Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871: Mit einem Anhang von wichtigen Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung [Reprint 2021 ed.] 9783112600047, 9783112600030

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871: Mit einem Anhang von wichtigen Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes und der Strafprozeßordnung [Reprint 2021 ed.]
 9783112600047, 9783112600030

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Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 mit einem Anhang von wichtigen Bestimmungen des Gerichtsverfaffungsgesetzes «nd der Strafprozeßordnung.

Zum Gebrauch

für Polizei-, Sicherheits- und Kriminalbeamte erläutert von

Dr. A. Grosch-s-, Landgerichtspräsident i. R.

neubearbeitet von

Dr. Walter Petters, Landgerichtsrat

Zwölfte völlig umgearbeitete Auflage

19 3 4 München, Berlin und Leipzig. I. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier).

Druck von Dr. F. P. Dallerer L Cie., Freising-München.

Vorwort. In längerer Beschäftigung mit Strafsachen habe ich die Erfahrung gemacht, daß es an einer Bearbeitung und Erläuterung des Strafgesetzbuches fehlt, die sich — von dem Standpunkt des die Bedürfnisse und Mängel wahrnehmenden Aufsichtsbeamten aus — allein und ausschließlich dem Verständnis und den Zwecken der Bollzugsbeamten widmet. Diese Lücke soll das vorliegende Werk ausfüllen, indem es in knapper, aber doch bis zum vollen Verständnis durchgeführter Form alles das zu bringen versucht, was die genannten Beamten brauchen, um, auch auf sich allein angewiesen, ihrem Beruf mit der nötigen Gesetzeskenntnis ausgerüstet nachgehen zu können. Die Benutzung ist in folgender Art gedacht: Die Erläuterungen sollen der ersten Unterweisung in den Schutzmanns- und Gen­ darmerieschulen zugrunde gelegt werden können und später der eigenen privaten Fortbildung des einzelnen dienen. Ganz be­ sonders aber sollen sie von den Beamten, wenn die Zeit zureicht, jeweils bei Aufnahme von Anzeigen und vor Erhebung einer bestimmten Sache nochmals durchgelesen werden, um an das Wesentliche zu erinnern und unnötige sowie in falscher Richtung ausgeführte Ermittelungen zu verhindern. Möge das Werk den schweren Beruf der tüchtigen Beamten,

denen es gewidmet ist, erleichtern helfen. Offenburg (Baden) im August 1907.

Dr. Grosch.

IV

Vorwort zur zehnten und elften Auflage.

Vorwort zur zehnten Auflage. Der Verlag ist nach dem Tode des Landgerichtspräsidenten Dr. Grosch mit der Bitte an mich herangetreten, die Bearbeitung

der 10. Auflage zu übernehmen. Diesem Wunsche bin ich gerne gefolgt.

Dabei habe ich mich von dem Bestreben leiten lassen, Charakter und System des ausgezeichneten Buches zu erhalten. Andererseits aber machten die seit Erscheinen der letzten Auflage eingetretenen Änderungen in der Gesetzgebung und Rechtsprechung eine teilweise Neubearbeitung einzelner Abschnitte notwendig. Außer­

dem erschien es mir auf Grund langjähriger in der Strafpraxis

gewonnener Erfahrung zweckmäßig, zahlreiche, für den juristisch nicht vorgebildeten Polizeibeamten schwer verständliche Tatbestände, durch kurze Beispiele zu erläutern. Schließlich wurde auch der das Gerichtsverfassungsgesetz und die Strafprozeßordnung auszugsweise

behandelnde Anhang erweitert. Möge auch die 10. verbesserte Auflage die gleiche freundliche Aufnahme finden, die die früheren Auflagen erfahren haben.

Heidelberg-Mannheim, April 1931.

________

Dr. Petters.

Vorwort zur elften Auflage. Die neue Auflage enthält, besonders in dem das Gerichtsver­ fassungsgesetz und die Strafprozeßordnung auszugsweise wieder­ gebenden Anhang grundlegende Änderungen, bedingt durch die

Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen auf dem

Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung vom 14. Juni 1932. Außerdem wurden im materiellrechtlichen Teil ver­ schiedene Verbesserungen und Erweiterungen vorgenommen. Die Verordnung des Reichspräsidenten zur Erhaltung des inneren Friedens vom 19. Dezember 1932 wurde in den Gesetzestext hin­

eingearbeitet. Heidelberg-Mannheim, Dezember 1932.

Dr. Petters»

IV

Vorwort zur zehnten und elften Auflage.

Vorwort zur zehnten Auflage. Der Verlag ist nach dem Tode des Landgerichtspräsidenten Dr. Grosch mit der Bitte an mich herangetreten, die Bearbeitung

der 10. Auflage zu übernehmen. Diesem Wunsche bin ich gerne gefolgt.

Dabei habe ich mich von dem Bestreben leiten lassen, Charakter und System des ausgezeichneten Buches zu erhalten. Andererseits aber machten die seit Erscheinen der letzten Auflage eingetretenen Änderungen in der Gesetzgebung und Rechtsprechung eine teilweise Neubearbeitung einzelner Abschnitte notwendig. Außer­

dem erschien es mir auf Grund langjähriger in der Strafpraxis

gewonnener Erfahrung zweckmäßig, zahlreiche, für den juristisch nicht vorgebildeten Polizeibeamten schwer verständliche Tatbestände, durch kurze Beispiele zu erläutern. Schließlich wurde auch der das Gerichtsverfassungsgesetz und die Strafprozeßordnung auszugsweise

behandelnde Anhang erweitert. Möge auch die 10. verbesserte Auflage die gleiche freundliche Aufnahme finden, die die früheren Auflagen erfahren haben.

Heidelberg-Mannheim, April 1931.

________

Dr. Petters.

Vorwort zur elften Auflage. Die neue Auflage enthält, besonders in dem das Gerichtsver­ fassungsgesetz und die Strafprozeßordnung auszugsweise wieder­ gebenden Anhang grundlegende Änderungen, bedingt durch die

Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen auf dem

Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung vom 14. Juni 1932. Außerdem wurden im materiellrechtlichen Teil ver­ schiedene Verbesserungen und Erweiterungen vorgenommen. Die Verordnung des Reichspräsidenten zur Erhaltung des inneren Friedens vom 19. Dezember 1932 wurde in den Gesetzestext hin­

eingearbeitet. Heidelberg-Mannheim, Dezember 1932.

Dr. Petters»

Vorwort zur zwölften Auflage.

V

Vorwort zur zwölften Auflage. Die letzte Auflage ist kurz vor der nationalen Revolution er­ schienen. Im Juni 1933 wurden als Ergänzung die durch die Strafvechtsnovelle vom 26. Mai 1933 geschaffenen Änderungen int Ge­ setzestext des Strafgesetzbuchs in Form von Deckblättern der 11. Auflage hinzugefügt; außerdem fanden die bis zu diesem Zeit­ punkt erlassenen wichtigsten Notverordnungen und Gesetze in einem Nachtragsheft Aufnahme. In der Folgezeit sind dann aber weitere für das neue nationalsozialistische Strafrecht grundlegende Gesetze erschienen, so vor allem das Reichsgesetz vom 24. November 1933, das den Be­ griff des gefährlichen Gewohnheitsverbrechers geschaffen hat, und vollständig neue Maßregeln der Sicherung und Besserung enthält, sowie die Novelle vom 24. April 1934, die die Bestimmungen über Landesverrat und Hochverrat einheitlich neu regelt. Außerdem traten im Laufe des Jahres 1934 zahlreiche kleinere Gesetze straf­ rechtlichen Inhalts in Kraft, die z. T. wesentliche Änderungen der bisherigen Bestimmungen enthalten. Angesichts dieser Fülle neuer Strafgesetze war es nicht mehr möglich, die 11. Auflage mit Hilfe von Deckblättern auf den neuesten Stand der Gesetzgebung zu bringen. Eine Neuauflage erschien notwendig, zumal angenommen werden kann, daß die Strafgesetzgebung bis zum Erscheinen eines ganz neuen Gesetzes­ werkes nunmehr zu einem gewissen Abschluß gelangt ist. In diese Neuauflage sind die für den Polizeibeamten usw. in seiner täglichen Arbeit unentbehrlichen neuen Gesetze und Verord­ nungen nicht nur im Text ausgenommen, sondern auch ein­ gehenderläutert. Außerdem wurden zahlreiche Erläuterungen zum Gesetzestext teils verbessert, teils entsprechend der neuesten Rechtsprechung vollständig geändert. Die 12. Auflage schließt ab mit dem 1. Oktober 1934. In ihr hat noch Aufnahme gefunden die an diesem Tage zum! größten Teil in Kraft getretene Reichs-Straßenver­ kehrs-Ordnung. Mannheim, Oktober 1934. Dr. Petters.

Inhalt. zz

Seite

I. Strafgesetzbuch. III

Vorworte Einleitende Bestimmungen

1—12

1-6

Erster Teil.

Bon der Bestrafung der Verbrechen, Vergehen und Übertretungen im allgemeinen. 13-42 Erster Abschnitt. Strafen la. Abschnitt. Maßregeln der Sicherung und Besserung 42a—42n 43-46 Zweiter Abschnitt. Versuch 47—60 Dritter Abschnitt. Teilnahme Vierter Abschnitt. Gründe, welche die Strafe aus­ 51-72 schließen oder mildern Fünfter Abschnitt. Zusammentreffen mehrerer straf­ 73-79 barer Handlungen........................................................ - --

7—16 15—22 22—25 25—28 29—39

40—41

Zweiter Teil.

Bon den einzelnen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen und deren Bestrafung. Erster Abschnitt. Hochverrat........................................... la. Abschnitt. Landesverrat.......................................... Zweiter Abschnitt. Angriffe gegen den Reichspräsi­ denten .................................................................... Vierter Abschnitt. Feindliche Handlungen gegen be­ freundete Staaten............................................... Fünfter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen in Be­ ziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte.................................................................... Sechster Abschnitt. Widerstand gegen die Staatsgewatt.................................................................... Siebenter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider die öffentliche Ordnung.....................................

80-87 88—93a

42—45 46—52

94

53

102-104

53—54

105-109

54—56

110—122b

56—64

123-145 c

64—74

VII

Inhalts-Übersicht.

Achter Abschnitt

88 146—152

Seite 74—77

.... 164—165

81—83

Münzverbrechen und Münzvergehen

Neunter Abschnitt.

Zehnter Abschnitt.

153—16377-81

Meineid

Falsche Anschuldigung

Elster Abschnitt. Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen

166-168

83—85

Zwölfter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen in Be­ ziehung auf den Personenstand

169—170

85—87

Dreizehnter Abschnitt.

Verbrechen und Vergehen wider

die Sittlichkett Vierzehnter Abschnitt.

Fünfzehnter Abschnitt.

171-184 b

Beleidigung Zweikampf

87-99

185—200

99—106

201—210

106—109

211-222 223—233

109—115 115-123

Sechzehnter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider

das Leben Siebzehnter Abschnitt.

Körperverletzung

Achtzehnter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider die persönliche Freihett Neunzehnter Abschnitt. Diebstahl und Unterschlagung

234—241 123—129 242—248a 129—139

Zwanzigster Abschnitt.

.

249—256

139—143

Einundzwanzigster Abschnitt. Begünstigung und Hehlerei Zweiundzwanzigster Abschnitt. Betrug und Untreue.

267—262 263—266

143—148 148—155

Dreiundzwanzigster Abschnitt.

Urkundenfälschung.

267—280

155—164

Vierundzwanzigster Abschnitt.

Bankerott (aufgehoben) 239—244

164—166

Raub und Erpressung .

.

.

KonkO

Fünfundzwanzigster Abschnitt. Strafbarer Eigennutz und Verletzung fremder Geheimnisse ....

284—302s 167—182

Sechsundzwanzigster Abschnitt.

303—305

Sachbeschädigung.

.

182—184

Siebenundzwanzigster Abschnitt. Gemeingefährliche Verbrechen und Vergehen

306—330b 184—200

Achtundzwanzigster Abschnitt. Verbrechen und Vergehen im Amte Neunundzwanzigster Abschnitt. Übertretungen. . .

331—359 360—370

200—213 214—245

n. Anhang: Das Strasprozeßrecht. 246—249

Vorbemerkung

Auszug aus dem Gerichtsverfassungsgesetz

....

250—255

Auszug aus der Strafprozeßordnung

256—274

Sachregister

275—291

Verzeichnis und Erklärung der Abkürzungen. GBG.

= Gerichtsverfassungsgesetz.

StGB.

— Strafgesetzbuch.

StPO. MStGB. BGB. ZPO.

— Strafprozeßordnung. = Militärstrafgesetzbuch. = Bürgerliches Gesetzbuch. — Zivilprozeßordnung.

KO. GewO.

— Konkursordnung. — Gewerbeordnung:

RGBl.

= Reichsgesetzblatt.

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Vom 15. Mai 1871.

Einleitende Bestimmungen.

K 1. Eine mit dem Tode, mit Zuchthaus, oder mit Festungs­ haft von mehr als fünf Jahren bedrohte Handlung ist ein Ver­ brechen. Eine mit Festungshaft bis zu fünf Jahren, mit Gefängnis oder mit Geldstrafe von mehr als einhundertfünfzig Reichsmark oder mit Geldstrafe schlechthin bedrohte Handlung ist ein Vergehen. Eine mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Reichsmark bedrohte Handlung ist eine Übertretung. 1. Die Dreiteilung aller strafbaren Handlungen in Verbrechen, Ver­ gehen und Übertretungen ist wichtig: a) zum Verständnis des StGB, selbst, das z. B. die Verjährung^ fristen der Strafverfolgung bei Verbrechen, Vergehen und Über­ tretungen anders abstuft (§ 67) und den Versuch sowie die Bei­ hilfe (§§ 43, 49), die Begünstigung (§ 257) überhaupt nur bei Verbrechen und Vergehen bestraft, vgl. auch §§ 240, 241, b) bei der Regelung der Zuständigkeit der Gerichte (§§ 24, 25,26, 80, 120, 134 GVG. im Anhang), c) im Strafverfahren, in welchem z. B. zur Erlassung eines Haft­ befehls bei Verbrechen der Fluchtverdacht keiner weiteren Be­ gründung bedarf (§ 112 Abs. 21 StPO, im Anhang). 2. Ob eine strafbare Handlung als Verbrechen, Vergehen oder Über­ tretung anzusehen ist, bemißt sich nach dem allgemeinen Charakter der begangenen strafbaren Handlung, wie sie im Gesetzbuch mit Strafe be­ droht ist, und nicht etwa nach der ihr durch die Person des Täters (z. B. eines Jugendlichen, § 9 Jugendgerichtsges. s. beim frühern § 56) im Einzelfalle erteilten Färbung. Sind auf eine Handlung im Gesetzbuch mehrere Strafen angedroht, so ist für die Dreiteilung die schwerste maßgebend. Wenn es sich um selbständige Unterarten einer strafbaren Handlung dreht, so sind diese für sich an den Maßstab anzulegen. Rückfalls-TLeb­ stahl z. B. ist stets Verbrechen. 3. Die neueste Fassung beruht auf der BO. über Bermögensstrafen und Bußen vom 6. Febr. 1924 (RGBl. S. 44) und der 2. V. zur Durch­ führung des Münzgesetzes vom 19. Dezember 1924 (RGBl. I 775). Grosch-Petters, Strafgesetzbuch. 12. Aufl.

1

2

Einleitende Bestimmungen §§ 2, 3.

8 2. Eine Handlung kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde. Bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Handlung bis zu deren Aburteilung ist das mildeste Gesetz anzuwendM. 1. Diese Bestimmung, daß das Strafgesetz keine rückwirkende Kraft hat, zeigt die Notwendigkeit (übrigens auch noch in zahlreichen andern Beziehungen ton großer Wichtigkeit), die Zeit der Begehung tunlichst genau festzustellen. 2. Ter Absatz 2 ist ein Ausfluß des im ganzen Strafrechts- und Strafprozeßgebiet herrschenden Grundsatzes: im Zweifel zugunsten des Beschuldigten. 3. Die Bestimmung des Absatz 2 kann gerade in der neuesten Zeit, in der die Gesetzgebung z. B. in der Gewerbeordnung, im Automobilwesen und ganz besonders bei den zahlreichen Notverordnungen wirtschaftlichen und politischen Inhalts verhältnismäßig rasch sich ändert, in Anwendung zu kommen haben.

§ 2 a. Über Maßregeln der Sicherung und Besserung ist nach dem Gesetz zu unterscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt. Diese Gesetzesstelle, die durch Gesetz vom 24. Nov. 1933 eingefügt worden ist, bedeutet scheinbar eine Abweichung von dem in § 2 aufgestellten Verbot der Rückwirkung der Strafgesetze. Es handelt sich hier aber nicht um eine Strafe, sondern um eine Maßregel Polizeilichen Charakters. Siehe auch Gesetz vom 29. März 1933 betr. Verhängung und Vollzug der Todes­ strafe (RGBl. I S. 121).

§ 8. Die Strafgesetze des Deutschen Reichs finden An­ wendung auf alle im Gebiete desselben begangenen strafbaren Handlungen, auch wenn der Täter ein Ausländer ist. 1. Bei Beurteilung der Frage, wo eine strafbare Handlung be­ gangen ist, muß beachtet werden, daß hei einer aus mehreren Einzel­ akten bestehenden Handlung auch mehrere Begehungsorte vorliegen können. Eine Urkundenfälschung z. B. ist sowohl da, wo die Urkunde angefertigt als auch da, wo von der gefälschten Urkunde Gebrauch ge­ macht wurde, begangen. Wenn ein auf die Ferne wirkendes Werkzeug oder eine in Bewegung befindliche Mittelsperson zur Begehung der Tat benutzt wird: Schuß aus einem Gewehr bei einem Morde, Aufgabe eines Briefes zur Post behufs eines Erpressungsversuchs, so ist die Tat auf der ganzen Strecke begangen, die das Werkzeug oder die Mittelsperson beherrschte. 2. Zum Gebiet des Teutschen Reichs gehören auch der nasse Küsten­ saum in Kanonenschußweite, unsere Kriegsschiffe überall, deutsche Han­ delsschiffe auf hoher See, fremde Handelsschiffe in deutschen Häfen; auch fremde Bodenseedampfschiffe gehören in deutschen Häfen zum deutschen Gebiet. Vgl. auch § 8 und die Bemerkungen dazu. 3. Die Häuser (Hotels) der fremden Gesandtschaften gehören zum

Einleitende Bestimmungen § 4.

3

deutschen Reichsgebiet. Bei Erhebungen in denselben ist aber zu be­ achte», daß die Vorstände und Mitglieder der Gesandtschaften samt ihren Familienmitgliedern, das Geschästspersonal und Bedienstete der Gesandten, welche nicht Teutsche sind, von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit sind. Neuerdings werden auch die Handelsvertretungen fremder Staaten unseren Gerichten entzogen. Gesandtschaften deutscher Länder sind in demjenigen deutschen Lande, in dem sie beglaubigt sind, von der Gerichtsbarkeit dieses Landes befreit.

8 4. Wegen der im Auslande begangenen Verbrechen und Vergehen findet in der Regel keine Verfolgung statt. Jedoch kann nach den Strafgesetzen des Deutschen Reichs verfolgt werden: 1. ein Deutscher oder ein Ausländer, welcher im Auslande eine hochverräterische Handlung gegen das Deutsche Reich oder ein Münzverbrechen oder Münzvergehen, oder als Träger eines deutschen Amtes eine Handlung begangen hat, die nach den Gesetzen des Deutschen Reichs als Verbrechen oder Vergehen im Amte anzusehen ist; 2. ein Deutscher oder ein Ausländer, der im Ausland eine landesverräterische Handlung gegen das Deutsche Reich oder einen Angriff gegen den Reichspräsidenten (§ 94 Abs. 1, 2) Begangen hat; 3. ein Deutscher, welcher im Auslande eine Handlung be­ gangen hat, die nach den Gesetzen des Deutschen Reichs als Verbrechen oder Vergehen anzusehen und durch die Gesetze des Orts, an welchem sie begangen wurde, mit Strafe bedroht ist. Die Verfolgung ist auch zulässig, wenn der Täter bei Begehung der Handlung noch nicht Deutscher war. In diesem Falle Bedarfes jedoch eines Antrages der zuständigen Behörde des Landes, in welchem die strafbare Handlung begangen worden, und das ausländische Strafgesetz ist anzuwenden, soweit dieses milder ist. Soll ein Ausländer wegen einer im Ausland begange­ nen Tat verfolgt werden, so darf die Anklage nur mit Zu­ stimmung des Reichsministers der Justiz erhoben werden. 1. § 4 Abs. 1 und § 6 enthalten die Regel, wonach im Ausland begangene strafbare Handlungen nicht zu bestrafen sind. § 4 Absatz 2 uitb § 6 Bedingungssatz geben die Ausnahmen von der Regel. 2. Aus dem Wort „kann" an der Spitze des 2. Absatzes des § 4 geht hervor, daß die Verfolgung der hier genannten Verbrechen und Vergehen gestattet aber nicht vorgeschrieben ist, während sonst nach §152 Absatz 2 StPO, alle andern strafbaren Handlungen verfolgt werden müssen. Vgl. § 152 StPO, im Anhang.

4

Einleitende Bestimmungen §§ 5—9.

8 5. Im Falle des § 4 Nr. 3 bleibt die Verfolgung aus­ geschlossen, wenn 1. von den Gerichten des Auslandes über die Handlung rechtskräftig erkannt und entweder eine Freisprechung er­ folgt oder die ausgesprochene Strafe vollzogen, 2. die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nach den Gesetzen des Auslandes verjährt oder die Strafe erlassen, oder 3. der nach den Gesetzen des Auslandes zur Verfolgbarkeit der Handlung erforderliche Antrag des Verletzten nicht gestellt worden ist. Der Paragraph besagt, daß trotz des an sich nach § 43 begründeten Strafrechts für die dort ausgeführten im Auslande begangenen straf­ baren Handlungen dennoch das Strasverfolgungsrecht aus Rücksicht auf ge­ richtliche Urteile und milde Gesetze des Auslands ausgeschlossen sein soll.

8 6. Im Auslande begangene Übertretungen sind nur dann zu bestrafen, wenn dies durch besondere Gesetze oder durch Verträge angeordnet ist. Ein solches besonderes Gesetz, das die Bestrafung von Übertretungen anordnet, ist die Seemannsordnung vom 2. Juni 1902 (RGBl. S-175ff.) in den §§ 121, 93 bis 119. — Ob eine Übertretung vorltegt, ist nach in­ ländischem Rechte zu entscheiden.

8 7. Eine im Auslande vollzogene Strafe ist, wenn wegen derselben Handlung im Gebiete des Deutschen Reichs abermals eine Verurteilung erfolgt, auf die zu erkennende Strafe in Anrechnung zu bringen. 1. Wegen des Begriffs Ausland sind § 8 und die Bemerkungen 2 und 3 zu Z 3 zu vergleichen. 2. Die Bestimmung findet Anwendung, wenn die von einem aus­ ländischen Gericht erkannte Strafe auch nur teilweise vollzogen ist.

8 8. Ausland im Sinne dieses Strafgesetzes ist jedes nicht zum Deutschen Reich gehörige Gebiet. 1. Wegen des Begriffs Ausland ist Bemerkung 2 und 3 zu Z 3 zu vergleichen. 2. Für Landes strafgesetze gilt die Bestimmung nicht, denn für diese können auch die andern Länder Ausland sein. 3. Bei Gewässern, die die Landesgrenze bilden, sind besondere Staatsverträge zu beachten. Im Zweifel ist der Wasserlauf ein gemein­ schaftlicher, auf der darüber führenden Brücke gilt die Mitte als Landes­ grenze. Beim Rhein Ist der „Talweg" die Grenze.

8 9. Ein Deutscher darf einer ausländischen Regierung zur Verfolgung oder Bestrafung nicht überliefert werden. 1. Dieser Satz ist in allen Auslieferungsverträgen, die das Deutsche Reich und die Länder abgeschlossen haben, wiederholt. Art. 112 Abs. 3

Einleitende Bestimmungen §§ 10—12.

5

der Berfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 spricht den gleichen Grundsatz aus. 2. Dafür kann aber ein Deutscher, welcher im Ausland strafbare Handlungen begangen hat, im Inland unter gewissen Bedingungen verfolgt werden, vgl. § 4 Absatz 2 Ziffer 3

§ 1V. Auf deutsche Militärpersonen finden die allgemeinen Strafgesetze des Reichs insoweit Anwendung, als nicht die Militärgesetze ein anderes bestimmen. 1. Vgl. hierzu das Militärstrafgesetzbuch vom 20. Juni 1872 in der Fassung vom 16. Juni 1926, RGBl. I S. 275 ff. und Wehr-Gesetz vom 23. März 1921 (RGBl. S. 329). 2. „Militärpersonen" sind nach § 4 des Militärstvafgesetzbuches: die Personen des Soldatenstandes und die Militärbeamten, welche zum Heer oder zur Marine gehören. Dem Militärstrafgesetzbuch ist ein Ver­ zeichnis derselben beigefügt. Die Gendarmen gehören jetzt nicht mehr hierher. 3. Immer wenn das Militärstrafgesetzbuch Anwendung findet, geht dasselbe als besonderes Strafgesetz dem im Reichsstrafgesetzbuch endhattenen allgemeinen Strafrecht vor. 4. Die Militärgerichtsbarkeit galt nach § 434 StPO, bisher nur für Strafverfahren in Kriegszeiten und gegen Reichsmarineangehörige an Bord von in Dienst gestellten Kriegsschiffen; sie ist am 1. Jan. 1934 durch die Militärstrafgerichtsordnung vom 4. Nov. 1933 wieder eingeführt worden (RGBl. I S. 921).

§ 11. Kein Mitglied eines Landtags oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staats darf außerhalb der Versamm­ lung, zu welcher das Mitglied gehört, wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes getanen Äußerung zur Verantwortung gezogen werden. 1. Für die Mitglieder des Reichstags und der Landtage enthält der Artikel 36 der Reichsverfassung eine gleiche Bestimmung. 2. Es ist dies eine Garantie der ungestörten Tätigkeit der gesetz­ gebenden Versammlungen. 3. Für die außerhalb der Versammlung begangenen strafbaren Hand­ lungen unterliegen die Mitglieder der gesetzgebenden Versammlungen den allgemeinen Strafgesetzen; nur gibt es für die Verfolgung besondere prozessuale Vorschriften (Art. 37 d. Reichsverfassung).

§ 12. Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen eines Landtags oder einer Kammer eines zum Reich gehörigen Staats bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. 1. Der Paragraph bringt eine in Artikel 30 der Reichsverfassung wiederholte Bestimmung. In der neuen Bestimmung sind nur die öffent­ lichen Sitzungen von der Verantwortung befreit, dafür aber die Sit­ zungen der Ausschüsse beigefügt. 2. Unter „Berichte" sind auch mündliche Berichte in Versammlungen gemeint.

6

Erster Teil.

§g 13, 14.

Erster Teil.

Von der Bestrafung der Berbrechen, Bergehen und Übertretungen im allgemeinen.

Erster Abschnitt: Strafe«. Vorbemerkung:

1. Das StGB, kennt folgende Strafarten: I. Haupt st rasen: 1. Todesstrafe, § 13. 2. Zuchthausstrafe: lebenslängliche und zeitige (1—15 Jahre), § 14. 3. Gefängnisstrafe: 1 Tag bis 5 Jahre, § 16. 4. Festungshaft: lebenslängliche und zeitige (1 Tag bis 15 Jahre), § 17. 6. Haft: 1 Tag bis 6 Wochen, § 18. 6. Geldstrafe: Mindestbetrag bei Verbrechen und Vergehen 3 Reichs­ mark, bei Übertretungen 1 Reichsmark § 27. II. Nebenstrafen: 1. Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, dauernder und zeitiger, § 32. 2. Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter, §§ 35, 93, 128, 129, 358. 3. Unfähigkeit zur Beschäftigung im Eisenbahn- oder Telegraphen­ dienst, § 319. 4. Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter sowie der auS öffent­ lichen Wahlen hervorgegangenen Rechte, §§ 81, 83, 84, 87 bis 90 94 95. 5. Zulässigkeit von Polizeiaufsicht, §§ 38,181,181a, 248, 262, 285 a. 6. Einziehung einzelner Gegenstände, §§ 40, 86 a, 93 a, 152, 284 b, 295. 7. Erklärung deS Verfalls an den Staat, § 335. 8. Dauernde Unfähigkeit als Zeuge oder Sachverständiger eidlich vernommen zu werden, § 161, ist sichernde Maßnahme.

§ 13* strecken.

Die Todesstrafe ist durch Enthauptung zu voll­

Vgl. §§ 453, 454 StPO. Im Strafgesetzbuch werden mit dem Tode bestraft: der Mord (§ 211), schwere Fälle von Hochverrat (§§ 80—83) und Landesverrat (§§ 89, 90, 90 g, 91, 91a, 91 b). Ferner in § 5 des Spreng­ stoffgesetzes, § 1 des Sklavenraubgesetzes. Ferner in einigen Fällen des MilStGB. Unzulässig ist die Todesstrafe gegen Jugendliche (§ 9 JGG.).

§ 14. eine zeitige.

Die Zuchthausstrafe ist eine lebenslängliche oder

Strafen §§ 15—19.

7

Der Höchstbetrag der zeitigen Zuchthausstrafe ist fünfzehn Jahre, ihr Mindestbetrag ein Jahr. Wo das Gesetz die Zuchthausstrafe nicht ausdrücklich als eine lebenslängliche androht, ist dieselbe eine zeitige.

8 18. Die zur Zuchthausstrafe Verurteilten sind in der Strafanstalt zu den eingeführten Arbeiten anzuhalten. Sie können auch zu Arbeiten außerhalb der Anstalt, insbe­ sondere zu öffentlichen oder von einer Staatsbehörde beaufsich­ tigten Arbeiten verwendet werden. Diese Art der Beschäftigung ist nur dann zulässig, wenn die Gefangenen dabei von anderen freien Arbeitern getrennt gehalten werden. Der Schlußsatz war durch die Bekanntmachung vom 16. Mai 1917 (RGBl. 412) während des Krieges außer Kraft gesetzt worden.

8 16. Der Höchstbetrag der Gefängnisstrafe ist fünf Jahre, ihr Mindestbetrag ein Tag. Die zur Gefängnisstrafe Verurteilten können in einer Gefangenanstalt auf eine ihren Fähigkeiten und Verhältnissen an­ gemessene Weise beschäftigt werden; auf ihr Verlangen sind sie in dieser Weise zu beschäftigen. § 15 Abs. 2 findet Anwendung. 8 17. Die Festungshaft ist eine lebenslängliche oder eine zeitige. Der Höchstbetrag der zeitigen Festungshaft ist fünfzehn Jahre, ihr Mindestbetrag ein Tag. Wo das Gesetz die Festungshaft nicht ausdrücklich als eine lebmslängliche androht, ist dieselbe eine zeitige. Die Strafe der Festungshaft besteht in Freiheitsentziehung mit Beaufsichtigung der Beschäftigung und Lebensweise der Gefangenen. Sie wird in Festungen vollzogen, die dem Reichs­ wehrminister unterstehen. 8 18. Der Höchstbetrag der Haft ist sechs Wochen, ihr Mindestbetrag ein Tag. Die Strafe der Haft besteht in einfacher Freiheitsentziehung. 8 19. Bei Freiheitsstrafen wird der Tag zu vierund­ zwanzig Stunden, die Woche zu sieben Tagm, der Monat und das Jahr nach der Kalenderzeit gerechnet. Die Dauer einer Zuchthausstrafe darf nur nach vollen Monaten, die Dauer einer anderen Freiheitsstrafe nur nod) vollen Tagen bemessen werden.

8

Strafen §§ 20, 20 a.

§ 20. Wo das Gesetz die Wahl zwischen Zuchthaus oder Ge­ fängnis und Festungshaft gestattet, darf auf Festungshaft nur dann erkannt werden, wenn die Tat sich nicht gegen das Wohl des Volkes gerichtet und der Täter ausschließlich aus ehrenhaften Be­ weggründen gehandelt hat. § 20 a. Hat jemand, der schon zweimal rechtskräftig ver­ urteilt worden ist, durch eine neue vorsätzliche Tat eine Freiheits­ strafe verwirkt und ergibt die Gesamtwürdigung der Taten, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, so ist, soweit die neue Tat nicht mit schwererer Strafe bedroht ist, auf Zuchthaus bis zu 5 Jahren und, wenn die neue Tat auch ohne diese Strafschär­ fung ein Verbrechen wäre, auf Zuchthaus bis zu fünfzehn Jahren zu erkennen. Die Strafschärfung setzt voraus, daß die beiden frühe­ ren Verurteilungen wegen eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens ergangen sind und in jeder von ihnen auf Todesstrafe, Zuchthaus oder Gefängnis von mindestens sechs Monaten erkannt worden ist. Hat jemand mindestens drei vorsätzliche Taten begangen und ergibt die Gesamtwürdigung der Taten, daß er ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist, so kann das Gericht bei jeder abzu­ urteilenden Einzeltat die Strafe ebenso verschärfen, auch wenn die übrigen im Abs. 1 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Eine frühere Verurteilung kommt nicht in Betracht, wenn zwischen dem Eintritt ihrer Rechtskraft und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind. Eine frühere Tat, die noch nicht rechtskräftig abgeurteilt ist, kommt nicht in Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre ver­ strichen sind. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in der der Täter eine Freiheitsstrafe verbüßt oder auf behördliche An­ ordnung in einer Anstalt verwahrt wird. Eine ausländische Verurteilung steht einer inländischen gleich, wenn die geahndete Tat auch nach deutschem Recht ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen wäre. 1. Der § 20 a ist durch das am 1. Jan. 1934 in Kraft getretene Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. Nov. 1933 in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Diese neue Strafbestimmung gilt dem Kampf gegen das Berufsverbrechertum. Daneben ist nach § 42e Sicherungsv erwahrung zulässig, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert, was nicht ohne weiteres bei jedem gefährlichen Gewohnheitsverbrecher der Fall zu sein braucht. 2. Ein Verbrecher gilt dann als gefährlicher Gewohnheits-

Strafen § 20 a.

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Verbrecher, wenn er mindestens drei Verbrechen oder vorsätzliche Ver­ gehen begangen hat, und die Gesamtwürdigung dieser Taten ergibt, daß die verbrecherische Betätigung auf einen in seiner Persönlichkeit ver­ wurzelten Drang zurückzuführen ist, der die Wahrscheinlichkeit begründet, daß der Täter auch in Zukunft weitere nicht unerhebliche Straftaten be­ gehen wird. 3. Ohne Bedeutung für den Begriff des gefährlichen Gewohnheits­ verbrechers ist es, ob der Täter wegen der einzelnen Straftaten bereits rechtskräftig verurteilt ist, ja er braucht sogar überhaupt noch nicht bestraft zu sein. Es ist nur erforderlich, daß drei Straftaten der oben ge­ nannten Art vorliegen. 4. Von einem Hang zu verbrecherischer Betätigung kann im allge­ meinen dann nicht gesprochen werden, wenn die Straftaten vorwiegend durch äußere Umstände, wie schwere wirtschaftliche Not u. a. veranlaßt worden find, also nicht in einer durch wiederholte Begehung erworbenen Seelen­ verfassung ihren Ursprung haben. Als Gewohnheitsverbrecher kommen vor allem in Frage die gewerbsmäßigen Taschendiebe, Warenhausdiebe, Heirats­ schwindler, Hochstapler und die gewohnheitsmäßigen Sittlichkeitsverbrecher, gegen die außerdem die Entmannung nach § 42 k angeordnet werden kann. 5. Gefährlich ist der Gewohnheitsverbrecher dann, wenn von ihm zu erwarten ist, daß er weiterhin wichtige Rechtsgüter erheblich gefährden wird. 6. Der Abs.1 des § 20 a enthält den Fall, bei dem die Strafverschärfung zwingend vorgeschrieben ist. Veraussetzung hierfür ist: a) daß der Täter schon zweimal rechtskräftig verurteilt ist (Verbüßung der Strafen ist nicht erforderlich), b) daß in jeder der beiden früheren Verurteilungen entweder auf Todesstrafe oder auf Zuchthaus oder auf Gefängnis von mindestens 6 Monaten erkannt worden ist. c) daß die abzuurteilende Tat ein Verbrechen oder vorsätzliches Ver­ gehen, und daß durch sie eine Freiheitsstrafe verwirkt ist. 7. Der Abs. 2 des § 20 a enthält den Fall, bei dem die Strafschärfung indasErmessendes Gerichts gestellt ist. Hat nämlich der Täter 3 Ver­ brechen oder vorsätzliche Vergehen begangen, ohne daß er wegen zweier dieser Taten bereits rechtskräftig zu Todesstrafe, Zuchthaus oder Gefängnis von 6 Monaten verurteilt worden ist, so kann das Gericht die Straf­ schärfung bei jeder der abzuurteilenben Taten vornehmen, wenn der Täter ein gefährlicher Gewohnheitsverbrecher ist. 8. Die Strafschärfung ist folgende: a) Ist die abzuurteilende Tat ohne die Strafschärfung ein Vergehen, so tritt Zuchthaus bis zu 5 Jahren ein. b) Ist die abzuurteilende Tat schon ohne die Strafschärfung ein Ver­ brechen, so wird die Strafe auf Zuchthaus bis zu 15 Jahren ver­ schärft, sofern die Tat nicht schon mit einer schwereren Strafe be­ droht sein sollte. 9. Weder für die Gesamtwürdigung, noch für die Strafschärfung kommen in Betracht Straftaten, die, wenn sie noch nicht rechtskräftig ab­ geurteilt sind, mehr als 5 Jahre vor der folgenden in Betracht zu ziehenden Straftat begangen sind, o d e r bei denen, wenn sie bereits abgeurteilt sind, der Eintritt der Rechtskraft des Urteils vor der folgenden Tat mehr als 5 Jahre zurückliegt.

Strafen §§ 21—27.

8 21. Achtmonatliche Zuchthausstrafe ist einer einjährigen Gefängnisstrafe, achtmonatliche Gefängnisstrafe einer einjährigen Festungshaft gleichzuachten. 8 22. Die Zuchthaus- und Gefängnisstrafe können sowohl für die ganze Dauer, wie für einen Teil der erkannten Strafzeit in der Weise in Einzelhaft vollzogen werden, daß der Gefangene unausgesetzt von anderen Gefangenen gesondert gehalten wird. Die Einzelhaft darf ohne Zustimmung des Gefangenen die Dauer von drei Jahren nicht übersteigen.

8 23. Die zu einer längeren Zuchthaus- oder Gefängnisstrafe Verurteilten können, wenn sie drei Vierteile, mindestens aber ein Jahr der ihnen auferlegten Strafe verbüßt, sich auch während dieser Zeit gut geführt haben, mit ihrer Zustimmung vorläufig entlassen werden.

8 24. Die vorläufige Entlassung kann bei schlechter Führung des Entlassenen, oder wenn derselbe den ihm bei der Entlassung auferlegten Verpflichtungen zuwiderhandelt, jederzeit widerrufen werden. Der Widerruf hat die Wirkung, daß die seit der vorläufigen Entlassung bis zur Wiedereinlieferung verflossene Zeit auf die festgesetzte Strafdauer nicht angerechnet wird.

8 25. Der Beschluß über die vorläufige Entlassung, sowie über einen Widerruf ergeht von der obersten Justiz-Aufsichts­ behörde. Vor dem Beschluß über die Entlassung ist die Ge­ fängnisverwaltung zu hören. Die einstweilige Festnahme vorläufig Entlassener kann aus dringenden Gründen des öffentlichen Wohls von der Polizei­ behörde des Orts, an welchem der Entlassene sich aufhält, ver­ fügt werden. Der Beschluß über den endgültigen Widerruf ist sofort nachzusuchen. Führt die einstweilige Festnahme zu einem Widerrufe, so gilt dieser als am Tage der Festnahme erfolgt. 8 26. Ist die festgesetzte Strafzeit abgelaufen, ohne daß ein Widerruf der vorläufigen Entlassung erfolgt ist, so gilt die Freiheitsstrafe als verbüßt. K 27. Die Geldstrafe ist in Reichsmark festzusetzen. Sie beträgt: 1. bei Verbrechen und Vergehen, soweit nicht höhere Beträge

Strafen 88 27 a—28.

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oder Geldstrafe in unbeschränkter Höhe angedroht sind oder wer­ den, mindestens 3 Reichsmark und höchstens 10000 Reichsmark; 2. bei Übertretungen mindestens eine Reichsmark, soweit nicht ein höherer Mindestbetrag angedroht ist oder wird, und höchstens 150 Reichsmark. Die Vorschriften des Abs. 2 über Höchstbeträge gelten nicht, soweit die angedrohte Strafe in dem Mehrfachen, dem Ein­ fachen oder dem Bruchteil eines bestimmten Betrags besteht. Ist dieser nicht auf Reichsmark gestellt, so ist er für die Festsetzung der Geldstrafe in Reichsmark umzurechnen,

f 27 a. Bei einem Verbrechen oder Vergehen, das auf Ge­ winnsucht beruht, kann die Geldstrafe auf einhunderttausend Reichs­ mark erhöht und auf eine solche Geldstrafe neben Freiheitsstrafe auch in denjenigen Fällen erkannt werden, in denen das Gesetz eine Geldstrafe nicht androht. % 27 d. Ist für ein Vergehen oder eine Übertretung, für die an sich eine Geldstrafe überhaupt nicht oder nur neben Freiheitsstrafe zulässig ist, Freiheitsstrafe von weniger als drei Monaten verwirkt, so ist an Stelle der Freiheitsstrafe auf Geld­ strafe (§§ 27, 27 a) zu erkennen, wenn der Strafzweck durch eine Geldstrafe erreicht werden kann. Die Vorschriften des Militärstrafgesetzbuchs bleiben unberührt. K 27 e. Bei der Bemessung einer Geldstrafe sind die wirt­ schaftlichen Verhältnisse des Täters zu berücksichtigen. Die Geldstrafe soll das Entgelt, das der Täter für die Tat empfangen, und den Gewinn, den er aus der Tat gezogen hat, übersteigen. Reicht das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht aus, so darf es überschritten werden.

§ 28. Ist dem Verurteilten nach seinen wirtschaftlichen Ver­ hältnissen nicht zuzumuten, daß er die Geldstrafe sofort bezahlt, so hat ihm das Gericht eine Frist zu bewilligen oder ihm zu gestatten, die Strafe in bestimmten Teilbeträgen zu zahlen. Das Gericht kann diese Vergünstigung auch nach dem Urteil bewilligen. Es kann seine Entschließungen nachträglich ändern. Leistet der Verurteilte die Teilzahlungen nicht rechtzeitig, oder bessern sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich, so kann das Gericht die Vergünstigung widerrufen. Auf die nach Abs. 2 zu treffenden Entscheidungen findet § 494 (jetzt § 462) der StPO. Anwendung.

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Strafen §§ 28 a—30.

K 28». Soweit die Geldstrafe nicht gezahlt wird, ist sie beizutreiben. Der Versuch, die Geldstrafe beizutreiben, kann unterbleiben, wenn mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß sie aus dem beweg­ lichen Vermögen des Verurteilten nicht beigetrieben werden kann. K 28 d. Die Vollftreckungsbehörde kann dem Verurteilten gestatten, eine uneinbringliche Geldstrafe durch freie Arbeit zu tilgen. Das Nähere regelt die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats. Soweit dies nicht geschieht, sind die obersten Landesbehörden ermächtigt, das Nähere zu regeln. § 29. An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt bei Verbrechen und Vergehen Gefängnis oder, wenn neben der Geldstrafe auf Zuchthaus erkannt wird, Zuchthaus, bei Über­ tretungen Hast. Auch bei Vergehen kann die Geldstrafe in Haft umgewandelt werden, wenn Geldstrafe allein oder an erster Stelle oder wahlweise neben Hast angedroht ist. Die Dauer der Ersatzstrafe ist mindestens ein Tag und bei Gefängnis und Zuchthaus höchstens ein Jahr, bei Hast höchstens sechs Wochen. Ist neben der Geldstrafe wahlweise Freiheitsstrafe von geringerer Höhe angedroht, so darf die Ersatzstrafe deren Höchstmaß nicht übersteigen. Die Ersatzstrafe darf nur nach vollen Tagen bemessen werden. Im übrigen richtet sich das Maß der Ersatzstrafe nach stetem Ermessen des Gerichts. In den Fällen des § 27 b ist Ersatzstrafe die verwirkte Frei­ heitsstrafe. Der Verurteilte kann die Vollstreckung der Ersatzstrafe jederzeit dadurch abwenden, daß er den noch zu zahlenden Betrag der Geld­ strafe entrichtet. Kann die Geldstrafe ohne Verschulden des Verurteilten nicht einge­ bracht werden, so kann das Gericht anordnen, daß die Vollstreckung der Ersatzstrafe unterbleibt. § 494 (jetzt § 462) der StPO, findet Anwendung. Die §§ 27 bis 29 sind neugefaßt und hinzugefügt durch die Ver­ ordnung über Bermögensstrafen und Bußen vom 6. Februar 1924

(RGBl. S. 44).

§ 80. In den Nachlaß kann eine Geldstrafe nur dann voll­ streckt werden, wenn das Urteil bei Lebzeiten des Verurteilten rechtskräftig geworden war.

Strafen §§ 31—34.

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§ 31. Die Verurteilung zur Zuchthausstrafe hat die dauernde Unfähigkeit zum Dienste in dem Reichsheer und der Reichsmarine, sowie die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter von Rechts wegen zur Folge. Unter öffentlichen Ämtern im Sinne dieses Strafgesetzes sind die Advokatur, die Anwaltschaft und das Notariat, sowie der Geschworenen- und Schöffendienst mitbegriffen. § 32. Neben der Todesstrafe und der Zuchthausstrafe kann auf den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden, neben der Gefängnisstrafe nur, wenn die Dauer der erkannten Strafe drei Monate erreicht und entweder das Gesetz den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte ausdrücklich zuläßt oder die Ge­ fängnisstrafe wegen Annahme mildernder Umstände an Stelle von Zuchthausstrafe ausgesprochen wird. Die Dauer dieses Verlustes beträgt bei zeitiger Zuchthaus­ strafe mindestens zwei und höchstens zehn Jahre, bei Gefängnis­ strafe mindestens ein Jahr und höchstens fünf Jahre. Bei Meineid (§ 161), schwerer Kuppelei (§ 181) und Wucher i. S. der §§ 302 d, 302 e muß auf Ehrverlust erkannt werden.

833. Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte be­ wirkt den dauernden Verlust der aus öffentlichen Wahlen für den Verurteilten hervorgegangenen Rechte, ingleichen den dauernden Verlust der öffentlichen Ämter, Würden, Titel, Orden und Ehrenzeichen. § 34. Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte be­ wirkt ferner die Unfähigkeit, während der im Urteile bestimmten Zeit 1. die Landeskokarde zu tragen; 2. in das Reichsheer oder in die Reichsmarine einzutreten; 3. öffentliche Ämter, Würden, Titel, Orden und Ehren­ zeichen zu erlangen; 4. in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen, zu wählen oder gewählt zu werden oder andere politische Rechte aus­ zuüben; 5. Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu sein; 6. Vormund, Gegenvormund, Pfleger, Beistand der Mutter, Mitglied eines Familienrats oder Kurator zu sein, es sei denn, daß es sich um Verwandte absteigender Linie handele und die obervormundschaftliche Behörde oder der Familien­ rat die Genehmigung erteile.

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Strafen §§ 35-39.

§ 35. Neben einer Gefängnisstrafe, mit welcher die Ab­ erkennung der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt Hütte ver­ bunden werden können, kann auf die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden. Die Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter hat den dauernden Verlust der bekleideten Ämter von Rechts wegen zur Folge.

§36. Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter wird mit der Rechtskraft des Urteils wirksam. Ihre Dauer wird von dem Tage ab berechnet, an dem die Freiheitsstrafe, neben der die Aberken­ nung ausgesprochen wurde, verbüßt, verjährt oder erlassen ist. Ist neben der Strafe eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maß­ regel der Sicherung und Besserung angeordnet worden, so wird die Frist erst von dem Tage ab berechnet, an dem auch die Maß­ regel erledigt ist. Ist nach Ablauf einer Probezeit dem Verurteilten die Strafe ganz oder teilweise erlassen worden oder eine mit Freiheitsent­ ziehung verbundene Maßregel der Sicherung und Besserung er­ ledigt, so wird die Probezeit auf die Frist angerechnet. § 37. Ist ein Deutscher im Auslande wegen eines Ver­ brechens oder Vergehens bestraft worden, welches nach den Ge­ setzen des Deutschen Reichs den Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte überhaupt oder einzelner bürgerlicher Ehrenrechte zur Folge hat oder zur Folge haben kann, so ist ein neues Straf­ verfahren zuläsfig, um gegen den in diesem Verfahren für schuldig Erklärten auf jene Folgen zu erkennen. § 38. Neben einer Freiheitsstrafe kann in den durch das Gesetz vorgesehenen Fällen auf die Zulässigkeit von Polizei­ aufsicht erkannt werden. Die höhere Landespolizeibehörde erhält durch ein solches Er­ kenntnis die Befugnis, nach Anhörung der Gefüngnisverwaltung den Verurteilten auf die Zeit von höchstens fünf Jahren unter Polizeiaufsicht zu stellen. Diese Zeit wird von dem Tage berechnet, an welchem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist. § 39. Die Polizeiaufsicht hat folgende Wirkungen: 1. dem Verurteilten kann der Aufenthalt an einzelnen be-

Strafen §§40—42.

Maßreg. d. Sich u. Bess. § 42a.

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stimmten Orten von der höheren Landespolizeibehörde untersagt werden; 2. Haussuchungen unterliegen keiner Beschränkung hinsicht­ lich der Zeit, zu welcher sie stattfinden dürfen. § 40. Gegenstände, welche durch ein vorsätzliches Ver­ brechen oder Vergehen hervorgebracht, oder welche zur Begehung eines vorsätzlichen Verbrechens oder Vergehens gebraucht oder bestimmt sind, können, sofern sie dem Täter oder einem Teil­ nehmer gehören, eingezogen werden. Die Einziehung ist im Urteile auszusprechen. 8 41. Wenn der Inhalt einer Schrift, Abbildung oder Darstellung strafbar ist, so ist im Urteile auszusprechen, daß alle Exemplare, sowie die zu ihrer Herstellung bestimmten Platten und Formen unbrauchbar zu machen sind. Diese Vorschrift bezieht sich jedoch nur auf die im Besitze des Verfassers, Druckers, Herausgebers, Berlegers oder Buch­ händlers befindlichen und auf die öffentlich ausgelegten oder öffentlich angebotenen Exemplare. Ist nur ein Teil der Schrift, Abbildung oder Darstellung strafbar, so ist, insofern eine Ausscheidung möglich ist, auszusprechen, daß nur die strafbaren Stellen und derjenige Teil der Platten und Formen, auf welchem sich diese Stellen befinden, unbrauchbar zu machen sind. 8 42. Ist in den Fällen der §§ 40 und 41 die Verfolgung oder die Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführ­ bar, so können die daselbst vorgeschriebenen Maßnahmen selb­ ständig erkannt werden. la. Abschnitt. Maßregeln der Sicherung und Besserung.

8 42 a. Maßregeln der Sicherung und Besserung sind: 1. die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, 2. die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt, 3. die Unterbringung in einem Arbeitshaus, 4. die Sicherungsverwahrung, 5. die Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher, 6. die Untersagung der Berufsausübung. Die Erläuterungen zu §§ 42 a—42 n befinden sich hinter § 42 n.

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Maßreg. d. Sich. u. Bejs. §§ 42b-42f.

§ 42 d. Hat jemand eine mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (§ 51 Abs. 1, § 58 Abs. 1) oder der verminderten Zurechnungsfähigkeit (§ 51 Abs. 2, § 58 Abs. 2) begangen, so ordnet das Gericht seine Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt an, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert. Dies gilt nicht bei Übertretungen. Bei vermindert Zurechnungsfähigen tritt die Unterbringung neben die Strafe. § 42 c. Wird jemand, der gewohnheitsmäßig im Übermaß geistige Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich nimmt, wegen eines Verbrechens oder Vergehens, das er im Rausch be­ gangen hat oder das mit einer solchen Gewöhnung in ursächlichem Zusammenhang steht, oder wegen Volltrunkenheit (§ 330 a) zu einer Strafe verurteilt und ist seine Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt erforderlich, um ihn an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Unterbringung an. § 42 d, Wird jemand nach § 361 Nr. 3 bis 5, 6 a bis 8 zu Haftstrafe verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe seine Unterbringung in einem Arbeitshaus an, wenn sie erforderlich ist, um ihn zur Arbeit anzuhalten und an ein gesetzmäßiges und ge­ ordnetes Leben zu gewöhnen. Dasselbe gilt, wenn jemand, der gewohnheitsmäßig zum Er­ werbe Unzucht treibt, nach § 361 Nr. 6 zu Haftstrafe verurteilt wird. Wegen Bettelns ist die Anordnung nur zulässig, wenn der Täter aus Arbeitsscheu oder Liederlichkeit oder gewerbsmäßig ge­ bettelt hat. Arbeitsunfähige, deren Unterbringung in einem Arbeitshaus angeordnet ist, können in einem Asyl untergebracht werden. § 42 e. Wird jemand nach § 20 a als ein gefährlicher Ge­ wohnheitsverbrecher verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn die öffentliche Sicher­ heit es erfordert. § 42 k. Die Unterbringung dauert so lange, als ihr Zweck es erfordert. Die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Ent­ ziehungsanstalt und die erstmalige Unterbringung in einem Ar­ beitshaus oder einem Asyl dürfen nicht länger als zwei Jahre dauern.

Maßreg. d. Sich. u. Bess. §§ 42 g, 42 h.

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Die Dauer der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, der wiederholten Unterbringung in einem Arbeitshaus oder einem Asyl und der Sicherungsverwahrung ist an keine Frist ge­ bunden. Bei diesen Maßregeln hat das Gericht jeweils vor dem Ablauf bestimmter Fristen zu entscheiden, ob der Zweck der Unter­ bringung erreicht ist. Die Frist beträgt bei der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt und der Sicherungsverwahrung drei Jahre und bei der wiederholten Unterbringung in einem Ar­ beitshaus oder einem Asyl zwei Jahre. Ergibt sich bei der Prü­ fung, daß der Zweck der Unterbringung erreicht ist, so hat das Gericht die Entlassung des Untergebrachten anzuordnen. Das Gericht kann auch während des Laufs der in den Ws. 2 und 3 genannten Fristen jederzeit prüfen, ob der Zweck der Unter­ bringung erreicht ist. Wenn das Gericht dies bejaht, so hat es die Entlassung des Untergebrachten anzuordnen. Die Fristen laufen vom Beginn des Vollzugs an. Lehnt das Gericht die Entlassung des Untergebrachten ab, so beginnt mit dieser Entscheidung der Lauf der im Abs. 3 genannten Fristen von neuem.

8 42 g. Sind seit der Rechtskraft des Urteils drei Jahre verstrichen, ohne daß mit dem Vollzug der Unterbringung be­ gonnen worden ist, so darf sie nur noch vollzogen werden, wenn das Gericht es anordnet. Die Anordnung ist nur zulässig, wenn der Zweck der Maßregel die nachträgliche Unterbringung er­ fordert. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in der der Unter­ zubringende eine Freiheitsstrafe verbüßt oder auf behördliche An­ ordnung in einer Anstalt verwahrt wird.

§ 42 h, Die Entlassung des Untergebrachten gilt nur als bedingte Aussetzung der Unterbringung. Das Gericht kann dem Untergebrachten bei der Entlassung besondere Pflichten auferlegen und solche Anordnungen auch nachträglich treffen oder ändern. Zeigt der Entlassene durch sein Verhalten in der Freiheit, daß der Zweck der Maßregel seine erneute Unterbringung erfordert, und ist die Vollstreckung der Maßregel noch nicht verjährt, so wider­ ruft das Gericht die Entlassung. Die Dauer der Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt und der erstmaligen Unterbringung in einem Arbeitshaus oder einem Asyl darf auch im Falle des WiderGrosch-Petters, Strafgesetzbuch. 12. Ausl. 2

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Maßreg. d. Sich. u. Bess. §§ 42i-421.

rufs insgesamt die gesetzliche Höchstdauer der Maßregel nicht überschreiten.

§ 42 i. Die im Arbeitshaus oder in der Sicherungsverwah­ rung Untergebrachten sind in der Anstalt zu den eingeführten Ar­ beiten anzuhalten. Sie können auch zu Arbeiten außerhalb der Anstalten verwendet werden, müssen jedoch dabei von freien Ar­ beitern getrennt gehalten werden. Die in einer Heil- oder Pflegeanstalt, einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt Untergebrachten können innerhalb oder außerhalb der Anstalt auf eine ihren Fähigkeiten und Ver­ hältnissen angemessene Weise beschäftigt werden. § 42 K. Das Gericht kann neben der Strafe anordnen, daß ein Mann, der zur Zeit der Entscheidung das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat, zu entmannen ist, 1. wenn er wegen eines Verbrechens der Nötigung zur Un­ zucht, der Schändung, der Unzucht mit Kindern oder der Notzucht (§§ 176 bis 178) oder wegen eines zur Erregung oder Befriedigung des Geschlechtstriebs begangenen Ver­ gehens oder Verbrechens der öffentlichen Vornahme un­ züchtiger Handlungen oder der Körperverletzung (§§ 183, 223 bis 226) zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt wird, nachdem er schon einmal wegen einer solchen Tat zu Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist, und die Gesamtwürdigung der Taten ergibt, daß er ein gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher ist; 2. wenn er wegen mindestens zwei derartiger Taten zu Frei­ heitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird und die Gesamtwürdigung der Taten ergibt, daß er ein ge­ fährlicher Sittlichkeitsverbrecher ist, auch wenn er früher wegen einer solchen Tat noch nicht verurteilt worden ist; 3. wenn er wegen eines zur Erregung oder Befriedigung des Geschlechtstriebs begangenen Mordes oder Totschlags (§§ 211 bis 215) verurteilt wird. § 20 a Abs. 3 gilt entsprechend. Eine ausländische Verurteilung steht einer inländischen gleich, wenn die geahndete Tat nach deutschem Recht ein Verbrechen oder Vergehen der im Abs. 1 genannten Art wäre. § 42 L Wird jemand wegen eines Verbrechens oder Ver­ gehens, das er unter Mißbrauch seines Berufs oder Gewerbes oder unter grober Verletzung der ihm kraft seines Berufs oder

Maßreg. d. Sich. u. Bess. §§ 42 m, 42 n.

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Gewerbes obliegenden Pflichten begangen hat, zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten verurteilt, so kann ihm das Gericht zugleich auf die Dauer von mindestens einem und höchstens fünf Jahren die Ausübung des Berufs, Gewerbes oder Gewerbe­ zweiges untersagen, wenn dies erforderlich ist, um die Allgemein­ heit vor weiterer Gefährdung zu schützen. Solange die Untersagung wirksam ist, darf der Verurteilte den Beruf, das Gewerbe oder den Gewerbezweig auch nicht für einen anderen ausüben oder durch eine von feinen Weisungen ab­ hängige Person für sich ausüben lassen. § 36 Abs. 1 gilt entsprechend. Wird die Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder einer neben der Strafe erkannten, mit Frei­ heitsentziehung verbundenen Maßregel der Sicherung und Besse­ rung bedingt ausgesetzt, so wird die Probezeit auf die Frist an­ gerechnet. 8 42 m. Aufgehoben durch Gesetz v. 23. III. 34.

§ 42 n. Maßregeln der Sicherung und Besserung können nebeneinander angeordnet werden. 1. Allgemeine Grundsätze für die §§ 42a—42n: a) Während die Strafe eine Vergeltung für das begangene Ver­ brechen darstellt, bezwecken die Sicherungsmaßregeln künf­ tige Straftaten bestimmter Verbrechertypen zu verhindern. Die hierfür in Frage kommenden Mittel wollen kein Übel zufügen, son­ dern in anderer Weise die Begehung künftiger Verbrechen verhüten, und zwar entweder durch Besserungsmaßnahmen (Unter­ bringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, Trinkerheilanstalt, Ar­ beitshaus), oder durch körperliche Absonderung aus der Volks­ gemeinschaft, sei es der Person selbst (Sicherungsverwahrung), sei es ihrer Tätigkeit (Untersagung der Berufsausübung), oder durch Entmannung beim Sittlichkeitsverbrecher. b) Die Sicherungsmaßregeln können regelmäßig nur neben einer Strafe verhängt werden, ausnahmsweise auch ohne Strafe, näm­ lich bei Begehung von Straftaten durch Unzurechnungsfähige. Zu­ ständig für die Anordnung ist der Strafrichter, und nicht die Ver­ waltungsbehörde. c) Die Anordnung muß erfolgen, wenn es sich um eine Sicherungs­ maßregel handelt, die eine Freiheitsentziehung bezweckt (§ 42 a Z. 1—4) und sie kann erfolgen in den Fällen des 8 42 Z. 5 u. 6. Es können auch mehrere Sicherungsmaßregeln nebeneinander angeordnet werden. d) Nach § 2a sind die Sicherungsmaßregeln nach dem Gesetz zu ent­ scheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt, d. h. ihre An­ ordnung ist auch möglich für Taten, die vor dem 1. Jan. 1934 be­ gangen sind, aber erst später abgeurteilt werden. Die Sicherungs­ verwahrung und Entmannung können sogar auch dann noch ver-

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Maßregeln der Sicherung und Besserung.

hängt werden, und zwar in einem besonderen Nachverfahren, wenn der Täter bereits vor dem 1. Jan. 1934 abgeurteilt ist. e) Mit der Verjährung der Strafverfolgung erlischt auch die Be­ fugnis zur Anordnung von Sicherungsmaßregeln (§ 67 Abs. 5). Die Vollstreckung der Sicherungsmaßregeln verjährt in 10 bzw. 5 Jahren (§ 70 Abs. 2). Ebenso wie die Strafen werden auch die Sicherungsmaßregeln in das Strafregister eingetragen. 2. Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt (§ 42 b). Hier sind 2 Fälle zu unterscheiden, nämlich die Unterbringung eines Unzurechnungsfähigen und die Unterbringung eines vermindert Zu­ rechnungsfähigen. Die Voraussetzungen sind folgende: a) Es muß eine mit Strafe bedrohte Handlung vorliegen, b) die Tat muß im Zustande der Unzurechnungsfähigkeit, bzw. ver­ minderten Zurechnungsfähigkeit begangen sein, c) die öffentliche Sicherheit muß die Unterbringung erfordern, d. h. es muß die Wahrscheinlichkeit vovliegen, der Täter werde durch weitere Handlungen die öffentliche Sicherheit gefährden. Da bei dem Unzurechnungsfähigen ein Strafverfahren nicht eingeleitet werden kann, da eine strafbare Handlung nicht vorliegt, ist für diesen Fall ein besonderes Sicherungsverfahren vorgesehen (StPO. § 429 a), während beim vermindert Zurechnungsfähigen die Unterbringung neben die Strafe tritt. 3. Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder Entziehungsanstalt (§ 42c). Voraussetzung für die ebenfalls neben der Strafe zwingend vor­ geschriebene Anordnung der Unterbringung ist: a) daß der Täter gewohnheitsmäßig im Übermaß geistige Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich nimmt, b) daß er wegen eines Verbrechens oder Vergehens verurteilt ist, das er entweder im Rausch begangen hat, oder das mit der Gewöhnung zum übermäßigen Genuß von Rauschmitteln in ursächlichem Zu­ sammenhang steht, oder daß er wegen Bolltrunkenheit nach § 330 a zu Strafe verurteilt worden ist, c) daß seine Unterbringung erforderlich ist, um ihn an gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen. 4. Unterbringung in einem Arbeitshaus (§ 42d). a) Das bisherige Strafrecht kannte die Unterbringung in einem Ar­ beitshause bei der Zuhälterei des § 181 a Abs. 3 in Verb, mit § 362 Abs. 3, sowie bei verschiedenen Übertretungen (Landstreicherei, Bettel, Trunksucht). In allen diesen Fällen konnte aber der Richter diese Unterbringung nicht selbst anordnen, sondern konnte nur auf Über­ weisung an die Landespolizeibehörde erkennen, in deren Ermessen es dann gestellt war, die verurteilte Person in ein Arbeitshaus unterzubringen. Nach 8 42d kann nunmehr der Richter selbst die Anordnung treffen, während die Überweisung an die Landes­ polizeibehörde weggefallen ist. b) Die Unterbringung in einem Arbeitshaus, die sich ganz allgemein gegen solche Personen richtet, die zu willensschwach sind, ihren Lebensunterhalt durch geregelte Arbeit zu verdienen, muß an-

Maßregeln der Sicherung und Besserung.

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geordnet werden, wenn die im Gesetz festg-elegten Voraussetzungen gegeben sind. c) Arbeitsunfähige sind statt im Arbeitshaus in einem Asyl unterzubringen. d) Wegen der Dauer der Unterbringung vgl. § 42f Abs. 2 und wegen der Vollziehung § 42 i Abs. 1. 5. Sicherungsverwahrung (§ 42e). a) Die Sicherungsverwahrung, die neben der Strafe zu verhängen ist, und zwar nur bei Gewohnheitsverbrechern i. S. des § 20 a, be­ zweckt, den Berufsverbrecher dauernd unschädlich zu machen. b) Wegen des Begriffs „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher vgl. An­ merkung zu § 20 a. c) Die „öffentliche Sicherheit erfordert diese Maßnahme, wenn nach der Persönlichkeit des Täters die Wahrscheinlichkeit besteht, daß er nach der Entlassung aus der Strafanstalt seine Freiheit zu neuen Verbrechen benutzen werde. d) Nach allgemeinen Grundsätzen kann die Sicherungsverwahrung nur angeordnet werden, wenn die Tat nach dem 1. Jan. 1934 abge­ urteilt wird. Art. 5 Ziff. 1 des Gesetzes vom 24. Nov. 1933 bestimmt aber, daß unter bestimmten Voraussetzungen die Sicherungsver­ wahrung auch nachträglich angeordnet werden kann. 6. Gemeinsame Bestimmungen für § § 42b—42e (§ § 42 f bis 42 i). a) Die vier bisher erörterten obligatorischen Sicherungsmaßregeln haben eine Freiheitsentziehung zur Folge, die das Gesetz als „Unter­ bringung" bezeichnet. b) Nach § 42f Abs. 1 dauert die Unterbringung solange, als ihr Zweck es erfordert, also u. U. lebenslänglich, ausgenommen Abs. 2 des § 42 f. Ganz allgemein hat das Gericht jeweils vor Ablauf bestimmter Fristen zu prüfen, ob der Zweck der Unterbringung er­ reicht ist. Bejahendenfalls hat das Gericht die Entlassung des Untergebrachten anzuordnen (§ 42f Abs. 3). Das Gericht kann schließlich stets, also schon vor Ablauf bestimmter Fristen prüfen, ob der Zweck der Unterbringung erreicht ist. c) § 42 g enthält eine bedingte Verjährung des Vollzugs der Unter­ bringung. d) Nach § 42 h gilt die Entlassung des Untergebrachten vor dem Ab­ lauf der angeordneten Dauer nur als bedingte Aussetzung insofern, als sie jederzeit widerrufen werden kann. e- § 42 L regelt die Beschäftigung der Untergebrachten. f) Neben diesen Bestimmungen über Vollstreckung und Vollzug der Unterbringung gelten nach '§ 463 a StPO, die Bestimmungen über die Strafvollstreckung sinngemäß. 7. Die Entmannung (§ 42k). a) Die Entmannung (Kastration), die bei Sittlichkeitsverbrechen zur Anwendung kommt, ist zu unterscheiden von der bloßen Unfrucht­ barmachung (Sterilisation), die im Gesetz zur Verhütung erb­ kranken Nachwuchses behandelt ist. Letztere besteht lediglich in einer Unterbindung der Ausführungsgänge der Keimdrüsen und be­ seitigt hierdurch die Fortpflanzungsfähigkeit, läßt aber das Ge-

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Versuch. Vorbemerkung.

schlechtsempfinden unberührt. Dagegen besteht die Entmannung, die nur als Folge von bestimmten Straftaten angeordnet werden kann, in der gänzlichen Entfernung der Keimdrüsen, beseitigt also nicht nur die Fortpflanzungsfähigkeit, sondern tilgt auch den Ge­ schlechtstrieb. Sie ist im Gegensatz zur Sterilisation nur beim Manne möglich. b) Die Voraussetzungen sind entsprechend der Schwere des Ein­ griffs streng, und lehnen sich an die Bestimmungen über die Ge­ wohnheitsverbrecher nach 8 20 a an: Es müssen bestimmte Ver­ brechen oder Vergehen wenigstens einmal vor der neuen Straftat begangen und deshalb Verurteilungen zu Freiheitsstrafen erfolgt teilt. (Ausgeschlossen ist die Entmannung bei §§ 173, 174, 175.) Es muß ferner eine neue Straftat begangen und wegen ihrer eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten erfolgt sein, und es muß schließlich die Gesamtwürdigung der Taten ergeben, daß der Täter ein gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher ist, d. h. daß bei ihm die Gefahr besteht, er werde wegen des bei ihm bestehenden Hangs die genannten schweren Angriffe gegen die Sittlichkeit wiederholen. c) Die Anordnung der Entmannung ist fakultativ, d. h. das Gericht kann die Anordnung treffen, braucht es aber nicht; es wird z. B. von dieser Maßnahme absehen, wenn nach ärztlichem Gutachten der Erfolg der Entmannung zweifelhaft erscheint. d) Die Anordnung der Entmannung kann auch nachträglich bei solchen Verbrechern erfolgen, die bereits vor dem 1. Januar 1934 verurteilt sind und nach diesem Zeitpunkt die Strafe verbüßen. e) Nach § 456 e StPO, wird die Entmannung in einer Kranken­ anstalt von einem approbierten Arzt ausgesührt. 8. Die Untersagung der Berufsausübung (§ 421). a) Die Erfahrung lehrt, daß gewisse Berufe und Gewerbe besonders leicht Gelegenheit bieten, strafbare Handlungen zu begehen, z. B. die Betrügereien der sog. Darlehensvermittler. Nach bisherigem Recht war es nicht möglich, einem solchen Rechtsbrecher die Ausübung seines Gewerbes in Zukunft zu untersagen. Diese Lücke füllt 8 42 laus. b) Solange die Untersagung wirksam ist, darf der Verurteilte den Beruf usw. weder selbst, noch durch andere ausüben. Tut er es trotz­ dem, dann ist er nach 8 145 c strafbar. 9. Die Reichsverweisung (bisher 8 42m). Der bisherige 8 42m ist durch das Gesetz über Reichsver­ weisungen vom 23. März 1934 aufgehoben worden. (Siehe An­ merkung zu 8 361 Ziff. 2).

Zweiter Abschnitt: Versuch. Vorbemerkung: Bei strafbaren Handlungen und Unterlassungen durch die Pflicht ge­ botener Handlungen unterscheidet man: Vollendung: wenn der gesetzliche Tatbestand vollständig verwirklicht ist. Versuch: s. 88 43 bis 46.

Versuch §§ 43, 44.

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Vorbereitung: (insbesondere Herbeischaffung der Mittel und Werk­ zeuge), die in der Regel nicht strafbar ist.

§ 43. Wer den Entschluß, ein Verbrechen oder Vergehen zu verüben, durch Handlungen, welche einen Anfang der Aus­ führung dieses Verbrechens oder Vergehens enthalten, betätigt hat, ist, wenn das beabsichtigte Verbrechen oder Vergehen nicht zur Vollendung gekommen ist, wegen Versuches zu bestrafen. Der Versuch eines Vergehens wird jedoch nur in den Fällen bestraft, in welchen das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt. 1. Der Versuch ist ein Zurückbleiben des Erfolgs hinter dem Willen des Täters. Ein Anfang der Ausführung liegt dann vor, wenn eine der Handlungen begonnen ist, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören oder notwendig damit Zusammenhängen. Hat der Täter nur Vorbereitungshand­ lungen getroffen (z. B. Anschaffung von Werkzeugen zu einem Diebstahl) liegt noch kein Versuch vor. (Siehe aber §§ 151, 245 a, ferner die den Hoch- und Landesverrat betreffenden Bestimmungen der §§ 80—82, 89 bis 90, 90h, 91 b, ferner §§ 105, 159, wo schon strafbar ist „wer es unternimmt usw.".) Beim schweren Diebstahl (§ 243) gehören die Erschwerungstatsachen auch schon zum Tatbestand: Wenn der Täter beim Einschleichdiebstahl mit dem Einschleichen begonnen hatte, so liegt ein Versuch vor, sobald das Erschleichen bei Nacht erfolgte, nur eine Borbereitungshandlung in dem am Tage vor sich gehenden Einschleichen (§ 2437). Vgl. Bem. 9 zu § 243. über Versuch des einfachen nicht erschwerten Diebstahls vgl. Bem. 19 zu § 242. 2. Ein Versuch fahrlässiger strafbarer Handlungen ist nicht denkbar. 3. Ein strafbarer Versuch ist auch vorhanden, wenn der G e g en st and, gegen den sich die beabsichtigte Handlung richtet, an und für sich ungeeignet zur Begehung der strafbaren Handlung ist: also Kindsmord-versuch an einem totgeborenen Kind ist möglich, ebenso Abtreibungs­ versuch einer Person, die sich nur für schwanger hält, aber in Wirklich­ keit gar nicht schwanger ist. 4. Auch dann liegt ein strafbarer Versuch vor, wenn der Täter ein Mittel zur Herbeiführung des beabsichtigten Erfolges anwendet, welches unter allen Umständen ungeeignet ist, wenn z. B. der „Mörder" mit blind geladenem Gewehr schießt, wenn die Schwangere ihre Leibesfrucht mit einem Fußbade, mit Trinken von Rotwein, von unschädlichem Tee abzutreiben sucht.

§ 44. Das versuchte Verbrechen oder Vergehen ist milder zu bestrafen, als das vollendete. Ist das vollendete Verbrechen mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein, neben welcher auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden kann.

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Versuch § 45.

Tätige Reue § 46.

Ist das vollendete Verbrechen mit lebenslänglicher Festungs­ haft bedroht, so tritt Festungshaft nicht unter drei Jahren ein. In den übrigen Fällen kann die Strafe bis auf ein Viertel des Mindestbetrages der auf das vollendete Verbrechen oder Ver­ gehen angedrohten Freiheits- und Geldstrafe ermäßigt werden. Ist hiernach Zuchthausstrafe unter einem Jahre verwirkt, so ist dieselbe nach Maßgabe des § 21 in Gefängnis zu verwandeln. Die Strafe für den Versuch muß hiernach bei Zuchthausstrafen mindestens einen Monat, bei Gefängnisstrafen mindestens einen Tag und bei Geldstrafen mindestens drei Reichsmark unter dem für die Voll­ endung angedrohten Höch st betrag bleiben.

8 48. Wenn neben der Strafe des vollendeten Verbrechens oder Vergehens die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zulässig oder geboten ist, oder auf Zulässigkeit von Polizei-Auf­ sicht erkannt werden kann, so gilt Gleiches bei der Bersuchsstrafe.

8 46. Der Versuch als solcher bleibt straflos, wenn der Täter 1. Die Ausführung der beabsichtigten Handlung aufgegeben hat, ohne daß er an dieser Ausführung durch Umstände gehindert worden ist, welche von seinem Willen unab­ hängig waren, oder 2. zu einer Zeit, zu welcher die Handlung noch nicht ent­ deckt war, den Eintritt des zur Vollendung des Ver­ brechens oder Vergehens gehörigen Erfolges durch eigene Tätigkeit abgewendet hat. 1. Der sog. freiwillige Rücktritt (Z. 1) und die sog. tätige Reue (Z. 2) bilden einen Strafaufhebungsgrund. 2. Erfüllt die Tat außer dem Versuch einer strafbaren Handlung auch noch den Tatbestand einer anderen vollendeten Straftat, so bleibt letztere strafbar. Wurden z. B. bei einem Notzuchtsversuch unzüchtige Handlungen mit Gewalt ausgeübt (§ 176 *), so bleiben letztere strafbar, wenn auch der Täter seine Absicht, zum Beischlaf zu kommen, freiwillig aufgibt. 3. Die Ziffer 1 des Paragraphen liegt vor, wenn der Täter die zur Erfüllung des Tatbestandes des vollendeten Verbrechens oder Vergehens gehörige Tätigkeit noch nicht beendet hat, wenn er z. B. nach vollbrachtem Einsteigen die Hand noch nicht an den Gegenstand, den zu stehlen er vorhatte, gelegt hat. Der Rücktritt ist freiwillig, wenn sich der Täter sagt: „ich will nicht zum Ziele kommen, selbst wenn ich es könnte", und er ist unfreiwillig, wenn sich der Täter sagt: „ich kann nicht zum Ziele kommen, selbst wenn ich es wollte." 4. Die Ziffer 2 des Paragraphen ist gegeben, wenn die geplante strafbare Handlung ganz vollzogen, nur der Erfolg noch nicht einge­ treten ist, wenn z. B. der Brandstifter die Zündschnur, die das Haus in Brand setzen soll, schon angesteckt hat, das Haus aber noch nicht brennt.

Vorbemerkung. Teilnahme § 47.

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oder wenn der Betrüger nach erfolgter Täuschungshandlung und Jrrtumserregung den Getäuschten ausklärt, bevor eine Bermögensbeschädigung eingetreten ist. Ms eigene Tätigkeit gilt es auch, wenn der Täter eine entgegenwirkende Naturkraft (z. B. in einer Maschine, Feuerlöschapparat) in Bewegung setzt oder eine andere Person mit der abwendenden Tätig­ keit beauftragt hat. 5. Beim fehlgeschlagenen Versuch, wenn z. B. der Mörder vorbei­ geschossen hat, gibt es keine „Reue"" mehr. 6. Der Rücktritt bewirkt nur die persönliche Straflosigkeit des zurücktretenden Täters. Aus ihm folgt nichts zugunsten etwaiger Mittäter, Anstifter und Gehilfen, denn ein strafbarer Versuch ist begangen und bleibt bestehen. S. Bem. 7 zu 8 48.

Dritter Abschnitt: Teilnahme. Vorbemerkung. Der Abschnitt enthält als Formen der Teilnahme: a) die Mittäterschaft (§ 47), b) die Anstiftung (§ 48), c) die Beihilfe (§ 49), und als eine besondere mit Strafe bedrohte Art der sonst straf­ los bleibenden erfolglos gewesenen Anstiftung (s. unten Bem. 1 KU § 48), d) die Aufforderung zu einem Verbrechen (§ 49 a). Wenn Jemand durch einen Anderen, Unzurechnungsfähigen (s. bei 8 51) oder über sein Handeln im Irrtum Befindlichen (siehe 8 59), den Tatbestand erfüllen läßt, dann ist er allein verantwortlich. Er ist mittel­ barer Täter, der den Anderen als Werkzeug benutzt.

§47. Wenn mehrere eine strafbare Handlung gemein­ schaftlich ausführen, so wird jeder als Täter bestraft. 1. Mittäter ist nicht nur der, welcher eine Tatbestandshandlung selbst vornimmt, also z. B. beim Diebstahl selbst Hand anlegt an die wegzunehmende Sache, sondern auch der, welcher irgendeine der Voll­ endung der Tat vorangehende Mitwirkung ausführt, z. B. beim Dieb­ stahl Wache steht oder zur Ermutigung des Täters anwesend ist, sofern er nur in der Tat sein eigenes Werk sieht. Auch eine geistige Mitwirkung genügt, wenn sie darin besteht, daß durch sie der Wille des zur unmittelbaren Ausführung Bestimmten er­ muntert oder bestärkt wird. Bloßes Mitwissen genügt nicht. Vgl. aber 8 139. 2. Erfordert wird aber, daß die Mittäter die Tat in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken, wenn auch nur auf Grund stillschwei­ genden Einverständnisses ausführen. 3. Ein solches einverständliches Zusammenwirken ist aber nur bei vorsätzlichen, nicht bei fahrlässigen strafbaren Handlungen möglich (s. unten bei 88 163, 222, 230). 4. Bei Verschiedenheit der Stärke und Richtung des persönlichen Willens der Täter kann doch Mittäterschaft trotz Vorliegens verschiedener strafbarer Tatbestände gegeben sein, wenn z. B. zwei Personen einen Menschen vorsätzlich töten und dabei eine mit Überlegung, die andere

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Anstiftung § 48.

Beihilfe § 49.

ohne solche in Aufregung handelt, also die erstere Mord, die letztere Totschlag begeht. 5. Geht einer der Mittäter weiter als der andere wußte, so ist der letztere dafür nicht verantwortlich: Verüben z. B. zwei einen Diebstahl, wobei der erste, während der zweite Wache steht, ohne des letzteren Wissen eine Tür in einem Gebäude aufbricht, so kann der zweite nur wegen Mittäterschaft beim einfachen Diebstahl bestraft werden. 6. Haben mehrere eine Tat verabredet, einer aber tritt zurück, indem er gar keine Mitwirkung ausübt, so bleibt dieser straflos. Vgl. auch Bem. 6 zu § 46.

§ 48. Als Anstifter wird bestraft, wer einen anderen zu der von demselben begangenen strafbaren Handlung durch Ge­ schenke oder Versprechen, durch Drohung, durch Mißbrauch des Ansehens oder der Gewalt, durch absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrtums oder durch andere Mittel vor­ sätzlich bestimmt hat. Die Strafe des Anstifters ist nach demjenigen Gesetze fest­ zusetzen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich angestiftet hat. 1. Die Anstiftung ist nur strafbar, wenn die strafbare Handlung (vgl. § 1), zu der angestiftet wurde, begangen oder wenigstens versucht worden ist und wenn der Täter strafrechtlich verantwortlich ist, also bei ihm nicht die Voraussetzungen des § 51 vorliegen. Nur ausnahmsweise tritt auch bei erfolglos gebliebener Anstiftung Sttafe ein in den Fällen der §§ 49 a (s. oben Vorbemerkung beim 3. Abschnitt), 88 159, 357. 2. Mehrere Personen können zusammenwirkend eine Anstiftung begehen. Eine selbständige Anstiftung durch mehrere Personen nach­ einander ist aber nicht möglich, da ein schon zur Tat Entschlossener nicht mehr angestiftet werden kann. 3. Unter „Drohung" ist die Ankündigung der Zufügung irgend­ eines Übels zu verstehen (f. unten §§ 114, 253). 4. Unter den „anderen Mitteln" sind gemeint: Aufforderung, Auf­ munterung, überreden, Zureden, Bitten, Anleitung geben. 5. Auf den Beweggrund, den der Anstifter verfolgt, kommt nichts an. Darum ist auch der „Lockspitzel" (agent provocateur) strafbar. Wenn der Lockspitzel nur zum Versuche anstiften wollte, weil er vor hatte, einzugreifen und die Vollendung zu verhindern, oder wenn er im Auf­ trage der zuständigen Behörde handelte, wird er nicht strafbar sein. 6. Ein Nichtbeamter kann einen Beamten zu einem Amtsverbrechen anstiften, ein Nichtsoidat einen Soldaten zur Begehung eines militärischen Verbrechens. 7. Wenn der Täter vom Versuche nach § 46 zurücktritt, so bleibt der Anstifter strafbar. S. Bem. 6 zu § 46.

§ 49. Als Gehilfe wird bestraft, wer dem Täter zur Be­ gehung des Verbrechens oder Vergehens durch Rat oder Tat wissentlich Hilfe geleistet hat.

Aufforderg z. Verbrechen § 49 a.

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Die Strafe des Gehilfen ist nach demjenigen Gesetze fest­ zusetzen, welches auf die Handlung Anwendung findet, zu welcher er wissentlich Hilfe geleistet hat, jedoch nach den über die Be­ strafung des Versuches aufgestellten Grundsätzen zu ermäßigen. 1. Während der Mittäter die Tat als eigene will, gehört zur Beihilfe, daß eine fremde Tat (Verbrechen oder Vergehen, nicht aber Übertretung) unterstützt wurde. Sie ist nur strafbar, wenn die Haupttat wenigstens ver­ sucht wurde und wenn der Täter strafrechtlich verantwortlich ist, also nicht unzurechnungsfähig ist (§ 51) oder unter einem sonstigen Schuldausschlie­ ßungsgrund steht. Vgl. Bem. 6 zu 8 46. 2. Alle nach Vollendung des Verbrechens oder Vergehens geleistete Unterstützung ist nicht mehr Beihilfe sondern Begünstigung (§§ 257, 258), z. B. die Sicherung des Gestohlenen. 3. Die Hilfe kann auch schon vor der Ausführung des strafbaren Tatbestands gewährt werden, also mich bei bloßen Vorbereitungshandlangen, z. B. durch Bezeichnung der Hebamme, die die Abtreibung der Leibesfrucht vornimmt oder durch Anfertigung eines Nachschlüssels für den Dieb. 4. Durch Rat kann Hilfe geleistet werden mittels Anleitung, Be­ lehrung, aufmunternden Zuruf, Zusicherung später zu leistender Begün­ stigung (vgl. § 257 Abs. 3). 5. Beihilfe durch die Tat kann auch in der Duldung der Wegnahme von Gegenständen durch den Dieb seitens der Dienstboten, der Wächter usw. gefunden werden. 6. Beihilfe zu fahrlässigen Handlungen ist nicht möglich. 7. Da die für den Haupttäter angedrohte, und nicht die von ihm im Einzelfall verwirkte Strafe für die Festsetzung der Strafe des Gehilfen maßgebend ist, kann der Richter nach den besonderen, namentlich subjek­ tiven Momenten u. U. den Gehilfen strenger bestrafen als den Haupttäter.

§ 49 a. Wer einen anderen zur Begehung eines Ver­ brechens oder zur Teilnahme an einem Verbrechen auffordert, oder wer eine solche Aufforderung annimmt, wird, soweit nicht das Gesetz eine andere Strafe androht, wenn das Verbrechen mit dem Tode oder mit lebenslänglicher Zuchthausstrafe bedroht ist, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten, wenn das Ver­ brechen mit einer geringeren Strafe bedroht ist, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher sich zur Be­ gehung eines Verbrechens oder zur Teilnahme an einem Ver­ brechen erbietet, sowie denjenigen, welcher ein solches Erbieten annimmt. Es wird jedoch das lediglich mündlich ausgedrückte Auf­ fordern oder Erbieten, sowie die Annahme eines solchen nur dann bestraft, wenn die Aufforderung oder das Erbieten an die Gewährung von Vorteilen irgendwelcher Art geknüpft worden ist.

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Berabredg. d. Mordes §49 b. Zurechnung Pers. Eigenschaften § 50.

Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden. 1. Der Paragraph enthält eine Ausnahme von der oben (Bem. 1 zn § 48 und Vorbemerkung vor § 47) erwähnten Regel, daß die erfolglos gebliebene Anstiftung straflos ist. 2. Die Aufforderung und das Erbieten zur Begehung eines Ver­ brechens (Vergehen und Übertretungen kommen nicht in Betracht) müssen ernstlich gemeint sein.

§ 49b* Wer an einer Verbindung oder Verabredung teil­ nimmt, die Verbrechen wider das Leben bezweckt oder als Mittel für andere Zwecke in Aussicht nimmt, oder wer eine solche Verbin­ dung unterstützt, wird mit Gefängnis nicht unter 3 Monaten be­ straft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünf Jahren. Nach diesen Vorschriften wird nicht bestraft, wer der Behörde oder dem Bedrohten so rechtzeitig Nachricht gibt, daß ein in Ver­ folgung der Bestrebungen der Verbindung oder Verabredung be­ absichtigtes Verbrechen wider das Leben verhindert werden kann. Neu hinzugekommen durch die BO. vom 19. Dez. 1932.

§ 50. Wenn das Gesetz die Strafbarkeit einer Handlung nach den persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen des­ jenigen, welcher dieselbe begangen hat, erhöht oder vermindert, so sind diese besonderen Tatumstände dem Täter oder dem­ jenigen Teilnehmer (Mittäter, Anstifter, Gehilfe) zuzurechnen, bei welchem sie vorliegen. 1. Solche persönliche Eigenschaften und Verhältnisse sind u. a. a) Jugendliches Alter (zwischen 14 und 18 Jahren) eines der Teil­ nehmer, Jugendgerichtsgesetz s. bei § 56. b) Verhältnis der Mutter zum unehelichen Kind (§ 217), c) Verhältnis der Kinder zu den Eltern (§§ 215, 223 Abs. 2), d) Beamteneigenschaft (§§ 339 Abs. 3, 340-42, 347, 348, 349-51, 354, 357), e) Eigenschaft des gewerbs- und gewohnheitsmäßigen Handelns (§§ 260, 294, 302 d). f) Rückfall in §§ 244, 261, 264. 2. Es wird also derjenige, der mit einer Frauensperson zusammen deren uneheliches Mnd tötet, wegen Mordes oder Totschlags (§§ 211, 212), die Frauensperson selbst nur wegen Kindestötung (§ 217) betraft. Der fremde Anstifter oder Gehilfe zur Kindestötung ist wegen Anstiftung oder Beihilfe zum Mord oder zum Totschlag zu bestrafen. 3. Ebenso wird die Frauensperson, die einen Andern zur Tötung ihres unehelichen Kindes anstiftet, nur aus § 217, der Täter selbst auS §§ 211, 212 (Mord oder Totschlag) bestraft. 4. Anders liegt der Fall, wenn jemand mit einem Kinde unter

Unzurechnungsf., Unwiderst. Gewalt § 51.

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14 Jahren zusammen eine Tat begeht; der Erwachsene ist mittelbarer Täter s. Vorbemerkung vor § 47.

Vierter Abschnitt: Gründe, welche die Strafe ansschlietzen oder milder«. V o r b e m e r k u n g: 1. Es werden behandelt in § 51 die Unzurechnungsfähigkeit infolge Bewußtseinsstörung, Geistes­ krankheit usw., in § 52 zwei Fälle der Nötigung zur Tat, durch welche die strafrechtliche Verantwortlichkeit ausgeschlossen wird, in § 53 die Notwehr, in § 54 der Notstand, in § 55 bisher, jetzt ?,GG. die Strafmündigkeit im Alter unter 14 Jahren, in §§ 56 und 57 bisher, jetzt im Jugendgerichtsgesetz die Strafbarkeit im Alter von 14 bis 18 Jahren, in § 58 die Strafbarkeit der Taubstummen, in § 59 die Einwirkung des Tatsachenirrtums auf die Strafbarkeit, in § 60 die Anrechnung der Untersuchungshaft, in den §§ 61—65 der Strafantrag, in den §§ 66—72 die Verjährung. 2. Es gibt im Strafrecht noch andere hier nicht erwähnte Gründe, welche die Schuld oder die Strafbarkeit ausschließen: z. B. die Aus­ übung gesetzlich zustehender Befugnisse, wie die Festnahme eines auf der Tat Ertappten, die Ausübung einer Amts- oder Dienstbefugnis, eines gesetzmäßigen Befehls eines Vorgesetzten, eines Züchtigungsrechtes, ärztlicher Operationen, erlaubter Selbsthilfe nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts. 3. Als Schuldformen kennt das StGB, nur den Vorsatz und die Fahrlässigkeit. V o r s a tz ist das bewußte Wollen aller Merkmale des äußeren Tatbestandes. Vorsatz liegt auch dann vor, wenn der Täter den Erfolg nicht unmittelbar gewollt hat, ihn aber doch als möglich voraus­ gesehen und ihn als eventuellen Erfolg in seinen Willen ausgenommen hat (sog. dolus eventualis). Fahrlässig handelt der Täter, wenn er den von ihm herbeigeführten rechtswidrigen Erfolg nicht gewollt hat und auch nicht vorausgesehen hat, ihn aber bei gehöriger Sorgfalt hätte vor­ aussehen können.

§ 51. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter zur Zeit der Tat wegen Bewußtseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistes­ schwäche unfähig ist, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. War die Fähigkeit, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, zur Zeit der Tat aus einem dieser Gründe erheblich vermindert, so kann die Strafe nach den Vor­ schriften über die Bestrafung des Versuchs gemildert werden.

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Angehörige. Notwehr § 52.

1. Neu gefaßt durch Gesetz vom 24. November 1933. Das Unter­ scheidungs- und das Hemmungsvermögen sind an die Stelle der Willens­ freiheit getreten. 2. Neu ausgenommen hat das Gesetz den Begriff der Geistesschwäche und ferner den Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit, die vorliegt, wenn auf Grund des biologischen Zustandes die Fähigkeit, das Unerlaubte der Tat einzusehen usw. nicht aufgehoben, sondern nur erheblich vermindert war. Es handelt sich dabei aber nicht um einen zwingenden Strafmilde­ rungsgrund, sondern das Gesetz stellt die Milderung in das Ermessen des Gerichts. 3. Außer eigentlichen Geisteskrankheiten haben die gleiche straflos machende Wirkung: Die Zustände der Epileptiker (Fallsüchtigen), Fieber­ kranken, Vergifteten gewisser Art (mit Morphium, Opium usw.), gebärender und neuentbundener Frauen, Schlaftrunkener und Betrunkener stärksten Grades. 4. Die Folge der Unzurechnungsfähigkeit ist, daß die Schuld ausge­ schlossen wird und somit auch eine Teilnahme an der Tat des Unzurech­ nungsfähigen. Kennt der Teilnehmer die Unzurechnungsfähigkeit des T8tkls, dann liegt auf Seiten des Teilnehmers mittelbare Täterschaft vor.

§ 52. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwend­ baren Gefahr für Leib oder Leben seiner selbst oder eines An­ gehörigen verbunden war, zu der Handlung genötigt worden ist. Als Angehörige im Sinne dieses Strafgesetzes sind an­ zusehen Verwandte und Verschwägerte auf- und absteigender Linie, Adoptiv- und Pflege-Eltern und -Kinder, Ehegatten, Geschwister und deren Ehegatten und Verlobte. 1. Der Paragraph umfaßt die zwei Fälle, in denen der Täter nicht bestraft wird, weil er durch einen andern zu der Handlung genötigt wurde: a) durch „unwiderstehliche Gewalt", d. h. dadurch, daß ihn ein an­ derer mit seinen Körperkräften unter Überwindung seines körper­ lichen Widerstands zu der Handlung gezwungen hat, z. B. A. führt dem B. gewaltsam die Hand und zwingt ihn so, eine Urkunde mit fremdem Namen zu unterschreiben; B. ist in dem Falle nicht straf­ bar, da er schuldlos gehandelt hat. b) durch die Drohung mit einer für sofort in Aussicht gestellten unabwendbaren körperlichen Verletzung seiner eigenen Person oder der Person eines Angehörigen. 2. Die Bestimmung in Absatz 2, wer unter „Angehörigen" zu ver­ stehen ist, gilt auch für andere Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, in denen dieser Ausdruck vorkommt, z. B. für den Strafantrag bei Dieb­ stahl und Unterschlagung in §§ 247, 257 u. 292 Abs. 2. 3. Verwandte „auf- und absteigender Linie" sind Vater und Mutter. Großeltern, Urgroßeltern, Kind, Enkel, Urenkel ehelicher und unehelicher Geburt 4. Zu den Verschwägerten gehören die Schwiegereltern und -Kinder

Notstand §§ 53, 64.

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sowie die Stiefeltern und -Kinder. Die Schwägerschaft dauert fort, auch wenn die Ehe, durch die sie begründet wurde, durch Tod aufgelöst oder geschieden ist. 5. Adoptiv-Eltern und -Kinder sind durch die Annahme an Kindes Statt Verbundene. 6. Verlobte sind nur solche, die sich ein ernstlich gemeintes Ehe­ versprechen gegeben haben. Bloßes Liebesverhältnis ohne Verehelichungs­ absicht schafft keinen Verlobten.

§ 53* Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung durch Notwehr geboten war. Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. Die Überschreitung der Notwehr ist nicht strafbar, wenn der Täter in Bestürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der Verteidigung hinausgegangen ist. 1. In Notwehr ist auch derjenige, der sich durch die Flucht noch retten oder die Polizei noch anrufen könnte, weil hierzu niemand ver­ pflichtet ist. 2. Als Angriffe, gegen welche Notwehr erlaubt ist, kommen solche gegen den Körper, das Leben, die Ehre oder das Vermögen in Betracht, also auch gegen den Dieb gibt es Notwehr, denn der Besitzer darf die gestohlene Sache dem auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Täter mit Gewalt wieder abnehmen. § 859 Abs. 2 BGB. 3. Gegen die berechtigte Ausübung des Amts gibt es natürlich keine Notwehr (vgl. aber Bem. 10 zu Z 113). 4. Auch wenn der Täter nur sich einbildete, es stehe ihm ein An­ griff bevor, bleibt er für die zur Abwehr solcher vermeintlicher Angriffe begangenen Handlungen straflos (§ 59 Abs. 1). Nur wenn der Irrtum über das Vorhandensein der Notwehr selbstverschuldet war, kann eine fahr­ lässige Rechtsverletzung übrigbleiben (§ 59 Abs. 2), z. B. fahrlässige Körper­ verletzung. 5. Auch gegen Angriffe Geisteskranker und von Tieren auf Persou oder Vermögen darf man sich selbstverständlich straflos verteidigen.

§ 34. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung außer dem Falle der Notwehr in einem unver­ schuldeten, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Notstände zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen begangen worden ist. 1. Bei dem hier erwähnten „Notstand" liegt nicht wie bei der Not­ wehr fremdes Unrecht vor, das man zurückweisen darf, sondern eine durch Verkettung von allerlei Umständen herbeigeführte unverschuldete Gefahr, aus der man sich eben nur durch Verletzung fremden Rechts, z. B. Zerstörung fremden Eigentums, retten kann. — Der Notstand ist dir schuldbefreiender Umstand, der der Handlung des Täters die Eigenschaft dner Straftat nimmt und demgemäß auch den Teilnehmer nicht schuld*

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Jugendliche §§ 56—57.

hast handeln läßt. Schwangerschaftsunterbrechung durch Arzt im Ein­ verständnis mit der Schwangeren kann unter bestimmten Voraussetzungen nach dem vom Reichsgericht neu geschaffenen Grundsatz des sog. „über­ gesetzlichen Notstands" straflos bleiben. 2. Ein Beamter, der infolge dienstlicher Verpflichtung seinen Leib oder sein Leben einzusetzeu hat, wird sich nur unter besonderen Um­ ständen in straflos machendem Notstand befinden (z. B. der Feuerwehrmann). 3. Beispiel: Wer eine Tür einschlägt, um aus einem brennenden Haus zu entkommen, kann nicht wegen Sachbeschädigung nach § 303 bestraft werden.

8 55. «n He Stelle der 88 65, 56 und 57 sind die nachfolgenden Bestimmungen des Jngendgerichtögefehes vom 16. Februar 1923 (RGBl. I S. 135, 252) getreten: 8 1. Ein Jugendlicher im Sinne dieses Gesetzes ist, wer über vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt ist. 8 2. Wer eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, ehe er 14 Jahre alt geworden ist, ist nicht strafbar. Früher konnte schon gegen Jugendliche, die das 12. Lebensjahr voll­ endet hatten, eingeschritten werden.

8 3. Ein Jugendlicher, der eine mit lung begeht, ist nicht strafbar, wenn er seiner geistigen oder sittlichen Entwicklung gesetzliche der Tat einzusehen oder seinen gemäß zu besttmmen.

Strafe bedrohte Hand­ zur Zeit der Tat nach unfähig war, das Un­ Willen dieser Einsicht

Dadurch wird der bisherige § 56 StGB, erseht, der die Strafbarkett darauf abstellte, daß der Jugendlich« die zur Erkenntnis der Strafbarkeit seines Handelns erforderlich« Einsicht besessen habe. Die Erfordernisse für die Strafbarkeit sind also jetzt verschärft und vertieft. Zu der Ber­ standesreife muß hinzukommen die sittliche Fortbildung und die Wtllenserstarkung. Die Tatsachen, die die Beurteilung ermöglichen, sind also mit großer Sorgfalt zu sammeln und zu melden.

8 4. Die Strafbarkeit des Anstifters und Gehilfen, des Begünstigers und Hehlers wird durch die Vorschriften der §§ 2, 3 nicht berührt. 8 5. 1 Hat ein Jugendlicher eine mit Strafe bedrohte Hand­ lung begangen, so hat das Gericht zu prüfen, ob Erziehungs­ maßregeln erforderlich sind. 11 Hält das Gericht Erziehungsmaßregeln für erforderlich, so hat es entweder selbst die Erziehungsmaßregeln anzuordnen oder auszusprechen, daß Erziehungsmaßregeln erforderlich sind, ihre Aus­ wahl und Anordnung aber dem Vormundschastsgericht überlassen bleibt. Das Vormundschastsgericht muß alsdann eine Erziehungs­ maßregel anordnen. Die Fürsorgeerziehung soll das Gericht nur

Jugendliche § 57.

33

dann selbst anordnen, wenn in erster Instanz die Zuständigkeit dafür auch außerhalb des Strafverfahrens begründet ist. 111 Die vorstehenden Bestimmungen finden auch Anwendung, wenn das Gericht den Täter nach § 3 freispricht. K 6, Hält das Gericht Erziehungsmaßregeln für ausreichend, so ist von Strafe abzusehen. 8 7. 1 Als Erziehungsmaßregeln sind zulässig: 1. Verwarnung, 2. Überweisung in die Zucht der Erziehungsberechtigten oder der Schule, 3. Auferlegung besonderer Verpflichtungen, 4. Unterbringung, 5. Schutzaufsicht, 6. Fürsorgeerziehung. " Die Reichsregierung kann mit Zusfimmung des Reichsrats auch andere Erziehungsmaßrebeln für zulässig erklären. m Die Voraussetzungen, die Ausführung und Aufhebung so­ wie das Erlöschen der Schutzaufsicht und der Fürsorgeerziehung bestimmen sich nach dem Reichsgesetze für Jugendwohlfahrt. Für die anderen Erziehungsmaßregeln besfimmt das Erforderliche die Reichsregierung mit Zustimmung des Reichsrats; sie dürfen auch nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahrs bis zum Eintritt der Volljährigkeit ausgeftihrt werden. Das Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt vom 9. Juli 1922, RGBl. 1633. K 8. 1 Vor dem Urteil kann das Gericht vorläufige An­ ordnungen über die Erziehung und Unterbringung treffen. Vor der Entscheidung ist das Jugendamt zu hören. Bon der An­ hörung kann abgesehen werden, wenn sie wegen Gefahr im Ver­ zug untunlich ist; in diesem Falle ist das Jugendamt nachträg­ lich zu hören. " Im Urteil hat sich das Gericht darüber auszusprechen, ob die vorläufige Anordnung wegfallen oder bis zur endgültigen Entscheidung über die Anordnung einer Erziehungsmaßregel be­ stehen bleiben soll. § 9. 1 Hat ein Jugendlicher lung begangen, so gelten für die schriften: " Statt auf Todesstrafe oder auf Gefängnis von einem bis zu Vrosch-Petterr, Strafgesetzbuch.

eine mit Strafe bedrohte Hand­ Strafbemessung folgende Vor­

auf lebenslanges Zuchthaus ist zehn Jahren, statt auf lebens13.Slufl. 3

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Taubstumme § 68. Irrtum § 69.

lange Festungshaft ist auf Festungshaft von einem bis zu zehn Jahren zu erkennen. III Sind andere Strafen angedroht, so ist die Strafe zwischen dem gesetzlichen Mindestbetrage der anzuwendenden Strafart und der Hälfte des Höchstbetrags der angedrohten Strafe zu be­ stimmen. Ist Zuchthausstrafe angedroht, so tritt an ihre Stelle Gefängnisstrafe. IV 3ft die Tat ein Vergehen oder eine Übertretung, so kann in besonders leichten Fällen von Strafe abgesehen werden. v Auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte überhaupt oder einzelner bürgerlicher Ehrenrechte, auf Überweisung an die Landes­ polizeibehörde sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht darf nicht erkannt werden.

§ 58, Ein Taubstummer ist nicht strafbar, wenn er in der geistigen Entwicklung zurückgeblieben und deshalb unfähig ist, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. War die Fähigkeit, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, zur Zeit der Tat aus diesem Grunde erheblich vermindert, so kann die Strafe nach den Vor­ schriften über die Bestrafung des Versuchs gemildert werden. 1. Neugefaßt durch Gesetz vom 24. November 1933. 2. Ebenso wie in § 51 wird auch in dem neuen § 68 die Unzurechnungs­ fähigkeit des Taubstummen begründet nicht nur durch die mangelnde Fähig­ keit, das Unerlaubte der Tat einzusehen, sondern auch durch die mangelnde Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln. 3. Auch für den Taubstummen ist neben der Zurechnungsunfähigkeit die Zwischenstufe der verminderten Zurechnungsfähigkeit vorgesehen.

§ 59, Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Hand­ lung das Vorhandensein von Tatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Tatbestand« gehören oder die Strafbarkeit er­ höhen, so sind ihm diese Umstände nicht zuzurechnen. Bei der Bestrafung fahrlässig begangener Handlungen gilt diese Bestimmung nur insoweit, als die Unkenntnis selbst nicht durch Fahrlässigkeit verschuldet ist. 1. Der Paragraph spricht aus, daß die Unkenntnis von Tatum­ stände» der begangenen strafbaren Handmng oder der Irrtum Wer das Vorliegen solcher Tatumstände dem Täter nicht zur Schuld angerechnet werden dürfen. Der Teilnehmer (vgl. §§ 47—50) ist dann auch nicht strafbar. 2. Unkenntnis oder irrige Auslegung des Inhalts eines Strafgesetzes kommen dem Täter entschuldigend nicht zustatten. Ts gilt der Grundsatz: Unkenntnis des Strafgesetzes schützt vor Strafe nicht.

Untersuchungshaft § 60.

Strafantrag § 61.

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3. Beispiele: a) Wegnahme einer fremden Sache ist kein Diebstahl, wenn der Wegnehmende irrtümlicherweise annimmt, die Sache gehöre ihm; da­ gegen ist er nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts wegen versuchten Diebstahls zu bestrafen, wenn er seine eigene Sache wegnimmt in der Mei­ nung, es sei eine fremde, b) A. begeht unzüchtige Handlungen mit einem Kinde unter 14 Jahren; zu seiner Entlastung führt er an, er habe geglaubt, das sehr entwickelte Kind sei schon 15 Jahre alt. Er kann, wenn seine An­ gaben glaubhaft sind, nicht wegen Verbrechens nach § 176 Z. 3 StGB, be­ straft werden, c) Wenn der Täter einer Körperverletzung deut Bauern Kunz auflauert, dann aber beim Herannahen des Bauern Benz der irrtüm­ lichen Ansicht ist, er stehe dem Kunz gegenüber und zuschlägt, so ist die Ver­ wechslung für das Borliegen des Tatbestands der Körperverletzung ohne Bedeutung, d) Wenn aber der Täter mit dem Bierglase nach Kunz wirft, ihn verfehlt und statt dessen den Benz trifft, so liegt nur ein strafloser Ver­ such der Körperverletzung des Kunz (bzw. die Übertretung des § 367 Z. 8) und daneben vielleicht die fahrlässige Körperverletzung des Benz vor. e) Wenn ein Schuldner irrtümlicherweise annimmt, durch Zahlung der Schuld werde die Pfändung aufgehoben, so kann er nicht wegen Berstrickungsbruchs nach § 137 bestraft werden, da er sich in einem außerstraf­ rechtlichen Irrtum, nämlich in einem zivilrechtlichen befunden hat. Dagegen macht sich der Vater der schweren Kuppelei nach § 181 Z. 2 schuldig, wenn er den Geschlechtsverkehr seiner Tochter mit dem Bräutigam duldet; sein Einwand, er habe nicht gewußt, daß ein solcher Geschlechtsverkehr „Unzucht" sei, ist bedeutungslos, da er auf einer irrigen Auslegung des Strafgesetzes beruht.

§ 60. Eine erlittene Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung kann bei Fällung des Urteils auf die erkannte Strafe ganz oder teilweise angerechnet werden.

§ 61. Eine Handlung, deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, ist nicht zu verfolgen, wenn der zum Anträge Berech­ tigte es unterläßt, den Antrag binnen drei Monaten zu stellen. Diese Frist beginnt mit dem Tage, seit welchem der zum An­ träge Berechtigte von der Handlung und von der Person des Täters Kenntnis gehabt hat. 1. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein: bei den Verbrechen gegen §§ 102, 179, 236, 243 und 244 in Verbindung mit 247, bei den Vergehen gegen §§ 102 letzter Fall, 103, 104, 123, 170, 172, 182, 185 bis 187, 189, 194 bis 196, 223, 230 Abs. 1, 232, 236, 237, 242, 246 in Verbindung mit §§ 247, 248 a, 263, 264 a, 288, 289, 292 Abs. 2, 299, 300, 301, 302, 303, bei den Übertretungen gegen § 370 Ziffer 5 und 6. 2. Der Strafantrag, der nach den §§ 247, 263 Abs. 4, 292 Abs. 2 erforderlich ist, beruht auf bestimmten persönlichen Beziehungen zwischen Täter und Verletztem. 3. Ter Strafantrag kann auch von einem Stellvertreter des Be­ rechtigten gestellt werden. Es genügt, wenn er mündlichen Auftrag dazu nachweist.

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Strafantrag §§ 62—64.

4. Stirbt der Antragsberechtigte vor Stellung des Antrags, so erlischt das Antragsrecht. 5. Der Antrag muß innerhalb der dafür bestimmten Frist bei der Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder bei einer Behörde des Polizei­ oder Sicherheitsdienstes eingegangen sein. Daß die Staatsanwaltschaft, das Gericht oder die Behörde gerade zuständig zur weiteren Behandlung seien, ist nicht erforderlich. 6. In dem Antrag muß zum Ausdruck gebracht sein, daß der Antragsberechtigte verlangt, die näher zu bezeichnende Handlung solle strafrechtlich verfolgt werden. Ter Benennung des zu Verfolgenden be­ darf es nur bei den Anträgen nach §§ 247, 263 Abs. 4 und 292 Abs. 2 (f. oben Anm. 2). Ter Antrag muß regelmäßig „schriftlich" gestellt werden, d. h. in einer geschriebenen Erklärung bestehen, die vom Berechtigten mit seiner Unterschrift (wenn er nicht schreiben kann mit Kreuzen) zu versehen ist. Auch mittels Telegramms kann der Antrag gestellt werden. 7. Ein vorher erklärter Verzicht auf Stellung des Antrags ist rechtlich bedeutungslos. Anders ist es mit der Zurücknahme; vgl. § 64. 8. Von dem Straf an trag ist zu unterscheide!: die Strafanzeige, die wegen jeder strafbaren Handlung bei der Staatsanwaltschaft, der Polizei oder beim Amtsgericht mündlich oder schriftlich angebracht werden kann. (§ 158 Abs. 1 StPO.) Im übrigen sei bemerkt, daß alle strafbaren Hand­ lungen, für die ein Strafantrag nicht erforderlich ist, von den zuständigen Stellen (vor allem der Staatsanwaltschaft) von Amts wegen verfolgt werden, ohne Rücksicht darauf, ob eine Strafanzeige erfolgt ist oder nicht.

§ 62. Wenn von mehreren zum Anträge Berechtigten einer die dreimonatliche Frist versäumt, so wird hierdurch das Recht der übrigen nicht ausgeschlossen. § 63. Der Antrag kann nicht geteilt werden. Das ge­ richtliche Verfahren findet gegen sämtliche an der Handlung Beteiligte (Täter und Teilnehmer), sowie gegen den Begünstiger statt, auch wenn nur gegen eine dieser Personen auf Bestrafung angetragen worden ist. 1. Unter Teilnehmer sind Mittäter, Anstifter und Gehilfen zu verstehen. 2. Wegen des Begünstigers vgl. § 257. 3. Tie Antragsfrist beginnt bezüglich aller Beteiligten zu laufen, wenn der Berechtigte auch nur von der Person eines derselben Kennt­ nis hat.

§ 64. Die Zurücknahme des Antrages ist nur in den gesetzlich besonders vorgesehenen Fällen und nur bis zur Ver­ kündung eines auf Strafe lautenden Urteils zulässig. Die rechtzeitige Zurücknahme des Antrages gegen eine der vorbezeichneten Personen hat die Einstellung des Verfahrens auch gegen die anderen zur Folge. 1. Die Zurücknahme ist zulässig in den Fällen der §§ 102, 103,

Strafantrag

§ 65.

Verjährung § 66.

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104, 194, 247, 248 a, 263, 264 a, 292 und 3705 und 6, wenn das Vergehen gegen einen Angehörigen (§ 52 Abs. 2) verübt ist, auch der §§ 232 und 303. 2. Zur Zurücknahme genügt jede Form, aus der zu ersehen ist, daß der Antragsteller bei der Behörde, an welche der Antrag gelangt ist, denselben wieder zurücknehmen will.

§ 68. Der Verletzte, welcher das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, ist selbständig zn dem Anträge auf Bestrafung berechtigt. So lange er minderjährig ist, hat unabhängig von seiner eigenen Befugnis auch sein gesetzlicher Vertreter das Recht, den Antrag zu stellen. Ist der Verletzte geschäftsunfähig oder hat er das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, so ist sein gesetzlicher Vertreter der zur Stellung des Antrages Berechtigte. 1. Minderjährig ist der Verletzte bis zur Vollendung des 21. Lebens­ jahres. 2. Ter „gesetzliche Vertreter" ist nach den Bestimmungen des BGB. der Vater als Inhaber der elterlichen Gewalt. Ist er tatsäck)lich verhindert die elterliche Gewalt auszuüben oder ruht seine elterliche Gewalt (wenn er geschäftsunfähig oder auf längere Zeit verhindert ist), so tritt die Mutter an seine Stelle. Steht der Minder­ jährige nicht unter elterlicher Gewalt, so ist der Vormund der gesetz­ liche Vertreter. Für Fälle der Verhinderung der genannten Personen hat ein von dem Vormundschaftsgericht zu bestellender Pfleger einzutreten. 3. Geschäftsunfähig ist der Verletzte, wenn er sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist, ferner wenn er wegen Geisteskrankheit, nicht etwa bloß wegen Geistesschwäche, entmündigt ist. 4. Ein Taubstummer kann den Antrag selbst stellen. Kann er sich nicht verständigen, so muß ihm zur Stellung des Antrags ein Pfleger gestellt werden.

§ 66. Durch Verjährung wird die Strafverfolgung und die Strafvollstreckung ausgeschlossen. 1. Verjährung der Strafverfolgung, die mit Rechtskraft des Urteils ihr Ende findet, § 67, ab gestuft nach der Schwere der strafbaren Handlung von 20 Jahren bis zu drei Monaten (dazu auch die Straf­ antragsverjährung § 61), der S t r a f v o l l st r e ck u n g, die ein rechtskräftiges Urteil zur Grundlage haben muß, abgestuft nach der Höhe der erkannten Strafe von 30 bis zu 2 Jahren. § 70. 2. Dü Strafverfolgungsverjährung beginnt mit dem Tage, an dem die Handlung begangen ist, der Tag der Tat ist mit einzurechnen. 3. Gewisse Vergehen der Gewerbeordnung verjähren schon in drei Monaten.

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Verjährung §§ 67—69.

§ 67. Die Strafverfolgung von Verbrechen verjährt, wenn sie mit dem Tode oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht sind, in zwanzig Jahren; wenn sie im Höchstbetrage mit einer Freiheitsstrafe von einer längeren als zehnjährigen Dauer bedroht sind, in fünf­ zehn Jahren; wenn sie mit einer geringeren Freiheitsstrafe bedroht sind, in zehn Jahren. Die Strafverfolgung von Vergehen, die im Höchstbetrage mit einer längeren als dreimonatlichen Gefängnisstrafe bedroht sind, verjährt in fünf Jahren, von anderen Vergehen in drei Jahren. Die Strafverfolgung von Übertretungen verjährt in drei Monaten. Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem die Handlung begangen ist, ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des eingetretenen Erfolges. Mit der Verjährung der Strafverfolgung erlischt auch die Befugnis, auf Grund der Tat Maßregeln der Sicherung und Besserung anzuordnen. § 68. Jede Handlung des Richters, welche wegen der begangenen Tat gegen den Täter gerichtet ist, unterbricht die Verjährung. Die Unterbrechung findet nur rücksichtlich desjenigen statt, auf welchen die Handlung sich bezicht. Nach der Unterbrechung beginnt eine neue Verjährung. 1. Eine solche Unterbrechung liegt z. B. in dem Einstellungsbeschluß des Gerichts wegen Abwesenheit des Angeklagten. 2. Zu Abs. 1 vgl. auch §§ 413 Abs. 4, 419 Abs. 3 StPO.

8 69. Die Verjährung ruht während der Zeit, in welcher auf Grund gesetzlicher Vorschrift die Strafverfolgung nicht be­ gonnen oder nicht fortgesetzt werden kann. Ist der Beginn oder die Fortsetzung eines Strafverfahrens von einer Vorfrage ab­ hängig, deren Entscheidung in einem anderen Verfahren er­ folgen muß, so ruht die Verjährung bis zu dessen Beendigung. Ist zur Strafverfolgung ein Antrag oder eine Ermächtigung nach dem Strafgesetz erforderlich, so wird der Lauf der Ver­ jährung durch den Mangel des Antrags oder der Ermächtigung nicht gehindert.

Berjiihrung 88 70-72.

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8 70. Die Vollstreckung rechtskräftig erkannter Strafen verjährt, wenn 1. auf Tod oder auf lebenslängliches Zuchthaus oder auf lebens­ längliche Festungshaft erkannt ist, in dreißig Jahren; 2. auf Zuchthaus oder Festungshaft von mehr als zehn Jahren erkannt ist, in zwanzig Jahren; 3. auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder auf Festungshaft von fünf bis zu zehn Jahren oder Gefängnis von mehr als fünf Jahren erkannt ist, in fünfzehn Jahren; 4. auf Festungshaft oder Gefängnis von zwei bis fünf Jahren erkannt ist, in zehn Jahren; 5. auf Festungshaft oder Gefängnis bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe von mehr als 150 Reichsmark erkannt ist, in fünf Jahren; 6. auf Haft oder auf Geldstrafe bis zu 150 Reichsmark erkannt ist, in zwei Jahren. Die Vollstreckung einer rechtskräftig angeordneten Maßregel der Sicherung und Besserung verjährt in 10 Jahren. Ist die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungs­ anstalt oder erstmalig die Unterbringung in einem Arbeitshaus oder die Entmannung angeordnet, so beträgt die Frist fünf Jahre. Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem das Urteil rechtskräftig geworden ist. 8 71. Ist auf Freiheitsstrafe und Geldstrafe zugleich oder neben einer Strafe auf eine mit Freiheitsentziehung verbundene Maßregel der Sicherung und Besserung erkannt, so verjährt die Vollstreckung der einen Strafe oder Maßregel nicht ftüher als die der anderen.

8 72. Jede auf Vollstreckung der Strafe oder Maßregel ge­ richtete Handlung derjenigen Behörde, welcher die Vollstreckung obliegt, sowie die zum Zwecke der Vollstreckung erfolgende Fest­ nahme des Verurteilten unterbricht die Verjährung. Nach der Unterbrechung der Vollstreckung der Strafe oder Maßregel beginnt eine neue Verjährung. 1. Eine solche Unterbrechung liegt z. B. in dem Erlaß eines Steckbriefs, oder in der Ladung zum Strafantritt. 2. Zu Mbs. 1 vgl. auch § 541 StPO.

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Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen §§ 73, 74.

Fünfter Abschnitt: Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen. Vorbemerkung:

1. Der Abschnitt gibt nur Besonderheiten für die Verhängung und Bemessung der Strafen. Der Tatbestand muß in jedem einzelnen Falle ebenso genau festgestellt werden, wie wenn nur ein Fall vorliegt. 2. Tie Fälle des § 73 werden in der Rechtssprache die des rechte lichen Zusammentreffens oder der ideellen Konkurrenz (Tateinheit) ge­ nannt. In den §§ 74 ff. ist das sogenannte sachliche Zusammentreffen oder die Realkonürrrenz behandelt. 3. Ein im Gesetze nicht ausdrücklich behandelter aber allgemein an­ genommener Fall des Zusammentreffens ist die fortgesetzte Begehung, wenn der Täter mit einheitlichem Vorsatz unter Anwendung gleich­ artiger Mittel dasselbe Rechtsgut mehrfach stoßweise verletzt. Als Beispiel ist anzuführen, der Diener, der seinen Herrn ständig um Zigarren bestiehlt.

§ 73. Wenn eine und dieselbe Handlung mehrere Straf­ gesetze verletzt, so kommt nur dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafe, und bei ungleichen Strafarten dasjenige Gesetz, welches die schwerste Strafart androht, zur Anwendung. 1. Als Beispiele sind zu nennen: Mord und Raub, wobei zum Zweck des Raubens ein Mensch vorsätzlich und mit Überlegung getötet wird. — Körperverletzung unter gleichzeitiger Bedrohung mit einem Ver­ brechen (§ 223 und § 241 StGB.). — Wegnahme der eigenen Sache nach § 289 StGB, unter Mißhandlung des Pfandgläubigers, um diesem die Sache wegnehmen zu können. — Hingabe eines gefälschten Wechsels gegen Empfangnahme der Wechselsumme (Urkundenfälschung aus Gewinnsucht und Betrug). — Angriff auf eine Menschenmenge durch Umsichhauen auf die Versammelten.

8 74. Gegen denjenigen, welcher durch mehrere selb­ ständige Handlungen mehrere Verbrechen oder Vergehen, oder dasselbe Verbrechen oder Vergehen mehrmals begangen und dadurch mehrere zeitige Freiheitsstrafen verwirkt hat, ist auf eine Gesamtstrafe zu erkennen, welche in einer Erhöhung der verwirkten schwersten Strafe besteht. Bei dem Zusammentreffen ungleichartiger Freiheitsstrafen tritt diese Erhöhung bei der ihrer Art nach schwersten Strafe ein. Das Maß der Gesamtstrafe darf den Betrag der verwirkten Einzelstrafen nicht erreichen und fünfzehnjähriges Zuchthaus, zehnjähriges Gefängnis oder fünfzehnjährige Festungshaft nicht übersteigen. Beispiel: A. hat am 1. August einen Betrug, am 20. August einen Dieb­ stahl und am 22. August abermals einen Betrug begangen. Das Amts­ gericht, das am 20. September gegen A. verhandelt, erkennt wegen des

Zusammentreffen mehrerer strafb. Handlgen. §§ 76 —79.

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ersten Betrugs auf 6 Monate, wegen des Diebstahls auf 4 Monate und wegen des zweiten Betrugs auf 1 Woche Gefängnis. Die Gesamtstrafe muß mindestens 6 Monate und 1 Tag und darf höchstens 10 Monate und 6 Tage Gefängnis betragen.

§ 78. Trifft Festungshaft nur mit Gefängnis zusammen, so ist auf jede dieser Strafarten gesondert zu erkennen. Ist Festungshaft oder Gefängnis mehrfach verwirkt, so ist hinsichtlich der mehreren Strafen gleicher Art so zu verfahren, als wenn dieselben allein verwirkt wären. Die Gesamtdauer der Strafen darf in diesen Fällen fünfzehn Jahre nicht übersteigen.

§ 76. Neben der Gesamtstrafe müssen oder können Neben­ strafen und Nebenfolgen verhängt und Maßregeln der Sicherung und Besserung angeordnet werden, wenn das auch nur wegen einer der Gesetzesverletzungen vorgeschrieben oder zugelassen ist. § 77. Trifft Haft mit einer anderen Freiheitsstrafe zu­ sammen, so ist auf die erstere gesondert zu erkennen. Auf eine mehrfach verwirkte Haft ist ihrem Gesamtbeträge nach, jedoch nicht über die Dauer von drei Monaten zu erkennen.

§ 78. Sind mehrere Geldstrafen verwirkt, so ist auf jede gesondert zu erkennen. Das gleiche gilt von den Freiheitsstrafen, die an die Stelle uneinbringlicher Geldstrafen treten. Ihre Gesamtdauer darf zwei Jahre nicht übersteigen; die Gesamtdauer mehrerer zusammen­ treffender Haststrafen darf drei Monate nicht übersteigen.

§ 79. Die Vorschriften der §§ 74 bis 78 finden auch An­ wendung, wenn, bevor eine erkannte Strafe verbüßt, verjährt oder erlassen ist, die Verurteilung wegen einer strafbaren Hand­ lung erfolgt, welche vor der früheren Verurteilung begangen war. Vgl. §§ 460, 462 Abs. 3 StPO.

Zweiter Teil.

Bon den einzelnen Berbrechen, Vergehen und Übertretungen und deren Bestrafung. Erster Abschnitte Hochverrat. Vorbemerkung: 1. Bis zur nationalen Erhebung waren die Vorschriften gegen Hochund Landesverrat teils im Strafgesetzbuch (§§ 80—93 a. F.), teils int Gesetz gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juni 1914 (sog. Spionagegesetz) enthalten. Diese zu einer wirksamen Bekämpfung hoch- und landesverräterischer Umtriebe unzulänglichen Gesetze wurden dann ergänzt durch die beiden NotBO. vom 28. Februar 1933 (zum Schutze von Volk und Staat, sowie gegen Verrat ant deutschen Volke und hochverräterische Umtriebe), die Strafrechtsnovelle vom 26. Mai 1933 und das Gesetz zur Gewährleistung des Rechtsfriedens vom 13. Oktober 1933. 2. Die Novelle vom 24. April 1934, das sog. Hoch- und Landes­ verratsgesetz hat eine umfassende Neuregelung gebracht und zwar durch Einarbeitung des gesamten Stoffes in bas StGB, in Form der neuen Bestimmungen der §§ 80—93 a. 3. Die wichtig st enNeuerungen sind folgende: Versuch und Voll­ endung sind nicht nur, wie bisher, beim Hochverrat, sondern auch beim Landesverrat einander gleichgestellt, ferner sind einige ganz neue Tat­ bestände geschaffen worden (vor allem der hochverräterische Zwang des § 81), ferner sind die Strafdrohungen verschärft worden und als neue Strafe die Vermögenseinziehung vorgesehen, während die Festungshaft in Weg­ fall gekommen ist. 4. Unter Hochverrat versteht man einen Angriff gegen den Staat als Einzelwesen — ohne Beiziehung anderer Staaten — und zwar einen Angriff gegen das Staatsgebiet, gegen die Staatsverfassung, oder gegen die Staatsführung (§§ 80—86 a). Dagegen verübt Landesverrat, wer die Machtstellung des Staates im Verhältnis zu anderen Staaten angreift. 5. Als Sondergericht zur Aburteilung von Hoch- und Landesverrats­ sachen wurde ein Volksgerichtshof geschaffen, der als erste und letzte Instanz zuständig ist zur Aburteilung der Fälle §§ 80—84, 89—92 und 95 I StGB., sowie der Verbrechen nach § 5 II Nr. 1 der NotBO. vom 28. Februar 1933 (zum Schutz von Volk und Staat), während nach wie vor die ordentlichen Gerichte zuständig sind für die Fälle der §§ 85, 92 a—92f.

§ 80. Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt das Reichsgebiet ganz oder teilweise einem fremden Staat einzuverleiben oder ein zum Reiche gehöriges Gebiet vom Reiche loszureißen, wird mit dem Tode bestraft. Ebenso wird bestraft, wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung des Reichs zu ändern.

Hochverrat §§ 81—83.

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1. Abs. 1 enthält den Hochverrat gegen baS Reichsgebiet. Das Losreißen zielt im Gegensatz zum Einverleiben auf Schaffung eines neuen Staates. 2. Abs.2 enthält den Hochverrat gegen die Reichsverfassung. Unter Verfassung im nationalsozialistischen Staat ist die Grundordnung des politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens zu verstehen, auch wenn sie im einzelnen nicht in der Berfassungsurkunde enthalten ist. 3. Wegen des Begriffs „Unternehmen" vgl. Anm. zu § 87.

§ 81. Wer es unternimmt, den Reichspräsidenten oder den Reichskanzler oder ein anderes Mitglied der Reichsregierung seiner verfassungsmäßigen Gewalt zu berauben oder mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt oder mit einem Verbrechen oder Ver­ gehen zu nötigen oder zu hindern, seine verfassungsmäßigen Be­ fugnisse überhaupt oder in einem bestimmten Sinne auszuüben, wird mit dem Tode oder mit lebenslangem Zuchthaus oder mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft. 1. Diese Gesetzesstelle enthält den hochverräterischen Zwang gegenüber den Reichsführern, nämlich Reichspräsident, Reichskanzler, Reichsminister. 2. In der Beraubung der verfassungsmäßigen Gewalt wird vielfach schon ein Hochverrat i. S. des § 80 II liegen.

§ 82. Wer ein hochverräterisches Unternehmen (§§ 80, 81) mit einem anderen verabredet, wird mit dem Tode oder mit lebens­ langem Zuchthaus oder mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer zur Vorbereitung eines hochver­ räterischen Unternehmens zu einer ausländischen Regierung in Beziehungen tritt oder die ihm anvertraute öffentliche Macht miß­ braucht oder Mannschaften anwirbt oder in den Waffen einübt. Tritt der Täter durch eine schriftliche Erklärung zu einer aus­ ländischen Regierung in Beziehungen, so ist die Tat vollendet, wenn er die Erklärung abgesandt hat. Nach der Vorschrift des Abs. 1 wird nicht Bestraft, wer frei­ willig seine Tätigkeit aufgibt und das hochverräterische Unter­ nehmen verhindert; auch eine Bestrafung nach § 83 tritt nicht ein. 1. Abs. 1 enthält das hochverräterische Komplott, das in der bloßen Verabredung eines Hochverrats mit einem anderen besteht. Kommt es zur Ausführung des Komplotts, so ist der Ausführende nach § 80 oder § 81 strafbar. Bei tätiger Reue entfällt die Strafbarkeit. 2. Abs.2 enthält die hochverräterische Konspiration, d. h. die Ausnahme von Beziehungen zu einer ausländischen Regierung.

§ 83. Wer öffentlich zu einem hochverräterischen Unternehmen auffordert oder anreizt, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.

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Hochverrat §§ 84, 86.

Ebenso wird bestraft, wer ein hochverräterisches Unternehmen in anderer Weise vorbereitet. Auf Todesstrafe oder auf lebenslanges Zuchthaus oder auf Zuchthaus nicht unter zwei Jahren ist zu erkennen, wenn die Tat 1. darauf gerichtet war, zur Vorbereitung des Hochverrats einen organisatorischen Zusammenhalt herzustellen oder aufrecht­ zuerhalten, oder 2. darauf gerichtet war, die Reichswehr oder die Polizei zur Er­ füllung ihrer Pflicht untauglich zu machen, das Deutsche Reich gegen Angriffe auf seinen äußeren oder inneren Bestand zu schützen, oder 3. auf Beeinflussung der Massen durch Herstellung oder Ver­ breitung von Schriften, Schallplatten oder bildlichen Dar­ stellungen oder durch Verwendung von Einrichtungen der Funkentelegraphie oder Funkentelephonie gerichtet war oder 4. im Auslande oder dadurch begangen worden ist, daß der Täter es unternommen hat, Schriften, Schallplatten oder bildliche Darstellungen zum Zwecke der Verbreitung im Inland aus dem Ausland einzuführen. 1. Diese Gesetzesstelle enthält sonstige Hochverratsvorbe­ reitungen. 2. Abs. 1 enthält die öffentliche Aufforderung zum Hochverrat. Es ist ein Sondersall des § 111. 3. Abs. 2 enthält sonstige Borbereitungshandlungen. 4. Abs. 3 bringt besonders gefährliche Formen derUmsturzvorbereitnng, nämlich die Errichtung von Organisationen (Z. 1), den Zersetzungshoch­ verrat (Z. 2), die Massenpropaganda (Z. 3) und die Begehung im Aus­ land (3.4).

§ 84. In minder schweren Fällen kann im Falle des § 80 auf lebenslanges Zuchthaus oder auf Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der §§ 81 und 82 auf Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, im Falle des § 83 auf Gefängnis nicht unter einem Jahre erkannt werden.

8 83. Wer eine Druckschrift, deren Inhalt den äußeren Tat­ bestand des Hochverrats (§§ 80 bis 83) begründet, herstellt, ver­ breitet oder zum Zwecke der Verbreitung vorrätig hält, obwohl er bei sorgfältiger Prüfung der Schrift den hochverräterischen In­ halt hätte erkennen können, wird, soweit nicht in anderen Vor­ schriften eine schwerere Strafe angedroht ist, mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft. 1. Diese Gesetzesstelle enthält die hochverräterischer Schriften.

fahrlässig«

Verbreitung

Hochverrat §§ 86—87.

45

2. Während nach bisherigem Recht der Hersteller und Verbreiter hoch­ verräterischer Druckschriften nur dann und zwar wegen Hochverrats oder Beihilfe dazu bestraft werden konnte, wenn er den Inhalt kannte, kann er jetzt auch dann straffällig werden, wenn man ihm zwar die Kenntnis vom Inhalt nicht nachweisen kann, er aber den Inhalt der Schrift nicht sorg­ fältig geprüft hat.

§ 86. Wegen der in diesem Abschnitt mit Strafe bedrohten Handlungen kann erkannt werden neben den Strafen aus §§ 80 bis 84 auf Geldstrafe von unbegrenzter Höhe, gegenüber den Urhebern und Rädelsführern des Unternehmens auch auf Einziehung des Vermögens; neben der Strafe aus § 85 auf Geldstrafe; neben der Gefängnisstrafe auf die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren und auf den Verlust der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte; neben jeder Freiheitsstrafe auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht. 8 86 a. Gegenstände, die zur Begehung einer in diesem Ab­ schnitt mit Strafe bedrohten Handlung gebraucht oder bestimmt sind, können eingezogen oder unbrauchbar gemacht werden, auch wenn sie weder dem Täter noch einem Teilnehmer gehören. Kann keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, so kann auf die Einziehung oder Unbrauchbarmachung selbständig erkannt werden. 8 87. Unternehmen im Sinne des Strafgesetzbuchs ist die Vollendung und der Versuch. 1. Der Strafrahmen ist für Vollendung und Versuchs der gleiche. Da­ gegen wird bei der Strafzumessung der Versuch im allgemeinen milder bestraft werden, als die vollendete Tat. 2. Ein Rücktritt vom Versuch ist ausgeschlossen, da schon der Versuch ein vollendetes Delikt ist. 3. Diese Vorschrift gilt also nur für das Strafgesetzbuch, und zwar nicht nur für die Abschnitte über Hoch- und Landesverrat, sondern auch für die übrigen Fälle, wo ein „Unternehmen" bestraft wird, also z. B. §§ 105, 114, 159 usw.; nicht dagegen gilt diese Vorschrift für die Neben­ gesetze.

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Landesverrat §§ 88—90 a.

la Abschnitt: Landesverrat. § 88. Staatsgeheimnisse im Sinne der Vorschriften dieses Ab­ schnitts sind Schriften, Zeichnungen, andere Gegenstände, Tat­ sachen oder Nachrichten darüber, deren Geheimhaltung vor einer ausländischen Regierung für das Wohl des Reichs, insbesondere im Interesse der Landesverteidigung, erforderlich ist. Verrat im Sinne der Vorschriften dieses Abschnitts begeht, wer mit dem Vorsatz, das Wohl des Reichs zu gefährden, das Staatsgeheimnis an einen anderen gelangen läßt, insbesondere an eine ausländische Regierung oder an jemand, der für eine ausländische Regierung tätig ist, oder öffentlich mitteilt. 1. Da die meisten Fälle von Landesverrat in dem „Verrat von Staats­ geheimnissen" bestehen, erläutert § 88 diese beiden Begriffe. 2. Ob Tatsachen geheim sind, ist Tatsrage, ebenso die Frage, ob die Nichtgeheimhaltung das Wohl des Reiches beinträchtigt. 3. Es genügt, wenn der Täter mit der Möglichkeit der Gefährdung gerechnet, und diese Möglichkeit mit in Kauf genommen hat.

§ 89. Wer es unternimmt, ein Staatsgeheimnis zu verraten, wird mit dem Tode bestraft. Ist der Täter ein Ausländer, so kann auf lebenslanges Zucht­ haus erkannt werden. Konnte die Tat keine Gefahr für das Wohl des Reiches herbei­ führen, so kann auf lebenslanges Zuchthaus oder auf Zuchthaus nicht unter fünf Jahren erkannt werden. 1. Diese Gesetzesstelle enthält den eigentlichen VerratvonStaatsgeheimnissen. 2. War die Gefährdung des Reichswohles durch die Tat nicht möglich, z. B. infolge Versuchs am untauglichen Objekt, so kann die Strafe nach Abs. III gemildert werden.

§ 90. Wer es unternimmt, sich ein Staatsgeheimnis zu ver­ schaffen, um es zu verraten, wird mit dem Tode oder mit lebens­ langem Zuchthaus bestraft. Auf zeitige Zuchthausstrafe kann erkannt lverden, wenn die Tat keine Gefahr für das Wohl des Reichs herbeiführen konnte. Hier wird die Ausspähung von Staatsgeheimnissen mit Strafe bedroht.

§ 90 a. Wer durch Fälschung oder Verfälschung Schriften, Zeichnungen oder andere Gegenstände, die im Falle der Echtheit Staatsgeheimnisse wären, herstellt, um sie zu verraten, wird mit Zuchthaus bestraft. Ebenso wird bestraft, wer Gegenstände, Tatsachen oder Nach­ richten darüber, von denen er weiß, daß sie falsch, verfälscht oder

Landesverrat § 90 b.

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unwahr sind und die im Falle der Echtheit oder Wahrheit Staats­ geheimnisse wären, verrät, ohne sie als falsch zu bezeichnen. Mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer Gegen­ stände, von denen er weiß, daß sie falsch oder verfälscht sind und die im Falle ihrer Echtheit Staatsgeheimnisse wären, sich ver­ schafft, um sie zu verraten, ohne sie als falsch zu bezeichnen. Falschen, verfälschten oder unwahren Gegenständen, Tatsachen oder Nachrichten (Abs. 2, 3) stehen Staatsgeheimnisse gleich, die der Täter irrtümlich für falsch, verfälscht oder unwahr hält. In besonders schweren Fällen ist die Strafe in den Fällen der Abs. 1 und 2 lebenslanges Zuchthaus oder Zuchthaus nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Abs. 3 Zuchthaus nicht unter fünf Jahren. 1. Hier wird die landesverräterische Fälschung behandelt. 2. Nach bisherigem Recht konnte derjenige nicht bestraft werden, der mit salschen Urkunden und salschen Nachrichten arbeitete. Diese Lücke füllt § 90 a aus. 3. Der Versuch am untauglichen Objekt (der Täter hält das Material irrtümlich sür unecht), wird nach Abs. IV wie die vollendete Tat bestraft. Hält dagegen der Täter umgekehrt eine Fälschung für ein echtes Staats­ geheimnis, so hat er den Verrat eines echten Staatsgeheimnisses verursacht und ist daher nach § 89 zu bestrafen, und zwar wegen vollendeten Ver­ brechens, da ja der Versuch der Vollendung gleichgestellt ist. (Siehe Anm. zu § 87.)

§ 90 b. Wer frühere Staatsgeheimnisse, die den ausländischen Regierungen, vor denen sie geheimzuhalten waren, bereits bekannt geworden oder bereits öffentlich mitgeteilt worden sind, öffentlich mitteilt oder erörtert und dadurch das Wohl des Reiches gefährdet, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Dasselbe gilt für Gegenstände, Tatsachen oder Nachrichten der im § 90a Abs. 2, 4 bezeichneten Art, die bereits den ausländischen Regierungen bekannt geworden oder öffentlich mitgeteilt worden sind. Die Tat wird nur auf Antrag der Reichsregierung verfolgt. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. 1. Hier wird die Mitteilung früherer Staatsgeheimnisse unter Strafe gestellt. 2. Nach bisherigem Recht konnte eine Strafe nicht eintreten, wenn das mitgeteilte Staatsgeheimnis schon vor der Tat irgendwo veröffentlicht war. Diese Lücke füllt § 90b aus. 3. Es genügt im Gegensatz zu 88 90, 90 a nicht, daß der Vorsatz des Täters darauf gerichtet ist, das Wohl des Reiches zu gefährden, sondern es muß eine Gefährdung tatsächlich eintreten.

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Landesverrat §§ 90 c—90 f.

§ 90 c. Wer zu einer ausländischen Regierung oder zu einer Person, die für eine ausländische Regierung tätig ist, in Be­ ziehungen tritt oder mit ihr Beziehungen unterhält, welche die Mitteilung von Staatsgeheimnissen oder von Gegenständen, Tat­ sachen oder Nachrichten der itn § 90 a Abs. 2, 4 bezeichneten Art zum Gegenstände haben, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso wird bestraft, wer für eine ausländische Regierung tätig ist und zu einem anderen in Beziehungen der im Abs. 1 bezeichneten Art tritt oder solche Beziehungen mit einem anderen unterhält. § 82 Abs. 2 Satz 2 findet Anwendung. Hier wird schon die Unterhaltung von Beziehungen zwecks Verrats von Staatsgeheimnissen unter Strafe gestellt.

§ 90 d. Wer es unternimmt, ein Staatsgeheimnis an einen anderen gelangen zu lassen, und dadurch fahrlässig das Wohl des Reichs gefährdet, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso wird bestraft, wer es unternimmt, sich ein Staats­ geheimnis zu verschaffen, und dadurch fahrlässig das Wohl des Reichs gefährdet. Hier wird die Preisgabe von Staatsgeheimnissen bestraft, bei der die Mitteilung vorsätzlich, die Gefährdung aber fahrlässig erfolgt.

§ 90 e. Wer fahrlässig ein Staatsgeheimnis, das ihm kraft seines Amtes oder seiner dienstlichen Stellung oder eines von amt­ licher Seite erteilten Auftrags zugänglich war, an einen anderen gelangen läßt und dadurch das Wohl des Reichs gefährdet, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Die Tat wird nur auf Antrag der Neichsregierung verfolgt. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. In diesem Falle ersolgt die Mitteilung selbst fahrlässig.

§ 90 f. Wer öffentlich oder als Deutscher im Ausland durch eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art eine schwere Gefahr für das Ansehen des deutschen Volkes herbei­ führt, wird mit Zuchthaus bestraft. 1. Hier wird der Volksverrat durch Lügen hetze unter Strafe gestellt. 2. Es werden Behauptungen tatsächlicher Art verlangt, bloße Wert« urteile genügen also nicht. Die Entstellung besteht im Verdrehen des Sach­ verhalts. 3. Daneben besteht noch § 3 der NotVO. vom 21. März 1933, wo be­ straft wird, wer vorsätzlich oder fahrlässig unwahre oder gröblich entstellte Behauptungen tatsächlicher Art ausstellt oder verbreitet, die geeignet sind, das Wohl des Reiches oder eines Landes oder das Ansehen der Reichs-

Landesverrat §§ 90 g-91.

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regierung oder einer Landesregierung oder der hinter diesen Regierungen stehenden Parteien oder Verbände schwer zu schädigen.

§ 90 g, Ein Beauftragter des Reichs, der ein Staatsgeschäft mit einer ausländischen Regierung vorsätzlich zum Nachteil des Reichs führt, wird mit dem Tode bestraft. Wenn die Tat nur einen unbedeutenden Nachteil für das Reich herbeigeführt hat, schwerere Folgen auch nicht herbeiführen konnte, kann auf Zuchthaus erkannt werden. Hier wird die landesverräterische Untreue bestraft.

§ 90 h. Wer es unternimmt, ein Beweismittel über ein Rechts­ verhältnis zwischen dem Reich und einem ausländischen Staate zu fälschen, verfälschen, vernichten, beschädigen, beseitigen oder unterdrücken, und dadurch das Wohl des Reichs gefährdet, wird mit Zuchthaus bestraft. In besonders schweren Fällen ist auf Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder auf lebenslanges Zuchthaus zu erkennen. Hier wird die landesverräterische unter Strafe gestellt.

Beweisvernichtung

8 90i. Ein Deutscher, der von einer ausländischen Regierung oder vo« jemand, der für eine ausländische Regierung tätig ist, für eine Handlung, die das Wohl des Reiches gefährdet, ein Entgelt fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, wird, soweit nicht nach anderen Vorschriften eine schwerere Strafe verwirkt ist, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Wird das Entgelt durch eine schriftliche Erklärung gefordert oder angenommen, so ist die Tat vollendet, wenn der Täter die Erklärung abgesandt hat. Die Tat wird nur auf Antrag der Reichsregierung verfolgt. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig. Diese Gesetzesstelle enthält die Strasvorschrift gegen landesver­ räterische Bestechung.

§ 91. Wer mit dem Vorsatz, einen Krieg oder Zwangsmaß­ regeln gegen das Reich oder andere schwere Nachteile für das Reich herbeizuführen, zu einer ausländischen Regierung oder zu jemand, der für eine ausländische Regierung tätig ist, in Beziehung tritt, wird mit dem Tode bestraft. Wer mit dem Vorsatz, schwere Nachteile für einen Reichs­ angehörigen herbeizuführen, in Beziehungen der im Abs. 1 be­ zeichneten Art tritt, wird mit lebenslangem Zuchthaus oder mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft. § 82 Abs. 2 Satz 2 findet Anwendung. 4 Grosch-Petter-, Strafgesetzbuch. 12. Aufl.

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Landesverrat §§ 91a—92 a.

Hier wird die Herbeiführung einer Kriegsgefahr unter Strafe gestellt.

§ 91a. Ein Deutscher, der während des Krieges gegen das Reich in der feindlichen Kriegsmacht dient oder gegen das Reich oder dessen Bundesgenossen die Waffen trägt, wird mit dem Tode oder mit lebenslangem Zuchthaus oder mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft. Hier wird die landesverräterische Waffenhilfe behandelt.

§ 91 b. Wer im Inland oder als Deutscher im Ausland es unternimmt, während eines Krieges gegen das Reich oder in Be­ ziehung auf einen drohenden Krieg der feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder der Kriegsmacht des Reichs oder seiner Bundes­ genossen einen Nachteil zuzufügcn, wird mit dem Tode oder mit lebenslangem Zuchthaus bestraft. Wenn die Tat nur einen unbedeutenden Nachteil für das Reich und seine Bundesgenossen und nur einen unbedeutenden Vorteil für die feindliche Macht herbeigeführt hat, schwerere Folgen auch nicht herbeiführen konnte, so kann auf Zuchthaus nicht unter zwei Jahren erkannt werden. Hier wird die Begünstigung des Feindes bestraft.

§ 92. Wer ein Verbrechen des Landesverrats nach den §§ 89 bis 90 a, 90 f bis 91b mit einem anderen verabredet, wird mit Zuchthaus bestraft. Ebenso wird bestraft, wer zu einem der im Abs. 1 bezeichneten Verbrechen auffordert, sich erbietet oder eine solche Aufforderung oder ein solches Erbieten annimmt. Erklärt der Täter die Auf­ forderung, das Erbieten oder die Annahme schriftlich, so ist die Tat vollendet, wenn er die Erklärung abgesandt hat. Nach den Vorschriften der Abs. 1, 2 wird nicht bestraft, wer freiwillig seine Tätigkeit aufgibt und bei Beteiligung mehrerer das Verbrechen verhindert. Die hier behandelte Verabredung des Landesverrats ent­ spricht der Verabredung des Hochverrats nach § 82.

§ 92 a. Wer während eines Krieges gegen das Reich oder bei drohender Kriegsgefahr einen Vertrag mit einer Behörde über Bedürfnisse der Kriegsmacht des Reichs oder seiner Bundesgenossen nicht oder in einer Weise erfüllt, die geeignet ist, den Zweck der Leistung zu vereiteln oder zu gefährden, wird mit Gefängnis nicht unter einem Jahre bestraft. Dasselbe gilt in Zeiten gemeiner Not für einen Vertrag mit einer Behörde über Lieferung oder Be-

Landesverrat §§ 92 b—92 e.

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förderung von Lebensmitteln oder anderen zur Behandlung der gemeinen Not erforderlichen Gegenständen. Ebenso werden unterverpflichtete Unternehmer, Vermittler und Bevollmächtigte des Leistungspflichtigen bestraft, die durch Verletzung ihrer Vertragspflicht die Erfüllung oder die gehörige Erfüllung vereiteln oder gefährden. Wer die Tat fahrlässig begeht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Diese Gesetzesstelle handelt von der Verletzung von Kriegs­ lieferungsverträgen.

§ 92 b. Wer einem von der Reichsregierung zur Sicherung der Landesverteidigung erlassenen Gebot oder Verbot zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bestraft. Wird die Zuwiderhandlung während eines Krieges gegen das Reich oder bei drohender Kriegsgefahr begangen, so ist die Strafe Gefängnis. Hier werden Zuwiderhandlungen gegen Anordnungen der Landes­ verteidigung unter Strafe gestellt.

§ 92 c. Dem Krieg im Sinne der §§ 91 bis 92 b wird jede gegen das Reich gerichtete Unternehmung fremder Streitkräfte gleichgeachtet. § 92 d. Wer vorsätzlich über amtliche Ermittlungen oder Ver­ fahren wegen eines in diesem Abschnitt bezeichneten Verbrechens oder Vergehens ohne Erlaubnis der zuständigen Behörde Mit­ teilungen in die Öffentlichkeit bringt, wird mit Gefängnis bestraft. Diese Gesetzesstelle besaht sich mit unbefugter Mitteilung über LandeSvcrrntsprozesse.

§ 92 e. Wer vorsätzlich in einer Festung, einem Reichskriegs­ hafen oder einer anderen militärischen Anlage, auf einem Schiff der Reichsmarine oder innerhalb der deutschen Hoheitsgewässer gegenüber einer Behörde, einem Beamten oder einem Soldaten über seinen Namen, seinen Stand, seinen Beruf, sein Gewerbe, seinen Wohnort oder seine Staatsangehörigkeit eine unrichtige An­ gabe macht oder die Angabe verweigert, wird mit Geldstrafe bestraft. Ist nach den Umstäilden anzunehinen, daß der Aufenthalt an dem Orte oder die unrichtige Angabe oder die Verweigerung der Angabe mit Zwecken des Verrats oder der Ausspähung zusammen­ hängt, so ist die Strafe Gefängnis bis zu einem Jahre. Einer Festung, einem Reichskriegshafen oder einer anderen militärischen Anlage stehen gleich amtlich bekanntgemachte Siche4*

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Landesverrat §§ 92 f—93 a.

rungsbereiche sowie gewerbliche Anlagen, in denen Gegenstände für den Bedarf der inländischen Wehrmacht hergestellt, ausgebessert oder aufbewahrt werden. Die Tat ist nur strafbar, wenn die Behörde, der Beamte oder der Soldat befugt war, die im Abs. 1 bezeichneten Angaben zu verlangen. Hier wird falsche Namensangabe in militärischen An­ lagen mit Strafe bedroht.

§ 92 f. Wer ohne Erlaubnis der zuständigen militärischen Behörde innerhalb eines amtlich bekanntgemachten Sicherungs­ bereichs oder von einem Gebäude, in dem Waffen oder andere Be­ dürfnisse der Wehrmacht gelagert werden, oder von einer anderen militärischen Anlage Aufnahmen macht oder in Verkehr bringt, wird mit Geldstrafe bestraft. Hier wird das unbefugte Photographieren bestraft.

§ 93. Wegen der in diesem Abschnitt mit Strafe bedrohten Handlungen kann erkannt werden neben der wegen eines Verbrechens erkannten Strafe auf Geldstrafe von unbegrenzter Höhe oder auf Einziehung des Vermögens; neben der wegen eines Vergehens erkannten Freiheitsstrafe auf Geldstrafe; neben der Gefängnisstrafe auf die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren und auf den Verlust der aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte; neben jeder Freiheitsstrafe auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht. Neben der Zuchthausstrafe ist die Sicherungsverwahrung an­ zuordnen, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert. 8 93 a. Gegenstände, die zur Begehung einer in diesem Ab­ schnitt mit Strafe bedrohten Handlung gebraucht oder bestimmt sind, könnm eingezogen oder unbrauchbar gemacht werden, auch wenn sie weder dem Täter noch einem Teilnehmer gehören. Das­ selbe gilt von den im Falle des § 92f hergestellten Aufnahmen. Hat der Täter für die Begehung eines in diesem Abschnitt bezeichneten Verbrechens oder Vergehens ein Entgelt empfangen, so ist das empfangene Entgelt oder ein seinem Wert entsprechender Geldbetrag einzuziehen.

Fein bl. Handlungen gegen befreund. Staaten. §§ 102, 103.

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Kann keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, so kann auf die Einziehung oder Unbrauchbarmachung selbständig erkannt werden.

Zweiter Abschnitt. Angriffe gegen den Reichspräfidenle«. § 94. Wer gegen den Reichspräsidenten einen Angriff auf Leib oder Leben (Gewalttätigkeit) begeht, wird, soweit nicht andere Vorschriften eine schwerere Strafe androhen, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Ebenso wird bestraft, wer den Reichspräsidenten öffentlich be­ schimpft oder verleumdet. Die Tat wird nur mit der Ermäch­ tigung des Reichspräsidenten verfolgt. Für die Befugnis zur öffentlichen Bekanntmachung gilt § 200 entsprechend. Sind im Falle des Abs. 2 mildernde Umstände vorhanden, so ist die Strafe Gefängnis, neben dem ausGeldstrafeerkannt werden kann. 1. Der § 94 wurde in das Strafgesetzbuch eingefügt durch die Verord­ nung vom 19. Dez. 1932 (siehe S. 35 ff.). Der dritte Abschnitt: Beleidigung von Buudesfürsten, ist weggefallen (siehe Vorbemerkung 4 vor § 80). 2. Durch die NotVO. vom 28. Februar 1933 ist noch eine weitere be­ sondere Vorschrift zum Schutze des Lebens des Reichspräsidenten geschaffen, die gleichzeitig auch zum Schutze des Lebens der höchsten Regierungs­ beamten gilt. Ferner sind durch Gesetz vom 13. Oktober 1933 auch andere Personen, die für die Gewährleistung des Rechtsfriedens von besonderer Bedeutung sind (Richter, Staatsanwälte, Angehörige der Wehrmacht, SA., SS., Amtswalter und Angehörige des Luftsportverbandes) besonders ge­ schützt.

Vierter Abschnitt. Feindliche Handlungen gegen besrenudete Staate«. § 102. Wer gegen einen ausländischen Staat eine der in den §§ 80 bis 84 bezeichneten hochverräterischen Handlungen begeht, wird mit Gefängnis oder mit Festungshaft bestraft, sofern in dem anderen Staat dem Deutschen Reich die Gegenseitigkeit ver­ bürgt ist. Die Tat wird nur auf Antrag der ausländischen Regierung verfolgt. Die Zurücknahme des Antrags ist zulässig.

8 103. Wer sich gegen den Landesherrn oder den Regenten eines nicht zum Deutschen Reich gehörenden Staats einer Be­ leidigung schuldig macht, wird mit Gefängnis von einer Woche bis zu zwei Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft, sofern in diesem Staate dem Deutschen Reich die Gegenseitigkeit verbürgt ist.

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Verbr. u. Vergeh, i. Beziehg. a. d. Ausübg staatsbürgerl Rechte § 105.

Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der auswärtigen Regierung ein. Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig. § 103a, Wer ein öffentliches Zeichen der Autorität eines nicht zum Deutschen Reich gehörenden Staats oder ein Hoheits­ zeichen eines solchen Staats böswillig wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder beschimpfenden Unfug daran verübt, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Vgl. hierzu § 135.

§ 104 Wer sich gegen einen bei dem Reich beglaubigten Gesandten oder Geschäftsträger einer Beleidigung schuldig macht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des Beleidigten ein. Die Zurücknahme des Antrages ist zulässig. Dtatt/chundesfürstlichorHef" jst sinngemäß -Mgievung oinaSdeutschen AemdeS" -zu setzen.

Fünfter Abschnitt. Verbreche« nnd Vergehe« in Beziehung auf die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte. Vorbemerkung: Die Strafbestimmungen dieses Abschnitts beziehen sich nur auf die staatsbürgerlichen Rechte des Reichs und der Länder, nicht des Reichs­ auslandes. — Nach Art. 125 der Verfassung des Deutschen Reichs sind Wahlfreiheit und Wahlgeheimnis gewährleistet. Schwur g. § 80 OVO.

§ 103 Wer es unternimmt, den Senat oder die Bürger­ schaft einer der freien Hansestädte, eine gesetzgebende Versamm­ lung des Reichs oder eines Bundesstaats auseinander zu sprengen, zur Fassung oder Unterlassung von Beschlüssen zu nötigen oder Mitglieder aus ihnen gewaltsam zu entfernen, wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder mit Festungs­ haft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter einem Jahre ein. 1. Mit dem Ausdruck: „wer es unternimmt" will das Gesetz sagen, daß schon jede Handlung bestraft wird, durch welche die Absicht gezeigt wird, einen Erfolg der im Paragraphen aufgezählten Art herbeizuführen. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts sollen aber bloße Vorbereitungs­ handlungen (vgl. Vorbemerkung vor § 43 und Bem. 1 zu § 43) nicht strafbar sein. 2. Die gesetzgebenden Versammlungen des Reichs waren der Reichs­ tag und der Bundesrat, seit der Veränderung der Staatssorm sind es

Verbrechen u. Vergehen gegen staatsbürgerl. Rechte §§ 106—108.

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der Reichstag und der Reichsrat. An die Stelle der Bundesstaaten sind die Länder getreten. Vgl. Anm. zu § 81. Große Strafkammer.

§ 106. Wer ein Mitglied einer der vorbezeichneten Ver­ sammlungen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung verhindert, sich an den Ort der Ver­ sammlung zu begeben oder zu stimmen, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Festungshaft von gleicher Dauer bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft bis zu zwei Jahren ein. S chöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

§ 107. Wer einen Deutschen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung verhindert, in Aus­ übung seiner staatsbürgerlichen Rechte zu wählen oder zu stimmen, wird mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten oder mit Festungshaft bis zu fünf Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. Za den staatsbürgerlichen Rechten gehört auch da- Gemeindewahlrecht. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

107 a. Wer nichtverbotene Versammlungen, Aufzüge oder Kundgebungen mit Gewalt oder durch Bedrohen mit einem Ver­ brechen verhindert oder sprengt, wird mit Gefängnis neben dem auf Geldstrafe erkannt werden kann, bestraft. Wer in nichtverbotenen Versammlungen oder bei nichtverbote­ nen Aufzügen oder Kundgebungen Gewaltätigkeiten in der Absicht begeht, die Versammlung, den Aufzug oder die Kundgebung zu sprengen, wird mit Gefängnis und mrt Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. Neu htnzugekommen durch (RGBl. I, 296).

das

Reichsgesetz vom 23.

Mai 1923

Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

8 108. Wer in einer öffentlichen Angelegenheit mit der Sammlung von Wahl- oder Stimm-Zetteln oder -Zeichen oder mit der Führung der Beurkundungsverhandlung beauftragt, ein unrichtiges Ergebnis der Wahlhandlung vorsätzlich herbeiführt oder das Ergebnis verfälscht, wird mit Gefängnis von einer Woche bis zu drei Jahren bestraft. Wird die Handlung von jemand begangen, welcher nicht mit der Sammlung der Zettel oder Zeichen oder einer anderen Verrichtung bei dem Wahlgeschäfte beauftragt ist, so tritt Ge­ fängnisstrafe bis zu zwei Jahren ein. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.

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Widerstand gegen die Staatsgewalt § 110.

1. Es sind Wahlen des Staats, der Gemeinden und anderer öffent­ licher Korporationen (z. B. der Ortskrankenkassen) oder Stiftungen, auch die Volksabstimmungen gemeint. 2. Ein unrichtiges Ergebnis führt schon derjenige herbei, welcher nur das Stimmenverhältnis ohne Rücksicht auf das End- oder Gesamt­ resultat der Wahrheit zuwider gestaltet. 3. Während der Absatz 1 die Mitglieder und Protokollführer der Wahlkommissionen trifft, wendet sich der Absatz 2 gegen jeden anderen und bestraft insbesondere auch den Wähler, welcher bei derselben Haupt­ oder Stichwahl bewußt unberechtigt an zwei Orten wählt, selbst wenn er in die Wählerliste beider Orte eingetragen ist. Schö ff enger, oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr.2c GVG.

8 109* Wer in einer öffentlichen Angelegenheit eine Wahl­ stimme kauft oder verkauft, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 1. Nicht nur der Wahlkandidat sondern auch jeder Dritte kann als Stimmkäufer in Betracht kommen. 2. Jeder Vorteil irgendwelcher Art, nicht nur Vermögensvorteile, kommen als Kaufpreis in Betracht. 3. Die strafbare Handlung ist gegeben, auch wenn das Entgelt nur­ versprochen ist, auch wenn die Stimme noch gar nicht abgegeben ist, sofern nur Käufer und Verkäufer einig sind.

Sechster Abschnitt.

Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Schö ff en g er. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

8 110. Wer öffentlich vor einer Menschenmenge, oder wer durch Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von Schriften oder anderen Darstellungen zum Ungehorsam gegen Gesetze oder rechtsgültige Verordnungen oder gegen die von der Obrigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffenen Anordnungen auffordert, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 1. Öffentlich bedeutet hier die Vornahme der Handlung in der Art und Weise, daß sie, gleichgültig ob an einem öffentlichen oder privaten Orte geschehen, von unbestimmt welchen und wievielen Personen wahr­ genommen werden konnte. Danach ist für eine Bereinsversammlung die Öffentlichkeit nicht vorhanden, wenn sich der Verein auf einen engern durch besondere Beziehungen unter sich verbundenen und bestimmt ab­ geschlossenen Personenkreis beschränkt. 2. Eine Menschenmenge liegt natürlich nur vor, wenn eine größere Anzahl von Menschen, die man nicht auf den ersten Blick zählen kann, versammelt ist. 3. Eine Verbreitung ist gegeben, sobald eine größere Anzahl von Personen, wenn sie auch der Zahl und dem Namen nach bestimmt sind, in Kenntnis gesetzt wird. 4. Obrigkeit ist nicht ein polizeiliches Vollzugsorgan, sondern nur

Widerstand gegen die Staatsgewalt §§ 111, 112.

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ein Beamter, welcher die Regierungsgewalt in gewissem Umfang selb­ ständig auszuüben hat. 5. Gleichgültig ist für den Tatbestand, ob die Aufforderung Erfolg hatte oder nicht (vgl. den folgenden Paragraphen). 6. Beispiel: Eine Polizeibehörde hat die für den 1. Mai geplanten Umzüge verboten. In einer politischen Versammlung oder in der Presse wird zur Nichtbeachtung dieser Maßnahme aufgefordert. 7. Die NotVO. vom 4. Februar 1933 hat in § 15 die öffentliche Auf­ forderung zu Gewalttätigkeiten mit besonderer Strafe (Gefängnis nicht unter 3 Monaten) bedroht. 8chÖffenger. oder Amtsricb ter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

Wer auf die vorbezeichnete Weise zur Begehung einer strafbaren Handlung auffordert, ist gleich dem Anstifter zu bestrafen, wenn die Aufforderung die strafbare Handlung oder einen strafbaren Versuch derselben zur Folge gehabt hat. Ist die Aufforderung ohne Erfolg geblieben, so tritt Geld­ strafe oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre ein; war die Auf­ forderung auf eine Tötung gerichtet, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter drei Monaten, neben der auf Geldstrafe erkannt werden kann. Die Strafe darf jedoch, der Art oder dem Maße nach, keine schwerere sein, als die auf die Handlung selbst angedrohte.

8 111

1. Strafbare Handlungen sind solche, welche nach dem Reichsstraf­ gesetzbuch, dem Militärstrafgesetzbuch und Reichs- oder Landesstraf­ gesetzen mit Strafe bedroht sind, nicht aber bloße Disziplinardelikte oder mit Prozeßstrafen belegte Handlungen. 2. Der im Absatz 1 behandelte Tatbestand entbehrt der selbständigen Strafandrohung. Er ist also je nach der Strafandrohung für die strafbare Handlung, zu der aufgefordert ist, mit Strafe zu belegen. Darnach.be­ mißt sich dann auch, ob er Verbrechen, Vergehen oder Übertretung ist. 3. Der Zusatz über die Tötung war durch das Reichsgesetz zum Schutze der Republik vom 21. Juli 1922 (RGBl. 585) hinzugekommen; mit Außer­ krafttreten des Republikschutzgesetzes hat diese Gesetzesstelle ihre Geltung verloren, da die an seine Stelle getretene BO. vom 19. Dez. 1932 keine entsprechende Bestimmung enthält. 4. Beispiel: Der Führer eines politischen Demonstrationszuges fordert zur Plünderung von Lebensmittelgeschäften auf. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

§ 112. Wer eine Person des Soldatenstandes, es sei des Deutschen Heeres oder der Marine, auffordert oder anreizt, dem Befehle des Oberen nicht Gehorsam zu leisten, wer ins­ besondere eine Person, welche zum Beurlaubtenstande gehört, auffordert oder anreizt, der Einberufung zum Dienste nicht zu folgen, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 1. Die Personen des Soldatenstandes zählt das dem Militärstraf­ gesetzbuch beigegebene Verzeichnis A auf. Einen Beurlaubtenstand gibt es nicht mehr.

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Widerstand gegen die Staatsgewalt § 113.

2. Unter Anreizung ist eine auf Umwegen durch Einwirkung auf die menschlichen Leidenschaften erfolgende Aufforderung zu verstehen. 3. Die Aufforderung usw. muß zur Kenntnis desjenigen, an den sie gerichtet war, gekommen sein, dagegen braucht sie Erfolg nicht gehabt zu haben (vgl. oben Bem. 5 zu § 110). Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c OVO.

§ IIS. Wer einem Beamten, welcher zur Vollstreckung von Gesetzen, von Befehlen und Anordnungen der Verwaltungs­ behörden oder von Urteilen und Verfügungen der Gerichte be­ rufen ist, in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet, oder wer einen solchen Beamten während der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes tätlich angreift, wird mit Gefängnis von vierzehn Tagen bis zu zwei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe ein. Dieselben Strafvorschriften treten ein, wenn die Handlung gegen Personen, welche zur Unterstützung des Beamten zu­ gezogen waren, oder gegen Mannschaften der bewaffneten Macht, oder gegen Mannschaften einer Gemeinde-, Schutz- oder Bürger­ wehr in Ausübung des Dienstes begangen wird. 1. Welche Personen „Beamte" sind, sagt der § 359. Auch Bedienstete von Privateisenbahngesellschaften gehören hierher, wenn sie als Bahn­ polizeibeamte fungieren. 2. Gesetz umfaßt natürlich auch die auf Grund von Gesetzen er­ gangenen Verordnungen. 3. Gerichte steht hier für gerichtliche Behörden; also kommen auch die Verfügungen der Staatsanwaltschaft in Betracht. 4. Zu der rechtmäßigen Ausübung des Amtes gehört, daß der Beamte sachlich und örtlich zuständig ist und die wesentlichen Voraussetzungen und Förmlichkeiten (z. B. bei einer vorläufigen Festnahme die §§ 112, 127 Strafprozeßordnung und die Mitteilung der Festnahme an den Betroffenen) pflichtmäßig beobachtet. Daß sich vielleicht später die Amtshandlung wegen eines untergelaufenen tatsächlichen Irrtums des Beamten (z. B. unbegrün­ deter Tatverdacht) nicht aufrecht erhalten läßt, ändert an deren Recht­ mäßigkeit nichts. Prüfung der Rechtmäßigkeit des Befehls oder seiner Grundlagen liegt dem Beamten nicht ob. 5. Der Widerstand braucht nicht die Verhinderung der Amtshand­ lung zum Endziel zu haben; es genügt, wenn er die Amtshandlung auch nur erschweren sollte. 6. Ein bloßer Ungehorsam, ohne daß der Körper eine Tätigkeit ent­ faltet (sog. passiver Widerstand), genügt nicht zur Erfüllung des Tat­ bestandes. Wohl aber liegt schon Widerstand in einem bloßen Gegen­ stemmen mit Händen oder Füßen, AnÜammern an erreichbare feste Gegenstände. 7. Gewalt ist die Anwendung körperlicher Kraft entweder des Täters

Aufruhr, Auflauf § 115.

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selbst oder eines von ihm in Bewegung gesetzten „Werkzeugs" (Hetzen eines Hundes). 8. Tätlicher Angriff ist auch dann gegeben, wenn nur zum Schlage ausgeholt wird. 9. Die Gendarmen sind Beamte im Sinne des § 859 ReichstrafSgefetzbuchs. Vgl. auch Bem. 3 zu 8 196. 10. Der rechtmäßigen Ausübung des Amtes gegenüber, wenn sie sich in Form eines Angriffes vollzieht, gibt es keine Notwehr, weil die Rechtswidrigkeit des Angriffs (vgl. oben Bem. 3 zu 8 53) fehlt. Wohl aber kann der Täter irrtümlicherweise der Ansicht sein, die Amtsausübung sei rechtswidrig, wodurch seine Strafbarkeit an sich ausgeschlossen würde (vgl. Bem. 4 zu 8 53). Das Reichsgericht nimmt aber in ständiger Recht­ sprechung an, daß die Meinung, der Beamte befinde sich nicht in recht­ mäßiger Amtsausübung, den Täter nicht entschuldige. Der Widerstand gegen eine an sich rechtmäßige Amtshandlung ist also stets strafbar. 11. Freiwillige Feuerwehren, Sanitätskolonnen gehören nicht unter die in Absatz 3 aufgezählten Schutz- oder Bürgerwehren, wohl aber können deren Mitglieder natürlich zur Unterstützung der Beamten zugezogen sein. 12. Der Widerstand gegen Forst- und Jagdbeamte usw. ist in 88 H? bis 119 mit besonderer Strafe bedroht. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c OVO.

§ 114* Wer es unternimmt, durch Gewalt oder Drohung eine Behörde oder einen Beamten zur Vornahme oder Unter­ lassung einer Amtshandlung zu nötigen, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis­ strafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe ein. 1. Während 8 U3 nur den Vollzugsbeamten und nur die Ver­ hinderung einer Amtshandlung im Auge hat, stets also schon eine begonnene voraussetzt, bezieht sich die Beamtennötigung des 8 114 auch auf andere Beamte und eine zukünftige Amtshandlung. 8 113 enthält einen Spezialfall des 8 114. 2. Als Behörden kommen nur staatliche und gemeindliche nicht kirch­ liche Organe in Betracht. 3. Wegen des Ausdrucks unternimmt vgl. Bem. 1 zu 8 105. 4. Wegen der Gewalt s. Bem. 7 zu 8 113. 5. Drohung bedeutet in Aussichtstellen irgendeines Übels z. B. Ver­ öffentlichung der Handlungen des Beamten in der Presse. 6. Beispiel: Der Täter erhält einen Steuerbescheid vom Finanzamt; er schreibt an das Finanzamt, daß er Mißstände bei dieser Behörde öffent­ lich brandmarken werde, wenn der Steuerbescheid nicht zurückgenommen werde. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c OVO.

8 115. Wer an einer öffentlichen Zusammenrottung, bei welcher eine der in den §§ 113 bis 114 bezeichneten Hand­ lungen mit vereinten Kräften begangen wird, teilnimmt, wird wegen Aufruhrs mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft.

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Auflauf § 116. Schöffenger. § 28 OVO.

Die Rädelsführer, sowie diejenigen Aufrührer, welche eine der in den §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen begehen, werden mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. 1. Der Aufruhr ist ein qualifizierter Fall des Widerstands gegen die Staatsgewalt in den Formen der §§ 113, 114. 2. Öffentliche Zusammenrottung ist das räumliche Zusammenhalten und Zusammenwirken beliebiger, unbestimmt welcher und wievieler Per­ sonen zu einem sofortigen erkennbar rechtswidrigen bedrohlichen oder gewalttätigen Handeln. Eine aus Neugierde oder zu einem sonstigen erlaubten Zweck versammelte Menge (z. B. ein Auflauf im Sinne des § 116) kann eine Zusammenrottung werden, wenn die Vereinten in dem Bewußtsein zusammenbleiben, es handle sich jetzt fernerhin um Verübung von Gewalttätigkeiten gegen Beamte usw. 3. Wenn auch theoretisch schon drei Menschen eine Zusammenrottung begehen können, so muß doch in der Praxis eine „Vielheit" der Menschen zur Zusammenrottung gefordert werden. 4. Teil nimmt derjenige, welcher sich vorsätzlich und mit Kenntnis von'dem strafbaren Zwecke der zusammengerotteten Menge anschließt oder nach Erkennen dieses Zwecks bewußt bei der Menge verbleibt. 5. Rädelsführer ist derjenige, welcher als geistiger Leiter oder mit körperlicher Hinführung die Menge zusammentreibt oder zusammenhält. 6. Beispiel: In die Polizeiwache ist ein Teilnehmer an einer Plünde­ rung eingeliefert worden; eine Menschenmenge sammelt sich vor der Wache an. Als eine zur Verstärkung herbeigeholte Polizeistreife zum Auseinander­ gehen auffordert, fällt ein Teil der Menge über die Beamten her und mißhandelt sie. Strafbar ist nach Abs. 1 jeder, der sich unter der Menge befindet, nach Abs. 2 (Verbrechen) die sich an dem überfall unmittelbar beteiligt haben. Amtsrichter § 25 Abs. 1 Nr. 2b OVO.

§ 116. Wird eine auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen versammelte Menschenmenge von dem zuständigen Be­ amten oder Befehlshaber der bewaffneten Macht aufgefordert, sich zu entfernen, so wird jeder der Versammelten, welcher nach der dritten Aufforderung sich nicht entfernt, wegen Auflaufs mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. Schöffenger. oder Amtsrichter. Wie bei § 115.

Ist bei einem Auflaufe gegen die Beamten oder die be­ waffnete Macht mit vereinten Kräften tätlicher Widerstand ge­ leistet oder Gewalt verübt worden, so treten gegen diejenigen, welche an diesen Handlungen teilgenommen haben, die Strafen des Aufruhrs ein.

Forstwiderstand § 117.

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1. Der Auflauf ist ein reines Unterlassungsdelikt. Es ist strafbar, weil es leicht zu einem Aufruhr (§ 115) führen kann. 2. Zu welchem Zwecke die Menge versammelt ist, ist gleichgültig. 3. Ein Weg, ein Platz ist öffentlich, wenn er dem öffentlichen Verkehr freigegeben ist, einerlei in wessen Eigentum er steht. 4. Zuständiger Beamter ist auch der einzelne Gendarm oder Schutz­ mann, wenn er die zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Ruhe erforder­ lichen Maßregeln unter eigener Verantwortung zu treffen hat. 5. Eine in der Menge eingekeilte Person, die sich gar nicht ent­ fernen kann, trotzdem sie möchte, macht sich natürlich nicht strafbar. 6. Vgl. hierzu § 9 des Reichsges. über die Befriedung der Gebäude des Reichstags und der Landtage vom 2. Mai 1920 (RGBl. 909).

Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

§ 117.

Wer einem Forst- oder Jagdbeamten, einem Wald­ eigentümer, Forst- oder Jagdberechtigten, oder einem von diesen bestellten Aufseher in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes oder Rechtes durch Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand leistet, oder wer eine dieser Personen während der Ausübung ihres Amtes oder Rechtes tätlich angreift, wird mit Gefängnis von vierzehn Tagen bis zu drei Jahren bestraft. Ist der Widerstand oder der Angriff unter Drohung mit Schießgewehr, Äxten oder anderen gefährlichen Werkzeugen er­ folgt, oder mit Gewalt an der Person begangen worden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt in den Fällen des Absatz 1 Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre, in den Fällen des Absatz 2 Gefängnisstrafe nicht unter einem Monat ein. 1. Die §§ 117—119 regeln den Forstwiderstand; sie enthalten besondere Vorschriften über den Schutz von Forst- und Jagdbeamten wegen der größeren Gefährlichkeit ihres Dienstes und gewähren den gleichen Schutz aber auch den Forst- und Jagdberechtigten sowie den von ihnen aufge­ stellten Privataufsehern, weil diese der gleichen Gefahr ausgesetzt sind. 2. Wegen der rechtmäßigen Ausübung des Amtes vgl. Bem. 4 zu § 113. 3. Bei einer nicht dem Forst- oder Jagdschutz dienenden Amts­ handlung z. B. Ergreifung eines ausgeschriebenen Verbrechers im Walde, greifen nicht die §§ 117—119 sondern § 113 Platz. Ebenso verhält es sich mit einer Durchsuchung bei dem verdächtigen Forstdieb in einer Ortschaft, wenn sie sich nicht etwa als unmittelbare Fortsetzung einer im Walde begonnenen Amtshandlung darstellt. 4. Wegen des Widerstandleistens vgl. Bem. 5—7 zu § 113. 5. Wegen des tätlichen Angriffs Bem. 8 zu 8 113. Auch hier wird rechtmäßige Ausübung des Amtes oder Rechtes gefordert, wenn es auch nicht ausdrücklich im Gesetze steht. 6. Gefährlich ist das im Absatz 2 aufgeführte Werkzeug, wenn es geeignet ist, regelmäßig erhebliche Verletzungen beizubringen. 7. Tas Schießgewehr braucht nicht geladen gewesen zu sein.

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Forstwiderstand §§ 118, IIS.

Gefangenenbefreiung § 120.

8. Tie „an der Person" verübte Gewalt, wie sie der Absatz 2 als straferhöhenden Umstand im Gegensatz zu der in Absatz 1 erwähnten Gewalt fordert, liegt nur vor, wenn die Person schon selbst getroffen ist, sei es auch nur durch einen heftigen Luftdruck oder die verbrennende Wirkung von Pulvergasen. Schöffenger. §§ 28, 24 Nr.3a OVO.

§ 118. Ist durch den Widerstand oder den Angriff eine Körperverletzung dessen, gegen welchen die Handlung begangen ist, verursacht worden, so ist auf Zuchthaus bis zu zehn Jahren zu erkennen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis­ strafe nicht unter drei Monaten ein. 1. Wegen des Ausdruckes Körperverletzung vgl. den § 223 und d e Bemerkungen zu demselben. 2. Gleichgültig für das Borliegen des Tatbestands des § 118 ist, ob der Täter die Körperverletzung gewollt hat oder sie nur fahr­ lässigerweise bei seinem Widerstand verursacht hat. Schöffenger. §§ 28, 24 Nr. 3 a OVO.

§ IIS. Wenn eine der in den §§ 117 und 118 bezeichneten Handlungen von Mehreren gemeinschaftlich begangen worden ist, so kann die Strafe bis um die Hälfte des angedrohten Höchstbetrages, die Gefängnisstrafe jedoch nicht über fünf Jahre erhöht werden. Gemeinschaftlich heißt bewußt und gewollt zusammenwirkend. Schöffenger. oder Amtsrichter § hütet, macht sich nicht nach § 120 strafbar, wohl aber kann er wegen Begünstigung (§ 257 StGB.) belangt werden. Schöffenger. oder A in t s r i c h t e r §} 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 OVO.

§ 121. Wer vorsätzlich einen Gefangenen, mit dessen Be­ aufsichtigung oder Begleitung er beauftragt ist, entweichen läßt oder dessen Befreiung befördert, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Amtsrichter § 25 Abs. 1 Nr. 2b OVO.

Ist die Entweichung durch Fahrlässigkeit befördert worden, so tritt Gefängnisstrafe bis zu drei Monaten oder Geldstrafe ein. 1. Tiefe Strafbestimmung findet auf solche Personen Anwendung, welche auf amtliche Anordnung Festgenommene zu verwahren haben (s. oben Bem. 5 zu § 120), auf Beamte findet §347 StGB. Anwendung. 2. In Absatz 2 ist unter Entweichung auch die Selbstbefreiung zu verstehen. 3. Fahrlässig handelt derjenige, welcher bei gehöriger Aufmerksam­ keit und Vorsicht das Entweichen des Gefangenen als erfahrungsgemäße Folge seines Verhaltens voraussehen konnte. 4. Strafbar ist auch derjenige Gefangenenbegleiter, welcher den Gefangenen sich allein an den Bestimmungsort begeben läßt, selbst wenn der „Gefangene" wirklich sein Versprechen erfüllt. 5. Ter Gefangene, welcher sich selbst befreit, ist, solange nicht Meuterei (f. § 122 StGB.) vorliegt, nicht strafbar. Dagegen kann er sich durch Anstiftung seines Transporteurs zum vorsätzlichen Entweichen­ tassen strafbar machen. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c OVO.

8 122. Gefangene, welche sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften die Anstaltsbeamten oder die mit der Be­ aufsichtigung Beauftragten angreifen, denselben Widerstand leisten oder es unternehmen, sie zu Handlungen oder Unter­ lassungen zu nötigen, werden wegen Meuterei mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft. Gleiche Strafe tritt ein, wenn Gefangene sich zusammen­ rotten und mit vereinten Kräften einen gewaltsamen Ausbruch unternehmen. Große Strafkammer.

Diejenigen Meuterer, welche Gewalttätigkeiten gegen die Anstaltsbeamten oder die mit der Beaufsichtigung Beauftragten

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§§ 122 a, 122 b. Verbr. u. Vergeh, wider die öffentl. Ordnung § 123.

verüben, werden mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht' erkannt werden. 1. Hier wird die sog. Gefangenenmeuterei behandelt. Über den Begriff des Gefangenen s. oben Bem. 1 $u § 120 und § 122 a. Geistes­ kranke und jugendliche Fürsorgezöglinge unter 14 Jahren können natürlich als Täter nicht in Betracht kommen, da sie strafrechtlich nicht verantwort­ lich sind. 2. über das Zusammenrotten vgl. oben Bem. 1 zu § 115. Schon zwei Gefangene können eine Zusammenrottung bilden. — über die Bedeutung von Unternehmen vgl. Bem. 1 zu 8 105. 3. Der Angriff oder Widerstand gegen die Beamten, die sich nicht in rechtmäßiger Ausübung ihres Amtes befinden, kann straflos bleiben, wenn sich die Gefangenen in Notwehr (§ 53 StGB.) befanden. 4. Eine beim Ausbruch begangene Sachbeschädigung an den Umsassungswänden usw. kommt neben der Bestrafung wegen Meuterei nicht besonders in Betracht.

§ 122 s. In den Fällen der §§ 120—122 steht einem Ge­ fangenen gleich, wer in Sicherungsverwahrung oder in einem Arbeitshaus untergebracht ist.

§ 122 d. Wer, abgesehen von den Fällen der §§ 120, 121, 122 a, vorsätzlich jemand, der auf behördliche Anordnung in einer Anstalt untergebracht ist, aus der Verwahrung befreit oder ihm das Entweichen erleichtert, wird mit Gefängnis bis zu 2 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar. Die Strafverfolgung tritt nur auf Antrag der Behörde ein, welche die Verwahrung bewirkt hat. Siebenter Abschnitt.

verbrechen und vergehen wider die öffentliche Ordnung. Amtsrichter § 25 Abs. 1 Nr. 2 a u. b GV G-

§ 123. Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder

in das befriedete Besitztum eines Anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienste oder Verkehre bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird wegen Hausfriedensbruchs mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2a u. c GVG-

Ist die Handlung von einer mit Waffen versehenen Person oder von mehreren gemeinschaftlich begangen worden, so tritt Geldstrafe oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre ein.

Berbrechen u. Vergehen wider die öffentliche Ordnung § 123.

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Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurück­ nahme des Antrags ist zulässig. 1. Wohnung ist der Inbegriff der Räume, die einer Einzelperson oder einer zusammengehörenden Mehrheit von Personen, einer Familie, zum ständigen Aufenthalt zur Verfügung stehen. Sie kann auch be­ weglich sein, z. B. Wohnung eines umherziehenden Schaustellers, die Wohnräume auf einem Schiff. Dagegen ist eine bewegliche Schlafstätte in einem Schäferkarren noch keine Wohnung. Leerstehende Räume sind ebensowenig Wohnungen im Sinne dieses Gesetzparagraphen wie un­ fertige Häuser, dagegen können sie als befriedetes Besitztum (s. unten) in Betracht kommen. 2. Zu der Wohnung gehören auch Treppen, Fluren oder Gänge. Bei Mietwohnungen ist es Tatfrage, ob Treppe und Hausgang zu der in Betracht kommenden Wohnung gehören oder gemeinschaftlich sind. 3. Geschäftsräume können auch beweglich sein; Bahmvagen und Fuhrwerke sind aber keine Geschäftsräume sondern Transportmittel; vgl. Hierwegen Bem. 6. 4. Befriedetes Besitztum liegt vor, wenn ein Grundstück, auch ohne daß es ganz umzäunt oder eingehegt ist, für Jedermann erkennbar gegen das Betreten durch jeden Beliebigen gesichert ist. Ein EisenbahnBahnsteig gehört hierher, ebenso eine Rennbahn. 5. Zu den abgeschlossenen Räumen, welche zum öffentlichen Dienst bestimmt sind, gehören Schulsäle, Wartesäle, Postwagen, Gepäckwagen auf Bahnen. Zum öffentlichen Verkehr sind u. a. bestimmt: Personen­ abteile in Eisenbahnzügen, Straßenbahnwagen, Omnibusse und ähnliches. 6. Zum Eindringen gehört, daß die bett. Räumlichkeit wirklich schon betreten ist. 7. Widerrechtlich heißt, wie das später folgende „ohne Befugnis", gegen den Willen oder ohne Zustimmung des Berechtigten, der nicht immer der Eigentümer zu sein braucht. So kann auch der Hauseigen­ tümer bei seinem Mieter einen Hausfriedensbruch begehen. Auch das Einschleichen um zu stehlen ist ein widerrechtlich.es Eindringen, es kommt aber als besonders zu strafende Handlung nur in Betracht, wenn der Dieb noch nicht zum Versuch gelangt ist. 8. Dienstboten haben ein Recht zum Aufenthalt in den ihnen zuge­ wiesenen Räumlichkeiten. 9. Wirte können einzelnen Gästen den Aufenthalt in ihren Lokalen untersagen und dadurch auch ein späteres Wiederkommen zu einem widerrechtlichen Eindringen machen. 10. Der erschwerte Hausfriedensbruch des Abs. 2 wird auch nur aus Antrag verfolgt. 11. Unter Waffe ist jedes gefährliche Werkzeug zu verstehen, vgl. Bem. 6 zu § 117 und Bem. 2 zu 8 223 a. 12. Ter Besitz der Waffe kommt aber als straferhöhender Umstand nur in Betracht, wenn sich der Täter des Mitsührens derselben als Schreckmittel bewußt ist. 13. Zur Gemeinschaftlichkeit ist ein bewußtes Zusammenwirken er­ forderlich, bloße gleichzeitige Begehung genügt nicht. 14. Seit dem Entlastungsgesetz vom Jahre 1921 kann das Vergehen Grosch-Petter-, Strafgesetzbuch. 12.Aufl.

5

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Berbrechen u. Vergehen wider die öffentliche Ordnung §§ 124, 125.

des § 123 auch im Wege der Privatktage vom Verletzten verfolgt wer­ den (vgl. § 3741 StPO, im Anhang). 15. Für den Hausfriedensbruch des Beamten gilt die Spezialbestim­ mung des § 342. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVG.

8 124 Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammen­ rottet und in der Absicht, Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen mit vereinten Kräften zu begehen, in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines Anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienste bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, so wird Jeder, welcher an diesen Handlungen teilnimmt, mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft. Hier wird der sog. schwere Hausfriedensbruch behandelt, über den Ausdruck Menschenmenge s. oben Bem. 2 zu § 110, Zusammen­ rotten Bem. 2 und 3 zu 8 115, Teilnehmen Bem. 4 zu § 115. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

§ 125. Wenn sich eine Menschenmenge öffentlich zusammen­ rottet und mit vereinten Kräften gegen Personen oder Sachen Gewalttätigkeiten begeht, so wird Jeder, welcher an dieser Zusammenrottung teilnimmt, wegen Landfriedensbruches mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Schöffenger. §§ 28, 24 Nr. 3 a GVG.

Die Rädelsführer, sowie diejenigen, welche Gewalttätigkeiten gegen Personen begangen oder Sachen geplündert, vernichtet oder zerstört haben, werden mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft; auch kann auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Ge­ fängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. 1. Vom schweren Hausfriedensbruch (§ 124) unterscheidet sich der sog. Landfriedensbruch des § 125 dadurch, daß jener ein Eindringen in die fremde Wohnung usw., aber keine Verübung von Gewalttätigkeiten voraussetzt, während beim Landfriedensbruch wirklich Gewalttätigkeiten verübt worden sein müssen, dagegen ein Eindringen in Wohnungen nicht verlangt wird. Vom Aufruhr (§ 115) unterscheidet sich der Landfriedens­ bruch dadurch, daß bei letzterem Gewalttätigkeiten gegen beliebige Personen oder Sachen bestraft werden, während sich der Aufruhr gegen Behörden oder Beamte richtet. 2. Wegen des Ausdrucks Menschenmenge s. oben Bem. 2 zu 8 110, zusammenrotten Bem. 2 und 3 zu § 115, teilnehmen Bem. 4 zu 8 H5. 3. über den Begriff: Rädelsführer vgl. Bem. 4 zu 8 H5. 4. Sachen plündert derjenige, welcher unter Benutzung des entstan­ denen Schreckens in der Absicht rechtswidriger Zueignung Sachen den Einwohnern offen wegnimmt oder abnötigt, gegen die sich der Land­ friedensbruch wendet.

Verbrechen u. Vergehen Wider die öffentliche Ordnung §§ 126—128.

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Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

§ 126. Wer durch Androhung eines gemeingefährlichen Verbrechens den öffentlichen Frieden stört, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. 1. Der 2. Die enthalten. 3. Der Bevölkerung

hier aufgestellte Tatbestand ist der sog. Landzwang. gemeingefährlichen Verbrechen sind in den §§ 306 bis 324

öffentliche Frieden ist gestört, wenn mindestens ein Teil der in seinem Sicherheitsbewußtsein erschüttert ist. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

8 127. Wer unbefugter Weise einen bewaffneten Haufen bildet oder befehligt oder eine Mannschaft, von der er weiß, daß sie ohne gesetzliche Befugnis gesammelt ist, mit Waffen oder Kriegsbedürfnissen versieht, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Wer sich einem solchen bewaffneten Haufen anschließt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. 1. Unter „Haufen" ist eine regellos zusammengeschlossene Menschen­ menge, unter „Mannschaft" eine disziplinierte und geordnete Abteilung von Menschen zu verstehen. 2. Waffe heißt im Gegensatz zu § 123 Abs. 2 (vgl. daselbst Bem. 11) ein Instrument, welches dazu bestimmt ist, zum Angriff oder zur Ver­ teidigung bei Kämpfen zu dienen. 3. In Abs. 2 ist unter bewaffnetem Haufen auch die Mannschaft des Abs. 1 mitinbegriffen. Amtsrichter § 25 Abs. 1 Nr. 2; bzw. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

8 128. Die Teilnahme an einer Verbindung, deren Dasein, Verfassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheim ge­ halten werden soll, oder in welcher gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird, ist an den Mitgliedern mit Gefängnis bis zu sechs Monaten, an den Stiftern und Vorstehern der Ver­ bindung mit Gefängnis von einem Monat bis zu einem Jahre zu bestrafen. Gegen Beamte kann auf Verlust der Fähigkeit zur Be­ kleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden. 1. Verbindung ist im Gegensatz zu Versammlung eine Bereinigung von längerer Tauer mit Unterordnung des Einzelnen unter de» Willen der Gesamtheit. 2. Auf den Inhalt der gedruckten oder geschriebenen Statuten kommt es nicht an, sondern auf die wirklich gehandhabte Organisation der Verbindung. 3. Beamte s. § 359 StGB.

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Verbrechen u. Vergehen wider die öffentliche Ordnung §§ 129—130 a. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVO.

§ 129. Die Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder Beschäftigungen gehört, Maßregeln der Ver­ waltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften, ist an den Mitgliedern mit Gefängnis bis zu einem Jahre, an den Stiftern und Vor­ stehern der Verbindung mit Gefängnis von drei Monaten bis zu zwei Jahren zu bestrafen. Gegen Beamte kann auf Verlust der Fähigkeit zur.Be­ kleidung öffentlicher Ämter auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden. Die hier vom Gesetze in Betracht gezogenen Verbindungen sind solche mit politischem, o. h. mif die staatsbürgerlichen Verhältnisse ge­ richtetem Zweck. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVO.

§ 180. Wer in einer den öffentlichen Frieden gefähr­ denden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung zu Gewalt­ tätigkeiten gegeneinander öffentlich anreizt, wird mit Geld­ strafe oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 1. Im Gegensatz zu § 126 bedarf es hier nicht der Störung des öffentlichen Friedens (Wem. 3 zu § 126) sondern nur der Gefährdung, d. h. der naheliegenden Möglichkeit einer Störung. 2. Verschiedene Klassen der Bevölkerung sind z. B. Teutsche und Polen, besitzende Klasse (Bourgeoisie, Mittelstand) und Proletarier, Katholiken und Protestanten, Altkatholiken und Katholiken, Beamte und Nichtbeamte. Keine Klasse ist aber die Regierung im Gegensatz zu den Regierten. 3. Tie Anreizung (vgl. Bem. 2 zu § 112) muß sich immer an die ganze Klasse nicht bloß an bestimmte einzelne Mitglieder der betreffenden Klassen gerichtet haben. Sie kann durch einen Zeitungsbericht über eine Gerichtssitzung erfolgen. Auch im Ausland erfolgte Anreizung gehört hierher, wenn sie nur im Inland wirken soll. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

§ 130a. Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge, oder welcher in einer Kirche oder an einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte vor Mehreren Angelegenheiten des Staats in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegen­ stände einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft. Gleiche Strafe trifft denjenigen Geistlichen oder anderen Religionsdiener, welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes Schriftstücke ausgibt oder ver-

Verbrechen u. Vergehen Wider die öffentliche Ordnung §§ 131—133.

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breitet, in welchen Angelegenheiten des Staats in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstände einer Verkündigung oder Erörterung gemacht sind. Diese Gesetzesbestimmung, der sog. „Kanzelparagraph" ist erst durch Gesetz vom 10. Dezember 1871 in das StGB- eingefügt worden. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

§ 131. Wer erdichtete oder entstellte Tatsachen, wissend, daß sie erdichtet oder entstellt sind, öffentlich behauptet oder verbreitet, um dadurch Staatseinrichtungen oder Anordnungen der Obrigkeit verächtlich zu machen, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 1. Dieser Paragraph stellt eine bestimmte Art der Verleumdung (§ 187) des Staates unter Strafe, während sonst nur lebende Personen als Verleumdete in Betracht kommen. 2 Tatsachen sind auch Absichten, die ein Mensch verfolgt. 3. Wegen der Bedeutung von „öffentlich", das sich aber nur auf das Bebauvten nicht auch auf das Verbreiten bezieht, vgl. tReni. 1 zu 8 110. Behaupten heißt etwas als Ausdruck des eigenen Wissens hin­ stellen. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr.2c GVG.

8 132. Wer unbefugt sich mit Ausübung eines öffent­ lichen Amtes befaßt oder eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bestraft. 1. Die Bestimmung bezieht sich nur auf die unbefugte Ausübung staatlicher Ämter, nicht auch von Kirchenämtern. 2. Der Täter macht sich strafbar, auch wenn die von ihm aus­ geübte Handlung gar nicht in die Zuständigkeit des von ihm bat-* gestellten Beamten gehört, sobald er sich nur als der zu der Handlung bestimmte Beamte ausgibt. 3. Auch ein Beamter kann sich nach dieser Bestimmung strafbar machen, wenn er in einen andern Geschäftsbereich übergreift. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVG.

8 133. Wer eine Urkunde, ein Register, Akten oder einen sonstigen Gegenstand, welche sich zur amtlichen Aufbewahrung an einem dazu bestimmten Orte befinden, oder welche einem Beamten oder einem Dritten amtlich übergeben worden sind, vorsätzlich vernichtet, beiseite schasst oder beschädigt, wird mit Gefängnis bestraft. Ist die Handlung in gewinnsüchtiger Absicht begangen, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 1. Der Beamte, welcher mit Verwahrung der Urkunden betraut ist

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Verbrechen u. Vergehen wider die öffentliche Ordnung §§ 134—136.

oder dem sie amtlich zugänglich sind, wird nach der schwereren Vorschrift des § 348 tos. 2 bestraft. 2. Einen ähnlichen Tatbestand enthält buch der § 137. Auch kann die hier einschlagende Handlung einen Diebstahl (§ 242), eine Unter­ schlagung (§ 246), eine Urkundenunterdrückung im Sinne des § 2741 oder eine Sachbeschädigung darstellen. 3. Wem die Urkunden, Akten usw. gehören, ist für diesen Tatbestand (§ 133) gleichgültig, so daß auch der Eigentümer selbst sich der Hand­ lung schuldig machen kann, z. B. der Täter gegenüber einem ihm abge­ nommenen in amtlicher Verwahrung befindlichen Überführungsstück. 4. Amtlich ist hier im weitesten Sinne zu verstehen, so daß auch kirchenamtliche Verwahrung den Tatbestand etfiint 5. Das Beiseiteschaffen braucht nicht ein immerwährendes zu sein. Es genügt schon ein vorübergehendes Wegbringen. 6. Ein Beiseiteschaffen liegt vor, wenn ein Beamter den Gegenstand in seinem Privatschubfach im Verwahrungszimmer verschließt. 7. Die gewinnsüchtige Absicht des tos. 2 liegt vor, wenn der Täter die Akten usw. als Makulatur verkaufen will. Sofortiges Bei> zehren des weggenommenen Gegenstandes (z. B. Eier aus einer Güter­ halle) beweist noch nicht die gewinnsüchtige Absicht. Amtsrichter § 25 Abs. 1 Nr. 2b GVG.

§ 134. Wer öffentlich angeschlagene Bekanntmachungen, Verordnungen, Befehle oder Anzeigen von Behörden oder Be­ amten böswillig abreißt, beschädigt oder verunstaltet, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. § 134 a. Wer öffentlich das Reich oder eines der Länder, ihre Verfassung, ihre Farben oder Flaggen oder die deutsche Wehr­ macht beschimpft oder böswillig und mit Überlegung verächtlich macht, wird mit Gefängnis bestraft. § 134 a wurde in das Strafgesetzbuch eingefügt durch VO. vom 19. Dez. 1932. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVG.

§ 13S. Wer ein öffentliches Zeichen der Autorität des Reichs oder eines Bundesfürsten oder ein Hoheitszeichen eines Bundesstaats böswillig wegninnnt, zerstört oder beschädigt oder beschimpfenden Unfug daran verübt, wird mit' Geldstrafe oder mit Gefängnis bis jit zwei Jahren bestraft. 1. Solche Zeichen sind Schilder der Behörden, Grenzpfähle, Wappen an Gesandtschaftshotels oder Konsulatsgebäuden, Fahnen. — Bundes­ fürsten gibt es nicht mehr. An die Stelle der Bundesstaaten sind die Länder getreten. 2. Beschimpfender Unfug ist eine rohe und frevelhafte Handlung. 3. Vgl. hierzu auch den § 103 a. Amtsrichter § 25 Abs. 1 Nr. 2b GVG.

§ 136. Wer unbefugt ein amtliches Siegel, welches von einer Behörde oder einem Beamten angelegt ist, um Sachen

Verbrechen u. Vergehen wider die öffentliche Ordnung § 137.

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zu verschließen, zu bezeichnen oder in Beschlag zu nehmen, vor­ sätzlich erbricht, ablöst oder beschädigt oder den durch ein solches Siegel bewirkten amtlichen Verschluß aufhebt, wird mit Ge­ fängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. 1. Diese Gesetzesstelle behandelt den sog, Siegelbruch. 2. Nur ein amtliches Siegel genießt den Schutz, nicht etwa ein Privat­ siegel, mit welchem z. B. ein Gendarm beschlagnahmte Gegenstände be­ zeichnet. 3. Wie das Siegel hergestellt ist und aus welchem Stoff ist gleichgültig, es genügt auch eine Siegelmarke eines Gerichtsvollziehers. 4. Der amtliche Verschluß wird aufgehoben, wenn unter Unversehrt­ lassen des Verschlusses dieser unwirksam gemacht wird, z. B. durch Ein­ steigen in ein Fenster eines Raumes, dessen Türe versiegelt ist. Auch diese Aufhebung muß vorsätzlich begangen sein um den Tatbestand zu erfüllen. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c OVG.

§ 137. Wer Sachen, welche durch die zuständigen Behörden

oder Beamten gepfändet oder in Beschlag genommen worden sind, vorsätzlich beiseite schafft, zerstört oder in anderer Weise der Verstrickung ganz oder teilweise entzieht, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre oder mit Geldstrafe bestraft. 1. Hier wird der sog. Verstrickungsbruch behandelt. 2. Unter Sachen sind Forderungsrechte nicht mit inbegriffen, wohl aber die Urkunden über solche, z. B. Schuldscheine, Aktien. 3. Zu den Sachen gehört auch das unbewegliche Vermögen. Doch kommt ein Grundstück selbst deshalb nicht in Betracht, weil man es weder beiseite schaffen noch zerstören kann. Wohl aber sind hierher zu rechnen Bestandteile von Grundstücken wie Gebäude, Früchte auf dem Halm, aus­ gesäte Samen, eingepflanzte Bäume usw., sowie Zubehörstücke, die mit dem Grund und Boden verbunden sind, wie z. B. Maschinen. Vgl. auch Bem. 3 zu § 289. 4. Die Behörden und Beamten müssen örtlich und sachlich aber nur im allgemeinen zuständig sein. 5. Die Pfändung selbst muß rechtswirksam sein. Es müssen alle wesentlichen Förmlichkeiten dabei beachtet sein. Dazu gehört, daß der Pfän­ dungsbeamte (Gerichtsvollzieher) die Sachen in Besitz nimmt. Die In­ besitznahme kann, wenn die Sachen im Gewahrsam des Schuldners belassen werden, nur dadurch bewirkt werden, daß die Pfändung durch Siegel oder auf sonstige Art ersichtlich gemacht wird. Hat der Gerichtsvollzieher sog. Kompetenzstücke, d. h. Sachen, die der Pfändung nicht unterworfen sind, gepfändet, weil er sie nach seinem pflichthasten Ermessen nicht für Kom­ petenzstücke hielt, so genießt eine solche Pfändung den Schutz des § 137. Der Umstand, daß die Sachen Eigentum einer Person sind, die nicht der Schuldner war, steht der wirksamen Pfändung nicht entgegen. 6. Die Beschlagnahme kann im Strafverfahren, im Polizeiverfahren, im Zottverkehr oder im Zwangsvollstreckungsverfahren in Zivilprozessen erfolgen.

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Berbrechen u. Vergehen wider die öffentliche Ordnung 88 138—140.

Auch bei der Beschlagnahme müssen etwa vorgeschriebene wesentliche Förmlichkeiten beachtet worden sein. 7. Beiseiteschaffen liegt auch vor, wenn die Sache nur zeitweise der Verfügungsgewalt der Beamten entzogen, wenn z. B. eine gepfändete Sache vor dem Gerichtsvollzieher versteckt, für diesen unkenntlich gemacht oder ihr Besitz ihm abgeleugnet wird. 8. Zum Zerstören gehören nicht bloße Beschädigungen, wohl aber das Verfüttern gepfändeter Futtermittel. 9. Der Verstrickungsbrecher ist nur strafbar, wenn er sich bewußt war, daß eine rechtswirksame Pfändung oder Beschlagnahme vorlag. Woher er dies weiß, ist gleichgültig. Er braucht z. B. nicht durch das Pfändungs­ protokoll selbst Nachricht von der Pfändung erlangt zu haben. Amtsrichter § 25 Abs. 1 Nr. 2 b GVG.

§ 138. Wer als Zeuge, Geschworener oder Schöffe berufen, eine unwahre Tatsache als Entschuldigung vorschützt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Monaten bestraft. Dasselbe gilt von einem Sachverständigen, welcher zum Er­ scheinen gesetzlich verpflichtet ist. Die auf das Nichterscheinen gesetzten Ordnungsstrafen werden durch vorstehende Strafbestimmung nicht ausgeschlossen. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr.2c GVG.

§ 139* Wer von dem Vorhaben eines Hochverrats, Landes­ verrats, Münzverbrechens, Mordes, Raubes, Menschenraubes oder eines gemeingefährlichen Verbrechens zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens möglich ist, glaubhafte Kenntnis erhält und es unterläßt, hiervon der Behörde oder der durch das Verbrechen bedrohten Person zur rechten Zeit Anzeige zu machen, ist, wenn das Verbrechen oder ein straf­ barer Versuch desselben begangen worden ist, mit Gefängnis zu bestrafen. 1. Hochverrat §§ 80 ff., Landesverrat §§ 88 ff., Münzverbrechen 88 146, 147, 149, Mord 8 211, Raub 88 249—251, Menschenraub 8 234, gemeingefährliche Verbrechen 88 306 bis 308, 311 bis 313, 315, 321 Abs. 2, 322 bis 324. 2. Vgl. auch die 88 60, 70, 104 MStGB., 8 13 des RG. gegen den gemeingefährlichen Gebrauch der Sprengstoffe. 3. Auf die an dem Verbrechen selbst Beteiligten findet diese Be­ stimmung keine Anwendung; auch die durch das Verbrechen bedrohte Person hat keine Verpflichtung zur Anzeige, wohl aber die Angehörigen der Täter. 4. Als Behörde, bei der die Anzeige zu machen ist, kommt die Polizeibehörde in Betracht. 6. Es wird nicht nur das vorsätzliche Unterlassen der Anzeige sondern auch das fahrlässige bestraft.

§140. (Betraf die Wehrpflicht und ist durch Gesetz über die Abschaffung der Wehrpflicht vom 21. Aug. 1920 gegenstandslos geworden.)

Verbrechen u. Vergehen wider die öffentliche Ordnung §§ 141—145.

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Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVG.

8 141. Wer einen Deutschen zum Militärdienste einer ausländischen Macht anwirbt oder den Werbern der letzteren zuführt, ingleichen wer einen deutschen Soldaten vorsätzlich zum Desertieren verleitet oder die Desertion desselben vorsätzlich be­ fördert, wird mit Gefängnis von drei Monaten bis zu drei Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. 1. Unter Anwerben versteht man das geschäftsmäßige Gewinnen zum Militärdienst. 2. Tas Desertieren (Fahnenflucht) ist ein Delikt, welches nur 'von einer Person -es Soldatenstandes begangen werden kann. Es besteht in der Entfernung von der Truppe oder der Dienststellung in der Absicht, sich der gesetzlichen oder freiwillig übernommenen Verpflichtung dauernd zu entziehen (MStGB. §§ 69, 153). Die sog. unerlaubte Entfernung — §§ 64, 65, 68 MStGB. — gehört nicht hierher. 3. Tas Vergehen der Desertion wird immer noch weiter begangen bis der Täter zu der Truppe zurückkehrt. Es wird also jede Förderung des Täters während dieser ganzen Zeit bestraft.

§ 142. (Betraf die Wehrpflicht und ist jetzt gegenstandlos geworden.)

§143. (Betraf die Wehrpflicht und ist jetzt gegenstandlos geworden.) Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVG.

§ 144. Wer es sich zum Geschäfte macht, Deutsche unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder wissentlich mit unbe­ gründeten Angaben oder durch andere auf Täuschung berechnete Mittel zur Auswanderung zu verleiten, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft. 1. Einen Erwerb braucht der Täter aus seinem „Geschäfte" nicht beabsichtigt zu haben. 2. Vgl. das Reichsgesetz über bas Auswauderungswesen vom 9. Juni 1897 §§ 43—48, und BO. gegen Mißstände im Auswanderungswesen v. 14. Febr. 1924 (RGBl. S. 107). A m t srich ter § 25 Abs. 1 Nr. 2b GVG.

§ 145. Wer die vom Kaiser zur Verhütung des Zusammenstoßens der Schiffe auf See, über das Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstöße von Schiffen auf See, oder in betreff der Not- und Lotsensignale für Schiffe auf See und auf den Küstengewässern erlassenen Verordnungen Übertritt, wird mit Geldstrafe bestraft. 1. Solche Kaiser!. Verordnungen sind ergangen: Seestraßenordnung vom 5. Juni 1906, RGBl. 120, B. bete, das Ruderkommando vom 18. Oktober 1903, RGBl. 283,

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Münzverbrechen und Münzvergehen § 146.

B. über bo3: Verhalten der Schiffer nach einem Zusammenstoß von Schiffen auf See vom 15. August 1876, RGBl. 189, nebst der Ergänzungsverordnung vom 29. Juli 1889, RGBl. 271, Lotsensignal-Ordnung vom 7. Februar 1907, RGBl. 27. Vgl. hierzu RGes. über den Zusammenstoß von Schiffen vom 7. Januar 1913, RGBl. 90, Artikel 101 der Verfassung des Deutschen Reichs. Künftighin erläßt der Reichspräsident die einschlägigen Verordnungen. Die Seewasserstraßenordnung (SWO.) vom 31. März 1927 (RGBl. 27II S. 157) berührt nicht die Seestraßenordnung. 2. Das vorsätzliche wie das fahrlässige Zuwiderhandeln wird von der Strafvorschrift getroffen. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2b und c GVG.

§ 145 a. Wer im Jnlande Schuldverschreibungen auf den Inhaber, in denen die Zahlung einer Bestimmten Geldsumme versprochen wird, ohne die erforderliche staatliche Genehmigung ausstellt und in den Verkehr bringt, wird mit einer Geldstrafe bestraft, die dem fünften Teile des Nennwerts der ausgegeberM Schuldverschreibungen gleichkominen kann, mindestens aber drei Reichsmark beträgt. Vgl. hierzu den § 795 des Bürgerlichen Gesetzbuchs und § 6 Abs. 1 des Reichsgesetzes betr. die Jnhaberpapiere mit Prämien v. 8. Juni 1871 (RGBl. 210). — Wegen der Geldstrafe vgl. oben § 27 Nr. 2 StGB. § 145 b ist gestrichen.

§ 145 c. Wer einen Beruf oder ein Gewerbe ausübt oder aus­ üben läßt, solange ihm dies nach § 421 untersagt ist, wird mit Gefängnis bis zu 2 Jahren und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bestraft. Eingefügt durch RG. vom 24. November 1933.

Achter Abschnitt.

Münzverbrechen und Müuzvergehen.

Vorbemerkung: 1. Wegen des Verfahrens vgl. § 92 StPO. 2. Unter den Begriff Geld fällt jedes vom Staat oder seitens einer von ihm ermächtigten Stelle als Wertträger beglaubigte und zum Umlauf im öffentlichen Verkehr bestimmtes Zahlungsmittel. Dem Metall- und Papiergeld des § 146 sind die Wertpapiere des § 149 gleichgestellt. Auch ausländisches Geld kann Gegenstand eines Münzdelikts sein. 3. Bei der Beschlagnahme falscher Münzen und unechten Papier­ geldes ist behufs Vermeidung späterer Weitläufigkeiten tunlichst die Einwilligung des Besitzers zu der seinerzeitigen Einziehung des beschlag­ nahmten Gegenstandes festzustellen. Vgl. § 152. 4. Einschlägige Übertretungsbestimmungen s. in § 360 Zifs. 4—6. Große Strafkammer.

§ 146. Wer inländisches oder ausländisches Metallgeld oder Papiergeld nachmacht, um das nachgemachte Geld als

Münzverbrechen und Münzvergehen § 147.

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echtes zu gebrauchen, oder sonst in Verkehr zu bringen, oder wer in gleicher Absicht echtem Gelde durch Veränderung an demselben den Schein eines höheren Werts oder verrufenem Gelde durch Veränderung an demselben das Ansehen eines noch geltenden gibt, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft; auch ist Polizeiaufsicht zulässig. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis­ strafe ein. 1. Nach § 4 Ziff. 1 kann auch ein Ausländer, der im Ausland an ausländischem Gelde ein Münzverbrechen oder Münzvergehen begangen hat, in Deutschland zur Strafe gezogen werden. 2. Die Absicht des Gebrauchs oder des Inverkehrbringens gehört zum Tatbestand, so daß also der nicht strafbar wäre, der nachweislich nur zu seinem eigenen Vergnügen, um seine Kunst zu erproben, falsche Stücke herstellt. Nicht erforderlich ist aber, daß der Falschmünzer einen Gewinn macht. 3. Stellt jemand ein Falschstück nur her um durch Borzeigen nicht durch Ausgeben desselben einen Irrtum zu erregen, so liegt kein Münz­ verbrechen vor, wohl aber kann ein Betrug gegeben sein, ebenso wie wenn jemand eine Spielmarke als angebliches Geldstück vorzeigt. 4. Unter verrufenem Gelde ist nicht mehr geltendes, nicht mehr im Umlauf befindliches Geld zu verstehen. 6. Das Münzverbrechen ist schon vollendet, wenn die falschen Münzen mmr fertig gestellt sind, auch wenn der Verfertiger noch nicht zum Ausgeben derselben gekommen ist. Gibt er also den Gedanken der Ausgabe der Fälschstücke auf, so kann von einem straflos machenden Rücktritt vsm Versuch (§ 46 StGB.) nicht die Rede sein. Schreitet er noch zum Ausgeben der Falschstücke, so kommt dies nur für die Aus­ messung der Strafe in Betracht. 6. Ein Versuch liegt vor, wenn das Nachmachen der Stücke erst begonnen hat, ein falsches Geldstück also noch nicht fertig gestellt ist, oder das fertiggestellte Geldstück so schlecht gelungen ist, daß es nicht möglich war, den Arglosen im gewöhnlichen Verkehr zu täuschen. 7. Wegen der Bestrafung gewisser Vorbereitungshandlungen zum Münzverbrähen vgl. § 151 unten. — Wegen Anfertigung sog. Bexierscheine vgl. § 360 Ziff. 6 Bem. Große Strafkammer.

8147. Dieselben Strafbestimmungen finden auf den­ jenigen Anwendung, welcher das von ihm auch ohne die vor­ bezeichnete Absicht nachgemachte oder verfälschte Geld als echtes in Verkehr bringt, sowie auf denjenigen, welcher nachgemachtes oder verfälschtes Geld sich verschafft und solches entweder in Verkehr bringt oder zum Zwecke der Verbreitung aus dem Auslande einführt. Das hier aufgestellte Berbrechen des sog. MiinzbelrugS umfaßt 2 FMe: das Inverkehrbringen von Falschstücken, welche der Täter ohne böse Absicht (f. Bem. 2 zu § 146) an gefertigt hat, und das Inverkehr­ bringen oder Einführen von nachgemachtem Geld, das sich der Täter

76

Münzverbrechen und Münzvergehen §§ 148—150.

auf irgend eine Weise, also etwa durch Fund, durch Diebstahl usw. verschafft hat. Amtsrichter § 25 Abs. 1 Nr. 2 b OVO.

§ 148. Wer nach gemachtes oder verfälschtes Geld als echtes empfängt und nach erkannter Unechtheit als echtes in Verkehr bringt, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar. 1. Voraussetzung ist, daß der Täter das falsche Geld usw. von einem Andern als echtes empfangen hat, also int Gegensatz zu dem Fall, in dem er es sich wissend, daß es falsch sei, verschafft hat (vgl. § 147). 2. Hat der Ausgebende nur Zweifel über die Unechtheit, so macht er sich nicht strafbar. Große Strafkammer.

§ 14S. Dem Papiergelde werden gleich geachtet die auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen, Banknoten, Aktien oder deren Stelle vertretende Jnterimsscheine oder Quittungen, sowie die zu diesen Papieren gehörenden Zins-, Gewinnanteils­ oder Erneuerungsscheine, welche von dem Reich, dem Nord­ deutschen Bunde, einem Bundesstaate oder fremden Staate oder von einer zur Ausgabe solcher Papiere berechtigten Gemeinde, Korporation, Gesellschaft oder Privatperson ausgestellt sind. 1. Die hier genannten Geldpapiere müssen auf den Inhaber aus­ drücklich ausgestellt sein, dürfen also nicht auf den Namen einer be­ stimmten Person geschrieben sein. Wechsel gehören nicht hierher. 2. über Banknoten vgl. Vorbemerkung 2 vor § 146. Hierher gehörten die von den Gemeinden, Kreisen usw. im Kriege ausgegebenen Geld­ scheine sowie die Kleingeldgutscheine, sofern die Neichsbehörden die for­ melle Genehmigung zur Ausgabe gegeben hatten. Lag die Genehmigung nicht vor, so wäre der Tatbestand der Urkundenfälschung gegeben. Unter Jnterimsscheinen versteht man Urkunden, welche bis zur Herstellung der Geldpapiere oder Volleinzahlung der Summen, auf welche die Geld­ papiere lauten, als Quittung ausgestellt werden. 3. Für Zins- bzw. Gewinnanteilsscheine werden die Ausdrücke Konpons bzw. Dividendenscheine, für Erneuerungsscheine der Ausdruck Talons gebraucht. 4. Bon Privaten ausgegebene Jnhaber-Geldpapiere gehören nur hierher, wenn die Ausgabe eine vom Gesetze sanktionierte war; nach § 795 BGB. dürfen Schuldverschreibungen auf den Inhaber, in denen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen wird, nur mit staat­ licher Genehmigung in den Verkehr gebracht werden. Vgl. oben § 145 a. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c OVO.

§ 150. Wer echte, zum Umlauf bestimmte Metallgeldstücke durch Beschneiden, Abfeilen oder auf andere Art verringert und als vollgültig in Verkehr bringt, oder wer solche verringerte Münzen gewohnheitsmäßig oder im Einverständnisse mit dem,

§§ 151, 152.

Meineid.

Vorbemerkung.

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welcher sie verringert hat, als vollgültig in Verkehr bringt, wird mit Gefängnis bestraft, neben welchem auf Geldstrafe sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann. Der Versuch ist strafbar. In dieser Bestimmung wird das sog. „Kippe,i" (Verringern echter Münzen: mechanisch durch Beschneiden, Abfeilen, Ausschälen oder chemisch durch Säureanwendung usw.) und das sog. „Wippen" (in Verkehr bringen solcher verringerter Geldstücke) mit Strafe bedroht. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c G V G.

§ 181. Wer Stempel, Siegel, Stiche, Platten, oder andere zur Anfertigung von Metallgeld, Papiergeld, oder dem letzteren gleich geachteten Papieren dienliche Formen zum Zwecke eines Münzverbrechens angeschafft oder angefertigt hat, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 1. Hier werden die Vorbereitung eines Münzverbrechens und die Beihilfe zu einem in dem Vorbereitungsstadium stecken gebliebenen Münzverbrechen, die sonst straflos bleiben müßten, wegen der Gemein­ gefährlichkeit derartiger Manipulationen mit besonderer Strafe bedroht. Wenn ein Münzfälscher vom Versuche der Fälschung zurücktritt (§ 46), so kann immer noch dieses Vergehen zu bestrafen sein. 2. Vgl. übrigens die Übertretungen des § 360 Ziff. 4 und 5 StGB.

§ 182. Auf fälschten Geldes, ist zu erkennen, einer bestimmten

die Einziehung des nachgemachten oder ver­ sowie der im § 151 bezeichneten Gegenstände auch wenn die Verfolgung oder Verurteilung Person nicht stattfindet.

Hier wird für die Strafverfolgungsbehörde der Zwang festgestellt, alle derartigen Falschstücke, einerlei wem sie gehören, einzuziehen. Vgl. oben die Vordem. 3 vor § 146.

Neunter Abschnitt.

Meineid.

Vorbemerkung: Aus dem Gesamtinhalt der Bestimmungen dieses Abschnittes ergibt sich, daß falsche Aussagen vor Gericht, die nicht beeidet wurden, nicht strafbar sind, wenn sie nicht den Tatbestand der Begünstigung (s. die Bemerkungen bei § 257) oder der falschen Namensangabe des § 3608 StGB, enthalten. Auch die Bestimmung des § 271 kann unter beson­ deren Umständen falsche Aussagen vor Gericht zur Bestrafung bringen (f. die Bemerkungen bei § 271). Im Strafverfahren werden nach der durch Gesetz vom 24. November 1933 geänderten Fassung der Strafprozeßordnung die Zeugen und Sach­ verständigen nach der Vernehmung vereidigt. Die Vereidigung erfolgt nach § 66 c in der Weise, daß der Richter an den Zeugen die Worte richtet: „Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben", und der Zeuge hieraus die Worte spricht: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe". Von der Beeidigung kann nach § 61 abgesehen werden

78

Meineid §§ 153—155.

u. a. bei Personen, die z. Zt. der Vernehmung das sechzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben. Von der Beeidigung ist nach § 60 abzusehen bei Personen unter 16 Jahren. Schwur g. § 80 OVO.

§ 153. Wer einen ihm zugeschobenen, zurückgeschobenen oder auferlegten Eid wissentlich falsch schwört, wird mit Zucht­ haus bis zu zehn Jahren bestraft. Die gleiche Strafe trifft den, der als Partie wissentlich eine falsche Aussage mit einem Eide be­ kräftigt. 1. Der bisherige Parteieid (zugeschobener oder zurückgeschobener Eid) wurde durch die Zivilprozeßnovelle vom 27. November 1933 durch die Parteivernehmung ersetzt. Es mußte deshalb im Gesetzestext des § 153 der Satz 2 hinzugefügt werden. Als auferlegte Eide kommen heute nur noch in Betracht der Ofsenbarungseid (§§ 807, 883 ZPO.) und der Verklarungseid des Schiffers (§ 525 HGB.). 2. Wissentlich heißt in Kenntnis der Unwahrheit des Beschworenen. Der Gegensatz dazu ist unwissentlich, d. h. ohne Kenntnis der Unwahrheit des Beschworenen. Eine unwissentlich falsche Aussage kann einen fahr­ lässigen Falscheid enthalten (vgl. unten § 163). 3. Mildernde Umstände gibt es weder bei diesem noch dem fol­ genden § 154. Bedingter Vorsatz genügt d. h. die Leistung des Eids auf die er­ kannte Gefahr hin, möglicherweise etwas falsch zu beschwören. S ch w u r g. § 80 OVO.

§ 154. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher vor einer zur Abnahme von Eiden zuständigen Behörde wissentlich ein falsches Zeugnis oder ein falsches Gutachten mit einem Eide bekräftigt oder den vor seiner Vernehmung geleisteten Eid wissentlich durch ein falsches Zeugnis oder ein falsches Gut­ achten verletzt. Ist das falsche Zeugnis oder Gutachten in einer Strafsache zum Nachteile eines Angeschuldigten abgegeben und dieser zum Tode, zu Zuchthaus oder zu einer anderen mehr als fünf Jahre betragenden Freiheitsstrafe verurteilt worden, so tritt Zucht­ hausstrafe nicht unter drei Jahren ein. 1. Während § 153 den Parteieneid behandelt, betrifft § 154 den Zeugen- und Sachverständigeneid. Es gibt jetzt nur noch den Racheid. (Siehe Vorbemerkung zu § 153.) 2. über „wissentlich" vgl. Bem. 2 zu 8 153.

§ 155. Der Ableistung eines Eides wird gleich geachtet, wenn 1. ein Mitglied einer Religionsgesellschaft, welcher das Ge­ setz den Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln an Stelle

79

Meineid §§ 156—158.

des Eides gestattet, eine Erklärung unter der Beteuerungs­ formel seiner Religionsgesellschaft abgibt; 2. derjenige, welcher als Partei, Zeuge oder Sachverstän­ diger einen Eid geleistet hat, in gleicher Eigenschaft eine Versicherung unter Berufung auf den bereits früher in derselben Angelegenheit geleisteten Eid abgibt, oder ein Sachverständiger, welcher als solcher ein- für allemal ver­ eidet ist, eine Versicherung auf den von ihm geleisteten Eid abgibt; 3. ein Beamter eine amtliche Versicherung unter Berufung auf seinen Diensteid abgibt. ScliöUenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c OVO.

§ 156. Wer vor einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung wissentlich falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung wissentlich falsch aussagt, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu drei Jahren bestraft. 1. Tie Form der eidesstattlichen Versicherung ist gleichgültig. Die Versicherung kann auch schriftlich abgegeben werden. 2. Solche eidesstattlichen Versicherungen kommen vor: in Ange­ legenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, zur Glaubhaftmachung tat­ sächlicher Behauptungen im Zivilprozeß (ZPO. §§ 294, 952), vor dem Standesbeamten, vor Verwaltungsbehörden. Schwurg. s. oben § 154.

H 157. Hat ein Zeuge oder Sachverständiger sich eines Meineids (§§ 154, 155) oder einer falschen Versicherung an Eides Statt schuldig gemacht, so ist die an sich verwirkte Strafe auf die Hälfte bis ein Viertel zu ermäßigen, wenn 1. die Angabe der Wahrheit gegen ihn selbst eine Verfolgung wegen eines Verbrechens oder Vergehens nach sich ziehm konnte, oder 2. der Aussagende die falsche Aussage zugunsten einer Per­ son, rücksichtlich welcher er die Aussage ablehnen durste, erstattet hat, ohne über sein Recht, die Aussage ab­ lehnen zu dürfen, belehrt worden zu sein. Ist hiernach Zuchthausstrafe unter einem Jahr verwirkt, so ist dieselbe nach Maßgabe des § 21 in Gefängnisstrafe zu ver­ wandeln. Diese Stelle behandelt den sog. Eidesnotstand.

§ 158. Gleiche Strafermäßigung tritt ein, wenn derjenige, tvelcher sich eines Meineides oder einer falschen Versicherung an Eides Statt schuldig gemacht hat, bevor eine Anzeige gegen

80

Meineid 88 159—162.

ihn erfolgt oder eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet und bevor ein Rechtsnachteil für einen andern aus der falschen Aussage entstanden ist, diese bei derjenigen Behörde, bei welcher er sie abgegeben hat, widerruft. Große Strafkammer, i. 2.Fall auch Schöffenger. bzw. Amtsrichter.

8 159. Wer es unternimmt, einen anderen zur Begehung eines Meineides zu verleiten, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, und wer es unternimmt, einen anderen zur wissent­ lichen Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt zu ver­ leiten, mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. 1. Eine erfolglos gebliebene Anstiftung ist an und für sich straflos (s. oben Bem. 1 zu § 48). Wegen der besonderen Gefährlichkeit ist aber hier mit Strafe bedroht, wer auch nur den Versuch macht, einen anderen zur Ableistung eines wissentlich falschen Eides zu verleiten. Der Wille des Berleiters ist also darauf gerichtet, daß der zu Verleitende wissentlich eine unwahre Tatsache beschwört. 2. Schwört der Verleitete einen Meineid, so wird der Verleiter wegen Anstiftung zum Meineid bestraft. Schüffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c bzw. Amtsrichter § 25 Abs. 1 Nr. 2 b GVG.

8 160. Wer einen anderen zur Ableistung eines falschen Eides verleitet, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, und wer einen anderen zur Ableistung einer falschen Versicherung an Eides Statt verleitet, wird mit Gefäng­ nis bis zu sechs Monaten bestraft. Der Versuch ist strafbar. Hier wird die Verleitung zum falschen Eid, d. h. zum tatsächlich unrichtigen aber vom Schwörenden nicht als unrichtig erkannten Eid, mit Strafe bedroht. Der Schwörende kann höchstens wegen fahrlässigen Falsch­ eides (§ 163) belangt werden. Der Wille des Berleiters ist in diesem Falle also darauf gerichtet, daß der zu Verleitende gutgläubig einen objektiv falschen Eid leiste.

8161. Bei jeder Verurteilung wegen Meineides, mit Ausnahme der Fälle in den §§ 157 und 158, ist auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und außerdem auf die dauernde Unfähigkeit des Verurteilten, als Zeuge oder Sachverständiger eidlich vernommen zu werden, zu erkennen. In den Fällen der §§ 156—159 kann neben der Gefängnis­ strafe auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 b GVG.

8 162. Wer vorsätzlich einer durch eidliches Angelöbnis vor Gericht bestellten Sicherheit oder dem in einem Offen-

§ 163.

Falsche Anschuldigung § 164.

81

barungseide gegebenen Versprechen zuwiderhandelt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Hier wird wesentlich milder als die wissentliche Eidesverletzung der nachträgliche Eidesbruch mit Strafe bedroht. Schöffenger. oder A m t s r. §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c OVO.

§ 163. Wenn eine der in den §§ 153—156 bezeichneten Handlungen aus Fahrlässigkeit begangen worden ist, so tritt Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre ein. Straflosigkeit tritt ein, wenn der Täter, bevor eine Anzeige gegen ihn erfolgt oder eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet und bevor ein Rechtsnachteil für einen anderen aus der falschen Aussage entstanden ist, diese bei derjenigen Behörde, bei welcher er sie abgegeben hat, widerruft. Zum Borliegen eines fahrlässigen Falscheids bedarf es neben der tatsächlichen Unwahrheit des Beschworenen der Nichtkenntnis des Schwö­ renden von der Unwahrheit und des Nachweises, daß dieser bei genügender Aufmerksamkeit und Vorsicht (z. B. bei Anstrengung seines Gedächtnisses) einsehen konnte, daß die von ihm beschworenen Tatsachen den richtigen Verhältnissen nicht entsprechen.

Zehnter Abschnitt. Falsche Anschuldigung. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c OVO.

§ 164. Wer einen anderen bei einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten oder mili­ tärischen Vorgesetzten oder öffentlich wider besseres Wissen einer strafbaren Handlung oder der Verletzung einer Amts- oder Dienst­ pflicht in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen, wird wegen falscher Anschuldigung mit Ge­ fängnis nicht unter einem Monat bestraft. Ebenso wird bestraft, wer in gleicher Absicht bei einer der im Abs. 1 bezeichneten Stellen oder öffentlich über einen anderen wider besseres Wissen eine sonstige Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Ist die Tat in der Absicht begangen, sich oder einem Dritten einen Vorteil zu verschaffen, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter drei Monaten. Neben der Strafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte erkannt werden. Ist die falsche Anschuldigung (Abs. 1, 2) nicht wider besseres Wissen, aber vorsätzlich oder leichtfertig begangen, so ist die Strafe Gefängnis bis zu einem Jahre oder Geldstrafe. Grosch-Petters, Strafgesetzbuch. 19.Aufl.

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Falsche Anschuldigung.

§ 164.

Solange ein infolge der gemachten Anzeige eingeleitetes Ver­ fahren anhängig ist, soll mit dem Verfahren und mit der Ent­ scheidung über die falsche Anschuldigung inne gehalten werden. 1. Der äußere Tatbestand des durch die Strafrechtsnovelle vom 26. Mai 1933 neu gefaßten § 164 hat folgende Voraussetzungen: a) Während nach altern Recht eine Beschuldigung in einer Anzeige erforderlich war, genügt jetzt schon die Verdächtigung eines anderen. Es ist also nicht mehr ein Handeln des Täters aus eigener Ent­ schließung erforderlich, sondern der Tatbestand des § 164 kann auch bei Gelegenheit einer amtlichen Vernehmurrg oder in einer Er­ klärung auf amtliche Aufforderung erfüllt werden. b) Die falsche Anschuldigung kann nicht nur, wie nach bisherigem Recht, bei einer Behörde erhoben werden, sondern auch bei einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Beamten (ohne daß es also einer Weitergabe an die Behörde bedarf), ferner bei einem militärischen Vorgesetzten, oder schließlich ösfentlich. c) Während nach bisherigem Recht die Anzeige eine kriminell straf­ bare Handlung oder die Verletzung einer Amtspflicht zum Gegen­ stand haben mußte, kann jetzt außerdem Inhalt der falschen An­ schuldigung der Aufstellung einer sonstigen Behauptung tatsächlicher Art sein, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder eine andere behördliche Maßnahme gegen einen anderen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen (z. B. die Behauptung der früheren Zu­ gehörigkeit zu einer marxistischen Partei). d) Die Anzeige muß objektiv unwahr sein. Beschuldigt daher jemand einen anderen einer strafbaren Handlung in der Meinung, er habe sie nicht begangen, während er sie in der Tat begangen hat, so ent­ fällt auch nach neuem Recht eine Strafbarkeit nach § 164. 2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale: a) Während nach bisherigem Recht das Bewußtsein des Täters er­ forderlich war, daß die Beschuldigung unwahr ist (dolus eventiuüis genügte nicht), unterscheidet der neue § 164 folgende 3 Möglich­ keiten: aa) Die falsche Anschuldigung wider besseres Wissen § 164 Abs. 1 und 2 mit einer Strafandrohung von 1 Monat bis 5 Jahre Gefängnis (ist die Tat begangen, um sich oder einem Dritten einen Vorteil zu verschaffen, so ist die Strafe 3 Monate bis 5 Jahre Ge­ fängnis). bb) Die vorsätzlich falsche Anschuldigung (§ 164 Abs. 5), d. h. die mit dem dolus eventualis begangene (die mit dem dolus directus begangene fällt unter aa) mit einer Strafandrohung von 1 Tag bis 1 Jahr Gefängnis oder Geldstrafe. cc) Die leichtfertige falsche Anschuldigung (§ 164 Abs. 5) mit der gleichen Strafandrohung wie zu bb. b) Der Täter muß nach dem neuen Tatbestand ferner in der Absicht gehandelt haben, ein behördliches Verfahren oder eine andere be­ hördliche Maßnahme gegen den Verdächtigen herbeizuführen oder fortdauern zu lassen.

Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen § 166.

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§ 1HF. Wird wegen falscher Anschuldigung auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Verletzten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen. Die Art der Bekanntmachung, sowie die Frist zu derselben ist in dem Urteile zu bestimmen. Dem Verletzten ist auf Kosten des Schuldigen eine Aus­ fertigung des Urteils zu erteilen.

Elster Abschnitt. Vergehen, welche sich ans die Religion beziehen. Schöffe nger. oder A m t s r. §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVG.

§ 166. Wer dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgernis gibt, oder wer öffentlich eine der christlichen Kirchen oder eine andere mit Korporations­ rechten innerhalb des Bundesgebietes bestehende Religions­ gesellschaft oder ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. 1. Ter Paragraph enthält drei verschiedene Tatbestände: den der Gotteslästerung, den der Beschimpfung der Kirchen und Religionsgesellschaften und schließlich den des beschimpfenden Unfugs in einer Kirche. 2. Gotteslästerung: öffentlich vorgenommen heißt in einer Art und Weise, daß die Äußerung unbestimmt von welchen und wie vielen Per­ sonen gehört werden konnte, mag sich dabei der Täter an einem öffent­ lichen oder privaten Orte befunden haben (vgl. Bem. 1 zu § 110). Eine in privatem Zirkel gemachte, später in die Öffentlichkeit ge­ drungene Äußerung kann den Tatbestand nicht erfüllen. Beschimpfend sind die Äußerungen, wenn sie Beleidigungen (Ehren­ kränkungen) in rohen oder besonders verletzenden Ausdrücken enthalten. Nur mündliche oder schriftliche Äußerungen kommen in Betracht, nicht bildliche oder theatralische Darstellungen. Lästern heißt Ehrenrühriges in schmähsüchtiger Weise sagen. Ärgernis ist gegeben, wenn mindestens eine Person in ihren mora­ lischen oder religiösen Gefühlen sich verletzt gefühlt hat. 3. Beschimpfung der Kirche usw.: wegen des Erfordernisses der Öffentlichkeit s. oben unter 2. In der Bezeichnung der Bibel als Lügen­ buch kann eine Beschimpfung der christlichen Kirche gesehen werden. Die christlichen Kirchen sind: die römisch-katholische, die alt-katho­ lische, die evangelische oder protestantische (auch lutherische, reformierte und unierte genannt). Neligionsgesellschaften mit Korporationsrechten sind: die jüdische Religionsgesellschaft, die griechisch-katholische, die anglikanische Religionsgesellschaft u. a. m. Tie Kirche ist beschimpft, wenn die Gesamtheit ihrer Anhänger be­ schimpft wurde. Als Einrichtungen der christlichen Kirchen sind aner­ kannt: die Christusverehrung, das Glaubensbekenntnis, die Reichung des 6*

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Religionsvergehen § 167. Grabschändung § 168.

Abendmahls, die Verkündung des Evangeliums durch die Predigt, die Sonntagsheiligung, die Kirchenlieder, die kirchlich eingesegnete Ehe; bei der römisch-katholischen Kirche: das Priestertum, die Orden, die Messe, der Ablaß, das Zölibat (Verbot der Priesterehe); bei der evan­ gelischen Kirche: das Predigtamt, das evangelische Lehramt, die Kon­ firmation, die Ehe der Geistlichen. Gebräuche sind die Amtstracht der Geistlichen, die Kollekten (Samm­ lungen) für kirchliche Zwecke, die Gebete bei Beerdigungen, bei der römisch-katholischen Kirche: die Reliquienverehrung. über die Bedeutung von Beschimpfen s. oben unter Bem. 2. Ta­ delnde Kritiken über Fragen religiöser Verehrung sind natürlich nicht strafbar. 4. Beschimpfender Unfug in Kirchen: als Orte der Verübung kommen in Betracht: Kirchengebäude samt den Zugängen zu denselben, Betsäle, Privatkapellen, Friedhöfe, nicht aber vorübergehend zum Gottesdienst be­ nutzte Gasthofsäle oder gar die Straßen, durch welche eine Prozession zieht. Beschimpfender Unfug ist eine unberechtigte, mit Roheit und Frevel­ haftigkeit gepaarte Handlung. Öffentlich braucht in diesem Falle die Handlung nicht geschehen zu sein. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVG.

§ 167. Wer durch eine Tätlichkeit oder Drohung jemand hindert, den Gottesdienst einer im Staate bestehenden Religions­ gesellschaft auszuüben, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte durch Erregung von Lärm oder Unordnung den Gottesdienst oder einzelne gottesdienstliche Verrichtungen einer im Staate bestehenden Neligionsgesellschaft vorsätzlich, verhindert oder stört, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. 1. Auch in diesem Paragraphen sind zwei Tatbestände vereinigt: Die Verhinderung Einzelner — auch der Priester — an der Aus­ übung des Gottesdienstes, wozu auch die bloße Teilnahme am Gottes­ dienst zählt, die Verhinderung oder Störung der Gesamtheit, der Gemeinde, in dem Gottesdienst oder in einzelnen gottesdienstlichen Handlungen. 2. Gottesdienst ist die Bereinigung von Mitgliedern einer Reli­ gionsgesellschaft zur gemeinsamen Erbauung durch Verehrung und An­ betung Gottes. Hierher gehört die Christenlehre, die .Bestattungszere­ monie, Vorlesen aus der Thora in einer jüdischen Gemeinde. 3. Die Störung des Gottesdienstes kann auch von einer außerhalb der Kirche befindlichen Person ausgehen. 4. Ein durch die Preoigt des Geistlichen beleidigter Zuhörer darf in der Notwehr sich die Beleidigung straflos verbitten, wenn auch da­ durch der Gottesdienst gestört wird. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVG.

§ 168. Wer unbefugt eine Leiche aus dem Gewahrsam der dazu berechtigten Person wegnimmt, ingleichen wer unbefugt ein Grab zerstört oder beschädigt, oder wer an einem Grabe

Kindesunterschiebung § 169.

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beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehren­ rechte erkannt werden. 1. Der Paragraph faßt drei Tatbestände zusammen: den Leichendiebstahl, die Grabzerstörung und den beschimpfenden Unfug an einem Grab. 2. Leichendiebstahl: es kommt nur die Wegnahme der Leiche als Ganzes in Betracht. Wegen einzelner Teile vgl. § 367*. — Nur Menschenleichen werden hier geschützt. Eine Leibesfrucht gehört aber nicht hierher, sondern nur die Leiche eines entwickelt geborenen Kindes. Einbalsamierte uralte Leichen: (ägyptische Mumien) sind nicht Leichen im Sinne dieser Bestimmung. Dagegen ist ein Diebstahl an ihnen möglich. Den Gewahrsam über beerdigte Leichen hat der Eigentümer des Friedhofs, die politische oder religiöse Gemeinde, bei verschlossenen Erb­ begräbnissen derjenige, welcher den Schlüssel dazu verwahrt. Also kann auch der Totengräber, der Friedhofverwalter als Täter für dieses De­ likt in Frage kommen. 3. Grabzerstörung: unter Grab versteht man die Stätte, an der eine Menschenleiche in äußerlich erkennbarer Weise zur Ruhe ge­ bracht ist. Zum Grabe gehört der Sarg mit der Leiche, der Grabhügel mit Gitter und Anpflanzungen sowie das Grabmal. Wird jedoch nur das Grabmal beschädigt ober zerstört, so kommt § 304 StGB, in Betracht. Uralte Grabstätten (Hunnengräber) kommen nicht für diesen Tatbestand in Betracht. 4. Beschimpfender Unfug an einem Grab: vgl. hierzu Bem. 4 Abs. 2 zu 8 166. Die Beziehung zu dem Grabe erhält der Unfug durch die erkenn­ bare Absicht, den Verstorbenen in seinem Andenken zu beschimpfen. Die Handlung muß das Grab in irgendeiner Weise selbst er­ greifen, eine Beschimpfung, die nur aus einer Grabstätte ausgesprochen wurde, kommt nicht unter diese Strafbestimmung, kann aber unter 8 166 letzter Fall einschlagen. Tie Beweggründe können Zorn gegen die Hinterbliebenen, Rache gegen den Toten oder sonstige sein.

Zwölfter Abschnitt. verbreche» und vergehe» in Beziehung a«s den Personenstand. Schöffenger., bzw. Amtsrichter, bzw. große Strafkammer.

§ 169. Wer ein Kind unterschiebt oder vorsätzlich ver­ wechselt, oder wer auf andere Weise den Personenstand eines anderen vorsätzlich verändert oder unterdrückt, wird mit Ge­ fängnis bis zu drei Jahren und, wenn die Handlung in gewinn­ süchtiger Absicht begangen wurde, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft. Der Versuch ist strafbar. 1. Das Kind braucht nicht ein neugeborenes zu sein, nur muß es in einem Mer stehen, in dem es noch nicht selber an der Tat teil# nehmen kann.

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Eheerschleichung § 170.

2. Unterschieben heißt ausgeben als das leibliche Kind einer Frau, die es nicht geboren hat. 3. Verwechselt können auch von derselben Frau stammende Zwil­ linge werden. 4. Natürlich müssen alle derartigen Handlungen, die nach diesem Paragraph bestraft werden sollen, vorsätzlich begangen sein; bloße Ver­ wechslung von Kindern in Wöchnerinnenasylen oder von Zwillingen aus Leichtsinn sind nicht strafbar. 5. Veränderungen oder Unterdrückungen des Personenstandes müssen sich immer auf einen anderen beziehen. Wenn sich jemand selbst fremde Personalien anmaßt, kann er sich wegen Betrugs (§ 263), Veranlassung falscher Beurkundung (§ 271) oder nach § 3608 StGB, strafbar machen, aber nicht nach dieser Gesetzesbestimmung. 6. Veränderungen des Personenstandes sind Anerkennung eines un­ ehelichen Kindes durch den späteren Ehemann der Mutter, der aber gar nicht der Erzeuger ist, Bewirkung der Eintragung im Geburtsregister als eheliches Kind trotz unehelicher Geburt, oder unter falschen Elternnamen. 7. Unterdrückung des Personenstandes liegt vor, wenn die An­ meldung der Geburt unterlassen und das Kind in der Absicht wegver­ bracht wird, es nirgends zur Anmeldung zu bringen und unter fremdem Namen weiterleben zu lassen. Bloße Unterlassung der Anzeige des Geburtsaktes mit der Absicht das Kind an einem andern Ort, etwa im Auslande, unter seinem richtigen Namen wieder auftauchen zu lassen, ist nur eine Übertretung des Personenstandsgesetzes aber nicht ein Ver­ gehen nach § 169. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

§ 170. Wer bei Eingehung einer Ehe dem anderen Teile ein gesetzliches Ehehindernis arglistig verschweigt, oder wer den anderen Teil zur Eheschließung arglistig mittels einer solchen Täuschung verleitet, welche den Getäuschten berechtigt, die Gültig­ keit der Ehe anzufechten, wird, wenn aus einem dieser Gründe die Ehe aufgelöst worden ist, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des getäuschten Teils ein. 1. Tie Eheerschleichung liegt vor, wenn jemand dem andern Teil in böser Absicht ein gesetzliches trennendes Ehehindernis ver­ schwiegen hat. Vgl. auch § 179 StGB. 2. Tie trennenden Ehehindernisse sind: Verletzung der wesentlichen Formvorschriften bei Eingehung der Ehe, mangelnde Willensfähigkeil eines Eheschließenden, bestehende Ehe, ganz nahe Verwandtschaft und Schwägerschaft (8 1310 BGB.), Ehebruch für den deswegen Geschiedenen und seinen Mitschuldigen, mangelnde Einwilligung des gesetzlichen Ver­ treters, Irrtum, arglistige Täuschung, Drohung, Leben des für tot er­ klärt gewesenen ersten Gatten (§§ 1323, 1330 BGB.). 3. Ehebetrug wird verübt durch arglistige Täuschung über solche Umstände, die den andern Teil von der Eingehung der Ehe abgehalten

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Doppelehe § 171.

haben würden, § 1334 BGB. Es genügt auch Benützung eines vor­ handenen Irrtums. 4. Gemeinsam ist beiden Fällen: der Eheerschleichung und dem Ehebetrug, daß die Bestrafung nur erfolgen darf, wenn die Ehe durch rechtskräftiges Urteil des Gerichts für nichtig erklärt worden ist. Eine Auflösung der Ehe durch Ehescheidungsurteil begründet die Strafver­ folgung nicht.

Dreizehnter Abschnitt. Verbrechen nnd Vergehen wider die SiMichteit. Große Strafkammer.

§ 171.

Ein Ehegatte, welcher eine neue Ehe eingeht, bevor seine Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist, ingleichen eine unverheiratete Person, welche mit einem Ehe­ gatten, wissend, daß er verheiratet ist, eine Ehe eingeht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis­ strafe nicht unter sechs Monaten ein. Die Verjährung der Strafverfolgung beginnt mit dem Tage, an welchem eine der beiden Ehen aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist. 1. Das Verbrechen der Doppelehe oder Bigamie begeht ein Ehe­ gatte, der mit einer ledigen Person oder mit einem Ehegatten aus einer anderen Ehe die Ehe eingeht und ebenso eine ledige Person, die mit einem (Regatten bie Ehe eingeht. 2. Eine Ehe ist aufgelöst, wenn ein Ehegatte gestorben oder die Ehe rechtskräftig geschieden ist. Die bloße Aufhebung der ehelichen Gemein­ schaft, wie sie das Bürgerliche Gesetzbuch zuläßt, löst die Ehe nicht auf. 3. Mit der Todeserklärung eines verschollenen Ehegatten wird die Ehe kraft besonderer gesetzlicher Vorschrift noch nicht aufgelöst. Aber der andere Ehegatte kann eine neue Ehe eingehen, wenn er nicht etwa weiß, daß der Verschollene noch lebt. 4. Eine Ehe wird für nichtig erklärt auf Grund der Nichtigkeits­ klage oder der Anfechtungsklage 1323—1329 bzw. 1330—1343 BGB.). 5. Wurden bei Eingehung der Ehe die wesentlichen Formvorschriften nicht gewahrt (Erklärung der Eheabsicht vor dem Standesbeamten in gleichzeitiger Anwesenheit) und wurde die Ehe nicht in das Heirats­ register eingetragen, so liegt auch das Verbrechen der Doppelehe nicht vor, mag der bezeichnete Mangel die frühere oder die spätere Ehe betreffen. 6. Die Vorschrift gilt für alle im Gebiete des Deutschen Reichs sich aufhaltenden Personen (auch Mormonen oder Muselmänner dürfen deshalb in Deutschland zu ihren bestehenden Ehen eine weitere Ehe nicht eingehen). 7. Deutsche, welche im Ausland eine weitere Ehe eingehen, können nach ihrer Rückkehr nach Deutschland nur zur Strafe gezogen werden, wenn nach den Gesetzen des Landes, in dem sie die weitere Ehe crc-

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Ehebruch § 172.

Blutschande § 173.

schlossen Haven, die Eingehung einer zweiten Ehe verboten ist (also nicht in der Türkei). 8. Tas Verbrechen der Doppelehe kann mit dem Vergehen des Ehe­ bruchs (§ 172 StGB.) Zusammentreffen. Es sind aber Fälle denkbar, in denen es lediglich beim ersten bleibt, wenn ein Beischlaf nicht stattfindet. 9. Vgl. auch § 338 StGB. Amtsrichter § 25 Abs. 1 Nr. 2b GVG.

§ 172. Der Ehebruch wird, wenn wegen desselben die Ehe geschieden ist, an dem schuldigen Ehegatten, sowie dessen Mitschuldigen mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 1. Die Ehe, welche gebrochen worden sein soll, muß gerade wegen dieses Ehebruchs geschieden d. h. aufgelöst oder in der Gemeinschaft aufgehoben sein. 2. Leben beide Schuldigen in der Ehe, so findet ein Doppelehebruch statt, der an beiden strafbar ist, wenn in der Folge auch nur eine der Ehen geschieden wird. 3. Die Antragsfrist für den verletzten Ehegatten beginnt erst mit der Kenntnis von der Rechtskraft des Scheidungsurteils. Große Strafkammer, im 2. u. 3.Fall Schöffenger. bzw. Amtsrichter.

§ 173. Der Beischlaf zwischen Verwandten auf- und ab­ steigender Linie wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren mit Gefängnis bis zu zlvei Jahren bestraft. Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf- und absteigender Linie, sowie zwischen Geschwistern wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straf­ los, wenn sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben. 1. Die hier behandelten Straftaten bilden die sog. Blutschande. 2. Unter Beischlaf versteht man die Vereinigung der Geschlechtsteile zweier Personen verschiedenen Geschlechts, wozu mindestens der Anfang des Eindringens des männlichen Glieds in den weiblichen Geschlechtsteil gehört. Samenerguß ist nicht erforderlich. 3. Andere unzüchtige Handlungen zwischen Verwandten der hier bezeichneten Art sind nicht strafbar. Nur soweit die Blutschande ein Verbrechen ist, also für die Eltern und Großeltern, ist natürlich auch der Versuch zum Beischlaf zu gelangen, mit Strafe bedroht (§ 43 StGB.). 4. über Verwandte auf- und absteigender Linie vgl. Bem. 3 zu 8 62. 5. Für die Verwandten aufsteigender Linie ist die Blutschande ein Verbrechen, für die Verwandten absteigender Linie nur ein Vergehen. Ties ist für die Begründung des Fluchtverdachts beim Haftbefehl zu beachten. 6. über Verschwägerte vgl. Bem. 4 zu 8 52 StGB. Gleichgültig ist, ob die Schwägerschaft auf unehelicher oder ehelicher Geburt begründet ist.

Unzucht von Bertrauenspersonen § 174.

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Stiefeltern sind mit ihren Stiefkindern, also auch mit vorehelichen unehelichen Kindern des anderen Eheteils verschwägert. 7. Die Bestimmung der Straflosigkeit des Abs. 4 kommt nur Kindern und Enkeln, den Schwieger- und Stiefkindern bzw. Enkeln zu­ gut, nicht aber unter 18 Jahre alten Geschwistern. Große Strafkammer.

§ 174. Mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren werden bestraft: 1. Vormünder, welche mit ihren Pflegebefohlenen, Adoptivund Pflegeeltern, welche mit ihren Kindern, Geistliche, Lehrer und Erzieher, welche mit ihren minderjährigen Schülern oder Zöglingen unzüchtige Handlungen vor­ nehmen; 2. Beamte, die mit Personen, gegen welche sie eine Unter­ suchung zu führen haben oder welche ihrer Obhut anver­ traut sind, unzüchtige Handlungen vornehmen; 3. Beamte, Ärzte oder andere Medizinalpersonen, welche in Gefängnissen oder in öffentlichen, zur Pflege von Kranken, Armen, oder anderen Hilflosen bestimmten An­ stalten beschäftigt oder angestellt sind, wenn sie mit den in das Gefängnis oder in die Anstalt aufgenommenen Personen unzüchtige Handlungen vornehmen. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis­ strafe nicht unter sechs Monaten ein. 1. Unter den in diesem Paragraph mit Strafe bedrohten „un­ züchtigen Handlungen" versteht man der Geilheit entspringende körper­ liche Tätigkeiten (im Gegensatz zu bloßen mündlichen Äußerungen), welche das allgemeine Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich verletzen. Also auf das Scham- und Sittlichkeitsgefühl, wie es sich im Bottsbewußtsein entwickelt hat, kommt es an, nicht auf das mehr oder minder überempfindliche Gefühl eines Einzelnen. 2. Ter Beischlaf ist natürlich auch eine unzüchtige Handlung. Auch gegen den bedeckten Körper einer mtbetn Person gerichtete Hundlungen können unzüchtige sein. Der Körper der andern Person muß irgendwie mit der handelnden Person in Berührung kommen. Unziemliche Hand­ lungen in Gegenwart einer andern Person (z. B. das Ansehen entblößter Geschlechtsteile- sind nicht mit dieser vorgenommen. Verschiedenheit des Geschlechts ist nicht erforderlich. Eine Frauensperson kann die unzüch­ tigen Handlungen ebensogut vornehmen als ein Mann. 3. Zu den Vormündern im Sinne der Ziffer 1 gehören auch die Gegenvormünder. 4. über die Adoptiveltern vgl. oben Bem. 5 zu 8 52 StGB. 5. Pflegeeltern sind nur solche, die das Kind, das ihrer Obhut an­ vertraut ist, in ihre dauernde Familienzugehörigkeit etwa auf Grund eines Vertrags ausgenommen haben, nicht aber Leute, die nur aus Grund zufälliger Umstände ein Kind vorübergehend verpflegen. 6. Leibliche Eltern fallen nicht unter diesen Paragraphen; sie sollen

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Widernatürliche Unzucht § 175.

gerade davor sicher sein, daß ihnen BöswMge jede Berührung ihrer leiblichen Kinder als strafbare Handlung auslegen. Sie sind nur straf­ bar, wenn ihre Kinder, an denen sie unzüchtige Handlungen vornehmen, noch unter 14 Jahre alt sind (§ 1763 StGB.), oder wenn ihre Hand­ lungen Versuchshandlungen zur Blutschande sind (vgl. oben Bem. 3 zu § 173). 7. Geistliche fallen unter diese Gesetzesbestimmung nur, soweit sie als Lehrer und Erzieher fungieren, also z. B. gegenüber christenlehr­ pflichtigen Kindern oder Konfirmanden (Erstkommunikanten), nicht aber gegenüber Beichtkindern. 8. Zu den Lehrern gehören auch Privatlehrer, auch Lehrherrn und deren Gehilfen, wenn sie sich wirklich der Unterweisung und Ausbildung des Lehrlings persönlich widmen. Auch weibliche Lehrer können sich dieses Verbrechens schuldig machen. 9. Beamte vgl. § 359 StGB. 10. Die Untersuchung kann eine gerichtliche, eine staatsanwaltschaftliche oder eine polizeiliche sein. 11. Dem Hausvater eines Armenhauses sind die Insassen zur Obhut anvertraut. 12. Zu den Medizinalpersonen gehört nicht das Dienste und Warte­ personal. 13. Privatkrankenanstalten gehören nicht hierher. Schöifenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVG.

8 178. Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Per­ sonen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 1. Widernatürliche Unzucht zwischen Personen männlichen Geschlechts, auch Päderastie (Knabenliebe) genannt, wird nur bestraft, wenn es zu beischlafsähnlicher Berührung des Körpers des einen Teils mit dem Geschlechtsteil des andern Teils gekommen ist. Samenerguß ist jedoch nicht erforderlich. Beide Teile, mich der leidende Teil, sind straf­ bar, einerlei ob sie geschlechtliche Befriedigung suchten oder der eine Teil vielleicht nur des Erwerbs wegen sich die Handlung gefallen ließ. Andere als die obenerwähnten unzüchtigen Handlungen, also bloße gegenseitige Onanie (Selbstbefleckung), fallen nicht unter die Straf­ bestimmung. 2. Auch widernatürliche Unzucht von Menschen beiderlei Geschlechts mit Tieren (Kühen, Schafen, Ziegen, Hühnern usw.), auch „Sodomie" genannt, wird nur bestraft, wenn es zu beischlafsähnlicher Berührung des Körpers des Tieres mit dem Geschlechtsteil des Menschen gekommen ist. Verschiedenheit des Geschlechts des Menschen und des Tieres ist nicht erforderlich. 3. Der Versuch widernatürlicher Unzucht ist nicht strafbar. 4. Widernatürliche Unzucht zwischen Personen weiblichen Geschlechts (sog. lesbische Liebe) ist nicht strafbar, sofern nicht etwa ein Teil noch unter 14 Jahren ist (§ 1763 StGB.).

Unzucht an Willenlosen, Kindern § 176. Notzucht § 177.

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Große Strafkammer.

Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird

be­ straft, wer 1. mit Gewalt unzüchtige Handlungen an einer Frauens­ person vornimmt oder dieselbe durch Drohung mit gegen­ wärtiger Gefahr für Leib und Leben zur Duldung un­ züchtiger Handlungen nötigt; 2. eine in einem willenlosen oder bewußtlosen Zustande befindliche oder eine geisteskranke Frauensperson zum außerehelichen Beischlafe mißbraucht, oder 3. mit Personen unter vierzehn Jahren unzüchtige Hand­ lungen vornimmt oder dieselben zur Verübung oder Dul­ dung unzüchtiger Handlungen verleitet. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis­ strafe nicht unter sechs Monaten ein.

§ 176.

1. Unzüchtige Handlungen sind in Bemerkung 1 zu § 174 oben erläutert. Der in Ziffer 2 erforderte „Beischlaf" (erläutert oben in Bem. 2 zu § 173 StGB.), ist natürlich auch eine Art der unzüchtigen Handlungen. 2. Ob die Frauensperson schon mannbar ist oder nicht, ist für Ziffer 1 ganz gleichgültig. Ist sie noch unter 14 Jahren, so ist auch § 176 Ziff. 3 verletzt. 3. Ob Widerstand noch geleistet werden konnte oder geschrieen wurde, ist für das Vorliegen der Gewalt gleichgültig; nur muß ernst­ licher Gegenwille der Frauensperson Vorgelegen haben. 4. Die Nötigung zur Duldung unzüchtiger Handlungen liegt auch vor, wenn ein anderer als der Drohende die Handlungen ausführt. 6. In willenlosem Zustand ist eine Frauensperson infolge völliger Erschöpfung oder durch Lähmung aller Glieder bzw. der Sprechwerk­ zeuge, auch eine hypnotisierte Frauensperson. 6. Bewußtloser Zustand liegt vor im Schlaf, in völliger sinnloser Trunkenheit, in Ohnmacht, in Einschläferung mittels Chloroform oder Äther, Lachgas usw. 7. Bon den Geisteskranken kommen nur diejenigen in Betracht, welche durch ihren Zustand gehindert sind, die Bedeutung und die Folgen des Beischlafs richtig zu erkennen. Diese Tragweite des Zu­ stands der Frauensperson muß dem Täter bekannt sein. 8. Tas Verbrechen der Ziffer 3 kann von Männern oder Frauen an Knaben oder Mädchen begangen werden. Ter Täter muß aber das Alter des Kindes gekannt haben. Wird widernatürliche Unzucht an einem Knaben unter 14 Jahren getrieben (s. oben Bem. 1 zu § 175), so sind beide gesetzliche Bestim­ mungen — § 1763 und § 175 — verletzt. Große Strafkammer.

§ 177. Mit Zuchthaus wird bestraft, wer durch Gewalt oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder

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Notzucht § 178.

Beischlaf-Erschleichung § 179.

Leben eine Frauensperson zur Duldung des außerehelichen Bei­ schlafs nötigt, oder wer eine Frauensperson zum außerehelichen Beischlafe mißbraucht, nachdem er sie zu diesem Zwecke in einen willenlosen oder bewußtlosen Zustand versetzt hat. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis­ strafe nicht unter einem Jahre ein. 1. Das hier dargelegte Verbrechen der Notzucht ist nur vollendet, wenn es wirklich zum Beischlaf (s. oben Bem. 2 zu § 173) gekommen ist, sonst liegt nur Versuch vor oder nur das Verbrechen des § 176 Ziff. 1. 2. Auch eine Frauensperson kann sich an der Notzucht beteiligen, wenn sie eine andere Frauensperson zum Beischlaf mit einem Manne nötigt. Sie wird wegen Beihilfe zu bestrafen sein. 3. Ob die Frauensperson bescholten oder unbescholten ist, ist gleich­ gültig, auch an einer Dirne kann das Verbrechen begangen werden. 4. über willen- oder bewußtlosen Zustand vgl. die Bem. 5 u. 6 oben zu § 176* StGB. 5. Ein freiwillig aufgegebener Notzuchtsversuch kann häufig den Tat­ bestand der Beleidigung erfüllen. Es ist daher in Zweifelsfällen stets ein Strafantrag von der Verletzten zu erheben. S c h w u r g. § 80 GVG.

§ 178. Ist durch eine der in den §§ 176 und 177 bezeich­ neten Handlungen der Tod der verletzten Person verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe nicht unter zehn Jahren oder lebenslängliche Zuchthausstrafe ein. Tritt der Tod infolge der Niederkunft der geschändeten Frauens­ person ein, so liegt die Verschärfung dieses Paragraphen vor, nicht aber, wenn sich die Geschändete aus Scham selbst den Tod gibt. Große Strafkammer.

§ 179* Wer eine Frauensperson zur Gestattung des Bei­ schlafs dadurch verleitet, daß er eine Trauung vorspiegelt, oder einen anderen Irrtum in ihr erregt oder benutzt, in welchem sie den Beischlaf für einen ehelichen hielt, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Sind nnldernde Umstände vorhanden, so tritt Gefäugnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 1. Zu dem hier festgesteNten Verbrechen der Erschleichung des Beischlafs vgl. das Vergehen der Ehe erschleichung (§ 170) und die dortigen Bemerkungen. Das Vergehen des § 170 kann von einem Manne, ebensogut aber auch von einer Frauensperson begangen werden, das Verbrechen des § 179 aber nur von einem Manne. 2. Das Verbrechen wird begangen, indem eine kirchliche Trauung, eine Abschließung der Ehe vor einem Standesbeamten vorgetäuscht wird, oder indem sich der Täter als Ehemann der getäuschten Frauens­ person aufspielt.

Kuppelei § 180.

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3. Die Täuschung muß der Grund sein, aus dem sich die Frauens­ person hingegeben hat; hätte sie auch sonst den Beischlaf gestattet und wird die Trauung nur etwa um das Vermögen zu erlangen vorgespiegelt, so liegt dieses Verbrechen nicht vor, es kann aber Betrug gegeben sein. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c OVO.

§ 180.

Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Bermittelung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängnis nicht unter einem Monate bestraft; auch kann zugleich auf Geldstrafe, auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizei-Aufsicht erkannt werden. Als Kuppelei gilt insbesondere die Unterhaltung eines Bor­ dells oder eines bordellartigen Betriebs. Wer einer Person, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, Wohnung gewährt, wird auf Grund des Abs. 1 nur dann bestraft, toenn damit ein Ausbeuten der Person, der die Woh­ nung gewährt ist, oder ein Anwerben oder Anhalten dieser Person zur Unzucht verbunden ist. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Gefängnis­ strafe bis auf einen Tag ermäßigt werden. 1. Neueste Fassung auf Grund des RGes. vom 18. Febr. 1927 zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (RGBl.I S. 61). — Kuppelei begeht derjenige, welcher durch seine Bermittelung oder durch Ge­ währung oder Verschaffung der Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet. Die Kuppelei ist aber nur strafbar, wenn sie gewohnheits­ mäßig oder aus Eigennutz begangen wird (§ 180) oder wenn hinter­ listige Kunstgriffe angewendet bzw. wenn der Schuldige zu der ver­ kuppelten Person in nahem verwandtschaftlichen oder Autoritätsver­ hältnis steht (§ 181). Vgl. § 48 des Reichsgesetzes über das Auswanderungswesen abge­ druckt unten bei § 236. Internationales Übereinkommen zur Bekäm­ pfung des Mädchenhandels mit Ausführungsgesetz vom 14. Aug. 1912, RGBl. 13 S. 44. Auslieferungsabrede hierzu Bekanntmachung vom 17. April 1928, RGBl. 28II S. 314; wirksam gegenüber Belgien, Großbritannien, Italien, Niederlande (niederländisch-Jndien, Surinam, Curacao), Norwegen, Schweden, Schweiz, Spanien, Tschechoslowakei. 2. Aus Eigennutz handelt derjenige, welcher irgendeinen Nutzen, also in der Hauptsache einen Geldgewinn, wenn auch keinen außer­ ordentlichen an strebte. Gleichgültig ist es, ob es zur Erlangung des Gewinnes wirklich gekommen ist. 3. Aus Eigennutz handelt der Vermieter, wenn er seine Wohnung günstig zu vermieten sucht oder sich die zahlungsfähige Mieterin zu erhalten sucht, handelt der Gastwirt, wenn er den Besuch seines Lokals, den Absatz seiner Getränke zu heben sucht. 4. Unter Unzucht versteht man außer der Beischlafsvollziehung auch sonstige gegen Zucht und Sitte im Verkehr der Geschlechter verstoßende

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Kuppelei § 181, Zuhälter § 181 a.

Handlungen. Einerlei ist es, ob es sich um natürliche oder unnatürliche Unzucht (s. oben § 175, Knabenliebe) handelt. Zur Vollendung des Tatbestands ist es nicht erforderlich, daß es schon zur Ausübung der Unzucht gekommen ist. 5. Kuppelei im Sinne des § 180 begeht der Tienstmann, der gegen Entgelt Fremde zu Dirnen führt, der Agent, der Frauenzimmer für Bordells (öffentliche Freudenhäuser^ anwirbt, der Zuhälter, der Männer zu Dirnen führt gegen Trinkgeld (s. aber unten § 181 a). 6. Die Person, deren Unzucht gefördert wird, macht sich nicht der Teilnahme schuldig, sie muß deshalb Zeugnis ablegen, wenn sie nicht als wirklich Verlobte das Zeugnis verweigern kann. 7. Beihilfe zur Kuppelei kann durch Gewährung eines Darlehns zur Erstehung eines Bordells und durch Weinlieferungen an das Bor­ dell begangen toerben. Große Strafkammer.

§ 181. Die Kuppelei ist, selbst wenn sie weder gewohnheits­ mäßig noch aus Eigennutz betrieben wird, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bestrafen, wenn 1. um der Unzucht Vorschub zu leisten, hinterlistige Kunst­ griffe angewendet werden, oder 2. der Schuldige zu der verkuppelten Person in dem Ver­ hältnisse des Ehemannes zur Ehefrau, von Eltern zu Kin­ dern, von Vormündern zu Pflegebefohlenen, von Geist­ lichen, Lehrern oder Erziehern zu den von ihnen zu unterrichtenden oder zu erziehenden Personen steht. Neben der Zuchthausstrafe ist der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auszusprechen; auch kann zugleich auf Geldstrafe so­ wie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. Sind im Falle des Absatz 1 Nr. 2 mildernde Umstände vor­ handen, so tritt Gefängnisstrafe ein, neben welcher auf Geld­ strafe erkannt werden kann. 1. Vgl. zu § 181 Bem. 1 zu A 180. 2. Unter Eltern sind auch Adoptiv- und Pflegeeltern sowie Stief­ eltern zu verstehen. 3. Als Kinder kommen weibliche und männliche, ehelicke und uneheliche, minderjährige und volljährige in Betracht. 4. Tie Eltern und der Ehemann machen sich strafbar, wenn sie es unterlassen, ihre elterlichen oder ehelichen Befugnisse pflichtgemäß zu gebrauchen, und dadurch Gelegenheit zur Unzucht schaffen (Duldung des unzüchtigen Verkehrs in der elterlichen oder eh«nännlichen Woh­ nung, Gestattung des Eintritts in ein Bordell). Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. i Nr. 2c OVG.

§ 181 a. Eine männliche Person, welche von einer Frauens­ person, die gewerbsmäßig Unzucht treibt, unter Ausbeutung ihres unsittlichen Gewerbes ganz oder teilweise den Lebens­ unterhalt bezieht, oder welche einer solchen Frauensperson ge-

Verführung § 182.

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wohnheitsmäßig oder aus Eigennutz in bezug auf die Ausübung des unzüchtigen Gewerbes Schutz gewährt oder sonst förderlich ist (Zuhälter), wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. Bei mildernden Umständen ist die Strafe Gefängnis nicht unter 3 Monaten. Neben der Strafe kann auf die Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 1. Dieser sog. Zuhälterparagraph ist erst 1900 in das StGB, ein­ gefügt worden, weil man dieser Klasse von Meschen mit dem Kuppelei­ paragraphen (f. oben Bem. ö zu 8 180 am Schlüsse) nicht genügend beikam. Die Neufassung und Strafschärfung beruht auf Gesetz vom 24. No­ vember 1933, wonach die Zuhälterei nunmehr Verbrechen ist. 2. Zwei verschiedene Fälle strafbarer Handlungen werden hier festgestellt: Strafbar ist, wer sich von einer gewerbsmäßigen Dirne ganz oder teilweise unterhalten läßt (ausbeuterische Zuhälterei); Strafbar ist weiter der Zuhälter, welcher gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz einer solchen Dirne Dienste zur Förderung ihres Gewerbes leistet (kupplerische Zuhälterei), z. B. Begleiten der Dirne auf ihren Strich­ gängen, um jederzeit Schutz zu gewähren. 3. Ausbeutung liegt auch vor, wenn die Frauensperson das Geld nur zum Aufheben gab und der Täter es wider ihren Willen ver­ braucht hat. 4. über den Begriff von Eigennutz s. oben Bem. 2 zu 8 180. 5. Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte ist wie bisher stets zu­ lässig, da die Grundstrafe Zuchthaus ist und bei Annahme mildernder Um­ stände auf mindestens 3 Monate Gefängnis erkannt werden muß. (Siehe 8 32.) 6. Überweisung an die Landespolizeibehörde ist weggefallen. Sc höff enger, oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c OVO.

8 182.

Wer ein unbescholtenes Mädchen, welches das sechzehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, zum Beischlafe ver­ führt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern oder des Vormundes der Verführten ein. 1. Unter unbescholten versteht das Gesetz frei von Tadel in bezug auf die Geschlechtsehre. Zur Bescholtenheit gehört nicht allein, daß das Mädchen schon einem Manne den Beischlaf gestattete, sondern auch schon der Fall, wenn das Mädchen in sittenloser Gesinnung sonstige unzüchtige Handlungen sich zu Schulden kommen ließ. 2. Ein Mädchen, das von einem Manne genotzüchtigt wurde, ist damit nicht beschälten geworden. 3. Ein zweites Mal kann ein Mädchen nicht verführt werden, weil es durch die erste Beischlafsgestattung beschatten geworden ist. 4. Verführen heißt seinen Lüsten dienstbar machen unter Mißbrauch der geschlechtlichen Unerfahrenheit des Mädchens, und zwar muß der Bei-

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Lffentl. Ärgernis d. Unzucht § 183 — Sittlichkeitsvergehen § 184.

schlaf vollzogen sein, anderenfalls kommt nur evtl. Beleidigung in Betracht. Wenn das Mädchen sich anbietet, liegt keine Verführung vor. 6. Die Mutter kann auch bei Lebzeiten des Vaters selbständig den Strafantrag stellen. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c OVO.

8 183. Wer durch eine unzüchtige Handlung öffentlich ein Ärgernis gibt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. 1. über „unzüchtige Handlungen" vgl. oben Bem. 1 zu § 174; nur fallen hier unter Handlungen abweichend von § 174 auch bloße Äußerungen. Durch die Handlung muß ein geschlechtlicher Reiz erregt werden können. Bloße schweinische Handlungen wie z. B. das Entblößen des Hinterteils genügen nicht zur Erfüllung dieses Tatbe­ standes, es kann aber ein grober Unfug (§ 36011 StGB.) oder eine Beleidigung darin gefunden werden. 2. Der Täter muß sich bewußt sein, daß seine Handlung gegen Zucht und Sitte in geschlechtlicher Hinsicht verstößt. Es liegt deshalb der Tat­ bestand nicht vor, wenn der Täter vor Männern sein Wasser abschlägt und nicht weiß, daß etwa Frauen zuschauen. 3. Durch die Handlung muß ein Ärgernis gegeben worden sein, d. h. es muß irgendeine Perlon, wenn auch nur ein Kind, in ihrem Sittlichkeitsgefühl verletzt worden sein. 4. Das Ärgernis muß öffentlich gegeben sein, es muß also die Handlung öffentlich verübt worden sein, an einem Orte, an dem sie von beliebigen unbesttmmten Personen wahrgenommen werden konnte. Einerlei ist, ob wirtlich weitere Personen als diejenige, welche Ärgernis genommen hat, dazu kamen, wenn nur noch andere beliebige Personen hätten dazu kommen können. 6. Das Vergehen wird besonders häufig begangen von Männern, die ihren entblößten Geschlechtsteil Frauen oder Kindern zeigen (sog. Exhibittonisten). Wenn das Vergehen mehrfach von demselben Manne begangen wird, so ist besonders auch sein Geisteszustand festzustellen. Nach dem Gesetz vom 24. November 1933 kann gegen einen Exhibitionisten auf Entmannung erkannt werden (§ 42k). Scliöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c OVO.

§ 184. Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geld­ strafe oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer 1. unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, verteilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt oder sonst ver­ breitet, sie zum Zwecke der Verbreitung herstellt oder zu demselben Zwecke vorrätig hält, ankündigt oder anprcist; 2. unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen einer Person unter sechzehn Jahren gegen Entgelt über­ läßt oder anbietet;

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Sittlichkeitsvergehen § 184.

3. Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauche bestimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, aus­ stellt oder solche Gegenstände dem Publikum ankündigt oder anpreist; 3 a. wer in einer Sitte oder Anstand verletzenden Weise Mit­ tel, Gegenstände oder Verfahren, die zur Verhütung von Geschlechtskrankheiten dienen, öffentlich ankündigt, anpreist oder solche Mittel oder Gegenstände an einem dem Publi­ kum zugänglichen Orte ausstellt; 4. öffentliche Ankündigungen erläßt, welche dazu bestimmt sind, unzüchtigen Verkehr herbeizuführen. Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. 1. über die Bedeutung von „unzüchtig" vgl. oben Bem. 1 zu § 174. Nicht darauf kommt es an, ob eine Schrift usw. geeignet ist die Lüstern­ heit anzuregen, sondern ob sie das Schamgefühl verletzen kann, das sich nach dem Durchschnittsgefühl der Gesamtheit bestimmt. Eine Darstellung des nackten menschlichen Körpers oder von Teilen desselben ist nur dann unzüchtig, wenn die Darstellung zu einem schamvevletzenden Zwecke gemacht wurde und dies aus der Darstellung selbst oder aus ihrer Zusammenstellung mit anderen Darstellungen erkennbar ist. 2. Zu Ziff. 1: Feilhalten heißt für das Publikum bereit halten, dazu genügt in einer verschlossenen Schublade aufgestapelt halten. Dem Publikum zugänglich sind die Orte nur, wenn beliebige un­ bestimmte Personen zu denselben gelangen können. Eine Ausstellung kann auch durch den Kinematograph erfolgen. Auch Schallplatten, die Gesangsstücke wiedergeben, gehören hierher. Strafbar ist der Aussteller usw. nur, wenn er die Unzüchtigkeit des Inhalts der Schrift auch kennt. 3. Zu Ziff. 2: diese Bestimmung findet Anwendung auf Personen, die ohne mit solchen Dingen Handel zu treiben, diese Personen unter 16 Jahren gegen Entgelt überlassen. Kaufleute, die einen Handelsartikel dieser Art anderen verkaufen, fallen ja schon unter die Ziff. 1. 4. Zu Ziff. 3: mit dieser Bestimmung soN die schamlose Aus­ stellung und Ankündigung von Präservativs, Schwämmchen, hygienischer Waren, Mitteln zur Verhütung der Empfängnis verhindert werden. Nur diejenigen Gegenstände, die in erster Linie gesundheitlichen Zwecken dienen, sind sreigegeben. Das bloße diskrete Verkaufen derartiger Ar­ tikel ist natürlich nicht strafbar. 5. Zu Ziff. 3a: Eingeschoben durch RGes. v. 18. Febr. 1927 zur Be­ kämpfung der Geschlechtskrankheiten (RGBl.I S. 61) zur Ergänzung von Ziffer 3. 6. Zu Ziff. 4: Hier sollen Zeitungsannoncen, welche verschleiert oder unverschleiert, unzüchtigen Verkehr zwischen Männern und Frauen oder auch nur zwischen Männern vermitteln sollen, getroffen werden. Grosch-PetterS, Strafgesetzbuch. 12. Aufl.

7

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Sittlichkeitsvergehen § 184 a.

7. Nach § 40 StGB, kann die Einziehung der zur Begehung des Vergehens gebrauchten Schriften usw. erfolgen. Zur Sicherung dieser Einziehung hat die Beschlagnahme zu erfolgen- (§§ 94, 98 StPO., § 23 Abs. 3 des RPreßG.). Amtsrichter § 25 Abs. 1 Nr. 2 b GVG.

§ 184 a. Wer Schriften, Wbildungen oder Darstellungen, welche, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich ver­ letzen, einer Person unter sechzehn Jahren gegen Entgelt über­ läßt oder anbietet, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bestraft. 1. Schriften, Darstellungen usw. können, ohne daß sie das Sittlich­ keitsgefühl in geschlechtlicher Beziehung verletzen, dennoch unter gewissen besonderen Umständen das Schamgefühl gröblich verletzen; dies kann z. B. der Fall sein bei Abbildungen in medizinischen Büchern, bei Ab­ bildung menschlicher Körperteile in Wachs zu wissenschaftlichen Zwecken. Derartige Dinge dürfen nach der Bestimmung dieses Gesetzesparagraphen Personen unter 16 Jahren gegen Entgelt nicht überlassen werden, während ihr Vertrieb sonst natürlich frei sein muß. 2. Bei Bewertung, ob eine derartige Schrift usw. das Schamgefühl gröblich verletzt, muß natürlich auf das Gefühl eines normal veranlagten Menschen zurückgegangen werden und darf nicht das Gefühl eines über­ empfindlichen kleinlichen Menschen in Betracht gezogen werden. 3. Hierzu ist das Reichsgesetz v. 18. Dezember 1926 (RGBl.I S. 505) zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften zu beachten. 8 1- (x) Zum Schutze der Heranwachsenden Jugend werden Schundund Schmutzschriften in eine Liste ausgenommen. Sie sind, sobald ihre Aufnahme in die Liste öffentlich bekannt gemacht ist, im ganzen Reichs­ gebiete folgenden Beschränkungen unterworfen: 1. sie dürfen im Umherziehen weder feilgehalten noch angeboten oder angekündigt werden; auch dürfen auf sie keine Bestellungen im Um­ herziehen gesucht oder entgegengenommen werden; 2. sie dürfen im stehenden Gewerbe, von Haus zu Haus oder auf öffent­ lichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an andern öffentlichen Orten nicht feilgeboten, angekündigt sowie innerhalb der Verkaufsräume und in Schaufenstern oder an anderen von der Straße aus sichtbaren Orten nicht zur Schau gestellt werden; auch dürfen Bestellungen auf sie nicht aufgesucht werden; 3. sie dürfen Personen unter 18 Jahren weder zum Kaufe angeboten noch innerhalb des gewerblichen Betriebs entgeltlich oder unentgelt­ lich überlassen werden. (2) Reichs-, Staats- und Gemeindebehörden haben die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, daß in keiner ihrer Einrichtungen Kindern oder Jugendlichen Bücher oder Schriften zugänglich gemacht werden, die in der Liste der Schmutz- oder Schundschriften ausgenommen sind. (3) Werden mehr als zwei Nummern einer periodischen Druckschrift, die innerhalb Jahresfrist erschienen sind, auf die Listen gesetzt, so kann auch die periodische Druckschrift als solche auf die Dauer von drei bis zwölf Monaten auf die Liste gesetzt werden. Politische Tageszeitungen und politische Zeitschriften werden hiervon nicht betroffen.

§ 184 d.

Beleidigung § 185.

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(4) Als auf die Liste gesetzt gilt auch eine angeblich neue Schrift, die sich sachlich als eine bereits auf die Liste gesetzte Schrift darstellt. (ö) Eine Schrift kann wegen ihrer politischen, sozialen, religiösen, ethischen oder weltanschaulichen Tendenz als solche nicht auf die Liste gesetzt werden. § 2. Die Entscheidung darüber, ob eine Schrift auf die Liste gesetzt werden soll, erfolgt durch Prüfstellen, die von dem Reichsminister des Innern errichtet werden .... § 6. (!) Wer vorsätzlich den Bestimmungen der § 1 und 4 Absatz 5 (Hinweis, daß ein Verfahren auf Aufnahme in die Liste anhängig oder anhängig gewesen ist) zuwiderhandelt und wer die Liste (§ 1) zum Zwecke des Anpreisens abdruckt oder vervielfältigt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen be­ straft. Wer die Tat fahrlässig begeht, wird nur mit Geldstrafe bestraft. (2) In besonders leichten Fällen kann von Strafe abgesehen werden. (3) Neben der Strafe ist bei vorsätzlicher Zuwiderhandlung auf Ein­ ziehung der zur Begehung der Tat gebrauchten oder bestimmten Schrif­ ten zu erkennen, auch wenn sie weder dem Täter noch einem Teilnehmer gehören. Auf die Einziehung kann selbständig erkannt werden, wenn die Verfolgung oder Verurteilung einer bestimmten Person nicht ausführbar ist. Bem.: Das Verbot des Kolportagebuchhandels sowie des Feilbietens im stehenden Gewerbe trifft nach § 1 auch die Verbreitung dieser Schrif­ ten unter Erwachsenen. Amtsrichter § 25 Abs. 1 Nr. 2b OVO.

§ 184 b. Mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten wird bestraft, wer aus Gerichtsverhandlungen, für welche wegen Gefährdung der Sittlichkeit die Öffentlichkeit aus­ geschlossen war, oder aus den diesen Verhandlungen zugrunde liegenden amtlichen Schriftstücken öffentlich Mitteilungen macht, welche geeignet sind, Ärgernis zu erregen. Vgl. hierzu § 174 Abs. 2 des GBG.

vierzehnter «-schnitt.

Beleidigung.

Vorbemerkung: Die Vergehen der Beleidigung in den Fällen der §§ 185 bis 187, 189 StGB, können auch im Wege der Privatklage vom Verletzten ver. folgt werden, wenn nicht eine der in § 197 bezeichneten Körperschaften beleidigt ist (vgl. § 374 Abs. 1 Nr. 2 StPO, im Anhang). Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 a u. c OVO.

8 18k. Die Beleidigung wird mit Geldstrafe oder mit Hast oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 1. Unter Beleidigung versteht man die unberechtigte Darlegung der Mißachtung seines Nebenmenschen oder, wie es sonst noch auSgedrückt wird: „jede vorsätzliche, die Kränkung der Ehre eines andern enthaltende rechtswidrige Kundgebung". 2. Die Beleidigung ist entweder eine wörtliche oder eine tätliche. 7*

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Beleidigung § 186.

Letztere wird begangen durch körperliche Einwirkung auf die Person eines andern, solange diese Einwirkung nicht zu einer Mißhandlung oder Gesundheitsbeschädigung führt, denn dann ist es Körperverletzung (8 223). Anspeien s. unter Bem. 2 am Ende zu § 223. 3. Tie Beleidigung kann auch eine schriftliche (durch Zusendung eines Briefes, durch die Presse) oder eine symbolische sein, durch Gesten, Zeichen. 4. Die wörtliche Beleidigung kann eine sog. formale sein, durch ein Schimpfwort (Schuft, Gauner usw.), das unter allen Umständen die Ehre des andern kränkt, oder eine durch Behauptung von ehrenrührigen Tatsachen begangene. Werden die ehrenrührigen Tatsachen nicht dem Beleidigten direkt in das Gesicht geschleudert, sondern einem andern gegenüber oder wenigstens in Gegenwart eines andern ausgesprochen, so liegt das Vergehen der „Übeln Nachrede" — § 186 — vor. Vgl. unten Bem. 1 zu 8 186. 5. Beleidigt werden kann nur ein Lebender, von dessen Leben der Beleidiger auch weiß. Wegen der Beschimpfung des Andenkens eines Ver­ storbenen vgl. § 189. Vgl. auch den durch die VO. vom 19. Dez. 1932 neu geschaffenen § 94. 6. Eine juristische Person — Stiftung — kann nicht beleidigt werden, wohl aber die an der Spitze derselben stehende Behörde (vgl. § 196). Auch ein Verein als solcher kann nicht beleidigt werden. Wenn die Kundgebung so ist, daß die Ehre der Mitglieder verletzt wird, dann sind diese beleidigt. 7. Kinder und Geisteskranke können beleidigt werden, wenn sie selbst auch die Kränkung nicht empfinden. 8. Beleidigt werden kann auch eine Person, der die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind. 9. Dadurch wird eine Beleidigung nicht straflos, daß derjenige, auf den sie zielt, nicht ausdrücklich genannt ist, wenn er nur so bezeichnet wurde, daß herauszufinden ist, wer gemeint ist. 10. Tie Rechtswidrigkeit einer Ehrenkränkung kann unter gewissen Umständen ausgeschlossen sein; vgl. § 193. 11. Tie Absicht zu beleidigen ist zu dem Tatbestand des § 185 nicht erforderlich. Ter Beschuldigte muß sich aber bewußt gewesen sein, daß seine Kundgebung die Ehre des andern verletzt. 12. Auch ein im Scherz getaner Ausspruch kann eine Beleidigung sein, wenn der andere nicht wissen kann, daß es sich um einen Scherz handelt oder wenn es schon eine Mißachtung ist dem andern gegen­ über, sich mit ihm Scherze zu erlauben. 13. Tas Ansinnen einer unzüchtigen Handlung an einen andern, also die Zumutung sich widernatürliche Unzucht gefallen oder etwa den Beischlaf an sich vollziehen zu lassen, ist eine Beleidigung, verliert aber sofort den beleidigenden Charakter, wenn der oder die andere darauf eingeht. 14. Zuständig ist, wenn die Beleidigung int Wege der Privatklage vom Verletzten selbst verfolgt wird (§ 374 StPO.), der Amtsrichter als Einzelrichter. § 25 tos. 1 8.2a GBG. 15. Eine Strafschärfung für die öffentliche Beschimpfung des Reichs­ präsidenten enthält § 94 tos. 2.

Beleidigung §§ 186, 187.

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Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2a u. c OVO.

§ 186. Wer in Beziehung auf einen anderen eine Tat­ sache behauptet oder verbreitet, welche dmselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen ge­ eignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, wegen Beleidigung mit Geldstrafe oder mit Haft oder mit Gefäng­ nis bis zu einem Jahre und, wenn die Beleidigung öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Abbildungen oder Dar­ stellungen begangen ist, mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. 1. Tie „üble Nachrede", wie der Tatbestand dieses Paragraphen genannt wird, liegt nur vor, wenn außer dem davon Betroffenen noch ein anderer den Ausspruch usw. hört, sonst liegt vielleicht der Tatbestand der Beleidigung im Sinne des § 185 vor (s. oben Bem. 4 zu § 185). 2. Die „üble Nachrede" des § 186 unterscheidet sich von der Ver­ leumdung des § 187 dadurch, daß die behaupteten Tatsachen seitens des Beschuldigten nicht bewiesen werden können, während sie bei der Verleumdung in voller Kenntnis ihrer Unwahrheit aufgestellt sind. 3. Auch das Verbreiten von Gerüchten fällt unter diese Straf­ bestimmung. Das Beifügen, man glaube nicht daran, hebt die Straf­ barkeit nicht auf. 4. Behaupten vgl. Bem. 3 zu 8 131. Auch die Behauptung einer Tat­ sache von einem Dritten kann für einen anderen herabwürdigend sein, so wenn z. B. behauptet wird, die Tochter des andern habe außerehelich geboren. 5. Öffentlich ist die üble Nachrede begangen, wenn sie so vor­ genommen wurde, daß sie unbestimmt von welchen und wievielen Personen wahrgenommen werden konnte, einerlei, ob sich der Täter dabei an einem öffentlichen Ort oder in einer Privatwohnung befand. 6. Behauptet der Beschuldigte die Wahrheit des von ihm Aus­ gesprochenen, so ist der Beweis dafür, wie überhaupt im Strafprozeß, von Amts wegen zu erheben. Handelt es sich um die Behauptung einer strafbaren Handlung, so kommt die Bestimmung des § 190 StGB, in Betracht. 7. Eine erhebliche Strafschärfung für öffentliche Beleidigung nach § 186 (Gefängnis nicht unter 3 Monaten) hat die NotVO. vom 8. Dez. 1931 gebracht in dem Falle, daß der Verletzte im öffentlichen Leben steht (RGBl. S. 699, 743). Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28. 25 Abs. 1 Nr. 2 a u. c OVO.

§ 187. Wer wider besseres Wissen in Beziehung auf einen anderen eine unwahre Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung hcrabzuwürdigen oder dessen Kredit zu gefährden geeignet ist, wird wegen verleumderischer Beleidigung mit Gefängnis bis zu zwei Jahren und, wenn die Verleumdung öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen begangen ist, mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft.

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Beleidigung §§ 188, 189.

Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann die Strafe bis auf einen Tag Gefängnis ermäßigt, oder auf Geldstrafe er­ kannt werden. 1. Unterschied zwischen übler Nachrede und Verleumdung vgl. oben Bem. 2 zu 8 186. 2. Dem Beschuldigten muß nicht nur die Unwahrheit der behaup­ teten Tatsache, sondern auch nachgewiesen werden, daß er sie wider besseres Wissen ausgesprochen, daß er also die Unwahrheit genau ge­ kannt hat. 3. Zu der Kreditgefährdung vgl. auch das Reichsgesetz zur Be­ kämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 7. Juni 1909 (RGBl. 499) in der Fassung der VO. des Reichpräsidenten zum Schutze der Wirtschaft vom 9. März 1932, § 15 (RGBl. I S. 121). 4. Unter Kredit versteht man das Vertrauen, das jemandem in bezug auf die Erfüllung von Verbindlichkeiten vermögensrechtlicher Art entgegengebracht wird. Als Verletzte können deshalb hier auch Handelsgesälschaften, Aktiengesellschaften, Genossenschaften in Betracht kommen, über die Art wie sie zu klagen haben vgl. § 374 Abs. 3 StPO. 5. Tie Verleumdung kann auch Zusammentreffen mit falscher An­ schuldigung; 8 164 StGB. 6. Eine erhebliche Strafschärfung für öffentliche Verleumdung (Ge­ fängnis nicht unter 6 Monaten) hat die NotBO. vom 8. Dez. 1931 ge­ bracht in dem Falle, daß der Verletzte im öffentlichen Leben steht (RGBl. 5. 699, 743).

8 188. In den Fällen der §§ 186 und 187 kann auf Verlangen des Beleidigten, wenn die Beleidigung nachteilige Folgen für die Vermögensverhältnisse, den Erwerb oder das Fortkommen des Beleidigten mit sich bringt, neben der Strafe auf eine an den Beleidigten zu erlegende Buße bis zum Betrage von zehntausend Reichsmark erkannt werden. Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines wei­ teren Entschädigungsanspruches aus. Über die Buße, welche außer der Strafe zu erkennen ist und den Vermögensschaden sowie sonstige Einbußen ersetzen soll, vgl. 88 395 ff. StPO. — Der Mindestbetrag ist drei, der Höchstbetrag 10000 . B. vom 6. Februar 1924 (RGBl. S. 44). In den zu 8 166 A. 7, und 8 187 A. 6 genannten Fällen kann das Gericht außerdem auf eine an die Staatskasse zu entrichtende Buße bis zu 100000 M erkennen. Schöfienger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 a u. c GVG.

8 189. Wer das Andenken eines Verstorbenen dadurch beschimpft, daß er wider besseres Wissen eine unwahre Tat­ sache behauptet oder verbreitet, welche denselben bei seinen Leb­ zeiten verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet gewesen wäre, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft.

Beleidigung §§ 190—192.

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Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geld­ strafe erkannt werden. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern, der Kinder oder des Ehegatten des Verstorbenen ein. 1. Der Strafantrag (vgl. § 61 StGB.) ist nicht vererblich. Es bewirkt deshalb der Tod des Beleidigten den Untergang der Straf­ antragsberechtigung. Auch kann überhaupt nur ein Lebender beleidigt werden (vgl. oben Bem. 5 zu Z 185). Es ist deshalb hier für be­ sonders schwere Fälle, die Beschimpfung des Andenkens Verstorbener durch verleumderische Behauptungen, wie sie in § 187 gegenüber Lebenden bedroht sind, eine Ausnahmestrafvorschrift getroffen. 2. Ta den Antrag hier nach besonderer Vorschrift des Absatz 3 nur leibliche Eltern, Kinder oder der Ehegatte des Verstorbenen stellen können, so können also nur Verstorbene beschimpft werden, von denen ein Elternteil, ein Kind oder der Ehegatte noch lebt.

8 190* Ist die behauptete oder verbreitete Tatsache eine strafbare Handlung, so ist der Beweis der Wahrheit als erbracht anzusehen, wenn der Beleidigte wegen dieser Handlung rechts­ kräftig verurteilt worden ist. Der Beweis der Wahrheit ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Beleidigte wegen dieser Hand­ lung" vor der Behauptung oder Verbreitung rechtskräftig frei­ gesprochen worden ist. Der Paragraph enthält eine das Gericht bindende Beweisregel für den Fall, daß die Beleidigung in der Behauptung oder Verbreitung einer gerichtlich (nicht etwa nur dienstpolizeilich) strafbaren Handlung besteht.

§ INI. Ist wegen der strafbaren Handlung zum Zwecke der Herbeiführung eines Strafverfahrens bei der Behörde Anzeige gemacht, so ist bis zu dem Beschlusse, daß die Eröffnung der Untersuchung nicht stattfinde, oder bis zur Beendigung der eingeleiteten Untersuchung mit dem Verfahren und der Ent­ scheidung über die Beleidigung inne zu haltm. 1. Dieser Paragraph gehört unmittelbar zu dem vorhergehenden § 190 und dient zu dessen näherer Ausführung für einen besonderen Fall. 2. Vgl. auch die ähnliche Vorschrift bei § 164 Abs. 6 (falsche An­ schuldigung).

§ 192* Der Beweis der Wahrheit der behaupteten oder verbreiteten Tatsache schließt die Bestrafung nach Vorschrift des § 185 nicht aus, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. Wenn «ine erweislich wahre Tatsache behauptet oder verbreitet wird, so ist dies keine rechtswidrige Handlung und deshalb auch nicht nach §§ 186, 187 StGB, strafbar. Wohl aber kann darin noch eine nach § 185 strafbare Beleidigung gefunden werden, wenn sich aus den näheren

104

Beleidigung §§ 193, 194.

Umständen (vgl. darüber Bem. 6 zu § 193) ergibt, daß der Täter damit seine Mißachtung des Betroffenen unberechtigterweise darlegen wollte.

§ 193. Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, ingleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahr­ nehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vor­ haltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von feiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vor­ handensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. 1. Auch wenn der Tatbestand der §§ 185, 186, 187, 189 vorliegt, soll die Handlung nicht rechtswidrig sein und deshalb nicht bestraft werden, wenn die in diesem Paragraph aufgeführten Fälle vorliegen. 2. In Wahrnehmung berechtigter Interessen handelt derjenige, welcher in einer ihn nahe angehenden Angelegenheit Schutzbehauptungen aufstellt, z. B. im Zivilprozeß dem Gegner Unglaubwürdigkeit vorwirft. Es kommen dabei nicht nur die höchstpersönlichen eigenen Interessen in Betracht, son­ dern auch mittelbar die Interessen einer Körperschaft, der der Täter angehört, oder fremder Personen, wenn der Täter nur nahe Beziehungen zu ihnen hat (z. B. der Redakteur einer Zeitung). Die Inanspruchnahme der Presse kann nur zugebilligt werden, wenn die Anrufung der Behörde nutzlos erscheint oder wenigstens vom Täter in gutem Glauben für nutzlos erachtet wurde. Der Angezeigte hat aber nicht das Recht, zu seiner Ver­ teidigung wissentlich unwahre ehrverletzende Behauptungen über einen Anderen aufzustellen. Anzeigen unter falschem Namen, die vielleicht sogar Urkundenfälschungen sind, können den Schutz des § 193 nicht beanspruchen. 3. Tie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten sind nicht rechts­ widrig und werden deshalb auch hier aufgezählt. Tie Bestimmung findet auch Anwendung im Verhältnis eines Privatbeamten zu seinem Vorgesetzten. 4. Der Ausdruck „dienstliche Anzeigen" umfaßt nicht nur die An­ zeige selbst, sondern auch die Ausführungen zur Begründung und Er­ läuterung der Anzeige. 5. Tätliche Beleidigungen kommen natürlich hier nicht in Betracht. 6. Ist aber die Form der Beleidigung (also der Ton der Äußerung, die Beigabe von Schimpfworten) oder sind die begleitenden Umstände (Vorbringung vor einer zur Empfangnahme solcher Mitteilungen ganz unberechtigten Person usw.) so, daß daraus zu ersehen ist, der Täter habe dem Betroffenen die Mißachtung seiner Person unberechtigterweise absichtlich darlegen wollen, ihn in seiner Ehre angreifen wollen, dann muß dennoch Strafe eintreten. Bloße Übertreibungen, Verstärkungen und Vergrößerungen machen noch nicht strafbar.

§ 194. Die Verfolgung einer Beleidigung tritt nur auf Antrag ein. Die Zurücknahme des Antrages (§§ 185—193) ist zulässig.

Beleidigung §§ 195-198.

105

1. Vgl. hierzu die §§ 61—65 StGB, über den Antrag. — über die Privatklage s. § 381 StPO, im Anhang. 2. Die öffentliche Klage wird von der Staatsanwaltschaft nur dann erhoben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt (§ 376 StPO.), z. B. bei Beleidigung von Beamten.

§ ISS. Ist eine Ehefrau beleidigt worden, so hat sowohl sie, als ihr Ehemann das Recht, auf Bestrafung anzutragen. 1. Der Ehemann hat bei den Beleidigungen ausnahmsweise (vgl. § 65 StGB.) neben der Ehefrau ein selbständiges Antragsrecht. 2. Es kommt darauf an, ob der Ehemann z. Zt. als die Beleidigung gefallen ist, verheiratet war mit der Beleidigten.

§ 196. Wenn die Beleidigung gegen eine Behörde, einen Beamten, einen Religionsdiener oder ein Mitglied der bewaff­ neten Macht, während sie in der Ausübung ihres Berufes begriffen sind, oder in Beziehung auf ihren Beruf begangen ist, so haben außer den unmittelbar Beteiligten auch deren amtliche Vorgesetzte das Recht, den Strafantrag zu stellen. 1. Die hier genannten Vorgesetzten haben ein selbständiges An­ tragsrecht neben dem Beleidigten. 2. Behörden sind Organe der Staatsgewalt, welche uyter öffent­ licher Autorität für die Staatszwecke dienstbar sind. Auch die mittel­ bar für Staatszwecke tätigen Organe der Kommunen (Gemeinden, Kreise usw.) gehören hierher. Auch kirchliche Behörden sind in dieser Bestim­ mung mitinbegriffen. (Anders bei § 114 StGB ). 3. Zu den Mitgliedern der bewaffneten Macht gehören alle Per­ sonen des Soldatenstandes (vgl. oben Bem. 1 zu 8 112). 4. Einerlei ist es für oie hier fest gesteifte Antragsberechtigung, ob der beleidigte Beamte in rechtmäßiger Ausübung seines Berufes war. (Anders beim Widerstand, § 113). 5. Eine Beziehung auf den Beruf braucht nicht vorhanden zu sein, wenn dem Beamten eine allgemein sittenwidrige Handlung (z. B. ein falscher Zeugeneid) vorgeworfen wird, auch wenn der Beamte infolge seiner dienstlichen Tätigkeit die Handlung ausführen mußte. 6. Bon mehreren Vorgesetzten hat jeder das Antragsrecht, nicht nur der unmittelbar Vorgesetzte.

§ 197. Eines Antrages bedarf es nicht, wenn die Be­ leidigung gegen eine gesetzgebende Versammlung des Reichs oder eines Bundesstaats, oder gegen eine andere politische Körper­ schaft begangen worden ist. Dieselbe darf jedoch nur mit Er­ mächtigung der beleidigten Körperschaft verfolgt werden. Das ist eine Ausnahme von § 194.

§ 198. Ist bei wechselseitigen Beleidigungen von einem Teile auf Bestrafung angetragen worden, so ist der andere Teil bei Verlust seines Rechts verpflichtet, den Antrag auf Be­ strafung spätestens vor Schluß der Verhandlung in erster In-

106

88 m, 200.

Zweikampf 8 201.

stanz zu stellen, hierzu aber auch dann berechtigt, wenn zu jenem Zeitpunkte die dreimonatliche Frist bereits abgelaufen ist. Wechselseitige Beleidigungen sind miteinander Int Zusammenhang stehende, gegenseitige Beleidigungen, die aber nicht auf der Stelle erwidert zu sein brauchen.

§ 199, Wenn eine Beleidigung auf der Stelle erwidert wird, so kann der Richter beide Beleidiger oder einen derselben für straffrei erklären. „Auf der Stelle erwidert" heißt nicht etwa am sellen Platz sofort erwidert, sondern nur alsbald nach der Kenntnisnahme erwidert.

§ 200. Wird wegen einer öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, Darstellungen oder Abbildungen begangenen Beleidigung auf Strafe erkannt, so ist zugleich dem Beleidigten die Befugnis zuzusprechen, die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen. Die Art der Bekannt­ machung, sowie die Frist zu derselben ist in dem Urteile zu bestimmen. Erfolgte die Beleidigung in einer Zeitung oder Zeitschrift, so ist der verfügende Teil des Urteils auf Antrag des Be­ leidigten durch die öffentlichen Blätter bekannt zu machen, und zwar wenn möglich durch dieselbe Zeitung oder Zeitschrift und in demselben Teile und mit derselben Schrift, wie der Abdruck der Beleidigung geschehen. Dem Beleidigten ist auf Kosten des Schuldigen eine Aus­ fertigung des Urteils zu erteilen. 1. Wegen der öffentlichen Begehung vgl. Bem. ö zu ß 186. 2. Auch dem amtlich Vorgesetzten, der den Antrag nach § 196 StGB, gestellt hat, ist die Befugnis zuzusprechen.

Fünfzehnter Abschnitt.

Zweikamps.

Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

§ 201. Die Herausforderung zum Zweikampf mit tödlichen Waffen, sowie die Annahme einer solchen Herausforderung wird mit Festungshaft bis zu sechs Monaten bestraft. 1. Unter Zweikampf im Sinne der §§ 201—210 versteht man einen zwischen zwei Personen verabredeten ernstlichen Kampf mit tödlichen Waffen nach vereinbarten oder hergebrachten Regeln. 2. Tas Kampfspiel ist hiernach kein Zweikampf; ebensowenig ein Kampf unter mehr als zwei Personen, ein sog. Raufhandel, wie er in § 227 StGB, behandelt ist. Auch die sog. Attacke, ein Angriff mit dem Aufruf zur Gegenwehr, ist kein Zweikampf. Tas sog. amerikanische Duell ist kein Zweikampf sondern verabredeter Selbstmord.

Zweikampf §§ 202—204.

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3. Dagegen bedarf es nicht längerer Vorbereitung zum Zweikampf, es kann ein Zweikampf vorliegen, wenn sich zwei begegnen und nach wenigen Worten gegenseitiger Vereinbarung zur Waffenanwendung schreiten (sog. Renkontre). 4. Der Zweikampf ist auch nicht etwa ein Privileg gewisser Stände (z. B. der Offiziere oder Studenten). Er kann in jedem Stand, also auch dem Arbeiter- und Bauernstand vorkommen. 6. Waffen irgendwelcher Art und zwar derselben weiteren Klasse bei beiden Gegnern (also Schußwaffen oder Hiebwaffen) müssen ange­ wendet sein, damit ein Zweikampf vorliegt. Ein Boxkampf gehört nicht hierher, dagegen nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts früher die studentischen Schlägermensuren, ohne Rücksicht auf die im einzelnen Falle getroffenen Vorsichtsmaßregeln. Vgl. jetzt § 210 a. 6. Eine tödliche Waffe ist eine Waffe, welche geeignet und bestimmt ist, tödliche Verletzungen beizubringen. 7. In § 201 wird lediglich die Herausforderung zum Zweikampf, sei sie nun zwischen den Gegnern direkt oder durch Mittelspersonen (sog. Kartellträger, § 203 StGB.) gefallen, mit Strafe bedroht. Vom stattgehabten Zweikampf handeln die §§ 205 ff. StGB. 8. Die Strafe fällt weg, wenn die Parteien den Zweikampf frei­ willig aufgegeben haben (§ 204 StGB.). Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr.2c GVG.

8 202. Festungshaft von zwei Monaten bis zu zwei Jahren tritt ein, wenn bei der Herausforderung die Absicht, daß einer von beiden Teilen das Leben verlieren soll, entweder aus­ gesprochen ist oder aus der gewählten Art des Zweikampfes erhellt. Aus der gewählten Art des Zweikampfes erhellt die Absicht, daß ein Teil das Leben verlieren soll, wenn z. B. das Schießen über daSchnupftuch ausgemacht ist. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

§ 203. Diejenigen, welche den Auftrag zu einer Heraus­ forderung übernehmen und ausrichten (Kartellträger), werden mit Festungshaft bis zu sechs Monaten bestraft. über die Kartellträger f. auch oben Bem. 7 zu § 201.

§ 204. Die Strafe der Herausforderung und der An­ nahme derselben, sowie die Strafe der Kartellträger fällt weg, wenn die Parteien den Zweikampf vor dessen Beginn freiwillig aufgegeben haben. 1. Der Zweikampf hat begonnen, wenn mindestens einer der Gegner mit den Kämpfen, sei es auch nur durch erfolgloses Abdrücken der Schußwaffe, den Anfang gemacht hat. Mes was vorher liegt ist ledig­ lich Borbereitungshandlung. 2. Wenn der Zweikampf von Polizeiorganen entdeckt ist und die Gegner dann deshalb vom Kampfe abstehen, ist das natürlich kein freiwilliges Aufgeben.

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Zweikampf §§ 205—209. Schöffe 11 ger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c ovo.

§ 2VS. Der Zweikampf wird mit Festungshaft von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. 1. Erst wenn der Zweikampf begonnen hat (f. Bem. 1 zu § 204), tritt diese Strafbestimmung ein. Vorher ist nur die Herausforderung strafbar (§ 201). 2. Ter Teilnahme an dem Zweikampf machen sich auch die Mit­ glieder des Ehrengerichts, welches über die Zulässigkeit des Zwei­ kampfes entscheidet, schuldig. S ch ö f f e n g e r. §§ 28, 24 Nr. 3a OVO.

§ 206. Wer seinen Gegner im Zweikampf tötet, wird mit Festungshaft nicht unter zwei Jahren, und wenn der Zwei­ kampf ein solcher war, welcher den Tod des einen von beiden herbeiführen sollte, mit Festungshaft nicht unter drei Jahren bestraft. 1. Tie schwere Strafe dieses Paragraphen tritt ein, wenn einer der Gegner infolge der im Zweikampf erlittenen Verletzungen stirbt, wenn der Tod auch erst nach Wochen im Krankenbett erfolgt und wenn der andere Teil den Tod auch gar nicht gewollt hat. 2. Tie noch schwerere Strafe des zweiten Satzes dieses Paragraphen tritt ein, wenn bei der Vereinbarung des Zweikampfes die Absicht vorlag, daß einer das Leben lasse, z. B. wenn Kugelwechsel bis zum Fallen eines Teils ausgemacht war.

§ 297. Ist eine Tötung oder Körperverletzung mittels vorsätzlicher Übertretung der vereinbarten oder hergebrachten Regeln des Zweikampfes bewirkt worden, so ist der Über­ treter, sofern nicht nach den vorhergehenden Bestimmungen eine härtere Strafe verwirkt ist, nach den allgemeinen Vorschriften über das Verbrechen der Tötung oder der Körperverletzung zu bestrafen. 1. Wenn ein Teil nicht vorsätzlich sondern nur in der Hitze des Kampfes fahrlässig die Regeln des Zweikampfes außer acht gelassen hat, kommt diese Bestimmung nicht in Anwendung. 2. Tötung §§ 211 ff., Körperverletzung §§ 223 ff.

§ 298. Hat der Zweikampf ohne Sekundanten stattgefunden, so kann die verwirkte Strafe bis um die Hälfte, jedoch nicht über fünfzehn Jahre erhöht werden. Unter Sekundanten versteht man die beim Zweikampf Mitwirkenden, welche je einer auf einer Seite dem Kämpfenden beistehen, um ihn vor regelwidrigen Ausschreitungen des Gegners zu schützen.

§ 209* Kartellträger, welche ernstlich bemüht gewesen sind, den Zweikampf zu verhindern, Sekundanten, sowie zum Zwei­ kampf zugezogene Zeugen, Ärzte und Wundärzte sind straflos.

§§ 210, 210 a. Mord und Totschlag § 211.

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Kartellträger s. § 203 und Bem. 7 zu 8 201. — Sekundanten s. Bem. 1 zu 8 208. — Zu den Zeugen gehört auch der sog. Unparteiische. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c OVO.

§ 210. Wer einen andern zum Zweikampf mit einem Dritten absichtlich, insonderheit durch Bezeigung oder Androhung von Verachtung anreizt, wird, falls der Zweikampf stattgefunden hat, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. In dem Anreizen kann auch eine Anstiftung (vgl. 8 48 StGB.) liegen. Es kann aber auch weniger sein als zur Anstiftung erfordert wird.

§ 210 2. Der Zweikampf mit Schlägern unter Vorkehrungen, die bestimmt und geeignet sind, gegen Lebensgefahr zu schützen, so­ wie die Herausforderung zu einem solchen Zweikampf und deren Annahme sind straflos. Eingesügt durch Gesetz vom 26. Mai 1933.

Sechzehnter Abschnitt. Berbrechen nnd Bergehen wider das Leben. Vorbemerkung: 1. In den 88 211 bis 217 wird die vorsätzliche Tötung eines Menschen behandelt, in 8 218 die Abtreibung, in 8 221 die Aussetzung und in § 222 die fahrlässige Tötung eines Menschen. 2. Gegenstand der in diesem Abschnitt behandelten Tötungen ist der Mensch schon als eben zur Welt kommendes Kind, vom Beginne der Geburtswehen an. Vorher kommt die menschliche Frucht nur für die Abtreibung (§ 218) in Betracht. Lebend muß das Kind natürlich sein aber nicht lebensfähig. Es kann also auch ein Kind Gegenstand des Mordes sein, das sowieso nach kürzerer oder längerer Zeit wieder sterben müßte, ebenso wie ein todkranker erwachsener Mensch. 3. Ter Versuch des Selbstmordes ist ebensowenig strafbar wie die Selbstverletzung. Die Tötung eines darnach Verlangenden wird nach 8 216 milder bestraft. 4. Jeder Mensch ist gleich. Wenn der Täter also seinen Feind A. töten will, in der Dunkelheit aber den B. für den A. hält und erschießt, so wird er wegen Mordes oder Totschlages bestraft, wie wenn er den Ä. erschossen hätte. Schießt er aber wirklich auf den A. und trifft nur, weil der Schuß fehl geht, den in der Nähe stehenden B. tödlich, so liegt Versuch der Tötung des A. und fahrlässige Tötung des B. (8 222) vor. 5. Die Tötung ist nicht strafbar, wenn sie nicht rechtswidrig ist: wenn sie vom Soldat im Kriege, vom Scharfrichter, vom Beamten in rechtmäßiger Anwendung obrigkeitlichen Zwanges, vom Arzte bei einer Geburt zur Rettung der Mutter ausgeführt wird. Schwurg. § 80 OVO.

§ 211. Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötnng mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Mordes mit dem Tode bestraft.

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Mord und Totschlag §§ 212- 214.

1. Der Mord, bei dem es keine mildernden Umstände gibt, unter­ scheidet sich vom Totschlag (§§ 212—215) nur dadurch, daß bei ihm die Tötung mit Überlegung nicht nur vorbereitet sondern auch aus­ geführt wird. 2. Überlegung (nicht zu verwechseln mit Vorsatz, der auch beim Tot­ schlag verlangt wird) ist diejenige ruhige Verstandestätigkeit, welche bei Auswahl und Bewertung der anzuwendenden Mittel, bei Beseitigung von der Ausführung entgegenstehenden Hindernissen, bei Sicherung gegen die Verteidigung des Opfers, gegen die Verfolgung und bei sonstigen wich­ tigen Momenten das Für und Wider abwägt. Ohne ausschlaggebende Bedeutung ist die Zeitdauer zwischen Fassung des Entschlusses und Aus­ führung, wenn auch der Ablauf geraumer Zeit in den meisten Fällen für Überlegung sprechen wird. 3. Die Tötung mittels Gift wird meistens Mord sein (vgl. auch § 229). Schwur g. § 80 GVG.

§ 212. Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird, wenn er die Tötung nicht mit Überlegung ausgeführt hat, wegen Totschlags mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bestraft. 1. Über den Unterschied zwischen Mord und Totschlag vgl. Bem. 2 zu § 211. 2. Die vorsätzliche Tötung eines Menschen, für die man die Über­ legung nicht nachweisen kann, fällt unter die Strafbestimmung des Totschlags.

§ 213. War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem Getöteten zum Zorne gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden, oder sind andere mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Hier sind zuerst einige besonders mild zu betrachtende Totschlags­ fälle hervorgehoben und für diese sowie für andere milder zu betrach­ tende Totschlagshandlungen mildernde Umstände zugelassen. Schwur g. §80 OVO.

§ 214. Wer bei Unternehmung einer strafbaren Handlung, um ein der Ausführung derselben entgegentretendes Hindernis zu beseitigen oder um sich der Ergreifung auf frischer Tat zu entziehen, vorsätzlich einen Menschen tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft. 1. Hier handelt es sich um schwerere Bestrafung von Totschlags­ fällen, die besonders gefährlich für die Bevölkerung sind. 2. Tie strafbare Handlung, deren Ausführung durch den Totschlag gesichert werden soll, braucht noch nicht zmn Versuche gediehm zu sein. Sie kann auch nur Übertretung sein. Mildernde Umstände gibt es hier nicht.

§ 215. Tötg. auf Verlang. § 216. Kindsmord § 217. Abtreibg. § 218.

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Schwurg. § 80 GVG.

§ 218. Der Totschlag an einem Verwandten aufsteigender Linie wird mit Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft. 1. Für den Totschlag von Eltern, Großeltern und Urgroßeltern wird hier eine schwerere Bestrafung ohne Zulassung mildernder Um­ stände angedroht. 2. Verwandte aufsteigender Linie vgl. Bem. 3 zu 8 62. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

§ 216. Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Gefängnis nicht unter drei Jahren zu erkennen. Das Verlangen des Getöteten sichert dem Täter eine mildere Be­ strafung, einerlei ob er mit oder ohne Überlegung handelte, ob also Mord oder nur Totschlag vorlag.

S c h w u r g. § 80 GVG.

tz 217. Eine Mutter, welche ihr uneheliches Kind in oder gleich nach der Geburt vorsätzlich tötet, wird mit Zuchthaus nicht unter drei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnis­ strafe nicht unter zwei Jahren ein. 1. Hier wird der sog. Kindsmord behandelt, der aber richtiger Kindslötung genannt wird, weil das Gesetz für diesen Fall nicht unter­ scheidet, ob mit oder ohne Überlegung gehandelt wurde. Grund für die besondere Behandlung dieser Tötung ist die schwere Gemütsbewegung, in der sich die uneheliche Mutter befunden haben muß. Solange diese Gemütsbewegung noch andauert, will das Gesetz die besondere Behand­ lung gewähren. So ist auch der Ausdruck gleich nach der Geburt zu verstehen. Ein bestimmter Zeitabschnitt läßt sich dafür nicht aufstellen. 2. „In der Geburt" heißt vom Beginne der Geburtswehen bis zum vollständigen Austritt aus dem Mutterleibe. 3. Auch der Ehefrau, die ein nicht vom Ehemann gezeugtes Kind gebärt, kommt die Sonderbestimmung dieses Paragraphen zugute. 4. Nur der Mutter kommt die Vergünstigung zugute, jeder andere Teilnehmer ist wegen Teilnahme (Mittäterschaft, Anstiftung, Beihilfe am gemeinen Mord oder Totschlag zur Rechenschaft zu ziehen (vgl. Bem. 2 und 3 zu § 50 StGB.). Schöffenger. §§ 28, 24 Nr. 3a GVG., in Abs. 4 Schwurger.

8 218. Eine Frau, die ihre Frucht im Mutterleib oder durch Abtreibung tötet oder die Tötung durch einen anderen zuläßt, wird mit Gefängnis bestraft. Ebenso wird ein anderer bestraft, der eine Frucht im Mutter­ leib oder durch Abtreibung tötet. Der Versuch ist strafbar. Wer die in Abs. 2 bezeichnete Tat ohne Einwilligung der Schwangeren oder gewerbsmäßig begeht, wird mit Zuchthaus

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Abtreibung §§ 219, 220.

bestraft. Ebenso wird bestraft, wer einer Schwangeren ein Mittel oder Werkzeug zur Abtreibung der Frucht gewerbsmäßig verschafft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter drei Monaten ein.

§ 219. Wer zu Zwecken der Abtreibung Mittel, Gegenstände oder Verfahren öffentlich ankündigt oder anpreist oder solche Mittel oder Gegenstände an einem allgemein zugänglichen Orte ausstellt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Vorschrift des Abs. 1 findet keine Anwendung, wenn Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zu ärztlich gebotenen Unterbrechungen der Schwangerschaft dienen, Ärzten oder Per­ sonen, die mit solchen Mitteln oder Gegenständen erlaubterweise Handel treiben, oder in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachzeit­ schriften angekündigt oder angepriesen werden. § 229. Wer öffentlich seine eigenen oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung von Abtreibungen anbietet, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 1. Die jetzige Fassung des § 218 wurde durch Gesetz vom 28. Mai 1926 geschaffen. Die Strafrechtsnovelle vom 26. Mai 1933 hat in §§ 219, 220 zwei neue Vorschriften eingefügt, um diejenigen treffen zu können, die häufig erst den Entschluß zur Abtreibung in der Schwangeren hervorrufen, indem sie Abtreibungsmittel und Hilfeleistung zwecks Abtreibung öffentlich anbieten. 2. Während die Tötungsverbrechen der §§ 211 bis mit 217 sich gegen den Menschen vom Beginne der Geburtswehen an richten, handelt der § 218 von der Vernichtung der Leibesfrucht bis zum Beginne der Geburts­ wehen (vgl. Vordem. 2 vor § 211). 3. Die Handlung besteht im Töten der Leibesfrucht, und zwar ent­ weder im Mutterleibe oder durch Herbeiführung der vorzeitigen Ausstoßung. 4. Welche Mittel zur Herbeiführung dieser Vernichtung angewendet werden, ist gleichgültig. Es können äußere Mittel sein (z. B. Schlag, Stoß auf Unterleib der Schwangeren, Herabspringen der Schwangeren, Tragen schwerer Lasten) oder innerliche Mittel (Abführmittel, Sefenbaumabkochung, Safran, Mutterkorn, Einspritzung in die Gebärmutter usw.). Dabei ist zu bemerken, daß es vollkommen sicher die Abtreibung herbei­ führende, innerliche Mittel überhaupt nicht gibt, daß aber alle Mittel, welche Blutüberfüllung in den Unterleibsorganen herbeiführen, auch die Abtreibung der Leibesfrucht bewirken können. Auch die Anwendung untauglicher Mittel macht strafbar wegen Versuchs. 5. Wenn die Abtreibung nicht rechtswidrig ist, so z. B. wenn sie vom Arzte zur Rettung der Mutter eingeleitet wird, dann ist sie natürauch nicht strafbar. Vgl. Bem. 1 zu § 54. 6. Die Schwangere ist auch, wenn sie die Abtreibung nicht veranlaßt hat, sondern nur duldet, im Gegensatz zu früher, als Täterin und nicht nur als Gehilfin zu bestrafen (§ 218 Abs. 1).

Aussetzung § 221.

Fahrlässige Tötung § 222.

113

7. In Abs. 2 des § 218 ist zu ergänzen „mit Einwilligung der Schwan­ geren" (siehe Abs. 4). 8. Ohne Einwilligung der Schwangeren ist auch gehandelt, wenn eine Willensäußerung überhaupt nicht vorliegt. 9. Vollendet ist die Tat, wenn die Frucht getötet ist. 10. über die Bedeutung von „gewerbsmäßig" vgl. Bem. 2 zu 8 260. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVG.

§ 221. Wer eine wegen jugendlichen Alters, Gebrechlich­ keit oder Krankheit hilflose Person aussetzt, oder wer eine solche Person, wenn dieselbe unter seiner Obhut steht oder wenn er für die Unterbringung, Fortschaffung oder Aufnahme derselben zu sorgen hat, in hilfloser Lage vorsätzlich verläßt, wird mit Ge­ fängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Wird die Handlung von leiblichen Eltern gegen ihr Kind be­ gangen, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter sechs Monaten ein. Große Strafkammer §§ 28, 24, im 2. Halbsatz: Schwurg. § 80 GVG.

Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung der ausgesetzten oder verlassenen Person verursacht worden, so tritt Zuchthausstrafe bis zu zehn Jahren und, wenn durch die Hand­ lung der Tod verursacht worden ist, Zuchthausstrafe nicht unter drei Jahren ein. 1. Gebrechlichkeit umfaßt auch die Altersschwäche, Krankheit auch sinnlose Trunkenheit. Auch eine Gebärende gehört hierher. 2. Hilflos ist jemand, wenn er ohne Hilfe anderer an Leib oder Leben gefährdet ist. 3. Unter Aussetzen versteht man das Verbringen einer hilflosen Person in einen Zustand, in dem sie ohne Hilfe anderer an Leib oder Leben gefährdet ist. 4. Das Verlassen in hilfloser Lage wird nur bestraft, wenn der Weggehende eine rechtliche nicht bloß moralische Verpflichtung hat, für die hilflose Person zu sorgen. Ein bloßes Nichtaufnehmen einer derartigen Person fällt nicht unter die Strafbestimmung. 5. Mit dem Ausdruck leibliche Eltern ist ausgedrückt, daß wohl uneheliche Eltern, nicht aber Stief-, Schwieger-, Adoptiv- und Pflege­ eltern, aber auch nicht Großeltern hierher zu rechnen sind. 6. Nach Abs. 3 ist lediglich der ungewollte Eintritt der dort be­ zeichneten schweren Folgen Grund zur Anwendung der hier aufgestellten Berbrechensstrafe. 7. Vgl. zu diesem Paragraph auch den § 234. Schöffeng er. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVG.

8 222. Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. Wenn der Täter zu der Aufmerksamkeit, welche er aus den Augen setzte, vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war, so kann die Strafe bis auf fünf Jahre Gefängnis erhöht werden. Grosch-Petters, Strafgesetzbuch. 12. Aufl.

8

114

Fahrlässige Tötung § 222.

1. Der eingetretene Tod muß die direkte oder indirekte Folge der dem Täter zur Last fallenden Handlungsweise oder Unterlassung sein. Gleichgültig ist aber, ob der Tod sofort eintrat oder Krankheit dazwischen lag. Eine durch die Verletzung notwendig gewordene Operation unter­ bricht den vom Gesetze erforderten Zusammenhang ebensowenig wie etwa unterlassene Beiziehung eines Arztes, welche vielleicht das Leben hätte erhalten können. Dieser sog. Kausalzusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn die Gewißheit, oder eine an Gewißheit grenzende Wahr­ scheinlichkeit dafür vorliegt, daß das schädigende Ereignis (hier der Tod) auch eingetreten sein würde, wenn das schuldhafte Verhalten nicht voraus­ gegangen wäre. 2. Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter bei gehöriger Auf­ merksamkeit und Vorsicht den Tod des andern als erfahrungsmäßige Folge seines Verhaltens hätte voraussehen können. Also es ist neben einem gewissen Grad von Leichtsinn auch Voraussehbarkeit der Todes­ folge zur Strafbarkeit erfordert. Damit ist aber nicht gesagt, daß sich der Täter gerade die im besonderen Fall eingetretene Folge der Ereig­ nisse vorstellen mußte, wenn er nur im allgemeinen den auf irgend­ eine Weise eintretenden Tod voraussehen konnte. 3. Die Mutter kann fahrlässigerweise den Tod ihres eben ge­ borenen Kindes herbeiführen, wenn sie schuldhafterweise die Vorberei­ tungen zur Geburt unterläßt. Der Unterhaltspflichtige, der die Sorge für einen Neugeborenen nicht aufwendet, die Pflegemutter, die das Pflegekind mehrere Tage verläßt, kann sich strafbar machen. 4. Die Hebamme kann sich durch Unachtsamkeit bei der Geburts­ hilfe, ja auch durch nicht rechtzeitiges Kommen und versäumtes Herbei­ holen des Arztes, der Arzt durch Kunstfehler oder Unfleiß, der Apo­ theker durch falsches Zuwägen bei Giftmedikamenten, der Bauunter­ nehmer durch Vernachlässigung der Unfallverhütungsvorschriften, der Kraftfahrer durch Verstoß gegen die Kraftfahrzeugverordnung (siehe Anm. 12), der fahrlässigen Tötung schuldig machen. 5. Die Übertretung einer polizeilichen Vorschrift kann ein Anzeichen einer Fahrlässigkeit sein, begründet aber nicht schon an und für sich eine solche. 6. Der Umstand, daß der Getötete selbst auch fahrlässig gehandelt hat, befreit den Beschuldigten nicht von der Strafe. 7. Eine Mittäterschaft gibt es natürlich nicht beim fahrlässigen Vergehen, wohl aber kann der Tod eines Menschen zwei oder mehr Be­ schuldigten in gleicher Weise zur Last fallen. S. Bem. 3 zu § 47. 8. In Abs. 2 wird ein straferhöhender Umstand festgestellt, wenn dem Beschuldigten Amt, Beruf oder Gewerbe besondere Sorgfalts­ pflichten auferlegen (vgl. die gleiche Bestimmung bei der fahrlässigen Körperverletzung, § 230 Abs. 2). 9. Amt übt der Beamte aus, der Vormund, ein Privatbediensteter, sofern er Geschäfte zu besorgen hat, die im gewöhnlichen Leben als amtliche bezeichnet werden. — Beruf ist eine selbstgewählte Lebenstätig­ keit. — Unter Gewerbe versteht man eine fortgesetzte auf Erwerb ge­ richtete Tätigkeit. Der Arzt übt ein Gewerbe aus. Der Kurpfuscher übt die Heilkunde als Gewerbe aus. 10. Der Arbeiter, welcher sich alltäglich auf dem Fahrrad zu seiner Arbeit begibt, fährt jedoch nicht in seinem Gewerbe Rad.

Körperverletzung.

Vorbemerkung.

115

11. Vgl. hierzu noch Las häufig mit der fahrlässigen Tötung zusammentreffende Vergehen nach § 330 StGB. 12. Ferner wird häufig mit der fahrlässigen Tötung eine Übertretung von Bestimmungen für den Kraftfahrzeugverkehr Zusammentreffen. Maß­ gebend hierfür ist die Reichs-Straßenverkehrsordnung vom 28. Mai 1934, in Kraft am 1. Oktober 1934, teilweise erst am 1. Januar 1935, insbesondere die §§ 25 ff., welche die dem Kraftfahrer im Interesse der Sicherheit des Verkehrs auferlegten Verpflichtungen enthalten. Wer »gegen diese Bestimmungen verstößt, ist wegen Übertretung gemäß § 21 des Kraftfahrzeuggesetzes vom 3. Mai 1909 (RGBl. S. 437—444 neueste Fassung 1923, S. 743 und 1924 S. 42) zu bestrafen. Siehe auch § 366 Z. 2.

Siebzehnter Abschnitt.

Körperverletzung.

Vorbemerkung: Die §§ 223—229 betreffen die vorsätzliche Körperverletzung und zwar: § 223 die einfache oder leichte Körperverletzung nach Abs. 2 er­ schwert, wenn gegen einen Verwandten aufsteigender Linie verübt, § 223 a die sog. gefährliche Körperverletzung, An Stelle des § 223 a Abs. 2 ist durch die Strafrechtsnovelle vom 26. Mai 1933 § 223 b eingefügt worden, der eine erhebliche Verschärfung Ler Bestimmungen gegen Körperverletzungen von Kindern, Jugendlichen und Wehrlosen enthält. § 224 die schwere Körperverletzung mit unbeabsichtigten schweren Folgen, § 225 die schwere Körperverletzung mit beabsichtigten schweren Folgen, § 226 die Körperverletzung mit (unbeabsichtigtem)nachfolgendem Tod, § 227 die Beteiligung am Raufhandel mit schweren Folgen, § 228 mildernde Umstände für alle vorsätzlichen Körperverletzungen mit Ausnahme der des § 226, § 229 Beibringung von Gift, der § 230 die fahrlässige Körperverletzung, die §§ 231—233 Bestimmungen über Buße, Strafantrag und Auf­ rechnung gegenseitiger Körperverletzungen. Die Vergehen der Körperverletzung in den Fällen der §§ 223, 223 a Absatz 1 und des § 230 StGB, können vom Verletzten im Wege der Privatklage verfolgt werden, ohne daß es einer vorgängigen An­ rufung der Staatsanwaltschaft bedarf (s. § 374 StPO, im Anhang und unten bei § 230). Die bisherige Streitfrage, ob die Einwrlligung des Verletzten eine Körperverletzung straflos machen kann, hat die Strafrechtsnovelle vom 26. Mai 1933 in § 226 a dahin gelöst, daß grundsätzlich die Einwilligung einen Rechtfertigungsgrund bildet, es sei denn, daß die Tat trotz der Ein­ willigung gegen die guten Sitten verstößt. Durch diese neue Vorschrift ist nunmehr auch festgeskellt, daß die Operation straflos ist. Die Zulässigkeit der Sterilisation (Unfruchtbarmachung) ist in dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 geregelt. Danach ist bei medizinischer Indikation die Sterilisation zulässig, wenn sie erfolgt zur Abwendung einer ernsten Gefahr für das 8*

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Körperverletzung § 223.

Leben oder die Gesundheit des zu Sterilisierenden. Dagegen ist bei euge­ nischer Indikation die Sterilisation nur zulässig, wenn das Erbgesundheitsgericht sie beschlossen hat; dies ist bei bestimmten Kranken (Epilep­ tikern, Schizophrenen usw.) möglich, wenn zu erwarten ist, daß die Nach­ kommen an schweren geistigen oder körperlichen Erbschäden leiben werden. Bei sozialer Indikation (z. B. eine arme Frau, die schon viele Kinder hat, glaubt ein weiteres Kind nicht ernähren zu können) ist eine Sterili­ sation nicht zulässig. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2a u. c GVG.

§ 223. Wer vorsätzlich einen anderen körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit beschädigt, wird wegen Körperverletzung mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ist die Handlung gegen Verwandte aufsteigender Linie be­ gangen, so ist auf Gefängnis nicht unter einem Monat zu erkennen. 1. Einen anderen muß die Körperverletzung betreffen. Daraus ergibt sich, baß die Selbstverletzung nicht strafbar ist. 2. Eilte körperliche Mißhandlung liegt nur vor, wenn der „andere" mindestens ein körperliches Mißbehagen empfindet. Das kann auf die verschiedenste Weise verursacht werden, auch durch die Einflößung von Flüssigkeiten. Verursacht ein Schlag oder ein Stoß kein Mißbehagen, so kann er nur als Beleidigung in Betracht kommen (vgl. oben Bem. 2 zu § 185). Anspeien kann eine Mißhandlung darstellen. 3. Eine körperliche Mißhandlung ist aber auch in einer entstellenden Behandlung der körperlichen Unversehrtheit gegeben, Abschneiden eines Bartes oder größeren Bartteils, eines Zopfes (wird der Zopf abge­ schnitten, um ihn zu verkaufen, so liegt gleichzeitig auch Diebstahl vor). 4. Die Gesundheitsbeschädigung, welche sowohl die körperliche als auch die geistige Gesundheit betreffen kann, ist die Störung des Be­ findens eines anderen, die sich als Krankheit darstellt. Auch durch syphilitische Ansteckung kann eine solche Gesundheitsbeschädigung erfolgen (vgl. Bem. 4 zu § 327). 5. Tie vorsätzliche Körperverletzung, wie sie in ihren beiden Er­ scheinungsformen oben Bem. 2 und 4 beschrieben wurde, ist nur straf­ bar, wenn sie rechtswidrig ist. Die Rechtswidrigkeit fehlt bei Ausübung des elterlichen Züchtigungsrechtes sowie des Züchtrgungsrechtes des gewerb­ lichen Lehrherrn und der Lehrer. Außerachtlassung der Voraussetzungen des Züchtigungsrechtes (wie sie z. B. den Lehrern in den Schulordnungen vorgeschrieben sind) sowie Überschreitung des zulässigen Maßes der Züchti­ gung machen die Mißhandlung strafbar (Lehrer, die Beamte sind, werden dann nach § 340 StGB, bestraft). Ein allgemeines Recht der Erwachsenen, ungezogene Jugend zu züchtigen, besteht nicht. 6. Nur diejenige Körperverletzung ist vorsätzlich verübt, bei der der Täter weiß, daß er eine Mißhandlung zufügt, und diese Mißhandlung auch will, dabei sich bewußt ist, daß er widerrechtlich handelt (wegen der fahrlässigen Körperverletzung vgl. unten § 230). Nicht strafbar macht sich demnach, wer glaubt es drohe ihm ein Angriff, er befinde sich in Notwehr, wenn auch sich das später als irrig herausstellt. Die Absicht,

Körperverletzung §§ 223 a, 223 b.

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einen Scherz zu machen, kann das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit aus­ schließen. Nicht wegen vorsätzlicher Körperverletzung (wohl aber wegen fahr­ lässiger Körperverletzung) kann derjenige bestraft werden, welcher einen vor ihm Stehenden schlagen oder werfen will, aber aus Versehen diesen nicht trifft, wohl aber einen seitab Stehenden. 7. G-leichgültig aber ist, ob sich der Täter in der Person des Mißhandelten geirrt hat, wenn er z. B. in der Dunkelheit statt auf seinen Feind auf einen ihm gänzlich Unbekannten einschlägt. Unerheblich für die Schuld des Täters ist auch, wenn der Beschuldigte aus Versehen statt auf den Arm auf den Kopf seines Gegners trifft. 8. Die in Abs. 2 erwähnten Verwandten aufsteigender Linie sind die Eltern, Großeltern und Urgroßeltern. S. auch Bem. 1 zu 8 215 und Bem. 3 zu § 52.

Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 a und c GVG.

§ 223 a. Ist die Körperverletzung mittels einer Waffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeuges, oder mittels eines hinterlistigen Überfalles, oder von mehreren gemeinschaftlich, oder mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter zwei Monaten ein. § 223 b. Wer Kinder, Jugendliche oder wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit Wehrlose, die seiner Fürsorge oder Obhut unter­ stehen oder seinem Hausstand angehören oder die von dem Für­ sorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder durch ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis von ihm abhängig sind, quält oder roh mißhandelt oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Zuchthaus bis zu fünf Jahren. 1. Hier handelt es sich um die sog. erschwerte (im Gegensatz zu der schweren Körperverletzung des §224) oder gefährliche Körperverletzung. 2. Waffe ist ein Werkzeug, welches nach seiner Beschaffenheit und regelmäßigen Bestimmung dazu dient, Körperverletzungen durch Hieb, Stoß, Stich, Wurf oder Schuß beizubringen. Ob die Waffe gegen den Menschen bewegt oder dieser auf die Waffe gestoßen oder geworfen wird, ist einerlei. 3. Ms Messer im Sinne dieser Gesetzesbestimmung kommt nur ein Messer, dessen Klinge geöffnet ist, in Betracht. Dagegen kann ein ge­ schlossenes Messer Waffe oder gefährliches Werkzeug sein. 4. Ein gefährliches Werkzeug ist ein Mittel, welches in der vom Täter vorgenommenen Art des Gebrauchs geeignet ist, erheblichere Ver­ letzungen beizubringen, z. B. Bierglas, zugeklapptes Taschenmesser, mit Nägeln beschlagener Stiefel, den der Täter am Fuße trägt, ein Zimmer­ mannsnagel, nicht aber eine Stecknadel, ein leichtes Stöckchen. Eine

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Erschwerte und schwere Körperverletzung § 224.

ätzende Flüssigkeit ist kein Werkzeug. Ihre Anwendung gegen einen Menschen kann aber eine das Leben gefährdende Behandlung enthalten. 5. Hinterlistiger überfall ist ein vom Verletzten unvorhergesehener Angriff, den der Täter absichtlich so angelegt hat, daß der Verletzte sich nicht verteidigen kann. 6. Von Mehreren gemeinschaftlich verübt ist die Körperverletzung, wenn mindestens zwei bewußt und gewollt zusammenwirken (vgl. § 47 StGB ). Gleichzeitigkeit des Zugreifens ist ein Merkmal für die gemein­ schaftliche Verübung, aber nicht absolutes Erfordernis. Ein Täter kann auch die Tätigkeit des anderen wissentlich fortsetzen. 7. Das Leben gefährdend ist die Behandlung, wenn sie geeignet war eine Lebensgefahr herbeizuführen, wenn es auch im einzelnen Falle nicht zu einer Bedrohung des Lebens des Verletzten gekommen ist. Bgl^ oben Bem. 4 am Schlüsse. Das Herunterstoßen vom Fahrrad kann hierher gehören. 8. Bestraft werden wegen der gefährlichen Körperverletzung des § 223 a kann nur der, welcher sich der Gefährlichkeit des von ihm be­ nutzten Werkzeuges, des Mitwirkens Mehrerer und der Lebensgefähr­ lichkeit der ausgeübten Behandlung bewußt war. 9. Der Abs. 2 des § 223 a ist durch § 223 b ersetzt worden. Hier ist der Kreis der geschützten Personen und b-er Kreis der unter Strafe gestellten Handlungen erweitert worden. Die Handlung des § 223 b, der durch die Strafrechtsnovelle vom 26. Mai 1933 neu geschaffen wurde (siehe Vordem. S. 115) besteht in Quälen, d. h. Verursachung sich wiederholender Schmerzen, oder roher, d. h. aus einer gefühllosen Gesinnung entspringenden Mißhandlung. Ersatzgeld­ strafe nach § 27 b ist ausgeschlossen. Große Strafkammer.

§ 224. Hat die Körperverletzung zur Folge, daß der Ver­ letzte ein wichtiges Glied des Körpers, das Sehvermögen auf einem oder beiden Augen, das Gehör, die Sprache oder die Zeugungsfähigkeit verliert, oder in erheblicher Weise dauernd entstellt wird, oder in Siechtum, Lähmung oder Geisteskrankheit verfällt, so ist auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder Gefängnis nicht unter einem Jahre zu erkennen. 1. Hier wird die sog. schwere Körperverletzung behandelt. 2. Tie hier aufgezählten schweren Folgen dürfen nicht beabsichtigt sein (sonst liegt das viel härter bedrohte Verbrechen gegen § 225 StGB, vor). Tie schwere Folge muß außerhalb des Wollens des Täters ein­ getreten sein. 3. Ein wichtiges Glied ist jeder mit dem Rumpf durch Gelenk ver­ bundene Körperteil, welcher im Verhältnis zu dem Gesamtdasein des Menschen von besonderem Wert ist, also nicht ein einzelner Finger und sicher nicht einzelne Glieder eines Fingers, außer dem Daumen. 4. Der Verlust, also die gänzliche Abtrennung, nicht nur die Ge­ brauchsunfähigkeit eines Gliedes muß vorliegen, um die Bestrafung des § 224 eintreten zu lassen. 5. Der Verlust des Sehvermögens auf einem Auge genügt schon

Körperverletzung mit schwerer Folge § 225. Körperverletzung § 226.

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zu der schweren Bestrafung, aber das Gehör muß auf beiden Ohren verloren worden sein. Wenn der Verletzte auch noch Licht und Dunkel unterscheiden und einzelne Töne noch hören kann, so ist doch schon der Verlust des Seh­ vermögens, wenn er Gegenstände nicht mehr erkennen kann, und der Verlust des Gehörs eingetreten, wenn er Sprechlaute nicht mehr unter­ scheiden kann. 6. Derjenige hat die Sprache verloren, welcher Sprechlaute nicht mehr hervorbringen kann, wenn er auch noch Töne auszustoßen vermag. 7. Zeugungsfähigkeit ist gleichbedeutend mit Fortpflanzungsfähigkeit. Darauf, ob etwa trotz des Verlustes der Beischlaf noch ansgeübt werden kann, kommt es nicht an. 8. In erheblicher Weise dauernd entstellt ist der Verletzte, wenn seine äußere Gesamterscheinung in sofort auffallender Weise verunstaltet ist. Bloßer Schönheitsverlust kommt ebensowenig in Betracht wie Ver­ lust einer Singstimme oder Verlust innerer Organe. Dagegen wird die Entstellung dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Verletzte in der Lage ist, durch eine Perücke, durch ein falsches Auge und Ähnliches die Verunstaltung später wieder zu verdecken. 9. Siechtum ist ein langandauernder (chronischer) Krankheitszustand, welcher den gesamten Organismus des Verletzten ergreifend, eine erheb­ liche Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens, eine Abnahme der Körper­ kräfte, Hinfälligkeit zur Folge hat. Absolute Unheilbarkeit braucht nicht vorzuliegen. 10. Unter Lähmung ist eine den ganzen Menschen ergreifende Be­ wegungsunfähigkeit zu verstehen, die von längerer Dauer sein muß, aber nicht unheilbar zu sein braucht. 11. Unter Geisteskrankheit wird hier eine länger andauernde aber nicht etwa unheilbare Erkrankung des Geistes verstanden, bloße vorüber­ gehende Bewußtlosigkeiten und Ohnmachten scheiden aus. 12. Erschwerungsgrund bei Anwendung von Gift vgl. § 229 Abs. 2. Große Strafkammer.

8 228. War eine der vorbezeichneten Folgen beabsichtigt und eingetreten, so ist auf Zuchthaus von zwei bis zu zehn Jahren zu erkennen. Wenn der Wille des Täters auf Herbeiführung der in § 224 be­ zeichneten schweren Folgen gerichtet ist, dann liegt das Verbrechen des § 225 vor (s. oben Bem. 2 zu § 224). Mildernde Umstände gibt es hier nicht (§ 228). Schwur g. § 80 GVG.

8 226. Ist durch die Körperverletzung der Tod des Ver­ letzten verursacht worden, so ist auf Zuchthaus nicht unter drei Jahren oder Gefängnis nicht unter drei Jahren zu erkennen. 1. Wenn als ein für den Täter zufälliger Erfolg irgend einer, auch einer leichten, Körperverletzung der Tod des Verletzten eingetreten ist, dann tritt die hier festgesetzte Bestrafung wegen „Körperverletzung mit Todesfolge" oder wegen „Körperverletzung mit ncnhgefolgtem Tod" ein. War der Wille des Täters auf Herbeiführung des Todes gerichtet, dann läge Mord oder Totschlag vor (f. oben §§ 211 f.).

120

Körperverletzung §§ 226 a, 227.

2. Eine etwa mit der Körperverletzung zusammenfallende fahrlässige Tötung kommt neben der Bestimmung des Paragraphen nicht mehr in Betracht. 3. Der Täter ist nach dieser Bestimmung zu bestrafen, auch wenn er den Tod gar nicht voraussehen konnte. 4. Immerhin muß aber der Tod die Folge der gesetzten Verletzung sein. Dieser Zusammenhang wird aber nicht unterbrochen durch ein Krankenlager, durch eine Operation, der sich der Verletzte unterziehen mußte und die dann die letzte Ursache zum Tod abgab. 6. Erschwerungsgrund bei Anwendung von Gift vgl. § 229 Abs. 2.

§ 226 a. Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt. Wegen Operation und Sterilisation vgl. Vorbemerkung zu 17. Ab­ schnitt, S. 115. Wegen Entmannung vgl. S. 21, Anm. 7. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2c GVG.

§ 227 Ist durch eine Schlägerei oder durch einen von mehreren gemachten Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 224) verursacht worden, so ist jeder, welcher sich an einer Schlägerei oder dem Angriffe beteiligt hat, schon wegen dieser Beteiligung mit Gefängnis bis zu drei Jahren zu bestrafen, falls er nicht ohne sein Verschulden hinein­ gezogen worden ist. Große Strafkammer.

Ist eine der vorbezeichneten Folgen mehreren Verletzungen zuzuschreiben, welche dieselbe nicht einzeln, sondern nur durch ihr Zusammentreffen verursacht haben, so ist jeder, welchem eine dieser Verletzungen zur Last fällt, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bestrafen. 1. Schlägerei ist ein in Tätlichkeiten bestehender Streit von mehr als zwei Personen. Wenn dabei eine oder mehrere Personen zeitweise auch in Notwehr waren, so werden sie dadurch nicht straflos, wenn sie mit ihrem Verschulden in die Schlägerei hineingezogen waren (s. unten Bem. 5). 2. Auch der von Mehreren gemachte Angriff muß auf Tätlichkeiten abzielen, wenn es auch noch nicht zu einem körperlichen Zusammen­ stoß gekommen war. 3. Durch irgend eine bei der Schlägerei oder dem Angriff (auch durch eine nicht zu ermittelnde Person) vorgekommene Verletzung muß der Tod oder die schwere Körperverletzung eines Menschen, selbst eines Unbeteiligten (z. B. eines Polizeibeamten) verursacht sein, dann tritt die Strafe gegen alle Beteiligten (s. unten Bem. 4) ein. 4. Beteiligt ist jeder, der irgendwie eine Anteilnahme aus geübt hat, wenn auch nur durch hetzenden Zuruf oder durch Abhalten der Polizei. Er braucht nicht selber tätlich gewesen zu sein. 5. Nicht ohne sein Verschulden hineingezogen ist derjenige, welcher

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Körperverletzung §§ 228, 229.

nicht lediglich mitgerissen oder angegriffen wurde, sondern selbst sich tätlich bei Beginn gezeigt oder die Angreifer gereizt hat, auch der­ jenige, welcher anfangs schuldlos hineingezogen, dann unnötigerweise zu Körperverletzungen übergeht. 6. Mit Notwehr kann sich der in eine Schlägerei schuldhafter­ weise Hineingezogene nicht entschuldigen (s. oben Bem. 1), wohl aber derjenige, gegen den ein Angriff Mehrerer gemacht wurde. 7. Vgl. auch § 367io StGB. 8. Der Abs. 2 dieses Paragraphen will nicht die treffet:, welche als Mittäter für die Körperverlchung in ihrer Gesamtwirkung in Be­ tracht kommen, denn diese werden ja schon durch §§ 226 und 224, 47 getroffen. Gemeint sind die, welche, ohne bewußt mit den andern zu­ sammenzuwirken, eine der den Tod oder die schwere Folge des § 224 mit verursachenden Körperverletzungen, sei es auch nur fahrlässiger­ weise, gesetzt haben.

§ 228. Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist in den Fällen des § 223 Abs. 2 und des § 223 a auf Gefängnis bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, in den Fällen der §§ 224 und 227 Abs. 2 auf Gefängnis nicht unter einem Monat, und im Falle des § 226 auf Gefängnis nicht unter drei Monaten zu erkennen. Mildernde Umstände gibt es nur bei § 223 Ws. 1 und § 225 nicht. Große Strafkammer.

§ 22A.

Wer vorsätzlich einem anderen, um dessen Ge­ sundheit zu beschädigen, Gift oder andere Stoffe beibringt, welche die Gesundheit zu zerstören geeignet sind, wird mit Zucht­ haus bis zu zehn Jahren bestraft. Schwurg.§ 80 GVG.

Ist durch die Handlung eine schwere Körperverletzung ver­ ursacht worden, so ist auf Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und, wenn durch die Handlung der Tod verursacht worden, auf Zuchthaus nicht unter zehn Jahren oder auf lebenslängliches Zuchthaus zu erkennen. 1. Das Berbrechen der .sog. Vergiftung bedroht in Abs. 1 die Vollendung und den Versuch einer vorsätzlichen Körperverletzung, wenn zu derselben Gift benützt wurde. 2. Gift ist ein Stoff, welcher auch in kleiner Menge durcb seine chemische Beschaffenheit die Gesundheit zu zerstören geeignet ist. Auch Ansteckungsstoffe, wie Blattern-, Syphilis-Gift (vgl. Bem. 4 zu § 327) gehören hierher. 3. Beigebracht ist das Gift, wenn es von dem Opfer durch den Mund eingenommen, eingeatmet oder unter'die Haut eingespritzt ist. 4. In Absatz 2 wird die schwere Körperverletzung (§ 224) und die Körperverletzung mit nachgefolgtem Tod (§ 226) dann als besonders gefährliches Verbrechen hart bestraft, wenn sie mittels Giftes bewirkt wurde. 5. Nach der NotVO. zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 ist die Beibringung von Gift, die den Tod verursacht hat, mit dem

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Körperverletzung §§ 230—232.

Tode zu bestrafen. Nach der NotBO. zur Abwehr politischer Gewalttaten vom 4. April 1933 ist die Beibringung von Gift, die eine schwere Körper­ verletzung verursacht hat, mit dem Tode, lebenslänglichem Zuchthaus oder Zuchthaus von 5—15 Jahren zu bestrafen. S c h ö f f e n g. oder Amtsrichter §§28, 25 Abs. 2 Nr. 2 c GVG.

8 230. Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung eines anderen verursacht, wird mit Geldstrafe oder mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. War der Täter zu der Aufmerksamkeit, welche er aus den Augen setzte, vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet, so kann die Strafe auf drei Jahre Ge­ fängnis erhöht werden. 1. Fahrlässig verursacht eine Körperverletzung (leichte oder schwere) wer bei Anwendung gehöriger Aufmerksamkeit und Vorsicht die Miß­ handlung oder Gesundheitsbeschädigung des anderen als erfahrungs­ mäßige Folge seines Verhaltens voraussehen konnte. Vgl. die Bemer­ kungen zu § 222. 2. Unbeabsichtigte Überschreitung des Züchtigungsrechtes kann gls fahrlässige Körperverletzung in Betracht kommen, ebenso unachtsame Verwendung eines Polizeihundes, leichtsinniges Umgehen mit einem geladenen Dienstrevolver. 3. Wer einen vor ihm Stehenden schlagen oder werfen will, aber aus Versehen diesen nicht trifft, wohl aber einen seitab Stehenden, wsrd wegen fahrlässiger Körperverletzung zu bestrafen sein (vgl. Bem. 6 Abs. 2 zu 8 223). 4. Was man unter Amt, Beruf und Gewerbe versteht, ist in Bem. 9 zu § 222 Abs. 2 dargelegt. 5. Im Falle des Abs. 1 tritt die Verfolgung nur auf Antrag ein, im Falle des Abs. 2 muß die Verfolgung von Amts wegen ein­ geleitet werden (vgl. '§ 232 Abs. 1). 6. Wenn die Körperverletzung nicht mit Übertretung einer Amts-^ Berufs- oder Gewerbspflicht begangen worden ist, kann sie vom Ver­ letzten im Wege der Privatklage verfolgt werden (s. unten § 374 Abs. 1 Nr. 3 StPO, im Anhang).

§ 231. In allen Fällen der Körperverletzung kann auf Verlangen des Verletzten neben der Strafe auf eine an den­ selben zu erlegende Buße erkannt werden. Eine erkannte Buße schließt die Geltendmachung eines wei­ teren Entschädigungsanspruches aus. Für diese Buße haften die zu derselben Verurteilten als Gesamtschuldner. Die Buße beträgt mindestens drei und höchstens 10000 X Art. IV der Verordnung über Bermögensstrafen und Bußen vom 6. Februar 1924 (RGBl. S. 44).

§ 232. Die Verfolgung leichter vorsätzlicher, sowie aller durch Fahrlässigkeit verursachter Körperverletzungen (§§ 223,

Körperverletzung § 233.

Menschenraub § 234.

123

230) tritt nur auf Antrag ein, insofern nicht die Körperver­ letzung mit Übertretung einer Amts-, Berufs- oder Gewerbs­ pflicht begangen worden ist. Ist das Vergehen gegen einen Angehörigen verübt, so ist die Zurücknahme des Antrages zulässig. Die in den §§ 195, 196 und 198 enthaltenen Vorschriften finden auch hier Anwendung. 1. Auch ohne Antrag sollen (§ 152 StPO.) verfolgt werden die gefähr­ lichen Körperverletzungen des § 223 a und § 223 b, die schweren Körper­ verletzungen der §§ 224, 225, die Körperverletzung mit nachgefolgtem Tod, § 226, der Raufhandel des § 227 und die Vergiftung des § 229 sowie die leichte (§ 223) und die fahrlässige Körperverletzung, wenn sie mit Über­ tretung einer Berufs- usw. -Pflicht begangen wurden. 2. Antragsberechtigt ist der Berichte, für eine Ehefrau der Ehe­ mann, für unter väterlicher Gewalt stehende Kinder der Vater (§ 195), für Beamte der Vorgesetzte (§ 196). 3. Wegen der Bedeutung des Ausdrucks Angehörige vgl. § 52 Abs. 2.

$ 233. Wenn leichte Körperverletzungen mit solchen, Be­ leidigungen mit leichten Körperverletzungen oder letztere mit ersteren auf der Stelle erwidert werden, so kann der Richter für beide Angeschuldigte, oder für einen derselben eine der Art oder dem Maße nach mildere oder überhaupt keine Strafe eintreten lassen. Vgl. hierzu § 199 StGB, und die Bemerkung dazu.

Achtzehnter Abschnitt.

Verbrechen und vergehe« wider die persönliche Freiheit. Vorbemerkung: Tie §§ 234, 235 betreffen den sog. Menschenraub, §§ 236—238 die Entführung, § 239 die Freiheitsberaubung, § 240 die Nötigung, § 241 die Bedrohung. Sch würg. § 80 GVG.

§ 234. Wer sich eines Menschen durch List, Drohung oder

Gewalt bemächtigt, um ihn in hilfloser Lage auszusetzen oder in Sklaverei, Leibeigenschaft oder in auswärtige Kriegs- oder Schiffsdienste zu bringen, wird wegen Menschenraubes mit Zuchthaus bestraft. 1. Die §§ 234 und 235 enthalten das Verbrechen des „Menschen­ raubes", für den § 139 die Anzeigepflicht vorschreibt. 2. Das Verbrechen ist schon vollendet, wenn der Täter sick eines Menschen bemächtigt hat um ihn auszusetzen usw., wenn auch die Aus­ setzung selbst noch nicht geglückt ist. 3. Bemächtigt hat sich der Täter des Menschen, sobald er die wirkliche körperliche Herrschaft über ihn gewonnen hat.

124

Kinderraub § 235.

4. Die List, Drohung oder Gewalt brauchen nicht gerade gegen den, dessen sich der Täter bemächtigen will, ausgeübt zu sein, sie können z. B. auch gegen den Wärter eines Geisteskranken angewendet sein und der Tatbestand wird dann nicht durch die Einwilligung des Geistes­ kranken ausgeschlossen. 5. „List" ist die Ausführung einer geflissentlich verborgenen Absicht mittels großer Schlauheit, Klugheit und Geschicklichkeit. 6. Unter „Drohung" versteht man das in Aussicht stellen irgend eines Übels, das nicht gerade eine strafbare Handlung zu sein braucht. 7. über die Bedeutung von „Gewalt" vgl. Bem. 7 zu 8 113. 8. Das „Hypnotisieren" eines Menschen fällt hierunter, entweder ist es List oder Gewaltanwendung. 9. Über in hilfloser Lage aussetzen vgl. die Bemerkungen 2 bis 4 zu § 221. 10. über Sklaverei vgl. das RG. vom 28. Juli 1895 (RGBl. S. 425) betr .die Bestrafung des Sklavenhandels. Hier wird in § 1 die vorsätzliche Mitwirkung an einem auf Sklavenraub gerichteten Unternehmen bestraft. Als Täter und Geraubte kommt nur eine Mehrheit von Personen in Frage. 11. Auswärtige Kriegs- oder Schiffsdienste (auch auf einem Handels­ schiffe) sind alle nicht im Heimatland Teutsches Reich — oder für dasselbe zu leistenden derartigen Dienste. 12. Das Vergehen der Aussetzung im Sinne des § 221 kann mit dem Verbrechen des § 234 Zusammentreffen, wenn eine jugendliche oder gebrechliche Person mit List, Drohung oder Gewalt wirklich in hilfloser Lage verlassen wird. Schöffenger. oder Amtsrichter §§ 28, 25 Abs. 1 Nr. 2 c GVG.

tz 235. Wer eine minderjährige Person durch List, Drohung oder Gewalt ihren Eltern, ihrem Vormund oder ihrem Pfleger entzieht, wird mit Gefängnis bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann auf Geldstrafe erkannt werden. Große Strafkammer.

Geschieht die Handlung in der Absicht, die Person zum Betteln oder zu gewinnsüchtigen oder unsittlichen Zwecken oder Beschäfti­ gungen zu gebrauchen, so tritt Zuchthaus bis zu zehn Jahren ein. 1. Hier wird der sog. „Kinderraub" erläutert. 2. Entzogen ist das Kind den Eltern usw., wenn es aus dem Gewaltverhättnis der Eltern in das eines andern verbracht ist und dieser Zustand eine gewisse Dauer hat. 3. Das Entziehen kann