Stände, Staat und Militär: Versorgung und Finanzierung der Armee in den Österreichischen Niederlanden 1715-1795 9783205792239, 9783205788430

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Stände, Staat und Militär: Versorgung und Finanzierung der Armee in den Österreichischen Niederlanden 1715-1795
 9783205792239, 9783205788430

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Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts Band 14 Herausgegeben von Wolfgang Schmale (Band 1–8 herausgegeben von Moritz Csáky)

Guy Thewes

Stände, Sta at und Militär Versorgung und Finanzierung der Armee in den ­Österreichischen Niederlanden 1715–1795

2012 Böh l au Ve r l ag Wi e n · Köl n · We i m a r

Gedruckt mit der Unterstützung des Fonds National de la Recherche, Luxemburg (FNR/12/AM4/30)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Feldlager eines kaiserlichen Infanterieregiments, Gouache/Papier, anonym (um 1750), Heeresgeschichtliches Museum Wien, HGM Inv. Nr. 1977/16/50

© 2012 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, 1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung: Prime Rate Kft. Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Hungary ISBN 978-3-205-78843-0

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung . . . . . . . . . . i. Forschungsstand . . . . . . ii. Fragestellung und Methode iii. Untersuchungsgegenstand . iv. Quellenlage . . . . . . . . . v. Gang der Darstellung . . . .

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Kapitel 1: K r ieg und Fr ieden. Die Öster r eichischen Nieder l ande im europäischen M ächtespiel. . . . . . . . 1.1 Die „Achillesferse“ der Habsburgermonarchie . . . . . . . . . 1.2 Tauschen oder behalten ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Spielball im internationalen Mächteringen  : Polnischer und Österreichischer Erbfolgekrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die Wende  : Umkehr der Allianzen und Siebenjähriger Krieg . 1.5 Das Ende der Barriere. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Innere Unruhen  : die Brabanter Revolution. . . . . . . . . . . 1.7 Wieder Krieg : der Verlust der Niederlande . . . . . . . . . . . 1.8 Zusammenfassung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 2: Von der Bar r ier e zur A ltl ast. Das Festungswesen in den Öster r eichischen Nieder l anden . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Bestandsaufnahme von 1725  : Anzahl und Zustand der Festungen.. 2.2 Die Errichtung eines Ingenieurskorps. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Festungsbau in Krisenzeiten.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die Finanzierung von Bau und Unterhalt.. . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Wie wichtig waren die Festungen   ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Joseph II. auf Inspektionsreise  : Bruch mit der Defensivstrategie . . . . . 2.7 Abriss und Verkauf der Festungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8 Zusammenfassung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 3: Zw ischen Ist und Soll. Das stehende Heer in den Öster r eichischen Nieder l anden. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Das Heer nach dem Herrschaftswechsel  : nationale und deutsche Regimenter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die räumliche Verteilung der Truppen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Militärreform von 1725  : Vereinheitlichung der Streitkräfte . . . 3.4 Hohe Verluste durch Desertion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Werbung und Rekrutierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Aufrüstung nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg . . . . . . . . 3.7 Verstärkte Rekrutierungsmaßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Truppenabzug aus den Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9 Schwache Militärpräsenz nach dem Siebenjährigen Krieg . . . . . . 3.10 Söldnerheer gegen Volksheer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.11 Zusammenfassung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 4: K r iegsverwaltung oder Verwaltungsk r ieg  ? Das Zusa mmenspiel von Militär- und Ziv ilbehör den. . . . . . . . 4.1 Rivalität an der Spitze  : Kommandierender General und Generalgouverneur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Einflussnahme des bevollmächtigten Ministers. . . . . . . . . . . . . 4.3 Lacys Reformen  : Handlungsfreiheit für die Militärbehörden.. . . . . . . 4.4 Das Kriegskommissariat  : Dreh- und Angelpunkt der Militärverwaltung .. 4.5 Ein Konkurrent aus spanischer Zeit : die Kontadorie . . . . . . . . . . . . 4.6 Kompetenzstreitigkeiten zwischen Kriegskommissariat und Finanzrat . . . 4.7 Die Schaffung einer Koordinierungsstelle : das Generallandeskommissariat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.8 Zusammenfassung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 5: „Pecunia nerv us r erum“. Die Finanzierung des Militärwesens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Die Entwicklung der Militärausgaben in den Österreichischen Niederlanden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Kriegskasse und die Zentralisierung der Militärausgaben.. 5.3 Steueraufbringung und Zahlungsmodalitäten.. . . . . . . . . 5.4 Geldbeschaffung und Verschuldung.. . . . . . . . . . . . . . 5.5 Reformbestrebungen  : Kontrolle und Vorausplanung . . . . . . 5.6 Die Einrichtung eines festen Militärfonds . . . . . . . . . . . 6

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5.7 Das Primat des Gesamtstaates  : Ausfuhr der niederländischen Finanzmittel.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 5.8 Zusammenfassung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Kapitel 6: Brot und Futter. Das Versorgungssystem der A r mee.. 6.1 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen der Armeeversorgung . . . . . . . . 6.2 Der Lebensunterhalt des Soldaten  : Sold und Verpflegung . . . . . . . . . 6.3 Der Verbrauch des Heeres  : Versuch einer Quantifizierung.. . . . . . . . 6.4 Heeresverpflegung durch private Unternehmer. . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Lieferbedingungen und Absicherung der Versorgung. . . . . . . . . . . . 6.6 Getreideimporte  : Pro und Kontra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Staatliche Eingriffe in den Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8 Begünstigung der Unternehmer durch Handels- und Steuerfreiheit . . . . 6.9 Kostenentwicklung der Verpflegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.10 Fehlender Wettbewerb bei der Auftragsvergabe und Intervention des Finanzrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.11 Kollusion zwischen Militär und Unternehmern.. . . . . . . . . . . . . . 6.12 Konkurrenz und Monopole. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.13 Gewinn und Verlust  : die Armeeversorgung als Risikogeschäft . . . . . . . 6.14 Der Unternehmer und sein Netzwerk  : eine Schattenwelt.. . . . . . . . . 6.15 Die Verstaatlichung des Versorgungssystems, eine Alternative  ?. . . . . . . 6.16 Der Rückgriff auf Stände und Untertanen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.17 Zusammenfassung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 7: Die A r mee in der Prov in. Die Partizipation der L andstände a m Fallbeispiel Lu x emburgs. . . . . . . . . . . . . . . . 270 7.1 Die Grenzen der Zentralisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 7.2 Das Herzogtum Luxemburg und seine Verwaltungsstrukturen . . . . . . . 274 7.3 Die Landstände  : Entstehung, Zusammensetzung und Funktionsweise. . . 276 7.4 Ausweitung der Tätigkeitsfelder und Widerstand der Stände .. . . . . . . 280 7.5 Einbeziehung statt Verdrängung der Stände . . . . . . . . . . . . . . . . 283 7.6 Die Versorgung der Armee  : Stände oder Privatunternehmer  ? . . . . . . . 287 7.7 Die Stände als Ausweg aus einer kriegsbedingten Versorgungskrise. . . . . 290 7.8 Interessenvertretung und Schutz der Bevölkerung . . . . . . . . . . . . . 294 7.9 Die Bezahlungen der Lieferungen und ihre wirtschaftliche Auswirkungen . 299 7.10 Die Stände als Generalunternehmer.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 7.11 Kritik an der Geschäftsführung der Stände . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 7

Inhaltsverzeichnis

7.12 Aufklärung und Kontrolle.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 7.13 Logistik und Heeresversorgung am Ende der österreichischen Herrschaft . 310 7.14 Zusammenfassung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Kapitel 8: Versorgungspolitik in K r isenzeiten. Kooper ation zw ischen Ständen, Sta at und Militär.. . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Die Steuerung des Getreidemarktes während des Österreichischen ­Erbfolgekriegs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Die Vorratswirtschaft als Präventivmaßnahme . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Die Versorgung der Bevölkerung durch die Mehlmagazine der Festung .. 8.4 Das Krisenmanagement der Stände auf dem Prüfstand. . . . . . . . . . . 8.5 Die Reichweite der Hilfsaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Die Verpflegung der Truppen durch die Festungsmagazine. . . . . . . . . 8.7 Die Rückerstattung der Kosten für die Mehlausteilung. . . . . . . . . . . 8.8 Ein neues Vertrauensverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.9 Zusammenfassung.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Fa zit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 Quellen- und Liter aturver zeichnis . i. Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . ii. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . iii. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A bkür zungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Ver zeichnis der A bbildungen, K arten und Tabellen . . . . . . . 378 Währungen und M aße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 A nh ang 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 A nh ang 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Orts- und Personenr egister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385

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Vorwort

Die vorliegende Untersuchung wurde im Juli 2011 von der Fakultät für Sprachwissenschaften und Literatur, Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungswissenschaften der Universität Luxemburg als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt all denen, die mich im Laufe der-Jahre bei der Entstehung dieses Buches auf vielfältige Weise unterstützt haben. An erster Stelle seien hier Professor Dr. Franz Irsigler und Professor Dr. Michel Pauly, die Betreuer der Arbeit genannt, die das Forschungsvorhaben mit ihrem Rat und ihren Ermutigungen begleiteten. Einen besonderen Dank schulde ich Professor Dr. Norbert Franz, der mir durch seine Kommentare half, die methodische Konzeption und die Fragestellung der Studie zu schärfen. Ganz herzlich danken möchte ich auch Dr. Martin Uhrmacher für die vielen anregenden Diskussionen und die Erstellung der Festungskarte, André Bruns, der mir immer wieder bereitwillig sein militärhistorisches Fachwissen zur Verfügung stellte, André Linden und Jean-Paul Hoyois, die stets wertvolle Gesprächspartner waren, Dr. Andreas Gniffke und Boris Fuge für das Korrekturlesen sowie Guy Hoss und Fabien Hahusseau für ihre Unterstützung bei der Erstellung der Grafiken. Wertvolle Hinweise, die noch in das Buch eingearbeitet werden konnten, gaben die Professoren Dr. Klaus Gerteis und Dr. Catherine Denys. Den Verantwortlichen des Böhlau-Verlags wie auch den Mitgliedern der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts danke ich für die Aufnahme in ihr Verlagsprogramm bzw. in ihre Schriftenreihe. Die Drucklegung ermöglichte eine großzügige finanzielle Förderung des Fonds National de la Recherche Luxembourg (FNR). Schließlich möchte ich mich dankbar erinnern an meine Lehrer an der Université catholique de Louvain, Michel Dorban und Claude Bruneel, sowie Paul Margue am ehemaligen Centre universitaire in Luxemburg, die mich das schöne Handwerk des Historikers lehrten. Dieses Buch sei meiner Familie gewidmet. Ohne ihr liebevolles Verständnis wäre das Forschungsvorhaben niemals vollendet worden. Luxemburg, im März 2012



Guy Thewes

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Einführung

Es gibt Zwänge, denen die Politik sich nicht entziehen kann. Auch ein so mächtiger Herrscher wie Joseph II. musste diese ernüchternde Feststellung sehr früh machen. „Ich bin dem Militär nicht mehr verpflichtet als den Finanzen. Könnte man mich überzeugen, dass eine Verringerung der Armee ein echter Vorteil wäre, würde ich die Soldaten auf der Stelle entlassen und aus ihnen Arbeiter machen. Doch die Umstände sind weit entfernt, uns einen solchen Schritt zu erlauben. Wir müssen immer versuchen, die notwendige Sicherheit mit der Wohlfahrt des Landes zu vereinigen“, schrieb der Kaiser und Mitregent 1768 in einem Brief an seinen Bruder Leopold.1 Während Friedrich II. in seinen „Rêveries politiques“ über zukünftige Eroberungen Preußens spekulierte, träumte Joseph in jungen Jahren von der „Glückseligkeit des Staates“, von Reformen und aufgeklärtem Absolutismus.2 Die Realität gab dem König von Preußen recht. Krieg schien der Naturzustand des frühneuzeitlichen Europas zu sein, nicht aber Wohlstand schaffender Frieden. Das Österreich Maria Theresias und Josephs II. stand den anderen europäischen Großmächten in diesem Ringen um Gebiete und Einfluss in nichts nach. Das vielzitierte Diktum „Bella gerant alii. Tu felix Austria nube  !“ kann man getrost als Klischee abtun. Wie jede der größeren Mächte in Europa im 18. Jahrhundert befand sich das Habsburgerreich häufiger im Kriegsals im Friedenszustand. Seit dem Ausbruch des Spanischen Erbfolgekriegs 1701 bis zum Frieden von Campo Formio 1797 erlebte die Monarchie nur 39 konfliktfreie

1 « Je ne suis pas plus attaché au militaire qu’à la finance. Si je pouvais être convaincu que la réduction de l’armée pût être un vrai avantage, encore aujourd’hui je les congédierais tous et en ferais des laboureurs. Mais nos circonstances sont bien éloignées de pouvoir faire une chose comme cela  ; il faut donc que nous tâchions à combiner toujours la sûreté nécessaire avec le bien-être du pays, et que ce premier défende le second avec le moins de charge que possible ». Brief von Joseph an Leopold, 25. Juli 1768. Zitiert in Alfred von ARNETH (Hg.), Maria Theresia und Joseph II. Ihre Correspondenz sammt Briefen Joseph’s an seinen Bruder Leopold, Bd. 1 1761–1772, Wien 1867, S. 225–226. Vgl. Derek BEALES, Was Joseph II an Enlightened Despot  ?, in  : Ritchie ROBERTSON und Edward TIMMS (Hg.), The Austrian Enlightenment and its Aftermath, Edinburgh 1991, S. 1–21, S. 16. 2 Derek BEALES, Joseph II’s “Rêveries”, in  : Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs, Bd. 33, 1980, S. 142–160, S. 153–154  ; Herbert MATIS (Hg.), Von der Glückseligkeit des Staates. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Österreich im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus, Berlin 1981.

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Einführung

Jahre.3 Österreichische Armeen kämpften an vielen Fronten, im Südosten gegen das Osmanische Reich, im Westen gegen Frankreich, im Norden gegen Preußen und, zu allem Überfluss, auch noch im Innern gegen aufständische Untertanen. Die nicht enden wollende Reihe von bewaffneten Auseinandersetzungen ließ den Militärapparat anschwellen. Am Ende der Regierungszeit Josephs II. war das Heer auf 280.000 Mann angewachsen.4 Die Militärausgaben verschlangen jedes Jahr um die 70 Millionen Gulden.5 Der Krieg beherrschte die Politik innen wie außen. Der Kaiser trug fast nur noch Uniform am Hofe  ; als erster Diener des Staates angetreten, war Joseph II. dessen erster Soldat geworden. Was blieb von den hehren Zielen, für Prosperität und Wohlergehen von Staat und Bevölkerung zu sorgen  ? Ging es nicht letztlich nur darum, möglichst viele Mittel von den Untertanen abzuschöpfen, um die militärische Kraft zu steigern  ?

i. For s c h u ng s s ta n d Die Bedeutung des Krieges für das Verständnis von historischen Prozessen im frühneuzeitlichen Europa wurde von der historischen Forschung immer wieder betont. Johannes Kunisch hat die Nähe des frühmodernen Fürstenstaates zum Krieg in einer Vielzahl seiner Publikationen dargelegt, während Johannes Burkhardt die „Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit“ als strukturelles Epochenmerkmal herausstellen konnte.6 Dass das äußere Mächtespiel auch die innere Verfasstheit der Staaten, d.h. politische Strukturen, Wirtschaft und Gesellschaft, maßgeblich beeinflusste, scheint evident. Kaum jemand würde heute ernstlich der Einschätzung Bernhard R. Kroeners widersprechen, „daß der moderne Staat in erster Linie Kriegsstaat gewesen sei, dessen vordringlichste Sorge sich auf Aufstellung, Vergrößerung, Unterhalt 3 Eine Übersicht aller Kriege, an denen österreichische Truppen teilgenommen haben, bietet Alphonse WREDE, Geschichte der K. und K. Wehrmacht, Die Regimenter, Corps, Branchen und Anstalten von 1618 bis Ende des XIX. Jahrhunderts, Bd. 1, Wien 1898, S. 6–7. 4 Adolph Friedrich RANDEL, Annalen der Staatskräfte von Europa nach den neuesten physischen, gewerblichen, wissenschaftlichen und politischen Verhältnissen der sämmtlichen Reiche und Staaten in tabellarischen Übersichten. 1. Theil Das deutsche Reich, Berlin 1792, S. 45. 5 Zahlenangaben in Michael HOCHEDLINGER, Austria’s wars of emergence. War, State and Society in the Habsburg Monarchy 1683–1797, London 2003, S. 285. 6 Johannes KUNISCH, La guerre c’est moi  ! Zum ��������������������������������������������������������� Problem der Staatenkonflikte im Zeitalter des Absolutismus, in  : Zeitschrift für Historische Forschung, 14, 1987, S.407–438  ; idem, Fürst – Gesellschaft – Krieg. Studien zur bellizistischen Disposition des absoluten Fürstenstaates, Köln/Weimar/Wien 1992  ; Johannes BURKHARDT, Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in  : Zeitschrift für Historische Forschung, Jg. 24, 1997, S. 509–574.

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Forschungsstand

und Einsatz des militärischen Instruments gerichtet habe“.7 Dabei übernimmt der Potsdamer Mili­tärhistoriker eine Überzeugung von Otto Hintze, der schon am Anfang des 20. Jahrhunderts die bewaffnete Macht als das „Schwungrad an der Staatsmaschine“ bezeichnet hat.8 Folgt man den Thesen Michael Hochedlingers, gilt das „Primat der Machtpolitik“ auch für die Habsburgermonarchie.9 Der ständige Druck von außen führte zu ihrer zunehmenden „Militarisierung“, wenn nicht sogar zu ihrer „Prussifizierung“.10 Der Militärapparat und seine steigenden Bedürfnisse beschleunigten Zentralisierungs- und Bürokratisierungstendenzen. Obwohl Historiker wie Otto Hintze oder Soziologen wie Werner Sombart schon sehr früh auf die Wechselbeziehung von Staat, Krieg, Ökonomie und Gesellschaft hingewiesen hatten, fand die Militärgeschichte in der neueren deutschen Historiografie nach 1945 – mit einigen Ausnahmen – lange Zeit wenig Zuspruch.11 Die Erfahrung der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs bewirkte eine allgemeine Distanzierung gegenüber den Themenkomplexen Krieg und Militär. In Frankreich dagegen hatte die Schule der „Annales“ die konventionelle Militärgeschichte als „histoire bataille“, als simple Chronik von einer Schlacht nach der anderen diskreditiert.12 Doch schon bald   7 Bernhard R. KROENER, Militär in der Gesellschaft. Aspekte einer neuen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, in  : idem, Kriegerische Gewalt und militärische Präsenz in der Neuzeit, Paderborn 2008, S. 65– 82, S. 68 (erst.veröff. in  : Thomas KÜHNE/Benjamin ZIEMANN u. a [Hg.], Was ist Militärgeschichte  ?, Paderborn 2000, S. 283–300).   8 Otto HINTZE, Geist und System der preußischen Verwaltung um 1740, in  : Acta Borussica. Denkmäler der preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert, Reihe  : Behördenorganisation und allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahrhundert, Bd. 6, 1. Hälfte, Berlin 1901, S. 23. Zur Ergiebigkeit dieser Metapher für die historische Forschung siehe Bernhard R. KROENER, „Das Schwungrad an der Staatsmaschine“  ? Die Bedeutung der bewaffneten Macht in der europäischen Geschichte der Frühen Neuzeit, in  : Bernhard R. KROENER/Ralf PRÖVE (Hg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn/München/Wien/Zürich 1996, S. 1–23.   9 Michael HOCHEDLINGER, Abschied vom Klischee. Für eine Neubewertung der Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit, in  : Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit, 1, 2001, S. 9–24. 10 Michael HOCHEDLINGER, Bürokratisierung, Zentralisierung, Sozialdisziplinierung, Konfessionalisierung, Militarisierung. Politische Geschichte der frühen Neuzeit als „Machtstaatgeschichte“, in  : HansChristof KRAUS/Thomas NICKLAS (Hg.), Geschichte der Politik. Alte und Neue Wege (Historische Zeitschrift, Beiheft 44), München 2007, S. 239–269, S. 252. 11 Werner SOMBART, Krieg und Kapitalismus, München/Leipzig 1913. Eine Ausnahme bilden u.a. Gerhard Oestreich und Otto Büsch. Siehe z. B. Gerhard OESTREICH, Zur Heeresverfassung der deutschen Territorien von 1500 bis 1800, in  : idem, Geist und Gestalt des Frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 290–310, sowie Otto BÜSCH, Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713–1807. Die Anfänge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft, Berlin 1962. 12 Eine Übersicht über die Entwicklung der Militärgeschichte in Frankreich nach 1945 bietet Catherine DENYS, Die Renaissance der Militärgeschichte der frühen Neuzeit in Frankreich. Eine historiographi-

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Einführung

wandten französische Historiker die sozialgeschichtlich orientierten Fragestellungen und Methoden der „nouvelle histoire“ auf die gesellschaftliche Gruppe des Militärs an. Bahnbrechend war die 1964 veröffentlichte Dissertation von André Corvisier, der die Musterungslisten der französischen Armee im späten 17. und 18. Jahrhundert quantitativ auswertete.13 Auf diese Pionierleistung folgten zahlreiche Studien, die zuerst einzelne militärische Kategorien wie z. B. Offiziere, kriegsversehrte Soldaten oder Festungsbauingenieure untersuchten, dann aber ab den 1990er-Jahren neue, insbesondere kulturgeschichtliche Ansätze wählten und ihren Gegenstandsbereich in die verschiedensten Richtungen ausweiteten.14 In Deutschland kam es erst seit den 1990er-Jahren zu einer grundlegenden Erneuerung der frühneuzeitlichen Militärgeschichte. 1995 wurde ein „Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit“ (AMG) gegründet, der in Anlehnung an die Entwicklung in Frankreich einen sozial- und kulturgeschichtlichen Zugang wählte.15 Im Vordergrund des Interesses stand das „Sozial­ system Militär“  : der Alltag und die Lebensbedingungen der Armeeangehörigen, die Wahrnehmung und die Motivation der Soldaten, die Beziehungen zwischen Militär und Zivilbevölkerung, die Kriegserfahrung. Die Militärgeschichte öffnete sich neuen Themenfeldern wie z. B. der Mikrogeschichte oder der Historischen Anthropologie. Unter dem Einfluss der Geschlechtergeschichte wurden erstmals auch die Frauen als wichtige Akteure in der Lager- und Garnisonsgeschichte wahrgenommen.16 Neben dieser „Militärgeschichte von unten“ hat sich die Frühneuzeitforschung in den letzten Jahrzehnten auch sehr intensiv mit dem strukturellen Zusammenhang zwischen Staatsbildung und Militärwesen beschäftigt. Die Zeit zwischen 1500 und 1800 wird allgemein als die Epoche der Entwicklung des frühmodernen Staates mit seinen spezifischen Eigenarten wie zentraler Verwaltung, Beamtenapparat, regelmäßiger Besteuerung, stehendem Heer usw. angesehen.17 Gerhard Oestreich sprach vom sche Bilanz der-Jahre 1945–2005, in  : Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit (Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e.V.), Jg. 11, 2007, N° 1, S. 7–23. 13 André CORVISIER, L’armée française de la fin du XVIIe siècle au ministère de Choiseul. Le soldat, 2 Bde. Paris 1964. 14 Zu den militärgeschichtlichen Forschungsrichtungen in Frankreich siehe Jean CHAGNIOT, Guerre et société à l’époque moderne, Paris 2001. 15 Ralf PRÖVE, Vom Schmuddelkind zur anerkannten Subdisziplin  ? Die „neue Militärgeschichte“ der Frühen Neuzeit – Perspektiven, Entwicklungen, Probleme, in  : Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Jg. 51, 2000, S. 597–612. 16 Karen HAGEMANN/Ralf PRÖVE (Hg.), Landsknechte, Soldatenfrauen und Nationalkrieger. Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel, Frankfurt a.M. 1998. 17 Winfried Schulze, „Von den großenAnfängen des neuen Welttheaters“. Entwicklung, neuere Ansätze und Aufgaben der Frühneuzeitforschung, in  : Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Jg. 44, 1993, S. 3–18, S. 11.

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„großen Verstaatlichungsprozeß der frühen Neuzeit“.18 Welche Auswirkung hatten die Aufstellung und der Einsatz stetig wachsender Heere auf die moderne Staatswerdung  ? Der amerikanische Sozialwissenschaftler Charles Tilly brachte 1975 in seiner Studie zur Nationalstaatsbildung die Wechselwirkung von Staat und Krieg auf eine einfache Formel  : „War made the state and the state made war.“19 Dass ein enger Zusammenhang bestand zwischen „Herrschaft und organisierter Gewalttätigkeit“, ist in der historischen Forschung weitgehend unbestritten.20 Dennoch entzündete sich eine Kontroverse um die Frage nach der Kriegsschuld des Staates. Wolfgang Reinhard hat den frühneuzeitlichen Macht- und Steuerstaat als „Kriegsstaat“ bezeichnet.21 Johannes Burkhardt sucht dagegen in den Institutionalisierungsdefiziten und in der unvollkommenen Staatlichkeit die Erklärung für die „Bellizität“ Europas.22 Des Weiteren bleibt zu bestimmen, wie genau der Krieg die „Staatsmaschine“ angetrieben haben soll. Um eine Verbindung zwischen Heerwesen und Staatsverdichtung herzustellen, führen die Historiker in der Regel die Militärfinanzierung als Movens auf.23 Wolfgang Reinhard formuliert es nach und neben vielen anderen folgendermaßen  : „Die wachsende bewaffnete Macht brauchte wachsende Ressourcenextraktion, diese einen wachsenden Verwaltungs- und nicht selten auch bewaffneten Erzwingungsapparat, der wiederum zusätzliche Ressourcen benötigte. Ressourcenextraktion und Erzwingungsapparat schaukelten sich auf diese Weise in einem irreversiblen Prozeß gegenseitig auf. Soldat und Steuereinnehmer gemeinsam gründeten den Staat, denn Machtpolitik und Machtmittel bedingten sich gegenseitig.“24 Für diese enge Ver18 Gerhard OESTREICH, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in  : idem, Geist und Gestalt des Frühmodernen Staates […], op., cit., S. 179–197, S. 185. 19 Charles TILLY (Hg.), The Formation of Nation States in Western Europe, Princeton 1975, S. 42. 20 Ekkehart KRIPPENDORFF, Staat und Krieg. Die historische Logik politischer Unvernunft, Frankfurt a.M 1986, S. 11. 21 Wolfgang REINHARD, Kriegsstaat, Steuerstaat, Machtstaat, in  : Ronald G. ASCH/Heinz DUCHHARDT (Hg.), Der Absolutismus – ein Mythos  ? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550–1700), Köln/Weimar/Wien 1996, S. 277–310. 22 Johannes BURKHARDT, Die Friedlosigkeit […], op., cit., insb. S. 538–548. 23 André CORVISIER, Armées, État et administration dans les temps modernes, in  : idem, Les hommes, la guerre et la mort, Paris 1985, S. 23–37, S. 23 (Erstveröffentlichung in Actes du colloque historique franco-allemand sur l’histoire de l’administration, XIIIe-XVIIIe siècles, Francia, Bd. 9, S. 505–519). 24 Wolfgang REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 2000 (2. Aufl.), S. 305. Otto Hintze schrieb seinerzeit  : „In der Armee verkörpert sich der neue Staatsgedanke am deutlichsten und greifbarsten, der Gedanke des machtvollen zentralisierten absolutistischen Großstaats. Die Unterhaltung der Armee wird die Hauptaufgabe der staatlichen Finanzverwaltung  ; sie führt zu einer bis dahin unerhörten Anspannung der Steuerschraube […].“ Siehe Otto HINTZE, Staatsverfassung und Heeresverfassung (1906), in  : idem, Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, Göttingen 1970 (3. Aufl.), S. 52–

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zahnung von Militär, Fiskus und Staat hat die angelsächsische Geschichtsforschung den Begriff des „fiscal-military state“ geprägt.25 Einige Historiker bezweifeln jedoch, dass die Wechselwirkungen zwischen diesen drei Faktoren tatsächlich so mechanisch abliefen, wie es u.a. das oben aufgeführte Zitat voraussetzt. Die Mobilisierung finanzieller Ressourcen geschah nicht immer durch Zwang und der Rüstungswettlauf führte auch nicht notgedrungen zu einer absolutistischen Staatsform.26 Insbesondere das Beispiel Englands – aber auch das der holländischen Republik – widerlegt die Gleichsetzung von Absolutismus und einer effizienten Militärfinanzierung. In diesem Fall ermöglichte der politische Konsens die Mittelbeschaffung zur außenpolitischen Machtentfaltung durch ein System von Krediten und indirekten Abgaben.27 Aber auch im absolutistischen Frankreich Ludwigs XIV. stammte das Geld, das der König für seine Expansionspolitik brauchte, nur zu einem Teil aus den Steuern. Die Kriegsfinanzierung ruhte auf einem „système fisco-financier“, das von privaten Financiers getragen wurde und dessen inneres Getriebe Daniel Dessert meisterhaft dargestellt hat.28 Selbst der Zusammenhang zwischen dem Anwachsen der Heeresstärke und der Ausbildung einer zentralen Verwaltung unter Ludwig XIV. ist weniger evident als allgemein angenommen. Laut John A. Lynn genügte die Zentralisierung nie den Anforderungen der Armeevergrößerung.29 Die Mobilisierung der Ressourcen wie auch die Verwaltungsarbeit geschah auf vielen Ebenen und nicht nur durch die Zentralregierung. Behörden und Herrschaftsträger in den Provinzen leisteten ihren Beitrag. Vor allem aber lasteten Logistik und Unterhalt der Truppen zu einem nicht 83, S. 70. Bei Michael Stürmer finden wir folgenden Passus  : „Zusammen wurden sie geboren, wurden groß und stark und mächtig  : der Soldat und der Steuereinnehmer. Denn Soldat kommt von Sold, und Sold bedeutet Geld, und Geld, wenn es in die Hände des Staates kommen soll, heißt zuletzt immer Steuer. Beide zusammen, Soldat und Steuereinnehmer, gründeten zwischen Mittelalter und Neuzeit das, was die Wissenschaft heute den frühmodernen Staat nennt.“ Siehe Michael STÜRMER, Hungriger Fiskus – schwacher Staat. Das europäische Ancien Régime, in  : Uwe SCHULTZ (Hg.), Mit dem Zehnten fing es an. Eine Kulturgeschichte der Steuer, München 1986, S. 174–188, S. 174. 25 Christopher STORRS, The Fiscal-Military State in the “long” Eighteenth Century, in  : idem (Hg.), The Fiscal-Military State in Eighteenth-Century Europe. Essays in honour of P.G.M. Dickson, Farnham/ Burlington 2009, S. 1–22. 26 Ronald G. ASCH, Kriegsfinanzierung, Staatsbildung und ständische Ordnung in Westeuropa im 17. und 18. Jahrhundert, in  : Historische Zeitschrift, Bd. 268, 1999, Heft 3, S. 635–671, S. 638. 27 John BREWER, The Sinews of Power  : War, Money and the English State, 1688–1783, London 1989. 28 Daniel DESSERT, Argent, pouvoir et société au Grand Siècle, Paris 1984. 29 „[…] the real paradox, and weakness, of French absolutism and its great army was that the changes in the institutions of central government never really matched the magnitude of army expansion […].“John A. LYNN, Giant of the Grand Siècle. The French Army, 1610–1715, Cambridge 1997, S. 597–599, Zitat auf S. 597.

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unbeträchtlichen Teil auf den Schultern der Offiziere, die ihr eigenes Vermögen zur Kostendeckung heranzogen.30 Seit Beginn der 1990er-Jahre wird über die Angemessenheit des Absolutismus­ begriffs zur Charakterisierung frühmoderner Staatlichkeit kontrovers debattiert.31 Ein wichtiger Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass dieses Konzept dem frühneuzeitlichen Herrscher ein klares politisches Reformprogramm unterstellt, das auf die Schaffung eines modernen Staates hinzielt. Erreicht wird dieses Ziel durch eine konsequente Zentralisierung, Rationalisierung, Bürokratisierung, Professionalisierung und Verdrängung der intermediären Gewalten wie z.  B. der Stände. Dieser Sichtweise wurde eine teleologische Ausrichtung vorgeworfen, da sie eine allzu geradlinige Entwicklung hin zum modernen Staat des 19. Jahrhunderts voraussetzt, ohne die Eigenarten der Epoche zu berücksichtigen. Manche Kritiker gehen so weit, die Anwendung des Staatsbegriffs auf die Frühe Neuzeit infrage zu stellen und ziehen es vor, von der „Herrschaft als dynamischem und kommunikativem Prozess“ zu sprechen.32 Ohne hier auf die sehr vielschichtige und national unterschiedlich ausgeprägte „Absolutismusdebatte“ weiter einzugehen, muss dennoch festgehalten werden, dass von ihr wichtige Impulse insbesondere für die Ständeforschung ausgegangen sind. Weil es 30 Vgl. Hervé DRÉVILLON, L’impôt du sang. Le métier des armes sous Louis XIV, Paris 2005, insb. S. 99– 211. 31 Einen exzellenten und ausgewogenen Überblick bietet das Handbuch von Dagmar FREIST, Absolutismus. Kontroversen um die Geschichte, Darmstadt 2008. Zum Absolutismusbegriff in Bezug auf die Habsburgermonarchie siehe Petr MAT’A/Thomas WINKELBAUER, Einleitung  : Das Absolutismuskonzept, die Neubewertung der frühneuzeitlichen Monarchie und der zusammengesetzte Staat der österreichischen Habsburger im 17. und frühen 18. Jahrhundert, in  : Petr MAT’A/Thomas WINKELBAUER (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas, Stuttgart 2006, S. 7–42. 32 Markus MEUMANN/Ralf PRÖVE, Die Faszination des Staates und die historische Praxis. Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und dualistischer Begriffsbildungen, in  : Markus MEUMANN/Ralf PRÖVE (Hg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004, S. 11–49, insb. S. 45. Man kann durchaus diskutieren, ob der konventionelle Staatsbegriff ausreicht, um die frühneuzeitlichen Regierungs- und Verwaltungsformen zu beschreiben. In jüngster Zeit wurde mehrfach versucht, das aus der Politikwissenschaft entlehnte Konzept der Governance auf vor- oder frühmoderne Gesellschaften zu übertragen. Tatsächlich eröffnet dieser Ansatz interessante Perspektiven, indem er die Multipolarität von Macht, die Dynamik der Verhandlungsprozesse, die Bedeutung von sozialen Netzwerken und die sich wandelnden Akteurskonstellationen stärker in das Blickfeld rückt. Vgl. Dominik NAGL/Marion STANGE, Staatlichkeit und Governance im Zeitalter der europäischen Expansion. Verwaltungsstrukturen und Herrschaftsinstitutionen in den britischen und französischen Kolonialimperien (SFB-Governance Working Paper Series, N° 19, DFG Sonderforschungsbereich 700), Berlin 2009  ; Michel PAULY (Hg.), Europäische Governance im Spätmittelalter. Heinrich VII. Von Luxemburg und die großen Dynastien Europas, Luxemburg 2010 (PSH, Bd. 124/Publications du CLUDEM, Bd. 27).

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angeblich auf Partikularinteressen beruhte, wurde das Ständewesen in der klassischen Geschichtsschreibung als Hemmschuh auf dem Weg der Staatsbildung angesehen.33 Die jüngere Forschung hat erhebliche Korrekturen an dem traditionellen Bild vom dualistischen Ständestaat vorgenommen. Wegweisend waren die Studien von MarieLaure Legay und Julian Swann zur nordfranzösischen bzw. burgundischen Ständelandschaft.34 Krone und Stände waren nicht Konkurrenten, sondern Kooperationspartner. Die fortwährende Bedeutung der intermediären Gewalten belegt in gewisser Hinsicht die Unzulänglichkeit des absolutistischen Staates, dem es an Strukturen zur Durchdringung seines Territoriums fehlte. Die Landstände waren die Instanz zwischen Zentralregierung und Untertanen. Insbesondere ihre Mitwirkung im militärischen Bereich erfuhr in den letzten Jahren eine Neubewertung.35 Die Stände verhandelten mit dem Landesherrn über die Steuern, die dieser für seine Kriegsführung benötigte und stellten ihren Verwaltungsapparat für militärlogistische Aufgaben zur Verfügung. Des Weiteren stützten die Ständevertreter den Kredit des Landesfürsten, indem sie als Vermittler bei Anleihen auftraten.36 Obwohl bei der Modernisierung 33 „Infolge ihrer partikularistischen Fundamentalstruktur standen sie [die Stände] aber der weiteren Staatsbildung im Wege und mußten verschwinden, entweder durch Abschaffung […] oder durch einfache Nichteinberufung. In Frankreich […] aber auch in deutschen Territorien und in Skandinavien, in Spanien und in Portugal ist dies die Zeit des Ständesterbens.“ Wolfgang REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt […], op., cit., S. 223. 34 Marie-Laure LEGAY, Les États provinciaux dans la construction de l’État moderne aux XVIIe et XVIIIe siècles, Genève 2001  ; Julian SWANN, Provincial Power and Absolute Monarchy  : The Estates General of Burgund, 1661–1790, Cambridge 2003. 35 Wolfgang Neugebauer unterstreicht die Katalysatorwirkung des Krieges  : „In kriegerischen Überlastlagen wurden die Stände gebraucht, und damit gewannen sie neue Spielräume.“ Wolfgang NEUGEBAUER, Staat – Krieg – Korporation. Zur Genese politischer Strukturen im 17. und 18. Jahrhundert, in  : Historisches Jahrbuch, 123, 2003, S. 197–237, S. 205. Doch auch in Friedenszeiten spielten die Stände eine wichtige Rolle im Militärwesen. Frank GÖSE, Landstände und Militär. Die Haltung der Kur- und Neumärkischen Ständerepräsentanten zum Brandenburg-Preußischen Militärsystem im ausgehenden 17. und 18. Jahrhundert, in  : Stefan KROLL/Kersten KRÜGER (Hg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Hamburg 2000, S. 191–222. William D. GODSEY, Stände, Militärwesen und Staatsbildung in Österreich zwischen Dreißigjährigem Krieg und Maria Theresia, in  : Gerhard AMMERER/William D. GODSEY/Martin Scheutz/Peter URBANITSCH/Alfred Stefan WEIss, Bündnispartner und Konkurrenten der Landesfürsten  ? Die Stände in der Habsburgermonarchie, Wien/München 2007, S. 233–267  ; Andrea PÜHRINGER, „… Nach äusseristen Kröfften best möglichisten Widerstandt zu thuen.“ Landstände, Militär und Finanzen im Land ob der Enns, in Peter Rauscher (Hg.), Kriegführung und Staatsfinanzen. Die Habsburgermonarchie und das Heilige Römische Reich vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ende des habsburgischen Kaisertums 1740, München 2010, S. 385–405  ; Jutta NOWOSADTKO, Stehendes Heer im Ständestaat. Das Zusammenleben von Militär- und Zivilbevölkerung im Fürstbistum Münster 1650–1803, Paderborn 2011. 36 „Die verbreiteten ständischen Landkasten oder Kreditwerke fungierten als frühe Banken, die Staats-

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des Finanzsystems die Zentralbehörden die treibende Kraft waren, kam es nicht zu einer umfassenden Ausschaltung der intermediären Gewalten auf Landesebene. Die „Zähmung der Stände“, die man in vielen Regionen Europas im 17. und 18. Jahrhundert beobachten kann, ist nach Petr Mat’a „treffender als Entpolitisierung statt als Funktionsverlust zu bezeichnen“, wobei sicherlich ihr politischer Einfluss (z. B. durch die Gravamina) auch nicht unterschätzt werden darf.37 Die Neuansätze der Ständeforschung tendieren dazu, den frühneuzeitlichen Staatsbegriff auszudehnen und das Ständewesen mit einzubeziehen. Die Prozesse der Staatsbildung – Aufbau des Steuerstaates, Verrechtlichung, Bürokratisierung, Rationalisierung, Militarisierung – verliefen nicht nur über die Organe der Zentralregierung, sondern auch über die ständischen Strukturen. Die sehr stark empirisch ausgerichtete und weniger konzeptuell geprägte Geschichtswissenschaft in Belgien hat die international geführten Auseinandersetzungen um den „fiscal-military state“, um die Wechselbeziehungen zwischen Staatsbildung und Militärwesen sowie um die Bedeutung der Stände in diesem Prozess bislang kaum rezipiert. Dabei kann sie sich in der Nähe von gewissen Strömungen in der österreichischen Forschung wähnen, die konsequent das militärische Element im „Reformabsolutismus“ einer Maria Theresia oder eines Joseph II. ausblenden.38 Die belgischen Historiker haben sich, in enger Zusammenarbeit mit ihren österreichischen Kollegen, sehr ausgiebig mit dem Thema Staatswerdung und Bürokratie in den Österreichischen Niederlanden im 18. Jahrhundert beschäftigt. Im Vordergrund der Untersuchungen schulden konsolidierten, aus Steuermitteln den Kapitaldienst leisteten und darüber hinaus Möglichkeiten zur Geldanlage boten.“ Kersten KRÜGER, Die Landständische Verfassung, München 2003, S. 13. Auf die Bedeutung der Stände im Kreditwesen der Monarchie hat schon Franz von Mensi hingewiesen. Franz von MENSI, Die Finanzen Oesterreichs von 1701 bis 1740, Wien 1890, S. 418–422. 37 Petr MAT’A, Landstände und Landtage in den böhmischen und österreichischen Ländern (1620–1740). Von der Niedergangsgeschichte zur Interaktionsanalyse, in  : Petr MAT’A/Thomas WINKELBAUER (Hg.), Die Habsburgermonarchie […], op., cit., S.352–353, S. 357. 38 Bezeichnend ist der kürzlich erschienene Sammelband von Helmut REINALTER (Hg.), Josephinismus als Aufgeklärter Absolutismus, Wien/Köln/Weimar 2008. Alle wichtigen Reformfelder Josephs II. werden abgehandelt, das Verhältnis von Staat und Kirche, Bürokratie, Schule und Bildung, Rechts- und Sozialreformen, staatliche Wirtschaftspolitik, Kunst und Kultur, nur nicht das Militär. Wenn der Begriff „Josephinismus“ nicht im engen Sinn für die staatskirchlichen Reformen benutzt wird, sondern wie hier auf alle Reformkomplexe ausgedehnt wird, dann war „Josephinismus“ auch Militarismus. Als Pendent auf belgischer Seite kann man den 2008 in Brüssel erschienenen Tagungsband „Lombardie et Pays-Bas autrichiens. Regards croisés sur les Habsbourg et leurs réformes au XVIIIe siècle“ ansehen, der ebenfalls den militärischen Bereich ausklammert. Bruno BERNARD (Hg.), Lombardie et Pays-Bas autrichiens. Regards croisés sur les Habsbourg et leurs réformes au XVIIIe siècle (Études sur le 18e siècle, Bd. 36), Bruxelles 2008.

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stand der zentrale Verwaltungsapparat in Wien und in Brüssel.39 Die Ergebnisse fanden ihren Niederschlag in einem Referenzwerk zur südniederländischen Verfassungsgeschichte, welches das Brüsseler Zentralarchiv (Archives Générales du Royaume) 1995 herausgab.40 Die Verwaltungspolitik der Habsburger wurde vornehmlich unter dem Gesichtspunkt von Zentralisierung und Modernisierung gedeutet. Die von den zentralen Behörden vorangetriebenen Maßnahmen zielten darauf ab, das komplizierte und als veraltet empfundene Gebilde der „Provinces belgiques“ zu vereinheitlichen und leichter regierbar zu machen. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt lag auf der Erstellung kollektiver Biografien des Regierungs- und Verwaltungspersonals in den Österreichischen Niederlanden.41 Die Beamten, deren Mehrzahl sich vor allem aus der bürgerlichen Mittelschicht rekrutierte, waren die eigentlichen Träger der Reformpolitik. Als Ausgangspunkt der Reformen wurde das Problem der Staatsfinanzierung ausgemacht. Herman Coppens leitet seine grundlegende Studie zu den Finanzen der Zentralregierung der südlichen Niederlande mit einem Ausspruch Karls von Lothringen ein  : „[…] les Finances sont les nerfs de tout dans les États.“42 Seine Untersuchung kann auf eine Reihe von älteren Arbeiten, u. a. die von Georges Bigwood, zurückgreifen und vervollständigt auf Länderebene das Gesamtbild von den Finanzen der Habsburgermonarchie unter Maria Theresia, das P.G.M. Dickson gezeichnet hat.43 Dass die Kriegs- und Militärprobleme des Habsburgerreiches wiederum den Hintergrund für die Finanz- und Steuerinnovationen bilden, wird allgemein akzeptiert, führt aber nicht zu einer Beschäftigung mit militärischen Fragestellungen. Das Terrain der frühneuzeitlichen Militärgeschichte liegt in Belgien weitgehend brach. Was das 16. und 17. Jahrhundert anbelangt, stechen die Arbeiten Geoffrey 39 Moritz CSÁKY/Andrea LANZER, Étatisation et Bureaucratie. Staatswerdung und Bürokratie. Symposion der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, Wien 1990  ; ZEDINGER, Renate, Die Verwaltung der österreichischen Niederlande in Wien (1714–1795). Studien zu den Zentralisierungstendenzen des Wiener Hofes im Staatswerdungsprozeß der Habsburgermonarchie, Wien/Köln/ Weimar, 2000. 40 Les institutions du gouvernement central des Pays-Bas habsbourgeois (1482–1795), 2 Bde. Bruxelles 1995. 41 Hier müssen vor allem die Arbeiten von Claude Bruneel und seinem Forscherteam an der Université catholique de Louvain angeführt werden. Claude BRUNEEL/Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis du gouvernement des Pays-Bas autrichiens. Dictionnaire biographique du personnel des institutions centrales, Bruxelles 2001. 42 Herman COPPENS, De financiën van de centrale regering van de Zuidelijke Nederlanden aan het einde van het Spaanse en onder Oostenrjks bewind (ca. 1680–1788), Brussel 1992, S. 15. 43 Georges BIGWOOD, Les impôts généraux dans les Pays-Bas autrichiens. Étude historique de législation financière, Louvain 1900  ; Peter George M. DICKSON, Finance and Government under Maria Theresia 1740–1780, 2 Bde. Oxford 1987.

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Parkers über die spanische Armee in den Niederlanden hervor.44 Doch diese wegweisenden Studien zu Logistik, Finanzierung und Lebensbedingungen der Soldaten haben keine Fortsetzung für die österreichische Herrschaftszeit gefunden. Möchte man etwas über das Militär in den niederländischen Provinzen im 18. Jahrhundert erfahren, muss man auf einige wenige veraltete Darstellungen, die ganz der glorifizierenden Schlachtenhistorie verhaftet sind, zurückgreifen, so z. B. auf die „Histoire militaire des Belges“ des Vicomte Charles Terlinden oder die „Histoire des Régiments Nationaux des Pays-Bas au service d’Autriche“ von Lieutenant-Général Baron Guillaume.45 Einzige Ausnahme bildet die nach einem Archivaufenthalt in Wien verfasste und wahrscheinlich durch Corvisiers Forschungen in Frankreich angeregte Untersuchung Joseph Ruwets zur sozialen Zusammensetzung der Nationalregimenter im 18. Jahrhundert, „Soldats des régiments nationaux au XVIIIe siècle“.46 Die Fortführung dieses Ansatzes würde es erlauben, wieder Anschluss an die moderne Militärgeschichtsforschung zu finden, wie sie u.a. im deutschsprachigen Raum vom „Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit“ betrieben wird. Ruwets innovativer Ansatz fand jedoch bislang keine Nachahmer unter den belgischen Historikerinnen oder Historikern. Dagegen liegen einige Abhandlungen vor, welche die Auswirkungen von Krieg und Militärpräsenz auf die Einwohner der Niederlande thematisieren. Die ältere Arbeit von Eugène Hubert zu den Garnisonen der Barrierefestungen untersucht das Verhältnis zwischen Stadtbevölkerung und Soldaten, ein Thema, das auch häufiger in der neuen Militärgeschichte behandelt wird.47 Doch Huberts Blick auf die angeblich traumatischen Beziehungen wird von einem starken, gegen Holland gerichteten, belgischen Nationalgefühl verzerrt.48 Das auf einer sehr breiten Quellenbasis gründende Werk von Hubert van Houtte „Les occupations étrangères en Belgique sous l’Ancien Régime“ schildert die sehr häufigen militärischen Besetzungen während der Frühen Neuzeit und reicht bis in die Zeit des 44 Geoffrey PARKER, The Army of Flanders and the Spanish Road 1567–1659. The Logistics of Spanish Victory and Defeat in the Low Countries’Wars, Cambridge 1972  ; idem, Spain and the Netherlands 1559–1659. Ten Studies, Glasgow 1979. 45 Charles TERLINDEN, Histoire militaire des Belges, Bruxelles 1966 [Erstveröffentlichung 1931]  ; Gustave-Henri-Louis GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux des Pays-Bas au service d’Autriche, Bruxelles 1877. 46 Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux au XVIIIe siècle. Notes et documents, Bruxelles 1962. 47 Eugène HUBERT, Les garnisons de la Barrière dans les Pays-Bas autrichiens (1715–1782). Étude d’histoire politique et diplomatique, Bruxelles 1902. 48 Catherine DENYS, Les relations entre Pays-Bas du Nord et Pays-Bas du Sud autour du problème de la Barrière au XVIIIe siècle, une proposition de révision historiographique, in  : Revue du Nord, Jg. 87, 2005, N° 359, S. 115–137.

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Österreichischen Erbfolgekriegs.49 Eine neuere Untersuchung von Myron P. Gutmann geht der Frage nach den Kosten und Schäden sowie den demographischen und wirtschaftlichen Folgen der in den Niederlanden geführten Kriege nach.50 Obwohl das Gewicht der kriegerischen Gewalt und der militärischen Präsenz folglich von verschiedenen Historikern durchaus hervorgehoben wurde, blieb die Militärgeschichte dennoch das Stiefkind der Forschung. Das oben genannte Handbuch zu den Institutionen der Zentralregierung in den habsburgischen Niederlanden spiegelt in bezeichnender Weise die fortwährende Vernachlässigung militärhistorischer Themenfelder wider. Von insgesamt 800 Seiten widmet es ganze fünf Seiten dem Kriegskommissariat und der Kriegskasse, den beiden wichtigsten Organen der österreichischen Militärverwaltung in den Niederlanden, zwei Behörden, die alleine zwei Drittel der Staatsausgaben tätigten  (!).51

i i. Fr ag e s t e l lu ng u n d M e t hode Angesichts des Forschungsstandes wird rasch klar, dass unser bisheriges Wissen um den Nexus zwischen Kriegswesen und Staatsbildung vor allem auf theoretischen Überlegungen und recht allgemein gehaltenen Überblicksdarstellungen gründet. Es fehlt an empirischen Detailstudien, welche die inneren Zusammenhänge des „fiscalmilitary state“ anhand von Quellen und an einem konkreten Beispiel ausleuchten.52 Vorliegende Arbeit will in diese Forschungslücke vorstoßen. Ziel der Untersuchung ist es, die Verflechtung von Militärwesen und Staatsverdichtung am Beispiel der Österreichischen Niederlande im 18. Jahrhundert aufzuzeigen. Dabei wird von der Hypothese ausgegangen, dass die Finanzierung, d.h. die Mittelbeschaffung, den Verknüpfungspunkt bildete. Die Versorgung mit den Grundnahrungsmitteln Brot und Futter erscheint dabei als die größte Herausforderung, welche die Armee an den 49 Hubert VAN HOUTTE, Les occupations étrangères en Belgique sous l’Ancien Régime, 2 Bde. Gand/ Paris 1930. Für neue Interpretationsansätze von militärischen Besetzungen siehe Markus MEUMANN/ Jörg ROGGE (Hg.), Die besetzte res publica. Zum Verhältnis von ziviler Obrigkeit und militärischer Herrschaft in besetzten Gebieten vom Spätmittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Berlin 2006. 50 Myron P. GUTMANN, War and rural life in the early Modern Low Countries, Princeton 1980. 51 Herman COPPENS, Caisse de guerre (1718–1794), in  : Les institutions […], op., cit., Bd. 2, S. 878– 882. 52 Michael Hochedlinger sieht darin das vorrangigste Forschungsdesiderat. Michael HOCHEDLINGER, Der gewaffnete Doppeladler. Ständische Landesdefension, Stehendes Heer und „Staatsverdichtung“ in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie, in  : Petr MAT’A/Thomas WINKELBAUER (Hg.), Die Habsburgermonarchie […], op., cit., S. 224.

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Fragestellung und Methode

Staat stellte. Deshalb richtet die Analyse den Fokus auf die Verpflegung der Soldaten mit dem unmittelbar notwendigen Proviant, wohl wissend, dass die Truppen auch Kleidung, Waffen, Munition, Holz und vieles mehr zur Verrichtung ihres Dienstes brauchten.53 Als Leitfrage dient die Frage nach der Verwaltungs- beziehungsweise Regierungspraxis. Welche staatlichen und nichtstaatlichen Akteure waren am Aufbau und Unterhalt der bewaffneten Macht beteiligt  ? Wie wurden Entscheidungen getroffen  ? Entwickelten die Institutionen eine Eigendynamik, die im Gegensatz zu einer Durchstaatlichung von oben stand  ? Welche Strategien der Problemlösung wurden entwickelt  ? Letztendlich soll geklärt werden, ob und wie es den habsburgischen Herrschern gelang, die für den Gesamtstaat notwendigen Machtmittel in Form von Geld und Truppen aus dem südniederländischen Raum zu generieren. Vorliegende Studie zeigt demnach Chancen und Grenzen der Verstaatlichung im Zeitalter des sogenannten „Reformabsolutismus“ auf. Von der Methodik her ordnet sich diese Arbeit in die Landesgeschichte ein. Nicht nur dass die historische Landeskunde, wie Michael Hochedlinger zu Recht bemerkt hat, „vieles erlaubt, was woanders verpönt ist“, in diesem Fall Verfassungs-, Verwaltungs- und Behördengeschichte.54 Sie bietet dem Forscher auch einen überschaubaren Untersuchungsraum, der als Grundlage für überregionale Vergleiche dienen kann.55 Durch die Beschränkung auf ein begrenztes Gebiet rücken regionale Besonderheiten ins Blickfeld. Der Weg vom Ständestaat zum zentralistischen Einheitsstaat verliert seine Geradlinigkeit, die diesem Prozess den Vorwurf der Teleologie eingebracht hat. Vor allem aber ermöglicht die landesgeschichtliche Methode eine Verzahnung von verschiedenen Forschungsgebieten, von Finanz-, Militär-, Politik- und Wirtschaftsgeschichte. Nur so kann es gelingen, in die „Tiefenstruktur“ der Finanz- und Militärorganisation in den südlichen Niederlanden vorzudringen, die bisher unzureichend erschlossen war. Die Untersuchung ist demnach ebenfalls einer strukturgeschichtlichen Herangehensweise verpflichtet.

53 Bernhard R. Kroener relativiert die Bedeutung der Rüstungsausgaben für die wirtschaftliche Entwicklung. Der Umfang der waffentechnischen Ausrüstung sei zu gering gewesen, um als Antrieb für die Protoindustrialisierung auszureichen. Dagegen unterstreicht Kroener, dass 60 % aller für die Kriegsführung aufgewendeten Mittel der unmittelbaren Lebensmittelversorgung dienten. Bernhard R. KROENER, Die materiellen Grundlagen österreichischer und preußischer Kriegsanstrengungen 1756–1763, in  : idem (Hg.), Europa im Zeitalter Friedrichs des Großen. Wirtschaft, Gesellschaft, Kriege, München 1989, S. 47–78, S. 68 u. 71. 54 Michael HOCHEDLINGER, Bürokratisiserung, Zentralisierung […], op., cit., S. 247. 55 Franz IRSIGLER, Vergleichende Landesgeschichte, in  : Carl-Hans HAUPTMEYER (Hg.), Landesgeschichte heute, Göttingen 1987, S. 35–54, S. 35.

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Einführung

i i i. Un t e r s uc h u ng s g e g e ns ta n d Die Auswahl der Österreichischen Niederlande als Gegenstand einer militärgeschicht­ lichen Untersuchung mag überraschen. Im Gegensatz zum 17. Jahrhundert, dem „Siècle de malheurs“, blieben die belgischen Provinzen im 18. Jahrhundert über längere Zeiträume hin von kriegerischen Auseinandersetzungen und fremden Besetzungen verschont. Die lang währende Friedenszeit hat dann auch bei manchem Historiker zu einer Verklärung der österreichischen Herrschaft als „Goldenes Zeitalter“ beigetragen.56 Doch Frieden in den Niederlanden bedeutete nicht, dass anderswo kein Krieg herrschte. Die von den österreichisch-habsburgischen Monarchen regierten Länder wurden von Peter Rauscher treffend als eine „Militär- und Finanzunion“ bezeichnet.57 Auch die „friedlichen“ Niederlande mussten ihren Beitrag zur Verteidigung und Ausdehnung der Monarchie leisten. Niederländische Steuern und Kredite – dies sei hier schon vorweggenommen – finanzierten Kriege an weit entfernten Fronten. Niederländische Regimenter kämpften neben böhmischen oder ungarischen in den kaiserlichen Heeren auf den Schlachtfeldern Europas. Selbst wenn keine direkte äußere Bedrohung bestand, unterhielten die Habsburger ein stehendes Heer und einen Gürtel von Festungen in ihren Besitzungen an der Nordsee. Die Krisensituation eines Krieges kann Entwicklungen beschleunigen, aber die Frage nach den Wechselbeziehungen von Staat, Militär, Wirtschaft und Gesellschaft bleibt auch in Friedenszeiten bestehen. Die südlichen Niederlande unter österreichischer Herrschaft sind ein besonders geeignetes Terrain, um die Prozesse der Verstaatlichung zu beobachten. Das Gebiet umfasste die Herzogtümer Brabant, Luxemburg, Limburg, einen Teil von Geldern, die Grafschaften Hennegau, Flandern und Namur, die Herrschaften Mechelen und Tournai sowie das separat verwaltete Westflandern. Die „Provinces belgiques“ zeichneten sich durch eine Reihe von Stärken aus  : eine hohe Bevölkerungsdichte, eine für das 18. Jahrhundert schon weit fortgeschrittene Verstädterung – etwa ein Viertel

56 Diese Verklärung wird kritisch hinterfragt von Michèle GALAND, Les limites de la prospérité des PaysBas autrichiens sous le règne de Marie-Thérèse, in  : Anne MORELLI, Les grands mythes de l’histoire de Belgique, de Flandre et de Wallonie, Bruxelles 1995, S.129–137, und von Jean-Paul LEHNERS, Das Herzogtum Luxemburg im 18. Jahrhundert   ��������������������������������������������������������������������� : ein „Goldenes Zeitalter“  ? Versuch einer Bestandsaufnahme, in  : Paul DOSTERT/Michel PAULY/Pol Schmoetten/Jean Schroeder (Hg.), Le Luxembourg en Lotharingie. Mélanges Paul Margue. Luxemburg im lotharingischen Raum. Festschrift Paul Margue, Luxemburg 1993, S. 369–390. 57 Peter Rauscher, Zur Einführung, in  : Peter Rauscher (Hg.), Kriegführung und Staatsfinanzen […], op., cit., S. 5–38, S. 11.

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Untersuchungsgegenstand

der 2,2 Millionen Einwohner lebte in Städten –, fortschrittliche Anbaumethoden in der Landwirtschaft, ein florierender Textilsektor. Nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg beschleunigte sich das Wirtschaftswachstum. Tabak- und Steingutmanufakturen, Papiermühlen, Glashütten, Zuckerraffinerien und Salzsiedereien sowie Metallgewerbe und Bergbau in der Gegend um Charleroi erlebten eine Blütezeit. Im Gegensatz zu mancher Überzeugung begann die Vorreiterrolle Belgiens während der industriellen Revolution nicht erst ab dem 19. Jahrhundert, sondern gründete bereits in der österreichischen Zeit.58 Von einem politischen Standpunkt aus gesehen, erfreuten die Niederlande sich einer großen Eigenständigkeit innerhalb des habsburgischen Staatsgefüges. Die belgischen Provinzen, Städte und gesellschaftlichen Korporationen nahmen jahrhundertealte „Rechte“, „Freiheiten“ und „Privilegien“ für sich in Anspruch. Oft genug stand die ständische Verfassung im Gegensatz zu den Interessen des Landesherrn. Nachdem Karl VI. schon Versuche unternommen hatte, das althergebrachte Verwaltungssystem zu erneuern, wurde unter der Herrschaft Maria Theresias ein tief greifender Modernisierungsprozess eingeleitet. Ziel war, die Partikularismen der Länder zu überwinden und die Zentralgewalt zu stärken. Unter Joseph II. beschleunigte sich das Tempo der Reformen. Die Eingriffe in die Verwaltungs- und Rechtsstruktur, aber auch die vielen kirchlichen und religiösen Maßnahmen stießen auf wachsenden Widerstand, der schließlich 1789 in einen Aufstand, die sogenannte Brabanter Revolution, mündete. Die niederländischen Stände erklärten ihre Unabhängigkeit und schlossen sich zu den Vereinigten Belgischen Staaten (États belgiques unis) zusammen. Historiker wie Jean Stengers sehen in der Erhebung von 1789 eine „nationale Revolution“.59 Fakt ist, dass die Nationsbildung in Belgien verhältnismäßig früh begann und schon 1830 zur Gründung eines nationalen Einheitsstaates führte. Die Vorgänge der Staatsbildung in den Österreichischen Niederlanden wurden bisher hauptsächlich anhand der Entwicklung der landesherrlichen Zentralbehörden untersucht. Für die Verwaltung der Finanzen und des Militärwesens ist aber die mittlere Ebene der Provinzen besonders wichtig. Die Bewilligung, die Aufteilung und vielerorts auch die Erhebung der direkten Steuern waren den Landständen vorbehalten. Auch die Verproviantierung und Einquartierung der Truppen erforderte ihre Mitarbeit. Deshalb ist, nachdem im ersten Teil dieser Arbeit das Gesamtsystem 58 Christopher BUCHHOLZ, Frühe Modernisierung in den habsburgischen Niederlanden, in  : Jean-Paul LEHNERS/Claude BRUNEEL/Helmut REINALTER (Hg.), L’Autriche, les Pays-Bas et le Duché de Luxem­ bourg au 18e siècle, Luxembourg 1999, S. 147–157, S. 152–153. 59 Jean STENGERS, Histoire du sentiment national en Belgique des origines à 1918, Bd. 1, Les racines de la Belgique jusqu’à la Révolution de 1830, Bruxelles 2000, S. 126.

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Einführung

der Österreichischen Niederlande abgehandelt wird, eine Fokussierung auf die Meso­ ebene einer Provinz notwendig.60 Dies geschieht am Fallbeispiel des Herzogtums Luxemburg. Das Herzogtum, das sich im Raum zwischen Obermosel und Obermaas erstreckte, war die größte, aber zugleich auch die ärmste und die am dünnsten besiedelte Provinz der Niederlande. Die Finanzierung und Versorgung eines starken Militäraufgebots erwies sich in einer solchen strukturschwachen Region als besonders schwierig. Verwaltung, Gesellschaft und Wirtschaft standen unter Reformdruck, um den Anforderungen gerecht zu werden. Die Sonderentwicklung Luxemburgs, das nicht an der Brabanter Revolution teilnahm und sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem niederländischen bzw. belgischen Verbund herauslöste, stellt ein geeignetes Objekt dar, um sowohl Autonomiebestrebungen wie auch Integrationsprozesse zu beobachten.

i v. Q u e l l e n l ag e Obwohl die Österreichischen Niederlande sich in vielerlei Hinsicht für das oben dargelegte Forschungsvorhaben eignen, könnte die desolate Quellenlage ein Hindernis sein. Vielleicht liegt in ihr die Erklärung für die Zurückhaltung der belgischen Geschichtsforschung zu Themen der Militärhistorie. Ein Großteil der österreichischen Militärakten, insbesondere die Archive des General-Kommandanten, des Kriegskommissariats sowie der Kriegskasse, verbrannten am 12. Dezember 1789, als Aufständische die Residenz der Armeeführung zerstörten.61 Die Dokumente aus den letzten Herrschaftsjahren hat die österreichische Verwaltung während den Revolutionskriegen nach Wien in Sicherheit gebracht. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu umfangreichen Rückführungen von Archivgut nach Brüssel. Die Militärakten interessierten offenbar niemanden und verblieben im Wiener Kriegsarchiv. So kommt es, dass in den Archives Générales du Royaume in Brüssel, was die österreichische Periode betrifft, fast nur Archivalien von Zivilbehörden aufbewahrt werden. Auch auf der Provinzebene in Luxemburg ist die Archivlage nicht besser. Die Archive der österreichischen Festungskommandantur wurden entweder 1795 nach Einnahme der Stadt durch die Revolutionstruppen vernichtet oder vorher nach Wien abtransportiert. 60 Die Mikroebene der Gemeinden und Untertanen wurde mitbedacht, konnte aber im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht näher untersucht werden. Hier bleibt ein Forschungsdesiderat bestehen. 61 Joseph LAENEN, Les archives de l’État à Vienne au point de vue de l’histoire de Belgique, Bruxelles 1924, S. 477.

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Quellenlage

Der beklagenswerte Verlust der Militärarchive durch den Brand von 1789 kann jedoch wenigstens zum Teil ausgeglichen werden. Die Militärverwaltung hat Spuren in den Archivbeständen der zivilen Institutionen hinterlassen, welche hervorragend überliefert sind. So kann man die Tätigkeit des Kriegskommissariats und der Kriegskasse anhand der Schriftstücke nachvollziehen, die sie mit ihrem zivilen Gegenpart, dem Finanzrat, ausgetauscht haben. Berichte, Anträge, Antwortschreiben, Haushaltsentwürfe, Lieferverträge und viele Dokumente mehr sind im Fundus dieser für alle wirtschaftlichen und finanziellen Belange zuständigen Behörde aufbewahrt. Es sind dann auch die reichhaltigen Bestände des Finanzrates, die das Herzstück unserer Untersuchungsgrundlage bilden. Diese wurden komplettiert durch das Aktenmaterial der anderen Regierungsbehörden, die ebenfalls Kontakte mit der Militärverwaltung hatten und in militärischen Bereichen intervenierten  : Conseil du gouvernment général, Conseil privé, Secrétairerie d’État et de guerre, Rechenkammer, Contadorie des Finances sowie das Commissariat général civil. Ein reger Austausch fand auch mit den Zentralstellen in Wien statt. Die Brüsseler Behörden schickten regelmäßig Rechenschaftsberichte und Belege ihrer Tätigkeit an den Hofkriegsrat, das Generalkriegskommissariat oder die Hofkammer. Alle wichtigen Entscheidungen wurden in letzter Instanz in der Hauptstadt der Habsburgermonarchie getroffen. Die Wiener Archive sind in ihrer Relevanz für die Militärgeschichte der südlichen Niederlande noch weitgehend unerschlossen. Als erste Orientierungshilfe können die Bestandsaufnahmen von Joseph Laenen und Joseph Ruwet dienen.62 Während eines Forschungsaufenthaltes in Wien konnte nur ein Bruchteil aller relevanten Bestände durchgesehen werden. Als besonders ergiebig erwiesen sich die sogenannten „alten Feldakten“ im Heeresarchiv. In diesem Bestand befindet sich unter anderem die Korrespondenz, die Prinz Eugen, der auch Hofkriegsratspräsident war, mit verschiedenen Militärangehörigen in den Niederlanden führte. Letztere Quelle ermöglicht es, die Problematik der Finanzierung, Verpflegung und Unterbringung während eines begrenzten Zeitraumes – 1715 bis 1740 – aus der Sicht der Militärführung zu beleuchten. Die Sichtung der Ein- und Auslaufprotokolle des Hofkriegsrates brachte dagegen nur wenige verwendbare Informationen zutage. Die zugehörigen Akten sind leider meistens nicht mehr vorhanden, da sie im 19. Jahrhundert der sogenannten „Skartierung“ Wiener Archivare zum Opfer fielen. Für die Provinz Luxemburg drängt sich die gleiche Vorgehensweise wie für die gesamten Niederlande auf, um den Mangel an Militärarchiven auszugleichen. Auch 62 Joseph LAENEN, Les archives de l’État à Vienne […], op. cit.  ; Joseph RUWET, Les archives et bibliothèques de Vienne et l’histoire de Belgique, Bruxelles 1956.

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hier müssen die Akten der zivilen Behörden nach militärhistorisch relevanten Informationen durchgesehen werden. Die Sektion A IV des Luxemburger Nationalarchivs enthält die überlieferten Bestände, die von der vielfältigen Verwaltungstätigkeit der Landstände zeugen  : Steuerbewilligungsakten, Diskussionspunkte, Versammlungsprotokolle, Rechnungsbücher, Korrespondenz usw. In ihnen findet man zahlreiche Hinweise zum Thema der Heeresversorgung. Die Sektion A XVII „Affaires militaires“ (Militärische Angelegenheiten) ist eine Ansammlung von Schriftstücken, die dem Verwaltungsapparat des Provinzialrats oder der Landstände entstammen, die aber aus irgendeinem Grund aus ihrer ursprünglichen Provenienz herausgenommen und thematisch zusammengelegt worden sind.

v. G a ng de r Da r s t e l lu ng Wirft man einen Blick auf die politische Karte Europas im 18. Jahrhundert, erscheinen die südlichen Niederlande als ein schwer zu verteidigender Außenposten. Das erste Kapitel erörtert die geostrategische Bedeutung dieser entlegenen Provinzen für die österreichische Machtpolitik. Mehrmals lagen Tauschpläne auf dem Tisch, die dann doch immer wieder scheiterten. Die Habsburger behielten das Gebiet bis 1795, trotz einer bewegten Ereignisgeschichte. Wie wurden die südlichen Niederlande gegen äußere Bedrohungen verteidigt  ? Bis zur Umwälzung des Allianzsystems 1756 ging die Gefahr vor allem von Frankreich aus. Das zweite Kapitel zeigt, wie die Niederlande durch ein Netzwerk von Festungen gesichert wurden, welche finanzielle Anstrengung der Unterhalt dieser Verteidigungsanlagen darstellte und wie es zu einer Professionalisierung des Ingenieurskorps kam. Die zweite Säule, auf der die militärische Verteidigung der Österreichischen Niederlande gründete, war das stehende Heer. Kapitel 3 liefert Angaben zur Entwicklung der Heeresstärke, zur Rekrutierung und zum Problem der Desertion. Das Söldnerheer entpuppte sich zunehmend als unzuverlässiges Instrument und ließ Ideen der Schaffung einer Miliz sowie, nach 1789, der Volksbewaffnung aufkommen. Welchen organisatorischen und finanziellen Aufwand bedeutete die österreichische Militärpräsenz in den Niederlanden  ? In Kapitel 4 werden der Aufbau der Militärverwaltung, ihre Funktionsweise und ihre oft konfliktgeladenen Beziehungen zu den zivilen Regierungsbehörden dargelegt. Dabei fällt die Beharrungskraft älterer Organisationsformen wie z.  B. der aus der spanischen Zeit stammenden Kontadorie auf. Die Reformbestrebungen insbesondere in der zweiten Jahrhunderthälfte führen aber auch zur Schaffung neuer Institutionen und Verfahrensweisen. Kapitel 5 fragt nach den Verteidigungskosten. Welches Ge28

Gang der Darstellung

wicht hatten die Ausgaben für Rüstung und Armee im Staatsbudget  ? Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Kriegskasse und die komplexen Zahlungsmechanismen, die über diese zentrale Finanzierungsstelle abliefen. Hier sollen Herkunft und Bestimmung der Mittel geklärt werden. Die Verpflegung der Armee beanspruchte den Löwenanteil der Verteidigungsmittel. Kapitel 6 untersucht das Problem der Versorgung. Was war der Bedarf einer Armee in der Größe, wie sie in den Niederlanden stationiert war  ? Wie wurden die Soldaten verpflegt  ? Im Vordergrund stehen die privaten Unternehmer, auf die das Versorgungssystem sich stützte. Hier wird ersichtlich, dass die Aufgaben der Heeresunterhaltung breit verteilt und zum Teil von der öffentlichen Hand abgegeben wurden, um die Schwächen der zentralen Verwaltung auszugleichen. Kapitel 7 weitet den Untersuchungsrahmen von der Zentral- auf die Provinzebene aus. Regierungs- und Militärbehörden waren auf eine enge Zusammenarbeit mit den Landständen angewiesen, zur Bewältigung der administrativen und logistischen Herausforderungen insbesondere im Bereich der Militärversorgung. Wie die Landstände den fehlenden Verwaltungsapparat des Landesherrn auf Provinzebene ersetzten, wird am Beispiel des Herzogtums Luxemburg gezeigt. Abschließend wird dann im achten Kapitel das Zusammenspiel von Ständen, zentralstaatlichen Institutionen und Militär im Fall einer Krisensituation, ausgelöst durch eine Teuerung des Getreides, aufgezeigt. Die Strategien, die für die Militärversorgung entwickelt wurden, hatten positive Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft.

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Kapitel 1

Krieg und Frieden Die Österreichischen Niederlande im europäischen Mächtespiel

Der Ausgang der Kriege des späten 17. und des frühen 18. Jahrhunderts erwies sich als besonders vorteilhaft für die österreichischen Habsburger, obwohl ihnen die spanische Krone schlussendlich vorenthalten blieb. Die Türkengefahr war gebannt. Wien lag nun endgültig außerhalb einer möglichen Bedrohung durch die Osmanen. Ungarn konnte vollständig zurückerobert werden. Die Verträge von Utrecht (11. April 1713), Rastatt (6. März 1714) und Baden (September 1714) sicherten der Habsburgermonarchie ausgedehnte Gebietsgewinne in den südlichen Niederlanden und auf der italienischen Halbinsel. Der Frieden von Passarowitz (1718) besiegelte die Annexion des Banats, der Walachei und Nordserbiens und schob die Grenze zum Osmanenreich bis an den Fuß des Balkangebirges vor. Die Herrschaft der Habsburger erstreckte sich fortan über ein riesiges Gebiet, das von der Nordsee bis zur Südspitze Italiens und vom Rhein im Westen bis nach Transsilvanien (Siebenbürgen) im Osten reichte. Karl VI. konnte sich rühmen, über ein Reich zu regieren, das mit seinen 750.000 km2 größer als Frankreich war und immerhin 18 Millionen Untertanen zählte.1 Nach den erfolgreichen Feldzügen Prinz Eugens schien Österreich definitiv zur europäischen „Großmacht“ aufgestiegen zu sein.2 Doch macht territoriale Erweiterung allein schon eine Großmachtstellung aus  ? Schon die Zeitzeugen hegten ihre Zweifel. Montesquieu, der das Reich Karls VI. im Jahre 1728 bereiste, meinte, dass die massiven Gebietsgewinne die Habsburgermonarchie in Wirklichkeit geschwächt hätten.3 Mit dem Erwerb neuer Besitztümer vergrößerte sich auch die Angriffsfläche, die Österreich seinen Gegnern bot. Die Länder 1 Michael HOCHEDLINGER, Austria’s wars […], op., cit., London 2003, S. 221–222. 2 Oswald REDLICH, Das Werden einer Großmacht. Österreich von 1700 bis 1740, Wien 1962 (4. Auflage). Für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema „Aufstieg zur Großmacht“ siehe Karl VOCELKA, Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im habsburgischen Vielvölkerstaat, Wien 2001, S. 79–84 (Österreichische Geschichte 1699–1815, hrsg. von Herwig WOLFRAM). 3 Grete KLINGENSTEIN, „Jede Macht ist relativ“. Montesquieu und die Habsburgermonarchie, in  : Herwig EBNER u. a (Hg.), Festschrift Othmar Pickl zum 60. Geburtstag, Graz/Wien 1987, S. 307–323.

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Die „Achillesferse“ der Habsburgermonarchie

lagen weit auseinander und waren schwer zu verteidigen. Auf dem Papier zählte die Armee Karls VI. nach dem Türkenkrieg über 160.000 Mann. Aber um die Grenzen seines weitläufigen Reiches zu sichern, war der Kaiser gezwungen, seine Kräfte zu zersplittern. Während die Erblande nur 21.000 Mann benötigten, mussten 74.000 auf Ungarn und auf die Neuerwerbungen im Südosten verteilt werden. Zusätzlich waren 60.000 Soldaten in Italien stationiert, und auch die niederländischen Provinzen erforderten eine 11.000 Mann starke Heerespräsenz.4 Die Verteidigung der weitverstreuten Außenposten wog besonders schwer und machte Österreich zu einem leicht erpressbaren Partner in der internationalen Politik. Dieses Spiel der Mächte, das geprägt war von kurzlebigen Bündnissen, von Krisen und Konflikten, bildet den Hintergrund für alle weiteren Ausführungen der vorliegenden Arbeit. Deshalb sollen hier nun, in knappen Zügen, die außenpolitischen und militärischen Ereignisse und ihre Auswirkungen auf die Niederlande dargelegt werden. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, welche Bedeutung die Habsburger diesem Randgebiet zumaßen. Auf den ersten Blick scheinen die dortigen österreichischen Interessen alles andere als klar.

1.1 D i e „ Ac h i l l e sf e r s e“ de r H a b s bu rg e r mon a rc h i e Von allen entlegenen Besitztümern der Habsburger waren die südlichen Niederlande das am weitesten von der Zentrale des Reiches entfernte Gebiet. 1200 Kilometer oder etwa 14 Reisetage trennten Wien von Brüssel.5 Ohne territoriale Verbindung zu den Habsburger-Erblanden, in direkter Nachbarschaft zum Erzfeind Frankreich gelegen, waren die neu erworbenen belgischen Provinzen die Achillesferse der Monarchie.6 Wiederum bei Montesquieu findet sich eine treffende Beobachtung, welche Belastung der Besitz der Niederlande für den Habsburger-Herrscher darstellte  : „Was den Kaiser besonders geschwächt hat, sind die Niederlande. Das Land ist nicht aus eigener Kraft imstande, sich gegen Frankreich zu verteidigen. Der Kaiser muss also Truppen schicken. Nun, die kosten ihn viel  : das Doppelte und das Dreifache als 4 Zahlenangaben in Michael HOCHEDLINGER, Austria’s wars […], op., cit., S. 220. 5 Bei seiner Reise in die Niederlande, 1781, legte Joseph II. die Strecke zwischen Wien und Luxemburg in zehn Tagen zurück. Die Fahrt mit der regulären Postkutsche von Luxemburg nach Brüssel dauerte vier Tage. Eugène HUBERT, Le voyage de l’empereur Joseph II dans les Pays-Bas (31 mai 1781–27 juillet 1781). Étude d’histoire politique et diplomatique, Bruxelles 1900, S. 32–35. 6 Michael Hochedlinger bezeichnet die zahlreichen Außenposten der Habsburgermonarchie als „geopolitische Achillesfersen“. Michael HOCHEDLINGER, Austria’s wars […], op., cit., S. 361.

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Krieg und Frieden

anderswo. (…) Man hat also den Kaiser geschwächt, indem man ihm die Niederlande gab.“7 Glaubt man dem Autor des „Esprit des Lois“, waren die „Pays-Bas“ ein vergiftetes Geschenk, das die Mächte dem Kaiser zum Abschluss des Spanischen Erbfolgekrieges offerierten. Formalrechtlich wurden die Niederlande schon durch die Verträge von Utrecht und Rastatt den Habsburgern zugesprochen. Doch durften Letztere erst nach Abschluss eines Barriereabkommens mit den Generalstaaten von ihren neuen Ländereien Besitz ergreifen. Die Errichtung einer „Barriere“, d.h. einer von holländischen Garnisonen besetzten Festungskette, die dem französischen Expansionsdrang einen Riegel vorschieben würde, war seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert ein Hauptanliegen der holländischen Diplomatie. Von Amsterdam aus gesehen waren die südlichen Niederlande eine Pufferzone, die Frankreich auf Distanz halten sollte.8 Die Verhandlungen zwischen dem Abgesandten des Kaisers, Joseph Lothar von Königsegg, und den Vertretern der Generalstaaten begannen am 4. Oktober 1714 in Antwerpen. Kaiserliche Truppen lagen abwartend am Niederrhein und bei Aachen, um das Territorium sofort besetzen zu können. Doch die Verhandlungen zogen sich in die Länge.9 Um Druck auf die Generalstaaten zu machen, rückten einige Einheiten vor. Unter dem Kommando von Generalmajor Freiherr von Wachtendonck zogen die ersten österreichischen Truppen schon am 21. Dezember in die Provinz Luxemburg ein.10 Dennoch benötigte man 52 Verhandlungstage, ehe man eine Einigung fand. Erst am 15. November 1715 wurde der Barrierevertrag in Antwerpen unterzeichnet. Es dauerte dann noch einmal zweieinhalb Monate, bis das Abkommen ratifiziert wurde und die Seemächte dem Kaiser die Verwaltung der niederländischen Provinzen vollständig übergaben. Der Barrierevertrag legte die gemeinsame Verteidigung der Niederlande durch die holländische Republik und Österreich fest. Die beiden Mächte verpflichteten sich,  7 « Ce qui affoiblit beaucoup l’Empereur, ce sont les Pays-Bas. Le pays n’est pas, par lui-même, en état de se défendre contre la France. Il faut donc que l’Empereur lui envoie des troupes. Or elles lui coûtent beaucoup  : le double et le triple qu’ailleurs. (…) On a donc affoibli l’Empereur en lui donnant les PaysBas. » MONTESQUIEU, Œuvres complètes. Texte présenté et annoté par Roger CAILLOIS, Bd. 2, Paris 2001, S. 735.   8 Werner HAHLWEG, Genesis, Funktion und Schicksal des niederländischen Barrieresystems im 17. und 18. Jahrhundert, in  : Um Recht und Freiheit. Festschrift für Friedrich August Freiherr von der Heydte zur Vollendung des 70. Lebensjahres, Berlin 1977, S. 1323–1339.   9 Der Verhandlungsverlauf wird ausführlich bei Louis-Prosper GACHARD, Histoire de la Belgique au commencement du XVIIIe siècle, Bruxelles 1880, beschrieben. 10 Arthur HERCHEN, Geschichte des Herzogtums Luxemburg während des achzehnten Jahrhunderts. Erster Teil. Von dem Beginn des spanischen Erbfolgekrieges bis zum Regierungsantritt Maria Theresias, Luxemburg 1910, S. 47.

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Tauschen oder behalten?

dort eine Armee von 30.000 bis 35.000 Mann zu unterhalten. Die Holländer sollten zwei Fünftel des Aufgebots stellen, die Österreicher den Rest. Die Generalstaaten durften ihre Truppen in den Festungen Namur, Tournai, Menen, Veurne, Warneton, Ieper und Fort Knocke stationieren. Die restlichen befestigten Plätze und Städte wurden von den Österreichern besetzt. Nur Dendermonde besaß eine gemischte Garnison. Geschah die Verteidigung der Niederlande folglich gemeinsam, so lag die finanzielle Last hingegen allein auf österreichischer Seite. Als Gegenleistung für ihre Militärpräsenz musste der Kaiser jedes Jahr 500.000 Taler (Écus) oder 1.250.000 holländische Gulden an die Generalstaaten bezahlen. Die Nachverhandlungen, die zum Zusatzvertrag vom 22. Dezember 1718 führten, konnten zwar einige territoriale Streitpunkte klären. Sie brachten aber keine nennenswerte finanzielle Erleichterung.11 Jedes Jahr flossen 1.400.000 Brabanter Gulden aus der südniederländischen Staatskasse nach Den Haag. Die Zahlungsbedingungen des Barrierevertrages wurden korrekt ausgeführt.12 Von 1719 bis 1744 sind über 35 Millionen Brabanter Gulden an Barrieresubsidien gezahlt worden.13

1.2 Taus c h e n ode r be h a lt e n ? Das Vorhandensein fremder Truppen auf dem Gebiet der Niederlande, die Bezahlung der Besatzungskosten an die Generalstaaten sowie die durch den Barrierevertrag bestätigte Sperrung der Schelde für den internationalen Schifffahrtsverkehr stellten eine starke Einschränkung der österreichischen Souveränität dar. War es die als demütigend und wirtschaftlich ruinös empfundene Abhängigkeit, die die habsburgischen Herrscher dazu bewog, immer wieder Tauschpläne zu schmieden  ?14 „Während der 85 Jahre, in denen die Niederlande ihnen gehörten, waren sie ständig darum bemüht, das beste Mittel zu finden, um sich ihrer zu entledigen“, schreibt Henri Pirenne in seiner monumentalen Geschichte Belgiens.15 Tatsächlich tauchte immer

11 Louis-Prosper GACHARD, Histoire de la Belgique […], op., cit., S. 481–484. 12 Herman COPPENS, De financiën van de centrale regering van de Zuidelijke Nederlanden aan het einde van het Spaanse en onder Oostenrijks bewind (ca. 1680–1788), Brussel 1992, S. 329–330. 13 Der exakte Betrag beläuft sich auf 35.416.633 Brabanter Gulden. Diese Berechnung basiert auf den Zahlenangaben in Hermann COPPENS, Basisstatistieken voor de reconstructie van de centrale staatsrekening der Spaanse en Oostenrijkse Nederlanden ca. 1680–1788, Brussel 1993, S. 48–53 und 171. 14 Joseph LAENEN, Le ministère de Botta-Adorno dans les Pays-Bas autrichiens pendant le règne de MarieThérèse (1749–1753), Anvers 1901, S. 23, führt dieses Motiv als Erklärung an. 15 Henri PIRENNE, Histoire de Belgique des origines à nos jours, Bd. 3, Bruxelles 1950, S. 97.

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wieder die Idee auf, die südlichen Niederlande gegen Bayern oder ein italienisches Herzogtum zu tauschen, also ein weit entlegenes Gebiet gegen ein unmittelbar an die Erblande angrenzendes Territorium zu wechseln. Die Abrundung der Kernlande und das gleichzeitige Abstoßen der Außenposten, deren Verteidigung als zu schwierig und zu kostspielig angesehen wurde, waren über Jahrzehnte hinweg ein Topos der österreichischen Außenpolitik. Schon Prinz Eugen dachte daran, die Niederlande als Tauschobjekt gegen Bayern zu verwenden, um die Donaumonarchie zu arrondieren.16 Während des Österreichischen Erbfolgekriegs, aber auch im Vorfeld des Siebenjährigen Krieges bot Maria Theresia Frankreich mehrmals an, auf ihre niederländischen Provinzen zu verzichten, wenn die Franzosen ihr helfen würden, Schlesien von Preußen zurückzugewinnen.17 Besonders Staatskanzler Kaunitz befürwortete, dass man sich von diesem schwer zu verteidigenden Anhängsel trennen sollte, um sich von der Verwicklung in die westeuropäische Politik zu befreien. In diesem Teil Europas stritten sich vor allem England und Frankreich um die Vorherrschaft auf See und in den Kolonien. Was ging dies die Habsburgermonarchie an, deren Interessen vorrangig auf dem Balkan und im Reich lagen  ? Der Niederlande enthoben wäre die österreichische Außenpolitik flexibler und weniger abhängig von der französischen Allianz geworden. Kaunitz sah in einem kompakten und zusammenhängenden Staatsterritorium, mit klaren Grenzen und ohne ausländische Enklaven, die Lösung des Sicherheitsdilemmas.18 1777 und noch einmal 1784 versuchten Joseph II. und der Staatskanzler, die Wittelsbacher zu einem Gebietsaustausch zu bewegen. Doch der Erwerb Bayerns scheiterte am Widerstand der anderen Großmächte, die auf den Erhalt des europäischen Gleichgewichts bedacht waren. Insbesondere die Seemächte, England und Holland, bemühten sich um den Verbleib Österreichs an der Kanalküste. Deren Einspruch war jedoch nicht der einzige Grund für das Scheitern dieser wie aller vorigen Tauschprojekte. Auch unter den österreichischen Entscheidungsträgern regten sich Zweifel, ob ein solcher Gebietswechsel zweckmäßig sei. Geopolitisch sinnvoll war er vielleicht, wirtschaftlich interessant aber kaum. Als Maria Theresia 1777 von den Tauschplänen ihres Sohnes erfuhr, erhob sie Einspruch, da sie die belgischen Provinzen viel reicher einschätzte als das in ihren Au16 Franz PICHORNER, Wiener Quellen zu den Österreichischen Niederlanden. Die Statthalter Erzherzogin Maria-Elisabeth und Graf Friedrich Harrach (1725–1743), Wien/Köln, 1990, S. 4 (Beiträge zur Geschichte und Kirchengeschichte, Bd. 1). 17 Charles W. INGRAO, Habsbourg Strategy and Geopolitics during the Eighteenth Century, in  : Gunther E. ROTHENBERG/Béla K. KIRALY/Peter F. SUGAR (Hg.), East Central European Society and War in the pre-Revolutionary Eighteenth Century, New York 1982, S. 49–66, S. 60. 18 Michael HOCHEDLINGER, Austria’s wars (…) op., cit., S. 361.

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Tauschen oder behalten?

gen rückständige Bayern.19 Spätestens seit dem Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges und der darauf folgenden Finanzreformen waren die Niederlande zu einem Netto­zahler im Gesamtbudget der Habsburgermonarchie geworden. Sie brachten der Staatskasse mehr ein, als sie an Militär- und Verwaltungsausgaben kosteten.20 Die Niederlande waren nicht nur fähig, die Truppen zu unterhalten, die dort stationiert waren. Sie trugen auch 54 Millionen Gulden zu den Militärausgaben des Siebenjährigen Krieges bei.21 Obwohl es übertrieben wäre, von einem „Goldenen Zeitalter“ zu sprechen, kommt man nicht umhin festzustellen, dass der Wohlstand des Landes unter Maria Theresia stetig wuchs. Die Landwirtschaft florierte trotz periodischer Missernten und regionaler Unterschiede. Die Tuch- und Baumwollmanufakturen entwickelten sich rapide. Der Handel mit Gütern aus Übersee kam in Schwung. 1784 ergab die erste allgemeine Volkszählung eine Bevölkerung von etwa 2,2 Millionen Menschen, von denen ein Viertel in Städten lebte.22 Die Österreichischen Niederlande waren ein bevölkerungsreiches und wirtschaftlich hoch entwickeltes Territorium, und es wundert demnach nicht, dass es nach 1750 zu einem wichtigen Kapitalmarkt für die Monarchie wurde. So soll Wien zwischen 1753 und 1792 111 Millionen Gulden auf dem belgischen Geldmarkt geliehen haben.23 Die Zusammenarbeit der Brüsseler Bank Nettine und der Wiener Stadtbank war dabei beispielhaft. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war die finanzielle Lage der Niederlande dagegen weniger rosig. Nach der Überweisung der Barrieresubsidien fehlte es der niederländischen Generaleinnahme oft an den nötigen Mitteln, um die im Lande stehenden Truppen pünktlich zu bezahlen oder die dringendsten Festungsbauarbeiten auszuführen. „Der jährliche Engpass ergibt sich aus dem Barriere-Vertrag, (…) dies ist es, was die Verlegenheit der Regierung sowie die berechtigten Klagen aller jener, die nicht bezahlt werden können, verursacht“, ärgerte sich der Conseiller Directeur général Fraula in einem Schreiben 1725 an Generalgouverneur Graf Daun.24 Den19 Paul P. BERNARD, Joseph II and Bavaria  : Two eighteenth-century attempts at German unification, The Hague 1965, S. 79. 20 “Both the Austrian Netherlands and Italy were substantial net losers. Their position begins to look uncomfortably like that of Silesia under Frederick II, a provider of revenue surpluses for the benefit of others.” Peter George M. DICKSON, Finance and government […], op., cit., S. 111. 21 Michael HOCHEDLINGER, Austria’s wars (…) op., cit., S. 282  ; Peter Georg M. DICKSON, Finance and government […]op., cit., S. 146. 22 Claude BRUNEEL, L’essor démographique, in  : Hervé HASQUIN (Hg.), La Belgique autrichienne, 1713– 1794. Les Pays-Bas méridionaux sous les Habsbourg d’Autriche, Bruxelles 1987, S. 163–200, S. 164. 23 Henri PIRENNE, Histoire de Belgique (…) op., cit., S. 126. 24 « La courtresse annuelle que prouve cet état résulte du traité de Barrière […] c’est ce qui cause le grand

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noch erkannten die Österreicher auch schon zu dieser Zeit den wirtschaftlichen Wert ihres territorialen Zugewinns in Nordwesteuropa. Der Erwerb der Niederlande gab der Habsburgermonarchie einen Zugang zum Meer. Erstmals verfügte Österreich über eine wichtige, auf den Atlantik ausgerichtete Position, die es ermöglichte, einen Kolonisierungsversuch zu unternehmen. Zwar blieb seit der Spaltung der Niederlande und dem Abfall der Nordprovinzen im späten 16. Jahrhundert die Schelde für den Schiffsverkehr gesperrt. Der einst blühende Hafen Antwerpens war somit vom lukrativen Überseehandel ausgeschlossen. Auch nach 1715 änderte sich nichts an diesem Umstand. Es gab jedoch mit Ostende noch einen anderen Hafen, der sich für den Seehandel eignete. Dieser befestigte Stützpunkt an der Küste Flanderns bot sich geradezu als Ausgangsposition für koloniale Unternehmungen an. Nach 1715 wurde Ostende zum Hafen, von wo aus Schiffe nach China, Mokka und Bengalen segelten. 1722 kam es zur Errichtung einer kaiserlich-königlichen Gesellschaft in den Österreichischen Niederlanden, kurz genannt „Compagnie d’Ostende“, die von Karl VI. mit einem Handelsmonopol für West- und Ostindien, China sowie die afrikanische Küste ausgestattet wurde.25 Schon wenige Jahre nach ihrer Gründung florierte die Compagnie und brachte ihren Teilhabern wie auch der Staatskasse hohe Gewinne. Dadurch geriet sie in Konkurrenz zu ähnlich ausgerichteten Handelsgesellschaften Großbritanniens und der holländischen Republik. Die Seemächte zwangen daraufhin Österreich, die Ostendische Kompanie 1727 auszusetzen und schließlich 1731 aufzulösen. Obwohl nur von kurzer Dauer, bestärkte der Erfolg der Ostendischen Kompanie das Interesse Österreichs an den niederländischen Provinzen.

1.3 Spi e l b a l l i m i n t e r n at ion a l e n M äc h t e r i ng e n  : Pol n i s c h e r u n d Ö s t e r r e ic h i s c h e r E r bf ol g e k r i e g Waren die Niederlande der Mühlstein an Wiens Hals, dessen man sich durch einen geschickten Tausch entledigen sollte  ? Oder stellten sie im Gegenteil ein wichtige Ressource für die Monarchie dar, die es galt, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen  ? Wie auch immer die Antwort lauten mag, eines stand fest  : Im Falle eines internationalen Konfliktes waren die Niederlande ein Gebiet, das sich in einer embarras du gouvernement et les justes plaintes que font ceux qui ne peuvent être paÿez […]. » AGR, SEG 909, État general de tous les revenues et charges des Pays-Bas pour l’année 1725. 25 Zur Seehandelsgesellschaft von Ostende siehe Michel HUISMAN, La Belgique commerciale sous l’empereur Charles VI. La Compagnie d’Ostende, Bruxelles 1902, und Karel DEGRYSE, De Oostendse Chinahandel (1718–1735), in  : Revue belge de philologie et d’histoire, Bd. 52, 1974, S. 307–347.

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Spielball im internationalen Mächteringen  : Polnischer und Österreichischer Erbfolgekrieg

extrem exponierten Lage befand. Doch nach Jahrzehnten kriegerischer Auseinandersetzungen setzte mit dem Vertrag von Utrecht erstmals eine längere Periode allgemeinen Friedens ein. Nach dem Tod des Sonnenkönigs war es der Wunsch der einstigen Gegner Frankreich und Großbritannien, einen neuen europäischen Krieg zu verhindern. Gemeinsam widersetzten sie sich den Machtbestrebungen, die insbesondere vom bourbonischen Spanien unter Philipp und seiner zweiten Frau, Elisabeth Farnese, ausgingen. Ab 1725 hatte Österreich sich Spanien angenähert, ein Umstand, der zu Spannungen mit Frankreich führte und einen Einfall französischer Truppen in den Niederlanden befürchten ließ. Doch wechselnde Allianzen sowie Friedenskongresse halfen, das fragile Gleichgewicht der Mächte einstweilen zu wahren. 1733 läutete die Frage der polnischen Königswahl eine neue Runde im europäischen Mächteringen ein. Während Frankreich Stanislaus Leszczynski, den Schwiegervater Ludwigs XV., favorisierte, unterstützten Österreich und Russland den sächsischen Kurfürsten Friedrich August II., Sohn Augusts des Starken. Obwohl es um die Thronfolge in Polen ging, lag einer der Kriegsschauplätze in gefährlicher Nachbarschaft zu den Niederlanden. Am 10. Oktober 1733 hatten die Franzosen dem Kaiser den Krieg erklärt und Lothringen besetzt. Des Weiteren überquerten französische Truppen den Rhein und nahmen die Festung Kehl ein. Ein Übergreifen der Kriegshandlungen auf die Niederlande hätte unweigerlich die Generalstaaten in den Konflikt hineingezogen, da diese durch den Barrierevertrag zur Verteidigung des südniederländischen Territoriums verpflichtet waren. Um dies zu verhindern, unterzeichneten Holland und Frankreich am 24. November 1733 eine Neutralitätserklärung, welche die Österreichischen Niederlande von den militärischen Operationen aussparte. Obwohl Karl VI. dieses von fremden Mächten über eines seiner Länder getroffene Abkommen nicht anerkannte, war er sicherlich froh, davon zu profitieren. Während der folgenden zwei Kriegsjahre beschränkten sowohl die französischen als auch die kaiserlichen Armeen das Operationsgebiet auf Mosel und Rhein. Luxemburg diente als Nachschubbasis, man war aber von österreichischer Seite darauf bedacht, den Franzosen keinen Vorwand für eine Invasion zu liefern.26 Die Kampfhandlungen endeten schon 1735 mit dem Wiener Präliminarfrieden, aber der definitive Frieden mit Frankreich wurde erst 1738 geschlossen. Als Ende 1740 nach dem Tod Karls VI. und der Invasion Schlesiens durch Preußen der Österreichische Erbfolgekrieg ausbrach, spielte sich zuerst ein ähnliches Sze26 ����������������������������������������������������������������������������������������������������� Siehe Kapitel „Le Duché de Luxembourg et la guerre de la succession de Pologne“ in folgender Publikation  : Alphonse SPRUNCK, La Forteresse et le Duché de Luxembourg sous le régime autrichien. D’après les correspondances des gouverneurs et des commandants. Première partie, in  : PSH, Bd. 81, Luxembourg 1966, S. 113–368, S. 119–160.

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nario wie im Polnischen Erbfolgekrieg ab. In den ersten Jahren des Konflikts fanden die Kampfhandlungen in Böhmen, Österreich, Deutschland und Italien statt, die Niederlande blieben jedoch verschont. Frankreich, das Österreich nicht offiziell den Krieg erklärt hatte und Bayern nur mit Hilfstruppen unterstützte, versuchte, Wiens Verbündete, England und Holland, aus der Auseinandersetzung herauszuhalten. Ein Angriff auf die Niederlande hätte zur Intervention der beiden Seemächte geführt. Die nördlichen Niederlande ihrerseits waren sich ihrer militärischen Schwäche bewusst und hätten am liebsten wie bereits 1733 ein Neutralitätsabkommen mit Frankreich geschlossen. Auch England, Österreichs traditioneller Allianzpartner, verhielt sich vorerst neutral. Innere politische Verschiebungen führten jedoch 1742 zu einer Reorientierung der englischen Außenpolitik und zu einem größeren militärischen Engagement auf dem Kontinent. Im Frühjahr 1742 landeten 16.000 britische Soldaten, verstärkt durch hannoversche und hessische Regimenter, in Ostende und vereinigten sich mit den österreichischen Truppen in den Niederlanden. Unter der Führung des englischen Königs Georg II. intervenierte diese Armee in Deutschland und besiegte die Franzosen im Juni 1743 bei Dettingen. Daraufhin beteiligten sich auch die Generalstaaten mit einem Kontingent an der „pragmatischen Armee“, so genannt, weil sie die „Pragmatische Sanktion“ verteidigte. Nach einem erfolgreichen Feldzug, der die französischen Truppen aus Deutschland hinaustrieb, zog die „pragmatische Armee“ sich in ihre Winterquartiere in den Österreichischen Niederlanden zurück. Frankreich antwortete auf die zunehmende britische Involvierung auf dem Kontinent, indem es im März und April 1744 England und Österreich den Krieg erklärte. Nun gerieten auch die Niederlande ins Visier der französischen Kriegspolitik. Im Mai griff eine 90.000 Mann starke französische Armee die Österreichischen Niederlande an und eroberte binnen zweier Monate die holländischen Barrierefestungen Kortrijk, Menen, Ieper, Fort Knocke und Veurne. Anfang Juli drangen die österreichischen Truppen unter Karl von Lothringen in das Elsass vor und entlasteten somit vorübergehend den Kriegsschauplatz in den Niederlanden. Im darauffolgenden Jahr nahmen die Franzosen unter dem Kommando von Moritz von Sachsen die Offensive in den Niederlanden wieder auf. In der Schlacht von Fontenoy bei Tournai wurden die alliierten Truppen vernichtend geschlagen. Weitere belgische Städte fielen in die Hände der Franzosen  : Tournai, Gent, Brügge, Dendermonde, Nieuwpoort, Ostende und Ath. Die Kampagne von 1746 lieferte den größten Teil der Österreichischen Niederlande an Frankreich aus. Es schien unmöglich zu sein, dieses Gebiet gegen einen massiven Angriff zu verteidigen. Die österreichischen Regierungsbehörden mussten Brüssel verlassen, das im Februar eingenommen wurde. Der „Maréchal de Saxe“ eroberte Löwen, Mechelen, Antwerpen, Mons, Saint-Ghislain, Charleroi und Namur 38

Die Wende  : Umkehr der Allianzen und Siebenjähriger Krieg

und schlug dann noch den glücklosen Generalgouverneur Karl von Lothringen in der Schlacht von Rocourt in der Nähe von Lüttich. Am Ende des Kriegsjahres 1746 kontrollierten die Franzosen alle wichtigen Festungen in den Niederlanden, mit Ausnahme der Festung Luxemburg. Während die anderen niederländischen Waffenplätze eingenommen und zerstört wurden, blieb Luxemburg unbehelligt. Einerseits lag dieser südlichste Stützpunkt der Österreicher etwas abseits und war durch die Ardennen und das Fürstentum Lüttich vom Rest der Niederlande getrennt. Andererseits hätte eine Belagerung der stark ausgebauten Festung Luxemburg eine Armee von mindestens 25.000 Mann erfordert. Nach Meinung der Experten konnte das „unfruchtbare“ Land, im Gegensatz zu den reichen Provinzen des Nordens, den Krieg nicht ernähren.27 Die Franzosen zogen es vor, das Herzogtum auszuklammern und ihren Angriff auf Holland zu richten. 1747 überrannten französische Truppen die holländischen Festungen, die die Scheldemündung sicherten  : Sluys, Sas von Gent, Hulst und Axel fielen zwischen dem 1. und 17. Mai. Mitte Juli begannen die Franzosen mit der Belagerung von Bergen-op-Zoom, einer Festung, die den Ruf der Uneinnehmbarkeit genoss und erst am 16. September erstürmt werden konnte. 1748 wurde der Feldzug mit der Einnahme Maastrichts fortgesetzt, doch eine allgemeine Kriegsmüdigkeit machte sich nun breit. England und Frankreich setzten die Verhandlungen fort, die sie schon 1747 in Breda begonnen hatten, und beendeten den Krieg mit dem Aachener Friedensvertrag. Überraschenderweise verzichtete Frankreich auf Gebietsgewinne in den Niederlanden. Die von französischen Truppen besetzten südniederländischen Provinzen kehrten zu den Habsburgern zurück. Der Verzicht Frankreichs auf seine Eroberungen kann ohne Zweifel als ein großer Erfolg der britischen Diplomatie gewertet werden.

1.4 D i e We n de  : Um k e h r de r A l l i a n z e n u n d Si e be n jä h r ig e r K r i e g Der Österreichische Erbfolgekrieg hat die Schwäche der holländischen Barriereverteidigung offen zutage gelegt. Scheinbar mühelos hat der „Maréchal de Saxe“ die Barrierefestungen eine nach der anderen eingenommen. Das Barrieresystem war ein 27 François-Yves LE MOIGNE, La place du Luxembourg dans les préoccupations de la monarchie française au XVIIIe siècle, in  : Raymond POIDEVIN/Gilbert TRAUSCH (Hg.), Les relations franco-luxembourgeoises de Louis XIV à Robert Schuman. Actes du Colloque de Luxembourg (17–19 novembre 1977), Metz 1978, S. 61–77, S. 71.

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Servitut, das auf den Österreichischen Niederlanden lastete, diesen aber keinen nennenswerten Schutz bot. Nach dem Abschluss des Aachener Friedensvertrages wurde in Wien eine Reformkommission unter dem Vorsitz Karls von Lothringen eingesetzt, die Vorschläge zu einer wirksameren Verteidigung der Niederlande ausarbeiten sollte. Die Mitglieder waren sich darüber einig, dass man besser daran täte, keine weiteren Barrieresubventionen an die Generalstaaten zu zahlen und diese Summen zu nutzen, die Anzahl der eigenen Truppen zu erhöhen. So würde man die Niederlande, die den Seemächten England und Holland als Bollwerk dienten, wenigstens vor einem Handstreich schützen.28 Die Hilfsgelder an Holland waren seit 1744 kriegsbedingt ausgefallen. Maria Theresia folgte dem Rat der Kommission und setzte die Zahlungen auch weiterhin aus. Als Bedingung für die Wiederaufnahme der Zuschüsse an Holland forderte Österreich den Abschluss des im Barriereabkommen vorgesehenen Handelsvertrages. Bislang hatten die Seemächte sich geweigert, den südlichen Niederlanden Handelserleichterungen zuzugestehen, ein Umstand, der die wirtschaftliche Entwicklung sicherlich hemmte und zur Misere der öffentlichen Finanzen beitrug. Auf Drängen der Generalstaaten wurde 1752 in Brüssel eine Konferenz der Signatarmächte des Barrierevertrages einberufen. Doch die Verhandlungen zogen sich in die Länge, wurden unterbrochen, dann 1755, als man infolge des englisch-französischen Kolonialstreits einen Überfall auf die Niederlande befürchtete, eiligst wieder aufgenommen. Die österreichische Regierung bot 700.000 Gulden an. Holland lehnte ab. Plötzlich verbreitete sich die Nachricht, dass am 1. Mai 1756 in Versailles Österreich und Frankreich einen Allianzvertrag unterzeichnet hatten. Frankreich verpflichtete sich im Falle eines Konfliktes, die Souveränität der Österreichischen Niederlande zu wahren. Für Wien und Brüssel stellte sich fortan die Frage der Weiterzahlung der Barrieresubvention nicht mehr. Das Bündnis zwischen Frankreich und Österreich blieb trotz gelegentlicher Spannungen bis in die Revolutionszeit bestehen. Es löste Österreichs Sicherheitsproblem in den Niederlanden, da die Bedrohung durch Frankreich wegfiel. Die Veränderung des europäischen Allianzsystems kam so überraschend, dass man von einer „diplomatischen Revolution“ sprach.29 Während des nun folgenden Siebenjährigen Krieges konnte Österreich sich voll auf die Auseinandersetzung mit Preußen, die in Schlesien, Böhmen und Sachsen ausgetragen wurde, konzentrieren. Die Niederlande unterstützten die österreichische Kriegsanstrengung mit Rekruten und Geldmitteln. Einheiten 28 Joseph LAENEN, Le ministère de Botta-Adorno […], op., cit., S. 86. 29 John A. LYNN, International rivalry and warfare, in  : Tim C.W. BLANNING (Hg.), The Short Oxford History of Europe. The Eighteenth Century. Europe 1688–1815, Oxford 2000, S. 178–217, S. 184.

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Das Ende der Barriere

der Nationalregimenter wurden aus den Niederlanden abgezogen und nahmen an den Feldzügen der österreichischen Armeen im Osten teil. So wurde die Schlacht von Kolin angeblich dank des beherzten Einsatzes des wallonischen Dragonerregiments de Ligne gewonnen.30 Die niederländischen Landstände erhöhten die Steuerabgaben und bewilligten sogenannte „Dons gratuits“. Der belgische Kapitalmarkt half, die horrenden Kriegskosten zu decken.31 Doch die niederländischen Provinzen blieben von den Verwüstungen des Krieges verschont. Mit dem Frieden von Hubertusburg trat für die Niederlande eine längere Phase der Ruhe und Prosperität ein, die nur unwesentlich durch die kriegerischen Unternehmungen Josephs II. gestört wurde. Begierig, militärischen Ruhm zu erwerben und die Gebiete der Habsburgermonarchie zu erweitern, hatte der junge Kaiser 1778 den Bayerischen Erbfolgekrieg ausgelöst. Doch Maria Theresia beendete die von den Zeitgenossen als „Kartoffelkrieg“ verspottete Auseinandersetzung und schloss ohne Einverständnis ihres Sohnes im Mai 1779 Frieden mit Preußen.

1.5 Da s E n de de r Ba r r i e r e Die Beilegung der traditionellen Rivalität zwischen Habsburgern und Bourbonen gab der österreichischen Außenpolitik eine größere Flexibilität. Insbesondere in den Niederlanden war die österreichische Herrschaft jetzt nicht mehr abhängig vom Wohlwollen der Seemächte und konnte eine vollständige Aufhebung des Barriereabkommens ins Auge fassen. Das Verschwinden der französischen Bedrohung bot die Gelegenheit, die volle Souveränität Österreichs über die Niederlande wiederherzustellen und alle militärischen wie auch wirtschaftlichen Einschränkungen zu beseitigen. Als Joseph II. 1781 seine niederländischen Provinzen besuchte, musste er feststellen, dass die Holländer immer noch hartnäckig an ihrem Garnisonsrecht in den Barrierefestungen festhielten, obwohl diese ihren militärischen Nutzen schon längst verloren hatten und die Österreicher seit Jahrzehnten keine Besatzungskosten mehr zahlten. Die Tatsache, dass auf seinem Staatsgebiet fremde Truppen Grenzstädte bewachten, empfand der Kaiser als entehrend.32 Wie konnte man die Generalstaaten dazu bewegen, die Barrierefestungen zu räumen, ohne dabei Gewalt anwenden zu müssen  ? Die Frage wurde in den Besprechungen, die Joseph II. mit seinen wichtigsten politischen 30 Charles TERLINDEN (Vicomte), Histoire militaire des Belges, Bruxelles 1966, S. 196–197. 31 Peter G. M. DICKSON, op., cit., Bd. 2 Finance and credit, S. 323. 32 Eugène HUBERT, Le voyage de l’empereur Joseph II […], op., cit., S. 259.

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Vertretern in Brüssel führte, debattiert. Der Kaiser schlug vor, die Barrierefestungen zu schleifen, um sich so der leidigen holländischen Besatzer zu entledigen. Da man nicht den Anschein einer feindseligen Handlung geben wollte, sollten nicht nur die holländischen Garnisonsstädte, sondern alle südniederländischen Festungen, mit Ausnahme von Antwerpen, Luxemburg und Ostende, von dieser Schleifungsmaßnahme betroffen sein. Der bevollmächtigte Minister Starhemberg und der Präsident des Geheimen Rates Neny äußerten Bedenken und rieten, mit Holland und Frankreich zu verhandeln. Während des holländisch-englischen Krieges 1780 war es zu einer Annäherung zwischen beiden Ländern gekommen. Die Gefahr bestand, dass Frankreich Holland unterstützen und sich paradoxerweise für den Erhalt einer Festungslinie einsetzen würde, die gegen das eigene französische Territorium gerichtet war. Auch Staatskanzler Kaunitz war sich nicht sicher, ob die Holländer sich vertreiben ließen und nicht doch in den nun offenen Städten bleiben würden. Die Ansicht Josephs II. setzte sich durch, und am 7. November 1781 wurde der kaiserliche Entscheid dem holländischen Gesandten mitgeteilt. Sogleich fing man mit der Zerstörung der Verteidigungswerke und der Veräußerung des Festungsterrains an. Die Generalstaaten widersetzten sich der Schleifung nicht, baten jedoch, die Festung Namur, die sich in einem guten Zustand befand, von der Maßnahme auszuschließen. Sie bekamen als Antwort, dass eine einzige Festung keine Barriere ausmachte, dass eine solche nur aus einer Kette von Festungen bestehen könne und das Land von Namur bis zur Nordsee ungedeckt sei. Es blieb Holland nichts anderes übrig, als seine Soldaten abzuziehen. Im April 1782 verließen die letzten holländischen Einheiten Namur.33 Ermutigt von diesem Erfolg, wagte Joseph II. sich an die letzte Beschränkung, die den Niederlanden von den Mächten auferlegt worden war  : die Begrenzung des Seehandels durch die Scheldesperre. Am 23. August 1784 verkündete der bevollmächtigte Minister in Brüssel, dass der Kaiser „die Schelde von jetzt an als völlig und unumschränkt offen und frei ansah“.34 Die geringste Beleidigung, die der kaiserlichen Flagge zugefügt werde, würde als Kriegserklärung angesehen. Um die Öffnung der Schelde zu demonstrieren, befahl Joseph II., zwei Schiffe die Flussmündung auf und ab fahren zu lassen. Er war sich sicher, dass die Holländer, beeindruckt von seinem Ultimatum, die vollendete Tatsache akzeptieren würden. Doch die holländische Küstenwache versperrte den Weg und schoss. Beide Schiffe mussten umkehren. Einziges „Opfer“ in diesem Gefecht, das als „Guerre de la Marmite“ in die Geschichtsbücher 33 Ibidem, S. 258–276, und Louis-Prosper GACHARD, Histoire de la Belgique […], op., cit., S. 553–558. 34 « [L’empereur] regardait dès à présent l’Escaut comme entièrement et absolument ouvert et libre », zitiert in Louis-Prosper GACHARD, Histoire de la Belgique […], op., cit., S. 567.

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Innere Unruhen  : die Brabanter Revolution

einging, war ein durchlöcherter Kochtopf auf der Brücke der „Louis“. Joseph II. reagierte scharf auf diesen Angriff und versuchte, die Generalstaaten einzuschüchtern. Eine große Anzahl von Truppen wurde mobilisiert und in die Niederlande geschickt, um die dort stationierten Regimenter zu verstärken. Die österreichische Diplomatie hatte offensichtlich die Scheldekrise falsch eingeschätzt. Einerseits war man nach dem desaströsen Seekrieg gegen Großbritannien von der Schwäche der holländischen Republik ausgegangen. Andererseits hatte man auf die Unterstützung des französischen Alliierten gehofft. Doch das Gegenteil war der Fall. Frankreich sah in den Generalstaaten einen Verbündeten in seinem Konflikt mit Großbritannien und machte klar, dass es sich einer Invasion Hollands widersetzen würde. Um dieser Drohung Nachdruck zu verleihen, wurden zwei französische Armeen am Rhein und entlang der belgischen Grenze zusammengezogen. Joseph II. musste daraufhin das französische Vermittlungsangebot annehmen. Der Vertrag von Fontainebleau (8. November 1785) legte den Streit bei. Holland stimmte kleineren Grenzberichtigungen zu, zahlte 9,5 Millionen Gulden Schadenersatz und gab sein formelles Einverständnis zur Aufhebung des Barrierevertrages. Doch die Schelde blieb auch weiterhin gesperrt.35 1784, im Jahr der Scheldekrise, bahnte sich ein erneuter Tauschhandel mit den bayerischen Wittelsbachern an. Doch anstatt zielstrebig den Austausch der Niederlande gegen Bayern voranzutreiben und somit eine Arrondierung der Monarchie zu erreichen, ordnete Joseph II. zuerst eine vergleichende Untersuchung über die Einkünfte beider Länder an. Der Kaiser führte plötzlich finanzielle und bevölkerungspolitische Überlegungen ins Feld.36 Während die Niederlande ihrem Herrscher jährlich 7,6 Millionen Gulden einbrachten, warf Bayern nur 3,6 Millionen Gulden im Jahr ab. Auch würden durch den Gebietstausch 400.000 Untertanen und somit auch Steuerpflichtige verloren gehen. Die Verhandlungen wurden komplizierter, das Tauschprojekt missglückte schließlich. Die Niederlande blieben den Habsburgern vorerst erhalten.

1.6 I n n e r e Un ru h e n  : di e Br a b a n t e r R e volu t ion Ab 1786 setzten in den belgischen Provinzen innere Unruhen ein, die zur „Brabanter Revolution“ führten.37 Die Verwaltungs- und Gerichtsreformen Josephs II., aber 35 Félix MAGNETTE, Joseph II et la liberté de l’Escaut, Bruxelles 1907, und Alfred CAUCHIE, Le comte Louis-Charles-Marie de Barbiano di Belgiojoso et ses papiers d’Etat conservés à Milan, in  :Bulletin de la Commission royale d’Histoire, Bd. 81, 1912, S. 147–332, S. 176 ss. 36 Paul P. BERNARD, Joseph II and Bavaria […], op., cit., S. 153. 37 Jean-Jacques HEIRWEGH, La fin de l’Ancien Régime et les révolutions, in  : Hervé HASQUIN (Hg.), La

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auch die Gründung eines Generalseminars, das die Priesterausbildung der Kontrolle des Staates unterstellte, hatten die Gemüter erregt. Die Maßnahmen des Kaisers beseitigten althergebrachte Institutionen. Sie verletzten die Interessen und Privilegien unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen, und dies in einer Zeit wirtschaftlicher Depression, die eine allgemeine Unzufriedenheit hervorgerufen hatte. Im April 1787 verweigerten die Landstände von Brabant die Steuerbewilligung. In den Straßen von Brüssel paradierte die Bürgerwehr mit schwarz-gelb-roten Kokarden. Pamphlete wurden verbreitet, Hetzlieder gesungen. Durch den Widerstand verunsichert, suspendierte das Statthalterpaar Albert von Sachsen-Teschen und Marie-Christine Ende Mai und Anfang Juni 1787 die Dekrete des Kaisers. Es gelang den österreichischen Behörden jedoch nicht, die Ruhe und Ordnung vollständig wiederherzustellen. In den Jahren 1787 und 1788 kam es mehrmals zu Zusammenstößen zwischen den öster­reichischen Truppen und einer aufgebrachten Volksmenge. Joseph II. ersetzte im Oktober 1787 Graf Joseph Murray, den zu zögerlich erscheinenden Oberbefehls­ haber der Armee in den Niederlanden, durch Richard d’Alton. Dieser griff zwar härter durch, konnte aber auch keine offene Auseinandersetzung mit den Aufständischen wagen. Die schwache österreichische Truppenpräsenz ließ kaum Spielraum für eine militärische Lösung der Krise. Zu diesem Zeitpunkt waren nur etwa 16.000 bis 18.000 Mann in den Niederlanden stationiert.38 Die österreichische Armee war an anderen Krisenherden gefordert. Seit 1788 befand sich Österreich an der Seite Russlands wiederum im Krieg gegen die ­Türken. Gleich im ersten Kriegsjahr erlitt es schwere Rückschläge auf der Balkanfront. Nach einem türkischen Vorstoß wurde das Banat verwüstet. Unterdessen hatte sich auch in anderen Teilen der Habsburgermonarchie Widerstand gegen die Reformen J­ osephs II. formiert, insbesondere in Ungarn und Galizien. Zu dem unglücklichen Krieg mit den Osmanen und den inneren Unruhen gesellte sich die allgemeine internationale Lage, die sich sehr zuungunsten Österreichs entwickelte. Seit dem Tod des französischen Außenministers Vergennes 1787 und dem Beginn des inneren Verfalls, der schließlich in die Französische Revolution mündete, war Frankreich kein verlässlicher Partner mehr und spielte außenpolitisch nur noch eine untergeordnete Rolle. Dies bedeutete das Ende der langjährigen österreichisch-französischen Allianz, welche die Sicherheit der Niederlande garantiert hatte. Zugleich näherte sich Preußen unter dem neuen König Belgique autrichienne, 1713–1794. Les Pays-Bas méridionaux sous les Habsbourg d’Autriche, Bruxelles 1987, S. 467–503. 38 Nach Angaben von Tim C.W. BLANNING, Joseph II, London 1994, S. 174, und Michael HOCHEDLINGER, Austria’s wars (…) op., cit., S. 390.

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Innere Unruhen  : die Brabanter Revolution

Friedrich Wilhelm II. (1786–1797) den Seemächten an und schloss 1788 mit Großbritannien und der holländischen Republik ein Dreierbündnis. Österreich fürchtete, einen Zweifrontenkrieg gegen Preußen und das Osmanische Reich führen zu müssen. Vor diesem Hintergrund konnte der niederländische Brandherd weiter schwelen und sich nach einer vorübergehenden Beschwichtigung wieder neu entzünden. Die kirchlichen und ständischen Institutionen ließen nicht ab von ihrem Widerstand gegen die kaiserliche Zentralisierungspolitik. Ende November 1788 verweigerten die Landstände von Brabant und Hennegau die Steuern. Der Kaiser reagierte auf die Widerspenstigkeit seiner Untertanen, indem er ihre Rechte und Freiheiten einschränkte. Am 20. Juni 1789 widerrief Joseph II. die „Joyeuse Entrée“, die Verfassung der Provinz Brabant. Es kam daraufhin erneut an einigen Orten zu Aufständen und Unruhen. Immer mehr Menschen wünschten das Ende der österreichischen Herrschaft. Nach und nach hatte sich in den Niederlanden eine militärische Gegenmacht zur regulären österreichischen Armee gebildet. Unter dem Vorwand der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung hatten lokale Behörden damit begonnen, patriotische Bürgerwehren aufzustellen. Ein Geheimbund „Pro aris et focis“ war dazu übergegangen, konspirative Komitees zu gründen, Freiwillige zu rekrutieren und zu bewaffnen sowie Soldaten aus den Reihen der kaiserlichen Armee abzuwerben. Preußische Agenten unterstützten den Widerstand. Die Aufständischen – etwa 3.000 bis 4.000 an der Zahl – sammelten sich zuerst in der Campine auf Lütticher Territorium und, nachdem sie von dort vertrieben wurden, in Holland. Am 24. Oktober 1789 ging das Freiwilligenheer über die Grenze, angeführt von Jean André van der Mersch, einem österreichischen Oberst im Ruhestand. Innerhalb von nur fünf Wochen brach die österreichische Herrschaft in den Niederlanden zusammen. Am 27. Oktober erlitten die kaiserlichen Truppen ihre erste schwere Niederlage gegen die Aufständischen in Turnhout. Am 16. November verließen die Österreicher Gent, die Hauptstadt Flanderns. Fünf Tage später gab die österreichische Garnison Mons auf. Verfolgt von den Patrioten van der Merschs, geschwächt durch die zahlreichen Desertionen, zogen sich die österreichischen Truppenverbände nach Luxemburg zurück. Die Statthalter Albert von Sachsen-Teschen und Marie-Christine hatten Brüssel schon am 17. November verlassen und waren außer Landes geflüchtet. Die Vertreter der Stände von Brabant, Flandern, Hennegau, Namur, Mecheln, Geldern und Tournai versuchten, die neu gewonnene Selbstständigkeit zu sichern, indem sie am 11. Januar 1790 ihren Zusammenschluss zu den Vereinigten Belgischen Staaten (États belgiques unis) verkündeten. Das Herzogtum Luxemburg nahm als einzige Provinz der Niederlande nicht an der „Brabanter Revolution“ teil. Die Luxemburger Stände klagten zwar in ihren Bitt-

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schriften ebenfalls über die Neuerungen.39 Sie blieben dem Herrscher jedoch treu und bewilligten sogar, sehr zum Ärgernis der Brüsseler Patrioten, eine ständige Steuer im Juli 1789.40 Die geografische Abgelegenheit, die gesellschaftliche und wirtschaftliche Rückständigkeit und nicht zuletzt die durch die Festung Luxemburg gegebene starke Militärpräsenz können diesen Luxemburger „Sonderweg“ erklären. Auf jeden Fall blieb Luxemburg fest in österreichischer Hand. Hier konnten sich die Überreste der österreichischen Armee nach ihrem Rückzug wieder sammeln. An eine Rückeroberung der Niederlande war jedoch vorerst nicht zu denken, da die militärischen und finanziellen Mittel an anderen Brennpunkten gebraucht wurden. Österreich musste vorrangig den Krieg mit den Osmanen beenden und die Gefahr eines Einfalls Preußens in Böhmen abwenden. Der Tod Josephs II. am 20. Februar 1790 trug zur Entspannung der Lage bei. Sein Nachfolger Leopold II. einigte sich mit Preußen und den Seemächten (Konvention von Reichenbach am 27. Juli 1790) und schloss Frieden mit der Pforte auf der Grundlage eines „status quo ante bellum“. Im Gegenzug gaben Großbritannien, die holländische Republik und Preußen ihr Einverständnis zur Rückkehr der aufständischen belgischen Provinzen unter österreichische Herrschaft, zwangen jedoch Österreich, die alten landständischen Verfassungen wieder einzuführen und in Zukunft auf Tauschpläne zu verzichten (Vertrag von Den Haag vom 10. Dezember 1790). Erst jetzt hatten die Österreicher die Hände frei für eine militärische Intervention. Nach Ablauf eines Ultimatums am 21. November, das eine Amnestie für alle Personen, welche die Waffen niederlegten, versprach, begann Feldmarschall Bender an der Spitze einer 30.000 Mann starken Armee die Offensive.41 Am 3. Dezember 1790 zogen die österreichischen Truppen in Brüssel ein. Vier Tage später standen die gesamten Niederlande wieder unter österreichischer Herrschaft.

1.7 Wi e de r K r i e g : de r Ve r lus t de r Ni e de r l a n de Für kurze Zeit kehrte nun Ruhe in die niederländischen Provinzen ein. Die meisten Reformen wurden zurückgenommen, die frühere Ordnung wiederhergestellt, so dass 39 Alphonse SPRUNCK, Le duché de Luxembourg et la révolution brabançonne, in  : PSH, Bd. 73, Luxembourg 1953, S. 7–155, S. 43–56. 40 Gilbert TRAUSCH, Les Habsbourg, incarnation de l’Empire au Luxembourg à la fin du XVIIIe siècle  : fidélité dynastique et manque de conscience impériale, in  : Roland MORTIER/Hervé HASQUIN (Hg.), Unité et diversité de l’Empire des Habsbourg à la fin du XVIIIe siècle (Études sur le XVIIIe siècle, Bd. 15), Bruxelles 1988, S. 133–148, S. 142. 41 Henri PIRENNE, Histoire de Belgique […], op., cit., S. 273–274.

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Wieder Krieg : der Verlust der Niederlande

Mitte Juni 1791 das Statthalterpaar, das während der Erhebung das Land verlassen hatte, unter dem Jubel der Bevölkerung in Brüssel einziehen konnte. Doch der Konflikt mit dem revolutionären Frankreich spitzte sich nach dem missglückten Fluchtversuch der französischen Königsfamilie (Juni 1791) und der gemeinsamen Kriegsdrohung Kaiser Leopolds II. und König Friedrich Wilhelms II. in Pillnitz (August 1791) zu. Nach mehreren Jahrzehnten äußerer Sicherheit, die auf einem andauernden Frieden mit Frankreich gründete, waren die Niederlande wieder der Gefahr ausgesetzt, zum Schlachtfeld Europas zu werden. Mit der Kriegserklärung Frankreichs an Österreich und Preußen am 20. April 1792 begann der sogenannte Erste Koalitionskrieg, der zum endgültigen Verlust der Österreichischen Niederlande führen sollte.42 Es kam zu ersten Gefechten im Hennegau und bei Tournai, in denen die Österreicher die Oberhand behielten. Im Juni eroberten die Franzosen Menen, dann Kortrijk, gaben diese Orte aber wieder auf, nachdem sie die Vorstädte geplündert und verbrannt hatten. Im August rückte ein preußisch-österreichisches Koalitionsheer durch das Herzogtum Luxemburg nach Frankreich vor. Longwy und Verdun wurden eingenommen, doch nach der Kanonade von Valmy am 20. September 1792 wendete sich das Blatt. Erschöpft und durch Krankheiten dezimiert zogen sich die Koalitionstruppen, die Goethe in seinem Augenzeugenbericht mit einem fahrenden Lazarett verglich, nach Luxemburg zurück.43 Die Franzosen gingen jetzt in Nordfrankreich wieder in die Offensive. Die Österreicher mussten die begonnene Belagerung von Lille aufgeben. Am 6. November unterlagen in der Schlacht von Jemappes bei Mons 26.000 Österreicher unter Albert von Sachsen-Teschen 40.000 Franzosen unter Dumouriez. Nach diesem entscheidenden Sieg besetzten die Franzosen alle niederländischen Provinzen bis zur Maas. Es gelang den Österreichern noch einmal, die Niederlande zurückzuerobern. Am 18. März 1793, in der Schlacht bei Neerwinden, besiegte Josias von Coburg die Franzosen unter Dumouriez und stellte die österreichische Herrschaft wieder her. Die Österreicher drangen in Frankreich ein und eroberten Condé (10. Juli 1793) und Valenciennes (28. Juli 1793). Österreich bekam bei diesen Anstrengungen wenig Unterstützung von seinem Allianzpartner Preußen, das vorrangig mit den Angelegenheiten in Polen beschäftigt war. Es war vor allem England, das mit Subsidien die Koalition gegen Frankreich aufrechterhielt und sich für den Verbleib der Habsburger in den Niederlanden einsetzte. In der Tat spielte die österreichische Diplomatie 42 Jean-Jacques HEIRWEGH, De Jemappes à Fleurus, in  : Hervé HASQUIN (Hg.), La Belgique française 1792–1815, Bruxelles 1993, S. 15–39. 43 Johann Wolfgang GOETHE, Campagne in Frankreich. Belagerung von Mainz. Reiseschriften, hrsg. von Klaus-Detlev MÜLLER, Frankfurt am Main 1994, S. 469.

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wieder mit dem Gedanken, sich von den belgischen Provinzen zu trennen. In Wien hätte man gerne die Niederlande gegen Bayern getauscht, um die Gebietsgewinne Preußens bei der zweiten polnischen Teilung (1793), in der Österreich leer ausging, zu kompensieren. Doch das Londoner Kabinett lehnte diese Tauschpläne strikt ab und befürwortete dagegen eine Vergrößerung der habsburgischen Niederlande mittels Annexion eines Gebietsstreifens in Nordfrankreich vom Ärmelkanal bis Lothringen. Somit würde der dort von Vauban angelegte Festungsgürtel in österreichischen Besitz gelangen und fortan der Verteidigung der Niederlande dienen. Dass die niederländischen Provinzen nicht an Frankreich fallen durften und dass dies am besten durch ihren Verbleib bei der Habsburgermonarchie geschah, war eine Konstante der englischen Außenpolitik im 18. Jahrhundert.44 Verschiedentlich wurde die Meinung geäußert, die Österreicher hätten nicht alles darangesetzt, ihren niederländischen Besitz zu verteidigen. Die Belgier hatten sich in den Jahren der Brabanter Revolution als unzuverlässige Untertanen erwiesen. Auch verschwanden die Tauschpläne nie ganz aus den Köpfen der österreichischen Diplomaten. Wie sehr den Österreichern dennoch am Erhalt der Niederlande gelegen war, zeigt die hohe Truppenanzahl, die zu deren Verteidigung eingesetzt wurde. Im Frühjahr 1794 standen dort etwa 87.000 Mann unter dem Befehl Coburgs. Von April bis Juni 1794 hielt Kaiser Franz II. sich höchstpersönlich während mehrerer Wochen in den Niederlanden auf, schwor bei seiner „Joyeuse Entrée“ in Brüssel auf die Brabanter Verfassung und besuchte den Kriegsschauplatz, um den Kampfgeist der Truppen zu stärken. Doch am 26. Juni 1794, nur dreizehn Tage nach der Abreise des Kaisers, erlitten die Österreicher und ihre Verbündeten eine verheerende Niederlage bei Fleurus und mussten die Niederlande endgültig räumen. Einzig und allein die Festung Luxemburg war im Herbst 1794 noch in österreichischer Hand. Sie wurde vom 82-jährigen Generalfeldmarschall Kolumban von Bender verteidigt, der sich durch seine rasche Rückeroberung der aufständischen Provinzen 1790 einen Namen gemacht hatte. Ihm zur Seite stand eine etwa 12.000 Mann starke Garnison.45 Am 21. November begann die französische Moselarmee unter General Moreaux mit der Belagerung Luxemburgs. Die Blockade der Festung zog sich über sechs Monate hin. Ausgehungert und ohne Hoffnung auf Entsatz kapitulierte die österreichische Besatzung am 7. Juni 1795.46 44 Jeremy BLACK, British Policy Towards Austria 1780–1793, in  : Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Bd. 42, 1992, S. 188–228. 45 Genaue Zahlenangaben in François LASCOMBES, Chronik der Stadt Luxemburg 1684–1795, Luxemburg 1988, S. 487. 46 Schilderung der Blockade in Alfred LEFORT, Histoire du département des Forêts, Bd. 1, Luxemburg

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Zusammenfassung

Entscheidend für den Sieg Frankreichs waren die Maßnahmen, die das Revolutionsregime im August 1793 ergriff und welche eine neue Epoche in der Kriegsführung einläuteten. Zu dem Zeitpunkt hatte die Koalition die Niederlande zurückerobert und war in Nordfrankreich eingedrungen. Die Revolution schien dem alten Europa zu erliegen. Mit dem Schlagwort „La patrie en danger“ beschloss der Pariser Nationalkonvent die „levée en masse“, die Massenrekrutierung aller unverheirateten Männer zwischen 18 und 25 Jahren. Durch diese totale Mobilmachung sowie die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht gelang es Frankreich, seine Armee auf eine Million Bürger-Soldaten zu verstärken. Diese zahlenmäßig überlegenen und von revolutionärer und patriotischer Begeisterung beflügelten Massenheere erlaubten einen neuartigen Angriffskrieg, der im Gegensatz zum Stellungskrieg des Ancien Régime stand. Das österreichische Militärwesen war diesen Entwicklungen nicht mehr gewachsen.

1.8 Zus a m m e n fa s s u ng Sowohl die Zeitgenossen als auch die Nachwelt haben die österreichische Herrschaft in den Niederlanden allgemein mit Wohlstand und Frieden assoziiert. In gewisser Hinsicht bestätigt die hier skizzierte Ereignisgeschichte diese Vorstellung. Außer einer kurzen Besatzungszeit durch die Franzosen in den Jahren 1744 bis 1748 blieben die belgischen Provinzen von Kriegshandlungen verschont und erlitten keinen weiteren feindlichen Angriff vor 1792. Das 18. Jahrhundert hebt sich demnach sehr stark von der vorangegangenen spanischen Periode ab, in der die südlichen Niederlande zu Recht als das „Schlachtfeld Europas“ bezeichnet wurden.47 Dennoch bedeutet das Ausbleiben von fremden Aggressionen allein noch keinen wirklichen Friedenszustand. Zu labil war das europäische Mächtesystem, zu unsicher die Lage der Niederlande. Dieses Gebiet, das sich wie ein Keil zwischen Frankreich und die Seemächte Holland und England schob, stand auch weiterhin im Spannungsfeld der internationalen Politik. Die Intensität der äußeren Bedrohung variierte im Laufe des 18. Jahrhunderts. Während der ersten Jahrzehnte der österreichischen Herrschaft war das Verhältnis 1905, und Louis-Joseph ZELLE/Arthur KNAFF, Die Blockade der Festung Luxemburg durch die Truppen der französischen Republik 1794–1795, in  : PSH, Bd. 42, 1891, S. 1–277. 47 Z. B. Henri PIRENNE, Histoire de Belgique […], op., cit., Bd. 3, S. 9, und Alain LOTTIN, Espagne et « Provinces belgiques »  : deux siècles d’histoire commune, in  : Jean-Marie DUVOSQUEL/Ignace VANDEVIVERE (Hg.), Splendeurs d’Espagne et les villes belges 1500–1700, Bruxelles 1985, S. 73–84, S. 81.

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Krieg und Frieden

zum französischen Nachbarn besonders gespannt. Die Kriegsgefahr war entsprechend hoch. Erst die Veränderung der Bündniskonstellation in Europa nach 1756 brachte den Niederlanden größere Sicherheit. Die Kriegsschauplätze des nun folgenden siebenjährigen Konfliktes zwischen Österreich und Preußen lagen weit entfernt. Doch obwohl die kriegerischen Auseinandersetzungen das niederländische Territorium nicht direkt berührten, trugen die belgischen Provinzen einen erheblichen Teil der Kriegslast. Die Habsburger zogen massiv Geld und Soldaten aus ihrem Herrschaftsgebiet an der Nordsee. Auch nach dem Friedensschluss halfen die belgischen Provinzen, die angehäuften Kriegsschulden zu tilgen. Dennoch müssen die letzten siebzehn Jahre der Herrschaft Maria Theresias wohl als die friedvollste Periode der österreichischen Herrschaft in den Niederlanden gewertet werden. Mit der Thronbesteigung Josephs II. stieg die Kriegsgefahr wieder. Insbesondere die Beziehungen zum nördlichen Nachbarn, zu Holland, verschlechterten sich zusehends. Die Bestrebungen Josephs II., die Öffnung der Schelde zu erzwingen, scheiterten trotz des großen Militäraufgebots. Frankreich entpuppte sich als unsicherer Allianzpartner. Die Scheldekrise kann aber als ein Versuch gedeutet werden, den Wert der Niederlande für die Gesamtmonarchie zu steigern. Eine freie Verbindung Antwerpens mit dem Meer hätte sicherlich einen starken wirtschaftlichen Aufschwung bewirkt. Mindestens seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden Bevölkerungszahl und Wirtschaftsleistung der Territorien verstärkt in das politische Kalkül einbezogen.48 Deshalb sollten die Tauschprojekte der Habsburger auch nicht als Zeichen ihres Desinteresses gegenüber den Niederlanden verstanden werden. Das Gegenteil ist eher der Fall. Die Niederlande waren ein wertvolles Tauschobjekt, das man hegte und pflegte und nur gegen ein gleichwertiges Gebiet abzugeben bereit war. Die Habsburger vernachlässigten ihre belgischen Provinzen nicht, auch wenn es sich um einen militärischen Außenposten handelte. In den beiden folgenden Kapiteln sollen die österreichischen Verteidigungsanstrengungen im Detail untersucht werden. Welche militärischen Mittel standen der Habsburgermonarchie zur Verfügung, um ihre „Achillesferse“ zu schützen  ?

48 Richard BONNEY, The Eigteenth Century. II. The Struggle for Great Power Status and the End of the Old Fiscal Regime, in  : Richard BONNEY (Hg.), Economic Systems and State Finance, Oxford/New York 1995, S. 315–390, S. 316–317.

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Kapitel 2

Von der Barriere zur Altlast Das Festungswesen in den Österreichischen Niederlanden

Es sei einfacher, ganz Asien zu erobern als nur einen Teil der Niederlande, da es dort kaum eine Stadt gibt, die nicht befestigt ist, beklagte sich Sébastien le Prestre de Vauban in seinem 1704 verfassten „Traité de l’attaque des places“.1 Der Chefingenieur Ludwigs XIV. machte diese bittere Erfahrung in fünf aufeinanderfolgenden Kriegen. Während seiner über fünfzigjährigen Dienstzeit, zwischen 1651 und 1703, leitete Vauban auf dem niederländischen Kriegsschauplatz nicht weniger als 26 Belagerungen und nahm an vier weiteren teil.2 Doch trotz aller Anstrengungen konnte Frankreich die niederländischen Provinzen nicht dauerhaft in seinen Besitz bringen. Im Laufe der Frühen Neuzeit hatten sich die Niederlande sowie die nordöstliche Grenze Frankreichs zu dem europäischen Raum mit der höchsten Festungsdichte entwickelt. Italienische Ingenieure, welche im Dienste der spanischen oder der französischen Krone standen, hatten das bastionierte Fortifikationssystem Mitte des 16. Jahrhunderts eingeführt. Gent (1540), Antwerpen (1542), Utrecht (1546) oder Luxemburg (1546) gehörten zu den ersten Städten, deren alte, aus dem Mittelalter stammende Ringmauern mit neuartigen Bastionen versehen wurden.3 Dann, ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, umgaben auch die meisten anderen wichtigen Orte sich mit bastionierten Wällen in „italienischer Manier“. Im weiteren Verlauf 1 Antoine-Marie AUGOYAT (Hg.), Traité des sièges et de l’attaque des places par le Maréchal de Vauban, Paris 1829, S. 9. 2 Stenay (1654), Landrecies (1655), Condé (1655), Saint-Ghislain (1655), Valenciennes (1656), Montmédy (1657), Mardick (1657), Gravelines (1658), Ieper (1658), Oudenaarde (1658), Tournai (1667), Douai (1667), Lille (1667), Orsoy (1672), Doesburg (1672), Maastricht (1673), Condé (1676), Bouchain (1676), Aire (1676), Valenciennes (1677), Cambrai (1677), Saint- Ghislain (1677), Gent (1678), Ieper (1678), Kortrijk (1683), Luxemburg (1684), Mons (1691), Namur (1692), Charleroi (1693), Ath (1697). Quelle  : Antoine-Marie AUGOYAT (Hg.), Abrégé des Services du Maréchal de Vauban fait par lui en 1703, Paris 1839. 3 Charles VAN DEN HEUVEL, „Papiere Bolwercken“. De introductie van de Italiaanse stede- en vestingbouw in de Nederlanden (1540 –1609) en het gebruik van tekeningen, Alphen 1991, S. 26. Paul MARGUE, Wallmauern, Plattformen und Bollwerke. Wie die Stadt Luxemburg zur Festung wurde, in  : Hemecht, Jg. 45, 1993, N° 1, S. 31–53, S. 37.

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Von der Barriere zur Altlast

wurden diese Befestigungen regelmäßig ausgedehnt und verstärkt. Den spanischen Baumaßnahmen standen die französischen gegenüber. Frankreich baute mit dem sogenannten „Ceinture de Fer“ entlang seiner nordöstlichen Grenze eine doppelte Reihe von befestigten Plätzen. Dieser Festungsgürtel sollte die Hauptstadt Paris vor einem feindlichen Einfall schützen. Vauban, der Baumeister des Sonnenkönigs, verbesserte und vollendete das engmaschige Festungsnetz im 17. Jahrhundert. Die Verallgemeinerung des Bastionärsystems hatte tief greifende Auswirkungen auf die Kriegsführung.4 Insbesondere in den von Bourbonen und Habsburgern umkämpften Niederlanden waren die Veränderungen spürbar. Jeder bewaffnete Konflikt, der diese Gegend zum Schauplatz hatte, tendierte dazu, ein Belagerungskrieg zu werden. So arteten z.  B. die Feldzüge, die Ludwig XIV. unternahm, um seine „Pré-Carré“, sein Staatsgebiet, zu vervollkommnen, zu einer langen Folge von Belagerungen aus.5 Das gilt auch für den Spanischen Erbfolgekrieg, eine Auseinandersetzung, in der es kaum zu kriegsentscheidenden Schlachten kam, die Kontrahenten sich dafür aber in unzähligen Festungseinnahmen erschöpften. Im Zeitalter Marlboroughs zogen auch erprobte Feldherren die langwierige, aber dennoch wohlgeordnete Belagerungsprozedur dem unsicheren Ausgang einer Feldschlacht vor.6 Der Krieg glich immer mehr einer Schachpartie, in der die Gegner einen Spielstein nach dem andern eroberten und so Feld um Feld in feindliches Gebiet vordrangen. Für die Verteidiger hatte diese Art der Kriegsführung den Vorteil, dass Kräfte eingespart werden konnten. Der Bau und Unterhalt befestigter Plätze war zwar kostspielig, doch im Kriegsfall benötigte man weniger Soldaten zur Landesverteidigung. Zwar galt spätestens seit der von Vauban entwickelten systematischen Angriffsmethode keine Festung mehr als uneinnehmbar. Doch um eine Chance auf Erfolg zu haben, mussten die Angreifer in der Regel zehnmal so stark sein wie die belagerte Garnison.7 Zusätzlich kamen dann noch die vielen Hilfskräfte hinzu, die man für die Erdarbeiten und das Ausheben der Schützengräben brauchte. Dank ihres Festungsnetzes konnten so auch die Niederlande mit relativ wenig Truppen verteidigt werden. Der Aggressor dagegen musste ein unverhältnismäßig großes Heer aufbieten. Im Folgenden soll nun untersucht werden, wie sich der niederländische Festungs­ gürtel im 18. Jahrhundert weiterentwickelte. Obwohl es bereits eine Vielzahl von 4 Zu den Auswirkungen des frühneuzeitlichen Festungsbaus siehe Geoffrey PARKER, The military revolution. Military innovation and the rise of the west, 1500–1800, Cambridge 1988. 5 Siehe Einführung in  : Nicolas FAUCHERRE/Philippe PROST, Le triomphe de la méthode. Le traité de l’attaque des places de Monsieur de Vauban ingénieur du Roi, Paris 1992, S. 41–44. 6 David CHANDLER, The art of warfare in the age of Marlborough, Staplehurst 1990, S. 234–235. 7 Nicolas FAUCHERRE, Places fortes bastion du pouvoir, Paris 1990 (3. Auflage), S. 45.

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Die Bestandsaufnahme von 1725  : Anzahl und Zustand der Festungen

lokalhistorischen Studien zur Baugeschichte der verschiedenen Festungen gibt, fehlt bislang der Blick für das Ganze. Dabei waren die Waffenplätze keine isolierten Punkte auf einer Karte, sondern Glieder in einer Verteidigungskette. Deshalb sollen hier nicht die einzelnen Befestigungsanlagen Gegenstand der Darstellung sein, sondern das Netzwerk als solches. In ihrer Gesamtheit bildeten die Festungen ein Verteidigungssystem, das den Österreichischen Niederlanden äußere Sicherheit bot. Doch welchen finanziellen und verwaltungstechnischen Aufwand bedeutete der Unterhalt dieses Schutzschildes für den Staat  ? Im Zentrum dieser Untersuchung stehen die Finanzierungs-, aber auch die organisatorischen Probleme, die sich der österreichischen Verwaltung stellten. Die politisch Verantwortlichen versuchten, den Herausforderungen durch die Schaffung neuer Strukturen und eines besseren Ressourcenmanagements zu begegnen. Letztendlich musste aber die auf Festungen basierende Verteidigungsdoktrin selbst in Frage gestellt werden.

2.1 D i e Be s ta n d s au f n a h m e von 1725  : A n z a h l u n d Zus ta n d de r Fe s t u ng e n Als Österreich die südlichen Niederlande 1715 übernahm, erbte es auch die vielen Festungen und befestigten Orte, die das Gebiet bislang gegen feindliche Übergriffe geschützt hatten. Doch was war aus diesem, im Laufe von zwei Jahrhunderten gewachsenen Verteidigungssystem geworden  ? Die jahrelangen Kämpfe des Spanischen Erbfolgekrieges hatten so manche Befestigungsanlage stark in Mitleidenschaft gezogen. Belagerungen und Stadteinnahmen waren fester Bestandteil der Kriegsführung beider Parteien gewesen. Was war übrig geblieben von den einst wehrhaften Festungswerken belagerter Städte wie Menen, Ath, Gent, Brügge, Tournai oder Mons  ? Nach dem Friedensschluss war eine allgemeine Bestandsaufnahme des niederländischen Festungswesens unbedingt notwendig. Doch die ersten zehn Jahre der österreichischen Herrschaft verstrichen, ohne dass die neue Obrigkeit sich einen Überblick über den Zustand der Festungen in den südlichen Niederlanden verschaffen konnte. Karl VI. hatte zwar 1716 Prinz Eugen von Savoyen zum Generalgouverneur in den Niederlanden ernannt  ; der überragende Feldherr trat jedoch nie die Reise nach Brüssel an. Der wieder ausbrechende Türkenkrieg, aber auch die Angelegenheiten des Wiener Hofkriegsrates, dessen Präsident er war, hinderten Eugen an der persönlichen Ausübung seiner Statthalterschaft. So ließ er sich in Brüssel von einem bevollmächtigten Minister, dem Marquis de Prié, vertreten, einem Diplomaten und Finanzfachmann, der kaum mit militärischen Fragen vertraut war. 53

Von der Barriere zur Altlast

Die Lage änderte sich erst Ende 1724 mit dem Rücktritt Prinz Eugens vom Statthalterposten und der Abberufung Priés. Karl VI. bestimmte daraufhin seine Schwester Maria Elisabeth für dieses Amt.8 Doch vorerst wurde mit Feldmarschall Wirich von Daun ein hochrangiger Militär zum Gouverneur und Generalkapitän ad interim ernannt, dessen Aufgabe dann auch in erster Linie darin bestand, Ordnung in das niederländische Militärwesen zu bringen und die Ankunft der Erzherzogin vorzubereiten.9 In den der Ernennungsurkunde beigefügten Instruktionen vom 27. Januar 1725 geht ausdrücklich der Auftrag an Daun, er solle „bei seiner hinabkhunft nicht allein über den stand des sambtlichen Trouppen sondern auch deren Vösten Plätzen Zeug- und Provianthauser, groß und klein General-Stabs personen und was sonsten dem militari anhängig sich wohl und gründlich informire und sodenn eine ausführliche relation über den wahren Befundt einschikhe, zugleich auch seine Meinung beÿfuege, was in diesem oder jenem zu verbessern, zu ändern oder gar abzu thune sein möchte […]“10. Bald nach seinem Eintreffen in Brüssel Mitte Februar 1725 leitete der Statthalter ad interim eine groß angelegte Untersuchung ein.11 Ein hoher Offizier, welcher nicht namentlich genannt wird, wurde beauftragt, die Informationen zu sammeln und in einem Endbericht zusammenzufassen. Von Brüssel aufgefordert, lieferten Gouverneure, Kommandanten und Militäringenieure detaillierte Zustandsbeschreibungen der ihnen anvertrauten Festungen, Auflistungen der gewünschten  8 ROPBA, Bd. 3, Bruxelles 1873, S. 472–474. Erzherzogin Maria Elisabeth zog erst am 9. Oktober 1725 in Brüssel ein.   9 Wirich Philipp Lorenz, Graf von Daun, Fürst von Thiano, wurde am 19. Oktober 1669 in Wien geboren und starb dort am 30. Juli 1741. Wirich von Daun diente als General unter Prinz Eugen im Spanischen Erbfolgekrieg und machte sich 1706 einen Namen als „Sieger von Turin“, indem er diese Schlüsselstelle in Oberitalien erfolgreich gegen die französische Übermacht verteidigte. Später wurde er zum Vizekönig des Königreiches Neapel ernannt. 1719 kehrte er wieder nach Wien zurück, wo er die Stelle des Stadtkommandanten sowie des General-Land- und Haus-Zeugmeisters einnahm. Während seiner beeindruckenden militärischen Laufbahn hatte Wirich von Daun große Erfahrung im Festungswesen sowie im Bereich der Logistik sammeln können, Fachkenntnisse, welche ihm dann wohl die Berufung in die Niederlande eintrugen. Heinrich BENEDIKT, Daun, in  : Neue Deutsche Biographie, Bd 3, Berlin 1957, S. 529–530  ; Thomas M. BARKER, Military Nobility  : The Daun Family and the Evolution of the Austrian Officer Corps, in  : Gunther E. ROTHENBERG/Béla K. KIRALY/Peter F. SUGAR (Hg.), East Central European Society and War in the Pre-Revolutionary Eighteenth Century, New York 1982, S. 123–146. 10 KA, AFA 1725 N° 394, Instruktion für den Feldmarschall Graf von Daun als Gubernator und Generalkapitän ad interim sowie kommandierender General in den österreichischen Niederlanden, Wien, 27. Januar 1725. 11 Siehe Guy THEWES, Un territoire indéfendable  ? L’état des forteresses aux Pays-Bas autrichiens en 1725 d’après un mémoire élaboré sous la direction du comte de Daun, in  : Bulletin de la Commission royale d’Histoire, Bd. 171, 2005, S. 193–271.

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Die Bestandsaufnahme von 1725  : Anzahl und Zustand der Festungen

Verstärkungsarbeiten sowie ausführliche Inventare der vorhandenen Artilleriebestückung, Munitionsreserven und Waffenarsenale ab. Die einzelnen Berichte wurden von Daun überprüft und mit den entsprechenden Entscheiden versehen. Am 12. Juni 1725 war die Endfassung fertiggestellt und konnte an den Hofkriegsrat gesandt werden.12 Das zweihundert Seiten starke Dokument mit dem Titel „Recueil général de l’état des fortifications de toutes les villes des Pays-Bas“, liest sich wie eine Bilanz der Stärken und der Schwächen des Festungssystems in den Niederlanden.13 Laut diesem Inventar gab es auf dem Gebiet der südlichen Niederlande 29 Befestigungsanlagen, die der österreichischen Militärverwaltung unmittelbar unterstanden, sieben Barrierefestungen, in denen die Generalstaaten eine Garnison unterhielten, sowie mit der Stadt Dendermonde eine Stellung, die von beiden Staaten gemeinsam verteidigt wurde.14 Obwohl diese Zahl beeindruckend war, ließ die Wehrhaftigkeit vieler Waffenplätze zu wünschen übrig. Schenkt man der Denkschrift Dauns Glauben, befanden sich die Barrierefestungen Namur, Tournai, Menen, Ieper und Fort Knocke in einem guten bis sehr guten Zustand und waren wohlversehen mit Munition und Artillerie. Nur Veurne und Warneton nahmen sich schwächer aus. Letztere, deren Erdumwallungen schon wieder fast ganz in der umliegenden Natur versunken waren, wurde von nicht mehr als etwa zwanzig aus der Festung Ieper abkommandierten Soldaten bewacht.15 Doch insgesamt hatten die Generalstaaten sich bei den Verhandlungen des Barrierevertrages die am besten erhaltenen Plätze sichern können. Die Lage sah weniger vorteilhaft aufseiten Österreichs aus. Städte wie Brügge, Löwen, Mechelen, aber auch die Hauptstadt Brüssel waren von altertümlich anmutenden Ringmauern umfangen, mit Türmen, Pforten und krenelierten Wehrgängen, die seit dem Mittelalter von der Stadtbürgerschaft unterhalten wurden. Zwar hatte 12 Kolonel (Obrist) Eugène-Hyacinthe de Lannoy überbrachte das Schlussdokument mitsamt einer Sammlung von Plänen im August 1725 nach Wien. KA, Hofkriegsrat, Protokoll Expedit, 1725, N° 573, f ° 1361v  ; KA, Hofkriegsrat, Registratur Protokoll 1725, N° 577, f ° 815r. Eugène-HyacintheMarie-Joseph-Ignace de Lannoy, Graf von La Motterie, Baron von Aix und Sombreffe, geboren 1694, gestorben am 10. September 1755. Alphones WAUTERS, Lannoy, in  : Biographie nationale, Bd. 11, Bruxelles 1890–1891, Kol. 306–307. 13 �������������������������������������������������������������������������������������������������� AGR, Chancellerie autrichienne des Pays-Bas, N° 816. Ein ��������������������������������������������� zweites Exemplar befindet sich im Kriegsarchiv in Wien  : KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. XII, N° 147. Die Quelle wurde teilweise editiert in  : Guy THEWES, Un territoire indéfendable […], op., cit., S. 223–268. 14 Siehe Karte der Festungen und befestigten Städte in den südlichen Niederlanden um 1725. 15 Guy THEWES, Warneton au temps des forteresses de la Barrière, place forte ou ville ouverte  ?, in  : Mémoires de la Société d’Histoire de Comines-Warneton et de la Région, Bd. 37, 2007, S. 49–60, S. 55– 56.

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die Zentralregierung im Vorfeld dieser Städte meistens zusätzliche Erdbefestigungen ausheben lassen. Doch in Friedenszeiten ergriffen die Bürger wieder Besitz von dem im Zuge fürstlicher Baumaßnahmen beschlagnahmten Land, ließen Vieh auf den Bastionen und Ravelins weiden, legten auf Festungsterrain Äcker und Gärten an, so um die Stadt Dendermonde, deren Ruf als Festung auf den Überschwemmungsmöglichkeiten beruhte, die man dank eines ausgeklügelten Schleusensystems bewerkstelligen konnte. Der Berichterstatter vermerkte, dass „die Lage dieses Platzes sich zu seinen Ungunsten gewandelt hat. Seit vierzig Jahren oder mehr hat man die Wiesen und die Erdwerke bestellen lassen. Die Besitzer haben sie mit Dung, den man in den Straßen der Stadt aufgesammelt hat und der wie Erde ist, gedüngt. Sie haben seit dem das Gelände erhöht, so dass es sehr schwierig zu überschwemmen ist, insbesondere in Richtung des Brüsseler Tors. Dies hat die Belagerung im Jahre 1706 in einem Maße begünstigt, dass man den Angriffsgraben bis zu den Fortifikationen vorstieß und die Garnison zwang, sich nach sechs Tagen in Kriegsgefangenschaft zu begeben.“16 Andere Festungen hatten schwer unter den Kriegseinwirkungen gelitten. „Die Befestigungswerke sind in großer Unordnung“, urteilte der Bericht über Oudenaarde, eine Festung, die Flandern vor den Einfällen der französischen Garnison Lilles schützen sollte.17 Es stand nicht besser um die Plätze Saint-Ghislain, Zoutleeuw (Léau), Lier und Roermond, denen es an Kanonen und Munitionsvorräten fehlte. Kortrijk, das an der Straße nach Gent lag und diesen Einzugsweg im Kriegsfall abriegeln sollte, war nur noch schwach befestigt. Die Franzosen hatten die Zitadelle zerstört, bevor sie die Stadt im Regensburger Vertrag 1684 an Spanien zurückerstatten mussten.18 Die beiden Seehäfen, Ostende und Nieuwpoort, benötigten dringend eine Instandsetzung. Der Unterhalt der Verteidigungsanlagen war jahrelang vernachlässigt worden, Wind und Salzwasser hatten dem Mauerwerk arg zugesetzt. Doch Österreich hatte auch einige Festungen geerbt, die zu den Meisterwerken der europäischen Festungsbaukunst zählten  : Antwerpen mit seiner fünfeckigen, 16 « Présentement la situation de cette place a change à son désavantage, depuis quarante ans ou plus on a laissé cultiver les prairies et les réduits en terre, les propriétaires les ayant fumé avec de la fumure que l’on a ramassée dans les rues de la ville qui est comme de la terre, ont rehaussé depuis lors le terrain qu’il est très difficile de pouvoir inonder, principalement vers la porte de Bruxelles, ce qui en a tellement favorisé le siège en l’année 1706 que l’on a poussé la tranché jusqu’auprès des fortifications et obligé la garnison de se rendre prisonnière de guerre après six jours d’attaque. » AGR, Chancellerie autrichienne des PaysBas, N° 816, Recueil général. 17 « Les fortifications sont en grand désordre. » AGR, Chancellerie autrichienne des Pays-Bas, N° 816, Recueil général. 18 Communes de Belgique. Dictionnaire d’histoire et de géographie administrative, Bd. 3 Flandre, Bruxelles 1981, S. 2245.

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ideal­typischen Zitadelle und seinen sieben Außenforts  ; Luxemburg, das unter spanischer Herrschaft und letztlich nach der Eroberung Ludwigs XIV. durch Vauban zu einem wahren Bollwerk am südlichsten Zipfel der Niederlande ausgebaut worden war  ; Charleroi und Ath, beide in regelmäßigem, sternenförmigem Grundriss angelegt, sowie Mons, eine Festung, die das Memorandum als „sehr stark“ einschätzte.19 Auch Gent, die Hauptstadt Flanderns, galt immer noch als bedeutender Waffenplatz, dem sich der Feind, war das Umland erst überschwemmt, nur mühsam nähern konnte. Abgesehen von den Barrierefestungen ruhte die Verteidigung der Österreichischen Niederlande auf diesen sechs Stellungen, die sich in einem verhältnismäßig guten Zustand befanden. Sie allein wären im Falle einer Invasion fähig gewesen, Widerstand zu leisten und eine Belagerungsarmee über Wochen und Monate zu binden. Dauns Bericht ging davon aus, dass Antwerpen, Mons, Ath und Charleroi jeweils einer zweimonatigen Belagerung standhalten würden. Für die beiden größeren Festungen Antwerpen und Mons waren 7.000 Mann Garnison vorgesehen, für die beiden kleineren Ath und Charleroi sollten 5.000 ausreichen. In der Festung Luxemburg sollte eine Besatzung von 8.000 Soldaten sogar drei Monate lang ausharren können.20 Um einer Belagerung widerstehen zu können, mussten genügend Pulver- und Munitionsvorräte in den Festungsmagazinen gelagert werden. Die Zeughäuser mussten mit Kugeln und Granaten aufgefüllt werden, mit Gewehren und Musketen, mit Werkzeug für Schanzarbeiten und Gerät, welches die Minenarbeiter zum Bau des unterirdischen Minennetzes brauchten. Die Kriegslaboratorien, wo Feuerwerker Patronen, Kartuschen und Bomben zusammensetzten, mussten funktionstüchtig sein. Nirgends durfte es an dem nötigen Werkzeug fehlen. Die wichtigste Waffe in einer Festung war jedoch die Artillerie. Die Wallmauern mussten mit Kanonen, Mörsern und Haubitzen bestückt werden, um dem Feind die entsprechende Feuerkraft entgegensetzen zu können. Die Verteidigungsfähigkeit hing folglich nicht nur vom Zustand der Festungswerke, sondern auch von ihrer Ausrüstung ab. Der nach Wien geschickte Bericht enthielt daher eine sehr genaue Bestandsaufnahme des vorhandenen Kriegsmaterials. Insgesamt zählte das Waffenarsenal der Niederlande – die Bestückung der Barrierefestungen nicht einberechnet – 1.177 Geschütze, davon 696

19 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� « Mons, capitale du Hainau, est une place d’importance a cause de sa sçituation tant pour couvrir le Brabant et la Flandre que pour avoir une place d’arme qui débouche vers la France. Elle est très forte […]. » („Mons, Hauptstadt des Hennegaus, ist aufgrund seiner Lage eine Festung von Wichtigkeit, sowohl um Brabant und Flandern zu decken als auch um einen nach Frankreich gerichteten Waffenplatz zu haben. Sie ist sehr stark […].“) AGR, Chancellerie autrichienne des Pays-Bas, N° 816, Recueil général. 20 AGR, Chancellerie autrichienne des Pays-Bas, N° 816, Recueil général.

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Von der Barriere zur Altlast

Rohre aus Bronze, 396 aus Eisen und 85 Mörser.21 Die am besten bewaffnete Festung war Antwerpen mit 165 Stück, gefolgt von Mons mit 123 Stück und Luxemburg mit 111 Stück.22 Rechnet man zur Stadt und Zitadelle von Antwerpen noch die sieben Außenforts, war an der Scheldemündung etwa ein Viertel des gesamten Artillerieparks der Niederlande konzentriert. Das Artilleriematerial war allerdings sehr uneinheitlich. Die Geschütze wiesen verschiedene Kaliber auf, sie stammten aus diversen Ländern und verschiedenen Epochen. Teilweise waren sie veraltet oder schadhaft. Daun kalkulierte, dass noch weitere 174 Geschütze erforderlich wären, um eine vollständige und ideale Bestückung aller Festungen zu erreichen. Um die Pulvervorräte war es noch schlechter bestellt. Insgesamt fehlten 46  % des Gesamtbedarfs, der auf 3.508.457 Pfund geschätzt wurde. In den Pulvermagazinen der Festung Luxemburg lagen 352.044 Pfund, es fehlten aber 322.896 Pfund, also fast die Hälfte. Antwerpen entbehrte sogar fast zwei Drittel der benötigten Pulvermenge.23 Die von Daun 1725 erstellte Relation ist nicht nur Zustandsbeschreibung und Inventar. Sie enthält auch einen Aktionsplan. Nachdem die Schwächen der Festungen eingehend analysiert wurden, führte der Bericht die notwendigen Verstärkungsarbeiten auf. Zusätzliche Ravelins, Kontergarden und Lünetten sollten errichtet, die Minennetze ausgedehnt und die Rasenbedeckung wieder hergestellt werden. Ostende brauchte ein neues Arsenal. Luxemburg sollte ein Schleusensystem bekommen. Überall waren Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten erforderlich. Der Bericht verzeichnete peinlich genau die daraus entstehenden Kosten. Aus dem Investitionsprogramm geht die Wichtigkeit hervor, die der österreichische Generalstab den einzelnen Festungen beimaß. Fast 300.000 Gulden waren für die Befestigung von Ostende, des Heimathafens der 1722 gegründeten Handels- und Schifffahrtskompanie, vorgesehen.24 Der Sicherung der Küste wurde eine gewisse Priorität eingeräumt. Die Verstärkung Antwerpens sollte 196.000 Gulden kosten und für Nieuwpoort waren Arbeiten im Wert von über 100.000 Gulden geplant.25 Wie schon im Eingangs­ kapitel erwähnt, hatte die Erwerbung der Niederlande für kurze Zeit die Hoffnung aufkeimen lassen, die Habsburgermonarchie könnte fortan Seehandel treiben und 21 AGR, Chancellerie autrichienne des Pays-Bas, N° 816, Récapitulation générale de toutes les principales pièces d’artillerie et munition de guerre. 22 Guy THEWES, Un territoire indéfendable […], op., cit., S. 204. 23 In den Pulvermagazinen Antwerpens befanden sich 123.390 Pfund. Es fehlten 204.410 Pfund. AGR, Chancellerie de Cour et d’Etat, N° 816, Récapitulation générale de toutes les principales pièces d’artillerie et munition de guerre. 24 Guy THEWES, Un territoire indéfendable […], op., cit., S. 206. 25 Ibidem.

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Die Bestandsaufnahme von 1725  : Anzahl und Zustand der Festungen

direkten Profit aus dem Kolonialismus ziehen.26 Den Küsten- und Hafenstädten kam folglich eine erhöhte Bedeutung zu. Der Ausbau der gegen Frankreich gerichteten Festungen erschien dagegen weniger dringend, da hier die Verteidigungslast nicht allein auf den Schultern Österreichs lag. Die von den Holländern kontrollierten Barrierefestungen sollten eventuelle Schwachstellen auf österreichischer Seite ausgleichen. Dies hieß jedoch nicht, dass die österreichischen Waffenplätze, die halfen, die Grenze gegen Frankreich zu sichern, leer ausgingen. Für die Befestigung der Stadt Ath waren immerhin 121.000 Gulden vorgesehen, wahrscheinlich weil diese Stellung eine strategisch wichtige Straße beherrschte, die direkt nach Brüssel, der Hauptstadt der Niederlande, führte. Auch Luxemburg und Mons sollten weiterhin verstärkt werden und wurden mit 100.500 Gulden bzw. 82.824 Gulden bedacht.27 Größere Bauvorhaben gab es des Weiteren für Gent, Zoutleeuw, Dendermonde, Charleroi und SaintGhislain. Es gab aber auch Orte – namentlich Brügge, Limburg, Löwen, Mechelen, Roermond –, für deren Unterhalt oder Ausbesserung keine Mittel mehr aufgeführt werden. Daraus kann man schließen, dass diese Städte nicht mehr als Festungsstädte betrachtet wurden und auch keine weitere Rolle mehr in der Landesverteidigung spielten. Festungsbau war eine teure Angelegenheit. Unterhalt und stete Modernisierung kosteten viel Geld. Zwar bot das in den Niederlanden fast überall vorhandene Wasser ein günstiges Verteidigungsmittel. Auch begnügte man sich vielerorts mit dem Ausheben von Erdwällen, die preiswerter waren als festes Mauerwerk. Dennoch drohten die Ausgaben die doch recht bescheidenen Finanzmittel des frühneuzeitlichen Staates arg zu strapazieren. Wirich von Daun veranschlagte für die in seinem Bericht geforderten Baumaßnahmen ein Budget von 1.253.613 Gulden. Hinzu kamen 906.565 Gulden für die Ersetzung der fehlenden Ausrüstung sowie 33.190 Gulden für die jährlichen Unterhaltskosten.28 Die beeindruckende Gesamtsumme von 2.193.368 Gulden machte die Hälfte des Jahreshaushalts der Niederlande aus und überstieg bei Weitem den finanziellen Handlungsspielraum der österreichischen Verwaltung.29 Die Lasten des Barrierevertrages sowie Altschulden, die noch aus der Zeit vor der Übernahme stammten, hatten zu einem chronischen Defizit der Staatskasse geführt. In einem Schreiben an den Kaiser vom 19. Juni 1725 klagte der Interimsgouverneur, es sei ihm unmöglich, die Einkünfte und Ausgaben auszugleichen  ; Schuld daran 26 Dazu Karl VOCELKA, Glanz und Untergang […], op., cit., S. 93. 27 Guy THEWES, Un territoire indéfendable […], op., cit., S. 206. 28 AGR, Chancellerie autrichienne des Pays-Bas, N° 816, Récapitulation générale. 29 Im Jahr 1725 beliefen sich die Ausgaben im niederländischen Staatshaushalt auf 4.293.292 Gulden. Herman COPPENS, Basisstatistieken […], op., cit., S. 48.

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Von der Barriere zur Altlast

wären die Hilfsgelder, die man jährlich an Holland als Gegenleistung für seine Militärallianz zahlen müsse.30 In einem Brief vom 3. August kündigte Daun das Ergebnis seiner Bestandsaufnahme an, warnte aber gleichzeitig, dass er wegen der „Knappheit und Zerrüttung“, in denen er die kaiserlichen Finanzen angetroffen habe, keine Arbeiten, auch nicht die dringendsten, veranlassen konnte.31 Angesichts der Finanznot muss man davon ausgehen, dass viele der im Recueil général beschriebenen Bauprojekte nicht ausgeführt wurden. Das niederländische Festungsnetz verblieb vorerst in dem unvollkommenen Zustand, den die Österreicher vorgefunden hatten.32

2.2 D i e E r r ic h t u ng e i n e s I ng e n i eu r s kor ps Nachdem Daun seinen Bericht vorgelegt hatte, war die Wiener Zentrale genauestens über den Zustand des Festungsnetzwerkes in den Niederlanden informiert. Von den unter österreichischer Besatzung stehenden Festungen waren nur wenige für einen Angriff gerüstet. Sie in einen befriedigenden Verteidigungsstand zu setzen, würde gewaltige Summen verschlingen. Doch es stellte sich nicht allein die Frage der Finanzierbarkeit eines solchen Vorhabens. Um eine Instandsetzung in die Wege zu leiten, brauchte man nicht nur viel Geld, sondern auch geeignete Fachkräfte. Festungen waren komplexe Architekturbauten. Der Wehrbau setzte ein hohes Maß an fortifikatorischem Fachwissen voraus. War das technische Know-how vor Ort vorhanden  ? Ohne gut ausgebildete Militäringenieure konnten die Arbeiten nicht beginnen. Die Niederlande gehörten in dieser Hinsicht eigentlich zu den privilegierten Ländern Europas, da es dort eine lange Tradition der Ingenieurskunst gab, aus der namhafte Persönlichkeiten, wie z.  B. Simon Stevin, hervorgegangen waren.33 Die ersten Festungsbaumeister aus der Mitte des 16. Jahrhunderts waren italienischer Herkunft. Doch schon bald bildete sich eine eigene, niederländische Schule heraus. 30 AGR, SEG, N° 909, Brief des Grafen von Daun an den Kaiser, Brüssel, den 19. Juni 1725. 31 AGR, SEG, N° 909, Brief des Grafen von Daun an den Kaiser, Brüssel, den 3. August 1725. 32 Anfang 1726 beschwerte sich Alexander Graf von Vehlen, der nach der Abreise von Daun das Oberkommando über die österreichischen Streitkräfte in den Niederlanden übernommen hatte, dass die niederländischen Festungen noch immer nicht in Verteidigungsbereitschaft versetzt worden seien. KA, AFA 1726, N° 396, Bericht von Graf Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 1. Januar 1726. 33 Siehe Josy MULLER, Les ingénieurs militaires dans les Pays-Bas espagnols (1500–1715), in  : Revue Internationale d’Histoire Militaire, 20, 1959, S. 467–478, und Philippe BRAGARD, Les ingénieurs des fortifications dans les Pays-Bas espagnols et dans la principauté de Liège (1504–1713). Contribution à une histoire de l’architecture militaire dans l’Europe des temps modernes, Louvain-la-Neuve 1997–1998 (unveröffentlichte Dissertation an der Katholischen Universität Löwen).

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Die Errichtung eines Ingenieurskorps

Ihren vorläufig krönenden Abschluss fand diese Entwicklung 1671 in der Errichtung einer Königlichen Militärakademie in Brüssel, an der Sebastián Fernández de Medrano, Verfasser des Traktats El Ingenieros, Fortifikationswissenschaften lehrte.34 Die Anwärter auf eine Ingenieurslaufbahn besuchten diese Ausbildungsstätte, dienten dann in einem Infanterieregiment, während sie gleichzeitig als Autodidakt oder unter Anleitung eines erfahrenen Kollegen das Handwerk lernten. Ein Ingenieur bekam vielfältige, zeitlich meistens begrenzte Aufträge. Er musste Vorschläge für neue Befestigungswerke machen, Pläne anfertigen und Bauvorhaben leiten. Ihm oblag die technische Überwachung und Abnahme der Arbeiten. In den Festungen gab es häufig einen Fortifikationskontrolleur, der für das Rechnungswesen zuständig war und die kleineren Unterhaltsarbeiten überwachte. Dieser war jedoch in der Regel kein Militär, sondern ein Beamter, der sein Amt gekauft hatte, der zivilen Finanzverwaltung unterstand, oft wenig Kenntnisse vom Festungsbau besaß und gerne in Kompetenzgerangel mit dem Ingenieur geriet. Im Kriegsfall mussten die Militäringenieure ihre Fähigkeiten in der Belagerungskunst zeigen. Sie wurden dem Heer oder einer Garnison zugeteilt und führten die Angriffs- beziehungsweise Verteidigungsarbeiten durch. In der Regel hatten die Ingenieure eine Offizierscharge inne und waren an ein Regiment gebunden, welches sie nach erfülltem Auftrag wieder aufsuchten. Wenige nur bekamen ein Patent als „Ingenieur des Königs“ und konnten sich ganz dem Festungsbau widmen. Es existierte kein eigenständiges Korps, das alle im Geniebereich Tätigen zusammenfasste. Die Wirren des Spanischen Erbfolgekrieges brachten das niederländische Ingenieurwesen in große Unordnung. 1705, nach dem Tod Medranos, stellte die Brüsseler Militärakademie ihren Betrieb ein.35 Ohne Auskommen in ihrer Heimat traten viele Ingenieure in den Dienst fremder Mächte. Während seiner Feldzüge in den Niederlanden musste Eugen von Savoyen feststellen, dass „von Ingenieuren […] nicht einmahl einer vorhanden [ist], welcher einen rechten Platz erbauen khönte, indeme man sye theils aus miserie hat zu grundt gehen und crepieren lassen, theils aber seyndt von selbsten wekhgangen, umb ihren bevorstehenden Untergang zu entweichen“.36 Schon 34 Zur Person Medranos siehe Fernando GIL OSORIO, Organizacion de la artilleria espanola en el siglo XVIII, Bd. 1, Madrid 1981, S. 128. 35 Claire LEMOINE-ISABEAU, Les militaires et la cartographie des Pays-Bas méridionaux et de la Prin­ci­ pauté de Liège à la fin du XVIIe et au XVIIIe siècle, Bruxelles 1984, S. 31. 36 Schreiben von Prinz Eugen an Joseph I., Lager bei Rebreuve, 23. August 1710. Zitiert in Spanischer Successions-Krieg, Feldzug 1710. Nach den Feld-Akten und anderen authentischen Quellen bearbeitet in der Abtheilung für Kriegsgeschichte von Carl Freiherr von HIPSSICH, II. Serie 3 (Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen 12), Wien 1887, S. 290.

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Von der Barriere zur Altlast

1710 erwog er deshalb die Schaffung eines Ingenieurskorps sowie einer Schule für Militärarchitektur.37 Letzteres Projekt konnte bald verwirklicht werden. 1717 gründete Kaiser Karl VI. Ingenieursakademien in Wien und in Brüssel, die für Nachwuchs sorgen sollten.38 Doch die Vereinigung in einer gesonderten technischen Einheit ließ auf sich warten. Zehn Jahre nach der Wiedererrichtung einer Bildungsanstalt klagte Freiherr von und zum Jungen, der Oberbefehlshaber in den Niederlanden, noch immer über den Mangel an Kriegstechnikern und die Probleme ihrer Besoldung  : „Daß ein so großer Abgang in hiesigen Landten an Artigleristen ist, rührt daher, weÿlen diese Leut von der Finance sehr unrichtig bezahlt, auch viele in andrer Dienste gegangen seynd. Eben diese Bewandtniß hatt es auch mit denen Ingenieurs, welche in etlichen Jahren keine oder doch wenig von ihrer Besoldung bekommen, dahero auch aus Mangel der Subsistentz alle ihr Abschied begehren […] Wann dergleichen Leut bey der Kriegs Cassa angewiesen wurden könnte mann nicht allein gute Subjecta aussuchen, sondern auch vielen andern Confusionen vorbiegen.“39 Prinz Eugen, der Präsident des Hofkriegsrats, griff daraufhin seine frühere Idee von der Schaffung eines Ingenieurskorps wieder auf, „insbesondere in einem Land, in dem es so viele Festungen gab“.40 Bei der Verwirklichung seines Plans stützte Eugen sich mit dem Ingenieur Oberst Simon de Bauffe auf einen Mann aus der Praxis, einen Vertrauten, der aus den Niederlanden stammte und dessen Können er während seiner Feldzüge in den Niederlanden und auf dem Balkan zu schätzen gelernt hatte.41 Der unter spanischer Herrschaft am 9. Februar 1676 in Ath geborene Simon de Bauffe war noch von Medrano in der Festungsbaukunst ausgebildet worden. Seine erste Attacke leitete er 1706 bei der Einnahme von Dendermonde.42 Es folgte die Teilnahme an weiteren Belagerungen im Krieg um die spanische Erbfolge. Im Kampf gegen das Osmanische Reich sollte Prinz Eugen erneut auf die Erfahrung der niederländischen Kriegsveteranen zurückgreifen. 1717 ließ er de Bauffe mitsamt einer Gruppe von Ingenieuren aus den 37 Ibidem. 38 Heinrich BLASEK/Franz RIEGER, Beiträge zur Geschichte der k. u. k. Genie-Waffe, Bd. 1, Wien 1898, S. 17. 39 KA, AFA, 1727, N° 399, Bericht von zum Jungen an Prinz Eugen, Brüssel, den 11. März 1727. 40 « […] un corps d’ingénieurs qu’il convient en toute manière de former pour en avoir à la main si la guerre commence dans un pays surtout où il y a tant de places fortes […] » KA, AFA, 1727, N° 399, Brief von Prinz Eugen an de Bauffe, Wien, den 12. April. 1727. 41 Simon de Bauffe [auch Beauffe], geboren in Ath am 9. Februar 1676, gestorben am 7. September 1738 in Belgrad. Philippe BRAGARD, Dictionnaire biographique des ingénieurs des fortifications. Pays-Bas espagnols, principauté de Liège, Franche-Comté, 1504–1713, Namur 2011, S. 21. 42 De Bauffe lieferte ausführliche Angaben zu seiner Person in einem Bittgesuch vom 21 Juni 1733, das er an Prinz Eugen richtete, um den Gouverneursposten in Ath zu erhalten. KA, AFA, 1733, N° 424.

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Die Errichtung eines Ingenieurskorps

Niederlanden kommen, um bei der Eroberung Belgrads zu helfen.43 Der Gewinn dieser Schlüsselstellung an der Mündung der Save in die Donau stellte einen der größten Triumphe Eugens dar, ein Sieg, der sich positiv auf die militärische Karriere aller Beteiligten auswirkte. Nach seiner Rückkehr in die Niederlande avancierte Simon de Bauffe zum Leutnant-Oberst und ab 1725 zum Gouverneur der Stadt und Festung Lier.44 Als ranghöchster Genieoffizier bekleidete er die Stellung des „Ersten Ingenieurs“ oder Chefingenieurs. Diesen erprobten Techniker beauftragte Prinz Eugen nun damit, einen Entwurf für ein Ingenieurskorps auszuarbeiten. Er forderte ihn auf, sich mit dem Oberbefehlshaber der Armee in den Niederlanden, Freiherr zum Jungen, abzustimmen und ihm seine Überlegungen mitzuteilen.45 Im November 1727 unterbreitete de Bauffe seinen Vorgesetzten ein Projekt, welches Eugen für gut befand.46 Der Prinz war auch der Meinung, dass 30 Ingenieure ausreichen würden und man Personen mit Kriegserfahrung auswählen solle, „denn“ – so schrieb er de Bauffe – „sie wissen aus eigener Erkenntnis, dass im Felde die Theorie nur von wenig Nutzen ist, wenn sie nicht durch die Praxis begleitet wird“.47 Doch der Chefingenieur hatte Schwierigkeiten, mehr als vierzehn oder sechzehn brauchbare Kandidaten ausfindig zu machen.48 Generalkommandant zum Jungen dagegen sah nicht, wie man das nötige Geld auftreiben sollte.49 Man lag weit im Rückstand mit den Soldzahlungen und keiner wusste so recht, wie der Militärhaushalt ins Gleichgewicht zu bringen war. De Bauffe gab zu bedenken, man könne 10.000 Gulden sparen, indem man die unnützen Stellen im Fortifikationswesen abschaffen würde, welche die zivile Finanzverwaltung an „Personen ohne Fähigkeit noch Verdienst“ – gemeint waren wohl die Fortifikationskontrolleure – vergeben hatte.50 Dennoch schränkte er seinen ersten Entwurf ein und legte im Mai 1728 eine Namenliste vor, die nur mehr 21 Ingenieure zurückbehielt.51 Die Zahl sei 43 Heinrich BLASEK/Franz RIEGER, Beiträge zur Geschichte […], op. cit, S. 17–18. 44 KA, AFA, 1733, N° 424, Bittschreiben von de Bauffe an Prinz Eugen, 21. Juni 1733. 45 KA, AFA, 1727, N° 399, Brief von Prinz Eugen an de Bauffe, Wien, 21. Mai 1727. 46 KA, AFA, 1727, N° 399, Brief von de Bauffe an Prinz Eugen, Brüssel, den 14. November 1727  ; Brief von Prinz Eugen an de Bauffe, Wien, den 29. November 1727. 47 « […] puisque vous scavez vous même que la théorie est de peu d’usage en campagne si elle n’est pas accompagnée de la pratique […]. » KA, AFA, 1727, N° 399, Brief von Prinz Eugen an de Bauffe, Wien, den 29. November 1727. 48 KA, AFA, 1727, N° 399, Brief von Bauffe an Prinz Eugen, 16. Juni 1727. 49 KA, AFA, 1727, N° 399, Brief von zum Jungen an Prinz Eugen, Brüssel, den 16. Dezember 1727. 50 KA, AFA, 1728, N° 402, Brief von de Bauffe an Prinz Eugen, Lier, den 13. Januar 1728. 51 KA, AFA, 1728, N° 402, Brief von de Bauffe an Prinz Eugen, Lier, den 25. Mai 1728. Im Anhang « Liste des Ingénieurs dont on pourroit former un corps aux pays bas pour s’en servir pendant la paix à fortifier les places, et la guerre arrivant les deffendre, et diriger les attaques par tous les pays, où Sa

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Von der Barriere zur Altlast

zwar „bescheiden, aber man könne sie erhöhen, wenn man die Mittel findet, um sie zu bezahlen“.52 Die Mitglieder des Ingenieurskorps waren in drei Brigaden aufgeteilt, eine für Flandern, eine für Brabant, Hennegau und Mecheln sowie eine für die Provinzen Luxemburg, Limburg und Geldern. Das Korps wurde befehligt durch den Kommandanten Leutnant-Oberst de Baut und stand unter der Leitung des Chefdirektors Generalmajor de Bauffe. Jedem Genieoffizier war ein Standort zugewiesen.53 Die Städte Kortrijk, Nieuwpoort, Oudenaarde, Dendermonde, Damme, Antwerpen, Charleroi, Ath, Mons, Brüssel, Mechelen, Saint-Ghislain, Limburg und Roermond bekamen jeweils einen Ingenieur zugeteilt. In Ostende waren zwei Ingenieure stationiert und in Luxemburg sogar fünf. Die Liste schlug auch eine Gehälterskala vor. Insgesamt betrugen die jährlichen Lohnkosten und das Quartiergeld 14.532 Gulden. Zum Jungen überreichte das Projekt der Generalgouverneurin, die es an den Kaiser adressieren sollte. Doch es verging fast ein Jahr, bevor im Mai 1729 der Bericht der Statthalterin nach Wien geschickt wurde.54 Weiter geschah nichts. In einem Brief, den er 1731 aus der Festung Luxemburg an Prinz Eugen schrieb, prangerte de Bauffe den Stillstand an  : „Ich finde keine Leute mehr zum Zeichnen. Jeder ist des Genies überdrüssig, wohl merkend, dass er verlassen wurde. Man hat sie vier ganze Jahre zurückgehalten in der Hoffnung, dass man ein Ingenieurskorps in den Niederlanden bilden würde. Da die Sache liegen blieb, sucht jeder sein Glück anderswo, sogar die Akademie in Brüssel befindet sich ohne Schüler.“55 Dann kam aber doch irgendwie Majesté Impériale et Catholique pourroit en avoir besoin, annottant à un chacun leur gage, caractère, département de brigade et le lieu de leur garnison. » Ein zweites Exemplar der Liste befindet sich im Anhang des Berichts von zum Jungen an Prinz Eugen vom 18. Juni 1728 (KA, AFA, 1728, N° 402). Dieses Projekt wurde irrtümlicherweise Graf Wirich von Daun zugeschrieben in Gustave-Henri-Louis GUILLAUME, Notice sur le Corps du génie en Belgique pendant le XVIIIe siècle, in  : Mémoires et publications de la Société des sciences, des arts et des lettres du Hainaut, Bd. 4, 1870, S. 483–498, S. 484. Die falsche Zuschreibung wurde von der weiteren belgischen Geschichtsschreibung übernommen, obwohl Jacques Breuer schon Zweifel an den Angaben Guillaumes hegte. Siehe Jacques BREUER, Matériaux pour l’histoire du Coprs du Génie dans les Pays-Bas autrichiens de 1717 à 1756, in  : Revue Internationale d’Histoire Militaire, 24, 1965, S. 337–354, S. 341, und Étienne ROOMS, Corps du Génie (XVIe siècle–1794), in  : Les institutions du gouvernement central des Pays-Bas habsbourgeois, Bd. 2, Bruxelles 1995, S. 847–854. 52 « Le nombre de vingt un Ingenieurs est modique, mais on le peut augmenter si l’on trouve le fond pour les payer », ibidem. 53 An der Spitze jeder Brigade stand ein Kapitän. Alle anderen Ingenieure hatten den Grad eines Leutnants oder eines Fähnrichs. 54 KA, AFA, 1729, N° 404, Bericht von zum Jungen an Prinz Eugen, Brüssel, den 13. Mai 1729. 55 �������������������������������������������������������������������������������������������������� « […] je ne trouve plus de personnes pour dessinner, un chacun se dégoutte du Genÿ se voiant abandonnez, on les a retenus quatre années entières sur l’espoire qu’on auroit formé le corps d’ingénieurs aux paÿs bas, la chose restant la, un chacun cherche sa fortune ailleurs, même l’académie à Bruxelles se

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Die Errichtung eines Ingenieurskorps

Bewegung in das Dossier. Die Zahl der vorgesehenen Ingenieure wurde noch einmal auf 15 Mann gekürzt, eingeteilt in zwei Brigaden.56 Im Mai 1732 legten die Mitglieder des Ingenieurskorps ihren Diensteid ab, und von diesem Jahr an übernahm die Kriegskasse die Bezahlung der Gehälter.57 In der Absicherung der Besoldung lag wahrscheinlich der Kern der Lösung. Vorher wurden die Ingenieure, da sie im Gegensatz zu anderen Bestandteilen des Heeres, man denke nur die Infanterie oder die Kavallerie, keine eigenständige Einheit bildeten, nicht über die Kriegskasse bezahlt. Ihre Leistungen wurden sehr unregelmäßig von der Finanzverwaltung aus diversen Staatsmitteln vergütet. Die Ingenieure mussten sich also anderweitig ihren Lebensunterhalt verdienen. Einige, wie z. B. de Baut, der Kapitän einer Kompanie im Regiment Los Rios war, bezogen feste Einkünfte aus einer Offizierscharge. Andere fanden eine Anstellung als Fortifikationskontrolleure. Andere wiederum verdienten sich ein Zusatzeinkommen aus der Errichtung von zivilen oder kirchlichen Gebäuden, für die sie die Architekturpläne entwarfen.58 Nach eigenen Angaben beschränkte sich Simon de Bauffes Lohneinkommen auf 2.400 Brabanter Gulden, die er pro Jahr als Gouverneur von Lier bekam.59 Von den 1.200 Gulden, die ihm sein Ingenieurspatent zusicherte, hatte er seit zehn Jahren nichts gesehen.60 1727 ereichte er zwar seine Beförderung zum Generalmajor, aber seine finanzielle Lage verbesserte sich dadurch nicht. Immer wieder versuchte er, einen renommierteren und besser bezahlten Gouverneursposten zu ergattern, zuerst in Dendermonde, dann in Ostende, schließlich in seiner Geburtsstadt Ath, aber ohne Erfolg. Er drohte mit Rücktritt. Eugen beschwichtigte und versprach, sich für seinen Schützling einzusetzen. Besonders bedrückte den Chefingenieur, dass er auf Dienstreisen weder Pferdefutter noch Brennholz gewährt bekam, wo doch der geringste Garnisonssoldat darauf Anspruch hatte.61 Alles musste er aus eigener Tasche bezahlen. Zu allem Überdruss verweigerten die Landstände von Brabant die trouve sans ecolliers. » KA, AFA, 1731, N° 414, Brief von de Bauffe an Prinz Eugen, Luxemburg, den 9. Juni 1731. 56 AGR, CF, N° 2959, „Tabelle über das in den österreichischen Niederlanden aufgerichtete IngenieurCorps“, o. D. [um 1732]. 57 Heinrich BLASEK/Franz RIEGER, Beiträge zur Geschichte […], op. cit, S. 18 und Jacques BREUER, Matériaux pour l’histoire […], op., cit., S. 342–343. 58 So soll z. B. de Bauffe um 1730 die Pläne für den Neubau des Kongregationsklosters und der Trinitätskirche in Luxemburg ausgearbeitet haben. Jean-Pierre KOLTZ, Baugeschichte der Stadt und Festung Luxemburg, Bd. 1, Luxemburg 19702, S. 392–393. 59 KA, AFA, 1728, N° 402, Brief von de Bauffe an Prinz Eugen, Lier, den 25. Mai 1728. 60 KA, AFA, 1730, N° 410, Brief von de Bauffe an Prinz Eugen, Luxemburg, den 15. November 1730. 61 KA, AFA, 1733, N° 424, Brief von de Bauffe an Prinz Eugen, Luxemburg, den 21. Juni 1733.

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ihm als Gouverneur von Lier zustehenden Sonderbezüge unter dem Vorwand, er sei kein gebürtiger Brabanter.62 Laut Gewohnheitsrecht dürfe dieser Posten nicht von einem „Fremden“, also jemandem, der aus einer anderen Provinz stammte, bekleidet werden.63 Waren seine Diensteinkünfte dürftig, so hatte de Bauffe dennoch hohe Familienausgaben. Er musste für die Ausbildung seiner sieben Kinder aufkommen. Die Söhne besuchten das Gymnasium, die Mädchen waren zur Ausbildung in Nonnenklöstern untergebracht. Dem ältesten Sohn, der 23 Jahre alt war und in Löwen Theologie studierte, konnte der Vater bislang keine Pfründe verschaffen.64 „Hätte ich nicht eine Frau geheiratet, die mir eine Jahresrente von tausend Talern beschert hat, welche mir helfen, mit meiner großen Familie zu leben, ich wäre gezwungen gewesen, meine Pferde zu verkaufen, meine Dienstboten zu entlassen und mich als kleiner Privatier zurück zu ziehen“, jammerte de Bauffe.65 In der Klage des ranghöchsten Ingenieurs der Niederlande schwang unterschwellig der Vorwurf der Undankbarkeit mit  : „Dies ist sehr empfindlich für einen Offizier, der die besten Jahre seines Lebens in den Dienst des Herrns gestellt hat, sich in einer solchen Ungnade zu befinden, die mich vergrämt und welche meine jetzigen Unbequemlichkeiten verursacht.“66 Die Errichtung eines Geniekorps gab de Bauffe eine gewisse Genugtuung. Die Ingenieure hatten jetzt im Prinzip ein gesichertes Einkommen, das über die Kriegskasse bezahlt wurde.67 Die Befehlsstruktur war klarer geworden. Die Ingenieure unterstanden nicht mehr den einzelnen Festungsgouverneuren, sondern dem Direktor des Korps, der ihnen die Arbeitsaufträge zuteilte. Letzterer bekam seine Anweisungen 62 Ibidem. 63 „[…] weÿlen die Stände von Brabant vorwenden, daß laut ihren Privilegien der Gouverneur ein Brabanter seÿn solle also könnten sie den de Beauffe der ein Frembder seÿe nicht zahlen […].“ KA, AFA, 1727, N° 399, Bericht von zum Jungen an Eugen, Brüssel, den 10. Juni 1727. 64 Diese Angaben zu seiner Familie macht de Beauffe in einem Schreiben an Eugen. KA, AFA, 1728, N° 402, Brief von de Bauffe an Eugen, Lier, den 25. Mai 1728. 65 « […] si je n’avois pas épousé une femme qui m’a donné mille écus par an de bien, qui m’assistent à vivre avec ma nombreuse famille, j’aurois été obligé de vendre mes chevaux, reformer mes domestiques et tacher de me retirer en petit particulier, ce qui est bien sensible à un officier qui at emploié la fleur de son age au service du maître, et être dans une pareille disgrâce qui me désole et cause les incommodités dont je me trouve accablé. » KA, AFA, 1731, N° 414, Brief von de Bauffe an Eugen, Luxemburg, den 9. Juni 1731. 66 Ibidem. 67 Zur sozialen Stellung und materiellen Lage der Ingenieure in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts siehe Bernard WINDELS, Het Geniecorps in de Oostenrijkse Nederlanden. Enkele sociologische gegevens, in  : Revue belge d’histoire militaire, 20, 1973, S. 234–257. Der Autor kommt zum Schluss, dass die Offiziere der Geniebrigade sowohl hohes gesellschaftliches Ansehen als auch einen gewissen Wohlstand genossen.

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Festungsbau in Krisenzeiten

direkt vom Generalkommandanten der Streitkräfte in Brüssel. Nur im Falle einer Belagerung, wenn die Befehlskette unterbrochen war, hatte der Festungsgouverneur das Kommando über die anwesenden Ingenieure.68 Die Gründung des Ingenieurskorps ermöglichte fortan eine zentrale Planung und Koordination des Festungswesens. In dieser Hinsicht hatten die Niederlande einen Vorsprung gegenüber den anderen habsburgischen Territorien.69 Erst 1747 wurde in Wien ein Ingenieurskorps für das gesamte Habsburgerreich errichtet.70 Zusätzlich zur niederländischen Abteilung schuf man eine deutsche, eine ungarische und eine italienische Brigade, die jeweils für ein Teilgebiet der Monarchie zuständig waren. Das wohlgeordnete niederländische Korps wurde schon bald auf anderen Kriegsschauplätzen eingesetzt. Die neu errichtete Einheit hatte ihren ersten Auslandseinsatz im österreichisch-türkischen Krieg von 1737 bis 1739. Diese Militärexpedition sollte auch Simon de Bauffe zum Verhängnis werden. Er starb am 7. September 1738 am Fieber in dem von den Osmanen belagerten Belgrad, dort, wo er zwei Jahrzehnte vorher unter seinem Mentor Eugen den vielleicht größten militärischen Triumph seiner Ingenieurslaufbahn erlebt hatte.71

2.3 Fe s t u ng s b au i n K r i s e n z e i t e n Es ist schwierig, sich ein genaues Bild zu machen, wann und wo am niederländischen Festungsnetz gearbeitet wurde. Insgesamt kam der Festungsbau in der Zeitspanne 1725–1740 nur stockend vorwärts. Immer wieder aus Geldmangel vernachlässigt wurde er nur vorangetrieben, wenn die internationale Lage sich verschlechterte. So spiegeln die Fortifikationsausgaben das Auf und Ab in den Beziehungen der Habsburgermonarchie sowohl zu Frankreich als auch zu den beiden Seemächten, den Protektoren der südlichen Niederlande, wider. 68 AGR, CF, N° 2960, Denkschrift « Mémoire sur […] la manière que l’on devroit s’y prendre pour arranger l’entretien des villes fortes du pays, constructions des nouvelles fortifications […] », o. D. [um 1737]. 69 Im europäischen Vergleich dagegen nehmen die Niederlande keine Vorreiterrolle ein. In Frankreich gab es ein vorbildlich organisiertes Geniewesen schon seit der Herrschaft Ludwigs XIV. Siehe Anne BLANCHARD, Les « ingénieurs du roy » de Louis XIV à Louis XVI. ���������������������������������������� Étude du corps des fortifications, Montpellier 1979. In Preußen verlief die Entwicklung fast zeitgleich wie in den Niederlanden. Dort wurde das Ingenieurskorps erst 1729 durch Oberst Gerhardt Cornelius von Walrave auf eine feste Grundlage gestellt. Siehe Christopher DUFFY, Friedrich der Große und seine Armee, Stuttgart 1978, S. 183. 70 Heinrich BLASEK/Franz RIEGER, Beiträge zur Geschichte […], op. cit, S. 21–23. 71 Jacques BREUER, Matériaux pour l’histoire […], op., cit., S. 344.

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Nach 1725 war es zuerst die erfolgreiche Kompagnie von Ostende, die zu Spannungen mit England und Holland führte. Als Anfang Januar 1727 die diplomatischen Beziehungen zwischen London und Wien abbrachen, befürchtete man einen Überfall auf die Niederlande.72 Sogleich begannen die Instandsetzungsarbeiten an den Festungen. Chefingenieur Simon de Bauffe wurde nach Dendermonde entsandt, wo die Situation besonders heikel war, da ein Teil der Garnison von der Schutzmacht Holland, das aber seit 1726 auch mit Frankreich ein Bündnis geschlossen hatte, gestellt wurde.73 De Bauffe ließ die Brüstungen des gedeckten Weges ausbessern, neue Traversen anlegen, die Reduits reparieren und die Befestigungen entlang des Brüsseler Portals verstärken. Kostenpunkt dieser Maßnahmen  : 22.616 Gulden.74 Auch an den Festungen Mons, Ath, Saint-Ghislain und Ostende gingen die Arbeiten rasch voran.75 Aus Antwerpen berichtet der Festungskommandant Marquis de Rubi, dass man an der Wiederherstellung der Zitadelle sowie der vier wichtigsten Außenforts La Perle, Saint-Philippe, La Marguerite und Sainte Marie, die der Sicherung der Schelde dienten, arbeite. Zwei neue Ravelins waren geplant und der Bau schon öffentlich vergeben.76 In Oudenaarde, Zoutleeuw und Damme hatte man damit begonnen, den Unrat, der die Festungsgräben auffüllte, herauszukarren. Kortrijk dagegen galt als unhaltbar und der Aufwand einer Instandsetzung war zu hoch. Der Vorsitzende des Wiener Hofkriegsrats, Prinz Eugen, pflichtete dieser Einschätzung bei und bemerkte, dass „man schon zu viele Festungen besitze, für die man Mühe hätte aufzukommen und dass diese mehr als ausreichend wären, befänden sie sich alle in dem Zustand, in dem sie sein sollten“.77 Der Ernstfall trat jedoch nicht ein. Am 31. Mai 1727 unterzeichneten die konkurrierenden Mächte, Österreich, England, Frankreich und die holländische Republik, ein Friedensabkommen, das die Handelsgesellschaft von Ostende für sieben Jahre suspendierte. Die Kriegsgefahr war vorerst gebannt. Sobald die internationale Lage sich entspannte, flaute die Tätigkeit im Festungsbau ab. Am 16. Juni schrieb de Bauffe an Prinz Eugen, dass er auf die Nachricht des Präliminarfriedens hin angeordnet habe, mit der Aufpflanzung von Palisaden auf72 Michael HOCHEDLINGER, Austria’s wars […], op., cit., S. 201. 73 KA, AFA, 1727, N° 399, Bericht von zum Jungen an Prinz Eugen, Brüssel, den 11. März 1727. 74 KA, AFA, 1727, N° 399, Brief von de Bauffe an Prinz Eugen, Lier, den 3. April 1727. 75 Ibidem. 76 KA, AFA, 1727, N° 399, Brief von Marquis de Rubi an Prinz Eugen, Brüssel, den 24. Oktober 1727. 77 « Nous n’avons déjà que trop de places fortes auxquelles on a de la peine à fournir et qui seroient plus que suffisantes si elles étoient toutes dans l’état où elles devroient être. » KA, AFA, 1727, N° 399, Brief von Prinz Eugen an Simon de Bauffe, Wien, den 2. Juli 1727.

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zuhören.78 Die Sturmpfähle, die Schwachstellen absichern halfen, wurden von den Verteidigungswerken entfernt und in Schuppen gelagert, um sie vor der Witterung zu schützen. Man zog die Kanonen von den Wällen ab, demontierte die Geschützbettungen und verstaute die Kugeln wieder in den Zeughäusern. Der Militäringenieur äußerte aber gleichzeitig den Wunsch, die Regierung möge einen festen Betrag für den Unterhalt der Festungen im Jahreshaushalt anweisen, damit diese, einmal instand gebracht, nicht wieder in den früheren verwahrlosten Zustand verfielen.79 Eine jährliche Dotierung blieb jedoch Wunschdenken. Das Geld wurde an anderen Stellen im Staatsapparat dringender gebraucht. 1733, kurz vor Ausbruch des Polnischen Thronfolgekrieges, musste de Bauffe seine Vorgesetzten in Wien darauf hinweisen, dass, mit Ausnahme von Luxemburg, seit 1727 keine Reparaturarbeiten mehr an den niederländischen Festungen getätigt worden waren.80 Nach der Kriegserklärung Frankreichs am 10. Oktober 1733 und den nun folgenden, sich über zwei Jahre hinziehenden Kämpfen an Mosel und Rhein rückten auch die Niederlande wieder ins Kreuzfeuer der internationalen Politik. Mit der wachsenden äußeren Bedrohung setzte der Festungsbau erneut ein. Obwohl es mit Frankreich eine Neutralitätsvereinbarung getroffen hatte, übte insbesondere Holland Druck aus, damit die nicht zur Barriere gehörigen Waffenplätze von den Österreichern in einen guten Verteidigungszustand gebracht wurden.81 Im Januar 1734 stellte die Brüsseler Regierung eine Summe von 100.000 Gulden zur Verfügung, um die wichtigsten Festungen entlang der französischen Grenze auf einen feindlichen Angriff vorzubereiten.82 Die Arbeiten begannen in Mons, Ath, Charleroi, Saint-Ghislain, Dendermonde, Damme, Ostende und Nieuwpoort. Die Kosten für die Instandsetzung und Armierung dieser acht Plätze wurden auf 470.000 Gulden veranschlagt.83 Dann fehlte aber das Geld, um auch noch Oudenaarde, die Antwerpener Zitadelle und den Gravensteen in Gent auszurüsten und besser zu befestigen. Glücklicherweise blieb eine französische Offensive aus. Die südlichen Niederlande wurden nicht in die kriegerischen Auseinandersetzungen des Polnischen Erbfolgekrieges hineingezogen. Nach dem Friedensschluss mit Frankreich drohte das Fortifikationswesen wieder in die alte Lethargie zurückzufallen. In Regierungs- und Militärkreisen machte 78 KA, AFA, 1727, N° 399, Brief von de Bauffe an Prinz Eugen, Brüssel, den 16. Juni 1727. 79 Ibidem und KA, AFA, 1727, N° 399, Brief von Prinz Eugen an de Bauffe, Wien, den 2. Juli 1727. 80 KA, AFA, 1733, N° 424, Brief von de Bauffe an Prinz Eugen, 9. Januar 1733. 81 KA, AFA, 1734, N° 433, Brief von Prinz Eugen an de Bauffe, Wien, den 20. Januar 1734  ; Brief von Prinz Eugen an de Bauffe, Wien, den 6. März 1734. 82 KA, AFA, 1734, N° 433, Brief von Prinz Eugen an de Bauffe, Wien, den 20. Januar 1734. 83 KA, AFA, 1734, N° 433, Brief von de Bauffe an Prinz Eugen, Brüssel, den 18. August 1734.

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man sich jedoch Gedanken, wie ein erneuter Niedergang zu verhindern sei, da man durchaus erkannte, dass die Wiederherstellung einer vernachlässigten Festung im Ernstfall teurer zu stehen kam als ihre Instandhaltung in Friedenszeiten. Eine von Chefingenieur Simon de Bauffe erarbeitete Vorlage, begleitet von einem Gutachten des Brüsseler Finanzrates, mündete in einen Gesetzestext, der den ständigen Unterhalt der Festungsanlagen regeln sollte.84 Der kaiserliche Erlass vom 15. September 1736 ordnete die Besichtigung aller Festungsplätze durch eine zweiköpfige Kommission an.85 Bei diesem Rundgang sollten der Leiter des Geniekorps und ein Vertreter der Zivilverwaltung, der für das Militärdepartement zuständige Finanzrat, die notwendigen Reparatur- und Unterhaltsarbeiten für die Dauer von sechs Jahren an private Bauunternehmer vergeben. Die Auftragsvergabe geschah in einer öffentlichen Versteigerung an den Bestbietenden. Die Ausführung wurde in Zukunft von den ortsansässigen Ingenieuren und Fortifikationskontrolleuren überwacht. Die Zahlung erfolgte alle sechs Monate, nach Abnahme der Arbeiten.86 Jedes Jahr sollte dann eine gemeinsame Inspektion vom Chefingenieur und dem zuständigen Finanzrat durchgeführt werden.87 Festungen waren außerordentlich reparaturanfällige Bauwerke. Lang anhaltende Regenfälle und winterlicher Frost hatten verheerende Wirkung. Die Erdaufschüttungen sackten ab. Immer wieder traten Risse im Mauerwerk auf. Doch die Festungsanlagen litten nicht nur unter dem Einfluss des Wetters. Wie aus den Bestimmungen des kaiserlichen Erlasses von 1736 zu ersehen ist, wurde ihnen auch häufig Schaden von Menschenhand zugefügt. Das ausgedehnte Festungsareal, das sich weit ins umliegende Land ausstreckende Glacis, war gar zu verlockend für die Einwohnerschaft, die, ließ die Aufsicht der Militärbehörde nach, ihr Vieh auf die grasbewachsenen Flächen trieb und den fruchtbaren Boden beackerte.88 Die Festungen waren jedoch ebenfalls nicht sicher vor den Eingriffen der zu ihrer Bewachung bestallten Garnisonen. Besonders gesucht waren Holzteile wie Schranken, Palisaden und sogar ganze Erkerhäuschen, mit denen die Wachtposten sich ein wärmendes Feuer entzündeten, aber auch Geräte und Eisenbeschläge, die wahrscheinlich unter der Hand verkauft wurden.89 Deshalb sah die Verordnung vom 15. September 1736 eine ganze Reihe 84 AGR, SEG, N° 2729, Erlass Karls VI. betreffend der Leitung der Befestigungswerke, Brüssel, den 15. September 1736. 85 Ibidem, Arikel I – IV. 86 Ibidem, Artikel V. 87 Ibidem, Artikel XXV. 88 Ibidem, Artikel X und XI. 89 Ibidem, Artikel XII und XIII.

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von Maßnahmen vor, um mutwillige Beschädigungen zu verhindern. Ackerbau und Weidenutzung auf Festungsgelände wurden strengstens untersagt. Unerlaubte Pflanzungen wie Obstbäume oder Hecken mussten von den Einwohnern auf eigene Kosten entfernt werden. In Anwesenheit der beiden Kommissare und unter Mitwirkung des Stadtmagistrats sowie eines vereidigten Feldmessers sollte die Ausdehnung des Glacis ausgemessen und mit Grenzsteinen markiert werden.90 Innerhalb dieses Rayons durften keine Löcher gegraben werden, um Sand, Steine oder Lehm für die Ziegelproduktion auszuheben, da diese Unebenheiten dem Angreifer Deckung gewähren konnten.91 Die Offiziere wurden an ihre Aufsichtspflicht erinnert. Für jeden entwendeten und im Wachlokal als Brennholz vorgefunden Schanzpfahl mussten die diensttuenden Soldaten acht Stüber Schadenersatz zahlen. Holz war Mangelware und der Baumbestand innerhalb der Festung lieferte im Belagerungsfall wertvolles Baumaterial. Keiner der auf den Festungswällen gepflanzten Bäume durfte gefällt werden, ohne dass vorher der Festungsgouverneur, der Finanzrat und der Chefingenieur in Kenntnis gesetzt wurden und die Statthalterin der Niederlande ihre Einwilligung gab  (!).92 Liest man die peinlich genauen Gesetzesbestimmungen, so gewinnt man den Eindruck, die Festungen seien ständig in Gefahr gewesen, sich wieder in eine blühende Garten- und Ackerlandschaft zu verwandeln, während die Soldatenschaft alles entwendete, was nicht niet- und nagelfest war. Am 25. Juli 1737 beschwerte der Direktor des Geniekorps, Simon de Bauffe, sich bei Generalgouverneurin Maria Elisabeth.93 Fast ein Jahr nach dem Erlass hatte die Inspektionsreise noch nicht stattgefunden, niemand wurde mit der Instandhaltung der Festungen beauftragt. Nach den Ursachen der Verzögerung befragt, gab der Finanzrat zu bedenken, „dass dies einer Prostitution des Kredits Seiner Majestät gleichkäme, in einer Zeit, wo man alles dran setzen würde, diesen wieder herzustellen, wenn man jetzt daran ginge, in allen Städten der Niederlande die Reparatur- und Unterhaltsarbeiten öffentlich zu versteigern, ohne über eine Geldreserve zu verfügen, die ausschließlich zu diesem Zwecke bestimmt sei“.94 Die ernüchternde Antwort des Finanzrates zeigt eines der zentralen Probleme des niederländischen Fortifikationswe90 Ibidem, Artikel XVI und XVII. 91 Ibidem, Artikel XVIII. 92 Ibidem, Artikel XIX. 93 AGR, CF, N° 2960, Brief von de Bauffe an Statthalterin Maria Elisabeth, Lier, den 25. Juli 1737. 94 « […] que se seroit prostituer le crédit de S. M. dans un temps que l’on fait tous les efforts imaginables pour le rétablir que d’aller dans toutes les villes du Païs-bas passer publiquement les réparations et entretiens des ouvrages sans avoir des fonds désignés et destinés uniquement à cet usage. » AGR, CF, N° 2960, Gutachten des Finanzrats an Statthalterin Maria Elisabeth, 8. August 1737.

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sens vor 1748 auf  : Es gab keinen Fonds, der dem Bau und Unterhalt der Festungen vorbehalten war. Wenn Geld in die Armierung und Instandsetzung der befestigten Plätze floss, wie das 1727 und 1734 geschah, fehlten diese Summen bei der Besoldung und Verpflegung der Truppen. Im Juni 1727 meldete der kommandierende General in den Österreichischen Niederlanden, Freiherr zum Jungen, dass die Auszahlung des Soldes sechs Monate im Verzug war.95 1734, nachdem die Festungen aufgerüstet wurden, betrug der Zahlungsrückstand sogar neun Monate.96 Der laufende Militärhaushalt wies in dem Moment ein Defizit von 700.000 Gulden auf.97 Schlecht verpflegt und unbezahlt verzeichneten die einzelnen Regimenter einen sehr niedrigen Personalbestand, der mangels Geldmittel nicht durch Rekrutierung ausgeglichen werden konnte. So kam es 1734 zu der fast schon absurden Situation, dass die Festungen zwar baulich instandgesetzt und mit dem Notwendigsten versorgt waren, jedoch nicht die nötigen Soldaten zu ihrer Verteidigung zur Verfügung standen. Die Garnisonen auch wichtiger Stellungen waren äußerst schwach. In der Großfestung Mons saßen 462, in Charleroi 114 und in Saint-Ghislain gar nur 39 Mann. Die Besatzung Antwerpens inklusive seiner fünf Außenforts war auf 370 Soldaten geschrumpft. Alle Garnisonen der Niederlande zusammengenommen, Luxemburg aber nicht miteinberechnet, ergaben eine Heeresstärke von 3.119 Mann.98 Diese Zahl war weit entfernt von den 12.000 Mann, die das Militärkommando für unentbehrlich hielt, um die Niederlande erfolgreich gegen einen Angriff Frankreichs zu verteidigen.99 Die geforderte Truppenstärke hätte es einerseits erlaubt, die am meisten exponierten Grenzfestungen Ath, Mons, Saint-Ghislain und Charleroi stärker zu besetzen. Anderseits bestand die Möglichkeit, ein bewegliches Armeekorps zu bilden, das, sobald die Stoßrichtung des Feindes feststand, in die bedrohte Festung hineingezogen werden konnte. Der Belagerungskrieg war eine schwerfällige Maschinerie. Bevor die Angreifer das schwere Geschütz, die Munition und die Verpflegung herbeigebracht hatten und die Festung völlig eingeschlossen war, vergingen meist Wochen – Zeit genug für die Verteidiger, die Garnison zu verstärken, wenn denn Truppen vorhanden waren. 95 KA, AFA, 1727, N° 399, Bericht von zum Jungen an Prinz Eugen, Brüssel, den 13. Juni 1727, idem, Brüssel, den 1. Juli 1727. 96 KA, AFA, 1734, N° 433, Bericht von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel, den 1. Oktober 1734. 97 Ibidem. 98 Brüssel  : 929 Mann, Antwerpen  : 370 Mann, Zoutleeuw  : 20 Mann, Roermond  : 45 Mann, Mons  : 462 Mann, Saint-Ghislain  : 39 Mann, Ath  : 113 Mann, Charleroi  : 114 Mann, Oudenaarde  : 31 Mann, Nieuwpoort  : 193 Mann  ; Ostende  : 358 Mann, Damme  : 29 Mann, Gent  : 54 Mann, Dendermonde  : 362 Mann. KA, AFA, 1734, N° 433, Tabelle wie viel Mann sich in den Festungen Ende September 1734 befunden haben. 99 KA, AFA, 1734, N° 433, Bericht von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel, den 2. November 1734.

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Die anhaltende Finanzmisere legte die Suche nach regionalen Lösungen nahe. Nach Ansicht des Freiherrs zum Jungen wäre es „wohl billig, daß ein jedes Land die seinige Pläz in behörigen Zustand zu sezen auch solche mit allen Nothwendigkeiten zu versehen contribuirte“, da diese vordergründig seiner eigenen „Conservation und Ruhe“ dienten.100 Der Generalkommandant plädierte dafür, die Landstände stärker in die Finanzierungsanstrengungen einzubinden. Die Provinzen sollten für den Unterhalt der Festungen aufkommen, die auf ihrem Gebiet lagen. Dieser Antrag wurde den Ständevertretungen „mit allem Nachdruck vorgestellt […]“, es sei aber „nicht den geringsten effect zu erlangen gewesen“.101 Verständlicherweise sträubten die Landstände sich gegen eine zusätzliche Belastung. Sie bewilligten alljährlich die Steuern, die sogenannten Subsidien, welche ursprünglich für den Unterhalt des stehenden Heeres gedacht waren. Durften diese Mittel auch für andere Militärausgaben, wie zum Beispiel für den Festungsbau, verwendet werden  ? Hier gingen die Meinungen auseinander. Während der Finanzrat der Ansicht war, man könne mit den Subsidien auch das Festungswesen finanzieren, wehrte der für die Verpflegung der Truppen zuständige Kriegskommissar sich vehement gegen eine Abzweigung der Steuereinkünfte von ihrem primären Zweck. „Alle Subsidien gehören in die Kriegskasse zur Bestreitung des Lebensunterhalts der Soldaten und zur Entlohnung der Offiziere“, behauptete der Vertreter der Militärverwaltung.102 Gleichzeitig wandte er ein, die Subsidien würden auch so schon nicht reichen und die Kriegskasse wäre auf Beihilfen aus den Zoll- und Domäneeinnahmen angewiesen. Der Finanzrat konnte dem nur schwer widersprechen, da er weder über den Ist-Stand der Truppen informiert war, noch wusste, welche Summe tatsächlich für ihre Bezahlung benötigt wurde. Die Militärbehörden ließen hierin die Zivilverwaltung im Dunkeln. Doch auch der Oberbefehlshaber der Armee, Freiherr zum Jungen, musste in einem Brief an den Präsidenten des Hofkriegsrats zugeben, dass er keine Übersicht über die Einnahmen und Ausgaben hatte und nicht sagen könne, „ob die Einkünfften hiesiger Provincien deductus deducendis sufficient seÿn den Unterhalt vor die alhier existirendte Trouppen zu verschaffen“.103 Sein Nachfolger Wurmbrand sah nur eine Möglichkeit, um aus der finanziellen Bredouille herauszukommen  : Die Zahlungen an die holländische Republik, welche die Staatskasse um 1.400.000 Gulden flüssigen 100 KA, AFA, 1727, N° 399, Bericht von zum Jungen an Prinz Eugen, Brüssel, den 13. Juni 1727. 101 Ibidem. 102 « […] le chef commissaire s’éleva sur cette proposition soutenant que tous les subsides appartenaient à la Caisse de Guerre pour la subsistance du soldat et la paye des officiers […]. » AGR, CF, N° 2960, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneurin, 8. August 1737. 103 KA, AFA, 1727, N° 399, Bericht von zum Jungen an Prinz Eugen, Brüssel, den 1. Juli 1727.

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Geldes brachten, mussten eingestellt werden.104 Doch für einen solchen Schritt, der einer Aufkündigung des Barrierevertrags gleichkam, war die Zeit noch nicht reif. Die Aussetzung der Barrierezahlungen sowie die Festlegung eines Verteilungsschlüssels der Ausgaben und die Einrichtung eines Fortifikationsfonds waren Maßnahmen, die erst unter der Regierung Maria Theresias verwirklicht werden konnten. Trotz der Geldknappheit und den Unzulänglichkeiten in der ­Finanzverwaltung gelang es der österreichischen Militärführung, erstaunliche Ressourcen zu mobili­ sieren, aber nur für Vorhaben, die sie als absolut prioritär einstufte. In den Jahren 1726 bis 1733 wurden 1.362.085 Gulden in den Ausbau der Festung Luxemburg investiert.105 Dies waren im Jahresschnitt 170.000 Gulden, eine beeindruckende Summe, vergleicht man sie mit dem Steueraufkommen von nur etwa 300.000 Gulden, das der Landesherr alljährlich aus der Provinz Luxemburg zog.106 1734, als man die Enveloppen der Forts Marie und Royal errichtete, war fast die Hälfte des niederländischen Geniekorps – sieben Ingenieure – in Luxemburg beschäftigt.107 Die hier bereitgestellten Mittel entgingen wiederum den anderen Festungen. Doch der für die strategische Ausrichtung der österreichischen Politik entscheidende Prinz Eugen wurde nicht müde zu betonen, Luxemburg sei der wichtigste Platz in den Niederlanden und verdiene darum die höchste Aufmerksamkeit der Regierung.108 In einem Schreiben an seinen Vertrauten Simon de Bauffe erklärte er die Prioritäten  : „Es ist für den Dienst Seiner Majestät von höchster Wichtigkeit, diese Festung in bestmöglichem Zustand zu haben, auch wenn es wünschenswert wäre, die anderen Grenzfestungen befänden sich in einem besseren Zustand. Doch wenn die Regierung nicht alles gleichzeitig richten kann, muss man wenigstens daran denken, Luxemburg zu verbessern und unterdessen in den anderen Festungen nur die Arbeiten tun, die am nötigsten sind, um sie vor dem Zerfall zu bewahren.“109 Die Verteidigung der unweit der Mosel gele104 KA, AFA, 1734, N° 433, Bericht von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel den 1. Oktober 1734. 105 AGR, CF, N° 2959, Zusammenfassung der Ausgaben für die Befestigungsarbeiten sowie die Lieferungen von Munition und Proviant in der Festung Luxemburg, o. D. (um 1733). 106 Claude DE MOREAU DE GERBEHAYE, L’abrogation des privilèges fiscaux et ses antécédents. La lente maturation du cadastre thérésien au duché de Luxembourg (1684–1774), Bruxelles 1994, S. 569. 107 KA, AFA, 1734, N° 433, Brief von Simon de Bauffe an Prinz Eugen, Lier, den 10. September 1734. Jean-Pierre KOLTZ, Baugeschichte […], op., cit., S. 299. 108 Z. B. KA, AFA, 1733, N° 424, Brief von Prinz Eugen an Rubi, Wien den 1. Juli 1733  ; KA, AFA, 1734, N° 433, Brief von Prinz Eugen an Simon de Bauffe, Wien, den 20. Januar 1734. 109 « […] important trop au service de Sa Majesté d’avoir cette place dans le meilleur état possible et non obstant qu’il serait aussi à souhaiter d’avoir dans un meilleur état les autres places frontières toute fois si le gouvernement ne peut fournir en même temps à tout, il faut du moins songer à perfectionner à

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genen Festung Luxemburg genoss aus der Sicht Wiens Vorrang. Solange Frankreich der Hauptgegner Österreichs war, nahm Luxemburg eine Schlüsselstellung in der Verteidigung des Heiligen Römischen Reiches ein, da es die rheinischen Fürstentümer gegen einen Vorstoß der Franzosen entlang des Moseltals schützte. Andererseits verlief ein wichtiger Verbindungsweg zwischen den österreichischen Erbländern und den Niederlanden über Luxemburg. Österreichische Truppenverbände, die von Koblenz aus über die Mosel nach Grevenmacher und Luxemburg gelangten, folgten von dort aus der Straße durch die Ardennen nach Namur und Brüssel. Luxemburg war demnach sowohl eine Nabelschnur, die verband, als auch ein Riegel, der dem französischen Expansionsdrang vorgeschoben werden konnte. Übergeordnete strategische Interessen bestimmten den Fluss der Investitionen. Luxemburg wurde vergrößert, andere wichtige Stützpunkte entlang der niederländischfranzösischen Grenze aber vernachlässigt. Die ungleiche Verteilung der Mittel hatte schwerwiegende Folgen, denn sie erklärt wahrscheinlich die insgesamt enttäuschende Leistung der Festungen während des Österreichischen Erbfolgekriegs. Das gut befestigte Luxemburg wurde tatsächlich nicht angegriffen, da eine Belagerung einen zu hohen militärischen Aufwand erfordert hätte.110 Doch alle anderen niederländischen Waffenplätze, auch die Barrierefestungen, stellten keine nennenswerten Hindernisse dar. In drei aufeinanderfolgenden Kampagnen eroberte Moritz von Sachsen eine belgische Stadt nach der anderen, bis er Ende 1746 das gesamte Gebiet der Österreichischen Niederlande mit Ausnahme der Provinz Luxemburg beherrschte. Die Dauer der Belagerungen fiel jeweils sehr kurz aus. Nach wenigen Wochen, manchmal sogar nur nach ein paar Tagen, gaben die Garnisonen auf. Der mangelnde Widerstand zeigt, wie desolat der Unterhalt vor Kriegsausbruch war. Der Aachener Friede machte Frankreichs Eroberungen in den Niederlanden wieder rückgängig. In den Barriereplätzen zogen erneut holländische Garnisonen ein, die anderen befestigten Orte kamen wieder unter österreichische Obhut. Über die genauen Ausmaße des durch die kriegerischen Auseinandersetzungen an den Festungen entstanden Schadens haben wir keine Angaben. Doch es ist anzunehmen, dass viele Werke unter dem Beschuss der Belagerungsartillerie gelitten hatten. Auch waren verschiedene Anlagen – wie zum Beispiel die Wälle von Charleroi – vorsorglich vor ihrer Rückgabe von den Franzosen zerstört worden.111 Nach 1748 fielen Luxembourg et ne travailler en attendant aux autres places que ce qui est le plus nécessaire pour les préserver à ne pas tomber en ruine […]. » KA, AFA, 1732, N° 422, Brief von Prinz Eugen an Simon de Bauffe, Wien den 30. Januar 1732. 110 Siehe Kapitel 1 vorliegender Arbeit, S. 39. 111 Maurice-Aurélien ARNOULD, Charleroi, dans Plans en relief de villes belges levés par des ingénieurs

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abermals größere Reparaturarbeiten an, um die zurückerlangten Festungen in Stand zu setzen. Dennoch waren die Voraussetzungen für den Wiederaufbau besser als nach dem Spanischen Erbfolgekrieg 1715. Die Niederlande verfügten über ein erfahrenes Ingenieurskorps, das 1749 immerhin 18 Mitglieder zählte, eine Zahl, die im Verlauf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts weiterhin anstieg.112 Der neu ernannte Statthalter in Brüssel, Karl von Lothringen, war zugleich „General-Genie-Direktor“ und Leiter des Genie- und Fortifikationswesens der gesamten Habsburgermonarchie, was sicherlich dem Prestige und der Unabhängigkeit der in den südlichen Niederlanden stationierten Brigade zugute kam.113 Doch vor allem besserte sich die Finanzlage. Die Entscheidung, die Barrieresubsidien nicht mehr an die holländische Republik weiterzuzahlen, entlastete den südniederländischen Staatshaushalt enorm und ließ erstmals wieder genügend Spielraum für Ausgaben im Festungsbereich. Ab 1750 begann die Militärverwaltung mit der Restaurierung der Festung Mons, die einen zusätzlichen Befestigungsgürtel von neun kleinen Außenforts erhielt.114 1758 – unterdessen war Frankreich zum Freund und England zum Feind geworden – befürchtete man einen englischen Landungsversuch an der Küste. Die Ingenieursbrigade nahm umfangreiche Verstärkungsarbeiten in Antwerpen vor. Entlang der Schelde wurden die Forts „La Perle“, „Saint-Philippe“ und „Tête de Flandre“ gründlich modernisiert.115

2.4 D i e Fi n a n z i e ru ng von Bau u n d Un t e r h a lt Trotz der vielen Bauvorhaben trug man dennoch in Staatskreisen Sorge, dass die Ausgaben nicht aus dem Ruder liefen. Um dem Kompetenzgerangel, das unter der Regierung Maria Elisabeths vorgeherrscht hatte, eine Ende zu setzen, waren die Zuständigkeitsbereiche nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg genauer definiert wormilitaires français – XVIIe–XIXe siècle, Bruxelles 1965, S. 75  ; Hervé HASQUIN, Charleroi, in  : Communes de Belgique […], op., cit., S. 290–293, S. 291. 112 Jacques BREUER, op., cit., S. 350. Im Jahre 1763 werden für das niederländische Ingenieurskorps 29 Offiziere aufgeführt. Siehe Jacques BREUER/Claire LEMOINE-ISABEAU, Matériaux pour l’histoire du corps du génie dans les Pays-Bas autrichiens 1763–1795 (fin), in  : Revue Belge d’Histoire Militaire, 21, 1975, 4, S. 275–314, S. 275–276. 113 Heinrich BLASEK/Franz RIEGER, op. cit, S. 21  ; Jacques BREUER, Matériaux pour l’histoire […], op., cit., S. 347. 114 Étienne ROOMS, Renouveau de l’architecture militaire dans les Pays-Bas autrichiens, in  : Harald HEPPNER/Wolfgang SCHMALE (Hg.), Festung und Innovation (Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Bd. 20), Bochum 2005, S. 105–114, S. 109–110. 115 Ibidem, S. 111.

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Die Finanzierung von Bau und Unterhalt

den. Die Militärführung behielt die Oberhoheit über Planung und Ausführung der Arbeiten, dem Finanzrat dagegen wurde die Ökonomie des Festungswesens zuteil. Man sah davon ab, die Festungsausgaben aus der Kriegskasse zu bestreiten, denn „in früheren Zeiten, als die Kriegskasse immer in Not und oft leer war und nur sehr unregelmäßig den Sold der Truppen und speziell der Offiziere bezahlen konnte sowie Schwierigkeiten hatte, für Lebensmittel, Bekleidung und Munition zu sorgen, mussten notgedrungen die Finanzwirtschaft und Mittelbeschaffung der Zivilabteilung anvertraut werden. Gewöhnt, davon zu leben, was es sich geschickt besorgen kann, hätte das Militär alle vorgestreckten Gelder aufgebraucht, ohne sich Gedanken über die dringendsten Bedürfnisse zu machen.“116 Der Finanzrat beauftragte seinerseits die Bank Nettine mit dem tagtäglichen Geschäft.117 Die allgemeine Fortifikationskasse wurde von Mathias Nettine, später von seiner Witwe – der „Veuve Nettine“ – und ihrem Sohn verwaltet.118 Auf Anordnung des Finanzrates überwies diese Kasse Geldbeträge an örtliche Fortifikationseinnehmer („Receveurs des Fortifications“), die in den verschiedenen Städten und Festungen die Arbeiten an den Verteidigungswerken und Militärgebäuden beglichen. In Zweijahresabständen legten die Nettines dem Finanzrat bzw. der Rechenkammer die Konten zur Saldierung vor.119 Doch es bestand durchaus auch der Wunsch, das Militär mit in die Verantwortung für die Finanzverwaltung einzubeziehen. 1764 wurde der Befehlshaber der Ingenieursbrigade, Generalmajor Philippe de Laing, als Beisitzer mit Stimmrecht in den Finanzrat aufgenommen.120 Auch sein Nachfolger, Jean-Baptiste François Devos, saß in dieser

116 ������������������������������������������������������������������������������������������������������� « Dans les temps plus anciens où la caisse de guerre toujours en besoin et souvent vuide ne pouvoit acquitter que très irrégulièrement la solde des trouppes et notamment des officiers et pourvoir aux vivres, habillemens et munitions, il falloit bien remettre au département civil l’économie et les expédiens des finances. Le militaire habitué de vivre de ce qu’il pouvoit adroitement se procurer, auroit dévoré les argents à mesure qu’il les auroit eu à sa disposition sans choix sur les besoins les plus pressans. » AGR, CF, N° 2981, Gutachten des Finanzrats an die Statthalter Albert von Sachsen-Teschen und Marie Christine, 3. Mai 1783. 117 Zu diesem Bankhaus, das eine sehr wichtige, aber leider kaum erforschte Rolle in der südniederländischen Finanzverwaltung spielte, siehe Valéry JANSSENS, Madame de Nettine et Edouard de Walckiers, banquiers d’Etat au 18e siècle, in  : BNB. Revue mensuelle publiée par et pour le personnel de la Banque nationale de Belgique, Mai 1965, S. 11–13. 118 Siehe AGR, CF, N° 3224 und N° 3225, « Recette générale des fortifications ». 119 In den Archivbeständen der Brüsseler Rechenkammer ist es bislang nicht gelungen, diese Rechenbücher ausfindig zu machen. 120 Philippe de Laing, Chef des Ingenieurskorps und Finanzrat, gestorben am 25. Dezember 1767 in Brüssel. Geburtsort und -datum unbekannt. Claude BRUNEEL et Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 352–353.

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Zivilbehörde.121 Innerhalb des Finanzgremiums war der Chefingenieur Experte und Berater nicht nur in Sachen Festungen, sondern für alle öffentlichen Bauten. Diese allmähliche Annäherung zwischen Militärgenie und Zivilverwaltung fand auch ihren Niederschlag in den Tätigkeitsfeldern der Genieoffiziere, die zunehmend zivile Aufgaben zugewiesen bekamen. Militäringenieure bauten Straßen und legten Kanäle an, kartierten Herrschaftsgebiete und zeichneten Grenzen ein.122 Sie mussten sich immer mehr mit der Errichtung und dem Unterhalt von öffentlichen Gebäuden beschäftigen, so dass de Laing die Zivilverwaltung aufforderte, eigene Fachleute auszubilden, damit das Genie sich wieder ausschließlich seinem militärischen Auftrag widmen könne.123 Die Aufnahme des leitenden Militäringenieurs in den Finanzrat konnte nicht verhindern, dass die Festungsausgaben nach 1763 wieder stark nach oben tendierten. Lagen die Kosten für Unterhalt und Reparaturen 1762 noch bei 37.138 Gulden, stiegen sie 1763 auf 61.965 Gulden, 1764 auf 76.634 Gulden und 1765 auf 77.732 Gulden an.124 1766 explodierten die Ausgaben dann regelrecht. 108.809 Gulden wurden für den Unterhalt und 42.714 Gulden für Neubauten veranschlagt.125 Im Finanzrat konnte man sich nur wundern, dass „je mehr man für die Instandsetzung ausgab, desto mehr instand gesetzt werden musste“.126 Erst 1770, mit der Schaffung einer festen Dotation, gelang es, die Kostenexplosion einzudämmen. Das Budget für Festungen und Militärbauten wurde jedes Jahr mit 80.000 Gulden ausgestattet, ein Höchstbetrag, der nicht überschritten werden durfte. Die konstante Dotierung des Fortifikationsfonds ermöglichte eine strenge Haushaltsplanung. Im Herbst reichten die örtlichen Militärbehörden eine Liste ihrer Bedürfnisse für die kommende Bausaison ein. Auf der Basis dieser Vorschläge legte 121 Jean-Baptiste François Devos [nach 1772 Baron de Vos], Chef des Ingenieurskorps und Finanzrat, getauft am 21. September 1711 in Brüssel, gestorben am 4. September 1783 in Brüssel. Claude BRUNEEL et Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 216–217. 122 Militäringenieur Nicolas Steinmetz stand bis 1766 im Dienst der Luxemburger Landstände als „Inspecteur des Ponts et Chaussées.“ KApitän Nicolas Jamez leitete 1766 den Bau einer neuen Straße zwischen Luxemburg und Namur. Guy THEWES, Route et administration provinciale au siècle des Lumières  : l’exemple des États du duché de Luxembourg (1748–1795), Bruxelles 1994, S. 96–97 u. S. 162. Andere Beispiele bei Marcel WATELET, Le terrain des ingénieurs. La cartographie routière en Wallonie au XVIIIe siècle, Namur/Bruxelles 1995, S. 78–79. Zum Thema Militäringenieure und Kartografie siehe Claire LEMOINE-ISABEAU, Les militaires et la cartographie […], op. cit. 123 Étienne ROOMS, Corps du Génie […], op., cit., S. 852. 124 AGR, CF, N° 2980, « Note », o.D. [1766/1767]. 125 AGR, CF, N° 2980, « Observations », o.D. [1765/1766]. 126 « Il paroit qu’à mesure qu’on fait une plus forte dépense pour ces réparations d’entretien, plus il vient à réparer. » AGR, CF, N° 2980, « Note », o.D. [1766/1767].

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Chefingenieur Devos dem Finanzrat eine Liste von den durchzuführenden Bau- und Unterhaltsarbeiten zur Diskussion vor.127 Oft überstiegen die Vorhaben das Budgetlimit. Dann musste irgendwo gespart werden. Die Ausführung der Projekte wurde in die Länge gezogen, damit die Ausgaben sich auf mehrere Haushaltsjahre verteilten. Weniger dringende Arbeiten konnten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Auch versuchte der Finanzrat, die Instandhaltungskosten für Anlagen, die gleichermaßen dem städtischen Verkehr dienten, wie Tore und Brücken, auf die Stadtmagistrate abzuschieben. 1781 überzeugte die Regierung die Stadt Gent, sich am Umbau der Kaserne Saint-Pierre zu beteiligen, da die Kasernierung der Soldaten ebenfalls den von der Einquartierung befreiten Bürgern zugutekam.128 In Luxemburg, wo man 1783 zum Schutze der Bevölkerung die Pulvermagazine aus der Stadt heraus verlegte, mussten die Unkosten von der Gemeindekasse zurückerstattet werden.129 Trotz dieser Zuschüsse hatte das Militär Schwierigkeiten, mit der Dotierung auszukommen. Seit 1770, als man den jährlichen Betrag festgelegt hatte, waren die Baumaterialien, vor allem das Holz, aber auch Kalk und Steine teurer geworden.130 Aber es waren auch die fürsorgerischen Maßnahmen, die man getroffen hatte, um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Soldaten zu verbessern, welche die Ausgaben anwachsen ließen. In Mons war ein Lazarett gebaut worden.131 In Luxemburg sollte die Waschanstalt, welche die Bettwäsche der Garnison wusch, erneuert werden.132 In vielen Garnisonsstädten hatte man begonnen, in den Kasernen die offenen Kamine zuzumauern und durch Öfen zu ersetzen. Da immer weniger mit Brennholz geheizt wurde, mussten Lagerhäuser für Steinkohle errichtet werden.133 Überhaupt wurden vermehrt Magazine für die vielfältigen Sachlieferungen, die den Soldaten zustanden, gebraucht. Es waren Einrichtungen dieser Art, „die das Wohlbefinden des Soldaten scheinbar sehr oft erforderte“, welche den Fortifikationsfonds strapazierten.134 Das 127 Siehe AGR, CF, N° 2980. 128 AGR, CF, N° 2980, Besprechung des Berichts von Generalmajor Devos, 14. Februar 1781. 129 AGR, CF, N° 2981, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneure, 11. März 1783. 130 « […] on voit par les prix des ouvrages des villes de Luxembourg, Anvers et Ostende ci-joint que depuis 1770 la charpente à Luxembourg est augmentée de fl. 1 – 19 s. par cent de solive, que la toise cube de maçonnerie l’est de 10 sols le foudre de chaux de 6 sols et qu’enfin les prix des ouvrages des autres villes sont augmentés dans la même proportion […]. » AGR, CF, N° 2980, Besprechung des Berichts von Generalmajor Devos, 14. Februar 1781. 131 Ibidem. 132 AGR, CF, N° 3047, Bericht des Finanzrats an den Generalgouverneur, Brüssel, 14. März 1774. 133 AGR, CF, N° 2980, Besprechung des Berichts von Generalmajor Devos, 14. Februar 1781. 134 « […] dépenses que le bien être du soldat paroit exiger très souvent […] auquel il ne sera pas possible

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Von der Barriere zur Altlast

Geld floss vor allem in den Bau von Latrinen, Brunnen, Kasernen und Militärhospitälern, weniger in Verteidigungswerke.135 Die Sorge um den Erhalt der Truppe rückte zusehends in den Vordergrund. Ein geworbener und ausgebildeter Soldat war teuer, und verständlicherweise versuchte man ihn vor Krankheit und Unfällen zu schützen. Insbesondere die Kommandanten beziehungsweise Offiziere setzten sich für das Wohlergehen ihrer Untergebenen ein.136 1770 klagte der Befehlshaber der Festung Luxemburg, Leutnant-General Vogelsang, über die Gefährlichkeit der Treppen in den Neutorkasernen und verlangte einen Umbau.137 Die Steinstiegen waren offenbar tatsächlich halsbrecherisch schmal. 1673 von den Spaniern errichtet hatten diese Gebäude nichts von der großzügigen Raumplanung einer Vaubankaserne.138 Die Stockwerke waren durch enge Wendeltreppen verbunden, in denen es immer wieder beim Appell zu Gedrängel und Stürzen kam. Doch der Finanzrat – und auch Militäringenieur Devos pflichtete dem bei – hielt die Forderung des Festungskommandanten für übertrieben. Es sei „nicht weiter verwunderlich, dass es beim Hinaufund Hinablaufen besagter Treppen zu Unfällen komme, da die Offiziere selbst auf offener Straße fielen, und unabhängig davon gebe es mehrere Offiziersunterkünfte in Bürgerhäusern, in denen die Treppen viel steiler als in diesen Kasernen seien“.139 Die Ratsherren rieten Vogelsang, „mehr Vorsicht walten zu lassen beim Appell, der in zu großer Hast abgehalten werde“, und beschlossen, solche Ausgaben, „welche die Truppe unaufhörlich aus Bequemlichkeit und Leichtigkeit beansprucht“, zu vermeiden.140 que le fond des fortifications puisse faire face si les augmentations des prix des matériaux et les nécessités du soldat continuent ainsi […]. » Ibidem. 135 Zu dem Bau von Latrinen in einer Festung siehe Guy THEWES, Les odeurs de la ville. Les conditions d’hygiène à Luxembourg sous l’Ancien Régime, in  : Hémecht, Jg. 56, 2004, N° 2, S. 171–186, S. 174– 175. 136 Zu den von den Vorgesetzten initiierten Fürsorge- und Schutzmaßnahmen vgl. Ralf PRÖVE, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Göttingen und seine Militärbevölkerung 1713–1756, München 1995, S. 150–153. 137 AGR, CF, N° 3046, Auszug aus dem Protokoll, 1. März 1770. 138 Siehe Guy THEWES, L’intendance d’une place forte. Les infrastructures destinées au logement et à l’approvisionnement de la garnison, in Luxembourg Forteresse d’Europe. Quatre siècles d’architecture militaire, Luxembourg 1998, S. 83–107, 88–91. 139 « […] il n’est pas surprenant qu’il arrive des accidents en montant et descendant lesdits escaliers puisque les officiers même tombent bien en pleine rue, qu’indépendamment de cette circonstance il y a plusieurs logements d’officiers chez le bourgeois où les escaliers sont beaucoup plus difficiles qu’à ces casernes. » AGR, CF, N° 3046, Auszug aus dem Protokoll, 1. März 1770. 140 « […] apporter plus de prudence lors des appels qui se font avec trop de précipitation […] éviter une dépense que la troupe ne cesse de demander uniquement pour son aisance et commodité […]. » ���� Ibidem.

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Wie wichtig waren die Festungen   ?

Die Bauanfragen wurden in den Sitzungen des Finanzrats diskutiert und entschieden. Nach Anhörung des Geniedirektors wurde die Dotationssumme von 80.000 Gulden zwischen den Festungs- beziehungsweise Garnisonsstädten aufgeteilt und der resultierende Haushaltsentwurf für das kommende Baujahr dem Generalgouverneur zur Verabschiedung unterbreitet. Als der Finanzrat sich 1781 getraute, ein mit 82.724 Gulden leicht überzogenes Budget vorzuschlagen, verweigerte die Statthalterschaft ihre Zustimmung. Der Finanzrat musste einen neuen Entwurf vorlegen, in dem einzig und allein der Überschuss von 376 Gulden vom vorigen Jahr gutgeschrieben werden durfte.141 Nachdem das Generalgouvernement die Neuaufteilung der Ausgaben gutgeheißen hatte, teilte der Finanzrat den örtlichen Fortifikationseinnehmern den Betrag mit, den sie auf Bescheinigung der Militäringenieure hin für Bauarbeiten entrichten mussten.142 Die Einführung eines festen Etats nach 1770 gab der Militärführung eine große Planungssicherheit. Sie stellte jedoch auch das niederländische Festungswesen vollends unter die Vormundschaft der staatlichen Finanzverwaltung.

2.5 Wi e w ic h t ig wa r e n di e Fe s t u ng e n   ? Die in den Archivbeständen des Finanzrats überlieferten, von der Regierung bewilligten Ausgabenpläne geben Aufschluss über die Verteilung der Mittel zwischen den verschiedenen Städten, die Festungsanlagen oder andere militärische Einrichtungen besaßen.143 Die Höhe der vorgesehenen Zuwendungen spiegelt die militärische Bedeutung des jeweiligen Ortes wider. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass es sich bei diesen Budgets nur um einen Voranschlag der Ausgaben handelte. Alle zur Verfügung stehenden Geldmittel wurden nicht unbedingt ausgegeben. Andererseits ist nicht auszuschließen, dass für einzelne Bauvorhaben Zuschüsse aus anderen Kassen gezahlt wurden. Auch haben die Stadtmagistrate die Instandhaltung von Teilen der Befestigungen, wie z. B. Brücken, Tore und Wachstuben, mitfinanziert.

141 AGR, CF, N° 2980 Auszug aus dem Protokoll, 5. März 1781. 142 Die Funktion des Fortifikationseinnehmers wurde in der Regel von dem Steuer- oder Domäneeinnehmer, in dessen Einzugsbereich die Festung lag, wahrgenommen. 143 Siehe AGR, CF, N° 2980.

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Von der Barriere zur Altlast

Tabelle 1. Bewilligte Ausgaben für Befestigungswerke und Militärgebäude (1771–1781)

1

Luxemburg

Bewilligte Ausgaben für Befestigungs­w erke und Militärgebäude (1771–1781) in Gulden 233.983

2

Antwerpen

150.523

17,7

3

Brüssel

68.021

8,0

4

Gent

53.622

6,3

5

Ostende

53.302

6,3

6

Charleroi

44.332

5,2

7

Ieper

36.346

4,3

8

Mons

35.648

4,2

9

Nieuwpoort

35.326

4,1

10

Veurne

34.682

4,0

11

Dendermonde

31.571

3,7

12

Tournai

29.608

3,5

13

Ath

18.742

2,2

14

Fort Knocke

13.106

1,5

15

Namur

11.400

1,3

16

Oudenaarde

1.756

0,2

17

Saint-Ghislain

Rang

Stadt

Summe

Anteil an den ­G esamtausgaben in % 27,5

130

0,0

852.098

100,0

Quelle  : AGR, CF, N° 2980

Augenfällig ist der Rückgang an militärischen Standorten. Wurden 1725 in dem Zustandsbericht von Daun noch 37 Befestigungsanlagen erwähnt, ist die Zahl der Stützpunkte, wenn man die Außenforts um Antwerpen und Ostende nicht separat aufführt, im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts auf 17 gesunken. Städte wie Zoutleeuw, Damme, Menen oder Warneton sind von der Festungskarte der Niederlande verschwunden. Auch frühere Festungen wie Oudenaarde und Saint-Ghislain scheinen zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Luxemburg und Antwerpen dagegen genießen weiterhin Vorrang und sichern sich den Löwenanteil der Ausgaben. Das Luxemburger „Kriegsgebäude“ vereinnahmt allein mehr als ein Viertel der Ressourcen. Doch die Verteilung der Geldmittel an Orte wie Brüssel, Gent oder Charleroi, die keine nennenswerten oder nur noch bruchstückartige Verteidigungswerke besaßen, zeigt, dass sich Bestimmung und Zweck von Festungen gewandelt hatten. Diese dien82

Wie wichtig waren die Festungen   ?

ten kaum noch der Verteidigung des Landes, sondern waren Knotenpunkte, auf die sich die logistische Organisation der Armee stützte.144 Die in der Ausgabenplanung geführten Standorte boten der Armee Unterkunft und Verpflegung. Hier waren die Soldaten in den Kasernen untergebracht, und sie wurden aus den Vorratshäusern mit Lebensmitteln und Ausrüstung versorgt. Außerdem konnten dort auch krank oder arbeitsunfähig gewordene Soldaten Aufnahme in einem Hospital beziehungsweise einer Invalidenanstalt finden. Die Hauptstadt Brüssel war Sitz der Militärführung. Dort befanden sich die Einrichtungen des Generalstabes, des Kriegskommissariats sowie der Kriegskasse. In Gent war die Monturkommission, das zentrale Anschaffungsorgan der Armee, untergebracht. In Charleroi standen Kasernen, in die Invaliden eingewiesen wurden.145 Es war die zum Unterhalt eines stehenden Heeres notwendige Infrastruktur, welche einen nicht unerheblichen Teil des Festungsetats verschlang. Im Fortifikationsbudget waren auch Beträge für die Instandhaltung der Barrierefestungen vorgesehen, obwohl diese Plätze nicht von österreichischen, sondern von holländischen Soldaten bewacht wurden. Dieser Posten machte immerhin 14,6 % der Ausgaben aus. Seit die österreichische Regierung keine Hilfsgelder mehr an die holländische Republik zahlte, beharrte Letztere zwar auf ihrem Garnisonsrecht, kümmerte sich aber kaum noch um den Unterhalt der ihr laut Barrierevertrag anvertrauten Festungsanlagen.146 Österreich hatte keine Handhabe, da es ja selbst die vertraglichen Bestimmungen nicht mehr einhielt. Mangels der nötigen Reparaturarbeiten verfielen die Barrierefestungen. In Brüsseler Regierungskreisen konnte man dieser Vernachlässigung auch eine positive Seite abgewinnen, denn es bestand die Hoffnung, dass die fremden Truppen eines Tages aus den gänzlich verwahrlosten Dienststätten abziehen würden.147 Der Vorsitzende des Geheimen Rats, Patrice144 Zu den logistischen Erwägungen bei der Aufrechterhaltung von Festungen siehe Robert RILL, Das Festungswesen im Habsburgerreich des 18. Jahrhunderts im Überblick, in  : Harald HEPPNER/Wolfgang SCHMALE (Hg.), Festung und Innovation […], op., cit., S. 37–52, S. 43. Aufschlussreich sind auch die Überlegungen Clausewitz' zu der Bestimmung von Festungen. Carl von CLAUSEWITZ, Vom Kriege, Berlin 1832, Teil 2, S. 210–225. 145 Eugène HUBERT, Le voyage de l’empereur Joseph II […], op., cit., S. 41. 146 Zum Unterhalt der Barrierefestungen siehe auch Eugène HUBERT, Les garnisons de la Barrière […], op., cit., S. 196–205. 147 « Si en laissant tomber et dépérir les objets que les traités chargent les Hollandais d’entretenir nous pourrions espérer de nous débarrasser des gênes, de l’inconvénient et de tous les désagréments qu’entraîne le séjour et le passage de troupes étrangères, je serais de parti de ne pas s’occuper du soin de les réparer ou de les soutenir et de les laisser périr insensiblement. » AGR, SEG, N° 2727, Bericht an den Generalgouverneur (unsignierter Entwurf ), o. D. [um 1770].

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Von der Barriere zur Altlast

François de Neny, gab jedoch zu bedenken, dass trotz holländischer Besatzung die Verteidigungswerke, die Zeughäuser, die Magazine und die Kasernen Besitztümer Ihrer Majestät seien. „Es wäre ärgerlich, diese Gebäude, die sehr schön sind und ungeheuere Summen gekostet haben, verkommen zu lassen.“148 Die österreichische Verwaltung trug einstweilig die Unterhaltskosten, um einen völligen Verfall der Barrierefestungen zu verhindern. In den Jahren 1771 bis 1781, von dem Moment der Schaffung einer festen Dotierung bis zur Neuordnung des Festungswesens nach dem Besuch Josephs II. in den Niederlanden, flossen 852.098 Gulden in die Instandhaltung der Militäreinrichtungen, ein Betrag, der sich recht bescheiden ausnimmt, vergleicht man ihn mit den Summen, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts für Befestigungen ausgegeben wurden. Eine Festung wie Luxemburg, die in den 1720er- und 1730er-Jahren im Durchschnitt über einen Etat von 170.000 Gulden für Verstärkungsarbeiten verfügte, musste am Ende des Ancien Régimes mit weniger als 22.000 Gulden im Jahr auskommen.149 Der Höhepunkt des Festungsbaus in den Niederlanden war endgültig vorbei. Das österreichische Sicherheitskonzept für die belgischen Provinzen hatte sich mit der Zeit gewandelt. Schon nach dem ernüchternden Verlauf des Österreichischen Erbfolgekrieges waren Stimmen laut geworden, die ein Umdenken in der Verteidigungspolitik forderten. Nicht der aus vergangenen Jahrhunderten ererbte Festungskranz biete den besten Schutz gegen eine Invasion, sondern eine angemessene Truppenanzahl, welche den Nachbarn Respekt einflöße. Die Befürworter einer Vergrößerung des Heeres waren der Meinung, die vorhandenen Mittel sollten in die Anwerbung von Rekruten investiert werden und nicht in die Wiederherstellung der kriegsbeschädigten Waffenplätze, deren Instandsetzung viel Geld und Zeit kosten würde. Mehrere Denkschriften plädierten für die Schaffung zusätzlicher Einheiten und gegen die nach Kriegsende üblichen Entlassungen.150 Der europäische Bündnisumschwung im Vorfeld des Siebenjährigen Krieges gab diesen Anschauungen in gewisser Hinsicht recht. Nach Frankreichs Seitenwechsel von Preußen zu Österreich waren die Niederlande nicht 148 ������������������������������������������������������������������������������������������������������ « ���������������������������������������������������������������������������������������������������� [��������������������������������������������������������������������������������������������������� …�������������������������������������������������������������������������������������������������� ]������������������������������������������������������������������������������������������������� il est fâcheux de laisser périr ces édifices qui sont très beaux et qui ont coûté des sommes immenses […]. » AGR, SEG, N° 2727, Anmerkung von Patrice-François de Neny zu einem Gutachten des Finanzrats, Brüssel, den 15. März 1770. 149 Vgl. Guy THEWES, Logiques militaires et intérêts civils […], op., cit., S. 33. 150 AGR, SEG, N° 2689, « Projet pour une disposition à pouvoir soutenir les Païs-Bas contre une invasion de l’ennemi », o. D. [um 1748]  ; KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. VIII, N° 492, « Note sur l’idée concernant le pied et l’entretien des trouppes en tems de paix aux Païs Bas »  ; AGR, SEG, N° 2725, « Note concernant le militaire et les recrues aux Païs Bas », Wien, den 13. März 1749.

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Joseph II. auf Inspektionsreise  : Bruch mit der Defensivstrategie

mehr durch einen französischen Einfall gefährdet.151 Da die äußere Bedrohung hinfällig geworden war, verloren die Festungen an Bedeutung. Das Heer behielt dagegen seine Wichtigkeit. Die niederländischen Truppenverbände konnten bei Bedarf auf anderen Kriegsschauplätzen eingesetzt werden. Im Siebenjährigen Krieg kämpften wallonische Kontingente an weit entfernten Fronten, so z. B. in Böhmen, Sachsen und Schlesien.152 In Friedenszeiten aber waren diese Regimenter in ihren Heimatprovinzen einquartiert, und der Unterhalt der Soldaten lastete auf den niederländischen Steuerzahlern. Das in den südlichen Niederlanden aufgebotene Heer konnte überall im Interesse der Gesamtmonarchie eingesetzt werden und stellte somit ein wertvolles Instrument der habsburgischen Machtpolitik dar. Der Wert der Festungen war hingegen auf die Sicherung eines engen geografischen Raums begrenzt.

2.6 Jo s e ph I I. au f I nspe k t ionsr e i s e  : Bruc h m i t de r De f e ns i v s t r at e g i e Obwohl ihr Nutzen hinterfragt wurde, konnte die Militärführung sich dennoch nicht vorstellen, ganz auf Festungen zu verzichten, und so wurden weiterhin, wenn auch nur kleine Summen, für die Instandhaltung ausgegeben. Es blieb Kaiser Joseph II. vorbehalten, den radikalen Bruch zu wagen. Auf seiner Reise in die Niederlande im Jahre 1781 ließ der Herrscher keine Festung aus.153 Binnen drei Wochen inspizierte er alle befestigten Orte auf niederländischem Boden. Am 31. Mai erreichte Joseph II. Luxemburg, am 4. Juni Namur, am 6. Juni Charleroi, am 7. und 8. Juni weilte er in Mons, am 9. Juni führte ihn seine Fahrt über Ath und Tournai nach Kortrijk, am 10. Juni besichtigte er die Barrierefestungen Menen, Ieper und Veurne, am 11. und 12. Juni besuchte er die Küstenstädte Nieuwpoort und Ostende, am 15. Juni Gent und, nachdem am 17. Juni Oudenaarde und Dendermonde besucht wurden, stand am 18. Juni Antwerpen auf dem Programm. Am 22. Juni zog der Kaiser schließlich in der Hauptstadt Brüssel ein. Wie aus zeitgenössischen Quellen berichtet wird, streifte Joseph II. während seiner Inspektionsreise unermüdlich über Wälle und durch Festungswerke, sah in Zeughäuser hinein und kundschaftete Minengänge aus. Umgeben von Militäringenieuren, beugte er sich über Fortifikationspläne, die er aufmerksam bis ins Detail studierte. 151 Siehe Kapitel 1 vorliegender Arbeit, S. 40. 152 Charles TERLINDEN, Histoire militaire […], op., cit., S. 196–197. 153 Siehe Eugène HUBERT, Le voyage de l’empereur Joseph II […], op., cit., S. 35–62.

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Von der Barriere zur Altlast

In jedem Garnisonsplatz ließ er die Infanterie und die Kavallerie aufmarschieren, befehligte selbst, auf einem Dragonerpferd sitzend, Manöver und Exerzierübungen, befragte die Soldaten, aß von ihrer Suppe, probierte das Brot, kontrollierte Unterbringung und Ausrüstung. An manchen Orten war der kaiserliche Aufenthalt von kurzer Dauer. In Dendermonde blieb der eilig Reisende nur eine Dreiviertelstunde, Zeit genug, um die Wallmauern, die zwei Schleusen und die Geschützstellung in Augenschein zu nehmen sowie einen Blick in die österreichischen Kasernen zu werfen.154 Der holländische Teil der Garnison, der auch angetreten war, um den Kaiser zu begrüßen, wurde dagegen ostentativ gemieden. Auf seiner Festungstour hatte Joseph II. einen Eindruck vom Wehrpotenzial der Österreichischen Niederlande gewonnnen. Er war aber auch zu der Überzeugung gelangt, dass diese Provinzen im jetzigen Zustand des Heeres und der Festungen nicht in der Lage wären, sich zu verteidigen. In den Gesprächen, die er mit dem bevollmächtigten Minister Georg Adam von Starhemberg führte und zu denen die Vorsitzenden des Geheimen Rates sowie des Finanzrates Patrice-François de Neny und Denis Benoît de Cazier hinzugezogen wurden, legte der Landesfürst seine Ansichten dar.155 Festungen richteten sich nach der äußeren Bedrohung, und die Mächte, von denen eine Gefahr für die Niederlande ausging, waren bekannt. Aus Richtung der preußischen Gebiete am Niederrhein, Kleve, Mark und Ravensberg, war kaum ein Angriff zu befürchten, denn zu einem solchen Unternehmen hätte Friedrich II. das Herzstück seines Reiches, Brandenburg und Schlesien, entblößen müssen. Gegen einen englischen Landungsversuch vom Meer aus gab es kein wirksames Mittel, da die Küste lang und schwer zu überwachen war. Dennoch galt eine solcher Schlag vonseiten Englands als unwahrscheinlich. Einzig denkbarer Angreifer war und blieb Frankreich, auch wenn zu diesem Zeitpunkt das Bündnis zwischen Habsburgern und Bourbonen noch Bestand hatte. Die Geografie sprach dabei gegen die Niederlande. Die vielen Wasserläufe, an denen die niederländischen Festungen stromabwärts lagen, luden den französischen Nachbarn förmlich zu einem Einfall ein. Zwar war es möglich, das Territorium durch eine Vielzahl von befestigten Plätzen zu verteidigen, doch musste man diese auch mit Soldaten versehen. Es genügte nicht, Festungen zu 154 Ibidem, S. 54. 155 Das Protokoll dieser Besprechungen wurde von Hofrat von Lederer in einer Denkschrift festgehalten. AGR, SEG, N° 2725, « Mémoire sur ce qui concerne l’entretien des fortifications aux Pays-Bas ainsi que le parti à prendre à l’égard des places fortes ou réputées fortes soit qu’elles soient gardées par les troupes de S. M. ou par des troupes de la République » [Denkschrift über den Unterhalt der Befestigungen in den Niederlanden], o. D. [1781]. Vgl. Eugène HUBERT, Le voyage de l’empereur Joseph II […], op., cit., S. 258.

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Joseph II. auf Inspektionsreise  : Bruch mit der Defensivstrategie

besitzen, man brauchte entsprechend viele Truppen zu ihrer Besatzung. Nach Aussage Josephs II. lag es aber nicht im übergeordneten Interesse der Monarchie, in diesem Außenposten der habsburgischen Besitzungen ein solch starkes Heer aufzubieten. Somit wäre es eine Verschwendung, weiterhin „diese Bruchstücke von Festungen zu unterhalten, jedes Jahr eine sehr beachtliche Ausgabe dort zu verwenden und die alten Fortifikationsüberreste in einem Zustand der Zwecklosigkeit und der Unfruchtbarkeit zu belassen“.156 Der Kaiser schlug vor, „aufzuhören, diese Provinzen als ein Land, das sich zur Wehr setzt, zu betrachten, und dementsprechend zu handeln  : Ein Land, welches keine Anstalten der Gegenwehr macht oder sich diesen Anschein gibt, wird immer weniger misshandelt, leidet weniger Not, wird weniger erdrückt als die Länder, die vom Feind mit Waffengewalt erobert werden. Eine Feststellung, die wesentlich scheint für das Wohl der Einwohner in einem Land, das Ackerbau und Handel treibt, wie es diese Provinzen tun.“157 In den Augen Josephs II. gab es in den Niederlanden nur zwei Festungen, die diese Bezeichnung verdienten, nämlich Luxemburg und Antwerpen, obwohl auch der Wert dieser beiden Waffenplätze fraglich war. Luxemburg, „eine Festung, die man nicht mehr bauen würde, wenn sie nicht schon bestände“, brauchte eine ganze Armee zu ihrer Verteidigung, derart umfangreich waren die Befestigungswerke.158 Was die Festung Antwerpen betraf, so lag sie zu sehr im Nordosten des Landes, um die bevölkerungsreichen Teile, Hennegau, Flandern und Brabant, vor einer Eroberung durch die Franzosen schützen zu können. Ihr Wirkungskreis beschränkte sich auf die „Campine“. Trotz oben genannter Schwächen wollte Joseph II. diese beiden Festungen beibehalten. Auch die Hafenbefestigung von Ostende konnte bestehen bleiben. Alle anderen Wehranlagen in den Niederlanden beabsichtigte Joseph II. dagegen zu schleifen. Forts und Bastionen sollten abgetragen werden, die Wallmauern eingerissen werden, das Baumaterial verkauft und das Gelände veräußert werden. Der Kaiser errechnete sich aus dem Ende der niederländischen Festungen einen hohen Gewinn. 156 �������������������������������������������������������������������������������������������������������� « […] cependant dénué de forteresses et sans aucun espoir d’avoir les moyens de les garnir et de conserver une armée, on continuait à entretenir des débris de forteresse, à y employer une dépense annuelle très considérable et à laisser dans un état d’inutilité et de stérilité les anciens débris des fortifications. » AGR, SEG, N° 2725, Denkschrift über den Unterhalt der Befestigungen in den Niederlanden, o. D. [1781]. 157 « […] de cesser de regarder ces provinces comme un pays de défense et d’agir en conséquence  : un pays qui cesse de présenter des vues ou d’avoir l’apparence des moyens de défense étant toujours moins maltraité, moins malheureux et moins écrasé que ceux dont l’ennemi fait la conquête par le succès de l’attaque  ; ce constat qui paroit essentiel pour l’intérêt des habitants dans un pays cultivé et commerçant comme le sont ces provinces. » Ibidem. 158 « […] Luxembourg qui est une forteresse qu’on ne feroit plus si elle n’existoit pas. » Ibidem.

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Von der Barriere zur Altlast

Der Staatskasse würden die Einnahmen aus dem Verkauf zufließen und es blieben ihr die alljährlich wiederkehrenden Ausgaben für Unterhalt und Reparatur erspart. Zusätzlich bot sich die Gelegenheit, eine ganze Reihe von Militärstellen zu streichen, die durch die Aufgabe der Festungen gegenstandslos wurden. Die Maßnahme sollte sich aber nicht nur positiv auf die öffentlichen Finanzen auswirken, sondern auch auf andere Bereiche. Joseph II. war zu sehr von physiokratischen Ideen beeinflusst, um nicht auch die Vorteile für die Landwirtschaft zu erkennen. Das öde Festungsgelände, welches einst der Agrarproduktion entzogen worden war, würde von den Untertanen aufgekauft und wieder in fruchtbares Ackerland verwandelt werden. Neben dem finanziellen gab es einen klaren wirtschaftlichen Nutzen. Hinzu kam ein politisches Motiv  : Joseph II. sah in der Schleifung der niederländischen Festungen die Möglichkeit, sich endlich der holländischen Besatzungen zu entledigen. Die Maßnahme betraf alle befestigten Orte. Auch die Barrierefestungen sollten zerstört werden, in der Hoffnung, dass dies die Holländer zum endgültigen Abzug bewegen würde. Nach den Worten Henri Pirennes, „benahm Joseph II. sich gegenüber den holländischen Garnisonen wie ein Eigentümer, der sein Haus abreißt, um den Mieter loszuwerden“.159 Der bevollmächtigte Minister und die beiden Ratsvorsitzenden fanden die Pläne des Landesfürsten gewagt und sorgten sich um die Reaktionen Frankreichs und der Republik. Sie stimmten jedoch überein, dass die Instandsetzung der Festungen eine allzu große Belastung für die Finanzen darstellte. Neny plädierte, neben Antwerpen, Luxemburg und Ostende auch Namur zu erhalten sowie die Befestigungen von Roermond wieder herzustellen, da dieser Ort einem preußischen Überfall einen Riegel vorschob. Der Kaiser lehnte diesen Vorschlag ab. Nach seiner Meinung ging keine ernste Gefahr von Preußens Besitzungen am Niederrhein aus. Der oberste Schatzmeister Cazier wendete ein, dass eine völlige Aufgabe der Verteidigungsfähigkeit einen negativen Einfluss auf die staatliche Kreditaufnahme in den Niederlanden haben könnte. In Kriegszeiten waren die niederländischen Provinzen ein wichtiger Geldgeber der Monarchie. Die Kreditgeber könnten jedoch vor der mangelnden Verteidigungsfähigkeit zurückschrecken, denn gelangte das Land in die Hände des Feindes, entfiel die Rückzahlung der Anleihen. Ein Ereignis des Siebenjährigen Krieges blieb in dieser Hinsicht in schlechter Erinnerung. 1758 waren preußische und hannoversche Verbände in die Niederlande eingefallen, hatten Vieh, Geld und Geiseln mitgenommen. Dieser Handstreich hatte damals die Gläubiger stark verunsichert. Die Schleifung der Festungen riskierte so den Staatskredit zu ruinieren, da diese Maß159 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� « Joseph II en agissait vis-à-vis des garnisons hollandaises comme un propriétaire qui, pour se débarrasser d’un tenancier, démolit sa maison. » Henir PIRENNE, Histoire de Belgique […], op., cit., S. 130

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Abriss und Verkauf der Festungen

nahme den Anschein verbreitete, das Land stünde feindlichen Übergriffen wehrlos gegenüber. Als Ausgleich schlug Cazier vor, ein oder zwei zusätzliche Kavallerieregimenter in den Niederlanden zu stationieren. Diese mobilen Einheiten wären in der Lage, einen Handstreich abzuwehren und so das Vertrauen der potenziellen Geldgeber und der Landstände wiederherzustellen.

2.7 A br i s s u n d Ve r k au f de r Fe s t u ng e n Joseph II. blieb bei seinem vorgefassten Entschluss. Am 30. September 1781 trat die kaiserliche Entscheidung durch einen Erlass der Statthalter Marie Christine und Albert von Sachsen-Teschen in Kraft.160 Der Hofkriegsrat war anscheinend nicht vorher von den Absichten Seiner Majestät in Kenntnis gesetzt worden und erfuhr erst durch einen Bericht des niederländischen Generalkommandos von dem Erlass.161 Um die Durchführung des Befehls in die Wege zu leiten, kam schon Ende Oktober in Brüssel eine Kommission zusammen, der Feldmarschall-Leutnant Murray, Chefingenieur Devos und ein Mitglied des Finanzrates angehörten. Man beschloss, mit Brüssel und Charleroi zu beginnen und dann mit den anderen Standorten fortzufahren.162 Die Ingenieure des Geniekorps stellten einen Plan für die Demolierungsarbeiten auf. Das Festungsterrain wurde in Parzellen aufgeteilt. Dann schritten die Bevollmächtigten der Rechnungskammer zum Verkauf. Der Finanzrat überwachte die Vorgänge, die bis 1786 andauerten.163 Zwei findige Bürger aus Gent hatten auch schon eine Lösung 160 KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. XII, N° 25. 161 KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. XII, N° 321. 162 Zur Schleifung der Befestigungsanlagen der Städte Brüssel, Namur und Mons liegen Magisterarbeiten vor  : Astrid LELARGE, La démolition des fortifications de Bruxelles dans la seconde moitié du XVIIIe siècle  : un nouveau projet pour la ville, Bruxelles 1999 (unveröffentlichte Magisterarbeit an der Université libre de Bruxelles)  ; Denis DOUETTE, Le démantèlement des fortifications de Namur entre 1781 et 1815. Évolution stratégique et urbanistique de la place de Namur, Bruxelles 2003 (unveröffentlichte Magisterarbeit an der Université libre de Bruxelles)  ; Corentin ROUSMAN, Les fortifications et la présence militaire à Mons à la fin de l’époque autrichienne. Étude urbanistique et sociale de la démilitarisation d’une place forte, Louvain-la-Neuve 2007 (unveröffentlichte Magisterarbeit an der Université catholique de Louvain). 163 Die Akten zur Parzellierung und zum Verkauf der Grundstücke sind aufbewahrt in folgenden Archivbeständen  : AGR, CF, N° 3226–3253 und AGR, Chambre des Comptes, N° 1042–1043. Siehe Joseph LEFÈVRE/Placide LEFÈVRE, Inventaire des archives du Conseil des Finances, Gembloux, 1938  ; Alexandre PINCHARD, Inventaire des archives des Chambres des Comptes, t. 4, Bruxelles 1865, S. 259–311/Louis-Prosper GACHARD, Inventaire des archives des Chambres des Comptes, t. 1, Bruxelles 1837, S. 302.

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Von der Barriere zur Altlast

parat, um die umfangreichen Abrissarbeiten zu beschleunigen. Henri Vanderstadt, Lizenziat der Medizin und Jean Brismaille, Angestellter bei den Landständen von Flandern, boten der Regierung eine Maschine an, die sie „für das bequeme Schleifen und Einebnen der Festungswerke“ entwickelt hatten.164 Als Gegenleistung für die Benutzung ihrer Erfindung verlangten sie eine Abgabe von einem Stüber pro Kubik­ klafter bewegter Erdmasse. Der Finanzrat bat sogleich Militäringenieur de Brou, sich das wundersame Gerät anzusehen.165 Doch die Sache hatte einen Haken  : die beiden Erfinder wollten die Maschine erst bauen, nachdem sie das kaiserliche Privileg erhalten hatten. Die Regierung ließ sich nicht auf das zweifelhafte Geschäft ein. So wurden die Festungswerke auch weiterhin mit Schaufel und Spitzhacke abgetragen. Welchen Gewinn zog der Staat aus der Schleifung der niederländischen Festungen  ? Im August 1787 wurde der Sekretär des allgemeinen Regierungsrats (Conseil du Gouvernement général), André Étienne Hardy, beauftragt, eine vorläufige Bilanz aufzustellen.166 Die Rechnungskammer, die alle Transaktionen registriert hatte, lieferte ihm die entsprechenden Zahlen.167 In folgenden Orten wurde Fortifikationsterrain veräußert  : Brüssel, Antwerpen, Gent, Nieuwpoort, Ostende, Dendermonde, Kortrijk, Oudenaarde, Ieper, Veurne, Menen, Fort Knokke, Tournai, Damme, Mons, Ath, Namur, Charleroi, Limburg und Roermond. Die Einkünfte aus dem Verkauf der Grundstücke betrugen insgesamt 963.094 Gulden.168 Die höchsten Einnahmen wurden in Tournai mit 133.319 Gulden und in Charleroi mit 120.487 Gulden erzielt. In den ehemaligen Barrierefestungen erwies sich die Veräußerung des ehemaligen Militärgeländes als besonders einträglich. 380.648 Gulden oder 40 % des Gesamtertrages kamen aus dem Verkauf der Einrichtungen, die vormals von den Holländern besetzt waren.

164 « […] une machine […] pour raser et aplanir avec facilité les ouvrages des fortifications à démolir. » AGR, CF, N° 2981, Antrag von Henri Frans Vanderstadt und Jan Denis Brismaille an den Finanzrat, Gent, den 22. Juni 1782. 165 AGR, CF, N° 2981, Bericht von Generalmajor Devos an den Finanzrat, Brüssel, den 5. August 1782. 166 AGR, SEG, N° 785, Abschlussbericht von Hardy, Brüssel, den 27. April 1789. 167 AGR, SEG, N° 785, Antwortschreiben der Rechenkammer an den Allgemeinen Regierungsrat, Brüssel, den 14. September 1787. 168 AGR, SEG, N° 785, Ertrag aus dem Verkauf der Grundstücke in den befestigten Plätzen in den Niederlanden, aufgestellt von der Rechenkammer, 14. September 1787.

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Abriss und Verkauf der Festungen

Tabelle 2. Einnahmen aus dem Verkauf des Festungsgeländes in den vom ­Schleifungsbeschluss betroffenen Städten (1782–1787) Rang

Stadt

Einnahmen in Gulden 133.319

Anteil an den Gesamteinnahmen in % 13,8

1

Tournai

2

Charleroi

120.487

12,5

3

Ieper

84.172

8,7

4

Oudenaarde

80.870

8,4

5

Brüssel

69.250

7,2

6

Ostende

64.325

6,7

7

Menen

56.874

5,9

8

Gent

55.759

5,8

9

Mons

53.316

5,5

10

Damme

44.051

4,6

11

Kortrijk

42.690

4,4

12

Namur

39.761

4,1

13

Veurne

38.442

4,0

14

Dendermonde

28.079

2,9

15

Fort Knokke

14.041

1,5

16

Nieuwpoort

10.233

1,1

17

Limburg

9.712

1,0

18

Roermond

8.288

0,9

19

Außenforts Antwerpen

6.683

0,7

20

Ath

2.742

0,3

963.094

100,0

Summe Quelle   : AGR, SEG, N° 785

Aber diese Zahlen schienen nicht vollständig zu sein. Hardy erkundigte sich bei der Rechenkammer, warum er unter anderem keine Angaben zu den Städten Mechelen, Löwen, Lier, Brügge, Warneton und Zoutleeuw vorfand, wo es doch auch dort noch Überreste alter Verteidigungswerke gab.169 Die von der Rechenkammer gelieferten Zahlen stellten auch keinen Reinertrag dar, denn von den Einnahmen gingen, außer den üblichen Unkosten für die Vermessung und den Verkauf, vor allem die Ausgaben 169 AGR, SEG, N° 785, Anmerkung zu den verschiedenen Punkten, wo es der Aufklärung bedarf, um die Untersuchung des Sekretärs des allgemeinen Regierungsrats Hardy zu vervollständigen, o. D. [Oktober 1787].

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Von der Barriere zur Altlast

für die Schleifungsarbeiten ab. Bevor das Festungsterrain veräußert wurde, musste es auf Regierungskosten eingeebnet werden. Die Abrissarbeiten konnten die Staatskasse sehr teuer zu stehen kommen und nur zu einem geringen Teil durch den Verkauf der Baumaterialien ausgeglichen werden. In Mons zum Beispiel standen Ausgaben von knapp 25.000 Gulden Einnahmen von etwas mehr als 50.000 Gulden gegenüber, was den Gewinn für die Staatskasse glatt halbierte.170 Des Weiteren gelangte der Erlös, der aus der Aufgabe der Festungen resultierte, nicht ausschließlich in die Staatskasse. Die Befestigungsanlagen und Militärgebäude gehörten nicht alle dem Landesherrn. Stadtmauer, Türme, Tore, Zugbrücken, aber auch Wachhäuser und Unterkünfte waren oft städtisches Eigentum. Die Stadtmagistrate beanspruchten ihren Teil des Verkaufsertrages. Die Besitzverhältnisse waren nicht immer eindeutig. In der Vergangenheit, wenn Flächen für die Erweiterung der Festungen benötigt wurden, hatte das Militär mehrmals Gärten, Äcker und Weiden der Bürger requiriert, ohne den Besitzern eine Entschädigung zu zahlen. Die Auflassung der Festungen bot der Staatsmacht die Gelegenheit zur Wiedergutmachung. Die enteigneten Grundstücke wurden den Vorbesitzern zurückerstattet.171 Welche Ersparnisse dem Staat aus dem durch die Aufgabe der Festungen bedingten Personalabbau erwuchsen, war schwer zu ermitteln. Hier konnte Hardy nur Schätzwerte liefern.172 Sie basierten auf einer Lohntafel aus dem Jahre 1743. Jährlich wurden 208.947 Gulden für die Bezahlung der Stabsposten in den befestigten Plätzen der Niederlande ausgegeben. Nach 1781 wurden im Prinzip nur die Stäbe der Festungen Antwerpen und Luxemburg beibehalten. Alle andere Stellen wurden gestrichen. Dies machte eine Einsparung von 162.971 Gulden aus. Da fast die Hälfte der Bezüge von den Provinzen und den Stadtgemeinden getragen wurden, belief sich die Summe, welche die Kriegskasse einsparte, nur auf 88.314 Gulden. In Wirklichkeit wurden die Gehälter aber weiterhin an die früheren Inhaber der Militärämter ausbezahlt. Um ein Aufbegehren des Offizierkorps zu vermeiden, die ihre Existenzgrundlage durch die Schleifung der Festungen verlor, gewährte der Herrscher eine Weiterzahlung der Löhne auf Lebenszeit. Erst nach dem Tod des Inhabers verfiel die Charge. Joseph II. hatte gehofft, den niederländischen Staatshaushalt durch die Entmili­ tarisierungsmaßnahme zu entlasten und ihm neue Einnahmen zu verschaffen. Er 170 Corentin ROUSMAN, Les fortifications […], op., cit., S. 361. (Die Magisterarbeit wird demnächst in den Annales du Cercle archéologique de Mons veröffentlicht werden.) 171 AGR, SEG, N° 785, Antwortschreiben der Rechenkammer an den Allgemeinen Regierungsrat, Brüssel, den 14. September 1787. 172 AGR, SEG, N° 785, Bericht von Hardy über die Abschaffung der Stäbe in den Festungen mit Ausnahme derer von Luxemburg und Antwerpen, Brüssel, den 27. April 1789.

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Abriss und Verkauf der Festungen

sollte recht behalten. Unter dem Strich war die finanzielle Bilanz der Operation positiv. Der Immobilienverkauf brachte fast 1 Million Gulden ein, auch wenn der Abriss der Verteidigungsanlagen wahrscheinlich wieder die Hälfte dieser Summe verschlang. Langfristig ergaben sich weitere Einsparmöglichkeiten durch den Wegfall der Unterhalts- sowie Personalkosten. Finanzpolitisch erwiesen die Schleifungen sich als geschickter Griff. Die Entmilitarisierung der niederländischen Städte blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Festungswesen der Gesamtmonarchie. Die Niederlande hatten in gewisser Hinsicht als Experimentierfeld gedient für eine Maßnahme, die später auf die anderen habsburgischen Länder übertragen wurde. Feldmarschall Carl Pellegrini, der 1780 nach dem Tod Karls von Lothringen die Stelle des General-Genie-Direktors übernahm, verlieh dem Fortifikationswesen eine neue Organisationsform. Die einzelnen Festungen rangierten nicht mehr gleichwertig nebeneinander, sondern wurden hinsichtlich ihrer strategischen Bedeutung, ihres Erhaltungszustandes sowie möglicher Verbesserungen in drei Klassen aufgegliedert.173 Am 19. Januar 1782 erließ Joseph II. eine Verordnung, die für jedes Teilgebiet der Monarchie festlegte, welche Orte in Zukunft als Festungen zu betrachten waren.174 Übrig blieben 27 Festungen  : In Niederösterreich, im Land oberhalb und unterhalb der Emms, waren es Wien und Braunau, in Ober- und Vorderösterreich sowie Tirol wurde nur Kufstein zurückbehalten, in Böhmen Prag, Eger, Königgrätz, Pless und Theresienstadt, in Mähren Brünn und Olmütz, in Ungarn, in Slavonien und im Banat Ofen, Munkatsch, Arad, Temesvar, Essegg, Brod, Gradiska, Peterwardein und Karlstadt, in Siebenbürgen Karlsburg und Deva, in Galizien Brody und Sandez, in Italien Mantua und Mailand sowie in den Niederlanden Antwerpen und Luxemburg. In den ausgesonderten Plätzen traten die Rayonsbestimmungen außer Kraft, jeder konnte bauen, wo er wollte  ; die Festungswerke wurden zum Verkauf angeboten und die Platzchargen abgeschafft. Aus Kostengründen lag es im Interesse der Habsburgermonarchie, die Zahl der Festungen zu reduzieren und die Kräfte zu bündeln. Ob die Entscheidung Josephs II. auch von einem militärischen Standpunkt aus zutreffend war, bleibt fraglich. Mit Ausbruch der Brabanter Revolution, dann der Französischen Revolution, in einer veränderten internationalen Situation erwies sich die Vision eines „offenen Landes“ ohne Waffenplätze als zu kurzsichtig. Das Fehlen von befestigten Stützpunkten, in denen Armee und Verwaltung hätten Zuflucht finden können, mag eine Erklärung sein für die Schnelligkeit, mit der 1789 das österreichische Regime in den Niederlan173 Robert RILL, Das Festungswesen im Habsburgerreich […], op., cit., S. 39. 174 KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. XII, N° 240, Verordnung, Wien, den 19. Januar 1782.

93

Von der Barriere zur Altlast

den zusammenbrach und die Aufständischen die Macht übernahmen. Anfang 1792, als das Verhältnis zum revolutionären Frankreich sich zusehends verschlechterte, begann man fieberhaft an der Befestigung von Namur, Mons, Tournai, Gent und Kortrijk zu arbeiten, in dem verzweifelten Versuch, das wieder herzustellen, was man kurze Zeit vorher abgerissen hatte.175

2.8 Zus a m m e n fa s s u ng Die Niederlande zeichneten sich zu Beginn der österreichischen Herrschaft durch ihre extrem hohe Dichte an Festungsanlagen aus. Die 1725 von Interimsgouverneur Wirich von Daun unternommene Bestandsaufnahme ergab eine Zahl von 37 Standorten, denen eine militärische Funktion zukam. Viele der aufgeführten Waffenplätze waren veraltet oder in einem schlechten Zustand. Ihre Instandsetzung und Aufrüstung hätte die österreichische Regierung über 2 Millionen Gulden gekostet. Diesen Betrag konnte der niederländische Staatshaushalt weder 1725 noch in den folgenden Jahren aufbringen. Dennoch war man sich der strategischen Notwendigkeit des Festungsnetzwerkes in einem von häufigen Konflikten geprägten, internationalen Kontext bewusst. Deshalb suchten die Verantwortlichen nach Lösungen, das Verteidigungssystem sowohl finanziell als auch verwaltungsorganisatorisch in den Griff zu bekommen. Eine Hauptschwierigkeit bestand darin, dass es keinen festen Etat für den Festungsbau gab. Die von den Landständen bewilligten Steuern waren für den Unterhalt des Heeres bestimmt, aus den Einnahmen von Domäne und Zoll sollten dagegen die zivilen Ausgaben bestritten werden. Wenn die Brüsseler Regierung entschied, Geld für den Festungsbau zur Verfügung zu stellen, fehlten diese Mittel bei der Heeresversorgung oder bei der Besoldung der Staatsdiener. Erschwerend kam hinzu, dass keine Behörde den Überblick über Einnahmen und Ausgaben besaß und die Haushaltsplanung nur auf groben Schätzungen beruhte. Die Investitionsentscheidungen wirken dementsprechend planlos und unausgeglichen. So wurden hier und dort immer wieder Arbeiten in Angriff genommen, doch schon bald unterbrochen, wenn der Geldfluss versiegte. Die Sanierungsmaßnahmen an den Festungen blieben Flickwerk. Trotz der anhaltenden Finanzierungsschwierigkeiten konnte 1732 mit der Errichtung eines Ingenieurskorps ein wichtiger Fortschritt erzielt werden, der auch weg175 AGR, CGC, N° 36, Sitzungsbericht des allgemeinen Zivilkommissariats (Commissariat général civil), 20. Februar 1792  ; AGR, CGC, N° 290, Befestigungsarbeiten Oktober 1791–Oktober 1792.

94

Zusammenfassung

weisend für die anderen Länder der Habsburgermonarchie war. Vorher hingen die Militäringenieure von verschiedenen Truppeneinheiten ab. Sie erhielten ihre Befehle von den Kommandanten der Festungen, an denen sie arbeiteten. Es fehlte an einer zentralen Leitung des Festungswesens. Die Gründung eines eigenständigen Korps klärte die Rangordnung, regelte die Befehlskette und ermöglichte vor allem eine zentral gelenkte Planung der Bauarbeiten. Der Unterhalt des Festungsgürtels konnte nun von Brüssel bzw. Wien aus nach übergeordneten Gesichtspunkten koordiniert werden. Durch die neue Organisationsform gewann die Laufbahn des Militäringenieurs an Attraktivität und zog vermehrt Fachleute an. War das niederländische Fortifikationswesen vor 1740 von finanziellen Engpässen und organisatorischen Missständen geprägt gewesen, so entspannte sich die Situation zusehends im Laufe der zweiten Jahrhunderthälfte. Dies lässt sich einerseits auf die Verbesserung der allgemeinen Haushaltslage zurückführen  : Auf der Ausgabenseite fielen die Barrieresubsidien weg, während das Wirtschaftswachstum dem Staat erhöhte Einnahmen bescherte. Anderseits trugen aber auch Reformen in der Verwaltungsstruktur zu einer besseren Organisation des Fortifikationswesens bei. Der Finanzrat übernahm die Wirtschaftsführung im Festungswesen, war zuständig für die Mittelbeschaffung und sorgte für die Finanzierung. Die technische Ausführung der Arbeiten blieb in den Händen der Armee, auch die Aufstellung der Prioritäten. Der Leiter des Ingenieurskorps wurde Mitglied des Finanzrates, und so konnten die Bedürfnisse der Militärführung hinsichtlich des Festungsbaus mit den finanziellen Möglichkeiten des Staates abgestimmt werden. 1770, mit der Einrichtung eines festen Fortifikationsfonds, der jedes Jahr mit 80.000 Gulden dotiert wurde, schuf die Regierung eine vollständige Planungssicherheit. Mindestens seit Ende des Siebenjährigen Krieges versuchte die österreichische Verwaltung, die Ausgaben für den Festungsbau in den Niederlanden zu begrenzen. Die Einführung eines Budgetlimits ab 1770 stellt folglich auch eine einschneidende Sparmaßnahme dar. Mit einer Ausstattung von 80.000 Gulden – insbesondere wenn man diese Summe mit den Ausgaben in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vergleicht – war eine Modernisierung, geschweige denn ein Ausbau des bestehenden Verteidigungssystems undenkbar. Eine Analyse der ausgeführten Bauprojekte ergibt dann auch, dass die Geldmittel vor allem dazu benutzt wurden, Infrastrukturbauten zur Unterbringung und Versorgung der Soldaten wie Kasernen, Militärhospitäler, Magazine oder Brunnen zu finanzieren. Die Entwicklung der Ausgabenposten spiegelt den Wandel in der Bewertung des militärischen Nutzens von Festungen wider. Nicht defensive, sondern logistische Erwägungen sprachen für die Aufrechterhaltung der meisten niederländischen Waffenplätze. Ursprünglich erbaut als Verteidigungs95

Von der Barriere zur Altlast

anlagen, wurde die Mehrzahl der Festungen fast nur noch als Logistikzentren für das Heer genutzt. Der Sparkurs der Regierung führte zu einer Verringerung der militärischen Standorte im Laufe des 18. Jahrhunderts. Von 37 befestigten Anlagen am Anfang der österreichischen Herrschaft blieben um 1770 nur 17 Stützpunkte übrig. Doch auch diese wurden nicht alle gleichermaßen instand gehalten. Geldmangel zwang die Regierung, Prioritäten festzulegen und die Investitionen auf die strategisch am wichtigsten scheinenden Festungen zu konzentrieren. In den ersten Herrschaftsjahren Karls VI. waren es die Küstenstädte Ostende und Nieuwpoort, dann, in den späten 1720er und frühen 1730er-Jahren, war es die Festung Luxemburg, auf die sich alle Anstrengungen richteten. Nach 1748 galt das Augenmerk für kurze Zeit der Grenzfestung Mons, bevor Antwerpen wieder den Vorzug bei der Zuwendung der Mittel bekam. So war der bauliche Zustand der Festungen sehr unterschiedlich. In den Städten, in denen der Unterhalt ausblieb, verfielen die Wallmauern und Verteidigungswerke mit der Zeit. Geht man davon aus, dass eine Kette nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied, stellt sich die Frage, welchen militärischen Wert das niederländische Festungsnetzwerk am Ende des Ancien Régime noch besaß. Von der einstigen „Barriere“ war nicht mehr viel übrig geblieben. Joseph II. zog nach eingehender Besichtigung die Konsequenzen. Außer Antwerpen und Luxemburg wurden alle anderen niederländischen Städte entmilitarisiert. Der Verkauf der Grundstücke auf dem Festungsgelände erwies sich als einträgliche Operation für die Staatskasse. Politisch war die Maßnahme nicht minder interessant, denn sie bewirkte den Abzug der holländischen Garnisonstruppen. Joseph II. hatte nun freie Hand, um das nächste große außenpolitische Ziel anzugehen  : die Öffnung der Schelde. Ob die Schleifung der Festungen sich auch militärisch bezahlt machte, bleibt dagegen fraglich. Von den Revolutionskriegen in den Niederlanden hat die Nachwelt vor allem die Namen der großen Feldschlachten – Jemappes, Neerwinden, Fleurus – in Erinnerung behalten. Belagerungen spielten kaum eine Rolle, außer beim österreichischen Vorstoß ins französische Territorium, wo Städte wie Lille und Valenciennes hinter schützenden Mauern lagen. Der Kontrast zu den Belagerungskriegen Ludwigs XIV. hundert Jahre zuvor könnte nicht größer sein. Dazwischen liegt ein Wechsel von einem Standbein der Verteidigung auf ein anderes, nämlich von den Festungen auf das Heer.

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Kapitel 3

Zwischen Ist und Soll Das stehende Heer in den Österreichischen Niederlanden

„Von allen Ländern, die das erlauchte Haus Österreich besitzt, sind es die Niederlande, die Frankreich zweifellos am meisten ausgesetzt sind. Ihre unmittelbare Nähe zu diesem feindlichen Königreich und ihre Ferne zu den anderen Erblanden in Deutschland, ihre eigene innere Schwächung und der Niedergang der befestigten Plätze, die eine Barriere bildeten, sollten doch, indem sie die Gefahr erhöhen, auch zu einer Verdopplung der Sicherheitsanstrengungen führen, dies in Anbetracht der Tatsache, dass die Erhaltung der Niederlande wichtig ist, sowohl um das Machtverhältnis Seiner Majestät der Kaiserin gegenüber den Machtzuwächsen Frankreichs zu bewahren, als auch um sich einer ständigen Allianz mit den Seemächten zu versichern, in deren eigenem Interesse es liegt, an der Verteidigung der Niederlande mitzuwirken.“1 Mit diesen Worten resümiert eine unmittelbar nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg verfasste Denkschrift die Bedeutung der Niederlande im internationalen Kräftespiel. Angesichts ihrer geografischen Lage waren sie das Bindeglied im Bündnis zwischen Österreich und den Seemächten und dank ihres Bevölkerungsreichtums und ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit trugen sie zur Machtentfaltung der Habsburgermonarchie bei. Ein Verlust würde unweigerlich eine Kräfteverschiebung zugunsten Frankreichs bewirken, so wie das verloren gegangene Schlesien Preußen gestärkt und Österreich geschwächt hat. Der unbekannte Verfasser, der vermutlich aus dem Umfeld der Militärreformkommission stammte, die 1748 in Wien unter dem Vorsitz von Karl von Lothringen

1 « De tous les Etats que possède l’auguste maison d’Autriche, les plus exposés contre la France sont sans contredit les Païs-Bas. Leur proximité immédiate de ce royaume ennemi et leur éloignement des autres Etats héréditaires en Allemagne, leur propre affoiblissement intérieur et la ruine des places qui en formoient les barrières, semblent en y augmentant le danger devoir y faire redoubler également les précautions et les mesures, vu la grande importance de leur conservation tant pour maintenir le degré de puissance de S.M. l’Impératrice contre les accroissemens de celle de la France que pour s’assurer une alliance permanente avec les Puissances Maritimes engagées par leurs propres intérêts de concourir à leur défense. » KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. VIII, N°492, « Note sur l’idée concernant le pied et l’entetien des trouppes en tems de paix aux Païs-Bas », o.D. [um 1748].

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Zwischen Ist und Soll

zusammentrat, nennt auch die Bedingung für die Erhaltung der habsburgischen Besitzungen an der Nordsee. Österreich müsse in seinen niederländischen Provinzen eine starke Armeepräsenz aufrechterhalten, die in der Lage wäre, äußere Feinde abzuschrecken. „Diese Gebiete, die sozusagen nach allen Seiten ungedeckt sind, laufen Gefahr, bald überfallen zu werden, wenn man nicht zu ihrer Sicherheit eine Anzahl an Truppen schickt, welche die Handstreiche und die ersten Ansätze der Unternehmungen Frankreichs verhindern können.“2 Neben dem Festungssystem gründete die Verteidigung der Niederlande auf der ständigen Anwesenheit eines nicht unbeträchtlichen Heeresverbandes. Wie groß dieses Militäraufgebot sein sollte, war jedoch nicht dem Gutdünken Wiens überlassen. Noch bevor Karl VI. seine Herrschaft in den Niederlanden antreten konnte, war das österreichische Truppenkontingent in einem internationalen Abkommen festgelegt worden. Der 1715 abgeschlossene Barrierevertrag bestimmte die militärischen Verpflichtungen des neuen Besitzers. Es war ein zentrales Anliegen Großbritanniens und Hollands, dass die südlichen Niederlande nicht in französische Hand gerieten und im habsburgischen Herrschaftsverbund verblieben. Deshalb übergaben die Seemächte die Niederlande erst an Karl VI., nachdem sie die nötigen Garantien für deren militärische Sicherheit bekommen hatten. Artikel drei des Barrierevertrags schrieb Österreich vor, in Friedenszeiten ein Armeekorps von mindestens 18.000 bis 21.000 Mann zu unterhalten. Bei drohender Kriegsgefahr wäre diese Streitmacht dann um weitere 3.000 Mann aufzustocken. Das österreichische Aufgebot wurde verstärkt durch die holländischen Garnisonen der Barrierefestungen, die laut Vertrag 12.000 bis 14.000 Mann beziehungsweise in Krisenzeiten 16.000 Mann ausmachen sollten. Die beiden Verbündeten Österreichs, Großbritannien und Holland, erachteten diese Heeresstärke als angemessen für eine Abwehr der militärischen Bedrohung seitens Frankreichs. Doch war die Habsburgermonarchie in der Lage, ein solches Heer in ihren neu gewonnenen niederländischen Provinzen aufzubringen  ? Inwieweit stimmte die tatsächlich von Österreich unterhaltene Truppenzahl mit den vertraglichen Vereinbarungen überein  ? Im Folgenden soll der tatsächliche Personalumfang des in den Niederlanden stationierten Heeres untersucht werden. Dabei müssen vor allem die in der belgischen Geschichtsschreibung kursierenden Zahlenangaben kritisch hinterfragt werden, denn sie gehen nahezu einhellig von einer Gleichsetzung von Soll- und Iststärken der 2 « Cependant ces Païs étant ouverts pour ainsi dire de toutes parts risqueroient d’être bientöt envahis si on ne pourvoyoit à leur sûreté par une quantité de trouppes capable d’arrêter les coups de main et les premiers efforts des entreprises que la France sera à même d’y tenter. » Ibidem.

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Regimenter aus.3 Dies ist jedoch eine falsche Grundannahme, die von der neueren internationalen Forschung in vielen Fällen widerlegt wurde.4 In der Realität gab es einen sehr großen Unterschied zwischen der in den militärischen Verordnungen vorgeschriebenen Personalbesetzung und dem effektiven Bestand der Armeeeinheiten. Über die tatsächliche Heeresstärke können uns Kompanierollen sowie Zählungen und Übersichtstafeln der Militärverwaltung Aufschluss geben. Leider sind nur sehr wenige Dokumente dieser Art überliefert und sie ergeben keine durchgehende Serie. Trotzdem soll der Versuch unternommen werden, mit dem vorhandenen Quellenmaterial eine Entwicklung der Truppenzahlen in den Niederlanden nachzuzeichnen. Ein besonderes Augenmerk gilt zwei Faktoren, die eine direkte Auswirkung auf die Mannschaftsstärke hatten  : die Rekrutierung und die Desertion. Sowohl die Heeresergänzung als auch die Bekämpfung der Fahnenflucht waren Fragen von großer Bedeutung für den frühneuzeitlichen Staat. Deshalb können sie als Gradmesser für die Effizienz der Verwaltungstätigkeit des Regimes dienen. Doch zunächst ist es wichtig zu klären, worin die österreichische Militärpräsenz in den Niederlanden bestand.

3.1 Da s H e e r n ac h de m H e r r s c h a f t s w e c h s e l  : n at ion a l e u n d deu t s c h e R e g i m e n t e r Sobald der Barrierevertrag von allen Parteien ratifiziert worden war, zogen kaiserliche Regimenter im Februar 1716 in Brabant, Flandern und Hennegau ein, um das Land und seine Städte in Besitz zu nehmen.5 Mit der Herrschaft in den Niederlanden übernahm der neue Landesherr auch die dort schon bestehenden, noch aus dem Spanischen Erbfolgekrieg stammenden Truppenverbände. Nach dem Sieg von Ramillies 1706 hatten die Alliierten begonnen, einheimische Soldaten auszuheben und sogenannte Nationalre-

3 Dies ist der Fall u. a. bei Herman COPPENS, De financiën van de centrale regering […], op., cit., S. 248–254, und Étienne ROOMS, Corps de l’infanterie (première moitié du XVIe siècle–1794), in  : Les institutions du gouvernement central des Pays-Bas habsbourgeois (1482–1795), Bd. 2, Bruxelles 1995, S. 825–838, aber auch bei Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 22–23. 4 Beispielhaft für den kritischen Umgang mit Truppenzahlen ist die Studie von John A. LYNN, Giant of the Grand Siècle. The French Army, 1610–1715, Cambridge 1997, S. 32–64. Siehe auch Stefan KROLL, Soldaten im 18. Jahrhundert zwischen Friedensalltag und Kriegserfahrung. Lebenswelten und Kultur in der kursächsischen Armee 1728–1796, Paderborn 2006, S. 70–71, und Ralf PRÖVE, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft […], op., cit., S. 77–81. 5 Louis-Prosper GACHARD, Histoire de la Belgique […], op., cit., S. 407–408.

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gimenter zu bilden.6 Bei der Übergabe fanden die Österreicher sieben Infanterie-, zwei Dragonerregimenter und ein Kürassierregiment vor. Diese traten nun in kaiserlichen Dienst. Die niederländischen Einheiten unterschieden sich von den „deutschen“ bezie­ hungs­weise erbländischen in ihrer Mannschaftsstärke, Besoldung und Organisationsform. Ein deutsches kaiserliches Regiment zu Fuß war in 15 Füsilierkompanien und zwei Grenadierkompanien eingeteilt und hatte eine Sollstärke von 2300 Mann.7 Anfang der 1720er-Jahre, infolge der Armeereduktion, wurden 2000 Mann als Normalstand angesehen.8 Ein deutsches Kavallerieregiment zählte 1068 Reiter, die in Schwadronen untergliedert waren. Die Wallonenregimenter hatten dagegen einen viel geringeren Personalumfang. Ein nationales Infanterieregiment bestand aus 13 Kompanien, die insgesamt 858 Mann ausmachen sollten.9 Die berittenen Einheiten waren noch schwächer besetzt. Das schwere Reiterregiment Westerloo war auf dem Papier 549 Mann stark, und die Zahl der Dragoner in den beiden leichten Kavallerieregimenter betrug gar nur jeweils 348 Mann.10 Die Nationalregimenter, die nach dem Vorbild der spanischen Armee gegründet worden waren, hingen von der „Contadorie“, einem Überbleibsel aus der spanischen Herrschaftszeit, ab.11 Die kaiserlichen Regimenter unterstanden dagegen dem deutschen Kriegskommissariat. In Erstere bewarb man sich für ein, zwei, drei, vier oder sechs Jahre. In Letzteren wurden die Soldaten auf Lebenszeit dienstverpflichtet. War der Militärdienst zeitlich befristet, ließen sich Freiwillige leichter anwerben, doch, wie Interimsgouverneur Daun bemerkte, „wenn man glaubt, einen fertigen Soldaten zu haben, findet man im Regiment nur   6 Die Nationalregimenter („régiments nationaux“) wurden auch Wallonenregimenter („régiments wallons“) genannt, obwohl die Soldaten aus allen Provinzen der Niederlande kamen, nicht nur aus dem wallonischen Teil. Um in ein Nationalregiment aufgenommen zu werden, musste man im Prinzip in den Niederlanden geboren sein. Dies war jedoch keine Bedingung sine qua non. Zeitweise lag der Ausländeranteil in den Nationalregimentern über 25 %. Siehe Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 34.   7 Alphons WREDE, Geschichte der K. und K. Wehrmacht. Die Regimenter, Corps, Branchen und Anstalten von 1618 bis Ende des XIX. Jahrhunderts, Bd. 1, Wien 1898, S. 39.   8 Diese Zahlenangaben beinhalten die „Prima Plana“, d.h. die Hauptleute, die Leutnants, die Fähnriche und die Fouriere. Die Stabsoffiziere sind aber nicht miteinberechnet.   9 KA, AFA, 1722, N° 385, « Etat de la force des hommes d’un régiment infanterie nationale. » 10 KA, AFA, 1722, N° 385, « Etat de la force des hommes d’un régiment cavalerie nationale de Westerloo »  ; KA, AFA, 1722, N° 385, « Etat de la force des hommes d’un régiment national dragons. » 11 Zusammen mit der „Pagaduría“ bildete die „Contaduría“ das Zahlamt der spanischen Truppen in den Niederlanden. Die „Pagaduría“ zahlte den Sold aus, während die „Contaduría“ sich um die Buchführung kümmerte. Vgl. Étienne ROOMS, Contadorie – Pagadorie (1567–1735 – 1567-vers 1670), dans Les institutions […], op., cit., S. 867–877. Siehe auch Kapitel 4.

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einen Rekruten vor“.12 Kaum waren die geworbenen Männer ausgebildet, kehrten sie ins zivile Leben zurück. Es waren aber die altgedienten, erfahrenen und im Idealfall kampferprobten Soldaten, welche die Schlagkraft eines Regiments ausmachten. Obwohl die niederländischen Nationalregimenter den kaiserlichen Regimentern sowohl qualitativ als auch zahlenmäßig unterlegen waren, kam ihr Unterhalt das Ärar teurer zu stehen.13 Ursache war die Besoldung, die auf einer anderen als der kaiserlichen Ordnung fußte. Nach Aussage des Oberbefehlshabers in den Niederlanden, Feldmarschall von Vehlen, verschlang allein das Kavallerieregiment Westerloo, das in Wirklichkeit kaum 400 Mann stark war, 196.000 Gulden im Jahr an Sold. Somit kostete es angeblich mehr als Prinz Eugens eigenes Reiterregiment von Savoyen, das 1080 Köpfe zählte.14 Im Gegensatz zu den Gebräuchen in der österreichischen Armee wurden die Nationalregimenter nicht nach ihrem tatsächlichen Personalbestand, sondern nach ihrer Sollstärke bezahlt. Während alle anderen kaiserlichen Truppen monatliche Personallisten an das Kriegskommissariat schickten, wurden die niederländischen Einheiten nur einmal im Jahr, in den Monaten April oder Mai, gemustert. Bei dieser Gelegenheit versuchten die Offiziere natürlich, möglichst vollständige Kompanien aufzubieten. Die Inhaber schreckten aber nicht davor zurück, sogenannte „blinde Köpfe“ aufzubieten. Den Dienstboten der Offiziere und den Soldatenkindern zog man rasch eine Uniform über und drückte ihnen ein Gewehr in die Hand. Wenn die Musterung vorbei war, wurden diese Lückenfüller wieder entlassen und die Regimentskasse strich das ganze Jahr über den vollen Sold ein.15 12 « […] étant de fait que les soldats pour la plupart n’étant engagés qu’à terme, à savoir pour 1, 2, 3, 4 et 6 ans, il s’ensuit le préjudice considérable à son service que Votre Majesté ne saura jamais compter sur son monde, et lorsque l’on croit d’avoir un bon soldat fait, on ne trouve au régiment qu’une recrue […]. » Bericht von Feldmarschall von Daun an den Kaiser, Brüssel, den 4. Mai 1725, zitiert in Gustave-HenriLouis GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux […], op., cit., S. 389–390. 13 „ […] und belauffet sich die jedes mahl complete Bezahlung dieser National-Regimenter viel höher als fünf kaÿs. teutsche Regimenter zu Fuß, da doch eine große Differenz zwischen der Anzahl und der rechtschaffenen Dienstleistung ����������������������������������������������������������������� [���������������������������������������������������������������� …��������������������������������������������������������������� ].������������������������������������������������������������� “ KA, AFA, 1720/1721, N° 381, Bericht von Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 2. Juli 1720. 14 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 17. Februar 1722. 15 « […] il se trouve premièrement que ces régiments sont toujours payés sur l’état complet et ne le sont jamais ni en monde ni en chevaux. Aussi, parmi les effectifs (sans compter les mineurs et les enfants qui ont des places) il se trouve beaucoup d’hommes et de chevaux qui ne sont engagés que pour peu de tems, à savoir la revue s’approchant qui d’ailleurs ne se fait qu’une fois par an, au mois de mai, et c’est pour faire paraître les compagnies plus fortes  ; en sorte que Votre Majesté en paye l’import pour toute l’année fort indûment. » Bericht von Feldmarschall von Daun an den Kaiser, Brüssel, den 4. Mai 1725, zitiert in Gustave-Henri-Louis GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux[…] op. cit. , S. 389. Siehe auch KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 21. Juli 1722.

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Unter diesen Umständen konnte das vom Kriegskommissariat und der Contadorie erhobene Zahlenmaterial nur einen begrenzten und teilweise sogar verfälschten Eindruck von der in den Niederlanden tatsächlich vorhanden Truppenstärke vermitteln. Aus der von Oberkriegskommissär Franz von Gruber 1722 verfassten summarischen Tabelle ergibt sich, dass der diensttaugliche Stand der fünf deutschen Regimenter Königsegg, Bonneval, Württemberg, Deutschmeister und Baden zusammen 7.345 Mann betrug.16 Er wich also um 2.655 Mann (oder 26,5 %) von dem Sollwert ab. Die beiden deutschen Kavallerieregimenter Savoyen und Vehlen zählten 1.971 Reiter und 806 Pferde.17 Es fehlten nur 165 Mann (7,7 %), aber 1.330 Reittiere (62,2 %) zur Vollständigkeit. Die geringe Pferdestärke kann durchaus als normal angesehen werden. Wegen den hohen Anschaffungs- und Futterkosten waren in Friedenszeiten meist nur die Hälfte der Reiter beritten.18 Aus Spargründen hatte die Regierung mehrmals beschlossen, Tiere zu verkaufen und die Zahl der Pferde pro Kompanie zu reduzieren, dies trotz wiederholter Klagen der Regimentskommandanten, die um die Einsatzfähigkeit ihrer Einheiten fürchteten.19 Im Jahr 1722 beschwerte sich Oberst Ludwig Andreas Graf von Khevenhüller in einem Brief an Prinz Eugen, dem Inhaber seines Regiments, dass die dem Regiment verbliebenen Tiere schon alt seien und mit ihnen kein Krieg zu gewinnen sei. Er forderte wenigstens zweihundert neue Pferde.20 Doch zwei Jahre später sprach man noch immer über die unbedingt notwendige Remontierung, denn nichts hatte sich getan, und „von allen Pferden sind sicherlich keine hundert, die etwas taugen, denn die Jungen sind an der ungarischen Krankheit verreckt, nur die Alten und Schlechten sind geblieben“.21 Im Juni 1722 legte auch die Kontadorie die Musterungsergebnisse für die Nationalregimenter vor.22 Die sieben Infanterieregimenter kamen auf eine Gesamtstärke von 5.404 Mann, Offiziere nicht eingerechnet. 687 Stellen waren vakant (11,2 %). 16 KA, AFA, 1722, Summarische Tabelle über die in den österreichischen Niederlanden stehenden kaiserlichen fünf Infanterie- und zwei Dragonerregimenter. 17 Ibidem. 18 Georg ORTENBURG, Waffe und Waffengebrauch im Zeitalter der Kabinettskriege, Koblenz 1986, S. 110. 19 KA, AFA, 1722, N° 385, Brief von Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 4. September 1722. 20 KA, AFA, 1722, N° 385, Brief von Khevenhüller an Prinz Eugen, Kortrijk, den 26. November 1722. 21 « Pour la remonte on en parle toujours depuis deux années et il seroit fort nécessaire puisque de tous nos chevaux il n’y at asseurément pas cent qui vaillent quelque chose car la pluspart de nos jeunes chevaux sont crevés de la maladie d’Hongrie et les vieux et mauvais sont restés. » KA, AFA, 1724, N° 392, Brief von Khevenhüller an Prinz Eugen, Kortrijk, den 21. August 1724. 22 KA, AFA, 1722, N° 385, « Abrégé des reveues faites le 27e de maÿ 1722 aux régiments nationnaux tant de cavallerie que dragons et infanterie ».

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Mit 1068 Reitern und 1064 Pferden waren die drei Kavallerieregimenter nahezu komplett. Sie brauchten nur zwei Kürassiere und 16 Dragoner (1,6 %). Die Differenz zwischen Ist- und Sollstand war dem Anschein nach beeindruckend gering. Doch die Militärführung schenkte diesen Zahlenangaben wenig Glauben. Nach der Einschätzung Grubers existierte wenigstens ein Viertel der Nationalregimenter nur auf dem Papier.23 Auch von Vehlen warnte Prinz Eugen, dass er zwar die Musterrolle seinem Schreiben beilege, „sie ist aber stilo ordinario eingerichtet und wenig darauf zu bauen, so lang diese Regimenter nach ihren bisherigen Fuß nur einmahl im Jahr sich complet stellen müßen, dann obschon ein oder ander complet oder starck beÿ der Musterung erschienen, so werden viele jedoch hernächst Mann auch Pferden dimittiren und das gantze Jahr durch abgehen laßen“.24 Seiner Meinung nach müsste man bei jedem Regiment 150 Mann abziehen, um eine annähernde Vorstellung von den tatsächlichen Verhältnissen zu bekommen.25 Die Unzuverlässigkeit der Zählung war demnach hinlänglich bekannt. Dennoch sind es die einzig verfügbaren Angaben. Gemäß den Berechnungen des Kriegskommissariats und der Kontadorie standen 1722 in den Niederlanden 15.788 Soldaten unter Waffen. Die Kontadorie hatte jedoch bei den Nationalregimentern nur die Gemeinen, nicht aber die Offiziere, die Spielleute und die Kompanieschreiber gezählt.26 Rechnet man diese komplett dazu, kommt man auf eine Gesamtstärke von 16.948 Mann.27 Die tatsächliche Heeresaufbringung lag demnach um 5,8 % unter der Mindesttruppenzahl von 18.000 Mann, die das Barriereabkommen forderte. Auf dem Papier erfüllte Österreich dennoch die Vorgaben des Vertrages, denn bei voller Sollstärke ergaben die 17 in den Niederlanden stationierten Regimenter 19.387 23 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Oberkriegskommissar Gruber an Prinz Eugen, Brüssel, den 10. Februar 1722. 24 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 26. Juni 1722. 25 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 21. April 1722. 26 « […] sans ÿ comprendre les premieres planes […]. » KA, AFA, 1722, N° 385, « Abrégé des reveues faites le 27e de maÿ 1722 aux régiments nationnaux tant de cavallerie que dragons et infanterie ». 27 Zur Vervollständigung wurden folgende Dokumente benutzt  : KA, AFA, 1722, N° 385, « Etat de la force des hommes d’un régiment infanterie nationale sur le pied qu’il est payé présentement », « Etat de la force du régiment cavallerie nationale de Westerloo sur le pied qu’il est payé présentement » und « Etat de la force d’un régiment national dragons sur le pied qu’il est payé présentement ». Ein ������������ nationales Infanterieregiment zählte außer 715 gemeinen Soldaten noch 13 Hauptmänner, 13 Lieutnants, 13 Fähnriche, 26 Feldwebel, 26 Trommler, 13 Schreiber und 39 Diener. Das schwere Kavallerieregiment bestand zusätzlich zu den 486 Reitern aus neun Hauptmännern, neun Lieutnants, neun Kornetten, neun Quartiermeistern, 18 Trompetern und neun Schreibern. Bei den Dragonerregimentern muss man zu den 300 Dragonern sechs Hauptmänner, sechs Lieutnants, sechs Fähnriche, zwölf Feldwebel, zwölf Trommler und sechs Schreiber dazurechnen.

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Mann. Doch Ist- und Sollstand drifteten weiter auseinander. Die Abgänge nahmen zu. 1725 meldete Interimsgouverneur Daun nach Wien, dass die fünf kaiserlichen Infanterieregimenter aus 6.811 Mann bestanden und die beiden Dragonerregimenter aus 1.834 Reitern und 635 Pferden. Die sieben nationalen Regimenter zu Fuß wiesen bei der letzten Musterung 4.470 Mann auf und die drei Kavallerieregimenter 1.177 Mann sowie 359 Pferde.28 Die Streitkräfte waren auf 14.292 Soldaten geschrumpft und lagen nun fast 20 % unter ihrem Sollwert. Ein Fünftel aller Stellen war vakant. In der Praxis kam die Habsburgermonarchie ihrer internationalen Verpflichtung, eine Armee von 18.000 Mann in den Niederlanden zu unterhalten, nicht nach.

3.2 D i e r äu m l ic h e Ve r t e i lu ng de r Tru ppe n Die vielen Festungsplätze und wichtigen Städte hätten eigentlich eine größere Streitmacht zu ihrer Verteidigung erfordert. Die wenigen vorhandenen Truppen mussten auf eine Vielzahl von Standorten verteilt werden. Es galt, das gesamte Gebiet abzudecken. Folgende Tabelle macht die räumliche Verteilung der Regimenter ersichtlich  : Tabelle 3. Dislozierung der Truppen in den Österreichischen Niederlanden im Jahr 1722 Standort Brüssel

Antwerpen Zoutleeuw Luxemburg

Einheiten Provinz Brabant 3 Bataillone Infanterie Deutschmeister 2 Kompanien Grenadiere Groß- und Deutschmeister 2 Kompanien Grenadiere Bonneval 2 Kompanien Grenadiere Königsegg 1 Abteilung Savoyen (150 Dragoner) 1 Abteilung Vehlen (150 Dragoner) 1 Bataillon Infanterie Maldeghem abzüglich 50 Mann in Zoutleeuw 1 Abteilung Maldeghem (50 Mann) Provinz Luxemburg 3 Bataillone Infanterie Baden 2 Kompanien Grenadiere Baden 7 Schwadronen Dragoner Vehlen abzüglich 150 Dragoner in Brüssel und 40 Mann in Arlon

Sollstärke 2.700 Mann

808 Mann 50 Mann 2.878 Mann

28 Bericht von Feldmarschall von Daun an den Kaiser, Brüssel, den 4. Mai 1725, zitiert in Gustave-HenriLouis GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux […], op. cit. , S. 387.

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Die räumliche Verteilung der Truppen Standort Arlon

Einheiten 1 Abteilung (40 Mann)

Sollstärke 40 Mann

Provinz Flandern Gent

600 Mann

Damme

1 Bataillon Infanterie Königsegg 1 Bataillon Infanterie Königsegg abzüglich 60 Mann in Damme 1 Abteilung Königsegg (60 Mann)

Dendermonde

1 Bataillon Infanterie Lannoy

858 Mann

Ostende

1 Bataillon Infanterie Königsegg

600 Mann

Nieuwpoort

1 Bataillon Infanterie Comte de Gand 3 Bataillone Infanterie Bonneval 3 Schwadronen Kürassiere Westerloo 7 Schwadronen Dragoner Savoyen Abzüglich 150 Dragoner in Brüssel Provinz Hennegau 1 Bataillon Infanterie Los Rios 1 Bataillon Infanterie Claude de Ligne 1 Bataillon Infanterie Bournonville 1 Bataillon Infanterie Pancalier 2 Schwadronen Dragoner Ferdinand de Ligne abzüglich 120 Mann in Saint-Ghislain 1 Abteilung (120 Mann) 1 Bataillon Infanterie Württemberg 2 Schwadronen Dragoner Holstein Provinz Namur 2 Bataillone Infanterie Württemberg 2 Kompanien Grenadiere Württemberg

858 Mann

Brügge

Oudenaarde Kortrijk

Mons

Saint-Ghislain Ath

Charleroi

540 Mann 60 Mann

2.349 Mann 918 Mann

3.660 Mann

120 Mann 948 Mann

1.400 Mann 19.387 Mann

Gesamtstärke Quelle  : KA, AFA, 1722, N° 385, « Dispositions des Garnisons »29

Die Mehrzahl der Truppen war in unmittelbarer Nähe zur französischen Grenze stationiert. Insbesondere stechen die starken Besatzungen der Festungen Mons und Oudenaarde hervor. Letztere war zwar in einem schlechten Zustand, aber die leicht 29 Die Liste mit der Zusammensetzung der Garnisonen befindet sich im Anhang eines Berichts von Vehlen an Prinz Eugen vom 29. Mai 1722. Dieses Dokument wurde ediert in Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 191–192. Bei der Berechnung der Sollstärke der Garnisonen wurde von folgenden Richtwerten ausgegangen  : ein Bataillon deutsche Infanterie (entspricht fünf Kompanien) = 600 Mann, eine Kompanie deutsche Grenadiere = 100 Mann, ein deutsches Regiment Dragoner (entspricht sieben Schwadronen) = 1068 Mann, ein Nationalregiment Infanterie (entspricht einem Bataillon) = 858 Mann, ein Nationalregiment Kürassiere (entspricht drei Schwadronen) = 549 Mann, ein Nationalregiment Dragoner (entspricht zwei Schwadronen) = 348 Mann.

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zurückgesetzte Lage verlieh ihr eine Schlüsselstellung in der Verteidigung Flanderns. Oudenaarde kontrollierte die Schelde, die Lebensader der Stadt Gent. Die Festung Luxemburg hatte noch nicht die Wichtigkeit, die ihr nach 1725 zuteil wurde, als sie einen Großteil der den Niederlanden zugedachten Militärmittel monopolisierte.30 Augenfällig ist die starke Armeepräsenz in Brüssel, wo es 1718 u. a. aus Steuergründen zu Protesten gegen das österreichische Regime gekommen war.31 Die Truppenzahl von 2.700 Mann stellte jedoch schon eine Verringerung gegenüber den vorigen Jahren dar, als zeitweilig bis zu 6.000 Soldaten und Reiter in der Hauptstadt standen, um wieder Ruhe und Ordnung herzustellen.32 1722 hatte die Militärspitze Entwarnung gegeben. Kriegskommissar Gruber berichtete nach Wien, „daß dermahlen hier wie auch in andere Stätte alles in Ruhe und Einigkeit lebte“.33 Die schwache Belegung Antwerpens überrascht dagegen. Rund 800 Mann waren wahrlich nicht viel für eine Festung von derartigen Ausmaßen und mit vielen Außenforts entlang der Scheldemündung. Doch es bestand zu diesem Zeitpunkt keine direkte Bedrohung, und der Standort war, angeblich wegen seiner schlechten „Luft“, die krank machte, sehr unbeliebt bei den Soldaten.34 Die Verteilung der Truppen auf die einzelnen Provinzen entsprach in etwa den demografischen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Die weniger dicht besiedelten und leistungsschwachen Gebiete Namur und Luxemburg vereinigten nur knapp über ein Fünftel des Heeresaufkommens. Dabei muss jedoch bedacht werden, dass Namur, die Hauptfestung an der Maas, von holländischen Truppen gehalten wurde. Die Militäreinheiten wechselten in der Regel alle drei Jahre die Garnison, um die Gefahr einer allzu großen Vertraulichkeit mit den Einwohnern zu vermeiden.35 30 Siehe Kapitel 2 vorliegender Arbeit, S. 74–75. 31 Vgl. Louis-Prosper GACHARD, Documents inédits concernant les troubles de la Belgique sous le règne de l’empereur Charles VI, 2 Bde. Bruxelles 1838–1839  ; Hervé Hasquin, Le temps des assainissements (1715–1740), in  : idem (Hg.), La Belgique autrichienne […], op., cit., S. 71–94, 79–82. 32 Die Zahlenangabe von Heinrich Benedikt, der die Brüsseler Garnison auf 8.800 Mann schätzt, scheint zu hoch gegriffen. Siehe Heinrich BENEDIKT, Als Belgien österreichisch war, Wien/München 1965, S. 26. 33 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Franz Gruber an Prinz Eugen, Brüssel, den 15. Mai 1722. 34 « […] des recrües que l’on a eu le bonheur de faire à Mons avec plus de facilité qu’à Anvers par rapport à la mauvaise opinion que l’on a de cet air là dans le païs. » KA, AFA, 1727, N° 399, Brief des Marquis von Prié an Prinz Eugen, Lubiana, 4. Oktober 1727. 35 Christopher DUFFY, The Army of Maria Theresa. The Armed Forces of Imperial Austria, 1740–1780, Vancouver/London 1977, S. 54. Erst unter Maria Theresia ging man dazu über, die Armee zumindest im Frieden „sesshaft“ zu machen. Seit 1766 wurden den Infanterieregimentern grundsätzlich ständige Garnisonsorte zugeteilt. Siehe Johann Christoph ALLMAYER-BECK/Erich LESSING, Das Heer unter dem Doppeladler. Habsburgs Armeen 1718–1848, München 1981, S. 150, und Alphons WREDE, Geschichte der K. und K. Wehrmacht […], op., cit., Bd. 1, S. 44.

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Die räumliche Verteilung der Truppen

1723 wurde in sieben von 17 Städten die Besatzung ganz oder teilweise ausgetauscht. Die Bonneval-Grenadiere gingen nach Mons und wurden durch die Eliteeinheiten des württembergischen Regiments ersetzt. Los Rios wechselte nach Antwerpen. Die Holstein-Dragoner und Ligne-Infanteristen kamen nach Charleroi. Die Kürassiere des Regiments Westerloo sowie die Füsiliere des Regiments Bonneval wurden nach Mons versetzt. Maldeghem verließ Antwerpen und Lier, um eine neue Bleibe in Oudenaarde zu finden. Schließlich wurden die drei württembergischen Infanteriebataillone, die vorher getrennt lagen, in Ath zusammengeführt.36 Die Dislozierung glich einem Karussell, das sich jedes Jahr wieder aufs Neue drehte. Tabelle 4. Verteilung der Truppen auf die niederländischen Provinzen im Jahr 1722 Heeresstärke

 %

Flandern

Provinz

6.783 Mann

35,0

Hennegau

4.728 Mann

24,4

Brabant

3.558 Mann

18,4

Luxemburg

2.918 Mann

15,0

Namur

1.400 Mann

7,2

19.387 Mann

100,0

Gesamtstärke

Quelle  : KA, AFA, 1722, N° 385, « Dispositions des Garnisons »

Die Truppenverschiebungen richteten sich einerseits nach den Bedürfnissen der inneren und äußeren Sicherheit. Andererseits spielten auch finanzielle Überlegungen eine Rolle. In verschiedenen Städten war die Unterbringung kostspieliger als in anderen. So drängte Kriegskommissar Gruber auf eine Verminderung der in Brüssel stationierten Truppen, da dort nicht genügend Kasernenraum vorhanden war.37 Die überschüssigen Soldaten mussten bei den Einwohnern einquartiert werden. Die Bereitstellung der Unterkünfte erfolgte aber nicht gratis. Die Stände von Brabant zogen die Miete von der Steuerschuld der Bürger ab, wodurch die Subsidieneinnahmen beschnitten wurden. Das Geld fehlte letztendlich bei der Verpflegung der Truppen. Deshalb schlug Gruber vor, das Militär bis auf 1.000 Mann Infanterie und 200 Mann Kavallerie aus Brüssel abzuziehen und in den Grenzfestungen Luxemburg, Charleroi, Mons, Ath, Kortrijk und Oudenaarde unterzubringen, wo es ausreichend Kasernen gab. Grundsätzlich 36 ���������������������������������������������������������������������������������������������������� KA, AFA, 1723, N° 388, « Etat des garnisons des Pais bas autrichiens pour l’année 1723 ». ���������� Dieses Dokument wurde editiert in Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 192–194. 37 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Franz Gruber an Prinz Eugen, Brüssel, den 15. Mai 1722.

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misstraute die Militärverwaltung einer Einquartierung in bevölkerungsreichen Städten, weil „der gemeine Mann in denen Casernen weit besser als in den grossen Stätten, wo sie nur durch das übele Volck verführet und aus ihrer guten Zucht in schlimme gerathen, stehen würde“.38 Selbstredend war die Versorgung von Kavallerieeinheiten in einer Großstadt um ein Vielfaches teurer als in einer ländlichen Gegend. In diesem Punkt bekam das Kriegskommissariat dann auch recht. Ende Mai 1722 wurden die beiden Dragonerregimenter Vehlen und Savoyen bis auf 300 Reiter, die in Brüssel verblieben, nach Luxemburg beziehungsweise Kortrijk verlegt. Der Kriegskommissar rechnete vor, dass dadurch dem Ärar 120.000 Gulden erspart wurden, also fast die Summe, die ein Dragonerregiment jedes Jahr an Verpflegung kostete.39 Das Militärkommando verlegte die Truppen nach Absprache mit dem bevollmächtigten Minister. Doch auch die Regimentsinhaber und -kommandanten versuchten, Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen, wo ihre Einheiten stationiert wurden. 1727 schickte der Besitzer des Regiments Pancalier, Jean-Antoine de Turinetti, Marquis von Prié, einen inständigen Brief an Prinz Eugen, doch bitte seine Soldaten aus der Zitadelle von Antwerpen herauszuholen.40 Sein Oberst hatte ihm einen erschütternden Bericht über den Zustand des Regiments geliefert.41 Aus den Kompanierollen ging hervor, dass ein Drittel der Mannschaft fehlte. Prié gab die Schuld dem zugewiesen Standort, „dem Schlechtesten in den ganzen Niederlanden“.42 Die sanitären Verhältnisse waren katastrophal. Die Garnison musste während zwölf Tagen auf der Esplanade kampieren, damit die Quartiere ausgemistet und gesäubert werden konnten. Im Sommer wurde die Stadt immer wieder von Fieberepidemien und Krankheiten heimgesucht. Im Winter war der Wachdienst in den zahlreichen Außenforts besonders beschwerlich. Und da es bis nach Holland nur ein Katzensprung war, liefen überverhältnismäßig viele Soldaten über. Die Desertionsquote war höher als in anderen Regimentern. Wenn die Truppe nicht bald an einen anderen Ort verlegt würde, drohe sie ganz zu verfallen. Auch andere Regimenter waren unzufrieden. Los Rios wollte ganz aus den Niederlanden herauskommen. Prinz Eugen 38 Ibidem. 39 Ibidem. 40 KA, AFA, 1727, N° 399, Brief des Marquis von Prié an Prinz Eugen, Lubiana, 4. Oktober 1727. Es handelt sich hierbei um den Sohn von Ercole Turinetti, Marquis von Prié, der zwischen 1716 und 1724 bevollmächtigter Minister und Interimsstatthalter in den Niederlanden war. Siehe Gustave-Henri-Louis GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux […], op., cit., S. 8. 41 AFA, KA, 1727, N° 399, Brief von Oberst O’Connor an den Marquis von Prié, Antwerpen, den 12. September 1727. 42 « […] la garnison de la citadelle d’Anvers qui est la plus mauvaise de tous les Païs bas […]. » KA, AFA, 1727, N° 399, Brief des Marquis von Prié an Prinz Eugen, Lubiana, 4. Oktober 1727.

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erklärte, dies sei schwierig in Friedenszeiten, da die belgischen Provinzen nur über lange und mühsame Marschwege mit den anderen Ländern der Habsburgermonarchie verbunden waren.43 Der ständige Garnisonswechsel stieß verschiedentlich auf Kritik. Eine Festung war mit einer langjährig stationierten Mannschaft besser zu verteidigen, die das militärische Gelände gut kannte. Darum wehrte sich Feldmarschallleutnant Franz Paul Wallis, dem die Sicherheit der Festung Luxemburg oblag, gegen den Austausch der beiden Regimenter Baden und Ligne. In der Luxemburger Garnison herrschte ein gutes Einvernehmen zwischen den einzelnen Bataillonen, obwohl diese verschiedenen Einheiten angehörten. Eine Veränderung der Zusammensetzung würde die Eintracht zunichte machen, gab Wallis zu bedenken.44

3.3 D i e M i l i tä r r e f or m von 1725  : Ve r e i n h e i t l ic h u ng de r St r e i t k r ä f t e Am Anfang der österreichischen Herrschaft koexistierten National- und Deutschregimenter in den Niederlanden. Erstere behielten zunächst einmal ihre Eigenständigkeit. Die Obrigkeit sah es jedoch als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, die vorhandenen Militärstrukturen zu vereinheitlichen und die niederländischen Verbände in die kaiserliche Armee einzugliedern.45 Dieses Unterfangen erwies sich als außerordentlich kompliziert. Bereits 1716 pochte der bevollmächtigte Minister Joseph Lothar Graf von Königsegg auf die Notwendigkeit einer Militärreform.46 Sein Nachfolger, Marquis von Prié, legte dann auch Prinz Eugen einen Plan vor, wie die Umgestaltung zu bewerkstelligen sei.47 Er schlug vor, die nationalen Infanterieregimenter zusam43 KA, AFA, 1728, N° 402, Brief von Prinz Eugen an Los Rios, Graz, den 23. September 1728. 44 „[…] und gestehe, daß es mir lieber wäre wann Baaden und Ligne hier stehen bleiben könnten, zumahlen der Officier als auch der gemeine Mann hier in Guarnison und im gantzen Landt sehr bekandt, daß ich mich in allen Fall solche ins Landt zu schickhen als als auch in der Guarnison besser gebrauchen und verlassen kan, als wann frembde statt deren anhero kommen solten auch alles in so gutter Einigkeit und Verständnus lebet mit denen andern 8 Bataillonen, daß keine größere Vertraulichkeit beÿ einem Regiment seÿn kan als dermahlen ist […].“ KA, AFA, 1728, N° 402, Bericht von Franz Paul Wallis an Prinz Eugen, Luxemburg, den 8. Januar 1728. 45 Johann Christoph ALLMAYER-BECK/Erich LESSING, Das Heer unter dem Doppeladler […], op. cit, S. 12  ; Max BRAUBACH, Prinz Eugen von Savoyen. Eine Biographie, Bd. 4 Der Staatsmann, Wien 1965, S. 146. 46 Louis-Prosper GACHARD, Collection de documents inédits concernant l’histoire de la Belgique, Bd. 3, Bruxelles 1835, S. 453–466. 47 Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 14 und S. 107–117.

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menzulegen und ihre Zahl von sieben auf drei zu reduzieren. Des Weiteren sollten die niederländischen Einheiten fortan gemäß ihrer tatsächlichen Mannschaftsstärke und nach der in der kaiserlichen Armee üblichen Lohnskala bezahlt werden. Prié erwartete sich von diesen Maßnahmen Einsparungen im Werte von über 330.000 Brabanter Gulden.48 Der Vorschlag, die Zahl der Regimenter zu vermindern, stieß jedoch auf Ablehnung seitens des Militärkommandos. Feldmarschall von Vehlen wollte keines der bestehenden Regimenter auflösen.49 Er stimmte aber überein, dass die Gehälter denen der kaiserlichen Armee angepasst werden mussten und nur die wirklich vorhandenen Soldaten bezahlt werden durften. Insgeheim war Vehlen von der Wehrtauglichkeit der Nationalregimenter so wenig überzeugt, dass er Prinz Eugen nahelegte, das niederländische Fußvolk sowie die Kürassiere von Westerloo ganz aus den Niederlanden herauszunehmen und in einen anderen Teil der Monarchie – etwa den Breisgau – zu verlegen. Als Ausgleich könne man ihm deutsche Regimente, zwei zu Fuß und eines zu Pferd, schicken.50 Doch Wien ging nicht auf diesen Handel ein, da es die Wallonenregimenter auf keinen Fall von ihren heimischen Werbegründen trennen wollte.51 Der wirksamste Widerstand gegen die Einverleibung und die Zusammenlegung der Nationalregimenter kam vonseiten des niederländischen Adels. Die geplante Umstrukturierung lief den Interessen der adligen Elite, für die der Militärdienst traditionell eine standesgemäße Berufsmöglichkeit bot, zuwider. Als die Landstände von Brabant von der bevorstehenden Reform Wind bekamen, protestierten sie auf das Energischste : „Die Stände und Völker dieser Provinzen hatten bislang als Trost, dass die Steuergelder, die sie ohne Unterbrechung bewilligt haben, in die Öffentlichkeit flossen zugunsten ihrer eigenen Kinder, Verwandten und Freunde  ; dies in einem Land, wo der Adel und tausend andere Personen sich weder von der Juristerei und der Literatur noch vom Handel unterhalten können und kein anderes Einkommen als das Kriegshandwerk haben.“52 Eine Verringerung der Streitkräfte würde viele 48 Ibidem, S. 108. 49 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 31. März 1722. 50 KA, AFA, 1720/1721, N° 381, Bericht von Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 20. Dezember 1720. 51 Vehlen sah indes keine Schwierigkeit, die in den Niederlanden angeworbenen Rekruten über Luxemburg nach Trier zu bringen, dort einzuschiffen und dann über die Mosel und den Rhein nach Vorderösterreich zu transportieren. Ibidem. 52 « […] les Etats et peuples de ces provinces ont eu la consolation de voir par là que la plupart des deniers provenant des aides et subsides qu’ils ont accordés sans interruption pour le service, se répandaient dans le public au soulagement de leurs propres enfants, proches et amis dans un pays où la noblesse et mille autres personnes ne pouvant se soutenir ni par la jurisprudence et la littérature ni par le négoce, n’ont point d’autre ressource que la profession des armes […]. » AGR, Chancellerie

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Menschen um ihren Erwerb bringen.53 Auch der einflussreiche Herzog von Arenberg wand ein, „dass diese Nation voll ist von Edelmännern, die kein anderes Auskommen als den Waffendienst haben“.54 Wurden Einheiten aufgelöst oder miteinander verschmolzen, fielen insbesondere die lukrativen Offiziersstellen weg. Die von der Reduktion betroffenen Offiziere mussten an anderer Stelle als sogenannte „Aggregierte“ eingeteilt werden. Sie bekamen nur noch den halben Sold, in Erwartung, dass irgendwann wieder eine ganze Stelle frei wurde. Die vielen „Aggregierten“ blockierten die militärische Laufbahn und ließen die Hoffnung auf eine rasche Beförderung schwinden. Die Abschaffung eines Regiments war eine heikle Angelegenheit, denn sie kam in gewisser Hinsicht einer Enteignung des Inhabers gleich. In der Tat herrschten in den Armeen des 18. Jahrhunderts noch immer Organisationsformen, die an das frühere Kriegsunternehmertum erinnerten.55 So war es Brauch, dass der Herrscher die Regimenter an Angehörige des Hochadels übergab, die dann deren Namen trugen. Diese Inhaber hatten das Recht, das Personal ihres Regiments bis zum Rang eines Hauptmannes zu ernennen und die Gerichtsbarkeit auszuüben. Als Eigentümer zogen sie eine Reihe von Einkünften und Gebühren ein, mussten aber auch manchmal in die eigene Schatulle greifen, um ihre Soldaten auszurüsten oder neue anzuwerben. Die hohen Herren, Oberstinhaber genannt, übten in der Regel das Kommando nicht selbst aus, sondern ließen sich durch einen Titularoberst vertreten.56 Getreu diesem System gehörten nun auch in den südlichen Niederlanden die Nationalregimenter den angesehensten Adelsfamilien, wie zum Beispiel den Lannoy, Merode oder Ligne. Die geplante Reduzierung der Einheiten hätte zumindest einigen dieser Geschlechter die Inhaberrechte entzogen und damit auch das Prestige, das mit der Namensgebung an ein Regiment verbunden war. autrichienne des Pays-Bas, N° 113, Bittschrift der Landstände von Brabant an Interimsgouverneur von Daun, o. D. [1725]. 53 Zu Adel und Armee siehe Roland MORTIER/Hervé HASQUIN, La noblesse belge au XVIIIe siècle, Bruxelles, 1983  ; Paul JANSSENS, L’Évolution de la noblesse belge depuis la fin du moyen âge, Bruxelles 1998. 54 ��������������������������������������������������������������������������������������������������� « […] cette nation remplie de gentilshommes qui n’ont d’autre profession que les armes pour subsister […]. » AGR, Chancellerie autrichienne des Pays-Bas, N° 113, Brief des Herzogs von Arenberg, Brüssel, den 24. April 1725. 55 Vgl. Fritz REDLICH, The German military enterpriser and his work force, 2 Bde. Wiesbaden 1964– 1965. 56 Zum Inhabersystem siehe Christopher DUFFY, Sieben Jahre Krieg 1756–1763. Die Armee Maria Theresias, Wien 2003, S. 159–160  ; Alphons WREDE, Geschichte der K. und K. Wehrmacht […], op., cit., Bd. 1, S. 60–66.

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Der Stellvertreter des Kaisers in Brüssel, der Marquis de Prié, besaß nicht das nötige Durchsetzungsvermögen, um sich gegenüber dem einheimischen, von seinen Privilegien eingenommenen Adel zu behaupten. Generalgouverneur Prinz Eugen, der vielleicht über die nötige Autorität verfügt hätte, war weit weg. Und auch er zögerte, denn es wäre sicherlich ungeschickt gewesen, hätte man in der Anfangsphase, in der die österreichische Herrschaft in den Niederlanden Fuß fasste, den führenden Stand durch eine überhastete Militärreform vergrämt.57 Doch solange eine Änderung ausblieb, konnte der Militärhaushalt nicht ins rechte Lot gebracht werden. Erst mit dem Rücktritt Eugens und der Abberufung Priés kam wieder Bewegung in das Reformdossier. Ende November 1724 verzichtete Prinz Eugen auf die Statthalterschaft in den Niederlanden. Sogleich bestimmte Karl VI. seine Schwester Maria Elisabeth für diesen Posten. „Aber, da die jetzige Jahreszeit und die Vorkehrungen für die Abreise der Durchlauchten Erzherzogin ihr nicht erlauben, sich unverzüglich dorthin zu begeben“, ernannte der Kaiser im Januar 1725 den Grafen Wirich von Daun zum Gouverneur und Generalkapitän ad interim.58 Die Erzherzogin Maria Elisabeth hielt erst im Oktober desselben Jahres Einzug in Brüssel. Waren es wirklich die schlechten Witterungsverhältnisse oder die umständlichen Reisevorbereitungen, die ein früheres Kommen der Prinzessin verhindert haben  ? Steckte nicht vielmehr politisches Kalkül dahinter  ? Das Terrain in den Niederlanden musste vorbereitet werden, bevor man ein Mitglied der kaiserlichen Familie dorthin schickte. Vor allem mussten die dringenden Fragen gelöst werden, die drohten, die Herrschaft der Erzherzogin zu belasten, noch bevor sie begonnen hatte. Die Neuordnung des Militärwesens war vielleicht das heißeste Eisen, eines, das riskierte, die Beziehungen der Generalgouverneurin zum belgischen Adel zu kompromittieren. Diese heikle Aufgabe wollte man lieber einem Militär von hohem Rang und unanfechtbarer Autorität anvertrauen, der, sobald die Mission erledigt war, das Feld wieder verließ. Feldmarschall Wirich Philipp Lorenz von Daun, Fürst von Thiano, war hierfür der richtige Mann. Aus einer angesehenen Familie des Militäradels stammend hatte er als General unter Prinz Eugen im Spanischen Erbfolgekrieg gedient.59 1706 machte er sich einen Namen als „Sieger von Turin“, 57 Diese Bedenken kommen insbesondere im Briefwechsel Eugens mit von Vehlen zum Ausdruck. KA, AFA, 1722, N° 385. 58 « Mais, comme la présente saison et les dispositions à faire pour le départ de la susdite sérénissime archiduchesse ne lui permettent pas de s’y rendre promptement […]. » ROPBA, Bd. 3, Bruxelles 1873, S. 472–474, S. 472. 59 Zum familiären Hintergrund siehe Thomas M. BARKER, Military Nobility  : The Daun Family and the Evolution of the Austrian Officer Corps, in  : Gunther E. ROTHENBERG/Béla K. KIRALY/Peter F. SUGAR

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indem er diese Schlüsselstellung in Oberitalien erfolgreich gegen die französische Übermacht verteidigte. Getragen von diesem Erfolg stieg Daun rasch in der Militärhierarchie empor und gelangte in den Kreis der engsten Mitarbeiter Karls III. von Spanien, des späteren Kaisers Karl VI.  : Oberbefehlshaber der Militäroperationen in Italien, Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies, Grande von Spanien, Vizekönig von Neapel, die Ämter und Ehren häuften sich. 1719 kehrte der Fürst von Thiano nach Wien zurück, wo er zum Stadtkommandanten und Direktor der kaiserlichen Artillerie berufen wurde. Die Fertigstellung des Palais Daun im Jahr 1722, einer der prachtvollsten Residenzen der Kaiserstadt, zeugte vom gesellschaftlichen Prestige, das zusammenging mit einer beispielhaften Militärkarriere.60 Dieser hoch dekorierte Aristokrat und Offizier wurde nun nach Brüssel geschickt, um die Eingliederung der niederländischen Regimenter in die kaiserliche Armee vorzunehmen. Als Daun am 15. Februar in Brüssel ankam, war er mit ausführlichen Instruktionen versehen.61 Seine erste Sorge sollte sein, sich ein möglichst genaues Bild von der tatsächlichen Truppenstärke zu verschaffen. Der nächste Schritt war dann die Verschmelzung der zehn Nationalregimenter ineinander, um nur vier zurückzubehalten.62 Das niederländische Armeekorps bestand fortan aus drei Infanterieregimentern, jedes zu 1.700 Mann, und einem einzigen Dragonerregiment, das 957 Mann und 705 Pferde zählen sollte.63 Die Unterscheidung zwischen „national“ und „deutsch“ bezog sich nun einzig und allein auf die unterschiedlichen geografischen Räume, aus denen die Einheiten ihre Rekruten bekamen. Es gab keine Unterschiede mehr in der Gehälter- und Organisationsstruktur. Die kaiserliche Heeresverfassung galt einheitlich für alle in den Niederlanden stationierten Verbände. Eine einzige Verwaltung, das Kriegskommissariat und die Kriegskasse, wurde mit der materiellen Existenzsicherung der Soldaten, ob Deutsche oder Wallonen, betraut. Die von Daun vollzogene Fusion der Nationalregimenter setzte keine Verminderung der Heeresstärke voraus. Der Sollstand der vier verbleibenden Einheiten ent(Hg.), East Central European Society […], op., cit., S. 123–146. Biogafische Angaben bei Heinrich BENEDIKT, Daun, in  : Neue Deutsche Biographie, Bd 3, Berlin 1957, S. 529–530. 60 Die Geschichtsschreibung hat vor allem die Verdienste seines Sohnes, Leopold Graf von Daun, Sieger von Kolin und geistiger Vater der Armeereform unter Maria Theresia, herausgestellt. Franz-Lorenz von THADDEN, Feldmarschall Daun. Maria Theresias größter Feldherr, Wien/München 1967. 61 KA, AFA, 1725, N° 394, Instruktionen für den Feldmarschall Graf von Daun als Gouverneur und Generalkapitän ad interim und auch kommandierender General in den östereichischen Niederlanden, Wien, 27. Januar 1725. 62 Detaillierte Angaben zu den neu gebildeten Einheiten bei Gustave-Henri-Louis GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux […], op., cit., S. 7–14. 63 Ibidem, S. 390.

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sprach in etwa der Iststärke der Nationaltruppen vor der Reform. Die Musterung im April 1725 hatte 5.647 Mann gezählt.64 Die vier neuen Regimenter ergaben, wenn sie vollzählig waren, 6.057 Mann. Dagegen wurde durch die Zusammenlegung der Regimenter die Zahl der Offiziers- und Unteroffiziersstellen auf fast die Hälfte reduziert. Hierin lag das größte Sparpotenzial der Umstrukturierung. Nach den Schätzungen von Daun belief sich die Ersparnis jährlich auf 383.504 Brabanter Gulden.65 Die übrig gebliebenen Stellen mussten verteilt werden. Die überzähligen Offiziere wurden als „Aggregierte“ beigefügt. Daun beteuerte, dass „ihm am Herzen lag, die Stabsoffiziere und andere Offiziere nach ihrem Rang und ihrem Verdienst unterzubringen“.66 Tatsächlich muss man dem Interimsstatthalter sehr viel Fingerspitzengefühl bescheinigen. Die Reform sollte kein unzufriedenes und frustriertes Offizierskorps hinterlassen. Daun beriet mit Menschenkenntnis und Urteilskraft den Kaiser bei der äußerst delikaten Wahl der Regimentsinhaber.67 Zu Kompensationszwecken stellte er eine Liste aller vakanten Militärchargen zusammen. Diejenigen, die ihr Regiment verloren, wurden großzügig entschädigt. Man nahm ihnen ihre Einheit weg, doch im Gegenzug bekamen sie einen Posten als Festungsgouverneur und wurden zum General befördert. Letzten Endes scheint der Widerstand gegen die Militärreform gering gewesen zu sein. Die freigiebige Verleihung von militärischen Titeln und Ämtern an die einstigen Inhaber ließ den Einspruch des Hochadels verstummen. Es war aber auch die Schnelligkeit, mit der Daun die Veränderungen vornahm, die wesentlich zum Erfolg der Reform beitrug. Als er am 4. Mai 1725 seinen Bericht nach Wien schickte, hatte er schon mit der Umstellung begonnen. Am 1. August, knapp sechs Monate nach seiner Ankunft, war die Einverleibung vollbracht.68 Die negativen Folgen der Reform manifestierten sich erst später, nachdem Daun die Statthalterschaft an Maria Elisabeth und das Oberkommando an von Vehlen abgegeben hatte.69 Das Weiterkommen in der Militärhierarchie verlangsamte sich notgedrungen durch den Wegfall vieler 64 Ibidem, S. 387. 65 Ibidem, S. 390. 66 « […] en quoi l’on a eu principalement à cœur que si bien les officiers des états-majors et autres soient placés selon leur rang et mérite […]. » Zitiert ibidem, S. 391. 67 Bericht von Daun an den Kaiser betreffend die Einverleibung der nationalen Truppen, Brüssel, den 4. Mai 1725. Veröffentlicht ibidem, S. 386–396. 68 Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 17. 69 Zum Gouverneur von Mailand ernannt verließ Daun die Niederlande am 26. November 1725. Franz PICHORNER, Wiener Quellen zu den österreichischen Niederlanden. Die Statthalter Erzherzogin Maria Elisabeth und Graf Friedrich Harrach (1725–1743), Wien/Köln 1990, S. 11  ; KA, Hofkriegsrat, Protokoll Expedit, 1725, N° 574, f ° 2096.

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Offiziersstellen. 1727, zwei Jahre nach der Einverleibung, gab es nicht weniger als 28 „aggregierte“, das heißt überzählige Offiziere beim Regiment Prince de Ligne, darunter sechs Hauptmänner, 16 Leutnants und sechs Fähnriche. Die Betroffenen machten ihrem Unmut in einem Beschwerdebrief an den Hofkriegsratspräsidenten Luft. Es bestünde keine Aussicht auf eine Beförderung, klagten sie enttäuscht.70 Auch die finanzielle Situation der neuformierten Einheiten hatte sich zusehends verschlechtert. Vor der Reform, als die Nationalregimenter nach ihrem Soll- und nicht nach ihrem Iststand bezahlt wurden, war das überschüssige Geld nicht unbedingt in die Tasche des Inhabers, sondern vielmehr in die Regimentskasse geflossen. Dort diente es als Reserve, wenn die staatlichen Soldzahlungen verspätet kamen oder gar ganz ausblieben. Jetzt waren die Regimentskassen leer. Es gab keine Überschüsse mehr, mit denen die Zahlungs- und Verpflegungsrückstände ausgeglichen werden konnten. Die Regimenter waren gezwungen, sich zu verschulden.71

3.4 Hoh e Ve r lus t e du rc h De s e r t ion Im Februar 1726, ein halbes Jahr nach vollzogener Reform, schickte das Brüsseler Oberkommando erneut eine Bestandsaufnahme der in den Niederlanden befindlichen Truppen nach Wien. Die Heeresstärke war weiter gesunken. Die Gesamtzahl der Dienstleistenden betrug nur noch 13.641 Mann.72 Nach der Verurteilung seines Inhabers, des Grafen Alexander von Bonneval, war das Regiment Bonneval aufgelöst und seine Mannschaft auf die vier restlichen deutschen Infanterieregimenter verteilt worden.73 In den Niederlanden verblieben sieben Infanterie- und drei Kavallerieregimenter.74 Bei kompletter Mannschaft hätte dies eine Armee von 16.871 Mann 70 KA, AFA, 1727, N° 399, Bittschrift der „aggregierten“ Offiziere des Regiments Prince de Ligne an Prinz Eugen, Luxemburg, den 17. Juni 1727. 71 KA, AFA, 1728, N° 402, Brief von Prinz Eugen an Los Rios, Graz, den 23. September 1728. 72 AGR, Chancellerie autrichienne des Pays-Bas, N° 113, Brief des niederländischen Oberbefehlshabers, Herzog von Arenberg, an Perlas Marques de Rialp, Staatssekretär des Spanischen Rats, Brüssel, den 12. Februar 1726. 73 Interimsstatthalter Wirich von Daun hatte den Auftrag erhalten, das Regiment Bonneval abzuschaffen und auf die übrigen vier deutschen Infanterieregimenter zu verteilen. KA, AFA, 1725, N° 394, Instruktionen, Wien 27. Januar 1725 (Artikel 25). Zu der schillernden Figur des Grafen Alexander von Bonneval, der seine militärische Karriere in der französischen Armee begann, dann in den kaiserlichen Dienst übertrat und schließlich zu den Türken überlief, siehe Heinrich BENEDIKT, Als Belgien […], op., cit., S. 60–81. 74 Württemberg, Großmeister, Baden, Königsegg, Los Rios, Ligne, Pancalier, Vehlen Dragoner, Portugal Kürassiere und Westerloo Dragoner.

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bedeutet. Doch Soll- und Iststand korrespondierten nicht. Eine nahezu vollständige Serie von monatlichen Standestabellen ist für die Jahre 1725 bis 1730 überliefert.75 Während dieser Zeitspanne waren durchschnittlich 12.884 Mann in den Niederlanden stationiert. Die Durchschnittsstärke unterlag aber Schwankungen. Periodisch wurden die Einheiten verstärkt und nahmen dann in der Folge wieder ab. Im Krisenjahr 1727 wuchs das Heer auf über 14.000 Mann, fiel dann aber in den Jahren 1728 und 1729 zeitweilig unter 12.000 Mann, um dann am Ende des Jahres 1730 wieder die 13.000-Mann-Grenze zu überschreiten. Für die folgenden Jahre liegen keine Zahlenangaben zur Heeresstärke vor. Doch man kann davon ausgehen, dass die Einheiten während des Polnischen Erbfolgekriegs wieder ergänzt wurden. Aus den summarischen Standestabellen, die für die Jahrgänge 1734 und 1735 teilweise überliefert sind, geht hervor, dass Ende März 1734 das österreichische Heeresaufgebot in den Niederlanden eine Stärke von 16.337 Mann erreicht hatte.76 Doch die Tendenz war insgesamt rückläufig.77 Ende Mai 1735 standen nur noch 15.775 Mann unter Waffen.78 Offensichtlich verließen mehr Soldaten die Armee, als Rekruten dazukamen. In der Tat verzeichnete das österreichische Heer in den Niederlanden eine sehr hohe Abgangsrate, die nicht durch entsprechende Neuzugänge ausgeglichen werden konnte.79 Aufgrund der lebenslangen Dienstzeit, die seit 1725 nicht nur für die deutschen, sondern auch für die nationalen Regimenter galt, hätte es eigentlich eine geringe Fluktuation in seinem Personalbestand aufweisen müssen. Was waren die Ursachen für die vielen Abgänge, wenn nicht gerade abgerüstet und Soldaten systematisch ausgemustert wurden  ? In den Übersichtstafeln zu den Regimentsstärken, die das Kriegskommissariat im Prinzip jeden Monat aufstellte, sind zahlenmäßige Angaben über die Gründe für das Verlassen der Armee enthalten. Leider sind keine zusammenhängenden Serien, sondern nur vereinzelte Monate überliefert, und 75 AGR, CF, N° 335, Summarische Tabellen über sämtliche in den Österreichischen Niederlanden stehenden kaiserlichen deutschen und nationalen Regimenter zu Fuß und zu Pferd. 76 KA, AFA, 1734, N° 433, Summarische Tabelle über sämtliche in den Niederlanden stehenden kaiserlichen deutschen und nationalen Infanterie- und Kavallerieregimenter, Anhang zum Bericht von General-Feldmarschallleutnant von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel, den 7. Mai 1734. 77 März 1734  : 16.337 Mann  ; April 1734  : 16.242  ; Juni 1734  : 16.166 Mann  ; Juli 1734  : 16.083 Mann  ; August 1734  : 15.824 Mann  ; März 1735  : 15.545 Mann  ; April 1735  : 15.707 Mann  ; Mai 1735  : 15.775 Mann. KA, AFA, 1734, N° 433 und KA, AFA, 1735, N° 448. 78 KA, AFA, 1735, N° 448, Summarische Tabelle über sämtliche in den Niederlanden stehenden kaiserlichen deutschen und nationalen Infanterie- und Kavallerieregimenter, Brüssel, den 10. Juni 1735. 79 So stellt Generalkommandant Wurmbrand fest, daß die Nationaltruppen „an 600 Mann gegen Jahr und Tag geworben und in dieser Zeit einen weit grösseren Abgang wider gehabt haben, da der Abgang von Zuwachs um 129 Köpfe überstiegen.“ KA, AFA, 1734, N° 433, Bericht von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel, den 30. April 1734.

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dies auch nur für die Jahrgänge 1734 und 1735. Das Quellenmaterial ist zu bruchstückhaft, um eine repräsentative Statistik abzugeben. Dennoch kann es quantitative Anhaltspunkte liefern. In den fünf Monaten April, Juli und August 1734 sowie April und Mai 1735 gingen insgesamt 1.344 Mann ab. 1.171 Mann wurden neu angeworben. Von den Abgängen waren 12 % reguläre Entlassungen, 15,4 % Todesfälle, 70,7 % Desertionen und 1,9 % Ausschlüsse durch Gerichtsprozess bzw. Hinrichtung.80 Aus diesen Zahlen geht hervor, dass verhältnismäßig wenige Soldaten aus der Armee ausschieden, weil ihre Dienstzeit abgelaufen war oder weil ihnen aus einem bestimmten Grund ihr Abschied vorzeitig gewährt wurde. Lebenslang Verpflichtete konnten in der Regel nur entlassen werden, wenn sie einen als tauglich befundenen „Ersatzmann“ stellten. Die meisten Soldaten verließen illegal die Truppe. Fahnenflucht war bei Weitem die häufigste Abgangsursache. Unterschied man nach Waffengattung, so war in der Infanterie der Anteil an Deserteuren wesentlich höher als in der Kavallerie. Diese Befunde stimmen überein mit dem, was die Geschichtsschreibung für andere vergleichbare Armeen des 18. Jahrhunderts ermittelt hat.81 Desertion war ein zentrales Problem, ein „disfunktionales Strukturmerkmal“ der frühneuzeitlichen Söldnerheere.82 Doch in den Niederlanden hat diese „universelle Krankheit“ anscheinend ganz außerordentliche Dimensionen angenommen.83 Wagt man, ausgehend von den fünf Monaten, in denen die Zahl der Fahnenflüchtigen bekannt ist, eine Hochrechnung, so kommt man auf eine Desertionsquote von 14,3 %.84 Nach dieser Schätzung, die jedoch auf einer ungenügenden Datenbasis gründet, verlor das kaiserliche Heer weit über ein Zehntel seiner Mannschaft im Laufe eines Jahres durch 80 161 Mann wurden entlassen, 207 Mann sind gestorben, 951 Mann haben desertiert und 25 Mann wurden „justifiziert“. 81 Vgl. Stefan KROLL, Soldaten im 18. Jahrhundert […], op., cit., S. 515–517. Michael SIKORA, Das 18. Jahrhundert  : Die Zeit der Deserteure, in  : Ulrich BRÖCKLING/Michael SIKORA (Hg.), Armeen und ihre Deserteure. Vernachlässigtes Kapitel einer Militärgeschichte der Neuzeit, Göttingen 1998, S. 86–111. 82 Ernst Willi HANSEN, Zur Problematik einer Sozialgeschichte des deutschen Militärs im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Forschungsbericht, in  : Zeitschrift für historische Forschung, 6, 1979, S. 425–460, S. 436. 83 Der Ausdruck stammt von Generalmajor Simon de Bauffe in einem Brief vom 17. Februar 1735 an Prinz Eugen  : „Von den wenigen Truppen, die wir hier im Land haben, desertieren überall welche, das gleiche gilt für die Truppen Hollands, es ist eine universelle Krankheit.“ « […] le peu de troupes que nous avons au paÿs, il en déserte de part et d’autre, de même dans les troupes d’Hollande, c’est une maladie universelle. » KA, AFA, 1735, N° 448. 84 Die Desertionsquote ist der Prozentsatz der Geflohenen, bezogen auf eine durchschnittliche Gesamtstärke im Zeitraum eines Jahres  : (951 : 5) × 12 = 2.282 Deserteur/Jahr  ; durchschnittliche Heeresstärke 1734/1735 = 15.926 Mann.

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Desertion. Die niederländischen Werte liegen somit deutlich über den Verlusten anderer europäischer Armeen.85 Die hohe Desertionsquote entbehrt durchaus nicht einer gewissen Glaubwürdigkeit. Die österreichische Militärführung beklagte sich immer wieder über den ständigen Aderlass. So schreibt Prinz Eugen 1734 aus dem Feldlager in Heidelberg, „es sollte über ein Heilmittel nachgedacht werden, um der übermäßigen Desertion vorzubeugen, die in diesen [niederländischen] Verbänden herrscht  ; sie werden immer schwach sein, wenn man kein Mittel findet, um dieses Übel zu bekämpfen“.86 Es waren nicht nur einzelne Soldaten, die desertierten. Öfters kam es zu gemeinsamen Fluchtaktionen. Im Januar 1724 desertierten binnen zwei Tagen 20 Männer des Regiments Württemberg, die zum Garnisonsdienst in Zoutleeuw abkommandiert worden waren.87 Die nahe liegende Grenze zum Fürstbistum Lüttich erleichterte das sträfliche Unterfangen. Kriegskommissar Gruber, der den bevollmächtigten Minister über den Fall benachrichtigte, schrieb die massiven Überläufe der Unzufriedenheit unter den Soldaten zu. Die Männer warteten seit vier Wochen auf ihren Sold. „Die Garnisonen fangen überall an zu murren und in solchem Maße, dass ein richtiges und absolutes Durcheinander zu befürchten ist“, stellte der Kriegskommissar besorgt fest.88 Die vielen Desertionen spiegeln die schwierige Versorgungslage der österreichischen Armee in den Niederlanden wider. Die Soldaten flüchteten, weil sie schlecht und unregelmäßig bezahlt wurden. Die allgemeine Finanznot ließ die Zahlungsrückstände stetig anwachsen. 1734 standen zehn Monate Sold aus.89 Die Engpässe bei der Verpflegung wirkten sich verhängnisvoll auf die Motivation der Armeeangehörigen aus, die in 85 Die bekannten preußischen Daten für die Zeit von 1713 bis 1740 weisen 1 bis 2 % jährliche Desertion aus. Willerd R. FANN, Peacetime attrition in the army of Frederick William I., 1713–1740, in  : Central European History, 11, 1978, S. 323–334, S. 326. Stefan Kroll hat höhere Desertionsquoten für die kursächsische Armee ermittelt, die jedoch selten 10 % überstiegen  ; Stefan KROLL, Soldaten im 18. Jahrhundert […], op., cit., S. 512–513. Weitere Angaben bei Michael SIKORA, Disziplin und Desertion. Strukturprobleme militärischer Organisation im 18. Jahrhundert, Berlin 1996, S. 69–89. 86 « […] il faudrait songer néanmoins à quelque remède pour prévenir la désertion excessive qui règne dans ces corps qui seront toujours très faibles si on ne trouve pas moyen de prévenir ce mal. » KA, AFA, 1734, N° 433, Brief von Prinz Eugen an Simon de Bauffe, Heidelberg, den 18. September 1734. 87 KA, AFA, 1724, N° 392, Denkschrift von Kriegskommissar Franz Gruber an den Marquis von Prié, Brüssel, den 21. Januar 1724. Ediert in Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 103–105, S. 104. 88 ������������������������������������������������������������������������������������������������������ « […] les garnisons commençant à murmurer par tout d’une telle manière qu’il est à craindre une confusion véritable et certaine. » Ibidem. 89 „ […] als man nicht hat klecken können den bisherigen Stand deren Trouppen von 16.000 etlich hundert Mann zu verpflegen, so daß dieselbe in einen 9 bis 10 monatlichen Rückstand haben verfallen müssen.“ KA, AFA, 1734, N° 433, Bericht von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel, den 30. April 1734.

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Hohe Verluste durch Desertion

erster Linie Söldner waren. Handgeld, Sold, Brotration, Kleidung und Unterkunft stellten die wesentlichen Anreize für den Militärdienst dar.90 Blieben diese aus, fühlte der Soldat sich kaum noch an den Eid gegenüber seinem Dienstherrn gebunden. Wenn die Obrigkeit Verpflegung und Ausrüstung nicht mehr gewährleisten konnte, suchte der Söldner anderweitig seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er wechselte die Versorgungseinrichtung, indem er zu einer anderen Armee überlief. Dabei war Flucht meistens die einzige Möglichkeit, aus dem bestehenden Dienstverhältnis zu entkommen. Als im August 1735 die zwei Grenadierkompanien des Regiments Claude de Ligne aus den Niederlanden nach Luxemburg verlegt wurden, verloren sie auf dem Marsch fast die Hälfte ihrer Belegschaft.91 Von den 163 Mann, die losgezogen waren, kamen nur 87 an. 76 Grenadiere hatten unterwegs die Flucht ergriffen. Zur Rede gestellt gab der begleitende Offizier, Oberst von Rumigny, vor, seine Leute seien von holländischen Werbern „debauchiert“ worden.92 Dass österreichische Soldaten von fremden Mächten abgeworben wurden, kam anscheinend häufig vor. Der Kommandant von Luxemburg, Baron von Thüngen, vermutete sogar französische Geheimagenten innerhalb der Festung.93 Im Dezember 1734 desertierten Schlag auf Schlag sechs Musketiere aus dem Regiment Daun, die in den unterirdischen Minen arbeiteten. Gleichzeitig profitierten weitere zwölf Mann vom Wachdienst in den Außenwerken, um das Weite zu suchen. Tatsächlich wurde dann auch im Januar 1735 ein Komplott aufgedeckt, in das ein fünfzehnjähriger Junge verwickelt war, der die Deserteure für die Franzosen aus der Stadt geschleust hatte.94 Die Fahnenflüchtigen brauchten nicht weit zu laufen. Schon in Hesperingen, „einen Büchsenschuß von der Vestung“ entfernt, befanden sie sich auf französischem Territorium.95 Die große Häufigkeit, mit 90 Für eine gründliche Analyse der Rahmenbedingungen und Motive, die dem Militärdienst im 18. Jahrhundert zugrunde lagen, siehe Michael SIKORA, Disziplin und Desertion […], op., cit., sowie idem, Verzweiflung oder „Leichtsinn“  ? Militärstand und Desertion im 18. Jahrhundert, in  : Bernhard R. KROENER und Ralf PRÖVE (Hg.), Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Paderborn 1996, S. 237–264. 91 KA, AFA, 1735, N° 448, Bericht von Thüngen an Prinz Eugen, Luxemburg, den 22. August 1735. 92 Erschwerend kam noch hinzu, dass beide Einheiten ungenügend von Offizieren umgeben waren. Die zwei Hauptmänner, Graf von Arberg und Carpentier, begleiteten ihre Kompanien nicht. Der erste war zum Generaladjutanten in Brüssel ernannt worden, der zweite zum Major. KA, AFA, 1735, N° 448, Bericht von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel, den 27. August 1735. 93 KA, AFA, 1734, N° 433, Bericht von Thüngen an Prinz Eugen, Luxemburg, den 23. Dezember 1734. 94 KA, AFA, 1735, N° 448, Bericht von Thüngen an Prinz Eugen, Luxemburg, den 3. Februar 1735. 95 „[…] das Schlimmste ist die gar zu nahe Nachbarschaft und daß ein Deserteur wenn er nur einen Büchsenschuß von der Vestung alsogleich auf dem französischen Territorio ist.“ KA, AFA, 1734, N° 433, Bericht von Thüngen an Prinz Eugen, Luxemburg, den 23. Dezember 1734.

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der Desertionsfälle in den Niederlanden auftraten, wurde – vielleicht mehr als anderswo – von der geografischen Lage begünstigt. Nirgends war die Grenze weit weg. Das Herrschaftsgebiet war von zahlreichen Exklaven benachbarter Staaten durchsetzt. Der Verbindungsweg zwischen dem Herzogtum Luxemburg und den anderen niederländischen Provinzen führte durch Lütticher Land. Den Nachbarstaaten fiel es leicht, Soldaten abzuwerben. Die Fahnenflüchtigen hatten wenig Skrupel, die Zugehörigkeiten auszutauschen. Verbundenheit mit dem eigenen Land und Treue zum Landesherrn spielten in den Berufsarmeen des 18. Jahrhunderts, die sich aus Soldaten unterschiedlicher nationaler Herkunft zusammensetzten, eine eher untergeordnete Rolle. Von den „Ausländern“ konnte man kaum Liebe zu Fürst und „Vaterland“ erwarten. Doch waren ihre inländischen Kameraden zuverlässiger  ? In den Niederlanden war es insbesondere das nationale Korps, das durch die vielen unbotmäßigen Abgänge geschwächt wurde. Die Obrigkeit äußerte immer wieder ihre Besorgnis über den Personalschwund in den einheimischen Einheiten.96 Auch aus den oben genannten monatlichen Übersichtstafeln geht hervor, dass die Nationalregimenter verhältnismäßig mehr Desertionen verzeichneten als die deutschen Regimenter. Von den Deserteuren in den Monaten April, Juli und August 1734 sowie April und Mai 1735 waren fast die Hälfte Angehörige der Nationaltruppen, obwohl Letztere weniger als ein Drittel des Heeresaufgebotes stellten.97 Loyalität allein konnte auch die Landeskinder nicht bei der Fahne halten. Der Militärdienst war nur insofern attraktiv, als er eine Alternative zu den ärmlichen Lebensverhältnissen bot, aus denen die meisten Rekruten stammten. Verschlechterte sich die Versorgungslage innerhalb der Armee, kehrte manch einer zurück ins zivile Leben oder wechselte den Brotgeber. Grundsätzlich stand im 18. Jahrhundert auf Fahnenflucht die Todesstrafe. In der Praxis wurde jedoch meistens glimpflicher mit den Deserteuren verfahren. Soldaten waren zu kostbar und neue Rekruten Mangelware. Die Weggelaufenen und Wiedereingefangenen wurden mit „Spießrutenlaufen“ oder, wenn es sich um Unteroffiziere handelte, mit Degradierung bestraft.98 Dann mussten sie wieder zum Dienst antre96 Z. B. KA, AFA, 1734, N° 433, Brief von Prinz Eugen an Simon de Bauffe, Heidelberg, den 18. September 1734, und KA, AFA, 1734, N° 433, Bericht von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel, den 30. April 1734. 97 Von den insgesamt 951 Deserteuren gehörten 489 (51,4 %) einem deutschen Regiment an und 462 (48,6 %) dienten in einem Nationalregiment. Ende April 1734 setzte sich das österreichische Heeresaufgebot folgendermaßen zusammen  : Gesamtstärke 16.242 Mann, Deutsche Regimenter 11.578 Mann (71,3 %), Nationalregimenter 4.664 Mann (28,7 %). AFA, 1734, N° 433 und KA, AFA, 1735, N° 448. 98 Vgl. Stefan KROLL, Soldaten im 18. Jahrhundert […], op., cit., S. 505–506.

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ten. In Luxemburg zog man die Deserteure zu Zwangsarbeiten an der Festung heran.99 In verschiedenen Fällen, insbesondere bei einer Rückkehr aus eigenem Antrieb, sah man ganz von einer Bestrafung ab. Im Juni 1735 meldete Baron von Thüngen, tagtäglich würden französische Überläufer in der Festung Luxemburg ankommen, wovon einige sich im nachhinein als österreichische Deserteure entpuppten.100 Dennoch nahm der Kommandant die Ausreißer nach einigen Tagen Haft wieder in den kaiserlichen Dienst auf. Seine Überlegung war, „daß wann diese lang in Arrest behalte und es in denen französischen Garnisonen kundbahr würde, solches andere hiehero zurück zukommen abschrecken möchte“.101 Thüngen wollte sogar eine generelle Amnestie für Fahnenflüchtige von der Regierung erwirken, in der Hoffnung, weitere Soldaten, die einst nach Frankreich geflohen waren, zurückzulocken. Tatsächlich erließ der Hofkriegsrat am 18. Juni 1735 ein „General-Pardon“, welches unterschiedslos alle Deserteure begnadigte, die bis zu einem festgesetzten Termin zu ihrem Regiment zurückkehrten.102 Ähnliche Begnadigungsakte waren schon vorher unter Interimsgouverneur Daun, am 3. August 1725, und später unter der Statthalterschaft Maria Elisabeths, am 14. Oktober 1730 sowie am 21. November 1733, veröffentlicht worden.103 Mit diesen Maßnahmen versuchte man, verloren gegangene Soldaten zurückzugewinnen und gleichzeitig der Abwerbung durch fremde Mächte entgegenzuwirken. Der relativ milde Umgang mit den Deserteuren zeugt aber auch von den Schwierigkeiten der Rekrutierung. In der österreichischen Armee herrschte Mangel an Personal, und es fiel der Obrigkeit nicht leicht, die vielen Leerstellen in den Regimentern aufzufüllen.

3.5 We r bu ng u n d R e k ru t i e ru ng Die Lücken, die durch Entlassung, Tod und vor allem Desertion entstanden waren, mussten durch die Werbung von Freiwilligen ausgeglichen werden.104 Die Rekru-

 99 AGR, CF, N° 3040, Brief von Festungskommandant Neipperg, Luxemburg, den 8. September 1749. 100 KA, AFA, 1735, N° 448, Bericht von Thüngen an Prinz Eugen, Luxemburg, den 9. Juni 1735. 101 Ibidem. 102 Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 27. 103 Ibidem. 104 Einen allgemeinen Überblick über Mittel und Probleme der Heeresaufbringung in der Habsburgermonarchie bietet Jürg ZIMMERMANN, Militärverwaltung und Heeresaufbringung in Österreich bis 1806, in  : Deutsche Militärgeschichte in sechs Bänden 1648–1939, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 1, Abschnitt III, München 1983, S. 96–114.

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tierung wurde durch die Regimenter vorgenommen, die zu diesem Zwecke Werbetrupps – meistens ein Offizier in Begleitung eines Spielmanns sowie einiger Altgedienter – abstellten. Die Werbekommandos der Nationalregimenter durchzogen die niederländischen Provinzen, während die deutschen Regimenter im Reich, das heißt in den außerösterreichischen Territorien des Reiches, rekrutierten. Die jeweiligen Werbebezirke wurden den Einheiten von der Brüsseler Regierung beziehungsweise vom Hofkriegsrat zugewiesen. Die Obrigkeit stellte „Werbepatente“ aus, die den Werbeoffizieren als Ausweis dienten und die örtlichen Behörden zur Mitarbeit aufforderten. Für die Werbung auf dem Gebiet der deutschen Fürstentümer war das Einverständnis des betroffenen Landesherrn erforderlich. Die Verhandlungen mit den Herrschern und den Reichsständen wurden vom Reichskanzler und dem Präsidenten des Hofkriegsrats geführt.105 Städte wie Köln, Aachen und Frankfurt galten als echte Umschlagplätze für die Ware „Soldat“. Doch die dort erstandenen Söldner hatten einen schlechten Ruf, da an diesen Orten „nichts als lauter Landtlauffer und frembde Deserteurs sich aufhalten“.106 Insbesondere befürchtete man den verderbenden Einfluss dieser zweifelhaften Neuzugänge auf die alte Mannschaft.107 Immer wieder äußerten Regimentsinhaber und ihre Befehlshaber den Wunsch, in den Kernlanden, so z. B. in Böhmen oder Schlesien, inländische Rekruten anwerben zu dürfen.108 Untertanen galten gemeinhin als zuverlässiger, denn von ihnen konnte man eher Treue zum Landesherrn erwarten.109 Dass dem nicht so war und auch die Landeskinder die in sie gesetzten Erwartungen nicht immer erfüllten, zeigen die Schwierigkeiten bei der Aufbringung ausgerechnet jener Einheiten, die mehrheitlich aus Bewohnern der Niederlande bestanden. Nicht nur zählten die Nationalregimenter überverhältnismäßig viele Deserteure, ihre Ergänzung erwies sich darüber hinaus als besonders problematisch. Trotz intensiver 105 Christopher DUFFY, The Army of Maria Theresa […], S. 47. 106 KA, AFA, 1724, N° 392, Brief von Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 21. November 1724. 107 „[…] wan die Webungen in Aachen, Cöln und Franckfurt angestellet würden, es mehr als sicher ist, daß als dan die Recroutirung mehr Nach als Vorteil denen Regimenter beibringen wird, wie solches die anno 1718 und 1719 vollbrachte Musterungen ausweisen, daß in diesen Jahren die anno 1717 in vorgemelten Orten angeworbenen Mannschaft fast alle widerumb desertiret und noch die besten Jahren beÿ denen respective Regimenter gewesene alte Leuth mit verführet habe […].“ KA, AFA, 1723, N° 388, Bericht von Gruber an Prinz Eugen, Brüssel, den 8. Juni 1723. 108 KA, AFA, 1724, N° 392, Brief von Ludwig Andreas Graf von Khevenhüller an Prinz Eugen, Kortrijk, den 21. August 1724  ; KA, AFA, 1732, N° 422, Brief von Herzog von Arenberg an Prinz Eugen, Brüssel, den 14. März 1732  ; KA, AFA, 1732, N° 422, Bericht von Sigmund von Thüngen an Prinz Eugen, Luxemburg, den 30. Juli 1732. 109 Siehe Michael SIKORA, Verzweiflung oder „Leichtsinn“ […], op., cit., S. 255.

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Werbebemühungen hatte die Armee in den Niederlanden wenig Zulauf. Am 20. Januar 1735 berichtet Thüngen, dass das Regiment Los Rios innerhalb von drei Wochen „obwohlen sie durch die gantze Provinz [Luxemburg] ihre Werbeplätze extendiret nicht mehr als zweÿ Mann so über das noch Frembde sind bekommen haben“.110 Die Rekrutierung ging nur mühsam voran. Am 3. Februar, nach über einem Monat Werbetätigkeit, verzeichnete Los Rios acht Neuzugänge. Es handelte sich dabei um keinen Einzelfall. Das Regiment de Ligne stand mit 14 neu angeworbenen Soldaten kaum besser da.111 Dies ist umso bezeichnender, als das Herzogtum Luxemburg eine wirtschaftlich unterentwickelte Gegend war, in der man zahlreiche besitzlose Bauern, Tagelöhner und Handlanger vermuten durfte, ärmliche Bevölkerungsschichten also, aus denen das Militär traditionell seinen Nachwuchs bezog.112 In den anderen Teilen der Niederlande fand der Militärdienst auch nicht den erhofften Zuspruch. Angeblich widerstrebte es den Niederländern, sich dem Zwang militärischer Disziplin zu unterwerfen. Es gelang der österreichischen Obrigkeit nicht, die Nationalregimenter auf ihre Sollstärke zu bringen, „weillen die Leuthe aus disen Provinzen nicht gerne unter der Infanterie dienen auch sonsten allzu freÿmüthig seÿnd und […] à mesure wie sÿe angeworben werden, widerummen durchgehen, mithin niemahlen in completem Stande werden gebracht und beÿsammen behalten werden können“.113 Unter diesen Umständen war die Forderung, nur gebürtige Niederländer und keine Fremden anzuwerben, nicht länger haltbar.114 Doch „will man solche mit französischen Deserteurs, deren es zu Lüttich und dortherum in der Menge gibt und worvon sich vile einschleichen werden, vermehren, so […] hat es die nemlich Beschaffenheit, weillen selbe gleichfalls nicht stand halten, sondern vermutlich wider durchgehen würden“.115 Ungeachtet des Verdachts ihrer Unbeständigkeit griff man gezwungenermaßen auf Ausländer zurück, um den Bedarf der Nationalregimenter an Rekruten 110 KA, AFA, N° 448, Bericht von Thüngen an Prinz Eugen, Luxemburg, den 20. Januar 1735. 111 KA, AFA, N° 448, Bericht von Thüngen an Prinz Eugen, Luxemburg, den 3. Februar 1735. 112 Am Ende des Ancien Régimes stellte die Provinz Luxemburg, im Verhältnis zu seiner Bevölkerung, die meisten Rekruten der Nationalregimenter. Ruwet führt diesen Umstand auf die wirtschaftliche Rückständigkeit des Herzogtums zurück, die einen Teil der Bevölkerung dazu bewog, ihren Lebensunterhalt fern der Heimat zu verdienen. Vgl. Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 33–41. 113 KA, AFA, 1734, N° 433, Bericht von Neipperg an Prinz Eugen, Luxemburg, den 15. April 1734. 114 Feldmarschall von Daun hatte das Nationalitätsprinzip in seinem Bericht zur Militärreform 1725 gefordert   : « […] puisqu’il se trouve parmi ces troupes beaucoup d’Allemands, Hollandais, Français et autres étrangers que l’on n’admettra à l’avenir que ceux qui sont du pays, c’étant des troupes nationales. » Zitiert in Gustave-Henri-Louis GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux […], op., cit., S. 393. 115 Ibidem.

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zu decken. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts machte der Ausländeranteil in der Regel zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Mannschaftsstärke aus.116 Das Militär verlangte von seinen Rekruten bestimmte körperliche Voraussetzungen, deren Erfüllung die Aufbringung notgedrungen erschwerten. Wer zu klein, zu schwächlich, zu jung oder zu alt war, galt als nicht tauglich. Von besonderer Bedeutung war die Größe des Mannes. Zum einen überwog im 18. Jahrhundert die Auffassung, große Burschen seien widerstandsfähiger und kräftiger.117 Zum anderen gab es waffentechnische Gründe, denn Soldaten von hohem Körperwuchs konnten ein langläufiges Vorderladergewehr schneller und besser handhaben.118 Allgemein wurden in den Armeen dieser Zeit siebzig Zoll (1,65 Meter) verlangt, in der preußischen Armee unter Friedrich II. sogar fünf Fuß fünf Zoll (1,70 Meter).119 In den Niederlanden legte erst 1758 eine Ordonnanz Maria Theresias die Mindestgröße sowie die Altersgrenzen ausdrücklich fest.120 Doch es ist durchaus denkbar, dass diese Bestimmungen schon vorher ihre Gültigkeit besaßen. Als Mindestalter wurden 18 Jahre, als Höchstalter 40 Jahre genannt. Rekruten, die eine Mindestgröße von fünf Fuß und zwei Zoll (1,63 Meter) nicht erreichten, konnten keine Aufnahme finden.121 Dass diese strengen Vorschriften dennoch dann und wann Ausnahmen erfuhren, zeigen Untersuchungen für das späte 18. Jahrhundert.122 Seit der im Jahre 1725 vorgenommenen Einverleibung war auch in den National­ regimentern die lebenslange Dienstzeit Pflicht geworden.123 Die Unwiderruflich116 Für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts geben die überlieferten Musterlisten Aufschluss über die geografische Herkunft der Soldaten. Vgl. Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 34. Zu den Musterlisten siehe Joseph RUWET, Les archives et bibliothèques de Vienne et l’histoire de Belgique, Bruxelles 1956, S. 233–259. 117 Bernhard R. KROENER, Die materiellen Grundlagen österreichischer und preußischer Kriegsanstrengungen 1756–1763, in  : Bernhard R. KROENER (Hg.), Europa im Zeitalter Friedrichs des Großen. Wirtschaft – Gesellschaft – Kriege, München 1989, S. 47–78, S. 50. 118 Stefan KROLL, Soldaten im 18. Jahrhundert […], op., cit., S. 78. 119 Ibidem. 120 Erlass vom 25. Januar 1758, veröffentlicht in  : ROPBA, Bd. 8, Bruxelles 1894, S. 175–176. 121 Berechnet auf Grundlage des österreichischen Fußes, der 0,31608 Meter beträgt und seiner Unterteilung, dem Zoll, der 0,02634 Meter entspricht. Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 67. 122 Ibidem, S. 68–69. 123 Feldmarschall von Daun führte 1725 die unbefristete Dienstzeit in den Nationalregimentern ein und glich die Verpflichtungen denen der kaiserlichen Regimenter an  : « […] que les soldats engagés à terme et qui ne veulent pas se rengager pour leur vie durant, seront congédiés lorsque leur terme sera expiré  ; bien entendu que, depuis le 1er mai en avant, cela se fasse selon l’observance dans le service impérial. Que les soldats qui seront enrolés dorénavant ne seront admis que pour leur vie durant […]. » Zitiert in Gustave-Henri-Louis GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux […], op., cit., S. 393.

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keit des Militärengagements schreckte ohne Zweifel viele ab. War der Eid einmal abgelegt, gab es kein Entrinnen mehr. Der vereidigte Soldat trug die Uniform bis zu seinem Tod oder wenigstens bis zu seiner vollständigen Untauglichkeit. Seinen Berufsstand konnte er nicht mehr wechseln. Der Eintritt in die Armee hatte etwas Endgültiges, was nicht im Sinne derer war, die den Waffendienst als eine kurzfristige Verdienstmöglichkeit sahen und früher oder später in die Lebensverhältnisse, denen sie entstammten, zurückkehren wollten. Um den Militärdienst attraktiver zu gestalten, ging die Militärführung schon bald wieder dazu über, zeitlich befristete Verträge, sogenannte „Capitulationen“, anzubieten. Da die Rekrutierung in den vergangenen Jahren nur von sehr mäßigem Erfolg gekennzeichnet war, schlug 1734 der kommandierende General in den Niederlanden von Wurmbrand der Regierung vor, die Dienstzeit auf vier-Jahre zu begrenzen.124 Bei der Anwerbung bekam der Rekrut vom Kriegskommissariat ein Billett ausgehändigt, das ihm versicherte, dass er nach Ablauf von vier-Jahren seine Entlassung beantragen konnte, ohne angehalten zu sein, einen Ersatzmann zu stellen. Von der klaren Befristung erwartete man sich den entsprechenden Zulauf an Freiwilligen.125 Eine Alternative zur Regimentswerbung war die Stellung von Rekruten durch die Landstände.126 Verschiedene Truppenkommandanten sahen in ihr einen Ausweg aus den Schwierigkeiten der Heeresaufbringung. So befürwortete unter anderen von Thüngen dieses Mittel der Ergänzung, „als welches in spanisch und französischen Zeiten auch geschehen, da man die Leuthe aus dem Land zur Completirung genommen hat“.127 Die Aushebung der Rekruten würde in dem Falle von den Landständen in den einzelnen Provinzen vorgenommen. Die ständischen Vertreter würden die Rekrutenkontingente „par clocher“, d.h. auf die Städte, Herrschaften und Gemeinden, verteilen. Die kaiserliche Kriegskasse käme aber weiterhin für das Handgeld, die Montur sowie die Bewaffnung auf.128 Der Vorschlag Thüngens wurde jedoch in Brüssel verworfen, wo man den Widerstand der auf ihre Privilegien bedachten Stände fürchtete. Es ließe sich „nicht so despotisch hierlanden disponieren, wie zu des Comte Bergeik Zeiten, die Franzosen gethan“, gab man dem umtriebigen Ge124 « Mémoire à servir de former le placcard pour la levée des recruës des troupes nationales », Anhang zum Bericht von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel, den 30. April 1734. KA, AFA, 1734, N° 433. 125 Der Erlass Maria Theresias zur Aushebung von Rekruten für die Nationalregimenter vom 25. Januar 1758 sah auch eine Beschränkung der Dienstzeit auf wahlweise drei oder vier-Jahre oder auf die Dauer des Krieges vor. ROPBA, Bd. 8, Bruxelles 1894, S. 175–176. 126 Vgl. Alphons WREDE, Geschichte der K. und K. Wehrmacht […], op., cit., Bd. 1, S. 95–96. 127 KA, AFA, 1734, N° 433, Bericht von Thüngen an Prinz Eugen, Luxemburg, den 2. August 1734. 128 KA, AFA, 1735, N° 448, Bericht von Thüngen an Prinz Eugen, Luxemburg, den 3. Januar 1735.

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neral zu verstehen.129 Vor allem aber bestand bei dieser Art der Zwangsrekrutierung die Gefahr, dass junge Männer, die als diensttauglich galten, einer Einziehung jedoch entgehen wollten, zur Flucht außer Landes verleitet wurden. Das eigentliche Problem, an dem die Ergänzung des Militäraufgebots in den Niederlanden scheiterte, war und blieb die unzureichende finanzielle Ausstattung der Armee. Generalkommandant von Wurmbrand bemerkte treffend, wenn das Geld schon nicht für die Besoldung und Verpflegung der bestehenden Truppen reiche, wie sollten dann noch Mittel für die Rekrutierung von zusätzlichen Soldaten aufgebracht werden  ?130 Rekruten waren teuer, in den Niederlanden teurer als im Reich. Ein in den niederländischen Provinzen Angeworbener kostete „sambt dem Obergewehr“ – die Ausrüstung also miteinberechnet – 39 Gulden. In Deutschland fanden sich dagegen schon Freiwillige für um die 24 Gulden.131 Der Neuzugang bekam bei der Einwilligung, der „Assentierung“, ein Handgeld ausbezahlt. Ein Erlass Maria Theresias von 1758 legte diese Gratifikation auf 21 Brabanter Gulden für die Freiwilligen der Nationalregimenter fest. Die Amtleute, die bei der Aufbringung behilflich waren, bekamen für jeden vermittelten Rekruten eine Belohnung von sieben Brabanter Gulden.132 Die angehenden Soldaten mussten mit einer Uniform und einer Waffe ausgestattet werden. Dabei ging ein Kavallerist sicherlich mehr ins Geld als ein Infan­ terist. Auf dem Marsch vom Werbeplatz bis zum Regiment mussten die Rekruten des Weiteren verpflegt werden. Auch die auf Werbung ausgeschickten Offiziere und Mannschaften verlangten nach Unterhalt und Bezahlung. Es verwundert demnach nicht, dass der Ersatz des niederländischen Heeres stattliche Summen forderte, die den Militärhaushalt arg belasteten. 1738 veranschlagte die Finanzverwaltung die Kosten für 1.327 Rekruten, die zur Vervollständigung des Sollstandes benötigt wurden, auf 67.816 Gulden und 14 Stüber in Brabanter Währung.133 Am Ende der Herrschaft Karls VI. kostete die Anschaffung eines neuen Soldaten die Staatskasse durchschnittlich über 50 Brabanter Gulden. 129 KA, AFA, 1735, N° 448, Schreiben von Wurmbrand an Thüngen, Brüssel, den 8. Januar 1735. Jean de Brouchoven, Graf von Bergeyck, geboren 1644 in Antwerpen, gestorben 1725 in Leefdaal, war Generalschatzmeister unter den letzten spanischen Statthaltern. Er verwaltete die Niederlande im Namen Philipps V. von Anjou zwischen 1702 und 1706. Reginald DE SCHRYVER, Jan van Brouchoven, graaf van Bergeyck (1644–1725). En halve eeuw staatkunde in de Spaanse Nederlanden en in Europa, Bruxelles 1965. 130 KA, AFA, 1734, N° 433, Bericht von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel, den 30. April 1734. 131 Ibidem. 132 Erlass vom 25. Januar 1758, veröffentlicht in ROPBA, Bd. 8, Bruxelles 1894, S. 175–176. 133 AGR, CF, N° 2846, « État pour reconnaître combien de recrues et de chevaux de remonte il faudrait […] et quelle somme d’argent il faudrait pour cet effet », o. D. [Juli 1738].

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Aufrüstung nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg

3.6 Au f rüs t u ng n ac h de m Ö s t e r r e ic h i s c h e n E r bf ol g e k r i e g Die Ereignisse des Österreichischen Erbfolgekrieges gaben den Anstoß zu einer tief greifenden Wendung in der Aufbringung und Finanzierung des habsburgischen Heeres.134 Bei Ausbruch des Konfliktes musste Maria Theresia schmerzlich erfahren, dass sie der feindlichen Koalition „ohne Geld, ohne Credit, ohne Armée“ gegenüberstand.135 Der Urheber und tatkräftigste Befürworter der „Theresianischen Staatsreform“, Graf Haugwitz, führte dann auch den Verlust Schlesiens auf den Mangel an Truppen zurück, ein Umstand, der sich wiederum aus den leeren Staatskassen leicht erklären ließ.136 Seine Berechnungen ergaben, dass ein Friedensheer von 108.000 Mann ausreichen würde, die Monarchie zu verteidigen. Die dazu erforderlichen Mittel von rund 14 Millionen Gulden konnten jedoch nur durch eine Steigerung der bisher ungenügenden Einnahmen gewonnen werden.137 Der Wunsch nach mehr Wehrkraft wurde demzufolge zum Ausgangspunkt, wenn auch nicht zum alleinigen Beweggrund der nun folgenden Reformen, die im Wesentlichen auf eine Erhöhung der Steuerleistung und das Zurückdrängen des ständischen Einflusses zielten. Die Zustände in den Niederlanden entsprachen dem Bild, das die Gesamtmonarchie bot. Auch hier hatte die Armee, geschwächt durch Desertion und unfähig, sich durch Werbung ausreichend Ersatz zu verschaffen, nie die auf dem Papier geforderte Stärke erreicht. Schuld am Verfall der bewaffneten Macht war hier wie dort die Finanzmisere gewesen. Die von der österreichischen Verwaltung nach 1748 in den Niederlanden betriebene Politik fügte sich dementsprechend in das Gesamtprogramm der Regierung Maria Theresias ein. Die Militärreformkommission, die schon vor Abschluss des Aachener Friedensvertrages in Wien unter Vorsitz Karls von Lothringen zusammentraf, debattierte unter vielen anderen Gesprächspunkten auch über die österreichische Militärpräsenz in den Niederlanden und wie dieses vielseitig bedrohte Gebiet zu schützen sei.138 Die Staatsministerialkonferenz, welche die wichtigsten Berater der Krone versammelte, beschäftigte sich zwischen November 1748 und Feb-

134 Vgl. Johann Christoph ALLMAYER-BECK, Wandlungen im Heerwesen zur Zeit Maria Theresias, in  : Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien, Bd. 3 Maria Theresia. Beiträge zur Geschichte des Heerwesens ihrer Zeit, Graz/Wien/Köln 1967, S. 7–24, S.13–14. 135 Zitiert in Joseph KALLBRUNNER (Hg.), Kaiserin Maria Theresias politisches Testament, Wien 1952, S. 45. 136 Friedrich WALTER, Die Theresianische Staatsreform von 1749, Wien 1958, S. 43–44. 137 Jürg ZIMMERMANN, Militärverwaltung und Heeresaufbringung […], op., cit., S. 75 u. 103. 138 Joseph LAENEN, Le ministère de Botta-Adorno dans les Pays-Bas autrichiens pendant le règne de Marie-Thérèse (1749–1753), Anvers 1901, S. 65.

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ruar 1749 ebenfalls mehrmals mit der Ausarbeitung eines Regierungsprogramms für die Niederlande.139 Dieses wurde in den Instruktionen, die der Statthalter Karl von Lothringen und der bevollmächtigte Minister Botta-Adorno bei ihrer Abfahrt nach Brüssel erhielten, zusammengefasst. Wichtigste Punkte waren dabei die Wiederherstellung der öffentlichen Finanzen, der Unterhalt des Heeres sowie die Beziehungen zur verbündeten Holländischen Republik. Die Anweisungen enthielten eine präzise Zielsetzung für das niederländische Heerwesen  : „Das Wohl meines königlichen Dienstes verlangt, dass man in den Niederlanden eine tatsächliche Truppenzahl von mindestens 25.000 Mann unterhält.“140 So wie Haugwitz eine genaue Anzahl für das gesamte Habsburgerreich ermittelt hatte, waren die beratenden Gremien zum Schluss gekommen, der Schutz der niederländischen Besitzungen erfordere 25.000 Mann. Doch wie konnte diese Vorgabe erfüllt werden  ? Die niederländische Kriegskasse war leer, die Wirren der Kriegsjahre hatten die Provinzen erschöpft. In einer persönlichen Note an seine Schwägerin warnte Karl von Lothringen vor einer voreiligen Festlegung auf eine bestimmte Truppenstärke.141 Erst nach der Rückkehr der Regierung in die Niederlande und aufgrund der Verhandlungen mit den Landständen würde Klarheit über die verfügbaren Mittel herrschen. Der zukünftige Statthalter deutete dennoch einen Weg aus der finanziellen Notlage an  : die Aufkündigung der Zahlungspflichten des Barrierevertrages. Die Idee war offenbar allmählich während den Beratungen herangereift. Auch die Herrscherin hieß das Vorhaben gut, keine Subsidien mehr an Holland zu zahlen und den Betrag, der sich immerhin auf annähernd 1.400.000 Gulden belief, der niederländischen Kriegskasse angedeihen zu lassen.142 Mit einem solch beträchtlichen Zuschuss rückte die Verstärkung der Streitkräfte in den Bereich des Machbaren. Insgeheim erhoffte man sich, da Österreich einen größeren Teil der im Barrierevertrag vorgesehenen Sicherheitsanstrengungen übernahm, einen stillschweigenden Verzicht der Holländer auf die Hilfsgelder.143 139 Michèle GALAND, Charles de Lorraine, gouverneur général des Pays-Bas autrichiens (1744–1780) (Études sur le XVIIIe siècle, Bd. 20), Bruxelles 1993, S. 58–60. 140 « Le bien de mon royal service exige qu’on entretienne aux Pays-Bas au moins le nombre de vingt-cinq mille hommes effectifs ». Ernennungsurkunde Botta-Adornos vom 22. Februar 1749, veröffentlicht in ROPBA, Bd. 6, Bruxelles 1887, S. 402–404, S. 403. 141 KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. IX, N° 67, « Nouvelle note sur l’établissement du militaire aux Pays-Bas », Schreiben (Entwurf ) von Karl von Lothringen an Maria Theresia vom 1. November 1748. 142 Joseph LAENEN, Le ministère de Botta-Adorno […], op., cit., S. 86. 143 AGR, SEG, N° 2725, « Note concernant le militaire et les recrues aux Pays-Bas », o. A., Wien, den 13. März 1749. Gleichlautendes Dokument unter KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. IX, N° 65, « Note touchant les recrues pour les Pays-Bas », o.D. [1749].

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Verstärkte Rekrutierungsmaßnahmen

Bei der Ankunft Karls von Lothringen und Botta-Adornos in Brüssel im Frühjahr 1749 standen in den Niederlanden zehn Infanterieregimenter, sechs deutsche und vier wallonische, sowie zwei berittene Einheiten, ein wallonisches Dragoner- und ein deutsches Kürassierregiment.144 Hinzurechnen konnte man eine kriegsbewährte Ingenieursbrigade sowie mehrere Hundert Kanoniere, die sich in ein deutsches und ein nationales Artilleriekorps aufteilten.145 Jedes Regiment zählte vier Bataillone und zwei Grenadierkompanien. Alle Einheiten zusammengenommen ergaben jedoch weit weniger als die geforderten 25.000 Mann. Die Musterung vom Oktober 1748 verzeichnete eine Heeresstärke von 17.621 Mann. Der Effektivbestand der zehn Infanterieregimenter betrug 15.883 Mann, die beiden Reiterregimenter kamen auf 1.738 Mann.146 Einem Dokument aus Militärkreisen zufolge musste es gelingen, bis zum Jahr 1750 mindestens 23.000 Mann aufzubieten, damit insbesondere England vom Ernst der österreichischen Verteidigungsbemühungen überzeugt würde und keinen weiteren Druck wegen den fälligen Barrierezahlungen ausübte.147 Der Zeitpunkt zur Rekrutierung schien günstig. Nach Kriegsende wurden überall die Armeen reduziert, in Frankreich, in Holland und in den vielen Fürstentümern des Reiches. Arbeit suchende Soldaten gab es im Überfluss und sie waren mit schätzungsweise 40 Gulden für einen Rekruten dementsprechend billig zu haben. Eine Aufstockung der Armee um 7.000 Mann sollte demnach 280.000 Gulden kosten.148

3.7 Ve r s tä r k t e R e k ru t i e ru ng s m a s s n a h m e n In Wirklichkeit gestaltete sich die Anwerbung zusätzlicher Mannschaften weitaus schwieriger, als es diese scheinbar günstigen Umstände erhoffen ließen. Dabei 144 1742 war ein viertes nationales Infanterieregiment eingerichtet und dem Grafen Karl-Anton von Arberg anvertraut worden. Alphons WREDE, Geschichte der K. und K. Wehrmacht […], op., cit., Bd. 2, Wien 1898, S. 260–263. u. Gustave-Henri-Louis GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux […], op. cit. , S. 20. 145 Zum niederländischen Artilleriewesen siehe Étienne ROOMS, Corps de l’artillerie, in  : Les institutions […], op., cit., S. 855–861. 146 HHStA, Belgien, Regest DD Abt. B 79 rot, « Remarques sur l’Etat militaire et son économie aux Paÿsbas » o.D. [1753]. Dieses ������������������������������������������������������������������������������ Dokument enthält Angaben zur Iststärke der Regimenter in den Niederlanden für die Jahre 1748 bis 1753. 147 AGR, SEG, N° 2725, « Note concernant le militaire et les recrues aux Pays-Bas », Wien, den 13. März 1749. Gleichlautendes Dokument unter KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. IX, N° 65, « Note touchant les recrues pour les Pays-Bas », o.D. [1749]. 148 Ibidem.

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drängte die Zeit.149 Die sechs in den Niederlanden stationierten deutschen Infanterieregimenter hatten einen eng eingegrenzten Bezirk zur Rekrutierung im Reich zugewiesen bekommen, wo ihre Werbekommandos sich gegenseitig behinderten. Da jedes Regiment seine eigene Werbung anstellte, warb man sich gegenseitig die Rekruten ab. Besonders Gewitzte meldeten sich gleich bei mehreren Regimentern und steckten zwei- oder dreimal das Handgeld ein.150 Die Reisekosten für die auf Werbung abgeschickten Leute mussten die Einheiten selbst tragen, was eine nicht unbedeutende Ausgabe für die Regimentskasse darstellte. Deshalb und auch, um Konkurrenz untereinander zu vermeiden, wurde die Bildung eines einzigen Werbekommandos vorgeschlagen, das die Rekrutierung für alle sechs Regimenter gemeinsam vornehmen sollte. Eine weitere Erwägung, die aber nur von der Ohnmacht der Aufbringungsbestrebungen zeugte, war, alle Soldaten deutscher Herkunft, die in den Nationalregimentern dienten, aus diesen herauszuziehen und den deutschen Einheiten zuzuteilen.151 In der Tat hatten auch die einheimischen Verbände große Probleme mit der Ergänzung. Selbst gegen Bezahlung blieben die Freiwilligen aus. Man riet den Regimentern, nicht zu wählerisch bei den Neuanwerbungen zu sein.152 So sollte man z. B. Wilddiebe, die keine andere Beschäftigung hatten, oder Männer, die bei Dorffesten in Schlägereien verwickelt waren, anstatt ins Gefängnis für drei oder gar sechs Jahre in die Armee stecken. Würde man die arbeitsunwilligen Bettler, die das Land plagten, aufgreifen, ergäbe dies eine ansehnliche Zahl an Rekruten.153 149 « […] le tems qui nous presse puisque ce n’est qu’en nous faisant voir fort que nous pouvons sauver les 500.000 patacons selon l’idée de la Cour et les intérêts de la caisse militaire […]. » [Die Zeit drängt uns, denn nur indem wir uns stark zeigen, können wir die 500.000 Patacons [Barrieresubsidien] retten im Sinne des Hofes und im Interesse der Kriegskasse.] KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. IX, N° 66, « Note touchant la façon dont on pourra s’y prendre pour recruter le plus promptement possible en ayant reçu les ordres », Entwurf, o.D. [1749]. 150 « […] c’est que le terrain de l’empire où nous devons recruter n’est point assez considérable pour que 6 régiments puissent y recruter à la fois  ; venant à se croiser ils se font du tort par là les uns aux autres et même il pourrait arriver qu’un homme tire l’argent de deux ou 3 places où l’on recrute et il s’en va […]. » Ibidem. 151 KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. IX, N° 63, „Ohnmaßgeblicher Vorschlag wie die in Niderland liegende Regimenter am füglichsten ohne denen in Italien und denen in denen Erbländern liegenden Regimentern verhinderlich zu seÿn, können completiret werden“, Wien, den 16. Dezember 1748. 152 « […] de chercher les moyens d’avoir du monde coute ce qui coute et de tenir les regiments at recruter at force moyens en qu’on leurs donnerat de l’argent et qui ne soit pas sy delicats dans le choix de leurs recrues et qu’ils le presse at recruter […]. » KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. IX, N° 66, « Note pour recruter les régiments wallons », Entwurf, o. A., 1749. 153 KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. IX, N° 66, « Idée pour compléter les régiments valons », 1749.

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Verstärkte Rekrutierungsmaßnahmen

Die Unfähigkeit der Regimenter, aus eigenen Kräften genügend Leute anzuwerben, rief wieder diejenigen auf den Plan, die eine Einschaltung der Landstände befürworteten. Eine Denkschrift, deren Verfasser sich als „Kompatriot“ („compatriote“) bezeichnete, regte an, den Stolz der Provinzen auszunutzen und vier zusätzliche Bataillone mit den Namen Flandern, Brabant, Hennegau und Luxemburg einzurichten.154 Die kleineren Provinzen bekämen ein gemeinsames Regiment, genannt „Regiment der Königin“, mit Standort Brüssel. Die Aushebung der Mannschaft, 690 Mann pro Bataillon, wäre Sache der Landstände. Auch Pläne zur Schaffung einer Miliz, aus der sich der Ersatz an Soldaten für das stehende Heer ziehen ließe, zirkulierten in Regierungskreisen.155 Frankreich, wo Ludwig XIV. 1688 eine Miliz als Reservoir von Rekruten für die reguläre Armee gegründet hatte, diente dabei vielleicht als Vorbild.156 Für die Verteilung der Kontingente auf die Herrschaften und Dorfgemeinden wären wiederum die Landstände zuständig. Diese Art von „Landwehr“ käme an Sonntagnachmittagen und Festtagen zusammen, um von Offizieren und Berufssoldaten der Nationalregimenter in Waffengebrauch und Marschieren ausgebildet zu werden. Zweimal im Jahr, im Frühjahr und im Herbst, zu Zeiten, wo wenig Feldarbeit anfällt, sollten vierzehntägige Manöver stattfinden. Zugelassen zur Miliz wären unverheiratete Männer – mit Ausnahme von zehn Ehemännern pro Kompanie – im Alter von fünfzehn bis vierzig Jahren. Wie bei anderen Entwürfen zur Truppenvermehrung in dieser Zeit äußerte sich auch hier das Begehren und die Hoffnung, dass sich durch die Einrichtung neuer Militäreinheiten zusätzliche Karrieremöglichkeiten für den südniederländischen Adel auftun würden. In der militärischen Umrahmung dieser Miliz könnte die dortige Aristokratie ein ihr angemessenes Betätigungsfeld finden. Mehr Soldaten bedeuteten stets auch mehr Offiziersstellen, die zum größten Teil von adligen Anwärtern besetzt wurden.157 154 Ibidem. 155 Verschiedene Entwürfe zur Schaffung einer Miliz unter der Signatur AGR, SEG, N° 2690. 156 Jean CHAGNIOT, Guerre et société à l’époque moderne, Paris 2001, S. 116–117. 157 « Il naitroit enfin de l’établissement de ces nouveaux regimens l’aisance d’emploier derechef un nombre considerable de la noblesse du pays pour le service militaire, de les consoler par des charges d’officiers de l’état major ou d’autres de leur fournir l’occasion de se distinguer par leur bravoure pour la defense de la patrie et de perpetuer la gloire de leurs ancêtres. » AGR, SEG, N° 2690, « Idée selon laquelle on pourroit sans surcharger les provinces des Pays-bas y avoir toujours en temps de paix le nombre de 16 bataillons de milice. » In einer anderen Denkschrift heißt es  : « […] la noblesse en Flandres ne se met gueres dans le ministère et embrasse préferablement le militaire. Aussi la plupart des ministères dans ce Païs là sont ils ce qu’on nome gens de robe à l’exception de quelques emplois qui sont gerés par des gens de condition. Mais ils sont en si petit nombre que cela ne peut point s’appeler un débouché pour une noblesse aussi considérable et qui sans cela est plus inclinée à prendre le parti des armes. On seroit donc d’avis d’avoir plusieurs regimens pour placer cette noblesse et l’empecher par là de prendre du

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Tatsächlich wandte sich die Regierung um Hilfe an die Landstände. Im Oktober 1749 versuchte sie, von den Provinzen die Bestellung von 3.000 Rekruten für die Nationalregimenter zu erreichen.158 Die Landstände von Hennegau gaben zu bedenken, dass „die Aushebung einer Miliz oder von Rekruten nicht gebräuchlich im Land Hennegau ist, dass die Einwohner dort viel Widerwillen hegen und dass daraus Nachteile entstehen“.159 Insbesondere Leute aus den Grenzregionen würden dazu verleitet, das Land zu verlassen, ein Land, das im Verhältnis zu seiner Ausdehnung schon nicht genügend Einwohner habe. Die Rekrutierung würde Landwirtschaft, Industrie und Handel schaden. Während einzelne Angehörige der Adelsschicht für eine Vergrößerung der Armee eintraten, war die Mehrzahl der Bevölkerung dem Militärdienst schlecht gesonnen, da sie ihn als äußerst störend empfand. Die Landstände von Hennegau sowie die von Brabant und Luxemburg lehnten eine Lieferung von Rekrutenkontingenten ab, waren jedoch bereit, eine außergewöhnliche Geldsumme für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen. Die Landstände von Flandern und Limburg verwarfen beides als gegen ihre Vorrechte gerichtet, stimmten aber einer Erhöhung der üblichen Kontribution zu. Was die Provinz Namur betraf, so konnte sie nur auf Druck der Regierung dazu bewegt werden, einen sogenannten „Don gratuit“, eine „freie Gabe“, zu bewilligen.160 Insgesamt wehrten die Landstände sich gegen die Auferlegung einer neuen Last in Form einer „Naturalabgabe“ von Rekruten. Die Regierung sah dann auch von einer direkten Beteiligung der Landstände an der Heeresaufbringung ab. Damit die vorgesehenen 3.000 Rekruten dennoch zusammenkamen, ging die Obrigkeit dazu über, den Vorgang der Rekrutierung zu zentralisieren. Leutnant-Oberst Philippe-Simon Franqué vom Regiment Arberg wurde mit der Gesamtleitung der Werbung für die Nationalregimenter auf dem Territorium der Österreichischen Nie-

service chez les étrangers […]. » KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. VIII, N° 492, « Note sur l’idée concernant le pied et l’entretien des trouppes en tems de paix aux Païs-Bas », o. A., o. D. [um 1748]. 158 Joseph LAENEN, Le ministère de Botta-Adorno […], op., cit., S. 70. 159 « […] ils ne peuvent se dispenser d’observer que la levée de milice ou de recrües n’est point d’usage dans le païs du Hainaut, que les habitants ÿ ont beaucoup de répugnance et que celà occasionneroit des inconvénients en ce que plusieurs gens des limites et autres se porteroient facilement à abandonner le païs qui n’a pas assés d’habitants pour son étendüe pour ne pas y être exposé au préjudice de l’agriculture, des fabriques et du commerce […]. » AGR, CF, N° 2908, Bittschrift der Landstände von Hennegau, Mons, den 7. Januar 1750. Zitiert in Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 201–202. 160 Joseph LAENEN, Le ministère de Botta-Adorno […], op., cit., S. 70–71.

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derlande beauftragt.161 Er und die von ihm angestellten Mitarbeiter waren allein berechtigt, Enrollierungen vorzunehmen. Wenn ein Freiwilliger sich bei einem Regiment meldete, sollte er zum nächsten Werbeposten Franqués weitergeleitet werden, der dann auch entschied, ob dieser Mann die notwendigen Eigenschaften besaß, von welchen eine der Wichtigsten die niederländische Abstammung war. Ein von Statthalter Karl von Lothringen erlassenes Reglement bemühte sich um die Beseitigung von Hindernissen, die einer Anwerbung im Wege stehen konnten.162 Die Arbeitgeber mussten sofort ihre Dienstangestellten – Knechte, Handlanger und Domestiken – ausbezahlen und entlassen, falls diese wünschten, Soldat zu werden. Geringschätzige Reden, Spott oder andere Anstalten, die sich gegen die Rekrutierung richteten, wurden unter Strafe gestellt.163 Trotz dieser Zentralisierungsmaßnahme seitens der Regierung ließen die Nationalregimenter offensichtlich nicht von einer eigenständigen Werbung ab. Bei der Musterung des Infanterieregiments Los Rios im Herbst 1750 waren nicht weniger als 52 Mann abwesend, da sie auf Werbung unterwegs waren, davon sogar einige im Ausland, in Lüttich, Trier, Köln und Bamberg.164 Wie dem auch sei, die vereinten Anstrengungen schienen Wirkung zu zeigen. Im April 1753, kurz vor dem Ausscheiden Botta-Adornos, hatten die zwölf in den Niederlanden befindlichen Regimenter einen Effektivbestand von 21.779 Mann erreicht, immerhin eine Steigerung von über 4.000 Mann innerhalb von fünf Jahren.165 Der gesamten Armee fehlten aber immer noch 3.976 Mann oder etwa 15 % zum Erlangen der anvisierten Sollstärke von 25.755 Mann. Obwohl dieses Ziel nicht erreicht wurde, war es den Regimentern gelungen, eine beeindruckende Anzahl von Rekruten anzuwerben, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Neuzugänge teilweise wieder durch Desertion verloren gingen.166 In einigen Einheiten war die Mannschaft anscheinend so rasch angewachsen, 161 AGR, SEG, N° 804, f° 9, Ernennungsurkunde für Leutnant-Kolonel Philippe-Simon Franqué, Brüssel, den 18. Januar 1750. Veröffentlicht in Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 202–203. 162 KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. IX, N° 156, « Règlement pour la recrue générale des régimens nationaux d’infanterie dans toute l’étendue des provinces des Païs-bas ». Quelle abgedruckt in ROPBA, Bd. 6, Bruxelles 1887, S. 519–520. 163 « […] faire châtier exemplairement par qui il appartient tous ceux qui par induction, par de discours méprisans, raillerie ou tout autre mauvaise manœuvre pourroient s’aviser de troubler directement ou indirectement la levée des recrües […]. » Ibidem. 164 Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 30–31. 165 HHStA, Belgien, Regest DD Abt. B 79 rot, « Remarques sur l’Etat militaire et son aconomie aux Paÿsbas », o.D. [1753]. 166 Zwischen dem 1. November 1748 und dem 31. Oktober 1752 zählten die Regimenter in den Niederlanden insgesamt 7.544 Deserteure. Im Militärjahr 1752 lag die Desertionsquote bei 6,8 % (Anzahl

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Zwischen Ist und Soll

dass man mit der Anschaffung der Ausrüstung nicht nachkam. Kriegskommissar Karl von Pfanzelter, der das Infanterieregiment Los Rios Anfang 1751 musterte, musste zu seinem Erstaunen feststellen, dass annähernd 300 Soldaten ohne Feuerwaffe antraten.167 Der stellvertretende Oberst beschwerte sich auch über die unzureichende Bewaffnung.168 Die Soldaten seien gezwungen, sich gegenseitig zum Wachdienst die Gewehre auszuleihen. Im Falle einer Beschädigung würden die Reparaturkosten zu Lasten des Waffenbesitzers gehen, was zu unaufhörlichen Streitereien führe. Das Regiment würde täglich an Mannschaft zunehmen, so dass immer mehr Soldaten ohne Gewehr seien und den vorgeschriebenen Drill unmöglich machen könnten. Es handelte sich hierbei offensichtlich um keinen Einzelfall, denn auch die anderen Regimenter forderten vom Kriegskommissariat zusätzliche Waffenlieferungen.169

3.8 Tru ppe n a bz ug aus de n Ni e de r l a n de n Am Vorabend eines erneuten europäischen Waffenganges banden die Niederlande einen nicht unerheblichen Teil der österreichischen Streitkräfte. Von den 54 Infanterieregimentern und 40 Kavallerieregimentern, aus denen die österreichische Armee vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges bestand, waren zwölf zur Sicherung der niederländischen Provinzen bestimmt.170 Aus den Akten der Hofkommission Nostitz-Rieneck geht hervor, dass die Heeresstärke zu diesem Zeitpunkt (1754–1755) 158.939 Mann betrug. Davon waren 25.360 Mann in den Niederlanden stationiert, fast ein Sechstel der Gesamtarmee.171 Demnach kamen den Niederlanden der gleiche Anteil wie Italien (auch 25.360 Mann) zu, aber mehr als zum Beispiel Ungarn (23.352 Mann), Mähren (15.056), Restschlesien (2.376) oder den an das Osmader Deserteure  : 1.525  ; Heeresstärke  : 22.408). Angaben in HHStA, Belgien, Regest DD Abt. B 79 rot, « Remarques sur l’Etat militaire […]. » 167 AGR, SEG, N° 818, Brief von Kriegskommissar Karl von Pfanzelter an Karl von Lothringen, Brüssel, den 7. Januar 1751. 168 « […] le lieutenant colonel dudit régiment a remontré à cette occasion que par ce défaut les uns étoient obligés de prêter les armes aux autres pour faire la garde et que si les armes dans ce cas sont endommagées ou cassées les frais des réparations retombent toujours sur celui à qui les armes appartiennent ce qui est d’une grande charge à un fusilier, que le régiment s’augmentait tous les jours et que par conséquent il y a toujours un plus grand nombre d’hommes sans armes, ce qui empêche qu’on ne peut faire l’exercice comme il est ordonné […]. » Ibidem. 169 Ibidem. 170 Peter George M. DICKSON, Finance and government […], op., cit., Bd. 2, S. 348. 171 KA, Hofkommision Nostitz-Rieneck, F. 6, f° 531 ss. Tabelle zur Lokalisierung der österreichischen Armee (1754–1755) in Peter George M. DICKSON, Finance and government […], op. cit, Bd. 2, S. 356.

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Truppenabzug aus den Niederlanden

nische Reich angrenzenden Territorien Siebenbürgen, Banat und Slavonien (7.552, 5.552 bzw. 2.976 Mann). Nur Böhmen war als einziges Teilgebiet der Monarchie mit einem größeren Aufgebot versehen (30.912 Mann).172 Nach dem Versailler Vertrag und dem Bündnis mit Frankreich schieden die Niederlande 1756 aus der unmittelbaren Gefahrenzone aus. Schauplatz der nach Ausbruch des Siebenjährigen Krieges folgenden Kampfeshandlungen waren Böhmen, Sachsen und Ostpreußen. Im Oktober marschierte ein Großteil der in den Niederlanden gelegenen Verbände gen Osten ab.173 Kurz vor Kriegsbeginn waren die Regimenter in drei Bataillone gegliedert worden  : zwei „Feldbataillone“, die zur operierenden Armee bestimmt waren, und ein „Garnisonsbataillon“, das sich aus minder kampftauglichen Soldaten zusammensetzte.174 Es waren Letztere, die in den niederländischen Provinzen zurückblieben, dort weiterhin den Garnisonsdienst in den Festungen verrichteten und die Grundausbildung der Rekruten durchführten, die später zur Ergänzung an die Front geschickt wurden. Ende August 1757 befanden sich noch 5.591 Mann in den Niederlanden, davon 1.157 Mann in Luxemburg und 4.434 Mann in den übrigen Festungen und Garnisonsplätzen Gent, Antwerpen, Brüssel, Dendermonde, Mons und Brügge.175 Die Lage verbesserte sich kaum bis zum Ende des Krieges, die Zahl der regulären Truppen nahm eher noch ab. Zwischen Januar und September 1762 betrug der Effektivstand der vier verbleibenden Regimenter Los Rios, Ligne, Sachsen-Gotha und Arberg 4.090 Mann.176 Wenn man noch Abwesende, Abkommandierte, Kranke, Marschunfähige und weitere Dienstuntaugliche abzog, blieben sogar nur noch 3.341 einsatzfähige Soldaten übrig.177 Damit die Niederlande dennoch nicht ganz schutzlos einem Einfall feindlicher Truppen ausgeliefert waren, richtete die Regierung mehrere irreguläre Einheiten ein. Im Oktober 1756 wurden drei sogenannte „Compagnies franches“ oder Freikompanien ausgehoben, bestehend aus 117 Mann, 58 zu Pferd und 59 zu Fuß. Drei weitere Freikompanien kamen im Juli 172 Ibidem. 173 Patrice-François de NENY, Mémoires historiques et politiques sur les Pays-Bas autrichiens. Édition anastatique précédée d’une introduction par Claude SORGELOOS, Bd. 2, Bruxelles 1993 (Reprint der Originalausgabe von 1785), S. 253. 174 Alphons WREDE, Geschichte der K. und K. Wehrmacht […], op., cit., Bd. 1, S. 40. 175 ������������������������������������������������������������������������������������������������ AGR, SEG, N° 2689, « Tabelle sommaire pour le mois d’août 1757 des troupes de Sa Majesté en garnison aux Pays-Bas autrichiens », aufgestellt von Kriegskommissar Karl von Pfanzelter, 1757. 176 Januar 1762 : 4.434 Mann  ; Februar : 3.897 Mann  ; März : 3.973 Mann  ; April : 4.003 Mann  ; Mai : 4.029 Mann  ; Juni  : 4.041 Mann  ; August : 4.166 Mann  ; September : 4.178 Mann. KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. 28, N° 1139, „Summarischer Extract pro […] 1762 deren in denen Niederlanden befindlichen kaÿserlich-königlichen Trouppen“. 177 Ibidem.

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1758 dazu. Dieses Aufgebot wurde durch eine Küstenwache von ungefähr 700 Mann vervollständigt.178 Die Rekrutierung der Mannschaft schien aber wiederum der Obrigkeit nicht leicht gefallen zu sein. Der mit der Aushebung beauftragte Offizier, Leutnant-General von Piza, schlug vor, den Offizieren der Freikompanien nur ihre Stelle zu geben, wenn sie eine bestimmte Anzahl Männer mitbrächten. Kriegskommissar von Pfanzelter lehnte diese Form von Kriegsunternehmertum jedoch entschieden ab.179 Tatsächlich brachten die Freikompanien 1762 statt der angegebenen 702 Mann nur noch 573 Mann zusammen.180 Rechnete man noch alle Abwesenden und Kranken ab, schrumpfte die irreguläre Truppe auf die bescheidene Zahl von 320 Mann, zu wenig, um das niederländische Territorium auf ihren Patrouillen ernsthaft sichern zu können.181 Teile der Militärverwaltung hegten auch die Sorge, die Freikompanien entzögen der regulären Armee die dringend benötigten Rekruten.182 Den normalen Einheiten gelang es nicht, die Lücken in ihren Reihen zu schließen, die Tod, Desertion und Entlassung aufgerissen hatten. Schon 1758, ein Jahr nach Beginn des Konfliktes, hatte die Regierung verschiedene Maßnahmen ergriffen, um den Entsatz der Feldbataillone sicherzustellen. Diese hatten ihre ersten Verluste erlitten und mussten durch neue Rekruten aus den Niederlanden ergänzt werden. Ein Erlass vom 25. Januar 1758 forderte die Gerichts- und Amtsleute zur Mitarbeit bei der Beschaffung neuer Rekruten auf und setzte eine Belohnung von sieben Brabanter Gulden für jeden abgelieferten Dienstwilligen aus.183 Für jede Provinz waren ein oder mehrere Sammelplätze vorgesehen, wo die Rekruten von einem ranghohen Offizier angenommen und von einem Beamten der Militärverwaltung vertraglich verpflichtet wurden.184 Im Dezember 1758 entschloss sich 178 Patrice-François de NENY, Mémoires historiques […], op., cit., S. 253. 179 AGR, SEG, N° 2724, Brief von Kriegskommissar Karl von Pfanzelter an den bevollmächtigten Minister, Brüssel, den 15. März 1760. 180 Januar 1762  : 571 Mann  ; Februar  : 568 Mann  ; März  : 563 Mann  ; April  : 565 Mann  ; Mai  : 577 Mann  ; Juni  : 584 Mann  ; August  : 579 Mann  ; September  : 579 Mann. KA, Kriegswissenschaftliche Memoires, Abt. 28, N° 1139, „Summarischer Extract pro […] 1762 deren in denen Niederlanden befindlichen kaÿserlich-königlichen Trouppen“. 181 Ibidem. 182 « […] ayant jusqu’à ce jour très peu de succès à faire des recrues, l’on a toutes les peines de completter les troupes régulières dans ces pays […] tout s’oppose à donner à une nouvelle troupe le pied proposé […]. » AGR, SEG, N° 2724, Brief von Kriegskommissar Karl von Pfanzelter an den bevollmächtigten Minister, Brüssel, den 15. März 1760. 183 Erlass vom 25. Januar 1758, veröffentlicht in ROPBA, Bd. 8, Bruxelles 1894, S. 175–176. 184 AGR, CP, N° 957 B, Mitteilung des bevollmächtigten Ministers Karl von Cobenzl an die verschiedenen Provinzräte, Brüssel, den 26. Januar 1758. Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 207–208.

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Truppenabzug aus den Niederlanden

die Regierung, die Rekrutierungsvorgänge besser aufeinander abzustimmen.185 Die Koordination der Heeresaufbringung wurde Leutnant-General von Piza anvertraut, dem von jedem der vier wallonischen Garnisonsbataillone ein Kapitän sowie drei Unteroffiziere zugeordnet wurden.186 Erklärtes Ziel war es, 3.200 Rekruten anzuwerben. Damit die Bemühungen sich nicht wieder überschnitten, sollten die Regimenter vorläufig auf eigenmächtiges Werben verzichten. Insbesondere im Herzogtum Luxemburg blieben die Ergebnisse hinter den Erwartungen zurück, obwohl dort nach Einschätzung der Regierung „Überfluss herrschte an jungen Leuten, die kein Lebenseinkommen fanden, aber fähig waren, Waffen zu tragen“.187 Deshalb entschied man sich hier zu einer Zusammenarbeit mit den Landständen. Bei der Zusammenkunft der Ständeversammlung im März 1758 beantragte der Regierungsvertreter, Provinzialratspräsident Chrétien de Gerden, die Lieferung von 2.000 Rekruten.188 Hierbei handelte es sich nicht mehr um eine freie Werbung, sondern um eine obligatorische Stellung. Jede Gemeinde bekam von den Ständevertretern eine Quote auferlegt, ähnlich wie es auch bei Steuer- oder Naturalabgaben geschah. Die zum Waffendienst Herangezogenen wurden durch Auslosung ermittelt. Die neuen Rekruten wurden von den Landständen eingekleidet, die kaiserlichen Magazine lieferten die Waffen. Die Regierung gewährte den Ständen 90.000 Gulden – 45 Gulden pro Rekrut – für den Kauf der Uniformen.189 Ausdrücklich wurde die Herstellung der Kleidungsstücke durch inländische Manufakturen gefördert, damit das Geld im Lande blieb.190 Wie nicht anders zu erwarten, löste die Landrekrutenstellung bei vielen Betroffenen Widerwillen aus. Die jungen Männer, die das Los traf, waren nicht immer bereit, den Militärdienst zu leisten. Aus diesem Grund schlossen viele Dorfgemeinschaften Verträge mit „Ersatzmännern“ ab, um die auferlegte Anzahl von Rekruten stellen zu können. Die Kosten für die Anheuerung von Dienstwilligen wurden auf die Familien aufgeteilt, deren Söhne durch diesen Freikauf dem Militärdienst entgingen. Die „Er185 AGR, SEG, N° 804, f° 31–32, Denkschrift betreffend die Aushebung von 3.200 Rekruten in den Niederlanden, Brüssel, den 6. Dezember 1758. Quelle veröffentlicht in Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 212–214. 186 Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 215–216. 187 « […] la province de Luxembourg qui abonde en jeunes gens embarassés de trouver leur subsistance et qui cependant sont propres à porter les armes […]. » Zitiert in Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 209. 188 Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 19 und 208–212. 189 AGR, SEG, N° 2725, « Extrait de ce qui a été payé pour la recrue […] pour l’année 1758 ». 190 « c’est une occasion avantageuse à faire circuler les argens dans ce pais. » Zitiert in Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 211.

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satzmänner“ ließen sich ihre Bereitschaft in der Regel kräftig honorieren. Die Preise lagen zwischen 40 und 60 Talern.191 Manche Eltern mussten sich verschulden, um ihre diensttauglichen Söhne freizukaufen. Andere kamen ihrem Zahlungsversprechen nicht nach. Obwohl das Auslosungsverfahren und die Stellung von Ersatzleuten von Kommissaren der Landstände überwacht wurde, kam es zu zahlreichen Streitigkeiten, die in eine Reihe von Gerichtsprozessen mündeten.192 Luxemburg war die einzige niederländische Provinz, in der die Landstände die Aushebung von Rekruten vornahmen. Diese Ausnahmeregelung stand im Gegensatz zu der allgemeinen Entwicklung, die darauf hinauslief, die Landstände aus dem Rekrutierungsgeschäft herauszuhalten, in gleicher Weise, wie auch andere ständische Prärogative ausgeschaltet wurden auf dem „mühsamen Weg zum zentral gelenkten frühmodernen Einheitsstaat“ (Bernhard R. Kroener).193 Als die Niederlande 1759 erneut 4.000 Rekruten für die Armee liefern sollten, schlug das Kriegskommissariat wieder vor, die Landstände mit der Erhebung zu beauftragen. Die Regierung stand dem Vorhaben der Militärverwaltung skeptisch gegenüber und riet dem Generalgouverneur davon ab.194 Dieses Mittel bringe zu viele Nachteile. Die Landrekrutenstellung durch die Luxemburger Stände 1758 blieb dann auch die Ausnahme.

3.9 S c h wac h e M i l i tä r pr ä s e n z n ac h de m Si e be n jä h r ig e n K r i e g Während des Siebenjährigen Krieges hatten die Niederlande, wenn auch nicht unmittelbar in die Kampfhandlungen verwickelt, einen wichtigen Beitrag zu den österreichischen Kriegsanstrengungen geleistet. Neben Böhmen galten sie als produktivste Quelle von Staatseinnahmen.195 Doch ihr Beitrag beschränkte sich durchaus nicht auf eine rein finanzielle Unterstützung in Form von Steuereinkünften und Geldanleihen.196 Auch militärisch waren sie aktiv an den Kriegshandlungen beteiligt, unter anderem durch die Verlegung eines Großteils der niederländischen Verbände zur Feldarmee sowie als 191 ANL, A XVII–4, Antrag des Baron Du Prel, 3. Juni 1758. 192 ANL, A XVII–4, Bericht des Provinzialrats, 19. Oktober 1758  ; ANL, A XVII–5, Klage der Einwohnern von Nospelt, 26. Februar 1760. 193 Jürg ZIMMERMANN, Militärverwaltung und Heeresaufbringung […], op., cit., S. 103–104  ; Bernhard R. KROENER, Die materiellen Grundlagen […], op., cit., S. 77. 194 AGR, SEG, N° 2724, Schreiben an den Generalgouverneur, Brüssel, den 22. Oktober 1759. 195 Christopher DUFFY, The army of Maria Theresa […], op., cit., S. 11. 196 Siehe dazu Kapitel 5 vorliegender Arbeit, S. 192.

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Schwache Militärpräsenz nach dem Siebenjährigen Krieg

Nachschubbasis für Rekruten. Nach Kriegsende verloren die niederländischen Besitzungen wieder an militärischer Bedeutung, da das österreichisch-französische Bündnis auch weiterhin Bestand hatte. Zwar übernahm Österreich 1763 das aus französischen Diensten entlassene Regiment Vierset und fügte somit den vier nationalen Infanterieregimentern ein fünftes hinzu, aber im Gegenzug wurde auf die Stationierung von deutschen Regimentern verzichtet.197 Karl von Lothringen wurde aus Spargründen angehalten, die Rekrutierung einzustellen und eine Verringerung der Truppen anzustreben. Der Statthalter und Generalkapitän tat dies nur sehr widerwillig.198 Die unter Hofkriegsratspräsident Lacy vorangetriebene Vereinfachung und Vereinheitlichung des Militärwesens beschnitt seine Befugnisse und unterstellte seine Befehlsgewalt der Kontrolle Wiens.199 Die Niederlande verloren Reste ihrer Eigenständigkeit, wobei sich auch ihr militärisches Gewicht innerhalb der Monarchie verschob. Die Habsburger widmeten immer weniger von ihrer wachsenden Militärmacht den Niederlanden. Tabelle 5. Anteil der Niederlande am Militäraufgebot der Habsburgermonarchie

Heeresstärke Niederlande Heeresstärke Gesamtmonarchie Anteil

1754

1775

1784

25.360

11.744

13.382

158.939

170.562

307.264

15,9 %

6,8 %

4,3 %

Quelle  : DICKSON, Finance and Government […], op., cit., S. 356–357

Von den 170.562 Mann, die im Jahre 1775 unter Waffen standen, waren nur 11.744 in den Niederlanden stationiert.200 Das Verhältnis verschlechterte sich jedoch weiter. 1784 war die gesamte Heeresstärke auf 307.264 Mann angewachsen. In den Niederlanden verzeichneten die Truppen eine kaum merkliche Steigerung auf nunmehr 13.382 Mann.201 War vor dem Siebenjährigen Krieg noch fast jeder sechste Soldat der Habsburger in den Niederlanden stationiert, so machten dreißig Jahre später die niederländischen Truppen nur noch 4,3 % des österreichischen Heeres aus. In diesem Zustand militärischer Schwäche kam es im Oktober 1784 wegen der versuchten Öffnung der Schelde zu Spannungen mit Holland. Der damalige Gene197 Général GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux […], op., cit., S. 109–111. 198 Michèle GALAND, Charles de Lorraine […], op., cit., S. 160. 199 Dazu ausführlich Kapitel 4 vorliegender Arbeit, S. 153–156. 200 Peter George M. DICKSON, Finance and government […], op., cit., Bd. 2, S. 357. 201 Ibidem.

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ralgouverneur Herzog Albert von Sachsen-Teschen konnte angesichts der Truppenverhältnisse im nachhinein nur den Unsinn des politischen Wagnisses konstatieren  : „Die Lage des belgischen Heeres war verzweifelt. Es zählte 13.000 Mann im Ganzen. Es fehlte an Artilleristen, nicht ein Pionier war vorhanden. Geschütze und Proviant mangelten, und doch entschloss sich Kaiser Joseph, dem diese Zustände bekannt waren, zu einem Bruch mit den Generalstaaten.“202 Eiligst begann man mit der Verlegung von kaiserlichen Truppenverbänden in die Konfliktzone. 80.000 Mann sollten mobilisiert und in die Niederlande geschickt werden.203 Die Intervention Frankreichs entschärfte die Krise, noch bevor der Aufmarsch abgeschlossen war. Dennoch hatten der begonnene Transfer und das plötzliche Anschwellen der Streitkräfte enorme Kosten verursacht, die den niederländischen Militärhaushalt im wahrsten Sinne des Wortes sprengten.204 Nach der Beilegung der Scheldekrise fiel die österreichische Militärpräsenz wieder auf den schwachen Stand von vorher zurück. Diese Situation sollte nicht ohne Auswirkungen während der Brabanter Revolution von 1789 bleiben. Die geringe Truppenzahl und die ausschließliche Stationierung von nationalen Einheiten in den Niederlanden beschleunigten den Zusammenbruch des österreichischen Regimes. Die Soldaten der Nationalregimenter liefen scharenweise zu den Rebellen über. Durch Desertion waren die Infanterieregimenter – mit Ausnahme des in der Festung Luxemburg liegenden Regiments Württemberg – binnen kürzester Frist auf die Stärke jeweils eines Bataillons geschrumpft. Nur die Kavallerie sowie das neu errichtete Jägerkorps Leloup blieben mehrheitlich kaisertreu.205 Nach der Rückeroberung der aufständischen Provinzen wurde die Ordnung durch eine massive Einquartierung von Armeeeinheiten wiederhergestellt, die aus anderen Teilen der Monarchie überführt worden waren. Im Winter 1790/1791 stand in den Niederlanden ein Heer von 58.275 Mann, 41 Bataillonen und 33 Schwadronen, die auf alle Städte und kritischen Orte verteilt wurden.206 Allein in Brüssel sorgten 8.345 Soldaten der Regimenter Morzin, Barthodeisky, Loewen, Pickler, Hohenlohe und Bender für Ruhe und Gehorsam. Die Festung Luxemburg mit einer Garnison von 3.699 Mann war verhältnismäßig schwach besetzt. Das Herzogtum hatte sich nicht an den Unruhen beteiligt. 202 Zitiert in Johann Christoph ALLMAYER-BECK und Erich LESSING, Das Heer unter dem Doppeladler […], op., cit., S. 158. 203 Michael HOCHEDLINGER, Austria’s wars of emergence […], op., cit., S. 373–374. 204 Siehe dazu Kapitel 5 vorliegender Arbeit, S. 169–170. 205 Charles TERLINDEN, Histoire militaires […], op., cit., S.  226–227. Gustave-Henri-Louis GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux […], op., cit., S. 132. 206 ������������������������������������������������������������������������������������������������������ AGR, CGC, N° 125, « Dislocation des troupes impériales et roïales stationnées dans les Païs Bas autrichiens », Brüssel, den 7. Dezember 1790.

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Söldnerheer gegen Volksheer

3.10 S öl dn e r h e e r g e g e n Vol k s h e e r Ab 1792, mit dem Eintritt der österreichischen Monarchie in die Revolutionskriege, wurden die Niederlande zum ersten Mal nach langer Zeit wieder unmitttelbar in Kampfhandlungen verwickelt. Fast ein halbes Jahrhundert waren sie vom Krieg verschont geblieben. Ein schwaches Heer hatte zu ihrer Verteidigung genügt. Jetzt schnellte die Truppenzahl wieder in die Höhe. Armeen durchzogen das Gebiet auf ihrem Marsch gegen Frankreich. Imposante Militärverbände, die das Friedensheer um ein Vielfaches überstiegen, stellten sich dem französischen Ansturm entgegen. Im Frühjahr 1794 unterhielt Österreich, dank der Unterstützung Englands und Preußens, eine Streitmacht von 87.000 Mann in den Niederlanden. Dennoch war die Koalition dem revolutionären Frankreich zahlenmäßig unterlegen. Angesichts der von der „levée en masse“ ausgehenden Bedrohungen erwies sich das traditionelle Söldnerheer mehr denn je als unzulänglich. Deshalb suchte man nach neuen Formen der Heeresaufbringung. Auch in den Niederlanden wurde die Idee einer Volksbewaffnung aufgegriffen, wie es ähnlich in anderen Teilen der Monarchie, so zum Beispiel in Vorderösterreich, geschah.207 Eine in den Brüsseler Regierungskreisen zirkulierende Denkschrift enthielt „Beobachtungen zum Projekt einer Massenerhebung in Belgien“.208 Der Verfasser muss anerkennend zugestehen, dass die Revolution Frankreichs Militärmacht auf wundersame Art und Weise gesteigert habe. Jeder Bürger wurde zum Soldaten und sei mit den Kriegsgefahren vertraut. Doch „die Verfassungen der belgischen Provinzen haben keinen schlimmeren Feind zu fürchten, sie müssen als Damm dienen, um eine Ausbreitung des französischen Systems in ganz Europa zu verhindern. Ihre Erhaltung ist im höchsten Interesse des Hauses Österreich und aller europäischen Mächte.“209 Der Plan in 26 Punkten schlug die Schaffung einer „belgischen Miliz“ vor. Dabei ging er davon aus, dass bei einer Bevölkerung von drei Millionen Einwohnern 500.000 Männer im Alter von 18 bis 70 Jahren imstande waren, Waffen zu tragen. Diese teilten sich in zwei Klassen auf  : eine, die aktiven Wehrdienst leistete, und eine, die es vorzog, sich durch die Zahlung einer Steuer von der Militärpflicht 207 Jürg ZIMMERMANN, Militärverwaltung und Heeresaufbringung […], op., cit., S. 114–115. 208 AGR, SEG, N° 2725, « Observations pour un projet de levée générale de la Belgique dans la guerre actuelle contre la nation françoise », o. D. [nach 1792]. 209 « […] les constitutions des provinces Belgiques n’ont pas de plus dangereux ennemis à craindre  ; elles doivent cependant servir de digue pour arrêter la propagation du système françois dans l’Europe entière. La maison d’Autriche et toutes les puissances de l’Europe ont un intérêt majeur à leur conservation […]. » Ibidem.

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loszukaufen. Dennoch sollte die Miliz wenigstens eine Stärke von 200.000 Mann erreichen. Wäre dies nicht der Fall, würde die fehlende Anzahl unter den Nichtklerikern und unverheirateten Männern durch das Los ermittelt. Die Miliz wäre in vier Gruppen von jeweils 50.000 Mann unterteilt, die abwechselnd während drei Monaten Dienst leisten. Den Rest des Jahres könnten die Milizionäre einer anderen Beschäftigung nachgehen. Während ihrer Dienstzeit würden sie durch einen Sold von 10 Brabanter Stübern entschädigt. Die Ernennung der Offiziere geschähe durch den Kaiser, doch sollten sie aus dem Kreis der Großgrundbesitzer und der vornehmsten Einwohner gewählt werden. Bezahlt würde die Miliz aus einem Fonds, der sich aus den Beiträgen der vom Wehrdienst Befreiten speist und der von den Landständen verwaltet würde. Die Miliz würde ausschließlich der Verteidigung der Niederlande dienen, könnte also nicht zu Eroberungszwecken oder zum Schutz anderer Länder der Monarchie eingesetzt werden. In dem Verständnis der Denkschrift handelt es sich dabei aber um die Niederlande in ihrer historischen Ausdehnung, das heißt vor den Gebietsverlusten unter Ludwig XIV. Nichts sprach gegen einen Einsatz der Volksmiliz in ehemaligen niederländischen Territorien, die Frankreich annektiert hatte. Partikularistisch in seinem Ansatz offenbart das Reformprojekt eine ausgeprägte patriotische Gesinnung. Es verfolgt reaktionäre ständische Ziele, wie sie in der Zeit unmittelbar vor und nach der Brabanter Revolution durchaus geläufig waren. Überlegungen zu einer umfassenden Heeresreform äußerten in sich weiteren Plänen zur Bildung einer „nationalen Armee“ und zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht.210 Zu einer grundlegenden Erneuerung des bestehenden Militärsystems kam es jedoch nicht mehr. Als man kurz vor dem Zusammenbruch Waffen an das Volk aushändigte und es zur Selbstverteidigung aufrief, glich dies eher einem Akt der Verzweiflung. Französische Truppen waren im Herbst 1793 wieder in die Österreichischen Niederlande eingedrungen und hatten die Armee Coburgs geschlagen. Unfähig, die Grenzen zu schützen, ordnete die Regierung im Einvernehmen mit den Ständen die Bewaffnung der Landbevölkerung an  : „Da ein großer Theil der französischen Armée aus bewaffneten Bauern bestehet, so haben wir geglaubt, bewaffnete Bauern könnten ihnen in den Orten, so wir durch unsere Armée nicht genugsam decken können, genugsam Widerstand leisten […] Alle Bauern in denen Dörfern an den Gränzen vom Meer bis an Menin, welche die Waffen werden ergreifen wollen, werden Gewöhre und Patronentaschen bekommen, und man wird den Orth bestimmen, wo sich die Bauern […] begeben sollen, sobald die Glocken werden geläuthet 210 Vgl. Charles TERLINDEN, Mémoires relatifs à l’organisation d’une armée nationale et à l’établissement du service personnel en Belgique en 1792, in  : Mélanges Camille de Borman, Liège 1919, S. 299–306.

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Zusammenfassung

werden. Nur bei Annäherung des Feindes wird die Sturmglocke geläuthet werden und nachdem sich der Feind wird zurückgezogen haben, wird man dem Bauern wieder erlauben, sich nach Haus zurück zu begeben.“211 Doch auch diese Maßnahme konnte die Eroberung und vollständige Besetzung der niederländischen Provinzen durch die französischen Revolutionstruppen nur hinausschieben, nicht verhindern. Die Reform der österreichischen Heeresaufbringung vollzog sich erst nach 1802, nachdem die Niederlande schon nicht mehr der Monarchie angehörten.212

3.11 Zus a m m e n fa s s u ng Herrschaft in der Frühen Neuzeit setzte im Allgemeinen die Präsenz der Armee voraus. Zum einen sicherten die Soldaten durch ihre Anwesenheit die Umsetzung der politischen Entscheidungen der Zentralgewalt, zum anderen schützten sie das Staatsgebiet vor äußeren Aggressionen. Der Herrschaftswechsel, der 1715 in den Niederlanden stattfand, hatte dann auch den Einmarsch und die langfristige Stationierung einer bestimmten Anzahl von Militäreinheiten zur Folge. Die ersten Regierungsjahre Karls VI. waren eher von Kontinuitäten als von Umbrüchen geprägt. Die vorgefundenen „nationalen“ Regimenter wurden in ihrer alten Form belassen und erst 1725 in einer gut vorbereiteten Reform dem österreichischen Militärsystem angepasst. Ziel der Gleichstellung war eine Reduzierung der Militärausgaben. Trotzdem sollten die nationalen Regimenter auch weiterhin als Instrument der Inklusion inländischer adliger Eliten genutzt werden.213 Sowohl Österreich als auch dessen Alliierte hatten klare Vorstellungen, welche Militärpräsenz die Verteidigung der Niederlande erforderte. Der Barrierevertrag schrieb eine Truppenanzahl von 30.000 bis 35.000 Mann in Friedens- und von mindestens 40.000 Mann in Kriegszeiten vor. Davon waren 12.000 bis 16.000 holländische Soldaten. Die Landesherrin selbst, Maria Theresia, gab als Richtlinie für das österreichische Heer in den Niederlanden eine Stärke von 25.000 Mann vor. Diese Zahlenvorgaben wurden jedoch außer in Kriegs- und Krisenzeiten nie erreicht. In den ersten Jahrzehnten der österreichischen Herrschaft schwankte der Istbestand der 211 Zitiert in Jürg ZIMMERMANN, Militärverwaltung und Heeresaufbringung […], op., cit., S. 117. 212 Ibidem, S. 119–127. 213 Zur Rolle des Militärs in Herrschaftswechseln siehe den Bericht von Horst Bernhard Schmitt über die Tagung „Militär und Gesellschaft in Herrschaftswechseln“, die vom 2. bis 3. Dezember 2005 in Trier stattfand. Erschienen in  : AMG Frühe Neuzeit. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, 10 (2006) Heft 1, S. 110–113.

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Zwischen Ist und Soll

Regimenter (die holländischen Besatzungen der Barrierefestungen nicht miteinberechnet) zwischen 12.000 und 16.000 Mann. In den letzten Regierungsjahren von Maria Theresia und unter Joseph II. waren kaum mehr als 13.000 Soldaten in den Niederlanden stationiert. Einzig während der kurzen Periode zwischen dem Österreichischen Erbfolgekrieg und dem Siebenjährigen Krieg näherten sich die Truppenzahlen dem anvisierten Ziel. Aufgrund großer Rekrutierungsanstrengungen, die mit den entsprechenden finanziellen Ausgaben verbunden waren, konnte das österreichische Militäraufgebot in den Niederlanden die beachtliche Iststärke von 22.408 Mann am Ende des Militärjahres 1752 erreichen. Kurz soll noch einmal die Diskrepanz zwischen den hier ermittelten Zahlen und den in der bestehenden Literatur vorgefundenen Truppenstärken angesprochen werden. Joseph Ruwet gibt den Bestand der Nationalregimenter unter Joseph II. mit 17.000 Mann an.214 Herman Coppens gelangt in seiner Untersuchung zu den Finanzen der Zentralregierung in den Österreichischen Niederlanden zu noch viel höheren Zahlen. Laut seinen Angaben zeigt die Kurve der Truppenentwicklung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stark nach oben. In der Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg hätte die Heeresstärke bei über 25.000 Mann gelegen und unter Joseph II. sogar weit über 30.000 Mann.215 Einerseits wurde hier der theoretische Personalumfang der Regimenter in Betracht gezogen, wie er in den Reglements vorgesehen war, aber eigentlich nur im Kriegsfall für die Mobilisierung galt. So ergibt sich eine starke Steigerung, denn die von Joseph II. und dem Hofkriegsratspräsidenten Graf Lacy durchgeführten Heeresreformen änderten mehrmals die Zusammensetzung der Regimenter und hoben die Sollstärken aus organisatorischen Gründen an.216 Andererseits hat Coppens in seine Berechnungen der Heeresstärke Einheiten einbezogen, deren Unterhalt zwar aus der niederländischen Kriegskasse bezahlt wurde, die aber seit dem Siebenjährigen Krieg ihren Standort nicht mehr in den Niederlanden hatten. Im Rahmen des folgenden Kapitels zur Finanzierung des österreichischen Militärwesens wird auf diese Begebenheit noch näher eingegangen werden. Die Wiener Zentrale sowie die Regierungsstellen in Brüssel waren sich der personellen Schwäche der niederländischen Truppenverbände bewusst und unternahmen periodisch Anstrengungen, um diese zu verstärken. Im Prinzip setzte sich das Heer aus Freiwilligen zusammen, die sich gegen Handgeld, Sold und Verpflegung anwerben ließen. In der Regel waren es auch die Regimenter selbst, die für ihre Ergänzung 214 Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 23. 215 Herman COPPENS, De financiën […], op., cit., S. 250. 216 Michael HOCHEDLINGER, Austria’s Wars […], op., cit., S. 302.

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Zusammenfassung

sorgten und in den ihnen angewiesenen Gebieten rekrutierten. Doch die Freiwilligen stellten sich nicht in der gewünschten Anzahl ein, die Regierung musste eingreifen. Die lokalen Herrschaftsträger wurden zur Zusammenarbeit aufgefordert und bekamen eine Belohnung in Aussicht gestellt für jeden Rekruten, den sie ablieferten. Die Einrichtung einer zentralen Koordinationsstelle für die Rekrutierung entlastete die Regimenter. Es wurde auch über die Einrichtung einer Miliz nachgedacht, die als Reservoir von Rekruten für die regulären Einheiten hätte dienen können. Vor allem aber erwog man die Einbeziehung der Landstände in die Heeresaufbringung als Lösung des Problems. Die sogenannte „Landrekrutenstellung“ stand zwar im Gegensatz zu den Zentralisierungsbestrebungen der maria-theresianischen Staatsreform. Andererseits fand dieser Ergänzungsmodus seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert in den böhmisch-österreichischen Kernländern zu Kriegszeiten durchaus Anwendung.217 Es zeigt sich, dass der absolutistisch-zentralistische Machtanspruch und die politische Wirklichkeit nicht immer übereinstimmten. Der Zentralstaat war beim Zugriff auf die Ressourcen der Untertanen – ob es sich nun um Steuern oder um „Menschenmaterial“ handelte – auf das Mitwirken der Stände angewiesen. Die niederländischen Provinzen lehnten den Antrag auf eine Rekrutenstellung jedoch ab und stellten lieber zusätzliche Geldmittel für die Werbung von Freiwilligen zur Verfügung. Luxemburg bildete die einzige Ausnahme. 1758 verteilten die Luxemburger Landstände 2.000 Rekruten auf die Gemeinden des Herzogtums und lieferten die zum Dienst Verpflichteten in voller Uniform an die Nationalregimenter ab. Die Frage der Heeresergänzung stellte sich nicht nur in den Österreichischen Niederlanden. Auch in den anderen Ländern der Habsburgermonarchie führte das traditionelle Rekrutierungsmodell, basierend auf der Werbung von Freiwilligen, zu unbefriedigenden Ergebnissen. Die Militärpartei um Joseph II. sah die Lösung des Problems in der Übernahme des bewährten preußischen Kantonsystems.218 Nach langen Debatten wurde tatsächlich in Böhmen und in den österreichischen Erblanden mit Ausnahme Tirols zwischen 1771 und 1781 ein neues „Konscriptions- und Werbebezirkssystem“, das sich am preußischen Modell orientierte, eingeführt.219 Die Mehrzahl der Soldaten wurde ab jetzt nicht mehr geworben, sondern ausgehoben. Die Einführung des neuen Einberufungsverfahrens erforderte ein sehr enges staatliches Erfassungsnetz, das auf einer genauen Bestandsaufnahme der Bevölkerung und 217 Michael HOCHEDLINGER, Der gewaffnete Doppeladler […], op., cit., S. 242. 218 Ibidem, S. 248. 219 Dazu Johann Christoph ALLMAYER-BECK, Die Armee Maria Theresias und Josephs II., in  : Erich ZÖLLNER (Hg.), Österreich im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus, Wien 1983, S. 71–83, S. 81– 82.

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einer flächendeckenden Häusernummerierung gründete. 1784 dehnte Joseph II. das Konskriptions- und Werbebezirkssystem auf Tirol und Ungarn aus, doch nachdem es dort wegen des Rekrutierungsdrucks zu Unruhen kam, schaffte der Kaiser, kurz vor seinem Tod, die Konskription in beiden Gebieten wieder ab. In den Österreichischen Niederlanden wie auch in Italien wurde dagegen der Versuch einer „militärischen Gleichschaltung“ nicht unternommen. Hier blieb das alte Ergänzungssystem bis zum Ende des Ancien Régimes bestehen. Wenn man bedenkt, dass die Einführung der Konskription durch die Franzosen im Jahr 1798 Bauernaufstände („Klöppelkrieg“) in Flandern, Brabant und Luxemburg provozierte, dann war Joseph II. wahrscheinlich gut beraten gewesen, das böhmisch-österreichische System der Wehrpflicht nicht in den belgischen Provinzen anzuwenden.220 Insgesamt hatten die Bemühungen der Obrigkeit, Untertanen für den Militärdienst zu gewinnen, in den Niederlanden wenig Erfolg. Die Rekrutierungsmaßnahmen stießen auf geringe Akzeptanz bei der Bevölkerung. Der Soldatenstand bot wenig Anreiz, selbst in einer armen Provinz wie Luxemburg. Der Militärdienst wurde zum Zwang und führte immer wieder zu Widerstand, was sich nicht nur in den Schwierigkeiten der Ergänzung, sondern auch in der extrem großen Zahl von Deserteuren widerspiegelte. Die Regimenter in den Niederlanden verloren jedes Jahr zwischen 7 % und 14 % ihrer Mannschaft durch Fahnenflucht. Die hohe Desertionsquote wirft die Frage nach der Versorgungslage der Armee, nach ihrer Finanzierung und ihrer Verwaltung auf. Was waren die wirtschaftlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen des Militärwesens in den Niederlanden  ? Die Aussicht auf eine regelmäßige Bezahlung und einen gesicherten Lebensunterhalt war ein wichtiger Faktor, der den Zusammenhalt einer Truppe entscheidend beeinflusste. In den folgenden Kapiteln soll untersucht werden, welche Instrumente und Mittel den Habsburgern zur Verfügung standen, um Heer und Festungen in den Niederlanden zu erhalten.

220 Vgl. Luc DHONDT, La guerre des paysans, in  : Hervé HASQUIN (Hg.), La Belgique française […], op., cit., S. 141–169, S. 153. Zu den Bauernaufständen im Wälderdepartement siehe Gilbert TRAUSCH, Les soulèvements pasans de 1798 dans la région de Neufchâteau et leurs répercussions dans le département des Forêts, in  : PSH, Bd. 79, Luxembourg 1962, S. 63–135  ; idem, La répression des soulèvements paysans de 1798 dans le département des Forêts, in  : PSH, Bd. 82, Luxembourg 1967, S. 7–245.

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Kapitel 4

Kriegsverwaltung oder Verwaltungskrieg  ? Das Zusammenspiel von Militär- und Zivilbehörden

Der Unterhalt einer Armee in den Niederlanden, die viele Tausend Mann umfasste, stellte in erster Linie eine verwaltungstechnische Herausforderung dar. Die Soldaten mussten versorgt, bewaffnet und untergebracht werden. Wer kümmerte sich darum, dass die Regimenter rechtzeitig ihren Sold bekamen, Lieferungen stattfanden und Quartiere vorhanden waren  ? Stehende Truppen setzten eine Organisationsstruktur voraus, die Ressourcen mobilisieren und in militärische Stärke umsetzen konnte. Fast sämtliche Behörden des frühneuzeitlichen Staatsapparates auf zentraler, mittlerer und lokaler Ebene übernahmen auch Aufgaben der Militärverwaltung. In den Österreichischen Niederlanden waren dies in Brüssel der Generalgouverneur, der durch einen bevollmächtigten Minister sowie drei Kollateralräte (Staatsrat, Geheimer Rat und Finanzrat) unterstützt wurde, beziehungsweise auf Provinzebene hauptsächlich die Provinzialräte und die Landstände.1 Daneben hatten sich jedoch auch spezielle Militärverwaltungsbehörden herausgebildet. Die zwei wichtigsten waren das Generalkommando und das Kriegskommissariat. Im Folgenden wird der Aufbau und die Entwicklung der Heeresverwaltung in den Österreichischen Niederlanden dargestellt. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, welche strukturellen Auswirkungen der Unterhalt der Armee auf das Gesamtgefüge des Staates hatte.

1 Einen guten Einblick in die Verwaltungsgeschichte der Österreichischen Niederlande bieten die Beiträge von Piet LENDERS, Ontwikkeling van politiek en instellingen in de Oostenrijkse Nederlanden. De invloed van de Europese oorlogen, in  : Bijdragen tot de Geschiedenis, Bd. 64, 1981, S. 33–78, sowie idem, Vienne et Bruxelles  : une tutelle qui n’exclut pas une large autonomie, in  : Hervé Hasquin (Hg.), La Belgique autrichienne […], op., cit., S. 37–70. Eine Gesamtdarstellung der Zentralverwaltung in den habsburgischen Niederlanden liefert das von den Archives Générales du Royaume in Brüssel veröffentlichte Referenzwerk, Les institutions du gouvernement central des Pays-Bas habsbourgeois (1482– 1795), 2 Bde., Bruxelles, 1995.

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Kriegsverwaltung oder Verwaltungskrieg  ?

4 .1 R i va l i tät a n de r Spi t z e  : K om m a n di e r e n de r Ge n e r a l u n d Ge n e r a l g ou v e r n eu r Die Niederlande bildeten eines der Generalkommandos, in die das Gebiet der Habsburgermonarchie eingeteilt war. An der Spitze der Militärhierarchie stand ein kommandierender General. Dieser ranghöchste Offizier und Chef des Generalstabes, der in Brüssel residierte, bezog seine Befehle vom Hofkriegsrat in Wien. Regelmäßig korrespondierte er mit seinen Wiener Vorgesetzten. Dem kommandierenden General stand ein persönlicher Adjutant zur Seite. Den schriftlichen Verkehr, den er mit den Militärund Zivilinstanzen zu führen hatte, besorgte eine eigens eingerichtete Kanzlei, die von einem „Hof- und Feldkriegssekretär“ (Secrétaire aulique de guerre) geleitet wurde.2 Der Personalbedarf stieg mit der Zeit. 1728 setzte sich die Kanzlei der Generalkommandantur aus acht Angestellten zusammen.3 1750 waren es schon deren zwölf.4 Im Prinzip war der kommandierende General der Oberbefehlshaber der Truppen und zuständig für alle militärischen Belange. Doch die oberste Regierungsgewalt in den Niederlanden lag in den Händen des Generalgouverneurs, und dessen Machtbefugnisse beschränkten sich keineswegs auf die zivilen Bereiche. Die Statthalterschaft wurde von Männern und Frauen ausgeübt, die eng mit der Habsburgerdynastie verbunden oder verwandt waren  : Prinz Eugen (1716–1724), Maria Elisabeth (1724– 1741), die Schwester von Kaiser Karl VI., Karl von Lothringen (1741–1780), der Schwager Maria Theresias, Marie Christine, die Schwester Josephs II., und ihr Mann Albert von Sachsen-Teschen (1780–1792) sowie schließlich Erzherzog Karl (1792– 1794). Die Ernennungsurkunde, die sie vom Herrscher bekamen, bestellte sie nicht nur zum Statthalter, sondern gab ihnen auch ausdrücklich den Titel eines „Generalkapitäns“ (gouverneur et capitaine général).5 Dadurch waren ihnen die in den Öster2 Der Hof- und Feldkriegssekretär ist nicht zu verwechseln mit dem Staats- und Kriegssekretär (Secrétaire d’État et de guerre), der dem Generalgouverneur und dem bevollmächtigten Minister zu Diensten stand. Vgl. Piet LENDERS, Secrétairerie d’État et de guerre, in  : Les institutions […], op., cit., Bd. 1, S. 383–395. Interimsgouverneur Wirich von Daun bekam 1725 den Auftrag, eine Feldkriegskanzlei (secrétairie aulique de guerre) in den Niederlanden einzurichten. KA, AFA, 1725, N° 394. Anweisungen für Feldmarschall Daun als Gouverneur und Generalkapitän ad interim und kommandierenden General in den österreichischen Niederlanden, Wien, den 27. Januar 1725. 3 KA, AFA, 1728, N° 402, « Mémoire de l’import du paÿement compétant à l’état major et ceux qui en dépendent, existants dans ce Paÿs-bas », Haushaltsentwurf von Oberkriegskommissar Franz von Gruber. 4 KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. VIII, N° 495, „Summarische Ausweisung über die Fundos […] des kayserlich-königlichen Militärstaats in denen österreichischen Niderlanden […]“, aufgestellt von Oberkriegskommissar Karl Josef Pfanzelter, Brüssel, den 6. März 1751. 5 Vgl. Ernennungsurkunde von Karl von Lothringen in ROPBA, Bd. 5, Bruxelles 1882, S. 588–590.

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Rivalität an der Spitze  : Kommandierender General und Generalgouverneur

reichischen Niederlanden befindlichen Truppen samt allen festen Plätzen anvertraut. Als höchste Stellvertreter des Kaisers beziehungsweise der Kaiserin hatten sie auch die militärische Befehlsgewalt inne, doch bei ihren Entscheidungen sollten sie den kommandierenden General zu Rate ziehen und ihre Beschlüsse durch ihn ausfertigen lassen, ähnlich wie sie in rein politischen oder wirtschaftlichen Angelegenheiten das Gutachten der kollegialen Räte einholten. In der Regel folgte der Statthalter beziehungsweise die Statthalterin den Vorschlägen ihrer Ratgeber und begnügte sich damit, eine Unterschrift unter das vorbereitete Dokument zu setzten. Doch von Zeit zu Zeit kam es zu Meinungsverschiedenheiten, und die Sache wurde mit der Bitte, ihre Ansichten noch einmal zu überdenken, an die zuständige Behörde zurückgeschickt.6 In letzter Instanz entschied aber der Herrscher, dem der Statthalter und Generalkapitän über den Weg des Hofkriegsrats in militärischen Fragen Bericht erstatten musste. Der kommandierende General war dem Generalgouverneur untergeordnet, und diese hierarchische Unterordnung stellte auch in der Praxis kein Problem dar, solange der Statthalter in den Niederlanden anwesend war und durch seine Zugehörigkeit zum Herrscherhaus ein unantastbares Prestige genoss. Streitigkeiten kamen jedoch in Zeiten der Abwesenheit des Generalgouverneurs auf oder wenn die Stelle durch einen Interimsstatthalter besetzt wurde. 1722 beschwerte sich der kommandierende General, Alexander Graf von Vehlen (1716–1724), bei dem in Wien weilenden Prinzen Eugen über das eigenmächtige Handeln seines Stellvertreters in Brüssel.7 Der Marquis von Prié hatte einen Gouverneur in Charleroi ernannt und Truppen in andere Garnisonsstädte verlegt, ohne ihn in diese Entscheidungen miteinzubeziehen. Prinz Eugen gab Vehlen jedoch zu verstehen, dass „obwohl einige Militar Dispositiones einverständlich mit [ihm] qua commandirende Generalen zu concertiren und durch [seinen] Canal zu vollziehen währen, so bleibe dannoch dem Herrn Marquis de Prié als Ministro Plenipotentiario freÿ sich daran zu halten oder nicht […]“.8 Der Feldmarschall versprach daraufhin „blinden Gehorsam“ gegenüber den Befehlen des bevollmächtigten Ministers, „wie irreguliers sie auch seÿn mögen“. Doch die Animositäten zwischen dem Offizier und dem Zivilbeamten hielten an. Vehlen klagte, dass Prié ihn behandle „wie einen Adjutanten“, dass er ihn mit „ungemeiner Geringschätzung“ traktiere und ihn anfahre mit „ungebührlichen Redensarthen, mit welches wohl ein bescheidener General einen Unterofficier verschonen würde“.9 6 Vgl. Hugo DE SCHEPPER/René VERMEIR, Gouverneur-général (1522–1598, 1621–1789, 1790–1794), in  : Les institutions […], op., cit., Bd. 1, S. 187–208, S. 196. 7 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 13. Oktober 1722. 8 Ibidem. 9 Ibidem.

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Eine ähnliche Rivalität zwischen dem höchsten zivilen Repräsentanten des Herrschers und dem kommandierenden General entstand wieder nach dem Tod Maria Elisabeths 1741, als der frühere Obersthofmeister Friedrich von Harrach in Abwesenheit Karls von Lothringen Übergangsgouverneur wurde. Diesmal war es der Interimsstatthalter, der sich erniedrigt fühlte, da der kommandierende General ihn behandle, „als wäre er der letzte Hergelaufene“.10 Herzog Leopold von Arenberg (1737–1754), der das Kommando in den Niederlanden innehatte, stammte aus einer einflussreichen Familie.11 Er selbst wie auch seine Frau waren eng mit der Kaiserin Maria Theresia befreundet. Harrach gestand, dass er sich in keiner Gelegenheit dieser machtvollen Persönlichkeit zu widersetzen traue.12 „Meine Maxime lautete, immer alles blind auszuführen was er mir vorschlug und was den geringsten Bezug zum Militärischen hatte, […] obwohl ich voraussehe, dass all dies nicht nur unnütz ist sondern uns auch noch in allem hindert“, stellte der Interimsgouverneur resignierend fest.13 Es kam immer wieder zu Konflikten mit dem kommandierenden General, der auf Geheiß Maria Theresias an den Kabinettssitzungen in Brüssel teilnahm. Diese Uneinigkeit an der Spitze der Verwaltung war umso gefährlicher, als die Monarchie sich seit 1740 im Krieg befand. Der Oberste Rat der Niederlande in Wien empfahl der Kaiserin, das Generalgouvernement und die Militärführung in einer Person zu vereinigen, „insbesondere, wenn die beiden Verantwortlichen Zwietracht und Feindseligkeit bis zum blanken Hass treiben, wie das augenblicklich zwischen dem Grafen von Harrach und dem Herzog von Arenberg geschieht“.14 Maria Theresia opferte schließlich den Interimsgouverneur und berief Harrach im Frühjahr 1743 aus Brüssel ab.

10 « […] comme s’il étoit le dernier de la ville […]. » Zitiert in Ghislaine DE BOOM, Les ministres plénipotentiaires dans les Pays-Bas autrichiens principalement Cobenzl, Bruxelles 1932, S. 38. 11 Louis-Prosper GACHARD, Leopold, Herzog von Arenberg, Arschot und Croy, in   : Biographie nationale, Bd. 1, Bruxelles 1866, Kol. 412–421. 12 Franz PICHORNER, Wiener Quellen zu den Österreichischen Niederlanden. Die Statthalter Erzherzogin Maria Elisabeth und Graf Friedrich Harrach (1725–1743), Wien/Köln 1990, S. 81. 13 « […] J’ai toujours eu pour maxime d’exécuter aveuglément tout ce qu’il me proposoit en matières qui ont le moindre rapport avec le militaire. J’exécuterai aveuglément tout ce qu’il me demandera quoique je prévoye que ce seront non seulement tous efforts inutiles, mais aussi qu’ils nous dérangeront généralement en tout […]. » Zitiert in Ghislaine DE BOOM, Les ministres plénipotentiaires […], op., cit., S. 38. 14 « […] On a déjà exposé à Votre Majesté les inconvénients qui résulteroient de ce que, en tems de guerre, le gouvernement civil et le commandement militaire ne se trouvent réunis dans une seule personne, principalement lors que les deux chefs ont poussé la désunion et animosité jusqu’à la haine, comme il paroit que trop qu’il arrive actuellement entre le comte de Harrach et le duc d’Arenberg […]. » Zitiert in Ghislaine DE BOOM, Les ministres plénipotentiaires […], op., cit., S. 38.

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Die Einflussnahme des bevollmächtigten Ministers

4 .2 D i e E i n f lus s n a h m e de s be vol l m äc h t ig t e n M i n i s t e r s Nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg gewann die Stellung des bevollmächtigten Ministers an Bedeutung und wurde zur eigentlichen Schaltstelle an der Regierungsspitze.15 Während Generalgouverneur Karl von Lothringen großartig Hof hielt, leiteten die ihm von der Kaiserin beigegebenen Minister Anton Marquis Botta-Adorno (1749–1753) und später Karl Graf Cobenzl (1753–1770) die Staatsgeschäfte. Der Generalgouverneur besaß die Autorität, die tatsächliche Macht aber übte der Vertrauensmann Wiens aus. Der bevollmächtigte Minister war in seinen Kontakten mit dem Wiener Hof nicht an den Dienstweg gebunden und er empfing auch seine Instruktionen ohne Wissen des Generalgouverneurs. So ging der Präsident des Geheimen Rates, Patrice-François de Neny, bestimmt nicht fehl, wenn er in seiner Beschreibung der niederländischen Verwaltungsstrukturen, die er zwischen 1758 und 1760 zur Belehrung des jungen Kronprinzen und zukünftigen Kaisers Joseph II. verfasste, den kommandierenden General nicht nur dem Generalgouverneur, sondern auch dem bevollmächtigten Minister unterordnete.16 Neny fügte hinzu, dass Letzterer seit der Neuordnung des Militärsystems infolge des Aachener Friedens auch oberster Intendant der Militärfinanzen sei.17 In der Tat hatte Maria Theresia dem Marquis Botta-Adorno bei seiner Amtsübernahme aufgetragen, ganz besonders über den Zustand der Kriegskasse zu wachen.18 Die Sanierung der Staatsfinanzen war das oberste Ziel, mit dem die neue Regierung antrat. Man wollte einen Rückfall in die Krisensituation vor 1740 vermeiden, als die öffentlichen Kassen ständig leer waren und die Armee nur notdürftig versorgt wurde. Auch erforderte das Bestreben, die Heerespräsenz auf 25.000 Mann zu erhöhen, ein konsequentes Finanzgebaren. Deshalb wurde die Militärverwaltung, die sich vorher einer weitgehenden Unabhängigkeit erfreute, der Aufsicht des bevollmächtigten Ministers unterstellt. Bei der Ausübung dieser Leit- und Kontrollfunktion wurde sehr viel diplomatisches Geschick vom bevollmächtigten Minister verlangt, um weder den

15 Zum Amt des bevollmächtigten Ministers siehe Piet LENDERS, Ministre plénipotentiaire (1714–1789, 1790–1794), in  : Les institutions […], op., cit., Bd. 1, S. 226–238. 16 « […] Les troupes sont d’ailleurs sous les ordres particuliers du commandant des armes, qui est luimême sous ceux du gouverneur-général & du ministre plénipotentiaire […]. » Patrice François de NENY, Mémoires historiques […], Bd. 2, Amsterdam, 1785, S. 254–255. 17 « […] Depuis la paix d’Aix-la-Chapelle de 1748, le ministre de Sa Majesté auprès de son altesse royale le gouverneur-général, est proprement le surintendant des finances militaires […]. » Ibidem, S. 255. 18 « […] Vous veillerez particulièrement sur l’état de ma caisse de guerre […]. » ROPBA, Bd. 6, Bruxelles 1887, S. 403.

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Generalgouverneur noch den kommandierenden General in ihrer Würde zu kränken.19 Botta-Adorno beteuerte dann auch, er würde sich ganz aus den operativen, rein militärischen Entscheidungen heraushalten.20 Dennoch kam es unweigerlich zu Auseinandersetzungen mit dem Herzog von Arenberg. Im Mai 1753 tauschte BottaAdorno seine beschwerliche Stelle in den Niederlanden gegen einen Gouverneursposten in Italien ein. Gutinformierten Beobachtern zufolge war die Rivalität mit dem kommandierenden General nicht ganz unschuldig an dem frühzeitigen Weggang des bevollmächtigten Ministers.21 Der reizbare Herzog von Arenberg verstarb im darauffolgenden Jahr. Seine Nachfolger – Karl Graf von Chanclos (1754–1761), Johann Graf von Bournonville (1761– 1768) und Jakob Freiherr von Vogelsang (1768–1770) – traten bescheidener auf, und für den Nachfolger von Botta-Adorno, Karl von Cobenzl, war es leichter, ein Auskommen mit ihnen zu finden.22 Dass dabei der tüchtige und unternehmungsfreudige Minister die Oberhand behielt, geht aus einem Bericht hervor, den der kommandierende General Josef Graf von Ayasasa (1770–1773) kurz nach dem Tod Cobenzls an den Präsidenten des Hofkriegsrates Lacy schickte.23 Ayasasa warf darin dem verstorbenen Geschäftsträger Selbstgefälligkeit und persönliche Bereicherung vor und sah in ihm den Hauptschuldigen für die geringe Wertschätzung, die dem kommandierenden General beziehungsweise dem Militär in den Niederlanden zuteil wurde.24 Der 19 « […] A l’égard de quoi, il faudra prendre un tel tempérament que l’autorité de Son Altesse Royale reste toujours en son entier, que le commandant général des armes ne soit pas embarassé dans ses fonctions, et que le marquis de Botta puisse s’acquitter fructueusement de la commission dont V[otre] M[ajesté] veut bien le charger à ce sujet […].�������������������������������������������������������������������  » Bericht von Silva-Tarouca, Präsident des Obersten Rates der Niederlande, an Maria Theresia, Wien, den 14. Februar 1749. Ediert in Joseph LAENEN, Le ministère de Botta-Adorno […], op., cit., S. 265. 20 Ghislaine DE BOOM, Les ministres plénipotentiaires […], op., cit., S. 54. 21 Joseph LAENEN, Le ministère de Botta-Adorno […], op., cit., S. 62. 22 Vollständige Liste der kommandierenden Generäle in den österreichischen Niederlanden in Georg ZIVKOVIC, Alt-Österreichs Heerführer. Stellenbesetzung in Heer, Landwehr und Kriegsmarine 1541 bis 1918, o. D. [Wien, 1976], S. 61. 23 HHSA, Kabinettsarchiv Staatsrat, Nachlass Lacy, Karton 1, Faszikel I, Mémoire N° 8. Bericht über die Administration der Niederlande von General Graf von Ayasasa [wahrscheinlich zwischen 1770 und 1773 verfasst und nicht im Jahre 1778, wie in der Archivsignatur angegeben]. 24 « […] l’on a vu un ministre dont le génie passoit pour être supérieur, qui non content de jouir d’un gage de quatre vingt mille florins annuels, faisoit tout le possible pour augmenter ses revenus par des maximes, si on ose le dire, illicites […] » und weiter « […] un ministre infatué de sa gloire, qui pour ne pas se départir de certaines prééminences injustement usurpées, fera tout le possible afin que les plaintes du militaire à ce sujet ne soient pas écoutées. C’est même ce qui fait que cette partie ne jouit d’aucune protection. Aussi a-t-on vu à Bruxelles et à Gand des sentinelles frapées par des gens du peuple, d’autres jettées à terre et désarmées, d’autres rouées de coups et pendues dans leurs guerittes, enfin plusieurs

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kommandierende General sei nicht mehr geachtet als ein einfacher Privatmann.25 Diese Respektlosigkeit spiegle sich im allgemeinen Umgang der Zivilbevölkerung mit den Soldaten wider. In Brüssel und in Gent würden Wachposten von Leuten aus dem Volk geschlagen, andere zu Boden geworfen und ihrer Waffen beraubt. Die Zivilverwaltung schaue dabei untätig zu. Auch bei der Desertionsbekämpfung versage sie ihre Unterstützung, schimpfte General Ayasasa und meinte abschließend, nur in den Niederlanden wäre der Militärbefehlshaber „eine Null in Zahl“.26

4 .3 L ac y s R e f or m e n  : H a n dlu ng sf r e i h e i t f ü r di e M i l i tä r be hör de n Diese bissige Kritik an den zivilen Regierungsvertretern fällt in eine Zeit, als der Hofkriegsrat in Wien bemüht war, seine Autorität zu festigen und die Unabhängigkeit des Militärs gegenüber den Zivilinstanzen wiederherzustellen. Schon unter Kriegsratspräsident Leopold von Daun (1762–1766) wurden die zivilen Hofkriegsräte weitgehend durch verdiente Generäle ersetzt.27 Dessen Nachfolger, Feldmarschall Graf Lacy (1766–1774), erreichte dann die Vereinigung von Kriegsführung, Militärverwaltung und Militärjustiz im Hofkriegsrat.28 Joseph II., der seit dem Tod seines Vaters 1765 Mitregent war und dem Maria Theresia die militärischen Angelegenheiten überlassen hatte, unterstützte die Zentralisierungstendenzen. Das Generalkriegskommissariat wurde dem Hofkriegsrat gänzlich einverleibt. Die Hofkammer, das oberste zivile Organ für die Finanzen des Habsburgerstaates, verlor an Einfluss über die Militärintendanz. Die Geschäftsführung wurde vereinfacht und straffer gestaltet. An der Spitze der Militärverwaltung stand nun unangefochten der Hofkriegsrat. Ihm nachgeordnet waren die Generalkommandos in den Ländern. Organisation individus du même corp très maltraités par les habitants, sans qu’il y ait eu l’ombre d’une satisfaction à obtenir, ce qui fait que ces sortes d’infractions se réitèrent assez souvent. Finalement l’on ne craint point d’avancer qu’en ce qui concerne la désertion considérable qui a lieu dans ce paÿs, il est très rare que le civil se prête aux moyens de l’empêcher […]. » Ibidem. 25 �������������������������������������������������������������������������������������������������������� « le commandant général se voit dans la dure situation, de n’être pas plus considéré qu’un simple particulier […]. » Ibidem. 26 « […] ce n’est qu’aux Paÿs-bas où le commandant général a le malheur d’être privé de ce secours si nécessaire à sa charge au point que n’estant qu’un 0 en chiffre, il lui est impossible de mettre en œuvre l’activité […]. » Ibidem. 27 Oskar REGELE, Der österreichische Hofkriegsrat 1556–1848, Wien 1949, S. 23. 28 Ibidem, S. 24  ; Edith KOTASEK, Feldmarschall Graf Lacy. Ein Leben für Österreichs Heer, Horn 1956, S. 73–75.

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und Aufgabenbereiche der Generalkommandos waren denen des Hofkriegsrats angeglichen. Den Generalkommandos unterstanden die Regimenter und die anderen militärischen Dienststellen.29 Die von Lacy und Joseph II. vorangetriebene Neugestaltung der Militärverwaltung rüttelte in den Niederlanden an der Sonderstellung des Generalkapitäns und den weitreichenden Kontrollbefugnissen des bevollmächtigten Ministers. Doch auch hier erhielten die Militärbehörden Schritt für Schritt größere Handlungsfreiheit. Eine Verordnung vom 21. Juni 1770 befreite das Kriegskommissariat und die Kriegskasse von der Vormundschaft durch den Generalgouverneur und den bevollmächtigten Minister.30 Ihre oberste Leitung oblag nun wieder dem Generalkommando. Im Oktober des gleichen Jahres bot die Ernennung des Grafen von Ayasasa zum Generalkommandanten in den Niederlanden die Gelegenheit, dieser Funktion ihre frühere Machtfülle zurückzugeben.31 Einige Monate später bekam dann Generalgouverneur Karl von Lothringen neue Instruktionen, die ihn eines Großteils seiner militärischen Vorrechte entledigten.32 Von nun an lief alles vom Hofkriegsrat aus über den Generalkommandanten, und dieser war nur noch gehalten, den Generalgouverneur über die in Wien getroffenen Entscheidungen mündlich zu informieren. Der bevollmächtigte Minister hatte nicht mehr das Recht, bei der Berichterstattung anwesend zu sein. Der militärische Bereich wurde vollständig abgegrenzt. Selbstverständlich legten die Betroffenen heftigen Protest gegen die Reformen ein.33 Generalgouverneur Karl von Lothringen und der bevollmächtigte Minister Georg Adam Fürst Starhemberg, die in Brüssel die Zentralmacht verkörperten, wurden plötzlich zu Verteidigern des niederländischen Partikularismus. In einem Rechtfertigungsbrief an Maria Theresia plädierte Starhemberg für den Erhalt der Eigenständigkeit und gegen die Gleichschaltung  : „Ich denke, dass die in manchen Teilen notwendige Vereinheitlichung Abänderungen erlauben kann, insbesondere wenn es sich um ein Land handelt, das so weit entfernt vom Hauptkörper der Monarchie liegt, das sozusagen einen gesonderten Staat bildet, dessen große Nützlichkeit wir heute anerkennen müssen und der allein zum großen Teil den Geldkredit der Monarchie 29 Jürg ZIMMERMANN, Militärverwaltung und Heeresaufbringung […], op., cit., S. 82–84. 30 Ghislaine DE BOOM, Les ministres plénipotentiaires […], op., cit., S. 335–336. 31 Michèle GALAND, Charles de Lorraine […], op., cit., S. 159. 32 Michèle GALAND, Charles de Lorraine […], op., cit., S. 159  ; Ghislaine DE BOOM, Les ministres plénipotentiaires […], op., cit., S. 336–337. 33 Die Argumente des Generalgouverneurs und des bevollmächtigten Ministers findet man zusammengefasst in einer Denkschrift, die Starhemberg am 17. Mai 1772 an Maria Theresia richtete. HHSt.A, Alte Kabinettsakte, N° 35.

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stützt. Wenn man die richtigen Maßnahmen ergreift, kann in wenigen Jahren dort eine Armee von vierzigtausend Mann unterhalten werden, in diesem Land, das durch andere Gesetze, in einer anderen Form und nach anderen Prinzipien regiert wird als der Rest der Monarchie.“34 In dem Kräftemessen um die Militärreform ging es aber nur vordergründig um den Status der Niederlande innerhalb der Habsburgermonarchie. Vielmehr stellte sich die Frage, wer das Sagen im Staate hatte. War die Militärmacht der Zivilmacht untergeordnet oder nicht  ? Karl von Lothringen und Fürst Starhemberg erhielten in ihrem Kampf Unterstützung von Staatskanzler Kaunitz. Dem mächtigsten Mann im Staat (neben den beiden Herrschern) konnte es nicht gelegen sein, dass die Militärverwaltung sich verselbstständigte und der zivilen, sprich seiner Oberaufsicht, entglitt.35 Die Herrscherin wurde mit der Angelegenheit befasst. Die Anweisungen, die dem Generalkapitän den letzten Schein von Macht nahmen, waren offensichtlich ohne das Einverständnis der Kaiserin verschickt worden. Maria Theresia empfand sehr viel Sympathie für ihren Schwager und es war ihr unangenehm, dass er durch die Neuerungen erniedrigt wurde. Auf Drängen von Kaunitz setzte sie im Dezember 1771 die Ausführung der Maßnahmen vorläufig aus.36 Doch auf längere Sicht konnten die Niederlande keine Ausnahme bilden. Die Militärpartei um Joseph und Lacy setzte sich durch. 1773 wurde mit Ferdinand Freiherr von Bülow (1773–1775) ein neuer Generalkommandant ernannt, und mit dieser Ernennung kam es dann auch zur definitiven Anwendung der Reform.37 Nach einem kurzen Aufbegehren Starhembergs, der seinen Rücktritt anbot, verebbte der Streit zwischen Zivil- und Militärobrigkeit, sei es, dass Erstere resignierte oder Letztere diplomatisches Geschick bewies, um den Empfindlichkeiten aus dem Wege zu gehen.

34 « […] je pense en même tems que l’uniformité très nécessaire dans plusieurs parties peut admettre des modifications dans quelques autres, surtout lorsqu’il s’agit d’un Païs si éloigné du corps de sa Monarchie qui forme pour ainsi dire un Etat à part, dont la grande utilité doit être reconnue, qui soutient seul en grande partie le crédit pécuniaire de toute la Monarchie, qui si l’on prend les mesures convenables pour réussir pourra en fort peu d’années être mis en état d’entretenir à lui seul une armée de quarante mille hommes qui est gouverné par d’autres lois, dans une autre forme et sur des principes tout differens du reste de la Monarchie […].�����������������������������������������������������������������������  » HHSt.A, Alte Kabinettsakte, N°35, Denkschrift von Starhemberg an Maria Theresia, Brüssel, den 17. Mai 1772. 35 Ghislaine DE BOOM, Les ministres plénipotentiaires […], op., cit., S. 337–339. 36 Ibidem, S. 339. 37 Zu den Reformen siehe Paul BONENFANT, La situation politique et l’opinion aux Pays-Bas en 1773. Les premières réformes de Joseph II. Rapport du ministre de France à Bruxelles, in  : Bulletin de la Commission Royale d’Histoire, Bd. 88, 1924, S. 231–245.

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In der Folge wurde die strikte Trennung von Militär- und Zivilverwaltung nur einmal aufgehoben, nämlich während der Staatskrise im Juni 1787, als Joseph II. das Statthalterpaar und den bevollmächtigten Minister nach Wien berief und das Interimsgouvernement und das Generalkommando in der Person von Feldzeugmeister Graf Murray vereinigte.38 Diese „Militärdiktatur“ war jedoch von kurzer Dauer. Nach drei Monaten hat man Murray in den Ruhestand versetzt und die Wirkungsbereiche zwischen dem bevollmächtigten Minister Trauttmansdorff und dem Generalkommandanten Richard Graf von Alton (1787–1789) wurden erneut aufgeteilt. Das Statthalterpaar Marie Christine und Albert von Sachsen-Teschen entbehrte längst jeglicher realen Macht und beschränkte sich auf seine repräsentative Rolle.

4 .4 Da s K r i e g s kom m i s s a r i at  : Dr e h- u n d A ng e l pu n k t de r M i l i tä rv e rwa lt u ng Für die Verwaltung des Heeres standen dem kommandierenden General eine Reihe von Militärbehörden zur Seite  : das Kriegskommissariat (commissariat de guerre), das Kriegszahlamt – auch Kriegskasse (caisse de guerre) genannt –, das Proviantamt (commissariat des vivres) und, für Justiz und Disziplin, das Auditoriat (auditoriat). Die Beamten dieser Verwaltungseinrichtungen gehörten dem Personal des Generalstabs an. Den Namen nach zu schließen waren kaum Niederländer unter ihnen. Die Mehrzahl stammte offensichtlich aus Österreich und den Erblanden, ein Umstand, den der fast ausschließliche Gebrauch der deutschen Sprache im Schriftverkehr der Militärbehörden nahelegte. Der herausragende Amtsträger in diesem Verwaltungsapparat war der Vorsteher des Kriegskommissariats, der Oberkriegskommissar (chef commissaire de guerre oder premier commissaire de guerre). Ihm fiel, in enger Zusammenarbeit mit dem kommandierenden General, die eigentliche Leitung der Militärverwaltung zu. Wenn trotz schwieriger Finanzlage die Soldaten genügend Proviant bekamen, der Sold ausbezahlt wurde, auch noch Geld für Rekrutierung und Festungen vorhanden war, dann war dies in hohem Maße seinem Können zu verdanken. Voll des Lobes über den Eifer und das große Geschick des Oberkriegskommissars Franz von Gruber, schrieb Generalkommandant von Wurmbrand an Prinz Eugen, dass er „fast niemand mehrers als ihm die bisherige Erhaltung deren Troupen zuzuschreiben wüsste“.39 Das Kriegskommissariat 38 Ghislaine DE BOOM, Les ministres plénipotentiaires […], op., cit., S. 357–361. 39 KA, AFA, Bericht von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel, den 4. Februar 1735.

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Das Kriegskommissariat  : Dreh- und Angelpunkt der Militärverwaltung

war sowohl Wirtschafts- als auch Rechnungsbehörde.40 Es stellte den Militärhaushalt auf und übte die Rechnungskontrolle aus. Es handelte Lieferverträge aus und überwachte die Versorgung. Mindestens einmal im Jahr begab sich der Oberkriegskommissar oder ein Mitarbeiter seines Amtes zu den einzelnen Regimentern, um die Musterung der Truppen vorzunehmen.41 Dabei wurden die Stammrollen durchgesehen und der Zustand von Bekleidung, Ausrüstung, Gesundheit und Moral der Männer geprüft. Die Regimenter waren verpflichtet, jeden Monat die Standestabellen an das Kriegskommissariat einzuschicken. Aus den tatsächlichen Mannschaftsstärken wurde dann die benötigte Soldzahlung und Naturalverpflegung ermittelt. Anhand dieser Zahlen verfasste der Oberkriegskommissar die sogenannte „Militär-Repartition“, ein Budget für das „militärische“ Jahr, das am 1. November begann und am 31. Oktober des darauffolgenden Kalenderjahres endete. Diese Aufstellung über die Bedürfnisse der Armee wurde dem kommandierenden General beziehungsweise dem Generalgouverneur unterbreitet sowie an das Generalkriegskommissariat in Wien weitergereicht, von dem das niederländische Kriegskommissariat eine Vertretung auf Landesebene war. Das Kriegszahlamt, dem ein Kassenverwalter vorstand, tätigte die Ausgaben für das Heerwesen.42 Doch der Oberkriegskommissar beaufsichtigte die Geschäftsführung und kontrollierte auch das Gebaren der Regimentskassen, die das Geld erhielten. Nach 1749 und bis zu den Reformen Anfang der 1770er-Jahre unterstand er den Anweisungen des bevollmächtigten Ministers, der alle Zahlungsaufträge, die von der Kriegskasse vollzogen wurden, unterschrieb.43 Sonst war der Oberkriegskommissar in den Niederlanden direkt an den kommandierenden General angewiesen. Für die Bewältigung seiner Aufgaben standen ihm mehrere „Feldkriegskommissare“ und Kanzleibeamte zur Verfügung. 1728 zählte das von Franz von Gruber geleitete Kriegskommissariat neun Mitarbeiter.44 1750, unter Oberkriegs40 Zu den Aufgaben des Kriegskommissariats siehe allgemein  : Oesterreichischer Erbfolge-Krieg 1740– 1748. Nach den Feld-Acten und anderen authentischen Quellen bearbeitet in der kriegsgeschichtlichen Abtheilung des K. und k. Kriegs-Archivs, Bd. 1, Wien 1896, S. 335–341; Christopher DUFFY, The army of Maria Theresa […], op., cit., S. 125–126  ; Christopher DUFFY, Sieben Jahre Krieg […], op., cit., S. 346–349. 41 Eine Instruktion von 1748 schrieb zwei Musterungen jährlich vor, im Frühjahr und im Herbst. Das Kommissariat sollte die Truppen auch unvermutet, außerhalb der vorgesehenen Termine, inspizieren. Oesterreichischer Erbfolge-Krieg […], op., cit., S. 338. 42 Das Kriegszahlamt, das eng mit dem Kriegskommissariat verbunden war, verwaltete die Kriegskasse. Siehe Kapitel 5 vorliegender Arbeit, S. 173–174. 43 Joseph LAENEN, Le ministère de Botta-Adorno […], op., cit., S. 74–75  ; Ghislaine DE BOOM, Les ministres plénipotentiaires […], op., cit., S. 54 et 335–336. 44 KA, AFA, 1728, N° 402, « Mémoire de l’import du paÿement compétant à l’état major et ceux qui en dépendent, existants dans ce Paÿs-bas », Haushaltsentwurf von Oberkriegskommissar Franz von Gruber.

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Kriegsverwaltung oder Verwaltungskrieg  ?

kommissar Karl Joseph Pfanzelter (1745–1761), war das Personal auf dreizehn Beamte angewachsen.45

4 .5 E i n K on k u r r e n t aus spa n i s c h e r Z e i t : di e K on ta d or i e Zu Beginn der österreichischen Herrschaft teilte das Kriegskommissariat seinen Aufgabenbereich mit einer anderen Behörde, der Kontadorie. Der Militärverwaltungsapparat hatte in dieser Anfangszeit noch nicht die einheitliche Struktur, die er später erlangen sollte. Zwei Verwaltungen bestanden nebeneinander, so wie es auch zwei unterschiedliche Truppenkörper gab, einen kaiserlich-deutschen und einen nationalen. Das Kriegskommissariat war eine österreichische Heereseinrichtung. Die Österreicher hatten diese Behörde sozusagen im Zuge der Besitznahme in den Niederlanden eingeführt, zusammen mit der Stationierung der Militäreinheiten, die aus dem Reich herüberkamen. Das Kriegskommissariat war dann auch in erster Linie für die deutschen Regimenter zuständig. Daneben gab es niederländische Militärverbände, die noch aus dem Spanischen Erbfolgekrieg stammten, die sogenannten Nationaloder Wallonenregimenter. Sie besaßen ihre eigene Verwaltung, die nach spanischem Vorbild aufgebaut war.46 Die Musterung der Nationalregimenter geschah durch die Kontadorie. Somit war das Kriegskommissariat nicht die einzige Behörde, die Standeskontrollen durchführte und Gebühren berechnete. Die österreichische Obrigkeit versuchte möglichst schnell nach dem Herrschaftswechsel, das Verwaltungswesen zu vereinfachen und überflüssige Organe abzuschaffen, damit es zu keinen Kompetenzüberschneidungen kam. Am 29. März 1718 befahl Karl VI. die Auflösung der drei Kollateralräte (conseils collatéraux), die von Karl V. 1531 errichtet worden waren, und ihre Ersetzung durch einen einzigen Rat, den Staatsrat (conseil d’État).47 Bei dieser Gelegenheit wurden auch die überlieferten Militärinstitutionen aus spanischer Zeit – unter anderem die Ämter des „Veedors“ oder 45 KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. VIII, N° 495, „Summarische Ausweisung über die Fundos […] des kAYSERlich-königlichen Militärstaats in denen österreichischen Niderlanden […]“, aufgestellt von Oberkriegskommissar Karl Josef Pfanzelter, Brüssel, den 6. März 1751. 46 Zur spanischen Heeresverwaltung in den Niederlanden und ihrem Fortbestand im 18. Jahrhundert siehe Étienne ROOMS, Contadorie – Pagadorie (1567–1735 – 1567 – vers 1670), in  : Les institutions […], op., cit., S. 867–877  ; idem, Organisatie van de bevoorrading en de bezoldiging der troepen in dienst van de Spaanse monarchie in de Zuidelijke Nederlanden (1567–1713), in  : Bijdragen tot de Geschiedenis, 63, 1980, S. 121–150 (Liber alumnorum K. Van Isacker). 47 ROPBA, Bd. 3, Bruxelles, 1873, S. 97–101, Erlass Karls VI. zur Errichtung einer neuen Form für die Regierung der Niederlande, Wien, den 29. März 1718.

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Ein Konkurrent aus spanischer Zeit : die Kontadorie

Generalinspektors und des „Kontadors“ – für aufgehoben erklärt, da sie weder „notwendig noch nützlich“ schienen.48 Doch solange die Nationalregimenter ihr eigenes Besoldungsschema hatten, das sich von dem der deutschen Regimenter unterschied, funktionierte die Kontadorie weiter.49 Ihre Tätigkeit erübrigte sich erst, als die niederländischen Truppenverbände von Feldmarschall Daun in die österreichische Armee integriert wurden und in allem den kaiserlichen Einheiten gleichgestellt wurden. Das „deutsche“ Kriegskommissariat wurde beauftragt, den nationalen Regimentern die nötigen Formulare und Unterlagen zu schicken, die sie fortan im Verkehr mit dieser Behörde brauchten.50 In seinem Bericht an den Kaiser vermerkte Daun, dass „durch die Einverleibung das Amt der Kontadorie für die Kriegsleute aufhört“.51 Die Kontadorie hielt sich aber weiterhin am Leben, auch ohne eigentliche Aufgabe. Der Finanzrat war wohl nicht ganz unschuldig am Weiterbestehen einer Institution, durch die er hoffte, einen Einfluss auf die Geldverwaltung des Militärs zu behalten. Der Kontador hing nicht vom Generalstab ab, sein Auskommen wurde aus der zivilen Staatskasse bezahlt. Er war demnach der Zivilobrigkeit unterstellt. Anfang 1727 arbeitete der Finanzrat ein Projekt aus, wie die Verrichtungen der beiden Ämter miteinander in Einklang gebracht werden konnten.52 Das Kriegskommissariat und die Kontadorie sollten in Zukunft gemeinsam deutsche und nationale Truppen mustern. Die Regimentskommandanten wären künftig verpflichtet, ihre monatlichen Standestabellen bei beiden Behörden einzureichen. Alle Zahlenangaben sollten von der Kontadorie an den Finanzrat weitergeleitet werden, wodurch dieser einen genauen Einblick in die tatsächlichen Bedürfnisse der Armee gewinnen könne. Der Notwendigkeit entsprechend könnte dann die Kriegskasse von der Regierung mit Geldmitteln versehen werden. Der mangelnde Informationsaustausch war ein ständiger Streitpunkt zwischen Finanzrat und Kriegskommissariat. Die Finanzräte klagten, dass ihnen wichtige Informationen 48 Ibidem, S. 101. « […] Comme par cet établissement et plan nouveau les offices de surintendant de la justice militaire, de veedor général et de contador de l’armée ne paroissent pas être jusques à présent nécessaires ni utiles, nous déclarons que ces offices demeureront par provision supprimés […]. » 49 Z. B. schreibt Generalkommandant von Vehlen am 29. Mai 1722 in einem Bericht an Prinz Eugen, er hoffe, « die von der Contadorie authentisch ausgefertigte Tabella des effectiven Stands der hiesig National Troupen wie nicht weniger der Status ihrer monatlichen Gebührnußen“, welche er vom Kontador eingefordert habe, seien inzwischen per Post in Wien angekommen. KA, AFA, 1722, N° 385. 50 Bericht von Daun an den Kaiser betreffend die Einverleibung der nationalen Truppen, Brüssel, den 4. Mai 1725. Gustave-Henri-Louis GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux […], op., cit., S. 393. 51 Ibidem, S. 394. « […] Par cette incorporation, l’office de la contadorie des gens de guerre venant pareillement à cesser […]. » 52 AGR, CF, N° 2719, Entwurf einer Verordnung, um die Kompetenzen des deutschen Krigskommissariats mit denen der spanischen Kontadorie in Übereinstimmung zu bringen, o. D. [Erstentwurf von 1727, Copie aus dem Jahre 1737].

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Kriegsverwaltung oder Verwaltungskrieg  ?

vorenthalten würden.53 Sie kannten weder die exakte Stärke der Truppen noch die wirklichen Summen, die für ihre Löhne ausgegeben wurden. Das Kriegskommissariat forderte unaufhörlich zusätzliche Geldüberweisungen an die Kriegskasse, behauptete, die Mittel seien ungenügend, blieb der zivilen Finanzverwaltung aber Rechenschaft schuldig. Mit der Kontadorie hätte der Finanzrat endlich bei der Heereswirtschaft einen Fuß in der Tür. Um Zweck und Zuständigkeit zu verdeutlichen, wollte man der alten Kontadorie einen neuen Namen geben  : „Intendanz der Finanzen für die militärischen Angelegenheiten“ (intendance des finances pour les affaires militaires). Der Plan wurde am 13. März 1727 dem Hofmeister der Statthalterin, Graf Julio Visconti, übergeben und von diesem nach Wien geschickt.54 Eine Reaktion blieb aus. 1729 wurde das Projekt noch einmal nach Wien gesandt. Diesmal erfolgte anscheinend ein positiver Bescheid Seiner Kaiserlichen Majestät an die Generalgouverneurin.55 Doch der Kontador spielte ganz offensichtlich weiterhin keine Rolle in der Militärverwaltung. Er beschäftigte sich mit weitgehend belanglosen Sachen, schlug sich mit Pensionsanfragen von Offizieren oder deren Witwen herum, die vor 1715 in niederländischem beziehungsweise spanischem Dienst gestanden hätten.56 Dennoch wurde die Stelle neu besetzt, als der Rat und Kontador François Lefebvre im Jahr 1734 verstarb. Sein Nachfolger, Pierre de Busleyden, der auch noch zum Generalkontrolleur der Artillerie und der königlichen Magazine in den Niederlanden ernannt wurde, bekam immerhin ein Jahresgehalt inklusive Wohnungsgeld von 2014 Pfund (Livres) und 12 Stüber.57 Irgendwann wusste innerhalb der Verwaltung niemand mehr, was genau die Aufgaben dieses Amtsträgers waren. 1751 wurde Kontador von Busleyden aufgefordert, der Rechenkammer eine Kopie seiner Ernennungsurkunde auszuhändigen wie auch eine „kleine Denkschrift“ beizulegen, in der er erklären sollte, welches die Aufgaben seines Amts seien, wie viele Beamte ihm unterstehen und wer diese bezahlen würde. Busleyden antwortete, er nehme die Vereidigung der Bogenschützen und Hellebardiere von Brabant vor, einer Art Polizeitruppe, die für Recht und Ordnung sorgte.58 Bei der Lohnausteilung würde er die Waldhüter des 53 AGR, CF, N° 2960, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneurin, 8. August 1737. 54 AGR, CF, N° 2719, Entwurf einer Verordnung, um die Kompetenzen des deutschen Kriegskommissariats mit denen der spanischen Kontadorie in Übereinstimmung zu bringen, o. D. [Erstentwurf von 1727, Copie aus dem Jahre 1737]. 55 Ibidem. 56 Die Archivakten der Konatdorie sind im Fundus des Finanzrates aufbewahrt  : AGR, CF, N° 2930 und 2931. 57 AGR, CF, N° 2930, Ernennungsurkunde von Pierre de Busleyden zum Kontador, Brüssel, den 1. Oktober 1734. 58 AGR, CF, N° 2931, Denkschrift von Pierre de Busleyden, Brüssel, den 14. Juli 1751.

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Kompetenzstreitigkeiten zwischen Kriegskommissariat und Finanzrat

nahe Brüssel befindlichen „Bois de Soigne“ in seinem Büro Revue passieren lassen. Gleiches täte er mit der Equipage des Zollschiffes, das vor dem Fort Saint-Philippe bei Antwerpen liege. Darin erschöpfte sich aber auch schon die Daseinsberechtigung des Kontadors. Nach dem Ableben Pierre von Busleydens verfiel die Stelle endgültig.59

4 .6 K om pe t e n z s t r e i t ig k e i t e n z w i s c h e n K r i e g skom m i s s a r i at u n d Fi n a n z r at Das zivile Pendant zum Kriegskommissariat war der Finanzrat. Die Heeresfinanzierung erforderte ihre Zusammenarbeit. Doch immer wieder kam es zu Streitigkeiten zwischen beiden Behörden. Als „Wirtschaftsministerium im weitesten Sinne des Wortes“ hatte der Finanzrat die Pflicht, die Ressourcen des Staates sorgsam zu verwalten.60 Das Kriegskommissariat dagegen war für den größten Ausgabenposten im Staatshaushalt, den Unterhalt der Armee, verantwortlich. Der eine trieb das Geld ein, der andere gab es aus. Aus dieser unterschiedlichen Aufgabenstellung und Interessenlage entwickelte sich ein dauerhafter Konflikt. Das Unverständnis zwischen beiden Instanzen ging so weit, dass die Vertreter des Finanzrates sogar die Existenzberechtigung einer eigenständigen Militärverwaltung infrage stellten. Wenigstens zeitweilig spielten sie mit dem Gedanken, alle administrativen Aufgaben im Bereich des Militärwesens von anderen, schon bestehenden Einrichtungen des Staates erfüllen zu lassen. Man könne auf das deutsche Kriegskommissariat verzichten, da die Kontadorie eigentlich das nationale Kommissariat sei und seit jeher die Kriegsausgaben besorge, „gemäß den Anordnungen und zur Zufriedenheit der Regierung“, hieß es in einem Papier, das Einsparungen bei den Militärstellen vorschlug.61 Das Gleiche gelte für die Kriegskasse, denn „es fehlt hier nicht an Einnehmer und Kassierer […], die nach den Vorgaben der Regierung das Geld austeilen, während die Angestellten der Kriegskasse in diesen Landen nur einem 59 Nach Étienne ROOMS, Contadorie […], op., cit., S. 870, sei die Kontadorie 1735 abgeschafft worden. Die Aktenstücke belegen aber den Fortsbestand der Stelle des Kontadors bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. 60 « Le Conseil des Finances fut pendant toute son existence un véritable ministère des affaires éco­ nomiques prises dans leur sens le plus large. » Joseph LEFÈVRE/Placide LEFÈVRE, Inventaire des archives du Conseil des Finances, Gembloux 1938, S. 14. 61 AGR, CF, N° 2719, « Liste des emplois militaires qu’on pourroit excuser lorsqu’ils viendront à vaquer », o. D. [um 1737].

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Kriegsverwaltung oder Verwaltungskrieg  ?

deutschen Kommissar untergeben sind“.62 Sogar die Hof- und Feldkriegskanzlei sei überflüssig, weil es schon ein nationales Staats- und Kriegssekretariat gebe, welches jährlich 17.690 Gulden koste. Die Erwägungen des Finanzrates waren natürlich unrealistisch und wurden wahrscheinlich auch nicht an höhere Stelle weitergeleitet. So rieben sich beide Verwaltungen weiter aneinander. „Das Kriegskommissariat, wie man mir berichtet hat, sieht mich als denjenigen an, der ihm am meisten im Wege steht, und es könnte gut sein, dass es bei dieser Meinung nicht fehl geht, wenn es um die Interessen Seiner Majestät geht, die ich verteidigen muss und von denen man mich nur schwer abbringt“, schrieb der Generaldirektor des Finanzrates, Marquis de Herzelles, selbstbewusst an den niederländischen Rat in Wien.63 Zwischen 1736 und 1738 erreichte das Zerwürfnis seinen vorläufigen Höhepunkt, als der Finanzrat versuchte, dem Kriegskommissariat die Brot- und Futterlieferungen aus der Hand zu nehmen.64 Auch nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg lagen beide Instanzen schon bald wieder im Streit. Der Kriegskommissar forderte Kontributionsgelder aus dem Jahre 1748, von denen der Finanzrat behauptete, sie seien nicht eingenommen worden, weil die steuerzahlende Bevölkerung noch unter fremder Besatzung stand.65 Bei der Ankunft Botta-Adornos und Karls von Lothringen in den Niederlanden klärte man das Zusammenspiel der Institutionen. „Seit dem Frieden von Aachen von 1748 ist der bevollmächtigte Minister […] der eigentliche Oberintendant der Militärfinanzen. Der Oberkriegskommissar und der Verwalter des Kriegszahlamtes stehen unter seinem Befehl“, beschreibt Patrice François de Neny das neue Verhältnis.66 Dies hatte zur Folge, dass der Kriegskommissar nicht nur dem bevollmächtigten Minis62 ����������������������������������������������������������������������������������������������������������� « […] vu qu’il ne manque pas ici des receveurs et caissiers tant généraux que particuliers qui font la distribution des deniers selon les ordres du gouvernement au lieu que ceux de ladite caisse de guerre ne sont subordonnés en ces pays qu’à un commissaire allemand […]. » Ibidem. 63 Brief von Herzelles an Rialp, Brüssel, den 25. September 1736  : « Le commissariat, à ce que l’on m’a dit, m’envisage comme celuy qui est le plus dans son chemin à cet égard et, en cela, il pourroit bien ne pas se tromper surtout lorsqu’il s’agira des intérêts de S. M. que je dois soutenir et dont il seroit difficile de me faire décliner. » Zitiert in Denis TOMBOY, Le marquis Ambroise-Joseph de Herzelles (1680–1759), surintendant et directeur général des finances, in  : Roland MORTIER und Hervé HASQUIN (Hg.), La haute administration dans les Pays-Bas autrichiens (Ambroise-Joseph de Herzelles, Denis-Benoît-Joseph de Cazier, Jacques-Antoine Le Clerc) (Études sur le XVIIIe siècle, Bd. 27), Bruxelles 1999, S. 1–109, S. 80. 64 Ibidem, S. 79–82. 65 Joseph LAENEN, Le ministère de Botta-Adorno […], op., cit., S. 74. 66 « Depuis la paix d’Aix-la-Chapelle de 1748, le ministre de Sa Majesté auprès de son altesse royale le gouverneur-général, est proprement le surintendant des finances militaires. Le ministre a sous ses ordres le chef-commissaire de guerre & l’administrateur de la caisse de guerre […]. » Patrice François de NENY, Mémoires historiques […], op., cit., Bd. 2, S. 255.

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Die Schaffung einer Koordinierungsstelle : das Generallandeskommissariat

ter, sondern auch dem Finanzrat ein Exemplar seines Kassenberichtes sowie der monatlichen Standestabellen der Truppen abgeben musste.67 Diese Maßnahmen allein schufen noch kein Klima des Vertrauens zwischen den beiden Verwaltungen. Deshalb beschloss man auf Betreiben Karls von Lothringen, Oberkriegskommissar Karl von Pfanzelter als aktives Mitglied in den Finanzrat aufzunehmen.68 Er wurde der Domänenabteilung zugewiesen, von der die militärischen Angelegenheiten abhingen. Pfanzelter war jedoch nicht verpflichtet, an jeder Sitzung des Finanzrates teilzunehmen, sondern nur wenn militärische Fragen behandelt wurden. Cobenzl lobte die Klugheit dieser Entscheidung, „damit die Eifersucht und Zwietracht, die ehemals zwischen dieser Körperschaft und dem Kommissariat herrschten, aufhören“.69 Auch der Nachfolger von Pfanzelter, Georg Adam Weygand, saß im Finanzrat.70 Nachdem die Militärverwaltung aber 1770 wieder dem Kompetenzbereich des bevollmächtigten Ministers entzogen und die Dotation der Kriegskasse auf eine fixe Summe pro Jahr festgelegt wurde, erübrigte sich die Anwesenheit des Kriegskommissars.71 Weygand, „ein sehr ehrbarer, doch altersschwacher Mann“, wurde 1772 in den Ruhestand versetzt, behielt aber seine Bezüge als Finanzrat, weil Generalschatzmeister de Cazier meinte, er könne seiner Behörde immer noch nützlich sein.72 Damit endete die enge Zusammenarbeit zwischen Zivil- und Militärverwaltung, die knapp zwei Jahrzehnte angedauert hatte.

4 .7 D i e S c h a f f u ng e i n e r K o or di n i e ru ng s s t e l l e : da s Ge n e r a l l a n de s kom m i s s a r i at Ziel der von Lacy und Joseph II. verfolgten Reformen war die Entflechtung von Militär- und Zivilbereich. Doch mit der Verselbstständigung des Heeres verschwanden ebenfalls die Schnittstellen, an denen vorher ein Informationsaustausch erfolgte. Regierungsbehörden und Kriegskommissariat stritten in ihren Zusammenkünften nicht 67 Ibidem, S. 256. 68 Claude BRUNEEL und Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 489  ; Herman COPPENS, Caisse de guerre (1718–1794), in  : Les institutions […], op., cit., Bd. 2, S. 879. 69 ������������������������������������������������������������������������������������������������������������� « […] pour faire cesser les jalousies et les dissentions qu’il y avoit autrefois entre ce corps et le commissariat […]. » Zitiert in Claude BRUNEEL und Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 489. 70 Claude BRUNEEL und Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 657–658. 71 Siehe dazu Kapitel 5 vorliegender Arbeit, S. 193–194. 72 Karl von Lothringen bewertete Weygand 1770 folgendermaßen  : « […] c’est un fort honnête homme, mais un peu foible étant vieux […]. » Zitiert in Claude BRUNEEL und Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 658.

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Kriegsverwaltung oder Verwaltungskrieg  ?

nur über Haushaltspläne, sondern kommunizierten auch in den wichtigen Fragen der Truppenbewegung und -versorgung miteinander. In Zeiten schwacher Militärpräsenz konnte der Kommunikationsmangel leicht überspielt werden. Der Militärverwaltung gelang es, die logistischen Anforderungen eigenständig zu bewältigen. Doch sobald die Truppenzahl in den Niederlanden stark erhöht wurde, traten die Probleme offen zutage. Als Joseph II. während der Scheldekrise mehrere Zehntausend Soldaten in die belgischen Provinzen verlegen wollte, hätte das plötzliche Anschwellen der versorgungstechnischen Aufgaben in ein Organisationschaos münden können. Die Segregation der militärischen Macht von ihrem zivilpolitischen Umfeld stellte sich als Sackgasse heraus. Am 21. Oktober 1784 rief der Kaiser eine Koordinierungsstelle ins Leben, die zwischen Landesverwaltung und Armee vermitteln sollte.73 Zum Leiter des neu geschaffenen Amtes, das den Namen „Landesfürstliches Commissariat“ oder „General Landescommissariat“ (Commissariat général civil) erhielt, wurde Cornet de Grez, ein hoher Finanzbeamter, ernannt.74 Cornet de Grez sollte zuerst den Titel eines Intendanten (intendant des troupes des armées) tragen, doch der bevollmächtigte Minister Belgiojoso riet von dieser Bezeichnung, die Erinnerungen an die unbeliebten Intendanten unter Karl VI. weckte, ab und schlug dagegen die des „Ober-LandesCommissarius“ (commissaire général civil) vor.75 Der Oberlandeskommissar stand in einer doppelten Abhängigkeit. Er bekam seine Anweisungen vom Generalkommandanten, der ihm die Bedürfnisse der Armee über das Generalproviantamt (direction des vivres) mitteilte. Dennoch präzisierten seine Dienstinstruktionen, dass er „immer der Zivilregierung untergeordnet bleibt und nicht dem Militär“.76 Cornet de Grez war seit 1768 Mitglied des Finanzrats und er blieb es auch nach seiner Ernennung zum Oberlandeskommissar. Seine Nachfolger 73 Jos DENYS und Henri NOWÉ, Inventaire des Archives du Commissariat Général Civil (Archives Générales du Royaume. Inventaires, Bd. 69), Bruxelles 1997, S. 119. 74 Gommaire Antoine Ignace Cornet de Grez, geboren am 22. Oktober 1735 in Mons, gestorben am 28. August 1811 in Bois-Seigneur-Isaac. Claude BRUNEEL und Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 187–189. 75 Anne VANDENBULCKE, Commissariat général civil, in  : Les institutions […], op., cit., Bd. 2, S. 883– 889, hier S. 887. Zur deutschen Terminologie siehe Quellenbelege in  : AGR, CF, N°2950, Bericht von Cornet de Grez, 12. September 1785 sowie AGR, CGC, N°5, Verzeichnis aufgestellt von der Kriegsbuchhalterei, 5. März 1786. Zur Vorgeschichte der Institution des Intendanten siehe Guy THEWES, La réforme administrative de Joseph II dans le duché de Luxembourg, in  : Hémecht, Jg. 53, 2001, N° 4, S. 529–544, S. 529–532. 76 �������������������������������������������������������������������������������������������������� AGR, CGC, N°16, « Notions sur les devoirs et fonctions d’un commissaire général civil pour les armées », o. D. [um 1790].

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Die Schaffung einer Koordinierungsstelle : das Generallandeskommissariat

in dieser Funktion, Pierre-Joseph de Lannoy (1790–1792), Jean Jacques Godenne (1793–1794) und Hubert Joseph Ransonnet (1794–1795), waren ebenfalls Finanzräte. Maximilien de Beelen (1789) saß im Regierungsrat (Conseil du gouvernement général) und Baron Christoph de Bartenstein (1792–1793) gehörte zur Rechenkammer. Der Oberlandeskommissar nahm an gemeinsamen Koordinationssitzungen mit dem Generalkommandanten, dem Leiter des Generalproviantamtes und dem Kriegskommissar teil. Die von ihm gesammelten Informationen leitete er an den bevollmächtigten Minister weiter, dem er regelmäßig Bericht erstattete.77 Das Oberlandeskommissariat wuchs sehr schnell zu einer regelrechten Behörde an. 1785 zählte es 15 Mitarbeiter. Außer Cornet de Grez waren dies ein Stellvertreter, drei Landeskommissare, zwei Sekretäre, drei „Concipisten“, vier „Kanzlisten“ und ein Botenträger.78 1793 führte Bartenstein 31 Angestellte auf.79 Dazu kamen noch weitere Landeskommissare in den einzelnen Provinzen und größeren Garnisonsstädten wie Mons, Gent oder Antwerpen.80 Eine Stärke des Amtes lag darin, dass es Korrespondenten in allen Teilen der Niederlande hatte. So konnte das Oberlandeskommissariat raumübergreifend aktiv werden, im Gegensatz zu anderen Behörden der Zentralregierung, denen es meistens an Vollzugsorganen auf Provinzund Lokalebene fehlte. Hauptaufgabe des Oberlandeskommissars und seiner Mitarbeiter war, die Versorgung der Truppen sicherzustellen. Seine Behörde legte die Marschrouten fest, überwachte die Einrichtung von Magazinen, organisierte Lieferungen von Brot, Futter und Holz, traf Vorkehrungen für den Transport und half bei der Einquartierung der Soldaten mit.81 Das Oberlandeskommissariat erledigte diese Aufgaben nicht im Alleingang, sondern in Zusammenarbeit mit den Ständevertretern, den Stadträten und den lokalen Amtsträgern. Naturalleistungen wie Vorspann, Etappenverpflegung und Unterkunft wurden weiterhin über die Landstände requiriert. Die Landeskommissare fungierten als Mittelsmänner und waren für den reibungslosen Ablauf verantwortlich. Wenn die Ständevertreter sich übergangen fühlten, zögerten sie nicht, Einspruch zu erheben. 1793 forderte der für den Hennegau zuständige Landeskommissar Dubois die Gemeinden seines Ressorts auf, eine Liste der vor77 Anne VANDENBULCKE, Commissariat […], op., cit., S. 888. 78 AGR, CF, N°2950, Bericht von Cornet de Grez, 12. September 1785. 79 AGR, CF, N°2955, Liste der Angestellten des Oberlandeskommissariats, 6. April 1793. 80 Jos DENYS und Henri NOWÉ, Inventaire […], op., cit., S. 121. 81 Zu den Leistungen des Oberlandeskommissariats siehe Emmanuel CALLEWAERT, Une institution méconnue de la fin du régime autrichien  : le commissariat général civil (1784–1786  ; 1789  ; 1790–1794), Louvain-la-Neuve 2003 (unveröffentlichte Magisterarbeit an der Université catholique de Louvain).

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Kriegsverwaltung oder Verwaltungskrieg  ?

handenen Pferde und Wagen zu erstellen. Sofort klagten die Landstände in Mons gegen die Verletzung ihrer Rechte, denn eine solche Anfrage konnte nur über sie an die Untertanen gerichtet werden.82 Insgesamt waren Konflikte aber eher selten und landesfürstliche und ständische Kommissare ergänzten sich in den letzten Jahren der österreichischen Herrschaft, die von inneren Unruhen und äußeren Kriegseinflüssen überschattet war.

4 .8 Zus a m m e n fa s s u ng Die Forschung geht allgemein davon aus, dass die verfassungsgeschichtliche Entwicklung der Österreichischen Niederlande im 18. Jahrhundert von zwei gegenläufigen Dynamiken geprägt wurde. Den Zentralisierungstendenzen Wiens standen die Autonomiebestrebungen der landeseigenen Körperschaften entgegen.83 Während die Zentralregierung Modernisierungs- und Rationalisierungsversuche unternahm, beanspruchten die einzelnen Provinzen und Städte jahrhundertealte „Rechte“, „Freiheiten“ und „Privilegien“ und pochten auf ihre Eigenständigkeit. Doch eine solche dualistische Sichtweise setzt eine Einheitlichkeit der Zentralgewalt voraus, die diese in Wirklichkeit nicht besaß. Auch innerhalb des zentralen Verwaltungsapparats gab es Konflikte, die durch konkurrierende und widersprüchliche Zielsetzungen hervorgerufen wurden. Insbesondere die Trennung zwischen Heeres- und allgemeiner Staatsverwaltung stellte eine grundsätzliche Polarität dar. Nach dem Herrschaftswechsel 1715 wurde in den Niederlanden die gleiche Behördenorganisation eingeführt, mit der die Habsburger ihr Heer in den anderen Ländern der Monarchie verwalteten. Das Kriegskommissariat fungierte als Planungsinstanz und kümmerte sich um Musterung und Besoldung der Truppen. Die Kriegskasse wickelte die Zahlungen ab, und das Proviantamt sorgte für die Verproviantierung. Alle drei Stellen waren gegenüber den Generalkommandanten weisungsgebunden. In der Erfüllung ihrer Aufgaben traten die Militärbehörden in einen regen Austausch mit den zivilen Organen des Staates. Doch die Zusammenarbeit zwischen den beiden Bereichen wollte nicht reibungslos klappen. Die Hierarchie war unklar, Interessenkonflikte und personelle Machtkämpfe beherrschten das Tagesgeschäft. Insbesondere 82 AGR, CGC, N° 346, Schreiben der Stände des Hennegaus an das Oberlandeskommissariat, 26. Dezem������ ber 1793. 83 Piet LENDERS, Vienne et Bruxelles  : une tutelle qui n’exclut pas une large autonomie, in  : Hervé HASQUIN (Hg.), La Belgique autrichienne […], op., cit., S. 37–70.

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Zusammenfassung

das Kriegskommissariat und der für alle wirtschaftlichen Belange zuständige Finanzrat kooperierten schlecht miteinander. Nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg kam es zu einer Klärung der Hierarchie. Der bevollmächtigte Minister wurde zum Leiter der gesamten Verwaltung, auch der militärischen, bestimmt. In seiner Person liefen nun alle Fäden zusammen. Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Instanzen verbesserte sich und die militärischen Behörden fügten sich nun auch leichter in die allgemeinen Verwaltungsstrukturen und -prozesse ein. Doch das Militär verlor an Handlungsfreiheit und versuchte, sich von der Vormundschaft der zivilen Repräsentanten des Staates loszulösen. Der Konflikt zwischen Militär- und Zivilvertretern in den Niederlanden spiegelt auf Landesebene einen Machtkampf wider, der im Herzen der Monarchie geführt wurde. Nachdem Joseph II. die Mitregentschaft übernommen hatte, wurde die Unterordnung der Militärbehörden rückgängig gemacht. Der Militärbereich gewann seine Unabhängigkeit gegenüber den zivilen Organen wieder. Dass eine vollständige Trennung nicht der Weisheit letzter Schluss war, zeigt die Schaffung eines Generallandeskommissariats bei Ausbruch der Scheldekrise 1784. Auch Joseph II. musste erkennen, dass das Zusammenspiel der Institutionen gemischte Stellen erforderte, die nicht eindeutig einem Bereich zugeordnet waren. Im folgenden Kapitel soll untersucht werden, wie die Komplexität des Verwaltungsaufbaus und die vielen Konflikte zwischen den Behörden sich auf Aufbringung und Verteilung der Finanzmittel auswirkten.

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Kapitel 5

„Pecunia nervus rerum“ Die Finanzierung des Militärwesens

„Pecunia nervus rerum“ – das Geld ist der Nerv aller Dinge –, diese Binsenweisheit trifft in besonderem Maße für das Militärwesen zu. Geld war die entscheidende Voraussetzung für die Fähigkeit, Truppen aufbieten und Festungen unterhalten zu können. Doch wie funktionierte der viel zitierte „fiscal-military state“  ?1 Aus welchen Quellen schöpfte der frühneuzeitliche Staat die Mittel zur Finanzierung des stehenden Heeres  ? Welche Steuer- und Finanzverwaltung ermöglichte die Mobilisierung der Ressourcen  ? Aufgrund ihrer komplexen Strukturen bieten sich die Niederlande mit ihrem Nebeneinander von nationalen und kaiserlichen Truppenkörpern, ihrer Vielfalt an landesherrlichen und ständischen Behörden sowie ihrem uneinheitlichen Steuersystem als Forschungsgegenstand besonders an. Die Aufbringung der Finanzmittel, die für die Sicherung des Territoriums notwendig waren, gehörte ohne Zweifel zu den schwierigsten Aufgaben, denen die österreichische Verwaltung in den Niederlanden gegenüberstand.2 Im Folgenden soll der Zusammenhang zwischen Steuersystem, Militärverwaltung und Finanzierungsapparat näher untersucht werden. Dabei wird letztlich zu klären bleiben, ob die 1715 gewonnenen belgischen Gebiete in das Finanz- und Militärsystem des Habsburgerreiches integriert werden konnten.

5.1 D i e E n t w ic k lu ng de r M i l i tä r aus g a be n i n de n Ö s t e r r e ic h i s c h e n Ni e de r l a n de n Dass die Militärfinanzierung alle anderen Anforderungen an den frühneuzeitlichen Staat überstieg, lässt sich quantitativ allein schon anhand der Entwicklung der Ausgaben zeigen. Ein Versuch, den Staatshaushalt der Österreichischen Niederlande zu 1 Zu diesem mittlerweile sehr oft benutzten Begriff siehe Christopher STORRS, The Fiscal-Military State […], op., cit., S. 1–22. 2 Vgl. Guy THEWES, Das Geld ist der Nerv aller Verteidigung. Militärfinanzierung am Beispiel der österreichischen Niederlande (1715–1795), in  : Thomas KOLNBERGER/Ilja STEFFELBAUER (Hg.), Krieg in der europäischen Neuzeit, Wien 2010, S. 427–455.

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Die Entwicklung der Militärausgaben in den Österreichischen Niederlanden

Abb. 1. Entwicklung der Verteidigungsausgaben (in Brabanter Gulden)

rekonstruieren, wurde von dem belgischen Historiker Herman Coppens unternommen.3 Die Rechnungsbücher des Generaleinnehmers (Recette générale des finances) dienten ihm als Grundlage. Fraglich bleibt aber, ob diese Zahlen tatsächlich alle Militärausgaben beinhalten. Fast sämtliche Behörden auf zentraler, mittlerer und unterer Verwaltungsebene übernahmen Aufgaben im Bereich des Heerwesens. Das Geld für Verpflegung, Ausrüstung und Unterbringung der Soldaten, für Ausbau und Instandhaltung der Festungswerke floss nicht aus einer einzigen, sondern aus vielen Einzelkassen. Dennoch gingen die Bemühungen der Regierung dahin, eine zentrale Buchführung aller Staatsausgaben und Einnahmen durchzusetzen. In einer Verordnung von 1718 schrieb Karl VI. vor, dass alle Einkünfte und Aufwendungen, auch wenn sie von lokalen Einnehmern getätigt wurden, von der Generaleinnahme in Brüssel verbucht werden mussten. Mit einem gewissen Vorbehalt kann demnach das vorliegende Zahlenmaterial für eine Überblicksdarstellung benutzt werden. Anhand der von Coppens veröffentlichten Zahlenreihen soll hier kurz die Entwicklung der Militärausgaben in den Österreichischen Niederlanden nachgezeichnet ­werden.4 3 Herman COPPENS, Basisstatistieken voor de reconstructie van de centrale staatsrekening […], op. cit. 4 Folgende Serien zu den allgemeinen Ausgaben wurden benutzt in  : Herman COPPENS, Basisstatistieken […], op., cit., S. 48–50 und 57–58.

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„Pecunia nervus rerum“

Das Schaubild (Abb. 1) zeigt ein Wachstum der Militärausgaben von 2,2 Millionen Brabanter Gulden im Jahre 1725 auf 4,1 Millionen Gulden im Jahre 1788  ; eine etwaige Inflation wurde nicht berücksichtigt. Eine Zunahme erfolgte nach 1749  ; sie stimmt überein mit den von der österreichischen Verwaltung eingeleiteten Finanzreformen, auf die wir später zu sprechen kommen.5 In den 1720er- und 1730er-Jahren lag das Verteidigungsaufkommen im Durchschnitt bei 2,3 Millionen Gulden, zwischen 1750 und 1770 wurden im Schnitt 3,7 Millionen für das Militär ausgegeben, und nach 1770 stiegen die Militärausgaben dann auf jährlich 4,2 Millionen Gulden. Zwei Unregelmäßigkeiten im Verlauf der Kurve stechen besonders hervor. Der merkliche Anstieg der Verteidigungskosten ab 1741/42 und der darauffolgende Einbruch der Ausgaben spiegeln die Ereignisse des Österreichischen Erbfolgekrieges wider, der zu einer fast vollständigen Besetzung des Territoriums führte. Die Kostenexplosion auf über 14 Millionen Gulden im Jahre 1785 ist auf die Scheldekrise und die überstürzte Aufrüstung Josephs II. zurückzuführen. Die Verteidigung stellte bei Weitem den größten Ausgabenposten im niederländischen Staatshaushalt dar. Die Aufwendungen für Rüstung und Armee machten etwa zwei Drittel (65 %) der gesamten Staatsausgaben aus. Der europäische Mittelwert lag im 18. Jahrhundert bei 54 %.6 Dennoch war der hohe Anteil nicht außergewöhnlich. Im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts gab Frankreich 76 % für das Militär aus, Österreich sogar 93 %.7 Die Verwaltungsausgaben nahmen sich mit durchschnittlich 22 % im Vergleich ziemlich bescheiden aus. Die Schuldentilgung verschlang die restlichen 12 % der Mittel. Doch der Anteil der Staatsschuld wuchs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und erreichte 1776 eine Spitze von 45 %. Da viele der aufgenommenen Kredite auch der Kriegsfinanzierung dienten, können die Zins- und Tilgungszahlungen auch teilweise als Militärausgaben angesehen werden. Die Kriegskassenrechnungen, die einen Einblick in die genaue Zusammensetzung des Militärhaushalts gewähren würden, sind nicht überliefert. Dennoch können vereinzelte Belege im Archivfonds des Finanzrats Aufschluss über die Ausgabenstruktur geben. Ende 1736 fertigte das Kriegskommissariat eine Zusammenstellung aller Zahlungen an, welche die Kriegskasse zwischen dem 1. November 1724 und dem 31. Oktober 1736 getätigt hatte.8 Dieses Dokument diente der Militärverwaltung 5 Siehe Kapitel 5 vorliegender Arbeit, S. 187 und folgende Seiten. 6 Martin KÖRNER, Expenditure, in  : Richard BONNEY (Hg.), Economic Systems and State Finance, Oxford/New York 1995, S. 393–422, S. 414. 7 Ibidem, S. 411. 8 AGR, CF, N° 2718, Verzeichnis der durch die Kriegskasse getätigten Zahlungen, aufgestellt vom Kriegskommissariat, o. D. [1736].

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Die Entwicklung der Militärausgaben in den Österreichischen Niederlanden

Abb. 2. Anteil der Militärausgaben am Staatshaushalt

Tabelle 6. Militärausgaben der-Jahre 1725 bis 1736 nach Ausgabenposten gegliedert (deutsche Gulden) Besoldung Regimenter

Rekrutierung Remonten

Besoldung Generalstab

1725

968.368

94.624

50.163

1726

1.167.089

103.125

93.502

1727

1.124.419

81.409

1728

1.067.815

1729

1.035.046

1730

1.049.217

1731

1.136.956

140.599

1732

1.322.457

1733

1.249.837

1734

1.248.455

1735

Brot- und Zinsen Futterund verpfle- Aufgelder gung (Agien) 324.305

Ausserplanmässige Ausgaben

Summe

17.542

329.753

1.784.755

8.831

26.958

1.399.505

452.897

17.716

77.390

1.753.831

82.801

561.867

2.305

52.730

1.767.518

48.953

71.771

642.719

61.279

1.859.768

137.713

76.499

659.846

7.587

36.829

1.967.691

74.497

535.756

547

77.629

1.965.984

86.243

560.103

3.526

21.231

1.993.560

81.771

88.648

393.752

7.529

19.651

1.841.188

36.991

93.490

374.188

16.493

32.617

1.802.234

1.239.336

186.257

96.642

292.157

18.995

11.037

1.844.424

1736

1.160.835

26.621

104.299

490.605

16.498

32.362

1.831.220

Summe

13.769.830

856.654

999.964

5.288.195

117.569

779.466

21.811.678

Anteil

63,1

3,9

4,6

0,5

3,6

24,3

Quelle  : AGR, CF, N°2718, « État des paiements faits par la Caisse de guerre […]. »

171

100,0

„Pecunia nervus rerum“

Abb. 3. Ausgaben der Kriegskasse 1725 bis 1736 in Prozentanteilen

wahrscheinlich in der Auseinandersetzung mit der zivilen Behörde zur Rechtfertigung ihrer finanziellen Forderungen. Die Aufwendungen waren in sechs Gruppen unterteilt, die für die Analyse beibehalten werden können. Der größte Ausgabenposten bestand in der Besoldung der Soldaten. Die Aufwendungen für Infanterie und Kavallerie machten fast zwei Drittel aller Ausgaben aus. Auf die Versorgung der Truppen mit Brot und Futter entfiel fast ein Viertel der Mittel. Dieser Betrag ist leicht unterbewertet, denn der Eintrag für das Jahr 1726 fehlt. Während dieser Zeit wurden die Lieferungen ausnahmsweise direkt vom Finanzrat bezahlt und nicht über die Kriegskasse abgewickelt.9 Es fällt auf, dass die Verpflegungskosten von Jahr zu Jahr stark variierten. Dies könnte auf große Schwankungen des Brot- und Getreidepreises hindeuten, lässt sich aber wohl eher durch Veränderungen in der Truppenstärke erklären. Die hohen Beträge der-Jahre 1728 bis 1732 9 Siehe Kapitel 6 vorliegender Arbeit, S. 261.

172

Die Kriegskasse und die Zentralisierung der Militärausgaben

sind auf die Einquartierung eines österreichischen Expeditionsheers im Herzogtum Luxemburg zurückzuführen, wogegen die Kostensenkung der-Jahre 1733 bis 1735 den Truppenabzug während des Polnischen Erbfolgekrieges widerspiegelt. In der Besoldung änderte sich nichts, denn die niederländischen Einheiten wurden weiterhin von der Kriegskasse entlohnt, auch wenn sie im Ausland operierten. Fremde Truppenkörper erhielten ebenfalls ihren Sold aus auswärtigen Kassen. Die anderen Posten – Rekrutierung und Ankauf von Pferden, Besoldung des Generalstabs, zu dem auch die Angestellten der Militärverwaltung gerechnet wurden, Zinsen und Agien sowie diverse Kosten – hatten einen relativ geringen Anteil an den Ausgaben. Einer Erläuterung bedürfen die sogenannten „extraordinaires“. Unter diese Rubrik fallen neben Schreib- und Portogebühren die Kosten für den Kauf von Waffen und Munition, von Uniformen und Fahnen sowie von Arzneimitteln. Als außerordentliche Ausgaben verbucht wurden aber auch verschiedene Sondervergütungen, die z. B. Invaliden oder versetzte Offiziere bekamen. Der über andere Wege finanzierte Festungsbau findet sich nicht in der Ausgabenbilanz des Kriegskommissariats wieder. Die Zusammenstellung führt nur die Zahlungen der Kriegskasse auf und umfasst, wie sich aus der weiteren Darstellung ergeben wird, nicht alle Militärausgaben in den Österreichischen Niederlanden.

5.2 D i e K r i e g s k a s s e u n d di e Z e n t r a l i s i e ru ng de r M i l i tä r aus g a be n Im Prinzip liefen alle staatlichen Finanzoperationen in den Niederlanden über die Generaleinnahme (Recette générale des finances).10 Dies galt sowohl für die Einkünfte wie für die Ausgaben. Doch das gleiche Gesetz, das 1718 die drei Kollateralräte (Conseils collatéraux) in einem Staatsrat vereinigte, schuf mit der Kriegskasse (Caisse de guerre) neben der Generaleinnahme eine Parallelkasse für die Besoldung und Verpflegung der Truppen.11 Vorbild war die österreichische Heeresverwaltung, 10 Siehe Herman COPPENS/Erik AERTS, Recette générale des finances (Trésor royal) (1387–1795), in  : Les institutions […], op., cit., Bd. 2, S. 534–545. 11 ROPBA, Bd. 3, Bruxelles 1873, S. 97–101, Erlass Karls VI. zur Errichtung einer neuen Form für die Regierung der Niederlande, Wien, den 29. März 1718. Hier S. 100–101. Es gibt nur sehr wenig Literatur zur Kriegskasse. Eine kurzgefasste Darstellung findet man bei Herman COPPENS, Het institutioneel kader van de centrale overheidsfinanciën in de spaanse en oostenrijkse Nederlanden tijdens het late Ancien Régime (c. 1680–1788), Brussel 1993, S. 59–60, und Herman COPPENS, Caisse de guerre (1718–1794), in  : Les institutions […], op., cit., S. 878–882.

173

„Pecunia nervus rerum“

wo im Jahre 1700 eine Generalkriegskasse mit Vertretungen in den Ländern eingeführt worden war, um den Militärfonds aufzunehmen und zu verwalten.12 Der Verwaltungsapparat der Kriegskasse, das Kriegszahlamt, war anfangs klein gehalten. 1722 bestand das Amt aus dem Kriegskassierer (caissier de guerre) Johann Ignaz Würzer und dem Offizial Polterra.13 Nach und nach bekam der Kassenverwalter zusätzliches Personal. 1728 zählte die Kriegskasse fünf Beamte und Angestellte, 1750 waren es deren acht.14 Dabei erfolgte die eigentliche Leitung der Geschäfte durch den Kriegskommissar, der unter der Aufsicht des kommandierenden Generals handelte beziehungsweise nach 1749 dem bevollmächtigten Minister unterstellt war. Das Kriegszahlamt unterhielt eine Filiale in Luxemburg. Auf diese Weise wurden gefährliche und, wegen der verschiedenartigen Wechselkurse, verlustreiche Geldtransporte zwischen Brüssel und dem militärisch wichtigen, aber geografisch abgeschiedenen Herzogtum vermieden.15 Ausgestattet wurde die Kriegskasse mit den Hilfsgeldern, den sogenannten Kontributionen oder Subsidien (aides et subsides), welche die Landstände der niederländischen Provinzen bewilligten. Es gehörte zur allgemeinen frühneuzeitlichen Praxis, zwischen dem „Camerale“ – den Erträgen aus Kammergütern, Regalien und Zöllen, die dem Herrscher direkt zustanden – und den „Kontributionen“ – den Einkünften aus der gewährten, direkten Besteuerung der Untertanen – zu unterscheiden. Aus Ersterem wurden die Ausgaben für den Hofstaat und die landesherrliche Verwaltung bestritten, Letztere dienten dem Unterhalt des Heeres. Die von Karl VI. Anfang 1719 erlassenen Instruktionen für die Ausführung der Regierungsgeschäfte präzisierten die Beziehungen zwischen den beiden Kassen.16 Das Geld aus den Subsidien sollte unmittelbar in die Kriegskasse fließen, ohne dabei durch die Hände des Generaleinnehmers zu gehen. Damit man aber den Gesamtüberblick über Einnahmen und 12 Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen. Nach den Feld-Acten und anderen authentischen Quellen herausgegeben von der Abtheilung für Kriegsgeschichte des k. k. Kriegs-Archives, 1. Serie, Bd. 1, Wien 1876, S. 273–276. 13 KA, AFA, 1722, N° 385, « Liste ou spécification des personnes qui composent l’état major aux Paÿs-bas autrichiens […] », aufgestellt von Kriegskommissar Franz von Gruber, o. D. [1722]. 14 KA, AFA, 1728, N° 402, « Mémoire de l’import du paÿement compétant à l’état major et ceux qui en dépendent, existants dans ce Paÿs-bas », Haushaltsentwurf von Oberkriegskommissar Franz von Gruber  ; KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. 8, N° 495, „Summarische Ausweisung über die Fundos […] des kayserlich-königlichen Militärstaats in denen österreichischen Niderlanden […]“, aufgestellt von Oberkriegskommissar Karl Josef Pfanzelter, Brüssel, den 6. März 1751. 15 Herman COPPENS, Caisse de guerre […], op., cit., S. 879. 16 ROPBA, Bd. 3, Bruxelles 1873, S. 147–154. ����������������������������������������������������������� Instruktionen von Karl VI. für den Staatsrat in den Niederlanden, Wien, den 4. Januar 1719. Hier S. 153.

174

Die Kriegskasse und die Zentralisierung der Militärausgaben

Ausgaben des Staates behielt, wurde der Verwalter der Kriegskasse verpflichtet, nach Abschluss des Haushaltsjahres seinen Rechnungsbericht bei der Generaleinnahme einzureichen. So konnte der Generaleinnehmer die Bilanz der Kriegskasse in seinen Konten verbuchen. Obwohl die gesetzlichen Bestimmungen eine klare Trennung des Zivil- und des Militärfonds vorsahen und alle Zahlungen für das Heerwesen über die Kriegskasse laufen sollten, war dem in Wirklichkeit nicht so. Bis 1725 erfolgte die Besoldung der Nationalregimenter nach dem alten Schema  : Die Regimentskassen wurden direkt auf die Provinzkassen angewiesen.17 Nur die deutschen Einheiten wurden über die Kriegskasse entlohnt. Die Zahlmeister der wallonischen Regimenter wandten sich an die Einnehmer der Landstände, die auf Anordnung des Generaleinnehmers das Geld aus den Einkünften der Subsidien auszahlten. Nach der Einverleibung der nationalen Einheiten in das kaiserliche Heer 1725 wurde das Besoldungssystem vereinheitlicht, und die Truppen erhielten ohne Unterschied ihren Lohn von der Kriegskasse. Doch liefen die Gehälter einiger Militärangehöriger weiterhin über die Generaleinnahme. Die Militäringenieure, das Artilleriekorps, die Fortifikationskontrolleure, aber auch die Festungsgouverneure und ihre Stellvertreter wurden aus dem Zivilfonds bezahlt. Graf Friedrich von Harrach versuchte 1742 angesichts des drohenden Krieges, eine Zentralisierung der Militäreinnahmen und -ausgaben durchzusetzen. Ein Erlass befahl, den ganzen Nettoertrag der Subsidien in die Kriegskasse einzuzahlen und aus dieser alle Vergütungen an Militärpersonen zu entrichten.18 Nicht nur die Geld-, auch die Naturalbezüge der Soldaten kamen teilweise aus anderen Quellen. 1722 schrieb Kriegskommissar von Gruber an Prinz Eugen, es sei ihm leider nicht möglich, über die jährlichen Bedürfnisse der Armee „was verläßliches einzusenden, indeme durch die Kriegs Cassam nur die effective Zahlung, durch anderwertige Weg aber die Proviantirung abgeführet worden“.19 Vielerorts nahmen die Landstände die Lieferungen der Brotportionen und Futterrationen vor und zogen den Betrag der geleisteten Naturalverpflegung von der von ihnen bewilligten Gesamtsumme der Kontributionen ab. Die Militärobrigkeit verdächtigte die Landstände, bei der Vergütung der erbrachten Leistungen zum Schaden der Staatsfinanzen gute 17 Herman COPPENS, Caisse de guerre […], op., cit., S. 880. 18 Erlass von Interimsgouverneur Friedrich von Harrach, Brüssel, den 8. August 1742. Abgedruckt in Louis-Prosper GACHARD, Inventaire des archives des chambres des comptes, précédé d’une notice historique sur ces anciennes institutions, Bd. 3, Bruxelles 1851, S. XV–XVI. AGR, ������������������������� SEG, N° 783/1, Depesche des Grafen Friedrich von Harrach an den stellvertretenden Gouverneur von Antwerpen und idem an die anderen Gouverneure, 8. August 1742. 19 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Gruber an Prinz Eugen, Brüssel, den 29. Dezember 1722.

175

„Pecunia nervus rerum“

Geschäfte zu machen. Als die internationale Lage sich im Frühjahr 1727 zuspitzte, schätzte der kommandierende General zum Jungen sich glücklich, dass „man besserer oeconomie und ordnunghalber noch zur Zeit die Fourage und das Holz durch einen Entreprenneur [hat] liefern lassen und andurch dene Ständen die Gelegenheit benehme wolle sothann Weÿd und Fouragirunge von dem laufenden Subsidium (wie es onfehlbar geschehe wäre) mit einem zehnfach Wehrt wider umb abzuschlagen undt mithin umb sovil mehre der Subsistenz deren hiesigen Troupen zu entziehen“.20 Die Armeeführung befürwortete, die Verpflegung der Truppen Unternehmern anzuvertrauen. In dem Fall führte die Militärverwaltung Regie und beglich alle Kosten zentral aus der Kriegskasse. Der Finanzrat schien jedoch diesen Zentralisierungsbemühungen entgegenzuwirken. Noch nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg, als das Versorgungssystem neu aufgebaut wurde, unterbreitete dieser den Vorschlag, die Unternehmer unmittelbar an die Landstände anzuweisen. Die Lieferungen würden demnach von den Einnehmern der Provinzen bezahlt, die Kriegskasse wäre wiederum umgangen worden. Das Ansinnen des Finanzrats rief verständlicherweise heftigen Protest beim Kriegskommissariat hervor.21 „Alle dem Militär zugedachten Mittel müssen unverzüglich in die Kriegskasse fließen“, war die Antwort.22

5.3 St eu e r au f br i ngu ng u n d Z a h lu ng s moda l i tät e n Tatsächlich gelangte aber wegen der vielfachen, von den Landständen eigenmächtig vorgenommenen Abzüge nur ein Bruchteil der Subsidien in die Kriegskasse. Nach Aussage des Feldmarschalls von Vehlen gab es in Wahrheit keinen Geldmangel. Der Notstand bei den Truppen „rühret allein daher, daß die Finanzien nach dem alten Fueß dirigiret, anstatt daß nach Ihrer kaÿs.[erlichen] Maÿs.[Majestät] allerhöchsten Intention und Befehl die zu behueff der Miliz eingewilligte Subsidien ad cassam militarem gelievert werden solten“.23 Zudem waren auf die Kontributionen der meisten Provinzen Schulden aufgenommen worden. Die Tilgung in Raten samt der Zinsen schmälerte zusätzlich den Nettobetrag, der in die Kriegskasse kam. Die Militärführung versuchte, eine genauere Vorstellung vom Steuereinkommen des Staates zu gewinnen. Wie viel Geld gewährten die Landstände tatsächlich  ? Wel20 KA, AFA, 1727, N° 399, Bericht von zum Jungen an Prinz Eugen, Brüssel, den 13. Juni 1727. 21 AGR, SEG, N° 817, Stellungnahme von Kriegskommissar Pfanzelter, Brüssel, den 26. März 1749. 22 « […] tous les fonds militaires doivent entrer immédiatement dans la caisse de guerre […]. » Ibidem. 23 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 31.März 1722.

176

Steueraufbringung und Zahlungsmodalitäten

che Abgaben wurden zurückbehalten  ? Was blieb für den Unterhalt der Armee übrig  ? Auf der Grundlage von Dokumenten, die Obersthofmeister Visconti ihm zuleitete, rechnete Feldmarschall zum Jungen einen Gesamtwert der niederländischen Kontributionen für das Jahr 1728 von 3.233.900 Gulden aus. Die Lasten beliefen sich auf über ein Drittel  : 1.216.203 Gulden. Nach Abzug dieser Gelder standen noch 2.017.697 Gulden für die Heeresversorgung zur Verfügung. Die Bedürfnisse der Armee wurden aber auf 2.677.600 Gulden veranschlagt.24 An dieser Situation änderte sich über Jahrzehnte kaum etwas. 1754 erhob Wien erneut die Forderung, „die jährliche Retentionsposten deren niederländischen Provincien nach ihrer Beschaffenheit und Betragnuß“ zu klären.25 Die vom Kriegskommissariat erstellte Übersichtstafel ergab, dass fast ein Drittel der Kontributionen von den Landständen zurückbehalten wurden.26 Zusätzlich zur mangelnden Transparenz kam eine weitere Unbekannte, die eine geregelte Finanzplanung erschwerte. „Das Haupteinkommen, das aus den gewöhnlichen Subsidien besteht, kommt nicht immer gleichmäßig ein, da die Subsidien sozusagen dem freien Entscheid der Provinzen überlassen sind“, musste die Militärführung feststellen.27 Die Steuern, welche die Ständeversammlungen festlegten, waren von Jahr zu Jahr verschieden. Das Streben der Zentralregierung ging dann auch dahin, über „klare und fixe“ Steuereinnahmen zu verfügen. Im Zuge der Haugwitz’schen Reformen wurden mit den meisten Ländern der Habsburgermonarchie mehrjährige Verpflichtungen, sogenannte Rezesse, ausgehandelt.28 Die Landstände genehmigten die Steuern auf zehn oder zumindest auf drei Jahre. Die Niederlande, wie auch Tirol und Ungarn ließen sich aber nicht angleichen. Die Landstände in den niederländischen Provinzen hielten unvermindert an ihrem jährlichen Bewilligungsrecht fest.29 Nur in Flandern gelang es der Regierung unter Cobenzl, eine ständige und unver24 KA, AFA, 1728, N° 402, Bericht von zum Jungen an Prinz Eugen, Brüssel, den 9. März 1728  ; Anhang  : « Extrait de l’import des subsides ordinaires accordés par les respectives Provinces des Pays bas autrichiens pour l’année 1728, des charges ordinaires y affectées et ce qu’après déduction d’icelles restera pour la subsistance des trouppes. » 25 KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. VIII, N° 348, Vortrag von dem Generalkriegskommissariat an die Monarchin über das niederländische Militärverpflegungssystem, Wien, den 1. August 1755. 26 AGR, SEG, N° 2689, « Fonds militaires de l’année 1755 à recevoir par la caisse de guerre de Sa Majesté Impériale et Royale à Bruxelles des provinces respectives aux Pays bas autrichiens », o. D. [1755]. Die Provinzen bewilligen 2.496.994 deutsche Gulden. 790.706 Gulden werden von den Ständen zurückbehalten. Die Kriegskasse erhält netto 1.706.288 Gulden. 27 AGR, SEG, N° 2690, « Note pour établir un système stable et fixe pour former un plan militaire qui puisse se soutenir », o. A., Brüssel, den 12. Mai 1749. 28 Karl VOCELKA, Glanz und Untergang der höfischen Welt […], op., cit., S. 356–357. 29 Herman COPPENS, Het institutioneel Kader […], op., cit., S. 140–168.

177

„Pecunia nervus rerum“

änderliche Kontribution durchzusetzen.30 Die anderen niederländischen Landstände ließen sich jedes Mal, nachdem sie die Steuern verabschiedet hatten, vom Herrscher eine „lettre de non préjudice“ ausstellen, ein Dokument, welches ihnen garantierte, dass die Summe bei der nächsten Steuererhebung neu verhandelt wurde. Die Schwankungen des Steueraufkommens – auch wenn sie grob und über einen längeren Zeitraum gesehen ziemlich gering waren – stellten einen nicht unerheblichen Unsicherheitsfaktor für die Finanzierung des Militärhaushalts dar.31 Der Zwiespalt zwischen den Erfordernissen des Herrschaftsinstrumentes Armee und der weiterhin ständestaatlich organisierten Steueraufbringung blieb bestehen. Insofern ist es nicht falsch, in dem „landesfürstlich-ständischen Dualismus“ ein „Kernproblem des Staates im 18. Jahrhundert“ zu sehen.32 Nebenstehende Abbildung zeigt, wie die Militärausgaben im Verhältnis zu den Kontributionseinnahmen variierten.33 In den ersten Jahrzehnten der österreichischen Herrschaft sind beide Kurven weitgehend deckungsgleich. Doch nach 1749 klaffen Steuereinnahmen und Verteidigungsausgaben selbst in Friedenszeiten stark auseinander. Die Steuerleistung der niederländischen Provinzen stieg während des 18. Jahrhunderts nur sehr langsam an. Plötzliche Zuwächse, z. B. während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763), des Bayerischen Erbfolgekrieges (1778–1779) und der Scheldekrise (1785), sind auf eine zeitlich befristete Erhöhung der sogenannten „dons gratuits“, einer freiwilligen und außerordentlichen Beisteuer, zurückzuführen. Anstatt in Krisenzeiten die gewöhnlichen „aides et subsides“ merklich zu erhöhen, bewilligten die Stände eine Sonderhilfe, die meistens mit Anleihen finanziert wurde.34 Ein ausgeglichener Militärhaushalt konnte nur durch die Zufuhr von Mitteln aus anderen staatlichen Einnahmequellen erreicht werden. Vor allem die stark steigenden Einnahmen aus den Handelszöllen halfen nach 1749 bei der Finanzierung der Militärausgaben.35 Die scharfe Trennung zwischen „camerale“ und „contributionale“ wurde dadurch immer mehr zur Fiktion. 30 Ibidem, S. 146  ; Achille GALLET-MIRY, Les États de Flandre sous les périodes espagnole et autrichienne, Gand 1892, S. 118–119. 31 Die Beträge der von den Ständen bewilligten ordentlichen Steuern (aides et subsides) verändern sich im Laufe des 18. Jahrhunderts kaum. Die Schwankungen rühren von den Sonderhilfen (dons gratuits) her. Vgl.  : Georges BIGWOOD, Les impôts généraux […], op., cit., Anhang A und B. 32 Jürg ZIMMERMANN, Militärverwaltung […], op., cit., S. 73. 33 Folgende Serien wurden benutzt in  : Herman COPPENS, Basisstatistieken […], op., cit., S. 57–58 und 158–160. 34 Georges BIGWOOD, Les impôts généraux […], op., cit., S.42–44. 35 Zur Entwicklung der Zolleinnahmen siehe Herman COPPENS, Basisstatistieken […], op., cit., S. 99– 101.

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Steueraufbringung und Zahlungsmodalitäten

Abb. 4. Verteidigungsausgaben versus Kontributionseinnahmen

Das Kriegskommissariat tat sich schwer, einen Einblick in das komplexe Steuersystem zu gewinnen. In einem Gutachten an Cobenzl monierte Kriegskommissar Pfanzelter 1755, dass der Finanzrat lange Zeit der Militärverwaltung Informationen über das Kontributionswesen vorenthalten habe. Das Kriegskommissariat blieb im Unklaren, ob die Provinzen ihren Verpflichtungen nachkamen und die bewilligten Hilfsgelder einzahlten, inwiefern die Abzüge gerechtfertigt waren oder ob es sich um Zahlungsrückstände handelte.36 Die Klage war nicht neu. Schon bei seinem Versuch, sich Einsicht in die Staatsfinanzen zu verschaffen, bemängelte zum Jungen 1728, dass die Rechnungen und Schriften, die ihm zugestellt wurden, „sehr confus seÿnd auch viele Erläuterungen nötig haben“.37 Die schlechte Kommunikation zwischen Militär- und Zivilverwaltung erregte Misstrauen und Streit. Kriegskommissar Pfanzelter beschuldigte den Finanzrat, die Militär- und Zivilfonds zu vermischen, um weiterhin 36 AGR, SEG, N° 2689, Gutachten von Karl Pfanzelter an den bevollmächtigten Minister, Brüssel, den 20. Januar 1755. 37 KA, AFA, 1728, N° 402, Bericht von zum Jungen an Prinz Eugen, Brüssel, den 9. März 1728.

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die alleinige Kontrolle über die Staatsfinanzen zu behalten.38 Sein Vorgänger Franz von Gruber übte scharfe Kritik an den Verantwortlichen im Staatsrat, die „alle fondi oder verborgen oder difficil macheten“.39 „Sie verschleppen die gängigsten Sachen mit dem Ziel noch mehr Verwirrung zu stiften […]. Sie sind nicht fähig einen einzigen Sou vorzuschlagen […].“40 Gruber wünschte sich lieber „am Ende der Türkei zu sein, als unter solchen Völkern, die dermaßen ihrem Herrscher wie dessen Interessen feindlich gesinnt sind“.41 Finanzdirektor Thomas de Fraula unterhalte eine geheime Korrespondenz mit den Ständen, dem Generaleinnehmer Walckiers hätte er nahegelegt, die Zahlungen fürs Militär hinauszuzögern.42 Gruber vermutete hinter diesen Machenschaften eine Verschwörung der Gegner Priés. Wenn dem bevollmächtigten Minister die Versorgung der Armee nicht gelingen würde, wäre der Kaiser gezwungen, den unbeliebten Stellvertreter auszuwechseln.43 Die Vorwürfe des Kriegskommissars wirken vielleicht überzogen. Fakt ist jedoch, dass der Finanzrat Subsidien für zivile Zwecke abzweigte. 1745 kam es deswegen fast zu einem Eklat. Von den 100.000 Gulden, welche die Luxemburger Landstände bewilligt hatten, waren nur 60.000 Gulden der Kriegskasse zugewiesen worden. Als der kommandierende General Herzog von Arenberg davon erfuhr, befahl er dem Luxemburger Festungskommandanten Neipperg, „keinen einzigen Stüber außer Land gehen zu lassen“, was auch immer der Finanzrat oder ein anderer befehlen möge.44 Kriegskommissar Pfanzelter warnte Staats- und Kriegssekretär Jean Henri de Crumpipen, damit der Finanzrat keine unnützen Anweisungen gebe. Der Feldmarschall sei nicht die Person, die lockerlasse, wenn sie einmal einen Befehl erteilt hat. Er bat ihn, diese Sache rückgängig zu machen. Kaum verhüllt drohte Pfanzelter mit der Möglichkeit von Requisitionen. In der Provinz Luxemburg habe man einen 38 AGR, SEG, N° 2724, Bericht von Pfanzelter an Botta-Adorno, Brüssel, den 5. Mai 1749. 39 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Gruber an Prinz Eugen, Brüssel, den 22. Dezember 1722. 40 KA, AFA, 1722, N° 385, Brief von Gruber an Brakhausen, Brüssel, den 4. Dezember 1722. « […] ils laissent les affaires les plus courantes sans exécution dans la seule vue pour brouiller d’avantage […] ils ne sont pas capables de suggérer un seul sous […]. » 41 Ibidem. « […] j’aimerai plustot d’estre au but de la Turckie que parmis des peuples aussi ennemis de leur souverain que de ses interest […]. » 42 Thomas de Fraula, Staatsrat und Generaldirektor der Finanzen, getauft am 14. Januar 1647 in Brüssel, gestorben am 24. April 1738 in Brüssel. Claude BRUNEEL/Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 274–275. 43 Der Kaiser berief den Marquis de Prié nach dem Rücktritt Prinz Eugens Ende 1724 ab. Auch Finanzdirektor Fraula wurde im Juni 1725 auf Betreiben Dauns in den Ruhestand versetzt. Zu den Intrigen gegen Prié siehe Heinrich BENEDIKT, Als Belgien […], op., cit., S. 56–82. 44 AGR, SEG, N° 816, Brief von Pfanzelter an Crumpipen, Brüssel, den 27. August 1745. « […] qu’il ne laisse sortir du pays pas un sol […]. »

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Gouverneur, der sich, wenn man dessen Truppen ohne einen Stüber lassen würde, alles, was er vorfände, nehmen würde, bevor er dulde, dass seine Soldaten vor Hunger krepieren.45 Als Staats- und Kriegssekretär war Crumpipen gewohnt, den Mittler zwischen den verschiedenen Instanzen zu spielen. Höflich, aber bestimmt wies er den Vertreter der bewaffneten Macht in seine Schranken  : „Die Anweisung der Subsidien ist und war immer Sache des Generalgouverneurs oder des bevollmächtigten Ministers. Der oberste Generalkommandant hat sich nur eingeschaltet, um die Regierung über die Bedürfnisse der Kriegskasse in Kenntnis zu setzen und höchstens, um die erforderlichen Mittel zu erörtern.“46 Crumpipen gab Pfanzelter zu bedenken, wie der Graf von Kaunitz-Rietberg, der bevollmächtigte Minister, den Befehl Arenbergs aufnehmen werde. Er schlug ihm vor, diplomatischer vorzugehen und seinen „Seigneur“ umzustimmen sowie ein paar Zeilen an den bevollmächtigten Minister zu schreiben, in denen er seinen Wunsch betreffend der Subsidien äußern könne. Crumpipen war sich sicher, dass der Graf von Kaunitz angetan sein würde, dem Begehren des Herrn Feldmarschalls nachzukommen. Pfanzelter, der wohl merkte, dass er sich verspekuliert hatte, machte sofort einen Rückzieher. Es sei nicht seine Absicht gewesen, die Autorität der Regierung zu attackieren, das Kriegskommissariat habe keinen Anteil an dieser Affäre, und er suche auch einen Kompromiss, „um nicht die Geister zu verbittern“.47 Er bat den Staats- und Kriegssekretär um die Erlaubnis, noch am gleichen Abend bei ihm vorbeikommen zu dürfen und sich mit ihm zu verständigen  ; aber im „Négligé“, denn von der Gicht geplagt sei er nicht imstande, sich zu kleiden. Crumpipen hatte Kriegskommissar Pfanzelter auf die Prozedur verwiesen, die bei der Überführung von Geldmitteln in die Kriegskasse üblich war. Diese war in der Tat etwas umständlich und sicherte dem Finanzrat die Kontrolle über die Verteilung der Staatseinkommen. Das Kriegskommissariat meldete seine Bedürfnisse beim bevollmächtigten Minister an und bat um Anweisung der fälligen Subsidien an die Kriegskasse. Der Minister leitete die Anfrage des Kriegskommissariats an den Fi45 ���������������������������������������������������������������������������������������������������� Ibidem. « […] dans la province de Luxembourg cela n’ira pas puisque nous avons là une personne militaire pour gouverneur auquel on laissera les troupes qu’il a à son commandement sans un sol et je vous assure qu’avant de laisser crever de faim ses trouppes il prendra tout ce qu’il trouvera pour le faire vivre […]. » 46 AGR, SEG, N° 816, Brief von Crumpipen an Pfanzelter, Brüssel, den 30. ������������������������ August 1745. « […] l’assignation des subsides dépend, et a toujours dépendue du gouverneur général ou du ministre pléni­ potentiaire, et que le général commandant en chef ne s’en est jamais mêlé qu’en faisant connoitre au gouvernement les besoins de la caisse de guerre et en concertant tout au plus les moiens d’ÿ pourvoir […]. » 47 AGR, SEG, N° 816, Handschreiben von Pfanzelter an Crumpipen, o. D. [1745]. « […] il faut tâcher de trouver un milieu dans cette affaire pour ne point aigrir les esprits […]. »

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Abb. 5. Geschäftsgang für Auszahlungen an die Kriegskasse

nanzrat weiter, der die vorhandene Liquidität prüfte und dann den Betrag zu Lasten einer subalternen Steuerkasse – zum Beispiel zu Lasten des Steuereinnehmers in der Provinz Luxemburg – anwies.48 Der Finanzrat befahl dem Generaleinnehmer, die Zahlung an die Kriegskasse zu tätigen und gab der Rechenkammer Anordnung, die Ausgabe in den Konten des Generaleinnehmers anzuerkennen. Die Bezahlung erfolgte aber nicht gleich in bar. Der Generaleinnehmer übermittelte dem Verwalter der Kriegskasse einen sogenannten Entlastungsbrief (lettre de décharge), mit dem dieser bei der angewiesenen subalternen Kasse den Barbetrag einfordern konnte. Der Entlastungsbrief diente dem örtlichen Einnehmer als Quittung. Bei jedem Schritt dieses Verfahrens konnten Verzögerungen eintreten. 1736 beklagte sich Kriegskommissar Gruber beim Obersthofmeister, dass der Finanzrat trotz einer Order der Statthalterin die Anweisung von 100.000 Gulden aus der Einnahme der Provinz Luxemburg nicht abgefertigt habe.49 Die zivile Behörde rechtfertigte aber 48 Beispiele von Zahlungsanweisungen in AGR, CF, N° 2733. 49 AGR, CF, N° 2718, Denkschrift für den Obersthofmeister von Franz von Gruber, Brüssel, den 19. April 1736.

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ihre vorsichtige Vorgehensweise. Zuerst müsse nachgefragt werden, wie viel der örtliche Einnehmer in seiner Kasse habe und ob die gewöhnlichen Ausgaben gedeckt seien. Der Finanzrat empfahl, zuerst eine Zahlungsanweisung von 50.000 Gulden und später eine zweite über 30.000 Gulden auszustellen.50 Manchmal schoben auch die örtlichen Einnehmer die Zahlung hinaus, ungeachtet der Entlastungsbriefe, die das Kriegszahlamt ihnen vorzeigte.51 Die Kriegskasse geriet ihrerseits in Verzug. Damit die Soldaten ihre dringend benötigte Entlohnung und Verpflegung bekamen, war der Kassenverwalter gezwungen, Geld zu leihen, das er später mit Zinsen zurückzahlen musste. Die Kriegskasse verschuldete sich. Welche Mühe die Militärbehörde hatte, an das Geld zu gelangen, verdeutlicht das Beispiel der Provinz Luxemburg. Dort war die Steuer- und Domäneneinnahme in acht Untereinnahmen eingeteilt.52 Diese untergeordneten Stellen sammelten die Einkünfte in ihrem Distrikt ein und brachten sie nach Luxemburg zum Haupteinnehmer der Provinz. Doch den dortigen Vertreter der Kriegskasse nötigte man, zu jedem einzelnen Untereinnehmer zu reisen, um das Geld für die Armee entgegenzunehmen. Bei der großen Ausdehnung des Herzogtums und dem schlechten Zustand des Straßennetzes war dies alles andere als eine Spazierfahrt für den Kassenbeamten. Das Kriegskommissariat forderte verständlicherweise eine Zentralisierung der Zahlungen an die Kriegskasse in der Provinzhauptstadt.53

5.4 Ge l dbe s c h a f f u ng u n d Ve r s c h u l du ng Bargeld war generell knapp, und niemand mochte sich gern von ihm trennen. Das Kriegszahlamt brauchte jedoch flüssige Mittel, um den Soldaten den Sold auszubezahlen und den Lieferanten die Rechnungen zu begleichen. Weil die Beschaffung aber so schwierig war, nahm die Militärverwaltung die Hilfe von gewandten Finanziers in Anspruch. Am 10. Februar 1722 benachrichtigte Kriegskommissar Gruber Prinz Eugen, er habe sich nach Antwerpen begeben, wo er „die nach Flandren auf 50 AGR, CF, N° 2718, Gutachten des Finanzrats, o. D. [April 1736]. 51 AGR, CF, N° 7080, Depesche an den Finanzrat, Brüssel, den 22. Mai 1749. « […] comme l’expérience a fait voir que malgré que les subsides étoient échus quelques receveurs ont néanmoins souvent differé d’acquitter les lettres de décharge de la recette générale qui leur ont été présentées de la part de la caisse de guerre et que ce délai a mis l’administrateur de ladite caisse dans la nécessité de lever pour les besoins pressans et indispensables des troupes de l’argent à intérêt, dont l’import a diminué nécessairement celui du fond militaire […]. » 52 Claude de MOREAU de GERBEHAYE, L’abrogation des privilèges fiscaux […], op., cit., S. 183–185. 53 AGR, SEG, N° 817, Bittschreiben des Kriegskommissariats an den Generalgouverneur, Brüssel, den 29. September 1749.

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die lauffende Verpflegung gehabte Anweisung mittelst einen geringen Interesse umb das bare Geldt verhandlet womit dan […] die Löhnung beÿ nahe bis 6ten künftigen Monaths damit werde bestreiten können“.54 Das Kriegskommissariat verkaufte also die von der Regierung ausgestellten Anweisungen an finanzkräftige Bankiers oder Geschäftsleute, die dann diese bei den staatlichen oder ständischen Einnahmestellen einlösten. Der Financier trug das Risiko, ließ es sich aber durch einen entsprechenden Zinssatz honorieren. Die Kreditwürdigkeit des Steuerstaates blieb fragwürdig. Im Juni 1722 berichtete General von Vehlen, dass es mit der Verpflegung schlecht stehe, da „die dem Commissariat extradirte Assignationes gahr nicht oder schwehrlich zu negotiren sind, in dem die Provinz von Flandern die vor mehr als 2 Jahren auf denen Subsidien angewiesene, und von ihnen selbst acceptirte Assignationes denen Kaufleuthen beÿ welchen mann sie gegen baar gelt negotiret, nicht remboursiren wollen, vorgebent sie hätten auf ordre des Gouvernements ihr Contingent bahr abführen müßen, dergestalt, daß der Credit völlig zerfallen und kein Kaufman zu den geringsten Vorschuß zu induciren ist […]“.55 Gehandelt wurde nicht nur mit den fälligen Anweisungen, sondern auch mit zukünftigen Einnahmen. Im November 1734 kamen Obersthofmeister Graf Harrach, Generalschatzmeister Cuvelier, Generalkommandant Wurmbrand und Kriegskommissar Gruber mehrmals zusammen, um die Frage zu erörtern, „woher beÿ allenthalben erschöpften Fundis sothane Erfordernuß herzunehmen seÿe“.56 Der Chef des Finanzrates schlug vor, eine Vorausbezahlung auf den laufenden Mittel der Provinz Hennegau auszuhandeln. Wurmbrand begegnete dem Vorschlag mit Skepsis, da die Verzinsung des Vorschusses eine zusätzliche Last für die Kriegskasse bedeutete und auf längere Sicht den Militäretat verkürzte, musste sich aber schließlich dem Gebot der Not fügen. Die Befürchtungen Wurmbrands wurden kaum ein Jahr später bestätigt, als die Zentralregierung ein Darlehen aufnahm, wozu die Kontributionen der Provinz Flandern als Hypothek herhalten mussten.57 Die Subsidien von Flandern waren aber ebenfalls vor ihrem Zahlungstermin für die Kriegskasse verpfändet worden. Auf denselben Fonds lasteten demnach gleich mehrfache Forderungen. Kriegskommissar Gruber musste sich eilends nach Gent begeben, „um sothane Anticipation auf gedachten Fundo mit dene Credits-Partheÿn bestmöglichst zu liquidiren, damit nicht aller Credit gänzlichen zerfallen möge“.58 54 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Gruber an Prinz Eugen, Brüssel, den 10. Februar 1722. 55 KA, AFA, 1722, N° 385, Bericht von Vehlen an Prinz Eugen, Brüssel, den 26. Juni 1722. 56 KA, AFA, 1734, N° 433, Bericht von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel, den 26. November 1734. 57 KA, AFA, 1735, N° 448, Bericht von Wurmbrand an Prinz Eugen, Brüssel, den 27. August 1735. 58 Ibidem.

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In der Folge hatte die Armeeführung offensichtlich weniger Skrupel. Im November 1736, zu Beginn eines neuen Militärhaushaltsjahres, erreichte sie, dass Maria Elisabeth der Kriegskasse schon im Voraus einen großen Teil des zukünftigen Steuereinkommens zusicherte.59 Die Statthalterin befahl dem Finanzrat, fünf Zahlungsanweisungen im Gesamtwert von 1.439.333 Gulden auf die Kontributionen von Brabant, Flandern, Hennegau, Luxemburg und Limburg auszustellen. Diese Steuern waren aber noch nicht erhoben worden. Die Ständeversammlungen von Hennegau, Luxemburg und Limburg hatten über ihre Subsidien noch nicht einmal abgestimmt. In der Regel bewilligten die Landstände während ihrer Wintertagung die gewöhnlichen Hilfsgelder für das kommende Jahr, die dann in den nächsten zwölf Monaten, meistens zu drei oder vier Zahlungsterminen, eingebracht wurden.60 Ein gewisser Unsicherheitsfaktor blieb, ob die bewilligten Gelder vollständig eintrafen. Manchmal mussten nachträglich einzelnen Landkreisen Steuererleichterungen wegen Überschwemmung, Hagel, Missernten oder sonstigen unerwarteten Ereignissen zugestanden werden. Der Finanzrat riet davon ab, der Kriegskasse einen so hohen Betrag in einem Stück und im Voraus zu überlassen.61 Im Laufe des Jahres könnten andere Ausgaben anfallen, wozu dann keine Mittel mehr vorhanden wären. „Man kennt keinen Fürst, der seine Truppen ein Jahr im Voraus bezahlt, insbesondere, wenn sie in Garnison liegen.“62 Sobald die Kriegskasse die Entlastungsbriefe auf die zukünftigen Subsidieneinkünfte erhielt, wechselte sie diese gegen Bargeld ein. Selbstverständlich erhoben die Geldgeber Zinsen für das bereitgestellte Kapital. Nach Ansicht des Finanzrates brachte die Praxis, die Bareinkünfte im Voraus zu veräußern, nicht nur die Kriegskasse in Misskredit, sondern diskreditierte auch den Staat.63 Die oberste zivile Finanzbehörde sprach sich gegen die „Antizipationen“ (anticipations) aus, von deren dringender Notwendigkeit sie nicht überzeugt war, schon gar nicht in einer Zeit, in der die Trup59 AGR, CF, N° 2718, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneurin, Brüssel, den 12. November 1736. 60 Herman COPPENS, Het institutioneel Kader […], op., cit., S. 155. 61 AGR, CF, N° 2718, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneurin, Brüssel, den 12. November 1736. Der Finanzrat blieb bei seiner negativen Einschätzung in den darauffolgenden Jahren, als der Vorgang sich wiederholte. Siehe AGR, CF, N° 2718, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneurin vom 9. Dezember 1737 und vom 28. März 1740. 62 AGR, CF, N° 2718, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneurin, Brüssel, den 9. Dezember 1737. « On ne connoit aucun prince qui païe ses trouppes une année d’avance et sur tout lorsqu’elles sont en garnison ». 63 AGR, CF, N° 2718, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneurin, Brüssel, den 9. Dezember 1737.

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penzahl tendenziell zurückging. Das unersättliche Verlangen der Kriegskasse nach Liquidität war ihr unverständlich. „Es kann nur gefährlich sein, solch beträchtliche Summen einer Kasse anzuvertrauen, die es hortet und deren ganze Verwaltung sich entgegen dem alten Brauch der Niederlande der Kenntnis der Regierung entzieht  ; das bringt die Öffentlichkeit und die Provinzen, die derartig erhebliche Subsidien gewähren, ohne zu wissen, was man damit tut, zum murren“, argwöhnte der Finanzrat.64 Er schlug vor, der Kriegskasse nur die Hälfte oder höchstens zwei Drittel der angefragten Beträge zu „assignieren“.65 Der Rest der Kontributionen soll in dem Maße, wie die Steuern tatsächlich einkamen, überwiesen werden. Der Finanzrat war darauf bedacht, die Forderungen des Militärs gegenüber den anderen finanziellen Verpflichtungen des Staates für Zivilverwaltung, Hofhaltung, Rechtspflege, Schuldendienst sowie soziale und wirtschaftspolitische Aufgaben abzuwägen. Kriegskommissariat und Kriegskasse, die in der Vergangenheit häufiger mit Zahlungsrückständen von mehreren Hunderttausend Gulden konfrontiert waren, strebten ihrerseits nach größerer finanzieller Sicherheit und Vorausplanung.66 In Ermangelung des Bargeldes benutzte die Militärverwaltung immer häufiger Obligationen als Zahlungsmittel, die von den Landständen ausgegeben wurden. Kriegskommissar Pfanzelter erklärte 1749 folgendermaßen die gängige Vorgehensweise  : „Es ist offenkundig, dass die Hilfsgelder und Subsidien nicht überall pünktlich bezahlt werden, sondern die Provinzen geben zum Teil Wechselbriefe oder Zusicherungen ihrer Gebühr, zahlbar in zehn oder zwölf Monaten und manchmal in noch längeren Fristen, aus. In dem Fall bezahlt die Kriegskasse die Unternehmer [der Brot- und Futterlieferungen] teilweise mit den oben genannten Wechselbriefen und teilweise mit Bargeld, je nachdem wie die Mittel in die Kasse einkommen“.67 Mindestens seit dem Öster64 AGR, CF, N° 2718, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneurin, Brüssel, den 28. März 1740. « […] D’ailleurs il ne peut être que dangereux de confier des sommes si considérables pour y rester oisives dans une caisse dont toute l’administration est inconnue au gouvernement contre l’ancien usage des Pays-Bas ce qui fait murmurer le public et les provinces qui accordent des subsides si considérables sans scavoir l’usage qu’on en fait […]. » 65 AGR, CF, N° 2718, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneurin vom 12. November 1736 und vom 9. Dezember 1737. 66 KA, AFA, 1724, N° 392, Bericht von Gruber an Prinz Eugen, Brüssel, den 19. September 1724. Zum Beispiel standen Ende Oktober 1724 insgesamt 710.154 Brabanter Gulden für die Entlohnung der kaiserlichen deutschen Truppen in den Niederlanden während der Zeit vom 1. November 1722 bis zum 31. Oktober 1724 aus. Das Defizit war zum Teil durch Anweisungen auf die Provinz Flandern bedingt, die nicht bezahlt worden waren. Die Außenstände beliefen sich auf 127.652 Brabanter Gulden. 67 AGR, SEG, N° 817, Stellungnahme von Kriegskommissar Pfanzelter, Brüssel, den 26. März 1749. « […] il est notoire que les aides et subsides ne sont pas par tout exactement paÿés, mais les provinces donnent en partie des lettres de change ou d’assurance de leur redevance paÿables en dix et douze mois,

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reichischen Erbfolgekrieg beanspruchte die Kriegskasse auch die Hilfe von Bankhäusern, um kurzfristige Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Statthalter und Minister ermächtigten Kriegskommissar Pfanzelter 1745, zwei Anleihen von 100.000 bzw. 200.000 Brabanter Gulden über eine Laufzeit von drei bis höchstens sechs Monaten aufzunehmen.68 Nach dem Aachener Frieden und zu Beginn des Siebenjährigen Krieges boten Mathias Nettine beziehungsweise seine Witwe Barbe Stoupy der Militärverwaltung ihre Dienste bei der Kreditbeschaffung an.69 Das Brüsseler Bankhaus war der Kriegskasse auch bei seinen Geldtransfers von der niederländischen Hauptstadt nach Luxemburg behilflich.70 Die hohen Profite, die es dabei einsteckte, erregten aber den Protest der Militärführung. Generalkommandant von Ayasasa bezeichnete die Nettine als wahren Blutegel.71 Unter der Leitung der dynamischen Witwe hatten die Bankgeschäfte im Auftrag der Zentralbehörden einen beachtlichen Aufschwung erlebt. De facto war es Barbe Stoupy gelungen, alle Staatskassen unter ihre Kontrolle zu bringen.72 Um ihre Monopolstellung zu brechen, strebte die Militärführung fortan eine Zusammenarbeit mit dem Antwerpener Bankhaus Proli an.73

5.5 R e f or m be s t r e bu ng e n  : K on t rol l e u n d Vor auspl a n u ng Nach der Wiederherstellung der österreichischen Regierung in den Niederlanden 1749 gab es vielfache Überlegungen, wie die Finanzierung des Heeres sicherer geet quelque fois un terme encore plus long, dans ce cas la caisse de guerre paÿe les entreprenneurs en partie avec les dites lettres de change, et en partie avec l’argent comptant selon les moÿens qui entrent dans la caisse […]. » 68 AGR, SEG, N° 816, Depesche von Karl von Lothringen vom 25. Februar 1745 und Depesche von Kaunitz, Brüssel, den 10. März 1745. 69 AGR, SEG, N° 817, Garantie für die Rückzahlung von 140.000 Gulden, die Mathias Nettine Oberkriegskommissar Pfanzelter vorgestreckt hat, 9. Januar 1949 und Depesche Karls von Lothringen an das Kriegskommissariat, 17. Mai 1757. 70 HHSA, Kabinettsarchiv Staatsrat, Nachlass Lacy, Karton 1, Faszikel I, Mémoire N° 8. Bericht über die Administration der Niederlande von General Graf von Ayasasa, [1770–1773]. 71 Ibidem. « […] l’on ne put s’empêcher d’attaquer cette sang-süe, en lui déclarant que le change dont elle jouissoit, étoit trop haut […]. » 72 Herman COPPENS, Het institutioneel Kader […], op., cit., S. 63–64. Siehe auch Valéry JANSSENS, Mevrouw de Nettine, staatsbankier in de 18e eeuw, in  : Revue de la Banque, 33, 1969, S. 679–689  ; Valéry JANSSENS, Madame de Nettine et Édouard de Walckiers, banquiers d’État au 18e siècle, in  : BNB. Revue mensuelle publiée par et pour le personnel de la Banque nationale de Belgique, Mai 1965, S. 11–13. 73 AGR, SEG, N° 817, Stellungnahme von Kriegskommissar Pfanzelter, Brüssel, den 26. März 1749.

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staltet werden könne.74 Ziel war, das Militär regelmäßig und pünktlich zu bezahlen. Monatelange Rückstände, wie sie in den 1720er- und 1730er-Jahren üblich waren, sollten in Zukunft vermieden werden. Gleichzeitig wollte man die Kriegskasse aus ihrer Abhängigkeit von Kreditgebern herausholen. Die Kriegskasse ließ sich aber nur deshalb das Geld von privaten Financiers vorstrecken, weil die ordnungsgemäße Ressourcenzufuhr versagte. Die Geldbeträge aus den Subsidien kamen zu spät, nur teilweise oder gar nicht. Niemand – jedenfalls in der Militärverwaltung und wahrscheinlich auch nicht bei den zuständigen Zivilbehörden, dem Finanzrat und der Rechenkammer – wusste, wie viel von den bewilligten Kontributionen wirklich in den Staatssäckel gelangte.75 Hier war also der „Nervus rerum“, wo die Verbesserungsbemühungen ansetzten mussten. Eine Schwachstelle war bislang sicherlich die ungenügende Kontrolle über die Landstände gewesen, welche die Steuern verteilten und erhoben. Dem Finanzrat, der als Kontaktorgan zu den Provinz- und Lokalverwaltungen zuständig war, fehlte es an Zeit und Personal.76 Rechnungsabschlüsse kamen, wenn überhaupt, erst nach vielen Jahren zustande.77 Nur eine zentrale Überwachung der Finanzverwaltung, des Rechnungswesens und der Buchhaltung der Landstände konnte eine Verbesserung der Steuereinnahmen bringen. Die Militärverwaltung bot sich an, diese Kontrollfunktion zu übernehmen. „Solange das Kriegskommissariat nicht bei den Rechnungsabschlüssen der Subsidien interveniert, wird die Kriegskasse keinen unverkürzten und klaren Fonds haben“, urteilte Oberkriegskommissar Pfanzelter 1755 in einem Schreiben an Cobenzl.78 Diese 74 AGR, SEG, N° 2689, « Remarques comme je me suis imaginé qu’on pourroit s’y prendre pour former le fond militaire séparé de tous autres », Brüssel, den 12. Mai 1749  ; AGR, SEG, N° 2690, « Note pour établir un système stable et fixe pour former un plan militaire qui puisse se soutenir », Brüssel, den 12. Mai 1749. 75 Piet Lenders schätzt, dass zwei Fünftel der von Flandern bewilligten Subsidien nicht in Brüssel ankamen. Piet LENDERS, Jointe des administrations et des affaires des subsides (1764–1786, 1791–1794), in  : Les institutions […], op., cit., Bd. 2, S. 719–730, hier S. 719. 76 Der Finanzrat war zuständig für die subalterne Verwaltung, während die Finanzkontrolle der landesherrlichen Einrichtungen, wie Domäne und Zoll, im Kompetenzbereich der Rechenkammer lagen. Piet LENDERS, Jointe pour l’audition des comptes (1749–1751, 1752–1764), in  : Les institutions […], op., cit., S. 710–718, hier S. 713. 77 Beispiele für Namur und Hennegau bietet Cécile DOUXCHAMPS-LEFÈVRE, Les finances des États de Namur et leur contrôle au milieu du XVIIIe siècle, in  : Anciens pays et assemblées d’États, Bd. 38, 1966, S. 211–222, und Carmen PRÉAUX-STOQUART, Les finances des États de Hainaut au XVIIIe siècle d’après la Jointe des administrations et des affaires de subsides, in  : Anciens pays et assemblées d’États, Bd. 5, 1953, S. 49–109. 78 AGR, SEG, N° 2689, Schreiben von Oberkriegskommissar Pfanzelter an den bevollmächtigten Minister Karl von Cobenzl, Brüssel, den 20. Januar 1755. « […] tant que le commissariat n’interviendra point aux décomptes de subsides, la caisse de guerre n’aura jamais ses fonds nets & clairs […]. »

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Überzeugung hatte er schon zwei Jahre vorher dem Generalgouverneur gegenüber geäußert.79 Pfanzelter schlug vor, in den Niederlanden eine Vorgehensweise einzuführen, die in den österreichisch-böhmischen Erbländern und in Ungarn angeblich gängig war.80 Jedes halbe Jahr traf sich der Kriegskommissar mit den Steuereinnehmern der jeweiligen Provinzen und den Abgeordneten der Landstände, um zu prüfen, ob die Kontributionen richtig abgeliefert wurden. Sie verfassten eine gemeinsame Abrechnung, die eine verlässliche Bilanz der ausstehenden Steuergelder zog. Wenn man es für nötig erachte, könne bei diesem Audit auch ein Vertreter des Finanzrates oder der Rechenkammer anwesend sein, meinte Pfanzelter, der wahrscheinlich den erwarteten Einspruch der Zivilbehörden vorwegnehmen wollte. Tatsächlich lief der Vorschlag des Kriegskommissars darauf hinaus, der Militärverwaltung einen größeren Einfluss auf die Steuerwirtschaft einzuräumen. Die Überlegungen Pfanzelters gingen sogar so weit, die Abschaffung der Entlastungsbriefe anzuregen. Eine Intervention des Finanzrates und des Generaleinnehmers sei nicht nötig. Eine Quittung, unterschrieben vom Verwalter der Kriegskasse, würde den subalternen Einnehmern als Rechtfertigung genügen, um das Geld auszuzahlen. Die Ausschaltung des Finanzrates aus der Zahlungsprozedur spielte Pfanzelter als „Vereinfachung der Formalitäten“ herunter.81 Die vom Kriegskommissariat vorgetragenen Ansichten zeigen, dass die Militärverwaltung weiterhin der traditionellen, durch viele Einzelkassen anstelle einer Zentralkasse gekennzeichneten Fondswirtschaft verhaftet war.82 Die aus den verschiedenen Quellen stammenden Einkünfte waren jeweils im Vorhinein für bestimmte Arten von Ausgaben vorgesehen. Die Hilfsgelder der Landstände dienten in allererster Linie der Finanzierung des stehenden Heeres und müssten folglich der Kontrolle der Militär- und nicht der Zivilbehörden unterliegen. Letztere verwalteten dagegen das Camerale, aus dem die zivilen Erfordernisse des Staates finanziert wurden. Mit derartigen Vorstellungen hinkte die Militärverwaltung in den Niederlanden aber offensichtlich den finanz- und verwaltungstechnischen Modernisierungsbestrebungen der Wiener Zentralregierung hinterher. Die traditionelle Fondswirtschaft hatte bislang einen wirklichen Überblick über den Staatshaushalt und somit eine fundierte Vo79 Ibidem. 80 Vgl. Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen […], op., cit., Bd. 1, Wien 1876, S. 275. 81 AGR, SEG, N° 2689, Schreiben von Oberkriegskommissar Pfanzelter an den bevollmächtigten Minister Karl von Cobenzl, Brüssel, den 20. Januar 1755. 82 Zur Fondswirtschaft siehe Thomas WINKELBAUER, Nervus rerum Austriacarum. Zur Finanzgeschichte der Habsburgermonarchie um 1700, in  : Petr MAT’A/Thomas WINKELBAUER (Hg.), Die Habsburgermonarchie […], op., cit., S. 179–215, hier S. 188.

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rausplanung verhindert. Die Haugwitz’sche und Kaunitz’sche Staatsreform, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzte, vollzog in Österreich den Übergang von der Fondswirtschaft zum System der Kasseneinheit, überwand die Trennung zwischen Camerale und Contributionale und trieb die Erstellung eines einheitlichen Staatsbudgets voran.83 Auch in den Niederlanden ging die Entwicklung in diese Richtung. Schon Obersthofmeister Harrach hatte auf eine verstärkte Kontrolle der ständischen und städtischen Finanzen gedrängt.84 1749 wurde eine Kommission für die Rechnungsprüfung (Jointe pour l’audition des comptes) eingerichtet.85 Aufgabe dieser „Junta“ war es, die Instruktionen für die Regierungskommissäre zu verfassen, die vor Ort die Rechnungsbücher untersuchten. Danach wurden die Inspektionsberichte ausgewertet und gegebenenfalls Reformbestimmungen ausgearbeitet. 1764 übernahm die neu geschaffene Kommission für die Verwaltungen und die Subsidienangelegenheiten (Jointe des administrations et des affaires des subsides) diese Aufgaben.86 Sie hatte weitreichendere Kompetenzen als ihre Vorgängerin und verfolgte gezielt die Sanierung der lokalen und provinziellen Finanzen. Sie sollte Missbräuche in der Verwaltung aufdecken, die gerechte Verteilung der Steuerlast fördern, die Ausgaben der Landstände und Stadtgemeinden überwachen sowie deren Verschuldung im Zaume halten. Dieses wichtige Kontrollorgan unterstand dem Finanzrat. Das Militär war darin nicht vertreten. Der Präsident des Finanzrats war Vorsitzender der Kommission  ; derjenige, der im Finanzrat das Departement der Subsidien unter sich hatte, war erster Beisitzer. Auch in der Vorgängerinstitution, der Kommission für die Rechnungsprüfung, saßen nur Mitglieder des Finanzrates und der Rechenkammer, kein Vertreter des Kriegskommissariats oder der Kriegskasse. Man kann davon ausgehen, dass die zivilen Behörden sich einer Einflussnahme vonseiten des Militärs, wie sie Kriegskommissar Pfanzelter vorschwebte, widersetzten. Insbesondere der Brüsseler Finanzrat hütete seine Finanzkompetenzen argwöhnisch und wollte allein die Einsicht in das Steuer- und Rechenwesen behalten.

83 Ibidem, S. 191–193. 84 Piet LENDERS, Jointe pour l’audition des comptes […], op., cit., S. 710. 85 Vgl. Piet LENDERS, Jointe pour l’audition des comptes […], op. cit.  ; Piet LENDERS, La Jointe pour l’audition des comptes (1749–1764), in  : Bulletin de la Commission royale d’histoire, Bd. 149, 1983, S. 45–119  ; idem, La Jointe pour l’audition des comptes. Nouvelles pièces d’archives, in  : Archives et bibliothèques de Belgique, 57, 1986, S. 487–496. 86 Vgl. Piet LENDERS, Jointe des administrations […], op. cit.  ; Piet LENDERS, De Junta der Besturen en Beden (1764–1787) en haar werking in de Oostenrijkse Nederlanden, in  : Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden, 82, 1977, S. 17–36.

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5.6 D i e E i n r ic h t u ng e i n e s f e s t e n M i l i tä r f on d s Stieß eine direkte Einmischung des Heeres in die Steuerangelegenheiten auf Ablehnung, so begegnete man dessen Begehren nach einem festen Militärfonds, der nicht ständigen Schwankungen unterworfen war, durchaus mit Verständnis. Ein gefestigtes Verteidigungsbudget wurde dementsprechend nach 1749 zur Priorität erhoben.87 Besonders Oberkriegskommissar Pfanzelter setzte sich für mehr Planungssicherheit ein. In einem Brief, den er 1755 an Cobenzl richtete, plädierte er dafür, eine fixe Summe für die Verteidigung festzulegen.88 Für den Unterhalt der Truppen berechnete Pfanzelter 3.630.000 Gulden. Dieser Betrag enthielt die Verpflegung und Entlohnung der zehn Infanterie- und zwei Kavallerieregimenter, des deutschen und des nationalen Generalstabes sowie der Invaliden. Miteingerechnet waren auch die Rekrutierungs- und Ausrüstungsgelder. Die Aufwendungen für das Fortifikationswesen inklusive der Gehälter des Ingenieurkorps schätzte Pfanzelter auf 150.000 Gulden, die benötigten Mittel für die Artillerie auf 200.000 Gulden. 20.000 Gulden veranschlagte er für unvorhergesehene Ausgaben. Insgesamt belief der Etat sich auf 4.000.000 Gulden. Dem gegenüber standen geschätzte Einnahmen aus den Subsidien von 2.388.805 Gulden und 1.393.000 Gulden, die nach der Kündigung der Barrierezahlungen direkt an die Kriegskasse überwiesen wurden. Demnach blieb ein Loch von 218.195 Gulden, das die Finanzen aus anderen Staatsmitteln decken mussten. Pfanzelter zufolge wäre die Kriegskasse mit einer gleichbleibenden Budgetausstattung von 4.000.0000 Gulden imstande gewesen, alle Militärausgaben zu bestreiten. Bis zu einer festen Dotierung sollte es aber noch einige Jahre dauern. Der Militärfonds blieb weiterhin den Unregelmäßigkeiten der Kontributionen ausgesetzt. In einem Memorandum, welches das Kriegskommissariat nach dem Hubertusburger Frieden von 1763 entwarf, bedauerte es, dass eine vorausplanende BudgeterStellung noch immer nicht möglich war.89 Die Militärverwaltung kannte nicht die zu erwartenden Einahmen, wusste also nicht, wie viel Geld im kommenden Militärjahr für die Armee zur Verfügung stehen würde. Die Vorbelastung der Steuereinkünfte 87 AGR, SEG, N° 2690, « Note pour établir un système stable et fixe pour former un plan militaire qui puisse se soutenir », Brüssel, den 12. Mai 1749. « […] chercher tous les moyens de constater le fond militaire et de la former de façon qu’il soit à l’abri de touttes les déductions à quoy les subsides sont sujets, et cela par d’autres fonds […]. » 88 AGR, SEG, N° 2689, Schreiben von Pfanzelter an Cobenzl, Brüssel, den 20. Januar 1755. 89 ������������������������������������������������������������������������������������������������� AGR, SEG, N° 821, Memorandum, o. D. [1763] (Notiz auf einem beiliegenden Zettel  : « Le chef commissaire de guerre à la paix d’Hubertsbourg arrêté le 15 février 1763 représentation pour être au fait de la rentrée réelle des fonds militaires. »).

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war während des Siebenjährigen Krieges stark gestiegen. Die Landstände hatten die Versorgung und Verpflegung der alliierten französischen Truppen bei ihrem Durchzug durch die Niederlande übernommen. Auch hatten sie der Monarchie umfangreiche Darlehen für die Finanzierung des Krieges gewährt.90 Allein in den Jahren 1761 bis 1763 belief sich die Summe der ständischen Kredite auf 3.780.500 Gulden. Als Sicherheit dienten die Kontributionen für die Kriegskasse.91 Nach Friedensschluss mussten einerseits die von den Provinzen gelieferten Naturalleistungen wie Futter, Verpflegung, Pferde, Vorspann und Quartier abgegolten werden. Anderseits begann die Rückzahlung der Schulden. Nach Aussage des Kriegskommissariats gelangte die Hälfte der Subsidien überhaupt nicht mehr in die Kriegskasse.92 Nichtsdestoweniger tat sich die Brüsseler Finanzverwaltung schwer, das steigende Defizit der Kriegskasse aus anderen Quellen als den Kontributionen zu decken. Die anderweitigen Staatseinkünfte wurden gebraucht, um den Schuldenberg abzutragen, der sich während des Siebenjährigen Krieges angehäuft hatte. In den Jahren 1758 bis 1763 hatte die Wiener Zentrale nicht nur Anleihen bei den Ständen gemacht, sondern den gesamten niederländischen Kapitalmarkt in großem Stil abgeschöpft. Die Summe der Kredite soll 29.085.000 Gulden oder 69 % der im „Ausland“ geliehenen Gelder betragen haben.93 Die Abtragung dieser Schulden brachte die niederländischen Finanzen aus dem Gleichgewicht. Eigentlich hätten die „deutschen Finanzen“ (finances allemandes) – also die zentralen Finanzstellen der Habsburgermonarchie – das ausgeliehene Kapital zurückzahlen müssen. Doch auf Betreiben von Staatskanzler Kaunitz wurde ein „System zur Tilgung der Schulden“ (système de liquidation des dettes) ausgeklügelt, das die Hauptlast auf die niederländischen Staatseinnahmen abwälzte. Die tatsächliche Herkunft der Rückzahlungen sollte geheim bleiben, denn man fürchtete den Widerstand der Stände. Nur wenige Personen waren eingeweiht. 90 Peter George M. DICKSON, Finance and government […], op., cit., Bd. 2, S. 280–282  ; vgl. Georges BIGWOOD, Les origines de la dette belge. Étude d’histoire financière, in  : Annales de la Société d’Archéologie de Bruxelles, 20, 1906, S. 5–49. 91 �������������������������������������������������������������������������������������������������� AGR, CF, N° 7330, « Sommes fournies en prêts par la pluspart des provinces et administrations Belgiques aux commencemens des années 1761, 1762 et 1763 et hypothéquées sur les subsides qui sont assignés à la caisse de guerre », Brüssel, den 2. Februar 1765. 92 AGR, SEG, N° 821, Memorandum, o. D. [1763.] 93 Gaëtan VAN GOIDSENHOVEN, Le baron Denis-Benoît-Joseph de Cazier trésorier général des finances (1718–1791), in  : Roland MORTIER/Hervé HASQUIN (Hg.), La haute administration dans les Pays-Bas autrichiens (Ambroise-Joseph de Herzelles, Denis-Benoît-Joseph de Cazier, Jacques-Antoine Le Clerc) (Études sur le XVIIIe siècle, Bd. 27), Bruxelles 1999, S.111–241, hier S. 221. Dickson gibt die Summe der niederländischen Kredite mit 22.336.887 Gulden und mit 26.059.685 Gulden, je nach benutzter Quelle, an. Peter George M. DICKSON, Finance and government […], op., cit., Bd. 2, S. 144–145.

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Die Beträge wurden von der Brüsseler Generaleinnahme in eine schwarze Kasse, die „Gastos secretos“ transferiert und von dort wieder zurücküberwiesen, als seien es Gelder, die von Wien kämen.94 Auf diese Art und Weise wurden die niederländischen Finanzen mit jährlichen Verpflichtungen von 1.800.000 Gulden belastet.95 Der finanzielle Engpass, der durch diesen Schuldendienst entstand, gab den Anstoß, den Militärhaushalt auf sicherere Füße zu stellen. In einem Schreiben aus dem Jahr 1769 drängte Kaunitz, ein Abkommen mit der Kriegskasse zu finden, damit die Bedürfnisse der Armee nicht das Tilgungssystem behinderten.96 Die Kriegskasse sollte einen festen Jahresbetrag bekommen, den die Generaleinnahme in monatlichen Raten abzahlte, ohne dass dabei der Ursprung der Mittel – Subsidien oder sonstige Staatseinkünfte – näher bestimmt wurde. Als der Präsident des Finanzrates, Baron de Cazier, über dieses Vorhaben informiert wurde, fand er zunächst die Idee eines gleichbleibenden Militäretats gut.97 Eine feste Dotierung würde mehr Ordnung und Regelmäßigkeit in den Zahlungsverkehr bringen und den finanziellen Forderungen der Armee eine Obergrenze auferlegen. Doch als Cazier die geforderte Summe erfuhr, dürfte er geschockt gewesen sein. Wien verlangte einen Beitrag von drei Millionen deutscher Gulden, umgerechnet in niederländische Währung 4.200.000 Gulden oder 350.000 Gulden pro Monat. Dies waren 634.215 Gulden mehr, als die niederländischen Finanzen gewöhnlich in die Kriegskasse einzahlten, und lag 803.847 Gulden über dem Ertrag der Kontributionen von 1769.98 Nun begann das Feilschen um die Höhe der Summe. Wien versuchte anzudeuten, dass diese Steigerung durch die hohen Bekleidungskosten der Truppen in den Niederlanden bedingt sei. Cazier gab zu Antwort, dass, wenn dem so sei, die Niederlande „eine so einfache wie natürliche Sache, die Truppen aus den eigenen Erzeugnissen und Manufakturen des Landes zu beliefern, sehr teuer kaufen“.99 Er bekam Schützenhilfe von Generalgouverneur Karl von Lothringen. Dieser schrieb an Kaunitz, „es sei von höchster Wichtigkeit für den Dienst Seiner Majestät, dass die Völker über Mittel verfügen, dass man das Gewerbe fördert und das Geld im Land in Umlauf 94 Herman COPPENS, De financiën […], op., cit., S. 336–338  ; Michèle GALAND, Charles de Lorraine […], op., cit., S. 160  ; Gaëtan VAN GOIDSENHOVEN, Le baron Denis-Benoît-Joseph de Cazier […], op., cit., S. 221–222. 95 Peter George M. DICKSON, Finance and government […], op., cit., Bd. 2, S. 289. 96 AGR, SEG, N° 2731, Postscriptum von Kaunitz, 16. Dezember 1769. 97 AGR, SEG, N° 2731, Gutachten des Baron de Cazier, Brüssel, den 19. Januar 1770. 98 AGR, SEG, N° 2731, Gutachten des Baron de Cazier, Brüssel, den 4. März 1770. 99 « […] nous achetons bien chèrement une chose aussi simple et aussi naturelle que celle de fournir le nécessaire des trouppes du propre crû et des manufactures du pays […]. » Zitiert in  : Gaëtan van GOIDSENHOVEN, Le baron Denis-Benoît-Joseph de Cazier […], op., cit., S. 147.

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bringt“.100 Offensichtlich gab es in der Militärverwaltung Bestrebungen, die Soldaten mit günstiger Importware einzukleiden und auszurüsten. Diese Einsparungen im Militärbudget hätten sich aber volkswirtschaftlich negativ ausgewirkt. Die Kaiserin gab dann auch eindeutig der einheimischen Produktion den Vorzug.101 Aber was die Höhe der Dotation anbelangte, blieb die Zentralregierung in Wien entschlossen. Im November 1770 bekam der Finanzrat den Dotierungsakt zugestellt. Die niederländischen Finanzen mussten alljährlich 4.200.000 Gulden Brabanter Währung in die Kriegskasse zahlen.102 Auch der Vorschlag, wenigstens die Kosten für das Fortifikationswesen, die bisher die zivile Staatskasse getragen hatte, über die Kriegskasse zu bestreiten, wurde zurückgewiesen. Das einzige Zugeständnis bestand darin, die Höhe der Ausgaben für den Unterhalt der Festungen auf 80.000 Gulden zu begrenzen. Des Weiteren musste die Generaleinnahme die Schulden der Kriegskasse bis Ende des Monats Oktober 1770 übernehmen, damit diese mit Beginn der Dotierung neu starten konnte. Die Wiener Zentralbehörden hatten sich wahrscheinlich vorgestellt, die Generaleinnahme könne ohne größere Umstände am Anfang jeden Monats in Brüssel 350.000 Brabanter Gulden an das dortige Kriegszahlamt aushändigen. Doch so einfach war das Zahlungsgeschäft nicht umzusetzen. Generalschatzmeister Baron de Cazier riet mit überzeugenden Argumenten von einer zentralisierten Überweisung der Mittel ab.103 Dagegen sprachen wirtschaftliche und finanztechnische Gründe  : Für den Fall, dass die Dotation zentral ausbezahlt werde, müsse das Bargeld aus den Provinzkassen nach Brüssel geschafft werden, dort von der Generaleinnahme in die Kriegskasse fließen und schließlich wieder von der Kriegskasse in die einzelnen Provinzen überführt werden, wo die Regimenter lagen. Der Kostenaufwand wäre doppelt so hoch wie bisher. Der Transfer könne nicht ohne die Vermittlung eines Bankhauses vollzogen werden. Um dies zu vermeiden, befürwortete Cazier, dass der Finanzrat bzw. die Generaleinnahme weiterhin Entlastungsbriefe ausstellen und die Kriegskasse das Geld in den Provinzen entgegennehmen solle, in denen sie es an 100 AGR, SEG, N° 2731, Brief von Karl von Lothringen an Kaunitz, Brüssel, den 13. März 1770. « […] il est de la plus grande importance pour le service de S[a] M[ajesté] que les peuples aient des moiens, qu’on encourage les manufactures et qu’on fasse circuler l’argent dans le pays même […]. » 101 AGR, SEG, N° 822 und AGR, CF, N° 2750, Dotierungsakt der Kriegskasse, Brüssel, den 13. ������ November 1770. « […] Que quoiqu’on ne pourra pas astreindre la nouvelle administration à s’approvisionner chez un fabricant ou marchand plutôt que chez l’autre, l’intention de S[a] M[ajesté] qu’elle a déjà fait connoitre au conseil des guerres est cependant que toutes les emplettes pour les fournitures, l’habillement et l’armement de ses trouppes en garnison aux Pays-Bas se fassent dans ces provinces […]. » 102 Ibidem. Der Dotierungsakt wurde dem Finanzrat durch ein Dekret des Generalgouverneurs vom 13. November 1770 zugestellt. Er basiert auf zwei Depeschen vom 21. Juni und vom 27. Oktober 1770. 103 AGR, SEG, N° 2731, Gutachten des Baron de Cazier, Brüssel, den 4. März 1770.

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die Truppen auszahlte. Nach Meinung des Generalschatzmeisters blieb so auch die Verbindung zwischen Kontribution und Heeresunterhalt bestehen. Im Gegensatz zu Kaunitz war Cazier gegen eine vollständige Verwischung des Unterschieds zwischen Camerale und Contributionale. Aus politischer Raison sollte der Zweck der von den Ständen bewilligten Hilfsgelder in ihrer Verwendung ersichtlich bleiben. Die von den Provinzen gewährten Subsidien waren in ihrem Ursprung eine Militärsteuer, die ehemalige Sachleistungen der Untertanen ersetzte. Deshalb wurden zum Beispiel in Flandern noch im 18. Jahrhundert die Subsidien „Rationen“ (les rations) genannt. Bei den Steuerverhandlungen mit den Ständen führte die Regierung dann auch immer wieder die Bedürfnisse der Landesverteidigung und des Militärs ins Feld. Wien schloss sich der von der praktischen Erfahrung geprägten Begründung Caziers an und befahl der Kriegskasse, sich auch weiterhin mit dem Finanzrat zwecks Anweisung der Subsidien in den Provinzen zu verständigen.104 In Brüssel wurden nur die Mehrbeträge, die für die Vervollständigung der Dotation notwendig waren, ausbezahlt. Schon bald nach Einführung des neuen Finanzierungsmodus herrschte Uneinigkeit darüber, welche Ausgaben von der Dotation gedeckt wurden und welche nicht  : Wer soll für größere Bauarbeiten in den Festungen aufkommen  ?105 Wer bezahlt das Gehalt des Staats- und Kriegssekretärs und wer den Lohn des Schleusenwärters in Luxemburg  ? Müssen die Zivilbehörden sich weiter um die Inneneinrichtung der Kasernen kümmern  ? Gehen die Ausgaben für den militärischen Sperrgürtel, der 1772 entlang der Grenzen gegen die Einschleppung der Viehseuche gebildet wurde, zu Lasten der Kriegskasse  ?106 Erstatten die Zivil- oder die Militärfinanzen die Wechselspesen, die bei der Überführung von Fonds in die Luxemburger Filiale der Kriegskasse anfallen  ?107 Der Dotationsakt von 1770 hatte festgehalten, dass „im Allgemeinen alle Rubriken, die bis jetzt von der Kriegskasse getragen wurden, auch weiterhin zu ihren Lasten gehen“.108 Dieser Artikel, der das Prinzip des Status quo festschrieb, war aber derart unbestimmt formuliert, dass er die verschiedensten Auslegungen zuließ. 104 AGR, SEG, N° 822 und AGR, CF, N° 2750, Dotierungsakt der Kriegskasse, Brüssel, den 13. November 1770. 105 AGR, CF, N° 2753, Denkschrift des Finanzrats an den bevollmächtigten Minister, o. D. [Dezember 1774]. 106 AGR, CF, N° 2750, Brief von Leutnant-General Vogelsang an Karl von Lothringen, Brüssel, den 16. August 1772. 107 ����������������������������������������������������������������������������������������������������� AGR, CF, N° 2753, « Tableau des objets dont la caisse militaire aux Pays-Bas profite par des dispositions postérieures à l’acte d’abonnement […] », o. D. [Januar 1774]. 108 AGR, SEG, N° 822 und AGR, CF, N° 2750, Dotierungsakt der Kriegskasse, Brüssel, den 13. ������ November 1770. « […] toutes les rubriques en général qui ont été supportées jusqu’ici par la caisse des guerres devront continuer à être à sa charge […]. »

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Der Streit wurde auch deshalb so heftig geführt, weil die Zivilbehörden keine Kontrolle mehr über die Verwaltung der Militärfinanzen hatte. Am 20. Juni 1772 informierte Kaunitz den bevollmächtigten Minister Starhemberg, die Kriegskasse würde fortan die drei Millionen deutsche Gulden einziehen, ohne den zivilen Finanzorganen in Brüssel Rechenschaft von ihrem Gebrauch abzulegen.109 Jede Hoffnung auf Einsparungen erstarb. Vorher war die Kriegskasse angehalten, eine Kopie der Rechnungsbücher, die sie an den Hofkriegsrat in Wien sandte, bei der Brüsseler Regierung zu hinterlegen. Eventuelle Überschüsse konnten auf die Dotation des darauffolgenden Jahres gutgeschrieben werden.110 Da diese Möglichkeit nicht mehr bestand, war es wichtig, dass die drei Millionen Gulden möglichst viele Ausgabenposten umfassten und an den zivilen Finanzen möglichst wenig hängen blieb. Kaunitz schlug der Brüsseler Regierung vor, ein Lastenheft für die Kriegskasse aufzustellen. Doch der Finanzrat wehrte sich dagegen.111 Denn das Lastenheft konnte zu Ungunsten der zivilen Finanzen verwendet werden. Falls bei der Auflistung ein Posten übersehen wurde, was durchaus denkbar war, da die Kriegskasse dem Finanzrat die Einsicht in seine Buchführung versperrte, hätte das Militärdepartement leichtes Spiel gehabt, diese Ausgabe auf die Generaleinnahme abzuschieben. Auch der frühere Kriegskommissar Weygand, ehemaliges Mitglied des Finanzrates, den man bei der Reform ausrangiert hatte, konnte keine große Hilfe mehr sein. Der Finanzrat stellte aus den Büchern der Rechenkammer alle Beträge zusammen, die in den letzten zehn Jahren von den zivilen Finanzen für militärische Zwecke ausgegeben worden waren.112 Allein diese Liste sollte bindend sein, damit keine neuartigen Aufwendungen dazukamen. Der Finanzrat wollte sich vor allem des Fortifikationswesens entledigen. Er bot großzügig an, die Dotation um 112.000 Brabanter Gulden aufzustocken, wenn die Kriegskasse in Zukunft den Unterhalt der Festungen bezahlen würde.113 Zwischen den streitenden Parteien bahnte sich ein Vergleich an. Der Finanzrat rang sich zu der Ansicht durch, dass „eine Kasse Ihrer Majestät ein Opfer für eine andere, die ihr gleichermaßen gehört, bringen muss, wenn ein solches Opfer am 109 AGR, CF, Postskriptum des Hof- und Staatskanzlers an den bevollmächtigten Minister, Wien, den 20. Juni 1772. 110 AGR, SEG, N° 822 und AGR, CF, N° 2750, Dotierungsakt der Kriegskasse, Brüssel, den 13. November 1770. Siehe § 4 und § 5. 111 AGR, CF, N° 2750, Schreiben des Finanzrates an den Generalgouverneur, Brüssel, den 26. Juni 1773. 112 AGR, CF, N° 2753, « État des parties relatives au militaire des Pays-Bas dont les dépenses suivant les comptes rendus à la Chambre pour dix années finies avec celles de 1772 sont les seules qui doivent être à la charge des finances civiles […] », o. D. [1773]. 113 AGR, CF, N° 2753, Denkschrift des Finanzrats an den bevollmächtigten Minister, Brüssel, 16. Juni 1775.

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besten geeignet scheint, um jede Geldverlegenheit und andere Schwierigkeiten zu vermeiden“.114 Die Militärbauten blieben aber im Zuständigkeitsbereich des Finanzrats. Diese Entscheidung entbehrte nicht einer gewissen Logik, da die Festungen landesherrliche Bauwerke waren und als solche zur Domäne gehörten. Die zivilen Finanzen hatten jedoch zumindest die Sicherheit, dass die Ausgaben 80.000 Gulden nicht überschritten. Bei der Dotierung der Kriegskasse 1770 war dieser Betrag als jährlicher Fortifikationsfonds festgehalten worden. An diese Begrenzung hielt man sich dann auch in den folgenden Jahren.115

5.7 Da s P r i m at de s Ge s a m t s ta at e s  : Ausf u h r de r n i e de r l ä n di s c h e n Fi n a n z m i t t e l Die Ausstattung des Fortifikationsfonds wirkt geradezu kleinlich im Vergleich zu der Freigebigkeit, mit der das Heer dotiert wurde. Mit 80.000 Gulden im Jahr konnte das Netzwerk von Festungen nur noch notdürftig unterhalten werden, von einem Ausbau ganz zu schweigen. Die Armee dagegen schwelgte scheinbar im Überfluss. Die Mittel für die Heeresversorgung wurden 1770 um fast 18 % erhöht.116 Dabei war die Truppenzahl nach dem Frieden von Hubertusburg stark rückläufig. In den 1770er-Jahren befanden sich in den Niederlanden kaum mehr als 11.000 Mann.117 Wozu diente also die jährliche Dotation von 4.200.000 Gulden  ? Um seinen Forderungen im Streit mit der Militärverwaltung Nachdruck zu verleihen, hatte der Finanzrat anhand des ihm zur Verfügung stehenden Materials die Ausgaben der Kriegskasse während eines Militärjahrs vom 1. November 1771 bis zum 31. Oktober 1772 zusammengestellt. Diese Kompilation bietet einen aufschlussreichen Einblick in die tatsächliche Verwendung des Militärfonds.118 114 Ibidem, « […] rien qui doive faire obstacle à faire un sacrifice à la charge d’une caisse de S[a] M[ajesté] au profit d’une autre qui lui appartient également lorsqu’un pareil sacrifice paroit être le parti le plus propre à prévenir tout embarras de décompte et autres difficultés […]. » 115 Siehe Kapitel 2 vorliegender Arbeit, S. 78–81. 116 Den Angaben Karls von Lothringen und Baron de Caziers zufolge musste die Generaleinnahme nach dem Dotationsakt 634.215 Gulden mehr als vorher in die Kriegskasse einzahlen. AGR, SEG, N° 2731, Gutachten des Baron de Cazier, Brüssel, den 4. März 1770 und Brief von Karl von Lothringen an Kaunitz, Brüssel, den 13. März 1770. 117 Siehe Kapitel 3 vorliegender Arbeit, S. 139. 118 AGR, CF, N° 2750, « Relevé sommaire des paiements faits à l’état militaire assigné sur la caisse de guerre des Païs Bas […] en conformité des journaux mensuels de ladite caisse de guerre depuis le 1 er novembre 1771 jusqu’au dernier octobre 1772 », o.D. [Juni 1773].

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Tabelle 7. Ausgaben und Einnahmen der Kriegskasse 1771/1772 Ausgaben (in Deutschen Gulden/Kreuzer ) Deutscher Generalstab Nationaler Generalstab

Nicht diensttuende Offiziere, die von der Kriegskasse unterhalten werden Offiziere im Ruhestand Witwen und Waisen von Militärangehörigen Infanterie- und Kavallerieregimenter, die momentan in den Niederlanden vorhanden sind, Geniekorps, Artilleriekorps, Invaliden, Drittes Garnisonsbataillon und ungarische Wache Seiner Königlichen Hoheit [Karl von Lothringen] Brot- und Futterrationen Heiz- und Leuchtmittel, Betten Andere durch die Kriegskasse getätigte Zahlungen Summe

Einnahmen (in Deutschen Gulden/Kreuzer)

95.345/15 Dotation 112.855/18 Abschläge und Abzüge auf den Zahlungen an die Regimenter, die Offiziere, das Artilleriekorps, die Invaliden und andere Summen 56.467/33

3.000.000/00 266.232/34

10.913/55 32.555/52 936.897/54

227.873/10 81.039/25 1.649.675/26 3.203.623/48 Summe Überschuss, der in der ­Kriegskasse verbleibt

3.266.232/34 62.608/46

Quelle  : AGR, CF, N°2750, « Relevé sommaire des paiements […] »

Auffallend ist, dass Löhne und Verpflegung des Militärstandes weniger als die Hälfte der Ausgaben (48,5 %) ausmachen. Dafür schlägt der Posten „andere Zahlungen der Kriegskasse“ mit 1.649.675 deutschen Gulden oder umgerechnet in Brabanter Währung 2.309.545 Gulden zu Buche (51,4 %). Eine detaillierte Aufschlüsselung ergibt, dass dieser Budgetartikel einerseits Ausgaben enthält, welche die Truppen in den Niederlanden betreffen, so z. B. Zahlungen an die Militärmonturkommission in Gent für Ausrüstungsgegenstände, Lieferungen von Arzneimitteln an die Regimenter, Kosten für die Werbekommandos im Reich oder die Anschaffung von Büromaterial für die Kriegskanzlei. Andererseits werden dort aber auch Beträge „für die Feuerwaffen, 198

Das Primat des Gesamtstaates  : Ausfuhr der niederländischen Finanzmittel

die nach Wien transportiert wurden und die in Mechelen, Lüttich und im Reich hergestellt wurden“, sowie „für alle Geldübergaben an Wien und für das Reich“ aufgeführt.119 Ein Teil der Dotation floss so außer Landes  (!). Der Finanzrat schätzte, dass die Kriegskasse zwischen November 1771 und Oktober 1772 insgesamt 971.103 Deutsche Gulden oder 1.359.544 Brabanter Gulden nach Wien und ins Reich zur Heeresversorgung geschickt hat.120 Das Geld der niederländischen Kriegskasse wurde benutzt für Waffeneinkäufe der Monarchie, für die Anwerbung von Rekruten, die nicht unbedingt nachher in den Nationalregimentern dienten und für Truppenverbände, die irgendwo im weitläufigen Reich der Habsburger lagen. Diese Zweckentfremdung konnte nicht im Sinne der politisch Verantwortlichen in den Niederlanden sein. Es war die Sorge sowohl der Brüsseler Regierung als auch der Stände, dass die Steuergelder innerhalb der Landesgrenzen investiert wurden und die Wirtschaft in den Provinzen belebten. Karl von Lothringen schrieb an Staatskanzler Kaunitz, um die positiven Auswirkungen der Militärausgaben aufzuzeigen und, implizit, um vor einer Ausführung der niederländischen Staatseinnahmen zu warnen  : „Wenn wir die Truppen verstärken können, sehe ich es als wertvollste Bedingung an, dass die neu gebildeten Einheiten im Lande bleiben, um so dem Land den Umlauf der Summen für ihren Unterhalt zu sichern […] Ich sage dies nicht, um die beiden Regimenter, die man uns nahm, zurückzufordern. Es genügt mir, zu wissen, dass es notwendig ist, dass sie woanders sind. Aber es ist wahr, dass ihre Abwesenheit schwer wiegt […]. Verschiedene Verwaltungen, die keine Garnison haben, fragen welche an, und andere bräuchten stärkere. […] Ich sehe es sogar als ein besonderes Zeichen des Diensteifers der Stände dieser Provinzen an, keine Beschwerden eingereicht zu haben und bis jetzt keine Anstalten gemacht zu haben, deswegen die Quote, die sie für den Unterhalt der Truppen bewilligen, herunterzusetzen […].“121 119 AGR, CF, N° 2750, « Relevé sommaire des paiements […] », o. D. [Juni 1773], « […] pour les armes à feu qui ont été transportées à Vienne, et qui ont été faites à Malines, à Liège et dans l’Empire et finalement pour toutes les remises d’argent faites pour Vienne et pour l’Empire […]. » 120 AGR, CF, N° 2753, « État des sommes envoyées par la caisse des guerres. » 121 AGR, SEG, N° 2731, Brief von Karl von Lothringen an Kaunitz, Brüssel, den 13. März 1770. « […] lorsque nous serons au point de pouvoir concourir à un renforcement du pied militaire je regarderai comme la condition la plus précieux […] celle de laisser dans le paÿs les corps qu’on formera et par conséquent d’assurer au pays la circulation des sommes relatives à leur entretien […] je ne dis point cela pour redemander les deux régiments qu’on nous a otés et il me suffit de savoir qu’il est necessaire qu’ils soient ailleurs mais il est vrai que leur absence fait un objet considérable […] quelques administrations qui n’aiant pas de garnison, en demandent et d’autres qui auraient besoin d’en avoir de plus fortes […] je regarde même comme l’effet du zèle des États de ces provinces de n’avoir pas fait des représentations et d’en avoir jusqu’ici pas témoigné des dispositions à diminuer de ce chef la quote de ce qu’ils accordent à titre de l’entretien des troupes […]. »

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Das Ausmaß des Steuerdrucks, der auf der Bevölkerung lastete, wurde wesentlich von den Militärausgaben mitbestimmt. Deshalb war es wichtig, dass so viel Geld wie möglich in den binnenwirtschaftlichen Kreislauf zurückfloss. Der positive Einfluss der Bedürfnisse der Armee schien allgemein anerkannt. Insbesondere die Landstände, die bei Gelegenheit der Steuerbewilligung ihre Beschwerden vorbrachten, forderten die Stationierung von zusätzlichen Truppen.122 Besonders beliebt waren Reitereinheiten, denn sie hatten einen höheren Verbrauch. Ihre Einquartierung im ländlichen Raum intensivierte den Warenverkehr. In den Festungsstädten waren es Handel und Handwerk, die vom Bedarf der Garnison profitierten. Die Nachfrage des Militärs im Bereich der Lebensmittelversorgung, der Herstellung von Waffen und Uniformteilen sowie des Festungs- und Unterkunftsbaus führte zu gesteigerten Umsätzen und vermehrte so den Wohlstand. Wohlstand aber war die Grundbedingung, damit die Untertanen Steuern zahlen konnten. Ein Schreiben des Luxemburger Provinzialrats an die Brüsseler Regierung verdeutlicht sehr anschaulich den Zusammenhang zwischen Militär, Wirtschaft und öffentlichen Finanzen.123 1774 gab es in der Stadt und Festung Luxemburg 48 Metzgermeister, die, obwohl unterschiedlich begütert, ihre Kontributionen im Verhältnis zu ihrem Umsatz zahlten. Ohne die Garnison hätte die Hälfte von ihnen wirtschaftlich nicht überleben können, da der Fleischverkauf an die Zivilbevölkerung allein nicht reichte, um sich und ihre Familie zu ernähren. „Man sieht nur zu gut, seit es bloß noch ein Regiment [in der Festung] gibt, wie sehr die Not zugenommen hat, nicht nur bei den Metzgern, sondern unter allen Bevölkerungsschichten“, gab der Luxemburger Provinzialrat zu bedenken.124 Ständische und staatliche Vertreter auf allen Ebenen wussten demnach um die Wichtigkeit der Militärausgaben für das wirtschaftliche Wohlergehen der Niederlande. Dennoch konnte die Brüsseler Regierung weder den Truppenabbau noch die Abschöpfung der niederländischen Finanzmittel durch die Zentrale in Wien verhindern. Sie musste sogar die Geldentnahme zugunsten der „deutschen Finanzen“ verschleiern, damit insbesondere die Landstände keinen Verdacht schöpften und Beschwerde einlegten. Generalschatzmeister Baron de Cazier wurde nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, dass das System der Schuldentilgung und die über die Eigenbedürfnisse hinausgehende Dotierung der Kriegskasse den Finanzhaushalt nach122 Alphonse SPRUNCK, Problèmes, Débats et Conflits des États de Luxembourg sous le Régime autrichien (PSH, Bd. 93), Luxembourg 1980, S. 28. 123 ANL, A XVII-4, Antwortschreiben des Präsidenten des Luxemburger Provinzialrates, Luxemburg, den 17. Dezember 1774. 124 Ibidem. « […] l’on ne voit que trop depuis qu’il n’y a plus qu’un seul régiment, à quel point la misère s’est accrue non seulement entre les bouchers mais entre le peuple de toute espèce […]. »

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haltig durcheinanderbrachten und den Kredit in den Niederlanden gefährdeten.125 „Ohne die Verknüpfung unserer Geldangelegenheiten mit den deutschen Finanzen und ohne die durch die neue Anordnung der Kriegskasse verursachte Mehrbelastung wäre unsere Situation […] in bestem Zustand. Trotz der Not der Zeit konnten die Einkommen Ihrer Majestät hierzulande ein unverhofftes Wachstum verzeichnen. Und doch, anstatt dass wir uns in dieser vorteilhaften Situation befinden, sind wir in einer bedrückenden Lage“, stellte der Präsident des Finanzrates verbittert fest.126 Er musste sich dennoch der übergeordneten Staatsräson fügen. Für seine wertvolle Mithilfe und sozusagen als Trost, bekam Cazier von Kaunitz ein spezielles kaiserliches Lob ausgesprochen  : „Sie [Ihre Hoheit der Staatskanzler] ist hoch erfreut, Ihnen die Zufriedenheit unserer erlauchten Herren mitzuteilen, an der sie einen so wesentlichen Anteil haben […]. Sie ist überzeugt, dass Sie darin einen Gegenstand des Trostes finden.“127 Während die Brüsseler Stellen versuchten, die wirtschaftlichen und finanziellen Interessen der niederländischen Provinzen so gut es ging zu wahren, hatte Staatskanzler Kaunitz den Nutzen der Gesamtmonarchie im Blick. Ziel der Kaunitz’schen Politik war es, die „Theile mit dem Ganzen mehr zu verbinden“.128 Die Habsburgermonarchie sollte nicht länger eine Union von Ländern bleiben, die ihre eigenständigen Interessen verteidigten, sondern zu einem Gesamtstaat zusammenwachsen, dessen Machtentfaltung absoluten Vorrang genoss.129 Aus der Sicht des Gesamtstaates war es dann auch völlig normal, dass die Ressourcen überall eingesetzt werden konnten, 125 Gaëtan vAN GOIDSENHOVEN, Le baron Denis-Benoît-Joseph de Cazier […], op., cit., S. 146–147 und S. 222–223. 126 « […] Sans la connexité de nos affaires pécuniaires avec les finances allemandes, et sans les surcharges que les nouveaux arrangemens de la caisse des guerres nous ont occasionnées, notre situation, bornée à nos propres affaires, seroit dans le meilleur état  ; malgré la misère du tems, les revenus de Sa Majesté dans ces Pays-ci se sont soutenu dans un état d’accroissement qu’on ne pouvoit guères espérer  ; et cependant au lieu de nous trouver dans cette situation avantageuse, nous sommes dans un état accablant […] » Zitiert in  : Gaëtan VAN GOIDSENHOVEN, Le baron Denis-Benoît-Joseph de Cazier […], op., cit., S. 222–223. 127 Zitiert in  : ibidem, S. 223. Letzter Satz ist im Briefentwurf ausgestrichen worden. « […] Elle [Son Altesse] est d’ailleurs fort charmée de vous informer Mr des marques de satisfaction que nos augustes maîtres ont témoigné en cette occasion, et dans l’objet de laquelle vous avez une part si essentielle […] Elle se persuade que vous y trouverez un sujet de consolation […]. » 128 Aussage von Kaunitz 1761 zu den „Fehlern und Staats-Krankheiten“ der zusammengesetzten Habsburgermonarchie. Zitiert in  : Friedrich WALTER, Die österreichische Zentralverwaltung, Abt. II  : Von der Vereinigung der Österreichischen und Böhmischen Hofkanzlei bis zur Einrichtung der Ministerialverfassung. Bd. 3 Vom Sturz des Directoriums in publicis et cameralibus (1760/1761) bis zum Ausgang der Regierung Maria Theresias, Wien 1938, S. 101. 129 Zu der gesamtstaatlichen Politik von Kaunitz siehe Franz A. J. SZABO, Kaunitz and enlightened absolutism 1753–1780, Cambridge 1994, S. 73–153.

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eben da, wo Wien es am nötigsten befand. Dank des Bündnisses mit Frankreich lagen die Niederlande – wie im Übrigen auch die norditalienischen Besitzungen – nicht mehr unmittelbar im Visier einer militärischen Bedrohung. Von ihnen wurde aber auch weiterhin ein Beitrag zur Verteidigung der Gesamtmonarchie erwartet. Dies geschah durch finanzielle Transferleistungen, die beachtliche Ausmaße annahmen. Die Behauptung, dass die südlichen Niederlande keine Rolle in der Staatswerdung Österreichs spielten, weil sie nicht mit den österreichischen Staatsganzen territorial verbunden waren, kann man so nicht stehen lassen.130 Zusammen mit der Lombardei haben die „Provinces Belgiques“ den Habsburgerstaat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zumindest mitfinanziert.131

5.8 Zus a m m e n fa s s u ng Das überverhältnismäßige Gewicht der Armee im Finanzhaushalt der frühneuzeitlichen Staaten ist allgemein bekannt. Es überrascht demnach kaum, dass auch in den Österreichischen Niederlanden zwei Drittel der Staatsausgaben in Rüstung und Verteidigung flossen. Weniger bekannt sind dagegen die Finanzierungsstrategien und Zahlungsmodalitäten des frühmodernen Staates.132 Wie wurden die öffentlichen Mittel eingenommen, verwaltet und ausgegeben  ? Welchen Weg nahm das Geld vom steuerpflichtigen Untertan bis zum bezahlten Söldner  ? Der interne Kreislauf der Staatsfinanzen blieb weitgehend im Dunkeln. Zweck dieses Kapitels war es demnach, Licht in eine Finanzierungsstruktur zu bringen, die sich durch ihre Komplexität und mangelnde Transparenz auszeichnete. Die Kriegskasse bildete das Herzstück des Finanzierungssystems. Dennoch verfügte sie bis zur grundlegenden Militärreform von 1770 weder über einen festen Etat noch über das Monopol der Militärausgaben. Die Staatseinnahmen wurden von einer Vielzahl von ständischen und landesherrlichen Kassen erhoben, und diese tätigten auch einen Großteil der lokal anfallenden Ausgaben, da sich bare Münze nur sehr schwer über größere Distanzen transportieren ließ. Der materielle Geldfluss, der 130 Heinz Schilling, Höfe und Allianzen. Deutschland 1648–1763, Berlin 1998, S. 307. 131 Zu den finanziellen Verflechtungen der Lombardei und der Habsburgermonarchie siehe Carlo CAPRA, The Eigteenth Century. I. The Finances of the Austrian Monarchy and the Italian State, in  : Richard BONNEY (Hg.), Economic Systems […], op., cit., S. 295–314. 132 Zu diesem Forschungsdesiderat in der frühneuzeitlichen Staatsstrukturgeschichte siehe Marie-Laure LEGAY, Les modalités de paiement de l’État moderne. Adaptation et blocage d’un système comptable. Journée d’études du 3 décembre 2004, Paris 2007.

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Zusammenfassung

naturbedingt schwerfällig war, wurde von einem Buchungssystem überlagert. Hier setzten die Zentralisierungsbestrebungen der österreichischen Verwaltung an. Schon kurz nach dem Herrschaftswechsel verordnete Karl VI., dass alle Einkünfte und Aufwendungen zentral von der Generaleinnahme in Brüssel verbucht werden sollten. Nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg schuf die Gründung der Kommission für die Rechnungsprüfung (1764 ersetzt durch die Kommission für die Verwaltungen und Subsidienangelegenheiten) eine zusätzliche Kontrolle über das Finanzwesen der Landstände und Stadtgemeinden. 1770 verwischte die Einführung einer fixen Ausstattung der Kriegskasse vollends die Unterscheidung zwischen Kammer- und Kontributionseinkünften. So vollzog sich progressiv der Übergang von der Fondswirtschaft, bei der bestimmte Einkünfte zweckgebunden blieben, zu einem einheitlichen Staatsbudget, das die Gesamteinnahmen nach „Ressorts“ verteilte. Dadurch wurde eine geregelte Finanzplanung möglich und die Ressourcenzufuhr an die Kriegskasse konnte garantiert werden. Die Vereinfachung des Zahlungsablaufes scheiterte lange Zeit an der Rivalität zwischen dem Finanzrat und der Kriegskasse bzw. dem Kriegskommissariat. Die Übertragung der Mittel aus den diversen Einnahmekassen in die Kriegskasse unterlag einer Prozedur, die das Mitwirken der zivilen Finanzbehörden erforderte. Der Transfer der von den Ständen bewilligten Kontributionen erfolgte nicht automatisch. Das Militärdepartement musste seinen Liquiditätsbedarf anmelden, bevor der Finanzrat die Zahlungsanweisungen gab. Das Kriegskommissariat sah sich in die Rolle des ständigen Bittstellers gedrängt. Der Finanzrat wurde dagegen von der Sorge geleitet, den defizitären niederländischen Staatshaushalt ins Gleichgewicht zu bringen. In den ersten Jahrzehnten der österreichischen Herrschaft, die geprägt waren von wirtschaftlicher Stagnation, konnte dies nur über eine Senkung der Ausgaben geschehen. Der Interessenkonflikt war vorprogrammiert. Die Beziehungen zwischen Militär- und Zivilbehörde entspannten sich erst nach 1749, nachdem die von Maria Theresia eingeleiteten Reformen die Abhängigkeitsverhältnisse klärten und den Informationsaustausch verbesserten. Der bevollmächtigte Minister wurde nun zum Angelpunkt des Verwaltungsgefüges. Die wirtschaftlichen Belange der Armee fielen in seinen Zuständigkeitsbereich und waren somit den gesamtstaatlichen Interessen untergeordnet. Ein wichtiger Schritt zur besseren Verständigung von Militär und Regierung war die Aufnahme des Kriegskommissars in den Finanzrat. Ab 1764 saß sogar in der Person des Leiters des Ingenieurkorps noch ein zweiter Militärvertreter in diesem Gremium. Die Phase der Kooperation nahm 1770 mit der Einführung einer festen Dotierung der Kriegskasse ein abruptes Ende. Da der Militärhaushalt fortan gleichblieb, erübrigte sich 203

„Pecunia nervus rerum“

eine Zusammenarbeit zwischen Finanzrat und Kriegskommissariat. Der bevollmächtigte Minister hatte keinen Einfluss mehr auf die Verwendung der Mittel. Die strikte Trennung von Zivil- und Militärverwaltung war für die Zentralbehörden in Wien von Kaiser und Mitregent Joseph II. durchgesetzt und auf die Länder der Monarchie ausgedehnt worden. Während die südlichen Niederlande im politischen Bereich ihre institutionelle Eigenständigkeit noch bis zur Alleinherrschaft Josephs II. bewahren konnten, kam es im Heerwesen schon 1770 zu einer vollständigen Gleichstellung. Die neue Regelung der Militärfinanzierung erleichterte die Transferzahlungen zugunsten der Zentrale und verstärkte die Integration der belgischen Provinzen in die Gesamtmonarchie. Das Finanzierungssystem wurde von zwei Faktoren bestimmt, nämlich von den Ausgaben und von den Einnahmen. Auf die Ausgaben konnte die österreichische Zentralmacht einwirken. Sie konnte deren Verwaltung rationalisieren, den Zahlungsverkehr vereinfachen und das Zusammenspiel der Behörden verbessern. Doch auf die Einnahmen hatte die Regierung nur einen begrenzten Einfluss. Trotz aller Zentralisierungs- und Modernisierungstendenzen blieb der Habsburgerstaat für die Ressourcenmobilisierung auf die ständischen Strukturen angewiesen. Die Bewilligung und vielerorts auch die Erhebung der direkten Steuern waren den Provinzständen vorbehalten. Die Steuerhoheit der Landstände kann jedoch nicht als Ursache für die Finanzierungsunsicherheit angeführt werden. Obwohl es der österreichischen Regierung nicht gelang, in den Niederlanden sogenannte Steuerrezesse – mehrjährige Verpflichtungen – auszuhandeln, variierten die votierten Beträge nur unwesentlich von Jahr zu Jahr. Die kurzfristige Erhöhung der Militärausgaben in Kriegszeiten wurde durch sogenannte „dons gratuits“ finanziert, die im Grunde von den Ständen garantierte Anleihen waren. Die langfristige Ausdehnung des Militärhaushalts, der von 2,2 Millionen zu Beginn auf über 4 Millionen am Ende der österreichischen Herrschaft kletterte, ist dagegen auf den Anstieg der Handels- und Zolleinkünfte, in anderen Worten auf das Wirtschaftswachstum zurückzuführen. Wenn die Militärführung sich trotzdem bis zur Einrichtung eines festen Verteidigungsfonds über die unsichere Finanzierung der Kriegskasse beklagte, lag dies am Retentionsrecht der Stände. Diese durften die von den Provinzen erbrachten Naturalleistungen (Verpflegung, Unterbringung, Fuhrdienste) von den Steuern abziehen. Dadurch wurde eine zentralstaatliche Haushaltsplanung sehr erschwert, denn die Einnahmen aus den Kontributionen blieb ungewiss. Es drängt sich die Frage auf, warum der Zentralstaat nicht mit der bewilligten Kontributionssumme den Heeresunterhalt bestreiten konnte und auf Zusatzleistungen der Stände bzw. der Untertanen angewiesen war. Im folgenden Teil der Arbeit werden wir deshalb am Beispiel des Verpflegungssystems das Zusammenwirken der verschiedenen Akteure untersuchen. 204

Kapitel 6

Brot und Futter Das Versorgungssystem der Armee

Brot für die Soldaten und Futter für die Pferde waren die Grundnahrungsmittel der frühneuzeitlichen Armeen. Ihre Beschaffung gehörte zu den wichtigsten Obliegenheiten von Verwaltung und Militärführung. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie das militärische Versorgungssystem in den Österreichischen Niederlanden funktionierte. Der Staat gab die Verpflegung der Truppen an private Unternehmer ab. Der freie Wettbewerb unter Lieferanten sollte über Preise und Aufträge entscheiden. Doch barg das undurchsichtige Geschäft der Lieferungen nicht auch die Gefahr der Monopolbildung  ? Eine genaue Analyse der Vergabemechanismen wird die vielfältigen Möglichkeiten der Einflussnahmen und Absprachen enthüllen. Gleichzeitig gibt das komplexe System der Heeresverpflegung Einblicke in die Getreide- und Handelspolitik der österreichischen Regierung in den Niederlanden. Der Trend der Zeit ging hin zu einer „Verstaatlichung“ des Heeres und einer Einschränkung der „Inhaber“Rechte, die noch an das Militärunternehmertum des 17. Jahrhunderts erinnerten.1 Traf diese Entwicklung auch auf das Feld der Armeeversorgung zu  ? Schwierigkeiten und Missstände forderten geradezu einen Eingriff der Obrigkeit.

6.1 Wi r t s c h a f t l ic h e R a h m e n be di ngu ng e n de r A r m e e v e r s orgu ng In einem Brief an ihren Privatsekretär, Cornelius de Neny, der aus Brüssel stammte, zögerte Maria Theresia nicht, die Niederlande als die „schönste Provinz der Monarchie“ zu bezeichnen.2 Auch ihren Sohn und Nachfolger Joseph belehrte sie noch kurz vor ihrem Tod, dass „dies das einzige glückliche Land ist und es uns dermaßen viele Ressourcen 1 Johann Christoph ALLMAYER-BECK, Wandlungen im Heerwesen […], op., cit., S. 18  ; idem, Die Armee Maria Theresias […], op., cit., S. 80. 2 « […] la plus belle province de la monarchie […]. » Brief von Maria Theresia an Baron de Nény, Wien, 10. September 1773. Veröffentlicht in Alfred von ARNETH, Briefe der Kaiserin Maria Theresia an ihre Kinder und Freunde, Bd. 4, Wien 1881, S. 315–316, S. 315.

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Brot und Futter

geliefert hat“.3 Der anschwellende Geldzufluss aus den Niederlanden, während und nach dem Siebenjährigen Krieg, hatte in der Metropole des Habsburgerreiches zu der Meinung geführt, es handle sich hier um ein äußerst wohlhabendes Herrschaftsgebiet. Die Leichtigkeit, mit der sich dort auf dem Kapitalmarkt Anleihen platzieren ließen, aber auch die erstaunlichen Transferleistungen der belgischen Finanzen wurden als unmissverständliche Zeichen des Wohlstandes gedeutet. Die Berichte des kommandierenden Generals bestärkten diese Ansicht. „Es wäre schwer, ein schöneres Land und Provinzen zu finden, die mehr imstande sind, zu den Einkünften des Herrschers beizusteuern, als Flandern und Brabant. Es stimmt zwar, dass der gleiche Überfluss nicht im Hennegau, in Luxemburg, in Limburg und in der Region von Tournais besteht, aber das Ganze zusammen bildet eine solche Einheit, dass Ihre Kaiserliche Majestät nicht genug Wert darauf legen kann, angesichts der Ressourcen, die es geliefert hat und die es wieder hervorbringen kann, wenn man sich richtig anstellt“, schrieb General von Ayasasa aus Brüssel.4 Insbesondere die stark verstädterten und landwirtschaftlich intensiv genutzten Landschaften Brabants und Flanderns stachen durch ihren hohen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungsstand hervor. Die fruchtbaren Böden des Haspengaus (Hesbaye) und des flandrischen Marschenlandes erzeugten Getreideüberschüsse, die exportiert werden konnten.5 Städte wie Antwerpen, Brüssel oder Gent waren eng mit dem internationalen Handelsgeschäft verflochten und zeichneten sich durch ihr reiches Bürgertum aus. Doch wie General von Ayasasa zu Recht beobachtete, hatten Natur und Entwicklung nicht alle Provinzen gleichermaßen begünstigt. Nicht alle Gegenden produzierten einen Überschuss an Lebensmitteln und nicht jedes Jahr war auch ein gutes Erntejahr.6 In fast regelmäßigen Abständen wurde die Landwirtschaft von Missernten und Wetterkatastrophen getroffen, die Mangelkrisen auslösten. 3 « […] c’est le seul pays heureux et qui nous a fourni tant de ressources […]. » Brief von Maria Theresia an Joseph, Schönbrunn, den 22. Juli 1780. Veröffentlicht in Alfred von ARNETH, Briefe der Kaiserin Maria […], op., cit., Bd. 1, Wien 1881, S. 3. 4 « […] Il seroit difficil de trouver un plus beau Paÿs et des provinces plus en état de contribuer aux revenus du Souverain que ne le sont sur tout celles de Flandre et de Brabant, car il est vrai, que la même opulence n’existe pas dans le Hainau, le Namurois, le Luxembourg, le Limbourg et le Tournaisi  ; quoiqu’il en soit, le tout ensemble forme une telle existence, que Sa Majesté Impériale ne sauroit en faire assez de cas, eu égard aux ressources, qu’elle a fourni et qu’elle poura encore reproduire, si l’on s’ÿ prend avec méthode […]. » HHSA, Kabinettsarchiv Staatsrat, Nachlaß Lacy, Karton 1, Faszikel I, N° 8, Denkschrift über die österreichischen Niederlanden von Graf von Ayasasa, o. D. [1770–1773]. 5 Claire BILLEN, Une révolution agricole introuvable  ?, in  : Hervé HASQUIN (Hg.), La Belgique autri­ chienne […], op., cit., S. 95–120, S. 95. 6 Vgl. Chris VANDENBROEKE, Agriculture et alimentation. L’agriculture et l’alimentation dans les PaysBas autrichiens. Contribution à l’histoire économique et sociale à la fin de l’Ancien Régime, Gand/ Louvain 1975.

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Wirtschaftliche Rahmenbedingungen der Armeeversorgung

Solche Krisenjahre waren z.  B. 1713–1715, 1723–1725, 1740–1741, 1769–1772, 1788–1790, 1791–1795, in denen die Agrarerträge weit hinter den Erwartungen zurückblieben, die Getreidepreise emporschnellten und als Folge viele Menschen hungerten.7 Aber auch in normalen Zeiten waren verschiedene Gebiete der Niederlande abhängig von der Einfuhr unentbehrlicher Grundnahrungsmittel aus ertragreicheren Nachbargegenden. Im Herzogtum Luxemburg, das neben Limburg als wirtschaftliches Schlusslicht der Niederlande galt, wurde Getreide in großen Mengen importiert. Eine statistische Erhebung ergab 1764, dass von den 48 Zollkantonen, in die das Herzogtum eingeteilt war, nur elf Distrikte einen Überschuss produzierten, sieben selbstversorgend waren und 30 auf Kornimporte zurückgreifen mussten, um den Bedarf der Bevölkerung zu decken.8 Im besonderen Falle Luxemburgs wurde das Getreidedefizit aber durch die Viehzucht ausgeglichen, das wichtigste Handelsgut der Provinz.9 Für das Militär war die Frage des wirtschaftlichen Potenzials eines Landes von geradezu existenzieller Bedeutung. Die Armee bildete eine Masse von Menschen, die sich in keiner Weise am Prozess der Nahrungsproduktion beteiligten. Dies stellte eine Anomalie der gewöhnlichen Lebensverhältnisse dar. In der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts war der Prozentsatz der Bevölkerung, der außerhalb des Agrarsektors lebte, sehr gering, wirkliche Nicht-Produzenten waren äußerst selten. Selbst Stadtbewohner hatten meistens Gärten, manchmal sogar Äcker, und hielten Tiere. Nicht so der Soldat. Er war nur Verbraucher und musste versorgt oder, in der Militärsprache der Zeit ausgedrückt, „verpflegt“ werden. Die zentralen Fragen, die sich bezüglich der Heeresorganisation stellten, liegen auf der Hand. Wie viele Menschen und welcher Anteil der Bevölkerung kann außerhalb des Agrarsektors ernährt werden  ?10 Produziert die Landwirtschaft ausreichend Überschüsse, um die vorhandenen Truppen zu versorgen  ? Wie muss das Verpflegungssystem gestaltet werden, damit die Militärangehörigen ihr Auskommen finden  ? Die Militärobrigkeit hatte kaum direkte Einwirkungsmöglichkeiten auf die wirtschaftlichen Zustände und musste diese als gegeben hinnehmen. Doch der Druck,

 7 Joseph RUWET/Étienne HÉLIN/Françoise LADRIER/Leo VAN BUYTEN, Marché des céréales à Rure­monde, Luxembourg, Namur et Diest aux XVIIe et XVIIIe siècles, Louvain 1966, S. 7.  8 Alphonse SPRUNCK, Études sur la vie économique et sociale dans le Luxembourg au 18e siècle, Bd. 1 Les classes rurales, Luxembourg 1956, S. 57–67.  9 Christine PIRAUX/Michel DORBAN (Hg.), Douane, commerce et fraude dans le sud de l’espace belge et grand-ducal au XVIIIe siècle, Louvain-la-Neuve 2003, S. 296. 10 Jan Lindegren führt dafür den Begriff des „societal surplus“ ein. Vgl. Jan LINDEGREN, Men, Money, and Means, in  : Philippe CONTAMINE (Hg.), War and Competition between States, Oxford/New York 2000, S. 129–162, hier S. 147–148.

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Brot und Futter

der vom Lebensmittelbedarf des Heeres ausging, diente sicherlich als Antrieb zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion.11 Unter der Herrschaft Maria Theresias und Josephs II. kam es zu weitreichenden Agrarreformen. Von der Bauernbefreiung, der Grundsteuerregulierung, der Aufhebung der alten Flurverfassung, der Abschaffung der kollektiven Nutzungsrechte, der Überführung der Allmenden in den Privatbesitz sowie der Förderung des Anbaus verschiedener ertragreicher Produkte wie z. B. der Kartoffel erwartete man sich einen Leistungsanstieg und eine Verbesserung der Versorgungslage. Deshalb ist es verlockend, hinter diesen Maßnahmen nicht nur physiokratische Prinzipien zu sehen, sondern auch die Wahrnehmung der Bedeutung der Heeresverpflegung.12 Die Fürsorge für den leiblichen Unterhalt der Soldaten galt ohne Zweifel als eine der vorrangigen Aufgaben des Staates. Eine geeignete und ausreichende Versorgung der Armee gehörte zu den ständigen Anliegen der Verwaltung. Dabei war jedoch Rücksicht auf die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes zu nehmen. Die Armee lebte nicht wie zu Zeiten Wallensteins „aus dem Lande“, sondern „vom Lande“, nicht vom Plündern und Requirieren, sondern von Kauf und staatlicher Zuteilung. Der kommandierende General in den Niederlanden zum Jungen versicherte Prinz Eugen, dass er auch bei etwaigen Versorgungsmängeln den Truppen nicht erlaube, zur Selbsthilfe zu greifen. „Dan wo es ohne deme eine erkante und allenthalben practicirte Sache ist, daß in frembden auch neutrale Landen die Trouppe freÿ waÿden, fouragiren und sich mit Holz versehe, so würde ich so weses ni dem kaÿserlichen Gebiethe eingleiches gethan habe, wan es ad casum ankommen wäre.“13 Die logistische Herausforderung im 18. Jahrhundert bestand darin, den Truppen das Lebensnotwendige zu beschaffen, ohne dadurch die Lebensgrundlage der Bevölkerung zu ruinieren.14 Die Heeresverpflegung war demnach ein fortwährender Prozess der Regulierung und des Ausgleiches. 11 Werner Sombart sah in der Nachfrage des Heeres einen wesentlichen Anreiz zur marktorientierten Produktion. Vgl. Werner SOMBART, Krieg und Kapitalismus […], op., cit., S. 131. 12 Bernhard R. Kroener sieht insbesondere bei Friedrich dem Großen eine enge Beziehung zwischen Bauernschutz und Förderung der landwirtschaftlichen Produktion einerseits und der Bedeutung der Heeresversorgung andererseits. Bernhard R. KROENER, Die materiellen Grundlagen österreichischer und preußischer Kriegsanstrengungen 1756–1763, in  : idem (Hg.), Europa im Zeitalter Friedrichs des Großen. Wirtschaft, Gesellschaft, Kriege, München 1989, S. 47–78, S. 71. 13 KA, AFA, N° 399, Bericht von zum Jungen an Prinz Eugen, Brüssel, den 13. Juni 1727. 14 Im 18. Jahrhundert wurde das Requisitions- beziehungsweise Raubsystem als logistisches Verfahren noch im sogenannten „kleinen Krieg“ oder Partisanenkrieg angewandt. Vgl. Martin RINK, Die noch ungezähmte Bellona. Der kleine Krieg und die Landbevölkerung in der frühen Neuzeit in  : Stefan KROLL/Kersten KRÜGER (Hg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit, Münster/ Berlin 2000, S. 165–189.

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Der Lebensunterhalt des Soldaten  : Sold und Verpflegung

6.2 De r L e be ns u n t e r h a lt de s S ol dat e n  : S ol d u n d Ve r pf l e gu ng Damit der Soldat seinen Dienst verrichten konnte, mussten seine Grundbedürfnisse gedeckt sein. Er brauchte Essen, Kleidung und Waffen sowie eine Unterkunft. Zum Heizen und Kochen benötigte er Brennmaterial, zur Beleuchtung in den langen Winternächten Kerzen oder Öl. Der einfache Soldat schlief auf Lagerstroh, der Offizier in einem Bett. Mit dem Eintritt in das Dienstverhältnis durfte der Soldat davon ausgehen, dass sein Dienstherr diese Grundversorgung übernahm. Die Verpflegung konnte in Geld, Naturalien, oder, wie es meistens geschah, in einer gemischten Form verabreicht werden. Was der Truppe zustand, wurde in Gebührenreglements festgelegt. Unterschiede gab es nicht nur zwischen den Dienstgraden, sondern auch zwischen den Waffengattungen. Für die Kavallerie galten höhere Bezüge als für die Infanterie, und ein Grenadier war bessergestellt als ein einfacher Füsilier. In den Niederlanden gab es darüber hinaus bis zur Einverleibung von 1725 höhere Besoldungssätze für die nationalen Regimenter als für die deutschen Regimenter. Nach den Berechnungen von Kriegskommissar Gruber bekam ein deutscher Fußsoldat im Jahr Sold und Sachleistungen im Wert von 82 Gulden und 8 ½ Stüber, der Wallone dagegen das Äquivalent von 106 Gulden und zehn Stüber. Ebenso verhielt es sich bei der Kavallerie. Ein deutscher Reiter erhielt nur 208 Gulden 14 ½ Stüber, während ein Kürassier des Regiments Westerloo mit einem Jahreseinkommen von 241 Gulden 15 Stüber rechnen konnte. Bei den Dragonern war das Verhältnis 190 Gulden 9 3/6 Stüber zu 208 Gulden 11 5/6 Stüber.15 Nach 1725 galten die kaiserlichen „Verpflegungs-Ordonnanzen“ für alle Einheiten. Das gewöhnliche Traktament des Fußsoldaten bestand aus dem eigentlichen Sold, der sogenannten Mundportion, die mit monatlich vier Deutschen Gulden (fünf Gulden zwölf Stüber Brabanter Währung) bemessen war, und der täglichen Brotration von zwei Pfund (928,032 Gramm), deren Geldwert auf einen Stüber berechnet wurde. Die Grenadiere bezogen eine um einen halben Gulden höhere Mundportion. Die Mannschaft der Kürassiere und Dragoner genoss einen Monatssold von fünf Gulden und zusätzlich eine Pferdeportion im Wert von drei Deutschen Gulden.16 Das Grundprinzip der Verpflegung war demnach, dass der 15 ������������������������������������������������������������������������������������������������ KA, AFA, 1724, N° 392, « Mémoire pour remontrer indisputablement et sans contradiction la difference de la paÿe d’un soldat des trouppes nationales contre celle des trouppes allemandes », Anhang, Brief von Gruber an Prinz Eugen, Brüssel, den 17. März 1724. 16 Gustave-Henri-Louis GUILLAUME, Histoire des régiments nationaux […], op., cit., S. 10–12  ; Einleitung zur Darstellung der Feldzüge des Prinzen Eugen von Savoyen […] bearbeitet von der Abtheilung für Kriegsgeschichte des K. K. Kriegs-Archives, Bd. 1, Wien 1876, S. 276–283  ; Österreichischer

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Soldat nur das tägliche Brot von der Armee erhielt. Die Armee lieferte auch die Futterrationen für die Tiere der Kavallerie. Alle anderen „Viktualien“ mussten aber durch Zukauf vom Sold erworben werden. Mit dem ihm ausgehändigten Bargeld kaufte der Soldat Fleisch, Gemüse und Getränke zu den ortsüblichen Preisen ein. Dabei taten die Soldaten sich meistens zusammen. Eingekauft wurde bei den Metzgern und Krämern der Garnisonsstädte, auf den Märkten oder direkt vom Bauer. Gekocht wurde auf kameradschaftlicher Basis. Eine „Kameradschaft“ oder „Menage“ bestand aus vier bis sieben Mann.17 Welchen Betrag der einzelne Soldat jeden Monat bar auf die Hand bekam, ist schwierig zu ermitteln. Aus den Gebührenvorschriften geht der Brutto-Sold, nicht aber der Netto-Sold hervor. Vor der Ausbezahlung an den Soldaten vonseiten der Regiments- wie der Kompaniekasse wurden zahlreiche Abzüge vorgenommen. Für die allgemeinen Unkosten beim Regiment wurden neun Kreuzer pro Monat zurückbehalten und für das Invalidenhaus von Pest ein Kreuzer.18 Daneben musste der Soldat noch Geld für die Anschaffung der Wäsche und der Uniform abgeben. Jedes Jahr bekam er ein Paar Strümpfe, ein Paar Schuhe, ein Paar Sohlen, zwei Hemden und eine Hose (kleine Montur). Alle zwei Jahre wurde ihm ein neuer Hut und ein Waffenrock ausgehändigt (große Montur).19 In den Niederlanden gab es unter Prié Pläne, dem Soldaten auch noch die Hälfte des Brotverbrauchs in Rechnung zu stellen. Das Kriegskommissariat hielt einen solchen Abzug aber für nicht praktikabel „in Ansehung der großen Theuerung“.20 Es forderte, dem gemeinen Mann in hiesigen Landen die gleiche Entlohnung wie in Ungarn oder in Italien zuzugestehen, nämlich fünf Kreuzer täglich. Die Brüsseler Regierung erachtete vier Kreuzer als ausreichend, wollte den Soldaten aber das Fleisch und das Bier preisgünstiger verschaffen, damit dieser Tarif haltbar war. Nach Meinung des Kriegskommissars griffen die Regimenter ohnehin schon bei der Fleischbeschaffung auf ihre eigenen Schlächter und Metzger zurück, um Geld zu sparen. Stadtbürgerschaften und Zünfte klagten über den ihnen dadurch entstehenden wirtschaftlichen Schaden. Würde die Truppe nun in

Erbfolge-Krieg 1740–1748. Nach den Feld-Acten und anderen authentischen Quellen bearbeitet in der kriegsgeschichtlichen Abtheilung des K. und K. Kriegs-Archivs, Bd. 1, Wien 1896, S. 480–481. 17 Vgl. Christoph TEPPERBERG, Mannschaftsmenage. Über das Essen und Trinken in den Kasernen der K. und K. Armee, in  : Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Bd. 39, 1986, S. 90–113 (Festschrift Rudolf Neck, hrsg. von der Generaldirektion, Wien, 1987). 18 Österreichischer Erbfolge-Krieg 1740–1748 […], op., cit., S. 481. 19 KA, AFA, N° 385, Aufsatz was einem gemeinen Soldaten zu Fuß […] des Jahr hindurch zur Verpflegung gebühre […], Anhang zum Bericht von Gruber an Prinz Eugen, Brüssel, den 27. Februar 1722. 20 Bericht von Gruber an Prinz Eugen, Brüssel, den 27. Februar 1722.

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den Kasernen auch noch ihre eigenen Brauereien betreiben, käme es unweigerlich zu weiteren Beschwerden des „gemeinen Pöbel und Burgersman“.21 Die niedrige Höhe des bar ausbezahlten Soldes spornten den Soldaten dazu an, seinen Lohn durch Zusatzeinkünfte aufzubessern. Die Armee bot eine Reihe weiterer Verdienstmöglichkeiten  : zusätzliche Wachdienste, Botengänge, Beteiligung an Kommandoeinsätzen, Anwerbung von Rekruten, Schanzarbeiten, Festungsbau usw.22 Allgemein wird das tägliche Bareinkommen eines einfachen Infanteristen wohl zwischen 5 bis 6 ½ Kreuzer betragen haben, umgerechnet nicht mehr als drei Stüber Brabanter Währung.23 Die Höhe der Soldzahlung änderte sich im 18. Jahrhundert kaum. Die Generalinstruktion für das Kriegskommissariat vom 30. April 1749 sah einen Lohn von fünf Kreuzern täglich für den Gemeinen vor. 1767 wurde festgehalten, dass der Soldat sein volles Traktament von fünf Kreuzern ohne Abzüge bar auf die Hand ausbezahlt bekommen sollte. Uniform und Ausrüstung wurden unentgeltlich von der Militärverwaltung geliefert. Die Traktamentsvorschrift vom 18. April 1785 kodifizierte die bestehenden Gebührengrundsätze.24 Die Entlohnung des Füsiliers blieb auf fünf Kreuzer und eine Brotportion fixiert. Der Grenadier bekam einen Kreuzer und der Gefreite 2 ½ Kreuzer zusätzlich. Die Offiziere vom Fähnrich aufwärts erhielten keine „Löhnung“, sondern eine monatliche „Gage“. Der Hauptmann der Kompanie verdiente z.  B. 68 Deutsche Gulden im Monat und hatte Anrecht auf täglich sechs Brotrationen. Besaß er den Rang eines Majors, bekam er zusätzlich zwei Pferderationen.25 Je höher der Dienstgrad, desto besser war die Einkommenssituation. Unangefochtener Spitzenverdiener war Generalkommandant Herzog von Arenberg mit einer-Jahresgage von 11.304 Deutschen Gulden. Dazu kamen eine Entschädigung für Quartier und Servis von 8.857 Gulden sowie 12.000 Gulden Tafelgeld. Zusätz21 Ibidem. 22 1738 waren z. B. 500 Soldaten bei den Terrassierungsarbeiten in der Festung Luxemburg beschäftigt. Sie bekamen zwischen acht und zehn Stüber pro Klafter Erde [toise cube]. Siehe Guy THEWES, Logiques militaires et intérêts civils […], op., cit., S. 40. 23 Österreichischer Erbfolge-Krieg 1740–1748 […], op., cit., S. 482. Joseph Ruwet gibt 3,75 Stüber Brabanter Währung als Tageseinkommen eines Füsiliers der Nationalregimenter an. Indem er die Sachleistungen wie Brotverpflegung, Beleuchtung, Heizmittel, Unterkunft und Liegestatt in Geldwerte umrechnet, kommt er sogar auf ein Tagessatz von sechs bis sieben Stüber. Auf welche Quellen Ruwet sich stützt, um diesen Betrag zu ermitteln, geht nicht klar hervor. Vgl. Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 61–63. 24 Christoph TEPPERBERG, Mannschaftsmenage […], op., cit., S. 91–92  ; Michael HOCHEDLINGER, Austria’wars of emergence […], op., cit., S. 314. 25 „Gebührs-Entwurf eines teutsch und hungarisch, dann Walloner, und Italiener-Infanterie-Regiments zu 18 Compagnien auf dem Friedensfuß“, veröffentlicht in Stand- und Verpflegs-Regulament der ganzen K.K. Armee, Frankfurt/Leipzig 1787.

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lich bezog Arenberg noch 10.714 Gulden in seiner Funktion als Gouverneur von Mons. Sein jährliches Einkommen belief sich demnach auf 42.875 Gulden.26 Der gemeine Mann musste sich dagegen mit einem sehr bescheidenen Lebensstan­ dard begnügen. Geht man von steigenden Preisen und sinkender Kaufkraft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus, verringerte sich sein Realeinkommen sogar bei gleichbleibenden Ausgaben. Andererseits wurde die Lohnzahlung nach 1749 verlässlicher und die in der Anfangszeit der österreichischen Herrschaft üblichen Soldrückstände hörten auf. Die finanzielle Stellung eines einfachen Soldaten im 18. Jahrhundert entsprach in etwa der eines vollbeschäftigten Tagelöhners.27 Mit einem durchschnittlichen Tageseinkommen von um die drei Stüber verdiente der Füsilier in den Niederlanden etwa so viel wie ein Leinenweber, der 1780 in Antwerpen mit drei bis vier Stüber Tageslohn auskommen musste.28 Damit zählte er sicher zu den unteren Einkommensschichten. Der niedrige Lohn kann auch als ein, vielleicht sogar als der gewichtigste Grund für die Schwierigkeiten bei der Heeresergänzung gelten. Dennoch sollte die Attraktivität des Militärdienstes insbesondere in Krisen- und Teuerungszeiten nicht unterschätzt werden. Der Tagelöhner erhielt seinen Lohn im Allgemeinen ausschließlich in bar und war nicht vor Arbeitslosigkeit geschützt. Stiegen die Lebenshaltungskosten oder fand er keine Arbeit, geriet er rasch in eine existenzielle Notlage. Der Soldat dagegen brauchte sich keine Sorgen um erhöhte Brotpreise oder verteuerte Mieten zu machen. Er bekam lediglich einen Teil seines Einkommens in barer Münze ausbezahlt. Die Armee gab ihm mit dem Brot das wichtigste Grundnahrungsmittel und sorgte für seine Unterbringung. Nach 1767 empfing er sogar seine Arbeitskleidung umsonst. Der Dienstwillige brauchte sich auch nicht vor Arbeitslosigkeit zu fürchten, vorausgesetzt, er erfreute sich einer guten Gesundheit und erfüllte die körperlichen Maßgaben. Plötzliche Entlassungen wegen einer Verringerung der Truppenzahl waren kaum zu erwarten. Angesichts des chronischen Rekrutenmangels in den Niederlanden war die österreichische Armee dort ein sicherer Arbeitgeber. Die Fürsorge des Staates schuf einen Ausgleich für den ansonsten ärmlichen Lebensstandard des Soldaten. Das niedrige Bareinkommen wurde durch die Absicherung der Grundbedürfnisse kompensiert. Der Soldat konnte schlecht bezahlt sein, 26 HHStA, Belgien Regest DD Abt. B 79 (rot), « Remarques sur l’Etat militaire et son aconomie aux Paÿsbas », 1753. 27 Vgl. Ralf PRÖVE, Stehendes Heer und städtische Gesellschaft […], op., cit., S. 138, für die kur­han­ nover’sche Armee und Stefan KROLL, Soldaten im 18. ����������������������������������������������� Jahrhundert […], op., cit., S. 281 für die kursächsische Armee. 28 Paul BONNENFANT, Le problème du paupérisme en Belgique à la fin de l’ancien régime, Bruxelles 1934, S. 44–45.

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er durfte aber nicht unterversorgt bleiben. „Brot war der Treibstoff, der die Armeen in der Frühen Neuzeit antrieb“ (Geoffrey Parker).29 1½ Pfund galt als tägliche Minimalmenge, ohne die der Soldat nicht überleben konnte.30 Blieb diese Ration aus, drohten Meuterei und Auflösung. Deshalb übernahm der Staat die lebenswichtige Aufgabe der Brotversorgung. Bei der Brotverpflegung überließ er die Truppe nicht sich selber, wie er es bei der Fleisch- oder Gemüsebeschaffung tat. Der Selbsteinkauf auf dem freien Markt schien mit zu großen Risiken verbunden. Der Brotpreis blieb, dem Augenschein nach, unverändert. Doch das Gewicht variierte im umgekehrten Verhältnis zu den Mehlkosten, was zu starken Schwankungen der Brotmenge während den Getreidekrisen führte.31 Außerdem war das Angebot dürftig. Bäcker gab es nur in größeren Städten. Auf dem Lande buk jeder sein Brot selbst, zu Hause oder im Bannofen.32 Der Eingriff des Staates war demnach eine Notwendigkeit, sollten plötzliche Engpässe in der Grundversorgung der Streitkräfte vermieden werden. Die Rationen in der österreichischen Armee waren etwas großzügiger bemessen als das absolute Minimum. Der gemeine Soldat erhielt täglich zwei Pfund Brot (Brabanter Gewicht), umgerechnet 928,032 Gramm.33 Das Kommissbrot wurde aus Roggenmehl hergestellt. Dunkles Roggenbrot war billiger als helles Weizenbrot und trocknete weniger schnell aus. Es wurde in Laiben zu drei Tagesportionen, d.h. sechs Pfund, gebacken. Offiziere hatten Anrecht auf mehr als nur eine Brotration pro Tag  : der Fähnrich bekam zwei, der Hauptmann sechs und der Regimentskommandant sogar zehn Portionen. Sie waren jedoch nicht genötigt, den ganzen Verpflegungssatz in Form von Naturalien zu beziehen und konnten sich anstelle des Bezuges Geld ausbezahlen lassen. 29 “Pan de munición (government bread) was the fuel which really moved armies in the modern period”. Geoffrey PARKER, The Army of Flanders […], op., cit., S. 162–163. 30 Ibidem, S. 163. 31 Étienne HÉLIN, Prix des céréales à Luxembourg XVIIe–XVIIIe siècles, in  : Joseph RUWET/Étienne HÉLIN/Françoise LADRIER/Leo VAN BUYTEN, Marché des céréales […], op., cit., S. 185–280, S. 213. 32 Angaben über die Zahl und Verbreitung der Bäcker in der Provinz Luxemburg findet man in einem Bericht des Provinzialratsvorsitzenden Gerden an den bevollmächtigten Minister Starhemberg vom 3. Februar 1780. ANL, A XVII-5. 33 1 Pfund = 464,016 Gramm. Vgl. Horace DOURSTHER, Dictionnaire universel des poids et mesures anciens et modernes, Bruxelles 1840, S. 219  ; Maurice VAN HAUDENARD, Anciens poids et mesures du Brabant, in Le Folklore Brabançon, Bd. 10, 1930–1931, S. 278–285, hier S. 285. Joseph Ruwet gibt die Brotration mit 600 Gramm an. Dies entspricht der Menge, die der Soldat mit dem theoretischen Brotgeld von einem Stüber 1784 in Brüssel kaufen konnte, nicht aber der tatsächlichen Menge, die in Naturalform an den Soldaten ausgeteilt wurde. Joseph RUWET, Soldats des régiments nationaux […], op., cit., S. 61. Vgl. Auch Jan CRAEYBECKX, Brood en levensstandaard. Kritische nota betreffende de prijs van het brood te Antwerpen en te Brussel in de 17e en de 18e eeuw, in  : Cahiers d’histoire des prix, Bd. 3, Louvain 1958, S. 133–162, S. 159.

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Brot und Futter

Neben der Brotverpflegung von Offizierskorps und Mannschaft übernahm der Staat auch die Versorgung der Pferde mit Futter. Eine Pferderation bestand aus täglich sieben Pfund Hafer, zwölf Pfund Heu und drei Pfund Stroh (Brabanter Gewicht).34 Die Mengenverhältnisse konnten geringfügig verändert werden.35 Oft wurden nur sechs Pfund Hafer verabreicht.36 Im Sommer trat auch öfters die Grasfütterung ein. Bei den Futterrationen ebenso wie bei der Brotverteilung konnten die Offiziere sich für die nicht in Anspruch genommene Naturalverpflegung bar ausbezahlen lassen. Von dieser Praxis des „Rückkaufs“ (rachat) der Rationen durch das Kriegskommissariat bzw. durch die Heereslieferanten war die einfache Mannschaft im Prinzip ausgeschlossen. Da ein Teil des vorgesehenen Brotes und Pferdefutters nicht gefasst wurde, war es für das Kriegskommissariat schwierig, eine genaue Vorausplanung der Bedürfnisse aufzustellen. Es forderte deshalb, die Offiziersschaft zu verpflichten, eine bestimmte Mindestmenge in Naturalform entgegenzunehmen, „umb die kaÿserlichen Magazine nach Proportione einrichten zu können“.37

6.3 De r Ve r br auc h de s H e e r e s  : Ve r s uc h e i n e r Q ua n t i f i z i e ru ng Die Versorgung der Armee stellte den frühmodernen Staat zweifelsohne vor eine große logistische Herausforderung. Der Bedarf des Heeres an Lebensmitteln war im wahrsten Sinne des Wortes ein „Massenbedarf“, dessen Deckung nicht ohne Auswir­kungen auf Verwaltung, Finanzen und Wirtschaft bleiben konnte.38 Eine gemeinsame Kommission von Vertretern des Finanzrates und des Kriegskommissariats veranschlagte den Verbrauch der gesamten Truppen inklusive Generalstab und Invaliden für das Militärjahr 1737 auf 2.189.340 Brote und 562.100 Futterrationen. Geschätzter Kostenpunkt der Verpflegung  : 372.032 Gulden zehn Stüber.39 Natürlich 34 AGR, CF, N° 2794, Brief von Kriegskommissar Pfanzelter, Brüssel, den 13. März 1749. 35 Z. B. setzt ein Liefervertrag aus dem Jahre 1746 die Pferderation auf sechs Pfund Hafer, 15 Pfund Heu und wöchentlich 15 Pfund Stroh fest. AGR, CF, N° 2792, « Conditions pour le livrement de pain et fourage […] pendant l’année militaire 1746. » 36 AGR, CF, N° 2800, Lieferbedingungen der Brot- und Futterrationen, Brüssel, den 1. Dezember 1767. Österreichischer Erbfolge-Krieg 1740–1748 […], op., cit., S. 483. 37 KA, AFA, 1723, N° 388, Bericht von Gruber an Prinz Eugen, Brüssel, den 22. Januar 1723. 38 Vgl. dazu die klassischen, aber von Historikern kaum beachteten Thesen Sombarts  : Werner SOMBART, Krieg und Kapitalismus […], op., cit., insb. S. 124–130. 39 AGR, CF, N° 2787, « Aperçu de la dépense à faire cette année militaire qui commence au 1er novembre 1736 pour la fourniture du pain et fourrage à toutes les troupes des Pays-Bas. »

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Der Verbrauch des Heeres  : Versuch einer Quantifizierung

schwankte die Truppenstärke von Jahr zu Jahr und somit auch die Zahl der Soldaten, die versorgt werden mussten. 1740 waren es 2.049.434 Brote und 728.540 Futterrationen.40 Im Kriegsjahr 1746 sah ein mit den beiden Unternehmern Egidius Bauwens und Jean-François de Gotte geschlossener Liefervertrag sogar 7.201.987 Brotportionen (2.400.662 Brote) und 1.216.291 Futteranteile vor.41 Diese Portionen und Rationen wurden auch nicht alle tatsächlich ausgehändigt, da insbesondere die Offiziere die Möglichkeit hatten, sich ihre Bezüge bar vergüten zu lassen. Dennoch genügen diese Zahlen, um eine Vorstellung von der Größenordnung zu vermitteln. Der Heeresverbrauch wirkt noch beeindruckender, wenn man versucht, den Getreidebedarf abzuschätzen. Ein Soldat verzehrte 120 Brote im Jahr, das waren 360 Pfund (Brabanter Gewicht) oder in etwa 167 Kilogramm Brot.42 Ein Malter Roggen reichte, um ungefähr 70 Brote herzustellen.43 Wenn wir davon ausgehen, dass Öster­reich laut Barrierevertrag eine Streitmacht von mindestens 18.000 Mann in den Niederlanden unterhalten sollte, waren dazu jährlich 2.160.000 Brote oder 30.857 Malter Roggen erforderlich. Nach dem Aachener Frieden verfolgte die Regierung das Ziel, die Verteidigungskräfte auf 25.000 Mann zu erhöhen. Dies bedeutete, dass jedes Jahr eine Getreidemenge von über 42.000 Malter aufgebracht werden musste. Erschwerend kam hinzu, dass der Verbrauch in den Provinzen am höchsten lag, in denen am wenigsten Getreide produziert wurde. Das Herzogtum Luxemburg war der größte Brotabnehmer. Österreich unterhielt hier wegen der strategischen Wichtigkeit der Hauptfestung ein überverhältnismäßig starkes Truppenkontingent. Anfang der 1750er-Jahre verzehrten die Regimenter in der Provinz Luxemburg jeden Monat die stattliche Menge von 209.000 Brotportionen (28,9 %), während in Brabant, der Kornkammer der Niederlande, nur 137.066 Brotportionen (18,9 %) konsumiert wurden. Auch der Bedarf der Provinzen Hennegau und Flandern war mit 200.873 (27,8 %) 40 AGR, CF, N° 2789, « Mémoire touchant l’entreprise des pains et fourrages pour l’année 1740 […]. » 41 AGR, CF, N° 2792, « Conditions pour le livrement de pain et fourage […] pendant l’année militaire 1746. » 42 AGR, CF, N° 2787, « Réflexions sur le prix du pain », o. D. [um 1736]. 43 Die Schätzungen gehen geringfügig auseinander. Eine Notiz des Finanzrats berechnete, dass ein Malter 207 Rationen, also 69 Brote ergab (AGR, CF, N° 2787, « Note », o. D. [um 1736]). ����������������� Ein anderes Dokument kommt auf 70 Brote (AGR, CF, N° 2787, « État de ce que couterait le pain et fourrage […] » , o. D. [um 1736]). Der Domäneneinnehmer Maringh behauptete sogar, dass sich aus einem Malter 71 Brote herstellen lassen, während Brotlieferant van Overstraeten diese Zahl als übertrieben zurückwies und zehn weniger angab (AGR, CF, N°2787, Denkschrift an den Obersthofmeister, o.D. [um1736]). Steuereinnehmer Gerber berichtet von Bäckern, die auf 72 Brote kamen, „je nachdem das Mehl trocken war und mehr oder weniger Wasser aufnahm“ [« suivant que la farine est bien sèche et qu’elle prend plus ou moins d’eau »] (AGR, CF, N° 2789, Brief von Gerber, Luxemburg, den 31. März 1740).

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Brot und Futter

bzw. 176.071 Brotportionen (24,4 %) niedriger.44 Das Getreide musste demnach aus landwirtschaftlich leistungsstarken Regionen mit geringer Truppendichte in andere, weniger entwickelte, aber militärisch bedeutende Teile der Niederlande transportiert werden. Der massenhafte Bedarf des Heeres wie auch die logistischen Anforderungen, die mit der Deckung dieses Bedarfes verbunden waren, trieben die Kosten in die Höhe. Vom finanziellen Standpunkt her stellte die Verpflegung der Armee eine außergewöhnliche Belastung dar. In den Jahren zwischen 1727 und 1736 gab die Kriegskasse im Durchschnitt fast 500.000 Deutsche Gulden pro Jahr für Brot und Futtermittel aus.45 Ein Viertel des Gesamtvolumens der Verteidigungskosten entfiel auf die Verproviantierung. Damit stellte die Versorgung der Personen und Tiere mit Nahrungsmitteln den zweitgrößten Budgetposten des Heeres nach der Löhnung dar.

6.4 H e e r e s v e r pf l e gu ng du rc h pr i vat e Un t e r n e h m e r Um die finanziellen und organisatorischen Herausforderungen der Heeresversorgung zu bewältigen, mussten die verschiedenen Behörden des Militärverwaltungsapparates eng zusammenarbeiten. In erster Linie war das Kriegskommissariat als leitendes Organ gefordert. Es hatte Sorge zu tragen, dass Löhne und Verpflegung gewährleistet waren. Für die Finanzierung stand dem Kriegskommissariat das Kriegszahlamt zur Seite.46 Dieses verwaltete die Kasse und tätigte die Ausgaben. Für die eigentliche Logistik aber konnte das Kriegskommissariat mit dem Proviantamt (Commisarariat des vivres) auf eine besondere Dienststelle zurückgreifen. Die Zentrale – das Obrist-Proviant-Amt – befand sich in Wien. In den einzelnen Ländern der Monarchie gab es Ableger. In den Niederlanden war dieses Amt personell verhältnismäßig klein gehalten. 1728 setzte es sich aus zwei Proviantkommissaren, einem Offizial und vier Arbeitern zusammen.47 Nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg waren einige Mitarbeiter dazugekommen. Die Personalliste führte

44 AGR, CF, N° 2796, « État de ce qu’on livre dans chaque province en pain et fourrage par mois » [Aufstellung, was an Brot und Futter pro Monat in jeder Provinz ausgeliefert wird], o. D. [1752]. 45 AGR, CF, N° 2718, « État des paiements faits par la caisse de guerre pour la subsistance des troupes et de l’état major, pour la levée de recrues et remontes, fournissement des vivres et fourrages et autres dépenses extraordinaires depuis le 1er novembre 1724 au dernier octobre 1736 ». Dokument aufgestellt vom Kriegskommissariat in den Niederlanden, o. D., [um 1736]. Siehe Kapitel 5. 46 Siehe Kapitel 5 vorliegender Arbeit, S. 173–175. 47 KA, AFA, 1728, N° 402, « Mémoire de l’import du paÿement compétant à l’état major et ceux qui en dépendent, existants dans ce Paÿs-bas », Haushaltsentwurf von Oberkriegskommissar Franz von Gruber.

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Heeresverpflegung durch private Unternehmer

nun einen Proviantkommissar, einen Proviantverwalter, vier Offiziale, einen Bäckermeister und sechs Magazinarbeiter auf.48 In Italien dagegen zählte das Proviantamt im Jahr 1746 215 und in Ungarn 189 Angestellte.49 Davon waren aber die Mehrzahl Militärbäcker, die das Kommissbrot backten. In den Niederlanden stellte das Proviantamt das Brot nicht selbst her. Es war eine reine Verwaltungsbehörde. Seine Aufgabe bestand vorrangig in der Überwachung der Lieferungen. Des Weiteren kümmerte es sich um die Magazine in den niederländischen Festungen, um das Anlegen der Vorräte und ihre sachgerechte Lagerung. Das Proviantamt war jedoch nicht genügend mit Personal ausgestattet, um für die alltägliche Verköstigung der Truppen zu sorgen. Die eigentliche Unterhaltung lag in den Händen von Privatleuten, sogenannten „Entrepreneurs“, mit denen die Armeeverwaltung Verträge abgeschlossen hatte. Wie die meisten europäischen Staaten dieser Zeit hatte die Habsburgermonarchie die Versorgung ihrer Armee mit Nahrungsmitteln, Futter, Munition und anderen Gütern größtenteils an private Händler und Unternehmer abgegeben.50 Auch in den Niederlanden beruhte das österreichische Verpflegungswesen hauptsächlich auf Armeelieferanten. Das Unternehmertum stand wegen der enormen Profite, die angeblich erzielt wurden, immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik. Doch gab es eine befriedigende Alternative  ? Die österreichischen Regimenter, die im Januar 1715 in den südlichen Niederlanden einzogen und nach und nach die einzelnen Provinzen besetzten, wurden vom kaiserlichen „Kriegsfaktor“ Samuel Oppenheimer mit Proviant versorgt.51 Die Wiener Hofkammer hatte mit ihm einen Liefervertrag für die am unteren Rhein operierende Armee abgeschlossen.52 Der Umstand, dass Oppenheimer Jude war, rief empörten Protest in den ausschließlich katholischen Niederlanden hervor. Insbesondere das Herzogtum Luxemburg führte uralte Privilegien an und verlangte inständig „die Abschaffung der 48 KA, Kriegswissenschaftliche Mémoires, Abt. VIII, N° 495, „Summarische Ausweisung über die Fundos […] des kayserlich-königlichen Militärstaats in denen österreichischen Niderlanden […]“, aufgestellt von Oberkriegskommissar Karl Josef Pfanzelter, Brüssel, den 6. März 1751. 49 Österreichischer Erbfolge-Krieg 1740–1748 […], op., cit., S. 343. 50 Jean CHAGNIOT, Guerre et société […], op., cit., S. 125–126. 51 Zu der Person Samuel Oppenheimer siehe Max GRUNWALD, Samuel Oppenheimer und sein Kreis. Ein Kapitel aus der Finanzgeschichte Österreichs (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Juden in Deutsch-Österreich, 5), Wien/Leipzig 1913  ; Israel TAGLICHT (Hg.), Nachlässe der Wiener Juden im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Finanz-, Wirtschafts- und Familiengeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Juden in Deutsch-Österreich, 7), Wien/ Leipzig 1917  ; Jean BÉRENGER, Finances et absolutisme autrichien dans la seconde moitié du XVIIe siècle, Paris 1975, S. 437–439. 52 KA, Hofkriegsrat, Protokoll Expedit, 1715, N° 493, f° 65r.

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Juden“.53 Der Hofkriegsrat gab jedoch zu verstehen, dass, solange die Proviantlieferungen Oppenheimers andauerten, die Anwesenheit von Juden toleriert werden müsse.54 Auch die Hofkammer bat darum, den jüdischen Armeelieferanten Schutz zu gewähren.55 Dies hinderte die Behörden vor Ort nicht daran, die Agenten Oppenheimers zu schikanieren. Man erlaubte dem Unternehmen weder Geld für den Aufkauf des benötigten Getreides einzuführen noch die Einnahmen aus dem Geschäft auszuführen. Als Lazaro und Alexandro, zwei Juden, die für Oppenheimer die Proviantierung in der Provinz Luxemburg verrichteten, die Grenze überqueren wollten, beschlagnahmten eifrige Zollbeamte kurzerhand die mitgeführten Barmittel.56 Dass es hierbei nicht um das verletzte Glaubensgefühl einer mehrheitlich katholischen Bevölkerung ging, sondern um handfeste wirtschaftliche Interessen, wurde nur allzu schnell offensichtlich. Die religiös-antisemitische Intoleranz lieferte einen willkommenen Vorwand. Einheimische Unternehmer drängten in das lukrative Geschäft mit der Armee. Der provisorische Gouverneur, Baron von Wachtendonck, bekam den Befehl, unter der Hand Preisangebote einzuholen, „weillen übrigens die Juden in dem Herzogthumb Luxenburg verhaßt seÿnd und hingegen einige Landts Inwohner die Proviantlifferung auf sich nemben wollen“.57 Im Juli 1715 wurde ein Vertrag mit dem Unternehmer François Maringh für die Zustellung des Pferdefutters geschlossen.58 Im November übernahm der in Luxemburg ansässige und spätere Stadtschöffe JeanBaptiste Dumont die Lieferung der Brotrationen.59 Einen Monat später bekam der niederländische Finanzmann Walckiers den Zuschlag für die Verproviantierung der österreichischen Armee in den restlichen Provinzen.60 Das österreichische Heer wechselte demnach nur wenige Monate nach der Besitznahme des neuen Herrschaftsgebiets auf niederländische Lieferanten über. Um die günstigsten Lieferbedingungen zu ermitteln, ging man den Weg einer öffentlichen Ausschreibung. Ausgeschrieben wurde die Verpflegung der Truppen als Generalunternehmen. Der Auftragnehmer verpflichtete sich, Brot und Futter für alle Militärangehörigen in den gesamten Niederlanden zu liefern. Die öffentliche Hand mischte sich nicht in das Detail der Proviantbeschaffung ein. Der Generalunternehmer hatte 53 KA, Hofkriegsrat, Protokoll Registratur, 1715, N° 495, f° 422v. 54 KA, Hofkriegsrat, Protokoll Registratur, 1715, N° 495, f° 399v. 55 KA, Hofkriegsrat, Protokoll Registratur, 1715, N° 495, f° 422v. 56 KA, Hofkriegsrat, Protokoll Expedit, 1715, N° 494, f° 1226 r. und v. 57 KA, Hofkriegsrat, Protokoll Registratur, 1715, N° 495, f° 448 v. 58 KA, Hofkriegsrat, Protokoll Expedit, 1715, N° 493, f° 737 v. 59 KA, Hofkriegsrat, Protokoll Expedit, 1715, N° 494, f° 1235 v. 60 KA, Hofkriegsrat, Protokoll Registratur, 1715, N° 497, f° 1710 v.

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sein eigenes Netz von Zulieferern in den verschiedenen Provinzen, in den Garnisonsstädten und in den Etappenorten entlang der Marschrouten. Der Auftrag wurde in der Regel für die Dauer eines Militärjahres, also für die Zeitspanne vom 1. November bis zum 31. Oktober des darauffolgenden Jahres, vergeben, manchmal aber auch für eine kürzere oder eine längere Periode. Die Submission fand meistens im Laufe des Monats Oktober in den Räumlichkeiten des Brüsseler Finanzrates statt. Die Versteigerung lief nach einem genauen Ritual ab. Drei Sitzungen waren bis zum endgültigen Zuschlag nötig. Nachdem die Ausschreibung landesweit durch gedruckte Plakate angekündigt worden war, wurden die Vertragsbedingungen „mit lauter Stimme und bei geöffneten Türen“ („à haute voix et à portes ouvertes“) den versammelten Interessenten in der ersten Sitzung vorgelesen.61 Daraufhin erfolgte die „mise à prix“, das erste Gebot. Die Versteigerung war nun eröffnet, und die Teilnehmer versuchten, sich gegenseitig zu unterbieten. Waren alle Angebote eingeholt, wurde eine zweite Sitzung angesetzt. Auch während dieser kam es noch zu keiner definitiven Entscheidung. Eine dritte und letzte Runde wurde anberaumt in der Hoffnung, die Preise noch drücken zu können.62 Am Ende dieser Sitzung wurde das Unternehmen dann „mit einem Stockschlag“ („par le coup du bâton“) dem Mindestfordernden zugesprochen. Der Generalunternehmer und seine Partner, gegebenenfalls auch ein Bürge, unterschrieben die Vertragsbedingungen. Damit die Vergabe aber rechtsgültig wurde, musste sie noch vom Generalgouverneur bzw. der Generalgouverneurin durch einen formellen Akt bewilligt werden („acte d’agréation“).

6.5 L i e f e r be di ngu ng e n u n d A b s ic h e ru ng de r Ve r s orgu ng Die Abfassung der Lieferbedingungen erforderte große Sorgfalt zur Vermeidung zukünftiger Streitigkeiten. Die vertragliche Abmachung hielt Rechte und Pflichten des Auftragnehmers fest. Die Laufzeit des Vertrages wurde bestimmt, die Art der Liefe-

61 Einige Plakate sind aufbewahrt unter AGR, CF, N° 2786. Als Beispiel des typischen Ablaufes einer solchen Vergabe siehe unter AGR, CF, N° 2786, « Conditions sous lesquelles ce jour d’huÿ 28 du mois de septembre 1731 l’on procédera au Conseil des domaines et finances de l’Empereur et Roy suivant les affiches en faites à la passée et adjudication à rabaix et moins offrant le livrement des pains et fourages aux trouppes ordinaires […]. » 62 1736 kamen die Brot- und Futterlieferungen sogar noch ein viertes Mal unter den Hammer, da auch nach der dritten Sitzung das Ergebnis nicht zufriedenstellend war. AGR, CF, N° 2787, « Conditions de l’adjudication du livrement des pains et fourrages […] pour l’année militaire du 1er novembre 1736 au 31 octobre 1737. »

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rungen, der Preis pro Portion, die genaue Zusammensetzung der Rationen. Das abgelieferte Brot musste gewissen Qualitätskriterien entsprechen und aus „gutem Roggenkorn aus der letzten Ernte“ hergestellt sein.63 War das Brot schlecht, begannen die Truppen zu murren. Das Kriegskommissariat konnte die Lieferung zurückweisen und die Bezahlung verweigern.64 Die Brotportionen wurden alle vier, die Pferderationen alle acht Tage ausgeteilt.65 Der Generalunternehmer bekam vom Kriegskommissariat eine genaue Aufstellung, wie viel er an welche Einheiten abliefern sollte und musste diese Anweisungen befolgen. Es war ihm untersagt, die Rationen der einfachen Soldaten zurückzukaufen, d.h. dem gemeinen Mann Geld anstatt der Naturalverpflegung zu geben. Strenge Auflagen gab es auch hinsichtlich der Vorräte, die der Generalunternehmer anlegen musste. Der Vertrag verpflichtete ihn, Getreide und Futter für drei Monate in seinen Magazinen zu lagern.66 In der Festung Luxemburg forderte man sogar zeitweilig eine Proviantreserve von sechs Monaten.67 Das Proviantamt kontrollierte ab und zu die Lagerbestände in den verschiedenen Städten und Festungen.68 Die größte Angst der Militärführung bestand darin, dass die Nahrungsmittelversorgung nicht klappte und der Nachschub plötzlich zum Erliegen kam. „Ein Unternehmer, der schwere Verluste erleidet ohne Hoffnung, aus der Klemme zu kommen, liefert ganz bestimmt die schlechteste Ware, wodurch den Männern sowie den Pferden ein reeller Schaden zugefügt wird“, bemerkte Kriegskommissar Luerwald folgerichtig.69 Es lag demnach im Interesse der Regierung, den Lieferanten die nötige Sicherheit zu geben, damit sie ihren Dienst erfüllen konnten. Die Klauseln des Vertrages schützten 63 « […] le pain de bon grain de seigle de la dernière récolte bien conditionné, chaque pain pesant six livres poid de Brabant […]. » Ibidem. 64 Der Finanzrat unterstellte dem Kriegskommissariat, seine Macht in dieser Hinsicht zu missbrauchen, um den Generalunternehmer gefügig zu machen. AGR, CF,N° 2787, Überlegungen des Marquis d’Herzelles zu den Brot-und Futterlieferungen, o. D. [1737]. 65 Später bekamen die Pferde alle sechs Tage neues Futter. AGR, CF, N° 2800, Lieferbedingungen des Generalunternehmers Felix Joseph Carton für zwölf Jahre, vom 1. November 1768 bis zum 31. Oktober 1780. 66 Verschiedentlich werden auch Vorräte für nur zwei Monate gefordert. 67 AGR, CF, N° 2800, Lieferbedingungen des Generalunternehmers Felix Joseph Carton für zwölf Jahre, vom 1. November 1768 bis zum 31. Oktober 1780. 68 AGR, CF, N° 2792, Depesche des Kriegskommissariats an den Finanzrat, Brüssel, den 22. April 1745. Das Kriegskommissariat berichtet von der Inspektionsreise des Proviantkommissars Stramberger, die ihn nach Mons, Soignies, Bossu, Ath, Lessines, Oudenaarde, Gent, Brügge, Nieuwpoort, Ostende und Brüssel geführt hatte. 69 AGR, CF, N° 2801, Gutachten des Finanzrates an den Generalgouverneur, 28. Dezember 1772. « Un entrepreneur qui souffre une perte sensible sans aucun espoir de se tirer d’affaire livrera certainement la plus mauvaise qualité de denrées d’où il résulterait un tort réel aux hommes ainsi qu’aux chevaux […]. »

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auch in gewisser Hinsicht den Unternehmer. Dieser bekam unentgeltlich Scheunen und Speicher aus landesherrlichem Besitz zur Verfügung gestellt. Er brauchte keine Stadtrechte, keine Straßenmaut und keine Schleusengebühr zu zahlen. Nur vom Zoll an der Grenze war er nicht befreit. Er konnte das Korn mahlen, wo er wollte, war an keine Müller- oder Bäckerzunft gebunden. Die gesetzlichen Einschränkungen, denen der Getreidehandel im 18. Jahrhundert unterlag, galten nicht für den Unternehmer der Armeelieferungen. Die Ordonnanz vom 18. Januar 1757 verbot, das Getreide woanders als auf den öffentlichen Märkten zu kaufen.70 Der Armeelieferant konnte dagegen Roggen, Hafer, Heu und Stroh direkt bei den Erzeugern – meistens Klöstern oder anderen Großgrundbesitzern – erstehen. Er durfte auch, in einer Zeit, in der es keine „libre circulation“, also keinen uneingeschränkten Austausch für Getreide in den Niederlanden gab, das Korn von einer Provinz in die andere transportieren.71 Ganz traute man den Unternehmern jedoch nicht, denn unter dem Deckmantel der Armeelieferungen ließ sich leicht schmuggeln. Besonders auf der Straße nach Luxemburg, die über weite Strecken durch Lütticher Gebiet führte, konnte unbemerkt ein Teil der Ladung „verloren“ gehen. Der Finanzrat verdächtigte den Generalunternehmer van Overstraeten, mehr aus Brabant und Namur auszuführen, als er für die Verproviantierung der Garnison in der Festung Luxemburg benötigte, und dieses Getreide über das Fürstbistum Lüttich abzusetzen.72 Der Unternehmer musste einen Passierschein beim Finanzrat beantragen. Dieser benachrichtigte die Zollverwaltung, die dann die Mengen beim Verlassen des Herrschaftsgebietes und beim abermaligen Eintritt nachprüfte.73 1771 ließ der Generalunternehmer Felix Carton 4.000 Malter Getreide von Löwen aus über Namur nach Luxemburg befördern. Die Ware war für den Verbrauch der Garnison in Luxemburg bestimmt. Da es in den Jahren 1770 und 1771 zu einer extremen Teuerung gekommen war, bestand wiederum die Gefahr, dass die Fracht unterwegs weiterverkauft wurde. Der Finanzrat informierte die Zollämter in Brüssel, Namur, Marche und Luxemburg über den bevorstehenden Transport.74 240 Säcke, jeder Sack zweihundert Pfund schwer, durften in Marche und in Bastogne für

70 ROPBA, Bd. 8, Bruxelles 1894, S. 79–82. Siehe auch die Verordnung vom 7. November 1771 in ROPBA, Bd. 10, Bruxelles 1901, S. 201–202. 71 AGR, CF, N° 2801, Gesuch des Generalunternehmers Carton an den Finanzrat, 23. November 1771  ; AGR, CF, N° 2801, Dekret des Generalgouverneurs zugunsten von Carton, Brüssel, den 27. November 1771. 72 AGR, CF, N° 2807, Brief des Finanzrats an die Generalgouverneurin, o. D. [1735–1741]. 73 AGR, CF, N° 2790, Genehmigung für Nicolas van Overstraeten, 28. Januar 1741. 74 AGR, CF, N° 2801, Depesche des Finanzrats an die Zollbeamten in Brüssel, Namur, Marche und Luxemburg, Brüssel, den 11. April 1771.

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Brot und Futter

die Versorgung der Truppen, die auf dem Durchmarsch waren, zurückbleiben. Die auferlegten Formalitäten erschwerten den Betrug. Ein Dekret Karls von Lothringen vom 27. November 1771 schrieb den Wagenführern vor, sich mit einer ganzen Sammlung von Papieren zu versehen  : Briefe des Unternehmers, die den Zielort des Transports angaben, und Zertifikate der Magazinverwalter, die den Erhalt der Güter bescheinigten.75 Ob diese Schriftstücke aber alle Schlupflöcher stopften, bleibt dahingestellt.

6.6 Ge t r e i de i m p or t e  : P ro u n d K on t r a Die den Armeelieferanten zugestandene Handelsfreiheit stand in mancher Hinsicht im Widerspruch zu der gängigen Wirtschaftspolitik, die auf Marktregulierung und Protektionismus ausgerichtet war. Die für den Merkantilismus charakteristische Sorge vor einer Negativbilanz des Handels trieb auch die österreichische Regierung. Durch Zollschranken an den Grenzen versuchte man, die Niederlande gegen die Nachbarn abzuschotten und die Einfuhr fremder Erzeugnisse zu beschränken. Der Abfluss des Geldes sollte um jeden Preis verhindert, der Absatz der eigenen Produktion dagegen gefördert werden.76 „Der Unternehmer ist verpflichtet, das Getreide und das Futter in den Provinzen der Niederlande, die unter der Herrschaft Ihrer Majestät stehen, zu kaufen“, lautete die Vereinbarung mit den Armeelieferanten, doch mit dem Zugeständnis, dass diese Klausel nur gelte, „wenn das Getreide nicht teurer als anderswo ist“.77 Angenommen, die Preise waren im Ausland günstiger, konnte der Unternehmer also Nahrungsmittel importieren. Er bezahlte nur die Einfuhrgebühren, und auch diese konnten ihm unter Umständen erlassen werden. In der Ausnahmesituation des Österreichischen Erbfolgekrieges waren die Importe zum 75 AGR, CF, N° 2801, Dekret des Generalgouverneurs zugunsten von Carton, Brüssel, den 27. November 1771. 76 Zur merkantilistischen Handelspolitik in den österreichischen Niederlanden siehe J. EVERAERT, Handel in de Zuidelijke Nederlanden 1650–1795, in  : Algemene Geschiedenis der Nederlanden, Bd. 8, Haarlem 1979, S. 185–202  ; Michel DORBAN, Les débuts de la révolution industrielle, in  : Hervé ­HASQUIN (Hg.), La Belgique autrichienne […], op., cit., S. 121–162, hier S. 150–152  ; Christine PIRAUX/Michel DORBAN (Hg.), Douane, commerce […], op. cit.  ; Hilda DE SMEDT, De groothandel in de Zuidelijke Nederlanden in 1771, in  : Bijdragen voor de geschiedenis der Nederlanden, Bd. 6, 1951, S. 47–65  ; Hubert VAN HOUTTE, Histoire économique de la Belgique à la fin de l’Ancien Régime, Gand 1920. 77 « […] l’entrepreneur sera tenu d’acheter les grains et fourages dans les provinces de l’obéissance de S. M. aux Pays Bas, en cas qu’ils n’y soient pas plus cher qu’ailleurs […].������������������������������������  » AGR, CF, N° 2800, Lieferbedingungen des Generalunternehmers Felix Joseph Carton für zwölf Jahre, vom 1. November 1768 bis zum 31. Oktober 1780.

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Getreideimporte  : Pro und Kontra

Zwecke der Armeeversorgung vollständig von Zöllen befreit.78 Aber auch in Friedenszeiten machte der Unternehmer immer wieder außergewöhnliche Umstände geltend, um eine Befreiung zu erreichen. Als das Dragonerregiment Vehlen 1733 wegen der Kriegsgefahr nach Luxemburg verlegt wurde, war Generalunternehmer van Overstraeten gezwungen, 3.000 Malter Hafer teils in Trier, teils im benachbarten Lothringen einzukaufen.79 Zu allem Überfluss übte General Graf von Neipperg auch noch Druck auf ihn aus, Vorräte für drei weitere Monate, zusätzlich zu den sechs Monaten, die er schon eingelagert hatte, anzuschaffen. Es war unmöglich, diese Menge im Herzogtum selbst zu finden. Die Stationierung zusätzlicher Truppen in Luxemburg hatte eine Verknappung der Lebensmittel bewirkt. Die Preise innerhalb der Provinz waren dermaßen angestiegen, dass sie jetzt weit über dem Wert der Submission lagen. Van Overstraeten ließ 12.000 Zentner (quintaux) Mehl von Frankfurt und Speyer kommen, dazu noch 4.000 Malter Roggen für eine spätere Vermahlung und Verbackung. In einer Bittschrift an die Generalgouverneurin Maria Elisabeth bat er darum, von den Einfuhrzöllen entbunden zu werden.80 Die Militärführung unterstützte in der Regel die Forderung der Unternehmer, mit dem Argument, die Versorgung der Armee genieße absolute Priorität, auch wenn die Staatskasse dafür Einbußen in Kauf nehmen musste. Der Finanzrat war diesbezüglich reservierter. Ohne zwingenden Grund wollte man nicht auf die Einnahmen aus dem Zoll verzichten. Als die Unternehmer Bauwens und de Gotte 1750 200 Last Roggen per Schiff aus England und Holland für den Verbrauch der Garnisonen in den Niederlanden sowie 4.000 Malter auf dem Landweg für die Festung Luxemburg zollfrei einführen wollten, widersetzte sich die Brüsseler Finanzbehörde mit der Begründung, es herrsche weder Mangel noch eine akute Teuerungsgefahr.81 Die Regierung bewilligte dem Unternehmer schließlich eine Ermäßigung. Das gleiche Szenario wiederholte sich im darauffolgenden Jahr mit dem neuen Generallieferanten Pierre Vandenberghen. Wieder lag dem Finanzrat eine Anfrage für einen Zollerlass auf Getreideimporte aus Deutschland vor. Pierre Vandenberghen behauptete, die Lütticher und andere ausländische Händler hätten alles aufgekauft, was sie an Roggen in der Provinz Luxemburg finden konnten und eine Verteuerung verursacht.82 Der Finanzrat ließ daraufhin Nachforschungen anstellen, wie viel Getreide tatsächlich ausge78 Vgl. AGR, CF, N° 2792, Lieferbedingungen während des Militärjahrs 1746. 79 AGR, CF, N° 2806, Brief von Kriegskommissar Gruber an Maria Elisabeth, Brüssel, den 19. Mai 1733. 80 AGR, CF, N° 2806, Bittschrift von van Overstraeten an Maria Elisabeth, 25. April 1733. 81 AGR, CF, N° 2795, Gutachten des Finanzrats an den bevollmächtigten Minister, 13. Juni 1750. 82 AGR, CF, N° 2795, Bittschrift von Vandenberghen an Karl von Lothringen, Brüssel, den 21. Dezember 1751.

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führt worden war. Das Zollamt Sankt Vith berichtete, da die Ernte in Luxemburg besser ausgefallen sei als im Herzogtum Jülich, wären 1751 10.286 Malter Weizen, Roggen, Spelz und Hafer über die Grenze gegangen.83 Im Zolldistrikt Luxemburg waren es weniger, aber immerhin noch 3.855 Malter Getreide.84 Aufgrund dieser Information gab der Finanzrat schließlich nach. Vandenberghen brauchte nur die Hälfte der Zollgebühren zu entrichten. Felix Joseph Carton, der das Generalunternehmen 1752 übernahm und bis 1772 monopolisierte, griff systematisch auf Importe zurück. Insbesondere in der Provinz Luxemburg erwies sich die Versorgung mit ausländischem Getreide kostengünstiger als mit Getreide aus einheimischem Anbau. Carton ließ durch Trierer oder Luxemburger Händler größere Mengen auf dem deutschen Markt einkaufen und über die Mosel bis nach Grevenmacher verschiffen. Dort wurde das Korn ausgeladen und auf dem Landweg in die Festung gebracht.85 Die massenhaften Importe des Unternehmers waren der Luxemburger Ständevertretung ein Dorn im Auge, denn in guten Jahren erschwerten sie den Absatz der landeseigenen Produktion. 1770 beklagten die Abgeordneten sich bei Regierungskommissar Jacques Antoine Le Clerc, „Carton habe die ganze Zeit keine Rücksicht auf die Untertanen dieser Provinz genommen“.86 Als in den Jahren 1764 bis 1766 das Getreide im Überfluss vorhanden war und mangels Absatzmöglichkeiten die Preise auf einen absoluten Tiefstand sanken, zog er es vor, seinen Nachschub aus Frankreich und Lothringen zu holen (wo das Getreide wahrscheinlich noch billiger war), anstatt seine Magazine mit den hiesigen Überschüssen aufzufüllen und so die Preise auf dem luxemburgischen Markt zu stabilisieren. Das Streben des Unternehmers nach Gewinnmaximierung stand offensichtlich im Widerspruch zu der Sorge der Landesvertreter um das Allgemeinwohl. Doch in Jahren, in denen die Ernte nicht so ertragreich ausfiel, war man wahrscheinlich froh, dass das inländische Angebot nicht vollständig durch die Ankäufe des Heereslieferanten aufgesogen wurde. Carton rechtfertigte sich dann auch, „er wolle den Einwohnern nicht alles wegnehmen“.87 Er besorge sich das Nötige auswärts, um die Provinz nicht 83 AGR, CF, N° 2795, Brief des Zollamts Sankt Vith an den Finanzrat, 8. Dezember 1751. 84 AGR, CF, N° 2795, Brief des Zollamts Luxemburg an den Finanzrat, Luxemburg, den 13. November 1751. 85 AGR, CF, N° 2809, Brief von Felix Joseph Carton an den Finanzrat, o. D. [1753]. 86 AGR, CF, N° 2801, Bericht von Le Clerc an den bevollmächtigten Minister, Brüssel, den 31. Dezember 1770. « […] ceux-ci se sont vivement recriés sur le peu d’égard que l’entrepreneur Carton auroit eu de tout tems pour les sujets de cette province, et notamment lorsqu’en dernier lieu les grains qui y abondoient, étant faute de debouché à un prix extraordinairement bas, au lieu d’en remplir ses magasins et d’y mettre par là un prix raisonnable, il a préferré d’en faire venir de la France et de la Lorraine […]. » 87 AGR, CF, N° 2809, Bittschrift von Carton an Karl von Lothringen, o. D. [1753].

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Getreideimporte  : Pro und Kontra

in Bedürftigkeit zu versetzen.88 Diese Argumente klangen überzeugend, denn der Finanzrat stellte sich nicht gegen die Einfuhr von Getreide für die Armeelieferungen, bestand aber auf der Bezahlung der Zölle. Schon gleich zu Beginn seines Auftrags im Jahr 1753 erteilte die Brüsseler Behörde Carton in dieser Hinsicht eine Abfuhr. Carton wollte 12.000 Malter Roggen zollfrei nach Luxemburg einführen, doch die Antwort war negativ. Der Unternehmer kannte die besondere wirtschaftliche Situation der Provinz Luxemburg und hätte diese bei seinem Preisangebot berücksichtigen müssen. Der Finanzrat riet, den Bittsteller abzuweisen.89 Carton durfte so viel einführen, wie er wollte, aber er musste die Zollgebühren bezahlen. Doch der Import von 12.000 Malter barg noch eine andere Schwierigkeit in sich. Für den Transport einer solchen Menge von Grevenmacher in die Festung benötigte Carton nicht weniger als 2.000 Wagenfahrten. Auf einem der landesüblichen Karren konnte man kaum mehr als sechs Malter laden.90 Carton bat die Regierung, bei den Luxemburger Landständen zu intervenieren, damit die Provinz die Fuhrwerke zum Vorzugspreis von 20 Kreuzern (deutsches Geld) pro Malter zur Verfügung stelle. Der Finanzrat stellte fest, es sei vernünftig, dem Unternehmer zu helfen, „mit Rücksicht auf die geringe Fruchtbarkeit der Provinz Luxemburg“. Doch der Preis von 20 Kreuzern schien kaum annehmbar. Deshalb wollte der Finanzrat die Ständevertretung nur ersuchen, dem Armeelieferanten die notwendigen Fuhrwerke „zu einem verständigen Preis“ zu besorgen.91 Eigentlich war es normal, dass die Behörden den Wünschen des Unternehmers entgegenkamen. Die niederländische Regierung war selbst gezwungen, in Notsituationen Getreide zu importieren. Als sich 1752 der Bankrott des Generalunternehmers Pierre Vandenberghen abzeichnete, ließ der bevollmächtigte Minister BottaAdorno größere Mengen Roggen und Hafer in Rotterdam, Amsterdam und Danzig einkaufen, um gegebenenfalls einspringen zu können.92 Wahrscheinlich hatte das Kriegskommissariat zu dieser Präventivmaßnahme geraten. Das Getreide, insgesamt 260 Last, wurde per Schiff nach Gent gebracht.93 Der Finanzrat stellte für die freie

88 AGR, CF, N° 2798, Bittschrift von Carton an Karl von Lothringen, o. D. [4. Juni 1756]. « […] mettroit la province dans l’indigence si le remontrant ne cherchoit des moïens de s’en procurer d’ailleurs […]. » 89 AGR, CF, N° 2809, Gutachten des Finanzrats an Karl von Lothringen, Brüssel, den 11. Oktober 1753. 90 Nach einer Angabe der Luxemburger Ständevertretung. AGR, CF, N° 2801, Bittschrift der Luxemburger Landstände an Karl von Lothringen, Luxemburg, den 3. November 1770. « […] eu égard que les voituriers de ce païs ne peuvent gueres charger plus de six maldres avec leurs petits attelages […]. » 91 AGR, CF, N° 2809, Gutachten des Finanzrats an Karl von Lothringen, Brüssel, den 11. Oktober 1753. 92 AGR, CF, N° 2796, Brief von Pfanzelter an den Finanzrat, Brüssel, den 21. Februar 1752. 93 AGR, CF, N° 2796, Brief von Pfanzelter an den Finanzrat, Brüssel, den 16. April 1752.

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Durchfahrt Passierscheine aus, „da es sich um Lebensmittel handelte, die unmittelbar Ihrer Majestät gehörten“.94 Während der Scheldekrise 1785 war die niederländische Heeresversorgung wieder in einer Lage, in der die einheimischen Ressourcen nicht ausreichten. Es wurde aufgerüstet. Truppen aus Böhmen und Breisgau marschierten in die Niederlande zu Verstärkung. Die Konzentration von Menschen und Tieren sprengte den üblichen Rahmen der Armeeversorgung. Zusätzliche Lebensmittel mussten aus dem Ausland eingeführt werden. Wegen der Konfliktsituation konnte jedoch nicht auf den holländischen Zwischenhandel zurückgegriffen werden, da der Zugang zum Amsterdamer Getreidemarkt versperrt war. Die österreichische Armee musste sich deshalb direkt an der Quelle versorgen, in den Ostseehäfen, wo das Getreide Ostelbiens, Polens und Estlands verschifft wurde. Das Brüsseler Handelshaus Romberg wurde beauftragt, 3.000 Last Hafer und 60.000 Zentner (quintaux) Heu in Hamburg und Königsberg einzukaufen.95 Falls die Holländer die flandrischen Häfen blockieren würden, wollte man das Frachtgut an der Küste entladen und mit Schaluppen an Land bringen. Die niederländische Regierung hatte aber auch Handelskontakte in Frankreich. So wurde die Möglichkeit erörtert, französisches Getreide über Bordeaux zu beziehen.96 Die Kehrseite der Getreideimporte durch den Armeelieferanten war, dass wertvolles Bargeld außer Land floss. In diesem Punkt gerieten die Importeure dann auch in Konflikt mit den Gesetzen, die die Ausfuhr von Gold- und Silbermünzen aus den Provinzen der Niederlande verboten. Die Lieferanten aus Lothringen und aus Deutschland, die 1733 für van Overstraeten Getreide in die Provinz Luxemburg brachten und den Erlös der Transaktion nachher mit nach Hause nehmen wollten, verstießen gegen dieses Ausfuhrverbot. Sie riskierten nicht nur dass man ihnen an der Grenze das redlich verdiente Geld abnahm, sondern auch die Beschlagnahmung ihrer Fuhrwerke bzw. ihrer Kähne. Generalunternehmer Nicolas van Overstraeten erboste sich darüber in einem Beschwerdebrief an die Generalgouverneurin.97 Er bekam Schützenhilfe vom Kommandanten der Festung Luxemburg, Baron Sigmund von Thüngen.98 Die Einschränkung des Zahlungsverkehrs sei schuld an der Knappheit 94 AGR, CF, N° 2796, Brief von Pfanzelter an den Finanzrat, Brüssel, den 21. Februar 1752. « […] comme ce sont des denrées appartenantes directement à S. M. […]. » 95 AGR, SEG, N° 823, Notiz betreffend den Kauf von Hafer und Heu in Hamburg und Königsberg, o. D. [Februar 1785]. 96 AGR, SEG, N° 823, Brief von Bethmaire an den bevollmächtigten Minister Barbiano di Belgiojoso, Bordeaux, den 19. März 1785. 97 AGR, CF, N° 2806, Petition von van Overstraeten an Maria Elisabeth, o. D. [1733]. 98 AGR, CF, N° 2806, Brief von Thüngen an Maria Elisabeth, Luxemburg, den 19. Februar 1733.

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Staatliche Eingriffe in den Markt

der Lebensmittel, an der die Garnison und sogar die Zivilbevölkerung der Stadt litten. Die ausländischen Händler zögerten, weiterhin Getreide einzuführen. Schon würden die Preise für Brotgetreide steigen. Die sich anbahnende Teuerung könne weder im Interesse des Landesherrn noch der Allgemeinheit sein. Thüngen und van Overstraeten forderten eine Ausnahmeregelung für die Lieferanten der Armee. Der Geheime Rat in Brüssel zeigte sich aber unbeeindruckt. Man könne nicht einer Provinz erlauben, die Landeswährung auszuführen und den anderen Provinzen dieses Recht vorenthalten. Die Kaufleute, stets auf ihren Vorteil bedacht, würden diese Lücke schnell ausnutzen. Die Geldmenge nähme noch mehr ab. Der Geheime Rat schlug vor, den Zahlungsvorgang mithilfe von indossierten Wechseln vorzunehmen.99 So könne der Unternehmer seine Geschäfte bargeldlos abwickeln. Doch in Kriegszeiten, wenn die Staatsausgaben allerseits in die Höhe schnellten, mangelte es auch an Wertpapieren. 1743 klagte das Antwerpener Bankhaus Proli über Schwierigkeiten, genügend Wechsel aufzutreiben, da diese ebenfalls von dem englischen Expeditionsheer sehr gesucht seien. Proli sah sich gezwungen, seine Gläubiger in Köln bar zu bezahlen und fragte um die Erlaubnis, Geld im Wert von 100.000 Gulden ausführen zu dürfen. Die Regierung gab die Genehmigung.100 Es handle sich um Ausgaben „pour le service de l’armée de S. M.“, für das Heer Ihrer Majestät. Auch van Overstraeten bekam die Erlaubnis, die Summe von 50.000 Gulden auszuführen.101

6.7 Sta at l ic h e E i ng r i f f e i n de n M a r k t Generell war die Regierung darauf bedacht, die Getreideimporte der Armeelieferanten in Grenzen zu halten. Man versuchte den Unternehmern zu helfen, damit sie ihren Bedarf innerhalb der Niederlande decken konnten. Der Staat verfügte selbst über Getreidevorräte, die aus der Produktion der Domanialgüter stammten. Die Pacht der landesherrlichen Güter wurde, wenigstens zum Teil, in Naturalform entrichtet. Das Getreide wurde anschließend in den Magazinen der Domänenverwaltung gelagert, bis sich ein günstiger Moment zum Verkauf bot. Diese Bestände konnten nun auch vorzugsweise an die Armeelieferanten veräußert werden. So geschah es 1749, als Bauwens und seine Geschäftspartner eine Importgenehmigung für die Provinz Luxemburg anfragten. Anstatt der Einfuhrerlaubnis gab die Brüsseler Regierung den  99 AGR, CF, N° 2806, Gutachten des Geheimen Rats, Brüssel, den 22. April 1733. 100 AGR, CF, N° 2790, Depesche an den Finanzrat, Brüssel, den 23. April 1743. 101 AGR, CF, N° 2790, Anweisung des Finanzrats an die Zollämter, 18. Mai 1743.

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Brot und Futter

Domänen-Einnehmern von Arlon und Luxemburg die Order, den Bittstellern die gesamten Roggenvorräte zum Marktpreis zu überlassen.102 Auch der nächste Unternehmer, Pierre Vandenberghen, beanspruchte die Getreidereserven der Domäne und war bereit, den Marktpreis zu zahlen.103 Generalunternehmer van Overstraeten erwies sich dagegen als hartgesottener Geschäftsmann, der mit allen Mitteln versuchte, die Preise zu drücken. 1736 klagte der Domänen-Einnehmer der Provinz Luxemburg, François Maringh, er sitze auf 1.400 bis 1.500 Maltern Roggen und ebenso viel Hafer, was dem Ertrag von drei Jahren entsprach. Auf dem luxemburgischen Markt herrsche Überfluss, deshalb wolle er das Getreide nach Trier ausführen.104 Doch Armeekommandant Baron von Thüngen stellte sich gegen den Verkauf ins Ausland. Maringh vermutete dahinter die Machenschaften des Proviantunternehmers. Er hatte van Overstraeten mehrmals seine Vorräte angeboten, doch dieser lehnte immer wieder ab, unter dem Vorwand, der geforderte Preis sei zu hoch und seine Gewinnspanne zu gering. Maringh weigerte sich aber, dem Armeelieferanten die Produktion aus der Domäne zum Schleuderpreis abzugeben. Für ihn drohte der Handel zum Verlustgeschäft zu werden.105 Die Begünstigung des Armeelieferanten durch die Obrigkeit konnte noch weiter gehen. Um eine ausreichende Versorgung des Unternehmers sicherzustellen, griff der Staat gelegentlich in den Markt mit einer Preistaxe, einem Verkaufszwang sowie dem Verbot des Branntweinbrennens und der Ausfuhr von Getreide ein. Als 1728 aus Angst vor einem französischen Angriff zwölf Schwadronen Reiterei in die Provinz Luxemburg verlegt wurden, setzte man gleichzeitig einen Höchstpreis für das Heu fest.106 Auch während des Österreichischen Erbfolgekriegs schrieb die Obrigkeit die Preise für Hafer und Spelz vor, zu denen die Bauern dem Armeelieferanten die Ware überlassen mussten.107 Der Unternehmer konnte die Orte durchsuchen, wo er Vorräte vermutete, und diese gegen Zahlung der festgelegten Preistaxe beschlagnahmen. Die Stadtmagistrate und Amtsleute der Propsteien und Herrschaften sollten, wenn 102 AGR, CF, N° 2794, Gesuch von Bauwens, Henry und de Gotte an den Finanzrat, Brüssel, den 17. Juni 1749. 103 AGR, CF, N° 2795, Gesuch von Pierre Vandenberghen an Karl von Lothringen, Brüssel, den 21. Dezember 1751. 104 AGR, CF, N° 2787, Gesuch von François Maringh, Generaleinnehmer der Domänen in der Provinz Luxemburg, an die Generalgouverneurin, 9. März 1736. 105 AGR, CF, N° 2787, Denkschrift von François Maringh an den Obersthofmeister, o. D. [1736]. 106 AGR, CF, N° 2786, Lieferbedingungen des Generalunternehmers Renette für ein Jahr, vom 1. November 1728 bis 31. Oktober 1729, Brüssel, den 25. Oktober 1728. 107 AGR, SEG, N° 2730, Genehmigung von Karl von Lothringen für den Unternehmer Bauwens, 7. August 1746.

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Staatliche Eingriffe in den Markt

nötig, Beistand leisten. Doch solche Anhäufungen von Getreide fanden sich eher bei Bürgern und Privatiers in den Städten als bei den Bauern auf dem Lande.108 Dort, in den Verwaltungszentren, saßen die Spekulanten, die in Erwartung zunehmender Teuerung, Getreide horteten. Andererseits bedeuteten die vielen Getreidesäcke, die auf den Dachböden der Bürgerhäuser und Klöster lagerten, auch eine gewisse Versorgungssicherheit für die Stadtbevölkerung. Henquin, der Agent des Generalunternehmers Aerts aus Antwerpen, machte diese Erfahrung 1775 zu einem Zeitpunkt, als die Kornpreise wieder kräftig anzogen.109 Als er das Refugium der Abtei Sankt Maximin in Luxemburg aufsuchte, um 100 Malter Roggen einzufordern, bekam er eine Abfuhr. Die Mönche behaupteten, der Präsident des Provinzialrats hätte ihnen untersagt, weitere Lebensmittel zu verkaufen. Es sei ihre Pflicht, stets 300 Malter Korn für die Bedürfnisse der Stadt auf Vorrat zu halten. Henquin tobte, die Truppen würden sich nicht mit schönen Worten begnügen, sondern nur mit Brot, das man ihnen alle vier Tage verabreichen müsse. Er führte den Getreidemangel auf die Nachlässigkeit zurück, mit der die Verordnungen gegen die Ausfuhr und gegen die Schnapsbrennereien vollzogen wurden. Im Dezember 1773 hatte die Luxemburger Ständeversammlung der Maréchaussée verschärfte Kontrollen befohlen. Die Hausdurchsuchungen brachten 18 unerlaubte Destillierkolben zutage. Doch der Strafvollzug blieb angeblich aus.110 Der kommandierende General und der Generalunternehmer bedrängten die Regierung, damit sie strengere Maßnahmen ergreife. Die Brüsseler Instanzen unternahmen dann auch, was in ihrer Macht stand. Das Verbot des Getreideexports wurde wiederholt, die Zollbeamten forderte man zu besonderer Wachsamkeit auf und der Staatsanwalt wurde angewiesen, gegen die Verstöße vorzugehen.111 Bei der Verlegung der Truppen versuchte die Obrigkeit, dem Unternehmer entgegenzukommen, so sehr es eben die strategischen Zwänge erlaubten. Dislokation und Verproviantierung sollten durchaus aufeinander abgestimmt sein. Die Lieferbedingungen beinhalteten eine Klausel, die ausdrücklich festhielt, dass keine Reiterei in der waldreichen Provinz Limburg stationiert werde.112 Da es auch im Herzogtum Luxemburg nur wenige Grasflächen gab und daher die Versorgung größerer Kavallerieverbände problematisch war, beruhigte man den Armeelieferanten mit der Versi108 AGR, CF, N° 2791, Depesche an den Finanzrat, Brüssel, den 27. November 1744. 109 AGR, CF, N° 2810, Brief von Henquin an Aerts, Luxemburg, den 20. April 1775. 110 Ibidem. 111 AGR, CF, N° 2810, Auszug aus dem Protokoll des Finanzrats, 27. April 1775. 112 AGR, CF, N° 2786, Lieferbedingungen vom 1. November 1731 bis 31. Oktober 1732, Brüssel, den 25. Oktober 1731, §10  ; AGR, CF, N° 2800, Lieferbedingungen vom 1. November 1768 bis 31. Oktober 1780, Brüssel, den 1. Dezember 1767, § 8.

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cherung, die Einheiten nicht zu weit auseinanderzulegen, sondern möglichst nahe an der Hauptfestung zu halten.113 In Ausnahmesituationen, so im Jahr 1729, als sich ein Expeditionsheer unter Feldmarschall Wallis in Luxemburg aufhielt, wurde zusätzlich zum Vertrag eine Liste mit den Orten und der Zahl der dort stationierten Soldaten vereinbart.114 Die Möglichkeit, Mehl aus den reichhaltigen Vorratsmagazinen der Garnison zu ziehen, verschaffte dem Unternehmer eine weitere Erleichterung.115 Anfang der 1730er-Jahre hatten die Österreicher drei Mehlmagazine in der Festung Luxemburg errichtet.116 Diese Reserven, die vom Proviantamt verwaltet wurden, waren nicht für den täglichen Verbrauch, sondern für einen Belagerungsfall gedacht. Da sich das Mehl aber nicht unendlich lang konservieren ließ, gestattete man dem Unternehmer, die Vorräte nach und nach zu verbacken und zu ersetzen. Dadurch wurde der Armeelieferant weniger anfällig für Marktschwankungen, er konnte sie sogar ausnutzen, um einen Gewinn zu erzielen. Sobald die Preise stiegen, griff er auf die Festungsmagazine zurück, welche er erst wieder auffüllte, wenn das Getreide billiger wurde.117

6.8 Be gü ns t igu ng de r Un t e r n e h m e r du rc h H a n de l s - u n d St eu e r f r e i h e i t Das Proviantwesen war aus dem Korsett der vielfältigen Handelseinschränkungen herausgelöst. Während im alltäglichen Wirtschaftsleben ein Wirrwarr von Straßengebühren, Wassergeldern, Stapelprivilegien, Zunftordnungen, Markttaxen und anderen Abgaben den Warenaustausch hemmten, genossen die Transaktionen, die dem Zwecke der Heeresversorgung dienten, eine Sonderstellung. Der Unternehmer der Brot- und Futterlieferungen für die Armee war von der Vielzahl der indirekten Steuern befreit. Sein Liefervertrag entband ihn ausdrücklich von der Entrichtung

113 AGR, CF, N° 2786, Lieferbedingungen des Generalunternehmers Renette für ein Jahr, vom 1. Novem������ ber 1728 bis 31. Oktober 1729, Brüssel, den 25. Oktober 1728, § 1. 114 ������������������������������������������������������������������������������������������������������� AGR, CF, N° 2786, « Liste des endroits ou la cavaillerie peut estre repartie dans la Province de Luxembourg », o. D. [Oktober 1728]. 115 Vgl. AGR, CF, N° 2786, Genehmigung für das Brot- und Futterunternehmen für das Militärjahr 1734–1735, Brüssel, den 27. November 1734. 116 Guy THEWES, L’intendance d’une place forte. Les infrastructures destinées au logement et à l’approvisionnement de la garnison, in  : Luxembourg Forteresse d’Europe. ����������������������������������� Quatre siècles d’architecture militaire, Luxembourg 1998, S. 83–107, S. 98. 117 AGR, CF, N° 2787, Überlegungen zu den Brot- und Futterlieferungen, o. D. [1738].

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Begünstigung der Unternehmer durch Handels- und Steuerfreiheit

der Stadtrechte und Wegzölle („droits de villes, barrières, écluses“).118 Beschaffung und Transport der Nahrungsmittel für das Heer sollten dadurch erleichtert werden. Doch die Ausnahmeregelungen, von denen der Armeelieferant profitierte, stießen auf heftigen Widerspruch. Die Geschädigten waren die Kommunen, die auf Einkünfte verzichten mussten, sowie die Pächter, die das Einnahmerecht der Gebühren teuer bezahlt hatten. Sie hatten die Kosten für die Steuergeschenke des Staates zu tragen. 1771 legten der Bürgermeister und die Schöffen der Stadt Antwerpen Protest beim Finanzrat ein.119 Der Getreidehändler Kepper weigerte sich, das sogenannte „Löffelgeld“ („droit de cuillère“ oder „droit de lousse“) zu zahlen, unter dem Vorwand, er habe die Schiffsladung Roggen an den Generalunternehmer der Heeresversorgung weiterverkauft. In den Augen des Antwerpener Rats konnte in diesem Falle keine Befreiung beansprucht werden, denn die Steuer traf den Verkäufer und nicht den Käufer. Die Stadtväter waren ganz offensichtlich entschlossen, das Löffelrecht, das die spanische Krone der Stadt 1679 für 300.000 Gulden verpfändet hatte, zu verteidigen. Doch Unternehmer und Händler hatten den Preis vereinbart in der Gewissheit, das Getreide zollfrei einführen zu können.120 Kepper hatte die Ware mehreren Interessenten angeboten, bevor er sie Carton überließ, da er glaubte, auf diese Weise kein Löffelgeld bezahlen zu müssen. Die Gewinnspanne, die aus der Differenz zwischen den Preisen mit und ohne Akzisen entstand, teilten sich Unternehmer und Verkäufer untereinander auf. Für den Unternehmer bedeutete dies, dass er das Korn zu niedrigeren Preisen als dem Marktpreis erwerben konnte. Trotzdem hatte er einen Vorteil gegenüber anderen Aufkäufern. Wegen der vermeintlichen Gebührenfreiheit verkauften die Anbieter das Getreide vorzugsweise an den Heereslieferanten. Auch in der Provinz Luxemburg brachten die Bauern ihre Ernteüberschüsse lieber in die Magazine des Militärunternehmers als auf den öffentlichen Markt.121 Generalunternehmer Felix Joseph Carton hatte ein weitläufiges Netz von Zulieferern aufgebaut und Verträge mit Großhändlern wie z. B. Arnould Sanctorum geschlossen, die 118 Vgl. AGR, CF, N° 2800, Lieferbedingungen vom 1. November 1768 bis 31. Oktober 1780, Brüssel, den 1. Dezember 1767, § 13. Die Befreiung von den Wegzöllen galt für das Getreide und die Futtermittel, nicht aber für das Holz, das für die Verbackung des Kommissbrotes benötigt wurde. Trotzdem versuchten Zulieferer, den gebührenfreien Transport der Brennmittel durchzusetzen. Vgl. AGR, CF, N° 2796, Gutachten des Finanzrats an den Generalgouverneur, Brüssel, den 21. August 1752. 119 AGR, CF, N° 2801, Klage des Bürgermeisters, der Schöffen und des Rats der Stadt Antwerpen an den Finanzrat, Antwerpen, den 13. Dezember 1771. 120 AGR, CF, N° 2801, Bittschrift von Generalunternehmer Carton an Karl von Lothringen, 9. November 1771. 121 AGR, CF, N° 2798, Brief von Rechtsanwalt („procureur“) Kleber an den Finanzrat, Luxemburg, den 11. Januar 1755.

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ihrerseits wiederum Lieferkontrakte mit Drittpersonen – dem Anschein nach handelte es sich hierbei um Großbauern – vereinbarten. Alle beanspruchten sie die Befreiung vom sogenannten „Soixantième“ (1/60), einer Umsatzsteuer, die in den Städten und Propsteien Luxemburg, Arlon und Remich erhoben wurde. Laut kaiserlicher Verordnung vom 23. August 1729 zahlten Käufer und Verkäufer jeweils die Hälfte des Steuersatzes, nur der Klerus, der Adel sowie die Bürger der Stadt Luxemburg waren davon befreit.122 Obwohl die fiskalischen Bestimmungen den Unternehmer der Armeelieferungen nicht erwähnten, war es Brauch, diesem die gleiche Abgabenfreiheit zu gewähren. Nun ließen die Mitarbeiter Cartons aber öffentlich verlauten, dass auch die Verkäufer ihren Anteil am „Soixantième“ nicht zu leisten brauchten, wenn sie es an das Proviantunternehmen ablieferten. Bald florierte unter dem Deckmantel der Armeeversorgung ein weitverzweigter Getreidehandel, an dem viele Unterlieferanten reichlich verdienten, ohne dabei Umsatzsteuer zu zahlen. Antoine Pescatore und Konsorten, die das Erhebungsrecht des „Soixantième“ für viel Geld gepachtet hatten, klagten über den Ausfall und bezichtigten die Beteiligten am Vertriebsnetz der Steuerhinterziehung.123 In der Tat blieb unklar, ob das Korn letztendlich der Heeresverpflegung diente oder mit Gewinn weiterverkauft wurde. Zwar verpflichtete die Regierung den Unternehmer, eine Empfangsbescheinigung auszustellen, die sogar vom Proviantamt gegengezeichnet sein musste, um den Schwarzhandel zu unterbinden. Doch in Wirklichkeit waren diese Scheine meist formlose Zettel ohne genaue Mengenangaben  ; Name und Datum waren oft nur mit Bleistift eingefügt.124 Die Pächter des „Soixantième“ wandten sich an die Regierung und stritten vor Gericht.125 Das Gesetz vom 23. August 1729 gab ihnen ganz offensichtlich recht. Sogar der Liefervertrag des Unternehmers sah vor, dass bei Getreideimporten nicht nur der Zoll, sondern auch der „Tonlieu“ – in diesem Falle der „Soixantième“ – zu entrichten sei. Dennoch entschied die Obrigkeit zugunsten des Generalunternehmers. An die Pächter des „Soixantième“ sowie an den Domänenrichter erging die Anweisung, keine Umsatzsteuer auf die Waren zu erheben, die für den Verbrauch der Truppen be-

122 AGR, CF, N° 2798, Verordnung von Karl VI. betreffend den Sechzigsten, 23. August 1729, § 7, § 8 und § 10. 123 AGR, CF, N° 2798, Brief von Kleber an den Finanzrat, Luxemburg, den 14. Dezember 1754  ; AGR, CF, N° 2798, Beschwerdebrief der Pächter des „Soixantième“ an den Finanzrat, Brüssel, den 20. März 1755. 124 AGR, CF, N° 2798, Brief von Domänerichter Mignon an den Finanzrat, Luxemburg, den 5. April 1755. 125 AGR, CF, N° 2798, Protokoll des Prozesses vor dem Domänenrichter zwischen den Einnehmern des „Soixantième“ und Nicolas Fouler, Einwohner von Kayl, vom 26. Februar bis 14. März 1755.

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Begünstigung der Unternehmer durch Handels- und Steuerfreiheit

stimmt waren.126 Die Befreiung beschränkte sich nicht auf den Generalunternehmer, sondern erstreckte sich auf alle Zulieferer. Wiederum hatten militärische Gesichtspunkte den Vorrang gegenüber zivilen Interessen erhalten. Generalunternehmer Carton hatte das Argument der Versorgungssicherheit ins Feld geführt und dabei die Unterstützung des Luxemburger Festungskommandanten Leutnant-Feldmarschall von Gemmingen bekommen.127 Die Taxierung veranlasse die Anbieter, das Getreide über die Grenze zu verkaufen, anstatt es in die Magazine zu bringen. Sie gefährde die Verpflegung einer großen Garnison in einer Provinz, die über wenige Ressourcen verfüge und umgeben sei von fremden Ländern. Die Angst vor einer Verknappung war umso wirksamer, als 1755, dem Zeitpunkt, als dieser Streit aufflammte, sich die internationale Lage zuspitzte. Österreich und Frankreich waren noch keine Verbündeten und ein erneuter Waffengang zeichnete sich in Europa ab. Die Brüsseler Regierung ging lieber kein Risiko ein und gab dem Militär und seinen Lieferanten recht, auch wenn dies auf längere Sicht die Domäneneinnahmen des Staates minderte. Unmittelbar waren es die Steuerpächter, die den Schaden hatten. Doch es gab noch weitere Interessengruppen, die sich durch die Aktivitäten des Armeelieferanten geschädigt fühlten. In den Garnisonsstädten versuchten die einheimischen Bäcker- und Müllerzünfte, ihr Monopol aufrechtzuerhalten. In einem an den Generalgouverneur gerichteten Gesuch forderte die Antwerpener Körperschaft der Müller 1770, dass Generalunternehmer Carton das für die Garnison benötigte Mehl durch sie mahlen lasse.128 Doch dieser weigerte sich, irgendwelchen Zunftzwängen zu gehorchen. Bald kam es zu erneuten Klagen der Gilden, die vom Magistrat der Stadt Antwerpen unterstützt wurden.129 1771 ließ Unternehmer Carton eigene Backöfen in der Stadt errichten, die er zur Herstellung der Brote für die Truppen benutzte. Bislang hatten ihm nur die Militäröfen in der Zitadelle zur Verfügung gestanden, doch diese waren eigentlich für die Benutzung während einer Belagerung gedacht. Sie waren in bombensicheren, aber feuchten Kasematten untergebracht, wo man sich

126 AGR, CF, N° 2798, Depesche des Finanzrats, Brüssel, den 5. März 1755. 127 AGR, CF, N° 2798, Brief von De Verniolle (Agent von Carton) an Baron von Gemmingen, Luxemburg, den 29. Januar 1755  ; AGR, CF, N° 2798, Brief von Baron von Gemmingen an den Generalgouverneur, Luxemburg, den 30. Januar 1755. 128 AGR, CF, N° 2801, Gesuch der Körperschaft der Müller der Stadt Antwerpen an den Generalgouverneur, 8. November 1770. 129 AGR, CF, N° 2801, Gesuch der Stadt Antwerpen an den bevollmächtigten Minister, Antwerpen, 12. August 1771.

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Brot und Futter

vor Enge kaum bewegen konnte.130 Der Bau von Öfen inmitten der Stadt rief bei den Zünften die Befürchtung hervor, dass diese Anlagen nicht nur der Armeeverpflegung dienen könnten, sondern missbraucht würden, um Brot zu backen, das an die Bürgerschaft illegal verkauft werde. Die Angestellten des Militärunternehmens könnten unter der Hand mit Mehl und Brot handeln. Den Bäckern und Müllern würde durch diese „Pfuscherei“ ihr Verdienst, der Stadtverwaltung dagegen ihre Akzisen entzogen. Die Zünfte beriefen sich in ihrem Protestschreiben auf ihre Privilegien und sogar auf die „Joyeuse Entrée“ von Brabant.131 Carton konnte jedoch seinen Liefervertrag mit der Regierung geltend machen, in welchem festgehalten war, dass er das Korn mahlen dürfe „dort, wo er es am besten für den Dienst finde“.132 Diese Satzung galt wohl auch für die Verbackung. Der Generalunternehmer war nicht gezwungen, die Produktion an das ortsansässige Handwerk zu vergeben. Er konnte das Brot in eigener Regie und frei von allen Abgaben herstellen. Nicht überall besaß der Unternehmer die Infrastruktur zur Verbackung. Als 1778 der Bayerische Erbfolgekrieg ausbrach, setzten sich die in den Niederlanden stationierten Einheiten in Bewegung, um Richtung Böhmen zu marschieren. Das kleine Ardennenstädtchen Marche avancierte zur wichtigen Durchgangsstation, wo die Truppen mit Brot versorgt wurden, bevor sie ihren Weg fortsetzten. Die Bannöfen waren die einzigen Vorrichtungen vor Ort, die groß genug waren, um den plötzlichen Massenbedarf zu decken. Sie waren von der Domänenverwaltung an eine Frau verpachtet worden. Generalunternehmer Aerts musste für die Herstellung der Brote auf diese Anlage zurückgreifen. Die Pächterin stellte die Benutzung der Bannöfen und die Bereitstellung des Brennmaterials mit 30 Luxemburger Stüber pro Schub Brot in Rechnung. Der Armeelieferant beschuldigte sie umgehend des Wuchers.133 Das Holz für einen Backofen voll Brot koste nur zehn Stüber neun Heller. Füge man noch ein Paar Stüber für den Gebrauch der Öfen hinzu, hätte die Frau allen Grund, zufrieden zu sein. Die Pächterin sah dies anders.134 Aerts Angestellte waren nicht gerade zim130 AGR, CF, N° 2801, Antwortschreiben des Generalunternehmers Carton auf die Vorwürfe des Magistrats der Stadt Antwerpen, o. D. [1771]. 131 AGR, CF, N° 2801, Gesuch der Stadt Antwerpen an den Finanzrat, Antwerpen, den 10. September 1771. 132 AGR, CF, N° 2800, Lieferbedingungen vom 1. November 1768 bis 31. Oktober 1780, Brüssel, den 1. Dezember 1767, § 14. « […] il sera libre de faire moudre les grains nécessaires à la garnison de cette ville [Gand] là où il trouvera convenir pour le bien du service, comme il l’est pour toutes les autres villes. » 133 AGR, CF, N° 2802, Depesche des Finanzrats an die Rechenkammer, 31. August 1778. 134 AGR, CF, N° 2802, Brief des Domäneneinnehmers von Marche an die Rechenkammer, Marche, den 19. September 1778.

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Begünstigung der Unternehmer durch Handels- und Steuerfreiheit

perlich mit den Geräten umgegangen. Seine Bäcker hatten mehrere Kessel, Eimer und Fässer zerbrochen, die die Frau ihnen ausgeliehen hatte, um den Teig zu machen. Die Öffnungen der Backöfen waren beschädigt worden. Ziegel mussten ausgebessert werden. Die Gesellen des Unternehmers hatten zusätzlich Profit aus dem Verkauf der Glut an die Stadtbürger geschlagen, anstatt diese der Pächterin zu überlassen, wie es die Abmachung vorsah. Überhaupt waren sie sehr verschwenderisch mit dem Holz umgegangen, obwohl es stimmte, dass das Kommissbrot eine längere Backzeit brauchte als das hochwertigere Bürgerbrot, das gemeinhin in den Bannöfen hergestellt wurde. Der Pachtvertrag verpflichtete die Frau in keiner Weise, ihre Öfen beim Durchmarsch von Truppen kostenlos herzugeben. Laut Vertrag zog sie jedes zwanzigste Brot einer Ofenladung ein. Im Falle des billigeren Roggenbrotes der Armee musste es mindestens jeder fünfzehnte Laib sein, damit die Kosten gedeckt waren. Der geforderte Preis war demnach gerechtfertigt. Finanzrat und Rechenkammer, die den Streitfall begutachteten, mussten der Pächterin beipflichten.135 Oberkriegskommissar Ettenau drohte dagegen, „durch den schlechten Willen dieses Weibes könnte es den Truppen Ihrer Majestät an Brot fehlen“.136 Auf seinen Druck wurde die Bedingung in den Pachtvertrag eingefügt, dass die Pächterin die Benutzung der Bannöfen in Zukunft gratis an den Unternehmer der Heeresversorgung abtritt.137 Finanzrat und Kriegskommissariat vertraten häufig gegenteilige Ansichten. Während die Zivilinstanz zögerte, den Generalunternehmer aller Gebühren und Regeln zu entheben, pochte die Militärbehörde auf eine völlige Freistellung. In einem Schreiben an den Generalgouverneur aus dem Jahr 1752 warnte der Finanzrat, die steuerliche Sonderbehandlung der Armeelieferanten öffne Betrügereien Tür und Tor, so zum Beispiel in Gent, wo der Unternehmer unter dem Vorwand der Truppenverproviantierung steuerfrei Getreide für Privatleute mahlen könne.138 Deshalb befürwortete die Brüsseler Wirtschaftsbehörde, dass der Lieferant des Heeres wie alle Bürger das Mahlrecht („droit de mouture“) bezahle. Das Kriegskommissariat setzte jedoch die vollständige Befreiung durch und ließ diese im Liefervertrag festschreiben.

135 AGR, CF, N° 2802, Brief der Rechenkammer an den Finanzrat, 25. September 1778  ; AGR, CF, N° 2802, Gutachten des Finanzrats an den Generalgouverneur, 28. September 1778. 136 AGR, CF, N° 2802, Brief von Oberkriegskommissar Ettenau an Staats- und Kriegssekretär Crumpipen, 1. September 1778. « […] la mauvaise volonté de cette femme, par laquelle les troupes des Sa Majesté pourroient manquer du pain […]. » 137 AGR, CF, N° 2802, Brief von Crumpipen an Baron de Cazier, 28. September 1778. 138 AGR, CF, N° 2796, Gutachten des Finanzrats an den Generalgouverneur, Brüssel, den 21. August 1752.

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Brot und Futter

6.9 K o s t e n e n t w ic k lu ng de r Ve r pf l e gu ng Die fiskalischen Vor- und Nachteile des Abkommens mit dem Unternehmer waren aber nicht die Hauptsorge der Brüsseler Finanzbehörde. Wichtig war der Preis, der bei der Vergabe der Brot- und Futterlieferungen herauskam. Folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Preise der Brotportionen und Futterrationen, soweit sie sich aus den vorhandenen Quellen ermitteln ließen. Wegen der besonderen wirtschaftlichen und militärischen Situation des Herzogtums Luxemburg hatte der Generalunternehmer die Möglichkeit, einen separaten Preis für diese Provinz zu bieten. Tabelle 8. Preise für Brot- und Futterrationen 1726–1784 (in Stüber und Heller) Laufzeit des Vertrages 01.11.1726– 31.10.1727 01.11.1727– 31.10.1728 01.11.1728– 31.10.1729 01.11.1729– 31.04.1730 01.05.1730– 31.10.1730 01.11.1730– 31.10.1731 01.11.1731– 31.10.1732 01.11.1732– 31.10.1733 01.11.1733– 31.10.1734 01.11.1734– 31.10.1735 01.11.1735– 31.10.1736 01.11.1736– 31.10.1737 01.11.1737– 31.10.1738

Brot Brot General­ Futterration Futterration (sechs Pfund) (sechs Pfund) unternehmer Niederlande Luxemburg Niederlande Luxemburg Lambert ­Renette Lambert Renette

3 St. 6 H.

Lambert Renette

2 St. 10 ½ H.

3 St. 3 H.

4 St. 9 H.

6 St. 3 H.

Lambert Renette

3 St. 3 H.

3 St. 3 H.

6 St. 7 ½ H.

6 St. 7 ½ H.

Lambert Renette

2 St. 3 H.

2 St. 6 H.

4 St. 3 H.

5 St 6 H.

3 St.

3 St.

6 St.

6 St.

2 St. 10 ½ H.

4 St.

4 St. 3 H.

5 St. 6 H.

2 St. 5 H.

3 St.

3 St. 10 ½ H.

4 St. 3 H.

2 St. 5 H.

3 St.

3 St. 10 ½ H.

4 St. 3 H.

Lambert Renette

Nicolas van Overstraeten/ Pierre Snoeck Nicolas van Overstraeten Nicolas van Overstraeten Nicolas van Overstraeten Nicolas van Overstraeten Nicolas van Overstraeten Nicolas van Overstraeten

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Kostenentwicklung der Verpflegung Laufzeit des Vertrages 01.11.1738– 30.04.1740 01.05.1740– 30.04.1741 01.05.1741– 31.10.1741 01.11.1741– 31.10.1742 01.11.1742– 31.10.1743 01.11.1743– 31.10.1744 01.11.1744– 31.10.1745 01.11.1745– 31.10.1746 01.11.1746–   ? 01.05.1749– 31.10.1750 01.11.1750– 31.10.1751 01.11.1751– Für 3 Jahre 01.05.1752– 31.10.1752 01.11.1752– 31.10.1753 01.11.1753– 31.10.1759 01.11.1759– 31.10.1768 01.11.1768– Für 9 Jahre

Brot Brot General­ Futterration Futterration (sechs Pfund) (sechs Pfund) unternehmer Niederlande Luxemburg Niederlande Luxemburg Nicolas van 3 St. 3 St. 4 St. 3 H. 4 St. 3 H. Overstraeten Nicolas van 4 St. 3 St. 9 H. 6 St. 5 St. Overstraeten Nicolas van 4 St. 4 St. 6 H. 6 St. 6 St. Overstraeten Nicolas van 3 St. 6 H. 5 St. 6 H. 7 St. 7 St. Overstraeten Nicolas van 3 St. 6 H. 5 St. 6 H. 7 St. 7 St. Overstraeten Nicolas van 3 St. 6 H. 3 St. 6 H. 8 St. 6 H. 8 St. 6 H. Overstraeten/Paul Walckiers Chrétien Diu/ 2 St. 9 H. 2 St. 9 H. 8 St. 8 St. 3 H. Egidius Bauwens Egidius Bauwens/ 3 St. 3 H. 3 St. 3 H. 8 St. 6 H 8 St. 6 H. Louis Henry/ Jean-François de Gotte Egidius Bauwens/ 4 St. 9 St. Jean-François de Gotte Egidius Bauwens/ 2 St. 3 H. 2 St. 3 H. 4 St. 3 H. Louis Henry/ Jean-François de Gotte Pierre Vanden2 St. 8 H. 2 St. 8 H. 4 St. 2 H. 4 St. 2 H. berghen Pierre Vanden2 St. 8 H. 2 St. 8 H. 4 St. 2 H. berghen Egidius Bauwens (in staatlicher Regie) Felix Joseph 3 St. 4 St. Carton Felix Joseph 2 St. 10 ½ H. 3 St. 5 St. 5 St. Carton Felix Joseph 2 St. 10 ½ H. 3 St. 5 St. 5 St. Carton Felix Joseph 3 St. 3 St. 5 St. 6 H. 5 St. 6 H. Carton (gestorben 1772)

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Brot und Futter Laufzeit Brot Brot General­ Futterration Futterration des Ver(sechs Pfund) (sechs Pfund) unternehmer Niederlande Luxemburg trages Niederlande Luxemburg 01.08.1773– Nicolas Aerts   ? 01.08.1784 Régie des vivres Quelle  : AGR, CF, N° 2786–2802

Der Preis für ein Brot von sechs Pfund oder drei Tagesportionen variierte um einen Mittelwert von drei Stüber. Er erreichte einen Höchstwert von fünf Stübern sechs Heller für Luxemburg und vier Stüber für alle anderen Provinzen unter dem Unternehmer Nicolas van Overstraeten. Der Preis von vier Stübern, der nach 1746 bezahlt wurde, kann auf die besondere militärische Situation zurückgeführt werden. Es herrschte Krieg und große Teile der Niederlande waren von feindlichen Armeen besetzt. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts lagen die Kosten der Truppenverpflegung im Herzogtum Luxemburg merklich über denen in den anderen Provinzen. Nach 1749 verschwand dieser Unterschied fast gänzlich. Dies kann einerseits durch eine Reduzierung der in Luxemburg stationierten Truppen erklärt werden, andererseits aber auch vielleicht auf eine Verbesserung der Ernährungssituation in dieser entlegenen Provinz hindeuten. Die Futterrationen für die Pferde waren größeren Preisvariationen unterworfen als das Brot. Der Preis konnte zwischen rund vier und neun Stübern schwanken. Höchstwerte wurden in der Zeit des Österreichischen Erbfolgekrieges erreicht. Es fällt demnach auf, dass der Unterhalt der Pferde teurer zu stehen kam als die Brotverpflegung der Soldaten. Insbesondere in Kriegszeiten, wenn alle Reiter der Kavallerieeinheiten beritten waren, stieg die Nachfrage nach Futtermitteln, und die Preise zogen kräftig an. In Friedenszeiten dagegen wurde die Zahl der Pferde verringert  ; nicht alle Dragoner oder Kürassiere verfügten über eine Montur, und die Preise fielen wieder. Der Umfang der Preisschwankung zeigt das Gewicht, das die Armee als Abnehmer von Hafer, Heu und Stroh hatte. Der Anteil in der Gesamtnachfrage war noch größer als bei den Getreidesorten für die Brotverbackung. Eine Erhöhung des Verbrauchs wirkte sich sofort auf die Preise aus. Die Ergebnisse, die während der öffentlichen Versteigerung der Heeresverpflegung erzielt wurden, beeinflussten maßgeblich das Gleichgewicht des Staatshaushaltes. Angesichts der Masse des Bedarfs bewirkte die geringste Preiserhöhung ein überdurchschnittliches Anschwellen der Ausgaben. Wenn es dagegen gelang, die Forderungen der Armeelieferanten zu drücken, bot sich ein großes Sparpotenzial. Am 30. Oktober 1736 berichtete Obersthofmeister Graf Harrach nach Wien  : „Heute morgen haben 238

Fehlender Wettbewerb bei der Auftragsvergabe und Intervention des Finanzrats

wir die Brot- und Futterversorgung für die Truppen versteigert. Dank der Anstrengungen des Marquis d’Herzelles [Präsident des Finanzrates], der sich keiner Mühe zu schade war, haben wir sie zu einem sehr vernünftigen Preis erhalten. Ich konnte noch nicht den genauen Unterschied zwischen dem Preis vom letzten Jahr und dem heuer erzielten berechnen, aber grob geschätzt denke ich, dass die Differenz nicht weniger als 140.000 Gulden beträgt.“139 Die Regierungskommission, die am 6. Oktober 1736 zusammenkam, hatte Einsparungen im Werte von insgesamt 175.674 Gulden kalkuliert, falls der Preis des Brots um einen Stüber und derjenige der Pferderation um zwei Stüber fiel.140 Es stand demnach viel Geld auf dem Spiel.

6.10 Fe h l e n de r We t t be w e r b be i de r Au f t r ag s v e rg a be u n d I n t e rv e n t ion de s Fi n a n z r at s Eine starke Konkurrenz konnte die Preise drücken. Doch bei der öffentlichen Auftragsvergabe waren kaum Interessenten anwesend. Es kam nicht zu dem erhofften Wettbewerb. Obwohl man die Versteigerung durch gedruckte Plakate in allen Provinzen der Österreichischen Niederlande angekündigt hatte, gab es 1731 nur ein einziges Angebot. Der Preis war dementsprechend hoch. Nicolas van Overstraeten und sein Partner Pierre Snoeck wollten das Brot für drei Stüber und die Futterrationen für sechs Stüber liefern.141 Im vorherigen Jahr hatte der Unternehmer Lambert Renette die Mundverpflegung für die Soldaten noch zum Preis von zwei Stüber und drei Heller sowie die Pferdeverpflegung für vier Stüber und drei Heller besorgt. Aber niemand unterbot das Angebot. Auch 1738 und 1741 blieb van Overstraeten konkurrenzlos.142 Er nahm jedes Mal als Einziger an der Submission teil. 1744 fanden 139 « On a passé ce matin l’entreprise des pains et fourrages pour les troupes et, par les soins du marquis d’Herzelles qui, en son particulier s’est donné des mouvements infinis pour cela, nous les avons eu à un prix les plus raisonnable. Je n’ai pu faire le calcul de la différence qu’il y aura entre le prix de l’année passé et celui de celluy faite ce temps mais à l’évaluer en gros, je pense que la différence ne sera guerre moindre de cent et quarante mille florins. » Brief von Graf Harrach an Marquis Rialp, Brüssel, den 30. Oktober 1736. Zitiert in Denis TOMBOY, Le marquis Ambroise-Joseph de Herzelles […], op., cit., S. 80. 140 Einsparungen auf das Brot  : 109.467 Gulden, auf das Futter  : 66.210 Gulden. AGR, CF, N° 2787, Ausgabenvoranschlag für das Militärjahr, das am 1. November 1736 beginnt, o. D. [1736]. 141 AGR, CF, N° 2786, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneurin, Brüssel, den 4. Oktober 1731. 142 AGR, CF, N° 2787, Vergabe der Brot- und Futterlieferungen für das Militärjahr 1738/1739  ; AGR, CF, N° 2790, Vergabe der Brot- und Futterlieferungen für das Militärjahr 1741/1742.

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Brot und Futter

sich zwar noch weitere Personen ein, doch diese hüllten sich in Schweigen.143 Danach gefragt, warum sie sich zierten, ein Angebot zu machen, war die Antwort, sie hätten gesehen, dass „in den vorhergehenden Jahren nicht immer derjenige den Zuschlag erhielt, der den günstigsten Preis im Finanzrat geboten hatte“.144 Seit 1726 hatten die Armeelieferungen nur einmal den Anbieter gewechselt. Bis 1731 war Lambert Renette damit betraut, dann übernahm Nicolas van Overstraeten das Generalunternehmen und monopolisierte es über dreizehn Jahre lang. Ging es bei der Auftragsvergabe mit rechten Dingen zu  ? Das Ausbleiben der Konkurrenz, die Monopolstellung eines einzelnen Unternehmers, die Höhe der Lieferpreise, all dies erweckte den Verdacht des Klüngels. Doch der Trésorier Général Graf Fonséca (1731–1734) und sein Nachfolger Graf Cuvelier (1734–1736) unternahmen nichts, um die offensichtlichen Missstände zu beheben. Währenddessen verschlechterte sich die Finanzlage des Staates zunehmend. Obersthofmeister Harrach drängte auf die Ablösung von Cuvelier und die Ernennung „eines Ehrenmannes“ an seiner Stelle.145 Im Juni 1736 wurde dann der Marquis Ambroise-Joseph de Herzelles zum neuen Vorsitzenden des Finanzrates ernannt. Nach Aussage Harrachs besaß er zwei Eigenschaften, die man selten in derselben Person antraf, nämlich Rechtschaffenheit und Kompetenz.146 Herzelles machte sich sofort nach seiner Amtsübernahme an die Sanierung des Staatshaushaltes. Als geübter Finanzmann wusste er, dass er auf der Ausgabenseite ansetzen musste. Ganz besonders fielen ihm die hohen Summen auf, die für die Armeelieferungen ausgegeben wurden, und er suchte nach Mitteln, diese kostengünstiger zu bekommen. Er verglich die Ergebnisse der letzten Versteigerungen mit den tatsächlichen Lebensmittelpreisen und stellte eine enorme Differenz fest.147 Herzelles berechnete den Gewinn des Unternehmers, der gleichzeitig ein Verlust für die Staatskasse war, auf 107.424 Gulden.148 Er schätzte, dass van Overstraeten dank 143 AGR, CF, N° 2791, Gutachten des Finanzrates, 16. November 1744. 144 « […] les autres aspirants affectent de se taire au Conseil et de n’y faire ni offre ni soumission parce qu’ils ont vu les années précédentes qu’on ne s’est point toujours tenu à celui qui disoit le moindre prix au Conseil […]. » AGR, CF, N° 2791, Gutachten des Finanzrates, 18. November 1744. 145 « […] Je me flatte que les affaires du service iroient mieux si nous pouvions être quitte de Cuvelier et avoir un homme d’honneur à sa place […]. » Brief von Harrach an Rialp, 20. Dezember 1735, zitiert in Denis TOMBOY, Le marquis Ambroise-Joseph de Herzelles […], op., cit., S. 62. 146 « […] un homme [Herzelles] qui eut toutte la probité et toutte la capacité requise, n’y ayant rien de si rare que de trouver ces deux qualités ensemble dans le memme sujet […]. » Brief von Harrach an Rialp, Brüssel, den 10. April 1736, zitiert in Denis TOMBOY, Le marquis Ambroise-Joseph de Herzelles […], op., cit., S. 64. 147 AGR, CF, N° 2787, Denkschrift von Marquis d’Herzelles über die Armeelieferungen und ihre Vergabe, o. D. [Mai 1737]. 148 AGR, CF, N° 2787, Kostenvergleich der Brot- und Futterlieferungen, o. D. [1736].

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Fehlender Wettbewerb bei der Auftragsvergabe und Intervention des Finanzrats

der hohen Preise und der Bevorzugung gegenüber anderen 600.000 Gulden in dieser Art von Unternehmen verdient hatte.149 Der neue Generaldirektor der Finanzen beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Es stellte sich heraus, dass zu diesem Zeitpunkt die Kriegskasse van Overstraeten zwischen 300.000 und 400.000 Gulden schuldete.150 Nicht viele Unternehmer verfügten über den nötigen Kredit, um solche Zahlungsrückstände zu verkraften. Van Overstraeten schreckte andere Bewerber kurzerhand ab, indem er gezielt Informationen über die Insolvenz seiner staatlichen Auftraggeber verbreitete.151 Wegen der vorherrschenden Vetternwirtschaft trauten sich andere Unternehmer nicht, gegen den Günstling der Militärbehörden zu bieten. Einerseits befürchteten sie Schikanen vom Kriegskommissariat.152 Andererseits zogen sie es vor, sich nachher mit van Overstraeten über Teillieferungen für eine Stadt oder für eine Provinz zu verständigen. Hätten sie sich gegen ihn gestellt, wären sie von dem übermächtigen Generalunternehmer nachher von den Zulieferungsverträgen ausgeschlossen worden. Die Zulieferer profitierten ebenfalls von den hohen Preisen. Je teurer van Overstraeten das Brot an die Armee verkaufte, desto mehr konnten sie als Unterhändler verlangen.153 Generalunternehmer und Zulieferer bildeten ein Kartell und teilten sich den Gewinn auf. Am 3. Oktober 1736 wurde eine Junta, eine Kommission, beim Obersthofmeister einberufen, um nach Lösungen zu suchen.154 An der Sitzung nahmen neben Graf Harrach der Generalkommandant der Armee, Kriegskommissar Gruber, Finanzdirektor Herzelles sowie die beiden Finanzräte Bervoet und Bellanger teil. Die Vertre149 « […] un homme [Van Overstraeten] qui a gaigné six cent mille florins dans ces sortes d’entreprises par les hauts prix et par la préférence sur tout autre qu’il a eu depuis six ans […]. » Brief von Herzelles an Rialp, Brüssel, den 25. September 1736, zitiert in Denis TOMBOY, Le marquis Ambroise-Joseph de Herzelles […], op., cit., S. 80. 150 AGR, CF, N° 2787, Ergebnisse der Kommissionssitzung vom 3. Oktober 1736 über das Brot- und Futterunternehmen, o. D. [1736]. 151 « […] La malheureuse courtresse de la Caisse de Guerre n’est que trop connue au public, sur tout depuis que dans la dernière passée le commis de van Overstraeten affecta de publier à haute voix – sans doute pour décourager les prétendants – qu’il étoit dû à son maître plus de 300.000 florins […]. » AGR, CF, N° 2787, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneurin, 17. september 1736. 152 AGR, CF, N° 2787, Überlegungen des Marquis d’Herzelles, erster Entwurf, o. D. [1737]. 153 « […] le peu de gens qui sont propres à ces sortes d’entreprises ne voient pas jour à pouvoir déplacer l’ancien entrepreneur portent leurs vues sur quelques parties de l’entreprise générale selon leur convenance et s’abstiennent de baisser sur lui, afin qu’en traitant en après avec lui il puisse reconnaître leur complaisance en leur faisant des conditions plus avantageuses à proportion du profit qu’il peut faire par son contrat général […]. ����������������������������������������������������������������������� » AGR, CF, N° 2787, Denkschrift von Marquis d’Herzelles über die Armeelieferungen und ihre Vergabe, o. D. [Mai 1737]. 154 AGR, CF, N° 2787, Ergebnisse der Kommissionssitzung vom 3. Oktober 1736 über das Brot- und Futterunternehmen, o. D. [1736].

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Brot und Futter

ter des Finanzrates schlugen radikale Maßnahmen vor. Die Zahlungskompetenz für die Armeelieferungen sollte den Militärbehörden weggenommen und dem Finanzrat übertragen werden. Der Vorschlag war gar nicht so abwegig, denn Letzterer kümmerte sich schon um andere Militärbereiche, wie zum Beispiel Unterkunft, Unterhalt der Festungswerke oder Versorgung der Truppen mit Brenn- und Beleuchtungsmaterial. Die Ausgaben für Brot und Futter würden in dem Falle nicht mehr von der Kriegskasse beglichen, sondern direkt auf die einzelnen Landstände angewiesen werden. In den Provinzen Hennegau und Luxemburg, wo die Ständevertretungen die Steuern zwar verteilten, aber nicht selber einzogen, wären es die Einnehmer Ihrer Majestät, von denen die Armeelieferanten ihr Geld bekämen. Dadurch würde das Vertrauen der Unternehmer wiederhergestellt, und es fänden sich mehr Anbieter. Die Landstände galten als zahlungssicherer als die hoch verschuldete Kriegskasse. Dies würde die Preise sinken lassen. Der Finanzrat erwartete Einsparungen im Wert von mindestens 60.000 Gulden.155 Die direkte Finanzierung durch die Landstände machte auch eine Aufspaltung des Generalunternehmens und die Vergabe der Lieferungen auf Provinzebene möglich. Gab es mehrere Unternehmer und nicht nur einen Generalunternehmer, wurden Preisabsprache und Günstlingswirtschaft schwieriger. Auch erhoffte man sich günstigere Bedingungen, wenn das Geschäft von vornherein aufgeteilt war. Denn die Zulieferungsverträge verschafften dem Generalunternehmer insgeheim hohe Gewinne. Beispielsweise hatte Lambert Renette 1727 den Zuschlag zum Preis von 3 ½ Stüber pro Brotration erhalten, die Brotlieferung für die Garnison in Mons aber für zwei Stüber an eine andere Person weitervergeben.156 Die Differenz strich der Generalunternehmer ein. Wenn nun der Staat die Lieferungen Provinz für Provinz vergab, fielen diese Margen weg. Experten schätzten die dadurch zu erreichende Kostensenkung auf 60.000 bis 80.000 Gulden pro Jahr.157 Doch die Militärspitze und vor allem das Kriegskommissariat schalteten auf stur. Gruber wetterte gegen die Vorschläge des Finanzrates.158 Sie würden die Kriegskasse in Misskredit bringen. Die Regierung sei verpflichtet, das Geld zu geben, das die Armee fordere. Alle Subsidien müssten in die Kriegskasse eingezahlt werden. Eine Aufteilung des Militärfonds käme der Zerstörung der Truppen gleich. Es folgte eine hitzige Debatte, in welcher der Marquis de Herzelles klarstellte, dass die Attitüde, 155 Ibidem. 156 AGR, CF, N° 2787, Denkschrift von Marquis d’Herzelles über die Armeelieferungen und ihre Vergabe, o. D. [Mai 1737]. 157 AGR, CF, N° 2787, Brief von Jean de Witt an den Finanzrat, Ath, den 17. Oktober 1736. 158 AGR, CF, N° 2787, Ergebnisse der Kommissionssitzung vom 3. Oktober 1736 über das Brot- und Futterunternehmen, o. D. [1736].

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Kollusion zwischen Militär und Unternehmern

zu sagen, „ich brauche so viel … geben sie es mir“, gegen jeden Sinn von guter Ordnung verstieß.159 Einziges Heilmittel war eine konsequente Sparpolitik. Auch Obersthofmeister Harrach war der Meinung, dass der Kredit der Kriegskasse irgendwann erschöpft sei und, wenn man jetzt keine Einsparungen vornehme, spätestens im nächsten Jahr der Sold nicht mehr bezahlt werden könne. Trotzdem trennte sich die Junta ohne Einigung. Auch eine zweite Sitzung drohte zu scheitern, doch buchstäblich in letzter Minute willigte der Armeekommandant ein, den Unternehmern die Wahl zu lassen, ob sie von der Kriegskasse oder von den Landständen bezahlt werden wollten.160 Mit diesem Kompromiss kam scheinbar wieder Spiel in die öffentliche Vergabe der Lieferungen. Tatsächlich fanden sich bei der Versteigerung für das Militärjahr 1736/1737 mehrere Kandidaten ein, die versuchten, van Overstraeten zu unterbieten.161 Es gab sowohl Angebote für die ganzen Niederlande als auch welche, die alle Provinzen ausschließlich Luxemburgs beliefern wollten. Andere wiederum beschränkten sich auf Luxemburg. Am Ende der Verhandlungen lagen jedoch zwei Bieter gleichauf, ein gewisser Henrion und Nicolas van Overstraeten, die beide überall in den Niederlanden das Brot für zwei Stüber fünf Heller und das Futter für drei Stüber 10½ Heller liefern wollten. Keiner der beiden wollte unter diesen Preis gehen. Van Overstraeten bekam dann doch wieder den Zuschlag. Im darauffolgenden Jahr wurde der Vertrag mit ihm noch einmal zu den gleichen Bedingungen um zwölf Monate verlängert, und im Herbst 1738, als man sich entschied, aufs Neue eine Versteigerung zu veranstalten, gab es keine Konkurrenten mehr.162 Van Overstraeten erhielt das Unternehmen für die Dauer von 18 Monaten.

6.11 K ol lus ion z w i s c h e n M i l i tä r u n d Un t e r n e h m e r n Die Unnachgiebigkeit, mit der sich die Militärspitze gegen eine Veränderung stemmte, stimmte die zivilen Staatsdiener misstrauisch. Herzelles überlegte, warum das Kriegskommissariat bei den Armeelieferungen derart mauerte. Es konnte nicht 159 « […] le marquis de Herzelles établit avec force que cette maxime de dire il me faut tant … donnez le moy, repugnoit au bon ordre […]. » AGR, CF, N° 2787, Ergebnisse der zweiten Kommissionssitzung vom 6. Oktober 1736 über das Brot- und Futterunternehmen, o. D. [1736]. 160 Ibidem. 161 AGR, CF, N° 2787, Vergabe der Brot- und Futterlieferungen für das Militärjahr 1736/1737. 162 AGR, CF, N° 2787, Genehmigung für das Brot- und Futterunternehmen für das Militärjahr 1737/1738  ; Vergabe der Brot- und Futterlieferungen für das Militärjahr 1738/1739.

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Brot und Futter

einfach nur die Sorge um das Wohl der Truppen sein. In zwei Denkschriften, von denen aber nicht sicher ist, ob die Entwürfe wirklich an das Generalgouvernement weitergeleitet wurden, versuchte Herzelles, ein wahres Bild von den Beweggründen der Militärverwaltung zu entwerfen.163 Nach seiner Meinung machten das Kriegskommissariat und der Generalunternehmer gemeinsame Sache. Als Gegenleistung für ihre Protektion ließen die höheren Militärbeamten und Offiziere sich den vollen Preis der Brotrationen und Futterportionen, die ihnen laut Besoldungsschema zustanden, von van Overstraeten bar ausbezahlen. Alle anderen Armeeangehörigen gaben dem Lieferanten einen Teil ab, wenn sie die Verpflegung in Geld und nicht in Natura erhielten. Folglich waren das Kriegskommissariat und das Militärkommando ganz besonders daran interessiert, dass die Lieferungen möglichst teuer übergingen  ; denn je höher der Preis, desto größer ihr Verdienst. „Es ist nicht verwunderlich, dass alle Angehörigen des Kommissariats in kürzester Zeit reich werden“, so Herzelles.164 Das, was der Finanzratsvorsitzende über das Gebaren seines Kontrahenten vorbrachte, ließ diesen in keinem guten Licht erscheinen. Das Kriegskommissariat belastete die Kriegskasse so, als wären alle Regimenter vollständig, dabei fehlte mindestens ein Sechstel der Mannschaft. Was geschah mit den überzähligen Rationen  ? Wer steckte die Differenz ein  ? Der Finanzrat hatte keinen Einblick. Das Kriegskommissariat behielt sich die Kontrolle des Kriegsfonds vor, der aus den Subsidien gespeist wurde. Mit dem Kapital der Kriegskasse agierte der Kriegskommissär wie ein Finanzier. Er nahm Kredite auf, handelte mit den Entlastungsbriefen (lettres de décharges), veräußerte im Voraus die Einkünfte. Darum wehrte er sich auch, dass seine Mittel beschnitten werden sollten, denn von ihnen hing sein finanzieller Spielraum ab. Herzelles beklagte, dass das Kriegskommissariat bei seinen Machenschaften den eigenen Profit im Sinn habe, nicht das Wohl der Monarchie. Der Finanzrat erhob kaum verhohlen den Vorwurf der Bestechlichkeit  : „[…] der verstorbene Renette und der jetzige Unternehmer van Overstraeten haben immer dafür gesorgt, die Protektion des Kommissariats auf sich zu ziehen […] so wurden sie reich, und mit dem Reichtum stieg die Protektion, denn es versetzte sie in die Lage, sich noch freigebiger zu zeigen.“165 Die Kritik des Finanzrats spiegelt das Misstrauen wider, das weite Kreise 163 AGR, CF, N° 2787, Überlegungen des Marquis d’Herzelles, erster Entwurf, o. D. [1737]  ; AGR, CF, N° 2787, Denkschrift von Marquis d’Herzelles über die Armeelieferungen und ihre Vergabe, o. D. [Mai 1737]. 164 « […] il n’est pas surprenant que tous ceux qui sont compris sous ce commissariat deviennent riches en peu de temps […]. » AGR, CF, N° 2787, Überlegungen des Marquis d’Herzelles, erster Entwurf, o. D. [1737]. 165 « […] feu Renette et l’entrepreneur moderne Van Overstraeten qui ont toujours eu soin de s’attirer

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Kollusion zwischen Militär und Unternehmern

der Habsburgermonarchie dem Kriegskommissariat entgegenbrachten. Nicht nur in den Niederlanden war diese Institution unbeliebt.166 Die Kriegskommissare standen allgemein im Ruf, gewissenlose Geschäftemacher zu sein. Kaiser Franz Stefan soll 1751 bemerkt haben, dass das Holz rar würde, wenn man Galgen bauen müsste, um jeden unehrlichen Beamten des Kommissariats aufzuhängen.167 Als im Frühjahr 1740 der alte Liefervertrag auslief, unternahm der Finanzrat einen erneuten Vorstoß, um das Monopol van Overstraetens zu brechen. Am ersten Versteigerungstag, am 11. April 1740, war dieser als Einziger anwesend und hatte ein horrendes Angebot gemacht  : 4½ Stüber für das Brot und sieben Stüber für das Pferdefutter.168 Der Preis war unannehmbar. Doch auch am zweiten Verhandlungstag blieb van Overstraeten ohne Konkurrenz. Der Finanzrat beschloss, ein wenig nachzuhelfen. Steuereinnehmer Gerber, ein getreuer Informant der Brüsseler Behörde, sondierte verschiedene Geschäftsleute in der Provinz Luxemburg, um ein Gegenangebot anzuregen.169 Er hatte Erfolg. In der nächsten Sitzung am 21. April bot der Agent Henrion an, das Brot in Luxemburg zum Preis von drei Stüber neun Heller und das Futter für fünf Stüber neun Heller zu liefern. Auftraggeber Henrions war Nicolas Gerardy, Schöffe der Stadt Luxemburg, der über-Jahre als Unterlieferant van Overstraetens Erfahrung im Proviantgeschäft gesammelt hatte.170 Nun ging der Finanzrat dazu über, auch die anderen Provinzen einzeln zu vergeben. Aus Protest verließ Kriegskommissar Gruber daraufhin die Sitzung. Doch der Finanzrat sollte recht behalten. Während keiner sich das Generalunternehmen zutraute, fanden sich Interessenten für einzelne Provinzen, die weniger forderten als van Overstraeten. Ein gewisser Hanius, vertreten durch den Agenten Mertens, bekam Flandern zugesprochen, und Brabant wurde dem Agenten Henrion zuerkannt. Van Overstraetens Monopolstellung schien gebrochen. Aber es kam letztendlich wieder ganz anders. Am 4. Mai erreichte den Finanzrat ein Dekret der Generalgouverneurin mit der Nachricht, van Overstraeten habe noch nachträglich eine Offerte gemacht, die unter den Submissionen für Luxemburg, Brabant und Flandern lag  : drei Stüber neun Heller das

la grande protection du commissariat […] avec cela ils se sont faits riche et ordinairement plus la protection augmente parce que l’on est fort en estat de faire des largesses […]. » AGR, CF, N° 2789, Denkschrift betreffend der Brot- und Futterlieferung, die am 25. April 1740 im Finanzrat versteigert werden soll, o. D. [1740]. 166 Oesterreichischer Erbfolge-Krieg 1740–1748 […], op., cit., 337–338. 167 Christopher DUFFY, The Army of Maria Theresa […], op., cit., S. 126. 168 AGR, CF, N° 2789, Vergabe der Brot- und Futterlieferungen vom 1. Mai 1740 bis 30. April 1741. 169 AGR, CF, N° 2789, Brief von Gerber an den Finanzrat, Luxemburg, den 21. April 1740. 170 AGR, CF, N° 2789, Gutachten vom Finanzrat an die Generalgouverneurin, 21. April 1740.

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Brot und Futter

Brot und fünf Stüber das Futter in Luxemburg sowie in allen anderen Provinzen vier Stüber für das Brot und sechs Stüber für das Futter.171 Die Erzherzogin verfügte, van Overstraeten mit den Lieferungen zu beauftragen. Wie war es zu diesem unerwarteten Umschwung gekommen  ? In einem Gesuch an die Generalgouverneurin hatte van Overstraeten noch beteuert, er könne sein Angebot wegen der Lebensmittelteuerung nicht reduzieren.172 Gleichzeitig kaufte er in Luxemburg die Getreidespeicher leer, um die Preise in die Höhe zu treiben und seine Konkurrenten aus dem Wettbewerb zu drängen.173 Als dann doch ein anderes Unternehmen ihn unterbot, war es nur die Protektion der Militärführung, die ihn rettete. Maria Elisabeth bemerkte sofort den Unwillen des Generalkommandanten und wagte nicht, sich über die Meinung des machtvollen Herzogs von Arenberg hinwegzusetzen.174 Sie berief eine Junta ein, doch der Austausch verlief ergebnislos. Während die Vertreter des Finanzrats dafür plädierten, die Lieferungen an die Mindestfordernden zu vergeben, bestanden die Militärverantwortlichen auf der Fortführung des Unternehmens durch van Overstraeten, mit der Begründung, nur jener könne die Sicherheit der Versorgung garantieren. Die Erzherzogin befand sich in einem Dilemma. Sollte sie gegen den Willen der Armeeführung handeln oder aber van Overstraeten den Vorzug geben, was hieße, den kaiserlichen Schatz um rund 50.000 Gulden zu schädigen  ? Ihr Obersthofmeister, Graf Harrach, befürwortete zwar innerlich die für die Staatsfinanzen günstigste Lösung, riet ihr aber den zweiten Weg zu gehen. Die Erzherzogin dürfe sich „ganz einfach nicht dem Risiko einer Bloßstellung aussetzen, welche die Freunde des Generalkommandanten durch ihren allmächtigen Einfluss [in Wien] bewirken könnten“.175 Maria Elisabeth gab daraufhin Arenberg Bescheid, wenn der Generalkommandant der Armee auf der Bevorzugung van Overstraetens beharre, würde sie diesem das Generalunternehmen zusprechen. Doch wenigstens

171 AGR, CF, N° 2789, Dekret der Generalgouverneurin an den Finanzrat, 4. Mai 1740. 172 AGR, CF, N° 2789, Gesuch von van Overstraeten an die Generalgouverneurin, o. D. [April 1740]. 173 « […] Il [van Overstraeten] ne discontinue pas d’achepter tout ce qui peut trouver. Il at encor achepté deux ou trois grenier de moinnes de cette ville et hier les Lorain luÿ en ont encor vendu et encor de Vienden plusieurs charios. Ils se ventent qu’ils feroit raffle de toutte a quelle prix que se soit pour les faire rencherir et nous metre hors d’estat de faire le service […].�����������������������������������  » AGR, CF, N° 2789, Auszug aus einem Brief aus Luxemburg vom 30. April 1740. 174 AGR, CF, N° 2789, Bericht Maria Elisabeths an Karl VI., 19. Mai 1740 (Kopie). 175 « […] il [Harrach] étoit au contraire de sentiment que je ne pouvois pas bonnement m’exposer au dementi que les amis du General Commandant par leur toute puissance pourroient effectuer […] mais qu’il convenoit a son avis que je sacrifiasse les cinquante mille florins ou environ de perte effective […]. » Ibidem.

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Konkurrenz und Monopole

die Etikette müsse gewahrt bleiben.176 Van Overstraeten sollte dazu überredet werden, ein neues Angebot einzureichen, das unter dem Preis seiner Konkurrenten lag. Der Differenzbetrag würde ihm heimlich gutgeschrieben werden. Tatsächlich bekam van Overstraeten unauffällig 45.000 Gulden als Ausgleich für sein Entgegenkommen aus der Kriegskasse ausbezahlt.177 Maria Elisabeth wollte vermeiden, dass sie selbst und ihr Minister noch einmal in eine solche Verlegenheit geraten würden. Deshalb bat sie ihren Bruder, Kaiser Karl VI., ein für alle Mal klare Richtlinien für die Vergabe der Armeelieferungen zu erlassen. Entweder solle der Finanzrat damit betraut werden oder aber das Kriegskommissariat, nicht aber beide Behörden. Auch sollte geklärt werden, ob das Unternehmen unterschiedslos an den Mindestfordernden vergeben werde oder nicht. Zu Lebzeiten Karls VI. erhielt Maria Elisabeth keine Erwiderung mehr auf ihr Gesuch. Erst im März 1741 kam eine sibyllinische Antwort aus Wien.178 Franz von Lothringen, der Gemahl Maria Theresias, schrieb der Tante in Brüssel, das Generalunternehmen solle weiterhin unter Mitwirken des Finanzrates und des Kriegskommissariats an den günstigsten Anbieter vergeben werden. Bei geringfügigen Preisunterschieden solle Ihre Erlauchte Hoheit aber immer der Person, die vom Generalkommandanten der Truppen gutgeheißen werde, den Vorzug geben.

6.12 K on k u r r e nz u n d Monop ol e Doch die Frage eines Preisunterschiedes bei konkurrierenden Anbietern stellte sich überhaupt nicht mehr. In den darauffolgenden Jahren gab es keine Alternative mehr zu van Overstraeten. Die Zivilbehörden, der Finanzrat sowie der bevollmächtigte Minister hatten zur Genüge gewarnt, dass sich der Verlust für die staatlichen Finanzen viel höher als einmalig 45.000 Gulden beziffern würde. Denn der Unterschied zwischen dem ersten Angebot van Overstraetens, als er ohne Konkurrenz war, und dem Preis, zu dem er sich schließlich unter Druck der Gegenanbieter herabhandeln ließ, 176 ��������������������������������������������������������������������������������������������� « […] d’une façon cependant qui sauveroit du moins le decorum du ministère du Conseil des finances […]. » Ibidem. 177 « […] cet expedient aiant été gouté par ledit General Commandant, celui-ci conjointement avec mon Grand Maître sont entrés en négociation avec Van Overstraeten et ils sont convenus ensemble d’une somme de 45.000 florins à laquelle se reduit la perte que V. M. fait pour la presente année […]. » Ibidem. 178 AGR, CF, N° 2790, Kopie der Antwort Ihrer Majestät an die Generalgouverneurin, dem Finanzrat zu seiner Information übergeben, Brüssel, den 8. April 1741.

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Brot und Futter

belief sich auf über 100.000 Gulden. Nach 1740 fanden sich keine Gegenanbieter mehr. Die Mitbewerber resignierten.179 Im April 1741 war van Overstraeten allein bei der öffentlichen Versteigerung und konnte, sehr zum Ärgernis des Finanzrats, den Behörden seine Bedingungen diktieren.180 Als der Finanzrat im Herbst 1742 anfragte, ob eine Submission stattfinde, wurde er informiert, Feldmarschall Graf von Neipperg hätte aus Zeitgründen einen direkten Vertrag mit van Overstraeten abgeschlossen.181 1743 ging man gleichermaßen vor.182 Erst nachdem der junge, energische Wenzel Anton Graf Kaunitz, der spätere Haus-, Hof- und Staatskanzler Maria Theresias, das Regierungsruder in den Niederlanden übernahm, wurden der Eigenmächtigkeit des Militärs wieder Grenzen gesetzt. Schon wenige Wochen nach der Ankunft des neuen bevollmächtigten Ministers im Spätherbst 1744 nahm der Finanzrat eine Ausschreibung der Armeelieferungen vor.183 Und es tauchten erneut andere Firmen auf, die zwar zögerten, dann aber doch van Overstraeten unterboten. Kaunitz akzeptierte das niedrigere Angebot der Unternehmer Egidius Bauwens aus Brüssel und Chrétien Diu aus Grammont. Der Generalkommandant bekam die Entscheidung und die Vertragsbedingungen nur noch „zu seiner Benachrichtigung“ mitgeteilt, wurde aber nicht mehr um sein Einverständnis gefragt.184 Bei der nächsten Vergabe nahm die Militärbehörde daraufhin ihre Revanche. Während überall im Land Plakate die öffentliche Versteigerung der Militärlieferungen vor dem Finanzrat ankündigten, traf das Kriegskommissariat eigenmächtig ein Abkommen mit den Unternehmern Egidius Bauwens und Louis Henry, das es

179 Der Agent Henrion, der immer wieder die Gegenangebote eingebracht hatte, forderte vom Staat eine Gratifikation, denn „durch seine Dienste, seine Mühe und seine Anstrengungen seit acht Jahren, dieses Unternehmen zu erlangen, habe er einen Gewinn von über einer halben Million zugunsten Ihrer Majestät erzeugt“. Doch er selbst hatte nur Spesen. „Alle seine Auftraggeber, verärgert und verprellt, weil er nichts erreichte, haben ihn mit einem ,wir werden uns ihrer annehmen, wenn sie uns das Verpflegungswesen verschaffen‘ bezahlt, eine Geldsorte die weder Klang noch Umlauf hat.“ « […] Par les soins, les peines et les mouvemens que le suppliant s’est donné depuis huit années pour obtenir cette entreprise il a fait profit à Sa Majesté plus d’un demi million […] Tous ses mandataires fâchés et rebutés de ce qu’il ne leur a rien procuré l’ont paié avec un ‹ nous aurons soin de vous lorsque vous nous obtiendrés les vivres et fourages ›, monnoïe qui n’a ni son ni cours. », AGR, CF, N° 2789, Gesuch des Agenten Henrion an den Finanzrat, o. D. [1740]. 180 AGR, CF, N° 2790, Gutachten des Finanzrats an die Generalgouverneurin, 24. April 1741. 181 AGR, CF, N° 2791, Brief des Finanzrats an den bevollmächtigten Minister, 5. September 1742. 182 AGR, CF, N° 2791, Liefervertrag zwischen dem Kriegskommissariat und den Herren Nicolas van Overstraeten und Paul Walckiers für das Militärjahr 1743/1744. 183 AGR, CF, N° 2791, Schreiben des Finanzrats an die Generalgouverneure, 16. November 1744. 184 AGR, CF, N° 2791, Schreiben des Finanzrats an die Generalgouverneure, 18. November 1744.

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zur Ratifizierung an den bevollmächtigten Minister schickte.185 Doch Kaunitz ließ sich nicht vor vollendete Tatsachen stellen. Erbost über so viel „Frechheit“, drohte er Kriegskommissar Pfanzelter, „die ganze Vergangenheit aufzurollen, um sie an gebührender Stelle geltend zu machen  ; denn er vermute, dass dies alles zum Ziel habe, die Autorität der Regierung zu mindern, welche er von jetzt an um jeden Preis zu verteidigen gewillt sei“.186 Bauwens und Henry wären gut beraten, sich im Finanzrat mit den anderen Kandidaten zu bewerben. Dies taten sie dann auch. Die Versteigerung geriet trotzdem zu einem Fiasko. Bei der ersten Sitzung waren acht Personen anwesend, von denen keiner sprach.187 Beim zweiten Anlauf gingen drei Offerten ein, die aber alle zum gleichen Preis konkurrierten. Schließlich stellte sich heraus, dass die drei Parteien auf Betreiben des Kriegskommissärs ein Absprache getroffen hatten. Der Vertrag, den Bauwens, Henry sowie De Gotte untereinander geschlossen hatten, lag schon im Kriegskommissariat bereit.188 Der Finanzrat konnte die Unternehmer nur zu einer leichten Preissenkung bewegen, unter Androhung, anderenfalls die Landstände mit der Lieferung zu betrauen.189 Später wurde dann noch offenbar, dass Bauwens und Henry Schmiergelder gezahlt hatten, um an den Auftrag zu kommen. Die Sache flog auf, als ein wütender Gläubiger sich in Wien beschwerte.190 Er hatte den beiden Unternehmern die Bestechungsgelder vorgestreckt und wartete vergebens auf die Rückerstattung. Nun rächte er sich, indem er Bauwens und Henry anzeigte. Doch der Niederländische Rat in Wien hätte lieber die Namen der Empfänger als jene der Geber gewusst. Der Präsident Silva-Tarouca forderte herauszufinden, wer diese korrumpierten Staatsdiener waren, die die Allgemeinheit und ihren Herrscher betrogen.191 Es kam aber offensichtlich zu keinen weiteren Konsequenzen. 185 AGR, Secrétairerie d’État et de guerre, N° 816, Brief von Kriegskommissär Karl Pfanzelter an den bevollmächtigten Minister, Brüssel, den 19. Oktober 1745. 186 « […] de récapituler tout le passé pour le faire valoir où il appartiendra, puisqu’elle suppose que tout cela a eu pour but la diminution de l’autorité du gouvernement qu’elle me paroit résolue de soutenir dorénavant à quelque prix que ce soit […]. » AGR, SEG, N° 816, Brief von Crumpipen an Pfanzelter, Brüssel, den 22. Oktober 1745. 187 AGR, CF, N° 2792, Brief des Finanzrats an den bevollmächtigten Minister, 22. Oktober 1745. 188 AGR, CF, N° 2792, Brief des Finanzrats an den bevollmächtigten Minister, 26. Oktober 1745. 189 AGR, CF, N° 2792, Brief des Finanzrats an den bevollmächtigten Minister, 30. Oktober 1745. 190 AGR, Chancellerie autrichienne des Pays-Bas, N° 980, Forderungen des Grafen Jacques Mac-Donnel zu Lasten der des Unternehmer Louis Henry und Egidius Bauwens, 1749–1750. 191 « […] étant trop important au service de Votre Majesté et à la bonne direction du gouvernement qu’on découvre qu’ils sont les mauvais sujets qui par un vil intérêt emploient le crédit de leurs personnes ou l’autorité de leurs charges à promouvoir et favoriser les desseins des particuliers et sacrifient à leur corruption la délicatesse de leur conscience et les obligations les plus sacrées de leur devoir […]. » Und weiter : « […] obliger Mac-Donel à révéler à Son Altesse Roïale ou au Ministre les personnes qui

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Die vielen Missstände in der Verwaltung, das ständige Gerangel zwischen den Instanzen, die unkooperative Haltung der Militärbehörden, dazu noch die unglückliche Kriegsführung der Österreicher in den Niederlanden müssen Kaunitz sehr bedrückt haben. Der bevollmächtigte Minister bat wiederholt um seine Abberufung aus Brüssel. „Deutlich sehe ich“, schrieb er an einen Freund, „all die Mängel, die Verwirrung und den bedauerlichen Zustand der öffentlichen Angelegenheiten, aber ich vermag das Mittel zur Heilung nicht zu finden. Dieser Umstand ist mir qualvoll, und er wird mich am Ende noch unterliegen machen“.192 Das Verdienst von Kaunitz war es aber, den Wettbewerb um die Armeelieferungen wieder offener gestaltet zu haben. Nach der Besatzungszeit durch die Franzosen im Österreichischen Erbfolgekrieg erfolgte die erste öffentliche Ausschreibung im Frühjahr 1749. Der Andrang war groß. Nicht weniger als zehn verschiedene Unternehmer oder Handelsgesellschaften nahmen an der Versteigerung teil.193 Die Preise fielen auf einen „historischen“ Tiefstand. „Niemand von uns“, berichtete der Finanzrat, „auch nicht der Kriegskommissar, der die ganze Zeit anwesend war, erinnert sich, jemals das Brot- und Futterunternehmen so günstig gesehen zu haben“.194 Ein Konsortium, bestehend aus den drei Unternehmern Egidius Bauwens, Louis Henry und Jean-François de Gotte, bekam den Zuschlag für alle Provinzen. Die Brotportionen wurden mit zwei Stüber drei Heller, die Futterrationen mit vier Stüber drei Heller vergütet. Nach Ablauf des Vertrages im Herbst 1750 konnten die Handelspartner diesen Preis nicht mehr halten. Bei der Versteigerung ging das Generalunternehmen an Pierre Vandenberghen.195 Doch dessen Angebot zu Niedrigpreisen – zwei Stüber acht Heller für das Brot und vier Stüber zwei Heller für das Futter – erwiesen sich auf die Dauer als nicht tragbar. Nach knapp neunzehn Monaten war Vandenberghen ruiniert. Am 20. Mai 1752 entband die Regierung ihn von seinen Verpflichtungen.196 Das gesamte se sont prêtées à favoriser ses desseins à prix d’argent, cette sorte des sujets étant une espèce dont on ne sauroit assez souhaiter le châtiment pour les empêcher de tromper ultérieurement le public et leur souverain […]. » AGR, Chancellerie autrichienne des Pays-Bas, N° 980, Bericht von Silva-Tarouca und Königsegg-Erps an die Kaiserin, Wien, den 23. Juni 1749. 192 Zitiert in Alfred von ARNETH, Kaunitz, Wenzel Anton Fürst, in  : Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 15, Leipzig 1882, S. 487. 193 AGR, CF, N° 2794, Vergabe der Brot- und Futterlieferungen, April 1749. 194 « […] Personne de nous ny le Chef Commissaire de guerre qui a été présent à tout ce qui s’est passé ne se souvient d’avoir vu l’entreprise des pains et fourrages à si bas prix […].�������������������������  » AGR, CF, N° 2794, Gutachten des Finanzrats an die Regierungsjunta, Brüssel, den 16. April 1749. 195 AGR, CF, N° 2795, Vergabe der Brot- und Futterlieferungen für das Militärjahr 1750/1751, 23. September 1750. 196 AGR, CF, N° 2796, Verzichtserklärung von Pierre Vandenberghen, 20. Mai 1752.

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Versorgungsnetz der Armee drohte einzustürzen. Der Staat musste einspringen und die Truppenverpflegung in eigener Regie übernehmen. Der bevollmächtigte Minister Botta-Adorno ließ vorsorglich größere Mengen Getreides importieren. Der frühere Unternehmer Bauwens führte Lieferungen in staatlichem Auftrag aus. In der Provinz Luxemburg war es der Leiter des Proviantamts Biber, der in der Notsituation die Zügel in die Hand nahm. Im September fand sich aber wieder ein Generalunternehmer in der Person des Geschäftsmanns Luc Felix Joseph Carton aus Ath.197 Der Schock durch den plötzlichen Bankrott Vandenberghens muss tief gesessen haben. Carton bekam einen angemessenen Preis. Da er sich als vertrauenswürdig und finanzkräftig erwies, verzichtete man fortan auf eine öffentliche Ausschreibung. Im Juli 1753 hatte zwar ein französisches Konsortium aus Paris ein durchaus interessantes Lieferangebot gemacht.198 Trotzdem war man mehr als froh, als Carton und Konsorten sich anboten, die Verproviantierung für weitere sechs Jahre sicherzustellen. Kriegskommissar Karl Pfanzelter war voll des Lobes  : „Sie sind sehr ehrliche Leute, Großhändler in Sachen Getreide, Leute mit Barvermögen und Kredit, denen man vertrauen kann, welche die Bedingungen ihres laufenden Kontrakts vollkommen erfüllt haben, die im Dienste der Truppen stehen, die nicht lügen und die einen nicht ständig mit ihren Geldforderungen belästigen, wie es die anderen getan haben.“199 1758 wurde der Vertrag von Carton um neun Jahre verlängert, 1768 dehnte man ihn um weitere neun Jahre aus.200 Der Finanzrat hatte zuerst seine Bedenken geäußert, sich über einen derart langen Zeitraum an einen Unternehmer zu binden.201 Sobald im Dezember 1758 durchsickerte, dass Carton eine Verlängerung seines Vertrages anstrebe, meldeten sich auch schon Konkurrenten. Ein gewisser Lamberts bot sich an, das Brot um 1 ½ Heller billiger zu liefern.202 Karl von Lothringen ließ sich aber auf kein Risiko ein. 197 AGR, CF, N° 2796, Auftragsbestätigung zugunsten von Luc Felix Joseph Carton, 11. September 1752. 198 AGR, SEG, N° 2690, Angebot für die Lieferung des Brots und des Futters an die Truppen Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin in den Niederlanden, Paris, den 29. Juli 1753. 199 « […] ils sont de très honnêtes gens, grands negotiants en grains, des gens en fond et credit, aux quels on peut se fier, qui ont parfaitement bien accompli les conditions de leur contract courant, qui servent bien les troupes, qui ne mentent point, et ne sont pas importun à demander à tout moment de l’argent comme les autres l’ont fait. » AGR, CF, N° 2797, Brief von Karl Pfanzelter an Karl von Lothringen, Brüssel, den 16. März 1753. 200 AGR, CF, N° 2798, Auftragsbestätigung zugunsten von Luc Felix Joseph Carton, Brüssel, den 21. Dezember 1758  ; AGR, CF, N° 2800, Genehmigung für die Weiterführung der Brot- und Futterlieferungen durch Luc Felix Joseph Carton, Brüssel, den 6. Februar 1768. 201 AGR, CF, N° 2798, Gutachten des Finanzrats an den Generalgouverneur, 9. Dezember 1758. 202 AGR, CF, N° 2798, Angebot von L. Lamberts, Brüssel, den 4. Dezember 1758.

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Es gab aber noch andere gute Gründe für die Fortführung des Vertrages mit dem bisherigen Unternehmer. Der Staat schuldete Carton nach nur sechs Jahren der Zusammenarbeit 113.312 Gulden neun Stüber und drei Heller für unbezahlte Lieferungen.203 Carton hatte auch 15.000 Sack Mehl in der Festung Luxemburg eingelagert, eine ungeheure Menge, auf der er nun saß, nachdem die Mehrzahl der Garnison nach Böhmen abmarschiert war. Unter diesen Umständen war es schwierig, sich von seinem Lieferanten zu lösen. Das Verpflegungssystem war schon wieder zu sehr in die Abhängigkeit eines Unternehmers geraten, um noch einmal die Fiktion der freien Ausschreibung zu bemühen. Als Carton 1767 die Fortführung seines Unternehmens für weitere zwölf Jahre beantragte, gewährte der Generalgouverneur ihm anstandslos die Verlängerung, auch wenn er sie auf neun Jahre einschränkte.204

6.13 Ge w i n n u n d Ve r lus t  : di e A r m e e v e r s orgu ng a l s R i s i ko g e s c h ä f t Alles in allem scheinen die Privatunternehmer die von ihnen erwartete Aufgabe erfüllt zu haben. Die Soldaten bekamen regelmäßig ihr Brot. Während in der Militärkorrespondenz öfters über Rückstände bei den Soldzahlungen geklagt wird, liegen keine Berichte über Engpässe in der Naturalverpflegung vor. Dennoch haftete an dem Privatunternehmertum der Makel der Profitgier. Der Finanzrat ließ selten eine Gelegenheit aus, die angebliche Bereicherung der Armeelieferanten zu kritisieren. Generalschatzmeister Herzelles schätzte den Profit, den van Overstraeten aus seinem Unternehmen in fünf Jahren geschlagen hatte, auf 600.000 Gulden.205 Auch aus einer anderen Rechnung des Finanzrats ging hervor, dass der Ertrag des Unternehmers bei über 100.000 Gulden jährlich liegen musste.206 Die Schätzungen des Kriegskommissariats ließen dagegen die Gewinne der Armeelieferanten bescheidener ausfallen. Pfanzelter veranschlagte die Nettoeinnahmen des Unternehmers Carton auf 12.883 Gulden im Jahr.207 Carton erwirtschaftete zwar durch die Brotlieferungen 203 AGR, CF, N° 2798, Antrag von Carton an den Generalgouverneur, Brüssel, den 14. November 1758. 204 AGR, CF, N° 2800, Depesche des Generalgouverneurs an den Finanzrat, Brüssel, den 14. Dezember 1767. 205 Brief von Herzelles an Rialp, Brüssel, den 25. September 1736, zitiert in Denis TOMBOY, Le marquis Ambroise-Joseph de Herzelles […], op., cit., S. 80. 206 AGR, CF, N° 2787, Kostenvergleich der Brot- und Futterlieferungen, o. D. [1736]. 207 AGR, CF, N° 2797, Brief von Kriegskommissar Pfanzelter an den bevollmächtigten Minister von Cobenzl, Brüssel, den 8. Mai 1754.

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in den Niederlanden einen monatlichen Überschuss von 4.241 Brabanter Gulden. Aber gleichzeitig verlor er jeden Monat 3.467 Gulden durch die Portionen, die er in der Provinz Luxemburg austeilte. Der Reingewinn des Lieferanten beschränkte sich demnach bei der Brotversorgung auf etwa 774 Gulden im Monat, zuzüglich 300 Gulden für die Futterlieferungen. Die Gewinnspanne des Unternehmers hing vom Verhältnis ab, in dem der Submissionspreis zum Marktpreis für Futter und Getreide stand. Letzterer konnte starken Schwankungen ausgesetzt sein. Deshalb waren die Erträge aus dem Rückkauf der Rationen ein wichtiger Bestandteil am Gewinn des Unternehmers.208 Der Geldwert der nicht konsumierten Brotportionen und Pferderationen war Verhandlungssache zwischen dem Unternehmer und den Regimentsoffizieren. In der Regel bezahlte der Unternehmer ein Drittel oder ein Viertel weniger als den Preis, den er von der Kriegskasse bekam.209 Die Differenz ging in seine eigene Tasche. So soll zum Beispiel der frühere Generalunternehmer Renette zeitweilig über 50.000 Gulden allein am Rückkauf verdient haben.210 Doch für den Unternehmer stellte sich das Problem, dass er nicht immer das nötige Bargeld hatte, um das Militär auszubezahlen. Er selbst bekam sein Geld erst, nachdem die Regimenter ihm die empfangenen Rationen quittiert hatten und er diese Belege der Kriegskasse vorweisen konnte. Deshalb griff er vor und stellte den Offizieren Gutscheine aus, sogenannte „Reversaux“ (Übertragungen). Diese Zettel zirkulierten bald ähnlich wie Papiergeld und gaben Anlass zu vielen Klagen, mit denen dann das Kriegskommissariat, aber auch andere Instanzen sich auseinandersetzen mussten. Nach Angabe von Karl von Pfanzelter befanden sich 1749 für etwa 100.000 Gulden Gutscheine in Umlauf, die durch van Overstraeten und Bauwens ausgestellt worden waren.211 Deshalb schlug der Kriegskommissar vor, diese Praxis zu verbieten. Allzu gerne hätte man auch den Gebrauch des Rückkaufs untersagt und dem Unternehmer nur die wirklich gelieferten Rationen ausbezahlt. Der Finanzrat warnte jedoch davor, den Unternehmern diese zusätzliche Einnahme wegzunehmen.212 Die Lieferanten wären versucht, den Verlust anderweitig wettzumachen, und man riskiere erhöhte Preise bei der Auftragsvergabe. 1770 setzte der Hofkriegsrat dann trotzdem ein Verbot des Rückkaufs durch. Die nicht in Anspruch genommenen Verpflegungssätze wurden den Offizieren fortan direkt von der Kriegskasse entgolten. 208 Zu der Praxis des Rückkaufs siehe auch S. 227–228. 209 AGR, CF, N° 2787, Mitteilung, o. D. [um 1736]. 210 AGR, CF, N° 2789, Brief von Gerber, Luxemburg, den 31. März 1740. 211 AGR, SEG, N° 817, Denkschrift von Kriegskommissar Karl von Pfanzelter, Brüssel, den 26. März 1749. 212 AGR, CF, N° 2794, Gutachten des Finanzrats, 13. März 1749.

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Brot und Futter

Prompt forderten die Erben Cartons einen Schadensersatz von 48.263 Gulden für die in den Jahren 1770 bis 1773 erlittenen Einbußen.213 Als Carton 1767 sein Preisangebot einreichte, hatte er den Erlös aus dem Rückkauf mit einkalkuliert. Die Versuche der staatlichen Instanzen, den Gewinn des Unternehmers abzuschätzen, lassen in der Regel einen wichtigen Aspekt außer Acht  : Das Liefergeschäft war mit erheblichen Risiken verbunden  ; der Unternehmer konnte auch viel Geld verlieren. In den acht letzten Monaten vor seinem Bankrott häufte Pierre Vandenberghen einen Verlust von 143.966 Gulden an.214 Die Armeelieferungen hatten ihn förmlich an den Bettelstab gebracht. „Seit dieser verhängnisvollen Zeit diene ihm die Arbeit seiner Hände als Ersatz für das verlustig gegangene Vermögen“, lamentierte der Pleitier in einem Bittbrief an die Regierung.215 Der finanzielle Untergang von Vandenberghen war voraussehbar. Im Herbst 1750 hatte er die Lieferungen zu einem außergewöhnlich niedrigen Preis ersteigert.216 Sein Angebot lag unter der Marke von drei Stübern, die man als kostendeckend ansah. Vandenberghen gab später zu, dass er schon während der ersten Laufzeit seines Vertrages Verluste einfuhr.217 Dennoch bot er im September 1751 die Brot- und Futterlieferungen für weitere drei Jahre zum gleichen Preis an. Insgeheim hoffte er, die erlittenen Verluste in der Folge ausgleichen zu können. Doch die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich. Die widrigen Witterungsverhältnisse des Winters 1751/1752 trieben die Marktpreise für Getreide in die Höhe. Der finanziell völlig erschöpfte Unternehmer begann nun, die in den Festungsmagazinen vorhandenen Kornreserven aufzubrauchen, ohne das konsumierte Getreide zu ersetzen, wie es sein Vertrag vorschrieb. Die Geschäftspartner des Generalunternehmers schlugen daraufhin Alarm. Am 26. Dezember 1751 wandte sich Louis Joseph Recq, Bürger aus Mons und Bürge Vandenberghens, an den bevollmächtigten Minister Botta-Adorno, um ihn vor dem drohenden Ruin des Unternehmens zu warnen.218 Doch dieser, alle Warnungen in den Wind schlagend, fragte Recq, ob er ein Christ sei und fügte gleich hinzu, er, Botta-Adorno, sei es, und er würde nicht erlauben, dass Vandenberghen zugrunde

213 AGR, CF, N° 2811, Bericht des Finanzrats, 30. März 1778. 214 AGR, CF, N° 2802, Bittschrift von Pierre Vandenberghen und seinen beiden Schwestern Isabella und Anna, o. D. [1781]. 215 « […] Depuis cette fatale époque, le travail de leurs mains leur aiant tenu lieu de fortune, ils tachèrent sans se rebuter de rien, de se procurer le simple nécessaire à une vie languissante et malheureuse […]. » Ibidem. 216 Siehe oben S. 266. 217 AGR, CF, N° 2796, Brief von Pierre Vandenberghen an den Finanzrat, o. D. [1752]. 218 AGR, CF, N° 2799, Beschwerdebrief von Louis Joseph Recq an den Finanzrat, o. D. [1759].

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Gewinn und Verlust  : die Armeeversorgung als Risikogeschäft

gehe. Der Unternehmer, seine Person und seine Güter stünden unter dem besonderen Schutz der Herrscherin, und man würde alle Betreibungen gegen ihn verhindern. Recq solle Vandenberghen weiterhin unterstützen.219 Der Unternehmer fuhr fort, seine Lieferungen auf Kredit zu finanzieren. Am Ende eines langen Winters war Vandenberghen dann pleite. Hoch verschuldet konnte er seine Gläubiger nicht mehr bezahlen. Niemand wollte ihm mehr Geld leihen, um mit Verlust Getreide für die Armee zu kaufen. In seiner Not forderte Vandenberghen vom Finanzrat eine Erhöhung des Brotpreises auf drei Stüber und eine Soforthilfe von 20.000 Gulden, um seine Kreditgeber zu beruhigen.220 Doch die Regierung zwang Vandenberghen, auf eine Weiterführung des Generalunternehmens zu verzichten und nahm die Lieferungen ab Mai 1752 in Eigenregie.221 Der gescheiterte Unternehmer sah sich selbst als Opfer unvorhersehbarer Umstände und gab den Launen des Himmels die Schuld für sein Unglück. „Die Geißeln des Himmels zeigten sich in unaufhörlichem Regen, der schreckliche Überschwemmungen bewirkte und das ganze Land verwüstete. Auf den Äckern faulte das Heu und das Getreide oder es wurde ganz vom Wasser weggespült.“222 Sicherlich hatten die Unbilden des Wetters eine Preissteigerung bedingt. Aber die Kunst des Spekulierens bestand darin, die klimatischen Risiken einzukalkulieren und zum richtigen Zeitpunkt, wenn die Marktpreise für landwirtschaftliche Produkte auf einem Tiefstand waren, Vorräte anzulegen. Vandenberghens Konkurrent, Egidius Bauwens, hatte im August 1751 auch ein niedrigeres Angebot für die Armeelieferungen eingereicht. Doch dann erhielt er die Nachricht, dass die Ernten in Frankreich sowie Nordeuropa hinter den Erwartungen blieben und ahnte eine Teuerung voraus. Wohlweislich nahm Bauwens sein Angebot zurück.223 Der Konkurs Vandenberghens zog weite Kreise. Er traf zuerst Finanziers wie Louis Joseph Recq, die das Geld für den Kauf des Getreides und der Futtermittel vorgestreckt hatten.224 Leidtragende waren aber auch die vielen Zulieferer und Beteiligten an der Herstellung der Brote, so z. B. die Zwischenhändler, die Müller, die Bäcker, 219 Ibidem. 220 AGR, CF, N° 2796, Brief von Pierre Vandenberghen an den Finanzrat, o. D. [1752]. 221 AGR, CF, N° 2796, Verzichtserklärung von Pierre Vandenberghen, 20. Mai 1752. 222 „Les fléaux du ciel se firent ressentir par des pluies continuelles qui causerent des inondations affreuses, ravagerent toutes les campagnes sur lesquelles les foins, grains et marsages pourirent ou furent entierement entrainés par les eaux.“ AGR, ����������������������������������������������������������������� CF, N° 2799, Gesuch von Pierre Vandenberghen an den Generalgouverneur, o. D. [1758]. 223 AGR, CF, N° 2795, Bericht des Finanzrats an den bevollmächtigten Minister, 25. August 1751. 224 AGR, CF, N° 2797, Schreiben des Finanzrats an den Generalgouverneur, 16. Mai 1754. Allein Recq hatte einen Geldbetrag von 20.661 für das Unternehmen zur Verfügung gestellt.

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Brot und Futter

die Fuhrleute oder die Handlanger. In einer Bittschrift an den bevollmächtigten Minister Botta-Adorno forderten die Sackträger der Stadt Brüssel 96 Gulden und sechs Heller ein, die Vandenberghen ihnen dafür schuldete, dass sie Hafer und Roggen von den Schiffen ausgeladen und in die Magazine geschleppt hatten.225 In einem anderen Antrag beschwerte sich Antoine Gabecke, Bäckermeister aus Brügge, er habe das Brot für die Garnison gebacken und warte noch immer auf seine Bezahlung.226 Auch der Luxemburger Kaufmann Arnould Sanctorum meldete Ansprüche in Höhe von 7.387 Gulden zehn Stüber und zwei Heller an.227 Da der ehemalige Unternehmer zahlungsunfähig war, wandten die Geschädigten sich an die Regierung. Doch diese verwies die Bittsteller an die Gerichte, um dort ihre Geldforderungen einzuklagen.228

6.14 De r Un t e r n e h m e r u n d s e i n Ne t z w e r k  : e i n e S c h at t e n w e lt Wenn viele Menschen vom Misserfolg des Generalunternehmers betroffen waren, kann man auch davon ausgehen, dass in guten Zeiten viele an den Gewinnen beteiligt waren. Die Leitung des Unternehmens lag zwar in der Hand eines van Overstraetens oder eines Cartons. Aber es gab eine weitere Anzahl an Personen, die am Geschäft partizipierten. Als 1752 eine Kommission einberufen wurde, um die Lieferungen der Unternehmer Henry, Bauwens und De Gotte aus den Jahren 1745 und 1746, also aus der Zeit des Österreichischen Erbfolgekrieges, zu begleichen, trat ein weitgespanntes Netz von Anteilhabern zutage. Der Gesamtbetrag von über 420.000 Brabanter Gulden musste zwischen 53 Gläubigern aufgeteilt werden.229 In den meisten Fällen blieben die Geschäftsverbindungen des Generalunternehmers unbekannt. Die Regierung interessierte sich nicht für die stillen Teilhaber. Der Vertrag für die Lieferungen wurde mit dem Generalunternehmer unterzeichnet und dieser trug die alleinige Verantwortung.230 1752 reichte ein gewisser Dionysius Ry225 AGR, CF, N° 2796, Bittschrift der Sackträger der Stadt Brüssel an den bevollmächtigten Minister, o. D. [1752]. 226 AGR, SEG, N° 818, Gesuch von Antoine Gabecke, Bäckermeister aus Bruges an den Generalgouverneur, o. D. [1752]. 227 AGR, CF, N° 2796, Abrechnung und Forderungen des Herrn Arnould Sanctorum für Brot- und Futterlieferungen, 10. September 1752. 228 AGR, SEG, N° 818, Vermerk von Kriegskommissar Pfanzelter, 19. Dezember 1752. 229 AGR, CF, N° 2796, Bericht der Kommission für die Liquidierung der Forderung von Henry, Bauwens und Konsorten, o. D. [1757]. 230 Die Archive des Brüsseler Finanzrats geben folglich keinen Aufschluss über die Unternehmer, ihre

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Der Unternehmer und sein Netzwerk  : eine Schattenwelt

kart Klage gegen den früheren Armeelieferanten Bauwens ein, da dieser ihm den Einblick in die Buchführung verwehrte. Beide seien Geschäftspartner. Die Behörden weigerten sich jedoch, sich in den Streitfall einzumischen. Kriegskommissar Pfanzelter erinnerte daran, dass die Regierung weder die Gesellschafter noch deren Abkommen untereinander kenne.231 Demnach waren weder das Kriegskommissariat noch der Finanzrat zuständig, sondern die Streitparteien hatten sich an ein Gericht zu wenden. Folglich sucht man in den Akten der Brüsseler Verwaltungsbehörden vergeblich nach Angaben über die Verästelungen des Lieferwesens. Hinweise tauchen eher zufällig in den Quellen auf. So geht aus einem Brief des Steuereinnehmers Jean Gerber an den Finanzrat hervor, dass die Stadtschöffen Nicolas Gerardy und Jean-Baptiste Dumont die Unterlieferanten des Generalunternehmers Renette in der Provinz Luxemburg waren.232 In einem anderen Schreiben verdächtigte Gerber seinen Kollegen, den Steuereinnehmer Jean-Baptiste Henron, mit van Overstraeten geschäftlich verbunden zu sein.233 Ab und zu enthalten die Beschwerdebriefe, die bei den Behörden eingingen, eine nähere Identifikation. Van Steen, einer der größten Geldgeber Vandenberghens, bezeichnete sich als „marchand à Bruxelles“, als Händler in Brüssel. Louis Joseph Recq gab an, Verwalter des Mont de Piété in Mons, also der Armenfürsorge zu sein.234 Doch anhand dieser wenigen Belege lässt sich noch kein soziales Profil der Unternehmer und ihrer Konsorten erstellen. Waren es, wie im Falle Gerardys und Dumonts, mehrheitlich Beamte und Juristen, die sich ihre in der Verwaltung gewonnene Erfahrung nutzbar machten  ? Oder waren es Leute, wie Henron, Einnehmer der fürstlichen Domänen, Regalien und Steuern, die dem Generalunternehmer die nötigen Liquiditäten verschafften  ? Oder überwogen Kaufleute mit Handelsbeziehungen und guter Marktkenntnis, welche die Getreidekäufe tätigten  ? Um das wirtschaftliche und soziale Netzwerk der Armeelieferungen zu erfassen, Bürgen und ihre Geschäftspartner. Für das Frankreich Ludwigs XIV. konnte Daniel Dessert dagegen seine biografische Untersuchung der Geld- und Finanzmänner, die hinter der französischen Machtpolitik steckten, dank der Unterlagen des „Conseil d’État et des finances“ machen. Dieses zentrale Organ nahm genaue Kenntnis von der Identität der Geschäftspartner und bewahrte die Bürgschaftsakten. Siehe Daniel DESSERT, Argent, pouvoir […], op., cit., S. 71–72. 231 AGR, SEG, N° 818, Bericht von Kriegskommissar Pfanzelter an den Generalgouverneur, Brüssel, den 19. August 1752. Zu der Person von Jean-Baptiste Dumont siehe Norbert FRANZ, Stadtmagistrat und Reformabsolutismus. Verwaltungsreformen in der Stadt Luxemburg im 18. Jahrhundert, in  : Angela GIEBMEYER/Helga SCHNABEL-SCHÜLE (Hg.), „Das Wichtigste ist der Mensch“. Festschrift für Klaus Gerteis zum 60. Geburtstag, Mainz 2000, S. 431–442, hier S. 432–433. 232 AGR, CF, N° 2794, Brief von Gerber an den Finanzrat, Luxemburg, den 28. Dezember 1748. 233 AGR, CF, N° 2789, Brief von Gerber an den Finanzrat, Luxemburg, den 7. März 1740. 234 AGR, CF, N° 2796, Brief von Recq und Van Steen, Brüssel, den 20. Mai 1752.

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müssten andere Quellenbestände, wie z. B. Gerichts- und Notarsakten oder Familienarchive, herangezogen und in mühsamer Kleinarbeit durchforstet werden. Diese Schattenwelt ans Licht zu bringen bleibt ein Desiderat der Forschung. Selbst über die Person des Generalunternehmers geben die vorhandenen Dokumente des Finanzrats kaum Aufschluss. Das Protokoll der Submission erwähnt manchmal den Herkunftsort der Anbieter  : Bauwens stammte aus Brüssel, Diu aus Grammont (Geraardsbergen), Carton lebte in Ath, bevor er seinen Wohnsitz nach Brüssel verlegte.235 Doch es informiert nicht über Berufs- oder Familienstand. Die beiden erfolgreichsten Generalunternehmer – van Overstraeten für die erste Hälfte und Carton für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts – gehörten sicherlich der gesellschaftlichen Elite in den Niederlanden an. Nicolas van Overstraeten war Grundherr von Welden in Ostflandern und mit Anne Marie Crasse (oder Craes), der Schwester des Suffraganbischofs von Paderborn, verheiratet. Karl VI. hatte ihn und seine Nachkommen in den Adelsstand erhoben.236 1744 verschaffte van Overstraeten seinem ältesten Sohn François Jacques die Stelle des Generaleinnehmers der Niederlande. Aus gut informierten Kreisen wurde berichtet, er habe als Gegenleistung auf ein Kapital von 300.000 Gulden verzichtet, das die Regierung ihm für Fourragelieferungen schuldete.237 Luc Felix Carton kam aus Ath, wo sein Vater schon Geld mit Lieferungen an die Armee verdient hatte.238 Seinen sozialen Aufstieg belegt die Ehe seiner Tochter Marie Catherine mit Philippe de Neny, dessen Vater Präsident des Geheimen Rates und somit einer der höchsten Beamten der österreichischen Verwaltung war.239 Hier verbanden sich Geld und Einfluss. Eine weitere Tochter Cartons, Hélène, hatte Walckiers de Vliringhe geheiratet, der einer reichen niederländischen Bankiersfamilie entstammte.240 Das Vermögen der Walckiers diente dann auch Felix Carton als Bürgschaft bei seinen Lieferverträgen mit der Armee.241

235 AGR, CF, N° 2791, Bericht des Finanzrats, 18. November 1744  ; AGR, CF, N° 2796, Gesuch von Luc Felix Carton, 2. November 1752. 236 Claude BRUNEEL/Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 470. 237 Brief der Witwe Proli, zitiert ibidem, S. 471. 238 AGR, CF, N° 2796, Gutachten des Finanzrats, 11. September 1752. 239 Claude BRUNEEL/Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 447. 240 AGR, CF, N° 2801, Gesuch der Kinder und Erben des verstorbenen Carton an den Generalgouverneur, o. D. [1773]. 241 AGR, CF, N° 2801, Auszug aus dem Protokoll der Finanzräte de Witt und Gilbert, 16. November 1772.

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6.15 D i e Ve r s ta at l ic h u ng de s Ve r s orgu ng s s y s t e m s, e i n e A lt e r n at i v e  ? Die Unzulänglichkeiten des Unternehmerwesens regten innerhalb der Regierungskreise eine Debatte darüber an, welches die vorteilhafteste Art sei, die Truppen zu verpflegen.242 Es gab zwei Alternativen, nämlich privates Unternehmertum oder staatliche Regie. Welche Organisationsform war die kostengünstigste für die öffentlichen Finanzen  ? Wer garantierte die größte Versorgungssicherheit, der Generalunternehmer oder ein vom Staat bestellter Leiter des Verpflegungssystems  ? Immer wieder gab es Überlegungen, eine Regie einzuführen, so z. B. im Vorfeld der Versteigerung der Armeelieferungen für das Militärjahr 1730/1731. Dem Finanzrat lag ein Bericht vor, dass Unternehmer Renette allein in der Provinz Luxemburg einen Gewinn von 87.900 Gulden im letzten Geschäftsjahr eingefahren habe.243 Der Autor des Berichts empfahl, aufgrund dieser Rechnung einen staatlichen Angestellten mit dem Ankauf des Getreides und der Futtermittel zu beauftragen. Vielleicht war die Erwägung einer Regie aber in diesem Fall auch nur eine Drohgebärde, um die Angebote bei der Versteigerung zu drücken. Rennette ging tatsächlich mit seinen Preisen runter. Als Ambroise-Joseph Herzelles den Vorsitz des Finanzrats übernahm und feststellen musste, dass bei der öffentlichen Vergabe der Lieferaufträge vieles im Argen lag, kam ebenfalls die Idee einer Regie auf. Herzelles Versuch, das Monopol van Overstraetens zu zerschlagen und die Konkurrenz zu beleben, scheiterte am Widerstand des Kriegskommissariats und der Militärführung. Der Unternehmer diktierte die Preise. Die zivilen Behörden suchten deshalb nach Wegen, wie sie das Heft wieder in die Hand nehmen konnten. Am 27. Dezember 1737 wies Statthalterin Maria Elisabeth den Finanzrat an, ein Projekt für eine staatliche Direktion der Brotund Futterlieferungen auszuarbeiten. Der Plan könne dann in Kraft treten, wenn die nächste Ausschreibung keine zufriedenstellenden Resultate ergab. Der Marquis von Herzelles verfasste daraufhin eine Denkschrift, in der er die Vorteile einer Regie bewies.244 Nach Meinung des Finanzratsvorsitzenden ließe sich die Militärverpfle242 Die Diskussion darüber, ob die Verproviantierung der Armee besser in den Händen von Unternehmern oder einer staatlichen Regie aufgehoben sei, wurde ähnlich intensiv in Frankreich geführt. Doch auch dort dominierte während des 18. Jahrhunderts die Versorgung durch private Geschäftsleute. Siehe dazu Stéphane PERRÉON, L’armée en Bretagne au XVIIIe siècle. Institution militaire et société civile au temps de l’intendance et des États, Rennes 2005, S. 104–106. 243 Projekt, die staatliche Regie der Brot- und Futterlieferungen in der Provinz Luxemburg ab dem 1. November 1730 einzurichten, o. D. [1730]. 244 AGR, CF, N° 2787, Bericht des Finanzrats an die Generalgouverneurin, 16. August 1738.

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gung mit 225.000 Gulden bestreiten, die man aus den Steuererträgen der Provinzen Hennegau, Luxemburg und Limburg entnehmen könne. Die Einnahmen der übrigen Provinzen würden weiterhin in die Kriegskasse zur Finanzierung der Löhne und anderer Militärausgaben fließen. Der Entwurf des Finanzrats sah nur eine partielle Regie vor.245 Gestrichen wurde das Zwischenglied des Generalunternehmers, der auf Landes- und Provinzebene agierte. In den Garnisonsstädten wollte man weiterhin die Verproviantierung an lokale Kleinunternehmer, ja sogar einfache Bäcker vergeben. Letztere würden sich mit geringen Gewinnspannen begnügen, da sie keinen Verwaltungsaufwand hätten und nicht wie der Generalunternehmer Büros mit vielen Angestellten unterhalten müssten. In den Städten, in denen sich keine Interessenten fänden, würde die Direktion selbst die Verproviantierung organisieren, ansonsten bliebe ihr nur die Gesamtleitung vorbehalten. Vernunftgemäß müsste aus dieser Reform eine erhebliche Einsparung resultieren. Der Generalunternehmer zahlte seinen Unterlieferanten weniger als den Preis, den er bekam. Durch die Regie würde die Staatskasse von diesem Unterschied profitieren. Die Provinz Luxemburg galt als „Stein des Anstoßes“ sowohl für ein Generalunternehmen als auch für eine staatliche Regie. Wegen ihrer Abgeschiedenheit und der großen Anzahl dort stationierter Truppen war die Verproviantierung besonders schwierig.246 Der Finanzrat bot dem dortigen Einnehmer der Kontributionen, JeanFrançois Gerber, im Oktober 1738 an, die Regie zu übernehmen.247 Doch dieser lehnte ab.248 Die Ernte war mittelmäßig, die Eichelmast ließ auch zu wünschen übrig und zu allem Überfluss hatte man versäumt, die Branntweinherstellung zu untersagen. Gerber sagte eine starke Steigerung der Marktpreise für das Getreide voraus. Wäre die Direktion früher an ihn herangetragen worden, hätte er 4.000 Malter Korn in Deutschland auf Vorrat eingekauft, um die Preise auf einem vernünftigen Niveau zu halten. Der Zeitpunkt war zu spät, um noch die nötigen Vorkehrungen zu treffen, vor allem weil der Vertreter van Overstraetens schon die Märkte leer gekauft hatte. In der Tat hatte dieser von dem Moment profitiert, als die Steuern fällig wurden und die Bauern Liquidität brauchten. Die Bauern besaßen nichts anderes, was sie kurzfristig 245 AGR, CF, N° 2787, Entwurf der Bedingungen für die Regie der Brot- und Futterlieferungen an die Truppen, o. D. [1738]. 246 « […] la livrance de Luxembourg a toujours été la pierre d’achopement tant pour la direction étant une place éloignée où il y a toujours grosse garnison que pour la mettre en entreprise […]. » AGR, CF, N° 2787, Denkschrift betreffend die Brot- und Futterlieferungen für die Truppen in den österreichischen Niederlanden, o. D. [1738]. 247 AGR, CF, N° 2807, Brief des Finanzrats an Jean-François Gerber, Brüssel, den 6. Oktober 1738. 248 AGR, CF, N° 2807, Brief von Jean-François Gerber an den Finanzrat, Luxemburg, den 12. Oktober 1738.

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in Geld umwandeln konnten, auch wenn sie später vieleicht gezwungen waren, selbst wieder Korn einzukaufen.249 Für kurze Zeit war dann das Getreide billig, auch wenn es nachher, unter dem Druck der Nachfrage, umso teurer wurde. Die Ausführungen Gerbers zeigen, wie flüchtig der Markt für Getreide war und wie viele Faktoren die Preisbildung beeinflussten.250 Das Geschäft mit der Heeresversorgung war eine langfristige Investition, denn es galt heftige, aber temporäre Schwankungen über einen längeren Zeitraum auszugleichen. Generalunternehmer van Overstraeten erhielt Ende Oktober 1738 die Armeelieferungen für weitere 18 Monate zugesprochen. Warum war der Plan, eine Regie einzuführen, nicht verfolgt worden  ? Das Kriegskommissariat hatte ohne Zweifel gegen das Vorhaben opponiert. Doch letztendlich ist auch nicht sicher, ob die Zivilbehörden von der Wirtschaftlichkeit einer staatlichen Leitung überzeugt waren. 1725 bis 1726 hatte der spätere Beisitzer der Rechnungskammer, Jacques Barret, die Armeelieferungen in Regie für den Finanzrat geleitet.251 Das Experiment wurde zum Fiasko. Barret hinterließ einen Schuldenberg, den er bis zu seinem Lebensabend nicht abtragen konnte.252 Noch zehn Jahre nach Ablauf der Regie wurden Privatpersonen und Körperschaften beim Finanzrat vorstellig.253 Sie alle hatten Roggen, Hafer und Heu geliefert und warteten auf ihr Geld. Viele Rechnungen blieben unbezahlt. Das bescheidene Beamtengehalt Barrets, der persönlich für die Misswirtschaft haftete, reichte nicht aus, um die geschuldeten Beträge zurückzuerstatten. Die letzten Gläubiger, unter ihnen die Abteien Echternach und Sankt Maximin aus Trier, verzichteten schließlich 1757 auf ihre Geldforderungen.254 Das Vertrauen der Zulieferer in eine staatliche Regie war dauerhaft gestört.255 249 « […] le dernier quartier de l’aide se paie à présent, le subside extraordinaire suivra immédiatement, le paysan n’a rien d’un débit plus prompte que les grains. Il les sacrifie pour se garantir de l’exécution, quoi qu’il prévoit que dans quelque tems il sera obligé de l’acheter lui-même. Ce mal pour être encore un peu plus éloigné, ne lui est point si sensible […]. » Ibidem. 250 Die extreme Nervosität des Luxemburger Getreidemarkts ist belegt in Étienne HÉLIN, Prix des céréales à Luxembourg […], op., cit., S. 209–210. Die Flüchtigkeit der Getreidepreise im Ancien Régime führte zu Versuchen, die Märkte zu regulieren. Siehe Karl Gunnar PERSSON, Grain Markets in Europe, 1500–1900. Integration and Deregulation, Cambridge 1999. 251 Jacques Barret, seit 1735 Beisitzer der Brüsseler Rechnungskammer, seit 1740 Rechnungsrat, pensioniert 1755, gestorben 1762. Claude BRUNEEL/Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 78–79. 252 AGR, CF, N° 2799, Zusammenstellung der geschuldeten Beträge von Rechnungsrat Barret für Brotund Futterlieferungen zwischen dem 1. Mai 1725 und dem 31. Oktober 1726, o. D. 253 AGR, CF, N° 2807, Depesche der Generalgouverneurin an den Finanzrat, Brüssel, den 20. Februar 1736. 254 AGR, CF, N° 2799, Brief von Michel Horman, Abt von Echternach, Echternach, den 9. März 1757. 255 […] depuis la direction de Monsieur Barete il n’a plus de crédit à espérer dans cette province […].

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Im Jahr 1752, nachdem der Generalunternehmer Vandenberghen Konkurs angemeldet hatte, blieb der Regierung nichts anderes übrig, als selbst in die Bresche zu springen und wenigstens vorübergehend eine Regie einzuführen. Was den Sonderfall Luxemburg betraf, schlug der Finanzrat vor, dem dortigen Leiter des Proviantamts Biber die Verproviantierung der Garnison anzuvertrauen.256 Doch in den anderen Provinzen wollte man keinen Angehörigen der zivilen oder militärischen Verwaltungsbehörden mit der Regie beauftragen. Die Leitung der Regie sollte ein Privatmann übernehmen, der Erfahrung im Liefergeschäft hatte und ein Netzwerk von Korrespondenten in den Städten und Marktflecken der Niederlande besaß. Der Kandidat des Finanzrats war Pierre Meulenberg, wohnhaft in Brüssel, ein Unternehmer, der die Truppen mit Holz und Kohle belieferte und sich schon 1748 für die Brotund Futterlieferungen interessiert hatte, dann aber bei der Vergabe zugunsten von Bauwens und Konsorten ausgestochen worden war.257 Doch das Kriegskommissariat zog den früheren Generalunternehmer Egidius Bauwens vor. Die Angestellten Meulenbergs könnten kaum schreiben  ; Bauwens, obwohl in allerlei Prozesse verwickelt, kenne sich besser aus, habe eine gute Feder und sei sehr gewissenhaft in seiner Buchführung.258 Nun begann das gewohnte Hickhack zwischen den beiden Behörden, bis schließlich Karl von Lothringen eine Entscheidung fällte und den Kandidaten des Kriegskommissariats als Lieferanten bestimmte, um die kurze Zeit bis zur nächsten Ausschreibung im Herbst 1752 zu überbrücken.259 1772 steckte das System des Generalunternehmens wieder in einer Sackgasse. Felix Joseph Carton, dessen Vertrag noch bis Ende Oktober 1777 lief, verstarb. Seine beiden Töchter und Erbinnen, Marie Catherine und Hélène Carton, entbehrten – laut eigener Behauptung – der nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse, um ein solches Unternehmen weiterzuführen. Sie forderten, von den Verpflichtungen ihres verstorbenen Vaters entbunden zu werden.260 Der Zeitpunkt war denkbar ungünstig gewählt. Die Marktpreise lagen über dem Lieferpreis, den Carton erhielt, und dessen Unternehmen war schon seit geraumer Zeit defizitär. In den Jahren AGR, CF, N° 2807, Brief von Jean-François Gerber an den Finanzrat, Luxemburg, den 12. Oktober 1738. 256 AGR, CF, N° 2796, Schreiben des Finanzrats an den Generalgouverneur, 20. Mai 1752. 257 Ibidem. 258 AGR, SEG, N° 818, Brief von Kriegskommissar Karl von Pfanzelter an den Generalgouverneur, Brüssel, den 2. Juni 1752. 259 AGR, SEG, N° 818, Brief von Kriegskommissar Karl von Pfanzelter, Brüssel, den 8. Juni 1752  ; AGR, CF, N° 2796, Schreiben des Finanzrats an den Generalgouverneur, 8. Juni 1752  ; Ernennungsurkunde von Egidius Bauwens, Brüssel den 12. Juni 1752. 260 AGR, CF, N° 2801, Protokoll der Finanzräte de Witt und Gilbert, 16. November 1772.

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von 1769 bis 1772 herrschte Krise. Die Agrarkonjunktur in den Niederlanden war während dieser Periode von einer starken Teuerung geprägt.261 Bei einer erneuten Versteigerung des Generalunternehmens würden die Preise sicherlich weit über dem Angebot Cartons aus dem Jahr 1767 liegen. Sollte unter diesen Umständen der Staat sich die Last einer Regie aufladen  ? Trug er dann nicht selbst das Risiko eines Verlustes  ? Der Finanzrat vertrat die Ansicht, dass seit der Reform von 1770 und der Einrichtung eines festen Militärfonds die Verpflegung der Truppen nicht mehr in seinem Kompetenzbereich lag, das Kriegskommissariat somit allein diese schwierige Entscheidung treffen müsse.262 Die Militärführung befürwortete eine Regie, doch knüpfte sie diese an verschiedene Bedingungen. Erstens sollte ein Höchstpreis fixiert werden, ab dem der Export von Getreide verboten werde. Zweitens sollten die Ausfuhrzölle heraufgesetzt werden und die Mehreinnahmen der Kriegskasse zugutekommen. Drittens sollte der Generalkommandant drei Monate im Voraus über eine Aufhebung der Exportbeschränkungen für Getreide informiert werden. Für den Finanzrat waren diese Forderungen inakzeptabel.263 Sie stellten einen Eingriff in die Wirtschafts- und Handelspolitik der Regierung dar. Die Regulierung des Getreidehandels gehörte zum Ressort des Finanzrats. Nun wollte das Militär mitreden und diesen für die Versorgung der Armee äußerst wichtigen Wirtschaftssektor auch kontrollieren. Doch der Finanzrat war zu keinen Zugeständnissen bereit. Er argumentierte, die allgemeinen Interessen des Staates hätten Vorrang vor den sehr spezifischen Bedürfnissen der Heeresverpflegung. Einerseits durfte der Getreidepreis nicht zu hoch sein, damit die Grundnahrungsmittel für das einfache Volk erschwinglich blieben. Andererseits durften die Preise aber auch nicht zu tief fallen, um den Grundbesitzern einen Anreiz für Investitionen zu bieten, denn eine blühende Landwirtschaft war die Basis für das Steueraufkommen.264 Die Regulierung des Getreidehandels musste versuchen, zwischen diesen gegensätzlichen Anliegen einen Ausgleich zu finden. Bei einer Änderung der Exporttaxen war absolute Diskretion angesagt, um möglichen Spekulationen keinen Vorschub zu leisten. Auch einer einseitigen Erhöhung der Zölle zugunsten der Kriegskasse erteilte der Finanzrat eine Abfuhr und berief sich auf das Abkommen von 1770, das die Dotierung des 261 Marché des céréales […], op., cit., S. 7. 262 AGR, CF, N° 2801, Protokoll der Finanzräte de Witt und Gilbert, 16. November 1772. 263 AGR, CF, N° 2801, Schreiben des Finanzrats an den Generalgouverneur, 28. Dezember 1772. 264 « […] L’on tâche d’y concilier les attentions qu’on doit avoir pour que les grains soient à un prix que le commun du peuple puisse subsister et que les propriétaires et fermiers des fonds de terre trouvent dans leur produit les moyens de faire fleurir l’agriculture et de payer les subsides accordés par les dits Etats […]. » Ibidem.

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Militärhaushalts auf drei Millionen Deutsche Gulden festgelegt hatte, ohne dass die Armee weitere finanzielle Forderungen stellen konnte. Die Militärführung gab die Idee einer Regie wieder auf. Im August 1773, ein halbes Jahr nach dem Tod Cartons, fand sich ein neuer Unternehmer in der Person von Nicolas Aerts.265 Seine Bürgschaft übernahm das Bank- und Handelshaus Proli, das auch die Generalsteuereinnahme der Niederlande kontrollierte.266 Die Versorgung des Heeres stand wieder auf sichereren Füßen. Bis Anfang der 1780er-Jahre blieb die Versorgung der Armee in privaten Händen. Dennoch hatte man in Wien den Gedanken einer Verstaatlichung des Versorgungssystems noch nicht aufgegeben. Unter Joseph II. kam es zu einer grundlegenden Neuordnung des Verpflegungssystems. 1784 wurde in den Niederlanden eine Proviantregie (Régie des vivres) eingerichtet, fast zeitgleich mit der Einführung des Generallandeskommissariats.267 Dieser Schritt bedeutete eine weitgehende Verstaatlichung der Militärversorgung. Die Brot- und Futterlieferungen wurden nicht mehr an einen Generalunternehmer vergeben, die Proviantregie übernahm dessen Aufgabenfeld. Das neue Amt schloss Verträge mit Lieferanten, kaufte Getreide ein und verwaltete die Vorräte. Die im Zuge der Klosteraufhebung geschaffene Religionskasse (Caisse de Religion) überließ dem Proviantamt eine Anzahl von kirchlichen Gebäuden zur Nutzung als Magazine.268 Leider ist die Tätigkeit dieser Behörde kaum durch Quellen belegt, so dass ihre Existenz auch in der Literatur fast gänzlich unbemerkt blieb.269

6.16 De r Rüc kg r i f f au f Stä n de u n d Un t e r ta n e n Die Einführung einer staatlichen Regie war aber nicht die einzige Alternative zu der Verpflegung durch Unternehmer. Die Schwierigkeiten mit den privaten Lieferanten, gepaart mit den Unzulänglichkeiten der staatlichen Verwaltung, regte die Suche nach anderen Versorgungsformen an. Nach den Erfahrungen im Bayerischen Erbfolgekrieg (1778–1779) ordnete der Hofkriegsrat eine Untersuchung über den Nahrungsmittelbedarf der Armee in den einzelnen Ländern der Monarchie an.270 Zusätzlich stellte 265 AGR, CF, N° 2801, Ernennungsurkunde von Nicolas Aerts, 12. August 1773. 266 Claude BRUNEEL/Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 501–504. 267 AGR, CF, N° 2802, Depesche an den Finanzrat, 12. Oktober 1784. 268 AGR, CF, N° 2802, Auszug aus dem Protokoll des Finanzrats Limpens, 18. Oktober 1784. 269 Die „Régie des vivres“ wird erwähnt in Jos DENYS und Henri NOWÉ, Inventaire […], op., cit., S. 124. 270 AGR, CF, N° 2802, Schreiben des Hofkriegsratspräsidenten Andreas Hadik an den Generalkommandanten in den österreichischen Niederlanden, Wien, den 12. Januar 1780 (Kopie).

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Der Rückgriff auf Stände und Untertanen

er die Frage zur Diskussion, ob es nicht besser wäre, wenn die Untertanen die Möglichkeit bekämen, die direkten Steuern nicht in bar zu leisten. Die dahinter stehende Idee war, dass die Steuerzahler, in der Mehrzahl Bauern, anstatt des Geldes Korn ablieferten, das dann zur Verproviantierung der Truppen benutzt werden konnte. Die Vorschläge des Wiener Hofkriegsrats wurden auch in den Österreichischen Niederlanden erörtert. Der Finanzrat bezog entschieden Stellung gegen eine Aufbringung der Kontribution durch Sachleistungen.271 Naturalsteuern waren wahrscheinlich die früheste Art von Einnahmen in Staaten, deren Wirtschaft überwiegend, wenn nicht gar ausschließlich durch die Agrarproduktion bestimmt wurde. Sie passten zu armen Ländern, in denen wenig Geld im Umlauf und die Absatzchancen gering waren. In solchen Ländern musste der Herrscher sich mit der Verteilung von Sachleistungen auf seine Untertanen begnügen, obwohl die Einziehung der Naturallieferungen mit vielen Mängeln verbunden war. „Die Nachteile vervielfachen sich insbesondere bei der Qualitätskontrolle, bei der Konservierung und der Zwischenlagerung der Lebensmittel, und noch mehr bei der Information [für eine effektive und gerechte Besteuerung]. Die Handhabung, die man einrichten muss, verliert sich in einer Unmenge von Details und ist immer anfällig für zahlreiche Unterschlagungen“, so die Schlussfolgerung des Finanzrats.272 Die Niederlande hatten schon seit Jahrhunderten einen sehr hohen wirtschaftlichen Entwicklungsstand erreicht. Die Einführung eines derart primitiven Steuersystems war demnach undenkbar. Überall in Europa ging der Trend im 18. Jahrhundert weg von Sachleistungen hin zu monetären Abgaben, auch wenn sich der Übergang in einigen Ländern relativ spät vollzog, so zum Beispiel in Dänemark erst 1763.273 In Frankreich hatte es sogar noch 1725 den Versuch gegeben, eine Naturalsteuer einzuführen, denn die Cinquantième wurde in Korn unmittelbar von den Ernteerträgen bezahlt. Innerhalb von zwei Jahren wurde diese Steuer aber wieder abgeschafft, da sie sich als nicht funktionsfähig herausstellte.274 Die Fragestellung der Militärhierarchie hatte folglich etwas Unzeitgemäßes und Rückschrittliches. In den Augen der Brüsseler Finanzräte war dagegen eine andere 271 AGR, CF, N° 2802, Gutachten des Finanzrats an den Generalgouverneur, 15. März 1780. 272 « […] Ces inconvéniens se multiplient particulièrement à l’occasion du contrôle de la qualité, de la conservation et de l’emmagasinage des denrées et plus encore à l’occasion du renseignement. On doit établir une manutention qui s’obscurcit dans la foule des détails et est toujours exposé à de nombreux abus […]. » Ibidem. 273 Peter Claus HARTMANN, Das Steuersystem der europäischen Staaten am Ende des Ancien Régime. Eine offizielle französische Enquete (1763–1768). Dokumente, Analyse und Auswertung. England und die Staaten Nord- und Mitteleuropas, München 1979, S. 119. 274 Richard BONNEY, The state and its revenues in ancien régime France, in  : Historical Research, Jg. 65, 1992, S. 150–176, S. 153–154.

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Frage sinnvoll, nämlich die, ob den Landständen bei der Heeresversorgung eine größere Rolle zukommen solle. Wäre es für den Herrscher von Vorteil, wenn die Ständevertretungen der Provinzen die Proviantlieferungen übernehmen würden  ? Neben der Wahl zwischen Privatunternehmen und staatlicher Regie tat sich demnach eine dritte Alternative auf. Der Finanzrat riet jedoch auch von dieser Möglichkeit ab.275 Wenn die Stände zu viele Verwaltungsaufgaben zugewiesen bekamen, riskierten sie ihre wichtigste Funktion, die Verteilung und Erhebung der Steuern, zu vernachlässigen. Auch würde durch die Vielfalt der Tätigkeitsbereiche die Kontrolle der Stände durch die Kommission für die Verwaltungen und Subsidienangelegenheiten erschwert. Der Finanzrat sprach den Ständevertretern eine besondere Kompetenz in Sachen Lebensmittelversorgung ab. Die Landstände wären gezwungen, die Lieferungen an Angestellte oder gar Privatunternehmer weiterzugeben. Der Kostenaufwand wäre dementsprechend hoch. Ein Hintergedanke könnte gewesen sein, das Defizit des Brot- und Futterunternehmens auf die Landstände abzuwälzen. Doch für den Finanzrat bestand kein Unterschied zwischen den Ressourcen des Landesherrn und den Einnahmen der Provinzen. Alles Geld, das die Landstände einnahmen, kam dem Herrscher zugute, direkt als Kontribution oder indirekt als Investition in Kanäle, Straßen und andere Einrichtungen, die den Wohlstand seiner Untertanen mehrten. Ein Verlust der Landstände war letztendlich ein Verlust in der Staatskasse. Aus diesen Gründen verwarf der Finanzrat eine ständische Verwaltung der Verproviantierung.

6.17 Zus a m m e n fa s s u ng „Wenn man eine Armee aufbauen will, muss man mit dem Magen anfangen  ; er ist die Grundlage.“ Dieser von Friedrich II. in seinen „Generalprinzipien vom Kriege“ formulierte Grundsatz trifft auch in hohem Maße auf die österreichischen Streitkräfte in den Niederlanden zu.276 Ohne Brot gab es keine Soldaten und ohne Futter keine Pferde. Die Versorgung der Truppen mit Lebensmitteln gehörte zu den wichtigsten Aufgaben des staatlichen Verwaltungsapparates. Die besondere Herausforderung lag in der Menge. Die Armee war ein Massenverbraucher, vielleicht der erste überhaupt im Europa der Frühen Neuzeit. Der Brotkonsum der niederländischen Truppen belief sich auf über 6.000 Tonnen im Jahr. 275 AGR, CF, N° 2802, Gutachten des Finanzrats an den Generalgouverneur, 15. März 1780. 276 Zitiert in Gustav Berthold VOLZ (Hg.), Die Werke Friedrichs des Großen. Bd. 6 Militärische Schriften, Berlin 1913, S. 15.

266

Zusammenfassung

Dem Habsburgerstaat fehlten die nötigen Strukturen und das Personal, um die Aufgaben der Heeresversorgung allein zu bewältigen. Das personell schwach besetzte Proviantamt war nur ein Überwachungsorgan. Die Beschaffung des Getreides und der Futtermittel, die Verbackung des Brotes, Transport und Lagerung wurden in die Hände privater Unternehmer gegeben. Dieser Fremdbezug von an sich öffentlichen Leistungen war eine gängige Praxis des frühneuzeitlichen Staatsbetriebes. Pächter zogen die indirekten Abgaben und die Domäneneinkünfte für den Staat ein. In den meisten Provinzen nahmen nicht von der Zentralregierung ernannte Einnehmer, sondern die Landstände die Erhebung der direkten Steuer vor. Die Auslagerung ganzer Tätigkeitsfelder, und eben auch der Verproviantierung der Armee, kann als ein Merkmal des „unfertigen“ frühmodernen Staates bewertet werden. Das Verpflegungssystem ruhte in den Niederlanden auf einem Vertrag, den die Regierung mit einem einzigen Generalunternehmer abschloss. Dadurch verringerte sich zwar der Verwaltungsaufwand, doch stieg auch das Risiko. Als der Generalunternehmer Pierre Vandenberghen 1752 Konkurs anmeldete, fiel nicht nur ein Lieferant, sondern das ganze Netz von Zulieferern aus. Vor allem aber begünstigte der Umstand, dass die Regierung nur mit einem Hauptlieferanten eine Geschäftsverbindung einging, Preisabsprachen und Monopolbildung. Die Auftragsvergabe geschah zwar durch öffentliche Versteigerung, doch in Wirklichkeit handelte es sich dabei um eine fiktive Wettbewerbssituation. In der Regel fand sich nur ein Anbieter. Die Preise wurden durch vorherige Absprache der Konkurrenten sowie in geheimen Verhandlungen zwischen dem Generalunternehmer und dem Kriegskommissariat bzw. dem Generalkommando fixiert. Der Finanzrat, der mehrmals versuchte, den freien Wettbewerb wiederherzustellen, in der Hoffnung, die Preise drücken zu können, scheiterte am Widerstand der Militärbehörden. Die Offiziersschaft hatte die Möglichkeit, sich die Naturalverpflegung vom Generalunternehmer in Geld auszahlen zu lassen und profitierte von hohen Brot- und Futterpreisen. Regierung und Armee befanden sich gegenüber den Unternehmern in einer Position der Abhängigkeit. Die privaten Akteure des Liefergeschäfts ersetzten nicht nur die fehlenden administrativen Kapazitäten des frühmodernen Staates, sondern glichen auch dessen Finanzierungsausfälle aus. Die Auslagerung der Armeeversorgung in private Hand ermöglichte eine Vorfinanzierung durch die Unternehmer. Der Generalunternehmer war zugleich Kreditgeber. Die Kriegskasse schuldete einem van Overstraeten und dessen Hintermännern mehrere Hunderttausend Gulden. In dieser Lage blieb der Regierung wenig Verhandlungsspielraum bei der Preisfixierung. Die Armeelieferungen boten den Unternehmern und ihrem weitgespannten Netzwerk von Zulieferern und Geldgebern große Gewinnchancen. Doch 267

Brot und Futter

gleichzeitig blieb es wegen der Unbeständigkeit des Getreidemarktes ein Risikogeschäft. Militärverwaltung und Unternehmer drängten die Regierung zu einer verstärkten Kontrolle des Getreidehandels. Sie forderten Ausfuhrbeschränkungen, Festlegung von Höchstpreisen, Verbot der Branntweinbrennerei und Zwangsverkauf der Vorräte. Die Getreidepolitik im 18. Jahrhundert wurde nicht nur von der Angst der Regierenden vor Hungeraufständen in den Städten angetrieben – ein Motiv, das die einschlägige Geschichtsliteratur immer wieder anführt –, sondern auch von der Sorge, die Heeresversorgung nicht genügend absichern zu können.277 Anderseits waren die Herstellung und der Verkauf von Lebensmitteln vielfältigen Regelungen und Einschränkungen unterworfen. Der Generalunternehmer und oft alle anderen Beteiligten an den Armeelieferungen beanspruchten Befreiung von Zunftregeln und Zöllen, von Marktgebühren und Wegegeldern. Der Finanzrat versuchte, die Forderungen von Lieferanten und Militär gegen die allgemeinen Wirtschaftsinteressen des Staates abzuwägen, doch musste er sich meistens dem Gebot der Truppenversorgung fügen. Das Verpflegungssystem nahm eine Sonderstellung in dem protektionistischmerkantilistisch geprägten Wirtschaftsumfeld ein. Das Unternehmertum stand regelmäßig in der Kritik und es wurde nach Alternativen für die Verproviantierung der Armee gesucht. Die Entwicklung schien in Richtung einer partiellen Verstaatlichung des Verpflegungssystems zu gehen. Doch die Einführung einer staatlichen Regie stieß lange Zeit auf unüberwindbare Probleme, so z.  B. mangelnde Kompetenzen der staatlichen Stellen, persönliche Haftung der Beamten für die Verluste oder fehlendes Vertrauen der Zulieferer. Das Generalunternehmen wurde erst unter Joseph II. abgeschafft und durch eine „Régie des vivres“ ersetzt. Die Beamten des erweiterten Proviantamtes hatten nun nicht mehr einen Großunternehmer und dessen Angestellte als Ansprechpartner, sondern schlossen mit vielen kleineren Unternehmern auf Provinz- und Lokalebene Lieferverträge ab. Der Staat bezahlte nicht mehr die Gewinnspanne des Generalunternehmers, hatte jedoch einen höheren Verwaltungsaufwand. Um die wachsenden Aufgaben der Heeresversorgung zu bewältigen und besser zu koordinieren, führte Joseph II. kurz nach Einrichtung der „Régie des vivres“ ein Generallandeskommissariat in den Niederlanden ein. 277 Z. B. Steven L. Kaplan führt die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, also eine gute „Policey“, als Beweggrund für die staatliche Getreidepolitik in Frankreich im 18. Jahrhundert an, erwähnt jedoch nicht die Zwänge der Militärversorgung. Siehe Steven L. KAPLAN, Le pain, le peuple et le Roi. La bataille du libéralisme sous Louis XV, Paris 1986, S. 20–21.

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Zusammenfassung

Auf der Suche nach einer größeren Versorgungssicherheit kam auch die Idee der Wiedereinführung einer Naturalabgabe auf. Die Untertanen hätten auf diese Weise direkt an der Verpflegung der Armee partizipiert und nicht über den Umweg einer Geldsteuer. Der niederländische Finanzrat lehnte entschieden ab. In der Debatte um das Steuersystem und die Versorgung des Militärs trat die Brüsseler Finanzbehörde als eifrige Verfechterin von Effizienz und Kontrolle im Staatsbetrieb auf. Doch die kaiserliche Regierung beanspruchte hier mehr, als sie tatsächlich zu leisten vermochte. Der Diskurs der Zentralgewalt traf nicht die Realität. Die Wirklichkeit war eine ganz andere. Die militärbedingten Belastungen der Zivilbevölkerung beschränkten sich niemals nur auf Geldzahlungen. Stets war die Präsenz der Armee auch mit Sachleistungen verbunden, die von den Landeseinwohnern abgefordert wurden. Die Bauern hatten Spanndienste zu leisten, die Stadtbürger mussten Soldaten logieren, und im Kriegsfall, wenn die Zahl der Truppen stieg, konnte durchaus die Geldkontribution durch die Abgabe von Fleisch und Korn ersetzt werden. Frondienste, Vorspann, Einquartierung und Requirierung gehörten zum Alltag des Ancien Régime, selbst in Friedenszeiten. Nicht nur dass die Militärbehörden öfters Naturallieferungen bevorzugten, in vielen Fällen waren sie auch auf diese angewiesen. Ein Verzicht hätte den Erhalt der Truppen gefährdet. Bei der Erhebung der Sachleistungen war, ähnlich wie bei den Geldleistungen, die Zusammenarbeit mit den Ständen unentbehrlich. Die Partizipation der Stände erleichterte den Zugriff der Staatsgewalt auf die Ressourcen der Untertanen, verschaffte Legitimation und sorgte für Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten.278 Die Kooperation mit den ständischen Verwaltungsstrukturen ersetzte die fehlende Präsenz der Zentralmacht auf lokaler Ebene. Die Landstände waren demnach ein wichtiger Bestandteil des Systems. Im Folgenden soll am Beispiel einer Region gezeigt werden, inwiefern die Landstände die Herausbildung eines Steuer- und Militärstaates mitgeprägt haben.279

278 Wolfgang REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt […], op., cit., S. 355. 279 Laut Petr MAT’A ein Forschungsdesiderat der neueren Ständeforschung. Siehe Petr MAT’A/Thomas WINKELBAUER, Einleitung […], op., cit., S. 37–38.

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Kapitel 7

Die Armee in der Provinz Die Partizipation der Landstände am Fallbeispiel Luxemburgs

Eine Untersuchung des Versorgungs- und Finanzierungssystems der Armee in den Österreichischen Niederlanden wäre unvollständig ohne eine Berücksichtigung des Beitrags der Landstände. Im Folgenden soll die Einbeziehung der ständischen Verwaltung in das Militärwesen der Habsburgermonarchie anhand der Truppenverpflegung in der Provinz Luxemburg aufgezeigt werden. In einem ersten Teil werden Aufbau und Tätigkeit der Luxemburger Ständeorganisation dargestellt. Ihre Entwicklung im 18. Jahrhundert ist geprägt von einer Ausweitung der Aufgabenfelder sowie einer fortschreitenden Integration in den Staatsbetrieb. In einem zweiten Schritt wird die Beteiligung der Stände an den Militärlieferungen behandelt werden. Ein besonderes Augenmerk gilt der Zeit des Österreichischen Erbfolgekrieges, da während dieser Periode wichtige Umbrüche sowohl im Versorgungssystem wie auch im Verhältnis zwischen Staat und Ständen stattfanden. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwiefern die ständischen Organe eine Mittlerrolle zwischen Armee und Untertanen im Bereich der Heeresverpflegung einnehmen konnten. 7.1 D i e Gr e n z e n de r Z e n t r a l i s i e ru ng Die Verwaltungsstruktur der südlichen Niederlande war ohne Zweifel sehr kompli­ ziert. Ratspräsident Patrice-François de Neny beschreibt in seinen „Mémoires historiques et politiques sur les Pays-Bas autrichiens“ die belgischen Provinzen als ein Gebiet, „wo die Rechte, die Bräuche, die Privilegien, die Ansprüche von jeder Provinz und von jeder Stadt sich unter einem anderen Gesichtspunkt präsentieren und wo sogar die Vielfalt der öffentlichen Einnahmequellen keine Einheitlichkeit in den Grundsätzen der Verwaltung erlaubt“.1 Der ausgeprägte Partikularismus der belgi1 « […] où les droits, les usages, les privileges, les prétentions de chaque province & de chaque ville, se présentent sous un aspect différent, & où la variété des sources des revenus publics n’admet même pas l’uniformité dans les principes de l’administration […]. » Patrice-François de NENY, Mémoires historiques […], op., cit., Bd. 2, S. 99.

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Die Grenzen der Zentralisierung

schen Provinzen setzte den Zentralisierungsbestrebungen der österreichischen Regierung Grenzen. Trotz der unter Haugwitz initiierten und von Kaunitz weitergeführten Verwaltungsreformen wurden die Niederlande kein moderner Zentralstaat. Die forcierte Vereinheitlichung Josephs II. mündete gar in einen offenen Aufstand, der von den Ständen ausging, dann aber weite Kreise der Bevölkerung erfasste. Bis zum Ende der österreichischen Herrschaft blieben die Niederlande ein Länderkonglomerat, das juristisch vor allem durch das Erbrecht des Herrschers zusammengehalten wurde. Als Herzog (Brabant, Limburg, Luxemburg), Graf (Flandern, Namur, Hennegau) oder Seigneur (Mecheln, Tournai und Tournaisis) verband der Fürst die Provinzen, die nach unterschiedlichen Verfassungen regiert wurden. Diese Situation galt mehr oder weniger für alle Territorien der „zusammengesetzten Monarchie“ der Habsburger.2 Dennoch stellten die Österreichischen Niederlande wegen der Macht der Stände, die sich ihre Rechte und Privilegien fast ausnahmslos bewahrt hatten, einen Sonderfall dar.3 Die Vertreter der habsburgischen Verwaltung in Brüssel waren sich der Eigenständigkeit der belgischen Provinzen durchaus bewusst. Manche von ihnen, und insbesondere Neny, plädierten deshalb für ein kooperatives Verhältnis zwischen dem Souverän und den Ständeversammlungen als Repräsentanten der Untertanen.4 Eine stabile Herrschaft setzte das Mitwirken der ständischen Eliten voraus. Zwar lag die legislative Gewalt uneingeschränkt beim Landesherrn und auch die Steuern wurden ausschließlich „durch die Autorität des Souveräns“ erhoben,5 aber die Erhebung der Abgaben erforderte die Bewilligung der Landstände, und deren Zustimmung erleichterte die Verabschiedung eines Gesetzes. „Die Vorsicht gebietet“, schrieb Neny in seinen Mémoires, „dass der [Herrscher] konsultiert, bevor er befiehlt, und dass er zuhört, damit man ihm ohne Klagen gehorcht“.6 Natürlich gab es auch Beamte, die eine härtere Gangart gegenüber den niederländischen Ständen einschlagen wollten. Kaunitz in Wien und Cobenzl in Brüssel befürworteten einen zentral geführten Verwaltungsapparat. Der Staatskanzler und der bevollmächtigte Minister wollten den Einfluss

2 Zum Begriff der „zusammengesetzten Monarchie“ siehe Wolfgang REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt […], op., cit., S. 44–47. 3 Renate ZEDINGER, Die Verwaltung der österreichischen Niederlande […], op., cit., S. 18–19. 4 Johannes KOLL, Zwischen Fürst und Volk. Politische Identität von belgischen Beamten im 18. Jahrhun�������� dert, in  : Jean-Paul LEHNERS/Claude BRUNEEL/Helmut REINALTER (Hg.), L’Autriche, les Pas-Bas […], op., cit., S. 39–48, S. 43 u. 47. 5 Patrice-François de NENY, Mémoires historiques […], op., cit., Bd. 2, S. 111 u. 153. 6 ��������������������������������������������������������������������������������������������������������� « […] la prudence exige qu’il consulte bien avant que d’ordonner, qu’il écoute pour être obéi sans représentation […]. » Ibidem, S. 111.

271

Die Armee in der Provinz

der Stände zurückdrängen, stießen dabei aber immer wieder auf den Widerstand des Generalstatthalters der Niederlande.7 Karl von Lothringen warnte vor einem Konflikt mit den Körperschaften der Provinzen  : „Es stimmt, dass die Untertanen dieses Landes extrem an ihren Privilegien hängen und dass ihre Eifersucht in dieser Hinsicht manchmal an Wahnsinn grenzt. Aber abgesehen davon, dass sie alle mit diesem Vorurteil groß geworden sind, wäre es um so gefährlicher, an dieser Saite zu rühren, da sie diese Privilegien als Grundgesetze des Staates ansehen, die ihnen von allen Herrschern durch einen Schwur bestätigt wurden. Dies verhindert jedoch nicht, dass man die Interessen Ihrer Majestät nicht mit selbigen Privilegien vereinbaren könnte, ohne einerseits auch nur einmal die Herrschergewalt zu kompromittieren und ohne andererseits die Geister zu verbittern.“8 Die konziliante Haltung Karl von Lothringens wurde oft auf seine ihm eigene, gutmütige Natur zurückgeführt. „Er hat sich zum Prinzip genommen, von aller Welt geliebt werden zu wollen“, meinte Kaunitz in einem Schreiben an Starhemberg.9 Und auch nach dem Geschmack von Cobenzl hatte der Prinz „zu viel der Güte“.10 Doch die Politik der Mäßigung, die der Generalstatthalter vertrat, spiegelt viel mehr als nur einen persönlichen Charakterzug wider. Sie entsprach einer politischen Grundeinstellung. Karl von Lothringen befürchtete nicht nur, dass allzu despotische Maßnahmen die politische Stabilität in den Niederlanden gefährdeten. Er war vielmehr überzeugt, dass man Staatswohl und Autonomie der Untertanen in Einklang bringen konnte. In dieser Überzeugung lag, bewusst oder unbewusst, viel Realitätssinn. Eine vollständige Zentralisierung war nicht machbar und erschien aus Kostengründen wahrscheinlich auch gar nicht wünschenswert.11 Die staatliche Bürokratie war viel zu schwach, um die Verwaltungsaufgaben auf allen Ebenen, auch den unte 7 Vgl. Michèle GALAND, Charles de Lorraine […], op., cit., S. 133–136.   8 �������������������������������������������������������������������������������������������������������������� « […] Il est vrai que les sujets de ce Païs-ci sont extremement attachés à leur privileges, et que leur jalousie à cet egard est quelques fois poussée jusqu’à la folie, mais independament qu’ils sont tous elevés dans ce préjugé, il seroit d’autant plus dangereux de toucher cette corde qu’ils envisagent ces memes privileges comme loix fondamentales de l’Etat, tous les Souverains les leur aiant confirmés par serment. Cela n’empeche pourtant pas qu’on ne puisse concilier le bien du service de Votre Majesté avec les memes privileges, sans jamais compromettre l’autorité souveraine d’un coté et sans aigrir les esprits de l’autre […]. » Zitiert nach Michèle GALAND, Un mémoire politique adressé par Charles de Lorraine à MarieThérèse et apostillé par le chancelier Kaunitz (1764), in  : Bulletin de la Commission Royale d’Histoire, Bd.160, 1994, S. 67–86, S. 74.  9 «  […] il a pris en même tems pour principe de vouloir se faire aimer de tout le monde […].  » Zitiert nach Renate ZEDINGER, Die Verwaltung der österreichischen Niederlande […], op., cit., S. 108. 10 « […] son trop de bontés […]. » Zitiert nach Michèle GALAND, Charles de Lorraine […], op., cit., S. 135. 11 Vgl. Wolfgang REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt […], op., cit., S. 196–198.

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Die Grenzen der Zentralisierung

ren, wahrzunehmen. Mindestens bis zu den Reformen der Französischen Revolution „blieb der Staat überall nach unten unvollständig“.12 Die Zentralmacht brauchte die Zusammenarbeit mit den Organisationsstrukturen auf der Provinz- und Lokalebene, den Grundherrschaften, den Stadtregimenten und den Landständen. Diese „örtliche Souveränität in Justiz, Kirche und Schule, Administration und Polizei“ (Gerhard Oestreich) konnte gegebenenfalls ein Hindernis darstellen.13 Aber meistens erleichterte ihr Mitwirken den Zugriff der Staatsgewalt auf die Ressourcen der Untertanen. Die Ständeversammlungen gaben durch ihre Einwilligung Legitimation. Sie standen der Bevölkerung näher als die Zentralregierung und hatten deshalb eine bessere Kenntnis der konkreten Verhältnisse. „Von den Ständen wird erwartet, dass sie die Bedürfnisse und Mittel des Volkes kennen“, so Geheimratspräsident Neny, um zu erklären, warum seine Behörde mehrfach den Rat der Provinzkörperschaften einholte.14 Die Landstände konnten der fürstlichen Verwaltung in vielfacher Hinsicht nützlich sein  : als Informanten und Berater, beim Zugriff auf die Steuermittel, aber auch in vielen anderen Bereichen, wie z. B. beim Unterhalt des Straßennetzes oder bei der Sicherstellung der Truppenverpflegung. Mit zunehmender Ausdehnung und Komplexität der Herrschaftsaufgaben wuchs auch die Partizipation der ständischen Kräfte am Staatsbetrieb. Insbesondere auf dem Gebiet der Finanz- und Heeresverwaltung erbrachten die ständischen Organe wichtige administrative Leistungen. Der alte Antagonismus von Zentralgewalt und Landständen rückte in den Hintergrund zugunsten einer immer enger werdenden Zusammenarbeit.15

12 Hans-Ulrich WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Erster Band Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700 – 1815, München 1987, S. 228. 13 Gerhard OESTREICH, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in  : idem, Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Gesammelte Abhandlungen, Berlin 1969, S. 335. 14 « […] les états sont censés connoître les besoins & les ressources des peuples […]. » Patrice-François de NENY, Mémoires historiques […], op., cit., Bd. 2, S.112. 15 Aktuelle Tendenzen in der Ständeforschung lehnen das dualistische Modell der ständisch-monarchischen Beziehung ab und betonen dagegen den Beitrag, den die Stände in der Herausbildung eines Steuer- und Militärstaates geleistet haben. Siehe Petr MAT’A/Thomas WINKELBAUER, Einleitung  : Das Absolutismuskonzept, die Neubewertung der frühneuzeitlichen Monarchie und der zusammengesetzte Staat der österreichischen Habsburger im 17. und frühen 18. Jahrhundert, in  : Petr MAT’A/Thomas WINKELBAUER (Hg.), Die Habsburgermonarchie […], op., cit., S. 7–42, S. 38  ; Petr MAT’A, Landstände und Landtage in den böhmischen und österreichischen Ländern (1620–1740). Von der Niedergangsgeschichte zur Interaktionsanalyse, in  : Petr MAT’A/Thomas WINKELBAUER (Hg.), Die Habsburgermonarchie […], op., cit., 345–400, S.352–353.

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Die Armee in der Provinz

7.2 Da s H e r z o g t u m Lu x e m bu rg u n d s e i n e Ve rwa lt u ng s s t ru k t u r e n In der Folge soll nun am Beispiel einer Provinz gezeigt werden, wie sich die Kooperation zwischen den verschiedenen Ebenen in der Praxis gestaltete. Für eine derartige Fallstudie bietet sich das Herzogtum Luxemburg förmlich an. Das „Herzogtum Luxemburg und Grafschaft Chiny“, wie dieses Territorium offiziell hieß, hatte eine hohe militärische Bedeutung für die Habsburgermonarchie. Es dehnte sich im Raum zwischen Obermosel und Obermaas über eine Fläche von etwa 9.185 km2 aus. Der Hauptort, die Stadt Luxemburg, war eine der stärksten Festungen der Niederlande. Patrice-François de Neny behauptete sogar, es sei „die schönste Festung von Europa“.16 Luxemburg war ein wichtiger Militärstandort, dessen Verteidigung ein beachtliches Truppenkontingent erforderte. In den Kasernen der Festung konnten bis zu 7.490 Soldaten einquartiert werden, auch wenn in Friedenszeiten wohl erheblich weniger Soldaten vor Ort waren.17 In Krisenzeiten dagegen wuchs die Militärpräsenz stark an. Als beispielsweise 1727 die Spannungen zwischen Frankreich und Österreich zunahmen, wurde Feldmarschallleutnant Paul von Wallis mit einem Expeditionsheer von zehntausend Mann nach Luxemburg entsandt. Nur ein Teil konnte innerhalb der Festungsmauern untergebracht werden, der Rest wurde auf das Umland verteilt. Hierbei handelte es sich sicherlich um eine Ausnahmesituation. Doch auch der alltägliche Unterhalt der Festungsgarnison sowie der wiederholte Durchzug von Armeeeinheiten über Land stellten eine große Belastung dar. Die Verwaltung und Finanzierung des Militärs in der Provinz Luxemburg gestaltete sich wegen den großen Entfernungen besonders schwierig. Das Herzogtum war weitgehend abgeschieden von den übrigen Provinzen der Österreichischen Niederlande. Nur ein paar Landzungen verbanden es mit der Grafschaft Namur. Das Fürstbistum Lüttich schob sich wie ein Keil zwischen Luxemburg und die restlichen Niederlande. Das Ardenner Massiv mit seinen Steigungen und tiefen Tälern war ein zusätzliches Hindernis, das die Verbindungslinien beeinträchtigte. Tatsächlich waren die Wege zwischen den Verwaltungszentren des Habsburgerreiches und der entlegenen Provinzund Festungsstadt Luxemburg unvorstellbar weit. Die Reise von Wien aus dauerte mindestens zwei Wochen. Die Postkutsche, die wöchentlich zwischen Namur und 16 Patrice-François de NENY, Mémoires historiques […], op., cit., Bd. 1, S. 219. 17 Zahlenangabe aus dem „Atlas des plans militaires“. Vincennes. Service Historique de l’Armée de Terre. Génie. Bibliothèque, Atlas 149, pl. 13. Guy THEWES, L’intendance d’une place forte […], op., cit., S. 83–107, S. 91.

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Das Herzogtum Luxemburg und seine Verwaltungsstrukturen

Luxemburg verkehrte, brauchte drei Tage, um die Ardennen zu überqueren und das Maasufer zu erreichen. Einen Tag musste man dann noch hinzurechnen, bis man in Brüssel angelangt war.18 Behördliche Anweisungen und Nachrichten kamen demnach erst Tage oder gar Wochen später im Herzogtum an. Unter diesen Gegebenheiten war es für die Brüsseler Bürokratie kaum möglich, die Unterbringung, Versorgung und Besoldung, die Magazine und den Nachschub vollständig aus der Distanz zu organisieren. Die Isoliertheit der Provinz wie auch der Umfang des Militäraufgebots zwangen zur Zusammenarbeit mit den Machtstrukturen auf Regional- und Lokalebene. Ähnlich wie andere Territorien der Habsburgermonarchie besaß das Herzogtum Luxemburg eigene Institutionen, die für Verwaltung und Gerichtsbarkeit zuständig waren. Zum einen gab es die Einrichtungen, welche die Zentralmacht vor Ort vertraten. Oberster Repräsentant des Landesherrn war der Gouverneur. Während unter spanischer Herrschaft die Statthalter des Fürsten mit ausgedehnten zivilen und militärischen Vollmachten ausgestattet waren, verlor dieses Amt im 18. Jahrhundert sehr schnell seine Bedeutung. Der 1716 zu Beginn der österreichischen Herrschaft ernannte Feldmarschall Johann Franz Graf von Bronckhorst und Gronsfelt war der Einzige, der den Titel eines „gouverneur et capitaine général du Duché de Luxembourg“ trug.19 Nach 1719 verzichtete man auf die Ernennung eines Gouverneurs, wahrscheinlich auch, um die beachtliche Gage von 18.000 Gulden einzusparen.20 Die weiteren österreichischen Armeebefehlshaber in der Provinz Luxemburg mussten sich mit der Bezeichnung des „Kommandanten von Stadt und Land“ begnügen.21 Ihre Machtbefugnisse beschränkten sich auf den militärischen Bereich. Einigen Kommandanten von sehr hohem militärischem Rang, wie z.  B. die Reichsgrafen Franz Paul von Wallis oder Wilhelm Reinhard von Neipperg, gestand man den Titel eines „gouverneur provisionnel“, also eines provisorischen Gouverneurs, zu. Das eigentliche Organ der landesherrlichen Regierung in der Provinz war der Provinzialrat.22 Ihm oblag die Oberaufsicht über die Verwaltung der Domäne, die Ver18 Guy THEWES, Als Luxemburg österreichisch war. Zur Beziehung Österreichs und Luxemburgs im Zeitalter Maria Theresias, in  : Michael KRAPF/Cornelia REITER (Hg.), Das Zeitalter Maria Theresias. Meisterwerke des Barock, Luxemburg 2006, S. 46–59, S. 46. 19 AGR, SEG, N° 2724, Kopie der Ernennungsurkunde von Graf Gronsfelt zum Gouverneur und Generalkapitän des Herzogtums Luxemburg, 30. Oktober 1716. 20 Angabe in AGR, SEG, N° 2725, Notiz zum Brief des Leutnant-Generals von Vogelsang, o. D. [um 1780]. 21 Siehe Liste der kaiserlichen Vertreter in Luxemburg in  : François LASCOMBES, Chronik […], op., cit., S. 526–527. 22 Siehe René WARLOMONT, Le Conseil Provincial de justice du Luxembourg, de 1531 à 1785, in  : Anciens Pays et Assemblées d’États, Bd. 15, Louvain 1958, S. 108–124  ; Gilbert TRAUSCH, Le Luxembourg sous l’Ancien Régime (17e, 18e siècles et débuts du 19e siècle), Luxembourg 1977, S. 81–83.

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Die Armee in der Provinz

öffentlichung und Ausführung der Gesetze, die Verfassung von Gutachten für den Geheimen Rat in Brüssel, die Vergabe des Plazets für Entscheidungen der Kirche, die Rechtsprechung als Appellationsgericht sowie die Gerichtsbarkeit in erster Instanz für Adlige und Kleriker. Der Provinzialrat war folglich sowohl oberste Verwaltungsbehörde als auch höchste Gerichtsinstanz im Herzogtum. Die personelle Besetzung sah trotz der vielen Zuständigkeitsfelder recht bescheiden aus  : ein Präsident, sechs Ratsherren, darunter drei Adlige („conseillers de courte robe“) und drei Rechtsgelehrte („conseillers de longue robe“), ein Generalstaatsanwalt, dessen Stellvertreter, ein Amtsschreiber sowie eine kleine Anzahl von Gerichtsdienern. Die Präsidenten des Provinzialrates waren einflussreiche Männer und in der Regel ausgezeichnete Juristen und Verwalter, deren Rat Brüssel in allen wichtigen Entscheidungen einholte. Bei der Ernennung der beiden letzten Vorsitzenden, François-Chrétien Gerden und François Durieux, spielte die nicht-adlige Herkunft dann auch keine Rolle mehr.23 Leistung und Kompetenz gaben den Ausschlag bei der Besetzung dieser Spitzenposition. Aber auch die anderen Mitglieder, rechtskundige Richter und geübte Beamte zugleich, zeichneten sich durch ihre Qualifikationen aus. Der Provinzialrat erscheint als durchaus effizientes Instrument der Verwaltungsbürokratie. Dennoch, für das Militärwesen hatte diese Institution kaum eine Bedeutung. Der Aufgabenbereich des Provinzialrats war weit gefasst, jedoch vor allem ziviler Natur. Der Präsident und die Ratsherren mussten sich um vieles in der Provinz kümmern, nicht aber um die Armee.

7.3 D i e L a n d s tä n de  : E n t s t e h u ng, Zus a m m e ns e t z u ng u n d Fu n k t ions w e i s e Der Provinzialrat als „regionale Institution der Zentralmacht“ (Wolfgang Reinhard) konnte nicht alle Verwaltungsaufgaben erfüllen. Die Ausbildung eines zentral gesteuerten, allumfassenden Verwaltungsapparats war schon allein aus Kostengründen nicht denkbar. Wahrscheinlich wäre dieser auch am Widerstand des Adels und der Gemeinden gescheitert.24 Als Aushilfe bot sich der Rückgriff auf die örtlichen Eliten und insbesondere auf deren Vertretung, die Ständeversammlung, an. In den Bereichen der Heereslogistik und der Militärfinanzierung suchten die Regierungsbehörden immer wieder die Zusammenarbeit mit den Luxemburger Landständen. Die stän23 Paul MARGUE, La fin de l’Ancien Régime. Le recrutement des derniers Présidents du Conseil de Luxembourg, in  : Diagonales à travers le droit luxembourgeois […], Luxembourg 1986, S. 483–488. 24 Vgl. Wolfgang REINHARD, Geschichte der Staatsgewalt […], op., cit., S. 197.

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Die Landstände  : Entstehung, Zusammensetzung und Funktionsweise

dischen Einrichtungen mit ihren das ganze Territorium der Provinz überziehenden Kontakten zur Bevölkerung kompensierten das Fehlen einer staatlichen Lokalmacht. Der Ursprung der Ständeversammlung geht auf die dynastische Herrschaftskrise des Spätmittelalters zurück. Die älteste Erwähnung einer Ständevertretung im Herzogtum Luxemburg taucht in einem Steuerdokument aus dem Jahre 1444 auf.25 Ein Jahr nach der burgundischen Machtübernahme berief Philipp der Gute die „drei Stände des Landes („les trois estas dudit païs“) ein, um eine Geldhilfe zu erbitten. Die Bewilligung der Steuern wurde fortan zur wichtigsten Funktion und Daseinsberechtigung der Landstände. In der mittelalterlichen Herrschaftsauffassung sollte der Herrscher von den Einkünften der Domäne leben. Doch im Übergang vom späten Mittelalter zur Frühen Neuzeit vollzog sich auch der Wandel vom „Domänenstaat“ zum „Steuerstaat“. Mit dem Aufkommen von Söldnerheeren, mit dem Ausbau der landesherrlichen Gerichtsbarkeit, kurzum mit der „Intensivierung des Staatsbetriebs“ (Otto Hintze) wuchsen die Ausgaben, zu deren Deckung das Eigengut des Herrschers nicht mehr ausreichte. Der Landesherr sah sich genötigt, seine Untertanen um Unterstützung zu bitten, woraus sich auch die Bezeichnung „Bede“ oder „aides et subsides“ für die angeforderte Abgabe ableitet. Doch eine Steuer war ein Eingriff in das Privateigentum und bedurfte der Zustimmung der Untertanen. Um ihre Einwilligung zu bekommen, versammelte der Monarch mit den großen Abteien, dem Adel und den wichtigsten Städten die Vertreter des Landes, die zugleich die größten Grundherren waren und über den nötigen wirtschaftlichen Reichtum verfügten. Zu Beginn dieser Entwicklung kamen die Ständeversammlungen noch unregelmäßig zusammen. Ab Ende des 15. Jahrhunderts wurden die Zusammenkünfte jährlich abgehalten oder fanden sogar mehrere Male im Jahr statt, wenn der finanzielle Bedarf des Landesfürsten es verlangte.26 Im 18. Jahrhundert tagten die Landstände in der Regel zweimal im Jahr, im Winter zur Verabschiedung der sogenannten „aide ordinaire“ oder gewöhnlichen Steuer und im Sommer zur Gewährung eines außerordentlichen Subsidiums, des „subside extraordinaire“.27 Dass diese Bewilligung freiwillig 25 Roger PETIT, Les États des duché de Luxembourg et comté de Chiny, in  : Anciens Pays et Assemblées d’États, Bd. 33, Louvain/Paris 1965, S. 87–108, S. 94. 26 Ibidem, S. 101. 27 Zur Geschichte der Luxemburger Landstände im 17. und 18. Jahrhundert siehe Nicolas VAN WERVEKE, Rapport confidentiel du président Eustache Wiltheim sur les États du duché de Luxembourg, précédé d’une courte notice sur l’histoire des États, in  : PSH, Bd. 52, Luxembourg 1903, S. 166–248. Des Weiteren Anne-Marie AERLEBOUT, Les aides et subsides dans le Duché de Luxembourg et comté de Chiny au XVIIIe siècle, Louvain-la-Neuve 1979 (unveröffentlichte Magisterarbeit an der Université Catholique de Louvain), und Guy KOENIG, Les États des pays Duché de Luxembourg et Comté de Chiny dans la 2e moitié du XVIIIe siècle. ����������������������������������������������������������� Étude d’une institution provinciale d’Ancien Régime, Luxem-

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Die Armee in der Provinz

blieb, war in den Augen der Ständevertreter ein wesentliches Vorrecht. Nach jeder Abstimmung ließen sie sich dieses Privileg vom Landesfürsten durch sogenannte Schadlosbriefe (lettres de non-préjudice) bestätigen, denn die Einwilligung gab den Landständen die Gelegenheit zur Einflussnahme. So war die Zustimmung der Stände stets begleitet von einem Forderungskatalog an den Landesherrn, den sogenannten „doléances“ oder Beschwerden (Gravamina). Die vorgebrachten Vorschläge konnten Anstoß sein für die landesherrliche Gesetzgebung. Die Zahl der Teilnehmer an den Ständeversammlungen war verhältnismäßig gering. Die Luxemburger Landstände folgten dem Grundschema der ständischen Verfassung und setzten sich aus drei Kurien oder Kollegien zusammen  : Geistlichkeit, Adel und Dritter Stand. Als Vertreter des Klerus galten die Äbte der fünf bedeutendsten Abteien, nämlich Sankt Maximin in Trier, Münster in Luxemburg, Echternach, Orval und Saint-Hubert. Dazu kam, bis zur Aufhebung der dortigen Klostergemeinschaft durch Joseph II., der Prior von Houffalize. Der weltliche Klerus war ausgeschlossen. Die Adligen der Provinz hatten prinzipiell das Recht zur persönlichen Anwesenheit, mussten jedoch eine adlige Ahnenreihe mütterlicher- und väterlicherseits aufweisen, um aufgenommen zu werden. Dem neuen Adel wurde der Zutritt verwehrt.28 Auf den Bänken des Dritten Standes saßen die bürgerlichen Abgeordneten von fünfzehn Städten. Es waren dies ausschließlich „autonome“ Gemeinden, die direkt vom Landesherrn abhingen, namentlich Bastogne, Marche, Durbuy, La Roche, Chiny, Virton, Neufchâteau, Houffalize, Luxemburg, Arlon, Echternach, Remich, Diekirch, Bitburg und Grevenmacher. Ein Pamphlet aus dem Jahre 1790, einer Zeit, in der in Frankreich schon die Souveränität der Nation triumphierte, spottete über den mangelnden repräsentativen Charakter der Luxemburger Ständevertretung  : „Sie haben wahrscheinlich keine Ahnung über die Körperschaft, die bei uns das Volk wider seinen Willen repräsentiert. Stellen sie sich eine Gruppe von Äbten vor, die Mitglieder des geistlichen Standes sind. Dazu sechs bis sieben Krautjunker für den Stand des Adels und für den Dritten Stand jeweils einen Abgeordneten für jede der fünfzehn armseligen Ortschaften, die man mit dem Namen Stadt ehrt. Das ist die illustre Versammlung.“29 bourg 1975 (unveröffentlichte Arbeit im Rahmen des Lehramtspraktikums am Centre Universitaire de Luxembourg). 28 Zu der Verschärfung der Aufnahmekriterien in die Kurie des Adels siehe Calixte HUDEMANN-SIMON, La noblesse luxembourgeoise […], op., cit., S. 214–225. 29 « […] Vous n’avez peut-être pas d’idée de ce corps qui, chez nous, représente le peuple malgré le peuple  : figurez-vous un groupe de cinq membres abbés pour l’ordre du Clergé, de six à sept Gentilshommes campagnards pour l’ordre de la Noblesse, d’un député de chacune des quinze bicoques honorées du nom de Villes pour le Tiers, voilà l’illustre assemblée […]. » Auszug aus « Brief eines Staatsbürgers von

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Die Landstände  : Entstehung, Zusammensetzung und Funktionsweise

Diese herbe Kritik erweckt den Eindruck einer dekadenten Institution ohne großen Einfluss auf die Geschicke des Landes, die nicht viel mehr als die Partikularinteressen einzelner gesellschaftlicher Gruppen vertrat. Offensichtlich wird hier das Urteil vorweggenommen, das Alexis Tocqueville später über die Ständeorganisation im Allgemeinen fällte  : „Die Institution hatte ihre Männlichkeit ganz verloren und war nur noch eine nutzlose Erscheinung.“30 Dem großen französischen Denker wie auch dem Luxemburger Pamphletisten, der sich „Citoyen“, d.h. Staatsbürger, nennt, ging es darum, eine politische Einrichtung des alten Regimes zu diskreditieren, um die Vorteile des neuen, aus der Revolution entstandenen Systems hervorzuheben. Diese Art der Kritik verkannte jedoch die tatsächliche Funktionsweise der Landstände. Die Einberufung der Stände fand zweimal im Jahr statt, und die Tagungen im Plenum dauerten nicht länger als ein paar Wochen. Doch mit der Abhaltung von Landtagen zur Steuerforderung und -bewilligung war es nicht getan. Zwischen den Zusammenkünften der Plenarversammlung blieb ein ständiger Ausschuss („députation permanente“) aus neun Abgeordneten bestehen.31 Drei Mitglieder residierten permanent in der Stadt Luxemburg („députés résidants“) und erledigten das Tagesgeschäft. Die sechs anderen waren Auswärtige („députés forains“). Jeder Stand durfte drei Vertreter stellen. Ordnungsgemäß wurden die ständigen Abgeordneten alle drei Jahre neu gewählt und konnten nicht mehr als zwei Mandate infolge ausüben. In der Praxis waren es aber meistens der Abt von Münster, ein Schöffe der Stadt Luxemburg sowie einer der adligen Ratsherren des Provinzialrates, welche die Ämter der „Députés résidants“ für sich in Anspruch nahmen. Die Posten der „Députés forains“ wechselten öfters den Inhaber. Neben Arlon und Echternach konnten auch kleinere Städte wie Bastogne, Marche, La Roche, Durbuy, Chiny oder Bitburg im 18. Jahrhundert zeitweise einen Vertreter im ständigen Ausschuss stellen.32 Unterstützt wurde dieses Kollegium durch einen Sekretär, ab der Mitte des 18. Jahrhunderts durch zwei Sekretäre. 1771 bekamen beide den Titel des „Conseiller pensionnaire“ zuerkannt, eine

Luxemburg an seinen Freund“ [Lettre d’un Citoyen du Luxembourg à son Ami], 22. März 1790, zitiert in Alphonse SPRUNCK, Les États de Luxembourg et la Révolution brabançonne, de novembre 1789 jusqu’à l’avènement de Léopold II, in  : PSH, Bd. 65, Luxembourg 1933, S. 309–337, 334. 30 « L’institution avait entièrement perdu sa virilité et n’était plus qu’une vaine apparence ». Alexis de TOCQUEVILLE, L’Ancien Régime et la Révolution, Paris 1856, S. 326. 31 Zu der Entstehung, Zusammensetzung und Kompetenz des ständigen Ausschusses der Landstände siehe Guy THEWES, Route et administration provinciale au siècle des Lumières  : l’exemple des États du duché de Luxembourg (1748–1795), Bruxelles 1994, S. 36–44. 32 Siehe Liste der Abgeordneten zwischen 1748 und 1794 in Guy THEWES, Route […], op., cit., S. 174– 186.

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Die Armee in der Provinz

Beförderung, die ihren wachsenden Einfluss auf den Ständebetrieb widerspiegelt.33 Die Sekretäre der Stände, in der Regel Juristen, waren mehr als nur einfache Schreiber. Korrespondenz, Anträge und Vorschläge gingen durch ihre Hände. Die Fäden der Verwaltung liefen in ihrer Person zusammen.

7.4 Aus w e i t u ng de r Tät ig k e i t sf e l de r u n d Wi de r s ta n d de r Stä n de Der Übergang von der einmaligen oder mehrmaligen Landtagsabhaltung im Jahr zu einer dauerhaften Ständevertretung vollzog sich Anfang des 17. Jahrhunderts. Die Steuerreform von 1605, die den Steuersatz pro Feuerstelle durch eine globale Steuersumme ersetzte, gab wahrscheinlich den Ausschlag.34 Von dem Moment an, wo die Landstände einen Gesamtbetrag bewilligten und nicht mehr nur den Wert der Steuereinheit festlegten, war eine Kommission nötig, die nach dem Auseinandergehen der Plenarversammlung die Aufteilung der Steuern auf die einzelnen Gemeinden vornahm. Dieses die einzelnen Landtage überdauernde Gremium bildete den Kern eines permanenten ständischen Verwaltungsapparats, dessen Kompetenzbereich sich im Einverständnis mit dem Landesfürsten wohl sehr rasch ausweitete. Der genaue Verlauf der ständischen Institutionalisierung in der Provinz Luxemburg bleibt ein Desiderat der Forschung. Doch man kann davon ausgehen, dass neben dem verstärkten Mitwirken der Stände in der Steuerverwaltung ihre Einbeziehung in das immer komplexer werdende Militärwesen eine grundlegende Ursache dieser Entwicklung war.35 Insbesondere während des Dreißigjährigen Krieges und seiner spanisch-französischen Fortsetzung bis 1659 wuchsen den Ständen und ihren Abgeordneten vermehrt Aufgaben im militärischen Bereich zu, wie z. B. die Verpflegung durchziehender Truppen, Organisation der Durchmärsche und Aushandeln von Kontributionen zum Schutz der Bevölkerung.36 Im 18. Jahrhundert, dem hier untersuchten Zeitraum, nahm die Verflechtung zwischen der ständischen und der fürstlichen Landesverwaltung zu. Die Luxemburger 33 Ibidem, S. 79. 34 Ibidem, S. 36–37. 35 Vgl. Petr MAT’A, Landstände und Landtage […] op.cit., S. 377. 36 Martial GANTELET, Par delà la guerre et la paix, les contributions militaires entre Metz et Luxembourg au XVIIe siècle, in  : François ROTH (Hg.), Lorraine, Luxembourg et Pays Wallons. Mille ans d’une histoire partagée du Moyen Âge à nos jours, Nancy 2008, S. 113–127, 123–124 (Spezialnummer der Zeitschrift Annales de l’Est).

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Ausweitung der Tätigkeitsfelder und Widerstand der Stände

Landstände und ihr ständiger Ausschuss bekamen neue Aufgabenfelder zugewiesen. 1718 vertraute die Regierung den Ständen die Verwaltung der Hauptstraßen des Herzogtums an.37 Durch zwei weitere Ordonnanzen, 1733 und 1738, wurden sie auch mit der Aufsicht des Unterhalts des Landwegenetzes durch die Dorfgemeinden befasst.38 Seit den Gesetzen von 1733 und 1736 befehligte der ständige Ausschuss die „Maréchaussée“, eine Ordnungstruppe, die das Herzogtum auf der Suche nach „Ägyptern [Zigeunern], Vagabunden und anderem Gesindel“ durchstreifte.39 Ein anderer Gesetzestext von 1777 unterstellte die Herstellung von Branntwein aus Getreide der Genehmigungspflicht durch die Ständedeputation.40 Die Landstände waren demnach zuständig für die öffentliche Ordnung, überwachten den Getreidemarkt und leiteten den Ausbau des Straßennetzes. Parallel zur Ausweitung der Verwaltungstätigkeit stieg auch die Zahl der ständischen Angestellten. Die Landstände beschäftigten einen Straßenbauinspektor sowie eine variable Anzahl von Aufsehern (Piqueurs).41 Die Mannschaft der „Maréchaussée“ wuchs von anfänglich 16 auf später 40 Mann. Bei Bedarf konnten die Landstände noch Kommissare für bestimmte Aufgaben ernennen. So begleiteten Mitglieder der Stände Armeeeinheiten auf ihrem Marsch durch die Provinz oder kontrollierten Bauernhöfe, die unter der Viehseuche litten. Finanziert wurden alle Aktivitäten und Personalkosten über die sogenannte „Excroissance“ oder Exkressenz, einer Abgabe, welche die Landstände zusätzlich zu der landesherrlichen Steuer auf die Gemeinden verteilten und durch ihren eigenen Einnehmer erhoben. Die Provinzialverwaltung verfügte demnach über eigene Finanzmittel, mit denen sie ihre steigenden Ausgaben bestritt. Am Anfang des 18. Jahrhunderts schwankten die Einnahmen der „Excroissance“ zwischen 20.000 und 30.000 Gulden. Am Ende des Ancien Régimes übertraf die Exkressenz regelmäßig die Marke von 100.000 Gulden.42 Die administrative Leistung der Landstände unter österreichischer Herrschaft war beachtlich. Die Stände sahen sich selbst aber nicht als bloße Befehlsempfänger der Zentralgewalt. Die Landtage waren eben immer auch Orte des Ausgleichs, an denen verschiedene Interessen zusammentrafen und die Forderungen der Monarchie mit dem Potenzial des Landes ausbalanciert wurden. Dass es dabei manchmal zu Kon37 ANL, A IV-35, Verleihungsakt [Octroi] von Karl VI., Brüssel, den 5. September 1718. 38 ROPBA, Bd. 4, Bruxelles 1877, S. 531–532, und ROPBA, Bd. 5, Bruxelles 1882, S. 220–223. 39 « […] les égyptiens, vagabonds et gens sans aveu […]. » ROPBA, Bd. 4, Bruxelles 1877, S. 493–495, und ROPBA, Bd. 5, Bruxelles 1882, S. 148–150. 40 ROPBA, Bd. 11, Bruxelles 1905, S. 217–219. 41 Guy THEWES, Route […], op., cit., S. 96–101. 42 Ibidem, S. 47–49.

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Die Armee in der Provinz

frontationen kam, ist nicht weiter verwunderlich. Somit hatten die Landstände nicht nur einen konstruktiven Einfluss auf den Staatsbildungsprozess, sondern konnten auch – aus dem Blickwinkel des Zentralstaats betrachtet – zu einem retardierenden Faktor werden. In der Provinz Luxemburg stieß insbesondere die Erneuerung des Steuersystems auf heftigen Widerstand.43 Als 1766 durch den berühmten Erlass, „betreffend den Eintrag und allgemeine Werthschätzung aller im Herzogthum Lutzemburg und Grafschaft Chiny liegenden unbeweglichen Güter“, der sogenannte Maria-Theresianische Kataster eingeführt wurde, kam es in der Ständeversammlung zu erbitterten Protesten. „Die Rädelsführer gehen vom Prinzip aus, dass die Regierung der Provinz den Ständen gehört und dass die Verteilung der Steuerlast den Herrscher nichts angeht“, berichtete der Reformbeauftragte der Brüsseler Regierung.44 Die Adelsvertreter wehrten sich gegen die Abschaffung des Steuerprivilegs. Philipp Evrard Mohr de Waldt, adliges Mitglied des ständigen Ausschusses, erklärte, „dass er Herr von Waldt sei und als solcher keinen andern Herrn als Gott kenne“.45 Ein anderer Grundherr meinte, dass „die Einwohner Untertanen des Adels seien und nicht Ihrer Majestät“.46 Doch die Kaiserin duldete keinen Widerspruch und forderte Unterordnung. „Ich schulde meinen Untertanen Schutz und Gerechtigkeit, sie aber schulden mir Gehorsam und Steuern“, stellte Maria Theresia in einer geharnischten Depesche klar.47 Als die Ständeversammlung, um Druck auf die Zentralregierung zu machen, im Juli 1770 40.000 Gulden weniger Steuern bewilligte als angefragt, schickte Brüssel kurzerhand den Bewilligungsakt zurück und forderte mit Nachdruck 43 Für einen Forschungsüberblick zur Maria-Theresianischen Steuerreform im Herzogtum Luxemburg siehe Guy THEWES, Le cadastre de Marie-Thérèse au duché de Luxembourg  : mythe et historiographie, in  : Hémecht, Jg. 60, 2008, N° 3/4 , S. 343–362. 44 « Enfin les chefs ont posé pour principes que ce sont les états à qui le gouvernement de la province appartient et que la répartition des charges n’appartient pas au souverain ». Brief von Johann Philipp von Cobenzl an den bevollmächtigten Minister Karl von Cobenzl, 4. August 1766. Zitiert in Claude de MOREAU de GERBEHAYE, L’abrogation des privilèges fiscaux […], op., cit., S. 394. 45 « […] il a eu la betise de dire en pleine assemblée qu’il etoit Seigneur de Waldt et que comme tel il ne connoissoit d’autre maitre que Dieu […]. ���������������������������������������������������������� ». Brief von Johann Philipp von Cobenzl an den bevollmächtigten Minister Karl von Cobenzl, 7. August 1766. Zitiert in Alphonse SPRUNCK, Problèmes, débats et conflits des États de Luxembourg sous le régime autrichien (PSH, Bd. 93), Luxembourg 1980, S. 209. 46 ������������������������������������������������������������������������������������������������������� « […] le dénombrement comme on le fait à cette heure est une enfreinte aux droits privileges et constitutions de la Province, dont les habitants etoient sujets de la noblesse et non de S.M. […]. » Brief von Johann Philipp von Cobenzl an den bevollmächtigten Minister Karl von Cobenzl, 9. August 1766. Zitiert ibidem, S. 211. 47 ����������������������������������������������������������������������������������������������������� « Je dois protection et justice à mes sujets, ils me doivent obéissance et contributions […].��������  » Depesche von Maria Theresia an Generalgouverneur Karl von Lothringen, Wien, 31. Januar 1766. Ediert in Claude de MOREAU de GERBEHAYE, L’abrogation des privilèges fiscaux […], op., cit., S. 549–552, hier S. 550.

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Einbeziehung statt Verdrängung der Stände

den gesamten Betrag.48 In der Angelegenheit des Katasters scheinen die Landstände folglich das Bild einer partikularistischen, rückwärtsgewandten, dem Reformabsolutismus feindlich gesinnten Institution zu bestätigen.

7.5 E i n be z i e h u ng s tat t Ve r dr ä ngu ng de r Stä n de Auf den ständischen Widerstand reagierten die Behörden in Wien und Brüssel dennoch nicht mit Verdrängung oder gar Abschaffung der Stände, sondern mit ihrer verstärkten Kontrolle. Die Antwort auf den Widerstand der Stände war die Disziplinierung der ständischen Strukturen durch die Zentralmacht. Den Weg, den die Regierung dabei wählte, war der eines Eingriffes in die bislang weitgehend autonome Finanzverwaltung der Landstände.49 Die Schaffung einer Kommission für die Rechnungsprüfung (Jointe pour l’audition des comptes) 1749 bzw. einer Kommission für die Verwaltungen und die Subsidienangelegenheiten (Jointe des administrations et des affaires de subsides) 1764 hatte der österreichisch-habsburgischen Zentralgewalt hierfür ein geeignetes Instrument in die Hand gegeben.50 1765 überprüfte der Auditor Jacques-Antoine Le Clerc alle Rechnungsbücher der Landstände aus den letzten 35 Jahren.51 Sein Bericht mündete Anfang 1766 in eine Depesche Karls von Lothringen, die der Provinzialstruktur weitgehend ihre finanzielle Autonomie entzog. Alle Einnahmen und Ausgaben wurden der Kontrolle und Genehmigung Brüssels unterworfen. Der Verwaltung der Landstände wurden feste Regeln gesetzt. Die ständischen Abgeordneten widersetzten sich zunächst der Bevormundung durch die Zentralgewalt, mussten dann aber schließlich 1771, nach einem erneuten Audit, einlenken. Die ständige Deputation, die verschiedentlich infrage gestellt worden war, blieb in ihrer alten Form bestehen. Doch die Überwachung durch Brüssel ließ kaum noch Spielraum für Eigeninitiative. Die Vertreter der Provinz klagten dann auch, dass die Reform „sie von der Leitung und Oberaufsicht in die Lage von einfachen Ange48 Alphonse SPRUNCK, Les États du Pays Duché de Luxembourg et Comté de Chiny, in  : Les Cahiers luxembourgeois, Jg. 13, 1936, N° 1, S. 99–126, S. 111. 49 Die Finanzkontrolle als Instrument der Durchsetzung landesherrlicher Reformen wurde von Norbert Franz am Beispiel des Magistrats der Stadt Luxemburg aufgezeigt. Vgl. Norbert FRANZ, Die Stadtgemeinde Luxemburg im Spannungsfeld politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen (1760–1890). Von der Festungs- und Garnisonsstadt zur offenen multifunktionalen Stadt, Trier 2001, S. 29–30. 50 Siehe Kapitel 5 vorliegender Arbeit, S. 190. 51 AGR, JAS, N°383, Bericht von Le Clerc vom 9. Oktober 1765  ; AGR, JAS, N°401, Auszug aus dem Protokoll vom 9. Oktober 1765. Zur Reform der Finanzverwaltung der Landstände siehe Guy THEWES, Route […], op., cit., S. 57–65.

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Die Armee in der Provinz

stellten herabsinken lässt“.52 Die Landstände entwickelten sich zusehends zu einem bloßen Vollzugsorgan im gesamtstaatlichen Verwaltungsapparat, das seine Anweisungen von oben empfing. Die Zentralregierung versuchte dementsprechend auch die Besetzung der ständischen Behörden mitzubestimmen. Ein Erlass vom 13. November 1765 regelte das Auswahlverfahren der Mitglieder des ständigen Ausschusses.53 Aus Angst, dass „Intrigen und Eigeninteresse und nicht Fähigkeit und Verdienst die Wahl der Abgeordneten bestimmen“, entzog die Regierung 1789 den Landständen das Recht zur Ernennung und übernahm fortan selbst die Bestallung.54 Ein Jahr später erreichten die Stände die Aufhebung dieses Dekrets und erlangten ihre Freiheit bei der Personalernennung zurück. Die Anpassung der Stände an den werdenden Staat erfolgte aber nicht nur durch direkte Einmischung, sondern auch über personelle Verflechtungen. Ämterhäufung und daraus resultierende doppelte Loyalitäten waren gängig. Die Barone de Breiderbach und du Prel, die sich als „Députés résidants“ im ständigen Ausschuss während den 1770er- und 1780er-Jahren abwechselten, saßen auch als adlige Ratsherren im Provinzialrat. In dieser Zeit wurde auch die Vertreterstelle des Dritten Standes durch einen regierungstreuen Verfechter der Reformen besetzt. Zwischen 1771 und 1791 war der Luxemburger Stadtschöffe Jean-Baptiste Seyl fünfzehn Jahre lang Geschäftsträger des Dritten Standes.55 Er hatte 1766 bei der Bestandsaufnahme für die Steuerreform mitgeholfen und war später zum Vorsitzenden der Katasterüberwachungskommission avanciert. Als Dank für seinen Einsatz adelte Maria Theresia den treuen Beamten 1774, der auch noch Oberstforstmeister und Kommerzienrat war. Ein weiteres Beispiel für die Durchdringung der Stände mit landesherrlichen Amtsträgern liefert Jean-François Neunheuser, der Schwager von Jean-Baptiste Seyl.56 Dieser war Schöffe in Arlon, Oberstforstmeister, Domäneneinnehmer der Grafschaft Chiny und ab 1774 Steuereinnehmer der Provinz Luxemburg. Neunheuser bekleidete 14 Jahre lang den Posten des „Député forain“. Auch Seyls Abgeordnetenkollegen Malempré, Helm, De Blier und Forron hatten ein fürstliches Amt. Sie waren Pröpste und somit

52 « […] qui d’une direction et surintendance les fait décheoir jusqu’à l’état de simples commis […]. » ANL, AIV-35, Bittschrift der Landstände, 11. Dezember 1768, f° 58r. 53 ROPBA, Bd. 9, Bruxelles 1897, S. 237–238. 54 « […] que la cabale et l’intérêt présideroient plutôt à l’élection des députés que la capacité et le mérite […]. » ANL, A IV-1, Brief der Regierung, 6. Februar 1788. Guy THEWES, Route […], op., cit., S. 44. 55 Jean-Baptiste Seyl, geboren 1724, gestorben am 14. September 1791 in Luxemburg. Claude BRUNEEL/ Jean-Paul HOYOIS, Les grands commis […], op., cit., S. 561–563. 56 Jean-François Neunheuser hatte 1745 Marie-Elisabeth Seyl, die Schwester von Jean-Baptiste Seyl, geheiratet. Anne-Marie AERLEBOUT, Les aides et subsides […], op., cit., S. 134.

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ebenfalls auf die Gunst des Herrschers für ihre Laufbahn in der Verwaltung angewiesen.57 Die enge Verflechtung der Gewaltbereiche bot der Regierung insbesondere in Krisenzeiten die Möglichkeit zur Einflussnahme. 1789 wurde Karl Anton Maximilian Graf Baillet La Tour zum stellvertretenden Vorsitzenden der Stände ernannt.58 Baillet La Tour, der aus einem Schloss in der Nähe Virtons stammte und als Fähnrich an der Schlacht von Kolin teilgenommen hatte, war Inhaber des Militär-Maria-Theresien-Ordens, Kämmerer und zum Zeitpunkt seiner Ernennung General-Major in der österreichisch-habsburgischen Armee. In seiner späteren Laufbahn sollte er den Rang eines Feldmarschalls erreichen und 1804 zum Präsidenten des Hofrats und des Kriegsdepartements in Wien bestellt werden.59 Die antiständische Schmähschrift des „Citoyen du Luxembourg“ prangerte dann auch seine Herrscherhörigkeit während der politischen Ereignisse von 1789/1790 an  : „Die Versammlung […] wird geleitet von […] einem Mann, der den fürstlichen Befehlen durch seinen Stand [Militärstand] und die davon erhofften Begünstigungen ergeben ist, und in keinem Fall dem Fürsten widerstehen kann […].“60 Das Verhalten der Luxemburger Landstände während der Brabanter Revolution spiegelt das Maß ihrer Integration in den Staatsbetrieb wider. Von allen niederländischen Provinzen war Luxemburg die einzige, die sich nicht am Aufstand beteiligte. Zwar regte sich auch hier Widerspruch gegen die allgemeine Justiz- und Verwaltungsreform Josephs II. von 1787, durch welche die Grundherren ihre Gerichts- und Polizeigewalt weitestgehend verloren.61 Es war erneut vor allem der Adel, der die Ständeversammlung als Bühne benutzte, um seine Privilegien und Herrschaftsrechte zu verteidigen.62 Doch die Stände reagierten langsam, und ihr Protest war, verglichen mit dem der anderen Provinzen, gemäßigt. Der ständige Ausschuss zögerte, zu handeln und ohne Beschluss der Plenarversammlung ein Petitionsschreiben nach Brüssel 57 Liste der Mitglieder des ständigen Ausschusses in Guy THEWES, Route […], op., cit., S. 174–186. 58 Calixte HUDEMANN-SIMON, La noblesse luxembourgeoise […], op., cit., S. 266–267 59 Antoine NEYEN, Biographie luxembourgeoise, Bd. 1, Luxembourg 1860, S. 42–44. 60 « L’assemblée est […] présidée par […] un homme qui, soumis aux ordres du Prince par son état et l’expectative des faveurs qu’il en attend, ne peut dans aucun cas lui résister […].������������������������  » Auszug aus „Brief eines Staatsbürgers von Luxemburg an seinen Freund“ [Lettre d’un Citoyen du Luxembourg à son Ami], 22. März 1790, zitiert in Alphonse SPRUNCK, Les États de Luxembourg […], op., cit., S. 332, sowie in Calixte HUDEMANN-SIMON, La noblesse luxembourgeoise […], op., cit., S. 267. 61 Vgl. Guy THEWES, La justice des Lumières au duché de Luxembourg. La réforme judiciaire de Joseph II, in  : Hémecht, Jg. 44, 1992, N° 4, S. 523–541, 538–540, und Guy THEWES, La réforme administrative de Joseph II dans le duché de Luxembourg, in  : Hémecht, Jg. 53, 2001, N° 4, S. 529–544, S. 542–544. 62 Calixte HUDEMANN-SIMON, La noblesse luxembourgeoise […], op., cit., S. 263–265.

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zu schicken. Als dann Mitte Juni der Landtag zusammentrat und eine Bittschrift an das Statthalterpaar richtete, hatte die Zentralregierung die Einrichtung der Intendanturkreise schon rückgängig gemacht und die Justizreform in allen anderen Provinzen ausgesetzt. Am 20. Juni informierte eine Depesche der Generalgouverneure die Behörden in Luxemburg über den Widerruf „aller Verfügungen, die im Gegensatz zur Verfassung, den Privilegien, den Urkunden und Brauchtümern der Provinz erlassen worden waren“.63 Von dem Moment an überwog die dynastische Treue. Die Landstände des Herzogtums Luxemburg beteiligten sich nicht an der Petitionsbewegung der anderen Provinzen im Oktober 1787 und votierten 1788 im Unterschied zu diesen für den vom Kaiser gewünschten Steuerbetrag.64 Bei Ausbruch der Brabanter Revolution 1789 gingen sie sogar noch einen Schritt weiter. Die Luxemburger Stände verzichteten auf ihr jährliches Bewilligungsrecht und gewährten dem Kaiser eine feste und permanente Steuer.65 Bei der Abwehr der „Patrioten“, deren Verbände bis nach Marche vorstießen, und der anschließenden Rückeroberung der Niederlande konnte die kaiserliche Armee auf die finanzielle und logistische Unterstützung der Provinz zählen. Die aus Brüssel geflohene Regierung fand zeitweilig Zuflucht in der Stadt und Festung Luxemburg.66 Für die Nichtteilnahme Luxemburgs an der Brabanter Revolution gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Die Geschichtsschreibung hat vor allem die geografische Abgeschiedenheit des Herzogtums, die Präsenz einer starken österreichischen Garnison in der Festung, das Fehlen von urbanen Zentren und somit das Nichtvorhandensein einer politischen Öffentlichkeit, die kirchliche Aufteilung des Landes auf verschiedene Bistümer – es gab keinen „nationalen“ Bischof, der den Widerstand hätte organisieren können – und schließlich die lange Tradition des Staatskirchentums im Herzogtum als Argument angeführt.67 Diese Gegebenheiten helfen vielleicht, die passive Haltung der Bevölkerung zu deuten, erklären aber nicht, warum die Institutionen und insbesondere die Landstände sich tatkräftig auf die Seite des Souveräns stellten. Eine Hypothese wäre, dass die Integration der Luxemburger Stände in den

63 « […] toutes les dispositions prises contrairement à la constitution, aux privilèges, chartes et coutumes de la province […]. » ROPBA, Bd. 13, Bruxelles 1914, S. 92. 64 Calixte HUDEMANN-SIMON, La noblesse luxembourgeoise […], op., cit., S. 265. 65 Die Gewährung eines Fixbetrags war ein geschickter Schachzug der Stände. Siehe Guy THEWES, Route […], op., cit., S. 31. 66 François LASCOMBES, Chronik […], op., cit., S. 434–435. 67 Alphonse SPRUNCK, Les États de Luxembourg et la Révolution brabançonne […], op., cit., S. 331– 332  ; Gilbert TRAUSCH, Les Habsbourg, incarnation de l’Empire […], op., cit., S. 133–148, S. 141– 143.

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Die Versorgung der Armee  : Stände oder Privatunternehmer  ?

Staatsbetrieb am Ende des 18. Jahrhunderts so weit gediehen war, dass für sie ein ständisch-fürstlicher Konflikt nicht mehr infrage kam. Die Landstände waren nicht Gegner, sondern Teil des österreichisch-habsburgischen Verwaltungssystems. Als nun 1790 die kaiserliche Kriegsmaschine sich in Gang setzte, um die abtrünnigen Provinzen wieder in den Schoß der Monarchie zu bringen, verrichteten die Luxemburger Abgeordneten ordnungsgemäß die von ihnen erwartete Verwaltungsarbeit, verteilten die Lasten auf die Bevölkerung, organisierten Unterbringung und Transporte, hoben Freiwillige zur Verteidigung aus. Die Brabanter Revolution stellt in dieser Hinsicht den Endpunkt einer Entwicklung dar. Die Stände waren im Laufe der österreichischen Herrschaft zur Stütze des Steuer- und Militärstaates geworden. In der Folge soll nun gezeigt werden, welche Auswirkungen die zunehmende ständische Partizipation auf die Versorgung der Armee hatte.

7.6 D i e Ve r s orgu ng de r A r m e e  : Stä n de ode r P r i vat u n t e r n e h m e r  ? Die Verpflegung der österreichischen Truppen in den Niederlanden war weitgehend in privater Hand. Unternehmer lieferten Brot und Futter, versorgten die Festungsmagazine mit Fleisch und Trockengemüse und beschafften das benötigte Holz für Koch- und Heizzwecke. Einer Beteiligung der Landstände an der Versorgung der Armee standen die militärischen, aber auch die zivilen Behörden eher skeptisch gegenüber. Von den privaten Unternehmern erwartete man sich eine kostengünstigere Lieferung. Die Stände standen dagegen im Verdacht, die erbrachten Leistungen zu einem überteuerten Preis von den Steuern abzuziehen.68 Auch der Brüsseler Finanzrat traute der ständischen Einrichtung keine kompetente und sparsame Verwaltung der Proviantlieferungen zu. In einem Gutachten an Karl von Lothringen sprach er sich klar gegen eine Heeresversorgung durch die Landstände aus.69 Doch es gab Ausnahmen. In der kurzen Zeitspanne zwischen dem 6. September und 18. Dezember 1731 lieferten die Stände des Herzogtums Luxemburg 806.727 Brotportionen und 199.107 Futterrationen.70 Das waren in etwa 12 % des Brot- und gar 35 % des Futterverbrauchs in einem normalen Militärjahr. Auch in den Jahren 68 Siehe Kapitel 5, S. 175–176. 69 AGR, CF, N° 2802, Gutachten des Finanzrats an den Generalgouverneur, 15. März 1780. 70 AGR, CF, N° 2806, Brief der Luxemburger Landstände an die Generalgouverneurin, Luxemburg, den 28. Februar 1732.

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1746 bis 1748 war die Luxemburger Ständeorganisation gefordert. Nach eigener Bilanz haben sie während dieser Zeit die Armee mit fast vier Millionen Brotportionen und etwa zwei Millionen Futterrationen versorgt. Die Lieferungen machten einen Gesamtwert von 1,2 Millionen Gulden aus.71 1757 beauftragte die Brüsseler Regierung die Landstände mit der Verpflegung der Truppen des französischen Bündnispartners, die durch die Niederlande in Richtung Rhein zogen. Zwischen September 1757 und Oktober 1758 lieferten die verschiedenen Provinzen insgesamt 140.253 Pfund Fleisch und 359.109 Futterrationen.72 Die Luxemburger Ständeabgeordneten baten Ende 1759 darum, von weiteren Lieferungen zugunsten eines Unternehmers entbunden zu werden.73 Das war dann auch lange Zeit der Fall. In den schwierigen Jahren nach 1789 häufen sich die Hilfeleistungen der Landstände aber wieder. Militärobrigkeit und Regierung griffen auf die Unterstützung der Stände insbesondere in Ausnahmesituationen zurück, auch wenn sie das Unternehmerwesen im Normalfall bevorzugten. So erklärt sich z. B. die ständische Intervention von 1731 aus einer Notlage heraus. Die Jahre vor dem Ausbruch des Polnischen Erbfolgekrieges waren von immer wiederkehrenden Spannungen zwischen Österreich und Frankreich geprägt. Wegen der Bedrohung, die von den starken französischen Garnisonen in Thionville und Metz ausging, hatte Wien ein Expeditionsheer unter dem Kommando von General Graf von Wallis in das Herzogtum Luxemburg entsandt. 1731 lagen neben den sechs Bataillonen der Festungsbesatzung noch zusätzlich acht Bataillone Infanterie und zwölf Schwadrone Reiterei in der Provinz. Der Unterhalt der ordentlichen Garnison war durch den Vertrag mit dem Generalunternehmer für die Verpflegung des niederländischen Truppenverbandes, Lambert Renette, geregelt. Um die Versorgung der Wallis’schen Einheiten sicherzustellen, schloss die Brüsseler Regierung alle sechs oder neun Monate mit Renette ein gesondertes Abkommen. Als dieser Kontrakt im April 1731 auslief, verdoppelte der Generalunternehmer den Brotpreis fast, von zwei Stüber sechs Heller auf vier Stüber neun Heller, und auch die Futterkosten stiegen um mehr als einen Stüber pro Ration. Renette rechtfertigte die deftige Preiserhöhung mit der Teuerung auf den Getreidemärkten. Sein Gewinn, den er mit neun Heller auf dem Brot und sechs Heller auf der Futterration angab, 71 SPRUNCK, Alphonse, Le Duché de Luxembourg pendant la Guerre de Succession d’Autriche 1744 1748, Luxembourg 1945, S. 121–122. 72 AGR, SEG, N° 2689, « Résumé des Etats de la Fourniture des Viande,Fourages Voitures faite aux Troupes du Roÿ par les differentes Provinces des Paÿs Bas Autrichiens » [Zusammenfassung der Fleisch-, Futter- und Wagenlieferungen an die Truppen des Königs durch die verschiedenen Provinzen der Österreichischen Niederlande], Brüssel, den 1. Juni 1759. 73 AGR, CF, N° 2800, Depesche an den Finanzrat, Brüssel, den 31. Dezember 1759.

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Die Versorgung der Armee  : Stände oder Privatunternehmer  ?

diene nur dem Ausgleich der Verluste, die ihm die Verpflegung der Festungsgarnison einbrachte. Die Bezahlung, die er für diese bekam, zwei Stüber drei Heller pro Brotportion, habe unter seinen Gestehungskosten gelegen.74 Tatsächlich waren Getreide und Futtermittel Mangelware. Die Engpässe in der Versorgung wurden durch den Wirtschaftskrieg der Franzosen verstärkt. Um die österreichische Kavallerie auszuhungern, hatte der Kommandant der Drei Bistümer (Trois Évêchés) und spätere Gouverneur von Metz, Belle-Isle, alle Heuvorräte in Lothringen entlang der Grenze zwischen Thionville und Longwy aufkaufen und abtransportieren lassen. Den französischen Dorfbewohnern war der Export von Körnern und Fourrage nach Luxemburg strengstens untersagt.75 Die Preisforderung Renettes war demnach nicht ganz unrealistisch. Auch Gerber, der Steuereinnehmer der Provinz Luxemburg, bestätigte seinen Vorgesetzten in Brüssel, dass die Lebensmittel zu dieser Saison außerordentlich teuer waren und dass es keine anderen Interessenten für die Lieferungen gab.76 Die Regierung fand das Angebot Renettes trotzdem inakzeptabel und wollte den Generalunternehmer unter Druck setzen. Die gängige Praxis, die Truppenverpflegung durch Unternehmer zu besorgen, wurde ausgesetzt. Die Generalgouverneurin Maria Elisabeth schrieb an die Stände von Luxemburg und beauftragte sie mit der Verproviantierung des Expeditionsheeres.77 Doch schon nach einigen Wochen drängten die Stände, von den Lieferungen entbunden zu werden. Brüssel sah ein, dass das Preisangebot von Renette nicht dermaßen übertrieben war, und Ende Juli übernahm Renette wieder die Versorgung aller im Herzogtum Luxemburg befindlichen Einheiten.78 Insbesondere der Unterhalt der Pferde stellte in diesem ärmeren Teil der Niederlande ein großes Problem dar. Deshalb versuchte man durch geänderte Vertragsbedingungen, dem Unternehmer die Beschaffung von Futtermitteln zu erleichtern. Der Heupreis wurde auf drei Taler (Ecus) für eine Wagenladung von 1250 Pfund (Luxemburger Gewicht) festgelegt. Zu diesem Preis mussten die Bauern die Hälfte ihrer Heuvorräte an den Unternehmer abliefern. Gab es Widerstand, konnten die Gehilfen des Unternehmers sich an den nächsten Amtsmann wenden,

74 AGR, CF, N° 2806, „Mémoire au regard du livrement des vivres et fourrages aux troupes de Sa Majesté Impériale et Catholique aux Pays-Bas“ [Denkschrift über die Nahrungs- und Futterlieferungen an die Truppen in den österreichischen Niederlanden], o. D. [um 1732]. 75 Guillaume LASCONJARIAS, Un air de majesté. Gouverneurs et commandants dans l’Est de la France au XVIIIe siècle, Paris 2010, S. 290. 76 AGR, CF, N° 2806, Brief von Gerber an den Finanzrat, Luxemburg, den 28. April 1731. 77 AGR, CF, N° 2806, Schreiben von Maria Elisabeth an die Stände von Luxemburg, Brüssel, den 19. Mai 1731. 78 AGR, CF, N° 2806, Auftragsbestätigung zugunsten von Lambert Renette, Brüssel, den 23. Juli 1731.

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„pour avoir main forte“.79 Die Inanspruchnahme der Amtshilfe scheint dann aber doch etwas zu weit gegangen zu sein. Die Leute von Renette trieben das Heu mit einer Rücksichtslosigkeit ein, die schon bald heftigen Protest der Landstände hervorrief. Die rabiate Vorgehensweise des Unternehmers fügte angeblich der Bevölkerung schweren wirtschaftlichen Schaden zu. Indem man den Untertanen die Nahrung für ihr Vieh wegnahm, beraubte man sie der Möglichkeit, ihre Steuern zu zahlen. Die Landstände baten, die Lieferungen wieder in eigene Verwaltung nehmen zu dürfen. Besonders das fiskalische Argument fand bei der Regierung Gehör, die daraufhin den Vertrag mit Renette ohne Entschädigung kündigte und erneut die Stände mit der Versorgung der Sondertruppen bis zu ihrem Abzug aus der Provinz im Dezember 1731 betraute.80

7.7 D i e Stä n de a l s Aus w e g aus e i n e r k r i e g s be di ng t e n Ve r s orgu ng sk r i se Der Österreichische Erbfolgekrieg war eine weitere Krisensituation, in der die Regierung zur Zusammenarbeit mit den Landständen gezwungen war. Die ersten Jahre des Konflikts verliefen aus niederländischer Sicht noch verhältnismäßig ruhig. Die Versorgung der Streitkräfte in den Niederlanden konnte weiterhin durch private Unternehmer gesichert werden. Bis 1744 stand van Overstraeten unter Vertrag. Dann übernahm eine andere Gesellschaft das Geschäft.81 Dennoch bereitete man sich auch in diesem Teil der Habsburgermonarchie auf eine bewaffnete Auseinandersetzung vor. In der Festung Luxemburg wurden Vorräte für eine Belagerung angehäuft und die Heumagazine aufgefüllt. In den Wintermonaten kamen vermehrt Truppen ins Herzogtum, um dort Quartier bis zum nächsten Feldzug zu beziehen. Da diese Anstrengungen aus dem gewohnten Rahmen fielen, wandte Brüssel sich an die Stände. 1741 lieferten die Luxemburger Stände 800 Rinder zur Herstellung von Pökelfleisch.82 Im darauffolgenden Jahr versorgten sie die überwinternden Reitereinheiten mit den nötigen Futtermitteln für ihre Tiere, und 1744 beteiligten sie sich an der

79 AGR, CF, N° 2806, Bedingungen für die Brot- und Futterlieferungen an die außergewöhnlichen Truppen in der Provinz Luxemburg, Brüssel, den 21. Juli 1731. Siehe insbesondere Artikel 4. 80 AGR, CF, N° 2806, Schreiben der Generalgouverneurin an den Finanzrat, Brüssel, den 20. August 1731  ; Bericht des Finanzrats an die Generalgouverneurin, o. D. [um 1734]. 81 Vgl. Kapitel 6 vorliegender Arbeit, S. 263. 82 ANL, A XVII –4, Schreiben der Stände an die Generalgouverneurin, o. D. [30. Juni 1741].

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Die Stände als Ausweg aus einer kriegsbedingten Versorgungskrise

Anlage eines großen Heumagazins in der Festung Luxemburg.83 Doch die eigentliche Bewährungsprobe stand noch bevor. Am 17. Mai 1744 erfolgte der französische Angriff auf die Niederlande. Nach der Schlacht bei Fontenoy (1745) eroberte Moritz von Sachsen weite Teile des Hennegaus und Flanderns. Im Februar 1746 drangen die Franzosen in Brüssel ein, die Regierung zog sich nach Antwerpen zurück. Die österreichischen Behörden verloren die Kontrolle über den größten und wirtschaftlich wichtigsten Teil der Niederlande. Das Liefersystem der Unternehmer brach offensichtlich zusammen. Der Kommandant der österreichischen Armee im Herzogtum Luxemburg, Neipperg, berichtete, dass der Proviantunternehmer bankrottgegangen sei.84 Seit März bezog er die Verpflegung für seine Truppen aus den Festungsmagazinen, deren Reserven eigentlich für den Fall einer Belagerung gedacht waren. Luxemburg befand sich in einer bedenklichen Versorgungslage. Isoliert, umringt von fremden Herrschaften und ohne Hoffnung auf Hilfe von außen musste das Land mit seinen eigenen Ressourcen den Lebensunterhalt seiner Bevölkerung und der dort befindlichen Soldaten bestreiten. In der Vergangenheit war das Herzogtum jedoch daran gewöhnt gewesen, Zuschüsse zu bekommen für die Verpflegung wie auch für die Besoldung des Militärs. „Würde man selbst den ganzen Ertrag der Steuer, Domänen und Zölle im Lande lassen, es würde dennoch nicht reichen für die gewöhnlichen Ausgaben“, stellte Neipperg fest.85 Der österreichische Kommandant schätzte die Gesamteinnahmen des Staates im Herzogtum Luxemburg auf 560.000 Gulden, von denen etwa 100.000 Gulden für nicht-militärische Zwecke abgingen. Der Restbetrag reichte nicht für alle Verteidigungsausgaben. Die Bezüge der Generalstabs- und Regimentsoffiziere waren zwanzig Monate im Rückstand. Den Sold der Garnisonssoldaten konnte Neipperg nur begleichen, indem er den Reservefonds der Festung fast vollständig aufbrauchte.86 Aus dieser Schatulle sollte eigentlich nur bezahlt werden, wenn die Garnison vollständig von feindlichen Truppen eingeschlossen war. Auch die Vorräte in den Festungsmagazinen gingen allmählich zur Neige. Jeden Tag desertierten laut Neip-

83 ANL, A XVII-4, Brief von Harrrach an die Stände, Brüssel, den 8. Dezember 1742  ; ibidem, Schreiben der Stände, 26. Januar 1743  ; ANL, A IV-64, Brief von Neipperg, Luxemburg, den 21. Februar 1744  ; ibidem, Schreiben der Stände, 22. Februar 1744. 84 Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 32. 85 « […] que quand meme on laisseroit dans la province tout ce qu’elle produit, tant en aides, Domaines, ques droits d’entrée et de sortie, encor cela ne suffiroit-il pas a beaucoup prez pour fournir a la depense ordinaire […]. » Brief von Neipperg an Batthyány, 7. Juli 1746, zitiert in Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 33. 86 Ibidem, S. 32–33.

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perg bis zu sechs Soldaten.87 Das war jede Woche fast eine Kompanie, die verloren ging. Es kann durchaus sein, dass Neipperg das Bild schwärzte, um zusätzliche Hilfe von außen zu bekommen. Vielleicht wollte er auch sein Finanzgebaren legitimieren. Er hatte den Einnehmern im Herzogtum Luxemburg verboten, Ausgaben für zivile Zwecke zu tätigen, ohne ihn vorher zu informieren, eine Maßnahme, die von der Regierung als Überschreitung seiner Kompetenzen missbilligt wurde. Doch die Regierung erkannte selbst, wie kritisch die Lage war. In Luxemburg fehlte die Möglichkeit, mit einer Anleihe die Finanzierungslücke im Militärhaushalt zu überbrücken. Im Unterschied zu den großen niederländischen Zentren gab es keine vermögenden Geschäftsleute, die sich im Bank- und Kreditgewerbe betätigten, sogenannte „Kapitalisten“, bei denen der Staat Geld hätte borgen können.88 In der Festungsstadt führte der bescheidene Handel der korporativ organisierten „Krämer“ nicht zur Akkumulation von größeren Kapitalsummen, die für das Kreditgeschäft nötig gewesen wären.89 Der einheimische Adel dagegen war oftmals selbst verschuldet und investierte vor allem in den Grundbesitz.90 In kleinerem Maßstab vergaben die Steuereinnehmer Kredite. Jean Ignace de Feltz und Jean-Baptiste Henron sowie nach ihrem Tod ihre Witwen sind uns als Kreditgeber bekannt. Doch auch sie haben anscheinend den Ankauf von Herrschaften und Ländereien zur Konsolidierung ihres Vermögens bevorzugt.91 Die Einzigen im Herzogtum Luxemburg, die wahrscheinlich über erhebliche flüssige Geldmittel verfügten, waren die kirchlichen Einrichtungen. Die Gesetzgebung bezüglich der „toten Hand“ (mainmorte) schränkte den Landerwerb durch die Kir-

87 Brief von Neipperg an Karl von Lothringen, 4. August 1746, in Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 37. 88 Neipperg wies in seinem Bericht an Batthyány auf die Abwesenheit von Bankiers und den Mangel an Geldmitteln hin, um die Besonderheit Luxemburgs hervorzuheben   : « […] il ne faut pas d’ailleurs considerer cette place comme il y en a plusieurs dans les pays bas, il n’y a aucune resource point des banquiers point de capitalistes, qui puissent faire les moindres avances, sur aucun des fonds dont les termes de payement sont reculez […]. » Zitiert in Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 34. 89 Zur beruflichen Gliederung der Stadtgesellschaft im Ancien Régime siehe Norbert FRANZ, Die Stadtgemeinde Luxemburg […], op., cit., S. 227–231. Die Bezieher von Kapitaleinkünften und Renten nehmen lediglich eine marginale Position in Luxemburg ein. Zur Bourgeoisie und den Luxemburger Händlerfamilien siehe auch Guy THEWES, De l’Ancien Régime au Luxembourg moderne. ������������ La bourgeoisie de la ville au XVIIIe siècle, in  : TRAUSCH, Gilbert (Hg.), La Ville de Luxembourg. Du château des comtes à la métropole européenne, Anvers 1994, S. 195–199. 90 Calixte HUDEMANN-SIMON, La noblesse luxembourgeoise […], op., cit., S. 392–397. 91 Ibidem, S. 394–395.

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che ein.92 Dennoch ist anzunehmen, dass die erwirtschafteten Geldmittel der Kirche nicht dem Kapitalmarkt zuflossen, sondern wohl eher die rege Bautätigkeit der Pfarreien und Klöster im 18. Jahrhundert finanzierten. Insbesondere die großen Abteien, Sankt Maximin, Echternach, Münster, Orval und Saint-Hubert, investierten die beträchtlichen Einnahmen aus ihren Domänen und Eisenschmelzen in aufwendige Klosterneubauten oder die Instandsetzung von Refugien.93 Die österreichische Verwaltung musste einen Ausweg zur Finanzierung der Truppenverpflegung finden. Dabei verschlechterte sich die militärische Situation zusehends. Im Juni 1746 zog die Regierung sich nach Aachen zurück. Am 11. Oktober verlor Karl von Lothringen bei Rocourt eine entscheidende Schlacht gegen Moritz von Sachsen. Alle anderen belgischen Provinzen mit Ausnahme von Geldern waren jetzt von den Franzosen besetzt. Die Isolation Luxemburgs wuchs. Unterstützung von außen schien ausgeschlossen. Private Finanziers gab es nicht, die Steuern waren aufgebraucht. Der Finanzrat sah einen Appell an den „Diensteifer“ der Stände des Herzogtums als einzigen Ausweg.94 Nach Einschätzung der Regierung verfügte diese Körperschaft über einen Kredit von mindestens 120.000 Gulden.95 Karl von Lothringen schrieb am 5. Oktober 1746 an die Luxemburger Abgeordneten und forderte sie auf, mit dem Kredit der Landstände 26.180 Zentner (quintaux) Mehl zu beschaffen, um die leeren Festungsmagazine wieder aufzufüllen. Um das Versorgungsproblem in Luxemburg zu lösen, war man auf die Kooperation der Landstände angewiesen. Nur mit ihrer Zusammenarbeit konnten weitere Ressourcen in Geld- oder Naturalform abgeschöpft werden. Doch die Einwilligung der Stände blieb vorerst aus. Der ständige Ausschuss, der am 17. Oktober zusammenkam, gab an, keine Vollmacht zu besitzen. Finanzielle Verpflichtungen mussten von der Vollversammlung gebilligt werden. Der autoritäre, an militärischen Gehorsam gewohnte Neipperg erregte sich daraufhin heftig und stellte die Abgeordneten unter Stadtarrest.96 Die Ständevertreter ließen sich nicht beirren und legten Protest bei Karl von Lothringen ein. Doch der Druck der Militärobrigkeit 92 ROPBA, Bd. 7, Bruxelles 1891, S. 256–261. Erlass Maria Theresias über den Erwerb von Immobilien durch Leute der Toten Hand, Brüssel, den 15. September 1753. 93 Beispielhaft die Studie von Michel Schmitt, Die Bautätigkeit der Abtei Echternach im 18. Jahrhundert (1728–1793). Ein Beitrag zur Geschichte des Luxemburgischen Bauwesens im Barockzeitalter, Luxemburg 1970. Siehe auch Guy THEWES, Les refuges d’abbayes dans la ville, vestiges du passé, in  : ons stad, 1994, N° 47, S. 13–15. 94 AGR, CF, N° 2809, Gutachten des Finanzrats an den Generalgouverneur, Brüssel, den 28. September 1746. 95 Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 43. 96 Ibidem, S. 43–44.

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stieg. Neipperg informierte die Ständevertreter, dass Ende Oktober 12.000 Soldaten – 14 Infanteriebataillone, sieben Grenadierkompanien, drei Kavallerieregimenter und ein Husarenregiment – ihre Winterquartiere im Herzogtum beziehen würden. Die Landstände wurden angewiesen, für Nahrung und Unterbringung während ihres Anmarschs und Aufenthalts zu sorgen. Nun konnten die Abgeordneten sich nicht mehr der Verantwortung entziehen, wollten sie willkürliche Requisitionen oder gar Plünderungen vermeiden. Der Ständeausschuss traf die nötigen Vorbereitungen, um die Truppen zu empfangen und auf die Landgemeinden zu verteilen.97 Sowohl die Landstände als auch die Regierung signalisierten Verhandlungsbereitschaft. Eine Delegation der Stände reiste nach Aachen und kam mit dem Oberbefehlshaber der österreichischen Streitkräfte Batthyány zusammen.98 In Luxemburg versammelte sich eine trilaterale Kommission, bestehend aus einem Vertreter des Militärs, dem Generalfeldmarschall Arberg, einem Vertreter der landesherrlichen Verwaltung in Person des Generalprokurators des Provinzialrats Detraux sowie jeweils einem Vertreter der drei Stände.99 Es ging nicht mehr darum, ob die Landstände die Lieferungen übernehmen sollten, sondern zu welchen Bedingungen. In Aachen standen der Bezahlungsmodus für die Lieferungen und die Zahl der Truppen, die das Herzogtum aufnehmen konnte, im Vordergrund der Gespräche. Die ständischen Abgesandten hoben wiederholt die Armut der Provinz hervor, in der Hoffnung, die militärische Belastung der Bevölkerung verringern zu können. In Luxemburg einigte die trilaterale Kommission sich dann auf einen Preis für die Futter- und Brotrationen, den Neipperg der Regierung vorschlug.100

7.8 I n t e r e s s e n v e r t r e t u ng u n d S c h u t z de r Be völ k e ru ng Die Stände erfüllten in diesem Fall ihre Funktion als Interessenvertretung der Bevölkerung gegenüber den Ansprüchen des Militär- und Steuerstaates. Einerseits ermöglichten sie die Erschließung zusätzlicher Ressourcen, die für den Krieg benötigt wurden. Andererseits trugen die Landstände Sorge, dass die Provinz nicht zu sehr unter den kriegsbedingten Abgaben litt. Sie waren die Schnittstelle, an der die Bedürfnisse der Armee mit dem Leistungsvermögen der Bevölkerung zusammengeführt  97 Ibidem, S. 44–45.  98 Ibidem, S. 47–55.  99 AGR, CF, N°2793, Bericht über die Verhandlungen der durch die Bestimmung Seiner Exzellenz vom 23. November 1746 eingesetzten Kommission, Luxemburg, den 17. Dezember 1746. 100 AGR, CF, N° 2793, Brief von Neipperg an Seine Exzellenz, Luxemburg, den 18. Dezember 1746.

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Interessenvertretung und Schutz der Bevölkerung

wurden. Folglich nahmen die Stände gegenüber den Landeseinwohnern durchaus eine Schutzfunktion wahr.101 Gewiss könnte man hier wiederum die Eigennützigkeit der ständischen Vertreter anführen, denn die meisten von ihnen waren Grundherren, die selbst einen Teil der bäuerlichen Erträge abschöpften und in Konkurrenz mit dem landesherrlichen Steuerdruck auf die ländliche Gesellschaft standen. Den Landeseliten konnte nur daran gelegen sein, dass übermäßige Lieferungen, Fuhrdienste und Einquartierungen ihre „Rentenquelle“, die Bauern, nicht ruinierten. Doch auch der Staat hatte Interesse an der Erhaltung seiner „Steuerzahler“, weshalb beide Seiten denn auch einen Ausgleich suchten. In Bittschriften und Landtagsbeschlüssen forderten die Stände eine angemessene Entschädigung der Gemeinden für die vielfache logistische Unterstützung, die sie der Armee zugutekommen ließen. „Sie werden erhebliche Verluste erleiden, wenn sie keinen anständigen Preis für die gelieferten Lebensmittel bekommen“, heißt es in einem typischen Schreiben der Luxemburger Abgeordneten an den bevollmächtigten Minister.102 Dann wird die erdrückende Belastung durch die Militärpräsenz eindrucksvoll geschildert. „Die Heu- und Haferernte war sehr klein wegen der Trockenheit letzten Sommer. Das Volk ist gezwungen, auf einen Teil des Futters, das für sein Vieh notwendig ist, zu verzichten, um es an die Truppen zu liefern. Andere, die selbst nicht genug davon haben, müssen es teuer kaufen. Auch muss man Futter von weit her und unter hohen Kosten herankarren, um nicht alles denen zu nehmen, die sich in nächster Nähe befinden. Das Volk ist überhäuft mit Einquartierungen, mit Holzlieferungen für Heizzwecke an Offiziere, Wachen und Lazarette und mit Fuhrdiensten, die es verrichten muss, um unaufhörlich Brot und Futter aus den Magazinen zu holen.“103 1746 einigten Regierung und Stände sich auf einen Preis von 20 Heller (deniers) für eine Tagesportion Brot – umgerechnet fünf Stüber für ein sechs101 Vgl. William GODSEY, Österreichische Landschaftsverwaltung und stehendes Heer im Barockzeitalter  : Niederösterreich und Krain im Vergleich, in  : Peter Rauscher (Hg.), Kriegführung und Staatsfinanzen […], op. cit, S. 313–354, S. 341. 102 ANL, A XVII–4, Brief der Luxemburger Stände an den bevollmächtigten Minister, 26. Januar 1743. « […] ils souffriront des pertes considérables s’ils n’ont un prix convenable pour les denrées qu’ils auront livrées […]. » 103 Ibidem. « […] la récolte des foins et avoines a été très petite à cause de sècheresse de l’été dernier, que le peuple est obligé de se priver d’une partie des fourrages nécessaires à ses bestiaux pour les fournir aux troupes, que d’autres n’en aiant pas en suffisance sont obligés de les acheter à haut prix, qu’il faut en faire voiturer une partie de loing à gros frais pour ne point ôter tout à ceux qui sont à portée, que le peuple est accablé par le logement desdites troupes, par la fourniture du bois de chauffage aux officiers, corps des gardes et hôpitaux, et par les voitures qu’il est obligé de faire pour aller chercher sans cesse les pains et les fourrages aux magasins […]. »

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pfündiges Brot – und neun Stüber für eine Futterration. Gewicht und Zusammensetzung der Rationen wurden auch genau festgelegt.104 Mit diesem Angebot lagen die Stände bei den Pferdeportionen sogar leicht unter dem Preis der letzten Unternehmer Henry, Bauwens und Gotte. Die Mundverpflegung war dagegen um sechs Heller teurer. Als Rechtfertigung für den Preisanstieg führten die Stände den Importstopp aus den Nachbarländern, insbesondere aus dem besetzten Namur und Lüttich, an, denn der Krieg habe die Einfuhr von Getreide unterbunden, außer den geringen Mengen, die heimlich über die Grenzen kommen. Als Argument, um die Schwierigkeiten der Pferdeversorgung zu belegen, diente immer wieder die angeblich besondere natürliche Beschaffenheit der Provinz. Laut Aussage der Stände bestand Luxemburg zu großen Teilen aus felsigem Terrain und Wäldern. Die Anbau- und Weideflächen waren demnach gering und die Haferproduktion notgedrungen bescheiden. Für den Bauern war Hafer in Form von Brei oder Fladen ein wichtiger Bestandteil der täglichen Ernährung. Es wurde folglich ungern an Pferde verfüttert.105 Die Dorfgemeinschaft, die ihr Brot, Heu und Hafer an die Soldaten abgab, bekam ihre von den Ständen ausgehandelte Entschädigung nicht bar ausbezahlt. Die Empfänger stellten eine Quittung aus, die von einem Offizier der durchziehenden oder in Quartier liegenden Einheit unterschrieben wurde. Das Militär hielt sich nicht immer an diese Spielregeln, drangsalierte manchmal die Zivilbevölkerung und forderte mehrmals zusätzliche Leistungen, für die es keine Belege ausstellte. Am 11. Januar 1748 beschwerten sich die Luxemburger Stände bei Oberbefehlshaber Batthyány, dass ihnen von überall Klagen kommen über schlechtes Benehmen und Ausschreitungen der Truppen.106 In Bitburg verweigerte der Kapitän der dort einquartierten Kompanie die Magazinverpflegung und zwang die Einwohner, seinen Soldaten „Hausmannskost“ vorzusetzen.107 „Hausmannskost“ bedeutete, dass die Männer sich nicht mit Brotportionen begnügten, sondern an den gewöhnlichen Mittags- und 104 AGR, CF, N° 2793, Bericht über die Verhandlungen der durch die Bestimmung Seiner Exzellenz vom 23. November 1746 eingesetzten Kommission, Luxemburg, den 17. Dezember 1746. 105 « […] une province qui dans sa plus grande partie ne consiste que dans des terrains des rochers et des bois et où l’avoine sert en grande partie à la nourriture du païsan […]. » AGR, CF, N° 2793, Bericht über die Verhandlungen der durch die Bestimmung Seiner Exzellenz vom 23. November 1746 eingesetzten Kommission, Luxemburg, den 17. Dezember 1746. Zu den Essgewohnheiten und der Bedeutung des Hafers in der Ernährung des einfachen Volkes siehe Richard van DÜLMEN, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Bd. 1 Das Haus und seine Menschen 16.–18. Jahrhundert, München 1999, S. 69, sowie für die Ardennen Giovanni HOYOIS, L’Ardenne et l’Ardennais. L’évolution économique et sociale d’une région, Bd. 2, Bruxelles 1953 (Nachdruck 1981), S. 787. 106 Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 100–102. 107 Ibidem, S. 102–103.

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Abendmahlzeiten ihrer Quartiergeber teilnahmen.108 Anderswo strichen die Soldaten zusätzliche Geldbeträge zu ihrem Sold ein. Die Stadt Houffalize zahlte jedem kantonierten Husar 14 Schillinge (Escalins) pro Monat. In der Umgebung von Houffalize zitterten alle vor den Launen eines Leutnants, nachdem dieser einen Bauern an den Amboss des Dorfschmieds gebunden und mit Stockschlägen traktiert hatte. Derselbe Offizier wie auch dessen Unterleutnant und Fähnrich ließen sich Fleisch, Butter und Hühner von der Bevölkerung umsonst geben. 109 Die Landstände hatten ihre Beschwerde schon an den Festungskommandanten und Interimsgouverneur Neipperg gerichtet, doch dieser hatte anscheinend keine direkten Befehlsbefugnisse über die über Lande liegenden Truppen. Der Kapitän in Bitburg meinte jedenfalls, er könne bei allem Respekt gegenüber Marschall von Neipperg nur Order von seinem Regimentsoberst empfangen.110 Diese Reaktion ist ein Hinweis darauf, dass zu Beginn der Herrschaft Maria Theresias das Inhabersystem mit all seinen Eigenwilligkeiten noch sehr ausgeprägt war. Die Offiziere eines Regiments fühlten sich mehr ihrem OberstInhaber verbunden als der übergeordneten Militärhierarchie. Erst allmählich konnte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dieses Defizit durch die fortschreitende Verstaatlichung des Heeres überwunden werden.111 Während der Landtage sammelten die Stände die Reklamationen der geschädigten Gemeinden ein und leiteten die daraus hervorgehenden Anliegen an höhere Stellen weiter. In gravierenden Fällen wurde ein Abgeordneter entsandt, der Nachforschungen vor Ort anstellte und Bericht erstattete.112 Wie häufig es zu Machtmissbrauch und ungerechtfertigten Forderungen durch das Militär kam, ist schwer abzuschätzen. Eine systematische Auswertung der Verwaltungsarchive der Landstände, insbesondere der Tagungspunkte sowie der Protokollregister, in welche die eingehenden Protestschreiben der Gemeinden vermerkt wurden, könnte hierüber Aufschluss geben.113 Kam es zu Schaden durch das Militär, wurde in der Regel der Tatbestand 108 In Ungarn und in den deutsch-böhmischen Territorien der Habsburgermonarchie war das umstrittene System der „Hausmannskost“ auf Drängen der Länder durch die Verpflegungsordonnanz von 1699 aufgehoben worden. Michael HOCHEDLINGER, „Onus militare“. Zum Problem der Kriegsfinanzierung in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie 1500–1750, in  : Peter Rauscher (Hg.), Kriegführung und Staatsfinanzen […], op., cit., S. 81–136, S. 126–127. 109 Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 104. 110 Ibidem, S. 103. 111 Siehe Johann Christoph ALLMAYER-BECK, Wandlungen […], op. cit. 112 Im Falle von Bitburg bzw. Houffalize waren es Hout, Schultheiß von Echternach, und der Prior von Houffalize, beide auswärtige Mitglieder in der ständigen Vertretung der Landstände. Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 103–104. 113 ANL, A IV-19-A IV-24, « Points représentés aux États », 1646–1680 und 1698–1794, und ANL, A

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durch die lokalen Ämter und Gerichtsbarkeiten aufgenommen. Exzesse von Armeeangehörigen müssen folglich auch Spuren in den Gerichtsakten hinterlassen haben. Die normativen Quellen belegen jedoch, dass es allen staatlichen Stellen sehr an der Aufrechthaltung einer strikten Disziplin gelegen war. Am 1. November 1746 erließ Karl von Lothringen eine Verordnung, die das Zusammenleben von Militär und Zivilbevölkerung regeln sollte. Die Soldaten hatten sich friedfertig gegenüber ihren Gastgebern zu verhalten. Erpressung von Geld, Plünderung, aber auch die Forderung nach mehr als dem festgelegten Soll waren strengstens untersagt. Die Verfügung von 1746 sah vor, dass die Einwohner jeden Monat eine Quittung für ihre Proviantlieferungen bekamen.114 Man kann demnach davon ausgehen, dass weder die Regierung noch die oberste Militärführung Unregelmäßigkeiten tolerierten und den Landständen recht gaben, wenn diese nach einem energischen Durchgreifen verlangten, denn es ist „zur Genüge bekannt, dass die Militärsleute auf dem Volk herumtrampeln, außer sie finden eine höhere Autorität, die sie anhält. Und bleibt eine Untat ungestraft, folgen alle darin, und treiben es noch weiter.“115 Dass die Soldaten sich an Futter und Nahrungsmitteln bedienten, ohne den Besitzern eine Bescheinigung für das genommene Gut auszustellen, scheint während des Österreichischen Erbfolgekriegs eher die Ausnahme gewesen zu sein. Selbst die französische Armee auf ihrem Zug durch das Herzogtum Luxemburg im April 1748 gewährte der Bevölkerung Quittungen für die requirierte Mund- und Pferdeverpflegung.116

IV-26-A IV-33, « Registres aux protocoles », 1620–1629, 1641–1792. Siehe dazu Guy THEWES, Route […], op., cit., S. 72–77 und 78–81. 114 Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 45–47 115 ���������������������������������������������������������������������������������������������������� « […] Votre Excellence poura clairement connoitre les vexations qui se commettent, et les excès auxquels lesdites trouppes se portent, qui ne manqueront pas de se continuer et d’augmenter même considerablement s’il n’y est porté un prompt et efficace remede, etant assés connu que les Militaires ne cessent d’empieter sur le peuple, amoins qu’ils ne trouvent une autorité superieure qui les arrete, et que l’exemple de l’impunité dans l’un, engage tous les autres a suivre ses traces, et meme a aller au dela. » Schreiben der Stände an Batthyány, 11. Januar 1748, zitiert in Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S.101. 116 Siehe Beispiel unter ANL, A XVII-4, Order von Louis Comte de Saint-Germain, Maréchal des Camps et Armées du Roy, an die Amtsleute der Herrschaft Clerf, Martelingen, 2. April 1748. Nach dem Friedensschluss erklärte Frankreich sich sogar einverstanden, die Lieferungen zu bezahlen. Nach einigen Verhandlungen wurden schließlich 58.000 Gulden nach Luxemburg überwiesen und an die betroffenen Gemeinden ausbezahlt. Die Luxemburger Stände hatten die Lieferungen zwar auf 164.000 Gulden beziffert, doch auch die Rückzahlung eines Teilbetrages durch die Franzosen wurde als diplomatischer Erfolg gewertet. Siehe Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 133–155.

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Die Bezahlungen der Lieferungen und ihre wirtschaftliche Auswirkungen

7.9 D i e Be z a h lu ng e n de r L i e f e ru ng e n u n d i h r e w i r t s c h a f t l ic h e Aus w i r k u ng e n Die vom Militär ausgehändigten Quittungen waren fiskalische Gutschriften, die bei einer zukünftigen Steuererhebung verrechnet wurden. Manchmal musste die Bevölkerung jedoch lange auf eine Vergütung warten. Die in den Jahren 1746 bis 1748 geleisteten Naturallieferungen z. B. wurden erst in der Nachkriegszeit zurückerstattet. Ein Teil wurde den Gemeinden bei der gewöhnlichen Steuer (aide) von 1749 gutgeschrieben. Die restlichen Beträge wurden 1753 und 1754 eingelöst.117 Doch noch im Jahre 1757 klagten mehrere Gemeinden aus der Propstei Bitburg, da sie weder Geld noch eine Gutschrift auf ihren Steuern für die Lieferungen aus der Zeit des Österreichischen Erbfolgekrieges bekommen hätten.118 Ob letztlich alle Leistungen entschädigt wurden, lässt sich nicht mit Gewissheit feststellen. Der Sekretär der Stände Jean-Baptiste Dumont hatte über die Abgaben an das Militär während der Kriegsjahre Buch geführt.119 Diese Konten wurden Anfang 1750 von zwei Regierungskommissaren in Brüssel – Finanzrat Pierre Bellanger und Kriegskommissar Karl Joseph von Pfanzelter – eingehend geprüft. Nach diesem Audit wollte die Regierung die Brotportionen nur noch mit 18 Heller vergüten anstatt der 20 Heller, die 1746 ausgehandelt worden waren. Auch der Futterpreis wurde von neun auf 7 ½ Stüber reduziert. Die Stände protestierten.120 Doch die Regierung bestand auf einer Angleichung an die Preissätze in den anderen Provinzen. „Würde man Luxemburg, das als einziges Land den Verheerungen des Krieges entgangen war, einen höheren Preis zahlen, wäre dies ein Vorwand für die Holländer, die Lütticher, die aus Limburg, Flandern und Brabant, die auch geliefert haben.“121 Den Überweisungsvorgang der noch ausstehenden Beträge an die Gemeinden sahen die Brüsseler Behörden folgendermaßen vor  : Die Gemeinden sollten den gesamten von ihnen geschuldeten Steuerbetrag zahlen und danach jemanden bestellen, der in die 117 AGR, CF, N° 2809, Kostenaufstellung der von den Ämtern und Gemeinden der Provinz Luxemburg gelieferten Brot- und Futterrationen, o. D. 118 Brief von Cobenzl an die Luxemburger Stände, 7. Juni 1757, in Alphonse SPRUNCK, Les États de Luxembourg et le gouvernement de Bruxelles sous le règne de Marie-Thérèse, in  : Annales de l’Institut archéologique du Luxembourg, Bd. 89, 1958, S. 3–226, S. 29. 119 ANL, A IV-141, « Comptes des prestations, vivres et fourrages fournis aux troupes de Sa Majesté » (1746–1749). 120 AGR, SEG, N° 2724, Protestschreiben der Luxemburger Stände, Luxemburg, den 21. Februar 1750. 121 Ibidem. « […] si l’on donnoit un prix plus haut à cette province qui seule n’a essuiée les ravages de la guerre, ce seroit une planche pour les hollandois, les liègeois, et ceux de Limbourg, de Flandre et de Brabant qui ont également fourni […]. »

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Stadt Luxemburg kommt, um dort vom Hauptsteuereinnehmer das Geld für die Lieferungen entgegenzunehmen. Die Stände wiesen die Regierung darauf hin, dass dieses Verfahren für die Bevölkerung sehr belastend sei.122 Nicht nur dass die Reise in die Stadt Luxemburg und wieder zurück mit hohen Unkosten verbunden war, auch hatten die „armen Einwohner“ Luxemburgs Mühe, das nötige Bargeld zusammenzubringen, um ihre Steuern zu zahlen. Wenn vorweg schon ein Teil erlassen wurde, stellte dies eine Erleichterung dar. Die Stände schlugen deshalb eine andere Vorgehensweise vor.123 Die geschuldeten Summen für die Lieferungen sollten vorab von dem Steuerbetrag, den die betroffenen Dorf- und Stadtgemeinschaften zu zahlen hatten, abgezogen werden und die Gemeinden nur einen Teil ihrer Besteuerung an die Steuereinnehmer in bar entrichten. Vom Rest, im Gegenwert der Lieferungen, sollten sie befreit werden. Damit auch im Kassenwesen alles geordnet verlaufe, sollten die lokalen Amtsträger den Steuereinnehmern eine Bescheinigung für die gutgeschriebenen Beträge ausstellen, die diese wie bare Münze akzeptieren und an den Generaleinnehmer weitergeben könnten. Die Rechenkammer in Brüssel nehme dann dem Generaleinnehmer die Belege mit seinen Konten ab. Der Brüsseler Finanzrat folgte dem Vorschlag der Stände und gab die erforderlichen Anweisungen an den Generaleinnehmer der Steuern in Luxemburg Dominique de Feller sowie an den Präsidenten des Provinzialrates Baron von Heyden.124 Als Grundlage für die Steuerermäßigungen diente die von den Ständen angefertigte „Kostenaufstellung der von den Ämtern und Gemeinden der Provinz Luxemburg gelieferten Brot- und Futterrationen“.125 Der letztlich vereinbarte Zahlungsmodus offenbart die Knappheit des Bargeldes insbesondere in der ländlichen Gesellschaft. Die Geldzirkulation in der Frühen Neuzeit ist noch wenig erforscht. Man kann aber davon ausgehen, dass viele Bauern – im Gegensatz zu den vom Handel, Handwerk oder diversen Ämtern lebenden Bürgern – Mühe hatten, genügend „klingende Münzen“ zu erwirtschaften, um die landesherrlichen Geldsteuern zu zahlen. Die Abgeltung der Lieferungen und militärischen Hilfsdienste durch Steuernachlässe – eine Vorgehensweise, die offensichtlich von den Ständen bevorzugt wurde – kann als Indiz in dieser Hin122 AGR, CF, N° 2809, Gesuch der Luxemburger Stände an den bevollmächtigten Minister, Luxemburg, den 30. August 1753. 123 Ibidem. 124 ANL, A XVII-4, Schreiben des Finanzrats an Dominique de Feller, Brüssel, den 3. Oktober 1753 (Kopie)  ; ANL. A XVII-4, Schreiben von Karl von Lothringen an Baron von Heyden, Brüssel, den 6. Oktober 1753 (Kopie). 125 AGR, CF, N° 2809, Kostenaufstellung der von den Ämtern und Gemeinden der Provinz Luxemburg gelieferten Brot- und Futterrationen, o. D.

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Die Bezahlungen der Lieferungen und ihre wirtschaftliche Auswirkungen

sicht gewertet werden. Paradoxerweise kann es demnach durchaus sein, dass die Abgaben, die nicht aus Geld, sondern aus anderen Leistungen bestanden, die reale Steuerbelastung minderten und folglich eine positive Wirkung hatten. Es war wahrscheinlich für den Bauern leichter, Naturalleistungen wie Getreide, Vorspann und Quartier zu erbringen, als Kontributionen in Geldform zu zahlen. Für diese Hypothese spricht, dass viele grundherrschaftliche Abgaben ebenfalls aus Naturalien bestanden. Grundzins und Schaftrente setzten sich in der Regel aus einer Mischung von monetären und nichtmonetären Leistungen zusammen. Die Hofinhaber lieferten ihrem Grundherrn nicht nur einen bestimmten Geldbetrag ab, sondern auch Korn, Schweine, Hühner sowie Eier und hatten auch noch oft mehrere Frontage zu entrichten.126 Während in anderen Provinzen der Niederlande die verhasste Sterbfallabgabe (morte-main oder mainmorte oder auch Kirmut genannt) weitgehend von einer Geldzahlung abgelöst worden war, zogen in Luxemburg im 18. Jahrhundert die Herren noch oft beim Tod des Hausvorstandes ein bewegliches Gut ein, sei es ein Stück Vieh oder ein Möbel, das dann verkauft wurde.127 In der Forschung wird allgemein angenommen, dass die Geldzahlungen leichter wogen, da ihr Nominalwert unverändert blieb, der Realwert aber inflationsbedingt abnahm. Die Bauern hätten demnach in der Regel versucht, die Naturalabgaben in Geldzahlungen umzuwandeln.128 Dies stimmt jedoch nur in einem wirtschaftlichen Umfeld, das durch Inflation, also Geldentwertung, geprägt ist, nicht aber in einer Gesellschaft, in der nur ungenügend Geldmittel im Umlauf waren, Geld demnach einen hohen Wert besaß und monetäre Leistungen ins Unerschwingliche tendierten. Die bäuerliche Wirtschaft im Herzogtum war eine Subsistenzwirtschaft und dementsprechend gering monetisiert. Die Mehrzahl der Höfe sicherte mit seiner Produktion die eigene Nahrung  ; nur wenige produzierten für den Markt. Ob Leistungen in Naturalform eine fiskalische Entlastung bedeuteten oder nicht, ob Armeelieferungen eine interessante Absatzmöglichkeit für die bäuerlichen Haushalte boten oder eher mit staatlichem Zwang assoziiert wurden, hing letztendlich von

126 Zur Importanz von Naturalabgaben und Frondiensten in den grundherrlichen Einkünften siehe Calixte HUDEMANN-SIMON, La noblesse luxembourgeoise […], op., cit., S. 289–294. 127 Beispiele bei Joseph FLIES, Ettelbrück. Die Geschichte einer Landschaft, Luxemburg 1970, S. 694– 695. Vergleiche auch Bruno DUMONT, Aux origines des communes. Les communautés villageoises dans les Pays de Dalhem et Limbourg XVIe–XVIIIe siècle. Genèse, structures, évolution, Bruxelles 1994, S. 487–494. 128 Christof DIPPER, Deutsche Geschichte 1648–1789, Frankfurt am Main 1991, S. 106  ; Hans-Ulrich WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 1 […], op., cit., S. 165  ; Pierre GOUBERT, L’ancien régime, Bd. 1 La société, Paris 1969, S. 106.

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Die Armee in der Provinz

mehreren Faktoren ab. Der wichtigste Faktor war der Preis, den die Regierung zugestand. Korrespondierte dieser mit den Marktpreisen oder lag er gar darüber, machte der Bauer ein gutes Geschäft. War dies nicht der Fall, stellten die Lieferungen einen staatlichen Eingriff dar, der zu einem Verdienstausfall führte. Bei der Preisfestlegung 1746 orientierte sich die Kommission sowohl an den von den privaten Militärunternehmern praktizierten Preisen als auch an den gängigen Marktpreisen im Herzogtum Luxemburg. Die Kommission gestand aber zu, dass es in einem kleinteiligen Land wie Luxemburg keinen einheitlichen Preis für Getreide gab.129 Die Marktergebnisse variierten sehr stark von einer Region zur anderen. Auch waren die Getreidepreise zu dem Zeitpunkt, an dem die Kommission tagte, in den anliegenden Grenzgebieten höher, so dass trotz Verbots ein Teil der Produktion heimlich ins Ausland verkauft wurde. Die österreichische Führung schrieb der starken Truppenpräsenz im Herzogtum nach 1746 eine stimulierende Wirkung zu. Die Einwohner hätten von dem Absatz zu hohen Preisen an die Armee profitiert. Die gesamten Einnahmen aus Steuern, Zoll und Domäne seien in die Militärversorgung vor Ort geflossen und somit in der Provinz verblieben. Diese Einschätzung war natürlich nicht ganz unbefangen  ; denn sie lieferte das Argument für weitere steuerliche Forderungen.130 Falls der Preis, den die Bauern erhielten, stimmte, blieb dennoch die Frage offen, ob alle Leistungen vergütet wurden. Wie häufig kamen Fälle von willkürlicher Requisition, von Beschlagnahmung ohne Entschädigung, besonders in militärischen Notsituationen, vor  ? Der Umstand, dass die Hilfsdienste erst nachträglich erstattet wurden, erschwert eine Kontrolle. Der Bauer, der seine Ware ablieferte, wurde nicht auf die Hand ausbezahlt. Er oder besser  : die Gemeindevorsteher bekamen eine Quittung. Das Abgeltungssystem beruhte auf einer ziemlich komplizierten „Beleg- und Zettelwirtschaft“, die wahrscheinlich die meisten Landleute, die nicht unbedingt lesen und

129 AGR, CF, N° 2793, Bericht über die Verhandlungen der durch die Bestimmung Seiner Exzellenz vom 23. November 1746 eingesetzten Kommission, Luxemburg, den 17. Dezember 1746. « […] Dans une autre province des Pays-Bas le prix des grains peut y trouver de l’égalité mais dans celle-ci, si variée de bon, médiocre et mauvais terrain et aussi étendue qu’elle est il y a presque toujours autant de diversité de prix dans les grains qu’il y a des départements […]. » 130 « […] que le produit entier des droits d’entrée et de sortie aussi bien que du domaine de Sa Majesté est resté dans la province et y a été employé a la subsistance de ses troupes  ; qu’outre ce Sa Majesté y a fait remettre pour le même effet plusieurs sommes considérables qui ont toutes été répandues dans la province et dont les habitants ont profité pour la vente à grand prix de leurs denrées, et marchandises, ce qui les a largement dedomagés de ce que les quartiers d’hiver peuvent leur avoir couté […].�����������  » Instruktionen von Batthyány an Neipperg, betreffend die Verhandlungen mit den Ständen, 20. März 1748, zitiert in Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 110–111.

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Die Stände als Generalunternehmer

schreiben konnten, überforderte.131 Wie viele Belege gingen verloren oder wurden, aus welchem Grund auch immer, nicht eingelöst  ? Es muss aber festgehalten werden, dass nicht der einzelne Bauer, sondern die Gemeinde als Ganzes die Leistungen von der Armee quittiert bekam. Ortsvorsteher und Amtleute vertraten die Gemeinschaft gegenüber der Militär- und Finanzverwaltung, verteilten die Lasten und machten Ansprüche geltend. Die meisten Gemeinden behielten wohl in Erinnerung, was ihnen zustand, und wussten ihre Interessen zu wahren. Man könnte sich sogar vorstellen, dass hin und wieder Quittungen gefälscht oder Mengenangaben im Nachhinein manipuliert wurden. Der Geschädigte wäre in dem Falle nicht der Bauer, sondern der Staat gewesen. Negativ für die Einwohner wirkte sich aus, dass die Rückerstattung der Lieferungen, wie schon oben bemerkt, oft mit erheblichem Verzug eintrat. In einem Schreiben von 1750 rügte Generalgouverneur Karl von Lothringen die Luxemburger Stände, da die Gemeinden noch immer auf eine Entschädigung für ihre Kriegsdienste warteten. „Es habe ihm wehgetan, als er erfuhr, dass das Volk, das die größte Last ertrug, sehr wenig teilgenommen hat an den beträchtlichen Summen, die er ihnen erlaubt hatte von den Steuern zurückzubehalten […].“ „Sein Wille sei, dass nun für eine Entlastung des armen Volkes der Provinz gesorgt würde“, bestimmte der Generalgouverneur.132 Was war passiert  ? Warum hatte die Bevölkerung nicht sofort einen entsprechenden Steuernachlass erhalten  ?

7.10 D i e Stä n de a l s Ge n e r a lu n t e r n e h m e r Als im Spätherbst 1746 die Regimenter zum Überwintern in das Herzogtum kamen, hatten die Landstände Magazine eingerichtet und den nächstgelegenen Dorfgemeinden befohlen, diese mit Brot- und Futter aufzufüllen. Die Vorräte reichten für zwei Monate.133 Dann aber stiegen die Stände mit dem Einvernehmen der Regierung auf eine Versorgung durch private Unternehmer um. Die Abgeordneten rechtfertigten ihren Schritt mit dem Wunsch, das Volk zu schonen und die Last der Lieferung nicht nur auf einzelne Dörfer, sondern auf die gesamte Provinz zu verteilen. Da die Stände 131 Michael HOCHEDLINGER, „Onus militare“ […], op., cit., S. 127. 132 « […] le peuple qui a supporté le plus grand fardeau a très peu participé aux grandes sommes que nous vous avons permis de retenir des aides et subsides (ce que nous n’avons pu apprendre qu’avec peine) […] notre Intention etant de pourvoir au soulagement du pauvre peuple de la province […]. » Schreiben von Karl von Lothringen an die Luxemburger Stände, 7. März 1750. Zitiert in Alphonse SPRUNCK, Les États de Luxembourg et le gouvernement de Bruxelles […], op., cit., S. 11–12, S. 12. 133 Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 83.

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Die Armee in der Provinz

weder über Kredit noch Eigenmittel verfügten, konnten sie selbst kein Getreide kaufen. Die Vergabe an private Unternehmer schien die beste Lösung zu sein, vor allem weil die Vorräte der Gemeinden aufgebraucht waren.134 Die öffentliche Ausschreibung, die am 28. Dezember 1746 im Stadthaus in Luxemburg stattfand, zog zahlreiche Interessenten an. Der Unterhalt einzelner Kompanien wurde versteigert. Für einige Einheiten fand sich niemand. Die Abgeordneten mussten noch nachträglich Vereinbarungen mit verschiedenen Geschäftsleuten und Händlern treffen, damit die Versorgung aller Truppen gesichert war.135 Um die Lieferungen der Unternehmer zu zahlen, brauchten die Stände Geld. Doch die Eigenmittel der Landstände beschränkten sich auf die Einnahmen aus der „Exkressenz“. Die Zentralregierung machte ein fast unglaubliches Zugeständnis, das zeigt, wie verzweifelt die Versorgungslage der österreichischen Armee war. Sie trat die Einkünfte aus der regulären Steuer an die Stände ab  ! Nicht die staatlichen Steuereinnehmer, sondern der Finanzmann der Stände Jean-Ignace de Feltz zog die bewilligten 300.000 Gulden für das Jahr 1747 in der Provinz Luxemburg ein.136 Die Regierung verzichtete auch auf die Zusatzsteuer von 1747 sowie auf alle Steuergelder des darauffolgenden Jahres zugunsten der Landstände.137 Doch die Einkommen aus der direkten Steuer reichten nicht aus. Die Lieferungen kosteten jeden Monat weit über 100.000 Gulden.138 Zahlungen standen aus, die Unternehmer begannen zu murren. Die Forderungen der Gläubiger wurden lauter. Die Stände mussten Schulden machen, doch sie fanden keinen Kreditgeber. Die Armeeversorgung des Militärjahres 1748 konnte nicht mehr an einzelne Lieferanten vergeben werden. Die Stände überließen die gesamten Lieferungen einem einzigen Generalunternehmer, einem gewissen Genel.139 Der Einnehmer der Luxemburger Stände de Feltz reiste nach Aachen, dann weiter nach Maastricht und Lüttich, auf der Suche nach potenziellen Kreditgebern. Überall erntete er Absagen. Der Kapitalmarkt war von den vielen Kriegsanleihen erschöpft, und im Falle Luxemburgs befürchteten die Finanziers einen baldigen Herrschaftswechsel, sprich eine französische Besatzung, was eine Rückzahlung der Darlehen fragwürdig erscheinen ließ. Jean Ignace de Feltz hoffte jedoch, einen Kredit auf den Namen der Familie seiner Frau, Maria Elisabeth von Mewen-Heinsberg, die 134 Ibidem, S. 83–84. 135 Ibidem, S. 60–65. 136 Ibidem, S. 69. AGR, CF, N° 2793, Bericht über die Verhandlungen der durch die Bestimmung Seiner Exzellenz vom 23. November 1746 eingesetzten Kommission, Luxemburg, den 17. Dezember 1746. 137 Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 89–90. 138 Ibidem, S. 69. 139 Ibidem, S. 95.

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Kritik an der Geschäftsführung der Stände

aus Maastricht stammte, aufnehmen zu können, „damit den armen Gewehren der Stände das Pulver nicht ausgeht“.140 Aber auch diese Bürgschaft half der Provinz nicht aus ihren Finanznöten. Von ihren Gläubigern bedrängt bezahlten die Stände, so wie die Steuern hereinkamen, vorrangig die Unternehmer. Eine steuerliche Entlastung der Untertanen war unter diesen Bedingungen kein Thema. Die Entschädigung der Dorfgemeinden wurde auf später, auf bessere Zeiten, verschoben. Nicht nur, dass die Naturalabgaben nicht bei der Steuerberechnung berücksichtigt wurden, die Stände wollten sogar die Steuerzahler zusätzlich zur Kasse bitten. Im Juli 1747 erbaten sie die Erlaubnis, eine Sondersteuer von 200.000 Gulden erheben zu dürfen, um die Lieferanten bezahlen zu können.141

7.11 K r i t i k a n de r Ge s c h ä f t sf ü h ru ng de r Stä n de Schon sehr bald kamen der Regierung Klagen über die Geschäftsführung der Stände zu Ohren. Ein Memorandum prangerte die angebliche Misswirtschaft an. Die Vorwürfe wogen schwer. Die öffentliche Ausschreibung der Lieferungen würde nicht durch Plakate angekündigt und die Stände würden nur ihnen nahestehende Personen darüber in Kenntnis setzen. Die Abgeordneten würden versuchen, die Vergabe zu beeinflussen und schreckten verschiedene Interessenten ab. Viele der ständischen Vertreter würden sich selbst an den Lieferungen beteiligen.142 Daraufhin schrieb Batthyány den Landständen einen geharnischten Brief, in dem er ihnen vorwarf, nicht genügend sparsam mit den Steuermitteln umgegangen zu sein.143 Die Deputierten antworteten, dass die Lieferungen bis dato 620.000 Gulden gekostet und sie nur 300.000 bekommen hätten. Sie wären lieber heute als morgen von derartigen Aufgaben freigestellt.144 Die Kritik an den Ständen verstummte. Die österreichischen Behörden waren froh, dass sich jemand auf Landesebene der Armeeversorgung angenommen hatte. Nach dem Krieg wurden die Vorwürfe wieder laut. Eifrigster Kritiker der Ständeverwaltung war ein ehemaliges Mitglied derselben. Baron Jean-Henri de Zievel, Herr von Bettemburg, Provinzialrat, Propst von Luxemburg und Angehöriger des Adels140 « […] afin que vos pauvres fusils ne manquent pas du necessaire […]. » ANL, A XVII-4, Brief von de Feltz an die Abgeordneten der Stände, Aachen, 17. März 1747. 141 AGR, CF, N° 2809, Gesuch der Stände, Luxemburg, den 19. Juli 1747. 142 ANL, A XVII-4, Memorandum betreffend die Brot- und Futterlieferungen an die im Luxemburgischen stationierten Truppen, o. D. [1747]. 143 Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 82. 144 Ibidem, S. 85–86.

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Die Armee in der Provinz

standes, denunzierte die Geschäftemacherei seiner früheren Kollegen. Zievel war bis Ende 1746 Mitglied des ständigen Ausschusses der Stände gewesen, dann aber nicht mehr wiedergewählt worden.145 Bitter enttäuscht informierte er fortan die Regierung über alle Unregelmäßigkeiten. Zievel nannte mehrere Mitglieder und Angestellte der Stände, die sich an den Armeelieferungen bereichert hätten. Die Abgeordneten des Dritten Standes Malempré und Hout, aber auch der Abt von Sankt Maximin und Augustin, Prior von Houffalize, seien in die Geschäfte mit den Armeelieferungen verstrickt gewesen. Bei der öffentlichen Ausschreibung 1746, die sie als Vertreter des ständigen Ausschusses der Stände leiteten, ließen sie Anteile durch Strohmänner ersteigern. Hout benutzte den Echternacher Schöffen und Notar Michel Bodson als Geschäftspartner und agierte unter dessen Namen. Für Sankt Maximin wickelte der Vorsteher des Refugiums in Luxemburg, Pater Oswald, die Getreideverkäufe und Geldtransaktionen ab. Für seine Gefälligkeiten solle der Abt von Sankt Maximin eine goldene Tabakdose von einem Armeelieferanten erhalten haben. Mohr de Waldt d’Autel, der Deputierte des Adels, habe auch Geschenke bekommen.146 Bereitwillig hätten die Abgeordneten den Unternehmern übermäßig hohe Preise zugestanden, während diese den Bauern die Rationen für viel weniger abkauften.147 Diejenigen, die laut Baron von Zievel am meisten an dem Liefergeschäft verdient hatten, waren der Sekretär der Stände Jean-Baptiste Dumont und dessen Sohn Jacques sowie der Einnehmer und Finanzbeauftragte der Stände Jean-Ignace de Feltz.148 Hier lag ein offensichtlicher Interessenkonflikt vor, denn Dumont und sein Sohn, der als Offizial der Stände fungierte, nahmen die Quittungen in Empfang und machten nachher die Abrechnung der Lieferungen. Feltz seinerseits bezahlte die Lieferungen auf Anweisung der Stände. Zievel behauptete, Feltz habe 50.000 Taler verdient.149 Tatsache war, dass Feltz allein in den Jahren 1747 und 1748 die gesamten Steuern der Provinz für die Stände einnahm und die entsprechenden Tantiemen dafür einbehalten durfte. Der Generaleinnehmer und die acht „Receveurs particuliers“ oder Untereinnehmer, die normalerweise die Steuergelder erhoben und die auch an den

145 Die Verbitterung Zievels, der sich aufgrund von internen Intrigen ausgeschlossen fühlte, kommt in einem Brief an den Kriegs- und Staatssekretär Crumpipen besonders klar zum Ausdruck. Ibidem, S. 144. 146 Bericht von Zievel an Crumpipen, 19. Januar 1750, in Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 147. 147 Calixte HUDEMANN-SIMON, La noblesse luxembourgeoise […], op., cit., S. 234, und Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 150. 148 Ibidem, S. 145. 149 Ibidem, S. 147.

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Kritik an der Geschäftsführung der Stände

Einkünften beteiligt waren, gingen leer aus.150 Sie fühlten sich um ihre Tantiemen geprellt und legten bei der Regierung Beschwerde ein.151 Feltz hatte, laut Zievel, auf eine noch widerwärtigere Art und Weise Gewinne erzielt, nämlich durch die Manipulation der Wechselkurse. Als er die Steuern einzog, nahm er den Leuten den Louis d’or für fünf Taler und den Taler für nur zehn Schilling ab, berechnete den Ständen aber den Louis d’or zu fünf Talern und acht Stübern sowie den Taler zu zehn Schilling und zwei Stübern.152 Die Profite der einen erregten den Neid der andern. „Die ganze Provinz schreit nach Rache wegen der zwielichtigen Geschäfte, die zweihundert Geusen bereichert und das Volk von Grund auf ruiniert haben, das deshalb außerstande ist, die Steuern zu bezahlen“, schrieb Zievel nach Brüssel.153 Die Stände wehrten sich gegen den Vorwurf der Einflussnahme. Sie argumentierten, es sei normal, dass einige Lieferanten aus dem Umkreis der Ständeverwaltung kamen. Die Abgeordneten und Mitarbeiter der Stände kannten die Versorgungslage am besten, wussten, wo es Lebensmittelvorräte gab, und hatten Erfahrung in der Logistik.154 Das Protokoll der Submission vom 28. Dezember 1746 führte die Namen von insgesamt 15 Personen auf, die den Zuschlag für die Verpflegung einer oder mehrerer Kompanien erhielten.155 Mit acht weiteren Zulieferern schlossen die Stände noch nachträglich einen Vertrag ab.156 Mindestens 23 Unternehmer wirkten demnach an den Armeelieferungen mit, vielleicht auch mehr, wenn man davon ausgeht, dass es Hintermänner gab. Unter den Lieferanten befanden sich Amtsleute wie z.  B. Richard, ehemaliger Bürgermeister von Bastogne, Schaack, Richter von Vianden, oder Michel Bodson, Schöffe und Notar in Echternach, aber auch Händler wie z. B. Benoît Holbach und Jean-Baptiste Genel.157 Wer wessen Strohmann war, welche Netzwerke sich hinter diesen Namen versteckten, ob die Ständevertreter auch mitbeteiligt waren, ließ sich nur schwer nachvollziehen  ; wahrscheinlich interessierte es die Zentralregierung gar nicht.

150 Die Tantieme entsprach 1/40 der Steuereinnahme und wurde dem Steuerzahler als Zuschlag verrechnet. Siehe Georges BIGWOOD, Les impôts généraux […], op., cit., S. 37–38. 151 Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 80–81. 152 Ibidem, S. 150. 153 « […] toute la province crie vengeance sur les affaires, qui ont enrichis deux cent gueux et ruiné le peuple de fond en comble, qui par là se trouve hors d’etat de payer les subsides […]. » Zitiert in Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 149. 154 Ibidem, S. 84. 155 Ibidem, S. 61–63. 156 Ibidem, S. 63–65. 157 Ibidem, S. 54, 63, 64 et 65.

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7.12 Au f k l ä ru ng u n d K on t rol l e Schwerwiegender als der Vorwurf der Interessenvermischung wog der Verdacht der Unterschlagung von Steuergeldern. Zievel beschuldigte die Ständedeputation, beim „Rückkauf“ in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. Wie es üblich war, hatten die Offiziere nicht alle Rationen in Naturalien gefasst, sondern sich einen Teil bar auszahlen lassen. Die Stände kauften Brot und Futter für 15 Heller bzw. sieben Stüber pro Portion zurück, verrechneten dem Landesherrn aber den vollen Preis.158 In wessen Kasse war die Differenz geflossen  ? Die Regierung nahm die Denunziation ernst und beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Karl von Lothringen kündigte eine eingehende Prüfung der Konten an. Finanzrat Bellanger und Kriegskommissar Pfanzelter wurden damit beauftragt. Eine Delegation der Stände musste sich Anfang des Jahres 1750 in Brüssel verantworten. Sie setzte sich zusammen aus jeweils einem Repräsentanten der drei Stände, dem Abt von Sankt Maximin, dem Bürgermeister von Marche Malempré und dem Informanten und Adelsvertreter Baron von Zievel. Auch der Sekretär der Stände, Jean-Baptiste Dumont, musste sich mitsamt den Rechnungsbüchern und Quittungen nach Brüssel begeben.159 Der Brüsseler Finanzrat sah außerdem die Anwesenheit des langjährigen Generalsteuereinnehmers Gerber als hilfreich an. Seine Erfahrung hätte sicherlich zur Aufklärung des ständischen Finanzgebarens beitragen können. Doch dieser berief sich auf sein hohes Alter und seine schlechte Gesundheit, um sich für eine solch mühsame Reise zu entschuldigen. Für Gerber waren die Liefergeschäfte der Stände ein „gordischer Knoten“. Es gab viele Gerüchte, doch keine Beweise. Er selbst hatte, wie auch der Festungskommandant von Neipperg, von Beginn an gefordert, dass die öffentliche Vergabe der Lieferungen im Beisein eines kaiserlichen Kommissars erfolgen müsse, doch diese Forderung fand kein Gehör.160 Tatsächlich standen die Vorwürfe von Betrügerei und Korruption in Brüssel kaum mehr zur Diskussion. Die Gespräche drehten sich vor allem um die Frage, wie man am besten die Schulden gegenüber den Unternehmern begleichen könne und zu welchem Preis die Bevölkerung ihre Lieferungen bezahlt bekomme. Die Regierung beschloss, die Rückzahlung über mehrere Jahre zu staffeln. 1751 bekam die Provinz Luxemburg Vergütungen im Wert von 375.000 Gulden für Lieferungen, die während 158 Ibidem, S. 145. 159 Ibidem, S. 148, Alphonse SPRUNCK, Les États de Luxembourg et le gouvernement de Bruxelles […], op., cit., S. 11–12. 160 Alphonse SPRUNCK, Les États de Luxembourg et le gouvernement de Bruxelles […], op., cit., S. 11.

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Aufklärung und Kontrolle

des Krieges getätigt worden waren.161 1753 und 1754 wurden weitere 165.000 Gulden mit den von den Ständen bewilligten Steuersummen verrechnet.162 Crumpipens Hoffnung, die Luxemburger Landstände würden der Krone 300.000 Gulden zurückerstatten, „von dem, was die Unternehmer zu viel aus ihren Lieferverträgen gezogen hatten“, erfüllte sich nicht.163 Dennoch zog die Brüsseler Zentrale aus den Vorkommnissen der Kriegszeit Lehren für die Zukunft. In den Jahren 1746 bis 1748 herrschte eine einzigartige Situation, die sich nur aus der außenpolitischen Krise erklären ließ und sich in Zukunft nicht mehr wiederholen sollte. Die Stände bewilligten die Steuern, machten die Steuerrepartition, trieben die Beträge ein, zahlten damit die Militärlieferungen und waren wahrscheinlich auch noch selbst an den Unternehmen beteiligt. Der gesamte Ablauf war in ihren Händen, ohne Kontrolle oder Mitwirkung von anderen staatlichen Stellen. Unter normalen Bedingungen war dieser Prozess zwischen verschiedenen Instanzen aufgegliedert und es gab durchaus ein „checks and balances“, das vor Misswirtschaft schützte. Nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg verstärkte die Regierung die Kontrollmechanismen ständischer Verwaltung. Ab 1751 schickte die Zentralmacht fast jedes Jahr einen Kommissar nach Luxemburg, sei es, um Geld für die Landesfürstin anzufordern, um Reformvorhaben voranzutreiben oder auch nur um bei einer Abtswahl anwesend zu sein. Finanzrat Arnould de Limpens weilte 1751 und 1754 im Herzogtum, Generalschatzmeister Patrice-François de Neny reiste in den Jahren 1757 bis 1759 dreimal an und Geheimrat Wavrans unternahm zwischen 1759 und 1763 gleich fünfmal die beschwerliche Reise von Brüssel nach Luxemburg.164 Auf zentraler Ebene schuf die österreichische Obrigkeit 1749 mit der Kommission für Rechnungsprüfung (Jointe pour l’audition des comptes) ein Kontrollorgan, welches 1764 von der noch effizienter arbeitenden Kommission für Verwaltungs- und Subsidienangelegenheiten (Jointe des administrations et des affaires des subsides) abgelöst wurde.165 Die Finanzinspektion war der Weg, über den die Regierung sich einen wachsenden Einfluss 161 AGR, SEG, N° 819, Schreiben von Karl von Pfanzelter an den bevollmächtigten Minister, 21. September 1753. 162 ANL, A XVII-4, Schreiben von Neipperg an den bevollmächtigten Minister, 20. Juli 1753  ; ANL, A XVII-4, Schreiben des Finanzrats an den Generalsteuereinnehmer in Luxemburg, 3. Oktober 1753. 163 « […] de ce que les entrepreneurs ont tiré de trop de leurs entreprises des vivres et fourrages […]. » ANL, A IV-149, Brief von Crumpipen an Zievel, Brüssel, 27. Dezember 1749. Zitiert in Calixte HUDEMANN-SIMON, La noblesse luxembourgeoise […], op., cit., S. 234. 164 Claude de MOREAU de GERBEHAYE, L’abrogation des privilèges fiscaux […], op., cit., S. 234 und 258  ; Alphonse SPRUNCK, Les États de Luxembourg et le gouvernement de Bruxelles […], op., cit., S. 135– 180 und S. 180–203  ; Alphonse SPRUNCK, Problèmes, Débats et Conflits […], op., cit., S. 89–105. 165 Siehe Kapitel 5 vorliegender Arbeit, S. 190.

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über die Verwaltung der Provinz verschaffte, ein Eingriff, der letztendlich zu einer vollständigen Unterordnung der Landstände führte. Die Regelung vom 15. Mai 1771 „für die bessere Leitung der Angelegenheiten der Provinz Luxemburg“ stellte alle Verwaltungs- und Geschäftshandlungen der Stände unter die Aufsicht der Regierung. Die Abgeordneten hatten zwar versucht, eine gewisse Autonomie zu bewahren, doch es gelang ihnen nicht, die schrittweise Integration des landständischen Behördensystems in den fürstenstaatlichen Verwaltungsapparat zu verhindern.166 7.13 L o g i s t i k u n d H e e r e s v e r s orgu ng a m E n de de r ö s t e r r e ic h i s c h e n H e r r s c h a f t Die staatliche Kontrolle schuf wieder das für eine Zusammenarbeit nötige Vertrauen. Die Stände kooperierten auch während des Siebenjährigen Krieges bei der Heeresversorgung. 1757 vertraute die Regierung ihnen die Verpflegung der durchmarschierenden Truppen an.167 Die Ständevertreter sorgten für Futter und Lebensmittel, bis 1760 der Privatunternehmer Marc-Antoine Verniolle die Lieferungen übernahm.168 Von nun an war für eine längere Zeit die Mitwirkung der Stände nicht mehr notwendig. Die Truppenzahl sank auf einen Tiefstand und konnte ohne Problem von Privatunternehmern versorgt werden. Das bedeutete aber nicht, dass die Untertanen ganz von Sachleistungen an die Armee befreit waren. Sie brauchten zwar keine Nahrungsmittel und Fourrage abzuliefern. Doch die Einheiten, die durch die Provinz zogen, hatten während des Durchmarsches Anrecht auf Fuhrdienste und Ruhequartiere. Die Dorfgemeinschaften, die entlang der Militärrouten lagen, mussten die Soldaten für eine oder zwei Nächte unterbringen und ihnen Licht, Feuer und eine Liegestatt gewähren. Das Militär konnte auch Fuhr- und Spanndienste fordern. Mit ihren Wagen und Pferden fuhren die Bauern Gepäck und Ausrüstung von einem Etappenort zum andern. Hier galt das gleiche Prinzip wie bei der Lieferung von Proviant. Die Gemeinden erhielten eine Quittung, die sie dann später vorzeigen mussten. Die Dienste wurden in der Regel in Form einer Steuerermäßigung zurückgezahlt. Die Stände stellten Listen von den Leistungen der Gemeinden auf und verhandelten mit der

166 Guy THEWES, Route […], op., cit., S. 58–65. 167 AGR, SEG, N° 2689, « Résumé des Etats de la Fourniture des Viande, Fourages Voitures faite aux Troupes du Roÿ par les differentes Provinces des Paÿs Bas Autrichiens » [Zusammenfassung der Fleisch-, Futter- und Wagenlieferungen an die Truppen des Königs durch die verschiedenen Provinzen der österreichischen Niederlande], Brüssel, den 1. Juni 1759. 168 AGR, CF, N° 2800, Depesche an den Finanzrat, Brüssel, den 31. Dezember 1759.

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Logistik und Heeresversorgung am Ende der österreichischen Herrschaft

Zentralregierung über die Tarife.169 Größere TruppenbewegungEN ließen sie durch Kommissare aus ihren eigenen Reihen begleiten, um vor Ort die Einquartierung und die Bereitstellung der Fuhrwerke zu überwachen. Nach 1789 stieg die Zahl der Truppen in den Niederlanden stark an. Der Bedarf an Brot und Fourrage nahm dementsprechend zu. Die Versorgungslage war dennoch eine ganz andere als im Österreichischen Erbfolgekrieg. Seit 1784 war die Heeresverpflegung nicht mehr einem Generalunternehmer anvertraut, sondern stand unter der Leitung einer staatlichen Proviantregie (Régie des vivres). Dieser Behörde oblag auch in den Kriegsjahren, in Zusammenarbeit mit dem Oberlandeskommissariat (Commissariat général civil), die Lebens- und Futtermittelbeschaffung. Die Regie oder deren Unterhändler kauften Getreide, Heu und Stroh von der Bevölkerung auf. Manchmal mussten die Gemeinden zusätzlich Gemüse, Kartoffeln oder andere Viktualien an die einquartierten oder durchziehenden Truppen abliefern. Diese Sachabgaben wurden ihnen dann zusammen mit den Fuhrdiensten vergütet. Regierungskommissare und Abgeordnete der Stände stellten zusammen die Abrechnung der diversen Leistungen auf.170 Die Landstände behielten eine Kontrollfunktion und intervenierten gegen Übergriffe des Militärs. Am 31. Dezember 1789 erstattete Kommissar Ransonnet den Ständen einen Bericht über die in Habaye-la-Neuve, Etalle und Umgebung untergebrachten Dragoner. Diese zwangen die Einwohner, ihnen Heu, Stroh und Hafer abzuliefern, in natura und, falls nicht vorhanden, sogar in Geldform. Ransonnet schlug vor, von der Militärführung die Einrichtung eines Magazins zu fordern, um in Zukunft die Erpressung von Zusatzlieferungen zu verhindern.171 Die Stände wandten sich an die Proviantregie und klagten eine Bezahlung der Verpflegung ein.172 Dass die Requisition von Sachlieferungen eher die Ausnahme als die Regel war, zeigt folgende Reaktion der Stände. Am 4. Mai 1793 forderte der beigeordnete Oberlandeskommissar De Brady die Abgeordneten auf, in der Stadt Luxemburg ein Magazin mit 61.560 Bund (bottes) Stroh zu je zwölf Pfund einzurichten. Die Stände wehrten sich dagegen, da sie der Meinung waren, der Kauf von Stroh sei Aufgabe der Proviantkommission der Armeen, so wie diese auch zuständig war für den Erwerb des Getreides, des 169 Beispiele unter ANL, A XVII-4. 170 HHStA, Belgien DD B rot N°249, « État général de la liquidation des prestations diverses fournies aux troupes de Sa Majesté l’Empereur et Roi par les villages, communautés et particuliers ci-dessous dénommés de la Province de Luxembourg à l’occasion des troubles des Pays-Bas faite d’après les règlements et ordonnances par les Commissaires de sa dite Majesté et les députés des États de la Province de Luxembourg […] », 29. Oktober 1790. 171 ANL, A XVII-5, Brief von Ransonnet an die Stände, Habaye-la-Neuve, den 31. Dezember 1789. 172 ANL, A XVII-5, Antwortschreiben der Stände an Ransonnet, Luxemburg, den 1. Januar 1790.

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Die Armee in der Provinz

Heus und des Holzes.173 Die Regierung drohte daraufhin den Luxemburger Abgeordneten, von nun an alle Militärleistungen durch das Oberlandeskommissariat ohne Mitwirken der Stände verrichten zu lassen, falls sie der Aufforderung nicht nachkommen würden.174 Partizipation war erwünscht, nicht aber Opposition. Es ist aber fraglich, ob die staatlichen Behörden die logistischen Herausforderungen in den Krisenjahren 1789–1795 allein hätten bewältigen können. Obwohl die Bereitstellung von Naturalien durch das Land die Ausnahme blieb, lastete auf der Bevölkerung die schwere Aufgabe, den Nachschub zu transportieren. In Kriegszeiten nahm die Mobilität der Truppen drastisch zu, so dass auch die Zahl der Fuhr- und Spanndienste stark anstieg. In der Logistik spielten die Ständevertreter eine zentrale Rolle. Allein in den Jahren 1789–1790 beschäftigten die Luxemburger Landstände 24 Kommissare, die an den verschiedenen Etappenorten die Unterbringung der Truppen und den Transport von Munition und Proviant organisierten.175 Die Spesen beliefen sich auf 11.312 Gulden. Ende 1792 präsentierten die Stände der Regierung eine Liste von 371 Dörfern und Gemeinden, die auf eine Bezahlung ihrer Transportleistungen warteten. 1791 und im ersten Halbjahr 1792 waren Fuhrdienste im Wert von 69.476 Luxemburger Gulden geleistet worden.176 Die Abgeordneten forderten die Schaffung von „Pferde- und Wagenbrigaden“ („brigades de chevaux et de chariots“), in anderen Worten ein staatliches Militärtransportwesen, um die Bevölkerung zu entlasten.177 Die Regierung befand, dass dies zum jetzigen Zeitpunkt nicht infrage komme.178 Das unter Maria Theresia gegründete Militärfuhrwesenkorps steckte noch in den Kinderschuhen.179 Der Staat war auf die Mitarbeit der Stände und der lokalen Ämter angewiesen.

173 AGR, CP, N°955 B, Schreiben der Stände an De Brady, o. D. [Mai 1793], Kopie. 174 AGR, CP, N°955 B, Auszug aus dem Protokoll des Geheimen Rats, 15. Mai 1793. 175 �������������������������������������������������������������������������������������������� HHStA, Belgien DD B rot N°249, « Note des vacations et déboursements des commissaires dénommés par différentes résolutions des États et autorisés par dépêche de S. M. du 28 octobre 1790 repartis dans différentes stations pour ordonner les fournitures en logements, chariots, chevaux et autres prestations aux troupes. » 176 AGR, CF, N°2715, Liste der ausstehenden Bezahlungen für das Jahr 1791 und das erste Halbjahr 1792. 177 AGR, CF, N°2715, Bittschrift der Stände an das Generalgouvernement, Luxemburg, den 12. November 1792. 178 AGR, CF, N°2715, Bericht des Finanzrats, 22. Februar 1793. 179 1771 ordnete Kaiserin Maria-Theresia die Aufstellung einer militärischen „Traintruppe“ an. Siehe Armeetrain im österreichischen Heer. Die Nachschubtransportdienste von 1771–1938 (Österreichische Militärgeschichte Sonderband), Wien 1996.

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Zusammenfassung

7.14 Zus a m m e n fa s s u ng Trotz verstärkter Zentralisierungs- und Bürokratisierungstendenzen unter österreichischer Herrschaft blieb die Ausdehnung der landesherrlichen Verwaltung auf das flache Land lückenhaft und unzulänglich. Erst im 19. Jahrhundert sollte es dem Staat gelingen, in einem fortschreitenden Prozess der „Durchstaatlichung“ bis ins „letzte Dorf“ vorzudringen.180 Im 18. Jahrhundert dagegen fehlten selbst auf der mittleren Ebene der Provinzen die nötigen Verwaltungsstrukturen zur Erfüllung aller öffentlichen Aufgaben. Der Landesherr war auf die Partizipation der Stände angewiesen.181 Sie waren das Bindeglied zwischen Krone und Untertanen. In vielen Bereichen wirkten Ständevertreter mit, angefangen bei der Steuerverwaltung über den Straßenbau und die Polizei bis hin zur Heeresversorgung. Damit die Zusammenarbeit funktionieren konnte, war ein Wandel der ständischen Institution notwendig. Die Zahl der Angestellten stieg, der ständige Ausschuss gewann an Bedeutung. Die zunehmende Überwachung durch die Zentralregierung brach die Autonomiebestrebungen. Waren die Stände ursprünglich eine Interessenvertretung der privilegierten Schichten gegenüber dem Landesherrn, so wuchsen sie jetzt in den Staatsbetrieb hinein. Die Nichtteilnahme der Luxemburger Landstände an der Brabanter Revolution belegt den Erfolg ihrer fortschreitenden Einbindung. Der Aufstand der anderen belgischen Provinzen gegen die Reformpolitik Josephs II. zeigt aber auch, dass die Integration in den Staatswerdungsprozess der Habsburgermonarchie sich nicht überall in gleicher Weise vollzog. Der wichtigste Beitrag der Stände zum Unterhalt der bewaffneten Macht bestand in den jährlich bewilligten Kontributionssummen. Diese Steuergelder waren ausdrücklich für die Finanzierung des Militärbudgets bestimmt, auch wenn sie für andere Staatsausgaben benutzt werden konnten. Im Normalfall erhielt der Soldat Brot und Futter von Unternehmern, die aus der Kriegskasse bezahlt wurden. In Ausnahmesituationen konnte jedoch die Geldleistung der steuerpflichtigen Untertanen in eine Naturalleistung umgewandelt werden. Die Gemeinden lieferten Grundnahrungsmittel an die durchziehenden oder bei ihnen untergebrachten Militäreinheiten und wurden in der Regel dafür über Steuernachlässe entschädigt. Die Obrigkeit griff zu diesem Verpflegungsmodus in Konfliktzeiten, so z. B. während des Österreichischen Erbfolgekriegs und den Revolutionskriegen, aber 180 Vgl. Norbert FRANZ, Durchstaatlichung und Ausweitung der Kommunalaufgaben im 19. Jahrhundert. Tätigkeitsfelder und Handlungsspielräume ausgewählter französischer und luxemburgischer Landgemeinden im mikrohistorischen Vergleich (1805–1890), Trier 2006. 181 Einen interessanten Vergleich bietet die Studie von Frank GÖSE, Landstände und Militär […], op., cit., S. 191–222. Selbst in einem Macht- und Militärstaat wie Preußen spielten die Stände eine wichtige Rolle in der Ausgestaltung der Militärorganisation.

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Die Armee in der Provinz

auch wenn die öffentliche Versteigerung der Lieferungen zu unbefriedigenden Ergebnissen führte, wie das 1731 mit dem Generalunternehmer Lambert Renette geschah. Die Aufteilung der landesherrlichen Abgaben, ob es sich nun um eine Geldsteuer oder um eine Sachleistung handelte, lag im Zuständigkeitsbereich der ständischen Organe. Deshalb war ihre Mitarbeit unumgänglich, wenn es darum ging, die Truppen direkt aus dem Lande zu versorgen. Die Partizipation der Stände sollte eine effiziente und gerechte Verteilung der Lieferungen auf die Untertanen sichern. Bis zur Erstellung eines Katasters, der die Besitzverhältnisse erfasste, besaß die Zentralregierung keine zuverlässigen Informationen über die landeseigenen Ressourcen. Die Ständevertreter waren im Prinzip durch ihre regionale und lokale Verankerung besser in der Lage, die „Steuerfähigkeit“ der einzelnen Gemeinden einzuschätzen. Dank ihrer Ortskenntnis konnten sie helfen, die Last der Militärlieferungen den wirtschaftlichen Möglichkeiten entsprechend zu verteilen. Für die Naturalleistungen benutzten die Abgeordneten in der Regel den gleichen Verteilungsschlüssel wie für die gewöhnlichen Steuern. Neben der Repartierung der Militärlieferungen erfüllten die Landstände noch zwei weitere wichtige Funktionen. Da war zum einen die Vertretung der Interessen des Landes gegenüber den Ansprüchen des Fürsten. Auch wenn in den Ständeversammlungen vor allem die Privilegierten, Klerus, Adel und städtische Führungsschichten, zusammenkamen, so erhoffte man sich dennoch von ihnen einen beständigen Einsatz zum Wohle der Allgemeinheit. In den Verhandlungen zwischen Ständen und Zentralregierung wurde der Preis für die Lieferungen der Untertanen bestimmt. Die zentralen Staatsbehörden wollten die Kosten senken und gegenüber der üblichen Verpflegung der Truppen durch Privatunternehmer Geld einsparen. Aufgabe der Stände war es aber zum anderen auch, für eine gerechte Entschädigung der Bauern einzutreten und einen angemessenen Preis zu fordern. Es bleibt aber letztlich fraglich, ob die Militärlieferungen eine interessante Absatzmöglichkeit für die bäuerliche Bevölkerung darstellten. Es sind zwar keine Widerstände vonseiten der abgabenpflichtigen Untertanen bekannt, aber man kann davon ausgehen, dass diese die Requirierungen eher als eine zusätzliche fiskalische Belastung empfanden. Die Produktion reichte oft kaum für den Eigenbedarf. Die Aushandlung einer für alle gleichermaßen angemessenen Vergütung gestaltete sich ebenfalls schwierig. Die Getreidepreise waren heftigen Schwankungen unterworfen und von Region zu Region sehr unterschiedlich. Die Sachleistungen konnten nicht immer sofort von den Steuern abgeschrieben werden, sondern manchmal erst Jahre später. Die Landeseinwohner erlebten die Militärpräsenz sicherlich als Einbruch in den Alltag, der mit einer Vielzahl von Belastungen und Mühen verbunden war.182 Doch 182 Zu den Auswirkungen der Militärpräsenz auf Dorfebene und zu den ökonomischen Folgen der Liefe-

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Zusammenfassung

die Tatsache, dass die Dienste und Lieferungen in einem geordneten und kontrollierten Rahmen geleistet wurden, stellt an sich schon eine Erleichterung für die Bevölkerung und einen Fortschritt gegenüber den oft willkürlichen Requirierungen vorangehender Jahrhunderte dar. Hier kam den Ständen eine wichtige Schutzfunktion zu. Ihre Kommissare überwachten vor Ort den Ablauf der Versorgung, stellten Missstände fest und konnten gegebenenfalls die Beschwerden an die Regierung weiterleiten. Die Soldaten mussten den Dorfgemeinden einen Beleg für die erhaltenen Leistungen ausstellen und durften nicht eigenmächtig Geldbeträge oder Nahrungsmittel erpressen. Im Zusammenspiel mit der Militärführung und den Regierungsbehörden oblag den Ständen die Aufgabe, Übergriffe der Truppen zu verhindern. Die Direktversorgung der Truppen durch die Bevölkerung warf nicht nur organisatorische Probleme auf. Sie hatte auch den Nachteil, dass sie zu einer Mehrbelastung von einzelnen Gemeinden führte und keine gleichmäßige Verteilung der Aufwendungen auf die gesamte Provinz erlaubte. Betroffen von den Lieferungen waren die Gegenden, in denen die Truppen sich aufhielten oder durchmarschierten. Als die Stände während des Österreichischen Erbfolgekriegs die Versorgung der Truppen im Herzogtum Luxemburg übernahmen, gaben sie ebenfalls dem System der Verpflegung durch private Unternehmer den Vorzug. Nun entschied der Markt wieder über Angebot und Preise. Es herrschte kein Zwang zur Abgabe und die Vergütung beruhte auf dem freien Handel, nicht auf einer Abmachung zwischen Regierung und Ständen. Die Unternehmer wurden ihrerseits mit Steuergeldern bezahlt, die auf die gesamte Provinz verteilt wurden. Die Stände konnten jedoch nur auf Unternehmer zurückgreifen, weil die Regierung ihnen in einer Ausnahmesituation die Steuereinnahmen überließ. Der Krieg war in dem Fall nicht „das Schwungrad an der Staatsmaschine“, sondern führte paradoxerweise zu einem vorübergehenden Rückzug des Staates. Der Wegfall staatlicher Kontrollmechanismen förderte einen Zustand, in dem Vetternwirtschaft, Bestechung und persönliche Bereicherung gedeihen konnten. Doch auch das staatliche Versorgungssystem der Armee war nicht frei von diesen Kalamitäten. Wie das sechste Kapitel zeigen konnte, schuf die Rivalität zwischen Zivil- und Militärverwaltung Handlungsräume, die sich der staatlichen Kontrolle entzogen und die es einzelnen Personen ermöglichten, auf Staatskosten Gewinne zu erzielen. rungen vgl. Jörg RATHJEN, Soldaten im Dorf. Ländliche Gesellschaft und Kriege in den Herzogtümern Schleswig und Holstein 1625–1720  : eine Fallstudie anhand der Ämter Reinbek und Trittau, Kiel 2004. Zu den Auswirkungen in Friedenszeiten siehe auch Dominique BILOGHI und Elie PÉLAQUIER, Le village et l’armée en Languedoc à l’époque moderne, in  : Christian DESPLAT (Hg.), Les Villageois face à la guerre (XIVe–XVIIIe siècle). Actes des XXIIes Journées internationales d’histoire de l’Abbaye de Flaran 8, 9, 10 septembre 2000, Toulouse 2002, S. 161–184.

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Kapitel 8

Versorgungspolitik in Krisenzeiten Kooperation zwischen Ständen, Staat und Militär Die Zusammenarbeit von Landständen, Regierungsstellen und Armeeführung bei der Heeresverpflegung sollte sich in Krisenzeiten auch zugunsten der Zivilbevölkerung bewähren. Die Militärversorgung setzte eine Logistik voraus, die auch in Hungerjahren hilfreich sein konnte. Dabei fand durchaus ein Lernprozess statt. Bediente man sich anfangs noch des gewöhnlichen Instrumentariums der Krisenpolitik wie Ausfuhrsperren oder Verbote der Branntweinbrennerei, wurden die versorgungspolitischen Maßnahmen mit wachsender Erfahrung ausgefeilter und innovationsfreudiger. Die Bekämpfung von Teuerung und Lebensmittelknappheit scheint dabei nicht ohne Erfolg geblieben zu sein, denn für Luxemburg ist im 18. Jahrhundert kein Fall einer Hungerrevolte bekannt. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie Stände, Staat und Militär miteinander kooperierten, um den periodisch auftretenden Versorgungsmängeln entgegenzuwirken. Im Blickpunkt der Untersuchung stehen die schwierigen Jahre während des Österreichischen Erbfolgekriegs, die Hungersnot von 1770/1771 sowie die Krise am Ende der österreichischen Herrschaft.

8.1 D i e St eu e ru ng de s Ge t r e i de m a r k t e s wä h r e n d de s Ö s t e r r e ic h i s c h e n E r bf ol g e k r i e g s Die Belastungsprobe des Österreichischen Erbfolgekrieges hätte sehr leicht zu einer Ernährungskrise im Herzogtum führen können. Nach einem außerordentlich strengen Winter 1739/40 waren die Getreidepreise stark angestiegen.1 Die Teuerung beschränkte sich nicht auf die Provinz Luxemburg. Fast alle Regionen Europas litten unter dieser Krise, die den Übergang „von der Fülle zum Mangel“ markierte.2 Doch schon 1742 fielen die Preise wieder und blieben bis 1744 auf einem relativ 1 Zur Getreidepreisentwicklung siehe Étienne HÉLIN, Prix des céréales à Luxembourg […], op., cit., S. 207–208. 2 Wilhelm ABEL, Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Europa. Versuch einer Synopsis, Hamburg/Berlin 1974, S. 179.

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Die Steuerung des Getreidemarktes während des Österreichischen Erbfolgekriegs

niedrigen Niveau. Ab 1745 war dann wieder ein Anstieg zu verzeichnen, so dass die Ankündigung im Herbst 1746, 12.000 Soldaten im Herzogtum überwintern zu lassen, verständlicherweise höchste Besorgnis hervorrief. Geht man davon aus, dass das Herzogtum damals etwa 220.000 Einwohner zählte, kam diese Truppenanzahl einem plötzlichen Bevölkerungszuwachs von mehr als fünf Prozent gleich.3 Wie sollte der zusätzliche Brotbedarf gedeckt werden  ? Selbst Festungskommandant von Neipperg äußerte sich resigniert. Er „spüre wohl, dass trotz aller Maßnahmen, die man ergreifen könne, diese Provinz bald erschöpft sein wird und weder in ihrem Innern noch in dem, was von außen hereinkommen mag, genug findet, um sowohl die Ernährung der Armee als auch des Volkes auf lange Dauer zu bestreiten“.4 Dennoch kam es nicht zu der befürchteten Katastrophe. Die Fruchtpreise gingen 1747 sogar zurück, um dann noch einmal 1748 sprunghaft emporzuschnellen, bevor die Beendigung der Feindseligkeiten, der Truppenabzug und nicht zuletzt zufriedenstellende Ernteerträge die Lage normalisierten. Der glimpfliche Verlauf der Kriegs- und Krisenjahre 1740 bis 1748 spricht für eine gute Verwaltungsarbeit der verschiedenen Behörden, insbesondere aber der Landstände, die für eine möglichst ausgeglichene Lastenverteilung verantwortlich waren. Obschon den Ständevertretern nach dem Krieg persönliche Bereicherung und Vetternwirtschaft vorgeworfen wurde, bekamen die Soldaten all die Jahre über ihr Brot. Die Truppen wurden weit verstreut über das gesamte Gebiet des Herzogtums untergebracht. Die von den Ständen herangezogenen Unternehmer arbeiteten effizient. Trotz aller Entbehrungen, die der Landesbevölkerung durch den Unterhalt der Armee auferlegt wurden, funktionierte die Binnenversorgung weiter. Die landwirtschaftliche Produktion brach nicht zusammen, die Bauern zahlten weiterhin Steuern.5 Wichtig waren aber auch die flankierenden Maßnahmen, die eine unkontrollierte Teuerung der Nahrungsmittel verhindern sollten. In diesem Bereich suchten die landständischen und landesfürstlichen Behörden ebenfalls die Kooperation. 3 Eine in den Jahren 1766/67 durch die österreichischen Behörden unternommene Volkszählung hatte eine Gesamtbevölkerungszahl von 224.094 ergeben. Édouard Marie KAYSER, Le dénombrement général de 1784 dans les Pays-Bas autrichiens et l’état de la population luxembourgeoise à la fin de l’Ancien Régime (1766–1784), in  : Hémecht, Jg. 36, 1984, 1, S. 79–93, S. 80. 4 « […] sentant cependant fort bien que malgré toutes les mesures que l’on puisse prendre, cette province s’épuisera et ne trouvera en son sein, ni en ce qui pourra lui échapper d’ailleurs, de quoi subvenir à une subsistance de longue durée en la combinant avec celle du peuple […]. » AGR, CF, N° 2793, Brief von Neipperg an den bevollmächtigten Minister, 18. Dezember 1746. 5 Das Herzogtum Luxemburg erbrachte in den Jahren 1747 und 1748 Kontributionen im Werte von 779.333 Gulden, während die Steuereinnahmen der von den Franzosen besetzten Provinzen weitgehend ausfielen. Herman COPPENS, Basisstatistieken […], op., cit., S. 138.

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Versorgungspolitik in Krisenzeiten

Am 14. Oktober 1746 hatte Interims-Gouverneur von Neipperg eine Ausfuhrsperre für Getreide verhängt.6 Am 17. Dezember kamen Vertreter der Armee, des Provinzialrats und der Ständedeputation zusammen, um weitere Schritte zu beraten.7 Alle beklagten die laxe Haltung der Zollbeamten, denen es offensichtlich nicht gelang, die heimliche Ausfuhr einer Vielzahl von Gütern wie Weizen, Roggen, Spelz, Gerste, Erbsen, Saubohnen, Hafer, Hopfen, Heu und Stroh zu unterbinden. Wie sollten sie auch  ? Die Preise im Trierer Land, in Stavelot und Lüttich lagen über dem Luxemburger Niveau. Und eine Zollverwaltung, die 1744 nur fünfzig Beamte zählte, konnte unmöglich die lang gezogenen und unübersichtlichen Grenzen des Herzogtums ernsthaft überwachen.8 Die Kommission schlug härtere Strafen vor. Sie empfahl außerdem ein konsequentes Vorgehen gegen das verbotene Branntweinbrennen. Obwohl sich reichlich Obstsorten für die Herstellung von geistigen Getränken eigneten, blieb Korn auch in Notzeiten ein beliebter Schnaps. Die Branntweinbrennerei stellte offensichtlich eine profitable Einnahmequelle dar.9 Aller Verbote ungeachtet wurde das kostbare Getreide destilliert. Die Kommission verlangte Hausdurchsuchungen und eine Beschlagnahmung aller Destillierkolben. Weitere Maßnahmen richteten sich gegen den Wucher der Getreidehändler. Allgemein wurden oft Spekulanten für die Teuerung auf den Märkten verantwortlich gemacht. Man argwöhnte, dass gewinnsüchtige Personen ihre Vorräte zurückhielten und erst absetzten, nachdem sie die Preise in die Höhe getrieben hatten. Ob diese Befürchtungen in Wirklichkeit zutrafen, sei dahingestellt. Eine Streitschrift aus der Spätzeit des Ancien Régime behauptete jedenfalls, Getreidewucher sei im Herzogtum Luxemburg sehr verbreitet gewesen und hätte zu einer Verarmung breiter Schichten geführt, während eine Minderheit sich daran bereicherte.10 Aufkäufer würden große Mengen an Getreide horten und dann in Notzeiten auf Kredit an die bedürftige Bevölkerung verkaufen. Die notleidenden Verbraucher hätten mehr und mehr Schul 6 Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 45.   7 AGR, CF, N° 2793, Bericht über die Verhandlungen der durch die Bestimmung Seiner Exzellenz vom 23. November 1746 eingesetzten Kommission, Luxemburg, den 17. Dezember 1746.   8 Christine PIRAUX/Michel DORBAN (Hg.), Douane, commerce […], op., cit., S. 146.   9 Finanzrat Henri Delplancq schätzte den Getreideverbrauch für die Branntweinherstellung auf 16.000 Last oder sieben Prozent der gesamten Getreideproduktion der Niederlande. Chris VANDENBROEKE, Agriculture et alimentation […], op., cit., S. 83. 10 « Mémoire que présente un citoïen zelé pour le bien public, aux états de la province de Luxembourg dans leur assemblée tenue en janvier 1790, touchant les moiens de remedier à la cherté des grains et les ressources de pouvoir en procurer aux malheureux habitans de cette province, qui sont menacés d’une disette absolue de cette denrée si necessaire à la vie ». Abgedruckt in Alphonse SPRUNCK, Études sur la vie économique […], op., cit., S. 42–54

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Die Steuerung des Getreidemarktes während des Österreichischen Erbfolgekriegs

den und wären schließlich gezwungen, ihren Besitz zu veräußern. „Dieser Handel hat zwei Drittel der Dörfer in den Ardennen ruiniert“, beklagte der Pamphletist sich bei den Landständen und wetterte gegen die Wucherer, „diese öffentlichen Blutsauger, die hundertmal hassenswerter sind als Straßenräuber und Piraten“.11 Auch bei den Vertretern, die sich 1746 zusammensetzten, um das Versorgungsproblem zu lösen, überwog das Misstrauen gegenüber den Getreidehändlern. Sie sprachen sich für ein Aufkaufsverbot aus. Niemand dürfe Mengen kaufen, die über den Eigenbedarf hinausreichten. Der Kauf zum Zwecke des Wiederverkaufs sollte untersagt werden. Wieweit konnte der Getreidemarkt reguliert werden  ? Die Kommissionsmitglieder diskutierten über die Zweckmäßigkeit einer Fürkaufsgesetzgebung, die den Direktkauf bei den Erzeugern verbot und bestimmte, dass das Getreide zum Markt gebracht wurde.12 Angesichts der gewaltigen Ausdehnung des Herzogtums und der geringen Anzahl von Marktplätzen schien ein solcher Eingriff nicht praktikabel. Offiziell anerkannte und überwachte Umschlagplätze für Getreide waren neben der Stadt Luxemburg noch die Orte Arlon, Virton, Vianden, Bastogne, Remich, Marche, Chiny und Houffalize.13 Manche Dörfer lagen acht, neun, zehn oder zwölf Meilen vom nächsten Markt entfernt, und man konnte den Bauern unmöglich die hohen Transportkosten auferlegen, indem man sie zwang, ihre Ernteüberschüsse nur an diesen festgesetzten Orten anzubieten. Die Tatsache, dass ein wahrscheinlich nicht unerheblicher Teil der Kornvorräte in den Scheunen der Erzeuger und am Sitz der Grund- oder Zehntherren verkauft wurde, erschwerte eine Überwachung der Transaktionen. Trotzdem ging an alle Amtleute die Aufforderung, die Marktpolizei auszuüben und für einen geordneten Absatz zu sorgen. Die von der Kommission angeregten Interventionen waren Versuche, das Angebot zu steuern. Neben den vorgeschlagenen Ordnungsmaßnahmen bestand die Möglichkeit, noch schärfer in das Marktgeschehen einzugreifen und direkt auf die Preisbildung einzuwirken. Die Kommission zog folglich auch eine Festlegung von Höchstpreisen für Getreide und Hülsenfrüchte in Erwägung. Doch wurden die Preise zu niedrig angesetzt, riskierte man, dass die noch vorhandenen Vorräte ins Ausland abgingen. Lag der Festpreis zu hoch, wurden die Lebensmittel unerschwinglich für die ärmere Bevölkerung, während die Armeelieferungen sich zu Lasten der Staatskasse 11 « […] ce commerce a ruiné deux tiers des villages de l’Ardenne […]. » « […] ces sangsues publiques, cent fois plus detestables que les voleurs de grands chemins, et que les pirates ou ecumeurs de mer […]. » Zitiert in Alphonse SPRUNCK, Études sur la vie économique […], op., cit., S. 53 und 51–52. 12 Wilhelm ABEL, Massenarmut und Hungerkrisen […], op., cit., S. 236. 13 Angaben in AGR, CF, N° 2793, Bericht über die Verhandlungen der durch die Bestimmung Seiner Exzellenz vom 23. November 1746 eingesetzten Kommission, Luxemburg, den 17. Dezember 1746.

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Versorgungspolitik in Krisenzeiten

verteuerten. Die Kommissionsmitglieder verglichen die Situation mit der Krise von 1709. Damals war das Herzogtum von einer schweren Hungersnot heimgesucht worden, die auch noch vierzig Jahre danach in Erinnerung blieb.14 Seit Menschengedenken hatte es keinen solchen Mangel gegeben.15 Selbst bessergestellte Bürger mussten sich in jenem Jahr mit Gersten-, Hafer- oder Erbsenbrot begnügen, während arme Leute meist nur Wurzeln, Wildkräuter und sogar verendete Tiere aßen.16 Die Festsetzung von Höchstpreisen durch den Provinzialrat hatte sich sehr negativ ausgewirkt. „Vor dieser Taxe fand man noch Korn für Geld, nach der Taxe hatte niemand mehr welches.“17 Das Angebot verschwand, die Märkte blieben leer. Die negative Erfahrung von 1709 bewog die Kommission, von einem solchen Eingriff abzuraten. Auch Interimsgouverneur Neipperg versicherte, dass er alles daransetzen würde, damit eine Preisbindung nicht notwendig werde.18

8.2 D i e Vor r at s w i r t s c h a f t a l s P r äv e n t i v m a s s n a h m e Obwohl die Kommission eine Fülle von Instrumenten zur Sprache brachte, fällt auf, dass mit der Vorratswirtschaft ein gängiges Mittel zur Bekämpfung von Teuerungen fehlte. Viele Städte trafen in guten Jahren Vorsorge und häuften in Speichern Getreide an, das sie in Notzeiten ausgeben konnten.19 Bei den Zeitgenossen fand vor allem die preußische Magazinwirtschaft große Beachtung.20 In Preußen machten die öffentlichen Kornvorräte etwa zehn Prozent einer normalen Ernte aus und trugen durch den sogenannten „intertemporalen Ausgleich“, den sie ermöglichten, zu einer erhöhten Preissta14 Zum Verlauf der Krise von 1709 siehe Étienne HÉLIN, Prix des céréales à Luxembourg […], op., cit., S. 204–207. 15 Nicolas VAN WERVEKE, Mélanges historiques. D. – Chronique Blanchart, in  : PSH, Bd. 52, Luxemburg 1903, S. 53–125, S. 125. 16 Jean PETERS, Sebastian-Franz Blanchard und seine Luxemburger Chronik, in  : PSH, Bd. 46, Luxemburg 1898, S. 178–180  ; François LASCOMBES, Chronik […], op. cit, S. 128–129. 17 « […] Avant que cette taxe fut faite on trouvait encore du grain pour argent, et après la taxe personne n’en avait plus […]. » AGR, CF, N° 2793, Bericht über die Verhandlungen der durch die Bestimmung Seiner Exzellenz vom 23. November 1746 eingesetzten Kommission, Luxemburg, den 17. Dezember 1746. 18 AGR, CF, N° 2793, Brief von Neipperg an den bevollmächtigten Minister, Luxemburg, den 18. Dezember 1746. 19 Beispielhaft sei hier die Vorratswirtschaft der Kölner Kornkasse während den Krisen 1739–41 und 1770/71 aufgeführt. Siehe Dietrich EBELING und Franz IRSIGLER, Getreideumsatz, Getreide- und Brotpreise in Köln 1368–1797. Zweiter Teil  : Brotgewichte und Brotpreise  : Wochen-, Monats- und Jahrestabelle, Graphiken, Köln/Wien 1977, S. XXXIV–LII. 20 Wilhelm ABEL, Massenarmut und Hungerkrisen […], op., cit., S. 233.

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Die Vorratswirtschaft als Präventivmaßnahme

bilität bei.21 Sowohl König Friedrich Wilhelm als auch sein Sohn König Friedrich II. öffneten in Hungerjahren die Mehllager der Armee und verkauften die Reserven zu verbilligten Preisen an die Bevölkerung.22 Dadurch wurde nicht nur den Notleidenden geholfen – durch die plötzliche Steigerung des Angebots fielen in der Regel auch die Marktpreise. Die Vorzüge der Vorratswirtschaft lagen auf der Hand, doch warum wurde dieses Präventivmittel nicht in Luxemburg angewandt  ? 1734 hatte die Generalgouverneurin den Luxemburger Landständen vorgeschlagen, ein Getreidemagazin einzurichten.23 Anlass war die damalige Konjunktur. Seit 1727 hatte es eine fast ununterbrochene Reihe von fruchtbaren Jahren gegeben. Die Getreidepreise lagen niedrig, größere Mengen der niederländischen Produktion wurden exportiert.24 Maria Elisabeth gab den Ständen zu bedenken, ob es nicht fürsorglicher sei, die Überschüsse für Mangeljahre aufzubewahren, anstatt sie auszuführen. So bräuchte man bei Knappheit nicht gleich auf teure Importe aus dem Ausland zurückzugreifen. Die versammelten Stände in Luxemburg verwarfen jedoch den von Kommandant von Neipperg vorgetragenen Antrag unter Hinweis auf die wirtschaftliche Sonderstellung des Herzogtums innerhalb der Niederlande.25 In einer Provinz, die in weiten Teilen aus Wäldern und Heide bestehe, könne laut den Luxemburger Abgeordneten von keiner Überproduktion die Rede sein. Die Ernten reichten kaum für den Eigenbedarf. Zöge man aus dem platten Land die wenigen Vorräte, die dort vorhanden sind, um sie in der Stadt in einem Magazin zu lagern, laufe man Gefahr, eine Krise hervorzurufen. Die Idee einer landständischen Kornkammer fand demnach keinen Anklang in Luxemburg. 21 Dazu Karl Gunnar PERSSON, Grain Markets in Europe […], op., cit., S. 82–83. 22 Die Abhandlung „Von den Verpflegungen der Armeen“, die 1779 bei Johann Friedrich Korn in Breslau erschien, schildert ausführlich, wie die Bevölkerung mit Getreide aus den Militärmagazinen versorgt wurde und welche wirtschaftlichen und politischen Vorteile diese Hilfsaktionen dem Staat bzw. der Krone brachten  : „Andern Theils können auch dergleichen Vorräthe, wenn sie nicht zum Kriege nöthig sind, bey sich ereignendem Mißwachse geöffnet, durch deren Verkauf dem nothleidenden Lande ausgeholfen, die Theurung gehemmet, und viele Gelder im Staate zurück erhalten werden, die sonst durch Aufkaufung der Nothdurft daraus gehen müßten. Der verstorbene König Friedrich Wilhelm zog als ein besonders kluger Heer und Wirth durch seine eröffneten Magazine in Crossen, Frankfurt, Küstrin und Landsberg bey der Hungersnoth, die Schlesien 1736 durch Ueberschwemmung der Wässer betraf, einen erstaunenden großen Vortheil  ; indem die Vivres in wohlfeilen Zeiten eingekauft waren, und ihm viel theurer bezahlet wurden, und erwarb sich noch dabey dadurch nicht nur den ruhmlichen Namen eines Erretters von Schlesien, sondern auch die Liebe des Volks, die seinem Sohne, dem jezigen Könige, hernach im Kriege noch sehr zu Statten gekommen ist.“ Siehe ebenda S. 12. 23 ANL, A XVII-4, Gesuch der Stände an die Generalgouverneurin, Luxemburg, den 20. März 1734. 24 Étienne HÉLIN, Prix des céréales à Luxembourg […], op., cit., S. 208  ; Wilhelm ABEL, Massenarmut und Hungerkrisen […], op., cit., S. 179. 25 ANL, A XVII-4, Gesuch der Stände an die Generalgouverneurin, Luxemburg, den 20. März 1734.

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Versorgungspolitik in Krisenzeiten

Die Stadt und Festung Luxemburg war dennoch nicht ohne größere Getreidevorräte. Diese waren aber nicht ziviler, sondern militärischer Natur. Die Einrichtung von Mehlmagazinen in der Festung Luxemburg reicht in die 1720er-Jahre zurück. Damals nahmen die Spannungen mit Frankreich zu. Die Festungsanlagen wurden stark ausgebaut und die Zahl der Soldaten stieg an. Als 1727 zusätzlich ein Armeekorps von 10.000 Mann unter General von Wallis hereinkam, ließ die Militärführung riesige Mengen Proviant im Schutz der Wallmauern einlagern. Die Anschaffung des Getreides wie auch der Unterhalt des österreichischen Expeditionsheeres wurden über die „deutschen Finanzen“ – also nicht mit Mitteln aus der niederländischen Kriegskasse – finanziert.26 Die Festung war zu dem Zeitpunkt derart überfüllt, dass die üblichen Lagerstätten auf den Speichern der Kasernen und in den Kasematten der „Kavaliere“ nicht mehr genügten.27 Der Magistrat und der Festungskommandant inspizierten gemeinsam die Klöster der Stadt, um weitere Stellen zur Unterbringung der Nahrungsmittel ausfindig zu machen.28 Doch dies konnte keine Lösung auf Dauer sein. 1728 begannen die Ingenieure der Garnison mit der Errichtung eines Holzschuppens zwischen dem Heilig-Geist-Plateau und dem Kongregationskloster.29 1730 folgte der Bau eines weiteren Mehlmagazins, ebenfalls aus Holz und mit Schindeln bedeckt, im Pfaffenthal unterhalb des Gouverneursgebäudes.30 1733 wurden dann zwei weitere Lagerhäuser errichtet, das eine im Pfaffenthal am Fuße des Bockfelsen, das andere im Tal der „Hiehl“ zwischen den Grünewälderforts gelegen.31 Erst in den Jahren 1770/71 wurden die Holzwände durch solide Steinmauern ersetzt und die Dächer mit Schiefer anstatt mit Holzschindeln gedeckt.32 Ab den 1730er-Jahren verfügte die Festung Luxemburg demnach über eine geeignete Infrastruktur zur Aufbewahrung der Vorräte. Das Mehl lag in Säcken in den Magazinen. Andernorts wurde es oft in Fässern aufbewahrt. Doch Säcke ließen sich 26 AGR, CF, N° 2810, Note betreffend das Magazin in der Stadt Luxemburg, 26. Februar 1774. 27 Die bombensicheren Räume unter den Kavalieren Camus und Berlaimont dienten teilweise der Proviantlagerung. Jean-Pierre KOLTZ, Baugeschichte […], op. cit. Bd. 2, S. 18 u. 29. Kavaliere sind überhöhende Stellungen auf einer Bastion. 28 François LASCOMBES, Chronik […], op., cit., S. 213 u. 218. 29 Die Holzkonstruktion wurde 1772 durch einen Steinbau ersetzt und diente zu dem Zeitpunkt als Artillerieunterstand. Service Historique de la Défense Vincennes, Génie, Bibliothèque, Atlas 149, Atlas des plans et profils des bâtiments militaires de la ville de Luxembourg [Atlas mit Plänen der Militärgebäude der Stadt Luxemburg], Pl. 44. 30 SHD Vincennes, Atlas 149, Pl. 38. In diesem Magazin wurde später vor allem Heu aufbewahrt. 31 Alphonse SPRUNCK, Quelques aspects de l’histoire militaire de Luxembourg sous le régime autrichien, in  : Collection « Les Amis de l’histoire », Fasz. 9, Luxemburg 1972, S. 3–90, S. 10. 32 SHD Vincennes, Atlas 149, Pl. 36 u. 37.

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Die Vorratswirtschaft als Präventivmaßnahme

einfacher stapeln und transportieren. Sie waren zudem in der Herstellung billiger.33 Einziges Fragezeichen blieb die Haltbarkeit. Eingefüllt in Fässer, an einem trockenen Ort deponiert, ließ Mehl sich sehr lange konservieren. So wird berichtet, dass während des Siebenjährigen Kriegs die preußische Armee Mehl aus Fässern, die 40 Jahre in einem Magazin in Stettin gestanden hatten, zu Brot verbacken hat.34 Der Leiter des Proviantamts in Luxemburg Biber behauptete, dass sich die Vorräte auch noch nach 15 Jahren Lagerung in einem sehr guten Zustand befanden.35 Voraussetzung für eine längerfristige Konservierung war eine sachgerechte Verwaltung der Vorräte. Das Proviantamt beschäftigte sechs Knechte, welche die Mehlmagazine sauber hielten und jedes Jahr einmal alle Säcke umdrehten, ein Unternehmen, das drei bis vier Wochen andauern konnte. Dennoch, um kein Risiko einzugehen, versuchte man, das Mehl nicht länger als zehn Jahre zu behalten, sondern nach und nach zu erneuern.36 Die alte Ware verkaufte sich aber schlecht. Weder die Bäcker der Stadt noch die Einwohner trauten dem Proviant, der aus den Garnisonsmagazinen stammte. Als 1776 1.500 Sack Mehl öffentlich versteigert wurden, fanden sich nur zwei Bieter, der Händler Antoine Pescatore und ein Mitarbeiter des Proviantunternehmers Aerts.37 Der gebotene Preis war aber so gering, dass er für die landesherrlichen Finanzen ein Verlustgeschäft bedeutet hätte. Im Idealfall sollte der Erlös aus dem Verkauf des alten Mehls den Ankauf von neuen Vorräten ganz finanzieren. Finanzrat und Proviantamt schlugen die Angebote Pescatores und Aerts aus. Bei der nächsten Vergabe der Brotlieferungen bekam der Unternehmer die Auflage, jedes Jahr 9.000 Zentner (quintaux) aus den Festungsmagazinen zu beziehen und durch neue Vorräte zu ersetzen.38 Dies war der Weg, auf dem die Mehlreserven in der Regel ausgewechselt wurden. Die Verträge mit den Proviantunternehmern enthielten meistens eine Klausel, die den Verbrauch und die Ersetzung von bestimmten Mengen an altem Mehl vorschrieben.39 33 Generalmajor und Proviantinspektor von Schröder verfasste 1776 einen Bericht über den Zustand der Magazine in Luxemburg, in dem er vorschlug, das Mehl in Fässern aufzubewahren. Der Brüsseler Finanzrat und das Proviantamt in Luxemburg argumentierten dagegen. AGR, CF, N° 2811, Anmerkungen über das Magazin in der Stadt Luxemburg, o. D. [1776]  ; Denkschrift über die Betrachtungen von Generalmajor von Schröder über das Magazin in Luxemburg, 18. Dezember 1776. 34 Von den Verpflegungen der Armeen, Breslau, Johann Friedrich Korn, 1779, S. 10. Joachim NIEMEYER, Die preußische Heeresversorgung unter Friedrich dem Großen, in  : Die Bewaffnung und Ausrüstung der Armee Friedrichs des Großen, Rastatt 1986, S. 73–88, S. 76. 35 AGR, CF, N° 2811, Anmerkungen über das Magazin in der Stadt Luxemburg, o. D. [1776]. 36 AGR, CF, N° 2811, Brief von Biber an den Finanzrat, Luxemburg, den 13. März 1776. 37 AGR, CF, N° 2811, Protokoll der Versteigerung von 1.500 Sack Mehl, 1. Juli 1776. 38 AGR, CF, N° 2811, Brief von Biber an den Finanzrat, Luxemburg, den 3. Juli 1776. 39 Beispiele von derartigen Vertragsklauseln für die Militärjahre 1731/32, 1734/35 sowie 1745/1746 in AGR, CF, N° 2786 und 2792.

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Versorgungspolitik in Krisenzeiten

Die Militärführung versuchte, dafür zu sorgen, dass die Magazine immer ausreichend gefüllt waren. Als Neipperg sich 1746 beunruhigt zeigte, da die Vorräte für den alltäglichen Brotbedarf der Garnison stark aufgebraucht wurden, bat die Regierung die Stände um eine Lieferung von 26.180 Zentnern (quintaux) Mehl oder 10.000 Maltern Roggen.40 Wie viel zu dem Zeitpunkt noch in den Speichern vorhanden war, ist leider nicht bekannt. 1773 lagerten in den Magazinen laut einer Aufstellung des Proviantkommissars Biber 18.653 Zentner (quintaux) und 21 Pfund (livres) Mehl, nachdem die Stände 12.202 und der Proviantunternehmer 16.224 Zentner aus den Vorräten erhalten hatten.41 Um 1770 müssen demnach fast 50.000 Zentner oder 25.000 Säcke Mehl in den verschiedenen Militärmagazinen gelegen haben.42 Die in der Festung aufbewahrten Mehlvorräte waren in erster Linie für eine Belagerung gedacht. Außerdem stellten sie eine strategische Reserve dar, aus der eine ins Feld ziehende Armee versorgt werden konnte. Dies war der Fall im Polnischen Erbfolgekrieg 1735, als ein österreichisches Heer unter von Seckendorff in der Moselgegend unweit von Trier operierte. Trotz der Neutralität der Österreichischen Niederlande in diesem Konflikt wurden die kaiserlichen Truppen aus der Festung Luxemburg heraus verproviantiert. Die Backöfen der Garnison backten Brot, und wochenlang karrten Hunderte von Fahrzeugen die Verpflegung Richtung Mosel und Rhein.43 Auch während des Österreichischen Erbfolgekriegs waren gut gefüllte Proviantmagazine Garanten für die strategische Bedeutung der Festung wie auch für deren Widerstandsfähigkeit im Falle eines Angriffs. Immerhin schätzten die französischen Militärexperten, dass Luxemburg eine Belagerung mindestens drei Monate aushalten würde.44 Unter diesen Umständen war es nur folgerichtig, dass die Kommission, die 1746 zusammentrat, um eine Teuerung des Getreides zu verhindern, nicht die Mehlvorräte der Festung antastete. Die Feindseligkeiten mit Frankreich erlaubten keine zivile Nutzung der Armeereserven.

40 Alphonse SPRUNCK, Le Duché de Luxembourg […], op., cit., S. 32, 43 u. 56. 41 Aufstellung der Mehlvorräte durch Biber in AGR, CF, N° 2810, Protokoll des Finanzrats Paradis, 29. Mai 1775. Vgl. auch AGR, CF, N° 2810, Gutachten des Finanzrats an den Generalgouverneur, 30. Juni 1773. 42 Ein Sack entsprach in etwa zwei Zentnern (quintaux). AGR, CF, N° 2810, Protokoll des Finanzrats Paradis, 29. Mai 1775. 43 François LASCOMBES, Chronik […], op., cit., S. 250–251. 44 François-Yves LE MOIGNE, La place du Luxembourg […], op., cit., S. 71.

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Die Versorgung der Bevölkerung durch die Mehlmagazine der Festung

8.3 D i e Ve r s orgu ng de r Be völ k e ru ng du rc h di e M e h l m ag a z i n e de r Fe s t u ng Nach 1756 änderte sich die Situation grundlegend. Die Umkehr der Allianzen und das Ende der traditionellen Rivalität zwischen Habsburgern und Bourbonen rückte den Krieg in weite Ferne. Die Festung Luxemburg verlor an Bedeutung, die Garnisonen waren schwach. Dass man die gut gefüllten Magazine eines Tages für den militärischen Ernstfall benötigte, schien eher unwahrscheinlich. Ein Einsatz von Mehlbeständen der Armee zur Bekämpfung einer Hungersnot wurde plötzlich denkbar. Die Idee einer derartigen Hilfsaktion kam aber weder der Regierung noch dem Militär, sondern der Ständedeputation. Am 31. Mai 1770 sandten die Luxemburger Abgeordneten ein Gesuch an Karl von Lothringen. Angesichts der Getreideteuerung baten sie ihn, eines der Festungsmagazine zu öffnen, um mit dem vorhandenen Mehl die Ernährung des Volkes bis zur nächsten Ernte zu bestreiten.45 Der Generalgouverneur willigte ein, gab die nötigen Anweisungen an das Kriegskommissariat und forderte die Stände auf, sich mit der Militärverwaltung über die praktische Umsetzung zu verständigen.46 Erste Anzeichen einer Ernährungskrise hatte es schon seit mindestens 1769 gegeben.47 Widrige Witterungsverhältnisse führten zu Ernteausfällen, die ein starkes Ansteigen der Getreidepreise zur Folge hatten. Deshalb hatte die Ständeversammlung im Dezember 1769 schon ein Verbot der Branntweinherstellung sowie der Getreideausfuhr verlangt.48 Die Ernte des Jahres 1770 kündigte sich dann noch schlechter an als die des Vorjahres. Ab Mai stiegen die Preise weiter an.49 Die Missernten von 1770 sowie 1771 betrafen allerdings nicht allein das Herzogtum Luxemburg, sondern weite Teile der Habsburgermonarchie. Auch in Brabant und Namur, in den Vorlanden, Tirol und Österreich oder in Böhmen und Mähren kam es zu außergewöhnlichen Teuerungen auf den Märkten.50 In Böhmen brach eine schwere Hungersnot aus, die den Thronfolger Joseph II. sogar bewog, selbst in das Notstandsgebiet zu reisen, um sich dort persönlich für eine Verbesserung der Versorgungslage 45 ANL, A IV-22, « Points représentés », Ständeversammlung vom 10. Juli 1770, Punkt Nr. 30. 46 Ibidem. 47 Étienne HÉLIN, Prix des céréales à Luxembourg […], op., cit., S. 207–208. 48 ANL, A IV-31, « Registres aux protocoles », 1765–1786, f° 152r. 49 Étienne HÉLIN, Prix des céréales à Luxembourg […], op., cit., S. 231–232. 50 Insbesondere zu Österreich siehe die unveröffentlichte Dissertation von Josef KUMPFMÜLLER, Die Hungersnot von 1770 bis 1772 in Österreich, Wien 1969. Allgemein zu den europäischen Auswirkungen der Krise siehe Wilhelm ABEL, Massenarmut und Hungerkrisen […], op., cit., S. 200–257. Für ein Einzelbeispiel siehe Dietrich EBELING und Franz IRSIGLER, Getreideumsatz […], op., cit., S. XLIV– LII.

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Versorgungspolitik in Krisenzeiten

zu engagieren.51 Die Krise der-Jahre 1770 bis 1772 verstärkte das sozialpolitische Bewusstsein der Zentralstellen in Wien wie auch der Verwaltungen auf Länderebene. Herrscher und Beamte sahen sich in der Pflicht, für die Ernährungssicherheit zu sorgen.52 Diese Einstellung schuf günstige Voraussetzungen für unkonventionelle Maßnahmen im Kampf gegen die Lebensmittelknappheit.53 Nachdem Karl von Lothringen sein Einverständnis gegeben hatte, nahmen die Stände Kontakt mit Kriegskommissar Chevalier de Dosme und Proviantkommissar Biber auf.54 Beide Seiten beschlossen, vorerst nur 1000 Sack Mehl dem Magazin zu entnehmen. Falls diese Menge nicht reichen sollte, würde man eine neue Genehmigung bei Hofe anfragen. Das Kriegskommissariat forderte zuerst einen Stüber pro Pfund Mehl. Dieser Preis schien den Ständen jedoch zu hoch, deshalb einigte man sich darauf, die entnommenen Vorräte innerhalb von drei bis vier-Jahren in natura durch die Provinz ersetzen zu lassen. Am 20. Juni 1770 konnte die Hilfsaktion anlaufen. Sie wurde vorher durch eine öffentliche Anzeige angekündigt. Die Verteilung fand im Stadthaus, das gleichzeitig Tagungsort der Stände war, statt. Es handelte sich eigentlich eher um einen Verkauf zu einem stark verbilligten Preis. Die Bedürftigen konnten Mehl für ihren Eigenbedarf zum Preis von 10 ½ Heller pro Pfund von den Ständen kaufen. Doch es wurden nicht nur Einzelkäufer vorstellig, sondern auch ganze Gemeinden. Nicht alle hatten bares Geld dabei. Deswegen schlug Festungskommandant von Salm vor, den Gemeinschaften das Mehl auf Kredit zu gewähren. Die Stände nahmen den Vorschlag an. Die Gemeinden mussten sich jedoch solidarisch verpflichten, das gelieferte Mehl bis Weihnachten zurückzuzahlen.55 Der Andrang auf das verbilligte Mehl war groß. Die erste Lieferung ging bald zur Neige. Am 29. Juni fragten die Stände weitere 1000 Säcke an. Das Oberkriegskommissariat in Brüssel hatte aber Bedenken und wollte nur 500 Sack Mehl zusätzlich abgeben.56 Die Stände ließen nicht ab von ihrem Antrag und schrieben wieder an den bevollmächtigten Minister von Starhemberg. Dieser reagierte zuerst verärgert 51 Erika WEINZIERL-FISCHER, Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II., in  : Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Bd. 7, Wien 1954, S. 478–514. 52 Helmut REINALTER, Die Sozialreformen Josephs II., in  : Helmut REINALTER (Hg.), Josephinismus […], op., cit., S. 163–189, S. 170–175. 53 Der Vorschlag der Luxemburger Landstände, Mehl aus den Militärmagazinen zu verteilen, zeugt von einer gewissen Originalität. In Böhmen wurde erst 1771, nachdem der anfängliche Widerstand des Armeekommandos überwunden war, Mehl aus Militärbeständen an die Einwohner Prags ausgeteilt. Erika WEINZIERL-FISCHER, Die Bekämpfung der Hungersnot […], op., cit., S. 492–493, 495 u. 496. 54 ANL, A IV-22, « Points représentés », Ständeversammlung vom 10. Juli 1770, Punkt Nr. 30. 55 Ibidem. 56 Ibidem.

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Das Krisenmanagement der Stände auf dem Prüfstand

und warf der Ständevertretung vor, die Regierung nicht rechtzeitig über die Gefahr eines Getreidemangels informiert zu haben. „Eine solche Knappheit kann und muss einige Zeit im Voraus vorhersehbar sein“, kritisierte der bevollmächtigte Minister die fehlende Voraussicht. Es sei erstaunlich, dass die Regierung immer erst von einer Hungersnot erfahre, wenn diese schon ausgebrochen sei.57 Schließlich gab Starhemberg dennoch an Proviantkommissar Biber Anweisung, die Hilfe fortzuführen. Kommandant von Salm genehmigte die Entnahme von bis zu 7.000 Säcken Mehl aus den Magazinen der Festung Luxemburg. Bis zum 31. August 1770 bezogen die Stände aus den Militärbeständen insgesamt 5.854 Säcke, was einer Menge von 12.202 Zentnern (quintaux) und 37 Pfund entsprach.58

8.4 Da s K r i s e n m a n ag e m e n t de r Stä n de au f de m P rü f s ta n d Die heftige Reaktion Starhembergs zeugt sowohl von der Erwartungshaltung der Regierung als auch von deren Misstrauen gegenüber der ständischen Verwaltung. Das Verhältnis zwischen Zentralbehörden und Landständen stand 1770 nicht zum Besten. Seit nun schon fast fünf Jahren dauerte der Streit um die Einführung der Katasterreform an. Insbesondere die Vertreter des Adels wehrten sich erbittert gegen die Abschaffung des Steuerprivilegs.59 Um die Herrscherin und ihre Ratgeber umzustimmen, sandten sie 1767 zwei Abgeordnete nach Brüssel, dann 1768 sogar bis nach Wien, aber ohne Erfolg. Zeitgleich zur Steuerreform versuchte die Regierung, die interne Verwaltung der Landstände unter ihre Kontrolle zu bekommen.60 1765 hatte der Rechnungsprüfer Jacques-Antoine Le Clerc einen vernichtenden Bericht über die Luxemburger Ständeorganisation verfasst.61 Seine Kritik veranlasste Brüssel, Anfang 1766 ein Reglement zu verabschieden, das die Befugnisse und Verfügungsgewalt 57 « […] je suis faché d’y voir l’état ou les choses continuent de se trouver relativement au defaut de grains, je ne puis pas me dispenser d’observer qu’il paroit toujours singulier que le gouvernement n’ait eu connoissance de la disette que lors qu’elle existoit déjà, tandis qu’un defaut pareil peut et doit se prevoir quelque tems d’avance […]. » Brief von Starhemberg an die Luxemburger Stände, Brüssel den 14. Juli 1770. ANL, A IV-31, « Registres aux protocoles », 1765–1786, f°164. 58 ANL, A IV-22, « Points représentés », Ständeversammlung vom 21. November 1770, Punkt Nr. 22  ; ANL, A IV-121, « Excrescence », 1771, f°40. 59 Siehe Kapitel 7 vorliegender Arbeit, S. 282–283. Calixte HUDEMANN-SIMON, La noblesse luxembourgeoise […], op., cit., S. 243–256  ; Claude de MOREAU de GERBEHAYE, L’abrogation des privilèges fiscaux […], op., cit., S. 390–395. 60 Guy THEWES, Route […], op., cit., S. 58–65. 61 Siehe Kapitel 7 vorliegender Arbeit, S. 283.

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Versorgungspolitik in Krisenzeiten

der Deputierten stark einschränkte.62 Doch der ständische Betrieb lief weiter, als sei nichts gewesen. Die Abgeordneten weigerten sich, die neue Verordnung zu befolgen und schickten mehrere Bittschriften an den Generalgouverneur. Im Juli 1770 – also inmitten der Getreidekrise – verlieh die Ständeversammlung ihrem Unmut Ausdruck, indem sie den Steuerbetrag, den sie gewohnt war zu bewilligen, um 40.000 Gulden kürzte. Starhemberg lehnte daraufhin den Bewilligungsakt ab und forderte die Abgeordneten auf, die gesamte von der Landesherrin angefragte Summe zu bewilligen.63 Das Vertrauen zwischen Brüssel und Luxemburg war stark angeschlagen, und somit ist es auch verständlich, dass die Regierung anfangs zögerte, der Provinz weitere Hilfeleistungen zuzugestehen. Die Zentralregierung entschied, vor Ort zu intervenieren. Bevor Starhemberg sein Einverständnis für zusätzliche Mehllieferungen gab, schickte er einen hohen Beamten in die Krisenregion. Der bevollmächtigte Minister wählte für diese Mission den ehemaligen Auditor und damaligen Geheimrat Jacques-Antoine Le Clerc aus. Dieser traf am 20. Juli 1770 in Luxemburg ein und begann sofort die Unterredungen mit den Vertretern der Stände.64 Le Clerc sollte sich über die Ursachen der Hungersnot informieren. Seine eigentliche Aufgabe war aber, das Krisenmanagement der Landstände zu überprüfen und notfalls selbst das Heft in die Hand zu nehmen. Die Regierung maß der Überwindung der Ernährungskrise eine große Bedeutung bei, nicht so sehr weil sie soziale Unruhen befürchtete, sondern weil die Getreideknappheit und die daraus resultierende Teuerung eine Auswanderungswelle auslöste. Am 25. Juni schrieb Karl von Lothringen an Starhemberg, dass ihm zwischen Nürnberg und Regensburg 40 bis 50 Luxemburger Familien mit Pferden und Gepäck begegnet seien. Er bat ihn, alles zu unternehmen, um diesen Migrationsfluss zu stoppen.65 Tatsächlich nahm seit Ausbruch der Krise die Zahl der Einwohner, die das Land in der Hoffnung verließen, anderswo bessere Lebensbedingungen zu finden, in besorgniserregendem Maße zu. Viele von ihnen wanderten ins Banat von Temeswar im heutigen Rumänien aus, ein Gebiet, das die Armeen des Prinzen Eugen 1718 von den Türken erobert hatten.66 62 ANL, A IV-1 und A IV-35, Dekret von Karl von Lothringen an die Stände von Luxemburg, 11. Januar 1766. 63 Alphonse SPRUNCK, Les États du Pays Duché de Luxembourg et Comté de Chiny, in : Les cahiers Luxembourgeois, Jg. 13, 1936, N° 1, S. 99–126, S. 111. 64 ANL, A IV-22, « Points représentés », Ständeversammlung vom 21. November 1770, Punkt Nr. 22. 65 Alphonse SPRUNCK, Études sur la vie économique et sociale dans le Luxembourg au 18e siècle. Bd.2 Les classes rurales (2e partie), Luxembourg 1963, S. 148. 66 Zwischen 1764 und 1786 sollen mehr als 5.000 Luxemburger, also etwa 2,5 % der damaligen Bevölkerung des Herzogtums, ins Banat ausgewandert sein. Pierre HANNICK, Colons luxembourgeois au Banat au XVIIIe siècle, in  : PSH, Bd. 92, Luxemburg 1978, S. 153–196, S. 164.

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Das Krisenmanagement der Stände auf dem Prüfstand

Obwohl das Zielgebiet der Auswanderer zur Habsburgermonarchie gehörte, wollten die niederländischen Behörden nicht hinnehmen, dass eine Provinz sich entvölkerte, um eine andere zu bevölkern. Ganz im Sinne der vorherrschenden kameralistischen Wohlfahrtslehre galt eine wachsende Volkszahl und -dichte als Grundlage des wirtschaftlichen und sozialen Aufschwungs.67 Der Bevölkerungsverlust dagegen schien die Rückständigkeit des Herzogtums trotz aller Reformanstrengungen der Regierung zu besiegeln. Die Bekämpfung der Versorgungskrise war demnach auch ein Kampf gegen die Auswanderung. Die Maßnahmen gingen Hand in Hand. Auf Anregung des Geheimen Rates verhängte der Provinzialrat ein Auswanderungsverbot. Die Garnison stellte Soldaten entlang der Mosel, in Grevenmacher und in Wasserbillig auf, um die illegalen Auswanderer abzufangen. Die Unkosten für den Unterhalt der Grenzposten wurde von den Ständen getragen.68 Die Zusammenarbeit zwischen Le Clerc und den Ständevertretern gestaltete sich besser als erwartet. Trotz aller negativen Voreingenommenheit musste der Brüsseler Emissär zugestehen, dass die Abgeordneten sehr schnell „die wahren Prinzipien“ begriffen hatten, um die es ging.69 Le Clerc hatte Bedenken, was die Vergabe des Mehls ohne sofortige Bezahlung betraf. Doch es waren der Stadtkommandant Prinz von Salm und der Provinzialrat gewesen, die diesen Vorschlag einbrachten. Die Stände hatten ihrerseits auch gezögert, den Gemeinden Kredit zu gewähren. Der Geheimrat und die Abgeordneten waren sich aber rasch einig, dass der Preis für das verteilte Getreide zu niedrig angesetzt worden sei. Verschiedene Gemeinden, aber auch Einzelpersonen, insbesondere Bewohner der Stadt, erschienen mehrmals im Stadthaus, um Mehl zu bekommen. Der Verdacht lag nahe, dass einige das Mehl horteten, um es später teuer zu verkaufen. Der öffentliche Eingriff in die Versorgung hatte noch einen anderen Nachteil. Das verbilligte Mehl aus den Magazinen verdrängte alle anderen potenziellen Anbieter.70 Im Einvernehmen mit Le Clerc erhöhten die Stände den Preis für ein Sester (Bichet) von drei auf vier Schilling (Escalins). Gleichzeitig wurde kein Mehl mehr auf Kredit herausgegeben.71 Das Getreide von Privatverkäufern wurde

67 Hans-Ulrich WEHLER, Deutsche Gesellschaftsgeschichte […], op., cit., Bd. 1, S. 231. 68 Alphonse SPRUNCK, Études sur la vie économique […], op., cit., Bd. 2, S. 153. 69 « […] ils ont enfin assés bien saisi les vrais principes de cette matière […]. » Brief von Le Clerc an Starhemberg, 6. August 1770. Zitiert in Alphonse SPRUNCK, Études sur la vie économique […], op., cit., Bd. 2, S. 153–154, S. 154. 70 In den Monaten Juni und Juli gibt es kaum Preiseintragungen für Roggen in den Marktbüchern (Mercuriale) der Stadt Luxemburg. Wahrscheinlich war während mehrerer Wochen fast kein Umsatz mehr zu verzeichnen. Étienne HÉLIN, Prix des céréales à Luxembourg […], op., cit., S. 240. 71 ANL, A IV-22, « Points représentés », Ständeversammlung vom 21. November 1770, Punkt Nr. 22.

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dadurch wieder konkurrenzfähig auf den Märkten. Le Clerc berichtete Starhemberg Anfang August 1770 von der positiven Entwicklung  : Die Gefahr einer Hungersnot sei gebannt und die Märkte würden erneut funktionieren.72 Das Gedränge um das Mehl aus den Magazinen nahm ab, bis schließlich die Nachfrage ganz aufhörte.

8.5 D i e R e ic h w e i t e de r H i l f s a k t ion Die Einwohner der Stadt Luxemburg sowie der umliegenden Dörfer waren sicherlich bei dieser Hilfsaktion durch die Stände bevorteilt gewesen. Die weiter entfernt liegenden Gemeinden mussten einen beschwerlichen Weg auf sich nehmen, um das Mehl aus den Lagerbeständen der Festung abzuholen. Von einer gewissen Distanz an waren die Transportkosten wohl zu hoch, als dass die Abnahme sich lohnte. Die Deputierten beschlossen, ein Verzeichnis aufzustellen, das alle Gemeinden aufführte, die eine Mehllieferung bekommen hatten. Als die Stände sich im November versammelten, war die Liste noch nicht fertig. Der ständige Ausschuss war angeblich mit Arbeit überlastet.73 Es ist nicht sicher, ob das Verzeichnis jemals fertiggestellt wurde. Ohne eine solche Aufstellung lässt sich die räumliche Verteilung der Hilfeleistungen aber unmöglich feststellen. Die Region der Ardennen scheint die Unterstützung aus den Militärmagazinen kaum beansprucht zu haben, wohl aufgrund der Entfernung. Ihr musste aber gleichermaßen geholfen werden. Die Abgeordneten erörterten gemeinsam mit Le Clerc, wie man die Bewohner der Ardennen anderweitig versorgen konnte. Der Geheimrat schlug vor, Getreide aus den benachbarten Provinzen Namur und Brabant heranzuschaffen. In Namur herrschte jedoch selbst Mangel, so dass die dortige Ständevertretung eine Ausfuhr verweigerte. Dagegen gelang es den Luxemburger Ständen, über einen Mittelsmann in Brabant 278 Säcke voll Roggen zu kaufen. Das waren weniger als 200 Malter. Ein Mitglied der Stände, der Bürgermeister von Marche namens Malempré, nahm die Ladung in Emptines in Empfang, von wo aus er 80 Säcke nach Bastogne weiterleitete, 29 Säcke nach La Roche sowie 111 Säcke nach Neufchâteau und Chiny. Für seine eigene Stadt behielt er 58 Sack Roggen zurück.74 Ob diese geringen Mengen reichten, um die ärgste Not zu lindern, bleibt fraglich. 72 « […] les choses continuent d’y aller de mieux en mieux, et qu’il n’est plus rien à craindre touchant la Disette qui s’y étoit manifestée […] la concurrence qui reparoît enfin dans les Marchés […]. » Brief von Le Clerc an Starhemberg, 6. August 1770. Zitiert in Alphonse SPRUNCK, Études sur la vie économique […], op., cit., Bd. 2, S. 153–154. 73 ANL, A IV-22, « Points représentés », Ständeversammlung vom 21. November 1770, Punkt Nr. 22. 74 Ibidem.

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Die Verpflegung der Truppen durch die Festungsmagazine

Die Hoffnung, einen Ausweg aus der Krise zu finden, lag auf der neuen Ernte. Ab Ende Juli 1770 begannen die Bauern, die Frucht von den Feldern einzubringen. Am 1. August meldeten die Ständevertreter nach Brüssel, dass es erste Anzeichen für ein Sinken der Preise gab. Das Angebot nahm wieder zu. Erste Mengen an frischem Korn kamen auf den Markt.75 Doch der anfängliche Optimismus wich bald wieder der Ernüchterung. Die Stimmen mehrten sich, die für das nächste Frühjahr eine erneute Hungersnot voraussagten. Besorgt erkundigte sich Oberkriegskommissar Weygand Ende September beim Luxemburger Proviantamt nach der Erntebilanz. Proviantkommissar Biber antwortete, dass das Wintergetreide zwar gute Ergebnisse gebracht habe, die Roggenernte aber sehr mager ausgefallen sei. Die Erträge der Getreideart, von der die meisten Menschen sich ernährten, lag um zwei Drittel unter dem Niveau eines Normaljahres. Nach seiner Einschätzung würde die Produktion von 1770 nicht bis zur nächsten Ernte ausreichen.76 Ein zweites Krisenjahr infolge stand dem Herzogtum demnach bevor.

8.6 D i e Ve r pf l e gu ng de r Tru ppe n du rc h di e Fe s t u ng s m ag a z i n e Wie konnte der sich abzeichnenden Teuerung gegengesteuert werden  ? Die Behörden wechselten die Taktik. Während des zweiten Hungerjahrs wurde kein Mehl mehr aus den Militärmagazinen an die Zivilbevölkerung verteilt. Dennoch spielten die immensen Vorräte der Festung weiterhin eine entscheidende Rolle bei der Preisstabilisierung. Hatten die Mehlreserven im Sommer 1770 geholfen, das Angebot zu stärken, so dienten sie nun dazu, den größten Aufkäufer vom Markt zu nehmen und somit die Nachfrage zu drücken. In seinem Bericht vom 6. Oktober an das Kriegskommissariat hatte Biber auf die Gefahr hingewiesen, dass der Generalunternehmer Carton den Verbrauch der Garnison in Luxemburg mit Getreide aus der inländischen Produktion deckte.77 Im benachbarten Kurfürstentum Trier war die Ernte noch schlechter als im Herzogtum ausgefallen und in Lothringen herrschte Ausfuhrverbot unter Androhung der Galeerenstrafe für Zuwiderhandelnde. Die traditionellen Bezugsgebiete des Proviantunternehmers fielen somit weg und Felix Joseph Carton war folglich gezwungen, die 6.000 bis 7.000 Malter Korn, die er für die Brotverpflegung der Garni75 Étienne HÉLIN, Prix des céréales à Luxembourg […], op., cit., S. 240. 76 AGR, CF, N°2810, Brief von Biber an Kriegskommissar Weygand, Luxemburg, den 6. Oktober 1770. 77 Ibidem.

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son brauchte, innerhalb des Herzogtums zu kaufen, von Pfarrern, Grundherren und anderen Rentenbeziehern. 6.000 bis 7.000 Malter waren in etwa das Volumen, das im davorliegenden Sommer gereicht hatte, um das Schlimmste zu verhindern. Diese Menge würde nun auf den Märkten fehlen, auf denen die Bevölkerung sich versorgte. Die Militärverwaltung unterbreitete der Regierung deshalb folgenden Plan  : Der Generalunternehmer solle sich mit dem nötigen Getreide in Brabant versorgen und es dann auf eigene Kosten bis nach Marche transportieren. Ab dem Ardenner Städtchen würden dann die Landstände den Transport bis in die Festung mithilfe von Spanndiensten durchführen.78 Die Provinz müsse zwar in dem Fall den größten Teil der Transportkosten tragen, der Verbrauch der Garnison würde aber nicht mehr den Luxemburger Markt belasten. Die Stände lehnten den Vorschlag ab.79 Die Überführung von 12.000 Maltern Getreide von Marche nach Luxemburg würde die Provinz 60.000 Gulden kosten, eine horrende Summe, die sich dadurch erklärte, dass die landesüblichen Fuhrwerke höchstens sechs Malter aufnehmen konnten und die Fuhrleute für jeden der fünf Teilabschnitte der Route sechs Gulden als Entschädigung bekommen sollten. Zudem hatten die Stände noch eine offene Rechnung mit dem Unternehmer. Sie verziehen Carton nicht, dass er in den fruchtbaren Jahren vor der Krise, als die Preise sehr niedrig waren und die Bauern ihre Überschüsse nicht loswurden, kein Korn in Luxemburg kaufte, sondern noch billigeres Getreide aus Frankreich und Lothringen importieren ließ. Eine Hilfestellung für den Privatunternehmer kam nicht in Frage. Lieber wollten die Stände das Geld benutzen, um selbst Getreide in Brabant einzukaufen und an die bedürftige Bevölkerung zu verteilen. Die Regierung versuchte, die Luxemburger Abgeordneten umzustimmen. Le Clerc reiste im Dezember noch einmal nach Luxemburg. Es gehe nicht darum, dem Unternehmer eine Gunst zu erweisen, allein das Wohl der Provinz stehe zur Debatte, argumentierte der Geheimrat.80 Die Menge, die der Unternehmer benötige, sei mit 7.000 Maltern auch viel geringer, und wenn er teilweise auf die Reserven des Mehlmagazins zurückgreifen könne, wären es sogar nur 4.000 Malter. Also kämen lediglich 22.050 Gulden Transportkosten auf die Stände zu, vielleicht gar nur 12.600 Gulden.81 Diese blieben aber hartnäckig, weiteres Drängen machte keinen Sinn. 78 AGR, CF, N°2810, Brief von Biber an Finanzrat Paradis, 18. Oktober 1770. 79 AGR, CF, N° 2801, Schreiben der Stände an den Generalgouverneur, Luxemburg, den 3. November 1770. 80 AGR, CF, N°2801, Bericht von Le Clerc an den bevollmächtigten Minister, Brüssel, den 31. Dezember 1770. 81 AGR, CF, N° 2801, Memorandum von Joseph Carton, Brüssel, den 6. November 1770.

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Die Rückerstattung der Kosten für die Mehlausteilung

Die Regierung sah von ihrem Vorhaben ab.82 Es blieb schließlich nur eine Lösung, wollte man verhindern, dass der Unternehmer die Speicher im Herzogtum leerte. Die Militärbehörden erlaubten Carton, das Mehl für die Brotverbackung aus den Festungsmagazinen zu beziehen. Die Lagerbestände waren trotz der Hilfsaktion im Sommer noch gut gefüllt. Als Carton 1772 starb, stand er mit 74.389 Gulden in der Schuld des Luxemburger Proviantamts.83 Wahrscheinlich hat der Unternehmer seinen Bedarf bis zum Ende der Krise fast ausschließlich aus den Vorratsmagazinen geschöpft.

8.7 D i e Rüc k e r s tat t u ng de r K o s t e n f ü r di e M e h l aus t e i lu ng Ab August 1772 entspannte sich die Lage. Die Preise fielen, die Ernte war gut ausgefallen.84 Jetzt war es an der Zeit, die Magazine wieder aufzufüllen. Die Stände hatten am 15. Juni 1770 eine Konvention mit dem Kriegskommissariat und dem Proviantamt abgeschlossen, in der sie sich verpflichteten, das entnommene Mehl zu ersetzen. Damals war eigentlich an eine Lieferung in natura gedacht worden. Nach der Krise zogen aber alle Beteiligten einen Ausgleich in Geldform vor. Die Stände scheuten den verwaltungstechnischen Aufwand einer Lieferung in Eigenregie.85 Das Proviantamt und insbesondere Biber – vielleicht der Mann, der am besten um die extrem hohe Volatilität der Märkte wusste – warnten vor dem plötzlichen Ankauf größerer Mengen Getreide.86 Wenn schon relativ geringe Veränderungen der Nachfrage erhebliche Preisschwankungen hervorriefen, welche Erschütterung musste dann die Beschaffung von insgesamt 28.426 Zentnern Mehl bewirken  ? Begannen Stände und Unternehmer gleichzeitig mit der Wiederaufstockung der Magazine, war eine erneute Teuerung und Getreideknappheit im Herzogtum vorprogrammiert. Regierung und Landstände einigten sich wohlweislich auf die Zahlung einer Summe von 57.663 Gulden elf Stüber und drei Heller als Ersatz für 12.202 Zentner Mehl und 5.854 ­Säcke.87 Mit diesen Mitteln konnte das Proviantamt die Auffüllung der Lagerbestände über mehrere Jahre hinziehen und nur in günstigen Momenten kaufen. 82 AGR, CF, N° 2801, Auszug aus dem Protokoll von Finanzrat Paradis, 9. Januar 1771. 83 AGR, CF, N° 2810, Bericht des Finanzrats an den Generalgouverneur, Brüssel, den 30. September 1773. 84 Étienne HÉLIN, Prix des céréales à Luxembourg […], op., cit., S. 242–243. 85 AGR, CF, N°2810, Schreiben der Deputierten der Stände an den Finanzrat, Luxemburg, den 3. August 1772. 86 AGR, CF, N° 2810, Brief von Biber an Oberkriegskommissar Weygand, 22. August 1772. 87 AGR, CF, N° 2810, Depesche des Finanzrats an die Deputierten der Stände, 24. Juli 1773.

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Versorgungspolitik in Krisenzeiten

Der Betrag von über 57.000 Gulden war beträchtlich.88 Die Stände hatten eine solche Summe nicht zur Verfügung. Zwar hatten sie durch den verbilligten Verkauf des Mehls aus den Magazinen exakt 26.156 Gulden und neun Stüber eingenommen.89 Aber diese Einnahmen waren sofort in die Kasse von Jean Louis de Feltz, der die Finanzen der Stände verwaltete, geflossen. Dieser hatte das Geld ausgegeben, zusammen mit den anderen Geldern der Exkressenz, für Bau und Unterhalt der Straßen, für Personalkosten, für Subventionen und für vieles mehr. Andererseits war über die Hälfte der Mehlhilfe auf Kredit ausgehändigt worden. Im August 1772, zwei Jahre nach der Aktion, klagten die Stände beim Generalgouverneur, dass viele Gemeinden ihre Lieferung noch nicht beglichen hätten.90 Anfang 1773 standen immer noch Zahlungen aus.91 Wahrscheinlich wurde ein Teil der Schulden nie zurückbezahlt. Die Kosten der Mehlausteilung wurden letztendlich wie eine Zusatzsteuer auf alle Steuerzahler der Provinz umgelegt und gemeinsam mit der Exkressenz erhoben. Auf Wunsch der Stände geschah dies in vier-Jahresraten. Die Abgeordneten verlangten, nach dem alten Repartitionsmodus verfahren zu dürfen, da die Rückzahlung eine Ausgabe betraf, die vor Inkrafttreten der Katasterreform am 21. März 1771 stattgefunden hatte. Der Klerus, der Adel sowie alle ehemaligen Steuerprivilegierten wären von der Abgabe befreit gewesen. Der Brüsseler Finanzrat verwarf diesen Antrag, der dem „Wohlergehen der Provinz“ („bien-être de la province“) widersprach.92 Das Anliegen der Stände sei ungerecht. Es wälze die Kosten der Hilfslieferung, die dem Wohle der Allgemeinheit diente, auf die ärmeren Bevölkerungsschichten ab.93 Nach dieser Klarstellung begannen die Ratenzahlungen ab dem Steuerjahr 1774.94 Die Tilgung des Gesamtbetrages zog sich über mehrere Jahre hin. 8.8 E i n n eu e s Ve r t r au e ns v e r h ä lt n i s Das Krisenmanagement der Stände hatte dazu beigetragen, das Vertrauen zwischen Regierung und ständischer Verwaltung wiederherzustellen. Ende 1770 konnte die „Jointe 88 Die Eigenmittel der Stände reichten kaum an diesen Betrag heran. 1773 bekamen die Stände eine Exkressenz von 60.000 Gulden bewilligt. Siehe Guy THEWES, Route […], op., cit., S. 205. 89 ANL, A IV-22, « Points représentés », Ständeversammlung vom 21. November 1770, Punkt Nr. 22. 90 AGR, CF, N°2810, Schreiben der Stände an den Generalgouverneur, Luxemburg, den 4. August 1772. 91 AGR, CF, N°2810, Brief der Stände an den Finanzrat, 19. Februar 1773. 92 AGR, CF, N°2810, Gutachten des Finanzrats an den Generalgouverneur, Brüssel, den 30. September 1773. 93 « […] il serait d’autant moins équitable d’en agir autrement que ce serait rejetter sur le pauvre peuple tout l’onéreux d’une livrance qui a été secourable pour la province en général […]. » Ibidem. 94 AGR, CF, N°2811, Gutachten des Finanzrats an den Generalgouverneur, Brüssel, den 16. August 1776.

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Ein neues Vertrauensverhältnis

des administrations et des affaires de subsides“ den Konflikt um die Rechnungsführung der Stände entschärfen.95 Am 21. März 1771 trat die Steuerreform in Kraft.96 Zwei Monate später mündete der Dialog zwischen Brüssel und Luxemburg in eine neue Geschäftsordnung für die Ständeverwaltung.97 Die Regierung sah ein, dass es besser war, die Stände durch Dialog als unter Zwang in geordnete Bahnen zu bringen.98 Die versorgungspolitischen Erfahrungen von 1770 wurden alles in allem positiv bewertet. Die Vorräte der Festungsmagazine avancierten zu einem festen Bestandteil der Krisenbekämpfung. Die Zivilbehörden wollten auch in Zukunft die Armeereserven in Zeiten von Knappheit nutzen. Deshalb zögerte der Finanzrat, die Oberaufsicht über die Magazine an das Militärdepartement abzugeben, wie es die ab 1770 vorgenommene Trennung in Militär- und Zivilbereich eigentlich vorsah.99 Die Ressortzugehörigkeit blieb seit der Einrichtung eines festen Militärfonds im Unklaren.100 Der Hofkriegsrat in Wien drängte auf eine vollständige Übergabe, der Finanzrat wiegelte ab.101 Erst 1782 erklärte er sich bereit, alle Ansprüche an die Militärverwaltung abzutreten, unter der Bedingung, dass die Regierung in Notzeiten Mehl für die Bedürfnisse der zivilen Bevölkerung entnehmen dürfe.102 Nach 1770–1771 kam es für mehrere Jahre zu keiner schweren Versorgungskrise mehr. Im Mai 1775 hatte es kurzfristig nach einer Teuerungswelle ausgesehen, die Getreidepreise stiegen abrupt in die Höhe.103 Die Stände schlugen Alarm.104 Der Finanzrat überlegte, auf die Mehlreserven in den Magazinen zurückzugreifen, und die Stände und das Proviantamt empfingen die nötigen Anweisungen.105 Doch der Markt erholte sich, und die Bevölkerung überbrückte die Monate bis zur neuen Ernte dank der Gemüseproduktion.106  95 Guy THEWES, Route […], op., cit., S. 64–65.  96 Claude de MOREAU de GERBEHAYE, L’abrogation des privilèges fiscaux […], op., cit., S. 470–471.  97 Alphonse SPRUNCK, Problèmes, Débats […], op., cit., S. 269–274.  98 « […] ramener les Etats à la règle par la voie de la persuasion toujours préférable à la contrainte […]. » AGR, JAS, N°401, Bericht der Kommission, Brüssel, 26. April 1771.  99 AGR, CF, N°2810, Brief von Crumpipen an Baron de Cazier, Brüssel, den 1. August 1773  ; AGR, CF, N°2783, Memorandum des Finanzrats an Starhemberg, 16. Juni 1775. 100 Siehe Kapitel 5 vorliegender Arbeit, S. 191–197. 101 AGR, CF, N°2810, Postscriptum von Kaunitz an Starhemberg, Wien, den 26. Januar 1774 (Kopie). 102 AGR, CF, N°2811, Gutachten vom Finanzrat an die Generalgouverneure, 24. August 1782  ; AGR, CF, N°2811, Auszug aus dem Protokoll vom 15. Februar 1783. 103 Étienne HÉLIN, Prix des céréales à Luxembourg […], op., cit., S. 233. 104 AGR, CF, N°2810, Schreiben der Stände an den bevollmächtigten Minister, Luxemburg, den 25. Mai 1775. 105 AGR, CF, N°2810, Auszug aus dem Protokoll, 29. Mai 1775. 106 AGR, CF, N°2810, Brief von Biber an den Finanzrat, Luxemburg, den 16. Juni 1775.

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Versorgungspolitik in Krisenzeiten

Die Konjunkturlage verschlechterte sich erst wieder am Ausgang des Ancien Régime. Nach 1788 herrschte fast ununterbrochen eine krisenhafte Situation, die durch die politischen Wirren der Brabanter Revolution und den Kriegsausbruch verstärkt wurde.107 Im Oktober 1792 war das Getreide dermaßen teuer geworden, dass die Stände sich erneut veranlasst sahen, aktiv in die Versorgung der Provinz einzugreifen. Libert, Schöffe und Abgeordneter der Stadt Marche, bekam den Auftrag, 1.000 Malter Roggen in Namur einzukaufen.108 Die Stände schlossen ebenfalls einen Vertrag mit einigen Kaufleuten aus der Stadt Luxemburg, die über Handelsverbindungen ins Reich und in die Rheingegend verfügten.109 Über diesen Weg gelangten weitere 2.000 Malter ins Land. Der Ankauf des Getreides wurde mittels zweier Anleihen von 60.000 bzw. 40.000 Gulden finanziert.110 Ein weiterer Kredit von 40.000 Gulden musste 1794 für die Beschaffung einer zusätzlichen Menge von 1.500 Maltern aufgenommen werden.111 Das Getreide wurde diesmal nicht mehr an Einzelpersonen verteilt, sondern nur noch an bedürftige Gemeinden. Damit kein Missbrauch wie 1770 geschehen konnte, mussten die Gemeinden außerdem ihre Bedürftigkeit durch Zertifikate der örtlichen Gerichtsbarkeit, des Pfarrers sowie des Ortsbeamten bestätigen lassen. Die Stände versuchten dieses Mal auch, von vornherein eine Benachteiligung der Gemeinden durch die ungleiche Entfernung zum zentralen Verteilungsort zu vermeiden. Die Dorfgemeinschaften, die mehr als zehn Stunden von der Hauptstadt entfernt lagen, bekamen einen günstigeren Preis, 45 Stüber für jeden Sester Luxemburger Maß anstatt 50 Stüber.112 Im Juli 1793 erlaubte der Kommandant der Festung, Leutnant-General Baron von Schröder, den Ständen sogar, 1.000 Malter Roggen aus den Armeebeständen zu beziehen und unter den Mangel leidenden Gemeinden zu verteilen.113 Diese Lebensmittelhilfe des Militärs zugunsten der Zivilbevölkerung blieb jedoch unter den gegebenen Umständen einmalig. Die österreichischen Trup107 Étienne HÉLIN, Prix des céréales à Luxembourg […], op., cit., S. 207–208. 108 ANL, A XVII-5, Brief der Deputierten an Libert, Luxemburg, den 22. Oktober 1792  ; ibidem, Brief der Deputierten an Libert, Luxemburg, den 28. Oktober 1792. 109 ANL, A XVII-5, Schreiben der Deputierten der Stände an den bevollmächtigten Minister, Luxemburg, den 8. April 1793. 110 ANL, A XVII-5, Schreiben der Deputierten der Stände an den bevollmächtigten Minister, Luxemburg, den 8. April 1793  ; ibidem, Verordnung des Generalgouverneurs an die Stände, Brüssel, den 27. Juni 1793. 111 ANL, A XVII-5, Genehmigung zugunsten der Stände für eine Anleihe über 40.000 Gulden, Brüssel, den 12. Mai 1794. 112 ANL, A XVII-5, Ankündigung der Stände der Provinz Luxemburg, Luxemburg, den 3. April 1793. 113 ANL, A XVII-5, Bestätigung der Stände über den Erhalt von 1.000 Maltern Roggen, Luxemburg, den 15. Juli 1793. Die Stände erstatteten im Mai 1794 die gleiche Menge an Getreide an die Garnison zurück. ANL, A XVII-5, Quittung des Proviantintendanten Chapuy, Luxemburg, den 31. Mai 1794.

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Zusammenfassung

pen, deren Zahl stark gestiegen war, brauchten die Getreide- und Mehlreserven für ihren eigenen Bedarf. Als die Vorratsmagazine 1770 eine herausragende Rolle bei der Bekämpfung einer Nahrungskrise gespielt hatten, war die Wahrscheinlichkeit eines Krieges sehr gering gewesen. Seit 1792 standen Österreich und Frankreich sich wieder in Feindschaft gegenüber. Die Garnison rüstete sich für den Fall einer Belagerung und aus den Magazinen der Festung wurden die Armeen im Felde versorgt. Für eine Nahrungsmittelausteilung an die Bevölkerung blieb wenig Spielraum. Die Magazine und Vorratskammern waren gut gefüllt, als französische Revolutionstruppen im November 1794 vor Luxemburg aufmarschierten  ; nur so lässt sich erklären, dass die Festung eine Blockade von sieben Monaten aushalten konnte.114

8.9 Zus a m m e n fa s s u ng Armee und Bevölkerung wurden über den Getreidemarkt versorgt. Wenn man den Markt als den Ort definiert, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen und an dem sich aus der Abstimmung der Mengen ein Preis herausbildet, ergeben sich eine Reihe von Merkmalen, die das Fallbeispiel Luxemburg charakterisieren. In erster Linie kennzeichnete den Luxemburger Getreidemarkt seine Kleinteiligkeit. Die Feldfrüchte wurden auf einer Vielzahl von Marktplätzen umgeschlagen, von denen keiner eine überregionale Bedeutung hatte. Die großen Distanzen und schlechten Verbindungswege erschwerten eine Zusammenkunft von Anbieter und Käufer an den offiziellen Marktorten. Aus diesem Grund wurde ein nicht unbedeutender Teil der Ernteerträge im Direktverkauf durch die Erzeuger umgesetzt. Andererseits führte die Isoliertheit der Provinz, die über weite Strecken von fremden Territorien umgeben war, zur Ausfuhr von einem Teil der Produktion. Die Grenzen waren nur schwer zu kontrollieren. Die Erträge aus dem Getreideanbau der Provinz reichten kaum aus für ihre Selbstversorgung. Die klimatisch bedingten Missernten verursachten immer wieder Produktionsausfälle. In fast regelmäßigen Abständen drohten gravierende Versorgungskrisen. Die Konzentration von Truppen in und um die Festung Luxemburg in Kriegszeiten konnte dadurch, dass die Nachfrage kurzfristig stieg, die prekäre Ernährungslage noch zusätzlich verschärfen. Diese spezifischen Grundzüge des Marktes wirkten sich auf die Preisbildung aus. Einerseits gab es keinen einheitlichen Getreidepreis für das ganze Herzogtum. Die Preise konnten innerhalb der Provinz von einer Region zur anderen erheblich variieren. Andererseits bedingten die 114 Louis-Joseph ZELLE/Arthur KNAFF, Die Blockade der Festung Luxemburg […], op. cit.

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Versorgungspolitik in Krisenzeiten

unsicheren Schwankungen von Angebot und Nachfrage eine extrem hohe Volatilität der Preise. Immer wieder kam es zu Teuerungen, so dass sich ein Teil der Bevölkerung den Kauf von Getreide bzw. Brot nicht mehr leisten konnte. Der Markt funktionierte demnach insbesondere in Krisenzeiten fehlerhaft. Weder die Armee noch die Bevölkerung konnten mit ausreichend preisgünstigem Getreide versorgt werden. Die Obrigkeit sah sich in der Pflicht, durch ordnende Maßnahmen in das Marktgeschehen einzugreifen. Dem Gesetzgeber stand ein weit gefächertes Instrumentarium für seine Intervention zur Verfügung. Einem direkten Eingriff in die Preisbildung begegnete man mit Misstrauen. Die Erfahrung der Hungersnot von 1709 hatte gezeigt, dass die Festlegung eines Höchst- bzw. Fixpreises die Märkte leerte. Blieben demnach zwei Variablen, auf die man Einfluss nehmen konnnte, nämlich Angebot und Nachfrage. Das Angebot zeichnete sich durch seine mangelnde Elastizität aus. Die österreichische Regierung unternahm zwar in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Reihe von Reformen zur Förderung der Landwirtschaft in der Provinz Luxemburg, doch eine Produktionssteigerung ließ sich nur sehr langfristig erhoffen. Kurzfristig konnte das provinzinterne Angebot durch Ausfuhrsperren und das Verbot der Branntweinherstellung vermehrt werden. Auch konnte man gegen das Horten von Getreidereserven zu spekulativen Zwecken vorgehen und einen Verkaufsappell an alle Anbieter richten. Die Durchsetzung eines Verkaufszwanges gestaltete sich dagegen schon schwieriger. Innovativ für Luxemburg war die Zuhilfenahme der Mehlvorräte aus den Festungsmagazinen während der Krise von 1770–1771. Die Initiative ging von den Landständen aus, die der Zentralregierung den Vorschlag machten. Zwar war schon früher unter Karl VI. die Anlegung von zentralen Vorratshäusern in Erwägung gezogen worden. Doch dieses Projekt scheiterte an der Frage der Finanzierung. Der Verkauf von größeren Mengen Mehl aus den Militärbeständen zu verbilligten Preisen und auf Kredit hat in entscheidendem Maße dazu beigetragen, die Unterversorgung der Bevölkerung zu korrigieren. Eine weitere wichtige Neuerung stellte die Einfuhr von Getreide durch die Landstände dar. Die importierten Mengen aus den benachbarten Provinzen sowie dem Ausland waren zwar relativ gering. Dennoch darf ihr Beitrag zur Stabilisierung der Preise nicht unterschätzt werden. Die Nachfrage bot der Versorgungspolitik weniger Handlungsspielraum. Dennoch bestand die Möglichkeit, auf einen wichtigen Verbraucher, nämlich das Militär, einzuwirken und dessen Bedarf in eine andere Region zu verlagern. Die Obrigkeit konnte einen Teil der Armee aus der Provinz herausnehmen und somit die Nachfrage an Brot und Futtermitteln reduzieren. Eine breite Dislozierung minderte ebenfalls den Druck der Armee auf das örtliche Angebot und führte zu einer ausgeglicheneren 338

Zusammenfassung

Verteilung der Lasten. Während der Krise von 1770–1771 gingen Regierung und Mili­tärführung dazu über, den Proviantunternehmer als Käufer vom Markt zu nehmen, indem sie ihm erlaubten, die Verpflegung der Truppen aus den Vorräten der Festungsmagazine zu bestreiten. Die Besonderheit der Versorgungspolitik, die sich seit dem Österreichischen Erbfolgekrieg abzeichnete, lag nicht so sehr in den angewandten Maßnahmen, als vielmehr in der Art und Weise, wie diese durch die Kooperation von verschiedenen Akteuren zustande kamen. Die Zentralregierung agierte nicht allein. 1746, inmitten einer angespannten Versorgungslage, suchte eine Dreierkommission, zusammengesetzt aus Mitgliedern der landesherrlichen Verwaltung, der Armeeführung und der Landstände, nach Lösungsvorschlägen. 1770 waren es die Stände, welche die Initiative ergriffen und die Hilfe verteilten, das Militär, das seine Mehlreserven zur Verfügung stellte, und die Brüsseler Zivilbehörden, die vermittelten und den Ablauf der Hilfsaktion überwachten. Alle drei Akteure hatten ein Interesse an der Bekämpfung der Hungersnot. Für den Landesherrn ging es um den Erhalt der Steuerkraft und der Prosperität seiner Untertanen. Die Stände sahen in der Versorgung der Bevölkerung einen Bestandteil ihrer Fürsorgepflicht. Darüber hinaus stellte die Teuerung nicht nur eine Gefahr für die landesherrlichen Steuern dar, sondern auch für die grundherrschaftlichen Abgaben, deren Nutznießer in der Ständeversammlung saßen. Selbst für die Armee bedeuteten die hohen Getreidepreise eine Gefährdung der Truppenverpflegung. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Interessengruppen war ausschlaggebend bei der Bewältigung der Krise. Das Gleiche gilt nach dem Bruch mit Frankreich in den 1790er-Jahren. Das gute Einverständnis zwischen Ständevertretern, Regierungsbeamten und Militärautoritäten half, die Not wenigstens partiell zu lindern.

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Fazit

Infolge der Kriege des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts gewann das Haus Habsburg viele neue Gebiete dazu  : in Italien, auf dem Balkan und sogar an der Nordsee, weit entfernt vom eigentlichen Kern der Monarchie. Das Reich dehnte sich an den Rändern aus, die Peripherie wurde größer. Der Erwerb neuer Territorien bedeutete für die österreichischen Monarchen ohne Zweifel einen Machtzuwachs. Die territoriale Vergrößerung erweiterte die wirtschaftlichen Grundlagen des Staates, vermehrte die Zahl der Untertanen und ließ die Einkünfte anwachsen. Gleichzeitig brachte die Ausdehnung des Herrschaftsgebietes aber zusätzliche militärische Verpflichtungen mit sich. Die neuen Provinzen mussten mit Festungen und Truppen abgesichert werden. Die reale oder als solche empfundene Bedrohung durch die Nachbarn zwang zur Aufrüstung. Unweigerlich stiegen die Staatsausgaben. Das Regieren wurde zu einem schwierigen Balanceakt zwischen den Erfordernissen der Armee und den vorhandenen Ressourcen, zwischen Gewinn und Verlust. Wie konnten Finanzierung und Versorgung des Militärs sichergestellt werden  ? Gelang es durch eine geschickte Steuer- und Wirtschaftspolitik, die Staatseinnahmen entsprechend zu erhöhen  ? Welche Organisationsformen waren am besten geeignet, um die Herausforderung der Heeresverpflegung zu bewältigen  ? Verwaltungen wurden um- und ausgebaut. Reformen führten zu einer verstärkten Zentralisierung und Bürokratisierung. Doch auch altbewährte Institutionen und traditionelle Lösungen sollten sich als durchaus leistungsfähig erweisen. Diese allgemeinen Entwicklungen lassen sich sehr deutlich am Beispiel der südlichen Niederlande aufzeigen, einem Gebiet, das gerne in einer zentralperspektivischen Erzählweise als „Außenposten“, als „Achillesferse“ und demnach implizit als unbedeutsames Anhängsel der Habsburgermonarchie apostrophiert wird. Durch die Verträge von Utrecht, Rastatt und Baden kamen die sogenannten „Provinces Belgiques“ für fast ein Jahrhundert, von 1715 bis 1795, in den österreichisch-habsburgischen Herrschaftsverband. Im Laufe der-Jahre tauchten mehrmals Pläne auf, die südlichen Niederlande gegen Bayern oder ein italienisches Herzogtum einzutauschen. Doch nicht nur außenpolitische Komplikationen, auch handfeste wirtschaftliche und finanzielle Überlegungen hielten Karl VI. und seine Nachfolger davon ab, sich ihrer Besitzungen an der Nordsee zu entledigen. Die Wiener Herrscher entwickelten ein 340

Fazit

starkes Interesse am Erhalt der belgischen Provinzen und boten dementsprechend auch Mittel zu ihrer Verteidigung auf. Während des gesamten Zeitraums waren mehrere Regimenter in den südlichen Niederlanden stationiert und es wurden dort Festungen unterhalten. Die österreichische Militärpolitik durchlief verschiedene Phasen, die sowohl die äußere Bedrohungslage als auch die inneren Veränderungen widerspiegelten. Die ersten zehn Jahre nach dem Herrschaftswechsel waren eine Übergangsphase, während der die neuen Machthaber die vorgefundenen Einrichtungen zunächst einmal übernahmen und nur allmählich ersetzten. Die vorwiegend aus einheimischen Rekruten zusammengesetzten, sogenannten „nationalen“ Regimenter blieben neben den eingerückten „deutschen“ (bzw. habsburgischen) Regimentern bestehen und wurden erst 1725 dem österreichischen Militärsystem angepasst. 1725 wurde ebenfalls eine Bestandsaufnahme der Festungsanlagen in Auftrag gegeben. Nicht weniger als 37 verschiedene Standorte umfasste das Verteidigungsnetz. Viele Festungen waren aber in einem schlechten Zustand. Ihre Instandsetzung hätte über zwei Millionen Gulden gekostet, einen Betrag, den die niederländischen Staatsfinanzen nicht aufbringen konnten. Nach dem Herrschaftswechsel führte Karl VI. in den Niederlanden die gleichen Behörden ein, die das Heer in den anderen Ländern der Monarchie verwalteten. Das Kriegskommissariat war zuständig für die Budgetplanung sowie für Musterung und Besoldung der Truppen. Die 1718 geschaffene Kriegskasse tätigte die Zahlungen und das Proviantamt überwachte die Verproviantierung. In der Anfangsphase war der Wirkungsbereich dieser Behörden jedoch noch beschränkt. Die Musterung der Nationalregimenter geschah weiterhin durch die Kontadorie, ein Relikt aus spanischer Zeit, und ihre Besoldung lief über die Provinzkassen und nicht über die Kriegskasse. Das Nebeneinander von zwei Wehrverfassungen in den ersten Jahren der österreichischen Herrschaft zeugt einerseits von der Beharrungskraft älterer Organisationsformen, anderseits aber auch von der vorsichtigen Vorgehensweise der neuen Machthaber, die versuchten, die einheimischen Eliten einzubinden. Die Militärreform von 1725 stellte einen Einschnitt dar und leitete eine zweite Phase der österreichischen Militärpolitik ein, die bis zum Österreichischen Erbfolgekrieg andauerte. Die Nationalregimenter unterschieden sich in nichts mehr von den anderen Einheiten des Heeres, außer was die vorwiegend niederländische Herkunft der Soldaten betraf. Kriegskommissariat und Kriegskasse weiteten ihre Zuständigkeit auf alle Truppenkörper aus. Trotz dieser Vereinheitlichung gestaltete sich der Unterhalt der Armee sehr schwierig. Die Militärausgaben lagen im Durchschnitt um die 2,3 Millionen Brabanter Gulden und verschlangen über zwei Drittel des gesamten niederländischen Staatshaushalts. Die Einnahmen aus den Steuern 341

Fazit

(„aides et subsides“) flossen unregelmäßig und nur zum Teil in die Kriegskasse. Die Landstände nahmen zahlreiche Abzüge vor, um Naturalleistungen zu vergüten oder Schulden zu tilgen. Immer wieder musste die Kriegskasse mit Zuschüssen aus dem „Camerale“, den Einkünften aus Domäne und Zoll, unterstützt werden. Ihre Finanzierung blieb ungewiss. Um sich die nötigen Liquiditäten zu verschaffen, verkaufte die Militärverwaltung die Anweisungen auf die Kontributionseinkünfte („assignations“) oft schon im Voraus an zahlungskräftige Bankiers und Geschäftsleute. Diese streckten das Geld gegen Verzinsung vor und lösten die Anweisungen später bei den Landständen bzw. Einnehmern der Kontributionen ein. Die Kriegskasse war auf private Kreditgeber angewiesen, geriet in Schulden und kam in Verzug bei der Auszahlung des Soldes. Die Soldaten konnten manchmal lange auf ihren Lohn warten, die Versorgung mit dem Lebensnotwendigen, mit Brot und Futter für die Tiere, musste jedoch unmittelbar und ohne Verzögerung gesichert sein. Ein Ausfall der Grundversorgung hätte zu Auflösungserscheinungen und Disziplinlosigkeit geführt. Um die Aufgabe der Heeresverpflegung zu bewältigen – jedes Jahr mussten über zwei Millionen Brote und mehr als eine halbe Million Futterrationen an die Truppen ausgeliefert werden –, wandte die Zentralregierung sich an private Unternehmer. Die Verproviantierung der Armee wurde in einer öffentlichen Ausschreibung an einen Generalunternehmer vergeben. Dieser verfügte über ein alle Provinzen umspannendes Netzwerk von Zulieferern und Agenten. Die Auslagerung der Militärversorgung offenbart gewisse Schwächen des frühmodernen Staates. Einerseits verfügte die öffentliche Hand nicht über das nötige Personal und die Strukturen, um die Aufgaben selbst zu verrichten. Andererseits halfen die Unternehmer dem von finanziellen Engpässen geplagten Staat, indem sie die Lieferungen vorfinanzierten und somit als Kreditgeber fungierten. Auf diese Weise begaben Regierung und Armee sich in eine Position der Abhängigkeit von privaten Akteuren. Die freie Vergabe der Lieferverträge wurde zur Fiktion. Es kam zu Preisabsprachen und zur Monopolbildung. Der Finanzrat verdächtigte die Militärverwaltung der Kollusion mit dem Generalunternehmer. Die Missstände wirkten sich sehr zum Schaden der allgemeinen Staatskasse aus, die überhöhte Preise für die Lieferungen bezahlte. Wegen der Unzulänglichkeiten des Unternehmerwesens wurde in Regierungskreisen des Öfteren diskutiert, eine staatliche Regie für die Versorgung der Truppen einzuführen. Derartige Pläne scheiterten aber an der fehlenden Behördenstruktur und den Finanzierungsschwierigkeiten. Der Staat blieb dennoch nicht untätig. Auf Drängen von Militär und Unternehmer griff die Regierung in den Getreidemarkt ein. Sie schränkte die Exporte ein, untersagte das Brennen von Branntwein, setzte Höchstpreise fest und zwang die Spekulanten zum Verkauf ihrer Vorräte. 342

Fazit

Die Bemühungen, die Heeresversorgung abzusichern, führte zu einem, wenn auch bescheidenen, Interventionismus. Die allgemeine Misere der Staatsgeschäfte während der ersten Jahrzehnte der österreichischen Herrschaft erklärt sich sicherlich zum Teil aus den Verpflichtungen des Barrierevertrags. Die Verantwortlichen in Wien und Brüssel sahen jedenfalls hierin die Hauptursache für ihre Finanzierungsschwierigkeiten. Das 1715 unterzeichnete Abkommen regelte die gemeinsame Verteidigung der südlichen Niederlande durch die holländische Republik und Österreich. Holland unterhielt Garnisonen in acht Festungsplätzen. Im Gegenzug überwiesen die österreichischen Niederlande jedes Jahr 1,4 Millionen Brabanter Gulden an die Generalstaaten in Den Haag. Dieser ständige Aderlass belastete die niederländischen Staatsfinanzen sehr und engte den Handlungsspielraum der österreichischen Militärpolitik ein. Eine weitere Erklärung für die prekäre Situation des Heeres liegt aber auch in den Funktionsstörungen des Verwaltungsapparats, der von einer starken Gegensätzlichkeit von Zivil- und Militärbehörden geprägt war. Regierung und Militärführung arbeiteten mehr nebeneinander oder gar gegeneinander als miteinander. Interessenkonflikte und persönliche Machtkämpfe überschatteten die Verwaltungstätigkeit. Die Hierarchieverhältnisse zwischen den einzelnen Organen waren unklar, die Kompetenzen überschnitten sich mitunter. Der bevollmächtigte Minister und der Generalkommandant stritten um den Vorrang. Der Finanzrat drängte das Kriegskommissariat in die undankbare Rolle des ewigen Bittstellers. Letzterer verwehrte Ersterem den Einblick in sein Finanzgebaren. Beide Behörden verfolgten gegensätzliche Zielsetzungen. Der Finanzrat hatte die allgemeinen wirtschaftlichen Interessen des Staates im Auge und musste dafür einstehen, dass dieser nicht nur seine militärischen, sondern auch andere politische und gesellschaftliche Aufgaben erfüllte. Das Kriegskommissariat trieb dagegen die Sorge um die unmittelbaren materiellen Bedürfnisse der Armee. Denn von deren Befriedigung hing schließlich die Verteidigungsfähigkeit der österreichischen Niederlande ab. Tatsächlich hatten die Organisations- und Finanzierungsprobleme äußerst negative Auswirkungen auf die militärische Stärke. Der Barrierevertrag schrieb eine Truppenanzahl von mindestens 18.000 bis 21.000 Mann vor. Es gelang dem österreichischen Regime aber kaum, mehr als 16.000 Soldaten aufzubieten. Zeitweilig sank die reale Stärke der Regimenter unter 12.000 Mann. Die Desertionsquote war extrem hoch. Das österreichische Heer in den Niederlanden verlor jedes Jahr weit über ein Zehntel seiner Mannschaft durch Fahnenflucht. Dieser Verlust konnte nur mühsam durch das Anwerben von Rekruten ausgeglichen werden. Für effiziente Ergänzungsmaßnahmen fehlte das nötige Geld, und der Militärdienst bot wenig finanzielle Anreize. Das negative Gesamtbild wurde noch verstärkt durch den desolaten Zustand 343

Fazit

der Festungen. Auch hier mangelte es an Mitteln für Reparatur und Ausbau. Zwar konnte 1732 ein Ingenieurkorps gegründet werden, das eine zentrale Koordinierung sowie eine fachkundige Leitung der Baumaßnahmen ermöglichte. Doch ein aufwendiges Investitionsprogramm für die Festung Luxemburg erschöpfte fast alle vorhandenen Mittel, so dass die Arbeiten an den anderen Festungen zu Flickwerk gerieten. Die Konsequenzen dieser militärischen Schwäche zeigten sich im Österreichischen Erbfolgekrieg. Hatten sich die österreichischen Niederlande noch im Polnischen Erbfolgekonflikt dank ihrer Neutralität einer ausländischen Besetzung entziehen können, so wurden sie ab 1744 vom französischen Aggressor förmlich überrannt. Die südniederländischen Waffenplätze wie auch die allzu schwachen Garnisonen stellten keine nennenswerten Hindernisse dar. Mit dem Ende des Österreichischen Erbfolgekriegs und der Wiederherstellung der habsburgischen Herrschaft in den Niederlanden begann eine neue Phase. Der entscheidende Schritt gleich zu Anfang war die Aufkündigung der Barrierezahlungen. Dadurch gewann die österreichische Regierung endlich Spielraum, um Versorgung und Finanzierung der Armee abzusichern. Die Verteidigungsausgaben stiegen in der Periode von 1750 bis 1770 auf durchschnittlich 3,7 Millionen Brabanter Gulden. Verstärkte Rekrutierungsmaßnahmen, die nun finanzierbar waren, ließen das Heer bis 1753 auf einen Iststand von fast 22.000 Mann anwachsen. Die von Maria Theresia anvisierten 25.000 Mann wurden aber wahrscheinlich vor Ausbruch des Siebenjährigen Kriegs nicht erreicht. Gleichzeitig nahm man die Instandsetzung der Festungsanlagen in Angriff. Insbesondere die Festungen Mons und Antwerpen profitierten von umfangreichen Verstärkungsarbeiten. Die Anstrengungen, um die belgischen Provinzen in einen angemessenen Verteidigungsstand zu setzen, reihten sich in die Gesamtpolitik der Regierung Maria Theresias ein. Der Verlust Schlesiens hatte den Anstoß gegeben für eine tief greifende „Staatsreform“, die im Wesentlichen auf eine Erhöhung der Steuerleistung und eine Vermehrung der Truppenzahl abzielte. In den Niederlanden setzten die bevollmächtigten Minister Botta-Adorno und Cobenzl die Reformpolitik um. Die Schaffung einer Kommission für die Rechnungsprüfung (ab 1764 Kommision für die Verwaltungen und Subsidienangelegenheiten) verstärkte die Kontrolle über die ständischen Finanzen. Die Regierung konnte nun die Praxis der Landstände, von den bewilligten Kontributionen Abzüge zu machen, besser erfassen und einschränken. Die Zufuhr von Mitteln an die Kriegskasse, die vorrangig aus den Kontributionseinkünften stammten, wurde dadurch sicherer. Die Neuordnung nach 1748 griff nicht nur in die Finanzwirtschaft, sondern auch in die Verwaltungsorganisation ein. Die Armeebehörden, die dazu tendiert hatten, einen „Staat im Staate“ zu bilden, wurden der 344

Fazit

Zentralregierung untergeordnet. Der bevollmächtigte Minister bekam die Aufsicht über die Kriegskasse und wurde zum Leiter der gesamten Verwaltung, sowohl der zivilen wie auch der militärischen. Die Vernetzung der Behörden trug viel zu einer besseren Verständigung bei. Der Kriegskommissar und später auch der Direktor des Ingenieurkorps wurden Mitglieder des Finanzrats und konnten so die Bedürfnisse der Armee in die Gesamthaushaltsplanung einbringen. Die Kooperation zwischen den Instanzen erleichterte die Heeresversorgung und -finanzierung. Die militärische Lage der südlichen Niederlande entspannte sich nach 1756. Die „Umkehr der Allianzen“ („renversement des alliances“) bewirkte, dass Frankreich zum Verbündeten der Habsburgermonarchie wurde. Von den unmittelbaren Nachbarländern der belgischen Provinzen ging keine Bedrohung mehr aus. Während des Siebenjährigen Krieges wurden die kampffähigen Truppen abgezogen und auf den Kriegsschauplätzen in Böhmen und im deutschen Reich eingesetzt. Auch nach dem Frieden von Hubertusburg erreichte die österreichische Armeepräsenz in den Niederlanden nicht mehr ihre frühere Stärke. Kaum mehr als 13.000 Mann waren dort stationiert. Der Anteil der südlichen Niederlande am gesamten Heeresaufgebot der Habsburgermonarchie fiel von über 15 % auf weniger als 5 % zurück. Doch obwohl das Gewicht des Militärs scheinbar geringer wurde, stellten sich erneut Finanzierungsprobleme ein. Im Verlauf des Krieges gegen Preußen hatte die Habsburgermonarchie zahlreiche Kredite auf dem belgischen Kapitalmarkt aufgenommen. Auch die Landstände hatten umfangreiche Darlehen gewährt. Nach dem Friedensschluss begann die Schuldentilgung. Die Wiener Zentrale wälzte die Last auf die niederländischen Staatseinnahmen ab. Die Kontributionen flossen ebenfalls zum Teil in die Rückzahlung der von den Landständen bewilligten Kredite. Die Ausgaben der Kriegskasse mussten immer mehr mit Mitteln aus anderen staatlichen Einnahmequellen gedeckt werden. Der finanzielle Engpass, der aus dem Schuldendienst erwuchs, gab den Anstoß, einen festen Militärhaushalt einzurichten. Gleichzeitig kam es zu einer Neuordnung der Beziehungen zwischen Zivil- und Militärbehörden. 1770 setzte die Wiener Zentrale eine fixe Dotierung der Kriegskasse mit einer jährlichen Summe von 4,2 Millionen Brabanter Gulden durch. Die Ausgaben für das Fortifikationswesen wurden auf 80.000 Gulden pro Jahr begrenzt und mussten weiterhin über die zivile Staatskasse bestritten werden. Die Einrichtung eines festen Militärfonds stellte den Endpunkt einer Entwicklung dar, die sich mindestens seit der Reformbewegung unter Maria Theresia abzeichnete. Die Herkunft der Mittel, mit der die Kriegskasse ausgestattet wurde, ob sie nun aus den Kontributionen oder aus den Kameraleinkünften (Domäne, Zölle) stammten, spielte keine Rolle mehr. Der Übergang von der Fondswirtschaft, bei der bestimmte Einnahmen einem be345

Fazit

stimmten Zweck gewidmet waren, zu einem einheitlichen Staatsbudget, das die Gesamteinkünfte nach verschiedenen Aufgabenbereichen verteilte, wurde dadurch auch im militärischen Bereich vollzogen. Die Militärführung verfügte nun über feste Ressourcen und eine sichere Grundlage für ihre Finanzplanung. Im Prinzip zentralisierte der Dotierungsakt alle Militärausgaben bei der Kriegskasse und hob somit ein weiteres Merkmal der Fondswirtschaft auf  : die Zahlungen aus vielen Einzelkassen. In Wirklichkeit aber leistete die Bevölkerung bis zum Ende der österreichischen Herrschaft Hilfsdienste wie Vorspann, Einquartierung und Zusatzverpflegung, die auf Provinzebene abgegolten wurden, eine Praxis, die dann doch eine zentral geregelte Haushaltsführung erschwerte. Die Reform von 1770 beendete die Zusammenarbeit von Zivil- und Militärbehörden, die seit 1749 einen relativ problemlosen Ablauf der Verwaltungsgeschäfte erlaubt hatte. Da die jährliche Ausstattung der Kriegskasse festlag, wurde eine Präsenz des Kriegskommissars im Finanzrat überflüssig. Beide Organe gingen wieder getrennte Wege. Die Kriegskasse brauchte der Regierung keine Rechenschaft mehr über die Verwendung ihrer Mittel abzulegen. Von Wien kamen neue Instruktionen, die dem bevollmächtigten Minister die Kontrolle über die Militärbehörden entzogen. Auch der Generalgouverneur verlor seine militärischen Vorrechte. Die Militärverwaltung wurde der Leitung des Generalkommandanten unterstellt, der wiederum seine Anweisungen direkt vom Hofkriegsrat in Wien empfing. Die Zivilregierung war vom Entscheidungsprozess ausgeschlossen und hatte keine Akteneinsicht mehr. Das Militär gewann seine Unabhängigkeit im Staat wieder. Die Neuordnung der Verhältnisse zwischen Armee und Regierung wurde von Wien aus gesteuert und spiegelte Machtverschiebungen wider, die im Zentrum der Monarchie stattfanden. 1765, nach dem Tod seines Vaters, war Joseph II. zum Mitregenten avanciert  ; er nahm sich vorrangig des militärischen Bereichs an, den seine Mutter ihm überlassen hatte. Schon lange vor seiner Alleinregierung konnte Joseph II. seine Zentralisierungs- und Vereinheitlichungsbestrebungen hier wirksam umsetzen. Bis zur radikalen Verwaltungsreform von 1787 konnten die Niederlande ihre institutionelle Eigenständigkeit behalten. Im Heerwesen dagegen kam es schon 1770 zu einer weitgehenden Gleichstellung. Ziel der Vereinheitlichungspolitik war die Stärkung des Gesamtstaates. Die Habsburgermonarchie sollte nicht länger ein Verband von Ländern sein, die ihre eigenen Interessen verteidigten, sondern die verschiedenen Territorien sollten zu einem Gesamtstaat zusammenwachsen, dessen Machtentfaltung oberste Priorität war. Aus der Sicht der Gesamtmonarchie bedeutete dies, dass die staatlichen Einnahmen aus Steuergeldern und anderen Quellen überall eingesetzt werden konnten, wo die Zentrale in Wien es für nötig befand. Die neue Regelung der Militärfinanzierung er346

Fazit

leichterte den Transfer von Mitteln aus den belgischen Provinzen in andere Teile der Monarchie. Die Dotierung der Kriegskasse mit 4,2 Millionen Brabanter Gulden überstieg nämlich den Bedarf der Armee in den Niederlanden. Der Überschuss, der eine Million Gulden weit übertreffen konnte, wurde nach Wien und ins Reich überwiesen. Die Kriegskasse diente dazu, Steuern, die eigentlich für den Unterhalt der Militärmacht in den Niederlanden vorgesehen waren, an die Wiener Zentralkassen abzuführen. Die fehlende Einsicht der Brüsseler Zivilregierung in die Buchführung der Militärbehörden trug zur Verschleierung dieser Finanztransfers bei. Nicht nur der belgische Kapitalmarkt war folglich von großer Bedeutung für die Habsburgermonarchie. Auch über die Kriegskasse wurden beachtliche Transferleistungen erbracht. Die Zentrale in Wien arbeitete wie eine Pumpe, die Ressourcen aus den Ländern absaugte und an einige mehr zurückgab als an andere. Die Österreichischen Niederlande waren in der zweiten Jahrhunderthälfte die meiste Zeit über „Nettoverlierer“.1 Der substanzielle finanzielle Beitrag, den die belgischen Provinzen leisteten, nuanciert demnach das traditionelle Modell von Zentrum und Peripherie, das eigentlich für Kolonialreiche entwickelt wurde und gerne benutzt wird, um den Umgang der Wiener Zentrale mit den Randgebieten der Habsburgermonarchie zu beschreiben.2 In einem Zug mit den italienischen Besitzungen werden die südlichen Niederlande oft als ein Gebiet genannt, das angeblich nur unvollständig in den Gesamtstaat integriert war und eine untergeordnete Rolle bei der Staatsbildung spielte. Die Erbländer und böhmischen Länder bilden im Gegensatz dazu die „Kernlande“ der Monarchie. Diese Sichtweise riskiert jedoch, diese Grenzregionen zu marginalisieren. Dadurch entsteht der falsche Eindruck, sie seien größtenteils bedeutungslos für die Gesamtentwicklung gewesen. Das Gegenteil war der Fall. Zusammen mit der Lombardei haben die „Provinces Belgiques“ den Ausbau des zentralistischen Machtstaates tatkräftig mitfinanziert. Nach der Neustrukturierung von 1770 verloren die Österreichischen Niederlande vollends ihre Bedeutung als militärischer Standort. Der Generalgouverneur Karl von Lothringen und der bevollmächtigte Minister Georg Adam Fürst Starhemberg klagten vehement gegen die Beschneidung ihrer Machtbefugnisse und mutierten zu Verteidigern des niederländischen Partikularismus. Sie forderten, dass die Steuergelder 1 “Both the Austrian Netherlands and Italy were substantial net losers. Their position begins to look uncomfortably like that of Silesia under Frederick II, a provider of revenue surpluses for the benefit of others”. Peter George M. DICKSON, Finance and government […], op., cit., S. 111. 2 Vgl. Hans-Christian MANER, Grenzregionen der Habsburgermonarchie im 18. und 19. Jahrhundert. Ihre Bedeutung und Funktion aus der Perspektive Wiens (Mainzer Beiträge zur Geschichte Osteuropas, Bd. 1), Münster 2005.

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Fazit

innerhalb der Landesgrenzen ausgegeben werden sollten, um so die Wirtschaft in den niederländischen Provinzen zu fördern. Da das Ausmaß der Steuerbelastung von den Militärausgaben bestimmt wurde, war es wichtig, dass so viel wie möglich wieder in den binnenwirtschaftlichen Kreislauf zurückfloss. Dennoch konnte die Brüsseler Regierung weder den Truppenabbau noch die Abschöpfung der niederländischen Finanzmittel durch die Zentrale in Wien verhindern. Ja, mehr noch  : Von den zuständigen Beamten wurde erwartet, dass sie die Geldentnahme zugunsten der zentralen Staatskasse verschleierten, damit insbesondere die belgischen Landstände keinen Verdacht schöpften und Protest einlegten. Der militärische Bedeutungsverlust der südlichen Niederlande in der zweiten Jahrhunderthälfte führte nicht nur zu einer Verringerung der dort stationierten Truppen, sondern stellte letztlich auch die Frage nach dem Nutzen des Festungsnetzwerkes. Das bescheidene Fortifikationsbudget ermöglichte keine Modernisierung der Verteidigungsanlagen. Die Waffenplätze wurden fast nur noch für die Unterbringung des Heeres und für die Lagerung der Proviantvorräte genutzt. Während seines Besuches in den Niederlanden 1781 zog Joseph II. die Konsequenzen und befahl, alle Festungen außer Antwerpen und Luxemburg zu schleifen. Abgesehen davon, dass durch diese Maßnahme der Ausgabenposten für das Fortifikationswesen stark verringert wurde, bescherte der Verkauf des aufgelassenen Festungsterrains der Staatskasse eine Einnahme von fast einer Million Brabanter Gulden. Doch nicht nur finanzpolitisch erwies sich die Entmilitarisierung der niederländischen Städte als geschickter Griff. Der Abriss der Barrierefestungen führte zum Abzug der holländischen Garnisonen und befreite die habsburgischen Niederlande von einer langjährigen Einschränkung ihrer Souveränität. Joseph II. dehnte die in den Niederlanden getroffene Maßnahme auf die Gesamtmonarchie aus und ließ auch in anderen Ländern die „unnützen“ Festungen schleifen. Diese Vorgehensweise zeigt, dass die Beziehungen zwischen dem Gravitationszentrum der Monarchie und den geografisch entfernter liegenden Gebieten weniger einseitig verliefen, als allgemein angenommen wird. Neuerungen gingen nicht immer vom Zentrum aus und wurden dann später in der Peripherie implementiert. Der Austausch von Innovationsimpulsen funktionierte in beide Richtungen, und dies auf politischer, wirtschaftlicher, sozialer oder, wie in dem hier untersuchten Fall, auf militärischer Ebene. Dieser Vorgang lässt sich ebenfalls am Beispiel des Ingenieurkorps beobachten, das 1732 in den Niederlanden gegründet wurde und erst später auch in anderen Teilen der Monarchie eingeführt wurde. Die Österreichischen Niederlande boten sich in vieler Hinsicht als Experimentierfeld an. Die militärische Schwäche der Niederlande hatte gravierende Auswirkungen, als gegen Ende der Herrschaft Josephs II. innere Unruhen einsetzten und die äußere 348

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Bedrohung zunahm. Das Fehlen von befestigten Stützpunkten und die geringe Truppenzahl, die vornehmlich aus „nationalen“ Elementen zusammengesetzt war, kann eine Erklärung für den schnellen Zusammenbruch des österreichischen Regimes während der Brabanter Revolution liefern. Ruhe und Ordnung konnten erst wiederhergestellt werden, nachdem Regimenter aus anderen Regionen in das Krisengebiet verlagert wurden. Als 1792 der Krieg mit dem revolutionären Frankreich begann, hinderte kein Festungsgürtel die feindlichen Truppen an der Invasion. Das Schicksal der Österreichischen Niederlande wurde in Feldschlachten entschieden. Mit dem Beginn der Revolutionskriege und schon vorher kurzzeitig während der Scheldekrise 1784 und der Brabanter Revolution 1789/1790 stieg die Zahl der in den Niederlanden stationierten Truppen gewaltig an. In solchen Krisenzeiten erwies sich die völlige Entflechtung von Militär- und Zivilbehörden als Fehlentwicklung. Um die logistischen Anforderungen zu bewältigen, mussten Regierung und Armee miteinander kooperieren. Deshalb rief Joseph II. das Generallandeskommissariat ins Leben, eine Koordinierungsstelle, die zwischen Landesverwaltung und Militär vermittelte. Zum Oberlandeskommissar wurden hohe Zivilbeamte berufen, in der Regel Mitglieder des Finanzrats. Am Ende des Ancien Régime ging die institutionelle Entwicklung demnach wieder in Richtung einer größeren Integration von Armee und Staat. Während der gesamten österreichischen Herrschaftszeit waren die Mittelbeschaffung und die Heeresverpflegung die Hauptanliegen, die das Verhältnis zwischen Militär und Staatsapparat prägten. Die Verfügbarkeit der benötigten Güter war jedoch beschränkt. Brot und Futter mussten lokal beschaffen werden. Die Soldaten wurden in den Provinzen versorgt, wo sie in Garnison lagen. Selbst das Geld hatte nicht die Beweglichkeit, die man von ihm erwarten konnte. Gold-, Silber- und Kupfermünzen in größeren Mengen wogen schwer und ihr Transfer über weite Distanzen war umständlich. Die von den Ständen bewilligten Steuergelder gab man am besten dort aus, wo sie erhoben wurden. Geld konnte demnach zum Hindernis im Verstaatlichungsprozess werden. In seiner harten Form als klingende Münze hatte es spezifische Merkmale, die sich einer Vereinfachung und Zentralisierung der Militärfinanzierung widersetzten. Darüber hinaus führte der chronische Mangel an Bargeld dazu, dass der Unterhalt der Armee nie vollständig monetarisiert werden konnte und der Staat immer wieder auf Naturalleistungen der Bevölkerung für Unterbringung, Transport und Verpflegung der Truppen zurückgreifen musste. Aus diesen Umständen wird ersichtlich, dass eine Untersuchung des Einflusses des Heerwesens auf den Staatsbildungsprozess sich nicht auf die zentralstaatliche Ebene beschränken kann. Eine zusätzliche Fokussierung auf die Ebene der Provinzen ist unbedingt notwendig, 349

Fazit

und somit tritt ein dritter Akteur neben Zentralregierung und Militär auf den Plan  : die Landstände. Das in der vorliegenden Arbeit untersuchte Fallbeispiel Luxemburgs zeigt, dass dem Zentralstaat auf mittlerer und lokaler Ebene der Behördenapparat zur territorialen Durchdringung fehlte. In vielen Bereichen – wie dem Unterhalt des Straßennetzes, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, dem Steuerwesen und eben der Militärversorgung – war er auf die Mitarbeit und Unterstützung insbesondere der Landstände angewiesen. Zur Erfüllung dieser öffentlichen Aufgaben entwickelten die Stände mit dem Einverständnis der Zentralregierung einen eigenen Verwaltungsapparat, dessen Herzstück die ständige Deputation war. Der klassische ständischzentralstaatliche Konflikt flammte noch einmal kurz während der Zeit der Katasterreform zwischen 1766 und 1771 auf. Doch anstatt auf Verdrängung setzte die Regierung auf die verstärkte Eingliederung der Luxemburger Landstände in das Staatsgetriebe. Die zunehmende Überwachung der ständischen Finanzverwaltung beendete jedwede Autonomiebestrebungen. Die kooperative Haltung der Luxemburger Landstände während der Brabanter Revolution kann als Beleg für den Erfolg ihrer fortschreitenden staatlichen Einbindung gewertet werden. Nicht nur dass Letztere sich nicht an der Unabhängigkeitsbewegung der anderen belgischen Provinzen beteiligten. Sie bewilligten beflissen eine permanente Steuer und gaben der österreichischen Armee bereitwillig die geforderte logistische Unterstützung. Die Luxemburger Landstände erfüllten im Konsens mit der landesfürstlichen Regierung wichtige Funktionen in der Militär- und Finanzverwaltung und glichen strukturelle Defizite des Zentralstaates aus. Die Frage, ob Luxemburg einen Sonderfall darstellt, bleibt aber offen. Eine Vergleichsstudie zu einer anderen Provinz wie Brabant, Hennegau oder Flandern, die sich 1789 gegen den Monarchen auflehnten, würde sich lohnen, denn die Partizipation der Landstände an den Finanzierungs- und Verwaltungsaufgaben verlief wahrscheinlich nicht in allen Landesteilen gleich und führte zu einer mehr oder weniger gelungenen Integration in den Staatsbildungsprozess. Die wichtigste Funktion der Landstände bestand in der Bewilligung und Aufteilung der Kontributionen, mit welchen die Kriegskasse ausgestattet wurde und die ausdrücklich dem Zweck des Heeresunterhalts dienten. Im Normalfall lieferten Unternehmer Brot und Futter an die Armee. Doch es kam immer wieder vor, dass Truppen direkt aus dem Land versorgt wurden  : so 1731, als kein günstiges Angebot für die Lieferungen vorlag, dann während des Österreichischen Erbfolgekriegs, als das Herzogtum Luxemburg völlig isoliert war, schließlich von 1757 bis 1760, als die Truppen des französischen Bündnispartners die Provinz durchzogen. Nicht nur in diesen Ausnahmesituationen, sondern die ganze Zeit über beanspruchten Truppen, 350

Fazit

die auf dem Durchmarsch waren, Ruhequartiere und Fuhrdienste. 1758 lieferte die Provinz sogar 2.000 Rekruten, die durch ein Losverfahren bestimmt worden waren. Die Stellung von Landrekruten durch die Luxemburger Stände blieb aber die Ausnahme in den Niederlanden. Ob es sich nun um Steuergelder, um Sachleistungen oder wie in letztem Fall um „Menschenmaterial“ handelte, die Landstände verteilten die Quoten auf die Stadt- und Dorfgemeinden. Kommissare überwachten den geregelten Ablauf vor Ort. Anschließend sorgte die Ständeversammlung für die Vergütung mittels Steuernachlässen. Die Grundidee war, dass die Ständevertreter durch ihre Kenntnis der lokalen wirtschaftlichen Gegebenheiten eine gerechte Lastenverteilung auf die Allgemeinheit garantierten. Tatsächlich verhandelten die Landstände mit der Regierung über die Tarife für die erbrachten Leistungen und schützten die Bevölkerung vor willkürlichen Requisitionen durch die Armee. Die Ermittlung einer angemessenen Vergütung der Lieferungen stellte sich aber als besonders problematisch heraus. Einerseits gab es keinen einheitlichen Getreidepreis, der für das ganze Herzogtum galt. Andererseits waren die Getreidepreise extremen Schwankungen ausgesetzt. Deshalb entsprach der zwischen Ständen und Regierung ausgehandelte Preis nur selten den tatsächlichen Marktpreisen. Da die Zentralregierung während des Österreichischen Erbfolgekrieges den Luxemburger Landständen die Steuereinkünfte überließ, konnten diese auf Unternehmer zurückgreifen, anstatt die Lieferungen den Dorfgemeinden aufzuerlegen. Die Versorgung durch Unternehmer hatte den Vorzug, dass nun wieder der Markt über die Preise entschied und kein Zwang zur Getreideabgabe herrschte. Der Wegfall der zentralstaatlichen Kontrolle begünstigte aber die Vetternwirtschaft und die Vermischung von öffentlichen und privaten Interessen. Für die Zeit des Österreichischen Erbfolgekriegs lässt sich demnach im Herzogtum Luxemburg eine eher unerwartete Siuation beobachten  : der Krieg führte nicht zu einem Ausbau, sondern zu einem Rückzug des Staates. Die Heeresverpflegung setzte eine politische und administrative Steuerung voraus, die in Krisenzeiten positive Auswirkungen auf die Versorgung der Zivilbevölkerung hatte. Als während des Österreichischen Erbfolgekriegs die Getreidepreise anstiegen, suchten Vertreter der Zentralregierung, der Militärführung und der Stände gemeinsam nach Lösungen, um eine Hungersnot zu verhindern. Klassische Instrumente der Teuerungsbekämpfung wie Ausfuhrsperren und das Verbot des Wiederverkaufs kamen zur Anwendung. Während der großen Krise von 1770–1771 gingen die Behörden dagegen innovativer vor. Auf Initiative der Landstände und mit dem Einverständnis der Regierung und der Militärobrigkeit wurden die in der Festung Luxemburg gelagerten Mehlvorräte an die bedürftige Bevölkerung zu Niedrigpreisen und auf Kredit verkauft. Zusätzlich importierten die Landstände Getreide aus Brabant, 351

Fazit

der Kornkammer der Niederlande. Die Mehlausteilung sowie die Einfuhr relativ geringer Mengen an Getreide reichten, um den Preisspekulationen auf den Märkten Einhalt zu gebieten. Ausschlaggebend für die Überwindung der Krise war die Kooperation zwischen den Ständen, den zentralstaatlichen Regierungsstellen und dem Militär. In der Bekämpfung der Hungersnot von 1770–1771 äußerte sich, wenn auch noch zaghaft, ein Wandel der Staatsaufgaben hin zu einer Fürsorgepflicht des Staates. Das Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die ursprünglich von Otto Hintze aufgestellte These von der Militärmacht als Motor der Staatsbildung auf ihre empirische Relevanz hin zu testen. Die südlichen Niederlande im 18. Jahrhundert eignen sich hervorragend als Untersuchungsgegenstand, weil sie sich längerer Friedensperioden erfreuten und nicht im Ruf standen, ein waffenstarrendes Bollwerk zu sein. Gerade diese Normalität, die im Gegensatz zur Ausnahmesituation eines Krieges steht, erhöht den Vergleichswert der hier gewonnenen Erkenntnisse. Fasst man noch einmal die kurz skizzierten Phasen der Entwicklung zusammen, so lässt sich tatsächlich feststellen, dass Zentralisierung, Bürokratisierung und Verstaatlichung nicht nur Anspruch waren, sondern politische Realität in den von den Habsburgern regierten niederländischen Provinzen. Der Staatsaufbau wurde mit der Zeit ausdifferenzierter und komplexer. Neue Behörden wurden geschaffen, um die Aufgaben im militärischen Bereich zu bewältigen. Kontrolle und Professionalität nahmen zu. Auch bei den Finanzierungs- und Verwaltungsabläufen kam es zu einer Vereinheitlichung und einer größeren Transparenz. Reformen prägten die Herrschaftszeit Karls VI., Maria Theresias und Josephs II. Trotzdem verlief die „Modernisierung“ bzw. das Wachstum der Staatsgewalt nicht linear. Die Zentralisierungspolitik stieß an Grenzen und die staatliche Durchdringung blieb unvollständig. Die Österreichischen Niederlande blieben ein Raum „begrenzter Staatlichkeit“.3 Die Heeresversorgung, eine der wichtigsten Staatsaufgaben, wurde privatisiert. Traditionelle Lösungsansätze bewährten sich. Insbesondere in Krisenzeiten bewies der althergebrachte Ständestaat seine Leistungsfähigkeit. Vor allem aber war das militärisch-fiskalische System durch seine Multipolarität gekennzeichnet. Die Entscheidungsfindung basierte auf komplexen Aushandlungsprozessen zwischen den verschiedenen Akteuren. Alle daran Beteiligten hatten nicht nur das Gemeinwohl im Sinn, sondern verfolgten auch Eigeninteressen. Die privaten Unternehmer waren in ihrem wirtschaftlichen Handeln naturgemäß profitorientiert. Die 3 Vgl. Bernd LADWIG/Tamara JUGOV/Cord Schmelzle, Governance, Normativität und begrenzte Staatlichkeit (SFB-Governance Working Paper Series, N° 4, DFG Sonderforschungsbereich 700), Berlin 2007, S. 6.

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Fazit

Provinzialstände vertraten die Belange der Landeseliten, nahmen aber gleichzeitig auch eine Schutzfunktion gegenüber der einfachen Bevölkerung wahr. Selbst Regierung und Armee dienten nicht ausschließlich übergeordneten Staatsinteressen. Die verschiedenen Behörden konkurrierten untereinander, um ihre Einflussbereiche auszudehnen. Die drei Akteure Stände, Zentralgewalt und Militär führten ein Eigenleben, verbanden sich aber auch wiederum in einem übergeordneten Staatswesen, dem Militär- und Ständestaat. Um noch einmal die Metapher Otto Hintzes zu bemühen  : Wenn das Militär das Schwungrad an der Staatsmaschine war, so lieferten die Stände den Antrieb  : Geld, Brot und Futter.

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Abkürzungen

AFA Alte Feldakten AGR Archives Générales du Royaume ANL Archives nationales Luxembourg CGC Commissariat général civil CF Conseil des finances CP Conseil privé HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv JAS Jointe des administrations et des affaires des subsides KA Kriegsarchiv PSH Publications de la Section Historique ROPBA Recueil des ordonnances des Pas-Bas autrichiens SEG Secrétairerie d’État et de guerre

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Verzeichnis der Abbildungen, Karten und Tabellen

Abb. 1. Abb. 2. Abb. 3. Abb. 4. Abb. 5.

Entwicklung der Verteidigungsausgaben (in Brabanter Gulden) Anteil der Militärausgaben am Staatshaushalt Ausgaben der Kriegskasse 1725 bis 1736 in Prozentanteilen Verteidigungsausgaben versus Kontributionseinnahmen Geschäftsgang für Auszahlungen an die Kriegskasse

Karte 1. Karte 2.

Die Habsburgermonarchie um 1750 Festungen und befestigte Städte in den südlichen Niederlanden um 1725

Tabelle 1. Bewilligte Ausgaben für Befestigungswerke und Militärgebäude (1771–1781) Tabelle 2. Einnahmen aus dem Verkauf des Festungsgeländes in den vom Schleifungsbeschluss betroffenen Städten (1782–1787) Tabelle 3. Dislozierung der Truppen in den Österreichischen Niederlanden im Jahr 1722 Tabelle 4. Verteilung der Truppen auf die niederländischen Provinzen im Jahr 1722 Tabelle 5. Anteil der Niederlande am Militäraufgebot der Habsburgermonarchie Tabelle 6. Militärausgaben der-Jahre 1725 bis 1736 nach Ausgabenposten gegliedert (deutsche Gulden) Tabelle 7. Ausgaben und Einnahmen der Kriegskasse 1771/1772 Tabelle 8. Preise für Brot- und Futterrationen 1726–1784 (in Stüber und Heller)

378



Währungen und Maße

1 Gulden = 20 Stüber 1 Stüber= 12 Heller 1 Stüber = 4 Liard 1 Liard = 3 Heller 1 Deutscher Gulden = 60 Kreutzer 1 Brabanter Gulden = 71,42 % vom Wert eines Deutschen Guldens 1 Luxemburger Gulden = 93,33 % vom Wert eines Brabanter Guldens (Ordonnanz vom 17. November 1756) = 90,74 % vom Wert eines Brabanter Guldens (Ordonnanz vom 11. März 1775) 1 Last = 14 Malter 1 Malter = 10 Sester 1 Sester Roggen = 20,463 Liter (Luxemburger Maß) 1 Sester Hafer = 28, 989 Liter (Luxemburger Maß) 1 Last = 3.000 Liter (Antwerpener Maß) 1 Last Weizen = 2.310 Kilogramm 1 Last Roggen = 2.075 Kilogramm 1 Brabanter Pfund = 464,016 Gramm 1 Zentner (Quintal) = 46,77 Kilogramm (Brüsseler Maß)

379

Anhang 1

Kommandierende Generale in den Österreichischen Niederlanden Februar 1716–November 1724 Alexander Otto Graf von Vehlen, General der Kavallerie, Feldmarschall November 1724–Oktober 1725 Wirich Lorenz Graf von Daun Fürst von Thiano, Feldmarschall November 1725– Mai 1727 Alexander Otto Graf von Vehlen, General der Kavallerie, Feldmarschall Mai 1727–September 1732 Johann Hieronymus Freiherr von und zum Jungen, Feldmarschall September 1732–Mai 1733 Christoph Otto Graf von Vehlen, General der Kavallerie Mai 1733–August 1733 Christian Siegmund Graf von Wurmbrand-Stuppach, Generalfeldwachtmeister August 1733–September 1734 Friedrich Ludwig Prinz von Württemberg, Feldzeugmeister September 1734–April 1737 Christian Siegmund Graf von Wurmbrand-Stuppach, Feldmarschallleutnant, General der Kavallerie April 1737–März 1754 Leopold Philipp Herzog von Arenberg, Feldzeugmeister, Feldmarschall April 1754–Februar 1761 Karl Urban Graf von Chanclos, Feldmarschall Februar 1761–Juli 1768 Johann Josef Graf von Bournonville, General der Kavallerie Juli 1768–Oktober 1770 Jakob Freiherr von Vogelsang, Feldmarschallleutnant Oktober 1770–Februar 1773 Josef Karl Graf von Ayasasa, General der Kavalerie

380

Anhang 1

Februar 1773–März 1775 Ferdinand Friedrich Freiherr von Bülow, Feldzeugmeister März 1775–Juni 1781 August Dal Pozzo Marchese di Voghera, General der Kavallerie Juli 1781–Oktober 1787 Josef Jakob Graf Murray von Melgum, Feldmarschallleutnant, Feldzeugmeister Oktober 1787–Dezember 1789 Richard Graf d’Alton, Feldmarschallleutnant, Feldzeugmeister Dezember 1789–Januar 1790 Josef Johann Graf von Ferraris, Feldzeugmeister Januar 1790–Juli 1794 Blasius Kolumban Freiherr von Bender, Feldzeugmeister, Feldmarschall

Oberbefehlshaber der österreichischen Armee in den südlichen Niederlanden während des Österreichischen Erbfolgekriegs Februar 1745–Oktober 1745 Joseph Lothar Graf von Königsegg-Rothenfels, Feldmarschall Oktober 1745–März 1746 Karl Urban Graf von Chanclos, Feldzeugmeister März 1746–Juli 1746 Karl Josef Fürst von Batthyány, Feldmarschall Juli 1746–November 1746 Karl Alexander Prinz von Lothringen und Bar, Feldmarschall November 1746–Oktober 1748 Karl Josef Fürst von Batthyány, Feldmarschall Quelle  : Georg ZIVKOVIC, Alt-Österreichs Heerführer […], op., cit., S. 61–62 und 92.

381

382

Jahre 1725 1726 1727 1728 1729 1730 1731 1732 1733 1734 1735 1736 1737 1738 1739 1740 1741 1742 1743 1744 1745 1746 1747 1748

Gesamtausgaben 4 293 293 4 054 817 3 418 518 3 346 852 3 536 404 2 960 635 3 785 848 2 809 413 4 715 564 3 936 222 5 023 457 3 948 081 3 197 939 4 347 964 2 756 161 3 656 697 4 207 823 4 986 629 5 930 400 5 850 345 3 335 955 2 570 490 666 388 828 390

Verteidigung 2 190 022 2 725 485 1 988 962 2 519 127 2 698 963 2 108 280 2 611 472 2 145 174 2 296 776 2 740 433 3 389 066 2 881 993 1 669 908 2 975 267 908 682 2 306 504 2 656 751 4 244 788 4 414 952 4 593 699 2 893 645 2 112 440 416 094 483 508

 % 51 % 67 % 58 % 75 % 76 % 71 % 69 % 76 % 49 % 70 % 67 % 73 % 52 % 68 % 33 % 63 % 63 % 85 % 74 % 79 % 87 % 82 % 62 % 58 %

Verwaltung 1 960 866 1 247 375 1 356 754 740 912 760 539 778 951 1 174 376 645 778 1 990 197 928 208 1 420 088 698 988 1 253 374 1 059 897 1 517 775 1 084 147 1 274 582 437 678 1 041 859 944 511 212 883 341 126 137 251 253 536

 % 46 % 31 % 40 % 22 % 22 % 26 % 31 % 23 % 42 % 24 % 28 % 18 % 39 % 24 % 55 % 30 % 30 % 9 % 18 % 16 % 6 % 13 % 21 % 31 %

Schuldendienst  % Gesamteinnahmen 142 404 3 % 6 073 076 81 917 2 % 6 444 822 72 802 2 % 4 537 435 86 813 3 % 5 288 012 76 902 2 % 4 760 058 73 404 2 % 4 140 036 0 0 % 4 678 183 18 461 1 % 2 933 787 428 591 9 % 5 636 544 267 581 7 % 4 978 679 214 303 4 % 5 830 727 367 100 9 % 3 955 791 274 657 9 % 4 392 091 270 800 6 % 5 117 954 329 704 12 % 3 510 910 266 046 7 % 5 037 578 276 490 7 % 3 776 027 304 163 6 % 5 452 659 473 589 8 % 5 416 600 312 135 5 % 4 675 687 229 427 7 % 3 030 317 116 924 5 % 2 365 481 113 043 17 % 524 420 91 346 11 % 564 593 44 % 48 % 57 % 51 % 56 % 73 % 41 % 55 % 58 % 73 % 38 % 58 % 26 % 46 % 70 % 78 % 82 % 98 % 95 % 89 % 79 % 86 %

in % 36 % 42 %

1 651 573 2 269 518 2 558 551 2 531 695 2 631 867 2 344 269 2 829 682 2 889 258 4 083 399 3 085 269 1 954 938 3 333 306 1 580 859 3 422 739 1 766 505 3 783 072 3 520 003 2 450 178 1 765 975 1 537 192 144 563 47 691

120 % 111 % 105 % 83 % 99 % 92 % 81 % 95 % 83 % 93 % 85 % 89 % 57 % 67 % 150 % 112 % 125 % 187 % 164 % 137 % 288 % 1014 %

Kontributionen in % 2 154 303 102 % 2 310 354 118 %

Entwicklung der Staatseinnahmen und -ausgaben in den Österreichischen Niederlanden (1725–1788)

Anhang 2

Jahre 1749 1750 1751 1752 1753 1754 1755 1756 1757 1758 1759 1760 1761 1762 1763 1764 1765 1766 1767 1768 1769 1770 1771 1772 1773 1774 1775 1776 1777

Gesamtausgaben 6 111 952 5 400 624 5 374 646 4 845 449 5 429 912 5 265 048 5 730 122 6 458 051 6 349 455 5 171 798 6 694 121 5 916 051 5 717 202 5 907 934 5 377 547 5 309 676 6 015 024 5 146 178 5 261 953 5 545 809 5 436 669 5 630 831 6 953 693 6 435 585 6 182 750 6 071 715 5 814 011 9 512 886 7 627 725

Verteidigung 3 761 699 3 899 542 4 143 412 3 714 463 4 017 311 3 815 687 4 175 647 3 969 122 4 348 558 3 243 953 4 008 977 3 782 187 3 852 023 3 541 620 3 150 176 3 023 434 3 906 262 3 616 231 3 742 504 3 615 573 3 852 085 4 435 729 4 996 903 4 295 187 4 306 999 4 140 893 3 948 889 4 225 839 4 192 938

 % 62 % 72 % 77 % 77 % 74 % 72 % 73 % 61 % 68 % 63 % 60 % 64 % 67 % 60 % 59 % 57 % 65 % 70 % 71 % 65 % 71 % 79 % 72 % 67 % 70 % 68 % 68 % 44 % 55 %

Verwaltung 2 173 761 922 768 882 233 807 702 1 052 455 1 097 049 805 192 1 627 151 970 000 865 118 934 728 759 055 738 026 1 261 349 1 146 949 1 232 246 1 004 800 930 204 952 018 997 318 1 413 244 1 017 344 945 374 1 225 849 973 971 1 058 797 940 596 975 732 810 152

 % 36 % 17 % 16 % 17 % 19 % 21 % 14 % 25 % 15 % 17 % 14 % 13 % 13 % 21 % 21 % 23 % 17 % 18 % 18 % 18 % 26 % 18 % 14 % 19 % 16 % 17 % 16 % 10 % 11 %

Schuldendienst 176 492 578 314 349 001 323 264 360 146 352 312 749 283 861 778 1 030 897 1 062 727 1 750 416 1 374 809 1 127 153 1 104 965 1 080 422 1 053 996 1 103 962 599 743 567 431 932 918 171 340 177 758 1 011 416 914 549 901 780 872 025 924 526 4 311 315 2 624 635

 % Gesamteinnahmen 3 % 5 371 665 11 % 5 526 619 6 % 5 895 362 7 % 5 028 126 7 % 5 936 123 7 % 5 923 926 13 % 6 815 623 13 % 5 709 816 16 % 9 056 708 21 % 8 098 646 26 % 8 165 735 23 % 7 885 701 20 % 7 959 898 19 % 7 753 672 20 % 7 734 860 20 % 6 586 981 18 % 6 741 800 12 % 6 660 456 11 % 6 336 075 17 % 5 771 648 3 % 5 478 705 3 % 5 415 107 15 % 5 431 800 14 % 5 884 262 15 % 6 324 300 14 % 6 179 387 16 % 6 575 983 45 % 7 224 501 34 % 8 428 636

in % 70 % 71 % 70 % 74 % 68 % 64 % 61 % 70 % 48 % 40 % 49 % 48 % 48 % 46 % 41 % 46 % 58 % 54 % 59 % 63 % 70 % 82 % 92 % 73 % 68 % 67 % 60 % 58 % 50 %

Kontributionen 1 861 909 2 099 853 2 507 009 2 044 138 2 439 198 2 274 223 2 570 776 2 378 893 5 876 745 5 061 078 4 594 117 4 383 403 4 452 948 4 186 251 4 112 142 3 225 693 3 202 890 2 951 355 2 507 178 2 039 245 1 982 655 1 882 620 2 018 013 2 086 458 2 499 562 2 421 371 2 737 654 3 140 264 2 932 271

in % 202 % 186 % 165 % 182 % 165 % 168 % 162 % 167 % 74 % 64 % 87 % 86 % 87 % 85 % 77 % 94 % 122 % 123 % 149 % 177 % 194 % 236 % 248 % 206 % 172 % 171 % 144 % 135 % 143 %

Anhang 2

383

384

Verteidigung 4 105 625 4 207 211 4 178 175 4 160 869 3 422 025 4 184 832 4 200 171 14 540 620 5 103 561 4 241 635 4 171 183 230 211 741 3 597 058

 % 66 % 65 % 55 % 52 % 63 % 62 % 49 % 81 % 60 % 51 % 57 % 65 % 65 %

Verwaltung 1 390 257 1 707 947 2 196 363 1 331 584 1 456 820 2 003 959 2 714 503 2 588 960 2 257 290 3 502 458 2 868 063 77 801 036 1 215 641

 % 22 % 26 % 29 % 17 % 27 % 30 % 32 % 14 % 26 % 42 % 39 % 22 % 22 %

Schuldendienst 683 329 538 682 1 243 354 2 477 742 555 142 586 560 1 602 073 885 533 1 166 554 594 679 245 548 43 917 171 686 206

 % Gesamteinnahmen in % 11 % 11 327 440 36 % 8 % 13 678 805 31 % 16 % 9 276 489 45 % 31 % 7 855 923 53 % 10 % 9 658 815 35 % 9 % 8 646 467 48 % 19 % 10 569 042 40 % 5 % 13 560 763 107 % 14 % 10 535 104 48 % 7 % 10 221 152 41 % 3 % 10 135 057 41 % 12 % 410 488 645 56 % 12 % 6 413 885 56 %

Kontributionen 6 079 426 7 229 022 3 772 368 2 956 142 2 546 759 3 155 925 3 866 283 7 521 451 3 769 499 3 831 893 3 814 981 191 660 420 2 994 694

Quelle: Herman COPPENS, Basisstatistieken voor de reconstructie van de centrale staatsrekening […] op. cit., S. 48–50, 57–58, 158–160.

Jahre Gesamtausgaben 1778 6 179 211 1779 6 453 840 1780 7 617 892 1781 7 970 195 1782 5 433 987 1783 6 775 351 1784 8 516 747 1785 18 015 113 1786 8 527 405 1787 8 338 772 1788 7 284 795 Summe 351 972 010 Mittelwert 5 499 563

in % 68 % 58 % 111 % 141 % 134 % 133 % 109 % 193 % 135 % 111 % 109 % 120 % 120 %

Anhang 2

Orts- und Personenregister Aachen  32, 39–40, 75, 122, 127, 151, 162, 187, 293–294, 304 Aerts, Nicolas, Unternehmer  229, 234, 238, 264, 323 Aire 51 Albert von Sachsen-Teschen, Generalgouverneur  44–45, 47, 77, 89, 140, 148, 156 Alexandro, Militärlieferant  218 Alton, Richard, Graf von, kommandierender General  44, 156, 381 Amsterdam 225–226 Antwerpen  32, 36, 38, 42, 50–51, 56–58, 64, 68, 69, 72, 76, 79, 82, 85, 87–88, 90, 92–93, 96, 104, 106–108, 126, 135, 161, 165, 183, 206, 227, 229, 231, 233–234, 291, 344, 348 Arad 93 Arberg, Karl-Anton, Graf von, Generalfeldmarschall  119, 129, 294 Arenberg, Leopold, Herzog von, kommandierender General  111, 115, 122, 150, 152, 180–181, 211–212, 246, 380 Arlon  104, 228, 232, 278–279, 284, 319 Ath  38, 51, 53, 57, 59, 62, 64–65, 68–69, 72, 82, 85, 90–91, 105, 107, 220, 251, 258 August der Starke (Friedrich August I.), Kurfürst von Sachsen  37 Augustin, Prior von Houffalize  306 Axel 39 Ayasasa, Josef Karl, Graf von, kommandierender General  152–154, 187, 206, 380 Baden  30, 340 Baillet La Tour, Karl Anton Maximilian, Graf von 285 Bamberg 133 Barret, Jacques, Mitglied der Rechnungskammer 261 Bartenstein, Christoph, Baron de, Oberlandeskommissar 165 Bastogne  221, 278–279, 307, 319, 330

Batthyány, Karl Josef, Fürst von, Feldmarschall  291–292, 294, 296, 298, 302, 305, 381 Bauffe, Simon de, Militäringenieur  62–71, 74–75, 117–118, 120 Baut (de), Leutnant Oberst  64–65 Bauwens, Egidius, Unternehmer  215, 223, 227– 228, 237, 248–251, 255–258, 262, 296 Beelen, Maximilien de, Oberlandeskommissar  165 Belgiojoso, Barbiano di, bevollmächtigter Minister  164, 226 Belgrad  63, 67 Bellanger, Pierre, Finanzrat  241, 299, 308 Belle-Isle, Charles Louis Auguste Fouquet de, Gouverneur von Metz  289 Bender, Blasius Kolumban von, Feldmarschall  46, 48, 381 Bergen-op-Zoom 39 Bergeyck, Jean de Brouchoven, Graf von  125– 126 Bervoet, Juste Jacques de, Finanzrat  241 Bethmaire, Agent  226 Bettemburg 306 Biber, Leiter des Proviantamts in Luxemburg  251, 262, 323–324, 326–327, 331–333, 335 Bitburg  278–279, 296–297, 299 Blier (de), Probst und Schöffe von Durbuy  285 Bodson, Michel, Notar in Echternach  306–307 Bois-Seigneur-Isaac 164 Bonneval, Alexander, Graf von  115 Bordeaux 226 Bossu 220 Botta-Adorno, Anton, Marquis, bevollmächtigter Minister  128–129, 133, 151–152, 162, 180, 225, 251, 254, 256, 344 Bouchain 51 Bournonville, Johann, Graf von, General der Kavallerie  152, 380 Brady (de), beigeordneter Oberlandeskommissar 311–312

385

Orts- und Personenregister Braunau 93 Breda 39 Breiderbach, Baron de  284 Breslau 321 Brismaille, Jean, Angestellter der Landstände von Flandern 90 Brod 93 Brody 93 Brou, Militäringenieur  90 Brügge  38, 53, 55, 59, 91, 105, 135, 220, 256 Brünn 93 Brüssel  26–27, 31, 38, 40, 42, 44–48, 53–55, 59, 61–62, 64, 67, 72, 75–76, 78, 82–83, 85, 89–92, 104, 106–107, 108, 112–113, 128– 129, 131, 135, 140, 147–150, 152–154, 160, 169, 174, 177, 180, 194–196, 206, 213, 220, 221, 247–248, 256–258, 262, 271, 275, 283, 286, 291, 299–300, 309, 326, 343 Bülow, Ferdinand, Freiherr von, kommandierender General  155, 381 Busleyden, Pierre de, Kontador  160–161 Cambrai 51 Carpentier, Hauptmann  119 Carton, Felix Joseph, Unternehmer  220–222, 224–225, 231–234, 237, 251–252, 254, 256, 258, 262–264, 331–333 Carton, Hélène  258, 262 Carton, Marie Catherine  258, 262 Cazier, Denis Benoît de, Vorsitzender des Finanzrats  86, 88–89, 163, 193–195, 197, 200–201, 235, 335 Chanclos, Karl, Graf von, Feldmarschall  152, 380–381 Chapuy, Proviantintendant  336 Charleroi  25, 38, 51, 57, 59, 64, 69, 72, 75, 82–83, 85, 89–91, 105, 107, 149 Chiny  278–279, 319, 330 Clerf 298 Cobenzl, Karl von, bevollmächtigter Minister 136, 151–152, 163, 177, 179, 188, 191, 252, 271–272, 282, 299, 344 Cobenzl, Johann Philipp von, Mitarbeiter des Finanzrats 282 Coburg-Saalfeld, Friedrich Josias von, Feldmarschall  47–48, 142 Condé (Stadt)  47, 51

Cornet de Grez, Gommaire Antoine Ignace, Oberlandeskommissar 164–165 Crasse (Craes), Anne Marie  258 Crossen (Oder)  321 Crumpipen, Jean Henri de, Staats- und Kriegssekretär  180–181, 235, 249, 306, 309, 335 Cuvelier, François Gaston de, Generalschatzmeister  184, 240 Dal Pozzo, August, Marchese di Voghera, General der Kavallerie  381 Damme  64, 68–69, 72, 82, 90–91, 105 Danzig 225 Daun, Leopold Josef, Graf von, Präsident des Kriegsrats  113, 153 Daun, Wirich Philipp Lorenz von, Feldmarschall 35, 54–55, 57–60, 64, 82, 94, 101, 104, 111– 115, 121, 124, 148, 159, 180, 380 Delplancq, Henri, Finanzrat  318 Dendermonde  33, 38, 55–56, 59, 62, 64–65, 68–69, 72, 82, 85–86, 90–91, 105, 135 Den Haag  33, 46, 343 Detraux, Generalprokurator  294 Dettingen 38 Deva 93 Devos, Jean-Baptiste François, Militäringenieur 77–80, 89–90 Diekirch 278 Diu, Chrétien, Unternehmer  237, 248, 258 Doesburg 51 Dosme, Chevalier de, Kriegskommissar  326 Douai 51 Dubois, Landeskommissar  165 Dumont, Jacques, Offizial  306 Dumont, Jean-Baptiste, Schöffe der Stadt Luxemburg  218, 257, 299, 306, 308 Dumouriez, Charles François, General  47 Durbuy 278–279 Durieux, François, Präsident des Provinzialrats von Luxemburg  276 Echternach  261, 278–279, 293, 297, 307 Eger 93 Elisabeth Farnese, Königin von Spanien  37 Emptines 330 Esseg 93 Etalle 311

386

Orts- und Personenregister Ettenau, Oberkriegskommissar  235 Eugen von Savoyen, Prinz, 27, 30, 34, 53–54, 60–69, 72–75, 101–103, 105–110, 112, 115– 123, 125–126, 148–149, 156, 159, 175–180, 183–184, 186, 208–210, 214, 328 Feller, Dominique de, Steuereinnehmer  300 Feltz, Jean Ignace de, Einnehmer der Landstände 292, 304–307 Feltz, Jean Louis de, Einnehmer der Landstände 334 Ferraris, Josef Johann, Graf von, Feldzeugmeister 381 Fleurus  48, 96 Fonséca, Marc de, Generalschatzmeister  240 Fontainebleau 43 Fontenoy  38, 291 Forron, Schöffe der Stadt Arlon  285 Fouler, Nicolas, Einwohner von Kayl  232 Frankfurt (Main)  122, 223 Frankfurt (Oder)  321 Fraula, Thomas de, Generaldirektor des Finanzrats  35, 180 Franqué, Philippe-Simon, Leutnant-Oberst  132– 133 Franz II., Kaiser  48 Franz Stefan, Kaiser  245, 247 Friedrich August II., Kurfürst von Sachsen  37 Friedrich Wilhelm I., König in Preußen  321 Friedrich II., König von Preußen  11, 86, 124, 208, 266, 321 Friedrich Wilhelm II., König von Preußen  45, 47 Gabecke, Antoine, Bäckermeister  256 Gemmingen, Baron von, Feldmarschallleutnant 233 Genel, Jean-Baptiste, Händler  307 Gent  38, 45, 51, 53, 56–57, 59, 69, 72, 79, 82–83, 85, 90–91, 94, 105–106, 135, 152– 153, 165, 184, 206, 220, 225, 235 Georg II., König  38 Gerardy, Nicolas, Schöffe der Stadt Luxemburg 245, 257 Gerber, Jean-François, Steuereinnehmer  215, 245, 253, 257, 260–262, 289, 308 Gerden, François-Chrétien de, Präsident des Provinzialrats von Luxemburg  137, 213, 276

Gilbert, Sébastien Henri, Finanzrat  258, 262–263 Godenne, Jean Jacques, Oberlandeskommissar 165 Goethe, Johann Wolfgang von  47 Gotte, Jean-François de, Unternehmer  215, 223, 228, 237, 249–250, 256, 296 Gradiska 93 Grammont (Geraardsbergen)  248, 258 Gravelines 51 Grevenmacher  75, 224–225, 278, 329 Gronsfelt-Bronckhorst, Johann Franz, Graf von, Feldmarschall 275 Gruber, Franz von, Oberkriegskommissär  102– 103, 106–107, 118, 122, 148, 156–157, 174–175, 180, 182–184, 186, 209–210, 214, 217, 241, 245 Habay-la-Neuve 311 Hadik von Futak, Andreas, Präsident des Hofkriegsrats 264 Hamburg 226 Hanius, Unternehmer  245 Hardy, André Étienne, Sekretär des allgemeinen Regierungsrats 90–92 Harrach, Friedrich, Graf von, Obersthofmeister 150, 175, 184, 190, 238–241, 243, 246, 291 Haugwitz, Friedrich Wilhelm, Graf  127–128, 177, 190, 271 Heidelberg 118 Helm, Schöffe von Bitburg  285 Henquin, Agent  229 Henrion, Agent  243, 245, 248 Henron, Jean-Baptiste, Steuereinnehmer  257, 292 Henry, Louis, Unternehmer  228, 237, 248–250, 296 Herzelles, Ambroise-Joseph, Marquis de, Generaldirektor des Finanzrats  162, 220, 239–244, 252, 259 Heyden, François Edouard Antoine, Baron de, Präsident des Provinzialrats  300 Holbach, Benoît, Händler  307 Horman, Michel, Abt von Echternach  261 Houffalize  278, 297, 319 Hout, Schultheiß von Echternach  297, 306 Hubertusburg  41, 191, 197, 345

387

Orts- und Personenregister Hulst 39

Königsegg-Erps, Karl Ferdinand, Graf, Vizepräsident des Niederländischen Rats in Wien  250

Ieper  33, 38, 51, 55, 82, 85, 90–91 Korn, Johann Friedrich, Verleger  321 Kortrijk  38, 47, 51, 56, 64, 68, 85, 90–91, 94, 105, 107–108 Kufstein 93 Küstrin 321

Jamez, Nicolas, Militäringenieur  78 Jemappes  47, 96 Joseph I., Kaiser  61 Joseph II., Kaiser  11–12, 19, 25, 34, 41–46, 50, 84–89, 92–93, 96, 140, 144–146, 148, 151, 153–156, 163–164, 167, 170, 204–205, 208, 264, 268, 271, 285, 313, 325, 346, 348–349, 352 Jungen, Johann Hieronymus, Freiherr von und zum, kommandierender General  62–64, 66, 68, 72–73, 176–177, 179, 208, 380 Karl, Erzherzog, 148 Karl VI., Kaiser  25, 30–31, 36–37, 53–54, 62, 70, 96, 98, 112–113, 126, 143, 148, 158, 164, 169, 173–174, 187, 203, 232, 246–247, 258, 338, 340–341, 352 Karlsburg 93 Karlstadt 93 Karl von Lothringen, Generalgouverneur  20, 39–40, 76, 93, 97, 127–129, 133–134, 139, 148, 150–151, 154–155, 162–163, 193–195, 197–199, 222, 224–225, 228, 231, 251, 262, 272, 282–283, 287, 292–293, 298, 300, 303, 308, 325–326, 328, 347, 381 Kaunitz, Wenzel Anton, Staatskanzler, 34, 42, 155, 181, 187, 190, 192–197, 199, 201, 248–250, 271–272, 335 Kehl (Festung)  37 Kepper, Getreidehändler  231 Khevenhüller, Ludwig Andreas, Graf von  102, 122 Kleber, Rechtsanwalt  231–232 Knocke (Fort)  33, 38, 55, 82, 90–91 Koblenz 75 Kolin  41, 285 Köln  122, 133 Königgrätz 93 Königsberg 226 Königsegg-Rothenfels, Joseph Lothar, Graf von, bevollmächtigter Minister, Feldmarschall  32, 109, 381

Lacy, Franz Moritz von, Präsident des Hofkriegsrats  139, 144, 152–155, 163, 206 Laing, Philippe de, Militäringenieur  77 Lamberts, Unternehmer  251 Landrecies 51 Landsberg (Warthe)  321 Lannoy, Eugène-Hyacinthe de, Kolonel  55 Lannoy, Pierre-Joseph de, Oberlandeskommissar 165 La Roche  278–279, 330 Lazaro, Militärlieferant  218 Le Clerc, Jacques Antoine, Staatsrat  224, 283, 327–330, 332 Lederer, Hofrat von  86 Leefdaal 126 Lefebvre, François, Kontador  160 Leopold II., Kaiser  11, 46–47 Lessines 220 Libert, Schöffe von Marche  336 Lier  56, 63, 65–66, 72, 91, 107 Lille  47, 51, 56, 96 Limburg  59, 64, 90–91 Limpens, Arnould de, Finanzrat  264, 309 Longwy  47, 289 Löwen  38, 55, 59, 66, 91, 221 Ludwig XIV., König von Frankreich  16, 51–52, 67, 96, 131, 142, 257 Ludwig XV., König von Frankreich  37 Luerwald, Kriegskommissar  220 Lüttich  39, 123, 133, 199, 304, 318 Luxemburg  26, 37, 39, 42, 45–48, 51, 57–59, 64, 69, 72, 74–75, 78–80, 82, 84–85, 87–88, 92–93, 96, 104, 106–110, 119, 121, 135, 140, 174, 183, 195, 200, 211, 218, 220, 221, 223–224, 226, 228–229, 232, 238, 245, 252, 274–275, 278–279, 286, 290–294, 300, 304, 306, 309, 311, 319, 321–325, 327–332, 336–337, 344, 348, 351

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Orts- und Personenregister Maastricht  39, 51, 304–305 Mac-Donnel, Jacques, Finanzier  249 Mailand 93 Malempré, Bürgermeister von Marche  285, 306, 308, 330 Mantua 93 Marche  221, 234, 278–279, 286, 308, 319, 330, 332 Mardick 51 Maria Elisabeth, Generalgouverneurin  54, 71, 76, 112, 114, 121, 148, 150, 185, 223, 226, 246–247, 259, 289, 321 Maria Theresia  11, 19–20, 25, 34–35, 40–41, 50, 74, 113, 124–128, 143–144, 148, 151– 155, 203, 205, 208, 247–248, 282, 284, 293, 297, 312, 344–345, 352 Marie-Christine, Generalgouverneurin, 44–45, 77, 89, 148, 156 Maringh, François, Domäneneinnehmer  215, 218, 228 Marlborough, Feldherr  52 Martelingen 298 Mechelen  38, 55, 59, 64, 91, 199 Medrano, Sebastián Fernández de, Mathematiker und Militäringenieur  61–62 Menen  33, 38, 47, 53, 55, 82, 85, 90–91, 142 Mersch, Jean-André van der, Anführer während der Brabanter Revolution  45 Mertens, Agent  245 Metz 288–289 Meulenberg, Pierre, Unternehmer  262 Mewen-Heinsberg, Maria Elisabeth von  305 Mignon, Domänenrichter  232 Mohr de Waldt, Philipp Evrard, Abgeordneter des Adelsstands  282, 306 Mons  38, 45, 47, 51, 53, 57–59, 64, 68–69, 72, 76, 79, 82, 85, 89, 90–92, 94, 96, 105–107, 135, 164–166, 212, 220, 254, 257, 344 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron von 30–31 Montmédy 51 Moreaux, Jean Victor, General  48 Moritz von Sachsen, Feldherr  38–39, 75, 291, 293 Munkatsch 93 Murray, Graf Joseph, Feldmarschallleutnant  44, 89, 156, 381

Namur  33, 38, 42, 51, 55, 75, 78, 82, 85, 88–91, 94, 221, 275, 330, 336 Neapel 113 Neerwinden  47, 96 Neipperg, Wilhelm Reinhard von, Festungskommandant  121, 123, 180, 223, 248, 275, 291– 294, 297, 302, 308, 317–318, 320–321, 324 Neny, Cornelius de, Sekretär  205 Neny, Patrice-François de, Präsident des Geheimen Rats  42, 83–84, 86, 88, 151, 162, 270–271, 273–274, 309 Neny, Philippe de  258 Nettine, Mathias, Bankier  77, 187 Neufchâteau  278, 330 Neunheuser, Jean-François, Steuereinnehmer 284 Nieuwpoort  38, 56, 58, 64, 69, 72, 82, 85, 90–91, 96, 105, 220 Nospelt 138 Nürnberg 328 O’Connor, Oberst  108 Ofen 93 Olmütz 93 Oppenheimer, Samuel, Armeelieferant  217–218 Orsoy 51 Orval  278, 293 Ostende  36, 38, 42, 56, 58, 64–65, 68–69, 72, 79, 82, 85, 87–88, 90–91, 96, 105, 220 Oswald, Pater  306 Oudenaarde  51, 56, 64, 68–69, 72, 82, 85, 90–91, 105–107, 220 Overstraeten, François Jacques van, Generaleinnehmer 258 Overstraeten, Nicolas van, Unternehmer  215, 221, 223, 226–228, 236–241, 243–248, 252, 256–261, 267, 290 Paradis, Ferdinand Grégoire, Finanzrat  332–333 Paris  52, 251 Passarowitz 30 Pellegrini, Carl, Feldmarschall  93 Pescatore, Antoine, Händler  232, 323 Pest 210 Peterwardein 93 Pfanzelter, Karl von, Kriegskommissar  134–136, 148, 158, 163, 174, 176, 179–181, 186–191,

389

Orts- und Personenregister 214, 225–226, 249, 251–253, 256–257, 262, 299, 308 Philipp V. von Anjou, König  37, 126 Philippe der Gute, Herzog von Burgund  277 Pillnitz 47 Piza, von, Leutnant-General  136–137 Pless 93 Polterra, Offizial der Kriegskasse  174 Prag  93, 326 Prel, Baron du, 138, 284 Prié, Ercole Turinetti, Marquis von, bevollmächtigter Minister  53–54, 106, 108–110, 112, 118, 149, 180, 210 Prié, Jean-Antoine Turinetti, Marquis von, 108 Proli, Bankiersfamilie aus Antwerpen  187, 227, 264 Proli (Witwe), Aldegonde Jeanne Pauli  258 Ramillies 99 Ransonnet, Hubert Joseph, Oberlandeskommissar  165, 311 Rastatt  30, 32, 340 Recq, Louis Joseph, Bürger aus Mons  254–255, 257 Regensburg  56, 328 Remich  232, 278, 319 Renette, Lambert, Unternehmer  228–230, 236, 239–240, 242, 244, 253, 257, 259, 288–290, 314 Rialp, Perlas Marques de, Staatssekretär des Spanischen Rats  115, 162, 239–241, 252 Richard, Bürgermeister von Bastogne  307 Rocourt  39, 293 Roermond  56, 59, 64, 72, 88, 90–91 Romberg, Händler  226 Rotterdam 225 Rubi, Marquis de, Festungskommandant von Antwerpen  68, 74 Rumigny, Oberst von  119 Rykart, Dionysius, Unternehmer  256–257 Saint-Germain, Louis, Comte de  298 Saint-Ghislain  38, 51, 56, 59, 64, 68–69, 72, 82, 105 Saint-Hubert  278, 293 Salm-Salm, Prinz Maximilian von, Festungskommandant  326–327, 329

Sanctorum, Arnould, Händler  231, 256 Sandez 93 Sankt Vith  224 Sas von Gent  39 Schaack, Richter von Vianden  307 Schröder, Generalmajor, Proviantinspektor  323 Schröder, Baron von, Festungskommandant  336 Seckendorff, Friedrich Heinrich von, Feldmarschall 324 Seyl, Jean-Baptiste, Schöffe der Stadt Luxemburg 284–285 Silva-Tarouca, Emanuel, Präsident des Niederländischen Rats in Wien  152, 249–250 Sluys 39 Snoeck, Pierre, Unternehmer  236, 239 Soignies 220 Speyer 223 Stanislaus I. Leszczynski  37 Starhemberg, Georg Adam, Fürst von, bevollmächtigter Minister  42, 86, 154–155, 196, 213, 272, 327–330, 335, 347 Stavelot 318 Steinmetz, Nicolas, Militäringenieur  78 Stenay 51 Stettin 323 Stevin, Simon, Festungsbaumeister  60 Stoupy, Barbe (Veuve Nettine)  77, 187 Stramberger, Proviantkommissar  220

Temesvar  93, 328 Theresienstadt 93 Tournai  33, 38, 47, 51, 53, 55, 82, 85, 90–91, 94 Tocqueville, Alexis  279 Thionville 288–289 Thüngen, Sigmund, Baron von, Festungskommandant  119, 121–123, 125–126, 226–228 Trauttmansdorff, Ferdinand von, bevollmächtigter Minister  156 Trier  110, 133, 223, 228, 261, 278, 324 Turin 112 Turnhout 45 Utrecht  30, 32, 37, 51, 340 Valenciennes  47, 51, 96

390

Orts- und Personenregister Valmy 47 Vandenberghen, Anna  254 Vandenberghen, Isabella  254 Vandenberghen, Pierre, Unternehmer  223–225, 228, 237, 250–251, 254–257, 262, 267 Vanderstadt, Henri, Lizenziat der Medizin  90 Van Steen, Finanzier  257 Vauban, Sébastien le Prestre de, Militäringenieur 48, 51–52 Vehlen, Alexander Otto, Graf von, kommandierender General  60, 101, 103, 105, 110, 112, 114, 122, 149, 159, 176, 184, 380 Vehlen, Christoph Otto, Graf von, kommandierender General  380 Verdun 47 Vergennes, Charles Gravier, Comte de, Minister 44 Versailles 40 Verniolle, Marc-Antoine, Unternehmer  310 Veurne  33, 38, 55, 82, 85, 90–91 Vianden  246, 307, 319 Visconti, Julio, Graf, Obersthofmeister  160, 177 Virton  278, 285, 319 Vogelsang, Jakob, Freiherr von, Feldmarschallleutnant  80, 152, 195, 380

Walkiers de Vliringhe  258 Wallenstein, Feldherr  208 Wallis, Franz Paul, Feldmarschallleutnant  109, 230, 274–275, 288, 322 Walrave, Gerhardt Cornelius von, Militäringenieur 67 Warneton  33, 55, 82, 91 Wasserbillig 329 Wavrans, Henri Jacques Hyacinthe de, Geheimrat 309 Welden 258 Weygand, Georg Adam, Kriegskommissar  163, 331, 333 Wien  26–27, 30–31, 35–36, 38, 40, 48, 57, 62, 64, 69, 93, 97, 113–114, 127, 148–150, 156–157, 159–160, 162, 194, 196, 199, 216, 247, 271, 274, 283, 326, 335, 343, 346–348 Witt(Vater), Jean de, Finanzrat  242 Witt (Sohn), Jean de, Finanzrat  258, 262–263 Wurmbrand-Stuppach, Christian Siegmund von, kommandierender General  72–74, 116, 118–120, 125–126, 156, 184, 380 Württemberg, Friedrich Ludwig, Prinz von, kommandierender General  380 Würzer, Johann Ignaz, Kriegskassierer  174

Wachtendonck, Bertram Anton, Freiherr von, General  32, 218 Walckiers, Paul, Generaleinnehmer  180, 218, 237, 248

Zievel, Jean-Henri, Baron de, Abgeordneter des Adelsstands 305–308 Zoutleeuw  56, 59, 68, 82, 91, 104

391

SCHRIF TENREIHE DER ÖSTERREICHISCHEN GESELLSCHAF T ZUR ERFORSCHUNG DES 18. JAHRHUNDERTS HERAUSGEGEBEN VON MORITZ CSÁKY (BÄNDE 1–8) UND

WOLFGANG SCHMALE (BÄNDE 9–14)

EINE AUSWAHL

BD. 12 | HARALD HEPPNER, NIKOLAUS REISINGER (HG.)

BD. 7 | RENATE ZEDINGER

STEIERMARK

DIE VERWALTUNG DER ÖSTER-

WANDEL EINER LANDSCHAFT

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