Street Art und neue Medien: Akteure - Praktiken - Ästhetiken 9783839435359

On the trail of key figures in street art: based on a media studies theory of practice, this volume portrays their world

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Street Art und neue Medien: Akteure - Praktiken - Ästhetiken
 9783839435359

Table of contents :
Editorial
Danksagung
Inhalt
1. Eine erste Standortbestimmung
2. Forschungsstand
3. Methode
4. Analyse
5. Fazit und Ausblick
6. Anhang
7. Glossar
8. Bibliographie

Citation preview

Katja Glaser Street Art und neue Medien

Locating Media | Situierte Medien

Band 17

Editorial Orts- und situationsbezogene Medienprozesse erfordern von der Gegenwartsforschung eine innovative wissenschaftliche Herangehensweise, die auf medienethnographischen Methoden der teilnehmenden Beobachtung, Interviews und audiovisuellen Korpuserstellungen basiert. In fortlaufender Auseinandersetzung mit diesem Methodenspektrum perspektiviert die Reihe Locating Media/Situierte Medien die Entstehung, Nutzung und Verbreitung aktueller geomedialer und historischer Medienentwicklungen. Im Mittelpunkt steht die Situierung der Medien und durch Medien. Die Reihe wird herausgegeben von Sebastian Gießmann, Gabriele Schabacher, Jens Schröter, Erhard Schüttpelz und Tristan Thielmann.

Katja Glaser (Dr.) promovierte am DFG-Graduiertenkolleg »Locating Media« der Universität Siegen zu orts- und situationsbezogenen Medienprozessen und erforschte die Wechselwirkungen von Street Art und neuen Medien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Street Art und Urban Art, Mobile Medien, Social Networking, Netzpolitik und Medienästhetik.

Katja Glaser

Street Art und neue Medien Akteure – Praktiken – Ästhetiken

Diese Publikation ist im DFG-Graduiertenkolleg »Locating Media« an der Universität Siegen entstanden und wurde unter Verwendung der dem Graduiertenkolleg von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld, nach einem Konzept der Autorin Lektorat: Rosemarie Klein Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3535-5 PDF-ISBN 978-3-8394-3535-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Danksagung Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift. Ich danke all denjenigen Personen, die diese Arbeit ermöglicht und mich auf dem Weg zur Publikation begleitet haben.

Besonderer Dank gilt meinen beiden Betreuern Jens Schröter und Isabell Otto,

die diese Arbeit von Beginn an unterstützten und deren hilfreiche Anmerkungen, Ratschläge und Gespräche sowie stets aufbauenden Worte diese Arbeit wesentlich mitprägten und bereicherten.

Zudem danke ich dem Graduiertenkolleg Locating Media: den Sprechern

Erhard Schüttpelz und Tristan Thielmann, allen Antragstellern, den Koordinatoren Judith Ackermann, Sebastian Gießmann und Gabriele Schabacher, den Kollegiaten – im Besonderen Ilham Huynh, Raphaela Knipp, Simone Pfeifer und Nadine Taha – sowie dem gesamten Organisationsteam.

Dank gilt auch meinen Kollegen Javier Abarca, Ulrich Blanché, Heike Derwanz, Ilaria Hoppe, Christian Omodeo u.a., die diese Arbeit durch Wortbeiträge, Ideen und produktive Zusammenarbeit, teils von Beginn an, unterstützten. Ebenfalls bedanke ich mich beim Graduiertenkolleg InterArt der Freien

Universität Berlin, durch dessen Assoziation im Sommersemester 2014 gewinnbringende Impulse in meine Arbeit aufgenommen werden konnten. Ich bedanke mich bei Christiane Heibach, die mir als Mentorin unterstüt-

zend zur Seite stand.

Ganz besonderer Dank gilt den Akteuren der Street-Art-Welt und den mit ihnen

in Verbindung stehenden Gesprächspartnern, ohne deren Hilfe, Offenheit,

Vertrauen und Kooperationsbereitschaft – oder Straßenpräsenz* – diese Arbeit nicht hätte realisiert werden können: !@SeX#─────██████████════█, 1zwo3, Adrian, Alesh One, ALIAS*, Alternative Berlin, artkissed, Victor Ash*, Blaw Blaw Blaw*, Blu*, Cope2*, El Bocho, Paolo Cirio, Dave the Chimp*, Decycle*, Lea Carla Diestelhorst, Dropix,

Fatal*, FEED, KP Flügel, Joy Fox, .fra**, L.E.T. Les enfants terribles, Lichtfaktor, Louva must die*, Martin Gegenheimer, Graffitiarchiv, Graffiti Research

Lab, Lene ter Haar, Sebastian Hartmann, Matze Jung, JUST, Robert Kaltenhäuser, Rudolph D. Klöckner, kurznachzehn, Make8*, Leo-Leander Namislow, Nineta, Stefania Pace, Ping Pong, Gigo Propaganda, Marshal Arts*, Mein lieber

Prost*, Jorinde Reznikoff, Klaus Rosskothen, Timo Schaal, Becker Schmitz & Pascal Bruns, Roa*, SeiLeise, SP38*, Sweza*, TONA, Various & Gould sowie viele, viele mehr*. Alles und jeder macht einen Unterschied. Ich danke meiner Mutter, meinem Vater und meinen Geschwistern für die langjährige Unterstützung und das Vertrauen, das sie mir entgegengebracht haben – und die Unabhängigkeit, die sie mir dadurch ermöglichten. Zudem danke ich meinen Freunden und Bekannten, die nicht nur während meiner Feldforschung immer eine freie Couch, sondern stets auch ein offenes Ohr für mich hatten – im Besonderen: Dominique und Ole Schwab, Helena de

Anta, Matthias Denecke, Danny Gronmaier, Annette Hautli-Janisz und Lukas Janisz, Jessica Kordulla und Dani El Menshawy, Paula Landes, Melanie Motzkus, Hannes Wesselkämper und Tina Zöld. Abschließend möchte ich Rosemarie Klein danken, die das vorliegende Buch lektoriert hat.

Für die Kunst, für die Straße, für alle.

Und für

Abb. I | .frA* | Köln

Inhalt

1. EINE ERSTE S TANDORTBESTIMMUNG | 13 1.1 Ausgangslage | 13

1.2 Kontextualisierung und Aufbau | 17

2. FORSCHUNGSSTAND | 31 2.1 Street Art | 31

2.2 Orts- und situationsbezogene Medienforschung | 46 2.3 (Medien-)Ästhetik | 53

3. METHODE | 61

3.1 Medientheoretisches Setting | 61

3.2 Medienethnografie | 63 3.2.1 Fotografieren und (Farb-)Spuren lesen | 65 3.2.2 Interviewen und online mit-/querlesen | 69 3.2.3 ‚Scheitern‘ | 72 3.2.4 Ansetzen und umsetzen | 75 3.3 Medienästhetik | 78 3.4 Schnitt-Bild | 82

4. A NALYSE | 89

4.1 Vernetzen und verhandeln | Facebook | 89

4.1.1 Kategorisieren und versammeln | Street Art in Germany | 92 4.1.2 Präsentieren und entwerfen (lassen) | Künstlerseiten | 103 4.1.3 Dokumentieren und (re-)produzieren | artkissed | 116 4.1.4 Informieren und vermitteln | Freundeskreis Streetart Berlin | 123 4.1.5 Sammeln, verlinken und anfreunden | Street-Art-Fans | 129 4.1.6 Entdecken und posieren | Passanten und Touristen | 137 4.1.7 Liken, bewerten und sichtbarmachen | Like-Economy | 140

4.1.8 Selektieren und zurichten | Platform Politics | 147 4.1.9 Entwenden und verwenden | Street Art 4 Sale | 155 4.2 Übersetzen und (an-)schneiden | kurznachzehn | 167 4.2.1 ‚Drawing Things Together‘, oder auch: „die ANT ist eher der Name eines Zeichenstifts oder Pinsels als der Name der spezifischen Form, die gemalt oder gezeichnet wird“ | 169 4.2.2 Schablonieren als Übersetzungsprozess | 173 4.2.3 Über das Kolorieren schwarzer Kisten | 191 4.3 Verwischen und festhalten | El Bocho | 199 4.3.1 Street-Art-Fotografie ‚on the run‘ | 201 4.3.2 Unschärfe der ‚(Bewegt-)Bilder‘ | 207 4.3.3 ‚To Set Time Going‘: ein Foto als Performativ | 214 4.3.4 Von der Black Box in den White Cube: Politiken der (Selbst-)Darstellung und künstlerisches Selbstverständnis | 223 4.4 Mappen und navigieren | Berlin-Street-Art-App | 233 4.4.1 Geolokalisierung von Street Art im Stadtraum | 236 4.4.2 ‚From Nodes to Paths‘: Digital Wayfaring als urbane Praxis zielgerichteten Flanierens | 253 4.4.3 Ortsbezogene Sozialität | 264 4.5 Entnetzen und (re-)relokalisieren | Paolo Cirio | 271

4.5.1 Street Ghosts | 273 4.5.2 Kunstpraktik als Taktik: „‚Don’t Hate the Media, Use the Media‘. Become Google, in a way“ | 279 4.5.3 Kunstpraktik als Strategie: ‚Staging a Show or Performance in the Media‘ | 286 4.5.4 Netzkritik | 295 4.5.5 ‚Reclaim the City‘ – and the Net(s) | 302 4.6 Erinnern und reanimieren | Sweza | 311 4.6.1 Graffyard, der Friedhof der Graffiti | 312 4.6.2 ‚Getting Up‘: Über Street Art und Zombies | 318

4.6.3 Quick Response Code | 327 4.6.4 Das Archiv als Handlungsform und die veränderte Verfügbarkeit von Kulturgut | 332

5. FAZIT UND AUSBLICK | 341

5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse | 341 5.2 Street-Art-Festivals, die Kreativstadt und das Fehlen von (Kunst-)Kritik | 348

5.3 Street-Art-Forschung | 355 5.4 Für eine praxeologische Medienwissenschaft und die ‚Situierung‘ von Ästhetik | 357

6. A NHANG | 363

6.1 Abbildungsverzeichnis | 363

7. G LOSSAR | 367 8. B IBLIOGRAPHIE | 375

8.1 Literaturangaben | 375

8.2 Internetquellen | 396 8.2.1 Alternative Netzwerke | 396 8.2.2 Apps und damit in Verbindung stehende Technologien | 396 8.2.3 Künstler und damit in Verbindung stehende Projekte und Bildbeispiele | 397 8.2.4 Online-Artikel, Blogposts und Zeitungsberichte | 403 8.2.5 Street-Art-Seiten | 409 8.3 Diverses | 412

L. E. T. ,St 8ment ,SOBR,ElBochoundvi el emehr|Ber l i n

1 Eine erste Standortbestimmung

1.1 Ausgangslage Wie ihr Name schon sagt, gilt Street Art als per definitionem orts- und situationsbezogene Kunst im öffentlichen (Stadt-)Raum. Daraus folgernd lässt sich

ein weiteres Charakteristikum ableiten: ihre relative Kurzlebigkeit – denn sie kann von anderen Artists1 übermalt/-klebt, von städtischen Reinigungstrupps

entfernt oder aber vom Wetter abgetragen werden. Zudem nimmt sich derzeit

eine weitere Akteursgruppe der Street Art an: sogenannte Street-Art-Sammler, die einzelne Street-Art-Werke von der Straße entfernen und die entwendeten

Arbeiten im Internet vertreiben.

Neben dem eher ‚klassisch‘ ausfallenden Rückgriff auf die Spraydose als

materiellem Träger und Hilfsmittel zur urbanen Zeichenintervention hat sich

das Spektrum der Street Art innerhalb der letzten Jahre deutlich erweitert. So tritt sie heutzutage in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen auf: neben

Stenciln, Stickern und Postern sind es zum Teil großflächige Verstrickungen,

die deutsche Großstädte in Form von Guerilla Knitting2 in ein buntes Schau-

1

Mit Nennung der männlichen Form ist in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint. Dies gilt sowohl für deutsche als auch (eingedeutschte) fremdsprachige Ausdrücke.

2

Unter Guerilla Knitting versteht man das Umhäkeln oder Umstricken von Gegenständen im öffentlichen Raum, wie z.B. Parkbänken, Straßenlaternen, Brückengeländern,

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spiel versetzen. Mosaike aus Spiegel- und Fliesenresten verzieren Brückenpfei-

ler, Styroporfiguren kleben in Unterführungen, während Bilder aus Bügelperlen ein Stück retrolastiges, verpixeltes 90er-Jahre-Flair in die Passagen der Städte

bringen. Die Street Art zeigt sich variantenreich, ‚wildert‘ derzeit in den ver-

schiedensten Lebensbereichen und Kontexten und scheint terminologisch kaum (mehr) adäquat greifbar.

Im Zuge aktueller Vernetzungs- und Globalisierungsprozesse sowie der zu-

nehmenden Verdichtung raumzeitlicher Wahrnehmungshorizonte ist gegenwärtig ein weiterer ‚Trend‘ feststellbar: Street Art vernetzt sich. Oder anders

ausgedrückt: Sie ‚verlässt‘ die Straße, zumindest in gewissem Sinne.3

Abb. 1: Smartphone-Fotografie | Decycle | Köln Statt weiterhin ihr vergängliches Dasein auf der Straße zu fristen, situiert sich die Street Art zunehmend nicht mehr allein im urbanen Stadtraum, sondern

Fahrradständern etc. Diese Praktik ist ebenfalls unter dem Begriff Yarn Bombing bekannt. 3

Mit ‚verlassen‘ ist nicht eine uneingeschränkte Absage gegenüber dem Stadtraum gemeint, vielmehr handelt es sich um Überlagerungen, Erweiterungen und Kreuzungen, wie im Folgenden näher ausgeführt wird.

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sieht sich mit der Einspeisung und Kreuzung digital vernetzter Medien kon-

frontiert. Handy, Smartphone & Co. erweisen sich dabei als wichtige Schnittstellen (vgl. Abb. 1), die eine Verschränkung von physikalischem Stadtraum

und digital vernetzten Medien bewerkstelligen: Quasi im Vorbeigehen werden

Fotos der Street Art gemacht und im direkten Anschluss, in Form von digitalen Abbildern, in den Datenstrom des Internets eingespeist. Street Art landet auf

digitalen Fotoportalen, auf Street-Art-affinen Websites, auf Blogs, wird in

digitale Karten und in sogenannte Street-Art-Apps eingebunden. Sie kann folglich per Mausklick sichtbar (gemacht) werden, wodurch sich die Voraussetzung einer körperlichen Präsenz vor Ort und in situ verschiebt: Formen hybrider Präsenzerfahrung entstehen. Während Street-Art-Apps ihren Usern hierbei eine

einfachere und vermeintlich schnellere Lokalisierung von Street-Art-Werken im

Stadtraum ermöglichen, offeriert das in die App integrierte Augmented RealityVerfahren4 eine ‚erweiterte‘ Street-Art-Erfahrung. Denn neben geografischen Koordinaten sind Street-Art-Werke mit zusätzlichem Content – d.h. mit

grafischer, textueller oder auditiver Information zum spezifischen Entstehungsoder Künstlerkontext – digital überlagert und somit ‚augmented‘ erfahrbar.

Street-Art-Apps betten somit sowohl Lokalisierung, Situierung als auch Navigation der Street Art in einen ‚erweiterten‘ Kontext ein.

Ein ähnliches Phänomen ist auch im Zuge der Einspeisung, Präsentation

und Zirkulation von Street Art in bzw. über Social Networks, allen voran

Facebook, zu detektieren – wobei sich die Plattform innerhalb meines Projektes nicht nur als essentielles Recherchemedium und vermeintliches Archiv

präsentiert, sondern vielmehr rücken die dem Netzwerk inhärenten Medialisierungspraktiken in den Fokus meiner Betrachtungen. Festzustellen ist: Onlinepraktiken wirken auf den Stadtraum zurück. Digitale Medien und mobile Inter-

faces nehmen hierbei nicht nur Einfluss darauf, wie Street-Art-Künstler sich und ihre Werke situieren, präsentieren, dokumentieren und archivieren, son-

dern auch darauf, wie sie sich als Künstlerindividuen, teils von externen Betrachterstandpunkten aus, entwerfen (lassen). Letztlich kommt es zu einem 4

Mitunter am besten zu konturieren ist die Augmented Reality, indem man ihren Unterschied zur Virtual Reality herausstellt (vgl. u.a. Milgram et al. 1994). Zu einigen der informatischen Hintergründe siehe Bimber/Raskar (2005), zur kultur- und medienwissenschaftlichen Debatte Fahle (2006) und Manovich (2005, 2006).

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wechselseitigen Ineinandergreifen von Offline- und Onlinepraktiken, welche sich auch in die damit einhergehenden Ästhetiken einschreiben.

Einzelnen Künstlern kommt hierbei eine aktive Rolle in der Ausbildung

neuer, digital überlagerter Bildsprachen zu: Sie kreuzen, über- und verformen Street Art mit neuen Medientechnologien und binden sie auf diese Weise in ein

heterogenes Netzwerk soziotechnischer Akteure ein. Dies geschieht beispielsweise durch den Einbezug von QR-Codes, welche in den Stadtraum rückgreifen. An der richtigen Stelle platziert, können diese zu einer perspektivisch augmentierten Street-Art-Erfahrung beitragen.5

Digitale, mobile Medien und die partizipativen Möglichkeiten des ‚Web 2.0‘

bringen den physikalischen Stadtraum jedoch nicht zum Verschwinden, sondern sind Ausgangsbedingung des prozessualen Ineinandergreifens aller am Phänomen beteiligten Akteure, Praktiken und Layer. Mein Projekt greift jene

Entwicklungen auf und diskutiert aktuelle Tendenzen der Street Art in Kombination mit neuen Medien(-technologien). Ziel der Studie ist es, Street Art als

Ergebnis oder Aushandlungsprozess von orts- und situationsbezogenen Phänomenen, unter Zuhilfenahme von orts- und situationsbezogenen Methoden, neu

zu perspektivieren. Das heißt also, Street Art wird als Kunstpraktik entworfen, die als sozialer Aushandlungsprozess verstanden werden muss: Sie gestaltet sich im Zusammenspiel soziotechnischer Akteure aus, welche gleichermaßen

online wie offline zu situieren sind, und strukturiert dabei soziale Beziehungen aus. Das Forschungsprojekt hebt hervor, dass sich die Street Art erst aus ihrer

relationalen Bedingt- und Situiertheit verstehen lässt, welche gleichsam analoge wie digitale, lokale wie globale Kontexte aufruft. Die zentrale Frage, die

hierbei verfolgt wird, ist: Wie gestalten sich Praktiken der Street Art in Kombination mit digital vernetzten Medien aus; wie generieren, formen, über- und verformen sie sich wechselseitig? Gleichzeitig gilt es, zu fragen, inwiefern sich

jene zuvor entfalteten Praktiken in die Ästhetiken der Street Art einschreiben.6

5

Vgl. hierzu u.a. KAPITEL 4.6 zu Swezas Graffyard-Projekt: www.sweza.com/graffyard, 30.07.2013 sowie Various & Goulds Witchhunt: www.witchhunt.eu, 17.07.2015, erwähnt in KAPITEL 4.4.3.

6

Der der Arbeit zugrunde liegende Ästhetikbegriff ist hierbei weder mit formalästhetischen noch mit subjekt- oder rein objektzentrierten Kategorien und Wahrnehmungsmustern kurzzuschließen. Vielmehr rekurriert er auf ein Ästhetikverständnis, das

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Ohne Ästhetiken an dieser Stelle per se voraussetzen zu wollen, wird diese Frage dennoch nur punktuell aufgegriffen. Wie sich zeigen wird, scheint es hierbei ohnehin obsolet, konsequent zwischen Praktiken und Ästhetiken unterscheiden

zu wollen. So stehen Praktiken und Ästhetiken in einem konstitutiven Wechselverhältnis; die Ausbildung situationsbedingter Formgestaltung zeigt sich dyna-

misch. Denn erst im Vollzug von Praktiken bilden sich Ästhetiken heraus, wel-

che über zwischengeschaltete Interfaces medial vermittelt und somit ‚verteilt‘ (vgl. Lovink 2008c) werden. Ob sich innerhalb dieses Kontextes letztlich so

etwas wie eine ‚verteilte‘ oder ‚situierte‘ Medienästhetik aufspüren lässt, bleibt zu überprüfen.

1.2 Kontextualisierung und Aufbau Die grundsätzliche Frage, die sich mir zu Beginn meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung stellte, ist: Wie wird Street Art heutzutage verhandelt?

Wie wird über Street Art gesprochen, wie wird sie (re-)präsentiert, kontextualisiert, dokumentiert und archiviert? Wie wird sie versammelt und gesammelt? Und letztlich, wie wird Street Art eigentlich erinnert? Gleich zu Beginn tritt

somit die Relevanz der Fotografie als zentrales Präsentations- und Dokumentationsmedium in der heutigen Verhandlung der Street Art zu Tage. Dies ist auf

den Umstand zurückzuführen, dass die Verhandlung der Street Art heutzutage maßgeblich – wenn nicht gar ausschließlich – über Fotos stattfindet. Street Art

ist heutzutage somit keinesfalls mehr von ihrer fotografischen Reproduktion und Zirkulation im Internet zu trennen. Dennoch ist dies nichts bahnbrechend

Neues: Bereits 1935 wies Walter Benjamin in seinem einschlägigen Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit auf den Umstand hin, dass die Kunst und ihre Rezeption durch die Entwicklung von Fotografie

und Film der massenhaften Reproduktion unterworfen sind. Kunst wurde infolgedessen aber nicht zwangsläufig zur Massenware, auch wenn sich deren

sich praxistheoretisch entfalten lässt. Dieses gilt es in der Verkettung einer Vielzahl von Praktiken und ihrer zwischengeschalteten Medien zu detektieren. Eine ausführlichere Diskussion eines solchen Ästhetikbegriffs folgt in KAPITEL 2.3 und 3.3.

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Zugänglichkeit und Verfügbarkeit exponentiell steigerte. Vielmehr wurde in

der fotografischen Praxis u.a. auch ein neues, bisher nicht dagewesenes Potenzial erkannt. So nahmen sich vielerlei Künstler und Kuratoren der neuen Fotopraktiken an und überführten sie in eine ästhetisch motivierte Geste. Als

eines der einschlägigsten Beispiele hierzu gilt wohl André Malraux ’ „imaginäres Museum“ (vgl. Malraux 1947), welches als direkte Antwort auf Benjamins

Auseinandersetzung gelesen werden kann. Malraux ’ Museum ist imaginär, weil es nicht an einen Ort gebunden ist und zudem Kunstwerke enthalten kann, die

an unverrückbare Architektur gebunden sind (vgl. Schröter o.A. mit Bezug auf

Malraux 1947). Es offeriert somit eine Assemblierung diverser fotografischer

Reproduktionen, die sich in Größe, Farbgebung und Entstehungskontext maß-

geblich unterscheiden, aber dennoch auf eine gewisse Vereinheitlichung zugeschnitten sind.7 Wie ich in meiner Auseinandersetzung zeigen werde, greift dieses Argument auch im Falle der Street Art; vor allem dann, wenn man an

ihre Verhandlung, Präsentation und Dokumentation im Social Network Facebook denkt.

Anstatt an dieser Stelle jedoch eine Rückbindung zum Kunstsystem zu leis-

ten, soll vielmehr eine explizit medienwissenschaftliche Situierung vorgenom-

men werden. Formalästhetische Analysen erweisen sich als obsolet, vielmehr wird gefragt, welche orts- und situationsbezogenen Ausgestaltungen die Street Art im Zuge aktueller Entwicklungen – wie digitaler Reproduktion, Speicherung und Zirkulation sowie digitaler Überlagerung und Erweiterung – ja gerade 7

Als eine der einschlägigsten Figuren, die dies im Kontext von Graffiti leistete, gilt wohl die US-Amerikanerin Martha Cooper. Ihr Buch Subway Art, das sie 1984 zusammen mit dem Fotografen Henry Chalfant veröffentlichte, wurde zum Meilenstein der US-amerikanischen Writing-Dokumentation und sorgte maßgeblich für eine (mediale) Verbreitung von Graffiti – in Europa und weltweit. Spätestens seit den 1960er Jahren gibt es zudem verschiedenste Kunstströmungen, die von jeher und per se auf eine fotografische bzw. audiovisuelle Dokumentation und Archivierung zugeschnitten sind: Site-Specific Art, wie die Land Art beispielsweise, aber auch Performances und Happenings ist diese Form der expliziten, dokumentarischen (Archivierungs-) Praxis inhärent. Dennoch nehmen diese Kunstströmungen innerhalb meines Forschungskontextes nur eine untergeordnete Rolle ein, unterliegen sie anderen Rahmenbedingungen und Konventionen und tragen folglich nicht zur Beantwortung meiner Forschungsfrage bei.

E INE ERSTE S TANDORTBESTIMMUNG

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erst angenommen und herausgebildet hat. Digital vernetzten, mobilen Medien

kommt hierbei, wie bereits an vorheriger Stelle betont, ein essentieller

Stellenwert zu. Auf welche Art und Weise sich diese in die Street Art einschrei-

ben, sie mit und neu entwerfen, soll im Rahmen dieser Arbeit explizit gemacht

werden. Indem ich mobile, digital vernetzte Medien gerade nicht als statische

Devices, sondern vielmehr als prozessuale, sich permanent neu konstituierende

und mobile Interfaces perspektiviere, werden einzelne Medienpraktiken

herauskristallisiert und beschreibbar gemacht. Ziel ist es, die am Phänomen beteiligten Praktiken innerhalb ihres situativen Eingebettetseins auszudifferen-

zieren.

Wie sich somit bereits in meiner Heranführung abzeichnet, rückt die Street

Art in ihrer medialen Verfasstheit als Fotografie immer wieder in den Fokus meiner Betrachtungen. Man könnte also fast behaupten, die hier vorliegende Arbeit sei eine Abhandlung über Street-Art-Fotos, nicht über Street Art. Dies

trifft dennoch nur bedingt zu, beleuchtete eine Reduzierung der Thematik auf

bloße Street-Art-Fotos den Gegenstand doch nur unzulänglich. Ich bediene mich innerhalb meiner Argumentation vielmehr einer anderen Begrifflichkeit,

welche sich im Laufe meiner Auseinandersetzung herauskristallisierte: Schnitt-

Bilder.8 Und die Figur des Schnitt-Bildes greift hier auf mehreren Ebenen. Prinzipiell rekurriert sie auf die Praktik des Street-Art-‚Machens‘; genauer, auf das

Anfertigen von Schablonenbildern. Initial verweist das Schnitt-Bild somit auf

die Street-Art-Produktion. Im Umfeld digitaler Medien situiert, greift dessen

Semantik jedoch auf weitere Kontexte aus: In ihrer medialen Verfasstheit als

Fotografie zeigt sich die Street Art allein schon aufgrund der KameraKadrierung als angeschnitten, zugeschnitten und somit stets ausschnitthaft.

Ähnliches gilt für ihre Präsenz auf digitalen Interfaces wie Smartphone-Apps und dynamischen Karten. Das Interface operiert hierbei als mediale Schnittstelle, welche beide Sphären – analog und digital – als zwischengeschalteter

Vermittler füreinander bedeutsam macht. Produktiv zeigt sich die Semantik des Schnitt-Bildes letztlich auch für die in der Analyse adressierte Thematik der

Netzpolitik, vollzieht sich ein bedeutsamer ‚Schnitt‘ spätestens in KAPITEL 4.5, in welchem von der Kunstpraktik des Entnetzens die Rede ist.

8

Eine ausführliche Präzisierung des Schnitt-Bildes folgt im METHODENTEIL unter 3.4.

20

| S TREET A RT UND NEUE M EDIEN Das Schnitt-Bild offeriert mir innerhalb meiner Argumentation und Hinfüh-

rung folglich eine mehrdimensionale Analyseschablone, welche einer doppelten Adressierung nachkommt: Einerseits wird sie dem Variantenreichtum des

Feldes gerecht, welches eine Multiperspektive einfordert; andererseits kann sie als roter Faden und theoretischer Kunstgriff betrachtet werden, der sich durch

die Arbeit zieht. Konkret heißt das: Das Schnitt-Bild dient mir dahingehend, das Phänomen Street Art multiperspektivisch zu entfalten, zu konturieren und

auszudifferenzieren; gleichzeitig bindet es meine Diskussion an zentrale Fragen und Kontexte der Street-Art-Welt zurück. Dieser Zugang offeriert ein argumentatives Setting, das nicht nur der Beantwortung meiner Forschungsfrage nach-

kommt, sondern meine Analyse gleichzeitig auch als in sich konsistentes Gesamtkonzept entwirft.

In KAPITEL 2 wird der aktuelle Forschungsstand zum Thema Street Art und

neue Medien aufgezeigt. Ich stütze mich hierbei vor allem auf wissenschaft-

liche Literatur zur allgemeinen Entstehungsgeschichte, Technik- und Kunst-

geschichte sowie zur Kontextualisierung der Street Art im Umfeld von Musealisierung, Kommerzialisierung sowie Kunst- und Designmarkt. Die Reflexion neuer Medientechnologien im Kontext der Street Art blieb im wissenschaftlichen Diskurs bisher weitestgehend aus und stellt somit ein umfangreiches

Forschungsdesiderat dar. Dieses soll innerhalb meiner Arbeit aufgearbeitet und kontextspezifisch geschlossen werden. So arbeite ich in KAPITEL 2 den aktuellen

Forschungsstand zu orts- und situationsbezogenen, mobilen und digital vernetzten Medien auf und reichere die bisherige Street-Art-Forschung um einen

ausstehenden Aspekt an. Die im Umfeld von Bruno Latour bekannt gewordene

Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) bildet die Grundlage meines medientheoretischen Begriffsapparates. Medialität gilt es dementsprechend als relationale Verfasstheit zu verstehen. Es ist durchaus richtig, dass dieser Ansatz ins-

besondere in den Medienwissenschaften bereits breit rezipiert wurde; mit meiner Arbeit soll nun der Versuch unternommen werden, ihn auch für das Verständnis von kunst- bzw. medienästhetischen Fragestellungen produktiv zu machen (vgl. Hensel/Schröter 2012). Infolgedessen gilt es auch das der Arbeit

zugrundeliegende Ästhetikverständnis im Umfeld einer medienwissenschaft-

lichen Praktikentheorie zu situieren. Ästhetik gilt es somit nicht (im Sinne der aisthesis) auf das wahrnehmende Subjekt rückzubinden; vielmehr gestaltet sich Ästhetik in ihrem situativen, praxistheoretischen Eingebettetsein erst aus.

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„Aesthetics is not the science of ‚eye-candy‘“, so auch Geert Lovink in seinem

Aufsatz Theses on Distributed Aesthetics (2008c: 231). Ästhetik gilt es unterhalb der Nutzungs- und Interfaceoberflächen zu situieren (vgl. Köster/Schubert 2009: 14 mit Bezug auf Schröter 2009).

In KAPITEL 3 folgt die Offenlegung meiner methodischen Herangehensweise

sowie des zugrundeliegenden Handwerkszeugs. Ich bediene mich einem Methodenmix, um die komplexe Thematik um Street Art und neue Medien multiperspektivisch besser eingrenzen – oder auch zuschneiden – zu können. Kennzeichnend für den analytisch-empirischen Ansatz meines Forschungsprojektes

ist es, Medien und Medienpraktiken aus ihrem relationalen Verhältnis heraus

zu beschreiben. Die Methoden einer orts- und situationsbezogenen Medienforschung erweisen sich hierbei als gewinnbringende Werkzeugkiste, um die-

sem Vorhaben nachzukommen. Zudem lieferten mir zahlreiche Interviews mit diversen ‚Szene‘-Akteuren9 einen bereichernden Einblick in die Innenperspektive der Street-Art-Welt. Komplettiert wurde mein medienethnografischer Zu-

gang durch Feldforschungsaufenthalte in Berlin, Hamburg, Köln und dem

Ruhrgebiet, in deren Rahmen sich teilnehmende Beobachtungen von StreetArt-Touren anschlossen.

Auf die Konturierung meiner theoretisch-methodischen Werkzeugkiste folgt

in KAPITEL 4 der Analyseteil. Diesem ist das medienwissenschaftliche Haupt-

augenmerk meiner Arbeit gewidmet, werden hier anhand konkreter Fallstudien

einzelne Medienpraktiken en detail herauskristallisiert.

In FALLBEISPIEL 4.1 widme ich mich der Verhandlung der Street Art im

Social Network Facebook, welches derzeit eine der quantitativ zugkräftigsten Plattformen für Street Art darstellt.10 Ich schließe damit an bisherige wissenschaftliche Diskurse der Street-Art-Forschung an und leiste eine aktuelle

Gegenwartsanalyse.11 Ausgehend von der Seite Street Art in Germany12, welche

9

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es die Street-Art-Szene nicht gibt. Vielmehr setzt sich die Street-Art-Welt aus vielen verschiedenen, heterogenen Akteuren und Akteursgruppen zusammen, welche unterschiedliche Interessen verfolgen und somit oftmals kaum bis gar keine Gemeinsamkeiten miteinander aufweisen.

10 Ich beziehe mich hierbei maßgeblich auf die Jahre 2012-2015. 11 Street-Art-Blogs, welche etwa ab 2004 eine wichtige Rolle spielten, fanden erstmals in Heike Derwanz‘ Aufsatz ‚Was es nicht online gibt, gibt es nicht‘ (2010) Erwähnung.

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als Spiegelbild der derzeitigen Popularisierung der Street Art gelesen werden

kann, mache ich das komplexe, engmaschige Netzwerk der Street-Art-Welt beschreibbar. Einzelne Praktiken wie Vernetzen, Verhandeln, Kategorisieren, Ver-

sammeln, Präsentieren, Dokumentieren und (Re-)Produzieren stehen im Fokus meiner Betrachtungen; gleichzeitig wird auf plattformspezifische Charakteristika wie Verlinken, Anfreunden und Liken verwiesen. Anhand verschiedener

Fotopraktiken kann auf eine Vielzahl beteiligter Akteure rückgeschlossen wer-

den; darunter Street-Art-Künstler, Street-Art-Fotografen, Seitenadministratoren diverser Facebook-Seiten, Passanten, Touristen etc. Ihre Konturierung erfolgt hierbei maßgeblich über ihre praxeologische Situierung und Einbettung.

Gleichzeitig wird ein variantenreiches Spektrum intern wie extern zugeschrie-

bener Normen, Konzeptionalisierungen und Rollenzuschreibungen sichtbar, welche sowohl im ‚digitalen Raum‘ als auch im physikalischen Stadtraum ihre jeweilige Gültigkeit und situationsbedingte Ausgestaltung finden. Neben der

Offenlegung bzw. Übertragung des Konzepts der Like-Economy auf den Komplex der Street Art diskutiere ich in einem abschließenden Abschnitt die der

Plattform inhärenten Zensur- und Kontrollmechanismen, welche ich unter den

Begriff der „Platform Politics“ fasse. Bereits hier wird deutlich, welche

Dieser kann als Teil ihrer größer angelegten Studie zu Street Art-Karrieren (2013) gelesen werden. Auch RJ Rushmore flankiert diese Diskussion in seinem E-Book Viral Art (2013). Der schwedische Soziologe Peter Bengtsen arbeitet in The Street Art World (2014) die Rolle von Street-Art-Foren heraus. Meine Arbeit schließt an bisherige Forschungen an und nimmt aktuelle Tendenzen der Street Art auf. So ist es nach Flickr heute vor allen Dingen Facebook, welches eine zentrale Plattform in der Verhandlung von Street Art darstellt. Dennoch gilt es in diesem Kontext zu betonen, dass sich meine Forschungen maßgeblich auf den Zeitraum von 2012 bis 2015 beziehen. Spätere Entwicklungen sowie die zunehmend wichtiger werdende Rolle von Instagram können innerhalb meiner Forschung nicht berücksichtigt werden. 12 www.facebook.com/StreetArtGermany, 31.07.2014. Hierzu sei angemerkt, dass es im September 2014 einen Wechsel des Seitenadministrators gab, was zu einer Veränderung der Kommunikationsstruktur und des Postingverhaltens führte. Die daraus resultierende Neujustierung oder -konzeption des Akteur-Netzwerks, welche sich auch auf die damit einhergehenden Praktiken auswirkte, kann innerhalb meiner Arbeit keine Berücksichtigung finden. Meine Forschungen beziehen sich auf den Zeitraum zuvor.

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reziproken Wechselwirkungen Online- und Offlinepraktiken annehmen können;

gleichzeitig tritt zutage, dass Facebook sich zusehends zu einer Art echtzeitlichem Street-Art-Verhandlungs- und Kontrollsystem entwickelt.

Mein Einstiegskapitel dient der Entfaltung des Gegenstandes, der Ausdiffe-

renzierung der am Phänomen beteiligten Akteure und soll eine adäquate Ausgangsbasis für weiterführende Ausführungen gewährleisten.

KAPITEL 4.2 bis 4.6 sind nochmals enger zu fassen, sind diese doch ganz ex-

plizit einzelnen Künstlern bzw. Kunstprojekten gewidmet. Während die Fallstudien in einem ersten Schritt beschreibend entfaltet werden, folgt in Schritt zwei eine medienwissenschaftliche ‚Tiefenbohrung‘. In Schritt drei werden sie

einer zusätzlichen Abstraktionsleistung unterzogen und an zentrale Fragen und Kontexte der Street-Art-Welt rückgebunden. Vom Fallbeispiel ausgehend soll auf diese Weise eine breitere Anschlussfähigkeit gewährleistet werden.

FALLSTUDIE 4.2 greift die Figur des Schnitt-Bilds par excellence auf: In einer

Art Produktionsstudie wird der komplexe Weg eines einzelnen Stencil-Motivs, also eines Schablonenbildes, von der Konzeption bis hin zur Fertigstellung

nachgezeichnet: vom analogen Foto zum Stencil und wieder zurück zum Foto –

dieses Mal digital. Exemplifiziert wird dieser Prozess am Beispiel der Kölner13 Künstlerin kurznachzehn, die alte, analoge Familienfotos der 1950er Jahre ‚schablonierend‘ in die Gegenwart übersetzt. In Anlehnung an Michel Callons

Aufsatz Die Soziologie eines Akteur-Netzwerkes (2006a) zeichne ich diesen Produktionsprozess und die damit einhergehenden, zwischengeschalteten und medial vermittelten Übersetzungsschritte nach. Gleichzeitig wird die Analyse mit

werkzeugtheoretischen und materialästhetischen Überlegungen der Kunstwissenschaft kurzgeschlossen.

Auch FALLSTUDIE 4.3 widmet sich der Praktik der Street-Art-Fotografie,

wenn auch auf andere Weise. In diesem Kapitel diskutiere ich Street-Art-Fotos, die Künstler bei ihren nächtlichen Aktionen in situ und ‚on the run‘ zeigen. Am

Beispiel des Berliner Künstlers El Bocho zeige ich auf, wie sich die Aktion des

Street-Art-Pastens14, also -Klebens, ins fotografische Bild einschreibt und in

13 Mittlerweile lebt die Künstlerin in den USA. 14 Unter Pasten versteht man das Ankleben von Street-Art-Arbeiten, sogenannten PasteUps. Paste-Ups sind auf Papier gefertigte Street-Art-Arbeiten, die mittels Kleister im

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| S TREET A RT UND NEUE M EDIEN

Form von medialen Unschärfen artikuliert. Seine Dokumentationspraktik gibt Aufschluss über die Bedingungen nächtlicher Bildproduktion und entwirft die

Nacht als eigenständigen Akteur. Hierbei wird deutlich, dass es die Praktik des

Street-Art-Klebens als (nächtliche) Bewegungspraktik zu entwerfen gilt, welche sich durch ein hohes Maß an Dynamik auszeichnet – ein Umstand, der bisher

weitestgehend verkannt blieb. Der situationsbezogenen Ausgestaltung von

Ästhetik lässt sich hier über die Kategorie der Zeitlichkeit als gelayerte, performativ gedachte Zeitlichkeit nachspüren. Stabilisiert wird sie letztlich im ‚festgefrorenen‘ Digitalfoto, das an ein Schnitt-Bild erinnert.

KAPITEL 4.4 widmet sich sogenannten Street-Art-Apps. Dies sind Apps, mit

deren Hilfe einzelne, zuvor eingelesene Street-Art-Werke schneller und effizienter lokalisiert und gegebenenfalls auch angesteuert werden können. So werden

einzelne Street-Art-Spots innerhalb digitaler Karten markiert und mit zugehörigen Fotos verknüpft. Unter Zuhilfenahme der in das Smartphone integrierten GPS-Technologie können einzelne Werke somit nicht nur deutlich schneller

lokalisiert, sondern auch zielgerichteter aufgesucht werden. Folglich nehmen Street-Art-Apps dezidierten Einfluss auf die Navigationspraktiken einzelner

User. Zudem offerieren Apps das Abrufen ortsspezifischer Zusatzinformationen und geben Auskunft über einzelne Künstler- oder Entstehungskontexte; und das

in Echtzeit, vor Ort und in situ. Der Stadtraum sowie die ‚realräumliche‘ Street-

Art-Erfahrung wird auf diese Weise um digitalen, ortsspezifischen Content ‚erweitert‘. Exemplifiziert wird dieses Phänomen am Beispiel der SmartphoneApp Berlin Street Art; einer App, welche auf Street-Art-Erscheinungen innerhalb

des Berliner Stadtraums spezialisiert ist. Im Zuge einer dezidiert medienwissenschaftlichen Analyse diskutiere ich, welche Praktiken sich in den Kontext einer

solchen Applikation einschreiben und welche Rolle dem zwischengeschalteten Interface zukommt. So zeigt sich dieses nicht nur als medial vermittelnde ‚Schnitt‘-Stelle, sondern darüber hinaus auch als zurichtende Instanz. Flankiert

wird die Diskussion mit einem unmittelbar daran anschließenden Phänomen: Street-Art-Touren.

Stadtraum angebracht werden. Die Namensgebung rekurriert hierbei auf das Englische „to paste“, was für kleistern oder kleben steht.

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Von Google Maps ausgehend fällt der Blick in KAPITEL 4.5 auf Google Street

View; genauer noch, auf Paolo Cirios Projekt Street Ghosts. Auch dieses fühlt sich Praktiken digitaler Kartografie verbunden; wenngleich es weniger die

damit einhergehenden Navigationspraktiken als vielmehr die Thematik medialer Überwachung und Kontrolle adressiert. So hinterfragt es die Zugänglichkeit und etwaige Zweckentfremdung privater Daten und appelliert an einen

adäquate(re)n Umgang mit Bildrechten und Copyright: Im Rahmen seines

Kunstprojekts klebt der italienische Künstler Cirio lebensgroße Poster von Menschen, die er zuvor über Google Street View gefunden hat, an die exakte Stelle

ihres physikalischen Fundorts zurück. Unautorisiert sowohl vonseiten der Stadt, der Menschen als auch von Google – jedoch unter Addition von Google Street Views Copyrightzeichen. Auf diese Weise fristen die geklebten Menschen

bzw. Poster nun eine Art geisterhaftes Dasein, im Zwischenraum von physikalischem Stadtraum und digitaler Ko-Präsenz im Internet. Sie wirken wie geisterhafte Abbilder, deren digitale Schlagschatten in den Stadtraum greifen.

Mitunter deshalb nennt der Künstler sie auch Street Ghosts – und, weil seine Poster zumeist nur eine relativ kurze Lebensdauer aufweisen. Cirios Kunstpraktiken, denen sowohl eine taktische wie auch eine strategische Dimension innewohnen, rücken die Diskussion in einen explizit netzpolitischen Kontext. Vom

Fallbeispiel ausgehend werden die Nutzungskonventionen des öffentlichen Raums hinterfragt, welche vorherrschende Machtstrukturen sowie (in-)transpa-

rente Kontroll- und Selektionsmechanismen offenlegen. Die Figur des SchnittBildes referiert hierbei auf die Praktik des Entnetzens, welche die Kappung von

Vernetzung adressiert. So wird diskutiert, ob ein zukünftig richtungsweisender Schritt – oder ‚Schnitt‘ – für Street-Art-Künstler darin liegen kann oder muss,

sich zentral organisierten Infrastrukturen wie Google, Facebook & Co. (auf kunstpraktische Weise) entgegenzustemmen.

KAPITEL 4.6 beschäftigt sich mit der Praktik des Erinnerns und Reanimie-

rens. Graffyard, oder auch, Friedhof der Graffiti, so nennt sich ein QR-Code-

Projekt des Berliner Künstlers Sweza: An die Stelle unlängst verschwundener Street Art setzt dieser einen QR-Code. Liest man diesen mittels Smartphone

und zugehörigem QR-Code-Reader ein, erscheint auf dem Display des mobilen Smartphone-Devices das Abbild des entfernten Street-Art-Werkes. Man könnte also sagen, das Werk ist digital ‚reanimiert‘ worden. Oder anders ausgedrückt:

„Wenn man durch das Scannen der Codes diese Pieces wieder zurückholt, ste-

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| S TREET A RT UND NEUE M EDIEN

hen sie als Zombies wieder auf. Das sind dann so Graffiti-Zombies“, so Sweza

(2012: 52 sec ff.).15 Das Smartphone gilt es innerhalb dieser Diskussion als vermittelnde, gleichzeitig trennende wie auch verbindende Instanz und präfi-

gurierendes Interface zu entwerfen. So ist dieses keinesfalls statisch, sondern

vielmehr prozessual zu denken: es interfaced.16 D.h. also, es organisiert, koordiniert und delegiert Aufgaben und Kompetenzen und verteilt damit Ästhe-

tiken. Meine Argumentation rückt die Kategorie des Archivs an zentrale Stelle

und schließt an zentrale Fragen digitaler Archivierungsverfahren an. Wie sich zeigen wird, gilt es hierbei nicht nur der Archivlogik selbst – und der sie um-

spannenden Prozessualität – die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, sondern vielmehr müssen auch die eng mit dem Archiv in Verbindung stehenden

Anschlusspraktiken ernst genommen werden. Dies tritt spätestens dann zu

Tage, wenn man das Internet als digitales Archiv und kunstgeschichtliches bzw. -praktisches Speichermedium befragt.

Hinsichtlich der Konzeption meines Schnitt-Bildes ist es mir innerhalb meiner Diskussion daran gelegen, dem Gegenstand die von ihm eigens geforderte

Dynamik zuzugestehen. Konkret heißt das: Ich stelle mich der Herausforde-

rung, den primär nüchternen Tonus einer rein wissenschaftlich distanzierten Bestandsaufnahme – punktuell – mit einzelnen Interviewfragmenten der Feldforschung zu verschränken. Auf diese Weise verspreche ich mir nicht nur, den Gegenstand adäquat(-er) fassen zu können, sondern verfolge zudem das Ziel,

einen (zumindest ansatzweisen) Blick in die Innenperspektive der Street-Art-

15 Video-Beitrag von ZDFkultur zu Swezas Kunstprojekt, das unter dem Titel Kunst und QR (2012) geführt wird: www.youtube.com/watch?v=MhSJTAlzPvg, 30.07.2013. 16 Zum prozessualen Interface siehe Otto/Denecke (2014: 22-24). Die beiden Autoren exemplifizieren am Beispiel von „WhatsApp-Kollektiven“: „Das Interface ist nicht nur räumlich, sondern vielmehr raumzeitlich zu denken […]. Es vermittelt zwischen menschlichen und technischen Entitäten, in einem Dazwischen, das nicht eindeutig zu verorten ist, sondern sich ständig neu und anders zwischen den Entitäten befindet. Statt vom Interface ist daher treffender von einem Prozess des ‚Interfacings‘ zu sprechen.“ (Ebd.: 24) Siehe dazu auch Farman (2012: 63).

E INE ERSTE S TANDORTBESTIMMUNG

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und Künstler-Welt17 zu skizzieren. Mein medienethnografischer Ansatz stellt

sich somit der Herausforderung, der Street-Art-Thematik gerade nicht mit rein extern zugeschriebenen Kategorien zu begegnen, sondern vielmehr interne

Begrifflichkeiten und Zuschreibungen ernst zu nehmen. Die Rückbindung an medientheoretische Diskussionen situiert die Analyse letztlich in einem explizit

wissenschaftlichen Kontext und vollzieht die vom Forschungskontext geforder-

te Abstraktionsleistung. Ziel ist es, eine konstruktive Balance zwischen Nähe und Distanz, Zoom-Ins und Zoom-Outs herzustellen und die Lektüre einer gewinnbringenden Rhythmisierung zu unterziehen.

Die konsequente Komparation von Perspektiven gilt es hierbei als explizi-

ten Zugewinn meiner Analyse zu werten, wobei die selektive Auswahl und konzeptionelle Anordnung meiner Fallstudien einer spezifischen Logik folgt: So

lassen sich anhand ausgewählter Gegenstände einerseits die für die Street Art relevanten Charakteristika aufzeigen, anderseits adressieren sie vorherrschende Desiderate und rufen aktuelle medienwissenschaftliche Forschungsfelder auf.

In ihrer Rückbindung an den breiter angelegten Street-Art-Kontext bringen die ausgewählten Fallstudien gerade diejenigen Themen und Problematiken zu-

tage, die sich im Kontext von Street Art und neuen Medien unmittelbar auf-

drängen: Navigation, Netzpolitik, digitale Archivierung, Speicher- und Assemblierungspraktiken sowie Big Data. So wird nicht nur das komplexe Ineinandergreifen von Online- und Offlinepraktiken skizziert, welches vor allem in Form

verschiedener Fotopraktiken greifbar wird; vielmehr adressiert meine Arbeit aktuelle Forschungsfelder, die im bisherigen Street-Art-Diskurs unbeachtet blieben. Mit Latours Beschreibungsvokabular, welches zu einem ‚Folgen der Akteu-

17 Sowohl Heike Derwanz (2013) als auch Peter Bengtsen (2014) nutzen den Begriff der „Street-Art-Welt“ respektive „Street Art World“ mit Referenz auf den amerikanischen Soziologen Howard S. Becker und seine 1982 erschienene Monografie Art Worlds. Dieser setzt sich darin vom Kunstwelt-Begriff des amerikanischen Philosophen Arthur C. Danto ab und spricht Kunst einen gewissen Netzwerkcharakter zu: Kunst ist nicht das Werk eines Einzelnen, sondern das Resultat kooperativer Tätigkeit und kollektiven Handelns (vgl. Becker 1982; Bengtsen 2014; Derwanz 2013). Ich schließe mich der Terminologie der Autoren an.

28

| S TREET A RT UND NEUE M EDIEN

re‘18 aufruft, werden nicht nur einzelne Akteure greifbar(-er), vielmehr liefert

es auch das nötige Handwerkszeug, um das engmaschige Netzwerk der StreetArt-Welt – in all seiner Relationalität und gegenseitigen Abhängigkeit – zu ent-

falten. Durch das Nachzeichnen einzelner Praktiken wird ein gewinnbringen-

der Beitrag zum derzeitigen Street-Art-Diskurs geleistet, welcher das Phänomen Street Art erstmals praxistheoretisch diskutiert. Medien werden nicht als stati-

sche Devices und passive Apparaturen entworfen, vielmehr wird ihnen explizit Handlungsmacht zugesprochen. Nur so lässt sich letztlich verstehen, wie und

durch welche Praktiken Street Art zur Street Art wird und was es tatsächlich heißt, Street Art ‚zu machen‘. Dies versteht man vor allem dann – oder dann

besonders gut –, schenkt man auch dem in meiner Arbeit angelegten narrativen Bogen Beachtung: Ausgehend von der FACEBOOK-STUDIE (4.1), welche der Ent-

faltung des Gegenstandes dient, rückt gleich zu Beginn die Praktik der StreetArt-Produktion in den Fokus. Ich diskutiere die Entstehung eines Schablonenbildes, welches es als feingliedrigen Übersetzungsprozess zu entwerfen gilt

(4.2). Hieran schließt die Beleuchtung des Street-Art-Klebens und -Dokumentierens an (4.3). In FALLSTUDIE 4.4 wird das Aufsuchen und Lokalisieren von

Street-Art-Arbeiten (via Smartphone-App) thematisiert, gefolgt von der Diskussion, wie der alles durchdringenden Vernetzung der Lebenswelt heutzutage (überhaupt noch) adäquat begegnet werden kann (4.5). Die letzte und abschließende FALLSTUDIE (4.6) widmet sich dem Erinnern von Street Art und regt

damit eine Reflexion an, die dann greift, wenn Street Art bereits verschwunden ist – entfernt, beseitigt oder übermalt.

Über die Diskussion medientechnischer Überformung und digitaler Erweite-

rung wird letztlich der Versuch unternommen, Street Art – punktuell – an den

Kontext medienästhetischer Fragestellungen rückzubinden. Auf diese Weise

18 In der Einleitung von Reassembling the Social (2005; dt. Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, 2007) schreibt Latour: „Using a slogan from ANT, you have to ‚follow the actors themselves‘, that is try to catch up with their often wild innovations in order to learn from them what the collective existence has become in their hands, which methods they have elaborated to make it fit together, which accounts could best define the new associations that they have been forced to establish.“ (Latour 2005: 12) Siehe dazu ausführlicher im FORSCHUNGSSTAND unter 2.2 sowie im METHODENKAPITEL

unter 3.1 und 3.2.

E INE ERSTE S TANDORTBESTIMMUNG

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wird die Street Art mit einer Ästhetik konfrontiert, die es keinesfalls formalästhetisch zu denken gilt. Vielmehr muss Ästhetik aus ihrem praxistheoretischen, relationalen und ‚verteilten‘ Verschaltetsein heraus verstanden werden.

Ob sich hierbei ein medienästhetisches Verständnis skizziert, welches breitere Anschlussfähigkeit aufweist, bleibt zu überprüfen.

In KAPITEL 5 resümiere ich die in meiner Auseinandersetzung gewonnenen

Erkenntnisse und leiste eine finale Standortbestimmung. Ich schließe mit

einem Fazit, in welchem ich die einzelnen Layer des Schnitt-Bildes ein letztes Mal übereinanderlege, haben meine Ausführungen doch gerade gezeigt, dass es

alle am Phänomen beteiligten Praktiken, Akteure und Medien(-technologien)

nicht isoliert voneinander zu betrachten gilt. Vielmehr müssen sie innerhalb ihres sozialen Gefüges zusammengedacht werden. Waren meine medientheoretischen Marker richtig gesetzt, sind nicht nur einzelne Themenfelder konturiert, vielmehr setzt sich mein Schnitt-Bild zu einem in sich konsistenten Gesamtbild zusammen.

In KAPITEL 7, im GLOSSAR, erkläre ich einzelne Begriffe der Street-Art-Welt,

während die für meine Analyse zentralen Künstler auf meiner Projektseite

www.locatingstreetart.com aufgeführt sind. Letztlich sind es diese, die mein Forschungsprojekt in Form von Gesprächen, Straßenpräsenz oder Onlinebeiträgen in entscheidendem Maße mitpräg(t)en und meine Arbeit gewinnbringend kolorier(t)en. Auch auf meiner Projektseite wird der Figur des

Schnitt-Bildes ein letztes Mal Rechnung getragen; so sehe ich von ‚klassischen‘ Künstler-Porträts ab und fokussiere stattdessen auf situative Begebenheiten und

Aspekte. Das heißt: Ich akzentuiere einzelne Projekte, adressiere künstlerische Selbstverständnisse oder kennzeichne technische Alleinstellungsmerkmale.

ALI AS|Hambur g

2. Forschungsstand

Der hier aufgezeigte Forschungsstand liefert einen aktuellen Überblick über die derzeitige Street-Art-Forschung. Er fasst sowohl deutsch- als auch englischsprachige Literatur und konturiert Street Art als globales Phänomen.1 Angereichert wird das Kapitel um aktuelle Forschungsliteratur zum Thema neue, mobile und digital vernetzte Medien(-technologien). Diese nehmen im Kontext der Street Art bisher nur eine Randposition ein. Mein Forschungsstand schließt dieses Desiderat und erweitert die bisherige Street-Art-Forschung um ausstehende Themenfelder und zentrale Aspekte. Flankiert wird die Diskussion mit aktuellen medienästhetischen Debatten und Problemhorizonten. Es wird der Versuch

unternommen, Street Art von formalästhetischen Kategorien und subjektzentrierten Wahrnehmungsmodi loszulösen und im Feld einer ‚verteilten‘ Medienästhetik zu situieren.

2.1 Street Art Auch wenn ich Street Art und Graffiti innerhalb meiner Arbeit explizit als zwei voneinander zu trennende Phänomene behandle, so ist eine gemeinsame

Schnittstelle dennoch nicht von der Hand zu weisen. Im wissenschaftlichen Diskurs wird Graffiti oftmals als eine Art ‚Ursprungsmythos‘ der Street Art ver-

1

Eine westliche Perspektive bleibt hierbei nicht aus.

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| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

handelt. Graffiti wird dabei als Phänomen beschrieben, das in Zusammenhang mit der New Yorker Undergroundkultur steht und zusammen mit Hip-Hop und Breakdance auf eine rebellische, unkommerzielle Straßenbewegung der 1960er Jahre zurückgeht (vgl. Thiele/Taylor 1998: 132). Da es an dieser Stelle weder meine Absicht ist – noch sein kann – eine genealogische Herleitung zu leisten,

stütze auch ich mich weitestgehend auf diesen Strang der Graffiti-Geschichtsschreibung. Dennoch gilt es festzuhalten, dass das Phänomen weiterer Ausdifferenzierung bedarf. Es wäre falsch, Graffiti ausschließlich an den US-amerikanischen Kontext von Hip-Hop und Breakdance rückzubinden; v.a. dann, wenn

man versucht, damit europäische Phänomene zu beschreiben. „Ich bin PunkWriter, ich habe mit Hip-Hop überhaupt nichts zu tun“2, so einer der befragten

Akteure bezüglich seiner Graffitipraxis in den 1980er Jahren in Europa.

Der französische Philosoph Jean Baudrillard, der u.a. für seinen 1987 erschienenen Aufsatz Kool Killer oder Der Aufstand der Zeichen bekannt wurde, kann als einer der Vorreiter in der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Graffiti

gesehen werden. Schon früh wird er sich des ‚Einfalls der Zeichen‘ in „die Signalwelt der Stadt“ (Baudrillard 1987: 28) bewusst und detektiert ein massen-

haftes Auftreten diverser Graphismen an New Yorker Häuserwänden und

Zügen. Bis heute fehlt eine Referenz auf Baudrillard in kaum einer kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung zum Thema urbane (Graffiti-)Kunst – unabhängig von der Tatsache, dass sich Baudrillard im Wesentlichen mit dem

Phänomen der Tags3, und nicht dem Graffiti-Writing im Allgemeinen, beschäftigt. In Tags sieht Baudrillard einen Angriff auf die konsumorientierten Botschaften der Werbeindustrie. Denn gerade dadurch, dass sie ihre Präsenz im Stadtraum losgelöst von jeglichem Konnotations- und Denotationsangebot

postulierten, widersetzten sie sich den vorgefertigten Leit- und bereitgestellten Simulationsmodellen der Konsumindustrie, so der Autor. Zweifelsohne gelingt

Baudrillard mit Kool Killer ein bedeutender Beitrag in der Aufarbeitung von Schrift(-malerei) im öffentlichen Raum; die unmittelbare Übertragung seines 2 3

Diese Aussage geht auf ein Gespräch meiner Feldforschung zurück. Ein Tag ist die ‚Signatur‘ eines Writers. Tags dienen der Markierung von Orten,

manchmal auch von Territorien, und operieren als indexikalische Zeichen: „Ich war

hier“ ist die Grundaussage, die dahinter steht. Tags werden mit Sprühdosen oder verschiedenen Markern angebracht.

F ORSCHUNGSSTAND

| 33

medientheoretischen Konzeptes auf das aktuelle Street-Art- und GraffitiGeschehen halte ich dennoch für unzulänglich. Vielmehr bedarf es einiger neuer, feinerer Ausdifferenzierungen. Baudrillard greift heutzutage an vielerlei

Stellen zu kurz und hat mit der Street Art, wie ich sie innerhalb meines Projektes perspektiviere, nur noch geringe Überschneidungspunkte.

Das Onlineportal des Instituts für Graffiti-Forschung (ifg)4 gilt als weiterer

früher Pool der Graffitiforschung. Über die Begriffsherleitung des Wortes Graffiti bzw. des italienischen „sgraffiare“ (= kratzen, das Gekratzte) führen die

Referenzen dort zurück bis zur Höhlenmalerei.5 Die Autoren verweisen auf archäologische Funde in antiken Stätten, binden das Thema jedoch auch an die Gegenwart zurück: So werden Rechtsproblematiken diskutiert, Bildergalerien

bereitgestellt und auf Basisliteratur verwiesen. Das Onlineportal, dessen Auftritt mittlerweile deutlich an Aktualität einbüßt, steht vermehrt im Zeichen jugendlicher Bildungsarbeit.

Einen ähnlich bildungspolitischen Anspruch erhebt auch das in Berlin an-

sässige Archiv der Jugendkulturen e.V.6 In seiner Bibliothek, welche mit deutlich frischerem Anstrich auftritt, wird eine Vielzahl von Graffiti- und Street- ArtLiteratur bereitgestellt; aber auch die eigens zusammengestellte Sammlung an

Presse- und Zeitungsartikeln kann öffentlich eingesehen werden. Dieser zusätzliche Blickwinkel offeriert eine doppelte Zugangsebene. Als besonders gewinnbringend erweist sich die Onlinepräsenz seines Graffitiarchivs7, auf welcher aktuelle Themen aufgegriffen und kritisch reflektiert werden. Sein Blog präsentiert sich als einer der wenigen, der sich nicht von der grell-bunten Street-ArtÄsthetik blenden lässt und hinter ihre dekorative Fassade blickt.

4

www.graffitieuropa.org, 02.05.2012.

5

Ulrich Blanché weist in seinem Vortrag About Street Art Research (2015) darauf hin,

dass die frühen Wandmalereien, welche damals sowohl im Außen- als auch im Innenraum vorzufinden waren, anders bewertet werden müssten als heutiges Graffiti.

Zudem herrschte zu jener Zeit ein anderes Verständnis darüber, was öffentlicher Raum bedeutet. Die mit roter Farbe aufgetragenen Schriftzeichen bestimmt Blanché als Dipinti (vgl. ebd.). 6

www.jugendkulturen.de, 23.04.2014.

7

www.graffitiarchiv.org, 27.02.2015.

34

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN Dabei scheint es, allgemein gesprochen, beinahe symptomatisch für die

(wissenschaftliche Auseinandersetzung mit) Street Art8 zu sein, dass sich die Li-

teratur bis heute in terminologischen Unschärfen verliert. Vor allem die früheren Arbeiten zur Street Art tun sich hinsichtlich einer terminologischen Engführung des Begriffes schwer. „Graffiti“ war oftmals die gängigere Verschlagwortung einer Vielzahl von Erscheinungsformen urbaner Kunst – ein Umstand,

auf den auch Heike Derwanz in Street Art-Karrieren (2013) hinweist.9 So wurden in den 1980er Jahren bis lange danach u.a. auch Künstler wie Harald

Naegeli oder Keith Haring unter dem Oberbegriff Graffiti subsumiert (vgl. Derwanz 2013: 16). Auch Johannes Stahl, so die Autorin weiter, arbeitete in seinen früheren Arbeiten mit dem Begriff des Graffiti, weist jedoch bereits dort

auf eine genealogische Begriffsverschiebung des Phänomens hin. So vermerkt Stahl, dass die ursprüngliche Definition des Graffiti-Begriffs, abgeleitet vom

italienischen „Sgraffito“, sich auf Ritzungen in eine Oberfläche bezieht; erst

später wurde der Begriff auf heutiges Graffiti-Writing mit Sprühdose übertragen (vgl. ebd. mit Bezug auf Stahl 1990).10 Um die Jahrtausendwende wird letztlich der aus dem englischsprachigen

Raum stammende Begriff ‚Street Art‘ in die deutsche Literatur übertragen, vermehrt im Kontext von Festivals, Ausstellungen und anderen Events (vgl. ebd.). Derwanz bemerkt in diesem Kontext: „Er kämpft dabei [bis heute, KG] um die Abgrenzung von dem im Deutschen bereits besetzten Begriff ‚Straßenkunst‘“

(ebd.), welcher vorwiegend mit verschiedenen Formen performativer Kleinkunst, wie Zirkus- und Jonglageshows, in Verbindung gebracht wird. Davon möchten sich Street Artists konsequent abgrenzen.

8 9

Was immer sie in diesem Moment ist und auch nicht ist. Ulrich Blanché hingegen benennt in seinem Vortrag About Street Art Research (2015)

eine frühe Quelle, die diesem Argument – zumindest auf den ersten Blick – quer

läuft: Allan Schwartzman, welcher sein 1985 publiziertes Buch unter dem Titel Street Art veröffentlichte (vgl. Blanché 2015 mit Bezug auf Schwartzman 1985). Dennoch darf dieser Umstand nicht über die zuvor angesprochene terminologische Unschärfe hinwegtäuschen, die trotz allem und weiterhin besteht.

10 Stahl weist das französische Pendant „l’art dans la rue“ in einem Text von Brassaï nach (vgl. Brassaï 1960).

F ORSCHUNGSSTAND

| 35

Sybille Metze-Prous und Bernhard van Treeks Buch Pochoir. Die Kunst des Schablonen-Graffiti aus dem Jahr 2000 steht nahezu exemplarisch für eben jene Übergangsphase terminologischer Unbestimmtheit. So ist ihre Arbeit einerseits

bereits einer spezifischen Erscheinungsform bzw. Technik der Street Art gewidmet, der Schablonenkunst11; andererseits lösen sich die Autoren noch nicht von einer klaren Referenz auf Graffiti: Nicht nur der Titel, sondern auch ihre

weiteren Ausführungen und Argumentationen basieren maßgeblich auf der Graffiti-Terminologie. Neben der Markierung eben jenes terminologischen

Spannungsverhältnisses im Allgemeinen scheint dies jedoch auch einem kunstwissenschaftlich-genealogischen Grund verhaftet. So kann u.a. gerade die anfängliche Schablonenkunst im Europa der späten 1980er und 1990er Jahre als

eine Ausprägung ‚künstlerischen Grenzgängertums‘ perspektiviert werden. Die

1980er Jahre werden immer wieder genannt, wenn es darum geht, das Aufkommen von Graffiti innerhalb Europas zu situieren; maßgeblich beeinflusst durch die Zirkulation einzelner Bildbände, Monografien und Filme, welche ihren Weg von den USA nach Europa fanden. Zu nennen sind an dieser Stelle Martha Coopers und Henry Chalfants Buch Subway Art (1984) sowie Filme wie

Wild Style (1983), Style Wars (1983) und Beat Street (1984).12 Als ursprüngliche Ausdrucksform amerikanischer Subkultur bilden sich jedoch schnell lokale Styles und Bildsprachen heraus. Es kommt zu Synergieeffekten, aber auch – und das gilt es an dieser Stelle ebenfalls zu betonen – zu Abweichungen und

Änderungen von Techniken und Ästhetiken.13 Einer der zentralen Akteure,

11 Pochoir steht im Französischen für Schablone, im Englischen ist der Begriff Stencil geläufig.

12 Dennoch gibt es Graffiti, welches sich unabhängig vom US-amerikanischen Kontext entwickelte und auf eigenständige Wurzeln zurückzugehen scheint. So erklären mir

Akteure in einem persönlichen Gespräch, dass sie mit den Büchern und Filmen aus

den USA – im Europa der 1980er Jahre – nicht oder nur ganz am Rande in Kontakt

gekommen und mit den Entwicklungen in den USA nicht vertraut waren. Sie selbst bezeichnen ihre Kunstpraktik als Punk-Graffiti.

13 Es ist in diesem Kontext gerade nicht meine Absicht, das sogenannte Schablonengraffiti an den US-amerikanischen Graffitikontext rückzubinden; vielmehr noch, ich halte es für schlichtweg falsch. Meine Argumentation zielt vielmehr darauf ab, die

36

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

welcher in diesem Kontext immer wieder genannt wird, ist der Franzose Xavier Prou. Unter dem Pseudonym Blek le Rat führt der Künstler 1985 das sogenann-

te Schablonengraffiti in die Pariser Street Art ein (vgl. Metze-Prou/van Treek

2000: 59, 68), welches fortan unter dem Namen „Pochoir“ oder „Stencil“ bekannt wird. Vermutlich ist es kein Zufall, dass er gerade auf die Schablone als

äußerst funktionales und mobil einsetzbares Sprachrohr zur Verbreitung reproduzierbarer Botschaften zurückgreift. Schließlich blickt die Schablone bereits auf eine lange Tradition zurück: In weiten Teilen Mittel- und Südamerikas, aber auch anderen (konfliktbelasteten) Regionen wie beispielsweise dem

Baskenland, Nordirland oder Südafrika kam die Schablone als politisches Protestmedium bereits viel früher zum Einsatz – und tut es bis heute, wie aktuelle

Ereignisse in Ägypten oder der Türkei beweisen. Auch im Zweiten Weltkrieg wurde die Schablone nachweislich als Propagandamittel der italienischen Kommunisten und Faschisten eingesetzt (vgl. u.a. Manco 2002: 60).14

In Metze-Prous und van Treeks Auseinandersetzung dient Blek le Rat als

initiale Referenzfigur, anhand derer sie jene ‚neue‘ Kunstform weiter ausdifferenzieren. Doch abgesehen von technisch-terminologischen Übergangsphänomenen markiert ihre Arbeit noch einen weiteren, nicht weniger wichtigen Differenzierungsschritt: Ihre Auseinandersetzung ist eine der ersten wissenschaftlichen Aufarbeitungen, welche ‚Street Art‘ – zumindest bildsprachlich betrachtet – nicht als allumfassendes und ausuferndes Phänomen behandeln, sondern

auf eine klare Reduzierung setzen. Die Autoren fokussieren auf einen einzelnen Technikaspekt, die Schablonenkunst. Und dieser Ansatz einer technikbasierten Ausdifferenzierung erweist sich als durchaus zielführend. So zeigt die Auseinandersetzung mit Street Art bis heute vor allen Dingen dort Schwächen, wo

keine klaren argumentativen Grenzen gezogen werden; wo vielmehr verschiedene Techniken, Materialästhetiken und Bildsprachen relativ willkürlich ver-

mischt und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Um eine Diskussion jedoch sinnvoll und strukturstiftend zu gestalten, bedarf es einer klaren terminologischen Kennzeichnung. Abgesehen von Anna Waklaweks deutlich später

Vermischung und Durchdringung der Sphären zu betonen, aber dennoch die jeweils orts- und situationsbezogene Ausgestaltung zu akzentuieren.

14 Die Schablone ist ebenfalls ein Medium der Massenproduktion.

F ORSCHUNGSSTAND

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publizierter Arbeit Graffiti und Street Art (2012) rückt diese Thematik in den folgenden Jahren jedoch nicht weiter in den Fokus wissenschaftlicher Betrachtungen, zumindest nicht explizit. Das heißt jedoch nicht, dass terminologische

Eingrenzungsversuche und begriffliche Unschärfen an Relevanz verloren hätten oder gar beseitigt wären (vgl. u.a. Klitzke/Schmidt 2009: 85).15

Dass die Street Art spätestens um die Jahrhundertwende nicht nur vari-

antenreicher auftritt, sondern auch populärer wird, geht u.a. aus Katrin Klitzkes und Christian Schmidts 2009 veröffentlichtem Sammelband Street Art.

Legenden zur Straße hervor. Neue Bildsprachen kommen auf, Street Artists beziehen neue Materialien in ihre Arbeiten ein, die Anzahl ästhetischer Eingriffe in den Stadtraum nimmt zu. Street Art verbreite sich „myzelartig“ (ebd.: 10),

so die Autoren, die im Zuge der daraus resultierenden medialen Aufmerksamkeit um 2003 einen (ersten?) Hype der Street Art ansetzen. „Street Art wurde ab 2003 als der ‚neue heiße Scheiß‘ in den Pop-Magazinen und Feuilletons lanciert“, so jene weiter (ebd.), die in einer Vielzahl wissenschaftlicher Auseinan-

dersetzungen und „publizistischen Schnellschüssen“ (ebd.: 12) aber dennoch die nötige analytische Tiefe vermissen. Mit ihrem Sammelband unternehmen sie den Versuch, „die Oberflächlichkeit des Hypes hinter sich zu lassen“ (ebd.)

und das Phänomen von verschiedenen Disziplinen aus, angefangen von Kunstgeschichte über Soziologie, Philosophie, Kulturwissenschaften bis hin zur Stadtethnologie, zu beleuchten. Die primär essayistisch angelegten Beiträge junger Wissenschaftler greifen das dynamische Klima der Street Art auf und

setzen sich zu einer bunten Collage zusammen, die reine Wissenschaftlichkeit mit urbaner Atmosphärik kreuzt. Damit schließen sie an den ebenfalls beim Archiv der Jugendkulturen publizierten Sammelband Street Art. Die Stadt als Spielplatz (2006) von Daniela Krause und Christian Heinicke an. Auch dieser präsentiert sich als variantenreicher Pool unterschiedlichster Gegenstände und

Materialien, welcher sich im Wesentlichen der Thematik des Raums – in seiner jeweils eigenen Spezifik – verschreibt. Die beiden Herausgeber differenzieren hierbei in Raumwahrnehmung, Diskursraum, Handlungsspielraum, Arbeitsraum, Raum(um)nutzung und Zwischenraum. Wie bereits im Sammelband von

15 Auch Julia Reinecke diskutiert jene Begrifflichkeiten in Street Art. Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz (2007), stellt diese jedoch nicht in den Mittelpunkt ihrer

Argumentation.

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Klitzke und Schmidt kommen auch hier einzelne Künstler zu Wort, welche in Form von Interviews oder als Autoren kleinerer Textbeiträge zu einer deutlichen Rhythmisierung der Lektüre beitragen.

Julia Reinecke fokussiert in ihrer kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung Street-Art. Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz (2007) auf einen

anderen, ebenfalls unmittelbar mit der Street Art in Verbindung stehenden

Aspekt: ihre Kommerzialisierung. In ihrer Argumentation bestimmt die Autorin Street Art als eine spezifische Ausdrucksform der Subkultur und situiert sie im

Kontext von Pierre Bourdieus Feldtheorie. Im Wesentlichen argumentiert Reinecke über das mit der Street Art eng in Verbindung stehende subkulturelle Kapital sowie die feldlogische Bedeutung von Konsekration und Legitimation.

Street Art wird im Spannungsfeld von Bildender Kunst, Werbung und (Guerilla-)Marketing beleuchtet. Einzelne Werkanalysen bleiben in ihrer Auseinandersetzung außen vor, vielmehr verhandelt die Autorin die Thematik der

Kommerzialisierung in Form von Kontextanalysen. Mit ihrem Buch greift Reinecke somit bereits 2007 eine Thematik auf, die sich bis heute großer Anschlussfähigkeit erfreut – wenngleich das kommerzielle Interesse an Street Art

heutzutage längst nicht mehr nur in der Aneignung ihrer Ästhetik und der damit einhergehenden werbetechnischen Verwertung liegt, sondern im Onlinehandel: Street-Art-Werke bekannter Künstler werden sorgsam vom städtischen Umraum entfernt, um sie – in konservierter Form – marktwirtschaftlichen Interessen auszusetzen. Als ‚Originale‘ werden sie auf Auktionsplattformen wie

Ebay oder spezifischen Facebook-Seiten an Interessenten verkauft. Diese Entwicklungen mögen dazu beigetragen haben, dass sich die Kommerzialisierung

der Street Art bis heute als äußerst beliebtes Thema erweist: Journalisten berichten in Zeitungen und Onlinemagazinen von den neuesten Auktionen, Blogger informieren auf ihren Blogs über entwendete Street-Art-Werke und Studen-

ten widmen der vermeintlich hippen Kommerzthematik unzählige Abschlussarbeiten. Dennoch springt eine Vielzahl jener Autoren dabei recht häufig auf den grellbunten Zug der ‚Sell-Out‘16-Debatte auf und diskutiert das Thema bedingt eindimensional.

16 Des Sell-Outs werden im Allgemeinen Street-Art-Künstler bezichtigt, die ihre Bilder, Motive und Schriftzüge als kommerzielle Produkte vermarkten. Sie widersetzen sich

somit dem ursprünglichen Selbstverständnis der Street Art und verkaufen ihre Ästhe-

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Nora Schmidt verfolgt in Das Trottoir als Galerie. Ein Beitrag zur soziologischen Theorie der Street Art (2009) eine systemtheoretische Lesart der Street

Art. Mit Rückgriff auf Niklas Luhmanns Systemtheorie fragt sie, wie sich Wahrnehmung und Kommunikation auf ‚Objekte der Street Art‘ beziehen lassen und wie diese innerhalb des ‚Sozialsystems Stadt‘ funktionieren. Ihr Zugang

nähert sich hierbei vor allem von Rezeptionsseite. Zentral setzt sie die soziale

Konstruktion von Öffentlichkeit und Privatheit und diskutiert die situationistische Praxis des Derivé, welche die Figur des umherschweifenden Flaneurs aufruft. Als eine Erscheinungsform interventionistischer Kunst situiert Schmidt Street Art im Kontext des Kunstsystems, wenngleich sie deren Eingebettetheit kritisch hinterfragt. Letztlich sieht sie in Street Art einen Ausdruck getarnten

Parasitentums, welches sich im System Kunst einen popkulturellen Nistplatz gesucht hat. Für die Kunsthistorikerin Ilaria Hoppe hingegen nimmt die Street Art keine

dezidiert parasitäre Rolle ein. In ihrem 2009 publizierten Aufsatz Street Art und ‚Die Kunst im öffentlichen Raum‘ geht sie dem widersprüchlichen Verhältnis beider Erscheinungsformen nach und prüft sie auf ihr Verhältnis zum Kunstsystem. Sie diskutiert Street Art im Spannungsfeld von Subkultur, Design und

etablierter Kunst mit dem Ziel, sowohl Gemeinsamkeiten als auch Differenzen öffentlicher Raumgestaltung aufzudecken. Hoppe liegt zweifelsohne richtig, wenn sie sich gegen eine allzu holzschnittartige Unterscheidung in ‚high‘ und ‚low‘ bzw. Kunst und Alltag ausspricht und für eine „Durchmischung und

Durchgrenzung der Sphären“ (Hoppe 2009: 5) plädiert. Gleichzeitig greift sie damit einen Diskurs auf, der an unmittelbarer Aktualität verloren zu haben

scheint, waren sich doch spätestens die Dadaisten dieser Fehleinschätzung bewusst. Deutlich werkzentrierter fällt Ulrich Blanchés Analyse aus. Mit Something to

s(pr)ay. Der Street Artivist Banksy (2010) schreibt dieser eine fundierte kunstwissenschaftliche Untersuchung über die Street Art des britischen Künstlers Banksy. Ihre analytische Stärke zieht die Arbeit vor allen Dingen aus dem zwei-

ten Teil, in welchem Banksys Œuvre anhand ausgewählter Fallbeispiele diskutik an den ‚Feind‘ – Auftraggeber sind hierbei oftmals große Firmen und Lifestyle-

Marken wie Nike, adidas, Puma etc. Die Arbeit auf der Straße wird im Zuge dessen oftmals vernachlässigt oder kommt zum völligen Stillstand.

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tiert wird. Blanché ist damit einer der wenigen Autoren, der ‚genauer hinschaut‘ und vor konkreten formalästhetischen Werkanalysen nicht zurückschreckt. Vor dem Hintergrund der Kommunikationsguerilla diskutiert Blanché

letztlich Banksys feinfühliges Changieren zwischen Aktivismus und Kunst und entwickelt eigenständige (Be-)Deutungsmuster. Seine Arbeit schließt mit der oftmals um Banksy kreisenden Kommerz versus Subkultur-Debatte.

Im Jahr 2010 tritt ein bis dato völlig unbeachteter Aspekt in die wissenschaftliche Diskussion der Street Art hinzu: die Rolle neuer Medien. Heike Derwanz beleuchtet in ihrem Aufsatz ‚Was es nicht online gibt, gibt es nicht‘. Tausch und Selektion in Street-Art-Blogs (2010) erstmals die Rolle von Blogs für die Street-Art-Welt. Sie fragt: „Warum sollte gerade Street Art, die oft einmalig für einen bestimmten Ort entsteht, auf Blogs angewiesen sein? Warum sollte es Menschen in Berlin interessieren, dass in einer

Straße New Yorks ein unautorisiertes Kunstwerk eines Anonymen installiert wurde?“ (Derwanz 2010: 204)

Vor dieser Folie fragt Derwanz nach der Bedeutung von Street-Art-Blogs für die Entwicklung der Street Art und spürt den Wechselwirkungen von Kunstform,

Medium und Publikum nach. Unter Rückgriff auf ethnografisches Feldforschungsmaterial und exemplifiziert am Street-Art-Blog Wooster Collective17 macht die Autorin relevante Tauschbeziehungen sichtbar und lotet das Verhältnis von Bloggern, Künstlern und Street-Art-Publikum aus.

Jener Aufsatz kann dabei als Vor- bzw. Zuarbeit ihres größer angelegten Forschungsprojektes betrachtet werden: der Erforschung von Street-Art-Karrieren. Wie sich in Derwanz‘ 2013 publiziertem Buch Street Art-Karrieren. Neue

Wege in den Kunst- und Designmarkt zeigt, nehmen nämlich auch dort StreetArt-Blogs bzw. -Blogger (neben Galeristen, Kuratoren und den Künstlern) eine entscheidende Rolle ein. Derwanz macht deutlich, dass eine erfolgreiche und

nachhaltige Etablierung von Street-Art-Künstlern auf dem Kunstmarkt die Zuarbeit einer Vielzahl von Akteuren voraussetzt. „Kunst ist kollektives Handeln“,

so die Autorin (2013: 199) mit Referenz auf den amerikanischen Soziologen Howard S. Becker. In ihrer Ethnografie zeichnet Derwanz hierbei den Weg

17 www.woostercollective.com, 19.05.2014.

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dreier Street-Art-Künstler nach: Banksy, Shepard Fairey und No Logo/Jens Besser. Sie fragt: Wie entstehen Karrieren von Street-Art-Künstlern und unter welchen Prämissen verlaufen sie erfolgreich? Und daran anschließend: Wie werden sie zu Produzenten für den Kunst- und Designmarkt? Auf der Folie verwandter Kunstformen wie Graffiti, Graffiti-Art und Pop-Art wagt Derwanz abschließend eine kunstgeschichtliche Standortbestimmung der Street Art und

diskutiert, wo sich Street-Art-Künstler heutzutage, im Diskursfeld zeitgenössischer Kunst, positionieren können. Das Buch schließt mit einer sogenannten

„Karriere-Anleitung“, die jene zuvor aufgezeigten Street-Art-Karrieren im Spiegel visueller Kultur reflektiert. Der besondere Mehrwert ihrer Bestandsaufnahme liegt vor allem in der mehrdimensionalen Beobachterperspektive, wel-

che Kategorien wie Produktion, Repräsentation, Sozialisation, Kontextualisierung, Marketing und Expansion erstmals innerhalb eines sozialen Gefüges zusammendenkt und nicht isoliert voneinander betrachtet.

Dass neue Medien zunehmend in den Kontext der Street Art greifen, zeigt

letztlich auch das Ende 2013 veröffentliche E-Book des US-amerikanischen Bloggers RJ Rushmore: Viral Art. How the Internet Has Shaped Street Art and

Graffiti18. Rushmore, Gründer und Betreiber des weltweit bekannten und renommierten Street-Art-Blogs Vandalog19, ist somit genau einer derjenigen Akteure bzw. Multiplikatoren, welche Derwanz im Rahmen ihrer Forschung zentral setzt. Seine Veröffentlichung muss folglich explizit vor diesem Hintergrund gelesen werden.

„Viral Art has initially been published online on a WordPress installation running the PressBooks plugin (so it’s basically a giant blog reformatted to look like a book) and

made available free of charge […]. I want Viral Art to be read, shared, and tweaked by

as many people as possible without concerns of copyright infringement“,

so der Autor (2013: XXV). Vor dieser Folie scheint es nur konsequent, dass Rushmore sein Buch als E-Book20 veröffentlicht, mit zugehöriger Creative Com18 www.viralart.vandalog.com/read/, 17.07.2014. 19 www.vandalog.com/, 30.04.2014. 20 Das E-Book kann online gelesen oder aber als PDF auf den eigenen Computer bzw. EReader heruntergeladen werden.

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mons Attribution-ShareAlike 4.0 Interntional License. Zudem bietet die Einbindung von Links, Fotos, animierten GIFs und Videos einen großen medienspezifischen Mehrwert.

Inhaltlich liegt es Rushmore daran, (die Geschichte von) Street Art und Graffiti unter Einfluss verschiedener Kommunikationstechnologien nachzuzeichnen, wobei er hierbei vor allem das Internet als großen Einflussfaktor

stark macht. Er parallelisiert die Praktiken des Umgangs mit städtischem Raum mit denen des Internets und setzt sie als initialen Referenzpunkt seiner Überlegungen fest: „I’ve come to the conclusion that the transition from playing with walls to playing with the internet can be the shift that keeps street art and graffiti relevant in an increasingly digital world“, so Rushmore (ebd.: 2). Sein Buch ist in vier Kapitel gegliedert: In Kapitel 1 geht er bis in die 1960er Jahre

zurück und veranschaulicht, wie zu jener Zeit noch Printmagazine und Bücher die Dokumentation von Graffiti und Street Art bestimmten. Die Pflege persön-

licher Beziehungen auf Basis von Face to face-Kommunikation setzt er zentral und illustriert, wie „just hanging out at the right clubs in downtown New

York“ (ebd.) ein wesentlicher Bestandteil eines Künstlerjobs sein konnte. Kapitel 2 skizziert den ‚Shift‘ in der dokumentarischen Praxis von Street Art und

Graffiti: Die wesentliche Schaubühne urbaner Kunst stelle heutzutage das Internet dar, so Rushmore – frei nach dem Motto „pics or it didn’t happen“ (ebd.: 3).21 Kapitel 3 schließt unmittelbar an jene Argumentation an. Der Autor diskutiert, wie das Internet stilistische Merkmale von Graffiti und Street Art beeinflusst: So verschwimmen lokale Styles, während Werke teilweise explizit auf das Internet (und dessen mediales Ausgabeformat) zugeschnitten sind. Dies

trifft beispielsweise auf Op-Art, auf Conceptual (Street) Art, Videos, Performances, Multi-photo-Pieces sowie animierte GIFS zu. Kapitel 4 radikalisiert diesen Ansatz: Rushmore konzeptualisiert das Internet als öffentlichen Raum und schlussfolgert, dass die Zukunft von Graffiti und Street Art zunehmend in

digitalen Interventionen liegen müsse. Er fokussiert dabei auf diejenigen Ausnahmen, auf diese „handful of artists“ (ebd.: 285), die das Internet als genau

denjenigen Raum nutzen, den es zu ‚invadieren‘ gilt – so als wäre er ein hochfrequentierter Straßenzug. Doch spätestens an dieser Stelle weist Rushmores

21 Vgl. dazu auch „Today, the public arena for art is the internet.“ (Rushmore 2013: 3)

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Argumentation deutliche Lücken auf, ein Fakt, der sich bereits an der Definition des Begriffs „viral art“ ablesen lässt: „At its core, viral art is the unmedia-

ted (digital) distribution of art from artist to public. […] We have to get back to that core goal of unmediated distribution and we have to hack new systems

to do it.“ (Ebd.: 286) Der Autor sieht somit in „viral art“ eine spezifische Praktik zielgerichteter, aber dennoch unvermittelter Kunstdistribution und Invasion öffentlichen Raumes. Aus medienwissenschaftlicher Sicht stellt sich die Frage einer unvermittelten (‚unmediated‘) Übertragung jedoch gar nicht; jegliche

Form der Interaktion ist immer vermittelt und somit nur medialisiert erfahrbar. Zudem ist nicht von einer eindimensionalen, sich teilweise verselbstständigenden Interaktions- bzw. Distributionsstruktur auszugehen, welche Rushmore im

Term „viral“ unweigerlich anlegt. Vielmehr gilt es Interaktion deutlich mehrmaschiger zu denken. So lassen sich innerhalb der Street-Art-Welt zentrale Akteure ausmachen, welche es innerhalb einer komplexen Netzwerkstruktur zu

situieren und als mit Handlungsmacht ausgestattete Multiplikatoren zu entwerfen gilt.22 Dass innerhalb dieser Konstellation gerade Medien die Rolle eines mit ‚agency‘ ausgestatteten Akteurs annehmen, bleibt bei Rushmore unberücksichtigt. So perspektiviert er Medien innerhalb seiner Auseinandersetzung als

technische Apparaturen und statische Devices, ohne näher auf ihre medialen Spezifika einzugehen. Seine Argumentation, der es auch andernorts teilweise an theoretischer wie methodischer Einbettung und klaren wissenschaftlichen

Referenzen fehlt, wird brüchig. Dennoch soll unlängst aufgeführte Kritik nicht über den Fakt hinwegtäuschen, dass RJ Rushmore mit Viral Art einen umfassenden Beitrag zur aktuellen Graffiti- und Street-Art-Debatte leistet und erste

wichtige Impulse bezüglich ihrer Situierung im Internet gibt. Infolge des Einbezugs einer Vielzahl von Interviews mit namhaften Szeneakteuren, wie beispielsweise Martha Cooper, KATSU oder Brooklyn Street Art sowie durch die

oftmals recht anekdotisch aufgeladene Schreibweise öffnet sich Rushmores Monografie, welche in ihrer medialen Verfasstheit als E-Book bisher eine Sonderstellung genießt, einem breiteren, nicht ausschließlich wissenschaftlichen

Publikum.

22 Vgl. dazu auch Derwanz (2013), v.a. Kapitel 3 From Street Anonymity to Media Stardom. Netzwerkbildung als Kanonbildung.

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| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN Das im Sommer 2014 vom schwedischen Soziologen und Kunsthistoriker

Peter Bengtsen veröffentlichte Buch The Street Art World ist die derzeit neueste

wissenschaftliche Street-Art-Publikation. Wie bereits Derwanz, beschreibt auch Bengtsen die Street Art als ‚Kunstwelt‘, als Kultur und Distributionssystem, mit dem Fokus auf ihr Verwobensein in den institutionellen und kommerziellen Kunst(-markt)kontext. Mit Referenz auf den amerikanischen Soziologen Harold

Garfinkel zeichnet Bengtsen unter Anwendung ethnomethodologischer Methoden die alltäglichen Interaktionen von Street-Art-Künstlern, Galeristen, Sammlern, Bloggern und Street-Art-Fans nach. Als erster Street-Art-Forscher überhaupt widmet er sich hierbei der Rolle von Street-Art-Foren und untersucht deren Relevanz in der alltäglichen Diskussion, Kommunikation und Interaktion der Street-Art-Welt. Besonders gelungen zeigt sich Bengtsens Arbeit dort, wo er

den Leser am Forschungsprozess ‚teilhaben‘ lässt und ihm die Reflexion seiner methodischen Annäherung offenlegt: „A few days before a visit to Paris in October 2011, I received a brief email from an artist I had been corresponding for some time, saying: ‚Hey Peter I might go put something

on Sunday morning […]. Would you be interested to come?‘ […] On the one hand, it

could be considered problematic for the researcher to get involved in what is likely to be an illegal activity. On the other hand, it could be argued that the actual participation in

the making of street art is the only way to gain an understanding of certain aspects of that artistic practice. It might have looked better if I could say I thought long and hard

about this dilemma before arriving at an informed and ethically balanced decision. The truth is, however, […] [l]ooking at my email correspondence, I sent a confirmation of my agreement within eight minutes of receiving the invitation.“ (Bengtsen 2014: 43)

Wie dieses Zitat deutlich macht, präsentiert sich Bengtsens Monografie als beeindruckend ‚ehrliche‘ Street-Art-Ethnografie, welche sich thematisch vor allem im Bereich von Institutionalisierung, Musealisierung und Kommerzialisierung bewegt.

Auch wenn im Zuge der zunehmenden Popularisierung der Street Art mittlerweile auch das wissenschaftliche Interesse steigt23, bestimmen derzeit ver-

23 Vor allem Nachwuchswissenschaftler nehmen sich jener Thematik an und überführen sie in den universitären Kontext. So finden im Rahmen von Konferenzen und Tagungen bereits vereinzelt Veranstaltungen statt, die Wissenschaftler praxisorientierter an

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mehrt Bildbände den allgemeinen Diskurs um die Street-Art-Welt. Der Bildband stellt hierbei ein Medium dar, welches bereits anfangs der 2000er Jahre auf großes Interesse stößt. Der britische Grafikdesigner Tristan Manco ist einer

der ersten Autoren, der sich mit Bildbänden wie Stencil Graffiti (2002) oder Street Logos (2004) einen Namen macht (vgl. Derwanz 2013: 21). Das grob

zehn Jahre später publizierte und der gleichnamigen Facebook-Seite entstammende Buch Street Art in Germany (2013) ist eine weitere zentrale ‚Bildersammlung‘. Wie der Name vermuten lässt, fasst es dabei Street-Art-Bilder bzw.

-Fotos aus Deutschland, die in einer Art kollaborativer Sammelpraktik zusammengetragen wurden. Ihr Autor ist Timo Schaal, der Administrator, der zu jener Zeit hinter der Seite Street Art in Germany stand.24

Dies sind nur zwei Beispiele, die belegen, dass das publizistische Interesse

an Street Art heutzutage sehr groß ist – und zunehmend steigt. In demselben Maße wie die Zahl an fotobasierten Veröffentlichungen zunimmt, variieren jedoch auch die damit einhergehenden Qualitätsansprüche, Konzepte und Selbstverständnisse vonseiten der Fotografen, Autoren, Herausgeber und Verlage. Nicht selten wird ein Bildband von einem zugehörigen Fotokalender begleitet, einem Medium, welches eine gänzlich andere Funktionalität aufweist. Das Phänomen differenziert sich aus. Fakt ist jedoch auch: Schaut man sich die Konzeption und Materialbasis aktueller Street-Art-Publikationen an, kristallisiert sich recht schnell heraus, dass das führende Publikations-, Recherche- und Archivierungsmedium der Street Art heutzutage ohne Zweifel das Internet darstellt. So hält dieses einen scheinbar unerschöpflichen Pool an Bildmaterial bereit und stellt eine essen-

den Gegenstand und dessen Dynamiken heranführen sollen, vgl. dazu u.a. die Tagung Grauzonen. Street Art & Graffiti, welche vom 02.-04.05.2014 in Tutzing stattfand: http://web.ev-akademie-tutzing.de/cms/index.php?id=576&part=prog&lfdnr-

=1967, 06.08.2015.

24 Hierzu ist anzumerken, dass es im September 2014 einen Adminwechsel gab, infolgedessen Timo Schaal seine Administrationsrechte an Joab Nist von Notes of Berlin

(www.facebook.com/pages/Notes-of-Berlin/135730906472844 und www.notesof-

berlin.com, 07.08.2015) abtrat. Die mit dem Wechsel in Verbindung stehenden Änderungen werden in meiner Arbeit nicht weiter berücksichtigt, da sich meine Forschung auf den Zeitraum davor bezieht.

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tielle Plattform für Berichterstattungen, Artikel, Pressemeldungen und Fanseiten dar. Neben Street-Art-Blogs nehmen derzeit vor allem Facebook-Seiten eine zentrale Rolle in der Verhandlung der Street Art ein und kurbeln sowohl

Informationsfluss als auch Schnelllebigkeit dieser urbanen Kunstform an.25 Dass die der Plattform inhärenten Medialisierungspraktiken dabei nicht nur

Forschungsgegenstand meines Projektes, sondern gleichzeitig auch Ausgangspunkt und Zugangsbedingung meiner eigenen Recherchepraktik sind, gilt es innerhalb meiner Arbeit stets zu betonen. Die analytische Relevanz einer

medienwissenschaftlichen Analyseschablone, die die Lokalisierung von ortsund situationsbezogenen Medienprozessen, unter Zuhilfenahme von orts- und situationsbezogenen Methoden, vorsieht, tritt somit offensichtlich zutage: Me-

dien werden von und durch Medien lokalisiert und präsentieren sich als historische Effekte von Kulturtechniken.

2.2 Orts- und situationsbezogene Medienforschung Ich komme an dieser Stelle zu meinem zweiten Teil des Forschungsstandes, in

welchem ich den medienwissenschaftlichen Bereich meines Projektes konturiere. Ich beschränke mich hierbei auf diejenige Literatur, die ich im Rahmen meiner Forschung zentral setze. Mein Anspruch besteht somit weniger in einer

vollständigen Aufarbeitung als vielmehr in einer kontextspezifischen Akzentuierung. Einen wesentlichen Referenzpunkt bildet die im Rahmen des Graduierten-

kollegs Locating Media akzentuierte orts- und situationsbezogene Medienforschung. Grundlegend sieht sich das dem Graduiertenkolleg zugrunde liegende Forschungsprogramm der Aufgabe verpflichtet, ‚das Medium‘ und seinen Ort in seiner jeweiligen Relationalität angemessen zu lokalisieren und zu situieren. In

einer Zeit, in welcher sich Medien(-nutzungen) zunehmend prozessual vernetzen und soziotechnische Hybride ausbilden, stellt dies ein besonders interes-

25 Wobei auch die Relevanz von Instagram stetig wächst, Stand: 07.08.2015.

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santes Unterfangen dar.26 Ziel von Locating Media ist es, die daraus resultierende Konvergenz wissenschaftlicher, gestalterischer und alltagspraktischer

Lokalisierungs- und Situierungsaufgaben auf Basis einer medienwissenschaftlichen Praktikentheorie beschreibbar zu machen. Dieser Forschungsansatz bietet sich somit maßgeblich an, der Street Art im Kontext neuer Medien nachzuspüren.

Eine der aktuellsten Publikationen, die aus diesem Forschungskontext hervorgeht, ist der 2013 erschienene und von Erhard Schüttpelz und Tristan Thiel-

mann herausgegebene Sammelband Akteur-Medien-Theorie. Die Autoren disku-

tieren darin die im Umfeld von Bruno Latour bekannt gewordene AkteurNetzwerk-Theorie (ANT) als programmatische Verschiebung der Medienwissenschaft und stellen sie im Entwurf einer ‚Akteur-Medien-Theorie‘ zur

Disposition. Anstatt den oftmals recht missverständlichen Begriff des „Netzwerks“ zu gebrauchen, rückt der Band den Begriff der „agency“, also der Handlungsinitiative einzelner Akteure, in den Vordergrund –

„weil mit diesem […] am klarsten gesagt werden kann, dass alles das, was andere Grö-

ßen in Aktion treten lässt, egal wie stark oder schwach, groß oder klein, als Ausgangspunkt (und Träger) einer ‚agency‘ (also einer Handlungsinitiative) dargestellt werden kann und soll“,

so Schüttpelz in der Einleitung des Bandes (2013: 10). Der Sammelband

schließt somit an die viel zitierte, in stetem Spannungsverhältnis von Abgrenzungsversuchen und gewinnbringenden Modifikationen befindliche Debatte der ANT an. Er greift zentrale ANT-Positionen auf, entwickelt bestehende Denkmuster jedoch weiter und führt gerade dadurch eine zweite Reflexionsebene ein. Der von Andréa Belliger und David J. Krieger herausgegebene Sammelband

ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie (2006) kann

als Basiswerk des derzeitigen ANT-Diskurses betrachtet werden. Dieser bündelt zahlreiche ‚kanonbildende‘ Aufsätze der ANTler Michel Callon, Bruno Latour,

John Law und Madeleine Akrich und auch die von Callon (und Latour) ent-

26 Vgl. www.uni-siegen.de/locatingmedia/forschungsprogramm/deutsch/?lang=de, 18.07.2014.

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wickelte Sozio-Logik bzw. Soziologie der Übersetzung, auf die ich vor allem in KAPITEL 4.2 Bezug nehme, wird dort entfaltet.

Nicht Callon, sondern Latour widmet sich der zwei Jahre später von Georg

Kneer, Markus Schroer und Erhard Schüttpelz herausgegebene Sammelband Bruno Latours Kollektive. Kontroversen zur Entgrenzung des Sozialen (2008). Die

Autoren diskutieren darin die von Latour entwickelte (An-)Forderung einer Entgrenzung des Sozialen, welche Gesellschaft und Natur nicht länger als getrennte Einheiten betrachtet, sondern neben Menschen auch natürliche und

artifizielle Objekte, Tiere und Pflanzen als Teil der Sozialwelt begreift: „Latours Kollektive sind bevölkert mit eigenartigen Mischwesen, [mit] Hybriden aus Kultur und Natur“, so die Herausgeber (Kneer et al. 2008: 9). Unter genauer

Reflexion des Vokabulars greifen die Autoren Latours Anspruch auf und diskutieren die damit in Verbindung stehenden begrifflichen wie theoretischen Vorannahmen und Konsequenzen. So benennt Erhard Schüttpelz u.a. [e]inige

Schwierigkeiten des Denkens in Operationsketten (2008), welche sich auch in meine Theoriediskussion einschreiben. Dennoch möchte ich mit meinem Projekt nicht ausschließlich an die viel zitierte und viel diskutierte medientheoretische

ANT-Diskussion anschließen, vielmehr soll sie für das Verständnis von kunstbzw. medienästhetischen Fragestellungen produktiv gemacht werden. Ich verfolge damit einen Ansatz, den bereits Jens Schröter und Thomas Hensel in der Einleitung der Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 57/1 (2012) mit dem Schwerpunkt „Akteur-Netzwerk-Theorie“ vorschlagen.27

Um der Orts- und Situationsbezogenheit der Street Art im Kontext mobiler, digital vernetzter Medientechnologien, wie Smartphones, auf adäquate Weise

nachspüren zu können, bedarf es an dieser Stelle einer weiteren Umrisslinie. Mein Projekt lehnt sich an die Forschungen Adriana de Souza e Silvas an, die diskutiert, wie mobile Medien bzw. Interfaces die Interaktion in/mit öffentlichen Räumen beeinflussen und neue Formen der Gesellschaftlichkeit hervorbringen. In Net Locality. Why Location Matters in a Networked World (2011, zusammen mit Eric Gordon) entwickeln die Autoren eine Theorie, die zum Verständnis unseres Verhältnisses zu ‚public spaces‘ beitragen soll: „This book is

27 Auf die Kontextualisierung der Ästhetik im Umfeld einer medienwissenschaftlichen Praktikentheorie wird an gegebener Stelle nochmals zurückzukommen sein, siehe dazu KAPITEL 2.3, 3.3 und im FAZIT.

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about an emerging form of location awareness we call ‚networked locality‘ (or net locality). It is about what happens to individuals and societies when virtually everything is located or locatable“, so de Souza e Silva und Gordon (2011: 2). Anhand verschiedener Räumlichkeiten wie Maps, Social Networks and Games und Urban Spaces loten sie dieses Verhältnis aus, diskutieren jedoch

auch etwaige Sicherheitslücken und den damit einhergehenden Privatsphärenverlust, welcher mit einer zunehmend ortsbewusst/-sensitiv vernetzten Gesellschaft (‚location-aware‘ society) einhergeht. De Souza e Silvas Aufsatz From Cy-

ber to Hybrid: Mobile Technologies as Interfaces of Hybrid Spaces (2012) schließt an jene Überlegungen an, fokussiert jedoch vermehrt auf die situative Ausdifferenzierung des stets schwierig zu bestimmenden Begriffs des ‚Hybriden‘ bzw. ‚Hybridraums‘. Die Autorin argumentiert über drei verschiedene Ebenen und

entwirft den Hybridraum als verbindenden Raum (1), als mobilen Raum (2) sowie als sozialen Raum (3). In (1) untersucht sie, wie mobile Medientechnologien in ihrer Funktion als verbindende Schnittstelle traditionelle Grenzen

zwischen physikalischem und digitalem Raum auflösen können. In (2) argumentiert sie, dass die Verschiebung vom statischen hin zum mobilen Interface

soziale Netzwerke im physikalischen Raum situiert, während sie in (3) diskutiert, welche (Um-)Gestaltungen städtische Räume in ihrer Konzeptualisierung als Hybride annehmen. Bereits hier zeichnet sich das begriffliche wie auch theoretische Spannungsfeld ab, mit dem sich eine orts- und situationsbezogene

Medienforschung stets konfrontiert sieht: So gilt es zu differenzieren in Terminologien des Raumes und Ortes, ohne diese mit den etwaigen englischen Pendants ‚space‘, ‚place‘ und ‚location‘ gleichzusetzen. Gleichzeitig wird die

Schwierigkeit einer klaren terminologischen Engführung der beiden vermeintlichen Oppositionspaare ‚physikalisch‘ und ‚digital‘‘ – sowie deren Verbindung im ‚Hybrid‘ – deutlich. In Mobile Interfaces in Public Spaces. Locational Privacy,

Control, and Urban Sociability (2012, zusammen mit Frith) argumentieren die Autoren vor allem über die Begrifflichkeit der ‚location‘, welche sie „as a set of geographic coordinates used to access data through mobile devices“ (Schrock

2012: 2083 mit Bezug auf De Souza e Silva/Frith 2012) bestimmen. Sie setzen sich dabei über die leidige ‚space-place‘-Diskussion hinweg und betonen den Aspekt der gegenseitigen Verbundenheit (‚connectedness‘). Anstatt mobilen Medien eine gewisse Ortslosigkeit, oder auch ‚placelessness‘, nachzusagen (vgl.

ebd.: 4), betonen die Autoren vielmehr die sich daraus generierenden Nähe-

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beziehungen: Menschen sind über mobile Medientechnologien stärker miteinander verbunden, und zwar sowohl untereinander als auch im Hinblick auf spezifische Orte. De Souza e Silva und Frith akzentuieren damit Überlegungen, die auch im Kontext der Street Art greifen und durch die Forschungen von Rowan Wilken und Gerard Goggin (Mobile Technology and Place, 2012) sowie

Jason Farman (Mobile Interface Theory. Embodied Space and Locative Media, 2012) ergänzt werden können. Letzterer erklärt darin die Binarität von ‚real‘ und ‚virtual‘ für obsolet und betont vielmehr die sich gegenseitig beeinflussende Gleichzeitigkeit beider Layer. Innerhalb dieser Diskussion spricht Farman mobilen Medientechnologien eine tragende Rolle zu, strukturierten sie die Art und Weise, wie sich einzelne User Raum aneignen, maßgeblich mit. Farman spricht vom sogenannten „embodied space“ bzw. „embodied environ-

ment“ (vgl. Kapitel 1 Embodiment and the Mobile Interface), in welchem das materielle Device letztlich im Gebrauch verschwindet bzw. unsichtbar wird. Ob

seine Argumentation derart, in aller Konsequenz, tragbar ist, gilt es für mich am Beispiel der Street-Art-Apps (KAPITEL 4.4) zu überprüfen. Auch im Falle derjenigen Literatur, die sich explizit auf mobile Smart-

phone-Nutzung(-en) bezieht, zeichnet sich das Jahr 2012 als zentraler Marker

ab. Mittlerweile kann auf eine Vielzahl von Forschungsliteratur zurückgegriffen werden; wenngleich sich die einzelnen Betrachtungsweisen nicht allzu grundlegend voneinander unterscheiden. Anstatt an dieser Stelle also eine um-

fassende Aufarbeitung zu leisten, akzentuiere ich vielmehr die für meine Forschung zentralen Referenzquellen: Moving Data. The iPhone and the Future of Media (2012), herausgegeben von Pelle Snickars und Patrick Vonderau sowie Studying Mobile Media. Cultural Technologies, Mobile Communication, and the

iPhone (2012), herausgegeben von Larissa Hjorth, Jean Burgess und Ingrid Richardson. Die Sammelbände vereinen dabei Aufsätze, die das iPhone als Konglomerat mobiler, digital vernetzter Medientechnologie, partizipativer

Kreativplattform und persönlichem Lifestyle-Gadget betrachten. So offeriert es seinen Usern, neben dem Telefonieren, viele weitere Features, die die Navigation im Raum, das Organisieren von Terminen, das Verbinden mit Freunden,

das Erledigen von Einkäufen, das Hören von Musik sowie das Spielen von Spielen zulassen. Vor dieser Folie spüren die Autoren Praktiken digital vernetzter

Kulturproduktion und -konsumption nach und situieren diese im Umfeld unseres Alltagslebens; nicht, ohne nicht auch kritisch auf damit einhergehende

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Machtpolitiken einzugehen. Im Hinblick auf die für meine Forschung relevanten Street-Art-Apps offerieren vor allen Dingen Nanna Verhoeffs Aufsätze A Logic of Layers. Indexicality of iPhone Navigation in Augmented Reality (2012a) sowie Navigating Screenspace. Toward Performative Cartography (2012b) gewinnbringende Aspekte. Komplettiert wird diese Perspektive mit Larissa Hjorths

und Sarah Pinks Aufsatz New Visualities and the Digital Wayfarer. Reconceptualizing Camera Phone Photography and Locative Media (2014), in welchem sie der Frage nachgehen, inwiefern mobile Medien und Kamerapraktiken neue, ortsund situationsbezogene Visualitäten und Sozialitäten hervorbringen.

Dass Street Art sich letztlich nicht nur in oder über mobile Medien vernetzt, sondern dass auch soziale Netzwerke wie Facebook28 eine tragende Rolle spie-

len, habe ich bereits an mehreren Stellen aufgezeigt. Auch im Umfeld von

Facebook blickt man mittlerweile auf eine Fülle an wissenschaftlicher Literatur; diese differenziert sich in ihrem inhaltlichen wie auch theoretischmethodischen Anspruch jedoch deutlich aus. So bleiben einzelne Autoren oftmals an der Oberfläche der Thematik haften, während sich andere in reinen Beschreibungen oder kleinteiligen, jedoch ausschließlich mit informatischer

Fachkenntnis nachvollziehbaren Netzwerkanalysen verlieren. Mancherorts wäre durchaus eine mehrdimensionale Diskussion wünschenswert, die sich einer disziplinübergreifenden Perspektive öffnet und gerade das wechselseitige Ineinandergreifen verschiedener Parameter als methodischen Ausgangspunkt stark

macht. Oliver Leisterts und Thilo Röhles Sammelband Generation Facebook. Über das Leben im Social Net (2011) sieht sich diesem Zugang verpflichtet. Dennoch variieren auch hier Ansätze und Herangehensweisen, wodurch sich letztlich eine unterschiedliche theoretische Dichte der Textbeiträge ergibt. Carolin Gerlitz leistet mit ihrem Aufsatz Die Like Economy. Digitaler Raum, Daten und Wertschöpfung (2011) einen Beitrag zur ökonomisch-(netz-)politischen Perspektivierung von Facebook, indem sie sich einer der wichtigsten Funktionen des

Facebook-Universums widmet: dem Like-Button. Sie zeigt auf, wie dieser ein ganzes Netz an Überwachungs-, Rückbindungs- und Zentralisierungspraktiken steuert, von dem ausgehend sie die sogenannte „Like Economy“ entwickelt. Ralf Adelmann perspektiviert Facebook als Umschlagplatz sozialer Beziehun-

28 Die mobile Nutzung von Facebook hat mittlerweile die Nutzung am PC überholt.

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| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

gen und diskutiert sowohl Freundschaftlichkeit als auch mediale Politiken sozialer Beziehungen; genauer noch, er hinterfragt mediale, soziale und politi-

sche Zurichtungen und Möglichkeitsbedingungen des Freundschaftsbegriffs, die

wiederum Effekte in den medialen, sozialen und politischen Praxen generieren (vgl. Adelmann 2011: 129). Welche, zeigt u.a. Carolin Wiedemann in Facebook.

Das Assessment-Center der alltäglichen Lebensführung (2011). Jenes, so Wiedemann, spiegelt einem dabei nicht nur die eigenen Bemühungen nach Selbstoptimierung wider, sondern prozessiert sie permanent mit. Leisterts und Röhles Sammelband beleuchtet die Plattform auf Basis der Felder Ökonomie und Politik, Gesellschaft und Subjekt sowie Privatsphäre und Überwachung und präsentiert sich letztlich als medien- bzw. kulturwissenschaftliches Referenzwerk des ‚Phänomens Facebook‘.

Einen dezidiert netzkritischen bzw. -politischen Zugang offeriert Geert Lovink. Sein zusammen mit Miriam Rasch herausgegebener Unlike Us-Reader

(2013) präsentiert ein variantenreiches Spektrum aktueller Social MediaForschung, welche für meine Forschung produktiv gemacht werden muss. Der in Zusammenarbeit von Wissenschaftlern, Künstlern, Designern, Aktivisten und Programmierern entstandene Sammelband übt Kritik an zentral organisierten

Social-Media-Plattformen und Netzwerkstrukturen und fragt nach ihren Alternativen. Die Stärke von Lovinks Reader – sowie auch seiner kurz zuvor erschienenen Monografie Das halbwegs Soziale. Eine Kritik der Vernetzungskultur (2012) – besteht vor allem darin, dass er nicht in eine ‚verstaubt anmutende OfflineRomantik‘ fällt, sondern aktiv nach alternativen Lösungen sucht. Dieser Zugang fordert kunstpraktische Antworten geradezu heraus, welche vor allem in FALLSTUDIE 4.5,

im Kontext von Cirios Street Ghosts, greifen. Insbesondere hier gilt es

nach Googles Kontroll- und Überwachungspraktiken zu fragen, welche auf (in-)transparenten Algorithmen fußen und ungleiche Machtbeziehungen ausbilden. Lovink bietet das passende Handwerkszeug, um sich dieser Problematik

zu stellen.

F ORSCHUNGSSTAND

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2.3 (Medien-)Ästhetik Street Art gilt es innerhalb meiner Arbeit als eine dezidiert orts- und situationsbezogene Kunst aufzufassen. Von einer medienwissenschaftlichen Praktikentheorie ausgehend, fokussiere ich auf medientheoretische Fragestellungen,

die gleichzeitig eine interessante Perspektive auf (medien-)ästhetische Debatten und Problemfelder eröffnen. Auf den ersten Blick mag es naheliegend erscheinen, Street Art im Umfeld anderer Kunstformen im öffentlichen Raum zu situieren. Public Art blickt auf

eine lange Tradition zurück (vgl. u.a. Krause Knight 2008); und gerade der Site-Specific Art scheint das ebenfalls für die Street Art greifende Charakteristikum einer Orts- und Situationsbezogenheit per se eingeschrieben. Während

sich die moderne und modernistische Skulptur noch durch eine gewisse Indifferenz und Unabhängigkeit gegenüber dem Ort auszeichnete, verkehrte die Minimal Art der späten 1960er Jahre diese Forderung in ihr Gegenteil (vgl. Fritz 2009: 2; Kwon 1997: 87-88; Suderburg 2000: 4-5). So wurde dem Ort, der Präsenz des Betrachters29 sowie dem umgebenden Raum eine wesentliche Relevanz zugesprochen. Kategorien wie Originalität, Authentizität und Einzigartigkeit waren nicht länger ans Kunstwerk gebunden, sondern traten erst mit

dessen Situierung in Erscheinung (vgl. Fritz 2009: 3; Kwon 1997: 96; Suderburg 2000: 4): „Site-specific art initially took the ‚site‘ as an actual location, a tangible reality, its identi-

ty composed of a unique combination of constitutive physical elements: length, depth,

height, texture, and shape of walls and rooms; scale and proportion of plazas, buildings,

or parks; existing conditions of lighting, ventilation, traffic patterns; distinctive topographical features.“ (Kwon 1997: 87)

29 Fritz weist zudem darauf hin, dass die situative und somit stets singuläre Präsenz

bzw. Gegenwärtigkeit des Betrachters häufig mit Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung (1966) kurzgeschlossen wurde (vgl. Fritz 2009: 3 mit Bezug auf Potts 2000: 207-234).

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| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

Eines der Kunstwerke, das dieser Forderung wohl am konsequentesten nachkam, war Richard Serras Titled Arc (vgl. Suderburg 2000: 5-6).30 Dieses machte die Ortsspezifik als politisch aufgeladene Geste für sich operabel und trug zu

einer Neudefinition des Ortes und seiner Spezifik bei. Wie Miwon Kwon in One Place after Another. Site-Specific Art and Locational Identity (2004) zeigt, waren diese Bestrebungen jedoch nicht auf Dauer tragfähig. Auch wenn Site-Specific Art ja gerade darauf abzielte, Werke zu schaffen, die nicht transportfähig und somit nicht musealisierbar waren, wurden sie im Laufe der Zeit nachgebaut und auf diese Weise kunstmarktfähig (gemacht). Die ursprüngliche Prämisse

„to remove the work is to destroy the work“ wurde kurzerhand zu „movable under the right circumstances“ umfunktioniert (vgl. Kwon 2004: 38 mit Bezug

auf Hapgood 1990: 120).31 Site-Specific Art war somit ähnlichen Entwicklungen ausgesetzt, mit denen sich auch die Street Art konfrontiert sieht: Institutionalisierungs- und Kommerzialisierungsbestrebungen, die Orts- und Situationsbezogenheit der Werke teilweise gänzlich eliminieren oder allenfalls notdürftig in die ‚neuen Räumlichkeiten‘ des Kunstsystems übersetzen.32 Während die phänomenologisch ausgerichtete ‚site specificity‘ die Untrennbarkeit von

Werk und physikalischem Kontext betonte, verfolgte die institutionskritische

Ortsspezifik hingegen die Absicht, die institutionellen Konventionen des Museums- bzw. Galerieraumes kritisch zu hinterfragen33: „To be ‚specific‘ to such a

30 Mit Referenz auf Thomas Crow weist Fritz darauf hin, dass sich ‚starke‘ Formen der

Ortsbezogenheit (Serra, Matta-Clark und Asher) von ‚schwächeren‘ – wie beispiels-

weise denen der Minimal Art – unterscheiden lassen. Der US-Amerikaner Michael Asher beispielsweise widersetzte sich konsequent, mittels seiner Kunstpraktik ein dauerhaftes oder kommerziell verwertbares Objekt zu schaffen (vgl. Fritz 2009: 4).

31 Siehe dazu weiterführend Raven (1989). Als wichtig erweist sich in diesem Kontext

auch die Dokumentation, welche teilweise zum konstitutiven Bestandteil ortsbezogener Werke wird. Meyer exemplifiziert dies am Beispiel von Robert Smithons Spiral Jetty (vgl. Meyer 2000: 30); siehe dazu weiterführend Kaye (2000).

32 So zum Beispiel bei Auktionen von Werken des britischen Street-Art-Künstlers Banksy, bei welchen ganze Wände oder Mauerstücke verkauft werden (vgl. dazu u.a. Pietsch 2008 und dpa 2015).

33 Meyer hingegen trennt in diesem Zusammenhang zwischen „literal site“ und „functional site“ (vgl. Meyer 2000: 24).

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site, in turn, is to decode and/or recode the institutional conventions so as to expose their hidden yet motivated operations.“34 (Kwon 1997: 88) Ein

Sammelband, der der Beschreibung dieser Dynamik nachgeht, ist Erika Suderburgs Space, Site, Intervention. Situating Installation Art (2000), welcher Installationskunst sowohl als Genre, Begriff, Medium als auch als Praktik entwirft.

Dieser institutionskritische Impetus lässt sich grundsätzlich mit dem Selbstverständnis der Street Art kurzschließen, liegt ein wesentlicher Bestandteil ihrer Kunstpraktik doch darin, den Galerieraum mittels der Plattform ‚Straße‘ zu un-

terlaufen.35 Dennoch, und das gilt es an dieser Stelle zu betonen, bin ich innerhalb meiner Auseinandersetzung nicht zwingend an Institutionalisierungsbestrebungen der Street Art interessiert.36 Tritt Street Art in den Kontext von

Galerien und Museen ein, muss ohnehin von sogenannter Urban Art die Rede

sein.37 Es gibt folglich mehrere Gründe, warum ich Street Art primär nicht im

34 Dennoch gilt: „In nascent forms of institutional critique, in fact, the physical condi-

tion of the exhibition space remained the primary point of departure for this unveiling.“ (Kwon 1997: 89)

35 Peter Bengtsen fügt in diesem Kontext hinzu: „The institutional/ideological site specificity is fundamental in establishing the authenticity of street art in the eyes of

those who appreciate it. Therefore, even when it’s possible to remove an artwork

from its original location without breaking it in a material sense, the work may still

be broken, inauthentic and consequently worthless in both a conceptual and monetary sense, as a result of being removed from its ideological site.“ (Bengtsen 2013: 5)

Im selben Zug weist er auf das damit einhergehende Paradox hin: „While the expan-

ded concept of site initially seems to impede the commercialization of this critical art form, it is precisely its ideological site specificity that is used to market street artists in the commercial art world.“ (Ebd.)

36 Eine ausführliche Analyse dazu bieten Street Art-Karrieren (2013) von Heike Derwanz und The Street Art World (2014) von Peter Bengtsen.

37 Der Begriff Urban Art datiert erst wenige Jahre zurück und entspringt mitunter dem allgemeinen Unmut über vorangegangene, teils extern zugeschriebene Begrifflichkei-

ten. Er ist jedoch auch ein Resultat zunehmender Institutionalisierungsbestrebungen einiger Street-Art-Künstler. Urban Art labelt somit einerseits Kunst, die ursprünglich von der Straße bekannt ist, sich mittlerweile aber in Galerien präsentieren lässt, an-

dererseits jedoch auch eine Vielzahl anderer Stile und Bildsprachen aus dem Grafikund Designbereich, die urbane Ästhetik allenfalls zitieren.

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Kontext oder der Genealogie von Site-Specific Art verhandeln möchte; ich nenne an dieser Stelle zwei: Erstens ist Site-Specific Art schon immer innerhalb des institutionellen Rahmens des Kunstsystems zu denken. Site-Specific Artworks

sind Werke ausgebildeter Künstler, die jahrelang in Akademien und Kunsthochschulen ausgebildet wurden. Ihre anti-institutionelle Geste entspringt somit der

Institution selbst. Site muss in diesem Falle nicht nur im Sinne eines physikalischen Ortsbezugs, sondern als kulturelles, intellektuelles und institutionelles Framework gedacht werden (vgl. Kwon 2004: 46-47). Bei der Street Art gestaltet sich dies wesentlich freier: Auch hier gibt es Künstler, die ihren Weg über

eine akademische (Kunst-)Ausbildung gefunden haben, dennoch muss dies keinesfalls vorausgesetzt werden. Das Medium Straße zeigt sich in ihrem Fall

nicht zwingend als institutionelles Framework, sondern als ‚Leinwand‘ und Referenzpunkt ihres künstlerischen Selbstverständnisses.38 Die im Umfeld der Site-Specific Art zu lokalisierenden Denkmuster und Konzepte stellen für mich

somit keine adäquate Schablone zur Beantwortung meiner Forschungsfrage bereit, begegnen sie Feldlogiken und -dynamiken doch bedingt eindimensional. Als relevant erweisen sie sich jedoch dann, bezieht man heutige Street- und

Urban-Art-Festivals ebenfalls in seine Überlegungen ein. Mit diesen ist ein Themenfeld anskizziert, das ich in meinen abschließenden Bemerkungen auf-

greife. Denn wie sich zeigen wird, erfährt die Ortsbezogenheit im Zuge von Festivals – in eine „nomadic practice“ (vgl. ebd. 1997: 100; Meyer 2000: 32-

38 Man denke hierbei beispielweise an die Reclaim your City-Bewegung, der es vorwiegend darum geht, Konventionen öffentlicher Raumbesetzung/-gestaltung zu hinterfragen und öffentlichen Raum zurückzuerobern (vgl. www.reclaimyourcity.net,

06.05.2015). Im Gegenzug gibt es aber auch Künstler, die sich über punktuelle Straßenpräsenz einen institutionellen Mehrwert versprechen, d.h. die ein oder zwei Plakate in der Stadt verkleben (zumeist im unmittelbaren Umkreis von Galerien), um

sich in der Galerie unter dem Label ‚Street Art‘ oder ‚Street-flavoured Art‘ vermarkten zu können. Dies tritt vor allen Dingen dann offensichtlich zutage, wenn dabei die

Konventionen und internen Regeln der Street Art unterlaufen werden – wenn mit

Arbeit, Ort und Raum anders umgegangen wird als in der Street-Art-Welt genuin üblich und beispielsweise Werke anderer Künstler ‚gecrossed‘, also übermalt/-klebt werden. An dieser Stelle wird die Site, mehr denn als institutioneller Rahmen, als

diskursives Framework operabel. In diesem Fall lässt sich die Street Art also durchaus doch wieder an die Site-Specific Art rückbinden (vgl. Kwon 1997: 89).

F ORSCHUNGSSTAND

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35) verkehrt – eine Revitalisierung. Zweitens, und viel entscheidender ist jedoch, dass die fehlende Anschlussfähigkeit in dem für meine Arbeit relevan-

ten Ästhetikverständnis begründet liegt. So zielt meine Arbeit gerade nicht da-

rauf ab, der Ästhetik der Street Art im Sinne einer explizit kunsthistorischen Theoriediskussion nachzuspüren. Den überaus komplexen, dezidiert kunst-

historischen/-philosophischen Diskurs um den Ästhetikbegriff sowie die vielen daran anschließenden Diskussionen und mittlerweile vorgenommenen Modifikationen klammere ich innerhalb meiner Auseinandersetzung weitestgehend aus, offerieren sie für mich keine adäquate Werkzeugkiste zur Beantwortung

meiner Forschungsfrage. Dies schließt zwangsläufig ein, von formalästhetischen Analysen der Street Art abzusehen. Vielmehr wird der Street-Art-

Ästhetik auf Basis einer medienwissenschaftlichen Praktikentheorie nachgespürt. Ästhetik bildet sich in der Verkettung einer Vielzahl medialer, künstlerischer wie auch sozialer Praktiken erst aus. Aus diesem Grund spreche ich innerhalb meiner Arbeit auch von ‚Ästhetik-Werdung‘ bzw. – in Anlehnung an Geert Lovinks Theses on Distributed Aesthetics (Lovink 2008c; Lovink/Münster 2005)39 – von ‚verteilter Ästhetik‘. Die Schwierigkeit meines Ästhetikverständnisses liegt somit u.a. in ihrer ‚Unsichtbarkeit‘ begründet: „[…] We are dealing

with a non-visual aesthetics with respect to networks or at least a visual that is not pictorial, that cannot be depicted as such“, so auch Lovink (2008c: 235). Das heißt also, Ästhetik ist nicht zwangsläufig ‚bildlich‘, sondern in digital ver-

netzten, verteilten Netzwerkrelationen zu denken.

Dass diese Überlegungen große Aktualität aufweisen, zeigt der Themenschwerpunkt „Medienästhetik“ der Zeitschrift für Medienwissenschaft (1/2013).

Mit Referenz auf die von Félix Guattari bereits Ende der 1980er Jahre beobachtete ‚allgemeine Ästhetisierung‘ entfaltet die Ausgabe die These einer ‚protoästhetischen Zurichtung der Gegenwart‘, maßgeblich beeinflusst durch

eine Vielzahl neuer medientechnologischer Bedingungen, wie soziale und mobile Medien bzw. Netzwerke. Gefragt wird u.a.: Was heißen Erfahrung, Wahrnehmung, Empfindung, Subjektivität unter neuen medienästhetischen Bedingungen und was sind ihre Schauplätze? Und daran anschließend: Konturiert

39 Dass das von Nicolas Bourriaud entwickelte Konzept der „Relational Aesthetics“ in diesem Kontext zu kurz greift, zeige ich im METHODENTEIL unter 3.3 auf.

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sich möglicherweise erst heute, auf der Basis digital vernetzter Medienanordnungen, eine ‚originäre‘ medienästhetische Frage, die traditionellen Konzepten

zu kontrastieren ist? Ziel des Schwerpunktheftes ist es, Ästhetik vor der Folie

heutiger, medientechnologischer Prozesskultur neu zu beschreiben. Ästhetik findet also dahingehend eine Öffnung, dass sie nicht mehr nur vor der Folie

medientechnischer Objekte und sensorischer Wahrnehmungsmodi perspektiviert wird, sondern im weitergreifenden Kontext „maschinischer Anordnungen und Kollektive“ (Hörl/Hansen 2013: 12). Diese Absage gegenüber sensorischen, vermehrt subjektzentrierten Wahrnehmungsmodi möchte ich im Rah-

men meiner Analyse stärken und mit Lovinks „Distributed Aesthetics“ kurzschließen, verweisen doch gerade diese auf die prozessuale Konstitution medial vermittelter Ästhetiken:

„A distributed aesthetics […] might be better characterised as a continuous emergent project, situated somewhere between the drift away from coherent form and the drift of

aesthetics into relations with new formations, including social (networked) formations.“ (Lovink/Münster 2005)40

Das Heft verhandelt somit aktuelle medienästhetische Fragestellungen und

Denkansätze, welche in der Diskussion meines Projektes eine entscheidende Rolle spielen müssen. Dass sich in diesem Kontext auch die Frage nach den Maßverhältnissen der

Medienästhetik aufdrängt, scheint evident. Der im Sammelband Medien in Raum und Zeit. Maßverhältnisse des Medialen (2009) veröffentlichte Aufsatz Jens Schröters geht dieser Frage nach und differenziert Medienästhetik auf Basis medialer Raum-Zeit-Konfigurationen aus. Die ästhetische Dimension erfährt in

Schröters Aufsatz eine Neu-Perspektivierung, da sie als „Quintessenz formaler Austausch-, Rekontextualisierungs- und Verräumlichungsprozesse“ (Köster/

Schubert 2009: 14 mit Bezug auf Schröter 2009) beschrieben wird. Am Beispiel

Malraux ’ und Aby Warburgs denkt Schröter die Zusammenhänge von Maßen in

40 Das Zitat entstammt eben jenem Aufsatz; der darin entwickelte Ansatz wird jedoch in

dem Aufsatz Die Technologie urbanisieren. Der Mobilitätskomplex aus der Perspektive der neuen Netzwerktheorie in der Zeitschrift für Medienwissenschaft 1/2013 zum Themenschwerpunkt „Medienästhetik“ weiterentwickelt (vgl. Lovink 2013b).

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der Kunst und in Medien neu und weist gleichzeitig auf die Notwendigkeit einer medialen bzw. medienästhetischen (Neu-)Skalierung der Kunstwissenschaft hin. Er skizziert damit ein Forschungsfeld an, welches für meine Analyse unmittelbare Relevanz aufweist. Ziel meiner methodisch-theoretischen Ausrichtung ist es letztlich, der

Street-Art-Ästhetik in Form einer dezidierten Rückverfolgung von Praktiken,

seien sie nun künstlerisch motiviert, medial vermittelt oder sozial konstruiert – bzw. ja gerade alles gleichzeitig – nachzuspüren. Auf diese Weise stelle ich mich der Herausforderung, Street Art aus ihrer praxeologischen Situierung und

medialen Verkettet- bzw. Vernetztheit heraus beschreibbar zu machen und dadurch die Reflexion aktueller medienästhetischer Fragen anzustoßen.

Fat al|Hambur g

3 Methode

3.1 Medientheoretisches Setting Meine Studie liefert einen neuen Zugang zum Phänomen Street Art. Diesen verdankt es u.a. meiner methodischen Herangehensweise, welche auf ein

praxistheoretisches Beschreibungsvokabular zurückgreift und relevante Blickwinkel und Perspektiven damit mitunter erst eröffnet. Dennoch kann nicht von einer präfigurierenden Zurichtung des Gegenstandes ausgegangen werden,

vielmehr unterliegt die der Arbeit zugrunde liegende Methodik einer steten Wechselwirkung mit und Überprüfung am Material.

Um neue Akzente zu setzen, bindet mein Forschungsprojekt Street Art nicht

ausschließlich an den originären Kontext der Straße zurück, sondern diskutiert

sie im Kontext digital vernetzter Medien. Der Anspruch einer orts- und situationsbezogenen Medienforschung verlangt hierbei die Kombination medienwissenschaftlicher Theoriediskussion mit medienethnografischen Methoden.

In Anlehnung an Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) bediene

ich mich hierbei eines primär eher weit gefassten Medienbegriffs. Dieser erlaubt es mir, das wechselseitige Zusammenspiel menschlicher wie auch nichtmenschlicher Akteure zu beschreiben und das komplexe Netzwerk der StreetArt-Welt feingliedrig zu entfalten. Medien lassen sich innerhalb dieses Settings somit niemals auf eine allgemeingültige Definition, eine einzelne Technologie, Apparatur oder einen Gegenstand reduzieren, vielmehr sind sie prozessual zu denken:

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„Was Medien sind oder tun, wie sie funktionieren und welche Effekte sie hervorbringen, der Ort, den sie innerhalb kultureller und sozialer Praktiken einnehmen, ihre Rolle als spezifische Kulturtechniken – all das und der Begriff des Mediums selbst lassen sich nicht auf eine elementare Definition […] reduzieren“,

so auch Joseph Vogl in seinem Aufsatz Medien-Werden (2011: 121). Vielmehr

sind Medien nur punktuell stabilisierbar. Gerade dieser Umstand macht es notwendig, sich die sie umspannenden Praktiken anzuschauen, welche es an der

Schnittstelle von und in enger Wechselwirkung mit Dingen, Artefakten, Werkzeugen und Materialien zu verorten gilt.

Um die Nutzungsweise von Medien in ihrem jeweiligen Kontext adäquat

beschreiben zu können, bedarf es den Rückgriff auf medienethnografische Me-

thoden. Kurzgeschlossen werden diese mit medienwissenschaftlichen Theoriediskussionen und Konzepten, welche den Kontext mobiler Medien, von Social

Media, Netzpolitik und digitaler Archivierung aufrufen.1 Dennoch dient mir

der der ANT zugrunde liegende Begriffsapparat nicht projektumspannend, vielmehr soll er für meine Analyse punktuell herangezogen werden – und zwar

gerade dann, wenn er sich für meine Argumentation als besonders zielführend erweist. Auch wenn dieser Ansatz gerade in den Medienwissenschaften bereits

auf große Anschlussfähigkeit gestoßen ist, soll er an dieser Stelle für das Verständnis von kunst- bzw. medienästhetischen Fragestellungen produktiv gemacht werden (vgl. Hensel/Schröter 2012). Ziel der Arbeit ist es, Theorie und

Empirie so nahe wie möglich zu verzahnen und relevante Fragestellungen direkt am Fallbeispiel zu entfalten.

1

Die für meine Forschung zentralen Konzepte und Theorien sind im FORSCHUNGSSTAND detaillierter aufgeführt.

M ETHODE

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3.2 Medienethnografie Die Methode der (Medien-)Ethnografie ist mit verschiedenen Kategorien be-

legt: qualitativ, empirisch, methodenpluralistisch. Die Feldforschung 2 und die

teilnehmende Beobachtung3 zählen hierbei zu den wichtigsten methodischen

Zugängen. Auch innerhalb meiner Forschung zeigt sich die Feldforschung als

zielführendes Hilfsmittel, welche der Konturierung des Feldes und der Ausdifferenzierung der an der Street-Art-Welt beteiligten Akteure nachkommt. Durch

gezieltes Aufsuchen (szene-)relevanter Städte, Straßenzüge und Orte, durch

den Besuch relevanter Veranstaltungen, durch Befragung beteiligter Akteure und teilnehmende Beobachtung konnten auf diese Weise wichtige Informationen und Blickwinkel in meine Forschung aufgenommen werden. Bruno Latours

Forderung „follow the actors“ (Latour 2005: 12) wurde auf diese Weise explizit nachgekommen. Diese methodische Adjustierung hat den großen Vorteil, besonders ‚dicht‘ am Gegenstand arbeiten, verschiedene Perspektiven erschließen

und komplexen Zusammenhängen nachspüren zu können. Bedingung hierfür

ist eine möglichst voraussetzungsarme/-lose Annäherung, die eine Pluralität an

Perspektiven, Ansichten und Erkenntnissen zulässt und dem Forschungsgegenstand mit expliziter Offenheit begegnet (vgl. Scheffer/Meyer 2011). Gerade

dadurch ist es möglich, dem Gegenstand nicht mit Vorannahmen zu begegnen,

sondern die ihn umspannenden, vielschichtigen Aushandlungsprozesse zu beleuchten. Konkret heißt das: Welche Akteure sind an der Street-Art-Welt betei-

ligt und wie wird Street Art heutzutage verhandelt? Und: Wie und durch wel-

che Praktiken wird Street Art zu Street Art (gemacht)? Ich nähere mich der

Thematik somit über eine Methode, die bereits in den frühen Laborstudien der

2

Unter Feldforschung versteht man eine Forschungsmethode zur Erhebung empirischer Daten mittels Beobachtung und Befragung im ‚natürlichen‘ Kontext (vgl. Malinowski 1979).

3

Unter teilnehmender Beobachtung versteht man eine Feldforschungsmethode, die versucht, mittels Beobachtung Erkenntnisse über einen bestimmten Forschungsgegenstand zu erlangen. Das Kennzeichnende daran ist die persönliche Teilnahme des Forschenden an der Interaktion der zu beobachtenden, für seine Forschung relevanten Personen(-gruppen) (vgl. Malinowski 1979).

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Wissenschaftsforschung breite Anwendung fand (vgl. u.a. Knorr-Cetina 1984;

Latour/Woolgar 1979), für den Kontext der Street-Art-Forschung aber bisher ein Novum darstellt.4

Ergänzt werden meine Beobachtungen durch eine umfangreiche Internet-

ethnografie5, die – mit Fokus auf Facebook – parallel mitgeführt wird. Besonders hier lassen sich interne und externe Rollenzuschreibungen erschließen,

welche mit meinen Feldforschungserkenntnissen abgeglichen und gewinnbringend verschränkt werden. Diese zusätzliche Perspektive ist allein schon des-

halb unumgänglich, präsentiert sich die Street Art als global vernetzte Kunstwelt, die dennoch nur aus ihrer lokalen Situierung und Spezifik heraus adäquat verstanden werden kann.

Insgesamt konzentriert sich meine Feldforschung auf die Jahre 2013 und

2014. In diesem Zeitraum wurde der Großteil meines empirischen Datenmaterials erhoben. Dieser zeitintensive Forschungsprozess wäre derart dennoch nie möglich gewesen, hätte ich nicht auf vorherige Erfahrungen und Kenntnisse

zurückgreifen können. So war ich mit Teilen des Forschungsgegenstandes bereits vor meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung vertraut, was sich positiv auf den zeitlichen Fortgang des Forschungsprojektes auswirkte. Ab Juli

2014 wurden keine neuen Projekte mehr in meinen Materialpool aufgenommen, was nicht heißt, dass ich weitere Entwicklungen und Phänomene der Street-Art-Welt fortan konsequent ausblendete. Natürlich verfolgte ich diese

auch weiterhin in aller Ausführlichkeit, wenngleich sich mein qualitativer Forschungs- und Rechercheprozess von einer expliziten In situ-Ethnografie hin zu einem täglichen Mit- und Querlesen der Ereignisse im Internet verlagerte.

4

Allein Derwanz (2013) und Bengtsen (2014) kamen diesem methodischen Zugang bisher nach, wenn auch in unterschiedlicher Dichte.

5

Unter Internetethnografie verstehe ich das tägliche Abrufen zentraler Street-Art-Seiten im Internet sowie das Verfolgen der täglichen Interaktion der Street-Art-Akteure bei Facebook; siehe dazu weiterführend auch Pink (2016). Der Begriff „netnography“ geht auf den kanadischen Kulturanthropologen Robert V. Kozinets zurück, der sich damit auf das Anwenden ethnografischer Methoden in und auf Onlinekontexte(n) bezieht (vgl. Kozinets 2010).

M ETHODE

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3.2.1 F OTOGRAFIEREN UND (F ARB -)S PUREN LESEN

Abb. 2: unbekannter Künstler | Hamburg Durch zahlreiche Feldforschungsaufenthalte in einer Vielzahl deutscher Städte konnte ich gewinnbringende Einblicke in die Street-Art-Welt erlangen. Einen

hohen Stellenwert nimmt auch hier die Praktik der Street-Art-Fotografie ein. In unzähligen Spaziergängen durch eine Vielzahl deutscher Großstädte ‚scannte‘

ich die Straßen nach Street Art (vgl. dazu u.a. Abb. 2), bis ich letztlich auf

einen umfangreichen Pool an Street-Art-Fotos zurückgreifen konnte. Bis zum heutigen Zeitpunkt beinhaltet dieser etwa 11.000 Fotos. Wichtig dabei war,

stets die jeweilige Ortswahl der einzelnen Street-Art-Werke mit zu reflektieren.

Dies betrifft zum einen die Situierung innerhalb der Stadt, zum anderen ihren

Umgang mit vorherrschenden Architektursituationen. Fragen, die mich bei der Fotopraktik begleiteten, waren: In welchem Stadtteil tritt Street Art auf? Gibt

es im jeweiligen Viertel eine rege, multikulturelle Kunst- und Kulturszene? Gibt es in unmittelbarer Nähe Street-/Urban-Art-Galerien? Ist der Stadtteil gentri-

fiziert (bzw. auf dem Weg dorthin) oder neigt er möglicherweise zu sozialen Problemen? Zum anderen stellte sich mir die Frage, ob von den Street-Art-

Werken einzelne Architektursituationen aufgenommen werden und wenn ja,

wie? Spielen sie mit dem Umraum? Ist eine Dialogizität mit der Umgebung

66

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oder dem Betrachter zu erkennen? Durch die Street-Art-Fotografie wurden ein-

zelne Städte für mich somit nicht nur deutlich ‚einfacher‘, sondern auch vielschichtiger lesbar. Die Bereitschaft, mit offenen Augen durch die Straßen zu gehen, erwies sich hierbei als Grundvoraussetzung und ermöglichte es mir, den

(Farb-)Spuren der Künstler zu folgen. Als großer Mehrwert erwies sich die Tatsache, dass ich der Street-Art-Fotografie bereits vor meiner explizit wissen-

schaftlichen Auseinandersetzung nachging. So blieb ein ‚Einlernen‘ für mich

weitestgehend aus, vielmehr konnte ich auf vorherige Erfahrungen zurückgreifen. Recht schnell war es mir somit möglich, einzelne Bildsprachen und Stile auf bestimmte Künstler zu verdichten. So begegnete mir beispielsweise ein Motiv, das ich zuvor in Berlin entdeckt hatte, in Istanbul wieder. Oder ich erkannte einen Künstler, den ich zuvor in Köln gesehen hatte, auch in Wien wieder. Diese Erfahrung konfrontierte mich folglich bereits recht früh mit einigen der

wesentlichen Charakteristika der Street Art: Erstens, Street-Art-Künstler hinterlassen (Farb-)Spuren, die sich unter Herausbildung spezifischer Skills zurückverfolgen lassen. Zweitens, Street-Art-Werke markieren Orte, sind jedoch auch

der Vergänglichkeit ausgesetzt – denn kehrte ich an bestimmte Orte zurück, waren einzelne Werke oftmals bereits verschwunden; war dies jedoch nicht der

Fall, dienten sie mir als geografische Marker und navigatorische Orientierungshilfen. Dieser frühe Zugang skizziert somit bereits das Wesensmerkmal meines heutigen Street-Art-Verständnisses an.

Meiner umfassenden Fotopraxis ist es letztlich auch geschuldet, dass ich

im Rahmen meines Projektes fast ausschließlich mit eigenem Fotomaterial

arbeite. Zum einen erleichtert mir dies zwangsläufig aufkommende Fragen und Problematiken bezüglich des Copyrights; zum anderen ist dies der Anspruch, den ich an mich und mein Projekt selbst stelle. Dieses Vorgehen konfrontierte

mich nicht selten mit meinem jeweils zugrundeliegenden Rollenverständnis als Wissenschaftlerin und Fotografin (bzw. beidem). Häufig stellte ich mir die Fra-

ge, wo die Grenze einer ‚rein dokumentarischen Bestandsaufnahme‘ aufhört und ab wann ich mich als Fotografin unweigerlich ins fotografische Abbild mit

einschreibe.6 Von welcher Perspektive aus, von welchem Blickwinkel soll foto-

6

Dazu sowie im Hinblick auf das Thema der Materialästhetik und der Erprobung diverser Ausstellungspraxen, entstand im Rahmen des kunstpraktischen Seminars Vom

M ETHODE

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grafiert werden? Beansprucht meine Rolle als Wissenschaftlerin ein rein doku-

mentarisches, vermeintlich objektives Einfangen eines Street-Art-Werkes7 oder kann durch einen subjektiven Betrachterstandpunkt nicht weitaus mehr gewonnen werden? Dieses Spannungsverhältnis galt es für mich innerhalb meiner Forschung stets mitzuführen und gewinnbringend auszuloten. Letztendlich

löste sich die vermeintliche Problematik dennoch ein Stück weit von selbst: Erstens war ich mir darüber im Klaren, mich im Rahmen meines Projektes von

einer zu starken Selbstreflexion lösen zu wollen. Ich distanzierte mich in diesem Punkt folglich von einer zu strengen Ethnografie, die diese Notwendigkeit oftmals für sich beansprucht. Zweitens legitimierte sich meine Praxis, zumindest ein Stück weit, aus der Feldlogik selbst:

„Natürlich ist es für einen selbst auch ganz interessant zu sehen, aus welchem Winkel jemand anderes fotografiert hat, wie er das wahrgenommen hat; oder wenn dann jemand ein Jahr später ein Foto macht und man sozusagen den Verfallsprozess sieht“,

so der Künstler TONA im Interview (KG, 06/2013). Dieser spricht dabei eine Grundhaltung an, auf die ich im Rahmen meiner Forschung sehr oft stieß. Ich

nahm diesen Impuls folglich als produktiven, der feldinternen Dynamik folgenden Mehrwert in mein methodisches Setting auf.

Zeitgleich begegnete ich der Street-Art-Fotografie jedoch auch von einem

anderen Blickwinkel aus: Während meiner Spaziergänge durch die Städte traf

ich nicht selten auf Menschen, die selbst Street-Art-Fotos machten – seien sie

nun versierte Fotografen oder zufällige Passanten (vgl. Abb. 3). Als einer der Hotspots gilt sicherlich das Haus Schwarzenberg bei den Hackeschen Höfen sowie die nicht weit entfernte Diercksenstraße in Berlin-Mitte. Aber auch in

Köln konnte ich bei einem Blick aus meinem Fenster regelmäßig Fotografen beobachten, die einzelne Street-Art-Werke bewusst ansteuerten und abfoto-

grafierten. Besonders gut ließ sich die zunehmend beliebter werdende Fotopraxis jedoch bei der teilnehmenden Beobachtung von Street-Art-Touren nachvollziehen. Da diese oftmals von szeneinternen Guides oder Künstlern durchgeWerk zur Ausstellung eine kleine Intervention: ZUGANG (SoSe 2013, Uni Siegen, Leitung: Sebastian Freytag), www.locatingstreetart.com/related/zu6an6, 31.07.2014. 7

Wohl wissend, dass dies im Grunde genommen überhaupt nicht möglich ist.

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Abb. 3: Passantin beim Fotografieren in der Diercksenstraße | Berlin führt werden, flossen auf diese Weise interessante Hintergrundinformationen in meine Beobachtungen ein. Im Grunde genommen präsentierten sich jene

Touren ohnehin als eine Art Miniaturformat der Street-Art-Welt‚ trafen hier die unterschiedlichsten Akteure und Interessen aufeinander. So traf ich bei einer

Street-Art-Tour, die ich im November 2012 in Düsseldorf begleitete, auf folgen-

de Akteure: den sich selbst verwirklichenden Rentner, der ein Fotoprojekt verfolgte; den erzürnten Bürger, der die Street Art des Vandalismus bezichtigte;

einige junge Leute in Kreativberufen, die der sogenannten ‚Creative Class‘ zu-

zuordnen sind; den Street-Art-Galeristen, der speziell für uns seine Türen öffnete sowie den motivierten Geschäftsmann, der für sein Unternehmen eine ‚hippe‘ werbestrategische Aufpolierung suchte. Bei den Berliner Touren hingegen fanden sich vermehrt Touristen, Städtereisende und Schulklassen ein.8

8

Zu den Street-Art-Touren siehe ausführlicher KAPITEL 4.4.2.

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Wie dieser kleine Exkurs auf sehr anschauliche Weise vor Augen führt, er-

weist sich der Rückgriff auf die Methode der Feldforschung und teilnehmenden Beobachtung als überaus zielführend. Nicht selten konnten auf diese Weise

vermeintliche Kleinigkeiten und Zufälligkeiten in meine Forschung aufgenommen und in gewinnbringende Erkenntnisse übersetzt werden. Gerade im Kon-

text einer solch schnelllebigen Kunst wie der Street Art ist dies als unverzichtbarer Mehrwert zu werten.

3.2.2 I NTERVIEWEN UND ONLINE MIT -/ QUERLESEN Als größter Zugewinn für mein Projekt erwiesen sich die über 40 durchgeführten Interviews mit unterschiedlichsten Szene-Akteuren, die ich zwischen März

2013 und März 2014 realisieren konnte. Im Zuge dessen sprach ich mit einzelnen Galeristen und Kuratoren von Street- bzw. Urban-Art-Ausstellungen, besuchte eine Vielzahl von Openings und nahm an Festivals teil. Zusätzlich ge-

währten mir die Administratoren von Street-Art-Blogs bzw. -Facebook-Seiten wertvolle Einblicke in die Praktiken der Verhandlung von Street Art im Internet. Am nachhaltigsten prägten meine Forschung jedoch die einzelnen Künst-

ler-Interviews, die meinen Materialpool um die Innenperspektive der StreetArt-Welt anreicherten.

Während ich anfangs vorwiegend mit Feldnotizen und Gedächtnisproto-

kollen arbeitete, erweiterte sich mein Methodenspektrum im Laufe des Feld-

forschungsprozesses um ein weiteres Aufzeichnungsmedium: das Audiogerät. Meine methodische Annäherung gilt es somit immer auch als Lernprozess zu werten.

Mir war es dabei wichtig, einen möglichst heterogenen Pool an Künstler-

Interviews zu generieren. So war es einerseits meine Absicht, Künstler zu be-

fragen, die auf unterschiedliche Techniken, Bildsprachen und Materialästhetiken zurückgreifen. Andererseits erwiesen sich unterschiedliche Zugänge und

professionelle Hintergründe als interessante Distinktionsfaktoren, die differierende Selbstverständnisse und interne Rollenzuschreibungen der Künstler

offenlegten. Aber auch die unterschiedlichen Professionalisierungsstufen von

Street-Art-Künstlern sollten in meiner Forschung Beachtung finden: Das Spektrum erstreckt sich hierbei von Künstlern, die sich in den ‚groben Anfängen‘ ih-

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res Schaffens befinden, bis hin zu Künstlern, die bereits auf langjährige

Erfahrung zurückblicken können. Ich verfolge damit das Ziel, den derzeit vorherrschenden Street-Art-Kanon ein Stück weit aufzubrechen. So fokussiert bis

heute ein Großteil aller journalistischen wie wissenschaftlichen Publikationen auf den großen, globalen Star der Street-Art-Welt: Banksy. Gefolgt wird seine

(Bestseller-)Position, wenn auch mit großem Abstand, von Künstlern wie She-

pard Fairey, Blek le Rat, Swoon, Miss Van etc.9 Ohne ihr künstlerisches Schaf-

fen sowie ihren Einfluss auf die Street-Art-Welt infrage stellen zu wollen, ist es gerade nicht mein Anliegen, die bzw. ihre bisherige Erfolgsgeschichte weiterzu-

schreiben; für weitaus spannender halte ich es, den Facettenreichtum der Street-Art-Welt aufzunehmen.

Aufgrund der daraus resultierenden Materialfülle – und auch, um dem

Gegenstand besser gerecht zu werden – begrenze ich mich innerhalb meiner

Auseinandersetzung auf Street Art bzw. auf Street-Art-Künstler innerhalb Deutschlands. Dies hat drei Gründe: Erstens lieferte eine Vielzahl der bisher erschienenen (wissenschaftlichen) Publikationen über Street Art einen relativ

breiten Überblick, sowohl was die geografische Verbreitung als auch die inhalt-

liche Tiefe angeht. Dies soll hier vermieden werden. Zweitens blieb eine umfangreiche Aufarbeitung und schriftliche Auseinandersetzung mit der in

Deutschland vorfindbaren Street-Art-Landschaft weitestgehend aus. Dieser

wurde bisher kein umfangreiches wissenschaftliches Interesse entgegengebracht; vielmehr fand ihre Konturierung allenfalls anhand von Bildbänden statt, d.h. piktoral und ohne theoretische Einbettung. Drittens sollen hier, wie

zuvor bereits aufgezeigt, explizit auch Künstler zu Wort kommen, denen bisher noch keine oder nur wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Durch

den Einbezug einer Vielzahl von Akteuren, Perspektiven, Stimmen, Materia-

lien, Dokumenten, Medien und der gewinnbringenden Methodenkombination unterlaufe ich den derzeitigen Street-Art-Kanon somit bewusst und offeriere

eine neue Lesart. Eine besonders umfangreiche Recherche nahm ich in Berlin, Hamburg und Köln vor, ließen sich aufgrund mehrmaliger Feldforschungsaufenthalte künstlerische Kontexte und städtische Dynamiken dort am inten-

9

Diese Liste entspringt meinen Beobachtungen; wissenschaftlich belegt wurde sie in ausführlicherer Form bei Derwanz (2013: 152).

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sivsten mitverfolgen. Ergänzt werden meine Beobachtungen um Städte wie

Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Essen, Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, Konstanz und Mannheim.

Gleichzeitig ließ mich eine intensive Verfolgung der Veröffentlichungen im

Internet (mit Fokus auf Facebook) die globalen Entwicklungen parallel mitund querlesen. So war meine Forschung, neben der expliziten Feldforschungs-

praxis in situ und vor Ort, von einer steten Internetethnografie begleitet. Unter

Internetethnografie verstehe ich dabei das tägliche Abrufen zentraler StreetArt-Seiten im Internet sowie das Verfolgen der täglichen Interaktion diverser

Street-Art-Akteure bei Facebook. Neben dem reinen Informationsgewinn ließ

sich vor allem hier auf bestimmte Rollenverständnisse rückschließen. Gleichzeitig wurde nachvollziehbar, wie, von wem und unter welchem Vorzeichen Street

Art in ihrer alltäglichen Interaktion verhandelt wird. Die kollaborative Autorschaft der Street Art trat offensichtlich zutage.

Hierfür erwies sich der Besitz eines eigenen Facebook-Accounts als unum-

gänglich. Facebook präsentiert sich innerhalb meiner Forschung somit nicht

nur als Analysegegenstand, sondern gleichzeitig auch als mediale Zugangsvoraussetzung und zurichtende Instanz: So war auch meinem Newsfeed ein un-

sichtbarer Algorithmus vorgeschaltet, welcher den Informations- und Nachrichtenfluss wesentlich beeinflusste.10 Über ein eigenes Profil war es mir letztlich

nicht nur möglich, einzelne Posts öffentlich zugänglicher Street-Art- und Künst-

lerseiten mitzuverfolgen, sondern auch eine virtuelle Freundschaftsbeziehung

mit einzelnen Street-Art-Künstlern einzugehen.11 Dadurch erhöhte sich jedoch

nicht nur für mich die Sichtbarkeit in die (Innenperspektive der) Street-Art-

10 Vgl. hierzu u.a. auch Lovink in der Einleitung des Unlike Us-Readers: „Social media platforms are too big and too fluid to research – not because of the sheer size of users, heavy traffic, closed databases, and overkill of metadata. The impossibility to reflect on them is also given by their fluid nature, presenting themselves as helpful gatekeepers of temporary personalized information flows.“ (Lovink 2013a: 12) 11 Da nicht alle Künstler eine eigene Website oder Email-Adresse besitzen, fand eine erste Kontaktaufnahme oftmals über Facebook statt. Aus logistischen Gründen verlagerten sich die daran anschließenden Interaktionen und Gesprächsverläufe oftmals auf die Plattform.

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Welt, gleichzeitig wurde auch ich – in meiner Rolle als Wissenschaftlerin und Privatperson – transparenter.

Unter anderem deshalb möchte ich diesen Abschnitt mit einigen Anmer-

kungen hinsichtlich meines forschungsethischen Hintergrunds und Selbstver-

ständnisses abschließen: Ich beziehe in meine Forschung ausschließlich diejenigen Posts, Statusmeldungen und Veröffentlichungen ein, die öffentlich zugänglich oder aber für die komplette Freundesliste der Street-Art-Künstler

sichtbar sind. Da diese oftmals mehrere Tausend ‚Freunde‘ beinhaltet, ist sie keinesfalls exklusiv zu denken. Innerhalb dieses Settings erlaube ich es mir zudem, einzelne Posts auszuschließen, sofern diese einzelne Akteure bewusst diffamieren. Eine virtuelle Freundschaftsbeziehung mit den für meine Forschung

zentralen Akteuren wurde von meiner Seite aus ausschließlich nach einem ‚realen‘ Aufeinandertreffen eingegangen. Jeder der beteiligten Akteure war sich

somit meiner Rolle als Wissenschaftlerin bewusst. Letztlich resultierte die getä-

tigte Anfreundungspraxis dennoch nicht zwangsläufig aus einer rein wissenschaftlichen Notwendigkeit, sondern war auch persönlichem Interesse geschuldet. Informationen, die mir als explizit ‚off the record‘ ausgewiesen oder in pri-

vaten Gesprächen anvertraut wurden, fanden keinen Einzug in meine Forschung. Zudem zeige ich mich bemüht, die Privatsphäre der Akteure auf bestmögliche Weise zu wahren. So werden weder Audioaufzeichnungen noch Fotos, auf denen sie zu sehen sind, ohne vorherige Absprache veröffentlicht oder

weitergegeben. Street-Art-Fotos, deren Urheberrechte ich nicht besitze, werden als solche ausgewiesen und mit zugehörigen Credits versehen.12

3.2.3 ‚S CHEITERN ‘ Da Street Art von rechtlicher Seite aus bis heute nicht als offiziell anerkannte, legale Kunstpraktik gilt und somit mehrheitlich im Verborgenen stattfindet,

konnte eine erfolgreiche Kontaktaufnahme mit einzelnen Akteuren der StreetArt-Welt (vorwiegend Künstlern) nicht vorausgesetzt werden. Die allgemeine

12 Sollten mir trotz umfangreicher Prüfung Fehler unterlaufen, so bitte ich betroffene Personen, sich direkt an mich zu wenden.

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Skepsis gegenüber externen Anfragen ist groß; viele Künstler reagieren misstrauisch und lehnen Interview-Anfragen konsequent ab. Einer der Hauptgründe liegt in der Wahrung der eigenen Anonymität begründet. Zudem berichten

Künstler von unzulänglichen oder fehlerhaften journalistischen Berichterstattungen, die für sie bereits mit einigen Enttäuschungen verbunden waren. Das

Interesse an einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung zeigt sich gemeinhin

(noch) verhalten(-er), liefert ein Forschungsprojekt letztlich doch keine populärkulturell anschließbare ‚Story‘. Ebenso genannt wurde das punktuelle Über-

handnehmen eingehender, größtenteils studentischer Anfragen, die im Rahmen ihrer Abschlussarbeit um einen Interview-Termin baten.13

Mein Projekt gilt es somit stets vor diesem Vorzeichen zu lesen. Das von

Latour proklamierte ‚Folgen der Akteure‘ gestaltete sich daher oftmals auch in

ein Verfolgen der Akteure um. Diese methodische Schwierigkeit gilt es an meinen Ausgangspunkt rückzubinden, musste ich mir Ortskenntnisse, städtische

Dynamiken und Kunst- bzw. Künstlerkontexte doch teilweise von null auf an-

eignen – ein Umstand, der sich im Kontext einer solch ortssensiblen Kunst wie der Street Art als unumgänglich, gleichzeitig aber auch als Herausforderung

darstellt. Im Umkehrschluss offerierte mir dieser Zugang, dem Gegenstand mit

größtmöglicher Offenheit zu begegnen. Fakt ist jedoch auch, dass sich die teilnehmende Beobachtung nächtlicher Street-Art-Aktionen, in situ, ohne private

Kontakte in die Street-Art-Szene oftmals als kaum zu realisierendes Unterfangen darstellt. Ich werte diesen Umstand dennoch keinesfalls als Mangel, vielmehr legt er einige der wesentlichen Charakteristika des Gegenstandes of-

fen. Hätten sich Kontaktaufnahme, teilnehmende Beobachtung und verschiedenste Feldforschungssituationen als ausschließlich ‚einfach‘ und problemlos

erwiesen, wäre nicht (länger) von einer subkulturell gefärbten Widerständigkeit der Street Art auszugehen.

Man könnte an dieser Stelle ebenfalls auf etwaige Genderkontexte ein-

gehen: Die primär maskulin konnotierte Street-Art-Welt wird innerhalb ethnografischer Forschungen oftmals als Thema aufgegriffen, so zum Beispiel bei Heike Derwanz, die in Street Art-Karrieren einen von ihr interviewten Blogger

13 Dennoch würde ich die (mögliche) Vielzahl von Interview-Anfragen nicht ins Jahr 2013/2014 datieren, sondern einige Jahre zuvor.

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zitiert: „Street Art ist halt im öffentlichen Raum und der ist halt typen-domi-

niert.“ (Derwanz 2013: 35) Natürlich schrieb sich auch dieser Kontext in meinen Feldforschungsprozess ein, war ich als Wissenschaftlerin mit einem Feld

konfrontiert, das sich bis heute zu einem Großteil aus männlichen Akteuren

zusammensetzt (vgl. hierzu ebd.: 34-36).14 Vor allem in der Anfangsphase meiner Feldforschung, bei der Erschließung des Feldzugangs, erwies sich dieser Umstand als nicht irrelevant. Aber auch andernorts zeigte sich die per se als

Störfaktor empfundene Anwesenheit szeneexterner Akteure, durch die vorherrschende Geschlechterdifferenz, als zusätzliche Herausforderung15 – wenngleich,

und das gilt es ebenfalls zu betonen, die unlängst angesprochene Dominanz

männlicher Akteure in der Street-Art-Welt zunehmend abnimmt. Da ich ein Denken in Genderdisparitäten jedoch grundsätzlich nicht als zielführend erach-

te, soll diese zusätzliche Facette im Rahmen meiner Arbeit keine weitere Beachtung finden.

Abschließend möchte ich somit festhalten: Ein vermeintliches ‚Scheitern‘,

aufgekommene Schwierigkeiten, Probleme und Herausforderungen sind innerhalb meiner Forschung keinesfalls negativ zu bewerten, vielmehr gilt es sie im

Kontext interner Feldlogiken zu reflektieren. Wie sich zeigt, können aus vermeintlichen Problemstellungen oftmals weitaus relevantere Erkenntnisse gewonnen werden. Vermeintliche Zufälligkeiten, Widerständigkeiten und Störungen werden somit explizit aufgenommen und unter Reflexion möglicher Ein-

flussfaktoren zur Diskussion gestellt. Dabei wird deutlich, dass es Street Art als situierte Kunstpraktik zu verstehen gilt, die sich als komplexe Gemengelage

künstlerischer, sozialer, politischer und ökonomischer Einflussfaktoren präsentiert.

14 Zur Kontextualisierung ethnografischer Feldforschungspraxis von Wissenschaftlerinnen in männlich dominierten Forschungssettings siehe weiterführend Golde (1986), Gurney (1985), Soyer (2013) und Warren (1988). 15 Man denke hierbei beispielsweise an die Praktik des ‚gemeinsamen Abhängens‘, was sich innerhalb der Street-Art-Welt als durchaus relevante Praktik erweist und somit für die Feldforschung, insbesondere die teilnehmende Beobachtung, produktiv gemacht werden muss.

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3.2.4 A NSETZEN UND UMSETZEN Der Rückgriff auf medienethnografische Methoden und der daraus gewonnene, variantenreiche Materialpool offeriert mir die Möglichkeit, mein Projekt auf genau diejenige Art und Weise umzusetzen, wie ich es nicht nur für adäquat,

sondern zwangsläufig auch für notwendig halte. So ist es gerade mein Anliegen, die der Street-Art-Welt inhärenten Eigendynamiken nicht auszubremsen,

sondern sie als konstruktiven Mehrwert in meine Forschung aufzunehmen. Ich

verfolge damit das Ziel, Street Art nicht ausschließlich mit rein extern zugeschriebenen Kategorien zu begegnen, sondern vielmehr interne Terminologien und Zuschreibungen ernst zu nehmen.

Abb. 4: Dave the Chimp, Joy Fox und andere | Berlin Mein Forschungsprojekt kommt hierbei einer doppelten Konstruktionsleistung

nach: In einem ersten Schritt werden interne Begrifflichkeiten, Kategorien und Konzepte der Street-Art-Welt in Form von ‚In vivo-Codes‘ ausfindig gemacht. Nur so ist es möglich ‚den Kontext der Straße‘ mitzuzeichnen und zu verstehen,

was es tatsächlich heißt, Street Art ‚zu machen‘. Dieser Zugang verfolgt das Ziel, der alltagsnahen und nuancenreichen Rekonstruktion kultureller Sinn-

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horizonte und Praktiken nachzukommen und zeichnet sich durch einen reflexi-

ven Blick auf das Feld und die entstandenen Daten aus (vgl. Scheffer/Meyer

2011 mit Bezug auf Schmidt-Lauber 2011 [vgl. dazu u.a. Abb. 4]).16 Durch er-

kundende Annäherung offeriert er einen besonderen Zugang zu Akteurwissen (vgl. ebd.). Der zweite Schritt kommt einer bewussten Abstraktionsleistung

nach. Hier gehe ich der Frage nach, was das Verständnis der Akteure von der

wissenschaftlichen Auseinandersetzung unterscheidet. Zuvor detektierte ‚In vivo-Codes‘ werden folglich in abstrakte Kategorien übersetzt und in den wissenschaftlichen Diskurs überführt. Der Grund hierfür scheint offensichtlich:

Will man den komplexen Dynamiken und Wechselwirkungen der Street Art

nachspüren, erweist es sich als kontraproduktiv, ihr ausschließlich mit rein externen Begrifflichkeiten und Fremdzuschreibungen zu begegnen. Im Gegenzug erweist es sich jedoch als ebenso unzulänglich, die Street-Art-Welt aus einer

rein internen Perspektive heraus beschreiben zu wollen. Um den Gegenstand adäquat fassen zu können, bedarf es vielmehr beider Perspektiven. Vor diesem

Hintergrund scheint es evident, sowohl auf einen Methoden- als auch einen Quellenmix zurückzugreifen. Medienethnografische Methoden werden mit

medienwissenschaftlichen Theoriediskussionen kombiniert und für die Beschreibung der Street-Art-Welt produktiv gemacht. Diese entfalte ich anhand einer Fülle heterogener Materialien, Dokumente und Zugänge, wobei durch den Rückgriff auf zahlreiches Interviewmaterial, Feldnotizen, teilnehmende

Beobachtung, Fotos, Facebook- und Blog-Posts eine größtmögliche Nähe zum

Gegenstand gewahrt wird. Durch das von mir anvisierte, konstitutive Wechselspiel von Zoom-Ins und Zoom-Outs unterziehe ich meine Analyse einer gewinnbringenden Rhythmisierung – mit dem Ziel, ein sich gegenseitig stimulierendes Verhältnis von Gegenstand und Methode herauszustellen, die das Mate-

rial nicht ausbremst. Um verschiedene Blickwinkel und Beobachterperspektiven einzunehmen, werden exemplarische Fallstudien herangezogen, die am

Schluss – auch unter Berücksichtigung der Interaktion aufgeworfener Problemstellungen und ihrer Einflussfaktoren – gewinnbringend zusammengeführt 16 Vgl. dazu ausführlicher Malinowski (1979) sowie auch Bender/Zillinger (2015) und Emerson et al. (2001). Für die Kunst produktiv gemacht haben die Methode der Medienethnografie u.a. der Soziologe Howard S. Becker (1974, 1982) sowie die beiden Anthropologen Arnd Schneider und Christopher Wright (2006, 2010, 2013).

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werden. Der ortsbezogene methodische Ansatz einer ‚multi-sited ethnography‘

wird im Projekt (im Sinne eines ‚multi-temporal‘ und ‚multi-medial research‘) um die Perspektive der Zeitlichkeit und Medialität ergänzt.17 Ziel ist es letztlich, relevante Themen und Problemfelder direkt am Fallbeispiel zu entfalten,

daraus gewonnene Erkenntnisse jedoch gleichzeitig auch an den breiter angelegten Street-Art-Kontext rückzubinden.18

Darüber hinaus entschied ich mich dafür, mein Forschungsprojekt in Form

einer Onlinepräsenz19 für die Öffentlichkeit einsehbar und digital zugänglich zu machen. Hierbei suchte ich vor allem nach einer adäquaten Präsentationsmöglichkeit für die Vielzahl von Street-Art-Fotos, die ich im Rahmen meiner

Feldforschung gesammelt hatte. Zudem sah ich in der Onlinepräsenz die Möglichkeit, bereits realisierten Künstler-Interviews eine Plattform zu geben. Ich

widersetzte mich somit ein Stück weit dem gängigen Wissenschaftshabitus,

Materialien und Ergebnisse bis zur Veröffentlichung zurückzuhalten und testete mögliche Wechselwirkungen einer medialen Zugänglichkeit aus. Als großer Vorteil erwies sich für mich zweifelsohne die zunehmende Greifbarkeit meines

Projektes, wodurch mir vonseiten der Akteure durchaus eine gewisse Legitima-

tion zugeschrieben wurde. Zudem konnte ich im Veröffentlichungsprozess, welchen ich in Abgleich und unter Zustimmung der beteiligten Akteure durch-

führte, bereits erste Reaktionen einfangen, welche mir als wichtige Weichenstellungen für weitere Arbeitsschritte dienten. Die Projektpräsenz wurde über

17 Der Begriff der „Multi-Sited Ethnography“ geht auf den US-amerikanischen Anthropologen George Marcus zurück. Dieser sieht die Ethnologie im Zuge zunehmender Globalisierung dazu verpflichtet, den mobilen und multipel situierten Akteuren und Forschungsgegenständen in ihrer räumlichen Bewegung und Interaktion zu folgen (vgl. Marcus 1995, 2009). Dieser Ansatz wird in meine Forschung aufgenommen, jedoch um den Aspekt der Zeitlichkeit sowie den Rückgriff auf verschiedene Medien(-technologien) zur Erschließung des Forschungsgegenstandes ergänzt. 18 In einem ersten Schritt werden die jeweiligen Fallbeispiele beschreibend entfaltet. In (2) folgt eine medienwissenschaftliche ‚Tiefenbohrung‘, während in (3) gewonnene Erkenntnisse für das Verständnis der derzeitigen Verhandlung der Street(-)Art(-Welt) produktiv gemacht werden. 19 www.locatingstreetart.com, 28.07.2014.

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Wordpress erstellt, ist mit CC BY-NC-ND 4.020 lizenziert und unter www.loca-

tingstreetart.com abrufbar.

3.3 Medienästhetik Eine der methodischen Herausforderungen meines Projektes besteht darin, nicht nur die Praktiken (der Verhandlung) der Street Art nachzuzeichnen, son-

dern auch ihrer Medienästhetik nachzuspüren. Dies verlangt, die relationale Situiertheit oder ‚Verteiltheit‘ ihrer Ästhetik herauszustellen.

Nicolas Bourriaud ist einer der wenigen Kunstwissenschaftler/-kritiker, der

diesem Anspruch nachkommt. In seinem Buch Relational Aesthetics (1998) for-

dert Bourriaud die Abkehr von bzw. Weiterentwicklung der Kunstgeschichte der 1960er Jahre. Er fragt danach, wie Kunstwerke zu dekodieren sind, die

prozessorientiert oder performativ zu denken sind (vgl. Bourriaud 1998: 7). Innerhalb seiner Auseinandersetzung bezieht er sich dabei weitestgehend auf

experimentelle, interaktive und partizipative Kunstformen wie Happenings und Performances. Seine Theorie entspringt somit der zeitgenössischen Kunst der

1990er Jahre. In diesem Kontext spricht Bourriaud von einer zunehmend

wachsenden urbanen Kultur, deren Infra- und Kommunikationsstruktur sich

sowohl auf die Funktion als auch die Präsentationsform der Kunst auswirkt: „Art is the place that produces a specific sociability.“ (Ebd.: 16) Daran an-

schließend definiert er „Relational Aesthetics“ als ein „set of artistic practices

which take as their theoretical and practical point of departure the whole of human relations and their social context, rather than an independent and pri-

vate space“ (ebd.: 113). Im Kontext einer künstlerischen Praktikentheorie situiert, definiert er Kunst folglich als Erfahrung oder Experiment sozialer Interaktion und koordinierter Partizipation; Kunst wird zum „way[…] of living“ und zum „model[…] of action within the existing real“ (ebd.: 13).

Auffallend dabei ist, dass Bourriaud innerhalb seiner Argumentation die

Rolle des Betrachters zentral setzt: Interaktion, Partizipation und Rezeption

20 Die Abkürzung steht für „Creative Commons Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz“.

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werden somit zum konstitutiven Bestandteil der Werkskonstitution, wobei die

Relation zwischen Kunst und Betrachter stets aufs Neue ausgehandelt werden muss.21 „The goal of most relational aesthetics art is to create a social circumstance; the viewer experience of the constructed social environment becomes the art. The task of the artist is to become a conduit for this social experience. To that end, artists often create a physical space to be used for a particular (often ephemeral) social event“,

so auch der Kritiker Kyle Chayka in seinem Online-Artikel WTF is… Relational

Aesthetics? (Chayka 2011 mit Bezug auf Bourriaud 1998), in welchem er Bourriauds Konzept diskutiert. Bourriaud geht es folglich nicht (länger) um Relationen innerhalb des Kunstsystems, sondern um Relationen zwischen Individuen

und Gruppen, zwischen Künstler, Betrachter und der Welt (vgl. Bourriaud 1998: 26). Man mag das Gefühl haben, dass in Bourriauds Ansatz durchaus ein

wenig 1990er Jahre-Inklusionspathos mitschwingt. Und auch andernorts greift er in seiner Argumentation auf das mittlerweile recht abgegriffen wirkende

Vokabular des 1990er-Jahre Internet-Booms zurück: „user-friendliness“, „interactivity“ und „multimedia“ beispielsweise (vgl. ebd.: 8, 26 sowie Bishop 2004: 54). Bourriaud schreibt: „The contemporary artwork’s form is spreading out from its material form: it is a linking element, a principle of dynamic agglutination. An artwork is a dot in a line. […] In observing contemporary artistic practices, we ought to talk about ‚formations‘ rather than ‚forms‘.“ (Bourriaud 1998: 21)

Bourriauds Ansatz, ein Kunstwerk als Formierung statt als Form zu begreifen, kann nur unterstützt werden. Dennoch können aktuelle Street-Art-Phänomene

keinesfalls als „dot in a line“ betrachtet werden – sie sind ein „dot in a net-

work“. So ist Street Art ja gerade als sozialer bzw. soziotechnischer, künstle-

rischer Aushandlungsprozess zu verstehen, welcher gleichsam offline wie onli21 Der Frage, ob sich der Begriff der Relationalität, wie ihn Nicolas Bourriaud in seinem Konzept der „Relational Aesthetics“ verwendet, unproblematisch mit einem relationalen Denken in Verbindung bringen lässt, wie es die ANT zugrunde legt, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht detaillierter nachgegangen werden.

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ne zu situieren ist. Durch Präsentation, Zirkulation und Rezeption von StreetArt-Werken bzw. -Fotos auf verschiedenen Onlineplattformen wird sie in neue

Kontexte eingebunden, gestaltet (neue) Beziehungen aus und unterliegt verän-

derten Dialogizitäten. Bourriaud liefert auf die vorherrschenden Bedingungen

und Herausforderungen einer digital vernetzten Street-Art-Welt folglich keine adäquaten Antworten mehr. Sein Konzept muss weiter gedacht werden. Meine

Perspektive verschiebt sich daher von einer ‚relationalen Ästhetik‘ zu einer

‚verteilten Ästhetik‘, wie sie Geert Lovink (ebd./Münster 2005; ebd. 2008c)

vorschlägt, da diese einer digital vernetzten Street-Art-Welt weitaus gerechter

wird. Denn digital vernetzte, mobile Medien(-technologien) nehmen nicht nur

signifikanten Einfluss darauf, wie wir uns im Raum bewegen, navigieren, orientieren und miteinander kommunizieren, sondern auch darauf, wie wir ge-

meinhin und fortan über künstlerische und ästhetische Praktiken denken müssen. Fallen, wie im Falle heutiger Street Art, Produktion, Präsentation, Distribution und Rezeption (teilweise) zusammen, so verändern sich die raum-zeit-

lichen, orts- und situationsbezogenen Dimensionen, die das Kunstwerk bedingen. Ästhetiken müssen neu gedacht werden. In seinem Aufsatz Thesis on Distributed Aesthetics. Or, What a Network is Not schreibt Lovink (zusammen mit Münster):

„Distributed aesthetics must deal simultaneously with the dispersed and the situated, with asynchronous production and multi-user access to artifacts (both material and immaterial) on the one hand, and the highly individuated and dispensed allotment of information/media, on the other.“ (Lovink/Münster 2005)

Lovink geht es also in gewissem Sinne darum, ‚verteilte Ästhetiken‘ in ihrem situativen Eingebettetsein zu lokalisieren und beschreibbar zu machen. Ästhetiken gestalten sich in der Interaktion sozialer, medialer wie auch künstlerischer Praktiken (erst) aus. Lovink betont:

„A distributed aesthetics, then, might be better characterized as a continuous emergent project, situated somewhere between the drift away from coherent form and the drift of aesthetics into relations with new formations, including social (networked) formations.“ (Lovink 2008c: 228)

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Ähnlich wie schon Bourriaud beschreibt somit auch Lovink Ästhetik als formbildendes Element, das ‚formt‘ statt ‚Form zu sein‘. Entgegen Bourriauds An-

nahme einen ‚Punkt auf einer Linie‘ darzustellen, ist Lovinks Ästhetik jedoch in ein komplexes, sich wechselseitig konstituierendes Netzwerk interagierender Entitäten eingebunden. Daraus folgt zwangsläufig: Ästhetik ist ‚nicht einfach

da‘, nicht einfach greifbar – sie prozessiert. Und genau darin sieht auch Lovink

die Schwierigkeit seines Ästhetikverständnisses begründet, denn „we are dealing with a nonvisual aesthetics with respect to networks or at least a visual

which is not pictorial and can not be depicted as such“ (ebd.: 235). Dies muss

jedoch nicht zwangsläufig als Mangel begriffen werden; vielmehr gilt es Lo-

vinks ‚verteilte Ästhetik‘ ja gerade als Methode oder Modellentwurf produktiv zu machen, um die „not yet described, the not yet visualized, beyond poles such as real-virtual, new-old, offline-online and global-local“ (ebd.: 231) aufzu-

brechen.

Lovinks Konzept bietet das nötige Handwerkszeug, um der Ästhetik der

Street Art im Kontext digital vernetzter Medientechnologien nachzuspüren. So gilt es gerade auch hier punktuelle Blackboxes aufzubrechen, um verteilte Ästhetiken ausfindig zu machen. Unter besonderer Akzentuierung einer medienwissenschaftlichen Praktikentheorie schließe ich mich Lovinks Konzept der

„Distributed Aesthetics“ somit weitestgehend an. Ich stelle mich der Herausforderung dem „how, and where, the works connect[s]“ (ebd.: 225) nach-

zuspüren, denn „[i]t’s the abstract, the conceptual, the unseen and the immanent that the distributed brings into play“ (ebd.: 226). Damit einhergehend

rufe ich die Frage nach den Maßverhältnissen der Medienästhetik auf.22 Mein methodischer Zugang einer orts- und situationsbezogenen Medienforschung

greift somit auch auf mein Ästhetik-Verständnis über. Es bleibt zu prüfen, ob

dieser Ansatz im medienwissenschaftlichen Diskurs auf breitere Anschlussfähigkeit stößt oder sich als Spezifik der Street Art präsentiert.

22 Ich adressiere somit eine Frage, welche die Forschungen Jens Schröters aufgreift (vgl. Schröter 2009). Siehe dazu auch den FORSCHUNGSSTAND unter 2.3.

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3.4 Schnitt-Bild Nachdem die Methode meines Projekts aufgefächert wurde, soll abschließend mein konzeptionelles Raster beleuchtet werden. So ziehe ich in meiner Arbeit

die Figur des Schnitt-Bildes heran, welche mir innerhalb meiner Argumentation eine mehrdimensionale Annäherung und Analyseschablone bietet.

In seiner Semantik ruft das Schnitt-Bild grundsätzlich zwei Aspekte gleich-

zeitig auf: zum einen den Kontext des Schnittes, welcher auf die Praktik des

Schneidens, (Durch-)Trennens und Separierens referiert. Zum anderen den

Kontext des Bildes, welcher auf piktorale Phänomene im Allgemeinen verweist. Zusammengenommen bezieht sich die Schnitt-Bild-Figur folglich auf Phäno-

mene, die sich im Kontext eines recht breit gefassten Spannungsfeldes bewegen: Sie referiert auf Bilder, die angeschnitten sind, die zuschneiden oder sich

trennend zwischen bestimmte Situationen, Konstellationen und Gegebenheiten positionieren. Die Stärke des Schnitt-Bildes liegt somit vor allem darin, eine

recht große Anschlussfähigkeit aufzuweisen, singuläre Phänomene aber den-

noch en detail adressieren zu können. Aufgrund dieser situativen Adaptierbarkeit ist es flexibel einsetzbar und erweist sich als produktives Gedankenkonstrukt und gewinnbringende, konzeptionelle Stütze meines Forschungsprojektes.

Das Schnitt-Bild kann in gewissem Sinne als methodisch-konzeptionelle

Bottom-Up-Schablone verstanden werden, bezieht es sich doch in seinem Ursprung auf den Herstellungsprozess eines Street-Art-Werkes, genauer, eines

Stencil- bzw. Schablonenmotivs. So werden auch bei der Street-Art-Produktion verschiedene Schablonen hergestellt, um einem einzelnen Motiv Kontur und

Form zu verleihen. Jede Ebene bzw. jeder Layer entspricht hierbei einer bestimmten Farbe, konturiert einen bestimmten Aspekt und kreuzt, komplettiert

oder überdeckt wiederum andere. Im Ganzen fügen sich die verschiedenen Layer letztlich zu einem in sich konsistenten Gesamtbild zusammen. Die Idee des Schablonierens aufgreifend, soll diesem Vorhaben auch im Rahmen meines

Projektes nachgekommen werden, wobei das Schnitt-Bild hierbei einer doppelten Adressierung nachkommt: Zum einen adressiert es die Objekt-, zum ande-

ren die Beschreibungsebene. Auch an diesem Punkt zeigt sich folglich die kon-

M ETHODE

| 83

zeptionelle Tragweite medienethnografischer Methoden(-kombination), welche die Engführung von Gegenstand und Methode einfordert.

Auf welche Weise das Schnitt-Bild für die der Arbeit zugrunde liegenden

Fallstudien produktiv wird, soll im Folgenden expliziert werden. Denn nicht

nur Street-Art-Künstler greifen in der Produktion ihrer Werke auf die Schablone, als Schnitt-Bild, zurück, sondern auch anderweitig sieht sich die Street

Art mit dem Schnitt-Bild permanent konfrontiert: Street Art tritt ausschließlich

medial vermittelt auf. Im Zuge ihrer Präsentation, Zirkulation, Dokumentation und Archivierung zeigt sich die Street Art in ihrer medialen Verfasstheit als Digitalfotografie allein schon durch die Wahl des jeweiligen Bildausschnitts als

per se zugeschnitten. Durch die fotografische Praktik wird sie von ihrem ursprünglichen Kontext isoliert und zirkuliert – stets ausschnitthaft – auf Facebook oder anderen Street-Art-Seiten im Internet.

Besonders gut lässt sich dies in FALLSTUDIE 4.1 beobachten, in welcher die

derzeitige Verhandlung der Street Art im Social Network Facebook beleuchtet

wird. Anhand von Facebook wird das gleichermaßen komplexe wie auch engmaschige Netzwerk der Street-Art-Welt entfaltet und die Relevanz der Street-

Art-Fotografie akzentuiert. So nehmen Fotos in der derzeitigen Verhandlung

der Street Art eine Schlüsselrolle ein, anhand derer auf zentrale Akteure, Präsentationslogiken, Selektionsmechanismen sowie auch Rollenverständnisse

rückgeschlossen werden kann. Entfaltet werden meine Überlegungen am Beispiel der Seite Street Art in Germany, welche derzeit zu einer der quantitativ zugkräftigsten Street-Art-Seiten auf Facebook zählt. Eingebettet in den Kontext

medialer Verhandlung werden Street-Art-Fotos dort nicht nur städtespezifisch kategorisiert und einzelnen Selektionsmechanismen unterworfen, sondern

gleichzeitig auch partizipativ gesammelt. Am Beispiel wird deutlich, dass sich nicht nur die Ausschnitthaftigkeit der jeweiligen Kamera-Kadrierung in die derzeitige Verhandlung der Street Art einschreibt, sondern dass weitaus mehr

‚Schnitte‘ zum Tragen kommen: Auf der Plattform situiert, unterliegen StreetArt-Werke teilweise völlig anderen Aushandlungsprozessen, Bewertungskriterien und Dialogizitäten. Like-, Share- und Verlinkungspraktiken erweiterten den Rezipientenkreis der Street Art zwar maßgeblich,23 betteten sie gleich23 Die Seite Street Art in Germany besitzt derzeit mehr als eine Million Follower, vgl. www.facebook.com/StreetArtGermany, 31.07.2014.

84

| S TREET A RT UND NEUE M EDIEN

zeitig aber auch in den Kontext plattformspezifischer Zensur- und Über-

wachungspraktiken ein. Einen wesentlichen Einschnitt stellt letztlich die von

der Plattform unterstützte bzw. eingeforderte Anfreundungspraxis dar, welche

Street-Art-Künstler nicht nur weitaus transparenter macht, sondern soziale Be-

ziehungen in kommerzielle Interessen, personalisierte Werbeanzeigen und ökonomisches Kapital überführt. Die Schlüsselrolle der Street-Art-Fotografie wird an dieser Stelle offensichtlich, tragen ihre Anschlusspraktiken doch nicht nur

zur Ausschnitthaftigkeit der Street Art bei, sondern ‚schneiden‘ bzw. richten Street Art explizit zu.

Die FALLSTUDIEN 4.2 bis 4.6 widmen sich ganz dezidiert einzelnen Kunst-

projekten bzw. Künstlern. In KAPITEL 4.2 diskutiere ich die Produktion eines

Schablonenmotivs. Am Beispiel der Kölner Künstlerin kurznachzehn zeichne

ich diesen mehrstufigen Produktionsprozess nach und fokussiere auf die Praktik des Übersetzens und (An-)Schneidens. Die Anschlussfähigkeit der Schnitt-

Bild-Figur tritt hierbei offensichtlich zutage, referiert sie auf die am Produktionsprozess beteiligte Praktik des Schneidens. So werden Schablonenbilder in

detaillierter Kleinarbeit in einzelne Layer isoliert, ausgeschnitten und anschließend in ein in sich konsistentes Gesamtbild überführt. Diesem Produktionsprozess folgend – welcher wiederum nur als Modellentwurf gesehen werden kann – übersetzt die Künstlerin alte, analoge Familienfotos der 1950er Jahre ‚schablonierend‘ in die Gegenwart.

Doch die Street-Art-Praxis sieht sich auch mit anderweitigen Schnitten kon-

frontiert: Schnitten in Raum und Zeit. Exemplifiziert werden diese am Beispiel

des Berliner Künstlers El Bocho, dessen fotografische Praktiken die nächtliche Aktion des Street-Art-Pastens, also -Klebens, kunstpraktisch ausstellen. Die performative Praktik des Klebens wird hier im Digitalfoto festgehalten und einer

doppelten Exposition unterzogen. Viel mehr jedoch als dass dieses Schnitt-Bild tatsächlich schneidet und somit trennt, montiert es: Es montiert Zeitlichkeiten

und bindet Vergangenheit und Zukunft an die Gegenwart zurück.

Das darauf folgende Kapitel widmet sich sogenannten Street-Art-Apps. Am Beispiel von Berlin Street Art zeige ich auf, welche Medienpraktiken im Kontext einer solchen Applikation greifen und welche Rolle dem zwischengeschalteten Interface zukommt. So können über die mediale Schnittstelle nicht nur zusätz-

liche Informationen zum Künstler- oder Werkkontext abgerufen werden – und dies vor Ort und in situ –, sondern gleichzeitig präsentiert sich die App auch als

M ETHODE

| 85

zurichtende Instanz: Sie nimmt dezidierten Einfluss auf die Navigation ihrer User und entwirft appkonforme Street-Art-Touren. Das Schnitt-Bild wird hier

als zwischengeschaltete, mediale Schnittstelle produktiv, an welcher sich Fra-

gen der Relationalität von Offline- und Onlinenavigation entfalten lassen.

KAPITEL 4.5 beschäftigt sich mit der Praktik des Entnetzens und (Re-)Lokali-

sierens: Lebensgroße Poster von Menschen, die der Künstler Paolo Cirio über Google Street View gefunden hat, werden an die exakte Stelle ihres Fundorts

zurückgeklebt. Der relevante ‚Schnitt‘ vollzieht sich hier auf semantischer Ebene, adressiert er die Praktik des ‚cutting the network‘. Wie sich anhand der Fallstudie zeigen lässt, besteht die emanzipatorische Geste jedoch nicht

zwangsläufig in einer Entnetzung der Street Art, vielmehr gilt es ihre adäquate

Rückspeisung und Situierung ins Internet als relevante Praktik zu akzentuieren.

Nicht die Loslösung von Onlinekontexten präsentiert sich als richtungsweisender Weg, sondern ein bewusster Umgang mit ‚öffentlichem Raum‘.

Die Rolle des Interfaces, als prozessuale, gleichzeitig trennende wie auch

verbindende Schnittstelle, tritt vor allem in KAPITEL 4.6 zutage. In diesem wird das Projekt Graffyard des Berliner Künstlers Sweza diskutiert, welches ver-

schwundene Street Art reanimiert. Das Smartphone präsentiert sich hierbei als

vermittelnde Instanz und präfigurierendes Interface, welches an der Schnittstelle analog/digital operiert und beide Layer füreinander bedeutsam macht.

Das Kapitel diskutiert das eng mit der Street Art in Verbindung stehende Thema der Vergänglichkeit und digitaler Archivierung. Gleichzeitig schließt es den

narrativen Bogen meiner Arbeit, welche von einer Produktionsstudie ausgehend, über das Dokumentieren, Auffinden und Relokalisieren von Street Art deren ‚Erinnerung‘ adressiert.

Wie dargelegt, zeigt sich die Figur des Schnitt-Bildes als vielseitig adap-

tierbare Analyseschablone, was sich gerade in einem solch dynamisch auftretenden Feld wie der Street Art als großer Mehrwert präsentiert. Aus den Spezifiken des Feldes herauskristallisiert, passt sie sich den Anforderungen des Gegenstandes situativ an, verleiht meiner Analyse aber dennoch argumentative

Stringenz und konzeptionelle Strenge. Die dadurch gewonnene Multiperspektive lässt eine Komparation von Perspektiven zu, welche als dezidierter Mehrwert in meine Arbeit eingeht. Einerseits offerieren die fallbezogenen Analysen

somit eine umfangreiche Beleuchtung der am Phänomen beteiligten Akteure

und Praktiken, andererseits gewährleisten sie eine Verdichtung und Anschluss-

86

| S TREET A RT UND NEUE M EDIEN

fähigkeit auf allgemeingültigere Kontexte. Das Herauskristallisieren fallbezogener Spezifika geht folglich mit dem Auffinden generalisierbarer Regelmäßig-

keiten und Muster einher. Diese werden in KAPITEL 5 zusammengetragen und einer abschließenden Reflexion unterzogen. Die verschiedenen Layer des von mir entwickelten Schnitt-Bildes werden dort ein letztes Mal übereinandergelegt und für eine finale Standortbestimmung der Street Art produktiv gemacht. Ich

resümiere die in der Analyse gewonnenen Erkenntnisse und schließe mit einem knappen Ausblick.

Mar s halAr t s|Hambur g

4.1 Vernetzen und verhandeln | Facebook

„[…] Um Street Art zu einem Medienphänomen und einige Künstler[…] bekannt werden zu lassen, arbeiten Hunderte von Akteuren in Netzwerken, die

Bilder sowie Texte produzieren und distribuieren“, so Heike Derwanz in Street Art-Karrieren (2013: 29). Auch wenn es im folgenden Kapitel explizit nicht um Street-Art-„Karrieren“ geht, sondern vielmehr um die Verhandlung von Street Art im Social Network Facebook, so verhält es sich in gewissem Sinn ähnlich.

Auch hier ist eine Vielzahl von Akteuren daran beteiligt, permanent Bilder zu (re-)produzieren, zu dokumentieren, zu zirkulieren und zu archivieren. Wie genau jene Verhandlung aussieht, welche Praktiken an der Verhandlung der

Street Art im Social Network beteiligt sind und wie sich Offline- und Onlinepraktiken gegenseitig beeinflussen, wird im folgenden Kapitel diskutiert. Facebook stellt derzeit eine der wichtigsten und gleichsam auch populär-

sten Onlineplattformen für Street Art dar. Während Blogs, Websites und digitale Fotoportale1 noch vor einigen Jahren führend in der annähernd echtzeitlichen Vermittlung und Archivierung von Street Art waren – vor allem deshalb, weil es durch sie erstmals möglich war, Street Art digital zu sammeln und angereichert mit Text auch anderen Menschen zugänglich zu machen – ist heutzutage ein dezidiertes ‚Abwandern‘ der Street Art auf die Onlineplattform

Facebook zu erkennen. Dies liegt wohl hauptsächlich an der derzeitigen Popularität des Social Networks im Allgemeinen: Kaum eine andere Onlineplattform vereint so viele User und bündelt dabei die unterschiedlichsten Interessen; von

1

Eine genauere Chronologie folgt in KAPITEL 4.1.4.

90

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

Alltagskommunikation, Statusupdates und digitalen ‚Freundschaftsdiensten‘ über Veranstaltungsinfos bis hin zum Erstellen eigener Gruppen offeriert die Plattform ein variantenreiches Spektrum an Möglichkeiten.

Aufgrund der großen Fülle an Street-Art-Seiten auf Facebook scheint es mir weder machbar noch sinnvoll, sich aller annehmen zu wollen. Vielmehr sollen relevante Akteure und Praktiken ausgehend von einem Fallbeispiel, der Seite

Street Art in Germany2, entfaltet werden. Diese Seite bietet sich schon allein in der Hinsicht an, als dass sie derzeit zur quantitativ zugkräftigsten Street-Art-

Plattform auf Facebook zählt – weltweit. Wie der Name vermuten lässt, fokus-

siert sie auf Street-Art-Erscheinungen innerhalb Deutschlands, jedoch haben mittlerweile auch sogenannte „Global Art Favorites“ Einzug gehalten. Über die Praktik des KATEGORISIERENS

UND

VERSAMMELNS (4.1.1) zeige ich auf, wie Street

Art im Social Network verhandelt wird und welche städtespezifischen Assemblierungspraktiken zum Einsatz kommen. Abseits vom großen Fallbeispiel wird

an gegebener Stelle – punktuell – auf ‚benachbarte‘ Street-Art-Seiten verwiesen, mit der Absicht, einzelne Medienpraktiken multiperspektivisch besser einzugrenzen zu können. Das darauf folgende KAPITEL 4.1.2 beschäftigt sich mit

einzelnen Künstlerseiten. Diese erhalten über ihre Onlinepräsenz nicht nur eine größere Sichtbarkeit, sondern sehen sich mit veränderten Präsentationsmodi konfrontiert: Über die Produktion und Zirkulation von Fotos sowie die Aktivierung sozialer Beziehungen wird ihr Profil multiperspektivisch hergestellt. Die

Praktik des DOKUMENTIERENS UND (RE-)PRODUZIERENS wird anhand der Street-ArtSeite artkissed (4.1.3) diskutiert, die den Aspekt der Street-Art-Fotografie explizit macht. Nach der Diskussion von Street-Art-Seiten, die der (szeneinternen) Informationsvermittlung dienen (4.1.4), fällt mein Blick auf eine weitere

Akteurgruppe: Street-Art-Fans (4.1.5). Diese üben die Praktik des Street-ArtSammelns teils exzessiv aus und posten ihre Fotos auf Facebook, zumeist unter Verlinkung des jeweiligen Artists. Gleichzeitig streben sie eine virtuelle

Freundschaftsbeziehung mit den Künstlern an. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass soziale Netzwerke wie Facebook nicht nur neue Betrachtungskontexte eröffnen, sondern an der Ausgestaltung sozialer Beziehungen beteiligt sind. Im Zuge ihrer medialen Verhandlung auf Facebook tritt Street Art folglich

2

www.facebook.com/StreetArtGermany, 31.07.2014.

V ERNETZEN UND VERHANDELN | F ACEBOOK

| 91

in ein komplexes Netzwerk soziotechnischer Akteure ein und lässt sich innerhalb einer plattformspezifischen „Like Economy“ (vgl. Gerlitz 2011) (4.1.6)

verorten: User liken und bewerten Street Art und verschaffen ihr dadurch nicht nur eine größere Sichtbarkeit, sondern betten sie in den Kontext einer plattformspezifischen Wertschöpfungsökonomie ein. Dass die Plattform nicht neut-

ral operiert, wird spätestens an dieser Stelle offensichtlich. So ist sie spezifischen Praktiken der Selektion, Zurichtung und Überwachung ausgesetzt, die ich unter dem Begriff der ‚Platform Politics‘ (4.1.7) verhandle. Auch wenn ich

Street Art innerhalb meines Projektes gerade nicht im Kontext ihrer Kommerzialisierung lesen möchte – zumindest nicht explizit – schließe ich mein Kapitel dennoch mit einem Fallbeispiel, das in jene Richtung greift: Street Art 4 Sale.3

Die Seite steht hierbei exemplarisch für die derzeitige Entwendung und kommerzielle Verwertung der Street Art im Kontext digitalen Onlinehandel(n)s. Ziel dieses Analysekapitels ist es, das engmaschige Netzwerk der Street-Art-

Welt zu entfalten und die daran beteiligten Akteure ausfindig zu machen. Auf diese Weise soll eine adäquate Ausgangslage für meine weiterführende Analyse geschaffen werden, die eine nochmals feingliedrigere Ausdifferenzierung vor-

sieht. Das Fallbeispiel bietet sich hierbei maßgeblich an, um den derzeitigen Einfluss neuer Medien(-technologien) auf die Street Art zu veranschaulichen und – auch als immanenten Gesellschaftsprozess – zu konzeptionalisieren.

Hierbei wird deutlich, dass sich die Street Art im Zuge ihrer Online-Verhand-

lung nicht nur mit veränderten Präsentations- und Kommunikationsmodi konfrontiert sieht, sondern dass es sie letztlich als Kunst-Welt zu verstehen gilt, die sich durch das praxistheoretische Zusammenspiel einer Vielzahl von Akteuren konstituiert. Street Art gilt es folglich als Resultat multipler Autorschaft anzuerkennen, welche vielfache soziotechnische Beziehungen für sich nutzbar macht. Die im METHODENKAPITEL unter 3.4 entfaltete Figur des Schnitt-Bildes

zeigt sich an dieser Stelle vielfach anschlussfähig. Dennoch soll diese nur punktuell aufgerufen und als stützendes, die einzelnen Analysekapitel verbindendes Gedankenkonstrukt mitgeführt werden.

3

www.facebook.com/streetart4sale, 09.10.2013.

92

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

4.1.1 K ATEGORISIEREN UND VERSAMMELN | S TREET A RT IN G ERMANY

Spätestens seitdem das erste Buch4 der Facebook-Seite Street Art in Germany veröffentlicht wurde, kennt man auch den Administrator, der hinter der Seite steht: Timo Schaal, ein in Mannheim lebender Künstler, Fotograf und DJ.5 Privat hält sich dieser eher im Hintergrund; er arbeitet, wie viele der Street

Artists auch, unter einem Pseudonym: Polypix. Unter diesem verwaltet er mehrere Facebook-Seiten, eine davon ist Street Art in Germany. Die Seite wurde am 5. April 2011 gegründet und hat zum jetzigen Zeit-

punkt6 genau 905.210 „Gefällt mir“-Angaben (274.488 sprechen darüber). Jeden Tag kommen etwa 1.000 neue Likes hinzu, so Polypix in einem Gespräch mit mir im Januar 2013. Die Seite ist somit aktuell eine der, wenn nicht gar die

quantitativ größte und zugkräftigste Street-Art-Plattform auf Facebook – zumindest was die geografische Verbreitung und Reichweite angeht. Es scheint hierbei nichts Neues, dem Internet die Funktion eines maßgeblichen Motors in der Popularisierung der Street Art zuzusprechen, unter dessen Zuwirken Street Art sich u.a. (erst) zu einer weltweit beachteten Kunstströmung entwickeln konnte (vgl. Derwanz 2010: 203). Im Zuge ihrer Verhandlung auf Facebook treten dennoch neue Praktiken hinzu. Herausstellen möchte ich an dieser Stelle

die Praktik des Kategorisierens und Versammelns; gleichzeitig wird der Aspekt medialer Partizipation und Teilhabe aufgerufen.

Angefangen hat Polypix’ Sammelleidenschaft mit einem Schlüsselerlebnis:

„Eines Morgens bin ich zur Haustüre raus und habe dieses Stencil gesehen, ein Engel am Galgen“ (vgl. Abb. 5), so Polypix (Int. KG, 01/2013). Heute weiß er,

4

Das Buch Street Art in Germany war, zusammen mit einem Wochenkalender, ab Sep-

tember 2013 in den deutschen Buchhandlungen erhältlich und wurde bei Amazon als Bestseller gelistet.

5

Im September 2014 wurde die Seite Street Art in Germany an Joab Nist von Notes of

Berlin abgegeben, vgl. dazu auch Fußnote 24 im FORSCHUNGSSTAND. Alle damit in

Verbindungen stehenden Änderungen gehen nicht in meine Forschung ein; meine Analyse bezieht sich auf den Zeitraum davor. 6

Stand: 11.09.2013.

V ERNETZEN UND VERHANDELN | F ACEBOOK

| 93

dass das Stencil von Louva must die7 stammt, einer Künstlerin, die früher in Mannheim aktiv war. Irgendwie habe dieses Stencil sein Interesse geweckt und von diesem Zeitpunkt an habe er angefangen, sich genauer umzuschauen.

Abb. 5: Louva must die | Köln (und hier als Paste-Up) Mittlerweile arbeitet er systematisch. Wenn er in fremden Städten unterwegs ist – was durchaus zu einer seiner Hauptaufgaben gehört – greift er fast immer auf kartografisches Material zurück. In einem Stadtplan markiere er jede Straße, die er abgelaufen sei; denn doppelt laufen erweise sich bei diesem Pen-

sum als enorme Zusatzbelastung. Dies kann wohl jeder nachvollziehen, der

sich selbst schon einmal ausgiebiger auf Street-Art-Suche begeben hat, im Urlaub oder im Rahmen von Städtetrips. „Man schält total ab und erst abends, wenn man wieder zuhause ist, merkt man, wie schwer die Beine eigentlich

sind“, so Polypix (ebd.). Und dies scheint kein unübliches Muster zu sein. Menschen, die der Street-Art-Fotografie versierter nachgehen, berichten oftmals von ähnlichen Erlebnissen: Sie vergessen Zeit und Raum und kehren erst

nach mehreren Stunden Street-Art-Suche zurück; spätestens dann, wenn es dunkel ist. Street Art in Germany beheimatet derzeit8 etwa 150.000 Bilder; Polypix’

private Festplatte fasst jedoch noch deutlich mehr, schließlich müssen Fotos

7

www.facebook.com/pages/Louva-must-die/186351461441878, 19.08.2014.

8

Stand: Mitte 2013.

94

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

vor ihrem eigentlichen Upload gesammelt, sortiert und kategorisiert werden. Die Seite ist dabei so konzipiert, dass nicht nur mit eigenen Fotos gearbeitet wird – diese stellen eher einen geringen Anteil dar – vielmehr kann und soll

jeder an der Gestaltung der Seite mitwirken. „Post your pics on our wall or send a message“9, so heißt es im Infobanner. Das heißt also: Jeder ist dazu aufgerufen, die Augen beim eigenen Weg durch die Stadt offenzuhalten und die

Wahrnehmung für die kleinen Dinge des Alltags zu schärfen – so zumindest eine der Wunschvorstellungen. Die einzige Auflage, die die Seite listet, ist die

Angabe der Stadt, des Künstlernamens sowie des Fotografen: „[F]eel free to post everything about streetart in germany, please give us the information: city, artist and photographer, thanx and enjoy this page.“10 Dabei weist die

Reihenfolge genannter Angaben schon auf eine der Hauptordnungskriterien hin: Alle Street-Art-Fotos sind in Städteordner aufgeteilt. Diese Systematik legt

die dominante, archivarische Ordnung fest, der sich die Street Art zu fügen hat (vgl. Stäheli 2002: 75). Fast jede deutsche Stadt (mit geschätzt mehr als 80.000

Einwohnern) hat mittlerweile einen eigenen Ordner auf der Seite. Besonders große Städte respektive Städte mit besonders viel Street Art, wie Berlin, besit-

zen bereits mehrere Ordner. Über die breit gefächerte Städtelandschaft

Deutschlands hinweg listet Street Art in Germany aber auch sogenannte „Global Art Favorites“, also besonders prägnante Werke aus der ganzen Welt. Hierfür wurde bereits der fünfte Ordner angelegt. Dies macht deutlich, dass die Street

Art im Facebook-‚Archiv‘ einen neuen, äußerst beliebten Verwahrungsort gefunden hat. Durch ihre Ablage auf Facebook wird Ortsspezifik auf ein neues Maß skaliert und vom werkinhärenten Charakteristikum in ein archivarisches Ordnungskriterium überführt. Doch nicht nur der Ort, sondern auch die Zeit

sieht sich mit veränderten Gegebenheiten konfrontiert: „Der rasenden Schnelligkeit, die alles, was geschieht, dem Vergessen anheim gibt, steht das Archiv

als Zeitreservoir entgegen“, so Urs Stäheli in seinem Aufsatz Die Wiederholbarkeit des Populären (2002: 75). Auch wenn Facebook keinesfalls als statische, monumentale Archivarchitektur angesehen werden darf – sondern vielmehr als dynamisches Archivsystems komplexer soziokultureller Beziehungen (vgl. dazu

9

www.facebook.com/StreetArtGermany/info, 11.09.2013.

10 www.facebook.com/StreetArtGermany/info, 11.09.2013.

V ERNETZEN UND VERHANDELN | F ACEBOOK

| 95

Roesler/Stiegler 2005: 25) –, ist der Plattform dennoch ein Moment der Entschleunigung inhärent. Gleichzeitig gilt, wie Stäheli ebenfalls anmerkt: „Das

Archiv als Ort der Bewahrung und des Verbergens ist in dieser Semantik […] eine Technologie der Sichtbarmachung.“ (Stäheli 2002: 75) Denn durch die

Aufnahme und das Ablegen einzelner Street-Art-Werke bzw. -Fotos erfahren

diese eine maßgebliche Sichtbarkeitsmaximierung.

Der Idee der geografischen Ordnungskriterien in gewissem Sinne widersprechend, sind bei Street Art in Germany zudem einzelne Ordner zu diversen „Germany based Artists“ angelegt. So zum Beispiel für die Berliner Künstler ALIAS, El Bocho, Evol, Mein lieber Prost und Peter Pink, aber auch Case Maclaim oder Herakut besitzen einen eigenen Ordner. Nach welchen Ein- und Ausschlusskriterien hierbei vorgegangen wurde, d.h. also wem ein eigener Ordner zugesprochen wurde und wem nicht, ist nicht ersichtlich. Sicherlich hat dies mit dem Bekanntheitsgrad und Output der jeweiligen Künstler zu tun. Die

verhältnismäßig ‚kleinen‘ Ordner11 weisen dennoch darauf hin, dass von diesem zusätzlichen Ordnungsmuster Abstand genommen wurde.12 Auch die Aktualität der Ordner legt jene Vermutung nahe: „Vor etwa zwölf Monaten aktualisiert“, so heißt es zum Beispiel im Falle von ALIAS’ Ordner. Und zwölf

Monate sind für einen Street Artist eine lange Zeit; vor allem über die Sommermonate ist die Produktivität hoch. Denn Street Art ist, in gewissem Sinne, auch ein Saisongeschäft. Schönes Wetter und laue Nächte laden zu deutlich

höherer Produktivität ein, während schneebedeckte Straßen und nächtliche Kälte die Arbeit in den Wintermonaten nicht nur behindern, sondern zeitweise auch zum völligen Stillstand kommen lassen. Im Umkehrschluss können die

kalten Wintermonate jedoch dazu genutzt werden, neue Ideen und Konzepte zu entwickeln. Täglich kommen bei Polypix etwa 400 Street-Art-Fotos an, die er entweder

als private Nachricht oder aber direkt auf die Pinnwand von Street Art in Ger11 Im Sinne von wenig eingespeisten Bildern. 12 Ebenfalls wurde von Kategorisierungen Abstand genommen, die thematische Aspekte der Street Art aufgreifen oder sich in der Namensgebung an technischen Aspekten zu

orientieren versuchen. So listet die Seite beispielsweise „Adbusting“, „Guerilla Marketing“, „Stickers“, „Things with faces“ oder auch „Free Pussy Riot“. Diese Ordner weisen jedoch keine unmittelbare Aktualität auf.

96

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

many zugeschickt bekommt. Er stecke viel Arbeit in seine Seite, sagt er, Wochenenden in dem Sinne gäbe es nicht. Viel zu groß sei sonst der Rückstau eingehender Fotos, schließlich müssten diese geordnet und vorsortiert werden;

oftmals auch unter Ergänzung (und vorheriger Recherche) zugehöriger Künstlernamen oder sonstiger Credits. Er bemüht sich also, Street-Art-Fotos stets unter Angabe der jeweiligen Künstler, Fotografen und Städte zu listen. Die

Praktik des Archivierens beinhaltet somit nicht nur ein Ablegen auf einem externen, digitalen Speichermedium, sondern sieht gleichzeitig die Registrierung,

Formatierung und Vereinheitlichung der für archivwürdig erachteten Dokumente vor (vgl. dazu auch Roesler/Stiegler 2005: 18).13 Sie lässt sich somit als eine spezifische Form der Rahmung beschreiben, die „von einem bestimmten Außen her, im Inneren des Verfahrens mit[wirkt]“ (Derrida 1979 74).

Die Ordnungskriterien eingehender Fotos entsprechen dabei jedoch nicht zwangsläufig denjenigen der Seite; vielmehr werden diese unter abweichenden Kriterien geführt. Aktualität und ‚Brisanz‘ sind wichtige Faktoren, die in Poly-

pix’ Kategorisierungs- und Assemblierungspraktiken hineinspielen. So landen beispielsweise besonders aktuelle (und für die Street-Art-Welt vermutlich interessante) Fotos in einem Ordner, während Fotos, die das ganze Jahr über ‚funktionieren‘, einem anderen zugewiesen werden. Man könnte auch sagen, es gibt ‚aktuelle Fotos zum gleich posten‘ und welche, die dann zum Einsatz kommen, wenn ‚einmal Leerlauf ist‘. Die chronologische Organisation der Daten tritt somit in den Hintergrund und weicht einer dynamischen Reorganisation. Dies

macht deutlich, dass es die Präsentation und Verwaltung von Sammlungsbeständen immer auch als kreativen Aneignungsprozess zu werten gilt. 14 Archive

sind immer perspektivisch angelegt und die ihnen inhärenten Ordnungskriterien fungieren als normative Instanzen, die Bewahrenswertes von Nicht-

Bewahrenswertem abgrenzen (vgl. Stäheli 2002: 74). Oder anders ausgedrückt:

„Das Archiv wird nicht mehr nur als statischer Speicher im Sinne des ‚storage and retrieval‘ aufgefasst, sondern als dynamisches ‚System der Formation und

13 Dies betrifft zum einen die Angabe bestimmter Zusatzinformationen wie Künstlerund Fotografen-Credits, zum anderen aber auch die Dokumentform der Fotos.

14 In diesen Aneignungsprozess schreiben sich Politiken der Inklusion und Exklusion ein (vgl. dazu Stäheli 2002: 74).

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Transformation‘ […].“ (Roesler/Stiegler 2005: 19) Besonders symptomatisch scheint hierbei das Konzept der sogenannten ‚Wachstumsbeschleuniger‘ zu

sein. Das sind Fotos, hinter denen ein besonders großes Potenzial an Anschlusskommunikation vermutet wird: hohe Klickzahlen sowie ein hoher Zuwachs an Likes – sowohl für das Foto als auch für die Seite, und im Umkehrschluss möglicherweise auch für die verlinkte Künstlerseite. Es ist bei einer Laufzeit von

mittlerweile mehr als drei Jahren15 davon auszugehen, dass sich im Umgang mit Fotos, Posts und Likes eine Art ‚Gespür‘ dafür entwickelt hat, welche Posts

wie ‚funktionieren‘. Im übertragenen Sinne ließe sich somit auch von einer Art

‚Expertenwissen‘ sprechen. Besonders hohe Anschlusskommunikation weisen vor allen Dingen diejenigen Posts bzw. Fotos auf, die auf den schnellen Witz

setzen. Dies sind oftmals nicht die technisch oder künstlerisch hochwertigsten Street-Art-Werke – ohne dies per se ausschließen zu wollen – sondern Posts, die unter die Kategorie ‚Zettelwirtschaft‘ subsumiert werden könnten:16 relativ

simpel aufgezogene Botschaften auf Papier, die ihre Wirkungskraft aus einem präganten Spruch oder Slogan ziehen. So zum Beispiel: „Das Dumme an Zitaten aus dem Internet ist, dass man nie weiß, ob sie wahr sind (Leonardo Da Vin-

ci).“17 Ein anderer Post, der es zu großer Anschlusskommunikation gebracht hat, ist die verfremdete Street-Art-Variante von Hello Kitty. In nur minimal abgewandelter Bildsprache, aber in Form eines pinken ‚Häufchens‘ und unterlegt mit dem Schriftzug „Hello Shitty“ (vgl. Abb. 6) avancierte das Bild zu einem

der beliebtesten Posts der Seite.18 „Hello Shitty“ ist somit ein Beispiel eines solchen Wachstumsbeschleunigers. Der Post wurde mittlerweile über 8.700-mal geliked und mehr als 4.000-mal geteilt.

15 Stand: August 2014. 16 In diesem Kontext sei ebenfalls auf die/den Street-Art-Künstler/-in Barbara verwiesen, deren großer Erfolg auf einem ähnlichen Konzept bzw. Phänomen beruht, vgl.

www.facebook.com/ichwillanonymbleiben, 06.01.2016. Barbaras Facebook-Seite, die am 14.02.2014 gegründet wurde, besitzt mittlerweile 324.848 Follower (Stand: 06.01.2016).

17 Post vom 11.12.2013 (Foto: Anke Incubus, unbekannter Künstler), gepostet am 11.12.2013 auf Street Art in Germany, siehe dazu detaillierter in der Bibliographie.

18 Post von „Hello Shitty“ (Foto: Polypix, unbekannter Künstler), gepostet am 28.01.2013 auf Street Art in Germany, siehe dazu detaillierter in der Bibliographie.

98

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

Abb. 6: „Hello Shitty“ | unbekannter Künstler | München | Foto: Polypix Die Zahlen von Street Art in Germany belegen somit zweifelsohne, dass die Seite großen Anklang in der Öffentlichkeit gefunden hat. Es ist, in gewissem Sinne, eine Seite für jedermann – und vor dieser Folie ist sie auch zu lesen. So zielt

die Seite primär nicht auf eine szeneinterne Kommunikation ab, sondern sensibilisiert vielmehr gerade diejenigen Menschen, die oftmals noch nichts oder

nur wenig von Street Art gehört haben. Dies wiederum schließt nicht aus, dass nicht auch szeneinterne Akteure die Seite für sich nutzen. So berichtet mancher Künstler durchaus von zunehmenden Galerieanfragen, welche sich im

Zuge der Präsenz auf Street Art in Germany ergeben haben. „Ich glaube schon, dass es mittlerweile zu einer Art Sensibilisierung oder Aufwertung der Street Art gekommen ist“19, so Polypix,

19 Ein Indiz dafür ist u.a., dass Street-Art-Werke beim Weißeln von Häuserfassaden und Wänden teilweise bewusst ausgespart werden. So entdeckte ich in Berlin beispielsweise ein Human Bean von Dave the Chimp, welcher sorgsam umstrichen wurde; ein

ähnlicher Fall ist auch von Hamburg bekannt, vgl. www.facebook.com/DaveTheChimpArt/photos/pb.254778527941035.-2207520000.1411563828./67757603899461-

V ERNETZEN UND VERHANDELN | F ACEBOOK

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„schon allein aufgrund der Reichweite. In kleineren Städten oder auf dem Land bei-

spielsweise kam die breite Öffentlichkeit bisher nur bedingt in Kontakt mit Street Art;

das ändert sich nun durch die mediale Verbreitung. Es zirkulieren die unterschiedlich-

sten Motive, Stile und Bildsprachen, sodass letztlich auch der Blick auf die eigene Umgebung geschärft wird“,

so der Seitenadministrator in einem Interview im Januar 2013 (KG). „Das halte ich für eine großartige Entwicklung, welche – so sehe ich das – in gewissem Sinn auch meine Arbeit rechtfertigt.“ (Ebd.) Und er führt fort:

„Meine Intention ist es, mit der Seite ein möglichst authentisches Abbild der Straße zu

liefern. Das Internet soll dokumentieren, was auf der Straße passiert und nicht ins System eingreifen. Deshalb versuche ich, mich möglichst transparent zu halten.“ (Ebd.)

Gleichzeitig trägt die zunehmende Popularisierung der Street Art – vor allem aus interner Sicht – jedoch auch zu einer (abermaligen) Verwässerung des Phänomens bei. So gibt es Akteure, die die scheinbar ungefilterte Bilderflut beklagen, die tagtäglich über den eigenen Bildschirm einströmt: „Ich guck schon gar nicht mehr so genau hin, sonst lass ich mich wieder beeinflussen. So kann ich hinterher wenigstens noch sagen, das hab ich mir selbst erarbeitet“, so beispielsweise der Kölner Künstler SeiLeise (Int. KG 09/2014). Und eine andere Stimme lenkt hier ebenfalls ein: „Ich find sowieso, dass man bei Street Art und Graffiti die ganze Zeit diese Internetbilder

sieht und man dann irgendwann total abstumpft. Wenn man dann wirklich mal an einer

Hall of Fame20 ist und man von irgendwelchen genialen Effekten und Farben weggeknallt wird, das ist dann einfach nochmal was ganz anderes. Das hab ich nur noch ganz selten“,

so FEED aus Mönchengladbach (Int. KG 08/2013). Kleinere kreative Blockaden oder Inspirationstiefs sind von Künstlerseite nicht ausgeschlossen. Grund dafür ist das Gefühl, ‚irgendwie alles schon einmal irgendwo gesehen zu haben‘.

3/?type=3&theater, 24.09.2014. Banksys Arbeiten hingegen findet man mittler-

weile fast ausschließlich hinter Plexiglas; wenn sie nicht zu Auktions- und Verkaufszwecken aus der Wand gemeißelt werden.

20 Legalisierte Fläche, die für Graffiti-Künstler freigegeben wurde.

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„[Die Seite, KG] ist so eine Inspirationsplattform geworden. Das ist ja auch nicht mehr

nur ‚Street Art in Germany‘, sondern erstens, Street Art weltweit, und dann haben die

auch manchmal… wenn die ein lustiges Produkt finden, wenn irgendein Designer eine

lustige Lampe gestaltet hat, dann wird die halt auch gepostet. Und das verwässert das zum einen. Und dann, ja das ist halt, das hat sich ja komplett aufgelöst“,

so einer der Artists (Int. KG). Und eine weitere kritische Stimme setzt hier ebenfalls an: „Da gibt’s dann tatsächlich Fotos, die gephotoshopt sind, also wo niemand draußen war. Da denk ich mir dann schon ‚hey was soll das‘? Also es geht ja darum, dass das jemand

draußen gemacht hat. Du stehst draußen, bist geflasht und denkst ‚boah krass, irgendjemand ist hier nachts unterwegs gewesen‘.“ (Int. KG)

Meine Feldforschung hat gezeigt, dass sich bestimmte Usergruppen somit bereits von derart großen, populärkulturellen Facebook-Seiten wie Street Art in Germany abwenden. Was die Organisation der Seite angeht, so erzählt Polypix, musste er die

Posts anfangs alle ‚händisch‘ organisieren. Sogar den Wecker habe er sich gestellt, um seiner Pflicht eines regelmäßigen Postings nachzukommen, erklärt dieser. Mittlerweile offeriert Facebook jedoch die Möglichkeit, eine gewisse Anzahl an Posts vorzuorganisieren, d.h. jeder einzelne Post kann individuell

terminiert werden. Die Posts der Seite Street Art in Germany sind hierbei von morgens 6 Uhr bis nachts um 24 Uhr oder 1 Uhr mitteleuropäischer Zeit 21 geschaltet. Das sind im Durchschnitt etwa 15 Posts pro Tag. Da Facebook auf-

grund des vorgeschalteten Algorithmus ohnehin nicht alles bei jedem User ankommen lasse, habe sich dies als Rhythmus bewährt, so Polypix. Die der Plattform inhärenten Charakteristika und Zurichtungspraktiken müssen folglich

stets mitgedacht werden; ein Punkt, der vor allem in KAPITEL 4.1.8 zu den Platform Politics aufgegriffen wird. „Pro Post sehen das derzeit ungefähr 100.000 Leute. Dass sich die Seite dabei derart schnell entwickeln würde, davon war

am Anfang nicht auszugehen“, erklärt Polypix im Januar 2013 (Int. KG). Als er 21 Wobei eine Vielzahl der Follower mittlerweile auch aus dem außereuropäischen Aus-

land kommt. Mexiko City nehme eine relevante Position ein, aber auch der Iran sei stark vertreten, so Polypix mit Verweis auf die Seitenstatistiken.

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mit Street Art in Germany im April 2011 startete, gab es zwar bereits vereinzelte Street-Art-Seiten auf Facebook; diese waren jedoch zumeist auf einzelne Städte

hin ausgerichtet, sagt er: „Street Art Hamburg22 oder Street Art Berlin23 zum Beispiel.“ (Ebd.) Diese hätten damals schon etwa 3.000 Likes gehabt; im Umkehrschluss seien sie jedoch auch diejenigen gewesen, die Street Art in Germany von

Anfang an unterstützten. Irgendwann, so bestätigen auch aktuelle Zahlen und Seitenchroniken, sei dies dann gekippt.24 Neben Street Art in Germany gibt es mittlerweile jedoch auch eine Vielzahl

anderer städtespezifischer Street-Art-Seiten. Auch hier ist Berlin im bundesweiten Vergleich führend – nicht nur, was Street Art an sich angeht, sondern auch die damit einhergehenden Dokumentationsbestrebungen: Street Art Berlin

[1]25, Street Art Berlin [2]26, Street-Art Berlin27, Anonym Streetart Fotos aus Berlin28, um hier nur die ersten Funde der Facebook-Suche aufzuführen. Während eine29 der Seiten bis auf das Jahr 2009 zurückdatiert, setzen die restlichen um

das Jahr 2011 an. Diese Tatsache würden viele mit dem allzu oft und viel

zitierten ‚Hype‘ der Street Art kurzschließen, welcher oftmals auf denselben Zeitraum datiert wird. Sicherlich hat das Auftauchen einer Vielzahl von Facebook-Seiten mit der zunehmenden Sichtbarkeit und dem Bekanntheitsgrad der

Street Art in der ‚breiten Öffentlichkeit‘ zu tun – man denke hierbei nur einmal an Banksys Film Exit Through the Gift Shop, welcher im Februar 2010 auf der Berlinale lief und 2011 eine Oscar-Nominierung erhielt – dennoch sollte jene Thematik nicht allzu vorschnell auf diese Begebenheit reduziert werden. Meine Feldforschung hat gezeigt, dass auch die jeweiligen Datierungen, Standpunkte

22 www.facebook.com/StreetArtHamburg, 12.08.2014. 23 www.facebook.com/StreetArtBerlin, 12.08.2014. 24 Street Art Hamburg besitzt im Sommer 2014 etwa 26.300 Likes, Street Art Berlin 141.700, Stand: 19.08.2014.

25 www.facebook.com/StreetArtBLN, 12.08.2014. 26 www.facebook.com/StreetArtBerlin, 12.08.2014. 27 www.facebook.com/torsten.metscher, Person, 12.08.2014. 28 www.facebook.com/pages/Anonym-Streetart-Fotos-aus-Berlin/315944825099014, 12.08.2014.

29 www.facebook.com/StreetArtBerlin, 12.08.2014.

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und Bewertungen zum Thema Hype, auch innerhalb der Street-Art-Welt, stark auseinandergehen und folglich auf ein weitaus komplexeres Phänomen verwei-

sen.30 Sehr oft wird das Thema Hype mit Mainstreamisierung gleichgesetzt und

primär negativ verhandelt. Dennoch erweist sich der Begriff Mainstream ähnlich unkonkret. Was in puncto Street Art, Hype und Mainstream immer wieder

genannt wird, ist die damit in Verbindung stehende Verwertung und Entwendung subkulturellen Kapitals. Dennoch muss auch hier differenziert werden. So gilt es die Popularisierung der Street Art (als Kunstform an sich) definitiv anders zu bewerten als deren Aneignung und Zweckentfremdung durch die Werbeindustrie:

„Ich meine, das ist doch bei allen Sachen so: Du hast bei Mode oder Trends allgemein immer diese Situation, dass Sachen auftauchen, dann werden sie irgendwie ausgelutscht

bis zum Geht-nicht-mehr, also bis dann selbst Edeka mit Street Art Werbung macht, sag

ich mal, oder die CDU oder so. Sowas hast du bei jedem Trend. Alles wird so lange wiedergekaut und ausgelutscht und jeder dockt sich da nochmal an, weil der Firmenberater

sagt ‚du musst da jetzt was machen, weil das ist gerade angesagt‘. Dann machen das alle,

aber dann ist es halt nicht mehr cool, dann ist es [uncool, KG]. Das geht immer bis zu einem gewissen Punkt, dann wird’s wieder [uncool, KG]. Trotzdem gibt es Leute, die dann

weitermachen. Und es gibt Leute, die jetzt irgendwie anfangen Street Art zu machen, oder das seit zwei, drei Jahren machen, weil’s halt genau diesen Hype gegeben hat. Und es gibt Leute, die’s halt schon seit 10 Jahren machen“,

so TONA (Int. KG 06/2013). Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch die Tat-

sache, dass viele der Street-Art-Seiten auf Facebook in der Tat um das Jahr

2011 starteten. So berichtet mir u.a. auch die Administratorin einer Düsseldorfer Street-Art-Seite bei einem Treffen im März 2013, dass alle drei oder vier

damals existierenden Düsseldorfer Street-Art-Seiten relativ gleichzeitig, dennoch unabhängig voneinander, entstanden sind. Zur quantitativ zugkräftigsten Düsseldorfer Seite hat sich Street Art Düsseldorf31 entwickelt. Wie bei allen anderen städtespezifischen Street-Art-Seiten auch, zu nennen hier u.a. Street Art

30 Zum Hype der Street Art siehe u.a. auch Derwanz (2013: 153-154) und Bengtsen (2014: 103 ff.).

31 www.facebook.com/StreetArtDuesseldorf, 12.08.2014.

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Hamburg32, Street Art Leipzig33, Mannheim Streetart34 oder Street Art Stuttgart35, wird sowohl mit eigenen Fotos als auch mit User-Zusendungen gearbeitet.

Nicht selten sind dies Smartphone-Fotos, die Passanten und Fans im Vorbeige-

hen, mehr oder weniger zufällig, gemacht haben. „Heutzutage ist es halt so, dass irgendwie jeder mit seinem ‚iSchrott‘ rumrennt und im-

mer die Option hat, qualitativ relativ hochwertige Fotos zu machen. Dadurch hat sich

das natürlich exponentiell gesteigert [mit der Fülle an zirkulierenden Street-Art-Fotos, KG]. Das ganze Internet ist ja voll mit Fotos“,

äußert sich der Hamburger TONA im Juni 2013 (Int. KG).36

4.1.2 P RÄSENTIEREN UND ENTWERFEN ( LASSEN ) | K ÜNSTLERSEITEN

Zu den wichtigsten Akteuren innerhalb des Netzwerks zählen die Künstler. Die

große Mehrheit der Street Artists besitzt heutzutage, oftmals neben einem parallel laufenden Account bei Tumblr, Flickr oder Instagram, eine eigene Facebook-Seite. Auf dieser Seite präsentieren die Künstler ihre Arbeiten und stellen sie als fotografische Abbilder der Öffentlichkeit zur Schau. Dahinter stehen verschiedene Motive; ein großer Vorteil, den die Plattform zweifelsohne bietet, ist die große und schnelle Reichweite:

32 www.facebook.com/StreetArtHamburg, 12.08.2014. 33 www.facebook.com/Street.Art.in.Leipzig, 12.08.2014. 34 www.facebook.com/MannheimStreetart, 12.08.2014. 35 www.facebook.com/pages/StreetArt-Stuttgart/167258716640345, 12.08.2014. 36 Neben der Zirkulation von Street-Art-Fotos dienen städtespezifische Seiten, je nach

Handhabung und Eigeninteresse der Seitenadministratoren, auch der Verbreitung von Informationen und der Ankündigung von Street-Art-Events. Dieses Thema wird in KAPITEL 4.1.4 nochmals ausführlicher aufgegriffen.

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„Facebook an sich ist eine tolle Sache, um als freier Künstler Dinge zu verbreiten. Es ist

viel schneller und effizienter als Flyer, und dazu noch umsonst. Für mich ist das so eine

Art ‚Luxusentertainment‘; wer das nicht nutzt, ist selbst schuld. Dennoch sollte man eben wissen, wie man damit umgeht“,

so Leo Namislow aus Essen (Int. KG 04/2013). „Klar, geht’s dabei auch um

Promo“, so eine weitere Stimme (Int. KG). Denn zweifelsohne bietet die Plattform einen weitaus größeren Verbreitungsradius als über die reine Präsenz auf der Straße jemals möglich wäre. Künstler bekommen auf diese Weise direktes Feedback von ihren Fans und

Followern; was auf der Straße nicht immer möglich ist, schließlich befindet sich derjenige Artist nicht immer vor Ort und kann die Reaktion der Passanten einfangen. Und Feedback ist gemeinhin erwünscht – denn Fakt ist: „The impulse to take a picture of your [work, KG] and post it on Facebook or Twitter

only makes sense when we view this as an invitation to participate in a shared asynchronous experience at a distance“, worauf auch E. D. Wittkower in

seinem Aufsatz Boredom on Facebook (2013: 187) aufmerksam macht. Wertschätzung, Unterstützung und konstruktive Kritik, all das sind Dinge, die sich

als maßgeblicher Motor künstlerischer Street-Art-Praxis erweisen. Denn nicht

zu vergessen bleibt, dass das Anbringen von Street Art eigeninitiativ, im Verborgenen und unentgeltlich geschieht – zumindest ist das die Ursprungsidee.37 Kaum ein Slogan weist, gleichermaßen prägnant wie auch spielerisch, besser

auf jene Thematik hin als ein vom Düsseldorfer Street Artist L.E.T. gestaltetes

Stencil, das einen kleinen Jungen mit Schild zeigt. Darauf zu lesen sind die Worte „Street Art is fucking expensive“. Auf diese Weise hängt es an einer

alten, heruntergekommenen Düsseldorfer Häuserfassade; während die IndoorVariante in der Galerie für mehrere Hundert oder Tausend Euro zum Kauf angeboten wird. Gleichermaßen ironisch wie auch symptomatisch für die Street

Art und die sie begleitende, zunehmende Wertsteigerung. FEED aus Mönchengladbach bemüht sich trotz verschiedener Onlinepräsenzen, die Reaktion der Menschen dennoch auch auf direktem Wege einzufangen:

37 Mittlerweile gibt es jegliche Art von Mischform. Im Umkehrschluss kann und wird

der Stadtraum von (Street-Art-)Künstlern jedoch auch als ‚Werbefläche‘ genutzt, mit der Absicht, von Galerien gesehen und entdeckt zu werden.

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„Meistens geh ich [nach einer nächtlichen Aktion, KG] am nächsten Tag das Foto machen und dann bleib ich noch ein bisschen vor Ort. Ich hab auch ein, zwei Sachen, die

ein bisschen witziger sind [vgl. Abb. 7]. Und da guck ich dann schon, wie so die Reaktionen sind. Und das erfüllt einen dann, glaub ich, schon mehr.“ (Int. KG 08/2013)

Abb. 7: FEED | Mönchengladbach Dies ist zumindest eine Möglichkeit, dem realräumlichen Wirken des Werkes im physikalischen Stadtraum nachzuspüren. „Wenn dann jemand stehen bleibt und vielleicht auch merkt, dass das Bild am Tag davor

noch nicht da war und dann sein Handy rausholt… Oder dann gibt’s vielleicht ein paar

Leute, die stehen bleiben und sich kaputtlachen oder so. Das ist schon so das Brot des Künstlers, sag ich mal. […] Das ist schon so das Besondere daran“,

so FEED weiter (ebd.).

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Was die Onlinepraktiken der einzelnen Künstler auf Facebook betrifft, muss an dieser Stelle sicherlich differenziert werden. Die jeweilige Aktivität und der

regelmäßige Upload von Fotos hängt maßgeblich auch von der aktuellen künstlerischen Phase, dem individuellen Selbstverständnis und dem bisherigen Werdegang jedes einzelnen Artists ab: Ist man neu im Bereich der Street Art tätig, trägt eine Onlinepräsenz nicht unwesentlich zur Sichtbarkeit bei, wobei

die daraus generierten Likes ein gern gesehenes Nebenprodukt der eigenen Street- Art-Praxis darstellen. „Gerade bei so Leuten, die neu anfangen und auf der Straße gar nicht so richtig präsent sind, die sind dann eigentlich eher im Internet aktiv. Das sind dann so Leute, die machen

irgendwie extrem viel Internet und extrem viel Öffentlichkeitsarbeit, d.h. die fotografieren jeden Schritt ab, den sie machen, oder posten alle zwei, drei Tage irgendwie irgendwas. Und haben halt einen recht großen Internetbekanntheitsgrad“,

so TONA (Int. KG 06/2013). Gerade also in der Anfangsphase, wenn der Output auf der Straße noch nicht allzu groß ist, erweist sich die mediale Präsenz

als essentieller Multiplikator der eigenen Sichtbarkeit. Und das scheint nicht weiter überraschend, denn eine Stadt ist groß: Inmitten einer Flut an Werbebotschaften, Verkehrsaufkommen und permanentem Hintergrundrauschen laufen selbst großformatige Bilder Gefahr, unterzugehen. Zur Geltung kommen sie

erst dann, bzw. dann besonders gut, wenn sie ‚richtig‘ platziert sind. Eine Möglichkeit ist, mit gegebenen Architektursituationen zu spielen oder vorhandene

Strukturen aufzunehmen – eine Praktik, der sich ja gerade die Street Art verschrieben zu haben scheint. Dass der Platz für Street Art im Umkehrschluss nicht unbegrenzt ist, erklärt sich von selbst. Street-Art-Künstler sind folglich

immer wieder, und immer wieder neu, vor die Herausforderung gestellt, ihre Spots ausfindig zu machen, sich diese anzueignen und zu bespielen. „Man hat die Chance, mit einer Arbeit den ganzen Ort zu verändern. Also es klebt dann nicht einfach nur ein Bild an einem Ort, sondern der ganze Ort wird insgesamt zu einem

Bild. Man vergeudet viel Potenzial der Street Art, wenn man einfach nur eine schöne Arbeit macht und diese irgendwo anbringt. Stattdessen sollte man sich fragen, braucht es diese Arbeit überhaupt da draußen? Funktioniert sie an dieser Stelle, oder hätte man die Arbeit stattdessen nicht auch gerahmt in eine Galerie hängen können?“,

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geben Various & Gould im März 2014 zu bedenken (Int. KG). Trägt der singuläre Spot nicht zu einem ‚Mehr‘ des Werkes bei, hätte man

es vermutlich auch gerahmt in der Galerie finden können – oder aber im Internet; wo man auf eine Vielzahl dekontextualisierter Street-Art-Arbeiten trifft, die als plane, fotografische Abbilder und ohne merklichen Bezug zum physikalischen Umraum zirkulieren. Diese Form der Street Art fasse ich unter den Begriff der ‚Street Art für das Internet‘. Ich beziehe mich dabei auf Arbeiten, die an abgelegenen Orten entstanden sind, im eigenen Hinterhof oder der hauseigenen Garage. D.h. also auf ‚Street-Art‘-Werke, die sozusagen ‚ohne

Street‘ auskommen und alleinig auf das fotografische Abbild und die anschließende Zirkulation im Internet zugeschnitten sind. Spätestens hier wird der von

mir adressierte ‚Schnitt‘ des Schnitt-Bildes operabel, welcher Street Art aus ihrer physikalischen Umgebung ‚herauslöst‘ bzw. ‚-schneidet‘ und ihre Situierung zum irrelevanten Kriterium (v)erklärt. Nicht mehr ihr Ort, ihre physikalische Situierung und ihr mögliches Spiel mit dem Umraum zeigen sich als kon-

stitutive Faktoren; vielmehr zielt die angewandte Dokumentations- bzw. Reproduktionspraktik auf ein bloßes Abfotografieren des Motivs ab. Die im Zuge

dessen entstehenden und im Internet zirkulierenden Fotos müssen als Reproduktionen oder Duplikate angesehen werden, die den Status reiner Abbildhaftigkeit nicht überschreiten und Street Art eines ihrer wesentlichen Charakteristika ‚berauben‘.38 Ebenfalls in diese Kategorie der ‚Street Art für das

Internet‘ zähle ich Arbeiten, die es nie nach draußen geschafft haben. So veröffentlichen Künstler auf ihren Facebook-Seiten verschiedenste Entwürfe, Skizzen, Grafiken oder Illustrationen, die mit der Street Art an sich nur noch wenig

gemeinsam haben – außer, dass sie möglicherweise als Vorlage dienen können. Der Begriff Street Art fungiert hier, wie so oft, nur (noch) als Label. Und dies scheint nicht selten vorzukommen:

38 In diesem Kontext sei darauf hingewiesen, dass längst nicht alle Street-Art-Werke mit dem physikalischen Umraum interagieren; vielmehr muss dieser Praktik eine eigene,

kunstästhetische Qualität zugesprochen werden. Vor allem denjenigen Arbeiten, die

dies nicht tun, scheint die zuvor angesprochene ‚dekontextualisierte Dokumentationspraktik‘ entgegenzukommen.

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„Also es gibt auch viele Leute, die suchen sich halt irgendwie immer irgendeinen tollen Spot nur fürs Foto. Oder malen irgendwie immer an der gleichen Stelle. Und posten dann ihr neues Stencil, wenn sie’s fertig haben. Aber malen eigentlich immer die gleiche

Wand, oder gehen gar nicht auf die Straße und posten dann eigentlich nur ihre fertig gemalten Bilder oder sonst irgendwas. Das gibt’s ganz viel, das hat aber mit Street Art an sich nichts zu tun, weil’s halt nicht Street Art ist“,

so der Hamburger TONA (Int. KG 06/2013). Dieses Zitat weist bereits in eine entscheidende Richtung: Street Artists, und das müsste spätestens an dieser

Stelle klar geworden sein, sind sich der vermehrten, teils ausschließlichen

Onlinerezeption ihrer Werke bewusst. Die Relevanz des realräumlichen Spots löst sich im Falle der ‚Street Art für das Internet‘ beinahe gänzlich auf; viel

wichtiger als der physikalische Ort ist nun ihre digitale Situierung. Nicht mehr der hochfrequentierte Street-Art-Hotspot in Berlin Mitte wird vonseiten jener Künstler anvisiert, sondern die richtige URL (vgl. Rushmore 2013: 68). Orte

müssen im Zuge jener Entwicklungen also neu gedacht werden. Ortshaftigkeit oder Ortswahl wird nicht mehr von physikalischen Kategorien und Parametern bestimmt, vielmehr wird in digitalen Locations gedacht. Attraktiv sind hierbei vor allen Dingen Adressen, also Webseiten und URLs, die hohe Klickzahlen

und/oder szenerelevante Follower aufweisen. Für die ‚Street Artists des Internets‘ wird das digitale Publikum zum weitaus relevanteren Rezipientenkreis, über das sie sich oftmals den ‚schnellen Internet-Fame‘ versprechen (vgl. ebd.: 69, 88; Bengtsen 2014: 150). Ihre Werke sind teilweise darauf ausgelegt, nie ein realräumliches Publikum zu erreichen; vielmehr fertigen sie Arbeiten an,

die ohne jegliche Referenz auf einen physikalischen Ort zirkulieren und Street Art somit zum globalen, universellen Phänomen stilisieren. „A lot of street art that would have been impossible to make in 1990 makes perfect sense today. For the artists working in that area, the online street art community has proved a fertile ground for distributing documentation of work which acts like great street art, but which may not actually be successful in person“,

so auch die Einschätzung des US-amerikanischen Bloggers RJ Rushmore (2013: 73-74) von Vandalog.39 39 www.vandalog.com/ sowie www.facebook.com/vandalog, 31.08.2016.

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Doch nicht nur die ‚Street Art für das Internet‘ sieht sich mit den zurichtenden Praktiken digitaler Onlinerezeption konfrontiert. Insgesamt erfuhr und erfährt die Street Art einen Umschwung: fotografische Dokumentation, Onlinezirkulation und -rezeption werden von Street-Art-Künstlern bereits in der Werkkonzeption mitgedacht. Die Situierung von Street-Art-Werken ist (in Tei-

len) bereits dezidiert auf fotografische Reproduktion und Dokumentation ausgerichtet.40 Auch die Kanadierin Gwen Baddeley denkt in diese Richtung, wenn

40 Mit Benjamin ließe sich an dieser Stelle fragen, ob die massenhafte Reproduktion und das damit einhergehende Mitdenken der Onlinezirkulation – anstelle ihres einmaligen Vorkommens – somit von Beginn an ins Street-Art-Werk eingeschrieben ist

und ob die Street Art sich damit nicht zwangsläufig auch – und willentlich – in die

Tradition ökonomisch/merkantil motivierter Massenproduktion stellt? (vgl. Benjamin 1989: 496-497). Benjamin schreibt: „Das reproduzierte Kunstwerk wird in immer steigendem Maße die Reproduktion eines auf Reproduzierbarkeit angelegten

Kunstwerks.“ (Ebd.: 481) Auch wenn eine solche Diskussion im Street-Art-Diskurs bisher eine unterrepräsentierte Auslegung einnimmt, möchte ich sie an dieser Stelle dennoch mitführen. Gleichzeitig muss es zu einer Ausdifferenzierung oder Präzisierung von Benjamins Theoriediskussion kommen: So akzentuiert dieser ja gerade die

Veränderung des Gesamtcharakters der Kunst im Zuge technischer Reproduktionsverfahren und lässt den künstlerischen Eigenwert der Fotografie im Wesentlichen

außen vor (vgl. ebd.: 486). Bei der Street Art haben wir es jedoch mit einer umgekehrten Gemengelage zu tun: Während die Street Art als ‚Objekt‘ der Fotografie im

allgemeinen Street-Art-Diskurs angekommen ist und die damit einhergehenden Aus-

wirkungen für die Street-Art-Welt mittlerweile durchaus Beachtung finden, bleibt der

ästhetische Mehrwert, den die Street-Art-Fotografie leisten kann, weitestgehend unterbelichtet. Hiermit ist ein Themenfeld anskizziert, das noch deutlich umfangreicherer Aufarbeitung bedarf und vor der Tatsache verhandelt werden muss, dass die von

Benjamin angesprochenen ‚Massen‘ die Kunst und deren Rezeption wesentlich mitorganisieren und -prägen können. Fakt ist aber auch, dass sich die Street Art durch

die „Überwindung des Einmaligen“ (ebd.: 479) in eine lange Tradition fotodokumen-

tarischer Praktiken einschreibt; verwiesen sei hier auf Rosalind Krauss’ Schlüsseltext Notes on the Index (1996), welcher als gewinnbringender Erklärungsversuch für die

fotografischen Voraussetzungen der modernen Kunst der 1960er und -70er Jahre gelesen werden kann. Sie schreibt: „The readymade’s parallel with the photograph is

established by its process of production. It is about the physical transposition of an

object from a continuum of reality into the fixed condition of the art-image by a moment of isolation, or selection.“ (Krauss 1996: 206) Mit dieser Isolation geht eine

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sie schreibt: „Digital photography and the screen is having an impact on the way street artists think about the way their work will look like in these con-

texts.“ (Baddeley 2011: 22) Ich schließe mich ihrer Aussage hierbei an, gehe in meiner Argumentation jedoch noch einen Schritt weiter und behaupte: Was im Foto ‚nicht funktioniert‘, setzt sich nicht durch. Street Artists schließen einzel-

ne Werkformate und Spots teilweise explizit aus, sofern die fotografische Dokumentation dort nicht angemessen glückt – sprich der Spot ist zu abgelegen, es gibt zu viel Gegenlicht, die Perspektive ist verzerrt etc. Im Umkehrschluss

liegt in der fotografischen Dokumentationspraxis jedoch auch Potenzial begründet, findet beim Fotografieren eine zusätzliche Sensibilisierung statt; zum einen für das Werk, zum anderen für seinen Ort. Die Fotografie offeriert Künst-

lern einen neuen, teils zusätzlichen Blickwinkel auf ihre Arbeiten. So konstatieren beispielsweise auch Various & Gould: „Das wirkt alles zusammen. Du fängst plötzlich an, andere Fotos zu machen, weil du

merkst, dass die Fotos so und so viel besser funktionieren. Dann fängst du an, die Arbeiten anders zu positionieren. Ok, jetzt nicht nur für die Fotos – aber du lernst auch dabei.“ (Int. KG 02/2014)

Das heißt also, es kommt zu einem wechselseitigen Ineinandergreifen. StreetArt-‚Machen‘ ist somit immer auch ein Lernprozess, wie Various & Gould betonen. Dieser Lernprozess schließt die Fähigkeit ein, gegebene Räume und

Spots adäquat zu bespielen. Dies ist im Grunde genommen nichts Neues, stehen Street Artists seit jeher vor der Aufgabe und in der Kritik, (k)eine passende Übersetzung ihrer Arbeiten von der Straße in die Galerie zu finden.41 Ähnlich

verhält sich dies auch im Falle des Internets. Wenn auch etwas verkürzt, per-

spezifische Verbindung zum ‚Original‘ einher, welche – als Index operierend – seine

physikalische Präsenz ersetzt, aber niemals gänzlich aufhebt; Krauss selbst spricht auch von „indexical traces“ (ebd.: 198), die sich ins Werk einschreiben.

41 Zweifelsohne gibt es Übersetzungen, die scheitern – aus diversen Gründen. Dennoch

vergessen Kritiker oftmals, dass von Künstlerseite mancherorts auch überhaupt keine Übersetzung angestrebt wird.

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spektiviere ich das Internet an dieser Stelle ebenfalls als ‚öffentlichen Raum‘42, der von Street-Art-Künstler bespielt, genutzt, angeeignet und besetzt wird.

Street Artists haben heutzutage, klammert man die Galerie und das Museum an dieser Stelle aus, also (mindestens) zwei Räume zu bespielen – und somit auch, ein doppeltes Publikum zu adressieren: das des Stadtraums und das des Inter-

nets. Erfahrenere Künstler sind sich dessen zumeist bewusst und finden einen Mittelweg: Sie erfüllen die Erwartungen des immer größer werdenden OnlineRezipientenkreises, vernachlässigen jedoch auch die Straße nicht. Manche

Künstler nutzen das Internet bzw. ihre eigene Facebook-Seite mittlerweile auf gleiche oder ähnliche Weise, wie sie die Straße für sich beanspruchen. Fotos werden minutiös selektiert und nur qualitativ hochwertige Exemplare halten

Einzug auf der eigenen Seite; oftmals sind sie von befreundeten Amateur- oder Profifotografen gemacht, die auf eine zusätzlich ästhetisierende Wirkung der Arbeiten achten. „Es gibt ja mittlerweile auch so richtige Street-Art-Fotografen, das heißt Leute, die sich

auf die Dokumentation von Street Art spezialisiert haben. Und natürlich ist es dann so,

dass wenn man was gemacht hat, dass man dann schon mal sagt ‚Ey, du machst doch 42 Ähnlich der Straße ist auch das Internet nicht frei von Ein- und Ausschlussmecha-

nismen, Reglementierungen und verschiedensten Formen der Zurichtung zu denken. Sebastian Gießmann schreibt in der Verbundenheit der Dinge (2014), dass die überwiegend virtuelle Architektur des Internets von Elementen der Zeit, Topologie, Spra-

che und Ökonomie geprägt ist. Während in den Anfangsjahren vor allem der vernetz-

ten Hardware höchste Aufmerksamkeit zuteil wurde, gerät diese heutzutage zusehends ins Hintertreffen (vgl. Gießmann 2014: 331). Ein Umstand, der auf der Hand

zu liegen scheint, widmet man sich doch – spätestens seit den Snowden-Enthüllungen – zusehends der Erforschung und Hinterfragung unsichtbarer Datenflüsse und

Netzwerkstrukturen sowie der damit einhergehenden reglementierenden Selektionsmechanismen, welche den globalen Kommunikations- und Datenfluss bestimmen. Interessant ist in diesem Zusammenhang jedoch auch, und darauf weist Gießmann

ebenfalls hin, dass die Semantik des (Internet-)Protokolls aus historischer Sicht einerseits auf eine bürokratische Schreibtechnik, andererseits auf einen eingeübten

diplomatisch-politischen Handlungsstil verweist (vgl. ebd.: 332). Abschließend sei

auf Galloway verwiesen, der in Internetprotokollen eine Technik sieht, mit welcher

sich Informationsflüsse dirigieren und reglementieren lassen (vgl. Galloway 2004 und Galloway/Thacker 2007).

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gute Fotos. Haste nicht Lust? Ich bin da und da lang gelaufen; vielleicht findest du ja die ein oder andere Arbeit und kannst ein schönes Foto davon machen‘“,

so TONA (Int. KG 06/2013). Künstler greifen somit gerne auf das Know-how, die Skills und das Equipment professioneller Fotografen zurück. Beliebt sind

hierbei einerseits Fotografien, die Street-Art-Werke unter Berücksichtigung formalästhetischer Kriterien als Eigenkompositionen an sich entwerfen. Konk-

ret heißt das, die Architektursituationen, Licht- und Schatteneffekte, Perspektive, Kadrierung sowie auch die Auslotung der Tiefenschärfe in der Konzeption des Fotos mitberücksichtigen. Für diese Art der Dokumentation ist vor allem der Berliner Künstler ALIAS43 bekannt – und dies mag kein Zufall sein: ALIAS,

der für das akribische Auswählen und ortsspezifische Platzieren seiner Werke im Stadtraum bekannt ist, übertragt die Praktik qualitativer Selektion somit auf den Onlineraum. Er ‚plakatiert‘ Fotografien auf seine Pinn-‚Wand‘ – ähnlich wie er dies im Stadtraum tut – und verortet damit seine Street-Art-Werke neu,

Abb. 8: ALIAS | Screenshot seiner Facebook-Seite | Shahpur Jat | Foto: Akshat Nauriyal

43 www.facebook.com/4L1A5, 26.08.2014.

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und doppelt. Denn über die von Facebook bereitgestellte Ortsangabefunktion44 (vgl. Abb. 8) bindet er seine Arbeiten an ihren physikalischen Standort zurück

und trägt zu einer Reaktivierung des Werkes und seines Kontextes bei. Die

physikalische Besetzung und Markierung von Orten wird auf diese Weise mit der diskursiven Bedeutungsproduktion im Internet kurzgeschlossen.

Andererseits erfreuen sich Fotografien, die Street-Art-Künstler beim Arbei-

ten zeigen, zunehmender Beliebtheit: tagsüber im eigenen Atelier, oder aber nachts, ‚on the run‘. Diesen Fotopraktiken kommt dennoch eine gewisse Exklusivität zu. So wird dieser Art der Fotodokumentation nur dann nachgegangen, wenn Fotografen das Vertrauen des jeweiligen Artists gewonnen haben; sofern sich Künstler also sicher sein können, dass mit Informationen und szeneinternen Einsichten diskret umgegangen wird. Neben dem Berliner El Bocho45 sind es auch hier ALIAS sowie der Hamburger TONA46, welche der Praktik des nächtlichen Dokumentierens47 und fotografischen ‚Komponierens‘ nachgehen. Schaut man sich deren Künstlerseiten einmal genauer an, finden sich dort eine

Vielzahl von Fotos, die sie beim Verkleben ihrer Paste-Ups zeigen – in situ, zum Teil auch gemeinsam.48 Unter der Kategorie „caught in the act“ führt ALIAS

sogar explizit einen Ordner, der sich der fotografischen Dokumentation nächt-

44 Auch „Facebook Places“ bzw. „Aufenthaltsort“ genannt, vgl. www.facebook.com/help/337244676357509, 24.09.2014. Davon abgesehen werden Ortsangaben auch über Hashtags gesetzt.

45 www.facebook.com/elbochoberlin, 28.11.2014. Siehe dazu genauer KAPITEL 4.3. 46 www.facebook.com/mistertona, 26.08.2014. 47 Dazu ist anzumerken, dass Street Art nicht ausschließlich nachts, sondern auch tagsüber angebracht und dokumentiert wird.

48 Interessant zu beobachten ist, dass sowohl die Street Art als auch das Medium Fotografie bestimmte Posen verlangen: Seit jeher operiert die Street Art hierbei nach dem

Prinzip des In-der-Schwebe-Haltens. Die Dialektik von Zeigen und Verbergen, von

Öffnen und Verschließen, von Inklusion und Exklusion sowie von Tag und Nacht

scheint zentral in der Verhandlung der Street(-)Art(-Welt) und ihres Selbstverständ-

nisses. Es geht um sehen, aber doch nicht richtig sehen; um gesehen, aber doch nicht

wirklich gesehen werden. Das permanente In-der-Schwebe-Halten kann somit als mediale Praktik fotografisch-künstlerischen Entwerfens und Verortens perspektiviert werden. Vagheit wird medial hergestellt.

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licher In situ-Praktiken verschreibt. D.h. also, der Künstler differenziert in a) die fotografische Dokumentation von Street-Art-Werken, und dies wiederum

städte- bzw. eventspezifisch und b) in die fotografische Dokumentation der Street-Art-Praxis an sich. Auch in diesem Fall überwinden jene Fotos den Status reiner Abbildhaftigkeit und erschaffen ‚neue Bilder‘. Denn sie zeigen nicht

nur Kunst, sondern die Praktik des Kunst-‚Machens‘ und – mindestens genauso entscheidend – den Künstler selbst.49 Auf diese Weise entwerfen sich die Künstler über ihre eigene Street-Art-Praxis als Künstlerindividuen und lassen sich gleichzeitig über externe Betrachterstandpunkte mitentwerfen. Ihr Profil wird multiperspektivisch hergestellt. Trotz der vielen, auf den ersten Blick fast ausschließlich positiven Effekte

einer Onlinepräsenz im Social Network, gibt es dennoch Künstler, die sich dem scheinbaren Sog von Facebook entziehen und keinen Account besitzen. Die genauen Hintergründe sind im Einzelfall zu klären, (plattform-)politische und/oder idealistische Gründe spielen sicherlich eine Rolle. Dies verhält sich

im Grunde genommen ähnlich wie bei Galerieanfragen; auch hier gibt es Künstler, die den Galerieraum konsequent ablehnen und sich jeglicher Form der Institutionalisierung entziehen – aus Überzeugung:

„Es gibt schon Künstler, die werden dann eigentlich nur in Kontexten ausgestellt, wo’s dann halt darum geht, eine ‚Reclaim your City‘-Ausstellung oder so zu machen. Oder halt in Kontexten, wo von Vorneherein klar ist, dass nichts verkauft, sondern nur gezeigt wird – dass es sich um eine reine Zeige-Ausstellung handelt. Da sind die dann schon dabei; oder bei irgendwelchen Aktionen, die im halblegalen Raum ablaufen, wo man dann sagt, man macht sozusagen eine ‚Straßengalerie‘, sucht sich irgendeinen Straßenzug und

‚klatscht den voll‘ oder sowas. Da sind so Leute eigentlich immer dabei, aber die haben halt keine Lust auf dieses permanente im Internet hochladen, um irgendwelche Likes

oder Klicks oder sonst irgendwas zu bekommen [...]. Es gibt wirklich noch so idealistische Street-Art-Leute“,

so TONA (Int. KG 06/2013).

49 Zur Frage „How does the what on Facebook constitute our who?“ siehe auch Stiegler

(1998: 134-180). Zur fotografischen Dokumentationspraktik siehe weiterführend KAPITEL 4.3, hier exemplifiziert am Beispiel El Bochos.

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Denn Fakt ist: Spuren werden nicht nur auf der Straße gelegt, sondern auch im Internet. Dabei gestaltet sich die Rückverfolgung einzelner Spuren unter Zuhilfenahme der Onlinemedien nicht nur deutlich vielschichtiger, sondern

oftmals auch einfacher. Das Internet offeriert Künstlern nicht nur völlig neue, vorher nicht dagewesene Möglichkeiten der Sichtbarkeit(-smaximierung), son-

dern macht sie auch transparenter. Während Street-Art-Künstler vor zehn Jahren oftmals noch nicht einmal eine E-Mail-Adresse besaßen und weitestgehend im Verborgenen arbeiteten, hat mittlerweile fast jeder ein eigenes FacebookProfil.50 Wenn auch etwas überspitzt, konstatiert RJ Rushmore in Viral Art:

„Street artists have gone from being anonymous to posting photos of their babies on Facebook for all their friends, familiy and fans to see.“ (Rushmore 2013: 86) Und da hat er im Einzelfall nicht ganz unrecht.51

Im Endeffekt liegt es im Ermessen jedes einzelnen Street Artists, zu entscheiden, wie offen mit der eigenen Privatsphäre umgegangen wird, wobei es

sich durchaus als Vorteil erweist, sich eine gewisse Medienkompetenz im Umgang mit den neuen Onlinemedien anzueignen. Der Rückgriff auf ein Pseudonym präsentiert sich in der Street-Art-Welt als gängige Strategie, um dem

Schutz der eigenen Privatsphäre nachzukommen; dies macht Street-ArtKünstler aber dennoch nicht weniger ‚accountable‘.52 Auch wenn Street Art bis heute nicht als legale Kunstform gilt, hält sich die ‚Gefahr‘, der sich Street-Art-Künstler im Zuge ihrer Kunstpraktik aussetzen, im

Rahmen. Da Street Art von rechtlicher Seite aus als „Ordnungswidrigkeit“ gehandelt wird, droht ihnen keine Strafverfolgung. „Street Art, das sind so Ordnungswidrigkeiten“, äußert sich einer der befragten Akteure (Int. KG). „Das ist ja nicht verboten, das ist auch nicht gefährlich; […] wenn du erwischt wirst,

50 „[…] the Facebook entry procedures demand from us to declare, before any relation can be established, but also only after we have duly given our email address and

chosen a password. It is thus in no way different from making a statement at the police station – it is a formalization, a publication, in the sense of making public.“ (Stiegler 2013: 21)

51 Vgl. Nme „Yesterday I became a Dad“, Foto seines neugeborenen Sohnes, gepostet

am 05.11.2014 auf seiner Facebook-Seite, siehe dazu detaillierter in der Bibliographie.

52 Siehe dazu KAPITEL 4.1.8 zu den Platform Politics.

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zahlst du 15 € dafür“, so jener weiter (ebd.). Ein anderer Künstler berichtet in diesem Zusammenhang von einer Begebenheit, bei der er selbst ungewollt Teil

einer hitzigen Diskussion zwischen zwei Polizeibeamten wurde: Während der ältere der beiden seine geklebten Paste-Ups als vermeintlichen Vandalismus deklarierte, lenkte der jüngere mit den Worten „das ist ja fast wie im Museum“

ein. So erübrigte sich das Entfernen seiner im Stadtraum plakatierten Poster letztendlich. Andere berichten von Situationen, bei denen Polizeibeamte nach anfänglicher Skepsis letztlich selbst das Smartphone zückten und die angeklebten Paste-Ups abfotografierten – aus einer rein ästhetisch motivierten Geste

heraus und nicht im Zuge einer drohenden Strafverfolgung. Wie in vielen anderen Situationen auch, erweist sich eine sachliche Diskussionsgrundlage und

die Kenntnis der aktuellen Rechtslage in der Aushandlung der Street-Art-Praxis für Künstler als wesentliche Schlüsselkompetenz.

4.1.3 D OKUMENTIEREN UND ( RE- ) PRODUZIEREN | ARTKISSED Street-Art-Fotografen, die eine Facebook-Seite – oftmals auch mit zugehörigem

Blog – führen, gibt es sehr viele. Dementsprechend groß ist auch das qualitative Spektrum. Nicht selten werden Fotos verschwommen oder verpixelt ins Internet geladen; oftmals bleiben die nötigen Credits zum jeweiligen Künstler

aus. Menschen, die sich nicht tiefgreifender mit dem Thema Street Art beschäftigen oder erst in den Anfängen stecken, sind sich oftmals nicht über die internen Spielregeln und somit nicht über die Relevanz bestimmter Angaben bewusst.

Gestaltet man seine Facebook-Seite, oder auch seinen Blog, als Street-Art-

Fotograf jedoch professioneller, gilt es als absolut unzureichend, die eigenen Fotos ohne relevante Zusatzinformationen ins Internet zu stellen. Dazu zählt

die Angabe des Künstlers, im besten Fall direkt verlinkt mit der jeweiligen Künstlerseite, die Angabe der Stadt, und – nicht ganz so essentiell – die Angabe des Kontextes, in dem das Werk entstanden ist. Dies ist vor allem im Rahmen von Festivals oder Street-Art-spezifischen Events interessant; auch wenn diese

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mehrheitlich die Umsetzung großflächiger, legaler Murals53 unterstützen und kleinformatige Street-Art-Arbeiten zunehmend eine Randposition einnehmen.54 Im Gegenzug werden im Rahmen von Festivals einzelne Spots aber immer auch

ungenehmigt bespielt – unautorisiert, unangekündigt und eigenmächtig. D.h., sind Künstler zu legalen Veranstaltungen und Events geladen, findet sich nach Abschluss des legalisierten Projektes fast immer auch eine Spur ungenehmigter

Kunst im jeweiligen Stadtraum. Ein Beispiel dafür ist das Kölner Urban-ArtFestival CityLeaks55, das alle zwei Jahre im Herbst stattfindet und im Zeitraum

von drei Wochen eine Vielzahl international bekannter Künstler beherbergt. Quasi als Warm-up für das Festival im September 2013 wurde bereits im Mai 2013 von Colorrevolution e.V.56 ein großflächiger Wandabschnitt am Kölner

Bahnhof Ehrenfeld zur künstlerischen Gestaltung freigegeben. Lokale Artists wie Huami und die Captain Borderline Crew, aber auch der Berliner El Bocho sowie die beiden Spanier Zosen und El Pez waren am Projekt beteiligt. Bis heu-

te finden sich eine Vielzahl von El Pez‘ (span. für Fisch) kleinen, grinsenden Fischen in ganz Köln-Ehrenfeld und dem Belgischen Viertel verteilt. Natürlich ungenehmigt, aber man scheint diesen Kompromiss einzugehen. Dies ist nur

ein Beispiel für die Wechselwirkung von (städtisch organisierten) Street-Artund Graffiti-Events und ihrer Verhandlung von (L)Egalität. Dokumentiert wurde die Wandgestaltung u.a. von der Kölner Street-ArtFotografin artkissed57, so zumindest nennt sich ihre zugehörige Facebook-Seite.

Sie wurde am 21. September 2011 gegründet und besitzt zum heutigen Zeitpunkt58 genau 5.531 „Gefällt mir“-Angaben (205 sprechen darüber). Auch wenn die Fotografin und Administratorin der Seite in Deutschland – genauer,

in Köln – lebt, wird sie auf Englisch geführt. Dies ist ein Usus, der sich zuneh-

53 Unter Mural versteht man eine großflächige Wand- oder Fassadenmalerei, siehe dazu ausführlicher in KAPITEL 4.4.1.

54 Siehe dazu ausführlicher im FAZIT. 55 www.cityleaks-festival.com sowie www.facebook.com/pages/CityLeaks/212845852082639, 12.08.2014.

56 www.colorrevolution.de sowie www.facebook.com/Colorrevolution, 12.08.2014. 57 www.facebook.com/artkissed, 12.08.2014. 58 Stand: 16.09.2013.

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mend durchzusetzen scheint, werden mediale Teilhabe, Partizipation und Anschlusskommunikation auf diese Weise begünstigt. Im Falle von artkissed ist dies nur konsequent, schaut man sich einmal das weite Spektrum ihrer StreetArt-Fotografien an: Von Manchester über Barcelona bis hin zu New York, Seoul und Kapstadt; von beinahe jedem Kontinent finden sich Fotografien auf der

Seite wieder. Ihr Selbstverständnis lässt sich dabei direkt im Info-Banner ablesen: „Streetart photographer – use your eyes to listen to your city! We explore artkissed places round the world. Stroll around, scan cities and try to capture everything that talks to us. Our favorite quote: ‚I like to view things outside the view finder‘.“59

D.h. also, gleich zu Beginn wird das der Seite zugrunde liegende Konzept herausgestellt und die Praktik der Street-Art-Fotografie akzentuiert.60 Und dies zeigt sich in der Verhandlung der Street Art als nicht unwichtig, nuanciert jener kleine Zusatz die ausgeübte Praktik doch mit Nachdruck. Die Labelung ihrer Seite als Street-Art-„Fotografie“, und nicht als bloße Street Art, lässt auf

59 www.facebook.com/artkissed/info, 12.08.2014. 60 In diesem Zusammenhang sei ebenfalls auf die Tradition der ‚Street Photography‘ verwiesen, deren Ursprung auf das ausgehende 19. Jahrhundert, in Paris, zurückgeht und mit Namen wie Atget, Kertesz, Bovis, Rene-Jacques, Brassaï, Doisneau und Cartier-Bresson verbunden wird. Als interessant erweist sich vor allen Dingen Clive

Scotts Unterscheidung in Dokumentar- und Straßenfotografie sowie die Herausstellung ihrer Überschneidungen, welche er u.a. durch die Rückbindung an benachbarte Strömungen der Literatur (Baudelaire, Soupault) und die impressionistische Malerei

leistet (vgl. Scott 2007). Die Straßenfotografie wird bei Scott mit Kategorien wie „be[ing] in the right place at the right time“ (ebd.: 5-6 mit Bezug auf Mora 1998),

„flaneur“ (ebd.: 6 mit Bezug auf Mora 1998), „to seize those rare and moving instants in [one’s] surrounding“ (ebd.: 59 mit Bezug auf Brassaï 2000: 58), „the rare in

the banal“ (ebd.: 60) und „the new in the known“ (ebd.) belegt. In Gilles Moras

„Photo Speak“ heißt es dazu: „Street Photographers pursue the fleeting instant,

photographing their models either openly or surreptitiously, as casual passersby or as

systematic observers.“ (Mora 1998: 186) Zur Straßenfotografie siehe weiterführend auch Westerbeck (1994).

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das Selbstverständnis der Fotografin rückschließen und erweist sich als Schlüssel zu szeneinterner Akzeptanz und künstlerischer Legitimation. „Natürlich ist es […] für einen selbst auch ganz interessant zu sehen, aus welchem Win-

kel jemand anderes fotografiert hat, wie er das wahrgenommen hat. Oder wenn dann

jemand ein Jahr später ein Foto macht und man sozusagen den Verfallsprozess von irgendwas mitverfolgen kann“,

so beispielsweise der Hamburger TONA (Int. KG 06/2013). Oftmals sind es also solch sublim auftretende Praktiken sowie auch ein gewisses sprachliches Feingefühl, welche in der (digitalen) Verhandlung von Street Art eine entscheidende Rolle spielen. Diese tragen dazu bei, den Zugang in eine teilweise doch

recht feinfühlige Szene, wie die der Street Art, zu ebnen und sind Voraussetzung einer gegenseitigen Vertrauensbasis.

Dass im Kontext von Street Art, Street-Art-Fotografie und Onlinezirkulation

letztlich auch Copyright-Richtlinien zum Tragen kommen, scheint evident. Während einige Fotografen ihre Fotos mit digitaler Signatur oder einem

Wasserzeichen versehen, listet artkissed ihre Copyright-Verweise schriftlich:

„All photos are self-shot unless stated any different and copyright of artkissed. All rights

reserved. Any redistribution or reproduction of part or all of the contents in any form is prohibited. You may not – except with our express written permission – distribute or

commercially exploit the content. Nor may you transmit it or store it in any other website or other form of electronic retrieval system. Above all – especially in this Facebook world – you are more than welcome to share, but NOT just to take our pics. Peace.“61

Da Street-Art-Fotos in der derzeitigen Verhandlung der Street Art eine wesent-

liche Rolle einnehmen, scheint es auf der Hand zu liegen, dass im Umkehrschluss auch die Relevanz aktiver (und somit zentraler) Street-Art-Fotografen steigt. Diese treffen im Zuge ihrer Dokumentationspraxis stets Entscheidungen: Sie dokumentieren Street Art, aber sie (re-)produzieren sie auch. Es haben sich

hierbei Dokumentationspraktiken herausgebildet, die sowohl begünstigende als auch destruktive Effekte auf die Street Art haben. Während bereits die Wahl

des Bildausschnitts die fotografische Gesamtkomposition auf maßgebliche Wei61 www.facebook.com/artkissed/info, 12.08.2014.

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| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

se beeinflusst,62 eröffnen digitale Filter und Bildbearbeitungstechniken eine Vielzahl von Überzeichnungsmöglichkeiten, welche Originalwerk und Fotografie auf teilweise unwiderrufliche Weise voneinander entfernen. In Viral Art (2013) berichtet der spanische Künstler Aryz von seinen eigenen Erfahrungen: „Sometimes the photographers brighten the photos and start to touch the colours in HD and some strange things, and in the end it […] becomes the work of the photographer. I

have seen photos on the internet of one of my works where […] maybe a pink has become a red[; KG] then it ceases to be your work but the people at home don’t notice it because they don’t know what the colours were like in the original artwork […].“ (Rushmore: 2013: 250)63

Doch nicht nur die Art und Weise der Dokumentation, auch die Motivwahl ist entscheidend. Manche Street-Art-Werke werden von Fotografen für dokumentationswürdig erklärt, andere wiederum nicht. Damit setzen sie, zum Teil unbewusst, qualitative Werturteile. In Städten, die eine Vielzahl von Street-Art-

Fotografen aufweisen, scheint dies nicht allzu schwer ins Gewicht zu fallen; in kleineren Städten allerdings schon (vgl. ebd.: 83). Fotografen prägen das Bild der Straße, was sie zeigen und auswählen, scheint die relevante Kunst der Stadt zu sein. „For some, who have never been to New York, but still consider it a street art capital of the world, the influential street art photographers of

New York street art define the city“, so auch Rushmore (ebd.: 82). Und dies lässt sich eins zu eins auf jede andere Stadt übertragen. Menschen, die StreetArt-Entwicklungen einzelner Städte nur online verfolgen, weil sie weit entfernt

oder im Ausland leben, sind nachhaltig von der selektiven Auswahl einzelner Street-Art-Fotografen beeinflusst. Hieran möchte ich drei Überlegungen anschließen. Erstens: Fotografen, die der Dokumentation von Graffiti und Street Art bereits sehr früh nachgingen, besitzen heutzutage weltweites Ansehen. Eine, die hierbei immer genannt

wird, ist Martha Cooper. Bekannt ist die US-Amerikanerin für ihre passionierte

62 Mit Referenz auf Seite 107 sei an dieser Stelle abermals auf die Figur des SchnittBildes verwiesen, zeigt sich die Street Art aufgrund des gewählten Bildausschnitts, bzw. der Kamera-Kadrierung, stets ausschnitthaft und somit zugeschnitten. 63 Siehe dazu auch Rushmore (2013: 246).

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Dokumentation der New Yorker Graffiti-Bewegung seit den frühen 1980er Jahren. Auch Luna Park gilt in der Street-Art-Welt als zentrale Figur, v.a. in

neueren (wissenschaftlichen) Publikationen wird der in Brooklyn lebenden Fotografin jene Rolle zugeschrieben.64 Sie steht somit für die neuere Generation der Graffiti- und Street-Art-Dokumentaristen. Ähnlich wie der Berliner Boris

Niehaus (aka JUST), der Street Art und Graffiti seit Mitte der 1990er Jahre dokumentiert (vgl. hierzu auch Derwanz 2013: 127, 183). Seine Fotografien offerieren hierbei seltene Einblicke in ein kunstpraktisches Grenzgängertum,

welches nicht nur den ‚Underground‘ bespielt, sondern auch ‚auf den Dächern der Welt‘ zuhause scheint. Von einem der zentralen Street-Art-Fotografen fotografiert zu werden, muss somit immer auch als (indirektes) Qualitätsurteil gelesen werden. „Getting your street art photographed by [xy, KG] is a stamp

of approval“, schreibt auch Rushmore (2013: 81). Im Zuge dessen kommt Street-Art-Fotografen die Rolle von Gatekeepern zu.65 Dies scheint vor allem in der Hinsicht überraschend, als dass sich doch gerade die Street Art – aus

ihrem ursprünglichen Selbstverständnis heraus – als Kunstbewegung präsentiert, die jener Logik quer steht. So nutzt Street Art ja gerade die Straße als

Präsentationsplattform, um die Selektion einzelner Gatekeeper wie Galeristen, Kuratoren und Institutionen zu unterlaufen.

64 Vgl. Kapitel 1.5 von Viral Art (2013), in welchem Rushmore ein Interview mit

Martha Cooper und Luna Park führt. Die einleitenden Worte hierzu lauten: „Photographers Martha Cooper and Katherine Lorimer aka Luna Park are two of the most

important documenters of post-1960’s street art and graffiti. While both are still photographing today, they represent two generations of graffiti and street art documentation.“ (Rushmore 2013: 49-66) Siehe dazu weiterführend ebd.: 80 sowie Bengtsen

(2014: 156).

65 Derwanz bezieht sich in ihren Ausführungen zum Gatekeeper auf den US-amerikani-

schen Kommunikationswissenschaftler David Manning White, weist aber gleichzeitig

darauf hin, dass die neuere Zugangsweise für die Beziehungen im Internet bei Ansgar

Zerfaß zu finden ist (vgl. Derwanz 2013: 145 mit Bezug auf Manning White 1950

und Zerfass et al. 2008). Auch bei Harald Garfinkels Studies in Ethnomethodology (1967) nimmt die Figur des Gatekeepers eine wichtige Rolle ein.

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| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN Dennoch hat keiner der Fotografen letztlich Einfluss darauf, was wirklich

auf der Straße passiert. Straßenpräsenz und ein mögliches ‚Getting Up‘66 sind und bleiben – zumindest in Teilen – eine selbst gesteuerte Kunstpraktik. Hinzu

kommt, dass die Street-Art-Fotografie aus ihrem Ursprung heraus eine BottomUp-Praxis darstellt. Derzeit nehmen sich zunehmend mehr Menschen der

Street-Art-Fotografie an, vor allem Smartphone-Technologien tragen wesentlich zu diesem Trend bei. Das Verhältnis bricht somit wieder auf. Partizipativ angelegte Internetseiten wie beispielsweise Street Art in Germany begünstigen

diese Entwicklungen. Auf diesen sind ja gerade auch Street-Art-Werke unbekannter Künstler zu sehen, zugesandt von User xy. Als eine Art ‚One-Hit-

Wonder‘ ziehen diese oftmals mehr Likes und Anschlusskommunikation nach

sich als Arbeiten bekannter Street-Art-Künstler, die möglicherweise über Jahre hinweg all ihre Energie in konstanten und originellen Output auf der Straße steckten (vgl. ebd.: 252). Es gibt zweifelsohne Gründe, die konstanten Output und die damit einhergehende, sogenannte ‚Street Credibility‘67 als qualitative Werturteile in der Verhandlung der Street Art rechtfertigen, dennoch sollte man auch die andere Seite nicht außer Acht lassen – denn: „[…] if that frustrates us, then it would seem that we have created the same sort of hierarchical system that exists in the mainstream art world and which many street artists supposedly set out to reject or at least circumvent“,

so Rushmore (ebd.).

66 Der Begriff Getting Up bezeichnet die zunehmende Sichtbarkeitsmaximierung eines Artists im öffentlichen Raum.

67 Street Credibility ist eine Form der internen Authentizitätszuweisung/-schreibung. Mehr als im Diskurs der Street Art wird der Begriff im Kontext von Graffiti (und HipHop) verwendet.

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4.1.4 I NFORMIEREN UND VERMITTELN |

F REUNDESKREIS S TREETART B ERLIN

Neben partizipativ angelegten, städtespezifischen Street-Art-Seiten (4.1.1), Künstlerseiten (4.1.2) und Seiten einzelner Street-Art-Fotografen (4.1.3) gibt es Street-Art-Seiten, die der Informationsvermittlung von und über Street Art dienen. Neben der Präsentation neuer Projekte sehen sich diese vor allem der An-

kündigung von Veranstaltungen, Vernissagen oder sonstigen Openings verpflichtet. Sie informieren über aktuelle Ereignisse der Street-Art-Welt; zumeist mit lokalem Fokus, aber dennoch über den Tellerrand hinaus.

Eine dieser Seiten ist Freundeskreis Streetart Berlin68. In ihrem Ursprung geht

die Seite auf einen parallel laufenden Blog zurück, welcher im Jahr 2006 startete; auf Facebook hat dieser aber mittlerweile eine zusätzliche Online-

präsenz gefunden: „Zuerst gab es Fotolog, dann sind alle bei Flickr eingestiegen, dann gab es Blogs und jetzt halt Facebook“, so einer der Admins, JUST (Int. KG 06/2013). Und dieser Genealogie lässt sich anschließen, führt meine

Recherche zu einer ähnlichen Chronologie. Die folgende Collage versammelt Aussagen des Bloggers RJ Rushmore, die ich chronologisch ordnete: „Forums, Flickr and blogs formed the initial street art communication network online.“ (Rushmore 2013: 78) […] „In the mid-2000’s, street artists and graffiti writers began to

establish Myspace pages and eventually Flickr accounts.“ (Ebd.: 117) […] „In 2011 and 2012, the street art community began moving to Instagram. While Flickr has not been

completely left behind, their 2013 redesign alienated some users.“69 (Ebd.: 84-85) […]

„Twitter was a sort of precursor to Instagram […].“ (Ebd.: 85) […] „Finally, when writing about social networks, Facebook is impossible to ignore […].“ (Ebd.)

Die Genealogie, die sich daraus – mit all ihren Überschneidungen und folglich nur allzu holzschnittartig – festhalten lässt, lautet demnach: Zuerst waren Foren und Fotolog die relevanten Plattformen der Street-Art-Welt, dann My-

68 www.facebook.com/fkstreetartberlin, 12.08.2014 (bei Facebook seit dem 16.02.2012).

69 Zu betonen gilt, dass Instagram in Deutschland erst ab etwa 2014 an Relevanz gewann.

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space, Flickr und Blogs, später kam Twitter dazu, jedoch ohne merkliche Relevanz. Derzeit zeigt sich vor allen Dingen Facebook führend in der beinahe

echtzeitlichen Verhandlung der Street Art; parallel zu zentralen Blogs, während Instagram zunehmend an Bedeutung gewinnt.70 Als mutmaßlich erster und bisher einziger Wissenschaftler arbeitete der Schwedische Kunsthistoriker und

Soziologe Peter Bengtsen die frühe Rolle von Foren für die Street-Art-Welt heraus (vgl. Bengtsen 2014: 23-24, 39-40, 61, 98). RJ Rushmore (2013) und die Kunsthistorikerin Heike Derwanz (2010, 2013) thematisieren in ihren Studien die Rolle von Blogs. So fragt Derwanz u.a., wie und unter welchen Bedingungen es Street-Art-Künstlern gelingen kann (bzw. konnte), sich auf dem Kunst- und Designmarkt zu etablieren (vgl. Derwanz 2013, im Besonderen: 123-154). Meine Arbeit setzt an eben jenem Punkt an und leistet eine aktuelle

Gegenwartsanalyse. Mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung und der Betonung der Rolle von Facebook wird somit ein weiteres Desiderat geschlossen.

Ähnlich wie Street-Art-Fotografen wird oftmals auch Bloggern die Rolle von

Gatekeepern zugesprochen. Ein oft zitiertes Beispiel liefern die beiden USAmerikaner Sarah und Marc Schiller, die Gründer des mittlerweile weltweit

bekannten und renommierten Street-Art-Blogs Wooster Collective71 mit Sitz in New York. Sowohl Derwanz als auch Rushmore exemplifizieren die Rolle des Gatekeepers anhand des amerikanischen Blogger-Ehepaars. Ihr Blog, gestartet aus der eigenen Begeisterung für Street Art heraus, um einzelne Street-Art-

Fotos mit Freunden zu teilen, gilt mittlerweile – bzw. vor allem in den frühen 2000er Jahren – als eine der Top-Adressen. Die Schillers sind heute nicht nur

sozial in der Szene verankert, kennen Künstler, Fotografen und Galeristen persönlich, sondern geben Drucke und Bücher heraus, organisieren Events und

kuratieren Ausstellungen (vgl. ebd.: 147). Bereits 2007 sprechen sie von 400 E-Mails, die sie pro Tag erreichten; vier Bilder oder Videos wählten sie davon durchschnittlich aus (vgl. ebd.: 146). Es ist davon auszugehen, dass sich mitt70 Es wäre hierbei auch interessant, den ‚Umzug‘ von Street-Art-Fotos von Facebook auf Instagram und die damit einhergehenden Veränderungen in der Verhandlung der

Street Art zu analysieren. Dies kann im Rahmen meiner Arbeit jedoch nicht geleistet werden und stellt vielmehr ein neues Forschungsprojekt dar.

71 www.woostercollective.com/#grid-view sowie www.facebook.com/WoosterCollective, 26.08.2014. Gegründet wurde der Blog im Jahr 2003.

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lerweile, mehr als acht Jahre später, die Aufmerksamkeit, die die Schillers kanalisieren, deutlich vergrößert hat.72 Sie sind zu einem wichtigen Sprachrohr der Szene geworden. Heike Derwanz beschreibt die Rolle der Schillers in folgenden Worten: „Sie besitzen […] gegenüber der großen Masse der Street-Art-Liebhaber[n] das Informa-

tionsmonopol und in ihrem Ermessen liegt es, Werke zu zeigen oder auch das ganze Archiv zu löschen. Künstler[…] tauschen ihre Bilder gegen Aufmerksamkeit, Blogger[…] tauschen ihre tägliche Arbeit gegen eine Machtposition und die Leser[…] erhalten eine Teilhabe an zeitgenössischer Kunstgeschichte.“ (Ebd.: 149)

Dennoch gilt zu betonen, dass sie ihre privilegierte Position mittlerweile an RJ Rushmore von Vandalog abgegeben haben, dessen Blog nicht nur deutlich mehr Aktualität aufweist, sondern oftmals auch eine wesentlich kritischere Haltung einnimmt.

Während vor zehn Jahren noch Blogger um die Gunst bekannter Künstler warben und es für sie einen großen Erfolg darstellte, exklusive Fotos auf ihrer

Seite zu veröffentlichen, hat sich dies mittlerweile ins Gegenteil verkehrt. Wie

selbstverständlich treten Street-Art-Künstler exklusive Bildrechte ab und hoffen, auf einer der zentralen Onlineplattformen gefeatured zu werden. RJ Rushmore berichtet von seinen eigenen Erfahrungen: „Most time, these tips are

friendly, but occasionally artists try telling the bloggers and photographers what to do, as if the artists employ the photographs of street art.“ (Rushmore 2013: 82) Im Gegenzug fordern mittlerweile aber auch Blogger bestimmte

Verhaltensmuster von Künstlern ein, ähnlich, wie dies Galeristen teilweise tun. Im Dezember 2014 twitterte Marc Schiller von Wooster Collective: „Street artists

should exercise their voice more on the street. They need to once again ‚steal space‘ and become our voice of dissert.“73 Und er fügt hinzu:

72 Der Grund scheint evident: „Street artists have more to gain if something they do appears on all of the top five street art blogs than if they get up in five cities around the globe without any online attention.“ (Rushmore 2013: 98)

73 Salmon (2014) mit Bezug auf Schiller: www.twitter.com/marcdschiller, 15.02.2015.

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„The reason why we don’t post much on the Wooster site anymore is that it was the spontaneous shit on the streets that inspired us. If there ever was a time for artists to use their voice, their talents and their reach to create social change, now is that time.“74

Ausgehend von der Tatsache, dass Schiller einer der führenden Akteure dieser

Entwicklungen ist bzw. war, wirken diese Aussagen ein wenig irritierend. Ich schließe dieses Argument mit einem Zitat des Berliner Künstlers Dave the Chimp, der zu Schillers Tweet Stellung nahm: „Yesterday I shared a post […] which contained many tweets from Marc Schiller of

Wooster Collective. I replied to a couple of his tweets. He has not responded. He has also not posted any of my protesters [vgl. Abb. 9] on his street art blog, despite whining that

Abb. 9: Dave the Chimp | Berlin

74 Salmon (2014) mit Bezug auf Schiller: www.twitter.com/marcdschiller, 15.02.2015.

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street artists are not making political work. Wooster Collective has not shown any of my

street pieces for 10 years […]. I find it ironic that the man who runs the best known

street art blog, one that has been instrumental in creating the street art scene we have today, feels that it is ok for him to [*****, KG] out ALL street artists for operating in a system he has helped build […].“75

Doch an dieser Stelle zurück zum initialen Fallbeispiel. Die Seite Freundeskreis Streetart Berlin listet auf ihrem Header: „Erster deutschsprachiger Urban-Art Blog. Von und für Subkultur. Seit 2006“. D.h. also, die Freundeskreis-Seite geht

auf eine Webpräsenz zurück, die sich schon lange vor Facebook dem Thema urbaner Kunst annahm. Veröffentlicht werden hier vor allem Infos und Neuigkeiten zum Thema Street Art, Urban Art und Graffiti sowie zugehörige Berliner

Events und Veranstaltungen – kurz, sachlich und informativ. Die Seite zielt darauf ab, szenerelevante Informationen und Ankündigungen zu verbreiten, während das Featuring einzelner Artists eine sekundäre Rolle einnimmt.76 Angesprochen werden hierbei vor allem Leser, die sich in der Street-Art-Welt bereits auskennen, d.h. die relevante Kontexte kennen und ein gewisses Vorwissen mitbringen. So wurde im Sommer 2013 beispielsweise auf einen Open Call des

Papergirl Hamburg77 hingewiesen. Dieser forderte Künstler aus aller Welt zum Einsenden ihrer Werke auf. Nach einer gemeinsamen Präsentation im Rahmen einer Ausstellung sollten die Originalwerke zu individuellen ‚Zeitungsrollen‘

verarbeitet und in einer eintägigen Aktion per Fahrrad an Passanten verteilt werden. „Müsste man Papergirl mit wenigen Worten charakterisieren, wäre es:

partizipativ, analog, unkommerziell und impulsiv“78, so die Selbstbeschreibung des Projektes. Der Gedanke der Partizipation wird in diesem Fall also vom In-

75 www.facebook.com/DaveTheChimpArt/posts/749729131779303:0, 15.02.2015. 76 Ein Pendant findet sich beim ebenfalls in Berlin ansässigen Grafftiarchiv, wenngleich dort auch Besprechungen und Stellungnahmen im Hinblick auf einzelne Projekte und

Sachverhalte zu finden sind: www.graffitiarchiv.org und www.facebook.com/graffitiarchiv, 27.02.2015.

77 www.facebook.com/PapergirlHamburg, 12.12.2013. Die Idee zu Papergirl stammt aus Berlin; das erste Projekt dieser Art wurde von Aisha Ronninger in Berlin gestartet.

78 www.facebook.com/PapergirlHamburg, 12.12.2013.

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ternet in den Stadtraum übertragen und in eine kollaborative Verteilaktion per Fahrrad übersetzt. Die Kunst kommt nicht per Klick und als digitales Kondensat zum Facebook-User, sondern per Fahrradkurier und als Original zum zufälligen Passanten auf der Straße. Doch nicht nur das Papergirl-Projekt setzt auf Kollaboration, auch die Seite

Freundeskreis Streetart Berlin hat sich kollaborativen Praktiken verschrieben. So listet die Onlinepräsenz nicht nur einen, sondern insgesamt elf Autoren. Auch wenn die zuvor diskutierte Gatekeeper-Funktion hierdurch nicht gänzlich aufgehoben wird, bricht sie dennoch ein Stück weit auf. Diesem Umstand lässt

sich eine weitere Überlegung anschließen: Auch die Kommunikationswissenschaftler Ansgar Zerfaß und Dietrich Boelter sprechen Bloggern die Rolle von Gatekeepern zu, weisen jedoch gleichzeitig darauf hin, dass deren Bedeutung

situationsspezifisch erkundet werden muss (vgl. Zerfaß/Boelter 2005: 108). Auch wenn ich innerhalb meiner Arbeit keine kommunikationswissenschaft-

liche Perspektive einnehmen möchte, halte ich dies für einen wichtigen Hinweis. Grundsätzlich unterscheiden Zerfaß und Boelter hierbei zwischen zwei Ausgestaltungen: Erstens, der Blogger als Meinungsmacher und Interessenvertreter; und zweitens, der Blogger als Multiplikator (vgl. ebd.). Und diese

Differenzierung gilt es letztlich auch für den Kontext der Street-Art-Welt produktiv zu machen. Im Grunde genommen weist die Selbstbeschreibung der Freundeskreis-Seite bereits auf eine ihrer wesentlichen Charakteristika hin: Es

handelt sich um einen Blog der Szene für die Szene. Und genau darin liegt das ausschlaggebende Distinktionsmerkmal der Onlinepräsenz, im Vergleich zu vielen anderen Blogs, begründet. So sind Admins und Autoren nicht extern verortet, sondern expliziter Teil der Szene; sie gelten als relevante Akteure der Street-Art-Welt. Daraus folgt zwangsläufig, dass szeneinterne Akzeptanz und Legitimation nicht erst über Jahre hinweg aufgebaut werden musste, sondern von Anfang an vorhanden war. Greift man vor dieser Folie abermals den Gedanken des Gatekeepers auf, so differenziere ich: Es gibt Gatekeeper, die (in ihrem Ursprung) szeneintern zu situieren sind79 und Gatekeeper, die extern zu

situieren sind. Gleichzeitig gibt es Gatekeeper, die in ihrer Rolle als Blogger

79 Es ist kein unübliches Muster, dass Akteure der Street-Art-Welt eine Doppelrolle ein-

nehmen. Zumeist verfügen sie über ein ausgeprägtes Rollenverständnis und verhalten sich dementsprechend rollenkonform.

V ERNETZEN UND VERHANDELN | F ACEBOOK

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der Praktik des Informierens und Vermittelns nachgehen und Gatekeeper, die sich der Praktik des Bewertens und Urteilens verschrieben haben. Die Freundes-

kreis-Streetart-Berlin-Seite zähle ich hierbei zu ersteren: Ihre Admins sind in der Szene verortet und gehen der Praktik des Informierens und Vermittelns nach. Innerhalb der breit gefächerten Online-Landschaft der Street-Art-Welt stellt dies dennoch eher die Ausnahme dar.

Schließen möchte ich meinen Gedankengang mit den Worten von JUST, einem der Admins, der in seiner Funktion als Blogger, Fotograf und Künstler die Entwicklung von Street Art, Graffiti und Urban Art schon früh im Kontext

neuer Medien las80 und der Onlineverhandlung der Street Art einen wesentlichen Stellenwert zuspricht: „Street Art hätte sich nie zu dem entwickelt, was sie heute ist bzw. Street Art wäre nicht

das, hätten diese beiden Sphären [Street Art und neue Medien bzw. das Internet, KG] nicht irgendwie ineinandergegriffen, sich parallel entwickelt.“ (Int. KG 06/2013)

Dennoch gibt er zu bedenken: „[Heutige Plattformen wie Facebook, KG] bieten einfach gute Möglichkeiten zu kommunizieren, gleichzeitig sind das aber auch

‚unfreie Netze‘.“ (Ebd.) Wie frei oder unfrei diese Netze sind, wird in KAPITEL 4.1.8 zu den Platform Politics ausgeführt und unter 4.5 weiterführend diskutiert.

4.1.5 S AMMELN , VERLINKEN UND ANFREUNDEN | S TREET -A RT -F ANS

Eine weitere wichtige Akteurgruppe sind Street-Art-Fans. Mit ihrer Kamera ziehen diese, zum Teil sehr regelmäßig und obsessiv, los, um die neuesten Street-Art-Funde in umliegenden Vierteln und Straßenzügen einzufangen – am

besten als Erster. Denn Schnelligkeit und Unmittelbarkeit scheint in der Verhandlung der Street Art ein qualitativer Wert zugeschrieben zu sein. Auch

80 Sein Blog http://just.blogsport.de ist mittlerweile auf http://fk.1just.de umgezogen und wird als Freundeskreis-Street-Art-Berlin-Blog betrieben, Stand: 12.08.2014.

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wenn RJ Rushmore in seinem Buch Viral Art (2013) für den Kontext der USA spricht, können in deutschen Städten ähnliche Praktiken beobachtet werden: „What began as one or two photographers snapping photos became a daily onslaught from (in some cities) a dozen or more photographers. In some instances there appeared to be an unspoken competition to get the first photos of new work online before another photographer else got the scoop.“ (Rushmore 2013: 79)

Aus persönlicher Erfahrung kann ich – wohnhaft in unmittelbarer Nähe eines von verschiedenen Street Artists bespielten Spots – bezeugen, Street-Art-Fans

in regelmäßigen Abständen beim Fotografieren beobachten zu können. Die Street-Art-Fotografie scheint ein beliebtes Hobby geworden zu sein:

„Sammeln ist ja etwas, das sehr tief in unserem menschlichen Wesen verankert ist. Man

kennt es von Briefmarken. Oder allen möglichen anderen Sammlungen. Street Art sammeln, jetzt nicht als Kunst, sondern Fotos von Street Art sammeln, ist auch ein beliebtes Hobby [geworden]“,

so der Berliner Street-Art-Künstler Joy Fox (Int. KG 06/2013), der u.a. für seine auf Straßenschildern turnenden Street Yogis (vgl. Abb. 10) bekannt ist. Sein Beispiel steht dabei in gewissem Sinn symptomatisch, sind seine Korkmännchen doch eine überaus gern gesehene Bereicherung des Berliner Verkehrs-

Abb. 10: Joy Fox | Berlin

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systems und somit durchaus Auslöser diverser Sammelleidenschaften: „Wenn man die ersten Yogis findet, ist man oftmals ganz perplex und weiß gar nicht, was das ist. Dann kommt der zweite und dritte. Und dann weiß man ‚oh, da gibt’s mehr‘.

Dann fängt man an zu suchen und so kommt diese Sammelleidenschaft auf, um auch möglichst viele zu finden“,

so jener selbst im Juli 2013 (ebd.). Das heißt, vonseiten seiner Fans bekommt der Künstler durchaus klar signalisiert, dass seine Street Yogis auch zu einer gewissen Sammelleidenschaft animieren. Und wer könnte dies besser nachvoll-

ziehen als er selbst, schließlich resultiert auch seine eigene Street-Art-Praxis aus einer anfänglichen Begeisterung für und folglichen Sammelleidenschaft von Street(-)Art(-Fotos). Im Interview berichtet er dazu von folgender Begebenheit: - JF: „Und dann bin ich eines Tages durch die Weserstraße gelaufen und da war so ein

kleiner oranger Mensch, oder wie man auch immer sagen will. Das sah aus wie eine Erdnuss mit Beinen und Händen.“ - KG: „Dave the Chimp?“

- JF: „Dave the Chimp, genau. Den hatte ich da gesehen, fotografiert und dachte mir ‚oh,

der ist aber schön, toll‘. Auf dem Rückweg habe ich den zweiten gesehen und dann wusste ich, dass da irgendjemand gewesen sein muss. Ich wusste damals gar nicht, wer das

ist. [Die Fotos habe ich dann, KG] bei Flickr veröffentlicht, woraufhin ich mitbekommen

habe, dass das Dave the Chimp ist. Die nächsten Tage habe ich dann Neukölln abgeklap-

pert und versucht herauszufinden, wie er gelaufen ist. Schließlich habe ich angefangen

sie zu sammeln. Als ich dann etwa neun Stück hatte, fragte ich Dave the Chimp, ob das nun alle wären. Daraufhin sagte er, ich solle weitergucken.“ (Ebd.)

Ähnlich also wie es einer Vielzahl von Street-Art-Fans heutzutage ergeht, wurde auch Joy Fox vor ein paar Jahren an die Street Art herangeführt. Jene aufkommende Sammelleidenschaft führt dabei bei einigen Fans zum Wunsch einer

teils akribischen fotografischen Dokumentationspraxis. Sichtbarkeit verschafft sich diese derzeit vor allem auf der Onlineplattform Facebook. Street-Art-Fans gehen dabei so vor, dass sie ihre Street-Art-Fotos auf ihr Facebook-Profil laden81 und mit dem jeweiligen Artist bzw. dessen Künstlerseite verlinken. Dies

81 Sofern diese keine eigene Facebook-Seite oder einen Street-Art-Blog besitzen.

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hat mehrere Gründe: Zum einen dient diese Praktik der adäquaten Kenntlichmachung und ersetzt die Angabe von Künstler-Credits. Zum anderen erlangen die Fotos durch die getätigte Verlinkungspraxis jedoch auch einen zweiten

Grad an Sichtbarkeit. Denn erst durch die digitale Markierung wird der Künstler auf das Foto, und somit auch auf den dahinterstehenden Fotografen, aufmerksam. Er erhält eine Benachrichtigung über die Plattform. Ohne Verlinkung

wäre das Foto nur für die benutzerdefinierte Freundesliste des Uploaders sichtbar und würde womöglich ohne viel Beachtung untergehen. „Also sagen wir mal so, ich glaube, das ist einfach aus praktischen Gründen. Die Leute gehen durch Berlin, machen 100 Street-Art-Fotos, setzen sich einmal hin, laden alles

hoch und verlinken dann alles. Ist auch irgendwie cool, dass die das machen. Wenn jetzt

ein Character schon 20-mal verlinkt ist, dann ist das irgendwann nicht mehr sooo notwendig“,

so äußerst sich einer der befragten Artists (Int. KG). Doch nicht nur der Künstler wird durch die Verlinkungspraktik über die

Existenz des Street-Art-Fotos benachrichtigt, sondern auch all seine FacebookFreunde können die getätige Verlinkung im Echtzeit-Feed einsehen.82 Dies führt zu einer abermaligen Sichtbarkeitsmaximierung – vor allem auch in Richtung Szenekreise, was für viele Fans ein durchaus großes Verlangen zu sein

scheint. Manche Fotos erlangen auf diese Weise eine enorme symbolische Wertsteigerung.

82 Infolgedessen gibt es Street-Art-Künstler, die ihre Arbeiten ganz bewusst in unmittel-

barer Umgebung von anderen Street-Art-Künstlern anbringen. Besonders beliebt – bzw. ‚effektiv‘ – sind hierbei Spots neben Street-Art-Künstlern, die bereits bekannt

sind und somit eine Vielzahl von Fans und Followern aufweisen. Der Grund? Durch die Situierung ihrer Werke in unmittelbarer Umgebung von bekannten Street-ArtKünstlern ist die Wahrscheinlichkeit groß, auf einem Foto gemeinsam abgebildet zu

werden. Im Zuge der von Fans und Fotografen angewandten Verlinkungspraktik

potenziert sich ihre Sichtbarkeit somit maßgeblich, da nicht nur ihre eigenen Fans

adressiert werden, sondern auch die des ‚benachbarten Artists‘. Street-Art-Künstler,

die dieser Praktik sehr offensichtlich nachgehen, könnte man auch als sogenannte ‚Fame-Hunter‘ bezeichnen.

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„Es gibt so ein paar Fans, die haben, wenn ich abends eine Tour gemacht habe, bereits

morgens um 12 Uhr alles gefunden. Die müssen da schon vier bis fünf Stunden unterwegs gewesen sein […]. Da fehlt dann auch nichts. Ja, die sind manchmal schneller als ich“,

so einer der Künstler (Int. KG). Und eine weitere Stimme setzt hier ebenfalls an:

„Also ich hab da auch drei, vier Leute kennengelernt, die laufen den ganzen Tag rum und

machen nichts anderes. Ich weiß nicht, wie die ihr Geld verdienen. Aber die laufen den ganzen Tag rum und machen halt Fotos, setzten sich abends hin, bearbeiten die Bilder

und stellen sie dann ins Netz. Also das ist ja absolut verrückt. [...] Natürlich sind denen [einige Künstler, KG] dafür auch richtig dankbar, das ist ja kostenlose Promo.“ (Int. KG)

Doch abgesehen von der Verlinkungspraktik ist bei einer Vielzahl der StreetArt-Fans ein großes Verlangen einer virtuellen ‚Nähe‘ zu erkennen. D.h. also,

Fans sind nicht nur daran interessiert, dem jeweiligen Artist als Fan auf Facebook zu folgen, vielmehr besteht ein großes Interesse an einer virtuellen

Freundschaftsbeziehung (vgl. dazu u.a. Abb. 11). Ob gerade die Street Art – als

Abb. 11: SP38 | Berlin

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primär unzugängliche und im Verborgenen agierende Community – hierfür symptomatisch steht, kann nicht nachgewiesen werden. Interessant ist die Tat-

sache allerdings schon, dass gerade in einer primär unzugänglichen Gruppierung der Wunsch nach einer virtuellen Freundschaftsbeziehung derart hoch ist. „Bei Facebook ist das ja so, dass man viele Leute irgendwie gar nicht kennt.

Man ist dann eben bei Facebook befreundet, […] weil man diese Art von Kunst macht oder sowas“, äußert sich einer der befragten Künstler (Int. KG

06/2013). Dennoch wurde vonseiten einzelner Artists klar herausgestellt, dass

es einen gewissen Respekt und Abstand geben muss: „Mit manchen, die man mittlerweile besser kennt, mit denen hängt man jetzt rum, weil man mit ihnen eben eine gute Zeit haben kann. Aber das sind ein paar wenige.“ (Int. KG)

Im Kontext virtueller Freundschaftlichkeit ist es hierbei gerade auffällig,

dass die große Mehrheit der Artists ihr Künstlerpseudonym im Social Network sowohl als ‚Person‘ als auch als ‚Seite‘ führt. Das hat zum einen den großen

Vorteil, sich szeneintern besser und vor allem auch mit Wiedererkennungswert vernetzen zu können. Denn nur als Künstler-‚Person‘ können Freundschaften eingegangen, Facebook-Seiten kontaktiert und an Veranstaltungen teilgenommen werden. Besitzen zwei Artists nur eine Künstlerseite, ist keine gegenseitige Kontaktaufnahme möglich. Hinzu kommt, dass die Rückverfolgbarkeit extern getätigter Verlinkungspraktiken nur als Künstlerperson wirklich nachvollziehbar ist, da Facebook über getätigte Verlinkungen nur im Falle von ‚Personen‘

benachrichtigt, nicht im Falle von ‚Seiten‘.83 Das heißt also, verlinkt ein Fan sein hochgeladenes Street-Art-Foto mit einer Künstlerseite, wird diese nicht

benachrichtigt. Verlinkt er ein Foto jedoch mit einem Künstlerprofil (also als

‚Person‘), erhält diese von Facebook eine Benachrichtigung. Auch hier schreiben sich die Platform Politics in die mediale Verhandlung der Street Art ein. Im Gegenzug verlangt ein Künstlerprofil jedoch auch die Bereitschaft, eine

virtuelle Freundschaftsbeziehung mit seinen Fans und Followern einzugehen. Die daraus resultierende Sichtbarkeitsmaximierung hat sowohl positive als auch negative Effekte: Einerseits kann der Zugewinn an Facebook-Freunden als 83 Dies hat sich mittlerweile geändert. Die Fluidität und Prozessualität der Plattform tritt somit auch an dieser Stelle zu Tage und verweist auf die Schwierigkeit einer

wissenschaftlichen Erforschbarkeit des Social Networks. So unterliegt dieses einer steten Veränderung und lässt sich allenfalls punktuell stabilisieren.

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Steigerung der eigenen „Aufmerksamkeitsökonomie“ (Wiedemann 2011: 170) betrachtet werden. Je stärker Artists (online) vernetzt sind, umso größer ist ihre Sichtbarkeit (online). Dies bewahrheitet sich jedoch nur dann, wenn

Street-Art-Künstler ihr eigenes Profil auch regelmäßig mit neuen Aktivitäten anreichern. Das heißt, Street Artists bleiben auf der Startseite ihrer Freunde

nur dann präsent, wenn sie auch regelmäßig ‚etwas machen‘ (vgl. ebd.: 169). Nur diejenigen Künstler also, die aktiv sind, erscheinen auf der Startseite ihrer Fans ‚ganz oben‘. „Was machst du gerade?“ bzw. „Lade Fotos von deinem Handy hoch“ lautet der von Facebook bereitgestellte Imperativ, der Künstler

dazu auffordert, ihre neuesten Aktivitäten der Community mitzuteilen (vgl. ebd.). Was sie gemacht haben, wird von den angefreundeten Street-Art-Fans

dabei immer der sofortigen Kontrolle unterzogen. In Form von metrifizierenden „Gefällt mir“-Angaben werten diese über die qualitativen Leistungen der Künstler. Doch nicht nur die Freunde werden zum Kontrollmechanismus

vorausgegangener Aktionen, sondern die Künstler selbst werden zum Beobachter ihrer eigenen Aktionen: „Die Art, wie Facebook die User [hier die Künstler, KG] adressiert, gleicht den Subjektivierungs-Mechanismen der postdisziplinären Gesellschaften, die nicht darauf basieren, dass ein Souverän die Individuen […] überwacht und diszipliniert, sondern darauf, dass die freien Subjekte sich selbst regieren bzw. registrieren und sichtbar machen“,

so Carolin Wiedemann in ihrem Aufsatz Facebook. Das Assessment-Center der alltäglichen Lebensführung (ebd.). Mit Bezug auf Deleuze fährt diese fort: „[Dieses] ,Kontroll-Regime‘ bezeichnet hierbei die permanente Aufforderung zur Selbstkontrolle, zur Kontrolle des Projekts ‚Ich‘.“ (Ebd.) Und dies nicht ohne

Grund, denn aufgrund des standardisierten User-Interfaces und den damit einhergehenden, vorgegebenen Selbstbeschreibungsmöglichkeiten wird jeder

Künstler mit anderen Künstlern – scheinbar objektiv – vergleichbar (gemacht). Wie oft wurde die neueste Aktivität geliked, wie oft geteilt und wie oft kommentiert bzw. – nicht weniger wichtig – von wem?

Das mediale Arrangement der Onlineplattform vereinfacht die Möglichkeit

einer standardisierten, zurichtenden Vergleichbarkeit und kann Konkurrenzsituationen begünstigen. Grund dafür ist die homogenisierende Erfassung von

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Künstlerprofilen, die aus Usersicht ausschließlich im Hinblick auf vorgeschaltete Privatsphäre-Einstellungen variieren (vgl. ebd.: 168).

An dieser Stelle ein abschließendes Beispiel zur Anfreundungspraxis: Der

Hamburger Künstler TONA postet nach dem Abschluss seiner 1.000sten ‚Freundschaftsbeziehung‘ Ende Oktober 2013 „1.000 friends… love you all“ 84, während der australische Künstler BE FREE nur wenige Wochen zuvor bekannt gibt: „Ok so I’ve hit the limit of 5.000 friends, but I’ve got a page that people can check out [and] that I will be updating. Thanks to everyone that loves

art.“85 Dies zeigt, dass eine virtuelle Freundschaftsbeziehung demnach nicht nur von Fanseite angestrebt, sondern von Künstlern durchaus auch zur ‚ProfilBildung‘, im Sinne der eigenen Sichtbarkeitsmaximierung, genutzt wird. TONA äußert sich in diesem Kontext folgendermaßen:

„Ich [habe] mich lange dagegen gesträubt [bei Facebook anzumelden], also richtig lange. Und im Endeffekt haben mich dann Freunde dazu überredet, so nach dem Motto

‚du brauchst das halt irgendwie, um noch mehr Menschen zu erreichen‘. Dann hab ich

mir gesagt: ‚So als Künstler, mit einem Pseudonym find ich‘s ok.‘ Ist jetzt halt aber auch

nicht so, dass ich immer hinterher bin, dass mein Profil up-to-date ist. Also ich kann das Ding auch einen Monat aus lassen, ohne dass es mich stört.“ (Int. KG 06/2013)

Da Street-Art-Künstler zumeist ein ausgeprägtes Rollenverständnis aufweisen

und folglich recht gut zwischen ihrer Rolle als Privatperson und Künstler unterscheiden können, kommt dies zwar dem Schutz ihrer Privatsphäre zugute, die von der Plattform ausgehenden Praktiken der Selbstkontrolle können im Zuge dessen jedoch nicht ausgehebelt werden.

84 www.facebook.com/tona.streetart, 30.10.2013. 85 Das Facebook-Profil ist zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr abrufbar, Stand: 14.09.2015. Ein Screenshot vom 05.10.2013 wurde archiviert und dient als Beleg.

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4.1.6 E NTDECKEN UND POSIEREN | P ASSANTEN UND T OURISTEN

Eine weitere Akteurgruppe, die ich im Rahmen dieses Kapitels anführen möchte, sind Passanten und Touristen. Diese treffen oftmals nur zufällig auf Street Art, auf ihrem routinierten Weg zur Arbeit zum Beispiel, oder aber beim Spazierengehen durch fremde Städte. Durch die piktorale Besetzung und Markierung städtischer (Un-)Orte durch Kunst geraten sie ins Stocken und werden zum Nachdenken oder Schmunzeln angeregt. In diesem Kontext erweist sich das Smartphone als essentielles, fotografisches Dokumentationsmedium, ist es nicht nur schnell, sondern auch flexibel einsetzbar.

Abb. 12 Marshal Arts | Köln Während Touristen im Zuge privater Sightseeing-Touren oftmals eher unvermittelt auf Street Art treffen, tun sie dies im Rahmen von Street-Art-Touren

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wiederum nicht. So zielen Street-Art-Touren ja gerade darauf ab, Städtereisenden und Touristen ein möglichst breites Spektrum der lokalen Street-Art-Szene

näherzubringen und ausgewählte Abeiten gezielt anzusteuern.86 Nicht selten kommt es dabei vor, dass Street-Art-Werke zum integrativen Teil touristischer Reiseandenken werden (vgl. in diesem Kontext u.a. Abb. 12), bilden sie doch

eine überaus gern gesehene ‚Kulisse‘ ihrer Urlaubsfotos. Ein Spot, der hierbei

besonders beliebt scheint, ist die Street-Art-Passage bei den Hackeschen Höfen in Berlin-Mitte.87 Am Haus Schwarzenberg tummelt sich täglich eine Vielzahl von Touristen aus aller Welt; beinahe jeder hält seine Fotokamera bereit und

versucht, das bunte Street-Art-Treiben einzufangen. Die Wände des hochfrequentierten Spots mutieren mittlerweile zu regelrechten ‚Werbeflächen‘ für

zahlreiche Street Artists – dies u.a. auch, weil einige der in Berlin angebotenen

Street-Art-Touren hier ihren Zwischenstopp einlegen. Auch in Szenekreisen ist man sich dieser Fotopraxis natürlich bewusst. So wird die ‚Werbefläche‘ am

Haus Schwarzenberg einerseits dankend angenommen, andererseits wird sie vonseiten einzelner Künstler bereits piktoral (und ironisch) kommentiert. Es mag kein Zufall sein, dass der Berliner Künstler Mein lieber Prost zwei seiner

‚Prostie‘-Figuren gerade inmitten jener Umgebung aussetzte (vgl. Abb. 13): Dabei klopft Prostie Nummer eins Prostie Nummer zwei in bekannt lachendem Gestus auf die Schulter, während diesem der Schriftzug „your photo here“ in fetten Lettern ins Gesicht geschrieben steht. Und auch ich wurde während

meiner Feldforschung in jener Passage auffallend oft um ein Foto gebeten. Touristen posierten dabei vor ausgewählten Street-Art-Motiven und inszenierten sich im Umfeld urbaner (Sub-)Kulturästhetik.88 Das Präfix „Sub“ wird hierbei

86 Vgl. dazu ausführlicher KAPITEL 4.4.2. 87 Auch das RAW-Gelände an der Warschauer Straße und das Kino Intimes in Friedrichshain sind beliebte Berliner Street-Art-Hotspots. Ein vergleichbares Pendant

scheint sich in der Rosenhofstraße im Hamburger Schanzenviertel sowie der Maastrichter-, Vogelsanger- und der Körnerstraße in Köln etabliert zu haben.

88 Diese Art der (Street-Art-)Selfie-Fotografie nimmt Strukturen urbaner Markierungspraxis auf und zitiert die Semantik eines mit Marker oder Sprühdose gesetzten Tags:

„Ich war hier“ ist die genuine Aussage, die hinter beiden Praktiken steht. Interessanterweise ist ein ähnliches Phänomen auch im Falle von Galeristen zu erkennen, posieren diese bei Vernissagen recht häufig vor Arbeiten ausgewählter Künstler.

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jedoch zunehmend überflüssig, bewirbt sich die Stadt Berlin selbst schon seit einigen Jahren als Melting Pot einer florierenden, urbanen Kunst- und Kultur-

szene. Vor allem Street-Art-Festivals gelten als großer Attraktor und erweisen sich als beliebte Marketingstrategie, um sich als attraktiver Standortfaktor zu präsentieren und Street-Art-Tourismus zu fördern.89

Abb. 13: Mein lieber Prost | Berlin Nicht weit von den Hackeschen Höfen entfernt, entlang der Diercksenstraße in Berlin-Mitte, nimmt einer von El Bochos Charaktern zur Situation des Berliner

Städtetourismus Stellung: Tina Berlina, eine Mädchenfigur mit knallrotem Haar und schwerer Perlenkette, die explizit Berliner Touristen und Städtereisende anspricht. Mit den Worten „Hey tourist… secret info: The airport is ready in

2040“ oder „Hey tourist…top secret info: The most Mauerpieces you can buy are not original…!“ erteilt diese wohlgemeinte Ratschläge und nimmt dabei auch die sich etablierenden Berliner Street-Art-Touren „so ein bisschen auf’s Korn“ (Int. KG 06/2013). So rät diese, mit bewusst süffisantem Unterton und leichtem Augenzwinkern: „Hey tourist, don’t believe the tourguide, hehe.“ Dennoch fügt ihr Urheber El Bocho hinzu, dass er das Konzept dieser Touren – 89 Siehe dazu ausführlicher im FAZIT.

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wenn sie denn gut gemacht seien – im Allgemeinen befürworte. So gingen Tour-Teilnehmer nicht nur der Praxis des (teils willkürlichen) Street-Art-Fotografierens nach, sondern erhielten Zusatzinformationen zu Künstlern, Entstehungskontexten und Werkserien. Da einzelne Motive oftmals Teil bestimmter Serien oder übergeordneter Konzepte seien, so der Künstler weiter, sei dies für das Verständnis bzw. die Rezeption einzelner Arbeiten nicht unwichtig.

4.1.7 L IKEN , BEWERTEN UND SICHTBARMACHEN | L IKE -E CONOMY

Eine der gängigsten Praktiken im Social Network ist das Liken. Der blaue, nach oben zeigende Daumen hat sich dabei als Symbol und Wesensmerkmal der

Plattform etabliert, in welcher soziales und wirtschaftliches Kapital zusammenfallen (vgl. Gerlitz 2011: 101).90 Die Medienwissenschaftlerin Carolin Gerlitz, die sich in ihrem Aufsatz Die Like Economy. Digitaler Raum, Daten und Wertschöpfung (2011) vorwiegend mit den von Facebook bereitgestellten Social

Plug-ins bzw. implementierten Open/Social Graphs beschäftigt, spricht von einer regelrechten „Like Economy“, welche auf der Plattform greift. Wie sich

diese in die Verhandlung der Street Art einschreibt, soll im Folgenden exemplifiziert werden. Ich schlage an dieser Stelle einen Bogen zurück zum Ausgangspunkt, um die Praktik des Likens ausgehend von der Seite Street Art in Germany zu entfalten.

Wie zuvor bereits angesprochen, ist der große Vorteil einer derart zugkräftigen Seite wie Street Art in Germany vor allem die große und schnelle Reichweite. So können, je nach Tag und Uhrzeit, mit einem einzigen Post mehrere

hunderttausend Menschen erreicht werden, darunter Künstler, Galeristen, Blogger, Fotografen sowie eine Vielzahl von Fans und Followern. Dass sich dies maßgeblich auf den Bekanntheitsgrad von Street-Art-Künstlern auswirkt, scheint auf der Hand zu liegen, schließlich erhöht sich bereits mit jedem einzelnen Like die Sichtbarkeit eines geposteten Street-Art-Fotos. Die Praktik des

90 Siehe dazu auch Roosendaal (2010).

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Likens ist für alle Facebook-Freunde des ‚likenden‘ Users im Echtzeit-Feed einsehbar. „Posting work to the internet with no social network readily in place is synonymous with the riddle ‚If a tree falls in a forest and no one is around to hear it, does it make a

sound?‘ For young artists on the internet the answer to the forest is ‚no‘ – their work will

easily go unnoticed, making their participation as a social brand an a priori necessity to contextualizing what they do as art.“ (Troemel 2013: 267)

Ein Like fungiert hierbei aber nicht nur dazu, dem eigenen Gefallen Ausdruck zu verleihen, sondern kann zudem als eine Art Empfehlung für die eigene

Freundesliste gesehen werden. Denn: „When we watch something that someone else has shared [or liked, KG], we watch it with the imagined co-presence of our friend alongside us, […] as an asynchronous shared experience at a

distance“, so auch der Medienphilosoph D. E. Wittkower (2013: 186).91 Oftmals generieren sich aus Likes verschiedenste Formen der Anschlusskommunikation, wie beispielsweise neue Likes, Shares oder Kommentare. Diese, so kon-

statiert Carolin Gerlitz, sind dabei nicht zwangsläufig Ausdruck des eigenen Geschmacks oder Gefallens, sondern Resultat von einer Art ‚Affekt‘ (vgl. Gerlitz 2011: 102, 106). Zurückzuführen ist dies u.a. auf die Konzeption der Plattform,

die vorgibt, wie Individuen, in diesem Fall Facebook-User oder -Freunde, adressiert – oder im Sinne Althussers „angerufen“ – werden. Die daraus entstehende „Empfehlungsökonomie“, so Gerlitz weiter, wird in der Fachpresse bereits als Übergang von der „Wisdom of the Crowd“ zur „Wisdom of the Friend“ diskutiert (vgl. ebd.: 106 mit Bezug auf Claburn 2009).92 Im Zuge einer solchen Verkettung von Like-Praktiken potenziert sich die

Sichtbarkeit eines Street-Art-Fotos maßgeblich. Erfasst werden die getätigten Likes dabei auf der Pinnwand des Uploaders; im Speziellen unterhalb des hochgeladenen Fotos. Vorlieben und Affekte werden auf diese Weise metrifiziert,

91 Wie Robert W. Gehl bemerkt, bedeutet das gleichzeitig aber auch,: „Of course, much of social media is marked by lateral surveillance – what Mark Andrejevic aptly calls ‚the work of watching one another‘.“ (Gehl 2013: 228)

92 Und auch Robert W. Gehl betont die affektiven Qualitäten der Plattform, welche er letztlich als ‚archive of affect‘ beschreibt (vgl. Gehl 2013: 228).

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vergleichbar gemacht und komplexe soziale Relationen auf ein Minimum an Eigenspezifik reduziert: „All we can do is proclaim our fondness […] or else

keep silent. It reduces everything to a binary love/don’t love choice“, so der Medienwissenschaftler Robert W. Gehl in seinem Aufsatz ‚Why I left Facebook‘ (2013: 233). Im selben Zug lassen sich Vorlieben individuell zurückverfolgen.

So kann unterhalb der hochgeladenen Fotos nicht nur die Anzahl der Likes, sondern gleichzeitig auch die Liste der dahinterstehenden Akteure eingesehen werden. Dies wiederum scheint in der medialen Verhandlung der Street Art

nicht irrelevant, verknüpft die Praktik des Likens nicht nur hochgeladene

Street-Art-Fotos mit externen Nutzerprofilen, sondern auch Street-Art-Fotos mit Profilen namhafter Street-Art-Künstler. Wie bereits für den Fall virtueller

Freundschaftlichkeit exemplifiziert, schreiben sich angestrebte Nähe-Beziehungen in den Diskurs der Street Art ein. Fotos bzw. Arbeiten scheinen von Userseite aus vor allen Dingen dann interessant, wenn gute Freunde oder zentrale

Akteure der Street-Art-Welt bereits ihre „Gefällt mir“-Angabe abgegeben haben. Der Wert eines Likes variiert somit situationsbedingt. Grob gesagt wird Likes zentraler Szeneakteure in der medialen Verhandlung der Street Art ein

größerer Wert zugeschrieben als Likes externer Nutzer. Ein einzelnes, hochgeladenes Street-Art-Foto aggregiert seinen Wert somit keinesfalls ausschließlich aus ‚sich selbst‘ – oder wird von kunst- bzw. formalästhetischen Kriterien bestimmt – vielmehr wird ihm dieser Wert im Zuge seiner medialen Verhandlung erst eingeschrieben. Durch das gemeinsame Betrachten und Bewerten von

Street-Art-Arbeiten bzw. -Fotos wird ihre Gelungenheit und Relevanz für die Street-Art-Welt ausgehandelt. Kommentare, Likes und Shares präsentieren sich hierbei als wesentlicher Bestandteil ihrer Ausstellungspraxis. Die diskursive

Bedeutungsproduktion von Street-Art-Arbeiten wird auf diese Weise mit plattformspezifischen Bewertungskriterien kurzgeschlossen und von der Straße auf

die Onlineplattform verlagert. In seinem Aufsatz Art after Social Media as a

Rejection and Reflection of Free Market Conventions (2013) denkt Brad Troemel in eine ähnliche Richtung, wenn er schreibt: „[…] viewers of social media are able to more powerfully define the context (and thus

the meaning) of a work than an artist her- [or him]self. To be an author isn’t a fixed sta-

tus but now a temporary role played alongside [a heterogeneous group of different actors, KG].“ (Troemel 2013: 266)

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Das mediale Interface und dessen Kommunikations(-infra)struktur werden zum Bestandteil des Werks und tragen maßgeblich zu dessen Bedeutungsproduktion bei. Greift man an dieser Stelle abermals die Figur des Schnitt-Bildes auf, kann der darin anzitierte ‚Schnitt‘ mit einer veränderten Dialogizität in Verbindung gebracht werden. Street-Art-Werke werden an plattformspezifische Charakteristika und Bewertungskriterien rückgebunden und mit den von der Plattform eingeforderten, soziotechnischen Kommunikationsmodi verschränkt. Likes, und das sollte spätestens an dieser Stelle klar geworden sein, sind

nicht nur ein simpler Klick, sie sind eine digitale Warenform. Dennoch funktionieren Likes gemeinhin nicht wie Geld. Wer liked, hat kein Geschäft abgeschlossen; ganz im Gegenteil, er hat ein Geschäft eröffnet. So basiert die LikeEconomy maßgeblich auf dem Prinzip des gegenseitigen Tauschhandels: „[In

the end, KG], the only compensation [you] might hope for is that [your] affection returns in a cybernetic loop: perhaps [your] friends […] return the favor

of likes and comments“, so Gehl in ‚Why I left Facebook‘ (2013: 231). Das heißt also, wer liked, erwartet von seinem Gegenüber eine ebensolche Gegenleistung. Bzw. anders ausgedrückt: Die Praktik des Likens ist mit plattform-

spezifischen Gegenerwartungen besetzt. Der Medienwissenschaftler und Netzkritiker Geert Lovink detektiert in dieser Bewegung93 und der damit einhergehenden Dominanz der Webwährung ‚Like‘ eine Verschiebung in der Aufmerksamkeitsökonomie: Nicht mehr die suchgesteuerte Navigation stehe im

Vordergrund, sondern das selbstreferientielle bzw. geschlossene Wohnen in den Sozialen Medien (vgl. Lovink 2012: 28 mit Bezug auf Gerlitz/Helmond 2013). Dass die Relevanz und Dominanz von Likes somit nicht ausschließlich an die Plattform rückzubinden ist, sondern auf unsere alltägliche Lebenswelt

ausgreift, wird spätestens an dieser Stelle sichtbar. „[T]here is a logic of accumulation: Get more friends, get more likes, get more comments. Quantify your social worth. While this accumulation offers myriad pleasures

(from social to the narcistic), it increases the flow of data through the system (which is precisely what Facebook wants) […]“,

93 Gemeint ist hier die Bewegung weg vom Link und hin zum Like.

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so Gehl (2013: 231). Facebooks Hauptinteresse liegt in der Generierung von ‚Usertraffic‘, mit der Absicht, personalisierte Werbeanzeigen schalten und Userdaten an lukrative Drittanbieter weiterverkaufen zu können.

Dass eine Plattform wie Street Art in Germany viele Likes generiert, ist klar, schließlich ist allein schon die Anzahl von Followern bei Weitem größer als bei

vielen anderen Street-Art-Seiten. Die Anzahl von generierten Likes hängt somit auch von der Größe des jeweiligen ‚Kanals‘ ab und spiegelt nicht zwangsläufig qualitative Werturteile wider.94 Wie das Beispiel von „Hello Shitty“95 zeigt, sind es bei Street Art in Germany oftmals auch smarte Sprüche oder lustige,

visuelle Gags, die ein großes Maß an Anschlusskommunikation nach sich ziehen. Der Blogger RJ Rushmore macht hierfür u.a. das sogenannte „Bored at

Work Network“ verantwortlich. Mit Referenz auf Evan Roth und Jonah Peretti beschreibt er dieses als „all the people who are bored at work (duh) and forwarding emails around full of cool images and stories and whatever else could get people’s minds off being bored and stuck at the office. […] The Bored at Work Network consists of the same people who look at

street art on the street, and now they have time to view street art because they can do it from their desks. The Bored at Work Network is the audience for street art in the 21st century“,

so Rushmore (2013: 72 mit Bezug auf McLaren 2006 und Roth 2012). Und damit mag er nicht ganz unrecht haben. Lange Zeit erwiesen sich die Facebook-Seiten des Süddeutsche Zeitung Magazins sowie des ZEIT Magazins als zentrale Akteure in der Verbreitung einzelner Street-Art-in-Germany-Posts. Ihre

Posts waren hierbei primär auf lustige Alltagsunterhaltung ausgelegt, anstatt auf hohe künstlerische Street-Art-Qualitäten zu setzen. Dies ist nur konsequent, scheint doch gerade das „Bored at Work Network“ eine ihrer Hauptzielgruppen darzustellen: Studenten und junge Berufstätige zwischen 25 und 40 Jahren,

häufig in Kultur- und Kreativberufen tätig, mit genug Zeit zum Surfen – oder, wie der Name schon sagt, mit scheinbarer Langeweile am Arbeitsplatz. Zusätz-

94 Wobei qualitative Kriterien die Anzahl an Likes natürlich trotzdem mitbestimmen können.

95 Siehe Seite 97-98.

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lich begünstigt werden diese Entwicklungen durch die Kommunikationsstruktur der Plattform, liefert sie doch die optimalen Bedingungen, um jener zuvor

beschriebenen Form des „active boredom“ (Wittkower 2013: 186) nachzugehen: „‚[W]ebsurfing‘ is transformed from a reception of content to a series of potentially shared experiences.“96 (Ebd.) Kunst wird auf diese Weise zur Alltagskommunikation und zum Entertainmentfaktor (degradiert).

Während Produktion, Rezeption und Verhandlung der Street Art in ihrem Ursprung auf ein primär szeneinternes Publikum zugeschnitten waren – Foren, zentrale Blogs, Webseiten und Fotoportale bestimmten den Informationsfluss und das Meinungsbild der Street-Art-Welt – war szeneexterne Userpartizipation nicht zwingend vorgesehen. Erst das sogenannte ‚Web 2.0‘ und soziale Netzwerke brachen diese Struktur auf. Vor allem partizipativ angelegte Seiten wie

Street Art in Germany setzen auf eine Interaktionsstruktur, die das Zusenden, Teilen, Liken und Kommentieren von Street-Art-Fotos explizit vorsieht. Ein

Motiv, welches sich bei Street Art in Germany besonders großer Beliebtheit erfreute, war das eines Schneehasen. Wie aus dem Freiflug kommend, umarmt ein aus Schnee modellierter Hase einen großen, freistehenden Baumstamm.97 Jenes Foto wurde Polypix im Winter 2012/2013 von Userseite zugesandt und

fand auf der Seite großen Anklang. Bis heute wurde es über 21.700-mal geliked und über 11.000-mal geteilt; auch das Süddeutsche Zeitung Magazin erwies sich als einer der zentralen Multiplikatoren. Polypix erzählt in diesem Kontext:

„Die Leute lassen sich oftmals inspirieren und fangen manchmal sogar selbst an, etwas nachzubauen. Vor allem dann, wenn es technisch relativ einfach zu machen ist. Man

96 Und Wittkower schließt an: „The future gaze of the absent friend transforms our cur-

rent empty time into a prospective experience of boredom-alongside, allowing us to find our current boredom not as empty time under the tedious meaningless of which

we suffer, but as time wasted along with others: leisure well but purposelessly spent.

[…] We can see a kind of performative confirmation of these claims in the muchderied practice of photographing pictures of our lunch.“ (Wittkower 2013: 187)

97 Anbei der Link zu einem der Duplikate, geposted am 04.12.2013 (Foto: unbekannt, unbekannter Künstler): www.facebook.com/StreetArtGermany/photos/a.437546842922891.107640.213775278633383/710006445676928/?type=3&src=https%3A%-

2F%2Fscontent-b-ams.xx.fbcdn.net%2Fhphotos-xap1%2Ft1.09%2F1473071_710006445676928_1067517412_n.jpg&size=360%2C480&fbid=710006445676928, 26.08.2014. Der Originalpost ist nicht mehr abrufbar.

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kennt ja beispielsweise diese ‚Love to go‘-Zettelchen. Davon gibt’s Unmengen. Besonders

markant war jedoch der Fall eines Schneehasen: Nachdem ich das Foto gepostet hatte, waren nur wenige Wochen später ungefähr 40-50 ähnliche Hasenfotos in meinem Posteingang“,

so Polypix (Int. KG 01/2013). Dies ist ein Beispiel dafür, wie Onlinepraktiken in den Stadtraum rückgreifen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die zunehmende Onlinezirkulation von Street-Art-Fotos und die damit einhergehende Öffnung der Rezipientenkreise u.a. auch zu einer Verschiebung auf der Produktionsebene führt. So nimmt sich derzeit ein wesentlich breiteres und heterogeneres Publikum der Street-Art-Praxis an.98 Selbst Rentner haben im sogenannten Guerilla Knitting eine liebgewonnene Freizeitbeschäftigung gefunden, mittels derer sie ihre ‚rebellische‘ Botschaft in Form von bunten Verstrickungen im

öffentlichen Raum hinterlassen. Und auch die einstige Männerlastigkeit breche auf, wie u.a. der Düsseldorfer Künstler L.E.T. bemerkt. Rund die Hälfte aller aktiveren Street Artists in Düsseldorf seien derzeit Frauen, so der Künstler im Juni 2013 (Int. KG). Die einst große Distanz, die von einer subkulturellen Gruppierung wie der Street(-)Art(-Szene) ausgeht, scheint sich im Zuge der zunehmenden Onlinezirkulation und der damit einhergehenden (Suggerierung

einer) digitalen Zugänglich- und ‚Freundschaftlichkeit‘ verringert zu haben. Viele Menschen, die ohne das Internet niemals mit dieser Art von Kunst in Berührung gekommen wären, fühlen sich plötzlich angesprochen, sind überrascht, inspiriert und probieren sich aus – kurzzeitig zumindest. Denn diese Art der Street-Art-Praxis tritt oftmals nur punktuell auf und ist nicht von langer Dauer. Es handelt sich hierbei um einen Umstand, auf den gerade diejenigen Künstler hinweisen, die bereits auf langjährige Erfahrung zurückblicken. Dem konstanten Output auf der Straße wird somit durchaus ein qualitativer Wert

98 Begünstigt wird dies auch durch Street-Art-Touren, welche als besonderes Zusatzfea-

ture bereits Street-Art-Workshops mit im Programm führen – und selbst wissen-

schaftliche Veranstaltungen ziehen nach: So sah die Tagung Grauzonen? Street Art &

Graffiti, welche vom 02.-04.05.2014 in Tutzing stattfand, ebenfalls „parallele Praxisworkshops zu Stencil und Graffiti“ im Veranstaltungsprogramm vor, vgl. http://

web.ev-akademie-tutzing.de/cms/index.php?id=576&lfdnr=1967&part=detail, 06.08.2015.

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zugeschrieben, welcher sich als ausschlaggebender Distinktionsfaktor in der internen Verhandlung der Street Art präsentiert. Meine Überlegungen dürfen demnach gerade nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass die Street-ArtPraxis – und zwar so, wie sie heute existiert – im Wesentlichen von einer durchaus geringen Anzahl von Akteuren getragen wird. „In Berlin, was gemeinhin als einer der Street-Art-Hotspots gilt, sind auf eine ungefähre

Einwohnerzahl von dreieinhalb Millionen Menschen vielleicht 15 Leute wirklich auf der Straße aktiv. Das darf innerhalb der ganzen Diskussion nicht vergessen werden“,

unterstreicht auch El Bocho (Int. KG 06/2013).

4.1.8 S ELEKTIEREN UND ZURICHTEN | PLATFORM POLITICS Wie meine bisherigen Ausführungen gezeigt haben, sind die in Facebook auftretenden Medienpraktiken nur dann hinreichend beleuchtet, liest man sie im Kontext plattformpolitischer Abhängigkeiten und Zuschreibungen. Diese Praktiken der Restriktion fasse ich unter den Begriff der Plattform Politics.

Die Tatsache, dass es ausschließlich einen Like-, aber keinesfalls einen

Dislike-Button gibt, weist bereits in diese Richtung. Nichts kann einem ‚nicht gefallen‘, alles ‚gefällt‘ – allenfalls eine Enthaltung ist möglich. Die Konzeption

der Plattform setzt somit eindeutige Signale und zeigt sich bemüht, einen positiv aufgeladenen Kommunikationsfluss medial herzustellen. Der Berliner El Bocho weist in einem Gespräch ebenfalls auf diesen Umstand hin: „Also es ist

ja so, dass es auf diesen [Facebook-, KG]Seiten überhaupt keine Kritik gibt“ (Int. KG 06/2013). Und damit hat er recht – weitestgehend zumindest. Ins Gegenteil verkehrt sich dies allenfalls bei sogenannten „Shitstorms“; das sind spezifische ‚Empörungswellen‘ im Internet, die (zumeist unsachliche) Kritik an einem spezifischen Post oder Kommentar üben. Im Kontext der Street Art ist mir dazu jedoch kein nennenswerter Fall bekannt. Die grundlegende Kommunikation und Verhandlung der Street Art im Social Network bleibt positiv

(konnotiert). In der Filmkritik zu The Social Network (2010) findet Zadie Smith dafür folgende Worte: „Vielleicht wird das ganze Internet einfach wie Facebook: gespielt fröhlich, vorgetäuscht freundschaftlich, voller Eigenlob, routi-

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niert verlogen.“ (Lovink 2012: 57 mit Bezug auf Smith 2010). Und sie fährt fort: „Wir waren dabei, online zu leben. Es sollte außergewöhnlich werden. Doch was für ein

Leben ist das? Treten Sie mal kurz von Ihrer Facebook-Pinnwand zurück: Sieht es nicht plötzlich ein wenig lächerlich aus? Ihr Leben in diesem Format?“ (Ebd.)

Smith weist dabei auf einen wesentlichen Grundzug der Plattform hin: So fin-

det ein Großteil der Onlinekommunikation keinesfalls auf der für alle sichtbaren Interfaceoberfläche statt, vielmehr prägt die von der Plattform bereitgestellte Architektur die Interaktion ihrer User auf maßgebliche Weise mit. Die Art und Weise, wie Facebook ihre User anspricht, wie Informationen kanalisiert und Reize und Affekte adressiert werden, muss zwingend mitgedacht

werden. „Wir müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, welche emotionalen Reaktionen unmittelbar selbst von der Software angesprochen werden“, so auch Geert Lovink in Das halbwegs Soziale (2012: 126). Gleichzeitig müssen wir

uns darüber im Klaren sein, welche Zumutungen von der Plattform ausgehen und welchen Preis wir für eine vermeintlich ‚freie‘ Kommunikationsinfrastruktur zahlen. Denn:

„[…] we are invited and encouraged to adopt specific modes of usership – ways of expressing ourselves, ways of valuing the informational logic of the platform and its recommendation system, and ways of relating to others. […] The subject, in this case,

the social media user, has to conform to some rules and ways of doing things in order to have the possibility to enrich his [sic!] or herself“,

so Langlois in Social Media, or Towards a Political Economy of Psychic Life (2013: 56). „Erhalte mehr Gefällt mir-Angaben. Wirb für deine Seite, um dich mit

mehr Nutzern zu verbinden, die für dich wichtig sind“, lautet die Aufforderung, die seit Mitte 2012 Seitenadministratoren nahegelegt wird. Dabei kann jeder Admin sowohl die Zielgruppe (bestimmbar durch die Kriterien Standort,

Interessen, Alter und Geschlecht99) als auch sein individuell zur Verfügung stehendes Budget festlegen. Die Kosten für die Bewerbung der Seite hängen hier-

99 Vgl. www.facebook.com/help/294671953976994, 19.09.2014.

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bei von der Anzahl der Personen ab, die erreicht werden sollen. Bei Facebook heißt es dazu: „Wenn du ein größeres Budget wählst, werden mehr Nutzer Werbeanzeigen sehen, die sie dazu anregen, deine Seite mit ‚Gefällt mir‘ zu

markieren.“100 Während die Bewerbung von Seiten dauerhaft geschaltet sein kann, ist die Bewerbung von Posts auf maximal sieben Tage limitiert.101 Wählt man eine dieser Optionen an, rückt der beworbene Post (bzw. die beworbene

Seite) im Newsfeed ‚nach oben‘, sodass ihn möglichst viele User sehen. Als einzige Bedingung listet Facebook, dass die beworbenen Beiträge den Werbericht-

linien102 des Unternehmens entsprechen müssen. Auch wenn das Bewerben einzelner Posts oder Facebook-Seiten im Kontext der Street Art bisher eher die Ausnahme darstellt, gibt es durchaus Akteure, die dieser Aufforderung nach-

kommen.103 Im Umkehrschluss gibt es aber auch Künstler, die sich gegenüber

den plattformpolitischen Zurichtungen des Social Networks bereits negativ äußern. So konstatierte der Düsseldorfer Künstler Sergei Kravinoff The Hunter in einem Post vom 23. Juni 2013:

„[D]a Facebook von mir Geld haben möchte, damit meine Fotos euch weiterhin errei-

chen, werde ich diese Seite nach und nach einstampfen. Ich habe jetzt ein normales Profil; wer mir weiterhin folgen möchte, schickt mir eine Freundschaftsanfrage.“104

Fra.Biancoshock hingegen erprobte die Zurichtungspraktiken in einem Selbstversuch. In einem zweiminütigen Abstand postete er zwei Beiträge; Nummer 1

unter dem Titel „Something“ und unbeworben, Nummer 2 unter dem Titel „Nothing“ und beworben – begleitet von den Worten „I’ve paid to sponsor this post that says NOTHING. For 24 hours it will get more attention on my page

100 www.facebook.com/help/294671953976994, 19.09.2014. Admins haben hierbei die Möglichkeit, einen persönlichen Tageshöchstbetrag festzulegen, welchen Facebook in direkte Relation mit der geschätzten Anzahl neuer „Gefällt mir“-Angaben stellt.

101 Vgl. www.facebook.com/help/547448218658012, 22.09.2014. 102 Vgl. www.facebook.com/ad_guidelines.php, 19.09.2014. 103 Vor allem Galerien bzw. Galeristen machen von dieser Praktik Gebrauch. 104 www.facebook.com/SergeiKravinoffTheHunter, 23.9.2014. Diesem Vorhaben wurde bisher jedoch (noch) nicht nachgekommen, Stand: 01.09.2016.

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than a post that says SOMETHING“.105 Während der unbeworbene Beitrag nur 192 Personen erreichte und neun Likes erhielt, wurde der beworbene Beitrag hingegen von 4.802 Personen gesehen und erhielt 63 Likes. Biancoshocks

Intention war es, die Zensurpraktiken der Plattform und die kommerziellen Interessen des Unternehmens offenzulegen.

Es mag kein Zufall sein, dass das Unternehmen seinen Seitenadministra-

toren nur kurz zuvor, Anfang 2012, ein weiteres Feature zur Hand stellte: die Einsicht in Seitenstatistiken (vgl. Abb. 14).106 Spätestens diese beweisen nämlich, dass Reichweite und Anschlusskommunikation einzelner Posts algorithmisch beeinflusst und von weitaus mehr Faktoren abhängig sind als künstlerische Street-Art-Qualitäten. So nehmen Tag und Uhrzeit eines Facebook-Posts starken Einfluss auf seine Reichweite, genauso wie sich die Regelmäßigkeit der

Postingpraxis auf die Sichtbarkeit einzelner Posts auswirkt. Als Beispiel: Postet man ein Foto samstagsabends um 22 Uhr, so erhält dies mit ziemlich großer

Wahrscheinlichkeit weniger ‚mediale Aufmerksamkeit‘, als wenn man dasselbe Foto an einem Mittwochnachmittag veröffentlicht. Der simple Grund: eine Vielzahl der User ist nicht online; der Post ‚erreicht‘ sie somit nicht und rutscht

auf ihrer Startseite nach unten:

105 Vgl. www.facebook.com/justbiancoshock/photos/a.456500301108286.1073741837.449433028481680/842327972525515/?type=3&theater sowie auch Rushmore (2015a).

106 Diese wurden im Spätsommer 2013 abermals um einige Features erweitert: So ist

seither die Beitragsreichweite jedes einzelnen Posts – und zwar aufgeschlüsselt in a) Reichweite allgemein und b) Interaktionen in Form von Klicks, Likes, Shares und

Kommentaren – einsehbar. Zudem verfügt jeder Admin über demografische Daten

seiner Fans (männlich/weiblich, Land, Stadt, Sprache) sowie auch über seine erreichten User (männlich/weiblich, Land, Stadt, Sprache). Ein Diagramm gibt in ei-

nem einwöchigen Über- bzw. Rückblick darüber Aufschluss, an welchem Tag, zu welcher Uhrzeit, wie viele Fans online waren. Userverhalten wird auf diese Weise

in einen statistischen Wert transformiert, der Einfluss auf das Postingverhalten der Seitenadministratoren nimmt (bzw. zumindest nehmen kann).

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Abb. 14: Facebook Seitenstatistiken | exemplarisches Beispiel einer Facebook-Seite „One of the core features of Facebook […] is its news feed, which is algorithmically driven and sorted in its default mode. The EdgeRank algorithm of the news feed governs

the logic by which content becomes visible, acting as a modern gatekeeper and editorial voice. Given its 700 million users [meanwhile there are about 1.3 billion users, KG], it

has become imperative to understand the power of EdgeRank and its cultural implication“,

so Lovink und Patelis in Unlike Us. Understanding Social Media Silos and Their Alternatives (2013: 369).107 In einer Gesellschaft, in der der schnelle Klick dominiert und täglich Unmengen neuer Informationen auf unsere Bildschirme

einströmen, erweist sich der Facebook-Algorithmus als nicht zu unterschätzender Akteur.

Postet ein Admin über einen Zeitraum von mehreren Wochen nichts, nimmt

auch hier die Sichtbarkeit seiner Seite bzw. Posts ab; deutlich weniger User werden erreicht. Der Grund scheint offensichtlich, wird vonseiten des Unternehmens ein permanenter Informations- und Kommunikationsfluss angestrebt.

So war die Plattform von Anfang an auf regen Austausch und ‚Handel‘ konzi-

107 Und sie fügen hinzu: „Another analytical site for investigation are the ‚application

programming interfaces‘ (APIs) that to a large extent made the phenomenal growth

of social media platforms possible in the first place.“ (Lovink/Patelis 2013: 369)

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piert worden – Handel von Vorlieben und Interessen, von Informationen und Affekten, von Likes und Shares sowie auch von Userdaten: „Facebook is a busi-

ness, one based on constantly observing us declare our desires and relationships“, so auch Robert W. Gehl (2013: 224). User werden auf diese Weise als

Produser (vgl. Bruns 2008)108 entworfen und erweisen sich als wichtige Content-Creator.109 Kommunikation, Interaktion und Austausch finden auf Social-

Media-Seiten keinesfalls ausschließlich auf der Interfaceoberfläche statt, sondern auf der Ebene ‚unsichtbarer‘ Datenflüsse, mit dem Ziel, Big Data zu akku-

mulieren.110 Je mehr Traffic auf diese Weise generiert wird und je mehr User Teil des sozialen Netzwerks werden, umso mehr Gewinn lässt sich ausschöpfen:

„[T]he more users participate in Facebook, the more powerful and profitable Facebook

becomes [… and] the more it is able to monopolize and concentrate the means of communication and cooperation in the internet, the less it is bound to the common good […].“ (Sevignani 2013: 326)

Und die Frage des Allgemeinwohls ruft hierbei einen letzten Punkt auf: Facebook operiert unter den moralischen (und möglicherweise leicht antiquierten) Wertvorstellungen der amerikanischen Gesellschaft.111 Laut Facebook-Guide-

108 Sevignani spricht in seinem Aufsatz Facebook vs. Diaspora (2013) von sogenannten „prosumern“ (vgl. Sevignani 2013: 325 mit Bezug auf Toffler 1984). 109 In Sevignanis Unlike Us-Reader-Beitrag (2013) heißt es hierzu: „While people use

the site due to different reasons, such as getting news, providing information, stay-

ing in touch with friends, making new relations, or organizing events, they produce a wide range of data. In this way, they are watched very accurately by the owners

of the SNS [Social Network Sites, KG]. […] The advertising industry is very interested, because Facebook’s prosumer commodity enables them to place their adverts

in a more targeted and efficient manner.“ (Sevignani 2013: 325-326)

110 „Our goal is not to build a platform. It’s to be across all of them“, so Mark Zucker-

berg 2011 mit Bezug auf seinen Social Graph bzw. die implementierbaren Social Plug-ins, mit welchen extern getätigte Likes an Facebook zurückgebunden werden

(vgl. Patelis 2013: 118 mit Bezug auf Zuckerbergs Aussage in der Charlie-RoseShow 2011).

111 Das Süddeutsche Zeitung Magazin schreibt am 13.03.2015: „Facebook-Richtlinien und Kunst. Zensur wie im Mittelalter“. In ihrem Beitrag weisen sie hierbei auf den

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lines gibt es klare Richtlinien, wie u.a. mit Nacktheit umzugehen sei. Auf der Seite heißt es dazu: „Facebook verfolgt strikte Richtlinien gegen das Teilen pornografischer Inhalte sowie jedweder sexueller Inhalte, wenn Minderjährige beteiligt sind. Darüber hinaus legen wir

Grenzen für die Darstellung von Nacktheit fest. Wir sind bestrebt, das Recht der Men-

schen, persönlich bedeutsame Inhalte miteinander zu teilen, zu respektieren, und zwar

unabhängig davon, ob es sich um das Foto einer Skulptur, wie z.B. dem David von Michelangelo, oder um Familienfotos einer stillenden Mutter handelt.“112

Die jeweilige Grenzziehung scheint dennoch weitestgehend Interpretationssache. So war auch die Seite Street Art in Germany bereits über mehrere Tage

und wiederholt geblockt worden – für Posts, deren moralische Fragwürdigkeit

ebenfalls in Frage gestellt werden kann. Ob die Initiative hierbei von Facebook

Fall des Kunstkritikers Jerry Saltz hin, dessen Account gesperrt wurde, weil er

spätmittelalterliche Gemälde mit Folterszenarien hochgeladen hatte. „Und nicht

nur die berüchtigte amerikanische Prüderie lässt manche an Doppelstandards glau-

ben: So entfernte Facebook Mohammed-Karikaturen auf Druck der türkischen Re-

gierung, verbannte tibetische Freiheitskämpfer, um es sich nicht mit China zu verscherzen, bevormundete russische Oppositionelle [und] löschte (angeblich verse-

hentlich) einen kirchenkritischen Eintrag des Moderators Domian. Die FacebookSprecherin begründet das mit der weltweiten Verbreitung: Man müsse auf alle,

mittlerweile fast anderthalb Milliarden Mitglieder Rücksicht nehmen, darunter auch Minderjährige oder Hunderte Millionen Muslime. Auf westeuropäische Nutzer

würden solche Regeln mitunter befremdlich wirken, aber Facebook könne keinen

nationalstaatlichen Flickenteppich etablieren. In einer globalisierten Welt müssten die Richtlinien überall gleich ausgelegt werden.“ (Hurtz 2015) Dass die Richtlinien

jedoch gerade nicht überall gleich sind, sondern sich an US-amerikanischen Werten

orientieren, darauf hat auch Geert Lovink in seinem Interview mit der European InfoNet Adult Education hingewiesen: „[Social media] are huge distraction machines

that create shareholder value through a very narrow corporate lens, dominated by

US-American cultural values.“ (Palmén 2015) Spätestens im Zuge der zunehmen-

den Verbreitung fremdenfeindlicher Hetze im sozialen Netzwerk erhält dieses Thema zusätzliche Prägnanz und fordert erneuten Handlungsbedarf ein (vgl. Hurtz 2015; Lükerath 2015).

112 www.facebook.com/communitystandards, 26.08.2014.

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(als Plattform) ausging, oder aber ob einzelne Posts von Usern „gemeldet“ wurden, ist aus meiner Perspektive nicht rückverfolgbar. Denn nicht nur die Plattform verfügt über einen restriktiven Kontrollmechanismus, der Verstöße

gegen die Guidelines ahndet, sondern jeder einzelne User kann Teil der Überwachungspraktiken werden. Zum einen trägt dies zum Schutz der eigenen Persönlichkeitsrechte bei, da auf diese Weise unerwünschte Posts von zentraler

Stelle aus gelöscht werden können. Zum anderen wird jeder User aber auch als mögliche Kontrollinstanz entworfen, und zwar allein aus seiner medialen Verfasstheit heraus. In den Facebook „Notizen“ heißt es dazu:

„Einige Facebook-Teams arbeiten rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche daran,

die an Facebook gesendeten Berichte [oder auch Meldungen, KG] zu bearbeiten. […] Zur

effektiven Überprüfung der Berichte ist das User Operations-Team (UO) in vier einzelne Teams unterteilt, die für bestimmte Berichtsarten zuständig sind: das Sicherheitsteam,

das Team für Hass und Belästigung, das Zugriffsteam und das Team für missbräuchliche Inhalte. Wenn jemand einen bestimmten Inhalt meldet, wird der Bericht aufgrund seiner

Natur an eins dieser Teams weitergeleitet. […] Wenn eins der Teams feststellt, dass ein

gemeldeter Inhalt gegen unsere Richtlinien oder unsere Erklärung der Rechte und Pflich-

ten verstößt, entfernen wir den Inhalt und verwarnen die Person, die ihn gepostet hat.

Außerdem können wir dem Nutzer die Möglichkeit zum Teilen bestimmter Inhaltsarten oder zur Nutzung bestimmter Funktionen nehmen, sein Konto sperren oder, bei Bedarf, den Fall den Strafverfolgungsbehörden übergeben.“113

D.h. also, jede getätigte Meldung wird von einem spezifischen Team überprüft. Dieses entscheidet dann, ob der Meldung nachgegangen wird und veranlasst

gegebenenfalls die Löschung des Posts.114 Aus dem im September 2013 veröffentlichten Buch Street Art in Germany geht hervor, dass sich auch deren Seitenadministrator Polypix kritisch gegenüber der restriktiven Facebook-Politik äu-

113 www.facebook.com/notes/facebook-deutschland/was-passiert-nach-anklicken-vonmelden/452825074730336, 01.09.2016.

114 Im Zuge einer steigenden Anzahl rassistischer Posts auf Facebook wurde diese

Thematik neu aufgerollt (vgl. u.a. Hurtz 2015; Lückerath 2015). Die Löschung von

Posts geht dabei mit der Sperrung der entsprechenden Seite sowie des eigenen Profils einher. Sperrungen werden jeweils gestaffelt ausgesetzt; während die erste Sperrung nur wenige Tage anhält, ist die zweite und dritte von längerer Dauer.

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ßert. So heißt es darin, dass die Zensurrichtlinien überdacht werden sollten, denn: „Es kann doch nicht sein, dass eine weibliche Brust nicht gezeigt werden darf, auch wenn sie nur gemalt ist. Das bedeutet aus meiner Sicht einen kulturellen Rückschritt um

ein paar Hundert Jahre und wird auf Dauer zu einer Abwendung der Kulturinteressierten von Facebook führen.“ (Schaal 2013: 188)

4.1.9 E NTWENDEN UND VERWENDEN | S TREET A RT 4 S ALE Dass sich Street Art zu einer beliebten Kunstrichtung entwickelt, illustrieren nicht nur die Like-Zahlen auf Facebook. Viel augenscheinlicher wird dies anhand eines anderen Umstandes: Street Art wird heutzutage längst nicht mehr

nur vonseiten der Stadtreinigung entfernt, sondern von sogenannten Street-Art‚Sammlern‘. Diese haben das kommerzielle Potenzial der Street Art erkannt und vertreiben die entwendeten Werke nun im Internet. Street Art ‚to go‘, direkt von der Straße.

Besonders eine Facebook-Seite hat sich dabei einen (besonders unbeliebten) Namen gemacht: Street Art 4 Sale115. Und der Name ist Programm: „Street Art often seen as a temporary piece of public art can now hang in your home forever. We save Street Art from being vandalized or disposed of by city officials. Make your walls inside look like the walls outside. For prices message me“116,

so die Info und das vermeintliche Selbstverständnis der Seite, welche höchst-

wahrscheinlich in Berlin sitzt. Sie wurde am 25. März 2013 gegründet und besitzt zum heutigen Zeitpunkt117 144 „Gefällt mir“-Angaben. Die große Reso-

115 www.facebook.com/streetart4sale, 09.10.2013. Siehe dazu weiterführend auch www.amuseberlin.com/reads/how-to-piss-off-street-artists-in-berlin-and-worldwide, 26.08.2014.

116 www.facebook.com/streetart4sale, 09.10.2013. 117 Stand: 09.12.2013.

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nanz blieb also aus, auch wenn ihr Seitenadministrator am 26. Mai 2013 postet: „Have had such an overwhelming demand recently for pieces that I have not been able

to post things on here because they are being sold immediately upon acquisition. Thank

you all for the support and press. I would not have been able to get the word out without you.“118

Und mit „you“ ist hierbei wohl hauptsächlich die Street-Art-Szene selbst sowie deren Fans und Follower gemeint, denn der anfängliche Aufschrei war groß.

Die Kommentare auf der Seite sprechen hierbei eine recht eindeutige Sprache, sind sie zumeist durchsetzt von Unmutsbekundungen und weisen auf die Fragwürdigkeit des Verkaufsmodells hin. Dennoch ließ sich die Seite nicht davon

abbringen und verfolgte ihre Linie weiterhin. Mit dem Argument, die Straßen vor Vandalismus schützen zu wollen und ‚ausgesetzte‘ Artefakte allenfalls zu recyceln, versuchte sie sich öffentlich zu rechtfertigen. Auch rechtliche Drohungen oder Anwaltsklagen vonseiten diverser Akteure wurden (unbeein-

druckt) abgetan, schließlich könne sich ohnehin keiner der Künstler vor Gericht outen: „No one asked you to put the stuff on the streets (which is illegal). Cleaning the streets is

not illegal. Selling what would be considered illegally dumped garbage on the streets is not illegal […]. I would be glad to have any artist take me to court as they would also be

outing themselves to the court. You would then have your face associated with all the

forms of vandalism you have committed against your city and the city will be charging you for the removal“119,

heißt es auf der Seite. Besonders absurd spitzte sich die Situation beim anvisierten Verkauf eines ‚Prostie‘-Characters auf einer Kühlschranktür zu (vgl.

118 www.facebook.com/streetart4sale, 09.10.2013. 119 www.facebook.com/streetart4sale, 09.10.2013.

V ERNETZEN UND VERHANDELN | F ACEBOOK

| 157

Abb. 15)120: Noch am selben Tag der Angebotseinstellung meldete sich jedoch der Künstler selbst zu Wort: „I want it. How much?“121, kommentierte Mein lie-

ber Prost den zum Verkauf stehenden Character. Und Sympathisanten waren schnell gefunden, unterstützten ihn viele seiner Fans in Form von zustimmenden Kommentaren und Likes. Prost hingegen stellte klar, dass sein Intervenieren keine kommerziellen Interessen verfolge, vielmehr läge es ihm alleinig –

aber mit Nachdruck – daran, den Onlinehandel in Zukunft einzustellen. „Aber wenn du sowas [auch] in Zukunft noch mach[st], entweder komm ich oder

kommt [das] Karma zu dir“122, so Prost in einem abschließenden Kommentar, nachdem er auf keinerlei Entgegenkommen stieß.

Abb. 15: „Prostie“-Verkauf bei Street Art 4 Sale | Screenshot

120 Den zugehörigen Post siehe unter www.facebook.com/streetart4sale/photos/a.305167552945777.1073741828.305163866279479/305198129609386/?type=3&theater, 09.10.2013.

121 www.facebook.com/streetart4sale, 09.10.2013. 122 www.facebook.com/streetart4sale, 09.10.2013.

158

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

Die Reaktion und der Umgang der Künstler mit diesem neuartigen Segment des Street-Art-Handels differiert. Manche Künstler fangen an, jene neuen Aneignungspraktiken in ihrer Street-Art-Praxis mitzudenken und passen sich situativ

an; so wird zum Beispiel in puncto Ortswahl feiner ausdifferenziert oder mit verschiedenen Klebetechniken gearbeitet. Grundsätzlich werden ‚Eigengebrauch‘ und kommerzieller Onlinehandel dennoch unterschiedlich bewertet.

Peter Bengtsen weist in seinem Buch The Street Art World (2014) auf das Argument der „long-term benefits“ hin, welche eine mögliche Konservierung mit sich bringen kann, schließlich ist Street Art eine vergängliche Kunstform und besteht somit niemals auf Dauer (vgl. Bengtsen 2014: 100-101).123 Vor allem jedoch dann, wenn Arbeiten expliziten Ortsbezug aufweisen, geht durch die

Ablösepraktik weitaus mehr verloren als ihr materielles Trägermedium. Es handelt sich hierbei um einen Umstand, der von einigen Akteuren dennoch unberücksichtigt bleibt und demnach auf ein nicht allzu profundes Kontextwissen rückschließen lässt (vgl. hierzu u.a. Ellis-Petersen 2014; Webb 2013). Und auch Bengtsen weist darauf hin, „[that possibly, KG] the preservation argument does not fully resolve the ethical issues related to the removal.“

(Bengtsen 2014: 101) Eine bisher unterbelichtete Perspektive liefert JUST. In seiner Rolle als Künstler, Fotograf und Blogger liest er das Phänomen nicht eindimensional und weist auf die Notwendigkeit einer weiteren Ausdifferenzierung hin: „Keiner kann mir sagen, wenn da jetzt ein 8.000€-Schein auf der Straße liegt, dass man

sich den nicht wegnimmt. Bei [wirklich hochdotierten Arbeiten, KG] finde ich das einfach einen Schlag ins Gesicht für alle Menschen, die irgendwie kein Geld haben.“ (Int. KG 06/2013)

123 Und er fügt hinzu: „The reasoning that removing or capturing a certain number of street artworks may in time prove to serve a greater common good is not without

merit. While important parts of the collections of many institutions (e.g. the British

Museum in London and the Louvre in Paris) have been acquired in an ethically questionable manner, these collections, irrespective of their origins, have been of

great value to museum visitors as well as countless researchers over the years.“

(Bengtsen 2014: 100-101)

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| 159

Und er fügt hinzu: „Künstler, die mittlerweile einen bestimmten Galeriewert haben, sollten einfach nicht

mehr auf der Straße plakatieren bzw. anders ausgedrückt, sie sollten sich dann einfach nicht wundern, wenn Leute versuchen, ihre Arbeiten abzulösen.“ (Ebd.)

Doch nicht nur auf Facebook wird Street Art verkauft, auch andere Onlineplattformen bieten sich hierfür an. So berichtet u.a. der Künstler TONA: „Ich hab auch schon Sachen von mir auf eBay gefunden, die einer von der Wand gerissen

und dann verkauft hat. Es gibt auch Postkarten, oder es gibt irgendwelchen anderen

Schrott. DaWanda ist das beste Beispiel für richtig viel hässlichen Kram, der damit ge-

macht wird. Und das ist halt jedes Mal richtiger Aufwand, da dann hinterher zu sein [und] einen Anwalt einzuschalten.“ (Int. KG 06/2013)

Abb. 16: TONA | Berlin

160

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

Gleichzeitig lenkt er ein, diesen Schritt nur dann zu gehen, wenn vorherige Kontaktaufnahmen und Einigungen scheiterten. Gescheitert zu sein scheint dies

besonders in einem Fall: So dekontextualisierte das Bündnis 90/Die Grünen eines seiner Motive (vgl. Abb. 16) und nutzte es zu Werbezwecken. Beworben wurde die Veranstaltung Grünes Jugendforum. Obwohl der Künstler ihre An-

frage ablehnte, (zweck-)entfremdeten sie sein Motiv und druckten es in veränderter Form auf Flyern und Postern ab. Aus der Gießkanne von TONAs ‚Gärtner‘ floss nicht – wie gewohnt – bunte Farbe, sondern es formte sich das

Logo der Veranstaltung.

„Also ich weiß nicht, ich find’s halt doof, wenn man in einen Kontext gerückt wird, mit

dem man nichts zu tun haben will; also ob das jetzt Politik ist, oder Werbung, oder sonst

irgendwas. Dafür macht man’s ja nicht. Aber wenn es jetzt eine Sache ist, bei der man

voll dahinter steht, wo man sagt ‚das find ich ‘ne coole Geschichte, das find ich toll oder so‘ – klar, dann gibt man auch seine Sachen her.“ (Ebd.)

Mit Hilfe eines Anwalts erwirkte der Künstler ein offizielles Entschuldigungsschreiben der Fraktion Bündnis 90/die Grünen, die ihren „gravierenden Fehler“124 bedauerten. Die unberechtigte Verwendung eines Motivs entspräche nicht ihrer gängigen Praxis; genauso wenig wie es in ihrer politischen Linie läge, urheberrechtlich geschützte Persönlichkeitsrechte zu missachten.125

Dies macht deutlich, dass sich in der Street-Art-Welt bereits ein breites

Spektrum an Verkaufs- und Aneignungsstrategien herausgebildet hat. Neben dem Verkauf von ‚Originalwerken‘ erweist sich jedoch vor allem der Verkauf

fotografischer Reproduktionen als beliebt. Digital bearbeitet, minimal verfremdet und auf Leinwand gedruckt, werden jene sogenannten ‚Kunstdrucke‘ der Massenproduktion überführt und von jeglichem künstlerischen Kontext losgelöst (vgl. dazu auch Schiller 2013). Auch lokale Design- und Kreativmärkte präsentieren sich als wahre Fundgruben: von Postkarten über Magnetpins bis

hin zu bedruckten T-Shirts, Kaffeetassen, Smartphonehüllen und MDF-Platten

124 www.tonastreetarts.blogspot.de/2012/12/richtigstellung-der-fraktion-buendnis.html, 11.10.2013.

125 Vgl.

www.tonastreetarts.blogspot.de/2012/12/richtigstellung-der-fraktion-buend-

nis.html, 11.10.2013.

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ist dort alles zu finden, was das Street-Art-Fan-Herz höher schlagen lässt.126 Street Art ist ein beliebter Gegenstand der ‚Kreativbranche‘ geworden. Die in Deutschland vorherrschende Panoramafreiheit macht es dem Kreativsektor

recht einfach, Street Art – unter Berücksichtigung einiger Parameter127 – auch kommerziell weiterzuverarbeiten. Im Urheberrecht heißt es dazu: „Zulässig ist, Werke, die sich bleibend128 an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen

befinden, mit Mitteln der Malerei oder Grafik, durch Lichtbild oder durch Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben […].“129

126 In ihrem Buch Street Art-Karrieren (2013) deutet Derwanz ebenfalls auf dieses Phänomen hin, exemplifiziert am Beispiel des britischen Street-Art-Künstlers Banksy, der von dieser Form der Zweckentfremdung sicherlich am meisten betroffen ist. Sie

schreibt: „[Banksy, KG] publizierte 2009 auf seiner Homepage eine Stellungnahme zu diesem Thema, die der Diskussion eine gewisse Gelassenheit zurückgab, indem

sie dem Publikum Verantwortung überträgt: ‚Banksy does not endorse or profit from the sale of greeting cards, mugs, photo canvases or T-Shirts. Images on this

site provide high resolution so you can make your own, but only for non-commercial purposes, thanks‘.“ (Derwanz 2013: 184)

127 Nach § 63 UrhG gilt bei der Vervielfältigung und der öffentlichen Wiedergabe im Rahmen der Panoramafreiheit eine Pflicht zur Quellenangabe; diese greift sowohl

für den Printbereich als auch für das Internet. Ebenso ist die Vornahme von Änderungen an den im Rahmen der Panoramafreiheit benutzten Werken nach § 62 Absatz 1 unzulässig (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Panoramafreiheit, 07.09.2015). 128 § 59 UrhG erlaubt die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe mit Mitteln der Malerei, Grafik, durch Lichtbild oder Film – wobei Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe wiederum verschiedene Verwertungsarten

bezeichnen: Ein Denkmal wird vervielfältigt (§ 16 UrhG), wenn man es nachbaut

oder aber ein Foto davon anfertigt und dieses elektronisch speichert oder ausdruckt. Eine Verbreitung (§ 17 UrhG) wiederum erfolgt, wenn man ein Gebäude

fotografiert, auf eine Postkarte druckt und das so entstandene Vervielfältigungs-

stück im Anschluss öffentlich zum Verkauf anbietet. Um eine öffentliche Wiedergabe (§ 15 Abs. 2 UrhG) wiederum handelt es sich, wenn ein Foto eines (der Pano-

ramafreiheit unterfallenden) Kunstwerkes durch die Einstellung ins Internet öffent-

lich zugänglich gemacht oder im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung mit einem Beamer an die Wand projiziert wird. Erforderlich für die Privilegierung nach

162

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

Eine Verbreitung schließt hierbei ein, Kunstwerke fotografisch abzubilden und deren Duplikate öffentlich zum Verkauf anzubieten. Die einzige Auflage, die

der Gesetzesentwurf listet, ist, dass keine Veränderungen am Motiv vorgenommen werden dürfen.130 Wie dieses Kapitel gezeigt hat, kommt im Social Network somit eine Vielzahl unterschiedlichster Akteure zusammen, welche – ihren jeweiligen Interessen und Praktiken folgend – die Street-Art-Welt konstituieren. Über die Produktion,

Präsentation, Dokumentation, Zirkulation und Rezeption von Street-ArtWerken bzw. -Fotos wird die Street Art und das ihr zugrunde liegende Selbstverständnis permanent ausgehandelt. Es herrscht ein steter Aushandlungspro-

zess über das, was Street Art ist, was sie sein will, was sie einmal war und vielleicht niemals sein wird. Dies macht deutlich, dass es Street Art somit immer auch als soziales Phänomen zu betrachten gilt – wobei das Social Network ihr

hierbei nochmals eine zusätzliche Dimension verleiht und ihre Verhandlung an plattformspezifische Charakteristika rückbindet. Kommentare, Likes und

Shares werden zum expliziten Teil der Street-Art-Werke und präsentieren sich als konstitutiver Teil einer kollaborativen Ausstellungspraxis. Dennoch ist nicht

von einer Loslösung der Street Art vom physikalischen Stadtraum auszugehen,

§ 59 UrhG ist ferner, dass sich das Werk bleibend an einem öffentlichen Weg, einer

öffentlichen Straße bzw. einem öffentlichen Platz befindet. Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich, wenn Werke von vornherein nur temporär im öffentlichen

Raum aufgestellt bzw. errichtet werden und ihre künstlerische Wirkung maßgeblich aus dem Zusammenspiel mit der Umgebung resultiert (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Panoramafreiheit, 07.09.2015). Street Art wird innerhalb dieses Gesetzentwurfes dennoch als ‚bleibende‘ Kunst verhandelt, da vom jeweiligen Artist

nicht vorab angegeben wird, wie lange das Werk im öffentlichen Raum besteht. Da

er kein Verfalls- oder Enddatum anmeldet, handelt es sich um ‚bleibende‘ Kunst,

was wiederum bedeutet, dass das Gesetz der Panoramafreiheit greift und die Nut-

zungsrechte des Werkes nicht vollends beim Künstler liegen. 129 www.gesetze-im-internet.de/urhg/__59.html, 07.09.2015.

130 Dass diese Gesetzeslage nicht selbstverständlich ist, zeigt ein im Sommer 2015 aus-

getragener Rechtsstreit, welcher die Debatte um Straßenfotografie von Neuem aufrollte und zu einigen Kontroversen führte (vgl. u.a. Kleinz 2015; Schwarz 2015).

V ERNETZEN UND VERHANDELN | F ACEBOOK

| 163

vielmehr ist eine Verschiebung von orts- und situationsbezogenen Praktiken zu detektieren, welche Onlineverhandlung und die damit einhergehende (Online-)

Bedeutungsproduktion explizit mitdenken. Nicht mehr allein die Tatsache, dass ein Street-Art-Werk von einem bestimmten Künstler stammt, welcher dieses an einem bestimmten Ort angebracht hat, trägt zu seiner diskursiven Bedeutungs-

produktion bei, sondern der Kontext, den seine Dokumentation, Onlinesituierung, -verhandlung und -bewertung aufruft. Dies bedeutet, dass ein Street-Art-Werk niemals für sich allein steht, sondern dass seine (antizipierte)

fotografische Dokumentation und die damit einhergehenden Anschlusspraktiken explizit mitgedacht werden müssen. Durch die veränderten Betrachtungskontexte sowie die von der Plattform ausgehenden, medientechnologischen

Zurichtungen werden (neue) soziale bzw. soziotechnische Beziehungen ausgestaltet, die Street-Art-Künstler nicht nur der Fremdkontrolle, sondern auch der Eigenbeobachtung aussetzen und – im Falle von Facebook – Kunstpraktik, Kunstinteresse und ‚Freundschaftlichkeit‘ in ökonomisches Kapital überführen.

Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass die Veränderungen, mit denen sich die Street(-)Art(-Welt) heutzutage konfrontiert sieht, primär nicht

von der steigenden Anzahl von Street-Art-Fotos ausgehen, sondern sich maßgeblich durch ihre praxeologische Einbettung und Situierung in On- und Offline-Kontexte beeinflusst zeigen: „What is really changing has little to do with the increasing numbers of images taken every day and more to do with the increasingly differentiated forms of photographic image production, aggregation and distribution of which these images are part“,

so auch Lapenta (2011: 1). So sehen sich Street-Art-Werke bzw. -Fotos im Zuge ihrer Verhandlung in veränderte soziotechnische, -kulturelle und -politische

Aushandlungsprozesse eingebunden, in welchen soziale wie künstlerische Praktiken, Werte und kulturelle Ökonomien neu ausgehandelt werden. Diese Erkenntnis geht mit einer doppelten Konstruktionsleistung einher: So galt es innerhalb meiner Analyse nicht nur der ‚internen‘ Verhandlung der Street Art im Social Network Facebook nachzuspüren, sondern auch mit und über Facebook zu forschen. Der von der Plattform ausgehende permanente Kommu-

nikationsfluss, die Fülle an Daten, Usern und Funktionen, uneinsehbare Daten-

164

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

flüsse sowie zwischengeschaltete Algorithmen konfrontierten auch mich mit der Komplexität sozialer Netzwerkstrukturen und der damit einhergehenden Schwierigkeit ihrer wissenschaftlichen Erforschbarkeit. Social-Media-Platt-

formen sind einer permanenten Fluidität und Prozessualität unterworfen, wodurch sie einer steten Veränderung unterliegen und sich nur bedingt stabilisie-

ren lassen (vgl. Lovink 2013a: 12). Durch die algorithmische Zurichtung personalisierter Datenflüsse bzw. Newsfeeds sind demnach auch wissenschaftliche Zugänge (und möglicherweise auch Ergebnisse) algorithmisch beeinflusst und

medial gefärbt. Wie ist Forschung dann überhaupt noch möglich?, fragt auch der Unlike Us-Reader und stellt im Zuge dessen eine erste Agenda auf. Er fragt: Was bedeutet es, personalisierten und ausschließlich limitierten Zugang zu

Daten zu haben (vgl. Lovink/Patelis 2013: 368) und wie können wir die permanenten Veränderungen auf und unterhalb der Interfaceoberfläche innerhalb unserer Forschungen gewinnbringend mitreflektieren (vgl. ebd.: 369)? Auch

wenn die Agenda vorherrschende Schwierigkeiten und Problemfelder keinesfalls beseitigt, weist sie dennoch in eine zukunftsweisende Richtung. So adressiert sie die Forderung, Social-Media-Plattformen wie Facebook zukünftig weder kulturpessimistisch noch allzu euphorisch gegenüberzutreten und vielmehr ihre mediale, struktur- und contentstiftende Architektur ernst zu nehmen: „What we first need to acknowledge is social media’s double nature. Dismissing social

media as neutral platforms with no power is as implausible as considering social media the bad boys of capitalism. The beauty and depth of social media is that they call for a

new understanding of classic dichotomies such as commercial/political, private/public,

users/producers, artistic/standardized, original/copy, democratizing/disempowering. Instead of taking these dichotomies as a point of departure, we want to scrutinize the social networking logic.“ (Ebd.: 367)

Dieser Forderung wurde innerhalb meiner Analyse nachgekommen. Im Folgenden gilt es unlängst anskizzierte Dichotomien und deren Verschränkungen für

meine weiteren Ausführungen produktiv zu machen. KAPITEL 4.1 kann demnach als eine Art Metakapitel betrachtet werden, in welchem die für die Street-ArtWelt relevanten Akteure, Praktiken, Konzepte und Selbstverständnisse initial

entfaltet wurden. Wie sich zeigen wird, gruppieren sich um die Street Art jedoch noch weitaus mehr Phänomene und Anschlusspraktiken. Diese werden in den KAPITELN 4.2 bis 4.6 diskutiert.

kur z nachz ehn|Köl n

4.2 Übersetzen und (an-)schneiden | kurznachzehn

Eine Vielzahl heutiger Street-Art-Arbeiten ist in ihrem Ursprung fotobasiert. Fotografien diverser Menschen, Dinge und Landschaften dienen als Ausgangsbasis für verschiedene kreative Aneignungen und Umdeutungen. Das Spektrum

ist variantenreich: Fotos (sowie diverse andere digitalisierte Bilder) werden bearbeitet, proportional vergrößert/verkleinert, digitalen Filtern unterzogen und letztlich im Copyshop als großformatige Plakate ausgedruckt – dies ist jedoch nur eine Möglichkeit der künstlerischen Aneignung und Modifikation. Eine

Praktik, die sich im Kontext der Street Art mindestens genauso großer Beliebtheit erfreut, ist das Anfertigen sogenannter Stencil, also von Schablonenbildern. Auch hier dienen Fotos häufig als Vorlage und initialer Referenzpunkt.

Unter Zuhilfenahme eigens hergestellter Schablonen stellen Street-Art-Künstler auf diese Weise verschiedenste Street-Art-Arbeiten her. Diese ähneln sich zwar

hinsichtlich technischer Aspekte, gleichzeitig weisen sie aber auch einige Unterschiede auf. Diese Unterschiede sind dabei nicht nur auf die verschiedenen Street-Art-Künstler, als eigenständige Künstlerindividuen, und deren angewandte (Kunst-)Praktiken zurückzuführen, vielmehr sind – wie folgendes

Kapitel zeigen wird – weitaus mehr ‚Dinge‘ an der Konstitution eines StreetArt-Werkes beteiligt. Im folgenden Kapitel soll, in einer Art ‚Produktionsstudie‘ 1 und am Beispiel

der Kölner Künstlerin kurznachzehn2, der Entstehungsprozess eines Stencil-

1

Zur Kontextualisierung der Produktionsstudie als wissenschaftlichem Gegenstand

und Methode siehe Mayer et al. (2009), hier am Beispiel der Film- und Fernseh-

168

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

Motivs nachgezeichnet werden. Im Fokus meiner Betrachtungen steht der komplexe und en detail nachzuzeichnende Übersetzungsprozess vom Analogfoto

zum Stencil zum Digitalfoto: Die Künstlerin scannt alte, analoge Familienfotos der 1950er Jahre und layert sie digital. Auf diese Weise dienen sie ihr als Vorlage für ihre Stencil-, also Schablonenmotive. Die fertigen Street-Art-Werke

klebt sie dann, als eine Art Poster, in den Stadtraum. Abschließend dokumentiert sie ihre getätigte Intervention mit der Digitalkamera und macht diese für ihre Fans und Follower auf Facebook und Instagram einsehbar.

Zur adäquaten Diskussion meines Fallbeispiels ziehe ich die um den fran-

zösischen Soziologen Bruno Latour bekannt gewordene Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) als theoretisch-methodische Werkzeugkiste für meine Argumentation

heran. Diese soll es mir ermöglichen, die von der Künstlerin geleisteten Produktions- und Übersetzungsschritte a) rückverfolgbar und b) (dadurch erst) theoretisch beschreibbar zu machen. Um eine lückenlose Nachvollziehbarkeit meiner Analyse zu gewährleisten, führe ich die für meine Diskussion relevanten Begrifflichkeiten zu Beginn des Kapitels – kontextspezifisch – ein, um diese dann in einem zweiten Schritt auf das Fallbeispiel anwenden zu können. Es wird der Versuch unternommen, sowohl Begriffe, Lösungsansätze als auch

mögliche Problemstellungen der ANT für das Verständnis von kunstwissenschaftlichen Fragestellungen, bzw. genauer, künstlerischer Produktion, produktiv zu machen. Das Kapitel schließt mit einem knappen Ausblick.

wissenschaft exemplifiziert sowie den Themenschwerpunkt „Produktion“ der Zeit-

schrift montage/AV 22/1/2013, im Besonderen Vonderau (2013) und Caldwell (2013). 2

Facebook-Seite

von

kurznachzehn:

www.facebook.com/kurznachzehn/timeline,

06.11.2014, Instagram-Seite von kurznachzehn: http://instagram.com/kurznachzehn, 07.11.2014. Die Künstlerin lebt mittlerweile in den USA.

Ü BERSETZEN UND ( AN -) SCHNEIDEN | KURZNACHZEHN

| 169

4.2.1 ‚D RAWING T HINGS T OGETHER ‘, ODER AUCH : „ DIE ANT IST EHER DER ALS DER

N AME EINES Z EICHENSTIFTS ODER P INSELS

N AME DER SPEZIFISCHEN F ORM , DIE GEMALT

ODER GEZEICHNET WIRD “ 3

Die von der Akteur-Netzwerk-Theorie vorgenommene Neuvermessung des Sozialen basiert auf einer Reihe richtungsweisender Theorieentscheidungen, denen seit der kanonisierenden Publikation zahlreicher Schlüsseltexte (vgl. Bel-

liger/Krieger 2006) vor allem in der Medienwissenschaft vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt wurde (vgl. Kneer/Schroer 2009: 19 sowie Hensel/Schröter 2012: 5). Aufgrund der Komplexität ist es mir an dieser Stelle nicht möglich,

die ANT als einen ‚in sich geschlossenen Theoriekomplex‘ in aller Ausführlichkeit zu entfalten – allein schon deshalb, weil dies ein per se kaum zu realisierendes Unterfangen darstellt.4 Vielmehr ist mir daran gelegen, die ANT kontextspezifisch auf ein paar wesentliche Punkte zu verdichten. Grundsätzlich ist es dabei wichtig, die ANT nicht als Theorie im engeren Sinne zu betrachten, sondern vielmehr als eine Art „‚antireduktionistische Heuristik‘, der es um eine möglichst voraussetzungslose, dichte Beschreibung5 vorfindlicher Akteur-Netz-

werke geht.“ (Hensel/Schröter 2012: 6 mit Bezug auf Schüttpelz 2008: 235)

D.h. also, die ANT entspricht mehr einer spezifischen Form der Beschreibung als der einer Theorie (vgl. Schüttpelz 2008: 234). Oder anders ausgedrückt: „Die ANT [ist] ‚eher der Name eines Zeichenstifts oder Pinsels, als der Name der spezifischen Form, die gemalt oder gezeichnet wird‘“, wie Thomas Hensel und Jens Schröter in den Schwerpunkt „Akteur-Netzwerk-Theorie“ der Zeit-

schrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 57/1 einleiten (2012: 12 mit Bezug auf Latour 2007: 247). „Versuchen Sie mit einem Zeichenstift oder mit Kohle zu zeichnen – sie werden den Unterschied merken.“ (Ebd.)

3 4

Hensel/Schröter 2012: 12 mit Bezug auf Latour 2007: 247. Mittlerweile gibt es für die ANT eine Vielzahl von gewinnbringenden Modifikationen

und Gegenvorschlägen sowie Abgrenzungsdebatten, worauf u.a. Schüttpelz in der Einleitung der Akteur-Medien-Theorie hinweist (vgl. Schüttpelz 2013: 9).

5

Zur dichten Beschreibung siehe Geertz (2003).

170

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN Im Wesentlichen geht es der ANT darum, die Trennung von Gesellschaft

und Natur bzw. Gesellschaft und Technik aufzubrechen. Dichotomien werden für obsolet erklärt; vielmehr wird sowohl menschlichen als auch nichtmenschlichen Entitäten eine spezifische Form des Handlungspotenzials (eine ‚agency‘6) zugesprochen. Diese Entitäten, die über spezifische Verbindungen miteinander verknüpft/verkettet sind und dadurch sogenannte Akteur-Welten

bzw. Akteur-Netzwerke7 ausbilden, sind als gleichberechtigte Akteure anzuerkennen. Ein Akteur kann dabei in gewissem Sinne alles und jeder sein: Menschen, Tiere, Computer(-technologien), Smartphones, Pinsel, Stifte, Papier

und vieles mehr. Mit Bezug auf Latours Aufsatz On Actor Network Theory (1996b) schreiben Hensel und Schröter: „Ein Akteur ‚can literally be anything provided it is granted to be the source of an action‘

(Hensel/Schröter 2012: 7 mit Bezug auf Latour 1996b: 373), […] bzw. noch basaler […]: jedes Ding, das eine gegebene Situation verändert, indem es einen Unterschied macht, [ist] ein Akteur.“ (Ebd. mit Bezug auf Latour 2007: 123)

Ein Akteur, bzw. eine mit Handlungspotenzial ausgestattete Entität, existiert jedoch nur im Kontext, d.h. in Relation zu anderen Entitäten, mit denen er verbunden ist.8 Durch eben jene, jeweils singulären, heterogenen und situations-

6

‚Agency‘ muss hier als autonome Größe verstanden werden, da sie nicht auf einen

einzelnen Faktor zurückführbar oder isolierbar ist. Der Grund: Jeder der Faktoren ist wiederum selbst eine Verknüpfung von Operationen, in die sich soziale, materielle

und mediale Tatbestände einschreiben (vgl. Schüttpelz 2008: 240). ‚Agency‘ liegt im operativen Verlauf, in der Geste; nicht in einzelnen Faktoren (vgl. ebd.: 243). 7

Callon weist darauf hin, dass der Begriff „Akteur-Welt“ die Art und Weise betone, wie jene Welten versammelt und in sich geschlossen sind; „Akteur-Netzwerke“ hin-

gegen betonten die für Veränderung anfällige Struktur jener Welten. Daran anschlie-

ßend bzw. anders ausgedrückt könnte man somit auch sagen: Wenn man Entitäten in eine Ballung von heterogenen Beziehungen bringt, platziert sie die Akteur-Welt in einem Netzwerk. Dies macht deutlich, dass die beiden Begriffe „Akteur-Welt“ und „Akteur-Netzwerk“ die Aufmerksamkeit auf zwei unterschiedliche Aspekte desselben Phänomens lenken (vgl. Callon 2006a: 190-191). 8

Und der sie somit gleichzeitig definiert wie auch begrenzt (vgl. Callon 2006a: 187).

Ü BERSETZEN UND ( AN -) SCHNEIDEN | KURZNACHZEHN

| 171

bedingten Verbindungen zwischen Entitäten bilden sich sogenannte AkteurWelten bzw. Akteur-Netzwerke heraus.

Ich möchte mein Augenmerk an dieser Stelle jedoch auf eine andere Facette

lenken: das ‚Denken in Operationsketten‘. Betrachtet man die ANT als eine, wie Erhard Schüttpelz es im gleichnamigen Aufsatz vorschlägt, „Form der Beschreibung“ (Schüttpelz 2008: 234), die Vorgängen der Verknüpfung, Vernetzung und Verkettung Priorität einräumt, scheint dieses Denken nur konsequent. Streng genommen folgt daraus: Ein Kunstwerk unter Zuhilfenahme der

ANT analysieren zu wollen, heißt, es in wechselseitiger Konstitution von Artefakten, Personen und Zeichen zu perspektivieren und alle mit ihnen in Verbindung stehenden Fixierungen als Effekte von Prozessen zu behandeln (vgl. ebd.:

235).9 Dieser Auslegung liegt die Annahme zugrunde, dass jeder Handlungsablauf als mediale Übersetzungskette verstanden werden muss, „durch die Formen von Handlungspotenzial (‚agency‘) zwischen den beteiligten Größen

aufgebaut, verknüpft und umverteilt werden.“ (Ebd.: 237) Aus diesem Postulat leitet Schüttpelz letztlich die Wurzel der ANT wie auch deren Attraktivität für eine zukünftige Medientheorie ab: Sie liegt in der „Vorgängigkeit der sozialen und technischen Operationsketten vor allen involvierten Einheiten“ (ebd.), die

stets mit einer medialen Übersetzungsleistung einhergeht. Diese(r) (Vorgänglichkeit der) Operationsketten soll im Folgenden, am Beispiel der StencilArbeiten der Kölner Künstlerin kurznachzehn, nachgespürt werden – wohl wis-

send, dass jenes Vorhaben bzw. ‚Denken in Operationsketten‘ auch mit Schwierigkeiten behaftet ist. Und zwar derjenigen Schwierigkeit, a) „die praktische Koordination der Operationsketten zu veranschaulichen, ohne sie mit einer

Reduktionsleistung der Operationsverkettung zu identifizieren“ (ebd.: 241) und

b) der Unmöglichkeit, jenes Denken auf eine ganze Welt hochrechnen zu können (vgl. ebd.: 248). Das folgende Kapitel stellt sich somit der Herausforderung, das wechselseitige Zusammenspiel heterogener Akteure und deren Verkettetsein unter Zuhilfenahme medienethnografischer Methoden en detail nachzuzeichnen und beschreibbar zu machen. Ähnlich wie dies der französische Soziologe Michel Callon für technische Objekte vorschlägt, halte ich somit fest:

9

Natürlich ist dies nicht in aller Konsequenz bzw. unendlich durchführbar, worauf

Schüttpelz ebenfalls hinweist (vgl. Schüttpelz 2008: 237, 242-243).

172

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

„[Kunstwerke, KG] müssen als Ergebnis der Gestaltung vieler miteinander verbundener

und heterogener Elemente gesehen werden. […] Sie sind nicht beschreibbar, ohne Akteur-Welten zu beschreiben, die sie in aller Diversität geformt haben.“ (Callon 2006a: 179)

Für die Street Art heißt das folglich, dass Street-Art-Werke als Ergebnis oder

Aushandlungsprozess von Künstlern, Farbe, Spraycans, Caps, Papier, Pinsel, Schere, Cutter, Kleister, Teleskopstangen, Städten, Straßen, Häusern, Wänden, Wetter, Fotografen, Galeristen, Bloggern, Passanten, Sammlern, Büchern, Kunstmarkt etc. perspektiviert werden müssen (vgl. dazu Hensel/Schröter

2012: 7 mit Bezug auf Law 2006: 434). Die Stärke meiner Produktionsstudie ist somit weniger in den Antworten oder Ergebnissen meiner Analyse zu suchen als vielmehr in der Art und Weise des Beschreibens, welche künstlerische

Street-Art-Produktion in ein neues, prozessorientiertes Licht rückt (vgl. Schroer 2008: 383).10 Anstatt die Street-Art-Produktion hierbei als möglichst konvergenten Übersetzungsprozess zu entwerfen, gilt es jedoch gerade auch etwaige

Brüche und Umwege herauszustellen. So wird der um Latour bekannt gewordene Begriffsapparat der ANT – mit Fokus auf das Konzept der ‚immutable mobiles‘ (vgl. Latour 2006a)11 – für die Street-Art-Herstellung produktiv ge-

10 Siehe dazu auch Hensel/Schröter (2012: 12), die – im Hinblick auf die Frage, ob die Kunstwissenschaft der ANT per se bedarf – darauf hinweisen, dass die Kunstwissenschaften mit dem Denken in Entitäten und dem Beobachten ihres Zusammenwirkens schon lange vor der ANT vertraut waren.

11 Latour exemplifiziert das Konzept der ‚immutable mobiles‘ am Beispiel einer Expedition des Seefahrers La Pérouse. Entgegen den auf der Insel Sakhalin ansässigen Einheimischen, die Lage und Umrisse der Insel auf Sand visualisieren, hält La Pérouse eine Karte auf Papier fest. Die daraus resultierende Überlegenheit liegt, laut Latour, alleinig in der Art und Weise des Festhaltens und Archivierens begründet, welche der

westlichen Welt einen entscheidenden Wissensvorteil zuteilwerden lässt. Dieser Vorteil übersetzt sich in geopolitische Macht. Für Latour ist Papier ein Paradebeispiel

eines ‚immutable mobiles‘, denn – um Handeln aus Distanz zu begünstigen – gilt es,

„Objekte [zu] erfinden, die mobil, aber auch unveränderlich, präsentierbar, lesbar und miteinander kombinierbar sind“ (Latour 2006a: 266). Die ‚immutable mobiles‘ dienen Latour als Konzept, um das Phänomen der Macht, der Kontrolle und des Handelns aus Distanz zu erklären.

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macht; gleichzeitig müssen die sich herauskristallisierenden, fallbeispielbezogenen Spezifika ernst genommen werden. Dies ist allein schon deshalb naheliegend, als es sich im Falle meiner Analyse keinesfalls um die Beschreibung

wissenschaftlicher Laborsituationen, sondern um die Nachzeichnung künstlerischer Praktiken handelt. Der Aufbau der Operationskette dient in diesem Fall

also nicht der Ausbildung wissenschaftlicher Referenz bzw. der Erklärung geopolitischer Macht, sondern der Beleuchtung kunstpraktischer Alleinstellungsmerkmale. Zeitlich wie örtlich begrenzt zeigt sich meine Analyse dahingehend, dass ich sowohl einen Anfangs- wie auch Endpunkt meiner Studie abstecke:

Der Ausschnitt der zu analysierenden Übersetzungskette erstreckt sich vom Atelier, welches ich (ähnlich dem Labor) als geschützten, kontrollierten Raum und ‚Produktionszentrum‘ markiere, bis hin zum ungeschützten Raum der

Stadt, an den das ‚Distributionszentrum Internet‘ anschließt. Beschränkt ist dieses Vorgehen hinsichtlich seiner retrospektiven Deutung, da eine Analyse am Ort des Geschehens – wie dies vor allem für die frühen Laborstudien Bruno

Latours üblich war – limitiert bleibt. Der Einblick ins Künstler-Atelier blieb mir verschlossen. Anstatt diese Tatsache jedoch als vermeintliches Defizit zu werten, offeriert mein Vorgehen einen Zugang, der gleich drei künstlerische Lein-

wände adressiert: das Papier, die Straße und das Internet bzw. den Computerbildschirm – ist es doch gerade eines der wesentlichen Charakteristika der Street Art, dass sie nicht im geschützen Raum des Ateliers verharrt, sondern

das ‚Produktionszentrum‘ verlässt und sich den externen Bedingungen und unvorhersehbaren Einflüssen der Straße aussetzt; bis sie letztlich als digitales Kondensat und dokumentarisches Abbild im Internet landet, wo sich weitere Anschlussphänomene um sie gruppieren.

4.2.2 S CHABLONIEREN ALS Ü BERSETZUNGSPROZESS Unbunt – nicht farblos. Anstatt auf knallbunte Farben zu setzen, arbeitet die Kölner Künstlerin kurznachzehn fast ausschließlich mit Schwarz-Weiß- und

Grau-Kontrasten. Dies liegt vor allem in einer Ursache begründet: Sie ‚übersetzt‘ alte Analogfotos ihres Großvaters aus den 1950er Jahren in die Gegenwart. Dazu greift sie auf die im Kontext der Street Art recht gängige Technik

des Schablonierens zurück. Der Name Stencil (engl. für Schablone bzw.

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Pochoir, franz. für Schablone) bezeichnet hierbei jedoch nicht nur die Technik des Schablonierens an sich, sondern auch das fertige Schablonenbild. Wie bereits im FORSCHUNGSSTAND unter 2.1 aufgeführt, ist die Schablone dabei keinesfalls eine ‚Erfindung‘ der Street Art,12 vielmehr blickt die Schablone – u.a. als Medium des politischen Protestes – auf eine lange Tradition zurück. Ein Charakteristikum, das sie hierfür prädestiniert, ist ihre Fähigkeit zur seriellen,

massenhaften Vervielfältigung. So können Botschaften unter Zuhilfenahme von Schablonen nicht nur schnell hergestellt, sondern vor allem auch in vielfacher

Weise reproduziert und verbreitet werden. Dies erweist sich als nicht unwichtig, sind es gerade jene Charakteristika – der Mobilität, Transportfähigkeit und optischen Konsistenz – die sich mit Latours Konzept der ‚immutable mobiles‘ kurzschließen lassen.

Doch Schablone ist nicht gleich Schablone; es bedarf weiterer Ausdifferenzierungen. Vor allem diejenigen Schablonen, die als politisches Protestmedium

fungieren und somit schnell, flexibel und mit hoher Wiederholbarkeit einsetzbar sein müssen, bedienen sich einer klaren Formenreduktion. In diesem Fall wird mit nur einem Layer gearbeitet, d.h. der materielle Träger der Schablone

besteht aus nur einem Bogen Papier, Karton oder einer dünnen Plastikplatte. Schablone und Motiv sind somit in der Hinsicht identisch, dass die ausgeschnittenen Partien der Schablone dem fertigen Motiv entsprechen. Auch im Kontext der Street Art wird sich dieser Art Schablonen bedient. Street-ArtKünstler arbeiten vor allem dann mit ‚einfachen‘ Schablonen (im Sinne von

einem Layer), wenn sie Wert auf Reduktion, Flexibilität, Schnelligkeit und Mobilität legen.13 One-layer-Stencil lösten das Programm eines ‚immutable

mobiles‘ somit par excellence ein. Vor diesem Hintergrund könnte man Onelayer-Stencil auch als ‚Stencil in Reinform‘ bezeichnen. Hierfür möchte ich drei

12 Unter dem Pseudonym Blek le Rat führt der Franzose Xavier Prou 1985 das soge-

nannte Schablonengraffiti in die Pariser Street Art ein. Vermutlich ist es kein Zufall, dass er gerade auf die Schablone als äußerst funktionales, mobiles und künstlerisch

einsetzbares Sprachrohr zur Verbreitung reproduzierbarer Botschaften zurückgreift (vgl. Metze-Prou/van Treek 2000: 59, 68; Reinecke 2007: 41-45).

13 Ein weiterer, damit in Verbindung stehender Grund mag sein, eine gewisse Referenz auf die lange Tradition der Schablone als politisches Protestmedium leisten zu wollen.

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Gründe anführen: Erstens, ihre klare Formenreduktion. Zweitens, und daran anschließend, arbeiten One-layer-Stencil mit dem höchstmöglichen ihnen zur

Verfügung stehenden Kontrast; zumeist Schwarz-Weiß-Kontraste. Und drittens werden sie bzw. die für sie benötigte Farbe direkt auf den materiellen Untergrund aufgetragen. Es wird also direkt auf die Mauer, Wand oder Fassade gemalt/gesprüht. Anders ist dies bei Schablonenmotiven, die aus mehreren

Layern bestehen; zumeist zumindest. Eben jene sogenannten ‚Multi-layerStencil‘ weisen eine höhere Komplexität auf: Nicht nur das Vorbereiten der

Schablonenmotive ist mit mehr Aufwand und Zeit verbunden, auch die Praktik des Malens/Sprühens dauert wesentlich länger – was sich im Zuge einer als ‚nicht legal‘ gehandelten Praktik für Street-Art-Künstler nicht unbedingt als

Vorteil erweist. Mitunter deshalb bedienen sich Street-Art-Künstler zunehmend der Praktik des sogenannten ‚Pastens‘, also des Verklebens von Postern, welche zuhause oder im Atelier vorbereitetet wurden. Paste-Ups (to paste, engl. für

kleben, kleistern) nennen sich folglich Street-Art-Arbeiten, die in den öffentlichen Raum geklebt statt direkt auf die Wand gesprüht werden.14 Street-ArtKünstler nehmen auf diese Weise also eine Art Kompromiss oder ‚Umweg‘ in

Kauf.

Auch die Street-Art-Künstlerin kurznachzehn arbeitet mit Paste-Ups (vgl. Abb. 17). Als Vorlage für ihre Schablonenbilder dienen ihr alte Familienfotos ihres Großvaters aus den 1950er Jahren. Diese Fotos bilden den initialen Referenzpunkt von kurznachzehns Arbeiten.15 Aufgrund der in den 1950er Jahren

vorherrschenden technischen Möglichkeiten ist davon auszugehen, dass jene Fotografien folgende vier Charakteristika aufweisen: Sie sind analog, ihr Format ist relativ klein, ihre Auflösung, verglichen mit heutigen Standards, relativ

14 Dieser Ausdruck schließt hierbei sowohl geklebte Stencil-Arbeiten als auch jegliche andere Form geklebter Poster mit ein.

15 Nimmt man das Credo der ANT ernst, jede Fixierung als Effekt von Prozessen zu

denken (vgl. Schüttpelz 2008: 235) und jede Entität als Netzwerk anderer Entitäten

aufzufassen, so müssen auch die Analogfotos des Großvaters als heterogene Netzwerke behandelt werden, die weiterer Ausdifferenzierung bedürfen. Dennoch sehe

ich im Rahmen meiner Analyse von dieser Notwendigkeit ab, da – wie bereits an an-

derer Stelle ausgeführt – die ANT-Logik nicht ‚auf eine ganze Welt‘ hochgerechnet werden kann (vgl. ebd.: 248).

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gering und ihre Farbigkeit schwarz-weiß16. Dies mag nicht weiter überraschend sein, nimmt in der weiteren Argumentation jedoch einen wesentlichen Stel-

lenwert ein. Denn um eine für Street-Art-Zwecke taugliche Schablone herzustellen, gilt es die als Vorlage dienenden Fotos weiter be- bzw. verarbeitbar zu machen.

Abb. 17: Paste-Up von kurznachzehn | Köln In ANT-Terminologie gesprochen, könnte man auch sagen, sie müssen in ein Handlungsprogramm eingebunden werden. Wobei mit Handlungsprogramm

die Abfolge von verschiedenen Schritten, Zielen und Intentionen gemeint ist,

die in einem Ablauf beschrieben werden können (vgl. Latour 2000b: 216). Übertragen auf das Beispiel heißt das: die Fotos der 1950er Jahre müssen eingescannt werden, denn nur so scheint die Möglichkeit einer weiteren Bearbeitung gewährleistet; nur in digitalisierter Form sind sie anschlussfähig. Infolgedessen werden sie in eine Vielzahl digitaler Pixel aufgelöst und, in komprimierter Form, als digitale Bilddatei abgespeichert. Bereits an dieser Stelle treten

16 Auch wenn die Farbfotografie etwa seit den 1930er Jahren besteht, muss im Fallbeispiel von Schwarz-Weiß-Fotografien des Großvaters ausgegangen werden, wie mir die Künstlerin im Gespräch mitteilte.

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zuvor angesprochene Qualitäten der Analogfotografie dezidiert zutage: Denn auch wenn die Qualität des Scans an der technischen Apparatur selbst, dem

Scanner, eingestellt werden kann, können qualitative ‚Defizite‘ des ‚Originals‘

(was die Bildauflösung oder Körnigkeit betrifft) weder behoben noch wirklich kompensiert werden.17 D.h. also, die aus heutiger Sicht als vermeintlicher Mangel empfundene Niedrigauflösung wird mitgeführt und auf das gescannte Abbild übertragen. Latour schreibt hierzu: „[Im Jetzt zeigt sich, KG] das schon längst vergangene Handeln eines längst verschwundenen Akteurs, der hier und

jetzt immer noch aktiv ist […].“ (Ebd.: 230) Gleichzeitig wird die ursprüngliche Analogfotografie einer (möglichen) Skalierung unterzogen, denn aufgelöst in einzelne Pixel und verdichtet zum Digitalbild wird ihre Größe beliebig

veränderbar.18 So kann das Digitalbild – in Relation zum ‚Original‘ – sowohl deutlich verkleinert als auch deutlich vergrößert dargestellt werden. Im Falle von kurznachzehns Stencil-Arbeiten ist hierbei von einer deutlichen Vergrößerung des ‚Originals‘ auszugehen, weisen ihre Motive in der Regel annähernd Lebensgröße auf. Der Maßstabwechsel erweist sich somit als obligatorischer Schritt des Übersetzungsprozesses, welcher mit einer erneuten Verringerung

der Bildauflösung/-qualität einhergeht. Jeder kennt den Fall: Man speichert Bilder aus dem Internet auf seiner Festplatte, beim Öffnen stellt man jedoch fest, dass die Auflösung sehr gering, zu gering, ist. Zoomt man ins Bild hinein, löst sich das Bild bis zur Unkenntlichkeit auf. Die einzelnen Pixel ope-

rieren als eigenständige Größen und fügen sich nicht mehr zu einem Gesamtbild zusammen.19 Ähnlich ist dies auch für kurznachzehns Stencil-Arbeiten zu denken. Durch die digitale Skalierung – die Farbpixel im Zuge einer Bildver-

größerung zwar bis zu einem gewissen Grad aufrechnen, eine Niedrigauflösung

17 Dieser Umstand ist für die Weiterverarbeitung wichtig. 18 Neben Mobilität, Unveränderbarkeit, optischer Konsistenz und Reproduzierbarkeit zeigt sich auch ein Maßstabwechsel ohne Verluste als Charakteristikum von Latours ‚immutable mobiles‘ (vgl. Latour 2006a: 285ff).

19 Ähnlich, wie wenn man ein impressionistisches Bild aus der Nähe anschaut. Jens

Schröter bemerkt in seinem Abstract zur Tagung Mikro Makro Medium (2008) Entsprechendes in Bezug auf Jackson Pollock: „Wird die Vergrößerung zu hoch, treten

die einzelnen Flecken und Spritzer in den Blick, […] [h]ier zeigt sich die schiere Materialität […] bei reduzierter Autorschaft.“ (Schröter 2008)

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aber nicht gänzlich kompensieren kann – erscheinen auch ihre digitalisierten Fotos ‚mangelhaft‘. ‚Mangelhaft‘ in dem Sinne, dass sich die für die Analogfotografie charakteristische Niedrigauflösung bzw. Körnigkeit im gescannten, skalierten Digitalbild potenziert. Wie sehr, kann nur vermutet werden, bleibt diese Information in der Blackbox künstlerischer Street-Art-Produktion verbor-

gen. Es ist dennoch davon auszugehen, dass sich die anfängliche Niedrigauflösung an dieser Stelle der Übersetzungskette bereits derart stark bemerkbar macht, dass sie sich als mediale Störung artikuliert.20 Konkret heißt das: Die

Originalfotografie, das Familienfoto, erscheint verpixelt, Konturen und Umrisslinien einzelner Personen und Gegenstände sind nur noch vage zu erkennen. Jene Störung ist dabei gerade in der Hinsicht interessant, dass sie nicht nur auf

den medialen Übersetzungsprozess an sich verweist, sondern auch dessen Möglichkeit zum Scheitern offenlegt. Denn Übersetzungen sind nicht zwangsläufig erfolgreich.21

Kurznachzehns Motive sind aus mehreren Schablonen bzw. Layern herge-

stellt. Dies erkennt man daran, dass sich ihre Motive aus mehreren Farben bzw. Farbpartien zusammensetzen. Als Faustregel könnte man sagen, dass Street-

Art-Künstler pro verwendeter Farbe (mindestens) einen Layer herstellen müssen. Dies gewährleistet, dass bei anschließender Überlagerung ein vollständiges Motiv entsteht. Schaut man sich kurznachzehns Arbeiten einmal genauer an, erkennt man, dass zum Herstellen ihrer Motivwelten mindestens vier bis sechs

Layer zum Einsatz kommen müssen. Wie diese Layer zu denken sind und wel-

20 Zum medientheoretischen Konzept der Störung siehe u.a. Kümmel-Schnur/Schüttpelz (2003a).

21 Vielmehr sei erwähnt, dass auch der prekären Stabilität von Operationsketten Referenz verliehen werden muss. Callon schreibt: „Je zahlreicher und heterogener die

wechselseitigen Verbindungen, desto größer der Grad der Netzwerkkoordination und

desto höher die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Widerstands gegenüber alter-

nativen Übersetzungen.“ (Callon 2006d: 332) Zeigt sich ein Netzwerk stark konvergent und irreversibel, werden die Regeln der Koordination zu zwingenden Normen.

Übersetzungen werden standardisiert, Netzwerke punktualisiert, wodurch diese neue

Knoten in einem externen Netzwerk ausbilden (vgl. ebd.: 333-335). Wie meine weiteren Ausführungen zeigen, kann eine solch strikte Standardisierung im Falle der Street-Art-Produktion jedoch weitestgehend ausgeschlossen werden.

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che (Medien-)Praktiken an ihrer Herstellung beteiligt sind, soll im Folgenden diskutiert werden.

Street-Art-Künstler greifen für die Praktik des digitalen Layerings auf Bild-

bearbeitungsprogramme wie Adobe Photoshop und Illustrator zurück, da diese große technische Hilfestellungen bereitstellen. Im Internet gibt es mittlerweile

eine Vielzahl von Tutorials und Youtube-Videos, die Anleitungen für die Herstellung von Multi-layer-Stencil geben.22 Wie bei allen anderen Tutorials auch, muss sicherlich auch hier differenziert werden. So ist davon auszugehen, dass

es Tutorials gibt, die für die Street-Art-Welt von besonderem Interesse sind, andere wiederum nicht. Im Allgemeinen scheinen derart genormte Produktionsanleitungen jedoch ohnehin nur sekundäre Relevanz zu besitzen, betonen Street-Art-Künstler in Gesprächen mit mir doch immer wieder, dass jeder Künstler im Laufe der Jahre seine ganz eigenen Praktiken und Skills in der Aufbereitung seiner Street-Art-Arbeiten entwickelt.

Ziel der digitalen Layering-Praktik ist es, ein Motiv in mehrere sinnstiftende

‚Schichten‘ und Farbpartien zu unterteilen. Im Laufe meiner Forschung und der Sichtung mehrerer Hundert oder Tausend Schablonenmotive lassen sich hierbei

grundsätzlich zwei Richtungen voneinander unterscheiden: Künstler, die in der

Konzeption ihrer Motive besonderen Wert auf die Berücksichtigung und den Einbezug motivinterner Licht- und Schatteneffekte legen23 und Künstler, die besonderen Wert auf die ‚realitätsnahe‘ Umsetzung einzelner motivinterner Konturen und ihrer Begrenzungen legen.24 Bezogen auf die Praktik des digitalen

22 Siehe dazu z.B. www.issuu.com/ebenholz/docs/halftonetutorial_en/1, 30.10.2014. 23 Vgl. u.a. am Beispiel von TONA, 27.10.2014 (Foto: Jens Krone): www.facebook.com/photo.php?fbid=10152547004146847&set=ms.c.eJxdy8ENACAIA8CNDMVCYf~-

%3BFjC8j30sOhvCgzADPohae7MaQ9CEEx1LqF6rrrgOAFBV3.bps.t.100003977115897&type=1, 06.11.2014.

24 Vgl. u.a. am Beispiel von ALIAS, 18.10.2013 (Foto: Joanna Wysocka): www.facebook.com/4L1A5/photos/a.382503747939.163630.170161912939/10151917130507-

940/?type=3&theater, 06.11.2014. Interessant zu beobachten ist, dass eine solche

Unterscheidung zwischen Licht-/Schatteneffekten und Kontur bereits weitaus früher,

bei Wölfflin, unternommen wurde. Konkret benennt Wölfflin dabei das Oppositionspaar „malerisch“ vs. „linear“, welches er über den Vergleich von Werken der Renaissance mit Werken des Barock entwickelte (vgl. Wölfflin 1915 bzw. 1917)

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Layerings am Computer heißt das also, dass sich trotz gleicher oder ähnlicher technischer Softwarevoraussetzungen an dieser Stelle der Übersetzungskette individuelle Handschriften einzelner Künstlerindividuen herausbilden. Oder

anders ausgedrückt: An dieser Stelle der Übersetzungskette zeichnet sich das erste Mal so etwas wie individuelle Kunstfertigkeit oder künstlerischer Stil ab.

Zurückzuführen ist dies einerseits auf bewusste künstlerische Entscheidungen und individuelle Skills; andererseits treten an dieser Stelle aber auch angewandte Photoshop-Filter zutage,25 die sich ins Endprodukt einschreiben. Dies macht deutlich, dass es die Praktik des Street-Art-‚Machens‘ immer auch als

prozessuales Ineinandergreifen rationalisierbarer, technisch(-determiniert)er Produktion und intuitiver, kreativer Kunstfertigkeit zu begreifen gilt (vgl. Am-

mon 2012: 127).26 Daraus folgt, dass es weder ein alles beherrschendes StreetArt-Künstler-‚Genie‘ gibt, das seine Gestaltungskraft eins zu eins auf sein Werk übertragen kann, noch Objekte, die die Möglichkeiten von Künstlern konse-

quent ‚technisch determinieren‘ – vielmehr erweitern sie sie, verschieben sie und ergänzen sie im Übersetzungsprozess (vgl. Hensel/Schröter 2012: 8).

Kurznachzehns Stencil-Arbeiten zähle ich in diesem Kontext vermehrt zur

zweiten Kategorie, arbeitet die Künstlerin die Konturen ihrer Schablonenmotive sowie die damit einhergehenden Begrenzungen einzelner Farbfelder durchgehend sehr präzise heraus – nicht jedoch ohne relevante, motivinterne Lichtreflexe zu vernachlässigen. Offensichtlich wird dies, schaut man sich beispielsweise ihr großformatiges Motorradmotiv (vgl. Abb. 18) einmal genauer

an. Gerade hier treten der Detailreichtum des Motivs und die damit einhergehende, präzise Farbfeld-Konturierung zutage. Jene Konturierungspraktik gilt es stets als künstlerische Abstraktions- und Reduktionsleistung zu werten, welcher im Falle von kurznachzehns Stencil-Arbeiten – gerade vor der Folie vorheriger Übersetzungsschritte – besondere Relevanz zugeschrieben werden muss. Denn,

wie zuvor bereits angesprochen, ist im Zuge der Digitalisierung und anschließenden Skalierung der ursprünglichen Analogfotografie von einer ‚potenzierten Niedrigauflösung‘ auszugehen, die sich als mediale Störung artikuliert. Daraus

25 Zumindest unter Umständen. 26 Sabine Ammon verbindet ähnliche Gedanken mit dem Entwurfsprozess im Architekturbüro.

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folgt, dass die Praktik des Konturierens, die sich zur Herstellung eines Multilayer-Stencils als obligatorisch erweist, im Zuge einer potenzierten Unschärfe maßgeblich erschwert wird. Denn einzelne Motive, Konturen und Farbfelder

sind am Computerbildschirm nur unscharf zu erkennen; die zur Schablonenherstellung obligatorische Abstraktions- und Reduktionsleistung stellt sich we-

sentlich komplexer dar. Die präzise Ausarbeitung des Motorradmotivs, insbesondere der Speichen, des Motors sowie des engmaschigen Stoffmusters, lässt folglich auf eine ausgeprägte künstlerische Fertigkeit der Künstlerin schließen – und man beachte in diesem Kontext auch die Uhr des motorradfahrenden

Mannes, welche, wie sollte es auch anders sein, exakt ‚kurz nach zehn‘ (Uhr) anzeigt.

Abb. 18: kurznachzehn | Köln Doch an dieser Stelle zurück zur Übersetzungskette. Nachdem das Stencil-

Motiv am Computerbildschirm digital so aufbereitet ist, dass es – übereinander gelegt – eine sinnvolle Komposition ergibt, gilt es für Street-Art-Künstler die einzelnen Layer zu isolieren und zu materialisieren. Oder anders ausgedrückt,

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es gilt, sie in Inskriptionen zu überführen, um hier die Terminologie Bruno Latours aufzugreifen. Dieser bezeichnet mit Inskriptionen all diejenigen Trans-

formationen

„durch die eine Entität in einem Zeichen, einem Archiv, einem Dokument, einem Papier,

einer Spur materialisiert wird. In der Regel, wenn auch nicht immer, sind Inskriptionen zweidimensional, überlagerbar und kombinierbar.“ (Latour 2000a: 375-376)

Dies sind Charakteristika, die ja gerade auf Multi-layer-Stencil per se zuzutreffen scheinen. „Immer sind sie mobil“, so Latour weiter, „d.h. sie ermöglichen neue Übersetzungen und Artikulationen, während sie gleichzeitig einige Typen von Relationen unverändert lassen.“ (Ebd.) In seinem Aufsatz Drawing Things Together (2006a) punktualisiert Latour seine Aussagen und führt für die

doppelte Eigenschaft der Inskriptionen – Mobilität und Unveränderlichkeit – den Begriff der ‚immutable mobiles‘, also der ‚unveränderlich mobilen Elemente‘ ein.27 Dieses Konzept lässt sich für die Herstellung von Street-Art-Schab-

lonen produktiv machen, sind die einzelnen Layer einer Schablone 28 – wie auch Latours ‚immutable mobiles‘ – in ihrem Ursprung unveränderlich, mobil und

transportfähig. Gleichzeitig zeichnen sich aber auch einige Verschiebungen ab, wie sich in meinen folgenden Ausführungen zeigen wird. Indem Street-Art-Künstler die am Computerbildschirm digital erstellten

Layer ausdrucken, erfahren diese eine Materialisierung. Die Aufgabe besteht für Street-Art-Künstler also letztlich darin, jeden digitalen Layer in einen materiellen Layer zu überführen. Konkret heißt das: Ist ein Schablonenmotiv in Photoshop in vier Layer aufgeteilt, müssen auch im Papierformat am Ende vier

Layer vorliegen. Der Grund hierfür scheint evident, zielen Street-Art-Künstler

27 Auf Seite 285 ff. benennt Latour insgesamt neun Eigenschaften von Inskriptionen;

viele davon bedingen sich in gewissem Maße gegenseitig. Eine Punktualisierung auf die Charakteristika der Unveränderlichkeit und Mobilität, und deren Zuspitzung im

Konzept der ‚immutable mobiles‘ im Allgemeinen, halte ich an dieser Stelle für ange-

messen (vgl. Latour 2006a).

28 Diese wiederum sind – und das ist mir bewusst – aus ihrer Natur heraus als einzelne Entitäten nicht stabilisierbar bzw. isolierbar und bestehen immer schon aus einer

Vielzahl von weiteren Akteur-Welten bzw. -Netzwerken.

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darauf ab, ihre Motive und persönlichen Bildsprachen zu fixieren und transportfähig zu machen. Hier wird somit unschwer deutlich, dass es die ‚immutable mobiles‘ der Stencil-Produktion definitiv anders zu bewerten gilt als die

von Latour: So akkumulieren sie keinesfalls geografisches Wissen, das zum Zwecke der geopolitischen Machtausübung von einem ‚center of calculation‘ in

die Welt ausgesandt wird (und auch wieder zurückkommt), sondern dienen der

Fixierung künstlerischer Handschriften. Die Übersetzung wird in diesem Fall zum expliziten Referenzpunkt und Thema, soll sie gerade nicht aus dem ‚Produkt‘ verschwinden, sondern im Werk explizit anwesend sein.29

Abb. 19: Schablonenproduktion | © kurznachzehn

29 Es sei darauf hingewiesen, dass auch bei Latour nicht von einen expliziten ‚Ver-

schwinden‘ auszugehen ist. Vielmehr zeigen seine Ausführungen zu Pedologenfaden, dass der ‚Weg‘ von den Bodenproben des brasilianischen Urwalds bis hin zu deren

‚Fixierung‘ im Diagramm (Territorium vs. Karte) stetig vor und zurück gegangen

werden kann und somit ‚rückübersetzbar‘ ist (vgl. dazu Latour 1997: 213-263). Für

die bei Latour gegebene Möglichkeit des ‚Vor‘ und ‚Zurücks‘ (im Übersetzungsprozess) kann an dieser Stelle jedoch keine feinere, begriffliche Ausdifferenzierung vorgenommen werden, da ein adäquates Beschreibungsvokabular fehlt.

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Der nächste Schritt sieht die manuelle Bearbeitung der Layer vor: Die verschiedenen Farbfelder, die zur Herstellung eines Schablonenbildes nötig sind, müs-

sen ausgeschnitten werden (vgl. Abb. 19). Der hier beschriebenen Praktik des

Schneidens muss besondere Relevanz zugesprochen werden, stellt sie doch den initialen Referenzpunkt meines methodisch-konzeptionellen Analyserasters dar. Zum Schnitt-Bild kondensiert, zeigt sich dieses als vielfach adaptierbare Bottom-Up-Schablone, welche einer mehrdimensionalen Annäherung nachkommt. Dennoch macht diese nicht nur einzelne, fallbeispielbezogene Phänomene adressierbar, sondern verleiht letztlich der gesamten Arbeit argumentative Stringenz. Für das Aus- und Zuschneiden ihrer Schablonen(-motive) greifen Street-Art-

Künstler auf Werkzeuge wie Cutter, Schablonen-Messer oder Ähnliches zurück; einige wenige arbeiten bereits mit digital programmierbaren Lasercuttern. Die-

se verringern zwar den Anteil manueller Arbeit, fordern aber die Fertigkeit di-

gitalen Programmierens ein. Latour betont in seiner Beschreibung der ‚immutable mobiles‘, dass diese stabil, anschlussfähig und mobil einsetzbar sind. Um diese Eigenschaften auch für Street-Art-Schablonen, zumindest temporär, zu gewährleisten, arbeiten Street-Art-Künstler mit Materialien, denen auch sie

Eigenschaften wie Stabilität und Flexibilität zuschreiben. Street-Art-Künstler greifen hierfür nicht ausschließlich auf Papier zurück, sondern nutzen oftmals robustere Materialien wie Tonkartons oder dünne Plastikplatten. Dieser Umstand erweist sich als nicht unwichtig, besitzt jedes Material doch seine ganz

eigenen, spezifischen Eigenschaften und Anpassungsfähigkeiten, welche sich nicht nur auf Faktoren wie Mobilität, Flexibilität und Langlebigkeit der Schablone, sondern auch auf die Erscheinungsform des fertigen Schablonenbildes auswirken. Simone Ammon weist in ihrer Studie zu Entwurfsprozessen im Architekturstudio ebenfalls auf jene Tatsache hin, indem sie konstatiert: „Erst wenn [Materialien, KG] unterschiedliche Funktionen zugestanden werden, wenn berücksichtigt wird, was das eine zu leisten vermag und das andere nicht, dann kann auch gefragt werden, wie Dinge in Interaktion mit menschlichen Akteuren aufeinander […] wirken, wie sie sich ergänzen, bedingen und verändern.“ 30 (Ammon 2012: 142-143)

30 Die Autorin spricht in diesem Zitat von der je spezifischen Rolle von „Modellen und Plänen“; diese wurden von mir durch „Materialien“ ersetzt.

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Sind alle vorgesehenen Partien der Schablone ausgeschnitten, und dies auf jedem einzelnen Layer, ist sie einsatzbereit. Ab diesem Zeitpunkt greifen Street-Art-Künstler zur Farbe; und erneut zum Papier. Denn wie zuvor bereits

angesprochen, ‚malen‘ Street Artists ihre Multi-layer-Stencil nur noch selten direkt auf die Wand, vielmehr greifen sie auf die Technik des Pastens zurück.

Auch hier bedienen sich Street Artists verschiedener Materialien. 31 Grob gesagt, gilt: Je dünner das verwendete Papier, umso besser lässt sich das jeweilige Paste-Up an vorherrschende Architektursituationen anpassen, zeigt sich modellierbar und nimmt Ortsspezifiken auf; dickes Papier hingegen erweist

sich als wesentlich sperriger. Das fällt vor allem dann auf, sieht man sich die im Stadtraum verklebten Werke einmal genauer an. So lassen sich bei genaue-

rer Betrachtung verschiedene Oberflächenstrukturen, Maserungen und Papierdichten erkennen, welche sich maßgeblich in die Gesamtkomposition einschreiben. Denn Paste-Ups passen sich den Gegebenheiten vor Ort in situ an,

wodurch etwaige Unebenheiten, Risse und Spalten zum integrativen Bestandteil des Kunstwerks stilisiert werden. Dies bedeutet, dass Street-Art-Werke nicht nur einzelne Orte bespielen, sondern diese mitunter erst sichtbar machen.

Sie üben eine permanente Reflexion auf ihr Material und Medium aus und akzentuieren den ihnen zugrunde liegenden Übersetzungsprozess. Neben der Papierwahl gilt es für Street-Art-Künstler, in Vorbereitung ihrer Paste-Ups, jedoch vor allen Dingen eines zu beachten: die richtige Reihenfolge

der Layer. Denn nur die richtige Reihenfolge gewährleistet, dass sich Multilayer-Stencil zu einer vollständigen Komposition zusammenfügen. Motivpartien, die sich im Bildhintergrund befinden, müssen zuerst gemalt werden; Par-

tien des Vordergrunds schließen chronologisch an. Auf diese Weise überlagern und komplettieren sich letztlich nicht nur einzelne Layer, sondern auch bestimmte Motiv- und Farbpartien. Der finale Layer bildet zumeist die Farbe

Schwarz, da Schablonenmotive auf diese Weise bestmöglich konturiert werden können. Ebenfalls ist es Street-Art-Künstlern auf diese Weise möglich, einzelne Details nochmals genauer hervorzuheben. Eine stimmige Überlagerung der 31 Die individuelle Wahl bzw. Entscheidung für oder gegen ein Papier ist abhängig vom

persönlichen Geschmack des Künstlers, den orts- und situationsbezogenen Gegebenheiten vor Ort (materieller Untergrund, Lage etc.), wird darüber hinaus aber auch von finanziellen Mitteln bestimmt.

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Layer und unverzerrte Zusammensetzung des Motivs gelingt aber nur dann, wenn Street-Art-Künstler auf einen zusätzlichen Parameter achten: Präzision. Im Internet wird ersichtlich, dass Künstler oftmals mit sogenannten ‚Markern‘32 arbeiten, welche das passgenaue Überlagern der Layer erleichtern. Das für ‚immutable mobiles‘ charakteristische Merkmal der Überlager- und Kombinierbarkeit scheint sich auf diese Weise geradezu exemplarisch einzulösen.

Abb. 20: kurznachzehn | Düsseldorf Auch kurznachzehns Arbeiten zeichnen sich durch Präzision aus. Der Künstlerin gelingt es, durch passgenaue Überlagerung einzelner Layer eigenständige Motiv- und Bildwelten zu entwerfen. Hierbei ist auffällig, dass sie fast aus-

schließlich mit Schwarz-Weiß- und Grau-Kontrasten arbeitet. Nur punktuell werden einzelne Details mit Farbe hervorgehoben; so zum Beispiel der gelbe Löwenzahn, welcher ihr wohl bislang bekanntestes Motiv ziert: ein kleines, am

Boden knieendes Mädchen, das Blumen pflückt (vgl. Abb. 20). Diese Entscheidung zur Farbreduktion scheint nur konsequent, ruft man sich nochmals ihr übergeordnetes Konzept ins Gedächtnis, welches die Übersetzung alter,

schwarz-weißer Familienfotos vorsieht. In ihrem Fall ist die Farbreduktion

32 Hierbei wird auf jedem Layer die exakt gleiche Markierung an exakt derselben Stelle ausgeschnitten (bildextern) und auf den materiellen Untergrund, das Papier, übertragen. Auf diese Weise dient die Markierung als Anhaltspunkt beim Ausrichten der Layer.

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jedoch nicht Ausdruck bzw. zwangsläufiges Resultat technischer Möglichkeiten, sondern als bewusste, künstlerische Entscheidung und kunstpraktische

Referenz33 zu werten. Kurznachzehns produktionsästhetischen Hintergrund gilt es somit als individuelles, stilbildedes Alleinstellungsmerkmal anzuerkennen, welches ihr innerhalb der (deutschen) Street-Art-Landschaft eine motivweltlich-konzeptionelle Sonderstellung einräumt.

Dennoch ist die Übersetzung(-skette) auch nach Fertigstellung des Motivs noch nicht gänzlich abgeschlossen, vielmehr gilt es das auf Papier gesprühte

Motiv final auszuschneiden.34 Denn nur auf diese Weise wird es mobil. Das mittlerweile handlich gewordene, zusammengefaltete/-gerollte Paste-Up verlässt den geschützten Raum des Ateliers und wandert, aus einer künstlerisch motivierten Geste heraus, nach draußen. Mit Kleister klebt die Künstlerin ihre

fertige Arbeit in den Stadtraum; stets darauf bedacht, orts- und situationsbezogene Vorkommnisse und Gegebenheiten in die Wahl ihres Spots mit einzubeziehen – dazu zählen Oberflächenstrukturen, Architektursituationen,

Lichtverhältnisse, Ausleuchtung durch Straßenlaternen, Frequentierung durch Passanten, etc. Exemplarisch für eben jenen orts- und situationsbezogenen Umgang von bzw. mit Kunst steht auch hier wieder ihr ‚Löwenzahnmädchen‘,

das immer genau an denjenigen Orten auftaucht, wo auch tatsächlich Löwenzahn zwischen den Pflastersteinen hervorwuchert. Das heißt also, kurznachzehns Arbeiten nehmen vorherrschende Architektursituationen nicht nur auf,

sondern konvertieren sie in einen konstitutiven Bestandteil ihres Werkes. Orte, Spots und Details, die vorher möglicherweise im Großstadtrauschen untergegangen sind, erfahren auf diese Weise eine künstlerische Akzentuierung und

Aufwertung. Auf diese Weise trägt die Künstlerin zu einer Aktivierung künstlerischer Operationsketten bei und macht diese als stilbildende Elemente sichtbar.35 Gleichzeitig kommt es an dieser Stelle des Produktionsprozesses zu einer

33 Referenz auf den initialen Ausgangspunkt, das Analogfoto sowie den damit einhergehenden Übersetzungsprozess im Allgemeinen.

34 Auch hier sei auf das Schnitt-Bild und die mit ihm unmittelbar in Verbindung stehende Praktik des (An-)Schneidens verwiesen.

35 Abgesehen von derart ‚kleinteiligeren Details‘ in der Wahl des Anbringungsortes kann auch die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Stadtviertel als bewusstes oder unbewusstes künstlerisches Statement verstanden werden. So gibt es Street-Art-

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Verkehrung von Latours Konzept der unveränderlich mobilen Elemente: Mobilität und Immobilität tauschen ihre Plätze. Schon kurz nach Verlassen des Künstler-Ateliers kommt die Mobilität des Paste-Ups zum völligen Erliegen; die

Künstlerin verklebt es an einem an unverrückbare Architektur gebundenen Träger, die Wand. Dadurch verliert das Paste-Up seine einst charakteristischen Eigenschaften der Transportfähigkeit und Mobilität – zumindest temporär.

Denn Street Art zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie sich den verschiedensten Einflüssen wie Witterungsverhältnissen, dem Eingreifen von Stadtreinigung, Passanten und ‚Sammlern‘ sowie den szeneinternen Spielregeln städ-

tischer Aneignung (Street Art und/vs. Graffiti und umgekehrt) ganz bewusst aussetzt. Sie präsentiert sich somit als per se vergängliche Kunstform, welche

sich der Veränderung nicht nur willentlich aussetzt, sondern diese zum zentralen Charakteristikum ihrer Ästhetik erklärt. Die Verkehrung von Latours Konzept der ‚immutable mobiles‘ zu ‚mutable immobiles‘ beleuchtete den Gegenstand also ebenfalls nur verkürzt. Vielmehr gilt es den immobilen Zu-

stand des verklebten Posters als punktuelle, wenn auch zentrale Stabilisierung innerhalb einer langen Kette von Übersetzungspraktiken anzuerkennen, an die

weitere Vermittlungen anschließen.36 Denn, Tatsache ist, dass das Werk ver-

schwinden wird; nach zwei Stunden, zwei Tagen, zwei Wochen, zwei Monaten oder zwei Jahren. Tatsache ist aber auch, dass es als fotografisches Abbild auf einer der diversen Onlinepräsenzen zirkulieren wird, die sich der Verhandlung,

Dokumentation und Archivierung von Street Art verschrieben haben. Im Distributionszentrum Internet wird es somit, in gewisser Weise, wieder zum ‚immutable mobile‘ verkehrt – wenngleich sich seine Materialität, Medialität und

Leinwand einer deutlichen Verschiebung unterzogen haben. Der Künstlerin kommt hierbei eine aktive Rolle zu, hält sie ihre Interventionen fotografisch fest und lädt sie als Digitalfoto ins Internet, wo sie auf ihrer Facebook- und

Künstler, die ‚heruntergekommenere‘ Stadtteile bevorzugen, andere wiederum brin-

gen ihre Kunst vermehrt in den hippen, aufstrebenden Kreativquartieren an, wäh-

rend wieder andere ihre Kunst ausschließlich im unmittelbaren Umkreis von Gale-

rien verkleben. In den gut situierten, bürgerlichen Vierteln und exklusiven Einkaufspassagen ist meist keine bis nur sehr wenig Street Art zu finden.

36 Diese können im Rahmen dieser Analyse jedoch nicht weiterführend beleuchtet werden.

Ü BERSETZEN UND ( AN -) SCHNEIDEN | KURZNACHZEHN

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Instagram-Seite für Fans und Follower abrufbar sind.37 In konservierter Form fristen sie ihr Dasein folglich im Social Network, von der Plattform auf den

gängigen Web-Standard von 72 dpi komprimiert. Innerhalb der FacebookArchitektur, welcher hierbei die unmissverständliche Geste des Zeigens inhärent ist, sind kurznachzehns Street-Art-Fotos somit all denjenigen Mechanismen und Praktiken unterworfen, die ich bereits im vorausgehenden KAPITEL unter 4.1 aufgeführt habe. An dieser Stelle möchte ich die Aufmerksamkeit auf einen abschließenden

Aspekt lenken: die Dialektik von Öffentlichkeit und Privatheit, innen und außen. Über das Verkleben ihrer Paste-Ups holt die Künstlerin ein Stück ‚Nostalgie‘38 ins Jetzt-Zeitalter der 2010er Jahre zurück und übergibt sie der Dynamik

der Straße. Es ist auffällig, dass jener besagten Nostalgie hierbei etwas ‚hochgradig Persönliches‘ inhärent scheint; denn was die Künstlerin in den Straßen der Großstädte verklebt, sind nicht irgendwelche Bilder, sondern es sind die

37 Neben der erneuten Mobilmachung durch fotografische Dokumentations- und Zirku-

lationspraktiken wäre an dieser Stelle interessant, den Weg der ‚Entwendung‘ einzelner Street-Art-Arbeiten rückzuverfolgen – wenn also verklebte Paste-Ups von ihrem

ursprünglichen Ort, der Straße, abgelöst und aus marktwirtschaftlichen Interessen im Internet angeboten werden (vgl. dazu KAPITEL 4.1.9). Als ‚Original mit Spuren‘ – wel-

che sie aufgrund (unsachgemäßer) Entfernung und Ablösung mit Sicherheit aufweisen – wäre ein entwendetes Paste-Up folglich als fragiler ‚mutable mobile‘ zu ent-

werfen; also als veränderliches (bzw. verändertes), mobiles Element, das per Over-

night Express schon am nächsten Tag in unserem Wohnzimmer hängen kann. Ebenfalls wäre es interessant, die auf Onlinezirkulation basierenden Entwendungs-

praktiken genauer nachzuzeichnen. So bilden die im Internet zirkulierenden Fotos

diverser Street-Art-Arbeiten oftmals die Ausgangsbasis für weitere Umdeutungen,

Transformationen und Aneignungen. Online abrufbare, digitale Fotos machen es

Street-Art-affinen Akteuren leicht, verschiedenste Street-Art-‚Merchandisingprodukte‘

in Umlauf zu bringen; darunter Prints und Poster, bedruckte Leinwände, T-Shirts, Magnetpins, Kaffeetassen, Handyhüllen etc. Diese Produkte zirkulieren zumeist ohne

Absprache mit, Referenz auf oder Wissen des Künstlers. Aus Gründen der Komplexitätsreduktion können diese beiden Schritte im Rahmen meiner Analyse jedoch nicht

geleistet werden.

38 So interpretiert in der Westdeutschen Zeitung vom 02.08.2013 (vgl. Kouschkerian 2013).

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‚übersetzten‘ Fotos ihres Großvaters. Die im Stadtraum befindlichen Arbeiten sind somit nicht losgelöst von ihrer ursprünglichen Referenz, den Analogfotos

der 1950er Jahre, zu denken, sondern werden als eine Art ‚Spur‘ stets mitgeführt. Die Personalisierung des Stadtraums erfährt im Zuge dessen also eine zusätzliche Dimension; schließlich scheint jedem von kurznachzehns Fotos wiederum eine individuelle Geschichte eingeschrieben. Öffentliches und Privates gehen in diesem Fall eine Symbiose ein: Familienfotos, die für gewöhnlich an privaten Wohnzimmerwänden39 hängen, werden nach außen gekehrt. In diesem Fall werden kurznachzehns Paste-Ups zur ‚Tapete‘ des Außenraums verkehrt; sie bewohnen die Stadt, indem sie die Außenfassade in Innenräume verwandeln (vgl. dazu auch Neef 2008: 320). Die Grenzen zwischen innen und

außen, öffentlich und privat, Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen.40

Dennoch, und das gilt es ebenfalls zu betonen, nur unter Vorbehalt; so weist auch Michel Callon darauf hin, dass „[ü]bersetzen bedeutet: Für andere zu sprechen, unverzichtbar zu sein und sie zu verla-

gern. Jede Übersetzung bewirkt die Festigung von Akteur-Welten. Erfolgreiche Übersetzungen lassen uns schnell ihre Geschichte vergessen.“ (Callon 2006a: 148)

Für den Fall von kurznachzehns Stencil-Arbeiten heißt das also, dass die von der Künstlerin geleistete Übersetzungsleistung die ihren Schablonenbildern zu-

grundeliegende Referenz – die Analogfotos – ein Stück weit ‚vergessen lässt‘.41

Oder anders ausgedrückt: Ihre Kunstfertigkeit überspielt die mediale Übersetzung. Dies wird vor allen Dingen bei ihren neueren Motiven sichtbar, deren Ausarbeitung noch feiner und präziser ist; wohingegen ihre älteren, anfäng-

39 Die ja gerade die private Innenseite des Wohnzimmers vom öffentlichen Raum abtrennen.

40 Auf die Kategorie der Zeit/Zeitlichkeit soll in diesem Kapitel nicht weiter eingegangen werden; das Phänomen der Überlagerung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird im darauffolgenden KAPITEL 4.3 en detail diskutiert.

41 Zu beachten gilt hier, dass die Rezipienten von kurznachzehns Street-Art-Arbeiten keinen Zugang zu ihren Analogfotos haben; sie bleiben für sie im Verborgenen und

liegen somit ausschließlich ‚geblackboxed‘ vor (vgl. dazu Latour 2000a: 373).

Ü BERSETZEN UND ( AN -) SCHNEIDEN | KURZNACHZEHN

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lichen Motive durchaus noch eine ‚Spur Übersetzung‘ durchschimmern lassen.42 Dies ist eine Tendenz, die bei vielen Street-Art-Künstlern zu beobachten ist, die

mit Schablonen arbeiten: Während die ersten Motive zumeist etwas gröber ausfallen – man probiert sich aus, experimentiert, lernt die Technik kennen –, ist bei den späteren Motiven eine deutliche Optimierung zu erkennen. Diese ist vor allem als Resultat künstlerischer Professionalisierung zu werten, während dem ‚Durchschimmern des Übersetzungsprozesses‘, auf der anderen Seite, eine gewisse medienästhetische Qualität zugesprochen werden muss. Der aus kunstbzw. formalästhetischer Street-Art-Sicht als möglicher Mangel empfundene,

grobe ‚Übersetzungsfehler‘ lenkt die Aufmerksamkeit in selbstbezüglicher Manier auf die Praktik des Übersetzens selbst und legt die an ihm beteiligten Medien frei.

4.2.3 Ü BER DAS K OLORIEREN SCHWARZER K ISTEN 43 In einem abschließenden Abschnitt möchte ich eben jene Optimierung aufgreifen und in den breiteren Kontext von Street-Art-Produktion, Operations- und Übersetzungsketten stellen. Michel Callon schreibt in seinem Aufsatz Die Sozio-

logie eines Akteur-Netzwerkes (2006): „Zuerst ist Übersetzung ein Versuch, später kann sie tatsächlich umgesetzt werden.“ (Callon 2006a: 181) D.h., auch in seinem Verständnis schwingt ein Stück weit die Idee des ‚Bastlers‘ mit. Bevor

Dinge umgesetzt werden können, müssen sie ausprobiert, angepasst und gegebenenfalls optimiert werden. Nach dem französischen Ethnologen Lévi-Strauss ist der Bastler ein Meister der Bricolage, welcher es vermag, durch das Abweichen von vorgezeichneten Wegen Innovationen sowie kreative An- und Umdeutungen zu erschaffen. Ein Bastler erfindet nichts völlig Neues, sondern improvisiert und (re-)kombiniert – in gewissem Sinne aus der Not heraus – das, was er gerade zur Hand hat (vgl. Lévi-Strauss 1968: 29). Er transformiert das

42 Vgl. dazu u.a. kurznachzehn: Beispielbild eines spielenden Mädchens, gepostet am 14.10.2012 auf ihrer Facebook-Seite, siehe dazu detaillierter in der Bibliographie.

43 Der Titel referiert auf den Aufsatz von Kassung/Kümmel-Schnur (2008): Wissensgeschichte als Malerarbeit? Ein Trialog über das Weißeln schwarzer Kisten.

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Bestehende, indem er es auf kreative Art und Weise zusammensetzt. Sein Repertoire erweitert sich durch das Sammeln und Horten einer kontingenten und arbiträren Auswahl von Materialien und Erfahrungen (vgl. ebd.: 30). Diese

Idee scheint auch für den Kontext der Street Art anschlussfähig, ist davon auszugehen, dass auch die Praktik des Schablonierens keinesfalls statisch gedacht werden kann.44 Ein Blick in ein Street Art-Künstleratelier beweist zudem, dass

auch dem Aspekt des Hortens und Sammelns gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.

Daraus folgt, dass auch die von mir hier anskizzierte Übersetzung und

deren vermeintliche Chronologie nur als Optimalfall, als Modellentwurf, gesehen werden kann. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Street-Art-Künstler ein-

zelne Praktiken punktuell verwerfen, wiederholen oder rekombinieren. Dies wiederum sind dann genau diejenigen Knotenpunkte, wo es für die ANT interessant wird – wo die ANT einsetzt, sich bestätigt fühlt und gleichzeitig fragt:

Warum? bzw. Wo genau? Aus meiner Perspektive lässt sich das nur mutmaßen, bleiben diese Informationen für mich in der Blackbox künstlerischer Street-ArtProduktion verborgen. Dennoch liefert die ANT mögliche Antworten und

Lösungsansätze: Weil alles zusammenspielt; weil alle in einer Akteur-Welt versammelten Akteure, seien es menschliche oder nicht-menschliche, gemeinsam nicht nur eine Akteur-Welt bilden, sondern über ihre strukturellen Verbindungen ein Akteur-Netzwerk konstituieren. Dieses Netzwerk ist anfällig für Veränderung (vgl. Callon 2006a: 188-189). Callon expliziert:

„Jede Modifikation beeinflusst […] nicht nur die Elemente der Akteur-Welt und ihre Be-

ziehungen, sondern auch die Netzwerke, die von jedem dieser Elemente vereinfacht wer-

den. Eine Akteur-Welt ist ein Netzwerk von vereinfachten Entitäten, die wiederum andere Netzwerke sind. […] Während Entitäten anfällig dafür sind, geformt oder umgebildet

zu werden, können sie ihrerseits die Akteur-Welt transformieren, von der sie ein Teil

sind. […] Entitäten können verschwinden, um Netzwerken, die sie vereinfachen, zu erlauben, sich auszudehnen und aufzutauchen.“ (Ebd.: 189)

44 Im Sinne einer stringenten Chronologie, was beispielsweise den Arbeitsablauf und somit auch die Reihenfolge der Operationsketten betrifft.

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Im Street-Art-Kontext liegt die Vermutung nahe, den Grund möglicher ‚Veränderung‘ einer Akteur-Welt bzw. eines Akteur-Netzwerks in der anvisierten Optimierung einzelner Street-Art-Arbeiten zu suchen. Dies würde bedeuten,

dass neben Qualitäten wie Kreativität, Spontaneität und Ideenreichtum künstlerische Skills auch an andere Faktoren gebunden sind. Und diese Überlegung

scheint nicht abwegig, weist selbst Latour auf die modifizierende Eigenschaft

einzelner Entitäten, hier exemplifiziert am Beispiel von Künstlerutensilien, hin: „Versuchen Sie mit einem Zeichenstift oder mit Kohle zu zeichnen – sie werden den Unterschied merken.“ (Schröter/Hensel 2012: 12 mit Bezug auf Latour

2007: 247 ff.) D.h. also, die ANT öffnet sich an dieser Stelle für ein Verständnis künstlerischer (Street-Art-)Produktion, welche einzelne Entitäten als mit ‚agen-

cy‘ ausgestattete, konstitutive Akteure entwirft. Diese haben modifizierenden Einfluss auf Street-Art-Werke. Daraus folgt, dass trotz serieller Vervielfältigungsmöglichkeit jedes Schablonenbild als Original aufzufassen ist. Latours

Gebrauch von Konzepten der Kunsttechnik lässt sich demnach mit werkzeugtheoretischen und materialästhetischen Überlegungen der Kunstwissenschaft kurzschließen; ein Umstand, auf den auch Thomas Hensel und Jens Schröter in

der Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 57/1 hinweisen (vgl. ebd.: 13 ff.). Exemplarisch für viele, heben die beiden Autoren die Position Monika Wagners hervor, die sich – ganz im Sinne der neuen Kunstwissenschaft – für die Einbeziehung des Materials in die kunstgeschichtliche Analyse stark macht:

„Die Form könne nicht mehr selbstverständlich als ‚unveränderliches Ergebnis gestalterischer Arbeit am Material‘ betrachtet werden, sondern müsse als ‚variable Größe und Re-

sultat von Materialeigenschaften‘ selbst gelten. Material nicht mehr nur als eine technische Gegebenheit hinnehmend, sondern als ästhetische Kategorie würdigend, fragt dieser

Ansatz nach den Aufgaben, die einzelne Materialien in konkreten historischen Zusammenhängen übernehmen, nach deren physikalischer Beschaffenheit wie auch deren ge-

schichtlicher, zeitgebundener und damit wandelbarer Bedeutung.“ (Ebd.: 13 mit Bezug

auf Wagner 2001)

Für die derzeitige Situation der Street Art lässt sich – so meine Einschätzung – in diesem Kontext keine bessere Beschreibung finden. So sieht sich die Street

Art, wie kaum eine andere Kunstform, permanent wandelnden, heterogenen und dezidiert orts- und situationsbezogenen Einflüssen und Faktoren ausge-

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setzt; darunter verschiedene Örtlichkeiten, Oberflächenstrukturen und Wetterverhältnisse. Street-Art-Werke haben sich diesen Gegebenheiten stets und jedes

Mal neu anzupassen; sie haben sich in Situationen einzufügen, die sie gleichzeitig konstitutiv mitprägen. Ich sehe in diesem Street-Art-Verständnis letztlich einen Weg, der nicht nur die Produktion, die Straßen- und Medienpräsenz ein-

zelner Street-Art-Arbeiten auf die bisher adäquateste Weise zu erklären versucht, sondern auch deren Dasein in der Galerie in ein neues Licht rückt. Im Wirrwarr terminologischer Unschärfen sowie interner und externer Abgrenzungsversuche (Street Art vs. Urban Art vs. Graffiti vs. Post-Graffiti; die Liste

könnte beliebig fortgesetzt werden) fällt es oftmals nicht nur Galeriebesuchern schwer, ein Verständnis für die ‚Street Art‘ zu entwickeln. Selbst Kuratoren und

Galeristen bereitet dies bis heute Schwierigkeiten; nicht selten wird dem werkkonstitutiven Einfluss bestimmter Materialien wenig bis gar kein Gewicht beigemessen. Der bewusste Gebrauch bestimmter Materialien (oder der Verzicht

darauf) wird oftmals nicht als werkkonstitutive, materialästhetische Geste wahrgenommen, die in den Stadtraum rückgreift (bzw. das gerade nicht tut). Hätten die Street Art und die sie umgarnenden Institutionalisierungsbestrebungen – so meine vage Vermutung – dieser Position von Anfang an mehr Gewicht

zugeschrieben, hätte das ‚Label Street Art‘ sich möglicherweise nicht derart in sich selbst erschöpft. Ich halte es folglich für einen richtungsweisenden Ansatz, künstlerische Street-Art-Produktion einer Perspektive zu unterziehen, die alle

am Werk beteiligten Akteure und Entitäten gleichberechtigt in die Analyse mit einbezieht. Dies bedeutet einerseits, das Material als werkkonstitutiven Part in

der Analyse anzuerkennen, wie beispielsweise Monika Wagner es vorschlägt 45, andererseits aber auch – und das möchte ich ebenso betonen – gesellschaftliche

(vgl. ebd.: 14-15 mit Bezug auf Baxandall 1980 und Warnke 1996), soziotechnische und -politische Bedingungen46 sowie künstlerische Skills und Selbstver-

45 Vorläufer finden sich auch bei Semper (1884), worauf Hensel/Schröter (2012: 13-14) hinweisen.

46 Eine kunstwissenschaftliche Position, die diese Ansicht teilt, ist u.a. bei Wolfgang Kemps Kunstgeschichte der Komplexität (1991) zu finden: „Die Kunstgeschichte hat,

was die Umwelt-Werk-Relation angeht, immer nur Komplexität reduziert und nicht als methodisches Problem begriffen. Das muss auffallen in einer Zeit, in der ‚vernetz-

te Systeme‘ die Herausforderung von Informationstheorie und Wissenschaftssprachen

Ü BERSETZEN UND ( AN -) SCHNEIDEN | KURZNACHZEHN

| 195

ständnisse mit einzubeziehen. Auch, bzw. möglicherweise gerade dann, wenn das dazu führt, dass Galeriebesucher von einer Vernissage mit folgender Erkenntnis nach Hause gehen: „Ich war natürlich auch schon bei einigen Vernissagen persönlich vor Ort“, so einer der befragten Street-Art-Künstler. „Manchmal ist das schon auch ein bisschen witzig. Da stehen die Leute dann mit ihrem

Sekt vor den Bildern und philosophieren vor sich hin; und überlegen, was sich der Künstler wohl gedacht hat als er sich n‘ Stück Sperrmüll genommen hat? – Ja keine Ahnung,

lag halt am Straßenrand [lacht]. [Natürlich ist das auch eine Referenz auf den Stadtraum und zitiert sozusagen eine gewisse ‚Street-Art-Ästhetik‘, KG], aber wir nehmen halt n‘

Stück Holz – wie das alle machen – weil wir halt keine Kohle haben.“47 (Int. KG)

Schlussfolgernd möchte ich betonen: Mit dem Rückgriff auf die methodischtheoretische Werkzeugkiste der ANT geht es mir gerade nicht darum, die Rolle von Street-Art-Künstlern zu unterminieren. Mein Interesse liegt vielmehr darin,

ihre Produktions- und Übersetzungsleistungen in bisher nicht dagewesener Form zu beschreiben; und auch – sofern dies möglich ist – gegenüber ‚traditionellen‘ kunsthistorischen Positionen zu behaupten. Aus ANT-Logik drängt sich

hierbei vor allen Dingen die Frage auf, „wie […] es z.B. historisch immer wieder [gelang], dass ein Netzwerk aus Materialien, Umgebungen, Lichtverhältnissen, Personen etc. zur Blackbox des ‚genialen Künstlers‘ punktualisiert wurde.“ (Hensel/Schröter 2012: 10) Umgekehrt ließe sich fragen, inwiefern das Material, verglichen mit den Werkzeugen in der Hand und den Ideen im Kopf, wirklich aktiv ist (vgl. dazu u.a. Lehmann 2012: 86). Wie ich gezeigt habe, bietet sich die Street Art – als genuiner Parasit des Kunstsystems – als eine Art Gegenentwurf an, um Licht ins Dunkel kunsthistorischer Blackboxes zu bringen. Die feingliedrige Analyse der Street-Art-Produktion (genauer, von Multi-

sind“ (vgl. Hensel/Schröter 2012: 16 mit Bezug auf Kemp 1991: 94). Dennoch löst

auch Kemps Position jene Komplexität nicht in dem Maße ein, wie dies die ANT einfordert.

47 Dem Credo der ANT treu bleibend, den ‚Akteuren zu folgen‘, rekonstruiert jenes Zitat somit die bzw. eine Position der Street-Art-Welt, anstatt von außen die ‚Frage der

Kreativität‘ an ein gegebenes Netzwerk heranzutragen (vgl. dazu auch Hensel/ Schröter 2012: 6).

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layer-Stencil) und die damit einhergehende, dezidierte Rückverfolgung daran beteiligter Übersetzungsschritte inspiriert nicht nur zu einem neuen Beschrei-

bungsvokabular künstlerischer Produktion, sondern auch zu einer punktuellen Kolorierung ‚schwarzer Kisten‘. Dies setzt voraus, die Street-Art-Produktion als kreativen (Re-)Kombinationsprozess anzuerkennen, der – trotz aller ANT-Logik

– in Teilen auf das Individuum bezogen bleibt. Dies heißt, weder die Rolle des Künstlers zentral setzen zu wollen, noch die ‚agency‘ der am Produktionsprozess beteiligten Akteure ins argumentative Hintertreffen zu schieben. Vielmehr folgt diese methodische Adjustierung dem Impuls, die Zuschreibung oder

Anerkennung von künstlerischem Stil bzw. künstlerischen Alleinstellungsmerkmalen als einen Effekt von Street-Art-Operationsketten und Netzwerken

anzuerkennen: „Wer glaubt, Spuren des kreativen Arbeitens verlustfrei an Arbeitsmitteln und Zwischenprodukten ablesen zu können, überschätzt die Entwurfswerkzeuge [und Materialien, KG]“, so auch Ammon (2012: 148), hier bezogen auf den Entwurfsprozess im Architekturbüro. Gleichzeitig bzw. daran an-

schließend folgt aus dieser Logik, dass gerade diejenigen Street-Art-Künstler besonders ausgeprägte Optimierungsmöglichkeiten ihrer Arbeiten besitzen, die a) die an der Entstehung ihres Street-Art-Werkes beteiligten Entitäten sowie deren

spezifische Eigenschaften en detail kennen und b) einen Überblick über ihr strukturelles Eingebettetsein im Akteur-Netzwerk besitzen. Denn nur jenes Wissen befähigt sie letztlich dazu, an der ‚richtigen Stelle‘ des Übersetzungs- und

Produktionsprozesses ‚einzulenken‘, um das ihnen vorliegende Akteur-Netzwerk optimierend zu bearbeiten.48 Dies würde voraussetzen, dass sich bei der

48 Hierzu sei angemerkt, dass ich mir darüber im Klaren bin, dass für die ANT jede Ges-

te verdächtig ist, die a priori einen bestimmten Akteur zur Ursache stilisiert – das soll hier vermieden werden. Gleichzeitig jedoch kann es nicht Ziel der ANT sein, die Rol-

le des Künstlers in Gänze aufzuheben. Künstler mit ihren spezifischen und irreduziblen Handlungspotenzialen bleiben wichtiger Teil des Netzwerks (siehe dazu auch

Hensel/Schröter 2012: 10ff). An dieser Stelle geht es mir somit vordergründig darum, die Blackbox des ‚genialen Künstlers‘ aufzubrechen, um ein Denken in Operationsketten anzuregen, welches aus einer steril gewordenen Dichotomie herausführt (vgl. ebd. sowie Schüttpelz 2008). Hensel und Schröter führen fort: „[E]in malender

Künstler [wäre] kein malender Künstler, wenn es nicht die Pinsel und die Farben und die Leinwand und das Licht und das Modell und die Muse und das Atelier und den

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Street-Art-Produktion einzelne Knotenpunkte ausmachen lassen, welche als standardisierte Produktionskonventionen zu bestimmen sind. Gleichzeitig blei-

ben Street-Art-Künstler aber immer auch ‚Bastler‘, die mit ihren individuell ausgebildeten Skills re-kombinatorische Umwege gehen. Oftmals sind es gerade

diese, die in der Blackbox künstlerischer Street-Art-Produktion zum individuel-

len, künstlerischen Stil punktualisiert und im fertigen Endprodukt greifbar

werden. Das wesentliche Charakteristikum der Street Art bzw. ihrer Operationsketten besteht somit darin – und dies auch in Kontrast zu Latour –, dass die

dem Produktionsprozess zugrunde liegende Übersetzung keinesfalls losgelöst vom ‚Endprodukt‘ gedacht werden kann (bzw. soll), sondern dass diese als essentielles Merkmal anerkannt werden muss. Zugespitzt heißt das: Street-ArtWerke akzentuieren nicht nur die sie konstituierenden Übersetzungsschritte und legen die daran beteiligten Medien(-praktiken) frei, sondern kehren diese als stilbildende Elemente und künstlerische Alleinstellungsmerkmale nach außen.49 Dies kann als Neu-Formulierung der modernistischen Ästhetik betrachtet

werden, die ja gerade besagt, dass Kunst Kunst ist, weil bzw. wenn sie ihr Medium reflektiert (vgl. Greenberg 1997b).50

Sammler und den Galeristen und die Kunstzeitschriften und den Kunstmarkt und vieles mehr gäbe.“ (Hensel/Schröter 2012: 7 mit Bezug auf Law 2006: 434)

49 Dies macht deutlich, dass, auch wenn sich Soziologen mit ähnlichen Problemstel-

lungen wie Künstler bzw. Kunstwissenschaftler beschäftigen, das Nachzeichnen ihrer Operationsketten völlig andere Phänomene freilegt.

50 Greenberg expliziert in seinem einschlägigen Aufsatz zur modernistischen Malerei (1997b), dass die Kunst ab dem 19. Jahrhundert vor die Aufgabe gestellt war, her-

auszustellen, was sie einzigartig und irreduzibel macht – sowohl in Bezug auf die eigene Arbeitsweise als auch in den eigenen Werken. Dabei wurde recht schnell deutlich, dass der eigene und eigentliche Gegenstandsbereich jeder Kunst das ist, was in

ihrem Medium angelegt ist; darin wurde ihre Qualität und Einzigartigkeit ausge-

macht. So war die Flächigkeit des Bildträgers für die modernistische Ästhetik essentiell, weil sie diese mit keiner anderen Kunst, wie zum Beispiel dem Theater oder der

Skulptur, teilte. Demgegenüber war die naturalistische oder realistische Kunst danach bestrebt, ihr Medium explizit zu verleugnen (vgl. Greenberg 1997b).

ElBocho|Hambur g|© ElBocho

4.3 Verwischen und festhalten | El Bocho

Die Street-Art-Fotografie spielt heutzutage eine zentrale Rolle in der Verhandlung der Street Art; diesen Umstand habe ich bereits an mehreren Stellen deut-

lich herausgearbeitet. In diesem Kapitel soll sich der Street-Art-Fotografie auf

andere Weise genähert werden: Im Folgenden diskutiere ich Street-Art-Fotos, die Künstler bei ihren nächtlichen Aktionen, in situ und ‚on the run‘ zeigen – bei genau denjenigen Aktionen und Praktiken also, die dem gemeinen Street-

Art-Rezipienten normalerweise verborgen bleiben. Exemplifiziert werden meine Überlegungen am Beispiel des Berliner Künstlers El Bocho, dessen dokumentarische Fotopraktiken in der Street-Art-Welt eine Sonderstellung einnehmen. Anhand seines Beispiels lässt sich aufzeigen, wie sich die Aktion des

Street-Art-‚Machens‘ ins fotografische Bild einschreibt und in Form von medialen ‚Störungen‘1 und Unschärfen artikuliert. Seine Fotografien gilt es hierbei als

1

Die ‚Störung‘ gilt es hierbei bewusst in Anführungszeichen zu setzen. So tritt eine

Störung, zumindest aus medienwissenschaftlicher Sicht, doch grundsätzlich ‚zufällig‘, nicht geplant und folglich unintentional auf (vgl. Shannon/Weaver 1949). Serres

verdeutlicht in seinem Werk die Notwendigkeit von Störungen: „Das Nicht-Funktio-

nieren bleibt für das Funktionieren wesentlich.“ (Serres 1987: 120) Erhard Schüttpelz und Albert Kümmel-Schnur etablieren die Störung letztlich als zentrales medientheoretisches Konzept: „Störung und Entstörung: Signal und Nicht-Signal können die Plätze tauschen. Wo dies geschieht, verändert sich das Medium und wird operabel.“

(Kümmel-Schnur/Schüttpelz 2003a: Klappentext) „Eine Störung setzt voraus, dass es

ein System, einen Prozess oder ein Ereignis gibt, von dem (ausgehend von Erfahrung,

Berechnung oder Voraussicht) ein bestimmtes Verhalten oder ein bestimmter Ablauf

200

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performative, raum- wie auch zeitgreifende Verdichtungen zu verstehen, welche Praktiken des Medienästhetischen mobilisieren. Mit diesem Kapitel schließe ich folglich an die in 4.2 diskutierten Praktiken der Street-Art-Produktion

an, wobei der Fokus in diesem Fall auf der Dokumentation des Street-Art‚Pastens‘, also -Klebens, liegt. Dieses gilt es als Bewegungspraktik aufzufassen,

die der Künstler im Digitalfoto festhält und gleichzeitig kunstpraktisch exponiert: Er zeigt nicht nur, sondern stellt sich gleichzeitig als Zeiger aus. StreetArt-Fotografie wird an dieser Stelle zur wechselseitig exponierten, künstlerischen Geste.

In einem ersten Schritt soll die für El Bocho symptomatische Dokumentationspraktik beschreibend entfaltet werden, um sie anschließend an das Phänomen künstlerischer Unschärfe rückzubinden. Vor allem die von den beiden

Brüdern Anton Giulio und Antonio Bragaglia durchgeführten fototechnischen Experimente erweisen sich hierbei als gewinnbringende Referenz, um das Phänomen der Bewegungsunschärfe – auch unter historischen Gesichtspunkten

– zu kontextualisieren.2 Mehr als innerhalb dieses Settings lokative Gesichtspunkte hervorzuheben, soll der Kategorie der Zeit(-lichkeit) nachgespürt werden. Diese gilt es hierbei als gelayerte, performativ gedachte Zeit(-lichkeit) zu

entfalten, welche sich im Digitalfoto verdichtet. Mit Referenz auf Peter Osbornes Photographic Ontology, Infinite Exchange (2013a) und The Fiction of the Contemporary (2013b) werden El Bochos Fotografien letztlich als multitemporale

Zeitkonstrukte entworfen. Hieran lassen sich aktuelle Debatten zur Medienästhetik anschließen, welche Ästhetiken als verteilte, teils selbstbezügliche Qualitäten in Raum und Zeit aufrufen. Abschließend gilt es El Bochos StreetArt-Praktiken an den breiteren Kontext der Street-Art-Welt rückzubinden. So

beleuchte ich El Bochos Street-Art-Fotos im Kontext seines künstlerischen Selbstverständnisses und zeige auf, dass seinen Praktiken nicht nur eine be-

erwartet wird. Eine Unterbrechung dessen oder Abweichung davon ist die Störung.“

(Ebd. 2003b: 9) Bei El Bocho hingegen ist von einem bewussten In-Kauf-Nehmen bzw. Hervorbringen medialer Unschärfe-Effekte auszugehen. 2

An dieser Stelle sei auch auf die Tradition der ‚Street Photography‘ verwiesen, die

ebenfalls mit verschiedenen Formen der Unschärfe experimentierte (vgl. u.a. Scott 2007; Westerbeck 1994).

V ERWISCHEN UND FESTHALTEN | EL B OCHO

| 201

wusste Exposition, sondern gleichzeitig auch eine explizite Selbstpositionierung inhärent ist. Das Kapitel schließt mit einem knappen Fazit.

4.3.1 S TREET -A RT -F OTOGRAFIE ‚ ON THE RUN ‘ Der in Berlin lebende Künstler El Bocho ist weit über die Berliner Stadtgrenzen hinaus bekannt. Mit seiner eindeutigen Bildsprache und Motivwelt bewegt er sich innerhalb eines klar definierten Rasters, welches hohen Wieder-

erkennungswert mit situativer Modellierbarkeit vereint. Man denke hierbei beispielsweise an die beiden Kameras Kalle & Bernd, die in ihrer leicht gesellschaftspessimistischen Grundstimmung (aktuelle) soziopolitische Begebenheiten aufgreifen und auf die Straße rückspiegeln: „Hey Kalle, da reißt einer

Plakate ab.“ – „Ich ruf die Bullen, Bernd.“ Oder Little Lucy, die ihre fortdauernde Hass-Liebe gegenüber ihrer Katze auf immer wieder neue Art und Weise

inszeniert und, in gewissem Sinne, auch als El Bochos Maskottchen betrachtet werden kann. Dennoch nehmen die hier aufgeführten Character in meiner Analyse nur eine untergeordnete Rolle ein; mein Interesse gilt vielmehr El Bochos

großformatigen Frauenporträts. In teils leicht kokettierendem, teils sehnsüchtig anmutendem Gestus postulieren sie ihre Präsenz in der Berliner Stadtlandschaft; mit bevorzugter Situierung in Berlin-Mitte (entlang der Diercksenstraße und dem Hackeschen Markt) sowie im Prenzlauer Berg. Durch ihre leuchtende

Farbigkeit setzen sie sich vom dumpfen Großstadtrauschen ab; sie stechen zwischen grauen Brückenpfeilern hervor oder blicken einem von tristen Betonfassaden entgegen.

Dennoch liegt, um mögliche Missverständnisse gleich von Beginn an auszu-

räumen, mein Augenmerk nicht auf formalästhetischen Gesichtspunkten. Mein Interesse gilt vielmehr der fotografischen Dokumentation seiner Porträtarbeiten, welche die Praktik des nächtlichen Street-Art-Klebens auf spezifische Weise festhalten. Ich fokussiere somit auf die am Entstehungsprozess beteiligten Praktiken performativer Ko-Produktion und spüre den für die Medienwissenschaft relevanten Qualitäten seiner Fotografien nach. Ziel ist es, mit besonderem Fokus auf die Kategorie der Zeit(-lichkeit), eine innovative Sicht auf diese Form der Street-Art-Fotografie zu leisten, um sie anschließend für die Reflexion medienästhetischer Fragen produktiv zu machen. Gleichzeitig beabsichtigt

202

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meine Analyse, die für die Street-Art-Welt zentrale, bisher aber völlig unbelichtete Praktik des Street-Art-Klebens aufzuarbeiten. Um dies leisten zu können, werde ich dennoch, punktuell, auf eine knappe formale Bescheibung seiner Fotografien zurückgreifen. Meine vorherigen Kapitel haben gezeigt, dass die fotografische Dokumen-

tation von Street Art – neben der eigentlichen Produktion einzelner Werke – eine, wenn nicht gar die zentrale Praktik der Street-Art-Welt darstellt. Dieser

gehen sowohl Street-Art-Fotografen, Administratoren verschiedener Facebook-

Seiten, Street-Art-Fans als auch Künstler nach. Denn auch Street Artists investieren viel Zeit und Energie in die Dokumentation ihrer Arbeiten;3 v.a. dann, wenn sie in anderen Städten oder fernen Ländern unterwegs sind. Der Berliner

El Bocho äußert sich in diesem Kontext folgendermaßen: „Letztendlich steckt man sehr viel Energie in seine Arbeiten; und dann muss man die eigene Arbeit auch wertschätzen, indem man sie dokumentiert.“ (Int. KG 06/2013) Und er fügt hinzu:

„Also ich seh das auch als große Chance. Wenn du eine Dokumentation machst, dann kannst du auch eine Entwicklung sehen. Oder du kannst sehen, ‚oh, ich bin da aber irgendwie stehen geblieben, ich muss mal wieder was machen‘.“ (Ebd.)

Während ein Großteil der Street-Art-Künstler ihre fertigen Arbeiten ‚am Tag

danach‘, bei Tageslicht, dokumentiert, offerieren nur wenige Künstler einen Einblick in die nächtliche Aktion des Street-Art-Klebens.4 El Bocho ist einer derjenigen Künstler, der dies tut – doch er dokumentiert nicht nur, er (re-)präsentiert auch. Wie Abbildung 21 zeigt, ist seinen Fotos dabei ein großes Maß an individueller, kunstpraktischer Spezifik eingeschrieben, welches die Logik reiner Abbildhaftigkeit übersteigt: Der Künstler ist hier in einem verlassenen

Straßenzug in der slowakischen Hauptstadt Bratislava zu sehen, nachts, beim Kleben eines großformatigen Frauenporträts. Der Bildausschnitt ist leicht angeschnitten, sowohl die Beine des Künstlers als auch die Haare der Frauenfigur

3

Durch die Möglichkeiten fotografischer Dokumentation haben sich für Street-Art-

Künstler verschiedenste Formen der Präsentation und künstlerischen (Selbst-)Inszenierung herausgebildet.

4

Oder -Malens.

V ERWISCHEN UND FESTHALTEN | EL B OCHO

| 203

Abb. 21: El Bocho beim Verkleben eines Frauenportraits | Bratislava | © El Bocho sind in der fotografischen Dokumentation nicht komplett erfasst. Vielmehr offeriert das gewählte Querformat den Blick auf angrenzende Straßen und Häuserpartien, in deren unscharfen Konturen sich die die formale Komposition

dominierenden Flucht- und Bewegungslinien treffen. Auf diese Weise wird die Fotografie von einer Vielzahl aufsteigender Diagonalen dominiert, welche, von rechts unten kommend, am linken, oberen Bildrand zusammenlaufen. Einer-

seits unterziehen diese Diagonalen das Bild einer maßgeblichen Dynamisierung, andererseits geben sie Aufschluss über den Standpunkt des Fotografen. So ist es nämlich nicht der Künstler selbst, der diese Art von Street-ArtDokumentation ausführt, vielmehr greift er auf die Hilfe eines befreundeten Fotografen zurück. Es ist somit immer eine zweite Person mit vor Ort, die die Aufnahme tätigt und gleichzeitig „auch weiß, wie man sich verhält; das ist ja

auch so eine Sache“ (Int. KG 06/2013), gibt der Künstler zu bedenken. Neben technischem Know-how erweisen sich somit abermals szenespezifische Skills als entscheidende Faktoren in der internen wie externen Verhandlung der

Street-Art(-Produktion). Auffällig ist, dass die formale Komposition des Bildes dabei keinerlei horizontale Linien aufweist; selbst die Vertikalen, denen gemeinhin ein deutlich höherer Faktor bildsprachlicher Spannung zugeschrieben wird, geraten in Kipplage. Jegliche Form der Statik wird ausgehebelt, wird

204

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

verweigert. Man könnte dies als Einzelfall deuten, doch die Sichtung von El Bochos umfangreichem dokumentarischem Bildmaterial weist jene Dokumen-

tationsweise als sich wiederholende Praktik aus.5 Verstärkt wird das Span-

nungsgefüge durch eine Vielzahl bildinterner Lichtreflexe. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Gegenlichtreflexe, sogenannte Lens Flares, die sich ins fotografische Bild einschreiben. Da sich der Künstler in unmittelbarer Nähe

einer Straßenlaterne – und jene Lichtquelle in unmittelbarer Nähe der Motivrichtung – befindet, zeichnet sich die externe Lichtquelle im fotografischen Bild ab. Gegenlicht ist oftmals eine Ursache für Streulicht, das sich, wie hier am

Beispielbild gut zu erkennen ist, in Form eines Lichtschleiers im Bild ausbreitet. Dieser Schleier taucht die Motivwelt in eine geisterhafte Szenerie und entrückt sie des physikalischen Raum-Zeit-Gefüges. Gleichzeitig kollidiert jene

entzeitlichte, ‚schleierhafte‘ Unbestimmtheit mit der spannungsgeladenen Dynamik des aktiven Street-Art-Klebens. Doch Bewegung muss an dieser Stelle

auf mindestens zwei Ebenen gedacht werden: zum einen auf der Ebene des

Künstlers, und somit bildintern; zum anderen auf der Ebene des Fotografen, und somit extern. So ist einerseits die sich im Bild manifestierende Bewegung

des Künstlers hervorzuheben, welche sich in unscharfen Konturen und Umriss-

linien des Bildmotivs artikuliert. In diesem Fall spricht man von sogenannter Bewegungsunschärfe.6 Andererseits ist davon auszugehen, dass sich auch der Fotograf, den es innerhalb des nächtlichen Settings einer halb ausgeleuchteten

Straßenszenerie zu situieren gilt, einer bestimmten Form der Bewegung auszusetzen hat. So muss die Kamera ausgepackt, das Motiv unter Zeitdruck fokussiert und die Komposition bestimmt werden – stets vor dem Hintergrund, möglicherweise auch schnell wieder weglaufen zu müssen. In diesem Fall spricht

man von sogenannter Verwacklungsunschärfe.7 Die sich in El Bochos Fotos manifestierende Unschärfe ist somit Resultat zweier, sich unabhängig vonei5 6

Siehe dazu u.a. www.facebook.com/media/set/?set=a.605736636168485.1073741-

847.374847629257388&type=3, 08.07.2015.

Bewegungsunschärfe ergibt sich durch eine während der Belichtungszeit wahrnehm-

bare Bewegung des Motivs vor der Kamera; sie steigt proportional zur Belichtungszeit.

7

Verwacklungsunschärfe ergibt sich durch die Bewegung des Fotografen (vgl. dazu

u.a. Ullrich 2003: 105).

V ERWISCHEN UND FESTHALTEN | EL B OCHO

| 205

nander artikulierender Bewegungspraktiken, die eine mediale Ko-Produktion eingehen. Mehr als dass dem Fotografen also die (in diesem Kontext mehrheit-

lich passiv konnotierte) Praktik des Fotografierens zukommt, ist er als konsti-

tutiver Teil der Fotoproduktion anzuerkennen. Er und sein Standpunkt schreiben sich in Form von Bewegungspraktiken ins dokumentarische Foto ein. Ein

weiterer Umstand bestärkt dieses Argument: Neben dem durch die Straßenlaterne aufgeworfenen Streulicht erweisen sich die im Hintergrund angedeuteten Häuser als weitere, bildinterne Lichtquelle. Dennoch lässt sich ihre physi-

kalische Präsenz nur vermuten; dominant erscheinen vielmehr die im Bild sich

diagonal ausbreitenden Lichtspuren, welche die Architektur in einen luminösen Schleier hüllen. In Form von sich leicht krümmenden, halbkreisförmigen Linien nehmen diese die Bewegung der bildinternen Fluchtlinien auf und unterstreichen die Dynamik des Bildeindrucks. Gleichzeitig geben sie Aufschluss über die Bewegung des Fotografen, welcher die Straßenszene, von rechts herkommend, in einem leichten Schwenk nach links oben einfängt. El Bocho äußert sich in diesem Kontext, in einem Gespräch mit mir, folgendermaßen: „Letztendlich geht es bei den nächtlichen Aktionen, die ich fotografiere bzw. dokumentiere, um das Einfangen der Aktion. Die Energie, die da innerhalb von kürzester Zeit zum

Vorschein kommt, ist extrem wichtig. Wenn du siehst, du kannst nicht mehr scharf fotografieren, weil es einfach superschnell geht; der Kleister fliegt dir durch die Gegend, etc.

Die Leute, die nachts nicht dabei sind, müssen das auch irgendwie mitkriegen; die müssen sehen, was da an Energie drin steckt. Das ist wichtig.“ (Ebd.)

Dieses Zitat weist dabei bereits in eine entscheidende Richtung und gibt Aufschluss über die situative Bedingtheit nächtlicher Street-Art-Praxis. Auf der einen Seite betont es die spannungsgeladene Situation des Klebens und die ihr zugrunde liegende, dynamische Bewegungspraktik. Auf der anderen Seite verweist es auf die technischen Voraussetzungen nächtlicher Street-Art-Fotografie,

welche die Nacht als konstitutiven Akteur entwirft.8 So verlangt die Dunkelheit 8

An dieser Stelle sei abermals auf die Tradition der ‚Street Photography‘ verwiesen, die sich spätestens ab Ende des 19. Jahrhunderts auch nächtlicher Großstadtmotive

annahm. 1896 gründete Paul Martin die Royal Photographic Society in London, im

Zuge dessen er seine Expertise („maximal use of residual twilight“, „exploitation of reflected light from water or wet surfaces“, „extension of the tonal range by use of

206

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der Nacht ja gerade eine längere Belichtungszeit9 als ‚normal‘10 als Möglichkeitsbedingung einer fotografischen Aufnahme. Auf technischer Seite ist es so-

mit gerade der Belichtungszeit geschuldet, dass sowohl bildinterne wie auch externe Bewegungen sichtbar werden. Im Folgenden nehme ich diese Überlegungen auf und widme mich dem Phänomen der Unschärfe, welches ich anhand einer knappen theoretischen Situierung für den Kontext der Street Art produktiv mache.

lantern slide form“, etc. [vgl. Scott 2007: 171 mit Bezug auf Fluckinger et al. 1978])

an einen großen Rezipientenkreis weitergeben konnte. Brassaïs 40 Jahre später erschienener Aufsatz Technique de la Photographie de Nuit (1933b), welcher als Vorbe-

reitung für Paris by Night (1933a) gesehen werden kann, schließt an diese Diskussion an. Scott schreibt hierzu: „Light itself becomes complex, competitive, multiform; the city is a stage in which different light sources vie for possession of the darkness, struggle to establish a security, act out different relationships with the darkness […].“ (Scott 2007: 172). Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass Scott Tag und Nacht unterschiedliche Qualitäten zuschreibt; während der Tag mit

Kategorien wie konservativ und maskulin belegt ist, ist die Nacht revolutionär und

feminin (vgl. ebd.) – ein Umstand, der vor allem mit meinen späteren Ausführungen in KAPITEL 4.3.4 kurzgeschlossen werden kann.

9

Unter der Belichtungszeit versteht man die Zeitspanne, in der ein fotosensibles Medium zur Aufzeichnung eines Bildes dem Licht ausgesetzt wird. Bei der Fotografie wird

die Belichtungszeit oft als 1/15 s oder 1/30 s angegeben. Zusammen mit der Blen-

denöffnung bestimmt die Belichtungszeit die auf das Medium einfallende Licht-

menge. Die notwendige Belichtungszeit wird mit zunehmendem Lichteinfall (Helligkeit) sowie zunehmender Lichtempfindlichkeit des Bildaufnehmers kürzer (vgl. Freier 1992 [zur „Belichtung“: 36-37; zur „Verschlusszeit“: 359] sowie Baldwin 1991:

9-10). Sie kann als zu steuernde Verschlusszeit an der Fotokamera manuell einge-

stellt oder aber über eine Standardeinstellung für Nachtaufnahmen angewählt werden. Von Langzeitbelichtungen spricht man bei Fotografien mit einer Belichtungszeit

ab fünf Sekunden, bis hin zu mehreren Minuten oder Stunden. Der Belichtungszeit ist

nach oben kaum eine Grenze gesetzt: Der in Berlin lebende Fotograf Michael Wesely beispielsweise hat extreme Langzeitbelichtungen von bis zu 26 Monaten durchgeführt, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Langzeitbelichtung, 05.01.2015.

10 ‚Normal‘ heißt in diesem Sinne bei Tageslicht. Ein typischer Einsatz von Langzeitbelichtung unter künstlerischen Gesichtspunkten ist das Light Painting.

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| 207

4.3.2 U NSCHÄRFE DER ‚(B EWEGT -)B ILDER ‘ Wie die vorherige Beschreibung von El Bochos Foto gezeigt hat, erweist sich

die dem Foto inhärente Unschärfe als wesentliches Charakteristikum. In der Fotografie gilt Unschärfe hierbei spätestens seit den frühen 1910er Jahren als beachtetes Sujet – eigentlich schon früher. So gab es bereits rund 20 Jahre

nach ihrer Erfindung erste Versuche, die Gleichung ‚Fotografie = Schärfe‘ infragezustellen, wie Wolfgang Ullrich in Die Geschichte der Unschärfe (2003) deutlich macht. Der Fotograf Alfred H. Wall betonte bei einem 1859 in London gehaltenen Vortrag „das malerische Potenzial der Fotografie, für die das Licht

dieselbe Rolle spiele wie der Stift für einen Zeichner.“11 (Ullrich 2003: 22) Unschärfe-Effekte konnten hierbei grundsätzlich auf drei verschiedene Weisen er-

zielt werden: beim Aufnahmeprozess, beim Entwickeln des Negativs oder während des Erstellens von Abzügen. Dennoch waren die letzten beiden Möglichkeiten umstritten, näherten sie sich Verfahren der Retusche an (vgl. ebd.: 24).

Die beiden Brüder Anton Giulio und Anton Bragaglia sind als Erste zu nen-

nen, wenn es um die Geschichte der Bewegungsunschärfe geht (vgl. ebd.: 80).12

11 Und er fügt hinzu, dass um 1893 in der Photographischen Rundschau das erste Mal von einer sogenannten „unscharfen Richtung“ die Rede war – wenn auch distanziert. Dass Unschärfe-Effekte innerhalb weniger Jahre letztlich zur Mode wurden, führt er

auf die Experimentierfreude und das Engagement zahlreicher Fotoamateure zurück. Diese mussten sich, anders als Berufsfotografen, nicht um den Geschmack des breiten

Publikums und Verkaufsmöglichkeiten bemühen, sondern konnten unbeschwert experimentieren (vgl. Ullrich 2003: 23-24). Technische Voraussetzung hierfür war die möglich gewordene Reduzierung der Belichtungszeiten, worauf Bernd Stiegler in der Theoriegeschichte der Photographie hinweist: „Hatten die ersten Photographen den

photographischen Augenblick noch mit mehreren Sekunden angegeben, so reduzierte sich aufgrund der höheren Lichtempfindlichkeit der Platten und der Entwicklung von lichtstärkeren Objektiven die mögliche Verschlusszeit auf unter 1/10 Sekunde“. (Stiegler 2006: S. 91)

12 Wolfgang Ullrich führt in diesem Kontext an, dass die Bewegungsunschärfe als Bild-

phänomen viel älter als die Fotografie sei. Einer, der sie wohl als Erster auf einem Bild dargestellt habe, ist Diego Velazquez: „Die Drehung eines Spinnrads machte er

dadurch kenntlich, dass er statt der Speichen lediglich Schlieren und leichte Lichtreflexe malte. Bei den Zeitgenossen, die um 1650 sein Bild ‚Les Hilanderas‘ betrach-

208

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Ab 1911 führten sie eine Vielzahl von Experimenten durch, die die Abbildung von Bewegung mittels fotografischer Technik explorierten; später wurde für

diese Technik der Begriff des Fotodynamismus bzw. Fotodinamismo eingeführt.13 Durch Langzeitbelichtung des sensibilisierten Materials während der Bewegung des Objekts vor der Kamera erreichten die Bragaglias in den Fotodynamismen eine Überblendung der Phasen eines zeitlichen Ablaufs (vgl. Heinemann 2008). Oder anders ausgedrückt: Durch die lange Belichtungszeit gelang ihnen das Festhalten eines kontinuierlichen Bewegungsablaufs auf einer

Platte; wenngleich sich das bewegende Sujet zu keinem Zeitpunkt scharf umrissen einfangen ließ. Wolfgang Ullrich schreibt: „Vielmehr erscheint es [das Sujet, KG] beinahe durchsichtig, und die materielle Gestalt ist in Lichtbögen,

Strudel und verwischte Flächen verwandelt.“14 (Ullrich 2003: 81) Im künstleriteten, sorgte das vermutlich für Irritation, und so viel Verismus setzte sich auch nicht

durch: Lange Zeit – bis zu Turner – war es unüblich, eine Bewegung gleichsam mit

‚unschuldigem Auge‘ zu malen – zu zeigen, was man sah, und nicht, was man wusste.“ (Ullrich 2003: 80)

13 Nicht zu verwechseln ist dieses Verfahren mit der sogenannten Chronofotografie, die auf den französischen Physiologen Etienne Jules-Marey zurückgeht. Marey belichtete

hierbei – nicht aus künstlerisch-ästhetischer Absicht heraus, sondern aus wissenschaftlichem Interesse – eine Fotoplatte mehrfach hintereinander. Auf diese Weise

zeichnete sich das bewegte Sujet zwar in jeder Phase scharf, durch die kurze Belich-

tungszeit aber dennoch nicht deutlich ab. Marey erhielt auf diese Weise Fotografien, die sich zwar durch Unschärfe auszeichneten, den Bewegungsablauf, bzw. genauer, die Position einzelner Körperteile aber genau erfassten (vgl. Ullrich 2003: 81). Für

eine weiterführende Lektüre siehe auch Stiegler (2006: 90 ff.). Die Protagonisten der

Chronofotografie ebneten nicht zuletzt auch den Weg für das, was Jules Champfleury

bereits 1845 als Vision formulierte und letztlich 1895 durch die Brüder Lumière rea-

lisiert wurde: das Kino (vgl. Baatz 1997: 64).

14 Auch dafür gab es zweifelsohne bildsprachliche Vorbilder und Anleihen; Wolfgang Ullrich benennt in der Geschichte der Unschärfe (2003) die Fotos der Tänzerin Loie

Fuller, die mit ihren „‚Geistertänzen‘ die okkultistischen Neigungen vieler Menschen

bediente. […] Auf den zahlreichen […] Bühnenfotos sieht man Fullers Körper in Lichtstrudel verflüchtigt oder zu immateriell wirkenden Bändern verzerrt. Viele Fo-

tografen […] sammelten bei Loie Fuller ihre ersten Erfahrungen mit Bewegungsunschärfe und erkannten, dass diese mehr als nur ein Fehler oder Manko sein kann.“ (Ullrich 2003: 81-82)

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| 209

schen Anliegen, die Stofflichkeit von Körpern durch Bewegungsdarstellung in Zeitlichkeit aufzulösen (vgl. Heinemann 2008),15 kam der Fotodynamismus mit der zeitgenössischen Bewegung des italienischen Futurismus überein. Einst un-

terstützt durch Filippo Tommaso Marinetti, Begründer des Futurismus, erfährt der Fotodynamismus 1913 jedoch eine klare Zurückweisung. Vor allem Umberto Boccioni gilt als vehementer Kritiker des Fotodynamismus, löst dieser die

von ihm gestellten Forderungen nach einer glaubhaften Umsetzung bildnerischen Dynamismus mindestens genauso gut ein wie es die Malerei jener Zeit vermochte. Anstatt sich also zur gegenseitigen Stimulation zu bekennen, traten Malerei und Fotografie in ein Konkurrenzverhältnis (vgl. ebd.). Von einer wechselseitigen Inspiration gezeichnet zeigte sich hingegen der ebenfalls um

die Jahrtausendwende aufkommende Piktorialismus. Maßgeblich vorangetrieben durch das Engagement ambitionierter Amateure, akzentuierte dieser den suggestiven Aspekt und die malerische Textur der Fotografie und näherte sich damit den Nachbarkünsten an (vgl. Bunnell: 1998; Hammond 1998).16

Auch wenn die Begründung des Fotodynamismus wie auch des Piktorialismus beinahe hundert Jahre zurückliegt und es zwischenzeitlich eine Vielzahl von fototechnischen Erweiterungen, Neuerungen und Modifikationen gab,

scheint das Interesse am Einfangen von Bewegung und der experimentellen Exploration von Unschärfe-Effekten bis heute Bestand zu haben. Einer der größten Einschnitte war sicherlich die Erfindung der Digitalfotografie, welche die

Vielfalt teils spielerischer, fotografischer Experimente potenzierte. Auch wenn es keinesfalls meine Absicht sein kann, El Bochos Dokumentationspraktiken im (ideologischen) Umfeld des italienischen Fotodynamismus zu situieren, lassen

sich dennoch einige bildsprachliche wie konzeptionelle Gemeinsamkeiten ausmachen: So liegt es ja gerade auch in El Bochos Interesse, die Prozessualität von Bewegung im fotografischen Bild festzuhalten. Seine Unschärfen sind hierbei jedoch als Resultat nächtlicher Street-Art-Praktiken zu werten, welche in

gemeinsame Ko-Produktion treten: Klebe-Praktik trifft auf Foto-Praktik, Pinsel 15 Vgl. dazu auch Ullrich (2003: 81) mit Referenz auf das Zweite (=Technische) Futuristische Manifest vom 11.04.1910 bzw. José (1967: 103).

16 Während die Kunstkritik jener Zeit die ‚schöpferische Hand‘ in der Fotografie vermisste und technische Perfektion oftmals mit dem Einfangen von Banalitäten gleichsetzte.

210

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auf Fotokamera, Bewegungsunschärfe auf Verwacklungsunschärfe, Verwischen auf Festhalten. Die sich in El Bochos Fotos manifestierende Unschärfe gibt somit Aufschluss über die vor Ort herrschenden Bedingungen: es ist Nacht und die an der Bildproduktion beteiligten Akteure führen, unter Zeitdruck, eine je eigenständige, voneinander unabhängige Bewegungspraktik aus. Dennoch ent-

ledigen sie sich auch ihres künstlerisch-reflexiven, experimentellen Charakters nicht vollends; ein Umstand, der an späterer Stelle nochmals ausführlicher aufgegriffen wird.

Abb. 22: El Bocho (rechts: Tape) | Berlin | © El Bocho Die nächtliche Dunkelheit setzt hierbei, wie bereits zuvor expliziert, eine höhere Belichtungszeit als ‚normal‘ als Möglichkeitsbedingung fotografischer Aufnahmepraktik voraus. Die Dauer des Lichteinfalls ist zeitlich gedehnt (vgl. Abb.

22). Schon allein aufgrund technischer Anforderungen ist somit davon auszugehen, dass El Bochos Fotos mehr als nur einen singulären Moment einfangen; sie halten eine performative Praktik fest.17 Bewegung wird also gerade nicht

17 Bezogen auf die heutige Dokumentation von Graffiti bzw. von Tags – in Code – sei hier auf ein interessantes Projekt von Evan Roth hingewiesen: „Graffiti Analysis“.

„Custom software designed for graffiti writers creates visualizations of the often un-

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| 211

verwischt, sondern sie wird explizit vor- bzw. aufgeführt. Die El Bochos Bildern inhärente Unschärfe gibt Aufschluss über die situativen Bedingungen nächtli-

cher Street-Art-Praxis und Bildproduktion und stellt diese – gleichzeitig – im Einzelbild der Digitalfotografie aus. Bildinterne wie auch -externe Bewegung wird zum ‚Zeitzeugen‘ eines kunstpraktischen Performativs, welches sich in

einer medialen ‚Störung‘18 artikuliert. Diese gilt es im Folgenden weiter auszudifferenzieren und in wechselseitiger Abhängigkeit, Ko-Produktion und KoKonstitution der am Phänomen beteiligten Entitäten zu beleuchten. Mehr als

dieses Phänomen also rein bildsprachlich zu betrachten, erfordert mein Vorhaben an dieser Stelle eine explizit medienwissenschaftliche Situierung. So wähle ich die dem Foto inhärente Unschärfe ja gerade als Ausgangspunkt, mit dem Ziel, dezidiert hinter bzw. unter die Fotooberfläche zu blicken. Denn

„Formpartikel als ästhetische (Skalierungs-)Einheiten zirkulieren inzwischen unterhalb der Nutzungs- und Interfaceoberflächen“, so auch Jens Schröter in

seinem Aufsatz Maßverhältnisse der Medienästhetik (Köster/Schubert 2009: 14

mit Bezug auf Schröter 2009). Schröter, der die Skalierung als eine Bedingung der Möglichkeit von Medienästhetik beleuchtet, benennt darin – mit Bezug auf

Seels Aufsatz Vor dem Schein kommt das Erscheinen (1993) – die selbstzweckhaft auf ihren eigenen Vollzug gerichtete Wahrnehmung als ein zentrales Charakte-

ristikum vorherrschenden Ästhetikverständnisses (vgl. Schröter 2009: 64).19 Innerhalb meiner Analyse soll es jedoch nicht um Wahrnehmung gehen, zu-

seen gestures involved in the creation of a tag. Motion data is recorded, analyzed

and archived as Graffiti Markup Language (.gml) files, a specifically formatted XML file designed to be a common open structure for archiving gestural graffiti motion

data. GML files are saved in an open online database, 000000book.com, where writers can share analytical representations of their hand styles. […]“, www.graffitianalysis.com, 02.11.2015.

18 Vgl. dazu Fußnote 1 in diesem Kapitel (4.3). 19 Anhand Seels Aufsatz exemplifiziert Schröter, dass in bisherigen Ästhetikverständnissen – der Begriff der Medienästhetik ist relativ neu und existiert im deutschen

Sprachraum erst seit ca. 20 Jahren – oftmals verschiedene Aspekte aufeinandertreffen, die nur schwerlich miteinander in Deckung gebracht werden können. So trifft, wie im Falle Seels, die ästhetische Einstellung des Subjekts auf das selbstbezügliche Erscheinen des Mediums (vgl. Schröter 2009: 64-65).

212

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mindest nicht explizit. Mein Ästhetikverständnis ist der Ebene des wahrnehmenden Subjekts in dem Sinne ausgelagert,20 dass ich mich vielmehr für das

Medium selbst und dessen selbstbezügliches Erscheinen interessiere. Dies gilt es hierbei als „Mit-Erscheinen des Mediums der Darstellung in der Darstellung“ (ebd.: 65 mit Bezug auf Seel 1993)21 zu begreifen. Gleichzeitig jedoch, und das

ist ebenfalls zu betonen, entspringt meine Position dem Kontext einer orts- und

situationsbezogenen Medienforschung. Vor dieser Folie gilt es gerade den am Phänomen beteiligten Praktiken nachzuspüren, die so etwas wie Medienästhetik überhaupt erst hervorbringen können. Für den konkreten Kontext meiner

Fallstudie bedeutet das, über das Herauskristallisieren einzelner Praktiken und die anschließende Beleuchtung ihres Verschaltetseins22 herauszufinden, wie und wo so etwas wie Medienästhetik überhaupt ‚stattfinden‘ kann. Im Grunde genommen bedeutet das, nach den Verfahren zu fragen, die die Produktion von selbstbezüglichem Erscheinen ermöglichen – wie auch Jens Schröter vorschlägt

(vgl. ebd.: 67) –; gleichzeitig heißt das aber auch, ihr situatives, praxistheoretisches Eingebettetsein ernst zu nehmen. Ohne Ästhetiken an dieser Stelle per se voraussetzen zu wollen, gilt es im Falle von El Bochos Fotos das Zusammenspiel der Bewegungspraktiken Kleben und Fotografieren zu akzentuieren und ihre wechselseitige Überlagerung offenzulegen. Dies verlangt, die Kategorie der

20 D.h. es geht mir, mit Schröter gesprochen, nicht um die ästhetische Einstellung des Subjekts, die Wahrnehmung als Wahrnehmung wahrnimmt (vgl. Schröter 2009: 65).

Gleichzeitig weist Schröter darauf hin – und das gilt es an dieser Stelle zu betonen –, dass der entscheidende Punkt letztlich darin liegen muss, aus eben jener Dichotomie

herauszukommen. So kann es weder erstrebenswert sein, die ästhetische Wahrneh-

mung ausschließlich subjektbezogen zu denken (als Panoramen der Form/Kunstsystem), noch kann es zielführend sein, sie ausschließlich als durch ein künstleri-

sches Objekt ausgelöstes Phänomen zu bestimmen (als Panoramen des Mediums/

Mediensystem). Vielmehr schlägt er ihre gleichberechtigte Ko-Präsenz als gleichzeiti-

ges Nebeneinander vor (vgl. ebd.: 77).

21 Und zwar in spezifischen Formen von Objekten (vgl. Schröter 2009: 65 mit Bezug

auf Seel 1993). In seinen späteren Ausführungen weist Schröter darauf hin, dass sich eben jene mediale Reflexivität auch bei Greenberg finden lässt (vgl. ebd.: 72).

22 Erhard Schüttpelz würde von Operationsketten sprechen (vgl. Schüttpelz: 2008 sowie KAPITEL 4.2 dieser Arbeit).

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Zeit zentral zu setzen, welche als gelayerte, performativ gedachte Zeitlichkeit verstanden werden muss. Dem vermeintlichen ANT-Reflex folgend, zu fragen, „wie zusammengetragen?“ (Schüttpelz 2008 mit Bezug auf Latour 2007:

315)23, stelle ich in diesem Falle also die nur minimal umformulierte Frage, wie und wo überlagert? (vgl. u.a. Lovink 2008c; Lovink/Münster 2005; Schüttpelz

2008). Flankiert wird die Diskussion mit Geert Lovinks Konzept der „Distributed Aesthetics“, welcher die Frage nach dem „how, and where, the work […] connect[s]“ (Lovink 2008c: 225) adressiert. Jener konkretisiert: „A distributed aesthetics […] might be better characterised as a continuous emergent project, situated somewhere between the drift away from coherent form and the drift of aesthetics into relations with new formations […].“ (Lovink/Münster 2005)24

Ästhetiken sind somit keinesfalls – oder zumindest nicht zwangsläufig – ‚bildlich‘ zu denken, sondern sie bilden sich im Zuge ihres relationalen, situativen oder prozessualen Eingebettetseins erst aus. Vor dieser Folie scheint ein erneu-

tes Aufbrechen bzw. Ausleuchten schwarzer Blackboxes unumgänglich. Letzt-

lich bleibt zu überprüfen, ob meine Fallstudie eine innovative Perspektive auf medienästhetische Fragestellungen eröffnet, welche bisherige Diskurse um eine

zusätzliche Facette bereichert. Auch wenn sich meine Annäherung in einigen Punkten von Schröters Ästhetikverständnis entfernt,25 bleibt am Ende dennoch

23 In diesem Kontext drängt sich zudem André Malraux’ Imaginäres Museum (1947) auf.

Malraux’ Museum ist imaginär, weil es die Kunst der Welt über Fotografien versammelte (vgl. Schröter 2009: 68 sowie Malraux 1947). Ausführlicher thematisiert wird dieses Beispiel in KAPITEL 4.4 zu den Street-Art-Apps.

24 Das Zitat entstammt eben jenem Aufsatz, der darin entwickelte Ansatz wird jedoch in

Die Technologie urbanisieren. Der Mobilitätskomplex aus der Perspektive der neuen Netzwerktheorie in der ZfM 1/2013 zum Themenschwerpunkt „Medienästhetik“, weiterentwickelt (vgl. Lovink 2013b).

25 Spätestens an dieser Stelle entferne ich mich von Schröters Konzeptualisierung, wel-

cher Medienästhetik auf der Ebene der aisthesis verortet. Für ihn bedeutet Medienästhetik letztlich nicht das selbstbezügliche Erscheinen des Mediums, welches zur

zentralen Bezugsgröße der Ästhetik wird. Vielmehr versteht er darunter das Erscheinen des Mediums ‚als Form‘ in einem anderen Medium. Als Beispiel benennt er die Übertragung simulierter Lens Flares in malerisch anmutende Computergrafiken (vgl.

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ein gemeinsamer Nenner stehen, den es zu akzentuieren gilt: Die Frage nach der Medienästhetik sieht sich der zwingenden Notwendigkeit verpflichtet, der

Beschreibung der Medialität der Medienästhetik nachzukommen (vgl. Schröter 2009: 80).26 Diesem Vorschlag soll im Folgenden nachgekommen werden.

4.3.3 ‚T O S ET T IME G OING ‘: EIN F OTO ALS P ERFORMATIV Jens Schröter erwähnt in seinem Aufsatz Maßverhältnisse der Medienästhetik

(2009) den ‚Fall Jackson Pollock‘. Darin zitiert er den US-amerikanischen

Kunstkritiker Clement Greenberg, der Pollocks Kunstpraktik folgendermaßen beschreibt: „Der Maler lässt die Malerei als Akteur zu, ihre Renitenz soll nicht mehr unterdrückt

werden. Sie darf sich von selbst auf der Oberfläche organisieren – jedenfalls auf Mikro-

ebene. Keiner der einzelnen Spritzer kann von Pollock genau in seinem So-Sein bestimmt werden. Die zurückgenommene Kontrolle Pollocks gibt dem Akteur Farbe Raum zum

Handeln. Der Maler wird erst durch das Material zum Maler. Künstler beziehen ihre ‚In-

spiration aus dem Medium, in dem sie arbeiten.‘“ (Schröter 2009: 73 mit Bezug auf Lüdeking 1997: 15 und Greenberg 1997a: 354)

Besonders für dessen reife Malerei aus den 1940er Jahren gelte, so Schröter weiter, „dass in der Entfaltung der farbigen Spuren die Aktion des Malens in-

dexikalisch gespeichert und zugleich gezeigt wird; […] [n]ähern wir uns [hingegen] den Bildern, wird […] die Farbe als selbst fließender Akteur sichtbar.“27

(Ebd.: 73-74) Übertragen auf das Fallbeispiel El Bochos ließe sich folglich kon-

statieren: Der Berliner Künstler lässt die Fotografie als Akteur zu, ihre Renitenz soll nicht mehr unterdrückt werden. Die zurückgenommene Kontrolle El Bochos in Form des bewussten In-Kauf-Nehmens fotografischer Unschärfe gibt

Schröter 2009: 79-80). Siehe in diesem Kontext weiterführend auch Flückinger (2004).

26 Dies hilft letztlich auch, ästhetische Wahrnehmung aus der paradoxen Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt herauszulösen (vgl. Schröter 2009: 80).

27 Die mediale Reflexivität, von der auch Seel spricht, wird hier offensichtlich.

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dem Akteur Bewegung die Möglichkeit des Erscheinens – wobei diese Unschärfe hierbei keinesfalls eindimensional betrachtet werden darf; vielmehr ist sie ja

gerade als Ko-Produkt von Künstler und Fotograf, von Kleben und Fotografieren, von Bewegungs- und Verwacklungsunschärfe zu verstehen. Wie eine Vielzahl anderer Street-Art-Praktiken auch, muss die Aktion des

Street-Art-Pastens als Kunstpraktik verstanden werden, die ihre jeweils ortsund situationsbezogene Ausgestaltung findet. Street-Art-Künstler haben sich den vor Ort herrschenden Gegebenheiten somit stets situativ anzupassen – da-

zu zählen Architektursituationen, die Beschaffenheit des Trägermediums, aber

auch die Materialität, Form und Konsistenz von Hilfsmitteln, wie beispielsweise von Pinseln und Kleister, schreiben sich ins fertige Street-Art-Werk ein.28

El Bocho platziert seine großformatigen Frauenporträts zumeist ebenerdig. Zum einen wird diese Situierung von der motivinternen Bildlogik diktiert, zum

anderen beeinflusst auch die relative Größe des Werkes die Wahl des Anbrin-

gungsortes. Mit Hilfe eines breiten Pinsels (oder Besens), und in dynamischen Auf- und Ab-, Rechts- und Links-Bewegungen, trägt der Künstler den Kleister auf die Wand auf, richtet das Poster aus und verklebt es auf diese Weise mög-

lichst schnell und effektiv (vgl. Abb. 23). Nicht selten entwickelt der Kleister dabei eine gewisse Eigendynamik; er ‚fliegt durch die Luft‘, tropft von der Wand und schlägt sich letztlich auf Asphalt und Boden nieder. Die Praktik des

Street-Art-Pastens muss also zweifelsohne performativ gedacht werden. Performativ verstehe ich hier im Sinne John L. Austins, der den Ausdruck in den

1950er Jahren vom Verb „to perform“, also dem ‚„Vollziehen“ von Handlungen‘ ableitet (vgl. Fischer-Lichte 2004: 31).29 Sein Ursprung fällt folglich in denselben Zeitraum, in welchem Erika Fischer-Lichte ‚die performative Wende

28 Siehe dazu ausführlicher KAPITEL 4.2. 29 Noch deutlicher als Austin hat möglicherweise Emile Benveniste die Konsequenzen der Sprachakttheorie auf den Punkt gebracht: Die performative Äußerung unterliegt klar umrissenen Bedingungen; und zwar Einmaligkeit, Zeit- und Ortsgebundenheit.

So kann sie „‚nur ein einziges Mal, zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort‘ geäußert werden“ (vgl. Alloa 2011: 37 mit Bezug auf Benveniste 1974: 304).

Sybille Krämer weist in ihrem Aufsatz Gibt es eine Performanz des Bildlichen (2011) darauf hin, dass der Begriff des Performativen im Grunde genommen zwei Auslegungen hat: die der sprachphilosophischen Debatte zugrunde liegende Auslegung (siehe

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Abb. 23: El Bocho | Bratislava | © El Bocho (im Original nicht s/w) in den Künsten‘ lokalisiert, worauf die Theaterwissenschaftlerin in der Ästhetik des Performativen (2004) hinweist. Performanz geht somit mit meinem praxistheoretischen Verständnis des Street-Art-‚Machens‘ einher und rückt den Akt

des Klebens ins Licht der zeitlichen Unmittelbarkeit. Unmittelbarkeit heißt hier: absolute Gegenwärtigkeit, in der etwas vollzogen oder ausgeführt wird. Ähnlich wie dies für Theateraufführungen, Performances oder Happenings gilt,

oben) und die der theater- und kunsttheoretischen Debatte. Zweitere fokussiert hierbei primär auf den Ereignischarakter, den Präsenzaspekt und die Korporalität künst-

lerischer Aufführungen (vgl. Krämer 2011: 64-65). Um eine höchstmögliche Ver-

dichtung des Begriffs des Performativen innerhalb meines Fallbeispiels zu leisten, soll und kann an dieser Stelle nicht zwischen beiden Erscheinungsformen unterschieden werden. Mehr als dass diese Verkürzung jedoch als Mangel empfunden wird, steht sie der Entwicklung meines Argumentationsstrangs produktiv zur Seite.

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ist also auch der Akt des Street-Art-Pastens als flüchtig, prozessual und transitorisch zu denken; „[er] erschöpf[t] sich in [seiner] Gegenwärtigkeit.“ (Ebd.: 127) Auf diese Weise verwehrt sich die Street-Art-Praktik jeglicher Wiederholbarkeit und schreibt sich unmittelbar in die Tradition der Performance-Kunst ein. Ihre Ereignishaftigkeit ist in ähnlichem Maße uneinholbar und ‚einmalig‘

(vgl. Wittmann 2011: 263).30 Präsenz wird auf diese Weise zur spezifischen Qualität des Street-Art-Pastens, welche sich in der situativen Beherrschung von Raum und Zeit evoziert (vgl. Fischer-Lichte 2004: 164-165). Eben jene Beherrschung hält El Bocho im Digitalfoto31 fest und stellt sie gleichzeitig als mediale,

künstlerisch-reflexive ‚Störung‘ aus. Auf den ersten Blick könnte man hierbei meinen, die mediale Apparatur der Digitalkamera erlaube alleinig das Ein-

fangen eines einzelnen, fragmentarischen Moments. In diesem Sinne wären El Bochos Fotos Dokumente eines eingefrorenen Moments der Vergangenheit. Die ganzheitliche Aktion des Street-Art-Pastens wiche der komprimierten Artikulation der Aktion; der performative Akt des Klebens reduzierte sich auf die Zeit der fotografischen Aufnahme, genauer, auf die Zeit der Belichtung.32 Dem muss

30 Ich weise darauf hin, dass es Ansätze gibt, die diese scheinbar ‚unkontaminierte‘ Präsenzideologie von Performances kritisieren. So weist u.a. Philip Auslander nach, dass

bereits in den Avantgarde-Performances mediale Aspekte u.a. erst den PräsenzCharakter hervortreten ließen (vgl. Alloa 2011: 36 mit Bezug auf Auslander 2008: 44 ff.). 31 Erika Fischer-Lichte führt in der Ästhetik des Performativen (2004) an, dass sich der Begriff der Präsenz nicht auf Produkte der technischen und elektronischen Medien

anwenden lasse: „Wohl vermögen diese Präsenz-Effekte zu erzeugen, nicht jedoch

Präsenz. […] Je besser es ihnen gelingt, die Materialität menschlicher Körper, Dinge, Landschaften aufzulösen, zu irrealisieren, desto intensiver und überwältigender stellt

sich der Schein ihrer Gegenwärtigkeit ein.“ (Fischer-Lichte 2004.: 174-175) Im Rah-

men meiner Fallstudie soll diese zusätzliche Differenzierung jedoch nicht vorge-

nommen werden.

32 Mit Bezug auf Virilio konkretisiert Bernd Stiegler: „Die Photographie als Sehmaschine markiert den Übergang zu einem Zeitverständnis, für das die Zeit nicht mehr still-

steht und zudem die Photographie […] Beschleunigung [bzw. Bewegung und Performativität, KG] konsequent apparativ wie visuell umsetz[t]. […] Die photographische Zeit bricht mit der Ordnung der Tiefe des Raums und setzt die Tiefe der Zeit an ihre Stelle.“ (Stiegler 2006: 393 mit Bezug auf Virilio 1986)

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jedoch widersprochen werden. Denn vielmehr bezeugen El Bochos Fotos ja gerade die Performanz der Klebepraktik. Dies bedeutet, dass seine Fotos nicht nur

einen ausschnitthaften Moment festhalten, vielmehr bezeugen sie den Vollzug der Aktion und geben – daran anschließend und mindestens genauso entscheidend – Aufschluss über die an ihr beteiligten Praktiken, Street-Art-spezifischen Charakteristika und Voraussetzungen medialer Bildproduktion. Das Foto, als

eingefrorener Moment, als ‚Schnitt in der Zeit‘, kommt auf diese Weise zum Erliegen. Vielmehr vermag es die Visualisierung eines ‚gedehnten Moments‘.

Die dem Foto inhärente Unschärfe wird zur Kippfigur, die nie ohne die sie bedingende Wechselseitigkeit gedacht werden kann. So ‚verwischt‘ die für die Street-Art-Aktion charakteristische Performanz des Pastens ‚im Rahmen‘ der

sich durch Statik auszeichnenden Digitalfotografie und löst sich gleichzeitig in einer wechselseitigen Unentscheidbarkeit auf. Voraussetzung hierfür ist ein Zeitverständnis, das sich einem linearen Zeitmodell entzieht. So präsentiert

sich das Foto als Konglomerat verschiedener, akkumulierter und sich gegenseitig überlagernder Zeitlichkeiten. Die singuläre Präsenz vergangener Aktionen wird aus der Vergangenheit geholt und mit der Gegenwart synchronisiert. Auf diese Weise kommt es zu einer Vergegenwärtigung vergangener Aktionen,

wodurch die Praktik des Street-Art-Klebens im Jetzt eine Reaktualisierung erfährt. Die Gegenwart wird mit der sich im Foto ereignenden Zeit überlagert, „[which] draws together once disparate moments in time into a field of multitemporality.[…] The work shows us that signs of the past are never entirely of

the past, but always in contact with the present“, so Timothy Scott Barker in Time and the Digital (2012: 17, 21). Vergangenheit und Gegenwart treten in KoPräsenz. Folglich findet an dieser Stelle eine Verschaltung statt, welche zwei

primär unvereinbare Zeitebenen miteinander verknüpft. In diesem Sinne operiert das Digitalfoto als „state of presentness in which the past is constantly represented in the present. This is a condition in which events, and thus time, become mediated […].“ (Ebd.: 74) Im Foto entfaltet sich folglich eine Zeit, die die Vergangenheit im Sinne einer Vergegenwärtigung repräsentiert, „[which] lite-

rally makes present again the past“ (ebd.).33 Fotografisch komprimierte, reprä-

33 Ich beziehe mich hierbei auf den Begriff der „re-presentation“ im Sinne Timothy Scott Barkers, der darin eine Möglichkeit sieht, das Konzept der Repräsentation an das der Zeit(-lichkeit) zu binden; d.h. „to link the concept of representation to time,

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sentierte Zeit wird auf diese Weise zu einer Qualität, die sich von der Zeit der performativen Street-Art-Aktion maßgeblich unterscheidet. Im Umkehrschluss

bedeutet das: Die Aktion des Street-Art-Klebens wiederholt sich im Foto – mit einem Unterschied: Die sich im Foto manifestierende Unschärfe, die ein permanentes Changieren zwischen verwischen und festhalten, bewegen und still-

stehen, zulässt – ja geradezu herausfordert – bricht mit linearen Zeitkonstruktionen und exponiert die Unschärfe als Ausdruck einer rückseitigen Kippfigur. Seels selbstbezügliches Erscheinen des Mediums tritt an dieser Stelle offensichtlich zutage – dennoch greift auch diese Vorstellung zu kurz. So genügt es nicht, das multitemporale Konstrukt als Verschaltung von Vergangenheit und Gegenwart zu denken; vielmehr ist die Vergangenheit als ein Zeitkonstrukt zu entwerfen, das seine Schlagschatten bis in die Zukunft wirft. So ist sich El

Bocho der Dokumentation seiner Street-Art-Aktionen doch explizit bewusst, viel mehr noch, er erhebt sie ja gerade zur künstlerischen Strategie. Er wählt

die nächtliche Begleitung durch einen befreundeten Fotografen ganz bewusst, wodurch seine Fotos die Antizipation dokumentarischer Praktiken von Beginn an mitführen. El Bocho exponiert also nicht nur die Aktion des Street-Art-

Klebens, sondern verortet sich darin gleichzeitig als Künstlerperson. Oder anders ausgedrückt: Er zeigt etwas und stellt sich gleichzeitig als Zeiger aus (vgl. Neef 2008: 327 mit Bezug auf Bal 1996: 57). Seinen Fotos ist somit eine doppelte Exposition inhärent: die des Zeigens und die des Gezeigt-Werdens bzw., viel mehr noch, die des sich als Zeiger-Zeigen-Lassens. Diese Beobachtung lässt sich mit Sybille Krämer kurzschließen, die hervorhebt, „dass ‚Performativität‘ nicht einfach heiß[t], etwas wird getan, sondern […] ein Tun wird ‚aufge-

führt‘“ (Alloa 2011: 47 mit Bezug auf Krämer 1998). So handelt es sich bei performativen Akten keinesfalls ausschließlich um Hervorbringungen, sondern um Vorführungen. „Performative Akte stellen das, was sie hervorbringen, immer auch vor Augen, sie sind

Herstellungen, die auf ihre Darstellungen angewiesen sind und sich nur in deren Rahmen

vollziehen können […]. Performanz heißt dann nicht nur: ‚einen Akt vollziehen‘, sondern immer auch schon: ‚das Vollziehen eines Aktes darstellen‘.“ (Ebd.: 48)

to emphasize the artistic act of presenting again, presenting for a second time […]“ (Barker 2012: 75).

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In diesem Sinne sind auch El Bochos Fotos als Expositionen aufzufassen, die nicht nur ‚zeigen‘, sondern das Zeigen einer Street-Art-Aktion ausstellen. Seine

Dokumentationspraktiken schreiben sich demnach in die Tradition der Perfor-

mance-Kunst ein, welche auf ähnliche Parameter setzt. Exemplarisch sei auch hier wieder auf Pollock verwiesen, der sich durch die Kamera Hans Namuths

begleiten (und entwerfen) ließ und dessen Kunst(-praktiken) erst im Zuge ihrer foto- bzw. videografischen Dokumentation gebührende Aufmerksamkeit zuteil wurde. Unbestritten ist jedoch auch, dass der mit Pollocks Kunstpraktiken in Verbindung gebrachten Performativität, Spontaneität und Dynamik etwas

hochgradig Inszenatorisches inhärent ist (vgl. u.a. Boxer 1998)34 – und auf ähnliche Weise müssen auch El Bochos Fotos verstanden werden: Sie sind als mul-

titemporale Zeitkonstrukte zu begreifen, die sich nicht nur aus der Überlagerung von Vergangenheit und Gegenwart speisen, vielmehr muss auch der (Antizipation der) Zukunft Platz eingeräumt werden. So ist bereits während der Aktion des Klebens das Bewusstsein eines anschließenden Zeigens präsent. Die

den Fotos zwangsläufig inhärente Geste des Zeigens muss folglich als (Ausdruck der) Antizipation des Zukünftigen gedacht werden. Auf diese Weise

schreiben sich letztlich drei Zeitebenen ins fotografische Bild ein: die vergegenwärtigte (und in diesem Sinne repräsentierte) Vergangenheit, die Gegenwart und die in der vergegenwärtigten Vergangenheit antizipierte Zukunft (vgl. dazu Neef 2008: 256 mit Bezug auf Derrida 1997: 146). Folglich exponiert das Foto die hinter dem Schleier einer medialen ‚Störung‘ getarnte Kippfigur, die

auf die multitemporale Komposition eines soziotechnischen Bildproduktions-

34 Und sie führt fort: „‚The photographs changed art and art history […] by focusing on

the act – the process of art-making – instead of on the static object.‘ But thanks to the

photographs, a new generation of artists – including Richard Serra, Bruce Nauman, Carl Andre, Robert Morris, Eva Hesse and Claes Oldenburg – saw something else.

They weren't just looking at Pollock's paintings, they were looking at Pollock painting.“ (Boxer 1998.) Siehe dazu weiterführend auch Karmel (1998), Namuth/Rose

(1980) und Rose (1979). Man beachte in diesem Kontext auch El Bochos FacebookAlbum „Malen am Platoon“, dessen Fotos eine verblüffende bildsprachlich-konzeptio-

nelle Ähnlichkeit mit Namuths Aufnahmen aufweisen: www.facebook.com/media-

/set/?set=a.464963993579084.1073741832.374847629257388&type=3, 10.10.2015. Aufgenommen wurden sie von der Berliner Fotografin Cat Wander.

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verfahrens verweist. Über ihre mediale Struktur verknüpft es verschiedene Zeitlichkeiten, und zwar unterhalb des rein Figurierten und Dargestellten (vgl. Schwarte 2011b: 138).35 Mit Peter Osborne könnte man auch von einem

„coming together of different but equally ‚present‘ times“ (Osborne 2013b: 22) sprechen,36 oder genauer, von einer „disjunctive unity of space-time“ (ebd.:

25). Und dieses ‚coming together‘, diese ‚disjuntive unity of space-time‘ wiederum kann als Schnitt-Bild aufgefasst werden, welches verschiedene Zeitlichkeiten montiert und somit zusammenfügt, statt ‚auseinander zu schneiden‘.37

Die für das Schnitt-Bild charakteristische Eigenschaft des Trennens und (Zu-) Schneidens muss in diesem Kontext also durch additive Qualitäten ersetzt werden. El Bochos Fotos zeichnen sich hierbei gerade dadurch aus, dass sie eine

situative, performative Praxis, die sich ereignet, nicht nur bildlich festhalten, sondern innerhalb ihres relationalen, multitemporalen Eingebettetseins ausstellen. In diesem Sinne sind es gerade die den Fotos inhärenten, gegenseitig überlagerten Zeitebenen, die Aufschluss über die Frage „how, and where, the

work[…] connect[s]“ (Lovink 2008c: 225) geben und in ihrer Mobilisierung spezifische ‚Ästhetiken des Verteilten‘ ausbilden. Denn „[i]t is the abstract, the conceptual, the unseen, and the immanent that the distributed brings into play.“ (Ebd.: 226) Auch Peter Osborne bestätigt diese Tatsache, wenn er schreibt: „distributive unity is aesthetic, in the primary sense of the term.“ (Osborne 2013a: 122) Das Schnitt-Bild präsentiert sich folglich als zentrale Figur,

um nach den Medienästhetiken von El Bochos Fotos zu fragen. So gilt es das multitemporale, sich im Schnitt-Bild verdichtende Zeitkonstrukt aufzubrechen, um zu hinterfragen, ob, wie und wo diese im Werk verschaltet sind.

Wie meine Analyse gezeigt hat, lässt sich über einen praxistheoretischen

Zugang somit durchaus nach den Medienästhetiken von El Bochos Fotos fra35 Diese Zeitlichkeiten wiederum sind mit verschiedenen Praktiken kurzzuschließen. 36 Des Weiteren nennt er es auch „a temporal unity in disjunction” (Osborne 2013b: 22).

37 Dennoch sei in diesem Kontext darauf hingewiesen, dass das Schnitt-Bild nicht losgelöst von der Praktik des Schneidens gedacht werden kann, muss doch bereits ein Fo-

to als ‚Schnitt in der Zeit‘ verstanden werden, welches einen singulären, eingefrorenen Moment festhält, vgl. in diesem Kontext weiterführend Braun (2002: 119) u.a. mit Bezug auf Krauss (1996) und Barthes (2009).

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gen. Ausgehend von den für seine Fotos charakteristischen Unschärfe-Effekten wurden relevante Praktiken wie Kleben und Fotografieren offengelegt und in ihrer gegenseitigen Ko-Produktion beleuchtet. Dies lieferte einerseits relevante

Einblicke in die performativen Qualitäten seiner Street-Art-Praktiken; andererseits wurden relevante Charakteristika fotografischer, soziotechnischer Bildproduktionsverfahren bei Nacht diskutiert. Auf diese Weise trat das den Fotos

zugrunde liegende multitemporale Zeitkonstrukt zutage, über das sich Fragen der Medienästhetik konturieren lassen. Wie gezeigt wurde, reicht es in diesem

Kontext nicht aus, ‚das Ästhetische‘ – wenn es so etwas denn überhaupt gibt – im selbstbezüglichen Erscheinen des Mediums (hier der Unschärfe) zu suchen, wie beispielsweise Seel vorschlagen würde. Vielmehr hat meine Diskussion

verdeutlicht, dass die Ästhetik von El Bochos Fotos ja gerade in der spezifischen Verschaltung ihres multitemporalen Zeitkonstruktes zu situieren ist, dessen Zeitebenen sich wechselseitig mobilisieren.38 Vage formuliert, ließe sich an dieser Stelle folglich fragen: Zeichnet sich hier nicht so etwas wie eine, wenn man es denn so nennen mag, ‚situative Ästhetik‘ ab?39 Anstatt an dieser Stelle jedoch eine noch akribischere, medienästhetische

‚Tiefenbohrung‘ vorzunehmen, ist es mein Anliegen, meine bisherigen Erkenntnisse für das allgemeine Verständnis der Street-Art-Welt produktiv zu machen. Konkret verfolge ich die Absicht, El Bochos Praktiken der Street-ArtProduktion im Kontext seines künstlerischen Schaffens und Selbstverständnis-

ses zu verorten. Damit einhergehend soll ihr Anteil an der Bedeutungsproduktion für die Street-Art-Welt im Allgemeinen kurz umrissen werden. Das Kapitel schließt mit einem knappen Resümee der Ergebnisse.

38 Dies heißt nicht, dass ich Seels Position ausschließe. 39 Eine feinere Ausarbeitung kann im Rahmen dieses Kapitels nicht geleistet werden; dennoch wird dieser Gedankengang in meinen abschließenden Bemerkungen, im FAZIT,

nochmals aufgegriffen.

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4.3.4 V ON DER B LACKBOX IN DEN W HITE C UBE : POLITIKEN DER

(S ELBST -)D ARSTELLUNG UND KÜNSTLERISCHES

S ELBSTVERSTÄNDNIS

Der strategische Rückgriff auf die kunstpraktische Geste des (sich als Zeiger-) Zeigens kann im Falle El Bochos also als spezifische Form der Selbstdarstellung perspektiviert werden. Diese gilt es hierbei als mediale Inszenierungspraktik zu

verstehen, die a) einer Authentifizierungsstrategie gleichkommt und b) auf das

Selbstverständnis des Künstlers rückschließen lässt.40 Durch das nur ansatzweise Zeigen seiner Person wird ein Spannungsverhältnis zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit hergestellt. Erst das Ausstellen des Nicht-Zeigens oder Verbergens führt die Differenz von Sichtbarkeit und Nicht-Sichtbarkeit vor Augen.

El Bocho ist dabei einer derjenigen Künstler, der diese Form der Inszenierung ganz bewusst und sehr konsequent wählt. Während er sein Gesicht zumeist

hinter einem Schal, einer mexikanischen Lucha Libre- oder aber einer karnevalesk anmutenden Affenmaske versteckt – oder schlichtweg digital verpixelt –, ist es im Falle dieser Fotoserie nicht nötig. Die den Fotos inhärente Unschärfe verwischt nicht nur die Gesichtszüge des Künstlers, sondern legt auch die für die Öffentlichkeit unzugängliche Identität des Berliners hinter einen medialen Schleier nächtlicher Bildproduktion. Mehr jedoch als dass dieses Ausschließen, Nicht-Zeigen und Verwischen einen piktoralen Mangel evoziert, produziert es einen expliziten Zugewinn an Information: So liefert es den Schlüssel, um El Bochos künstlerischer Selbstpositionierung nachzuspüren. Die den Fotos inhärenten Praktiken des Verbergens, Verwischens und In-der-Schwebe-Haltens gilt

es somit auch im Kontext seines künstlerischen Selbstverständnisses zu lesen. El Bocho konstatiert in einem Gespräch mit mir im Juni 2013: „Die Straße ist

40 In diesem Kontext darf ein Hinweis auf Erwin Goffmans Wir alle spielen Theater (1959) nicht fehlen. Goffman geht davon aus, dass das Individuum grundsätzlich daran interessiert ist, den Eindruck, den andere von ihm haben, zu kontrollieren. Individuen sind somit immer Teil eines bestimmten Rollengefüges, welches situations-

bedingt aufgerufen werden kann. Soziales Handeln ist ein Schauspiel, in dem bestimmte Rollen übernommen werden.

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nachts ein anderes Medium als tagsüber.“ Diese Aussage gilt es im Rahmen meiner Analyse ernst zu nehmen. Und er fügt hinzu: „Wenn ich tagsüber alle Zeit der Welt habe, dann brauch ich nicht irgendwas machen, das so aussieht, als hätte ich das nachts irgendwo drangeklatscht […]. Und natürlich ist

das so, dass das Internet an sich, oder Facebook, das Ganze oftmals einfach sehr verschwommen zeigt.“ (Int. KG 06/2013)

Vor diesem Hintergrund können seine Fotopraktiken also durchaus auch als Reaktion auf die sich verändernden Bedingungen der Street-Art-Produktion,

-Zirkulation und -Rezeption betrachtet werden. Das Bewusstsein der medialen (Über-)Formung und Beeinflussung der Street Art durch neue Medien spiegelt sich, zumindest in El Bochos Fall, in den Praktiken fotografischer Street-Art-

Dokumentation wider. Er ist in dieser Hinsicht ein repräsentatives Beispiel, da er der Praktik des Street-Art-‚Machens‘ schon seit 1997 aktiv41 – und dies mit regelmäßigem und konstantem Output auf der Straße – nachgeht. D.h. also, er ist einer derjenigen Künstler, der die Entwicklung der (Verhandlung der) Street

Art seit nun schon mehr als 15 Jahren mitverfolgt. Schaut man sich El Bochos Webseite einmal genauer an, reicht sein fotografisches Archiv bis Dezember 2008 zurück. Ein Facebook-Profil wurde im September 2009 angelegt, eine

Künstlerseite im Oktober 2012 erstellt. Natürlich sind dies nur Gründungsdaten, die Aufschluss über den Startpunkt des jeweiligen Online-Accounts geben, schließlich ist ihm die fotografische Dokumentation seiner Arbeiten von

Beginn an wichtig gewesen. Und ich wiederhole: „Letztendlich steckt man sehr viel Energie in seine Arbeiten; und dann muss man diese auch wertschätzen,

indem man sie dokumentiert“, so der Künstler (ebd.). Den Upload von StreetArt-Fotos mit dem Startpunkt fotografischer Dokumentationspraxis gleichzusetzen, wäre folglich falsch. So finden sich auf seiner Webseite bereits Fotos, die deutlich weiter zurückdatieren: Eines davon zeigt ihn bei einer nächtlichen

Pasting-Aktion im Jahr 2005, hier zusammen mit dem Berliner Künstler ALIAS;

41 Vgl. www.elbocho.net/about und www.facebook.com/elbochoberlin/info, 28.11.2014.

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hochgeladen wurde es 2008.42 Diese Tatsache gibt somit über zwei Dinge gleichzeitig Aufschluss: Nicht nur die Praktik des fotografischen Dokumentierens an sich, sondern auch die Praktik des nächtlichen Dokumentierens, ‚on the

run‘, verfolgte der Künstler bereits 2005 und somit vor dem Anlegen einer eigenen Webpräsenz.43 Ich führe diesen Umstand auf eine Eigenaussage des Künst-

lers zurück, die sich im Laufe meiner Forschung als individuelles, künstlerisches Selbstverständnis verfestigte: „In dem Moment, wo ich nicht mehr nachts rausgehe, und dann auch nicht mehr die Zeit

und die Energie da reinstecke, bin ich auch kein Street Artist mehr. Dann bin ich halt

Künstler, aber dann darf ich mich nicht mehr so nennen […] Für mich ist es sehr wichtig, nachts raus zu gehen.“ (Ebd.)

Straßenpräsenz sowie das nächtliche Pasten erweisen sich in der Verhandlung und Legitimation seiner eigenen Street-Art-Praxis als essenziell. Er expliziert: „Dieses Verständnis, sich den öffentlichen Raum zu eigen zu machen, ohne jemanden zu

fragen, und dabei genau das zu machen und nach außen zu tragen, was man denkt – da-

rum geht’s ja bei der ganzen Sache. Also wirklich diese absolute Freiheit der Kunst zu ge-

nießen, über alle Regeln hinweg.“ (Ebd.)

Denn schließlich, so jener weiter, habe sich die Kunst im Laufe der Jahrhunderte eine gewisse Freiheit erkämpft. Und diese Freiheit gelte es letztlich nicht nur respektvoll (an)zuerkennen, sondern auch aktiv weiter zu gestalten. Die Anknüpfung an und gleichzeitige Weiterformulierung jener Tradition stellt für

42 Den Hinweis hierfür liefert die Bildunterschrift sowie die rechte Sidebar, die mit den

Tags „Poster“, „2005“, „action“, „Berlin“ und „Little Lucy“ versehen wurde, vgl.

www.elbocho.net/page/81 (da der Blog stetig aktualisiert wird, kann eine Richtig-

keit bzw. Aktualität des Links nicht gewährleistet werden) sowie www.elbocho.net/wp-content/uploads/2008/12/neu14.jpg, 28.11.2014.

43 In diesem Kontext sei angemerkt, dass der sogenannte ‚Hype‘ der Street Art, oder

das, was innerhalb der Street-Art-Welt (immer wieder) als Hype verhandelt wird, in

etwa um die frühen 2000er Jahre anzusetzen ist. Dennoch sind auch hier deutliche Differenzen auszumachen, weshalb ich mich von einer Adressierung und zeitlichen Bestimmung distanziere.

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ihn, so betont er im Gespräch, Anspruch, Leitidee und Motivation seines künstlerischen Schaffens dar. Vor dieser Folie lässt sich die Praktik des nächtlichen Pastens und Dokumentierens somit durchaus als bewusster Ausdruck seiner

künstlerischen Selbstpositionierung lesen, welche Qualitäten des Widerständigen und Freigeistigen akzentuiert. Indem die performative Aktion des Pastens

ihre eigene Repräsentation bzw. Dokumentation ‚stört‘ – bzw. verwischt –, wird sie direkt präsent und somit als Authentizitätsfaktor operabel (vgl. Ullrich 2003: 92). El Bochos Fotos sind folglich in der Hinsicht ‚bildkritisch‘, als dass

sie verwischen – und damit ja gerade exponieren – was sich teilweise recht unreflektiert als sogenannte ‚Street Art‘ an einer Vielzahl internationaler Galeriewände verdinglicht hat (vgl. Alloa 2011: 35). Denn anstatt im Keilrahmen der

Bildkünste gefangen zu bleiben, intendiert der Berliner ja viel mehr eine Mobilmachung konventionalisierter Street-Art-Praktiken (vgl. ebd.: 33).44 „Dieses Supercleane will ja keiner“, so jener selbst (Int. KG 06/2013). Diese Posi-

tion(-ierung) muss folglich als Rahmenverschiebung verstanden werden (vgl. Alloa 20011: 38 mit Bezug auf Goffman 1977).45 Viel mehr als diese Rahmenverschiebung jedoch als Entrahmung aufzufassen, gilt es sie geradezu als explizite Neurahmung oder Rahmensetzung zu verstehen. So nutzt der Künstler

die Strategie der ‚kreativen Maskerade‘ – des Verwischens, Verbergens, Verpixelns und Maskierens – ja gerade ganz bewusst, um das Interesse an sich als Künstlerperson zu steigern. Durch die bewusste Zensur von Bildinformation

wird die Neugier der Rezipienten geweckt; gleichzeitig wird zu einer Authentizitätssteigerung seiner Kunst(-praxis) beigetragen – wobei sich die Dialektik von Zeigen und Nicht-Zeigen hierbei durchaus als Motor einer gesteigerten (marktwirtschaftlichen) Aufmerksamkeitsökonomie präsentiert.

Nicht unbeachtet bleibt in diesem Kontext auch der tief in der Kunstgeschichte verwurzelte Topos des ‚schöpferischen Künstlers und seiner Muse‘,

welchen El Bocho mit seinen großformatigen Frauenporträts unweigerlich an-

44 Auch hier sei nochmals auf die Performance-Kunst verwiesen, die ein ähnliches Programm verfolgt.

45 Zu den verschiedenen Formen des Rahmens, Entrahmens und Neurahmens siehe auch Wirth (2013).

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zuzitieren scheint.46 So wurde spätestens im 20. Jahrhundert, u.a. durch das Zuwirken einflussreicher Modemagazine wie Life, Vogue und Harper’s Bazaar47, Maskulinität zum Motor künstlerischer Kreation stilisiert, während der Frau die

Rolle einer passiven, den kreativen Arbeitsprozess stimulierenden Muse zuteilwurde, die durch ihre faszinierende Aura, Klugheit oder Erotik zur Quelle

künstlerischer Inspiration avancierte (vgl. Bergstein 1995: 45; Jones 1994).48 Künstler wie Picasso, Dalí, Chagall, Warhol, Giacometti, Matisse, Maillol, Klein, Morris u.v.m. waren für ihre ‚schöpferische‘ Beziehung zu Frauen be-

kannt. Fotografisch begleitet, und somit künstlerisch mitentworfen, wurden sie durch einflussreiche Fotografen wie Liberman und Brassaï (vgl. Bergstein 1995:

46 Vergleiche hierzu exemplarisch El Bocho: ‚Der Maler und seine Muse(n)‘, Fotos ge-

postet auf seiner Facebook-Seite am 07.12.2012, 09.03.2014 und 01.06.2015; siehe dazu detaillierter in der Bibliographie.

47 Durch die Foto Brassaïs und Libermans wurde der Arbeitsprozess modernistischer Künstler erstmals für das Mainstream-Publikum einsehbar und somit massenmedial

anschlussfähig. Durch die Situierung ihrer Fotos in Modemagazinen war der Brückenschlag von der Kunst – bzw. dem Künstler – zur weiblichen Muse nur ein sehr geringer. Bei Bergstein heißt es dazu ausführlicher: „Liberman is said to have stated

that haute couture, with its basis in feminine seduction, had a place within the tradition of Western art ‚from Titian and Velasquez to Matisse‘. Likewise the tradition of masculine domination and feminine objectification in Western-avant garde art was

granted to a privileged place in fashion. A persistent interleaving of male artists with women’s fashions in magazines like Vogue served to reinforce the historical associa-

tion of masculinity with production and femininity with passivity and consumption.“

(Bergstein 1995: 45)

48 Siehe hierzu exemplarisch Sylvette David und Picasso, deren Beziehung im Juni 2014 unter dem Titel Sylvette, Sylvette, Sylvette. Picasso und das Modell eine Ausstellung in der Bremer Kunsthalle zuteil wurde (vgl. Müller 2014). Dominante bzw.

selbstbewusste/-bestimmte Frauen hingegen behinderten laut dem damaligen Verständnis den Künstler bei der Entfaltung kreativen Potenzials und der Ausführung

künstlerischer Schaffensprozesse: „The artist, in order to put genius into action, must

be sexually unbound, unfettered, and free to express his premordially masculine creativity. The artist’s women, on the other hand, as idealized from 1550 to 1950, from

Vasari to Vogue, were required to cooperate in silence.“ (Bergstein 1995: 55)

228

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

55).49 Zu erwähnen sind an dieser Stelle vor allem ihre Fotobücher The Artist in His Studio (1960) und The Artists of my Life (1982), in welchen sie den kreativen Schaffensprozess der Künstler jener Zeit in ihrem Studio fotografisch festhielten.50 Mary Bergsteins schreibt dazu: „[…] women, (be they made of clay, paint or living flesh) are perceived as belonging to this extraordinary everyday environment of the artist[’s studio, KG]. Brassaï represents

the artist’s studio […] as a sort of interior arena that comprises simultaneous activities of

looking, creative work, and fulfilment of desires. […] women, as they occur, are objectified as belonging to the artist’s orbit of personal creations and possessions.“ (Ebd.: 49)

Auch wenn dieser Topos nicht eins zu eins auf El Bocho übertragen werden kann, führt er den modernistischen Mythos eines maskulin konnotierten, kreativen Schöpfungsprozesses dennoch mit und schreibt sich unmittelbar in diese

Tradition ein – und eine Eigenaussage des Künstlers bestärkt diese Vermutung. Dieser erklärt im Gespräch: „Das Grundthema der Porträtserie ist eigentlich die Romantik, die im Laufe des Lebens verloren geht. Je älter man wird, umso mehr geht verloren. Wenn man jung ist, ist man

sehr bedingungslos. Deswegen sind es auch meistens junge Charaktere, die ich male.“ (Int. KG 06/2013)

49 Im Falle Giacomettis heißt es beispielsweise: „[…] Giacometti not only posed, but actually performed for various photographers: the resulting images convey an under-

current of anxious, antagonistic masculinity“ (Bergstein 1995: 49); während bei Matisse das Modell selbst zum Teil der eigenen Selbst-Repräsentation wurde (vgl. ebd.:

51). Zur Aushandlung des performativen Verhältnisses von Maskulinität, künstlerischer Autorität und interpretativer Autorität (durch die Kamera) in der ‚Body Art‘

der 1950er bis 1990er Jahre siehe u.a. Jones (1994).

50 Interessant ist in diesem Kontext auch der Aufbau der Fotobücher. Brassaï paralleli-

sierte darin die Künstlerporträts – durch die bewusste Anordnung der Fotos – mit seinen frühen „sgraffito“-Aufnahmen (Scratchings). Seine Absicht war es, auf diese

Weise den psychischen Zustand der fotografierten Künstler aufzudecken und nach

außen zu kehren. Denn, wie auch für Henry Miller, war die Pariser Stadtlandschaft

für Brassaï weiblich konnotiert (vgl. Bergstein 1995: 47-48). Liberman hingegen stellte die Porträtaufnahmen der Künstler ihren eigenen Arbeiten gegenüber und parallelisierte somit ihre Kunst mit ihrer Persönlichkeit (vgl. ebd.: 53-54).

V ERWISCHEN UND FESTHALTEN | EL B OCHO

| 229

Abschließend halte ich an dieser Stelle fest: Meine Analyse hat gezeigt, dass es

El Bochos Fotos keineswegs als reine Dokumentationen seiner Street-ArtAktionen aufzufassen gilt, vielmehr legen sie die energiegeladene Situation des Street-Art-Klebens und -Fotografierens offen und geben Aufschluss über die

medialen Bedingungen fotografischer Bildproduktionsverfahren bei Nacht. Die den Fotos inhärente Unschärfe präsentiert sich hierbei als Ko-Produkt nächtlicher Bewegungs- und Verwacklungsunschärfen, welche sich im Digitalfoto arti-

kulieren. So gilt es El Bochos Fotos letztlich als kunstpraktische Expositionen zu verstehen, welche Ereignisse nicht nur bezeugen, sondern (in ihrer Darstellung) mit erzeugen (vgl. Alloa 2011: 39). Gleichzeitig lassen sie Rückschlüsse

auf das Selbstverständnis des Street-Art-Künstlers zu, der im nächtlichen, unau-

torisierten Pasten sein individuelles, künstlerisches Selbstverständnis verfertigt sieht. Ein Blick auf seine Web- oder Facebook-Seite verrät dennoch, dass sich

seine Kunstpraxis längst nicht mehr nur der Straße verpflichtet sieht. Der Qualität des Dynamischen, Performativen, Unautorisierten, Nächtlichen und ‚Uncleanen‘ entledigt51 – jedoch untrennbar damit in Verbindung gebracht – greift sie auf weitaus mehr Sphären aus und trifft dabei auf internationale Anschlussfähigkeit.52

51 Auch Lyotard hat darauf hingewiesen, dass die Betonung des Vollzugs oder des Performativen auch zu einer Verfestigung existierender Rahmen führen kann; v.a. dann,

wenn der Künstler der Orientierung am Endergebnis (im Sinne einer Effizienzlogik) folgt. In diesem Fall ist Performativität nicht per se emanzipatorisch, sondern kann

geradezu zum Erhalt [oder zur Erarbeitung, KG] eines Machtmonopols führen (vgl. Alloa 2011: 38 mit Bezug auf Lyotard 1986: 15).

52 Neben den Galeriearbeiten denke man hierbei nur einmal an seine Brillenkollektion, welche in Zusammenarbeit mit dem Schwedischen Label KunoQvist ab November

2013 in ausgewählten Läden zu erwerben war: www.elbocho.net/2013/11/glasses,

07.07.2015. Es mag kein Zufall sein, dass spätestens ab 2014 auch seine großformatigen Frauenporträts auffällig oft mit Brillen ausgestattet waren. Hierzu nur ein

exemplarisches Beispiel: www.facebook.com/photo.php?fbid=749214128493057&set=pb.100002134301412.-2207520000.1473855465.&type=3&theater,

07.07.20-

15. Im Interview erklärt El Bocho, dass seine Kunstpraxis prinzipiell auf vier Säulen

fußt: Street Art, grafische Konzepte und Leinwände für die Galerie – diese sind alle-

samt von der Straße beeinflusst und bauen sozusagen „auf diese Street-Art-Säule auf“

230

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN Spätestens in diesem Kontext sieht man sich mit der altbewährten Diskussi-

on konfrontiert, welche die zunehmende Salonfähigkeit der Street Art und die

damit einhergehenden Institutionalisierungs- und Kommerzialisierungsbestrebungen von Street-Art-Künstlern adressiert.53 Auch wenn dieses Thema vielerorts recht eindimensional verhandelt wird – entweder es gibt klare Befürworter, strikte Gegner oder aber das Thema bleibt gänzlich unterbelichtet –, plädiere ich für ein Street-Art-Verständnis, das der Komplexität des Phänomens gerecht wird. Eine derartige Aufarbeitung kann im Rahmen meiner Analyse

nicht geleistet werden; ein erster Ansatz mag jedoch darin liegen, den komplexen Aushandlungsprozess von Street Art und Urban Art multiperspektivisch zu beleuchten und somit erste, auch begriffliche Konturierungen vorzunehmen.

Im Grunde genommen geht es darum, die „Dynamik […] zwischen frame und framing, zwischen Rahmen und Neurahmung“ (ebd.: 38 mit Bezug auf Goffman 1977) zu beschreiben.

(Int. KG 06/2013). Parallel dazu mache er Illustrationen, diese stehen damit jedoch

nicht in Verbindung. Dieses Grundgerüst scheint jedoch noch um eine fünfte Säule

ergänzbar: Kunstprodukte. Dass dies im Street-Art-Diskurs nicht immer unproblematisiert bleibt, scheint auf der Hand zu liegen. Andere wiederum sprechen ihm die

Fähigkeit zu, gelernt zu haben, „wie man sich von Anfang an als Produkt definiert ohne verbogen zu werden und wie es gelingt, kommerzielle und nicht-kommerzielle Kreativität in Einklang zu bringen“ (Paulus 2015).

53 Eine umfangreiche Aufarbeitung der Professionalisierung von Street-Art-Künstlern leistete u.a. Derwanz (2013).

Scr eens hotderBe r l i nSt r e e t Ar t App|November2015

4.4 Mappen und navigieren | Berlin-Street-Art-App

Nachdem in den vorherigen Kapiteln sowohl die Praxis der Street-Art-Produktion als auch der -Dokumentation diskutiert wurde, schließt dieses Kapitel

chronologisch an: Im Fokus meiner Betrachtungen steht die im Kontext mobiler Medientechnologien zunehmend gängiger werdende Praktik digitaler StreetArt-Kartierung. Durch das Einbetten und Präsentieren von Street-Art-Fotos in dynamische(n) Karten werden einzelne Street-Art-Werke nicht nur digital ar-

chiviert (bzw. archivierbar), sondern für Street-Art-Rezipienten auch wesent-

lich schneller und einfacher lokalisierbar. Dies scheint vor allen Dingen den-

jenigen Street-Art-Rezipienten zugute zu kommen, die effizienzsteigernden Verfahren nicht abgeneigt gegenüberstehen; Städtereisenden zum Beispiel, die an einem Tag möglichst viele Werke in möglichst kurzer Zeit sehen möchten.

Denn vor allem in unbekannten Städten und Gegenden gestaltet sich das Auffinden einzelner bzw. spezieller Street-Art-Werke für Street-Art-Liebhaber und

-Fotografen nicht immer ‚als Spaziergang‘. Dies kann ich aus eigener Felderfah-

rung bestätigen, bei welcher auch ich – punktuell – auf digitales Kartenmaterial zurückgriff.

Mehr jedoch als meine Argumentation anhand der Diskussion digitaler

Street-Art-Karten und Kartierungsverfahren im Allgemeinen zu entfalten, beziehe ich mich in diesem Kapitel auf die Analyse sogenannter Street-Art-Apps.

Denn die dem Smartphone-Device zugrunde liegende Mobilität und permanente Konnektivität mit dem Internet ermöglicht nicht nur die Lokalisierung von

Street-Art-Werken ‚im digitalen Straßennetz‘, sondern zielt vielmehr auf ein

234

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

Aufsuchen im physikalischen Stadtraum ab. Mobilität und Portabilität zeigen

sich somit als ausschlaggebende Faktoren, wobei die Besonderheit von StreetArt-Apps, mehr noch als in der Möglichkeit eines zielgerichteten Lokalisierens und Aufsuchens, im Abrufen digital überlagerter Zusatzinformationen liegt.

Doch dazu an gegebener Stelle mehr.

Anhand eines konkreten Fallbeispiels, der Berlin-Street-Art-App1, soll in die-

sem Kapitel die Notwendigkeit einer Neuperspektivierung der Street-ArtRezeption, unter Einbezug digital vernetzter Medientechnologien, aufgezeigt werden. Im Fokus der Betrachtungen steht hierbei der physikalische Kontext

von Straße und Kunst und ihre digitale Überformung im Zuge spezifisch zu-

richtender Medialisierungspraktiken. Als zentral erweist sich innerhalb meiner Analyse die Kategorie der Navigation, welche nicht losgelöst von der Bewe-

gungspraktik des zielgerichteten Gehens (und/oder flanierenden Umherstreifens) gedacht werden kann. Zur Diskussion steht, ob bzw. wie jene StreetArt-App die Stadt, die Kunst sowie ihre Rezeption (bzw. Rezipienten) bearbei-

tet, verfertigt, zurichtet und gegebenenfalls auch ‚laboratorisiert‘.2 Gefragt wird: Welche Rolle spielt das portable Smartphone-Device bei der Rezeption

von Street-Art-Arbeiten und wie beeinflusst der Gebrauch ortsbezogener Tech-

nologien (‚location aware technologies‘) die Beziehung von Stadt, Kunst, Ort, Künstlern und Rezipienten? Welche Potenziale, aber auch Herausforderungen

ergeben sich unter Zuhilfenahme neuer, digital vernetzter Medientechnologien wie einer Street-Art-App? Tragen jene zur Generierung ‚neuer‘ Orte bei, zu de-

1

https://itunes.apple.com/de/app/street-art-berlin/id566611117?mt=8#, 02.09.2016.

2

Der Begriff ‚Laboratisierung‘ rekurriert hier auf das vermeintliche Oppositionspaar Feld und/vs. Labor, welches zwei unterschiedliche Ideale empirischer Forschung bezeichnet. Laborbedingungen könnte man als den Zustand absoluter Kontrolle zum Zwecke der Forschung fassen, während das Feld den unzugerichteten, unberührten Gegenstand beschreibt. Da dies jedoch Ideale sind, findet empirische Forschung immer sowohl im Feld als auch im Labor statt, wobei Medien innerhalb dieses Zusammenspiels eine besondere Rolle zukommt: Sie bewegen sich zwischen den Positionen, mal Ursache und mal Lösung aller Probleme zu sein (vgl. dazu detaillierter Navigationen 2/2013 zum Themenschwerpunkt „Vom Feld zum Labor und zurück“, hrsg. von Raphaela Knipp/Johannes Paßmann/Nadine Taha).

M APPEN UND NAVIGIEREN | B ERLIN -S TREET -A RT -A PP

| 235

nen sich die Rezipienten neu zu situieren haben? Und: Ist digitale Mobilität dabei mit ‚realräumlicher‘ bzw. geografischer Mobilität gleichzusetzen?

In Abschnitt 1 wird die Funktionsweise der Street-Art-App Berlin Street Art

offengelegt und die für sie charakteristischen Merkmale diskutiert. Das mobile Smartphone-Device gilt es hierbei als vermittelndes Interface zu entwerfen, das

die ‚realräumliche‘ Street-Art-Erfahrung um digitalen Content ‚erweitert‘. Kontrastiert wird jene vermeintlich effizienzsteigernde Praktik zielgerichteter

Smartphone-Navigation mit der Figur des umherstreifenden ‚Wayfarers‘ (vgl. Ingold 2009)3, der der originären Street-Art-Rezeption näher zu stehen scheint. Ergänzt wird die Analyse um das Konzept des ‚Digital Wayfarers‘, mit welchem

Hjorth und Pink eine Verschränkung von Offline- und Onlinepraktiken adressieren (vgl. Hjorth/Pink 2014).4 Es folgt die sich im Kontext mobiler Smart-

phone-Navigation unweigerlich aufdrängende Diskussion sogenannter StreetArt-Touren. Das sind Touren privater oder städtischer Anbieter, die derzeit vor

allem Städtereisenden, Touristen oder aber Street-Art-Liebhabern angeboten werden, mit dem Ziel, ihnen das lokale Street-Art-Geschehen ein Stück weit

näherzubringen. Letztlich schließe ich mit einer knappen Zusammenfassung, in der ich meine Überlegungen verdichtet zusammenführe. Mehr als mit der finalen Beantwortung aufgeworfener Fragen, beende ich meine Analyse mit dem

Skizzieren offener Fragestellungen, weiterführender Gedankengänge und lie-

fere einen potenziellen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen mobiler, ortsbe-

zogener Street-Art-Technologien.

3

Für Ingold ist die Bewegungspraktik des Wayfarers gleichsam routiniert wie auch repetitiv, siehe dazu ausführlicher KAPITEL 4.4.2.

4

In diesem Aufsatz beschreiben die beiden Autorinnen, wie mobile Medien, hier Smartphone-Apps wie Instagram, und die damit einhergehenden Kamerapraktiken (Geotagging) veränderte Sichtbarkeiten (und Sozialitäten) von Orten hervorbringen können – und dies, während User ihrem alltäglichen Leben nachgehen, in welchem digitale und physikalische Kontexte ineinandergreifen.

236

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

4.4.1 G EO -L OKALISIERUNG VON S TREET A RT IM S TADTRAUM Das Hauptziel einer Vielzahl heutiger Street-Art-Apps für das Smartphone ist

die geomediale Lokalisierung von Street Art im Stadtraum; so auch bei Berlin Street Art, einer Smartphone-App für das iPhone. Jene beschränkt sich dabei,

wie ihr Name schon vermuten lässt, auf die Lokalisierung von Street-ArtArbeiten innerhalb des Berliner Stadtraums.5 Als ihr ‚Kurator‘ wird Uli Schuster

geführt, ein „in Berlin lebender Künstler, Kurator und Tour-Guide“.6 Während dieser als konzeptioneller Kopf hinter der App steht, hat die zugehörige Tech-

nologie das dänische Startup-Unternehmen Everplaces7 bereitgestellt. Ever-

places ist eine Online-Community, auf der Reise-, Feinschmecker- und Designfans ihre Tipps und Empfehlungen gratis veröffentlichen können. Neuerdings

offeriert die Community ihren Usern – sowohl Privatpersonen als auch Firmen

– zudem einen neuen Service: das Erstellen von ortsspezifischen und ortsgebundenen Apps (vgl. Wauters 2013). Mittels dieser Apps können sie ihre persönlichen Empfehlungen und Lieblingsspots direkt auf der digitalen Karte markieren und durch einen App-Download bei iTunes auch anderen Usern zur Verfügung stellen. In Form von digitalen, portablen Informationen auf dem Smartphone sind sie für alle Berlin-Street-Art-User zugänglich. Die App kostet 0,79 €.

„Welcome to the mecca of street art in Europe!“ – so lauten die begrüßen-

den Worte beim Öffnen der App. Und Berlin ist wahrlich einer der ‚places to

be‘ für Street Art: Stencil, Paste-Ups und Sticker wohin man schaut; aber auch

5

Dennoch gilt hierbei zu beachten, dass die in das Smartphone integrierte 3G-Technologie und deren nahezu permanente Konnektivität mit dem Internet durch den Rückgriff auf Google Maps die Kartierung der ganzen Welt bereithält – und dies im Pocketformat. Das in die App eingebettete Kartenmaterial beschränkt sich somit keinesfalls nur auf Berlin (wenngleich sich nur dort markierte Kunstwerke befinden), sondern erstreckt sich über den ganzen Globus. Heutige, digitale Karten besitzen keinerlei Begrenzung, keinerlei ‚Rand‘ mehr. Der Ausdruck ‚sich durch die Welt‘ – respektive das Leben – ‚navigieren‘ erfährt dadurch eine Neuskalierung.

6

Wortlaut beim Öffnen der App Berlin Street Art.

7

www.everplaces.com, 02.04.2013.

M APPEN UND NAVIGIEREN | B ERLIN -S TREET -A RT -A PP

| 237

eine Vielzahl großflächiger Murals8 schmückt die Stadt. Vor diesem Hinter-

grund scheinen die einleitenden Worte der App nicht überraschend: „We’ve scouted the city to find the most original artworks. Follow the trail of spray

cans and discover what makes Berlin so unique.“ 9 Im Rahmen der AppKonzeption wurden hierbei genau 30 Kunstwerke zu „most original artworks“ erklärt. Die App setzt somit eindeutige Signale und muss durchaus vor der

Folie mit ihr einhergehender Kanonisierungsprozesse gelesen werden. So stellt

die App (bzw. ihr ‚Kurator‘) besonders gelungene Kunstwerke heraus, privilegiert sie gegenüber anderen und akzentuiert sie auf diese Weise ‚mit einem Un-

terschied‘.10 Dabei gilt zu bedenken, dass Ausstellungen, Bilderpräsentationen und -sammlungen grundsätzlich immer als Ordnungen des Wissens betrachtet

werden müssen. Diese bieten nicht nur verschiedenste Auslegungsangebote, sondern können zu wirkmächtigen Deutungsinstanzen werden (vgl. u.a. von

Heydebrand 1998; Hoffmann 2013: 13) – und dies nicht erst in ihrer retrospektiven Deutung. Im Falle der Berlin-Street-Art-App ist dabei auffällig, dass die ausgewählten Kunstwerke fast ausschließlich Murals sind, also großflächige

8

Murals sind großflächige Wandmalereien, die heutzutage vor allem mit dem Kontext von Graffiti und Street Art in Verbindung gebracht werden. Vor allem in Lateinamerika prägen Murals (mit nationalem, sozialkritischem oder historischem Inhalt) bis heute das Stadtbild diverser Metropolen, Städte und Dörfer, vgl. hierzu auch den um die 1920er Jahre im Zuge der mexikanischen Revolution entstandenen Muralismo – ob dieser jedoch tatsächlich mit den Murals der heutigen Street Art in Verbindung gebracht werden kann (oder sollte), ist fraglich. Heutzutage werden Murals vor allem im Kontext von Street- und Urban-Art-Festivals gemalt; sie dienen der Verschönerung grauer Fassaden und Wände und weisen vermehrt dekorativen Charakter auf. Auch große Firmen und Werbeanbieter nehmen sich großflächiger Wandgestaltungen an; oftmals greifen sie hierfür auf die Ästhetik der Street Art zurück, weshalb es zunehmend schwieriger wird, zwischen künstlerischer Ausdrucksform und Werbebotschaft zu unterscheiden (vgl. u.a. Graffitiarchiv 2015; Journey Redaktion 2013). Teilweise werden Murals bereits als Motor für Gentrifizierungsprozesse verantwortlich gemacht, vgl. dazu ausführlicher im FAZIT.

9

Wortlaut beim Öffnen der App Berlin Street Art.

10 Da die ausgewählten Murals dennoch ab und zu ausgetauscht und folglich aktualisiert werden, ließe sich die beschriebene Kanonisierung am treffendsten als einen performativen Kanonisierungsprozess auffassen.

238

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

Wandgemälde, die oftmals ganze Fassaden oder Häuserwände schmücken.11

Ihre Urheber, die dahinterstehenden Künstler, sind fast ausschließlich renommierte Artists mit internationalem Bekanntheitsgrad.

Das Hauptziel von Berlin Street Art stellt die Lokalisierung einzelner Street-

Art-Arbeiten bzw. Murals im Stadtraum dar, unter Zuhilfenahme standortbezogener, ortsgebundener Dienste und Mapping Services (Location-based Ser-

vices, LBS). Beim Starten der App hat der User dabei grundlegend zwei Auswahloptionen: a) „Orte“ oder b) „Karte“. Wählt er die Kategorie „Orte“,

bekommt er die komplette, durchnummerierte Liste der 30 in die App eingespeisten Street-Art-Werke angezeigt. In der Hauptübersicht werden diese um die Angabe des Künstlernamens, des Stadtteils sowie der angewandten Technik

(Graffiti, Mural, Stencil etc., wenn auch etwas ungenau) ergänzt. Als besonders

bekannte Werke gelten hierbei u.a. das vom belgischen Künstler Roa12 in Kreuzberg angebrachte Tier-Mural, welches durch seinen filigranen Duktus

auffällt. Dass die beiden großflächigen, in Kreuzberg zu lokalisierenden Murals

des italienischen Künstlers Blu13 in einer Street-Art-App für Berlin nicht fehlen dürfen, scheint evident, gehören sie doch mittlerweile zu einem der Wahrzei-

chen Berlins – wenngleich ihre Geschichte im Zuge des vom Künstler eigens

initiierten Schwärzens im Dezember 2014 eine völlig neue Wendung nahm.14 Ebenfalls Einzug in die App hielt der grellgelbe, mittlerweile etwas ausge-

bleichte Yellow Man15 der beiden brasilianischen Zwillinge Os Gêmeos16, Case

11 In einem Online-Artikel der taz heißt es dazu, dass Schuster sich ganz bewusst auf Murals beschränkt habe, da er diesen eine höhere Beständigkeit und Lebensdauer zuspricht. So könnten Murals auch noch einige Monate nach ihrer Realisierung aufgesucht und bestaunt werden (vgl. MJ 2012). 12 www.roaweb.tumblr.com, 08.04.2013. 13 www.blublu.org, 08.04.2013. 14 Siehe dazu u.a. auch Paranyushkin (2014) sowie www.blublu.org/sito/blog/?p=2524, 26.02.2015. Darauf wird zu einem späteren Zeitpunkt näher eingegangen. 15 Die Namensgebung rekurriert auf die App. 16 www.osgemeos.com.br, 08.04.2013.

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| 239

Ma‘Claims17 fotorealistische Hand Under the Hand18 sowie der überdimensional

proportionierte Astronaut Victor Ashs.19

Abb. 24: Berlin-Street-Art-App | Screenshot, hier „Orte“ (Victor Ash) Wählt man diesen auf dem Smartphone an (vgl. Abb. 24), öffnet sich (wie bei den anderen eingelesenen und markierten Werken auch) unterhalb des digi-

talen, hochgeladenen Street-Art-Fotos eine spezifisch auf das Werk zugeschnittene Zusatzinformation. Im Falle von Victor Ashs Astronaut erfährt der App-

User zum Beispiel, dass jenes Mural im Rahmen des Street-Art-Festivals Backjumps20 im Jahr 2007 entstanden ist. Neben dem Link zur Künstler-Webseite www.victorash.net erhält der User die zugehörige Ortsangabe. Diese erscheint

in Form einer möglichst genauen, postalischen Adresse; hier: „Mariannen-

straße, 10997, Berlin“. Klickt man auf diese, mit einem Google-Maps-Pin ver-

17 www.maclaim.de/# sowie www.facebook.com/pages/case_maclaim/104007173027340, 18.07.2015. 18 Die Namensgebung rekurriert auf die App. 19 www.victorash.net, 08.04.2013. 20 Vgl. dazu www.artnews.org/kunstraumkreuzberg/?exi=5665, 08.04.2013.

240

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

sehene Adressangabe, leitet die App einen direkt zum gleichnamigen Mapping Service weiter. Es folgt eine geomediale Lokalisierung auf dem als Interface

operierenden Smartphone-Display. Entgegen der in der Diskussion zu mobilen

Endgeräten oftmals proklamierten ‚placelessness‘ wird hier also gerade der lo-

kale Ortsbezug verstärkt (vgl. de Souza e Silva/Frith 2012). So verliert der

App-User gerade nicht seinen ‚kartografischen Boden unter den Füßen‘, son-

dern es entsteht – mit Hilfe eines Sets geomedialer Koordinaten – eine direkte

Verbindung und gleichzeitige Nähe (vgl. Abend et al. 2012) zu bestimmten physikalischen Spots und Örtlichkeiten. Interessant scheint im Falle von Victor Ashs Astronaut auch die leicht verschlüsselte Zusatzinformation, die die App bereithält: „Attention, the complete version appears just at night ;)“. Was dies

zu bedeuten hat, bleibt für den App-User auf den ersten Blick – oder Klick –

ungewiss; eine Auflösung scheint nur über einen ‚realräumlichen‘ Besuch, bei Nacht, gegeben. So fällt das Licht umliegender Straßenlaternen und Scheinwerfer nachts gerade so, dass sich auf Victor Ashs Wandgemälde der Schatten einer

Fahne abzeichnet; genauer, sie wird direkt in bzw. unter die Hand des Astronauten projiziert. Der Grund ist in der vorherrschenden Straßenausleuchtung zu suchen; so sind Abstand und Winkel der am gegenüberliegenden Gebäude

angebrachten Scheinwerfer genau so angebracht, dass sie dieses zufällige, vermeintlich surreale Szenario hervorbringen.

Doch auch andere ‚Orte‘ halten interessante Informationen bereit. Wählt

man beispielsweise den Doorman21 des portugiesischen Künstlers Vhils22 an, welcher sich laut App-Angabe am Potsdamer Platz 151 befindet, erfährt man, dass es sich hierbei nicht nur um irgendeinen Türsteher handelt, sondern um

Sven Marquardt – „perhaps the most well-known gatekeeper in Berlin“. Dieser, so liest man weiter, ist Fotograf und Türsteher des Berghain, eines der bekann-

testen Techno-Clubs in Berlin. Jener Zusatz macht deutlich, dass die in die App eingelesenen Informationen die Wahrnehmung des gemappten Ortes und seiner

Kunst beeinflussen, über- und verformen. „If a device gives you a personalized view on an unfamiliar place, it changes your experience of that place“, zitiert

21 Die Namensgebung rekurriert auf die App. 22 www.alexandrefarto.com sowie www.facebook.com/AlexandreFartoVHILS, 18.07.2015.

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auch die Medienwissenschaftlerin Adriana de Souza e Silva (de Souza e Sil-

va/Frith 2010: 490-491) den vermeintlich ersten ‚locative media art theorist‘

Ben Russel. Ebenfalls weist die App darauf hin, dass das Porträt Marquards Teil einer vierteiligen Serie sei. Welche genau, hält sie nicht bereit; genauso wenig,

wie sie auf den Schriftzug unterhalb des Porträts eingeht: „GO FORTH“. Es handelt sich hierbei um den recht geschickt camouflierten Werbeslogan des US-amerikanischen Jeansherstellers Levi’s.

Abb. 25: Berlin-Street-Art-App | Screenshot, hier „Karte“ Neben der Lokalisierung einzelner Werke über die Kategorie „Orte“ eröffnet die App eine vermeintlich einfachere Lokalisierung durch das Aufrufen der

Kategorie zwei: „Karte“ (vgl. Abb. 25). Wählt der User diese Kategorie an, öffnet sich ihm auf dem Smartphone-Display die in die App eingebundene, digita-

le Stadtkarte Berlins. Auf dieser sind alle in die App eingelesenen Street-ArtWerke markiert; rote, Google-Maps-ähnliche Pins fungieren als Marker. Auf dem als Interface operierenden Smartphone-Display kann nun eine händische

Navigation vorgenommen werden; einzelne Spots können herangezoomt und digital angewählt werden. Klickt man einen der Pins an, öffnet sich eine

Sprechblase, die den Namen des jeweiligen Murals anzeigt. Wünscht man sich weitere Informationen zum Entstehungskontext, ist das rechts aufscheinende

242

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

Info-Symbol anzuwählen, welches den User zu den (über „Orte“ hinterlegten)

Zusatzinformationen weiterleitet. Auf diese Weise sind die auf der Karte markierten Spots mit ortsspezifischen Informationen überlagert. Jene ‚Erweiterung‘

trifft dabei ziemlich genau das, was mit sogenannter Augmented Reality (AR)

gemeint ist. Kurz gefasst könnte man Augmented Reality als Technologie beschreiben, die es computergeneriertem, digitalem Content erlaubt, physika-

lische Objekte in Echtzeit zu überlagern.23 Diese Beschreibung zeigt somit bereits an, was der Kern der sogenannten Augmented Reality ist: Durch geeignete

Displays wird grafische (2-D oder 3-D), textuelle oder akustische Information

in vermeintlicher Echtzeit der realen Umgebung überlagert. Augmented Reality

ist somit eine orts- und situationsbezogene Praxis par excellence (vgl. Schröter/Glaser 2014)24 – wobei Smartphones bzw. Smartphone-Apps ihr hierbei

noch eine zusätzliche Dimension verleihen: Mobilität sowie den Zugriff auf standortbezogene, navigatorische Dienste. Apps tragen die Augmented Reality

also in gewissem Sinne nach draußen und machen sie mobil.25

Adriana de Souza e Silva und Colin Frith gehen in Mobile Interfaces in Public

Spaces (2012) sogar noch einen Schritt weiter und sprechen jenen überlagerten

Orten den Status von „Datenbanken“ zu: „[…] because with location-aware

23 „Augmented Reality (AR) is a technology which allows computer generated virtual imagery to exactly overlay physical objects in real time“ (Zhou et al. o.A.). 24 Sie ist somit grundsätzlich von der Virtual Reality (VR) zu unterscheiden: „Der Grundgedanke der […] Virtual Reality […] war, eine immersive, gegebenenfalls durch entsprechende Display- und Interaktionstechniken den Benutzer mehr oder weniger umschließende, simulierte Umgebung zu schaffen, in der der Benutzer nichts mehr von der ihn eigentlich umgebenden Außenwelt wahrnimmt“ (Schröter/Glaser 2014: 31). Siehe dazu ausführlicher Schröter (2004: 152-276). Dies trifft auf die Augmented Reality ja gerade nicht zu. Folglich ist die Augmented Reality maßgeblich durch deren Abgrenzung von der Virtual Reality zu konturieren (vgl. Milgram 1994; Schröter/Glaser 2014: 31-33). 25 Im Falle bestimmter Street-Art-Apps kommt hierbei jedoch noch ein zusätzlicher Faktor ins Spiel: die Ästhetisierung des Stadtraums. Denn Augmented Reality-Street-ArtApps tragen – durch ihre digitale Überlagerung einzelner Arbeiten und Spots um ortsspezifischen, situierten Content – zu einer ästhetisierenden Wahrnehmung der Stadt und ihrer Kunst bei (vgl. Schröter/Glaser 2014 sowie weiterführend Schröter 2012: 104-120).

M APPEN UND NAVIGIEREN | B ERLIN -S TREET -A RT -A PP

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mobile interfaces and the ability to attach information to locations, urban spa-

ces are now transformed into databases.“ (De Souza e Silva/Frith 2012: 177) Lev Manovich spricht in seinem Aufsatz Die Poetik des erweiterten Raumes

(2005) von „Datenräumen“ (Manovich 2005: 341).26 Dennoch halte ich den

Raumbegriff an dieser Stelle für irreführend. Ich sehe in der digitalen Überlagerung von Orten gerade nicht, bzw. zumindest nicht zwangsläufig, die Entstehung neuer Räume. Vielmehr gilt es die digitale Überlagerung als das zu begreifen, was sie ist: eine Überlagerung oder Erweiterung von Orten, „[an in-

formation which becomes, KG] vertically integrated“ (Ingold 2009: 40). Dieses

Ortsverständnis ist jedoch nur dann sinnvoll, erkennt man die Verschiedenheit der vermeintlich oppositär angelegten Layer an und geht gerade nicht von

einem immersiven Ineinandergreifen physikalischer und digitaler bzw. virtu-

eller Welt aus. Gleichzeitig heißt das aber auch, das Digitale nicht als Abstraktum zu begreifen, das gezielt angesteuert, angewählt oder gar betreten werden

kann: „[…] Embedding it in everyday activities that happen mostly outdoors,

the idea of digital spaces [or places, KG] as instances disconnected from physi-

cal spaces [or places, KG] no longer applies.“ (De Souza e Silva 2012: 274) Ich

folge somit de Souza e Silvas Argumentation und schließe mich ihrer Perspektive an: „A hybrid space [or place, KG] occurs when one no longer needs to go

out of physical space to get in touch with digital environment.“ (Ebd.: 264)

Heutzutage würde wohl niemand mehr das Internet als externen, der Lebenswelt enthobenen Raum beschreiben; vielmehr ist von einem gleichzeitigen Neben-, Über- und Miteinander auszugehen.

Der große Vorteil der App (und ihrer Kartenansicht) scheint vor allem in

der zeitgleichen Lokalisierung und Situierung mehrerer Werke auf einmal zu liegen: So wird dem User nicht nur die genaue Positionierung der einzelnen

Werke im Stadtraum ersichtlich, sondern gleichzeitig lassen sich auch Distan-

26 Manovichs Ausführungen zum erweiterten Raum beziehen sich dabei vor allen Dingen auf städtische Räume wie Einkaufszentren, Messehallen etc., die von dynamischen Multimedia-Informationen drahtlos überlagert werden. Manovich fragt, wie jene Überlagerung unsere Erfahrung verändert und welcher Stellenwert den einzelnen Layern zugesprochen werden kann: Operieren sie gleichberechtigt, kommt es zur gegenseitigen Subsumption oder gar zu einem neuen, multidimensionalen Raumerlebnis mit neuer Qualität (vgl. Manovich 2005).

244

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

zen und Entfernungen (der einzelnen Werke zueinander, aber auch bezogen

auf den eigenen Standpunkt) besser abschätzen. Die in die App integrierte GPSTechnologie befreit User von der Anforderung eigenständiger Standortbestim-

mung und überführt sie in ein Basisfeature mobiler, digital vernetzter Kartennavigation. Mit de Souza e Silva lässt sich anschließen: „When a mobile interface [or phone, KG] knows where it is in physical space, it automatically requires a different meaning […] because one of the key features becomes navi-

gation in physical space.“ (Ebd.: 273) Damit hätte sich folglich bestätigt, was auch Valérie November, Eduardo Camacho-Hübner und Bruno Latour in ihrem

Aufsatz Das Territorium ist die Karte. Raum im Zeitalter digitaler Navigation

(2013) konstatierten; nämlich, dass digitale Medien die Karte zur Navigation

transformiert haben (vgl. November et al. 2013: 582). Letztlich lassen sich auf diese Weise ganze Street-Art-Touren konzipieren, die eine möglichst effiziente

Route versprechen. Schließlich ist die App nicht nur darauf ausgelegt, die

Kunst als digitales Abbild zum Betrachter kommen zu lassen, sondern zielt

darauf ab, auch diesen zur Kunst zu führen. Mit Hilfe von Berlin Street Art ist

folglich nicht nur eine digitale Lokalisierung einzelner Werke auf dem Smartphone-Display möglich bzw. erwünscht, vielmehr zielt ihr Einsatz auf ein real-

räumliches Aufsuchen ab. Die App ist hierbei als mobiles Interface angelegt,

welches die Navigation durch den Stadtraum als performativ-kartografische

Praktik entwirft (vgl. Verhoeff 2012a: 120).27 Portabilität und Mobilität präsentieren sich innerhalb dieses Kontextes als ausschlaggebende Charakteristika, welche die funktionale Kopplung von Offline- und Onlinenavigation bedingen.

Folgen im Rahmen der Street-Art-App gleich mehrere User den navigatorischen Instruktionen jener Technologie, und dies gleichzeitig, kommt es vor Ort und

in situ zu einem realräumlichen Aufeinandertreffen (und möglichem Austausch) der beteiligten Akteure. Demnach sind in jener Form der geomedialen, kartografischen Street-Art-Navigation Praktiken der realräumlichen Vergemeinschaf-

tung angelegt, die letztlich sogar Einfluss darauf nehmen, wie wir mit anderen

27 Zur performativ-kartografischen Praktik siehe weiterführend Verhoeff (2012a, 2012b).

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| 245

Menschen oder Usern (die jene Technologien ebenfalls nutzen, oder eben auch nicht) sowie der uns umgebenden Umwelt kommunizieren und interagieren.28

Jene, von Hersteller- und Produzentenseite vermutlich anvisierten Optimie-

rungsversuche einer Street-Art-Lokalisierung haben jedoch auch ihre defizitä-

ren Seiten: Das urbane Flanieren, Sich-treiben-Lassen und zufällige Entdecken von Street Art am Wegesrand, was ja gerade einen ihrer Reize ausmacht, geht scheinbar verloren. Vielmehr werden einzelne Werke und Spots zielstrebig und

direkt angesteuert; Routen scheinen medial vorgefertigt, überformt und zugerichtet. Zudem sehen sich User von Street-Art-Apps durch die dem GPS-fähigen

Smartphone-Device inhärenten Lokalisierungspraktiken mit dem Verlust ihrer persönlichen Daten konfrontiert. Räumliche Erweiterung und gleichzeitige Überwachung bzw. Kontrolle durch permanentes, teils unbemerktes Tracking

vonseiten der Mapping-Applications – und deren teils unkontrollierte Daten-

weitergabe an Dritte, wie beispielsweise an lokal operierende Werbeanbieter –

scheinen somit allein schon in technologischer Hinsicht eine symbiotische Einheit zu bilden (vgl. Manovich 2005: 341). Dies sind Einwände, die auch im Falle von Berlin Street Art mitgeführt werden müssen. Ein weiteres Beispiel eines

nicht ganz so selbstlosen App-Services liefert auch die 2010 von adidas bereitgestellte Street-Art-App für Berlin und Hamburg.29 Ihre Route endete, nicht

weiter überraschend, im ortsansässigen adidas-Store – ein Umstand, der von Künstlerseite nicht unbedingt auf große Begeisterung stieß.

Apps operieren jedoch nicht nur in Form eines koordinierenden Interfaces,

vielmehr prägen sie das Verhältnis von User und dessen (Rezeption der) Umwelt maßgeblich mit: „[They] shape, are shaped and mediate our experience of

urban space“, so auch P. Dourish im Rahmen der IFIP Conference Human-

Computer Interaction im Jahr 2007 (vgl. de Souza e Silva/Frith 2012: 101).

Apps werden – im wörtlichen Sinne – zum Medium (vgl. Vogl 2011); zum Mittler, im Sinne eines vermittelnden Interfaces, welches zwei ursprünglich von-

28 Dass die App das ja gerade nur sehr unzulänglich macht, wird an anderer Stelle ausgeführt. 29 www.urbanartguide.de/uag_mobil.php, 25.02.2015 (Link mittlerweile nicht mehr abrufbar).

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| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

einander getrennte Sphären füreinander bedeutsam macht.30 Und dass Medien

nicht neutral sind, sondern Produktion, Rezeption und Wahrnehmung maßgeblich beeinflussen, (über-)formen und kanalisieren, steht schon seit Länge-

rem außer Frage (vgl. McLuhan 2005). Das im Methodenkapitel entfaltete

Schnitt-Bild wird hier erneut anschlussfähig, adressiert es die beiden oppositär angelegten Layer Stadt und digitale Erweiterung, welche in ihrem Zusammen-

spiel einen kunstpraktisch-navigatorischen Möglichkeitsraum eröffnen. Diesen

gilt es an der Schnittstelle von technologischer Einschreibung, diskursiver Zuschreibung und ästhetisierender Alltagserfahrung zu konturieren (vgl. dazu

auch Otto/Denecke 2014: 22). Das Schnitt-Bild wird raumzeitlich produktiv

und offeriert nicht nur einen neuen Zugang zu (Raum bzw.) Orten, sondern lässt diese selbst zum ‚Mittler‘ werden.31 Daraus folgt zwangsläufig, dass sich

die Navigation im physikalischen Stadtraum, unter gleichzeitigem Einsatz von

Mapping-Applications, für den User letztlich immer als hybride Präsenzerfahrung gestaltet. Denn physische und digitale Navigation kreuzen, überschneiden und überlagern sich. „As a result, finding a location no longer means only finding its geographic coordinates, but also accessing an abundance of digital in-

formation that now belongs to that location.“ (De Souza e Silva/Frith 2012: 9)

Die einzelnen Spots und Werke sind um ortsspezifische Informationen angereichert.

Diese Option kann jederzeit und überall in Anspruch genommen werden,

im Idealfall natürlich dann, wenn der User direkt vor dem Werk selbst steht. In

diesem Falle überlagern die von der App bereitgestellten, digitalen Zusatzinfor-

mationen den physikalischen Ort also nicht nur um digitalen Content, sondern führen zu einer gänzlich neuen Stadt- und Street-Art-Erfahrung. Sie werden

‚erweiterter‘ Teil des Werkes (und Ortes). Für den User entstehen neue, teils

emotional besetzte, personalisierte Orte (vgl. ebd.: 7, 168), die nicht nur lokative Gesichtspunkte hervorheben, sondern einzelne Werke auch an ästhetischer Relevanz gewinnen lassen.

30 Zum prozessualen Interface siehe weiterführend Otto/Denecke (2014) sowie Farman (2012: 63), worauf v.a. in KAPITEL 4.6 zu Swezas Graffyard-Projekt nochmals ausführlicher eingegangen wird. 31 Indem sie App-User in Topologien verortet und ihnen Bewegung gestattet (vgl. Richterich/Schabacher 2011: 7-11).

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„Through sharing playful pictures of places as part of everyday movements, camera phone practices provide new ways of mapping place beyond just the geographic: They partake in adding social, emotional, psychological and aesthetic dimensions to a sense of place“,

so auch Hjorth und Pink in ihrem Aufsatz New Visualities and the Digital Wayfarer (2014: 42). So geschehen auch im Falle des in die Berlin-Street-Art-App

eingespeisten, in der Kreuzberger Curvy-Brache zu lokalisierenden Murals des

Italieners Blu, das den Namen Brothers32 (vgl. Abb. 26) trägt. Neben Zusatzinformationen zum Künstler und Werkkontext ist hier ein Youtube-Video in die

App eingebettet, das den aufwändigen und mehrtägigen Entstehungsprozess des mindestens zehn mal zehn Meter großen Wandgemäldes dokumentiert. Die App offeriert also nicht nur die Überlagerung des physikalischen Stadtraums

mit textueller Information, sondern ermöglicht gleichzeitig eine ‚Erweiterung‘ um grafischen und akustischen Content. Im Dezember 2014 mussten jedoch so-

Abb. 26 (links): Berlin-Street-Art-App | Screenshot, hier „Orte“ (Blu)

Abb. 27 (rechts): Berlin-Street-Art-App

| Screenshot, hier „Orte“ (Blu; nach dem Schwärzen)

32 Die Namensgebung rekurriert auf die App. Ursprünglich handelt es sich hierbei um eine Zusammenarbeit mit dem französischen Street-Art-Künstler JR.

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wohl Berliner Bürger als auch Street-Art-Liebhaber weltweit erfahren, dass

selbst ein solch monumental angelegtes Mural wie ‚der Blu der Berliner Cuvry-

Brache‘ sich der Entwicklung und Eigendynamik einer Stadt nicht entziehen kann, sollte, oder wollte (vgl. Abb. 27). Das unangekündigte, nächtliche Schwärzen des großflächigen Murals wurde auf Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter mit sichtbarer Betroffenheit kommentiert; selbst wenn,

oder gerade weil sich der Künstler letztlich selbst zu jener Aktion bekannte: „After witnessing the changes happening in the surrounding area during the

last years, we felt it was time to erase both walls.“33 Dazu muss man wissen,

dass die Cuvry-Brache nur wenige Monate zuvor ‚geräumt‘ wurde – die prädes-

tinierte Lage an der Spree stellt aus Investorensicht einen lukrativen Ort für neue Luxuswohnungen oder -büros dar –, begleitet von der Diskussion, ob die

Bilder des Italieners Blu unter Denkmalschutz gestellt werden. Auch wenn die

App auf jenen Vorfall reagierte und um ein Foto der geschwärzten Situation ergänzte, bleibt unklar, warum neben dem Video zum Entstehungsprozess

nicht auch das Video seines sukzessiven Verschwindens eingebettet wurde. So filmte der Künstler das Verschwinden seines Murals in der für ihn charak-

teristischen Slow-Motion-Manier, wobei einzelne Partien (von der schwarzen

Farbe) bis zum Schluss ausgespart wurden: eine Hand mit ausgestrecktem Mit-

telfinger und die Worte „reclaim your city“, welche später auf „your city“ verkürzt wurden. Auf diese Weise setzte er ein unmissverständliches Zeichen gegenüber den Investoren, der Stadt bzw. den Gentrifizierungsbestrebungen im

Allgemeinen, und all dem, für das das Werk mittlerweile zu stehen schien.34 Durch die Ergänzung des Murals um das Video seines eigenen Verschwindens

wäre letztlich die komplette Geschichte des Wandbildes rückverfolgbar gewesen, und zwar am Ort des Geschehens.35 Wände hätten, im übertragenen Sinne, zu sprechen begonnen.

33 www.blublu.org/sito/blog/?p=2524, 26.02.2015. 34 Siehe dazu u.a. auch Paranyushkin (2014) sowie www.blublu.org/sito/blog/?p=2524, 26.02.2015. 35 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Geschichte des Wandbildes mittlerweile fortgeschrieben wurde. So wurde die geschwärzte Fläche in der Nacht vom 22. auf den 23.06.2015 piktoral kommentiert (vgl. u.a. Urbanshit 2014). Die Ästhetik des Schriftbildes lässt auf eine Intervention der Berlin Kidz und Life schließen.

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Für die Berlin-Street-Art-App lässt sich folglich resümierend festhalten: Eine

primär auf die Street-Art-Lokalisierung ausgelegte App, wie Berlin Street Art, kann bei einer Street-Art-Tour durchaus nützlich sein. Vor allem dann, wenn sie – wie hier der Fall – die Stadt nicht nur auf Street-Art-Werke bzw. Murals

scannt und mögliche navigatorische Wegbeschreibungen für einen Besuch liefert, sondern den physikalischen Raum um ‚erweiternde‘ Informationen er-

gänzt. Mittels jener App können spezifische Zusatzinformationen zu den Künst-

lern und ihren Werken abgerufen werden – und zwar vor Ort und in Echtzeit, ohne zeitliche Verzögerung. Die Street Art tritt auf diese Weise in ein komplexes Netzwerk heterogener Akteure ein: „Our physical spaces are increasingly embedded with networked connections and digital information, which, as we

have seen, shift the meaning of location.“ (De Souza e Silva/Frith 2012: 169)

Wobei die User, durch Praktiken medialer Teilhabe und Partizipation, eigens an der Generierung ‚neuer‘ Spots und Bedeutungen mitwirken können: Sie

können Aufmerksamkeiten lenken, Örtlichkeiten und Werke akzentuieren, personalisieren sowie die Wahrnehmung für ästhetische Interventionen schärfen.

„Individuals can re-read and re-write urban spaces“, wie es auch bei de Souza e

Silva und Frith heißt (ebd.: 173). Die Kuratierbarkeit von Kunst greift auf diese

Weise vom Galerieraum nach draußen und weitet sich auf das gesamte Stadtgebiet aus. Die Stadt wird, zumindest im übertragenen Sinne, zum Labor, welches trotz aller vermeintlichen Objektivitätsansprüche gerade nicht losgelöst von ‚Kontamination‘, von sozialem Handeln sowie persönlichen Interessen und

ästhetischen Präferenzen gedacht werden kann (vgl. Belliger/Krieger 2006:

18).36

36 So gilt es, mit Bezug auf die ANT und ihre Verankerung in den Laborstudien (vgl. u.a. Knorr-Cetina 1984; Latour 2006b, 2006c sowie Latour/Woolgar 1979) zu betonen, dass es der zwingenden Notwendigkeit einer ‚Resozialisierung‘ des Labors bzw. der Wissenschaftsforschung im Allgemeinen bedarf. Denn „[d]er moderne Anspruch der Wissenschaft auf objektives, wertneutrales Wissen ist aus Sicht der Wissenssoziologie grundsätzlich suspekt. Objektivität und Wertneutralität sind soziale Tatsachen. […] Sie [die Wissenschaft, KG] ist Teil der Gesellschaft und unterliegt den Bedingungen sozialen Handelns“, so auch Belliger/Krieger in der Einleitung der ANThology (2006: 18). Nicht nur Latours Arbeit über die Entdeckung der Milchsäurehefe (vgl. Latour 2006b) hat gezeigt, dass soziale Faktoren die alltägliche Praxis der Wissenschaft bestimmen: „Auch wenn die moderne Erkenntnistheorie alle Motivationen

250

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN Dennoch fällt diese Möglichkeit im Falle der Street-Art-Berlin-App noch

recht spärlich aus, denn weder können neue Pieces und Spots zu der App hinzugefügt noch spezifische Informationen aktualisiert, editiert oder gegebenen-

falls gelöscht werden. Diese Funktionen sind alleinig dem ‚Kurator‘ vorbehalten. Zudem weist die App mit gerade einmal 30 eingelesenen Werken einen recht kleinen Pool piktoraler Erscheinungsformen auf – gerade für eine Stadt

wie Berlin, in der die grellbunten Murals, Paste-Ups und kleinteiligeren StreetArt-Arbeiten an jeder Ecke zu lauern scheinen. Eine App, die sich in dieser Hinsicht schon fortschrittlicher präsentiert, ist All City37. Diese operiert nicht

nur auf globaler Ebene,38 sondern zeigt sich auch sonst deutlich vielseitiger: Street-Art-Fotos können per Smartphone-Kamera gemacht, hochgeladen und in

direktem Anschluss in die App eingespeist werden. Gleichzeitig können zugehörige Informationen jederzeit editiert, aktualisiert und auch wieder gelöscht werden. Ein Teilen über Facebook und Twitter ist ebenfalls möglich. Die App

ist somit grundsätzlich auf gegenseitige Kollaboration angelegt; eine mediale

Teilhabe ist sogar ausdrücklich erwünscht, lebt sie doch gerade von der steten Aktualisierung und Erweiterung durch ihre (Prod-)User (vgl. Bruns 2008). Aktualisiert werden soll hierbei jedoch nicht nur quantitativ, in Form neuer

Street-Art-Uploads, vielmehr gilt gerade auch dem Archivierungs-Button ein besonderes Interesse. Dieser kommt immer genau dann zum Einsatz, wenn ur-

sprünglich anvisierte (d.h. via App lokalisierte) Street Art im Stadtraum nicht mehr auffindbar ist. Verschwunden, beseitigt, entfernt. Das Piece bzw. dessen

Status wird aktualisiert. All City operiert hierbei mit einem speziellen Symbol,

und Einflüsse mit Ausnahme der unparteilichen und wertfreien Wahrheitssuche aus der Wissenschaft ausschließt, zwingt uns die konkrete Wissenschaftspraxis zur Anerkennung einer gesellschaftlichen Wirklichkeit von Wissenschaft und Technik“, betonen auch Belliger/Krieger (2006: 21-22). In diesem Zusammenhang sei ebenfalls auf den Navigationen-Band 2/2013 zum Themenschwerpunkt „Vom Feld zum Labor und zurück“ verwiesen, der sich der Diskussion dieser Thematik am Beispiel empirischer Feldstudien und konkreter Forschungsprojekte annimmt. 37 https://itunes.apple.com/de/app/all-city-street-art-graffiti/id359211420?mt=8, 26.02.2015. 38 Wobei das nicht unbedingt erstrebenswert ist, da eine Instandhaltung vor dieser Folie so gut wie unmöglich erscheint.

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welches das Verschwunden-Sein der Street Art kennzeichnet: ein kleiner Geist am rechten Displayrand. Somit nimmt die App spezifische Charakteristika der

Street Art auf und reagiert in Form von technischen Anpassungen und Zurichtungen auf ihre Eigendynamiken.

Street Art Berlin offeriert diese Möglichkeit nicht. Spätestens dadurch stellt

sie die ihr inhärenten Street-Art-Werke in gewissem Sinne unter ‚digitale Isola-

tion‘. So werden die einzelnen Arbeiten im Zuge ihrer Einspeisung ihrer Eigendynamik enthoben und letztlich (zu kontemplativen Zwecken) hinter eine distanzschaffende Verglasung positioniert: das Smartphone-Display. Durch die

Brille bzw. das Display des ‚nüchternen‘ Wissenschaftlers betrachtet, verdichten sich die einzelnen Werke so zu geografischen Koordinaten, die unter Zuhilfenahme von Location-based Services gezielt angesteuert werden können, ohne sich vom eigenen Entdeckerdrang leiten zu lassen. Pieces werden zu einem

Bündel digitaler Farbpixel aufgelöst, dekontextualisiert von räumlichen Architektursituationen und losgelöst von jeglicher Materialbeschaffenheit. Der ei-

gentliche Reiz der Street Art, ihre Eigendynamik, Schnelllebigkeit und Dialogizität scheint somit in gewissem Sinne eingefroren, starr, verfertigt und letztlich: laboratorisiert.39

Auf diese Weise schließen Street-Art-Apps an die Tradition der Musealisie-

rung urbaner Kunst an.40 Das Museum, als vermeintlicher Ort des Labors und

versammelten Wissens, präsentiert sich dabei als Schnittstelle und Pool ver-

schiedenster Kunstwerke, Stile und Positionen. Durch schöpferische Kombination und spezifische Assemblierungspraktiken werden hierbei einerseits neue

Schaltstellen und Re-Kontextualisierungen eröffnet, andererseits findet aber auch eine Loslösung vom originären Kontext statt. Spätestens André Malraux

merkte 1951 mit seinem Konzept des „imaginären Museums“ (vgl. Malraux

39 Wobei von vornherein nicht von dem vermeintlichen Oppositionspaar Labor (= unkontaminiert) und Feld (= kontaminiert, da medial zugerichtet) ausgegangen werden kann. Durch diverse Konventionen, Regeln und Ordnungen präsentiert sich bereits der Stadtraum als vorstrukturierter und folglich zugerichteter Raum. 40 Vgl. dazu u.a. Kaye (2000), Kwon (2004) und Suderburg (2000), wo der Aspekt der Musealisierung urbaner Kunst – hier am Beispiel der Site-Specific Art – explizit wird.

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| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

1947; Schröter 2009)41 an, dass – im Zuge fotografischer Archivierungs-

möglichkeiten – nunmehr auch an (unverrückbare) Architektur gebundene

Kunstwerke in museale Präsentations-, Ordnungs- und Sammlungspraktiken einbezogen werden können. Neben zuvor angesprochenen Synergieeffekten

gehen damit jedoch auch Domestizierungs-, Institutionalisierungs- und Kanonisierungsbestrebungen einher, die an bestimmte Zugangsschwellen gebunden

sind. Diese zeigen sich im Falle von Street-Art-Apps als weitestgehend szeneexterne Praktiken, die auf den weiterreichenden Kontext der Platform Politics

anspielen.42 Hinzu kommt, dass Street-Art-Künstler oftmals (noch) nicht über die Existenz eben jener Street-Art-Apps Bescheid wissen bzw., wenn doch, es

nicht unbedingt für erstrebenswert halten, konstitutiver Teil einer solchen Applikation zu sein. Dies liegt daran, dass durch jene zuvor angesprochene, selektive Akzentuierung einzelner Street-Art-Werke und deren medial zugerichtete,

vorgefertigte Präsentationsmuster a) die Lesevielfalt der User eingeschränkt

wird und b) ein urbanes Flanieren und zufälliges Entdecken von Street Art im Stadtraum vielerorts wegfällt. Zudem sind einzelne Street-Art-Werke auf diese

Weise sehr einfach und schnell auffindbar. Dies kommt nicht nur Street-ArtLiebhabern zugute, sondern auch Menschen, die Street Art vorsätzlich entfernen möchten – aus Unmut, für das eigene Wohnzimmer oder aber mit dem Ziel, die abgelösten Werke auf Onlineplattformen zu verkaufen.43

Allgemein gesprochen stellt dies jedoch nur eine ganz spezifische, punktu-

elle Sichtweise auf Augmented Reality-Applications im Kontext der Street Art

dar, perspektiviert durch das hier im Rahmen des KAPITELS 4.4 herangezogene Fallbeispiel der Street-Art-Berlin-App. Wie deutlich wurde, liegt ihr vermeintli-

ches Defizit vor allem in einer recht starren, medial zugerichteten Bedienbar-

keit, die dem User jegliche Art medialer Teilhabe untersagt und Street Art folglich unter laboratorisch anmutende Rezeptionsbedingungen stellt. Dennoch ist

41 Vgl. dazu auch Schröter (o.A.), www.medienkunstnetz.de/themen/foto_byte/archiv_post_fotografisch, 04.6.2014. 42 Zu den Platform Politics siehe ausführlicher KAPITEL 4.1.8. 43 Vgl. dazu ausführlicher KAPITEL 4.1.9. Dies ergibt jedoch nur bei relativ einfach ablösbaren Arbeiten wie Paste-Ups Sinn. Im Falle der bei der Street-Art-Berlin-App akzentuierten, großflächigen Murals ist davon keinesfalls auszugehen.

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trotz aller medialen Zugerichtetheit eine mobile, realräumliche Navigation und Lokalisierung von Street-Art-Werken im urbanen Stadtraum erwünscht. Von einer Absage gegenüber der Straße kann also ebenfalls nicht die Rede sein.

4.4.2 ‚F ROM N ODES TO P ATHS ‘: D IGITAL W AYFARING ALS URBANE

P RAXIS ZIELGERICHTETEN F LANIERENS

Wie bereits an mehreren Stellen betont, stellt die Navigation eine der zentralen Kategorien dieses Analysekapitels dar. Es scheint folglich notwendig, die durch

die App hervorgebrachten bzw. eingeforderten Navigationspraktiken noch einmal genauer zu beleuchten. Oder anders ausgedrückt: Um der Kategorie ‚Ort‘ überhaupt adäquat nachspüren zu können, erfordert die Analyse von

Street-Art-Apps, die (User-)Praktiken der Navigation und des Sich-in-der-StadtBewegens an zentrale Stelle zu rücken (vgl. Hjorth/Pink 2014). Denn:

„[i]If anything, the study of mobile media has made the centrality of mobility to human life increasingly obvious, and in doing so invites us to turn to theories of movement as ways to conceptualize what is happening in digital worlds.“ (Ebd.: 45)

Mit Barry Brown, Professor für Human Computer Interaction und wissenschaftlicher Direktor des ‚Mobile Life Research Centres‘, lässt sich hieran an-

schließen: „To understand maps, you have to understand a little bit what jour-

neys are“, so jener auf der Jahrestagung des Graduiertenkollegs Locating Media Making Cooperation Work im Sommer 2014.

Im Falle von Berlin Street Art ist auffällig, dass durch die digitale Einspei-

sung und Markierung von Orten und die folgliche Zurichtung einzelner Wegstrecken direkter Einfluss auf die Navigation der User genommen wird. Ihre

Konzeption lässt folglich auf eine effizienzsteigernde Logik fortschrittsorientierter Smartphone-Technologie schließen.44 So ermöglicht die App das Auffinden

44 Wobei mit der Effizienzsteigerung gleichzeitig andere Einschränkungen einhergehen, so wird das zufällige Auffinden weiterer Street-Art-Werke und die Lesevielfalt der User eingeschränkt.

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| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

und zeitgleiche Ansteuern einzelner Werke sowohl mit deutlich geringerem Zeitaufwand als auch mit größerer Genauigkeit (als es ohne sie der Fall wäre).

Streng genommen könnte man behaupten, die von der Street-Art-App imagi-

nierte Navigationspraktik entspräche der moderner Transportinfrastrukturen.

Vor allem dort trifft man auf jene Art zielorientierter (Kartierungs- und) Navigationslogik, bei welcher Orte im Sinne einzelner Verkehrsknotenpunkte geradlinig miteinander verbunden sind. Man denke beispielsweise an die Linienführung innerstädtischen Straßenbahnverkehrs: Der traversierte Raum tritt

konsequent in den Hintergrund; was zählt, ist das Erreichen eines Punktes B, von einem Standpunkt A aus gesehen. „Historically, the time spent traversing

the paths of modern transportation networks has […] frequently been regarded as ‚dead‘ time“, so auch de Souza e Silva und Frith in Locative Mobile Social Net-

works. Mapping Communication and Location in Urban Spaces (2010: 493 mit Bezug auf Kellermann 2006; Lyons/Urry 2005; Schievelbusch 1986; Sheller/Urry 2006). Im Folgenden möchte ich aufzeigen, wie sich dieses Phänomen im Falle

von Street-Art-Apps verhält. Mehr als das vorangegangene Argument zu stärken, argumentiere ich gerade gegen den weitverbreiteten, navigatorischen

(Irr-)Glauben, transitorische Wegstrecken als verlorene Zeit-Räume zu verste-

hen. Ich zeige auf, wie sich im Falle der Street-Art-Rezeption jene zuvor anskizzierten ‚Zwischenräume‘ als produktive Wegstrecken entpuppen. Meine

Argumentation stützt sich hierbei maßgeblich auf die von Larissa Hjorth und

Sarah Pink skizzierte Figur des „Digital Wayfarers“.45 So gelingt es gerade diesem, die Praktik urbanen Flanierens mit dem Abrufen digital überlagerter

Zusatzangebote zu verbinden. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Weg zwischen zwei Punkten keineswegs mehr länger als Kontext des ‚Zeit-Totschlagens‘ entwerfen, „[rather, KG], these wayfarer spaces, as an embedded part of

everyday life, have now become key moments where new forms of visuality and sociality are generated […].“ (Hjorth/Pink 2014: 42) Nicht unbeachtet bleibt an dieser Stelle die Referenz auf den Anthropologen Tim Ingold, auf den

das Konzept des „Wayfarings“ in seinem Ursprung zurückgeht. Durch den Rückgriff auf Ingold – und die Erweiterung über Hjorth und Pink – wird an

dieser Stelle der Versuch unternommen, die für die Street-Art-Welt per se rele-

45 Vgl. Fußnote 4 in diesem KAPITEL (4.4).

M APPEN UND NAVIGIEREN | B ERLIN -S TREET -A RT -A PP

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vante Praktik des Gehens nicht nur theoretisch zu fundieren, sondern erstmals

auch für den Kontext digitaler Street-Art-Navigation produktiv zu machen. Flankiert wird die Diskussion mit einem unmittelbar daran anschließenden

Phänomen: Street-Art-Touren. Dies sind organisierte Street-Art-Führungen, die

sich in einer Vielzahl internationaler Großstädte etabliert haben. Es ist auffällig, dass die Erschließung und Vermittlung von Street Art auch hier maßgeblich an die Praktik des Gehens und Navigierens gekoppelt ist.

Grundsätzlich kontrastiert der britische Anthropologe Tim Ingold die Prak-

tik des Wayfarings mit der moderner Transportinfrastrukturen (vgl. Ingold 2009: 45).46 Er beschäftigt sich somit mit denjenigen Bewegungs- und Navigationspraktiken, die auch für die Street-Art(-Rezeption) eine zentrale Rolle spie-

len: Gehen, im Sinne von Bewegen, Traversieren, Navigieren – und Wissen. Wie zuvor anskizziert, schließt die der Berlin-Street-Art-App zugrunde liegende

Navigationspraktik dabei weitestgehend an die Logik modernen Transportwesens an. Einzelne Punkte bzw. Street-Art-Werke sind auf der digitalen Karte

markiert, sodass ein zielgerichtetes, deutlich einfacheres und schnelleres Aufsuchen vorgenommen werden kann. In gewissem Sinne ist es den App-Usern

möglich, ihr Ziel – ‚virtuell‘ und händisch – zu erreichen47, bevor sie überhaupt

einen Fuß auf die Straße gesetzt haben. „As a cognitive artefact or assembly, the route-plan pre-exists its physical enactment“, so beschreibt es auch Ingold

in Against Space (2009: 39). Kommt, wie im Falle der Berlin-Street-Art-App, eine

teilweise recht große Distanz zwischen den einzelnen Murals hinzu, scheint der Rückgriff auf den öffentlichen Nahverkehr wie S- und U-Bahn (für Städtereisende und Touristen) fast unumgänglich. In diesem Fall löst sich exakt das ein,

was sowohl Ingold als auch Hjorth und Pink in ihren Wayfaring-Aufsätzen

46 Ingold schreibt: „For in transport, the traveler does not himself move. Rather, he is moved, becoming a passenger in his own body, if not in some vessel that can extend or replace the body’s powers of propulsion. […] Only upon reaching his destination, and when his means for transport come to a halt, does the traveler begin to move.“ (Ingold 2009: 35) 47 Und zwar nicht nur den Ort, was grundsätzlich auch über Google Maps bzw. Street View möglich wäre, sondern auch das Street-Art-Werk an sich – welches nun als fotografisches Abbild vorliegt.

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konzeptionell kritisieren: das Erfahren oder Erleben des traversierten Raums als ‚totgeschlagene Zeit‘ oder Leerstelle.

„[Modern metropolitan societies] have created transportation systems that span the globe in a vast network of destination-to-destination connections. And they have converted travel from an experience of movement in which action and perception are intimately coupled into one of enforced immobility and sensory deprivation“,

so Ingold (ebd.: 38). Diese Art der Fortbewegung – und Street-Art-Rezeption –

läuft dem ursprünglichen Street-Art-Verständnis entgegen. So scheint die Street

Art ja geradezu dafür prädestiniert, im zufälligen Vorbeigehen entdeckt zu

werden.48 Dennoch geht es mir in meiner Analyse gerade nicht, bzw. zumin-

dest nicht ausschließlich, darum, die der App zugrunde liegenden Lokalisierungs- und Navigationspraktiken mit der ursprünglichen Street-Art-Rezeption zu kontrastieren. Vielmehr zielt meine Analyse darauf ab, die sich hier anskiz-

zierende Navigationsform in all ihrer Hybridität auszudifferenzieren. Anstatt die von den beiden australischen Medienanthropologinnen entworfene Figur

des Digital Wayfarers in aller Ausführlichkeit zu übernehmen,49 dient sie mir 48 Auch hier muss nochmals ein Unterschied zwischen Street Art und Murals gemacht werden. 49 Hjorth und Pink machen sich den Digital Wayfarer – einen mobilen, sich durch die Stadt bewegenden und mit dem Internet verbundenen Smartphone-User – dahingehend zunutze, als dass sie mit ihm das Aufkommen neuer Sichtbarkeiten und Sozialitäten von Orten erklären. Im ihrem Aufsatz New Visualities and the Digital Wayfarer (2014) zeigen die beiden Autorinnen auf, dass das Aufnehmen und echtzeitliche Teilen von Smartphone-Fotos, unter Angabe geografischer/-referentieller Koordinaten und Kontexte, zu neuen Sichtbarkeiten und Sozialitäten führt (vgl. Hjorth/Pink 2014: 40). Ihre Argumente bauen sie dabei weitestgehend auf Basis sogenannter LMSN, also Locative Mobile Social Networks, auf. Dies sind Mapping Services, die, neben dem Hinzufügen ortsspezifischer Informationen und der Bestimmung des eigenen Standorts, ja gerade auch die Position anderer User ersichtlich machen: „LMSNs are a type of LBS [Location Based Services, KG], but they differ from other LBSs, […] because users are able to visualize each other’s positions on a map on the cell phone screen and communicate with each other depending on their relative proximity in physical space. […] In contrast to an MSN [Mobile Social Network, KG], where nodes use mobile technologies to coordinate a final destination, LMSN nodes currently active in

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vielmehr als theoretisch-konzeptionelle Stütze und Gedankenexperiment. Sie

stellt für mich primär nicht mehr, aber auch nicht weniger dar, als ein „perpetually moving mobile media user“ (Hjorth/Pink 2014: 40), von dem ausgehend Praktiken der Street-Art-Navigation und -Lokalisierung neu gedacht werden.

Gefragt wird: Welche Rolle spielt das portable Smartphone-Device bei der Rezeption von Street-Art-Arbeiten und wie beeinflusst der Gebrauch von ‚location

aware technologies‘ die Navigation im Stadtraum? Muss Bewegung – geografisch, örtlich, zeitlich, aber auch sozial – im Zuge permanenter Konnektivität neu gedacht werden? Letztlich gilt es zu diskutieren, wie digitale Karten und

mobile, digital vernetzte Medien(-praktiken) die Dynamik und das Wissen um

Orte verändern, ver- und überformen. Dass sich diese Fragen gerade im Kontext der Street Art aufdrängen, scheint symptomatisch, zeigt sich ja gerade die Street Art als Kunstform, die permanent über digitale Medien kommuniziert, entworfen, verhandelt, repräsentiert und kartiert wird.

Wie bereits mehrfach expliziert, lässt sich die Praktik des Wayfarings vor

allem für den Kontext ‚realräumlicher‘ Street-Art-Navigation fruchtbar machen; wenn also Rezipienten den Weg von einem Mural A zu einem Mural B zurück-

legen und dabei nicht den von der App vorgeschlagenen, optimierten Weg ein-

schlagen, sondern sich situativ leiten lassen. Die in der digitalen Karte markierten Murals fungieren hierbei nicht als Zielpunkte, sondern allenfalls als geografische Marker und Orientierungshilfen. In diesem Falle lassen sich die zwischen ihnen traversierten Wegstrecken als „moments for active creativity and play“

(ebd.: 48) entwerfen, kann doch gerade in jenen Wayfarer-Spaces (vgl. ebd.:

42) eine Vielzahl weiterer Street-Art-Entdeckungen gemacht werden. Dieses Navigationsverständnis lässt sich mit Ingold kurzschließen: Grundsätzlich basiert sein Wayfaring-Konzept dabei auf dem Grundgedanken, dem Ort (place) deutlich mehr Relevanz einzuräumen als dem Raum (space) (vgl. Ingold 2009:

the network know where other nodes are located all the times and may adjust their movement in space accordingly. In LMSNs, communication may alter the structure of the traditional network, because two nodes that are aware of each others’ location might coordinate the paths they choose, emphasizing the paths in a way that traditional networks and MSNs do not.“ (De Souza e Silva/Frith 2010: 491)

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31).50 Man könnte also meinen, auch die dem Wayfaring zugrunde liegende

Navigationspraktik fuße auf der Vorstellung einer ortsverbindenden Logik.

Dem kann jedoch nur teilweise zugestimmt werden, denn trotz aller Ortsge-

bundenheit ist bei Ingold nicht von einer geradlinigen, zielgerichteten Bewe-

gungspraktik auszugehen. Er exemplifiziert dies anhand eines kunstpraktischen Beispiels: „Take up your pencil […] and […] draw a continuous freehand line; […] the line remains as the trace of your manual gesture. In the memorable phrase of the painter, Paul Klee, your line has gone out for a walk. […] But now I want you to draw a dotted line. To do this you have to bring the tip of your pencil into contact with the paper at a predetermined point, and then cause it to perform a little pirouette on that point as so to form a dot. […] The dotted line, in short, is defined not by a gesture but as a connected sequence of fixed points. Now, just as in drawing, where the line is traced by a movement of your hands, so the wayfarer in his perambulations lays a trail on the ground in form of footprints, paths and tracks.“51 (Ebd.: 35 mit Bezug auf Klee 1961: 105, 36)

Hierzu gilt es anzumerken, dass Ingold grundsätzlich davon ausgeht, dass jeder

Wayfarer bei seiner Bewegungspraktik durch den Raum bestimmte Linien hinterlässt, sogenannte ‚trails‘ oder ‚lines [of inhabitation]‘: „Proceeding along a path, every inhabitant lays a trail“, so Ingold in Against Space (2009: 33). Wir leben und gehen folglich entlang von Linien, Wegen und Bahnen (vgl. ebd.)52:

„My contention is that lives are led not inside places but through, around, to and from them, from and to places elsewhere. I shall use the term wayfaring to describe the em-

50 Ingold spricht von einem „progressive refinement of spatial scale, from everywhere to somewhere, or from space to place“ (Ingold 2009: 31). 51 Darüber hinaus wäre dieses theoretische Konzept für die ebenfalls im Kontext der Street Art angewandte Technik des Oneliners produktiv zu machen, der u.a. die Künstler Leo Namislow, Mein lieber Prost und Enorm nachgehen (vgl. u.a. www.leonamislow.com bzw. www.vimeo.com/60209091 und www.facebook.com/1Linig/timeline, 22.03.2015). 52 In diesem Kontext gilt anzumerken: „Indeed, the wayfarer has no final destination, for wherever he is, and so long as life goes on, there is somewhere further he can go. Transport, by contrast, is essentially destination-oriented.“ (Ingold 2009: 35)

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bodied experience of this preambulatory movement. It is as wayfarers, then, that human beings inhabit the earth.“53 (Ebd.: 33)

Diese Bewegungslogik entspricht somit in ziemlich genauem Maße der der Street-Art-Rezeption, bzw. viel mehr noch, der der Street-Art-Welt im Allge-

meinen.54 Neben Künstlern greifen vor allem Street-Art-Fotografen auf jene 53 In diesem Zusammenhang sei ebenfalls auf die Figur des Flaneurs verwiesen, der durch die Praktik des umherstreifenden Gehens in der Stadt bekannt geworden ist

(franz. flaner = umherstreifen, umherschlendern) (vgl. dazu u.a. Benjamin 1983; Düllo 2010; Neumeyer 1999). Ab den 1950er Jahren wurde die Flanerie ebenfalls von den Lettristen um Guy Debord praktiziert und nur wenig später in eine explizit künstlerische Geste verkehrt, welche im derivé sowohl eine eigenständige Bezeichnung als auch eine theoretische Ausarbeitung und partielle Neujustierung fand: „Die großen Städte eignen sich gut für die Zerstreuung, die wir dérive (Umherschweifen) nennen. Es handelt sich dabei um eine Technik des ziellosen Ortswechsels. Sie basiert auf dem Einfluss des Dekors“, so Debord (Debord/Fillon 1954: 77ff) – und dies im Jahr 1954, also noch vor der Gründung der Situationistischen Internationalen. 54 Denn auffällig ist, dass man in Selbstbeschreibungen und -verständnissen von StreetArt-Künstlern sehr häufig auf diverses Grundverständnis umherstreifenden Bewegens trifft; auf Linien, Spuren und Traces. In einem Gespräch mit mir konstatiert der Hamburger Künstler TONA: „Man hinterlässt halt irgendwie seine Spuren; das ist für mich eigentlich ganz natürlich, Spuren zu hinterlassen. Für andere ist das so ein […] bisschen notorisch oder sonst irgendwas, aber für mich ist das eigentlich ganz normal.“ (Int. KG 06/2013) Dies zeigt: Street-Art-Künstler hinterlassen Spuren – und dies unentwegt. Sie sind, zumindest im übertragenen Sinne, immer unterwegs. Für Wayfarer wie auch für Street-Art-Künstler gibt es in diesem Sinne also weder einen Anfangs- noch einen Endpunkt auf ihrem Weg durch die Städte und die Welt im Allgemeinen: „While on the trail, one is always somewhere. But every ‚somewhere‘ is on the way to somewhere else.“ (Ingold 2009: 34) Street-Art-Künstler erschließen sich und (er-)leben die Stadt gehend. „Though from time to time he [the wayfarer, and also the street artist, KG] must pause for rest, and may even return repeatedly to the same place to do so […].“ (Ebd.: 35) Interessant ist in diesem Kontext auch der Ansatz von Bill Psarras, der dem gehenden oder umherstreifenden Künstler die Rolle eines malenden Pinsels zuspricht. Er schreibt: „The artist-flaneur becomes the performative enlivened pen that tells a story without words. […] Therefore, I argue that walking and flaneur [sic!] is able to tell stories on the move.“ (Psarras 2014b sowie weiterführend 2014a)

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Form geschulten Spurenlesens zurück, wenn sie die Wegstrecken einzelner Künstler zurückverfolgen, um möglichst viele der im Stadtraum angebrachten

Arbeiten zu finden. Sie stehen somit sinnbildlich für das, was einen Street-ArtRezipienten genuin ausmacht: Entdeckerdrang, der Hang, sich von den Straßen

intuitiv leiten zu lassen und die Loslösung von vorgefertigten Bewegungsmustern. „Man überlegt natürlich schon, wie oder wo ist die- oder derjenige

Künstler wohl entlanggelaufen. Wo ist sie oder er abgebogen, wie war seine

Route?“, so beispielsweise auch Joy Fox, der der Praktik des Street-Art-Fotografierens ebenfalls nachkommt (Int. KG 06/2013). Was hierbei einzelne Street-Art-Künstler, -Fans oder -Fotografen im Kleinen praktizieren, hat in

Street-Art-Touren letztlich seine offizielle oder institutionelle Form(-ierung) gefunden. Auch Street-Art-Touren folgen den Spuren diverser Künstler und bie-

ten ihren Teilnehmern – vermehrt Städtereisenden und Touristen – auf diese

Weise eine Teilhabe am lokalen Kunstgeschehen. Sicherlich gilt es auch hier zu differenzieren; so hat sich das Angebot an Tour-Anbietern mittlerweile deutlich ausdifferenziert. Dies lässt sich nicht nur an qualitativen Parametern ablesen,

letztlich liegen den Anbietern auch unterschiedliche Zielgruppen, Selbstverständnisse, Institutionen, Förderer, Motivationen und Marketingstrategien zu-

grunde. Als Beispiel: Die vom Berliner Archiv der Jugendkulturen55 angebotene „Graffiti-Tour“ spricht vermehrt Jugendliche und Schulklassen an und setzt gezielt auf bildungspolitischen Anspruch. So ist der Tour eine einstündige theore-

tische Einführung vorangestellt. Alternative Berlin56 hingegen hat ihr Angebot vorwiegend auf Städtereisende und Touristen ausgelegt. Die auf Spendenbasis

basierende und als ‚Underground‘ gelabelte Tour führt ihre Teilnehmer „beyond the tourist destinations“ – so wird zumindest auf ihrer Webseite geworben. Über die „Free Tours“ hinaus besteht für Teilnehmer jedoch auch die

Möglichkeit, sich einem kleinen Workshop anzuschließen, bei welchem die Basistechniken der Street-Art-Produktion von lokalen und internationalen

Street-Art-Künstlern praxisbezogen nähergebracht werden. Trotz unterschiedlicher Zielgruppen und abweichender Selbstverständnisse haben beide Touren

55 www.jugendkulturen.de, 23.04.2014; siehe dazu auch www.graffitiarchiv.org, 27.02.2015. 56 www.alternativeberlin.com, 08.04.2013.

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gemein, dass auch sie – ähnlich der App – zentrale Hotspots anlaufen und ein

paar ‚Must Have‘-Murals in ihre Tour integrieren. Auch hier zeigt sich die Rezeption der Teilnehmer somit primär vorgefertigt. Dennoch, so zumindest meine Erfahrung, sind die Routen der Tour-Anbieter keinesfalls ‚statisch‘ zu den-

ken. In beiden Fällen reagierten die Guides auf situative Begebenheiten. Bei Alternative Berlin weichen die Routen allein schon aufgrund der vielen Guides

ab; jeder Guide habe, zumindest ein Stück weit, seine eigene Tour-Konzeption,

so wurde mir im Gespräch mitgeteilt (Int. KG 06/2013).57 Entdeckt ein TourGuide auf seinem Weg durch die Stadt eine neue Street-Art-Arbeit (die am Tag

zuvor möglicherweise noch nicht da war), kann er sie ohne viel Mühe in seine

Tour integrieren. Der große Vorteil gegenüber Apps liegt somit in einer deut-

lich höheren Flexibilität, situativen Adaption und sofortigen Reaktion auf städ-

tische Dynamiken begründet. Dies ist einer der Hauptgründe, warum deutlich kleinteiligere, fragilere und folglich vergänglichere Street-Art-Arbeiten, wie

beispielsweise Paste-Ups, Stencil, Korkmännchen, Motive aus Bügelperlen oder

Guerilla Knitting, bei fußläufigen Street-Art-Touren durchaus Beachtung finden – in Apps jedoch kaum. Im Wesentlichen liegt der Mehrwert von Street-ArtTouren somit in einer deutlich einfacheren ‚Aktualisierung‘ sowie – wie sich im

Folgenden zeigen wird – in der Art und Weise der Wissensvermittlung begründet. Denn geht man davon aus, dass Tour-Guides a) selbst Künstler bzw. der ‚Szene‘ angehörig sind und/oder b) seit vielen Jahren in der jeweiligen Stadt

leben, muss festgehalten werden: Ihr Wissen gilt es als ‚alongly integrated‘58 zu verstehen. Entgegen den von Apps bereitgestellten Zusatzinformationen muss das Wissen kunstvermittelnder Tour-Guides somit keinesfalls kartografisch eingebettet sein. Am Beispiel eines Hubschrauberpiloten expliziert Tim Ingold:

57 Es ist folglich davon auszugehen, dass es sich im Wesentlichen um eine intuitive Navigationspraktik handelt. Auf den daran anschließenden Komplex der Mental Maps und des Cognitive Mappings kann im Rahmen meiner Arbeit jedoch nicht eingegangen werden. 58 Siehe dazu genauer Ingold (2009: 41): „I have trawled the vocabulary of English to find a word, grammatically equivalent to ‚laterally‘ and ‚vertically‘, that would convey this sense of knowing ‚along‘, rather than ‚across‘ or ‚up‘. But I have found nothing. I have therefore had to resort an awkward neologism. Inhabitant knowledge – we could say – is integrated alongly.“

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„For the pilot [much like the inhabitant, and also the street art tour guide, KG], knowledge is not derived from locations. It comes, rather, from a history of previous flights [or walks through the city, KG], […] and of incidents and encounters en route. In other words it is forged in movement, ‚in the passage from place to place and the changing horizons along the way‘. […] [Places, for him, KG] are rather topics, joined in stories of journeys actually made.“ (Ingold 2009: 41)

Ingold liest Wissen folglich nicht als statische Fakten, sondern als Dinge, die

passieren (oder passiert werden): „Thus, things are not classified as facts, or tabulated like data, but narrated like stories. And every place, as a gathering of

things, is a knot of stories.“ (Ebd.) Diese Beschreibung scheint hierbei geradezu exemplarisch auf die von mir perspektivierten Street-Art-Touren zuzutreffen, wo sozusagen ‚on the run‘, an und zwischen einzelnen Orten, Geschichten zu

bestimmten Kunstwerken sowie künstlerischen, gesellschaftlichen, stadtpolitischen und persönlichen Zusammenhängen weitergegeben – respektive ‚passiert‘ – werden. Wenn auch stark verkürzt, rufe ich an dieser Stelle ein paar Ereignisse meiner Feldforschung auf. Bei einer vom Archiv der Jugendkulturen geleiteten

Tour durch Berlin-Kreuzberg, an der ich im Sommer 2013 teilnahm, wurde nicht nur Faktenwissen weitergegeben, sondern Wissen, das auf jahrelanger

Erfahrung fußt und sich folglich in persönlichen Geschichten verdichtete. Gleichzeitig wurde neues Wissen ‚passiert‘. So kreuzte sich unser Weg schon

nach wenigen Gehminuten mit dem diverser Akteure der Street-Art-Welt: der

einer Reinigungsfirma, die sich auf das Entfernen von Graffiti und Tags spezialisiert hatte; der der Polizei; der einer Anwohnerin, die derlei ‚Touristen- und Yuppie-Touren‘ kein gutes Wort abgewinnen konnte sowie der eines augen-

scheinlichen Künstlers im orangefarbenen Overall, der uns in selbstsicherer

Manier entgegenrief: „In einem halben Jahr bin ich der bekannteste Street-ArtKünstler der Welt!“ Nicht unbeachtet blieb auch die Anmerkung eines vorbei-

laufenden Punks, der die Fotopraxis einiger Tour-Teilnehmer mit den Worten „diese Bilder sind nicht für den deutschen Markt bestimmt“ kommentierte. Einerseits sind dies Erlebnisse, die Rückschlüsse auf die Street-Art-Welt im All-

gemeinen erlauben, andererseits Geschichten, die sich – gehend – in Wissen

transformieren. In Wissen von und über Orte, welches sowohl Tour-Guides als auch Teilnehmer ‚passierend‘ erleben und auf diese Weise weitertragen kön-

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nen. „[Knowledge is mainly, KG] identified by the memories [it] call[s] up“, so auch Ingold (ebd.).

„Inhabitants, in short, know as they go, as they journey through the world along a path […]. Far from being ancillary to the point-to-point collection of data to be passed up for subsequent processing into knowledge, movement is itself the inhabitant’s way of knowing.“ (Ebd.)

Meine Ausführungen haben gezeigt, dass das Wissen von Tour-Guides somit definitiv als „alongly integrated“ zu verstehen ist.59 Um einen etwas lebens-

weltlicheren Bezug herzustellen und jenes ‚alongly integrated knowledge‘ auch für die Street-Art-Welt produktiv zu machen, könnte man es auch als ‚skilled

knowledge‘ (vgl. dazu u.a. Grasseni 2004a, 2004b, 2007, 2012) beschreiben. Ich beziehe mich damit auf ein praxistheoretisches Wissen, das Akteure der

Street-Art-Welt bei ihrem alltäglichen, langjährigen, repetitiven und mäandern-

den Gang durch die Stadt ‚passiert‘, erlebt und angehäuft haben. An dieser Stelle wird offensichtlich, warum sich jenes Wissenskonzept mit der Praktik

des Wayfarings kurzschließen lässt, bedingen und konstituieren sich beide Konzepte doch gegenseitig, denn „[W]ayfaring yields an alongly integrated, practical understanding of the lifeworld“ (Ingold 2009: 41).60

59 Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen. Vor allem in Berlin scheint die Beschäftigung als Street-Art-Tour-Guide ein beliebter (Neben-)Job geworden zu sein. Diesen üben auch Guides aus, die keine – oder zumindest keine langjährige – Szenekenntnis vorweisen können und sich ihr Wissen ausschließlich situationsbedingt angeeignet haben. 60 Und Ingold fügt hinzu: „Such knowledge is neither classified nor networked but meshworked.“ (Ingold 2009: 41) In Kapitel 7 von Being Alive (2011a), das den eingängigen Titel When ANT meets SPIDER trägt, kontrastiert Ingold auf sehr anschauliche Weise das Netzwerkverständnis einer Ameise (ant bzw. ANT, im Sinne der AkteurNetzwerk-Theorie) mit dem einer Spinne (spider). Grob zusammengefasst, stellt Ingold fest: Das auf einem Symmetrieprinzip basierende Netzwerkverständnis der Ameise/ANT fußt auf dem Gedanken eines alles verbindenden Netzwerks. Alles ist mit allem und jedem verbunden. Jede Entität und jeder Akteur besitzt Handlungsmacht, verteilt Kompetenzen und kollaboriert auf die eine oder andere Weise mit anderen Akteuren. Das Netzwerk einer Ameise („network builder“) endet nie und ist

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4.4.3 O RTSBEZOGENE S OZIALITÄT Grundsätzlich lassen sich aus der Analyse der Street-Art-App zwei Schlüsse ziehen: Sowohl die Praktik des Wayfarings als auch die Figur des Digital

Wayfarers können für den Kontext aktueller Street-Art-Navigation, -Lokali-

sierung und -Rezeption produktiv gemacht werden. Am Beispiel von Berlin Street Art wurde aufgezeigt, dass die der App zugrunde liegende, effizienzsteigernde Logik zielgerichteter Street-Art-Lokalisierung die Routen einzelner AppUser vorfertigt und deren Navigation zurichtet; begleitet von der Tatsache,

dass Street-Art-Werke, verdichtet zu geografischen Koordinaten und uneditier-

baren Eckpunkten, in digitale Isolation versetzt werden. Die App unterwirft somit nicht nur künstlerische Objekte einer spezifischen Form der Zurichtung,

die mit Laboratisierungs- und Kanonisierungsprozessen einhergeht, sondern setzt Wege und Bewegungsformen ähnlichen Mechanismen aus. Auch wenn

dies grundsätzlich nichts bahnbrechend Neues darstellt – so geben auch Reiseführer bestimmte Routen und zu präferierende Wege vor – scheint mit einer

derartigen Kanonisierung von Bewegungspraktiken dezidiert Einfluss auf die In situ-Interaktion mit städtischem Raum genommen zu werden.61 Gerade im Kon-

somit in gewissem Sinne unendlich. Ingold spricht der Ameise den Status eines Knotenpunkts („node“) zu. Das Netzwerkverständnis der Spinne („web weaver“) hingegen läuft dieser Logik entgegen. In ihrem Dialog mit der Ameise expliziert sie: „The world, for me, is not an assemblage of bits and pieces but a tangle of threads and pathways. Let it call us meshwork, so as to distinguish it from your network.“ (Ebd. 2011b: 92). Die Spinne webt und lebt also ‚along paths‘. Eines der wesentlichen Charakteristika des Meshworks besteht darin, dass einzelne Linien und ‚Paths‘ sich zwar schneiden und überkreuzen können, sich aber nie direkt miteinander verbinden: „The lines of the meshwork are not connectors. They are the paths along which life is lived. And it is in the binding together of lines, not in the connecting of points, that the mesh is constituted.“ (Ebd. 2009: 38). Diese knappe Gegenüberstellung macht deutlich, dass das Netz-Verständnis des Meshworks mit dem des Networks prinzipiell kontrastiert. Da diese Unterscheidung zwar durchaus wichtig ist, für meine Argumentation aber keinen zentralen Punkt darstellt, verzichte ich im Rahmen meiner Analyse auf weitere Ausdifferenzierungen. 61 Im Gespräch mit dem Street-Art-Tour-Anbieter Alternative Berlin (Int. KG 06/2013) wurde mir beispielsweise mitgeteilt, dass sich einzelne Künstler bereits nach der

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text einer solch ortssensiblen Kunst wie der Street Art stellt dies einen nicht

unwesentlichen Faktor dar, läuft das hier zugrunde liegende Navigations- und Rezeptionsverständnis dem ursprünglichen Street-Art-Verständnis doch explizit

entgegen. So ist es doch vielmehr der flanierende Wayfarer, der der Street-Art-

Welt weitaus nähersteht. Die Orientierung an digital markierten Eckpunkten scheint für ihn hinfällig, vielmehr bewegt er sich gleichsam intuitiv wie routi-

niert durch die Stadt. Dennoch gilt es zu betonen, dass auch Fußgänger (oder

Teilnehmer von Street-Art-Touren) nicht per se als umherstreifende Flaneure zu entwerfen sind; genauso wenig wie App-User bei ihrem zielgerichteten Weg

durch die Stadt ‚passierende‘ Ereignisse und Geschichten am Wegesrand zwin-

gend ignorieren müssen – so, wie es möglicherweise Ingold an einer Stelle skizziert, wenn er schreibt: „In this way the alongly integrated knowledge of the wayfarer is forced into the mould

of a vertically integrated system, turning the way along which life is lived into categorical boundaries within which it is constrained. Stories become repositories of classified information, wayfaring becomes the application of a naïve science.“ (Ingold 2009: 42)

Vielmehr gilt zu bedenken, dass die in der App markierten Street-Art-Werke nicht zielgerichtet aufgesucht werden müssen. Stattdessen können sie als grobe

Orientierungshilfen dienen, von denen ausgehend eigene Entdeckungen gemacht werden. Und selbst wenn User einmal mit wenig Zeit in einer fremden

Stadt unterwegs sind und zumindest die ‚Standard-Murals‘ gesehen haben wollen, gilt trotz alledem:

„[In the end, KG] all travel is movement in real time, a person can never be quite the same on arrival at a place as when he set out; some memory of the journey will remain, however attenuated, and will in turn condition his knowledge of the place.“ (Ebd.: 39)

Route ihrer Tour erkundigt hätten. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass einzelne Künstler bestimmte Straßenzüge (zum Anbringen ihrer Kunst) bereits gegenüber anderen bevorzugen – und dies aufgrund von Kanonisierungsprozessen, welche sich durch passierende Street-Art-Touren – oder aber die navigatorischen Zurichtungspraktiken von Street-Art-Apps – eröffnet haben.

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Mehr als an dieser Stelle somit über etwaige Dichotomien argumentieren zu

wollen, gilt es abschließend noch einmal das produktive Ineinandergreifen zu betonen. Ein erstrebenswerter und zukünftig richtungsweisender Einsatz und Gebrauch von Street-Art-Apps führt demnach geradewegs in die ‚Passage‘: In

jener wird unbefangenes Flanieren im urbanen Stadtraum mit dem gelegentlichen Abrufen von digital überlagertem, ‚augmentierendem‘ und teils richtungsweisendem Content vor Ort und in situ gekoppelt. Das Potenzial, das jene

Apps offerieren, fußt hierbei also gerade nicht auf der gegenseitigen Subsumption der oppositär angelegten Layer, sondern vielmehr auf der sich gegenseitig

anerkennenden Differenz. Auf Basis dieser Praktik, welche ich auf den Begriff des ‚zielgerichteten Umherstreifens‘ verdichte, entstehen neue soziotechnische

Konstellationen: Menschen, Devices, Orte, Räume und Technologien sind über

mobile Schnittstellen miteinander verbunden und operieren als Praktiken kultureller Produktion und sozialer Interaktion in einem reziproken Wechselverhältnis.62 Wobei die in das Smartphone integrierte 3G-Technologie ihren Usern hierbei nicht nur eine nahezu permanente Konnektivität mit dem Internet offe-

riert, sondern auch mit anderen Usern. Das portable Device macht folglich nicht nur technische Medien, User und ‚das Internet‘ mobil, sondern trägt auch

soziale Beziehungen nach draußen.63 Anstatt Mobilität in diesem Kontext also als ausschließlich navigatorische Bewegungspraktik im Stadtraum zu entwerfen, muss diese als digitale Vernetztheit und Konnektivität sowie die Mög-

lichkeitsbedingung echtzeitlicher Online-Interaktion aufgefasst werden. Hjorth und Pink konkretisieren hierzu: „The new overlays of locative and social media with the rise of photo apps and highquality camera phones, have seen new forms of co-present visuality that overlay and interweave online and offline cartographies in different ways.“ (Hjorth/Pink 2014: 54)

62 Vgl. dazu auch Farman (2012: 120): „[…] the mobile interface is … a practice and not a set of predetermined fixtures“. 63 Das auf Seite 246 aufgerufene Schnitt-Bild muss folglich um die Kategorie des Sozialen erweitert werden. Dieses gilt es sowohl offline wie online zu situieren und kann nur in seinem wechselseitigen Ineinandergreifen verstanden werden.

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Vor diesem Hintergrund schlagen sie letztlich sogar vor, von dem in den Medienwissenschaften dominanten Netzwerk-Paradigma wegzukommen und stattdessen auf das Konzept des „emplacement“ zu fokussieren: „[…] we see an

emplaced visuality that creates and reflects, unique forms of geospatial socia-

lity“64, so die beiden Autorinnen (ebd.). Auch wenn dies im Falle von Berlin Street Art noch recht verhalten auftritt65, können oder sollten zukünftige For-

schungen und technologische Entwicklungen an diesem Punkt ansetzen und

die beispielsweise von Blast Theory und dem Mixed Reality Lab (vgl. Benford/ Giannachi 2011; de Souza e Silva/Frith 2012: 95)66 geleistete Pionierarbeit im Bereich ‚locative media art‘ ausbauen. Diese Projekte schließen an den Komplex der Urban-Gaming-Kultur an und holen das Computerspiel nach draußen.

Ein Street-Art-Projekt, das bereits in diese Richtung greift, ist die sogenannte

Witch Hunt67 des Berliner Künstlerduos Various & Gould. Hierfür porträtierten die Künstler eine Auswahl bekannter, lebender und unangepasster Menschen,

die bei kontroversen Gesellschaftsthemen als Grenzgänger und Vorreiter agie-

ren: Marina Abramović, Yoko Ono und Edward Snowden zum Beispiel.68 Ihre im Stadtraum verklebten Plakate sind mit einem QR-Code versehen, über welchen Smartphone-User, in Form von Texten und Audiotracks, Informationen

64 Explizit wird dies auch in ihrem zuvor erschienenen Aufsatz Emplaced Cartographies (2012, im Besonderen: 150). 65 So können bei Berlin Street Art weder Fotos editiert noch hochgeladen werden; genauso wenig wie die App die Konnektivität mit anderen Usern im Sinne einer KoPräsenz zulässt. 66 Mit Bezug auf www.blasttheory.co.uk sowie mixedrealitylab.org, 17.07.2015. 67 www.witchhunt.eu, 17.07.2015. Siehe dazu auch www.witchhunt.eu/berlin und www.witchhunt.eu/cologne sowie www.witchhunt.eu/paris, 17.07.2015. Die Webseite des Künstlerduos ist abrufbar unter www.variousandgould.com, 18.07.2015. 68 Dennoch ist die im Projekt angelegte Hexenmetapher keinesfalls wörtlich zu nehmen, vielmehr lenkt sie die Aufmerksamkeit auf eine haptische-visuelle Qualität des Projektes: „Zum Drucken der Porträts wurde eine besondere Farbe verwendet, die dazu führt, dass sich an den Arbeiten – wie durch Hexerei – Streichhölzer entzünden lassen. Die Betrachter sind dazu eingeladen, mithilfe von Streichhölzern und Kerzen mit den Bildern in Kontakt zu treten“, so Various & Gould auf ihrer Webseite, www.variousandgould.com/witchhunt, 17.07.2015.

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zum Leben der porträtierten Personen erhalten. Zudem liefert der dekodierte

QR-Code Wegbeschreibungen zum nächsten Plakat, denn die ‚Hexenjagd‘ ist als ‚interaktive Schnitzeljagd‘ konzipiert worden. Various & Goulds Witch Hunt

präsentiert sich somit als Projekt „which traverse[s] and connect[s] the mate-

rialities and sensorialit[ies] of the experienced physical world with the experience of being online.“69 (Hjorth/Pink 2014: 45-46) Es löst somit in gewissem Sinne das ein, was Larissa Hjorth und Sarah Pink mit ihrem Begriff der

„emplaced visuality“ theoretisch formulierten und in einer neuen Form der ‚ortsbezogenen Sozialität‘ (geospacial sociality) verdichtet sehen.70 So sind die dem Witch Hunt eingeschriebenen Qualitäten erst über Kategorien des Sozialen

adäquat beschreibbar.71 Auf diese Weise stemmen sich die Künstler der alles 69 In diesem Kontext sei auch ihr darauf folgendes Projekt erwähnt, eine öffentliche und vom Künstlerduo bebilderte Kurzgeschichte, die den Namen Maik, Paul und Jörg trägt: www.variousandgould.com/publictale01, 18.07.2015. Geschrieben wurde sie von Polina Soloveichik, www.polinasoloveichik.com, 18.07.2015. 70 „Die erste Hexentour konnten wir förmlich live miterleben, weil einige Leute auf Instagram ihre Fotos immer sofort hochgeladen haben. Also wir konnten dann zum Beispiel sehen, ah, sieben Minuten später haben sie die nächste Hexe gefunden. Das war wie so eine Art Liveticker; das war toll“, so Various & Gould im Gespräch (Int. KG 02/2014). Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die Angabe eines projektspezifischen Hashtags: #witchhuntberlin. Im Zuge des großen User-Anklangs wurde dieser zum expliziten Teil des Projektes und trug zur diskursiven Bedeutungsproduktion ihrer Arbeiten bei. Letztlich kann der Hashtag als Teil einer kollaborativen Ausstellungspraxis betrachtet werden, welche das gemeinsame Teilen und Betrachten ihrer Street-Art-Arbeiten nicht nur begünstigte, sondern explizit vorsah. Auf diese Weise wurden Various & Goulds Hexenporträts mit plattformspezifischen Charakteristika kurzgeschlossen, von der Straße an den Onlinekontext rückgebunden und einer erneuten Re-Lokalisierung bzw. -Kontextualisierung unterzogen. 71 An dieser Stelle sei abermals auf Lovinks „Distributed Aesthetics“ verwiesen: „Distributed aesthetics must deal simultaneously with the dispersed and the situated, with asynchronous production and multi-user access to artifacts (both material and immaterial) on the one hand, and the highly individuated and dispensed allotment of information/media on the other.“ (Lovink 2008c: 227) Und er fügt hinzu: „By [distributed aesthetics, KG] we mean to invoke a project more akin to social aesthetics […] [and focus on, KG] the collective experiences of being embroiled in networks and being actively part of their making.“ (Ebd.: 231)

M APPEN UND NAVIGIEREN | B ERLIN -S TREET -A RT -A PP

| 269

durchdringenden Funktionalisierung und Optimierung, wie sie in der Archä-

ologie der Augmented Reality angelegt ist, auf spielerische Weise entgegen72 und tragen zu einer künstlerischen Mobilisierung ortsbezogener Smartphone-

Praktiken bei. Vor dieser Folie scheint es erstaunlich, wie wenig – bis keine –

Relevanz die bisherige Street-Art-Forschung der Praktik des Navigierens, Bewegens und In-der-Stadt-Gehens beigemessen hat. Ich sehe hierin ein zukünftiges, äußerst vielversprechendes Forschungsfeld, das noch deutlich ausdifferenzierter Aufarbeitung bedarf und viele interessante Anschlussfragen aufwirft.

72 Siehe dazu auch Schröter/Glaser (2014), wo auf andere App-Beispiele verwiesen wird. Im Falle von Street Tag oder iBanksy (die Apps sind mittlerweile nicht mehr verfügbar, Stand: 19.11.2015) wird beispielsweise das Smartphone zur Sprühdose umfunktioniert, wodurch realräumliche Architektursituationen über einen digitalen Layer besprüht und getagged werden können.

Paol oCi r i o|Ber l i n|© Paol oCi r i o

4.5 Entnetzen und (re-)relokalisieren | Paolo Cirio

Von Google Maps ausgehend, fällt der Blick im folgenden Kapitel auf Google Street View, genauer noch, auf Paolo Cirios Projekt Street Ghosts1: Lebensgroße

Poster von Menschen, die der Künstler zuvor über Google Street View gefunden hat, werden an die exakte Stelle ihres Fundorts zurückgeklebt. Unautorisiert – sowohl vonseiten der Stadt, der Menschen als auch von Google; jedoch

unter Addition von Google Street Views Copyrightzeichen. Innerhalb seines

Projektes bemächtigt sich Cirio somit Googles vermeintlich unsauberer Praktiken digitaler Bildproduktion und Überwachung und wendet sie gegen sich selbst.

Vielmehr als hier auf die Praktiken des Mappings, der Navigation und der

Lokalisierung von Street-Art-Arbeiten zu fokussieren, wie dies im vorherigen

Kapitel der Fall war, beschäftige ich mich an dieser Stelle mit der Praktik des

Entnetzens und (Re-)Relokalisierens. Dass jener Zustand der Entnetzung hier-

bei allenfalls temporär – und im Sinne des französischen Soziologen und Kulturphilosophen Michel de Certeau als mediale Taktik – zu verstehen ist, wird gleich zu Beginn deutlich. So stellt die Rückspeisung Cirios ‚entnetzter‘

Street Ghosts ins Internet einen wesentlichen konzeptionellen Schritt in seinem künstlerischen Gesamtkonzept dar. Dies ist nicht weiter überraschend, ist Cirio prinzipiell nicht in der Street-Art-Welt, sondern vielmehr im Bereich der Medi-

1

www.streetghosts.net, 30.03.2015.

272

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

enkunst und des Netzaktivismus verortet. Auf seiner Webseite www.paolocirio.net werden Arbeiten aus dem Bereich der Net Art, der Video Art, der Pub-

lic Art, der Marketing Art, der Software Art sowie des Experimental Storytelling geführt.

Gemein haben sie, dass sie alle eine gewisse netzkritische oder -aktivisti-

sche Grundhaltung einnehmen. Auf seiner Webseite heißt es dazu: „Paolo Cirio

works with information systems that impact the dynamics of social structures.

Cirio’s artworks investigate various issues in fields such as privacy, copyright, economy and democracy.“2 Diesen Kategorien gilt es auch im Falle von Street Ghosts nachzuspüren; im Speziellen, der der Öffentlichkeit und Privatheit, der

der Überwachung und der des Copyrights. Eine wesentliche theoretische Säule

bildet hierbei Michel de Certeaus Konzept der „Alltagspraktiken“ (vgl. de Certeau 1988), welche für meine Argumentation eine entscheidende Rolle spielen müssen. Denn so sind es gerade diese – de Certeaus alltagspraktische Finten

und Listen –, mit deren Hilfe Kommunikationsflüsse ins Stocken gebracht oder

andere Modalitäten der Anschlusslosigkeit [oder Entnetzung, KG] aktualisiert werden können (vgl. Stäheli 2013: 10). „[Alltags]Praktiken“, so de Certeau,

„spielen mit den Mechanismen der Disziplinierung und passen sich ihnen nur

an, um sie gegen sich selbst zu wenden.“ (De Certeau 1988: 16) Ergänzt wird die Diskussion um Urs Stähelis Aufsatz Entnetzt euch! (2013), welcher sowohl

„Praktiken [als auch] Ästhetiken der Anschlusslosigkeit“ (Stäheli 2013: 8) durchspielt. Anhand ausgewählter, vermehrt künstlerischer Fallbeispiele zeigt Stäheli auf, dass den Praktiken der Entnetzung sowohl eine taktische wie auch

eine strategische Dimension innewohnt: „Praktiken der Entnetzung nisten sich taktisch in das Vernetzungsgeschehen ein und lassen sich ihrerseits wiederum

für Strategien der Entnetzung funktionalisieren.“3 (Ebd.: 10) Miriam Raschs

und Geert Lovinks Unlike Us-Reader (2013) sowie die beiden Monografien Das halbwegs Soziale. Eine Kritik der Vernetzungskultur (2012) und Dark Fiber.

Tracking Critical Internet Culture (2002) verleihen der Fallstudie letztlich eine 2

www.paolocirio.net/bio, 30.03.2015. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit hält er zudem Vorträge oder gibt Workshops zum Thema ‚taktische Medien‘ (respektive ‚media tactics‘), wofür er zu diversen Events oder an Schulen geladen wird (vgl. ebd.).

3

Zum Begriff der Taktiken und Strategien siehe de Certeau (1988: 23-24, 77-92).

E NTNETZEN UND ( RE -) RELOKALISIEREN | P AOLO C IRIO

| 273

dezidiert netzkritische Färbung. Anstatt hier auf medienästhetische Aspekte zu fokussieren, liegt mein Augenmerk auf netzpolitischen Fragestellungen. Ich

hinterfrage die derzeit vorherrschende Internetkultur, die sich im zunehmend

komplexer werdenden Spannungsfeld von Monopolisierung und Dezentralisie-

rung bewegt.

Um eine adäquate Ausgangslage für feinere Ausdifferenzierungen zu ge-

währleisten, wird das Projekt Street Ghosts zu Beginn des Kapitels beschrieben.

In PUNKT 4.5.2 und 4.5.3 folgt eine Situierung im Umfeld von de Certeaus alltagspraktischer Theoriediskussion, die das Projekt sowohl auf seinen taktischen wie auch strategischen Handlungsspielraum befragt. Die im Projekt entfalteten

Konzepte der Überwachung und Kontrolle werden auf einer dezidiert medienwissenschaftlichen Ebene reflektiert und an Fragen der Netzkritik rückgebun-

den. Das Kapitel schließt mit einem Ausblick, welcher aktuelle Street-ArtPraktiken im Kontext global vernetzter Infrastrukturen liest.

4.5.1 S TREET G HOSTS Wie zuvor bereits angesprochen, beschäftigt sich Cirios Projekt Street Ghosts

mit Google Street Views vermeintlich unsauberen Aneignungspraktiken globaler Bildinformation. Anstatt hierbei jedoch an Google Street Views weitreichendem Kartenmaterial interessiert zu sein, gilt Cirios Interesse dem Umgang mit aggregiertem Bildwissen.4 Unter Rückgriff auf Google Street View sucht der

Künstler nach Menschen, die der Onlinedienst bei seiner den Globus umspan-

nenden Kartierungspraktik – mehr oder weniger zufällig – aufgezeichnet hat.

4

Ein ähnliches Interesse verfolgt auch der Mönchengladbacher Street-Art-Künstler FEED. In einem seiner Kunstprojekte googelte er nach verschiedenen Personen – bzw. Namen, wie z. B. Julia – und verwandelte diese in Kunstobjekte. Akzentuiert wurde seine Praktik durch die Addition der Worte: „Julia has no idea that she’s a piece of art right now. Thank you, Google!“ Seine Absicht war es, auf die heutige Bilderflut und die ungeschützte Privatsphäre im Netz hinzuweisen (vgl. www.feedthestreet.tumblr.com sowie www.facebook.com/feedthestreet, 29.10.2015). Gleichzeitig kann sein Projekt als Kommentar auf die in der Street-Art-Welt vorherrschenden (Bild-)Aneignungspraktiken verstanden werden.

274

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

Er stößt hierbei auf Kinder, die auf der Straße spielen; Familien, die spazieren

gehen; Jugendliche, die Fahrrad fahren; die Stadtreinigung, die ihrer Arbeit nachgeht; eine ältere Dame, die vom Einkaufen nach Hause kommt sowie ei-

nen Mann, der vor einem Kiosk Zeitung liest.5 Auf Basis dieser Bilder legt Cirio

ein Archiv an. Seine ‚Funde‘ speichert er als Screenshots, skaliert sie auf Lebensgröße, druckt sie aus und klebt sie an die exakte Stelle ihres Fundorts zu-

rück (vgl. Abb. 28) – wie dies für Street Art und Interventionen genuin üblich

ist, ohne Autorisierung. Weder die Stadt, noch die Menschen, noch Google wissen über die Aktion im Vorfeld Bescheid oder werden um Erlaubnis gefragt.

Auf diese Weise macht Cirio den ‚Spuk‘ um Googles massenhafte Datenkollektion sichtbar und wendet ihre Praktiken unautorisierter Bildproduktion

Abb. 28: Street Ghost in der Weserstraße | Berlin | © Paolo Cirio (im Original nicht s/w)

5

In diesem Kontext sei auch auf Aram Batholls Projekt 15 Seconds of Fame verwiesen, welches der Künstler als eine ‚Google-Stree-View-Selbstporträt-Serie‘ deklariert: Am Morgen des 13.11.2009 sah er (laut eigenen Angaben), in einem Café in Berlin Mitte sitzend, das Google-Street-View-Auto in die Borsigstraße einbiegen. Er eilte hinaus und rannte dem Auto hinterher. Ein Jahr später, am 18.11.2010, waren diese Bilder über Google Street View abrufbar. Der Künstler band sie in ein Kunstprojekt ein und konvertierte sie in (die Dokumentation) eine(r) Performance (vgl. www.datenform.de/15-secs-of-fame.html, 29.10.2015).

E NTNETZEN UND ( RE -) RELOKALISIEREN | P AOLO C IRIO

| 275

und Überwachung gegen sich selbst. Vielmehr noch, er verwendet sie; auf einer

überhöhten Stufe und aus einer künstlerisch-konzeptionell motivierten Geste heraus. So bedient er sich nicht nur dem von Google unautorisiert gesammel-

ten Datenmaterial einzelner Privatpersonen, sondern speist dieses – ebenso un-

autorisiert – in den Stadtraum zurück.

Einmal im Stadtraum angebracht, fristen die ‚geklebten‘ Menschen bzw.

Poster auf diese Weise fortan eine Art geisterhaftes Dasein, im Zwischenraum

von physikalischem Stadtraum und digitaler Ko-Präsenz im Internet. Die unscharf-verschwommenen Postermenschen lassen keinerlei Details von sich er-

kennen; vielmehr verstecken sie ihre Konturen und Umrisslinien hinter einer

befremdlich wirkenden Pixelästhetik in Niedrigauflösung (vgl. Abb. 29). Sie wirken wie geisterhafte Abbilder, deren digitale Schlagschatten in den Stadtraum greifen; der Name Street Ghosts scheint Programm.

Abb. 29: Street Ghost | Nahaufnahme | © Paolo Cirio

276

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

Doch der Stadtraum ist nicht ihre finale Destination, damit wäre nur der halbe

Weg nachgezeichnet. Denn was der Künstler letztlich anstrebt, ist eine Rückspeisung in die ‚digitale Welt‘ – oder auch eine Re-Relokalisierung. So landen

die Fotos der getätigten Intervention erneut im Internet: auf seiner Künstler-

webseite6, der Projektseite von Street Ghosts7, Google Maps8 sowie Google+9. Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass die Dokumentation innerhalb seines Projektes einen großen Stellenwert einnimmt. Wie diese Onlinepräsenzen auf-

gebaut und miteinander verschränkt sind, soll im Folgenden beleuchtet werden. Der Anschaulichkeit halber beziehe ich mich in meinen Ausführungen

weitestgehend auf Cirios Projektseite www.streetghosts.net, da diese umfang-

reicher aufbereitet ist. Sofern relevant, wird an gegebener Stelle dennoch auf Cirios Künstlerseite verwiesen.

Schaut man sich Cirios Projektseite an, fällt zunächst einmal die zentral

eingebettete Google Maps-Karte auf. Auf dieser sind seine getätigten Interventionen markiert und für alle User rückverfolgbar. Über einen mit den Wor-

ten „Browse through the map“ versehenen Link lässt sich die Karte zudem in

einem externen Fenster öffnen; also direkt in Google Maps. 10 Die Karte listet eine Vielzahl von Interventionen: von Amsterdam über Berlin, Barcelona, Brooklyn, Brüssel, Denver, London, Lyon, Manhattan, Marseille und Stuttgart bis hin nach Sydney und Zagreb reichen die markierten ‚Geister‘. Diese sind für

den User hierbei einerseits über eine Liste am linken Displayrand anwählbar –

6

www.paolocirio.net/work/street-ghosts, 30.03.2015.

7

www.streetghosts.net, 30.03.2015.

8

www.google.com/maps/d/viewer?mid=z_tfpIQaZnlI.kO-TBvc1Bsr4&msa=0&ll=46.55886,-30.234375&spn=77.943688,163.828125, 30.03.2015.

9

https://plus.google.com/photos/101628793830161569774/albums?banner=pwa, 31.03.2015. Mittlerweile ist die Bildersammlung auf Picasa umgezogen. Picasa ist eine Plattform zur Bilderverwaltung, die ebenfalls zu Google gehört.

10 www.google.com/maps/d/viewer?mid=z_tfpIQaZnlI.kO-TBvc1Bsr4&msa=0&ll=46.55886,-30.234375&spn=77.943688,163.828125, 30.03.2015. Im Hinblick auf die für den Street-Art-Kontext fruchtbar gemachte Medienpraktik der Navigation und Lokalisierung sei auf KAPITEL 4.4 verwiesen. Eine Spezifizierung für den Kontext der Street Ghosts kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden. Eine ausführliche Studie zu den vielfältigen Praktiken des Geobrowsings findet sich bei Abend (2013).

E NTNETZEN UND ( RE -) RELOKALISIEREN | P AOLO C IRIO

| 277

wobei jeder Street Ghost eine genaue Adressangabe führt –, andererseits lassen

sie sich über einen Klick auf der Google-Maps-Karte anwählen. Denn wie be-

reits zuvor erwähnt, ist jede Intervention mit einem bunten Pin gekennzeich-

net. Auf diese Weise werden die digital verorteten Geister an den physikalischen Stadtraum rückgebunden und ortsspezifisch (re-)kontextualisiert. Ob der

Farbigkeit der Pins (blau, rot und gelb) hierbei eine unterschiedliche Funktion

zukommt, wird nicht expliziert.

Abb. 30: Screenshot der Google-Maps-Karte (mittlerweile aktualisiert, Stand: 01.12. 2015)

Wählt man einen dieser Pins an, öffnet sich ein kleines Fenster, das weitere kontextspezifische Verortungsinformationen bereithält (vgl. Abb. 30): die ge-

naue Adresse unter Angabe der Straße, der Postleitzahl, der Stadt und des Lan-

des. Ebenso wird das Jahr genannt, in dem die getätigte Intervention stattfand. Darunter ist ein Foto des geklebten Posters zu sehen, begleitet von dem ‚origi-

nalen‘ Street View-Link.11 Ein zweiter Link leitet den User zu Google+ weiter,

wo die Fotos der getätigten Interventionen ebenfalls dokumentiert sind. Interessant ist hier auch die Archivierung eines Screenshots (vgl. Abb. 31), der die ursprüngliche Ausgangssituation dokumentiert.12

11 Da sich Street View regelmäßig aktualisiert, stimmt die aktuelle Bildinformation oftmals nicht mehr mit Cirios Ausgangssituation überein. 12 Das ist vor allen Dingen dann interessant, wenn die ursprüngliche Ausgangssituation über Google Street View nicht mehr abrufbar ist, da die Plattform ihre Daten bereits aktualisiert hat; siehe dazu weiterführend auch KAPITEL 4.5.3. Gleichzeitig sei darauf

278

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

Abb. 31: Screenshot der ursprünglichen Ausgangsituation bei Google Street View | ‚©‘ Paolo Cirio

Google+ stellt hierbei eine umfangreiche Bildersammlung bereit, wobei Cirio jeder Intervention einen einzelnen Ordner zugewiesen hat. Ihr Veröffentlichungsdatum reicht von September 2012 (Berlin) bis Februar 2015 (Man-

hattan).13 Dies macht deutlich, dass es sich bei Street Ghosts um ein Projekt

handelt, das über einen längeren Zeitraum fortbesteht und stets erweitert werden kann. Dies ist schon daher naheliegend, als dass das Projekt prinzipiell

partizipativ angelegt ist: Am rechten Displayrand von Cirios Projektseite be-

findet sich ein Eingabefenster, über das User neue Spots und Geister vorschlagen können. Alles was sie dafür tun müssen, ist das Einfügen eines Street-ViewLinks, die Nennung der jeweiligen Stadt, in der der Geist platziert werden soll,

und die Angabe ihrer E-Mail-Adresse. Im Gespräch bestätigt Cirio, dass User durchaus Gebrauch von dieser Funktion machen, vor allem anfangs habe sich

dieses zusätzliche Feature als recht beliebt erwiesen. Und er fügt hinzu: „Some

people just searched themselves, and found themselves, because they wanted

hingewiesen, dass das Abrufen der Google+-Seite nicht zwangsläufig über Google Maps erfolgen muss, Cirio hält auch hier einen Direktlink auf seiner Projektseite bereit: https://plus.google.com/photos/101628793830161569774/albums?banner=pwa, 31.03.2015. 13 Stand: 31.03.2015.

E NTNETZEN UND ( RE -) RELOKALISIEREN | P AOLO C IRIO

| 279

to become the artwork.“ (Int. KG 07/2014) Es handelt sich dabei um einen

Nebeneffekt, den der Künstler laut Eigenaussage so ursprünglich nicht vorausgesehen hatte. Und auch anderweitig bildete sich – punktuell – eine Art kolla-

borative Ghosting-Praxis heraus: Auf Anfrage schickte Cirio einzelnen Interes-

senten die Bilddateien ausgewählter Street Ghosts, woraufhin sie diese als lebensgroße Poster in ihrer Heimatstadt verklebten. Dennoch erwies sich diese

Praktik nicht als Regelfall, sondern war weitestgehend befreundeten Street-ArtKünstlern vorbehalten, wie Cirio im Gespräch expliziert; in Lyon oder Marseille zum Beispiel. Eine Loslösung der Relokalisierungspraktik vom Künstlerindivi-

duum ist somit grundsätzlich nicht intendiert.

4.5.2 K UNSTPRAKTIK ALS T AKTIK : „‚D ON ’ T H ATE THE M EDIA , U SE THE M EDIA ‘ – B ECOME G OOGLE , IN A WAY “ 14 Nachdem im vorherigen Absatz die Funktionsweise des Projektes beschrieben und die damit in Verbindung stehenden Onlinepräsenzen ausdifferenziert wurden, widme ich mich in diesem Unterkapitel ganz explizit den am Projekt beteiligten Kunst- bzw. Medienpraktiken. Der Blick fällt an dieser Stelle also, von

Google Street View ausgehend, auf die Straße – und wieder zurück ins

Internet; genauer, auf Google+.

Zu Beginn der theoretischen Reflexion muss klar differenziert werden, denn

im Grunde genommen haben wir es bei Cirios Street-Ghost-Projekt mit minde-

stens zwei verschiedenen Relokalisierungspraktiken oder -ebenen zu tun: Zum einen mit der Praktik des Entnetzens der über Google Street View gefundenen

Street Ghosts, die in den physikalischen Stadtraum zurückgespeist werden. Zum anderen mit deren fotodokumentarischer (Re-)Relokalisierung, welche im Zuge

ihres Uploads auf Google+ geleistet wird. Diese Praktik kommt einer Neuoder Rückvernetzung gleich. Der Grund ist ebenso simpel wie offensichtlich:

14 Interview-Zitat von Paolo Cirio mit Bezug auf den Musiker und Aktivisten Jello Biafra, der für seinen Ausspruch „Don’t hate the media, become the media“ bekannt geworden ist.

280

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

Mit dem Upload auf Google+ schließt sich letztlich der ‚Zirkel der Überwa-

chung‘, wie Cirio es selbst nennt:

„By giving that information back to Google, I exploit it a second time. I could publish these pictures everywhere – or I could publish them on Google+ which means basically completing the circle of surveillance. It was a real conceptual decision.“15

Mit diesem Schritt löst er folglich genau das ein, was der französische Soziologe Michel de Certeau mit dem Begriff der Taktik beschreibt: eine „Bewegung ‚innerhalb des Sichtfeldes des Feindes‘“ (de Certeau 1988: 89). Um Cirios Kunstpraktik folglich adäquat nachspüren zu können, bedarf es an dieser Stelle

einer theoretischen Situierung, welche de Certeaus Alltagspraktiken aufruft.

Flankiert wird die Diskussion mit Urs Stähelis Aufsatz Entnetzt euch! (2013), der die Praktik des ‚undoing‘ bzw. ‚cutting the networks‘ reflektiert und auf ihr

taktisches bzw. strategisches Potenzial hin – kritisch – befragt. Denn „[i]s this [und mit ‚this‘ bezieht sich Stäheli auf die Praktik des Entnetzens, KG] really a

gesture of emancipation?“16 Dass sich eine solche Frage im Kontext von Cirios Street-Ghost-Projekt aufdrängt, scheint evident, spielt der Künstler doch gerade

hier mit einer regelrechten Kaskade (vgl. Schüttpelz 2008) an Ent- und Ver-

netzungspraktiken.

Grundsätzlich richtet de Certeau seine Theorie der Alltagspraktiken an der

Perspektive des „anonymen Held[en]“ (de Certeau 1988: 9) aus. Ihm geht es

darum, die „Aktivitäten von Verbrauchern, die angeblich zu Passivität und Anpassung verurteilt sind“ (ebd.: 11) als Grundlage der gesellschaftlichen Tätig-

15 Gleichzeitig sieht er im Upload auf Google+ die Möglichkeit gegeben, dass die Fotos der ‚verklebten Poster‘ von Usern kommentiert und getagged werden können. Diese Praktik kommt – im besten Fall – einer Rückkopplungsschleife gleich, welche die Geister an die ‚echten‘ Menschen rückbindet, wie der Künstler im Interview (KG 07/ 2014) anführt. 16 Zitat aus dem Vortrag Kein Anschluss unter dieser Nummer. Strategien der Ent-Netzung (2014), welcher auf der Konferenz Einbruch der Dunkelheit (www.einbruch-der-dunkelheit.de/programm.php, 06.05.2015), am 25.01.2014 in Berlin gehalten wurde. Ein Mitschnitt des Panels ist unter www.dctp.tv/filme/edd-entnetzung abrufbar, 06.05.2015.

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| 281

keit neu zu verorten. Ziel seiner Studie ist es, die Kombinationsmöglichkeiten

von Handlungsweisen offenzulegen und als verschiedene „Arten des Wilderns“ (ebd.: 12) zu begreifen. Er hinterfragt, wie sich Akteure den gängigen Gesetzen der Kulturökonomie widersetzen können, indem sie deren Produkte „in einem

aktiven Prozess des Umdeutens, Weglassens und Neukombinierens ‚in die Ökonomie ihrer eigenen Interessen und Regeln umfrisieren‘“ (Krönert 2009: 50 mit

Bezug auf de Certeau 1988: 15).

In seinen Überlegungen unterscheidet de Certeau hierbei grundlegend zwei

Konzepte: Strategien und Taktiken. Strategien, so de Certeau, setzen einen Ort

voraus, von dem ausgehend „ein mit Macht und Willenskraft ausgestattetes Subjekt“ (de Certeau 1988: 23) seine Beziehungen zu einer bestimmten Außen-

welt organisiert. Dies setzt etwas „Eigenes“ (ebd.: 87) voraus, was dem „Sieg

des Ortes über die Zeit“ (ebd.: 88) gleichkommt. Die Taktik wiederum bezeichnet ein Handeln aus Berechnung, „das durch das Fehlen von etwas Eigenem bestimmt ist“ (ebd.: 89). Sie beschreibt folglich dasjenige „Kalkül“ (ebd.:

23) des Schwächeren, mit welchem er versucht, innerhalb des ‚feindlichen Ka-

nals‘ aus einer Gelegenheit Profit zu schlagen. In der Kunst des Handelns (1988) charakterisiert de Certeau diese Praktik folgendermaßen:

„[Die Taktik] muss wachsam die Lücken nutzen, die sich in besonderen Situationen der Überwachung durch die Macht der Eigentümer auftun. Sie wildert darin und sorgt für Überraschungen. Sie kann dort auftreten, wo man sie nicht erwartet. Sie ist die List selber.“ (Ebd.: 89)

Taktiken sind somit von der Gelegenheit abhängige Praktiken, die in „die Netze des Systems eindringen“ (ebd.: 90), um diese für ihre eigenen Zwecke zu

funktionalisieren. Die Taktik ist die Praktik des Gebrauchs, des Manipulierens und des Umfunktionierens (vgl. ebd.: 78). Dies stellt eine wichtige Basis-

annahme de Certeaus dar, die für Cirios Street Ghosts produktiv gemacht werden muss. So konstituiert sich doch auch Cirios Projekt maßgeblich über das Zusammenspiel verschiedenster Formen des taktischen ‚Wilderns‘.

Eine dieser Formen ist die bewusste Rückspeisung Cirios entnetzter Street

Ghosts ins Internet. Denn wie bereits anskizziert, stellt Google (Street View)

nicht nur das Bildmaterial von Cirios Geistern, sondern bietet (mit Google+)

letztlich auch die nötige Infrastruktur, um jene Bilder ein zweites Mal aufzu-

282

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

nehmen. Die auf diese Weise re-relokalisierten Fotos speist er also gerade in

den Kanal desjenigen Unternehmens, dessen Bildern er sich zuvor unautorisiert bemächtigte. Auf diese Weise wendet er Googles Bildproduktions- und Aneig-

nungspraktiken gegen sich selbst und macht den ‚Spuk‘ um ihre flächen-

deckende Datenkollektion und die damit in Verbindung stehenden Überwachungspraktiken sichtbar.17 Er erfüllt somit geradezu dasjenige Programm,

welches de Certeau mit dem Begriff der Taktik theoretisch formulierte. De Cer-

teau beschreibt damit eine Praktik, die in den ‚feindlichen Kanal‘ eindringt, ohne ihn jemals vollständig erfassen oder auf Distanz halten zu können [bzw.

zu wollen, KG] (vgl. ebd.: 23). Auf Cirios Projektseite heißt es in diesem Kontext:

„Google didn’t ask for permission to appropriate images of all the world’s towns and cities, nor did it pay anything to do so. It sells ads against this public and private content, and then resells the information collected to the advertisers, making billions that aren’t

17 Spätestens hier lässt sich mit dem Diskurs der (Porträt-)Fotografie anschließen, welcher deutlich weiter zurückdatiert: „Seitdem es möglich war, die Erscheinung der Dinge auf einer lichtempfindlichen Platte festzuhalten, wurde das Objektiv der Kamera auf das menschliche Gesicht gerichtet“, so heißt es in Pierre Vaisses Das Portrait der Gesellschaft (1998: 495). Während in den Anfangsjahren der Fotografie jedoch noch viel Geld für fotografische Bild-(Re-)Produktions-Verfahren ausgegeben wurde und gerade die Porträtfotografie als Privileg galt, das ausschließlich der gehobenen Klasse wie Politikern, Literaten, Künstlern und ‚Bühnenstars‘ zuteilwurde (vgl. Sagne 1998: 102-129), scheint sich dies mittlerweile ins Gegenteil verkehrt bzw. verselbstständigt zu haben. So steht die permanente Bildproduktion und -aggregation – aller – heutzutage im Zeichen von Kontrolle, Überwachung und wird als Einschränkung der individuellen Persönlichkeitsrechte wahrgenommen. Die Porträtfotografie, vor allem die Visitenkartenfotografie der 1860er Jahre, erfreute sich hingegen großer Beliebtheit. Die mit ihr einhergehenden Inszenierungsstrategien wurden zur eigenen Prestigesteigerung genutzt und als Ausdruck sozialen Erfolgs operabel. Damit einhergehend beschleunigte sich jedoch auch die Nivellierung gesellschaftlicher Werte und der Wunsch nach Uniformität nahm zu. Die Porträtfotografie fungiert somit als Instrument sozialer Differenzierung (vgl. ebd.: 110). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, anzumerken, dass die im Atelier angefertigten Porträtfotografien, nach ihrer Entwicklung, im Schaufenster des Ateliers ausgestellt und somit dem ‚öffentlichen Blick‘ bewusst ausgesetzt wurden (vgl. ebd.: 106).

E NTNETZEN UND ( RE -) RELOKALISIEREN | P AOLO C IRIO

| 283

even taxed. It’s a sort of exploitation by a giant social parasite that resells us what was collectively created by people’s activity and money.“18

Die „taktische[…] Finte“ (de Certeau 1988: 30) von Cirios Aneignungspraktik liegt hierbei vor allem darin, dass er sich des über Google Street View bereitgestellten Bildmaterials nicht einfach ‚willkürlich‘ bemächtigt, sondern dass er

dieses als ‚Google-Content‘ markiert. Denn jeder Street Ghost ist mit einem Wasserzeichen versehen; in exakt derselben Manier, wie dies auch für Google

Street View üblich ist. So führen alle seine Street Ghosts den Schriftzug „© [Jahreszahl xy] Google“; wobei die Jahreszahl hierbei auf das jeweilige Jahr

referiert, in dem das Bildmaterial von Google aufgenommen wurde. Cirios An-

eignungspraktik sowie sein Umgang mit vorhandenen Materialien und Strukturen ist folglich mit de Certeaus Produktionsverständnis kurzzuschließen. So

sieht auch er die Produktivität des Alltagshandelns gerade nicht in gänzlich

eigenen Produkten begründet, sondern vielmehr in der Fähigkeit des Umfunktionierens von Vorhandenem: „Das Gegenstück zur rationalisierten, expansiven, aber auch zentralisierten, lautstarken und spektakulären Produktion ist eine andere Produktion, die als ‚Konsum‘ bezeichnet wird: diese ist listenreich und verstreut, aber sie breitet sich überall aus, lautlos und fast unsichtbar, denn sie äußert sich nicht durch eigene Produkte, sondern in der Umgangsweise mit den Produkten, die von einer herrschenden ökonomischen Ordnung aufgezwungen werden“,

so de Certeau in der Kunst des Handelns (ebd.: 13). Mechanismen der Disziplinierung werden geradezu bereitwillig aufgenommen, mit der Absicht, sie gegen sich selbst zu wenden. Dies hat zum Ziel, den die Soziopolitik organisierenden Prozeduren ein Gegengewicht entgegenzustellen, wodurch es letztlich

zu einer Wiederaneignung – respektive Rückgewinnung – von Raum kommt

(vgl. ebd.: 16). Diese trickreichen Praktiken des zivilen oder künstlerischen Ungehorsams, die auf einer verwendenden, verwertenden oder kombinieren-

18 www.streetghosts.net, 30.03.2015.

284

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den Konsumform fußen, knüpfen letztlich ein „Netz [an] Antidisziplin“

(ebd.).19

In diesem Kontext ist zu betonen, dass die Addition des Wasserzeichens den

einzigen manuellen Eingriff des Künstlers (auf das Bildmaterial) darstellt. Im Interview erklärt Cirio, dass das Wasserzeichen zwar ohnehin bereits im Bild-

material von Google vorhanden sei; die Skalierung sowie die anschließende Isolierung der Geister verlange jedoch oftmals eine Neupositionierung der

‚Google-Signatur‘.20 So kopiere er das Wasserzeichen und setze es anschließend an die passende Stelle; im Falle seiner Street Ghosts sind dies vorwiegend die

Arme und Beine der Postermenschen. Dieser Umstand kann als weiteres Indiz

dafür gelesen werden, dass die Umfunktionierung vorhandener Strukturen kreatives Potenzial in sich tragen und zur gleichzeitigen Entlarvung vorherrschender Machtverhältnisse beitragen kann. Auch wenn er zu bedenken gibt, dass

diese Umfunktionierungen zwar oftmals „klein [und] minoritär“ (ebd.: 110) auftreten, zeichnen sie sich gegenüber der gegebenen Ordnung dennoch durch

eine gewisse Widerspenstigkeit aus (vgl. Krönert 2009: 49). Indem sie sich von den herrschenden Gesetzen distanzieren, erschaffen sie durch „Erfinderkraft“

(de Certeau 1988: 79) spezifische Freiräume für eine Art eigensinniges Vergnügen (vgl. Krönert 2009: 50). Dieses wiederum stellt die Basis für kreative

Umdeutungen, für sogenannte „Finten des Vergnügens und der Inbesitznahme“

(de Certeau 1988: 27), welche Cirio anhand seiner Street Ghosts plakativ ausbuchstabiert. Dass jene Finten dabei durchaus auch parodistische Züge annehmen können, beweist folgendes Gedankenexperiment Cirios: „[Imagine that, in

the end, KG] people [could finally, KG] see themselves copyrighted by Google“, so der Künstler im Interview (KG 07/2014).21 Dies macht abermals die von de Certeau proklamierte Notwendigkeit einer Rückspeisung des zweckentfremdeten Materials in den originären Kanal deutlich, denn nur so lassen

19 Zur kunstpraktisch-taktischen Umformulierung/-gestaltung vorhandener Strukturen und Gegenstände der Konsumkultur siehe u.a. auch Dery (1993) und Lasn (2005). Das Adbuster Journal ist online abrufbar unter www.adbusters.org, 06.05.2015. 20 Aufgrund der Skalierung und des anschließenden Ausschneidens der Street Ghosts ‚rutscht‘ das Copyright-Zeichen oftmals aus dem Bildfeld. 21 Anstatt von Parodien spricht de Certeau von „Äquivalente[n] für den Witz“ (vgl. de Certeau 1988: 90).

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sich taktische „Coups“ (de Certeau 1988: 31, 90) landen. Die Kunst des

Gebrauchs liegt also gerade darin, feindliche Kanäle oder bestehende Ordnungen von innen her zu unterwandern – „und zwar nicht, indem [man] sie ab-

lehnt[…] oder verändert[…], sondern [indem man sie, KG] durch hunderterlei

verschiedene Weisen […] in den Dienst von Regeln, Gebräuchen und Überzeugungen stell[t].“ (Ebd.: 81) So wie dies auch für Cirios Street Ghosts gilt, die im

Inneren des Systems, das sie assimilieren und von dem sie assimiliert werden,

dennoch andere bleiben: „Sie entstell[t]en diese Ordnung ohne sie zu verlassen. Die Prozeduren des Konsums haben selbst in dem Raum ihre Andersheit bewahrt, der von dem Besitzer organisiert wurde.“ (Ebd.)

Gleichzeitig ist die Addition des Copyrightzeichens aber auch als eine Art

‚Schutzfunktion‘ des Künstlers zu lesen. Indem er das Material als Fremdmate-

rial markiert, erhebt er keinerlei Besitz- oder Eigentumsansprüche.22 Google

dürfte es aufgrund dieser Tatsache schwer fallen, rechtlich gegen Cirio vorzugehen. Auch wenn sich seine Taktik also durch das Fehlen von Macht auszeich-

net, versucht sie innerhalb dieser Situation unausgeglichener Kräfteverhältnisse dennoch „die Position des Schwächsten so stark wie möglich zu machen“ (ebd.:

91).23 Mit de Certeau gesprochen ist damit eine Praktik aus-/aufgeführt, die

„zum Prinzip einer intellektuellen Kreativität gehört, welche ebenso beharrlich wie subtil ist, nicht aufgibt, bei jeder Gelegenheit auf der Lauer liegt, auf dem Gebiet der herrschenden Ordnung verstreut ist und Regeln fremd gegenübersteht, die von einer Rationalität erzwungen werden, die auf dem erworbenen Recht auf etwas Eigenes beruht.“ (Ebd.)

22 Im Interview (KG 07/2014) weist er darauf hin, dass er seine Street Ghosts im Rahmen von Ausstellungen und anderen Events auch nicht verkaufe. Auch wenn die Dokumentation von Interventionen, unter bestimmten Voraussetzungen, durchaus ‚Objekt- oder Produktstatus‘ einnehmen kann, sieht er vom Verkauf seiner Street Ghosts ab. Zum einen, um die Persönlichkeitsrechte der betreffenden Menschen zu schützen, zum anderen aufgrund des Wasserzeichens, was den Besitzstatus der Geister zweifelsohne weitaus komplexer macht. Dennoch wäre ein Verkauf der Geister ein interessantes Experiment, welches offene Fragen um Verwendungs- und Verwertungsrechte von Künstlern adressierte. 23 De Certeau referiert an dieser Stelle auf Aristoteles, der wiederum Korax zitiert.

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Jener Umstand mag mitunter dafür verantwortlich sein, dass Google bisher nie

einlenkte. So erreichten den Künstler bis heute keinerlei Zurechtweisungen oder rechtliche Klagen des Unternehmens. Und dies ist nicht unbedingt selbst-

verständlich, sah sich der Künstler bei vergangenen Projekten doch durchaus

mit dementsprechenden Problematiken konfrontiert: So schloss ihn beispielsweise Facebook aus, nachdem er sich im Rahmen seines Projekts Face-to-

Facebook (2011)24 auf unautorisierte Weise eine Million Facebook-Profile aneignete. Diese scannte er mit einer Gesichtserkennungs-Software, sortierte sie

nach Gesichtsausdruck und lud sie auf die selbst erstellte Dating-Webseite

www.Lovely-Faces.com.25 Den Künstler ereilten infolgedessen elf Anwaltsklagen, fünf Morddrohungen, mehrere Briefe von der Rechtsabteilung von Facebook; begleitet von einer großen Presseaufmerksamkeit weltweit.26

4.5.3 K UNSTPRAKTIK ALS S TRATEGIE : ‚S TAGING A S HOW OR P ERFORMANCE IN THE M EDIA ‘ Auch Street Ghosts erregte große Aufmerksamkeit, wenn auch auf leicht abge-

wandelte Weise. Das Interessante an Street Ghosts ist hierbei vor allem, dass die Präsenz der Geister im Stadtraum bei Anwohnern und Passanten kaum Irrita-

24 www.paolocirio.net/work/face-to-facebook und www.face-to-facebook.net/index.php, 14.04.2015. Face-to-Facebook ist die dritte Arbeit der Hacking Monopolism Triology (www.paolocirio.net/work/hacking-monopolism-trilogy, 06.05.2015), zu welcher auch Amazon Noir (www.paolocirio.net/work/amazon-noir, 06.05.2015) und Google Will Eat Itself (www.paolocirio.net/work/gwei, 06.05.2015) gehören. 25 Die Seite ist nicht mehr abrufbar. Auf Cirios Projektseite hingegen heißt es dazu: „Facebook, an endlessly cool place for so many people, becomes at the same time a goldmine for identity theft and dating – unfortunately, without the user’s control. But that’s the very nature of Facebook and social media in general. If we start to play with the concepts of identity theft and dating, we should be able to unveil how fragile a virtual identity given to a proprietary platform can be. And how fragile enormous capitalization based on exploiting social systems can be“, www.face-to-facebook.net/theory.php, 14.04.2015. 26 Vgl. www.face-to-facebook.net/theory.php, 14.04.2015.

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tionen auslöste – so zumindest Cirios Erfahrung. Auch wenn sie permanent ver-

suchten, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren, blieben sie weitestgehend unbeachtet. Der Künstler berichtet, dass er anfangs kaum Feedback auf seine

Interventionen erhielt; auch hätte sich bisher nie einer der ‚geklebten‘ Men-

schen bei ihm rückgemeldet. Er selbst führt dies auf den Umstand zurück, dass Menschen, die sich nicht (sowieso schon) für Street Art oder Graffiti interessieren, nicht unbedingt ausgiebiger in der eigenen Stadt umschauen. Das Smartphone sei hier, wie so oft, der größere Attraktor.

Erst das Verfassen einer Pressemitteilung und das Rückspeisen der Street

Ghosts ins Internet, auf die Projektseite (was deren Präsenz auf Google Maps

und Google+ einschließt), hätte letztlich zu großer Aufmerksamkeit geführt. Cirio expliziert hierzu: „The interesting thing is that the project has been amplified by the same environment from which it was extracted. Google took the information from the physical world and placed it in the digital world (or internet world); I took it back. When it was back in the physical world, it wasn’t really important for people. They didn’t really notice that on the street. But when it was from there back again in the internet, that created a lot of concern and attention.“ (Int. KG 07/2014)

Dennoch ist Cirios Aussage an dieser Stelle ungenau. So ist ‚das Internet‘ keinesfalls als homogener Raum zu bewerten, vielmehr muss die Situierung im

Internet ortsspezifisch hinterfragt werden. Während die Rückspeisung des

zweckentfremdeten Materials auf Google+ zweifelsohne als taktischer „Kunstgriff[…]“ (de Certeau 1988: 24) gelesen werden muss, kann der Upload auf die

eigene Projektseite (und das Verfassen einer Pressemitteilung) als strategische Dokumentations- und Präsentationspraktik verstanden werden. So dient der

Aufbau einer eigenen Webpräsenz der Nachvollziehbarkeit des Projektes und muss als maßgeblicher Motor in der Verbreitung, Aufmerksamkeitsgenerierung und Popularisierung des Projektes aufgefasst werden. Und mit Aufmerksamkeit ist an dieser Stelle zuallererst mediale Aufmerk-

samkeit, im Sinne von Presseaufmerksamkeit, gemeint. So wurde das Projekt von vielerlei Seiten aufgegriffen und landete schließlich in den ‚Massenmedien‘. Cirios Dokumentations- und Präsentationspraktiken zeichnen sich also dadurch aus, dass sie ein hohes Maß an Anschlussfähigkeit entfalten:

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„The reason mass media catches up a story is because it is about fear; or it is about something sexy, or something really glamorous. That is unfortunately the reality. So when I, as an artist, try to create a threat, this news always goes to the front page. It’s kind of a crazy strategy, but it works, somehow“,

so Paolo Cirio im Interview (Int. KG 07/2014). Vor allem Zeitungen und Maga-

zine (Print und Online) waren an einer Berichterstattung interessiert. 27 Die Reaktionen waren kontrovers: „Some people are really upset, some people laugh, some people say it’s great, some people hate it. That’s the debate that it

generates.“28 (Ebd.) Und genau um diese Auseinandersetzung und Diskussion geht es ihm ja gerade. Hauptziel seines Projektes ist es, eine öffentliche Debatte auszulösen, die aktuelle Thematiken, Problemfelder und Missstände offen-

legt. Dabei sollen gerade diejenigen gesellschaftlichen, sozio- und geopolitischen Missstände thematisiert werden, die immer wieder aus dem öffentlichen

Bewusstsein verdrängt werden: Überwachung und Kontrolle, die Zugänglich-

keit und etwaige Zweckentfremdung privater Daten, der Umgang mit Bildrech-

ten und Copyright sowie das teils unwissentliche Hinterlassen digitaler Fußspuren.29 Auf seiner Webseite schreibt er dazu:

„It’s a performance on the battlefield, playing out a war between public and private interests for winning control over our intimacy and habits, which can change permanently

27 Eine umfangreiche Auflistung findet man unter www.paolocirio.net/press, 13.04.2015. 28 Dass manche Menschen überreagierten, überraschte den Künstler, wie er im Interview berichtet. Und er expliziert: „My perception about what is privacy or what is the internet is different. For me it’s much worse to have a picture of me in the internet (that I don’t like) than see my picture on the street.“ (Int. KG 07/2014) 29 Vor dieser Folie ist auch sein neuestes Projekt Overexposed (2015) zu lesen. Bei diesem bemächtigte er sich der auf sozialen Netzwerken veröffentlichten Privatfotos ranghoher US-Geheimdienstmitarbeiter und plakatierte sie als HD-Stencil in den öffentlichen Raum: www.paolocirio.net/work/hd-stencils/overexposed, 27.05.2015. Auf diese Weise konfrontierte er die Verantwortlichen heutiger Massenüberwachungsprogramme mit den Auswirkungen ihrer eigenen Datenschutzpolitik.

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depending on the victor. […] This reconfiguration of informal power provokes engagement between […] social agents, who are recruited through simple visual exposure.“30

Unter Einbezug einer Vielzahl heterogener Akteure, darunter Passanten, Journalisten, Online-Rezipienten, Gesetzgeber, Medientechnologien, Unternehmen,

den ‚geklebten‘ Menschen sowie sich selbst, generiert Cirio somit eine öffentliche Debatte, die verdrängte Themen und Problemfelder offenlegt und die

Praktik des Re-Relokalisierens als mediales Ereignis entwirft: „It’s like staging a show in the media“, so Cirio (Int. KG 07/2014). Er bezieht sich damit auf den

Vorgang des bewussten, vorbereiteten und mit künstlerischen Mitteln umgesetzten ‚Arrangierens‘ oder ‚Vorführens‘ eines Konfliktes. Diese arrangierte Vorführung hat – mit de Certeau gesprochen – einen „Ort“ und kann als etwas

„Eigenes“ beschrieben werden, von dem ausgehend Beziehungen zu einer Ex-

teriorität organisiert werden (vgl. de Certeau 1988: 87). De Certeau schreibt hierzu:

„Wie beim Management ist jede ‚strategische‘ Rationalisierung vor allem darauf gerichtet, das ‚Umfeld‘ von dem ‚eigenen Bereich‘, das heißt vom Ort der eigenen Macht und des eigenen Willens, abzugrenzen. Ein cartesianisches Unterfangen, wenn man so will: etwas Eigenes in einer Welt umreißen, die von den unsichtbaren Mächten des Anderen verhext ist.“ (Ebd.: 87-88)

Dies erklärt unter anderem, warum Cirios Street-Ghost-Interventionen eine ausgiebige Vorbereitung vorausgeht: „It’s about setting up everything before“, so jener selbst (Int. KG 07/2014). D.h. also, alle Schritte müssen vorab möglichst

gut vorbereitet sein, sodass seine Aufgabe letztlich darin bestehen kann, die

30 www.streetghosts.net, 30.03.2015. Seine Kunstpraktik lässt sich folglich mit Lovinks ‚taktischem Medienverständnis‘ kurschließen. In Updating Tactical Media (2008b) schreibt dieser: „What brings these tactical initiative together is their carefully designed workings, their aesthetics beyond the question of taste. Being neither cute nor ugly, neither good nor bad, tactical media appears, strikes and disappears again. Instead of the old school rituals of negation and refusal, tactical media engages makers and users, producers and viewers, into a game of appearances and disappearances. Key to tactical media is its mix of art and activism, and a shared critical awareness of style, design, and aesthetics.“ (Lovink 2008b: 188)

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ausgelösten Reaktionen aufzunehmen, zu koordinieren und zu dokumentie-

ren.31 Die Anschlusspraktiken rücken folglich in den Vordergrund. Auch wenn die einzelnen Handlungsschritte hierbei immer auch von unsicheren oder un-

vorhersehbaren Parametern begleitet werden, zielt Cirio letztlich die „Beherrschung der [oder zumindest selektierter, KG] Orte durch das Sehen an“ (de

Certeau 1988: 88). Ein möglichst gut vorbereitetes Setting ermöglicht ihm einen Standpunkt,

„von dem aus der Blick die fremdem Kräfte in Objekte verwandelt, die man vermessen, kontrollieren und somit seiner eigenen Sichtweise ‚einverleiben‘ kann. Sehen (in die Ferne sehen), bedeutet auch voraussehen, also durch die Lektüre des Raumes der Zeit vorauseilen.“ (Ebd.)

Dies macht deutlich, dass Cirio sich der von Google zur Verfügung gestellten Inhalte nicht nur bemächtigt, um sie anschließend als taktische ‚Coups‘ in den

feindlichen Kanal zurückzuspeisen; er lagert einzelne Inhalte auch aus, und

zwar auf einen von Google unabhängigen (Web-)Space: den Stadtraum und seine Projektseite.32 Dadurch gelingt ihm ein kleiner „Sieg des Ortes über die

Zeit [welche ihm letztlich] eine [gewisse] Unabhängigkeit gegenüber den wechselnden Umständen“ (ebd.) einräumt. Die Dokumentation seiner Interven-

tionen und deren Präsentation auf der eigenen Projektseite zeigt sich, zumin-

dest in Stücken, unabhängig von dem sich stets aktualisierenden GoogleContent und der Monopolstellung des Unternehmens. In seinen Fotos und den

dazugehörenden Screenshots akkumuliert sich Wissen, welches unmittelbar mit einer gewissen Machtposition verbunden ist. In seine von taktischen ‚Coups‘ dominierte Kunstpraktik schreiben sich strategische Züge ein. Durch diese

Funktionalisierung verlieren Cirios Kunstpraktiken – punktuell – ihre konstitutive Ortslosigkeit,

31 „It’s about managing this kind of flow“, so Cirio im Interview (KG 07/2014). 32 Der Organisationstheoretiker Rolland Munro weist bereits Ende der 1990er Jahre auf die Notwendigkeit hin, die Praktik der Entnetzung und die damit einhergehende Trennungsarbeit machttheoretisch zu denken, worauf Urs Stäheli in seinem Aufsatz Entnetzt euch! (2013: 6) aufmerksam macht.

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„werden sie doch zu situationsenthobenen Instrumenten in und für einen umgreifenden Plan. […] Das Oszillieren zwischen Taktiken und Strategien der Ent-[oder Ver]netzung verweist nicht zuletzt auf genau diesen Zusammenhang: auf Momente des Strategischen in Taktiken der Ent-[oder Ver]netzung wie auch auf Momente des Taktischen im Versuch, Strategien der Ent-[oder Ver]netzung zu entwerfen“,

worauf Urs Stäheli in seinem Aufsatz Entnetzt euch! (2013: 28) hinweist.

Und auch der bewusste Rückgriff auf die Technik der Street Art muss als

solche Strategie gelesen werden. Denn wie zu Beginn expliziert, ist Cirio grundsätzlich kein Street-Art-Künstler, sondern im Bereich der Medienkunst, der

Hackerkultur und des Netzaktivismus zu verorten. Wie der Künstler im Gespräch bestätigt, war er sich im Falle von Street Ghosts der begünstigenden

Nebeneffekte der Street Art bewusst: „It’s much more ‚pop‘ than any other type

of genre or discipline. If I was just calling it net art I couldn’t get the attention of many kids, blogs, and so on.“ (Int. KG 07/2014) Und schließlich war dies

ausdrücklicher Bestandteil seines Konzeptes und Grundvoraussetzung der Generierung einer öffentlichen Debatte – oder Performance, wie er es nennt.33 Dieser Umstand ist aufschlussreich und weist auf zwei Punkte gleichzeitig hin:

Auf die Aufmerksamkeitsgenerierung der Street Art und deren Funktionalisie-

rung oder Aushöhlung als Label habe ich bereits an mehreren Stellen hingewiesen. Hinzu kommt, wie im Falle von Cirios Street Ghosts offensichtlich wird,

deren Markierung als populärer Player im System der Kulturindustrie. Die Street Art spielt heutzutage innerhalb der Maschen des Systems; ihren (einst)

parasitären Status scheint sie weitestgehend abgestreift zu haben. Ihr ‚Netz‘ ist

nicht mehr das der „Antidisziplin“ (de Certeau 1988: 16), sondern das der populärkulturellen Aufmerksamkeitsökonomie. Dies leitet unmittelbar zu Punkt

zwei über: der Homogenisierung von Taktiken und deren Assimilierung (an) bestehende(r) Ordnungsmuster. Taktiken beginnen

„in einem sich homogenisierenden und sich ausdehnenden Raum überall aufzutauchen. Die Konsumenten verwandeln sich in Immigranten. Das System, in dem sie verkehren, ist

33 „The idea of the performance just came up recently, because I realized that it was the only notion making sense – for me and also for my art practice.“ (Int. KG 07/2014)

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zu groß […] und zu engmaschig, als dass sie ihm jemals entfliehen und sich außerhalb von ihm ansiedeln könnten. Es gibt kein Anderswo mehr.“ (Ebd.: 94-95)

Während de Certeau mit dem ‚Einfall‘ der Taktiken in das „‚strategische‘ Modell“ (ebd.: 95) vor allem dessen Verlust von etwas „Eigenem“ (ebd.) beklagt, liegt mein Augenmerk jedoch auf der gegenläufigen Bewegung: Der

Parasit und die Taktiken des praktischen Widerstands werden vom System aufgenommen und ihrer „ameisenhaften Tätigkeit“ (ebd.: 79) beraubt. Zur strategischen Homogenisierungspraktik des Systems nur ein exemplarisches Beispiel:

Auf ähnliche Weise wie Lifestyle- und Sportmarken wie Nike, Puma und adidas schon vor Jahren mit der Ästhetik von Street Art Werbung machten (vgl. dazu

Heath/Potter 2006; Reinecke 2007: 82, 161-162), setzen heutige Medienmogule wie Facebook und Google auf das Expertenwissen von Hackern, um ihre Internetauftritte zu stabilisieren und ihr Monopol auszubauen. Die einstigen

Parasiten des Systems werden nicht nur ‚mit Handschlag begrüßt‘, sondern scheinbar ‚rückstandslos‘ assimiliert. Doch an dieser Stelle zurück zu Paolo Cirios Street Ghosts und der damit in

Verbindung stehenden Aufmerksamkeitsökonomie. Der Künstler weist darauf hin, dass trotz aller medialen Aufmerksamkeit die zuvor erwähnte, öffentliche

Auseinandersetzung dennoch nie von langer Dauer ist. Was am Ende bleibt, so Cirio selbst, ist ihre Dokumentation und Archivierung. Dafür gibt es mehrere Gründe; im Folgenden möchte ich auf vier Gründe näher eingehen. Zunächst

einmal ist festzuhalten, dass seine Street Ghosts, wie alle anderen Street-ArtWerke auch, vergänglich sind. Das heißt, allein schon ihre Materialität (in die-

sem Fall Papier) erweist sich als wenig geeignet, um längere Zeit im Stadtraum

zu bestehen.34 Hinzu kommt, dass die verklebten Poster oftmals schon nach wenigen Tagen von Passanten abgerissen werden – auch wenn der Künstler

versucht, diesen Faktor bereits in die Ortswahl mit einzubeziehen. Nach eige-

nen Angaben bespielt er hierbei einerseits Orte, denen er eine möglichst lange

Lebensdauer (für seine Poster) zuspricht, andererseits erweist sich aber auch die Erreichbarkeit möglichst vieler Menschen als entscheidender Faktor. Hinzu kommen logistische Aspekte; so präsentieren sich bereits bekannte Gegenden als deutlich einfacher zu bespielende Territorien als Stadtteile, die er noch 34 Vgl. dazu auch KAPITEL 4.2.

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nicht kennt.35 Schaut man sich einmal die von Cirio gewählten Spots – hier in Berlin – an, so lässt sich wahrlich von einem großen Projekt sprechen, vertei-

len sich seine Street Ghosts doch über ein weites Stadtgebiet: Angefangen von

Neukölln bis nach Kreuzberg und Friedrichshain, über Mitte, bis hin zum Prenzlauer Berg postulieren sie ihre geisterhafte Präsenz im Stadtraum und

bahnen sich ihre „Wege durch den Dschungel der funktionalistischen Rationalität“ (de Certeau 1988: 21). „Berlin was a huge project“, bestätigt auch Cirio

(Int. KG 07/2014). Dennoch weist er im selben Zug darauf hin, dass er ursprünglich vorhatte, mehr Poster zu verkleben: „I came here with about twenty

posters and I could paste only ten, because the city changes so fast.“ (Ebd.) Dieser Umstand weist auf eine zweite Facette des Vergänglichkeitsaspektes hin, denn nicht nur Street-Art-Werke sind vergänglich, auch Städte sind einem permanenten Wandel unterworfen. Es handelt sich hierbei um einen Umstand,

den der Künstler im Rahmen seines Street-Ghost-Projektes schon oft zu spüren bekam. Cirio berichtet, dass er in der Vorbereitung und folglichen Ortswahl seiner Geister vorab zumeist nur auf die Informationen von Google Street View

zurückgreifen kann.36 Im Falle von Berlin hätten sich die Straßenzüge jedoch

teilweise derart schnell verändert, dass einzelne (über Street View selektierte)

Spots nicht mehr aufgesucht werden konnten, da einzelne Gebäude fehlten

oder ‚unbrauchbar‘ waren. Diese Tatsache leitet zwangsläufig und im Umkehrschluss zu einem dritten Vergänglichkeitsaspekt weiter, und zwar dem von

Medien, von Softwaretechnologien und Internetauftritten. Auch diese sind permanent verschiedensten Prozessen und Dynamiken der Aktualisierung unterworfen.

35 Bei Festivals oder im Rahmen von Galerie-/Museumsausstellungen stehen dem Künstler ausschließlich legalisierte Flächen zur Verfügung. 36 Während sich Street-Art-Künstler die neuen Medientechnologien somit u.a. zur Sichtung passender Spots zunutze machen, können sie jene Technologien auch als weitere Präsentationsplattformen nutzen. So soll Google Street View, Mitte 2014, beispielsweise bewusst eine Vielzahl von Graffiti und Tags in Leipzig verpixelt haben, um Writern zu verwehren, ihr Ansehen durch zusätzlichen ‚Internet-Fame‘ zu steigern (vgl. Dobbeck 2014).

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„Media is always disappearing, technology is always updating. I realized that for me it’s impossible to keep my work alive, because the technology changes so fast. And that’s why I also call these cyber wars a performance. Because they may only remain as long as the technology is available. When the technology is gone, your work is different. It won’t be saved“,

so Cirio (ebd.). Und dies ist vor allen Dingen im Falle von Google Street View

zu beobachten, wird das Bildmaterial mancherorts alle sechs Monate aktua-

lisiert. D.h., trotz großer Dokumentationsbestrebungen ist es Cirio nicht möglich, das Bildmaterial konstant zu halten oder nachhaltig zu verdauern. Die auf

seiner Projektseite hinterlegten Links intendieren zwar eine Referenz auf die ursprüngliche Ausgangssituation, oftmals ist dort jedoch bereits eine veränder-

te Situation vorzufinden: „If you go on Google Street View you won’t find the same subject. You lose all of its reference“, so Cirio (ebd.).37 So bleibt dem

Künstler letztlich nur das Archivieren eines Screenshots.38 Ein vierter und letzter Punkt, der die Notwendigkeit einer umfangreichen Dokumentation des Projektes unterstreicht, ist die Kurzlebigkeit der öffentlichen Debatte in den Medien – denn die Medien vergessen schnell: „It’s five minutes of attention“, bestä-

tigt auch Cirio (ebd.). Genauso schnell wie seine Projekte von der Presse aufgegriffen werden, genauso schnell sind die Schlagzeilen um seine Interventio-

nen auch wieder verschwunden – ein Umstand, für den journalistische Berichterstattungen im Allgemeinen bekannt sind. Umso mehr gilt es jene fünf Minuten für sich zu nutzen: „In this five minutes it’s like a performance that you stage.“ (Ebd.)

37 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Arbeit des Internet Archive, welches sich der Langzeitarchivierung von digitalen Daten (Büchern, Filmen, Musik, Audioaufnahmen, Software etc.) verschrieben hat: www.archive.org/index.php, 07.05.2015. Mit der sogenannten Wayback Machine können Webseiten und -auftritte früheren Datums aufgerufen werden. 38 Zur Speicher- und Archivierungsfunktion des Internets siehe auch KAPITEL 4.6.4.

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4.5.4 N ETZKRITIK Meine bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Thematik der Über-

wachung, der Kontrolle und der Aneignung bzw. Verwendung öffentlicher sowie privater Daten in Cirios künstlerischem Schaffen ein zentrales Thema dar-

stellt.

„The collections of data that Google and similar corporations have, become the material of everyday life, yet their source is the personal information of private individuals. By remixing and reusing this material, I artistically explore the boundaries of ownership and exposure of this publicly displayed, privately-held information about our personal lives“39,

resümiert Cirio auf seiner Projektseite. Er bedient sich somit der von Google

gesammelten Informationen und verwendet diese als künstlerisches Material.

Auf diese Weise übt er Kritik an vorherrschenden Machtstrukturen und (in-)transparenten Kontrollmechanismen. Wie ich gezeigt habe, wohnt seinen

Kunstpraktiken dabei sowohl eine taktische wie auch eine strategische Dimension inne, über welche er gleichzeitig die rechtlich-moralischen Grenzen künstlerischer Produktion und die ihr zugrunde liegenden Konventionen hinterfragt.

Im selben Zug konfrontiert er die Menschen – Passanten wie Online-Rezipienten – mit den qualitativen Ästhetiken privater Daten, von denen sie nicht ein-

mal wussten, dass sie existieren. Er zwingt sie, sich mit ihrer eigenen ‚Geisterhaftigkeit‘ auseinanderzusetzen „[which, KG] forces them to reckon with the possibility of their own image appearing as ghostly slaves trapped in a digital

world forever.“40 Denn nur weil Bilder oder Informationen sich nicht mehr an vorderster Stelle des sich permanent aktualisierenden Facebook-Newsfeeds

oder ‚ganz oben‘ in der Google-Suche befinden, heißt das noch lange nicht,

dass sie verschwunden sind. Sie sind immer noch da und können jederzeit zurückkehren, „like ghosts, […] sometimes reappearing from the ethereal hells of

39 www.streetghosts.net, 30.03.2015. 40 www.streetghosts.net, 30.03.2015.

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digital archives“,41 expliziert auch Cirio. Dies macht deutlich, dass der potenzi-

ellen bzw. zwangsläufigen Geisterhaftigkeit von Daten somit immer auch ein

(netz-)politischer Wert eingeschrieben ist. An dieser Stelle lassen sich Fragen

des Nachlebens bzw. des sogenannten ‚afterlife of data‘ anschließen. Während die Frage der Präservation, Beständigkeit und des Nachwirkens/-lebens von Kunst ein Thema ist, mit dem sich die Kunstgeschichte bereits seit vielen Jah-

ren beschäftigt, hat die Digitalisierung von Kunstwerken und Bildarchiven ihr

zweifelsohne eine neue Dimension und zusätzliche Prägnanz verliehen.42 Auch wenn diese Thematik an dieser Stelle nur flankiert werden kann, nehme ich

ihre Dynamik auf, um die Diskussion der Datenspeicherung, Überwachung und Kontrolle abschließend in einen explizit netzkritischen Kontext zu rücken.

Denn auch wenn das Internet längst Teil unserer alltagspraktischen Lebenswelt

geworden ist, erweist sich ein Großteil seiner Mechanismen bis heute als intransparent. So scheint ein aufklärerischer Ansatz gerade darin zu liegen, hin-

ter die Kulissen führender Onlinedienste, Unternehmen und Institutionen zu blicken, um ihre politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Produktions- und Inszenierungspraktiken zu enttarnen. „Wenn es richtig ist, dass das Raster der ‚Überwachung‘ sich überall ausweitet und verschärft, dann ist es umso notwendiger, zu untersuchen, wie es einer […] Gesellschaft gelingt, sich nicht darauf reduzieren zu lassen“,

41 www.streetghosts.net, 30.03.2015. Einen weiteren kunstpraktischen Beweis dafür liefert u.a. das Instagram-Fotoprojekt des Amerikaners Richard Prince (vgl. dazu Contrera 2015). 42 Siehe dazu u.a. Klinke/Stamm (2013), Kohle (2013), die Zürcher Erklärung zur digitalen Kunstgeschichte (2014) sowie auch die Konferenz Bilderflut – Bilderschatz. Gespräche zur Digitalen Kunstgeschichte, die am 07.07.2014 in Berlin stattfand. Ebenfalls in dieses Forschungsfeld greifen Projekte wie Prometheus: www.prometheus-bildarchiv.de, 12.05.2015, das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte - Bildarchiv Foto Marburg: www.fotomarburg.de, 12.05.2015 sowie Hyperimage: www.unilueneburg.de/hyperimage/hyperimage/idee.htm, 12.05.2015. Siehe dazu weiterführend auch KAPITEL 4.6.4.

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so de Certeau bereits 1980 in der Kunst des Handelns (de Certeau 1988: 16).43

Es kann nicht ausreichen „die Ratio an Trugbildern abzugrasen, die das System jedem einzelnen zuteilt“ (ebd.: 294).

Dass es Google im eigentlichen Sinne nie darum ging, ‚die Informationen

der Welt zu organisieren‘, scheint heutzutage niemanden mehr wirklich zu überraschen. Google ist kein selbstloser Dienstleister, sondern ein auf Profit ausgerichtetes Unternehmen. Schon früh entwickelte es parasitäre Technologien, um Inhalte anderer auszubeuten und sich fremder Daten zu bedienen. Die

Erfassung relevanter Zielgruppen und die Erstellung nutzergenerierten Contents erwies sich dabei als lukratives Geschäftsmodell, mit dem über den Weiterverkauf an Drittanbieter hohe Gewinne erzielt werden konnten (vgl. Lovink

2012: 13).44 Anstatt auf der Ebene der Produktion machen Firmen ihre Ge-

winne heutzutage durch die Kontrolle der Distributionswege – und dies, ohne

dass User merken, „wie ihre unbezahlte Arbeit und ihr Online-Sozialleben von

Apple, Amazon, eBay und Google, den größten Gewinnern in diesem Spiel, zu Geld gemacht wird“, so der Netzkritiker Geert Lovink in Das halbwegs Soziale.

Eine Kritik der Vernetzungskultur (ebd.). Und er fügt hinzu: „Spende deine Weisheit den Massen. Websites sagen uns, welche Inhalte am meisten gelesen, gesehen und verschickt wurden und geben uns Hinweise, was gleichgesinnte Nutzer gedacht und gekauft haben. Faszinierend ist nicht der Fluss der Meinungen […], sondern die Bereitschaft, sich auf die Angleichung an die anderen einzulassen. Wir werden aufgefordert, Bücherlisten anzufertigen, Musik-Rankings zu erstellen und Produkte, die wir gekauft haben, zu empfehlen. Nutzer-Bienen, die für die Königin Google arbeiten. Es ist so verführerisch, an der Welt der Online-‚Bestäubung‘ […] teilzuhaben, mit Milliarden

43 Die französische Originalfassung L'Invention du Quotidien stammt aus dem Jahr 1980, 1988 wurde sie ins Deutsche übersetzt. 44 Die profitorientierte Nutzung von Gemeingut wird am Beispiel von Google Books offensichtlich; eine Vielzahl seiner Dienste wäre nämlich durchaus als öffentliche Infrastruktur und globaler, unkommerzieller Wissensspeicher denkbar (vgl. Lovink 2012: 198).

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von Nutzern, die wie Bienen von einer Website zur nächsten fliegen und so deren Wert für die Eigentümer vergrößern.“45 (Ebd.: 39)

User müssen heutzutage nichts mehr selbst ‚machen‘ (oder recherchieren), so-

lange sie die Suchmaschine mit ihren persönlichen Daten und Vorlieben füttern

– wobei dabei umso mehr ökonomischer Wert generiert wird, je mehr Transak-

tionen vollzogen werden (vgl. ebd.: 131, 16 mit Bezug auf Carr 2008b).46 Netzkritiker und Netzaktivisten sehen folglich die zwingende Notwendigkeit gekommen, das Grundprinzip verteilter Netzwerke zu verteidigen und „die

Selbstbestimmung der Knoten gegen die zentrale Autorität“ (ebd.: 46) zu stärken.

Während das Internet in seinen Anfängen für das Prinzip der verteilten

Macht und persönlichen Freiheit stand, wird es zunehmend zu einer zentralisierten Infrastruktur. Die Terroranschläge des 11. September 2001 gelten als wichtiger Scheidepunkt, von dem ausgehend die systematische Etablierung

einer globalen Überwachungs- und Kontrollindustrie einsetzte (vgl. ebd.: 55-56

sowie ebd. 2011: 40). Acht Jahre später fasste der deutsche Innenminister de

Maizière in 14 Thesen die politischen „Grundlagen einer gemeinsamen Netzpolitik der Zukunft“ (2010) zusammen, welche das Recht auf vollkommene Anonymität überhaupt nicht mehr vorsahen: „Der freie Bürger zeigt sein Gesicht, nennt seinen Namen, hat eine Adresse […]. Eine schrankenlose Anony-

mität kann es […] im Internet nicht geben.“47 (Ebd. 2012: 63 mit Referenz auf 45 Im Jahr 2008 hat Google eine Technologie patentieren lassen, welche es ermöglicht, seine User noch besser ‚lesen‘ zu können. Ziel war es, ihre Interessen zu filtern, um sie marktwirtschaftlich nutzen zu können (vgl. Lovink 2012: 192). 46 Zur neurologischen Dimension des permanenten Googelns und Switchens zwischen verschiedenen Fenstern siehe weiterführend Carr (2008a). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Auszug aus Bill Gates Buch The Road Ahead (1996). Auf Seite 19 schreibt dieser: „When companies know more about you, you don’t have to look at advertising for things that don’t interest you. And the companies will know that the right people are seeing the things they sell. …Your computer will tell the companies about what you’re interested in buying. Or what you’re interested in hearing.“ (Patelis 2013: 122 mit Referenz auf Gates 1996) 47 Vor dieser Folie sind die Ende 2009 eingeführten Privatsphäreeinstellungen von Facebook keine Überraschung mehr (vgl. dazu Johnson 2010).

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de Maizière 2010: 3) Sichtbarkeit und Transparenz sind also längst kein Zei-

chen demokratischer Offenheit mehr, sondern stehen für administrative Verfügbarkeit (vgl. ebd.: 66). Während dem Bürger das Recht auf uneingeschränk-

te Anonymität untersagt wird – man denke nur einmal an das konstante Ver-

folgen von Internetprotokolladressen (IPs) –, werden andere Quellen hermetisch abgeriegelt. Spätestens WikiLeaks und die Enthüllungen um Edward

Snowden dürften dies offengelegt haben. Interessant ist jedoch auch, dass Kontrolle und Überwachung nicht mehr ausschließlich ‚top down‘ gedacht werden

können. So hat die Praktik des ‚Self-Monitorings‘ und ‚Self-Trackings‘ gerade

im Zuge von Social Media exzessiv zugenommen. Im Livestream von Facebook

und Twitter offerieren User Echtzeit-Informationen über ihre aktuelle Beschäftigung, Freizeitaktivität, ihren Standpunkt, ihre Vorlieben, Freundschaftsbeziehungen und Essensgewohnheiten, während sie gleichzeitig eine Serie

neuer Selfies bei Instagram hochladen: „What they share is a belief that gathering and analyzing data about their everyday activities can help them improve

their lives – an approach known as ‚self-tracking‘, ‚body hacking‘ or ‚selfquantifying‘.“48 Apps, die jegliche Art von freiwillig bereitgestellten Userdaten

verarbeiten, liegen hoch im Kurs: Sie messen unsere sportlichen Leistungen, bewerten unsere Abnehmerfolge, takten unsere Arbeitspausen, erinnern uns an

die Stillzeit unseres Babys, liefern das neueste Yoga-Workout und geben auf

diese Weise vor, zu einem effektiveren, aber gleichzeitig ausgeglicheneren All-

tag beizutragen. Soziale Medien haben das Verständnis von freier Kommunika-

tion, uneingeschränktem Informationsaustausch, Öffentlichkeit und Privatheit

sowie sozialen Beziehungen nachhaltig verändert. Dennoch gilt es innerhalb dieser Debatte nicht in eine Techno-Apokalypse zu verfallen. Es kann, und ich

schließe mich Lovinks ‚Agenda‘ hierbei weitestgehend an, weder zielführend

sein, den aktuellen Internetdiskurs ‚medikamentieren‘ noch moralisieren zu wollen. Vielmehr sollte es die Aufgabe von Netzkritikern, Netzaktivisten und

Wissenschaftlern sein, die breite Öffentlichkeit über die Politik und die Ästhetik der vorherrschenden Netzwerkkultur aufzuklären (vgl. ebd.: 18-19). Denn „[d]ie überwiegende Mehrheit der Internetbewohner [hält] das Netz noch im48 www.economist.com/node/21548493, 01.05.2015. Siehe dazu auch Berry (2013: 42); zum Quantified Self siehe weiterführend www.quantifiedself.com, 01.05.2015 sowie McFedries (2013).

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mer für einen unkontrollierten und für jeden freien Spielplatz, auf dem man

alles sagen [und machen, KG] kann, was man will“, so Lovink weiter (ebd.: 64).49 Selbst nach WikiLeaks und Snowden kann von einer flächendeckenden

Medienkompetenz oder -bildung nicht die Rede sein. So herrscht bis heute kein

ausgeprägtes kulturelles Bewusstsein über die Existenz und das Funktionieren von Algorithmen, von Trackingsoftware sowie von nationalen Netzen. Lovink

fordert: Selbst wenn, oder gerade weil, uns der Code oftmals unzugänglich bleibt, sollte man zumindest anfangen, das Interface verstehen zu lernen (vgl.

ebd. 2013a: 14). Man kann sich nicht früh genug damit beschäftigen, „wie man

die ‚Deep Packet Inspection‘-Technologie ausschaltet, indem man PGP (für EMails), TrackMeNot (für den Browser) oder Tor Identity Cloakers installiert

bzw. sein erstes Krypto-Handy kauft“ (vgl. ebd. 2012: 205). Diese vermeint-

liche Inkompetenz, Unwissenheit oder Rückständigkeit – die uns zugegebenermaßen (fast) alle betrifft – rührt mitunter daher, dass das Internet heutzutage längst nicht mehr als der große Attraktor gilt – ganz im Gegenteil. „Wir befin-

den uns im Post-Spektakulären.“ (Ebd.: 93) Das Internet ist zur Mainstreamtechnologie geworden und genau darin liegt die vermeintliche ‚Gefahr‘ begründet: Während der User meint, das Netz mittlerweile ‚im Blick zu haben‘,

treten permanent neue Anwendungen und Dienste hinzu, die ihn unbemerkt vor neue Herausforderungen und Zumutungen stellen (vgl.: ebd.).50 Das beste

49 In seiner Studie New Media. Web 2.0 and Surveillance (2011) bestärkt Christian Fuchs diese These: „[…] users lack, or have skewed awareness of, the problematic implications of surveillance, such as discrimination and social sorting, lack of democracy and transparency, power concentration, limitations of freedoms and alienation, as well as commercialization, exploitation, and structural social inequality.“ (Sevignani 2013: 334) 50 Auf Seite 191 von Das halbwegs Soziale (2012) heißt es weiterführend: „Neue Anwendungen und Dienste stapeln sich mit steigender Regelmäßigkeit wie ungewollte Weihnachtsgeschenke. Dazu zählen etwa Googles freier E-Mail-Dienst Google Mail, die Videoplattform YouTube, das soziale Netzwerk Orkut, Google Maps und Google Earth, seine Haupteinnahmequelle AdWords mit seinen Anzeigen, die per Klicks bezahlt werden, sowie Büroanwendungen wie Calendar, Talks und Docs. Google konkurriert nicht nur mit Microsoft, Apple und Yahoo, sondern auch mit Unterhaltungskonzernen, Reise-Software-Firmen, öffentlichen Bibliotheken (durch das massenhafte

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Beispiel: Facebook. Hier werden regelmäßig neue Features und Privatsphäreeinstellungen implementiert, über die der User überhaupt keine Kontrolle mehr

hat. Vor dieser Folie scheint es essentiell, das Internet nicht länger als bloßes

Tool, sondern als untrennbaren Teil unserer politischen, wirtschaftlichen, sozi-

alen und kulturellen Prozesse zu verstehen (vgl. ebd.: 94). Dieser Umstand macht deutlich, warum Netzkritik nicht als ideologisches Programm, sondern

vielmehr als notwendiges Handwerkszeug und Grundmodus der Reflexion zu verstehen ist (vgl. ebd.: 93). In Das halbwegs Soziale schreibt Lovink:

„Die Netzkritik muss mehr leisten als Ideologiekritik oder Diskursanalyse. Ihr Ziel ist, die Selbstreflexivität in den Feedbackschleifen fest zu verdrahten und so die Architektur zu verdrängen. Langlebige Konzepte und Einsichten müssen entwickelt werden, die sich tief in die Netzwerkarchitekturen eingraben. […] Wir müssen keine Idealisten sein, um die Bedeutung solcher Konzepte zu erkennen, die jahrelang vor sich hin köcheln, wie aus dem Nichts auftauchen und sich erst in kleinen Initiativen weiterentwickeln, um dann über Nacht zu Systemen anzuwachsen, die von Hunderten Millionen Menschen genutzt werden. […] Das Projekt der Internetkritik besteht in einer gemeinsamen Suche nach medienspezifischen Konzepten, die dann in Code, Regelwerke, Rhetorik und Nutzerkulturen implementiert werden können. Dies ist ein Trial and Error-Prozess. […] Der entscheidende Punkt ist, dass das Kritische in den Vernetzungsmodus selbst eingeht.“ (Ebd.: 95)

Dieses Zitat verdeutlicht, dass ein wegweisender Ansatz keinesfalls darin liegen kann, in eine antiquiert anmutende „Offline-Romantik“ (ebd.: 201) zu fallen; vielmehr noch, es wäre geradezu kontraproduktiv, ‚aussteigen‘ zu wollen. Es

reicht nicht aus, „offline zu gehen und irgendeine Geheimgesellschaft zu grün-

den. Sich auszutragen ist eine Geste der Muße.“ (Ebd.: 81) Ein Gedanke, den so

oder zumindest so ähnlich wohl auch Urs Stäheli teilen würde, der die Ent-

netzungspraktik auf ihr emanzipatorisches Potenzial bekanntermaßen kritisch

befragt (vgl. Stäheli 2013). Der richtungsweisende Ansatz muss ‚im Gebrauch‘ des Netzes liegen und nicht in dessen Verweigerung (vgl. Lovink 2012: 94-95, 201-202).

Einlesen von Büchern), Telekom-Unternehmen und nicht zuletzt mit seinen SocialMedia-Wettbewerbern Facebook und Twitter.“ (Lovink 2012: 191)

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4.5.5 ‚R ECLAIM THE C ITY ‘ 51 – AND THE N ET ( S ) Abschließend gilt es an dieser Stelle also zu fragen, welche (kreativen) Möglichkeiten gerade Kulturschaffende, (Street-Art-)Künstler, Netzaktivisten und

Hacker haben, um auf diese neuen Voraussetzungen und Umgebungen zu rea-

gieren. Es gilt zu beleuchten, welche Methoden Künstler entwickeln können, um das komplexe Spannungsverhältnis von Politik und Kunst auszuloten und

die zentralisierte Natur des Netzes kunstpraktisch vorzuführen. Denn Fakt ist: „Das Internet bildet nicht mehr nur einen Koordinierungsmechanismus, vielmehr werden die Strukturen [der Kunstproduktion, KG], des Aktivismus und

politischer Aktivitäten heute selbst durch seine Vernetzungsmöglichkeiten geprägt.“ (Ebd.: 199) Das beste Beispiel hierfür sind Cirios Street Ghosts.52

Ein erster Schritt kann sein, auf freie Software und die Förderung von Open

Source Communities zurückzugreifen, welche bereits Initiativen wie Diaspo-

ra53, Lorea54, Crabgrass55, Ello56 und GNU Social57 hervorgebracht haben (vgl.:

51 Vgl. u.a. www.reclaimyourcity.net, 06.05.2015 52 Gleichzeitig weist der Künstler auf die damit einhergehenden Einschränkungen hin: „You can not become Facebook. You can use it – and that’s what people do. If you look at ‚Occupy‘, all the activists are on Facebook. For me it’s like shocking.“ (Int. KG 07/2014) 53 www.diasporafoundation.org, 02.05.2015. Diaspora ist lizenziert unter der „GNU Affero General Public License (AGPL)“; es folgt damit dem Prinzip des „Copyleft“: Sein Code ist jedem frei zugänglich und kostenlos nutzbar. Diaspora setzt sich grundsätzlich aus einer unbegrenzten Anzahl lokaler, dezentral organisierter Server (Pods) zusammen; eingespeiste Userdaten werden weder zentral gespeichert noch verwaltet. Als Leitlinie werden die Schlüsselbegriffe Dezentralisierung, Freiheit und Privatsphäre genannt, vgl. Sevignani (2013: 329-330), van der Velden (2013: 312-322) sowie www.diasporafoundation.org, 02.05.2015. 54 www.p2pfoundation.net/Lorea, 04.05.2015. Die wesentlichen Unterschiede von Diaspora und Lorea sind im Unlike-Us-Reader-Beitrag Meeting the Alternatives (2013) von Lonneke van der Velden aufgeführt, mit dem Verweis, dass die Studien im Januar 2012 entstanden sind und sich dementsprechend bereits einiges geändert haben kann. 55 www.we.riseup.net, 07.05.2015.

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ebd.: 45, 214).58 In seinem Beitrag Meeting the Alternatives. Notes About Making Profiles and Joining Hackers (2013) gibt Lonneke van der Velden zu bedenken,

dass die Frage an experimentelle Social-Networking-Plattformen nicht mehr

länger lauten kann, ob und wie sie Privatsphärenbelange und die Problematik

um Datenmonopole ‚lösen‘, sondern welche Möglichkeiten sie zur Verfügung

stellen, um ihnen zu begegnen (vgl. van der Velden 2013: 318).59 Und er fügt hinzu: „Which data should belong to individuals, which data should be com-

mon? And how should the safety of the server infrastructure be taken care of? Can this be taken up as a general goal by broader social movements?“ (Ebd.)

Ein zweiter, davon unabhängiger Schritt mag eine dezidiert kunstpraktische

‚Lösung‘ anvisieren. Geert Lovink verweist in diesem Kontext auf sein bereits in

den 1990er Jahren hervorgebrachtes Konzept der „Taktischen Medien“ (vgl.

Lovink 2002, 2008b).60 Favorisiert durch die vorherrschende Do-it-yourselfKultur, erwächst das Konzept aus den Folgejahren des Berliner Mauerfalls und

bezieht sich auf eine neue Form des Aktivismus, welcher politische Anliegen

mit künstlerisch motiviertem Einsatz neuer Medientechnologien verbindet – auch wenn es nie zu einer dauerhaften und nachhaltigen Formierung der Ak-

teure kam, wie Lovink ebenfalls betont (vgl. ebd. 2008b: 186-187).61 Die itali-

56 www.ello.co/beta-public-profiles, 07.05.2015. 57 www.gnu.io, 07.05.2015. 58 Das Bloggen nahm eine ähnliche Richtung an, so ist ein zunehmender Umstieg von zentralisierten, proprietären Plattformen (wie beispielsweise Blogger) auf Open Source Software (Wordpress) zu verzeichnen (vgl. Lovink 2012: 214). Eine Art künstlerischer Protest oder Kommentar auf Facebooks Datenschutzpolitik artikulierte sich u.a. in der vom Rotterdamer Moddr-Lab entwickelten Web 2.0-Selbstmordmaschine, welche unter www.suicidemachine.org, 06.05.2015 abrufbar ist (vgl. Lovink 2012: 214). 59 Er stützt sein Argument hierbei auf Noortje Marres Forschungen zu „participatory objects“ (vgl. Marres 2011). 60 Siehe dazu zudem Raley (2009). 61 Eine weitere Wurzel ist das Next Five Minutes-Festival (N5M) 1993 in Amsterdam, ein Event mit politischer Ausrichtung. 1996, bei der zweiten Ausgabe des Festivals, wurde der Name in „Taktische Medien“ umbenannt. Der erste systematische Text entstand 1997 als Gemeinschaftsprojekt von Geert Lovink und David Garcia. Ein mögli-

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enische Kunstkritikerin und Kuratorin Simona Lodi benennt mit der sogenann-

ten „Illegal Art“ eine ähnliche Erscheinungsform, die sich unter anderem der ‚digitalen Attacke‘ monopolistischer Unternehmen, wie Facebook, Amazon und Google, verschreibt:

„Illegal Art takes up the politics and voices the protest of activists movements. After becoming hackers, the artists have become activists, lending to anti-globalist dissent the rupturing force art can have when it becomes a tool for social change.“ (Lodi 2013: 244)

Auch wenn eine feinere terminologische Ausdifferenzierung und begriffliche Schärfung innerhalb meiner Arbeit nicht geleistet werden kann, wird dennoch

deutlich, dass sich in den letzten 25 Jahren ein facettenreicher Pool an Aktivis-

ten, Künstlern und Netzkritikern herausgebildet hat, welcher das System monopolistisch organisierter Unternehmen und Global Player mit ihren eigenen Waffen zu schlagen versucht. Das Motiv des Adbusters, welcher Werbeplakate

entfremdet, dürfte wohl jedem bekannt sein. Es wäre utopisch zu denken, dass

Aktivisten oder Künstler der vorherrschenden Vernetztheit der Welt entkom-

men könnten – sollten oder gar wollten.62 Dies kann nicht das Ziel sein. Das

netzkritische Potenzial gilt es vielmehr innerhalb der Vernetztheit selbst zu suchen: „connect, relay, disconnect – and again reconnect“ (Lovink 2008b: 189);

eine Praktik, mit der bereits die Akteure der „Taktischen Medien“ vertraut wa-

ren und die auch der italienische Künstler Paolo Cirio in seinem Street-GhostProjekt plakativ ausformuliert. Denn:

„[t]he virtual world, as a transposition of the real world into an enclosure owned by multinational corporations, is no less real for its seeming withdrawal; it has material effects. Media is the interface that bridges the two worlds, and maintains a constant mutual influence between them“63,

cher Ableger ist Indymedia, welcher ab 2000 eine feste Organisation bildete. Verglichen mit den „Taktischen Medien“ fehlt diesen jedoch eine künstlerische Agenda (vgl. Lovink 2008b: 187). 62 Ein Gegenbeispiel liefert Urs Stäheli, der im Aufsatz Entnetzt euch! (2013) auf den sukzessiven, minutiös geplanten Entnetzungsprozess der amerikanischen Künstlerin Lee Lozano hinweist (vgl. Stäheli 2013: 17-18). 63 www.streetghosts.net, 30.03.2015.

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so Cirio auf seiner Projektseite. Während die herrschende Ordnung hierbei

normalerweise von führenden Unternehmen bestimmt und vom ideologischen Diskurs verschleiert bzw. verleugnet wird, spielt in seinem Fall jedoch die Kunst

mit ihr. In die vom System hervorgebrachte Infrastruktur dringt ein Stil gesellschaftlicher Austauschprozesse, künstlerischer Inversion und moralischen bzw. (netz-)politischen Widerstandes – oder anders ausgedrückt, eine Ästhetik von

‚Spielzügen‘ und ‚Coups‘ (vgl. de Certeau 1988: 73). Nicht die Praktik des Ent-

netzens kann somit als langfristiges Ziel betrachtet werden, sondern allenfalls

deren mediale Inszenierung und die sich daraus generierende, neue soziopolitische Sichtbarkeit (vgl. Hardey/Beer 2013: 167). Der Praktik des Entnetzens ist

ein aktualisierendes Potenzial der Neu-Vernetzung inhärent, welcher es innerhalb ihrer irreduziblen Abhängigkeit von Vernetzung nachzuspüren gilt (vgl. Stäheli 2013: 21-22). Und in diesem Sinne gilt es letztlich auch das für meine

Analyse fruchtbar gemachte Schnitt-Bild zu verstehen, das in seiner Semantik

weniger ein bloßes ‚cutting the network‘ adressiert als vielmehr an einen adä-

quateren Umgang mit Online-Infrastrukturen appelliert. Sein emanzipatorisches Potenzial ist innerhalb des Vernetzungsmodus selbst zu suchen. Entnet-

zung kann in diesem Zusammenhang somit niemals unabhängig von einer er-

neuten (Re-)Relokalisierung bzw. Neuvernetzung gedacht werden, welcher sowohl strategische als auch taktische Züge innewohnen.64 Die Medienwissenschaftlerin und Kuratorin Tatiana Bazzichelli konstatiert in diesem Zusammenhang:

„If hackers and activists cannot avoid indirectly serving corporate revolutions, they might work on absorbing business ideologies to their own advantage, which, in short, means transforming and hacking its [sic!] models from within: to reappropriate the appropriators by provoking a conscious understanding of technology itself, as well as generating disruption within it. […] Instead of refusing to compromise with commercial platforms, a possible model for artists and activists – but also for common users – might be to develop an understanding of the medium from within, revealing power structures and hidden mechanisms of social inclusion and exclusion.“65 (Bazzichelli 2013: 271)

64 Und zwar gleichzeitig, siehe dazu Seite 287. 65 Daraus leitet sie letztlich das Konzept der „Art of Disruptive Business“ ab, welches auf die Kunstpraktik der (temporären) Störung oder Unterbrechung setzt, um ästheti-

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Dennoch scheint auch ihr netzkritisches Modell nur in der Lage, das System kurzzeitig ins Stocken zu bringen. Netzaktivisten, Netzkritiker, Hacker und

Medienkünstler mögen die Widersprüche des Systems kennen, haben aber bis-

her keine adäquate Formsprache gefunden, um es aus seiner Eigenlogik heraus

– zukünftig und in nachhaltiger Weise – zu verändern. Damit bleibt ein Experimentier-Feld anskizziert, dem sie sich in Zukunft verpflichtet sehen müssen.

So stellen doch gerade Künstler eine wichtige Akteurgruppe, um auf experi-

mentelle und teils spielerische Weise Innovationen anzustoßen, ungleiche

Machtbeziehungen offenzulegen und die sich internalisiert zu haben scheinenden, alltäglichen Netzpraktiken zu visualisieren.

„Artistic practice provides an important analytical site in the context of the proposed research agenda, as artists are often first to deconstruct the familiar and to facilitate an alternative lens to understand and critique these media“,

konstatieren auch Lovink und Rasch (2013: 368).66 Abschließend gilt es zu fragen: Was kann und soll dieser Ausblick letztlich

für die Street Art bedeuten? Wie ich gezeigt habe, greift die Vorstellung, die Stadt und das Internet als zwei voneinander getrennte Sphären zu begreifen,

schon lange nicht mehr. Die Vorstellung, die Stadt und das Internet als vermeintlich neutrale, öffentliche und heterarchisch organisierte Räume zu ent-

werfen, war schon immer ein Trugschluss. Street-Art-Künstler müssen sich den neuen Herausforderungen einer global vernetzten Welt stellen und sich mit den Anforderungen jener neuen Umgebungen auseinandersetzen. Neue Medien und

Medientechnologien wie das Internet gestalten, erzeugen und erweitern unsere

heutige(n) Lebenswelt(en) in umfassender Weise. Sie nehmen Einfluss darauf,

wie wir leben, uns austauschen, miteinander kommunizieren sowie uns und unsere Umwelt (mit-)gestalten und entwerfen. Sind wir uns der langfristigen

sche, technologische oder soziopolitische Kritik innerhalb des sogenannten ‚Web 2.0‘ zu äußern (vgl. Bazzichelli 2013: 271-272). 66 Auch Stäheli empfiehlt in seinem Aufsatz Entnetzt euch! (2013) die Analyse künstlerischer Fallstudien, lassen sich doch gerade im Bereich der Kunst Entnetzungspraktiken exemplarisch beobachten. Diese tragen das Potenzial in sich, die Grundlage für neue Formen der Widerständigkeit bereitzustellen (vgl. Stäheli 2013: 7, 11).

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Auswirkungen bewusst, die eine solch vermeintlich ‚freie‘ Infrastruktur mit

sich bringt? Was sind die Kosten, die unsere Gesellschaft für ein simples Interfacedesign und die einfache Bedienbarkeit gängiger Onlinedienste zahlen muss

(vgl. ebd.: 365-366)? Anstatt die etablierten Konventionen öffentlicher Raumbesetzung und -gestaltung67 ausschließlich am Beispiel der Stadt zu hinterfragen, kann oder muss ein zukünftig richtungsweisender Ansatz für StreetArt-Künstler – sowie für uns alle – darin liegen, das Netz auf ähnliche Parame-

ter, Kontroll- und Selektionsmechanismen hin zu befragen. Von „Reclaim the City“ zu „Reclaim the Net(s)“ also? Ja und nein. Es handelt sich hierbei um eine Forderung, die beide Räume gleichberechtigt adressiert; mein Ansatz sieht

keine Entweder-oder-Entscheidung vor. Tatsache bleibt aber dennoch, dass die Dokumentation und Präsentation von Street-Art-Werken und -Interventionen

auf Plattformen wie Facebook, Instagram, Google+ etc. kein wünschenswerter bzw. in sich konsistenter Weg sein kann, um die Nutzungskonventionen des

öffentlichen Raums auch zukünftig – und mit aller Nachhaltigkeit – zu hinterfragen.68 Es gilt, und damit verweise ich ein letztes Mal auf den französischen Soziologen Michel de Certeau, die „vielgestaltigen, resistenten, listigen und

hartnäckigen Vorgehensweisen [weiter zu, KG] verfolgen, die der Disziplin“

(de Certeau 1988: 187) entgegenstehen. Aus parasitären Praktiken und Interventionen müssen Innovationen hervorgehen, die den Status des rein Künstle-

risch-Ästhetischen überwinden. Auch wenn sich die ‚Walled Gardens‘ von Facebook und Google dadurch, aller Vermutung nach, nicht durchbrechen lassen,

gilt es dezentralisierte Alternativen bereitzustellen, deren Selbstverständnis

nicht auf Überwachung, Kontrolle, der Missachtung von Privatsphäre und Urheberrechten sowie kommerziellen Interessen fußt (vgl. u.a. Barocas et al. 2013: 351-352). Die Frage, wie eine solche Architektur aussehen kann, bleibt offen.

67 Siehe dazu u.a. Morawski (2014), www.reclaimyourcity.net, 06.05.2015 sowie angrenzend Dery (1993), Lasn (2005) und www.adbusters.org, 06.05.2015. 68 In ihrem Aufsatz The Tactics of Occupation. Becoming Cockroach (2013) weisen Pavlos Hatzopoulos und Nelli Kambouri darauf hin, dass sich im Zuge der weltweiten Occupy-Bewegung bereits neue Formen des Social-Media-Aktivismus entwickelt haben. Eine davon versucht Social-Media-Plattformen in Occupy-Zonen umzuwandeln (vgl. Hatzopoulos/Kambouri 2013: 294).

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| STREET A RT UND NEUE M EDIEN Der Ansatz, geisterhaft anmutende Postermenschen als ‚Opfer‘ eines ge-

blackboxt ausgetragenen ‚Informationskrieges‘ in die Stadt zu projizieren, mag

ein erster Versuch sein, der in diese Richtung greift. So lassen sich Cirios Street

Ghosts durchaus als ein „transitory record of collateral damage“69 lesen, wel-

ches den vorwiegend im Verborgenen stattfindenden Kampf zwischen global

operierenden Unternehmen, Regierungen, Algorithmen und der ‚(Zivil-)Bevölkerung‘ nach außen kehrt. Durch die „Kunst des ‚Zwischen zwei Stühlen Sit-

zens‘“ (de Certeau 1988: 79) gelingt es dem Künstler, versteckte Mechanismen offenzulegen und für deren Durchdringung unserer heutigen Lebenswelt zu

sensibilisieren.

69 www.streetghosts.net, 30.03.2015. Auf Cirios Projektseite heißt es dazu genauer: „Ghostly human bodies appear as casualties of the info-war in the city, a transitory record of collateral damage from the battle between corporations, governments, civilians and algorithms.“ (Ebd.)

Swez a|Ber l i n|© Swez a

4.6 Erinnern und reanimieren | Sweza

Mein letztes und abschließendes Kapitel beschäftigt sich nicht, wie zuvor, mit Street-Art-Geistern, sondern mit Street-Art-‚Zombies‘ – auch wenn sich diese

auf den ersten Blick durch dieselben Eigenschaften auszeichnen: Sie sind an der Schwelle von Leben und Tod zu verorten und ihre physikalische Straßenpräsenz erweist sich als per se fragil und somit vergänglich. Im Speziellen fällt mein Blick auf ein Projekt des Berliner Künstlers Sweza, das den Namen

Graffyard trägt – zu Deutsch, Friedhof der Graffiti: An die Stelle unlängst verschwundener Street Art klebt Sweza einen QR-Code. Liest man diesen mit dem Smartphone bzw. dem zugehörigen QR-Code-Reader ein, erscheint auf dem

Display des mobilen Smartphone-Devices das Abbild des entfernten Street-ArtPieces. Das heißt also, das Werk ist digital ‚reanimiert‘ worden. Das Smartphone präsentiert sich hierbei als hybride, interfacende ‚Erinnerungs(-black)-

box‘, die Charakteristika und Dynamiken urbaner Kunst medial reflektiert und gleichzeitig re-aktualisiert.

Um eine adäquate Ausgangslage für feinere Ausdifferenzierungen zu ge-

währleisten, soll das Projekt in einem ersten Schritt erläutert werden. Als Refe-

renz hierfür dient mir Swezas Webseite, auf welcher das Projekt sowohl fotografisch als auch audiovisuell, als YouTube-Video, dokumentiert ist. Daran anschließend folgt eine medientheoretische ‚Tiefenbohrung‘, welche der Praktik

des Erinnerns und Reanimierens nachspürt. An zentrale Stelle rückt die Kategorie des Archivs und die ihm inhärenten Archivprozesse. Auch wenn das

Archiv bereits punktuell, im FACEBOOK-KAPITEL unter 4.1, aufgerufen wurde, soll es an dieser Stelle speziell auf seine Erinnerungsfunktion hin befragt werden.

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Dies impliziert zum einen, Graffyard auf Parameter wie Ort und Zeit zu prüfen,

zum anderen jedoch auch, seine Archivarchitektur und die darin inhärenten Prozesse zu beleuchten. Nach einer knappen medientheoretischen Diskussion des QR-Codes folgt die Zusammenfassung (4.6.4), die das Fallbeispiel auf seine

wesentlichen Charakteristika verdichtet. Das Kapitel schließt mit einem Ausblick, der die Archivthematik an den breiter angelegten Street-Art-Kontext rückbindet und den Diskurs digitaler Archivierung aufruft.

4.6.1 G RAFFYARD , DER F RIEDHOF DER G RAFFITI Graffyard, oder Friedhof der Graffiti, so nennt sich ein QR-Kunstprojekt des Berliner Street Artists Sweza: „I am using QR-Codes to preserve graffiti for posterity by photographing the graffiti before it is removed. After the graffiti has been cleaned off by the local authorities or building owners I place a QR-Code in the exact location which resolves to an image of the original“1,

erklärt er auf seiner Webseite. Ausgangspunkt bzw. Setting von Swezas Graffyard-Projekt sind die Straßen Berlins. Dieser variantenreiche Pool bildet die Basis für Swezas Projekt, denn er arbeitet mit Vorgefundenem. So hat er es sich

innerhalb seines Projektes zur Aufgabe gemacht, vorgefundene Street Art, Graffiti und Tags abzufotografieren – und zwar noch vor ihrem realräumlichen ‚Ab-

leben‘ und Verschwinden. Laut einem TV-Beitrag der Deutschen Welle doku-

mentiert Sweza Graffiti und Street Art schon seit den 1990er Jahren. 2 Es ist

folglich davon auszugehen, dass er sich innerhalb von mehr als zwanzig Jahren eine große Fotosammlung angelegt hat, deren ‚Originalwerke‘ er nach ihrem Verschwinden retrospektiv in Szene setzt. Dies geschieht über QR-Codes.

Den Berliner Stadtraum und dessen Dynamiken stets im Blick, setzt Sweza an die Stelle unlängst entfernter oder verschwundener Street Art einen QR1

www.sweza.com/graffyard, 30.07.2013.

2

Vgl. Deutsche Welle (2011): Kunst mit QR-Codes: www.youtube.com/watch? v=9AQO8rShLxo, 19sec ff., 30.07.2013.

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Code. „Das Projekt funktioniert eben nur an diesen spezifischen Orten, von

denen es Fotos aus der Vergangenheit gibt“, expliziert Sweza in einem Videobeitrag von ZDFkultur. „Es ist sozusagen ein verortetes Archiv. Damit kann

man das Zeitfenster [in die Vergangenheit, KG] öffnen, um zurückzureisen.“3

Im Internet findet sich mittlerweile eine Vielzahl kostenloser QR-Code-Generatoren, mit deren Hilfe QR-Codes erstellt werden können; einer davon ist http://goqr.me/de/. Dieser offeriert die Möglichkeit, verschiedene mediale

Eingabeformate, darunter auch Internetadressen (URLs), in binäre Codes umzuwandeln.

Als materielles Trägermedium von Swezas Codes fungieren Papier oder

weiße Blanko-Fliesen, welche er – besprüht, bedruckt oder beklebt – mittels entsprechender Kleber im Stadtraum anbringt. „Nachdem ich das erste Mal auf QR-Codes gestoßen bin, dacht’ ich mir, das ist echt eine

geniale Technologie. Und dann hab ich mir überlegt, was man damit in künstlerischer Hinsicht machen kann. Nach und nach bin ich auf die Idee mit Graffyard gekommen. Im Endeffekt dokumentiert das Projekt verschwundene Street Art“4,

so Sweza bei ZDFkultur. Und er fügt hinzu: „Wenn man durch das Scannen der Codes diese Pieces wieder zurückholt, stehen sie als Zombies wieder auf. Das sind dann so Graffiti-Zombies.“5 Und diese Vorstellung scheint auf den ersten

Blick durchaus naheliegend. Denn liest man seine Codes mit dem Smartphone bzw. dem zugehörigen QR-Code-Reader ein, erscheint auf dem Display des

mobilen Smartphone-Devices das Abbild des entfernten Street-Art-Werkes. Das heißt also, es ist digital re-animiert worden. Voraussetzung hierfür ist nicht nur

der Besitz eines portablen Smartphone-Devices, sondern auch eines entspre-

chenden QR-Code-Readers. Auf seiner Webseite hält Sweza einen dahingehen-

den Hinweis gleich zu Beginn bereit. Begleitet von den Worten „Get a QR

decoder for your iPhone or Android Phone here“ listet er zwei Links, welche

3

ZDFkultur (2012): Sweza – Kunst & QR: www.youtube.com/watch?v=MhSJTAlzPvg, 1.01min ff., 30.07.2013.

4

ZDFkultur (2012): 10 sec ff.

5

ZDFkultur (2012): 52 sec ff.

314

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sowohl zum App Store6 als auch zum Android Market7 führen. Direkt darunter

hat er ein YouTube-Video8 eingebettet, welches die Funktionsweise des Projektes auf anschauliche Weise erklärt. Dieses sowie die darunter aufgeführten Fotos, bilden die Primärquellen meiner Analyse. Über einen Klick ist zudem

Swezas YouTube-Kanal abrufbar, auf welchem er weitere Videos bereithält: Zum einen handelt es sich hierbei um Dokumentationen des Künstlers, zum

anderen um Berichterstattungen externer Akteure. Sofern diese relevante Zusatzinformationen für meine Analyse bereitstellen, finden auch sie in meiner Arbeit Beachtung. Ein persönliches Gespräch mit dem Künstler blieb aus.

Swezas Graffyard-Video wurde am 27.04.2010 hochgeladen, besitzt zum

heutigen Zeitpunkt9 genau 9.355 Klicks, 22 Likes und 2 Kommentare. Das Video fällt unter die Creative Commons-Lizenz und ist unter Namensnennung des verantwortlichen Künstlers wiederverwendbar. Zu Beginn wird ein kurzer

schriftlicher Textblock eingeblendet, welcher der Erläuterung des Projektes dient:

„A graffiti was photographed before it got removed by the building owner, then a QRCode was pasted over the same spot, the QR-Code contains a link to an url [sic!] which leads to the photo of the disappeared graffiti. [I]n that way a mobile phone with a QRCode Reader can be used to travel back in time.“

10

Musikalisch unterlegt ist es mit einem Mix instrumenteller Hip-Hop-Beats des Musikers und Produzenten Deniz Khan. Auf eine harte Abblende des in fetten

Lettern erscheinenden Schriftzugs ist ein Berliner Straßenzug zu sehen: Ins Auge fällt ein großes, frisch geweißeltes Quadrat, welches sich kontrastiv vom

Rest der Umgebung absetzt (vgl. Abb. 32). In dessen Mitte, leicht nach oben versetzt, ist ein QR-Code angebracht, welcher die bereinigte Fläche visuell ak-

6

www.apple.com/iphone, 11.06.2015.

7

https://play.google.com/store, 11.06.2015.

8

Youtube-Video von Graffyard (2010): www.youtube.com/watch?v=4qef08CcLUY, 30.07.2013.

9

Stand: 14.07.2015.

10 Youtube-Video von Graffyard (2010): 12 sec ff.

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Abb. 32 (links): ‚bereinigte‘ Situation | Berlin | © Sweza Abb. 33 (rechts): Ausgangssituation der Flottwellstraße | Berlin | © Sweza akzentuiert. Durch die schrittweise Annäherung des Kameramanns rückt der

QR-Code zunehmend größer ins Bild. Der wackelig-unruhige Gestus legt den

Rückgriff auf ein Smartphone (oder eine kleine Digitalkamera) als filmisches

Amateurmedium nahe. Bald darauf erscheint der Code im Vollbild, woraufhin die Einlesung mittels Smartphone und dementsprechender Decodierungssoftware demonstriert wird. Ist der Code entschlüsselt, ändert sich das Bild auf dem Smartphone-Display: Statt des QR-Codes ist nun dessen dekodiertes

(Kipp-)Bild11 zu sehen: das ursprüngliche und nunmehr als digitales Abbild

abrufbare Street-Art-Werk (vgl. Abb. 33). In diesem Falle zeigt es eine figür-

liche Darstellung; ein männliches Gesicht, das von einem (unleserlichen)

Schriftzug begleitet wird. Einmal dekodiert, kann es auf dem als Interface operierenden Smartphone-Display beliebig herangezoomt, gedreht und verschoben

werden. Zudem steht es, je nach QR-Code-Reader-Software, auch anderen

11 Zum Kippbild siehe ausführlicher Seite 328.

316

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

Diensten zur Verfügung. Im Falle meines QRReaders12 kann das revitalisierte

Street-Art-Bild entweder per Mail oder SMS verschickt, über Twitter oder Facebook geteilt, kopiert oder ausgedruckt werden. Außerdem ist ein Upgrade auf die Favoritenliste der QR-Code-Reader-Application möglich.

In gleicher Manier wie der geklebte QR-Code zu Anfang des Videos ins

Zentrum des Bildes rückt, verschwindet er wieder. Der Kameramann tritt in

wackeligem Gestus zurück und entfernt sich vom Ort des QR-Code-Geschehens. In einer abschließenden Sequenz werden die beiden Bildstadien, hier in Form

eines Split Screens, im Vorher/Nachher-Modus einander gegenübergestellt: Links ist die ‚bearbeitete‘ Architektursituation zu sehen, die weiße Mauer mit

plakatiertem QR-Code; rechts die ursprüngliche Ausgangssituation, das Män-

nergesicht. Auf eine weiche Abblende folgen weitere Bildbeispiele: eine Straßenszene der Schönlein- sowie der Averslebenstraße. Das Video schließt mit einem kurzen Abspann.

Zusätzlich zum Video ist das Projekt auf Swezas Webseite fotografisch do-

kumentiert. Er bedient sich hierbei eines Dreischritts: Unter Angabe der zuge-

hörigen Ortsangabe zeigt Foto eins die geweißelte Fläche mit plakatiertem QRCode (vgl. Abb. 32); Foto zwei zeigt den QR-Code in Großaufnahme (wobei die Materialbeschaffenheit und der Faltenwurf des mit Kleister getränkten Papiers

deutlich zu erkennen sind); Foto drei verweist letztlich auf die ursprüngliche Ausgangssituation (vgl. Abb. 33). Ein weiterer Zusatz, den die Webseite listet,

ist der Link zu einem webbasierten QR-Code-Decoder. Auf Swezas Webseite heißt es dazu: „[H]ere the code of Aversleben, try it either with your mobile

phone and a QR-Code-Reader or with the image below and this one“13. This one ist in diesem Fall der Web Decoder „ZXing Decoder Online“14, welcher ein- und

zweidimensionale Barcodes von Webbildern (verschiedenster Formate) deko-

dieren kann. Auf diese Weise lassen sich Swezas Graffyard-Bilder auch vom

12 https://itunes.apple.com/de/app/qr-reader-for-iphone/id368494609?mt=8, 25.07.2013. 13 www.sweza.com/graffyard, 30.07.2013. 14 http://zxing.org/w/decode.jspx, 25.07.2013. Insgesamt sind elf verschiedene Codes bzw. Formate auf der Webseite aufgeführt, die unter Zuhilfenahme des Decoders entschlüsselt werden können.

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Computer aus reanimieren, wobei der Decoder hierbei zwei Möglichkeiten of-

feriert: Die Decodierung mittels File-Upload (bei einer maximalen Größe von 8 MP), oder die Decodierung mittels Grafikadresse. Ist die Entschlüsselung geglückt („Decode Succeeded“), erscheint der decodierte Code in Form verschie-

dener Angaben: Raw Text, Raw Bytes, Barcode Format, Parsed Result Type und Parsed Result. Hierbei ist vor allem die letzte Angabe interessant, Parsed Re-

sult. Diese führt einen HTML-Link, welcher mit Swezas Webseite und dem decodierten Street-Art-Foto verknüpft ist.

Besonders fruchtbar erscheint mir, Swezas Graffyard-Projekt auf die The-

matik des Archivs hin zu beleuchten. Dies beinhaltet zum einen, die Praktik

des Erinnerns an zentrale Stelle zu rücken; zum anderen jedoch auch, sie an

das der Street Art ohnehin inhärente Thema der Vergänglichkeit rückzubinden.

Auch wenn es an dieser Stelle unmöglich ist, den Archivdiskurs in toto auszuleuchten, soll mit Knut Ebelings und Stephan Günzels Archivologie (2009) sowie Hedwig Pompes und Leander Scholz‘ Archivprozesse. Die Kommunikation der

Aufbewahrung (2002) eine kurze kultur- und medienwissenschaftliche Situierung des Archivbegriffs vorgenommen werden. Dies bedeutet, gerade diejenigen Charakteristika – punktuell – zu akzentuieren, die für meine Analyse von Relevanz sind. Graffyard wird somit primär nicht auf seine konservierende

Speicherfunktion hin befragt, sondern vielmehr rückt die dem ‚Friedhof‘ inhärente Prozessualität in den Fokus meiner Betrachtungen. Gefragt wird: Was

passiert in der mobilen Smartphone-Box genau? Lässt sich mittels dieser tatsächlich in die Vergangenheit reisen, wie es auf Swezas Webseite heißt: „[I]n that way a mobile phone with a QR-Code Reader can be used to travel back in

time.“?15 Und was passiert dabei mit der Street Art – wird sie etwa zum virtu-

ellen Zombie?16 Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden; öffnen

wir also die Blackbox des Friedhofs der Graffiti.

15 www.sweza.com, 30.07.2013. 16 Sweza benutzt die Zombie-Metapher in der Selbstbeschreibung seines Projektes: „Wenn man durch das Scannen der Codes diese Pieces wieder zurückholt, stehen sie als Zombies auf. Das sind dann so Graffiti-Zombies.“ (ZDFkultur 2012: 57 sec ff.)

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4.6.2 ‚G ETTING U P ‘ 17: Ü BER S TREET A RT UND Z OMBIES In ihrem Aufsatz Anarchie im Archiv. Vom Künstler als Sammler (2009) weist Monika Rieger auf die Komplexität des Archivbegriffes hin:

„Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff ‚Archiv‘ eine Institution zur systematischen Erfassung, Erhaltung und Betreuung administrativer, juristischer und politischer Dokumente sowie den Raum oder das Gebäude, in dem dies stattfindet. In dieser Auffassung ist das Archiv mit Schrift, Bürokratie, Akten und Verwaltung assoziativ verbunden und gilt als Institution des kulturellen Speichergedächtnisses. Archive enthalten affirmatives Wissen, das Macht legitimiert, stützt und Orientierung gibt. Das Archiv ist die Grundlage dessen, was in der Zukunft über unsere Gegenwart gewusst werden kann“,

so Rieger (2009: 253). Gleichzeitig benennt sie die Existenz verschiedener Archive, welche sich vor allem durch ihre Materialquellen unterscheiden. So gibt es einerseits Archive, die ihre Materialien zu einem bestimmten Zweck aufbereiten und sich dabei oftmals aus nur einer einzigen Quelle speisen. Andererseits gibt es Archive, die sich der Materialien mehrerer, öffentlicher wie privater, institutioneller wie persönlicher Quellen bedienen und diese zu

einem bestimmten übergreifenden Interesse oder Thema organisieren (vgl. ebd.). Die wichtigste Aufgabe des Archivs sieht Rieger im Sammeln von Mate-

rial begründet, was gleichzeitig die selektive Auswahl, das Zusammentragen und Aufbewahren einzelner Archivalien – sowie auch ihre Verfügbarmachung – beinhaltet (vgl. ebd.: 254). Dies sind Charakteristika, die so oder zumindest

so ähnlich auch auf Swezas Graffyard-Projekt zutreffen. Dennoch rückt inner-

halb meiner Analyse nicht die Praktik des Sammelns in den Vordergrund; vielmehr werden die dem Archiv inhärenten Prozesse und Medialisierungs-

praktiken beleuchtet. Dies macht gleich zu Beginn deutlich, dass der Fokus

17 Unter Getting Up versteht man die forcierte, primär auf Quantität ausgelegte Sichtbarkeitsmaximierung eines Graffiti-Künstlers, welche durch das Anbringen von Tags, Throw-Ups und Pieces im öffentlichen Raum erreicht wird. Damit einhergehend ist die Steigerung szeneinterner Akzeptanz und Reputation verbunden. Im Bereich der Street Art ist dieser Begriff eher unüblich.

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| 319

nicht auf der Ebene der Archivalien, sondern vielmehr auf der des Archivs selbst liegt.18

Das Problematische des Archivbegriffs ist jedoch nicht nur, dass er sowohl

eine Institution als auch Konzeption benennt, d.h. dass er sowohl einen spezifi-

schen Ort als auch eine Methode adressiert (vgl. Ebeling/Günzel 2009: 10), sondern dass er letztlich ein ausuferndes Phänomen beschreibt: Während His-

toriker das Archiv für die Geschichtsschreibung produktiv machen, hinter-

fragen andere gerade die daraus generierten Effekte; so beispielsweise Wolfgang Ernst, der zeigt, wie man mit einem archäologischen Blick auf zeitgenössische Archive blicken kann. Kulturwissenschaftler wie Aleida Assmann befragen das Archiv als Ort des kulturellen bzw. kollektiven Gedächtnisses; ein Ansatz, welcher sich – zumindest punktuell – mit dem für meine Analyse relevanten Verständnis Groys kurzschließen lässt, der von einem archivarischen Ge-

dächtnisort ausgeht: „Das Archiv ist eine Maschine zur Produktion von Erinnerung“, so Groys (2009: 140-141). Im selben Zug betont jener die Existenz eines

submedialen Raumes, welcher den Unterschied zwischen einem Innerarchivischen und Außerarchivischen sedimentiert: „Auf der einen Seite hat das Archiv einen Vervollständigungsauftrag: Es soll alles das sammeln und repräsentieren, was sich außerhalb dieses Archivs befindet. Auf der anderen Seite aber haben die Dinge im Archiv ein grundsätzlich anderes Schicksal als die profanen Dinge außerhalb des Archivs: Die Archivdinge werden als wertvoll und aufbewahrungswürdig angesehen – wobei […] die Sterblichkeit […] der profanen Dinge ohne weiteres hingenommen w[ird]. Zwischen den Dingen im Archiv und den Dingen außerhalb des Archivs besteht also ein tiefer Unterschied, der jeden Repräsentationsanspruch von Anfang an untergräbt – ein Unterschied im Wert, im Schicksal, im Verhältnis zur Vergänglichkeit, zur Vernichtung, zum Tode.“19 (Ebd.: 141)

18 Schon Bruno Latours Laborstudien der 1970er Jahre haben bewiesen, dass der Ort des Wissens und somit die bedeutungskonstituierende Perspektive nicht in den Ergebnissen, sondern vielmehr in den räumlichen Strukturen, hier des Labors, zu suchen ist (vgl. Ebeling/Günzel: 2009: 9 mit Bezug auf Latour/Woolgar 1979). 19 Und Groys führt fort: „Wenn man etwa zunächst annimmt, dass die Bilder, die im Museum gesammelt werden, die Welt außerhalb des Museums repräsentieren sollen, dann wird man sehr schnell merken, dass sich diese Bilder im Gegenteil gerade deshalb im Museum befinden, weil sie sich von allen Dingen der Welt der allgemeinen

320

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Während in der Kunst das Archiv also oftmals synonym für verschiedene Ver-

fahren des Sammelns und Speicherns steht, bezieht sich die Philosophie hingegen auf eine epistemische Figur, welche sich mit der Regelung und Verteilung

von Wissen beschäftigt.20 So sehr Archive also den Status des Objektiven für sich beanspruchen, so sehr sind sie ideologisch vorstrukturiert. Sie entscheiden,

was in einer Kultur bewahrt wird und was nicht, was sichtbar ist und was nicht

und was den Blicken der gegenwärtigen bzw. zukünftigen Gesellschaft entzogen bleibt. „Archive gehen der Geschichtsschreibung voraus, die deren Effekt

ist“, konkretisieren Ebeling und Günzel in der Einleitung der Archivologie (2009: 14).

Diese grobe Konturierung hat gezeigt, dass das Archiv als Figur der Ver-

mittlung zwischen dem Sichtbaren und Unsichtbaren, zwischen dem Einge-

schlossenen und Ausgeschlossenen, zwischen dem Memorierten (oder Memorierbaren) und dem Vergessenen zu einem zentralen Begriff der Kulturwissenschaft avancierte. Seine zunehmende Entgrenzung und metaphorische Ausdehnung auf die unterschiedlichsten Formen des Sammelns, Ablegens, Speicherns

und Memorierens verlangt dennoch, oder gerade deshalb, feinere Ausdifferenzierungen (vgl. Ernst 2009: 184). Spätestens mit dem Aufkommen neuer

Medientechnologien und digitaler Speicherprozesse hat diese Forderung an zusätzlicher Prägnanz und Komplexität gewonnen. So gilt es das Archiv nunmehr

weniger als „Ort der historischen Aufbewahrung denn [als] Ort der Bereithaltung, der Zurverfügungstellung und Aktualisierbarkeit [zu verstehen, KG]“

(ebd.: 186); ein Umstand, auf den auch Wolfgang Ernst in seinem Aufsatz Das Archiv als Gedächtnisort (2009) hinweist. Ich schließe mich seiner Aussage

hierbei an, unternehme aber dennoch eine terminologische Verschiebung.

Denn wie sich zeigen wird, präsentiert sich Swezas Graffyard-Projekt weitaus

Meinung nach vorteilhaft unterscheiden – weil sie von besonders guten Malern besonders gut gemalt worden sind oder besonders gut gerahmt sind oder besonders viel Geld kosten. Das ganze museale System bemüht sich darum, einen Verlust dieser Bilder zu verhindern.“ (Groys 2009: 141) 20 Laut Foucault entscheidet das Archiv beispielsweise darüber, „in welcher Form Geschichte verfügbar ist und was unter Verschluss bleibt“ (Ebeling/Günzel 2009: 13 mit Bezug auf Foucault 1981). Die Kunst beweist zudem, dass es nicht nur Theorien des Archivs, sondern auch eine Ästhetik desselben gibt (vgl. ebd.: 21).

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weniger als Gedächtnisort, sondern vielmehr als Ort des inszenierten Erin-

nerns.21 Hierbei wird deutlich, dass sich die Perspektive von der Ebene des

Konservierens und Speicherns auf die Ebene einer neuen Verfügbarkeit ver-

schieben muss.

„Vergänglichkeit ist ein Thema für die [Street-Art-, KG] Szene“, so Sweza

im Beitrag von ZDFkultur. „Ich persönlich finde es jedoch auch interessant, den Zersetzungsprozess zu sehen, dass Pieces verschiedene Zustände annehmen und irgendwann auch komplett verschwunden sind. Ich spiele letztlich mit dieser Tatsache, indem ich dieses ‚real-virtuelle Archiv‘ daraufsetze“22,

nimmt Sweza Stellung. Und die Begrifflichkeit des ‚real-virtuellen‘ Archivs scheint durchaus treffend gewählt, lässt sich jene Terminologie sowohl auf die

Form als auch auf den Inhalt des Archivs übertragen. Denn nicht nur das Archiv präsentiert bzw. konstituiert sich an der Schnittstelle ‚real-virtuell‘, sondern auch dessen Exponate verweisen auf ‚real-virtuelle‘ Bezugspunkte: zum einen, deren klare Referenz auf die im Berliner Stadtraum situierten Street-Artund Graffiti-Arbeiten; zum anderen, ihre Dokumentation auf einem digitalen

Webspace. Verknüpft sind sie über einen QR-Code, welcher Verschwinden und

Auferstehen der Street-Art- und Graffiti-Bilder mittels eines digitalen Layers

gleich(-zeitig)schaltet. Sprünge in Raum (real-virtuell) und Zeit (Leben-Tod),

wie sie größer und komplementärer kaum sein könnten, werden somit kurzerhand überblendet. Man könnte auch sagen, die beiden vermeintlich oppositä-

ren Raum-Zeit-Konstrukte interfacen23 miteinander in der Blackbox des Smartphone-Devices. Nicht jedoch, und das gilt es an dieser Stelle zu betonen, der-

art, dass sich die beiden Layer gegenseitig auflösten; vielmehr zieht Graffyard sein Potenzial ja gerade aus der Eigenständigkeit und möglichen Autonomie

21 Dass dies eine wesentliche theoretische Verschiebung darstellt, steht außer Frage. Auch Ernst konstatiert: „Es macht einen erheblichen Unterschied, ob man nach dem Archiv als Erinnerungs- oder Gedächtnisort gefragt wird.“ (Ernst 2009: 183) 22 ZDFkultur (2012): 35 sec ff. 23 Zur Praktik des Interfacens bzw. zum prozessualen Interface siehe Otto/Denecke (2014: 22-24) sowie Farman (2012: 63); vgl. dazu auch Seite 322-323.

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der beiden Layer. Graffyard kann somit durchaus auf dem Fundament der La-

tour’schen Soziologie der Gemenge und Gemische24 gelesen werden, welche ja gerade eine ebensolche Verkettung einzelner Elemente vorschlägt – ohne sich dabei von der Idee der ‚verteilten Verantwortung‘ zu entfernen:

„Bei Latour geht es eher um ein Bündnis zwischen beiden als um eine tatsächliche Vermengung. Dies zeigt gerade seine Idee der Verteilung von Verantwortung, die ja voraussetzt, dass die einzelnen Akteure [oder hier Layer, KG] im Netzwerk als Einzelne auch erkannt bleiben.“ (Schroer 2008: 382)

In diesem Sinne sind auch die beiden Layer von Swezas Graffyard-Projekt nur scheinbar und niemals ganz aufgelöst; vielmehr (re-)aktualisieren sie sich im

Prozessieren permanent selbst und stellen ihre Differenz in der gegenseitigen Überlagerung her. Erst wenn die beiden Layer (scheinbar) in eins fallen, wird

ihre Differenz sichtbar. Gleichzeitig jedoch wird ihre Differenzierung immer als künstliche Trennung wahrgenommen, denn was Graffyard bleibt, scheint evident: ein Hybrid. Ein unstabiler Hybrid jedoch, der – mit Serres gesprochen –

nicht die Mitte anstrebt, sondern vielmehr die prozessuale Mischung. Denn „[d]ie Mitte, abstrakt, dicht, homogen, nahezu stabil, ist Konzentration; Mischung bedeutet Fluktuation. […] Die Mitte trennt, die Mischung mildert

ab.“ (Ebd.: 386 mit Bezug auf Serres 1994: 103) Somit erschafft Graffyard also ein Drittes, den „ausgeschlossenen, eingeschlossenen Dritten“ (Serres 1987:

41). Oder auch: ein Dazwischen, das sich in der prozessual operierenden (Smartphone-)Blackbox manifestiert und permanent de-/re-materialisiert. Swe-

zas Graffiti-Friedhof entsagt somit einem entschiedenen Entweder-oder, wobei letztlich wieder ein Bogen zur Metapher des (temporären) Street-Art-Zombies

geschlagen werden könnte, denn schließlich prozessiert auch dieser im Dazwi-

schen, im unbestimmten Zeit-Raum zwischen Leben und Tod. Das konstitutive

Ineinandergreifen der oppositär angelegten Layer und (Zeit-)Raum-Konstrukte,

welches bereits im APP-KAPITEL unter 4.4 diskutiert wurde, erfährt an dieser

Stelle eine zusätzliche Dynamisierung. So gilt es das Interface an dieser Stelle ganz explizit prozessual zu denken: Es lässt sich nur punktuell stabilisieren und

24 Welche Markus Schroer in seinem Aufsatz Vermischen, Vermitteln, Vernetzen (2008) im Sammelband zu Bruno Latours Kollektiven anschaulich beschreibt.

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operiert „in einem Dazwischen, das nicht eindeutig zu verorten ist, sondern sich ständig neu und anders zwischen den Entitäten befindet“ (Otto/Denecke

2014: 24).25 Als Schnitt-Bild bzw. -Stelle operierend, schiebt es sich zwischen Stadt und Smartphone-Technologie, zwischen Bild und Abbild, zwischen Le-

ben, Tod und temporäre Revitalisierung und bildet damit ein ‚real-virtuelles‘

Archiv aus, welches auf seine eigene Prozessualität verweist: „[…] [V]alue is created by collapsing temporalities, overlaying a site or object in the present with a reference to its provenance or past, or even evoking the authentic

through the act of reproduction [or stated differently, revitalisation, KG].“

(Uricchio 2011: 27) Gleichzeitig ist jene Bedeutungsproduktion aber immer

nur durch die ‚korrekte‘ Positionierung des Users (und seines Devices) gegeben (vgl. ebd.: 25), schließlich bedingt diese die erfolgreiche Einlesung und folgliche Decodierung des QR-Codes.

Abb. 34: beschädigter und somit nicht mehr decodierbarer QR-Code | gefunden in Berlin-Kreuzberg

Das Interessante an Swezas Projekt ist hierbei, dass das Thema der Vergänglichkeit nicht nur thematisch aufgegriffen und medial reflektiert, sondern auch

im Vollzug und Prozessieren des Projektes permanent hergestellt und (re-)aktualisiert wird. Denn nicht nur die im Berliner Stadtraum auffindbaren StreetArt- und Graffiti-Arbeiten sind vergänglich, sondern auch sein ‚Friedhof‘ (vgl.

25 Das heißt also, der Platz seines Mediums wird stetig neu ausgehandelt, verortet und somit aktualisiert (vgl. Otto/Denecke 2014: 24).

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Abb. 34). Graffyard ist somit auch ein selbstreflexives Projekt. Jenes zuvor er-

wähnte, hybride Zwischenstadium zwischen Leben und Tod, Ableben und Auferstehen, Destruktion und (temporärer) Revitalisierung wird nicht nur künst-

lerisch thematisiert, sondern ist in das Projekt dezidiert eingeschrieben. Tem-

porär deshalb, und das möchte ich an dieser Stelle betonen, weil auch dieses Zwischenstadium nur zeitlich begrenzt ist. So ist die volle und ursprünglich

intendierte ‚Funktionsfähigkeit‘ des hybriden, raum-zeitlichen Zusammenspiels

von Graffyard nämlich maßgeblich auch von der Lebensdauer der im urbanen Stadtraum befindlichen QR-Codes abhängig. Die verklebten Codes sind keiner-

lei Garantie für ein dauerhaftes Erinnern oder gar Überleben der Graffiti- und

Street-Art-Pieces, vielmehr tragen sie zu einem punktuellen, plötzlichen, uner-

warteten und gar ‚zombiehaften‘ Erscheinen ihrer digitalen (Kipp-)Bilder26 bei. Das prinzipiell eher unattraktive Archiv wird an dieser Stelle als Ort des un-

heimlichen Geschehens visuell attraktiv (vgl. Stäheli 2002: 79). Dieser Umstand erweist sich als essentiell, akzentuiert er die raum-zeitlichen Implikatio-

nen von Graffyard, welche sich durchaus auf Swezas Terminologie des „realvirtuellen“, „verorteten“ Archivs verdichten lassen. So stellt Graffyard der

schnelllebigen, außerarchivarischen Zeit gerade keinen Ort der Beständigkeit entgegen, wie es beispielsweise bei Stäheli heißt, sondern verweist auf seine eigene Archivlogik und stellt die ihr inhärente Prozessualität aus.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Bei Graffyard handelt es sich

um ein a) verortetes und selbst an verortbare Architektur gebundenes sowie b) temporäres und sich selbst temporalisierendes Archiv, das sich im Zuge der nur

situativ zugänglichen Archivalien permanent selbst reflektiert und damit reak-

tualisiert. Oder anders ausgedrückt: Swezas vergängliches, verortetes und

selbst an verortbare Architektur gebundenes Archiv wird im Prozess des Reanimierens erst hergestellt. Dieser gegenseitigen Bedingtheit muss maßgebliche Relevanz zugesprochen werden, hat meine Feldforschung gezeigt, dass sich ein

Auffinden der im Berliner Stadtraum verklebten QR-Codes keineswegs als einfach erweist. Zum einen mag dies an der Größe der Stadt und der damit einhergehenden visuellen Konkurrenz im Allgemeinen liegen; zum anderen schreiben sich situative Begebenheiten in diese Konstellation ein. Im Video-

26 Zum Kippbild siehe ausführlicher Seite 328.

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beitrag von ZDFkultur wird zudem darauf hingewiesen, dass Swezas QR-Code-

Kacheln sowie auch sein QRadio27, oft geklaut werden.28 Doch das sei Teil des

Spiels, so Sweza, sobald man etwas in die Öffentlichkeit bringt, gehe man das

Risiko der Zerstörung ein.29 Die Gültigkeit der im Titel anzitierten Zombie-

Metapher ist für die digital revitalisierten Street-Art-Werke somit eindeutig

zeitlichen Restriktionen ausgesetzt. Daraus folgt, dass das oftmals mit Zombies

in Verbindung gebrachte ‚Dahinvegetieren‘ im Zwischenraum (oder -stadium) von Leben und Tod durchaus auf Aspekte des Graffyard-Projektes zutrifft; keinesfalls ist dieses ‚Dahinvegetieren‘ jedoch ein unendliches.

Vor dieser Folie möchte ich meine bisherigen Erkenntnisse noch einmal an

meine Eingangsfragen rückbinden. Ich frage folglich: Öffnet Graffyard eine Tür in die Vergangenheit, wie es auf Swezas Webseite heißt? 30 Und was passiert in dieser Smartphone-Box genau?

Was Sweza mit Graffyard schafft, ist eine Art hybride Erinnerungs(-black)

-box, die der Vergänglichkeit von Graffiti und Street Art nicht entgegenwirkt,

sondern ihre Charakteristika und Dynamiken auf einer überhöhten Stufe medi-

al reflektiert – und gleichzeitig (re-)aktualisiert. Dazu greift er auf ein vorge-

schaltetes, verortbares und verortetes Archiv zurück, das er sich in einem vorherigen Schritt (über Jahre hinweg) zuerst hat aufbauen müssen. D.h. also

Swezas Graffyard, welcher sich durch Charakteristika wie Punktualität, Situa-

tionsbezogenheit, Temporalität, Subjektivität und Lückenhaftigkeit auszeichnet, geht eine lange Vorbereitung voraus. Dabei hat alles, von Tags über Graffi-

ti bis hin zu Stencil, die scheinbare Berechtigung, über den digitalen Graffyard

erinnert und beigesetzt zu werden.31 Im Vordergrund steht die Methode, das

27 www.sweza.com/qrt, 30.07.2013. 28 Vgl. ZDFkultur (2012): 2.01 min ff. 29 Vgl. Deutsche Welle (2011): 2.12 min ff. 30 Vgl. www.sweza.com/graffyard, 30.07.2013 sowie auch ZDFkultur (2012): 1.10 min ff. 31 Das Lückenhafte erweist sich, generell gesprochen, dennoch konstitutiv für das Archiv: „There must be also pieces missing, something left to find“, so Alice Yeager Kaplan in Working in the Archives (1990: 103), worauf Wolfgang Ernst in Das Archiv als Gedächtnisort hinweist (vgl. Ernst 2009: 187). Gleichzeitig gilt es zu fragen, ob jene

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Wie. Diese kann folglich als bewusstes archivarisches Konzept verstanden wer-

den, welches sich den Kriterien des ‚traditionellen‘ Ästhetikverständnisses widersetzt und normative Bewertungsmaßstäbe bewusst unterläuft. Auf diese

Weise werden ästhetische bzw. zumindest als ästhetisch konnotierte Gesichts-

punkte einer Neuperspektivierung unterzogen, gelten doch gerade Tags – und zwar sowohl in der allgemeinen Öffentlichkeit als auch im breiten Street-Art-

Diskurs – als vermeintlich ‚defizitär‘ und werden oftmals als bloßer Vandalismus verhandelt. Und dies, wo doch gerade Tags den genealogischen Ur-

sprung und die prinzipielle Reinform eines jeden Graffiti-Pieces darstellen; ein

Umstand, der weitestgehend verkannt bleibt. Im selben Zug mag die ‚piktorale Gleichberechtigung‘ jedoch auch praktische Gründe beinhalten. So werden

Tags im Allgemeinen schneller entfernt als (als ästhetisch konnotierte) StreetArt- und Graffiti-Arbeiten; zumindest dann, wenn sie in bürgerlichen Wohnvierteln oder auf Privathäusern angebracht sind. Dieser zeitliche Vorteil – oder

Vorsprung – den die allgemeine ‚Nichtakzeptanz‘ von Tags Swezas Graffyard

bringt, liegt in der zeitnäheren Umsetzbarkeit seines Projektes begründet. So können seine QR-Codes immer erst dann verklebt werden, wenn die originären Schrift- und Bildzeichen entfernt wurden.

Dennoch gilt: Was Sweza trotz aller ‚Gleichberechtigung‘ der im Stadtraum

auffindbaren Zeichen nicht leisten kann, ist eine Aushebelung der Archivlogik. So markiert jede Einlesung stets eine Differenz, welche Archivgut von NichtArchivgut trennt. Ausgewählte Street-Art-Arbeiten, Graffiti-Pieces und Tags werden gegenüber anderen privilegiert. Dies macht deutlich, dass jedes Archiv

eine Grenze beinhaltet, welche das Innen vom Außen, das Archiv vom NichtArchiv, das Abgeschlossene vom Offenen, das Konservierte vom Flüchtigen und

somit das Bewahrenswerte vom Nicht-Bewahrenswerten abgrenzt (vgl. Fohrmann 2002: 20-21).32 „Kein Archiv ohne Draußen“, konkretisiert Derrida (ebd.:

Lücke einem Schweigen oder doch vielmehr einem bewussten Verschweigen gleichkommt (vgl. ebd. 2002: 25). 32 Und Fohrmann fügt hinzu: „Und diese Konsignation ist zugleich eine Ordnung, die dazu tendiert, jedes, alles einzuschließen, ein umfassendes Gedächtnis zu werden, und dann zugleich die Lust, jedes, alles zu zerstören, alle Spuren zu verwischen.“ (Fohrmann 2002: 21) Urs Stäheli schreibt in der Wiederholbarkeit des Populären

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20 mit Referenz auf Derrida 1997: 25). Swezas bewusste oder unbewusste Selektion stellt somit immer schon eine erste Interpretation dar, welche darüber

entscheidet, welche Arbeiten erinnert werden und welche nicht. Dem Archiv als Ort der Erinnerung ist in dieser Semantik ein aktualisierendes Potenzial der

Revitalisierung und ‚Auferstehung‘ eingeschrieben, welches nicht losgelöst von der Logik des (un-)bewussten Exkludierens, Ignorierens und Vergessens gedacht werden kann.

4.6.3 Q UICK R ESPONSE C ODE Da der QR-Code die Möglichkeitsbedingung von Swezas Graffyard-Projekt bildet, soll im Folgenden einer medienwissenschaftlichen Situierung des QR-

Codes nachgekommen werden. Es folgt ein knapper Exkurs, welcher den QRCode innerhalb seines medialen Settings diskutiert und an kunst- bzw. bildwissenschaftliche Fragestellungen rückbindet.

QR-Code ist die Abkürzung für Quick Response Code, was auf Deutsch so

viel heißt wie „schnelle Antwort“. Entwickelt wurde er 1994 von der japanischen Firma Denso Wave, einer Tochterfirma des Automobilkonzerns Toyota (vgl. Kato et al. 2010: 51). Es handelt sich um einen 2D-Barcode, welcher mit

einer speziellen Fehlerkorrektur ausgestattet ist, wodurch sich bis zu 30 Pro-

zent an Informationsverlust verlustfrei aufrechnen lassen (vgl. ebd.: 51-59, im

Speziellen: Abschnitt 3.1.3). Diese Kompensationsfähigkeit verleiht dem QR-

Code eine gewisse Widerstandsfähigkeit und garantiert trotz visueller Beschä-

digung eine verlustfreie Decodierung. Optisch setzt sich der Code aus einem

Ensemble weißer und schwarzer Pixel zusammen, welche eine bestimmte, jeweils individuelle geometrische Formation ausbilden. Dabei sind, grob gesagt,

immer spezifische Bereiche des Codes für spezifische Information zuständig; darunter die Versionsinformation, das Datenformat und natürlich die kodierten

Informationen selbst (vgl. ebd., im Speziellen: Abschnitt 3.1.2). Drei der vier Ecken sind mit einer quadratischen Markierung gekennzeichnet, welche die

(2002): „[…] Das Archiv [dient] als normative Instanz, die es erlaubt, Bewahrenswertes von nicht Bewahrenswertem abzugrenzen.“ (Stäheli 2002: 74)

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Ausrichtung des Codes vorgibt. QR-Codes finden heutzutage recht breite An-

wendung; neben ihrer ursprünglichen Bestimmung, der Produktionslogistik, sind sie vor allem im Bereich von Produkt- und Werbeindustrie zu finden.

In Swezas Graffyard-Projekt übernimmt der QR-Code jedoch eine andere

Funktion: Er wird zum Mediateur innerhalb eines Geflechts heterogener, soziotechnischer Beziehungen. Er trennt, indem er verbindet und verbindet, indem

er trennt. Der Code verweist damit auf eine Eigenschaft, die Grenzen genuin

inhärent ist: So setzt sich eine Grenze immer aus zwei Differenzpunkten zusammen, welche gleichzeitig ihre Berührungspunkte sind. Das ist das Paradox

der Grenze; sie ist sowohl Kommunikation als auch Trennung (vgl. de Certeau

1988: 233). Und in genau diesem Sinne gilt es letztlich auch Swezas GraffyardProjekt zu verstehen, in welchem der zwischengeschaltete QR-Code die Rolle eines verbindenden und gleichzeitig trennenden ‚real-virtuellen‘ Hybriden ein-

nimmt.33 Dieser kann als Kippbild verstanden werden, welches einer doppelten Adressierung nachkommt: Während die ‚Vorderseite‘ des Codes einen binären

Barcode repräsentiert, korrespondiert die ‚Rückseite‘ mit einer digital überlagerten Bildebene.34 Der QR-Code schaltet sich folglich als trennendes Element

zwischen physikalischen Stadtraum und verschwundene, digital revitalisierbare Street Art und vollzieht dabei eine spezifische Form der ‚Reinigungs-

arbeit‘.35 Auf diese Weise subtrahiert er alles Dreckige, alles Soziale, alles

33 Auch an dieser Stelle sei abermals auf die Figur des Schnitt-Bildes verwiesen, welches auf Seite 323 ausführlicher herausgestellt wird. 34 Welche einer grafischen Benutzeroberfläche bedarf. 35 An dieser Stelle lässt sich mit Bruno Latour ansetzen. In Wir sind nie modern gewesen (2008) erteilt dieser der modernen Trennung von Kultur und Natur, von Menschen und Nicht-Menschen eine klare Absage und betont stattdessen die Herausbildung hybrider Mischwesen. Seine These lautet: Je strikter und gründlicher diese Trennung in der Moderne vollzogen wurde, umso besser konnten sich soziotechnische Hybride ausbilden, die von beiden Sphären gleichermaßen beeinflusst sind. Dieses Phänomen scheint auch auf Swezas QR-Code-Projekt übertragbar; wenngleich in seinem Fall gerade das soziotechnische Zusammenspiel digital-analoger Hybride in den Vordergrund rückt, welche sich im QR-Code verdichten. Hier erweist es sich als besonders interessant, den Praktiken der Trennung „als besonderen Fall der Vermittlung“ (Latour 2008: 107) nachzuspüren, anstatt deren gegenseitige Übersetzungsleistung zu

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Flüchtige und Kunstpraktische und verdichtet die ursprüngliche Ausgangssituation auf eine fotografische Aufnahme. Diese wiederum bleibt nicht als

solche präsent, sondern wird – in Form einer schwarz-weißen Pixelformation –

auf die Rückseite ihres eigenen Kippbildes verschaltet. Losgelöst von aller

Farbigkeit, aller Street-Art-Dynamik und Kunstfertigkeit präsentiert sich die

geometrische Pixelformation als strenges Gebilde einer technisch codierten Zeichensprache. Dennoch mag dies nur auf den ersten Blick zutreffen. Schaut man sich Swezas bereinigte Pieces (und die damit korrespondierenden Archi-

tektursituationen) einmal genauer an, so sind auch diese als ästhetische Kompositionen zu begreifen (vgl. Abb. 35). Sweza macht sich die geweißelten Flächen, fast ausschließlich Quadrate, als Bildgrund operabel, welche durch die

Abb. 35: Foto aus der Averslebenstraße | Berlin | © Sweza (im Original nicht s/w)

betonen. Als Herausgeber der Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1/2013 zum Themenschwerpunkt „Reinigungsarbeit“ widmen Nacim Ghanbari und Marcus Hahn dem Thema der Reinigungsarbeit eine umfangreiche Diskussion, auf welche an dieser Stelle verwiesen sei.

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schwarz-weißen QR-Codes eine visuelle Akzentuierung erfahren. Die bereinig-

ten Architektursituationen sind auf diese Weise als eigenständige Kompositionen oder ‚Bilder‘ zu entwerfen, denen künstlerischer Wert zugesprochen wer-

den muss.

Auf den ersten Blick und rein bildsprachlich betrachtet, mag man mög-

licherweise an Piet Mondrian denken, welcher für seine streng geometrischen

Gemälde-Formationen bekannt ist. Auch diese fügen sich aus einem schwarzen

Raster zu einer mosaikartigen Komposition zusammen.36 Sieht man einmal von der geometrischen Unregelmäßigkeit und farblichen Akzentuierung (rot, blau,

gelb) seiner Farbfelder ab, lässt sich durchaus eine gewisse visuelle Ähnlichkeitsbeziehung ausmachen. Auch ein Rückschluss auf Kasimir Malewitschs

Schwarzes Quadrat (1915) scheint naheliegend, wenngleich dieses einer völlig

anderen Zeit und ideologischen Orientierung entspringt.37 Hubertus Gaßner bezeichnet dieses in Das schwarze Quadrat. Hommage an Malewitsch (2007) als „Provokation der Malerei und Rätsel der Kunstgeschichte, als Nullpunkt der abbildenden Kunst und als Inspirationsquelle nicht nur der geometrischen Abstraktion der klassischen Moderne, sondern aller Spielarten des Konstruktivismus, Minimalismus und des Neo-Geo […]“. (Gaßner 2007: 8)

Malewitsch begründet mit dem Schwarzen Quadrat den Tod der illusionisti-

schen, diesseits der Bildfläche gelegenen Kunst und ruft die Geburt einer neuen, erst im Keimstadium begriffenen Kunst aus, welche in einem imaginären Raum jenseits des Bildes existiert. Das Quadrat als Nullform der Gegenstandswelt, welches alle Farben eliminiert und in sich aufnimmt, stößt folglich ein

36 Man denke hierbei an seine Serie Komposition mit farbigen Flächen, Komposition mit Gitterwerk sowie v.a. Komposition mit Gelb, Rot, Schwarz, Blau und Grau, vgl. dazu u.a. Janssen (2008: 148-169) und Scheer/Thomas-Netik (1995). 37 So galt Malewitschs Schwarzes Quadrat (1915) u.a. als spirituell aufgeladenes Objekt. Seine Kunst wollte sich vom ‚Ballast der Gegenständlichkeit‘ befreien und sich der ‚reinen Empfindung‘ öffnen. Dafür erfand er den Begriff „Suprematismus“, vgl. dazu exemplarisch Gaßner (2007), Drutt/Malewitsch (2003), Dümpelmann et al. (2014) und Simmen/Malewitsch (1998). Ebenfalls handelt es sich bei Malewitschs Schwarzem Quadrat nicht um ein Quadrat im streng geometrischen Sinne, ist nicht von einer exakt parallelen Linienführung auszugehen.

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Tor in eine gegenstandslose Wirklichkeit auf (vgl. ebd.: 10, 17). Gaßner liefert

damit eine Interpretation, welche – zumindest im übertragenen Sinne – mit Swezas Graffyard kurzgeschlossen werden kann; schließlich arbeitet auch die-

ser an der Schwelle einer ‚neuen Kunst‘, mit welcher er es vermag, ein Tor in einen unbekannten Raum aufzustoßen. Und er fügt hinzu:

„Als Summe aller Farben, die elektromagnetische Wellen sind, verkörpert das Schwarz für den Maler [hier Malewitsch, KG] komprimierte Energie. Diese dem schwarzen Quadrat innewohnende Energie setzt es gleichsam von innen heraus in Bewegung […]“. (Ebd.: 18)

Diese Bewegung erzeugt ein bildinhärentes Spannungsgefüge, welches perma-

nent zwischen auslöschendem Schwarz und unendlichem Weiß ausbalanciert

und den Eindruck eines Bildrhythmus erzeugt (vgl. ebd.: 9; Simmen/Malewitsch 1998: Einband). Und auch Swezas Graffyard ist von einer ähnlichen Dy-

namik geprägt; einer Bewegung, welche es vermag, behutsam zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Rück- und Vorderseite hin und her zu

springen. Swezas QR-Codes konfrontieren uns folglich mit einem Bild-Zeichen,

welches nicht nur seine eigene Rückseite einschließt, sondern auf diese verweist. Vor diesem Hintergrund lässt sich Swezas binärer Pixelcode – mehr als

mit Malewitschs spirituell aufgeladener, suprematistischer Malerei – mit Gijsbrechts Rückseite eines Gemäldes (1670) kurzschließen, welches seine eigene

Rückseite (inklusive Rahmen) ausstellt: Gijsbrechts Bild war darauf angelegt,

den Betrachter irrezuführen, ihn zu veranlassen, das vermeintlich falsch aufgehängte Bild umzudrehen, um nachzusehen, was sich auf seiner Vorderseite

befindet.38 Letztlich hält Sweza mit seinem QR-Code einen ähnlich konzeptionellen ‚Kniff‘ bereit, der medienwissenschaftliche Tragweite besitzt. So lässt

sich in diesem Kontext abschließend fragen, ob in Swezas QR-Code-Projekt

letztlich nicht doch die Option einer endgültigen Trennung angelegt ist. Nimmt man zur Kenntnis, dass die Vergänglichkeit seiner im Stadtraum angebrachten

38 Rückseite eines Gemäldes (1670) nennt sich ein Ölgemälde des niederländischen Malers Cornelis Gijsbrechts. Das nicht gerahmte Gemälde ist ein Trompe-l’œil und stellt die Rückseite eines Gemäldes inklusive hölzernem Bildrahmen dar, vgl. dazu Schneider (1994: 23) sowie ausführlicher Stoichita (1998: 299-312).

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QR-Codes nicht nur die zwingende Möglichkeitsbedingung einer endgültigen

Trennung von physikalischer Straßenpräsenz und digitaler Revitalisierung dar-

stellt, sondern auch ihr unumgängliches Schicksal, so muss die Antwort

zwangsläufig „ja“ lauten. Denn die Vergänglichkeit des materiellen Trägermediums beeinflusst die Funktionsfähigkeit des ‚real-virtuellen‘ Archivs auf

maßgebliche Weise und trägt auf lange Sicht zu einer Kappung der Verbindung bei. Durch die Fragilität der ‚Archivpforten‘ – der QR-Codes – offeriert Sweza

die Option eines letzten Vergessens. Oder was passiert mit besagten Street-ArtArbeiten bzw. -Fotos tatsächlich, wenn der digitale Deckel des Archivs über

dem Bewahrten zuklappt: Gewährt man ihnen eine letzte Ruhestätte, und so-

mit den unumgänglichen Datentod; oder sind sie zu ewigem Leben verdammt, innerhalb eines unzugänglichen digitalen Webspaces, dessen Pforten für immer verschlossen bleiben?39

4.6.4 D AS A RCHIV ALS H ANDLUNGSFORM UND DIE VERÄNDERTE

V ERFÜGBARKEIT VON K ULTURGUT

Im Folgenden sollen zuvor entfaltete Erkenntnisse resümiert und an den Kontext digitaler Archivierung(-spraktiken) rückgebunden werden. Dies verlangt einerseits, das Internet als digitales Archiv und kunstgeschichtliches bzw. -praktisches Speichermedium zu hinterfragen, andererseits müssen die daraus

resultierenden Potenziale wie Zumutungen offengelegt werden. Wie sich zeigen

wird, rückt hierbei vor allem die veränderte Verfügbarkeit von Kulturgut bzw. Kulturwissen in den Vordergrund. Angenommen, Kultur sei das Resultat ihrer

Speicher, dann erweist sich – mit Wolfgang Ernst gesprochen – „auch das ‚kulturelle Gedächtnis‘ als Effekt eines Archivs, dessen Grundoperationen sich mit

den medialen Innovationen […] ständig wandeln […]“ (Ernst 2009: 178).

Dennoch läuft das Internet als neuer Gedächtnisort dem Archiv in dem Sinne komplementär entgegen, als dass darin nicht nur Archivgut aufbewahrt, sondern auch publiziert wird (vgl. Ebeling/Günzel 2009 mit Bezug auf Assmann

39 Siehe in diesem Kontext auch Warnke (2002: 270).

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2009).40 Gegen die allzu holzschnittartige Opposition des Archivs als Speicher, Gedächtnis- respektive Erinnerungsort und Publikationstool soll das Archiv im

Rahmen meiner abschließenden Bemerkungen jedoch vielmehr in Abhängig-

keit all dieser Parameter befragt werden.

Bezogen auf Swezas Graffyard-Projekt lässt sich zuallererst festhalten, dass

es dem Künstler grundsätzlich nie darum gehen konnte, ein Archiv (im ur-

sprünglichen Sinne) aufzubauen. Vielmehr stellt er die dem Archiv inhärenten Prozesse aus, kehrt deren mediale Charakteristika nach außen und leistet

damit einen Metakommentar auf digitale Archivierungsverfahren im Allgemeinen. Gerade dadurch, dass er keine Selektionsmechanismen greifen lässt, die

sich mit dem ‚allgemeinen Geschmack‘ bzw. den Kriterien des Kunstsystems kurzschließen lassen,41 zieht er eine zusätzliche Reflexionsebene ein und deckt

die Fiktionalität des Archivs auf. Denn das Archiv ist ein Ort, an welchem Fin-

den sehr nahe mit Erfinden verknüpft ist (vgl. Ernst 2002: 129). Durch die

Aufwertung von Tags stellt er das sonst Verdrängte, Marginalisierte und Unerwünschte aus und macht die Selektivität des Archivs sowie die ihr inhärente

Mehrdeutigkeit sichtbar.42 Swezas Graffyard kommt somit weniger einer Revitalisierung von Street-Art- und Graffiti-Arbeiten nach, sondern stellt vielmehr

die dem Archiv zugrundeliegenden Mechanismen und zwischengeschalteten Prozesse zur Schau. Damit stimmt er mit anderen Arbeiten der Gegenwartskunst überein. Monika Rieger entfaltet in ihrem Aufsatz Anarchie im Archiv am

Beispiel Boltanskis eine ähnliche Perspektive, indem sie konstatiert:

40 Assmann spricht dennoch von Gedächtnisform statt von Gedächtnisort. 41 So werden vor allem Tags mit Qualitäten des Vandalismus und der Schmiererei konnotiert. 42 Vgl. dazu auch Rieger (2009: 258-269), die Ähnliches am Beispiel von Christian Boltanski entfaltet sowie weiterführend Schaffner/Batchen, deren Ausstellungskatalog Deep Storage – Arsenale der Erinnerung. Sammeln, Speichern, Archivieren in der Kunst (1997) eine Auswahl internationaler Künstler aus drei Generationen zeigt, die das Speichern von Informationen, das Sammeln von Bildern und das Archivieren von Dingen zum Thema ihrer Arbeiten machen und der Frage nach dem Gedächtnis und der Bedeutung von Erinnerung nachgehen. Die zugehörige Ausstellung fand vom 03.08.1997 bis zum 12.10.1997 im Haus der Kunst in München sowie später in Berlin, Düsseldorf und Seattle statt.

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„[…] Künstler [verbinden] mit der Idee des Archivs weniger die Vorstellung eines sicheren Depots und die Möglichkeit einer identischen Rekonstruktion der Vergangenheit. Vielmehr wird das Archiv zu einer Handlungsform und einem Handlungsraum, in dem weniger bestimmte Inhalte als deren Rahmenbedingungen in den Blick genommen werden.“ (Rieger 2009: 266)

Vor diesem Vorzeichen gilt es auch Swezas Graffyard zu lesen. Anhand seines Beispiels zeichnet sich die dynamische Konzeption des Archivs ab, welche es

im Spannungsfeld von Registrieren, Speichern, Bereithalten, Zurverfügungstellen, Erinnern, Aktualisieren und Vergessen zu situieren gilt. Swezas Friedhof der Graffiti kann folglich mit der allgegenwärtigen und zunehmend wichtiger

werdenden Frage (oder Problematik) digitaler Archivierungs- und Speicherpraktiken kurzgeschlossen werden. Sein Projekt adressiert diese Problematik

auf Metaebene und ruft die Dialektik von Erinnern und Vergessen auf. Dabei

führt Graffyard die mit dem Archiv in Verbindung stehende Praktik des Erin-

nerns auf spielerisch-experimentelle, künstlerische Weise vor Augen und lässt sie im Medium der Kunst reflexiv werden. Das, was Sweza in seine Argumentation einbaut, wird weder zum Erinnerungsbaustein des kulturellen Gedächt-

nisses noch – fälschlicherweise43 – für die Geschichtsschreibung produktiv gemacht; vielmehr präsentiert es sich als Reflexion des gegenwärtigen Zustands

digitaler Archivierung(-spraktiken) und ihrer Problematiken (vgl. Rieger 2009: 269 mit Bezug auf Boltanski). „Die Kunst, so könnte man es auch ausdrücken,

erinnert die Kultur daran, dass sie sich nicht mehr erinnert“ (ebd. mit Bezug auf Assmann 1999: 371) bzw., und anders ausgedrückt, dass „die Speicherkapazität der Archive längst die Grenze dessen überschritten hat, was noch in

menschliche Erinnerung rückübersetzbar ist“ (ebd. mit Bezug auf Assmann

2006: 94 ff.). Gleichzeitig gilt, und darauf weist Aleida Assmann in Die Furie

des Verschwindens (2006) ebenfalls hin, dass die Auswahlkriterien des kulturellen Gedächtnisses unklar geworden sind (vgl. ebd.). Es handelt sich hierbei um

einen Umstand, der vor allem im Kontext von Street-Art-Festivals immer wieder deutlich vor Augen tritt. So fragt man sich vor allem dort, was das kulturel-

43 „Archive gehen der Geschichtsschreibung voraus, die deren Effekt ist.“ (Ebeling/Günzel 2009: 14) Das Archiv ist folglich eine Instanz, die die Ordnung der Vergangenheit produziert und nicht repräsentiert (vgl. ebd.).

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le Gedächtnis und die damit in Verbindung stehenden Medienpraktiken (des

Archivierens und Speicherns) bereits geleistet haben, um so etwas wie einen internationalen Street- und Urban-Art-Kanon zu festigen und permanent

weiterzuprozessieren.44

Hieran lassen sich weitere Fragen anschließen. Unmittelbar mag man an

das vom „Google Cultural Institute“ im Jahr 2014 initiierte Google-Street-Art-

Project45 denken, das der flächendeckenden Archivierung von Street Art dienen

soll. Neben den positiven Effekten einer digitalen Archivierung und hochauflösenden Zugänglichkeit von Street-Art-Kunstwerken weltweit bleibt zu fragen,

was eine digitale Archivierung in dieser Form tatsächlich leistet. Grundsätzlich

ruft diese Diskussion die Frage nach dem medialen Trägermedium auf, welches

die Organisation und Dauerhaftigkeit des Archivs in entscheidender Weise

mitbestimmt. Einerseits zeichnen sich digitale Archive hierbei durch eine recht breite Zugänglichkeit aus, andererseits ist ihnen ein erhöhtes Maß an Flüchtig-

keit inhärent (vgl. Ernst 2009: 200 mit Bezug auf Zimmer 1999). „Digital

documents last forever – or 5 years, whichever comes first“, so Jeff Rothenburg

(vgl. Warnke 2002: 276 mit Bezug auf Rothenburg 1999), dessen Studie zur digitalen Dokumentarchivierung folgende Schlussfolgerung enthält: „[…] there

is – at present, no way to guarantee the preservation of digital information“ (ebd. mit Bezug auf Rothenburg 1999). Gleichzeitig und damit in Verbindung stehend weist Martin Warnke darauf hin, dass digitale Archive nur überdauern,

wenn sie auch ständig gebraucht werden (vgl. ebd.: 280). Dies verlangt, dass Daten in regelmäßigen Abständen auf die neuesten Speichermedien umkopiert und in den richtigen Formaten abgespeichert werden, um den finalen data rot zu verhindern (vgl. ebd.: 276). Es bedarf somit einer erhaltenden Instanz, die stets

„neu kodifiziert, interpretiert und bewertet, sich ihre Dokumente handelnd aneignet, sie herausgibt oder verheimlicht, damit Wissen ermöglicht und strukturiert, Handlungen provoziert oder zu unterdrücken trachtet. Nur so überstehen Archive die Jahrzehnte“,

44 Siehe dazu u.a. KAPITEL 4.1.3, 4.1.4 sowie ausführlicher im FAZIT. 45 www.streetart.withgoogle.com/de sowie www.google.com/culturalinstitute/project/street-art, 22.04.2015.

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so Warnke (ebd.: 280). Da Internet-Paketen46 ein Selbstzerstörungsmechanis-

mus eingebaut ist, erweist sich das Internet47 als Archiv prinzipiell untauglich (vgl. ebd.: 272).48 Vielmehr spricht ihm Warnke eine Mischung aus reiner

Transport- und temporärer Speicherfunktion zu (vgl. ebd.).49 Was nicht mehr

auf den Servern liegt, ist nicht mehr abrufbar; es tritt der uns allen bekannte

Fehler 404 auf (vgl. ebd). Der französische Street-Art-Künstler MTO ist hierbei

einer der ersten Künstler überhaupt, der zu diesem Phänomen explizit Stellung

nahm. Mit Bezug auf die Archivierungsbestrebungen von Google gestaltete er im April 2015, im italienischen Gaeta, ein großflächiges Mural, das die Worte

„Google ERROR 404 – MURAL NOT FOUND“ trägt.50 Gleichzeitig war ihm

46 Wären Internetpakete solche wie bei der Paketpost, würden sie, zusammengenommen, den Bestand des gesamten Internets ausmachen. Damit sie auf Dauer aber nicht alle Wege verstopfen, sind sie vergänglich. Das sogenannte TTL-Feld (= „Time to Live“) bestimmt ihre Dauer. Anfangs trägt diese digitale Lebenserwartung die Nummer 255; bei jeder Passage über eine Computer-Relais-Station nimmt dieser Wert um eins ab, bis das Paket letztlich gelöscht wird (vgl. Warnke 2002: 272). 47 Bestehend aus der Gesamtheit aller Datenleitungen, aller Computer (die RelaisFunktion übernehmen), aller Datenpakete (die transportiert werden) und aller Server und Clients (die Informationen anbieten und abfordern) (vgl. Warnke 2002: 272). 48 Dies führt Warnke auch als Grund dafür an, dass die Frühgeschichte des Internets bereits verloren sei; weil sich zu jener Zeit niemand um eine Archivierung kümmerte (vgl. Warnke 2002: 273). Ein (Gegen-)Projekt ist das sogenannte Internet Archive, das sich diesem Vorhaben annahm: www.archive.org/index.php, 07.05.2015. 49 Wolfgang Ernst hält in Das Rumoren der Archive (2002) fest, dass sich der Akzent heutzutage vom kulturellen Speichern zum Übertragen in Permanenz verschiebt. Im Zeitalter der Speicherbarkeit aller Informationen zeige sich das Internet nicht als Gedächtnis (und auch nicht mehr als Raum), sondern als eine topologische Konfiguration, in welcher die Struktur von Kommunikation mit ihren Beständen in eins fusioniere (vgl. Ernst 2002: 131). 50 Die Dokumentation des Murals ist abrufbar unter www.facebook.com/media/set/?set=a.10152768696761723.1073741871.195423476722&type=1; siehe dazu auch Levy (2015).

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daran gelegen, die eng mit der digitalen Archivierung einhergehenden Überwachungs- und Zensurpraktiken des Unternehmens zu adressieren.51

Diesem Risiko steht, positiv formuliert, eine bemerkenswerte Option gegen-

über: Geht man davon aus, dass sich technische Standards und SoftwareTechnologien in den kommenden Jahren ähnlich rasant weiterentwickeln (und optimieren), wird das Archiv „im rechnenden Raum [zukünftig, KG] nicht

mehr nur als drei-, sondern auch als n-dimensionaler Raum topologisch abbild-

[und adressier-, KG]bar“ (vgl. Ernst 2009: 200). Dies bedeutet, dass neue Ord-

nungs- und Suchoptionen hinzutreten und dass „[v]ieles, was bislang nicht

geschrieben werden konnte, […] in diesen neuen Codes überhaupt erst notierbar [wird, KG]“ (ebd.). Während Bilder und Töne durch schriftliche Verschlagwortung bisher ausschließlich im Regime der Schrift adressierbar waren, wäre

es auf diese Weise möglich, mit Melodien nach Melodien und mit Bildmotiven nach Bildmotiven suchen etc. (vgl. ebd.). Das Archiv würde algorithmisch produktiv.52

Ein Projekt, das bereits in diese Richtung greift, ist Google Photos, ein im

Sommer 2015 eingeführtes Tool, mit welchem Fotosammlungen algorithmisch

sortiert, Collagen erstellt und Gesichter wiedererkannt werden können.53 Auch

51 Der Künstler hält hierbei in der Schwebe, ob er die Zensurpraktiken des Unternehmens in selbstreflexiver Manier zur Schau stellen oder aber sein Mural vor einer ‚unautorisierten‘ digitalen Archivierung schützen wollte und es deshalb vorab selbst zensierte. In einem Statement des Künstlers auf Street Art News heißt es dazu: „In the small city of GAETA, Italy, a giant 125m (471 ft) wide mural by French street-artist MTO has been silently censored by Google CORP. Is this the first case of artistic censorship on our good old Google Earth? One thing is for certain, it’s sure to open a huge can of worms, as governments around the world consult their top legal minds and grapple with the implications for freedom of artistic expression. The censorship happens against a backdrop of growing international revolt against Google’s global supremacy in information control.“ (Levy 2015) 52 Es sei darauf hingewiesen, dass es dementsprechende Ansätze und Projekte bereits gibt, sich ihre Ergebnisse bisher aber nur durch eine bedingte Zuverlässigkeit und Überzeugungskraft auszeichnen. 53 Der ZEIT-Redakteur Thorsten Schröder berichtet in Googles größte Verlockung (2015) von seinen eigenen Erfahrungen: „Alles, was wir an Bildern haben, können wir ab sofort bei Google lagern – kostenlos, (fast) unbegrenzt. […] Doch Google wäre nicht

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wenn der Google-Photos-Beauftragte, Anil Sabharwal, gegenüber Wired erklärt,

dass die Foto-App eine private Datensammlung bleibe und keine identitätsbe-

stimmenden Merkmale speichere (z.B. Namen in Bezug zu Gesichtern) (vgl.

Schröder 2015: 2 mit Bezug auf Moynihan 2015), gibt es eine Vielzahl von Ge-

genstimmen. Bei Fusion.net beispielsweise geht man davon aus, dass das Unternehmen vom neuen Fotodienst lernen will, um seine Gesichts- und Objekterkennung zu verbessern (vgl. Hernandez 2015). Dies macht deutlich, dass es

im Rahmen digitaler Archivierungsbestrebungen gerade auch zu hinterfragen gilt, was die Archivierung und Verwertung von Daten, Dokumenten und Artefakten von und durch Konzerne wie Google letztendlich wirklich bedeutet. In ei-

nem Artikel des Monopol-Magazins formuliert der in Berlin lebende Kurator Lutz Henke, bezogen auf das Google-Street-Art-Project, u.a. folgende Bedenken: „Wer weiß schon, welche Algorithmen im Hintergrund lernen und arbeiten? Vielleicht erfahren wir bald, welche ästhetischen Muster den maximalen Werbeeffekt bei einer Zielgruppe entfalten oder welcher aufstrebende Künstler die höchste Rendite bringen wird. […] Die bedenkliche Tendenz der Formung von kommerziellen Wissens- und Datenmonopolen gehört zu den viel diskutierten Herausforderungen unserer Zeit, die uns noch lange beschäftigen werden. Die Frage, wer die Bilder zu welchem Zweck verwertet oder kontrolliert, ist ein grundsätzliches Problem des ‚Google Art Projects‘.“54 (Henke 2015)

So schließen sich also auch im Kontext dieser Theoriediskussion Fragen der Funktionalisierung, Effizienzsteigerung und Monopolisierung an. Wie meine

Google, wenn das schon alles wäre. Denn das Unternehmen nutzt seine Algorithmen, um Ordnung in unser digitales Chaos zu bringen. Kommen genügend Bilder zusammen, werden sie netterweise vorsortiert. […] Natürlich hat Google auch noch eine Suche obendrauf gepackt. Suche ich nach ‚Schnee‘, spuckt mir Google Fotos zuverlässig winterliche Motive aus Utah und New York aus. Gut, ein paar Schwarz-WeißBilder und ein paar Strandaufnahmen sind dabei, die Googles Algorithmen fälschlicherweise als Schneeberge interpretiert haben. Und zwischen den ‚Hunden‘ taucht die eine oder andere Katze auf. Trotzdem: Nie war es einfacher, schneller und angenehmer, sich durch die Bilder zu klicken.“ (Schröder 2015: 1) 54 Der Kurator Lutz Henke war auch an der Schwärzung des Berliner Blu-Murals beteiligt, siehe dazu Henke (2014).

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Analyse gezeigt hat, muss es – im Zuge der zunehmenden Digitalisierung und Online-Archivierung von Street Art – zukünftig mehr und mehr darum gehen, den Latenzen des Archivs ihren Platz einzuräumen und das, was sich in der

Gegenwart des Archivs als Abwesenheit bemerkbar macht, zu reflektieren (vgl.

Ernst 2002: 29).55 Zum einen heißt das, die am Phänomen beteiligten Selektionsmechanismen und Medialisierungspraktiken zu hinterfragen, die ein

Innerarchivarisches von einem Außerarchivarischen trennen und so etwas wie einen Street-Art-Kanon erst hervorbringen können. Dies verlangt, nicht nur die

Archivlogik selbst, sondern auch die „Weisen ihres Be- und Zugriffs“ (ebd.: 9)

ernst zu nehmen. Denn:

„Archive regulieren […] vielerorts die Zugänglichkeit von Information. Wissen […] [geht folglich, KG] aus dem Raum mit seinen Ein- und Ausschlussmechanismen hervor[…]. Während die Folgen dieser Mechanismen dasjenige beherrschen, was in einer Kultur sichtbar wird und was nicht, bleiben sie selbst unsichtbar.“ (Ebeling/Günzel 2009: 8)

Zum anderen heißt das aber auch, die am Phänomen beteiligten Anschlusspraktiken herauszustellen, die weitaus mehr (Verwertungs-)Möglichkeiten eröffnen, als sie auf den ersten Blick vermuten lassen.56

55 Gleichzeitig sei darauf hingewiesen, dass es nicht das Ziel des Internets bzw. digitaler Archive sein kann, die Lücken bisheriger Speicher auf willkürliche Weise aufzufüllen. 56 So werden u.a. bereits neuronale Netze (künstliche Netzwerke aus simulierten Nervenzellen) auf Bilder angesetzt, um unsichtbare Bildstrukturen zu erkennen. Derartige Netze werden heutzutage vorwiegend im Bereich der Sprach- und Bilderkennung eingesetzt – auch von Google. Zu nennen ist hierbei u.a. das um den russischen Forscher Mordvintsev bekannt gewordene Projekt Inceptionism (2015) (vgl. Stöcker 2015; Mordvintsev et al. 2015). Es ist im Umkehrschluss davon auszugehen, dass Bilder auch derart programmiert werden können, dass bestimmte Konnotationen oder Interpretationen hervorgerufen werden. In einer Studie haben US-amerikanische Forscher beispielsweise einen Algorithmus programmiert, der Kreativität beurteilen kann. Demnach steckt besonders viel Kreativität in Edvard Munchs Der Schrei (1893-1910) und Roy Lichtensteins Yellow Still Life (1974) (vgl. Dorfer 2015). Die Ergebnisse der Studie sind unter folgendem Link einsehbar: www.arxiv.org/pdf/1506.00711v1.pdf, 13.07.2015 (vgl. Elgammal/Saleh)

ALI AS( l i nks :TONA,JUST,Pi ngPongu. a. )|Ber l i n

5 Fazit und Ausblick

5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Während einer Street-Art-Tour, an welcher ich im Sommer 2014 in Berlin – als

einzige ‚Nicht-Touristin‘ – teilgenommen habe, kam ich mit einem der anderen Teilnehmer ins Gespräch: einem Iren, etwa 40 Jahre alt, Street-Art-Fan und Hobby-Fotograf, der mir erzählte, dass er nur kurz zuvor in Paris gewesen sei;

einer Stadt, die ebenfalls für ihre Street Art bekannt ist. Im Internet, genauer über Google Street View, sei er – vorab und rein zufällig – auf ein Hotel gestoßen, an dessen Außenfassade sich eine Fliese des französischen Street-ArtKünstlers Invader befand. In diesem Hotel hätte er sich dann während seines Paris-Aufenthalts eingebucht. Man mag diese kurze Anekdote als vermeintliche Nebensächlichkeit

bewerten – ein Reflex, dem auch ich anfangs gefolgt bin –, doch rückblickend

lassen sich anhand dieser knappen Aussage bereits einige der zentralen Aspekte der Street-Art-Welt entfalten: die Dialektik bzw. das Ineinandergreifen von Offline- und Onlinekontexten, die Funktionalisierung der Street Art und ihre

zunehmende Verkehrung in eine touristische, kommerziell verwertbare Sehenswürdigkeit, die Zentralität fotografischer Dokumentations-, Archivierungs- und

Lokalisierungspraktiken sowie die Mobilität der an ihrer Welt beteiligten Akteure und Bilder. Im Folgenden sollen die innerhalb meiner Arbeit herausgearbeiteten Thesen noch einmal – pointiert – zusammengefasst werden. Daran anschließend

folgt eine aktuelle Standortbestimmung der Street Art, in welcher der zuneh-

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mend wichtiger werdende Diskurs der Street- und Urban-Art-Festivals aufgegriffen und, als eine Art Ausblick, im Kontext von Kreativstadt, Gentrifizierung

und (fehlender) Kunstkritik verhandelt wird. Einzelne Aspekte der in KAPITEL 2 thematisierten Site-Specific Art werden hier (erneut) anschlussfähig. Gleichzeitig zielt meine abschließende Situierung darauf ab, nach dem momentanen Stand der Street-Art-Forschung zu fragen, handelt es sich dabei doch um ein

Forschungsfeld, welches sich noch in seiner Findungsphase befindet. Abschließend soll der in meiner Arbeit entfaltete methodische Ansatz einer finalen Reflexion unterzogen und auf seine disziplinäre bzw. disziplinübergreifende Anschlussfähigkeit hin befragt werden. Wie meine Ausführungen gezeigt haben, gilt es die Street Art als Kunst-

praktik bzw. -Welt aufzufassen, welche sich im Wesentlichen durch die sie konstituierenden Akteure und sozialen bzw. soziotechnischen Aushandlungsprozesse konturieren lässt. Es handelt sich folglich um eine Kunst, die sowohl

künstlerisch (bzw. handwerklich) erlernt als auch sozial geteilt, bewertet, verhandelt und situiert wird und dabei gerade nicht – und das gilt es abschließend noch einmal explizit hervorzuheben – unabhängig von ihrem ‚digitalen Schlagschatten‘ denkbar ist. Dieser Umstand trat besonders in meinem einleitenden

Facebook-KAPITEL 4.1 zutage, in welchem die komplexe Verhandlung der Street Art und die an der Street-Art-Welt beteiligten Akteure initial entfaltet wurden. Anhand dieses Kapitels wurde die zentrale Rolle der Street-Art-Fotografie her-

ausgestellt und in ihrem jeweiligen, situationsbezogenen Handlungszusammenhang ausdifferenziert. Dabei wurde deutlich, dass sich durch die Situierung von Street-Art-Werken bzw. -Fotos im Internet neue orts- und situationsbezogene Praktiken und Spezifiken herausbilden. So sehen wir uns einerseits

mit Werken konfrontiert, die nur im Internet ‚funktionieren‘; andererseits gibt es Arbeiten, die durch den Upload ins Internet – als plane, fotografische Abbilder – jeglichen Kontext verlieren und somit ein hohes Maß ihrer Wirkungskraft einbüßen. Beiden Erscheinungsformen ist gemein, dass sie (mindestens) zwei Orte gleichzeitig bespielen: Zum einen, einen physikalischen Ort im Stadtraum, dessen Charakteristika sich als konstitutiver Bestandteil und Materialästhetik

ins Werk mit einschreiben; zum anderen, einen ‚digitalen Ort‘, den sie besetzen und an dem sie sich neu verorten. Es ist somit nicht zwangsläufig von einer

konsequenten Loslösung vom physikalischen Ort(-sbezug) auszugehen, sondern vielmehr von einer Re- bzw. Neukontextualisierung. So wird die fotografische

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Dokumentation, Präsentation und Zirkulation im Internet sowie die daran anschließende Onlinebedeutungsproduktion einzelner Werke von Street-Art-

Künstlern von Beginn an explizit mitgedacht.1 Neben all den damit einhergehenden, durchaus strategisch einsetzbaren De- und Rekontextualisierungsverfahren liegt in dieser Entwicklung jedoch auch Potenzial begründet. Es ist davon auszugehen, dass durch die fotografische Dokumentationspraktik eine

zusätzliche Sensibilisierung für den physikalischen Ort stattfinden kann – nicht muss. So wirken vor allen Dingen die Arbeiten, gerade auch im Foto, als beson-

ders ‚gelungen‘, die eine bestimmte Dialogizität mit dem sie umgebenden Raum eingehen und mit Architektursituationen spielen. Dies wiederum bedeutet, dass ein Street-Art-Werk niemals ‚nur allein für

sich‘ stehen kann, sondern maßgeblich durch den physikalischen Umraum, die

Kadrierung der Kamera sowie die Anschlusspraktiken der Onlinezirkulation mitentworfen wird. Und dies liegt allein schon deshalb nahe, da die Street Art

doch grundsätzlich mit einem recht hohen Maß an (motivischer) Wiederholung arbeitet – die Schablone erhebt die serielle Reproduktion ja geradezu zu einem

ihrer Grundprinzipien. Vor dieser Folie liegt es nahe, den Mehrwert – oder ‚in-

1

An dieser Stelle sei abermals auf Rosalind Krauss’ Aufsatz Notes on the Index (1996)

verwiesen, der im Kontext fotografischer Dokumentationspraktiken und Reproduktionsverfahren von Kunst produktiv gemacht werden kann. Ursprünglich ist der In-

dex ein Begriff aus der Semiotik, welcher ein Zeichen benennt, das seine Bedeutung über eine bestimmte physikalische (‚hinweisende‘) Beziehung zu seinem Referenten

bezieht. Krauss stellt die Relevanz des Indexes in den Kunstpraktiken der 1960er und

1970er Jahre heraus und betont seine Bedeutung für den Kontext fotografischer Reproduktion. Im gleichen Zug diskutiert sie die indexikalische Beziehung von Fotogra-

fie und fotografiertem Objekt sowie die damit einhergehenden raum-zeitlichen Dimensionen. Fotografien sind keine fixierten, autonomen Zeichen, sondern Zeichen,

die auf etwas anderes verweisen – und deshalb einer Erklärung (Text bzw. Interpretation) bedürfen: „The photograph heralds a disruption in the autonomy of the sign. A meaninglessness surrounds it which can only be filled in by the addition of a text.“

(Krauss 1996: 205) Der Augenblick der fotografischen Aufnahme ist allein schon

deshalb ein Index, weil sich der Ausschnitt der sichtbaren Welt nach den Gesetzen

der Optik und Chemie auf dem lichtempfindlichen Material abdrückt (vgl. dazu auch

Braun 2002: 119). Zu Krauss’ Verständnis des Index siehe weiterführend auch Fuß-

note 40 im FACEBOOK-KAPITEL 4.1.

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dividuellen Unterschied‘ – eines (vielfach reproduzierbaren) Street-Art-Motivs in mindestens drei Parametern gleichzeitig zu suchen: der physikalischen Situ-

ierung im Stadtraum, der mitgedachten fotografischen Dokumentationspraktik sowie der Bedeutungsproduktion online. Dennoch bleibt zu prüfen, ob sich diese (Erfordernis einer) zusätzliche(n)

Sensibilisierung für Online- wie Offline-Örtlichkeiten zukünftig, und auf individuelle Weise, in den Kunstpraktiken der Street-Art-Künstler artikuliert findet oder ob sich nicht vielleicht doch so etwas wie ein standardisierter Regelkanon

herausbildet, der die zunehmend durch Medien geprägten, visuellen (Vor-)Annahmen über das, was Street Art ist und was sie nicht ist, bekräftigt. Gleichzeitig bedeutet das aber auch, die Bedeutungsproduktion von Street-Art-

Werken keinesfalls mehr ausschließlich an formal- oder materialästhetischen Kriterien festzumachen, sondern sie an Anschlusspraktiken des Austausches, der Zirkulation und der Aktivierung sozialer Beziehungen rückzubinden. Denn

durch das gemeinsame Betrachten und Bewerten von Street-Art-Arbeiten durch die Akteure der Street-Art-Welt wird nicht nur ihre ‚Gelungenheit‘ ausgehandelt, sondern auch die Fremd- und Eigenpositionierung der dahinterstehenden Künstler bestimmt (bzw. bestimmbar). Dadurch werden nicht nur neue

Betrachtungskontexte eröffnet, sondern auch veränderte soziotechnische Beziehungen ausgestaltet, welche die Adressierung verschiedener Öffentlichkeiten beinhalten.

Wie meine Ausführungen gezeigt haben, greift die grundsätzlich mit dem

Archiv in Verbindung gebrachte zeitliche Separation von der Gegenwart (vgl. Ernst 2011) im Falle des sozialen Netzwerks Facebook deutlich zu kurz; vielmehr haben wir es mit einem dynamischen Archivsystem komplexer soziokultureller Beziehungen (vgl. Roesler/Stiegler 2005: 25) zu tun, welches mit der Registrierung, Kategorisierung und Vereinheitlichung von ‚Dokumenten‘ ein-

hergeht und einem echtzeitlichen Street-Art-Überwachungssystem gleichkommt. Spätestens an dieser Stelle rücken die dem Social Network inhärenten Platform Politics und Zurichtungspraktiken in den Vordergrund, welche

Onlinekommunikation und ‚Freundschaftlichkeit‘ an marktwirtschaftliche Interessen monopolistisch ausgerichteter Unternehmen rückbinden und User mit zunehmendem Privatsphärenverlust konfrontieren. Die von Facebook bereitgestellte, scheinbar ‚freie‘ Infrastruktur wird algorithmisch gelenkt und durch uneinsehbare Zensur- und Selektionsmechanismen bestimmt, deren kulturelle

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Implikationen und gesellschaftlichen wie soziopolitischen Ausmaße bis heute noch gar nicht wirklich erfasst sein können. Umso bedeutender ist es, das, was

auf und unter der Interfaceoberfläche passiert, verstehen zu lernen und in unserem alltagspraktischen Handeln mitzureflektieren. Es bleibt abzuwarten, auf welche Anschlussfähigkeit in diesem Kontext auch die zunehmend beliebter

werdende Plattform Instagram stößt – wobei es naheliegend erscheint, in dem explizit auf fotografische Dokumentation zugeschnittenen Fotodienst ein (für Facebook) ernst zu nehmendes ‚Gegenarchiv‘ zu vermuten, dessen kunst-,

medien- bzw. kulturwissenschaftliche Relevanz sowie soziotechnische und -politische Tragweite erst noch ausgelotet werden müssen. Meine daran anschließenden Fallstudien, welche sich einzelnen Künstler-

bzw. Kunstprojekten widmeten, führten den praxeologischen Zugang zum

Phänomen Street Art fort und stellten heraus, was es tatsächlich heißt, Street Art ‚zu machen‘. In der Produktionsstudie wurde deutlich, dass die Herstellung eines Schablonenmotivs als komplexer Übersetzungsprozess verstanden werden muss, in welchen sich alle am Produktionsprozess beteiligten Entitäten als mit ‚agency‘ ausgestattete Akteure ins Werk einschreiben. Dies verlangt, sowohl die

Werkzeuge als auch die aktive Rolle der Street-Art-Künstler und ihre individuell ausgebildeten, künstlerischen Skills und teils rekombinatorischen Kunstpraktiken ernst zu nehmen, welche im ‚immutable mobile‘ eines Multi-layerStencils – und verdichtet zur individuellen, künstlerischen Handschrift – greif-

bar werden. Schablonenbilder verweisen also geradezu explizit auf die ihnen

zugrunde liegende Übersetzungskette und verkehren sie in ein stilbildendes Charakteristikum, anstatt sie – wie bei Latour – aus dem ‚fertigen Endprodukt‘ herauslösen zu wollen.2 Dieser Umstand wird jedoch nicht nur bei der Stencil-Produktion sichtbar, sondern wirkt sich zudem auf die anschließende Klebe- und Dokumentationspraktik aus. Am Beispiel El Bochos wurde akzentuiert, dass es die Praktik des (nächtlichen) Pastens als performative Bewe-

gungspraktik aufzufassen gilt, deren Dokumentation mit soziotechnischen Bildproduktionsverfahren sowie der Antizipation körperlicher Posen und Inszenie-

rungsstrategien verbunden ist. Unter diesem Aspekt stimmt die Street(-) Art(2

Auch hier sei nochmals darauf hingewiesen, dass bei Latour nicht von einem explizi-

ten ‚Herauslösen‘ oder ‚Verschwinden‘ der Übersetzung(-skette) auszugehen ist, vgl. Fußnote 29 in KAPITEL 4.2.

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Dokumentation) mit Aspekten der Performance Art überein und regt zu einer Neuperspektivierung medienästhetischer Fragestellungen an. Dass das praxeo-

logisch ausgelegte Verständnis des Street-Art-‚Machens‘ eng mit der Praktik des ‚In der Stadt-Herumgehens‘ und Flanierens verbunden ist, wird spätestens in KAPITEL 4.4 deutlich, in welchem die Street-Art-Lokalisierung und -Navigation

anhand der App Berlin Street Art expliziert wird. Während diese ihren Usern einerseits eine augmentierte und um ‚personalisierte‘ Orte angereicherte Stadtund Street-Art-Erfahrung bereitstellt, lässt sich ihr Navigationsverständnis –

primär – mit der effizienzsteigernden Logik und Zielgerichtetheit moderner Transportinfrastrukturen kurzschließen. Wie sich gezeigt hat, gilt es Navigation und Mobilität in diesem Kontext jedoch ohnehin nicht ausschließlich als ‚gehende‘ Bewegungspraktik, sondern vielmehr als die Möglichkeitsbedingung echtzeitlicher Online-Interaktion3 aufzufassen. Der bereits im FACEBOOK -KAPITEL unter 4.1.7 und 4.1.8 erwähnte netzpolitische Ansatz wird letztlich in KAPITEL

4.5 und am Beispiel von Paolo Cirios Street Ghosts erneut aufgegriffen und im Kontext von de Certeaus Theoriediskussion zugespitzt. Die Studie hebt hervor, dass ein zukünftig richtungsweisender Ansatz für Street- Art-Künstler – sowie

für uns alle – darin liegen muss, Fragen der Raumaneignung, der Kommerzialisierung und Werbung, der Institutionalisierung sowie die Hinterfragung von Hierarchien von der Straße an das Netz rückzubinden. Meine Analyse fragt nach den Möglichkeiten, die sowohl Künstler als auch Netzaktivisten, Netzkritiker, Hacker und Wissenschaftler entwickeln können, um die zentralisierte Natur des Netzes vorzuführen und sich der Vereinnahmung der Knoten durch die zentrale Autorität entgegenzustemmen. Die im Kontext digitaler Archivierungspraktiken zunehmend wichtiger werdende Frage des ‚afterlife of data‘

wird nicht nur hier, sondern auch in KAPITEL 4.6 zu Swezas Graffyard-Projekt bedeutend. Sweza, der verschwundene Street Art, Graffiti und Tags über einen

QR-Code digital reanimiert und somit – punktuell – wieder aufleben lässt, legt die dem Archiv inhärenten Prozesse offen und stellt, in teils selbstreflexiver Manier, die Mechanismen kulturellen Erinnerns zur Schau. Befragt man das

Internet letztlich als digitales Archiv und kulturelles Speichermedium, wird

deutlich, dass sich die relevante Perspektive zwangsläufig von der Ebene des

3

Dies wird durch die Bereitstellung digitaler Vernetztheit und Konnektivität geleistet.

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Konservierens und Speicherns auf die Ebene einer neuen Verfügbarkeit von Kulturgut und Wissen verschieben muss. In gleichem Maße wie jedoch die Zu-

gänglichkeit von Wissen zunimmt, sinkt auch ihre Verdauer- und Archivierbarkeit. Wann bzw. ob der finale ‚data rot‘ (vgl. Warnke 2002: 276) der Kunst- und Kulturproduktion (jemals) eintritt, bleibt ungewiss. Bis dahin gilt es die an der

Kulturproduktion beteiligten Archivlogiken, die „Weisen ihres Be- und Zugriffs“ (Ernst 2002: 9) sowie die damit einhergehenden Anschlusspraktiken ernst zu nehmen und ihre Ein- und Ausschlussmechanismen kritisch zu hinterfragen.

Über die Praktik des digitalen Archivierens, Erinnerns und Reanimierens schließt sich letztlich nicht nur meine praxistheoretische Street-Art-Diskussion,

sondern auch der narrative Bogen meiner Arbeit, welcher, von einer Produktionsstudie ausgehend, die Praktik des nächtlichen Street-Art-Klebens und -Fotografierens, -Lokalisierens und -Navigierens bis hin zur netzkritisch motivierten Praktik des Entnetzens adressierte. Relevante Praktiken, Diskurse und

Thematiken wurden hierbei aus einzelnen Fallstudien heraus entfaltet, aus ihrem handlungspraktischen Zusammenhang analysiert und letztlich an weiterreichende Kontexte und Problemfelder der Street-Art-Welt rückgebunden.

Damit einhergehend wurde einer Enthierarchisierung des Feldes nachgekommen; so wurden alle an der Street-Art-Welt beteiligten Entitäten, menschliche wie nicht-menschliche, als gleichberechtigte Akteure anerkannt und aus ihrem

alltagspraktischen Handeln heraus beschrieben. Das Forschungsprojekt hebt – in all seinem Variantenreichtum – hervor, dass die Street Art erst aus ihrer glokalen Situierung heraus und in steter Wechselwirkung von Offline- wie Onlinekontexten sowie der Überprüfung am Material verstanden werden kann.

Dies geht mit einer künstlerischen, soziotechnischen sowie -politischen Neuverortung bzw. Neuvermessung des Phänomens Street Art und ‚ihrer Welt‘ einher.

Besonders offensichtlich wird dieser Umstand, schaut man sich aktuelle Entwicklungen der Street Art an, wobei hier vor allem Street- und Urban-Art-

Festivals eine zunehmend wichtiger werdende Rolle einnehmen. Da ihre Thematisierung im Rahmen einer aktuellen Street-Art-Forschung nicht ausbleiben kann, soll an dieser Stelle – in einer Art Ausblick und als finale Standortbestimmung – dem Phänomen der Street-Art-Festivals nachgespürt werden und ihre breite, popkulturell gefärbte Anschlussfähigkeit kritisch befragt werden.

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5.2 Street-Art-Festivals, die Kreativstadt und das Fehlen von (Kunst-)Kritik

Street- und Urban-Art-Festivals erfreuen sich heutzutage immer größerer Beliebtheit. Neben Institutionen, Vereinen oder freien Kuratoren sind dabei zu-

nehmend auch andere ‚Experten‘, darunter Fotografen und Blogger, an ihrer

Organisation beteiligt, da ihnen aufgrund ihrer zentralen Rolle in der StreetArt-Welt kuratorische Kompetenz zugesprochen wird. Es ist hierbei charakteristisch, dass jene Festivals die Realisation einer Vielzahl großflächiger legaler

Wandmalereien – sogenannter Murals4 – unterstützen und kleinformatige, unautorisierte und spontane Street-Art-Arbeiten (lokaler Künstler) eine marginale

Randposition einnehmen. Austragungsorte jener Festivals sind zumeist aufstrebende oder bereits etablierte Kreativquartiere; mancherorts wird auch auf ‚stagnierende‘ Stadtteile (kulturell, gesellschaftlich oder ökonomisch) oder

Außenbezirke zurückgegriffen.5 Festival-Line-Ups basieren hierbei maßgeblich auf Onlinerecherche (vgl. Rushmore 2013: 87), das heißt also, Organisatoren und andere Selektoren bestärken somit nicht nur den Street-Art-Kanon – für den sie zum Teil selbst verantwortlich sind –, sondern prozessieren ihn permanent weiter. Dies führt zur Festigung eines Kanons, welcher in seinem Ur-

4

Vgl. Fußnote 8 in KAPITEL 4.4. Javier Abarca hebt in seinem Vortrag Murals and Gen-

trification (internationale Konferenz Street Art. Contours et Détours vom 24.26.09.2015 in Nizza) zwei wesentliche Merkmale von Murals – auch im Vergleich zu

kleinteiligeren Street-Art-Arbeiten – hervor: zum einen ihren monumentalen Maß-

stab („monumental scale“), zum anderen ihre zeitliche Konsistenz („atemporal scale“). Im Vergleich zu Street-Art-Arbeiten, die sich der Vergänglichkeit ganz bewusst

aussetzen, sind Murals wesentlich monumentaler angelegt; in bestimmten Fällen

werden sie sogar aktiv geschützt, z.B. vor Umwelteinflüssen, und willentlich restauriert. Mitunter deshalb geht von ihnen eine bestimmte Machtposition aus, die sie dazu privilegiert, Gentrifizierungsprozessen zuzuarbeiten. 5

In Organizing Street Art – What For? (2015b) weist Rushmore darauf hin, dass man-

cherorts auf kleinere Städte ausgewichen wird, die grundsätzlich keine – oder nur

eine sehr kleine – lokale Street-Art-Szene besitzen: „[…] however, it is typical in

those smaller cities that nothing much happens on the streets before or after the fes-

tival […].“ (Rushmore 2015b)

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sprung auf die Auswahl und Meinung einiger weniger Akteure zurückgeht.6 Schaut man sich jüngste Entwicklungen an, ist hierbei von einem Pool von

etwa 30 bis 40 Künstlern auszugehen, welcher regelmäßig zu internationalen Festivals und Events eingeladen wird. Um all ihren Terminen nachzukommen, fehlt jenen Künstlern jedoch oftmals die nötige Zeit (oder das Interesse), um

sich auf lokale Kontexte, Situationen oder Spezifika einzulassen. Auch wenn die großflächigen Wandgemälde jener tourenden Muralists also durchaus durch künstlerische Fertigkeiten und technische Qualitäten überzeugen, fehlt

ihnen eines der Hauptcharakteristika, für das die Street Art und die lange Tradition des Muralismo ursprünglich bekannt ist: Ortsbezug und die Auseinandersetzung mit lokalen Themen, seien diese nun gesellschaftlich, sozial oder politisch motiviert. Rushmore schreibt hierzu:

„There seems to be a trend, particularly among street art festivals, of this bigger-is-better mentality where every artist wants to paint the biggest mural ever. That is coupled with

a trend of artists just flying into town, painting a mural […] that has nothing to do with

the particular spot they are painting or the local community and then leaving forever.

The result of these two trends combined are […] murals with no site-specificity popping

up in cities everywhere at mural festival after mural festival.“ (Ebd.: 257)

Basierend auf der Tatsache, dass vor allem Mural-Künstler daran gewöhnt sind, ihre Arbeiten im Internet zu präsentieren und ihre Bekanntheit über das Internet auf- und auszubauen, scheint dies nicht weiter überraschend. In diesem

Punkt schließt die Street Art an die Tradition der Site-Specific Art an. So sah

6

Heike Derwanz analysiert in ihrer Studie zu Street Art-Karrieren (2013) die Häufig-

keit, mit welcher Street-Art-Künstler zwischen 2002 und 2009 innerhalb zehn verschiedener Medien – darunter vier Blogs und sechs Bücher – genannt wurden. Damit

skizziert sie den internationalen Street-Art-Kanon des beginnenden 21. Jahrhunderts. Zu den meistgenannten Künstlern zählen Above, Blek le Rat, D*Face, Faile, Miss Van, Shepard Fairey, Swoon and The London Police, gefolgt von Banksy, Flying Fortress,

Jace, Space Invader und WK. Mindestens genauso interessant ist jedoch die Tatsache, dass fast die Hälfte aller publizierten Street-Art-Bücher von nur elf Autoren stammt (wissenschaftliche Arbeiten und Publikationen einzelner Künstler ausgeschlossen).

Das heißt also, dass etwa 20 Prozent aller Street-Art-Autoren für die Hälfte aller Publikationen verantwortlich sind (vgl. Derwanz 2013: 278-285).

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sich diese (in den 1990er Jahren) ähnlichen Entwicklungen ausgesetzt. In One Place after Another (1997) expliziert Kwon, dass die Künstler jener Zeit ‚site specificity‘ als nomadische Praktik („nomadic practice“) wiederentdeckten:

„The increasing institutional interest in site-oriented practices […] is demanding an intensive physical mobilization of the artist to create works in various cities throughout the cosmopolitan art world. […] If the artist is successful, he or she travels constantly as

a freelancer, often working on more than one site-specific project at a time, globetrotting as a guest, tourist, adventurer […] to Sao Paulo, Munich, Chicago, Seoul, Amsterdam, New York, and so on.“ (Kwon 1997: 100-101)

Diese Praktik geht mit der Annahme von Auftragsarbeiten einher, im Zuge

derer die Künstler eine Vertragsvereinbarung mit der (Gast-)Institution eingehen (vgl. ebd.: 102).7 Nicht nur in der Site-Specific Art, sondern vor allem auch im Falle der Street Art, wird fehlende Ortsbezogenheit hierbei durch die

performative, körperliche Präsenz der Künstler kompensiert, welche sich den neugierigen Augen des Publikums zur Schau stellen.8 In einem Blogeintrag vom 7. Oktober 2014 weist das in Berlin ansässige

Graffitiarchiv auf den im September 2014 in Hamburg St. Pauli ausgetragenen City-Canvas-Event hin9: Dazu wurden fünf internationale Künstler geladen, um den Bauzaun um den Spielbudenplatz in St. Pauli zu bemalen. Laut Initiatoren

sollte auf diese Weise eine 70 Meter lange, temporäre Freiluftgalerie entstehen.10 Das Projekt erhielt viel positives Feedback; nicht zuletzt, weil die großflächigen Wandgemälde zu einer visuellen Aufwertung des Stadtteils beitrugen und sowohl Bewohner als auch Touristen bereicherten. Was viele, vor allem Online-Rezipienten, jedoch nicht wussten, ist, dass der Austragungsort des

7

Und Kwon fügt hinzu: „[…] the documentation of the project will take on another

life within the art world’s publicity circuit, which will in turn alert another institution for another commission“ (Kwon 1997: 101).

8

„Subversion [however, KG] finds easy transition into subversion for hire […]“, so

9

Vgl. www.graffitiarchiv.org/city-canvas-mit-kritischem-ortsbezug-leider-nein-nur-ur-

auch Kwon (1997:102). ban-shit, 06.11.2015.

10 Vgl. www.citycanvas.de, 06.11.2015.

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Events durchaus soziopolitische Relevanz besaß. Auf seinem Blog schreibt das Graffitiarchiv: „Was zunächst nach einer farbigen Attraktion auf dem Kiez aussieht, ist auf den zweiten

Blick ein Politikum. Denn hinter dem Zaun liegt der Ort, an dem die Esso-Häuser erst geräumt, dann abgerissen wurden und wo nun eine offene Wunde im sozialen Gefüge des Stadtteils klafft.“ (Graffitiarchiv 2014)

Es verweist damit auf ein Phänomen, das in Fachkreisen unter dem Stichwort „Art Washing“ bekannt ist und die bewusste Verwendung und Funktionalisierung der grell-bunten, farbenfrohen und affirmativen Bildsprache der Street Art

adressiert.11 Ähnliche Vorkommnisse sind auch in Köln zu beobachten, wo im Sommer 2013, im Rahmen des CityLeaks-Festivals, ein explizit ortsbezogenes und eine lokale Polemik adressierendes Paste-Up des Kölner Street-Art-Künst-

lers Rakaposhii (vgl. Abb. 36) einem dekorativ anmutenden Throw-Up12Ensemble der US-amerikanischen Graffiti-Legende Cope2 wich (vgl. Abb. 37).13 Dies weist auf die zwingende Notwendigkeit hin, das Wechselspiel lokaler

(Szene-)Dynamiken und organisierter Festivals feinfühliger auszuloten und der Verhandlung von Legalität und Illegalität mehr Beachtung zu schenken.

„When holding a festival in a city with virtually no active local street art, it’s simply not

possible for a festival to support a non-existent movement (and extremely difficult to create one), and the only way to contribute to the cityscape is to import artists for a

week or two. On the other hand, when a festival is towering over a city’s active street art movement, there’s a danger of over-organizing and losing the spontaneity of street art as

11 Und auch die ESSO-Initiative, welche die Interessen der ehemaligen Bewohner vertritt und gegen die zunehmende Aufwertung und Verdrängung einkommensschwa-

cher Menschen aus der Innenstadt mobil macht, bemängelte die dekorative Aufwertung des Bauzauns, so das Graffitiarchiv (2014) weiter. Sie werfe dem verantwortlichen Immobilienunternehmen vor, die durch den Neubau eingehenden Gewinne

„durch das allzeit frische Deckmäntelchen der Street Art verbergen zu wollen“ (ebd.).

12 Ein relativ zügig gemalter, auf Buchstaben reduzierter Schriftzug (ohne viel Details), welcher häufig nur mit Schraffierung ausgefüllt ist.

13 Siehe dazu ausführlicher Glaser (2015).

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Abb. 36 (links): Rakaposhi | Köln „Shopping Sucks“, hier 2012 – auf dem Helios-

gelände im Kölner Stadtteil Ehrenfeld soll(te) ein großes Einkaufszentrum gebaut werden

Abb. 37 (rechts): Cope2 (Ausschnitt) u.a. | Köln | Entstehungsdatum 2013, hier 2015

artists transition to painting legal murals once a year instead of doing improvised illegal work all year long“,

so auch Rushmore in Organizing Street Art – What for? (2015b). Javier Abarca

weist in seinem Vortrag Murals and Gentrification (2015) auf das mittlerweile eingestellte Wynwood Walls-Festival in Miami hin, welches die dekorative Bildsprache der Street Art bewusst nutzte, um ‚heruntergekommene‘ Stadtteile

visuell attraktiver zu machen und Gentrifizierungsbestrebungen somit nicht abgeneigt gegenüberstand.14 Das Werbevideo des Festivals, das den nicht weniger eindeutigen Titel Gentlefication trägt, bestärkt diese Vermutung.15 14 „Through paint, energy and creativity we’re sending out electricity and imaginary that elevates“, so Tony Goldman 2011, Gründer und Investor des Wynwood WallsFestivals (vgl. www.hctn.tv, 09.11.2015). Interessant ist in diesem Zusammenhang

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Vor dieser Folie stellt sich also letztlich die Frage: Sollten Street- und Urban-Art-Festivals, über den dekorativen Tellerrand einer zumeist wohl-

wollenden Aufpolierung einzelner Stadtteile hinweg, nicht zumindest versuchen, städtische Eigendynamiken und ortsspezifische Thematiken aufzugreifen? Bzw. anders herum gefragt: Kann dies im Zuge aktueller Entwicklungen überhaupt (noch) geleistet werden, und wenn ja, wie? Gleichzeitig stellt sich

die Frage, welche Entscheidungsprozesse bei Kunstprojekten dieser Art – wo – stattfinden und unter welchen Prämissen eine nachhaltige, wünschenswerterweise glokal ausgerichtete Stadtentwicklung verhandelt wird. Vermutlich trifft

man hier, im Kleinen, auf ähnliche Dynamiken, Politiken und Widersprüche, die man in heutigen Städten im Allgemeinen vorfindet: Auf der einen Seite

schmückt man sich mit dem vermeintlich ‚hippen‘ Flair urbaner (Sub-)Kultur und entwirft sich – sowohl für Anwohner und Touristen als auch für Investoren – als attraktiver Standortfaktor; auf der anderen Seite zeigt man sich bemüht,

(kreativ umgenutzte) Brachflächen aus dem Stadtbild zu entfernen und durch teure Neubauten oder wirtschaftlich lukrative Einkaufszentren zu ersetzen.16

auch zu erwähnen, dass es möglicherweise durchaus Ansätze gab, die affirmative

Bildsprache der Street Art und deren Funktionalisierung zur Dekoration zu durch-

brechen, wie beispielsweise im Falle Barry McGees, der in New York eine Wand – die

ebenfalls im Besitz Goldmans war – mit einer Vielzahl an (deutlich unbeliebteren)

Tags versah (vgl. u.a. Staff 2010). Dennoch wurden diese Bestrebungen nicht konsequent verfolgt und wichen schon bald darauf weitaus dekorativeren Tag-Ensemblen,

wie beispielsweise beim Wynwood Walls-Festival selbst, vgl. hierzu die Murals von

Jesse Geller (Nemel/IRAK Graffiti Crew), www.thewynwoodwalls.com/Past-WallsArchive/Jesse-Geller.asp, 10.11.2015 und Earsnot IRAK. 15 Vgl. www.vimeo.com/36213345, 09.11.2015.

16 In diesem Kontext sei u.a. auch auf den Vortrag der Humangeografin Iris Dzudzek verwiesen, die im Rahmen des CityLeaks-Festivals die Widersprüche der Kreativen

Stadt (2015) kritisch beleuchtete und das Verhältnis von Recht auf Stadt, kreativer

Stadtgestaltung und ambitioniertem Unternehmertum im Spannungsfeld lokaler Ini-

tiativen und globaler Wettbewerbsfähigkeit diskutierte; siehe dazu weiterführend

auch Dzudzek (2016) sowie Florida (2000), McLean (2014) und Smith/Williams (1986). In diesem Zusammenhang sei ebenfalls angemerkt, dass durch die visuelle

Aufwertung einzelner Straßen und Stadtbezirke der ‚Marktwert‘ jener Gegenden steigt. Investoren kaufen infolgedessen ganze Gebäudekomplexe auf, sanieren sie und

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Der italienische Street-Art-Künstler Blu war wohl der Erste, der zu diesen Entwicklungen explizit Stellung bezog und sein monumental anmutendes Wand-

gemälde in Berlin-Kreuzberg schwärzen ließ.17

Auffällig bleibt in diesem Kontext jedoch, dass selbst von Expertenseite aus fast jedes neue Großprojekt mit den Worten „stunning new mural“ quittiert

wird. Dies ist einerseits naheliegend, zeugen jene Wandgemälde sehr häufig

von technischem Know-how und künstlerischen Skills. Andererseits muss entgegengehalten werden: Durch das Fehlen kritischer Auseinandersetzung und

‚nivellierender Bewertungskriterien‘ sowie die teils ausschließlich fotodokumentarische Zirkulation der Wandgemälde im Internet – als plane Abbilder und ohne jegliche Kontextualisierung – wird ihnen letztlich weit mehr Wirkungskraft genommen, als die webbedingte Skalierung auf den gängigen Pixelstandard ohnehin leistet. Dieses Fehlen von (Kunst-)Kritik, multiperspektivischer Kontextualisierung und ausdifferenzierter Verhandlung wird auf Dauer

weitreichende Folgen haben. In Das halbwegs Soziale (2012) zitiert Lovink den US-amerikanischen Kunstkritiker Jonathan Jones vom Guardian, der in seinem Artikel Critics? You need us more than ever (2010) schreibt: „It is the job of a critic to reject the relativism and pluralism of modern life. All the time,

from a million sources, we are bombarded with cultural information. […] In fact, in this

age of overload, indifference is the most likely effect of so many competing images. If we

do make an aesthetic choice it is likely to be a consumerist one, a passing taste to be forgotten and replaced in a moment.“ (Lovink 2012: 90 mit Bezug auf Jones 2010)

heben die Mieten an. Im Zuge dessen werden nicht nur einkommensschwächere Bevölkerungsschichten verdrängt, sondern auch die Künstler selbst, da sie sich die hohen Mieten und Lebensstandards nicht mehr leisten können. „Die kreative Stadt ist

zunehmend ein Verkaufsargument unternehmerischer Stadtpolitik […]. Gentrifizierung heißt immer auch Verdrängung. Kreative sind nicht nur Teil der Aufwertung,

sondern sie sind natürlich auch betroffen“, so Dzudzek in ihrem Vortrag (2015). Sie-

he dazu weiterführend auch Rafael Schacters Artikel From Dissent to Decorative. Why

Street Art Sold Out and Gentrified our Cities (2015), der den Zusammenhang von Street-Art-Festivals und Gentrifizierung explizit macht.

17 Vgl. dazu ausführlicher www.blublu.org/sito/blog/?p=2524, 26.02.2015 sowie Paranyushkin (2014) und KAPITEL 4.4 zu den Street-Art-Apps.

F AZIT UND AUSBLICK

| 355

Dabei scheint jene Tendenz zum ‚Niedergang der Kritik‘ bereits in den 1970er Jahren angelegt. Nach Rónán McDonald ging diese Entwicklung mit der „Demokratisierung des Geschmacks“ (ebd.: 88 mit Bezug auf McDonald 2007) ein-

her und kann folglich als Reaktion auf den Aufstieg der Popkultur gelesen werden, im Zuge dessen sich die „Kritik hinter die Mauern der akademischen Welt

zurück [zog]“ (ebd.). Ästhetische Studien waren „zunehmend nach innen gerichtet und wertneutral“, so McDonald (ebd. mit Bezug auf McDonald 2007: ix); wohingegen sich der journalistische Diskurs wenig bemüht zeigte, „mehr [zu] tun […], als für die betrachtete Kunst einen gewissen Kontext zu schaffen

und einige Bemerkungen über ihren Marktwert, Beliebtheit und soziale Signifikanz (oder deren Fehlen) anzubieten“ (ebd.: 89 mit Bezug auf Schreyach 2008:

3).18 Dies lässt sich mit der derzeitigen Situation der Street-Art-Welt kurzschließen. So scheint die zunehmende Onlineverhandlung und die damit einhergehende Reduzierung auf den Like-Button der Nivellierung des Urteils und

des allgemeinen Geschmacks durchaus zugespielt zu haben. Was den akademischen Diskurs und den momentanen Stand der Street-Art-Forschung angeht, muss dennoch feiner differenziert werden. Es folgt ein knapper Exkurs, welcher

der Konturierung jener Thematik nachkommt.

5.3 Street-Art-Forschung In seiner Keynote (2014) bemerkt der US-amerikanische Künstler und Kurator Cedar Lewisohn: „Street art academics are rather fans than critics.“19 Auch

18 Lovink expliziert: „Die Geschwindigkeit der ‚nicht-autorisierten‘ Kritik, der man in Blogs und bei Amazon begegnet und der Rückzug in die Universitäten, wo die Fach-

leute einen selbstreferentiellen Kampf der Diskurse führen, sind zwei Seiten derselben Medaille.“ (Lovink 2012: 89) Und auch für McDonald schwankt die Kritik zwischen Medien und Akademie: „Die Demokratisierung objektiver kritischer Standards

mag teilweise eine Folge der antiautoritären und antihierarchischen kulturellen Strömungen in den Sechzigern und Siebzigern sein. Sowohl in der Breitenkultur als

auch in den Akademien sieht man die Aufgabe der Kritik nicht mehr darin, Werturteile abzugeben.“ (Ebd. mit Bezug auf McDonald 2007: 36)

19 Ohne Titel, Street Art and Urban Creativity-Konferenz am 03.07.2014 in Lissabon.

356

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

wenn Lewisohn damit prinzipiell nur eine recht einseitige Perspektive einnimmt, hat er grundsätzlich nicht ganz unrecht. So zeigt sich ein Großteil der

Street-Art-Forscher durchaus durch eine gewisse Affinität, Begeisterung und persönliche Verbindung für bzw. zu jene(r) Kunstform charakterisiert. Auf der einen Seite ist diese Begeisterung natürlich begrüßenswert, trägt sie maßgeblich zur Eigenmotivation am Forschungsprozess bei, auf der anderen Seite

schreibt sich dieser Umstand nicht unwesentlich in den akademischen StreetArt-Diskurs ein. Vor allem bei den sich derzeit etablierenden Street-Art-Konferenzen fällt die vorherrschende Kluft zwischen akademischer Aspiration und

dem Wunsch nach popkultureller Anschlussfähigkeit auf. So schwankt der derzeitige Street-Art-Diskurs zwischen a) Vorträgen etablierter Wissenschaftler, die in der Street Art einen ‚jugendlich-hippen‘ Gegenstand gefunden haben, aber grundsätzlich an Fragestellungen der eigenen Disziplin interessiert sind (und die Analyse konkreter Fallstudien weitestgehend meiden); b) Präsentationen diverser Festival-Organisatoren und Galeristen, die ihre eigenen Kunst-

projekte in Form von Bilderschauen vorstellen20; und c) der Annäherung (ehemaliger) Graffiti- bzw. Street-Art-Künstler an den akademischen Diskurs, wel-

che einerseits langjährige Erfahrung und kunstpraktische Expertise in die Forschung mit einbringen, andererseits aber eine gewisse Distanz, Unvoreingenommenheit und Voraussetzungslosigkeit gegenüber dem Gegenstand vermissen lassen. Auch wenn damit nur eine äußerst holzschnittartige Differenzie-

rung skizziert ist, lässt sich hiermit eine erste Standortbestimmung der akademischen Street-Art-Landschaft vornehmen, welche auf die vorherrschende Diskrepanz zwischen Interessen, Zielen, Zugängen sowie das Fehlen kritischer Auseinandersetzung verweist. Nichtsdestotrotz liegt in dieser Gemengelage

auch Potenzial begründet. Was die zukünftige Street-Art-Forschung braucht, ist die Zusammenarbeit einer Vielzahl heterogener, sich in den unterschiedlichsten Stadien ihrer wissenschaftlichen und/oder kunstpraktischen Tätigkeit

befindlichen Akteure, welche verschiedene Perspektiven einbringen, Disziplinen vereinen (und/oder kollidieren lassen), sich gegenseitig ernst nehmen und

voneinander lernen. Dies bedeutet einerseits, Aussagen oder Selbstdarstellungen von Künstlern nicht per se als ‚Tatsachen‘ oder ‚Wahrheiten‘ anzuerken-

20 Und vor Selfies mit Künstlern nicht zurückschrecken.

F AZIT UND AUSBLICK

| 357

nen, sondern als eine Quelle unter vielen zu betrachten. Andererseits heißt das jedoch auch, der Street Art nicht mit einem zu eng gestrickten und möglicherweise überholten (oder gänzlich unpassenden) Theoriegerüst zu begegnen, welches ihre Dynamik ausbremst. Letztlich muss der richtungsweisende Ansatz in einer engeren Verzahnung von Theorie und Praxis liegen, welcher weder vor

der Analyse einzelner Fallstudien zurückschreckt noch den Blick für übergeordnete Handlungszusammenhänge und abstraktere Konzepte verliert. Diesem durchaus ambitionierten Vorhaben ist nur durch eine forcierte internationale Zusammenarbeit nachzukommen, welche gegenseitige Kollaboration stärkt und

als eine ihrer Leitprinzipien nach außen kehrt. Auch oder gerade wenn dies heißt, die Street Art nicht mehr länger nur als Forschungsgegenstand einer interdisziplinären Forschungslandschaft zu betrachten, sondern als eigenständiges Forschungsfeld etablieren zu wollen. In diesem Kontext lassen sich bereits erste Bemühungen verzeichnen; zu nennen sei hier die Initiative um Pedro

Soares Neves sowie kollaborierender Wissenschaftler wie Javier Abarca, Peter Bengtsen, Ulrich Blanché, Heike Derwanz, Susan Hansen, Ilaria Hoppe, Jacob Kimvall, Christian Omodeo u.a., welche versuchen, (den Erfordernissen) einer internationalen Zusammenarbeit zuzuarbeiten. Fakt bleibt dennoch, dass sich

durch das beinahe gänzliche Ausbleiben einer professoralen Ebene im aktuellen akademischen Street-Art-Diskurs die Umsetzung dieses Vorhaben als nicht ganz einfach erweist.21

5.4 Für eine praxeologische Medienwissenschaft und die ‚Situierung‘ von Ästhetik

Im letzten Abschnitt soll mein theoretisch-methodischer Zugang einer abschließenden Reflexion unterzogen werden und auf seine disziplinäre Anschlussfähigkeit hin geprüft werden.

Meine Ausführungen haben gezeigt: Um den komplexen Aushandlungsprozess der Street Art beschreiben und der Situativität ihrer Praktiken nach-

21 Man denke hierbei an das Einwerben von Forschungs- und Fördergeldern, welche als zwangsläufige Voraussetzung jenes Vorhabens betrachtet werden müssen.

358

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

spüren zu können, braucht es einen medienethnografischen Zugang, der der Akteurperspektive Rechnung trägt. Denn letztlich lässt sich nur so nachvollziehen, welche Akteure an der Konstitution der Street-Art-Welt beteiligt sind und was es für Street-Art-Künstler tatsächlich heißt, Street Art ‚zu machen‘. Dies geht nicht ohne einige methodisch-konzeptionelle, forschungspraktische Herausforderungen und Problemstellungen einher: So zeigt sich der Zugang

vor allen Dingen dahingehend beschränkt, alle am Phänomen beteiligten Entitäten als konstitutive Akteure in die Analyse mit einbeziehen zu wollen und

keine selektive Auswahl zu treffen. Dies geht mit der Notwendigkeit einher, zwischen situativen Aspekten einzelner Fallstudien und der Ableitung generalisierbarer Aussagen auszuloten und ihr feinfühliges Ineinandergreifen verstehen zu lernen.

Dennoch, oder gerade deshalb, stellt sich in diesem Kontext die Frage nach dem medienwissenschaftlichen Mehrwert meiner praxeologisch ausgerichteten Herangehensweise. Denn fokussiert man alleinig auf Praktiken, sieht

man sich recht schnell dem Vorwurf ausgesetzt, eine reine Beschreibung oder ‚textuelle Dopplung‘ vermeintlich singulärer Handlungen zu leisten. Eine wei-

tere ‚Gefahr‘ liegt in der zu starken Fokussierung auf Handlungszusammenhänge begründet; ähnlich wie dies bei Kontextanalysen der Fall ist, welche Einzelanalysen beinahe gänzlich ausklammern und sich der diskursiven Situierung ihres Gegenstandes und dessen Rahmenbedingungen widmen. Dies führt zur Vernachlässigung ästhetischer Fragestellungen.

Mein Forschungsprojekt nimmt diese Dynamik, oder auch Herausforderung, auf und versucht, beiden Aspekten – und zwar in ihrer jeweils situativen,

gegenseitigen Bedingtheit – Beachtung zu schenken. Dies bedeutet einerseits, die Nachzeichnung von Praktiken an zentrale Stelle zu rücken; anderseits jedoch auch, der Reflexion ästhetischer Fragestellungen nachzukommen. So

erweist es sich als unzulänglich, der Street Art nachzuspüren, ohne die sie umspannenden Praktiken nachzuzeichnen und ihrer situativen Eingebettetheit Rechnung zu tragen. Ähnlich eindimensional präsentiert sich jedoch auch die

Perspektive, auf der Ebene der Praktiken ‚stehen zu bleiben‘ und diese nicht an weiterführende Fragen der eigenen Disziplin oder benachbarter Theoriediskurse anschließen zu wollen. Meine Arbeit nimmt sich dem Versuch an, durch

eine praxistheoretisch ausgelegte Analyse der Street Art nicht nur zu einem kunstpraktischen Verständnis ihrer Kunst-Welt beizutragen, sondern auch zu

F AZIT UND AUSBLICK

| 359

einer neuen Perspektive auf medienästhetische Fragestellungen anzuregen. Diese Absicht ist an die Herausforderung gekoppelt, der situativen Eingebettetheit oder Bedingtheit von Ästhetik nachzuspüren, welche sich wiederum nur

über eine Praktikentheorie adäquat greifen lässt. So gestalten sich Ästhetiken in der Interaktion soziotechnischer Akteure und der kunstpraktischen, prozessualen Verschaltung oder Verkettung ihrer Praktiken – situativ – aus. Es gilt folglich explizit hinter bzw. unter die Interfaceoberfläche zu blicken, um zu überprüfen, wo, wie und unter welchen Umständen sich so etwas wie eine ‚situative Ästhetik‘ überhaupt erst ausbildet. Auf diese Weise skizziert sich ein

praxistheoretisches Verständnis von Ästhetik an, welches Dichotomien wie offline und online, global und lokal, Mensch und Nichtmensch, ‚Sozio‘ und Technik aufbricht und nicht zuletzt auch algorithmisch operabel wird. Es bleibt zu

überprüfen, ob diese Annäherung – zukünftig – auf eine breitere Anschlussfähigkeit stößt und innerhalb des medienwissenschaftlichen Theoriediskurses

als gewinnbringende Perspektive aufgenommen wird. Letztlich muss es vor allem in der Medien- und Netzkunst zunehmend darum gehen, die soziotechnischen, mathematischen und diskursiven Bedingungen, unter denen Medienkunst überhaupt erst stattfinden kann (vgl. dazu auch Ernst 2011) – mit all

ihren Ein- und Ausschlussmechanismen –, nach außen zu kehren. Dies verlangt, die ihr zugrunde liegenden technischen Apparaturen, Infrastrukturen und algorithmisch operierenden Softwaretechnologien sowie die damit einhergehenden Problematiken ihrer Speicher- und Archivierbarkeit relevant zu setzen und ihr prozessuales, kunstpraktisches Verschaltetsein – auch vor der Folie der Herausbildung einer Ästhetik – ernst zu nehmen.

Wollte man abschließend also so etwas wie eine ‚Ästhetik-Anleitung‘ auf-

stellen, müsste diese wie folgt lauten: Zeigt man sich darum bemüht, der ‚Situativität‘ der Ästhetik nachzuspüren, gilt es die am Phänomen beteiligten

Akteure herauszukristallisieren und in ihrer relationalen Situiert- und Bedingtheit adressierbar zu machen, welche durch ihr handlungspraktisches Verschaltetsein spezifische Ästhetiken ausbilden – und zwar unterhalb des rein Figu-

rierten und Darstellbaren. Diese Ästhetiken sind nur über die Nachzeichnung von Praktiken adäquat greifbar. Ästhetiken sind somit weder an das wahrnehmende Subjekt (bzw. sensorische Wahrnehmungsmodi) noch per se an das Ob-

360

| S TREET A RT UND NEUE MEDIEN

jekt gebunden22, sondern liegen in soziotechnischen Netzwerkrelationen begründet, welche einer handlungspraktischen Aktivierung bedürfen.

Schließen möchte ich meine Arbeit letztlich mit den Worten des Essener Künstlers Leo Namislow, der im Gespräch im März 2013 konstatierte: „Der Künstler ist ein Forscher; im besten Fall entdeckst du ein Gebiet, das noch niemand

entdeckt hat. […] Man muss dabei dem Zufall eine Chance geben, mit ihm arbeiten und den ‚Fehler‘ als konstitutiven Part mit einbeziehen.“ (Int. KG 04/2013)

Dieser Anforderung wurde in meiner Arbeit nachgekommen. Gleichzeitig vereint jedoch auch der Forscher Wesenszüge des Künstlers in sich

– allein schon die Ausgangssituation ist eine ähnliche: So sitzt auch derForscher anfangs vor einem weißen Blatt Papier, das gefüllt werden muss. Wann ist die Arbeit zu Ende, wann abgeschlossen?, mag man sich letztlich fragen.

„Das hat ganz viel mit Loslassen zu tun“, geben Various & Gould in Bezug auf ihre Kunstpraktik zu bedenken (Int. KG 02/2014). Und sie konkretisieren: „Grundsätzlich ist unsere Arbeit mit dem Verkleben abgeschlossen; der Rest ist dann sozusagen Dokumentation und Feedback. Dennoch lebt die Arbeit draußen weiter: Sie

welkt, sie fällt von der Wand, sie wird erweitert oder zerrissen. In dem Sinn könnte man

auch sagen, sie ist erst fertig, wenn sie schon wieder verschwunden ist. Dann ist sie ‚vorbei‘. Das hat ganz viel mit Loslassen zu tun (auf der Straße).“ (Ebd.)

Loslassen muss man jedoch nicht nur auf der Straße, sondern auch auf einem weißen Blatt Papier, das auf den finalen Schlusspunkt wartet. Und ich zitiere: „Der Rest ist dann sozusagen Dokumentation und Feedback.“ Ob und wie die Arbeit ‚draußen‘ weiterlebt, wie sie welkt, erweitert und/oder ‚zerrissen‘ wird, wird die Zukunft zeigen.

22 Was das selbstbezügliche Erscheinen des Mediums nicht ausschließt.

Make8undBl aw Bl aw Bl aw |Köl n

6 Anhang

6.1 Abbildungsverzeichnis Abb. I:

fra* | Köln | Foto: Katja Glaser

Deckblatt Kapitel 1: L.E.T., St8ment, SOBR, El Bocho u.v.m. | Berlin | Abb. 1:

Foto: Katja Glaser

Decycle | Köln | Foto: Katja Glaser

Deckblatt Kapitel 2: ALIAS | Hamburg | Foto: Katja Glaser Deckblatt Kapitel 3: Fatal | Hamburg | Foto: Katja Glaser Abb. 2:

unbekannter Künstler | Hamburg | Foto: Katja Glaser

Abb. 4:

Dave the Chimp, Joy Fox u.a. | Berlin | Foto: Katja Glaser

Abb. 3:

Passantin beim Fotografieren | Berlin | Foto: Katja Glaser

Deckblatt Kapitel 4.1: Marshal Arts | Hamburg | Foto: Katja Glaser Abb. 5:

Louva must die | Köln | Foto: Katja Glaser

Abb. 6:

„Hello Shitty“ | Screenshot von Streetart in Germany | unbe-

Abb. 7:

FEED | Mönchengladbach | Foto: Katja Glaser

kannter Künstler | München | Foto: Polypix Abb. 8: Abb. 9:

ALIAS | Screenshot seiner Facebook-Seite | Shahpur Jat | Foto: Akshat Nauriyal

Dave the Chimp | Berlin | Foto: Katja Glaser

364

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

Abb. 10:

Joy Fox | Berlin | Foto: Katja Glaser

Abb. 11:

SP38 | Berlin | Foto: Katja Glaser

Abb. 12:

Marshal Arts | Köln | Foto: Katja Glaser

Abb. 14:

Screenshot | Facebook-Seitenstatistiken | Juli 2014

Abb. 15:

Screenshot von Street Art 4 Sale | hier: Mein lieber Prost

Abb. 13:

Abb. 16:

Mein lieber Prost | Berlin | Foto: Katja Glaser

TONA | Berlin | Foto: Katja Glaser

Deckblatt Kapitel 4.2: kurznachzehn | Köln | Foto: Katja Glaser Abb. 17:

kurznachzehn | Köln | Foto: Katja Glaser

Abb. 19:

Schablonenproduktion | kurznachzehn |

Abb. 20:

kurznachzehn | Düsseldorf | Foto: Katja Glaser

Abb. 18:

kurznachzehn | Köln | Foto: Katja Glaser Foto: kurznachzehn* (im Original nicht s/w)

Deckblatt Kapitel 4.3: El Bocho | Hamburg | Foto: El Bocho* Abb. 21:

El Bocho | Bratislava | Foto: El Bocho*

Abb. 23:

El Bocho | Bratislava | Foto: El Bocho* (im Original nicht

Abb. 22:

El Bocho (rechts: Tape) | Berlin | Foto: El Bocho* s/w)

Deckblatt Kapitel 4.4: Screenshot der Berlin-Street-Art-App | November 2015 Abb. 24:

Screenshot der Berlin-Street-Art-App | hier „Orte“ (Victor Ash)

Abb. 26:

Screenshot der Berlin-Street-Art-App | hier „Orte“ (Blu)

Abb. 25:

Abb. 27:

Screenshot der Berlin-Street-Art-App | hier „Karte“

Screenshot der Berlin-Street-Art-App | hier „Orte“ (Blu, nach

dem Schwärzen)

Deckblatt Kapitel 4.5: Paolo Cirio, Street Ghost | Berlin (Diercksenstraße) | Foto: Paolo Cirio* Abb. 28:

Paolo Cirio, Street Ghost | Berlin (Weserstraße) |

Abb. 29:

Paolo Cirio, Street Ghost | Nahaufnahme | Berlin (Weser-

Foto: Paolo Cirio* (im Original nicht s/w) straße) | Foto: Paolo Cirio*

A NHANG

Abb. 30: Abb. 31:

| 365

Screenshot der Google-Maps-Karte (mittlerweile aktualisiert,

Stand: 01.12.2015)

Screenshot der ursprünglichen Ausgangssituation bei Google

Street View | ‚©‘ Paolo Cirio*

Deckblatt Kapitel 4.6: Sweza, Graffyard | Berlin (Paul-Lincke-Ufer) | Abb. 32: Abb. 33: Abb. 34: Abb. 35:

Foto: Sweza**

Sweza, Graffyard | Berlin (Flottwellstraße, ‚bereinigt‘) | Foto: Sweza**

Foto der Flottwellstraße (Ausgangssituation) | Foto: Sweza** beschädigter QR-Code | Berlin | Foto: Katja Glaser

Sweza, Graffyard | Berlin (Averslebenstraße) | Foto: Sweza** (im Original nicht s/w)

Deckblatt Kapitel 5: ALIAS (links: TONA, JUST, Ping Pong u.a.) | Berlin | Foto: Katja Glaser

Abb. 36: Abb. 37:

Rakaposhii | Köln | Foto: Katja Glaser

Cope2 (Ausschnitt) u.a. | Köln | Foto: Katja Glaser

Deckblatt Kapitel 6: Various & Gould | Köln | Foto: Katja Glaser Deckblatt Kapitel 7: .fra* | Berlin | Foto: Katja Glaser

Deckblatt Kapitel 8: Make8 und Blaw Blaw Blaw | Köln | Foto: Katja Glaser

* Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers. ** Abbildungen via www.sweza.com/graffyard, 30.07.2013.

. f r A*|Ber l i n

7 Glossar

Bombing Auf Schnelligkeit und Quantität ausgelegtes, möglichst flächendeckendes und

unautorisiertes Sprühen/Malen von Graffiti – vorwiegend von Tags und ThrowUps. Oftmals in silberfarbenem Chrom gehalten, da sich diese Farbe aufgrund der Deckkraft (und des Preises) unter Writern bewährt hat. Buffing Unter Buffing versteht man das Entfernen, Überstreichen bzw. Weißeln von Street Art, Graffiti und Tags. Can

Sprühdose Cap

Sprühkopf, welcher als Aufsatz auf Sprühdosen dient. Caps bestimmen den Durchmesser des austretenden Farbstrahls und regulieren somit die Linienstärke der Farbe. Character

Im Kontext von Graffiti und Street Art versteht man unter Character eine figürliche Darstellung. Der Begriff bezieht sich nicht auf Technikaspekte; wenngleich Character größtenteils auf Freihandzeichnungen/-malereien basieren.

368

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

Crew

Zusammenschluss von Writern. Ihr Name besteht zumeist aus Abkürzungen und setzt sich aus einer Kombination mehrerer Buchstaben und/oder Zahlen zusammen. Crossen

Das bewusste Überkleben, Übermalen oder Durchstreichen eines bereits bestehenden Graffiti- oder Street-Art-Pieces. Fame

Ansehen eines Künstlers, welches mit dem Bekanntheitsgrad desselben einhergeht und oftmals mit dem jeweiligen Output (auf der Straße) in Verbindung

gebracht wird. Getting Up

Unter Getting Up versteht man die forcierte, primär auf Quantität ausgelegte Sichtbarkeitsmaximierung eines Graffiti-Künstlers, welche durch das Anbringen von Tags, Throw-Ups und Pieces im öffentlichen Raum erreicht wird. Damit

einhergehend ist die Steigerung szeneinterner Akzeptanz und Reputation ver-

bunden. Im Bereich der Street Art ist dieser Begriff eher unüblich. Guerilla Knitting Unter Guerilla Knitting versteht man das Umhäkeln oder Umstricken von Gegenständen im öffentlichen Raum, wie z.B. Parkbänken, Straßenlaternen, Brückengeländern, Fahrradständern etc. Diese Praktik ist ebenfalls unter dem Begriff Yarn Bombing bekannt. Hall of Fame

Für Grafitti-Künstler freigegebene Fläche zum legalen Anbringen von Graffiti. Dementsprechend entstehen in Hall of Fames oftmals auch ‚aufwendigere‘, auf Qualität ausgelegte Arbeiten, da Writer keine rechtlichen Restriktionen fürchten müssen und somit wesentlich mehr Zeit haben.

G LOSSAR

| 369

Mural

Ein Mural ist eine großflächige Wandmalerei, die heutzutage vor allem mit dem Kontext von Graffiti und Street Art in Verbindung gebracht wird; in ihrem

Ursprung reichen Murals jedoch zurück bis zur mexikanischen Revolution der

1920er Jahre. Zu den wichtigsten Vertretern jenes sogenannten Muralismo gehörten José Clemente Orozco, Diego Rivera und David Alfaro Siqueiros. Dies

erklärt u.a., warum vor allem in Lateinamerika Murals mit nationalen, sozial-

kritischen oder historischen Inhalten bis heute das Stadtbild vieler Metropolen prägen. Heutzutage werden Murals jedoch vor allem im Kontext von Streetund Urban-Art-Festivals gestaltet; sie dienen der Aufpolierung grauer Fassaden

und weisen vermehrt dekorativen Charakter auf. Teilweise gelten Murals bereits als Motor für innerstädtische Gentrifizierungsprozesse. Auch große Fir-

men und Werbeanbieter nehmen sich der großflächigen Wandgestaltung an.

Oftmals greifen sie hierfür ganz explizit auf Street-Art-Ästhetik zurück, wes-

halb es zunehmend schwerer wird, zwischen künstlerischer Ausdrucksform und reiner Werbebotschaft zu unterscheiden. Oneliner

Oneliner bezeichnen Arbeiten (bzw. die zugehörige Zeichen-, Mal- oder Sprühtechnik), die in ‚nur einem Zug‘ entstanden sind. Das heißt, der jeweilige Stift,

Marker, Pinsel oder die Sprühdose wird vom Künstler zu keinem Zeitpunkt des

Produktionsprozesses abgesetzt; vielmehr rückt die Dynamik der Linienführung in den Vordergrund. Pasten

Unter Pasten versteht man das Ankleben von Street-Art-Arbeiten, sogenannten Paste-Ups (siehe unten). Paste-Up Ein Paste-Up ist ein auf Papier gefertigtes Street-Art-Werk, das mittels Kleister im Stadtraum angebracht wird. Die Namensgebung rekurriert auf das englische

„to paste“ = kleistern, kleben. Weniger geläufig ist der Begriff Cut-Out (engl.

to cut out = ausschneiden).

370

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

Piece

Im Kontext von Street Art und Graffiti spricht man anstelle von Bildern oder Werken auch von sogenannten Pieces. Scratching Scratching (engl. to scratch = kratzen) bezeichnet die Praktik des bewussten Zerkratzens von Glas-, Plastik- oder Farboberflächen mittels dementsprechen-

der Hilfsmittel. Besonders beliebte Oberflächen sind Fensterscheiben des öffentlichen Personenverkehrs, wie solche von Zügen, Straßenbahnen oder

Bussen.

Sell-Out

Des Sell-Outs werden im Allgemeinen Street-Art- und Graffiti-Künstler bezichtigt, die ihre Bilder, Motive und Schriftzüge als kommerzielle Produkte vermarkten. Sie widersetzen sich somit dem ursprünglichen Selbstverständnis der

Street Art und verkaufen ihre Ästhetik an den ‚Feind‘ – Auftraggeber sind oftmals große Firmen und Lifestyle-Marken. Die Arbeit auf der Straße wird im

Zuge dessen oftmals vernachlässigt oder kommt zum Stillstand. Shitstorm

Ein Shitstorm ist eine spezifische Form von Empörungswelle im Internet, die (unsachliche) Kritik an einem einzelnen Post oder Kommentar übt. Spot Ort, ausgewählte Stelle Stencil Stencil (engl. für Schablone) sind Arbeiten, die unter Zuhilfenahme von Schab-

lonen gefertigt werden: Durch die ausgeschnittenen Partien der Schablone wird Farbe gesprüht und somit auf den Untergrund aufgetragen. Unter anderem ist auch der Begriff Pochoir (franz. für Schablone) bekannt. Street Credibility Street Credibility (oder ‚Street Cred‘) ist eine Form der internen Authentizitäts-

zuweisung/-schreibung, welche auf die ‚Wurzeln‘ des jeweiligen Künstlers (auf

G LOSSAR

| 371

der Straße) verweist und somit in Verbindung mit seiner Glaubwürdigkeit und Legitimation steht. Häufiger als im Diskurs der Street Art wird der Begriff im Kontext von Graffiti und Hip-Hop verwendet. Street-Art-Hotspot Ballungszentrum; ein von Street-Art-Künstlern beliebter, hochfrequentierter

Ort, an dem sie ihre Werke anbringen Street-Art-Szene

Es sei darauf hingewiesen, dass es die Street-Art-Szene nicht gibt. Vielmehr

setzt sich die Street-Art-Welt aus verschiedenen, heterogenen Akteuren und Akteurgruppen zusammen, die oftmals kaum bis gar keine Gemeinsamkeiten miteinander aufweisen. Dennoch gibt es bestimmte Regeln und Konventionen,

Vorstellungen und Selbstverständnisse, über die sich die Street-Art-Szene entwirft. Das Interessante dabei ist, dass diese Regeln und Konventionen in sozia-

ler Interaktion permanent (neu) ausgehandelt werden ( Street-Art-Welt). Street-Art-Welt

Das soziale bzw. soziotechnische Gefüge, in dem die an der Street-Art-Praxis beteiligten Akteure verortet sind. In seinem 1982 erschienenen Buch Art Worlds setzt sich der amerikanische Soziologe Howard S. Becker vom Kunstwelt-Begriff des amerikanischen Philosophen Arthur C. Danto ab und spricht Kunst einen Netzwerkcharakter zu: Kunst ist nicht das Werk eines Einzelnen,

sondern das Resultat kooperativer Tätigkeit und kollektiven Handelns, so Becker. Siehe dazu weiterführend auch Bengtsen (2014) und Derwanz (2013). Tag Ein Tag ist die (gesprühte) ‚Signatur‘ eines Writers. Tags dienen der Markierung von Orten, manchmal auch von Territorien, und operieren als indexikalische Zeichen: „Ich war hier“ ist die Grundaussage, die dahintersteht. Tags sind als genealogische Grund- oder Reinform eines jeden (Graffiti-)Pieces anzusehen. Es gibt einerseits Tags, die Ästhetiken des Kalligrafischen zitieren; ande-

re wiederum verschließen sich den Kriterien des Kunstsystems (und/oder des ‚allgemeinen Geschmacks‘) ganz bewusst. Einer, der der Praktik des Taggens

wohl mit am obsessivsten nachging, war Taki 183, welcher in den 1970er Jah-

372

| STREET A RT UND NEUE M EDIEN

ren mit seinem Pseudonym ganz New York invadierte. Taki rekurriert hierbei

auf die griechische Kurzform seines Geburtsnamens „Demetrius“; 183 war die Hausnummer seiner New Yorker Adresse. Throw-Up Ein relativ zügig gemalter, auf Buchstaben reduzierter Schriftzug, welcher häufig nur mit Schraffierung ausgefüllt ist Writer

Graffiti-Künstler, der der Praktik des Writings ( Writing) nachkommt Writing

Praktik des Graffiti-Sprühens/-Malens, welche vorwiegend auf Buchstaben, als Basiselement künstlerischer Komposition, fokussiert.

Var i ous&Goul d|Köl n

8 Bibliographie

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8.2.2 A PPS UND DAMIT IN V ERBINDUNG STEHENDE T ECHNOLOGIEN

All-City-Street-Art-App:

https://itunes.apple.com/de/app/all-city-street-art-graffiti/id359211420?mt=8, 26.02.2015 (App mittlerweile nicht mehr verfügbar). www.allcitystreetart.com/the-app, 31.12.2012 (Link mittlerweile nicht mehr abrufbar).

www.allcitystreetart.com/using-the-app, 31.12.2012 (Link mittlerweile nicht mehr abrufbar). Android Market: https://play.google.com/store, 11.06.2015. App Store: www.apple.com/iphone, 11.06.2015. Berlin-Street-Art-App: https://itunes.apple.com/de/app/street-art-berlin/id566611117?mt=8, 01.01.2013.

B IBLIOGRAPHIE

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Everplaces: www.everplaces.com, 02.04.2013. QR-Code-Generator: http://goqr.me/de, 14.07.2015. QR-Code-Reader: www.reader.kaywa.com, 25.07.2013.

https://itunes.apple.com/us/app/kaywa-qr-code-reader-scan/id520776783?mt=8, 25.07.2013. https://itunes.apple.com/de/app/qr-reader-for-iphone/id368494609?mt=8, 25.07.2013.

QR-Code-Web-Decoder: http://zxing.org/w/decode.jspx, 25.07.2013. Street-Tag-App: www.itunes.apple.com/us/app/street-art-berlin/id566611117?mt=8#,

01.01.2013 (App mittlerweile nicht mehr verfügbar).

www.designboom.com/technology/street-tag-iphone-app/, 18.11.2015. Urban Art Guide-App von adidas: www.urbanartguide.de/uag_mobil.php, 25.02.2015 (Link mittlerweile nicht mehr abrufbar).

8.2.3 K ÜNSTLER UND DAMIT IN V ERBINDUNG STEHENDE P ROJEKTE UND B ILDBEISPIELE

1L (Enorm, Elmo und Prost): www.facebook.com/1Linig/timeline, 22.03.2015. ALIAS: www.facebook.com/4L1A5, 26.08.2014.

Beispielbild, 18.10.2013 (Foto: Joanna Wysocka): www.facebook.com/4L1A5/photos/a.382503747939.163630.170161912939/10151917130507940/?type=3&theater , 06.11.2014. Aram Bartholl 15 Seconds of Fame: www.datenform.de/15-secs-of-fame. html,

29.10.2015. Barbara: www.facebook.com/ichwillanonymbleiben, 06.01.2016.

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Be Free: www.facebook.com/pages/Be-Free/518697324863586, 26.08.2014. Blu: www.blublu.org, 08.04.2013. Stellungnahme des Künstlers zur Schwärzung seines Murals in Berlin-Kreuzberg: www.blublu.org/sito/blog/?p=2524, 26.02.2015. Case Maclaim: www.maclaim.de/#, 18.07.2015.

www.facebook.com/pages/case_maclaim/104007173027340, 18.07.2015. Dave the Chimp:

Post mit Bezug auf Marc Schiller von Wooster Collective: www.facebook.com/ DaveTheChimpArt/posts/749729131779303:0, 15.02.2015. Konservierung und Rekontextualisierung seines ‚Human Bean‘ in Hamburg,

28.07.2014: www.facebook.com/DaveTheChimpArt/photos/pb.254778527941035.-2207520000.1411563828./677576038994613/?type=3&theater, 24.09.2014. Ebenholz, Tutorial zur Stencil-Herstellung: www.issuu.com/ebenholz/docs/halftonetutorial_en/1, 30.10.2014. El Bocho: www.elbocho.net, 28.11.2014. www.facebook.com/elbochoberlin, 28.11.2014.

Bilderserie ‚verwischter‘ Fotografien, 15.02.2014: www.facebook.com/media/set/?set=a.605736636168485.1073741847.374847629257388&type=3, 08.07.2015.

Pasting-Aktion von 2005, zusammen mit ALIAS o.A.: www.elbocho.net/wp-content/uploads/2008/12/neu14.jpg, 28.11.2014. Fotoalbum „Malen am Platoon“, 06.05.2013 (Foto: Cat Wander): www.facebook.com/media/set/?set=a.464963993579084.1073741832.37484762925738-

8&type=3, 10.10.2015. El Bocho ‚Glasses‘, Brillenkollektion in Zusammenarbeit mit Bruno Qvist: www. elbocho.net/2013/11/glasses, 07.07.2015.

B IBLIOGRAPHIE

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Beispielbild eines Posters (mit Brille), 26.12.2014: www.facebook.com/photo. php?fbid=749214128493057&set=pb.100002134301412.-2207520000.1473-

855465.&type=3&theater, 07.07.2015.

El Bocho – ‚Der Maler und seine Muse(n)‘: 07.12.2012 (Foto: o.A.): www.facebook.com/elbochoberlin/photos/a.398108-

150264669. 93320.374847629257388/398108926931258/?type=3&theater, 10.10.2015. 09.03.2014 (Foto: o.A.): www.facebook.com/photo.php?fbid=600038113410660&set=a.120694148011728.28639.100002134301412&type=3&theater, 10.10.2015. 01.06.2015 (Foto: o.A.): www.facebook.com/photo.php?fbid=644402025640935&set=a.120694148011728.28639.100002134301412&type=3&theater, 10.10.2015. Evan Roth Graffiti Analysis 3.0: www.graffitianalysis.com, 02.11.2015. www.000000book.com, 02.11.2015. FEED: www.feedthestreet.tumblr.com, 29.10.2015. www.facebook.com/feedthestreet, 29.10.2015. Fra.Biancoshock Nothing and Something-Performance: www.facebook.com/justbiancoshock/photos/a.456500301108286.1073741837.449433028481680/842327972525515/?type=3&theater, 04.10.2015.

Jesse Geller beim Wynwood Walls-Festival: www.thewynwoodwalls.com/pastwalls/jesse-geller, 10.11.2015. JRS Projekt Women are Heroes auf seiner Webseite: www.jr-art.net/projects/women-are-heroes-africa, 18.07.2014. JUST: http://1just.de/, 12.08.2014.

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340585597/?type=3&src=https%3A%2F%2Fscontent-a-fra.xx.fbcdn. net%2Fhphotos-frc3%2Fv%2Ft1.0-9%2F486731_162212340585597_1494011132_n.jpg%3Foh%3D2fb63a53cb501ef80651b24dfab3bf79%26oe%3D54DEA862&size=960%2C640&fbid=162212340585597, 06.11.2014. Leo Namislow: www.leo-namislow.com, 22.03.2015

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B IBLIOGRAPHIE

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Post über Internet-Zitate, 11.12.2013 (Foto: Anke Incubus, unbekannter Künstler): www.facebook.com/photo.php?fbid=712479332096306&set=a.332946690049574.89745.213775278633383&type=1&theater, 12.08.2014 (Link mittlerweile nicht mehr abrufbar).

Street Art Hamburg: www.facebook.com/StreetArtHamburg, 12.08.2014. Street Art Leipzig: www.facebook.com/Street.Art.in.Leipzig, 12.08.2014. Street Art Stuttgart: www.facebook.com/pages/StreetArt-Stuttgart/167258716640345, 12.08.2014. Street Art 4 Sale: www.facebook.com/streetart4sale, 09.10.2013. Urbanshit:

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www.vandalog.com/, 31.08.2016. www.facebook.com/vandalog, 31.08.2016. Wooster Collective: www.woostercollective.com, 26.08.2014. www.facebook.com/WoosterCollective, 26.08.2014. Wynwood Walls-Festival: www.hctn.tv, 09.11.2015.

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Facebook-Werbeanzeigen „Seite hervorheben“: www.facebook.com/help/294671953976994, 19.09.2014.

Facebook-Werbeanzeigen „Beiträge bewerben“: www.facebook.com/help/547448218658012, 22.09.2014.

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Medienwissenschaft Florian Sprenger, Christoph Engemann (Hg.) Internet der Dinge Über smarte Objekte, intelligente Umgebungen und die technische Durchdringung der Welt 2015, 400 S., kart., zahlr. Abb., 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3046-6 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3046-0 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3046-0

Ramón Reichert (Hg.) Big Data Analysen zum digitalen Wandel von Wissen, Macht und Ökonomie 2014, 496 S., kart., 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2592-9 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2592-3 EPUB: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2592-3

Gundolf S. Freyermuth Games | Game Design | Game Studies Eine Einführung 2015, 280 S., kart., 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2982-8 E-Book: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2982-2

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Medienwissenschaft Gundolf S. Freyermuth Games | Game Design | Game Studies An Introduction (With Contributions by André Czauderna, Nathalie Pozzi and Eric Zimmerman) 2015, 296 p., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2983-5 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2983-9

Beate Ochsner, Robert Stock (Hg.) senseAbility – Mediale Praktiken des Sehens und Hörens September 2016, 448 S., kart., zahlr. Abb., 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3064-0 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3064-4

Pablo Abend, Mathias Fuchs, Ramón Reichert, Annika Richterich, Karin Wenz (eds.) Digital Culture & Society Vol. 2, Issue 1/2016 – Quantified Selves and Statistical Bodies März 2016, 196 p., 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3210-1 E-Book: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3210-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de