Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz 9783814557649

Krisenberatung und Insolvenzverwaltung sind ohne Blick auf das Strafrecht nicht möglich. Denn schnell werden dabei branc

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Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz
 9783814557649

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Schmittmann/Duda Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz

RWS-Skript 383

Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz 2016

von Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, Essen Dipl.-Finanzwirtin (FH) Bernadette Duda, LL.M., Düsseldorf

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH ˜ Köln

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Vorwort Dieses Buch thematisiert steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz. Vielfach fehlt den Beteiligten das Bewusstsein für ihre strafrechtliche Verantwortung in Bezug auf steuerliches Fehlverhalten. Es drohen Ermittlungs- und Strafverfahren wegen des Vorwurfs steuerstrafrechtlicher Verfehlungen. Die unternehmenstypischen Pflichten, die der Insolvenzverwalter übernimmt, sind vielfältig. Deshalb besteht insbesondere bei der Fortführung von Unternehmen die Gefahr, dass er branchentypische Strafrechtsrisiken übersieht. Der Verwalter kann Strafbarkeitstatbestände verwirklichen, die ihm möglicherweise nicht präsent sind. Eine Schuldbefreiung aus Unkenntnis erfolgt nicht. Die Konsequenzen eines strafrechtlichen Urteils erschöpfen sich regelmäßig nicht in der Verurteilung zu Geld- oder Freiheitsstrafen. Die weiteren Folgen strafrechtlich relevanten Verhaltens können erheblich sein, denn die Auswahl eines Insolvenzverwalters erfolgt nicht zuletzt im Hinblick auf dessen guten Ruf. Die Krisenberatung und die Insolvenzverwaltung sind ohne Blick auf das Strafrecht nicht möglich. Der Berater und der Insolvenzverwalter haben die Grenzen zu beachten, innerhalb derer sie die Beratung und die Betätigung strafrechtlich risikofrei durchführen können. Der Abstand zu Gestaltungsmöglichkeiten sowie die freundlich-kritische Distanz zu den Wünschen des Beratenen sind sowohl hilfreich als auch notwendig. Die Möglichkeiten und die Fähigkeiten der Ermittlungsbehörden im Zusammenwirken mit deren Bereitschaft, schwierige wirtschaftliche Felder zu betreten, sollten dazu anhalten, die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen jederzeit im Blick zu behalten. Das Unternehmen in der Krise und/oder in der Insolvenz ist eine besondere Herausforderung sowohl für den Berater als auch für die Ermittlungsbehörden. Der unachtsame Umgang mit den steuerlichen Pflichten kann einerseits zu empfindlichen Strafen führen, andererseits – wenn Fehler durch die Ermittlungsbehörden erfolgen – zu nicht für möglich erachteten Freisprüchen und Verfahrenseinstellungen beitragen. Soweit die Begriffe „Steuerpflichtiger“, „Anzeigender“, „Erklärender“ usw. verwendet werden, ist darunter aufgrund der besonderen Pflichtenstellung der erklärungspflichtige Insolvenzverwalter zu verstehen. Das Buch befindet sich auf dem Rechtsstand Dezember 2015 und soll sowohl Insolvenzverwaltern als auch Beratern ein hilfreicher Begleiter im Schnittbereich zwischen Steuerrecht, Steuerstrafrecht und Insolvenzrecht sein.

Duisburg/Essen, im Dezember 2015

Bernadette Duda Jens M. Schmittmann

V

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

Vorwort ........................................................................................................... V Literaturverzeichnis ..................................................................................... XV A. Einleitung .................................................................................... 1 ........ 1 I.

Grundlagen ................................................................................... 1 1. Rechtliche Grundlagen ......................................................... 2 a) Entwicklung der Insolvenzordnung ............................. 2 b) Zweck des Insolvenzverfahrens .................................... 7 c) Eröffnungsverfahren ..................................................... 9 d) Eröffnung des Insolvenzverfahrens ............................ 11 e) Insolvenzmasse und Gläubigerbefriedigung .............. 14 f) Beendigung des Insolvenzverfahrens ......................... 20 g) Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und andere Wirkungen der Verfahrenseröffnung ...... 24 h) Insolvenzanfechtung ................................................... 27 i) Aufgaben des Insolvenzverwalters ............................. 29 j) Anmeldung der Forderungen ..................................... 33 k) Restschuldbefreiung .................................................... 34 l) Insolvenzplanverfahren ............................................... 38 m) Eigenverwaltung .......................................................... 43 n) Schutzschirmverfahren ................................................ 45 o) Verbraucherinsolvenzverfahren und andere besondere Verfahrensarten sowie europäisches und internationales Insolvenzrecht ............................ 51 2. Wirtschaftliche Bedeutung ................................................. 55

II. Akteure ........................................................................................ 1. Gutachter ............................................................................. 2. Vorläufiger Sachwalter ........................................................ 3. Vorläufiger Insolvenzverwalter .......................................... 4. Insolvenzverwalter .............................................................. 5. Sachwalter ............................................................................ 6. Treuhänder .......................................................................... 7. Steuerberater ........................................................................

........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

1 1 1 1 2 2 3 5

........ ........ ........ ........ ........ ........ ........ ........

5 6 6 7 7 8 9 9

...... 10 ...... 11

59 60 62 68 75 80 84 89

...... ...... ...... ...... ...... ...... ...... ......

11 12 12 13 14 15 15 16

III. Krise ............................................................................................ 96 1. Stakeholderkrise .................................................................. 98 2. Strategiekrise ..................................................................... 100 3. Produkt- und Absatzkrise ................................................ 103 4. Erfolgskrise ........................................................................ 105 5. Liquiditätskrise .................................................................. 107

...... ...... ...... ...... ...... ......

17 18 18 19 19 19

VII

Inhaltsverzeichnis Rn.

IV. Insolvenz ................................................................................... 1. Einordnung ........................................................................ 2. Insolvenzgründe ................................................................ a) Zahlungsunfähigkeit .................................................. b) Drohende Zahlungsunfähigkeit ................................ c) Überschuldung ..........................................................

112 112 115 116 117 119

Seite

...... ...... ...... ...... ...... ......

20 20 21 21 21 22

B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters ............. 123 ...... 23 I.

Stellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters ...................... 1. Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters .................. 2. Stellung des Insolvenzverwalters ..................................... 3. Stellung des (vorläufigen) Sachwalters ............................

123 125 129 155

...... ...... ...... ......

23 23 23 28

...... ...... ...... ......

29 29 37 37

II. Problemfelder aus dem Zeitraum vor Insolvenzantragstellung bzw. vor Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ................. 162 1. Verfahrensrecht ................................................................. 166 2. Umsatzsteuer .................................................................... 200 a) Grundsätze ................................................................. 200 b) Umsatzsteuerkorrektur bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ................................................... 202 c) Umsatzsteuerkorrektur bei Anordnung von Sicherungsmaßnahmen .............................................. 204 3. Ertragsteuern ..................................................................... 210 4. Sonstige Steuerarten .......................................................... 215

...... 38 ...... 39 ...... 39

III. Problemfelder aus dem Zeitraum zwischen Anordnung von Sicherungsmaßnahmen bis zur Eröffnung des Verfahrens .... 1. Verfahrensrecht ................................................................. 2. Umsatzsteuer .................................................................... 3. Ertragsteuern ..................................................................... 4. Sonstige Steuerarten ..........................................................

...... ...... ...... ...... ......

40 40 41 41 42

IV. Problemfelder aus dem Zeitraum ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens ........ 233 ...... 1. Verfahrensrecht ................................................................. 235 ...... 2. Umsatzsteuer .................................................................... 247 ...... a) Korrekturen aufgrund Rechtsprechungsänderung .... 248 ....... aa) BFH, Urteil vom 29.1.2009 – V R 64/07 ......... 249 ...... bb) BFH, Urteil vom 9.12.2010 – V R 22/10 ......... 255 ...... cc) BFH, Urteil vom 15.4.2015 – V R 44/14 ......... 259 ...... b) Korrekturen aufgrund einer Insolvenzanfechtung .... 273 ....... c) Schädigung des Umsatzsteueraufkommens ............. 287 ...... 3. Ertragsteuern ..................................................................... 291 ...... a) Auflösung von stillen Reserven ................................ 292 ...... b) Auflösung von Rückstellungen ................................. 298 ...... c) Korrekturen aufgrund Insolvenzanfechtung ........... 305 ......

42 42 44 44 44 45 46 49 51 52 52 53 54

VIII

218 219 225 227 232

...... 37

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

aa) Betriebsvermögensvergleich ............................. bb) Einnahme-Überschuss-Rechnung ................... d) Zwangsverwaltung ..................................................... Sonstige Steuerarten ..........................................................

306 309 315 321

...... ...... ...... ......

54 55 56 57

V. Problemfelder aus dem Zeitraum nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ........................................................... 1. Verfahrensrecht ................................................................. 2. Umsatzsteuer .................................................................... 3. Ertragsteuern ..................................................................... 4. Sonstige Steuerarten ..........................................................

322 324 334 338 343

...... ...... ...... ...... ......

57 57 59 60 60

4.

C. Organisation und Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden in Steuersachen ..................................................... 344 ...... 61 I.

Aufgaben und Befugnisse der Straf- und Bußgeldsachenstelle .................................................................. 344 ...... 61 1. Aufgaben und Abgrenzung zur Staatsanwaltschaft ........ 346 ...... 61 2. Befugnisse der Straf- und Bußgeldsachenstelle ............... 355 ...... 62

II. Aufgaben und Befugnisse der Steuerfahndung ....................... 1. Erforschen von Steuerstraftaten durch die Steuerfahndung (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) ............ a) Aufgaben der Steuerfahndung .................................. b) Befugnisse der Steuerfahndung ................................. 2. Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in Steuerstrafsachen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) ......... a) Aufgaben .................................................................... b) Befugnisse .................................................................. aa) Auskunftsersuchen ........................................... bb) Urkundenvorlage .............................................. 3. Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO) sowie Steueraufsicht .... a) Aufgaben .................................................................... b) Befugnisse .................................................................. aa) Umsatzsteuer-Nachschau ................................ bb) Lohnsteuer-Nachschau .....................................

360 ...... 63 367 ...... 64 367 ...... 64 369 ...... 65 373 373 376 377 378

...... ...... ...... ...... ......

66 66 66 66 67

380 380 384 384 398

...... ...... ...... ...... ......

67 67 68 68 70

D. Verhältnis des Steuerstrafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO) ...................................... 401 ...... 71 I.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Steuerstrafverfahrens und des Besteuerungsverfahrens .............................................. 401 ....... 71

II. Rechtsstellung des Steuerpflichtigen im jeweiligen Verfahren ................................................................. 407 ...... 72 1. Verbot der Selbstbelastung ............................................... 411 ...... 73 2. Beschleunigungsgebot ...................................................... 423 ...... 75 IX

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

E.

Täterschaft und Teilnahme ................................................... 425 ...... 77

I.

Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme ................................. 426 ...... 77

II. Grundsatz zur Täterschaft ....................................................... 1. Alleintäterschaft ................................................................ 2. Mittelbare Täterschaft ...................................................... 3. Mittäterschaft ....................................................................

428 432 435 439

...... ...... ...... ......

77 78 78 80

III. Grundsatz zur Teilnahme ........................................................ 449 ...... 81 1. Anstiftung gemäß § 26 StGB ........................................... 455 ...... 82 2. Beihilfe gemäß § 27 StGB ................................................. 460 ...... 83 IV. Täterbegriff im Steuerstrafrecht .............................................. 471 ...... 85 1. Steuerhinterziehung durch Handeln gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ...................................................... 475 ...... 86 2. Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ...................................................... 480 ...... 87 F.

Materielles Steuerstrafrecht .................................................. 483 ...... 89

I.

Steuerhinterziehung durch die Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung ..................................................... 493 ...... 90

II. Steuerhinterziehung durch die Nichtabgabe einer Steuererklärung ............................................................... 504 ...... 92 III. Schätzung im Steuerrecht ......................................................... 518 ...... 96 1. Einzelne Schätzungsmethoden ......................................... 529 ...... 98 2. Bewertung .......................................................................... 559 .... 102 IV. Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren ... 1. Kriterien für die Anwendung und die Durchführung der Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren ........................................................ 2. Bedeutung der einzelnen Schätzungsmethoden .............. 3. Strafschätzung ................................................................... 4. Einwendungen gegen die Schätzung und ihre Würdigung ................................................................. 5. Argumentationshilfen für die Verteidigung ....................

565 .... 103

573 .... 105 577 .... 106 629 .... 115 630 .... 115 636 .... 116

G. Taterfolg der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO ........................................................... 652 .... 121 I.

X

Anmeldungssteuern .................................................................. 1. Umsatzsteuer .................................................................... a) Umsatzsteuerverkürzung auf Zeit/auf Dauer .......... b) Umsatzsteuerbetrug .................................................. aa) Ablauf ................................................................

657 660 672 679 687

.... .... .... .... ....

122 122 124 125 127

Inhaltsverzeichnis Rn.

2.

bb) Beteiligte Personen und die steuerlichen und strafrechtlichen Auswirkungen ................ (1) Missing Trader ........................................... (2) Buffer ........................................................ (3) Distributor ................................................. Lohnsteuer .........................................................................

696 696 717 727 733

Seite

.... .... .... .... ....

128 128 132 134 135

II. Veranlagungssteuern ................................................................ 736 .... 135 1. Einkommensteuer/Körperschaftsteuer ........................... 738 .... 135 2. Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer ................................... 740 .... 136 III. Nicht gerechtfertigte Steuervorteile ........................................ 749 .... 137 IV. Kompensationsverbot .............................................................. 752 .... 139 V. Vorsätzliches Handeln ............................................................. 759 .... 140 H. Steuerordnungswidrigkeiten ................................................ 771 .... 143 I.

Leichtfertige Steuerverkürzung gemäß § 378 AO .................. 771 .... 143

II. Steuergefährdung gemäß § 379 AO ........................................ 784 .... 145 III. Gefährdung der Abzugsteuern gemäß § 380 AO ................... 792 .... 147 IV. § 26a UStG ................................................................................ 801 .... 148 V. Schädigung des Umsatzsteueraufkommens gemäß § 26b UStG ............................................................................... 804 .... 148 VI. § 26c UStG ................................................................................ 809 .... 149 I.

Ablauf des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ........................................................... 815 .... 151

I.

Ermittlungsanlass ..................................................................... 815 .... 151

II. Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens .............................................................. 831 .... 153 III. Durchsuchung beim Insolvenzverwalter als Dritten gemäß § 103 StPO ....................................................... 837 .... 154 IV. Abschluss des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens .................................................................................. 1. Einstellung und Absehen von Verfolgung ....................... a) Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO ..................... b) Einstellung gemäß § 153a StPO ............................... 2. Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gemäß § 400 AO ............................................................... 3. Vorlage an die Staatsanwaltschaft gemäß § 400 AO ....... 4. Strafzumessung .................................................................

865 872 874 875

.... .... .... ....

159 161 161 161

880 .... 162 883 .... 163 886 .... 164 XI

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

J.

Das Recht der Selbstanzeige ................................................... 914 .... 169

I.

Wirksamkeitsvoraussetzungen ................................................ 920 1. Anzeigender ...................................................................... 920 2. Anwendungsbereich .......................................................... 928 3. Adressat der Selbstanzeige ............................................... 933 4. Formen der Selbstanzeige ................................................. 939 5. Inhalt der Selbstanzeige .................................................... 945 a) § 371 Abs. 1 Satz 1 AO ............................................. 946 aa) Alle Steuerstraftaten ......................................... 947 bb) Eine Steuerart .................................................... 948 cc) Unrichtige oder unvollständige Angaben ....... 951 dd) Steuerlich erhebliche Tatsachen ....................... 954 ee) Voller Umfang .................................................. 957 b) § 371 Absatz 1 Satz 2 AO ......................................... 971 aa) Verjährung ......................................................... 974 bb) Berichtigungsverbund ....................................... 983 6. Besonderheiten .................................................................. 993 a) Widerruf/Änderung der Selbstanzeige ..................... 993 b) Teilselbstanzeige ........................................................ 996 c) Selbstanzeige in Stufen ............................................ 1001 d) Schätzung ................................................................. 1004 e) Ankündigung einer Selbstanzeige ........................... 1017

II. Sperrgründe ............................................................................. 1. Anordnung der Außenprüfung ...................................... a) Adressatenkreis ........................................................ b) Bekanntgabe der Prüfungsanordnung .................... c) Sachlicher und zeitlicher Umfang der Außenprüfung ................................................... 2. Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung .......................... 3. Erscheinen des Amtsträgers der Finanzbehörde zur Außenprüfung .......................................................... a) Umfang der Sperrwirkung ...................................... b) Amtsträger der Finanzbehörde ............................... c) Erscheinen zur steuerlichen Prüfung ..................... 4. Das Erscheinen des Amtsträgers zur Ermittlung der Steuerstraftat/Ordnungswidrigkeit ......................... a) Amtsträger ............................................................... b) Umfang der Sperrwirkung ...................................... 5. Umsatzsteuer- und Lohnsteuernachschau .................... a) Umsatzsteuer-Nachschau ....................................... b) Lohnsteuer-Nachschau ........................................... c) Ausweisen des Prüfers ............................................. d) Umfang der Sperrwirkung ......................................

XII

1019 1021 1022 1035

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170 170 171 172 173 174 174 174 175 175 176 177 180 181 182 184 184 185 186 187 189

.... .... .... ....

190 190 190 192

1044 .... 195 1054 .... 197 1069 1071 1072 1074

.... .... .... ....

200 200 201 201

1082 1083 1086 1093 1097 1098 1099 1104

.... .... .... .... .... .... .... ....

204 204 205 206 207 207 207 208

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

6.

Tatentdeckung ................................................................. 1109 .... 209 a) Begriff der Tatentdeckung ...................................... 1112 .... 210 b) Kenntnis der Tatentdeckung .................................. 1125 .... 213 7. Steuerhinterziehung über 25.000 € ................................. 1128 .... 214 a) Tateinheit ................................................................. 1130 .... 215 b) Umfang der Sperrwirkung ...................................... 1133 .... 215 c) Weiteres Verfahren .................................................. 1135 .... 215 8. Besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung ........ 1136 .... 215 9. Einschränkung der Sperrwirkung ................................... 1141 .... 217 10. Sonderregelung für Steueranmeldungen ........................ 1144 .... 217 a) Bekanntgabe der Prüfungsanordnung/ Erscheinen zur steuerlichen Prüfung ..................... 1148 .... 219 b) Tatentdeckung ......................................................... 1149 .... 219 c) Steuerhinterziehung über 25.000 € ......................... 1157 .... 220 d) Besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung .... 1158 ..... 220 e) Zahlung der Steuern ................................................ 1159 .... 221 f) Weitere Steuerarten ................................................. 1161 .... 221 g) Umsatzsteuer-Jahresanmeldung ............................. 1164 .... 221 III. Nachzahlungspflicht .............................................................. 1. Verpflichteter Personenkreis .......................................... a) Tatbeteiligte ............................................................. b) Begünstigte ............................................................... c) Dritte ........................................................................ 2. Steuern und steuerliche Nebenleistungen ..................... a) Hinterzogene Steuer ................................................ b) Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO ................ c) Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO ................. 3. Nachzahlungsfrist ...........................................................

1168 1179 1180 1183 1185 1186 1188 1194 1202 1203

.... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

223 226 226 226 227 228 228 229 230 231

IV. Absehen von der Verfolgung gemäß § 398a AO .................. 1. Zuständige Behörde ........................................................ 2. Voraussetzungen ............................................................. a) Steuern und Zinsen .................................................. b) Geldbetrag ................................................................ aa) Staffeltarif ........................................................ bb) Hinterzogene Steuer ....................................... cc) Hinterziehungsbetrag ..................................... c) Kompensationsverbot ............................................. 3. Verpflichteter Personenkreis .......................................... 4. Anwendungszeitraum ..................................................... 5. Einstellung des Verfahrens ............................................. 6. Besonderheiten ................................................................ a) Zahlungsfrist ............................................................ b) Aufnahme des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens .............................................

1214 1215 1219 1221 1225 1228 1233 1241 1244 1248 1255 1261 1267 1267

.... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

233 233 233 235 235 236 237 239 240 242 244 245 246 246

1269 .... 247

XIII

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

c) 7.

Folgen bei unvollständiger Zahlung des Zuschlags ........................................................... 1272 .... 248 Schlussbetrachtung zum Absehen von der Verfolgung ......................................................... 1278 .... 249

V. Einzelfragen ............................................................................ 1. Fremdanzeige .................................................................. 2. Leichtfertige Steuerverkürzung ...................................... 3. Konkurrenzfragen ........................................................... a) Rücktritt vom Versuch ............................................ b) Berichtigung gemäß § 153 AO ...............................

1280 1280 1286 1293 1294 1302

.... .... .... .... .... ....

249 249 251 252 252 255

VI. Nebenfolgen ........................................................................... 1303 .... 255 VII. Checkliste zur Selbstanzeige .................................................. 1307 .... 256 VIII. Bewertung und Ausblick ...................................................... 1308 .... 257 Stichwortverzeichnis ................................................................................... 261

XIV

Literaturverzeichnis Kommentare, Handbücher, Monographien Adick/Bülte (Hrsg.) Fiskalstrafrecht, Heidelberg 2015 (zit.: Bearbeiter, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht) Auer Der Steuerschaden – eine Analyse der strafzumessungsrelevanten Taterfolge der Steuerhinterziehung, Frankfurt am Main, 2011 (zugl. Diss., Hamburg, 2010) (zit.: Auer, Der Steuerschaden) Bernsmann Die Aussetzung des Strafverfahrens nach § 396 AO – missverstanden oder überflüssig – Eine Skizze, in: Hirsch/Wolter/Brauns (Hrsg.), Festschrift für Günter Kohlmann zum 70. Geburtstag, Köln, 2003, S. 377 (zit.: Bernsmann, in: Festschrift Kohlmann) Beulke Strafprozessrecht, 12. Aufl., Heidelberg, München, Landsberg, u. a., 2012 (zit.: Beulke, Strafprozessrecht) Bielefeld Strafrechtliche Risiken der Steuerberatung, in: Schulz/Reinhart/Sahan (Hrsg.), Festschrift für Imme Roxin, Heidelberg u. a., 2012, S. 393 (zit.: Bielefeld, in: Festschrift Roxin) Bittmann (Hrsg.) u. a. Insolvenzstrafrecht – Handbuch für die Praxis, Berlin, 2004 (zit.: Bearbeiter, in: Bittmann, Insolvenzstrafrecht) Bornheim/Kröber Steuerstrafverteidigung, 3. Aufl., Berlin, 2015 Böttger (Hrsg.) u. a. Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis 2. Aufl., Bonn, 2015 (zit.: Bearbeiter, in: Böttger, Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis) Brauns Strafmaßtabelle, Regelsätze und Schwellenwerte in Fällen der Steuerhinterziehung – Paradigmenwechsel bei der Strafzumessung?, in: Joecks u. a. (Hrsg.), Recht – Wirtschaft – Strafe, Festschrift für Erich Samson zum 70. Geburtstag, Heidelberg u. a., 2010, S. 515 (zit.: Brauns, in: Festschrift Samson) Brete/Thomsen Beratungs- und Haftungsrisiken in der Unternehmenskrise, Wiesbaden, 2012

XV

Literaturverzeichnis

Brinkmann Schätzungen im Steuerrecht, 3. Aufl., Berlin, 2015 Busch/Winkens/Büker Insolvenzrecht und Steuern visuell, 2. Aufl., Stuttgart, 2014 Deibel Die Reichweite des § 153 Abs. 1 Satz 1 AO – Steuerverfahrensrechtliche und steuerstrafrechtliche Aspekte der Verpflichtung zur „Berichtigung von Erklärungen“, Freiburg, 2011 (zugl. Diss. Bayreuth, 2010) (zit.: Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 Satz 1 AO) Dürrer Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, Heidelberg u. a., 2010 (zugl. Diss. Regensburg, 2010) Eidam Unternehmen und Strafe, Köln, 2014 (zit.: Bearbeiter, in: Eidam, Unternehmen und Strafe) Fischer Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentar, 62. Aufl., München, 2015 (zit.: Fischer, StGB) Flore/Dörn/Gillmeister Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren: Handbuch für die Strafverteidigung, 2. Aufl., Neuwied, Kriftel, 1999 (zit.: Bearbeiter, in: Flore/Dörn/Gillmeister, Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren) Flore/Tsambikakis (Hrsg.) Steuerstrafrecht, Kommentar, Köln, 2013 (zit.: Bearbeiter, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht) Franzen/Gast/Joecks Steuerstrafrecht, Kommentar, 7. Aufl., München, 2009 (zit.: Bearbeiter, in: F/G/J, Steuerstrafrecht) Frotscher Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl., Frankfurt am Main, 2014 Füllsack/Bürger Praxis der Selbstanzeige, Heidelberg, 2015 Gehm Kompendium Steuerstrafrecht, 2. Aufl., Berlin, 2015 Götzenberger Auslandsvermögen legalisieren: Strafbefreiende Selbstanzeige und Minimierung der Steuernachzahlungen, 2. Aufl., Herne, 2015 (zit.: Götzenberger, Auslandvermögen legalisieren)

XVI

Literaturverzeichnis

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Adick Selbstanzeige: Erste Stellungnahme durch das FM NRW und die OFD Niedersachsen, PStR 2011, 199 Apitz Lohnsteuer-Nachschau – § 42g EStG, StBp 2014, 33 Apitz Schätzungsbescheide bei „willkürlicher“ Schätzung, StBp 2002, 107 Bächer Steuergeheimnis bei Zusammenveranlagung?, ZInsO 2009, 1147 Bahlburg Wenn der Betriebsprüfer dreimal schätzt!, StuB 2015, 851 Bales Zivil- und strafrechtliche Haftungsgefahren für Berater und Insolvenzverwalter in der Krise und der Insolvenz, ZInsO 2010, 2073 Bange Die Rückforderungen von Gewinnausschüttungen durch den Insolvenzverwalter bei nichtigen Jahresabschlüssen, ZInsO 2006, 519 Beck Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters gegenüber der Finanzverwaltung, ZIP 2006, 2009 Beckemper Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft durch Täuschung des Steuerpflichtigen, wistra 2002, 401 Beckemper/Schmitz/Wegner/Wulf Zehn Anmerkungen zur Neuregelung der strafbefreienden Selbstanzeige durch das „Schwarzgeldbekämpfungsgesetz“, wistra 2011, 281 Behrens Reformbedarf bei der Vollverzinsung im Steuerverfahrensrecht, FR 2015, 214 Beneke Die Reform der strafbefreienden Selbstanzeige, BB 2015, 407 Beyer Das Evokationsrecht der Staatsanwaltschaft gem. § 396 Abs. 3 Satz 2 AO – Hinweise für Verteidiger zur Nutzung dieses Instruments, AO-StB 2014, 58 Beyer Selbstanzeigenberatung: Unwirksamkeit der Selbstanzeige bei verspäteter Erklärung zur Einkommensteuer? Musterschreiben zur Verteidigung, NWB 2015, 2743

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Beyer Erste bundesweite Verwaltungsanweisung zur Neuregelung der Selbstanzeige zum 1.1.2015, NWB 2015, 3007 Bielefeld/Prinz Riskante Hilfe zur Hinterziehung deutscher Steuern aus dem Ausland?, DStR 2008, 1123 Bilsdorfer Die Entwicklung des Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrechts, NJW 2014, 1424 Bilsdorfer Die Bedeutung von Schätzungen für das Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, DStZ 1982, 298 Bilsdorfer Die Entwicklung des Steuerstraf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, NJW 2010, 1431 Bilsdorfer Die Entwicklung des Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrechts, NJW 2013, 1409 Bilsdorfer Die Entwicklung des Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrechts, NJW 2015, 1426 Birk Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren, ZinsO 2007, 743 Blank/Blank Der Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters nach IFG bei fiskalischem Handeln der Behörde zur Vorbereitung einer insolvenzrechtlichen Anfechtung, ZInsO 2009, 1881 Blumers Strafen wegen Steuerhinterziehung, wistra 1987, 1 Bork Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters – Ein hohes Gut, ZIP 2006, 58 Bornheim Verteidigungsstrategien gegen Schätzungen (Teil 1), AO-StB 2003, 49 Bornheim Verteidigungsstrategien gegen Schätzungen (Teil 2), AO-StB 2003, 94 Braun Nachentrichtung der hinterzogenen Steuer, PStR 2003, 234 Breidert Einkommensteuer – Zur Entrichtungspflicht des Zwangsverwalters, IGZInfo 2015, 48

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Brete Die Nachkalkulation unter besonderer Berücksichtigung von Gastronomiebetrieben, StBp 2007, 70 Brinkmann Die private Geldverkehrsrechnung, StBp 2007, 325 Brinkmann Strafrechtliche Aspekte der Schätzung – Teil I, StBp 2013, 250 Brinkmann Strafrechtliche Aspekte der Schätzung – Teil II, StBp 2013, 291 Brinkmann Strafrechtliche Aspekte der Schätzung – Teil III, StBp 2013, 321 Brinkmann Der so genannte Sicherheitszuschlag – Teil I, StBp 2014, 29 Brinkmann Gemeinsame Betriebsprüfung durch deutsche und ausländische Finanzverwaltungen – Teil II, StBp 2014, 69 Brinkmann/Jacoby/Thole Überprüfung des Insolvenzanfechtungsrechts durch Bundesregierung ergibt: Es fehlt an Fiskusprivilegien!, ZIP 2015, 2001 Bruns Auskunftsanspruch für Insolvenzverwalter nach dem Hamburgischen Transparenzgesetz (HmbTG), ZInsO 2013, 1892 Bürger Hinterziehungszinsen bei zu niedrig angesetzten Vorauszahlungen?, PStR 2015, 327 Busch/Büker Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 4 InsO – Quo vadis? – Teil 1, InsbürO 2015, 124; Teil 2, InsbürO 2015, 333 Buse Die Neuregelung der Selbstanzeige, StBp 2011, 153 Buse Auswirkungen der Regelungen des Gesetzes zur Verständigung im Strafverfahren auf das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren, Stbg 2011, 414 Buse Die Selbstanzeige ab dem 1.1.2015, DB 2015, 89 Buse Aufgaben und Befugnisse der Steuerfahndung bei einer UmsatzsteuerNachschau, UR 2008, 605 Buse Aktuelle Entscheidungen zum Steuerstrafrecht – Teil I, StBp 2013, 175

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Dahl Rechtsweg bei Ansprüchen des Verwalters aus IFG, NJW-Spezial 2013, 21 de Weerth Praxisfragen zur Einkommensteuererklärung bei Zwangsversteigerung und -verwaltung, NZI 2015, 643 Demuth Praxisbericht Nachdeklaration von Kapitaleinkünften, kösdi 2014, 18805 Dönmez Strafzumessung bei Steuerhinterziehung, NBW 2015, 1071 Dörn Praxisfragen im Grenzbereich von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren, DStZ 1999, 245 Dörn Schätzungen im Steuerstraf- und im Besteuerungsverfahren (Teil 2), wistra 1993, 50 Dörn Selbstanzeige bei leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 Abs. 3 AO), wistra 1994, 10 Drasdo Rechte und Pflichten des Zwangsverwalters, NJW 2015, 1791 Eder Die Einbindung vorsatzloser Dritter in ein Umsatzsteuerkarussell, NZWiSt 2014, 90 Esskandari/Bick Wann beginnt die Verjährung bei der Hinterziehung von Erbschaft- und Schenkungsteuer? Grundsätze der Tatbegehung und Schlussfolgerungen aus BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, ErbStB 2012, 108 Esskandari/Bick Strafzumessung bei Steuerhinterziehung Zur Rechtsprechung des 1. Strafsenats des BGH, AO-StB 2013, 154 Eversloh Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW, AO-StB 2003, 293 Fechner Zur Auskunftspflicht von Vollstreckungsbehörden gegenüber dem Insolvenzverwalter, InsbürO 2010, 468 Frind Die Insolvenzverwalterauswahl zwischen richterlicher Haftung und Kontrolle, DRiZ 2006, 199 Frind Referentenentwurf Anfechtungsrecht: Vom Schein der Feinjustierung zur Steigerung der Rechtsunsicherheit, ZInsO 2015, 1001 XXV

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Grötsch Zeitlicher Anwendungsbereich der neuen Selbstanzeigeregelung, NZWiSt 2015, 409 Grundmann Erweiterter Informationszugang gegenüber den Finanzbehörden durch die Informationsfreiheitsgesetze?, AO-StB 2004, 133 Gundlach/Frenzel Neue Auskunftsansprüche des Insolvenzverwalters gegen bestimmte Anfechtungsgegner, NZI 2009, 719 Guntermann Die Verteidigung des steuerlichen Beraters gegen den Vorwurf der Teilnahme an einer durch den Mandanten begangenen Steuerhinterziehung, Stbg 2014, 38 Günther Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen bei Nichtabgabe von Steuererklärungen (§ 162 AO) Rechtsfolgen bei Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit von Schätzungsbescheiden, AO-StB 2015, 108 Haarmann Steuerrecht 2014/2015 – eine Anamnese, BB 2015, 22 Haase Selbstanzeigen im Zusammenhang mit Unternehmenssachverhalten, NWB 2015, 3044 Habammer/Pflaum Bleibt die Selbstanzeige noch praktikabel? DStR 2014, 2267 Halaczinsky Schenkung- und erbschaftsteuerliche Aspekte bei Kapitalanlagen Besteuerungsgefahren bei Transaktionen und Übertragungen, ErbStB 2013, 226 Harle/Olles Prüfungsanordnung und Selbstanzeige – Keine Sperrwirkung durch nicht rechtmäßige Prüfungsanordnung, NWB 2014, 170 Haumann Steuerhinterziehung mit Emissionszertifikaten Anmerkung zu LG Frankfurt, Urt. v. 21.12.2011 und BGH, Beschl. v. 21.11.2012, AO-StB 2014, 188 Hechtner Steuerpolitisches Update aus Berlin: Gesetzentwürfe zur Verschärfung der Selbstanzeige und „JStG 2015“, NWB 2014, 2992 Heerspink Die Insolvenz des Mandanten – ausgewählte strafrechtliche Probleme – Straftatbestände, Gefahrenfelder, Verwendungsverbot im Überblick, AO-StB 2004, 267

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Nestler Widerrechtliche Einschränkung der strafbefreienden Selbstanzeige gem. § 371 AO durch die Bafin?, wistra 2015, 329 Nöcker Klartextkontoauszug an den Insolvenzverwalter: Streitigkeiten im Grenzbereich von Steuer-, Zivil-, Insolvenz- und Informationsfreiheitsrecht, AO-StB 2010, 44 Nowak BMF-Schreiben vom 20. Mai 2015 zu § 55 Abs. 4 InsO – Zur Istversteuerung in vier Akten, ZInsO 2015, 1189 Onusseit Die steuerrechtlichen Rechte und Pflichten des Insolvenzverwalters in den verschiedenen Verfahrensarten nach der InsO, ZInsO 2000, 363 Pape Insolvenzverwalter mit beschränkter Haftung Vol. 2 – Übergang des Bestellungsrechts auf die Organe juristischer Personen?, ZInsO 2015, 1650 Paulus Insolvenzverwalter und Gläubigerorgane, NZI 2008, 705 Pelchen Die Verwertung steuerrechtlicher Schätzungen im Strafverfahren, MDR 1982, 10 Pfefferle/Renz Fiskus bremst – Berichtigung einer § 14c UStG-Steuer wird schwieriger, Anmerkungen zum BMF-Schreiben vom 7.10.2015, NWB 2015, 3456 Pflaum Zu den Voraussetzungen der Haftung des Steuerhinterziehers, § 71 AO, wistra 2010, 368 Preuß Die Verwalterauswahl als Problem des Justizverfassungsrechts, KTS 2005, 155 Ransiek/Hüls Zum Eventualvorsatz bei der Steuerhinterziehung, NStZ 2011, 678 Retemeyer/Möller BVerfG erhöht Anforderungen an Durchsuchungsanordnungen, PStR 2015, 279 Rein Die Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Insolvenzverwalter, NJW-Spezial 2015, 213 Reiß Vorsteuerabzug – Achillesferse der Mehrwertsteuer, UR 2002, 561

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XXXVII

A. Einleitung I. Grundlagen Im folgenden Abschnitt werden im Überblick die (1.) rechtlichen Grundlagen 1 sowie (2.) die wirtschaftliche Bedeutung von Insolvenzverfahren dargestellt. 1. Rechtliche Grundlagen a) Entwicklung der Insolvenzordnung Das Insolvenzverfahren ist in der Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I 2 1994 S. 2866), die zuletzt durch Art. 8 Abs. 8 des Gesetzes vom 17.7.2015 (BGBl. I 2015 S. 1245) geändert worden ist, geregelt. Die Insolvenzordnung ist gemäß § 335 InsO i. V. m. Art. 110 Abs. 1 nach 3 Maßgabe des Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung vom 5.10.1994 (BGBl. I 1994 S. 2911), das zuletzt durch Art. 8 Abs. 4 des Gesetzes vom 15.7.2015 (BGBl. I 2015 S. 1245) geändert worden ist, in Kraft getreten. Bei dem Gesetz vom 15.7.2015 handelt es sich um das Gesetz zur Umset- 4 zung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/ EWG des Rates (Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – BilRUG). Die Regelung betrifft die Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses 5 gemäß § 22a Abs. 1 InsO. Das Insolvenzgericht hat einen vorläufigen Gläubigerausschuss einzusetzen, wenn der Schuldner im vorangegangenen Geschäftsjahr bestimmte Merkmale erfüllt hat. Hinsichtlich der Bilanzsumme wurde die Schwelle von 4.840.000 € auf 6.000.000 € heraufgesetzt (§ 22a Abs. 1 Nr. 1 InsO). Hinsichtlich der Umsatzerlöse wurde eine Erhöhung von 9.680.000 € auf 12.000.000 € vorgesehen (§ 22a Abs. 1 Nr. 2 InsO). Hinsichtlich der Anzahl der im Jahresdurchschnitt mindestens beschäftigten Arbeitnehmer bleibt es bei 50 (§ 22a Abs. 1 Nr. 3 InsO). Die Neuregelung ist erstmals auf Verfahren anzuwenden, deren Eröffnung 6 nach dem 31.12.2015 beantragt worden ist (Art. 103i EGInsO). Vgl. zur historischen Entwicklung des Konkurs- und Insolvenzrechts in Deutschland: Schmittmann, Haftung von Organen in Krise und Insolvenz, S. 1.

b) Zweck des Insolvenzverfahrens Das Insolvenzverfahren dient gemäß § 1 Satz 1 InsO dazu, die Gläubiger eines 7 Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuld-

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A. Einleitung

ners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Damit löst sich die Insolvenzordnung bewusst von den Vorgaben der früheren Konkursordnung, die als reines Liquidationsverfahren angelegt war. 8 Darüber hinaus wurde mit der Einführung der Insolvenzordnung auch für natürliche Personen die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung geschaffen. Dem redlichen Schuldner wird gemäß § 1 Satz 2 InsO Gelegenheit gegeben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien. c) Eröffnungsverfahren 9 Ein Insolvenzverfahren wird eröffnet, wenn ein zulässiger und begründeter Insolvenzantrag gestellt worden ist. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt einen Eröffnungsgrund (§ 16 InsO) sowie eine kostendeckende Masse voraus. Insolvenzgründe sind die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) sowie die Überschuldung (§ 19 InsO). Ist eine kostendeckende Masse nicht vorhanden, so weist das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 26 Abs. 1 InsO ab, es sei denn, dass ein ausreichender Geldbetrag vorgeschossen wird (§ 26 Abs. 1 Satz 2 InsO) oder – sofern der Schuldner eine natürliche Person ist – Stundung der Verfahrenskosten bewilligt wird. 10 Nach dem Eröffnungsantrag (§ 13 InsO), der sowohl von einem Gläubiger als auch von dem Schuldner gestellt werden kann, lässt das Insolvenzgericht regelmäßig durch einen Sachverständigen die Voraussetzungen der Verfahrenseröffnung sowie die Möglichkeit der Fortführung des Unternehmens prüfen. Zwischen Insolvenzantragstellung und Verfahrenseröffnung hat das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 1 InsO alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Dabei stehen insbesondere die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses sowie die Untersagung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung im Vordergrund. Wird dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, wird ein sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Ordnet das Gericht an, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, handelt es sich um einen sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter. d) Eröffnung des Insolvenzverfahrens 11 Sind die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegeben, eröffnet das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren und ernennt gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 InsO einen Insolvenzverwalter (§ 56 InsO), sofern nicht gemäß § 270 InsO Eigenverwaltung angeordnet wird.

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I. Grundlagen

Zum Insolvenzverwalter ist gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO eine für den je- 12 weiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen, die aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Personen auszuwählen ist. Sofern ein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt worden ist, ist dieser bei der Verwalterbestellung gemäß § 56a InsO zu beteiligen. Vgl. Bork, ZIP 2006, 58 ff.; Frind, DRiZ 2006, 199 ff.; ders., NZI 2010, 705 ff.; Gaier, ZInsO 2006, 1177 ff.; Graeber, NZI 2002, 345 ff.; Henssler, ZIP 2002, 1053 ff.; Höfling, ZIP 2015, 1568 ff.; Lambrecht, DZWIR 2010, 22 ff.; Lüke, ZIP 2000, 1574 ff.; Pape, ZInsO 2015, 1650 ff.; Paulus, NZI 2008, 705 ff.; Preuß, KTS 2005, 155 ff.; Rein, NJW-Spezial 2015, 213 f.; Seagon, NZI 10/2015, S. V (Editorial); Siemon, ZInsO 2010, 401 ff.; ders., INDat-Report 2/2015, 26 ff.; Wieland, ZIP 2005, 233 ff.

Mit dem Eröffnungsbeschluss bestimmt das Insolvenzgericht gemäß § 29 13 Abs. 1 InsO Termine für die Gläubigerversammlung, in der auf der Grundlage eines Berichts des Insolvenzverwalters über den Fortgang des Insolvenzverfahrens beschlossen wird, sowie eine Gläubigerversammlung, in der die angemeldeten Forderungen geprüft werden. In der Praxis werden Berichts- und Prüfungstermine verbunden. e) Insolvenzmasse und Gläubigerbefriedigung Das Insolvenzverfahren umfasst gemäß § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Ver- 14 mögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Insolvenzverfahrens erlangt. Im Gegensatz zur Konkursordnung, die den Neuerwerb des Schuldners nicht dem Konkursbeschlag unterwarf, umfasst die Insolvenzmasse nunmehr auch den sog. Neuerwerb, wobei der Insolvenzverwalter gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO die Möglichkeit hat, bei einer selbstständigen Tätigkeit des Schuldners eine Freigabe zu erklären. In den Fällen der Freigabe gemäß § 35 Abs. 2 InsO ist die neue selbstständige 15 Erwerbstätigkeit i. S. d. §§ 13, 15, 18 EStG von der Steuererklärungspflicht des Insolvenzverwalters nicht umfasst. Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 497.

Die Insolvenzmasse dient gemäß § 35 InsO zur Befriedigung der persönlichen 16 Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Es handelt sich hierbei um die sog. „Insolvenzgläubiger“. Sofern die Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) vollständig befriedigt sind, kommen die nachrangigen Insolvenzgläubiger gemäß § 39 Abs. 1 InsO zum Zuge. Es handelt sich hierbei um seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufende Zinsen und Säumniszuschläge auf Forderungen der Insolvenzgläubiger (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO), die Kosten, 3

A. Einleitung

die den einzelnen Insolvenzgläubigern durch ihre Teilnahme am Verfahren erwachsen (§ 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO), Geldstrafen, Geldbußen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie solche Nebenfolgen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die zu einer Geldleistung verpflichten (§ 39 Abs. 1 Nr. 4 InsO) und Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). 17 Verbleibt bei der Schlussverteilung ein Überschuss, so ist dieser gemäß § 199 Satz 1 InsO an den Schuldner bzw. gemäß § 199 Satz 2 InsO an die Gesellschafter herauszugeben. 18 Vor der Befriedigung der Insolvenzgläubiger steht freilich die Finanzierung des Insolvenzverfahrens. Sofern es sich beim Schuldner nicht um eine natürliche Person handelt, der gemäß § 4a Abs. 1 InsO Stundung der Verfahrenskosten bewilligt worden ist, findet das Insolvenzverfahren nur statt, wenn die Kosten des Verfahrens aus der voraussichtlichen Insolvenzmasse gedeckt sind. Aus der Insolvenzmasse sind gemäß § 53 InsO die Kosten des Insolvenzverfahrens, also die Gerichtskosten für das Insolvenzverfahren (§ 54 Nr. 1 InsO) und die Vergütungen und die Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters, des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses (§ 54 Nr. 2 InsO) zu berichtigen. Darüber hinaus sind vorrangig die Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO zu berichtigen. Hierbei handelt es sich um die durch die Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründeten Verbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO), die Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO), und Verbindlichkeiten aus einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO). 19 Darüber hinaus sind gemäß § 55 Abs. 2 InsO die von einem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Masseverbindlichkeiten vorrangig zu befriedigen. Seit dem Haushaltsbegleitgesetz 2011 wurden – unter Missachtung des Grundsatzes der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung – Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die nach Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, unabhängig davon, ob ein sog. „starker“ oder „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist, zu Masseverbindlichkeiten heraufgestuft. Vgl. dazu BMF, Schreiben v. 20.5.2015 – IV A 3 – S 0550/10/ 10020-05, BStBl. I 2015, 476 ff.; Busch/Büker, Teil 1, InsbürO 2015, 124 ff. und Teil 2, InsbürO 2015, 333 ff.; Nowak, ZInsO 2015, 1189 ff.; Schmittmann, StuB 2015, 748 ff.

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I. Grundlagen

f) Beendigung des Insolvenzverfahrens Im Regelfall endet das Insolvenzverfahren mit der Durchführung der Schluss- 20 verteilung. Sie erfolgt, sobald die Verwertung der Insolvenzmasse – bei natürlichen Personen mit Ausnahme eines laufenden Einkommens – beendet ist (§ 196 Abs. 1 InsO). Im Insolvenzplanverfahren erfolgt die Aufhebung des Insolvenzverfahrens 21 durch Beschluss des Insolvenzgerichts, sobald die Bestätigung des Insolvenzplans rechtskräftig ist und der Insolvenzplan nicht etwas anderes vorsieht (§ 258 Abs. 1 InsO). Die Einstellung – nicht Aufhebung – des Insolvenzverfahrens erfolgt, wenn 22 sich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens herausstellt, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken (§ 207 Abs. 1 InsO – Einstellung mangels Masse) oder wenn die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt sind, die Insolvenzmasse jedoch nicht ausreicht, um die sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen (§ 208 Abs. 1 i. V. m. § 211 Abs. 1 InsO – Einstellung wegen Masseunzulänglichkeit). Darüber hinaus sieht die Insolvenzordnung die Einstellung wegen Wegfall 23 des Insolvenzgrundes (§ 212 InsO) und die Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger (§ 213 InsO) vor. Diese Varianten spielen in der Praxis lediglich eine untergeordnete Rolle. g) Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und andere Wirkungen der Verfahrenseröffnung Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens treten die Wirkungen der Verfahrens- 24 eröffnung ein, sodass insbesondere die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen vom Schuldner auf den Insolvenzverwalter übergeht (§ 80 Abs. 1 InsO), sofern nicht gemäß § 270 Abs. 1 InsO angeordnet worden ist, dass der Schuldner berechtigt ist, unter Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommen darüber hinaus auch die 25 Rückschlagsperre gemäß § 88 InsO, die Vollstreckungsverbote gemäß § 89 ff. InsO sowie die Sonderregelungen zur Aufrechnung, §§ 194 ff. InsO, in Betracht. Weiterhin werden mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch Sonderrege- 26 lungen zur Erfüllung der Rechtsgeschäfte wirksam. Der Insolvenzverwalter hat insbesondere ein Wahlrecht gemäß § 103 InsO, was ihn in den Stand versetzt, bei einem gegenseitigen Vertrag, der zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner und vom anderen Teil nicht oder nicht vollständig erfüllt ist, diesen anstelle des Schuldners zu erfüllen und die Erfüllung vom anderen Teil zu verlangen. Für Dauerschuldverhältnisse, insbesondere Miet-, Pacht- und Arbeitsverhältnisse, tritt eine Vielzahl von Sonderregelungen 5

A. Einleitung

in Kraft. Hier sind insbesondere die Sonderregelungen hinsichtlich der Kündigungsmöglichkeiten von Bedeutung. h) Insolvenzanfechtung 27 Einen wesentlichen Beitrag zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger leistet das Insolvenzanfechtungsrecht, §§ 129 ff. InsO. Der Insolvenzverwalter hat die Möglichkeit, bestimmte Rechtshandlungen, die innerhalb bestimmter Fristen vor Insolvenzantragstellung liegen, anzufechten und damit den insolvenzrechtlichen Rückgewähranspruch gemäß § 143 InsO auszulösen. Die längstmögliche Anfechtungsfrist beträgt zehn Jahre und ist bei der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 Abs. 1 InsO sowie der Anfechtung gegenüber Gesellschaftern bei Bestellung von Sicherheiten für Darlehensrückgewähransprüche gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO anwendbar. Die kürzesten Anfechtungsfristen betragen einen Monat bis drei Monate und gelten für die Anfechtung von kongruenten und inkongruenten Deckungen, also Sicherungen und Befriedigungen gemäß §§ 130, 131 InsO. Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 165/1 ff. und 314 ff.

28 Die Bundesregierung hat am 29. September 2015 einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz vorgelegt (veröffentlicht in ZIP, Beilage zu Heft 12/2015, S. 1 ff.). Vgl. Brinkmann/Jacoby/Thole, ZIP 2015, 2001 ff.; Frind, ZInsO 2015, 1001 ff.; Gehrlein, NZI 2014, 481 ff.; Hölzle, ZIP 2015, 662 ff.; Huber, ZInsO 2015, 713 ff.; Huber, ZInsO 2015, 2297 ff.; Schädlich, NWB 2015, 3835 ff.; Schmittmann, INDat Report 7/2015, 6; Willemsen/Kühn, BB 2015, 3011.

i) Aufgaben des Insolvenzverwalters 29 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen gemäß § 148 Abs. 1 InsO sofort in Besitz und Verwaltung zu nehmen. Nach dem Berichtstermin hat der Insolvenzverwalter gemäß § 159 InsO unverzüglich das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwerten, soweit die Beschlüsse der Gläubigerversammlung nicht entgegenstehen. 30 Der Insolvenzverwalter stellt darüber hinaus nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Verzeichnis der Massegegenstände (§ 151 InsO), das Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) sowie die Vermögensübersicht (§ 153 InsO) auf. Die Zuständigkeit für die handels- und steuerrechtliche Rechnungslegung geht gemäß § 155 InsO auf den Insolvenzverwalter über. 31 Die Gläubigerversammlung nimmt den Bericht des Insolvenzverwalters über die wirtschaftliche Lage des Schuldners und ihre Ursachen entgegen (§ 156 Abs. 1 InsO) und beschließt über den Fortgang des Verfahrens (§ 157 InsO).

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I. Grundlagen

Ihr steht insbesondere die Entscheidung über besonders bedeutsame Rechtshandlungen, § 160 Abs. 1 InsO, zu. Der Insolvenzverwalter ist gemäß §§ 165 ff. auch zur Verwertung von Ge- 32 genständen mit Absonderungsrechten befugt. Absonderungsberechtigte Gläubiger werden für die Kosten der Feststellung des Absonderungsrechts sowie den Kosten der Verwertung gemäß § 171 InsO mit vier vom Hundert bzw. fünf vom Hundert des Verwertungserlöses belastet. j) Anmeldung der Forderungen Die Insolvenzgläubiger haben ihre Forderungen gemäß § 174 InsO bei dem In- 33 solvenzverwalter schriftlich anzumelden, der auch die Insolvenztabelle (§ 175 InsO) führt. Ausgangspunkt für die Verteilung der Insolvenzmasse ist das Verteilungsverzeichnis gemäß § 188 InsO. Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis können von den Gläubigern gemäß § 194 InsO geltend gemacht werden. k) Restschuldbefreiung Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens können die Insolvenzgläubiger ge- 34 mäß § 201 InsO ihre restlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen, sofern diesem nicht Restschuldbefreiung erteilt worden ist. Wird die Restschuldbefreiung erteilt, so wirkt sie gemäß § 301 Abs. 1 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger, auch wenn sie ihre Forderungen nicht angemeldet haben, § 301 Abs. 1 Satz 2 InsO. Die Insolvenzordnung ermöglicht natürlichen Personen, in den Genuss der 35 Restschuldbefreiung zu kommen. Dazu hat der Schuldner zunächst das Insolvenzverfahren (Hauptverfahren) sowie danach die Wohlverhaltensphase zu durchlaufen. Das Hauptverfahren endet mit der Aufhebung nach Durchführung des Schlusstermins. Im Schlusstermin kann bereits die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt werden, wenn einer der Versagungsgründe gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 7 InsO vorliegt. In der Wohlverhaltensphase, also in dem Zeitraum zwischen Beendigung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der Abtretungsfrist hat der Schuldner die Obliegenheiten gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 4 InsO zu erfüllen. Erfüllt er diese nicht, versagt das Insolvenzgericht gemäß § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO auf Antrag eines Insolvenzgläubigers die Restschuldbefreiung, wenn der Schuldner eine seiner Obliegenheiten verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt. Auch im Falle der Restschuldbefreiung werden die Rechte der Insolvenz- 36 gläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners sowie die Rechte dieser Gläubiger aus einer zu ihrer Sicherung eingetragenen Vormerkung oder aus einem Recht, das im Insolvenzverfahren zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, nicht berührt.

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A. Einleitung

37 Von der Erteilung der Restschuldbefreiung werden weiterhin gemäß § 302 Nr. 1 InsO nicht berührt Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, aus rückständigem gesetzlichen Unterhalt, den der Schuldner vorsätzlich pflichtwidrig nicht gewährt hat, oder aus einem Steuerschuldverhältnis, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder 374 AO rechtskräftig verurteilt worden ist und der Gläubiger die entsprechende Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Abs. 2 InsO angemeldet hat. Der Restschuldbefreiung unterliegen weiterhin nicht Geldstrafen und die diesen in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO gleichgestellten Verbindlichkeiten des Schuldners (§ 302 Nr. 2 InsO) sowie Verbindlichkeiten aus zinslosen Darlehen, die dem Schuldner zur Begleichung der Kosten des Insolvenzverfahrens gewährt wurden (§ 302 Nr. 3 InsO). l) Insolvenzplanverfahren 38 In § 1 Satz 1 InsO ist bereits angelegt, dass anstatt der Liquidation auch in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen werden kann. Der Insolvenzplan, §§ 217 ff. InsO, besteht aus einem darstellenden (§ 220 InsO) und einem gestaltenden (§ 221 InsO) Teil. Kern der Aufstellung eines Insolvenzplans ist die Bildung von Gruppen, § 222 InsO. 39 Das Insolvenzplanverfahren ist insbesondere durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011 (BGBl. I 2011 S. 2582 ff.) modifiziert worden. Zu diesen Modifikationen gehört insbesondere auch die Möglichkeit, im gestaltenden Teil des Plans vorzusehen, dass Forderungen von Gläubigern in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte am Schuldner umgewandelt werden (§ 225a Abs. 2 InsO). Damit wird die Möglichkeit eines Debt-Equity-Swaps eröffnet. Planvorlageberechtigt sind sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Schuldner (§ 218 Abs. 1 InsO). 40 Die Entscheidung über den Insolvenzplan obliegt den Gläubigern im Erörterungs- und Abstimmungstermin (§ 235 InsO). Zur Annahme des Insolvenzplans durch die Gläubiger ist gemäß § 244 Abs. 1 InsO erforderlich, dass in jeder Gruppe die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger dem Plan zustimmt (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO) und die Summe der Ansprüche der zustimmenden Gläubiger mehr als die Hälfte der Summe der Ansprüche der abstimmenden Gläubiger beträgt (§ 244 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Auch wenn die erforderlichen Mehrheiten, also die doppelte Mehrheit nach Köpfen und Beträgen, nicht erreicht worden sind, gilt die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe als erteilt, wenn die Angehörigen dieser Gruppe durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne den Plan stünden (§ 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO), die Angehörigen dieser Gruppe angemessen an dem wirtschaftlichen Wert beteiligt werden, der auf der Grundlage des Plans den Beteiligten zufließen soll (§ 245 Abs. 1 Nr. 2 InsO) und die Mehrheit

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I. Grundlagen

der abstimmenden Gruppen dem Plan mit den erforderlichen Inhalten zugestimmt hat (§ 245 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans treten die im gestal- 41 tenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein. Der Insolvenzplan stellt gemäß § 257 Abs. 1 InsO einen vollstreckbaren Titel dar. Der gestaltende Teil des Insolvenzplans kann gemäß § 260 Abs. 1 InsO eine 42 Planüberwachung vorsehen. m) Eigenverwaltung Durch das ESUG wurden auch die Regelungen über die Eigenverwaltung 43 modifiziert, §§ 270 ff. InsO. Insbesondere ist bereits im Eröffnungsverfahren, falls der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist, davon abzusehen, einen „starken“ oder „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter zu bestellen. Vielmehr soll ein vorläufiger Sachwalter bestellt werden (§ 270a Abs. 1 InsO). Hat der Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit 44 gestellt und die Eigenverwaltung beantragt und sieht das Gericht jedoch die Voraussetzungen der Eigenverwaltung als nicht gegeben an, so hat es gemäß § 270 Abs. 2 InsO seine Bedenken dem Schuldner mitzuteilen und diesem Gelegenheit zu geben, den Eröffnungsantrag vor der Entscheidung über die Eröffnung zurückzunehmen. Diese Regelung soll insbesondere zu einer früheren Insolvenzantragstellung führen, da dem Schuldner und seinen Organen die Angst vor einem Kontrollverlust genommen werden soll. Auch im Übrigen sind die Voraussetzungen für die Anordnung einer Eigenverwaltung herabgesetzt worden. Die Anordnung setzt gemäß § 270 Abs. 2 InsO lediglich noch voraus, dass die Eigenverwaltung vom Schuldner beantragt worden ist (§ 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO) und dass keine Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Unterstützt der vorläufige Gläubigerausschuss den Wunsch des Schuldners nach Eigenverwaltung einstimmig, so gilt gemäß § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO die Anordnung als nicht nachteilig für die Gläubiger. Damit wird ein erheblicher Teil der Verantwortung und somit die Entscheidung hinsichtlich der Eigenverantwortung dem vorläufigen Gläubigerausschuss auferlegt. n) Schutzschirmverfahren Ebenfalls durch das ESUG ist das sog. „Schutzschirmverfahren“ gemäß § 270b 45 InsO eingeführt worden, das eingreift, wenn der Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestellt, die Eigenverwaltung beantragt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. Auf Antrag des Schuldners bestimmt das Insolvenzgericht eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans, die höchstens drei Monate betragen darf. Der Schuldner hat mit dem Antrag eine mit Gründen versehene 9

A. Einleitung

Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorzulegen, aus der sich ergibt, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist. 46 Bei dem Schutzschirmverfahren handelt es sich um eine Modifikation der vorläufigen Eigenverwaltung, sodass auch hier kein vorläufiger Insolvenzverwalter, sondern ein vorläufiger Sachwalter (§ 270b Abs. 2 InsO) bestellt wird. 47 Auf Antrag des Schuldners hat das Gericht gemäß § 270b Abs. 3 InsO den Schuldner zu ermächtigen, Masseverbindlichkeiten zu begründen, für die § 55 Abs. 2 InsO entsprechend gilt. 48 Das Schutzschirmverfahren wird vor Fristablauf durch das Insolvenzgericht aufgehoben, wenn die angestrebte Sanierung aussichtslos geworden ist (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 InsO), der vorläufige Gläubigerausschuss die Aufhebung beantragt (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 InsO) oder ein absonderungsberechtigter Gläubiger oder ein Insolvenzgläubiger die Aufhebung beantragt und Umstände bekannt werden, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird (§ 270b Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 InsO). 49 Tritt im Schutzschirmverfahren Zahlungsunfähigkeit ein, haben der Schuldner oder der vorläufige Sachwalter dies dem Insolvenzgericht gemäß § 270b Abs. 4 Satz 2 InsO unverzüglich anzuzeigen. Der Sachwalter hat gemäß § 285 InsO die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen. 50 Die Geltendmachung von Insolvenzanfechtungsansprüchen obliegt gemäß § 280 InsO dem Sachwalter. o) Verbraucherinsolvenzverfahren und andere besondere Verfahrensarten sowie europäisches und internationales Insolvenzrecht 51 Gegenstand der §§ 304 ff. InsO sind Verbraucherinsolvenzverfahren, die dann Anwendung finden, wenn der Schuldner keine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt oder ausgeübt hat. Hat der Schuldner eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt, so fällt er unter das Verbraucherinsolvenzverfahren, wenn seine Vermögensverhältnisse überschaubar sind und gegen ihn keine Forderungen aus Arbeitsverhältnissen bestehen. 52 Besondere Arten des Insolvenzverfahrens sind das Nachlassinsolvenzverfahren (§§ 315 ff. InsO), Insolvenzverfahren über das Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft (§ 332 InsO) und Insolvenzverfahren über das gemeinschaftlich verwaltete Gesamtgut einer Gütergemeinschaft (§ 333 f. InsO). 53 Das internationale Insolvenzrecht findet seinen Niederschlag in §§ 335 ff. InsO. Diese Regelungen finden jedoch nur Anwendung, wenn es sich nicht um Ver-

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II. Akteure

fahren handelt, die unter die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) VO (EU) Nr. 848/2015, ABl. EU L 141/19, fallen. Vgl. Vallender, ZIP 2015, 1513 ff.

Die Neuregelung gilt für Insolvenzverfahren, die ab dem 26.6.2017 eröffnet 54 werden (Art. 84 Abs. 1 EuInsVO). Bis dahin gilt die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren (ABl. EU Nr. L 160/1). 2. Wirtschaftliche Bedeutung Die Zahl der Insolvenzverfahren ist in den vergangenen Jahren deutlich zu- 55 rückgegangen. Gleichwohl ist die wirtschaftliche Bedeutung nach wie vor hoch. Während im Jahre 2010 noch 153.549 Insolvenzverfahren eröffnet wurden, 56 worunter sich 31.009 Unternehmensinsolvenzverfahren befanden, kam es in den Jahren 2013 und 2014 lediglich noch zu 129.269 bzw. 132.231 Insolvenzverfahren, worunter lediglich 25.995 bzw. 24.085 Unternehmensinsolvenzen waren. Vgl. Schmittmann, Haftung von Organen in Krise und Insolvenz, Rn. 30.

Der Rückgang der Unternehmensinsolvenzverfahren hält an. Im Monat Sep- 57 tember 2015 wurden lediglich noch 1.841 Unternehmensinsolvenzverfahren gemeldet. Dies entspricht einem Rückgang von 10,4 % im Vergleich zum Vorjahresmonat. Vgl. Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/ GesamtwirtschaftUmwelt/UnternehmenHandwerk/ Insolvenzen/Insolvenzen.html (Abruf am 14.12.2015).

Auch die volkswirtschaftliche Bedeutung von Insolvenzverfahren hat sich 58 gewandelt. Während im Jahre 2013 von den eröffneten Insolvenzverfahren noch 173.541 Arbeitnehmer betroffen waren, ging die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer im Gesamtjahr 2014 auf 126.861 zurück. Das voraussichtliche Forderungsvolumen (Gläubigerforderungen) ging von 37,8 Mrd. € auf 35,2 Mrd. € zurück. Siehe Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1: Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren, Dezember 2013, S. 11, und Dezember 2014, S. 11.

II. Akteure Insolvenzen betreffen nicht lediglich den Schuldner, sondern auch eine Viel- 59 zahl weiterer Beteiligter. Dabei handelt es sich zum einen um die vom Insolvenzgericht im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren bestellten Personen, die nachstehend im Einzelnen unter Berücksichtigung ihrer verfah11

A. Einleitung

rensrechtlichen Stellung erörtert werden, und zum anderen um die sonstigen Beteiligten, also insbesondere die Gläubiger, die anderen Marktteilnehmer, die Presse sowie ggf. sonstige Interessengruppen, auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen wird. 1. Gutachter 60 Das Insolvenzgericht bestellt nach Eingang eines zulässigen Insolvenzantrags regelmäßig einen Gutachter, der beauftragt wird, die nach der Rechtsform des Schuldners maßgeblichen Insolvenzgründe zu prüfen, Stellung zur Fortführungsfähigkeit des Unternehmens zu nehmen sowie festzustellen, ob eine kostendeckende Masse vorhanden ist. Bei dem vom Gericht bestellten Gutachter handelt es sich verfahrensrechtlich um einen Sachverständigen. 61 Der Gutachter wird lediglich im Innenverhältnis zum Gericht tätig und ist daher nicht Vertreter des Schuldners. 2. Vorläufiger Sachwalter 62 Durch das ESUG ist u. a. das Recht der (vorläufigen) Eigenverwaltung modifiziert worden, um Schuldner zu einer früheren Insolvenzantragstellung zu bewegen. Vgl. Henkel, ZIP 2015, 562 ff.; Hölzle, ZIP 2012, 158 ff.; Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZIP 2014, 2153 ff.; Madaus, KTS 2015, 115 ff.; Mönning, RAW 2013, 27 ff.; Rendels, Eigenverwaltung: Schutz der Masse durch Honorarkriterien, in: Festschrift Kübler, S. 577 ff.; Schmittmann/Dannemann, VR 2012, 73 ff.; Schmittmann, StuB 2012, 150 ff.; Schmittmann/ Lemken, InsbürO 2015, 424 ff.; Schneider/Höpfner, BB 2012, 87 ff.; Schumm, StuB 2012, 25 ff.

63 Ist der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos, so soll das Gericht im Eröffnungsverfahren gemäß § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO davon absehen, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen oder anzuordnen, dass alle Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Dies bedeutet zugleich, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter nicht bestellt wird. 64 Gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO wird anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters im Falle der vorläufigen Eigenverwaltung ein vorläufiger Sachwalter bestellt. Die Rechtsstellung des Sachwalters ergibt sich aus § 274 InsO. Der Schuldner soll gemäß § 275 Abs. 1 Satz 1 InsO Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen. Der Sachwalter kann gemäß § 275 Abs. 2 InsO vom Schuldner verlangen, dass alle eingehenden Gelder nur vom Sachwalter entgegengenommen und Zahlungen nur vom Sachwalter geleistet werden. In diesem Falle handelt es sich um einen Sachwalter mit Kassenführungsbefugnis.

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II. Akteure

Ein vorläufiger Sachwalter ist nicht Vermögensverwalter i. S. d. § 34 Abs. 3 AO.

65

So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 484; Schmittmann, in: Schmidt, InsO, Anhang Steuerrecht Rn. 16.

Der vorläufige Sachwalter hat somit nicht die steuerlichen Pflichten des 66 Schuldners zu erfüllen. So Roth, Insolvenz – Steuerrecht, Rn. 3.24; Schmittmann, in: Schmidt, InsO, Anhang Steuerrecht Rn. 16.

Die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO ist im Rahmen einer vorläufigen Eigen- 67 verwaltung nicht anwendbar, da schon nach dem Gesetzeswortlaut die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters Tatbestandsvoraussetzung ist. 3. Vorläufiger Insolvenzverwalter Das Insolvenzgericht hat gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO alle Maßnahmen zu 68 treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Zu den Sicherungsmaßnahmen gehört insbesondere die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO) und die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots oder eines Zustimmungsvorbehalts (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO). Ordnet das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot an, wird ein 69 sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter hat die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren. So BFH, Beschl. v. 16.10.2009 – VIII B 346/04, BFH/NV 2010, 56; Schröder, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 21 Rn. 29; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 483; Roth, in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Kap. 9 Rn. 55 ff.; vgl. Rüsken, in: Klein, AO, § 34 Rn. 23.

Wird kein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet, sondern lediglich ein 70 Zustimmungsvorbehalt, so handelt es sich um einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter. Vgl. Schröder, in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, § 21 Rn. 29.

Die Vermögensverwaltung steht einem „schwachen“ vorläufigen Insolvenz- 71 verwalter nicht zu, sodass kein Fall von § 34 Abs. 3 und Abs. 1 InsO vorliegt. Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter ist daher weder berechtigt noch verpflichtet, die steuerlichen Angelegenheiten des Schuldners zu regeln. So Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 251 AO Rn. 28; Schmittmann, in: Schmidt, InsO, Anhang Steuerrecht Rn. 5; Rüsken, in: Klein, AO, § 34 Rn. 23; Waza/Uhländer/ Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 484.

13

A. Einleitung

72 Auch wenn § 55 Abs. 4 InsO nunmehr regelt, dass Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten, wird der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter dadurch nicht zum Vertreter i. S. v. § 34 Abs. 3 und Abs. 1 InsO. So FG Düsseldorf, Beschl. v. 21.3.2012 – 1 V 152/12 A (U), ZIP 2012, 688 = EWiR 2012, 323 (Schmittmann/Gorris); Waza/ Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 481; Schmittmann, StuB 2012, 237.

73 Nur soweit der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter vom Insolvenzgericht ausdrücklich ermächtigt wurde, Masseverbindlichkeiten einzugehen, obliegt ihm insoweit eine Steuererklärungspflicht. Vgl. Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 120.

74 Ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt wird selbst dann nicht zum Vermögensverwalter i. S. v. 34 Abs. 3 AO oder zum Verfügungsberechtigten i. S. v. § 35 AO, wenn er die ihm vom Insolvenzgericht übertragenen Verfügungsbefugnisse überschreitet und tatsächlich über Gelder des noch verfügungsberechtigten Schuldners verfügt. So BFH, Beschl. v. 27.5.2009 – VII B 156/08, BFH/NV 2009, 1591 = ZIP 2009, 2255 f.

4. Insolvenzverwalter 75 Der vom Insolvenzgericht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ernannte Insolvenzverwalter ist verfahrensrechtlich Vermögensverwalter i. S. v. § 34 Abs. 3 AO und hat daher gemäß § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen. So BFH, Beschl. v. 15.9.2010 – II B 4/10, BFH/NV 2011, 2 f.; Schmittmann, in: Schmidt, InsO, Anhang Steuerrecht Rn. 13; Schmittmann, NZI 2014, 596, 597.

76 Der Insolvenzverwalter ist kein Vertreter des Schuldners, sondern sog. „Partei kraft Amtes“. Vgl. Birk, ZInsO 2007, 744; Hess, in: Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 24 Rn. 21.

77 Der Insolvenzschuldner bleibt selbst steuerrechtsfähig, sodass die Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters den Schuldner persönlich berechtigen und verpflichten. So Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, S. 23.

78 Der Schuldner bleibt verfahrensrechtlich Beteiligter i. S. v. § 78 AO. Der Schuldner verliert allerdings mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die nach 14

II. Akteure

§ 79 AO erforderliche Handlungsfähigkeit in Bezug auf die Insolvenzmasse, sodass der Insolvenzverwalter die sich aus den §§ 90, 93 ff., 137 ff., 140 ff. und 149 ff. AO ergebenden Pflichten zu erfüllen hat. So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 514.

Die weiteren Aufgaben des Insolvenzverwalters ergeben sich aus Rn. 128 dieses 79 Buches. 5. Sachwalter Gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Schuldner im Falle der Eigenverwal- 80 tung berechtigt, unter Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen, wenn das Insolvenzgericht in dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung anordnet. Bei Anordnung der Eigenverwaltung wird gemäß § 270c Satz 1 InsO anstelle des Insolvenzverwalters ein Sachwalter bestellt. Für die Bestellung des Sachwalters, für die Aufsicht des Insolvenzgerichts sowie 81 für die Haftung und die Vergütung des Sachwalters gelten §§ 27 Abs. 2 Nr. 4, 54 Nr. 2 und 56 bis 60, 62 bis 65 InsO und 274 Abs. 1 InsO entsprechend. Ein Sachwalter ist nicht Vermögensverwalter i. S. d. § 34 Abs. 3 AO.

82

So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 484; BFH, Urt. v. 18.5.1988 – X R 27/80, BFHE 153, 299 = ZIP 1989, 123, dazu EWiR 1989, 93 (Weiß) = BStBl. I 1988, 716 zu § 92 VerglO.

Der Sachwalter hat nicht die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen.

83

So Roth, Insolvenz – Steuerrecht, Rn. 3.24; Schmittmann, in: Schmidt, InsO, Anhang Steuerrecht Rn. 16.

6. Treuhänder Sofern es sich bei dem Schuldner um eine natürliche Person handelt, kann er 84 gemäß §§ 287 bis 303 InsO von den im Insolvenzverfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit werden. In diesen Fällen wird ein Treuhänder bestellt. Sofern noch keine Entschei- 85 dung über die Restschuldbefreiung ergangen ist, bestellt das Insolvenzgericht durch den Rechtspfleger gemäß § 288 Satz 2 InsO den Treuhänder, auf den die pfändbaren Bezüge des Schuldners nach Maßgabe der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 InsO übergehen. Vgl. Uhlenbruck/Sternal, InsO, § 288 Rn. 17.

Die Aufgabe des Treuhänders im Restschuldbefreiungsverfahren beschränkt 86 sich auf den Einzug der pfändbaren Bezüge des Schuldners nach Maßgabe der Abtretungserklärung, § 292 InsO. Der Treuhänder in der Wohlverhaltensphase ist daher nicht Verwalter i. S. v. § 34 Abs. 3 InsO. 15

A. Einleitung So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 1163; Schmittmann, StuB 2012, 404.

87 Nach früherem Recht (bis zum 30.6.2014) wurden im vereinfachten Insolvenzverfahren die Aufgaben des Insolvenzverwalters vom Treuhänder wahrgenommen (§ 313 Abs. 1 Satz 1 InsO). Durch Gesetz vom 15.7.2013 (BGBl. I 2013 S. 2379) wurden u. a. §§ 312 ff. InsO aufgehoben. 88 Der Treuhänder gemäß § 313 Abs. 1 Satz 1 InsO a. F. war Vermögensverwalter i. S. v. § 34 Abs. 3 AO, da die §§ 56 bis 66 InsO gemäß § 313 Abs. 3 Satz 1 InsO entsprechend galten. So Schmittmann, in: Schmidt, InsO, Anhang Steuerrecht Rn. 18.

7. Steuerberater 89 Das Mandat des Steuerberaters zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass die Tätigkeit des Beraters die Kernbereiche der Steuerberaterleistungen, die Fertigung von Steuererklärungen, die Führung der laufenden Finanzbuchhaltung mit Deklarationen und/oder die Erstellung des Jahresabschlusses umfasst. Die gesetzeskonforme Steuerminimierung steht im Mittelpunkt der Beratungsleistung für den Mandanten. Regelmäßig bergen diese „Normalmandate“ keine strafrechtlichen Risiken. Wenn das Unternehmen in eine wirtschaftliche Krise gerät, ohne dass der Mandant diese Entwicklung rechtzeitig erkennt, ist der Steuerberater die Person, die aufgrund der engen Kontakte zum Unternehmen und der Kenntnisse über das Unternehmen die Krise rechtzeitig erkennt und den Mandanten auf Gefahren hinweist. Vgl. Rauch, in: Werdan/Ott/Rauch, Das Steuerberatungsmandat in der Krise, Sanierung und Insolvenz, S. 1 ff.

Beispiel: Die verspätete Einreichung von Buchführungsunterlagen an den Steuerberater kann ein Hinweis auf eine wirtschaftliche Krise sein. Praxistipp: Dem Steuerberater ist es möglich bei Vorliegen einer solchen Situation und um die steuerlichen Fristen einzuhalten, geschätzte Steueranmeldungen einzureichen. Vgl. Rauch, in: Werdan/Ott/Rauch, Das Steuerberatungsmandat in der Krise, Sanierung und Insolvenz, S. 81. Praxistipp: Die evtl. hinaus bestehenden handelsrechtlichen Einreichungs- und Veröffentlichungspflichten bleiben davon unberührt.

90 Die Aufgabe des Steuerberaters richtet sich grundsätzlich zunächst nach dem Inhalt und dem Umfang des erteilten Mandats.

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III. Krise So BGH, Urt. v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, NJW-RR 2013, 983 = ZIP 2013, 829, dazu EWiR 2013, 477 (Baumert); Brete/Thomsen, Beratungs- und Haftungsrisiken in der Unternehmenskrise, S. 28.

Der Steuerberater ist dabei verpflichtet, sich mit den steuerrechtlichen Ange- 91 legenheiten zu befassen, die zur pflichtgemäßen Erledigung des ihm erteilten Auftrags zu beachten sind. Nur in den hierdurch gezogenen Grenzen des Dauermandats hat er den Auftraggeber auch ungefragt über die bei der Bearbeitung entstehenden steuerrechtlichen Fragen zu belehren. Zu den vertraglichen Nebenpflichten des Steuerberaters gehört es, den Mandanten nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB vor Schaden zu bewahren und auf Fehlentscheidungen, die für ihn erkennbar sind, hinzuweisen. So OLG Koblenz, Urt. v. 15.4.2014 – 3 U 633/13, Stbg 2014, 323 f.

Nach der Rechtsprechung ist der Steuerberater dazu verpflichtet über Vor- 92 und Nachteile sowie Risiken in steuerlicher, nicht jedoch in wirtschaftlicher Hinsicht aufzuklären. Müller/Schmidt/Liebscher, in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Kap. 8 Rn. 291 ff. m. w. N.

In der Krisensituation wendet sich der Mandant an seinen Steuerberater, der 93 ihn in der Vergangenheit regelmäßig bei der Bewältigung steuerlicher und wirtschaftlicher Fragen beraten hat. Der Steuerberater wird dem Mandanten seine Hilfe nicht verwehren, wenn dieser versucht, die Insolvenz zu vermeiden. Der Berater kennt formal legale Gestaltungsmöglichkeiten zur Umgehung bestehender Verpflichtungen und könnte sie auch empfehlen. Die umfassende Beratung darf nicht zur Begehung von Straftaten anleiten. Vgl. Brete/Thomsen, Beratungs- und Haftungsrisiken in der Unternehmenskrise, S. 90.

Besondere Risiken für die steuerliche Beratung können sich in der Krise bei- 94 spielsweise daraus ergeben, dass der Mandant unter Druck gerät und dem Steuerberater u. U. falsche oder unvollständige Unterlagen zur Verfügung stellt. Der Liquiditätsengpass kann dazu führen, dass der Mandant auf den Steuerberater einwirkt, beispielsweise die erforderlichen Lohnsteuer-Anmeldungen und Umsatzsteuer-Voranmeldungen verzögert einzureichen. Vgl. Rauch, in: Werdan/Ott/Rauch, Das Steuerberatungsmandat in der Krise, Sanierung und Insolvenz, S. 120.

Dies kann für den Steuerberater eigene strafrechtliche Risiken begründen.

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Vgl. Geyer, in: Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 28 Rn. 15; Brete/Thomsen Beratungs- und Haftungsrisiken in der Unternehmenskrise, S. 18.

III. Krise Befragt man Geschäftsführer und Vorstände von insolventen Unternehmen, 96 so erhält man oftmals die Aussage, dass die Insolvenz „schlagartig“ eingetreten 17

A. Einleitung

sei. Tatsächlich kündigen sich Insolvenzen allerdings an. Regelmäßig lässt sich die Abfolge bestimmter Phasen unterschiedlicher Krisenformen beobachten, bevor die Liquidität eintritt. So Schmittmann, Haftung von Organen in Krise und Insolvenz, Rn. 14.

97 Der IDW Standard: Anforderung an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6) vom 20.8.2012, der aus der Praxis entstanden ist und dem die Literatur weitgehend folgt, unterscheidet sechs Krisenstadien: 1. Stakeholderkrise 98 Unter dem Begriff der „Stakeholderkrise“ wird eine Krise auf der Ebene der Stakeholder verstanden, die oft durch Konflikte zwischen diesen Gruppen und ihren Mitgliedern entstehen. Als Stakeholder werden insbesondere Mitglieder der Unternehmensleitung und der Überwachungsorgane, Gesellschafter, Arbeitnehmer und ihre Vertretungen, Banken und andere Gläubiger verstanden. Vgl. IDW S 6 Rn. 65; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 16.

99 Kennzeichnend für die Stakeholderkrise ist der schleichende Eintritt der Konsequenzen. Vgl. IDW S 6 Rn. 66; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 17.

2. Strategiekrise 100 Infolge der Stakeholderkrise tritt häufig eine Strategiekrise ein. Die Folgen sind unangemessene oder ineffektive Innovationen und Investitionen. Vgl. IDW S 6 Rn. 67; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 18.

101 Der Verlust von Marktanteilen, der wiederum einen Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit indiziert, ist häufig infolge der Strategiekrise zu erkennen. Mögliche Ursachen liegen in einer unklaren oder fehlenden strategischen Ausrichtung oder in nachhaltigen Fehleinschätzungen der Wettbewerbssituation oder Marktentwicklung. Vgl. IDW S 6 Rn. 68; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 19.

102 Die Strategiekrise ist aufgrund ihres Charakters langfristig angelegt. Sie berührt regelmäßig die Grundlagen des Unternehmens und ist nur schwer zu korrigieren. Vgl. Trutnau, Krisenfrüherkennung, Kap. 1 Rn. 22; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 6 Rn. 33; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 20.

18

III. Krise

3. Produkt- und Absatzkrise Eine Produkt- und Absatzkrise kann sich infolge einer Strategiekrise entwi- 103 ckeln. Wenn die Nachfrage nach den Hauptumsatz- und Erfolgsträgern nicht nur vorrübergehend zurückgeht, liegt eine Produkt- und Absatzkrise vor, in deren Folge die Vorratsbestände ansteigen und die Kapitalbindung zunimmt. Vgl. IDW S 6 Rn. 71; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 21.

Die Gründe einer Produkt- und Absatzkrise liegen qualitativ in nicht ausrei- 104 chenden Marketing- oder Vertriebskonzepten, Sortimentsschwächen, Schwächen in der Produkt- und Servicequalität, mangelnder Liefertreue, Fehlern in der Preispolitik sowie einer mangelhaften oder fehlenden Vertriebssteuerung. Vgl. Weniger, in: Mönning, Betriebsfortführung, § 6 Rn. 13; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 22.

4. Erfolgskrise Eine Erfolgskrise resultiert aus einer Stakeholder- oder Strategiekrise bzw. einer 105 Produkt- und Absatzkrise, sofern kein wirksames Gegensteuern erfolgt. Zunächst werden die Eigenkapitalkosten nicht mehr verdient, sodann kommt es zu starken Gewinnrückgängen und schließlich zum Verlust bis zum vollständigen Verzehr des Eigenkapitals. Vgl. IDW S 6 Rn. 72; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 23.

Infolge der sinkenden Eigenkapitalquote tritt eine Kreditunwürdigkeit des 106 Unternehmens ein, die dazu führt, dass die zur nachhaltigen Sanierung erforderlichen Mittel sich unter den gegebenen Umständen nicht mehr beschaffen lassen und eine Sanierung ohne Kapitalzuführung, ggf. auch unter Änderung der bisherigen Gesellschafterstruktur, nicht mehr erreicht werden kann. Vgl. IDW S 6 Rn. 73; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 24.

5. Liquiditätskrise Eine Liquiditätskrise liegt vor, wenn der finanzielle Handlungsspielraum des 107 Unternehmens zunehmend verengt wird und keine hinreichende Liquidität zur Verfügung steht. Die Liquiditätskrise ist im Regelfall der Übergang der Krise zur Insolvenz in Form der Zahlungsunfähigkeit. Vgl. Trutnau, Krisenfrüherkennung, Kap. 1, Rn. 29; Schmittmann/Theurich/Brune, Das insolvenzrechtliche Mandat, § 6 Rn. 32; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 25.

19

A. Einleitung

108 Ein Insolvenzrisiko wird durch die eingetretenen Liquiditätsschwierigkeiten indiziert, sofern keine oder nur unzureichende Maßnahmen ergriffen werden. Vgl. IDW S 6 Rn. 75; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 26.

109 Komplexe Finanzierungsstrukturen aufgrund einer Vielzahl bilateraler Beziehungen zu Finanzgebern mit heterogener Interessenlage oder unausgewogener Zusammensetzung der Finanzierung mit Eigenkapital, Fremdkapital und hybriden Finanzierungsformen verschärfen häufig die Liquiditätskrise. Vgl. IDW S 6 Rn. 76; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 27.

110 Die Liquiditätskrise wird selten durch externe Begebenheiten ausgelöst, z. B. einen größeren Zahlungsausfall durch die Insolvenz eines Kunden, sondern aufgrund der Erwirtschaftung einer liquiden Unterdeckung. Vgl. Weniger, in: Mönning, Betriebsfortführung, § 6 Rn. 15; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 28.

111 Die Liquiditätskrise führt zur Insolvenzreife, wenn einer der nach der Rechtsform des Schuldners maßgeblichen Insolvenzeröffnungsgründe vorliegt. Vgl. IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) v. 27.3.2015, IDW-FN 2015, 202 ff. = Wpg Suppl. 1/2015, Rn. 18; Schmittmann, Haftung der Organe in Krise und Insolvenz, Rn. 29.

IV. Insolvenz 1. Einordnung 112 Unter Insolvenz kann zum einen das Vorliegen eines nach der Rechtsform des Schuldners maßgeblichen Insolvenzgrundes, zum anderen aber auch das formal eröffnete Insolvenzverfahren verstanden werden. Die „Insolvenz“ umfasst daher sowohl den wirtschaftlichen Zustand, der sich als Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung darstellt und ein gerichtliches Insolvenzverfahren auslösen kann, als auch das eröffnete Insolvenzverfahren. So Uhlenbruck/Pape, InsO, § 1 Rn. 2.

113 Das Insolvenzrecht ist dem Wirtschaftsprivatrecht zuzuordnen. So Uhlenbruck/Pape, InsO, § 1 Rn. 2.

114 Das Insolvenzrecht ist weiterhin auch dem Zwangsvollstreckungsrecht zuzuordnen, da es sich nicht um ein Verfahren nach der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt, sondern um ein Gesamtvollstreckungsverfahren, in dem der Staat das Präventionsprinzip durch das Prinzip der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger („par conditio creditorum“) ersetzt. Der im Einzelzwangsvollstreckungsrecht („Singularexekution“) geltende Grundsatz des „bellum 20

IV. Insolvenz

omnium contra omnes“ steht hinter dem Ziel der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung zurück, zumal das Insolvenzverfahren gemäß § 1 Satz 1 InsO dazu dient, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen. 2. Insolvenzgründe Materiell bedeutet Insolvenz, dass einer der nach der Rechtsform des Schuld- 115 ners maßgebenden Eröffnungsgründe vorliegt, also Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO). a) Zahlungsunfähigkeit Der Schuldner ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO zahlungsunfähig, wenn er 116 nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Eine bloße Zahlungsstockung ist nach der Rechtsprechung des BGH anzunehmen, wenn der Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu leihen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend. Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist. So BGH, Urt. v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134 ff. = ZIP 2005, 1426 (m. Bespr. Hölzle, ZIP 2006, 101) = ZVI 2005, 408 = WM 2005, 1468 ff., dazu EWiR 2005, 767 (Bruns).

b) Drohende Zahlungsunfähigkeit Drohende Zahlungsunfähigkeit liegt gemäß § 18 Abs. 2 InsO vor, wenn der 117 Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit droht nach Auffassung des Instituts Deutscher Wirt- 118 schaftsprüfer (IDW), wenn zum Beurteilungsstichtag keine Liquiditätslücke vorhanden ist, nach dem Finanzplan aber absehbar ist, dass die Zahlungsmittel zur Erfüllung der fällig werdenden Zahlungsverpflichtungen nicht mehr ausreichen und dies durch finanzielle Dispositionen und Kapitalbeschaffungsmaßnahmen nicht mehr ausgeglichen werden kann.

21

A. Einleitung So IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) v. 27.3.2015, IDW-FN 2015, 202 ff. Rn. 92.

c) Überschuldung 119 Überschuldung liegt gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen oder aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, für die gemäß § 39 Abs. 2 InsO zwischen Gläubiger und Schuldner der Nachrang im Insolvenzverfahren hinter den in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 InsO bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist, sind gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO bei den Verbindlichkeiten nicht zu berücksichtigen. 120 Die Überschuldungsprüfung erfordert nach Auffassung des IDW in aller Regel ein zweistufiges Verfahren, wobei zunächst auf der ersten Stufe die Überlebenschancen des Unternehmens und auf der zweiten Stufe – im Falle einer negativen Fortbestehensprognose – Vermögen und Schulden des Unternehmens in einem stichtagsbezogenen Status zu Liquidationswerten gegenüberzustellen sind. So IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) v. 27.3.2015, IDW-FN 2015, 202 ff. Rn. 53.

121 Bei einer positiven Fortbestehensprognose liegt keine Überschuldung i. S. d. § 19 Abs. 2 InsO vor. Im Falle einer negativen Fortführungsprognose sind Vermögen und Schulden des Unternehmens gegenüberzustellen. Ist das sich aus dem Überschuldungsstatus ergebende Reinvermögen negativ, liegt eine Überschuldung vor. So IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) v. 27.3.2015, IDW-FN 2015, 202 ff., Rn. 53.

122 Zur Feststellung der Fortführungsfähigkeit eines Unternehmens ist für den Prognosezeitraum eine Fortbestehensprognose darzustellen. Das IDW versteht unter der Fortbestehensprognose das wertende Gesamturteil über die Lebensfähigkeit des Unternehmens in der vorhersehbaren Zukunft. Die Fortbestehensprognose wird auf Grundlage des Unternehmenskonzepts und des auf der integrierten Planung abgeleiteten Finanzplans getroffen. So IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11) v. 27.3.2015, IDW-FN 2015, 202 ff., Rn. 58.

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters I. Stellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters Nach Eingang des Antrags prüft das Insolvenzgericht vorab, ob der Insol- 123 venzantrag zulässig ist, § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO. Mit der Feststellung der Zulässigkeit des Insolvenzantrags beginnt für den Schuldner die Auskunftsund Mitwirkungspflicht. Das Insolvenzgericht hat gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Das Gericht kann gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO einen vorläufigen In- 124 solvenzverwalter bestellen und gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 1. Alt. InsO dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen oder gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 2. Alt. InsO anordnen, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. Diese unterschiedlichen Formen des vorläufigen Insolvenzverwalters werden als sog. „starker“ und „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter bezeichnet. 1. Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zwischen dem sog. „starken“ vorläufigen 125 Insolvenzverwalter und dem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter zu unterscheiden. Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter ist Vermögensverwalter i. S. v. 126 § 34 Abs. 1 und Abs. 3 InsO (vgl. im Einzelnen Rn. 68). Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht Vermögensverwalter 127 i. S. v. § 34 Abs. 1 und Abs. 3 InsO (vgl. im Einzelnen Rn. 69). Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter begründet Masseverbindlich- 128 keiten gemäß § 55 Abs. 4 InsO, der für alle Insolvenzverfahren gilt, die ab dem 1.1.2011 beantragt worden sind. 2. Stellung des Insolvenzverwalters Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht gemäß § 80 Abs. 1 InsO das 129 Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Vgl. Hess, in: Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 24 Rn. 1; Brete/Raik, Beratungs- und Haftungsrisiken in der Krise, S. 17.

Vom Übergang des Verwaltungs- und Verfügungsrechts ist das gesamte in- 130 solvenzbefangene Vermögen des Schuldners einschließlich des im Ausland belegenen Schuldnervermögens sowie der Neuerwerb erfasst; nicht hingegen das insolvenzfreie Vermögen sowie die nicht vermögensrechtlichen und höchstpersönlichen Rechte des Schuldners. 23

B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters Vgl. Sternal in: Schmidt, § 80 InsO Rn. 4.

131 Die handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners zur Buchführung und zur Rechnungslegung bleiben gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO unberührt. In Bezug auf die Insolvenzmasse hat der Insolvenzverwalter gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO diese Pflichten zu erfüllen. 132 Die steuerrechtliche Pflicht zur Buchführung durch den Insolvenzverwalter besteht nicht nur gegenüber der Finanzverwaltung, sondern auch grundsätzlich gegenüber dem Verfahrensschuldner. So Schmittmann, in: Schmidt, § 155 InsO Rn. 65.

133 Die Pflicht erwächst aus der Amtsstellung des Insolvenzverwalters, die schutzwürdige Interessen des Schuldners unmittelbar berührt. Vgl. BGH, Urt. v. 29.5.1979 – VI ZR 104/78, BGHZ 74, 316 = ZIP 1980, 25 mit Anm. Kilger, S. 26; BGH, Urt. v. 10.7.2008 – IX ZR 118/07, ZIP 2008, 1685 = ZVI 2008, 530; BGH, Urt. v. 16.9.2010 – IX ZR 121/09, BFH/NV 2011, 189 = ZIP 2010, 2164 ff. = NZI 2010, 956 ff., dazu EWiR 2010, 827 f. (H.-F. Müller); OLG Koblenz, Urt. v. 9.4.1992 – 5 U 471/91, ZIP 1993, 52 f., dazu EWiR 1993, 67 (App).

134 Das Insolvenzverfahren lässt die handelsrechtlichen Buchführungspflichten und damit auch die steuerlichen Buchführungspflichten gemäß § 140 AO unberührt. Den Insolvenzverwalter treffen gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO sämtliche Buchführungs- und Bilanzierungspflichten. Vgl. Rüsken, in: Klein, AO, § 140 Rn. 15; OFD Hannover v. 27.1.2003, AO-Kartei ND Anhang D Karte 3; Birk, ZInsO 2007, 745; Hess, in: Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 24 Rn. 101; Bales, ZInsO 2010, 2078.

135 Die Regelung des § 155 InsO bezieht sich nur auf die handels- und steuerrechtliche Rechnungslegungspflicht. Neben diese Pflicht tritt die Pflicht, die der Insolvenzverwalter als Vermögensverwalter gemäß § 34 Abs. 3 AO i. V. m. §§ 140 bis 148 AO hat. So BFH, Beschl. v. 12.11.1992 – IV B 83/91, BStBl. 1993 II, 265 = ZIP 1993, 374, dazu EWiR 1993, 219 (App); so BFH, Urt. v. 5.6.2003 – IV R 36/02, BStBl II 2003, 871; vgl. Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 124; Schmittmann, NZI 2014, 596, 597.

136 Der Insolvenzverwalter ist verfahrensrechtlich Vermögensverwalter i. S. v. § 34 Abs. 3 AO und hat daher gemäß § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners im Insolvenzverfahren zu erfüllen. So BFH, Beschl. v. 15.9.2010 – II B 4/10, BFH/NV 2011, 2 f.

137 Die Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters berechtigen und verpflichten den Insolvenzschuldner persönlich, da dieser steuerrechtsfähig bleibt.

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I. Stellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 482; Schmittmann in: Schmidt, Anhang Steuerrecht Rn. 13.

Der Insolvenzschuldner bleibt auch verfahrensrechtlich Beteiligter i. S. v. 138 § 78 AO. Der Schuldner verliert allerdings mit Insolvenzeröffnung die nach § 79 AO erforderliche Handlungsfähigkeit in Bezug auf die Insolvenzmasse. So Schmittmann, in: Schmidt, Anhang Steuerrecht Rn. 13.

Der Insolvenzverwalter hat insbesondere die sich aus den §§ 90, 93 ff., 137 ff., 139 140 ff. und 149 ff. AO ergebenden Pflichten zu erfüllen. So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 514.

Daher ist der Insolvenzverwalter dafür verantwortlich, die laufenden und die 140 noch ausstehenden Steuererklärungen auch für Zeiträume vor Insolvenzeröffnung zu erstellen und abzugeben. Diese Pflichten ergeben sich aus den § 34 Abs. 3 AO, § 155 InsO i. V. m. §§ 140, 141 AO, §§ 25 EStG i. V. m. § 56 EStDV, 31 KStG, § 18 UStG, § 14a GewStG. So grundlegend BFH, Urt. v. 10.10.1951 – IV 144/51 U, BStBl. III 1951, 212; BFH, Beschl. v. 12.11.1992 – IV B 83/91, ZIP 1993, 374 = FR 1993, 309 f.; so BFH, Urt. v. 23.8.1994 – VII R 143/92, ZIP 1994, 1969, dazu EWiR 1995, 165 (Braun); vgl. Busch/ Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 121; BFH, Beschl. v. 19.11.2007 – VII B 104/07, BFH/NV 2008, 334; vgl. Hess, in: Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 33 Rn. 2; Krüger, ZInsO 2010, 164.

Die steuerlichen Erklärungspflichten des Insolvenzverwalters umfassen nicht 141 die insolvenzunabhängigen Aufwendungen, wie beispielsweise die Sonderausgaben gemäß § 10 EStG und die außergewöhnlichen Belastungen gemäß § 33 EStG, und nicht das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners. Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 498; Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 119.

Die Steuererklärungspflicht obliegt dem Insolvenzschuldner in den Fällen 142 der Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit – § 35 Abs. 2 InsO – und in den Fällen der Eigenverwaltung – §§ 270 ff. InsO. Vgl. Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 121; vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 484.

Sofern der Insolvenzschuldner deshalb neben der freigegebenen selbstständi- 143 gen Tätigkeit keine weitere vom Insolvenzbeschlag betroffene Tätigkeit ausübt, und somit keine weiteren Einkünfte i. S. d. §§ 13 – 22 EStG erzielt, gehört es zum Pflichtenkreis des Insolvenzschuldners die Einkommensteuererklärung und die Gewinnermittlung – § 60 Abs. 4 EStDV, § 5b EStG – bei der Finanzbehörde einzureichen. Vgl. Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 122.

25

B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

144 Die Steuererklärungspflicht besteht für den Insolvenzverwalter, sofern der Insolvenzschuldner neben der freigegebenen selbstständigen Tätigkeit noch weitere steuerrelevante Tätigkeiten ausübt. Der Insolvenzschuldner muss bei Vorliegen dieser Konstellation die im insolvenzfreien Bereich verwirklichten Steuertatbestände mitteilen und an der Erstellung der Steuererklärung mitwirken. So muss er beispielsweise für die Zwecke der Einkommensteuer die Gewinnermittlung fertigen und der Einkommensteuererklärung die Anlage „G“ beifügen. Vgl. Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 122.

145 In der Situation, dass der Insolvenzschuldner Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit erzielt, ist zu differenzieren, ob aus der Einkommensteuerveranlagung eine Einkommensteuerschuld entsteht oder ein Erstattungsanspruch. Die Einkommensteuerschuld ist keine Masseverbindlichkeit, sondern eine Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners, sodass die Erklärungspflicht dem Insolvenzschuldner obliegt. Der Erstattungsanspruch aus der Einkommensteuerveranlagung ist hingegen nicht dem insolvenzfreien Vermögen, sondern der Insolvenzmasse zuzurechnen, sodass die Pflicht zur Abgabe der Erklärung den Insolvenzverwalter trifft. So BFH, Urt. v. 24.2.2011 – VI R 21/10, ZIP 2011, 873 = DZWiR 2011, 321 f., dazu EWiR 2011, 427 (Onusseit); BFH, Urt. v. 27.7.2011 – VI R 9/11, ZIP 2011, 2118; BFH, Beschl. v. 29.1.2010 – VII B 188/09, ZInsO 2010, 768 ff.; vgl. Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 122 f.

146 Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Personengesellschaft wird diese zivilrechtlich grundsätzlich aufgelöst, steuerrechtlich besteht sie zunächst fort. Die Pflicht zur Abgabe der Feststellungserklärung obliegt gemäß § 181 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AO weiterhin den Feststellungsbeteiligten. Die Begründung ist darin zu sehen, dass die Erklärungspflicht zu den insolvenzfreien Angelegenheiten der Gesellschaft gehört. Sie berührt die persönliche Sphäre der Gesellschafter und nicht die der Gesellschaft. Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 499.

147 Der Insolvenzverwalter ist zur Abgabe der Feststellungserklärung verpflichtet, wenn er der Insolvenzverwalter eines Beteiligten ist, über dessen Vermögen gleichzeitig das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, beispielsweise Komplementär-GmbH bei einer GmbH & Co. KG, und die Beteiligung an der Personengesellschaft zur Insolvenzmasse gehört. Sofern ein Erklärungspflichtiger eine vollständige Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung beim Finanzamt einreicht, führt dies dazu, dass die weiteren Beteiligten von ihrer Erklärungspflicht gemäß § 181 Abs. 2 Satz 3 AO befreit sind.

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I. Stellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters Vgl. Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 127.

Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Personen- 148 gesellschaft obliegt die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärungen für die betrieblichen Steuern dem Insolvenzverwalter. Die Abgabepflicht umfasst sowohl die Zeiträume vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als auch die Zeiträume nach der Eröffnung. So BFH, Urt. v. 10.10.1951 – IV 144/51 U, BStBl III 1951, 212; BFH, Beschl. v. 12.11.1992 – IV B 83/91 FR 1993, 309 f.; BFH, Beschl. v. 19.11.2007 – VII B 104/07, BFH/NV 2008, 334 f.; vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 501.

Sofern über das Vermögen eines Gesellschafters das Insolvenzverfahren er- 149 öffnet wurde, besteht regelmäßig lediglich die Pflicht zur Abgabe der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung gemäß § 181 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Aufgrund der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Gesellschafters ist der Insolvenzverwalter gemäß §§ 34 Abs. 3, 181 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO zur Abgabe der Steuererklärung verpflichtet. Der Insolvenzverwalter wird gemäß § 181 Abs. 2 Satz 3 AO von der Erklärungspflicht befreit, wenn einer der übrigen Gesellschafter der Erklärungspflicht nachkommt. Vgl. Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 128.

Die Einbindung des Insolvenzverwalters in das Steuerschuldverhältnis ist 150 von einer eventuellen Masseunzulänglichkeit unabhängig. So BFH, Urt. v. 6.11.2012 – VII R 72/11, BFHE 239, 15 ff. = ZIP 2013, 83 = ZVI 2013, 148 = BStBl. II 2013, 141 f.; Schmittmann, StuB 2013, 67 f.

Die steuerrechtlichen Pflichten des Insolvenzverwalters enden nicht mit der 151 Aufhebung des Insolvenzverfahrens, sondern bleiben bis zur Erledigung sämtlicher steuerrechtlicher Verpflichtungen bestehen. So FG Nürnberg, Urt. v. 30.3.2010 – 2 K 1438/08, n. v. Der BFH (Beschl. v. 30.6.2011 – VII B 124/10, BFH/NV 2011, 2112 ff.) hat die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen.

Die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Erledigung der steuerlichen 152 Angelegenheiten besteht insbesondere dann fort, wenn das Gericht eine Nachtragsverteilung angeordnet hat. Daraus ergibt sich auch die Prozessführungsbefugnis des früheren Insolvenzverwalters. So BFH, Urt. v. 6.7.2011 – II R 34/10, BFH/NV 2012, 10 f. = NZI 2011, 911 f.

Mit der Anordnung einer Nachtragsverteilung tritt eine erneute Insolvenz- 153 beschlagnahme ein.

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters So BFH, Urt. v. 6.7.2011 – II R 34/10, BFH/NV 2012, 10 f. = NZI 2011, 911 f.; BGH, Beschl. v. 12.1.2006 – IX ZB 239/04, ZIP 2006, 340 = ZVI 2006, 58, dazu EWiR 2006, 245 (Beck).

154 Im Übrigen entfällt mit Beendigung des Insolvenzverfahrens neben der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zugleich die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters. So BFH, Urt. v. 6.7.2011 – II R 34/10, BFH/NV 2012, 10 f. = NZI 2011, 911 f.; BFH, Beschl. v. 23.8.1993 – V B 135/91, BFH/NV 1994, 186; BGH, Urt. v. 10.12.2009 – IX ZR 206/08, ZIP 2010, 102 = ZVI 2010, 269, dazu EWiR 2010, 193 (Rendels/Körner).

3. Stellung des (vorläufigen) Sachwalters 155 Im Falle der Eigenverwaltung ist der Schuldner gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO berechtigt, unter Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen. Der Sachwalter ist nicht Vermögensverwalter i. S. d. § 34 Abs. 3 AO. Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 484, BFH, Urt. v. 18.5.1988 – X R 27/80, BFHE 153, 299 = ZIP 1989, 123 = BStBl. I 1988, 716 ff. zu § 92 VerglO.

156 Der Sachwalter hat daher die steuerlichen Pflichten des Schuldners nicht zu erfüllen. So Roth, Insolvenz – Steuerrecht, Rn. 3.24; Schmittmann, in: Schmidt, Anhang Steuerrecht Rn. 16.

157 Der Sachwalter kann gemäß § 275 Abs. 2 InsO vom Schuldner verlangen, dass alle eingehenden Gelder nur vom Sachwalter entgegengenommen und Zahlungen nur vom Sachwalter geleistet werden. In diesem Falle handelt es sich um einen „Sachwalter mit Kassenführungsbefugnis“. Der Sachwalter handelt bei der Entgegennahme und bei der Leistung von Zahlungen nach Übernahme der Kassenführung für den Schuldner als dessen gesetzlicher Vertreter. So Undritz, in: Schmidt, § 276 InsO Rn. 7.

158 Mit der Übernahme der Kassenführung wird der Sachwalter gleichwohl nicht Vertreter i. S. v. § 34 Abs. 3 AO. Der Sachwalter kann aber zum Verfügungsberechtigten gemäß § 35 AO werden. Dann hat der Sachwalter die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 AO), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. 159 Im Falle der Übernahme der Kassenführung besteht für den Sachwalter die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit, Zahlungen an die Finanzverwaltung zu bewirken, wobei die Verteilungsreihenfolge gemäß § 209 InsO nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß § 286 InsO zu berücksichtigen ist.

28

II. Zeitraum Anordnung von Sicherungsmaßnahmen/Eröffnung des Verfahrens So Undritz, in: Schmidt, § 276 InsO Rn. 7.

In dieser Lage fallen die Erklärungspflicht, die beim Schuldner verbleibt, und 160 die Zahlungspflicht, die dem Sachwalter mit Kassenführungsbefugnis obliegt, auseinander. Dies erfordert in der Praxis ein besonderes Maß an Zusammenarbeit. Für den vorläufigen Sachwalter im Eröffnungsverfahren gelten gemäß § 270a 161 Abs. 1 Satz 2 InsO die vorstehenden Ausführungen sinngemäß. II. Problemfelder aus dem Zeitraum vor Insolvenzantragstellung bzw. vor Anordnung von Sicherungsmaßnahmen Der Zeitraum vor Insolvenzantragstellung bzw. vor Anordnung von Siche- 162 rungsmaßnahmen bedarf der sorgfältigen Beachtung durch den Insolvenzverwalter. Die Insolvenzantragstellung selbst führt nicht zu Einschränkungen in der 163 Handlungsfähigkeit des Schuldners bzw. seiner Organe. Gleichwohl ist der Eingang des Insolvenzantrags beim Insolvenzgericht keinesfalls unbeachtlich, da eine Reihe von Insolvenzanfechtungstatbeständen, §§ 129 ff. InsO, an die Insolvenzantragstellung anknüpft. Dies betrifft die Anfechtung kongruenter Deckungen gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO, die Anfechtung inkongruenter Deckungen gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO, die Anfechtung unmittelbar nachteiliger Rechtshandlungen gemäß § 133 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die Vorsatzanfechtung gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO sowie die Anfechtung im Zusammenhang mit Gesellschafterdarlehen gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO. Verfügungsbeschränkungen treten durch die Insolvenzantragstellung nicht 164 ein. Maßgeblich ist der Eingang des Insolvenzantrags beim Insolvenzgericht. Auf 165 den Eingang beim Amtsgericht kommt es nicht an. Vgl. Schmittmann, in: Haarmeyer/Huber/Schmittmann, Praxis der Insolvenzanfechtung, Teil IV Rn. 513.

1. Verfahrensrecht In steuerverfahrensrechtlicher Hinsicht hat die Stellung eines Insolvenzan- 166 trags keine Bedeutung. Auch die Bestellung eines Gutachters durch das Insolvenzgericht ist unbeachtlich. Maßgebliche Rechtsfolgen ergeben sich erst dann, wenn das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen anordnet, insbesondere einen sog. „starken“ oder „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der Insolvenzverwalter ver- 167 pflichtet, die rückständigen Steuererklärungen, auch aus der Zeit vor Insolvenzantragstellung bzw. Eröffnung des Insolvenzverfahrens anzufertigen und 29

B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

einzureichen. Die Regelung des § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO betrifft auch die vom Schuldner bislang nicht erfüllten Verpflichtungen. Da der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 148 Abs. 1 InsO das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen sofort in Besitz und Verwaltung zu nehmen hat (§ 148 Abs. 1 InsO), hat er auch die der Rechnungslegung dienenden Unterlagen des Schuldners gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 InsO, nachdem die besondere Verwertungsvorschrift des § 117 Abs. 2 KO weggefallen ist, in Besitz zu nehmen. So Schmittmann, in: Schmidt, § 155 InsO Rn. 12.

168 Dem Schuldner ist die Erfüllung der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegungspflichten nach Inbesitznahme der Geschäftsbücher durch den Insolvenzverwalter nicht mehr möglich, sodass es konsequent ist, diese Aufgabe dem Insolvenzverwalter zu übertragen. Vgl. BGH, Urt. v. 29.5.1979 – VI ZR 104/78, BGHZ 74, 316 ff. = ZIP 1980, 25 mit Anm. Kilger, S. 26 = NJW 1979, 2212 f.; KG, Urt. v. 30.4.2009 – 23 U 206/08, ZIP 2009, 1824 = NZG 2009, 1182 f., dazu EWiR 2009, 723 (Stahlschmidt); BGH, Urt. v. 16.9.2010 – IX ZR 121/09, BFH/NV 2011, 189 ff. = ZIP 2010, 2164 = NZI 2010, 956 ff., dazu EWiR 2010, 827 f. (H.-F. Müller).

169 Handelt es sich bei der Schuldnerin um eine Personenhandelsgesellschaft, so können die Gesellschafter vom Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gesellschaft die Vorlage steuerlicher Jahresabschlüsse für die Insolvenzmasse verlangen. Entstehen der Insolvenzmasse dadurch Kosten, die sie allein in fremdem Interesse aufwenden muss, kann der Insolvenzverwalter hierfür von den Gesellschaftern Ersatz und einen entsprechenden Auslagenvorschuss fordern. So BGH, Urt. v. 16.9.2010 – IX ZR 121/09, BFH/NV 2011, 189 ff. = ZIP 2010, 2164 = NZI 2010, 956 ff., dazu EWiR 2010, 827 f. (H.-F. Müller).

170 Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, die bislang nicht aufgestellten Jahresabschlüsse aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufzustellen; ihm obliegt auch die Feststellungskompetenz für die von ihm aufgestellten Jahresabschlüsse. So IDW RH HFA 1.012 Externe (handelsrechtliche) Rechnungslegung im Insolvenzverfahren, ZInsO 2009, 179 Rn. 9.

171 Stellt der Insolvenzverwalter fest, dass die vom Schuldner bzw. seinen Organen aufgestellten Jahresabschlüsse hinsichtlich der Zeiträume vor Verfahrenseröffnung Mängel aufweisen, z. B. weil der Schuldner in der Krise die Aktiva zu „optimistisch“ bewertet hat, um dadurch die Überschuldung zu verschleiern oder wertlose Forderungen, die wertmäßig abzuschreiben gewesen wären, weiterhin aktiviert, so sollte der Insolvenzverwalter prüfen, ob die fehlerhaften Jahresabschlüsse zu verwerten und richtige Jahresabschlüsse aufzustellen sind. So Schmittmann, in: Schmidt, § 155 InsO Rn. 15.

30

II. Zeitraum Anordnung von Sicherungsmaßnahmen/Eröffnung des Verfahrens

Der Insolvenzverwalter ist für Mängel der Buchführung aus der Zeit vor In- 172 solvenzeröffnung dem Schuldner gegenüber nicht verantwortlich, wenn diese Mängel nach Insolvenzeröffnung nicht mehr korrigiert werden können. Der Insolvenzverwalter muss sich im Rahmen des ihm Zumutbaren aber darum bemühen, eine mangelhafte Buchführung „in Ordnung“ zu bringen. Inhalt und Umfang der Pflichten, die der Insolvenzverwalter hat, hängen von 173 den konkreten Umständen, insbesondere von Art und Umfang der Mängel der Buchführung ab. Auch die Belastbarkeit der Masse mit den Kosten solcher Arbeiten, mag sie auch für die Pflichtenstellung des Insolvenzverwalters gegenüber den Finanzbehörden unbeachtlich sein, kann für die Verantwortlichkeit gegenüber dem Schuldner eine Rolle spielen. Der Insolvenzverwalter hat unter Umständen wegen weiterer Klärung mit dem Schuldner Verbindung aufzunehmen; der Insolvenzverwalter kann auch gehalten sein, sich mit der Finanzbehörde zwecks Erleichterungen von den Buchführungspflichten ins Benehmen zu setzen. So BGH, Urt. v. 29.5.1979 – VI ZR 104/78, BGHZ 74, 316 ff. = ZIP 1980, 25 mit Anm. Kilger, S. 26 = NJW 1979, 2212 f.

Gemäß § 256 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG ist ein festgestellter Jahresabschluss 174 außer in den Fällen der §§ 173 Abs. 3, 234 Abs. 3 und 235 Abs. 2 AktG nichtig, wenn er durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft gegeben sind. Aufgrund der Nichtigkeit eines Jahresabschlusses kann der Insolvenzverwalter Zahlungen, die auf der Basis der Jahresabschlüsse geleistet worden sind, insbesondere an Gesellschafter, zurückfordern und damit die Masse mehren. Vgl. Bange, ZInsO 2006, 519 ff.; Schmittmann, in: Schmidt, § 155 InsO Rn. 17.

Den Insolvenzverwalter treffen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens alle 175 Pflichten, die dem Schuldner oblägen, wenn über sein Vermögen nicht das Insolvenzverfahren eröffnet worden wäre. Dazu gehört auch die Steuererklärungspflicht gemäß § 149 Abs. 1 AO und, wenn der Schuldner eine gewerbesteuerpflichtige Personengesellschaft ist, die Verpflichtung zur Buchführung und Bilanzierung. Dies gilt auch für Steuerabschnitte, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegen. So BFH, Urt. v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BFHE 175, 309 = BStBl. II 1995, 194 ff. = ZIP 1994, 1969 ff. mit Anm. Onusseit, ZIP 1995, 1798 ff.; Rüsken, in: Klein, AO, § 34 Rn. 22; Schmittmann, in: Schmidt, InsO, Anhang Steuerrecht Rn. 30; Birk, ZInsO 2007, 745; Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 118.

Die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Abgabe von Steuererklärun- 176 gen ist unabhängig davon, ob die dafür erforderlichen Kosten – bei Beauftragung eines Steuerberaters – durch die Insolvenzmasse gedeckt sind. Ebenso wie der Steuerpflichtige selbst kann der Insolvenzverwalter die Erfüllung der 31

B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

Abgabepflichten von Steuererklärungen nicht mit dem Argument zurückweisen, es seien keine hinreichenden finanziellen Mittel vorhanden. Der Insolvenzverwalter hat die ihm auferlegten Pflichten gegenüber der Finanzbehörde im übergeordneten öffentlichen Interesse zu erfüllen. Die Steuererklärungspflicht dient der ordnungsgemäßen Abwicklung des Besteuerungsverfahrens und nicht nur dem fiskalischen Interesse der Finanzverwaltung als Insolvenzgläubiger. Dabei soll nach Auffassung des BFH auch berücksichtigt werden, dass zu Insolvenzverwaltern in der Regel Personen bestellt werden, die aufgrund ihrer Ausbildung oder beruflichen Erfahrung zu dieser Vermögensverwaltung, zu der auch die Abgabe von Steuererklärungen für den Gemeinschuldner gehört, besonders qualifiziert sind. Dem kann der Insolvenzverwalter nicht entgegenhalten, dass er für die damit verbundene Arbeit kein angemessenes Entgelt zu erwarten habe. So BFH, Urt. v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BFHE 175, 309 ff. = BStBl. II 1995, 194 ff. = ZIP 1994, 1969 ff. mit Anm. Onusseit, ZIP 1995, 1798 ff.

177 Der BFH hat offengelassen, ob es für einen Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter auch dann zumutbar ist, die Steuererklärungen des Gemeinschuldners selbst zu erstellen, wenn dies mit umfangreichen Buchführungs- und Abschlussarbeiten verbunden ist und die Kosten für die Beauftragung eines Steuerfachmannes aus der Insolvenzmasse nicht gedeckt werden können. So BFH, Urt. v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BFHE 175, 309 ff. = BStBl. II 1995, 194 ff. = ZIP 1994, 1969 ff. mit Anm. Onusseit, ZIP 1995, 1798 ff.

178 Der Insolvenzverwalter muss sich nach der Rechtsprechung des BGH im Rahmen des ihm Zumutbaren auch um die Vervollständigung einer der bei Insolvenzeröffnung mangelhaften Buchführung bemühen, wenn diese mit Blick auf die steuerlichen Anforderungen noch in Ordnung gebracht werden kann. So BGH, Urt. v. 29.5.1979 – VI ZR 104/78, BGHZ 74, 316 ff. = ZIP 1980, 25 mit Anm. Kilger, S. 26 = NJW 1979, 2212 f.

179 Bei der Nichtaufstellung von Jahresabschlüssen und der damit einhergehenden Nichtabgabe von Feststellungserklärungen bei einer Personenhandelsgesellschaft sind die Gesellschafter schutzlos Steuerschätzungen durch die Finanzverwaltung ausgeliefert. Das gesetzliche Schuldverhältnis zwischen dem Insolvenzverwalter und den Gesellschaftern verlangt, der Insolvenzmasse entsprechend §§ 669, 670 BGB einen Aufwendungsersatzanspruch zuzubilligen, der auch als Vorschuss eingefordert werden kann, um einerseits die Insolvenzmasse nicht mit den Kosten der Erstellung des Jahresabschlusses und der Steuererklärung zu belasten, andererseits aber auch den Gesellschaftern die Möglichkeit zu bieten, ihren steuerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.

32

II. Zeitraum Anordnung von Sicherungsmaßnahmen/Eröffnung des Verfahrens So BGH, Urt. v. 16.9.2010 – IX ZR 121/09, BFH/NV 2011, 189 ff. = ZIP 2010, 2164 ff. = NZI 2010, 956 ff.

Durch die Kostentragungslast der Gesellschafter werden die Interessen der 180 Gläubiger und Gesellschafter sachgerecht ausgeglichen. So Schmittmann, in: Schmidt, § 155 InsO Rn. 66.

Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, unrichtige Steuererklärungen zu kor- 181 rigieren, wenn solche zuvor vom Schuldner eingereicht worden sind. So AG Dresden, Beschl. v. 17.7.2002 – 531 IN 981/02, ZVI 2002, 340 f. = ZInsO 2002, 735 f. mit Anm. Förster; KPB/Kübler, InsO, § 155 Rn. 83; Maus, ZInsO 1999, 683, 686; Onusseit, ZInsO 2000, 363, 366; Schmittmann, in: Schmidt, § 155 InsO Rn. 69.

Die vorstehend umschriebenen Pflichten bestehen auch nach Anzeige der 182 Masseunzulänglichkeit fort. So Schmittmann, in: Schmidt, § 155 InsO Rn. 70.

Eine Ausnahme ist nur zulässig, wenn es sich um besonders schwierige und 183 umfangreiche Arbeiten handelt. Olbing, in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rn. 377.

In seiner Grundsatzentscheidung führt der BFH aus, dass regelmäßig eine 184 Person zum Insolvenzverwalter bestellt wird, die aufgrund ihrer Ausbildung oder beruflichen Erfahrung zu dieser Vermögensverwaltung besonders geeignet ist. Als Folge daraus ist es ihr zuzumuten, die Erstellung der Buchführung und die Abgabe der Steuererklärungen für den Gemeinschuldner in Fällen der Massearmut ordnungsgemäß vorzunehmen. Die Richter des BFH ziehen aus dieser Ansicht die Konsequenz, dass die Erzwingung der Abgabe von Steuererklärungen von einem dazu verpflichteten Insolvenzverwalter für das Finanzamt Vorrang gegenüber einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen hat. So BFH, Urt. v. 23.8.1994 – VII R 143/92, ZIP 1994, 1969 = BStBl. II 1995, 194; vgl. OFD Magdeburg, Vfg. v. 26.8.2004 – S 0321 – 3 – St 251; so auch Hessisches FG, Beschl. v. 18.4.2013 – 4 V 1796/12, EFG 2013, 994 ff.; BFH, Urt. v. 6.11.2012 – VII R 72/11, ZIP 2013, 83 = ZVI 2013, 148 = DStR 2013, 37 f.

Sofern dem Insolvenzverwalter keine Mittel zur Verfügung stehen, um et- 185 waige aus dieser Verpflichtung entstehenden Honoraransprüche zu erfüllen, muss der Insolvenzverwalter die Einstellung des Verfahrens mangels Masse gemäß der Vorschrift des § 207 InsO beantragen. So BFH, Beschl. v. 19.1.2007 – VII B 104/07, BFH/NV 2008, 334.; BFH, Urt. v. 8.8.1995 – VII R 25/94, BFH/NV 1996, 13 f. = ZIP 1996, 430, dazu EWiR 1996, 411 (Fahnster); vgl. Rüsken, in: Klein, AO, § 149 Rn. 3.

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

186 Als Folge daraus fällt die Erfüllung der versäumten steuerlichen Pflichten durch den Insolvenzverwalter ex nunc weg. So BFH, Beschl. v. 22.10.2007 – VIII B 55/07, BFH/NV 2008, 187 f.; BFH, Urt. v. 8.8.1995 – VII R 25/94, BFH/NV 1996, 13 = ZIP 1996, 430; vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 509.

187 Nach der Rechtsprechung des BGH steht dem Verwalter bei gewährter Kostenstundung im eröffneten Insolvenzverfahren ein Anspruch auf Erstattung angemessener Kosten für einen Steuerberater als Auslagen gemäß §§ 4a, 63 InsO, § 4 Abs. 1, 2 InsVV aus staatlichen Mitteln zu, wenn das Finanzamt den Insolvenzverwalter trotz Masseunzulänglichkeit des Verfahrens nachhaltig auffordert umfangreiche steuerliche Tätigkeiten zu erbringen. So BGH, Beschl. v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, ZIP 2004, 1717 = ZVI 2004, 606 = ZInsO 2004, 970, dazu EWiR 2004, 1037 (Schäferhoff); so auch AG Dresden, Beschl. v. 6.7.2006 – 551 IN 1042/05, ZIP 2006, 1686; vgl. Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Juli 2015, § 34 AO Rn. 25; Krüger, ZInsO 2010, 165; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 410.

188 Der Verwalter sollte sich darum bemühen, Probleme mit dem Finanzamt einvernehmlich zu lösen. Er kann gemäß § 109 AO Fristverlängerungsanträge für die Abgabe der Steuererklärungen stellen. Sofern Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Buchführungspflichten bestehen, kann er Erleichterungen nach § 148 AO beantragen. Der Verwalter kann Erklärungen mit geschätzten Zahlen abgeben, wobei er ausdrücklich auf die Schätzung hinzuweisen hat. Vgl. Hess, in: Hess, Sanierungshandbuch, Kap. 33 Rn. 64; wg. der Problematik der Dauerfristverlängerung bei der Umsatzsteuer vgl. Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 269; Olbing, in: Thierhoff/Müller, Unternehmenssanierung, Kap. 10 Rn. 396; vgl. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rn. 105, 208. Praxistipp: Der Antrag auf Fristverlängerung zum Zweck der Stundung fälliger Steuerzahlungen bei bereits fertiggestellter Steuererklärung kann eine Steuerhinterziehung darstellen. Der Grund ist darin zu sehen, dass bereits die verspätete Festsetzung oder Beitreibung von Steuerforderungen einen steuerlichen Vorteil darstellt. Vgl. Kämpfer/Buhlmann, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 11 Rn. 68.

189 Für den Insolvenzverwalter entsteht eine aus seiner Position problematische Situation, wenn er anstelle des Schuldners von der Finanzbehörde zur Abgabe von Steuererklärungen aufgefordert wird. Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 23.8.1994 erkannt, dass es in der Regel unerheblich sei, ob die Masse über ausreichende Mittel verfüge, um Steuererklärungen durch einen Dritten erstellen zu lassen. Der Konkursverwalter kann danach die Abgabe

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II. Zeitraum Anordnung von Sicherungsmaßnahmen/Eröffnung des Verfahrens

der Steuererklärung nicht mit der Begründung ablehnen, die Kosten für die Erstellung der Steuererklärung durch einen Steuerberater könnten nicht aus der Masse beglichen werden. So BFH, Urt. v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BStBl II 1995, 194 = ZIP 1994, 1969.

Der Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Insolvenzrecht“ aus 190 dem Jahr 2001 kam in Verfahren, die masselose, vermögenslose Kleingewerbetreibende betreffen, zu den nachstehenden Feststellungen: Regelmäßig veranlasst die Finanzbehörde im Fall der Nichterfüllung von Steuererklärungspflichten durch den Schuldner für die vergangenen Veranlagungszeiträume Schätzungen. Die Schätzungen bewirken nicht, dass der Schuldner bzw. der Insolvenzverwalter von der Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen befreit ist. Die Befreiung kommt aus den Gründen der Gleichbehandlung mit anderen, nicht in der Insolvenz befindlichen Personen nicht in Betracht. Zudem ist nicht nur die Steuererklärungspflicht, sondern auch das Steuererklärungsrecht zu bedenken. Der Insolvenzverwalter muss bei der Schätzung, die zu hoch ausfällt, das Steuererklärungsrecht in Anspruch nehmen können, um eine niedrigere Steuerfestsetzung zu erreichen. Da auf das Steuererklärungsrecht des Insolvenzverwalters nicht verzichtet werden kann, kommt aus diesem Grund eine einseitige Befreiung von der Steuererklärungspflicht nicht in Betracht. Vgl. Leibner, Der Steuerberater als Krisen- und Insolvenzberater, S. 241.

Die Finanzbehörde ist darum bemüht, die Veranlagungszeiträume perioden- 191 gerecht abzuschließen. Das hat für den Insolvenzverwalter zur Folge, dass er in der Regel die aktuellen Steuererklärungspflichten zu erfüllen hat. Um die Veranlagungsarbeiten abzuschließen, wendet die Finanzbehörde regelmäßig das Instrument der Schätzung an. Sie verzichtet für gewöhnlich auf Zwangsgeldfestsetzungen gegen den Insolvenzverwalter zur Durchsetzung der Steuererklärungspflichten. Daher sind Probleme im Hinblick auf die Steuererklärungspflichten des Insolvenzverwalters im massearmen Verfahren bei Zugrundelegung der dargestellten Schätzungspraxis der Finanzbehörde weitgehend theoretischer Natur. Sollte der Insolvenzverwalter im Einzelfall zur Erfüllung von umfangreichen Steuererklärungspflichten angehalten werden, besteht für ihn die Möglichkeit, Masseunzulänglichkeit anzuzeigen. Vgl. Leibner, Der Steuerberater als Krisen- und Insolvenzberater, S. 242 f. Praxistipp: Die Finanzbehörde kann Zwangsgeld gegen den Insolvenzverwalter wegen der Nichtabgabe von Steuererklärungen festsetzen. So BFH, Urt. v. 6.11.2012 – VII R 72/11, BFHE 239, 15 ff. = BStBl II 2013, 141 = ZIP 2013, 83 = ZVI 2013, 148 ff.

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

192 Nicht ohne Ironie merkt der BFH an, dass die Erstellung von „Null-Erklärungen“ einem Insolvenzverwalter, der auch Rechtsanwalt ist, „keine Schwierigkeiten bereiten sollte“. So BFH, Urt. v. 6.11.2012 – VII R 72/11, BFHE 239, 15 ff. = BStBl II 2013, 141 = ZIP 2013, 83 f. = ZVI 2013, 148 f.; Schmittmann, StuB 2013, 67 f.

193 Das Finanzamt ist berechtigt, zwecks fehlender Beibringung von Steuererklärungen Anordnungsverfügungen und Zwangsgeldandrohungen gegen den Konkursverwalter auszubringen. So BFH, Urt. v. 8.8.1995 – VII R 25/94, BFH/NV 1996, 13 f. = ZIP 1996, 430 ff. = EWiR 1996, 411 (Fahnster).

194 Das Zwangsgeld ist nicht gegen die Insolvenzmasse, sondern gegen den Insolvenzverwalter persönlich festzusetzen. So Hessisches Finanzgericht, Beschl. v. 18.4.2013 – 6 V 1796/12, EFG 2013, 994 ff. = KSI 2013, 185 f.; vgl. zur Zumutbarkeit auch OFD Rostock, Verfügung v. 1.9.2003 – S 0320/S 0550 A – St 215.

195 Bei Personenhandelsgesellschaften hat der Insolvenzverwalter soweit die Steuererklärungen abzugeben, wie es sich um Steuern handelt, die auch von der Gesellschaft geschuldet werden, also z. B. die Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärung, nicht aber die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung. Soweit die Gesellschafter Interesse an der Abgabe solcher Steuererklärungen haben, z. B. im Zusammenhang mit der Erhaltung von Verlustvorträgen etc., haben sie die Möglichkeit, der ansonsten durch die Finanzverwaltung drohenden Schätzung zu entgehen, indem sie die Erstellung der Erklärungen durch den Insolvenzverwalter bzw. einen von ihm zu beauftragenden Steuerberater bevorschussen. 196 Im Hinblick darauf, dass den Insolvenzverwalter auch die Verpflichtung trifft, rückständige Steuererklärungen zu erstellen, ist hier eine Abgrenzung zur Berichtigung nach § 153 AO vorzunehmen (vgl. dazu Rn. 506 ff.). 197 Berichtigungen können sich sowohl zugunsten der Insolvenzmasse auswirken, z. B. bei der Ausbuchung von Forderungen und bei Bestandsveränderungen, aber auch zulasten der Insolvenzmasse, z. B. bei der Erfassung bislang nicht erklärter Umsätze sowie der Auflösung von Rückstellungen. 198 Die Hinnahme von Schätzungen (§ 162 AO) kann den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen (vgl. dazu Rn. 518 ff.). 199 Im Übrigen sollte der Insolvenzverwalter erwägen, ggf. auch eine Aufklärung des Sachverhalts durch IFG herbeizuführen. Vgl. Bächer, ZInsO 2009, 1147; Beck, ZIP 2006, 2009; Blank/Blank, ZInsO 2009, 1881; Bruns, ZInsO 2013, 1892; Dahl, NJW-Spezial 2013, 21; Eversloh, AO-StB 2003, 293; Fechner, InsbürO 2010, 468; Grundmann, AO-StB 2004, 133; Gundlach/Frenzel, NZI 2009, 719; Kloepfer, K&R 2006, 19;

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II. Zeitraum Anordnung von Sicherungsmaßnahmen/Eröffnung des Verfahrens ders., DÖV 2003, 221; Misoch/Schmittmann, VR 2012, 181; Nöcker, AO-StB 2010, 44; Schaake, Informationsansprüche des Insolvenzverwalters gegenüber der Finanzverwaltung, Diss., 2014; Schmittmann, StuB 2010, 69; ders., ZInsO 2010, 1469; ders., NZI 2012, 633; ders., K&R 2015, 23; ders., K&R 2015, 372; ders., NZI 2015, 594; Schmittmann/Böing, InsbürO 2010, 15; Schmittmann/Kupka, InsbürO 2009, 83; dies, NZI 2009, 367; Schmitz/Jastrow, NVwZ 2005, 984.

2. Umsatzsteuer a) Grundsätze Bei der Umsatzsteuer besteht erfahrungsgemäß ein besonders hohes Haf- 200 tungsrisiko, da die Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens ist und daher ausschließlich an die Ausführung von Lieferungen und sonstigen Leistungen anknüpft. Zutreffend hat der BFH zum Sinn der Umsatzsteuer im Jahre 1973 noch konstatiert: „Die meisten Verkehrssteuern einschließlich der Umsatzsteuer haben keinen tieferen Sinn als den, dem Staat Geld zu bringen“. So BFH, Beschl. v. 8.11.1972 – II B 24/72, BStBl. II 1973, 94, 96; Reiß, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 14 Rn. 1.

Von besonderer Bedeutung bei der Umsatzsteuer sind Korrekturen, die auf- 201 grund der Rechtsprechungsänderung des BFH in der jüngeren Vergangenheit erforderlich sind. b) Umsatzsteuerkorrektur bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens Der BFH hat im Jahre 2010 zunächst entschieden, dass es durch die Eröff- 202 nung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile kommt. So ist zwischen der Insolvenzmasse, dem „vorinsolvenzlichen Unternehmensteil“ sowie ggf. dem vom Insolvenzverwalter freigegebenen Vermögen zu unterscheiden. Aus dieser Aufteilung schließt der BFH, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine erste Berichtigung gemäß § 17 UStG im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung erforderlich ist, da der Schuldner das Recht verliert, seine gegen Drittschuldner bestehenden Forderungen einzuziehen. Die Forderungen werden daher nach Auffassung des BFH aus Rechtsgründen uneinbringlich. Vereinnahmt der Insolvenzverwalter später die Forderungen, so ist eine weitere Berichtigung gemäß § 17 UStG erforderlich. So BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BFHE 232, 301 ff. = ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/Friedrich-Vache, S. 1595) = BStBl. II 2011, 996 ff. = ZIP 2011, 782 ff., dazu EWiR 2011, 323 (Mitlehner).

In der Praxis bedeutet die Rechtsprechung des BFH schlicht eine „Hochstu- 203 fung“ von Insolvenzforderungen i. S. v. § 38 InsO zu Masseverbindlichkeiten

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

i. S. v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sodass die Insolvenzmasse durch die Rechtsprechungsänderung in erheblichem Maße belastet wird. Vgl. kritisch: Kahlert, ZIP 2015, 11 ff.; Kahlert, DStR 2011, 921 ff.; Schacht, ZInsO 2011, 1787 ff.

c) Umsatzsteuerkorrektur bei Anordnung von Sicherungsmaßnahmen 204 Diese Rechtsprechung hat der BFH dahin weiter entwickelt, dass für den Fall, dass das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit dem Recht zum Forderungseinzug bestellt, Steuerbetrag und Vorsteuerabzug für Leistungen, die der Unternehmer bis zur Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters erbracht oder bezogen hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen sind. Gleiches gilt für den Steuerbetrag und den Vorsteuerabzug aus Leistungen, die das Unternehmen danach bis zum Abschluss des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbringt oder bezieht. So BFH, Urt. v. 22.9.2014 – V R 48/13, BStBl. II 2015, 506 ff. = ZIP 2014, 2451 ff. (mit Besprechung Kahlert, ZIP 2015, 11 ff.), dazu EWiR 2015, 19 f. (Schmittmann).

205 Es ist somit Sache des Insolvenzverwalters, die Berichtigung zu erklären und eine zutreffende Zuordnung zu Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten vorzunehmen. So Schmittmann, Haftung von Organen in Krise und Insolvenz, Rn. 1061.

206 Die „erste“ Berichtigung gemäß § 17 UStG erfolgt mit Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, gleich ob es sich um einen sog. „starken“ oder „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter handelt. Entscheidend ist lediglich, dass dieser das Recht zum Forderungseinzug hat, was regelmäßig gegeben ist. 207 Es kommt im Rahmen der „ersten“ Berichtigung gemäß § 17 UStG zu einem Steuerguthaben des Schuldners. Da das schuldnerische Unternehmen allerdings regelmäßig Verbindlichkeiten gegenüber der Finanzverwaltung hat, wird das Guthaben nicht ausgezahlt, sondern von der Finanzverwaltung mit Steuerverbindlichkeiten aufgerechnet. 208 Haftungsträchtig ist diese Berichtigung insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Insolvenzverwalter zum einen verpflichtet ist, zu verhindern, dass zu hohe Masseverbindlichkeiten festgestellt werden und zum anderen sicherstellen muss, dass die Masseverbindlichkeiten zutreffend bestimmt werden. Eine Nichtbeachtung dieser Rechtsprechungsänderung führt zu erheblichen Risiken einer Steuerhinterziehung durch den Insolvenzverwalter gemäß § 370 Abs. 1 AO, sofern er die Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, die durch den Forderungseinzug anfallen, später nicht erklärt. Das Entdeckungsrisiko ist hoch, da die Finanzverwaltung im Insolvenzver-

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II. Zeitraum Anordnung von Sicherungsmaßnahmen/Eröffnung des Verfahrens

fahren ohne Weiteres die Möglichkeit hat, durch Einsicht in die Insolvenzakte festzustellen, welche Forderungen der Insolvenzverwalter zu welchem Zeitpunkt erfolgreich eingezogen hat. Zugleich besteht die Gefahr einer Schädigung der Gläubiger, wenn der Be- 209 richtigungsanspruch gemäß § 17 UStG nicht zutreffend bestimmt wird und sich dadurch zu hohe Insolvenzforderungen der Finanzverwaltung ergeben, die ihrerseits wieder zu einer Minderung der Quotenaussicht der übrigen Gläubiger führen. 3. Ertragsteuern Bei der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer ist 210 Ausgangspunkt das Einkommen. Das Einkommen ist bei der Einkommensteuer gemäß § 2 Abs. 4 EStG der 211 Gesamtbetrag der Einkünfte, vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen. Welche Einkünfte der Einkommensteuer unterliegen ergibt sich aus § 2 Abs. 1 EStG. Einkünfte sind gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG bei Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit der Gewinn, während gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG bei den anderen Einkunftsarten der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten maßgeblich ist. Bei der Körperschaftsteuer ist das zu versteuernde Einkommen gemäß § 7 212 Abs. Abs. 1 KStG maßgebend, während es gemäß § 7 Abs. 2 KStG das Einkommen i. S. d. § 8 Abs. 1 KStG, vermindert um die Freibeträge der §§ 24 und 25 KStG, ist. Was als Einkommen gilt und wie das Einkommen zu ermitteln ist, bestimmt sich gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG nach den Vorschriften des EStG und des KStG. Bei der Gewerbesteuer ist gemäß § 7 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuerer- 213 trag maßgebend, der den nach den Vorschriften des EStG und des KStG zu ermittelnden Gewinn aus dem Gewerbebetrieb darstellt, wobei insbesondere die Hinzurechnungen gemäß § 8 GewStG und die Kürzungen gemäß § 9 GewStG zu berücksichtigen sind. Allein durch die Insolvenzantragstellung ergeben sich bei den Ertragsteuern 214 keine Änderungen. Eine Überprüfungspflicht nach der Richtsatzsammlung erfolgt durch den Gutachter ebenso wenig wie eine Prüfung der Periodenverschiebungen sowie von Korrekturen wegen Insolvenz-/Zwangsverwaltung. 4. Sonstige Steuerarten Bei den sonstigen Steuerarten gelten die vorstehenden Grundsätze.

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Insbesondere sind die Berichtigungspflichten, § 153 AO, noch beim Schuld- 216 ner bzw. seinen Organen. Sie gehen nicht auf den Gutachter über.

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

217 Vertrauensschutzgrundsätze sind an dieser Stelle nicht zu prüfen, da die Bestellung des Gutachters die bisherigen Vertretungsverhältnisse unverändert lässt. III. Problemfelder aus dem Zeitraum zwischen Anordnung von Sicherungsmaßnahmen bis zur Eröffnung des Verfahrens 218 Der Zeitraum zwischen Anordnung von Sicherungsmaßnahmen bis zur Eröffnung des Verfahrens ist differenziert zu betrachten. Im Folgenden werden zunächst (1.) verfahrensrechtliche Aspekte behandelt, bevor die Problemfelder bei der Umsatzsteuer (2.), den Ertragsteuern (3.) und den sonstigen Steuerarten (4.) behandelt werden. 1. Verfahrensrecht 219 In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist zu unterscheiden, ob das Insolvenzgericht einen sog. „starken“ oder einen sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt hat. 220 Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter wird Vermögensverwalter i. S. v. § 34 Abs. 1 i. V. m. § 34 Abs. 3 AO, sodass diesen die gleichen Pflichten treffen wie den vom Insolvenzgericht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestellten Insolvenzverwalter. 221 Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter hat demnach die gleichen Buchführungs- und Steuererklärungspflichten wie der Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren. 222 Der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter kann daher Täter i. S. v. § 370 AO (Steuerhinterziehung) sein. Mangels steuerlicher Erklärungspflichten kann der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter nicht Täter einer Steuerhinterziehung i. S. v. § 370 Abs. 1 AO sein. 223 Ist ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, bleibt die Steuererklärungspflicht beim Schuldner bzw. seinen Organen. Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter kommt aber als Anstifter gemäß § 26 StGB oder Gehilfe (§ 27 StGB) in Betracht, wenn er z. B. den Schuldner veranlasst, keine Voranmeldungen bzw. Erklärungen abzugeben. Weiterhin kommt eine Strafbarkeit als Anstifter oder Gehilfe in Betracht, wenn der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter den Schuldner bzw. seine Organe veranlasst, von der Berichtigung von Steuererklärungen abzusehen, obwohl eine Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO besteht. 224 Auch die Hinnahme von Schätzungen kann den Straftatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllen, wobei der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter als Täter und der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter als Anstifter oder Gehilfe in Betracht kommt.

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III. Zeitraum Anordnung von Sicherungsmaßnahmen/Eröffnung des Verfahrens

2. Umsatzsteuer Bei der Umsatzsteuer ist insbesondere die Berichtigung gemäß § 17 UStG zu 225 berücksichtigen, die bereits oben dargestellt worden ist. Sofern sich Rechtsprechungsänderungen ergeben, ist der „starke“ vorläufige 226 Insolvenzverwalter verpflichtet, diese umzusetzen, da er die gleichen Pflichten hat, die auch ein Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren hat. Unterlässt der „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter die erforderlichen Korrekturen, kommt – bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale im Übrigen – eine Strafbarkeit gemäß § 370 AO in Betracht. 3. Ertragsteuern Bei der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer steht 227 die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens im Vordergrund. Mit der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen in Gestalt der Bestellung eines 228 „starken“ oder „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters wird zwar kein neues Geschäftsjahr begonnen oder ein gesonderter Veranlagungszeitraum. Gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO beginnt erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein neues Geschäftsjahr. Der Veranlagungszeitraum, im Regelfall das Kalenderjahr, wird durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohnehin nicht verändert. Es ist allerdings sowohl durch den sog. „starken“ als auch durch den sog. 229 „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter zu berücksichtigen, dass mit Anordnung von Sicherungsmaßnahmen und Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters die nach diesem Zeitraum entstehenden Ertragsteuern nicht mehr Insolvenzforderungen i. S. v. § 38 InsO sind, sondern zu Masseverbindlichkeiten i. S. v. § 55 InsO werden. Bei Bestellung eines sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters folgt dies aus § 55 Abs. 2 InsO; im Falle der Bestellung eines sog. „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters aus § 55 Abs. 4 InsO. In der Praxis hat der vorläufige Insolvenzverwalter daher sicherzustellen, 230 dass in der Minute seiner Bestellung, die sich aus dem Sicherungsbeschluss des Insolvenzgerichts ergibt, alle Daten erfasst werden, um eine Bilanz aufzustellen bzw. eine Einnahme-Überschuss-Rechnung für den Zeitraum ab Anordnung der Sicherungsmaßnahmen anzufertigen. Im Hinblick darauf, dass Masseverbindlichkeiten vom Insolvenzverwalter 231 von Amts wegen zu berücksichtigen sind, besteht ein erhebliches Risiko einer Steuerhinterziehung i. S. v. § 370 AO, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter bzw. der Insolvenzverwalter das der Steuererklärung zugrunde zu legende Zahlenmaterial nicht sorgfältig ermittelt und dadurch das zu versteuernde Einkommen zu gering angegeben wird. Hat der (vorläufige) Insolvenzverwalter allerdings die Zahlen nicht sorgfältig ermittelt und ergibt sich dadurch

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

eine höhere Steuerzahllast als bei zutreffender Berechnung, scheidet zwar eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO aus, allerdings macht der Insolvenzverwalter sich gemäß § 60 Abs. 1 InsO gegenüber den Insolvenzgläubigern schadensersatzpflichtig, wenn zugunsten des Finanzamtes objektiv zu hohe Masseverbindlichkeiten ermittelt werden, die zu einer Minderung der Quotenaussicht der Gläubiger gemäß § 38 InsO führen. Vergleiche zu den Pflichten des Insolvenzverwalters gegenüber Insolvenz- und Massegläubigern: Thole, in: Schmidt, § 60 InsO Rn. 20 ff.

4. Sonstige Steuerarten 232 Bei den sonstigen Steuerarten gelten die vorstehenden Ausführungen sinngemäß. IV. Problemfelder aus dem Zeitraum ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens 233 Der Zeitraum zwischen Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Aufhebung des Insolvenzverfahrens steht zum einen im Licht von § 155 InsO, der die handels- und steuerrechtliche Rechnungslegung regelt, zum anderen aber auch von § 34 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 InsO, der die steuerlichen Pflichten des Insolvenzverwalters regelt. 234 Nachstehend werden zunächst die (1.) verfahrensrechtlichen Grundlagen dargelegt, bevor Problemfelder aus dem Bereich der (2.) Umsatzsteuer, (3.) Ertragsteuern sowie (4.) sonstigen Steuerarten behandelt werden. 1. Verfahrensrecht 235 In verfahrensrechtlicher Hinsicht führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO zum Beginn eines neuen Geschäftsjahres. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens lässt gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO die handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners zur Buchführung und zur Rechnungslegung unberührt. In Bezug auf die Insolvenzmasse hat der Insolvenzverwalter diese Pflichten gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO zu erfüllen. 236 Der Insolvenzverwalter ist – wie oben bereits bei Rn. 74 dargestellt – Vertreter i. S. v. § 34 Abs. 1 AO. 237 Der Insolvenzverwalter ist daher zur Abgabe von Steuererklärungen verpflichtet. Dies gilt für sämtliche Steuererklärungen für die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die vom Schuldner bzw. seinen Organen noch nicht abgegeben worden sind, sowie für alle Steuererklärungen, die ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzugeben sind. 238 Die Nichtabgabe von Steuererklärungen kann als Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO anzusehen sein (vgl. dazu: im Einzelnen Rn. 504).

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IV. Zeitraum Eröffnung des Insolvenzverfahrens/Aufhebung des Insolvenzverfahrens

Gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 InsO treffen den Steuerpflichtigen bestimmte 239 Berichtigungspflichten. Da der Insolvenzverwalter mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum Steuerpflichtigen gemäß § 33 Abs. 1 InsO i. V. m. § 34 Abs. 1 und Abs. 3 InsO wird, treffen ihn auch Berichtigungspflichten (vgl. zur Berichtigung gemäß § 153 AO Rn. 506 ff.). Der Insolvenzverwalter ist nicht verpflichtet, eigene Ermittlungen anzustellen, 240 um Unrichtigkeiten in den vom Schuldner bzw. seinen Organen bereits abgegebenen Steuererklärungen aufzudecken. Arbeitet der Insolvenzverwalter allerdings die Geschäftsunterlagen des Schuldners durch, z. B. um den Forderungseinzug durchzuführen oder Sachverhalte zu ermitteln, die der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO unterliegen, wird er dabei möglicherweise feststellen, dass in der Vergangenheit Sachverhalte nicht, nicht vollständig oder nicht zutreffend verbucht worden sind. In diesem Moment hat der Insolvenzverwalter Kenntnis von der unrichtigen Sachbehandlung durch den Schuldner, sodass ihn – bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen – gemäß § 153 AO eine Berichtigungspflicht trifft, auch wenn er die Geschäftsunterlagen aus völlig anderen Motiven durchgesehen hat. Hat der Schuldner Schätzungen hingenommen, so hat der Insolvenzverwal- 241 ter zu prüfen, ob die von der Finanzverwaltung durchgeführte Schätzung zu einem zu hohen steuerlichen Ergebnis geführt hat. In diesem Falle besteht das Risiko, dass der Insolvenzverwalter sich gegenüber den anderen Gläubigern gemäß § 60 Abs. 1 InsO schadensersatzpflichtig macht, wenn er zu hohe Steuerforderungen feststellt. Der Insolvenzverwalter ist auch steuerverfahrensrechtlich nicht verpflichtet, 242 die zurückliegende Buchhaltung des Schuldners dahin durchzuarbeiten, ob dieser unzutreffende Angaben gemacht hat. So ist der Insolvenzverwalter z. B. nicht verpflichtet, anhand der amtlichen Richtsatzsammlung, die sich als besondere Form der Schätzung darstellt (vgl. dazu Rn. 529), die Angaben zu überprüfen. Bei Kapitalgesellschaften können sich durchaus parallele Interessen des In- 243 solvenzverwalters und der Finanzverwaltung ergeben. Gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG mindern verdeckte Gewinnausschüttungen sowie Ausschüttungen jeder Art auf Genussrechte, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der Kapitalgesellschaft verbunden ist, das Einkommen nicht. Hintergrund der sog. „verdeckten Gewinnausschüttung“ ist, dass die Kör- 244 perschaft aufgrund einer „verdeckten Einkünfteverteilung“ einen zu niedrigen Jahresüberschuss ausweist, weil sie eine Zuwendung an den Anteilseigner (z. B. das überhöhte Gehalt) zu Unrecht als Betriebsausgabe behandelt hat. Ebenfalls kann es zu einer verdeckten Gewinnausschüttung kommen, weil die Körperschaft zugunsten des Gesellschafters auf Betriebseinnahmen verzichtet hat. Dies kann durch Gewährung eines zinslosen Darlehens, Verkauf von Wirtschaftsgütern zu marktunüblich niedrigen Preisen etc. erfolgen. 43

B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters So Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 11 Rn. 70.

245 Ebenso wie die Finanzverwaltung aus Sachverhalten, die sich als verdeckte Gewinnausschüttung darstellen, die zutreffenden steuerrechtlichen Konsequenzen zu ziehen hat, hat der Insolvenzverwalter zu prüfen, ob es sich bei diesen Sachverhalten um Verstöße gegen Vorschriften des Kapitalgesellschaftsrechts handelt. So darf gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden. Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG dürfen den Aktionären die Einlagen nicht zurückgewährt werden. Zahlungen, welche den Vorschriften des § 30 GmbHG zuwider geleistet sind, müssen der Gesellschaft gemäß § 31 Abs. 1 GmbHG erstattet werden. Bei der Aktiengesellschaft haben die Aktionäre gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG der Gesellschaft Leistungen, die sie entgegen den Vorschriften des Aktiengesetzes von ihr empfangen haben, zurückzugewähren. 246 Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften darf im Ergebnis an die Gesellschafter nur ein festgestellter Bilanzgewinn ausgeschüttet werden. Wurde dagegen – sei es offen, sei es verdeckt – verstoßen, so hat das Organ bzw. nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalter Rückforderungsansprüche gegen die Gesellschafter geltend zu machen. Unterlässt er dies, macht er sich gemäß § 60 Abs. 1 InsO gegenüber der Gläubigergemeinschaft schadensersatzpflichtig. Erkennt er vor der Finanzverwaltung, dass bei dem später insolventen Unternehmen verdeckte Gewinnausschüttungen vorgenommen worden sind, so hat er dies zu korrigieren. 2. Umsatzsteuer 247 Bei der Umsatzsteuer hat der Insolvenzverwalter insbesondere (a) Korrekturen aufgrund von Rechtsprechungsänderungen sowie (b) Korrekturen aufgrund von Insolvenzanfechtungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus wird auf die (c) Schädigung des Umsatzsteueraufkommens eingegangen. a) Korrekturen aufgrund Rechtsprechungsänderung 248 Der Insolvenzverwalter hat eine geänderte Rechtsprechung zu berücksichtigen. Dies setzt voraus, dass er sich durch den Besuch geeigneter Fortbildungsveranstaltungen, Lektüre von Fachzeitschriften sowie Auswertung der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte auf dem aktuellen Stand der Rechtsentwicklung hält. Nachfolgend soll aus drei Beispielen aus dem Bereich des Umsatzsteuerrechts dargestellt werden, welche Konsequenzen sich für den Insolvenzverwalter ergeben können: aa) BFH, Urteil vom 29.1.2009 – V R 64/07 249 Es zählt zu den Aufgaben des Insolvenzverwalters, einen im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehenden Forderungsbestand des Schuldners einzuziehen.

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IV. Zeitraum Eröffnung des Insolvenzverfahrens/Aufhebung des Insolvenzverfahrens

Früher bestand die einhellige Auffassung, dass die in der eingezogenen For- 250 derung enthaltene Umsatzsteuer Insolvenzforderung (§ 38 InsO) sei, da der maßgebliche Lebenssachverhalt (Erbringung der Lieferung oder sonstigen Leistung) vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens lag. Diese Praxis wurde durch den BFH beendet. Bei der für die Leistung entste- 251 henden Umsatzsteuer handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wenn der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Rahmen der Ist-Besteuerung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1b UStG Entgelte für Leistungen, die bereits vor Verfahrenseröffnung erbracht wurden, vereinnahmt. So BFH, Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07, BFHE 224, 24 ff. = ZIP 2009, 977 = BStBl. II 2009, 682 ff. = NZI 2009, 447 ff.; dazu EWiR 2009, 315 (G. Berger).

Im Hinblick darauf, dass der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, die Masse- 252 verbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) von Amts wegen zu ermitteln, hat er die Entscheidung umzusetzen. Erklärt der Insolvenzverwalter hinsichtlich des nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommenen Forderungseinzugs im Falle der Ist-Besteuerung die darin enthaltene Umsatzsteuer nicht, so ist der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO gegeben. Im Hinblick darauf, dass die Entscheidung des BFH (Urt. v. 29.1.2009 – V R 253 64/07) lediglich für Steuerpflichtige gelten sollte, die der Ist-Besteuerung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1b UStG i. V. m. § 20 UStG unterliegen, sind diese Fälle allerdings in der Praxis, weil grundsätzlich die Soll-Besteuerung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1a UStG i. V. m. § 13 UStG gilt, lediglich von geringer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Entscheidung des BFH (Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07) hat aber eine bahnbrechende Änderung der Rechtsprechung des BFH im Insolvenzumsatzsteuerrecht vorbereitet. Seitens der Insolvenzverwalter wurde zum Teil versucht, die Privilegierung 254 der Finanzverwaltung durch diese Rechtsprechung durch einen Wechsel von der Ist- zur Soll-Besteuerung zu unterlaufen, was allerdings sogleich von der Finanzverwaltung durch Erlasse sanktioniert worden ist. Vgl. Schmittmann, ZIP 2011, 1125, 1126; Schmittmann, in: Schmidt, InsO, Anhang Steuerrecht Rn. 310; Finanzministerium Brandenburg, Verfügung v. 15.10.2009 – 31 – S 7340 – 3/04.

bb) BFH, Urteil vom 9.12.2010 – V R 22/10 Die Entscheidung des BFH (Urt. v. 29.1.2009 – V R 64/07) betraf lediglich 255 die Unternehmer, die der Ist-Besteuerung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1b UStG i. V. m. § 20 UStG unterliegen. Der BFH hat dann wenig später entschieden, dass es durch die Eröffnung 256 des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile kommt.

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

Daher ist zwischen der Insolvenzmasse und der Vermögensmasse „Altunternehmen“ sowie ggf. dem vom Insolvenzverwalter freigegebenen Vermögen zu unterscheiden. Dies beeinträchtige aber den Grundsatz der Unternehmenseinheit nicht, da ausreiche, dass die Summe der für alle Unternehmensteile insgesamt festgesetzten oder angemeldeten Umsatzsteuer der Umsatzsteuer für das gesamte Unternehmen entspricht. Aus dieser Aufteilung in mehrere Unternehmensteile folgt nach der Rechtsprechung des BFH, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Berichtigung der Umsatzsteuer im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung erfolgt und eine weitere Berichtigung gemäß § 17 UStG im Zeitpunkt der Vereinnahmung durch den Insolvenzverwalter erforderlich ist. Der BFH hält die Forderung des Schuldners gegen den Drittschuldner im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung aus Rechtsgründen für uneinbringlich, da der Schuldner die Befugnis verliert, die Forderung einzuziehen. So BFH, Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10, BFHE 232, 301 ff. = ZIP 2011, 782 (m. Bespr. Schmittmann, S. 1125 u. Welte/FriedrichVache, S. 1595) = BStBl. II 2011, 996 ff. = NZI 2011, 636 ff., dazu: EWiR 2011, 323 (Mitlehner).

257 Diese Rechtsprechung, die der BFH, Urt. v. 24.11.2011 – V R 13/11, BFHE 235, 137 ff. = ZIP 2011, 2481 (m. Bespr. Schmittmann, ZIP 2012, 249) = ZVI 2012, 20 = BStBl. II 2012, 298 ff., dazu EWiR 2012, 127 (de Weerth),

inzwischen bestätigt hat, ist nach Auffassung des Bundesfinanzministeriums für Insolvenzverfahren anwendbar, die ab dem 1.1.2012 eröffnet worden sind. So BMF, Schreiben v. 9.12.2011 – IV D 2 – S 7330/09/10000:001, DOK 2011, 0992053, BStBl. I 2011, 1273 ff. = DStR 2011, 2412 ff.

258 Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, die Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO von Amts wegen zu ermitteln. Erklärt der Insolvenzverwalter in den zu fertigenden Voranmeldungen bzw. Jahreserklärungen nicht die aus der Rechtsprechung des BFH (Urt. v. 9.12.2010 – V R 22/10) sich ergebenden Beträge, so ist der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO gegeben. cc) BFH, Urteil vom 15.4.2015 – V R 44/14 259 Bevor der Insolvenzverwalter die Schlussverteilung vornimmt, versucht er bei der Finanzverwaltung den Vorsteuerbetrag aus seiner Vergütung zu realisieren. Unterlässt er dies, macht er sich gegenüber der Gläubigergesamtheit wegen eines Quotenminderungsschadens schadensersatzpflichtig. Der Insolvenzverwalter handelt bei der Geltendmachung des Vorsteueranspruchs kraft Amtes gemäß § 34 Abs. 3 AO für das schuldnerische Unternehmen und trägt daher die Feststellungslast für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen (Ziff. 5.2 Abs. 2 Satz 4 UStAE).

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IV. Zeitraum Eröffnung des Insolvenzverfahrens/Aufhebung des Insolvenzverfahrens

Ein Vorsteuerabzug kommt lediglich bei Leistungen an das Unternehmen in 260 Betracht. Die Leistung muss gemäß Ziff. 15.2 Abs. 17 Satz 1 UStAE in die unternehmerische Sphäre des Unternehmers eingehen. Vgl. BFH, Urt. v. 20.12.1984 – V R 25/76, BStBl. II 1985, 176 ff.; BFH, Urt. v. 4.7.1985 – V R 82/77, BStBl. II 1985, 538 ff.; BFH, Urt. v. 18.12.1986 – V R 176/75, BStBl. II 1987, 350.

Für die Frage, ob eine Leistung für das Unternehmen vorliegt, sind gemäß 261 Ziff. 15.2 Abs. 17 Satz 4 UStAE grundsätzlich die Verhältnisse im Zeitpunkt des Umsatzes an den Unternehmer maßgebend. Vgl. BFH, Urt. v. 6.5.1993 – V R 45/88, BStBl. II 1988, 564 ff.

Als Nachweis dafür, dass die Leistung für das Unternehmen bezogen wurde, 262 sind gemäß Ziff. 15.2 Abs. 18 Satz 1 UStAE zutreffende Angaben des leistenden Unternehmers über Art und Umfang der von ihm ausgeführten Leistungen in der Rechnung erforderlich. Wird ein Umsatz sowohl für das Unternehmen als auch für Zwecke ausge- 263 führt, die außerhalb des Unternehmens liegen, trifft Ziff. 15.2 Abs. 21 UStAE eine gesonderte Regelung. Bei sonstigen Leistungen ist die darauf entfallende Steuer entsprechend dem Verwendungszweck in einen abziehbaren und einen nicht abziehbaren Anteil aufzuteilen. Vgl. Schmittmann, InsbürO 2011, 224 ff.; Viertelhausen, UR 2008, 873 ff.; Wäger, DB 2014, 1397 ff.

Grundsätzlich ist zwischen zwei Ausgangskonstellationen zu unterscheiden: 264 Der Insolvenzverwalter wird im Rahmen seiner Tätigkeit für das unternehmerische und nicht unternehmerische Vermögen des Schuldners tätig, insbesondere bei natürlichen Personen. Darüber hinaus kann der Insolvenzverwalter auch für einen Schuldner tätig werden, der zum Teil umsatzsteuerpflichtige und zum Teil umsatzsteuerbefreite Leistungen erbringt. Wird der Insolvenzverwalter nicht nur mit der Verwaltung und Verwertung 265 von unternehmerischem Vermögen, sondern auch von privatem Vermögen des Insolvenzschuldners betraut, ist für den Steuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG erforderlich, dass die Leistung des Verwalters für das Unternehmen des Schuldners erfolgt. Unterliegt auch das Privatvermögen dem Insolvenzverfahren, so ist die Vorsteuer in einen abziehbaren und einen nicht abziehbaren Anteil aufzuteilen. So OFD Frankfurt am Main, Verfügung v. 25.5.2007 – S 7340 A – 85 – St 11.

Ein Aufteilungsmaßstab wurde von der Finanzverwaltung bislang nicht vor- 266 gegeben, sodass dieser vom Steuerpflichtigen bzw. dem Insolvenzverwalter selbst zu ermitteln war. Das Insolvenzgericht setzt die Vergütung des Insolvenzverwalters lediglich einheitlich fest und nimmt keine Unterscheidung nach den verschiedenen Tätigkeiten des Insolvenzverwalters vor. Die Praxis

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

nahm daher zum Teil eine prozentuale Aufteilung in der Weise vor, dass die Erlöse aus der Verwertung des Betriebsvermögens und die Erlöse aus der Verwertung des Privatvermögens ins Verhältnis gesetzt und in diesem Verhältnis die Insolvenzverwalter und die mit ihr im Zusammenhang stehende Vorsteuer aufgeteilt wurden. 267 Die Orientierung erfolgte daher zunächst nach den Aktiva des Insolvenzverfahrens. Diesen Ansatz hat der BFH allerdings verworfen. Dient ein Insolvenzverfahren sowohl der Befriedigung der Verbindlichkeiten des – zum Vorsteuerabzug berechtigten – Unternehmens als auch der Befriedigung von dessen Privatverbindlichkeiten, ist der Unternehmer aus der Leistung des Insolvenzverwalters grundsätzlich im Verhältnis der unternehmerischen zu den privaten Verbindlichkeiten, die im Insolvenzverfahren jeweils als Insolvenzforderung geltend gemacht werden, zum anteiligen Vorsteuerabzug berechtigt. So BFH, Urt. v. 15.4.2015 – V R 44/14, ZIP 2015, 1237 mit Anm. Kahlert, S. 1239 = BStBl. II 2015, 679 ff. = NZI 2015, 625 ff. mit Anm. de Weerth, dazu EWiR 2015, 489 f. (Schmittmann).

268 Der BFH folgt damit der Rechtsprechung des BGH, der im Rahmen der Ermittlung der Berechnungsgrundlage für die Insolvenzverwaltervergütung festgestellt hatte, dass eine zu erwartende Umsatzsteuererstattung an die Insolvenzmasse wegen des Vorsteuerabzugs hinsichtlich der festzusetzenden Vergütung des Verwalters nur in der Höhe zu berücksichtigen ist, die sich aus der ohne Vorsteuererstattung berechneten Vergütung ergibt. Die im Hinblick auf die Insolvenzverwaltervergütung erforderliche Aufteilung der Vorsteuern für Leistungsbezüge, die einer wirtschaftlichen und einer nicht wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners dienen, soll sich nach der Rechtsprechung des BGH nach der Quote der betrieblichen Insolvenzforderungen an den Gesamtverbindlichkeiten richten. So BGH, Beschl. v. 26.2.2015 – IX ZB 9/13, ZIP 2015, 996 f. = NZI 2015, 388 f. mit Anm. Graeber = WM 2015, 617 ff., dazu EWiR 2015, 353 (Zimmer).

269 Der Insolvenzverwalter wird im Rahmen der Berechnung der Verwaltervergütung sowie der abschließenden Erstellung der Umsatzsteuererklärung eine besondere Sorgfalt anwenden. Macht der Insolvenzverwalter Vorsteuer in zu geringer Höhe geltend, wird dadurch nicht nur seine aus der Insolvenzmasse zu entnehmende Vergütung geringer, sondern er schädigt damit zugleich auch die Insolvenzgläubiger, da sich deren Quotenaussicht vermindert. Der Insolvenzverwalter muss daher damit rechnen, dass er gläubigerseits gemäß § 60 InsO in Haftung genommen wird. Setzt der Insolvenzverwalter allerdings den Vorsteuerbetrag unzutreffend hoch an, so ist damit der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO gegeben. 270 In der Praxis hat sich daher die Empfehlung herausgebildet, dass der Insolvenzverwalter den Aufteilungsmaßstab ermittelt und zugleich mit der Ein-

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IV. Zeitraum Eröffnung des Insolvenzverfahrens/Aufhebung des Insolvenzverfahrens

reichung der Umsatzsteuer-Voranmeldung bzw. der Umsatzsteuer-Jahreserklärung gegenüber der Finanzverwaltung den Aufteilungsmaßstab dokumentiert. Hat der Insolvenzverwalter den Sachverhalt gegenüber der Finanzverwaltung offengelegt, fehlt es bereits am objektiven Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO, selbst wenn die steuerrechtliche Würdigung durch den Insolvenzverwalter und die Finanzverwaltung auseinanderliegen. Ist der Insolvenzverwalter ausschließlich für einen unternehmerisch tätigen 271 Schuldner tätig geworden, der keine nicht unternehmerische Sphäre hat, z. B. eine Kapitalgesellschaft, so bedeutet dies gleichwohl noch nicht, dass der Vorsteuerabzug in voller Höhe für die Insolvenzmasse geltend gemacht werden kann. Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ist vom Vorsteuerabzug die Steuer für die Lieferungen und sonstigen Leistungen ausgeschlossen, die der Unternehmer zur Ausführung von steuerfreien Umsätzen verwendet. Erzielt z. B. ein Arzt einen Teil seiner Umsätze durch die Erstellung von Gutachten und zum Teil durch die Erbringung von Heilbehandlungen, so sind lediglich die Umsätze aus den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gemäß § 4 Nr. 14a UStG von der Umsatzsteuer befreit, während die Umsätze aus der Fertigung der Gutachten keiner Umsatzsteuerbefreiung zugänglich sind. In diesem Falle hat auch eine Aufteilung der Vorsteuer gemäß § 15 Abs. 2 UStG zu erfolgen. Auch diese Aufteilung ist durch den Insolvenzverwalter im Rahmen der 272 Schlussrechnungslegung sowie der damit einhergehenden Erstellung des Vergütungsantrags sowie der abschließenden Umsatzsteuererklärung vorzunehmen. b) Korrekturen aufgrund einer Insolvenzanfechtung Zu den Aufgaben des Insolvenzverwalters gehört es u. a., Insolvenzanfech- 273 tungsansprüche sowie den Zeitpunkt des Eintritts der materiellen Insolvenz zu ermitteln. Dies dient der umfassenden Befriedigung der Gläubiger. So LG Dresden, Urt. v. 31.5.2013 – 10 O 3091/12, ZIP 2013, 1440 = ZInsO 2013, 1319 ff.

Der Insolvenzverwalter ist unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten sowie 274 der wirtschaftlichen Vertretbarkeit verpflichtet, die Insolvenzanfechtungsansprüche durchzusetzen. So LG Krefeld, Urt. v. 6.2.2014 – 3 O 271/13, NZI 2014, 410 ff.

Die Unterlassung der Durchsetzung aussichtsreicher Insolvenzanfechtungs- 275 ansprüche kann strafbar sein. Vgl. Weyand, ZInsO 2014, 1934, 1939.

Ist ein Insolvenzanfechtungstatbestand, §§ 130 ff. InsO, gegeben, so ist ge- 276 mäß § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO zur Insolvenzmasse zurückzugewähren, was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräu-

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

ßert, weggeben oder aufgegeben ist. Die Insolvenzanfechtung, §§ 129 ff. InsO, führt somit zu einem Rückgewähranspruch. Vgl. Kahlert, ZIP 2012, 1433 ff.; Schmittmann, NZI 2014, 638 ff.

277 Der Insolvenzanfechtungsanspruch entsteht mit der Eröffnung des Verfahrens und wird bereits zu diesem Zeitpunkt fällig. So Büteröwe, in: Schmidt, § 143 InsO Rn. 2.

278 Es ist Sache des Insolvenzverwalters, die Konsequenzen aus einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung zu ziehen. Diese hängen davon ab, ob eine Rückabwicklung einer Leistungsbeziehung vorliegt oder aber eine neue Leistungsbeziehung begründet wird. 279 Wird aufgrund der vom Insolvenzverwalter erklärten Insolvenzanfechtung zurückabgewickelt, zahlt der Anfechtungsgegner den Betrag an die Insolvenzmasse. Im Gegenzug lebt sein Anspruch gegen die Insolvenzmasse gemäß § 144 InsO wieder auf. War das Grundlagengeschäft umsatzsteuerpflichtig, so sind Umsatzsteuer und Vorsteuer gemäß § 17 UStG zu berichtigen. Vgl. Schmittmann, NZI 2014, 638, 640.

280 Handelte es sich bei dem Ausgangssachverhalt um eine Zahlung ohne umsatzsteuerliche Belastung, also insbesondere eine Sozialversicherungs- oder Steuerzahlung, ist nichts zu veranlassen. 281 Erfolgt zwischen Anfechtungsgegner und Insolvenzverwalter eine vergleichsweise Regelung, ist eine andere Betrachtung geboten. Ein entgeltlicher Verzicht auf eine Rechtsposition – z. B. das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters – ist als steuerbare sonstige Leistung i. S. v. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 9 UStG zu beurteilen. Vgl. BFH, Urt. v. 30.3.2011 – XI R 5/09, BFH/NV 2011, 1724 ff. = HFR 2011, 1217 ff.; Kahlert, ZIP 2012, 1433; Schmittmann, NZI 2014, 638, 640.

282 Schließt der Insolvenzverwalter mit einem Anfechtungsgegner einen gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich, so entsteht durch diese Einigung eine neue Leistungsbeziehung, die gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG der Umsatzsteuer unterliegt, sofern der Schuldner seinerseits Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne ist. Vgl. FG Münster, Urt. v. 17.3.2011 – 5 K 1861/07 U, n. v.; Schmittmann, NZI 2014, 638, 640.

283 Die Vorsteuerkorrektur erfolgt auf der Ebene der Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO, während die Umsatzsteuer aus der Rückabwicklung oder der Begründung einer neuen Leistungsbeziehung auf der Ebene von Masseverbindlichkeiten i. S. v. § 55 InsO zu behandeln ist. Dafür spricht, dass die vollständige Tatbestandsverwirklichung – die Änderung der Bemessungsgrundlage erfolgt erst mit der tatsächlichen Rückgewähr – nach Eröffnung

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IV. Zeitraum Eröffnung des Insolvenzverfahrens/Aufhebung des Insolvenzverfahrens

des Insolvenzverfahrens vollzogen wird und der Insolvenzanfechtungsanspruch erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht. Vgl. FG Münster, Urt. v. 17.3.2011 – 5 K 1861/07 U, n. v.; OFD Koblenz, Vorsteuerberichtigung nach § 17 UStG aufgrund der insolvenzrechtlichen Anfechtung von Zahlungen des Insolvenzschuldners an seine Gläubiger, Kurzinformation v. 23.8.2013 – S 0550 A – St 34 1, DStR 2014, 535.

Nach Auffassung von Kahlert ist die aufgelebte Forderung dem vorinsolvenz- 284 lichen Unternehmensteil zuzuordnen, weil der Sachverhalt, der zur Insolvenzanfechtung geführt hat, vor Verfahrenseröffnung eingetreten ist. So Kahlert, ZIP 2012, 1433.

Auch wenn der Insolvenzverwalter der Auffassung folgt, dass eine Berichti- 285 gung nicht zu einer Masseverbindlichkeit führt, so hat er gleichwohl der Finanzverwaltung den Sachverhalt mitzuteilen. Folgt der Insolvenzverwalter – wenn auch mit guten Gründen – lediglich einer Literaturmeinung und lässt er die Auffassung der Finanzverwaltung außer Acht, kann damit der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO gegeben sein, wenn ein zu geringer Umsatzsteuerbetrag erklärt wird. Werden Vergleiche über Insolvenzanfechtungsansprüche geschlossen, ist es 286 darüber hinaus aus Sicht des Insolvenzverwalters auch zweckmäßig, in dem Vergleich zu regeln, ob der Vergleichsbetrag sich brutto oder netto versteht. So Schmittmann, NZI 2014, 638, 641.

c) Schädigung des Umsatzsteueraufkommens Gemäß § 26b Abs. 1 UStG handelt ordnungswidrig, wer die in einer Rech- 287 nung i. S. v. § 14 UStG ausgewiesene Umsatzsteuer zu einem in § 18 Abs. 1 Satz 4 oder Abs. 4 Satz 1 oder Satz 2 UStG genannten Fälligkeitszeitpunkt nicht oder nicht vollständig entrichtet. Der Tatbestand gemäß § 26b Abs. 1 UStG, der gemäß § 26b Abs. 2 UStG 288 mit einer Geldbuße bis zu 50.000 € geahndet werden kann, kann allerdings im Insolvenzverfahren nur dann angenommen werden, wenn der Insolvenzverwalter in vorwerfbarer Weise gehandelt hat. Stellt sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens heraus, dass die Insol- 289 venzmasse nicht ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken, so stellt das Insolvenzgericht gemäß § 207 Abs. 1 Satz 1 InsO das Verfahren ein. Der Verwalter hat, soweit Barmittel in der Masse vorhanden sind, gemäß § 207 Abs. 3 Satz 1 InsO vor Einstellung des Verfahrens die Kosten, von diesen zuerst die Auslagen, nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu berichtigen. Fällt die Finanzverwaltung aufgrund der Regelung des § 207 InsO aus, kann eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 26b Abs. 1 UStG nicht angenommen werden, da die Frage, ob eine Entrichtung erfolgen darf, vorrangig insolvenzrechtlich zu beurteilen ist. 51

B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

290 Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO liegt vor, wenn die Kosten des Verfahrens gedeckt sind, die Insolvenzmasse jedoch nicht ausreicht, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen. Im Falle der Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO sind die Massegläubiger nach Maßgabe von § 209 Abs. 1 InsO zu befriedigen. Auch hier gilt, dass ein vorwerfbares Verhalten des Insolvenzverwalters nur vorliegen kann, wenn der Insolvenzverwalter gegen Verteilungsvorschriften der Insolvenzordnung verstößt, sodass eine Ordnungswidrigkeit ausscheidet, wenn er sich im Rahmen der insolvenzrechtlichen Vorschriften verhält. 3. Ertragsteuern 291 Bei der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer stellen sich vergleichbare Problemlagen, von denen nachfolgend exemplarisch (a) die Auflösung von stillen Reserven, (b) die Auflösung von Rückstellungen, (c) die Konsequenzen einer Insolvenzanfechtung sowie die Probleme einer parallel angeordneten (d) Zwangsverwaltung behandelt werden. a) Auflösung von stillen Reserven 292 Stille Reserven entstehen durch den Ausschluss einer Aktivierungsmöglichkeit, erhöhte Absetzungen für Abnutzung oder spätere Wertsteigerungen bei Fortführung der Buchwerte. Solche stille Reserven werden grundsätzlich nur versteuert, wenn sie durch Erfüllung eines Besteuerungstatbestandes verwirklicht werden. Dies entspricht dem „Realisationsprinzip“. So Heinicke, in: Ludwig Schmidt, EStG, § 4 Rn. 50.

293 Das Ansammeln und Halten stiller Reserven ist einkommensteuerrechtlich irrelevant; ihre Erfassung in diesem Stadium der betrieblichen Vermögensbildung widerspräche dem Leistungsfähigkeitsprinzip. So Schmittmann, in: Karsten Schmidt, InsO, Anhang Steuerrecht Rn. 123.

294 Verwertet der Insolvenzverwalter eine Immobilie, so wird der Besteuerungstatbestand nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und ist damit insolvenzrechtlich begründet. Daher ist die aus der Gewinnrealisierung resultierende Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn durch die Veräußerung nach Insolvenzeröffnung stille Reserven aufgedeckt werden, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. Für die Steuerverwirklichung ist unbeachtlich, wann der Wertzuwachs entstanden ist. Eine Trennlinie zwischen sonstigen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen ist, ob der Rechtsgrund der Entstehung der Forderung im Augenblick vor Verfahrenseröffnung bereits gelegt war. Diese Einkommensteuerschuld ist auch dann in voller Höhe Masseverbindlichkeit, wenn das verwertete Wirtschaftsgut mit Absonderungsrechten belastet war und – nach Vorwegbefriedigung

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IV. Zeitraum Eröffnung des Insolvenzverfahrens/Aufhebung des Insolvenzverfahrens

der absonderungsberechtigten Gläubiger aus dem Verwertungserlös – der (tatsächlich) zur Masse gelangte Erlös nicht ausreicht, um die aus der Verwertungshandlung resultierende Einkommensteuer zu befriedigen. So BFH, Urt. v. 16.5.2013 – IV R 23/11, BFHE 241, 233 ff. = BStBl. II 2013, 759 ff. = ZIP 2013, 1481 = ZVI 2013, 436 mit Anm. Büchler/Jarchow, S. 439, dazu EWiR 2013, 621 f. (Schmittmann).

Auch wenn zum Teil die Auffassung vertreten wird, dass diese Rechtspre- 295 chung systemwidrig den Umstand ausblendet, dass das Insolvenzverfahren der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger aus der Insolvenzmasse dient und insoweit dem Verkehrswert der Vermögensgegenstände das entscheidende Gewicht beizumessen ist, so ist die Beurteilung durch den BFH eindeutig. Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 1469; Schmittmann, in: Karsten Schmidt, InsO, Anhang Steuerrecht Rn. 124.

Der Insolvenzverwalter ist freilich nicht gehindert, eine andere Auffassung 296 zu vertreten als der Bundesfinanzhof. Da der Insolvenzverwalter zuvörderst auch die Aufgabe hat, die Befriedigung 297 der Insolvenzgläubiger sicherzustellen, kann er zugunsten der Insolvenzgläubiger durchaus eine Rechtsauffassung vertreten, die von der Rechtsprechung des BFH abweicht. Er ist jedoch zur Vermeidung des objektiven Tatbestands des § 370 Abs. 1 AO gehalten, gegenüber der Finanzverwaltung den Sachverhalt offenzulegen und seine Position ggf. im Einspruchs- und Klageverfahren zu verteidigen. b) Auflösung von Rückstellungen Wegen einer ungewissen, betrieblich veranlassten Drittverpflichtung, die in 298 der Vergangenheit verursacht ist und aus der eine Inanspruchnahme wahrscheinlich ist, kann bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen eine gewinnmindernde Rückstellung gebildet werden. Vgl. Weber-Grellet, in: Ludwig Schmidt, EStG, § 5 Rn. 350.

Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 AGB sind Rückstellungen für ungewisse Ver- 299 bindlichkeiten und drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden. Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 HGB dürfen Rückstellungen nur aufgelöst werden, soweit der Grund hierfür entfallen ist. Wurde die Rückstellung z. B. gebildet, weil der Steuerpflichtige wegen eines 300 angeblichen Anspruchs im Klagewege in Anspruch genommen worden ist, ist die Rückstellung nicht aufzulösen, bevor die Klage rechtskräftig abgewiesen worden ist. So BFH, Urt. v. 30.1.2002 – I R 68/00, BFHE 197, 530 ff. = BStBl. II 2002, 688 ff. = DStR 2002, 713 ff.

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

301 Die Auflösung der Rückstellung führt zu einer Gewinnerhöhung. So Weber-Grellet, in: Ludwig Schmidt, EStG, § 5 Rn. 423.

302 Unter die Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO fallen auch die Einkommensteuerschulden, die sich daraus ergeben, dass nach Auflösung einer Rückstellung ein Gewinn entsteht. Dieser führt zwar nicht zu einer „echten“ Vermögensmehrung. Es wird vielmehr lediglich der Gewinn der Vorjahre nachversteuert. So Schmittmann, in: Karsten Schmidt, InsO, Anhang Steuerrecht, Rn. 122.

303 Diese Grundsätze gelten auch, wenn der Schuldner an einer Personenhandelsgesellschaft beteiligt ist und auf der Ebene der Gesellschaft eine Rückstellung aufgelöst wird. Zu den Masseverbindlichkeiten gehören auch die Einkommensteuerschulden, die sich daraus ergeben, dass bei Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft durch Auflösung einer Rückstellung auf der Ebene der Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) ein Gewinn entsteht. Die sich aus der Auflösung der Rückstellung ergebende Einkommensteuerschuld ist in dem Fall, dass die Auflösung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt, gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen. So BFH, Urt. v. 18.5.2010 – IX R 60/08, BFHE 229, 62 ff. = BStBl. II 2011, 429 ff. = ZIP 2010, 1612 ff., dazu EWiR 2010, 677 (de Weerth).

304 Der Insolvenzverwalter hat diese Rechtsprechung zu berücksichtigen, auch wenn sie nicht zu überzeugen vermag, da der Insolvenzmasse durch die Auflösung der Rückstellung kein verwertbarer Vermögenszufluss zugutekommt. Vielmehr erfolgt lediglich die Entlastung von einer drohenden Verbindlichkeit. Davon haben die Gläubiger allerdings lediglich in Höhe einer möglicherweise höheren Insolvenzquote Anteil. c) Korrekturen aufgrund Insolvenzanfechtung 305 Welche ertragsteuerlichen Konsequenzen sich bei einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung ergeben, hängt davon ab, ob der Schuldner seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG) oder durch EinnahmeÜberschuss-Rechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) ermittelt. aa) Betriebsvermögensvergleich 306 Sofern der Schuldner dem Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 EStG unterliegt, sind handels- und steuerbilanziell insolvenzrechtliche Rückgewähransprüche zu aktivieren. Die Aktivierung dem Grunde nach erfolgt allerdings erst dann, wenn sich der Anspruch hinreichend konkretisiert hat, z. B. dadurch, dass der Anfechtungsgegner den Anspruch anerkannt hat oder eine Verurteilung vorliegt. Im Rahmen der Aktivierung der Höhe nach ist zu überprüfen, ob der Anspruch in voller Höhe durchsetzbar ist, was z. B. dann

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IV. Zeitraum Eröffnung des Insolvenzverfahrens/Aufhebung des Insolvenzverfahrens

nicht der Fall ist, wenn der Anfechtungsgegner nicht hinreichend leistungsfähig ist. Vgl. Schmittmann, NZI 2014, 638, 639.

Auf der Passivseite ist der Anspruch des Anfechtungsgegners zu berücksich- 307 tigen. Gemäß § 144 Abs. 1 InsO lebt die Forderung des Anfechtungsgegners wieder auf, sofern er aufgrund der Anfechtung das Erlangte zurückgewährt hat. Somit ist der Anspruch des Anfechtungsgegners zu passivieren. Ermittelt der Schuldner seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich, 308 ist die erfolgreiche Insolvenzanfechtung ergebnisneutral. So Schmittmann, NZI 2014, 638, 639.

bb) Einnahme-Überschuss-Rechnung Sofern der Schuldner seinen Gewinn durch Einnahme-Überschuss-Rechnung 309 i. S. v. § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, ist eine Zu- und Abflussrechnung zu fertigen. So Heinicke, in: Ludwig Schmidt, EStG, § 4 Rn. 371.

Forderungen und Verbindlichkeiten bleiben grundsätzlich – anders als bei 310 der Bilanzierung – unberücksichtigt. So Heinicke, in: Ludwig Schmidt, EStG, § 4 Rn. 400, 404.

Sofern der Schuldner der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 3 EStG unter- 311 liegt, ist im Zeitpunkt der Zahlung durch den erfolgreich in Anspruch genommenen Anfechtungsgegner ein gewinnwirksamer Zahlungseingang zu berücksichtigen, ohne dass die gemäß § 144 Abs. 1 InsO wiederauflebende Forderung des Anfechtungsgegners zu berücksichtigen ist. So Schmittmann, NZI 2014, 638, 639.

Hat der Schuldner keine hinreichenden Verlustvorträge, so kann die erfolg- 312 reiche Insolvenzanfechtung zu einer Ertragssteuerbelastung führen. Der Insolvenzverwalter wird dann aber zu prüfen haben, ob er von dem Wahlrecht einer Option zu § 4 Abs. 1 EStG (Betriebsvermögensvergleich) Gebrauch macht. Da der Wechsel von der Einnahme-Überschuss-Rechnung zu einem Betriebsvermögensvergleich allerdings Maßnahmen zum Jahresbeginn voraussetzt, kann er ohne zeitnahe Erstellung einer Eröffnungsbilanz und Einrichtung einer kaufmännischen Buchführung nicht nachgeholt werden. Vgl. BFH, Urt. v. 19.10.2005 – XI R 4/04, BFHE 211, 262 ff. = BStBl. II 2006, 509 ff. = DStR 2006, 16 ff.

Hat der Insolvenzverwalter diese Maßnahmen unterlassen, so hat er den sich 313 ergebenden Gewinn zu erklären. Unterlässt er dies, ist der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllt. Der Insolvenzverwalter hat im Übrigen auch seine mögliche Haftung gegen- 314 über den Insolvenzgläubigern gemäß § 60 InsO zu berücksichtigen, sodass es

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

zweckmäßig sein wird, bereits mit Verfahrenseröffnung zu überprüfen, ob ein Wechsel zur Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 1 EStG geboten ist. Der Insolvenzverwalter wird dann bereits mit Eintritt in die Pflichten des Steuerpflichtigen aufgrund von § 155 Abs. 2 InsO die erforderlichen Maßnahmen ergreifen. So Schmittmann, NZI 2014, 638, 639.

d) Zwangsverwaltung 315 Im Rahmen einer Zwangsverwaltung stellen sich zahlreiche steuerliche Fragen, bei denen bislang der Fokus bei der Umsatzsteuer in der Zwangsverwaltung lag. Vgl. Ackermann/Reck, ZInsO 2012, 1969 ff.; Drasdo, NJW 2015, 1791 ff.; Gorris/Schmittmann, IGZInfo 2005, 69 ff.; Schmittmann/ Brandau/Stroh, IGZInfo 2012, 3 ff.

316 Es war bislang anerkannten Rechts, dass im Falle von Einkünften aus der Vermietung oder Verpachtung einer Immobilie durch eine Personengesellschaft – oder wie im vom BFH entschiedenen Fall einer Erbengemeinschaft – die ertragsteuerliche Behandlung der Einnahmen durch die Gesellschafter der Personengesellschaft bzw. die Mitglieder der Erbengemeinschaft bzw. deren Insolvenzverwalter und nicht durch einen parallel bestellten Zwangsverwalter zu erfolgen hat. So BFH, Urt. v. 9.12.2014 – X R 12/12, BFH/NV 2015, 988 ff. = ZIP 2015, 1035 ff., dazu EWiR 2015, 357 (Schmittmann).

317 Der Insolvenzverwalter hatte nach damaliger Rechtslage somit zur Vermeidung der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes von § 370 Abs. 1 AO die Einkünfte des Schuldners aus der Vermietung oder Verpachtung von Immobilien auch dann zu erklären, wenn Zwangsverwaltung angeordnet und aufgrund dessen der Zwangsverwalter die vereinnahmten Beträge an den betreibenden Grundpfandgläubiger ausgezahlt hat. 318 An dieser Auffassung hält der BFH nicht mehr fest. Der Zwangsverwalter hat auch die Einkommensteuer des Vollstreckungsschuldners zu entrichten, soweit sie aus der Vermietung der im Zwangsverwaltungsverfahren beschlagnahmten Grundstücke herrührt. An der Entrichtungspflicht des Zwangsverwalters ändert sich nichts, wenn während der Zwangsverwaltung das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wird. So BFH, Urt. v. 10.2.2015 – IX R 23/14, BFH/NV 2015, 1018 ff. = ZfIR 2015, 573 ff. mit Anm. Onusseit = ZIP 2015, 1503 ff. = NZI 2015, 672 ff. = NJW 2015, 2524 ff. mit Anm. Drasdo = StuB 2015, 555 mit Anm. jh = IGZInfo 2015, 81 ff.; vgl. Breidert, IGZInfo 2015, 48 ff.; Schmittmann, ZfIR 2015, 545 ff.; de Weerth, NZI 2015, 643 ff.

319 Aus dieser neuen Rechtsprechung ergeben sich zwar keine Risiken für den Insolvenzverwalter hinsichtlich der Steuerhinterziehung i. S. v. § 370 Abs. 1 56

V. Problemfelder aus dem Zeitraum nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens

AO. Der Insolvenzverwalter sollte jedoch diese Rechtsprechung zur Vermeidung einer Haftung gemäß § 60 InsO anwenden, da ansonsten die Gefahr besteht, dass die Insolvenzgläubiger aufgrund der Abführung der Einkommensteuer aus der Insolvenzmasse einen Quotenverminderungsschaden erleiden. Aus dem Bereich der Zwangsverwalter wird derzeit bei den Finanzbehörden 320 um Auskunft ersucht, ob die Rechtsprechung des BFH angewendet werden soll. Vgl. Heuvelmann, IGZInfo 2015, 110 ff.

4. Sonstige Steuerarten Bei den sonstigen Steuerarten ergeben sich keine Besonderheiten.

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V. Problemfelder aus dem Zeitraum nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens Der Zeitraum nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens weist lediglich wenige 322 steuerliche Problemfelder auf. Nachfolgend werden Fragen aus dem (1.) Verfahrensrecht, (2.) dem Um- 323 satzsteuerrecht sowie (3.) dem Ertragssteuerrecht behandelt. 1. Verfahrensrecht Die Insolvenzordnung kennt verschiedene Möglichkeiten der Beendigung 324 des Verfahrens. Zum einen ist die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach Vollzug der Schlussverteilung (§§ 196, 200 Abs. 1 InsO), nach Eintritt der Rechtkraft eines Insolvenzplans (§ 258 InsO) und nach Eintritt der Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung (§ 289 Abs. 2 InsO) vorgesehen. Zum anderen kommt auch eine Einstellung des Insolvenzverfahrens wegen nicht kostendeckender Masse (§ 207 InsO) nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 211 InsO), wegen Wegfall des Eröffnungsgrundes (§ 212 InsO) und mit Zustimmung aller Insolvenzgläubiger (§ 213 InsO) in Betracht. Vgl. Schmittmann, in: Pape/Uhländer, InsO, § 207 Rn. 1; Böing, in: Pape/Uhländer, InsO, § 212 Rn. 2.

Mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens erlangt der Schuldner das Ver- 325 waltungs- und Verfügungsrecht zurück. Gleichzeitig endet die Verwaltungsund Verfügungsmacht des Insolvenzverwalters. Vgl. BGH, Urt. v. 10.2.1982 – VIII ZR 158/80, BGHZ 83, 102 ff. = ZIP 1982, 467 ff.; Jungmann, in: Karsten Schmidt, InsO, § 200 Rn. 5.

Bei den Gegenständen, die für Zwecke einer Nachtragsverteilung verstrickt 326 bleiben (§§ 203 Abs. 1 Nr. 1, 189 Abs. 2, 190 Abs. 2, 191 Abs. 1 InsO) bzw. zu hinterlegen sind (§ 198 InsO), verbleibt es bei der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des (früheren) Insolvenzverwalters.

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B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters Vgl. BGH, Beschl. v. 1.12.2005 – IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143 f. = ZVI 2006, 25 f. = NZI 2006, 180 f.; Jungmann, in: Karsten Schmidt, InsO, § 200 Rn. 6.

327 Gemäß AEAO zu § 251 Nr. 14 können Steuerverwaltungsakte nach Beendigung des Insolvenzverfahrens nur dem Schuldner gegenüber wirksam bekanntgegeben werden. Dies gilt unabhängig davon, ob sich aus dem Steuerbescheid Steuernachforderungen oder Erstattungsansprüche ergeben. So Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 113.

328 Ist ein Steuererstattungsanspruch allerdings bereits während der Dauer des Insolvenzverfahrens begründet, hingegen erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstanden, unterliegt er weiterhin dem Insolvenzbeschlag, falls mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Nachtragsverteilung angeordnet worden ist. So BFH, Urt. v. 28.2.2012 – VII R 36/11, BFHE 236, 202 ff. = BStBl. II 2012, 451 f. = ZIP 2012, 933 ff. = ZVI 2012, 276 ff., dazu EWiR 2012, 463 (Sinz/Hiebert).

329 Die Finanzverwaltung ist in AEAO zu § 251 Nr. 4.2 der Auffassung, dass soweit Steuererklärungen vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter abzugeben waren, die Verpflichtung des Insolvenzverwalters fortbesteht, soweit er dieser Verpflichtung auch tatsächlich nachkommen kann. Dies dürfte in der Praxis allerdings in der Regel nicht gegeben sein, da die Unterlagen an den Schuldner bzw. seine Organe zurückzugeben sind, sodass rein praktisch eine Erfüllung der Verpflichtungen ausscheidet. Die Finanzbehörde wird sich daher an den Schuldner zu halten haben. Ebenso Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 123.

330 Sobald die Verwaltung- und Verfügungsbefugnis des (früheren) Insolvenzverwalters nicht mehr besteht, kann das Finanzamt von ihm ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die Erfüllung steuerlicher Pflichten verlangen, selbst wenn es um Zeiträume vor der Beendigung des Insolvenzverfahrens geht. Vgl. BFH, Beschl. v. 22.10.2007 – VIII B 557 = 7, BFH/NV 2008, 187 f.; BFH, Beschl. v. 8.8.1995 – VII R 25/94, BFH/NV 1996, 13 = ZIP 1996, 430; BFH, Beschl. v. 20.3.1995 – V R 46/94, BFH/NV 1995, 858.

331 Ein Aktivprozess kann durch den Insolvenzverwalter mit Blick auf eine mögliche Nachtragsverteilung auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens fortgeführt werden. So BFH, Urt. v. 26.2.2014 – I R 12/14, BFH/NV 2014, 1544 ff. = ZIP 2014, 2260 (LS).

332 Soweit das Insolvenzgericht eine Nachtragsverteilung angeordnet hat, hat der (frühere) Insolvenzverwalter oder (frühere) Treuhänder die Steuererklä-

58

V. Problemfelder aus dem Zeitraum nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens

rung, soweit sie sich auf den der Nachtragsverteilung unterworfenen Anspruch bezieht, (mit-)zuunterschreiben. So FG Düsseldorf, Urt. v. 28.8.2014 – 8 K 3677/13 E, ZVI 2015, 149 ff. = InsbürO 2015, 156 ff. mit Anm. Henning = Verbraucherinsolvenz aktuell 2015, 31 mit Anm. Schmittmann.

Soweit der Insolvenzverwalter noch berechtigt ist, Steuererklärungen zu un- 333 terschreiben sowie finanzgerichtliche Verfahren zu führen, bleibt er auch tauglicher Täter i. S. v. § 370 Abs. 1 AO. 2. Umsatzsteuer Vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter die 334 Insolvenzquote auf die Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) auszuzahlen. Die Befriedigung von Insolvenzforderungen durch Auszahlung einer Insolvenzquote führt zu einer Berichtigung der Umsatzsteuerschuld gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 InsO, sodass sich ein Vorsteueranspruch der Insolvenzmasse ergibt. So Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 2124.

Da die Quotenauszahlung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens er- 335 folgt, darf die Finanzverwaltung den sich ergebenden Vorsteueranspruch nicht mit Insolvenzforderungen aufrechnen. Es greift das Aufrechnungsverbot aus § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ein. So BFH, Urt. v. 25.7.2012 – VII R 29/11, BFHE 238, 307 = BStBl. II 2013, 36 ff. = ZIP 2012, 2217 ff., dazu EWiR 2013, 17 (Ries).

Der Insolvenzverwalter ist gehalten, noch vor Aufhebung des Insolvenzver- 336 fahrens den zweiten Vorsteuerkorrekturanspruch geltend zu machen. Gelingt ihm das nicht, so hat er auf eine Anordnung der Nachtragsverteilung hinzuwirken, damit der Anspruch für die Gläubigergemeinschaft nicht verlorengeht. Auch hier droht ein Haftungsrisiko gemäß § 60 Abs. 1 InsO. Im Rahmen der Bearbeitung der Vorsteuerkorrektur besteht für den Insol- 337 venzverwalter bzw. früheren Insolvenzverwalter im Rahmen des § 370 Abs. 1 AO die Gefahr einer unzutreffenden Ermittlung des Vorsteueranspruchs. Der Insolvenzverwalter darf nur Vorsteuer geltend machen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Dazu ist insbesondere erforderlich, dass eine Leistung für das Unternehmen erfolgt ist und eine ordnungsgemäße Rechnung i. S. v. § 14 Abs. 4 UStG vorliegt. Der Insolvenzverwalter wird daher anhand des Schlussverzeichnisses, das Grundlage für die Verteilung ist, überprüfen, hinsichtlich welcher angemeldeten Gläubigerforderungen eine umsatzsteuerpflichtige Leistung zugrunde gelegen hat. Darüber hinaus wird er zur Vermeidung einer eigenen Strafbarkeit prüfen, ob eine Rechnung vorliegt.

59

B. Perspektive des (vorläufigen) Insolvenzverwalters

3. Ertragsteuern 338 Bei der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer steht ein möglicher Einkommensteuererstattungsanspruch des Schuldners aus der Zeit des eröffneten Insolvenzverfahrens, der allerdings erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens fällig wird, im Fokus der Betrachtung. 339 Steuererstattungsansprüche, für die nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden ist, sind zur Insolvenzmasse gehörig. So BFH, Beschl. v. 29.1.2010 – VII D 188/09, BFH/NV 2010, 1243 f. = NZI 2010, 65.

340 Insolvenzverfahren werden regelmäßig unterjährig aufgehoben, während der Veranlagungszeitraum dem Kalenderjahr entspricht. Somit entsteht der Steuererstattungsanspruch zwar erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens, ist aber bereits während der Dauer des Insolvenzverfahrens begründet. Er unterfällt dem Insolvenzbeschlag, falls mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Nachtragsverteilung angeordnet worden ist. So BFH, Urt. v. 28.2.2012 – VII R 36/11, BFHE 236, 202 ff. = ZIP 2012, 933 = ZVI 2012, 276 = BStBl. II 2012, 451 f., dazu EWiR 2012, 463 (Sinz/Hiebert).

341 Soweit die Nachtragsverteilung angeordnet ist, besteht die Steuererklärungspflicht des (früheren) Insolvenzverwalters fort. Die Finanzverwaltung wird daher die für die Insolvenzmasse erteilte Steuernummer erst nach der Veranlagung und ggf. Steuererstattung an die Insolvenzmasse löschen. Die sog. „Massesteuernummer“ besteht daher bis zum Ende der Nachtragsverteilung. So Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 123.

342 Soweit der Insolvenzverwalter noch Steuererklärungspflichten zu erfüllen hat, kann er tauglicher Täter einer Steuerhinterziehung i. S. v. § 370 Abs. 1 AO sein. 4. Sonstige Steuerarten 343 Bei den sonstigen Steuerarten ergeben sich keine Besonderheiten.

60

C. Organisation und Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden in Steuersachen I. Aufgaben und Befugnisse der Straf- und Bußgeldsachenstelle Die Finanzbehörde ist für die Verfolgung von Steuerstraftaten gemäß § 386 344 Abs. 1 Satz 1 AO zuständig. Die Aufgabe der Finanzbehörde nimmt behördenintern die Straf- und Bußgeldsachenstelle wahr. Nr. 17 Abs. 3 AStBV (St) 2014 (BStBl. I 2013, 1394 ff.).

Sie ist die sog. „Staatsanwaltschaft der Finanzverwaltung“. Ihre Rechte und 345 Pflichten ergeben sich aus der Vorschrift des § 399 Abs. 1 AO. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 15.

1. Aufgaben und Abgrenzung zur Staatsanwaltschaft Die Staatsanwaltschaft ist gemäß § 152 StPO bei zureichenden tatsächlichen 346 Anhaltspunkten verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten. Führt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren durch, so hat die sonst 347 zuständige Finanzbehörde, namentlich die Straf- und Bußgeldsachenstelle gemäß § 402 Abs. 1 AO nur dieselben Rechte und Pflichten, wie die Behörden des Polizeidienstes nach der Strafprozessordnung sowie die Befugnisse nach § 399 Abs. 2 Satz 2 AO. Die Straf- und Bußgeldsachenstelle kann gemäß § 399 Abs. 2 Satz 2 AO Beschlagnahmen, Notveräußerungen, Durchsuchungen, Untersuchungen und sonstige Maßnahmen nach den für Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung anordnen. Der Beschuldigte und der Zeuge sind nicht verpflichtet, bei der Straf- und Bußgeldsachenstelle zu erscheinen. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 294; eine Übersicht über die Erscheinungs- und Aussagepflichten findet sich bei Hartmann/Schmidt, Strafprozessrecht, Rn. 792.

Führt die Finanzbehörde – Straf- und Bußgeldsachenstelle – das Ermittlungs- 348 verfahren aufgrund des § 386 Abs. 2 AO selbstständig durch, so nimmt sie gemäß § 399 Abs. 1 AO die Rechte und Pflichten wahr, die der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zustehen. Die Straf- und Bußgeldsachenstelle hat die Staatsanwaltschaft im Einzelfall 349 frühzeitig über eingeleitete Ermittlungsverfahren zu unterrichten. Die Unterrichtungspflicht korrespondiert mit dem Recht der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gemäß § 386 Abs. 4 Satz 2 AO jederzeit an sich zu ziehen und bezieht sich auf die Fälle, bei denen eine Evokation nicht fernliegt. Dies kann bei einer zu Beginn vorliegenden schwierigen Beweislage gegeben sein. So BGH, Beschl. v. 30.4.2009 – 1 StR 90/09, wistra 2009, 363 f.; vgl. Beyer, AO-StB 2014, 58; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 158.

61

C. Organisation und Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden in Steuersachen

350 Sofern die Straf- und Bußgeldsachenstelle das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO einzustellen beabsichtigt, hat sie die Staatsanwaltschaft in den Fällen, in denen eine Evokation der Staatsanwaltschaft nicht fernliegt, vor der Verfahrenseinstellung zu beteiligen. So BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 37.

351 Die verspätete Unterrichtung der Staatsanwaltschaft kann zu einer rechtsstaatswidrigen Verzögerung des gerichtlichen Verfahrens führen. In der Urteilsformel ist auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt. Sog. Vollstreckungsmodell; so BGH, Beschl. v. 30.4.2009 – 1 StR 90/09, wistra 2009, 363 f.; vgl. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rn. 94.

352 Die Straf- und Bußgeldsachenstelle ist ebenfalls für die Verfolgung von Steuerordnungswidrigkeiten gemäß § 409 Satz 1 AO zuständig. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 15.

353 Es verbleibt bei der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft, wenn ein Allgemeindelikt, wie beispielsweise die Urkundenfälschung, hinzukommt. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 15.

354 Die Zuständigkeit der Straf- und Bußgeldsachenstelle endet gemäß § 386 Abs. 3 AO, sobald gegen den Beschuldigten wegen der Tat ein Haftbefehl oder ein Unterbringungsbefehl erlassen ist. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 15.

2. Befugnisse der Straf- und Bußgeldsachenstelle 355 Die Straf- und Bußgeldsachenstelle nimmt die Rechte und Pflichten wahr, die der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zustehen. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 49, 1079.

356 Dem unterfallen beispielsweise: x

die Befugnis für Anträge auf richterliche Untersuchungshandlungen gemäß § 162 StPO,

x

die Anordnung von Beschlagnahmen und Durchsuchungen bei Gefahr im Verzug gemäß §§ 98 Abs. 1, 105 Abs. 1 StPO,

x

die Überwachung der Telekommunikation gemäß § 100a Abs. 1 StPO i. V. m. Abs. 2 Nr. 2a StPO,

x

die Durchsicht von Papieren gemäß § 110 Abs. 1 StPO,

x

die Durchsetzung der Pflicht zum Erscheinen von Beschuldigten gemäß § 163a Abs. 3 StPO sowie

x

die Durchsetzung der Pflicht zum Erscheinen von Zeugen und Sachverständigen gemäß § 161a Abs. 1 und 2 StPO,

62

II. Aufgaben und Befugnisse der Steuerfahndung

x

das Verlangen auf Vorlage und Auslieferung von Beweisgegenständen gemäß § 95 StPO,

x

die abschließende Entscheidung, insbesondere über die Einstellung des Verfahrens. Vgl. Nr. 113 AStBV (St) 2014.

Die Straf- und Bußgeldsachenstelle klärt den Sachverhalt nicht selbst auf, 357 sondern beauftragt die Steuerfahndungsstelle oder andere Stellen damit. Die Straf- und Bußgeldsachenstelle hat die Ermittlungen zu leiten und mindestens ihre Richtung und ihren Umfang zu bestimmen. Sie kann dabei auch konkrete Einzelweisungen zur Art und Weise der Durchführung einzelner Ermittlungshandlungen erteilen. Vgl. Nr. 17 Abs. 4 AStBV (St) 2014; z. B. Vernehmungen, Ortsbesichtigungen, Auswertung von Unterlagen; vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 50.

Ihre Aufgabe ist es, Auskunft von allen öffentlichen Behörden zu verlangen 358 und Ermittlungen jeder Art – z. B. Einsichtnahme in Akten – entweder selbst vorzunehmen oder gemäß § 161 StPO durch die Steuerfahndungsstelle und auch durch Behörden und Beamte des Polizeidienstes vornehmen zu lassen. Vgl. Nr. 17 Abs. 4 AStBV (St) 2014.

Zusammenfassend ist die Straf- und Bußgeldsachenstelle im selbstständigen 359 Ermittlungsverfahren gemäß § 386 Abs. 2 AO die „Herrin des Ermittlungsverfahrens“. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 15.

II. Aufgaben und Befugnisse der Steuerfahndung Die Steuerfahndung ist die mit der „Steuerfahndung betraute Dienststelle“. 360 Sie ist keine Finanzbehörde i. S. d. § 386 Abs. 1 Satz 2 AO, sondern vielmehr ein unselbstständiger Teil einer Finanzbehörde. In einigen Bundesländern ist sie einzelnen Finanzämtern als Dienststelle zugeordnet, in anderen Bundesländern, wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen, bildet sie zusammen mit der Straf- und Bußgeldsachenstelle ein selbstständiges Finanzamt. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 17; Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 132.

Ihre Beamten sind gemäß § 404 Satz 1 AO im Status der Polizei zuständig 361 für Ermittlungen im Steuerstrafverfahren gemäß § 163 Abs. 1 StPO sowie gemäß §§ 404 Satz 2, 399 Abs. 2 Satz 2 AO im Status von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zuständig für einzelne Ermittlungsmaßnahmen. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 15.

N § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO liegt die Hauptaufgabe der Steuerfahndung 362 in der Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten

63

C. Organisation und Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden in Steuersachen

gemäß §§ 369 ff. AO. Daneben ist die Steuerfahndung gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO als Steuerermittlungsorgan tätig, indem sie in den Fällen des § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die Besteuerungsgrundlagen ermittelt. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 137.

363 Aus diesen Aufgabenbereichen ergibt sich eine Doppelfunktion, denn die Aufgaben der Steuerfahndung sind sowohl steuerlicher als auch steuerstrafund bußgeldrechtlicher Natur. So BFH, Urt. v. 8.7.2009 – VIII R 5/07, wistra 2010, 73 ff.

364 Aufgrund dieser Doppelfunktion – steuerstrafrechtliche Ermittlung einerseits und steuerrechtliche Ermittlung andererseits – muss ihre Tätigkeit nach außen erkennbar einem der beiden Bereiche zugeordnet werden können. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 20; vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 99 f.; vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 216. Ausführlich zur Doppelfunktion vgl. Herrmann, DStJG 38 [2015], S. 249 ff.

365 Ihre Aufgaben und Befugnisse richten sich gemäß § 393 Abs. 1 Satz 1 AO nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 17.

366 Dem Aufgabenbereich der Steuerfahndung unterfällt gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO die Aufgabe, unbekannte Steuerfälle aufzudecken und zu ermitteln. Die Ermittlungen finden im nicht strafrechtlichen Bereich statt und sind geboten, wenn noch keine konkreten Anhaltspunkte für eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit gegeben sind, die Möglichkeit einer Steuerverkürzung aber in Betracht kommt. Dabei handelt es sich um sog. Vorfeldermittlungen. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 138; Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 217; Grimsel, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 4 Rn. 10.

1. Erforschen von Steuerstraftaten durch die Steuerfahndung (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) a) Aufgaben der Steuerfahndung 367 Die Hauptaufgabe der Steuerfahndung besteht gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in der Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten gemäß §§ 369 ff. AO. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen Rn. 136; Nr. 18 AStBV (St) 2014 und Einzelsteuergesetze, wie beispielsweise § 26c Umsatzsteuergesetz.

368 Zur Wahrnehmung dieser Aufgabe ist notwendig, dass ein Anfangsverdacht vorliegt und ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gemäß § 397 AO eingeleitet worden ist.

64

II. Aufgaben und Befugnisse der Steuerfahndung

b) Befugnisse der Steuerfahndung Die Vorschrift des § 404 Satz 1 AO weist den Steuerfahndungsbeamten als 369 Ermittlungsperson gemäß § 152 GVG im Steuerstrafverfahren dieselben Rechte und Pflichten zu wie den Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach den Vorschriften der StPO. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 144; Grimsel, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 4 Rn. 11.

Für die Praxis der Steuerfahndung relevant sind:

370

x

Entgegennahme von Anzeigen

x

Einleitung von Steuerstrafverfahren (§ 397 AO)

x

Vernehmung des Beschuldigten (§ 163a Abs. 4 StPO)

x

Vernehmung von Zeugen (§ 163 Abs. 3 StPO)

x

Vorläufige Festnahme (§ 127 Abs. 2 StPO)

x

Festnahme in Haftsachen (§ 112 StPO)

x

Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen

x

Recht des ersten Zugriffs (§ 163 StPO)

x

Durchführung von Durchsuchungen (§§ 102, 103 StPO)

x

Beschlagnahmen (§ 98 StPO)

x

Anordnung einer Durchsuchung oder Beschlagnahme bei Gefahr im Verzug (§§ 98 Abs. 1, 105 Abs. 1 StPO)

x

Telekommunikationsüberwachungen bei einer Katalogstraftat. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 17; vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 145.

Die Steuerfahndung hat daneben – weitergehend als die Polizei – gemäß 371 § 404 Satz 2 AO, § 110 Abs. 1 StPO die Befugnis zur Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen. Praxistipp: Der Begriff des „Papiers“ ist weit auszulegen, es gehören dazu alle Gegenstände, die wegen ihres Gedankenhalts Bedeutung haben können (Fotos, Filme, Festplatten, Computerdaten auf dem Notebook). So OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.11.1995 – 2 Ss 158/95, wistra 1996, 117 f. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 145.

Dieses Recht hat gemäß § 100 StPO die Staatsanwaltschaft und auf ihre An- 372 ordnung hin haben dieses Recht auch ihre Ermittlungspersonen. Im Steuerstrafverfahren hat die Steuerfahndung gemäß § 404 Satz 2 AO ein eigenstän65

C. Organisation und Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden in Steuersachen

diges Durchsichtsrecht, ohne dass es der Anordnung durch die Staatsanwaltschaft nach § 110 Abs. 1 StPO bedarf. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 713; Kohlmann, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: 9. 2006, § 404 AO Rn. 145.

2. Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in Steuerstrafsachen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) a) Aufgaben 373 Die Vorschrift des § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erweitert die Aufgaben der Steuerfahndung. Die Steuerfahndung erforscht die Steuerstraftaten und die Steuerordnungswidrigkeiten und sie ermittelt die Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 137.

374 Diese sog. „isolierten Fiskalermittlungen“ führt sie durch, auch wenn die steuerstrafrechtliche Verfolgung der einer Steuerstraftat verdächtigen Person nicht mehr möglich ist. So ist ohne Bedeutung, dass beispielsweise die strafrechtliche Verjährung eingetreten oder die verdächtige Person verstorben ist. Praxistipp: Die strafrechtliche Verjährung ist nicht gleichzusetzen mit der verlängerten Festsetzungsverjährung gemäß § 169 Abs. 2 AO.

375 Gleiches gilt, sofern der Strafklageverbrauch eingetreten ist oder die der Steuerstraftat verdächtige Person eine Selbstanzeige gemäß § 371 AO erstattet hat. Entscheidend und ausreichend ist die „anlassbezogene“ Tätigkeit i. S. d. § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Sie muss auf den Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit zurückzuführen sein. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 18.

b) Befugnisse 376 Die Teile eins bis vier der AO enthalten die für das Besteuerungsverfahren maßgeblichen Ermittlungsvorschriften i. S. d. § 208 Abs. 1 Satz AO. Vgl. Nr. 123 Abs. 2 AStBV (St) 2014.

aa) Auskunftsersuchen 377 Die Steuerfahndung ist gemäß § 208 Abs. 1 Satz 3 AO befugt x

andere Personen als die Beteiligten entgegen § 93 Abs. 1 Satz 3 AO sofort um Auskunft anzuhalten und

x

Auskunftsersuchen entgegen § 93 Abs. 2 Satz 2 AO ohne Einschränkung mündlich zu stellen. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 144.

66

II. Aufgaben und Befugnisse der Steuerfahndung

bb) Urkundenvorlage Die Steuerfahndung ist gemäß § 208 Abs. 1 Satz 3 AO berechtigt,

378

x

die Vorlage von Urkunden ohne vorherige Befragung des Vorlagepflichtigen entgegen § 97 Abs. 3 AO zu verlangen,

x

die Einsicht dieser Akten beim Vorlagepflichtigen unabhängig von dessen Einverständnis entgegen § 97 Abs. 3 AO zu erwirken und

x

bestimmte Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen i. S. d. § 200 AO wie im Besteuerungsverfahren einzufordern. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 144.

Die Verletzung der steuerlichen Mitwirkungspflichten durch den Insolvenz- 379 verwalter kann dazu führen, dass ihm im Rahmen des § 82 InsO eine Berufung auf die Zurechnung des Wissens des ehemals örtlich zuständigen Finanzamts von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwehrt ist. So BFH, Urt. v. 18.8.2015 – VII R 24/13.

3. Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO) sowie Steueraufsicht a) Aufgaben Die Ermittlungen der Steuerfahndung können sich sowohl auf unbekannte 380 Steuerpflichtige als auch auf unbekannte Sachverhalte beziehen. Vgl. Roth, Sammelauskunftsersuchen und internationale Gruppenanfragen, S. 25 f.

Sofern sich im Rahmen der Ermittlungen der Verdacht einer Steuerstraftat 381 oder Steuerordnungswidrigkeit ergibt, führt die Steuerfahndung weitere Ermittlungen im Rahmen ihrer Aufgaben gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AO durch. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 141.

Nicht zulässig sind Fahndungsmaßnahmen, die „ins Blaue hinein“ erfolgen.

382

So BFH, Beschl. v. 21.3.2002 – VII B 152/01, ZIP 2002, 1025 = BStBl. II 2002, 495, dazu EWiR 2003, 249 (Marxen/Pridik).

Die Abgrenzung von zulässigen steuerlichen Vorfeldermittlungen und unzu- 383 lässigen Ermittlungen ist in der Praxis schwierig vorzunehmen. Es besteht das Risiko, dass die Steuerfahndung unter dem „Deckmantel“ des Besteuerungsverfahrens strafrechtliche Ermittlungen durchführt. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 140.

67

C. Organisation und Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden in Steuersachen

b) Befugnisse aa) Umsatzsteuer-Nachschau 384 Zur Sicherstellung der gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung der Umsatzsteuer dürfen gemäß § 27b Abs. 1 Satz 1 UStG die damit betrauten Amtsträger der Finanzbehörde ohne vorherige Ankündigung und außerhalb der Außenprüfung Grundstücke und Räume von Personen, die eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausüben, während der Geschäftund Arbeitszeiten betreten, um Sachverhalte festzustellen, die für die Besteuerung erheblich sein können. Praxistipp: Aufklärungsbedarf, der andere Steuerarten umfasst, ist nicht von dem Recht zur Umsatzsteuer-Nachschau umfasst. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 103.

385 Die Vorschrift des § 27b UStG soll nach der Gesetzesbegründung zum Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs in Form der sog. „Karussellgeschäfte“ dienen. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum StVBG v. 10.9.2001, BGBl. I 2001 S. 3922; BT-Drucks. 14/6883. Praxistipp: Rechtstechnisch ist der Begriff des „Steuerbetrugs“ nicht zutreffend. Der Tatbestand des § 370 AO ist deutlich weiter gefasst, als der allgemeine Betrugstatbestand nach § 263 StGB. Vgl. Adick, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 17 Rn. 3.

386 „Umsatzsteuer-Karussellgeschäfte“ zeichnen sich dadurch aus, dass die innerhalb der Lieferkette für zumeist hochwertige Waren in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträge bei der Finanzbehörde als Vorsteuern geltend gemacht, die Umsatzsteuern allerdings nicht abgeführt werden. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 104, 114 f.

387 Die Umsatzsteuer-Nachschau ist keine Außenprüfung i. S. d. § 193 AO, sondern ein besonderes Verfahren zur zeitnahen Aufklärung möglicher steuererheblicher Sachverhalte. Die Vorschriften über die Außenprüfung, namentlich §§ 193 ff. AO, finden daher keine Anwendung. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 103.

388 Die Umsatzsteuer-Nachschau erfolgt ohne vorherige Ankündigung. Nach der Auffassung des Gesetzgebers hätte der steuerunehrliche Unternehmer ansonsten die Zeit, Vorkehrungen zu treffen, um einen normalen Geschäftsbetrieb vorzutäuschen oder den Geschäftsbetrieb einzustellen. Aufgrund des „Überraschungsmoments“ ist die Finanzbehörde in die Lage versetzt, sich ein zuverlässiges Bild über das Unternehmen zu machen, da die wirksame 68

II. Aufgaben und Befugnisse der Steuerfahndung

Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs die Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse des Unternehmens erforderlich macht. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 104, 112 f.

Dem Wortlaut des § 27b Abs. 1 Satz 1 UStG entsprechend sind die mit der 389 Festsetzung und Erhebung der Umsatzsteuer betrauten Amtsträger zur Umsatzsteuer-Nachschau berechtigt. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 105.

Diesem Personenkreis unterfallen auch die Beamten der Steuerfahndung, die 390 im Rahmen der Vorfeldermittlungen tätig werden. Sie haben allerdings darauf zu achten, dass sie sich bei der Nachschau ausschließlich auf den Bereich der Vorfeldermittlungen beschränken. Die Ermächtigung zur Durchführung der Umsatzsteuer-Nachschau ergibt sich aus der in § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO normierten Aufgabe zur Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle, mithin die Wahrnehmung der Steueraufsicht. Auch wenn die Steuerfahndung nicht grundsätzlich mit der Festsetzung und der Erhebung von Umsatzsteuern befasst ist, kann sie bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO die Umsatzsteuer-Nachschau durchführen. Vgl. Buse, UR 2008, 608.

Die Umsatzsteuer-Nachschau berechtigt zur Feststellung umsatzsteuerrecht- 391 lich erheblicher Sachverhalte. Beispiel: Unternehmerexistenz, Vorhandensein von Anlage- und Umlaufvermögen, einzelne Eingangs- oder Ausgangsrechnungen, einzelne Buchungsvorgänge, Verwendungsverhältnisse. Vgl. Wolter, NZWiSt 2015, 218.

Sie gewährt kein allgemeines Durchsuchungsrecht zur Feststellung anderer 392 steuererheblicher Sachverhalte. Die Auswertung dieser anderen Feststellungen, auch „Zufallsfunde“, ist gemäß § 27b Abs. 4 UStG zulässig und erfolgt regelmäßig in Form von Kontrollmitteilungen an andere Finanzbehörden. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 112.

Die Umsatzsteuer-Nachschau stellt nach der Auffassung der Finanzverwal- 393 tung keine Durchsuchung i. S. d. § 102 StPO dar, weil es sich lediglich um das Betreten und Besichtigen von Grundstücken und Räumen handelt. Begrifflich ist die Durchsuchung i. S. d. Art. 13 Abs. 2 GG in Abgrenzung zu Betretungs- Besichtigungs- und Kontrollrechten das ziel- und zweckgerichtete Suchen in einer Wohnung, um dort etwas festzustellen, das der Inhaber der Wohnung nicht von sich aus herausgeben möchte. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 104, 112, 157.

Von der Umsatzsteuer-Nachschau sind gemäß § 27b Abs. 1 Satz 1 UStG die 394 Personen betroffen, die eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausüben. Ihr unterfallen somit alle umsatzsteuerlichen Unternehmer, 69

C. Organisation und Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden in Steuersachen

unabhängig davon, ob es sich in objektiver Hinsicht tatsächlich um einen Unternehmer i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG handelt, oder ob der Betroffene tatsächlich nur Schein- oder Strohmanngeschäfte ausführt. So BFH v. 26.2.2008 – II B 6/08, BFH/NV 2008, 1004 f.; vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 106.

395 Sofern der Verdacht besteht, dass eine Unternehmereigenschaft beispielsweise zur Erlangung eines Vorsteuererstattungsanspruchs lediglich vorgetäuscht wird, soll die Durchführung einer Umsatzsteuer-Nachschau ausgeschlossen sein. Bei Vorliegen dieses Sachverhalts hat die Steuerfahndung dem Verdacht der Steuerhinterziehung gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO mit strafprozessualen Mitteln nachzugehen. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 107.

396 Von der Umsatzsteuer-Nachschau sind die Grundstücke und Räume umfasst, die während der Geschäfts- und Arbeitszeiten genutzt werden. Wohnräume dürfen gemäß § 27b Abs. 1 Satz 2 UStG nur mit der Zustimmung des Inhabers oder zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreten werden. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 107 f.

397 In zeitlicher Hinsicht besteht das Betretungsrecht nur während der im Einzelfall tatsächlich gegebenen Geschäfts- und Arbeitszeit. Praxistipp: Das ist anders als in den Vorschriften der § 99 Abs. 1 Satz 1 und § 200 Abs. 3 Satz 1 AO, die auf die übliche Geschäfts- und Arbeitszeit abstellen. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 110.

bb) Lohnsteuer-Nachschau 398 Die durch das Amtshilferichtlinienumsetzungsgesetz eingeführte Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG dient der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer und ist ein besonderes Verfahren zur zeitnahen Aufklärung steuererheblicher Sachverhalte. AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013 S. 1809; Apitz, StBP 2014, 33 ff.

399 Die Regelungen zur Lohnsteuer-Nachschau sind denen der UmsatzsteuerNachschau gemäß § 27b UStG nachgebildet. Vgl. Wolter, NZWiSt 2015, 217; Apitz, StBp 2014, 34.

400 Die dazu erfolgten Ausführungen gelten lediglich mit der Ausnahme, dass die Umsatzsteuer-Nachschau nur während der Geschäfts- und Arbeitszeiten durchgeführt werden darf und die Lohnsteuer-Nachschau im Rahmen der üblichen Geschäfts- und Arbeitszeiten stattfindet. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 130 f.; Apitz, StBp 2014, 35.

70

D. Verhältnis des Steuerstrafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO) I. Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Steuerstrafverfahrens und des Besteuerungsverfahrens Das Besteuerungsverfahren sowie auch das Steuerstrafverfahren dienen der 401 „Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung durch Durchsetzung des Anspruchs der steuerberechtigten Körperschaften auf rechtzeitigen und vollständigen Ertrag der betreffenden Steuern“. Bei den Verfahren ist es eigen das Recht und das Gesetz im Steuerrecht durchzusetzen. Sie stehen gleichrangig nebeneinander, sie haben allerdings unterschiedliche Ansatzpunkte. Vgl. Mellinghoff, DStJg 38 [2015], S. 4; Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 106.

Das Besteuerungsverfahren dient dazu die für die Festsetzung der Steuer 402 maßgeblichen Tatsachen zu ermitteln. Das Steuerstrafrecht zeigt Sanktionen auf, die zur Anwendung gelangen (können), sofern der Steuerpflichtige gegen seine steuerlichen Pflichten verstößt. Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 97.

Beide Verfahren sind durch das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 403 GG geprägt. Der Vertrauensschutz und das Gebot der Rechtssicherheit sind von zentraler Bedeutung. Sowohl die Besteuerung als auch die damit verbundene Strafbarkeit setzen voraus, dass der Steuerpflichtige den Eingriff des Staates vorhersehen und sich darauf einrichten kann. Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 98.

Das in den Vorschriften des § 85 AO und § 152 StPO normierte Legalitäts- 404 prinzip gilt in beiden Verfahren. Danach ist ein Tätigwerden der Behörde von Amts wegen vorgeschrieben und sie ist zur Ermittlung des wahren Sachverhalts verpflichtet – zugunsten und zulasten des Steuerpflichtigen. Das Legalitätsprinzip bindet sie an das Recht und das Gesetz mit der Folge, dass sie weder nach freiem Ermessen darüber entscheiden darf, ob und in welcher Höhe Steuern festgesetzt werden, noch ob ein (Steuer-) Strafverfahren einzuleiten ist. Praxistipp: Zu den Ausnahmen vom Legalitätsprinzip: Erlass oder die abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen im Besteuerungsverfahren und die Möglichkeit zum Absehen von Strafe bei Geringfügigkeit im Steuerstrafverfahren. Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 98.

Die Rechtsstellung des Steuerpflichtigen bzw. des Beschuldigten unterschei- 405 det sich in beiden Verfahren. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf seine Mitwirkungspflichten. Das Besteuerungsverfahren ist von den Mitwirkungs-

71

D. Verhältnis des Steuerstrafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO)

pflichten des Steuerpflichtigen geprägt. Der Steuerpflichtige ist gemäß § 90 AO dazu verpflichtet, die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig offenzulegen. Die umfassenden Mitwirkungspflichten sind notwendig, da der Steuerpflichtige i. d. R. die Person ist, die die relevanten Sachverhalte kennt. Im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist die Finanzbehörde zum Nachweis der Straftat verpflichtet. Der Steuerpflichtige braucht als Beschuldigter gemäß § 136 StPO keine Aussage zu tätigen. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 191; Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 106; Mellinghoff, Stbg 2014, 98 f.; BFH, Urt. v. 15.4.2015 – VIII R 1/13, www.bundesfinanzhof.de, Stichwort: Entscheidungen online.

406 Die Möglichkeit der Selbstanzeige ist für den Bereich der Mitwirkungspflichten von Bedeutung, denn der Steuerpflichtige kann der Finanzbehörde nach einer eingereichten Steuererklärung gegenübertreten und Sachverhalts- oder Rechtsfragen klären, ohne strafrechtliche Verfolgung fürchten zu müssen. Vgl. Wulf, Stbg 2014, 273.

II. Rechtsstellung des Steuerpflichtigen im jeweiligen Verfahren 407 Den beiden Verfahrensarten liegt regelmäßig derselbe Sachverhalt zugrunde. Dieser Umstand stellt unterschiedliche Anforderungen an das Verhalten der Beteiligten. Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 98 f.; Bornheim/Kröber, Steuerstrafverteidigung, S. 426 m. w. N.

408 Der Steuerpflichtige ist im Besteuerungsverfahren zur Mitwirkung verpflichtet, während er im Steuerstrafverfahren jede Mitwirkung verweigern darf. Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 99; Schaefer, Der Nemo-TeneturGrundsatz im Steuerstrafverfahren, S. 254.

409 Er ist bei der Mitteilung der Verfahrenseinleitung, spätestens zu Beginn der Vernehmung über seine Rechte und Pflichten zu belehren: x

Aussageverweigerungsrecht,

x

Recht, bereits vor der ersten Aussage einen Verteidiger beizuziehen,

x

Recht der schriftlichen Stellungnahme zum Tatvorwurf,

x

Recht, eigene Beweisanträge zu stellen. Vgl. Müller, AO-StB 2010, 59 ff.

410 Die Doppelzuständigkeit der Steuerfahndung gemäß § 208 AO ist für den Steuerpflichtigen problematisch, wenn er nicht erkennen kann, in welcher ihrer Funktionen sie ihm gegenüber handelt. Für ihn ist es bedeutsam dies zu wissen, da er nur so beurteilen kann, ob er als Steuerpflichtiger zur umfassenden Mit-

72

II. Rechtsstellung des Steuerpflichtigen im jeweiligen Verfahren

wirkung verpflichtet ist, oder ihm die Rechte eines Beschuldigten im Strafverfahren und insbesondere das Mitwirkungsverweigerungsrecht zustehen. Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 99.

1. Verbot der Selbstbelastung Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit oder „Nemo-Tenetur-Grund- 411 satz“ ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Er ergibt sich aus der allgemeinen Handlungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG. Der Grundsatz normiert, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst anzuklagen oder gegen sich selbst Zeugnis abzulegen. Dies hat zur Folge, dass der Beschuldigte in einem Steuerstrafverfahren nicht dazu verpflichtet ist, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 9999; ausf. Leimkuhl-Schulz/ Modrzejewski, wistra 2015, 378.

Die Problematik soll anhand der Umsatzsteuer dargestellt werden:

412

Der Steuerpflichtige ist sowohl zur Abgabe von Umsatzsteuer-Voran- 413 meldungen, als auch zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung verpflichtet. Die Pflicht, eine zutreffende Jahressteuererklärung bei der Finanzbehörde einzureichen, ist für ihn erfüllbar, solange die zutreffende Erklärung als Selbstanzeige gewertet wird und zur Strafbefreiung führt. Der Steuerpflichtige kann keine Strafbefreiung erlangen, wenn hinsichtlich der Voranmeldung(en) ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 102; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 107.

Die Pflicht eine zutreffende Jahressteuererklärung einzureichen, führt dazu, 414 dass der Steuerpflichtige sich in einem Spannungsverhältnis befindet: die zutreffende, von den Voranmeldungen abweichende Jahreserklärung belastet ihn hinsichtlich der Angaben in den Voranmeldungen. Übernimmt er in der Jahreserklärung die fehlerhaften Angaben aus den Voranmeldungen, begeht er eine neue Steuerstraftat, da die Steuervoranmeldungen und die Umsatzsteuerjahreserklärung jeweils einen eigenen Erklärungswert haben. So BGH v. 24.11.2004 – 5 StR 206/04, NJW 2005, 836 ff.

Der Steuerpflichtige braucht nicht an der eigenen Strafverfolgung mitzuwir- 415 ken, aber er ist nicht dazu berechtigt, neues Unrecht in Form der Abgabe falscher Erklärungen oder der Wiederholung falscher Angaben zu begehen. Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 102; Webel, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, § 393 AO Rn. 55; Schaefer, Der Nemo-TeneturGrundsatz im Steuerstrafverfahren, S. 53.

Eine solche Regelung würde gegen den steuerlichen Gleichbehandlungsgrund- 416 satz verstoßen, weil es den unehrlichen Steuerpflichtigen gegenüber demjenigen, der seine Pflichten erfüllt, privilegierte.

73

D. Verhältnis des Steuerstrafverfahrens zum Besteuerungsverfahren (§ 393 AO) Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 102; Webel, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, § 393 AO Rn. 57.

417 Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit befreit den Steuerpflichtigen nicht von der Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten. So BFH, Beschl. v. 28.12.2006 – VIII B 48/06, BFH/NV 2007, 646 – 647.

418 Nach der Rechtsprechung des BGH ist die strafbewehrte Erklärungspflicht für die Dauer des Strafverfahrens suspendiert. Die Richter des BGH stützen diese Lösung auf das Zwangsmittelverbot gemäß § 393 Abs. 1 Satz 2 AO. So BGH, Beschl. v. 26.4.2001 – 5 StR 587/00, wistra 2001, 341 ff.; vgl. Weyand, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 7 Rn. 847 m. w. N. zur fortführenden Rechtsprechung.

419 Als Folge daraus braucht der Steuerpflichtige die zutreffende Jahressteuererklärung nicht einzureichen, sofern sie nicht als Selbstanzeige zur Strafbefreiung führt. Das Zwangsmittelverbot gemäß § 393 Abs. 1 AO führt dazu, dass die Pflicht zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung für die Dauer des Steuerstrafverfahrens suspendiert wird. Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 103; Webel, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, § 393 AO Rn. 54.

420 Die Suspendierung ist begrenzt, denn sie gilt nur für die strafbefangene Steuerart und nur für die strafbefangenen Zeiträume. Der Steuerpflichtige befindet sich hinsichtlich der anderen Steuerarten und -zeiträume nicht in einer Konfliktsituation. Die Befreiung von seinen steuerlichen Erklärungspflichten wäre nicht gerechtfertigt. So BGH, Beschl. v. 26.4.2001 – 5 StR 587/00, wistra 2001, 341 ff.

421 Von der Suspendierung sind Steuerstraftaten umfasst, sodass sie für nicht steuerliche Straftaten, die durch die zutreffende Erklärung aufgedeckt würden, nicht gilt. Beispiel: Bestechlichkeit. Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 103.

422 Allgemeine Straftaten, beispielsweise die Urkundenfälschung, sind daher von der Anwendung des § 371 AO ausgeschlossen. Der Anzeigende kann sich allerdings, sofern er vor oder ohne Kenntnis der Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten eine Selbstanzeige erstattet, hinsichtlich der dadurch aufgedeckten allgemeinen Straftaten auf den Schutz des Steuergeheimnisses gemäß § 30 AO berufen. Ihm kommt zudem das Verwertungsverbot gemäß § 393 Abs. 2 AO zugute, da er zwar nicht zur Selbstanzeige verpflichtet ist, seine fortbestehende

74

II. Rechtsstellung des Steuerpflichtigen im jeweiligen Verfahren

Pflicht zu vollständigen und wahrheitsgemäßen Angaben aber erfüllt und demnach in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten gehandelt hat. Vgl. Rüping, in: H/H/Sp, Stand: März 2012, § 371 AO Rn. 32. Praxistipp: Das Verwertungsverbot gilt gemäß §§ 393 Abs. 2 Satz 2, 30 Abs. 4 Nr. 5 AO nicht, wenn der Anzeigende Straftaten offenbart, an deren Verfolgung ein zwingendes öffentliches Interesse besteht. Vgl. Hilgers-Klautzsch, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: April 2013, § 393 AO Rn. 186; Weyand, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 7 Rn. 854.

2. Beschleunigungsgebot Das Beschleunigungsgebot ist in Art. 6 Abs. 1 EMRK normiert und im steu- 423 erstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren von besonderer Bedeutung. Der Beschleunigungsgrundsatz gebietet es, dass innerhalb einer angemessenen Frist entschieden wird, ob Anklage gegen den Steuerpflichtigen, der einer Steuerstraftat bezichtigt wird, erhoben wird. Von den Umständen des Einzelfalls hängt es ab, welcher Zeitspanne die angemessene Frist unterfällt. Die allgemein anerkannte Komplexität steuerstrafrechtlicher Fälle rechtfertigt keine lange Verfahrensdauer. Eine überlange Verfahrensdauer ist bei der Strafzumessung strafmildernd zu berücksichtigen und sie kann im Einzelfall zu einem Verfahrenshindernis führen. Vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 99.

In der Regel beziehen sich Steuerstrafverfahren allerdings auf länger zurück- 424 liegende Zeiträume, sodass optisch der Eindruck entstehen kann, dass eine lange Verfahrensdauer vorliegt.

75

E. Täterschaft und Teilnahme Die Kenntnis der rechtlichen Grundlagen von Täterschaft und Teilnahme 425 und die Maßstäbe, die die Rechtsprechung zur Abgrenzung dieser Beteiligungsformen heranzieht, sind für den Berater und den Insolvenzverwalter unerlässlich, um die Begehung strafbarer Handlungen zu vermeiden. Grundsätzlich kann jede Person sowohl Täter als auch Teilnehmer einer Steuerstraftat sein. Im Bereich der Krisenberatung ist die Bedrängnis an einer Straftat teilzunehmen größer, als selbst Täter zu sein. Die täterschaftliche Begehungsform kann gegeben sein, wenn die Interessen des Beraters zu sehr mit denen des Beratenen verschmelzen. Die in der Hauptsache anzutreffende Begehungsform ist daher nicht die eigene Täterschaft, sondern die Teilnahme an einer fremden Tat. Vgl. Wessing, NZI 2003, 2; Guntermann, Stbg 2014, 39; Brete/ Thomsen, Beratungs- und Haftungsrisiken in der Unternehmenskrise, S. 91; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rn. 205.

I. Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme Fragen der Täterschaft und der Teilnahme sind im Steuerstrafrecht bedeutsam.

426

Beispiel: Das Problemfeld ist beispielsweise bei Ehegatten, die gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt werden und die Steuererklärung gemeinsam unterschreiben, gegeben. Gleiches gilt für den Steuerberater, der den Steuerpflichtigen berät und die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für ihn abgibt oder zumindest Entwürfe fertigt. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 540; zu Ehegatten vgl. Kuhli, in: Fiskalstrafrecht, Kap. 10 Rn. 49 ff.

Die Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich regelmäßig bei der Bestim- 427 mung der mittelbaren Täterschaft gemäß § 25 Abs. 1 2. Alt. StGB und der Bestimmung gemäß § 26 StGB sowie der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB und der Beihilfe gemäß § 27 StGB. Sie entstehen dadurch, dass sowohl der mittelbare Täter als auch der Anstifter einen anderen zur Tatbegehung veranlassen und sowohl der Mittäter als auch der Beihilfetäter einen Tatbeitrag leisten. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 542; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, Rn. 743.

II. Grundsatz zur Täterschaft Das Strafgesetzbuch enthält in der Vorschrift des § 25 StGB unterschiedliche 428 Formen der Täterschaft. Die Vorschrift des § 25 Abs. 1 1. Alt. StGB definiert den Alleintäter, die Vorschrift des § 25 Abs. 1 2. Alt. StGB den mittelbaren Täter, die Vorschrift des § 25 Abs. 2 StGB normiert den Mittäter. 77

E. Täterschaft und Teilnahme

429 Diese allgemeinen Grundsätze von Täterschaft und auch von Teilnahme gemäß §§ 25 ff. StGB kommen gemäß § 369 Abs. 2 AO im Steuerstrafrecht zur Anwendung. Die Steuerhinterziehung kann daher in Alleintäterschaft, in Mittäterschaft und in mittelbarer Täterschaft begangen werden. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 20; Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 541.

430 Die Täterschaft ist die stärkste Form der Tatbeteiligung. 431 Bei der Beurteilung der Täterschaft stellt der BGH auf den Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, den Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft oder den Willen zur Tatherrschaft ab. So BGH, Urt. v. 15.1.1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289 ff.; so BGH, Urt. v. 24.10.2002 – 5 StR 600/01, wistra 2003, 100 ff.; vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 547; Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 158.

1. Alleintäterschaft 432 Als Täter wird gemäß § 25 Abs. 1 1. Alt. StGB bestraft, wer die Straftat selbst begeht. Diesen Täter bezeichnet man als Alleintäter. Alleintäter ist danach die Person, die sämtliche objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale – eigenhändig – in ihrer Person verwirklicht. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 583; Fischer, StGB, § 25 Rn. 3, 22.

433 Sie hat objektiv die alleinige Tatherrschaft und subjektiv den Täterwillen. 434 Bei der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO ist es unbeachtlich, ob der Täter der Steuerstraftat zu eigenem oder zu fremdem Nutzen handelt. Täter der Steuerhinterziehung kann daher sowohl der Steuerpflichtige als auch ein Dritter sein. Beispiel: Der Steuerberater, der wider besseres Wissen die Herabsetzung der ESt-VZ des Mandanten auf 0 € beantragt, wird als Täter bestraft. So OLG Stuttgart, Urt. v. 21.5.1987 – 1 Ss 221/87 wistra 1987, 263 ff.; vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 584.

2. Mittelbare Täterschaft 435 Als Täter wird gemäß § 25 Abs. 1 2. Alt. StGB bestraft, wer die Straftat durch einen anderen begeht. Diesen Täter bezeichnet man als mittelbaren Täter. Der mittelbare Täter bedient sich zur Durchsetzung der Tat einer anderen Person. Die Voraussetzung ist, dass der mittelbare Täter die tatbe-

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II. Grundsatz zur Täterschaft

standsmäßige Handlung durch eine andere natürliche Person vornehmen lässt, die er Kraft überlegenen Wissens oder Willens beherrscht. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 157; Fischer, StGB, § 25 Rn. 5; Beckemper, wistra 2002, 401.

Im Bereich der Steuerhinterziehung macht regelmäßig eine von dem mittel- 436 baren Täter eingeschaltete dritte Person vorsatzlos falsche Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen. Beispiel: Der Steuerberater, der für den Mandanten die Umsatzsteuer-Voranmeldungen einreicht. Er bekommt von seinem Mandanten unvollständige Informationen über die ausgeführten L+L und wird nicht informiert, dass aus bestimmten Eingangsrechnungen aufgrund § 14 Abs. 3 UStG kein Vorsteuerabzug möglich ist. Der Steuerberater schöpft keinen Verdacht und reicht gutgläubig falsche Umsatzsteuer-Voranmeldungen ein. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 585.

Die Frage nach der möglichen Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft 437 stellt sich insbesondere in arbeitsteilig und hierarchisch organisierten Unternehmen sowie in Konzernstrukturen. Sie erlangt Bedeutung in der Variante der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft. So BGH, Urt. v. 26.7.1994 – 5 StR 98/94, NStZ 1994, 537 ff.

Danach werden steuerliche Pflichtverletzungen unterer Hierarchie- oder 438 Konzernebenen von höherer Stelle veranlasst. Die Frage nach der mittelbaren Täterschaft stellt sich ebenfalls, wenn den steuerlichen Vertretern steuerlich relevante Informationen vorenthalten werden und sie in der Folge gutgläubig unrichtige Steuererklärungen abgeben. Dies verhält sich in der Sachverhaltskonstellation, wenn Mitarbeiter ohne Kenntnis der Geschäftsleitung oder der Steuerabteilung Bestechungsgelder zahlen und sie intern als reguläre Beraterhonorare abrechnen und somit nicht abzugsfähige Betriebsausgaben i. S. d. § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG als abzugsfähig behandeln. Gleiches gilt, wenn Mitarbeiter im Namen des Unternehmens Geschäfte, beispielsweise im Gebrauchtwagenhandel, tätigen, sie das Unternehmen dadurch in ein Umsatzsteuerkarussell verstricken und diesbezüglich unrechtmäßig Vorsteuern geltend machen. So BGH, Beschl. v. 19.2.2009 – 1 StR 633/08, wistra 2009, 238 ff.; BGH, Beschl. v. 8.2.2011 – 1 StR 24/10, wistra 2011, 264 ff.; EuGH, Urt. v. 7.12.2010 – C-285/09, DStR 2010, 2572 ff.; vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 22; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 157.

79

E. Täterschaft und Teilnahme

3. Mittäterschaft 439 Als Mittäter wird gemäß § 25 Abs. 2 StGB jede Person bestraft, auch wenn mehrere Personen die Straftat gemeinschaftlich begehen. Die einzelne Person dieser Personengruppe wird als Mittäter bezeichnet. 440 Nach den allgemeinen Maßstäben ist ein Mittäter jene Person, die nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag in eine gemeinschaftliche Tat so einfügt, dass ihr Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder zumindest der Wille zur Tatherrschaft sein. So BGH, Urt. v. 7.10.2014 – 1 StR 182/14, PStR 2015, 118; BGH, Beschl. v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, wistra 2013, 314 ff., dazu EWiR 2013, 537 (Brammsen).

441 Für das Bejahen der Mittäterschaft ist das Vorliegen objektiver und subjektiver Voraussetzungen erforderlich. 442 In objektiver Hinsicht ist ein wesentlicher Tatbeitrag notwendig, ohne den die Tat zwar nicht unmöglich, aber wesentlich erschwert worden wäre. So BGH, Urt. v. 16.10.1990 – 4 StR 414/90, NStZ 1991, 91.

443 Dabei ist streitig, welches Gewicht und welche Bedeutung der Tatbeitrag für das Gelingen der Tat haben muss. Teilweise wird in der Literatur ein Beitrag im Ausführungsstadium der Tat, somit zwischen Versuchsbeginn und Beendigung der Tat gefordert. In diesem Fall würde eine Mitwirkung im Planungs- oder Vorbereitungsstadium nicht ausreichen. Nach anderer Auffassung kann die Tatherrschaft schon derjenige haben, der durch das Entwickeln des Tatplans und die Organisation des Tatablaufs nur im Vorfeld des eigentlichen Geschehens tätig wird, sodass als objektiver Tatbeitrag auch die Mitwirkung im Vorbereitungsstadium ausreicht. Der Bandenchef, der den Tatplan entworfen und im Vorbereitungsstadium die Durchführung der Tat in allen Einzelheiten geplant hat, könnte ohne Weiteres als Mittäter bestraft werden. So BGH, Beschl. v. 10.10.1984 – 2 StR 470/84, BGHSt 33, 50 ff.; vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 590 ff.

444 In subjektiver Hinsicht setzt die Mittäterschaft einen gemeinsamen Tatenschluss voraus. Die Täter müssen die Tat gemeinsam, somit arbeitsteilig als gleichberechtigte Partner ausführen. Jeder an der Tat Beteiligte muss seinen Tatbeitrag als Ergänzung seines eigenen Tatanteils wollen. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist nach den gesamten Umständen, die von der Vorstellung der Beteiligten umfasst sind, in wertender Betrachtung zu prüfen.

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III. Grundsatz zur Teilnahme So BGH, Urt. v. 4.5.1988 – 2 StR 82/88, NStZ 1988, 406; vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 590; Fischer, StGB, § 25 Rn. 12 f., 13.

Jeder Tatbeteiligte muss sich dem Prinzip des arbeitsteiligen Handelns und 445 der funktionalen Rollenverteilung entsprechend die Tatbeiträge des anderen in der Art zurechnen lassen, als hätte er sie selbst geleistet. Im Einzelfall kann das dazu führen, dass auch derjenige als Täter bestraft wird, der sich an der eigentlichen steuerlichen Tathandlung, z. B. Unterschreiben und Einreichen der Erklärung, nicht beteiligt, sondern seine Aktivitäten auf Vorbereitungshandlungen oder geistige Führung beschränkt hat. Dabei ist gleichwohl zu beachten, dass ein Tatbeitrag im Vorbereitungsstadium von erheblicher Bedeutung für die Ausführung der Tat sein muss. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 593.

Der gemeinsame Tatentschluss, das ausdrückliche oder stillschweigende Ein- 446 verständnis, die Tat durch gemeinsames arbeitsteiliges Handeln bewusst und gewollt zusammen zu begehen, kann nach Beginn der Tatausführung bis zur Tatbeendigung gefasst werden. Beispiel: Der Steuerberater beantwortet nach der Abgabe der unrichtigen Steuererklärung durch den Steuerpflichtigen die Rückfragen des Finanzamts mit dem Einverständnis des Mandanten falsch. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 590.

Sofern der Tatbeteiligte nur ein fremdes Tun fördern möchte bzw. keinen 447 Tatherrschaftswillen hat, kommt lediglich die Beihilfe in Betracht. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 590.

Im Wirtschaftsleben kann die Rechtsfigur der Mittäterschaft im Einzelfall 448 dazu führen, dass die Strafverfolgungsbehörde die von einem vorgeschobenen Strohmann begangene Steuerhinterziehung auch dem lenkenden und leitenden Hintermann als Täter zurechnet und ihn nicht lediglich als Anstifter verfolgt. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 21.

III. Grundsatz zur Teilnahme Die Teilnahme setzt die Beteiligung an einer fremden vorsätzlichen und 449 rechtswidrigen Haupttat i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB voraus. Daher muss eine andere Person einen Steuerstraftatbestand vorsätzlich und 450 rechtswidrig als Täter verwirklicht haben. Der Haupttäter muss nicht schuld81

E. Täterschaft und Teilnahme

haft gehandelt haben. Die Begründung ist darin zu sehen, dass gemäß § 29 StGB jeder Tatbeteiligte ohne Rücksicht auf die Schuld des anderen nach seiner Schuld bestraft wird. 451 Der Strafgrund ist der Tatbeitrag des Teilnehmers zur Verwirklichung des Unrechtes der Haupttat. 452 Gemäß der Vorschriften des § 369 Abs. 2 AO i. V. m. §§ 26, 27 StGB ist bei der Form der Teilnahme zwischen der Anstiftung und der Beihilfe zu unterscheiden. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 597.

453 Die Teilnahme setzt im Steuerstrafrecht die vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat, die Teilnahmehandlung und den „doppelten Teilnehmervorsatz“ voraus. So LG Augsburg, Beschl. v. 31.1.2014 – 2 Qs 1002/14, wistra 2015, 39 f.

454 Der doppelte Teilnehmervorsatz muss sich sowohl auf die Haupttat als auch auf die Teilnahme beziehen. Der bedingte Vorsatz genügt. Der Teilnehmer erkennt den Taterfolg als nicht fernliegend und nimmt ihn in Kauf. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 23; Kuhli, in: Fiskalstrafrecht, Kap. 10 Rn. 35.

1. Anstiftung gemäß § 26 StGB 455 Der Anstifter wird wie ein Täter bestraft, da er gemäß § 26 StGB vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat. Praxistipp: Die Bestimmung zu einer leichtfertigen Tat ist nicht strafbar. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 599, 603; Götzenberger, Auslandsvermögen legalisieren, Rn. 67.

456 Der Anstifter muss bei dem Täter den Entschluss zu dessen vorsätzlicher und rechtswidriger Tat der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 und 4 AO oder gemäß § 370 Abs. 2 AO hervorrufen. Die Einwirkung des Anstifters muss für die Entschlussfassung des Täters ursächlich sein und den Vorsatz des Haupttäters hervorrufen. Praxistipp: Sog. kausale Anstifterhandlung. Wer zu einer Steuerhinterziehung bereits entschlossen ist, kann nicht mehr angestiftet werden.

82

III. Grundsatz zur Teilnahme Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 600; Brete/Thomsen, Beratungs- und Haftungsrisiken in der Unternehmenskrise, S. 91.

Dabei kennt der Anstifter die vorsätzliche und rechtswidrige Begehung der 457 Tat durch den Haupttäter und er will sie auch. Der Anstifter benötigt keine Detailkenntnisse. Es genügt, dass die Tat in ihren 458 wesentlichen Grundzügen, d. h. hinsichtlich ihres wesentlichen Unrechtsgehalts und ihrer Angriffsrichtung umrissen ist. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 602.

Der Haupttäter, der eine wirksame Selbstanzeige gemäß § 371 AO einreicht, 459 geht straffrei aus, während die Strafbarkeit des Anstifters durch die Selbstanzeige des Haupttäters nicht berührt wird. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 604.

2. Beihilfe gemäß § 27 StGB Gemäß der Vorschrift des § 27 StGB wird als Gehilfe bestraft, wer vorsätz- 460 lich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 und 4 AO oder gemäß § 370 Abs. 2 AO Hilfe geleistet hat. Sofern der Haupttäter lediglich leichtfertig handelt, kommt die Beihilfe nicht 461 weiter in Betracht. Vgl. Bornheim/Kröber, Steuerstrafverteidigung, S. 501.

Der Gehilfe muss vorsätzlich handeln. Sein Vorsatz muss alle objektiven und 462 subjektiven Tatbestandsmerkmale der Haupttat umfassen und die Haupttat muss rechtswidrig sein. Es genügt, dass der Gehilfe die wesentlichen Merkmale der Haupttat erkennt und billigt. Einzelheiten der Tat braucht der Gehilfe nicht zu kennen. Vgl. Bales, ZInsO 2010, 2074.

Der Zeitpunkt der Hilfeleistung durch den Gehilfen kann der Tatbestands- 463 verwirklichung, beispielsweise der Abgabe der unrichtigen oder unvollständigen Steuererklärung, vorgelagert sein. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Hilfeleistung und Haupttat ist nicht 464 erforderlich. Die Voraussetzung ist lediglich, dass der Gehilfe die Tat des Haupttäters unterstützt, fördert oder erleichtert. Die Hilfeleistung kann durch Rat oder Tat, durch Vorbereitungshandlungen oder durch die eigentliche Tatbegehung erfolgen. Vgl. Bielefeld/Prinz, DStR 2008, 1123; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 217.

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E. Täterschaft und Teilnahme

465 Als Beihilfeleistung ist daher grundsätzlich jede Handlung anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolges des Haupttäters objektiv fördert. Sie muss nicht notwendig für den Erfolg selbst ursächlich sein. So BGH, Urt. v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, ZIP 2000, 1828 = wistra 2000, 340 ff., dazu EWiR 2000, 895 (Jahn).

466 Von besonderer Bedeutung ist die Frage nach der Strafbarkeit professioneller Unterstützungshandlungen als Beihilfe, beispielsweise beim Rechnungssplitting und bei Bargeschäften ohne Rechnung. So BFH, Urt. v. 8.9.2004 – XI R 1/03, HFR 2005, 293 ff.; vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 23; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 219 ff. m. w. N.

467 Im wirtschaftlichen Verkehr gibt es eine Vielzahl von Handlungen, bei denen der Handelnde nicht ausschließen kann, dass er durch die Verschaffung eines Gegenstands oder durch die Ausführung einer sonstigen Leistung im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit einer strafbaren Handlung Vorschub leistet. Die Sozialadäquanz und damit einhergehend die Straffreiheit endet, sobald der Handelnde „sehenden Auges“ eine Straftat unterstützt – die äußerliche Sozialadäquanz beseitigt nicht die objektive Tatbestandsmäßigkeit. Ausgehend von der Rechtsprechung der höchsten Instanzgerichte ist der professionell-adäquat Handelnde dadurch geschützt, dass sein Handeln den Tatbestand der Beihilfe erst erfüllt, sobald er um den kriminellen Kontext weiß oder ihn für wenigstens „überaus wahrscheinlich“ hält. Das bedingt vorsätzliche Handeln unterhalb dieser Schwelle bleibt abweichend von den allgemeinen Grundsätzen straffrei. Maßgeblich ist der subjektive Tatbestand, auf den ggf. aus objektiven Umständen geschlossen werden kann. So BGH, Urt. v. 14.1.2015 – 1 StR 93/14, wistra 2015, 273 ff.; BGH, Urt. v. 22.1.2014 – 5 StR 468/12, wistra 2014, 176 ff.; BGH, Urt. v. 21.8.2014 – 1 StR 13/14, NStZ-RR 2014, 316 ff.; BGH, Urt. v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, ZIP 2000, 1828 = wistra 2000, 340 ff.; vgl. Pflaum, wistra 2010, 372; Brete/Thomsen, Beratungs- und Haftungsrisiken in der Unternehmenskrise, S. 91 f.; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rn. 205; Kämpfer/Buhlmann, Fiskalstrafrecht, Kap. 11 Rn. 26 f.; Müller, AO-StB 2015, 18 f.

468 Ein ungewöhnlich hohes Entgelt, eine ungewöhnlich hohe Gewinnmarge oder andere, nicht branchenübliche Geschäftsmodalitäten können ein Indiz für einen entsprechend qualifizierten Vorsatz sein. So kann das zügige „Durchhandeln“ von Ware bei Zwischenhändlern, für deren Einschaltung kein sinnvoller Grund erkenntlich ist, darauf hindeuten, dass Lieferanten und Abnehmer nicht wirklich am Markt agieren, sondern in ein Umsatzsteuerhinterziehungssystem eingebunden sind. So BGH, Beschl. v. 15.3.2005 – 5 StR 592/04, wistra 2005, 227 f.; BGH, Beschl. v. 8.2.2011 – 1 StR 24/10, wistra 2011, 264 ff.

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IV. Täterbegriff im Steuerstrafrecht

Als Beihilfe zur Steuerhinterziehung können von einem Dritten begangene 469 Vorbereitungshandlungen qualifiziert werden. Die dritte Person erfüllt für sich genommen lediglich den Ordnungswidrigkeitentatbestand der Steuergefährdung gemäß § 379 AO. Solchen Handlungen unterfällt z. B. das Ausstellen inhaltlich falscher Belege, die es möglich machen, private Lebenshaltungskosten als Betriebsausgaben/Werbungskosten geltend zu machen. Gleiches gilt für das Erstellen von Scheinrechnungen, durch die unberechtigte Vorsteuererstattungen erlangt werden. Ein solches Verhalten kann nicht den Schutz der professionellen Adäquanz beanspruchen, sodass bereits schlichtbedingt vorsätzliches Handeln strafbar ist. Die strafbare Zielsetzung „drängt“ sich zudem geradezu auf, da die sinnvolle legale Verwendung für manipulierte Belege oder Aufzeichnungen nicht ersichtlich ist. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 26. Praxistipp: Der Steuerberater darf davon ausgehen, dass die Angaben und Unterlagen des Mandanten richtig und zutreffend sind. Bei Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben muss der Steuerberater diesen nachgehen und er darf sie nicht ohne Rückfragen übernehmen. Reicht der Mandant (Aufwands-)Belege ein, deren Berücksichtigung als abzugsfähige Betriebsausgabe zweifelhaft erscheint, wie es typischerweise bei Bewirtungs- oder Fahrtkostenbelegen denkbar ist, sollte der Steuerberater solche Zweifelsfragen stets dokumentieren. Vgl. Brete/Raik, Beratungs- und Haftungsrisiken in der Krise, S. 27; Kämpfer/Buhlmann, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 11 Rn. 49 f.

Nach den Grundsätzen der professionellen Adäquanz kann sich auch der 470 Steuerberater wegen Beihilfe zu der Steuerhinterziehung seines Mandanten strafbar machen, wenn er für seinen Mandanten wahrheitswidrige Steuererklärungen abgibt. So FG Nürnberg, Urt. v. 10.12.2002 – II 536/2000, Stgb 2004, 576 ff.; vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 24; Bornheim/Kröber, Steuerstrafverteidigung, S. 196 f.

IV. Täterbegriff im Steuerstrafrecht Bei der Bestimmung sind zwei Aspekte von Bedeutung. Es ist zu prüfen, ob 471 die Steuerhinterziehung ein eigenhändiges Delikt ist und der Täter einer Steuerhinterziehung daher nur derjenige sein kann, der die tatbestandsmäßige Handlung selbst vornimmt. Eigenhändige Delikte setzen ein eigenes körperliches oder wenigstens per- 472 sönliches Handeln voraus. Vgl. Fischer, StGB, Vor § 13 Nr. 42a.

85

E. Täterschaft und Teilnahme

473 Daneben ist die Antwort auf die Frage, ob der Täter nur der Steuerpflichtige bzw. eine sonstige Person mit besonderer steuerlicher Pflichtenstellung oder jedermann sein kann, von Bedeutung. Bei Allgemeindelikten kann jedermann der Täter sein, bei echten Sonderdelikten können es nur bestimmte im gesetzlichen Tatbestand bezeichnete Personen sein. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 542; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 157; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, Rn. 52 ff.

474 Zur Eingrenzung des Täterkreises ist zwischen der Steuerhinterziehung durch Handeln gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO und der Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu unterscheiden. 1. Steuerhinterziehung durch Handeln gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 475 Die Steuerhinterziehung durch Handeln gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO stellt kein Sonderdelikt dar, sodass Täter jeder sein kann – somit nicht nur der Steuerpflichtige, der aus der Angabe unvollständiger oder unrichtiger steuerlich erheblicher Tatsachen steuerliche Vorteile erhält. Vielmehr kommt als Täter jeder in Betracht, der „für sich oder einen anderen“ die Ursache für unrichtige oder unvollständige Angaben und die daraus folgende Steuerverkürzung oder den ungerechtfertigten Steuervorteil schafft. So BGH, Urt. v. 7.2.2014 – 1 StR 182/14, PStR 2015, 118.

476 Täter kann jeder sein, der in der Lage ist, auf die Festsetzung, die Erhebung oder die Vollstreckung der gesetzlich geschuldeten Steuern zum Nachteil des Steuergläubigers einzuwirken. Vgl. Höpfner/Schwartz, PStR 2014, 62.

477 Mittäter kann eine Person sein, der das Gesetz keine steuerlichen Pflichten zuweist, sondern die die Voraussetzungen einer gemeinschaftlichen Begehungsweise i. S. d. § 25 Abs. 2 StGB erfüllt. So BGH, Beschl. v. 9.4.2013, 1 StR 586/12 wistra 2013, 314 ff.

478 Die Bedeutung des Tatbeitrags des Beteiligten richtet sich nach dessen Vorstellung und ist in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte sind der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder zumindest der Wille zur Tatherrschaft. Die Tatherrschaft und der Umfang der Tatbeteiligung können beispielsweise ein geringes Interesse an der Tat ausgleichen. So BGH, Beschl. v. 9.4.2013 – 1 StR 586/12, wistra 2013, 314 ff.

479 Neben dem Steuerpflichtigen kommen daher als Täter u. a. folgende Personen in Betracht: Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 70.

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IV. Täterbegriff im Steuerstrafrecht

x

Die nach §§ 34, 35 AO gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen des Privatrechts, Geschäftsführer von nichtrechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen, Vermögensverwalter und Verfügungsberechtigte.

x

Faktische Geschäftsführer Vgl. Verjans, in: Böttger, Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis, Kap. 4 Rn. 260 ff.; Brete/Thomsen, Beratungs- und Haftungsrisiken in der Unternehmenskrise, S. 38.

x

Steuerberater Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 29; Brete/Thomsen, Beratungsund Haftungsrisiken in der Unternehmenskrise, S. 39.

x

Angestellte. Vgl. Kaligin, Betriebsprüfung und Steuerfahndung, S. 860.

2. Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO Täter bei der Begehungsweise durch Unterlassen i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 480 AO kann nur die Person sein, die eine eigene Pflicht zum Handeln trifft. Sog. Garantenstellung; BGH, Urt. v. 12.11.1986 – 3 StR 405/86, wistra 1987, 147 f.

Im Steuerstrafverfahren umfasst diese Verpflichtung die Aufklärung steuer- 481 lich erheblicher Tatsachen. Sie trifft insbesondere auf den Steuerpflichtigen i. S. d. § 33 AO zu, aber auch auf die nach §§ 34, 35 AO verpflichteten Personen. Diesen Personenkreis umfassen auch die Vermögensverwalter im Rahmen ihrer jeweiligen Verwaltungsbefugnis. Vgl. Schmidt, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 560.

Der Insolvenzverwalter ist dazu verpflichtet, nicht nur die aktuellen Steuererklä- 482 rungen, sondern auch die noch ausstehenden Erklärungen einzureichen, soweit der Insolvenzschuldner diese abzugeben hätte. Der Insolvenzverwalter hat zudem offenbare Unrichtigkeiten gemäß § 153 AO zu berichtigen, sofern er sie erkennt. Die Berufung des Insolvenzverwalters durch das Insolvenzgericht wirkt sich daher auf die mögliche Täterschaft des Insolvenzschuldners aus. Er kann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht mehr Täter einer Steuerstraftat in der Unterlassensvariante nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO sein, soweit der Tatvorwurf vor Eröffnung noch nicht bestanden hat. Vgl. Klaproth, wistra 2008, 174; Busch/Winkens/Büker, Insolvenzrecht und Steuern visuell, S. 128. Praxistipp: Die Berichtigungserklärung des Verwalters gemäß § 153 AO kann eine Fremdanzeige i. S. d. § 371 Abs. 4 AO für den Insolvenzschuldner darstellen.

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F. Materielles Steuerstrafrecht Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung ist in der Vorschrift des § 369 483 Abs. 1 Nr. 1 AO normiert. Während die einzelnen Steuerarten in den Einzelsteuergesetzen, wie dem Einkommensteuergesetz oder dem Umsatzsteuergesetz, geregelt sind, enthält die Abgabenordnung allgemeine Vorschriften für alle bundesrechtlich festgelegten Steuern. Die Einzelsteuergesetze enthalten meist keine eigenen Strafvorschriften, die Hinterziehung der in ihnen geregelten Steuern wird vom allgemeinen Tatbestand des § 370 AO erfasst. Eine Ausnahme bildet beispielsweise § 26c UStG – gewerbsmäßige oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens; vgl. Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, S. 5; vgl. Birk, ZInsO 2007, 749.

Die Tathandlungen der Steuerhinterziehung sind in §§ 370 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 484 AO normiert. Die Vorschrift des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO umfasst ein aktives Tun. Das Unterlassen steuerrechtlich gebotener Angaben unterfällt der Vorschrift in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Vgl. Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, S. 5 f.

Der Steuerpflichtige verletzt durch seine Handlung im Besteuerungsverfahren 485 einen Beitrag zur Sachaufklärung zu leisten. Vgl. Schuster, JZ 2015, 28.

Die Steuerhinterziehung ist ein Erfolgsdelikt, das gemäß § 370 Abs. 4 AO 486 die tatsächlich eingetretene Steuerverkürzung oder die nicht gerechtfertigte Erlangung eines Steuervorteils voraussetzt. Vgl. Fischer, StGB, Vor § 13 Rn. 18; Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 29; Schuster, JZ 2015, 28; Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 113; vgl. Birk, ZinsO 2007, 749.

Die Steuerverkürzung als Taterfolg ist von dem Vermögensschaden nach 487 § 263 StGB insofern zu unterscheiden, als dass die unzureichende oder verspätete Steuerfestsetzung genügt. Die tatsächliche Vermögensminderung muss bei dem Staat nicht eintreten. Vgl. Schuster, JZ 2015, 28.

Für die Steuerverkürzung genügt daher die konkrete Gefährdung des Steuer- 488 anspruchs. Vgl. Bilsdorfer, NJW 2010, 1433.

Der Steuerpflichtige kann die Steuerhinterziehung auch außerhalb des förm- 489 lichen Erklärungswesens verwirklichen, namentlich durch unrichtige Angaben anlässlich einer tatsächlichen Verständigung, durch die unrichtige Beantwor-

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F. Materielles Steuerstrafrecht

tung von Anfragen der Finanzverwaltung oder durch mit unrichtigen Angaben erwirkte Stundungen, Steuererlasse oder Herabsetzungen von Vorauszahlungen. So BGH, Urt. v. 26.10.1998 – 5 StR 746/97, wistra 1999, 103 ff. zur tatsächlichen Verständigung; so Niedersächsisches FG, Urt. v. 18.12.2006 – 10 K 316/00, DStRE 2008, 1353 ff.; vgl. ausführlich zu Herabsetzung von Vorauszahlungen Kaligin, Betriebsprüfung und Steuerfahndung, S. 794 ff.

490 Die Steuerhinterziehung ist in jedem Verfahrensstadium möglich, so wie etwa im Rechtsbehelfs- oder im finanzgerichtlichen Verfahren. OLG München, Beschl. v. 24.7.2012 – 4 StRR 099/12, PStR 2012, 294 f.; vgl. Höpfner/Schwartz, PStR 2014, 62.

491 Im Vollstreckungsverfahren kann der Steuerpflichtige die Steuerhinterziehung dadurch begehen, dass er durch unrichtige Angaben zu den Vermögensverhältnissen verhindert, dass wegen der bereits festgestellten Steueransprüche in sein Vermögen vollstreckt wird. So BGH, Beschl. v. 21.8.2012 – 1 StR 26/12, PStR 12, 265 f.; Buse, StBp 2013, 178.

492 Die Verkürzung von Steuern liegt vor, wenn die Ist-Einnahmen des Fiskus hinter seinen Soll-Einnahmen zurückbleiben, somit, wenn der jeweilige Steuergläubiger weniger einnimmt, als er nach den Steuergesetzen zu beanspruchen hat. Vgl. Birk, ZInsO 2007, 749.

I. Steuerhinterziehung durch die Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung 493 Die Tathandlung der Steuerhinterziehung setzt ein tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten voraus. Dabei kann das tatbestandsmäßige Handeln ein positives Tun sein, wie es die erste Alternative in der Vorschrift des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO normiert, aber auch ein Unterlassen. Vgl. Müller, AO-StB 2002, 58.

494 Die Tathandlung des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt voraus, dass der Täter Angaben über Tatsachen macht, die steuerlich erheblich sind. Die Angaben müssen unrichtig oder unvollständig sein und gegenüber den Finanzbehörden oder anderen Behörden gemacht werden. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 74; Bornheim/Kröber, Steuerstrafverteidigung, S. 505; Weyand, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 7 Rn. 865.

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I. Steuerhinterziehung durch die Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung

Ohne Bedeutung ist dabei, in wie vielen Punkten unrichtige oder unvollstän- 495 dige Angaben in der unrichtigen oder unvollständigen Steuererklärung gemacht wurden. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 94; so BGH Urt. v. 28.10.2004 – 5 StR 276/04, wistra 2005, 30 ff.; BGH, Beschl. v. 2.4.2008 – 5 StR 62/08, wistra 2008, 266 f.

Die Nichtzahlung der Steuern stellt keine Steuerhinterziehung i. S. d. § 370 496 dar, da das strafbare Verhalten in der Verletzung der Erklärungspflichten, die dem Steuerpflichtigen von Gesetzes wegen auferlegt sind, zu sehen ist. Praxistipp: Siehe aber § 26c UStG: Gewerbsmäßige oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens oder Ordnungswidrigkeiten gemäß §§ 380 AO und § 26b UStG. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 73.

Das tatbestandsmäßige Verhalten des „Angabenmachens“ erfüllt der Steuer- 497 pflichtige in der Regel durch die Abgabe der gemäß §§ 149 ff. AO bei der Finanzbehörde einzureichenden Steuererklärungen. Der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ebenfalls erfüllt, wenn Umsatzsteuer-Voranmeldungen eingereicht werden, die sich auf nicht existente Unternehmen beziehen sowie auf fingierte Umsätze und Vorsteuern. So BFH, Urt. v. 15.4.1997 – VII R 74/96, BB 1998, 31 ff. vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 76.

Die Angaben des Steuerpflichtigen müssen steuerlich erhebliche Tatsachen 498 betreffen. Tatsachen sind reale Fakten der Innen- und Außenwelt. Ausführlich vgl. Fischer, StGB, § 263 Rn. 6.

Unter diesen Begriff sind auch die sog. „inneren Tatsachen“, wie Einschät- 499 zungen, Absichten und Motive des Steuerpflichtigen, zu subsumieren. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 81; Bilsdorfer, NJW 2010, 1432.

Von den Tatsachen sind die Rechtsauffassungen abzugrenzen. Der Steuer- 500 pflichtige beschränkt sich in seinen Angaben gegenüber der Finanzbehörde aufgrund der Formalisierung der Steuererklärung überwiegend auf quantifizierte Beträge, die das Ergebnis seiner steuerrechtlichen Beurteilung sind. Er hat die Tatsachen zuvor rechtlich eingeordnet und zwischen rechtlich erheblichen und rechtlich unerheblichen Tatsachen unterschieden. So BGH, Urt. v. 10.11.1999 – 5 StR 221/99, wistra 2000, 137 ff.; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 83; Bornheim/Kröber, Steuerstrafverteidigung, S. 502 f.

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F. Materielles Steuerstrafrecht

501 Sofern der Steuerpflichtige Sachverhaltselemente berücksichtigt hat, deren rechtliche Relevanz objektiv zweifelhaft ist, ist er zu deren Offenbarung verpflichtet. Dies gilt umso mehr, wenn seine Auffassung von der Rechtsprechung, den Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Verwaltungspraxis abweicht. Der Steuerpflichtige, der erkennt, dass er eine von der Finanzverwaltung abweichende Rechtauffassung vertritt und dies in der Erklärung nicht kenntlich macht, handelt tatbestandsmäßig. Er handelt ebenfalls tatbestandsmäßig, wenn er durch Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO eine Steuerumgehung bewirkt und dies der Finanzbehörde gegenüber nicht mitteilt. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 85 f.; Bornheim/Kröber, Steuerstrafverteidigung, S. 508 f.; krit. Haarmann, BB 2015, 22 f.; Weyand, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 7 Rn. 868.

502 Die Tatsachen sind „steuerlich erheblich“, wenn sie für die Entstehung, die Höhe oder die Fälligkeit der Steuer oder das Erlöschen des Steueranspruchs von Bedeutung sind. So BGH, Urt. v. 27.9.2002 – 5 StR 97/02, wistra 2003, 20 ff.; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 87.

503 Die Angaben des Steuerpflichtigen müssen unrichtig oder unvollständig sein. Sie sind unrichtig, wenn zwischen der Erklärung und der Wirklichkeit ein Widerspruch besteht. Sie sind unvollständig, wenn sie den Anschein der Vollständigkeit erwecken, aber in wesentlichen Punkten lückenhaft sind. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 88.

II. Steuerhinterziehung durch die Nichtabgabe einer Steuererklärung 504 Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bewirkt, wer die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Der Steuerpflichtige muss eine Handlungspflicht haben, die sich aus den steuerrechtlichen Gesetzen ergibt. Dem Tatbestand unterfallen daher beispielsweise die Nichtabgabe einer Steuererklärung gemäß § 25 EStG i. V. m. § 56 EStDV, die verspätete Abgabe einer Steuererklärung ohne Fristverlängerung gemäß § 109 AO sowie die unterlassene Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldung gemäß § 18 UStG oder die Lohnsteuer-Anmeldung gemäß § 41a EStG. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 91.

505 In Unternehmen haben Berichtigungserklärungen eine hohe praktische Bedeutung, da Besteuerungsgrundlagen regelmäßig zu korrigieren sind. Auch im privaten Bereich sind Fehler bei den erklärten Besteuerungsgrundlagen denkbar, beispielsweise bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.

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II. Steuerhinterziehung durch die Nichtabgabe einer Steuererklärung Vgl. Schuster, JZ 2015, 32.

Für den Insolvenzverwalter ergibt sich ein strafrechtliches Risiko, wenn er 506 erkennt, dass eine von dem Insolvenzschuldner oder für den Insolvenzschuldner abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist. Er ist gemäß § 153 AO dazu verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Sofern er dieser Pflicht nicht nachkommt, erfüllt er den Tatbestand der Steuerverkürzung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Die Vorschrift des § 153 AO verpflichtet den Steuerpflichtigen, seinen Ge- 507 samtrechtsnachfolger sowie die nach den Vorschriften der §§ 34, 35 AO handelnden Personen. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 99; Kaiser/Grimm, DStR 2014, 180; Deibel, Die Reichweite des § 153 Abs. 1 Satz 1 AO, S. 10.

Erkennt der Steuerpflichtige nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsverjäh- 508 rung, dass eine von ihm abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist, muss er sie gemäß § 153 AO berichtigen. Sofern der Steuerpflichtige die Berichtigung trotz der eingetretenen Kenntnis unterlässt, macht er sich gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar. Vgl. Schuster, JZ 2015, 32; vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 447.

Ob eine schlichte Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO oder eine Selbst- 509 anzeige vorliegt, ergibt sich bei objektiv falscher Erklärung und deswegen eingetretener Steuerverkürzung bzw. deswegen eingetretenem nicht gerechtfertigten Steuervorteil allein aus dem subjektiven Tatbestand. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 114.

Bei der Entscheidung, ob von einer ursprünglich vorsätzlich unrichtigen 510 bzw. unvollständigen Erklärung ausgegangen wird, sind alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen, insbesondere der persönliche Wissens- und Erfahrungsstand des Steuerpflichtigen und die sachliche und rechtliche Schwierigkeit des Besteuerungssachverhalts. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 114.

Erkenntnisse, wonach bei einer bestimmten steuerlichen Auswirkung oder 511 bei bestimmten Besteuerungstatbeständen Vorsatz anzunehmen oder zu verneinen ist, gibt es nicht. Vielmehr ist jeder Einzelfall rechtlich zu würdigen. Die Verwaltung misst der ausdrücklichen Bezeichnung als Selbstanzeige eine gewisse Indizfunktion bei.

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F. Materielles Steuerstrafrecht Vgl. Nr. 132 Abs. 1 AStBV (St) 2014; Pflaum, in: Wabnitz/ Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 114.

512 Zwischen der Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO und der Selbstanzeige gemäß § 371 AO besteht insofern eine Überschneidung, als nach der Vorschrift des § 153 AO nicht nur die schlichte Nacherklärung nach ursprünglich vorsatzloser Falsch- bzw. Nichterklärung notwendig ist, sondern auch die Selbstanzeige nach bedingt-vorsätzlicher Steuerhinterziehung. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 114.

513 Die Berichtigung gemäß § 153 AO und die Selbstanzeige gemäß § 371 AO sind inhaltlich deckungsgleich. Vgl. Schuster, JZ 2015, 32.

514 Die unterlassene Anzeige und Richtigstellung gemäß § 153 AO ist in der Praxis wesentlicher Anwendungsfall des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Der Steuerpflichtige erkennt nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist. Er ist gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen. Der Begriff der „Unverzüglichkeit“ ergibt sich in Anlehnung an § 121 BGB und bedeutet, dass der Steuerpflichtige ohne schuldhaftes Zögern – regelmäßig innerhalb eines Zeitraums von zwei Wochen – seinen Pflichten nachkommen muss. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 99.

515 Die Voraussetzung für die Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO ist, dass der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit bzw. die Unvollständigkeit der Erklärung nach deren Abgabe erkennt. Es genügt nicht, dass er dies hätte erkennen müssen oder erkennen können. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 103; Wulf, SAM 2014, 1136; Heuel, wistra 2015, 338.

516 Nach der Rechtsprechung des BGH bleibt die steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht bestehen, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit seiner Angaben bei der Abgabe der Steuererklärung nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen und später sicher erkannt hat, dass die Angaben unrichtig sind. So BGH, Urt. v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, wistra 2009, 312 ff.; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 104.

517 Für die Frage der Strafbarkeit wegen einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen, die dadurch begangen wird, dass der Steuerpflichtige der Anzeige-

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II. Steuerhinterziehung durch die Nichtabgabe einer Steuererklärung

und Berichtigungspflicht gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nach der Abgabe einer Steuererklärung nicht nachkommt, sind je nach Kenntnisstand des Steuerpflichtigen drei Fallgruppen zu unterscheiden: x

Sofern der Steuerpflichtige bei der Abgabe der Steuererklärung oder Steueranmeldung die Unrichtigkeit nicht gekannt und sie dementsprechend nicht billigend in Kauf genommen hat, unterliegt er einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB. Er ist insoweit straflos. Erkannte er die Unrichtigkeit leichtfertig nicht, ist das Vorliegen der Ordnungswidrigkeit der leichtfertigen Steuerverkürzung gemäß § 378 AO denkbar. Die Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO trifft den Steuerpflichtigen bei Vorliegen dieser Sachverhaltskonstellation, wenn er nachträglich Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angaben erhält. Er macht sich strafbar wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, sofern er dieser Pflicht vorsätzlich nicht nachkommt. So BGH, Beschl. v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, wistra 2009, 312 ff.

x

In der zweiten Fallgruppe wusste der Steuerpflichtige bei der Abgabe der Erklärung, dass sie fehlerhaft war. Die steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO besteht nicht, da der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit von Beginn an kannte und ein nachträgliches Erkennen begrifflich ausgeschlossen ist; der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist bereits verwirklicht. So BGH, Beschl. v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, wistra 2009, 312 ff.; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 103.

x

In der dritten Fallkonstellation erhält der Steuerpflichtige erst nachträglich Kenntnis davon, dass er unrichtige Angaben gemacht hat. Bei der Abgabe der Steuererklärung hatte er die Unrichtigkeit seiner Angaben nicht gekannt, aber billigend in Kauf genommen. Erst zu einem späteren Zeitpunkt ist er zu der sicheren Erkenntnis gelangt, dass die Angaben unrichtig sind. Nach der hier zitierten Rechtsprechung ist der Vorschrift des § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die steuerrechtliche Anzeige- und Berichtigungspflicht zu entnehmen. Sie ergibt sich daraus, dass der Steuerpflichtige zunächst mit der Unrichtigkeit der Angaben nur gerechnet, sie aber nicht sicher gekannt hat. Sofern er später positiv erfährt, dass seine Angaben tatsächlich unrichtig waren, erkennt er die Unrichtigkeit nachträglich mit der Folge der Berichtigungspflicht. Die Nichterfüllung der danach bestehenden Anzeige- und Berichtigungspflicht des § 153 AO ist als Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu qualifizieren. So BGH, Beschl. v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, wistra 2009, 312 ff.; vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 76 f.; Bilsdorfer, NJW 2010, 1431.

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F. Materielles Steuerstrafrecht

III. Schätzung im Steuerrecht 518 Die Finanzbehörde schätzt die Besteuerungsgrundlagen, sofern sie diese nicht mit den ihr zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten feststellen kann und der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt. Insbesondere bei einer formell nicht ordnungsgemäßen Buchführung oder bei einer Buchführung, bei der sie die sachliche Unrichtigkeit festgestellt hat, kann sie schätzen. Vgl. Rüsken, in: Klein, AO, § 158 Rn. 6; Madauß, NZWiSt 2015, 286; zur Schätzungsbefugnis der Finanzbehörde, wenn der Steuerpflichtige Unterlagen nicht vorlegen kann, siehe BFH, Urt. v. 28.10.2015 – X R 47/13, www.bundesfinanzhof.de, Stichwort: Entscheidungen online. Praxistipp: Für eine beispielhafte Checkliste der zu schätzenden Besteuerungsrundlagen siehe Bornheim, AO-StB 2003, 49.

519 Grundsätzlich sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen der Besteuerung zugrunde zu legen. Die formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung lässt die Schlussfolgerung auf ihre sachliche Richtigkeit zu. Die Finanzbehörde darf das Ergebnis einer formell ordnungsgemäßen Buchführung nur verwerfen, soweit die Buchführung mit hoher Wahrscheinlichkeit materiell unrichtig ist. Sie kann die Richtigkeit dadurch widerlegen, dass sie eine zufällig ausgewählte größere Anzahl von Einzelbuchungen überprüft und unrichtige Verbuchungen feststellt. Die sachliche Richtigkeit der Buchführung ist im Umkehrschluss nicht widerlegt, wenn die Finanzbehörde lediglich einzelne Geschäftsvorfälle stichprobenweise überprüft und zu Beanstandungen gelangt. Vgl. Rüsken, in: Klein, AO, § 158 Rn. 1 ff.; Sauer, Konsensuale Verfahrensweisen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Rn. 309.

520 Die Schätzungsbefugnis besteht nicht, sofern Unklarheiten oder Zweifel, die sich für die Finanzbehörde aus den Fehlern in der Buchführung ergeben, durch Ermittlungen beseitigt werden können. Vgl. Rüsken, in: Klein, AO, § 158 Rn. 6.

521 Das Ziel der Schätzung ist es, die Besteuerungsgrundlagen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so festzulegen, dass sie der Wirklichkeit möglichst entsprechen. Die Schätzung muss in sich schlüssig, ihr Ergebnis muss wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. So BFH, Urt. v. 19.1.1993 – VIII R 128/84, BStBl. II 1993, 594; vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Mai 2014, § 162 AO Rn. 29; Bornheim, AO-StB 2003, 50; Höft/Danelsing/ Grams/Rook, Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, S. 88; Günther, AO-StB 2015, 110.

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III. Schätzung im Steuerrecht

Die Finanzbehörde wählt unter Ausübung ihres Ermessens die Schätzungs- 522 methode, die ihr nach den Verhältnissen im Einzelfall zur Zielerreichung geeignet erscheint. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 34; Höft/Danelsing/Grams/Rook, Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, S. 88; so BFH, Urt. v. 2.2.1982 – VIII R 65/80, BStBl. II 1982, 409.

Dabei darf sie unterschiedliche Schätzungsmethoden anwenden und kombi- 523 nieren, sofern die Methoden die Schlüssigkeit oder Nachvollziehbarkeit der Schätzung nicht einschränken. Vgl. Rüsken, in: Klein, AO, § 162 Rn. 41.

Die Schätzung kann im Wege der Vollschätzung- oder Teilschätzung bzw. 524 der Ergänzungsschätzung erfolgen. Vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Mai 2014, § 162 AO Rn. 46 ff.; zu der Bedeutung der einzelnen Begriffe vgl. Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 31.

Die Vollschätzung kommt dann in Frage, wenn die Finanzbehörde sich in 525 zumutbarer Weise keinen Überblick über die Vermögens- und Ertragslage des Steuerpflichtigen verschaffen kann. Vgl. Rüsken, in: Klein, AO, § 158 Rn. 7.

In diesem Fall schätzt sie die gesamten Besteuerungsgrundlagen. Die Teil- 526 schätzung bzw. die Ergänzungsschätzung nimmt sie lediglich für die Besteuerungsgrundlagen vor, die der Steuerpflichtige nicht durch verwendbare Aufzeichnungen belegen kann. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 34.

Die Schätzung unterscheidet sich von der Verprobung. Die Verprobung dient 527 der Überprüfung der Besteuerungsgrundlagen anhand von Rechenoperationen, die die Besteuerungsgrundlagen anders als bisher errechnen und sie auf ihre sachliche Richtigkeit hin überprüfen. Sie dient somit der Kontrolle der erklärten Besteuerungsgrundlagen. Die Schätzung hingegen dient der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen. Die Parallelen zwischen der Schätzung und der Verprobung bestehen darin, dass sie nach denselben Methoden vorgenommen werden. Vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Mai 2014, § 162 AO Rn. 53.

Dafür stehen verschiedene Schätzungs- und Verprobungsmethoden zur Ver- 528 fügung. Mit ihnen sollen sowohl für das Besteuerungsverfahren als auch für das Steuerstrafverfahren der Sachverhalt überprüft und Rückschlüsse auf die wahrscheinliche Höhe der Besteuerungsgrundlagen gezogen werden können. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 271.

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F. Materielles Steuerstrafrecht

1. Einzelne Schätzungsmethoden 529 Gemäß der amtlichen Richtsatzsammlung stellt die Schätzung eine Form des äußeren – auch externen – Betriebsvergleichs dar. Die Finanzbehörde vergleicht den zu prüfenden Betrieb mit ähnlichen Unternehmen oder mit Kennziffern aus der Richtsatzsammlung. Hierzu veröffentlicht die Finanzbehörde für verschiedene Branchen die für die Besteuerung maßgeblichen Kennzahlen, wie Roh-, Halbrein- und Reingewinn sowie Rohgewinnaufschlagsatz. Die Kennzahlen gewinnt sie aus den Prüfungsergebnissen von Normbetrieben. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 36; Bornheim, AO-StB 2003, 50.

530 Auch der Einzelbetriebsvergleich mit einem Vergleichsbetrieb ist denkbar. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 271.

531 Der von den Richtsätzen abweichende Gewinn oder Umsatz ist kein Indiz für das Vorliegen einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung – insbesondere, wenn der Steuerpflichtige beachtliche Gründe für die Abweichungen vorträgt. Zudem liegt kein Indiz für das Vorliegen einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung vor, wenn der Steuerpflichtige bei Unterschreiten des untersten Rohgewinnsatzes Unredlichkeiten einräumt. Die Abweichung von den amtlichen Richtsätzen allein berechtigt nicht dazu, die Buchführung als nicht ordnungsgemäß zu verwerfen. Vgl. Rüsken, in: Klein, AO, § 158 Rn. 3.

532 Der äußere Betriebsvergleich reicht somit in der Regel nicht aus, um die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu widerlegen und eine Schätzungsbefugnis zu schaffen. Vgl. Rüsken, in: Klein, AO, § 158 Rn. 3.

533 Die Nachkalkulation ist eine Form des inneren Betriebsvergleichs. Der Betriebsprüfer vollzieht anhand der Angaben des Steuerpflichtigen oder aufgrund eigener Ermittlungen nach, in welcher Höhe Umsätze erzielt wurden. Ausführlich: Brete, StBp 2007, 70.

534 Dadurch ist es ihm möglich, Rückschlüsse auf die erzielten Gewinne zu ziehen. Vgl. Schützeberg, StBP 2009, 35.

535 Die Anwendung dieser Schätzungsmethode enthält zahlreiche Unsicherheitsfaktoren, sodass sie nicht für alle Betriebsarten gleichermaßen geeignet ist. Sie scheidet als taugliche Schätzungsmethode bei solchen Betrieben aus, die mit unterschiedlichen Aufschlagsätzen arbeiten, zahlreiche Warengruppen im Sortiment haben oder verschiedene Dienstleistungen anbieten. Ihre Ungeeignetheit ergibt sich daraus, dass die einzelnen Kalkulationen und der Lohneinsatz variieren und dies aus den Waren- und Materialeingangsrechnungen nicht ohne Weiteres ersichtlich ist.

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III. Schätzung im Steuerrecht Vgl. Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Mai 2014, § 162 AO Rn. 59; Schützeberg, StBp 2009, 35.

Bei der Vermögenszuwachsrechnung – auch Gesamtvermögensvergleich – er- 536 mittelt die Finanzbehörde das Gesamtvermögen an zwei Stichtagen und vergleicht die beiden Werte miteinander. Ergeben sich daraus Vermögenszuwächse, so müssen sich diese aus versteuertem Einkommen, steuerfreien Einnahmen sowie Schenkungen, Darlehen usw. erklären lassen. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 271.

Eine ungeklärte Mittelherkunft lässt Schlussfolgerungen darauf zu, dass es 537 sich dabei um bislang nicht versteuerte Einnahmen handelt. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 282b.

Die Finanzbehörde kann bei einfach gelagerten und leicht zu überschauenden 538 Vermögensverhältnissen eine Vermögenszuwachsrechnung oder eine Geldverkehrsrechnung erstellen. Damit kann sie die Beweiskraft der ordnungsgemäßen Buchführung widerlegen. Vgl. Rüsken, in: Klein, AO, § 158 Rn. 3.

Während die Vermögenszuwachsrechnung das Gesamtvermögen zu ver- 539 schiedenen Stichtagen betrachtet, steht bei der Geldverkehrsrechnung die Mittelverwendung im Vordergrund. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 282b.

Der Leitgedanke der Geldverkehrsrechnung besteht in der Annahme, dass 540 ein Steuerpflichtiger während eines bestimmten Zeitraums nicht mehr Geld zur Verfügung haben kann, als ihm aus versteuerten Einkünften oder sonstigen der Finanzbehörde bekannten Quellen zugänglich ist. Die Finanzbehörde ist nach Anwendung der Geldverkehrsrechnung in der Lage darzustellen, dass der Steuerpflichtige sein Einkommen unvollständig erklärt hat. Die Höhe des Fehlbetrags rechtfertigt regelmäßig die Annahme, dass der gewerbetreibend oder freiberuflich tätige Steuerpflichtige Betriebseinnahmen in dieser Höhe verkürzt hat. Der Nachweis gilt auch dann als erbracht, wenn eine ansonsten formell richtige Buchführung vorliegt. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 36.

Im Vergleich zur Geldverkehrsrechnung bietet die Vermögenszuwachsrech- 541 nung das vollkommenere Bild, da bei der Frage nach der Mittelverwendung die Vermögensanlagen und deren Erträge berücksichtigt werden. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 36.

Das Revisionsverfahren auf Grundlage des Benford’schen Gesetzes versetzt die 542 Finanzbehörde in die Lage, vermeintlich fehlerfreie Buchhaltungen zu prüfen. Sie kann mit der Methode untersuchen, ob nachträglich Manipulationen erfolgten und damit Unregelmäßigkeiten in der Bilanz und der Buchführung aufgedeckt werden können. 99

F. Materielles Steuerstrafrecht Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 271.

543 Das Revisionsverfahren auf Grundlage des Benford’schen Gesetzes – auch Benfords Law oder Benford-Law-Methode – besagt, dass eine Ziffernsequenz definierter Länge an einer definierten Stelle einer Zahl umso wahrscheinlicher auftritt, je niedriger ihr zahlenmäßiger Wert ist. Als Folge daraus treten Zahlen mit der Anfangsziffer „1“ ca. 6,5-mal häufiger auf, als solche, die mit einer „9“ beginnen. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 271.

544 Der Chi-2-Anpassungs-Test – auch Chi-Quadrat-Test – stellt, ähnlich zur Benford-Law-Methode, auf die statistische Verteilung von Zahlen ab. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 271.

545 Die Anwendung der Methode erfolgt durch den Vergleich von empirisch beobachteten Häufigkeiten mit theoretisch erwarteten Häufigkeiten. Dabei wird beobachtet, ob eine Zahl in der Buchführung überproportional häufig vorkommt. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 35.

546 Die Manipulationen sollen anhand der letzten Vorkommastelle, der beiden letzten Vorkommastellen oder der ersten Nachkommastelle von Zahlen festgestellt werden. Es wird angenommen, dass jede Person Sympathien oder Antipathien für bestimmte Zahlen hat und somit bei fingierten Buchführungen bestimmte Zahlen häufiger und andere Zahlen wiederum seltener verwendet. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 271.

547 Der Chi-2-Anpassungs-Test kann Anhaltspunkte für mögliche Unregelmäßigkeiten aufzeigen, allerdings ist er nicht dazu geeignet die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu verwerfen. Vgl. FG Münster, Beschl. v. 14.8.2003 – 8 V 2651/03, EFG 2004, 9 ff.

548 Insofern ist zweifelhaft, ob dieses Verfahren die nach § 96 FGO erforderliche richterliche Überzeugung begründen kann. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 35.

549 Der Zeitreihenvergleich ermöglicht es der Finanzbehörde voneinander unabhängige Größen, wie beispielsweise Wareneinkauf, Materialeinsatz oder Rohgewinn, über einen bestimmten Zeitraum darzustellen und auszuwerten. Die Methode eignet sich vorzugsweise für Gastronomiebetriebe, da sie unterstellt, dass neue Ware erst eingekauft wird, sobald die alte Ware verbraucht ist und keine Vorratshaltung betrieben wird. Ausführlich: Huber, StBp 2002, 199 ff., 233 ff., 258 ff. und Wiggen, StBp 2008, 168 ff.; Schützeberg, StBp 2009, 35.

100

III. Schätzung im Steuerrecht

Die Schätzungsmethode des Zeitreihenvergleichs stellt eine mathematisch- 550 statistische Verprobungsmethode dar, bei der die jährlichen Erlöse und Wareneinkäufe des Betriebs in kleine Einheiten – regelmäßig in Zeiträume von einer Woche – zerlegt werden. Sie kennzeichnet sich dadurch aus, dass für jede Woche der Rohgewinnaufschlagsatz – das Verhältnis zwischen Erlösen und Einkäufen – ermittelt wird. Die Finanzbehörde legt die Annahme zugrunde, dass der höchste Rohgewinnaufschlagsatz, der sich für einen beliebigen Zehn-Wochen-Zeitraum ergibt, auf das gesamte Jahr anwendbar ist. So BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, NZWiSt 2015, 295 ff. mit Anm. v. Günther, AO-StB 2015, 255 ff.; Bahlburg, StuB 2015, 851 ff.

Der Zeitreihenvergleich birgt Unsicherheiten bei solchen Gastronomiebe- 551 trieben, die Preisschwankungen unterliegen oder bei denen Änderungen in den Rezepturen erfolgten, da solche Änderungen in der Folge zu einem anderen Wareneinsatz führen. Daneben bestehen weitere Unsicherheitsfaktoren, wie saisonale Schwankungen, Verderb oder andere besondere Umstände, die im Einzelfall nicht zur Berücksichtigung führten. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 38; so BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, NZWiSt 2015, 295 ff., dazu: Bahlburg, StuB 2015, 851 ff.

Neben der Schätzung nach bestimmten Schätzungsmethoden ist es zulässig, 552 einen Sicherheitszuschlag – auch Fährniszuschlag – vorzunehmen. Der Sicherheitszuschlag erfolgt durch eine prozentuale oder betragsmäßige Hinzurechnung, beispielsweise zu den Betriebseinnahmen. Er trägt dem Umstand Rechnung, dass damit die Unsicherheiten, die durch die punktuelle Feststellung von sachlichen Fehlern gegeben sind, beseitigt werden. Der Sicherheitszuschlag kommt insbesondere dann in Betracht, wenn dem Steuerpflichtigen schwerwiegende Pflichtverletzungen nachgewiesen werden können – so beispielsweise in der Buchführung bislang nicht erfasste Einnahmen. Die Finanzbehörde darf, ohne an das Maß einer großen oder überwiegenden Wahrscheinlichkeit gebunden zu sein, den Sicherheitszuschlag im Wege der Schätzung ansetzen. Die Schätzung darf dabei nicht zu einer Strafschätzung führen, sondern muss in einem angemessenen Verhältnis zu den erklärten oder nicht verbuchten Umsätzen stehen. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 34. Praxistipp: In der Rechtsprechung sind Sicherheitszuschläge in unterschiedlichen Prozentsätzen – zwischen 2 % und 40 % – der jeweils erklärten Umsätze anerkannt. Vgl. Brinkmann, StBp 2014, 32.

Die Finanzbehörde darf den Sicherheitszuschlag nicht vornehmen, wenn sie 553 die Besteuerungsgrundlage bereits durch eine Schätzungsmethode ermittelt hat und die Schätzungsmethode dieselben Unsicherheiten berücksichtigt, die der Sicherheitszuschlag abdecken würde. 101

F. Materielles Steuerstrafrecht Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 34.

554 Sowohl im Besteuerungsverfahren als auch im Steuerstrafverfahren besteht die Möglichkeit der tatsächlichen Verständigung. Im Rahmen der tatsächlichen Verständigung erzielen die Beteiligten – Finanzbehörde und Steuerpflichtiger – ein Einvernehmen über einzelne oder komplexe Themen des Verfahrens. Der Zweck besteht darin das Verfahren zu beschleunigen, Unsicherheiten zu beseitigen, den Rechtsfrieden herzustellen und somit die Effektivität der Besteuerung zu ermöglichen. Vgl. BMF-Schreiben v. 30.7.2008 – BStBl I 2008, 831; vgl. Bornheim/ Kröber Steuerstrafverteidigung, S. 476; Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 444 m. Bsp., in denen die Rechtsprechung eine tatsächliche Verständigung für zulässig hält.

555 Die Einigung im Besteuerungsverfahren durch die tatsächliche Verständigung setzt voraus, dass der Nachweis über die Besteuerungsgrundlagen nicht oder nur unter Schwierigkeiten möglich ist. Vgl. Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, S. 410; Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 446, 444 m. Bsp. über eine tatsächliche Verständigung.

556 Somit kommt die tatsächliche Verständigung auch nur in solchen Fällen zur Anwendung, in denen die Besteuerungsgrundlagen nicht oder nicht mit angemessenem Aufwand ermittelt werden können. Dabei darf sie zu keinem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führen und keine Verständigung über Rechtsfragen darstellen. Auf der Seite der Behörde muss eine entscheidungsbefugte Amtsperson mitwirken. Vgl. Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, S. 410; Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 450 f., 443 f., 447.

557 Die tatsächliche Verständigung wird mit ihrem Abschluss bindend. Ihre Bindungswirkung entfällt, wenn nachträglich die Feststellung getroffen wird, dass der der tatsächlichen Verständigung zugrunde liegende Sachverhalt unzutreffend ist und sie deshalb zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führen würde. Vgl. Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, S. 408; Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 454.

558 Im Bereich der Schätzung tritt die tatsächliche Verständigung an die Stelle einer sonst nach § 162 Abs. 1 S. 1 AO gebotenen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. Vgl. Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, S. 408.

2. Bewertung 559 Bestehende nicht unerhebliche Manipulationsmöglichkeiten – beispielsweise fast ausschließliche Bargeschäfte in einem Speiselokal – und die von dem Steuerpflichtigen zu vertretenen fehlenden Überprüfungsmöglichkeiten – 102

IV. Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren

namentlich fehlende Belege, unrichtige Aufzeichnungen – rechtfertigen eine lediglich grobe Schätzung. Vgl. Apitz, StBp 2002, 111.

Eigene, Jahre nach den streitigen Zeiträumen gefertigte Kalkulationen des 560 Steuerpflichtigen sind nicht dazu geeignet, die Richtsatzschätzungen zu entkräften – insbesondere, wenn Aufzeichnungen unrichtig geführt und die notwendigen Belege nicht vorgelegt werden konnten. Vgl. Apitz, StBp 2002, 111.

Der Steuerpflichtige, der Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten ver- 561 letzt, setzt selbst den Anlass für eine Schätzung. Er hat keinen Anspruch darauf, dass die Finanzbehörde lediglich Mittelsätze zugrunde legt. Das Finanzgericht hat keine Bedenken, im Fall einer Schätzung nach Richtsätzen die anzuwendenden Rohgewinnaufschlagsätze an der oberen Grenze anzusiedeln. Die jeder Schätzung innewohnenden Unsicherheiten gehen zulasten des Steuerpflichtigen, der durch sein Verhalten Anlass für die Schätzung gegeben hat. Vgl. Apitz, StBp 2002, 111; Bilsdorfer, NJW 2015, 1427; Brinkmann, StBp 2014, 33.

Das Finanzamt ist verpflichtet, zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige seiner 562 Verpflichtung, die nach den Steuergesetzen zu führenden Bücher, Aufzeichnungen und Belege vorzulegen, nicht nachkommt. Vgl. Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 101, 118 f.

Die Verpflichtung besteht unabhängig davon, ob in gleicher Sache auch noch 563 ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren läuft. Vgl. Apitz, StBp 2002, 111.

Selbst wenn zuzugeben ist, dass die Schätzung des Finanzamts mit erheblichen 564 Unsicherheiten behaftet ist, so ist dieser Umstand regelmäßig auf die Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen zurückzuführen. Die Unsicherheit kann dem Finanzamt nicht angelastet werden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sie mit jeder Schätzung verbunden ist. Vgl. Apitz, StBp 2002, 112.

IV. Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren Während für die Einleitung des Steuerstrafverfahrens lediglich ein Anfangs- 565 verdacht erforderlich ist, reicht es für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses aus, wenn allein zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Steuerstraftat gegeben sind. Daher genügt es, zu Beginn des Verfahrens eine Schätzungsmethode mit einem geringeren Beweiswert zugrunde zu legen. Sobald ein Verfahrensstadium erreicht ist, in dem der Abschluss des Verfahrens möglich ist, gelten deutlich strengere Anforderungen

103

F. Materielles Steuerstrafrecht

an das notwendige Maß an Gewissheit. Insofern muss die Finanzbehörde Schätzungsmethoden mit einer hohen Beweiskraft anwenden. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 274.

566 Nach Anklageerhebung muss der Strafrichter die jeweiligen Umstände feststellen, aus denen sich ergibt, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerverkürzung geführt hat. Nur dann kann er von einer Steuerhinterziehung ausgehen. Er hat daher insbesondere auch diejenigen Parameter in Erfahrung zu bringen, die die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung darstellen. BGH, Beschl. v. 13.7.2011 – 1 StR 154/11, BFH/NV 2011, 1823.

567 Kann der Strafrichter den konkreten Hinterziehungsbetrag anhand der vorliegenden Beweismittel nicht zweifelsfrei berechnen, stellt sich die Frage, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang bei unklaren Sachverhaltsgrundlagen eine steuerstrafrechtliche Verurteilung möglich ist. Die Feststellung des Hinterziehungsbetrags verlangt, dass die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen ermittelt werden. 568 Die Finanzbehörde ist nicht in der Lage, die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, wenn der Steuerpflichtige beispielsweise keine Erklärungen vorlegt oder die Belege ganz oder überwiegend fehlen. In diesen Fällen kann die Finanzbehörde den Sachverhalt nicht in vollem Umfang zur Gewissheit aufklären. So BFH, Urt. v. 27.3.1996 – I R 182/94, BStBl. II 1997, 449; vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 318.

569 Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen im Besteuerungsverfahren nicht ermitteln oder berechnen kann, schätzt sie sie nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO. Vgl. Quedenfeld/Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 318.

570 Im Steuerstrafverfahren muss sie dem Beschuldigten die Tat insgesamt nachweisen – und somit grundsätzlich auch die betragsmäßige Höhe der Hinterziehung. Da die Unmöglichkeit einer exakten Berechnung der hinterzogenen Steuer nicht zur Straflosigkeit des Beschuldigten führen kann, ist die Zulässigkeit von Schätzungen im Steuerstrafverfahren unbestritten. So BGH, Beschl. v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, NStZ 2007, 589 f.

571 Streitig ist allerdings die Frage, welche Mindestvoraussetzungen eine steuerliche Schätzung erfüllen muss, um steuerstrafrechtlich als Tatnachweis zu genügen. Die Vielzahl der zu diesem Thema ergangenen Gerichtsentscheidungen belegen die praktische Bedeutung der Strafbarkeit bei steuerstrafrechtlichen Schätzungen.

104

IV. Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren Vgl. juris unter dem Stichwort BGH und Schätzung.

Insbesondere Branchen mit überwiegendem Bargeldverkehr – wie Gaststät- 572 ten oder Kioskbetriebe – und fehlenden Aufzeichnungen sind für Einnahmeverkürzungen besonders anfällig. In Ermangelung von Aufzeichnungen ist die Finanzbehörde in diesen Fällen zur Berichtigung der Gewinnermittlung auf Schätzungen angewiesen. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 319.

1. Kriterien für die Anwendung und die Durchführung der Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren Die Vorschrift des § 162 AO über die Schätzung findet im Steuerstrafverfah- 573 ren und im Verfahren über Steuerordnungswidrigkeiten keine Anwendung, denn es ist die vollständige Gewissheit zulasten des Straftäters erforderlich. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 338; Bornheim, AO-StB 2003, 94; Brinkmann, StBp 2013, 251, 253.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, tatge- 574 richtliche Feststellungen auf tragfähige Schätzungsgrundlagen zu stützen. So BGH, Beschl. v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 ff.; so BGH, Urt. v. 6.10.2014 – 1 StR 214/14, NZWiSt 2015, 108 ff.

Die maßgeblichen Kriterien für die Anwendung und die Durchführung der 575 Schätzung benennen die Literatur und die Rechtsprechung wie folgt: Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 338; so BGH, Beschl. v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 ff.

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Eine annähernd genaue Berechnung der Besteuerungsgrundlagen ist nicht möglich, da aussagekräftige Beweismittel fehlen. In der Regel handelt es sich hierbei um Belege und Aufzeichnungen. Vgl. Höft/Danelsing/Grams/Rook, Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, S. 251.

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Die Parameter der Schätzungsgrundlage müssen tragfähig sein. So BGH, Beschl. v. 20.11.2008 – 1 StR 546/08, BFH/NV 2009, 699; so BGH, Beschl. v. 10.11.2009 – 1 StR 293/09, NStZ 2010, 635 ff.; vgl. Höft/Danelsing/Grams/Rook, Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, S. 259.

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Die Schätzung kann ggf. aus verfahrensökonomischen Gründen angezeigt sein. Davon ist in solchen Fällen auszugehen, in denen die exakte Berechnung der Besteuerungsgrundlagen einen unangemessenen Aufklärungsaufwand erfordert und im Fall ihrer tatsächlichen Durchführung zur Er-

105

F. Materielles Steuerstrafrecht

mittlung des Schuldumfangs lediglich vernachlässigbare Abweichungen zu erwarten sind. So BGH, Beschl. v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 ff.

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Im Rahmen der Gesamtwürdigung des Schätzergebnisses ist stets der Zweifelssatz „in dubio pro reo“ zu beachten. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 338; vgl. Höft/Danelsing/Grams/Rook, Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, S. 259.

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Der BGH hält die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen im Strafverfahren für zulässig, wenn dem Grunde nach feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, aber die Höhe der verkürzten Steuern ungewiss ist. Der Strafrichter muss sich von der Richtigkeit der Schätzung nach strafprozessualen Grundsätzen überzeugt haben. So BGH, Beschl. v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, wistra 2007, 345 f.; BGH, Beschl. v. 6.10.2014 – 1 StR 214/14, NZWiSt 2015, 108 ff.

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Das Ergebnis der Schätzung muss wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. So BGH, Beschl. v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 ff.

576 Die richterliche Überzeugungsbildung erfolgt nach § 261 StPO, wonach das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung entscheidet. Der Begriff „Überzeugung“ hat die Bedeutung, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit vorliegen muss, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht aufkommen. Es gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“, sodass bei verbleibenden Zweifeln trotz Ausschöpfung aller Beweismittel zugunsten des Angeklagten entschieden werden muss. Die Verurteilung ist nur aufgrund eines zur vollen Überzeugung des Strafrichters erwiesenen Sachverhalts zulässig. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 339.

2. Bedeutung der einzelnen Schätzungsmethoden 577 Nicht alle Schätzungsmethoden besitzen einen gleich hohen Beweiswert. Das gilt im Besteuerungsverfahren ebenso wie im Steuerstrafverfahren. Vgl. Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 128.

578 Das Kernproblem der Schätzungsmethoden liegt in der Ermittlung des geeigneten Maßstabs, der es erlaubt, jeden Betrieb oder jede Person individuell zu beurteilen oder zu verproben. Vgl. Bornheim/Kröber, Steuerstrafverteidigung, S. 314.

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IV. Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Der Beweiswert des äußeren Betriebsvergleichs nach Richtsätzen ist im Straf- 579 verfahren als gering anzusehen, da er sich für eine individuelle Verprobung nur unzureichend eignet. Vgl. Bornheim/Kröber, Steuerstrafverteidigung, S. 314; Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 498 m. N. z. a. A.

Der äußere Betriebsvergleich ist nach der herrschenden Meinung nicht dazu 580 geeignet, eine formell ordnungsgemäße Buchführung zu entkräften. Vgl. statt vieler nur Dörn, in Flore/Dörn/Gillmeister, Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren, S. 350 und Bornheim/Kröber, Steuerstrafverteidigung, S. 314.

Bei einer formell ordnungsgemäß ermittelten Buchführung darf die Finanz- 581 behörde die Gewinn- und Umsatzschätzung nicht allein damit begründen, dass die erklärten Gewinne und Umsätze von den Zahlen der Richtsatzsammlung abweichen. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 276; so BFH, Urt. v. 9.8.1991 – III R 129/85, BStBl. II 1992, 55.

Schon im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren wird die Verteidigung 582 bei einer Schätzung nach der amtlichen Richtsatzsammlung in die Lage versetzt, ihre Grundlagen zu erschüttern. Ausreichend dafür ist, dass sie Nachweise darüber, dass und warum die verallgemeinerten Werte nicht den Besonderheiten des geprüften Betriebs entsprechen, beibringt. Ansatzpunkte ihrer Argumentation können sein, dass der tatsächliche Materialeinsatz nicht dem entspricht, den die Richtsatzsammlung zugrunde legt. Eine defekte Kühlung oder Diebstahl können Materialverluste verursacht haben oder der Beschuldigte hat bestimmte Leistungen kostenlos („Geht aufs Haus“) abgegeben. Die Verteidigung wird daher die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls herausstellen und begründen, weshalb die Feststellungen der Finanzbehörde nicht auf den Betrieb übertragen werden können. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 276; Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 498 f.

Die Ergebnisse aus einem Einzelbetriebsvergleich sind im Steuerstrafverfah- 583 ren – ungeachtet der Problematik des § 30 AO – gleichfalls nur bedingt verwendbar. Dies ist darin begründet, dass gewöhnlich keine zwei Einzelbetriebe hinsichtlich aller bedeutsamen Kriterien, wie beispielsweise Lage, Kundenstamm, Einkauf, Personalkosten, miteinander übereinstimmen. Eine mögliche Ausnahme können Franchiseunternehmen sein. Allerdings wird auch durch den Umstand, dass ein Unternehmen im Rahmen von Franchise betrieben wird, keine völlige Betriebsidentität gegeben sein. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 279.

Möglicherweise kann für die Beweiskraft der Schätzung anhand der amtlichen 584 Richtsatzsammlung etwas anderes gelten, wenn eine Branche bereits unter strafrechtlichen Gesichtspunkten intensiv geprüft wurde und es bereits eine 107

F. Materielles Steuerstrafrecht

Vielzahl von Feststellungen im Steuerstrafverfahren gibt. Diese Ausführungen gelten unter der Voraussetzung, dass die Verteidigung nicht in der Lage ist, die Besonderheiten des betroffenen Betriebes darzustellen und zu begründen, weshalb die anderweitigen Feststellungen auf den Betrieb nicht anwendbar sind. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 278

585 Schließlich wird die Verteidigung den Grundsatz „in dubio pro reo“ anwenden, um eine Schätzung in einer geringeren Höhe zu erreichen. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 277. Praxistipp: Im Hinblick auf § 261 StPO ist davon abzuraten, den jeweils niedrigsten Richtsatz zugrunde zu legen, um Auseinandersetzungen mit der Verteidigung zu entgehen. Denn nicht nur die Anwendung des durchschnittlichen Richtsatzes, sondern auch die Abweichung vom Mittelwert der Richtsatztabelle muss die Finanzbehörde ausreichend begründen.

586 Unter Berücksichtigung der dargestellten Aspekte ist festzustellen, dass der äußere Betriebsvergleich im Steuerstrafverfahren zu viele „Angriffspunkte“ bietet. Deshalb ist er allenfalls gemeinsam mit weiteren Methoden als taugliches Schätzungsinstrument einsetzbar. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 280; Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 499 m. Bsp. zu weiteren Methoden.

587 Die Nachkalkulation stellt die Hochrechnung von betriebsinternen Daten dar. 588 Das Ergebnis aus der Nachkalkulation führt nach einer Ansicht zu keinen strafrechtlich verwertbaren Ergebnissen, während nach anderer Auffassung die strafrechtliche Verwertbarkeit durchaus gegeben ist. Strafrechtlich nicht verwertbar lt. Hellmann, in: H/H/Sp, Stand: November 2013, § 370 AO Rn. 162 f.; a. A. Dörn, in: Flore/Dörn/ Gillmeister, Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren, S. 349; Pelchen, MDR 1982, 11; Höft/Danelsing/Grams/Rook, Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, S. 263; vermittelnd Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 502 f.

589 Für die Verwendung – zumindest in Verbindung mit weiteren Schätzungsmethoden – spricht, dass sich bei Vorliegen zuverlässiger Zahlen strafrechtlich verwertbare Ergebnisse erzielen lassen. Dies ist gegeben, wenn das Unternehmen beispielsweise über Jahre hinweg mit konstanten Preisaufschlägen kalkuliert hat und der Wareneinsatz feststeht. Vgl. Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 130.

108

IV. Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Diese Schätzungsmethode enthält einen höheren Beweiswert – allerdings mit 590 der Einschränkung, dass nicht die Daten aus dem äußeren Betriebsvergleich – Rohgewinnaufschlag nach Richtsätzen – oder dem inneren Betriebsvergleich – Rohgewinnaufschlag nach dem Vorjahreswert – zugrunde gelegt werden. Weitere Probleme können sich daraus ergeben, dass mit verschiedenen Warengruppen gearbeitet werden muss. Gegen die Verwendung der Ergebnisse aus der Nachkalkulation spricht, dass für die Anwendung dieser Schätzmethode erforderliche Größen, wie beispielsweise Eigenverbrauch, Warenverderb oder Personaldiebstahl, kaum feststellbar sind und weitere Aspekte, wie beispielsweise Verbrauch von Material für Test- und Werbezwecke und die Durchführung von Sonderaktionen und Gewährung von Mengenrabatten, hinreichend gewürdigt werden. Die Warengruppen sind so genau wie möglich zu differenzieren, außerdem sind ihre Besonderheiten weitestgehend zu berücksichtigen. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 282a; Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 502 f.

Nach der Anklageerhebung muss der Strafrichter die unterschiedlichen Roh- 591 gewinnaufschläge bei den unterschiedlichen Warengruppen genau ermitteln, da die im Besteuerungsverfahren übliche Vereinheitlichung der Warengruppen im Strafverfahren keine Anwendung findet. Vgl. Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 130.

Daher setzt die Anwendung der Nachkalkulation im Steuerstrafverfahren vo- 592 raus, dass die Angaben, insbesondere zu den geschätzten Warengruppen im Detail vorliegen – je detaillierter die Finanzbehörde kalkulieren kann, desto hilfreicher sind ihre Feststellungen bei der richterlichen Überzeugungsbildung. Ein großes Warensortiment mit stark schwankenden Preisen bietet dem Beschuldigten dagegen die Möglichkeit gegen die Ergebnisse der Nachkalkulation vorzugehen. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 38.

Das Instrument der Nachkalkulation eignet sich für Handelsbetriebe und 593 weniger für Produktionsbetriebe. Die Begründung ist darin zu sehen, dass es im Rahmen eines Produktionsprozesses zahlreiche weitere Unsicherheitsfaktoren gibt – wie beispielsweise Materialschwund und Maschinenkosten, die auftragsbedingt divergieren. Zudem schwanken die Gewinnaufschläge mit der Wettbewerbslage und sind daher teilweise schwer nachprüfbar. Vgl. Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 130.

Die Vermögenszuwachsrechnung und die Geldverkehrsrechnung sind mitein- 594 ander „verwandte“ Methoden. Daher werden an dieser Stelle beide Methoden zusammen unter dem Aspekt der strafrechtlichen Verwertbarkeit dargestellt.

109

F. Materielles Steuerstrafrecht

595 Die Vermögenszuwachsrechnung ist ein taugliches Instrument zum Nachweis und zur Ermittlung der verkürzten Steuern. Vgl. Dörn, in Flore/Dörn/Gillmeister, Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren, S. 342.

596 Gleiches gilt – allerdings nicht unumstritten – für die Geldverkehrsrechnung. Vgl. Bilsdorfer, DStZ 1982, 300; a. A. Schützeberg, StBp 2009, 38.

597 Die Voraussetzungen für die Anwendung beider Methoden sind jeweils, dass die Anfangs- und Endbestände des Vermögens zutreffend erfasst und ihre Daten vollständig sind. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 282c; so BFH, Urt. v. 8.11.1989 – X R 178/87, BB 1990, 459 ff.

598 Dazu gehören auch die Daten, die der Privatsphäre des Beschuldigten zuzuordnen sind, da andernfalls das Ergebnis mit Unsicherheiten behaftet ist. Der Strafrichter vergleicht beispielsweise die Auszahlungen vom Betriebskonto und stellt die Einzahlungen auf dem Privatkonto gegenüber. Er kann nur zu einem strafrechtlich verwertbaren Saldo gelangen, wenn ihm alle Privatkonten des Beschuldigten bekannt sind. Andernfalls besteht die Möglichkeit, dass die Einzahlungen, soweit sie die Auszahlungen übersteigen, aus einem anderen unberücksichtigten Privatkonto stammen statt aus steuerlich nicht erklärten Einnahmen. Vgl. Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 129 f.

599 Der Beschuldigte muss im Steuerstrafverfahren nicht mitwirken. Insofern ist nicht zu erwarten, dass er zuverlässige Informationen zur Verfügung stellen wird. Zudem bestehen keine umfangreichen Aufbewahrungspflichten für private Unterlagen. Vgl. BFH, Urt. v. 28.5.1986 – IR 265/83, BStBl II 1986, 732 ff.

600 Bei der Anwendung der Vermögenszuwachs- oder Geldverkehrsrechnung ist es erforderlich, dass das Ausgangsvermögen korrekt ermittelt bzw. geschätzt wird. Sämtliche nicht steuerpflichtige Vermögensmehrungen, wie beispielsweise der Verkauf privater Immobilien, der Verkauf von Wertgegenständen oder die Zuwendung steuerfreier Schenkungen, sind korrekt zu erfassen. Die Schwierigkeit besteht darin, dass notwendige Werte für den Betrachtungszeitraum oftmals nicht hinreichend genau bestimmbar sind, insbesondere, wenn es sich um einen länger zurückliegenden Zeitraum handelt. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 282c; Höft/Danelsing/Grams/Rook, Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, S. 264.

601 Die Vermögenszuwachsrechnung sollte einen Betrachtungszeitraum von drei Jahren nicht überschreiten, da das Risiko fehlerbehaftet zu sein, steigt, je größer der relevante Zeitraum ist. 110

IV. Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 282d; so BFH, Urt. v. 2.3.1982 – VIII R 225/80, BB 1982, 1952 f.

Die Finanzbehörde muss den privaten Verbrauch fest bestimmen. Bei der 602 Anwendung der Schätzungsmethoden muss sie beachten, dass sie Aufwendungen für den Privatverbrauch, wie beispielsweise für den Urlaub, nicht zu niedrig ansetzt. Dadurch kann sie verhindern, dass die angestellten Berechnungen angreifbar sind. Es ist davon abzuraten, pauschal einen bestimmen Lebensstil anzunehmen, um daraus auf einen gewissen Lebensstandard zu schließen. Die Daten des Statistischen Bundesamtes über allgemeine Lebenshaltungskosten allein sind nicht beweiskräftig, da sie sich für einen einzelfallbezogenen Nachweis nicht eignen. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 282d; a. A. Höft/Danelsing/Grams/Rook, Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, S. 264.

Die ermittelten Fehlbeträge sind strafrechtlich in die entsprechenden Veran- 603 lagungszeiträume einzuordnen. Die Finanzbehörde muss im Rahmen der Geldverkehrs- oder Vermögenszuwachsrechnung bereits eine entsprechende Zuordnung vornehmen. Für die Verteidigung ergibt sich daraus die Möglichkeit, diese Zuordnung zu überprüfen und ggf. für eigene Zwecke zu nutzen. So kann sie versuchen, die ermittelten Fehlbeträge in solche Veranlagungszeiträume zu übertragen, die aufgrund von Progressionseffekten für den Beschuldigten vorteilhaft sind. Die Verteidigung kann versuchen, die Fehlbeträge in Veranlagungszeiträume zu übertragen, die strafrechtlich verjährt sind oder die erst kurze Zeit zurückliegen. Der Vorteil im letztgenannten Beispiel besteht für den Beschuldigten im Zinsvorteil gemäß § 235 AO und ggf. besteht nur eine Steuerverkürzung auf Zeit oder bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen ist noch keine Vollendung erfolgt, sodass die Tat das Versuchsstadium nicht überschritten hat. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 282d f.

Sofern die Finanzbehörde nach Durchführung einer der beiden Schätzungs- 604 methoden zu dem Ergebnis gelangt, dass tatsächlich ein ungeklärter Vermögenszuwachs besteht, so muss sie im folgenden Schritt den Nachweis führen, dass es sich um einen steuerpflichtigen Vermögenszuwachs handelt. Den so ermittelten Zuwachs muss sie zudem einer Einkunftsart zuweisen können, denn die pauschale Annahme, dass es sich um einen betrieblichen Mehrgewinn handelt, ist ohne das Vorliegen weiterer Indizien strafrechtlich nicht haltbar. In diesem Zusammenhang ist denkbar, dass es sich um Einkünfte gemäß § 22 Nr. 3 EStG handelt, die weder eine Gewerbesteuer- noch eine Umsatzsteuerpflicht auslösen. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 282e.

Standardeinwendungen gegen die Ergebnisse einer Geldverkehrs- oder Ver- 605 mögenszuwachsrechnung können Ausführungen dazu sein, dass der Vermögenszuwachs mit geliehenem, geschenktem oder gewonnenem Geld erklärt 111

F. Materielles Steuerstrafrecht

wird. Dabei wird die Finanzbehörde darauf achten, dass der Beschuldigte entsprechende Darlehens- oder Treuhandverträge beibringt oder Zeugen benennt. Damit kann sie diese Angaben überprüfen, indem sie beispielsweise Einsicht in die Erbschaft- und Schenkungssteuererklärungen nimmt oder Informationen bei Spielstätten einholt. Zu Standardeinwendungen vgl. Dörn, in: Flore/Dörn/Gillmeister, Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren, S. 345 f. und 362 ff.; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 282e.

606 Die Vermögenszuwachsrechnung und die Geldverkehrsrechnung beinhalten Unsicherheitsfaktoren, wie beispielsweise den Umstand, dass der Privatbedarf von Person zu Person unterschiedlich ist oder die Lebenshaltungskosten bzw. der allgemeine Lebensstandard des geprüften Beschuldigten außerhalb der Norm liegt. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 38.

607 Gleichwohl sind beide taugliche Methoden für die Anwendung im Steuerstrafverfahren. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 38.

608 Die Geldverkehrs- und die Vermögenszuwachsrechnung sind daher genauso wie die Nachkalkulation – vorzugsweise kombiniert – geeignete Schätzungsmethoden, deren Ergebnis für das Strafverfahren Bedeutung erlangen können. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 286; so BFH, Urt. v. 8.9.1994 – IV R 6/93, BFH/NV 1995, 573 ff. zur Kombination aus äußerem Betriebsvergleich und Nachkalkulation; so BGH, Beschl. v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, NStZ 2007 589; vgl. Höft/Danelsing/Grams/Rook, Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, S. 251, 260.

609 Grundsätzlich ist es ohne Aufwand möglich, adäquate Datensätze zu erstellen, die bei einer Überprüfung nach dem Revisionsverfahren auf Grundlage des Benford’schen Gesetzes zu keinen Unregelmäßigkeiten führen. Dabei ist zu beachten, dass nicht nur die Anfangsziffer sondern – nach modifizierten Regeln – auch die Folgeziffern der Überprüfung unterliegen. In einer zweiten Überprüfung der Datensätze erfolgt der Chi-2-Anpassungs-Test, sodass es unwahrscheinlich ist, dass die Fälschung erfolgreich gelingt. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 285.

610 Nach der Rechtsprechung kann der Chi-2-Anpassungs-Test die Vermögenszuwachs- oder die Geldverkehrsrechnung oder eine andere sichere Kalkulations- oder Verprobungsmethode nicht ersetzen. Der Chi-2-Anpassungs-Test ist nicht dazu geeignet die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu verwerfen. Vgl. FG Münster, Beschl. v. 14.8.2003 – 8 V 2651/03, EFG 2004, 9 ff.

112

IV. Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Die Begründung liegt darin, dass es sich bei dem Chi-2-Anpassungs-Test um 611 ein Analyseverfahren handelt, das in juristischer Hinsicht keinen Beweis erbringen kann. Der Test kann lediglich Indizien für mögliche Unregelmäßigkeiten liefern. Vgl. FG Münster, Beschl. v. 14.8.2003 – 8 V 2651/03, EFG 2004, 9 ff.; vgl. Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 506.

Die Finanzbehörde muss die Ergebnisse hinterfragen, wenn bestimmte Zahlen 612 aus den branchenspezifischen Eigenheiten heraus zwangsläufig gehäuft vorkommen und dadurch die statistischen Werte verändern. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 285.

Die Verprobungsmethode des Zeitreihenvergleichs dient dazu, die Ordnungs- 613 mäßigkeit der Buchführung in Frage zu stellen. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass neue Einkäufe erst erfolgen, sobald die Altbestände vollständig verbraucht sind und jederzeit die Möglichkeit besteht, Eingangswaren zu gleichbleibenden Preisen zu erwerben. Sie ist durch gezielte Beweisführung der Verteidigung angreifbar. Bei der Anwendung dieser Methode ist von Nachteil, dass ihr zugrunde liegt, dass die unterjährigen Verhältnisse mit denen des gesamten Wirtschaftsjahres übereinstimmen und sie nicht von saisonalen Faktoren abhängt. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 284.

Die Beweiskraft des Zeitreihenvergleichs ist bei Vorliegen bestimmter Vor- 614 aussetzungen mit der Beweiskraft der Nachkalkulation vergleichbar. Vgl. Schützeberg, StBp 2009, 35.

Dabei ist zu beachten, dass der Zeitreihenvergleich nach der aktuellen Recht- 615 sprechung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren nur bedeutsam ist, wenn die materielle Unrichtigkeit der Buchführung aufgrund anderer anerkannter Schätzungsmethoden der Höhe nach feststeht. So BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, NZWiSt 2015, 295 ff. mit Anm. Gehm.

Kassenfehlbeträge können die Grundlage für eine Schätzung bilden. Dabei geben 616 die Fehlbeträge regelmäßig einen ausreichenden Anlass für die Schätzung der Höhe nach. Vgl. Rüsken, in: Klein, AO, § 158 Rn. 6.

Die Kassenfehlbetragsrechnung dient dazu, die Ordnungsmäßigkeit der Buch- 617 führung zu verwerfen. Dadurch besteht für die Finanzbehörde die Möglichkeit eine Vollschätzung durchzuführen. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 283; so BFH, Urt. v. 20.9.1989 – X R 39/87, BStBl. II 1990, 109.

Die Angriffsmöglichkeiten der Verteidigung sind gering, wenn die Finanz- 618 behörde einen negativen Kassenbestand festgestellt hat. Als möglicher Grund 113

F. Materielles Steuerstrafrecht

für Kassenfehlbeträge kann ein formeller Fehler in Frage kommen, so beispielsweise in dem Fall, in dem die Einnahmen nicht chronologisch zutreffend erfasst wurden. Denkbar ist auch, dass es sich um einen einmaligen Fehler handelt. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 283; Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 504.

619 Daher gilt die Beweiskraft der Kassenfehlbetragsberechnung als hoch. 620 Die Strafverfolgungsbehörde bzw. das Gericht kann das Ergebnis aus der steuerlichen Schätzung für das Strafverfahren unter Abzug eines prozentualen Sicherheitsabschlages übernehmen. Der Sicherheitsabschlag ist im Einzelnen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Er ist in seinen Besonderheiten zu begründen und darf nicht pauschal berechnet werden. Eine solche Vorgehensweise ist erforderlich, damit die Verteidigung im Hinblick auf die gewählte Schätzungsmethode und den vorgenommenen Sicherheitsabschlag sowie in Hinsicht auf den methodischen Ansatz, der Ungenauigkeit der Schätzung und den Grundsatz „in dubio pro reo“ keine Angriffspunkte erhält. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 287.

621 Die tatsächliche Verständigung im Besteuerungsverfahren hat keine bindende Wirkung im Steuerstrafverfahren. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.10.1990 – 2 BvR 385/87, wistra 1991, 175.

622 Die Einigung im Besteuerungsverfahren bedeutet lediglich, dass der Nachweis über die Besteuerungsgrundlagen nicht oder nur unter erschwerten Umständen möglich ist. Vgl. Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, S. 410.

623 Für den Beschuldigten gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“, sodass die Einigung nicht den strafrechtlich bewiesenen Sachverhalt darstellt. Die Einigung ist zudem kein Geständnis, denn ein solches würde voraussetzen, dass der Beschuldigte die Tat oder einzelne Taten zugeben würde. Vgl. Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, S. 410.

624 Anders verhält es sich mit der Verständigung und Vereinbarung mit den Ermittlungsbehörden und/oder dem Gericht über Angelegenheiten des Strafverfahrens – der sog. Absprache. Am 4.8.2009 trat hierzu das „Gesetz zur Regelung von Absprachen im Strafverfahren“ in Kraft. Es sieht für das Ermittlungsverfahren in den §§ 160b, 202a, 212 StPO „Erörterungen des Standes des Verfahrens“ vor. Sie erfolgen außerhalb der Hauptverhandlung und sollen die Verständigung vorbereiten. Vgl. Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, S. 411 ff.

114

IV. Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Die Absprache ist dazu geeignet, das Verfahren zu beschleunigen und es auf 625 den wesentlichen Kern zu reduzieren. Vgl. Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, S. 412.

Alle Beteiligten müssen das Ergebnis der Absprache besprechen und sich ab- 626 stimmen. Die Grenze der Absprache ergibt sich im Ermittlungsverfahren durch das Legalitätsprinzip. So BVerfG, Beschl. v. 27.1.1987 – 2 BvR 1133/86, NJW 1987, 2262 f.; vgl. Bornheim/Kröber, Steuerstrafverteidigung, S. 489.

Gegenstand der Absprache im Ermittlungsverfahren sind unter anderem die 627 verschiedenen Möglichkeiten der Einstellung – § 170 Abs. 2 StPO, §§ 153 ff. StPO – sowie der Verfahrensbeschränkung – §§ 154, 154a StPO. Vgl. Simon, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, S. 416.

Obwohl das Geständnis die wichtigste und häufigste Grundlage für die straf- 628 rechtliche Absprache darstellt, ist es nicht zwingend erforderlich. Eine Verständigung über das Ergebnis des Verfahrens kann dadurch erfolgen, dass der Angeklagte Zugeständnisse anderer Art macht. Als solche Zugeständnisse anderer Art kommen beispielsweise der Verzicht auf das Bestreiten der behaupteten Straftat oder der Verzicht auf Zeugenbefragungen in Frage. Vgl. Simon, Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, S. 418 f.

3. Strafschätzung Der Beschuldigte, der im Rahmen seiner strafprozessualen Rechte seine 629 Mitwirkung verweigert, darf als Folge daraus keine besonders nachteilige Schätzung erhalten. Strafschätzungen sind daher zu unterlassen. Der Beschuldigte muss in dieser Situation genauso behandelt werden wie der Steuerpflichtige, der unverschuldet seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist. Die Verteidigung wird allerdings kaum eine Strafschätzung nachweisen können, da die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen, der grob gegen seine Mitwirkungspflichten verstößt, mit einer Schätzung an der obersten Grenze belegen kann. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 289; so BFH, Beschl. v. 20.10.2005 – IV B 65/04, BFH/NV 2006, 240 f.; so FG München, Urt. v. 26.7.2012 – 5 K 2812/11, juris.

4. Einwendungen gegen die Schätzung und ihre Würdigung Der Beschuldigte trägt bei der Aufdeckung von nicht versteuertem Vermö- 630 gen vor, dass die festgestellten Einnahmen aus steuerfreien Darlehensrückzahlungen, Darlehensaufnahmen, Schenkungen, aus Spielbankgewinnen oder Treuhandverhältnissen resultieren. Vgl. Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 130.

115

F. Materielles Steuerstrafrecht

631 Der Strafrichter hat zu prüfen, ob die Angaben möglicherweise wahr sind, oder ob es sich lediglich um Schutzbehauptungen handelt. Schutzbehauptungen können vorliegen, wenn die Einlassung des Beschuldigten in sich widersprüchlich ist, die Aussage unter Detailarmut leidet oder der Beschuldigte bei wichtigen Verträgen – so beispielsweise Darlehens- oder Schenkungsverträge – keine Nachweise erbringt. Vgl. Dörn, in Flore/Dörn/Gillmeister, Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren, S. 356 m. w. N.; ders., wistra 1993, 51 f.

632 Hegt der Strafrichter ernsthafte Zweifel oder stellen sich die Einlassungen als wahr heraus, hat er den Beschuldigten freizusprechen. Vgl. Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 130.

633 Der Strafrichter muss im Strafverfahren auf die Besonderheiten des Einzelfalls eingehen. Er darf sich daher nicht – anders als im Besteuerungsverfahren – auf allgemeine Erfahrungssätze verlassen. Daher muss er auch auf Einlassungen des Beschuldigten eingehen, die zunächst eher unwahrscheinlich klingen. Vgl. Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 131.

634 Der Beschuldigte wird sich möglicherweise einlassen, einen größeren Geldbetrag, der vorgeblich aus einer Schenkung herrührt, mehrere Jahre in einem Schließfach aufbewahrt zu haben, statt ihn gewinnbringend anzulegen. Eine solche Einlassung erhöht die Glaubwürdigkeit des Beschuldigten in der Regel nicht. Gleichwohl ist bei der Wertung zu betrachten, wie er üblicherweise seine Geldanlagen führt. Der Beschuldigte, der seine Ersparnisse grundsätzlich einem professionellen Vermögensverwalter überlässt, unterfällt häufiger dem Tatverdacht der Steuerhinterziehung als der Beschuldigte, der seine Ersparnisse konservativ anlegt. Der Strafrichter wird den Schenkungseinwand akzeptieren, wenn die Kontobelastung beim Schenker nachweisbar ist. Vgl. Dörn, in: Flore/Dörn/Gillmeister, Steuerfahndung und Steuerstrafverfahren, S. 364; Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 131.

635 Sofern der Beschuldigte den Vermögenszuwachs mit einem Spielbankgewinn begründet, spricht es für seine Glaubwürdigkeit, wenn er schon seit mehreren Jahren bei einer Spielbank registriert ist und die Gewinne nicht völlig überzogen sind. Vgl. Stypmann, wistra, 1983, 98; Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 131.

5. Argumentationshilfen für die Verteidigung 636 Das Nebeneinander von Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren bietet dem Verteidiger bei steuerlichen Schätzungen einen Verhandlungsspielraum für das steuerstrafrechtliche Verfahrensergebnis. Da Schätzungen im Besteu116

IV. Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren

erungsverfahren regelmäßig zahlreiche Angriffspunkte bieten, gilt dies folglich für die mit wesentlich höheren Anforderungen ausgestalteten Schätzungen im Steuerstrafrecht. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 341.

Der Verteidiger wird in Anlehnung an die BGH-Rechtsprechung auf die 637 nachstehenden Punkte in besonderem Maße eingehen. So BGH, Beschl. v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148 ff.

Freie Schätzungen der Finanzbehörde sind unzulässig.

638

Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 342.

Die Vermögenszuwachsrechnung und die Geldverkehrsrechnung sind im 639 Steuerstrafverfahren grundsätzlich geeignete Schätzungsmethoden, die bei logischer und sachlich fehlerfreier Erstellung über hohe Beweiskraft verfügen. Der Verteidiger wird jede Position intensiv prüfen und kritisch würdigen – dies gilt insbesondere für die üblicherweise geschätzten Anfangswerte bei einer Vermögenszuwachsrechnung. Der Verteidiger wird bei Einwendungen gegen Ergebnisse aus der Vermögenszuwachsrechnung Sorge dafür tragen, dass die Standardeinreden beweisfest sind. Bei der Standardeinrede Darlehen beispielsweise wird er darauf achten, dass schriftliche Verträge mit klarer Rückzahlungsvereinbarung geschlossen worden sind. Sollte er die Standardeinrede Schenkung anwenden wollen, so wird er eine mögliche Schenkungssteuerpflicht beachten und die damit möglicherweise verbundenen Hinterziehungsaspekte in den Blick nehmen. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 342; zu den typischen Einwendungen, die auch im Steuerstrafrecht zur Anwendung kommen (können) vgl. Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, S. 301 ff.

Die Dauer des Betrachtungszeitraums ist von erheblicher Bedeutung für die 640 Aussagekraft der Schätzung. Je länger der Zeitraum, desto fehleranfälliger wird das Ergebnis. Die Rechtsprechung erkennt drei Jahre an und hält sieben und zwölf Jahre für bedenklich. So BFH, v. 2.3.1982 – VIII R 225/80, BStBl. II 1984, 504.

Der durch die Vermögenszuwachsrechnung oder die Geldverkehrsrechnung 641 festgestellte Vermögenszuwachs ist steuerstrafrechtlich von Bedeutung, wenn er aus steuerpflichtigem Vermögen stammt. Der von der Finanzbehörde zweifelsfrei festgestellte steuerpflichtige Vermögenszuwachs kann gleichwohl nicht ohne Weiteres der betrieblichen Sphäre des Beschuldigten zugeordnet werden. Der Verteidiger wird sich um Anhaltspunkte bemühen, die eine Zuordnung zu den Einkünften i. S. d. § 22 Nr. 3 EStG ermöglichen. Als Folge daraus entfallen in der Regel Gewerbe- und Umsatzsteuer.

117

F. Materielles Steuerstrafrecht Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 342.

642 Die Feststellungslast für die Zuordnung zu einer Einkunftsart trägt die Finanzbehörde. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 342.

643 Bei unangreifbaren Schätzungsergebnissen wird er die Möglichkeit beachten, den geschätzten Gesamtzuwachs für den Beschuldigten möglichst vorteilhaft auf die einzelnen Besteuerungszeiträume zu verteilen. Im Hinblick auf die Verzinsung erscheint es sinnvoll, den Zuwachs auf die aktuellsten Besteuerungszeiträume aufzuteilen. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 342; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 282d f.

644 Aus steuerstrafrechtlicher Sicht erscheint es sinnvoll, die Verlagerung auf steuerstrafrechtlich bereits verjährte Zeiträume zu beantragen. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 342.

645 Schätzungen aufgrund der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung müssen die Besonderheiten des Betriebes des Steuerpflichtigen berücksichtigen. Da es sich um einen äußeren Betriebsvergleich handelt, hat eine ausschließlich darauf beruhende Schätzung im Steuerstrafverfahren keine Aussagekraft. Für strafrechtliche Zwecke ist vom untersten Richtsatzwert auszugehen. Vgl. statt vieler Schützeberg, StBp 2009, 38.

646 Die Situation ist anders zu beurteilen, wenn eine konkrete Ermittlung oder Schätzung der tatsächlichen Umsätze nach entsprechenden Berechnungsversuchen nicht möglich ist. In einem solchen Fall kann unter Heranziehung der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung geschätzt werden. Die Finanzbehörde muss sich nicht zwingend an den unteren Werten der in der Richtsatzsammlung genannten Spannen orientieren, wenn sich Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage ergeben. So BGH, Beschl. v. 1 StR 561/13, wistra 2014, 276 f.

647 Bei Nachkalkulationen wird der Verteidiger darauf achten, dass die unterschiedlichen Aspekte der verschiedenen Warengruppen hinreichende Berücksichtigung finden. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 342; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 282a.

648 Üblicher Materialschwund und -verderb, Materialverbrauch für Testzwecke und Werbezwecke ist unter dem Oberaspekt betriebliche Besonderheiten 118

IV. Schätzung im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren

sowohl steuerlich als auch strafrechtlich bei den Schätzungen zu berücksichtigen. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 342.

Aufgrund der Unsicherheiten im Schätzungsbereich bietet sich im Einzelfall 649 eine tatsächliche Verständigung über die Besteuerungsgrundlagen und gleichzeitig über das steuerstrafrechtliche Ergebnis an. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 342. Praxistipp: Ein Formulierungsbeispiel zur tatsächlichen Verständigung findet sich bei Brinkmann, StBp 2014, 71.

Der Verteidiger wird prüfen, ob nicht die von der Finanzbehörde, sondern 650 eine andere Schätzungsmethode zu einem für den Beschuldigten günstigeren Ergebnis führt. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 342; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 273.

Er wird daher anfragen, ob das Schätzungsergebnis als wahrscheinliches Er- 651 gebnis oder als Ergebnis an der oberen Grenze der Wahrscheinlichkeit angesehen wird. Bei einer sich an der größten Wahrscheinlichkeit orientierenden steuerlichen Schätzung ist ein Abschlag vorzunehmen, da für steuerstrafrechtliche Zwecke nur solche Sachverhalte zugrunde zu legen sind, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen sind. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 342. Praxistipp: Die Schätzmethoden können nicht pauschal als hilfreich oder wertlos eingestuft werden, da es auf den Einzelfall ankommt. Zuverlässige Ergebnisse lassen sich nur durch eine Kombination mehrerer Schätzmethoden erreichen. Vgl. Joecks, wistra 1990, 54 f., 56; vgl. Dürrer, Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 130.

119

G. Taterfolg der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO Die Erfüllung des objektiven Tatbestandes des § 370 AO setzt notwendig 652 neben der Tathandlung den Eintritt des Taterfolges – Verkürzung von Steuern oder Erlangung eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils – voraus. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 113.

Der Begriff der Steuerverkürzung ist in der Vorschrift des § 370 Abs. 4 653 Satz 1 AO nicht legaldefiniert, er wird durch die beispielhafte Nennung der wichtigsten Fallgruppen konkretisiert. Die Steuer ist gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO insbesondere verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt wird. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 30.

Die Steuer ist in zu geringer und somit nicht in voller Höhe festgesetzt, wenn 654 die festgesetzte Steuer geringer ist als die tatsächlich geschuldete Steuer. Maßgeblich für die tatsächlich geschuldete Steuer ist der nach den strafverfahrensrechtlichen Grundsätzen ermittelte Besteuerungssachverhalt, der nach den Vorschriften des Steuerrechts in der Auslegung durch das erkennende Gericht zu würdigen ist. Die Entscheidungen der Finanzverwaltung und des Finanzgerichts im Besteuerungsverfahren entfalten im Steuerstrafverfahren keine Bindungswirkung. Für die Sachverhaltsermittlung sind die Grundsätze des „in dubio pro reo“ und die der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO anzuwenden. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 30 f.

Die verspätete und somit nicht rechtzeitige Festsetzung steht tatbestandlich 655 der zu niedrigen Festsetzung gleich. Die Steuerverkürzung liegt bei verspäteter Festsetzung daher in voller Höhe in der Differenz zwischen der tatsächlich geschuldeten und der zunächst festgesetzten Steuer vor. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass ein wirtschaftlicher Schaden lediglich in Form eines Zinsnachteils angefallen ist. Lediglich für die Strafzumessung ist von Bedeutung, ob die Steuerhinterziehung „auf Zeit“ oder „auf Dauer“ vorliegt. So BGH, Urt. v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, wistra 2009, 355 ff.

Der Zeitpunkt des Taterfolges der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 656 Satz 1 AO ist davon abhängig, ob es sich um eine Veranlagungssteuer, namentlich die Einkommen-, Gewerbe- und Körperschaftsteuer, oder um eine Anmeldungssteuer bzw. Fälligkeitsteuer, namentlich die Umsatz-, Lohn- und Kapitalertragsteuer oder auch Kfz-Steuer, handelt. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 116, 121.

121

G. Taterfolg der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO

I. Anmeldungssteuern 657 Unter Anmeldungssteuern sind die Steuern zu subsumieren, deren Fälligkeit nicht von einer Steuerfestsetzung gemäß § 155 AO abhängt, sondern von gesetzlich bestimmten Terminen. Vgl. Birk, ZInsO 2007, 749.

658 Die Steueranmeldung steht einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich, es sei denn, die Anmeldung führt gemäß § 168 Satz 1 AO zu einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder zu einer Steuervergütung. In diesem Fall steht gemäß § 168 Satz 2 AO die Anmeldung einer Steuerfestsetzung erst gleich, wenn die Finanzbehörde zustimmt. 659 Für den Eintritt des Taterfolgs der Steuerhinterziehung kommt es bei Fälligkeitssteuern, soweit sie wie bei der Umsatzsteuer als Anmeldungssteuern ausgestaltet sind, nicht auf die Fälligkeit der Zahlung, sondern auf den Zeitpunkt der Steueranmeldung gemäß § 150 Abs. 1 Satz 3 AO an. Der Steuerpflichtige hat die Steuer selbst zu berechnen. Sofern er die Steueranmeldung mit Ablauf der Abgabefrist nicht eingereicht hat, hat er die Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bewirkt. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 105.

1. Umsatzsteuer 660 Der Steuerpflichtige hat die Umsatzsteuer-Voranmeldungen gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 UStG regelmäßig bis zum 10. Tag nach Ablauf eines jeden Voranmeldungszeitraums einzureichen. Die Umsatzsteuerjahreserklärung hat er gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 UStG i. V. m. § 149 Abs. 2 Satz 1 AO grundsätzlich spätestens fünf Monate nach Ablauf des Jahres, auf das sie sich bezieht, abzugeben. So BGH, Urt. v. 11.12.1990 – 5 StR 519/90, MDR 1981, 360.

661 Der Steuerpflichtige hat die Anmeldungssteuern gemäß § 150 Abs. 1 Satz 3 AO selbst zu berechnen und zu entrichten. Vgl. Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, S. 8.

662 Die Umsatzsteuervorauszahlungen werden gemäß § 18 Abs. 1 Satz 4 UStG grundsätzlich am 10. Tag nach Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums fällig, während die Jahresumsatzsteuer laut §§ 18 Abs. 4 Satz 1, 2 UStG einen Monat nach Eingang der Anmeldung bzw. der Bekanntgabe des Umsatzsteuerbescheides zahlbar ist. So BFH, Urt. v. 11.11.2014 – VIII R 34/12, DStR 2015, 215 ff.; so BGH, Urt. v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, wistra 2009, 355 ff.

663 Die Steuer gilt gemäß § 168 Abs. 1 AO mit der Voranmeldung/Erklärung als unter Vorbehalt festgesetzt. In den Fällen, in denen der Steuerpflichtige eine

122

I. Anmeldungssteuern

Steuererstattung geltend macht, bedarf es gemäß § 168 Satz 2 AO der Zustimmung der Finanzbehörde. So OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.3.2015 – 1 (4) Ss 560/14 – AK 206/14, wistra 2015, 325 ff.; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 37 Rn. 35.

Der Verkürzungserfolg tritt bei der Umsatzsteuer als Anmeldungssteuer 664 gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO ein, wenn sie nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in der richtigen Höhe angemeldet oder festgesetzt wird. Für die Tatvollendung ist damit grundsätzlich der o.g. Fälligkeitszeitpunkt maßgebend. Vgl. Birk, ZInsO 2007, 749.

Sofern der Steuerpflichtige es unterlässt, die Voranmeldung gemäß § 150 665 Abs. 1 Satz 3 AO bis zum gesetzlich vorgegebenen Termin einzureichen, hat er die Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu diesem Zeitpunkt begangen, somit bei der Umsatzsteuer gemäß § 18 Abs. 1, 2 UStG am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums. Vgl. Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, S. 8; Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 105.

Gleiches gilt, wenn er die Voranmeldung verspätet, somit nach dem 10. Tag 666 nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums, einreicht. Die Verkürzung tritt am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums ein. Die Abgabe der zutreffenden Voranmeldung stellt eine (Teil-) Selbstanzeige dar, die Abgabe der verspäteten und unzutreffenden Voranmeldung eine mitbestrafte Nachtat. Bei der Abgabe der rechtzeitigen, aber unzutreffenden Voranmeldung erfolgt 667 eine Differenzierung: Wenn sich aufgrund der Voranmeldung eine Steuervergütung ergibt, ist die Steuerhinterziehung gemäß § 168 Satz 2 AO erst mit der Bekanntgabe der Zustimmung der Finanzbehörde vollendet. Beispiel: Die unrichtige Umsatzsteuer-Voranmeldung, die zu einem Umsatzsteuererstattungsanspruch führt. Siehe BGH, Beschl. v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, wistra 2000, 219 ff.; BGH, Beschl. v. 10.8.1988 – 3 StR 246/88, wistra 1988, 355 f.; BGH, Urt. v. 19.3.2013 – 1 StR 318/12, wistra 2013, 463 f.; OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.3.2015 – 1 (4) Ss 560/14, wistra 2015, 325 ff.; BGH, Urt. v. 7.10.2014 – 1 StR 182/14, BFH/NV 2015, 783.

Sofern die Steueranmeldung zu einer Zahllast in zu geringer Höhe führt, liegt 668 die Steuerhinterziehung durch Handeln i. S. d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO mit Eingang der Voranmeldung vor. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 106; vgl. Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, S. 8.

Das Vorstehende gilt für die Umsatzsteuer-Voranmeldungen gemäß § 18 669 Abs. 1 UStG und die Umsatzsteuerjahreserklärung gemäß § 18 Abs. 3 UStG in gleicher Weise. Die Umsatzsteuer ist mit Ablauf der Abgabefrist laut 123

G. Taterfolg der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO

§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO verkürzt, da die Umsatzsteuerjahreserklärung als Steueranmeldung nach der Vorschrift des § 18 Abs. 3 UStG einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 168 Satz 1 AO gleichsteht. Der Steuerpflichtige, der keine Erklärung abgibt oder sie verspätet einreicht, erfüllt mit Fristablauf den Tatbestand der Steuerverkürzung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 105.

670 Die Abgabe einer Jahreserklärung mit zutreffendem Inhalt nach zuvor erfolgter Abgabe falscher Umsatzsteuer-Voranmeldungen oder nach pflichtwidrig unterlassener Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen stellt eine Selbstanzeige i. S. d. § 371 AO dar. Dazu bedarf es keines entsprechenden Hinweises des Steuerpflichtigen, weil dieselbe Steuerart und dasselbe Steueraufkommen eines jeweiligen Jahres betroffen sind. So BGH, Urt. v. 19.3.1991 – 5 StR 516/90, wistra 1991, 223 ff.

671 Den Umsatzsteuer-Voranmeldungen und der Umsatzsteuerjahreserklärung des gleichen Jahres kommt ein eigener Erklärungswert zu, der auch durch die Zusammenfassung in der Jahreserklärung nicht deckungsgleich wird. Daher haben Taten, die sich auf die einzelnen Erklärungen beziehen, auch jeweils einen selbstständigen Unrechtsgehalt und stehen materiell-rechtlich im Verhältnis der Tatmehrheit gemäß § 53 StGB zueinander. So BGH, Beschl. v. 24.11.2004 – 5 StR 206/04, wistra 2005, 66 ff.; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 372a.

a) Umsatzsteuerverkürzung auf Zeit/auf Dauer 672 Bei der Steuerhinterziehung von Umsatzsteuer ist die Steuerverkürzung „auf Zeit“ von der Steuerverkürzung „auf Dauer“ zu unterscheiden. Die Abgabe der falschen Umsatzsteuer-Voranmeldungen sowie die Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen führen zu einer Steuerhinterziehung auf Zeit. Die Abgabe der falschen Jahreserklärung bewirkt die endgültige Steuerverkürzung. Von diesem Ergebnis ist auch dann auszugehen, wenn keine Jahreserklärung abgegeben wurde. So BGH, Beschl. v. 22.10.1997 – 5 StR 223/97, wistra 1998, 67 f.; BGH, Urt. v. 10.12.1991 – 5 StR 536/91, wistra 1992, 93 f.; BGH, Beschl. v. 1.11.1995 – 5 StR 535/95, wistra 1996, 105 f.; BGH, Beschl. v. 29.4.1997 – 5 StR 168/97, wistra 1997, 262 f.; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 386.

673 Der Unterschied liegt nicht in einer mengenmäßigen Verringerung des Steuerbetrags, sondern ist lediglich darin zu sehen, dass die zeitliche Verkürzung als Dauerschaden nur einen Verspätungsschaden bewirkt. Dieser Unterschied ist nicht für die Tatbestandsmäßigkeit der Steuerhinterziehung von Bedeutung, sondern ausschließlich für die Strafzumessung. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 110.

124

I. Anmeldungssteuern

Die Folge daraus ist, dass bei einer Steuerhinterziehung auf Zeit der tatbe- 674 standsmäßige Erfolg nicht lediglich in der Höhe der Hinterziehungszinsen zu sehen ist. Der Umfang der verkürzten Steuern oder der ungerechtfertigt erlangten Steuervorteile bemisst sich vielmehr nach dem Nominalbetrag. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 111.

Die Umsatzsteuerhinterziehung ist mit der Abgabe der unrichtigen Umsatz- 675 steuer-Voranmeldung noch nicht beendet, denn der Täter sichert sich die Vorteile der Tat dauerhaft erst durch die jährliche Veranlagung. So BGH, Beschl. v. 15.12.1982 – 3 StR 421/82, wistra 1983, 70 f.

Gleiches gilt auch für die Unterlassungstat: Die Steuerhinterziehung ist mit 676 Fristablauf der Umsatzsteuerjahreserklärung beendet. So BGH, Urt. v. 11.12.1990 – 5 StR 519/90, wistra 1991, 215 f.; so BGH, Urt. v. 10.12.1991 – 5 StR 536/91, BGHSt 38, 165 ff.; so BGH, Urt. v. 2.12.2008 – 1 StR 344/08, wistra 2009, 189 ff.; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 203.

In der Abgabe der unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung ist wegen ihres 677 eigenständigen Unrechtsgehalts keine mitbestrafte Nachtat zu sehen. Gleiches gilt, wenn der Steuerpflichtige nach unrichtigen oder nicht eingereichten Umsatzsteuer-Voranmeldungen bei der Finanzbehörde keine Jahreserklärung abgibt. So BGH, Urt. v. 10.12.1991 – 5 StR 536/91, BGHSt 38, 165 ff.; BGH, Beschl. v. 29.4.1997 – 5 StR 168/97, wistra 1997, 262 f.; BGH, Beschl. v. 1.11.1995 – 5 StR 535/95, NStZ 1996, 136 f.; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 111.

Sofern der Täter seinem Tatplan entsprechend in der Umsatzsteuerjahreser- 678 klärung seine unrichtigen Angaben berichtigt und die zunächst hinterzogenen Steuern nachzahlt, liegt zumeist eine wirksame strafbefreiende Selbstanzeige vor. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 386.

b) Umsatzsteuerbetrug Das deutsche Umsatzsteuergesetz ist die nationale Umsetzung der RL 2006/ 679 112/EG des Rates der Europäischen Union vom 28.11.2006 über das gesamte Mehrwertsteuersystem. Sog. Mehrwertsteuersystemrichtlinie, ABl EU Nr. L 347, 1.

Sie hat die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.5.1977 zur 680 Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ersetzt. Siehe ABl EG Nr. L 145, 1.

Diese Richtlinien und die dazu ergangene Rechtsprechung des Europäischen 681 Gerichtshofes – EuGH – sind im Strafrecht bei der Auslegung von Vor125

G. Taterfolg der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO

schriften des Umsatzsteuergesetzes zu beachten. Dies ergibt sich aus der Struktur des § 370 AO als Blanketttatbestand und gilt daher auch für die von dem EuGH für den Fall des Missbrauchs unmittelbar aus den EU-Richtlinien über die Mehrwertsteuer abgeleiteten Vorsteuerabzugsverbote. So BGH, Beschl. v. 1.10.2013 – 1 StR 312/13, wistra 2014, 141 ff.; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 372; ausf. zum Blanketttatbestand Krell, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 7 Rn. 31 ff. und Adick, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 17 Rn. 11.

682 Die Umsatzsteuer ist eine hinterziehungsanfällige Steuer. Dies ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass sie eine Anmeldungssteuer darstellt, die der Steuerpflichtige gemäß § 18 Abs. 1, 2 UStG selbst zu berechnen hat und er mit der Anmeldung keine Belege einreichen muss. Zum anderen ergibt es sich daraus, dass die Finanzbehörde aufgrund geringer personeller Ressourcen nur einen geringen Teil der Steueranmeldungen einer Prüfung unterziehen kann. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 370.

683 Die Formen der Hinterziehung sind vielfältig: die häufigen Erscheinungsformen sind die Nichterklärung oder die nicht vollständige Erklärung von Umsätzen, die Erklärung von Umsätzen zum falschen Steuersatz, die Geltendmachung von Steuerbefreiungen, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind, die Nichterklärung von unberechtigt ausgewiesener Umsatzsteuer gemäß § 14c UStG, die Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen und Steuerbefreiungen ohne die vorgeschriebenen formellen Nachweise und die Vorsteuererschleichung in Lieferketten und Umsatzsteuerkarussellen. Die Vorsteuererschleichung erfolgt durch die Geltendmachung eines Vorsteuerabzuges, obwohl die Voraussetzungen des § 15 UStG nicht erfüllt sind. Für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug sind die Verhältnisse bei Bezug der Leistung entscheidend. Die spätere Kenntnis von der zunächst unerkannten Einbindung in ein Umsatzsteuerkarussell schließt der aktuellen BGH-Rechtsprechung entsprechend den Vorsteuerabzug nicht aus. So BGH, Beschl. v. 1.10.2013 – 1 StR 312/13, wistra 2014, 141 ff.; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 370. Zu den Voraussetzungen für die Berichtigung eines unrichtigen oder unberechtigten Steuerausweises nach § 14c UStG vgl. Pfefferle/Renz, NWB 2015, 3456 ff.; zum Vorsteuerabzug bei Anzahlungen siehe BGH, Urt. v. 14.1.2015 – 1 StR 93/14, wistra 2015, 273 ff.

684 Der organisierten Umsatzsteuerhinterziehung in Form des sog. „Umsatzsteuerkarussellbetruges“ kommt in der Praxis eine hohe Bedeutung zu. Zum Begriff siehe BFH, Beschl. v. 29.11.2004 – BV B 78/04, wistra 2005, 233 ff.; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschaftsund Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 182; Eder, NWZiSt 2014, 90.

685 Der Begriff des Umsatzsteuerkarussells ist nicht legaldefiniert, sodass darunter unterschiedliche Sachverhaltsgestaltungen, namentlich der Kettenbetrug und die Fälle der planmäßigen Insolvenzen, gefasst werden können. Die in der 126

I. Anmeldungssteuern

Praxis anzutreffenden Gestaltungen können zudem die weitere Besonderheit aufweisen, dass verschiedene Lieferkreisläufe miteinander verkettet sein und die Beteiligten unterschiedliche „Rollen“ innehaben können. Vgl. ausführlich zum Kettenbetrug und zu planmäßigen Insolvenzen Muhler, wistra 2009, 7 ff.; vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 184 f.

In den Fällen des Umsatzsteuerkarussellbetruges nutzen die Täter systema- 686 tisch das Recht des Vorsteuerabzugs aus – nicht zuletzt zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen. Vgl. Muhler, wistra 2009, 2.

aa) Ablauf Gegenstand des Umsatzsteuerkarussellgeschäfts können Handelsgegenstän- 687 de, wie beispielsweise hochwertige Pkw, IT-Komponenten, Mobiltelefone sein. Die Lieferware muss nicht existent oder nicht dazu bestimmt sein, an einen Endkunden veräußert zu werden. Denkbar ist, dass die existente und zur Veräußerung an den Verbraucher bestimmte Ware mittels ungerechtfertigter Vorsteuererstattungen preiswerter veräußert wird, um andere steuerehrliche Unternehmer vom Markt zu drängen. Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 184; Eder, NZWiSt 2014, 91; Kaiser/Gurtner, PStR 2014, 122 m. w. N. zu gefährdeten Branchen.

Das Umsatzsteuerkarussell besteht aus grenzüberschreitenden Lieferungen, 688 die meistens in dem Mitgliedstaat enden, in dem sie beginnen. Die Abwicklung über innergemeinschaftliche Grenzen ist nicht zwingend, sie erleichtert aber die Verschleierung. Vgl. Reiß, UR 2002, 566; Gehm, NJW 2012, 1257; Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 182.

Zunächst erfolgt eine tatsächliche oder eine lediglich in Papierform darge- 689 stellte innergemeinschaftliche Lieferung eines EU-Ausländers an einen inländischen (Schein-)Unternehmer, den sog. „missing trader“ – „verschwundener Unternehmer“. Die innergemeinschaftliche Lieferung ist für den EUAusländer nach dem in seinem Land geltenden Umsatzsteuergesetz – nach der Parallelvorschrift zu §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a Abs. 1 Satz 1 UStG – steuerfrei. Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 185; Gehm, NJW 2012, 1257.

Von „außen“ betrachtet scheint es, als ob die Handelsware aus einem anderen 690 EU-Mitgliedstaat an einen Erwerber im Inland steuerfrei verkauft würde. Vgl. Muhler, wistra 2009, S. 3.

Der „missing trader“ erwirbt die Handelsware innergemeinschaftlich. Dieser 691 innergemeinschaftliche Erwerb führt nicht zu einer Umsatzsteuerbelastung

127

G. Taterfolg der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO

des „missing traders“, da dem Besteuerungstatbestand gemäß §§ 1 Abs. 1 Nr. 5, 1a UStG kraft Gesetzes der Vorsteuererstattungsanspruch gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG in gleicher Höhe gegenübersteht. Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 185.

692 In der Folge veräußert der „missing trader“ die Handelsware mit einem geringen Aufschlag an einen oder mehrere Abnehmer – den sog. „buffer“– „Puffer“ oder „Prellbock“. Der „buffer“ zieht den in der Rechnung des „missing trader“ ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag in der entsprechenden Umsatzsteuer-Voranmeldung als Vorsteuer ab. Vgl. Muhler, wistra 2009, S. 3; vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 185.

693 In der letzten „Lieferbewegung“ liefert der sog. „distributor“– auch als Exporteur bezeichnet – die von dem „buffer“ „erworbene“ Handelsware tatsächlich oder papiermäßig gemäß §§ 4 Nr. 1 Buchst. b, 6a Abs. 1 Satz 1 UStG umsatzsteuerfrei in den Ausgangsmitgliedstaat oder in ein anderes EU-Ausland. Der „distributor“ zieht den in der Rechnung des „buffer“ ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag in der entsprechenden Umsatzsteuer-Voranmeldung als Vorsteuer ab. Vgl. Muhler, wistra 2009, S. 3; vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 185.

694 Sobald die Handelsware in das Gemeinschaftsgebiet gelangt ist, kann das Karussell erneut zu kreisen beginnen: Die Handelsware wird im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung und spiegelbildlich im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs an einen „missing trader“ geliefert. Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 185.

695 Das Umsatzsteuerkarussell kann zur „Verbilligung“ einer tatsächlich bestehenden Handelsware führen. Falls die Ware lediglich in Papierform „bestand“, dient das Umsatzsteuerkarussell zur wiederholten Vorsteuerabschöpfung. Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 185.

bb) Beteiligte Personen und die steuerlichen und strafrechtlichen Auswirkungen (1) Missing Trader 696 Unter dem „missing trader“ ist „ein für MwSt.-Zwecke registrierter Unternehmer, der, möglicherweise in betrügerischer Absicht, Gegenstände oder Dienstleistungen ohne Zahlung der MwSt. erwirbt oder zu erwerben vorgibt und beim Weiterverkauf dieser Gegenstände oder Dienstleistungen MwSt. in Rechnung stellt, die geschuldete MwSt. aber nicht an die zuständige staatliche Stelle abführt“, zu verstehen. Vgl. Nr. 2 EG-VO Nr. 1925/2004.

128

I. Anmeldungssteuern

Bei dem „missing trader“ handelt es sich regelmäßig um ein steuerlich ge- 697 führtes (Schein-) Unternehmen – ein Einzelunternehmen oder eine GmbH. Die Notwendigkeit steuerlich erfasst zu sein, ergibt sich aus dem Umstand, dass der „missing trader“ eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer gemäß § 27a UStG benötigt, damit der EU-Ausländer eine umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an ihn bewirken kann. Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 185.

Die als „missing trader“ eingesetzten Personen entstammen oftmals dem un- 698 teren Sozialmilieu und sind typischerweise vermögenslos. Vgl. Muhler, wistra 2009, S. 3; Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 185. Denkbar ist zudem, dass die Personen nicht existieren und bei der Geschäftsführerbestellung ein falscher Pass vorgelegt oder ein Alias-Name benutzt wird.

Sie werden für den Umsatzsteuerbetrug angeworben und verfügen über keine 699 Erfahrung in der jeweiligen Branche. Vgl. Gehm, NJW 2012, 1257.

Der „missing trader“ reicht dem Tatplan entsprechend entweder keine Um- 700 satzsteuer-Voranmeldungen ein oder er reicht Umsatzsteuer-Voranmeldungen mit einer – aufgrund von fingierten Vorsteuern gegengerechneten geringen – Zahllast ein, um bei der Finanzbehörde als nicht prüfungsbedürftig eingestuft zu werden. Die Umsatzsteuerzahllast entrichtet er nicht. Vgl. Muhler, wistra 2009, S. 3; vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 185.

Der „missing trader“ ist lediglich in einem eng bemessenen Zeitraum tätig – 701 regelmäßig wird er nach Ablauf von einigen wenigen Monaten durch einen „neuen“ „missing trader“ ersetzt. Bis zur Einführung der Umsatzsteuernachschau gemäß § 27b UStG war es ihm somit möglich, sich dem Zugriff der Finanzbehörde zu entziehen, noch bevor sie ihn durch die Umsatzsteuersonderprüfung oder die Vollstreckungs- bzw. Erhebungsstelle als Scheinunternehmen enttarnen konnte. Die Feststellung, dass ein Scheinunternehmen vorliegt, ist notwendige Voraussetzung für die Nichtanerkennung des zu Unrecht gewährten Vorsteuerabzugs des angeblichen Leistungsempfängers, des „buffers“. Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 185.

Der „missing trader“ kann sich durch sein Verhalten in mehrfacher Weise 702 strafbar machen. Denkbar ist die Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO, § 26c UStG und Beihilfe zu den im Karussell nachfolgenden Straftaten. Vgl. Muhler, wistra 2009, S. 3.

Der „missing trader“ ist Unternehmer i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wenn 703 er eine gewerbliche und berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt.

129

G. Taterfolg der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO Vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 186.

704 Sofern die Lieferung der Handelsware lediglich papiermäßig erfolgt ist und der „missing trader“ nur Rechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis geschrieben hat, hat er kein „händlertypisches Verhalten“ entfaltet. So BGH, Urt. v. 22.5.2003 – 5 StR 520/02, wistra 2003, 344 ff.

705 Als Folge daraus schuldet er die ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG. Die Umsatzsteuer entsteht mit Ausgabe der Rechnung. Er hat daher gemäß § 18 Abs. 4b i. V. m. Abs. 4a UStG Voranmeldungen für die entsprechenden Voranmeldungszeiträume abzugeben und die Steuer für diese Umsätze zu erklären. Vgl. Muhler, wistra 2009, S. 3; vgl. Rolletschke, Steuerstrafrecht, Rn. 185.

706 Sofern die Handelsware tatsächlich existent war und „geliefert“ wurde, ist zu prüfen, ob der „missing trader“ den innergemeinschaftlichen Erwerb und die Weiterlieferung der Ware zu versteuern hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH ist kein innergemeinschaftlicher Erwerb beim „missing trader“ gegeben, da der Erwerb gemäß § 1a Abs. 1 Nr. 1 UStG eine Lieferung voraussetzt. So EuGH, Urt. v. 6.7.2006 – Rs c-439/04 und C-440/04 (Axel Kittel), wistra 2006, 177 ff.; So BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 48/04, UR 2007, 693 ff.

707 Eine solche Lieferung ist nicht gegeben, wenn sich der Steuerpflichtige zu einer eigenen Steuerhinterziehung in ein Umsatzsteuerkarussell einreiht. Im Besprechungsfall lag ein Fall zugrunde, wo ein buffer den Vorsteuerabzug begehrte, aber es ging auch um den Erwerb eines Gegenstandes, sodass die Urteile auf den „missing trader“ anwendbar sind.

708 Das Tatbestandsmerkmal der Lieferung setzt nicht nur die Verschaffung der Verfügungsmacht an einem Gegenstand voraus, sondern es wird vorausgesetzt, dass sich die Warenbewegung als wirtschaftliche Tätigkeit darstellt. § 3 Abs. 1 UStG/Art 5 Abs. 1 Richtlinie 77/388/EWG/Art 14 Abs. 1 Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie.

709 Nach dieser Rechtsprechung steht dem Erwerber das Recht zum Vorsteuerabzug nicht zu, wenn der Umsatz zwar den objektiven Kriterien einer Lieferung genügt und die Tätigkeit als wirtschaftliche Tätigkeit i. S. d. Richtlinie 77/388/EWG zu beurteilen ist, der Erwerber jedoch wusste oder wissen konnte bzw. hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war. Der auf den Missbrauch gerichtete Erwerb kann nicht als innergemeinschaftlicher Erwerb i. S. d. § 1a UStG angesehen werden, eine Umsatzsteuerpflicht wird ebenso wenig ausgelöst wie das Recht zum Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG. Auf die Situation des „missing trader“ angewandt be130

I. Anmeldungssteuern

deutet dies, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für die Umsatzsteuerhinterziehung durch die Weiterlieferung der aus dem Gemeinschaftsgebiet bezogenen Handelsware zustande kommt. Da sie keine Lieferung i. S. d. Umsatzsteuergesetzes darstellt, scheidet eine Steuerbarkeit gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG aus. Indem der „missing trader“ eine Rechnung mit gesondertem Umsatzsteuerausweis ausstellt, schuldet er die ausgewiesene Steuer gemäß § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG. Insoweit unterscheidet sich der Fall nicht von dem Sachverhalt, in dem die Tatbeteiligten auf die Warenbewegung verzichten und lediglich einen Rechnungskreislauf in Gang setzen. Vgl. Muhler, wistra 2009, 3 f.

Sofern der „missing trader“ entgegen seiner Verpflichtung gemäß § 18 Abs. 1 710 oder Abs. 4b UStG keine Umsatzsteuer-Voranmeldung abgibt, verwirklicht er durch die Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldung den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Verzichtet er lediglich darauf, die Umsätze aus dem Umsatzsteuerkarussellbetrug zu erklären, und erklärt andere Umsätze, erfüllt er durch die Abgabe der unvollständigen Umsatzsteuer-Voranmeldung den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Vgl. Muhler, wistra 2009, 4.

Die Vollendung der Steuerhinterziehung des „missing trader“ richtet sich 711 nach den dargestellten Grundsätzen. Wird durch die Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldung gemäß § 168 712 Satz 1 AO zu wenig Umsatzsteuer festgesetzt und ergibt sich dadurch eine zu geringe Zahllast, so ist die Steuerverkürzung i. S. d. § 370 Abs. 4 Satz 1 UStG gegeben. Sofern die fehlende Erklärung von Umsätzen die geltend gemachte Vorsteuervergütung erhöht, besteht wegen des zu beachtenden Kompensationsverbots der Taterfolg dennoch in der Umsatzsteuerverkürzung. Die Tat ist vollendet, wenn das Finanzamt der Steueranmeldung zustimmt. Vgl. Muhler, wistra 2009, 4.

Der Vorschrift des § 26c UStG entsprechend macht sich strafbar, wer in den 713 Fällen des § 26b UStG als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Handlungen verbunden hat, handelt. Durch die Vorschrift des § 26c UStG sollen diejenigen Fälle des Umsatzsteuerbetrugs erfasst werden, in denen zwar die im Umsatzsteuerkarussell abgewickelten Lieferungen in Umsatzsteueranmeldungen erklärt werden, die Umsatzsteuer aber dem Tatplan entsprechend nicht an die Finanzbehörde gezahlt wird. Vgl. Muhler, wistra 2009, 4.

Der „missing trader“ leistet einen Tatbeitrag zu den Umsatzsteuerhinter- 714 ziehungen der anderen Beteiligten, indem er den Ablauf der Lieferkette fördert. Durch diese Handlungsweise erfüllt er nach der Rechtsprechung des BGH die Tatbestandsvoraussetzungen der Beihilfe gemäß § 27 Abs. 1 StGB.

131

G. Taterfolg der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO So BGH, Beschl. v. 11.12.2002 – 5 StR 212/02, wistra 2003, 140; vgl. Muhler, wistra 2009, 4.

715 Die Mitwirkung des „missing traders“ an den nachfolgenden Steuerhinterziehungen des „buffer“ und des „distributors“ erreicht regelmäßig nicht den Grad der Mittäterschaft. Der Grund ist darin zu sehen, dass die Tatherrschaft über die durch unrichtige Steueranmeldungen begründeten Umsatzsteuerhinterziehungen der „buffer“ und des „distributors“ jeweils bei diesen Personen liegen. Vgl. Muhler, wistra 2009, 4.

716 Die Beihilfe zu den in der Lieferkette nachfolgenden Steuerhinterziehungen steht im Verhältnis zu den eigenen Steuerhinterziehungen des „missing trader“ im Verhältnis der Tatmehrheit gemäß § 53 StGB. Hinter die bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens gemäß § 26c UStG tritt die Beihilfe zu den Steuerhinterziehungen der anderen Bandenmitglieder zurück, weil die bandenmäßige Begehung von Steuerdelikten zwangsläufig gegenseitige Hilfeleistungen mit sich bringt. Vgl. Muhler, wistra 2009, 5.

(2) Buffer 717 Der „buffer“ ist ein Zwischenhändler und befindet sich in dem Karussell zwischen dem „missing trader“, der den innergemeinschaftlichen Erwerb verwirklicht und dem „distributor“, der durch die innergemeinschaftliche Lieferung die Rückführung der Handelsware in den Herkunfts-Mitgliedstaat veranlasst. Vgl. Muhler, wistra 2009, 5.

718 Seine Einschaltung ist für das Funktionieren des „Karussells“ nicht zwingend notwendig. Sie dient der Verschleierung bzw. der Abschirmung. Vgl. Gehm, NJW 2012, 1257.

719 Der „buffer“ hat nicht notwendig Kenntnis davon, dass er Teil eines Umsatzsteuerkarussells ist. Er nimmt die Vorsteuer aus der an ihn gerichteten Rechnung in Anspruch und erklärt die Umsatzsteuer aus der von ihm gestellten Rechnung in der entsprechenden Umsatzsteuer-Voranmeldung. Vgl. Muhler, wistra 2009, 5; Adick, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 17 Rn. 84.

720 Der „buffer“ kann sich durch sein Verhalten in mehrfacher Weise strafbar machen. Denkbar ist die Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO, § 26c UStG und Beihilfe zu den im Karussell nachfolgenden Straftaten. Vgl. Muhler, wistra 2009, 5.

721 Unabhängig davon, ob die Handelsware geliefert wird, besteht das steuerlich erhebliche Handeln des „buffers“ darin, dass er den Vorsteuerabzug vor132

I. Anmeldungssteuern

nimmt. Er macht in der Umsatzsteuer-Voranmeldung unrichtige Angaben, wenn er einen Vorsteuerabzug aus einer Rechnung des „missing trader“ oder eines „buffer“ vor ihm geltend macht, obwohl eine Lieferung nicht erfolgt ist und der Rechnungskreislauf lediglich vor dem Hintergrund des Umsatzsteuermissbrauchs konstruiert wurde. Selbst wenn die Handelsware existent war und eine Lieferbewegung stattgefunden hat, ist die „Lieferung“ das notwendige Tatbestandsmerkmal gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG, das für die zulässige Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs erfüllt sein muss. Den bereits dargestellten Gründen zu den Voraussetzungen der Lieferung kommt die weitere ungeschriebene Voraussetzung hinzu, dass der „buffer“ nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, wenn er wusste oder wissen konnte bzw. hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in ein Umsatzsteuerkarussell einbezogen war. Es muss daher gutgläubig davon ausgehen, es handele sich um eine „missbrauchsfreie“ Lieferung. Vgl. Muhler, wistra 2009, 5; ausf. Zur Versagung des Vorsteuerabzugs: Adick, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 17 Rn. 70 ff. Praxistipp: Zur Haftung gemäß § 25d UStG vgl. ausf. Hummel, UR 2014, 261 ff.

Der Taterfolg des bösgläubigen „buffer“ besteht darin, einen nicht gerecht- 722 fertigten Steuervorteil i. S. d. § 370 Abs. 4 Satz 2 AO zu erlangen. Der Umstand, dass er die Lieferung der Handelsware an das nächste Glied der Kette – „buffer“ oder „distributor“ – erklärt hat – unabhängig davon, dass nach der Rechtsprechung keine Lieferung im umsatzsteuerlichen Sinne vorliegt – lässt den Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht entfallen. So BFH, Urt. v. 19.4.2007 – V R 48/04, DStR 2007, 1524 ff.; vgl. Muhler, wistra 2009, 5.

Die Rechnung, die der „buffer“ mit gesondertem Umsatzsteuerausweis aus- 723 stellt, erfüllt den Tatbestand des § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG. Die Vorschrift des § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG lässt bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Berichtigung zu. Sie hat regelmäßig keinen Einfluss auf den Schuldspruch, sondern wird im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen sein. Vgl. Muhler, wistra 2009, 5 f.; ausf. Haumann, AO-StB 2014, 188 ff.

Der Hinterziehungsvorsatz des „buffers“ ist als gegeben anzunehmen, wenn 724 er aufgrund der Tatumstände damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass er an einem Umsatzsteuerkarussell teilnimmt und ihm dadurch das Recht auf einen Vorsteuerabzug nicht zusteht. Es ist nicht notwendig, dass er die Tatbestandsmerkmale juristisch richtig wertet. Vielmehr genügt es, dass er aufgrund der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ erkennt, dass seine Einbeziehung in die Lieferkette nicht wegen des wirtschaftlichen Gehalts der Lieferung, sondern lediglich aufgrund seines Auftretens als „Durchgangsstation“ sinnvoll ist. 133

G. Taterfolg der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO Vgl. Muhler, wistra 2009, 6. Praxistipp: Neue Vertragspartner sollten stets sorgfältig überprüft werden, bisherige Geschäftspartner regelmäßig. Eine Aufstellung geeigneter Maßnahmen findet sich bei Kaiser/Gurtner, PStR 2014, 123 ff. und Meyer-Burow/Connemann, UStB 2014, 356 ff.

725 Die Vorschrift des § 26c UStG kommt zur Anwendung, sofern der „buffer“ die in seiner Rechnung an das nächste Kettenglied ausgewiesene Umsatzsteuer zu dem maßgeblichen Fälligkeitszeitpunkt nicht oder nicht vollständig entrichtet. Vgl. Muhler, wistra 2009, 6.

726 Der bewusst in das Umsatzsteuerkarussell eingebundene „buffer“ fördert mit seinem Beitrag jeweils die Umsatzsteuerhinterziehung der anderen Beteiligten. Insoweit wird auf die Darstellung zum „missing trader“ verwiesen. (3) Distributor 727 Der „distributor“ veranlasst im Rahmen einer inngemeinschaftlichen Lieferung die Rückführung der Handelsware in den Herkunfts-Mitgliedstaat. 728 Das steuerlich erhebliche Handeln des „distributors“ besteht unabhängig davon ob die Handelsware tatsächlich oder papiermäßig geliefert wird, in der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs. Zu den Voraussetzungen der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs gilt das zum „buffer“ Dargestellte. 729 Sofern die Handelsware nicht geliefert und die Rechnung lediglich zum Zweck des Umsatzsteuermissbrauchs ausgestellt wurde, macht der „distributor“ unrichtige Angaben in der Umsatzsteuer-Voranmeldung, wenn er den Vorsteuerabzug aus der Rechnung des „buffer“ geltend macht. Im Fall der tatsächlichen Lieferung der Handelsware steht dem „distributor“ gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG der Vorsteuerabzug zu, sofern die Lieferung „missbrauchsfrei“ ist. Vgl. Muhler, wistra 2009, 6.

730 Die weiteren Ausführungen hierzu entsprechen denen zum „buffer“. 731 Die Vorschrift des § 26c UStG kommt beim „distributor“ nicht zur Anwendung, da er keine Rechnung mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer erstellt. 732 Der bewusst in das Umsatzsteuerkarussell eingebundene „distributor“ fördert mit seinem Beitrag jeweils die Umsatzsteuerhinterziehung der anderen Beteiligten und erfüllt somit den Tatbestand der Beihilfe gemäß § 27 Abs. 1 StGB. Insoweit wird auf die Darstellung zum „missing trader“ verwiesen.

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II. Veranlagungssteuern

2. Lohnsteuer Die Lohnsteuer stellt eine Fälligkeitsteuer dar, bei deren Hinterziehung die 733 rechtliche Vollendung und die tatsächliche Beendigung zusammenfallen. So BGH, Beschl. v. 15.12.1982 – 3 StR 421/82, wistra 1983, 70 f.

Die Lohnsteuer-Anmeldungen hat der Arbeitgeber regelmäßig gemäß § 41a 734 EStG am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums bei der Finanzbehörde einzureichen. Vgl. Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, S. 8.

Der Tatbestand der Lohnsteuerhinterziehung liegt vor, wenn der Arbeitge- 735 ber nicht gemäß § 41a EStG spätestens am zehnten Tag nach Ablauf des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums, der grundsätzlich gemäß § 41a Abs. 2 EStG den Kalendermonat darstellt, eine Lohnsteuer-Anmeldung abgibt. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber in der rechtzeitig eingereichten Lohnsteuer-Anmeldung zu niedrige Lohnsteuerbeträge angibt. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 410.

II. Veranlagungssteuern Veranlagungssteuern entstehen gemäß § 38 AO von Gesetzes wegen. Sie be- 736 dürfen für ihre Fälligkeit notwendigerweise der Festsetzung durch das Finanzamt gemäß § 155 Abs. 1, 220 Abs. 2 Satz 2 AO. Unter dem Begriff der „Veranlagung“ ist die Tätigkeit des Finanzamtes zu verstehen, durch die die geschuldete Steuer aufgrund der vom Steuerpflichtigen insbesondere in seiner Steuererklärung gemachten Angaben oder auf andere Art und Weise erlangten Informationen mittels förmlichen Steuerbescheids festgesetzt wird. Vgl. Birk, ZInsO 2007, 749.

Die Veranlagungssteuer wird durch die behördliche Festsetzung erhoben. Sie 737 ist nicht bereits mit der Abgabe der unrichtigen Steuererklärung gemäß § 149 AO, sondern mit dem Erlass des auf ihr beruhenden, zu niedrigen Steuerfestsetzungsbescheids verkürzt. So BGH, Urt. v. 20.5.1981 – 2 StR 666/80, BGHSt 30, 122 ff.; vgl. Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, S. 7.

1. Einkommensteuer/Körperschaftsteuer Die Steuerfestsetzung erfolgt gemäß §§ 155, 157 AO durch förmlichen, 738 schriftlichen und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Steuerbescheid. Für die Tatvollendung ist der Tag der Bekanntgabe des Bescheides, mit dem die Finanzbehörde die Steuern zu niedrig festgesetzt hat, maßgeblich.

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G. Taterfolg der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO So BGH, Beschl. v. 22.8.2012 – 1 StR 317/12, wistra 2013, 65 ff.; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 117. Praxistipp: Zur Bedeutung der 3-Tagesfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO vgl. Madauß, NZWiSt 2015, 141 f.; so BGH, Beschl. v. 7.8.2014 – 1 StR 198/14, wistra 2015, 17 f.

739 Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen bei der Einkommensteuer/Körperschaftsteuer ist zu dem Zeitpunkt vollendet, zu dem die zuständige Finanzbehörde die Veranlagungsarbeiten für den maßgeblichen Zeitraum allgemein abgeschlossen hat. In der Praxis ist dies der Zeitpunkt, in dem die Veranlagungsarbeiten zu etwa 95 % in der betreffenden Finanzbehörde allgemein erfolgt sind. So BGH, Beschl. v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294 f.; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 119; Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, S. 7 f.; zur Problematik der Steuerhinterziehung im Hinblick auf eine vGA vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 187 m. w. N.

2. Erbschaftsteuer/Schenkungsteuer 740 Das System der Erbschaft- und Schenkungsteuer prägt ein zweistufiges Verfahren: Die Vorschriften in den §§ 30 Abs. 1 und 2, 33, 34 ErbStG bestimmen die Personen, die die Pflicht trifft, Anzeige zu erstatten. Die Frist für die Anzeige beträgt drei Monate nach erlangter Kenntnis von dem Anfall. Nach besonderer Aufforderung durch die Finanzbehörde haben sie in einer zweiten Stufe eine Schenkung- bzw. Erbschaftsteuererklärung einzureichen. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 440; Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 186; Mustervordruck zur Anzeige siehe BGBl. I 1998 S. 2662.

741 Der Steuerpflichtige lasst die Finanzbehörde gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis, wenn er der Anzeigepflicht gemäß § 30 ErbStG, §§ 1 bis 11 ErbStDV nicht nachkommt. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 188.

742 Aufgrund der vielfältigen Ausnahmen von der Anzeigepflicht ist für die Feststellung in objektiver wie subjektiver Hinsicht besondere Sorgfalt anzuwenden. Vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 370 Rn. 337 f.

136

III. Nicht gerechtfertigte Steuervorteile

Der Steuerpflichtige macht unrichtige Angaben im Sine von § 370 Abs. 1 743 Nr. 1 AO, wenn er eine unrichtige oder unvollständige Erbschaft- bzw. Schenkungsteuererklärung abgibt. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 188.

Gleiches gilt, wenn er eine unrichtige Anzeige i. S. d. § 30 ErbStG einreicht, 744 denn er kann auf beiden Stufen eine Steuerhinterziehung begehen. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 186.

Sofern der Steuerpflichtige keine – vollständige – Anzeige bei der Finanzbe- 745 hörde einreicht und keine Erbschaftsteuererklärung/Schenkungsteuererklärung abgibt, ist für die Beurteilung, wann die Steuerhinterziehung be- und somit vollendet ist, auf eine hypothetische Betrachtungsweise abzustellen. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 189; vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 186.

Die Tat ist zu dem Zeitpunkt vollendet und beendet, zu dem die Veranla- 746 gung bei rechtzeitiger Anzeige der Schenkung oder Erbschaft frühestens bekannt geben worden wäre. So BGH, Beschl. v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, NJW 2011, 3249 ff.

Danach kann sich ein Zeitraum von vier Monaten ergeben.

747

Vgl. Esskandari/Bick, ErbStB 2012, 112; Halaczinsky, ErbStB 2013, 235; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 187.

Seit dem 1.11.2009 ist zu beachten, dass der Verwalter im eröffneten Verfahren 748 die ihm im Gesetz auferlegte Pflicht gemäß § 33 Abs. 1 ErbStG zu erfüllen hat. Er ist nach dem Tod des Insolvenzschuldners verpflichtet, die Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten schriftlich innerhalb eines Monats nach Kenntnis des Todesfalls dem für die Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt anzuzeigen. Das Unterlassen dieser Pflicht wird gemäß § 33 Abs. 4 ErbStG als Steuerordnungswidrigkeit mit Geldbuße geahndet. Vgl. Krüger, ZInsO 2010, 174.

III. Nicht gerechtfertigte Steuervorteile Der Begriff des Steuervorteils ist im Gesetz nicht definiert, wenn auch die 749 Vorschrift im § 370 Abs. 4 Satz 2 AO aufführt, dass jedenfalls Steuervergütungen die aufgrund eines steuerrechtlich erheblichen Verhaltens dem Täter zu Unrecht gewährt oder belassen wurden, Steuervorteile darstellen. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 123; so BGH, Urt. v. 6.6.1973 – 1 StR 82/72, BGHSt 25, 190 ff.; BGH, Urt. v. 27.9.2002 – 5 StR 97/02, wistra 2003, 20; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 120.

137

G. Taterfolg der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO

750 Der Steuervorteil darf nicht gerechtfertigt sein. Dies ist anzunehmen, wenn der Sachverhalt, der nach dem Gesetz die Voraussetzung für die Gewährung bildet, nicht vorliegt. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 44; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 125.

751 Steuervorteile können die nachstehend dargestellten sein: x

Vergütung von Vorsteuern So BGH, Urt. v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, wistra 1989, 226 ff.; BGH, Beschl. v. 23.3.1994 – 5 StR 91/94, wistra 1994, 195 f.

x

Niederschlagung gemäß § 261 AO Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 121.

x

Einstellung der Vollstreckung gemäß § 258 AO Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 121; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 192.

x

Unrichtiger Feststellungsbescheid zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns gemäß § 180 AO So BGH, Beschl. v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, wistra 2009, 114 ff.; vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 205 m. w. N.

x

Feststellung eines zu hohen vortragsfähigen Gewerbeverlustes gemäß § 10a GewStG So BGH, Beschl. v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294 f.

x

Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO streitig, Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 123 m. w. N. und Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 38.

x

Gewährung einer Fristverlängerung für die Abgabe der Steuererklärung gemäß § 109 AO

x

auf unrichtigen Angaben beruhende finanzgerichtliche Entscheidungen wegen der sich aus § 110 FGO ergebenden Bindungswirkung Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 123.

x

Herabsetzung einer Steuervorauszahlung So OLG Stuttgart, Urt. v. 11.6.1987 – 1 Ss 198/87, wistra 1987, 263; ausf. vgl. Kaligin, Betriebsprüfung und Steuerfahndung, S. 794 ff.

x

Stundung einer Steuer Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 124 f.

x

138

Abgabe einer unrichtigen eidesstattlichen Versicherung vor den Finanzbehörden.

IV. Kompensationsverbot

IV. Kompensationsverbot Für den Tatbestand der Steuerhinterziehung ist gemäß § 370 Abs. 4 Satz 3 752 AO unbedeutend, dass die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können. Als Folge daraus ist der Tatbestand der Steuerhinterziehung auch erfüllt, wenn wegen bislang unberücksichtigter steuerermäßigender Tatsachen kein Steueranspruch entsteht oder sich möglicherweise im Ergebnis ein Steuerguthaben ergibt. Vgl. Lohr, in: Volk, 20 Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen 14, § 32 Rn. 128.

Der Zweck der Vorschrift besteht darin, die lückenlose Aufklärung des steu- 753 erlichen Sachverhalts nicht im Rahmen des Steuerstrafverfahrens betreiben zu müssen. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 128.

In der Rechtsprechung des BGH ist eine Ausnahme von dieser Regelung zu 754 finden: Danach sollen die Umstände berücksichtigt werden, die mit den verschwiegenen steuererhöhenden Tatsachen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. So BGH, Urt. v. 5.2.2004 – 5 StR 420/03, wistra 2004, 147 ff.; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 128.

Daneben sind Ermäßigungsgründe und Steuervorteile, die wegen des Kom- 755 pensationsverbots keine Anwendung finden, im Rahmen der Strafzumessung zu beachten und strafmildernd zu berücksichtigen. Dem Täter einer Steuerhinterziehung sind somit nur die tatsächlichen steuerlichen Auswirkungen der Tat zur Last zu legen. So BGH, Urt. v. 5.2.2004 – 5 StR 420/03; wistra 2004, 147 ff.; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 129.

In der Praxis ist das Kompensationsverbot im Verhältnis der Umsatzsteuer 756 zu den entsprechenden Vorsteuern relevant. So ist es denkbar, dass aufgrund der Höhe der Vorsteuerbeträge keine Steuerschuld entsteht, der Tatbestand der Steuerhinterziehung aufgrund des Kompensationsverbots jedoch erfüllt ist. So FG Hamburg, Urt. v. 24.6.2005 – I 349/04, EFG 2005, 1579 ff.; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 132; Haumann, AO-StB 2014, 190 f.; Kaiser/Bangert, PStR 2015, 241; anders BFH, Urt. v. 21.5.2014 – V R 34/13, NZWiSt 2015, 111 ff. zum Verhältnis der USt bei innergemeinschaftlichem Erwerb und damit korrespondierender Vorsteuer.

139

G. Taterfolg der Steuerverkürzung gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO

757 Ein Kompensationsverbot besteht nicht bei Betriebseinnahmen mit den damit zusammenhängenden Aufwendungen. So BGH, Beschl. v. 20.7.1988 – 3 StR 583/87, wistra 1988, 356 f.

758 Gleiches gilt für vorgetäuschte Einnahmen im Verhältnis zu vorgetäuschten Betriebsausgaben. So BGH, Beschl. v. 15.11.1989 – 3 StR 211/89, wistra 1990, 59. Praxistipp: Der Täter kann sich nicht im Nachhinein darauf berufen, dass der Verkürzungserfolg statt durch Täuschung hypothetisch auch bei der Geltendmachung gesetzlich vorgesehener Ermäßigungsgründe eingetreten wäre. Der strafrechtlich relevante Verkürzungsbetrag stimmt vielfach nicht mit dem Betrag überein, der später als Nachzahlung festgesetzt wird. Vgl. Schuster, JZ 2015, 28.

V. Vorsätzliches Handeln 759 In subjektiver Hinsicht ist das vorsätzliche Handeln des Täters erforderlich. Die leichtfertige, namentlich die „erhöht-fahrlässige“ Steuerverkürzung stellt lediglich einen Ordnungswidrigkeitentatbestand dar. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 70.

760 Das Vorsatzerfordernis ergibt sich aus den §§ 15, 16 StGB. Danach entfällt bei fehlendem Vorsatz die Strafbarkeit. Vgl. Randt, Der Steuerfahndungsfall, Kap. D Rn. 61

761 Der Vorsatz bezeichnet die innere Einstellung des Täters zur Tat, das Wissen und Wollen der Herbeiführung der Steuerverkürzung. Vgl. Bielefeld, in: Festschrift Roxin, S. 400.

762 Er muss wissen, dass er durch seine Tathandlung eine Steuerverkürzung begeht. Dabei genügt es, dass er den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt und die steuerrechtliche Bedeutung zutreffend interpretiert, ohne dass ihm die steuerrechtlichen Einzelheiten bekannt sind. So BGH, Urt. v. 9.2.1995 – 5 StR 722/94, wistra 1995, 191 f.; vgl. Randt, Der Steuerfahndungsfall, Kap. D Rn. 62; vgl. Gaede, JA 2008, 91.

763 Nach dem materiellen Strafrecht ergeben sich grundsätzlich drei unterschiedliche Vorsatzformen. Diese Vorsatzformen sind die Absicht als gesteigerte Form des direkten Vorsatzes, auch dolus directus 1. Grades genannt, der direkte Vorsatz, auch dolus directus 2. Grades genannt und der Eventualvorsatz, auch dolus eventualis oder bedingter Vorsatz genannt. Vgl. Wessels/Beulke, Strafrecht Allgemeiner Teil, Rn. 210 ff.

140

V. Vorsätzliches Handeln

Für die Verwirklichung der Steuerstraftat genügt bereits der bedingte Vor- 764 satz. Ausführlich siehe Ransiek/Hüls, NStZ 2011, 678.

Für ihn gilt, dass ein möglicherweise rechtswidriger Erfolg vorausgesehen 765 und billigend in Kauf genommen wird. Vgl. Randt, Der Steuerfahndungsfall, Kap. D Rn. 63; so OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.3.2015 – 1 (4) Ss 560/14 – AK 206/14, wistra 2015, 325 ff.

Dies ist beispielsweise gegeben, wenn der Steuerpflichtige der Finanzbehörde 766 bewusst Tatsachen nicht offenbart, obwohl sich aus seiner Sicht als Laie ergibt, dass es zumindest möglich erscheint, dass die Finanz-verwaltung diesen Tatsachen eine steuerliche Relevanz beimisst. Vgl. Bilsdorfer, NJW 2010, 1432.

Die Finanzbehörde als Strafverfolgungsbehörde hat die vorsätzliche Bege- 767 hungsweise nachzuweisen. Vgl. Randt, Der Steuerfahndungsfall, Kap. D Rn. 63 und ausf. Müller, AO-StB 2015, 292 ff.

Die äußeren Umstände und Indizien lassen häufig den Rückschluss auf die 768 innere Tatseite zu. Vgl. Randt, Der Steuerfahndungsfall, Kap. D Rn. 64.

Je wahrscheinlicher der Taterfolg aus der Sicht des Täters ist und je nachläs- 769 siger er seinen steuerlichen Pflichten nachkommt, umso eher drängt sich die Inkaufnahme auf. So BGH, Urt. v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, wistra 2011, 465 ff.; vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 70.

Der Steuerpflichtige, der beispielsweise die Buchhaltung manipuliert hat, 770 wird daher nicht glaubhaft vortragen können, dass er nicht vorsätzlich gehandelt hat. Vgl. Randt, Der Steuerfahndungsfall, Kap. D Rn. 64.

141

H. Steuerordnungswidrigkeiten I. Leichtfertige Steuerverkürzung gemäß § 378 AO Die §§ 370, 378 AO stehen in einem Stufenverhältnis zueinander. Greift die 771 Vorschrift des § 370 AO nicht ein, weil der Vorsatz nicht festgestellt werden kann, so ist bei dem gesetzlich bestimmten Täterkreis – je nach Lage des Falles – eine leichtfertige Tatbegehung nach § 378 AO in Betracht zu ziehen. Diese Vorschrift wirkt in solchen Fällen wie ein Auffangtatbestand. So BGH, Urt. v. 13.1.1988 – 3 StR 450/87, wistra 1988, 196 f.; vgl. Leipold, in: Leipold/Widmaier/Volk/Beukelmann, Strafverteidigerpraxis, Rn. 610.

Nach Maßgabe des § 378 Abs. 3 AO wird zudem unter deutlich abgemilder- 772 ten Wirksamkeitsvoraussetzungen die Selbstanzeige ermöglicht. Der objektive Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung gemäß § 378 773 AO entspricht dem Tatbestand der vorsätzlichen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO. Gleiches gilt für die Tathandlung und den Taterfolg. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 218 ff.; Weyand, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 7 Rn. 889.

Der subjektive Tatbestand der Steuerverkürzung gemäß § 378 AO setzt 774 Leichtfertigkeit voraus. Die Leichtfertigkeit entspricht dem gesteigerten Grad von Fahrlässigkeit und ist vergleichbar mit der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht. So BFH, Beschl. v. 18.11.2013 – X B 82/12, BFH/NV 2014, 292 ff.; vgl. Bilsdorfer, NJW 2014, 1425; Krell, in: Füllsack/Adick, Fiskalstrafrecht, Kap. 7 Rn. 29, Bülte, in: Füllsack/Adick, Fiskalstrafrecht, Kap. 8 Rn. 135 ff.

Leichtfertig handelt, wer aus besonderem Leichtsinn oder besonderer Gleich- 775 gültigkeit fahrlässig handelt. Die Definition zur Leichtfertigkeit lautet, dass sie ein Verhalten unter Außerachtlassen der Sorgfalt bedeutet, zu der der konkrete Täter nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und im Stande ist. Dem Täter hätte sich bei genauerer Betrachtung aufdrängen müssen, dass durch sein Verhalten eine Rechtsgutverletzung eintreten wird. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 220; vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2014 – 1 StR 324/14, ZWH 2015, 113 ff.

Dabei ist die Gesamtbewertung des Verhaltens des Täters vorzunehmen.

776

So BFH, Beschl. v. 22.8.2011 – III B 4/10, BFH/NV 2011, 2092; vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 220; so BGH, Urt. v. 17.12.2014 – 1 StR 324/14, ZWH 2015, 113 ff.

Der Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung ist in die bewusste und 777 in die unbewusste Leichtfertigkeit zu differenzieren. Die bewusste Leichtfer-

143

H. Steuerordnungswidrigkeiten

tigkeit liegt demnach vor, wenn der Täter willentlich und in Kenntnis dessen handelt, dass er möglicherweise eine Steuerhinterziehung herbeiführt. Er billigt den Erfolg nicht und vertraut auf den Nichteintritt dieses Erfolges in ungewöhnlich hoher Leichtsinnigkeit. Die unbewusste Leichtfertigkeit ist gegeben, wenn der Täter aufgrund der pflichtwidrig ungewöhnlich hohen Sorglosigkeit die Möglichkeit des Eintritts der Steuerhinterziehung nicht wahrnimmt. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 223.

778 Von der Leichtfertigkeit ist die einfache Fahrlässigkeit zu unterscheiden. Der Steuerpflichtige handelt unbewusst fahrlässig, wenn der die gebotene Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Verhältnissen fähig und verpflichtet ist, nicht beachtet und die dadurch verursachte Gefahr bzw. die Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung nicht erkennt. Die gesteigerte Form der Fahrlässigkeit ist die bewusste Fahrlässigkeit. Bewusst fahrlässig handelt der Steuerpflichtige, wenn er die Gefahrenlage bzw. die Tatbestandsverwirklichung für möglich erachtet, aber individuell nach seinen persönlichen Verhältnissen pflichtwidrig und vorwerfbar im Vertrauen auf das Nichteintreten des Taterfolges handelt. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 224.

Beispiel: A unterlaufen wegen grober Unachtsamkeit Buchungsfehler, die Auswirkungen auf den Gewinn haben. Er wird in zu geringer Höhe erklärt. A handelt unbewusst leichtfertig. Vgl. Wenzler/Rübenstahl, Die Selbstanzeige, S. 154.

Beispiel: A führt keine Bücher, obwohl er weiß, dass er dazu verpflichtet ist. Er vertraut darauf, dass er den Gewinn trotzdem in richtiger Höhe ermittelt und gibt den so ermittelten Gewinn in der Erklärung an. Der Gewinn ist tatsächlich zu gering. A handelt bewusst leichtfertig. Vgl. Wenzler/Rübenstahl, Die Selbstanzeige, S. 154 Praxistipp: Schlamperei, Gleichgültigkeit oder Nachlässigkeit können den Vorwurf der Leichtfertigkeit rechtfertigen. Vgl. Wenzler/Rübenstahl, Die Selbstanzeige, S. 152; Perkams, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 18 Rn. 20.

779 Für steuerlich nicht kundige Personen ergibt sich eine Erkundigungspflicht, Geschäftsleute trifft in Bezug auf die beruflichen Steuerpflichten eine erhöhte Erkundigungspflicht. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 220; so BGH, Urt. v. 8.9.2011 – 1 StR 38/11, NZWiSt 2012, 71 ff.

144

II. Steuergefährdung gemäß § 379 AO

Sofern der Steuerpflichtige seine Erkundigungspflicht verletzt, kann der sub- 780 jektive Tatbestand der Leichtfertigkeit erfüllt sein. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 220 f.

Der Steuerpflichtige, der seinem Steuerberater die für die Erstellung der 781 konkreten Steuererklärung bzw. Steueranmeldung notwendigen Unterlagen und Informationen übergibt, wird straf- und bußgeldrechtlich nicht belangt werden, wenn dem Steuerberater in der Folge ein Versehen unterläuft und dieses für den Steuerpflichtigen zumindest bei der Unterzeichnung der Erklärung bzw. Anmeldung nicht offensichtlich ist. Den Steuerpflichtigen trifft nicht die Verpflichtung, die von dem Steuerberater erstellte Erklärung oder Anmeldung „in allen Einzelheiten“ zu prüfen und er kann insofern lediglich für die eigene Leichtfertigkeit gemäß § 378 AO zur Verantwortung gezogen werden, weil er beispielsweise die von seinem Berater gefertigte Erklärung ohne Prüfung unterschrieben hat. In der Praxis kann es schwierig sein herauszuarbeiten, welches die erforderlichen Informationen und Unterlagen sind, wenn der Fehler in der Steuererklärung oder Anmeldung auf ein Informationsdefizit bei dem Steuerberater zurückzuführen ist. So BFH, Urt. v. 29.10.2013 – VIII R 27/10 m. Anmerkungen Geuenich, BB 2014, 167; vgl. Lübbersmann, PStR 2014, 37 f.; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 221.

Die Strafverfolgungsbehörde wendet die Vorschrift des § 378 AO auf solche 782 Sachverhalte an, bei denen sich der bedingte Vorsatz nicht zweifelsfrei nachweisen lässt – dabei ist sicherlich zu beachten, dass die Leichtfertigkeit eine „vorsatznahe Schuldform“ ist. So BGH, Beschl. v. 13.12.2012 – 5 StR 542/12, NStZ 2013, 406 f.; vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 222.

Die Strafverfolgungsbehörde kann anhand des äußeren Geschehensverlaufs 783 auf das Vorliegen des subjektiven Tatbestandes der Leichtfertigkeit schließen. Sie sieht den Tatbestand beispielsweise häufig als erfüllt an, wenn hohe Steuerverkürzungen objektiv feststehen. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 223.

II. Steuergefährdung gemäß § 379 AO Die Vorschriften der §§ 379 ff. AO enthalten insbesondere Steuergefähr- 784 dungstatbestände, die, verglichen mit der Steuerhinterziehung oder der leichtfertigen Steuerverkürzung, Vorbereitungshandlungen darstellen. Vgl. Lammerding/Hackenbroch, Steuerstrafrecht, S. 127.

Vorbereitungshandlungen sind nicht strafbar, sie können nur einen Ord- 785 nungswidrigkeitstatbestand i. S. d. § 379 ff. AO darstellen. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 153; vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht,

145

H. Steuerordnungswidrigkeiten S. 226; siehe aber BGH, Beschl. v. 6.2.2014 – 1 StR 577/13, NZWiSt 2014, 432 ff. und Gehm, PStR 2014, 222 zur Abgrenzung der straflosen Vorbereitungshandlung und der versuchten Hinterziehung bei Einschaltung eines StB.

786 Die Steuergefährdungstatbestände werden als eigenständige Delikte geahndet. Sie treten jedoch als subsidiär zurück, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 370, 378 AO erfüllt sind. Vgl. Lammerding/Hackenbroch, Steuerstrafrecht, S. 127; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 226.

787 Die verschiedenen Tatbestände erfassen besonders typische Handlungen, die zur Vorbereitung der Steuerhinterziehung geeignet sind und damit das Steueraufkommen in besonderem Maße gefährden. Vgl. Lammerding/Hackenbroch, Steuerstrafrecht, S. 127; Perkams, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 18 Rn. 29.

788 Das tatbestandsmäßige Verhalten besteht in der Praxis regelmäßig darin, dass der Steuerpflichtige vorsätzlich oder leichtfertig falsche Bücher führt oder vorsätzlich oder leichtfertig falsche Bilanzen erstellt und die verfälschte Buchführung noch keinen Niederschlag in den Erklärungen gegenüber dem Finanzamt gefunden hat. Vgl. Lammerding/Hackenbroch, Steuerstrafrecht, S. 127.

789 Die bloßen Mängel in der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung unterfallen nicht der Regelung des § 379 AO. Die Vorschrift des § 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO betrifft die unrichtige Verbuchung bzw. die Nichtverbuchung von Geschäftsvorfällen. Das Bestimmtheitsgebot gemäß Art 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG steht einer erweiternden Auslegung entgegen. So AG Münster, Urt. v. 15.10.1998 – 14 OWi 44 Js 385/98, NStZ 1999, 573 f.; vgl. Jäger in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 379 Rn. 36 ff.; Klein, in: Klein, AO, § 379 Rn. 13.

790 Die Verjährungsfrist entspricht der der leichtfertigen Steuerverkürzung und beträgt gemäß § 384 AO fünf Jahre. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 231.

791 Die Höhe der Geldbuße kann gemäß § 379 Abs. 4 AO bis zu 5.000 € betragen. Praxistipp: Der Ordnungswidrigkeitentatbestand knüpft an die Tätigkeit der Buchführung an. Sofern der Berater sie ausführt, kommt er als Täter der Steuergefährdung in Betracht. Vgl. Kämpfer/Buhlmann, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 11 Rn. 23.

146

III. Gefährdung der Abzugsteuern gemäß § 380 AO

III. Gefährdung der Abzugsteuern gemäß § 380 AO Die Vorschrift des § 380 AO umfasst insbesondere den Lohnsteuerabzug 792 durch den Arbeitgeber gemäß §§ 38 ff. EStG. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 640.

Sie umfasst auch die Bauabzugsteuer gemäß §§ 48 ff. EStG und den Steuer- 793 abzug bei Kapitalerträgen gemäß §§ 43 ff. EStG. Die Vorschrift des § 380 AO ist ein Sonderdelikt, da den Tatbestand des 794 § 380 AO nur derjenige verwirklichen kann, der durch ein Steuergesetz verpflichtet ist, die Steuerabzugsbeträge einzubehalten und abzuführen. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 642.

Ordnungswidrig i. S. d. § 380 AO handelt, wer nicht, nicht vollständig oder 795 nicht rechtzeitig Steuerabzugsbeträge, für die ein Dritter Steuerschuldner ist, einbehält oder abführt. Es genügt, dass der Steuerpflichtige einer der beiden Pflichten nicht nachkommt. Der Zeitpunkt, zu dem die Steuerabzugsbeträge abzuführen sind, richtet sich nach dem jeweiligen Steuergesetz, bei der Lohnsteuer ist er der Vorschrift des § 41a EStG zu entnehmen. Danach ist die Lohnsteuer grundsätzlich spätestens am 10. Tag nach Ablauf eines jeden Kalendermonats abzuführen. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 644 ff.

Der Steuerpflichtige muss vorsätzlich oder leichtfertig handeln. Sein Vorsatz 796 muss sich auf die pflichtbegründenden Umstände erstrecken und er muss diese Umstände zumindest in ihrer Bedeutung erkennen. Es genügt, dass er die rechtswidrige Nichtabführung der Steuer gewollt oder sie zumindest gebilligt hat. Der Vorsatz entfällt, wenn der Steuerpflichtige glaubt, aufgrund bestehender Guthaben aus anderen Steuerarten eine Gegenforderung gegenüber der Finanzbehörde aufrechnen zu können. Er handelt leichtfertig, wenn er die Sorgfalt in besonders grobem Maße außer Acht lässt, zu der er nach den jeweiligen Umständen und seinen persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und in der Lage gewesen wäre. Von dem Steuerpflichtigen wird erwartet, dass er sich über die steuerlichen Pflichten, die ihn betreffen, informiert. Die Zahlungspflicht bleibt grundsätzlich auch bei Liquiditätsschwierigkeiten bestehen. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 650 ff.

Eine strafbefreiende Selbstanzeige ist für die Ordnungswidrigkeit gemäß 797 § 380 AO nicht möglich. Vgl. Jäger/Ebner, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 380 AO Rn. 47; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 231.

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H. Steuerordnungswidrigkeiten

798 Die Verfolgung dieser Ordnungswidrigkeit steht gemäß § 47 OWiG im Ermessen der Strafverfolgungsbehörde. Von der Durchführung eines Bußgeldverfahrens kann abgesehen werden, wenn der gefährdete Abzugsbetrag weniger als 1.500 € beträgt. Vgl. Nr. 104 AStBV (St) 2014; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 661.

799 Sofern ein Bußgeldverfahren eingeleitet wird, kann gemäß § 377 Abs. 2 AO i. V. m. § 17 Abs. 1 OWiG eine Geldbuße von mindestens 5 € festgesetzt werden. Sie kann gemäß § 380 Abs. 2 AO bis zu höchstens 25.000 € betragen. Bei einer leichtfertigen Begehungsweise beträgt das Höchstmaß der Geldbuße gemäß § 380 Abs. 2 i. V. m. § 17 Abs. 2 OWiG 12.500 €. Die Höhe der Geldbuße bemisst sich nach dem vorwerfbaren Verhalten des Täters, dem sachlichen Umfang der Tat und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters. Sie soll den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter erlangt hat, übersteigen. Das Höchstmaß kann gemäß § 17 Abs. 4 Satz 2 OWiG überschritten werden. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 655.

800 Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 384 AO fünf Jahre. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 660; vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht S. 233.

IV. § 26a UStG 801 Die Vorschrift des § 26a UStG wurde als Bußgeldvorschrift durch das BinnenmarktG vom 25.8.1992 eingeführt. BGBL I 1992, 1548; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 471.

802 Nach dieser Vorschrift können vorsätzlich oder leichtfertig begangene Verstöße gegen die Vorschriften in §§ 14, 14b, 18 bis 18a, 18c bis 18d UStG mit einer Geldbuße bis zu 500 € bzw. bis zu 5.000 € geahndet werden. 803 Die Vorschrift hat so gut wie keine praktische Bedeutung, sodass keine weiteren Ausführungen erfolgen. Ausführlich vgl. Kemper, UR 2014, 673 ff.

V. Schädigung des Umsatzsteueraufkommens gemäß § 26b UStG 804 Die Vorschrift des § 26b UStG wurde – wie die Vorschrift des § 26c UStG – durch das StVerkürzungsbekämpfungsG vom 19.12.2001 in das Umsatzsteuergesetz aufgenommen. Anlass für die Einführung dieser Vorschrift war die Aufdeckung zahlreicher Betrügereien in Form der sog. Karussellgeschäfte. Der Gesetzgeber beschloss in diesem Gesetz umfangreiche Maßnahmen „zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, zur Wahrung der Steuergerechtigkeit, zur

148

VI. § 26c UStG

Gewährung eines wettbewerbsneutralen Umsatzsteuersystems und zur Sicherung des Steueraufkommens“. Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz v. 19.12.2001, BGBl I 2001, 3922.; BT-Drucks. 14/6833.

Die Nichtzahlung oder die nicht vollständige Entrichtung der in einer Rech- 805 nung ausgewiesenen Umsatzsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt erfüllt den objektiven Tatbestand des § 26b UStG. Vgl. Reiß, UR 2002, 566.

Diese Ordnungswidrigkeit ist mit einer Geldbuße i. H. v. bis zu 50.000 € be- 806 droht. Nach dem Gesetzeswortlaut ist es unerheblich, ob die Zahlung aus Unachtsamkeit unterblieben ist. Bei entschuldbarer Nichtentrichtung der Umsatzsteuer, wie sie beispielsweise bei einer Unachtsamkeit möglich ist, ist es denkbar das Verfahren gemäß § 47 OWiG einzustellen. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 472 f.

Die Vorschrift des § 26b UStG dient dazu, eine Gesetzeslücke zu schließen. 807 Das schlichte Nichtzahlen der Umsatzsteuer löst zwar Säumniszuschläge gemäß § 240 AO aus, es erfüllt nicht den Tatbestand der Steuerhinterziehung i. S. d. § 370 AO. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 472.

Der Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 26b UStG tritt gemäß § 21 OWiG 808 zurück und wird gemäß § 26c UStG zum Straftatbestand, wenn hierdurch gewerbs- oder bandenmäßig das Umsatzsteueraufkommen geschädigt wird. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 58.

VI. § 26c UStG Nach der Vorschrift des § 26c UStG wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren 809 oder mit Geldstrafe bestraft, wer in den Fällen des § 26b UStG gewerbsmäßig handelt. Die gleiche Sanktion gilt für den Täter, der als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Handlungen verbunden hat, handelt. Zu § 26c UStG siehe BGBl I 2005, 425.

Nach der Intention des Gesetzgebers soll eine Regelungslücke für die Fälle 810 geschlossen werden, in denen eine Bestrafung wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO mangels Erfüllung des objektiven Tatbestandes nicht möglich war. So BGH, Beschl. v. 15.5.1997 – 5 StR 368/06, wistra 2006, 66.

Dies wurde insbesondere im Rahmen von Umsatzsteuerkarussellgeschäften 811 systematisch ausgenutzt, indem die Täter den Formerfordernissen entspre-

149

H. Steuerordnungswidrigkeiten

chende Umsatzsteuer-Voranmeldungen bzw. -jahreserklärungen abgaben, jedoch die angemeldete Steuerschuld nicht abführten. 812 Zur Definition der Begriffe „gewerbsmäßig“ und „bandenmäßig“ ist ein Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze erforderlich. 813 Nach der ständigen Rechtsprechung handelt gewerbsmäßig, wer sich aus der wiederholten Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang verschafft. So BGH, Urt. v. 22.5.2012 – 1 StR 103/12, wistra 2012, 350 ff.; vgl. Reiß, UR 2002, 568.

814 Eine bandenmäßige Tatbegehung setzt demgegenüber voraus, dass sich eine Gruppe von mindestens drei Personen ausdrücklich oder stillschweigend zusammengefunden hat, um künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Delikttyps zu begehen. So BGH, Urt. v. 2.4.2008 – 5 StR 29/08, wistra 2008, 265 f.; BGH, Urt. v. 12.10.1988 – 3 StR 194/88, wistra 1989, 107 f.

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I. Ablauf des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens I. Ermittlungsanlass Die Voraussetzung für die Erforschung von Steuerstraftaten gemäß § 208 815 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO seitens der Steuerfahndung ist das Vorliegen des Anfangsverdachts – auch Tatverdacht genannt – gemäß § 386 Abs. 1 Satz 1 AO sowie die Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gemäß § 397 AO. Die Finanzbehörde ist aufgrund des in der Vorschrift des § 385 Abs. 1 AO i. V. m. §§ 152, 160 StPO verankerten Legalitätsprinzips verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit bei Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte ohne Ansehen der Person wegen aller verfolgbaren Straftaten vorzugehen. So BVerfG, Beschl. v. 23.7.1982 – 2 BvR 8/82, NStZ 1982, 430.

Die nachstehenden Ausführungen zeigen auf, welche Mitteilungen Anlass 816 für die Annahme des Anfangsverdachts und für die Aufnahme von steuerstrafrechtlichen Ermittlungen sein können. Anzeigen können, unabhängig davon, ob sie anonym erfolgen oder der An- 817 zeigenerstatter namentlich bekannt ist, eine hohe Informationsdichte besitzen. Sie sind grundsätzlich dazu geeignet, einen Anfangsverdacht zu begründen. Vgl. Peters, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: November 2014, § 397 AO Rn. 10 f.

Von diesen werthaltigen Anzeigen sind die unsubstantiierten Anzeigen zu 818 unterscheiden. Dies ist beispielsweise gegeben, wenn der Anzeigenerstatter mitteilt, dass sein Nachbar regelmäßig an den Samstagen mit einem „Blaumann“ bekleidet wegfahre und er diesen Umstand zum Anlass nimmt, vorauszusetzen, der Nachbar arbeite nebenbei und gebe diese Einnahmen nicht in der Steuererklärung an. Solche Anzeigen sind regelmäßig nicht dazu geeignet, einen einfachen Tatverdacht zu begründen und ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 669.

Der einfache Tatverdacht setzt das Vorliegen konkreter Tatsachen voraus, 819 die es nach kriminalistischer Erfahrung als möglich erscheinen lassen, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 1064; Vogelberg, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, S. 332; so BGH, Urt. v. 21.4.1988 – III ZR 255/86, ZIP 1988, 921 = NStZ 1988, 510; BVerfG v. 8.11.1983 – 2 BvR 1138/83, NJW 1984, 1451.

Steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren können aus einem Besteuerungs- 820 verfahren resultieren.

151

I. Ablauf des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Vgl. Quedenfeld in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 692; Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 3.

821 Der Anlass für die Aufnahme steuerstrafrechtlicher Ermittlungen können Feststellungen der Prüfungsdienste der Finanzbehörde, wie beispielsweise der Lohnsteueraußen- oder der Umsatzsteuersonderprüfung sowie der Betriebsprüfung, aber auch Feststellungen des Veranlagungsbezirks sein. Vgl. Peters, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: November 2014, § 397 AO Rn. 12.1 ff.; Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 670.

822 Einen weiteren Ermittlungsanlass bewirken (umgekehrte) Kontrollmitteilungen. Vgl. Brinkmann, StBp 2007, 331; Dörn, DStZ 1999, 245 f., 247; Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 3.

823 Die Kontrollmitteilungen stellen routinemäßig vorgenommene Niederschriften über Feststellungen der Verhältnisse anderer als der geprüften Person selbst dar. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 671; vgl. Kürzinger, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 310.

824 Die Finanzbehörde erstellt typischerweise Kontrollmitteilungen bei unüblichen Zahlungsvorgängen, wie Scheckzahlungen oder Barzahlungen in außergewöhnlicher Höhe. Gleiches gilt bei Vorliegen ungewöhnlicher Belege beispielsweise hinsichtlich ihrer Aufmachung, bei Zweifeln am korrekten Inhalt oder wenn die Belege den Anschein erwecken, dass es sich um Gefälligkeitsbelege handelt. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 672.

825 Über die Suchmaschine X-Pider kann sie beim Bundeszentralamt für Steuern nach Steuerstraftaten durch E-Commerce im Internet forschen. Zu X-Pider siehe ausführlich bei Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 3; Kohlmann, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Juli 2007, § 385 AO Rn. 181.

826 So erhält sie Kontrollmaterial über elektronisch angebotene Dienstleistungen, wie beispielsweise Ebay-Auktionen. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 687.

827 Weitere Ermittlungsanlässe können Auskünfte sein, die die Steuerfahndung bei Banken im Rahmen von Vorfeldermittlungen im Besteuerungsverfahren einholt. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 678.

152

II. Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

Die Ergebnisse von Außenprüfungen in den einzelnen Geschäftsbranchen 828 der Industrie und des Handwerks dienen sowohl zur Erstellung der Richtsatzsammlung als auch als Arbeitsgrundlage für die Steuerfahndung. Die Steuerfahndungsbeamten tauschen sich über branchentypische Erfahrungen in der Zeitschrift „Zentrale Fahndungsnachrichten (ZFN)“ aus und auf gemeinsamen Tagungen, die zu gezielten Prüfungen ganzer Berufszweige führen können. Branchenspezifische Prüfungen erfolgen in der Fahrzeugbranche, der Gastronomiebranche und bei den Freiberuflern. Die Steuerfahndung hat zudem Kenntnis über typische Hinterziehungsfelder, die in allen Branchen zu finden sind, insbesondere im Schrotthandel, in der Textilbranche, im Bauhaupt- und Baunebengewerbe sowie im „Rotlicht-Milieu“, in Goldscheideanstalten und bei freischaffenden Mitarbeitern aus der IT-Branche, den sog. Freelancern. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 684.

Die Beamten der Steuerfahndung erhalten Informationen aus dem Bereich 829 der Polizei- und Ordnungsbehörden, der Staatsanwaltschaft und der Strafgerichtsbarkeit über Wirtschaftskriminalität. Aus dem Bereich der Zivilgerichtsbarkeit erhalten sie Kenntnis über die Offenlegung von „Schwarzlohnzahlungen“ in Arbeitsgerichtsprozessen sowie von Vermögenswerten in Scheidungsverfahren oder bei Erbstreitigkeiten. Vgl. Braun, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 689.

Die Steuerfahndung erhält weitere Informationen aufgrund von Erkenntnissen 830 von Grenzkontrollen der Bundespolizei sowie aus der Überwachung des grenzüberschreitenden Bargeldverkehrs durch Einführung der „mobilen Steuerfahndung“. II. Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Die Staatsanwaltschaft leitet dem Legalitätsprinzip des § 152 Abs. 2 StPO 831 entsprechend das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren ein, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat vorliegen. Die Vorschrift des § 152 Abs. 2 StPO gilt in gleicher Weise für die Finanzbehörde, die bei dem Verdacht der Steuerhinterziehung als unselbstständiges Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft gemäß § 386 Abs. 1 AO tätig wird. Vgl. Guntermann, Stbg 2014, 39.

Die Entscheidung, einen Anfangsverdacht i. S. d. § 152 Abs. 2 StPO anzu- 832 nehmen, ist keine Ermessensentscheidung, auch wenn ein gewisser Beurteilungsspielraum – vergleichbar wie bei der Entscheidung über die Anklageerhebung – gegeben ist. Der Anfangsverdacht liegt vor, wenn es nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheint, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt.

153

I. Ablauf des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

Bloße Vermutungen rechtfertigen nicht, jemandem eine Tat zur Last zu legen. Vielmehr müssen konkrete Tatsachen dafür vorliegen. Vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner, StPO, § 152 Rn. 4; vgl. Mellinghoff, Stbg 2014, 99; Weyand, in: Eidam, Unternehmen und Strafe, Kap. 7 Rn. 900 f.

833 Die Vorschrift des § 385 Abs. 1 AO regelt, dass das Steuerstrafverfahren mit Ausnahme von den in der Abgabenordnung enthaltenen steuerstrafrechtlichen Sonderregelungen ein „normales“ Strafverfahren ist. Er beginnt mit dem Erkenntnisverfahren, an dessen Anfang das Ermittlungsverfahren steht. Vgl. Kohlmann, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Juli 2007, § 385 AO Rn. 22 ff.

834 Die Straf- und Bußgeldsachenstelle leitet gemäß § 397 AO das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren ein, sofern der Anfangsverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO für das Vorliegen einer Steuerstraftat gegeben ist. Sie beauftragt die Steuerfahndung damit, die Straftat und die dazu gehörenden Besteuerungsgrundlagen gemäß §§ 208 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Nr. 2 AO zu ermitteln. Vgl. Quedenfeld, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 693; Vogelberg, in: Simon/Wagner, Steuerstrafrecht, S. 269.

835 Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze steht zu Beginn der Ermittlungen im Steuerstrafverfahren möglicherweise nicht die förmliche Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens, sondern es erfolgt die strafprozessuale Zwangsmaßnahme der Durchsuchung und Beschlagnahme. Diese Maßnahme kann notwendig sein, da es der Eigenart der Steuerdelikte entspricht, dass sich ihre Begehung regelmäßig urkundlich niederschlägt – die Einzahlung von nicht verbuchten Einnahmen auf einem Bankkonto, das Nichtverbuchen gestellter Rechnungen, das Verbuchen von Scheinrechnungen usw. sind aus Kontoauszügen und Buchhaltungsunterlagen ersichtlich. Vgl. Quedenfeld, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 699.

836 Die Ermittlungen richten sich darauf, diese Unterlagen als Erkenntnisquelle und Beweismittel zu sichern, da das vordringliche Ziel eines jeden Ermittlungsverfahrens die Beschaffung von Beweismitteln ist. Vgl. Kohlmann, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Juli 2007, § 385 AO Rn. 133.

III. Durchsuchung beim Insolvenzverwalter als Dritten gemäß § 103 StPO 837 Die Strafverfolgungsbehörde verfügt häufig über Hinweise für das Vorliegen einer Steuerstraftat, beispielsweise aufgrund der Mitteilungen der Insolvenzgerichte, der Auskünfte von Sozialversicherungsträgern oder aufgrund von

154

III. Durchsuchung beim Insolvenzverwalter als Dritten gemäß § 103 StPO

Hinweisen Dritter, wie z. B. Geschäftspartnern, Kunden, Lieferanten oder auch Gläubigern. Vgl. Weyand, ZInsO 2008, 25 f.

Die für den Tatnachweis regelmäßig notwendigen Geschäftspapiere oder 838 Buchhaltungsunterlagen liegen allerdings nicht vor. Die Strafverfolgungsbehörde kann zur Erzwingung der Herausgabe von Beweismitteln auf die üblichen strafprozessualen Instrumentarien, insbesondere die Durchsuchung und die Beschlagnahme zurückgreifen. Vgl. Leipold, in: Leipold/Widmaier/Volk/Beukelmann, Strafverteidigerpraxis, Rn. 698.

Die Regelungen in den §§ 94 ff. StPO betreffen die Zwangsmaßnahmen u. a. 839 zur Erlangung und Sicherung von Beweismitteln. Bei diesen Zwangsmaßnahmen, die wie alle strafprozessualen Zwangsmaßnahmen nur unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angeordnet und vorgenommen werden dürfen, handelt es sich um Eingriffe in Grundrechte – insbesondere in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 Abs. 1 GG. So LG Saarbrücken, Beschl. v. 12.3.2013 – 2 Qs 15/13, StuB 2013, 715; vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner, StPO, Vor § 94 Rn. 1; auch die beruflich genutzten Räume sind geschützt; so LG Ulm, Beschl. v. 15.1.2007 – 2 Qs 2002/07 Wik, ZInsO 2007, 827 f. mit Anm. Menz, ZInsO 2007, 828; LG Saarbrücken, Beschl. v. 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, ZIP 2010, 1767 ff.; BVerfG, Beschl. v. 18.9.2008 – 2 BvR 683/08, ZIP 2008, 2027 = ZInsO 2008, 1267, dazu EWiR 2009, 21 (Schork/Kind) ff.; Joecks, StPO, § 103 Rn. 12.

Die Vorschrift des § 103 StPO enthält Anweisungen zu der Zulässigkeit der 840 Durchsuchung bei anderen Personen. Andere Personen im Sinne dieses Gesetzes sind nicht tat- oder teilnahmeverdächtige Personen. Vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner, StPO, § 103 Rn. 1.

Dies gilt auch für den unverdächtigen Insolvenzverwalter.

841

Der Durchsuchungsbeschluss gegen den Insolvenzverwalter und dessen Kanz- 842 lei ergeht daher auf der Grundlage gemäß §§ 103, 105 StPO. Das Gericht kann anordnen, dass die Durchsuchung durch die freiwillige Herausgabe der Unterlagen abgewendet werden kann. Gegen den Durchsuchungsbeschluss ist das Rechtmittel der Beschwerde gemäß §§ 304 ff. StPO gegeben. Nach Beendigung der Durchsuchung kann mit der Beschwerde die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung beantragt werden. Vgl. Stiller, ZInsO 2011, 1633.

Die Durchsuchung dient der Auffindung von Gegenständen – Beweismittel 843 –, die der Beschlagnahme unterliegen.

155

I. Ablauf des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

Beispiel für Gegenstände: Bewegliche Sachen jeder Art, auch Datenträger und Computerausdrucke sowie digital gespeicherte Informationen. 844 Die gesuchten Beweismittel müssen hinreichend individualisiert sein. Sie müssen zwar nicht notwendig in allen Einzelheiten in dem Durchsuchungsbeschluss beschrieben sein. Für den von der Durchsuchung Betroffenen und für die vollziehenden Beamten muss erkennbar sein, auf welche zumindest gattungsmäßig konkretisierten Gegenstände die Suche beschränkt sein soll. So BVerfG, Beschl. v. 16.4.2015 – 2 BvR 440/14, wistra 2015, 307 f.; LG Koblenz, Beschl. v. 27.10.2014 – 4 Qs 66/14, StraFo 2014, 510 f.

845 Die von der Durchsuchung betroffene nicht tatverdächtigte Person muss aus dem Beschluss auch entnehmen können, weshalb mit dem Auffinden von Beweismitteln ausgerechnet in ihren Räumen zu rechnen ist. So LG Koblenz, Beschl. v. 27.10.2014 – 4 Qs 66/14, StraFo 2014, 510 f.

846 Nach Art. 13 Abs. 2 GG ist es zulässig, von dem Vollzug einer Durchsuchungsmaßnahme vorläufig abzusehen. Die Befugnis der Staatsanwaltschaft, von der erteilten Durchsuchungsanordnung nach ihrem Ermessen zu einem späteren Zeitpunkt Gebrauch zu machen, erfährt ihre Begrenzung durch objektive Merkmale. Welchen Zeitraum die richterliche Durchsuchungsanordnung die Durchführung einer konkreten Durchsuchungsmaßnahme trägt, richtet sich beispielsweise nach der Art des Tatverdachts oder auch der Schwierigkeit der Ermittlungen. Spätestens nach Ablauf eines halben Jahres ist davon auszugehen, dass die richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleistet. Der Durchsuchungsbeschluss hat seine rechtfertigende Kraft verloren und die Durchsuchungsermächtigung bedarf erneuter richterlicher Prüfung. Eine nach Ablauf von einem halben Jahr vorgenommene Durchsuchung stellt sich als eigenständiger, nicht mehr auf die richterliche Gestattung zurückführbarer Grundrechtseingriff dar. Er ist durch Art. 13 Abs. 2 GG nur bei Gefahr im Verzug gestattet. So BVerfG, Beschl. v. 27.4.1997 – 2 BvR 1992/92, wistra 1997, 223 ff.

847 Die bei dem unverdächtigen Insolvenzverwalter befindlichen Gegenstände unterliegen – von Ausnahmen abgesehen – nicht dem Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 Abs. 1 StPO i. V. m. § 53 StPO. Vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner, StPO, § 94 Rn. 20; so LG Suttgart, Beschl. v. 15.11.1983 – 10 Qs 139/83, Justiz 1984, 62, Weyand ZinsO 2008, 26.

848 Der Insolvenzverwalter steht aufgrund seiner hoheitlichen Bestellung in einem hoheitlichen Verhältnis zum Schuldner. Dieses Verhältnis ist durch eine ob156

III. Durchsuchung beim Insolvenzverwalter als Dritten gemäß § 103 StPO

jektiv-neutrale Amtsausübung i. S. d. § 56 Abs. 1 InsO gekennzeichnet und steht nicht in einer Vertrauensbeziehung i. S. d. § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO, die die Gewährung besonderer Zeugnisverweigerungsrechte gebieten würde. So LG Ulm, Beschl. v. 15.1.2007 – 2 Qs 2002/07, NJW 2007, 2056 ff. mit Anm. Schork, NJW 2007, 2057; LG Ulm, Beschl. v. 15.1.2007 – 2 Qs 2002/07 Wik, ZInsO 2007, 827 f. mit Anm. Menz, ZInsO 2007, 828; Weyand, ZInsO 2008, 24 f.

Die Vorschrift in § 53 Abs. 1 StPO schützt das besondere Vertrauensver- 849 hältnis zwischen den aufgeführten Berufsangehörigen und den Personen, die auf diesem Tätigkeitsfeld deren Sachkunde in Anspruch nehmen und somit freiwillig ein Mandatsverhältnis begründen. Praxistipp: Sofern der Insolvenzverwalter gleichzeitig als Rechtsanwalt tätig ist, hat er die Tätigkeitsbereiche gegeneinander abzugrenzen, sodass sich seine verschiedenen Formen der Berufsausübung nicht gegenseitig beeinträchtigen. So LG Saarbrücken, Beschl. v. 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, ZIP 2010, 1767 ff.

Die Durchsuchung ist gemäß § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO nur zulässig, wenn 850 Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass bestimmte, als Beweismittel dienende Gegenstände sich in den zu durchsuchenden Räumen befinden. Vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner, StPO, Vor § 94 Rn. 4; so LG Berlin, Beschl. v. 9.4.2008 – 523 Qs 35/08, ZInsO 2008, 865; Tsambikakis/Putzke, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, § 393 AO Rn. 55.

Jede Durchsuchungsanordnung steht aufgrund ihrer Grundrechtsbezogen- 851 heit unter dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. So BVerfG, Beschl. v. 5.5.2011 – 2 BvR 1011/10, NJW 2011, 2275 f.; vgl. Stiller, ZInsO 2011, 1634 m. w. N. zum Erlöschen der Eilkompetenz der Ermittlungsbehörde bei einer Durchsuchungsanordnung, die bei Gericht beantragt wurde, siehe BVerfG, Beschl. v. 16.6.2015 – 2 BvR 2718/10, 2 BvR 1849/11, 2 BvR 2808/11, NJW 2015, 2787 ff. und Retemeyer/Möller, PStR 2015, 279.

Aufgrund der Unverdächtigkeit des Anordnungsadressaten sind erhöhte An- 852 forderungen an diesen stets zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu stellen. So LG Neubrandenburg, Beschl. v. 9.11.2009 – 8 Qs 190/09, NJW 2010, 691 f.; LG Dresden, Beschl. v. 27.11.2013 – 5 Qs 113/13, 5 Qs 123/13, ZIP 2013, 2473 f.

Andernfalls liegt ein Verstoß gegen das Übermaßverbot mit der Folge vor, 853 dass im Beschwerdeverfahren die Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsmaßnahme festzustellen ist. So LG Saarbrücken, Beschl. v. 12.3.2013 – 2 Qs 15/13, StuB 2013, 715.

157

I. Ablauf des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

854 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck, Methode und Ziel, Stärke des Zugriffs und Gemeinwohlnutzen ist mit Verfassungsrang ausgestattet. Der Grundsatz verlangt, dass eine Maßnahme unter Würdigung aller persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich ist, was nicht der Fall ist, wenn ein milderes Mittel ausreicht, und dass der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachts steht. Vgl. Meyer-Goßner, in: Meyer-Goßner, StPO, Einl. Rn. 20.

855 In der jüngeren Rechtsprechung wird die Anordnung der Durchsuchung und die Durchsuchung beim Insolvenzverwalter gemäß § 103 StPO verbunden mit der Beschlagnahmeanordnung unter Verhältnismäßigkeitsaspekten für nicht rechtmäßig erachtet. So beispielsweise LG Berlin, Beschl. v. 9.4.2008 – 523 Qs 35/08, ZInsO 2008, 865.

856 Entsprechendes gilt sinngemäß für den Steuerberater. So LG Saarbrücken, Beschl. v. 12.3.2013 – 2 Qs 15/13, StuB 2013, 715; vgl. Külz/von Hake, PStR 2015, 159 f.

857 An die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind erhöhte Anforderungen zu stellen. Aus dem Grundsatz folgt, dass die Durchsuchung beim Insolvenzverwalter erst möglich ist, wenn gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweismittel bei lebensnaher Betrachtung ohne die Durchsuchung verloren gehen und als Folge daraus die Ermittlungen beeinträchtigt werden könnten. So LG Potsdam, Beschl. v. 8.1.2007 – 25 Qs 60/06, ZIP 2008, 287 = ZInsO 2007, 1162 f.

858 Da der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es gebietet, in jedem Verfahrensstadium das jeweils schonendste Mittel anzuwenden, ist es vorzugswürdig, dass die Strafverfolgungsbehörde zunächst Einsicht in vorhandene behördliche Unterlagen, namentlich die Gerichtsakte des Insolvenzgerichts, nimmt und im nächsten Schritt den Insolvenzverwalter dazu auffordert Einblick in die Geschäftsunterlagen zu gewähren und entsprechende Kopien zu fertigen. So LG Ulm, Beschl. v. 15.1.2007 – 2 Qs 2002/07 Wik, ZInsO 2007, 827 f. mit Anm. Menz, ZInsO 2007, 828; LG Potsdam, Beschl. v. 8.1.2007 – 25 Qs 60/06, ZIP 2008, 287 = ZInsO 2007, 1162 f.

859 Das Herausgabeverlangen gemäß § 95 StPO – unter Androhung von Ungehorsamsfolgen – an den Insolvenzverwalter ist ein geeignetes, erforderliches und ausreichendes strafprozessuales Instrument, um Informationen und Unterlagen zu erhalten. So LG Saarbrücken, Beschl. v. 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, ZIP 2010, 1767 ff.; LG Ulm, Beschl. v. 15.1.2007 – 2 Qs 2002/07 Wik, ZInsO 2007, 827 f. mit Anm. Menz, ZInsO 2007, 828.

158

IV. Abschluss des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Zum Herausgabeverlangen gegen eine Bank auf Herausgabe von zwei Kreditakten, die als Beweismittel gegen den Kunden wegen Insolvenzstraftaten in Betracht kommen siehe LG Stuttgart, Beschl. v. 23.9.2014 – 11 Qs 8/14, juris.

Das Herausgabeverlangen ist ein geeignetes strafprozessuales Instrument, 860 wenn Gewissheit darüber herrscht, dass x

sich ein beschlagnahmefähiger Beweisgegenstand im Gewahrsamsbereich eines herausgabepflichtigen Adressaten befindet,

x

es zur Erlangung des Gegenstandes nicht auf einen Überraschungseffekt ankommt,

x

die Maßnahme erfolgversprechend ist,

x

das Gebot der Verfahrensbeschleunigung nicht entgegensteht und

x

weder ein das Ermittlungsverfahren bedrohender Verlust der begehrten Sache zu befürchten ist, noch etwaige Verdunkelungsmaßnahmen zu besorgen sind. So LG Saarbrücken, Beschl. v. 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, ZIP, 2010, 1767 ff.

Der Insolvenzverwalter als geschäftskundige und unabhängige Rechtsperson 861 gemäß § 56 Abs. 1 InsO ist verpflichtet und in der Regel bereit, mit den Ermittlungsbehörden zu kooperieren. So LG Saarbrücken, Beschl. v. 2.2.2010 – 2 Qs 1/10, ZIP, 2010, 1767 ff.; LG Dresden, Beschl. v. 27.11.2013 – 5 Qs 113/13, 5 Qs 123/13, BeckRS 2014, 00003 mit Anm. Krug.

Er hat keinen Anlass Unterlagen zurückzuhalten.

862

So LG Ulm, Beschl. v. 15.1.2007 – 2 Qs 2002/07 Wik, ZInsO 2007, 827 f. mit Anm. Menz, ZInsO 2007, 828 f.

Zudem ist regelmäßig nicht davon auszugehen, dass er den Beschuldigten in- 863 formiert. Vgl. Stiller, ZInsO 2011, 1636.

Nur in ganz seltenen Fällen ist denkbar, dass der Insolvenzverwalter die ge- 864 botene Zusammenarbeit verweigert bzw. die Ermittlungen behindert oder selbst strafrechtlich relevante Handlungen vornimmt, sodass zu befürchten ist, dass Beweismittel ohne die Durchsuchung und die Beschlagnahme verloren gehen und die Ermittlungen erschwert werden. Bei Vorliegen eines solchen Sachverhalts sind strafprozessuale Maßnahmen zulässig. Vgl. Weyand, ZInsO 2014, 1033; Weyand, ZInsO 2008, 27.

IV. Abschluss des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Die Straf- und Bußgeldsachenstelle, die behördenintern die Aufgaben der 865 Finanzbehörde gemäß § 386 Abs. 1 Satz 1 AO wahrnimmt, entscheidet nach 159

I. Ablauf des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

Abschluss der Ermittlungen über den weiteren Verfahrensverlauf gegenüber dem Beschuldigten. Vgl. Quedenfeld, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 993 ff.; vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 16.

866 Sofern sich im Ermittlungsverfahren herausstellt, dass bei vorläufiger Tatbewertung nach dem gesamten Akteninhalt dem Beschuldigten die Tat in einer künftigen Hauptverhandlung nachzuweisen sein wird und eine Verurteilung zu erwarten ist – sog. hinreichender Tatverdacht –, wird die öffentliche Klage erhoben. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 1068; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 319; so BGH, Urt. v. 22.7.1970 – 3 StR 237/69, BGHSt 23, 304 ff.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3.7.2003 – 3 Ws 72/03, wistra 2005, 72 ff.

867 Um dem entgegenzuwirken, kann der Verteidiger den Versuch unternehmen, eine Einigung zu erzielen, noch bevor das Verfahren an die Staatsanwaltschaft abgegeben wird. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 353; Dierlamm, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 29 Rn. 31.

868 Für den Verteidiger bietet es sich an, in ein Gespräch mit dem Bearbeiter in der Straf- und Bußgeldsachenstelle hinsichtlich der möglichen strafrechtlichen Konsequenzen einzutreten, wenn der Sachverhalt so gelagert ist, dass eine Einstellung gemäß § 153a StPO oder der Erlass eines Strafbefehls denkbar ist. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 347; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 24 Rn. 45 m. w. N. zur Verständigung im Ermittlungsverfahren; Sauer, Konsensuale Verfahrensweisen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Rn. 482 ff. mit den Nachteilen des Strafbefehls im Vergleich zu einer Einstellung gemäß § 153a StPO.

869 Dem Hinterziehungsbetrag kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Er bietet dem Verteidiger einen unverzichtbaren Anhaltspunkt als Wert, sei es als Wert, bei dem die Einstellung in der Regel erfolgen sollte oder als Grenzwert, bei dem jedenfalls oder bis zu dem allenfalls einzustellen ist. Vgl. Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, S. 141.

870 Grundsätzlich ist es nicht möglich über die strafrechtlichen Folgen einer Steuerstraftat „zu verhandeln“. Im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist eine solche Vorgehensweise zulässig, da sie der Verfahrensbeschleunigung dient. Vgl. Buse, Stbg 2011, 417.

160

IV. Abschluss des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

Der Gesetzgeber hat mit der Vorschrift des § 257c StPO die Möglichkeit der 871 „Verständigung“ über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens vorgesehen. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 347 und ausführlich Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 311 ff. und Krause, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 26 Rn. 170 ff.

1. Einstellung und Absehen von Verfolgung Statistiken zeigen, dass mit 80 % der weitaus größte Teil der bekanntgewor- 872 denen Verdachtsfälle nach der Entscheidung der zuständigen Finanzbehörde entweder keinen Tatnachweis zuließ oder aber so geringfügig war, dass er keine Bestrafung der Tatverdächtigen erforderte und nach dem Opportunitätsprinzip eingestellt wurde. Vgl. Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, S. 30, 66 ff.; Volk, Grundkurs StPO, § 12 Rn. 13 f.; Seer, DStJG 38 [201]), S. 322, 340.

Die Einstellungsmöglichkeiten lassen sich daher nach unterschiedlichen Kri- 873 terien einordnen. Grundlegend ist die Differenzierung nach der Einstellung unter Beachtung des Legalitätsprinzips, somit gemäß § 170 Abs. 2 StPO, sowie der Einstellung nach Opportunitätsgrundsätzen, denen die Vorschriften der §§ 153 ff. StPO unterfallen. Die Einstellung aus Opportunitätsgründen ist, in die Einstellung ohne belastende Maßnahmen, beispielsweise gemäß §§ 153, 154 ff. StPO, einzuteilen und in solche, die mit belastenden Rechtsfolgen verknüpft sind. Dazu gehört die Einstellung gemäß § 153a StPO. Vgl. Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 333.

a) Einstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO Der Bearbeiter in der Straf- und Bußgeldsachenstelle stellt das Verfahren 874 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein, wenn die Ermittlungen keinen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten. Kein genügender Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage ist gegeben, wenn kein hinreichender Tatverdacht i. S. d. § 203 StPO vorliegt. Dies ist beispielsweise erfüllt, wenn sich die Unschuld des Beschuldigten herausgestellt hat oder die Tat dem Beschuldigten nicht nachgewiesen werden konnte. Vgl. Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 320.

b) Einstellung gemäß § 153a StPO Die Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO ist eine in der Praxis häu- 875 fig angewandte Einstellungsvorschrift. Der Bearbeiter kann im Bereich der kleineren und mittleren Kriminalität die Einstellung des Verfahrens mit Zustimmung des Beschuldigten von der Erfüllung bestimmter Auflagen und 161

I. Ablauf des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

Weisungen durch den Beschuldigten abhängig machen. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Einstellung dazu geeignet ist, das öffentliche Interesse an der weiteren Verfolgung der Straftat zu beseitigen, und die Schwere der Schuld der Verfahrenseinstellung nicht entgegensteht. Vgl. Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 337a f.; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 24 Rn. 38.

876 Die Schwere der Schuld beurteilt sich nach den für die Strafzumessung geltenden Grundsätzen, insbesondere nach § 46 StGB. Sofern die durch die Tat verursachten Folgen – somit die Steuerverkürzung – gering sind, ist die Verfahrenseinstellung ohne Zustimmung des Gerichts zulässig. In allen anderen Fällen ist die Zustimmung des Gerichts erforderlich. Vgl. Nr. 83 Abs. 1 AStBV (St) 2014; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 24 Rn. 41.

877 Die Einstellung nach der Vorschrift des § 153a StPO kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Verkürzungsbetrag bei einem Ersttäter einzelfallbezogen 5.000 €, teilweise auch 10.000 € nicht übersteigt. Bei einer besonders schwierigen Beweislage, drohender Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten oder aufgrund anderer gewichtiger Besonderheiten kann auch bei höheren Hinterziehungsbeträgen die Einstellung gegen Geldauflage erfolgen. Vgl. Welnhofer-Zeitler, in: Wannemacher & Partner, Steuerstrafrecht, Rn. 1457; Seer, DStJG 38 [2015], S. 322 ff.

878 Sofern der Beschuldigte die Auflage erfüllt, kann die Tat gemäß § 153a Abs. 1 Satz 5 AO nicht mehr als Vergehen verfolgt werden und es tritt Strafklageverbrauch ein. Vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner, StPO, § 153a Rn. 45.

879 Ist beispielsweise ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Einkommensteuerverkürzung aufgrund von verschwiegenen Betriebseinnahmen gemäß der Vorschrift des § 153a StPO wirksam eingestellt worden, kommt eine steuerstrafrechtliche Ahndung für denselben Besteuerungszeitraum nicht mehr in Betracht, falls der Steuerpflichtige auch Einnahmen aus Kapitalvermögen verschwiegen haben sollte. Er kann zuwarten, ob die Finanzbehörde diesen Umstand feststellt und den Einkommensteuerbescheid gemäß der Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO korrigiert. Strafrechtlich kann die Strafverfolgungsbehörde die Tat nicht mehr ahnden, sodass auch eine Selbstanzeige nicht erforderlich ist. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 351.

2. Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gemäß § 400 AO 880 Der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls, den der Bearbeiter der Straf- und Bußgeldsachenstelle gemäß § 400 AO stellt, ist denkbar, wenn die Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten und

162

IV. Abschluss des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

das Verfahren zum Verfahrensabschluss im Strafbefehlsverfahren geeignet erscheint. Der genügende Anlass zur Erhebung der Klage ist gegeben, wenn kein Verfahrenshindernis besteht und ein hinreichender Tatverdacht i. S. d. § 203 StPO gegeben ist. Vgl. Meyer-Goßner, StPO, Vor § 407 Rn. 1; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 526.

Das Steuerstrafverfahren erscheint zum Verfahrensabschluss im Strafbefehls- 881 verfahren geeignet, wenn nach dem Ergebnis der Ermittlungen eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich anzusehen ist. Dies ist beispielsweise gemäß § 407 Abs. 2 Satz 2 StPO gegeben, wenn es geboten erscheint, eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann, zu beantragen und der Beschuldigte anwaltlich vertreten ist. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 353.

Für die konsensuale Verfahrenserledigung im Strafbefehlsverfahren ist – eben- 882 so wie für die Einstellung gemäß § 153a StPO – kein Geständnis notwendig. Vgl. Sauer, Konsensuale Verfahrensweisen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Rn. 138 f., 156.

3. Vorlage an die Staatsanwaltschaft gemäß § 400 AO Der Bearbeiter legt die Akten der Staatsanwaltschaft vor, sofern das Verfahren 883 nicht dazu geeignet ist, im Strafbefehlswege erledigt zu werden. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 353; Nr. 89 Abs. 1 AStBV (St) 2014, BStBl. I 2013, 1394 ff.

Dies kann aus Gründen der Spezial- oder der Generalprävention erfolgen oder 884 wenn die vollständige Aufklärung aller für die Rechtsfolgenbestimmung wesentlichen Umstände die Durchführung einer Hauptverhandlung geboten erscheinen lassen. Liegt ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 AO vor, ist ein Abschluss im Strafbefehlsverfahren regelmäßig nicht möglich. Vgl. Blumers, wistra 1987, 5 ff.; Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 353; Nr. 83 Abs. 3 AStBV (St) 2014; Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 207; so BGH, Beschl. v. 27.1.2015 – 1 StR 142/14, wistra 2015, 235 f.

Die Staatsanwaltschaft erhebt durch Einreichung der Anklageschrift bei dem 885 zuständigen Gericht die öffentliche Klage gemäß § 170 Abs. 1 StPO und beantragt, das Hauptverfahren zu eröffnen. Das Gericht entscheidet gemäß § 199 Abs. 1 StPO, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder das Verfahren vorläufig einzustellen ist. Vgl. Jesse, Präventivberatung im Steuerstrafrecht, S. 354.

163

I. Ablauf des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

4. Strafzumessung 886 Bei der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO umfasst die konkret anzuwendende Strafe einen Strafrahmen von Geldstrafe bis Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in einem besonders schweren Fall gemäß § 370 Abs. 3 AO umfasst sie einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Vgl. Michalke, in: Festschrift Roxin, S. 412; BGH, Urt. v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11, wistra 238.

887 Die Geldstrafe wurde auf das Tagessatzsystem umgestellt. Die Zahl der Tagessätze beträgt gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 StGB mindestens fünf und höchstens 360, bei Bildung einer Gesamtstrafe beträgt sie gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB bis zu 720 Tagessätze. Die Bemessung der Geldstrafe erfolgt in zwei Schritten, wonach der Strafrichter zunächst die Anzahl der Tagessätze festlegt, die er als angemessene Bewertung der Tat betrachtet. Im Anschluss an diese Überlegung ermittelt der Strafrichter die Höhe des Tagessatzes. Vgl. Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, S. 33; Adick, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 17 Rn. 116 ff.

888 Mit Wirkung vom 4.7.2009 hat der Gesetzgeber bei der Bemessung der Geldstrafe den Höchstbetrag für den Tagessatz gemäß § 40 Abs. 2 Satz 3 StGB auf 30.000 € angehoben. Zweiundvierzigstes Gesetz zur Änderung des StGB – Anhebung der Höchstgrenze des Tagessatzes bei Geldstrafen v. 29.6.2009 (42. StÄndG), BGBl. I 2009 S. 1658; vgl. Brauns, in: Festschrift Samson, S. 520.

889 Im Rahmen der Bemessung der Geldstrafe sind dem Strafrichter möglicherweise keine Parameter über die Einkünfte bzw. das Vermögen des Angeklagten bekannt. Daher ist für ihn die Höhe des Tagessatzes nicht bestimmbar. Diese Problematik ergibt sich nicht nur für den Strafrichter, sondern sie stellt sich auch bei der Beantragung eines Strafbefehls durch die Finanzbehörde gemäß §§ 400 AO i. V. m. §§ 407, 408 StPO, da sie den Antrag auf eine bestimmte Rechtsfolge richten muss. Vgl. Bilsdorfer, DStZ 1982, 303.

890 Die Vorschrift des § 40 Abs. 3 StGB regelt, wonach die Höhe der Einkünfte und des Vermögens des Angeklagten sowie die sonstigen Grundlagen für die Bemessung des Tagessatzes zu schätzen ist. Die Schätzungsbefugnis ist gegeben, wenn der Täter keine, unzureichende oder unzutreffende Angaben über seine finanziellen Verhältnisse macht. Die Strafverfolgungsbehörde hat die verhältnismäßigen Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Diese Voraussetzungen ergeben sich aus der Vorschrift des § 244 StPO, wonach die Bemessungsgrundlage grundsätzlich zu ermitteln ist. Die griffweise oder freie Schätzung ist nicht zulässig. Der Strafrichter muss sich konkreter Schätzungsgrundlagen bedienen.

164

IV. Abschluss des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens So BVerfG, Beschl. v. 1.6.2015 – 2 BvR 67/15, wistra 2015, 388 ff.; BGH, Urt. v. 8.9.1992 – 1 StR 118/92, MDR 1993, 66.

Die Steuerakten, die im Rahmen des Steuerstrafverfahrens zur Verfügung 891 stehen, sind auch im Hinblick auf die Vorschrift des § 30 AO als Schätzungsgrundlage nicht geeignet. Die Steuerakten enthalten keine aktuellen Werte. Zudem könnten sie unrichtig sein. Vgl. Bilsdorfer, DStZ 1982, 303; Stypmann, wistra 1983, 98.

Die Strafe ist der „schärfste“ Grundrechtseingriff des Rechtsstaates und muss 892 mit Bedacht festgesetzt werden. Vgl. Isensee, NJW 1985, 1010.

Die Strafzumessung im Einzelfall ist grundsätzlich der Beurteilung des Straf- 893 richters überlassen. Er bestimmt, welchem der nachfolgend dargestellten Umstände der Strafzumessung er bestimmendes Gewicht beimisst. Vgl. Michalke, in: Festschrift Roxin, S. 415; so BGH, Urt. v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, ZIP 2009, 473 = wistra 2009, 112, dazu EWiR 2009, 219 (Floeth); Adick, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 17 Rn. 131 ff.

Die Grundlagen der Strafzumessung sind gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB die 894 Schwere der Tat sowie der Grad der persönlichen Schuld des Angeklagten. Vgl. Fischer, StGB, § 46 Rn. 5; vgl. Schaefer, NJW-Spezial 2009, 88; Esskandari/Bick, AO-StB 2013, 154; so BGH, Beschl. v. 26.9.2012 – 1 StR 423/12, NZWiSt 2014, 35 f.

Der Strafrichter hat gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 StGB auf der Grundlage des 895 umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und von der Persönlichkeit des Angeklagten gewonnen hat, die in § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB genannten wesentlich ent- und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. So BGH, Urt. v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11, wistra 2012, 237.

Der Strafrichter hat bei der Strafzumessung gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB 896 des Weiteren zu berücksichtigen, welche Wirkungen von der Strafe für das künftige Leben des Angeklagten in der Gesellschaft zu erwarten sind. So BGH, Urt. v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, ZIP 2009, 473 = wistra 2009, 112.

Daneben sind die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Ange- 897 klagten zu beachten. Vgl. Fischer, StGB, § 46 Rn. 42 f.

Die Strafzumessung richtet sich wesentlich nach den verschuldeten Auswir- 898 kungen der Tat, die allgemein im Steuerschaden des Staates zu sehen sind. Vgl. Auer, Der Steuerschaden, S. 7; Bilsdorfer, NJW 2013, 1410; Dönmez, NWB 2015, 1072.

165

I. Ablauf des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

899 Der Steuerschaden ist nicht mit der Steuerverkürzung gleichzusetzen und ist in seiner Unterscheidung für die Strafzumessung von Bedeutung. Der Steuerschaden stellt den Umfang dar, in dem das geschützte Vermögensinteresse des Staates durch das pflichtwidrige Verhalten des Angeklagten tatsächlich beeinträchtigt wird, während die Steuerverkürzung als Tatbestandsmerkmal des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO auf die Differenz zwischen gesetzlich geschuldetem und infolge der Tathandlung von der Finanzbehörde festgesetztem Betrag abstellt. Als Folge daraus sind bei der Strafzumessung die Steuerbeträge, die auf nachträglich geltend gemachte Ermäßigungsgründe entfallen, unter dem Gesichtspunkt der verschuldeten Auswirkung der Tat zu berücksichtigen. Vgl. Auer, Der Steuerschaden, S. 61.

900 Im Einzelfall kann es zur Ermittlung des Schadensumfangs möglicherweise erforderlich sein, die Ermittlungen auf Steuerarten und Veranlagungszeiträume zu erstrecken, die der Tatvorwurf nicht erfasst, wenn der Angeklagte beispielsweise in dem Veranlagungszeitraum einen Teil seiner Umsätze nicht erklärt, aber im vorhergehenden Veranlagungszeitraum die auf diese Umsätze entfallende Vorsteuer nicht abgezogen hat. Vgl. Hellmann, in: H/H/Sp, § 370 AO Rn. 166.

901 Bei der Ermittlung des Verkürzungsbetrags unterfallen sie dem Kompensationsverbot gemäß § 370 Abs. 4 Satz 3 AO. Vgl. Auer, Der Steuerschaden, S. 61; Madauß, NZWiSt 2012, 456 ff.

902 Für den Strafrichter besteht jedoch nicht die Notwendigkeit, die zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigenden Faktoren detailgenau zu erfassen. So BGH, Urt. v. 11.7.2002 – 5 StR 516/01, NJW 2002, 3038.

903 Denn sofern zugunsten des Angeklagten sprechende anderweitige Faktoren bestehen, genügt es regelmäßig, dass der Strafrichter sie erkennt und in ihrer ungefähren Größenordnung zutreffend einschätzt. In dieser unterschiedlichen Feststellungsdichte ist die praktische Auswirkung des Kompensationsverbots zu sehen. Vgl. Raum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 4 Rn. 175.

904 Der Strafrichter hat auch die aus den Taten hervorgehende Einstellung des Täters zu beachten. So BGH, Urt. v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11, wistra 2012, 237.

905 Er darf bei der Bemessung des Steuerschadens nur den (Mindest-)Betrag ansetzen, den der Angeklagte nachweislich verkürzt hat. Verhindert der Angeklagte die genaue Feststellung der Besteuerungsgrundlagen durch das pflichtwidrige Unterlassen von Angaben oder durch das Vernichten von Aufzeichnungen, befindet er sich nicht zwangsläufig in einer besseren Position als je-

166

IV. Abschluss des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

ner Angeklagte, der seine steuerlichen Erklärungspflichten weniger konsequent verletzt hat. Bei der Würdigung der weiteren Kriterien für die Strafzumessung, wie etwa bei dem während der Tat aufgewendeten Willen, dem Maß der Pflichtwidrigkeit und der Art der Tatausführung, kann der Strafrichter ein solches Verhalten strafschärfend würdigen. Vgl. Auer, Der Steuerschaden, S. 20.

Der Strafrichter führt eine weitere strafschärfende Bewertung durch, wenn 906 der Angeklagte die Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten hinsichtlich seiner geschäftlichen Unterlagen verletzt hat. So BGH, Urt. v. 28.7.2010 – 1 StR 643/09, wistra 2011, 31.

Strafmildernde Umstände können sich daraus ergeben, wenn die Steuerstraf- 907 tat nur einen verhältnismäßig geringen Teil der steuerlich relevanten Betätigungen des Angeklagten betrifft. Das Verhältnis der verkürzten Steuern zu den gezahlten Steuern ist daher bedeutsam. Daneben berücksichtigt der Strafrichter strafmildernd, wenn der Angeklagte sich über einen längeren Zeitraum steuerehrlich verhalten hat. Der Strafrichter bezieht in die Gesamtwürdigung die Lebensleistung und das Verhalten des Angeklagten nach der Aufdeckung der Tat ein. So ist ein frühzeitiges Geständnis – verbunden mit der Nachzahlung der verkürzten Steuern, beziehungsweise das ernsthafte Bemühen hierzu – bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. So BGH, Urt. v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, ZIP 2009, 473 = wistra 2009, 112.

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung finden sich weitere Gründe, die 908 bei der Strafzumessung in die Betrachtung einzubeziehen sind. So BGH, Urt. v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, ZIP 2009, 473 = wistra 2009, 112; vgl. Brauns, in: Festschrift Samson, S. 525.

Daneben stellt die belastende Wirkung einer überlangen Verfahrensdauer re- 909 gelmäßig einen Strafmilderungsgrund dar. So BGH, Urt. v. 22.5.2012 – 1 StR 103/12, wistra 2012, 354.

Aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK folgt das Recht des Angeklagten darauf, dass 910 das Steuerstrafverfahren binnen angemessener Frist behandelt wird. Der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens in komplexen Wirtschaftsstrafsachen weist allerdings Besonderheiten auf, die regelmäßig den Vorrang der Gründlichkeit vor der Schnelligkeit gebieten. Diese Besonderheiten, zu denen das gebotene gründliche Aktenstudium des Strafrichters vor der Eröffnung des Hauptverfahrens und die Terminierung der Hauptverhandlung gehören – und die sich regelmäßig nicht in den Akten niederschlagen –, unterfallen nicht dem Zeitraum einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. So BGH, Urt. v. 9.10.2008 – 1 StR 238/08, wistra 2009, 149; so BGH, Urt. v. 7.2.2012 – 1 StR 525/11, NZWiSt 2012, 198.

167

I. Ablauf des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens

911 Ein Zeitraum von sieben Jahren zwischen Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens bis zum Urteilserlass kann trotz einer hohen Komplexität des Sachverhalts und des ungewöhnlich hohen Schwierigkeitsgrades der Tatvorwürfe als rechtsstaatlich verfahrensverzögert betrachtet werden und einen allgemeinen Milderungsgrund darstellen. So BGH, Beschl. v. 24.1.2012 – 1 StR 551/11, BFH/NV 2011, 911; so BGH, Urt. v. 22.5.2012 – 1 StR 103/12, wistra 2012, 354.

912 Der Angeklagte wird regelmäßig ein wohlverstandenes Interesse an einem zügigen Verfahren haben, wenn das Ende für ihn entweder günstig ist oder weitgehend feststeht. Allerdings dürfte ein noch so langes Verfahren, das die Möglichkeit eines Freispruches enthält, vorzugswürdiger sein als ein kurzer Prozess mit negativem Ausgang für den Angeklagten. Vgl. Bernsmann, in: Festschrift Kohlmann, S. 381; zur Unterscheidung bei der Strafzumessung zwischen dem zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil, der Gesamtdauer des Verfahrens und der konventionswidrigen Verfahrensverzögerung, die im Rahmen der „Vollstreckungslösung“ berücksichtigt wird, vgl. Fischer, StGB, § 46 Rn. 61 ff., 129 ff. und Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: November 2012, § 370 AO Rn. 1064.3.

913 Das Geständnis des Angeklagten führt regelmäßig zu einer Einstellung des Verfahrens oder einer milderen Bestrafung. Das Geständnis stellt ein Nachtatverhalten dar und ist ein wesentliches Indiz für die Schuldeinsicht und die Reue des Angeklagten und daher indirekt ein Mittel zur Beurteilung der Täterpersönlichkeit und der Tat selbst. Diese Kriterien sind für die Strafzumessung gemäß § 46 StGB von Bedeutung. Das Geständnis kann als Beitrag zur Sachverhaltsaufklärung und zur Verfahrensverkürzung berücksichtigt werden. Der strafmildernden Berücksichtigung steht nicht entgegen, dass das Geständnis im Rahmen einer Verständigung abgelegt wurde. Die allgemeinen Strafzumessungskriterien sind auch im Rahmen der Verständigung zu beachten. So BGH, Urt. v. 28.8.1997 – 4 StR 240/97, wistra 1997, 341 ff.

168

J. Das Recht der Selbstanzeige Bei der systematischen Betrachtung der Gliederung des § 371 AO ist zwischen 914 zwei Voraussetzungen zu unterscheiden: Zum einen den Voraussetzungen, die zur Erlangung der Straffreiheit positiv gegeben sein müssen – „positive Wirksamkeitsvoraussetzungen“ – und zum anderen den Voraussetzungen, die die strafbefreiende Wirkung des Verhaltens des Täters oder Teilnehmers ausschließen – „negative Wirksamkeitsvoraussetzungen“. Vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 15; Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 117.

Die Vorschriften §§ 371 Abs. 1, Abs. 2a und 3 AO enthalten die positiven 915 Wirksamkeitsvoraussetzungen, die Ausschlussgründe sind in § 371 Abs. 2 AO zusammengefasst. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 229.

Trotz der Erfüllung der positiven Wirksamkeitsvoraussetzungen tritt keine 916 Straffreiheit ein, wenn einer der Sperrgründe des Abs. 2 vorliegt. Die Sperrgründe gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 AO erfassen in typisierender Weise Konstellationen, in denen die Aufdeckung der Tat und damit die Erfassung der Steuerquellen auch ohne die Selbstanzeige hinreichend wahrscheinlich war und damit der Grund für die Gewährung der Straffreiheit entfällt. In den Fällen des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO hat der Gesetzgeber im Hinblick auf das Ausmaß der Steuerhinterziehung die in § 398a Nr. 2 AO geregelte „Zusatzleistung“ geschaffen. Sie ist seit dem 1.1.2015 gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO auch vorgesehen, wenn ein in §§ 370 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 bis 5 AO genannter besonders schwerer Fall vorliegt. Die Vorschrift des § 371 Abs. 3 AO regelt als weitere positive Wirksamkeits- 917 voraussetzung, dass der an der Tat Beteiligte die hinterzogenen Steuern sowie die Zinsen gemäß § 235 AO und die Zinsen gemäß § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen gemäß § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden, zu entrichten hat. Die Vorschrift des § 371 Abs. 4 AO bestimmt, inwieweit die Berichtigung 918 eines Dritten gemäß § 153 AO die strafbefreiende Wirkung für den Steuerhinterzieher haben kann. Der Gesetzeswortlaut des § 371 Abs. 1 AO enthält die Tatbestandsmerkmale 919 als Grundvoraussetzungen für die Wirksamkeit der Selbstanzeige, namentlich den Anzeigeerstatter, den Anwendungsbereich, den Adressaten der Selbstanzeige sowie den Anzeigeninhalt. Über den Wortlaut der genannten Voraussetzungen hinaus ist das Hintergrundwissen für die sicherere Anwendung der Selbstanzeige unverzichtbar. Vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 417.

169

J. Das Recht der Selbstanzeige

I. Wirksamkeitsvoraussetzungen 1. Anzeigender 920 Der Gesetzgeber hat in der Vorschrift § 371 Abs. 1 Satz 1 AO geregelt, dass derjenige, der gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 AO bestraft wird. Die Anzeigemöglichkeit gemäß § 371 Abs. 1 AO kommt daher für die Person in Betracht, die andernfalls wegen der in § 370 AO aufgeführten Taten bestraft würde, namentlich der Allein- oder der Mittäter sowie der mittelbare Täter gemäß § 25 StGB. Zudem besteht die Anzeigemöglichkeit für den Teilnehmer, somit für den Anstifter und den Gehilfen gemäß §§ 26 f. StGB. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 243; Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 118.

921 Grundsätzlich kommt nur die Person in den Genuss der Straffreiheit, die die Selbstanzeige gestellt hat. Bei mehreren Beteiligten ist daher genau zu prüfen, wer als Anzeigender in die Selbstanzeige aufzunehmen ist. Vgl. Randt, Der Steuerfahndungsfall, Kap. B Rn. 3; Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 231.

922 Daher ist in die Überlegungen beispielsweise des Steuerberaters einzubeziehen, ob die Beteiligten in der Selbstanzeige zu berücksichtigen sind. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 231.

923 Denn die Beteiligten können sich – unabhängig davon, ob sie Steuerschuldner sind oder nicht – ebenfalls wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht haben. Vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 418.

924 Sofern mehrere Personen eine Steuerhinterziehung begangen haben, hat jeder von ihnen eine Selbstanzeige einzureichen. Praxistipp: In diesem Fall ist es hilfreich, die Selbstanzeigen zu koordinieren, um zu verhindern, dass für den an der Tat Beteiligten, der die Selbstanzeige zeitlich später abgibt, aufgrund der Entdeckung der Tat eine strafbefreiende Selbstanzeige nicht mehr möglich ist. Vgl. Beneke, DB 2015, 408; Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 257; Görtz, in: Adick/ Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 12 Rn. 20.

925 Die Selbstanzeige muss nicht notwendigerweise persönlich erstattet werden; die Stellvertretung ist grundsätzlich zulässig. Der Rechtsanwalt oder der

170

I. Wirksamkeitsvoraussetzungen

Steuerberater kann für mehrere Auftraggeber Selbstanzeige erstatten, ohne gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung gemäß § 147 StPO zu verstoßen. Die Hilfeleistung bei der Selbstanzeigeerklärung ist noch als Steuerberatung anzusehen und nicht als Strafverteidigung zu werten. Vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 419; Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 Rn. 109.

Die Selbstanzeige durch den Verfahrensbevollmächtigten setzt eine besondere 926 Vollmacht voraus, jedoch nicht die Schriftform, sodass auch der mündliche Auftrag ausreicht. Vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 109.

Zu Beweiszwecken empfiehlt sich die Schriftform.

927

Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 121.

2. Anwendungsbereich Die Vorschrift des § 371 AO umfasst in ihrem Anwendungsbereich im Rahmen 928 dieses Buches die Fälle des § 370 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO bei Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung von Angaben gegenüber der Finanzbehörde. Das Instrument der Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 1 AO ist nicht nur auf die 929 versuchte, sondern auch auf die vollendete und beendete Steuerhinterziehung, sowie auf sämtliche Beteiligungsformen nach den §§ 26, 27 StGB anwendbar. Vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 423; Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 44; wg. weiterer Anwendungsfälle vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 47 f.

Der Anzeigende muss die Steuerhinterziehung vorsätzlich begangen haben.

930

Vgl. Rüping, in: H/H/Sp, Stand: März 2012, § 371 AO Rn. 30; Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 240.

Sofern eine leichtfertige Begehungsweise vorliegt, ist der Anwendungsbe- 931 reich der Selbstanzeige durch die Vorschrift des § 378 Abs. 3 AO eröffnet. Vgl. Rüping, in: H/H/Sp, Stand: März 2012, § 371 AO Rn. 30.; wg. der Besonderheit in der Vorschrift des § 50e EStG vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 66.

Die analoge Anwendung der Vorschrift § 371 AO ist auf andere Steuerver- 932 gehen, wie beispielsweise die Steuerordnungswidrigkeiten der §§ 379 ff. AO und § 26b UStG ausgeschlossen. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 240; Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 424.

171

J. Das Recht der Selbstanzeige

3. Adressat der Selbstanzeige 933 Der Adressat der Selbstanzeige ist die Finanzbehörde. Der Begriff der „Finanzbehörde“ ist in § 6 Abs. 2 AO definiert. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 119.

934 Die Finanzbehörde stellt sich für den Steuerpflichtigen häufig als ein einheitlicher nicht trennbarer Organisationskomplex dar. Dies lässt den Schluss zu, eine bei der örtlich bzw. sachlich unzuständigen Behörde abgegebene Selbstanzeige als wirksam anzusehen. Vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 427; Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 620; zur Berichtigungsanzeige gemäß § 153 AO vgl. BFH, Urt. v. 28.8.2008 – VI R 62/06, PStR 2008, 252 f.

935 Die Staatsanwaltschaft ist eine Justiz- und keine Finanzbehörde, sodass dem Anzeigenden die entsprechende Differenzierung zuzumuten ist. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 100, 105; a. A. Quedenfeld, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 426 f.

936 Der BGH hat in seiner Rechtsprechung offengelassen, ob die bei der Staatsanwaltschaft eingereichte Selbstanzeige wirksam ist. So BGH, Urt. v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02, wistra 2003, 385 ff.

937 Aufgrund der Mitteilungsverpflichtung gemäß § 116 AO kann die Staatsanwaltschaft durchaus als zuständig angesehen werden. Der Anzeigende sollte sich nicht auf die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft verlassen, denn er gerät in Nachweisschwierigkeiten, wenn die Weiterleitung vergessen wird oder nicht rechtzeitig erfolgt. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 34.

938 Die verzögerte Übermittlung der Selbstanzeige durch die Post fällt in die Risikospähre des Anzeigenden. Gleiches kann auch gelten, wenn die Selbstanzeige von einer unzuständigen zu einer zuständigen Finanzbehörde weitergeleitet wird. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 100, 105; Füllsack/Bürger, BB 2011, 1243.

Beispiel: A wird beim Finanzamt X steuerlich geführt. Sie hat in […] eine Geldanalage von ihrem Vater V geerbt, der beim Finanzamt Y geführt wurde. In der Erbschaftsteuererklärung, die sie beim Finanzamt Z eingereicht hat, hat sie das Vermögen nicht erklärt. Die Einkünfte haben weder A noch ihr V erklärt. A muss bei drei Finanzämtern eine Selbstanzeige einreichen.

172

I. Wirksamkeitsvoraussetzungen Praxistipp: Insbesondere wenn ein Sperrgrund i. S. d. § 371 Abs. 2 AO möglich erscheint, empfiehlt es sich, die Selbstanzeige bei der sachlich und örtlich zuständigen Finanzbehörde einzureichen. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 119. Praxistipp: Sofern der Anzeigende strafprozessuale Maßnahmen durch die Steuerfahndung befürchtet, ist es hilfreich zur Vermeidung dieser Maßnahme die Selbstanzeige in einer Abschrift an die Steuerfahndungsstelle zu übersenden. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 198, 212.

4. Formen der Selbstanzeige Die Wirksamkeit der Selbstanzeige knüpft nicht an bestimmte formale Vor- 939 aussetzungen an. Sie kann zulässigerweise schriftlich, per E-Mail oder mündlich bei der Finanzbehörde abgegeben werden. Schriftlich: vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 186; per E-Mail: vgl. Rolletschke, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 26; mündlich: so OLG Köln, Urt. v. 28.8.1979 – 1 Ss 574 – 575/79, DB 1980, 57 f.; Hanseatisches OLG Hamburg, Urt. v. 2.6.1992 – 1 Ss 119/91, wistra 1993, 274 ff.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.11.1995 – 2 Ss 158/95, wistra 1996, 117 f. Praxistipp: Bei Versand per Telefax sollte zu Dokumentationszwecken die erste Seite des Schreibens auf dem Sendebericht abgebildet sein. Vgl. Wenzler/Rübenstahl, Die Selbstanzeige, S. 18, 219.

Die Selbstanzeige kann in geeigneten Fällen fernmündlich erfolgen.

940

So OLG Hamburg, Beschl. v. 21.11.1985 – 1 Ss 108/85 wistra 1986, 116 ff.; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschaftsund Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 259; Füllsack, in: Quedenfeld/ Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 428.

In der Praxis ist zu beobachten, dass die Finanzbehörde bei Nacherklärungen 941 zunehmend davon ausgeht, dass es sich um Selbstanzeigen handelt. Vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 429 f.

942

Beispiele für die sog. „konkludenten“ Selbstanzeigen sind: x

Die nachträglich abgegebene vollständige und richtige Steuererklärung als Korrektur einer unrichtigen und unvollständigen Erklärung. Vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 93.

173

J. Das Recht der Selbstanzeige

x

Die nachträglich abgegebene vollständige und richtige Erklärung des Steuerpflichtigen, der der Finanzbehörde bislang noch nicht bekannt war. So OLG Frankfurt, Urt. v. 18.10.1961 – I Ss 854/61, NJW 1962, 974; vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 93.

x

Die Abgabe einer Einkommensteuererklärung als Korrektur unrichtiger Anträge auf Anpassung der Einkommensteuer-Vorauszahlungen gemäß § 37 Abs. 3 EStG. So OLG Stuttgart, Urt. v. 21.5.1987, 1 Ss 221/87, wistra 1987, 263 ff.; vgl. Kaligin, Betriebsprüfung und Steuerfahndung, S. 794.

943 Der Veranlagungsbezirk legt Selbstanzeigen, die als solche bezeichnet werden, der Straf- und Bußgeldsachenstelle vor. Vgl. Kaligin, Betriebsprüfung und Steuerfahndung, S. 668.

944 Die Vorlagepflicht besteht nicht für Erklärungen, die auf nachträglichen Erkenntnissen des Anzeigenden beruhen, da es sich insoweit um Berichtigungen gemäß § 153 AO handelt. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 259.

5. Inhalt der Selbstanzeige 945 Der Gesetzgeber hat in der Regelung des § 371 Abs. 1 Satz 1 AO die zeitliche Eingrenzung der Steuerstraftaten nicht beibehalten. Die Berichtigungspflicht umfasst unabhängig von der Frage der Verjährung alle Steuerstraftaten. Die neu in das Gesetz aufgenommene Vorschrift des § 371 Abs. 1 Satz 2 AO enthält die Bestimmung, wonach der Steuerpflichtige entweder die unverjährten Steuerstraftaten oder die Steuerstraftaten der letzten zehn Jahre berichtigen muss. Dieser Zeitraum umfasst sowohl die verjährten als auch die unverjährten Steuerstraftaten. Für die Berichtigungspflicht gilt die jeweils längere Frist. a) § 371 Abs. 1 Satz 1 AO 946 Die wirksame Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 1 Satz 1 AO setzt voraus, dass der an der Tat Beteiligte zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt oder die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. aa) Alle Steuerstraftaten 947 Der Gesetzgeber hat in der Regelung des § 371 Abs. 1 Satz 1 AO die zeitliche Eingrenzung der Steuerstraftaten entfernt. Die Berichtigungspflicht gilt für alle Steuerstraftaten und dies unabhängig von der Verjährung. BR-Drucks. 431/14, S. 10; Heuel, wistra 2015, 290 f.

174

I. Wirksamkeitsvoraussetzungen

bb) Eine Steuerart Im Hinblick auf die Vollständigkeit der Selbstanzeige ist es notwendig, dass 948 sie die vollständigen Angaben zu der jeweiligen Steuerart enthält, beispielsweise zur Einkommensteuer oder zur Umsatzsteuer. Der Erklärende braucht keine steuerartenübergreifende Selbstanzeige zu erstatten, eine „Lebensbeichte“ ist nicht notwendig. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 527.

Sofern der Anzeigende in seiner Selbstanzeige Steuerhinterziehungen einer 949 anderen Steuerart nicht angibt, berührt dies die Wirksamkeit der Selbstanzeige für die angezeigte Steuerart regelmäßig nicht. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 525, 527. Praxistipp: Sofern der Anzeigende Steuerhinterziehungen mehrerer Steuerarten begangen hat und eine Selbstanzeige für lediglich eine Steuerart einreicht, können die Angaben in der Selbstanzeige zur Tatentdeckung der weiteren Steuerhinterziehungen führen.

Die Selbstanzeige bezieht sich auf die gesamte rechtliche Einheit. Der An- 950 zeigende muss zur Wirksamkeit der Selbstanzeige alle in Tateinheit stehenden Taten einbeziehen. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 527.

Beispiel: A wirft die Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärungen 01 in einem gemeinsamen Briefumschlag in den Briefkasten des Finanzamts ein. A hat in den Erklärungen vorsätzlich unrichtige Angaben gemacht, indem er die umsatzsteuerpflichtigen Einnahmen nicht vollständig erklärt hat. A hat durch die Abgabe der unrichtigen Steuererklärungen eine Steuerhinterziehung in Tateinheit gemäß § 52 StGB begangen, da er mehrere Steuererklärungen durch eine körperliche Handlung gleichzeitig abgegeben hat. Entscheidend ist, dass die Abgabe der Steuererklärungen in einem äußeren Vorgang zusammenfällt und die Erklärungen übereinstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen enthalten. So BGH, Beschl. v. 21.3.1985 – 1 StR 583/84, BGHSt 33, 163 ff.; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 231 m. w. N.

Sofern A eine Selbstanzeige einreicht, ist zu ihrer Wirksamkeit notwendig, dass er die Angaben zu allen drei Steuerarten berichtigt. cc) Unrichtige oder unvollständige Angaben Der Steuerpflichtige macht Angaben regelmäßig in der förmlichen Steuerer- 951 klärung, unter die auch die Steuer(vor)-Anmeldungen zu subsumieren sind.

175

J. Das Recht der Selbstanzeige

Daneben unterfallen dem Begriff des „Angabenmachens“ sonstige mündliche oder schriftliche Äußerungen gegenüber der Finanzbehörde, namentlich formlose Mitteilungen und Bekundungen im Rahmen einer Außenprüfung oder im Erhebungs- oder Vollstreckungsverfahren. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 45.

952 Der Steuerpflichtige muss die unrichtigen Angaben berichtigen oder die unvollständigen Angaben ergänzen. Die Angaben sind unrichtig, wenn er die Tatsache nicht wahrheitsgemäß erklärt. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise Scheingeschäfte relevant, um Besteuerungsgrundlagen vorzutäuschen. Unrichtig sind auch unvollständige Angaben, wenn der Steuerpflichtige der Finanzbehörde alle bedeutsamen Besteuerungsgrundlagen dem Grunde nach mitteilt, allerdings in unzutreffender Höhe. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 177 f.

953 Die Angaben sind unvollständig, wenn die Finanzbehörde die mitgeteilten Besteuerungsgrundlagen in zutreffender Höhe erfasst hat, einzelne Besteuerungsgrundlagen jedoch ausgelassen werden, ohne dass dies der Finanzbehörde ersichtlich war. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 46.

Beispiel: Ein Antrag auf Herabsetzung der Einkommensteuervorauszahlungen wird mit der Verringerung der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit begründet. Er ist unvollständig, wenn gleichzeitig die Erhöhung der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit unerwähnt bleibt. So OLG Stuttgart, Urt. v. 21.5.1987 – 1 Ss 221/87, wistra 1987, 263 ff.; vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 178.

dd) Steuerlich erhebliche Tatsachen 954 Die Angaben müssen sich auf steuerlich erhebliche Tatsachen beziehen. Tatsachen sind aktuelle oder frühere Gegenstände, Umstände oder Vorgänge, deren Existenz grundsätzlich mit verfahrensrechtlich zulässigen Beweismitteln nachgewiesen oder widerlegt werden kann. Zu den Tatsachen gehören auch die „inneren Tatsachen“, auf die regelmäßig lediglich anhand äußerer Umstände geschlossen werden kann, namentlich bestimmte Willensentschlüsse, tatsächliche oder vermeintliche Kenntnisse. Meinungen oder Wertungen, zu denen insbesondere Rechtauffassungen zählen, sind keine Tatschen. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 49.

176

I. Wirksamkeitsvoraussetzungen

Die Tatsachen sind im Festsetzungsverfahren steuerlich erheblich, wenn sie 955 sich nach den Steuergesetzen nach dem Grund oder der Höhe auf die Festsetzung des materiellen Steueranspruchs oder die Gewährung eines steuerlichen Vorteils auswirken können. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 49.

Sie sind im Erhebungsverfahren steuerlich erheblich, wenn sie die Vermö- 956 genssituation des Steuerpflichtigen und insbesondere auch die Vollstreckungsmöglichkeiten betreffen. So BGH, Beschl. v. 21.8.2012 – 1 StR 26/12, NZWiSt 2012, 470 ff.; vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 179 ff. Praxistipp: Da Tatsachen nur dann steuerlich erheblich sind, wenn sie zur Ausfüllung eines Besteuerungstatbestands herangezogen werden müssen und damit den Grund und die Höhe des Steueranspruchs oder des Steuervorteils beeinflussen oder wenn sie die Finanzbehörden zur Einwirkung auf den Steueranspruch veranlassen könnten. Falsche Angaben gegenüber der Finanzbehörde zur Erteilung einer Steuernummer sind beispielsweise keine Angaben zu steuerlich erheblichen Tatsachen. BGH, Urt. v. 27.9.2002 – 5 StR 97/02, wistra 2003, 20.

ee) Voller Umfang Die Berichtigungserklärung muss so abgegeben werden, wie es bei ordnungs- 957 gemäßer Erfüllung der steuerrechtlichen Erklärungspflichten schon früher hätte geschehen sollen. Vgl. Schuster, JZ 2015, 28; so BGH, Urt. v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02, wistra 2003, 385 ff.; Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 122.

Der Anzeigende muss die erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheits- 958 gemäß offenlegen und die ihm bekannten Beweismittel angeben. Vgl. Schiffer, BB 2015, 346.

Er muss dabei keine formelle Steuererklärung zu den betreffenden Steuerar- 959 ten einreichen. Vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 434.

Sofern der Anzeigende im Zeitpunkt der Selbstanzeige zu einer Sachaufklä- 960 rung nicht in der Lage ist, erlangt er keine Straffreiheit. Die Berichtigungserklärung ist eine sachliche Voraussetzung der Selbstanzeige. Es liegt in der Risikosphäre des an der Tat Beteiligten, im Zeitpunkt der Abgabe der Selbstan-

177

J. Das Recht der Selbstanzeige

zeige an den notwendigen Angaben gehindert zu sein – unabhängig davon, ob ihn ein Verschulden trifft. So LG Hamburg, Urt. v. 18.6.1986 – (59) 117/86 Ns, wistra 1988, 120 ff.; BGH Urt. v. 12.12.1976 – 1 StR 196/76, BB 1978, 698 f. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 591.

961 Die Anforderungen an die Selbstanzeige sind nicht zu überspannen, an ihren Inhalt können keine höheren Anforderungen gestellt werden, als an den Inhalt der Steuererklärung. So OLG Köln, Urt. v. 28.8.1979 – 1 Ss 574 – 575/79, DB 1980, 57 f.; vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 432.

962 Aufgrund der Anforderungen an den Inhalt der Selbstanzeige gilt jedoch, dass die Finanzbehörde den Sachverhalt steuerlich würdigen, die notwendigen Steuerfolgen ziehen und korrigierte Steuerbescheide erlassen können muss, ohne dass eigene anhaltende Ermittlungen seitens der Finanzbehörde notwendig sind. So BGH, Urt. v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, wistra 2004, 309 ff.; BGH, Urt. v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02, wistra 2003, 385 ff.; BGH, Urt. v. 5.9.1974 – 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293; vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 246; Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 50.

963 Es ist allerdings unschädlich, wenn sie sich durch geringfügige eigene Aufklärung Klarheit verschafft. So BGH, Urt. v. 13.11.1952 – 3 StR 398/52, BGHSt 3, 373 ff.; BGH, Urt. v. 11.11.1958 – 1 StR 370/58, BGHSt 12, 100 ff.; vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 432.

964 Für den Anzeigenden bzw. seinen Berater haben diese Anforderungen die Folge, dass er die Selbstanzeige so genau wie möglich abfassen sollte. So BGH, Urt. v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, wistra 2004, 309 ff.; vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 432.

965 Daher genügt es nicht, dass die Finanzbehörde durch die Selbstanzeige in die Lage versetzt wird, nur durch eigene Ermittlungen den zutreffenden Sachverhalt zu ermitteln. So BGH, Urt. v. 13.11.1952 – 3 StR 398/52, BGHSt 3, 373 ff.; So LG Hamburg, Urt. v. 18.6.1986 – (59) 117/86 Ns, wistra 1988, 120 ff.; vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 434.

966 Bei Vorliegen eines solchen Sachverhalts hat der Anzeigende den in Literatur und Rechtsprechung geforderten „wesentlichen Beitrag“ zur zutreffenden Steuerfestsetzung nicht geleistet.

178

I. Wirksamkeitsvoraussetzungen Vgl. Rau, in: Festschrift Streck, S. 538; so BGH, Urt. v. 5.9.1974 – 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293; vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/ Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 434.

Für die wirksame Selbstanzeige ist des Weiteren nicht ausreichend, dass der 967 Anzeigeerstatter x

eine Außenprüfung beantragt, so OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.5.1981 – 2 Ss 214/81, wistra 1982, 119; vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 107,

x

der Finanzbehörde gegenüber ankündigt, eine Selbstanzeige abgeben zu wollen, so BGH, Urt. v. 13.11.1952 – 3 StR 398/52, BGHSt 3, 373; so LG Hamburg, Urt. v. 18.6.1986 – (59) 117/86 Ns, wistra 1988, 120 ff.; vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 433,

x

lediglich die Feststellungen der Finanzbehörde anerkennt, so BGH Beschl. v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, NJW 2005, 2723 ff., Praxistipp: Dies gilt nur, sofern keine leichtfertige Vorgehensweise vorliegt. So OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.11.1995 – 2 Ss 158/95, wistra 1996, 117 f.

x

die verkürzten Steuern stillschweigend nachzahlt, so Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 18.9.1997 – Ss 335/97, wistra 1998, 71 f.,

x

die Buchführungsunterlagen bei der Finanzbehörde einreicht, so BGH, Urt. v. 24.10.1990 – 3 StR 16/90, NStZ 1991, 89.

x

auf Vorhalt bestimmter auffälliger Sachverhalte die Unrichtigkeit seiner Angaben einräumt, so BGH, Beschl. v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, NJW 2005, 2723 ff.; vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 431; Rolletschke, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschaftsund Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 35,

x

unterlassene Angaben stillschweigend in einem anderen Veranlagungszeitraum nachholt. So BGH, Urt. v. 18.10.1956 – 4 StR 166/57, BStBl. I 1957, 122 ff.; vgl. Wenzler/Rübenstahl, Die Selbstanzeige, S. 25.

179

J. Das Recht der Selbstanzeige Praxistipp: In der Praxis ist zu beobachten, dass der Anzeigende die Selbstanzeige einreichen will, ihm die steuererheblichen Tatsachen noch nicht alle präsent sind und erst noch von ihm beschafft werden müssen. Die Selbstanzeigeerstattung löst zwingend bereits auf der ersten Stufe der Anzeige dem Grunde nach eine Verfahrenseinleitung gemäß § 385 Abs. 1 AO i.V. m. §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO und somit die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO bzw. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO aus. Vgl. Schuster, JZ 2015, 28; Götzenberger, Auslandsvermögen legalisieren, Rn. 631 ff.

968 An den Inhalt der Selbstanzeige des Mittäters oder des Teilnehmers sind grundsätzlich die gleichen Anforderungen zu stellen wie an den Inhalt der Selbstanzeige des Alleintäters. Vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 443.

969 Die Selbstanzeige des Mittäters bzw. des Teilnehmers ist wirksam, wenn die Finanzbehörde durch sie in die Lage versetzt wird, die Steuer des Täters in der richtigen Höhe festzusetzen. Schwierigkeiten ergeben sich, wenn der Mittäter bzw. der Teilnehmer die Tat nicht vollumfänglich kennt. Nach der Rechtsprechung des BGH muss er seinen Tatbeitrag offenlegen und die Art und den Umfang der Steuerhinterziehung so genau bezeichnen, dass die Finanzbehörde dadurch Zugriff auf die bisher verschwiegene Steuerquelle erhält. Häufig ist es diesem Personenkreis objektiv unmöglich, die richtigen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln bzw. mitzuteilen, da er keinen Zugang zu den Besteuerungsgrundlagen hat. So BGH, Urt. v. 18.6.2003 – 5 StR 489/02, wistra 2003, 385; vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 123; Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 71 f.; Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 443; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 531.

970 Weitere zur Steuerfestsetzung führende Ermittlungen der Finanzbehörde stellen keinen Hinderungsgrund für die Wirksamkeit der Selbstanzeige dar. Die gegenteilige Betrachtung würde dazu führen, dass dieser Personenkreis von der Möglichkeit eine Selbstanzeige einzureichen, ausgeschlossen würde. Vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 443.

b) § 371 Absatz 1 Satz 2 AO 971 Der Gesetzgeber hat die Vorschrift des § 371 Abs. 1 Satz 2 AO neu in das Gesetz aufgenommen. Die Voraussetzung für eine wirksame Selbstanzeige ist nunmehr, dass vollständige Angaben zu allen – strafrechtlich- unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen. 180

I. Wirksamkeitsvoraussetzungen Vgl. Geuenich, NWB 2015, 30.

Dies hat zur Folge, dass auch in Fällen der einfachen Steuerhinterziehung 972 rückwirkend für zehn Jahre die Besteuerungsgrundlagen nacherklärt werden müssen. BT-Drucks. 18/3018, S. 10 f.

Eine mögliche strafrechtliche Verjährung der jeweiligen Taten ist unbeacht- 973 lich. Der Anzeigende muss der Finanzbehörde auch die Besteuerungsgrundlagen mitteilen, die sie bislang ggf. schätzen musste. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 280.

aa) Verjährung Die Verjährung wird durch den Grad der Steuerhinterziehung beeinflusst. Sie 974 beträgt für den „einfachen“ Fall der Steuerhinterziehung gemäß § 369 Abs. 2 AO i. V. m. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre und erhöht sich für den Fall der besonders schweren Steuerhinterziehung gemäß §§ 370 Abs. 3 Satz 2, 376 AO auf zehn Jahre. BT-Drucks. 18/3018, S. 10; vgl. Demuth, kösdi 2014, 18807;

Die Verjährung beginnt, sobald die Tat beendet ist.

975

Gluth/Rund, AO-StB 2014, S 21; Grötsch, wistra 2015, 254 f.; ausf. zum Verjährungsbeginn Grötsch, wistra 2015, 249 ff.

Die Verjährungsfrist beginnt bezogen auf die Veranlagungssteuern im Fall der 976 Abgabe unrichtiger Steuererklärungen, namentlich der Einkommensteuer, Körperschaftsteuer oder Gewerbesteuer, mit der Bekanntgabe der zu niedrigen Festsetzung der Steuer gegenüber dem Steuerpflichtigen. Gleiches gilt für die Erbschaftsteuer. So BGH, Urt. v. 1.2.1989 – 3 StR 450/88, BGHSt 36, 105 ff.

Die Verjährung beginnt bei der unterlassenen Abgabe der Steuererklärung in 977 dem Zeitpunkt, in dem bei der rechtzeitigen Abgabe die Veranlagung spätestens erfolgt wäre. Dies soll gegeben sein, wenn die Veranlagungsarbeiten des zuständigen Bezirks im Wesentlichen, d. h. zu 95 %, abgeschlossen sind. So BGH, Urt. v. 1.2.1989 – 3 StR 450/88, BGHSt 36, 105 ff.; so BayOblG, Beschl. v. 9.11.2000 – 4 St RR 126/2000, wistra 2001, 194 f.; so BGH, Beschl. v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, BStBl II 2002, 259.

Bei der nicht periodisch festzusetzenden Erbschaft- und Schenkungssteuer 978 ist der „95 %-Zeitpunkt“ nicht bestimmbar. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Veranlagung bei rechtzeitiger Anzeige der Schenkung/Erbschaft frühestens bekannt gegeben worden wäre, und er bestimmt ihn mit vier Monaten nach der Schenkung/Erbschaft.

181

J. Das Recht der Selbstanzeige So BGH, Beschl. v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, NJW 2011, 3249 ff.; Vgl. Wessing, in: Flore/Tsambikakis, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 55; vgl. Heidl/Pump, NWB 2014, 2330.

979 Bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO im Erbfall richtet sich die Verjährungsfrist nach der Kenntniserlangung des Erben. Sie kann bei entsprechend umfangreichem Nachlass und langwieriger Erbauseinandersetzung erst längere Zeit nach dem Erbfall eintreten. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 56.

980 Bei der Umsatzsteuer als Anmeldesteuer beginnt die Verjährung bei der Abgabe der unrichtigen Umsatzsteuer- Voranmeldung mit Zahllast mit dem Eingang der unrichtigen Voranmeldung bei der Finanzbehörde. Dies gilt auch, wenn sie vor Fristablauf eingereicht wird. Im Fall der Erstattung tritt der Taterfolg mit der Bekanntgabe der Zustimmung der Finanzbehörde ein. Die Verjährung beginnt an diesem Tag. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 376 Rn. 36 f.

981 Bei der Nichtabgabe oder der verspäteten Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldung beginnt die Verjährung mit dem Ablauf der Abgabefrist. Bei der Jahreserklärung ist dies am 1.6. des Folgejahres. Der Tag des Fristablaufs ist in die Fristberechnung nicht einzubeziehen, da die Unterlassungstat nach der Rechtsprechung des BGH erst mit dem vollständigen Verstreichen der Abgabefrist begangen ist. So BGH, Beschl. v. 31.5.2011 – 1 StR 189/11, wistra 2011, 346; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 376 Rn. 38.

982 Bei der Hinterziehung von Lohnsteuer fallen die rechtliche Vollendung und die tatsächliche Beendigung zusammen. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 376 Rn. 40. Praxistipp: Fristverlängerungen verschieben den Fristbeginn unabhängig davon, ob die Verlängerung durch allgemeine Verwaltungsvorschrift oder aufgrund eines Einzelantrags erfolgt ist. So BGH, Beschl. v. 12.6.2013 – 1 StR 6/13, PStR 2013, 248 f.; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 376 Rn. 38; zu den unterschiedlichen Fristen im Umsatzsteuerrecht vgl. Kemper, UR 2015, 377 f.

bb) Berichtigungsverbund 983 Von der strafrechtlichen Verjährung ist der erweiterte Berichtigungsverbund des § 371 Abs. 1 Satz 2 AO, der einen Zeitraum von zehn Kalenderjahren umfasst, zu unterscheiden. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 38.

182

I. Wirksamkeitsvoraussetzungen

Unter dem Berichtigungsverbund ist das Erfordernis einer gebündelten Mel- 984 dung aller begangenen Steuerhinterziehungen in einer wirksamen Selbstanzeige zu verstehen. Vgl. Habammer/Pflaum, DStR 2014, 2267.

Nach der Gesetzesbegründung ist der Ausgangspunkt für die Berechnung 985 der fiktiven Zehn-Jahres-Frist die Abgabe der Selbstanzeige: BT-Drucks. 18/3018, S. 11.

Beispiel: Bei einem Eingang der Selbstanzeige in 2015 sind die Angaben ab 2005 notwendig. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 31; vgl. Buse, DB 2015, 89.

Schwierigkeiten ergeben sich bei der Eingrenzung der einzubeziehenden 986 Steuerstraftaten in den Berichtigungsverbund. Der Gesetzeswortlaut enthält keine Angaben dazu, ob auf den Zeitpunkt der Tatbegehung und somit beispielsweise bezogen auf die Veranlagungssteuern auf die Abgabe der unrichtigen Steuererklärung oder auf die Tatbeendigung und somit auf die Bekanntgabe des unrichtigen Steuerbescheides abzustellen ist. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 31; auf den Zeitpunkt der Tathandlung abstellend Beyer, NWB 2015, 3008 m. w. N. zur a. A., siehe auch BZSt, DA-KG v. 29.7.2015, BStBl. 2015 I, S. 584 ff.

Sofern der Anzeigende innerhalb der Mindestfrist von zehn Kalenderjahren 987 für nur einen Besteuerungszeitraum unvollständige Angaben macht, die zu einer von der BGH-Rechtsprechung nicht mehr tolerierten zu niedrigen Steuerfestsetzung von mehr als 5 % führen, ist die Selbstanzeige insgesamt unwirksam und führt nicht zur Straffreiheit. So BGH, Beschl. v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, NJW 2011, 3249 ff.; vgl. Geuenich, NWB 2015, 31.

Die Verlängerung des Berichtigungszeitraums führt dazu, dass es an Bedeu- 988 tung gewinnt, ob innerhalb der Zehn-Jahresfrist Fehler vorliegen, die die Wirksamkeit der Selbstanzeige betreffen. Vgl. Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung auf BT-Drucks. 18/3018 von Prof. Dr. Hechtner, S. 3; Heuel, wistra 2015, 289.

In der Praxis kann es sich als schwierig gestalten – insbesondere bei komple- 989 xen Fällen oder bei teilweise fehlenden Unterlagen – vollständige Angaben für einen Zeitraum von zehn Jahren zu machen. Selbst die Vornahme von Sicherheitszuschlägen wird nicht jeden Einzelfall lösen können. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 31.

183

J. Das Recht der Selbstanzeige

990 Hinzu kommt die Notwendigkeit, eine sachgerechte Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO für die sog. „Altjahre“ vorzunehmen, für die keine Bankunterlagen oder sonstigen Informationen mehr zu beschaffen sind. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 32; vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 131.

991 Die Abgabe von Unterlagen für den zehnjährigen Berichtigungszeitraum soll nach der Gesetzesbegründung dazu führen, dass für die Finanzbehörde ein erheblicher Teil des Ermittlungsaufwandes entfällt. Der Anzeigende muss gegenüber der Finanzbehörde künftig auch Angaben für die Jahre machen, für die die Finanzbehörde bislang aufwändige Ermittlungen und Schätzungen vorzunehmen hatte. BT-Drucks. 18/3018, S. 10; vgl. Buse, DB 2015, 90.

992 Dem steht weiterhin das Erfordernis der vollumfänglichen Kontrolle der Angaben durch die Finanzbehörde gegenüber. Vgl. Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung auf BT-Drucks. 18/3018 von Prof. Dr. Hechtner, S. 3. Praxistipp: Weder aus dem Wortlaut des Gesetzes noch aus der Gesetzes-begründung selbst ist der Zehn-Jahres-Zeitraum bestimmbar. Es ist beabsichtigt, eine Klärung auf Bundesebene herbeizuführen. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 280. Praxistipp: Um die Wirksamkeit der Selbstanzeige nicht zu gefährden, ist bis zur Klärung auf einen möglichst weitreichenden Berichtigungszeitraum abzustellen.

Formulierungsbeispiel für den Umfang des Berichtigungsverbundes in der Selbstanzeige: „Sofern für weitere, vorstehend nicht ausdrücklich aufgeführte Veranlagungszeiträume noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten sein sollte bzw. nach Ihrer Rechtsansicht weitere Veranlagungszeiträume, welche vorstehend nicht ausdrücklich genannt sind, von dem Berichtigungsverbund nach § 371 Abs. 1 AO umfasst sein sollten, soll für Zwecke dieser Anzeige unterstellt werden, dass in diesen Veranlagungszeiträumen jeweils Einkünfte gemäß § […] i. H. v. […] und gemäß § […] i. H. v. […] erzielt wurden.“ 6. Besonderheiten a) Widerruf/Änderung der Selbstanzeige 993 Der Anzeigende, der seine ursprüngliche, falsche Selbstanzeige widerruft und die notwendigen, zutreffenden Tatsachenangaben in einer neuen Selbst-

184

I. Wirksamkeitsvoraussetzungen

anzeige mitteilt, kann zwar eine den Anforderungen des § 371 Abs. 1 AO genügende Anzeigeerklärung einreichen. Er wird aus der Abgabe der zweiten Selbstanzeige jedoch keine Straffreiheit erlangen können, da regelmäßig ein Sperrtatbestand des § 371 Abs. 2 AO – beispielsweise die Tatendeckung – greifen wird. Vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 444.

Sofern der Anzeigende die wahrheitsgemäße Selbstanzeige widerruft, gilt die 994 Selbstanzeige als nicht existent. Die Straffreiheit entfällt, weil die Tat entdeckt ist. Vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 444; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 23.

In der widerrufenen, zutreffenden Selbstanzeige kann eine erneute Steuer- 995 hinterziehung gesehen werden, die einen selbstständigen Unrechtsgehalt hat. Der Anzeigende täuscht die Finanzbehörde mit dem Widerruf. Vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 444; Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschaftsund Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 263. Praxistipp: Der Steuerpflichtige kann gegen die geänderten Steuerbescheide Einspruch einlegen. Der Einspruch widerruft oder ändert die Selbstanzeige regelmäßig nicht. So LG Heidelberg, Beschl. v. 16.11.2012 – 1 Qs 62/12, wistra 2013, 78 ff.; vgl. Weinbrenner, DStR 2013, 1268 ff.; Kaligin, Betriebsprüfung und Steuerfahndung, S. 668 m. w. N. zu den Risiken eines Einspruchs nach erfolgter Selbstanzeige.

b) Teilselbstanzeige Unter der Teilselbstanzeige ist eine Selbstanzeige i. S. d. § 371 AO zu verste- 996 hen, die einen Teil der bislang unterlassenen oder unrichtigen Angaben umfasst. Die steuerlich erheblichen Tatsachen werden nicht vollständig offengelegt. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht vor und nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, S. 89.

Beispiel: Der Anzeigende unterhält zwei Schwarzgeldkonten, eines in der Schweiz und eines in Liechtenstein. In der Selbstanzeige erklärt er nur die bislang verschwiegenen Kapitaleinnahmen aus dem Konto in der Schweiz nach. Der Anzeigende erzielt Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit sowie bislang nicht erklärte Einkünfte aus Gewerbebetrieb sowie aus Vermietung und Verpachtung. In der Selbstanzeige legt er die gewerblichen Einkünfte offen. 185

J. Das Recht der Selbstanzeige

997 Bis zur Anwendung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes wurde nach überwiegender Ansicht in der Literatur von der Zulässigkeit der Teilselbstanzeige ausgegangen. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht vor und nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, S. 89 m. w. N.

998 Seit der Gültigkeit des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes im Jahr 2011 waren alle unverjährten Steuerstraftaten jeweils einer Steuerart vollständig zu berichtigen; die Teilselbstanzeige, die nur einzelne Taten hinsichtlich einer Steuerart erfasste – insbesondere für bestimmte Veranlagungszeiträume oder Steuerquellen – war seither nicht mehr möglich. Vgl. Habammer/Pflaum, DStR 2014, 2267; vgl. Schuster, JZ 2015, 28. Der Gesetzgeber sah gemäß Art. 97 § 24 EGAO Ausnahmen für Selbstanzeigen vor, die vor dem 28.4.2011 bei der Finanzbehörde eingegangen waren.

999 Mit dem Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung ist die bewusste Teilselbstanzeige auch nach der Neuregelung des § 371 AO ausgeschlossen. Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 139; Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 264 ff.

1000 Eine Ausnahme gilt gemäß § 371 Abs. 2a AO ab dem 1.1.2015 für die besonders fehleranfälligen Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Lohnsteuer-Anmeldungen. Vgl. Schuster, JZ 2015, 28. Praxistipp: Von der Teilselbstanzeige nicht umfasst ist der Bereich, wonach der Anzeigende sich dazu entschließt, nur eine von zwei oder mehreren verschiedenen Steuerstraftaten anzuzeigen, indem er beispielsweise die falschen Angaben in der Einkommensteuererklärung 01, nicht aber die falschen Angaben in der Umsatzsteuererklärung 03 berichtigt. Begrifflich handelt es sich nicht um eine Teilselbstanzeige, sondern bezogen auf die Einkommensteuererklärung 01 um eine vollständige Selbstanzeige. Die Prüfung der Wirksamkeit der Selbstanzeige erfolgt tatbezogen. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht vor und nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, S. 89.

c) Selbstanzeige in Stufen 1001 Bei der sog. Selbstanzeige in Stufen erklärt der Anzeigende den Gesamtbetrag der bislang nicht ordnungsgemäß erklärten Besteuerungsgrundlagen. Die Konkretisierung im Hinblick auf die Qualität – die Einkunftsart – und auf die Quantität – die Höhe der bislang nicht zutreffend erklärten Besteuerungsgrundlagen bezogen auf den jeweiligen Veranlagungszeitraum – erfolgt in der zweiten Stufe der Selbstanzeige. Vgl. Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 202.

186

I. Wirksamkeitsvoraussetzungen

Nach der Rechtsprechung des BGH tritt bei der gestuften Selbstanzeige, bei 1002 der der Anzeigende die konkreten Angaben zu den Besteuerungsgrundlagen erst noch nachreichen möchte, keine Wirksamkeit nach § 371 Abs. 1 AO ein. So BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.; vgl. Schuster, JZ 2015, 28.

Die Begründung ergibt sich aus der vorgenannten Rechtsprechung noch zur 1003 Gesetzeslage vor der Gültigkeit des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes. Danach müssen die Angaben auf der ersten Stufe so konkret benannt sein, dass die Finanzbehörde auf dieser Grundlage in der Lage ist, den Sachverhalt ohne langwierige Nachforschungen aufzuklären und die Steuer richtig festzusetzen. So BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.; vgl. Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 202.

d) Schätzung In der Praxis kann der Anzeigende in die Situation gelangen, dass in kurzer 1004 Zeit ein Sperrgrund einzugreifen droht, weil beispielsweise eine Betriebsprüfung unmittelbar bevorsteht. In einem solchen Fall sind die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen und der Finanzbehörde ist mitzuteilen, dass die erklärten Werte auf einer Schätzung basieren, die der weiteren Präzisierung bedarf. Die Schätzung darf keinesfalls in zu geringer Höhe ausfallen, sodass ein deutlicher Sicherheitszuschlag vorzunehmen ist. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 542; Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 446; Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 559; Brinkmann, StBp 2013, 323 f.

Das Instrument der Schätzung wird in der Praxis zudem genutzt, wenn der 1005 Anzeigende die Einkünfte aus ausländischem Kapitalvermögen erklären will und ihm die Besteuerungsgrundlagen nicht bekannt sind, da er die entsprechenden Unterlagen bei der ausländischen Bank deponiert hat. Er reicht eine Selbstanzeige mit den geschätzten Beträgen ein, bevor er die Unterlagen selbst aus dem Ausland in das Inland verbringt. Ohne die vorherige Selbstanzeige könnte eine bei ihm durchgeführte Grenzkontrolle nach den Umständen des Einzelfalls zur Tatentdeckung führen. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 558; Götzenberger, Auslandsvermögen legalisieren, Rn. 510 f.

Gleiches kann gelten, wenn der Anzeigende bei seiner Hausbank Unterlagen 1006 anfordert. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 93; s. auch Rundschreiben der Bafin v. 5.3.2014 (GW 1 – GW 2001 – 2008/0003, www.iww.de/sl435); krit. zur Einschränkung der strafbefreienden Selbstanzeige gemäß § 371 AO durch die BaFin Nestler, wistra 2015, 329 ff.; Wegener, PStR 2014, 183; Haarmann, BB 2015, 25.

187

J. Das Recht der Selbstanzeige

1007 Soweit es dem Anzeigenden beispielsweise aufgrund unzureichender Buchführung oder wegen fehlender Belege nicht möglich ist, betragsmäßig genaue Angaben über die steuerliche erheblichen Tatsachen zu machen, ist er gehalten, sie auf der Basis einer Schätzung anhand der ihm bekannten Informationen zu erklären. So BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.; so BGH Urt. v. 5.9.1974 – 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293; vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 122.

1008 Er kann den Umsatz zulässigerweise nach den anerkannten steuerlichen Schätzungsmethoden ermitteln. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 555.

1009 Die Schätzung ist ebenfalls möglich, wenn die Buchführung keine Anhaltspunkte für die Einnahmen und Ausgaben liefert und die Vollschätzung notwendig ist. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 555; so BGH, Urt. v. 5.9.1974 – 4 StR 369/74, NJW 1974, 2293.

1010 Das Instrument der Schätzung kann zur Anwendung gelangen, wenn dem Anzeigenden einige Anhaltspunkte zu den Besteuerungsgrundlagen vorliegen, beispielsweise zu der Höhe und der Zusammensetzung des bislang nicht deklarierten Kapitalvermögens. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 250 f.

1011 Die Richter des BGH fordern in ihrem Beschluss vom 20.5.2010, dass die Beträge konkret zu schätzen sind. So BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.

1012 Der Erklärende sollte der Finanzbehörde daher mitteilen, dass er die Werte in der Selbstanzeige ganz oder teilweise geschätzt hat und großzügige Sicherheitszuschläge vornehmen. Bei der Bemessung des Sicherheitszuschlages sollte der Steuerpflichtige beachten, dass die zu niedrige Schätzung die Straffreiheit gefährdet. Vgl. Wollweber, FR 2014, 635.

1013 Die Richter des BGH verlangen in ihrer Rechtsprechung, dass der Anzeigende die bislang nicht oder unrichtig oder unvollständig erklärten Besteuerungsgrundlagen in der Selbstanzeige in vollem Umfang korrigiert. So BGH, Beschl. v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, NJW 2011, 3249 ff.

1014 Eine Bagatellabweichung bis zu fünf Prozent des Verkürzungsbetrags i. S. d. § 370 Abs. 4 AO kann unschädlich sein. Eine Abweichung mit einer Auswirkung von mehr als fünf Prozent vom Verkürzungsbetrag i. S. d. § 370 Abs. 4 AO ist nicht mehr als geringfügig anzusehen.

188

I. Wirksamkeitsvoraussetzungen Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 559, 563.

Dieser Prozentsatz ist keine feste Größe.

1015

Nach anderen Entscheidungen wird eine Abweichung von 6 % – so OLG Köln, Urt. v. 28.8.1979 – 1 Ss 574-575//79, StB 1980, 283 f. –, teilweise auch bis zu 10 % – vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 27 – toleriert.

Zu beachten ist, dass nicht jede Abweichung von bis zu fünf Prozent des 1016 Verkürzungsbetrags i. S. d. § 370 Abs. 4 AO zu einer geringfügigen und somit für die Wirksamkeit der Selbstanzeige unschädlichen Differenz führt. Die Strafverfolgungsbehörde nimmt eine wertende Betrachtung vor, ob die inhaltlichen Abweichungen von dem gesetzlich vorausgesetzten Inhalt einer vollständigen Selbstanzeige noch als geringfügig einzustufen sind. Die wertende Betrachtung kann auf der Grundlage der Gesamtwürdigung der Umstände auch unterhalb der fünf Prozent die Versagung der Strafbefreiung rechtfertigen. Die Kriterien sind neben der Höhe der Abweichungen im Hinblick auf den Verkürzungsumfang auch die Umstände, die die Grundlage für die Abweichungen bilden. Bei der Gesamtwürdigung ist einzubeziehen, ob es sich um bewusste Abweichungen handelt oder ob, wie beispielsweise bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, in der Selbstanzeige noch die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit gesehen werden kann. Bewusst vorgenommene Abweichungen sind regelmäßig nicht als geringfügig anzusehen. Sie sind nicht vom Willen zur vollständigen Rückkehr zur Steuerehrlichkeit getragen. So BGH, Beschl. v, 25.7.2011 – 1 StR 631/10, NJW 2011, 3249 ff.; vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 563; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 158. Praxistipp: Bei der Abfassung der Selbstanzeige ist zu beachten, dass die Bagatellabweichung auf die jeweilige Tat im materiellen Sinn anzuwenden ist. Eine Addition der Verkürzungsbeträge ist nicht vorzunehmen. Streitig; vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 561 m. w. N.

e) Ankündigung einer Selbstanzeige Die Ankündigung einer Selbstanzeige führt zu einem Sperrgrund i. S. d. 1017 § 371 Abs. 2 AO. Dies kann zum einen die Tatentdeckung sein. Zum anderen ist es denkbar, 1018 dass die Strafverfolgungsbehörde dem Legalitätsprinzip des § 152 StPO entsprechend das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren einleitet.

189

J. Das Recht der Selbstanzeige

II. Sperrgründe 1019 Die Sperrgründe gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 AO beschreiben Situationen, in denen die Offenlegung des zutreffenden Besteuerungssachverhalts auch ohne die Selbstanzeige unmittelbar bevorsteht. So BGH, Beschl. v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, NJW 2005, 2723 ff.

1020 Der Aufklärungsbeitrag des Anzeigenden ist von geringer Bedeutung und rechtfertigt für ihn keinen Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch. Das gilt unabhängig davon, ob der Beitrag vorrangig auf das Erschließen unbekannter Steuerquellen oder auf die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit abstellt. Vgl. Pflaum, StBp 2013, 217; Webel, StBp 2015, 309.

1. Anordnung der Außenprüfung 1021 In der Vergangenheit hat der Gesetzgeber die Regelung in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO in mehrfacher Hinsicht geändert. Nach der nun geltenden Rechtslage durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014 tritt Straffreiheit nicht ein, wenn „bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten i. S. d. § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekannt gegeben worden ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung.“ BGBl. I 2014 S. 2415.

a) Adressatenkreis 1022 Der Gesetzgeber hat in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO den Begriff des „Täters“ durch den Begriff des „an der Tat Beteiligten“ und des „Begünstigen i. S. d. § 370 Abs. 1 AO“ ersetzt. BT-Drucks. 18/3018, S. 11.

1023 Neben der Selbstanzeige des Täters ist auch die Selbstanzeige des Teilnehmers nach §§ 26, 27 StGB von der Sperrwirkung umfasst. Vgl. Beneke, BB 2015, 408.

1024 Die Neuregelung hat zur Folge, dass sowohl der Täter als auch der Anstifter und der Gehilfe zu einer Steuerhinterziehung keine Selbstanzeige mit strafbefreiender Wirkung abgeben können, wenn einem von ihnen die Prüfungsanordnung nach § 196 AO für eine steuerliche Außenprüfung bekannt gegeben worden ist. BT-Drucks. 18/3018, S. 11; vgl. Müller, StBp 2015, 128.

1025 Gleiches gilt, wenn die Prüfungsanordnung dem Begünstigten i. S. d. § 370 Abs. 1 AO oder seinem Vertreter bekannt gegeben wurde. Der Begriff des 190

II. Sperrgründe

Begünstigten ist im Gesetz nicht definiert. Als Begünstigter kann der Nachzahlungspflichtige i. S. des § 371 Abs. 3 AO verstanden werden. Vgl. Füllsack/Bürger, Praxis der Selbstanzeige, Rn. 237; Joecks, DStR 14, 2263. vgl. Buse, DB 2015, 90; so BGH, Urt. v. 4.7.1979 – 3 StR 130/79, NJW 1980, 248 f.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.5.1984 – 1 Ss 205/84, wistra 1984, 239.

Er ist derjenige, zu dessen Gunsten die Steuern verkürzt oder nicht gerecht- 1026 fertigte Steuervorteile erlangt wurden. Vgl. Füllsack/Bürger, Praxis der Selbstanzeige, Rn. 237; Jesse, FR 2015, 678.

Der Zweck der Neufassung ist es, die Selbstanzeige für alle an der Tat betei- 1027 ligten Personen zu sperren, und es dafür genügen zu lassen, dass nur einer von ihnen bzw. der Begünstigte i. S. d. § 370 AO Adressat der Prüfungsanordnung ist. BT-Drucks.18/3018, S. 11; vgl. Buse, DB 2015, 90.

Denn der an der Tat Beteiligte soll nicht von dem Auseinanderfallen zwi- 1028 schen Tatbeteiligten und Begünstigten der Steuerhinterziehung profitieren. BT-Drucks.18/3018, S. 11; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 280.

In der bisherigen Fassung nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz trat die 1029 Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO nur ein, wenn dem Täter oder seinem Vertreter die Prüfungsanordnung bekannt gegeben worden war. Der Gesetzgeber sah darin eine Regelungslücke, da in der Vergangenheit in der Praxis Fälle aufgetreten waren, in denen ein Mitarbeiter, beispielsweise ein Einkäufer oder Vertriebsmitarbeiter, zugunsten des Unternehmens eine Steuerhinterziehung begangen hat. Der Mitarbeiter war ein an der Tat Beteiligter, das Unternehmen der Begünstigte. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 280; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 159.

Wurde dem Unternehmen eine Prüfungsanordnung gemäß § 196 AO be- 1030 kanntgegeben und war der Mitarbeiter bereits aus dem Unternehmen ausgeschieden, konnte er dennoch eine wirksame Selbstanzeige einreichen. Die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung an das Unternehmen hatte keine Auswirkung auf die Möglichkeit der Abgabe der Selbstanzeige durch den ehemaligen Mitarbeiter. Er konnte die Selbstanzeige mit strafbefreiender Wirkung einreichen, obwohl er ein an der Tat Beteiligter war. BT-Drucks.18/3018, S. 11; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 280; zur Bekanntgabe an eine GmbH vgl. Harle/Olles, NWB 2014, 173 f.

Die Begründung für die Neuregelung ist darin zu sehen, dass die Prüfungs- 1031 anordnung sich bei Kapitalgesellschaften an die Gesellschaft als Steuerpflich-

191

J. Das Recht der Selbstanzeige

tigen richtet. Da die Gesellschaft selbst nicht „Täter“ einer Steuerhinterziehung sein kann, sondern es allein ihre Organe oder die Mitarbeiter bzw. außenstehende Dritte sein können, bestand nach der bisherigen Rechtslage Uneinigkeit darüber, ob die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung an die Gesellschaft die Sperrwirkung für die Selbstanzeige eines Organs oder eines Mitarbeiters auslöste. Vgl. Jesse, FR 2015, 679; vgl. Schwartz, PStR 2015, 42.

1032 Sofern die Prüfungsanordnung allgemein an das Unternehmen adressiert war, trat erst mit dem tatsächlichen Erscheinen des Prüfers zur steuerlichen Prüfung die Sperrwirkung gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO a. F. ein. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 32.

1033 Daher ergänzte der Gesetzgeber den Gesetzestext um den Begriff des Begünstigen i. S. d. § 370 Abs. 1 AO. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 42.

1034 Die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung an das Unternehmen schließt nach der neuen Fassung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO nunmehr die Selbstanzeige des an der Tat Beteiligten aus Der Sperrgrund greift bezüglich der betroffenen Unternehmenssteuern nach dieser Vorschrift bei der Selbstanzeige des Geschäftsführers oder des – ausgeschiedenen – Mitarbeiters, der nicht selbst Adressat der Prüfungsanordnung ist. Der an der Tat Beteiligte muss nicht notwendig Kenntnis von der Prüfungsanordnung haben. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 42; vgl. BR-Drucks. 431/14, 11; vgl. Buse, DB 2015, 90; Füllsack/Bürger, Praxis der Selbstanzeige, Rn. 237; a. A. Jesse, FR 2015 678 f. Praxistipp: Prüfungssubjekt und Adressat der Prüfungsanordnung einer Personengesellschaft, die einen gewerblichen Betrieb unterhält, ist ausschließlich die Personengesellschaft. Die Prüfungsanordnung führt zu einer Selbstanzeigesperre bei den Gesellschaftern. Vgl. Stahl, kösdi 2014, 18884. Praxistipp: Bei Selbstanzeigen im unternehmerischen Bereich ist es ratsam, koordiniert vorzugehen und ehemalige Mitarbeiter einzubinden und abzustimmen, für wen die Selbstanzeige einzureichen ist. Vgl. Beneke, DB 2015, 408.

b) Bekanntgabe der Prüfungsanordnung 1035 Die Sperrwirkung tritt mit der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung ein. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 109; ausführlich zur Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gemäß § 197 AO siehe AEAO 2015 zu § 197 AO.

192

II. Sperrgründe

Die Prüfungsanordnung muss notwendig den folgenden Inhalt haben:

1036

Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 110; vgl. Harle/Olles, Die moderne Betriebsprüfung, Rn. 441; Harle/Olles, NWB 2014, 171.

x

Erlassende Behörde,

x

Steuerpflichtiger, der von der Prüfung erfasst sein soll,

x

bei der abgekürzten Außenprüfung muss ein Hinweis auf § 203 AO erfolgen,

x

Rechtsgrundlagen der Betriebsprüfung,

x

die zu prüfenden Steuerarten,

x

die zu prüfenden Besteuerungszeiträume,

x

ggf. Begründung, Hinweis auf wesentliche Rechte und Pflichten,

x

Angabe des Inhaltsadressaten

x

Personen nach §§ 34, 35 AO, die für den Steuerpflichtigen handeln.

Eine mit gravierenden Mängeln i. S. d. § 5 Betriebsprüfungsordnung 2000 1037 versehene und somit gemäß § 125 AO nichtige Prüfungsanordnung löst keine Sperrwirkung aus, denn ein nichtiger Verwaltungsakt kann keine Rechtswirkung entfalten. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 39d; so BGH, Beschl. v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, NJW 2005, 2723 ff.; Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 104; Rolletschke, in: Graf/ Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 76.

Gravierende zur Nichtigkeit führende Mängel liegen beispielsweise vor, wenn x

die Prüfungsanordnung mündlich erteilt wird;

x

die Behördenbezeichnung unzutreffend ist;

x

die Prüfungsanordnung ein unbestimmtes Prüfungssubjekt betrifft;

1038

(Dies ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige nicht mehr lebt, die GbR nicht mehr existiert u. s. w. Die Prüfungsanordnung muss mit hinreichender Bestimmtheit erkennen lassen, wem gegenüber die Pflicht zur Duldung einer Außenprüfung geregelt werden soll.) x

die Angabe der Prüfungsjahre und Steuerarten fehlt oder

x

die Prüfungsanordnung nach Abschluss der Betriebsprüfung erstellt wird. Vgl. Harle/Olles, Die moderne Betriebsprüfung, Rn. 466 f.; Harle/Olles, NWB 2014, 171f.; Kaligin, Betriebsprüfung und Steuerfahndung, S. 67, 70 m. w. N.

Die Bekanntgabe der rechtswidrigen Prüfungsanordnung hingegen löst die 1039 Sperrwirkung aus.

193

J. Das Recht der Selbstanzeige Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 39d; streitig, vgl. statt vieler Stahl, Selbstanzeige, Rn. 258; Beispiele zur rechtswidrigen Prüfungsanordnung siehe bei Kaligin, Betriebsprüfung und Steuerfahndung, S. 66, 687.

1040 Für den Eintritt des Sperrgrundes nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung maßgeblich. In diesem Zusammenhang besteht Streit, ob die Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 1 Nr. 1 AO für die Anwendung des Sperrgrundes des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO heranzuziehen ist. Vgl. Wulf, Stbg 2013, 269; vgl. Wulf, SAM 2015, 17; ausf. Füllsack/Bürger, Praxis der Selbstanzeige, Rn. 247 ff.

1041 § 371 AO ist eine strafrechtliche Vorschrift, die Fiktionen des Steuerrechts gelten nicht. Die Absicht des Gesetzgebers ist es, dem Steuerhinterzieher die Gelegenheit zu nehmen, nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung noch eine wirksame Selbstanzeige abgeben zu können. Daher kommt es ausschließlich darauf an, wann die Prüfungsanordnung tatsächlich zugegangen ist. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 39b.

1042 In Zweifelsfällen über den tatsächlichen Zugang der Prüfungsanordnung hat die Strafverfolgungsbehörde den Nachweis über das Eintreten des Sperrgrundes nach dieser Vorschrift nachzuweisen. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 134.

1043 Bei Ungewissheit der tatsächlichen Bekanntgabe gilt der strafrechtliche Zweifelssatz „in dubio pro reo“. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 39b. Praxistipp: Sofern sich der Zugang der mit der Post versandten Prüfungsanordnung nicht nachweisen lässt, kann als Sperrgrund das tatsächliche Erscheinen des Prüfers in Betracht kommen. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 39a. Praxistipp: Sofern der Steuerberater die Prüfungsanordnung vorsorglich anfechten oder die Feststellung der Nichtigkeit gemäß § 125 Abs. 5 Satz 2 AO beantragen möchte, ist zu bedenken, dass ihm dadurch der Einwand genommen wird, die Prüfungsanordnung nicht erhalten zu haben. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 110. Praxistipp: Weder die Ankündigung der Außenprüfung noch die Absprache über den tatsächlichen Prüfungsbeginn lösen den Sperrgrund aus.

194

II. Sperrgründe Vgl. Wulf, Stbg 2013, 271; Helml, Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, S. 103; Gluth/Rund, AO-StB 2014, S 20.

c) Sachlicher und zeitlicher Umfang der Außenprüfung Von dem Begriff der Außenprüfung sind die Betriebsprüfung, die Lohnsteu- 1044 eraußenprüfung sowie die Umsatzsteuersonderprüfung umfasst. Vgl. Steinhauff, AO-StB 2015, 111.

Die zuständige Finanzbehörde bestimmt gemäß § 4 Betriebsprüfungsord- 1045 nung 2000 den Umfang der Außenprüfung nach pflichtgemäßem Ermessen. Bei Großbetrieben und entsprechend eingestuften Steuerpflichtigen schließt der Prüfungszeitraum regelmäßig an den vorhergehenden an. Bei anderen Betrieben soll er nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Vgl. Steinhauff, AO-StB 2015, 111; vgl. Stahl, kösdi 2014, 18887; ausführlich vgl. Schiffer, BB 2015, 343.

Der Gesetzgeber hat in der Vorschrift des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a i. V. m. 1046 Abs. 2 Satz 2 AO mit dem Wortlaut „beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung“ die Möglichkeit der partiellen Selbstanzeige für Steuerarten und Zeiträume, die nicht Gegenstand der Prüfungsanordnung sind, geschaffen. BT-Drucks. 18/3018, S. 11; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 280; vgl. Geuenich, NWB 2015, 32.

Das Vollständigkeitsgebot gemäß § 371 Abs. 1 AO wird auf die Steuer- 1047 straftaten der Steuerarten und Zeiträume begrenzt, die nicht Gegenstand des sachlichen und zeitlichen Umfangs der angekündigten Außenprüfung sind. BT-Drucks. 18/3018, S. 11; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 280; vgl. Schwartz, PStR 2015, 41; Füllsack/Bürger, Praxis der Selbstanzeige, Rn. 251.

Die Mindestfrist von zehn Kalenderjahren gemäß § 371 Abs. 1 Satz 2 AO 1048 findet insofern keine Anwendung, das Vollständigkeitsgebot ist für die zu berichtigenden Steuerarten und Zeiträume zu beachten. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 32; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 280.

Die Wirksamkeit der Selbstanzeige für die Jahre, die nicht Gegenstand der 1049 Prüfungsanordnung sind, ist somit nicht davon abhängig, dass die Angaben für die „gesperrten“ Jahre berichtigt, ergänzt oder nachgeholt werden. Dies würde ansonsten zu einem mittelbaren Zwang zur Selbstbelastung führen. Vgl. Joecks, DStR 14, 2264; Füllsack/Bürger, Praxis der Selbstanzeige, Rn. 251.

195

J. Das Recht der Selbstanzeige

Beispiel: A erhält eine Prüfungsanordnung für den Zeitraum 08 bis 10, Gegenstand der Prüfung ist die Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer. A hat seit Jahren bedingt vorsätzlich unrichtige Erklärungen abgegeben. Er kann für die Zeiträume bis einschließlich 07 und ab 11 eine bei Vorliegen aller positiven Wirksamkeitsvoraussetzungen strafbefreiende Selbstanzeige erstatten. Praxistipp: Der Chance, für bestimmte Zeiträume eine wirksame Selbstanzeige abzugeben, steht das Risiko gegenüber, durch eigene Erklärung eine strafrechtliche Verfolgung für die gesperrten Zeiträume auszulösen und die Betriebsprüfung zudem für die selbst angezeigten Themen zu sensibilisieren. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 32; vgl. Beneke, DB 2015, 409 f.

1050 Bei der Prüfung mit Mehrergebnis ist es ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der Änderungsbescheide bzw. bei der Prüfung ohne Mehrergebnis ist es ab der Mitteilung, dass keine Änderungsbescheide erlassen werden, möglich, eine dann wirksame Selbstanzeige für die geprüften Steuerarten und Veranlagungszeiträume einzureichen. Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 133; Rolletschke, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 371 Rn. 122 m. w. N. zum Meinungsstand; vgl. Wulf, SAM 2015, 19 m. w. N. Praxistipp: Im Rahmen der Prüfungsvorbereitung ist die Erstellung der Selbstanzeige in Erwägung zu ziehen. Vgl. Schiffer, BB 2015, 345. Praxistipp: Selbst eine nicht wirksame Selbstanzeige rechtfertigt eine Strafmilderung.

Praxistipp: Nach § 2 Abs. 3 StGB ist die günstigste Gesetzesfassung anzuwenden. Sofern der Steuerpflichtige beispielsweise im Jahr 2014 eine Prüfungsanordnung erhalten und zeitlich danach eine dem Vollständigkeitsgebot entsprechende Selbstanzeige eingereicht hat, konnte die Selbstanzeige nach der bis zum 31.12.2014 geltenden Rechtslage nicht wirksam sein. Die Einschränkung der Sperrwirkung gemäß § 371 Abs. 2 Satz1 Nr. 1a AO führt seit dem 1.1.2015 dazu, dass der Steuerpflichtige für die Jahre, die nicht von der Prüfungsanordnung umfasst sind, eine – möglicherweise wirksame – Selbstanzeige eingereicht hat. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 41; ausf. zum zeitlichen Anwendungsbereich Grötsch, NZWiSt 2015, 409 f.

196

II. Sperrgründe Praxistipp: Bei der mündlichen Ankündigung der Außenprüfung ist für den sachlichen und zeitlichen Umfang der Sperrwirkung der Inhalt der Prüfungsanordnung maßgeblich. Vgl. Buse, DB 2015, 90.

Trotz wirksamer Prüfungsanordnung bestehen zwei Möglichkeiten, eine 1051 strafbefreiende Nacherklärung einzureichen: Die erste Fallgruppe betrifft die nicht vorsätzlich, sondern grob fahrlässig 1052 begangene Steuerverkürzung. Nach der Vorschrift des § 378 Abs. 3 AO ist auch in der laufenden Betriebsprüfung möglich, eine Nacherklärung einzureichen. Dies gilt allerdings nur, sofern noch kein Ermittlungsverfahren bekannt gegeben worden ist. Vgl. Wulf, Stbg 2013, 272.

Die zweite Fallgruppe betrifft die Anzeige gemäß § 153 AO. Sind neben dem 1053 Täter anzeige- und berichtigungspflichtige Personen vorhanden, die nachträglich von den unrichtigen Angaben erfahren, so sind diese Personen in der laufenden Prüfung zur Anzeige und zur Berichtigung gemäß § 153 AO verpflichtet. Der Gesetzgeber misst der Anzeige des nach § 153 AO Verpflichteten die begünstigende Drittwirkung zu und gewährt mit der Vorschrift des § 371 Abs. 4 AO die Strafbefreiung trotz der andauernden Außenprüfung. Die Reichweite dieser Sonderregelung ist allerdings umstritten. Vgl. Wulf, Stbg 2013, 272. Praxistipp: Der Insolvenzverwalter ist eine solche Person, die der Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO unterfällt.

2. Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung Nach der Vorschrift des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b AO tritt Straffreiheit 1054 nicht ein, wenn „bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist“. Der neugefasste Sperrgrund der Bekanntgabe der Einleitung des Straf- oder 1055 Bußgeldverfahrens ist vergleichbar mit dem Sperrgrund der Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung. Demnach ist die Selbstanzeige sowohl des Täters als auch des Teilnehmers von der Sperrwirkung umfasst. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 33; Müller, StBp 2015, 128.

Nach der Absicht des Gesetzgebers ist die Selbstanzeige für alle Tatbeteiligten 1056 ausgeschlossen, sobald die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens gegenüber der an der Tat beteiligten Person oder ihrem Vertreter bekannt gegeben wurde. 197

J. Das Recht der Selbstanzeige Vgl. BT-Drucks. 18/3018, S. 11; FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 280; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 480.

1057 Da der Gesetzeswortlaut „dem“ an der Tat Beteiligten lautet und nicht „einem“ an der Tat Beteiligten, kann die Vorschrift nach ihrem Wortlaut und entgegen der Gesetzesbegründung auch so verstanden werden, dass die Sperrwirkung nur gegenüber der Person greift, der gegenüber die Einleitung des Verfahrens bekanntgegeben worden ist. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 33.

1058 Diese Auffassung wird von dem Argument gestützt, dass die Verfahrenseinleitung eine täterbezogene und keine tatbezogene Maßnahme ist. Dies hat zur Folge, dass die in der Gesetzesbegründung geschilderte Rechtsfolge nur eintritt, wenn die Formulierung „einem“ an der Tat Beteiligten gewählt worden wäre. Vgl. Beneke, DB 2015, 408. Praxistipp: Für die Praxis ist davon auszugehen, dass die beschriebene Auslegungsschwierigkeit zuungunsten des an der Tat Beteiligten entschieden wird.

1059 Die Einleitung des Steuerstrafverfahrens i. S. d. § 397 Abs. 1 Satz 1 AO besteht in einer konkreten Maßnahme und ist gleichbedeutend mit dem Beginn straf- oder bußgeldrechtlicher Ermittlungen gegen eine bestimmte Person aufgrund eines bestimmten Sachverhalts, der den Verdacht einer Steuerstraftat oder Ordnungswidrigkeit hervorgerufen hat. Vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 261 f.; Jäger, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 397 AO Rn. 7.

1060 Für den Verdacht, der ein Einschreiten mit strafrechtlichen Mitteln erfordert, genügt eine gewisse, wenn auch noch so geringe Wahrscheinlichkeit, bei der der Zweifel an der Richtigkeit des Verdachts noch überwiegen darf. Vgl. Jäger, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 397 AO Rn. 45; vgl. Beulke, in: Löwe/Rosenberg, § 152 StPO Rn. 23.

1061 Die Bekanntgabe kann ausdrücklich erfolgen, wobei eine besondere Form nicht vorgeschrieben ist. Sie kann auch konkludent, regelmäßig durch die Übergabe eines Durchsuchungsbeschlusses, erfolgen. Sofern die Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens mündlich bekanntgegeben wird, ist sie unverzüglich in geeigneter Form, beispielsweise durch eine Protokollnotiz oder einen Aktenvermerk, zu dokumentieren. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 138.

1062 Als Maßnahme, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich zu ermitteln, kommt jede Willensbetätigung einer

198

II. Sperrgründe

zur Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen Steuergesetze allgemein zuständigen Stelle in Betracht, deren strafrechtliche Zielsetzung feststellbar ist. Vgl. Jäger, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 397 AO Rn. 85.

Die Pflicht, die Einleitung des Strafverfahrens dem Beschuldigten mitzuteilen, 1063 dient seinem Schutz vor einer Selbstbezichtigung. Wer von der Finanzbehörde aufgefordert wird, Tatsachen darzulegen oder Unterlagen vorzulegen, muss Gewissheit darüber haben, dass er dazu als Beschuldigter in einem Strafverfahren und nicht als Steuerpflichtiger in einem Besteuerungsverfahren aufgefordert wird. Vgl. Jäger, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 397 AO Rn. 123.

Die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige wird gemäß § 371 Abs. 2 1064 Satz 1 Nr. 1b AO nicht ohne Weiteres schon im Zeitpunkt der Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens ausgeschlossen, sondern erst, wenn dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung bekannt gegeben worden ist. Vgl. Jäger, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 397 AO Rn. 123, 145; Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 137.

Diese Einschränkung ist deshalb sachgerecht, weil die Mitteilung der Einlei- 1065 tung an den Beschuldigten nicht zwingend ist und er vielfach von der Selbstanzeige abgehalten würde, wenn er das Vorliegen eines Sperrgrundes nicht zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen könnte. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 137.

Die Vorschrift in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b AO enthält – anders als in § 371 1066 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a und Nr. 1c AO – keine Beschränkung der Sperrwirkung auf den sachlichen und zeitlichen Umfang. Vgl. Müller, StBp 2015, 128; a. A. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 138; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 481.

Beispiel: A wird die Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bekanntgegeben, weil der Verdacht besteht, dass er die Einkommensteuer 10 bis 12 verkürzt hat. A kann auch für die Zeiträume vor 10 und nach 12 keine wirksame Selbstanzeige einreichen. Praxistipp: Eine nach der Bekanntgabe der Einleitung des Verfahrens erstattete Selbstanzeige wirkt wie ein Geständnis und wirkt sich auf den Verfahrensabschluss strafmildernd aus. Denkbar ist es, das Verfahren gemäß § 153a StPO einzustellen, statt einen Strafbefehl zu beantragen.

199

J. Das Recht der Selbstanzeige

1067 Die Selbstanzeige ist nur für die Taten denkbar, die eine andere Steuerart betreffen. Vgl. Füllsack/Bürger, Praxis der Selbstanzeige, Rn. 257.

1068 Nach Abschluss des Straf- oder Bußgeldverfahrens besteht die Möglichkeit eine Selbstanzeige mit strafbefreiender Wirkung einzureichen. Bei der Verfahrenseinstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO markiert die Mitteilung an den Beschuldigten über die Verfahrenseinstellung den Zeitpunkt, ab dem strafaufhebend Selbstanzeige eingereicht werden kann. Sofern ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist oder ein rechtskräftiger Strafbefehl vorliegt, tritt für die noch nicht entdeckten Teile einer Tat Strafklageverbrauch ein. Die Möglichkeit der Selbstanzeigeerstattung stellt sich somit lediglich theoretisch. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 566; Rolletschke, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 124 ff.; Wulf, SAM 2015, 20.

3. Erscheinen des Amtsträgers der Finanzbehörde zur Außenprüfung 1069 Mit den Neuregelungen im Änderungsgesetz vom 22.12.2014 hat der Gesetzgeber den bisherigen Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1c AO – das Erscheinen eines Amtsträgers der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung bzw. das Erscheinen eines Amtsträgers zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit – aufgrund der Einführung der teilweisen Selbstanzeigemöglichkeit in zwei separate Tatbestände aufgespalten. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 32.

1070 Nach der neuen Vorschrift des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1c AO tritt Straffreiheit nicht ein, wenn „bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung erschienen ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung“. a) Umfang der Sperrwirkung 1071 § 371 Abs. 2 Satz 2 AO normiert, dass das Vollständigkeitsgebot zu beachten, aber gemäß § 371 Abs. 1 AO in den Fällen des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1c AO auf die Steuerstraftaten einer Steuerart begrenzt ist, die nicht Gegenstand des sachlichen und zeitlichen Umfangs der Außenprüfung sind. Die Wirksamkeit der Selbstanzeige für die Jahre, die nicht Gegenstand der steuerlichen Prüfung sind, ist somit nicht davon abhängig, dass die Angaben für die „gesperrten“ Jahre berichtigt, vervollständigt oder ergänzt werden. Dies würde ansonsten zu einem mittelbaren Zwang zur Selbstbelastung führen. BT-Drucks. 18/3018, S. 11; vgl. Joecks, DStR 14, 2264; FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 280.

200

II. Sperrgründe

b) Amtsträger der Finanzbehörde Dem Begriff des Amtsträgers der Finanzbehörde, der in § 7 AO, § 11 StGB 1072 legaldefiniert ist, unterfallen zum einen die Amtsträger, die ständig im Dienst der Außenprüfung, der Steuerfahndung oder der Zollfahndung stehen. Zum anderen sind darunter auch andere Angehörige der Finanzbehörde, die eine Prüfungsanordnung gemäß § 196 AO der zuständigen Finanzbehörde ausführen wollen oder die im Veranlagungsverfahren als Prüfer tätig werden, zu verstehen. So BFH, Urt. v. 5.4.1984 – IV R 244/83, NJW 1984, 2240; vgl. Füllsack/Bürger, Praxis der Selbstanzeige, Kap.4 Rn. 264.

Beispiel: Der Amtsträger der Finanzbehörde erscheint zur Außen- und Sonderprüfung, zur Steuer- und Zollfahndung, zur Steueraufsicht und Nachschau. Der Staatsanwalt oder der Polizeibeamte, der zur Durchsuchung wegen einer 1073 Steuerstraftat erscheint, unterfällt nicht dem Begriff des Amtsträgers der Finanzbehörde, da er nicht für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen zuständig ist. Vgl. Harder, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 22 Rn. 116.

c) Erscheinen zur steuerlichen Prüfung Der Amtsträger ist zur steuerlichen Prüfung erschienen, sobald er das Grund- 1074 stück mit den Betriebs- oder Wohnräumen eines Steuerpflichtigen in der ernsthaften Absicht betritt, dessen steuerlichen Verhältnisse zu überprüfen. Vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 226 ff.; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 568.

Die erforderliche Absicht, mit der Prüfung zu beginnen, ergibt sich aus den 1075 Umständen des Einzelfalls, unter denen der Prüfer erscheint. Dem Umstand des Einzelfalls unterfällt beispielsweise die Tageszeit, zu der der Prüfer erscheint, und ob er die Steuerakten und weitere Hilfsmittel mitbringt. Vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 226. Praxistipp: Anhaltspunkte für Scheinhandlungen, die keinen Beginn einer steuerlichen Prüfung darstellen, können nach der Rechtsprechung sein, dass der Prüfer zu einem kurzen Gespräch erscheint, aus organisatorischen Gründen jedoch für einige Monate keine Prüfungstätigkeit entfaltet und die Anforderung der Unterlagen für längere Zeit die einzige Prüfungshandlung bleibt. So FG Düsseldorf, Urt. v. 24.11.1998 – 8 K 424/96 AO, EFG 1999, 259; vgl. Kaligin, Betriebsprüfung und Steuerfahndung, S. 92.

201

J. Das Recht der Selbstanzeige Praxistipp: Kommt es nach dem Erscheinen des Prüfers zu keinen weiteren Prüfungshandlungen oder lediglich zur Anforderung von Prüfungsunterlagen, weil der Steuerpflichtige nicht angetroffen wird, er sich verleugnen lässt oder seine Buchführung sich in einem unzumutbaren Zustand befindet, so hat dies keine Auswirkungen auf die eingetretene Sperrwirkung. So BFH, Urt. v. 19.6.2007 – VIII R 99/04, BStBl. II 2008, 7; vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 570.

1076 Die steuerliche Prüfung ist jede rechtmäßige Maßnahme der Finanzbehörde, die der Ermittlung und Erfassung der steuerlichen Verhältnisse eines Steuerpflichtigen dient und die das Ziel richtiger und vollständiger Steuerfestsetzung verfolgt bzw. der Feststellung dient, ob der Steuerpflichtige seine steuerlichen Pflichten richtig erfüllt hat. So BayOBlG, Beschl. v. 17.9.1986 – RReg 4 St 155/86, wistra 1987, 77 f.; vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 222.

1077 Der steuerlichen Prüfung unterfallen die Fälle der „normalen“ Betriebsprüfung, die Lohnsteueraußenprüfung, die Umsatzsteuersonderprüfung sowie die Prüfungen der Steuerfahndung i. S. d. § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO. Vgl. Schiffer, BB 2015, 343.

1078 Gleiches gilt, wenn ein Finanzbeamter in den Räumen des Steuerpflichtigen prüfen soll, ob bestimmte Angaben in Stundungs- oder Erlassanträgen gemäß den §§ 222, 227 AO, das von einem Vollstreckungsschuldner im Verfahren nach § 284 AO abgegebene Vermögensverzeichnis oder die von einem Dritten abgegebene Drittschuldnererklärung zutreffen. 1079 Die betriebsnahe Veranlagung und die Prüfung von Büchern, Geschäftspapieren und sonstigen Urkunden gemäß § 97 AO unterfällt ebenfalls der steuerlichen Prüfung. Vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 222; Harle/Olles, NWB 2014, 171.

1080 Richtsatzprüfungen unterfallen der steuerlichen Prüfung nur insoweit, als sie zugleich die Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen im Einzelfall zum Gegenstand haben. Vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 217.

1081 Liquiditätsprüfungen stellen keine steuerliche Prüfung dar, da sie nicht der steuerlichen Überprüfung des Steuerpflichtigen dienen. Vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 222 m. w. B.

202

II. Sperrgründe Praxistipp: Die Ankündigung einer Außenprüfung erfüllt nicht das Tatbestandsmerkmal „Erscheinen“ und führt nicht zum Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1c AO. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass mit der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO vorliegt. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 568. Praxistipp: Das Erscheinen bei einem Dritten, z. B. zu einer Betriebsprüfung bewirkt keine Sperre der Selbstanzeige. Dies gilt auch im Fall der Mittäterschaft. Anders verhält es sich, wenn dem Dritten, beispielsweise im Rahmen einer Steuerfahndungsmaßnahme, die Einleitung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens oder des Bußgeldverfahrens bekanntgegeben wurde. Insofern greift der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b AO.

Praxistipp: Die Möglichkeit zur strafbefreienden Selbstanzeige besteht nach Abschluss der Prüfung bzw. nachdem die Mitteilung darüber ergangen ist, dass keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen erfolgt. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 579. Praxistipp: Streitig ist, ob der Sperrgrund gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1c AO bei einer rechtswidrigen Außenprüfung vorliegen kann. Nach dieser Vorschrift ist Voraussetzung für das Eingreifen des Sperrgrundes, dass der Amtsträger zu der steuerlichen Prüfung erscheint, sodass die Rechtswidrigkeit für diesen Sperrgrund ohne Bedeutung ist. Etwas anderes gilt nur, wenn die Prüfungsanordnung nichtig ist. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 578; Wulf, SAM 2015, 20. Praxistipp: Umstritten ist der Eintritt der Sperrwirkung bei der Prüfung an Amtsstelle. Der Betriebsprüfer beginnt mit der Prüfung an Amtsstelle, indem er die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen zur Vorbereitung und somit zur Durchführung der Prüfung auswertet. Das Aktenstudium dient der Prüfung der konkreten Verhältnisse des zu prüfenden Betriebes. Sie ist auf die Ermittlung oder Überprüfung von Besteuerungsgrundlagen gerichtet und löst die Sperrwirkung aus. Gleiches gilt, wenn der Betriebsprüfer an Amtsstelle damit beginnt, die ihm von dem Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter vorab übersandte Daten-CD auszuwerten. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 573 m. w. N.

203

J. Das Recht der Selbstanzeige Praxistipp: Auch der Mitarbeiter eines Sozialversicherungsträgers ist nicht im Dienst der Finanzbehörde tätig. Sein Erscheinen löst daher nicht den Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1c AO aus. Vgl. Heidl/Pump, NWB 2014, 2327. Praxistipp: Die Ermittlungsmaßnahmen der Zollkontrolle Schwarzarbeit stellen ebenfalls keine steuerliche Prüfung dar. Dies gilt auch, wenn der Zollbeamte den Beamten der Steuerfahndung als Sachverständigen begleitet. Vgl. Wulf, SAM 2015, 20.

4. Das Erscheinen des Amtsträgers zur Ermittlung der Steuerstraftat/Ordnungswidrigkeit 1082 Nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1d AO tritt Straffreiheit nicht ein, wenn „bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist“. a) Amtsträger 1083 In der neuen Fassung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1d AO kann der Anzeigende keine Straffreiheit erlangen, wenn ein Amtsträger – auch anderer Behörden, wie etwa der Staatsanwaltschaft oder der Polizei – zur Ermittlung der Steuerstraftat oder der Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist. Der Gesetzgeber hat den Begriff „der Finanzbehörde“ nicht in die Neuregelung übernommen, um zu verdeutlichen, dass im Erscheinen des Staatsanwaltes oder des Polizeibeamten zur Überprüfung des Anfangsverdachts einer Steuerstraftat regelmäßig die Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens liegt. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 33; Füllsack/Bürger, Praxis der Selbstanzeige, Kap. 4 Rn. 274.

1084 Das Erscheinen des Betriebsprüfers, der nicht nur berechtigt ist, Ermittlungen durchzuführen, wenn ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, sondern auch, selbst ein solches Verfahren einzuleiten, löst ebenfalls den Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1d AO aus. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 483.

1085 Gleiches gilt für die Beamten der Steuerfahndung und der Straf- und Bußgeldsachenstelle – mit der Einschränkung, dass die Beamten der Steuerfahndung in diesem Fall keine Vorfeldermittlungen vornehmen. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 483.

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II. Sperrgründe

b) Umfang der Sperrwirkung Für den sachlichen Umfang der Sperrwirkung ist der tatsächliche Sachverhalt 1086 maßgeblich, zu dessen Ermittlung der Amtsträger erscheint. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 1072; Füllsack/Adick, Praxis der Selbstanzeige, Kap. 4 Rn. 275. Praxistipp: Dem Einleitungsvermerk gemäß § 397 AO kommt eine indizielle Bedeutung zu.

Das körperliche Erscheinen des Amtsträgers zu steuerstrafrechtlichen Er- 1087 mittlungen sperrt die Abgabe der Selbstanzeige insgesamt und somit für alle Taten des jeweiligen Berichtigungsverbunds. Vgl. Wulf, SAM 2015, 21.

Nach der Rechtsprechung des BGH umfasst die Sperrwirkung bei strafrecht- 1088 lichen Ermittlungen auch die Tatvorwürfe, die zwar nicht Gegenstand der Ermittlungen sind, aber in einem so engen sachlichen und/oder zeitlichen Zusammenhang stehen, dass ihre Aufdeckung im weiteren Verlauf zu erwarten ist. Die Selbstanzeige ist somit insgesamt und für alle Taten des jeweiligen Berichtigungsverbunds gesperrt. So BGH, Beschl. v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, NStZ 2000, 427 ff.; so BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.; vgl. Wulf, SAM 2015, 20 f.; Füllsack/Bürger, Praxis der Selbstanzeige, Kap. 4 Rn. 275 m. w. N. auch zur Auffassung eines sachlichen Zusammenhangs zwischen Steuerarten desselben Veranlagungszeitraums.

Sofern das Erscheinen der Beamten der Steuerfahndung ausnahmsweise keine 1089 Einleitung des Strafverfahrens und somit nicht den Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b AO auslöst, führen die Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung unter den Voraussetzungen des § 371 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1d AO zu einer Sperrwirkung, soweit der konkrete Prüfungsauftrag reicht. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 1070; Wulf, SAM 2015, 20. Praxistipp: Die praktische Bedeutung des Sperrgrundes des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1d AO ist auf die Sachverhalte beschränkt, in denen die Ermittlungen nicht bereits die Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung erfordern und somit der Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b AO vorliegt. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 1070.

Für den persönlichen Umfang der Sperrwirkung gilt, dass sich der konkrete 1090 Tatverdacht auf einen bestimmbaren Täter richten muss. Die Sperrwirkung nach dieser Vorschrift tritt bei einer von mehreren Personen begangenen Steuerhinterziehung für den Beteiligten ein, bei dem der Amtsträger zur Prüfung erschienen ist. 205

J. Das Recht der Selbstanzeige So BGH, Beschl. v. 15.1.1988 – 3 StR 46/5/87, BGHSt 35, 188 ff.

1091 Die zeitliche Sperrwirkung bestimmt sich nach denselben Kriterien wie bei der Sperrwirkung der Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 1096. Praxistipp: Der Sperrgrund nach dieser Vorschrift geht in der Praxis regelmäßig in den Sperrgrund der Einleitung und der Bekanntgabe des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b AO über. Sofern dies nicht der Fall ist, ist die Möglichkeit der Selbstanzeige eröffnet, sobald der Amtsträger die Räumlichkeiten verlassen hat. Vgl. Wulf, SAM 2015, 21. Praxistipp: Die Selbstanzeigemöglichkeit ergibt sich bei diesem Sperrgrund, sobald das „erfolglose“ Strafverfahren abgeschlossen ist. Vgl. Rolletschke, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 123 zu § 371 Abs. 1 Nr. 1a 2. Alt. AO a. F.

1092 Die verspätete und somit „verunglückte“ Selbstanzeige wirkt nicht strafbefreiend, jedoch strafmildernd. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 1099.

5. Umsatzsteuer- und Lohnsteuernachschau 1093 Aufgrund der neuen Vorschrift in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1e AO tritt Straffreiheit nicht ein, wenn „bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b des Umsatzsteuergesetzes, einer Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g des Einkommensteuergesetzes oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erschienen ist und sich ausgewiesen hat“. Praxistipp: Die Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erfasst derzeit ausschließlich die allgemeine Nachschau nach § 210 AO. Vgl. hierzu Webel, StBp 2015, 310. Zur Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG vgl. ausf. Janssen-Heid/Hilbert, BB 2015, 598 ff.

1094 Die Nachschau stellt keine Außenprüfung i. S. d. §§ 193 ff. AO dar und entfaltet keine Sperrwirkung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO. Vgl. Müller, StBp 2015, 129; Nichtanwendbarkeit der Regelungen zur Außenprüfung gemäß §§ 193 ff. AO vgl. Apitz, StBp 2014, 34.

206

II. Sperrgründe

Die Rechtslage nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz zur Sperrwirkung 1095 der Selbstanzeige bei Beginn der Umsatzsteuer- oder Lohnsteuernachschau war in der bisherigen Fassung des § 371 AO strittig. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 42; zur Sperrwirkung der LohnsteuerNachschau vgl. Apitz, StBp 2014, 37; gegen die Sperrwirkung: Schauf, in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, Stand: Juli 2012, § 371 AO Rn. 136; für die Sperrwirkung: Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 57; Vgl. FM NRW 5.5.2011, S 0702-8-VA1.

Der Gesetzgeber sorgt mit dem neuen § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1e AO für ein 1096 Ende des Streits. Danach wird gesetzlich festgelegt, dass eine strafbefreiende Selbstanzeige in der Zeit nicht möglich ist, in der ein Amtsträger der Finanzbehörde zur Umsatzsteuer-Nachschau, Lohnsteuer-Nachschau oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erschienen ist und sich ausgewiesen hat. BT-Drucks. 18/3018, S. 11; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281.

a) Umsatzsteuer-Nachschau Zu den Voraussetzungen zur Umsatzsteuer-Nachschau siehe Rn. 384 – 397.

1097

b) Lohnsteuer-Nachschau Zu den Voraussetzungen zur Lohnsteuer-Nachschau siehe Rn. 398 – 400.

1098

c) Ausweisen des Prüfers Die Voraussetzung für das Eingreifen des Sperrgrundes gemäß § 371 Abs. 2 1099 Satz 1 Nr. 1e AO ist, dass der Prüfer sich ausweist. BT-Drucks. 18/3018, S. 11; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281.

Der Steuerpflichtige muss mangels vorliegender Prüfungsanordnung durch 1100 die Vorlage des Amtsausweises und geeigneter amtlicher Dokumente die sichere Kenntnis davon haben, dass der Amtsangehörige von seiner Dienststelle zur Nachschau hinsichtlich gewisser Steuern bzw. steuerlich erheblicher Sachverhalte beauftragt ist und die Nachschau begonnen hat. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 484 f.; FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281; Müller, StBp 2015, 129.

Die sog. „Mattentheorie“ ist für diesen Sperrgrund ohne Bedeutung, da es 1101 maßgeblich darauf ankommt, dass der Prüfer sich ausweist. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 485.

Das Gesetz enthält keine Bestimmungen darüber, wie der Prüfer sich auszu- 1102 weisen hat, sodass Streitigkeiten zu erwarten sind, ob und wann sich der Amtsträger ordnungsgemäß ausgewiesen hat.

207

J. Das Recht der Selbstanzeige Vgl. Wulf, SAM 2015, 21; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 485.

1103 Die Problematik soll anhand der nachstehenden Beispiele verdeutlicht werden: Beispiele: x

Finanzbeamter B erscheint bei Unternehmer A, um im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau eine Rechnung anzusehen, aus der A Vorsteuer begehrt. B sagt zu A: “Guten Tag, ich bin vom Finanzamt X“ und bittet um die Vorlage der Rechnung. B hat sich nicht mit einem entsprechenden Dokument ausgewiesen, die Selbstanzeige ist möglich. Aus dem Erfordernis des Ausweisens in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1e AO ergibt sich zudem, dass nicht auf den Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1c oder Nr. 1d AO zurückgegriffen werden kann.

x

Finanzbeamter B erscheint bei Unternehmer A, um im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau eine Rechnung anzusehen, aus der A Vorsteuer begehrt. A offenbart gleich, dass er eine solche gar nicht besitzt und die Sache insofern eine Steuerhinterziehung darstellt. B kann sich nicht mehr erinnern, ob er, bevor der A dies offenbarte, ihm schon seinen Dienstausweis vorgelegt hatte, und A bestreitet dies. Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ kann A noch Straffreiheit erlangen.

x

Die Umsatzsteuer-Nachschau bezieht sich auf eine Rechnung aus dem Voranmeldungszeitraum 01/04. Der Prüfer weist sich ordnungsgemäß aus. Der Steuerpflichtige offenbart dem Prüfer, dass er in 03 die Einkommensteuer und Umsatzsteuer durch fingierte Rechnungen hinterzogen hat. Da die Umsatzsteuer-Nachschau sich nicht auf diese Sachverhalte bezieht, kann der Steuerpflichtige noch eine wirksame Selbstanzeige einreichen. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 484 f.

x

Der Prüfer kündigt den ihm persönlich bekannten Steuerberater telefonisch an, dass er am folgenden Tag erscheinen werde, um Einsicht in bestimmte Unterlagen zu nehmen. Bei der gemeinsamen Sichtung der Unterlagen fällt dem Steuerberater auf, dass Umsätze nicht vollständig erklärt sind. Der Steuerberater verlässt unter einem Vorwand den Raum und veranlasst telefonisch, dass der Steuerpflichtige unmittelbar korrigierte UmsatzsteuerVoranmeldungen an die Finanzbehörde übersendet.

d) Umfang der Sperrwirkung 1104 Der sachliche Umfang der Sperrwirkung soll sich nach Literaturstimmen auf die einschlägige Steuerart, somit auf die Umsatzsteuer bzw. die Lohnsteuer beschränken. Die damit im Zusammenhang stehende Einkommen- oder Gewerbesteuerhinterziehung soll nicht von der Sperrwirkung umfasst sein. Vgl. Beyer/Heuel, AO-StB 2015, 134 m. w. N.

208

II. Sperrgründe

Der sachliche Umfang der Sperrwirkung soll nach weiterer Literaturmeinung 1105 soweit reichen, wie die Nachschau angeordnet ist. Die Finanzbehörde wird dazu den Umfang der Nachschau durch geeignete Unterlagen, beispielsweise durch einen internen Prüfungsauftrag, dokumentieren. Die Unterlagen werden zu Beweiszwecken notwendig sein, wenn der Steuerpflichtige die Selbstanzeige sofort beim Erscheinen und Ausweisen des Prüfers einreicht. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 485. Praxistipp: Der Gesetzestext enthält keine Bestimmung zum sachlichen und zeitlichen Umfang der Sperrwirkung während der Dauer der Nachschau. Daher ist nicht geklärt, ob die Nachschau eine Selbstanzeige im vollen Umfang für alle Steuerarten und Zeiträume sperrt. Eine entsprechende Klärung soll auf Bundesebene herbeigeführt werden. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281.

Sofern die Nachschau zu Feststellungen führt, greift regelmäßig der Sperr- 1106 grund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO, da der Übergang zur Außenprüfung erfolgt oder der Sperrgrund gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO wegen Tatentdeckung liegt vor. BT-Drucks. 18/3018, S. 12; zum Übergang einer LohnsteuerNachschau zur Lohnsteuer-Außenprüfung vgl. BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 – S 2386/09/10002:001 – BStBl I 2014, S. 1408; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 484; FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281

Sofern die Nachschau zu keinem Ergebnis führt, entfällt der Sperrgrund mit 1107 dem Ende der Nachschau. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 42; FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281.

Das Ende zeichnet sich durch das Verlassen der Geschäftsräume aus.

1108

BT-Drucks. 18/3018, S. 12; FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281; Müller, StBp 2015, 129. Praxistipp: Für den Steuerpflichtigen lebt sodann die Möglichkeit zur Erstattung der Selbstanzeige auf. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 484.

6. Tatentdeckung Der Gesetzgeber hat die Regelung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO, wonach 1109 Straffreiheit nicht eintritt, wenn „eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste“, nicht geändert. 209

J. Das Recht der Selbstanzeige

1110 Die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO tritt ein, sobald eine der Taten, für die nach § 371 Abs. 1 AO eine Selbstanzeige abzugeben ist, ganz oder teilweise entdeckt ist. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 60; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 583.

1111 Die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige ist nach dieser Vorschrift ausgeschlossen, wenn die Tatentdeckung objektiv vorliegt. Die Ausschlusswirkung tritt nicht ein, wenn eine Entdeckungsgefahr besteht und auch die unrichtige Annahme des Anzeigenden, dass die Tat entdeckt sei, hindert den Eintritt der Straffreiheit nicht. BT-Drucks. 7/4292, S. 44; statt vieler OLG Hamm, Urt. v. 26.12.1962 – 2 Ss 935/62, BB 1963, 459; vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 304, 325; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 582; so AG Kiel, Urt. v. 27.11.2014 – 48 Ls 1/14, 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14), DStR 2015, 897 f.

a) Begriff der Tatentdeckung 1112 Die Entdeckung der Tat bedeutet die Wahrnehmung eines bisher unbekannten Geschehens und des diesem Geschehen immanenten Unrechtsgehalts. So BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.; OLG Celle, Urt. v. 5.11.1970 – 1 Ss 152/70, BB 1971, 205.

1113 Die Entdeckung muss sich auf eine der Taten beziehen, für die im Rahmen des § 371 Abs. 1 AO eine Selbstanzeige abzugeben ist. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 583.

1114 Der Ausschlussgrund der Tatentdeckung wurde aufgrund der Rechtsprechung des BGH erweitert. Dem Merkmal der Tatentdeckung kommt eine eigenständige Bedeutung zu. So BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 60; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 584.

1115 Danach ist die Steuerstraftat entdeckt, wenn Anhaltspunkte bekannt sind, die bei vorläufiger Bewertung eine Verurteilung wahrscheinlich erscheinen lassen. So BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.; BGH, Beschl. v. 5.4.2000 – 5 StR 226/99, wistra 2000, 219 ff.; BGH, Urt. v. 27.4.1988 – 3 StR 55/88, wistra 1988, 308 f.; BGH, Urt. v. 13.5.1983 – 3 StR 82/83, NStZ 1983, 415.

1116 Nach der BGH-Rechtsprechung ist eine zweistufige Prognoseentscheidung notwendig. Zunächst ist zu prüfen, ob für die Tatentdeckung ein ausreichender Tatverdacht vorliegt. Er ist gegeben, wenn im jeweiligen Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für die Tat vorliegen, wenn somit unter Berücksichtigung aller Umstände nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung eine Steu210

II. Sperrgründe

erstraftat naheliegt. Diese Anforderungen sind strenger als die Anforderungen für das Vorliegen eines Anfangsverdachts. Der Anfangsverdacht besteht, wenn es aufgrund konkreter Tatsachen nach kriminalistischer Erfahrung möglich erscheint, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt, so BGH, Urt. v. 21.4.1988 – III ZR 255/86, ZIP 1988, 921 = NJW 1989, 96 ff.; vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 1063.

Im zweiten Schritt ist eine Prüfung vorzunehmen, ob der Sachverhalt, auf 1117 den sich der Verdacht bezieht, dazu geeignet ist, eine Verurteilung wegen einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit zu rechtfertigen. Die Grundlage dafür sind die in einem frühen Verfahrensstadium vorhandenen, regelmäßig noch unvollständigen Informationen. Im Hinblick auf die bekannte, aber regelmäßig noch unvollständige Tatsachenbasis, sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeitsprognose nicht zu hoch anzusetzen. So BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.

Nach den Beschlussgründen genügt es, dass konkrete Anhaltspunkte für die 1118 Tat als solche bekannt sind. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 586.

Nicht notwendig ist, dass der Täter der Steuerhinterziehung ermittelt ist. 1119 Denn es muss die Tat entdeckt sein und nicht der Täter. So BGH, Urt. v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, wistra 2004, 309 ff.; BGH, Urt. v. 24.10.1984 – 3 StR 315/84, wistra 1985, 74 ff.; vgl. Geuenich/Kiesel, BB 2012, 159.

Ebenfalls ist nicht notwendig, dass die Höhe der tatsächlichen Besteuerungs- 1120 grundlagen soweit bekannt ist, dass bereits im Zeitpunkt der Tatentdeckung der Schuldumfang beurteilt werden kann. Denn es kommt auf die Kenntnis des tatsächlichen Vorgangs an, der die objektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung erfüllt. So BGH, Urt. v. 5.5.2004 – 5 StR 548/03, wistra 2004, 309 ff.

Weiterhin ist nicht notwendig, dass die Strafverfolgungsbehörde aufgrund 1121 der bei der Entdeckung bekannten Tatsachen bereits auf vorsätzliches Handeln schließen muss. So BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 61a; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 586.

Die Entdeckung der Tat liegt nicht schon vor, wenn die Strafverfolgungsbe- 1122 hörde von der bisher unbekannten Steuerquelle Kenntnis erlangt hat. Vielmehr müssen im Einzelfall weitere Umstände hinzukommen, damit nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung eine Steuerstraftat naheliegt. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 60a; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 587.

211

J. Das Recht der Selbstanzeige Praxistipp: Die Tatentdeckung liegt stets vor, wenn der Abgleich mit den Steuererklärungen erkennen lässt, dass der Steuerpflichtige die Steuerquelle bislang nicht oder nicht vollständig erklärt hat. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 587. Die Tat kann schon vor dem Abgleich entdeckt sein, wenn beispielsweise Aussagen von mit dem Sachverhalt vertrauten Zeugen vorliegen – z. B. bei einem Umsatzsteuerkarussell – oder Steuerquellen in einer Art und Weise verschleiert werden, die nach kriminalistischer Erfahrung ein typisches Indiz für unvollständige oder unrichtige Angaben sind. So BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.; vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 587.

1123 Die Kenntnis vom äußeren steuerlichen Geschehensablauf schließt die Selbstanzeige nicht aus. Vgl. Theil, BB 1983, 1278; Göggerle/Frank, BB 1984, 399. Praxistipp: Der Ablauf der Abgabefrist für die Steuererklärung führt allein nicht zur Tatentdeckung, denn für das Verstreichenlassen der Erklärungsfrist kann es zahlreiche Gründe geben. So OLG Hamburg, Urt. v. 27.1.1970 – 2 Ss 191/69, NJW 1970, 1385; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 62. Praxistipp: Die Steuerfestsetzung im Schätzungswege führt zu keiner Tatentdeckung i. S. d. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO, sofern die Schätzungen der Finanzbehörde in den Vorjahren jeweils zutreffend oder zu hoch waren. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 63; Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 308.

1124 Der Eingang von Kontrollmitteilungen kann zu einer Tatentdeckung führen. Dies ist beispielsweise gegeben, wenn durch eine Kontrollmitteilung das Vorhandensein von Einkünften aufgedeckt wird. Es ist zwar denkbar, dass der Betroffene keine Gewinne gemacht hat oder er sich im Irrtum über die Steuerpflicht der Einnahmen befand. Nach kriminalistischer Erfahrung liegt eine Steuerstraftat nahe, sodass aufgrund der Kontrollmitteilung eine Tatentdeckung i. S. d. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO gegeben ist. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 64.

Beispiel: Die Finanzbehörde erhält eine Kontrollmitteilung, wonach A im Jahr 01 Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit i. H. v. 10.000 € erzielt hat. A hat in der Steuererklärung einen Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit i. H. v. 3.000 € er-

212

II. Sperrgründe

klärt, eine Gewinnermittlung reichte er nicht ein. Nach Aufforderung der Finanzbehörde, seine Einnahmen aufzuschlüsseln, reicht A eine Selbstanzeige ein und erklärt die 10.000 € als zusätzliche Betriebseinnahme nach. A konnte eine wirksame Selbstanzeige einreichen, da eine Tatentdeckung nicht vorlag. Es war durchaus denkbar, dass A nach Abzug aller Betriebsausgaben einen Gewinn i. H. v. 3.000 € erzielt hat. Praxistipp: Die Sperrwirkung ist nicht gegeben, wenn die Tat aufgrund rechtswidriger Ermittlungshandlungen, wie beispielsweise durch die Verwertung von beschlagnahmefreien Gegenständen, entdeckt wird. Gleiches gilt auch, wenn die für die Entdeckung maßgeblichen Erkenntnisse einem Verwertungs- oder Verwendungsverbot unterliegen, wie es beispielsweise nach Anwendung unzulässigen Zwangs i. S. d. § 136a StPO gegeben sein kann. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 590.

b) Kenntnis der Tatentdeckung Die Richter des BGH stellen an das subjektive Element, wonach der Täter 1125 bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Tatentdeckung rechnen musste, geringe Anforderungen. So BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, wistra 2010, 304 ff.

Die Kenntnis von der Tatentdeckung hat der Erklärende, sobald er aus ihm 1126 bekannten Tatsachen den Schluss gezogen hat oder wenn er den Schluss hätte ziehen müssen, dass seine Tat entdeckt wurde. So AG Kiel, Urt. v. 27.11.2014 – 48 Ls 545 Js 46477/13 (1/14), DStR 2015, 897 f.; so LG Kiel – Beschl. v. 14.4.2015 – 11 Ns 76/14, PStR 2015, 195 f.

Bei vorläufiger Bewertung ist seine Verurteilung wahrscheinlicher, als dass 1127 eine Verurteilung unterbleibt. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 592.

Beispiel: Der Steuerfahndung liegen Unterlagen über Liechtensteiner Konten des A vor, wie beispielsweise Kontoauszüge und Treuhandverträge. Aus den Unterlagen ist erkennbar, dass A die Steuerpflicht der angefallenen Kapitalerträge bekannt war. Er hatte die ausländischen Kapitalerträge bislang nicht erklärt. Aus den Medien erfährt A, dass die Steuerfahndung über entsprechende Unterlagen verfügt und bereits Durchsuchungsmaßnahmen durchgeführt hat. Der Steuer-fahndung liegen genügend Informationen vor, die die die Tatentdeckung begründen und dies ist dem A auch bekannt. In diesem Fall greift der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO ein. Sofern A eine Selbstanzeige einreicht, hat sie keine strafausschließende, sondern lediglich eine strafmildernde Wirkung. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 589.

213

J. Das Recht der Selbstanzeige Praxistipp: Zwischen der entdeckten Steuerstraftat und der tatsächlichen Steuerstraftat muss keine Identität bestehen, sodass dieser Ausschlussgrund – verglichen mit den Gründen in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a und c AO – sehr weit gefasst ist. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 486. Praxistipp: Die nach Tatentdeckung eingereichte Selbstanzeige hat die Bedeutung eines verfahrenserleichternden Geständnisses, das strafmildernd berücksichtigt wird. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 580. Praxistipp: Die Möglichkeit, die Selbstanzeige mit strafbefreiender Wirkung einzureichen, soll analog zu § 171 Abs. 4 Satz 2 AO bestehen, wenn sechs Monate nach der Kenntnis von der Tatentdeckung kein Steuerstrafverfahren eingeleitet wurde. Vgl. Heidl/Pump, NWB 2014, 2329.; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 485 f.; Joecks, in: F/G/J, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 209; Rolletschke, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 371 Rn. 127.

7. Steuerhinterziehung über 25.000 € 1128 Nach der Neuregelung durch das Änderungsgesetz vom 22.12.2014 ist die strafbefreiende Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO ausgeschlossen, wenn die nach § 370 Abs. 1 AO verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25.000 € je Tat übersteigt. Mit der Reform durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz regelte der Gesetzgeber, dass Straffreiheit nicht eintritt, wenn der Hinterziehungsbetrag den Betrag i. H. v. 50.000 € je Tat übersteigt. Bei der Betragshöhe von 50.000 € orientierte er sich an der Rechtsprechung des BGH zur Verwirklichung eines besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung durch Handeln. So BGH, Beschl. v. 15.12.2011 – 1 StR 579/11, wistra 2012, 191 f.

1129 Besonders schwerwiegende Fälle sollten nicht mehr dem Anwendungsbereich der Selbstanzeige unterfallen. Nach der neuen Regelung sollen nicht die besonders schwerwiegenden Fälle der Steuerhinterziehung aus dem Anwendungsbereich der Selbstanzeige herausgenommen werden, sondern alle Fälle mit einem Hinterziehungsvolumen ab 25.000 €. BT-Drucks. 18/3018, S. 12; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281.

214

II. Sperrgründe

a) Tateinheit Umstritten ist, ob die Verkürzungsbeträge bei Vorliegen von Tateinheit zu 1130 addieren sind. Befürworter leiten dies aus der Rechtsprechung des BGH ab, wonach bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung das Ausmaß des jeweiligen Taterfolges zu addieren ist, da in solchen Fällen eine einheitliche Handlung i. S. d. § 52 StGB vorliegt. Vgl. statt vieler: Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 75 zur Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO a. F. und Stahl, kösdi 2015, 19173; So BGH, Beschl. v. 15.12.2011 – 1 StR 579/11, wistra 2012, 191 f.

Nach anderer Auffassung ist dies abzulehnen, denn der Betrag i. H. v. 25.000 € 1131 bezieht sich nach dem Gesetzeswortlaut auf die einzelne Tat. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 43; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 495; Hunsmann, NJW 2015, 116.

Sie zeichnet sich durch ihre Begrenzung auf den Steuerpflichtigen, die Steu- 1132 erart und den Besteuerungszeitraum aus. Vgl. Rolletschke/Burkhard, DStZ 2012, 624.

b) Umfang der Sperrwirkung Die Sperrwirkung gemäß § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO greift für die strafbe- 1133 fangenen Taten des Berichtigungsverbunds ein, bei denen der Betrag i. H. v. 25.000 € ungeachtet der Höhe der insgesamt verkürzten Steuern überschritten wird. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 43.

Nach der Rechtsprechung ist die Hinterziehung von Einkommensteuer und 1134 Solidaritätszuschlag für einen Veranlagungszeitraum als eine Tat zu betrachten. So LG München, Urt. v. 13.3.2014 – W 5 KLs 68 Js 3284/13, wistra 2015, 77 ff.

c) Weiteres Verfahren Sofern außer der Überschreitung der Grenze nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 1135 AO alle Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Selbstanzeige vorliegen, wird von der weiteren Verfolgung der Tat unter den Voraussetzungen des § 398a AO abgesehen. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 487; Schwartz, PStR 2015, 42.

8. Besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung Der Gesetzgeber hat in der neuen Vorschrift in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO 1136 für die Fälle, die er als Regelbeispiele für das Vorliegen eines besonders

215

J. Das Recht der Selbstanzeige

schweren Falles der Steuerhinterziehung bewertet, einen weiteren Sperrgrund geschaffen: Die Straffreiheit tritt nicht ein, wenn ein in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 5 AO genannter besonders schwerer Fall vorliegt. BT-Drucks. 18/3018, S. 12; Müller, StBp 2015, 129, 131.

1137 Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter: Vgl. Beneke, DB 2015, 408; Müller, StBp 2015, 129.

x

seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht,

x

die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,

x

unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,

x

als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach § 370 Abs. 1 AO verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt.

1138 Die besonders schweren Fälle der Steuerhinterziehung sieht der Gesetzgeber als besonders strafwürdig an, sodass lediglich das Absehen von Strafverfolgung gegen Zahlung des Geldbetrags gemäß § 398a AO in Betracht kommt. BT-Drucks. 18/3018, S. 12; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281; vgl. Beneke, DB 2015, 408; vgl. Schwartz, PStR 2015, 42; Müller, StBp 2015, 129, 131.

1139 Auf die Höhe des Verkürzungsbetrags kommt es nicht an. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 487.

Beispiel: A verwirklicht das Regelbeispiel gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO, das Hinterziehungsvolumen beträgt 10.000 € Die strafbefreiende Selbstanzeige ist wegen der Anwendung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO ausgeschlossen. § 398a AO ist anzuwenden. Im Unterschied zum Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO fällt der Geldbetrag nicht erst bei Überschreiten der Schwelle von 25.000 € an, die Staffelung ist dennoch zu beachten. Im vorliegenden Fall beträgt der Geldbetrag 10 % von 10.000 €. 1140 Der Gesetzeswortlaut des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO verweist auf die in § 370 Abs. 3 Satz 2 AO benannten Regelbeispiele. Der unbenannte schwere Fall der Steuerhinterziehung i. S. d. § 370 Abs. 3 Satz 2 AO unterfällt somit nicht der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO. Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 134.

216

II. Sperrgründe

9. Einschränkung der Sperrwirkung Die Vorschriften des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a und Nr. 1c AO bestimmen 1141 konkret, dass sich der Ausschlusstatbestand für die Abgabe einer wirksamen Selbstanzeige auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung erstreckt. Der Gesetzgeber hat mit der neu in das Gesetz aufgenommenen Vorschrift 1142 in § 371 Abs. 2 Satz 2 AO geregelt, dass der Anzeigende trotz der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung oder des Erscheinens des Amtsträgers zur steuerlichen Prüfung eine strafbefreiende Selbstanzeige für die Zeiträume und Steuerarten abgeben kann, die nicht der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a und Nr. 1c AO unterfallen. BT-Drucks. 18/3018, S. 12; vgl. Müller, StBp 2015, 129.

Durch diese Regelung wird das Vollständigkeitsgebot gemäß § 371 Abs. 1 1143 AO auf die Steuerstraftaten einer Steuerart begrenzt, die nicht Gegenstand des sachlichen und zeitlichen Umfangs der angekündigten Außenprüfung sind. BT-Drucks. 18/3018, S. 12.

10. Sonderregelung für Steueranmeldungen Mit dem Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungs- 1144 gesetzes zur Abgabenordnung hat der Gesetzgeber § 371 Abs. 2a AO neu in das Gesetz aufgenommen. Danach tritt Straffreiheit abweichend von den § 371 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO bei Selbstanzeigen in dem Umfang ein, in dem der Täter gegenüber der zuständigen Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. Diese Sonderregelung gilt, soweit die Steuerhinterziehung durch die Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuer-Voranmeldung oder LohnsteuerAnmeldung begangen worden ist. Vor der Gültigkeit des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes leitete die Strafver- 1145 folgungsbehörde im Bereich der Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Lohnsteuer-Anmeldungen nur in Einzelfällen Steuerstrafverfahren oder Bußgeldverfahren ein. Durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz wurden nachträgliche Korrekturen von Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Lohnsteuer-Anmeldungen erheblich eingeschränkt, wie die nachstehenden Beispiele zeigen: BT-Drucks. 18/3018, S. 12.

x

Eine korrigierte Umsatzsteuer-Voranmeldung, die eine wirksame Selbstanzeige darstellte, konnte nicht erneut, gleich ob als berichtigte Voranmeldung oder im Rahmen der Jahresanmeldung, als wirksame Selbstanzeige gewertet werden. Die erste Selbstanzeige führte dazu, dass die Steuer-

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J. Das Recht der Selbstanzeige

hinterziehung bekannt war und der Sperrgrund der Tatentdeckung zur Anwendung gelangte. x

Die Umsatzsteuerjahreserklärung für 01 konnte nicht als wirksame Selbstanzeige gewertet werden, wenn bereits unrichtige Umsatzsteuer-Voranmeldungen für das Jahr 02 abgegeben wurden und diese in der Selbstanzeige zu der Jahreserklärung 01 nicht gleichzeitig korrigiert wurden. Diese Folge ergab sich aus dem Vollständigkeitsgebot in § 371 Abs. 1 AO, wonach die Berichtigung zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang zu erfolgen hatte.

x

Der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist erfüllt, sobald die Abgabefrist einer Voranmeldung überschritten wird. Vgl. Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung, S. 8.

Die Abgabe der Voranmeldung zu einem späteren Zeitpunkt ist daher als Selbstanzeige zu werten. Sie konnte nach der bisherigen Gesetzeslage nur wirksam sein, wenn gleichzeitig auch die Unrichtigkeiten in vorhergehenden Voranmeldungen korrigiert wurden. 1146 Für den Bereich der Umsatzsteuer-Voranmeldung – soweit es sich nicht um eine Jahresanmeldung handelt – und der Lohnsteuer-Anmeldung gilt seit dem 1.1.2015 der Rechtszustand wie vor Inkrafttreten des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes aus dem Jahr 2011. BT-Drucks. 18/3018, S. 13; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281.

1147 Die Korrektur der rechtzeitig aber unvollständig abgegebenen UmsatzsteuerVoranmeldung oder Lohnsteuer-Anmeldung stellt ebenso wie die verspätete Abgabe der zutreffenden (Vor) Anmeldung eine wirksame (Teil-) Selbstanzeige dar. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281. Praxistipp: Auch wenn der Gesetzeswortlaut „soweit die Steuerhinterziehung durch Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuer-Voranmeldung oder Lohnsteuer-Anmeldung begangen worden ist“ nicht eindeutig ist, ist die Regelung auch auf rechtzeitige, aber unvollständige (Vor) Anmeldungen anzuwenden. Nach der Gesetzesbegründung ist es nicht die Absicht des Gesetzgebers, die (Teil)Selbstanzeige lediglich bei der nicht fristgemäßen Abgabe zuzulassen. BT-Drucks. 18/3018, S. 13; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281; vgl. Schwartz, PStR 2015, 40.

218

II. Sperrgründe

a) Bekanntgabe der Prüfungsanordnung/Erscheinen zur steuerlichen Prüfung Die korrigierte Umsatzsteuer-Voranmeldung bzw. die korrigierte Lohnsteuer- 1148 Anmeldung kann laut § 371 Abs. 2 Satz 2 AO als strafbefreiende Selbstanzeige erfolgen, wenn die Finanzbehörde eine Außenprüfung durch Prüfungsanordnung für zurückliegende Zeiträume angekündigt hat bzw. wenn ein Amtsträger zur steuerlichen Prüfung für zurückliegende Zeiträume erschienen ist. BT-Drucks. 18/3018, S. 13; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281.

Beispiel: A erhält eine Prüfungsanordnung für die Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer für die Zeiträume 01 – 03. Er kann für die Vor-anmeldungszeiträume ab 04 berichtigte Voranmeldungen einreichen. b) Tatentdeckung In der Vorschrift des § 371 Abs. 2a Satz 2 AO regelt der Gesetzgeber, dass 1149 der Sperrgrund der Tatendeckung nach § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO nicht anzuwenden ist, wenn die Entdeckung darauf beruht, dass der Steuerpflichtige die Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldung oder der Lohnsteuer-Anmeldung nachholt oder die Angaben berichtigt. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 40; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 488.

Die Selbstanzeige aufgrund der verspätet oder unrichtig abgegebenen Um- 1150 satzsteuervor- oder Lohnsteuer-Anmeldung unterfällt nach der neuen Regelung nicht mehr dem strengen Vollständigkeitsgebot gemäß § 371 Abs. 1 AO, sodass mehrfache Korrekturen möglich sind. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281; Schwartz, PStR 2015, 40; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 488; Geuenich, NWB 2015, 37.

Nach der bisherigen Rechtslage bestand wegen des Vollständigkeitsgebots 1151 nur eine Korrekturmöglichkeit. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 39.

Die unvollständige Korrektur der (Vor)Anmeldung führte nicht nur zur 1152 Unwirksamkeit der Selbstanzeige, sondern zugleich zur Tatendeckung. Die Folge daraus war, dass die spätere vollständige Korrektur der (Vor)Anmeldung im Hinblick auf eine wirksame Selbstanzeige ausgeschlossen war. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 39; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 488.

219

J. Das Recht der Selbstanzeige

1153 Aufgrund der Komplexität im Unternehmensalltag besteht die Notwendigkeit, Umsatzsteuer-Voranmeldungen mehrfach zu korrigieren. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 39.

1154 Im Unterschied zu den Kapitalanlegerfällen handelt es sich bei korrigierten (Vor)Anmeldungen um Massenverfahren, die im normalen Wirtschaftsverkehr ohne strafrechtliche Intention erfolgen. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, 488.

1155 Die Mitarbeiter im Unternehmen müssen in den Voranmeldungen eine Vielzahl von steuerlich relevanten Sachverhalten in kurzen Zeitperioden, in der Regel monatlich, zutreffend steuerlich würdigen und der Finanzbehörde mitteilen. Die Gründe für die Korrekturen sind in der Komplexität des Rechnungswesens zu sehen, aber auch darin, dass in die entsprechenden Steuerprozesse in Unternehmen über die Steuerabteilung hinaus weitere (Fach)Abteilungen eingebunden sind, namentlich der Einkauf, Vertrieb und Personal. Als Folge daraus steigt die Wahrscheinlichkeit korrekturbedürftiger Einzelsachverhalte an. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 37; Schauf/Schwartz, PStR 2015, 248.

1156 Darüber hinaus birgt die Einbeziehung einer Vielzahl von Konzerngesellschaften im Rahmen der umsatzsteuerlichen Organschaft das Risiko fehlerhafter Anmeldungen. Daher müssen die Voranmeldungen häufiger korrigiert werden als die jährlichen Steuererklärungen. Vgl. Beneke, DB 2015, 411. Praxistipp: Die Möglichkeit der Tatentdeckung aus anderen Gründen, beispielsweise aufgrund von vorliegendem Kontrollmaterial, besteht weiterhin. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 38; Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 132.

c) Steuerhinterziehung über 25.000 € 1157 Die Vorschrift des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO über die Unwirksamkeit der Selbstanzeige, falls der Schwellenwert von 25.000 € pro Tat überstiegen wird, ist auf die Abgabe berichtigter bzw. verspätet eingereichter UmsatzsteuerVoranmeldungen und Lohnsteuer-Anmeldungen nicht anzuwenden. Der Geldbetrag gemäß § 398a AO wird nicht erhoben. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 40; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 488; Geuenich, NWB 2015, 38.

d) Besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung 1158 Die Vorschrift des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO kommt zur Anwendung. Der Geldbetrag gemäß § 398a AO wird erhoben, wenn ein besonders schwerer

220

II. Sperrgründe

Fall der Steuerhinterziehung i. S. d. Fällen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis Nr. 5 AO vorliegt. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 38; Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 132.

e) Zahlung der Steuern Der Gesetzgeber stellt in der Vorschrift des § 371 Abs. 2a Satz 1 AO auf die 1159 Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung von Angaben ab. Daher steht nicht zweifelsfrei fest, ob der Steuerpflichtige für die Wirksamkeit der (Teil)Selbstanzeige die verkürzten Steuern entrichten muss. Im Hinblick auf die Regelung des § 371 Abs. 3 Satz 2 AO kann nach der Gesamtschau vertreten werden, dass die Zahlung der verkürzten Steuern notwendig ist. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 488.

Die fristgerechte Zahlung der Zinsen gemäß §§ 233a, 235 AO ist nach dem 1160 Wortlaut des Gesetzes für die Wirksamkeit unerheblich. Insoweit soll weiterhin die bisherige Rechtslage gelten. BT-Drucks. 18/3081, S. 13.

f) Weitere Steuerarten Der Gesetzgeber lässt in dieser Vorschrift die Teilselbstanzeigen lediglich 1161 hinsichtlich der Umsatzsteuer-Voranmeldungen und der Lohnsteuer-Anmeldungen zu. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 40.

Im Bereich der Anmeldesteuern besteht das Bedürfnis mehrfacher Korrektu- 1162 ren regelmäßig bei der Strom-, der Kapitalertrag-, der Bauabzug- oder der Versicherungssteuer. Gleiches gilt für die Feuerschutzsteuer. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 40; Beneke, DB 2015, 411. vgl. Stellungnahme Bundessteuerberaterkammer v. 14.9.2014.

Die Erleichterungen des § 371 Abs. 2a AO finden auf diese Anmeldesteuern 1163 nach dem Wortlaut der Regelung keine Anwendung. Sofern der Steuerpflichtige eine Selbstanzeige bezüglich dieser Steuerarten einreichen möchte, setzt die wirksame Selbstanzeige eine vollständige Berichtigung für den gesamten Berichtigungsverbund voraus. Mehrfache Berichtigungen innerhalb einer Steuerart sind nicht möglich. Vgl. Beneke, DB 2015, 411.

g) Umsatzsteuer-Jahresanmeldung Der Gesetzgeber hat mit § 371 Abs. 2a Satz 3 AO die (Teil-) Selbstanzeige 1164 nicht für die Umsatzsteuer, die sich als Steueranmeldung auf das Kalenderjahr bezieht, zugelassen.

221

J. Das Recht der Selbstanzeige Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 488; Müller, StBp 2015, 130.

1165 Danach kann die Umsatzsteuerjahreserklärung nicht nach dieser Vorschrift durch eine weitere Jahreserklärung korrigiert werden. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 488.

1166 Bei der Korrektur eines Veranlagungszeitraums sind vielmehr die Unrichtigkeiten in den Umsatzsteuerjahreserklärungen der Vorjahre zwingend zu korrigieren, um dem Vollständigkeitsgebot zu entsprechen. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 40.

1167 Die Selbstanzeige unterliegt hinsichtlich der Vollständigkeit grundsätzlich den Regeln des § 371 Abs. 1 AO. Dessen ungeachtet gilt mit der Vorschrift des § 371 Abs. 2a Satz 4 AO eine Ausnahme: Danach ist es nicht notwendig bei der Korrektur der Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Vorjahr die Umsatzsteuer-Voranmeldungen des laufenden Jahres zu berichtigen. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281; Schwartz, PStR 2015, 40; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 489; Müller, StBp 2015, 130.

Beispiel: A reicht die Umsatzsteuerjahreserklärung 01 als Selbstanzeige in 02 ein. Unter dem Gesichtspunkt der Vollständigkeit ist es nicht notwendig, dass er korrekturbedürftige Umsatzsteuer-Voranmeldungen des laufenden Jahres 02 berichtigt und einreicht. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 38. Praxistipp: Die korrigierende Umsatzsteuerjahresanmeldung führt dazu, dass die Finanzbehörde Hinterziehungszinsen bzw. Zinsen gemäß § 233a AO und ggf. den Geldbetrag gemäß § 398a AO festsetzt. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 489. Praxistipp: Die Finanzbehörde erkennt die richtige, vollständige und fristgerechte Umsatzsteuer-Jahresanmeldung als Selbstanzeige bezüglich unrichtiger oder fehlender Umsatzsteuer-Voranmeldungen an. So BGH, Beschl. v. 25.7.2011, 1 StR 631/10, NJW 2011, 3249 ff.; vgl. Nr. 132 Abs. 2 AStBV (St) 2014; vgl. Pflaum, in: Wabnitz/ Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 121.

222

III. Nachzahlungspflicht Praxistipp: Der Geldbetrag gemäß § 398a AO ist zu entrichten, sofern die verkürzte Steuer den Betrag i. H. v. 25.000 € übersteigt. Reicht der Steuerpflichtige eine berichtigte Umsatzsteuer-Voranmeldung ein, findet die Vorschrift des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO gemäß § 371 Abs. 2a Satz 1 AO keine Anwendung. Die Vorschrift des § 398a AO kommt nicht zur Anwendung. Vgl. Schwartz, PStR 2015, 40. Praxistipp: In die Überlegung ist daher einzubeziehen, dass bereits im Voranmeldungsverfahren alle Korrekturen vorgenommen werden. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 489.

III. Nachzahlungspflicht Der an der Tat Beteiligte erwirbt eine Anwartschaft auf Straffreiheit, sofern 1168 seine Selbstanzeige wirksam ist und keine Sperrgründe vorliegen. So LG Koblenz, Urt. v. 13.12.1985 – 105 Js (Wi) 17301/83 – 10 Kls, wistra 1986, 79 ff.; BayObLG, Beschl. v. 3.11.1989 – RReg 4 St 135/89, wistra 1990, 159 ff.; vgl. Braun, PStR 2003, 234.

Als Voraussetzung für die Straffreiheit nach § 371 Abs. 3 AO ist die Zahlung 1169 der verkürzten Beträge notwendig. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281.

Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung des Änderungsgesetzes vom 1170 22.12.2014 als weitere Wirksamkeitsvoraussetzung neu in die Vorschrift des § 371 Abs. 3 AO aufgenommen, dass der an der Tat Beteiligte neben der Steuer die gemäß den §§ 235, 238 AO entstandenen Hinterziehungszinsen i. H. v. 6 % pro Jahr zu zahlen hat, sowie die Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden. Vgl. Müller, StBp 2015, 130; für die Verzinsungstatbestände gemäß §§ 233 ff. AO gilt seit dem Steueränderungsgesetz v. 13.7.1961, BGBl. I 1961 S. 981, 994 der Zinssatz von 6 %, Behrens, FR 2015, 215.

Sobald der an der Tat Beteiligte die hinterzogene Steuer und zusätzlich die 1171 Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO sowie die Zinsen gemäß § 233a AO bezahlt hat, tritt die Strafbefreiung in vollem Umfang ein. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 490.

Der Gesetzgeber hat die Nachzahlungszinsen nach § 233a AO, die nach 1172 § 235 Abs. 4 AO auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden, in die Nachzahlungspflicht gemäß § 371 Abs. 3 AO einbezogen. Dadurch soll die sachwidrige Begünstigung der Fälle, in denen Nachzahlungszinsen nach

223

J. Das Recht der Selbstanzeige

§ 233a AO anfallen, gegenüber den Fällen verhindert werden, in denen die hinterzogene Steuer nicht der Verzinsung nach § 233a AO unterliegt. Vgl. BT-Drucks. 18/3018, S. 13; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281. Praxistipp: Aus § 371 Abs. 3 Satz 2 AO ergibt sich, dass die nicht fristgerechte Entrichtung der Zinsen gemäß den §§ 233a, 235 AO die Wirksamkeit der Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 2a AO nicht beeinflusst. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 489. Praxistipp: Daher ist bei (Teil-) Selbstanzeigen im Zusammenhang mit den Umsatzsteuer-Voranmeldungen und Lohnsteuer-Anmeldungen der Ausspruch der Straffreiheit nicht davon abhängig, dass auch die Zinsen zugleich mit der hinterzogenen Steuer entrichtet werden. In diesen Fällen gilt weiterhin die Rechtlage wie vor dem 3.5.2011. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281. Praxistipp: Zu beachten ist, dass diese Regelung keine Anwendung auf die Selbstanzeige im Hinblick auf die Umsatzsteuerjahresanmeldung findet. Die Korrektur der Jahreserklärung zieht die Verpflichtung zur Zahlung der Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO bzw. der Zinsen gemäß § 233a AO nach sich. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 489.

1173 Der an der Tat Beteiligte muss die in § 371 Abs. 3 AO aufgeführten Steuern und Zinsen, die zu seinen Gunsten hinterzogen wurden, gemäß § 371 Abs. 3 AO innerhalb der ihm von der Finanzbehörde eingeräumten Frist entrichten. Vgl. Schuster, JZ 2015, 29; Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 245 zu § 371 Abs. 3 AO a. F.

1174 Die Nachzahlungsfrist muss die persönlichen und finanziellen Verhältnisse berücksichtigen, damit er die Möglichkeit erhält, die entsprechende Liquidität zu beschaffen. Vgl. BT-Drucks. 18/3439, S. 6.

1175 Von der Nachzahlungspflicht sind nicht sonstige steuerliche Nebenleistungen i. S. d. § 3 Abs. 4 AO, namentlich Verspätungszuschläge oder Säumniszuschläge, umfasst. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 206; Heidl/Pump, NWB 2014, 2333.

1176 Gleiches gilt für die Kirchensteuer, da ihre Hinterziehung in Deutschland – mit Ausnahme des Bundeslandes Niedersachsen – nach § 370 AO nicht 224

III. Nachzahlungspflicht

strafbar ist. Anders verhält es sich mit dem Solidaritätszuschlag. Er ist von der Nachzahlungspflicht umfasst. Vgl. Heidl/Pump, NWB 2014, 2333. Praxistipp: Im Interesse des Anzeigenden sollten Zahlungen aufgrund der Selbstanzeige nur mit ausdrücklicher Tilgungsbestimmung erfolgen. Dies gilt insbesondere, wenn abzusehen ist, dass die liquiden Mittel nicht zur vollständigen Tilgung aller Außenstände einschließlich der nicht strafbefangenen Steuern ausreichen. Diese Notwendigkeit ergibt sich daraus, dass sich die Tilgungsreihenfolge bei Zahlungen, die er ohne Tilgungsbestimmung vornimmt, gemäß § 225 Abs. 2 Satz 1 AO zwingend nach der Art der Außenstände richtet. Innerhalb der gleichen Art bestimmt sie sich gemäß § 225 Abs. 2 Satz 2 AO nach der Fälligkeit und sodann nach der finanzbehördlichen Ermessensentscheidung. Daher wird ohne Tilgungsbestimmung beispielsweise die laufende Lohnsteuer vor der hinterzogenen Einkommensteuer getilgt und die „ältere“ reguläre Einkommensteuer vor „jüngerer“ hinterzogener Umsatzsteuer. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 131.

Die Nachentrichtungspflicht wird durch Zahlung erfüllt – regelmäßig durch 1177 Überweisung, Scheck oder durch die Erteilung einer Einzugsermächtigung. Die allgemeinen Regeln der §§ 224 f. AO sind anzuwenden. Die rechtswirksame Aufrechnung nach § 226 AO kommt nur in Betracht, wenn unstreitige Erstattungs- oder Vergütungsansprüche bestehen, die innerhalb der Nachentrichtungspflicht aufrechenbar gegenüberstehen. Die Aufrechnung mit erst künftig fällig werdenden Ansprüchen ist für die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige nicht möglich. Erlässt die Finanzbehörde einen Pfändungsund Überweisungsbeschluss wegen einer Forderung des Steuerschuldners gegenüber Dritten, so stellt dies eine wirksame Zahlung dar, wenn der Drittschuldner innerhalb der Nachzahlungsfrist auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hin eine Zahlung leistet. Die Niederschlagung gemäß § 261 AO führt nicht zum Erlöschen der Steuerforderung. Sie bewirkt keine Schuldtilgung, sodass keine wirksame Zahlung i. S. d. § 371 Abs. 3 AO vorliegt. Der Erlass der hinterzogenen Steuern und Zinsen gemäß § 227 AO kann zum Erlöschen der hinterzogenen Beträge führen, wenn der entsprechende Antrag vor Ablauf der Nachzahlungsfrist gestellt wird. Der letztgenannte Fall ist in der Praxis selten anzutreffen, da die Erlasswürdigkeit regelmäßig nicht gegeben sein wird. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 749 ff.

Die Nachentrichtungspflicht nach § 371 Abs. 3 AO besteht unabhängig von 1178 der Festsetzung der hinterzogenen Steuer oder der entstandenen Hinterziehungszinsen nach § 235 AO bzw. der Nachzahlungszinsen nach § 233a AO, sofern sie auf die Hinterziehungszinsen anzurechnen sind. Maßgeblich ist, dass die Steuer materiell-rechtlich entstanden ist. Demgemäß haben Stundung, 225

J. Das Recht der Selbstanzeige

Vollstreckungsaufschub und Aussetzung der Vollziehung keinen Einfluss auf die strafrechtlich zu setzende Frist nach § 371 Abs. 3 AO. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281. Praxistipp: Sofern der Erklärende im Zusammenhang mit der Abgabe der Selbstanzeige eine Abschlagzahlung leistet, wird bei der Einkommensteuer der Zinslauf der Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO unterbrochen. Gleiches gilt bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer für den Zinslauf der Hinterziehungszinsen nach § 235 AO. Bezüglich der Abschlagzahlung sollte eine Tilgungsbestimmung dahingehend getroffen werden, dass der Betrag zunächst beispielsweise auf die Hauptforderung Einkommensteuer und in einem zweiten Schritt auf den Solidaritätszuschlag gebucht wird. Zahlungen auf steuerliche Nebenleistungen unterbrechen den Zinslauf nicht. Vgl. Heidl/Pump, NWB 2014, 2333.

1. Verpflichteter Personenkreis 1179 Die Verpflichtung zur Zahlung der notwendigen Beträge unterfällt denjenigen, die die Steuern zu ihren Gunsten hinterzogen haben. Vgl. Rolletschke, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 371 Rn. 128.

a) Tatbeteiligte 1180 Die Steuer ist zugunsten des Täters hinterzogen, wenn ihm aus der Tat unmittelbare wirtschaftliche Vorteile zugeflossen sind. Daher kann auch derjenige zur Zahlung verpflichtet sein, der nicht persönlicher Schuldner ist. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 81.

1181 Die Form der Tatbeteiligung ist für die Nachzahlungsverpflichtung unbeachtlich. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 639.

1182 Der (Mit)Täter oder der Teilnehmer, der aus der Steuerhinterziehung selbst keinen Vorteil erlangt hat, wird allerdings ohne Nachzahlung straffrei. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 130.

b) Begünstigte 1183 Der an der Tat Beteiligte kommt als Nachzahlungsverpflichteter auch dann in Betracht, wenn er nicht selbst Steuerschuldner ist, aber den finanziellen Vorteil aus der Tat gezogen hat. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 639.

226

III. Nachzahlungspflicht

Ob er die Steuern zu seinen Gunsten hinterzogen hat, ist nach wirtschaftlichen 1184 Gesichtspunkten zu bemessen. Danach ist notwendig, dass er einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat: Vgl. Rolletschke, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 371 Rn. 131 ff.; Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 81; Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 643 m. w. N.

Beispiel: x

Der angestellte Geschäftsführer einer GmbH, der Steuern zugunsten der GmbH hinterzieht, um deren wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verzögern und so einen Arbeitsplatz länger zu sichern, erlangt lediglich einen mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil. Er ist nicht begünstigt und nicht nachentrichtungspflichtig. So BGH, Urt. v. 2.7.1987 – 3 StR 224/87, wistra 1987, 343 f.

Gleiches gilt, wenn er auf Veranlassung der Anteilseigner eine Steuerhinterziehung begeht, um die Kündigung seines Anstellungsvertrages zu vermeiden oder eine Gehaltserhöhung zu erreichen. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 130.

x

Sofern der Geschäftsführer gleichzeitig der Alleingesellschafter der GmbH ist, ist er wirtschaftlich mit der GmbH identisch. Wenn er zugunsten der GmbH Steuern hinterzieht, ist er begünstigt und erlangt einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil, wenn sich für ihn daraus die Erhöhung des Beteiligungswerts ergibt. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob dieser Vorteil durch eine Gewinnausschüttung realisiert worden ist. Vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 145; Rüping, in: H/H/Sp, Stand: März 2012, § 371 AO Rn. 105.

x

Der untreue Angestellte, der für seinen Arbeitgeber unrichtige UmsatzsteuerVoranmeldungen abgibt und den hinterzogenen Betrag unterschlägt, ist begünstigt und erlangt ebenfalls einen wirtschaftlichen Vorteil. So BGH, Urt. v. 4.7.1979 – 3 StR 130/79, NJW 1980, 248 f.

c) Dritte Für die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige ist unerheblich, wer die 1185 Zahlung der notwendigen Beträge vornimmt. Nach dem Gesetzeswortlaut in § 371 Abs. 3 AO stellt die Nachzahlungspflicht keine höchstpersönliche Pflicht dar, sodass die Zahlung nicht durch den Täter oder Teilnehmer persönlich und aus seinen eigenen Mitteln erfolgen muss. Vielmehr genügt es, wenn Drittzahlungen für den Täter erfolgen. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 748; so BGH, Urt. v. 7.11.1990 – 2 StR 439/90, wistra 1991, 103 ff.

227

J. Das Recht der Selbstanzeige

2. Steuern und steuerliche Nebenleistungen 1186 Die hinterzogenen Steuern sind nach § 235 AO zu verzinsen. Bei Einkommensteuer-, Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftsteuerfestsetzungen kommt bei Steuernachzahlungen zudem die allgemeine Verzinsungsregelung des § 233a AO zur Anwendung. Diese Zinsen werden gemäß § 235 Abs. 4 AO jedoch auf die Hinterziehungszinsen angerechnet, soweit sie für denselben Zeitraum – Zinslauf – festgesetzt wurden. Dadurch wird eine Doppelverzinsung der Steuernachforderung vermieden. Nach der Anrechnung der Nachzahlungszinsen nach § 233a AO wird der verbleibende Differenzbetrag als Hinterziehungszins festgesetzt. BT-Drucks. 18/3081, S. 13.

1187 Die Zahlung der Zinsen auf die Steuernachforderungen war nach der bisherigen Gesetzgebung nicht Bedingung, um nach der Selbstanzeige Straffreiheit zu erlangen. Nach der neuen Gesetzeslage ist die fristgemäße Zahlung der nach § 235 AO festgesetzten Hinterziehungszinsen sowie der Nachzahlungszinsen, soweit sie nach § 235 Abs. 4 AO auf die festgesetzten Hinterziehungszinsen angerechnet werden, neben der hinterzogenen Steuer notwendig, um Straffreiheit zu erlangen. BT-Drucks. 18/3081, S. 13; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281.

a) Hinterzogene Steuer 1188 Der an der Tat Beteiligte muss nach § 371 Abs. 3 Satz 1 AO die hinterzogenen Steuern entrichten. Darunter sind die Steuern i. S. d. § 3 Abs. 1 AO zu subsumieren. Der Solidaritätszuschlag unterfällt ebenfalls dem Begriff der hinterzogenen Steuer. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 664; Heidl/Pump, NWB 2014, 2333.

1189 Der an der Tat Beteiligte muss den Nominalbetrag, den er zu seinen Gunsten hinterzogen hat, entrichten. Sofern die tatbestandliche Steuerhinterziehung lediglich auf der Anwendung des Kompensationsverbots gemäß § 370 Abs. 4 Satz 3 AO beruht, besteht kein Steueranspruch der Finanzbehörde, eine Nachzahlung erfolgt nicht. Vgl. Heidl/Pump, NWB 2014, 2333; Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 12.

1190 Sofern es sich um einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil handelt, so ist der aufgrund der Hinterziehung erlangte Steuervorteil, der sich nach seinem wirtschaftlichen Wert ermittelt, zu entrichten. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 128.

1191 Der nachzuentrichtende Betrag kann mit dem Nachzahlungsbetrag, der sich aus dem aufgrund der Selbstanzeige erlassenen Steuerbescheid ergibt, iden228

III. Nachzahlungspflicht

tisch sein. Dies ist nicht zwingend, da sich Abweichungen aufgrund der unterschiedlichen Beweismaßstäbe ergeben können. Dies ist der Fall, wenn es neben der vorsätzlichen Steuerverkürzung auch zu fahrlässigen bzw. nicht schuldhaften Steuerverkürzungen gekommen ist. Vgl. Joecks, in: J/J/R, Steuerstrafrecht, § 371 AO Rn. 147; Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 128.

Das Kompensationsverbot gemäß § 374 Abs. 4 Satz 3 AO findet bei der Be- 1192 stimmung der Höhe des Nachzahlungsbetrags keine Anwendung. Steuerermäßigungsgründe sind daher zu berücksichtigen. Vgl. Joecks, DStR 2014, 2266.

Die zeitlich begrenzte Steuerverkürzung beeinflusst nicht die Bemessungs- 1193 grundlagen für den nachzuentrichtenden Geldbetrag. Es ist der Nominalbetrag zu zahlen und nicht lediglich der Zinsschaden. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 129.

b) Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO Die vollständige und wirksame Selbstanzeige führt nur dann zur Straffreiheit, 1194 wenn der Täter oder der Teilnehmer gemäß § 371 Abs. 3 Satz 1 AO „die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 angerechnet werden, innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet.“ Die hinterzogenen Steuern sind gemäß § 235 AO zu verzinsen, um dem 1195 Nutznießer der Steuerhinterziehung den steuerlichen Vorteil der verspäteten Zahlung oder der Gewährung oder der Belassung des Steuervorteils zu nehmen. So BFH, Urt. v. 27.9.1991 – VI R 159/89, BStBl. 1992 II S. 163.

Die Nachzahlungspflicht beschränkt sich in zeitlicher Hinsicht auf die ge- 1196 mäß § 78 StGB und gemäß § 376 AO strafrechtlich verfolgbaren Zeiträume von fünf bzw. zehn Jahren. Streitig vgl. Geuenich, NWB 2015, 39; Joecks, in: J/J/R, § 371 Rn. 173 m. w. N.

Die Hinterziehungszinsen sind für jeden Veranlagungszeitraum bzw. Vor- 1197 anmeldungszeitraum gesondert zu berechnen. Vgl. AEAO 2015 zu § 235 AO, Nr. 2.3.; zu Hinterziehungszinsen bei zu niedrig angesetzten Vorauszahlungen vgl. Bürger, PStR 2015, 327 ff.

Die Zinsfestsetzung unterbleibt, sofern die Steuerhinterziehung zu keiner 1198 Nachforderung führt. Das strafrechtliche Kompensationsverbot gemäß § 370 Abs. 4 Satz 3 AO gelangt nicht zur Anwendung.

229

J. Das Recht der Selbstanzeige Vgl. AEAO 2015 zu § 235 AO, Nr. 2.4.

1199 Der Zinslauf beginnt gemäß § 235 Abs. 2 Satz 1 AO mit dem Eintritt der Verkürzung oder der Erlangung des Steuervorteils und endet gemäß § 235 Abs. 3 AO mit der Zahlung der hinterzogenen Steuer, spätestens mit Ablauf des Fälligkeitstages. Vgl. AEAO 2015 zu § 235 AO, Nr. 4.2.1 f.

1200 Die Festsetzungsfrist für die Hinterziehungszinsen beträgt gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 AO ein Jahr und beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Festsetzung der hinterzogenen Steuerbeträge unanfechtbar geworden ist. Sie endet gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO jedoch nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem das eingeleitete steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen worden ist. Vgl. AEAO 2015 zu § 235 AO, Nr. 7.

1201 Von dieser Wirksamkeitsbedingung ausgenommen sind die aufgrund berichtigter Umsatzsteuervor- und Lohnsteuer-Anmeldungen festgesetzten Beträge sowie die Selbstanzeigen, die dem Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung gemäß § 378 Abs. 3 AO unterfallen. Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 135.

c) Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO 1202 Der Gesetzgeber regelt in § 371 Abs. 3 AO, dass die Zinsen gemäß § 233a AO soweit sie gemäß § 235 Abs. 4 AO auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden können, zu entrichten sind. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 491. Praxistipp: Sofern die Weiterleitung an die Straf- und Bußgeldsachenstelle unterbleibt, hat dies für den Steuerpflichtigen in der Praxis oft die Konsequenz, dass lediglich die Zinsfestsetzung gemäß § 233a AO erfolgt und eine Zinsfestsetzung gemäß § 235 AO unterbleibt. Der Zinszeitraum für die Zinsfestsetzung gemäß § 233a AO beginnt erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Die Zinsen sind, soweit sie auf betriebliche Steuern entfallen, abzugsfähig, während die Zinsen gemäß § 235 AO und gemäß § 4 Abs. 4 Nr. 8a EStG i. V. m. § 9 Abs. 5 EStG nicht als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten abzugsfähig sind. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 260.

230

III. Nachzahlungspflicht Praxistipp: Der Steuerberater sollte beachten, wer der Zinsschuldner ist. Eine Zinszahlungsverpflichtung ist nicht notwendig bei jedem Tatbeteiligten gegeben. So hat auch nur derjenige die Steuer nachzuentrichten, zu dessen Gunsten die Verkürzung erfolgt ist. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 491. Praxistipp: Dem Berater ist zu empfehlen, zu prüfen, ob hinsichtlich der Zinsen Festsetzungsverjährung eingetreten ist: Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 AO ein Jahr. Sie beginnt im Hinblick auf die Hinterziehungszinsen mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Festsetzung der hinterzogenen Steuer unanfechtbar geworden ist und endet gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 AO nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen wurde. Hinsichtlich der Zinsen gemäß § 233a AO ist zu beachten, dass die Festsetzungsverjährung gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Steuer festgesetzt bzw. geändert wurde. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 494.

3. Nachzahlungsfrist Die Strafverfolgungsbehörde setzt die Zahlungsfrist im Rahmen des steuer- 1203 strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens fest. Sofern das Verfahren bei der Straf- und Bußgeldsachenstelle anhängig ist, entscheidet diese über die Frist, ansonsten die Staatsanwaltschaft. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 132; Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 724 f.

Die Frist ist nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 5 AO zu bestimmen.

1204

Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 703.

Die Strafverfolgungsbehörde hat die Nachzahlungsfrist so zu bemessen, dass 1205 sie den Zeitraum umfasst, den der Steuerpflichtige benötigt, um den hinterzogenen Betrag aufzubringen, sei es durch den Verkauf oder die Beleihung von Sachwerten oder durch die Beschaffung eines Darlehens. Die fristgebundene Zahlung muss sich im Rahmen der finanziellen Belastungsfähigkeit des Zahlungsverpflichteten halten. So LG Koblenz, Urt. v. 13.12.1985 – 105 Js (Wi) 17301/83 – 10 Kls, wistra 1986, 79 ff.

Die Strafverfolgungsbehörde hat bei den Überlegungen, welche Nachzah- 1206 lungsfrist zu setzen ist, Ermittlungen zu den aktuellen persönlichen und finanziellen Verhältnissen zu führen. So LG Koblenz, Urt. v. 13.12.1985 – 105 Js (Wi) 17301/83 – 10 Kls, wistra 1986, 79 ff.; vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 709.

231

J. Das Recht der Selbstanzeige

1207 Auch einem offensichtlich zahlungsunfähigen Täter ist eine angemessene Frist zu setzen, damit er die Gelegenheit erhält, sich ggf. um Fremdmittel zu bemühen. Vgl. Harder, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 22 Rn. 116.

1208 Bei Zahlungsunfähigkeit tritt die strafbefreiende Wirkung des § 371 AO nicht ein, die Selbstanzeige wirkt strafmildernd. Vgl. Harder, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 22 Rn. 116.

1209 Als angemessene Frist kann ein Zeitraum von vier Wochen bis zu sechs Monaten gesetzt werden. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 716 m. w. N. Praxistipp: Zu beachten ist, dass die Frist gemäß § 371 Abs. 3 AO nicht identisch mit der steuerlichen Fälligkeit aufgrund der Änderungsveranlagungen ist. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 205, 696, 698.

1210 Üblicherweise führt die Strafverfolgungsbehörde weder eine gesonderte Ermittlung des steuerstrafrechtlichen Nachzahlungsbetrags durch, noch setzt sie eine eigene steuerstrafrechtliche Frist. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 285.

1211 Sofern die Staatsanwaltschaft bzw. die Straf- und Bußgeldsachenstelle es unterlassen haben, die gesonderte steuerstrafrechtliche Frist zu setzen, gilt mindestens die im geänderten Steuerbescheid genannte Zahlungsfrist. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 132.

1212 Sofern der Nachzahlungsbetrag vorzeitig entrichtet wird, entfällt die Fristsetzung. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 701.

1213 Das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren wird bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen eingestellt, wenn die sich aus dem geänderten Steuerbescheid ergebende Steuerschuld zum dort gesetzten Zeitpunkt beglichen wird. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 285.

232

IV. Absehen von der Verfolgung gemäß § 398a AO Praxistipp: Die strafbefreiende Begleichung der verkürzten Steuern zzgl. der Zinsen kann bereits vor der Fristsetzung und auch vor dem Fälligkeitszeitpunkt erfolgen. Die Zahlung beendet den Zinszeitraum, für den die Finanzbehörde die Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO festsetzt. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 132.

IV. Absehen von der Verfolgung gemäß § 398a AO Nach dem Wortlaut des § 398a AO hat die Strafverfolgungsbehörde nach 1214 fristgerechter Zahlung der hinterzogenen Steuern nebst Zinsen und des Geldbetrags zwingend von der weiteren Verfolgung der Steuerstraftat abzusehen und das eingeleitete Steuerstrafverfahren gemäß § 398a AO abzuschließen. 1. Zuständige Behörde Dem Wortlaut des § 398a AO ist nicht zu entnehmen, welche Behörde – 1215 Staatsanwaltschaft oder Finanzbehörde – für die Einstellung zuständig ist. Teilweise wird in der Literatur angenommen, dass die Finanzbehörde i. S. d. § 386 Abs. 1 Satz 2 AO sachlich zuständig ist. Sie verhängt den Geldbetrag gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO. Darüber hinaus trifft sie die Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens, über die ein förmlicher Beschluss ergehen muss. Vgl. Stahl, Selbstanzeige, Rn. 414 zu § 398a AO a. F.

Als Finanzbehörde ist regelmäßig die Straf- und Bußgeldsachenstelle anzu- 1216 sehen. Vgl. Adick, PStR 2011, 201.

Sofern das Verfahren gemäß § 386 Abs. 4 Satz 1 oder 2 AO bei der Staatsan- 1217 waltschaft anhängig ist, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Vgl. Adick, HRRS 2011, 202.

Unabhängig davon, ob die Zuständigkeit bei der Finanzbehörde oder der 1218 Staatsanwaltschaft liegt, ist eine Zustimmung zur Verfahrenseinstellung durch das Gericht nicht vorgesehen. Vgl. Beckemper/Schmitz/Wegner/Wulf, wistra 2011, 285; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 585.

2. Voraussetzungen Die Vorschrift des § 398a AO knüpft an die Sperrtatbestände des § 371 1219 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 AO an. Notwendig ist, dass eine vorsätzliche und vollendete Steuerhinterziehung vorliegt. Mangels einer entsprechenden Ver-

233

J. Das Recht der Selbstanzeige

weisung im Gesetz ist § 398a AO bei der Selbstanzeige nach § 378 Abs. 3 AO nicht anwendbar. Die Nachentrichtungspflicht sowie die Pflicht zur Zahlung des Zuschlags knüpfen an „hinterzogene Steuern“ an, sodass § 398a AO auch auf die versuchte Steuerhinterziehung nicht anwendbar ist. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 536.

1220 Zudem muss der Anzeigende eine vollständige Selbstanzeige i. S. d. § 371 Abs. 1 AO bezogen auf die gesamte Selbstanzeige eingereicht haben und es darf kein anderer Sperrgrund bezogen auf die Selbstanzeige insgesamt greifen. Sofern der Anzeigende die zu eigenen Gunsten hinterzogene Steuer sowie die Zinsen gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO und den nach § 398a Abs. 1 Nr. 2a – c AO gestaffelten Strafzuschlag fristgerecht entrichtet hat, sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 398a Abs. 1 Abs. 1 AO erfüllt und es wird von der weiteren Verfolgung der Tat abgesehen. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 543 ff. Praxistipp: Die Straffreiheit darf „nur“ wegen der Sperrtatbestände des § 371 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 AO nicht eintreten. Alle weiteren Sperrgründe, die die gesamte Selbstanzeige „infizieren“ und sie insgesamt unwirksam machen, oder der Verstoß gegen das umfassende Vollständigkeitsgebot des § 371 Abs. 1 AO führen zum Ausschluss des § 398a AO. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 398a Rn. 10; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 547.

Beispiele: x

A reicht für eine Selbstanzeige für die Einkommensteuer 01 bis 03 ein. Das Jahr 01 erklärt er nicht vollständig, die zu tolerierende Abweichung hat er überschritten. Die nachzuentrichtende Einkommensteuer beträgt für 02 und 03 jeweils 25.000 €. Die Selbstanzeige ist nicht wirksam, da sie gegen das in § 371 Abs. 1 AO niedergelegte Vollständigkeitsgebot verstößt. Der Anwendungsbereich des § 398a AO ist nicht eröffnet. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 546.

x

A reicht eine Selbstanzeige für die Einkommensteuer 01 bis 03 ein. Die Einkommensteuer 01 und 02 beträgt jeweils 25.000 €. Für das Jahr 03 ist A bereits eine Prüfungsanordnung bekanntgegeben worden. Für das Jahr 03 greift der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a AO. Für die Jahre 01 und 02 kann A aufgrund der Regelung in § 371 Abs. 2 Satz 2 AO eine wirksame Selbstanzeige einreichen. Sie führt nicht zur Straffreiheit, weil die hinterzogene Steuer mehr als 25.000 € beträgt. Sie führt nach Zahlung der Steuern, Zinsen und des Geldbetrags zu einem Absehen der Verfolgung. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 548 ff.

234

IV. Absehen von der Verfolgung gemäß § 398a AO

a) Steuern und Zinsen § 398a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO enthält die Regelung, dass der an der Tat Be- 1221 teiligte innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist neben der aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern auch die Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO und die Zinsen gemäß § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen gemäß § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden, innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist entrichten muss. Nur bei der fristgerechten Zahlung beider Forderungen wird bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen von der Verfolgung der Steuerstraftat abgesehen. BT-Drucks. 18/3018, S. 14; FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281; Hunsmann, NZWiSt 2015, 131.

Der Umfang der Steuernachentrichtung gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO ist 1222 für den Tatbeteiligten auf die zu seinen Gunsten hinterzogene Steuer beschränkt. Er ist folglich gehalten, die Steuer in der Höhe nachzuzahlen, die seinem unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil aus der Steuerhinterziehung entspricht. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 133.

Die Nachzahlungsverpflichtung gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO umfasst den 1223 tatsächlichen Steuerschaden. Regelmäßig ist der Nominalbetrag nachzahlungspflichtig. Sofern die Kompensation greift, fehlt es insofern an einem Steuerschaden. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 497.

Die Gesetzesformulierung des § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO knüpft zumindest 1224 teilweise an die in § 371 Abs. 3 AO an, sodass im Grundsatz auf die dort anerkannten Regelungen für die Steuerberechnung, Zinszahlungspflicht und die Fristsetzung zurückgegriffen werden kann. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 551, 553.

b) Geldbetrag Der Anzeigende muss über die in § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO geregelte Steuer- 1225 und Zinsnachentrichtung hinaus gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO einen nach Hinterziehungsbeträgen gestaffelten und deutlich erhöhten Geldbetrag an die Staatskasse zahlen. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 554.

Der Geldbetrag bezieht sich auf die noch nicht verjährte Steuerstraftat, defi- 1226 niert nach Steuerart und Besteuerungszeitraum. Der Umfang der Zuschlagzahlung nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO und der Mindestberichtigungsverbund gemäß § 371 Abs. 1 Satz 2 AO können daher auseinanderfallen. Der Anzeigende muss aufgrund des auf zehn Jahre erweiterten Vollständigkeitsgebots gemäß § 371 Abs. 1 AO auch „einfache“ Steuerstraftaten, die außerhalb des

235

J. Das Recht der Selbstanzeige

strafrechtlichen Verfolgungszeitraums liegen, offenlegen. Für die Zuschlagzahlung ist bei der einfachen Steuerhinterziehung die Strafverfolgungsverjährung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB von fünf Jahren maßgeblich. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 130.

1227 Das Absehen von der Strafverfolgung erfolgt nach dem Wortlaut des Gesetzes, „wenn“ der Anzeigende den Geldbetrag leistet und nicht soweit er den Geldbetrag leistet. Daher genügt es nicht, wenn er Teilbeträge bezahlt. Eine Teileinstellung ist vom Gesetzeswortlaut nicht umfasst. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 131.

Beispiel: Der Geldbetrag für die Einkommensteuerhinterziehung des Jahres 01 beläuft sich auf 30.000 €, der Anzeigende zahlt nur 5.000 €. Praxistipp: Davon abzugrenzen sind Fallkonstellationen, in denen der Nachzahlungsverpflichtete einen Geldbetrag für mehrere Steuerstraftaten zu leisten hat. Stehen ihm nicht genügend finanzielle Mittel zur Verfügung, könnte die Einstellung für die Taten in Betracht kommen, für die die Zahlung des Geldbetrags vollständig ausreicht. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 131.

aa) Staffeltarif 1228 Der Gesetzgeber hat in § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO den Geldbetrag gestaffelt und jedoch auch erhöht. Als Begründung für die Erhöhung ist den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, dass die Höhe des Hinterziehungsbetrags einen wesentlichen Umstand für die Bemessung der Schuld des Straftäters darstellt. Die Anforderungen für das Absehen von der Strafverfolgung sollen sich an der Höhe des Hinterziehungsbetrags orientieren. Der Gesetzgeber bestimmte daher den Staffeltarif. BT-Drucks. 18/3018, S. 14; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281 f.

1229 Der Staffeltarif mit den jeweiligen Schwellenwerten und den anzuwendenden Prozentsätzen lautet wie folgt: x

Gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2a AO 10 % der hinterzogenen Steuer, wenn der Hinterziehungsbetrag 100.000 € nicht übersteigt.

x

Gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2b AO 15 % der hinterzogenen Steuer, wenn der Hinterziehungsbetrag 1.000.000 € nicht übersteigt.

x

Gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2c AO 20 % der hinterzogenen Steuer, wenn der Hinterziehungsbetrag 1.000.000 € übersteigt.

236

IV. Absehen von der Verfolgung gemäß § 398a AO

In den Fällen des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO ist aus systematischen Gründen der 1230 zusätzliche Schwellenwert von 25.000 € zu beachten. Er ist als zu übersteigende Untergrenze in § 398a Abs. 1 Nr. 2a AO hineinzulesen, da der Anwendungsbereich des § 398a Abs. 1 AO erst bei der Überschreitung dieses Betrages eröffnet ist. Vgl. Hunsmann, NJW 2015, 117; vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 132.

Der Schwellenwert von 25.000 € ist im Hinblick auf den neu in § 371 Abs. 2 1231 Nr. 4 AO eingefügten Ausschlussgrund nicht anzuwenden, da die von dieser Vorschrift erfassten besonders schweren Fälle betragsunabhängig in den Anwendungsbereich des § 398a AO gelangen. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 132. Praxistipp: Die Schwellenwerte von 25.000 €, 100.000 € und 1.000.000 € stellen aufgrund des Gesetzeswortlautes – „wenn“ – jeweils eine Freigrenze dar und keinen Freibetrag. Vgl. Berechnungsbeispiele in BT-Drucks. 18/3018, S. 14 f.; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 562. Bei Überschreiten des Schwellenwertes ist der jeweils höhere Prozentsatz auf den gesamten und somit auch auf den unterhalb des Schwellenwertes liegenden Teil des Hinterziehungsbetrags anzuwenden. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 132 m. w. N.

Beispiele: x

A hinterzieht Einkommensteuer 01 i. H. v. 40.000 €. Der Geldbetrag beträgt 10 % von 40.000 € und somit 4.000 €.

x

A hinterzieht Einkommensteuer 01 i. H. v. 250.000 €. Der Geldbetrag beträgt 15 % von 250.000 € und somit 37.500 €.

Bei der Bestimmung der jeweiligen Betragsgrenze ist keine Toleranzspanne 1232 anwendbar. Sie ist nur für die Frage von Bedeutung, ob eine Selbstanzeige vollständig strafaufhebend wirkt, wenn die nacherklärten Besteuerungsgrundlagen betragsmäßig nur geringfügig unter den zutreffenden Beträgen angegeben werden. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 563.

bb) Hinterzogene Steuer Laut der Neufassung des § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO ist die Bemessung des 1233 Geldbetrags nicht nur vom Umfang der hinterzogenen Steuer, sondern auch von der Höhe des Hinterziehungsbetrags abhängig. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 130, 132.

237

J. Das Recht der Selbstanzeige

1234 Im Schrifttum ist umstritten, ob die Berechnungsregel des § 398a Abs. 2 AO auf die Zuschlagsberechnung des § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO insgesamt oder nur teilweise anwendbar ist. Bei einer gesamten Anwendung wäre sie Grundlage sowohl zur Ermittlung des einschlägigen Prozentsatzes von 10 %, 15 % bzw. 20 % nach „Hinterziehungsbetrag“ als auch zur Berechnung der „hinterzogenen Steuer“, auf die der zuvor ermittelte Prozentsatz anzuwenden ist. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 564.

1235 Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dass das Merkmal der hinterzogenen Steuer i. S. d. § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO mit dem des Hinterziehungsbetrags in § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO gleichzusetzen ist. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 565.

1236 So hat beispielsweise der Finanzausschuss vom 16.3.2011 zum Schwarzgeldbekämpfungsgesetz die Begriffe Hinterziehungsbetrag und verkürzte Steuer wahlweise für den der hinterzogenen Steuer i. S. d. § 398a Nr. 2 AO verwendet. BT-Drucks. 17/5067 (neu), S. 20; vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 133.

1237 In diesem Fall ermittelt sich die hinterzogene Steuer nach der Vorschrift des § 370 Abs. 4 AO unter Anwendung des Kompensationsverbots. Vgl. Habammer/Pflaum, DStR 2014, 2270.

1238 Nach der Rechtsprechung und der Auffassung der Verwaltung zur bisherigen Regelung in § 398a AO ist die Bemessungsgrundlage für den Geldbetrag nach strafrechtlichen Gesichtspunkten und somit unter Anwendung des Kompensationsverbots zu berechnen. Nach der Absicht des Gesetzgebers sollen sich die Anforderungen für das Absehen von Strafverfolgung an der Höhe des Hinterziehungsbetrags orientieren, da dieser einen wesentlichen Umstand für die Bemessung der Schuld des Täters darstellt. Die Absicht des Gesetzgebers, die Zuschlagsregelung in § 398a AO zu verschärfen, würde jedoch unterlaufen, wenn die hinterzogene Steuer i. S. d. § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO mit dem tatsächlichen Nachzahlungsbetrag gleichgesetzt würde. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 565.

1239 Insbesondere in Erstattungsfällen käme die Vorschrift des § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO nicht zur Anwendung. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 133.

1240 Gegen die andere Auffassung, wonach die hinterzogene Steuer i. S. d. § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO die Steuer ist, die bei der Verkürzung zu eigenen Gunsten tatsächlich nachzuzahlen ist und das Kompensationsverbot keine Anwendung finden soll, spricht, dass die Formulierung „zu eigenen Gunsten“ nicht im Gesetzeswortlaut des § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO enthalten ist. Vgl. Beneke, DB 2015, 410; Geuenich, NWB 2015, 36.

238

IV. Absehen von der Verfolgung gemäß § 398a AO Praxistipp: Um das Absehen der Verfolgung nicht zu gefährden, sollte die unter Berücksichtigung des Kompensationsverbots ermittelte hinterzogene Steuer als Bemessungsgrundlage für den Geldbetrag zugrunde gelegt werden. Die hinterzogene Steuer gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO bemisst sich demnach nach den gleichen Grundsätzen wie der Hinterziehungsbetrag mit der Folge, dass bei der Umsatzsteuer beispielsweise nicht die Zahllast, sondern die entstandene Umsatzsteuer ohne anzurechnende Vorsteuer die Bemessungsgrundlage für den Geldbetrag darstellt. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 133. Praxistipp: Die hinterzogene Steuer gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO ist mit der hinterzogenen Steuer nach § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO nicht gleichzusetzen. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 133. Die hinterzogene Steuer gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO entspricht dem Betrag, den der Nachzahlungsverpflichtete aufgrund der Angaben in seiner Selbstanzeige entrichten muss.

cc) Hinterziehungsbetrag Der Gesetzgeber hat mit dem Änderungsgesetz vom 22.12.2014 den Begriff 1241 Hinterziehungsbetrag in die Vorschrift des § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO aufgenommen. Der Hinterziehungsbetrag bemisst sich nach dem ebenfalls neu eingefügten § 398a Abs. 2 AO und ermittelt sich somit nach den Grundsätzen des § 370 Abs. 4 AO. Vgl. Beneke, DB 2015, 409; vgl. Geuenich, NWB 2015, 35.

Daher kommt insbesondere das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 1242 Satz 3 AO zur Anwendung. Für die Bestimmung des Hinterziehungsbetrags ist es deshalb unbeachtlich, ob die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können. Der Strafzumessungsschaden bzw. der tatsächliche Fiskalschaden ist für die Bemessung des Hinterziehungsbetrags demnach unerheblich. Soweit kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen steuermindernden und steuererhöhenden Umständen besteht, führt die steuerrechtlich zulässige Kompensation durch Abzugsposten nicht zu einer Verringerung des tatbestandlichen Steuerschadens und damit nicht zu einer Verringerung der Zuschlaghöhe gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO. Für die Bestimmung des Hinterziehungsbetrags und des maßgeblichen Prozentsatzes ist allein der Verkürzungsbegriff des § 370 Abs. 1 i. V. m. § 370 Abs. 4 AO und somit der Nominalbetrag der verkürzten Steuer beachtlich. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 131.

239

J. Das Recht der Selbstanzeige Praxistipp: Bei der Umsatzsteuer unterliegen Vorsteuern dem Kompensationsverbot. Bei einer verkürzten Umsatzsteuer i. H. v. 120.000 € und steuerlich berücksichtigungsfähigen Vorsteuern i. H. v. 30.000 € lautet der Hinterziehungsbetrag, der die Grundlage für die Ermittlung des anzuwendenden Prozentsatzes ist, 120.000 €.

1243 Dabei ist auf die einzelne Tat abzustellen, die sich nach der Steuerart und dem Besteuerungszeitraum definiert. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 754.

Berechnungsbeispiel: A reicht die Einkommensteuererklärung 01 und Umsatzsteuererklärung 01 zeitgleich beim Finanzamt ein. Die Einkommensteuer beträgt 5.000 €, die Umsatzsteuer beträgt 96.000 € ohne die Berücksichtigung von Vorsteuern i. H. v. 40.000 €. Für die Einkommensteuerhinterziehung 01 liegt der Sperrgrund gemäß § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO nicht vor, für die Umsatzsteuerhinterziehung ist er gegeben, da sie mehr als 25.000 € beträgt. Der Geldbetrag lautet 10 % von 96.000 € und beträgt 9.600 €. A muss 56.000 € zzgl. 9.600 € aufwenden, damit bezüglich der Umsatzsteuerhinterziehung von der weiteren Verfolgung abgesehen werden kann. Unter der Voraussetzung, dass er die Einkommensteuer i. H. v. 5.000 € zzgl. der Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO und der Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO entrichtet, geht er auch bezüglich dieser Steuerhinterziehung straffrei aus. Praxistipp: Um das Absehen der Verfolgung nicht zu gefährden, sollte der unter Berücksichtigung des Kompensationsverbots ermittelte Hinterziehungsbetrag als Bemessungsgrundlage für den Prozentsatz zugrunde gelegt werden.

c) Kompensationsverbot 1244 Das Kompensationsverbot ist bei der Ermittlung des Hinterziehungsbetrags zu beachten. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 497; vgl. Beneke, DB 2015, 409.

1245 Der neu in § 398a AO aufgenommene Absatz 2 dient zur Klarstellung darüber, dass der Hinterziehungsbetrag nach den gleichen Grundsätzen zu bemessen ist wie bei § 370 AO. Daraus folgt, dass es auch für die Bemessung des Hinterziehungsbetrags im Rahmen des § 398a AO unerheblich ist, ob die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können. BT-Drucks. 18/3018, S. 14 f.

240

IV. Absehen von der Verfolgung gemäß § 398a AO Praxistipp: Nach der Rechtsprechung des BGH sind bei der Hinterziehung von Umsatzsteuer die Vorsteuerbeträge nicht zu berücksichtigen, weil kein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen steuererhöhenden und steuermindernden Umständen gegeben ist. Die Bemessungsgrundlage für den Geldbetrag ist somit nicht die Zahllast, sondern die entstandene Umsatzsteuer. Dies gilt selbst bei negativer Zahllast. So BGH, Beschl. v. 8.1.2008 – 5 StR 582/07, wistra 2008, 153 f.; so BGH, Urt. v. 24.10.1990 – 3 StR 16/90, NStZ 1991, 89; vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 370 Rn. 132, § 398a Rn. 26 f.; so BGH, Urt. v. 24.10.1990 – 3 StR 16/90, NStZ 1991, 89.

Beispiel: Die Geschäftsführer A und B haben in der Umsatzsteuer-Voranmeldung Januar 01 der GmbH vorsätzlich einen innergemeinschaftlichen Erwerb über 500.000 € nicht angemeldet. Die Korrektur erfolgt in der Umsatzsteuerjahreserklärung 01. Die GmbH ist zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt, es entsteht keine Zahllast und auch kein Zinsnachteil als Steuerschaden. Die Korrektur in der Umsatzsteuerjahreserklärung ist als Selbstanzeige zu werten. Der Vorsteuerabzug ist unbeachtlich, da das Kompensationsverbot greift. Der hinterzogene Betrag beträgt mehr als 25.000 €, sodass die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO zur Anwendung gelangt. Das Verfahren ist gemäß § 398a AO abzuschließen, wenn beide Geschäftsführer jeweils einen Geldbetrag i. H. v. 15 % von 500.000 € und somit i. H. v. 75.000 € entrichten. Vgl. Habammer/Pflaum, DStR 2014, 2270. Praxistipp: Zwischen nicht verbuchten Umsätzen und den Anschaffungskosten von verkaufter Ware besteht ertragsteuerlich ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang, sodass das Kompensationsverbot nicht greift.

Die Anwendbarkeit des Kompensationsverbots gemäß § 370 Abs. 4 Satz 3 1246 AO war in der Fassung des § 398a AO im Schwarzgeldbekämpfungsgesetz umstritten. Vgl. Beneke, DB 2015, 409.

Der Gesetzgeber hat in der seit dem 1.1.2015 gültigen Vorschrift des § 398a 1247 Abs. 2 AO die Regelung geschaffen, dass sich die Bemessungsgrundlage für den Hinterziehungsbetrag nach den Grundsätzen des § 370 Abs. 4 AO richtet. Vgl. Külz/Welling, PStR 2015, 134.

Berechnungsbeispiel: Die nacherklärte Umsatzsteuer beträgt 100.000 €, die berücksichtigungsfähige Vorsteuer 90.000 €. Die Bemessungsgrundlage für den Geldbetrag gemäß § 398a AO beträgt unter Anwendung des Kompensationsverbots 100.000 €. Der anzu241

J. Das Recht der Selbstanzeige

setzende Prozentsatz lautet gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2a AO 10 % und wird auf den Betrag i. H. v. 100.000 € erhoben. Der Geldbetrag beläuft sich auf 10.000 €. 3. Verpflichteter Personenkreis 1248 Von der Nachzahlungspflicht des § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO ist der an der Tat Beteiligte umfasst, zu dessen Gunsten die Hinterziehung geschah. Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 136.

1249 Im Verhältnis der Tatbeteiligten untereinander gilt, dass jeder von ihnen die Steuern entsprechend der Höhe des eigenen wirtschaftlichen Vorteils zu entrichten hat. Vgl. statt vieler Buse, StBp 2011, 158 und Hunsmann, BB 2011, 2524.

1250 Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist der Geldbetrag gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO nicht nur von dem Täter, sondern von jedem Tatbeteiligten und unabhängig von einer Vorteilserlangung zu bezahlen. Der Gesetzgeber schafft in der neuen Fassung des § 398a AO mit dem Begriff „an der Tat Beteiligten“ Klarheit, dass diese Einstellungsvorschrift sowohl den Täter i. S. d. § 25 StGB als auch den Teilnehmer i. S. d. §§ 26, 27 StGB und somit auch den Anstifter und den Gehilfen umfasst. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 534, 556.

1251 Teilnehmer hinterziehen im Gegensatz zu Tätern die Steuern gerade nicht zu ihren Gunsten, sodass für sie andernfalls weder die Pflicht zur Nachentrichtung noch die Pflicht zur Zahlung des Geldbetrags greifen würde. Die personelle Erstreckung auf nunmehr alle Tatbeteiligte lässt den Schluss zu, dass in § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO anders als in Nr. 1 nicht der Ausgleich des Fiskalschadens, sondern der Auflagencharakter im Vordergrund steht. Als Folge daraus ist von jedem Täter und von jedem Teilnehmer der Geldbetrag in voller Höhe zu fordern. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 134.

1252 Bei der Beteiligung mehrerer Tatbeteiligter an der Steuerhinterziehung hat auch nach der bisherigen Rechtsprechung jeder Täter den Zuschlag auf der Grundlage des insgesamt hinterzogenen Steuerbetrags zu zahlen. So LG Aachen, Beschl. v. 27.8.2014 – 86 Qs 11/14, wistra 2014, 493 f.; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 570 m. w. N.

1253 Die Zahlung des Geldbetrags ist auch dann zu leisten, wenn der Täter oder Teilnehmer keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil aus der Tat erlangt hat. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 569.

242

IV. Absehen von der Verfolgung gemäß § 398a AO Praxistipp: Gerade in größeren Unternehmen sind regelmäßig zahlreiche Personen in den Prozess eingebunden, der die Erstellung der Steuererklärung oder Steueranmeldung bis zur Abgabe bei der Finanzbehörde umfasst. Bei der Auslegung als Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung kann eine Vielzahl dieser Personen in Betracht kommen, beispielsweise das Leitungsorgan der Kapitalgesellschaft, das die Erklärungen unterschreibt. Gleiches gilt für die Fachmitarbeiter, die die Erklärungen oder die Voranmeldungen eigenverantwortlich vorbereiten, und dieses Risiko gilt auch für den Leiter der Steuerabteilung, der die Erklärungen fachlich freigibt. Vgl. Beneke, DB 2015, 409 f. Praxistipp: Die Anwendung des § 398a AO insbesondere bei Selbstanzeigen durch Verantwortliche eines Unternehmens im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer können zu Ergebnissen führen, die den finanziellen Ruin der Betroffenen zur Folge haben können. Der Steuerberater wird eine einzelfallbezogene Risikoabwägung treffen, ob die Durchführung eines Strafverfahrens mit der Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage die für den Mandanten „bessere“ Lösung ist. Sie richtet sich nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Mandanten und ist aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bezahlbar. Vgl. Külz/Welling, PStR 2015, 134; vgl. Beneke, DB 2015, 410. Praxistipp: Die Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO führt zudem zu einem Strafklageverbrauch. Vgl. Habammer/Pflaum, DStR 2014, 2272.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes besteht die Zahlungspflicht dem Grunde 1254 nach für den an der Tat Beteiligten. Die tatsächliche Entrichtung des Zuschlags durch Dritte ist zulässig. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 559. Praxistipp: Denkbar ist es, dass das Unternehmen die Zahlung des Geldbetrags übernimmt. Regelmäßig liegt es im überwiegenden Unternehmensinteresse, die Reputation des Unternehmens zu schützten sowie eine unter Umständen geschäftsschädigende Hauptverhandlung zu vermeiden, um die Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen zu verhindern. Die Bindung des Mitarbeiters an das Unternehmen, die regelmäßig zum Wohl des Unternehmens erfolgt, ist ein bedeutsames Argument für das Unternehmen, die Zahlung des Geldbetrags zu übernehmen. Vgl. Beneke, DB 2015, 410 mit weiteren Ausführungen insbesondere zu § 266 StGB; Haase, NWB 2015, 3052.

243

J. Das Recht der Selbstanzeige

4. Anwendungszeitraum 1255 Der Geldbetrag ist für die jeweilige noch nicht verjährte Steuerstraftat bezogen auf die Steuerart und den Besteuerungszeitraum zu ermitteln. BT-Drucks. 18/3018, S. 14; FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 282; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 566.

1256 Die Zahlung des Zuschlags ist somit für die strafrechtlich noch nicht verjährten und verfolgbaren Zeiträume notwendig, für die eine Steuerhinterziehung vorliegt und für die die Straffreiheit ausschließlich deswegen nicht eintritt, weil ein Sperrgrund i. S. d. § 371 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 AO vorliegt. Die amtliche Überschrift des § 398a AO – Absehen von Verfolgung – verdeutlicht, dass die Vorschrift des § 398a AO zur Anwendung gelangt, wenn eine verfolgbare und somit nicht verjährte Straftat vorliegt, die unter den in der Vorschrift normierten Voraussetzungen nicht verfolgt wird. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 567. Praxistipp: Die in § 371 Abs. 1 Satz 2 AO aufgeführte zehnjährige Berichtigungsfrist ist daher lediglich im Hinblick auf das Vollständigkeitsgebot zu beachten. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 568. Praxistipp: Die Strafverfolgungsverjährung nach § 376 AO beträgt für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung zehn Jahre. Ansonsten tritt die Strafverfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre nach der Tatbeendigung ein. BT-Drucks. 18/3018, S. 14.

Beispiel: A hat in 01 und in 02 jeweils Einkommensteuer i. H. v. mehr als 25.000 € hinterzogen. Das Jahr 01 ist strafrechtlich bereits verjährt. Dem Vollständigkeitsgebot entsprechend muss A den in § 371 Abs. 1 Satz 2 AO normierten Berichtigungsverbund beachten und auch strafrechtlich verjährte Taten anzeigen. Der Vorschrift des § 398a AO entsprechend muss A für das Jahr 02 die verkürzte Einkommensteuer, die Zinsen sowie den Zuschlag nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO entrichten. 1257 Zur Eingrenzung der Steuerstraftat, auf die sich der Geldbetrag bezieht, ist die Gesetzesbegründung zum Schwarzgeldbekämpfungsgesetz heranzuziehen. BT-Drucks. 17/5067 (neu), S. 22.

1258 Sie führt aus, dass der Zuschlagsprozentsatz „der jeweils einzelnen verkürzten Steuer zugunsten der Staatskasse“ zu leisten ist. Zudem knüpft die Vor-

244

IV. Absehen von der Verfolgung gemäß § 398a AO

schrift in § 398a AO an § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO an, in dem ebenfalls auf die jeweilige Tat i. S. e. Steuerart und eines Besteuerungszeitraums abgestellt wird. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 566 mit Ausführungen zur anderen Ansicht.

Diese Auslegung entspricht somit der Absicht des Gesetzgebers, sodass für 1259 die von der Rechtsprechung zur früheren Gesetzesfassung vertretene Annahme, dass bei Tateinheit eine Addition der Hinterziehungsbeträge erfolgt, auf die Neuregelung nicht übertragbar sein sollte. BT-Drucks. 18/3018, S. 14; So BGH, Beschl. v. 15.12.2011 – 1 StR 579/11, NZWiSt 2012, 154 f.; Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 566 m. w. N. auch zur anderen Auffassung.

Auch eine Addition von Steuern verschiedener Steuerarten und/oder Veran- 1260 lagungszeiträume findet nicht statt. Vgl. Hunsmann, NZWiSt 2015, 134; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 566.

5. Einstellung des Verfahrens Sofern der an der Tat Beteiligte die Tatbestandvoraussetzungen erfüllt, so ist 1261 von der weiteren Verfolgung der unter § 371 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 AO fallenden Taten gemäß § 398a AO zwingend abzusehen. Der Strafverfolgungsbehörde steht kein Ermessen zu. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 581.

Die Einstellung des Verfahrens gemäß § 398a AO ist keine Bestrafung und 1262 führt zu keiner Vorstrafe. Vgl. Stahl, Selbstanzeige, Rn. 414.

Eine Eintragung in das Bundeszentralregister erfolgt nicht.

1263

Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 638.

Sofern der Erklärende in seiner Selbstanzeige noch weitere Steuerstraftaten 1264 anzeigte, für die die Voraussetzungen des §§ 371 Abs. 1, 3 AO erfüllt sind, ist das Verfahren in Bezug auf diese weiteren Taten gemäß § 170 Abs. 2 StPO i. V. m. § 371 AO einzustellen. Vgl. Stahl, Selbstanzeige, Rn. 410; Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 582.

Beispiel: A erklärte Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Jahre 01 – 03 nach. Die Mehrsteuer beträgt für die Jahre 01 und 02 mehr als 25.000 €, für 03 beträgt sie 10.000 €. A zahlt die Steuern, Zinsen und den Geldbetrag gemäß § 398a AO fristgemäß. Das Verfahren ist in Bezug auf den Verdacht der Einkommensteuerverkürzung 01 und 02 gemäß § 398a AO und wegen des Verdachts der Ein-

245

J. Das Recht der Selbstanzeige

kommensteuerverkürzung 03 gemäß § 170 Abs. 2 StPO i. V. m. § 371 AO einzustellen. 1265 Sofern der Anzeigende in seiner Selbstanzeige neben der Steuerhinterziehung weitere Delikte, beispielsweise Urkundenfälschung i. S. d. § 267 StGB, anzeigte, beschränkt sich das Absehen von der Verfolgung lediglich auf die Steuerhinterziehung. Die Ahndung der anderen Delikte bleibt möglich. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 583.

1266 Mit der Zahlung des Geldbetrags und der Einstellung des Verfahrens tritt kein Strafklageverbrauch ein, da das Verfahren gemäß § 398a Abs. 3 AO wieder aufgenommen werden kann. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 282; vgl. Geuenich, NWB 2015, 37; vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 136. Praxistipp: Die Einstellung des Verfahrens erfolgt gemäß § 398a AO. Die Vorschrift ist eine unbestritten selbstständige Einstellungsvorschrift, die systematisch hinter § 398 AO – Einstellung wegen Geringfügigkeit – eingereiht ist. Für die Praxis ist es im Ergebnis ohne Bedeutung, ob noch die weitere Einstellungsvorschrift des § 170 Abs. 2 StPO genannt wird. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 588, 590. Der Steuerberater wird im Einzelfall prüfen, auf eine Einstellung nach § 153a AO hinzuwirken. Dies ist beispielsweise denkbar, wenn sich der Geldbetrag gemäß § 398a AO wegen der Nichtberücksichtigung der Verkürzung auf Zeit als unangemessen hoch darstellt. Die Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO führt außerdem zu einem Strafklageverbrauch. Vgl. Heidl/Pump, NWB 2014, 19174.

6. Besonderheiten a) Zahlungsfrist 1267 Der Gesetzeswortlaut in § 398a AO bestimmt dass „der an der Tat Beteiligte innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist“ die notwendigen Beträge zu entrichten hat. Die Bestimmung trifft keine Unterscheidung zwischen der Frist zur Nachentrichtung der Steuern und Zinsen gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO einerseits und der Frist zur Zahlung des Geldbetrags gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO andererseits. Ein einheitlicher Fristlauf ist nicht zwingend, denn die Zahlungsempfänger sind verschieden: Während die Steuern und Zinsen gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 1 AO an die zuständige Finanzbehörde zu entrichten sind, ist der Geldbetrag gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO an die Staatskasse/den Justizfiskus zu begleichen. Aus diesem Grund sind unterschiedliche Fristläufe als zulässig anzusehen. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 576.

246

IV. Absehen von der Verfolgung gemäß § 398a AO Praxistipp: Eine Fristverlängerung oder Ratenzahlung kann nicht gewährt werden. Die Vorschrift in § 398a AO enthält keine in § 153a Abs. 1 Satz 4 StPO entsprechende Regelung. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 578.

Sofern innerhalb der angemessenen Fristen keine vollständige Entrichtung 1268 der Steuern, der Zinsen und des Geldbetrags erfolgt, ist das Verfahren an das Gericht abzugeben bzw. fortzuführen. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 579. Praxistipp: Die vollständige Zahlung der notwendigen Beträge nach Fristablauf kann dennoch im Hinblick auf eine Einstellung aus Opportunitätsgründen gemäß §§ 153 ff. StPO sinnvoll sein. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 580.

b) Aufnahme des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens Das abgeschlossene steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren kann gemäß 1269 § 398a Abs. 3 AO wieder aufgenommen werden, wenn die Finanzbehörde nachträglich erkennt, dass der Anzeigende im Rahmen der Selbstanzeige unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 37; Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 136.

Der Gesetzgeber nahm die ausdrückliche Wiederaufnahmemöglichkeit des 1270 Strafverfahrens neu in § 398a AO auf, um Gestaltungen bei der Abgabe der strafbefreienden Selbstanzeige im Rahmen des § 398a AO vorzubeugen. Dadurch ist geklärt, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens möglich ist, wenn der Anzeigende keine vollständige und richtige Selbstanzeige abgegeben hat und dieser Sachverhalt zu einem Zeitpunkt nach dem Abschluss des Verfahrens bekannt wird. Vgl. Roth, wistra 2015, 296.

Beispiel: A erklärt Einkünfte nach, die zu einer einkommensteuerlichen Auswirkung von 40.000 € führen. Das Verfahren wird gemäß 398a Abs. 1 AO abgeschlossen. Später stellt sich heraus, dass A Einkommensteuer i. H. v. 60.000 € verkürzt hat. Das Strafverfahren kann gemäß § 398a Abs. 3 AO wieder aufgenommen werden. Die Regelung verdeutlicht zudem, dass mit der Zahlung des Geldbetrags und 1271 der Einstellung des Verfahrens kein Strafklageverbrauch eintritt. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 37; vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 136.

247

J. Das Recht der Selbstanzeige

c) Folgen bei unvollständiger Zahlung des Zuschlags 1272 Die Vorschrift des § 398a Abs. 4 AO regelt, dass die Erstattung des gemäß § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO gezahlten Geldbetrags ausgeschlossen ist. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 37. vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 136 f.

1273 Die Erstattung des Geldbetrags erfolgt auch dann nicht, wenn es zu einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens kommt und das Verfahren mit einer Verurteilung endet. Das Gericht kann den gezahlten Zuschlag nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO auf eine Geldstrafe anrechnen. BT-Drucks. 18/3018, S. 14; vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 282.

Beispiel: A entrichtet den Geldbetrag i. H. v. 50.000 € nicht in voller Höhe, sondern lediglich i. H. v. 30.000 €. Von der Verfolgung kann nicht abgesehen werden, es kommt zur Anklage. Sofern der Richter eine Geldstrafe verhängt, kann er die bereits entrichteten 30.000 € nach Ermessen auf diese Geldstrafe anrechnen. Die Zahlung kann jedoch strafmildernd als positives Nachtatverhalten gewürdigt werden, sodass ggf. eine Einstellung nach §§ 153 ff. StPO infrage kommt. Vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 591. Praxistipp: Sofern die verhängte Geldstrafe dem gezahlten Geldbetrag entspricht, hat der Ausschluss der Erstattung keine negativen Konsequenzen für den Anzeigenden. Sofern die verhängte Geldstrafe geringer ausfällt oder das Verfahren gemäß § 153a StPO eingestellt wird, resultiert aus dem ganz oder teilweise nicht erstatteten Geldbetrag gemäß § 398a AO eine Pauschalstrafe, die die individuelle Schuld nicht berücksichtigt. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 37.

1274 Bislang ist nicht geregelt, wie der gezahlte Geldbetrag auf eine Geldauflage nach § 153a StPO anzurechnen ist. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 281.

1275 Gleiches gilt, wenn das Gericht ausschließlich eine Freiheitsstrafe verhängt. Vgl. FinMin NRW, Erlass v. 26.1.2015 – S 0702 8f V A 1, DB 2015, 282; Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 499.

1276 Der Rechtsprechung ist zu entnehmen, dass eine Verwarnung mit Strafvorbehalt ausreichend ist, wenn das Verschulden des Täters als niedrig anzusehen ist, weil er im Steuerverfahren mitgewirkt und die Forderungen der Finanzbehörde zeitnah erfüllt hat. In dem der zitierten Rechtsprechung zugrunde liegenden Fall hatte der Täter nach einer Selbstanzeige, die den

248

V. Einzelfragen

Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO a. F. erfüllte, die Steuerschuld vollständig entrichtet, den Geldbetrag gemäß § 398a AO nicht. So AG Stuttgart, Urt. v. 10.7.2013 – 23 Cs 147 Js 95252/12, NZWiSt 2014, 279 f.

Die Vorschrift § 398a AO bezieht sich auf die Tat i. S. e. Steuerart und eines 1277 Veranlagungszeitraums. Deshalb kann bei tateinheitlicher Steuerhinterziehung je nach Zahlungsumfang eine Einstellung allein für eine Steuerart erfolgen. Streitig, vgl. Rolletschke/Roth, Die Selbstanzeige, Rn. 592.

Beispiel: Tateinheitliche Steuerhinterziehung liegt bei der gleichzeitigen Abgabe von Einkommensteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärung mit dem gleichen fehlerhaften Inhalt vor. BGH, Beschl. v. 23.7.2014 – 1 StR 217/14, wistra 2014, 443 f.

7. Schlussbetrachtung zum Absehen von der Verfolgung Der Gesetzgeber hat in § 398a AO keinen Rechtsbehelf vorgesehen.

1278

Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 136.

Der Anzeigende hat die Möglichkeit, die Höhe des Geldbetrags gemäß 1279 § 398a AO durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung prüfen zu lassen. So LG Aachen, Beschl. v. 27.8.2014 – 86 Qs 11/14, wistra 2014, 493 f. zu § 398a AO a. F.

V. Einzelfragen 1. Fremdanzeige Da die Selbstanzeige von dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter 1280 einzureichen ist, wirkt sie gegenüber Dritten grundsätzlich nicht. Eine Ausnahme sieht die Vorschrift in § 371 Abs. 4 AO vor. Darin ist die sog. Fremdanzeige geregelt. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 617.

Die Vorschrift des § 371 Abs. 4 AO kommt zur Anwendung, wenn eine Be- 1281 richtigung nach § 153 AO vorgenommen wird. Sie führt zu einem Strafverfolgungshindernis zugunsten anderer Personen, die ihrerseits die Berichtigung pflichtwidrig unterlassen hatten. So OLG Stuttgart, Beschl. v. 31.1.1996 – 1 Ws 1/96, wistra 1996, 190 ff.; vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 617.

Die Reichweite und die Bedeutung der in der Vorschrift des § 371 Abs. 4 1282 AO geregelten Fremdanzeige bzw. Drittanzeige ist im Einzelnen umstritten. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 603 m. w. N.

249

J. Das Recht der Selbstanzeige

1283 So ist beispielsweise umstritten, wie die Formulierung „die in § 153 AO bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen hat“ zu verstehen ist. Teilweise wird die Auffassung vertreten, damit sei das Unterlassen einer Berichtigungserklärung i. S. d. § 153 AO gemeint, teilweise wird davon ausgegangen, dass unter „Erklärung“ i. S. d. § 371 Abs. 4 AO auch die ursprüngliche Steuererklärung zu subsumieren ist. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 617 m. w. N.

1284 Die Fremdanzeige ist von der Selbstanzeige insofern verschieden, als ein Strafverfolgungshindernis bei dem Dritten und nicht ein Strafaufhebungsgrund beim Anzeigenden entsteht. Der Zweck der Regelung besteht darin, den Anzeigenden von der Nachmeldung nicht dadurch abzuhalten, dass er mit dieser Handlung eine andere Person der Strafverfolgung aussetzen würde. BT-Drucks. VI/1982, S. 195, Begründung zu § 354 EAO 1974; vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 616.

Beispiel: Sie ist bei Vorliegen der Konstellation denkbar, dass ein GmbH-Geschäftsführerwechsel stattgefunden hat, der bisherige Geschäftsführer der Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO vorsätzlich nicht nachkam und die Selbstanzeige wegen des Eingreifens eines Sperrgrundes für ihn nicht möglich ist. Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 137; Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 617 f. m. w. N.

Nach § 371 Abs. 4 AO bewirkt die Berichtigung gemäß § 153 AO durch den neuen Geschäftsführer ein Strafverfolgungshindernis für den bisherigen Geschäftsführer. Praxistipp: Die Berichtigungserklärung des neuen Geschäftsführers wirkt gemäß § 371 Abs. 4 AO zugunsten des bisherigen nur, wenn dem bisherigen Geschäftsführer oder seinem Vertreter nicht schon die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 617. Praxistipp: Sofern der Finanzbehörde der Nachweis gelingt, dass der neue Geschäftsführer im Auftrag des bisherigen Geschäftsführers handelte, greift die Sperrwirkung allerdings ein.

1285 Sofern der Dritte zum eigenen Vorteil gehandelt hat, trifft ihn gemäß § 371 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 371 Abs. 3 AO die Pflicht zur Nachzahlung der verkürzten Beträge. Der Dritte muss die gegenüber dem Anzeigenden gesetzte Frist gegen sich wirken lassen. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 618.

250

V. Einzelfragen

2. Leichtfertige Steuerverkürzung Der Gesetzgeber hat die Vorschrift des § 378 Abs. 3 AO über die Regelungen 1286 der bußgeldbefreienden Selbstanzeige bei leichtfertiger Steuerverkürzung lediglich redaktionell geändert. Die redaktionelle Änderung wurde notwendig, weil die Zahlung der Zinsen gemäß der §§ 233a, 235 AO keine Voraussetzung für die Bußgeldfreiheit ist. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 494, 500; Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 138.

Die Regelungen zur strafbefreienden Selbstanzeige hinsichtlich der Nachzah- 1287 lungsverpflichtung und der Fremdanzeige gelten gemäß § 378 Abs. 3 Satz 2 AO auch für die Selbstanzeige aufgrund einer leichtfertigen Steuerverkürzung. Auf andere Steuerordnungswidrigkeiten sind sie nicht anwendbar. Vgl. Lohr, in: Volk, Verteidigung in Wirtschafts- und Steuerstrafsachen, § 32 Rn. 231.

Der Steuerpflichtige oder die für die Wahrnehmung der Angelegenheiten des 1288 Steuerpflichtigen verantwortliche Person kann weiterhin eine bußgeldbefreiende Teilselbstanzeige einreichen. Vgl. Geuenich, NWB 2015, 30.

Die Bußgeldbefreiung tritt nicht ein, wenn die Teilselbstanzeige vorsätzlich 1289 einen beschränkten Umfang aufweist. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 225.

Im Vergleich zu § 371 AO wird die bußgeldbefreiende Selbstanzeige gemäß 1290 § 378 Abs. 3 AO lediglich durch die Bekanntgabe der Einleitung eines Strafoder Bußgeldverfahrens gesperrt. Die unterschiedliche Behandlung zur Steuerhinterziehung ist darin zu sehen, dass bei der leichtfertigen Steuerverkürzung kein kriminelles Unrecht vorliegt. Vgl. Kaligin, Betriebsprüfung und Steuerfahndung, S. 693.

Der objektive Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung gemäß § 378 1291 AO entspricht dem Tatbestand der vorsätzlichen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO. Gleiches gilt für die Tathandlung und den Taterfolg. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 218 ff.

Der subjektive Tatbestand der Steuerverkürzung gemäß § 378 AO setzt Leicht- 1292 fertigkeit voraus. Die Leichtfertigkeit entspricht dem gesteigerten Grad von Fahrlässigkeit und ist vergleichbar mit der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht. So BFH, Beschl. v. 18.11.2013 – X B 82/12, BFH/NV 2014, 292 ff.; vgl. Bilsdorfer, NJW 2014, 1425.

251

J. Das Recht der Selbstanzeige Praxistipp: Nach der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens gemäß § 46 OWiG i. V. m. § 170 Abs. 2 StPO i. V. m. § 378 Abs. 3 AO können Steuerordnungswidrigkeiten, beispielsweise die Steuergefährdung gemäß § 379 AO, bußgeldrechtlich sanktioniert werden. In der Praxis wird allerdings im Hinblick auf das Opportunitätsprinzip gemäß § 47 OWiG häufig von der Verfolgung abgesehen werden. Siehe BMF-Schreiben v. 29.7.1981 zu IV A 8 – S 0711 – 3/81; vgl. Füllsack, in: Quedenfeld/Füllsack, Verteidigung in Steuerstrafsachen, Rn. 641; vgl. Wenzler/Rübenstahl, Die Selbstanzeige, S. 6, 151. Praxistipp: Wegen der Wirksamkeitsvoraussetzungen und der Rechtsfolgen des § 371 AO im Verhältnis zu § 378 Abs. 3 AO ist die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und Leichtfertigkeit besonders bedeutungsvoll. Die Selbstanzeige wegen leichtfertiger Steuerverkürzung ist noch während der Außenprüfung zulässig. Es genügt, dass der Steuerpflichtige bei der Prüfung mitwirkt oder das Prüfungsergebnis anerkennt, wenn der Prüfer das Fehlverhalten aufgrund der vorliegenden Unterlagen sogleich in vollem Umfang erkannt hat und weitere Berichtigungshandlungen des Steuerpflichtigen daher nicht möglich sind. Vgl. Dörn, wistra 1994, 10 ff.; Kaligin, Betriebsprüfung und Steuerfahndung, S. 694 m. w. N. auch zur a. A. Praxistipp: Der Mindestberichtigungszeitraum gilt für leichtfertige Steuerverkürzungen gemäß § 378 AO nicht. Vgl. Jesse, FR 2015, 676.

3. Konkurrenzfragen 1293 Berührungspunkte bzw. Überschneidungen der Selbstanzeige bestehen beispielsweise mit den Vorschriften des § 24 StGB und § 153 AO. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 114.

a) Rücktritt vom Versuch 1294 Der Gesetzgeber gewährt nicht nur mit der wirksamen Selbstanzeige gemäß § 371 AO die Straffreiheit, sondern der Täter erlangt sie gemäß § 369 Abs. 2 AO i. V. m. § 24 StGB auch, wenn er von der weiteren Tatausführung zurücktritt und seine Tat über das Versuchsstadium noch nicht hinausgelangt ist. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 139; Beyer, NWB 2015, 2744.

252

V. Einzelfragen

Die Vorschriften des § 24 StGB zum Rücktritt und des § 371 AO zur Selbst- 1295 anzeige weisen Parallelen auf. So ist beispielsweise in beiden Vorschriften jeweils ein persönlicher Strafaufhebungsgrund normiert. In beiden Fällen ist zudem ein Teil des Handlungsunrechts bereits verwirklicht. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht vor und nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, S. 61 f.

Die Vorschrift des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB enthält die Komponente des un- 1296 beendeten und des beendeten Versuchs. Nach dieser Vorschrift wird wegen des Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt – unbeendeter Versuch – oder deren Vollendung verhindert – beendeter Versuch. Der Versuch ist unbeendet, wenn der Täter glaubt, dass er zur Vollendung des Tatbestandes noch weitere Handlungen vornehmen muss. Der Versuch ist beendet, wenn der Täter glaubt, alles zur Verwirklichung des Tatbestandes Erforderliche getan zu haben. Zur Unterscheidung dieser beiden Versuchsformen ist stets auf die Vorstellung des Täters abzustellen. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 139; so auch zur Beteiligung an einer versuchten Steuerhinterziehung OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.3.2015 – 1 (4) Ss 560/14 – AK 206/14, wistra 2015, 325 ff.; Webel, PStR 2014, 292 ff.

Für den unbeendeten Versuch genügt es für den Rücktritt, dass der Täter 1297 von der weiteren Tathandlung freiwillig ablässt. Bei dem beendeten Versuch muss er freiwillig tätig werden und den Erfolgseintritt verhindern. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 139; Hüttemann, in: Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht, Kap. 9 Rn. 42.

Beispiel: x

A reicht eine falsche Erklärung beim Finanzamt ein. Noch bevor die Veranlagung erfolgt, ruft er beim Finanzamt an und teilt die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen mit. A hat das zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche nach seiner Vorstellung getan, es liegt ein beendeter Versuch i. S. v. § 24 Abs. 1 2. Alt. StGB vor.

x

Durch die Korrektur der Erklärung hat A die Vollendung der Steuerhinterziehung freiwillig – somit aus eigener Veranlassung – verhindert. A ist straffrei von der versuchten Steuerhinterziehung gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 369 Abs. 2 AO i. V. m. §§ 22, 23, 24 StGB zurückgetreten. Daneben käme eine Straffreiheit gemäß § 371 AO in Betracht.

x

A reicht die zutreffende Einkommensteuererklärung nach Fristablauf aber vor Erreichen der 95 %-Grenze ein.

x

A reicht die berichtigte Umsatzsteuerjahreserklärung ein, bevor die Finanzbehörde die Zustimmung zur ursprünglichen Jahresanmeldung erteilt hat.

Die Steuerhinterziehung ist ein Erfolgs- aber nicht notwendigerweise ein 1298 Verletzungsdelikt. Daher scheint es nicht ungewöhnlich, dass § 370 AO durch 253

J. Das Recht der Selbstanzeige

eine Norm flankiert wird, die ebenfalls eine Art des strafbefreienden „Rücktritts“ vom vollendeten Delikt ermöglicht. Das gleiche gilt auch für das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 6 StGB, die Geldwäsche gemäß § 261 Abs. 9 Satz 1 StGB – und auch im Parteiengesetz findet sich in § 23b Abs. 2 PartG eine entsprechende Regelung. Vgl. Schuster, JZ 2015, 30.

1299 Die Erstattung einer Selbstanzeige ist auch bei der versuchten Steuerhinterziehung zulässig. Der Rücktritt vom Versuch und die Selbstanzeige stehen selbstständig nebeneinander. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht vor und nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, S. 62 m. w. N. auch zur a. A.

1300 Allerdings kommt bei Vorliegen einer solchen Konstellation die für den Täter günstigere Regelung zur Anwendung. Vgl. Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 5a.

Beispiel: In den Geschäftsräumen des A findet eine Betriebsprüfung statt. A ersetzt die noch unrichtige Steuererklärung durch eine richtige, obwohl er nicht davon ausgeht, dass der Betriebsprüfer die unrichtigen Angaben entdecken würde. A tritt noch vor Vollendung der Steuerhinterziehung freiwillig vom Versuch zurück. Eine strafaufhebende Selbstanzeige wäre wegen der Sperrgründe in § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a und 1c AO nicht mehr möglich. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht vor und nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, S. 63; Jäger, in: Klein, AO, § 371 Rn. 5a.

Da sich die Steuerhinterziehung noch im Versuchsstadium befindet, weil die vorsätzlich unvollständige Steuererklärung der Finanzbehörde bereits vorliegt, aber ohne vorherige Veranlagung im Rahmen einer Außenprüfung überprüft werden soll, ist der Anwendungsbereich des Rücktritts vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB eröffnet: Der Anzeigende wird wegen Versuchs nicht bestraft, wenn er die Tat freiwillig nicht vollendet. In diesem Fall teilt A dem Prüfer mit, dass die Erklärung unvollständig ist. Zu beachten ist, dass der Rücktritt aus autonomen Motiven, wie Angst, Scham, Zureden durch Dritte, notwendig ist. Tritt er zurück, weil er die Gefahr sieht, entdeckt zu werden, handelt er unfreiwillig i. S. d. § 24 StGB. Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 603. Praxistipp: Wenn eine inhaltlich zutreffende Steuererklärung zwar verspätet aber vor Erreichen der 95 %-Grenze abgegeben wird, liegt ein Rücktritt vom beendeten Versuch vor. Sollte sie inhaltlich unzutreffend sein, handelt es sich um eine unvollständige Selbstanzeige, die keine strafbefreiende Wirkung hat.

254

VI. Nebenfolgen

Neben Ähnlichkeiten und Prallelen enthalten die Vorschriften zum Rücktritt 1301 vom Versuch und zur Selbstanzeige auch deutliche Unterschiede: Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht vor und nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, S. 62.

x

Der Rücktritt gemäß § 24 StGB ist nur vom Versuch und somit vor der Vollendung der Tat möglich. Die wirksame Selbstanzeige ist noch Jahre nach der Vollendung oder Beendigung der Tat denkbar.

x

Für die Selbstanzeige gemäß § 371 AO ist eine entsprechende Mitteilung an die Finanzbehörde notwendig, während dies für den Rücktritt nicht zwingend ist.

x

Die Motivation des Steuerpflichtigen ist für die Wirksamkeit der Selbstanzeige gemäß § 371 AO unerheblich. Vgl. Müller, Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, Rn. 546.

Sie ist hingegen beim Rücktritt von der versuchten Steuerhinterziehung gemäß § 24 StGB bedeutsam. Vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, S. 470.

Die Voraussetzung für einen wirksamen Rücktritt ist das freiwillige Handeln des Täters. Das freiwillige Handeln des Steuerstraftäters ist hingegen keine Voraussetzung für eine wirksame Selbstanzeige. b) Berichtigung gemäß § 153 AO Siehe hierzu die Ausführungen zu Rn. 505 – 517.

1302

VI. Nebenfolgen Die steuerrechtlichen Folgen einer Steuerhinterziehung werden durch die 1303 strafbefreiende Selbstanzeige nicht beseitigt, dies gilt insbesondere für: x

Die Haftung der gesetzlichen Vertreter und Vermögensverwalter gemäß § 34 AO sowie der Verfügungsberechtigten gemäß § 35 AO für die Folgen einer vorsätzlichen Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nach § 69 AO sowie die Haftung der Vertretenen, wenn die in den §§ 34, 35 AO bezeichneten Personen bei Ausübung ihrer Obliegenheiten eine Steuerhinterziehung begehen oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen, für die durch die Tat verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile nach § 70 AO.

x

Die Haftung des Steuerhinterziehers nach § 70 AO für die hinterzogenen Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO.

x

Die Verlängerung der steuerrechtlichen Festsetzungsfrist für hinterzogene Steuern auf zehn Jahre gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO. 255

J. Das Recht der Selbstanzeige

x

Die Zulässigkeit der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden, auch soweit sie aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, nach § 173 Abs. 2 AO.

1304 Die Selbstanzeige wirkt als persönlicher Strafaufhebungsgrund für den Anzeigenden selbst und schließt nur steuerstrafrechtliche Konsequenzen aus. Die Selbstanzeige verhindert nicht disziplinar- bzw. berufsrechtliche Konsequenzen. Im Hinblick auf mögliche steuerrechtliche Folgen, ist es nicht geboten ein förmliches Geständnis abzulegen oder sich in anderer Form zum Vorsatz oder zur Fahrlässigkeit zu äußern. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 110, 123.

1305 Der Anzeigende offenbart in der Selbstanzeige möglicherweise die nachstehenden und häufig im Zusammenhang mit der Steuerhinterziehung auftretenden Delikte: x

Betrugsdelikte gemäß §§ 263 ff. StGB

x

Untreuehandlungen gemäß § 266 StGB

x

Strafvereitelung gemäß § 258 StGB

x

Schmiergeldzahlungen

x

Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB

x

Urkundsdelikte gemäß §§ 267 ff. StGB

1306 Die strafbefreiende Wirkung des § 371 Abs. 1 AO gilt für diese Delikte nicht. Die Finanzbehörde ist für die Bearbeitung der Selbstanzeige nicht mehr zuständig und gibt das Verfahren gemäß § 386 Abs. 2 und Abs. 4 AO an die Staatsanwaltschaft ab. VII. Checkliste zur Selbstanzeige 1307

x Wie groß ist der Handlungsbedarf, weil beispielsweise ein Sperrgrund, namentlich aufgrund einer bevorstehenden Außenprüfung, einzutreten droht? x Ist ein Sperrgrund gemäß § 371 Abs. 2 AO bereits eingetreten? x Sofern dies der Fall ist: Besteht trotzdem noch die Möglichkeit für eine Selbstanzeige?

256



Eine Fremdanzeige gemäß § 370 Abs. 4 AO?



Eine Selbstanzeige wegen leichtfertiger Steuerverkürzung gemäß § 378 Abs. 3 AO?



Ist die Selbstanzeige vielleicht für einen Dritten zu erstatten, weil nicht der Mandant, sondern der Dritte die fraglichen Einkünfte erzielt hat? Beispielsweise der Ehegatte?

VIII. Bewertung und Ausblick Vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, Rn. 603. x Welche Sachverhalte bezogen auf die Steuerart und den Besteuerungszeitraum sind von der Selbstanzeige betroffen? x Sind in die Selbstanzeige weitere Beteiligte einzubinden? x Welche dieser Sachverhalte sind strafrechtlich verfolgbar und für welche ist bereits die Strafverfolgungsverjährung eingetreten? x Wie ausführlich muss die Selbstanzeige ausgestaltet sein? x Liegen die notwendigen Unterlagen vor oder müssen sie noch beschafft werden, bei Bankunterlagen insbesondere die Erträgnisaufstellungen, Depotverzeichnisse, Depoteröffnungsunterlagen, Transaktionslisten, Kontoauszüge, Einzelbelege? Vgl. Heidl/Pump, NWB 2014, 2332. x Sofern die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen sind: Enthält die Schätzung einen ausreichenden Sicherheitszuschlag? x Welche steuerlichen Folgen ergeben sich für den Erklärenden? x Ist die Nachzahlung notwendig, um die Straffreiheit zu erlangen? Falls ja, verfügt der Selbstanzeigende über die nötige Liquidität, um die not-wendigen Beträge nachzuentrichten? x Sind auch außersteuerliche Folgen, beispielsweise in disziplinarrechtlicher Hinsicht, zu beachten? x Sind mit der Steuerhinterziehung auch außersteuerliche Straftatbestände verwirklicht worden? x Sind die Sperrgründe für eine strafbefreiende Selbstanzeige noch gegeben oder bereits weggefallen? Zur Beantwortung der Frage, zu welchem Zeitpunkt der an der Tat Beteiligte die Selbstanzeige mit strafbefreiender Wirkung einreichen möchte, ist zwischen den einzelnen Sperrtatbeständen zu differenzieren.

VIII. Bewertung und Ausblick Eine Eigenheit der Steuerhinterziehung, die sie maßgeblich von Delikten, 1308 wie den Betrug und den Diebstahl, unterscheidet, ist der Umstand, dass die Steuern periodisch erhoben werden. Dies hat zur Folge, dass der Steuerpflichtige, der einmal angefangen hat, Einkommen, Vermögen oder die Aufnahme einer steuerpflichtigen Tätigkeit gegenüber der Finanzbehörde zu verheimlichen, nicht mehr ohne Weiteres von dem einmal eingeschlagenen Weg abkommen kann. Die vollständige Angabe der steuererheblichen Tatsachen bezüglich des aktuellen Veranlagungszeitraums könnte dazu führen, dass der Finanzbehörde die Differenz zum Vorjahr auffällt – während der Dieb oder Betrüger einfach damit aufhören kann, Straftaten zu begehen. Vgl. Schuster, JZ 2015, 30 f.

257

J. Das Recht der Selbstanzeige

1309 Die Ausschlussgründe in § 371 Abs. 2 AO sind ein unberechenbarer Risikofaktor, der einer sicheren Kalkulation weitestgehend entzogen bleibt. Ob die Tat beispielsweise entdeckt ist oder wann die Bekanntgabe des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens „droht“, ist für den Täter regelmäßig nicht erkennbar. Vgl. Schuster, JZ 2015, 30.

1310 Zudem birgt die Selbstanzeige zahlreiche Fehlerquellen, wie sie beispielsweise im Fall der Selbstanzeige des ehemaligen Präsidenten des F.C. Bayern München e. V. bekannt wurden. So LG München, Urt. v. 13.3.2014 – W 5 KLs 68 JS 3284/13, wistra 2015, 77 ff.

1311 Die Korrekturbereitschaft wird beim Bürger erheblich sinken, wenn die Berichtigung nicht mehr sicher jede Sanktionierung ausschließt. Der Steuerpflichtige könnte bei der Abgabe der Selbstanzeige kaum abschätzen, ob die Finanzbehörde später von einem schlicht fahrlässigen oder leichtfertigen oder gar bedingt vorsätzlichen Vorverhalten ausgehen wird. Auf diese Weise würde er aus Angst vor einer möglichen Sanktion in eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO getrieben. Vgl. Schuster, JZ 2015, 32.

1312 Künftig wird es deutlich schwieriger, den Anforderungen für die wirksame Selbstanzeige zu genügen. Es ist daher möglich, dass in zahlreichen Fällen latent unwirksame Selbstanzeigen bei der Finanzbehörde eingehen, da weder die Finanzbehörde noch der Anzeigende in der Lage sind, den Wert der bislang nicht deklarierten Einkünfte centgenau zu ermitteln. Vgl. Hechtner, NWB 2014, 2994.

1313 Bis sich die Rechtsprechung und die Steuerverwaltung positioniert haben, ist – sofern kein Sperrgrund eingetreten ist – im Zweifel eher zu einer möglichst frühzeitigen und rückhaltlosen Offenlegung aller Unregelmäßigkeiten zu raten. Sowohl der Wortlaut, der ausdrücklich Steuerstraftaten lautet, als auch der mit der Neuregelung bereits im Schwarzgeldbekämpfungsgesetz verfolgte Zweck legen nahe, dass sonstige, nicht vorsätzliche Fehler unabhängig von einer schon erstatteten Selbstanzeige korrigiert werden können. Dies kann ggf. auch nach Eintritt eines Sperrgrundes gemäß § 371 Abs. 2 AO erfolgen, ohne dadurch die Wirksamkeit der Selbstanzeige zu gefährden. Vgl. Pflaum, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, Kap. 20 Rn. 124.

258

VIII. Bewertung und Ausblick Praxistipp: Der Berater sollte im Einzelfall versuchen abzugrenzen, ob x eine Vorsatztat mit den Folgen der §§ 371, 398a AO, x eine leichtfertige Steuerverkürzung gemäß § 378 Abs. 3 AO oder x eine schuldlose oder nur leicht fahrlässige steuerrechtliche Unrichtigkeit vorliegt und eine Berichtigungserklärung gemäß § 153 AO notwendig ist. Sofern die Selbstanzeige noch in der Planungsphase ist, sollte sie vorsorglich so formuliert werden, dass sie – notfalls – alle Bedingungen des § 371 AO erfüllt. Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 138; Geuenich/Kiesel, BB 2012, 159 f. Praxistipp: Das BMF hat am 16.6.2015 einen „Vorläufigen Diskussionsentwurf AEAO zu § 153 AO“ vorgelegt, um Abgrenzungsprobleme im Hinblick auf §§ 153, 371, 378 AO zu lösen. Der Entwurf enthält zudem den Vorschlag, dass ein im Unternehmen implementiertes „Tax-Compliance-System“ den Vorwurf des Vorsatzes bzw. der Leichtfertigkeit entkräften kann. Die Stellungnahme der Verbände ist bereits erfolgt, das Schreiben des BMF steht noch aus. Zu „Tax Compliance und Steuerstrafrecht“ siehe ausf. Richter/Welling, FR 2015, 297 ff.

259

Stichwortverzeichnis

Absehen von Strafverfolgung nach § 398a AO 1214 ff. Absicht 763 Absprache 624 ff. Abzugsteuern – (Nicht)Abführung 398, 796 – Gefährdung 792 ff. Adressat – der Prüfungsanordnung 1022, 1034 – der Selbstanzeige 933 ff. Ahndung – Ordnungswidrigkeit nach einer Selbstanzeige 1293 Aktenvermerk – Bekanntgabe des Verfahrens 1061 Akteure – Insolvenzverfahren 59 ff. Alleintäterschaft 428 ff., 968 Allgemeindelikt – Selbstanzeige 422 – Täter 473 – Zuständigkeit 353 Amtsträger – Erscheinen 1069 ff. – Selbstanzeige 1069 ff. – Umsatzsteuer-Nachschau 384, 389 Anfangsverdacht 565, 815 ff., 832 ff. – Selbstanzeige 1116 Anfechtung 27 – Sachwalter 50 Anmeldungssteuern 657 ff. – Vollendung 664, 733, 982 Anstiftung 452, 455 ff., 920, 1024, 1250 Anwartschaft – Selbstanzeige 1168 Anzeige – anonyme 817 ff.

– Berichtigung nach § 153 AO 482, 505 ff., 934, 979, 1053, 1283 ff., 1292, 1302, 1313 Arbeitgeber – Einbehalten und Abführen von Lohnsteuer 792 ff. – Liquiditätsschwierigkeiten 796 Aufbewahrungspflicht – private Unterlagen 599 – Schätzung 561 – Strafzumessungsgrund 906 – Umfang 599 Aufgaben – Steuerfahndung 362, 367 ff., 390 – Straf- und Bußgeldsachenstelle 344 ff. Auflösung stiller Reserven – Ertragsteuern 292 ff. Auflösung von Rückstellungen – Ertragsteuern 298 ff. Aufrechnung 1177 Aufteilungsmaßstab – Vorsteuer 266 ff. Aufzeichnung – unrichtige 559 – vernichtete 905 Aussageverweigerungsrecht 409 Außenprüfung – Selbstanzeige bei leichtfertiger Steuerverkürzung 1293 – Sperrgrund Selbstanzeige 1021 ff. – Umfang 1021, 1044 ff., 1066, 1070, 1142 ff. – Umsatzsteuer-Nachschau 387 – unrichtige/unvollständige Angaben 951 – Unwirksamkeit Selbstanzeige 967 Äußerer Betriebsvergleich 532, 579 f., 586, 590, 608, 645

261

Stichwortverzeichnis

Bagatellabweichung

1014, 1016 Bande – Mitglied 713, 809, 1137 Bauabzugssteuer 753 Beendigung des Insolvenzverfahrens – Steuererklärungen 329 ff. Beihilfe 447, 460 ff. – Leichtfertigkeit 461 – Steuerberater 470 Belehrung – Beschuldigter 409 Bemessungsgrundlage – Geldbetrag § 398a AO 1193, 1238, 1240, 1245 – Hinterziehungsbetrag 1243, 1247 Berichtigung 216, 248 ff. – Insolvenzverwalter 239 ff. – Umsatzsteuer 202 ff. – Vorsteuer 335 ff. Berichtigungserklärung – Selbstanzeige 509, 512 ff. Berichtigungsmöglichkeit – Wiederaufleben 1091 Berichtigungspflicht – Gesamtrechtsnachfolger 507 – Insolvenzverwalter 507 Berichtigungsverbund 983 ff. Beschlagnahme – Anordnung 370, 838, 843 – Verhältnismäßigkeit 855 Beschlagnahmeverbot 847 Beschuldigter – Vernehmung 370, 409 Beschwerde – Durchsuchungsbeschluss 842, 853 Besonders schwerer Fall – Abschluss des Verfahrens 884 – Begriff 1136 ff. – Selbstanzeige 916, 1128 f., 1158, 1231 – Strafmaß 886, 974 – Verjährung 1256

262

Besteuerungsgrundlagen – Einigung 622 – Ermittlung 815, 834 – Korrektur 505 – Schätzung 518, 521 ff. Besteuerungsverfahren – Einigung 622 – Steuerstrafverfahren 401, 815 Bestimmtheitsgebot 789 Betriebsprüfer – Erscheinen 1084 Betriebsvermögensvergleich 306 ff. Beweislast – steuerliche 555, 622 – strafrechtliche 405, 570 Beweismittel – Sicherstellung 839 Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz 4 Blanketttatbestand 681 Buchführung – falsche 788 – formelle Ordnungsmäßigkeit 518 ff., 531 ff. – Insolvenzverwalter 242 – Mängel 172 ff., 789 Buchführungspflicht 131 ff. – Insolvenzverwalter 188 – Verletzung 906 Buchführungsunterlagen 89 – fehlende bei Selbstanzeige 1007 ff. Bundeszentralregister 1263 Bußgeld – Gefährdung des Steueraufkommens § 26b UStG 288 – Gefährdung von Abzugsteuern § 380 AO 799 – leichtfertige Steuerverkürzung § 378 AO 1286 ff. – Steuergefährdung § 379 AO 791

Chi-2-Anpassungs-Test – Allgemeines 544 ff.

Stichwortverzeichnis

– im Steuerrecht 547 f. – im Steuerstrafrecht 610 ff. Compliance – Tax Compliance 1313

Dauerschuldverhältnisse 26 Drittanzeige 1282 drohende Zahlungsunfähigkeit 9, 117 f. Durchsuchung – Anordnung 356, 370, 846, 851 f. – Begriff 393 – Einleitung 835 – Papiere 372 Durchsuchungsanordnung – Anforderungen 844 f. Durchsuchungsbeschluss – Beweismittel 843 – gegen nicht tat- oder teilnahmeverdächtigen Insolvenzverwalter 842 Ehegatten – Zusammenveranlagung 426 Eigenverwaltung 24 – Anordnung 44 – Antragstellung 44 – Insolvenzverfahren 43 f. – Nachteile für Gläubiger 44 – Sachwalter 80 ff. – vorläufiger Sachwalter 63 Einkommensteuer 211 – Erstattung 338 – Nachtragsverteilung 341 – Zwangsverwaltung 316 ff. Einspruch – Selbstanzeige 995 Einstellung des Verfahrens 22 – Auflage 875 ff., 1266 – Geringfügigkeit 404 – Geständnis 913 – Masseunzulänglichkeit 185 – Zuständigkeit 356 Erbschaftsteuer 740 ff., 976 Erfolgskrise 105 ff.

Erfüllung von Rechtsgeschäften 26 Erhebung der öffentlichen Klage 866, 885 Erhebungsverfahren – steuerlich erhebliche Tatsachen 956 Erkundigungspflicht 779 f. Ermittlungsperson – Staatsanwaltschaft 369 Ermittlungsverfahren – Abschluss 865 ff. – Besteuerungsgrundlagen 815, 834 – strafrechtlich verjährte Zeiträume 374 Eröffnungsantrag 10 Eröffnungsverfahren 9 ff. Ertragsteuern 210 ff., 291 ff., 338 ff. – Auflösung stiller Reserven 292 ff. – Auflösung von Rückstellungen 298 ff. – Betriebsvermögensvergleich 306 ff. – Einnahme-ÜberschussRechnung 309 – Gewinnermittlung 311 – Insolvenzanfechtung 305 ff. – Insolvenzantrag 214 – Sicherungsmaßnahmen 228 ff. – Vermögensmehrung 302 – Zwangsverwaltung 316 ff. EuInsVO 53 f. Europäische Union – Insolvenzrecht 4, 53 Evokationsrecht – Staatsanwaltschaft 349

Fahrlässigkeit – bewusste 778 – grobe 774, 1292 Fälligkeitssteuern 659 – Tatbeendigung 676 – Unterlassen 480 ff., 504 ff., 517, 659

263

Stichwortverzeichnis

Festsetzung – Hinterziehungszinsen 1178, 1200, 1202 Festsetzungsfrist – § 153 AO 514 – Hinterziehungszinsen 1200 – steuerliche 1304 Forderungen – Vereinnahmung 256 ff. Forderungsanmeldung 33 Forderungseinzug 249 ff. Fortbestehensprognose 121 Freigabe – Insolvenzmasse 15 Freiheitsstrafe – Strafbefehl 881 – Strafzumessung 886 Fremdanzeige – § 153 AO und Selbstanzeige 482, 1281 ff. Fristverlängerung – Abgabe Steuererklärung 504

Garantenstellung

480 Gefahr 396 – Entdeckung bei Selbstanzeige 1111 – im Verzug 356, 370, 846 Gefährdung – Abzugsteuern 792 ff. – Steueranspruch 488, 1293 – Steueraufkommen 787 – Steuerberater als Täter 791 Gefährdungstatbestand – subsidiärer 786 Gegenstand – Durchsuchung und Beschlagnahme 843, 850, 857, 859, 864 Gehilfe – Begriff 460 ff. – Selbstanzeige 920, 1024, 1250 Geldbetrag – Begriff 1225 ff. – Begründung 1238

264

– Bemessungsgrundlage 1193, 1233 f. – besonders schwerer Fall 1138 f., 1158 – Erstattung 1272 ff. – Lohnsteuer-Anmeldung 1157 – Rechtsmittel 1279 – Staffeltarif 1228 ff. – Strafklageverbrauch 1266, 1271 – Teilbetrag 1227 – Umfang 1233, 1277 – Umsatzsteuer-Jahresanmeldung 1167, 1240, 1245 – Umsatzsteuer-Voranmeldung 1157 – verpflichteter Personenkreis 1250 ff., 1254 – Zahlungsfrist 1267 f. – Zeitraum 1226, 1255 – zuständige Behörde 1215 Geldbuße – Gefährdung von Abzugsteuern 799 – Steuergefährdung 791 Geldstrafe – Anrechnung auf den Zuschlag gem. § 398a AO 1273 ff. – Freiheitsstrafe 886 – Schädigung des Umsatzsteueraufkommens 809 – Strafzumessung 886 ff. Geldverkehrsrechnung – im Steuerrecht 538 ff., 594, 596, 600, 606 – im Steuerstrafrecht 639, 641 Geldwäsche 1298 Gesamtrechtsnachfolger – Berichtigungspflicht 507 Gesamtstrafenbildung 887 Geschäftsbücher 168 Geschäftsführer – Begünstigter 1184 – Bekanntgabe Prüfungsanordnung 1034

Stichwortverzeichnis

– Fremdanzeige 1284 – Täter 479, 1245 Geschäftsjahr 235 Gewerbesteuer 213 Gewerbsmäßiges Handeln – Begriff 812 f. Gläubigerausschuss 5 Gläubigerbefriedigung – Insolvenzmasse 16 – Insolvenzverfahren 7 Gläubigerversammlung 29, 31 – Beschlüsse 13, 31 – Termin 13 Gläubigerverzeichnis 30 Gutachter 60 f.

Haftbefehl 354 Haftung – Nebenfolgen 1303 – Unternehmer 721 Hauptverfahren 885, 910 Herabsetzung – von Vorauszahlungen 434, 489, 751, 953 Herausgabeverlangen 859 f. – Gegenstand 860 Hinterziehungsbetrag – Selbstanzeige 1242, 1244 ff. Hinterziehungszinsen – Absehen von Verfolgung gem. § 398a AO 1223 – Anrechnung auf Nachzahlungszinsen 1202 – Festsetzung 1178, 1200, 1202 – Frist 1200 – Haftung 1303 – Hinterziehung auf Zeit 674 – Selbstanzeige 917, 1170 ff., 1178, 1186 ff., 1194 ff. – UmsatzsteuerjahresAnmeldung 1167 Hinterzogene Steuer – Selbstanzeige 1240

Immobilie – Verwertung 294 In dubio pro reo 575 f., 585, 620, 623, 654, 1043, 1103 Informationsfreiheitsrecht 199 Innerer Betriebsvergleich 533, 590 Insolvenz – Begriff 112 Insolvenzanfechtung 27, 273 ff. – Aktivierung 306 – Ertragsteuern 305 ff. – Geltendmachung 274 – Gewinnermittlung 311 – Steuerhinterziehung 313 f. – Umsatzsteuer 279 ff. – Vorsteuerkorrektur 283 ff. Insolvenzantrag – Eingang 165 – Ertragsteuern 214 Insolvenzantragstellung 163 ff. Insolvenzantragsverfahren – Masseverbindlichkeiten 72 ff. – Verfügungsverbot 68 ff. – Vermögensverwaltung 71 – vorläufiger Insolvenzverwalter 68 ff. – vorläufiger Sachwalter 62 ff. – Zustimmungsvorbehalt 68 ff. Insolvenzforderungen 203 Insolvenzgläubiger 16 – Absonderungsrechte 32 – Befriedigung 18 – Forderungsanmeldung 33 Insolvenzgründe 9 ff., 115 ff. – drohende Zahlungsunfähigkeit 117 f. – Überschuldung 119 ff. – Zahlungsunfähigkeit 116 Insolvenzmasse 14, 18, 24, 235 – Freigabe 15 – Gläubigerbefriedigung 16 – Masseunzulänglichkeit 289 ff. – Verwertung 29

265

Stichwortverzeichnis

Insolvenzordnung – Inkrafttreten 3 f. Insolvenzplan 21, 38 – Anteilseigner 39 – Bestätigung 41 – Erörterungs- und Abstimmungstermin 40 – Gruppenbildung 40 – Mehrheiten 40 – Rechtskraft 41 – Überwachung der Erfüllung 42 Insolvenzrecht – Einordnung 112 f. – Europäische Union 4, 53 Insolvenzschuldner 77 – Steuererklärungen 142 ff. – Verfahrensbeteiligter 138 Insolvenzverfahren – Akteure 59 ff. – Beendigung 20, 324 ff. – Eigenverwaltung 24, 43 f. – Einstellung 22 f., 23 – Erfüllung von Rechtsgeschäften 26 – Eröffnung 11, 24 ff., 233 ff. – Eröffnungsbeschluss 13 – Geschäftsjahr 235 – Geschichte 6 – Gläubigerbefriedigung 7 – Gläubigerverzeichnis 30 – Gutachter 60 f. – Hauptverfahren 35 – Insolvenzmasse 14 – Insolvenzplan 21 – Kosten 18 – Regelung 2 ff. – Restschuldbefreiung 8, 34 ff. – Rückgang 56 ff. – Rückschlagsperre 25 – Sachwalter 80 ff. – Schutzschirmverfahren 45 ff. – Statistik 55 ff. – Übergang der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis 24 – Überschuss 17

266

– Verbraucher 51 – Vermögensübersicht 30 – Verzeichnis der Massegegenstände 30 – volkswirtschaftliche Bedeutung 58 – Wahl des Verwalters 26 – Wegfall des Eröffnungsgrundes 23 – Zweck 7 Insolvenzverwalter 75 ff., 129 ff., 425 – Aufgaben 29 – Aufstellung Jahresabschlüsse 169 ff. – Bericht zur Gläubigerversammlung 31 – Berichtigungspflicht 482 239 ff., 506 – Bestellung 11 ff. – Buchführungspflicht 131 – Durchsuchung 841 ff., 847 ff. – Erfüllung der steuerlichen Pflichten 136, 151, 167 ff., 176 – Feststellungserklärungen 147 – Herausgabeverlangen 859 – Kooperation mit der Finanzbehörde 861, 864 – Pflichten 139 ff. – Qualifikation 12 – Rechtshandlungen 137 – Schlussverteilung 259 ff. – Steuererklärungen 144, 237 ff., 330 ff. – Steuerhinterziehung 333, 342 – Vergütung 259 ff. – Vermögensverwalter 136 – Vertreter 236 – Verwaltung des Unternehmensvermögens 264 – Verwertung 32 Interesse – öffentliches 423, 875 – Taterfolg 431, 478 – Verfahrensabschluss 912

Stichwortverzeichnis

Irrtum 517 Ist-Besteuerung 253 f.

Jahresabschlüsse

169, 246 – Kosten der Aufstellung 180 – Nichtaufstellung 179 – Nichtigkeit 173

Kapitalertragsteuer

656 – Einbehaltung 793 f. Kapitalgesellschaften 243 ff., 271 Kassenfehlbetrag – Allgemeines 617 – Steuer 618 – Strafrecht 619 Kirchensteuer – Steuerhinterziehung 1176 Klage – öffentliche 885 Kompensationsverbot 755 ff., 1189, 1192 – Betriebseinnahmen 757 – Ermäßigungsgründe 755 – Geldbetrag 1237 f. – Hinterziehungsbetrag 1242, 1244 ff. – hinterzogene Steuer 1240 – praktische Auswirkung 903 – Steuervorteile 755 – Umsatz eines anderen Zeitraums 901 – Umsatzsteuer 712, 756 f. – Vorsteuer 1242 – Zinsen 1198 Körperschaftsteuer 212 Krise 96 ff. – Erfolgskrise 105 ff. – Liquiditätskrise 107 ff. – Produkt- und Absatzkrise 103 ff. – Stakeholderkrise 98 ff. – Steuerberater 93 – Strategiekrise 100 ff.

Legalitätsprinzip

404 ff., 626, 815, 831, 873 Leichtfertigkeit – Abgrenzung zum Vorsatz 1293 – Abgrenzung zur Fahrlässigkeit 778, 1292 – Begriff 774 ff., 1292 – Gefährdung von Abzugsteuern 796 – Selbstanzeige 1292 – Tax Compliance System 1313 – vorsatznahe Schuldform 782 Liquiditätskrise 107 ff. Liquiditätsschwierigkeit 796 Lohnsteuer – Abführung 795 – Einbehaltung 795 – Steuerhinterziehung 733 Lohnsteuer-Anmeldung – Abgabe unrichtiger Voranmeldung 735 – Abgabetermin 734 – Korrektur 1147 – leichtfertige Steuerverkürzung 1201 – Nachentrichtung der Steuer bei Selbstanzeige 1172 – Nichtabgabe 504 – Schwellenwert 1157 – Selbstanzeige 1000, 1144 ff., 1172 – Tatentdeckung 1149 – Teilselbstanzeige 1000, 1144 ff., 1161 – Tilgungsbestimmung 1176 – Umfang der Sperrwirkung 1104 – verspätete Abgabe 735 – Vollständigkeitsgebot 1150 Lohnsteuer-Nachschau – Begriff 398 – Sperrgrund Selbstanzeige 1093 ff. – Übergang zur LohnsteuerAußenprüfung 1106

267

Stichwortverzeichnis

Massegegenstände – Verzeichnis 30 Massekosten 18 Massesteuer-Nummer 341 Masseunzulänglichkeit 22, 150, 187 – Aufstellung Jahresabschlüsse 182 – Umsatzsteuer 289 ff. Masseverbindlichkeiten 18 f., 72 ff., 128, 145, 203, 208, 231, 251 ff., 258 ff., 285 ff. – Ertragsteuern 302 – Schutzschirmverfahren 47 Mehrergebnis 1050 Mehrfachverteidigung 925 Mindestberichtigungszeitraum – Leichtfertigkeit 1293 Mittäterschaft 427 ff., 439 ff. – bei Selbstanzeige 920, 968 ff., 1081 Mitteilung – Verfahrenseinleitung 409, 835, 1065 – Verfahrenseinstellung 1068 Mitwirkungspflicht – Selbstbelastung 409, 417, 1049, 1071 Mitwirkungsverweigerungsrecht 409 f., 848 Motiv – für Selbstanzeige 1301 – Rücktritt vom Versuch 1300 – Tatsache 499

Nacherklärung – Berichtigung 512 – Selbstanzeige 941, 1051 f. Nacherklärungspflicht – Selbstanzeige 957 ff. Nachkalkulation – Allgemeines 533, 587 – im Steuerrecht 533 ff. – im Steuerstrafrecht 588 ff., 608 Nachschau – Lohnsteuer 398 ff., 1098

268

– Sperrgrund bei Selbstanzeige 1093 ff. – Umsatzsteuer 384 ff., 1097 Nachtat – Umsatzsteuer 666, 677 Nachtatverhalten – Geständnis 913 – Zahlung der Steuern 1273 Nachtragsverteilung 152, 326 ff., 341 Nachweis – Eintritt Sperrgrund 1042 – hinterzogener Zinsen gem. § 233a AO 1202 – hinterzogener Zinsen gem. § 235 AO 1194 Nachzahlungsfrist 1174, 1177, 1203 ff. Nachzahlungspflicht 1168 ff., 1185, 1196 – Aussetzung der Vollziehung 1178 – leichtfertige Steuerverkürzung 1287 – steuerliche Nebenleistungen 1175 – Stundung 1178 – Tilgungsbestimmung 1176 – verpflichteter Personenkreis 1176, 1179 ff., 1248 – Vollstreckungsaufschub 1178 – wirtschaftlicher Vorteil 1184 – Zahlung durch Dritte 1185 – Zahlung durch Scheck 1177 – Zeitraum 1196 – Zinsen 1170 ff. Nachzahlungszinsen – Anrechnung 1186 Nebenfolge – Steuerhinterziehung 1303 ff. Nemo-Tenetur-Prinzip 408 409, 415 Nichtabführung – Abzugsteuern 795

Stichwortverzeichnis

Nichtabgabe – Lohnsteuer-Anmeldung 504 Nichteinbehalten – Abzugsteuern 795 Nichtverbuchen – von Geschäftsvorfällen 789, 835 Nichtzahlung – Steuern 496 – Umsatzsteuer 805

Opportunitätsgründe – Einstellung bei einer unwirksamen Selbstanzeige 1268, 1293 – Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens 1293 – Einstellung des Steuerstrafverfahrens 872 f. Ordnungswidrigkeit – Allgemeines 771 ff. – Anzeigepflicht gem. § 33 Abs. 4 ErbStG 748 – Einleitung des Verfahrens 1059 – Gefährdung von Abzugsteuern 798 – leichtfertige Steuerverkürzung 517, 759, 771 ff. – Schädigung des Umsatzsteueraufkommens 496, 806 ff. – Schätzung 573 – Selbstanzeige 797, 932, 1069, 1082 ff., 1287, 1293 – Steuergefährdung 469, 791 – Vorbereitungshandlung 785 – Zuständigkeit 352, 362, 366 f., 373, 375, 381

Parallelwertung – In der Laiensphäre 724 Personengesellschaft 303 – Auflösung 146 – Jahresabschlüsse 175 – Selbstanzeige 1034 – Steuererklärungen 148, 195

Polizei – Bekanntgabe der Einleitung des Steuerstrafverfahrens 1083 Produkt- und Absatzkrise 103 ff. Prüfung – steuerliche 1076, 1081 Prüfung an Amtsstelle 1081 Prüfungsanordnung 1021, 1024 f. – Ausnahme Sperrwirkung trotz 1142, 1148 – Bekanntgabe an Tatbeteiligte 1024 f., 1027, 1029 ff., 1055, 1081 – fehlende 1100 – Gegenstand der 1046, 1049 ff. – nichtige 1037 f., 1081 – notwendiger Inhalt 1036 – rechtswidrige 1037 – strafbefreiende Nacherklärung 1051 ff. – tatsächliche Bekanntgabe 1041 ff.

Quotenminderung

209, 231, 259,

268 ff., 314, 319

Rechnung

386 – Beihilfe durch Ausstellen von 466, 469 – Schädigung des Umsatzsteueraufkommens 805 – Umsatzsteuerkarussell 386, 692 ff., 704 f., 709, 719 ff., 725, 729, 731 Rechnungslegung 135 Rechtsgut – geschützte Vermögensinteresse 899 Rechtsstaatsprinzip 403, 409 Regelbeispiel – benanntes 1136, 1139 f. Restschuldbefreiung 34 ff. – ausgenommene Verbindlichkeiten 37 – Insolvenzverfahren 8

269

Stichwortverzeichnis

– natürliche Person 35 – Sicherungsgeber 36 – Steuerstraftaten 37 Reue 913 Richtsatzprüfung 1080 Rückschlagsperre 25

Sachverhaltsaufklärung – Umfang 568 Sachwalter 80 ff., 155 ff. – Erfüllung der steuerlichen Pflichten 160 – Insolvenzanfechtung 50 – Kassenführungsbefugnis 157 f. – Masseunzulänglichkeit 159 – Schutzschirmverfahren 46 – vorläufiger 62 ff. Schadenswiedergutmachung 907 Schätzungen 241 – Einleitung 565 – Einwendungen 630 ff. – Hinnahme 198 – Selbstanzeige 1004 ff. – Steuerrecht 518 ff. – Strafrecht 565 ff. Schlussverteilung 259 ff. Schuld 894 – Umfang 575, 797, 899, 1120 Schutzschirmverfahren 45 ff. – Beendigung 48 – Bescheinigung 45 – Eigenverwaltung 46 – Insolvenzanfechtung 50 – Masseverbindlichkeiten 47 – Nachteile für Gläubiger 48 – Sachwalter 46 – Zahlungsunfähigkeit 49 Schwere der Tat 894 Selbstanzeige – Adressat 933 – Anforderungen, Umfang 920, 946, 957 ff., 1013, 1287 – angemessene Frist 1207, 1209 – Begriff 920

270

– Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung 1054 ff. – Berichtigungserklärung Abgrenzung zur 509, 512 – besondere Vollmacht 926 – besonders schwerer Fall 1136 ff. – Betriebsnahe Veranlagung 1079 – dem Grunde nach 968 – des Gehilfen 1024 – Einleitung 867, 1054 ff. – Ein-Mann-GmbH 1184 – Entdeckung der Tat 949, 1106, 1107 ff., 1125 ff., 1145, 1149 ff. – Erscheinen des Amtsträgers 1069 ff., 1081 ff., 1087 – Festsetzung von Hinterziehungszinsen 1167, 1178, 1186 ff., 1194 ff., 1202, 1213, 1221 – Form 939 ff. – Freiwilligkeit 1301 – Fristsetzung 1212 f., 1224 – Gefährdung von Abzugsteuern 797 – Inhalt der 957, 960 – koordinierte 924 – Materiallieferung 962, 965, 970, 991 – missglückte 1092 – nach leichtfertiger Steuerverkürzung 1292 – Nachschau 1093 ff. – Nachzahlung durch Dritte 1185, 1254, 1285 – Nachzahlung durch Scheck 1177 – Nachzahlungsfrist 1174, 1177, 1203 ff. – Nachzahlungspflicht siehe dort – nicht steuerliche Straftat 421 f. – Ordnungswidrigkeit 932 – Prüfung an Amtsstelle 1081 – Rechtsfolgen 1058, 1293

Stichwortverzeichnis

– Rücktritt vom Versuch 1294 ff. – Scheinhandlung des Prüfers 1075 – Staatsanwaltschaft 935 ff., 1083, 1203, 1211, 1215 ff., 1306 – Steuergefährdung 932, 1293 – Steuerliche Prüfung 1076 ff., 1081 – stillschweigende Nachzahlung 967 – Tatentdeckung siehe dort – Teilnehmer 914, 920, 968 f., 1023, 1055, 1182, 1185, 1194, 1250 f., 1253 – Teilselbstanzeige 996 ff., 1161, 1261 f. – Toleranzspanne 1232 – Umsatzsteuer siehe dort – Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit 1127 – Zuschlag siehe dort Selbstbelastung 411 ff., 1049, 1071 Sicherheitsabschlag 620 Sicherheitszuschlag 552 f. – Selbstanzeige 1004, 1012, 1308 Sicherstellung – Beweismittel 839 – Gegenstand 836, 838 ff. Sicherungsmaßnahmen 166 Solidaritätszuschlag 1176 Soll-Besteuerung 253 f. Sonderdelikt – Täter 473, 475, 383 Sorgfalt 742, 775, 778, 796 Sperrwirkung – persönliche 1023, 1055, 1090 – sachliche 1044 ff., 1066, 1071 ff., 1086 ff., 1104 ff., 1133 ff. – Umfang 1071 ff., 1086 ff., 1104 ff., 1133 ff.

Staatsanwaltschaft – Adressat Selbstanzeige 935 ff. – Einleitung des Steuerstrafverfahrens 346, 831 – Ermittlungsmonopol 346 ff. – Evokationsrecht 349 – Unterrichtungspflicht 350 f. – Vorlage an 883 ff. – Weisungsbefugnisse 347 – Zuständigkeit 346, 353, 1203, 1215 ff., 1306 Stakeholderkrise 98 ff. Statistik – Insolvenzverfahren 55 ff. Stellvertretung 926 Steueranmeldung – Angabenmachen 951 – Begriff 658 ff. – Nichtabgabe 672, 710 – Selbstanzeige 1144 ff. – Verjährungsbeginn 712, 981 – verspätete Abgabe 1147 – zu geringe 668 f. Steuerberater 89 ff. – Aufklärungspflicht 92 – Beihilfe 470 – Haftung 91 – Krise 93 – Liquiditätsengpass 94 – Täter 479 – Umfang des Mandats 90 Steuererklärungen 140 ff., 237, 329 ff. – Abgabeverpflichteter Insolvenzverwalter 482 – Abschluss Veranlagungsarbeiten 739, 977, 1297, 1301 – Anforderungen bei Selbstanzeige 957, 961 – Angabenmachen 497, 951 – Formalisierung der 500 – Fristverlängerung 751 – Informationsdefizit 781 – Kenntnisstand bei Abgabe 516 ff.

271

Stichwortverzeichnis

– – – –

Kosten der Erstellung 189 ff. Nichtabgabe 238, 504 ff. Selbstanzeige 406 Suspendierung der Abgabepflicht 413 f. – Tateinheit 1277 – Tatentdeckung 1123 – unrichtige, gutgläubige Abgabe 438 – Veranlagungssteuern 736 ff. – Verjährung 976 f. – verspätete Abgabe 504 f. Steuererstattungsanspruch 328 Steuerfahndung – Aufgaben 357 ff. – Befugnisse 360 ff. – Beschlagnahme 370 – Doppelfunktion 363 f. – Durchsicht der Papiere 372 f. – Durchsuchung 370 – Einleitung des Steuerstrafverfahrens 370 – Erforschung 363, 367, 815 – Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen 373 ff. – Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft 347, 361, 369, 372 Steuerfälle – unbekannte 390 Steuerfestsetzung – unrichtige siehe Unrichtige Steuerfestsetzung Steuergefährdung – Geldbuße 791 – Selbstanzeige 932 – Subsidiarität 786 – Verjährung 790 – Vorbereitungshandlung 784 f., 787 Steuergeheimnis 422 Steuerhinterzieher – Insolvenzverwalter 333 Steuerhinterziehung

272

– Angaben über Tatsachen siehe dort – Anstiftung siehe dort – ausländisches Kapitalvermögen 1005, 1010, 1264 – Berichtigung von Erklärungen siehe dort – besonders schwerer Fall siehe dort – durch Handeln 474 ff. – Einstellung wegen Geringfügigkeit 404, 872 – Nebenfolge siehe dort – Nichtabgabe von Voranmeldungen siehe dort – Steueranmeldung siehe dort – Steuererstattung 663, 667 – steuerlich erhebliche Tatsachen siehe dort – Strafe siehe dort – Täterschaft siehe dort – Teilnahme siehe dort – Umsatzsteuer siehe dort – Veranlagungssteuer siehe dort – Verfolgungsverjährung siehe Verjährung – Verkürzungserfolg siehe Taterfolg – Versuch siehe dort – Verwirklichung des Tatbestands durch unrichtige Angaben 489 – Vollendung siehe dort

Stichwortverzeichnis

Steuern – Erlass 404 Steuernachentrichtung – Umfang 1222 Steuerpflichtiger 408, 1063 – unvollständige, unrichtige Angaben 503 Steuerquelle – unbekannte 1020 Steuerschaden 899 Steuerstraftaten 37 – Verurteilung 37 Steuerstrafverfahren – Ablauf 815 ff. – Einleitung 831 ff. Steuervergünstigung 683 Steuervergütung – Steueranmeldung 658 – steuerlicher Vorteil 749 – Steuervoranmeldung 667 Steuerverkürzung – auf Zeit 608, 672 ff., 1193 – Begriff 653 – Fahrlässige 759, 1052 – Feststellung des Verkürzungserfolges 655 f. – Gefährdung Steueranspruch 488 – Kompensationsverbot 752 ff., 901 – leichtfertige 771 ff., 1286 ff. – Umfang 899 – Umsatzsteuer 712 – unrichtige Festsetzung 655 – Vorbereitung 784 – Vorsatz 761 f. – Zeitpunkt 656, 669 Steuerverwaltungsakte 327 Steuervoranmeldung 414 – Begriff 658 ff. – Selbstanzeige 1144 ff. – Verjährung 659, 666 f., 712 Steuervorteil – Begriff 749 ff. – besonders schwerer Fall 1137

– Hinterziehungszinsen 1195, 1199 – Kompensationsverbot 752, 755, 1242, 1245 – steuerlich erhebliche Tatsachen 956 – subjektiver Tatbestand 509 – Taterfolg 486, 652 – Tathandlung 475 – Umfang 677, 1181 Strafbefehl – Antrag 880 ff. – Begriff 809, 881, 892 – Eignung zur Erledigung 868, 883 f. – Erlass 880 – Geständnis 882 – Selbstanzeige 1066 f. Strafbefreiung – Umfang 1171 Strafe – Absehen 404 – Strafmaß 809, 881, 886 ff., 896 – überlange Verfahrensdauer 351 Strafklageverbrauch 878, 1253, 1266 Strafmilderung 1050 Strafprozess – Absprache 624 ff. Strafrichter 566 f., 575 f., 591, 598, 631 ff. – Freispruch 632 – Strafzumessung 887 ff. – Überzeugungsbildung 575 f. Strafverfahren – Abschluss 865 ff. – Besteuerungsverfahren 401 ff. Strafzumessung 886 ff. Strategiekrise 100 ff. Stundung – Nachzahlungsfrist nach Selbstanzeige 1178 – Sperrgrund bei Stundungsantrag 1078 – Steuerhinterziehung 489 – Steuervorteil 751

273

Stichwortverzeichnis

Suspendierung – von der Erklärungspflicht 420 – von nicht steuerlichen Straftaten 421

Tagessatzhöhe 887 ff. Tagessatzsystem 887 Tagessatzzahl 887 Tatbeteiligung 430 ff., 449, 478, 929, 1252 – Umfang 431, 440, 478, 969 Tateinheit – Absehen von Verfolgung gem. § 398a AO 1277 – Begriff 950 – Selbstanzeige 950, 1130, 1259 Tatentdeckung 950, 1106 – Ankündigung einer Selbstanzeige 1018 – Begriff 1112 ff. – erneute Selbstanzeigemöglichkeit 1127 – Grenzkontrolle 1005 – Kenntnis 1125 ff. – Kontrollmaterial 1124 – Sperrgrund 1109 ff. – Strafmilderung 1127 – Umsatzsteuer 1149 Täter – Alleintäter 426 f., 432, 968 – Mittäter 427 ff., 439 ff., 477, 715, 920, 968 f., 1081 – mittelbarer Täter 429, 435 ff., 920 Tatmehrheit 671, 716 Tatsachen – Abgrenzung von Rechtsauffassungen 500 – Anfangsverdacht 819, 832, 1116 – Begriff 954 – Besteuerungsverfahren 402 – Durchsuchung 850 – Gewissheit über Verfahrensstadium 1063 274

– – – –

innere 954 Kompensationsverbot 752, 754 Schätzung 1007 Selbstanzeige 955 ff., 958, 967, 993, 996, – steuerlich erhebliche 405, 436, 475, 481, 498 ff., 502, 504, 741, 955 ff., 967 – Tathandlung 494 – unrichtige 952 – Verschweigen von 766 Tatsächliche Verständigung – Allgemeines 554 ff. – steuerliche 558, 649 – strafrechtliche 621 Täuschung 758 Teilnahme 425 ff., 429, 449 ff., 840 Tilgungsbestimmung 1176, 1178 Toleranzspanne 987, 1014, 1016, 1232 Treuhänder 84 ff. – Aufgaben 86 Typische Handlungen 787

Überschuldung 9, 119 ff. Umsatzsteuer 200 ff., 247 ff., 334 ff. – Berichtigung 204 ff., 225 – Forderungseinzug 249 ff., 256 ff. – Insolvenzanfechtung 279 ff. – Ist-Besteuerung 253 f. – Karussell 687 ff. – Korrektur bei Anordnung von Sicherungsmaßnahmen 204 ff. – Korrektur bei Verfahrenseröffnung 202 ff. – Lebenssachverhalt 250 – Masseunzulänglichkeit 289 ff. – Masseverbindlichkeiten 251 ff. – Nachtat 677 – Nichtzahlung 496, 805 – Schädigung des Umsatzsteueraufkommens 287 ff.

Stichwortverzeichnis

– Selbstanzeige 1000, 1144 ff., 1153, 1157, 1161, 1164 ff., 1167, 1172 – Soll-Besteuerung 253 f. – Unternehmensteile 202, 255 ff. – Verkürzung auf Zeit 672 ff. – Vorsteuer 260 – Zwangsverwaltung 315 Umsatzsteueraufkommen – gewerbsmäßige Schädigung 483 Umsatzsteuer-Jahresanmeldung – Erklärungswert 671 – Selbstanzeige 1164 ff. – Tatbeendigung 675 – Tatvollendung 665, 669 f. Umsatzsteuer-Nachschau 393 Umsatzsteuer-Voranmeldung – Abgabetermin 660, 665 ff. – fingierte Umsätze/Vorsteuern 497 – nicht existentes Unternehmen 497 – Nichtabgabe 504 – Selbstanzeige 1000, 1144 ff., 1153, 1157, 1161, 1167, 1172 – Tatvollendung 665 ff., 669 f. – Verjährungsbeginn 981 Unkenntnis – der Finanzbehörde 504, 741 Unrichtige Steuerfestsetzung – Wirkung 487, 737 Unterrichtungspflicht 349 Urkunde – steuerliche Prüfung 1079 – Vorlage 378 Urkundenfälschung – Selbstanzeige 422, 1265 – Zuständigkeit 353

Veranlagung – betriebsnahe 1079 Veranlagungssteuern – Steuerhinterziehung 736 ff.

– Tatbeendigung 746, 986, 1256 – Tatvollendung 662, 669, 738 – Unterlassen 739 f., 748 – Verjährung 976 Verbraucher 51 Verbraucherinsolvenzverfahren 51 – Treuhänder 84 ff. Verdacht 375, 381, 395, 1059 f. – Anfangsverdacht 368, 565, 815 ff., 1084 – Anzeige 817 f. – Beurteilungsspielraum 832 – Durchsuchung 846, 854 – einfacher Tatverdacht 816 f. – Einleitung Strafverfahren 831 f. – Einstellung Strafverfahren 872, 874, 879 – hinreichender 866, 880 – Selbstanzeige 1090, 1116 f. verdeckte Gewinnausschüttung 244 ff. Verderb – Waren 551, 590, 648 Verdunkelungsgefahr 860 Verfahrensabschluss – Rechtsfolgen 873, 884, 889 Verfahrenseinleitung 409, 967, 1054 ff., 1089 – Bekanntgabe 1061 Verfahrenseinstellung siehe Einstellung des Verfahrens Verfahrenshindernis 423, 880 Verfahrenskosten – Stundung 18 Verhältnismäßigkeit 839, 851 ff. Verjährung – Beginn 975 ff. – Erbfall, Unterlassen 979 – Frist 974 ff. – Gefährdung von Abzugsteuern 800 – isolierte Fiskalermittlungen 374

275

Stichwortverzeichnis

– Selbstanzeige 945, 947, 1202 – Steuergefährdung 790 – strafrechtliche in Abgrenzung zur steuerlichen 374 Vermögensverwalter 479, 481, 634, 1303 Vermögensverzeichnis 30 Vermögenszuwachsrechnung – Allgemeines 536 – steuerliche 537 ff. – strafrechtliche 594 ff., 601, 603, 605 f. Vernehmung 370, 409 Verprobung – Begriff 527 f. – Methoden 550, 579, 610, 613 Versuch – Beginn 443 – Rücktritt 1294 ff. – Selbstanzeige 929, 1220, 1298 ff. – Vollendung 1296 f., 1300 f. Verteidiger 409 Vertreter – Bekanntgabe Prüfungsanordnung 1021, 1025, 1029 – Bekanntgabe Verfahrenseinleitung 1054, 1056, 1064 – Täter 438, 479 Verwarnung mit Strafvorbehalt 1276 Verwendungsverbot 1124 Verwertung – Kosten 32 Verwertungsverbot 422 Vollmacht 926 Vorauszahlungen – Anpassung 942 – Herabsetzung 489, 953 Vorfeldermittlungen 366, 383, 390, 827, 1085, 1089 Vorläufiger Insolvenzverwalter 10, 68 ff., 123 ff., 219 ff., 229 ff. – schwacher 10, 19, 127 f., 223 f.

276

– Sicherungsmaßnahmen 229 ff. – starker 10, 19, 126, 220 ff. Vorsatz 468, 796, 1304 – Abgrenzung 1293, 1313 – bedingter Vorsatz 454 – Begriff 761 – „buffer“ 724 – doppelter Teilnehmervorsatz 453 f. – fehlender 760 – Gehilfenvorsatz 462 – Haupttäter 456 – leichtfertige Steuerverkürzung 771, 782 Vorsatzformen 763 f. Vorsteuer 335 ff. – Aufteilungsmaßstab 266 ff. – Berechtigung 261 ff. – Verwaltervergütung 259 Vorsteuern – Kompensationsverbot 756, 1240, 1242 – Steuervergütung 667, 712 Vorstrafe – § 398a AO 1262 Vorteil – wirtschaftlicher 655, 799, 1180, 1184, 1190, 1222, 1249, 1253

Widerruf – Selbstanzeige 993 ff. Wiederaufnahmeverfahren 1270, 1273 Wohnungsinhaber 393, 396

Zahlungsschwierigkeiten 796 Zahlungsunfähigkeit 9, 116 – Schutzschirmverfahren 49 Zeitreihenvergleich – Allgemeines 549 f. – im Steuerrecht 551, 613 – im Steuerstrafrecht 614 f. Zeuge 347, 356, 370 Zoll 1072, 1081

Stichwortverzeichnis

Zufallsfund 392 Zusammenveranlagung – Ehegatten 426 Zuschlag – Anrechnung bei Wiederaufnahme 1273 – Bemessungsgrundlage 1233 ff., 1258 – persönliche Reichweite 1254 – Selbstanzeige 1219 ff., 1226 ff.

Zuschlagzahlung – Umfang 1226 Zwangsgeld 191 ff. Zwangsmittelverbot 418 f. Zwangsverwaltung 315 ff. – Einkommensteuer 316 ff. – Ertragsteuern 316 ff. – Umsatzsteuer 315 – Vermietungseinkünfte 316

277