligationes in emptionibus et venditionibus, locationibus conductionibus, societatibus, mandatis. (136) Ideo autem istis modis consensu dicimus obligationis contrahi, quia neque verborum neque scripturae ulla proprietas desideratur, sed sufficit eos, qui negotium gerunt, consensisse. … (137) Item in his contractibus alter alteri obligatur de eo, quod alterum alteri ex bono et aequo praestare oportet, cum alioquin in verborum obligationibus alius stipuletur alius promittat … Wir wollen jetzt zu den Verpflichtungen übergehen, deren Haupteinteilung in zwei Kategorien erfolgt: Jede Verpflichtung entsteht nämlich entweder aus Vertrag oder aus Delikt. (89) Und zunächst wollen wir die Verpflichtungen betrachten, die aus Vertrag entstehen. Hiervon gibt es vier Arten: Eine Verpflichtung wird nämlich entweder durch Sachhingabe, durch Wortformel, Schriftakt oder Konsens begründet. (90) Eine Verpflichtung durch Sachhingabe kommt zum Beispiel durch Darlehensgewährung zustande … (91) Durch Sachhingabe wird auch verpflichtet, wer von einem anderen aus Versehen eine Leistung auf eine Nichtschuld erhält. Denn die Kondiktion mit der Formel: „Stellt sich heraus, dass er zu geben verpflichtet ist“ kann gegen ihn so angestrengt werden, als ob er ein Darlehen empfangen hätte. … Aber diese Verpflichtung scheint nicht auf einem Vertrag zu beruhen, weil eine Verpflichtung eher aufheben als begründen will, wer mit der Absicht zu erfüllen zahlt.“ (92) Durch Wortformel kommt eine Verpflichtung im Wege von Frage und Antwort zustande, wie zum Beispiel: „Versprichst du, dass gegeben wird?“ – „Ich verspreche.“, „Wirst du geben?“ – „Ich werde geben.“ … „Wirst du tun?“ – „Ich werde tun.“ (128) Durch Schriftakt entsteht eine Verpflichtung beispielsweise bei Forderungsumbuchungen. Dies geschieht auf zweifache Weise, entweder von einer Sache auf eine Person oder von einer Person auf eine andere Person. (129) Von einer Sache auf eine Person ge-

I. Die herkömmliche Ansicht: Vom Typenzwang zur Vertragsfreiheit

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schieht die Umbuchung zum Beispiel, indem ich als an dich ausgezahlt eintrage, was du mir aufgrund eines Kaufs, einer Miete oder aus Gesellschaft schuldest. (130) Von einer Person auf eine andere geschieht die Umbuchung beispielsweise, indem ich als an dich ausgezahlt eintrage, was Titius mir schuldet … (131) Von anderer Art sind die sogenannten Kassenforderungen: Bei ihnen entsteht nämlich eine Real- und keine Litteralverpflichtung, weil sie nicht eher zustande kommen, als das Geld ausgezahlt ist, und seine Auszahlung eine Realverpflichtung begründet. Daher sagt man zu Recht, dass die Eintragung von Kassenforderungen keine Verpflichtung schafft, sondern nur Zeugnis einer schon begründeten Verpflichtung ist. (135) Durch Konsens entstehen die Verpflichtungen beim Kauf, bei der Verdingung, bei der Gesellschaft und beim Auftrag. (136) Wir sagen daher, dass diese Verpflichtung durch Konsens begründet werden, weil sie weder einer wörtlichen noch einer schriftlichen Formalität bedürfen und es genügt, wenn die Geschäftspartner einig sind … (137) Ferner werden bei diesen Verträgen beide Vertragspartner einander dazu verpflichtet, was jeder dem anderen nach Billigkeit zu leisten schuldig ist, während bei den Verbalverpflichtungen der eine sich versprechen lässt, der andere verspricht …

Mit der bloßen Einigung der Parteien begnügen sich der der Kauf (emptio venditio), der Auftrag (mandatum), die Gesellschaft (societas) und die Verdingung (locatio conductio), die den Platz von vier modernen Vertragstypen, der Miete und Pacht sowie des Dienst- und Werkvertrags, einnimmt.5 Als Eigenheit dieser nur auf consensus angewiesenen Verträge gilt Gaius außer ihrer formlosen Begründung, dass sie die Parteien beiderseitig und umfassend zur Leistung all dessen verpflichten, was sie einander nach guter Treue (bona fides) schuldig sind. Das Gegenmodell zu diesen Konsensualverträgen ist der auf mündliche Wortformel angewiesene Vertrag, der im einseitigen Schuldversprechen durch Stipulation besteht. Er kann jeden erdenklichen Inhalt haben und setzt zu seiner Gültigkeit nur voraus, dass der Gläubiger den Schuldner fragt, ob er eine bestimmte Leistung verspricht, der Schuldner diese Frage bejaht. Der Vertrag, der durch Schriftakt zustande kommt, bedarf, um wirksam zu werden, einer vom Schuldner genehmigten Eintragung in das Hausbuch des Gläubigers. Ihr kommt entweder reine Beweisfunktion oder lediglich die Wirkung zu, dass eine bereits vorhandene Verpflichtung von ihrem Schuldgrund abstrahiert (transscriptio a re in personam) oder von einem anderem Schuldner übernommen (transscriptio a persona in personam) wird. Die Kategorie der durch Sachhingabe begründeten Verträge exemplifiziert Gaius durch das zinslose Darlehen (mutuum) und die Leistung auf eine Nichtschuld (non debitum), bemerkt aber sogleich, dass diese eigentlich gar kein Vertrag sei, weil der Leistende statt seiner Verpflichtung deren Aufhebung bezwecke. Frucht dieser Einsicht ist später die Neuverortung dieser Verpflichtung in der zweiten Auflage der Institutionen, den aurea oder res cottidianae, die von Gaius selbst 5

Dass Gaius und die anderen klassischen Juristen den consensus nicht als Grundelement aller Verträge begriffen haben, nimmt zu Unrecht Sargenti, Svolgimento dell’idea di contratto nel pensiero giuridico romano, IVRA 39 (1988) 24 ff. an, der sich, abgesehen von D 45.1.137.1 Venul 1 stip, mit den entscheidenden Fällen des Konsensmangels gar nicht beschäftigt.

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Ein System des römischen Vertragsrechts?

verfasst6 und herausgegeben7 worden sein können, vielleicht aber auch erst nach seinem Tod entstanden. Die Leistung auf eine Nichtschuld erscheint hier zusammen mit den Verpflichtungen aus Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio), Vormundschaft (tutela) und Vermächtnis (legatum) als Element einer Zwischengruppe von Verpflichtungen, die weder aus Vertrag noch aus Delikt entstehen:8 D 44.7.5 Gai 3 aur Si quis absentis negotia gesserit … si vero sine mandatu, placuit quidem sane eos invicem obligari eoque nomine proditae sunt actiones, quas appellamus negotiorum gestorum … sed neque ex contractu neque ex maleficio actiones nascuntur … (1) Tutelae quoque iudicio qui tenentur, non proprie ex contractu obligati intelleguntur … sed quia sane non ex maleficio tenentur, quasi ex contractu teneri videntur … (2) Heres quoque, qui legatum debet, neque ex contractu neque ex maleficio obligatus esse intellegitur: … (3) Is quoque, qui non debitum accipit per errorem solventis, obligatur quidem quasi ex mutui datione et eadem actione tenetur, qua debitores creditoribus: sed non potest intellegi is, qui ex ea causa tenetur, ex contractu obligatus esse: qui enim solvit per errorem, magis distrahendae obligationis animo quam contrahendae dare videtur. Führt jemand die Geschäfte eines Abwesenden ohne Auftrag, sind beide gleichwohl untereinander verpflichtet, und aus diesem Grund sind die Klagen eingeführt, die wir Geschäftsbesorgungsklagen nennen … aber die Klagen entstehen weder aus Vertrag noch aus Delikt … (1) Auch diejenigen, die mit der Vormundschaftsklage haften, scheinen nicht eigentlich aus Vertrag verpflichtet … aber weil sie sicherlich nicht aus Delikt haften, scheinen sie gleichsam aus Vertrag zu haften … (2) Auch der Erbe, der ein Vermächtnis schuldet, scheint weder aus Vertrag noch aus Delikt verpflichtet … (3) Auch wer eine versehentliche Leistung auf eine Nichtschuld erhält, wird wie aus einer Darlehensgewährung verpflichtet und haftet mit derselben Klage wie die Kreditnehmer ihren Gläubigern. Aber wer aus diesem Grund haftet, kann nicht als aus Vertrag verpflichtet angesehen werden: wer nämlich versehentlich leistet, gibt eher mit dem Vorsatz, eine Verpflichtung aufzulösen, als mit der Absicht, sie zu begründen.

Die beiläufige Bemerkung, dass die Verpflichtung aus Vormundschaft quasi ex contractu entspringe, hat den Anstoß zur Bildung einer eigenen Kategorie gegeben: In der dritten Fassung von Gaius’ Lehrbuch, den 533 als Gesetz erlassenen Institutionen Kaiser Justinians, erscheinen die in den aurea abgesonderten Zwischenfälle gemeinsam mit den Verpflichtungen zur Aufhebung einer Bruchteils- oder Erbengemeinschaft als obligationes quasi ex contractu, die zusammen mit der Gruppe der

6 So Kaser, Divisio obligationum, in: Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode, Köln u. a. 1986, S. 155, 156 f. 7 So Nelson/Manthe, Gai. Institutiones III.88-181, Die Kontraktsobligationen, Berlin 1999, S. 461, 464 f. 8 Dass diese Neueinteilung in den von Gaius bekundeten Zweifeln an der Zuordnung der rechtsgrundlosen Leistung zu den Realverträgen schon angelegt ist, stellt Kaser (Fn. 6), S. 168 heraus.

I. Die herkömmliche Ansicht: Vom Typenzwang zur Vertragsfreiheit

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obligationes quasi ex delicto die herkömmliche Zweiteilung von deliktischen und vertraglichen Verpflichtungen zu einer Vierergruppe9 ergänzen: IJ 3.27 Post genera contractuum enumerata dispiciamus etiam de his obligationibus quae non proprie quidem ex contractu nasci intelleguntur, sed tamen, quia non ex maleficio substantiam capiunt, quasi ex contractu nasci videntur. (1) Igitur cum quis absentis negotia gesserit, ultro citroque inter eos nascuntur actiones, quae appellantur negotiorum gestorum … (2) Tutores quoque, qui tutelae iudicio tenentur, non proprie ex contractu obligati intelleguntur … sed quia sane non ex maleficio tenentur, quasi ex contractu teneri videntur… (3) Item si inter aliquos communis sit res sine societate … (4) Idem iuris est de eo qui coheredi suo familiae erciscundae iudicio … obligatus est. (5) Heres quoque legatorum nomine non proprie ex contractu obligatus intellegitur… (6) Item is cui quis per errorem non debitum solvit quasi ex contractu debere videtur. Nach Aufzählung der Vertragsarten wollen wir die Schuldverhältnisse betrachten, die eigentlich nicht aus Vertrag entstehen, aber dennoch, weil sie ihre Geltung nicht aus einem Delikt schöpfen, gleichsam aus Vertrag entstehen. (1) Daher entstehen, wenn jemand die Geschäfte eines Abwesenden führt, zwischen beiden untereinander Klagen, die Geschäftsbesorgungsklagen genannt werden. … (2) Auch die Vormünder, die mit der Vormundschaftsklage haften, sind nicht aus Vertrag verpflichtet … aber weil sie sicherlich nicht aus Delikt haften, scheinen sie gleichsam aus Vertrag zu haften. (3) Ebenso wenn eine Sache, ohne dass eine Gesellschaft abgeschlossen worden ist, im Miteigentum steht … (4) Dasselbe gilt für denjenigen, der … zur Erbteilung verpflichtet ist. (5) Auch der Erbe scheint wegen eines Vermächtnisses nicht eigentlich aus Vertrag verpflichtet … (6) Ebenso scheint gleichsam aus Vertrag zu schulden, wer versehentlich auf eine Nichtschuld geleistet hat.

Mit der Ausgliederung der ungerechtfertigten Bereicherung aus dem Kreis der Realverträge geht dessen Erweiterung um drei Vertragstypen einher, die in der Urfassung von Gaius’ Institutionen noch nicht genannt sind.10 Es sind Leihe (commodatum), Verwahrung (depositum) und Pfandvertrag (pignus): D 44.7.1.3, 5-6 Gai 2 aur11 Is quoque, cui rem aliquam commodamus, re nobis obligatur, sed is de ea ipsa re quam acceperit restituenda tenetur. (5) Is quoque, apud quem rem aliquam deponimus, re nobis tenetur: qui et ipse de ea re quam acceperit restituenda tenetur. … (6) Creditor quoque, qui pignus accepit, re tenetur: qui et ipse de ea ipsa re quam accepit restituenda tenetur. Auch derjenige, dem wir eine Sache leihen, wird uns durch Sachhingabe verpflichtet, aber er haftet für die Rückgewähr derselben Sache, die er erhalten hat. (5) Auch derjenige, dem wir eine Sache zur Verwahrung gegeben haben, wird uns durch Sachhingabe verpflichtet, und auch er haftet für die Rückgewähr derselben Sache, die er empfangen hat. (6) Auch der

9 IJ 3.13.2: Sequens divisio in quattuor species deducitur: aut enim ex contractu sunt aut quasi ex contractu aut ex maleficio aut quasi ex maleficio. 10 Ihre Nichterwähnung in den Institutionen ist mit Kaser (Fn. 6), S. 166 Fn. 55 aus dem Charakter dieses Werks als „unbekümmerte Weglassung“ leicht zu erklären; anders Magdelain, Le Consensualisme dans l’édit du préteur, Paris 1958, S. 97 f. 11 Ähnlich IJ 3.14.2-4.

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Ein System des römischen Vertragsrechts? Gläubiger, der ein Pfand erhalten hat, haftet wegen der Sachhingabe, und auch er haftet für die Rückgewähr derselben Sache, die er empfangen hat.

Gemeinsam ist diesen Verträgen eine Verpflichtung zur Rückgabe der verliehenen, niedergelegten oder verpfändeten Sache, die sie mit der Pflicht des Darlehensnehmers zur Rückerstattung der Darlehensvaluta vergleichbar macht. Dass die Realverträge die Hingabe von Sachen erfordern und auf ihre Rückgewähr gerichtet sind, macht sie den Austauschgeschäften ähnlich, die außerhalb des viergliedrigen Systems der contractus stehen. Ihre Bewältigung lässt zwei verschiedene Phasen erkennen. In einer ersten wurde die Partei, die auf eine unklagbare Vereinbarung geleistet hat, bei Ausfall der erwarteten Gegenleistung zur Rückforderung mit Hilfe der condictio causa data causa non secuta zugelassen. In einer zweiten Phase, deren Beginn vielleicht schon bei dem Frühklassiker Labeo einsetzt,12 möglicherweise aber auch in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts fällt,13 kam zum bereicherungsrechtlichen Anspruch auf Rückgewähr der eigenen Leistung eine Klage auf die Gegenleistung hinzu. Dem an der Wende vom zweiten zum dritten Jahrhundert wirkenden Spätklassiker Paulus gelten sie schon als alternativ zuständige Rechtsbehelfe: D 19.5.5pr., 1 Paul 5 quaest14 … in hac quaestione totius ob rem dati tractatus inspici potest. qui in his competit speciebus: aut enim do tibi ut des, aut do ut facias, aut facio ut des, aut facio ut facias: in quibus quaeritur, quae obligatio nascatur. (1) Et si quidem pecuniam dem, ut rem accipiam, emptio et venditio est: sin autem rem do, ut rem accipiam, quia non placet permutationem rerum emptionem esse, dubium non est nasci civilem obligationem, in qua actione id veniet, non ut reddas quod acceperis, sed ut damneris mihi, quanti interest mea illud de quo convenit accipere: vel si meum recipere velim, repetatur quod datum est, quasi ob rem datum re non secuta. Bei dieser Gelegenheit kann das Thema der Leistung um einer Gegenleistung willen insgesamt untersucht werden. Es umfasst folgende Fälle: Entweder gebe ich, damit du gibst, oder ich gebe, damit du etwas tust, oder ich tue etwas, damit du gibst, oder ich tue etwas, damit du etwas tust. In diesen Fällen stellt sich die Frage, welche Obligation entsteht. (1) Gebe ich Geld, damit ich eine Sache erhalte, liegt ein Kauf vor. Gebe ich aber eine Sache, damit ich eine Sache erhalte, dann entsteht, da der Tausch von Sachen nicht als Kauf gilt, zweifellos ein zivilrechtliches Schuldverhältnis, und zwar eine Klage, die nicht auf Rückforderung dessen gerichtet ist, was du erhalten hast, sondern darauf, dass du in das 12 Hierfür sind vor allem Santoro, Il contratto nel pensiero di Labeone, Palermo 1983, S. 155 ff. und Paricio, Der Vertrag – eine Begriffsbildung, in: Andrés Santos u. a. (Hg.), Vertragstypen in Europa, München 2011, S. 11, 23. Maßgebliche Zeugnisse, die freilich vielleicht erst das Produkt einer Textkürzung sein können, sind D 18.1.50 Ulp 11 ed und D 19.5.19pr. Ulp 31 ed. 13 Hierfür spricht die Kontroverse zwischen Aristo und dem noch unter Hadrian tätigen Celsus, der die Klage auf die Gegenleistung offenbar noch nicht anerkennt; vgl. D 2.14.7.2 Ulp 4 ed: Sed et si in alium contractum res non transeat, subsit tamen causa, eleganter Aristo Celso respondit esse obligationem. ut puta dedi tibi rem ut mihi aliam dares, dedi ut aliquid facias: hoc sumakkacla esse et hinc nasci civilem obligationem … 14 Vgl. zu diesem Text Schmidt-Ott, Pauli Quaestiones, Berlin 1993, S. 215 ff.

II. Eine ,unfruchtbare‘ Einteilung?

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Interesse verurteilt wirst, das ich am Erhalt deiner vereinbarten Leistung habe. Will ich aber meine Leistung zurückerhalten, kann ich das Geleistete zurückfordern, weil es zu einem Zweck gegeben und dieser ausgefallen ist …

Da beide Ansprüche die Vorleistung des Klägers voraussetzen, erhielten die mit ihrer Hilfe sanktionierten Geschäfte in nachrömischer Zeit den Namen Innominatrealverträge. Schon im Mittelalter wurden sie den anerkannten contractus an die Seite gestellt und gemeinsam mit diesen zu den bekleideten, nämlich klagebewehrten, pacta zusammengefasst. So schreibt der 1192 verstorbene Glossator Placentinus: Pacta induta modis quinque vestiuntur: rebus ut mutuum, verbis ut stipulatio, literis, ut chirographum, consensu formatio in nomen speciale transeunte, ut venditio locatio, sed et lege dicta in re sua tradenda vestiuntur pacta. …15 Angenommene Pakte werden auf fünffache Weise bekleidet: durch Sachhingabe wie das Darlehen, durch Wortformel wie die Stipulation, durch Schriftakt wie der Schuldschein, durch Konsens, sofern er einem bestimmten Vertragstyp entspricht, wie Kaufvertrag oder Verdingung; aber auch durch eine Vereinbarung bei der Übergabe werden Pakte bekleidet.

In der gewandelten Begrifflichkeit war die Entwicklung zur vertraglichen Inhaltsfreiheit bereits angelegt: Steht pactum nicht mehr wie bei den römischen Juristen für eine unklagbare Vereinbarung, sondern ist der Oberbegriff für jede Einigung einschließlich der anerkannten contractus, muss deren Privilegierung fragwürdig werden. Die weltliche Jurisprudenz des Mittelalters tendierte daher zu einer steten Ausweitung des Katalogs klagbarer pacta; die kirchliche schaffte den Sprung zum Satz: pacta sunt servanda, indem sie jeden Bruch einer Vereinbarung zur Sünde erklärte.16 Die römischen contractus blieben in der Folge als Vertragstypen erhalten, waren aber ihrer exklusiven Stellung als Grundlage gewillkürter Verpflichtung beraubt.

II. Eine ,unfruchtbare‘ Einteilung? Vor dem Hintergrund dieser Daten scheint die positive Antwort auf die Frage, ob das mittelalterliche Vertragsrecht ein Modell des Typenzwangs abgelöst hat, zu selbstverständlich, als dass sie überhaupt einer Untersuchung lohnte. Weniger banal klingt dagegen die Frage nach Herkunft und Sinn des viergliedrigen römischen Vertragsschemas. Ist es die Erfindung des Schuljuristen Gaius, der mit seinem einfach strukturierten Anfängerlehrbuch gar nicht nach wissenschaftlicher Anerkennung strebte, sondern dem Anfänger eine eingängige Darstellung des Rechtsstoffs bieten wollte? Hiergegen spricht, dass wir Gaius’ Einteilung der Sache und

15 16

Summa Codicis, zu CJ 2.3, S. 44 der Ausg. Mainz 1586 (Nachdruck Turin 1962). Vgl. Dilcher, SZ 77 (1960) 270, 281 ff.

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Ein System des römischen Vertragsrechts?

auch teilweise dem Namen nach schon 150 Jahre eher bei dem kurz nach der Zeitenwende verstorbenen Frühklassiker Labeo finden:17 D 50.16.19 Ulp11 ed Labeo libro primo praetoris urbani definit, quod quaedam ,agantur‘, quaedam ,gerantur‘, quaedam ,contrahantur‘: et actum quidem generale verbum esse, sive verbis sive re quid agatur, ut in stipulatione vel numeratione: contractum autem ultro citroque obligationem, quod graeci sumakkacla vocant, veluti emptionem venditionem, locationem conductionem, societatem: gestum rem significare sine verbis factam. Labeo definiert im ersten Buch über den Stadtprätor, was bedeutet, dass ,verhandelt‘, ,gehandelt‘ oder ,vereinbart‘ wird; und ,verhandelt‘ sei der Oberbegriff, sei es, dass etwas durch Wortformel oder Sachhingabe bewirkt werde wie bei der Stipulation oder der Auszahlung; ,vereinbart‘ sei die gegenseitige Verpflichtung, was die Griechen Synallagma nennen, wie der Kauf, die Verdingung und die Gesellschaft; ,gehandelt‘ bedeute einen Rechtsakt ohne Spracheinsatz.

Dass Labeo18 anders als Gaius auf eine Erwähnung des Litteralvertrags verzichtet, findet seinen guten Grund darin, dass dieser keine schuldbegründende Wirkung und daher eigentlich auch keinen Platz zwischen den anderen contractus hat.19 Kann Gaius insoweit durchaus der Vorwurf mangelnder Einsicht in die Struktur vertraglicher Verpflichtungen gemacht werden, träfe er im Übrigen auch den als echten Wissenschaftler bekannten Labeo. Denn dieser führt ebenso wie Gaius Verträge auf, die verbis und re abgeschlossen werden, und stellt sie gleichfalls den Geschäften gegenüber, die gegenseitige Verpflichtungen zeitigen und als deren Beispiele ihm Kauf, Gesellschaft und Verdingung gelten. Ein Unterschied zu Gaius besteht nur insofern, als Labeo noch nicht von einem consensu abgeschlossenen Vertrag, hier vielmehr von contractus spricht20 und damit den Terminus gebraucht, den Gaius später als Oberbegriff für alle klagbaren Vereinbarungen einsetzt.21 17

Anders als Kaser (Fn. 6), S. 160 möchte ich D 46.3.80 Pomp 4 QM dagegen nicht als Beleg für eine Verwendung des gaianischen Schemas bei dem noch deutlich älteren Quintus Mucius gelten lassen; dagegen auch Cascione, Consensus. Problemi di origine, tutela processuale, prospettive sistematiche, Neapel 2003, S. 412 f. 18 Dessen Konzept des contractus ist Gegenstand eines umfangreichen Schrifttums. Genannt seien hier die Monographie von Santoro (Fn. 12) sowie die Beiträge von Sargenti, Labeone: la nascita dell’idea di contratto nel pensiero giuridico romano, IVRA 38 (1987) 25 ff., Cannata, Der Vertrag als zivilrechtlicher Obligierungsgrund in der römischen Jurisprudenz der klassischen Zeit, in: Feenstra u. a. (Hg.), Collatio iuris Romani. Études dédiées à Ankum, Amsterdam 1995, 59 ff., dalla Massara, Alle orignine della causa del contratto, Mailand 2004, S. 111 ff., ferner die Aufsätze in Burdese (Hg.), Le dottrine del contratto nella giurisprudenza romana, Mailand 2006 und Paricio (Fn. 12), S. 19 ff. 19 Sargenti, IVRA 38 (1987) 25, 32. 20 Dass er deshalb dem consensus der Parteien keine rechtliche Bedeutung beigemessen hat, erscheint mir entgegen Sargenti, IVRA 38 (1987) 25, 30 ff., 50 ff. unwahrscheinlich. Richtig ist allerdings, dass nach dem Wortlaut von D 50.16.19 nicht die conventio, sondern die beiderseitige Verpflichtung der Parteien entscheidend ist; vgl. Talamanca, La tipicità dei contratti romani fra conventio e stipulatio fino a Labeone, in: Milazzo (Hg.), Contractus e pactum. Tipicità e libertà negoziale nell’esperienza tardo-republicana, Neapel 1990, S. 35, 96 und Gallo,

II. Eine ,unfruchtbare‘ Einteilung?

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Hat die Einteilung in Real-, Verbal- und Konsensualverträge22 demnach Tradition und keine Wurzel im individuellen intellektuellen Versagen eines Lehrbuchautors des 2. Jahrhunderts,23 drängt sich ihre Erklärung aus dem kasuistischen Charakter der römischen Rechtswissenschaft auf. So glaubt Kaser, die römischen Juristen hätten wenig Neigung zu tiefgängiger Systematik verspürt und das Vertragsschema als Produkt praktischer Rechtsanschauung entwickelt.24 Dieser Ansicht liegt ein abschätziges Urteil über den dogmatischen Wert der Einteilung nach dem Abschlussmodus zugrunde. Kaser erklärt das hieraus gewonnene Schema für äußerlich und „dogmatisch wenig fruchtbar“25. Wie unhistorisch dieses Urteil ist, zeigt das Verhältnis von Leihe und Miete, deren Zuordnung nach ihrem Abschlussmechanismus aus moderner Sicht geradezu als Musterbeispiel verfehlter Systematik gelten kann: Da die Leihe heute als unentgeltliche Gebrauchsüberlassung definiert, die Miete ihr entgeltliches Gegenstück ist, kann man beide Verträge in die Kategorie der Gebrauchsüberlassungsverträge einreihen und nach Ein- oder Doppelseitigkeit des Vertragsnutzens unterscheiden. Ganz anders das römische Pärchen aus commodatum und locatio conductio: Selbst wenn man davon absieht, dass die Verdingung zugleich die Funktionen des modernen Pacht-, Dienst- und Werkvertrags übernahm, bleibt ein fundamentaler Unterschied: Die locatio conductio verpflichtete den Vermieter zur Gebrauchsüberlassung als Dauerleistung. Das commodatum, das erst durch Sachhingabe zustande kam, verpflichtete den Verleiher dagegen nur dazu, eine Schädigung des Vertragspartners zu unterlassen. Die Gebrauchsgewährung war schon im Akt des Vertragsschlusses enthalten und wurde nicht als Gegenstand einer vom Verleiher auch noch danach erbrachten oder geschuldeten Dauerleistung begriffen.26 Commodatum und locatio conductio waren in ihrer Struktur also völlig unähnlich; und der Vertragsschlussmechanismus hatte eine über das äußerliche Geschehen hinausreichende Bedeutung. Als Differenzierungskriterium war er demnach gar nicht so ungeeignet, wie es heute auf den ersten Blick erscheint. Synallagma e conventio nel contratto, Bd. 1, Turin 1992, S. 153 f. Die Beiderseitigkeit der Verpflichtung geht jedoch Hand in Hand mit dem formfreien Abschlussmodus, der anders als die Verbal- und Realverträge nicht auf eine einseitige Verpflichtung von Versprechendem oder Sachempfänger festgelegt ist (s. u. 4., 5.). 21 Richtig d’Ors, Creditum und contractus, SZ 74 (1957) 73, 73 ff. und Nelson/Manthe (Fn. 7), S. 466. 22 Cannata, Sulla divisio obligationum nel diritto romano repubblicano e classico, IVRA 21 (1970) 52 ff. führt sie auf die Kategorisierung der mit der legis actio per condictionem durchzusetzenden Ansprüche zurück. 23 Dies ist noch die Ansicht von Schulz, Classical Roman Law, Oxford 1951, S. 469. 24 Kaser (Fn. 6), S. 171. 25 Kaser (Fn. 1), S. 477. Nicht besonders günstig ist auch das Urteil von Paricio (Fn. 12), S. 17, 36, der meint, Gaius habe mit dem Begriff des contractus nur eine Bezeichnung für alle Verpflichtungsgründe jenseits des Delikts finden wollen, während in der Fassung der aurea bereits der Einfluss der Definition von Pedius (D 2.14.1.3) spürbar sei. 26 Dazu Harke, Freigiebigkeit und Haftung, Würzburg 2006, S. 15 ff.

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Ein System des römischen Vertragsrechts?

III. Die zeitliche Abfolge Noch mehr leuchtet die Einteilung in Verbal-, Real- und Konsensualverträge ein, wenn man die zeitliche Abfolge ihrer Entstehung betrachtet:27 Der älteste Vertrag ist die verbis abgeschlossene Stipulation. Dass sie schon zur Zeit des 450 v. Chr. erlassenen Zwölftafelgesetzes Rechtsschutz erfuhr, wird dadurch belegt, dass dieses Gesetz nach Gaius’ Zeugnis mit der actio per iudicis arbitrive postulationem eine besondere Klage für Ansprüche einführte, deren namentlich erwähnter Rechtsgrund eine sponsio war:28 Gai 4.17a Per iudicis postulationem agebatur, si qua de re ut ita ageretur lex iussisset, sicuti lex XII tabularum de eo quod ex stipulatione petitur, eaque res talis fere erat. qui agebat sic dicebat: EX SPONSIONE TE MIHI X MILIA SESTERTIUM DARE OPORTERE AIO: ID POSTULO AIAS AN NEGES. adversarius dicebat non oportere. actor dicebat: QUANDO TU NEGAS, TE PRAETOR IUDICEM SIVE ARBITRUM POSTULO UTI DES. Durch Anforderung eines Richters klagte man, wenn das Gesetz angeordnet hatte, dass man auf eine Sache derart klagen sollte, wie zum Beispiel das Zwölftafelgesetz für das, was aus einer Stipulation gefordert wurde. Und dies geschah ungefähr folgendermaßen: Wer klagte, sprach so: „Ich behaupte, dass du mir aus einem Versprechen 10.000 Sesterzen geben musst; ich fordere dich auf, dies zuzugestehen oder zu leugnen“. Der Gegner sprach, er sei nicht verpflichtet. Der Kläger sprach: „Wenn du leugnest, fordere ich dich, Prätor, auf, dass du einen Richter oder einen Schiedsrichter bestellst.“

Am anderen Ende der Zeitfolge stehen die Konsensualverträge. Die aus ihnen entspringenden Klagen sind erstmals durch ein Zitat des 95 v. Chr. zum Konsul ernannten und 82 v. Chr. ermordeten Quintus Mucius (pontifex) in Ciceros De officiis bezeugt: Cic off 3.70 Q. quidem Scaevola, pontifex maximus, summam vim esse dicebat in omnibus iis arbitriis, in quibus adderetur EX FIDE BONA, fideique bonae nomen existimabat manare latissime, idque versari in tutelis, societatibus, fiduciis, mandatis, rebus emptis, venditis, conductis, locatis, quibus vitae societas contineretur; in iis magni esse iudicis statuere, praesertim cum in plerisque essent iudicia contraria, quid quemque cuique praestare oporteret. Zwar sagte Q. Scaevola, der pontifex maximus, dass höchste Kraft in den Prozessen liege, in deren Formel „nach der guten Treue“ eingefügt sei, und er vertrat die Ansicht, dass der Begriff „gute Treue“ sehr weit gehe und in Vormundschafts-, Gesellschafts-, Treuhandverhältnissen, bei Aufträgen, Kaufverträgen und Verdingungen beachtet werde, durch die die Gesellschaft des Lebens zusammengehalten werde; in diesen Prozessen sei es Sache

27 Dass die Einteilung der Verträge mit dem Ablauf ihrer Genese zusammenhängt, vermutet auch Melillo, Contrahere, pacisci, transigere, Neapel 1994, S. 123 f., der der Frage jedoch nicht weiter nachgeht. 28 Hierzu Waldstein, Haftung und dare oportere, in: Klingenberg (Hg.), Vestigia iuris Romani. Festschrift für Wesener, Graz 1992, S. 519, 528 f.

III. Die zeitliche Abfolge

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eines bedeutenden Richters zu entscheiden, was der eine dem anderen leisten müsse, zumal meist auch eine Widerklage gegeben sei.

Kauf, Verdingung, Gesellschaft und Auftrag erscheinen hier zusammen mit Vormundschaft und Verwaltungs- oder Sicherungstreuhand (fiducia) als Auslöser für ein bonae fidei iudicium. Es erlaubt die Verurteilung zu was auch immer die Parteien nach guter Treue schuldig sind (quidquid dare facere oportet ex fide bona), und gestattet dem Richter so, das Leistungsprogramm der Kontrahenten nach seinem Ermessen festzulegen. Der Ursprung dieser Verfahrensart ist ungewiss. Er wurde früher zuweilen in der seit 242 v. Chr. bestehenden Fremdenprätur, einer Einrichtung für Prozesse mit Ausländerbeteiligung, vermutet.29 Die von Quintus Mucius genannten Klagen aus Vormundschaft und Treuhand waren jedoch gerade für römische Bürger gedacht;30 und auch der unentgeltliche und daher im Handelsverkehr kaum relevante Auftrag sowie die ebenfalls mit bona-fides-Klausel ausgestatten und bei Cicero andernorts31 erwähnten Klagen wegen Geschäftsführung ohne Auftrag (actio negotiorum gestorum) und auf Rückgewähr einer Mitgift (actio rei uxoriae) sind schwerlich aus dem rechtsgeschäftlichen Kontakt mit Ausländern entstanden.32 Unterscheiden sich die Mitgift- und die Treuhandklage im Formelwortlaut33 und damit vielleicht auch im Entstehungszeitraum noch von den sonstigen bonae fidei iudicia, sind diese im Übrigen von derart einheitlicher Struktur,34 dass sie insgesamt oder doch zum Großteil gleichzeitig oder in nur geringem zeitlichen Abstand im späten dritten35 oder frühen zweiten36 vorchristlichen Jahrhundert geschaffen worden sein müssen.37 29 So Kaser, Mores maiorum und Gewohnheitsrecht, SZ 59 (1939) 52, 69 ff.; Kunkel, Fides als schöpferisches Element im römischen Schuldrecht, in: Festschrift für Koschaker, Berlin 1939, Bd. 2, S. 12 ff., Pringsheim, L’origine des contrats consensuels, in: ders., Gesammelte Abhandlungen, Heidelberg 1961, Bd. 2, S. 179, 190; dagegen Wieacker, Zum Ursprung der bonae fidei iudicia, SZ 80 (1963) 1, 11 ff., Watson, The origins of consensual sale, TR 32 (1964) 245, 253 f. und Fögen, Zufälle, Fälle und Formeln, Rg 6 (2005) 84, 91 f.; zurückhaltend auch Kaser, Das altrömische Jus, Göttingen 1949, S. 297 ff. 30 Hierauf weist Wieacker, SZ 80 (1963) 1, 40 hin. 31 Cic top 66: In omnibus igitur eis iudiciis, in quibus ex fide bona est additum, ubi vero etiam ut inter bonos bene agier oportet, in primisque in arbitrio rei uxoriae, in quo est quod eius aequius melius, parati eis esse debent. Illi dolum malum, illi fidem bonam, illi aequum bonum, illi quid socium socio, quid eum qui negotia aliena curasset ei cuius ea negotia fuissent, quid eum qui mandasset, eumve cui mandatum esset, alterum alteri praestare oporteret, quid virum uxori, quid uxorem viro tradiderunt. 32 Altzivile Vorbilder für den Schutz der hier obwaltenden fides könnten auch der Grund für die Rezeption der ohne gesetzliche Grundlage entstandenen bonae fidei iudicia in das ius civile gewesen sein; vgl. Wieacker, SZ 80 (1963) 1, 27 ff., 40. 33 Die actio fiduciae lautete offenbar auf ut inter bonos bene agier oportet et sine fraudatione; vgl. Cic off 3.70; die actio rei uxoriae ging auf quod eius melius aequius erit; vgl. Cic top 66. 34 Dass gerade ihre Klageformel den Anschluss an die formalistische Tradition erlaubte, glaubt Fögen, Rg 6 (2005) 84, 97 f. 35 Auf das dritte Jahrhundert, für das auch Watson, TR 32 (1964) 245, 253 ist, verweist Celsus’ Zitat von Sextus Aelius, Konsul des Jahres 198 v. Chr. in einer Entscheidung zum

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Erst im Prinzipat können dagegen die bonae fidei iudicia für Leihe und Verwahrung entstanden sein.38 Cicero erwähnt sie noch nicht, und Gaius führt sie als Alternative zu den auf eine Tatsache (factum) gestellten Klagen auf, mit denen Verleiher oder Niederleger die Rückgabe der verliehenen oder in Verwahrung gegebenen Sachen verlangen konnten:39 Gai 4.47 Sed ex quibusdam causis praetor et in ius et in factum conceptas formulas proponit, veluti depositi et commodati. illa enim formula, quae ita concepta est: IUDEX ESTO. QUOD AULUS AGERIUS APUD NUMERIUM NEGIDIUM MENSAM ARGENTEAM DEPOSUIT, QUA DE RE AGITUR, QUIDQUID OB EAM REM NUMERIUM NEGIDIUM AULO AGERIO DARE FACERE OPORTET EX FIDE BONA, EIUS [IDEM] IUDEX, NUMERIUM NEGIDIUM AULO AGERIO CONDEMNATO. SI NON PARET, ABSOLVITO, in ius concepta est. at illa formula, quae ita concepta est: IUDEX ESTO. SI PARET AULUM AGERIUM APUD NUMERIUM NEGIDIUM MENSAM ARGENTEAM DEPOSUISSE EAMQUE DOLO MALO NUMERII NEGIDII AULO AGERIO REDDITAM NON ESSE, QUANTI EA RES ERIT, TANTAM PECUNIAM, IUDEX, NUMERIUM NEGIDIUM AULO AGERIO CONDEMNATO. SI NON PARET, ABSOLVITO, in factum concepta est. similes etiam commodati formulae sunt. In manchen Fällen verkündet der Prätor sowohl eine auf eine Tatsache bezogene als auch eine auf das Recht bezogene Formel, wie zum Beispiel bei Verwahrung und Leihe. Die Formel, die so lautet: „Du sollst Richter sein. Annahmeverzug beim Kauf; vgl. D 19.1.38.1 Cels 8 dig: Si per emptorem steterit, quo minus ei mancipium traderetur, pro cibariis per arbitrium indemnitatem posse servari Sextus Aelius, Drusus dixerunt, quorum et mihi iustissima videtur esse sententia. Ausführlich zur Diskussion um die Bedeutung des Textes Cascione (Fn. 17), S. 305 ff. 36 Vorausgesetzt ist der konsensuale Kauf offenbar bei den Vorschlägen zur Vertragsgestaltung in Catos De re rustica aus der Mitte des zweiten Jahrhunderts; vgl. zur Diskussion um diese Quelle Cascione (Fn. 17), S. 249 ff. 37 Wieacker, SZ 80 (1963) 1, 13, 34. 38 Maschi, La categoria dei contratti reali, Mailand 1973, S. 152 ff. Magdelain (Fn. 10), S. 107 will ihre Einführung sogar erst nach Julian und damit in die Mitte des zweiten Jahrhunderts datieren. 39 Dass die fehlende Erwähnung der actio commodati in der Aufzählung der bonae fidei iudicia in Gai 4.62 nicht überbewertet werden darf, zeigt Maschi (Fn. 38), S. 229.

III. Die zeitliche Abfolge

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Was das anbelangt, dass Aulus Agerius dem Numerius Negidius einen silbernen Tisch in Verwahrung gegeben hat, was auch immer Numerius Negidius wegen dieser Sache dem Aulus Agerius zu geben und zu leisten verpflichtet ist nach guter Treue, in dies sollst du, Richter, den Numerius Negidius dem Aulus Agerius verurteilen. Wenn es sich nicht herausstellt, sprich ihn frei.“ ist auf das Recht bezogen. Die Formel, die so lautet: „Du sollst Richter sein. Wenn sich herausstellt, dass Aulus Agerius dem Numerius Negidius einen silbernen Tisch in Verwahrung gegeben hat und dieser aus Arglist des Numerius Negidius dem Aulus Agerius noch nicht zurückgegeben worden ist, verurteile du, Richter, den Numerius Negidius, dem Aulus Agerius zur Zahlung von so viel Geld, wie die Sache wert ist. Wenn es sich nicht herausstellt, sprich ihn frei.“ ist auf die Tatsachen bezogen. Ähnlich sind die Formeln der Leiheklage.

Da die Tatsachenklagen neben den weitergehenden bonae fidei iudicia überflüssig waren, müssen sie die älteren und direkten Nachfahren der Strafklagen sein,40 mit denen Leihe und Verwahrung ursprünglich sanktioniert wurden. Für die Verwahrung ist eine solche Strafklage sogar schon als Gegenstand des Zwölftafelgesetzes belegt,41 für die Leihe dagegen nur zu vermuten. Der Übergang zu den vom Strafgedanken befreiten und auf bloße Rückgabe des anvertrauten Guts gerichteten Tatsachenklagen kann einerseits erst nach Einführung des Formularprozesses durch die 242 v. Chr. geschaffene Fremdenprätur erfolgt sein. Denn erst mit dieser Einrichtung kam die im älteren Legisaktionenverfahren noch unbekannte Schöpfung von Tatsachenklagen durch den Gerichtsmagistrat auf.42 Andererseits muss deren Einführung für Leihe und Verwahrung aber noch vor der Welle der bonae fidei iudicia stattgefunden haben, weil ohne einen älteren Klageschutz für Leihe und Verwahrung durch Tatsachenklagen kein Anlass bestanden hätte, diese Verträge zunächst von der Ausstattung mit einem bonae fidei iudicium auszunehmen. Hält man diesen dies quo ante und jenen dies post quem zusammen, ist die Entstehung der älteren Tatsachenlagen aus Leihe und Verwahrung in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. anzusetzen.43 In dessen erste Hälfte fällt wahrscheinlich auch 40

Magdelain, Les actions civiles, Paris 1954, S. 48 Fn. 1, Wieacker, SZ 80 (1963) 1, 5. XII T 8.19; vgl. Coll 10.7.11 Paul: Ex causa depositi lege duodecim tabularum in duplum actio datur, edicto praetoris in simplum. 42 Vgl. Gai inst 4.11: Actiones, quas in usu veteres habuerunt, legis actiones appellabantur vel ideo quod legibus proditae erant, quippe tunc edicta praetoris, quibus conplures actiones introductae sunt, nondum in usu habebantur … 43 Ganz anders Maschi (Fn. 38), S. 154 ff., der sie sogar erst in die Zeit nach 45 v. Chr. einordnen will, aber nicht erklären kann, warum sie nicht schon im ersten Zuge mit bonae fidei iudicia ausgestattet wurden. 41

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die lex Silia und mit ihr die Einführung der legis actio per condictionem, Urform der heute noch so genannten Kondiktionen. Diese Klage war abstrakt gefasst, kam also ohne Nennung des Schuldgrundes aus, und war daher geeignet, dem bislang unklagbaren, vielleicht nur indirekt über das Deliktsrecht44 zu verfolgenden mutuum zur rechtlichen Durchsetzung zu verhelfen.45 Die Realverträge stehen damit in der Mitte zwischen der verbalen Stipulation und den Konsensualverträgen. Zur Zwölftafelzeit, als die Stipulation schon als eigenständiger Verpflichtungsgrund anerkannt war, dienten sie allenfalls als Anknüpfungspunkt für eine deliktische Haftung. Noch vor der Einführung der Konsensualverträge, in deren Prozessschema des bonae fidei iudicium sie nur teilweise und auch erst nachträglich eingefügt wurden, waren sie jedoch schon als außerdeliktische Schuldverhältnisse ausgebildet und mit Klagen bewehrt, die den unberechtigten Verbleib der Darlehensvaluta, Leih- oder niedergelegten Sachen beim Empfänger sanktionierten. Gaius’ auf den ersten Blick unbedarft wirkende Einteilung in Real-, Verbal- und Konsensualverträge ist demnach zumindest als historische sinnvoll. Denn sie sondert drei Gruppen von Verträgen nach ihrer Entstehungszeit. Ist diese auch für ihre jeweilige Struktur bestimmend, könnte das gaianische Vertragsschema darüber hinaus auch den Anspruch erheben, von dogmatischem Wert zu sein.

IV. Die dogmatische Struktur 1. Die Realverträge: Haftung aus Vorenthaltung Gemeinsames Merkmal der Realverträge ist ihre Konzentration auf die Rückforderung von Sachen, die einer der Vertragspartner dem anderen überlassen hat:46 Der einzige Anspruch, der aus einem mutuum entstehen konnte, war der Anspruch des Darlehensgebers auf Rückgewähr der Darlehensvaluta. Daneben gab es weder ein Recht des Darlehensnehmers auf ihre Auszahlung noch einen Anspruch des Darlehensgebers auf Zahlung von Zinsen als Entgelt für die Überlassung. Ganz ähnlich verhält es sich mit Leihe (commodatum) und Verwahrung (depositum): Die ,Tatsachenklage‘, mit der die Sanktion beider Verträge begann, ließ nur Raum für die Verurteilung des Entleihers und des Verwahrers, die eine ausgeliehene oder niedergelegte Sache nicht zurückgegeben hatten. Gegenansprüche, gerichtet auf den Ersatz von Aufwendungen oder des Schadens, den die überlassene Sache bei ihrem Empfänger angerichtet hatte, wurden erst mit der Einführung der bonae fidei iudicia für Leihe und Verwahrung im Prinzipat klagbar. Mit ihnen wurde der bisherige 44 45 46

So Kaser (Fn. 29), S. 287. Kaser (Fn. 1), S. 170, Maschi (Fn. 38), S. 138 ff. Entgegen d’Ors, SZ 74 (1957) 73, 76, 82 f. ist ihre Gruppe daher keineswegs heterogen.

IV. Die dogmatische Struktur

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Vertragsmechanismus jedoch lediglich um ein Bereicherungs- und Schädigungsverbot erweitert; und es änderte sich nichts daran, dass Leihe und Verwahrung auf die Rückgewähr des anvertrauten Gutes fixiert waren: Da das commodatum erst mit Übergabe der Leihsache zustande kam, gab es nach wie vor keinen Anspruch des Entleihers auf ihre Überlassung; und der Verwahrer konnte allenfalls Aufwendungsund Schadensersatz, aber kein Entgelt für die Aufbewahrung der niedergelegten Sache fordern. Die Konzentration des Schuldverhältnisses auf die Rückgewähr überlassener Sachen verbindet die Realverträge mit dem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, wie er aus der Zahlung einer Nichtschuld entsteht. Dass Gaius diesen Fall zunächst den Realverträgen zuordnet und die bei dieser Gelegenheit geäußerten Bedenken erst in der Neuauflage des Lehrbuchs zur Ausgliederung des Bereicherungsanspruchs aus dem Vertragsrecht führen, wirft ein Licht auf die Struktur der Ansprüche aus Realvertrag: Klagegrund war jeweils nicht die Vereinbarung über Rückzahlung oder Rückgabe der überlassenen Valuta oder Sachen, sondern ebenso wie in den älteren Strafklagen die Unrechtmäßigkeit ihres weiteren Verbleibs bei ihrem Empfänger:47 Wer ein Darlehen nicht rechtzeitig zurückzahlte, eine ausgeliehene oder in Verwahrung gegebene Sache länger behielt, als er sollte, stand so wie der Empfänger einer Leistung auf eine Nichtschuld. Er war zur Rückgewähr verpflichtet, weil er ohne Rechtsgrund besaß, sei es, dass die vorenthaltene Sache wie bei Leihe und Verwahrung fremd im sachenrechtlichen Sinn war, sei es, dass die Valuta ihm wie beim Darlehen nicht mehr zustand und für die Römer daher gleichfalls aes alienum, „fremdes Geld“,48 war.49 Sind die Realverträge des römischen Rechts Instrumente zur Rückgewähr und Abwehr einer ungerechtfertigten Bereicherung, liegt nahe, sie als Ausprägung eines antiken Vertragsschemas anzusehen, wie es vor allem das Vertragsrecht im griechischen Rechtskreis bestimmte:50 Diesem war die Vorstellung einer Verpflichtung aus Leistungszusage fremd. Ihre Funktion übernahm die ,Zweckverfügung‘, eine wirkliche oder auch nur fiktive Zuwendung des einen Vertragspartners an den anderen, die im Fall seines vertragswidrigen Verhaltens als rechtsgrundlos zurückgefordert werden konnte. Der rechtsfolgenbewehrte Teil des griechischen Schuldvertrags beschränkte sich damit auf die Bestimmung der Vermögensgegenstände, deren Herausgabe der Vertragspartner beanspruchen konnte, der Opfer einer Vertrags47

Diesen Zusammenhang deckt Kaser (Fn. 29), S. 286 ff. auf. Vgl. D 50.16.213.1 Ulp 1 reg: ,Aes alienum‘ est, quod nos aliis debemus: ,aes suum‘ est, quod alii nobis debent. 49 Insofern richtig d’Ors, SZ 74 (1957) 73, 84 ff. und Magdelain (Fn. 10), S. 103, die im Vertrag nicht den eigentlichen Haftungsgrund für die obligationes re contractae erkennen wollen. 50 Dessen Struktur haben Pringsheim, The Greek Law of Sale, Weimar 1950, S. 245 ff. und vor allem H. J. Wolff, Die Grundlagen des griechischen Vertragsrechts, SZ 74 (1957) 26 ff. aufgedeckt. Zur Wirkung des griechischen Vertragsrechts auf die aristotelische Philosophie Harke, Vorenthaltung und Verpflichtung, Berlin 2005, S. 11 ff. 48

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Ein System des römischen Vertragsrechts?

verletzung seines Kontrahenten war. Da sie dem Schuldner vom späteren Gläubiger wirklich überlassen worden waren oder dies zumindest fingiert wurde, war die aus dem Vertrag entspringende Verpflichtung stets auf Rückgewähr eines Gegenstands gerichtet, der dem Gläubigervermögen zugerechnet und diesem zu Unrecht vorenthalten wurde. Im griechischen Rechtskreis diente diese Konstruktion auch und vor allem der Sanktion von Austauschverträgen, bei denen als Folge der Nichterfüllung eines Vertragspartners entweder die wirkliche Vorleistung der anderen Seite oder eine fiktive Zuwendung zurückverlangt wurde, die sich an dem Wert der ausgebliebenen Gegenleistung orientierte. Dem gleichen Schema unterlagen noch im klassischen römischen Recht die schon erwähnten51 Innominatrealkontrakte: Wer aufgrund einer unklagbaren Vereinbarung im Vertrauen auf den Erhalt einer Gegenleistung einem anderen etwas zugewendet hatte, konnte seine Vorleistung bei Ausfall der Gegenleistung mit der condictio zurückfordern, weil der Verbleib beim Empfänger unberechtigt war. Bei den eigentlichen Realverträgen ist ein Austauschverhältnis nach griechischem Muster allenfalls insofern denkbar, als beim Darlehen die Zuwendung eines höheren als des tatsächlich ausbezahlten Kreditbetrags fingiert wurde. Eine solche Praxis ist nicht auszuschließen, aber nicht belegt und anders als im griechischen Recht auch keineswegs unumgänglich, weil das römische Recht mit der Stipulation bereits über ein älteres Mittel verfügte, Gegenleistungen wie Darlehenszinsen oder ein Verwahrungsentgelt klagbar zu machen. Die Rezeption des griechischen Vertragsmodells konnte sich daher auf die freigiebigen Verhältnisse des zinslosen Darlehens, der Leihe und der unvergüteten Verwahrung beschränken. Die gewöhnlich mit der Freundschaftspflicht beantwortete52 Frage nach dem Grund für die Unentgeltlichkeit dieser Verträge ist daher von vornherein falsch gestellt: Es gibt keinen Grund dafür, dass diese Verträge unentgeltlich waren, sondern nur dafür, dass man das griechische Vertragsschema begrenzt rezipierte. Wollte man nicht zu einer Fiktion greifen, konnte bloß die Rückgabe einer schon erfolgten Leistung begehrt werden; und die Fiktion einer weiteren Leistung erübrigte sich wegen der Möglichkeiten, die die Stipulation bot.53 Die Realverträge sollten sie nicht ersetzen, sondern nur dort für Abhilfe sorgen, wo ein Verbleib der überlassenen Sache oder Valuta bei ihrem Empfänger zu dessen ungerechtfertigter Bereicherung geführt hätte.

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s. o. 1. So unlängst noch Salazar Revuelta, La gratuidad del mutuum en el derecho romano, Jaén 1999, S. 41 ff., 91 ff. mwN. 53 Daher kann entgegen Fögen, Rg 6 (2005) 84, 87 Fn. 20 auch keine Rolle gespielt haben, dass man fremdnützigen Versprechen keine bindende Wirkung zumessen wollte. 52

IV. Die dogmatische Struktur

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2. Die Stipulation: Verpflichtung aus Rechtsfolgenanordnung Anders als die Realverträge, deren Muster sich auf drei Konstellationen der Sachüberlassung beschränkt, lässt sich die Stipulation nicht als Vertragstyp bezeichnen. Wegen ihrer Definition durch die Abschlussform und der Unbestimmtheit ihres Gegenstands ist sie vielmehr selbst ein ganzes Vertragsrecht, das jeden denkbaren Leistungsaustausch und jede einseitige Verpflichtung erfasst. Sie ist Grundform der verpflichtungsbegründenden Leistungszusage und zugleich das Instrument, von dem die Römer zunächst exklusiven und umfassenden Gebrauch machten, um die Vereinbarung einer Leistung mit Haftung zu bewehren.54 Dass die Stipulation später vor allem dazu diente, Ansprüche aus anderen Verträgen leichter durchsetzbar zu machen oder durch Bürgschaftsübernahme abzusichern, liegt nur an der späteren Einführung klagbarer Konsensualverträge. Ohne sie hätte die Stipulation auch im klassischen römischen Recht ihre Bedeutung als umfassendes Verpflichtungsinstrument bewahrt, das allen erdenklichen Leistungsvereinbarungen rechtliche Absicherung verleihen konnte. Eigenheit der Stipulation und zugleich der Grund für ihre Ergänzung durch die Konsensualverträge war neben ihrer Formgebundenheit vor allem die Pflicht zur Präzision der ausbedungenen Leistung: Im Wortlaut des Stipulationsversprechens hatte der zugesagte Leistungsinhalt genauso zu erscheinen, wie er später einzuklagen war. Das Übereignungsversprechen, das durch Klage auf dare oportere einer bestimmten Sache durchgesetzt werden sollte, musste auf dare oportere dieser Sache lauten; und auch das Versprechen, das die Übereignung einer nur der Gattung nach bestimmten Sache oder eine Handlung des Schuldners haftungsbewehren sollte, hatte (obwohl die Klageformel auf quidquid dare facere oportet lautete) die zugesagte Leistung genau zu benennen. Die Parteivereinbarung musste also, modern gesprochen, schon einen vollstreckungsfähigen Inhalt haben und verlangte den Kontrahenten, insbesondere dem jeweiligen Gläubiger, die Aufstellung eines präzisen Rechtsfolgenprogramms ab.55 3. Die Konsensualverträge: Verpflichtung durch Bestimmung des Geschäftsgegenstands Nötigte die Stipulation die Parteien zur genauen Beschreibung der angestrebten Verpflichtung, bestand die entscheidende Erleichterung, die der Rechtsverkehr durch die Einführung der Konsensualverträge erfuhr, nicht in der Überwindung der leicht einzuhaltenden Stipulationsform; maßgeblich war vielmehr die Befreiung von dem Zwang, sich auf konkrete Rechtsfolgen festzulegen. Die weite Klageformel des 54

Pringsheim (Fn. 29), S. 189. Entgegen Fögen, Rg 6 (2005) 84, 86 war vor der Einführung der Konsensualverträge also nicht „wenig eingeschlossen und sehr viel ausgeschlossen“. 55 Vgl. auch Harke, Unmöglichkeit und Pflichtverletzung: Römisches Recht, BGB und Schuldrechtsmodernisierung, JbJZivRWiss 2001, S. 29 ff.

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bonae fidei iudicium, mit dem alle Konsensualverträge ausgestattet waren, beschränkte den Richter nicht auf die Entscheidung über eine oder mehrere bestimmte Leistungen. Sie erlaubte ihm vielmehr, das Leistungsprogramm selbst festzulegen, indem er das Verhalten der Parteien auf seine Vereinbarkeit mit dem Gebot der guten Treue prüfte.56 Die Parteien waren zu jedem Handeln und Unterlassen verpflichtet, das die bona fides unter Vertragspartnern gebot, und hafteten, wenn ihr tatsächliches Verhalten hinter deren Vorgaben zurückblieb.57 Die Anforderungen an den Vertragsschluss sanken so erheblich. Statt sich auf bestimmte Rechtsfolgen einigen zu müssen, konnten sich die Kontrahenten mit der Bestimmung des Geschäftsgegenstands begnügen. Besonders deutlich kommt dies in den Einleitungssätzen der Kapitel über die einzelnen Konsensualverträge in Gaius’ Institutionenlehrbuch zum Ausdruck: Der Kaufvertrag ist darin von der Vereinbarung eines Kaufpreises, die Verdingung von der Einigung über Mietzins oder Arbeitslohn, die Gesellschaft von der Bestimmung ihres Geschäftszwecks, der Auftrag von der des zu besorgenden Geschäfts abhängig gemacht: (139) Emptio et venditio contrahitur, cum de pretio convenerit … (142) Locatio autem et conductio similibus regulis constituitur; nisi enim merces certa statuta sit, non videtur locatio et conductio contrahi. … (148) Societatem coire solemus aut totorum bonorum aut unius alicuius negotii, veluti mancipiorum emendorum aut vendendorum. … (155) Mandatum consistit, sive nostra gratia mandemus sive aliena; itaque sive ut mea negotia geras sive ut alterius mandaverim, contrahitur mandati obligatio … (139) Ein Kaufvertrag ist geschlossen, sobald man über den Preis einig ist … (142) Eine Verdingung wird nach ähnlichen Regeln begründet; nur wenn ein Entgelt festgesetzt ist, ist eine Verdingung zustande gekommen. (148) Eine Gesellschaft gehen wir gewöhnlich entweder zum ganzen Vermögen oder zum Betrieb eines Handelsgeschäfts wie zum Kauf und Verkauf von Sklaven ein. … (155) Ein Auftrag kommt zustande, wenn wir jemanden entweder in unserem eigenen oder im fremden Interesse mit einem Geschäft betrauen; daher wird eine Verpflichtung aus Auftrag begründet, wenn ich dir aufgebe, meine oder die Geschäfte eines anderen zu führen …

Will man in diesem Schema eine Systematik ausmachen, muss man bei der Gesellschaft ansetzen. Sie ist im römischen Recht anders als heute nicht auf den abstrakten Begriff der Förderung eines gemeinsamen Zwecks reduziert. Wie Gaius’ Beispiele möglicher Gesellschaftsformen zeigen, ist die societas viel konkreter als die Einigung über eine gemeinnützige Geschäftsführung definiert.58 So ergänzt sie sich mit dem Auftrag, der in der Vereinbarung einer fremdnützigen Geschäftsfüh56

Kaser, SZ 59 (1939) 52, 69. Dass hierin und nicht in der Gewinnung einer ethischen Grundlage die Bedeutung der Bezugnahme auf die bona fides lag, nimmt zu Recht Wieacker, SZ 80 (1963) 1, 32, 34 an. Ähnlich Watson, TR 32 (1964) 245, 249, der glaubt, die Klagen aus dem konsensualen Kauf hätten zunächst dazu gedient, die von den Stipulationsverpflichtungen gelassenen Lücken zu füllen. 58 Grundlegend Wieacker, Das Gesellschafterverhältnis des klassischen Rechts, SZ 69 (1952) 302 ff. Neuerdings auch Harke, Societas als Geschäftsführung und das römische Obligationensystem, TR 73 (2005) 43 ff. 57

IV. Die dogmatische Struktur

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rung besteht, und der negotiorum gestio, der unbeauftragten Geschäftsbesorgung, die zur gleichen Zeit oder wenig später als die Konsensualverträge mit einem bonae fidei iudicium ausgestattet59 und sogar von den spätklassischen Juristen zuweilen noch contractus genannt wurde.60 Alle diese Geschäftsbesorgungsverhältnisse sind unentgeltlich, nicht nur der Auftrag und die Geschäftsführung ohne Auftrag, sondern auch die Gesellschaft, deren Mitglieder zwar durchaus zum eigenen Vorteil, aber nicht tätig wurden, um Leistungen auszutauschen. Da ferner die Schenkung im klassischen römischen Recht überhaupt nicht als Schuldvertrag angesehen wurde, erfassen societas, mandatum und negotiorum gestio den gesamten Bereich unentgeltlicher Schuldbeziehungen. Sie machten sogar die älteren Realverträge überflüssig, die alle Platz im mandatum haben, und bilden damit ein Teilsystem für alle Verträge und vertragsähnlichen Konstellationen jenseits eines Leistungsaustauschs. Dass die gegenseitige Verpflichtung mit den beiden verbleibenden Konsensualverträgen auf bestimmte Typen, nämlich Kauf, Miete, Pacht, Dienst- und Werkvertrag, beschränkt war, ist erst das Produkt der späteren Zerlegung der Verdingung (locatio conductio) in die vier modernen Formen der Sachüberlassung und Arbeitsleistung. Zwar bildeten auch die römischen Juristen schon besondere Regeln für einzelne Konstellationen der locatio conductio aus.61 Sie unterschieden insbesondere den heute Werkvertrag genannten Fall der Zusage eines Arbeitserfolgs von der Vereinbarung über einfache Arbeitsleistung, die jetzt Dienstvertrag heißt, und sonderten die Überlassung einer beweglichen Sache oder eines städtischen Grundstücks zum Gebrauch von der Überlassung eines landwirtschaftlichen Grundstücks zur Fruchtziehung. Gerade der zuletzt genannte Anwendungsfall der locatio conductio zeigt jedoch, wie weit deren Potential reichte. Statt den Verpächter einfach zur Grundstücksüberlassung und den Pächter auf die Zahlung des Pachtzinses zu verpflichten, entwickelten die römischen Juristen für die Überlassung landwirtschaftlicher Grundstücke ein kompliziertes Regime:62 Der Pächter schuldete außer der 59 Ihm ging allerdings entgegen Magdelain (Fn. 10), S. 185 ff. wohl eine actio in factum für die spontane Prozessvertretung voraus; vgl. Lenel, Das edictum perpetuum, 3. Aufl., Leipzig 1927, S. 102, Seiler, Der Tatbestand der negotiorum gestio im römischen Recht, Köln/Graz 1968, S. 316 ff. und Finazzi, Ricerche in tema di negotiorum gestio I. Azione pretoria ed azione civile, Neapel 1999, S. 421 ff. Eine umgekehrte Entwicklung nimmt dagegen Cenderelli, La negotiorum gestio I. Struttura, origini, azioni, Turin 1997, S. 140 ff. an. Für die Datierung des bonae fidei iudicium will Kreller, Das Edikt de negotiis gestis in der Geschichte der Geschäftsbesorgung, in: Festschrift für Koschaker, Berlin 1939, Bd. 2, S. 193, 196, seine Nichterwähnung in de officiis 3.70, Finazzi, S. 167 ff. pro Quinctio 61 fruchtbar machen, so dass die Einführung der Klage erst in Ciceros Schaffenszeit fiele. Ich halte diese Schlussfolgerungen nicht für zwingend und die Ähnlichkeit der Klage aus negotiorum gestio mit den übrigen bonae fidei iudicia für einen starken Hinweis auf ihr höheres Alter. 60 Vgl. die Äußerung des an der Wende vom zweiten zum dritten Jahrhundert wirkenden Paulus in D 3.5.15 (7 Plaut). 61 Zur Unterscheidung der Anwendungsfälle der locatio conductio durch Labeo in D 7.8.12.6 Ulp 17 Sab Fiori, La definizione della locatio conductio, Neapel 1999, S. 174. 62 Hierzu eingehend Harke, Locatio conductio, Kolonat, Pacht, Landpacht, Berlin 2005, S. 9 ff.

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Zinszahlung noch die ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Pachtsache,63 der Verpächter neben ihrer Überlassung noch einen mäßigen Fruchtziehungserfolg: Da er stets in den Genuss des Sacherhalts durch Bewirtschaftung kam, musste er bei außergewöhnlichen Erntefehlschlägen auf einen dem Minderertrag entsprechenden Teil des Pachtzinses verzichten.64 Möglich wurde diese Kombination von Überlassungs- und Arbeitsvertrag, die weniger dem Pachtvertrag im heutigen (deutschen) Sinn als vielmehr einem Betriebsführungsvertrag entspricht, deshalb, weil die Rollen von geld- und sachleistender Partei im Rahmen der locatio conductio nicht festgelegt waren: Der locator war in den miet- und dienstvertraglichen Konstellationen der Vertragspartner, der durch Gebrauchsüberlassung oder Arbeit die Sachleistung erbrachte und vom conductor die Geldleistung erhielt. Beim Werkvertrag war es dagegen der conductor, der die Ausführung der Sachleistung übernahm und sich so den locator zur Erbringung der Geldleistung verbindlich machte. Bei der Überlassung landwirtschaftlicher Grundstücke schließlich finden wir die Geldleistung zwar einseitig zugewiesen, die in Grundstücksüberlassung und -bewirtschaftung bestehende Sachleistung aber auf beide Seiten verteilt. Die hierin zum Ausdruck kommende Flexibilität der locatio conductio offenbart, dass sie statt eines Vertragstyps vielmehr ein umfassendes Gebilde zur Bewältigung jeglichen Austauschs von Geldund Sachleistung war. Dass sie in der römischen Rechtspraxis keine hervorragende Rolle spielte, lag allein an zwei externen Faktoren:65 Zum einen kam der freien Lohnarbeit nur eine untergeordnete wirtschaftliche Bedeutung zu, weil Arbeitsleistungen überwiegend von Sklaven erbracht und die artes liberales genannten höheren Dienste aus Anstandsgefühl nicht in den Austauschverkehr einbezogen, sondern freiwillig zu honorieren waren. Zum anderen war aus dem Anwendungsbereich der locatio conductio der Austausch von dauerhafter Sachherrschaft gegen Geld ausgenommen und einem anderen contractus, der emptio venditio, vorbehalten. Im Unterschied zur locatio conductio war der Kaufvertrag ein regelrechter Vertragstyp, nämlich ein weitgehend unflexibles, von archaischen Vorstellungen auf ein bestimmtes Leistungsbild festgelegtes Schuldverhältnis. Ihr Fortwirken zeigt sich in den zahlreichen Eigenheiten des römischen Kaufs, die in der modernen Forschung mit den Begriffen „Veräußerungscharakter“66 oder „Barkaufprinzip“67 belegt werden: Dass der römische Käufer die Preisgefahr schon ab Vertragsschluss trug68 und der Verkäufer im Gegenzug wie ein Sachentleiher für die Bewachung (custodia) der

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D 19.2.25.3 Gai 10 ed prov. D 19.2.15.2-5, 7 Ulp 32 ed. 65 Vgl. Kaser (Fn. 1), S. 568 f. 66 So Ernst, Periculum emptoris, SZ 99 (1982) 216, 244 im Anschluss an Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 8. Aufl., Frankfurt a. M. 1900, § 390, Bd. 2, S. 616. 67 So Kaser (Fn. 1), S. 547, Wolf, Barkauf und Haftung, TR 45 (1977) 1, 13 f., ders., Per una storia della emptio venditio: l’acquisto in contanti quale sfondo della compravendita romana, IVRA 52 (2001) 29 ff. 68 D 18.6.8pr. Paul 33 ed. 64

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Kaufsache einzustehen hatte,69 dass dem Käufer ihre Früchte schon ab Vertragsschluss gebührten,70 dass der Verkäufer nicht zur Eigentumsverschaffung, sondern lediglich zur Verstattung des ungestörten Besitzes verpflichtet war71 – all dies findet seinen Grund darin, dass die Kaufsache ab Vertragsschluss im Verhältnis der Parteien untereinander schon dem Vermögen des Käufers zugerechnet wurde. Die emptio venditio war kein Distanzkauf, sondern lediglich ein in mancherlei Hinsicht, aber keineswegs vollständig gestreckter Barkauf. Ihre Atavismen sind historisch ohne Weiteres dadurch zu erklären, dass es schon lange vor Einführung der Klagen aus dem konsensualen Kauf, ja sogar schon vor den Zwölftafeln ein mancipatio genanntes Ritualgeschäft72 gab, das in klassischer Zeit reine Verfügungsfunktion und eigentumsübertragende Wirkung hatte, ursprünglich aber ein Barkauf gewesen sein muss.73 Das Fortleben dieses vertraglichen Urgesteins in der Struktur der späteren emptio venditio hat diese zu einem Vertragstyp mit vielen Eigenheiten gemacht, der den Blick für die Systematik der Konsensualverträge verstellt: Erkennt man in der emptio venditio keine systemtragende Schöpfung, vielmehr nur eine der Tradition geschuldete Ausnahme vom Anwendungsbereich der für den Leistungsaustausch eigentlich allein zuständigen locatio conductio, fügen sich die Konsensualverträge zu einem geschlossenen Entwurf, der nahezu die gesamte Breite vertraglicher Verpflichtungen abdeckt: Auf der einen Seite stehen die Geschäftsführungsverhältnisse: Gesellschaft, Auftrag und Geschäftsführung ohne Auftrag, die den Bereich der unentgeltlichen Schuldverhältnisse umspannen, auf der anderen Seite die locatio conductio, die für den Leistungsaustausch zuständig ist und auf alle Vereinbarungen passt, bei denen eine Sach- gegen eine Geldleistung umgesetzt wird. Heraus fallen aus diesem System neben den der emptio venditio zugewiesenen Kaufverträgen lediglich die archaischen Tauschgeschäfte nach dem Muster: ,do ut des, do ut facias, facio ut des, facio ut facias‘. Dass sie außerhalb des klassischen Vertragsschemas durch eine Kondiktion wegen Zweckverfehlung sanktioniert wurden, stellt nicht den Befund eines umfassenden Systems der Konsensualverträge in Frage; es zeigt aber, dass es auf die römische Oberschicht mit unbeschränktem Zugang zum Geldverkehr zugeschnitten und damit moderner als die Rechtspraxis war, die auf den primitiven Tauschhandel nicht verzichten konnte.

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D 18.6.3 Paul 5 Sab. D 22.1.4.1 Pap 27 quaest. 71 D 19.4.1pr. Paul 32 ed. Vgl. zur fehlenden Übereignungspflicht Harke, Si error aliquis intervenit, Berlin 2005, S. 199 f. 72 Zu seiner Struktur Wolf, Funktion und Struktur der mancipatio, in: Humbert (Hg.), Mélanges Magdelain, Paris 1998, S. 501 ff. 73 Vgl. Pringsheim (Fn. 29), 189 ff., der in der Umstellung von wirklicher Preiszahlung auf deren Andeutung im Ritual einen Schritt in Richtung auf den konsensualen Kauf sieht. 70

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V. Ergebnis Bei näherem Hinsehen erweisen sich sowohl das herabsetzende Urteil über das römische Vertragsschema als auch das herkömmliche Bild vom Typenzwang im römischen Vertragsrecht als korrekturbedürftig: Erkennt man, dass Real-, Verbalund Konsensualverträge nicht Elemente eines einheitlichen Ganzen, vielmehr zeitlich und sachlich voneinander getrennte Phänomene sind, kann man gleich drei Systeme ausmachen, die jeweils das Potential hatten, die gesamte Breite vertraglicher Schuldbeziehungen zu erfassen: Das Realvertragsmuster wurde zwar im römischen Recht nur für unentgeltliche Überlassungsverhältnisse fruchtbar gemacht, lässt sich aber, wie das griechische Vertragsrecht zeigt, zur Regelung sämtlicher freigiebigen und Austauschbeziehungen einsetzen, indem es den Ausfall der erwarteten Leistung mit einem Anspruch wegen Vorenthaltung eines tatsächlich oder auch nur fiktiv zugewendeten Gegenstands sanktioniert. Dass dieses Regelungsmodell im römischen Recht nicht über Darlehen, Leihe und Verwahrung hinausging und im Übrigen außerhalb des eigentlichen Vertragsrechts bei den Innominatrealkontrakten wirkte, liegt am höheren Alter der verbalen Stipulation, die nicht nur potentiell, sondern wirklich den gesamten Kreis möglicher Leistungszusagen abdeckte. Als inhaltlich unbestimmter, nur durch seine Form definierter Vertrag konnte sie jede denkbare Leistungszusage klagbar machen, sofern sich die Parteien nur auf eine präzise Rechtsfolgenanordnung festlegten. Diese unnötig zu machen und durch eine Einigung über den Geschäftsgegenstand zu ersetzen war der entscheidende Vorzug der Konsensualverträge, die ihrerseits ein Regelungsschema für nahezu den gesamten Bereich vertraglicher und vertragsähnlicher Schuldbeziehungen bereithielten: Die unentgeltlichen Beziehungen wurden durch die drei Geschäftsführungsverhältnisse aus Gesellschaft, Auftrag und negotiorum gestio abgedeckt, die Austauschvereinbarungen vom Kaufvertrag und der Verdingung. Diese ist ein umfassendes Gebilde, das jeden Austausch von Sach- und Geldleistung einschloss, sofern es nicht dem an archaischen Vorbildern orientierten Kaufvertrag zugewiesen war. Eine Lücke ließen die Konsensualverträge bloß für den atavistischen Austausch von Sach- gegen Sachleistung. Von einem regelrechten Typenzwang lässt sich demnach weder bei den Konsensual-, noch bei den Verbal- oder Realverträgen sprechen. Vertragsfreiheit ist in den letzten beiden Fällen vollständig durch inhaltsneutrale Bindungsmuster, bei den Konsensualverträgen weitgehend durch starke Abstraktion des möglichen Geschäftsinhalts gewährleistet. Hat man den Römern gleichwohl bislang das Prinzip vertraglicher Inhaltsfreiheit abgesprochen, liegt dies allein daran, dass man nach einem System des Vertragsrechts gesucht und dieses nicht gefunden hat. Ein System gab es aber nicht. Es gab drei.

Dolus in contrahendo, Mitverschulden und reine Vermögensschäden im römischen Recht Die Vorstellung, dass künftige Vertragspartner einander schon vor Vertragsschluss zur Einhaltung der danach geschuldeten Sorgfalt verpflichtet sind, geht bekanntlich auf Rudolf von Jhering zurück, der 1863 das Haftungsinstitut der culpa in contrahendo entwickelte. So stieß er einen bis heute andauernden Prozess zur Überwindung des römischen Haftungsrechts an. Dessen Eigenheit ist die Beschränkung der Haftung für vorvertragliches Fehlverhalten auf die arglistige Täuschung, den dolus in contrahendo. Galt sie unbedingt, oder finden sich nicht doch die von Jhering ausgemachten Ansätze zu einer Schadensersatzpflicht für jegliches vorvertragliches Verschulden? Und war die Haftung für vorvertragliche Arglist, wenn sie denn exklusiv war, das zufällige Produkt einer ungleichmäßigen Fortbildung des Haftungsrechts oder Ausdruck seiner bewussten Beschränkung?

I. Culpa in contrahendo oder Haftung für Leistungspflicht? Dass es in Rom bereits eine Haftung für culpa in contrahendo gab, folgt jedenfalls nicht aus den Quellen, die Jhering für die Entwicklung dieses Rechtsinstituts fruchtbar machen wollte.1 Es sind die Aussagen der römischen Juristen über die Zuständigkeit der actio empti oder einer ähnlichen Klage beim Verkauf einer nicht verkehrsfähigen oder nicht existierenden Sache, allen voran die Entscheidung Modestins zum Verkauf heiliger, religiöser oder der Öffentlichkeit gewidmeter Grundstücke:2 1

Jhering, Culpa in contrahendo oder Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen, Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts 4 (1861) 1, 8 ff. 2 Gänzlich unergiebig ist der von Jhering ebenfalls angeführte Text D 11.7.8.1 Ulp 25 ed: Si locus religiosus pro puro venisse dicetur, praetor in factum actionem in eum dat ei ad quem ea res pertinet: quae actio et in heredem competit, cum quasi ex empto actionem contineat. Die von Ulpian hier befürwortete actio in factum, die quasi ex empto sein soll, wird dem Inhaber eines locus religiosus oder dessen Erben gewährt. Ohne Interpolationsannahme lässt sich dieser Text nur so verstehen, dass dem Inhaber des heiligen Platzes, gewissermaßen zur Gewinnabschöpfung, ein Anspruch gegen dessen Verkäufer gegeben wird. Hierfür ist auch Stein, Fault in the formation of contract in Roman and Scots Law, Edinburgh 1958, S. 73 ff. Entgegen EvansJones/MacCormack, The Sale of res extra commercium in Roman Law, SZ 112 (1995) 343 ff. lässt diese Entscheidung jedenfalls nicht den Schluss zu, auch Modestin habe in D 18.1.62 nur eine actio in factum und nicht etwa die actio empti selbst gewährt.

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Dolus in contrahendo, Mitverschulden im römischen Recht D 18.1.62.1 Mod 5 reg Qui nesciens loca sacra vel religiosa vel publica pro privatis comparavit, licet emptio non teneat, ex empto tamen adversus venditorem experietur, ut consequatur quod interfuit eius, ne deciperetur.3 Wer unwissentlich heilige, religiöse oder öffentliche Grundstücke als private kauft, kann, obwohl ihn der Kauf nicht bindet, mit der Kaufklage gegen den Verkäufer klagen, damit er erlangt, was sein Interesse daran ausmacht, nicht getäuscht zu werden.

Gewährt Modestin dem unwissenden Käufer eine Klage auf sein Interesse daran, sich nicht über den Charakter des Grundstücks getäuscht zu haben, steht dies in scheinbarem Widerspruch zu seiner Feststellung, dass emptio non teneat. Wie Flume4 erkannt hat, bedeutet dies freilich nicht, dass der Vertrag unwirksam ist, sondern nur, dass er den Käufer nicht bindet, während der Verkäufer aus ihm haftbar ist.5 Seine Verpflichtung ergibt sich daraus, dass er die Grundstücke pro privatis verkauft, sich also dazu verbindlich gemacht hat, sie dem Käufer wirksam zu überlassen. Die nur zugunsten des Käufers wirksame emptio venditio bringt also einen Anspruch hervor, weil der Verkäufer gleichsam eine Zusicherung über die Verkehrsfähigkeit der Kaufsache gegeben hat. Dass sie nicht heilig, religiös oder öffentlich und damit vom Rechtsverkehr ausgenommen ist, versteht sich von selbst, so dass der Käufer hiervon auch ohne besondere Erklärung des Verkäufers ausgehen darf. Dementsprechend ist es kein Zufall, dass Modestin offen lässt, ob der Verkäufer den Charakter der Kaufsache erkannt hat oder überhaupt erkennen konnte. Dies spielt auch für Pomponius keine Rolle, der die Haftung des Käufers gleichfalls allein von der Gutgläubigkeit des Käufers abhängig macht: D 18.1.4 Pomp 9 Sab Et liberi hominis et loci sacri et religiosi, qui haberi non potest, emptio intellegitur, si ab ignorante emitur … Der Kauf eines freien Menschen, einer heiligen oder religiösen Stätte, die man nicht zu eigen haben kann, wird als gültig angesehen, wenn der Käufer unwissend ist. …

Dass der Verkäufer auch dann haftet, wenn er von der mangelnden Verkehrsfähigkeit des Kaufobjekts nichts weiß, sagen ausdrücklich Julian und Licinnius Rufinus für den Fall des Verkaufs eines freien Menschen. Während Julian für eine Eviktionshaftung eintritt, deutet Licinnius Rufinus sogar schon einen Erst-RechtSchluss vom anerkannten Fall des Kaufs inter ignorantes auf die Konstellation an, dass der Verkäufer die Freiheit des verkauften Menschen kennt: D 21.2.39.3 Iul 57 dig Pater sciens filium suum quem in potestate habebat ignoranti emptori vendidit: quaesitum est, an evictionis nomine teneatur. respondit: qui liberum hominem sciens vel ignorans

3 4 5

Ebenso entscheiden die byzantinischen Juristen, vgl. IJ 3.23.5. Rechtsakt und Rechtsverhältnis, Paderborn 1990, S. 114 ff. Vgl. auch Harke, Si error aliquis intervenit, Berlin 2005, S. 185 f.

I. Culpa in contrahendo oder Haftung für Leistungspflicht?

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tamquam servum vendat, evictionis nomine tenetur: quare etiam pater, si filium suum tamquam servum vendiderit, evictionis nomine obligatur. Ein Vater hat seinen Sohn, den er in seiner Gewalt hatte, einem unwissenden Käufer verkauft. Es ist gefragt worden, ob er wegen Eviktion haftet. Er hat befunden: Wer einen freien Menschen wissentlich oder unbewusst als Sklaven verkauft, haftet wegen Eviktion. Daher ist auch der Vater, der seinen Sohn wie einen Sklaven verkauft, wegen Eviktion verpflichtet. D 18.1.70 Lic Ruf 8 reg Liberi hominis emptionem contrahi posse plerique existimaverunt, si modo inter ignorantes id fiat. quod idem placet etiam, si venditor sciat, emptor autem ignoret. quod si emptor sciens liberum esse emerit, nulla emptio contrahitur. Dass man einen Kaufvertrag über einen freien Menschen abschließen könne, haben die meisten für den Fall angenommen, dass es unter Unwissenden geschieht. Dasselbe ist auch anerkannt, falls der Verkäufer Bescheid weiß, der Käufer dagegen nicht. Hat aber jemand in dem Wissen gekauft, dass es ein Freier ist, kommt der Kaufvertrag nicht zustande.

Ähnlich wie beim Kauf eines heiligen, religiösen oder öffentlichen Grundstücks ist auch hier allein ausschlaggebend, dass der Verkäufer den Kaufgegenstand als verkehrsfähig, den freien Menschen also tamquam servum, verkauft hat. Die Verpflichtung des Verkäufers resultiert demnach aus seinem Leistungsversprechen und nicht aus einem vorvertraglichen Fehlverhalten. Dasselbe gilt für die Haftung des Verkäufers einer nicht existierenden Forderung oder einer nicht vorhandenen Erbschaft. Jene wird von Celsus, diese von Javolen bejaht: D 18.4.4 Ulp 32 ed Si nomen sit distractum, Celsus libro nono digestorum scribit locupletem esse debitorem non debere praestare, debitorem autem esse praestare, nisi aliud convenit … Ist eine Forderung verkauft worden, müsse der Verkäufer, wie Celsus im neunten Buch seiner Digesten schreibt, nicht dafür einstehen, dass der Schuldner zahlungsfähig sei, dagegen müsse er dafür einstehen, dass überhaupt ein Schuldner vorhanden sei, falls nichts anderes vereinbart worden ist … D 18.4.8 Iav 2 ex Plaut Quod si nulla hereditas ad venditorem pertinuit, quantum emptori praestare debuit, ita distingui oportebit, ut, si est quidem aliqua hereditas, sed ad venditorem non pertinet, ipsa aestimetur, si nulla est, de qua actum videatur, pretium dumtaxat et si quid in eam rem impensum est emptor a venditore consequatur. Stand dem Verkäufer keine Erbschaft zu, muss bei der Frage, für was er dem Käufer einzustehen hat, so unterschieden werden, dass, wenn eine Erbschaft existiert, aber nicht dem Verkäufer zusteht, diese geschätzt wird und, wenn gar keine existiert, die als Gegenstand des Vertrags angesehen werden kann, der Käufer vom Verkäufer nur den Preis und die in dieser Angelegenheit gemachten Aufwendungen erlangen kann.

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Dolus in contrahendo, Mitverschulden im römischen Recht

Während Paulus eine Verpflichtung des Verkäufers einer nicht existierenden Erbschaft an dem Satz scheitern lässt, dass ein Kaufvertrag ohne Kaufsache unwirksam ist,6 entscheidet sich Javolen für die Haftung, weil er ebenso wie beim Forderungskauf keine res im eigentlichen Sinne erkennt, die der Subsumtion unter den Satz: nec emptio nec venditio sine re quae veneat potest intellegi, zugänglich wäre.7 Die Haftung des Verkäufers ist, wenn sie denn bejaht wird, also auch hier eine solche für seine Leistungszusage und nicht etwa durch sein vorvertragliches Fehlverhalten begründet, auf das auch weder Celsus noch Javolen eingehen.

II. Dolus in contrahendo beim Austauschvertrag Eine Sanktion der Schädigung beim Vertragsschluss findet dagegen bei der Haftung wegen arglistiger Täuschung über einen Sachmangel statt. In den Quellen finden wir sie an der Seite der Haftung für eine vom Verkäufer oder Vermieter abgegebene Beschaffenheitsgarantie: D 19.1.6.4 Pomp 9 Sab Si vas aliquod mihi vendideris et dixeris certam mensuram capere vel certum pondus habere, ex empto tecum agam, si minus praestes. sed si vas mihi vendideris ita, ut adfirmares integrum, si id integrum non sit, etiam id, quod eo nomine perdiderim, praestabis mihi: si vero non id actum sit, ut integrum praestes, dolum malum dumtaxat praestare te debere. Labeo contra putat et illud solum observandum, ut, nisi in contrarium id actum sit, omnimodo integrum praestari debeat: et est verum. quod et in locatis doliis praestandum Sabinum respondisse Minicius refert.8 Hast du mir ein Gefäß verkauft und zugesagt, dass es eine bestimmte Menge fasse oder ein bestimmtes Gewicht habe, klage ich gegen dich mit der Kaufklage, wenn die Zusage nicht eingehalten wird. Aber wenn du mir ein Gefäß verkauft hast, indem du zusagtest, es sei dicht, und es nicht dicht ist, hast du mir auch das zu ersetzen, was ich aus diesem Grunde verliere. Hast du es aber nicht zugesagt, hast du nur für die Abwesenheit von Arglist einzustehen. Labeo glaubt, das Gegenteil sei richtig, und es sei so zu urteilen, dass, falls nichts Gegenteiliges verabredet ist, allemal dafür einzustehen sei, dass das Gefäß dicht ist. Und dies ist wahr. Auch berichtet Minicius, Sabinus habe so im Fall einer Gefäßmiete entschieden.

Die Relevanz der dolus-Haftung hängt davon ab, wie weit die Verpflichtung aufgrund einer Beschaffenheitszusicherung reicht: Beschränkt man sie mit der traditionellen Ansicht, für die Pomponius keinen Gewährsmann nennt, auf ausdrückliche Erklärungen des Verkäufers oder Vermieters, sind die Käufer oder Mieter darauf angewiesen, eine arglistige Täuschung ihres Vertragspartners darzutun. Hält man dagegen mit Labeo und Sabinus selbstverständliche Eigenschaften für stillschweigend zugesichert, bedarf es hier nicht mehr des Nachweises, dass der Ver6 7 8

D 18.4.7 Paul 14 Plaut. Vgl. Harke (Fn. 5), S. 193 ff. Hierzu Harke (Fn. 5), S. 213 ff.

II. Dolus in contrahendo beim Austauschvertrag

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käufer den Mangel arglistig verschwiegen hat. Geht es wie im Fall undichter Fässer um Folgeschäden, die der Käufer oder Mieter durch den Mangel erleiden, kann von vornherein kein inhaltlicher Unterschied zwischen der Haftung auf das positive Interesse an der Fehlerfreiheit der Miet- oder Kaufsache und einer Verpflichtung bestehen, die an das vorvertragliche Fehlverhalten von Verkäufer oder Vermieter anknüpft: Der Schaden, der auszugleichen ist, liegt stets in dem Verlust, den der Käufer oder Mieter durch die mangelnde Tauglichkeit der Sache erleiden. Anders verhält es sich bei der Haftung eines Verkäufers, der verschweigt, dass ihm die Kaufsache nicht gehört. Hier erst erweist sich, dass die Vertragshaftung wegen Arglist in ihrem Inhalt der für eine Leistungszusage entspricht: D 19.1.30.1 Afr 8 quaest Si sciens alienam rem ignoranti mihi vendideris, etiam priusquam evincatur utiliter me ex empto acturum putavit in id, quanti mea intersit meam esse factam: quamvis enim alioquin verum sit venditorem hactenus teneri, ut rem emptori habere liceat, non etiam ut eius faciat, quia tamen dolum malum abesse praestare debeat, teneri eum, qui sciens alienam, non suam ignoranti vendidit: id est maxime, si manumissuro vel pignori daturo vendiderit.9 Hast du mir, als ich gutgläubig war, wissentlich eine fremde Sache verkauft, so kann ich, wie er [Julian] glaubt, noch bevor mir die Sache entwehrt wird, mit Erfolg die Kaufklage darauf erheben, was mein Interesse ausmacht, dass die Sache zu meinem Eigentum wird. Obwohl nämlich wahr sei, dass der Verkäufer nur dafür hafte, dass der Käufer die Sache in ungestörtem Besitz behalte, und nicht auch dafür, dass er sie zum Eigentum des Käufers mache, hafte derjenige, der wissentlich eine fremde und nicht eine eigene Sache einem Gutgläubigen verkauft hat, weil er dafür einzustehen habe, dass Arglist nicht im Spiel sei. Dies gilt insbesondere dann, wenn er einen Sklaven verkauft hat, den der Käufer freilassen oder verpfänden will.

Julian lässt den Verkäufer, der bewusst eine fremde Sache veräußert, auf das Interesse haften, das der Käufer daran hat, die Sache zu eigen zu erwerben. Die durch den dolus ausgelöste Haftung ist also nicht auf die bloße Vermeidung der Folgen gerichtet, die die mangelnde Aufklärung des Verkäufers hat. Stattdessen soll der Käufer so gestellt werden, wie er stünde, wenn die Kaufsache keinen Rechtsmangel hätte und in sein Eigentum gewechselt wäre. Ist dieses Interesse normalerweise auch nicht geschützt, wird dem Verkäufer wegen seiner Arglist ausnahmsweise eine Garantie für eine Leistung auferlegt, die gewöhnlich jenseits seines Pflichtenprogramms liegt.10 Entspricht die Haftung wegen arglistiger Täuschung über einen Mangel demnach in ihren Rechtsfolgen denen einer Zusicherung, ist sie in ihrem Tatbestand hiervon doch klar verschieden. Der Verkäufer haftet, weil er für die Abwesenheit seiner Arglist einzustehen hat: dolum malum abesse praestare debeat.

9 Hierzu Ernst, Rechtsmängelhaftung, Tübingen 1995, S. 12 ff., Harke, Julian und die Rechtsmängelhaftung, OIR 11 (2006) 63, 72 ff. 10 Vgl. Harke, OIR 11 (2006) 63, 76.

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Dolus in contrahendo, Mitverschulden im römischen Recht

Ein Beispiel dafür, dass auch die Haftung des Käufers für ein vorvertragliches Fehlverhalten auf seine Arglist beschränkt ist, bietet Julians Entscheidung zu dem realen Fall eines diebischen Erbschaftskäufers: D 19.1.13.5 Ulp 32 ed Per contrarium quoque idem Iulianus scribit, cum Terentius Victor decessisset relicto herede fratre suo et res quasdam ex hereditate et instrumenta et mancipia Bellicus quidam subtraxisset, quibus subtractis facile, quasi minimo valeret hereditas, ut sibi ea venderetur persuasit: an venditi iudicio teneri possit? et ait Iulianus competere actionem ex vendito in tantum, quanto pluris hereditas valeret, si hae res subtractae non fuissent. Auch zu dem umgekehrten Fall schreibt Julian: Als Terentius Victor starb und seinen Bruder als Erben hinterließ, stahl ein gewisser Bellicus einige Erbschaftssachen wie Inventar und Sklaven und überredete ihn hiernach leicht, ihm die Erbschaft so zu verkaufen, als sei sie kaum etwas wert. Haftet er mit der Verkäuferklage? Und Julian schreibt, die Käuferklage stehe auf den Betrag zu, den die Erbschaft mehr wert gewesen wäre, wenn die Sachen nicht gestohlen worden wären.

Die Beschränkung der Haftung für vorvertragliches Fehlverhalten auf den Fall des dolus11 nimmt deshalb wunder, weil es für die klassischen Juristen ansonsten keinem Zweifel unterliegt, dass die Parteien eines Kaufvertrags oder einer Verdingung für dolus und culpa einzustehen haben: D 50.17.23 Ulp 29 Sab Contractus quidam dolum malum dumtaxat recipiunt, quidam et dolum et culpam. dolum tantum: depositum et precarium. dolum et culpam mandatum, commodatum, venditum, pignori acceptum, locatum, item dotis datio, tutelae, negotia gesta: in his quidem et diligentiam. societas et rerum communio et dolum et culpam recipit. … Einige Verträge begründen nur eine Haftung für Arglist, einige für Arglist und Fahrlässigkeit. Nur Arglist: Verwahrung und Bittleihe. Arglist und Fahrlässigkeit: Auftrag, Leihe, Kauf, Pfandübernahme, Verdingung, ebenso Mitgift, Vormundschaft und Geschäftsführung ohne Auftrag: bei diesen auch Sorgfalt. Die Gesellschaft und die Gemeinschaft begründen eine Haftung für Arglist und Fahrlässigkeit. …

Ist damit eine weitgehende Haftung für die Schädigung nach Vertragsschluss eröffnet, kann der römischen Jurisprudenz kaum verborgen geblieben sein, dass hierfür auch im vorvertraglichen Bereich Bedarf besteht. Schließlich macht es weder aus Sicht des Gläubigers noch aus der Perspektive des Schuldners einen Unterschied, ob der Verkäufer oder Vermieter ihre zunächst einwandfrei zugesagte Leistung aus Fahrlässigkeit nicht richtig erbringen oder ob sie durch fahrlässige Falschangaben schon vor Vertragsschluss dafür gesorgt haben, dass die Leistung von vornherein in einer Weise bestimmt ist, die dem Käufer oder Mieter zum Schaden gereicht. Hinter 11 Sie nimmt im Ergebnis richtig, allerdings unter unhaltbarer Textkritik und der falschen Annahme, die Vorsatzhaftung sei deliktsrechtlicher Natur, auch Heldrich, Das Verschulden beim Vertragsschluss, Leipzig 1924, S. 3 ff. an. Auch Procchi, Dolus e culpa in contrahendo nella compravendita, in: Garofalo (Hg.), La compravendita e l’interdipendenza delle obligazioni nel diritto romano, Padua 2007, Bd. 1, S. 183, 184 glaubt, dass die Haftung für culpa in contrahendo eine Kreation des 19. Jahrhunderts ist.

III. Eine Erklärung aus der Struktur des Deliktsrechts?

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der Begrenzung der Haftung für vorvertragliches Fehlverhalten auf den dolus in contrahendo muss also ein besonderer Grund stehen, der die römischen Juristen dazu veranlasst hat, vor- und nachvertragliche Schädigung bewusst ungleich zu behandeln.

III. Eine Erklärung aus der Struktur des Deliktsrechts? Ein naheliegender, aber im Ergebnis nicht weiterführender Gesichtspunkt ist die Zweipoligkeit der außervertraglichen Haftung. Orientiert man sich an der actio legis Aquiliae und der actio de dolo, kann man das römische Deliktsrecht kurzerhand so charakterisieren, dass die Haftung entweder an die schuldhafte Verletzung einer Sache oder Person oder an die vorsätzliche Schädigung anknüpft. Reine Vermögensschäden, wie sie in Gestalt nutzloser Aufwendungen oder der Bindung an einen ungünstigen Vertrag gerade durch ein vorvertragliches Fehlverhalten entstehen, sind damit deliktsrechtlich nur im Fall des Vorsatzes und nicht auch bei einem bloß fahrlässigen Verhalten des Schädigers zu ersetzen. Schließt man hieraus auf die Beschränkung der Vertragshaftung, setzt man jedoch unbewusst voraus, dass das Deliktsrecht vorrangig und die Lösung des Vertragsrechts ihm nachgebildet war. Es könnte ebenso gut umgekehrt, also die Begrenzung der Vertragshaftung auf den dolus in contrahendo das Vorbild und das Deliktsrecht an ihr ausgerichtet gewesen sein. Dass es zur Fortbildung der außervertraglichen Haftung keiner neuen Klage, vielmehr nur einer Fortbildung der actio legis Aquiliae bedurft hätte, zeigt hinlänglich Justinians Entscheidung für die Gewährung einer actio in factum in dem Fall, dass ein Schaden weder corpore suo noch durch Verletzung einer Sache oder Person herbeigeführt worden ist: IJ 4.3.16 Ceterum placuit, ita demum ex hac lege actionem esse, si quis praecipue corpore suo damnum dederit. ideoque in eum qui alio modo damnum dederit, utiles actiones dari solent: … sed si non corpore damnum fuerit datum neque corpus laesum fuerit, sed alio modo damnum alicui contigit, cum non sufficit neque directa neque utilis Aquilia, placuit eum qui obnoxius fuerit in factum actione teneri: veluti si quis, misericordia ductus, alienum servum compeditum solverit, ut fugeret. Im Übrigen hat sich die Meinung durchgesetzt, dass nach diesem Gesetz eine Klage nur gegeben ist, wenn jemand den Schaden vornehmlich durch körperliche Einwirkung zugefügt hat. Deshalb pflegt man gegen denjenigen, der den Schaden auf andere Weise zugefügt hat, analoge Klagen zu gewähren. … Wird der Schaden jedoch nicht durch körperliche Einwirkung zugefügt und auch kein Körper verletzt, sondern entsteht jemandem auf andere Weise ein Schaden, haftet der Schuldige, weil weder die unmittelbare noch eine analoge aquilische Klage in Betracht kommt, anerkanntermaßen mit einer auf den Sachverhalt zugeschnittenen Klage, wie zum Beispiel, wenn jemand aus Mitleid einem fremden Sklaven die Fesseln gelöst hat, damit er fliehen konnte.

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Dass das Potential dieser Entscheidung nach der Rezeption des römischen Rechts nicht ausgeschöpft und eine Deliktshaftung für fahrlässig herbeigeführte reine Vermögensschäden erst durch die Naturrechtslehre eingeführt wird,12 liegt wahrscheinlich an der unglücklichen Exemplifikation der Haftung mit einer actio in factum durch den Fall einer Sklavenfreilassung, bei der gerade doch auf den Körper eines Menschen eingewirkt wird.13 Jedenfalls deckt die abstrakte Entscheidung für die Ersatzfähigkeit eines alio modo herbeigeführten Schadens auch eine Haftung für reine Vermögensschäden ab. Ist sie zumindest in der Klassik ausgeblieben, wäre sie hier doch schon möglich gewesen. Der Blick auf das Deliktsrecht lässt die Frage, warum es nur eine Haftung für dolus in contrahendo gibt, also unbeantwortet.

IV. Der Parallelfall des Mitverschuldens Ist es nicht die durch die Existenz von actio legis Aquiliae und actio de dolo begründete Zweispurigkeit des Deliktsrechts, die eine Erklärung für die Beschränkung der Vertragshaftung auf den dolus in contrahendo liefert, gibt es doch eine an der außervertraglichen Haftung zu beobachtende Eigenheit, die den Schlüssel bietet. Die Begrenzung einer gewöhnlich durch culpa ausgelösten Schadensersatzpflicht auf den Fall des Vorsatzes kommt nämlich auch bei der Deliktshaftung vor und ist hier die besondere Folge eines Mitverschuldens des Geschädigten.14 Ihm gilt eine Katene, die die Kompilatoren mit Hilfe von Auszügen aus Ulpians und Paulus Ediktskommentar gefertigt haben: D 9.2.9.4 Ulp 18 ed Sed si per lusum iaculantibus servus fuerit occisus, Aquiliae locus est: sed si cum alii in campo iacularentur, servus per eum locum transierit, Aquilia cessat, quia non debuit per campum iaculatorium iter intempestive facere. qui tamen data opera in eum iaculatus est, utique Aquilia tenebitur: … Ist ein Sklave dadurch getötet worden, dass andere im Spiel Speere warfen, so greift das aquilische Gesetz ein. Aber wenn der Sklave, als andere auf dem Feld Speere warfen, über dieses Feld gegangen ist, entfällt die Haftung aus dem aquilischen Gesetz, weil er nicht zur Unzeit über das Feld der Speerwerfer gehen durfte. Wer aber absichtlich auf ihn geworfen hat, haftet unbedingt aus dem aquilischen Gesetz: …

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Grotius, De jure belli ac pacis 2.17.1 f. Dieser Fall geht auf eine bei Ulpian überlieferte Entscheidung von Scaevola zurück; vgl. D 4.3.7.7 Ulp 11 ed: Idem Labeo quaerit, si compeditum servum meum ut fugeret solveris, an de dolo actio danda sit? et ait Quintus apud eum notans: si non misericordia ductus fecisti, furti teneris: si misericordia, in factum actionem dari debere. 14 Hierzu auch Harke, Das Prinzip der Selbstverantwortung im römischen Recht, in: Riesenhuber (Hg.), Das Prinzip der Selbstverantwortung, Tübingen 2011, S. 23, 25 ff. 13

IV. Der Parallelfall des Mitverschuldens

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D 9.2.10 Paul 22 ed … nam lusus quoque noxius in culpa est. … denn auch gefährliches Spiel bedeutet Verschulden. D 9.2.11pr Ulp 18 ed Item Mela scribit, si, cum pila quidam luderent, vehementius quis pila percussa in tonsoris manus eam deiecerit et sic servi, quem tonsor habebat, gula sit praecisa adiecto cultello: in quocumque eorum culpa sit, eum lege Aquilia teneri. Proculus in tonsore esse culpam: et sane si ibi tondebat, ubi ex consuetudine ludebatur vel ubi transitus frequens erat, est quod ei imputetur: quamvis nec illud male dicatur, si in loco periculoso sellam habenti tonsori se quis commiserit, ipsum de se queri debere. Ferner schreibt Mela, dass, wenn einer von mehreren Ballspielern den Ball mit Wucht auf die Hand eines Barbiers geschleudert, diese heruntergedrückt hat und so die Kehle eines Sklaven, den der Barbier rasierte, durch das angelegte Rasiermesser aufgeschnitten worden ist, derjenige nach dem aquilischen Gesetz hafte, den Verschulden treffe. Proculus meint, der Barbier sei schuld; und sicherlich, wenn er dort rasiert hat, wo gewöhnlich gespielt wird oder lebhafter Verkehr herrscht, kann man ihm dies zurechnen. Gleichwohl könnte man nicht zu Unrecht der Ansicht sein, dass sich derjenige bei sich selbst beklagen muss, der sich einem Barbier überlässt, der seinen Stuhl an einem gefährlichen Ort aufgestellt hat.

Es liegt nahe, in dem Einschub aus Paulus’ Ediktskommentar keine Aussage zum mitwirkenden Verschulden des Verletzten, vielmehr nur eine Begründung dafür zu sehen, warum die Tötung eines Sklaven als Folge eines gefährlichen Spiels überhaupt eine Haftung nach der lex Aquilia auslöst: Wer Speere wirft und dabei einen Sklaven umbringt, hat hierfür, weil ihm der Vorwurf eines Sorgfaltspflichtverstoßes gemacht werden kann, Schadensersatz zu leisten. Seine Verpflichtung entfällt jedoch, falls der Getötete zur Unzeit über ein Feld lief, auf dem erkennbar Speere geworfen wurden.15 Ähnlich ist die zweite Konstellation: Wird jemand, der sich am Spielfeldrand rasieren lässt, dadurch getötet, dass der Ball so heftig gegen die Hand des Barbiers geschossen wird, dass dieser seinem Kunden die Kehle durchschneidet, ist nach Melas Ansicht der Ballspieler haftbar, nach Auffassung von Proculus der Barbier. Ulpian stellt dagegen unter vorsichtiger Äußerung seiner Zustimmung die Lösung zur Diskussion, den Schadensersatzanspruch wegen des eigenen Verschuldens des Verletzten entfallen zu lassen: Wer sich an einem gefährlichen Ort wie dem Rand eines Ballspielplatzes rasieren lässt, habe sich sein Schicksal selbst zuzuschreiben. Auch hier muss freilich der Vorbehalt gelten, den Ulpian für den Fall der Speerwerfer ausdrücklich macht: Sogar bei mitwirkendem Verschulden des Verletzten bleibt die Haftung nach dem aquilischen Gesetz erhalten, wenn der Täter vorsätzlich gehandelt hat. Auf dieser Grundlage beruht auch Paulus’ Differenzierung 15 Justinian lässt die Haftung des Täters nur dann entfallen, wenn er ein Soldat ist und einen Speer auf einem für Wehrübung vorgesehenen Platz geworfen hat; vgl. IJ 4.3.4: Itaque si quis, dum iaculis ludit vel exercitatur, transeuntem servum tuum traiecerit, distinguitur. nam si id a milite quidem in campo eoque, ubi solitum est exercitari, admissum est, nulla culpa eius intellegitur: si alius tale quid admisit, culpae reus est. idem iuris est de milite, si is in alio loco, quam qui exercitandis militibus destinatus est, id admisit.

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in dem erstmals von Quintus Mucius entschiedenen Fall der Haftung für hinabgeworfene Äste: D 9.2.31 Paul 10 Sab Si putator ex arbore ramum cum deiceret vel machinarius hominem praetereuntem occidit, ita tenetur, si is in publicum decidat nec ille proclamavit, ut casus eius evitari possit. sed Mucius etiam dixit, si in privato idem accidisset, posse de culpa agi: culpam autem esse, quod cum a diligente provideri poterit, non esset provisum aut tum denuntiatum esset, cum periculum evitari non possit. secundum quam rationem non multum refert, per publicum an per privatum iter fieret, cum plerumque per privata loca volgo iter fiat. quod si nullum iter erit, dolum dumtaxat praestare debet, ne immittat in eum, quem viderit transeuntem: nam culpa ab eo exigenda non est, cum divinare non potuerit, an per eum locum aliquis transiturus sit. Hat ein Baumschneider oder ein Gerüstarbeiter, indem er einen Zweig hinunterwarf, einen vorbeigehenden Sklaven getötet, haften sie dann, wenn die Sache auf öffentlichen Grund gefallen ist und er nicht dargetan hat, dass der Unfall von dem Sklaven hätte vermieden werden können. Aber Mucius hat geschrieben, dass auch wegen Fahrlässigkeit geklagt werden könne, wenn dies auf privatem Grund geschehen wäre; Fahrlässigkeit sei aber gegeben, wenn man entweder nicht vorhergesehen habe, was von einem sorgfältigen Menschen vorhergesehen hätte werden können, oder vor einer Gefahr erst gewarnt worden sei, als sie sich nicht mehr abwenden ließ. Nach dieser Erwägung macht es keinen großen Unterschied, ob der Weg über ein öffentliches oder ein privates Grundstück führte, zumal ein allgemein genutzter Weg häufig über Privatland führt. Gab es aber überhaupt keinen Weg, muss der Täter nur für Arglist haften, damit er nicht auf Passanten wirft. Eine Haftung für Fahrlässigkeit ist ihm nicht aufzuerlegen, da er nicht ahnen konnte, dass jemand an dieser Stelle vorbeigehen würde.

Wird ein Passant von einem Ast getötet, den ein Gärtner oder Arbeiter hat fallen lassen, kommt es für beider Haftung darauf an, ob sie dieses Unglück hätten vorhersehen und vermeiden können.16 Ist dies der Fall, haben sie fahrlässig gehandelt und sich damit unbedingt haftbar gemacht.17 Konnten sie die Folgen ihres Handelns nicht erkennen, sind sie nur für ihren Vorsatz verantwortlich. Ein Mitverschulden des Passanten, der außerhalb eines Weges ging, bleibt in diesem Fall außer Betracht.18

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Das verwendete Verb providere ist, wie Schipani, Responsabilità ex lege Aquilia, Turin 1969, S. 148 ff. hervorhebt, nicht eindeutig und erfasst sowohl die bloße Erkenntnis der drohenden Gefahr als auch ihre Abschirmung. Für die Bedeutung von Mucius’ Sentenz ist dieser Unterschied nicht relevant; denn wie die Variante der verspäteten Warnung ergibt, geht es nicht allein um die Erkenntnis der Gefahr, sondern auch um ihre Vermeidung. 17 Dass hier nicht die – im Ergebnis gelungene – Definition von culpa angestrebt ist, meinen Schipani (Fn. 16), S. 149 ff., MacCormack, Aquilian culpa, in: Watson (Hg.), Daube noster, Edingburgh 1974, S. 201, 203 f., und Aquilian Studies, SDHI 41 (1975) 1,45 und Zimmermann, The Law of Obligations, Kapstadt 1990, S. 1008 Fn. 69. 18 Vgl. Zimmermann (Fn. 17), S. 1010.

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Der Grund für diese aus heutiger Sicht kaum befriedigende Alles-oder-nichtsLösung19 beim konkurrierenden Verschulden scheint zumindest für das Deliktsrecht leicht gefunden: Der pönale Charakter der aquilischen Buße, der auch für ihre Kumulation im Fall einer Tätermehrheit sorgt,20 verbietet im Fall des Mitverschuldens ihre Teilung und gestattet nur, sie ganz oder gar nicht zuzusprechen.21 Anders verhält es sich bei der Vertragshaftung, für die es zu dieser Frage jedoch keine direkten Quellen gibt. Zwar ist hier der Ursprung des gemeinrechtlichen Begriffs der sogenannten culpa-Kompensation. Die maßgeblichen Texte betreffen jedoch jeweils ein ganz anderes Problem: D 18.1.57 Paul 5 Plaut Domum emi, cum eam et ego et venditor combustam ignoraremus. … (1) Sin autem venditor quidem sciebat domum esse exustam, emptor autem ignorabat, nullam venditionem stare, si tota domus ante venditionem exusta sit: si vero quantacumque pars aedificii remaneat, et stare venditionem et venditorem emptori quod interest restituere. (2) Simili quoque modo ex diverso tractari oportet, ubi emptor quidem sciebat, venditor autem ignorabat: et hic enim oportet et venditorem stare et omne pretium ab emptore venditori, si non depensum est, solvi vel si solutum sit, non repeti. (3) Quod si uterque sciebat et emptor et venditor domum esse exustam totam vel ex parte, nihil actum fuisse dolo inter utramque partem compensando et iudici[o] , quod ex bona fide descendit, dolo ex utraque parte veniente stare non concedente.22 Ich habe ein Haus gekauft und weder ich noch der Verkäufer wussten, dass es niedergebrannt war. … (1) Wusste aber der Verkäufer, dass das Haus abgebrannt war, der Käufer dagegen nicht, bestehe kein Kaufvertrag, wenn das Haus vorher vollständig abgebrannt war. Sei dagegen auch nur ein noch so kleiner Teil des Hauses übriggeblieben, bestehe der Kauf19 Sie steht auch hinter Ulpians Entscheidung zur Haftung eines Gemeindebeamten wegen der unrechtmäßigen Pfändung eines Sklaven, der sich dann selbst tötet; vgl. D 9,2,29,7 Ulp 18 ed: Magistratus municipales, si damnum iniuria dederint, posse Aquilia teneri. nam et cum pecudes aliquis pignori cepisset et fame eas necavisset, dum non patitur te eis cibaria adferre, in factum actio danda est. item si dum putat se ex lege capere pignus, non ex lege ceperit et res tritas corruptasque reddat, dicitur legem Aquiliam locum habere: quod dicendum est et si ex lege pignus cepit. si quid tamen magistratus adversus resistentem violentius fecerit, non tenebitur Aquilia: nam et cum pignori servum cepisset et ille se suspenderit, nulla datur actio. Der Ausschluss der Haftung wegen mitwirkenden Verschuldens ist auch bestimmend für den Vorbehalt, dem Alfen die Haftung für den Fall unterstellt, dass ein vom Täter verwundeter Sklave infolge seiner unsachgemäßen Behandlung durch einen Arzt stirbt; vgl. D 9.2.52pr. Alf 2 dig: Si ex plagis servus mortuus esset neque id medici inscienta aut domini neglegentia accidisset, recte de iniuria occiso eo agitur. Richtig deutet diesen Text Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 1, 2. Aufl., München 1971, S. 503 Fn. 2; anders Hausmaninger, Das Schadenersatzrecht der lex Aquilia, 5. Aufl., Wien 1996, S. 20 und Roth, Alfeni digesta, Berlin 1999, S. 79 f., die im Fall der nachlässigen Behandlung die unmittelbare Einwirkung des Täters vermissen. 20 Vgl. etwa D 9.2.11.2 Ulp 18 ed: … nam ex lege Aquilia quod alius praestitit, alium non relevat, cum sit poena. 21 Insoweit richtig Wollschläger, Das eigene Verschulden des Verletzten im römischen Recht, SZ 93 (1975) 115, 135. Vorwiegend aus der Formel der aquilischen Klage erklärt die Abstinenz von der Schadensteilung Medicus, Id quod interest, Köln u. a. 1962, S. 322 ff. 22 Hierzu ausführlich Harke (Fn. 5), S. 188 ff.

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Dolus in contrahendo, Mitverschulden im römischen Recht vertrag, und der Verkäufer müsse dem Käufer dessen Interesse ersetzen. (2) Ähnlich muss der umgekehrte Fall behandelt werden, in dem der Käufer es wusste, der Verkäufer aber nicht: Auch hier muss nämlich der Kaufvertrag bestehen und der gesamte Preis, wenn er noch nicht bezahlt worden ist, von dem Käufer an den Verkäufer gezahlt werden, und darf, wenn er schon gezahlt worden ist, nicht zurückgefordert werden. (3) Wussten sowohl der Käufer als auch der Verkäufer, dass das Haus schon vollständig oder teilweise abgebrannt war, sei kein gültiger Vertrag zustande gekommen, weil sich die Arglist gegenseitig aufhebe und nicht zulasse, dass die Klage, die aus der guten Treue entspringt, auf die gegenseitige Arglist gegründet werde.

Paulus beschäftigt sich mit dem Fall eines Hauses, das vor Verkauf des zugehörigen Grundstücks abgebrannt ist. Der Satz von der Nichtigkeit eines Kaufs sine re kann nach Paulus’ Ansicht hier keineswegs unbedingt Geltung beanspruchen. Wusste der Verkäufer von der Zerstörung des Hauses, soll der Kaufvertrag so lange gültig bleiben, wie auch nur irgendein Teil des Hauses erhalten geblieben ist, und den Verkäufer wegen seines vorvertraglichen dolus zum Schadensersatz verpflichten. Wusste nur der Käufer von der Zerstörung des Hauses, soll der Kaufvertrag ebenfalls nach Möglichkeit Gültigkeit behalten und den Käufer zur Zahlung des Kaufpreises verpflichten. Haben beide Parteien von der Zerstörung des Hauses gewusst, dies aber jeweils voreinander verheimlicht, soll der Kaufvertrag unwirksam sein, weil sich der beiderseitige dolus aufhebe und der auf die bona fides gerichtete Kaufvertrag sich nicht hierauf gründen lasse. Statt um den Ersatz eines Schadens, zu dem der Geschädigte beigetragen hat, geht es hier um die Entscheidung über die Vertragsgültigkeit, die bei einseitiger Arglist im Interesse des jeweils anderen Teils liegt und bei gegenseitigem dolus nicht geboten ist. D 16.2.10pr. Ulp 63 ed Si ambo socii parem neglegentiam societati adhibuimus, dicendum est desinere nos invicem esse obligatos ipso iure compensatione neglegentiae facta. simili modo probatur, si alter ex re communi aliquid perceperit, alter tantam neglegentiam exhibuerit, quae eadem quantitate aestimatur, compensationem factam videri et ipso iure invicem liberationem. Haben wir uns beide als Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft in gleichem Maße nachlässig verhalten, ist zu sagen, dass wir einander nicht mehr verpflichtet sind, weil sich unsere Nachlässigkeit schon automatisch aufhebt. In ähnlicher Weise ist anerkannt, dass, wenn einer aus dem gemeinsamen Geschäft etwas erlangt hat und der andere sich derart nachlässig verhalten hat, dass ein gleich hoher Schaden entstanden ist, eine Aufrechnung stattgefunden habe und automatisch beiderseits Befreiung eingetreten sei.

Ulpian hält zwei Gesellschafter, die in Gesellschaftsangelegenheiten beide in gleichem Maße nachlässig waren, einander nicht für haftbar, weil sich ihre Fahrlässigkeit automatisch ausgleiche. Zwar legt dieser Wortlaut auf den ersten Blick die Vorstellung einer Kompensation gegenseitigen Verschuldens nahe. Der von Ulpian angeführte Parallelfall, in dem der eine Gesellschafter aus der gemeinsamen Sache einen ausgleichspflichtigen Vorteil zieht, der andere sich aus Nachlässigkeit in gleicher Höhe verbindlich macht, spricht jedoch sehr dafür, den Begriff compensatio hier wie dort technisch, nämlich als Aufrechnung zu verstehen: Während sich im

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Parallelfall ein Anspruch auf Gewinnabschöpfung und Schadensersatz gegenüberstehen, sind es im ersten Fall gleich hohe Schadensersatzansprüche aus negligentia, die sich im Wege der Verrechnung neutralisieren. Nur hierzu passt auch der Hinweis, dass dies im Rahmen der Gesellschafterklage ipso iure, also nicht erst im Wege einer Einrede, erfolge.23 Bleibt damit offen, ob es bei der Vertragshaftung zu einer Aufhebung gegenseitigen Verschuldens kommt, ist auch für die Deliktshaftung noch keineswegs ausgemacht, wie sie dogmatisch umgesetzt wird. Unter Berufung auf die Argumentation Antiphons, von dem das Beispiel des Speerwerfers stammt, hat Wollenschläger das Raisonnement der römischen Juristen in der Weise rekonstruiert, dass sie bei einem Beitrag des Geschädigten zur Entstehung des Schadens das haftungsbegründende damnun iniuria facere verneint hätten.24 Diese Lösung stellt Wollenschläger in einen künstlichen Gegensatz zu der gemeinrechtlichen Vorstellung von der Kompensation der culpa. Dass das eine das andere keineswegs ausschließt, zeigt gerade der Bestand der Haftung des Schädigers für dolus: Obwohl dem Geschädigten in diesem Fall objektiv dasselbe Verhalten wie bei seiner fahrlässigen Schädigung zur Last fällt, bleibt die Schadensersatzpflicht des Schädigers doch erhalten, weil sein Vorsatz den Beitrag des Geschädigten an Verwerflichkeit übertrifft.25 Ebenso artifiziell ist der Widerspruch, den Wollenschläger zwischen seiner Deutung und der bei Pomponius überlieferten regula iuris zum Mitverschulden ausmacht und durch plausible, aber unbeweisbare Kontextrekonstruktion zu überwinden sucht26 : D 50.17.203 Pomp 8 QM Quod quis ex culpa sua damnum sentit, non intellegitur damnum sentire. Erleidet jemand aufgrund seines eigenen Verschuldens einen Schaden, wird er so angesehen, als habe er keinen Schaden erlitten.

23 Überhaupt nicht auf die Vertragshaftung bezogen ist die Entscheidung Julians in D 2.10.3.3 Iul 2 dig: Si et stipulator dolo promissoris et promissor dolo stipulatoris impeditus fuerit quo minus ad iudicium veniret: neutri eorum praetor succurrere debebit, ab utraque parte dolo compensando. Es geht um die Haftung aus dem Edikt: ,de eo per quem factum erit quominus quis in iudicio sistat‘. Sie ist eigentlich nur für den Fall gedacht, dass ein Dritter eine Prozesspartei am Erscheinen vor Gericht hindert, wird von Julian aber zuweilen einer der Parteien auferlegt. Während er im vorangehenden Abschnitt des Fragments beiden Parteien einen Schadensersatzanspruch zugesteht, falls sie jeweils durch einen Dritten arglistig von einem Prozess ferngehalten werden, lehnt er hier eine Haftung ab, wenn sich die Parteien gegenseitig daran hindern, vor Gericht zu erscheinen. Da das Fehlverhalten bilateral ist, besteht für den Prätor kein Anlass, wegen des dolus des jeweils anderen die ediktale Klage überhaupt vorzusehen. 24 Wollenschläger, SZ 93 (1975) 115, 117 ff. 25 Wollenschläger, SZ 93 (1975) 115, 128 kann dieser Konsequenz nur dadurch entgehen, dass er die Tötungsabsicht als „letzte unmittelbar wirkende Ursache“ ansieht. 26 Wollenschläger, SZ 93 (1975) 115, 119 ff. nimmt an, sie habe sich auf den Verlustausgleich beim Quotenvermächtnis bezogen.

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Dolus in contrahendo, Mitverschulden im römischen Recht

Dass keinen Schaden im Rechtssinne erleidet, wer ihn sich selbst zufügt, lässt sich ohne Weiteres mit Wollenschlägers Konzept in Einklang bringen. Pomponius’ Sentenz läuft ebenfalls darauf hinaus, wegen des Beitrags des Geschädigten das haftungsauslösende damnum iniuria facere zu verneinen. Ebenso wie Ulpians Vorwurf an den Verletzten, er habe sich den Schaden selbst zuzuschreiben (de se queri debere),27 hat Pomponius’ Satz aber eine über die bloße Verneinung des haftungsbegründenden Tatbestands hinausgehende Bedeutung: Wer sich einen Schaden selbst zufügt, hat sich der betroffenen Rechtsposition freiwillig begeben und erfährt deshalb keinen Schutz mehr in seinem Interesse, diesen Schaden zu vermeiden.28 Ihm bleibt nur der Schutz vor Arglist, der als Minimalstandard auch dann noch gewährt wird, wenn der Geschädigte sein Interesse an der Unversehrtheit seiner Person oder seines Vermögens eigentlich verwirkt hat.

V. Mitverschulden und die Haftung wegen vorvertraglichen Fehlverhaltens Die Lösung, mit der die römischen Juristen das Mitverschulden bewältigt haben, lässt sich auch für die Deutung der Haftung wegen vorvertraglichen Fehlverhaltens fruchtbar machen: Wer sich auf einen Vertragsschluss einlässt, verwirkt so sein Interesse daran, dass dieser nicht zum Nachteil auf sein Vermögen wirkt. Er hat sich freiwillig dazu entschieden, sein Vermögen mit der Vertragsbindung zu belasten, und darf diese nun nicht ohne Weiteres wegen des vorvertraglichen Fehlverhaltens der anderen Seite wieder ungeschehen machen. Wer Verträge abschließt, geht aus eigenem Antrieb das Risiko ein, übervorteilt zu werden. Zumindest für die römischen Juristen der klassischen Zeit war die Benachteiligung des einen durch den anderen Vertragspartner geradezu das Kennzeichen der Austauschverträge: D 19.2.22.3 Paul 34 ed Quemadmodum in emendo et vendendo naturaliter concessum est quod pluris sit minoris emere, quod minoris sit pluris vendere et ita invicem se circumscribere, ita in locationibus quoque et conductionibus iuris est: … Wie es beim Kauf selbstverständlich erlaubt ist, billiger zu kaufen und teurer zu verkaufen und sich gegenseitig zu übervorteilen, so gilt dies auch beim Mietvertrag. …

Hat sich ein Kontrahent schon gewissermaßen selbst geschädigt, indem er den Vertrag abgeschlossen hat, genießt er zwar in seinem Interesse an seiner ordnungsgemäßen Durchführung Schutz. Gegenüber den aus dem Vertragsschluss 27

Auch insoweit schafft Wollenschläger, SZ 93 (1975) 115, 133 wiederum künstlich einen Gegensatz, indem er Ulpian den Gedanken eines Handelns auf eigene Gefahr attestiert, das vom Verschulden zu unterscheiden sei. 28 Ähnlich sind die Überlegungen von Hausmaninger, Das Schadenersatzrecht der lex Aquilia, 5. Aufl., Wien 1996, S. 29 f. und Zimmermann (Fn. 17), S. 1013, die ein Handeln auf eigene Gefahr annehmen, das wie eine Einwilligung des Geschädigten wirke.

V. Mitverschulden und Haftung wegen vorvertraglichen Fehlverhaltens

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folgenden Nachteilen ist er jedoch grundsätzlich wehrlos. Eine Ausnahme gilt bloß für die Arglist des anderen Teils, deren Abwehr einen Minimalstandard bei der Sanktion von Verhaltenserwartungen sicherstellt. Diese Lösung entspricht der des Deliktsrechts, ohne aber von ihr vorgegeben zu sein. Statt die Beschränkung der Vertragshaftung auf den dolus in contrahendo aus der Struktur der außervertraglichen Haftung abzuleiten, kann man umgekehrt auch diese auf das Vertragsrecht zurückführen: Wird hier wegen der Eigenverantwortung des geschädigten Vertragspartners nur eine vorvertragliche Arglist sanktioniert, bestand für die klassischen Juristen kein Anlass, die Haftung nach der lex Aquilia auf reine Vermögensschäden auszudehnen, weil diese eben typischerweise durch ein vorvertragliches Fehlverhalten ausgelöst werden. Wegen des Zusammenhangs zwischen der Sanktion des Mitverschuldens und der Haftung für dolus in contrahendo ist es kein Zufall, dass sich die Ausdehnung der Schadensersatzpflicht auf culpa in contrahendo erst im späten 19. und 20. Jahrhundert vollzogen hat, als das römische Regime des Mitverschuldens einem anderen Regelungsmuster gewichen ist: Auf der Grundlage eines von Christian Wolff29 entwickelten Konzepts30 führen zunächst das ABGB (§ 1304), dann das OR (Art. 51 a. F. = Art. 44 n. F.) und schließlich auch das BGB (§ 254) die Quotenteilung eines Schadensersatzanspruchs ein und beseitigen damit die gemeinrechtliche Doktrin von der culpa-Kompensation, in welcher der Ausschluss der Haftung wegen Mitverschuldens des Geschädigten fortlebte. Erst die Möglichkeit zur anteiligen Reduktion der Ersatzpflicht wegen eines schadensträchtigen Verhaltens des Geschädigten erlaubt es, die Haftung für vorvertragliches Fehlverhalten auf alle Fälle schuldhaften Verhaltens auszudehnen. Andernfalls bestünde die im römischen Recht noch mit einem rigiden Anspruchsausschluss abgewehrte Gefahr, dass die Eigenverantwortung des Geschädigten, die er mit dem Vertragsschluss übernommen hat, zu stark vernachlässigt würde.

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Christian Wolff, Ius naturae 4.590 f. Vgl. hierzu Aumann, Das mitwirkende Verschulden in der neueren juristischen Dogmengeschichte, Hamburg 1964, S. 42 ff., Luig, Überwiegendes Mitverschulden, Ius Commune 2 (1969) 187, 231. 30

Gutgläubiger Erwerb und Rechtsgrund I. Die usucapio des römischen Rechts 1. Streit um die Putativtitelersitzung Auf die Frage nach dem Grund des Erwerbs vom Nichtberechtigten stoßen die römischen Juristen bei ihrem Streit um die Putativtitelersitzung: D 41.3.27 Ulp 31 Sab Celsus libro trigensimo quarto errare eos ait, qui existimarent, cuius rei quisque bona fide adeptus sit possessionem, pro suo usucapere eum posse nihil referre, emerit nec ne, donatum sit nec ne, si modo emptum vel donatum sibi existimaverit, quia neque pro legato neque pro donato neque pro dote usucapio valeat, si nulla donatio, nulla dos, nullum legatum sit …1 Im 34. Buch schreibt Celsus, es irrten diejenigen, die glaubten, jemand könne eine Sache für sich ersitzen, deren Besitz er in gutem Glauben erlangt habe, ohne dass es darauf ankomme, ob er sie gekauft habe oder nicht, ob sie ihm geschenkt sei oder nicht, falls er nur geglaubt habe, sie sei gekauft oder geschenkt worden, da keine Ersitzung aufgrund eines Vermächtnisses, einer Schenkung oder einer Mitgiftbestellung stattfinde, wenn keine Schenkung, keine Mitgift, kein Vermächtnis vorliege. …

Nach dem Bericht des Spätklassikers Ulpian wendet sich der Hochklassiker Celsus gegen seine Zeitgenossen, die eine Ersitzung auch in dem Fall zulassen, in dem ihr kein gültiges Erwerbsgeschäft zugrunde liegt, der Erwerber aber an ein solches glaubt. Celsus genügt die bloße Vorstellung eines Rechtsgrundgeschäfts nicht. Er verlangt, dass die besessene Sache wirklich gekauft, geschenkt, als Mitgift bestellt oder durch Vermächtnis zugewandt ist. Nicht naheliegend, aber immerhin denkbar ist, dass er damit lediglich die Vornahme des Geschäfts und nicht auch seine Gültigkeit fordert. Die Quellen, aus denen sich die Ansicht von Celsus’ Gegnern ergibt, zeigen jedoch, dass diese die Ersitzung zuweilen zwar aufgrund eines unwirksamen Geschäfts, zuweilen aber auch ganz ohne Rechtsgrund zulassen, was wahrscheinlich macht, dass auch Celsus sich gegen beides wendet und die Ersitzung nur aufgrund eines gültigen Erwerbsgeschäfts zulässt: a) Proculus und die Mitgift ohne Ehe Die früheste und zugleich reichste Quelle für die Ersitzung ohne Rechtsgrund bildet eine Entscheidung von Proculus, Vorgänger von Celsus und Gründer der nach ihm benannten Rechtsschule: 1

Zum Fortgang des Fragments s. u. S. 66.

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D 23.3.67 Proc 7 epist Proculus Nepoti suo salutem. ancilla quae nupsit dotisque nomine pecuniam viro tradidit, sive sciat se ancillam esse sive ignoret, non poterit eam pecuniam viri facere eaque nihilo minus mansit eius cuius fuerat antequam eo nomine viro traderetur, nisi forte usucapta est. nec postea quam apud eundem virum libera facta est, eius pecuniae causam mutare potuit. itaque nec facto quidem divortio aut dotis iure aut per condictionem repetere recte potest, sed is cuius pecunia est recte vindicat eam. quod si vir eam pecuniam pro suo possidendo usucepit, scilicet quia existimavit mulierem liberam esse, propius est, ut existimem eum lucrifecisse, utique si, antequam matrimonium esse inciperet, usucepit. et in eadem opinione sum, si quid ex ea pecunia paravit, antequam ea dos fieret, ita, ut nec possideat eam nec dolo fecerit, quo minus eam possideret. Proculus grüßt seinen Nepos. Eine Sklavin, die geheiratet und als Mitgift ihrem Mann Geld gegeben hat, kann ihn nicht zum Eigentümer des Geldes machen, sei es, dass sie wusste, dass sie Sklavin war, sei es, dass sie es nicht wusste; und das Geld ist nach wie vor im Eigentum desjenigen, dem es früher gehörte, bevor es aus diesem Grund dem Mann gegeben wurde, falls es nicht etwa ersessen worden ist. Und auch, nachdem sie bei dem Mann freigeworden war, konnte sie an der Rechtslage des Geldes nichts ändern. Daher kann sie es nach der Scheidung weder nach dem Recht der Mitgift noch mit der Kondiktion zurückfordern, sondern derjenige, dem das Geld gehört, vindiziert es erfolgreich. Hat aber der Mann das Geld, indem er es als eigenes besaß, ersessen, und zwar weil er glaubte, die Frau sei frei, so ist besser, dass er auf diese Weise jedenfalls dann bereichert wird, wenn er es ersessen hat, bevor die Ehe wirksam geworden ist. Und dasselbe gilt nach meiner Ansicht, wenn er etwas mit diesem Geld gekauft hat, bevor es zur Mitgift wurde, so dass er es nicht mehr besitzt und auch nicht mit Arglist bewirkt hat, dass er es nicht mehr besitzt.

Proculus befasst sich mit dem Fall, dass jemand eine Sklavin geheiratet und von ihr Geld als Mitgift bekommen hat. Diese Leistung ist gleich in zweifacher Hinsicht mangelhaft: Einerseits kann die Sklavin kein Eigentum an dem Geld übertragen, das nicht ihr, sondern einem Dritten gehören muss. Andererseits besteht kein Rechtsgrund für die angestrebte Übereignung, weil die Sklavin keine gültige Ehe eingehen kann, die wiederum Voraussetzung für die wirksame Bestellung einer Mitgift ist. Dementsprechend steht dem Eigentümer des Geldes die Vindikation gegen den Ehemann zu. Die Frau kann es, auch wenn sie später freigekommen und von dem Mann geschieden worden ist, weder mit der Mitgiftklage noch mit der Kondiktion zurückfordern. Beiden Klagen steht der mangelnde Eigentumserwerb durch den Ehemann entgegen,2 der sich nur durch Ersitzung vollziehen kann. Wird die Ersitzung nach Konvaleszenz der Ehe infolge einer Freilassung der Frau vollendet, bewirkt die zugleich eingetretene Heilung der Dotalvereinbarung, dass das Geld in die Mitgift fällt und daher von der Frau nach Scheidung der Ehe mit der Mitgiftklage zurückverlangt werden kann. Diese Entscheidung, die Proculus nur andeutet, indem er zweimal einen Vorbehalt für diesen Fall macht und ihn beim zweiten Mal so beschreibt, dass das Geld zur Mitgift wird (antequam ea dos fieret),3 2 Bauer, Ersitzung und Bereicherung im klassischen römischen Recht, Berlin 1988, S. 147 f. 3 Bauer (Fn. 2), S. 149 f.

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folgt der Regel für die Ersitzung bei gültigem Rechtsgrund: Mit Vollendung der Ersitzung wird die ersessene Sache so behandelt, als sei sie von dem nichtberechtigten Veräußerer übereignet worden.4 Dies bedeutet bei einer vorangehenden Verpflichtung des Veräußerers aus Stipulation, dass Befreiung eintritt,5 und beim Kaufvertrag, dass der Verkäufer, der dem Käufer die Ersitzung der Kaufsache ermöglicht hat, fortan nicht mehr für die Eviktion der Sache einzustehen hat6. Dem Fall der Mitgiftbestellung besonders nahe liegt die Schenkung von Todes wegen, durch die der Beschenkte zum Eigentümer der übergebenen Sache, aber ebenso wie ein Ehemann einem potentiellen Rückgewähranspruch ausgesetzt wird, falls sich der Schenker erholt und die Todesgefahr gebannt ist. Gehört die geschenkte Sache einem Dritten, verliert der Eigentümer mit Vollendung der Ersitzung seinen Herausgabeanspruch gegen den Beschenkten; und der Schenker kann sie, wenn er dem Tode entrinnt, kondizieren: D 39.6.13pr Iul 17 dig Si alienam rem mortis causa donavero eaque usucapta fuerit, verus dominus eam condicere non potest, sed ego, si convaluero. Habe ich eine fremde Sache von Todes wegen geschenkt und ist sie ersessen worden, kann der wahre Eigentümer sie nicht mehr kondizieren, sondern ich kann es, wenn ich mich erholt habe.

Als Urheber des Vermögenszuwachses, den der Beschenkte durch Ersitzung erlangt hat, gilt nämlich der Veräußerer, der ihm die occassio usucapionis hat zuteil werden lassen:7 D 39.6.33 Paul 4 Plaut Qui alienam rem mortis causa traditam usucepit, non ab eo videretur cepisse, cuius res fuisset, sed ab eo, qui occasionem usucapionis praestitisset. Wer eine Sache ersitzt, die ihm von Todes wegen übergeben worden ist, wird nicht so angesehen, als habe er sie von demjenigen erlangt, dem sie gehörte, sondern von demjenigen, der die Gelegenheit zur Ersitzung geboten hat.

Der Ausgleich mit dem früheren Eigentümer, der seine Sache durch die Ersitzung verloren hat, vollzieht sich in dessen Verhältnis zu dem Veräußerer. Er hat dem Eigentümer den Wert der Sache aufgrund der Kondiktion wegen rechtswidrigen 4

Ausführlich Bauer (Fn. 2), S. 22 ff. D 17.1.47.1 Pomp 3 Plaut: Si is, qui pro te hominem dare fideiussit, alienum hominem stipulatori dederit, nec ipse liberatur nec te liberat et ideo mandati actionem tecum non habet. sed si stipulator eum hominem usuceperit, dicendum esse Iulianus ait liberationem contingere: eo ergo casu mandati actio post usucapionem demum tecum erit. Mit liberatio ist hier nicht lediglich die Gewährung einer exceptio doli, sondern gemeint, dass Bürge und Hauptschuldner ipso iure frei werden; vgl. Bauer (Fn. 2), S. 15. Zur datio in solutum vgl. D 46.3.60 Paul 4 Plaut: Is, qui alienum hominem in solutum dedit, usucapto homine liberatur. 6 D 21.2.54pr Gai 28 ed prov: Qui alienam rem vendidit, post longi temporis praescriptionem vel usucapionem desinit emptori teneri de evictione. 7 Vgl. Bauer (Fn. 2), S. 39. 5

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Eingriffs zu ersetzen, die immer dann zuständig ist, wenn sich etwas aus unrechtem Grund bei einem anderen befindet:8 D 12.5.6 Ulp 18 Sab Perpetuo Sabinus probavit veterum opinionem existimantium id, quod ex iniusta causa apud aliquem sit, posse condici: in qua sententia etiam Celsus est. Stets hat Sabinus die Meinung der Juristen der Republik geteilt, die glaubten, dass kondiziert werden könne, was aus einem ungerechten Grund bei jemandem sei. Dieser Ansicht ist auch Celsus.

Diese Kondiktion greift insbesondere im Fall einer nicht mehr rückgängig zu machenden Veräußerung ein, wenn der Veräußerer hierdurch einen bleibenden Vorteil erlangt hat: D 12.1.23 Afr 2 quaest Si eum servum, qui tibi legatus sit, quasi mihi legatum possederim et vendiderim, mortuo eo posse te mihi pretium condicere Iulianus ait, quasi ex re tua locupletior factus sim. Habe ich den Sklaven, der dir vermacht ist, als mir hinterlassen besessen und verkauft, kannst du nach seinem Tod, wie Julian sagt, von mir seinen Wert kondizieren, weil ich aus deinem Vermögen bereichert bin.

Ein solcher Ausgleich im Deckungsverhältnis zwischen ehemaligem Eigentümer und Veräußerer ist auch möglich, wenn der Ersitzung durch den Erwerber kein gültiges Rechtsgeschäft zugrunde liegt. In der von Proculus behandelten Konstellation der Mitgiftbestellung durch eine Sklavin kann es hierzu kommen, wenn die Ersitzungszeit abgelaufen ist, bevor die Sklavin die Freiheit erlangt und hiermit sowohl die Ehe als auch die Dotalvereinbarung konvaleszieren. Proculus’ Antipode Cassius, Mitbegründer der sabinianischen Rechtsschule, verneint in einem solchen Fall die Ersitzung mit derselben Begründung, die später Celsus für seine generelle Entscheidung gegen die Putativtitelersitzung gibt: quia nulla dos sit – ohne gültige Mitgiftbestellung kann es keine Ersitzung geben: D 41.9.1.3, 4 Ulp 31 Sab Constante autem matrimonio pro dote usucapio inter eos locum habet, inter quos est matrimonium: ceterum si cesset matrimonium, Cassius ait cessare usucapionem, quia et dos nulla sit. (4) Idem scribit et si putavit maritus esse sibi matrimonium, cum non esset, usucapere eum non posse, quia nulla dos sit: quae sententia habet rationem. Bei bestehender Ehe findet die Ersitzung aufgrund einer Mitgiftbestellung unter denjenigen statt, zwischen denen die Ehe besteht. Dagegen scheide eine Ersitzung, wie Cassius sagt, aus, wenn die Ehe nicht bestehe, weil auch keine Mitgift bestehen könne. (4) Derselbe schreibt, dass der Ehemann, auch wenn er glaube, dass die Ehe bestehe, während dies in Wirklichkeit nicht der Fall sei, nicht ersitzen könne, weil keine Mitgift bestehen könne. Diese Ansicht ist richtig.

8 Hierzu eingehend Harke, Das klassische römische Kondiktionensystem, IVRA 54 (2003) 49, 68 ff.

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Anders entscheidet Proculus: Er gestattet dem Ehemann, der das von der Sklavin gezahlte Geld in der Annahme erlangt hat, er sei gültig verheiratet und mit einer Mitgift ausgestattet, auch ohne Rechtsgrund die Ersitzung. Und er sieht ihn als endgültig bereichert an, wenn die Ersitzungszeit noch vor Heilung von Ehe und Dotalvereinbarung abgelaufen ist. Anders als bei Vollendung der Ersitzung nach Wirksamkeit der Ehe kann der Betrag, an dem der Ehemann schon vorher das Eigentum erworben hat, nicht so angesehen werden, als sei er als Mitgift erlangt,9 weshalb der freigewordenen Sklavin im Fall der Scheidung auch nicht die Mitgiftklage zu seiner Rückgewähr zusteht. Denkbar ist nur, dass sie oder ihr früherer Gewalthaber, die beide dem ehemaligen Eigentümer des Geldes mit der Eingriffskondiktion haften könnten, nun ihrerseits einen Anspruch gegen ihren Ehemann wegen rechtsgrundloser Leistung haben. Ein naheliegender Einwand gegen eine solche Lösung scheint zu sein, dass mit der Gewährung des Kondiktionsanspruchs die sachenrechtliche Entscheidung für den Eigentumserwerb des Ehemannes wieder umgekehrt würde.10 Doch lassen sich zumindest spätere Juristen nicht von dieser Konsequenz abschrecken.11 Eher in Betracht kommt daher die Erklärung, dass Proculus für einen Rückgewähranspruch schlicht dessen Tatbestand vermisst: Eine datio sine causa, wie sie spätestens seit Javolen Voraussetzung der Leistungskondiktion ist,12 lässt sich nur dann annehmen, wenn der durch Ersitzung bewirkte Erwerb dem durch traditio hinreichend ähnelt, weil er ebenso wie dieser durch eine wirksame Vereinbarung über den Rechtsgrund getragen ist. Fehlt es an einer solchen, weil sie mangels Konvaleszenz der Ehe ungeheilt geblieben ist, liegt überhaupt keine Leistung vor, die der condictio indebiti zugänglich wäre. Und auch eine Eingriffskondiktion kommt nicht in Betracht, weil dem Ehemann die Sache ja übergeben wurde und er sich sie nicht durch rechtswidrigen Zugriff auf das Vermögen des Eigentümers verschafft hat. Eine Verwendungskondiktion, die in Proculus’ Fall eingreifen könnte, kennen die römischen Juristen noch nicht. b) Neraz, Julian und der error in facti alieni Proculus’ Ansicht findet Gefolgschaft bei einem seiner Nachfolger im Vorstand derselben Rechtsschule. Anders als ihr letztes Oberhaupt Celsus lässt dessen unmittelbarer Vorgänger Neraz ebenfalls die Ersitzung einer Sache ohne gültiges Erwerbsgeschäft zu. Von den beiden einschlägigen Entscheidungen betrifft eine freilich

9

Vgl. Bauer (Fn. 2), S. 148 f., 151. Für ausschlaggebend hält dies Bauer (Fn. 2), S. 131, 164, die sich aber gegen die Vorstellung wendet, die römischen Juristen hätten, außer an den Erwerber der Sache zu denken, auch Rücksicht auf einem möglichen Zweiterwerber, also den Rechtsverkehr insgesamt, genommen (S. 138 ff.). 11 Vgl. D 12.6.15.1 Paul 10 Sab; s. u. S. 69. 12 Vgl. hierzu und zur Konkurrenzlehre Pomponius’ und Paulus’ Harke, IVRA 54 (2003) 49 ff. 10

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nicht den Erwerb einer fremden Sache, sondern die Übergabe einer eigenen Sache des Veräußerers: D 41.10.3 Pomp 22 Sab Hominem, quem ex stipulatione te mihi debere falso existimabas, tradidisti mihi: si scissem mihi nihil debere, usu eum non capiam: quod si nescio, verius est, ut usucapiam, quia ipsa traditio ex causa, quam veram esse existimo, sufficit ad efficiendum, ut id quod mihi traditum est pro meo possideam. et ita Neratius scripsit idque verum puto. Du hast mir einen Sklaven gegeben, von dem glaubtest, ihn mir aus einem Versprechen zu schulden. Habe ich gewusst, dass du mir nichts schuldest, ersitze ich ihn nicht. Habe ich es aber nicht gewusst, ist es besser, wenn ich ersitze, weil die Übergabe aus einem Rechtsgrund, den ich für gültig halte, genügt, um zu bewirken, dass ich das, was mir übergeben ist, für mich besitze. So schreibt Neraz; und ich halte dies für richtig.

Hat jemand einen Sklaven in der Fehlannahme übergeben, ihn kraft einer Stipulation zu schulden, kann der Empfänger hieran kein Eigentum erlangen, wenn er von dem Mangel der Verpflichtung gewusst und damit durch die Annahme des Sklaven ein furtum begangen hat13. Ist er dagegen ebenso wie der Veräußerer von einer Stipulationsschuld zur Übereignung des Sklaven ausgegangen, soll er ihn nach Ansicht von Neraz und des ihn zitierenden Pomponius ersitzen können. Denkbar ist, dass Neraz hierin gar keine Putativtitelersitzung gesehen hat, weil der Sklave ja solvendi causa übergeben worden ist. Bei der Übergabe einer res nec mancipi bewirkt die Solutionsabrede den Eigentumsübergang ähnlich einem Vergleich abstrakt und ohne Rücksicht auf den Bestand der zugrunde liegenden Verpflichtung.14 Ebenso könnte auch bei der Übergabe einer res mancipi die Ersitzung pro soluto und damit gerade aufgrund eines gültigen und nicht etwa eines scheinbaren Erwerbsgeschäfts stattfinden. Die Begründung, die Pomponius für die Ersitzung gibt, spricht jedoch klar für eine andere Deutung: Soll sich die Ersitzung aus einem Rechtsgrund ergeben, den der Erwerber irrtümlich für wahr hält (ex causa quam veram esse existimo), kann damit nicht die wirklich getroffene Solutionsabrede, sondern nur die fehlende Stipulationsverpflichtung gemeint sein. Zumindest für die usucapio lassen Neraz und Pomponius also nicht genügen, dass eine Sache mit Erfüllungsabrede übergeben wird.15 Grundlage der Ersitzung ist statt dessen die Fehlvorstellung des Erwerbers über die Stipulation, die selbst das maßgebliche Erwerbsgeschäft ist.16 Liefert die Verpflichtung im Normalfall den Rechtsgrund für die Ersitzung, lassen Neraz und 13 Hierzu Harke, Das römische furtum als Eigentums- und Vermögensdelikt, in: Hilgendorf/Weitzel (Hg.), Der Strafgedanke in seiner Entwicklung, Berlin 2007, S. 9 ff. 14 Kaser, Zur iusta causa traditionis, BIDR 64 (1961) 69, 72 ff. 15 Insoweit richtig Hausmaninger, Die bona fides des Ersitzungsbesitzers im klassischen römischen Recht, Wien/München 1964, S. 47 und Bauer (Fn. 2), S. 127 f. 16 Entgegen Hausmaninger (Fn. 14), S. 48, 54 qualifizieren die Juristen die hieran geknüpfte Ersitzung nicht als eine solche pro suo, sondern sie sprechen nur davon, dass der Erwerber die Sache pro suo besitzt, was bedeutet, dass er sie ersitzt; vgl. Jakobs, Error falsae causae, in: ders. (Hg.), Festschrift für Flume, Köln 1978, Bd. 1, S. 43, 49 und Bauer (Fn. 2), S. 128 f.

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Pomponius genügen, dass der Erwerber an die Existenz der Stipulationsschuld glaubt. Im Gegensatz zu Proculus gibt Neraz keinen Hinweis darauf, ob er den Erwerb der Sache für kondiktionsfest hält. Die überlieferte Fassung des Fragments, das bei Pomponius ursprünglich dem Themengebiet der condictio zugeordnet war,17 legt jedoch nahe, dass Neraz und Pomponius die Rechtsstellung des Erwerbers ebenso wie Proculus für unangreifbar halten.18 Die Entscheidung für die Ersitzung wäre sonst nur die halbe Wahrheit, weil sie bloß bedeutete, dass der Erwerber statt der Vindikation künftig der Kondiktion des Veräußerers ausgesetzt ist. Anders als in Proculus’ Dreiecksverhältnis, in dem mit dem Übergang von der dinglichen zur schuldrechtlichen Klage auch ein Wechsel der Passivlegitimation verbunden wäre, gäbe es in Neraz’ Zweipersonenkonstellation, in der der Veräußerer eine eigene Sache übergibt, dann gar keinen Grund, die Ersitzung überhaupt zuzulassen. Um die Veräußerung einer fremden Sache geht es in Neraz’ anderer Entscheidung: D 41.10.5 Ner 5 membr Usucapio rerum, etiam ex aliis causis concessa interim, propter ea, quae nostra existimantes possideremus, constituta est, ut aliquis litium finis esset. (1) Sed id, quod quis, cum suum esse existimaret, possederit, usucapiet, etiamsi falsa fuerit eius existimatio. quod tamen ita interpretandum est, ut probabilis error possidentis usucapioni non obstet, veluti si ob id aliquid possideam, quod servum meum aut eius, cuius in locum hereditario iure successi, emisse id falso existimem, quia in alieni facti ignorantia tolerabilis error est. Damit Streitigkeiten ein Ende finden, ist die Ersitzung von Sachen, die zwischenzeitlich auch aus anderen Gründen gestattet worden ist, in dem Fall zugelassen worden, dass wir sie in dem Glauben besitzen, sie gehörten uns. (1) Aber das, was jemand in dem Glauben besitzt, es gehöre ihm, ersitzt er auch dann, wenn diese Annahme falsch war. Was so zu verstehen ist, dass ein entschuldbarer Irrtum des Besitzers der Ersitzung nicht entgegensteht, wie zum Beispiel, wenn ich eine Sache deshalb besitze, weil ich zu Unrecht glaube, dass sie mein Sklave oder derjenige gekauft hat, dessen Rechtsnachfolge ich nach Erbrecht angetreten habe; denn die Unkenntnis über fremdes Handeln ist ein entschuldbarer Irrtum.

Neraz lässt die Ersitzung, der er Befriedungsfunktion attestiert, immer dann zu, wenn sich der Besitzer in einem error probabilis über sein fehlendes Eigentum befindet. Dass damit nicht bloß die Fehlvorstellung über die Berechtigung des Veräußerers, sondern auch ein Irrtum über die Existenz eines Erwerbsgeschäfts gemeint ist, zeigen die folgenden Beispiele: Besitzt jemand eine Sache in der Annahme, sie sei von seinem Sklaven oder dem Erblasser gekauft, dessen Rechtsnachfolger der Besitzer geworden ist, soll er sie ersitzen können, weil eine ignorantia in facti alieni verzeihlich sei. Neraz geht damit einerseits über Proculus’ Entscheidung deutlich hinaus, indem er die Ersitzung in einer Konstellation zulässt, in der es überhaupt nicht zur Vornahme eines Erwerbsgeschäfts gekommen ist, der Besitzer 17 18

Vgl. Lenel, Palingenesia iuris civilis, Bd. 2, Sp. 131, Pomp 696. Richtig Bauer (Fn. 2), S. 130 ff.

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sich dieses vielmehr nur aufgrund der Darstellung eines anderen einbildet. Andererseits präzisiert Neraz die Voraussetzungen der Ersitzung ohne gültiges Erwerbsgeschäft insofern, als er einen error probabilis verlangt und diesen auf ein factum bezieht. Dass ein error iuris keine Grundlage für die Ersitzung bildet, sagt Neraz ausdrücklich in einem weiteren Fragment aus demselben Buch seiner libri membranarum:19 D 22.6.2 Ner 5 membr In omni parte error in iure non eodem loco quo facti ignorantia haberi debebit, cum ius finitum et possit esse et debeat, facti interpretatio plerumque etiam prudentissimos fallat. In keinem Rechtsgebiet darf der Rechtsirrtum der Tatsachenunkenntnis gleich geachtet werden, da das Recht abgeschlossen sein kann und muss, während bei der Ermittlung von Tatsachen meist sogar sehr erfahrene Menschen irren.

Mit Bezug auf die Ersitzung finden sich error iuris und error facti später bei Pomponius regelrecht gegenübergestellt: D 22.6.4 Pomp 13 Sab Iuris ignorantiam in usucapione negatur prodesse: facti vero ignorantiam prodesse constat. Anerkanntermaßen nützt bei der Ersitzung die Rechtsunkenntnis nicht, die mangelnde Kenntnis von Tatsachen dagegen schon.

Von Pomponius erfahren wir auch, dass schon Proculus in einem Fall von Rechtsirrtum die Ersitzung versagt hat: D 41.3.31pr [Paul] 32 Sab Numquam in usucapionibus iuris error possessori prodest: et ideo Proculus ait, si per errorem initio venditionis tutor pupillo auctor factus sit vel post longum tempus venditionis peractum, usucapi non posse, quia iuris error est. Bei der Ersitzung nützt ein Rechtsirrtum niemals. Und deshalb sagt Proculus, dass, wenn ein Vormund aus Irrtum bei einem Verkauf dem Mündel die Genehmigung erteilt hat, selbst wenn viel Zeit nach dem Kauf verstrichen sei, nicht ersessen werden könne, weil ein Rechtsirrtum vorgekommen ist.

Neraz begründet die Irrelevanz des Rechtsirrtums mit dem Postulat eines ius finitum. Der individuellen Fehlvorstellung über Rechtsfragen soll kein Spielraum eröffnet werden, weil sich sonst die fehlerhafte Rechtsansicht im Wege der Ersitzung selbst durchsetzte. Zudem lässt sie sich anders als ein Tatsachenirrtum auch stets behaupten und schlösse, wenn man sie für beachtlich hielte, dann leicht den Vorsatz des Besitzers aus. Nur dieser und nicht die bloße Fahrlässigkeit verhindert aber die Ersitzung.

19 Dass Neraz die Ersitzungsfrage mit der Unterscheidung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtum verknüpft hat, meint auch Mayer-Maly, Das Putativtitelproblem bei der usucapio, Graz/Köln 1962, S. 66.

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Dass freilich auch nicht jeder Tatsachenirrtum hinreicht, um die Ersitzung zu begründen, zeigt das folgende Zitat von Neraz bei Paulus: D 41.4.2.6 Paul 54 ed Cum Stichum emissem, Dama per ignorantiam mihi pro eo traditus est. Priscus ait usu me eum non capturum, quia id, quod emptum non sit, pro emptore usucapi non potest: … Während ich Stichus gekauft habe, ist mir statt seiner ohne mein Wissen Dama übergeben worden. Priscus hat geschrieben, dass ich ihn nicht ersitze, weil man das, was nicht gekauft ist, nicht wie ein Käufer ersitzen könne. …

Die Übergabe des falschen Leistungsgegenstands eröffnet auch dann, wenn sie per ignorantiam erfolgt, nicht dessen Ersitzung: Der Käufer, der den Sklaven Stichus gekauft hat, weiß, dass er keinen Anspruch auf den übergegebenen Dama hat. Zwar kommt es nicht auf Existenz und Gültigkeit des Kaufvertrags an, so dass die Ersitzung nicht etwa daran scheitert, dass der übergebene Sklave nicht Gegenstand eines wirksamen Kaufvertrags war. Dass ein solcher tatsächlich abgeschlossen wurde und auf Stichus gerichtet war, macht den Käufer jedoch bösgläubig. Er könnte zwar im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Kaufvertrags den Stichus ersitzen, wenn der Vertrag in Wahrheit ungültig ist. Er kann jedoch nicht einen anderen Sklaven behalten, der weder in der Realität noch nach seiner Vorstellung verkauft ist. Leuchtet die Unterscheidung zwischen Rechts- und Tatsachenirrtum unmittelbar ein, ist nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen, warum ein Irrtum über den Erwerb durch einen Sklaven oder Erblasser die Ersitzung eröffnen soll. Im Fall der Erbfolge kann Neraz damit nicht die Fortsetzung einer schon durch den Erblasser begonnenen Ersitzung meinen; denn diese wäre ja daran gescheitert, dass der Erblasser den Mangel des Erwerbsgeschäfts kannte und daher selbst keinen Ersitzungsbesitz erlangen oder vermitteln konnte. Im Fall des Sklaven muss man unterstellen, dass der Besitzerwerb des Eigentümers nicht schon vorher dadurch stattgefunden hat, dass dem Sklaven eine entsprechende Ermächtigung erteilt worden ist;20 denn ansonsten scheiterte die Ersitzung nach einer zumindest für Celsus belegten Regel daran, dass Kenntnis des Sklaven von der wahren Herkunft der Sache auch den Besitz seines Herrn fehlerhaft macht.21 Eine durch eigenen Besitzerwerb ausgelöste Ersitzung kommt für den Erben oder den Eigentümer des Sklaven zudem nur dann in Betracht, wenn die Sache nicht Gegenstand eines furtum und damit von vornherein der Ersitzung unfähig war. Damit scheidet jede Form der Unterschlagung aus; und als denkbare Fälle eines ersitzungsbegründenden error in facti alieni bleiben nur Konstellationen übrig, in denen der Sklave oder Erblasser die Sache durch ein anderes als das von dem Besitzer angenommene Geschäft erworben haben oder ihnen die Sache zu einem anderen 20 Hiermit erledigt sich dann auch der unhaltbare Interpolationsverdacht von Bauer (Fn. 2), S. 82 ff. 21 D 41.4.2.11 Paul 54 ed: Celsus scribit, si servus meus peculiari nomine apiscatur possessionem, id etiam ignorantem me usucapere: quod si non peculiari nomine, non nisi scientem me: et si vitiose coeperit possidere, meam vitiosam esse possessionem.

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Zweck, insbesondere im Rahmen einer Leihe, übergeben worden ist und sie selbst diesem Zweck nicht zuwidergehandelt haben, der Sklaveneigentümer oder Erbe sich aber in Unkenntnis dieses Zwecks hierüber hinweggesetzt hat. In beiden Fällen kommt es beim Sklaven oder Erblasser mangels Zueignung und beim Sklaveneigentümer oder Erben mangels Vorsatzes nicht zu einem furtum. Ist die Ersitzung damit nicht von vornherein ausgeschlossen, gestattet Neraz sie dem Besitzer, wenn er bei der Übergabe der Sache in entschuldbarer Weise an deren vorherigen Kauf durch seinen Sklaven oder Rechtsvorgänger glaubte. Julian, letztes Oberhaupt der sabinianischen Rechtsschule, teilt Neraz’ Ansicht und fügt als weiteren Fall eines error in facti alieni noch die Fehlvorstellung eines Kaufs durch einen procurator hinzu: D 41.4.11 Afr 7 quaest Quod volgo traditum est eum, qui existimat se quid emisse nec emerit, non posse pro emptore usucapere, hactenus verum esse ait, si nullam iustam causam eius erroris emptor habeat: nam si forte servus vel procurator, cui emendam rem mandasset, persuaserit ei se emisse atque ita tradiderit, magis esse, ut usucapio sequatur. Die gängige Regel, dass derjenige nicht wie ein Käufer ersitzen könne, der etwas nicht gekauft habe, sondern bloß glaube, es gekauft zu haben, ist, wie er schreibt, nur insoweit richtig, als der Käufer für seinen Irrtum keinen hinreichenden Grund hat. Denn wenn etwa ein Sklave oder Verwalter, dem er den Kauf einer Sache aufgetragen habe, ihn davon überzeugt habe, dass er sie gekauft habe, und sie ihm so übergebe, sei besser, dass die Ersitzung stattfinde.

Anders als Neraz stellt Julian die Unzulässigkeit der Putativtitelersitzung als vulgo traditum dar. Er verkehrt diese Regel jedoch stillschweigend in ihr Gegenteil, indem er sie nur dann gelten lässt, wenn sich der Besitzer nicht auf einen nachvollziehbaren Irrtum berufen kann. Hat er eine iusta causa erroris, die seinen Irrtum zu einem error probabilis im Sinne von Neraz macht,22 kann er eine Sache, die in Wahrheit überhaupt nicht gekauft wurde, wie ein Käufer ersitzen.23 Als Beispiel nennt Julian ebenso wie Neraz den Fall, dass ein Sklave des Besitzers diesem vorgegeben hat, die Sache gekauft zu haben; und er stellt diesem Verhalten das eines rechtlich selbständigen Vertreters an die Seite. Ebenso wie beim Sklaven lässt auch hier das Ersitzungshindernis des furtum wenig Raum für eine usucapio durch den 22 Die inhaltliche Kongruenz der Aussagen der beiden Klassiker stellt auch Mayer-Maly (Fn. 18), S. 114 heraus. 23 Entgegen Hausmaninger (Fn. 14), S. 56 kann man nicht sagen, dass Julian insofern über Neraz hinausgeht, als er dem Besitzer den Titel pro emptore zugesteht. Wie sich an dem folgenden Fragment zeigt, sind pro possessore und pro emptore für Julian keine Ersitzungs-, sondern Besitzarten, wobei der Besitz pro possessore keine Ersitzung ermöglicht, der Besitz pro emptore dagegen schon: D 41.3.33.1 Iul 44 dig: Quod vulgo respondetur ipsum sibi causam possessionis mutare non posse, totiens verum est, quotiens quis scieret se bona fide non possidere et lucri faciendi causa inciperet possidere: idque per haec probari posse. si quis emerit fundum sciens ab eo, cuius non erat, possidebit pro possessore: sed si eundem a domino emerit, incipiet pro emptore possidere, nec videbitur sibi ipse causam possessionis mutasse. idemque iuris erit etiam, si a non domino emerit, cum existimaret eum dominum esse.

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Besitzer, so dass es abermals nur um die Konstellation gehen kann, dass der Gehilfe des Besitzers die Sache aufgrund eines anderen als des angegebenen Geschäfts erlangt oder geliehen und sich selbst nicht über den Leihvertrag hinweggesetzt hat. Julians Lösung des Sklavenfalles scheint auf den ersten Blick seiner Entscheidung in einem Fragment zu widersprechen, das in der justinianischen Kompilation unmittelbar vorangeht: D 41.4.10 Iul 2 Min Servus domino ancillam, quam subripuerat, pro capite suo dedit: ea concepit: quaesitum est, an dominus eum partum usucapere possit. respondit: hic dominus quasi emptor partum usucapere potest, namque res ei abest pro hac muliere et genere quodammodo venditio inter servum et dominum contracta est. Ein Sklave hat seinem Eigentümer, um frei zu werden, eine Sklavin gegeben, die er selbst gestohlen hat; und diese hat ein Kind geboren. Es ist gefragt worden, ob der Eigentümer das Kind ersitzen könne. Er hat befunden: Dieser Eigentümer kann das Kind gleichsam als Käufer ersitzen, denn im Gegenzug für den Erhalt der Frau entgeht ihm etwas; und es ist gewissermaßen ein Kaufvertrag zwischen dem Sklaven und dem Eigentümer geschlossen worden.

Julian lässt die Ersitzung eines Sklavenkinds zu, wenn der Besitzer seine Mutter dadurch erlangt hat, dass ein ehemaliger Sklave sie gestohlen und ihm zur Erlangung seiner Freiheit geleistet hat: Zwar ist eine Ersitzung der Sklavin selbst wegen des Diebstahls ausgeschlossen; der Makel des furtum setzt sich jedoch an dem Kind zumindest dann nicht fort, wenn die Sklavin bei ihrer Entwendung noch nicht schwanger war24. Der ehemalige Eigentümer des diebischen Sklaven soll es kraft einer quasi emptio ersitzen können, weil er ähnlich wie ein Käufer seinerseits etwas aufgegeben hat, als er den Sklaven Zug um Zug gegen Übergabe der Sklavin freigelassen hat.25 Mit dieser Entscheidung setzt sich Julian allerdings in Gegensatz zu Sabinus und Cassius, die eine Leistung zum Zwecke der Freilassung nicht hinreichen lassen, um den Mangel des Besitzerwerbs durch den Sklaven zu überwinden: D 41.3.4.16, 17 Paul 54 ed De illo quaeritur, si servus meus ancillam, quam subripuit, pro libertate sua mihi dederit, an partum apud me conceptum usucapere possim. Sabinus et Cassius non putant, quia possessio, quam servus vitiose nanctus sit, domino noceret, et hoc verum est. (17) Sed et si, ut servum meum manumitterem, alius mihi furtivam ancillam dederit eaque apud me conceperit et pepererit, usu me non capturum. idemque fore etiam, si quis eam ancillam mecum permutasset aut in solutum dedisset, item si donasset.

24 Dies ergibt der Gegenschluss aus D 1.5.26 Iul 69 dig: Qui in utero sunt, in toto paene iure civili intelleguntur in rerum natura esse. … praeterea si ancilla praegnas subrepta fuerit, quamvis apud bonae fidei emptorem pepererit, id quod natum erit tamquam furtivum usu non capitur … 25 Das Fragment D 41.4.9 Iul 3 Urs Fer ungeachtet seiner abweichenden Inskription eine Kurzzusammenfassung von D 41.4.10 sein: Qui ob pactionem libertatis ancillam furtivam a servo accepit, potest partum eius quasi emptor usucapere.

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Es ist umstritten, ob ich, wenn ein Sklave mir im Gegenzug zu seiner Freilassung eine von ihm gestohlene Sklavin gibt, ein bei mir empfangenes Kind dieser Sklavin ersitzen kann. Sabinus und Cassius glauben dies nicht, weil der von dem Sklaven mangelhaft erlangte Besitz auch seinem Eigentümer schadet; und dies ist richtig. (17) Aber auch wenn ein Dritter mir, damit ich meinen Sklaven freilasse, eine gestohlene Sklavin gegeben hat und diese bei mir ein Kind empfangen und geboren hat, kann ich es nicht ersitzen. Dasselbe gilt, wenn jemand diese Sklavin mit mir getauscht oder sie an Erfüllungs Statt geleistet oder mir geschenkt hat.

Sabinus, Cassius und Paulus lehnen eine Ersitzung nicht nur in dem von Julian gar nicht behandelten Fall ab, dass der Besitzer die gestohlene Sklavin nicht erst mit Übergabe durch seinen Sklaven, sondern schon vorher durch diesen besitzt.26 Sie verneinen die Ersitzung auch dann, wenn die gestohlene Sklavin von einem Dritten stammt, der dem Besitzer vorher keinen Besitz vermitteln konnte. Dies kann nur daran liegen, dass diese Juristen die Übergabe der Sklavin im Austausch gegen die Freiheit anders als Julian, der ein kaufähnliches Geschäft erkennt, nicht als hinreichenden Erwerbsgrund ansehen.27 Stellt Julian sich auch gegen die Gründer seiner Rechtsschule, setzt er sich mit der Zulassung der Ersitzung im Fall von D 41.4.10 doch nicht in Widerspruch zu seiner eigenen Entscheidung in D 41.4.11. Dass hier bei der Ersitzung im Glauben an eine von einem Sklaven geschaffene causa nicht von dem Erfordernis einer Gegenleistung die Rede ist, wie sie durch die Freilassung erfolgt, muss keineswegs an der Verfälschung eines der beiden Texte liegen.28 Es lässt sich zwanglos aus dem Unterschied der Fallgestaltungen erklären: Der Eigentümer, der die Sklavin im Gegenzug zur Freilassung seines Sklaven erlangt, hat selbst ein Erwerbsgeschäft vorgenommen, an das wegen seiner Ähnlichkeit zum Kauf die Ersitzung ohne Weiteres anknüpfen kann.29 Ob und was für Angaben der Sklave zur Herkunft der Sklavin und des Kindes gemacht hat, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Anders verhält es sich, wenn der Sklave seinem Eigentümer eine Sache nicht gleichsam verkauft, sondern einfach übergeben hat. Hier kann das Erwerbsgeschäft nicht mit dem Sklaven selbst, vielmehr nur mit einem Dritten vorgenommen worden sein; und es kommt nun darauf an, ob der Besitzer für die Annahme eines solchen Geschäfts in dem Bericht 26 Hierauf beziehen sich auch die in demselben Fragment überlieferten Entscheidungen Celsus’, so dass entgegen Bauer (Fn. 2), S. 75 insoweit kein Widerspruch zu Julian besteht; vgl. D 41.4.2.11, 13, 14 Paul 54 ed: Celsus scribit, si servus meus peculiari nomine apiscatur possessionem, id etiam ignorantem me usucapere: … et si vitiose coeperit possidere, meam vitiosam esse possessionem. … (13) Si servus bona fide emerit peculiari nomine … (14) Et si quod non bona fide servus meus emerit, in pactionem libertatis mihi dederit, non ideo me magis usucapturum: durare enim primam causam possessionis idem Celsus ait. 27 Richtig Sanna, L’usucapione del partus ancillae furtivae, SDHI 74 (2008) 397, 406. 28 So Bauer (Fn. 2), S. 72 ff., die eine Interpolationsannahme für den letzten Satz von D 41.4.11 aufstellt. 29 Entgegen Bauer (Fn. 2), S. 75 f. ist Julians Entscheidung daher durchaus dogmatisch zu rechtfertigen und nicht allein dadurch motiviert, dass sich die Freilassung des Sklaven nicht mehr rückgängig machen lässt.

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des Sklaven eine iusta causa erroris hat. Ebenso wie Neraz ist Julian zu deren Anerkennung eher geneigt, wenn der Irrtum ein factum alienum betrifft und in der Vorstellung eines von einem anderen vorgenommenen Erwerbsgeschäfts besteht. c) Ablehnung der Putativtitelersitzung in Spät- und Nachklassik Kann Pomponius, der in D 41.10.5 zustimmend eine Entscheidung Neraz’ zitiert, noch als Anhänger der Lehre gelten, wonach eine Ersitzung auch ohne Rechtsgrund denkbar ist, findet diese keinen Anklang mehr bei den Spätklassikern. Dass Papinian sie nicht gebilligt hat, macht ein Satzteil wahrscheinlich, den die Kompilatoren mit einer Aussage Paulus’ verbunden haben, der die Ersitzung aufgrund einer vermeintlichen Legatsschuld ablehnt:30 D 41.8.3 Pap 23 quaest non magis quam si quis emptum existimet, quod non emerit. … ebenso wenig, wie wenn jemand etwas für gekauft hält, was er nicht gekauft hat.

Papinian spricht dieselbe Sprache, derer sich auch Celsus bedient: Wer etwas nicht oder ungültig gekauft hat und sich den wirksamen Kauf nur einbildet, kann nicht ersitzen. Dass Ulpian ebenfalls dieser Auffassung ist, wird durch das Celsuszitat in D 41.3.27 belegt, das Ulpian nicht nur unwidersprochen lässt, sondern um den Fall der Zahlung einer gerichtlichen Schätzsumme ohne zugrunde liegende Schätzung ergänzt: D 41.3.27 Ulp 31 Sab … idem et in litis aestimatione placet, ut, nisi vere quis litis aestimationem subierit, usucapere non possit. … Dasselbe gilt bei der Streitschätzung, so dass jemand nicht ersitzen kann, wenn er sich nicht auf die Schätzung eingelassen hat.

Eindeutig gegen die Putativtitelersitzung bezieht auch Paulus Stellung. Von ihm stammt nicht nur eine Aussage zum Kaufvertrag, die denen von Celsus und Papinian ähnelt, sondern eine weitere, in der er die Ersitzung aufgrund einer nur vermeintlich vorgenommenen Schenkung ablehnt: D 41.4.2.2 Paul 54 ed Si sub condicione emptio facta sit, pendente condicione emptor usu non capiat. idemque est et si putet condicionem extitisse, quae nondum exstitit: similis est enim ei, qui putat se emisse. … Ist ein Kauf unter einer Bedingung abgeschlossen worden, kann der Käufer nicht ersitzen, während der Eintritt der Bedingung noch in der Schwebe ist. Dasselbe gilt auch dann, wenn er glaubt, die Bedingung, die in Wahrheit nicht erfüllt ist, sei eingetreten. Er ist nämlich demjenigen ähnlich, der nur glaubt, gekauft zu haben. … 30

Richtig Mayer-Maly (Fn. 18), S. 85.

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D 41.6.1pr Paul 54 ed Pro donato is usucapit, cui donationis causa res tradita est: nec sufficit opinari, sed et donatum esse oportet. Als Beschenkter ersitzt derjenige, dem eine Sache schenkungshalber übergeben worden ist. Und es genügt nicht, bloß an die Schenkung zu glauben, sondern es muss wirklich geschenkt worden sein.

Dass Paulus eine Ersitzung nur aufgrund eines wirksamen Erwerbsgeschäfts zulassen will, ergibt sich auch aus zwei überaus ähnlichen Textpassagen, von denen eine aus dem Ediktskommentar, die andere aus den manualia stammt: D 41.4.2pr Paul 54 ed Pro emptore possidet, qui re vera emit, nec sufficit tantum in ea opinione esse eum, ut putet se pro emptore possidere, sed debet etiam subesse causa emptionis. si tamen existimans me debere tibi ignoranti tradam, usucapies. quare ergo et si putem me vendidisse et tradam, non capies usu? scilicet quia in ceteris contractibus sufficit traditionis tempus, sic denique si sciens stipuler rem alienam, usucapiam, si, cum traditur mihi, existimem illius esse: at in emptione et illud tempus inspicitur, quo contrahitur: igitur et bona fide emisse debet et possessionem bona fide adeptus esse. Als Käufer besitzt eine Sache, wer sie wirklich gekauft hat, und es genügt nicht, dass er bloß in diesem Glauben ist, indem er annimmt, sie als Käufer zu besitzen, sondern es muss der Rechtsgrund des Kaufvertrags wirklich gegeben sein. Habe ich dir dagegen eine Sache in der Annahme übergeben, sie dir zu schulden, und hast du den Mangel des Rechtsgrunds nicht gekannt, ersitzt du. Warum also ersitzt du nicht, wenn ich glaube, eine Sache verkauft zu haben, und sie dir übergebe? Weil bei den anderen Verträgen der Zeitpunkt der Übergabe genügt und ich deshalb eine Sache, die ich mir in dem Wissen habe versprechen lassen, dass sie dem Schuldner nicht gehört, ersitze, wenn ich nur in dem Moment, in dem sie mir übergeben wird, glaube, dass sie ihm gehört. Aber beim Kauf wird auch der Zeitpunkt berücksichtigt, in dem der Vertrag geschlossen wird. Daher muss sowohl gutgläubig gekauft als auch der Besitz gutgläubig erlangt sein. D 41.3.48 Paul 2 man Si existimans debere tibi tradam, ita demum usucapio sequitur, si et tu putes debitum esse. aliud, si putem me ex causa venditi teneri et ideo tradam: hic enim nisi emptio praecedat, pro emptore usucapio locum non habet. diversitatis causa in illo est, quod in ceteris causis solutionis tempus inspicitur neque interest, cum stipulor, sciam alienum esse nec ne: sufficit enim me putare tuum esse, cum solvis: in emptione autem et contractus tempus inspicitur et quo solvitur: nec potest pro emptore usucapere, qui non emit, nec pro soluto, sicut in ceteris contractibus. Übergebe ich dir eine Sache in dem Glauben, sie dir zu schulden, findet die Ersitzung nur dann statt, wenn auch du glaubst, dass sie dir geschuldet ist. Etwas anderes gilt, wenn ich glaube, dass ich dir aus Kauf verpflichtet bin und sie deshalb übergebe. Hier findet die Ersitzung als Käufer nämlich nicht statt, wenn nicht ein Kauf vorangegangen ist. Der Unterschied liegt darin, dass in den anderen Fällen der Zeitpunkt der Erfüllung betrachtet wird und es nicht darauf ankommt, ob ich beim Versprechen weiß, dass die Sache dem Schuldner nicht gehört. Es genügt nämlich, dass ich glaube, dass sie dir gehört, wenn du leistest. Beim Kauf aber wird sowohl der Zeitpunkt des Vertragsschlusses als auch der

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Gutgläubiger Erwerb und Rechtsgrund Moment betrachtet, in dem geleistet wird. Und es kann nicht als Käufer ersitzen, wer nicht gekauft hat, und auch nicht aufgrund der Erfüllung wie bei den anderen Verträgen.

Paulus stellt die Übergabe einer Sache aufgrund eines vermeintlichen Kaufvertrags der Leistung pro soluto gegenüber. Im Gegensatz zu Pomponius und Neraz lässt er die Solutionsabrede als Rechtsgrund genügen, um auch ohne eine entsprechende Verpflichtung die Ersitzung zu tragen. Beim Kaufvertrag soll es sich dagegen anders verhalten: Hier reicht nach Paulus’ Auffassung nicht die opinio des Erwerbers, sondern es muss eine wirkliche causa emptionis vorhanden, der Kaufvertrag also tatsächlich abgeschlossen und gültig sein. Die Begründung für diesen Unterschied liefert der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt für den guten Glauben des Erwerbers: Während es bei einer solutio auf eine Stipulations- oder andere Verpflichtung allein auf diesen Moment ankommt, muss ein Käufer, wenn er die Kaufsache ersitzen will, sowohl im Zeitpunkt des Vertragsschlusses als auch bei der Übergabe der Kaufsache glauben, dass diese im Eigentum des Verkäufers steht. Diese Lösung widerspricht wiederum der Meinung Sabinus’ und Cassius’: D 41.3.10pr Ulp 16 ed Si aliena res bona fide empta sit, quaeritur, ut usucapio currat, utrum emptionis initium ut bonam fidem habeat exigimus, an traditionis. et optinuit Sabini et Cassii sententia traditionis initium spectandum. Ist eine fremde Sache gutgläubig gekauft worden, stellt sich die Frage, ob wir, damit die Ersitzung eingreift, den guten Glauben im Moment des Vertragsschlusses oder der Übergabe fordern. Und es hat sich die Ansicht Sabinus’ und Cassius’ durchgesetzt, wonach der Moment der Übergabe zu berücksichtigen sei.

Paulus’ Lösung ergibt sich aber ohne Weiteres aus dem Veräußerungscharakter des Kaufs:31 Da er selbst schon inter partes für eine Zuordnung der Kaufsache zum Vermögen des Käufers sorgt, muss dieser bereits bei seinem Abschluss glauben, dass die Kaufsache dem Verkäufer gehört, und nicht erst, wenn sie ihm übergeben und aus dem intern schon vollzogenen Wechsel der Rechtszuständigkeit ein solcher im Verhältnis zu Dritten wird. Kommt es wegen der Vorwegnahme der Verfügung durch den Kaufvertrag gar nicht zu einer solutio, liegt hier auch der eigentliche Grund für den Unterschied zur Leistung solvendi causa: Bei dieser kann der Mangel des Verpflichtungsgeschäfts keine Rolle spielen, weil ja mit der Solutionsabrede in jedem Fall ein gültiges Erwerbsgeschäft vorliegt, das die Ersitzung rechtfertigt. Dagegen fehlt beim vermeintlichen oder unwirksamen Kaufvertrag nicht nur die Verpflichtung, die mit der Übergabe der Kaufsache erfüllt werden soll; vielmehr mangelt es schon an einem gültigen Erwerbsgeschäft, so dass die Ersitzung ausscheiden muss, wenn man sich im Gegensatz zu den Hochklassikern nicht mit einem bloßen error probabilis über die Existenz des Kaufvertrags begnügt. Scheitert für Paulus damit die Ersitzung aufgrund eines nur vermeintlich oder unwirksam vorgenommenen Kaufs, führt auch die Ersitzung aufgrund der wirklich vorhandenen 31

Richtig Kaser, BIDR 64 (1961) 69, 81, Hausmaninger (Fn. 14), S. 92 ff.

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solutio nicht zu einem endgültigen Erwerb, vielmehr nur dazu, dass die Sache von dem Veräußerer kondiziert werden kann: D 12.6.15.1 Paul 10 Sab Sed et si nummi alieni dati sint, condictio competet, ut vel possessio eorum reddatur: quemadmodum si falso existimans possessionem me tibi debere alicuius rei tradidissem, condicerem. sed et si possessionem tuam fecissem ita, ut tibi per longi temporis praescriptionem avocari non possit, etiam sic recte tecum per indebit[am] condictionem agerem. Aber auch wenn fremde Münzen gegeben worden sind, steht die Kondiktion zu, damit zumindest der Besitz an ihnen zurückgewährt wird, und zwar ebenso, wie ich kondiziere, wenn ich dir irgendeine Sache in der unrichtigen Annahme übergeben habe, dir ihren Besitz zu schulden. Aber auch wenn ich dir den Besitz so eingeräumt habe, dass er dir wegen Zeitablaufs nicht mehr streitig gemacht werden kann, klage ich gegen dich mit der Kondiktion wegen einer nichtgeschuldeten Leistung.

Die Ablehnung der Putativtitelersitzung durch die Spätklassiker prägt auch die Entscheidungspraxis der kaiserlichen Kanzlei in der Nachklassik sowie die Haltung der byzantinischen Juristen. Zwar findet sich bei Hermogenian noch einmal die Ansicht Neraz’ vertreten, die Übergabe einer Sache pro soluto führe statt zum sofortigen Eigentumserwerb zur Ersitzung der Sache kraft des bloßen Glaubens an den nicht vorhandenen Rechtsgrund: D 41.3.46 Herm 5 epit Pro soluto usucapit, qui rem debiti causa recipit: et non tantum quod debetur, sed et quodlibet pro debito solutum hoc titulo usucapi potest. Aufgrund von Erfüllung ersitzt, wer eine Sache um einer Schuld willen erhält. Und nicht nur was geschuldet ist, sondern was als geschuldet geleistet wird, kann auf dieser Grundlage ersessen werden.

Aus der Wirkungszeit Hermogenians gibt es jedoch zahlreiche Reskripte, in denen die kaiserliche Kanzlei auf dem Erfordernis eines gültigen Erwerbsgeschäfts als Grundlage der Ersitzung beharrt. Besonders eindrücklich sind die folgenden Entscheidungen Diokletians: CJ 7.29.4 (a 294) Usucapio non praecedente vero titulo procedere non potest nec prodesse neque tenenti neque heredi eius potest, nec obtentu velut ex hereditate, quod alienum fuit, domini intentio ullo longi temporis spatio absumitur. Die Ersitzung kann, ohne dass ein wirklicher Rechtsgrund vorangeht, nicht stattfinden und weder dem Besitzer noch seinem Erben nützen; und durch den Vorwand, etwas sei aus einer Erbschaft erlangt, was einem anderen gehörte, wird die Forderung des Eigentümers nicht durch Zeitablauf ausgeschlossen. CJ 7.33.4 (a 293) Diutina possessio iure tantum successionis sine iusto titulo obtenta prodesse ad praescriptionem hac sola ratione non potest.

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Gutgläubiger Erwerb und Rechtsgrund Langjähriger, nur nach Erbrecht erlangter Besitz ohne gültigen Rechtsgrund kann, für sich genommen, nicht zur Ersitzung führen. CJ 7.33.5 (a 293) Nec petentem dominium ab eo, cui petentis solus error causam possessionis sine vero titulo praestitit, silentii longi praescriptione depelli iuris evidentissimi est. Es ist offensichtlich rechtens, dass derjenige, der sein Eigentum gegenüber demjenigen geltend macht, der den Besitz nur einem Irrtum des Klägers und nicht einem gültigen Rechtsgrund verdankt, nicht durch den Einwand der Verjährung wegen Untätigkeit des Eigentümers ausgeschlossen wird.

Dieser Auffassung schließen sich auch die byzantinischen Juristen an. Den einschlägigen Passus in Justinians Institutionen formulieren sie in Anlehnung an eine Entscheidung Diokletians, in der dieser die Ersitzung aufgrund einer nur vermeintlich vorgenommenen Schenkung verneint:32 CJ 7.27.3 Irritam facere donationem perfectam nemini licet. utque hoc verum est, sic error falsae causae ratione fidei bonae non defenditur. quod et in dominio pro usucapione quaerendo servatur. Eine vollzogene Schenkung kann man nicht ungeschehen machen. So wahr dies ist, so wird doch der Irrtum über einen falschen Rechtsgrund nach dem Gebot der guten Treue nicht geschützt. Dies wird auch bei der Frage beachtet, ob Eigentum durch Ersitzung erworben wird. IJ 2.6.11 Error autem falsae causae usucapionem non parit. veluti si quis, cum non emerit, emisse se existimans possideat: vel cum ei donatum non fuerat, quasi ex donatione possideat. Der Irrtum über einen falschen Rechtsgrund löst keine Ersitzung aus, wie zum Beispiel in dem Fall, dass jemand, obwohl er nicht gekauft hat, in der Annahme besitzt, gekauft zu haben, oder in dem Fall, dass jemand, obwohl ihm nicht geschenkt worden ist, als beschenkt besitzt.

2. Zwei Sonderfälle? a) Der Kauf vom Geschäftsunfähigen Der scheinbar kategorischen Ablehnung der Putativtitelersitzung durch die Spätklassiker unterfällt nicht der Kauf vom Geschäftsunfähigen. Konsequent zeigt sich in diesem Fall nur die diokletianische Kanzlei, die in einer doppelt überlieferten Entscheidung aus dem Jahre 294 dem Kauf von einem Minderjährigen ohne Zustimmung seines Vormunds die Wirkung abspricht, den Käufer durch Ersitzung zum Eigentümer der Sache zu machen:

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Den Zusammenhang stellt Mayer-Maly (Fn. 18), S. 13 f. heraus.

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CJ 5.59.3 Eum, qui a pupillo sine tutoris auctoritate distrahente comparavit, longi temporis spatium non defendit. Denjenigen, der von einem Mündel als Verkäufer ohne die Zustimmung des Vormunds etwas gekauft hat, schützt der Zeitablauf nicht. CJ 7.26.9 Eum, qui a pupillo sine tutoris auctoritate distrahente comparavit, nullum temporis spatium defendit. sed si locupletior factus emptoris pecunia post pubertatem occasionem iuris ad iniquum trahat compendium, doli mali submovebitur exceptione. Denjenigen, der von einem Mündel als Verkäufer ohne die Zustimmung des Vormunds etwas gekauft hat, schützt der Zeitablauf nicht. Ist er aber um den vom Käufer gezahlten Betrag bereichert und will er nach Eintritt der Mündigkeit aus seinem Recht einen unbilligen Vorteil ziehen, wird er mit der Einrede der Arglist überwunden.

Die Spätklassiker halten sich dagegen nicht an ihre eigene Regel, ohne gültigen Kauf finde keine Ersitzung statt. Paulus lässt die usucapio beim Kauf von einem Minderjährigen zu und hält sich dabei an Neraz’ Unterscheidung, indem er den Irrtum des Käufers über das Alter des unmündigen Verkäufers zu einem verzeihlichen error facti, die Annahme, der Minderjährige bedürfe nicht der Zustimmung des Vormunds, zu einem ersitzungshindernden error iuris erklärt: D 41.4.2.15 Paul 54 ed Si a pupillo emero sine tutoris auctoritate, quem puberem esse putem, dicimus usucapionem sequi, ut hic plus sit in re quam in existimatione: quod si scias pupillum esse, putes tamen pupillis licere res suas sine tutoris auctoritate administrare, non capies usu, quia iuris error nulli prodest. Habe ich von einem Mündel, den ich für mündig gehalten habe, ohne die Zustimmung seines Vormunds etwas gekauft, findet, wie wir sagen, die Ersitzung statt, so dass mehr in der Wirklichkeit vorhanden ist als in der Vorstellung. Weißt du dagegen, dass es ein Mündel ist, glaubst aber, ihm sei ohne die Zustimmung seines Vormunds die Verwaltung seines Vermögens gestattet, ersitzt du nicht, weil der Rechtsirrtum niemandem nützt.

Die hier offen gelassene Frage, ob der Käufer während der Ersitzungszeit geschützt werden soll, wird offenbar kontrovers beurteilt. Ulpian gesteht dem Ersitzungsbesitzer die actio Publiciana sowohl beim Kauf vom furiosus, für den er sich auf Marcell beruft, als auch beim Kauf von einem Minderjährigen zu: D 6.2.7.2, 4 Ulp 16 ed Marcellus libro septimo decimo digestorum scribit eum, qui a furioso ignorans eum furere emit, posse usucapere: ergo et Publicianam habebit. … (4) Si a [minore] quis emerit ignorans eum [minorem] esse, habet Publicianam. Marcell schreibt im 17. Buch seiner Digesten, derjenige, der unwissentlich eine Sache von einem Geisteskranken gekauft hat, könne sie ersitzen; deshalb hat er auch die publizianische Klage. … (4) Hat jemand von einem Minderjährigen gekauft, ohne dies zu wissen, steht ihm die publizianische Klage zu.

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Paulus lässt ebenfalls die Ersitzung beim Kauf von einem furiosus zu, will dem Käufer aber nicht die actio Publiciana gewähren: D 41.3.13.1 Paul 5 Plaut Eum, qui a furioso bona fide emit, usucapere posse responsum est. Es ist entschieden, dass derjenige ersitzen kann, der eine Sache gutgläubig von einem Geisteskranken gekauft hat. D 41.4.2.16 Paul 54 ed Si a furioso, quem putem sanae mentis, emero, constitit usucapere utilitatis causa me posse, quamvis nulla esset emptio et ideo neque de evictione actio nascitur mihi nec Publiciana competit nec accessio possessionis. Habe ich von einem Geisteskranken gekauft, den ich für geistig gesund gehalten habe, kann ich, wie aus Gründen der Zweckmäßigkeit anerkannt ist, ersitzen, obwohl kein Kaufvertrag vorliegt und mir deshalb weder ein Anspruch wegen Eviktion erwächst noch die publizianische Klage oder eine Hinzurechnung der Besitzzeit zusteht.

Die Versagung der actio Publiciana folgt für Paulus aus dem Ausnahmecharakter, den die Ersitzung nach einem Kauf vom furiosus hat: Er hebt hervor, dass sie im Widerspruch zur Nichtigkeit des Vertrags steht (quamvis nulla esset emptio), und bezeichnet sie ausdrücklich als utilitatis causa akzeptiert.33 Bei der Ersitzung nach dem Kauf vom Minderjährigen leuchtete diese Begründung eher ein; denn als später sogenanntes negotium claudicans bringt der vom Minderjährigen abgeschlossene Vertrag für diesen ja einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises und einen Rechtsgrund für seinen Einbehalt hervor,34 so dass es nicht unzweckmäßig erscheint, dem Käufer zumindest nach Ablauf der Ersitzungszeit auch das Eigentum an der vom Minderjährigen übergegebenen Sache zuzugestehen. Anders verhält es sich beim furiosus: Hier ist der Vertrag schlicht unwirksam,35 so dass auch eine Zahlung an den Geschäftsunfähigen keine Wirkung hat und wieder kondiziert werden kann.36 Die utilitas, der die Ersitzung hier dienen soll, kann nur darin bestehen, nach Ablauf der 33

Folgt man der Textverbesserung von Bauer (Fn. 2), S. 141 f., hat Julian ähnlich für die Ersitzung nach dem Kauf von einer unter Vormundschaft stehenden Frau argumentiert; vgl. Vat 1: Qui a muliere sine tutoris auctoritate sciens rem mancipi emit vel falso tutore auctore quem sciit non esse, non videtur bona fide emisse; itaque et veteres putant et Sabinus et Cassius scribunt. Labeo quidem putabat nec pro emptore eum possidere, sed pro possessore, Proculus et Celsus pro emptore, quod est verius: nam et fructus suos facit, quia scilicet voluntate dominae percipit et mulier sine tutoris auctoritate possessionem alienare potest. Iulianus propter [Rutilianam constitutionem] eum, qui pretium mulieri dedisset, etiam usucapere et si ante usucapionem offerat mulier pecuniam, desinere eum usucapere. Hier geht es aber anders als beim furiosus um den Fall eines Käufers, der den Mangel des Erwerbsgeschäfts kennt. 34 Vgl. Gai 3.107; diesen Umstand hebt auch Bauer (Fn. 2), S. 140 hervor. 35 Vgl. Gai 3.106. 36 Entgegen Bauer (Fn. 2), S. 140 ff. hilft es also nicht, dass die Ersitzung, wie man nicht nur für den Kauf vom furiosus zu unterstellen hat, sondern generell annehmen kann, von der Zahlung eines vereinbarten Kaufpreises abhängt.

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Ersitzungszeit den Streit über den Erwerb abzuschneiden. Dies ist aber, wie schon von Neraz formuliert (,ut aliquis litium finis esset‘), das allgemeine Ziel der Ersitzung und nicht allein ihre spezifische Aufgabe im Fall des Kaufs vom furiosus. Wären die Spätklassiker konsequent verfahren, hätten sie die Ersitzung daher in weiteren Konstellationen zulassen müssen, in denen der zugrunde liegende gegenseitige Vertrag unwirksam, aber tatsächlich durchgeführt ist. Dies gilt insbesondere für die Fälle, dass er nicht an der mangelnden Geschäftsfähigkeit des Veräußerers, sondern an der des Erwerbers oder an einem Irrtum einer der beiden Seiten scheitert. Verneinen dürften sie die Ersitzung nur bei sittenwidrigen Verträgen sowie in den Fällen mit Drittbeteiligung, in denen es entweder am Eigentum des Veräußerers oder, wie in den von Neraz und Julian behandelten Konstellationen, an einem Erwerbsgeschäft überhaupt fehlt und die Sache durch einen Dritten an den Besitzer gelangt ist.37 Denn hier ist derjenige, der das Eigentum verliert, nicht mit demjenigen identisch, der in Vollzug des nichtigen Vertrags eine Gegenleistung erhalten hat oder beanspruchen kann. b) Ersitzung beim Erbfall Dass die Spätklassiker aber auch in den Fällen der Drittbeteiligung keineswegs konsequent verfahren sind, zeigen ihre Entscheidungen zur Ersitzung beim Erbfall. Papinian, der wie Celsus für die Regel eintritt, ohne Kauf finde keine Ersitzung statt, lässt diese gleichwohl zu, wenn ein Erbgang hinzutritt: D 41.3.44.4 Pap 23 quaest Filius familias emptor alienae rei, cum patrem familias se factum ignoret, coepit rem sibi traditam possidere: cur non capiat usu … ? idem dicendum erit et si ex patris hereditate ad se pervenisse rem emptam non levi praesumptione credat. Ein Haussohn, der eine fremde Sache gekauft hatte, begann, diese nach ihrer Übergabe für sich zu besitzen, als er nicht wusste, dass er schon selbst Familienvater war. Warum soll er nicht ersitzen … ? Dasselbe ist auch zu sagen, wenn er nicht leichtfertig glaubt, eine Sache sei gekauft und an ihn aus der väterlichen Erbschaft gelangt.

Die in Gestalt einer rhetorischen Frage mitgeteilte Entscheidung für die Ersitzung durch einen Haussohn, der eine Sache in Unkenntnis seiner rechtlichen Selbständigkeit besitzt, will Papinian auch in dem Fall gelten lassen, dass ein Erbe irrtümlich annimmt, eine Sache sei vom Erblasser gekauft worden und gehöre zum Nachlass. Er schließt sich damit der Ansicht an, die Pomponius schon eine verbreitete Meinung genannt hat:38 37 Entgegen Jakobs (Fn. 16), S. 52 f. kann man die Ablehnung der Putativtitelersitzung nicht mit den Stellungnahmen zum Erwerb vom Geschäftsunfähigen in der Weise harmonisieren, dass die Spätklassiker stets nur einen tatsächlich vorgenommenen Kaufvertrag verlangen. 38 Einen weiteren Beleg hierfür glaubt Bauer (Fn. 2), S. 108 f. in einer Entscheidung Julians in D 41.3.33.1 (44 dig) zu finden, bei der die Schilderung des zugrunde liegenden Falls jedoch nicht eindeutig ist.

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Gutgläubiger Erwerb und Rechtsgrund D 41.5.3 Pomp 23 QM Plerique putaverunt, si heres sim et putem rem aliquam ex hereditate esse quae non sit, posse me usucapere. Die meisten glauben, dass ich ersitzen könne, wenn ich Erbe bin und glaube, eine Sache gehöre zum Nachlass, obwohl sie nicht dazu gehört.

Auf den ersten Blick ist man versucht, die hier zugelassene Ersitzung ebenso wie die byzantinischen Gesetzesredaktoren bei der Einordnung des Pomponiusfragments in Justinians Digesten der usucapio pro herede zuzuordnen, mit der ein Scheinerbe eine durch Erbfall herrenlos gewordene Sache ersitzen kann.39 Zwar setzt diese Ersitzung, die ursprünglich auch dem unredlichen Besitzer möglich war, zu Pomponius’ und Papinians Zeiten wegen eines unter Hadrian ergangenen Senatsbeschlusses den auch hier geforderten guten Glauben voraus.40 Gleichwohl beziehen sich die Entscheidungen der beiden Juristen nicht auf die usucapio pro herede, da sie ja nicht zugunsten eines Scheinerben, sondern eines wirklichen Erben ausfallen, der eine nachlassfremde Sache ersitzt. Vergleicht man Papinians Entscheidung mit der Ansicht Neraz’, fällt nicht nur auf, dass Papinians Vorbehalt für die praesumptio levis Neraz’ Kritierium des error probabilis entspricht. Genau besehen, geht es sich bei Papinian auch um denselben Sachverhalt, den Neraz als Beispiel für einen tolerablen error in facti alieni anführt:41 Der Erbe, der eine Sache fälschlich für einen Nachlassgegenstand hält, besitzt diese als eine vom Erblasser erworbene, insbesondere gekaufte Sache, obwohl sie in Wahrheit einem Dritten gehört und vom Erblasser auch gar nicht in einer Weise erworben worden ist, dass er sie ersitzen könnte.42 Der Erbe besitzt die Sache zwar aufgrund der Erbfolge, aber nicht etwa als Scheinerbe pro herede, sondern als Rechtsnachfolger eines vermeintlichen Erwerbers.43 Der Umstand, dass mit dem Erbfall ein gültiger Erwerbsgrund besteht, betrifft gerade nicht die nachlassfremde Sache. Sollte Papinian den Erbfall gleichwohl für relevant halten, um die usucapio hier als echte und nicht als Putativtitelersitzung zuzulassen, hat er im Gegensatz zu Pomponius, der ja der Auffassung Neraz’ folgt, sein eigenes Konzept verfehlt. Eine vergleichbare Inkonsequenz unterläuft auch Paulus, der eine Ersitzung aufgrund eines nur vermeintlich ausgesetzten Vermächtnisses zulässt:

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Auf die Ersitzung pro herede bezieht sich dagegen Pomponius’ Entscheidung gegen die Ersitzung von Sachen einer fälschlich für tot gehaltenen Person; vgl. D 41.5.1 (32 Sab): Pro herede ex vivi bonis nihil usucapi potest, etiamsi possessor mortui rem fuisse existimaverit. 40 Vgl. Gai 2.56 f. 41 Insoweit richtig Jakobs (Fn. 16), S. 84. 42 Entgegen Jakobs (Fn. 16), S. 84 handelt es sich dabei nicht zwangsläufig um einen error falsae causae, weil beim Erbfall auch eine dem Erblasser nur übergebene Sache vom Erben als eigene besessen werden kann, ohne dass ihm eine Unterschlagung vorgeworfen werden kann. 43 Anders Bauer (Fn. 2), S. 67, 101 f., die nur einräumt, dass der Fall zwischen titulierter und Putativtitelersitzung steht.

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D 41.8.4 Paul 54 ed Pro legato potest usucapi, si res aliena legata sit aut testatoris quidem sit, sed adempta codicillis ignoratur: in horum enim persona subest iusta causa, quae sufficit ad usucapionem. idem potest dici et si in nomine erit dubitatio, veluti si Titio legatum sit, cum sint duo Titii, ut alter eorum de se cogitatum existimaverit. Als vermacht kann man eine Sache ersitzen, wenn sie vermacht worden ist, ohne dem Erblasser zu gehören, oder ihm zwar gehört, man aber nicht weiß, dass das Vermächtnis in einem Kodizill widerrufen worden ist. Denn in der Person des Vermächtnisnehmers ist ein hinreichender Grund gegeben, der für die Ersitzung genügt. Dasselbe lässt sich in dem Fall sagen, dass Zweifel über den Namen bestehen, wie zum Beispiel, wenn ein Vermächtnis dem Titius ausgesetzt ist und es zwei Personen dieses Namens gibt, so dass beide glauben, es sei an sie gedacht.

Ähnlich wie bei Papinian finden wir auch hier die Fälle einer titulierten und einer Putativtitelersitzung über denselben Kamm geschert, obwohl sie sich doch grundlegend unterscheiden und, wenn man wie Paulus vom Verbot der Putativtitelersitzung ausgeht, auch unterschiedlich gelöst werden müssen: Auf der einen Seite steht der Fall, dass der Erblasser eine fremde Sache vermacht und der Erbe sie dem Vermächtnisnehmer übergeben hat. Ebenso wie beim Kauf einer fremden Sache findet hier eine gewöhnliche Ersitzung kraft eines gültigen Erwerbsgrunds statt, der in diesem Fall in dem Vermächtnis besteht. Auf der anderen Seite stehen die Fälle, dass ein Vermächtnis ausgesetzt und dann in einem Kodizill widerrufen worden oder dass es einem Namensvetter desjenigen ausgesetzt ist, dem die Sache dann übergeben worden ist. In beiden Konstellationen fehlt es an einem wirksamen Vermächtnis, mit dem der Besitzer der Sache bedacht worden ist.44 Lässt Paulus hier die Ersitzung ebenso wie beim Vermächtnis einer fremden Sache zu, gibt er damit vermutlich den Ausschlag für Hermogenians spätere Feststellung, diese Ansicht habe sich nach allerlei Meinungsverschiedenheit durchgesetzt: D 41.8.9 Herm 5 iur ep Pro legato usucapit, cui recte legatum relictum est: sed et si non iure legatum relinquatur vel legatum ademptum est, pro legato usucapi post magnas varietates optinuit. Als Vermächtnisnehmer ersitzt, wem ein Vermächtnis regelrecht ausgesetzt ist. Aber auch für den Fall, dass ein Vermächtnis nicht gültig ausgesetzt oder widerrufen ist, hat sich nach großem Meinungsstreit die Ansicht durchgesetzt, dass man als Vermächtnisnehmer ersitzen könne.

Eine knappe Äußerung Ulpians legt nahe, dass dieser Paulus’ Ansicht nicht teilte: D 41.8.1 Ulp 6 disp Legatorum nomine is videtur possidere cui legatum est: pro legato enim possessio et usucapio nulli alii, quam cui legatum est, competit.

44 Es kann sich nur um ein Vindikationslegat handeln, weil nach Paulus’ Auffassung ansonsten schon die solutio dem vermeintlichen Vermächtnisnehmer das Eigentum verschafft hätte (s. o. S. 68).

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Gutgläubiger Erwerb und Rechtsgrund Als Besitzer aufgrund eines Vermächtnisses gilt derjenige, dem wirklich vermacht worden ist. Besitz und Ersitzung als Vermächtnisnehmer stehen nämlich keinem anderen als demjenigen zu, dem vermacht worden ist.

Dass die Zulassung der Ersitzung ohne wirksames Vermächtnis auch nicht zu Paulus’ eigenem Konzept passt, zeigt eine andere Stellungnahme dieses Juristen: D 41.8.2 Paul 54 ed Si possideam aliquam rem, quam putabam mihi legatam, cum non esset, pro legato non usucapiam … Besitze ich eine Sache, von der ich glaube, dass sie mir vermacht ist, während sie es in Wirklichkeit nicht ist, kann ich sie nicht als Vermächtnisnehmer ersitzen …

Zwar kann man diese Äußerung und die Entscheidungen in D 41.8.4 noch miteinander harmonisieren, weil es an dieser Stelle ja um ein völlig fehlendes Vermächtnis gehen könnte, während in der anderen ein wirklich ausgesetztes Vermächtnis widerrufen oder doppeldeutig ist.45 Und man trifft mit dieser Differenzierung vermutlich auch Paulus’ eigenes Raisonnement. Dieses ist jedoch inkonsistent: Was die Fälle eines gänzlichen fehlenden und eines unwirksamen oder undeutlichen Vermächtnisses voneinander trennt, ist nicht, dass hier anders als dort tatsächlich eine letztwillige Verfügung zugunsten des Erwerbers vorgenommen worden ist. Dieser Unterschied ist rein äußerlich und ändert nichts daran, dass es an einem gültigen Vermächtnis für den Besitzer der vermeintlich vermachten Sache fehlt. Worauf es eigentlich ankommt, ist allein die Rechtfertigung der Fehlvorstellung des Besitzers: Hat dieser regelmäßig keinen Anlass, von seiner Begünstigung auszugehen, wenn es von vornherein an einer letztwilligen Verfügung des Erblassers fehlt, liegt im Fall eines widerrufenen oder doppeldeutigen Vermächtnisses häufig ein error probabilis im Sinne Neraz’ oder eine iusta causa erroris im Sinne Julians vor. Sinnvoll wird Paulus’ oberflächliche Differenzierung damit bloß auf der Grundlage der von ihm eigentlich abgelehnten Lehre der Hochklassiker. Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich für Paulus’ Entscheidung wiederum ein Vorläufer bei Pomponius findet, der jedoch seinerseits auf dem Boden der Auffassung von Neraz steht und die Ersitzung daher ohne Bruch mit der eigenen Grundhaltung zulassen kann:46 45

So denn auch Bauer (Fn. 2), S. 95. Unklar ist dagegen, ob auch Javolen schon eine Ersitzung aufgrund eines vermeintlichen Vermächtnisses gestattet hat. Hierfür spricht die von den Kompilatoren geformte Katene im Digestentitel D 41.8: D 41.8.5 Iav 7 Cass Ea res, quae legati nomine tradita est, quamvis dominus eius vivat, legatorum tamen nomine usucapietur, D 41.8.6 Pomp 32 Sab si is, cui tradita est, mortui esse existimaverit. Dass der heutige Sinn von Javolens Entscheidung erst das Ergebnis der Zusammenstellung mit dem Pomponiusfragment ist, macht der unmittelbar vorangehende Text wahrscheinlich, der 46

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D 41.10.4.2 Pomp 32 Sab Quod legatum non sit, ab herede tamen perperam traditum sit, placet a legatario usucapi, quia pro suo possidet. Was nicht vermacht, vom Erben aber aus Versehen übergeben worden ist, kann von dem Vermächtnisnehmer anerkanntermaßen ersessen werden, weil er es als sein eigenes besitzt.47

3. Ein unterschiedliches Konzept der bona fides Die Brüche in der Lehre der Spätklassiker zeigen nicht nur, dass diese ihre ablehnende Haltung gegen die Putativtitelersitzung nicht durchgehalten haben. Sie offenbaren auch den systematischen Fehler dieses Ansatzes. Dies gilt vor allem für Papinians Entscheidung zugunsten der Ersitzung einer nachlassfremden Sache durch den Erben: Bei oberflächlicher Betrachtung kann man sie durchaus von anderen Fällen einer Putativtitelersitzung sondern und der echten Ersitzung aufgrund eines gültigen Erwerbs zuordnen; denn sie kommt eben nicht dem Scheinerben, sondern nur demjenigen zu, der wirklich die Rechtsnachfolge nach dem Sachbesitzer angetreten hat. Diese causa ist aber für das Verhältnis zum eigentlich Betroffenen gänzlich irrelevant: Aus Sicht des Eigentümers der nachlassfremden Sache spielt es keine Rolle, ob er diese an einen wirklichen oder nur vermeintlichen Erben verliert. Hier wie dort geht sein Recht an der Sache unter; und es bleibt nicht einmal ein Anspruch aus Eingriffskondiktion, weil Voraussetzung der Ersitzung durch den Erben ja ist, dass der Erblasser zuvor weder Diebstahl noch Unterschlagung begangen hat, die das Ersitzungshindernis des furtum begründeten. Der Erwerbsgrund, den die Erbfolge bietet, betrifft aber allein das Verhältnis von wirklichem und Scheinerbe, das für die Entscheidung über den Rechtsverlust des Eigentümers ohne Belang ist. Diese Überlegung gilt für alle Dreipersonenbeziehungen und zeigt, dass das Erfordernis eines gültigen Erwerbsgeschäfts hier nirgends am Platze ist: Auch beim Verkauf einer fremden Sache ist es aus Sicht ihres bisherigen Eigentümers unerheblich, ob der Käufer sie aufgrund eines gültigen Kaufvertrags oder bloß in dem Glauben an einen solchen ersessen hat. Die durch den Kaufvertrag geschaffene causa ist allein für das Verhältnis von Käufer und Verkäufer relevant; den Eigentümer, der seine Rechtsstellung durch Ersitzung verliert, berührt sie nicht: Lässt man die Erebenfalls aus Javolens siebtem Buch ex Cassii stammt: Nemo potest legatorum nomine usucapere nisi is, cum quo testamenti factio est, quia ea possessio ex iure testamenti proficiscitur. Betrachtet Javolen die Ersitzung pro legato als Frucht des Testaments, kann er sie auch nur bei einem wirksamen Vermächtnis, hier allerdings auch bezogen auf eine nachlassfremde Sache zugelassen haben; vgl. Bauer (Fn. 2), S. 90 f. 47 Hier kann es anders als bei Paulus durchaus um ein Damnationslegat gegangen sein, weil Pomponius die Solutionsabrede zumindest bei der Ersitzung nicht als hinreichendes Erwerbsgeschäft ansieht (s. o. S. 59 f.). Entgegen Jakobs (Fn. 16), S. 82 und Bauer (Fn. 2), S. 132 f. lässt sich die Entscheidung jedoch auch auf ein vermeintliches Vindikationslegat beziehen, wie Mayer-Maly (Fn. 18), S. 67 meint.

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Gutgläubiger Erwerb und Rechtsgrund

sitzung zu, kann er sich unabhängig von der Gültigkeit des Kaufvertrags ohnehin nur an den Verkäufer halten und diesen mit einer Eingriffskondiktion belangen. Und für die Frage, ob sein Interesse am Erhalt seines Eigentums derart schutzwürdig ist, dass man die Ersitzung verneinen müsste, gibt das Rechtsverhältnis zwischen Käufer und Verkäufer nichts aus. Bedeutung kann dieses allein für die Frage haben, wie schutzwürdig der Käufer ist: Man kann durchaus den Standpunkt einnehmen, dass nur ein Käufer, der die Sache aufgrund eines gültigen Kaufvertrags erlangt hat, hinreichend legitimiert ist, in den Genuss der Ersitzung zu kommen. Entscheidend wäre dann, dass er im Fall der Wirksamkeit des Vertrags seinerseits den Kaufpreis schuldet und damit im Gegenzug zum Rechtserwerb durch Ersitzung ein Opfer bringen muss. Folgte man diesem Gedanken, müsste man die Ersitzung jedoch in den anderen Fällen, in denen sie nicht auf dem Abschluss eines gegenseitigen Vertrags beruht, also bei Vermächtnis, Schenkung, Mitgift und der Erfüllung einer Stipulationsschuld stets und selbst in dem Fall ausschließen, dass das Geschäft wirksam ist. Führt das Erfordernis eines Rechtsgrunds ohne diese Einschränkung auf den entgeltlichen Erwerb in eine Sackgasse, stellt sich die Frage, wie die Spätklassiker hier hineingeraten sind und was viele der Hochklassiker noch davon abgehalten hat. Die Antwort gibt der Begriff der bona fides. Sie ist Voraussetzung der Ersitzung und als solche in der modernen Forschung viel zu lange durchgängig mit dem Ausdruck: „guter Glaube“, gleichgesetzt worden. Wie Söllner gezeigt hat, ist dies eine unzulässige Verengung, ja Entstellung der eigentlichen Bedeutung, die der bona fides bei der Ersitzung und in vergleichbaren Fragen wie etwa dem Erwerb durch einen scheinbaren Sklaven (liber homo bona fide serviens) zukommt.48 Dass die bona fides ursprünglich nicht den guten Glauben des Ersitzungsbesitzers als subjektives Merkmal bezeichnet, sondern wie das heutige Begriffspärchen: „Treu und Glauben“, für den objektiven Maßstab der Geschäftsmoral steht, wird vor allem in zwei Entscheidungen Julians deutlich. Hier stellt sich Fallfrage erst dann, wenn man statt nach dem guten Glauben des Ersitzungsbesitzers allgemeiner nach der Rechtmäßigkeit seines Erwerbs forscht: D 41.4.8 Iul 2 Min Si quis, cum sciret venditorem pecuniam statim consumpturum, servos ab eo emisset, plerique responderunt eum nihilo minus bona fide emptorem esse, idque verius est: quomodo enim mala fide emisse videtur, qui a domino emit? nisi forte et is, qui a luxurioso et protinus scorto daturo pecuniam servos emit, non usucapiet. Hat jemand von demjenigen, von dem er wusste, dass er das Geld sofort verschwenden werde, Sklaven gekauft, so meinen viele, dass er nichtsdestoweniger ein Käufer nach guter Treue sei; und dies ist richtig. Wie kann nämlich derjenige als treuloser Käufer gelten, der vom Eigentümer gekauft hat? Andernfalls könnte sogar derjenige nicht ersitzen, der Sklaven von einem Schwelger gekauft hat, der das Geld umgehend einer Hure geben wird.

Julian bejaht die Ersitzung durch einen Käufer, der die Sache von ihrem Eigentümer erworben hat, von dem er weiß, dass er den Kaufpreis umgehend ver48

Söllner, Bona fides – guter Glaube?, SZ 122 (2005) 1 ff.

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schwenden wird. Trotz dieser Erwartung hält Julian den Käufer für einen bona fide emptor und will wissen, wie jemand mala fide sein könnte, wenn er eine Sache vom Eigentümer kauft. Bedeutete bona fides hier guter Glaube, mala fides Bösgläubigkeit, kann man die Entscheidung nur dann vor dem Vorwurf der Banalität bewahren, wenn man unterstellt, der Käufer habe den Verkäufer irrtümlich für einen schon entmündigten prodigus gehalten, mit dem er keinen wirksamen Kaufvertrag hätte schließen können.49 Für eine solche Annahme bietet der Text jedoch keinen Raum: Der Käufer unterliegt keiner Fehlvorstellung, sondern er schätzt richtig ein, was später wirklich geschieht, nämlich dass der Verkäufer den Kaufpreis verschwendet.50 Ein Ersitzungshindernis kann sich hieraus überhaupt nur ergeben, wenn Julian mit der bona fides eben nicht den guten Glauben, sondern die Geschäftsmoral meint, sie also nicht subjektiv auf den Ersitzungsbesitzer, sondern objektiv auf den Erwerb der Sache bezieht.51 Dann kann man allerdings fragen, ob ein redliches Erwerbsverhalten vorliegt, wenn jemand eine Kaufsache von einem Verkäufer erlangt, der den Kaufpreis nicht bei sich behalten kann. Und es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Julian die Frage bejaht, indem er es für ausreichend erklärt, dass der Käufer die Sache vom Eigentümer erworben hat, und so ausschließt, dass er sich um das Vermögen des Verkäufers kümmern muss. D 41.4.7.6 Iul 44 dig Procurator tuus si fundum, quem centum aureis vendere poterat, addixerit triginta aureis in hoc solum, ut te damno adficeret, ignorante emptore, dubitari non oportet, quin emptor [longo tempore] capiat: nam et cum sciens quis alienum fundum vendidit ignoranti, non interpellatur [longa possessio] . quod si emptor cum procuratore collusit et eum praemio corrupit, quo vilius mercaretur, non intellegetur bonae fidei emptor nec [longo tempore] capiet: et si adversus petentem dominum uti coeperit exceptione rei voluntate eius venditae, replicationem doli utilem futuram esse. Hat dein Verwalter ein Grundstück, das er zu 100 hätte verkaufen können, allein deshalb einem unwissenden Käufer zu 30 veräußert, um dir Schaden zuzufügen, kann man nicht bezweifeln, dass der Käufer das Grundstück ersitzt. Denn auch wenn jemand wissentlich das Grundstück eines anderen verkauft, wird dadurch die Ersitzung nicht aufgehalten. Aber wenn der Käufer mit dem Verwalter zusammengewirkt und ihn bestochen hat, damit er das Grundstück zu einem geringeren Preis verkauft, ist er kein Käufer nach guter Treue und ersitzt das Grundstück nicht. Und wenn er gegen die Klage des Eigentümers die Einrede erhebt, das Grundstück sei mit dessen Willen veräußert worden, greife die Replik der Arglist ein.

Hat ein Verwalter ein Grundstück seines Geschäftsherrn unter Wert verkauft, um ihm Schaden zuzufügen, schließt dies die Ersitzung durch den Käufer nur dann aus, wenn er mit dem Verwalter zusammengewirkt und die Ersparnis geteilt hat. Zwar stellt sein Verhalten nicht in Frage, dass sich der Käufer gegenüber dem Eigentümer des Grundstücks mit einer Einrede verteidigen kann, die der exceptio rei venditae et 49 50 51

So denn auch Hausmaninger (Fn. 14), S. 75. Richtig Söllner, SZ 122 (2005) 1, 4. Wiederum richtig Söllner, SZ 122 (2005) 1, 4 f.

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traditae nachgebildet ist; diese wird aber durch die replicatio doli des Eigentümers überwunden. Das kollusive Zusammenwirken von procurator und Käufer schließt demnach nicht die Verfügungsbefugnis des Vertreters aus, so dass man dem Käufer die bona fides auch nicht absprechen könnte, wenn man sie mit seinem guten Glauben gleichsetzte. Zu einem Ersitzungshindernis wird sein Verhalten erst, weil Julian das Erfordernis der bona fides objektiv als einen Maßstab der Geschäftsmoral versteht.52 Nur so kann er dem Käufer, der eine Sache vom verfügungsbefugten Verwalter erlangt, deren Ersitzung verweigern, weil er sich unredlich benommen hat. Und nur so stellt sich auch die von Julian eigens verneinte Frage, ob denn ein Käufer, der von der Schädigungsabsicht des Verwalters keine Kenntnis hatte, die Sache ersitzen kann: Da dem Geschäft selbst ein Makel anhaftet, erscheint immerhin fraglich, ob es einen dem Gebot der guten Treue entsprechenden Erwerbsgrund bildet. Julian verweist auf den Vergleichsfall eines Veräußerers, der ohne jede Verfügungsbefugnis absichtlich eine fremde Sache verkauft. Ist hierfür anerkannt, dass der Erwerber die Sache ersitzen kann, darf nichts anderes in dem Fall gelten, dass der Veräußerer zwar zur Verfügung berechtigt ist, seine Befugnis aber missbraucht. Bedeutet bona fides für Julian nicht den guten Glauben des Ersitzungsbesitzers, sondern eine an den Erwerbsgrund zu stellende Anforderung, ist sie zugleich umfassende Voraussetzung der Ersitzung.53 Sie ist nicht etwa nur ein Tatbestandsmerkmal neben dem Erwerbsgeschäft, sondern dieses vielmehr umgekehrt eine Konkretisierung der bona fides und damit nicht schlechthin unverzichtbar: Entscheidet über die Ersitzung, ob die besessene Sache nach guter Treue erworben worden ist, braucht man dies nicht nur in dem Fall zu bejahen, dass der Besitzer einen gültigen Rechtsgrund mit dem Veräußerer geschaffen hat. Einen Erwerb nach guter Treue kann man auch dann annehmen, wenn kein wirksames Erwerbsgeschäft vorgenommen worden ist, der Besitzer aber hinreichenden Anlass hat, hieran zu glauben. Die bona fides als abschließende Ersitzungsvoraussetzung ist nicht auf ihre Konkretisierung durch die Kombination von Erwerbsgeschäft und gutem Glauben angelegt. Sie kann sich auch im guten Glauben erschöpfen, wenn dieser dem Juristen ausreicht, um dem Besitzer ein der Geschäftsmoral entsprechendes und damit redliches Erwerbsverhalten zu attestieren, dem der Vorrang vor den Interessen des Sacheigentümers zukommen soll. Zu einem anderen Ergebnis muss man zwangsläufig kommen, wenn man bona fides als guten Glauben des Ersitzungsbesitzers und damit nur als ein Tatbestands52 Söllner, SZ 122 (2005) 1, 6. Anders Sansón Rodriguez, Bona fides y usucapio, in: Buti u. a. (Hg.), Fides humantias ius. Studi in onore di Labruna, Neapel 2007, Bd. 7, S. 4971, 4988 ff. 53 Obwohl Hausmaninger (Fn. 14), S. 79 die bona fides für einen Zusatz zur causa hält, nimmt er eine umfassende Bedeutung als Ersitzungstatbestand schlechthin zumindest für Neraz an (S. 46), für den es sich jedoch gerade nicht nachweisen lässt. Dezidiert anders Bauer (Fn. 2), S. 42 f., die allen römischen Juristen pauschal unterstellt, die bona fides sei eine und auch keineswegs die zentrale Ersitzungsvoraussetzung gewesen.

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merkmal der usucapio begreift, das neben dem Erfordernis des Erwerbsgeschäfts steht. Derart beschränkt eröffnet das Gebot der guten Treue keinen Spielraum, um die Ersitzung auch in den Fällen zuzulassen, in denen es nicht zu einem gültigen Erwerbsakt gekommen ist; und man kann die Putativtitelersitzung bestenfalls, wie Paulus dies beim Erwerb vom Geschäftsunfähigen tut, utilitatis causa, also in Durchbrechung der bestehenden Dogmatik, gestatten. Söllner verortet die Bedeutungsverschiebung, durch die der Begriff bona fides auf den individuellen guten Glauben festgelegt worden ist, in Spätantike und Mittelalter und schreibt ihn dem Einfluss der christlichen Lehre zu, für die fides in erster Linie „Glauben“ bedeutet.54 Auf das Regime der Ersitzung habe sich der Bedeutungswandel erstmals im kirchenrechtlichen Ausschluss der Ersitzung bei nachträglicher Bösgläubigkeit (mala fide superveniens nocet) ausgewirkt.55 So richtig Söllners Einsicht in den ursprünglichen Bedeutungsgehalt von bona fides ist, so überfordert sie, als Universalschlüssel verstanden, die römischen Quellen jedoch in gleicher Weise wie das frühere Verständnis im durchgängigen Sinne des guten Glaubens. Lässt sich für Julian als Befürworter der Putativtitelersitzung auch feststellen, dass er das Gebot der bona fides als Anforderung an die Geschäftsmoral und als Ersitzungsvoraussetzung schlechthin begriffen hat, gilt dies doch nicht für die Juristen, die in der Frage der Putativtitelersitzung gegenteiliger Ansicht sind. Hier lässt sich vielmehr ausmachen, dass sie das Postulat der bona fides bereits in dem später gängigen Sinne des guten Glaubens und damit als eine von zwei Voraussetzungen der Ersitzung begriffen haben. Dies gilt schon für die Stellungnahme des ersten bekannten Gegners der Putativtitelersitzung: D 41.3.27 Ulp 31 Sab Celsus libro trigensimo quarto errare eos ait, qui existimarent, cuius rei quisque bona fide adeptus sit possessionem, pro suo usucapere eum posse nihil referre, emerit nec ne, donatum sit nec ne, si modo emptum vel donatum sibi existimaverit, quia neque pro legato neque pro donato neque pro dote usucapio valeat, si nulla donatio, nulla dos, nullum legatum sit …

Celsus beharrt auf dem Erfordernis eines Erwerbsgeschäfts, das er nicht erfüllt sieht, wenn es zu keinem gültigen Vertragsschluss oder keiner wirksamen Vermächtnisanordnung gekommen ist. Er stellt aber nicht in Frage, dass man auch in diesen Fällen einen Besitz nach der bona fides erlangen könne, und beschreibt die von ihm kritisierte Gegenansicht so, dass sie die Ersitzung auch ohne wirksames Erwerbsgeschäft zulassen will, sofern nur der Besitz an der Sache bona fide erhalten ist. Verstünde Celsus das Gebot der guten Treue als umfassendes Merkmal des Ersitzungstatbestandes, müsste er schon leugnen, dass überhaupt ein ordentlicher Besitzerwerb stattgefunden hat, wenn es an dem von ihm für unverzichtbar gehaltenen Erwerbsgeschäft fehlt. Hält er es für möglich, dass der Ersitzungsbesitzer die Sache auch ohne Erwerbsgeschäft bona fide erwirbt, kann dies nur bedeuten, dass er sie „gutgläubig“, nämlich in der Fehlannahme der Verfügungsbefugnis des Veräu54 55

Söllner, SZ 122 (2005) 1, 8 f. Söllner, SZ 122 (2005) 1, 41.

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ßerers, erworben hat. Die bona fides steht damit für die individuelle Vorstellung des Ersitzungsbesitzers und ist für Celsus nur ein Tatbestandsmerkmal der usucapio, das nicht über das Fehlen des anderen, nämlich des gültigen Erwerbsaktes, hinwegzuhelfen vermag.56 Nicht nur das Celsus-Zitat belegt, dass auch Ulpian das Gebot der bona fides, wenn es um die Ersitzung geht, als Erfordernis guten Glaubens verstanden hat. Noch deutlicher als die Wiedergabe von Celsus’ Argumentation sind seine eigenen Worte, mit denen er das von Sabinus und Cassius behandelte Problem des Beurteilungszeitpunkts für die Einstellung des Ersitzungsbesitzers aufwirft:57 D 41.3.10pr Ulp 16 ed Si aliena res bona fide empta sit, quaeritur, ut usucapio currat, utrum emptionis initium ut bonam fidem habeat exigimus, an traditionis. et optinuit Sabini et Cassii sententia traditionis initium spectandum.

Die Frage, für welchen Moment man die bona fides des Ersitzungsbesitzers fordern müsse, entweder den Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses oder den Moment der Sachübergabe, ist nur dann sinnvoll, wenn man hierunter den guten Glauben versteht; und bloß in diesem Fall kann man dem Ersitzungsbesitzer attestieren, dass er bona fides „habe“ (habeat). Auch die einschlägige Aussage von Paulus zeigt, dass dieser das Gebot der guten Treue ebenfalls als Anforderung an die Vorstellung des Ersitzungsbesitzers begreift: D 41.4.2pr Paul 54 ed … at in emptione et illud tempus inspicitur, quo contrahitur: igitur et bona fide emisse debet et possessionem bona fide adeptus esse.

Sind die Formulierungen, der Käufer müsse die Sache bona fide gekauft haben (emisse) und in Besitz genommen haben (possesionem adeptus esse), für sich genommen, auch neutral und lassen noch nicht den Schluss zu, Paulus habe unter bona fides den guten Glauben des Ersitzungsbesitzers verstanden, ergibt sich etwas anderes aus ihrer Kombination und dem Kontext in dem sie verwendet werden: Paulus fragt ebenso wie Ulpian nach dem richtigen Beurteilungszeitpunkt und fordert bona fides sowohl bei Kaufvertragsabschluss als auch bei Sachübergabe.58 Damit kann er nur den guten Glauben des Ersitzungsbesitzers meinen, wie er umgekehrt auch allein 56

Diese Trennung hat schon Mayer-Maly (Fn. 18), S. 32 f. beobachtet Dagegen sind, wie Söllner, SZ 122 (2005) 1, 27, richtig bemerkt, die folgenden Aussagen Gaius’ und Modestins neutral und geben entgegen Hausmaninger (Fn. 14), S. 7 ff. nichts für das Verständnis der bona fides im Sinne von gutem Glauben aus: Gai 2.43: Ceterum etiam earum rerum usucapio nobis conpetit, quae non a domino nobis traditae fuerint, sive mancipi sint eae res sive nec mancipi, si modo eas bona fide acceperimus, cum crederemus eum, qui traderet, dominum esse. D 50.16.109 Mod 5 pand: ,Bonae fidei emptor‘ esse videtur, qui ignoravit eam rem alienam esse, aut putavit eum qui vendidit ius vendendi habere, puta procuratorem aut tutorem esse. 58 Hierin liegt eine Fortwirkung des Barkaufgedankens oder Veräußerungscharakters des römischen Kaufvertrags; vgl. Kaser, BIDR 81, Hausmaninger (Fn. 14), S. 92 ff. 57

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seine Bösgläubigkeit bezeichnen kann, wenn er von der mala fides desjenigen spricht, der eine Sache in dem Wissen gekauft hat, dass sie nicht dem Verkäufer gehört: D 41.4.2.1 Paul 54 ed Separata est causa possessionis et usucapionis: nam vere dicitur quis emisse, sed mala fide: quemadmodum qui sciens alienam rem emit, pro emptore possidet, licet usu non capiat. Die Besitz- und Ersitzungsfrage sind voneinander getrennt. Denn man kann von jemandem sagen, dass er gekauft habe, aber in bösem Glauben, wie etwa als Käufer besitzt, wer wissentlich eine dem Verkäufer nicht gehörige Sache gekauft hat, obwohl er sie nicht ersitzt.

Man könnte die Ausdrucksweise Ulpians und Paulus’ vielleicht noch als verkürzende Formulierung gelten lassen,59 träfe sie nicht zusammen mit einer grundsätzlichen Ablehnung der Putativtitelersitzung durch diese beiden Juristen und Celsus, für den dieselbe Ausdrucksweise und Haltung belegt ist. Sieht man beide Umstände in der Zusammenschau, ergeben sie ein schlüssiges Bild von der Haltung dieser Juristen in der Frage der Putativtitelersitzung und ihrem Grund: Weil Ulpian und Paulus die bona fides ebenso wie schon Celsus nicht als Generaltatbestand der Ersitzung, sondern als eine ihrer Voraussetzungen ansehen, die von dem Erwerbsgrund getrennt ist,60 können sie über dessen Fehlen nicht hinwegsehen und die Ersitzung ohne Rechtsgrund allenfalls ausnahmsweise unter Vernachlässigung ihres Tatbestands zulassen. Dass es in der klassischen Jurisprudenz zwei Konzepte der bona fides als Ersitzungsvoraussetzung gab, hat auch seine Spuren in einer alternativen Begründung Pomponius’ hinterlassen, der uns einerseits als Anhänger der Auffassung Neraz’ und Julians, andererseits als Urheber von Vorbildern für die Entscheidungen der Spätklassiker begegnet ist: D 41.3.32.1 Pomp 32 Sab Si quis id, quod possidet, non putat sibi per leges licere usucapere, dicendum est, etiamsi erret, non procedere tamen eius usucapionem, vel quia non bona fide videatur possidere vel quia in iure erranti non procedat usucapio. Glaubt jemand, dass es ihm nach den Gesetzen verwehrt sei, das, was er besitzt, zu ersitzen, ist zu sagen, dass auch, wenn er sich irrt, die Ersitzung nicht stattfinde, und zwar entweder weil er nicht als gutgläubiger Besitzer angesehen werden kann oder weil die Ersitzung nicht zugunsten desjenigen stattfindet, der sich im Rechtsirrtum befindet.

Pomponius verneint eine Ersitzung in dem Fall, dass der Besitzer zu Unrecht annimmt, ihm sei die usucapio gesetzlich verboten.61 Zur Begründung stellt er zwei Argumente zur Wahl, zum einen dass der Besitzer die Sache nicht bona fide inne59

So Söllner, SZ 122 (2005) 1, 31. Dies erkennt auch Hausmaninger (Fn. 14), S. 18 f. 61 Damit ist vorausgesetzt, dass der Ersitzungsbesitzer weiß, dass er die Sache ersitzen muss, insbesondere weil sie ihm nicht in der gehörigen Form durch mancipatio überlassen worden ist; vgl. Bauer (Fn. 2), S. 59. 60

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habe, zum anderen dass der Rechtsirrtum die Ersitzung ausschließe. Die zweite ratio soll für den Fall gelten, dass der Irrtum die bona fides gerade nicht ausschließt. Dies lässt sich leichter, wenn auch nicht zwingend,62 behaupten, wenn man in der bona fides keine Anforderung an die Vorstellung des Ersitzungsbesitzers, sondern ein allgemeines Erfordernis des Erwerbsvorgangs erkennt. Hier kann die Existenz eines der Geschäftsmoral entsprechenden Erwerbsgeschäfts den Mangel in der Einstellung des Erwerbers ausgleichen. Schwerer fällt diese Lösung, wenn man die bona fides als guten Glauben des Erwerbers deutet, weil diesem aufgrund seiner Fehlannahme ja gerade die Vorstellung fehlt, er werde Eigentümer der übergebenen Sache. Kann man hier ohne Weiteres die bona fides des Erwerbers verneinen und muss nicht auf den Irrtum als Ausschlussgrund verweisen, erscheint dies dagegen angebracht, wenn der Mangel des guten Glaubens durch die Existenz des Erwerbsgeschäfts wettgemacht und dem Gebot der bona fides damit Genüge getan werden kann. Dies legt nahe, dass Pomponius mit seiner alternativen Begründung den beiden schon in der Hochklassik gängigen Konzepten der bona fides bei der Ersitzung gerecht werden und darstellen will, dass die usucapio bei Fehlannahme eines Ersitzungshindernisses nach der einen oder anderen Ansicht ausgeschlossen ist.63 4. Ersitzung als derivativer und originärer Erwerb Den unterschiedlichen Auffassungen zur Rolle der bona fides bei der Ersitzungsvoraussetzung liegen wiederum divergente Konzepte der usucapio selbst zugrunde: Beharren Celsus und die Spätklassiker zumindest im Grundsatz auf dem Erfordernis eines gültigen Erwerbsgeschäfts, zu dem der gute Glaube des Ersitzungsbesitzers nur als zusätzliches Erfordernis hinzutritt, kann dies nur daran liegen, dass sie die Ersitzung als eine Form des derivativen Eigentumserwerbs ansehen. Sein tragender Grund ist für sie ebenso wie bei der mit Übergabe vollzogenen Übereignung die causa, die durch das Erwerbsgeschäft geschaffen wird; und die bona fides dient, verstanden als guter Glaube, lediglich dazu, den Mangel auszugleichen, der sich aus der fehlenden Verfügungsbefugnis des Veräußerers ergibt. In anderem Licht muss die usucapio denjenigen Juristen erscheinen, die sie wie Proculus, Neraz, Julian und Pomponius auch bei Fehlen eines gültigen Erwerbsgeschäfts zulassen, weil sie das Gebot der guten Treue für den umfassenden Maßstab 62

Insofern hat Söllner, SZ 122 (2005) 1, 19 recht. Die ersitzungsfeindliche Tendenz Pomponius’ kommt, wie Sanna, SDHI 74 (2008) 397, 422 herausstellt, auch in der bemerkenswerten Forderung zum Ausdruck, der Ersitzungsbesitzer müsse, um nicht heimlich zu besitzen, versuchen, den Eigentümer zu unterrichten; vgl. D 41.10.4pr. Pomp 32 Sab: Si ancillam furtivam emisti fide bona ex ea natum et apud te conceptum est ita possedisti, ut intra constitutum usucapioni tempus cognosceres matrem eius furtivam esse, Trebatius omni modo, quod ita possessum esset, usucaptum esse. ego sic puto distinguendum, ut, si nescieris intra statutum tempus, cuius id mancipium esset, aut si scieris neque potueris certiorem dominum facere, aut si potueris quoque et feceris certiorem, usucaperes: sin vero, cum scires et posses, non feceris certiorem, contra esse: tum enim clam possedisse videberis, neque idem et pro suo et clam possidere potest. 63

I. Die usucapio des römischen Rechts

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halten, an dem die Interessen der Beteiligten zu messen sind. Ist die Ersitzung so von dem Erfordernis eines gültigen Erwerbsgeschäfts entkoppelt, führt sie nicht zu einem translativen, sondern zu einem originären Eigentumserwerb, der nicht auf dem Übereignungsversuch, sondern auf der Abwägung der Positionen von Erwerber und bisherigem Eigentümer der Sache beruht: Wer für seine Fehlannahme eines gültigen Erwerbsaktes eine iusta causa erroris hat, gilt Julian und den anderen, die seine Auffassung teilen, als jemand, der die Sache nach dem Gebot der guten Treue erworben hat und deshalb schutzwürdiger als der Eigentümer ist, der seine Sache ohne furtum verloren und nicht innerhalb der Ersitzungszeit verfolgt hat. Die Entscheidung für den Vorzug des Erwerbers fällt nicht aufgrund der Existenz des Erwerbsgeschäfts, das zumindest in den Dreipersonenkonstellationen ja ohnehin keine causa zwischen dem Erwerber und dem bisherigen Eigentümer ergeben könnte. Sie fällt unmittelbar aufgrund des für den Rechtsverkehr allgemein geltenden Gebots der bona fides und führt zu einer Neuverteilung des Eigentums durch die Rechtsordnung oder, genauer gesagt, das Zwölftafelgesetz, auf das die Einrichtung der usucapio zurückgeht.64 Dieser fundamentale Unterschied in der Beurteilung der Ersitzung kann sich im römischen Recht freilich vorwiegend in der Theorie und kaum praktisch auswirken: Nicht nur, dass die Spätklassiker inkonsequent verfahren und die Ersitzung in Konstellationen zulassen, in denen sie sie eigentlich hätten ablehnen müssen. Auch wenn man hiervon absieht, bleibt die Zahl der Anwendungsfälle, in denen die Auffassung Julians und der anderen Befürworter der Putativtitelersitzung zum Tragen kommt, gering, weil ihr eine äußere Schranke durch den weiten Begriff des furtum gesetzt ist: Begründet er ein Ersitzungshindernis nicht nur im Fall des Diebstahls, sondern auch bei Unterschlagungen, sind nur wenige Fälle denkbar, in denen jemand eine Sache ohne gültiges Erwerbsgeschäft ersitzen kann und die nicht auch von den Spätklassikern als Ausnahme vom Ersitzungsverbot anerkannt sind. Die Ersitzung beim Erbfall ist hiervon vollständig abgedeckt. Im Fall der Übergabe durch einen Sklaven oder procurator kommen nur die Konstellationen in Betracht, in denen dem Gehilfen und dem Geschäftsherrn ausnahmsweise gleichermaßen der Vorwurf der Unterschlagung erspart bleibt.65 Größere praktische Bedeutung kann die Entscheidung für die Putativtitelersitzung erst in dem Moment erlangen, in dem das

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Dies wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass Julian der bloße Glaube an die wirksame Aneignung einer vermeintlich derelinquierten Sache nicht genügt, um einen Erwerb durch usucapio anzunehmen; vgl. D 41.7.6 Iul 3 Urs Fer: Nemo potest pro derelicto usucapere, qui falso existimaverit rem pro derelicto habitam esse. Die Ablehnung der Ersitzung betrifft die Frage, ob ein der bona fides entsprechender Erwerbstatbestand gegeben ist, nicht aber die Einordnung der Eristzung selbst als Form des originären Eigentumserwerbs. 65 Hierzu zählt natürlich auch der error falsae causae im Sinne von Jakobs (Fn. 16), S. 64 ff., also die Fehlvorstellung über die Art des von dem Dritten geschaffenen Erwerbsgrunds. Dabei handelt es sich freilich um eine derart exotische Konstellation, dass sie kaum im Zentrum der Überlegungen der römischen Juristen gestanden haben kann. Jakobs (a. a. O., S. 97) räumt denn auch selbst ein, dass dieser Fall nirgends explizit benannt ist.

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furtum als weitreichende Ersitzungssperre abgeschafft ist und der gutgläubige Erwerb von der Ersitzung entkoppelt ist.

II. Der Erwerb vom Nichtberechtigten in den Kodifikationen 1. Zwei moderne Varianten der römischen Positionen zum Putativtitel: Code civil und ABGB Den Widerspruch zwischen den Ansichten der Hoch- und Spätklassiker, insbesondere der Stellungnahmen von Celsus (D 41.3.27) und Julian (D 41.4.11), kann die Gemeinrechtslehre nur in der Weise auflösen, dass sie die eine Entscheidung zur Regel, die andere zur Ausnahme erklärt: Während der Ausschluss der Putativtitelersitzung, wie ihn vor allem Celsus propagiert, der Grundsatz sein soll, erkennt man in der Rücksicht auf einen entschuldbaren Irrtum des Erwerbers, wie sie unter anderem Julian nimmt, einen Sonderfall. Diese Lösung, die im Ergebnis eben der Ansicht Julians zum Sieg verhilft, findet sich sowohl im Mittelalter66 als auch bei den Humanisten67 sowie bei den Vertretern der holländischen eleganten Jurisprudenz68 und des usus modernus69. Sie wird auch von den beiden schon unter Einfluss des 66 Vgl. Placentinus, Summa codicis, zu CJ 7.26, Ausg. Mainz 1536 (Nachdruck Turin 1962), S. 325: Item loco tertio titulum verum oportet subesse in usucapione. siquidem error falsae causae non parit usucapionem. excipitur nisi probalissime sit erratum puta, si procurator meus rem quam mihi tradidit se emisse dixerit, cum tamen non emerit. nam tunc utiliter eam titulo pro emptore usucapio vel titulo pro suo. Azo, Summa Codicis, zu CJ 7.26, Nachdr. Turin 1564 (Nachdr. Turin 1966), S. 274: … si non subsit titulus sufficit iustus error ad usucapionem … Die Kontroverse zwischen Celsus und Julian wurde in der Weise hinweggedeutet, dass man Celsus’ Stellungnahme auf die Ersitzung mit konkretem Titel, die Ansicht Julians auf die Ersitzung pro suo bezog; vgl. Gl. existimarent zu D 41.3.27 und Bartolus, Commentaria in primam partem Digesti novi, Nr. 1 zu D 41.3.27. 67 Donellus, Commentarii de jure civili 5.15.1, 14 ff., Opera omnia, Bd. 1, Florenz 1840, Sp. 1082, 1086: Justam caussam cum hic requirimus, aperte eam, quae est, idest veram, requirimus, scilicet ut, quem volumus pro emptore possidere, seu ex caussa emptionis, vere emerit; qui pro donato, aut legato, aut dote, huic vere res donata, legata aut in dotem data sit. Si hoc non est, nulla caussa est, eoque nulla usucapio. … Interdum tamen, qui justam caussam subesse putat, in hoc errore usucapit. Quod receptum est, si justam aliquam caussam erroris habeat. Für eine nur aus Billigkeit akzeptierte Lösung hält dies Duaren, Kap. 2 zu D 41.3, Opera omnia, Ausg. Frankfurt am Main 1658, S. 658: Oportet re vera rem donatam esse. Hoc tamen intellegendum est cum exceptione, nisi iustus error invervenerit … His verbis ostendit hoc certi iuris non fuisse, sed aequitatem suadere, ut haec sententia recipiatur. Sine titulo igitur non procedit usucapio. 68 Voet, Commentarius ad pandectas, Nr. 4 zu D 41.3, Ausg. Den Haag 1736, Bd. 2, S. 624 f.: Titulum autem hunc oportet esse verum; cum falsa causa non pariat usucapionem … nisi … justissimus sit error facti, quo quis lapsus, titulum intervenisse credidit, qui tamen revera non intervenit … 69 Lauterbach, Collegium theoretico-practicum, Nr. 9 zu D 41.3, Ausg. Tübingen 1765, Bd. 3, S. 188: Justa possessio est necessaria; ad cujus qualificationem requiritur justus titulus

II. Der Erwerb vom Nichtberechtigten in den Kodifikationen

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Naturrechts wirkenden französischen Gelehrten, Domat und Pothier, rezipiert. Domat vergleicht den Erwerber, zu dessen Gunsten die Ersitzungszeit abgelaufen ist, mit einem Schuldner, der zur Verteidigung gegen die verjährte Forderung auch keine Quittung mehr vorzulegen braucht; und er setzt die bona fides des Erwerbers mit einem Titel gleich: Comme la possession jointe à la bonne foi suffit pour prescrire les choses prescriptibles, et qu’elle tient lieu de titre, quoiqu’on n’en ait point d’autres, le possesseur qui a prescrit, soit qu’il ignore l’origine et la cause de possession, ou qu’ayant eu un titre il ne puisse pas en justifier, sera maintenu contre l’ancien propriétaire qui justifie d’un titre. De même que le débiteur qui a prescrit la dette, n’a pas besoin de quittance pour être déchargé de la demande de son créancier, car la prescription aneantit les titres de propriétaire et de créanciers. Et ils doivent s’imputer d’avoir négligé leurs droits pendant un si long temps.70

Pothier beruft sich für die Zulassung der Putativtitelersitzung ausdrücklich auf Julian71 und hält dessen Entscheidung auch bei der Interpretation der coutume von Paris für maßgeblich. Fordert diese für die Ersitzung auch einen titre juste, liege ein solcher gerade in dem Auffangtitel pro suo, der im Fall eines entschuldbaren Irrtums über die Unwirksamkeit des Erwerbsgeschäfts gegeben sei: La résponse est, que l’opinion qu’a le possesseur que sa possession procède de quelque juste titre, quoiqu’elle soit fausse, lorsqu’elle est appuyée sur un juste fondement, est elle-même un juste titre, comme sous le titre général pro suo: un tel possesseur peut donc dire qu’il est dans les termes de la coutume de Paris, et qu’il a possédé à juste titre. La coutume de Paris … et les autres coutumes semblables, n’ont entendu faire autre chose que d’adopter la décision du droit romain sur la prescription de dix et vingt ans : les dispositions de ces coutumes doivent donc s’entendre et s’interpréter suivant les principes du droit romain, lorsque rien n’oblige de s’en écarter.72

Setzt sich in der französischen Rechtslehre die Ansicht durch, der gute Glaube des Erwerbers oder sein Irrtum ersetzten einen Titel für die Ersitzung, nimmt es nicht wunder, dass auch der unmittelbare Erwerb vom Nichtberechtigten ohne Titel auskommen soll. Nach Bourjon hat er sich zum Schutz des Rechtsverkehrs in der Rechtsprechung des Châtelet de Paris gerade in Gestalt des Satzes: la possession vaut titre, herausgebildet. Er macht augenscheinlich, dass der redlich erlangte Besitz von Mobilien keines Titels bedarf, um gegenüber dem Herausgabeverlangen des ehemaligen Eigentümers zu bestehen:

… non generalis … sed specialis, quatenus accipitur pro causa ad transferendum rerum dominium habili … Porro regulariter debet esse verus, non opinatus vel putativus, ut si quis existimans se emisse, vel sibi donatum esse, possideat … Nisi justa erroris et credulitatis causa subsit … Hinc si quis procuratori mandaverit, ut rem emat, et procurator persuaserit ei, se emisse, atque ita tradiderit, usucapio sequitur … Idem est, si error sit facti (non proprii … sed alieni …). 70 Domat, Les loix civiles dans leur ordre naturel, 1.3.7.4.14, Ausg. Paris 1707, S. 305. 71 Pothier, Traite de la precscription, Nr. 96, in: Oeuvres, Paris 1861, Bd. 9, S. 351. 72 Pothier (Fn. 71), Nr. 97, S. 352 f.

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Gutgläubiger Erwerb und Rechtsgrund En matière de meuble, la possession vaut titre de propriété, la sûreté du commerce l’exige ainsi … La base de cette maxime, est qu’on ne posséde ordinairement que les meubles dont on est propriétaire; ainsi la possession doit donc quant à ce, décider. …73 La prescription n’est ici d’aucune considération, elle ne peut être d’aucun usage quant aux meubles, puisque par rapport à de tels biens la simple possession produit tout l’effet d’un titre parfait. … j’ai toujours vû cette opinion rejettée au Châtelet, où l’on tient pour maxime, qu’en matière de meubles la possession vaut titre de propriété, à moins que le meuble ne soit furtif.74

Die hieraus gebildete Vorschrift des Art. 2276 CC (Art. 2279 a. F.)75 ist insofern doppeldeutig, als sie sich einerseits auf den Erwerb vom Nichtberechtigten, andererseits auf den Fall bezieht, in dem der Erwerber die Sache vom Berechtigten erlangt hat. In dieser zweiten Konstellation liefe sie, wenn man ihr einen generellen Ausschluss des Herausgabeanspruchs entnähme, geradewegs dem Modell des Eigentumserwerbs durch Konsens (Art. 1138, 1583 CC) zuwider; denn der den Eigentumstransfer tragende Akt wäre der Besitzerwerb, der das Erwerbsgeschäft entbehrlich machte.76 Dementsprechend erkennt man der Vorschrift für das Verhältnis von Erwerber und Veräußerer eine bloße fonction probatoire zu,77 reduziert sie also darauf, dem Erwerber den Nachweis eines gültigen Erwerbsgeschäfts zu ersparen.78 Nur im Verhältnis zu Dritten, in denen ein gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten denkbar ist, soll Art. 2276 CC seine fonction acquisitive entfalten, also den Erwerber vor dem Herausgabeverlangen des früheren Eigentümers ohne Nachweis des Erwerbstitels schützen79. Die differenzierte Anwendung von Art. 2276 CC führt zu dem auf den ersten Blick verwunderlichen Ergebnis, dass der Erwerb vom Nichtberechtigten leichter als der Erwerb vom Berechtigten fällt. Dieser Widerspruch entpuppt sich jedoch als nur scheinbar, wenn man dem schon bei den hochklassischen römischen Juristen wirksamen Gedanken folgt und erkennt, dass der Erwerb vom Nichtberechtigten eben keine Variante des derivativen, sondern eine Art des originären Eigentumser73 Bourjon, Le droit commun de la France et la coutume de Paris, 2.1.6.1.1 f., Ausg. Paris 1747, Bd. 1, S. 124. 74 Bourjon (Fn. 73), 3.22.5.1, Bd. 1, S. 911. 75 Sie wird von Bigot-Préameneu in der présentation au corps législatif et exposé de motifs einerseits mit der Rechtsprechungstradition, andererseits mit der Erwägung gerechtfertigt, bei Mobilien lasse sich das Eigentum ohnehin nur schwer und um den Preis vielfacher Rechtsstreitigkeiten nachvollziehen, die zum Wert der jeweils betroffenen Sache regelmäßig außer Verhältnis stünden; vgl. Fenet (Hg.), Recueil complet des travaux préparatoires du Code civil, Bd. 15, Paris 1827, S. 600. 76 Mazeaud/de Julgar, Leçons de droit civil, 5. Aufl., Paris 1989, Nr. 1525. 77 Vgl. Malaurie/Aynes, Droit civil: les biens, 3. Aufl., Paris 2007, Nr. 575, 586 ff., ferner Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht, Bd. 2, 2. Aufl., Heidelberg 1986, Rn. 3 B 12. 78 Dies ist auch die Rolle, die dem Besitz noch im zweiten (Art. 135) und dritten (Art. 688) Vorentwurf von Cambacérès zukommt. 79 Planiol/Ripert/Picard, Traité practique de droit civil francais, Bd. 3: Les biens, 2. Aufl., Paris 1952, Nr. 382, Mazeaud/de Julgar (Fn. 74), Nr. 1536, Malaurie/Aynes (Fn. 77), Nr. 579.

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werbs darstellt. Dies gilt für den unmittelbaren Erwerb vom Nichtberechtigten nicht weniger als für die Ersitzung. Denn hier wie dort wird kein Eigentum übertragen, sondern von der Rechtsordnung zugewiesen; und ausschlaggebend ist nicht die Parteiabsicht zum Eigentumstransfer, sondern die Schutzwürdigkeit des Erwerbers und ihr Fehlen beim bisherigen Eigentümer. Da beide nicht durch den Rechtsgrund gebunden sind, der zwischen dem Erwerber und dem Veräußerer besteht, ist es konsequent, von seiner Gültigkeit abzusehen und den Erwerber allein wegen seines guten Glaubens und unabhängig von der Wirksamkeit des Erwerbsgeschäfts zu schützen.80 Da die Abwägung der Belange von Eigentümer und Erwerber auch anders ausfallen kann, ist die Lösung des Code civil freilich nicht die einzig mögliche. Ebenso denkbar ist es, den Schutz des Erwerbers davon abhängig zu machen, dass er ein Opfer bringt.81 Dies ist das Modell des ABGB, dessen § 367 in seinen wesentlichen Grundzügen schon im Codex Theresianus enthalten ist.82 Die dort getroffene Regelung, wonach jemand „aus Macht Rechtens“ und ohne Ersitzung das Eigentum an einer Sache erwirbt, die er redlich „aus entgeltlicher oder einer solchen Ursache, aus welcher er dagegen etwas von dem Seinigen dafür zu geben verbunden worden“,83 leuchtet auch dem Verfasser des endgültigen Gesetzestextes, Franz von Zeiller, ein. Er sieht durch sie die Sicherheit des Rechtsverkehrs gewährleistet, der einen Vorzug des schuldlosen Erwerbers vor dem bisherigen Eigentümer der Sache rechtfertige, dass dieser die erworbene Sache selbst aus der Hand gegeben habe und als Eigentümer den zufälligen Schaden tragen müsse.84 Dies gelte freilich nur bei einem

80 Inkonsequent ist es dagegen, dass Art. 2272 CC (Art. 2265 a. F.) für die 10-jährige Ersitzung von Grundstücken außer dem guten Glauben noch einen gültigen Titel fordert. 81 Rechtsvergleichend hierzu Thorn, Der Mobiliarerwerb vom Nichtberechtigten, BadenBaden 1996, S. 119 ff. 82 Vgl. dessen Nr. 8 II 8 f.: „(8) Doch erfordert in diesem Fall die Sicherheit gemeinen Handels und Wandels bei beweglichen Sachen, daß Niemand, der eine fremde bewegliche Sache mit guten Glauben aus entgeltlicher oder einer solchen Ursache, aus welcher er dagegen etwas von dem Seinigen dafür zu geben verbunden worden, redlicher Weise an sich gebracht hat, dabei gefährdet seie, wenn er seinerseits keinen Anlaß gegeben, daß ihme die Erhandlung einer fremden Sache zur Schuld gelegt werden könne. (9) Er erwirbt dahero in Hinzutretung aller dieser Umständen das Eigenthum einer auf gleichbemelte Art rechtmäßig an sich gebrachten fremden beweglichen Sache aus Macht Rechtens, welches auf ihn sogleich ohne einer hierzu nöthigen Verjährung übertragen wird.“ 83 Sind die Vorbilder dieser Regelung auch teils in der deutschrechtlichen Fortentwicklung der condictio furtiva und der Spolienklage zu suchen, geht der Gedanke, dass ein gutgläubiger Erwerber nicht nur vor Rechtsverfolgung sicher ist, sondern auch das Eigentum erlangt, doch auf die römische Ersitzung zurück; vgl. Wellspacher, Publizitätsgedanke und Fahrnisklagen im Usus modernus, GrünhutsZ 31 (1904) 631 ff., 665 f. Schon skeptisch, was den Beitrag des deutschen Rechts anbelangt, ist Hübner, Der Rechtsverlust im Mobiliarsachenrecht, Erlangen 1955, S. 16 ff. 84 Zeiller, Commentar über das ABGB, Bd. 2.1, Wien u. a. 1812, Nr. 1 zu § 367, S. 134 f.

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entgeltlichen Erwerb, da sonst eine ungerechtfertigte Bereicherung des Erwerbers zulasten des Eigentümers stattfinde.85 Diese Ansicht stimmt mit der naturrechtlichen Lehre überein, die zwar noch keinen unmittelbaren Erwerb vom Nichtberechtigten, wohl aber die Ersitzung kennt und hier einen anderen Standpunkt als die Gemeinrechtswissenschaft einnimmt: Ebenso wie den spätklassischen römischen Juristen erscheint es den Naturrechtslehrern als ausgemacht, dass Besitz und Ersitzung unter Privaten nur durch das Zusammenspiel von bona fides und iustus titulus gerechtfertigt sind.86 Diese Forderung nach einem Erwerbsgrund verliert beim gutgläubigen Erwerb, wie ihn das ABGB vorsieht, ihre Inkonsequenz; denn ein Entgelt, das den Schutz des Erwerbers trägt, kann nur aufgrund eines wirksamen Erwerbsgeschäfts geschuldet sein. Der Rechtsgrund, der als solcher für das Verhältnis zwischen bisherigem Eigentümer und Erwerber ohne Belang und bei der Ersitzung daher, für sich genommen, deplatziert ist, gewinnt nun eine Bedeutung als Element der Voraussetzung des entgeltlichen Erwerbs: Nur wenn sich der Erwerber wirksam zu einer Gegenleistung an den Veräußerer verpflichtet hat, genießt er aufgrund seines Opfers den Vorrang vor dem Eigentümer der Sache, der nun zumindest auf die Gegenleistung zurückgreifen kann87. Dementsprechend ist in der österreichischen Lehre auch zu Recht anerkannt, dass der gutgläubige Erwerb ebenso wie der Eigentumstransfer vom Berechtigten Übergabe und Rechtsgrund voraussetzt.88 2. Zwei inkonsequente Modelle: ZGB und BGB Halten das französische und österreichische Gesetzbuch zwei verschiedene, aber gleichermaßen folgerichtige Modelle für den gutgläubigen Mobiliarerwerb bereit, finden sich im schweizerischen und deutschen Gesetzbuch wiederum zwei inkonsequente Lösungen. Das schweizerische ZGB setzt die Tradition der spätklassischen römischen Jurisprudenz fort, indem es den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten von der Wirksamkeit des Rechtsgrundgeschäfts zwischen Veräußerer und Erwerber abhängig macht. Dies sagt das Gesetz nicht ausdrücklich, ergibt sich aber daraus, dass der Erwerb vom Nichtberechtigten gemäß Art. 714 Abs. 2, 973 Abs. 1 85

Zeiller (Fn. 74), Nr. 2, S. 135 f. Thomasius, Institutiones iurisprudentiae divinae, 2.8.201, Ausg. Halle 1720 (Neudruck Aalen 1994), S. 208: Ne tamen hoc modo iniquis possessoribus nimium gratificaretur, ulterius requisiverunt in eo, qui usucapere vult, bonam fidem et justum titulum, tum et intuitu rei, ut sit in commercio privatorum, neque furtiva aut vi possessa. Wolff, Ius naturae 3.1036 f.: Possessio justa est, quae et titulo justo, et bona fide constat. Injusta igitur possessio est, quae justum quidem habet titulum, bona autem fide destituitur, vel quae bona quidem fide constare videtur, justo tamen destituitur titulo … Qui rem a domino praesumto justo titulo accepit, eam bona fide possidet. 87 Vgl. Rummel/Spielbüchler § 367 Rn. 4 88 Koziol/Welser/Kletecˇka, Grundriss des bürgerlichen Rechts, Bd. 1, 13. Aufl., Wien 2006, S. 333, Rummel/Spielbüchler § 67 Rn. 3, Koziol/Bydlinski/Bollenberger/Eccher, § 367 Rn. 1. 86

II. Der Erwerb vom Nichtberechtigten in den Kodifikationen

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ZGB dem gewöhnlichen Erwerb gleichgestellt ist. Damit unterfällt er ebenfalls dem Kausalitätsprinzip, das für den Immobiliarerwerb in Art. 974 Abs. 2 ZGB gesetzlich festgeschrieben ist. Dementsprechend fordert auch die schweizerische Lehre für den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten ebenso wie für den Eigentumstransfer durch den Verfügungsberechtigten einen gültigen Rechtsgrund.89 Etwas anderes gilt nur für die Ersitzung beweglicher Sachen nach Art. 728 Abs. 1 ZGB, deren Bedeutung aber durch den gutgläubigen Erwerb stark gesunken ist. Auch nach BGB (§ 937) erfordert die Ersitzung beweglicher Sachen nur noch den gutgläubigen Eigenbesitz des Erwerbers und kein wirksames Rechtsgrundgeschäft. Dass der gutgläubige Erwerb seiner nicht bedarf, ist schon die Folge des aus der Pandektenwissenschaft übernommenen Abstraktionsprinzips, demzufolge der Erwerb des Eigentums an die Vornahme eines dinglichen Rechtsgeschäfts gebunden, aber von Existenz und Gültigkeit eines schuldrechtlichen Kausalgeschäfts unabhängig ist. Entwickelt wurde dieses neue Modell des Eigentumserwerbs von Hugo und Savigny, die sich seiner einerseits zur Interpretation der römischen Quellen, andererseits zur strikten Trennung von Schuld- und Sachenrecht bedienten.90 Erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schreibt man ihm außerdem die Funktion des Verkehrsschutzes zu, weil es gewährleistet, dass der Erwerber einer Sache nicht mehr überprüfen muss, ob der Veräußerer sie seinerseits mit Rechtsgrund erworben hat. Ob das Abstraktionsprinzip diese Funktion noch im BGB erfüllen kann, ist fragwürdig; denn anders als im noch Gemeinen Recht sorgt für den Verkehrsschutz hier das Institut des gutgläubigen Erwerbs. Er erspart dem Erwerber einer Sache nicht nur die Überprüfung des Rechtsgrundes seines Vordermannes, sondern auch die Prüfung, ob dieser überhaupt Eigentümer der veräußerten Sache geworden ist. Das Abstraktionsprinzip geht hierüber nur insoweit hinaus, als auch ein bösgläubiger Erwerber, der den Mangel des Rechtsgrundes seines Vordermannes kennt, die Sache wirksam erwirbt, wenn der Veräußerer die Sache durch ein gültiges dingliches Rechtsgeschäft erworben hat. Ist dieser Schutz auch unangebracht, erscheint das Abstraktionsprinzip zumindest auf den ersten Blick doch insoweit eine folgerichtige Lösung für den gutgläubigen Erwerb herzustellen, als es diesen einerseits von dem Erfordernis eines wirksamen Rechtsgrunds befreit, andererseits die Konsequenz des französischen Rechts vermeidet, dass der gutgläubige Erwerb vom Nichtberechtigten leichter fällt als der Erwerb vom Berechtigten. Genau besehen, ist dieser scheinbare Vorteil jedoch ein Nachteil, und dieser wiegt sogar schwerer als die im französischen Recht auftretende Anomalie. Dies liegt nicht nur an der schon als widersprüchlich erkannten Regelung des § 816 Abs. 1 S. 2 BGB, der dem gutgläubigen Erwerber, wenn er die Sache unentgeltlich erlangt hat, die

89 Vgl. Rey, Die Grundlagen des Sachenrechts und das Eigentum, 3. Aufl., Bern 2007, Rn. 1764 f. 90 Vgl. Jakobs, Gibt es den dinglichen Vertrag?, SZ 119 (2002) 269, 300 ff.

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Rückgewähr an ihren früheren Eigentümer nach Bereicherungsrecht vorschreibt.91 Mit dieser Bestimmung wird die Entkoppelung des gutgläubigen Erwerbs vom Rechtsgrund wieder aufgehoben, die das Abstraktionsprinzip nach Ansicht seiner Schöpfer gerade auch beim unentgeltlichen Erwerb bewirken soll: „Auch würde die Billigkeit gegen den durch den unentgeltlichen Erwerb Verletzten zu einer großen Unbilligkeit gegen den Erwerber führen können, wenn dieser der für ihn günstigen Vermögenslage entsprechend seine wirthschaftliche Stellung gestaltet hat und nunmehr dieselbe aufzugeben genöthigt wäre. Der durchdringende Grund gegen die Zurücksetzung des unentgeltlichen Erwerbes aber liegt in der Rücksicht auf den Immobiliarverkehr überhaupt. Wenn dieser Verkehr auf eine sichere Grundlage gestellte werden soll, so darf das vorschriftsmäßig errichtet und vollzogene Erwerbsgeschäft nicht durch die Behauptung eines Dritten, daß der Erwerb ohne Entgelt erfolgt sei, in Frage gestellt werden.“92

Zugleich erhält der Eigentümer aber ohne plausiblen Grund statt seines bisherigen Eigentums nur das schwächere Mittel eines schuldrechtlichen Anspruchs. Hält man ihn doch für schutzwürdiger als den Erwerber, der die Sache unentgeltlich erlangt, müsste man ihm konsequenterweise auch das bisher innegehabte Recht zugestehen und dem Erwerber versagen. Selbst wenn man von der unglücklichen Regelung des § 816 Abs. 1 S. 2 BGB abstrahiert, deren analoge Anwendung auf den Fall eines fehlenden Rechtsgrunds schon erwogen worden ist,93 vermag das Abstraktionsprinzip dennoch kein sinnvolles Modell des gutgläubigen Erwerbs zu begründen. Denn es befreit den Erwerb vom Nichtberechtigten zwar von dem Erfordernis eines Rechtsgrunds, der im Verhältnis zum bisherigen Eigentümer der Sache, für sich genommen, belanglos ist. Es bindet ihn aber an das Erfordernis eines wirksamen dinglichen Geschäfts. Dies ergibt nicht nur die Verweisung in § 932 Abs. 1 BGB auf § 929 BGB, sondern entspricht auch der erklärten Absicht der Gesetzesverfasser, die durch den guten Glauben des Erwerbers nur das fehlende Eigentum des Veräußerers und nicht einen Mangel des dinglichen Erwerbsgeschäfts überwunden sehen: „Der Entwurf lässt nur den Mangel des Eigenthums des Veräußerers durch die bona fides des Erwerbers gedeckt werden. Ein Irrthum des Erwerbers in Ansehung sonstiger rechtsgeschäftlicher Erfordernisse, wie Vertretungsmacht, Geschäftsfähigkeit und dergl., verdient nicht eine ähnliche Begünstigung; es würde unbillig sein, wenn man die schädlichen Folgen eines solchen Irrthums von dem Irrenden auf einen Dritten, den Eigenthümer der Sache, abwälzen wollte.“94

Misst man dem Rechtsgrund eines gutgläubigen Erwerbs keine Bedeutung für den Konflikt zwischen dem Erwerber und dem bisherigen Eigentümer zu, darf aber nichts anderes für das dingliche Erwerbsgeschäft gelten. Ob es wirksam oder von einem 91 Vgl. die Kritik der Verfasser des DCFR, Comment C b zu Art. VIII. – 3:101 (Bd. 5, S. 4830). 92 Mot., Mugdan, Bd. 3, S. 117. 93 BGH, NJW 1962, 1671, 1672. 94 Mot., Mugdan, Bd. 3, S. 191.

II. Der Erwerb vom Nichtberechtigten in den Kodifikationen

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Gültigkeitshindernis befallen ist, betrifft das Verhältnis von Erwerber und früherem Sacheigentümer nicht mehr und nicht minder als die Frage, ob das Rechtsgrundgeschäft gültig ist oder an einem Wirksamkeitsmangel leidet. Auch für das dingliche Erwerbsgeschäft gilt, dass es allein den Ausschlag dafür geben kann, ob das Eigentum von dem Veräußerer auf den Erwerber übergeht. Für die Entscheidung zwischen dem Erwerber, der die Sache vom Nichtberechtigten erlangt, und ihrem bisherigen Eigentümer könnte es bestenfalls mittelbar eine Rolle spielen, indem man den Schutz des Erwerbers an ein von ihm erbrachtes Opfer bindet. Dann ist aber gerade das schuldrechtliche Grundgeschäft entscheidend, aus dem sich die Verpflichtung zu diesem Opfer ergibt, und nicht das dingliche Erwerbsgeschäft. Erklärt man dagegen mit Hilfe des Abstraktionsprinzips das Rechtsgrundgeschäft für irrelevant, darf nichts anderes für den dinglichen Vertrag gelten, zumal dieser wie etwa im Fall eines Irrtums oder eines Sittenverstoßes durchaus an denselben Mängeln leiden kann wie das Rechtsgrundgeschäft. Spielen sie hier keine Rolle, dürfen sie es auch nicht auf dem Umweg über das dingliche Erwerbsgeschäft. Das vom Abstraktionsprinzip bestimmte Modell des deutschen Rechts steht daher nur scheinbar in der Tradition der im französischen Recht wirksamen Auffassung der hochklassischen römischen Juristen. In Wahrheit ist es ebenso inkonsequent wie das schweizerische Recht, in dem die Ansicht der spätklassischen römischen Juristen fortlebt.

Verzeichnis der römischen juristischen Quellen Gai institutiones 2.43 2.56 2.57 3.88 3.89 3.90 3.92 3.106 3.107 3.128 3.129 3.130 3.131 3.135 3.136 3.137 3.139 3.142 3.148 3.155 4.11 4.17a 4.47

82 Fn. 57 74 Fn. 40 74 Fn. 40 18 18 18 18 72 Fn. 35 72 Fn. 34 18 18 f. 18 f. 18 f. 18 f. 18 f. 18 f. 34 34 34 34 29 Fn. 42 7, 26 28 f.

Fragmenta Vaticana 1

72 Fn. 33

Collatio 10.7.11

29 Fn. 41

Institutiones 2.6.11 3.13.2 3.14.2 3.14.3

70 21 Fn. 9 21 Fn. 11 21 Fn. 11

Verzeichnis der römischen juristischen Quellen 3.14.4 3.27pr 3.27.1 3.27.2 3.27.3 3.27.4 3.27.5 3.27.6 4.3.4 4.3.16

21 Fn. 11 21 21 21 21 21 21 21 47 Fn. 15 45

Digesta 1.5.26 2.10.3.3 2.14.1.3 2.14.7pr 2.14.7.1 2.14.7.2 2.14.7.4 3.5.15 4.3.7.7 6.2.7.2 6.2.7.4 7.8.12.6 9.2.9.4 9.2.10 9.2.11pr 9.2.11.2 9.2.29.7 9.2.31 9.2.52pr 11.7.8.1 12.1.23 12.5.6 12.6.15.1 16.2.10pr 17.1.47.1 18.1.4 18.1.57pr 18.1.57.1 18.1.57.2 18.1.57.3 18.1.62.1 18.1.70 18.4.4 18.4.7

64 Fn. 24 51 Fn. 23 25 Fn. 25 17 Fn. 4 17 Fn. 4 22 Fn. 13 17 Fn. 4 35 Fn. 60 46 Fn. 13 71 71 35 Fn. 61 46 47 47 49 Fn. 20 49 Fn. 19 48 49 Fn. 19 39 Fn. 2 57 57 58 Fn. 11 50 f. 56 Fn. 5 40 49 49 f. 49 f. 49 f. 39 Fn. 2, 40 41 41 f. 42 Fn. 6

95

96 18.4.8 18.6.3 19.1.6.4 19.1.13.5 19.1.30.1 19.1.38.1 19.2.15.2 19.2.15.4 19.2.15.5 19.2.15.7 19.2.22.3 19.2.25.3 19.4.1pr 19.5.5pr 19.5.5.1 21.2.29.3 21.2.54pr 22.1.4.1 22.6.2 22.6.4 23.3.67 39.6.13pr 39.6.33 41.3.4.16 41.3.4.17 41.3.10pr 41.3.13.1 41.3.27 41.3.31pr 41.3.32.1 41.3.33.1 41.3.44.4 41.3.46 41.3.48 41.4.2pr 41.4.2.1 41.4.2.2 41.4.2.6 41.4.2.11 41.4.2.13 41.4.2.14 41.4.2.15 41.4.2.16 41.4.7.6 41.4.8 41.4.9

Verzeichnis der römischen juristischen Quellen 41 f. 37 Fn. 39 42 f. 44 43 28 Fn. 35 36 Fn. 63 36 Fn. 63 36 Fn. 63 36 Fn. 63 52 36 Fn. 63 37 Fn. 71 22 22 40 f. 56 Fn. 6 37 Fn. 70 61 61 55 56 56 64 f. 64 f. 68, 82 72 54, 66, 81, 86 61 83 63 Fn. 23, 73 Fn. 38 73 69 67 f. 67, 82 83 66 f. 62 62 Fn. 21, 65 Fn. 26 65 Fn. 26 65 Fn. 26 71 72 79 78 64 Fn. 25

Verzeichnis der römischen juristischen Quellen 41.4.10 41.4.11 41.5.1 41.5.3 41.6.1pr 41.7.6 41.8.1 41.8.2 41.8.3 41.8.4 41.8.5 41.8.6 41.8.9 41.9.1.3 41.9.1.4 41.10.3 41.10.4pr 41.10.4.2 41.10.5 44.7.1.3 44.7.1.5 44.7.1.6 44.7.5pr. 44.7.5.1 44.7.5.2 44.7.5.3 46.3.80 50.16.19 50.16.109 50.16.213.1 50.17.23 50.17.203

64 f. 63, 65, 86 74 Fn. 39 74 67 85 Fn. 64 75 f. 76 66 75 76 Fn. 46 76 Fn. 46 75 57 57 59 84 Fn. 63 77 60, 66 21 21 21 f. 20 20 20 20 24 Fn. 17 24 82 Fn. 57 31 Fn. 48 44 f. 51

Codex Iustinianus 5.59.3 7.26.9 7.27.3 7.29.4 7.33.4 7.33.5

71 70 69 69 f. 70

97

Sachregister actio de dolo 45 f. actio legis Aquiliae 45 ff. actio Publiciana 71 f. actio rei uxoriae siehe Mitgift Arrhalkauf 8 ff. Auftrag 19, 27, 34 f., 38 bona fides 8, 19, 27 ff., 34, 77 ff. Codex Hammurabi 9, 13 commodatum siehe Leihevertrag contractus 17 ff. culpa in contrahendo 39 ff. culpa-Kompensation 49 ff. depositum siehe Verwahrung dolus in contrahendo 42 ff. emptio venditio siehe Kaufvertrag Erbfall 73 ff. Ersitzung 54 ff. exceptio rei venditae et traditae 79 f.

lex Silia 30 Litteralvertrag 19 locatio conductio siehe Verdingung mandatum siehe Auftrag Mitgift 27, 55 ff. Mitverschulden 46 ff. mutuum 19, 30 ff., 38 Mykene 11 ff. negotiorum gestio siehe Geschäftsführung ohne Auftrag negotium claudicans 72 oikos-Wirtschaft 12 ff. pactum 17, 23 Palastwirtschaft 10 ff. Pfandvertrag 21 pignus siehe Pfandvertrag Putativtitel 54 ff.

fiducia 27 furtum 59, 62 ff., 77, 85 f.

Quasidelikt 20 f. Quasikontrakt 20 f.

Geschäftsführung ohne Auftrag 20, 27, 35 Gesellschaftsvertrag 19, 27, 34 f., 38

Realvertrag 9, 19 ff., 25, 30 ff., 38 Recht – deutsches 90 ff. – französisches 86 ff. – griechisches 8 ff., 31 f. – mesopotamisches 9 f. – österreichisches 89 f. – schweizerisches 90 ff. res extra commercium 40 f.

Innominatrealvertrag 23 Irrtum (bei Ersitzung) 60 ff., 68 f., 74 ff., 85 Kaufvertrag 19, 27, 34, 36 ff., 39 ff., 50, 64, 66, 68, 82 f. Kondiktion 19 f., 22, 31 f., 56 f., 60 Königtum 15 ff. Konsensualvertrag 19, 24 f., 26 f., 33 ff., 38 Landpacht 35 f. Leihevertrag 21, 25, 28 f., 30 f., 38

Schenkung 56, 67 societas siehe Gesellschaftsvertrag solutio 59 f., 68 ff. Stipulation 7 ff., 24, 26 ff., 33, 38, 56, 59

Sachregister Typenzwang 17 ff. Verbalvertrag siehe Stipulation Verdingung 19, 25, 27, 34 ff., 42 f.

Vertragsfreiheit 17 ff. Verwahrung 21, 28 f., 30 f., 38 Zwölftafelgesetz 7, 29, 37

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