Steuerliche Betriebsprüfung 9783504386245

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Steuerliche Betriebsprüfung
 9783504386245

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Hruschka/Peters/von Freeden Steuerliche Betriebsprüfung

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Steuerliche Betriebsprüfung herausgegeben von

Franz Hruschka Ltd. Regierungsdirektor München

Dr. Franziska Peters Richterin am Finanzgericht Münster

Dr. Arne von Freeden, LL.M. (NYU) Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater Flick Gocke Schaumburg, Bonn/Hamburg

2022

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Bearbeiter Dr. Markus Adick

Dr. Sebastian Hölscher

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht, Adick Linke, Bonn, Lehrbeauftragter an der Universität Mannheim

Steuerberater, Ebner Stolz, Köln

Dr. Sascha Bleschick

Oberregierungsrat, München

Richter am Finanzgericht Münster, derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht, Karlsruhe

Tobias Brenner Oberregierungsrat, Bayerische Staatskanzlei, München

Bärbel Caspar Regierungsdirektorin, München

Gregor Danielmeyer Dipl.-Finanzwirt (FH), Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen, Standort Münster

Dr. Jan Dominik Richter am Finanzgericht Münster

Dr. Andreas Frantzmann Richter am Finanzgericht Münster

Dr. Arne von Freeden, LL.M. (NYU) Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Flick Gocke Schaumburg, Bonn/Hamburg

Prof. Dr. Gerhard C. Girlich, MBA (Int. Taxation) Dipl.-Finanzwirt (FH), Hochschule Biberach

Jan Gütschow, M.I.Tax

Franz Hruschka Ltd. Regierungsdirektor, München

Bernhard Köstler Dr. Dietmar Lange Dipl.-Kaufmann, Steuerberater, Flick Gocke Schaumburg, Bonn/Hamburg

Dr. Bernhard Liekenbrock Dipl.-Kaufmann, Steuerberater, Flick Gocke Schaumburg, Bonn, Lehrbeauftragter an der Universität Siegen

Dr. Eva Oertel Regierungsdirektorin, Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat, München

Dr. Franziska Peters Richterin am Finanzgericht Münster, Lehrbeauftragte an der Universität Siegen

Dr. Michael Puls Rechtsanwalt, Steuerberater, Flick Gocke Schaumburg, Düsseldorf, Lehrbeauftragter an der Universität Augsburg

Markus Schulz Dipl.-Kaufmann (Univ.), Rechtsanwalt, Steuerberater, Vaillant Group, Remscheid

Manuel Sieben

Dipl.-Kaufmann, Steuerberater, Flick Gocke Schaumburg, Bonn

Dipl.-Finanzwirt (FH), Master of Customs Administration (MCA), Steuerberater, Fachberater für Zölle und Verbrauchsteuern, AWB Steuerberatungsgesellschaft mbH, Münster

Dr. Lukas Hilbert, M.I.Tax

Dr. Stefan Stein

Dipl.-Kaufmann, selbständiger Steuerwissenschaftler, Bonn

Arnim Hilse

Steuerberater, Fachberater für internationales Steuerrecht, Stein & Partner mbB, Ulm

Regierungsdirektor, Bonn

Dr. Thomas Stein

Dr. Carsten Höink

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Stein & Partner mbB, Ulm

Dipl.-Finanzwirt (FH), (Syndikus-)Steuerberater, Hamburg

Dr. Christian Hick

Dipl.-Finanzwirt (FH), Rechtsanwalt, Steuerberater, Münster Lehrbeauftragter an der Universität Münster, Gastdozent der Bundesfinanzakademie im Bundesfinanzministerium

Dr. Dominik Wedel Dipl.-Finanzwirt (FH), Rechtsanwalt, Flick Gocke Schaumburg, Düsseldorf

Zitierempfehlung: Verfasser in Hruschka/Peters/von Freeden, Steuerliche Betriebsprüfung, Rz. 1.1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-20081-7 © 2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: Schäper, Bonn Druck und Verarbeitung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany 4

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Vorwort Eine steuerliche Betriebsprüfung ist für die mit ihr befassten Akteure auf Seiten der Beraterschaft, der Unternehmen und der Finanzverwaltung in vielfacher Hinsicht herausfordernd. Verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche steuerliche Fragen treffen aufeinander und lassen sich oft kaum voneinander trennen. Der zunehmenden Digitalisierung betrieblicher Prozesse auf Seiten der Unternehmen entspricht eine Digitalisierung der Betriebsprüfungsabläufe. Für die Steuerpflichtigen kann das „Eindringen“ des Prüfers in ihre betriebliche und teilweise auch private Sphäre durchaus eine emotionale Belastung bedeuten. Umgekehrt sind elektronische Aufzeichnungen nicht stets und ohne weiteres für Außenstehende, wie z.B. den Prüfer, nachvollziehbar. Die Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert neben der Kenntnis des Verfahrensrechts und der materiellen Rechtslage nicht zuletzt Verhandlungsgeschick. Das Handbuch ist ein Wegweiser durch die steuerliche Betriebsprüfung. Der Fokus der Darstellung liegt in Abgrenzung zum Freiberufler und „Privatier“ auf dem gewerblichen Unternehmen. Deshalb verwendet das Buch auch bewusst den in der Praxis für diesen Bereich etablierten Terminus „Betriebsprüfung“ und nicht die vom Gesetz verwendete Formulierung „Außenprüfung“, welche eben auch Prüfungen nichtbetrieblicher Einkünfte u.Ä. umfasst. Thematisch werden typische Problemstellungen für kleine und mittlere Unternehmen – Stichworte Kassenführung und Schätzung von Besteuerungsgrundlagen – ebenso abgedeckt wie Konzernthemen und internationale Aspekte. Die Darstellung umfasst außerdem nicht nur das Verfahrensrecht der Betriebsprüfung im engeren Sinn, sondern deckt auch Bereiche ab, die in der Praxis thematisch häufig mit einer Betriebsprüfung verbunden sind. Betriebsprüfung bedeutet – bei allem Willen der beteiligten Akteure zu Kooperation und einvernehmlichen Lösungen – eine Auseinandersetzung zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung. Hier geht das Handbuch auf Verhandlungsmanagement und die Rechtsschutzmöglichkeiten, die dem Unternehmen offenstehen, ein. Das Handbuch will „aus der Praxis für die Praxis“ eine Handreichung für jeden sein, der von einer steuerlichen Betriebsprüfung unmittelbar oder mittelbar betroffen ist. So setzt sich auch der Autorenkreis zusammen, der Vertreterinnen und Vertreter der Beraterschaft, der Unternehmen, der Finanzverwaltung und der Finanzgerichtsbarkeit zusammenbringt. Im Handbuch wird der besseren Lesbarkeit wegen regelmäßig die männliche Form verwendet. Es sollen selbstverständlich Personen jeglichen Geschlechts angesprochen sein. Wir bedanken uns bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verlags. Allen voran gilt unser Dank Herrn Fischer, Frau Dr. Kick und Frau Dr. Heiden, die die Entstehung des Handbuchs von der ersten Idee und Konzeptionierung an bis zur „Feinabstimmung“ der einzelnen Beiträge überaus konstruktiv begleitet und viele wertvolle Anregungen beigesteuert haben. Wir bedanken uns außerdem bei allen Autorinnen und Autoren, ohne deren großes Engagement die Entstehung dieses Handbuches nicht möglich gewesen wäre. Wir hoffen, dass die Prüfungsbeteiligten aus Beratung, Unternehmen, Finanzverwaltung und Rechtsprechung das Handbuch positiv aufnehmen werden. Für Anregungen, Kritik und Zustimmung haben die Herausgeber und der Autorenkreis stets ein offenes Ohr. München/Hamburg, im Oktober 2021 Franz Hruschka, Franziska Peters und Arne von Freeden

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Inhaltsübersicht Ausführliche Inhaltsverzeichnisse finden Sie zu Beginn der einzelnen Kapitel.

Seite Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtliteraturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII XIII XXXI Seite

Kapitel 1 Recht und Verfahren der Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. B. C. D. E.

Einführung (Hruschka) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen (Hruschka/von Freeden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfungsvorbereitung (Hruschka/von Freeden) . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfungsanordnung (Dominik) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse (von Freeden, Peters, Hruschka) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (Peters) . . . . . . . . . . . . . . . . G. Informationsrechte des Steuerpflichtigen (Peters/von Freeden, Peters) H. Beendigung der Prüfung (Peters) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Rechtsschutz (Peters) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Mitteilungspflichten der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden (Gütschow) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L. Verhandlungsmanagement (Puls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

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10 16 49 61

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99 139 169 185 208

....... .......

220 234

Kapitel 2 Digitalisierung der Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249

A. B. C. D.

.. .. ..

254 259 273

..

292

.. ..

308 326

Kapitel 3 Besondere Prüfungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

359

A. Abgekürzte Betriebsprüfung (§ 203 AO) (von Freeden) . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte (§ 203a AO) (von Freeden) C. Zeitnahe Betriebsprüfung (Girlich) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

362 365 368

E. F.

Einführung (Peters) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenzugriff (Peters, Danielmeyer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GoBD (Peters, Danielmeyer, Liekenbrock) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung (Danielmeyer, Bleschick) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement der Unternehmen unter Einsatz von IT-Lösungen (Liekenbrock) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenschutz (Bleschick) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsübersicht

Seite D. E. F. G. H. J.

Umsatzsteuersonderprüfung (Caspar) . Umsatzsteuer-Nachschau (Höink) . . . . Lohnsteuer-Außenprüfung (Hilbert) . . Lohnsteuer-Nachschau (Hilbert) . . . . . Kassen-Nachschau (Brenner) . . . . . . . . Prüfungen der Zollverwaltung (Sieben)

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378 389 409 422 431 447

Kapitel 4 Steuerstrafrechtliche Aspekte in der Betriebsprüfung (Adick) . . . . .

485

A. Steuerstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Steuerliche Korrekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren (Überblick) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

485 492 494

Kapitel 5 Kassenführung (Brenner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

503

A. B. C. D. E. F. G. H.

Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufzeichnungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kassenarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten bei der Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG Prüfungsansätze der Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kassenmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Handlungsempfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

504 505 514 515 519 522 530 535

Kapitel 6 Konzerne in der Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

539

A. Betriebsprüfung bei Konzernen und sonstigen zusammenhängenden Unternehmen (Köstler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Ertragsteuerliche Organschaft (Lange) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Umwandlungen (Hölscher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Tax Compliance Management System: Auswirkungen und Nutzbarmachung in der Betriebsprüfungspraxis (Schulz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . .

541 568 584

.

592

Kapitel 7 Internationale Aspekte der Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

605

A. Verrechnungspreise (Puls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Joint Audits (Oertel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verständigungsverfahren (Hilse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

608 662 688

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Inhaltsübersicht

Seite Kapitel 8 Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken (Hick) . . . . . . . . . . . . .

717

A. B. C. D.

. . . .

718 719 741 742

Kapitel 9 Streitvermeidungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

751

A. B. C. D.

. . . .

752 767 773 778

Kapitel 10 Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte . . . . . . . .

791

Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Passivierung von Rückstellungen für betriebsprüfungsbedingte Mehrsteuern . Verminderung bzw. Auflösung einer Steuerrückstellung . . . . . . . . . . . . . . . . Rückstellungen für Mitwirkungspflichten im Rahmen von Betriebsprüfungen

Verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) (Frantzmann) Verbindliche Zusage (§§ 204 ff. AO) (Frantzmann) . . . Tatsächliche Verständigung (Frantzmann) . . . . . . . . . . Vertrauensschutz und Treu & Glauben (Wedel) . . . . . .

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung (T. Stein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne Land- und Forstwirtschaft) (S. Stein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Überblick über die Organisationsformen der Betriebsprüfung der einzelnen Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 2 Einordnung in Größenklassen gem. § 3 BpO 2000; Festlegung neuer Abgrenzungsmerkmale zum 1.1.2019. . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

793 824

859 861 863

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XII

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Abkürzungsverzeichnis

a.A. AB abl. ABl. EG Abl. EU AbzStEntModG Abs. Abschn. abw. AbzStEntModG AdV a.E. AEAO AEErbSt AEO a.F. AfaA AfS AG AJP/PJA AK AktG AktStR Alt. amtl. AmtshilfeRLUmsG AnfG Anm. AO AO-DV Zoll AO-StB APA ArbRAktuell arg. Art. AStBV AStG AsylbewerberLeistungsG ATLAS

andere(r) Ansicht Ausführungsbestimmung(en) ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (bis Januar 2003) Amtsblatt der Europäischen Union (seit Februar 2003) Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz Absatz Abschnitt abweichend Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugssteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz) Aussetzung der Vollziehung am Ende Anwendungserlass zur Abgabenordnung Anwendungserlass zur Erbschaftsteuerreform Authorised Economic Operator alte Fassung Absetzung wegen/für außergewöhnliche Abnutzung Absetzung für Substanzverringerung Aktiengesellschaft; auch „Die Aktiengesellschaft“ (Zeitschrift); mit Ortsbezeichnung: Amtsgericht Aktuelle Juristische Praxis/Pratique juridique actuelle (Zeitschrift) Anschaffungskosten Aktiengesetz Aktuelle Steuerrundschau (Zeitschrift) Alternative amtlich(e) Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften Anfechtungsgesetz Anmerkung Abgabenordnung Dienstvorschrift zur Anwendung der Abgabenordnung im Bereich der Zollverwaltung AO-Steuerberater (Zeitschrift) Advance Pricing Agreement (Vorabverständigungsverfahren) Arbeitsrecht Aktuell (Zeitschrift) argumentum Artikel Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren Außensteuergesetz Asylbewerberleistungsgesetz Verfahrensanweisung zum IT-Verfahren XIII

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Abkürzungsverzeichnis

Aufl. AÜG ausf. AusfG AWV AWD, AWD BB AWG Aw-Prax AZO

Auflage Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausführlich Ausführungsgesetz Außenwirtschaftsverordnung Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (Zeitschrift) Außenwirtschaftsgesetz Außenwirtschaftliche Praxis (Zeitschrift) Allgemeine Zollordnung

BAG BAnz BAO BATNA BauGB BAV BayLfSt BayObLG BayRS BayStMFin. BayVBl. BayVerfGH BB BBauG BBG BBK

Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Österreichische Bundesabgabenordnung Best Alternative to an Negotiated Agreement Baugesetzbuch betriebliche Altersversorgung Bayerisches Landesamt für Steuern Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Rechtssammlung Bd. I–V Bayerisches Staatsministerium der Finanzen Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Bayerischer Verfassungsgerichtshof Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbaugesetz Bundesbeamtengesetz Buchführung, Bilanz, Kostenrechnung, Zeitschrift für das gesamte Rechnungswesen Betriebswirtschaft im Blickpunkt (Zeitschrift) Band, Bände Brandenburg Bundesminister der Finanzen Bundesverband der Deutschen Industrie Bundesdatenschutzgesetz bedeutende Einkünfte Beck’scher Bilanzkommentar Zeitschrift zur Digitalisierung in Steuer-, Rechts- und Rechnungslegungspraxis Rechtsprechungsdatenbank in beck-online (Verlag C.H. Beck) Begründung Beihefter Beilage Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungsrichtlinie – Umsetzungsgesetz) Base Erosion and Profit Shifting berichtigt Berlinförderungsgesetz Besprechung bestritten

BBP Bd., Bde. Bdb. BdF BDI BDSG bE BeckBilanzkomm beck.digitax BeckRS Begr. Beih. Beil. BeitrRLUmsG BEPS ber. BerlinFG Bespr. bestr. XIV

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Abkürzungsverzeichnis

betr. BetrAVG BewÄndG BewDV BewG BewRGr BewRL Bfa. BfDI BfF BFG BFH BFHE BFH/NV BfuP BgA BGB BGBl. BGHSt BGHZ BIFD BilMoG BilReG BIP BiRiLiG BISON BIT BKGG BLJ BlStSozArbR BMF BMWF BMWi. BNV Bp, BP BpO BR BR-Drucks. BSG BSI BSP bspw. BStBl.

betrifft, betreffend Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Bewertungsänderungsgesetz Bewertungs-Durchführungsverordnung Bewertungsgesetz Richtlinien für die Bewertung des Grundvermögens Bewertungs-Richtlinien für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen Berichtsfirma (Synonym für das geprüfte Unternehmen; wird von der Finanzverwaltung als Terminus technicus verwandt) Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Bundesamt für Finanzen Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz; Berlinförderungsgesetz Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis (Zeitschrift) Betrieb gewerblicher Art Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bulletin for International Fiscal Documentation (Zeitschrift) Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bilanzrechtsreformgesetz Bruttoinlandsprodukt Bilanzrichtlinien-Gesetz Prüfprogramm IT-System Bulletin for International Taxation (Zeitschrift) Bundeskindergeldgesetz Bucerius Law Journal Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Bundesminister(ium) der Finanzen Bundesminister(ium) für Wirtschaft und Finanzen Bundesminister(ium) für Wirtschaft betriebsnahe Veranlagung Betriebsprüfung Betriebsprüfungsordnung Bundesrat Bundesrats-Drucksache Bundessozialgericht Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik Bruttosozialprodukt beispielsweise Bundessteuerblatt XV

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Abkürzungsverzeichnis

BStBK BT BT-Drucks. BTR Buchst. BUKON Bull. Int. Tax BuStra BuW BVerfG BVerfGE

BW BZRG BZSt

Bundessteuerberaterkammer Bundestag Bundestags-Drucksache British Tax Review (Zeitschrift) Buchstabe Bundeseinheitliches Konzernverzeichnis Bulletin for International Taxation Bußgeld- und Strafsachenstelle Betrieb und Wirtschaft (Zeitschrift, ab 1991) Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg Bundeszentralregistergesetz Bundeszentralamt für Steuern

CAP CAPM CbCR CCZ CDFI CGI CIR CMLRev CMS COVInsAG CpD-Konto CR

Compliance Assurance Process Capital Asset Pricing Model Country-by-Country Reporting Corporate Compliance Zeitschrift Cahiers de Droit Fiscal International (Zeitschrift) Code général des impôts Code des impôts sur les revenues Common Market Law Review (Zeitschrift) Compliance Management System COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz Conto-pro-Diverse Computer und Recht (Zeitschrift)

DAC DART DATEV

Directive on Administrative Cooperation Data Retention Tools Datenverarbeitungsorganisation des steuerberatenden Berufs in der Bundesrepublik Deutschland e.G., Nürnberg Der Betrieb (Zeitschrift) Doppelbesteuerungsabkommen Die Betriebswirtschaft (Zeitschrift) Prüfprogramm IT-System Development, Enhancement, Maintenance, Protection, Exploitation dergleichen das heißt Deutscher Industrie- und Handelstag Dissertation Der Konzern (Zeitschrift) digitale LohnSchnittstelle

BVerfGG BVerfGK BVerwG BVerwGE

DB DBA DBW DEBBi DEMPE dgl. d.h. DIHT Diss. DK DLS XVI

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Abkürzungsverzeichnis

DM DNotZ DÖV DR DRiZ Drucks. DSGVO DStB DStBl. DStG DStJG DStR DStRE DStRK DStZ DStZA und B DStZ/E DV (DVO) DVBl. DVR DWS

Deutsche Mark Deutsche Notar-Zeitschrift Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Recht (Zeitschrift) Deutsche Richterzeitung (Zeitschrift) Drucksache Datenschutz-Grundverordnung Der Steuerbeamte (Zeitschrift) Deutsches Steuerblatt (Zeitschrift) Deutsche Steuergewerkschaft Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst Deutsches Steuerrecht kurzgefasst (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung, seit 1980 (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung Ausgabe A und B, bis 1979 (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung/Eildienst, seit 1980 (Zeitschrift) Durchführungsverordnung Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau (Zeitschrift) Deutsches wissenschaftliches Steuerinstitut der Steuerberater e.V.

EATLP ECOFIN EC Tax Rev. ECR Ed. EDV EFG EFTA e.G. EG EGAO EGBGB EGHGB EGKS EGV Einf. Einl. EK ELStAM EnergieStG EnergieStRL entspr. ErbBstg ErbR ErbSt ErbStDV ErbStG

European Association of Tax Law Professors Economic and Financial Council EC Tax Review Electric Cash Register Editor (Herausgeber) Elektronische Datenverarbeitung Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) Europäische Freihandelsassoziation eingetragene Genossenschaft Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zur Abgabenordnung Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführung Einleitung Eigenkapital Elektronische Lohnsteuerabzugsmerkmale Energiesteuergesetz Energiesteuerrichtlinie entsprechend Erbfolgebesteuerung (Zeitschrift) Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis Erbschaftsteuer Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz XVII

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Abkürzungsverzeichnis

ErbStR ErbStRG ERP ESt EStB EStDV EStG EStR

ET EU EUAHiG EU-DBA-SBG EU-DSGVO EuG EuGH EuGHE EuGRZ EU-JTPF EuR EÜR EuRS EU-SchÜ EUSt EuStZ EuZA EuZW e.V. E-VSF EWG EWGV EWiR EWIV EWS EZ EZT FA FAG FAGO FamRZ FARZZustVO FAUB FAZ FA-ZVO, FAZustVO FÄZustV, FÄZustVO

Erbschaftsteuer-Richtlinien Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerreformgesetz enterprise reporting program Einkommensteuer Ertrag-Steuerberater (Zeitschrift) Einkommensteuer-Durchführungsverordnung Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Richtlinien (mit Hinweisteil) Zitierweise: R 134 EStR (Richtlinienteil) H 134 EStR (Hinweisteil) European Taxation (Zeitschrift) Europäische Union EU-Amtshilfegesetz EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz EU-Datenschutz-Grundverordnung Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften Europäischer Gerichtshof Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Europäische Grundrechte-Zeitschrift EU-Verrechnungspreisforum (Joint Transfer Pricing Forum) Europarecht (Zeitschrift) Einnahmenüberschussrechnung Europarechtsschutz (Kommentierungsteil in Tipke/Kruse, AO/FGO) EU-Schiedsübereinkommen Einfuhrumsatzsteuer Europäische Steuerzeitung Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Elektronische Vorschriftensammlung Bundesfinanzverwaltung Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG-Vertrag Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) Erhebungszeitraum Elektronischer Zolltarif Finanzamt Finanzausgleichsgesetz Geschäftsordnung für die Finanzämter Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Finanzamts- und Rechenzentrums-Zuständigkeitsverordnung Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft des IDW Frankfurter Allgemeine Zeitung Finanzamts-Zuständigkeitsverordnung Finanzämter-Zuständigkeitsverordnung

XVIII

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Abkürzungsverzeichnis

FeuerschStG FVerlV FG FGO FHF FinArch. FinÄZVO FinBeh. FinMin. FinSen. FinVerw. FIU FKS FlurBG FMK Fn. FN-IDW FördG FR FS FTA FuE FuSt FVG GA GaufzV GBO GbR GDPdU GDPdUZ gem. GenG GewArch. GewO GewSt GewStDV GewStG GewStR GG GKG

Feuerschutzsteuergesetz Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes nach § 1 Abs. 1 des Außensteuergesetzes in Fällen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Fachhochschule für Finanzen Finanzarchiv (Zeitschrift) Finanzämter-Zuständigkeitsverordnung Finanzbehörde Finanzministerium Senator/Senatorin für Finanzen Finanzverwaltung Financial Intelligence Unit Finanzkontrolle Schwarzarbeit Flurbereinigungsgesetz Finanzminister-Konferenz Fußnote IDW-Fachnachrichten (aktuelle Informationen des IDW für seine Mitglieder) Fördergebietsgesetz; Gesetz über Sonderabschreibungen und Abzugsbeträge im Fördergebiet Finanz-Rundschau (bis 1990); Finanz-Rundschau für Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer (bis 1999); FinanzRundschau Ertragsteuerrecht (Zeitschrift) Festschrift Forum on Tax Administration Forschung und Entwicklung Finanzen und Steuern Gesetz über die Finanzverwaltung Generalanwalt Gewinnabgrenzungsaufzeichnungs-Verordnung Grundbuchordnung Gesellschaft bürgerlichen Rechts Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen im Zuständigkeitsbereich der Zollverwaltung gemäß Genossenschaftsgesetz Gewerbearchiv (Zeitschrift) Gewerbeordnung Gewerbesteuer Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuer-Richtlinien Grundgesetz Gerichtskostengesetz XIX

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Abkürzungsverzeichnis

G/K/G/K GKKB gl. A. GmbH GmbHG GmbHR GmbH-StB GmbH-Stpr GmSOGB GNOFÄ GoB GoBD GoBS GrESt GrEStDV GrEStG GrS GrStG GS GStB GuV GVBl. GVG GwG H Habil. HandwO HBeglG Hdb. HdJ HdU HdWW Hess., hess. HFA des IDW HFR HGB HHR HHSp

Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA-Kommentar (siehe Gesamtliteraturverzeichnis) Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage gleicher Ansicht Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die GmbH GmbH-Rundschau (Zeitschrift) GmbH-Steuerberater (Zeitschrift) GmbH-Steuerpraxis (Zeitschrift) Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Grundsätze zur Neuorganisation der Finanzämter und zur Neuordnung des Besteuerungsverfahrens Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung/Bilanzierung Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme Grunderwerbsteuer Grunderwerbsteuer-Durchführungsverordnung Grunderwerbsteuergesetz Großer Senat Grundsteuergesetz Gesetzessammlung oder Gedächtnisschrift Gestaltende Steuerberatung (Zeitschrift) Gewinn und Verlust Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Geldwäschegesetz Hinweis Habilitationsschrift Handwerksordnung Haushaltsbegleitgesetz 2004 Handbuch Handbuch des Jahresabschlusses (Loseblatt; siehe Gesamtliteraturverzeichnis) Handbuch der Unternehmensbesteuerung (siehe Gesamtliteraturverzeichnis) Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft (siehe Gesamtliteraturverzeichnis) Hessen, hessisch Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung Handelsgesetzbuch Herrmann/Heuer/Raupach, Komm. zum EStG/KStG (Loseblatt; siehe Gesamtliteraturverzeichnis) Hübschmann/Hepp/Spitaler, Komm. zur AO/FGO (Loseblatt; siehe Gesamtliteraturverzeichnis)

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Abkürzungsverzeichnis

Hifo HK H/K/M/S h.L./h.M. H/M/W HRRS Hrsg., hrsgg. Hs. HSL IAS IBFD-Bulletin ICAP IDEA i.d.F. i.d.R. i.d.S. IDW IDW RS HFA IDW S IDW PS IDW RS FAIT i.E. i.Erg. i.e.S. IFA IFG IFRS IFSt i.H.v. IKS INF insb. InsO InvStG InvZulG I.R.C. i.S.d. ISR IStR i.S.v. i.Ü. i.V.m. IVM

Highest in – first out Herstellungskosten Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht (siehe Gesamtliteraturverzeichnis) herrschende Lehre/herrschende Meinung Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer (Loseblatt; siehe Gesamtliteraturverzeichnis) Höchstrichterliche Rechtsprechung Strafrecht (Zeitschrift) Herausgeber, herausgegeben Halbsatz Hauptsachgebietsleiter International Accounting Standards Bulletin of the International Bureau of Fiscal Documentation Internet Content Adaptation Protocol Interactive Data Extraction and Analysis; Software zur Analyse großer Datenmengen in der Fassung in der Regel in dem (diesem) Sinne Institut der Wirtschaftsprüfer e.V. Stellungnahme durch den Hauptfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer IDW Standard IDW Prüfungsstandard IDW-Stellungnahme zur Rechnungslegung "Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung bei Einsatz von Informationstechnologie" im Einzelnen im Ergebnis im engeren Sinne International Fiscal Association Informationsfreiheitsgesetz International Financial Reporting Standards Institut für Finanzen und Steuern in Höhe von internes Kontrollsystem Die Information über Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) insbesondere Insolvenzordnung Investmentsteuergesetz Investitionszulagengesetz Internal Revenue Code im Sinne des/der Internationale Steuer-Rundschau (Zeitschrift) Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit International VAT Monitor (Zeitschrift) XXI

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Abkürzungsverzeichnis

IWB i.w.S.

Internationale Wirtschafts-Briefe im weiteren Sinne

Jb. JbFStR Jg. jPdöR JR JStG JTPF jurisPr-ArbR jurisPr-StrafR jurisPr-SteuerR JW JZ

Jahrbuch Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Jahrgang juristische Person des öffentlichen Rechts Juristische Rundschau (Zeitschrift) Jahressteuergesetz Joint Transfer Pricing Forum juris PraxisReport Arbeitsrecht (Zeitschrift) juris PraxisReport Strafrecht (Zeitschrift) juris PraxisReport Steuerrecht (Zeitschrift) Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift)

KAG KAGB Kap. KapErhG

Kommunalabgabengesetz Kapitalanlagegesetzbuch Kapitel Gesetz über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln und über die Verschmelzung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung Kassensicherungsverordnung Kommanditgesellschaft; auch: Kammergericht Kommanditgesellschaft auf Aktien kleine und mittlere Unternehmen Dokumente der Kommission der Europäischen Gemeinschaften Kommentar Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts Kölner Steuerdialog (Zeitschrift) Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz Kraftfahrzeugsteuergesetz kritisch Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Körperschaftsteuer Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung Körperschaftsteuergesetz Körperschaftsteuer-Richtlinie Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht

KassenSichV KG KgaA KMU KOM Komm. KöMoG KöSDI Korb-II-Gesetz KraftStG krit. KroatienAnpG KSt KStDV KStG KStR KSzW LAG lfd. LfDI BW Lfg. LfStF Sachs. Lifo li. Sp.

Landesarbeitsgericht laufend Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Baden-Württemberg Lieferung Landesamt für Steuern und Finanzen Sachsen Last in – first out linke Spalte

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Abkürzungsverzeichnis

lit. LPartG LRD LS LSt-Ap LStDV LStR LT-Drucks. LuF MA m. Anm. m.a.W. MDR m.E. MIAS Mio. MLI MMR m.N. MoMiG MoPeG MoRaKG MoU MschrKrim MünchKomm. MUS MV m.w.N. MwStSystRL MZK NB Nds. n.F. NFC NJW NJW-RR NJOZ N&R nrkr. NRW NSt NV NWB

Litera, Buchstabe Lebenspartnerschaftsgesetz Limited Risk Distributor Leitsatz Lohnsteuer-Außenprüfung Lohnsteuer-Durchführungsverordnung Lohnsteuer-Richtlinien (mit Hinweisteil) Zitierweise: R 70 LStR (Richtlinienteil)/H 70 LStR (Hinweisteil) Landtags-Drucksache Land- und Forstwirtschaft Musterabkommen mit Anmerkung(en) mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) meines Erachtens Mehrwertsteuer-Informations-Austauschsystem Millionen Multilaterales Instrument Zeitschrift für IT-Recht und Recht der Digitalisierung mit Nachweisen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen Memorandum of Understandings Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (Zeitschrift) Münchener Kommentar Monetary Unit Sampling; Standard-Verprobungstool Mecklenburg-Vorpommern mit weiteren Nachweisen Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie Der Modernisierte Zollkodex Neue Betriebswirtschaft (Zeitschrift) Niedersachsen/niedersächsisch neue Fassung Near-Field-Communication Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Neue Juristische Online-Zeitschrift Netzwirtschaften und Recht (Zeitschrift) nicht rechtskräftig Nordrhein-Westfalen Neues Steuerrecht von A–Z Nicht-Veranlagung Neue Wirtschafts-Briefe XXIII

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Abkürzungsverzeichnis

NZA NZA-RR NZG NZI NZM NZWiSt

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht – Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht

OCR-Verfahren OECD OECD-MA ÖPP OFD(en) OFH OHG, oHG OLG ORDO OVG OVGE OWiG

Optical-Charactor-Recognition-Verfahren Organization for Economic Cooperation and Development OECD-Musterabkommen Öffentlich-private Partnerschaft Oberfinanzdirektion(en) Oberster Finanzgerichtshof Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Ordnungswidrigkeitengesetz

p.a. PIR PIStB PKoFoG

PRÜF PStR PublG

per annum Praxis der internationalen Rechnungslegung (Zeitschrift) Praxis Internationale Steuerberatung (Zeitschrift) Gesetz zur Fortentwicklung des Rechts des Pfändungsschutzkontos und zur Änderung von Vorschriften des Pfändungsschutzes Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz (Prüfprogramm IT-System) Praxis Steuerstrafrecht (Zeitschrift) Publizitätsgesetz

RACI RAO RAP RdA RDV RechtsVO Reg.Begr. RegE REIT re. Sp. resp. REt RFH RFHE RGBl. Rh.-Pf.

Responsible, Accountable, Consulted, Informed Reichsabgabenordnung Rechnungsabgrenzungsposten Recht der Arbeit (Zeitschrift) Recht der Datenverarbeitung (Zeitschrift) Rechtsverordnung Regierungsbegründung Regierungs-Entwurf Real Estate Investment Trust Rechte Spalte respektive REthinking Tax (Zeitschrift) Reichsfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Reichsgesetzblatt Rheinland-Pfalz

ProtErklG

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Abkürzungsverzeichnis

RiStBV RIW/AWD RJF RL Rs. RS Rspr. RStBl. RWP Rz. S. Sa.-Anh. Saarl. Sachs. SAM SBG sc. SchaumweinStG Schl.-Holst Schr. SchwarzArbG sec. SEStEG SGb. SGB SGB-AT SGG SGL Slg. SoD SolZ SolZG SRP StA StÄndG StandOG StAnpG StAuskV StB StBereinG 1999 StBerG

Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren Recht der Internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst (Zeitschrift) Revue de Jurisprudence Fiscale (Zeitschrift) Richtlinie Rechtssache Rechtssammlung Rechtsprechung Reichssteuerblatt Rechts- und Wirtschaftspraxis (Zeitschrift bis 1991) Randziffer(n) Satz/Seite Sachsen-Anhalt Saarland Sachsen Steueranwaltsmagazin (Zeitschrift) Streitbeilegungsgesetz scilicet (nämlich) Schaumweinsteuergesetz Schleswig-Holstein Schreiben Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung section Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgesetzbuch Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil Sozialgerichtsgesetz Sachgebietsleiter Amtliche Sammlung der EuGHE Segregation of Duties; Funktionstrennung, Kontrollaktivitäten zur Gewährleistung der Aufgabentrennung Solidaritätszuschlag Solidaritätszuschlaggesetz Summarische Risikoprüfung Staatsanwaltschaft Steueränderungsgesetz Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland im Europäischen Binnenmarkt (Standortsicherungsgesetz) Steueranpassungsgesetz Verordnung zur Durchführung von § 89 Abs. 2 der Abgabenordnung (Steuer-Auskunftsverordnung) Der Steuerberater (Zeitschrift) Steuerbereinigungsgesetz 1999 Steuerberatungsgesetz XXV

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Abkürzungsverzeichnis

Stbg StbJb. StbKongrRep. StBp StBW StEK StEntlG SteuerStud SteuK StGB StJ StKl. StKongrRep. StMBG StPO StQ str. StraBu StRG StRev, Schweiz st. Rspr. StSenkErgG

SSV SWI SWK

Die Steuerberatung (Zeitschrift) Steuerberater-Jahrbuch Steuerberaterkongress-Report (seit 1977) Die steuerliche Betriebsprüfung (Zeitschrift) Steuerberater-Woche (Zeitschrift) Steuererlasse in Karteiform (Hrsg.: Felix/Carlé) Steuerentlastungsgesetz Steuer und Studium (Zeitschrift) Steuerrecht kurzgefasst (Zeitschrift) Strafgesetzbuch Steuerliches Journal (Zeitschrift) Steuerklasse Steuerkongreß-Report (bis 1976) Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz Strafprozessordnung Quintessenz des Steuerrechts (Zeitschrift) strittig Straf- und Bußgeldstellen Steuerreformgesetz Steuer-Revue (Zeitschrift) ständige Rechtsprechung Gesetz zur Ergänzung des Steuersenkungsgesetzes (Steuersenkungsergänzungsgesetz) Gesetz zur Reform der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz) Steuern und Bilanzen (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Strafverteidiger (Zeitschrift) Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz Steuervergünstigungsabbaugesetz Steuerliche Vierteljahresschrift (Zeitschrift bis 1993) Steuer-Warte (Zeitschrift) Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft Schnittstellen-Verprobung Steuer & Wirtschaft International (Zeitschrift) Steuer- und WirtschaftsKartei (Zeitschrift)

TCMS TIEA TNMM TPI TSE TW Tz.

Tax Compliance Management System Tax Exchange Information Agreements Transactional Net Margin Method Transfer Pricing International (Zeitschrift) technische Sicherheitseinrichtung Teilwert Textziffer

u.a. UAbs. Ubg

und andere, unter anderem Unterabsatz Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift)

StSenkG StuB StuW StV StVBG StVergAbG StVj StWa StWG

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Abkürzungsverzeichnis

u.E. umf. umstr. UMTS UmwG UmwStG UntStFG UUntStRefG 2008 UR US-GAAP USLO USt UStAE UStÄndG UStB UStDV UStG USt-IdNr. UStKongrBericht UStR UZK u.U. UVR VA VAT VBlBW VermBG Verpfl. VerSanG VerwArch. VerwGrs.Verf. Vfg. VG vGA VGH v.H. VJSchrStFR VO Vor, Vorb. VSF VSSR VStG VuR VVDStRL VWG

unseres Erachtens umfassend umstritten Universal Mobile Telecommunication System Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuergesetz Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts Unternehmensteuerreformgesetz 2008 Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift) (Zitierweise seit 1984) Generally Accepted Accounting Principles (USA) UmsatzSteuer-Länder-online Umsatzsteuer Umsatzsteuer-Anwendungserlass Umsatzsteueränderungsgesetz Umsatz-Steuerberater (Zeitschrift) Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung Umsatzsteuergesetz Umsatzsteuer-Identifikationsnummer Umsatzsteuerkongress-Bericht Umsatzsteuer-Rundschau (Zeitschrift) (Zitierweise bis 1983)/ Umsatzsteuerrichtlinien Unionszollkodex unter Umständen Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht (Zeitschrift) Verwaltungsakt Value added tax Verwaltungsblätter für Badem-Württemberg (Zeitschrift) Vermögensbildungsgesetz Verpflichtung Verbandssanktionengesetz Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsgrundsätze-Verfahren (siehe VWG) Verfügung Verwaltungsgericht verdeckte Gewinnausschüttung Verwaltungsgerichtshof vom Hundert Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht (Zeitschrift) Verordnung Vorbemerkung Vorschriftensammlung Bundesfinanzverwaltung Vierteljahresschrift für Sozialrecht (Zeitschrift) Vermögensteuergesetz Verbraucher und Recht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahestehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen in Bezug auf Ermittlungs- und Mitwirkungspflichten, XXVII

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Abkürzungsverzeichnis

VwGH VwGO VwVfG VwVG VwZG VZ WEG WG WiB Wiss. Beirat wistra WJSU Wj. WJOVL WM WoBauG WPg WRV WTJ ZAUBER ZD ZD-Aktuell ZEV ZEW ZIP zit. ZfB ZfbF ZfIR ZfZ ZG ZGR ZHR ZIVIT ZK ZKA ZollProfi! ZollVG ZPO ZPr. ZRP ZSt

Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren) Verwaltungsgerichtshof Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Veranlagungszeitraum Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz) Wirtschaftsgut Wirtschaftliche Beratung (Zeitschrift, ab 1994) Wissenschaftlicher Beirat Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Das Wirtschaftstudium (Zeitschrift) Wirtschaftsjahr World Journal of VAT/GST Law (Zeitschrift) Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Wohnungsbaugesetz Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Weimarer Reichsverfassung World Tax Journal (Zeitschrift) Zentrale Datenbank zur Speicherung und Auswertung von Umsatzsteuerbetrugsfällen und zur Entwicklung von Risikoprofilen Zeitschrift für Datenschutz Newsdienst der Zeitschrift für Datenschutz Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge (ab 1994) Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für Betriebswirtschaft Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Immobilienrecht Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern Zeitschrift für Gesetzgebung/Zollgesetz Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zentrum für Informationsverarbeitung und Informationstechnik Zollkodex/Zivilkammer/Zollkasse Zollkriminalamt aktueller Informationsdienst zu Export, Import und Steuern (Zeitschrift) Zollverwaltungsgesetz Zivilprozessordnung Die Zollpraxis (Zeitschrift) Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift zum Stiftungswesen

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Abkürzungsverzeichnis

ZSteu zust. zutr. ZVG ZWH zzgl. ZZustSt

Zeitschrift für Steuern und Recht zustimmend zutreffend Zwangsversteigerungsgesetz Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen zuzüglich VO über Organisation und Zuständigkeiten in der Bayerischen Steuerverwaltung

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Gesamtliteraturverzeichnis Das Gesamtliteraturverzeichnis enthält eine Auswahl von wichtigen Werken mit übergreifender Relevanz (ggf. mit Angabe der abgekürzten Zitierweise). Spezielles Schrifttum ist am Beginn eines Buch-Kapitels oder bei den Untergliederungen genannt, während sich ganz spezielles Schrifttum in den Fußnoten findet. Aufgeführt ist jeweils die jüngste verfügbare Auflage; die herangezogene Auflage ist in den Fußnoten durch die hochgestellte Auflagenzahl gekennzeichnet. Adick/Bülte (Hrsg.), Fiskalstrafrecht, 2. Aufl. 2018 Adick/Höink/Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, 2016 AO 360° eKommentar, bearb. von Baum, Buse, Brandl, Szmczak, Datenbank Beck’scher Bilanz-Kommentar, hrsg. von Grottel, Schmidt, Schubert, Störk, 12. Aufl. 2020 (zit. BeckBilanzkomm) Beck’sches Steuerberater-Handbuch 2019/2020, hrsg. vom Deutschen wissenschaftlichen Institut der Steuerberater e.V., 17. Aufl. 2019 Beck’sches Steuerberater-Handbuch 2021/2022, hrsg. vom Deutschen wissenschaftlichen Institut der Steuerberater e.V., 18. Aufl. 2021 BeckOK Datenschutzrecht, Beck’scher Online-Kommentar, hrsg. von Brink, Wolff, Datenbank, 37. Edition, Stand 1.8.2021 BeckOK AO, Beck’scher Online-Kommentar, hrsg. von Pfirrmann, Rosenke, Wagner, Datenbank, 17. Edition, Stand 1.7.2021 Beimler/Girlich, Ratgeber Betriebsprüfung, 2011; Taschenbuch aus der Reihe Beck-Wirtschaftsberater im dtv Birkenfeld/Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, Loseblatt Blümich, EStG, KStG, GewStG, Loseblatt Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 19. Aufl. 2019 Bunjes, UStG, Kommentar, 20. Aufl. 2021 Burkhard, Betriebsprüfung und Steuerfahndungsprüfung, Kommentar, 2. Aufl. 2019 Dötsch/Pung/Möhlenbrock (Hrsg.), Die Körperschaftsteuer, Loseblatt Ehmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung, Kommentar, 2. Aufl. 2018 Erbacher, Grundzüge der Verhandlungsführung, 4. Aufl. 2018 Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, hrsg. von Müller-Glöge, Preis, Schmidt, 21. Aufl. 2021 Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, Kommentar, 7. Aufl. 2020 Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), Kommentar Außensteuerrecht, Kommentar, Loseblatt (zit. F/W/B/S) Flore/Tsambikakis (Hrsg.), Steuerstrafrecht, Kommentar, 2. Aufl. 2016 Franzen/GallnerOetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2020 Frotscher/Geurts (Hrsg.), EStG, Kommentar, Loseblatt Göhler, Ordnungswidrigkeitsgesetz, Kommentar, 18. Aufl. 2021 Gola, DS-GVO, Kommentar, 2. Aufl. 2018 Gola/Heckmann, BDSG, Kommentar, 13. Aufl. 2019 Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Loseblatt XXXI

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Gesamtliteraturverzeichnis

Gosch, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 4. Aufl. 2020 Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA-Kommentar, Loseblatt (zit. G/K/G/K) Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Kommentar, 2. Aufl. 2017 Greil (Hrsg.), Steuerliche Verrechnungspreise, 2020 Haase, Außensteuergesetz, Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, 3. Aufl. 2016 Hachmeister/Kahle/Mock/Schüppen, Bilanzrecht Kommentar, 2. Aufl. 2020 (zit. H/K/M/S) Hanken/Kleinhietpaß/Lagarden, Verrechnungspreise, 3. Aufl. 2020 Harle/Nüdling/Olles, Die moderne Betriebsprüfung, 4. Aufl. 2020 Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, Loseblatt (zit. H/M/W) Haufe, Finance Office Premium, Datenbank (zit. mit Index-Nr.) Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, Kommentar, Loseblatt (zit. HHR) Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, Kommentar, Loseblatt (zit. HHSp) Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, Kommentar 2. Aufl. 2020 Jacob, Umsatzsteuer, 4. Aufl. 2009 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 8. Aufl. 2016 Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, Kommentar 8. Aufl. 2015 juris Lexikon Steuerrecht, hrsg. von Becker, Ebber, Datenbank Kapp/Ebeling, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt Kirchhof/Söhn/Mellinghoff (Hrsg.), Einkommensteuergesetz, Kommentar, Loseblatt Klein, AO, Kommentar, 15. Aufl. 2020 Koenig, Abgabenordnung, Kommentar, 3. Aufl. 2014 Kohlmann, Steuerstrafrecht, Kommentar, Loseblatt Korn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, Loseblatt Krenzler/Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, Kommentar, Loseblatt Kroppen/Rasch (Hrsg.), Handbuch Internationale Verrechnungspreise, Loseblatt Küffner/Zugmaier, Umsatzsteuer, Kommentar, Loseblatt Kühling/Buchner, DS-GVO, BDSG, Kommentar, 3. Aufl. 2020 Lippross/Seibel (Hrsg.), Basiskommentar Steuerrecht, Loseblatt Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, Kommentar, 17. Aufl. 2018 Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 5. Aufl. 2018 Münchener Kommentar StPO, hrsg. von Knauer, Kudlich, Schneider, Bd. 1 2014, Bd. 2 2016, Bd. 3/1 2019, Bd. 3/2 2018 Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 7. Aufl. 2021 Offerhaus/Söhn/Lange, Umsatzsteuer, Kommentar, Loseblatt Paal/Pauly, Datenschutz-Grundverordnung, Bundesdatenschutzgesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2018, 3. Aufl. 2021 Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 80. Aufl. 2021 Plath, DSGVO, BDSG, Kommentar, 3. Aufl. 2018 Prinz/Kanzler (Hrsg.), Handbuch Bilanzsteuerrecht, 3. Aufl. 2018 Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt Reiß/Kraeusel/Langer, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt XXXII

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Gesamtliteraturverzeichnis

Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, Kommentar, 2015 Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, Kommentar, 3. Aufl. 2019 Rössler/Troll, BewG, Kommentar, Loseblatt Schaffland/Wiltfang, BDSG, DS-GVO, Kommentar, Loseblatt Schaumburg/Hendricks, Der Steuerrechtsschutz, 4. Aufl. 2018 Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2021 Schmidt, EStG, Kommentar, 40. Aufl. 2021 Schmitt/Hörtnagl, UmwG, UmwStG, Kommentar, 9. Aufl. 2020 Schnitger/Fehrenbacher (Hrsg.), Kommentar Körperschaftsteuer KStG, 2. Aufl. 2018 Schönfeld/Ditz, DBA, Kommentar, 2. Aufl. 2019 Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann (Hrsg.), HdJ – Handbuch des Jahresabschlusses, Loseblatt Schwarz/Pahlke, AO/FGO Kommentar, Loseblatt Schwarz/Widmann/Radeisen (Hrsg.), UStG Kommentar, Loseblatt Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, Kommentar, Loseblatt Stadie, UStG, Kommentar, 3. Aufl. 2015 Streck/Kamps, Die Außenprüfung, 3. Aufl. 2017 Streck/Mack/Schwedhelm (Hrsg.), Tax Compliance, 3. Aufl. 2019 Sydow (Hrsg.), Europäische Datenschutzgrundverordnung, Kommentar, 2. Aufl. 2018 Tipke/Kruse, AO, FGO, Kommentar, Loseblatt Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, Kommentar, Loseblatt Vogel/Lehner, DBA, Kommentar, 6. Aufl. 2015, 7. Aufl. 2021 Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 5. Aufl. 2020 Vogelsang/Stahl, BP-Handbuch, 2008 von Oertzen/Loose (Hrsg.), ErbStG, Kommentar, 2. Aufl. 2020 von dem Bussche/Voigt, Konzerndatenschutz, 2. Aufl. 2019 Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl. 2020 Wassermeyer, DBA, Kommentar, Loseblatt Wassermeyer/Baumhoff (Hrsg.), Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014 Wenzig, Außenprüfung, Betriebsprüfung, 10. Aufl. 2014 Weymüller, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2019 Witte, UZK, Kommentar, 7. Aufl. 2018 Wolffgang/Jatzke, UZK, Kommentar, 2021

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XXXIV

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Kapitel 1 Recht und Verfahren der Betriebsprüfung A. I. II. III.

IV. B. I.

II.

III.

Einführung Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschichte der Betriebsprüfung . . Rechtsgrundlagen der Betriebsprüfung 1. Gesetz (§§ 193–203a AO) . . . . . 2. Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000) . . . . . . . . . . . . . . . . 3. BMF-Schreiben, sonstige Erlasse Ablauf der Betriebsprüfung . . . . . . Grundlagen Prüfungsformen 1. Betriebsprüfung (§ 193 ff. AO) . 2. Besondere Prüfungsformen . . . 3. Nachschau . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgrundlagen 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzliche Grundlagen a) Abgabenordnung aa) Allgemeine Vorschriften zur Betriebsprüfung . . . bb) Allgemeine Regelungen zum Besteuerungsverfahren . . . . . . . . . . . . cc) Korrekturvorschriften . . b) Weitere Steuergesetze . . . . . c) Datenschutz-Grundverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verwaltungsvorschriften a) Anwendungserlass zur Abgabenordnung . . . . . . . . . b) Betriebsprüfungsordnung aa) Allgemeines . . . . . . . . . . bb) Vorschriften zur Organisation . . . . . . . . . . . . . cc) Vorschriften zum Prüfungsverfahren . . . . . . . c) Rationalisierungserlasse der Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . d) BMF-Schreiben . . . . . . . . . . Aufbau und Organisation der Finanzverwaltung 1. Aufbau der Finanzverwaltung a) Ober-, Mittel- und örtliche Behörden . . . . . . . . . . . . . . . b) Finanzamt aa) Zuständigkeit . . . . . . . .

1.1 1.2 1.11 1.13 1.17 1.20

1.24 1.28 1.29 1.30

1.33 1.36 1.38 1.39 1.40 1.41 1.43 1.46 1.47 1.50 1.52

1.53 1.55

bb) Hierarchischer Aufbau . cc) Innendienst und Außendienst . . . . . . . . . . . . . . c) Die verschiedenen Betriebsprüfungsdienste aa) Betriebsprüfung . . . . . . bb) Betriebsnahe Veranlagung (BNV) . . . . . . . . . cc) Steuerfahndung . . . . . . dd) Lohnsteuer-Außenprüfung . . . . . . . . . . . . . ee) Umsatzsteuer-Sonderprüfung . . . . . . . . . . . . . ff) Liquiditätsprüfung . . . . gg) Kommunale Gewerbesteuerprüfung . . . . . . . . 2. Aufbau der Betriebsprüfung a) Betriebsprüfung der Länder aa) Organisation durch Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Groß- und Konzernbetriebsprüfung, Haupt-BP cc) Betriebsprüfung, BPHauptstelle . . . . . . . . . . dd) Amtsbetriebsprüfung, Betriebsnahe Veranlagung . . . . . . . . . . . . . . . ee) Fachprüfer der Landesfinanzverwaltung (1) Spezialisierung in Form von Fachprüfern . . . . . . (2) Fachprüfer für internationales Steuerrecht . . . (3) Fachprüfer für betriebliche Altersversorgung (BAV) . . . . . . . . . . . . . . (4) Fachprüfer für Unternehmensbewertung bzw. betriebswirtschaftliche Bewertung . . . . . . . . . . . (5) IT-Fachprüfer, NPTPrüfer, MAP-Prüfer u.Ä. b) Bundesbetriebsprüfung aa) Aufbau . . . . . . . . . . . . . bb) Sachliche Zuständigkeit cc) Mitwirkungsrechte bei Betriebsprüfung einer Landesfinanzbehörde (1) Allgemeines . . . . . . . . .

1.57 1.58 1.59 1.63 1.64 1.65 1.66 1.67 1.68

1.69 1.70 1.71 1.72

1.73 1.74 1.75

1.76 1.77 1.78 1.79

1.80

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Kap. 1 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung (2) Prüfungsrechte . . . . . . . (3) Initiativrechte . . . . . . . . 3. Organisation der Betriebsprüfung a) Personal, Aus- und Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Betriebskartei . . . . . . . . . . . c) Größenklassen aa) Einordnung nach Umsatz und Gewinn . . bb) Einordnung bestimmter Unternehmensformen . cc) Stichtagsbezogene Einstufung für Prüfungsturnus . . . . . . . . . . . . . . dd) Verfahren zur Einstufung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Konzernverzeichnis . . . . . . . e) Prüfungsgeschäftsplan (Fallauswahl) aa) Auswahl der zu prüfenden Betriebe . . . . . . . . . bb) Konzerne, Großbetriebe und vergleichbare Unternehmen . . . . . . . . cc) Andere (Einzel-)Betriebe dd) Prüfungsaufruf (von anderen BP-Stellen) . . . ee) Meldungen aus dem Innendienst . . . . . . . . . ff) Anzeigen . . . . . . . . . . . . gg) RisikomanagementBetriebsprüfung . . . . . . hh) Richtsatzprüfungen . . . ii) Zufallsauswahl . . . . . . . C. Prüfungsvorbereitung I. Prüfungsvorbereitung durch die Finanzbehörde 1. Zuständigkeit a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständige Finanzbehörde aa) Sachliche Zuständigkeit (1) Landesfinanzbehörden . (2) Gemeinden . . . . . . . . . . (3) Bundesfinanzbehörden (a) Hauptzollämter . . . . . . (b) Bundeszentralamt für Steuern . . . . . . . . . . . . . bb) Örtliche Zuständigkeit . c) Auftragsprüfung aa) Auftragserteilung (1) Beauftragung einer anderen Behörde . . . . . (2) Auftragsprüfung als Ermessensentscheidung . .

1.81 1.84 1.86 1.90 1.93 1.97 1.98 1.99 1.100

1.103 1.104 1.106 1.108 1.109 1.110 1.111 1.115 1.116

1.117 1.121 1.124 1.125 1.127 1.129

1.130 1.132

bb) Wirkung der Auftragserteilung . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsschutz . . . . . . . . . 2. Akten- und Datenabholung . . . 3. Prüfungsentscheidung (qualifizierte Absetzung) . . . . . . . . . . . 4. Kontaktaufnahme zum Steuerpflichtigen und Prüfungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.142 1.145

II. Prüfungsvorbereitung durch den Steuerpflichtigen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 1.146 2. Einzelne Vorbereitungsmaßnahmen a) Organisatorische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.150 b) Rechtliche Überlegungen . . 1.156 D. Prüfungsanordnung I. Allgemeines 1. Prüfungsanordnung und Erweiterungsanordnung . . . . . 2. Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . 3. Prüfungsanordnungen in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gesetzliche Grundlagen und Verwaltungsvorschriften a) Gesetzliche Grundlagen . . . b) Verwaltungsanweisungen aa) AEAO . . . . . . . . . . . . . . bb) Betriebsprüfungsordnung . . . . . . . . . . . . . . . 5. Prüfungsentschluss und nachgeholte Prüfungsanordnung a) Verwaltungsinterner Prüfungsentschluss der Finanzbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erlass einer Prüfungsanordnung nach Prüfungsbeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Durchführung einer zulässigen Betriebsprüfung 1. Generelle Prüfungsbedürftigkeit (§ 193 Absatz 1 AO) . . . . . 2. Besondere Prüfungsbedürftigkeit (§ 193 Absatz 2 AO) . . . . . 3. Anschluss- und Erweiterungsprüfungen a) Anschlussprüfung . . . . . . . . b) Erweiterungsprüfung . . . . . 4. Besondere Betriebsprüfungen und Sonderprüfungen a) Allgemeines . . . . . . . . . . . .

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1.137 1.140 1.141

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1.165 1.167 1.168 1.171 1.177 1.179

1.182 1.184

1.186 1.190 1.194 1.199 1.201

Recht und Verfahren der Betriebsprüfung | Kap. 1 b) Lohnsteuer-Nachschau und Umsatzsteuer-Nachschau . . 1.205 c) Kassen-Nachschau . . . . . . . . 1.206 III. Formelle Aspekte einer Prüfungsanordnung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständige Finanzbehörde aa) Allgemeines . . . . . . . . . . bb) Betriebsprüfung durch spezialisierte Finanzämter . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auftrags-Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehlerfolgen aa) Erlass durch örtlich unzuständige Finanzbehörde . . . . . . . . . . . . . bb) Erlass durch sachlich unzuständige Finanzbehörde . . . . . . . . . . . . . 3. Form a) Grundsätzliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Elektronische Erteilung einer Prüfungsanordnung . . . . . . c) Fehlerfolgen . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsbehelfsbelehrung a) Inhaltliche Anforderungen . b) Fehlerfolgen . . . . . . . . . . . . . 5. Begründung a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Routineprüfungen i.S.d. § 193 Abs. 1 AO . . . . . . . . . c) Anlassprüfungen i.S.d. § 193 Abs. 2 AO . . . . . . . . . d) Anschlussprüfungen . . . . . . e) Erweiterungsprüfungen . . . . f) Betriebsprüfung durch beauftragte Finanzbehörde . . . g) Fehlerfolgen . . . . . . . . . . . . . 6. Bekanntgabe a) Ankündigungsfrist . . . . . . . . b) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Betriebsprüfung bei einer Personengesellschaft . . . . . . d) Fehlerfolgen . . . . . . . . . . . . .

1.207 1.209 1.210 1.213

V.

1.215

1.220 1.223 1.226 1.229 1.232 1.236 1.238 1.239

VI.

1.240 1.243 1.250 1.251 1.257 1.258 1.262 1.267 1.268 1.270

IV. Adressaten einer Prüfungsanordnung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 1.273 2. Inhaltsadressat . . . . . . . . . . . . . . 1.274 3. Bekanntgabeadressat . . . . . . . . . 1.276 4. Empfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.278

VII. VIII. IX. X. XI.

5. ABC der Inhalts- und Bekanntgabeadressaten a) Atypisch stille Gesellschaft . b) Eheleute bzw. Lebenspartner c) Insolvenzfälle . . . . . . . . . . . . d) Kapitalgesellschaften . . . . . . e) Lohnsteuer-Außenprüfung . f) Personenhandelsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Umsatzsteuer-Sonderprüfung h) Umwandlungen . . . . . . . . . . 6. Fehlerfolgen beim Inhaltsadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltliche Aspekte 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachlicher Umfang a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Routineprüfung (§ 193 Abs. 1 AO) . . . . . . . . . . . . . . c) Betriebsprüfung bei einer Personengesellschaft . . . . . . 3. Zeitlicher Umfang a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Ermessenseinschränkung durch BpO 2000 . . . . . . . . . c) Ermessenseinschränkung aufgrund Verjährung und mangels Änderungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fehlerfolgen . . . . . . . . . . . . . 4. Beschränkung auf bestimmte Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . Prüfungsbeginn 1. Mitteilung über den voraussichtlichen Prüfungsbeginn . . . 2. Antrag auf Verschiebung des Prüfungsbeginns . . . . . . . . . . . . Namen der Prüfer . . . . . . . . . . . . . . Ort der Betriebsprüfung . . . . . . . . Teilnahme von Gemeindebediensteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitwirkung des BZSt an Betriebsprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Relevanz der Prüfungsanordnung für verfahrensrechtliche Vorschriften 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prüfungsanordnung und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prüfungsanordnung und Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO)

1.280 1.284 1.286 1.287 1.288 1.289 1.292 1.293 1.296 1.298 1.301 1.302 1.304 1.307 1.308

1.314 1.316 1.318

1.321 1.323 1.329 1.332 1.336 1.340

1.342 1.343 1.347

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Kap. 1 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung 4. Prüfungsanordnung und Ablaufhemmung (§ 171 Abs. 4 AO) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 1.351 b) Ablaufhemmung wegen Beginns einer Betriebsprüfung 1.354 c) Ablaufhemmung wegen eines Antrags des Steuerpflichtigen auf Verschiebung des Prüfungsbeginns . 1.358 5. Prüfungsanordnung und Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel (§ 173 Abs. 2 AO) . . . . . . . . . . . 1.361 6. Prüfungsanordnung und Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung (§ 371 Abs. 2 AO) . . . . . . . . . . . 1.367 XII. Rechtsschutz 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 1.372 2. Ziel: Vorläufiger Rechtsschutz . 1.376 3. Ziel: Verwertungsverbot a) Rechtsbehelfe aa) Allgemeines . . . . . . . . . 1.381 bb) Vor Beendigung der Betriebsprüfung . . . . . . 1.384 cc) Nach Beendigung der Betriebsprüfung . . . . . . 1.385 b) Anforderungen und Rechtsfolgen von Verwertungsverboten aa) Allgemeines . . . . . . . . . 1.387 bb) Verfahrensrechtliches Verwertungsverbot . . . . 1.388 cc) Materiell-rechtliches Verwertungsverbot . . . . 1.393 E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Eröffnungsgespräch 1. Vorstellung der Beteiligten und Organisation des Prüfungsablaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorstellung des Betriebs und der wesentlichen Transaktionen im Prüfungszeitraum . . . . . . . . III. Ermittlung des Sachverhalts 1. Prüfungsgrundsätze a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Begrenzung auf die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen aa) Inhalt (1) Steuerliche Erheblichkeit der Verhältnisse . . .

1.395

1.400 1.402 1.404

1.408

(2) Tatsächliche und rechtliche Verhältnisse (a) Tatsachen (aa) Unmittelbare und mittelbare Tatsachen . . (bb) Offenkundige Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . (cc) Erfahrungssätze . . . . . . (b) Rechtliche Verhältnisse (aa) Rechtsbeziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und einem Dritten oder einer Sache (bb) Rechtsfragen zur Auslegung und Anwendung materiell-steuerrechtlicher Normen . . . (3) Begrenzung der Ermittlung auf das Wesentliche . . . . . . . . . . . . . . . (4) Begrenzung der Dauer der Prüfung auf das notwendige Maß . . . . . bb) Rechtsschutz . . . . . . . . . c) Neutralitätsgebot aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsschutz . . . . . . . . . 2. Einzelne Ermittlungsmaßnahmen a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Einholung von Auskünften aa) Inhalt (1) Auskunftsgegenstand und -form . . . . . . . . . . . (2) Auskunftsverpflichteter (a) Steuerpflichtiger . . . . . . (b) Betriebsangehörige . . . (c) Dritte (aa) Voraussetzungen für Auskunftsverlangen . . . (bb) Auskunftsverweigerungsrechte Dritter . . . . . . . . (cc) Auskunftspflicht öffentlicher Stellen . . . . . . . . . bb) Durchsetzung durch den Prüfer (1) Auskunftseinholung durch Einsatz von Zwangsmittel . . . . . . . . (2) Schätzung der Besteuerungsgrundlagen bei Erfolglosigkeit des Zwangsmittels . . . . . . . cc) Rechtsschutz . . . . . . . . .

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1.410 1.413 1.420

1.421

1.425 1.428 1.432 1.436 1.437 1.440

1.441

1.445 1.449 1.451 1.454 1.458 1.459

1.460

1.462 1.463

Recht und Verfahren der Betriebsprüfung | Kap. 1 c) Einsicht in Urkunden aa) Inhalt (1) Einsichts- und Prüfungsrecht (a) Ergebnisse aus gesetzlicher Aufzeichnungspflicht . . . . . . . . . . . . . . (b) Ergebnisse aus freiwilliger Aufzeichnungspflicht . . . . . . . . . . . . . . (c) Vorlageverweigerungsrechte Dritte . . . . . . . . . (2) Erläuterungspflicht des Steuerpflichtigen . . . . . . bb) Durchsetzung durch den Prüfer . . . . . . . . . . . cc) Rechtsschutz . . . . . . . . . d) Hinzuziehung von Sachverständigen aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . bb) Durchsetzung durch den Prüfer . . . . . . . . . . . cc) Rechtsschutz . . . . . . . . . e) Einnahme von Augenschein aa) Inhalt (1) Wahrnehmung von Personen, Sachen und Vorgängen . . . . . . . . . . . (2) Testkauf und verdeckte Beobachtung . . . . . . . . . bb) Durchsetzung durch den Prüfer . . . . . . . . . . . cc) Rechtsschutz . . . . . . . . . f) Grundstücksbetretung und Betriebsbesichtigung aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . bb) Durchsetzung durch den Prüfer . . . . . . . . . . . cc) Rechtsschutz . . . . . . . . . g) Ansicht von Wertsachen aa) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . bb) Durchsetzung durch den Prüfer . . . . . . . . . . . cc) Rechtsschutz . . . . . . . . . h) Zugriff auf steuerliche Daten i) Datenauswertung und Datenverprobung . . . . . . . . . . . . .

1.467 1.472 1.473 1.475 1.476 1.478 1.479 1.484 1.485

1.487 1.491 1.495 1.497 1.499 1.503 1.505 1.507 1.510 1.512 1.513 1.514

IV. Steuerliche Verwertungsverbote 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 1.515 2. Voraussetzungen eines steuerlichen Verwertungsverbots a) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . 1.516 b) Materielles Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . 1.517

c) Formelles Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Adressaten der Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Voraussetzungen für Entstehung einer Pflicht zu einer bestimmten Mitwirkungshandlung . . . . 4. Inhalt und Reichweite der Mitwirkungspflichten . . . . . . . . . . . 5. Steuergeheimnis nach § 30 AO 6. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . VI. Anfangsverdacht einer Steuerstraftat 1. Mitteilungspflicht bei Anhaltspunkten für eine Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit . . . . . 2. Unterbrechung der Prüfung (§ 194 AO, § 10 Satz 3 BpO) . . 3. Strafrechtliche Folgen einer pflichtwidrig unterlassenden Mitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafrechtlicher Hinweis in der Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . VII. Kontrollmitteilungen 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen für eine Kontrollmitteilung a) Erste Alternative: Feststellung ist für die Besteuerung einer anderen Person von Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite Alternative: Feststellung betrifft eine unerlaubte Hilfeleistung in Steuersachen 3. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen 1. Wesen der Schätzung . . . . . . . . 2. Gegenstand der Schätzung a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Einzelne Besteuerungsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . 3. Arten der Schätzung . . . . . . . . . 4. Anwendungsbereiche . . . . . . . . 5. Schätzung und Verprobung . . .

1.518 1.523

1.525 1.529 1.532 1.533 1.534 1.539

1.540 1.542 1.543 1.545 1.547

1.548 1.551 1.552

1.554 1.555 1.563 1.567 1.572 1.576 1.578

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Kap. 1 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung 6. Besonderheiten bei Auslandssachverhalten . . . . . . . . . . . . . . 1.581 III. Grundsätze ordnungsgemäßer Schätzung 1. Prüfungsschritte . . . . . . . . . . . . 1.584 2. Schätzung dem Grunde nach a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . 1.586 b) Materielle Mängel . . . . . . . . 1.589 c) Formelle Mängel . . . . . . . . . 1.590 d) Formell ordnungsgemäße Buchführung und Aufzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.594 e) Darlegung des Mangels . . . 1.595 f) Gewichtung des Mangels . . 1.596 3. Schätzung der Höhe nach a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . 1.598 b) Schätzungsmethoden aa) Vorjahresvergleich . . . . 1.600 bb) Äußerer Betriebsvergleich 1.601 cc) Innerer Betriebsvergleich 1.603 dd) Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnung . . . . . . . . . . . . . . . 1.609 ee) Mathematisch-statistische Schätzungsmethoden . . 1.611 ff) Sicherheitszuschläge . . . 1.612 4. Plausibilität des Schätzungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . 1.613 5. Transparenzanforderungen . . . 1.616 6. Nichtige Schätzung . . . . . . . . . . 1.618 IV. Verfahrensfragen 1. Anwendung von Korrekturvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 1.619 2. Tatsächliche Verständigung . . . 1.622 3. Grundlagen- und Folgebescheide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.623 4. Schätzung und Steuerhinterziehung a) Bedeutung von Mitwirkungspflichtverletzungen . . . . . . . 1.626 b) Verlängerte Festsetzungsfrist 1.627 c) Verzinsung . . . . . . . . . . . . . 1.628 d) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.629 e) Durchbrechung der erhöhten Bestandskraft . . . . . . . . 1.630 f) Prüfungsmaßstab . . . . . . . . 1.631 V. Rechtsschutzüberlegungen 1. Gerichtlicher Prüfungsmaßstab 1.634 2. Klagebegründung in Schätzungsfällen a) Umfang der Einwendungen 1.635 b) Substantiierung der Einwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.636

c) Fehlender Zugang zu verfahrenswesentlichen Unterlagen 1.637 3. Revisibilität von Hinzuschätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.638 VI. Zur Abgrenzung: Schätzung im Steuerstrafverfahren 1. Rechtsgrundlagen und Ziel der Schätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.643 2. Aussetzung des Strafverfahrens 1.646 VII. Zusammenfassende Beispiele 1. Beispiel zur Schätzungsbefugnis dem Grunde nach a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . 1.649 b) Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.650 2. Beispiel zur zutreffenden Anwendung einer Schätzungsmethode a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . 1.653 b) Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.654 3. Beispiel zur Plausibilität des Schätzungsergebnisses a) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . 1.656 b) Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.657 G. Informationsrechte des Steuerpflichtigen I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anhörungs- und Auskunftsrechte nach §§ 193 ff. AO 1. Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bekanntgabe der Prüfungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unterrichtungspflicht des Prüfers a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Betriebsprüfer als Verpflichteter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Voraussetzungen der Unterrichtungspflicht und Pflichterfüllung . . . . . . . . . . . . . . . d) Umfang der Unterrichtungspflicht aa) Festgestellte Sachverhalte bb) Mögliche steuerliche Auswirkungen . . . . . . . cc) Anwendungsbeispiele . e) Abgrenzung von Zwischenund Schlussbesprechung aa) Zwischenbesprechung i.S.v. § 199 Abs. 2 AO . . bb) Abgrenzung von der Schlussbesprechung nach materiellen Gesichtspunkten . . . . . . . . . . . . f) Durchsetzung . . . . . . . . . . .

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1.658 1.660 1.661 1.662 1.664 1.666 1.670 1.673 1.676

1.678

1.681 1.683

Recht und Verfahren der Betriebsprüfung | Kap. 1 4. Anspruch auf Schlussbesprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Hinweispflicht hinsichtlich straf- oder bußgeldrechtlicher Würdigung der Feststellungen der Betriebsprüfung a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Einordnung . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen bei unterlassenem Hinweis . . . . . . . . . . . . 6. Anspruch auf Übersendung des Prüfungsberichts vor dessen Auswertung und Gelegenheit zur Stellungnahme. . . . . . . . . . . III. Informationsrechte nach IFG und DSGVO 1. Informationsfreiheitsrechte nach dem IFG . . . . . . . . . . . . . . 2. Auskunftsrechte nach der Datenschutzgrundverordnung a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Form und Umfang des Informationsrechts gem. Art. 15 DSGVO . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausschluss der Informationsrechte gem. § 32c AO . . . . . f) Durchsetzung . . . . . . . . . . . IV. Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . . . . H. Beendigung der Prüfung I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ablaufhemmung, § 171 Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erhöhte Bestandskraft, § 173 Abs. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. § 164 Abs. 3 S. 3 AO – Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung a) Bedeutung der Vorbehaltsfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich der Vorbehaltsfestsetzung . . . . . c) Aufhebung des Vorbehalts nach einer Betriebsprüfung aa) Einordnung . . . . . . . . . . bb) Abschließende Prüfung des Besteuerungssachverhalts . . . . . . . . . . . . .

1.684

1.688 1.689 1.693

1.694

1.698 1.702 1.704 1.705 1.707 1.711 1.714 1.715 1.717 1.718 1.719 1.723

1.730 1.731 1.732 1.733

cc) Reichweite . . . . . . . . . . . dd) Umsetzung und Wirkung ee) Rechtsschutz . . . . . . . . . 5. Anfechtbarkeit der Prüfungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schlussbesprechung 1. Rechtliche Grundlagen und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstand, Teilnehmer, Ort und Ablauf der Schlussbesprechung a) Gegenstand . . . . . . . . . . . . . b) Form der Schlussbesprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Teilnehmer . . . . . . . . . . . . . . d) Ort der Schlussbesprechung e) Ablauf aa) Einordnung . . . . . . . . . . bb) Vorbereitung . . . . . . . . . cc) Durchführung . . . . . . . . dd) Weiteres Verfahren . . . . 3. Tatsächliche Verständigung . . . 4. Entbehrlichkeit der Schlussbesprechung a) Einordnung . . . . . . . . . . . . . b) Keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen . . . . . . . . . c) Verzicht des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Strafrechtlicher Vorbehalt . . . . . 6. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . IV. Betriebsprüfungsbericht 1. Gesetzliche Grundlage . . . . . . . 2. Bedeutung und Funktion . . . . . 3. Inhaltliche Anforderungen a) Einordnung . . . . . . . . . . . . . b) Mindestanforderungen an den Prüfungsbericht aa) Formelle Anforderungen bb) Materielle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fakultative Inhalte . . . . . . . . d) Unzulässige Inhalte . . . . . . . e) Weitere Unterlagen . . . . . . . 4. Gelegenheit zur Stellungnahme 5. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . .

1.735 1.736 1.738 1.739

1.741

1.742 1.743 1.744 1.746 1.747 1.748 1.752 1.759 1.760 1.761 1.762 1.763 1.766 1.767 1.768 1.769 1.776 1.777 1.783 1.786 1.788 1.790 1.791 1.799

V. Mitteilung ergebnisloser Prüfung 1. Gesetzliche Grundlage und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.802 2. Wirkungen der Mitteilung . . . . 1.804 VI. Umsetzung der Prüfungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.805

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Kap. 1 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung J. Rechtsschutz I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerliche Rechtsbehelfe 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 2. Förmliche Rechtsbehelfe a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Wirkungen von Einspruch und Klage . . . . . . . . . . . . . . c) Sonderproblem: Die Eröffnung des Finanzrechtswegs d) Rechtsschutz gegen einzelne Betriebsprüfungsmaßnahmen aa) Abgrenzung . . . . . . . . . bb) Betriebsprüfungsmaßnahmen mit Verwaltungsaktqualität . . . . . . cc) Betriebsprüfungsmaßnahmen ohne Verwaltungsaktqualität . . . . . . dd) Mitwirkungsverlangen . e) Erledigung der Betriebsprüfungsmaßnahme . . . . . . 3. Formlose Rechtsbehelfe a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . b) Gegenvorstellung . . . . . . . . c) Dienstaufsichtsbeschwerde . d) Sach- und Fachaufsichtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . e) Befangenheitsantrag . . . . . . III. Vorläufiger Rechtsschutz 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aussetzung der Vollziehung a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen aa) Einordnung . . . . . . . . . bb) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit . . . cc) Unbillige Härte . . . . . . . c) Wirkungen . . . . . . . . . . . . . d) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . 3. Einstweilige Anordnung . . . . . . K. Mitteilungspflichten der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden I. Einordnung und Abgrenzung . . . . II. Durchbrechung des Steuergeheimnisses im Rahmen von Mitteilungspflichten 1. Die Bedeutung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) . . . . . . 2. Erlaubtes Offenbaren und Umfang der Offenbarung . . . . . 3. Offenbarungspflichten . . . . . . .

1.807

III.

1.808 1.809 1.811 1.813 1.815 1.816 1.817 1.818 1.820 1.821 1.822 1.825 1.828 1.829 1.831 1.832 1.834 1.835 1.837 1.838 1.839 1.841

1.845

1.853 1.854 1.857

IV.

L. I. II.

4. Unbefugtes Offenbaren und Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . 1.858 Ressortübergreifende Mitteilungspflichten im Rahmen von Amtsund Rechtshilfe 1. Mitteilungen zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Leistungsmissbrauchs von Amts wegen (§ 31a AO) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . 1.865 b) Bestehen einer Mitteilungspflicht im Bereich des SchwarzArbG und Zusammenarbeit mit der Zollverwaltung – Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) . . . . . . 1.870 c) Mitteilungspflichten bei Arbeitnehmerüberlassungen und gegenüber Sozialleistungsund Subventionsgebern . . . 1.873 2. Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (§ 31b AO) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . 1.878 b) Offenbarungspflichten (§ 31b Abs. 2 und 3 AO) . . 1.881 c) Verbot der Information an die Betroffenen (§ 31b Abs. 4 AO, § 47 Abs. 3 GwG) . . . . 1.888 3. Mitteilungspflicht bei Schmierund Bestechungsgeldern (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG) a) Betriebsausgabenabzugsverbot für Vorteilszuwendungen und Mitteilungspflicht . 1.891 b) Auslösung der Mitteilungspflicht durch einen strafrechtlichen (Anfangs-)Verdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.894 Ressorteigene Mitteilungspflichten bei Verdacht einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit (§ 10 BpO 2000) . . . . . . . . . . . . . . . 1.903 Verhandlungsmanagement Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . 1.904 Die Phasen des Verhandlungsprozesses aus verhandlungstaktischer Perspektive 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.909 2. Vorbereitungsphase . . . . . . . . . 1.910 3. Kontaktphase . . . . . . . . . . . . . . 1.915 4. Kernphase der Verhandlung . . 1.916 5. Vereinbarungsphase . . . . . . . . . 1.918 6. Umsetzungsphase . . . . . . . . . . . 1.919

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Recht und Verfahren der Betriebsprüfung | Kap. 1 III. Verhandlungsstile in der steuerlichen Betriebsprüfung 1. Betrachten der Verhandlungsstile der Beteiligten a) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . 1.921 b) Der harte Stil . . . . . . . . . . . . 1.922 c) Der weiche Stil . . . . . . . . . . . 1.925 d) Interessenbasierter Stil . . . . 1.927 2. Anwendbarkeit der Verhandlungsstile in der Betriebsprüfungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . 1.938 3. Wichtige Rhetorikelemente der Verhandlung/Praxiserfahrungen 1.943

IV. Schwierige Verhandlungssituationen 1. Taktiken schwieriger Verhandler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abfangen einer „geladenen“ Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Analyse nach Abschluss der Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Abschließende Gedanken zu einer effektiven und lösungsorientierten Verhandlungsführung . . . . . . . . . .

1.945 1.947 1.953 1.954

Literatur: Achilles, Kassen-Nachschau nach § 146b AO, DB 2018, 18–26; Anger, Joint Audit (gemeinsame grenzüberschreitende Betriebsprüfung), IWB 2017, 204–205; Apitz, Schätzungsbescheid bei „willkürlicher“ Schätzung, StBp 2002, 107–113; Assmann, Prüfungsablauf und Prüfungsfelder der steuerlichen Außenprüfung, StBp 1993, 25; Baldauf, Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens – Kritische Betrachtung des Regierungsentwurfs, DStR 2016, 833; Bareither/Großmann/Uterhark, Akteneinsicht in Besteuerungs- und Klageverfahren – Rechtslage nach der Datenschutz-Grundverordnung, BB 2019, 1111–1116; Barthel, Betriebsprüfung: Die griffweise Schätzung, Stbg 2017, 315; Barthel, Betriebsprüfung: Maßstäbe zur Überprüfung von Schätzungen, Stbg 2016, 388–393; Bauer, Der Anspruch auf Herausgabe von Fotokopien während der Betriebsprüfung, DStR 1988, 140; Beimler, Testeinkäufe bei Betriebsprüfungen, StBp 2006, 210–212; Beyer, Abwehr von Schätzungen in der Betriebsprüfung und im Steuerstrafverfahren, NWB 2018, 356–365; Beyer, Betriebsprüfung: Grenzen für Sicherheitszuschläge, DB 2018, 985–987; Beyer, Das Taxameter im Visier: Praxishinweise für eine geräuschlose Betriebsprüfung im Taxiunternehmen, BBP 2016, 138; Beyer, Kritische Anmerkungen zur Summarischen Risikoprüfung der Finanzämter, NWB 2019, 2931–2940; Beyer, Kritische Fragen zur Richtsatzsammlung als Schätzungsbasis, NWB 2018, 3232–3237; Binnewies/Bertrand, Zur Verwertbarkeit der Ergebnisse eines Testkaufs der Finanzbehörde, AO-StB 2016, 165–167; Bleschick, Die Kassen-Nachschau – Grenzen und Rechtsschutzmöglichkeiten, DB 2018, 2390–2400; Bleschick, Überprüfung elektronischer Daten im Besteuerungsverfahren durch den Außenprüfer, DStR 2018, 1050– 1058; Bruschke, Liquiditätsprüfungen im Erhebungsverfahren – Ein „neues“ Instrument der Finanzverwaltung?, NZI 2003, 636; Danielmeyer/Neubert/Unger, Anforderungen an die elektronische Verfahrensdokumentation betrieblicher Prozesse, AO-StB 2019, 125–127; Doege, Die (un-)mögliche Befreiung von der Belegausgabepflicht – Anmerkungen zu § 146a Abs. 2 S. 2 AO, DStR 2020, 692–696; Drüen, Rechtsschutz gegen Betriebsprüfungsmaßnahmen, AO-StB 2009, 88–91; Eichhorn, Wegweiser des BFH zur Diskussion über die „offene Ladenkasse“ und zur Hinzuschätzungspraxis der Betriebsprüfung, DStR 2017, 2470–2474; Franke, Verwaltungsaktqualität eines Auskunfts- bzw. Vorlageverlangens einer Betriebsprüfung, AO-StB 2017, 230–232; Fuisting, Die Preußischen direkten Steuern, Berlin, 1902; Giezek/Wähnert, Wahrscheinlichkeitstheorie in der Betriebsprüfung, DB 2018, 470–476; Günther, Teilnahme eines städtischen Bediensteten an Betriebsprüfung, AO-StB 2018, 170–171; Haas, Betriebswirtschaftliche Lohnkalkulation im Rahmen einer Betriebsprüfung, DStR 2015, 600–604; Haase, Online-Werbung im Fokus der Betriebsprüfung, DStR 2019, 761–766; Habighorst, Die Beteiligung von Gemeindebediensteten an der Außenprüfung, FR 2019, 839–847; Haverkamp/Meinert, Anspruch auf Akteneinsicht aus DSGVO während einer laufenden Betriebsprüfung, AO-StB 2019, 276; Hildebrand/Leyva, Praxisforum Steuerrechtsschutz: Das Recht auf Akteneinsicht im Verfahren vor der Finanzbehörde – die DSGVO als neues Allheilmittel?, Ubg 2020, 109–114; Hruschka, Onlinewerbung im Fokus der Betriebsprüfung, DStR 2019, 88–92; Hülster, Grenzen der Korrektur von Verrechnungspreisen in der Betriebsprüfung, IStR 2016, 874–881; Kaligin, Auswahl von Betriebsprüfungsfällen, Stbg 2012, 173; Kowanda, Betriebsprüfung bei Bewertungsfällen und Erbschaft- und Schenkungsteuer – eine Bestandsaufnahme, FR 2018, 1047–1055; Krug, Tax-Compliance, Betriebsprüfung, Selbstanzeige und steuerliche Berichtigung – die Weichen richtig stellen, PStR 2019, 220–225; Krüger, Kon-

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Kap. 1 Rz. 1.1 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung sequenzen und Grenzen des Hornbach-Urteils in der praktischen Betriebsprüfung, DStR 2019, 649– 654; Krumm, Grundfragen des steuerlichen Datenverarbeitungsrechts, DB 2017, 2182–2195; Kulosa, Mathematisch-statistische Schätzungsmethoden in der Betriebsprüfung, DB 2015, 1797–1803; Lachnit/Spensberger, Die neuen Verwaltungsgrundsätze 2020 – BMF-Schreiben zu Mitwirkungspflichten und zur Schätzungsbefugnis bei Auslandsbezug, DStR 2021, S. 1073–1079; Lindgens, So entscheiden die Behörden, wie geprüft wird, creditreform magazin 2018, https://creditreform-magazin.de/finan zen/betriebspruefung-verstecken-gilt-nicht/; Müller, Zwischenstaatlicher Informationsaustausch von Finanzbehörden im Rahmen einer geplanten gleichzeitigen Betriebsprüfung, DB 2017, 1744–1745; Myßen/Kraus, Der Datenschutz in der Finanzverwaltung, FR 2019, 58–67; Neufang/Bohnenberger, Schätzungsbefugnis im Rahmen einer Betriebsprüfung – Hinweise für eine erfolgreiche Abwehrberatung, StB 2017, 15–21; Nöcker, Update Betriebsprüfung – Neues vom BFH und die Auswirkungen für die Praxis NWB 2016, 3157–3168; Panek, Fallauswahl und Festlegung von Prüfungsschwerpunkten für die Betriebsprüfung, DB 2018, Beilage Nr. 2, 31; Pausch, Ein Fundament für die Zukunft des Betriebsprüfungsdienstes, StBp 1979, 97; Peters, Aktuelles aus der digitalen Außenprüfung, DStR 2017, 1953–1958; Peters, Der strafrechtliche Anfangsverdacht im Steuerrecht, DStR 2015, 2583–2589; Peters, Erfolgreich im finanzgerichtlichen Verfahren – Verteidigungsmöglichkeiten vor dem FG bei überhöhten Schätzungen der Betriebsprüfung auf Grund eines äußeren Betriebsvergleichs, Stbg 2020, 307– 310; Peters, Voraussetzungen und Grenzen von Schätzungsbefugnissen im steuerlichen bzw. finanzgerichtlichen Verfahren, wistra 2019, 217–222; Pfaff, Steuerzuwiderhandlungen und Wirtschaftskriminalität, Berlin, 1979; Poschenrieder, Ein Recht auf Auskunft begründet kein Recht auf Akteneinsicht – Grenzen von Art. 15 DSGVO im Besteuerungsverfahren, DStR 2020, 21–24; Reichling, wistra 2019, Voraussetzungen und Grenzen von Schätzungsbefugnissen im Steuerstrafverfahren, S. 222–227; Sauer, Entwicklung der Außenprüfung zur rechtsstaatlich verfassten Institution, StBp 1991, 241; Schemmel/ Fürsattel, Strafrechtliche Anknüpfungspunkte bei Betriebsprüfungen, DB 2018, Beilage 2 zu Heft 41, 51–54; Schmid/Ntamadaki, Die abweichende Rechtsauffassung in der Steuererklärung und ihre steuerstrafrechtliche Relevanz in der Betriebsprüfung, DStR 2019, 1713–1722; Tipke, Steuerliche Betriebsprüfung im Rechtsstaat, 1968; Tormöhlen, Betriebsprüfung und Rechtsschutz, AO-StB 2013, 192–196; Tormöhlen, Prüfungshandlungen in Form der Entgegennahme von Buchführungsunterlagen als Beginn der Betriebsprüfung, AO-StB 2017, 332–333; Valder, Betriebsprüfung: Dürfen nach Abschluss einer tatsächlichen Verständigung weitere Hinzuschätzungen erfolgen?, PStR 2019, 209–210; Valder, Betriebsprüfung: Einnahme-Überschuss-Rechnung: Keine Pflicht zur Vergabe lückenlos fortlaufender Rechnungsnummern, PStR 2018, 112–114; Valder, Betriebsprüfung: Kann ein PC-gestütztes Kassensystem als nicht manipulierbar angesehen werden?, PStR 2017, 200–203; von Freeden, Der Gewinn nach § 4 Abs. 4a Satz 2 EStG bei einer Organträger-Personengesellschaft, FR 2020, 615–622; Wacker, Die Kasse in der Betriebsprüfung und der BFH – eine unendliche Geschichte mit gutem Ende?, StBp 2019, 341–345; Wenzig, Die Auskunftsperson im Außenprüfungsverfahren, StuW 1983, 242– 255; Wenzler, Betriebsprüfung in der Gastronomie – irgendwas ist immer, AO-StB 2017, 127–128; Wulf/Bertrand, Neue Rechtsprechung des BGH zu Gastronomie- und „Schwarzlohn“-Fällen, Stbg 2020, 67.

A. Einführung I. Begriff 1.1

Ist von der steuerlichen Betriebsprüfung die Rede, geht es um die Tätigkeit des größten Außendienstes der Finanzverwaltung. In Deutschland gibt es diese Einheit seit nunmehr gut 100 Jahren. Im Laufe dieser Zeit hat sie sich zu einer anerkannten Begleiterin der Wirtschaft entwickelt, die aus dem heutigen Besteuerungsverfahren nicht mehr wegzudenken ist. Zwar ist der Gegenstand – Prüfung des Betriebs – in dieser Zeit unverändert geblieben, jedoch haben sich die Führung von Betrieben und die der dazugehörenden Unterlagen stark gewandelt. Binnenmarkt, Globalisierung und Digitalisierung haben Spuren hinterlassen. Die zunehmende Mannigfaltigkeit der betrieblichen Aktivitäten fordern immer tiefer gehende Detailkennt10 | Hruschka/Peters/von Freeden/Gütschow/Puls und Hruschka

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A. Einführung | Rz. 1.5 Kap. 1

nisse, um die steuerliche Relevanz des Wirtschaftens beurteilen zu können. Entsprechend wächst die Spezialisierung in der Betriebsprüfung. So kann es heutzutage sein, dass neben dem eigentlichen Prüfer Kollegen mit Spezialkenntnissen aus dem IT-Bereich, des internationalen Steuerrechts oder anderen Kenntnissen zur Prüfung erscheinen.

II. Geschichte der Betriebsprüfung Vor gut 100 Jahren wurden 1919 mit der von Enno Becker konzipierten Reichsabgabenordnung (RAO) die Grundlagen für die Betriebsprüfung durch die Finanzverwaltung gelegt. So bestimmte § 162 Abs. 9 RAO 1919, dass das Finanzamt Bücher und Aufzeichnungen fortlaufend auf Vollständigkeit und formelle und sachliche Richtigkeit prüfen kann. Für die Steuerfestsetzung bedeutsame Unterlagen mussten nach § 173 Abs. 2 AO 1919 auf Verlangen zur Einsicht und Prüfung vorgelegt werden. Nach § 198 AO 1919 durften die Finanzämter und von ihnen beauftragte Personen zum Zweck dieser Prüfung Geschäftsräume des Steuerpflichtigen in den üblichen Geschäftsstunden betreten. Die Steuerpflichtigen und ihre Angestellten hatten für die Prüfung erforderliche Schriftstücke zur Einsicht vorzulegen und Auskünfte zu erteilen. Die Organisation des Prüfungsdienstes selbst bzw. der Umfang der Eingriffsrechte – wie etwa Ablauf, Gegenstand und Umfang der Prüfung, war nicht geregelt.1 Siehe zur Geschichte der Betriebsprüfung auch bei Schallmoser.2

1.2

Mit den Erlassen v. 16.6.1920, v. 29.7.1921 und v. 1.10.1921 wurde die Organisation eines „Buch- und Betriebsprüfungsdienstes“ näher geregelt.3 Ab 1933 wurde hierfür einheitlich der Begriff „Betriebsprüfung“ verwendet.4

1.3

Im Zuge der Steuerreform des Jahres 19255 wurde die regelmäßige6 Anschlussprüfung für Großbetriebe eingeführt (§ 162 Abs. 10 RAO). Auf dieser Grundlage erging auch die Verordnung zur Durchführung von Betriebsprüfungen.7 Als Großbetriebe wurden seinerzeit Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitern inkl. des Inhabers angesehen. Ferner fielen unter die Regelung auch andere Betriebe, die nach Umfang und wirtschaftlicher Bedeutung als wichtig anzusehen waren.8

1.4

Mit Notverordnung v. 1.12.19309 wurden die Regelungen zur Nachschau in den §§ 193 ff. RAO neu geregelt. Ihr unterlagen grundsätzlich nur Inhaber von Betrieben und Unternehmen (§ 190 RAO) und Personen, deren Reineinkünfte eine bestimmte Schwelle überschritten (§ 160 Abs. 2 RAO). Die Betriebsprüfung bei Mittelbetrieben wurde ausgeweitet und eine Betriebsprüfung für Kleinbetriebe eingeführt.10 193511 bzw. 193612 wurde die Pflicht zur Führung von Wareneingangs- bzw. -ausgangsbüchern eingeführt.

1.5

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Vgl. Sauer, StBp 1991, 217 (218). Schallmoser in HHSp, Vor § 193–203 Rz. 1 ff. Vgl. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 4. Vgl. Pausch, StBp 1979, 97 (100). Gesetz zur Änderung der Verkehrssteuern und des Verfahrens v. 15.8.1925 (RGBl. 1925, 241). Alle drei Jahre. RStBl. 1925, 209 ff. Vgl. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 4. RGBl. I 1930, 517. Vgl. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 12. RGBl. I 1935, 752 ff. RGBl. I 1936, 507 ff.

Hruschka | 11

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Kap. 1 Rz. 1.6 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.6

Zunächst blieb die RAO nach dem 2. Weltkrieg in Kraft. Gemäß Art. 108 Abs. 2 GG fiel die Zuständigkeit den Ländern zu. 1959 wurde der Dreijahresrythmus für Großbetriebsprüfungen mangels ausreichenden qualifizierten Personals aufgehoben.1

1.7

Mit § 19 FVG v. 15.5.19522 wurde dem Bund das Recht eingeräumt, mit an Betriebsprüfungen der Landesbehörden teilzunehmen. 1971 wurde das Bundesamt für Finanzen (BfF)3 gegründet und die Mitwirkung des Bundes in § 19 FVG4 neu geregelt.5 Mit Wirkung zum 1.1.2006 wurde es in drei Ämter aufgeteilt, nämlich das Zentrum für Informationsverarbeitung und Informationstechnik (ZIVIT), Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) und das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt)6, in welchem bis heute die Bundesbetriebsprüfung angesiedelt ist.7

1.8

Mit der Einführung der Abgabenordnung 19778 wurde die Betriebsprüfung ausführlich in einem eigenen Abschnitt (§§ 193–203 AO) geregelt. Gemäß § 193 Abs. 2 Satz 2 AO war nun eine Prüfung auch bei Steuerpflichtigen möglich, die keinen Betrieb unterhielten. Deswegen wurde die Bezeichnung „Betriebsprüfung“ für alle routinemäßig beim Stpfl. durchzuführenden Prüfungen der Besteuerungsgrundlagen (im Gegensatz zum Ermittlungsverfahren an Amtsstelle bzw. zur Verdachtsprüfung der Steuerfahndung) durch die Bezeichnung „Außenprüfung“ ersetzt. Damit wird die Außenprüfung anschaulich von der Prüfung an Amtsstelle abgegrenzt.9

1.9

Die wesentlichen Inhalte der Betriebsprüfungsordnung (BpO (St)) 196510 wurden 1977 in den §§ 193 ff. AO aufgenommen.11 Die ihr nachfolgende BpO (St) 197812 diente der Selbstbindung der Verwaltung und enthielt organisatorische Vorschriften, Ermessenrichtlinien, Anweisungen zur technischen Durchführung der Prüfung sowie eine Einteilung der Betriebe in Größenklassen (Groß-, Mittel-, Klein- und Kleinstbetriebe) in Abhängigkeit von Umsatz oder Gewinn.13 Ferner umfasste sie Regelungen zur Prüfung von Konzernen bzw. verbundenen Unternehmen sowie zur Mitwirkung des Bundes durch das BfF. In den Folgejahren wurden im Interesse der Wettbewerbsgleichheit „Grundsätze zur Rationalisierung der Betriebsprüfung“14 (sog. Rationalisierungserlass) aufgestellt, nach denen sich die Betriebsprüfung auf das Wesentliche, nämlich die größtmögliche fiskalische Effizienz, konzentrieren sollte. In der BpO (St) 1987 wurde dieser Grundsatz in § 6 BpO15 aufgenommen.

1.10

Mit der aktuellen Fassung der BpO (St) 2000 wurde die Terminologie der Abgabenordnung in der BpO (St) übernommen und hat der Begriff „Betriebsprüfung“ durchgehend durch den all1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Gesetz v. 2.3.1959, BGBl. I 1959, 77. BGBl. I 1952, 293. Heute: Bundeszentralamt für Steuern (BZSt). Gesetz v. 30.8.1971, BGBl. I 1971, 1426. Sauer, StBp 1991, 217 (219). „https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Bundesamt_für_Finanzen&oldid= 166940213“ S. unten: Bundesbetriebsprüfung. Gesetz v. 16.3.1976, BGBl. I 1976, 613, ber. BGBl. I 1977, 269. Pfaff, StBp 1991, 241. V. 23.12.1965, BStBl. I 1966, 46. Vgl. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 23. BStBl. I 1978, 195 ff. Ausnahmen für Kreditinstitute, Versicherungen sowie Land- und Forstwirtschaften (bis inkl. 1.1.2016). 14 Vgl. Erlass NRW v. 4.3.1980, DB 1981, 2467. 15 Entspricht § 7 BPO (St) 2000.

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A. Einführung | Rz. 1.13 Kap. 1

gemeineren Begriff der „Außenprüfung“ ersetzt. Ferner wurde ausdrücklich klargestellt, dass andere Prüfungsorte als diejenigen i.S.v. § 200 Abs. 2 AO grundsätzlich nicht vorgesehen sind. Damit sollte der in der Praxis üblichen Prüfung beim steuerlichen Vertreter Einhalt geboten werden. Mit Wirkung ab 2012 wurde die sog. zeitnahe Betriebsprüfung in § 4a BpO geregelt. Diese Regelung stellt klar, dass Betriebsprüfungen grundsätzlich zur Prüfung veranlagter Steuererklärungen dienen.

III. Rechtsgrundlagen der Betriebsprüfung 1. Gesetz (§§ 193–203a AO) Zunächst regelt § 193 AO, bei welchen Steuerpflichtigen eine Betriebsprüfung zulässig ist, nämlich stets bei Gewinnermittlern (Gewerbetreibende, Land- und Forstwirte sowie Freiberufler) und Personen mit bedeutenden Einkünften (§ 147a AO) sowie unter bestimmten Voraussetzungen bei anderen Personen (insbesondere Personen mit Überschusseinkünften), wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang nicht zweckmäßig ist (§ 193 Abs. 2 Nr. 2 AO). Im Weiteren finden sich in diesem Abschnitt Regelungen über den Umfang der Betriebsprüfung (§ 194 AO), die Zuständigkeit (§ 195 AO) und das Verfahren, beginnend bei der Prüfungsanordnung (§ 196 AO) und deren Bekanntgabe (§ 197 AO) über die Prüfungsgrundsätze (§§ 198, 199 AO) und Mitwirkungspflichten (§ 200 AO) bis hin zur Schlussbesprechung (§ 201 AO) und dem Bericht (§ 202 AO). Im Übrigen enthalten die Normen Regelungen für besondere Prüfungen wie die abgekürzte Betriebsprüfung (§ 203 AO) und die Außenprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte (§ 203a AO).1

1.11

Trotz der Ausdehnung des Prüfungsrechts auf alle Steuerpflichtigen (§ 193 Abs. 2 AO) liegt der Schwerpunkt der Betriebsprüfung nach wie vor bei den Gewinnermittlern (§ 193 Abs. 1 AO). Zum Ausdruck kommt dies in § 200 Abs. 1 Satz 2 AO, nach dem der Steuerpflichtige insbesondere Auskünfte zu erteilen, Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen, die zum Verständnis der Aufzeichnungen erforderlichen Erläuterungen zu geben und die Finanzbehörde bei Ausübung ihrer Befugnisse nach § 147 Abs. 6 AO zu unterstützen hat. Denn diese Regelung zielt auf die Vorschriften zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen nach den §§ 140–144 AO, zu den Anforderungen an diese (§§ 145–146a AO), zur Kassennachschau (§ 146b AO), zur Aufbewahrung von Unterlagen (§ 147, 147a AO) sowie zum Datenzugriff (§ 147 Abs. 5, Abs. 6 AO).

1.12

2. Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000) Konkretisiert werden die §§ 193–203a AO durch die Betriebsprüfungsordnung (BpO 2000), welche von der Bundesregierung auf Grundlage von Art. 108 Abs. 7 GG – zuletzt i.d.F.v. 20.7.20112 – erlassen worden ist. Soweit sie Regelungen zur Organisation der Betriebsprüfung enthält, hat sie lediglich innerdienstlichen Weisungscharakter; soweit sie indes eigenständige Verfahrensregelungen bzw. Vorgaben zur Ermessensausübung enthält, kann sie auch Regelungscharakter nach außen entfalten.3 1 Gemäß § 138b Abs. 1 AO haben Kreditinstitute und ähnliche Finanzdienstleister die Herstellung oder Vermittlung von Beziehungen (z.B. durch Gründung oder Erwerb) eines Steuerinländers zu Drittstaatengesellschaften i.S.v. § 138 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 AO ihrem zuständigen Finanzamt (§ 138b Abs. 5 AO) in elektronischer Form (§ 93c AO) mitzuteilen. 2 BStBl. I 2011, 710. 3 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO, Rz. 80 ff.

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1.13

Kap. 1 Rz. 1.14 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.14

Als Ausführungsverordnung gilt sie gleichermaßen für allgemeine und besondere Betriebsprüfungen1 der Landes- bzw. Bundesbehörden (§ 1 BpO 2000). Zweck der Betriebsprüfung ist die Ermittlung und Beurteilung der steuerlich bedeutsamen Sachverhalte, um die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen (§ 2 Abs. 1 S. 1 BpO 2000). Zu diesem Zweck werden sämtliche Betriebe im Dreijahresturnus nach bundeseinheitlichen Kriterien2 als Groß(G), Mittel- (M), Klein- (K) oder Kleinstbetrieb (Kst) eingestuft (§ 3 BpO 2000) und für jede Betriebsprüfungsstelle eine Kartei mit den G-, M- und K-Betrieben des eigenen Zuständigkeitsbereichs aufgestellt (§ 32 BpO 2000).

1.15

Im Weiteren konkretisiert die BpO 2000 die Vorschriften der §§ 194 ff. AO zur Durchführung der Betriebsprüfung (§§ 4–12 BpO 2000). 2011 wurde in § 4a BpO 2000 der Gegenstand einer zeitnahen Betriebsprüfung normiert (s. unten Girlich: Zeitnahe Betriebsprüfung, Rz. 3.25). Dabei handelt es sich um ein Thema für Betriebe, die der Anschlussbetriebsprüfung unterliegen. Besondere Bedeutung hat dieses für Größtkonzerne, deren Prüfungszeiträume teilweise noch weit in der Vergangenheit liegen. Daneben enthält die BpO 2000 Regelungen für verschiedene Verwaltungsinterna, beginnend mit der Zusammenarbeit verschiedener Betriebsprüfungsstellen bei sog. Konzernprüfungen (§§ 13–19 BpO 2000), die Mitwirkung der Bundesbetriebsprüfung (§§ 20–24 BpO 2000) aber auch die Funktionsweise innerhalb der Betriebsprüfungsstellen, etwa den Einsatz von Betriebsprüfern, Sachgebietsleitern aber auch der Pflicht zur Durchführung Prüferbesprechungen (§§ 25–31 BpO 2000) bis hin zu den organisatorischen Grundlagen, nämlich der Betriebskartei (§ 32 BpO 2000), die der BP-Stelle einen Überblick über sämtliche Betriebe im Zuständigkeitsbereich der BP-Stelle verschafft bis hin zum Konzernverzeichnis (§ 33 BpO 2000), einer – unter Mitarbeit aller BP-Stellen – bundesweit beim BZSt geführten Liste aller Konzerne mit den dazugehörigen herrschenden und beherrschten Unternehmen.

1.16

Besondere Bedeutung kommt in diesem Regelungskreis § 7 BpO 2000 zu, nach dem die Betriebsprüfung auf das Wesentliche zu fokussieren ist (Rationalisierung). Ihre Dauer ist auf das notwendige Maß zu beschränken. Sie hat sich in erster Linie auf solche Sachverhalte zu erstrecken, die zu endgültigen Steuerausfällen oder Steuererstattungen oder -vergütungen oder zu nicht unbedeutenden Gewinnverlagerungen führen können.

3. BMF-Schreiben, sonstige Erlasse 1.17

Diese, eben genannten, Prüfungsgrundsätze wurden in koordinierten Ländererlassen zur Rationalisierung der Betriebsprüfung, den sog. Rationalisierungserlassen, aus den Jahren 19803 und 19954 weiter konkretisiert. Ziele dieser Anweisungen sind u.a. die effektive Fallauswahl, qualitative Verbesserung der Betriebsprüfung sowie die Beschleunigung des Verfahrens. Neben diesen internen Anweisungen gibt es verschiedene weitere Verwaltungsvorschriften mit besonderer Bedeutung für das Betriebsprüfungsverfahren. Hierzu gehörend insbesondere die GoBD und die AStBV.

1.18

Die Regelungen zur Ordnungsmäßigkeit der Buchführung (§§ 145 ff. AO) wurden durch verschiedene Schreiben der Finanzverwaltung – insbesondere – dem technischen Wandel der Zeit angepasst5, zuletzt durch das Schreiben betr. „Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung 1 2 3 4 5

Z.B. Lohnsteuer-Außenprüfung, Umsatzsteuer-Sonderprüfung. Siehe zuletzt BMF v. 13.4.2018 – IV A 4 - S 1450/17/1000, BStBl. I 2018, 614. FinMin. NW v. 4.3.1980 – S 1540 – 25 – V A 1, DB 1981, 2467. FinMin. NW v. 13.6.1995 – S 1502 – 4 – V C 5, StEK AO 1977 § 199 Nr. 2. Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme (GoBS), BMF v. 7.11.1995 – IV A 8 - S 0316-52/95, BStBl. I 1995, 738; Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digi-

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A. Einführung | Rz. 1.21 Kap. 1

und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff“ (GoBD) v. 28.11.2019.1 Sie enthalten umfassende Regelungen zur Führung von Aufzeichnungen und Büchern, die für den Prüfer Maßstab der Ordnungsmäßigkeit bei der formalen Prüfung der Gewinnermittlung sind. Als solche haben sie besondere Bedeutung für die Beweiskraft der Buchführung (§ 158 AO). Entsteht im Rahmen der Betriebsprüfung die Notwendigkeit, Kontakt mit den Strafverfolgungseinheiten2 der Finanzverwaltung aufzunehmen, regelt die Anleitung zur Durchführung des Straf- und Bußgeldverfahrens (AStBV (St) 20203), welche u.a. § 10 BpO 2000 konkretisiert und das Verfahren zur Kontaktaufnahme des Außenprüfungsdienstes mit der für die strafrechtlichen Ermittlungen zuständigen Einheit beschreibt, das Nähere.

1.19

IV. Ablauf der Betriebsprüfung Ausgehend von der Betriebskartei, dem Risikomanagementsystem und den Meldungen des Innendienstes erstellen die Sachgebietsleiter halbjährlich einen Prüfungsgeschäftsplan (§ 34 BpO 2000), der den internen Auftrag an den Prüfer darstellt, die dort genannten Steuerpflichtigen zu prüfen. Bei Konzernen und anderen verbundenen Unternehmen werden sämtliche Unternehmen des Verbunds im eigenen Zuständigkeitsbereich auf den Prüfungsgeschäftsplan genommen. Sofern abhängige Unternehmen im Zuständigkeitsbereich anderer Betriebsprüfungsstellen angesiedelt sind, werden diese Stellen aufgerufen, um sich an der einheitlichen Konzernprüfung unter Leitung des für die Konzernspitze zuständigen Finanzamts zu beteiligen (§§ 13 ff. BpO 2000); s. bei Köstler, Rz. 6.41.

1.20

Der Prüfer sichtet im Anschluss nach Beiziehung die Akten, entscheidet über die Prüfungsbedürftigkeit sowie Zulässigkeit der Prüfung (§ 193 AO); s. unter Zulässigkeit der Außenprüfung, Rz. 1.188. Ferner bestimmt er den Prüfungsumfang (§ 194 Abs. 1 AO), d.h. er entscheidet, welche Steuerarten und Jahre geprüft werden (Prüfungsvorbereitung); s. unter Prüfungsumfang, Rz. 1.318. Sollen Steuerpflichtige, z.B. wegen gesellschaftsrechtlicher Verbundenheit, mitgeprüft werden und befinden sich diese Personen nicht im Zuständigkeitsbereich der eigenen Betriebsprüfungsstelle, kann sich der Prüfer einen Prüfungsauftrag von der sachlich und örtlich zuständigen Betriebsprüfungsstelle erteilen lassen (§ 195 Satz 2 AO); s. unter Zuständigkeit, Rz. 1.117. Sofern in diesem Stadium bereits Anhaltspunkte zur Beiziehung von Fachprüfern des Landes oder von Bundesprüfern; siehe oben Rz. 1.73. bestehen, werden diese kontaktiert und die Prüfungsthemen abgestimmt. Im Fall internationaler Beziehungen kann ein sog. „joint audit“ angeregt werden, bei dem ein oder mehrere grenzüberschreitende Sachverhalte gleichzeitig von den betroffenen Steuerverwaltungen – auch in Anwesenheit gebietsfremder Prüfer – geprüft werden können; s. bei Oertel, Rz. 7.217. Sodann kontaktiert der Prüfer i.d.R. den Steuerpflichtigen bzw. dessen steuerlichen Vertreter telefonisch, stimmt den Termin4 ab und bestimmt den Prüfungsort (vgl. § 6 BpO 2000), ehe er die Prüfungsanordnung (§§ 196, 197 AO) bekanntgibt, in der er Steuerpflichtigen, Steuerarten, den Prüfungszeitraum, die bei-

1.21

1 2 3 4

taler Unterlagen (GDPdU) BMF v. 16.7.2001 – IV D 2 - S 0316 - 136/01, BStBl. I 2001, 415; Schreiben betr. Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD), BMF v. 14.11.2014 – IV A 4 - S 0316/13/10003, BStBl. I 2014, 1450. BMF v. 28.11.2019 – IV A 4 - S 0316/19/10003:001, BStBl. I 2019, 1269. BuStra, StraBu. Oberste Finanzbehörden der Länder v. 1.12.2019, BStBl. I 2019, 1142. Verpflichtet ist er hierzu nicht.

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Kap. 1 Rz. 1.21 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

gezogenen Fachprüfer benennt und die zu Beginn der Prüfung vorzulegenden Unterlagen (§ 200 Abs. 1 i.V.m. §§ 147 Abs. 1 AO) benennt. Im Falle einer zeitnahen Betriebsprüfung (§ 4a BpO) wird i.d.R. vor Beginn eine Vereinbarung zwischen der Betriebsprüfung und dem Steuerpflichtigen abgeschlossen, in der sich die Parteien zu einer intensiven Zusammenarbeit zur beschleunigten Erledigung der Prüfung verpflichten; s. hierzu bei Girlich, Rz. 3.47. Bei Bargeld intensiven Betrieben kann auch eine Kassennachschau (§ 146b AO) vor Ankündigung durchgeführt werden; s. hierzu bei Brenner, Rz. 3.325.

1.22

In der Regel gestaltet sich der Prüfungsablauf wie folgt: Zu Beginn hat der Prüfer sich auszuweisen und den Zeitpunkt aktenkundig zu machen1 (§ 198 AO). Im Weiteren ermittelt er den Sachverhalt zwar von Amts wegen zugunsten und zu Ungunsten des Steuerpflichtigen (§ 199 Abs. 1 AO); s. unter Ermittlungsgrundsätze, Rz. 1.404. Der Steuerpflichtige ist jedoch zur Mitwirkung verpflichtet (§ 200 AO); s. unter Mitwirkungspflichten, Rz. 1.525. Unterlässt er dies und ist der Sachverhalt nicht weiter aufklärbar, gelten die allgemeinen Regelungen zur Feststellungslast, d.h. im Zweifel ist jede Partei für die für sie günstigen Umstände nachweispflichtig; s. unter Feststellungslast, Rz. 1.61, 1.595. Kann das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen, hat es diese zu schätzen (§ 162 AO); s. unter s.u. Schätzung, Rz. 1.462, 1.555. Während der Betriebsprüfung ist der Steuerpflichtige über die festgestellten Sachverhalte und die möglichen steuerlichen Auswirkungen zu unterrichten, wenn dadurch Zweck und Ablauf der Prüfung nicht beeinträchtigt werden (§ 199 Abs. 2 AO); s. unter Informationsrechte, Rz. 1.658. Ergibt sich im Laufe der Prüfung die Möglichkeit, dass der Steuerpflichtige sich einer Steuerhinterziehung strafbar gemacht hat, hat der Prüfer zeitnah die BuStra/StraBu-Stelle zu kontaktieren (§ 10 Abs. 1 Satz 2 BpO 2000, 130 Abs. 3 AStBV). Dort wird sodann entschieden, ob ein Verdacht besteht und daher ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren zu eröffnen ist (Nr. 26 AStBV); siehe unter Strafverfahren, Rz. 4.58.

1.23

Zum Abschluss der Prüfung ist über das Ergebnis der Prüfung eine Schlussbesprechung durchzuführen, in der nochmals sämtliche offen gebliebenen Sachverhalte diskutiert werden können (§ 201 Abs. 1 AO); s. unter Beendigung der Außenprüfung, Rz. 1.717. Sofern es zu Feststellungen gekommen ist, sind diese in einem schriftlichen Prüfungsbericht zusammenzufassen (§ 202 Abs. 1 AO). Dieser wird dem Steuerpflichtigen zugestellt und ggf. wird dem Steuerpflichtigen nochmals die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb einer sog. Einwendungsfrist zu einzelnen strittigen Feststellungen Stellung zu beziehen (§ 202 Abs. 2 AO). Können die Feststellungen in diesem Verfahren nicht beseitigt werden, wird der Bericht an den Innendienst zur Auswertung zugeleitet. Dieser veranlasst auf Basis des Prüfungsberichts einen Änderungsbescheid, gegen den der Steuerpflichtige im Wege des Einspruchs vorgehen kann. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht in dieser Phase auch die Möglichkeit einer verbindlichen Zusage (§ 204 AO).

B. Grundlagen I. Prüfungsformen 1. Betriebsprüfung (§ 193 ff. AO) 1.24

Die Betriebsprüfung i.S.v. §§ 193 ff. AO kann in Abgrenzung zur abgekürzten Außenprüfung (Rz. 3.1), zur Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte (Rz. 3.17) und zur Nachschau (Rz. 3.145, 3.301, 3.325) als „normale“ Betriebsprüfung bezeichnet werden. Der Ablauf 1 Dies hat ggf. Bedeutung für Verjährungsfragen bzw. für die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige.

16 | Hruschka und Hruschka/von Freeden

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B. Grundlagen | Rz. 1.27 Kap. 1

einer Betriebsprüfung, dem der Aufbau des Kapitels 1 folgt, lässt sich in mehrere Abschnitte zerlegen. Im Rahmen der Prüfungsvorbereitung bestimmt die zuständige Finanzbehörde, ob bei einem Steuerpflichtigen eine Betriebsprüfung durchgeführt werden soll und auf welche Weise (dazu Rz. 1.117). Der Steuerpflichtige organisiert die Durchführung der Prüfung in seinem Betrieb und setzt ggf. „Vorprüfungs-Maßnahmen“ um (dazu Rz. 1.146). Durch den Zugang der Prüfungsanordnung beim Steuerpflichtigen wird im Prüfungsprozess erstmalig eine Außenwirkung mit formalen Folgen ausgelöst (zur Prüfungsanordnung Rz. 1.165, zu den steuerstrafrechtlichen Wirkungen Rz. 4.39). Aus Sicht des Steuerpflichtigen stellt der Zugang der Prüfungsanordnung den Beginn der Prüfung dar. Die Prüfungsanordnung kann bereits Gegenstand eines Einspruchs sein. Der faktische Prüfungsprozess beginnt mit dem Eröffnungsgespräch zwischen Prüfer und Steuerpflichtigem bzw. dessen Berater (dazu Rz. 1.400). Im Rahmen des Gesprächs erläutert der Prüfer sein geplantes Vorgehen und die Prüfungsschwerpunkte, der Steuerpflichtige stellt ggf. Besonderheiten im Prüfungszeitraum dar. Dem Eröffnungsgespräch folgt die Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen im Prüfungszeitraum durch den Prüfer (dazu Rz. 1.395). Dieser Abschnitt stellt die „Hauptphase“ im Ablauf einer Betriebsprüfung dar, seine Durchführung kann sich im Einzelfall über mehrere Jahre hinziehen. Der Prüfer hat bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen die gesetzlichen Prüfungsgrundsätze zu beachten (dazu Rz. 1.404), wobei der Steuerpflichtige Anhörungs- und Auskunftsrechte hat (dazu Rz. 1.658). Die Sachverhaltsermittlung durch den Prüfer erfolgt durch Vornahme einzelner Ermittlungshandlungen (dazu Rz. 1.441)1, der Steuerpflichtige ist dabei zur Mitwirkung verpflichtet (dazu Rz. 1.525). Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen erfolgt zunehmend durch Einsatz „digitaler Instrumente“, so dass von einer Digitalisierung der Betriebsprüfung gesprochen werden kann (dazu Kapitel 2). Bei der steuerrechtlichen Würdigung eines Sachverhalts sind vorliegende verbindliche Auskünfte (§ 89 AO, Rz. 9.1), verbindliche Zusagen (§ 204 AO, Rz. 9.75) und ein Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen (Rz. 9.141) zu berücksichtigen. Die einzelnen Ermittlungsmaßnahmen des Prüfers können Gegenstand eines Rechtsmittels des Steuerpflichtigen sein (dazu Rz. 1.808). Die Ergebnisse der Sachverhaltsermittlungen werden durch den Prüfer in Form von Prüfungsfeststellungen festgehalten. Die Prüfungsfeststellungen bilden die Grundlage für den abschließenden Betriebsprüfungsbericht. Sofern die Ergebnisse aus der Sachverhaltsermittlung auch für die Besteuerung Dritter von Relevanz sein können, wird der Prüfer diese Informationen in Form von Kontrollmitteilungen dem zuständigen Finanzamt zuleiten (Rz. 1.547). Bei einem Verdacht einer Steuerstraftat ergeben sich Besonderheiten, die regelmäßig Auswirkungen auf den Ablauf der Sachverhaltsermittlung haben (dazu Rz. 1.903 und Rz. 4.58). Der Steuerpflichtige ist u.a. darüber zu belehren, dass seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren hinsichtlich bestimmter Prüfungsmaßnahmen nicht mehr erzwungen werden kann.

1.25

Für den Fall, dass die Ermittlung des Sachverhalts durch den Prüfer nicht möglich ist, kommt eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch die Finanzverwaltung in Betracht (dazu Rz. 1.547). Die Schätzung ist ein „Instrument“ des Prüfers zur Bestimmung der Besteuerungsgrundlagen des Steuerpflichtigen. Unter Berücksichtigung der einer Schätzung anhaftenden Unsicherheiten und Rechtsfragen ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen häufig Diskussions- und Streitunkt in einer Betriebsprüfung.

1.26

Im Rahmen der Beendigung der Prüfung findet die Schlussbesprechung zwischen Prüfer und Steuerpflichtigem statt, in der die Ergebnisse der Prüfung erläutert werden und (letzt-

1.27

1 Zu den praktischen Besonderheiten bei der Bestimmung von Verrechnungspreisen Rz. 7.1.

Hruschka/von Freeden | 17

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Kap. 1 Rz. 1.27 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

malig) die Ansichten des Prüfers und des Steuerpflichtigen ausgetauscht werden (Rz. 1.547; zum Verhandlungsmanagement in der Betriebsprüfung Rz. 1.547). Die Übersendung des Betriebsprüfungsberichts an den Steuerpflichtigen ist der letzte Schritt im Prüfungsprozess. Im Bericht sind die Ergebnisse der Prüfung dokumentiert. Soweit die Prüfung eine Einkommenserhöhung oder -minderung im Prüfungszeitraum zur Folge hat, erlässt das zuständige Finanzamt geänderte Steuerbescheide. Im Zusammenhang mit einer Betriebsprüfung können sich Mitteilungspflichten der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden ergeben (Rz. 1.547). In der Praxis erfolgen diese Mitteilungen i.d.R. nach Abschluss der Prüfung. Die Mitteilungspflichten zielen u.a. auf die Bekämpfung bestimmter Taten im Bereich der Wirtschaftskriminalität und der Verfolgung von Schmiergeld- und Bestechungsdelikten.

2. Besondere Prüfungsformen 1.28

Einer „normalen“ Betriebsprüfung kann man mit Blick auf die Durchführung der Prüfung, die betroffenen Steuerarten und/oder das Prüfungsziel besondere Prüfungsformen gegenüberstellen. Zu nennen sind die abgekürzte Außenprüfung (dazu Rz. 3.1), die Außenprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte (dazu Rz. 3.17), die zeitnahe Betriebsprüfung (dazu Rz. 3.25), die Umsatzsteuersonderprüfung (dazu Rz. 3.65), die Umsatzsteuer-Nachschau (dazu Rz. 3.145), die Lohnsteuer-Außenprüfung (dazu Rz. 3.258), die Lohnsteuer-Nachschau (dazu Rz. 3.301), die Kassen-Nachschau (dazu Rz. 3.325) und die Zollprüfung (dazu Rz. 3.403). Für die Darstellung der Besonderheiten der besonderen Prüfungsformen wird auf das Kapitel 3 verwiesen.

3. Nachschau 1.29

Für die Darstellung der verschiedenen Formen der Nachschau wird verwiesen auf Umsatzsteuer-Nachschau (Rz. 3.145), Lohnsteuer-Nachschau (Rz. 3.301) und Kassen-Nachschau (Rz. 3.325).

II. Rechtsgrundlagen 1. Überblick 1.30

Das Recht der Betriebsprüfung ist in Gesetzen und in allgemeinen Verwaltungsanweisungen, die nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) und der Selbstbindung der Verwaltung auch für den Steuerpflichtigen Wirkung entfalten können, geregelt. Die wesentlichen Organisations- und Verfahrensvorschriften sind Gegenstand der Abgabenordnung, wobei spezielle Regelungen (§§ 193–207 AO, Rz. 1.33) die allgemeinen Regelungen des Besteuerungsverfahrens (Rz. 1.36), die auch im Rahmen einer Betriebsprüfung Anwendung finden, ergänzen. Die Auslegung dieser gesetzlichen Vorschriften durch die Finanzverwaltung ist im Anwendungserlass zur Abgabenordnung bestimmt (Rz. 1.41).

1.31

In weiteren Steuergesetzen (z.B. EStG, KStG, UStG) sind gleichfalls gesetzliche Grundlagen für die Durchführung einer Betriebsprüfung bzw. die Vornahme von Prüfungsmaßnahmen enthalten. Die DSGVO und die einzelnen Informationsgesetze der Länder stellen eine Grundlage für ein Akteneinsichtsrecht des Steuerpflichtigen dar (Rz. 1.40).

1.32

Die speziellen Regelungen der AO zur Betriebsprüfung werden im Wesentlichen durch die Vorschriften der Betriebsprüfungsordnung (Rz. 1.43), die Rationalisierungserlasse der Länder (Rz. 1.50) und die Stellungnahmen der Finanzverwaltung z.B. in Form von BMF-Schreiben (Rz. 1.52) konkretisiert. 18 | Hruschka/von Freeden und von Freeden

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B. Grundlagen | Rz. 1.33 Kap. 1

2. Gesetzliche Grundlagen a) Abgabenordnung aa) Allgemeine Vorschriften zur Betriebsprüfung In der AO ist im Teil Durchführung der Besteuerung im vierten Abschnitt1 als Teil des Besteuerungsverfahrens2 in zwei Unterabschnitten der „Kern“ des Rechts der Betriebsprüfung geregelt.3 Dabei umfasst der erste Unterabschnitt (§ 193 bis § 203a) die allgemeinen Vorschriften zur Betriebsprüfung, die als leges speciales den allgemeinen Regelungen zum Besteuerungsverfahren (§§ 85 ff. AO) vorgehen4. Die nachstehenden Vorschriften, die z.T. durch die BpO (Rz. 1.43) konkretisiert werden, sind auf Sonderprüfungen5 (§ 194 Abs. 1 Satz 2 AO) anwendbar6: – Prüfungssubjekt (§ 193 AO)7: Bei welchen Steuerpflichtigen ist eine Betriebsprüfung zulässig (Rz. 1.11)? § 193 Abs. 1 AO bestimmt, dass bei Gewinnermittlern und Personen, die mehr als 500.000 € Überschusseinkünfte erzielen (§ 147a AO), die Betriebsprüfung stets zulässig ist. Dies gilt auch für die Fälle, in denen der Steuerpflichtige verpflichtet ist, für Rechnung eines anderen Steuern zu entrichten, einzubehalten oder abzuführen (z.B. Lohnsteuer- und Versicherungssteuerpflichtige; § 193 Abs. 2 Nr. 1 AO). im Übrigen jedoch nur, soweit die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist (§ 193 Abs. 2 Nr. 2 AO). Ferner kommen Steuerpflichtige für eine Betriebsprüfung in Betracht, die Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten in Steueroasen haben und ihrer Mitwirkungspflicht gem. § 90 Abs. 2 Satz 3 AO nicht nachkommen (§ 193 Abs. 2 Nr. 3 AO). – Prüfungsobjekt (§ 194 AO): Was kann abstrakt (in welchem Umfang und für welchen Zeitraum) Gegenstand einer Überprüfung durch eine Betriebsprüfung sein (Rz. 1.298, 1.408)? Prüfungsobjekt sind solche steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen, die aufgrund ihres Zusammenhangs mit dem Betrieb oder der freien Berufstätigkeit für die Bemessung der Steuer maßgeblich sind. Die Betriebsprüfung kann eine oder mehrere Steuerarten umfassen oder sich auf bestimmte Sachverhalte beschränken. Geprüft werden können eine oder mehrere Besteuerungszeiträume: Diese dürfen grundsätzlich nicht verjährt oder verwirkt sein.

1 Der vierte Teil der AO, in dem die Durchführung der Besteuerung geregelt ist, umfasst insgesamt sechs Abschnitte (Erfassung der Steuerpflichtigen, Mitwirkungspflichten, Festsetzung- und Feststellungsverfahren, Außenprüfung, Steuerfahndung mit Zollfahndung und Steueraufsicht in besonderen Fällen). 2 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 Rz. 65. 3 Zur Entstehung des Abschnitts „Außenprüfung“ Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 Rz. 21. 4 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 Rz. 67. 5 Umsatzsteuer-Sonderprüfung (Rz. 3.65), Lohnsteuer-Außenprüfung (Rz. 3.258), Prüfung des Steuerabzugs nach § 50a EStG, Kapitalertragsteuer-Sonderprüfung, Prüfung der gesonderten Feststellung nach § 180 Abs. 2 AO, Prüfung der Versicherungssteuer und Feuerschutzsteuer, Prüfung der Rennwett- und Lotteriesteuer, Zollprüfung (Rz. 3.408), Prüfung der Investitionszulage, Prüfung der Arbeitnehmer-Sparzulage, Erbschaftsteuer-Außenprüfung (Rz. 10.1). 6 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 Rz. 134. 7 Konkretisierung durch BpO 2000: Einordnung der Prüfungssubjekte in Größenklassen (Großbetriebe, Mittelbetriebe, Kleinbetriebe und Kleinstbetriebe; § 3 BpO), zeitnahe Betriebsprüfung (§ 4a BpO), Konzernprüfung (§ 13 BpO).

von Freeden | 19

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1.33

Kap. 1 Rz. 1.33 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

– Prüfungszuständigkeit (§ 195 AO)1: Welches Finanzamt ist zuständig [Rz. 1.117]? Grundsätzlich ist die gem. Art. 16 AO i.V.m. FVG bzw. §§ 17 ff. AO sachlich und örtlich zuständige Finanzbehörde im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung (§ 197 AO) für die Betriebsprüfung zuständig. Die von Amts wegen zuständige Finanzbehörde kann mittels besonderen Auftrags eine andere Finanzbehörde mit der Betriebsprüfung beauftragen. – Konkreter Prüfungsgegenstand (Prüfungsanordnung, §§ 196–197)2: Was ist der Gegenstand einer bestimmten Betriebsprüfung für einen bestimmten Zeitraum bei einem bestimmten Steuerpflichtigen (Rz. 1.165)? Die Prüfungsanordnung ist an das Rechtssubjekt der Betriebsprüfung gerichtet und wird diesem schriftlich oder elektronisch bekanntgegeben. Die Prüfungsanordnung enthält den zu prüfenden sachlichen Umfang, die betroffenen Steuerarten, die Besteuerungszeiträume sowie den voraussichtlichen Beginn der Betriebsprüfung. Sofern die Bekanntgabe der Prüfungsobjekte den Zweck der Betriebsprüfung gefährdet, ist eine Überraschungsprüfung zulässig. Die Prüfungsanordnung muss eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten. – Prüfungsbeginn (§ 198 AO): Wann und wie beginnt die Betriebsprüfung (Rz. 1.321)? Die Betriebsprüfer haben eine Ausweispflicht bezüglich ihrer Identität und Prüfungsbefugnis. Die Prüfung beginnt mit der ersten tatsächlichen Prüfungshandlung, nicht bereits mit dem Erscheinen der Betriebsprüfer. – Vorgehen des Betriebsprüfers und Unterrichtung des Steuerpflichtigen (Prüfungsgrundsätze, § 199 AO)3: Was hat der Betriebsprüfer im Rahmen seiner Prüfung zuungunsten und zugunsten des Steuerpflichtigen zu prüfen (Rz. 1.404)? Muss der Betriebsprüfer den Steuerpflichtigen während der Prüfung unterrichten (Rz. 1.662)? Die Betriebsprüfer haben alle tatsächlichen und rechtlichen für die Bemessungsgrundlage der Steuer maßgeblichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen zu prüfen. Tatsächliche Verhältnisse sind alle Lebenssachverhalte. Rechtliche Verhältnisse sind neben den rechtlichen Beziehungen des Steuerpflichtigen auch steuerlich maßgebende Rechtsfragen. Die Betriebsprüfer müssen aus eigener Initiative den Steuerpflichtigen während der Betriebsprüfung über die Beurteilung bereits festgestellter Sachverhalte unterrichten. Diese Verpflichtung entfällt, sofern Zweck oder Ablauf der Betriebsprüfung durch die Unterrichtung des Steuerpflichtigen beeinträchtigt werden. Gemäß § 3 BpO werden die Betriebsprüfungssubjekte durch die Einteilung in unterschiedliche Größenklassen konkretisiert: Es kann sich um Großbetriebe, Mittelbetriebe, Kleinbetriebe und Kleinstbetriebe handeln. 1 Konkretisierung durch BpO 2000: Leitung der Konzernprüfung (§ 14 BpO), Einleitung der Konzernprüfung (§ 15 BpO), Außenprüfung bei sonstigen zusammenhängenden Unternehmen (§ 18 BpO), Außenprüfung bei international verbundenen Unternehmen (§ 19 BpO), Mitwirkung des Bundeszentralamtes für Steuern (§ 20 BpO), Auswahl der Betriebe und Unterrichtung über die vorgesehene Mitwirkung (§ 21 BpO). 2 Konkretisierung durch BpO 2000: Umfang der Außenprüfung (§ 4 BpO), Anordnung der Außenprüfung (§ 5 BpO). 3 Konkretisierung durch BpO 2000: Aufgaben der Betriebsprüfungsstellen (§ 2 BpO), Ort der Außenprüfung (§ 6 BpO), Prüfungsgrundsätze (§ 7 BpO), Kontrollmitteilungen an zuständige Finanzbehörden (§ 9 BpO), Unterrichtung der zuständigen Stellen bei Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit (§ 10 BpO), Richtlinien zur Durchführung der Konzernprüfung (§ 16 BpO), Mitwirkung des Bundeszentralamts für Steuern durch Prüfungstätigkeit (§ 22 BpO), Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundeszentralamt für Steuern und der Landesfinanzbehörde (§ 24 BpO). Nach herrschender Auffassung ist § 199 AO überflüssig, da sich der Untersuchungsgrundsatz bereits aus § 88 AO ergäbe, Frotscher in Schwarz, AO, § 100 Rz. 1; Intemann in Pahlke/König, AO, § 199 Rz. 1; Rüsken in Klein, AO, § 199 Rz. 1; Schallmoser in HHSp, AO, Vor §§ 193–203 Rz. 69; Seer in TK, AO, § 199 Rz. 1.

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B. Grundlagen | Rz. 1.36 Kap. 1

– Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (§ 200 AO)1: Ist der Steuerpflichtige verpflichtet (und auf welche Art und Weise), bei der Prüfung mitzuwirken (Rz. 1.525)? Der Steuerpflichtige ist zur Mitwirkung bei der Betriebsprüfung verpflichtet. Er muss nicht selbst wie ein Prüfer handeln, vielmehr muss er den Prüfer in seiner Arbeit insbesondere durch die Erteilung besonderer Auskünfte, durch die Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren und anderen Urkunden etc. unterstützen. – Beendigung und Ergebnis der Prüfung (§§ 201–202 AO)2: Wie ist der Anspruch auf rechtliches Gehör des Steuerpflichtigen im Rahmen der Beendigung der Betriebsprüfung zu berücksichtigen (Schlussbesprechung, Rz. 1.741) und auf welche Weise wird das Ergebnis der Prüfung festgehalten (Prüfungsbericht, Rz. 1.768)? Der Steuerpflichtige hat einen Anspruch auf rechtliches Gehör, welcher durch die Schlussbesprechung als Erörterungstermin bzw. Rechtsgespräch über die Ergebnisse der Betriebsprüfung gewahrt wird. Das Recht des Steuerpflichtigen auf eine Betriebsprüfung besteht nicht, wenn sich durch die Betriebsprüfung keine von der Ausgangslage abweichende rechtliche Beurteilung ergibt. Der Steuerpflichtige kann auf die Schlussbesprechung verzichten. Der Prüfungsbericht hält die Ergebnisse der Betriebsprüfung fest und bietet eine sachliche Grundlage für die Änderung von Bescheiden. Ferner hat der Prüfungsbericht eine Begründungs- sowie eine Rüge- und Warnfunktion. Darüber hinaus umfassen die allgemeinen Vorschriften die Rechtsgrundlagen für

1.34

– eine abgekürzte Betriebsprüfung (§ 203 AO, Rz. 3.1) und – eine Betriebsprüfung bei einer mitteilungspflichtigen Stelle i.S.v. § 93c Abs. 1 AO (z.B. Kreditinstitute in der Auszahlphase privater Altersvorsorgeverträge; § 203a AO, Rz. 3.17). Der zweite Unterabschnitt (§ 204 bis § 207) umfasst die Rechtsgrundlagen für die Erteilung einer verbindlichen Zusage auf Grund einer Betriebsprüfung (Rz. 9.75).

1.35

bb) Allgemeine Regelungen zum Besteuerungsverfahren Neben den vorstehenden „Spezialregelungen“ sind auch die allgemeinen Regelungen zum Besteuerungsverfahren und diesbezügliche Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen Rechtsgrundlagen für eine Betriebsprüfung. Zu nennen sind insbesondere: – Besteuerungsgrundsätze (§ 85 AO): Gleichmäßige Festsetzung und Erhebung der Steuern durch die Finanzbehörde (auch) im Rahmen einer Betriebsprüfung. – Amtssprache (§ 87 AO): Amtssprache im Rahmen einer Betriebsprüfung ist deutsch. – Untersuchungsgrundsatz (§ 88 AO)3: Ermittlung des Sachverhalts im Rahmen einer Betriebsprüfung von Amts wegen.

1 Konkretisierung durch BpO 2000: Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (§ 8 BpO). 2 Konkretisierung durch BpO 2000: Schlussbesprechung (§ 11 BpO), Prüfungsbericht und Auswertung der Prüfungsfeststellungen (§ 12 BpO), Abstimmung und Freigabe der Konzernprüfungsberichte (§ 17 BpO). 3 Nach herrschender Auffassung ist § 199 AO überflüssig, da sich der Untersuchungsgrundsatz bereits aus § 88 AO ergäbe, Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 100 AO Rz. 1; Intemann in Koenig3, § 199 AO Rz. 1; Rüsken in Klein15, § 199 AO Rz. 1; Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 69; Seer in T/K, § 199 AO Rz. 1.

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1.36

Kap. 1 Rz. 1.36 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

– Beratung, Auskunft (§ 89 AO): Beratungs- und Auskunftspflicht des Betriebsprüfers gegenüber dem Steuerpflichtigen.1 – Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen (§ 90 Abs. 1 AO): Die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen in der Betriebsprüfung wird durch § 200 Abs. 1 Satz 2–4, Abs. 2 AO erhöht und tritt neben die allgemeine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 1 AO.2 – Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen bei Auslandssachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO): Steuerpflichtiger ist (auch) im Rahmen der Betriebsprüfung zur verstärkten Mitwirkung bei der Aufklärung von Sachverhalten mit Auslandsbezug verpflichtet.3 – Auskunftspflicht anderer Personen (§ 93 AO, § 101 bis § 106): Eine Verpflichtung zur Mitwirkung des Steuerpflichtigen bzw. von dem Betrieb angehörigen Auskunftspersonen ergibt sich aus § 200 Abs. 1 Satz 3 AO. Für die Befragung Dritter, die nicht Betriebsangehörige sind, stellt § 93 AO die Rechtgrundlage dar.4

1.37

Die nachstehenden Regelungen zum Beweis durch Urkunden und Augenschein (§§ 97–100 AO) sind die gesetzlichen Grundlagen für entsprechende Maßnahmen im Rahmen einer Betriebsprüfung [dazu Rz. 1.441, 1.467, 1.487, 1.507]: – Vorlage von Urkunden (§ 97 AO): Die Vorschrift ist die Rechtsgrundlage für die Vorlage von Urkunden durch Personen, die nicht Betriebsangehörige i.S.v. § 200 Abs. 1 AO sind. – Einnahme des Augenscheins (§§ 98, 99 AO): Ein Betriebsprüfer kann zu Beweiszwecken eine Inaugenscheinnahme vornehmen. Hiervon ist die Betriebsbesichtigung nach § 200 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AO abzugrenzen, die kein Beweismittel ist, sondern der allgemeinen Information des Prüfers dient. – Vorlage von Wertsachen (§ 100 AO): Ein Betriebsprüfer kann auf Grundlage der Vorschrift eine Vorlage von Wertsachen verlangen. – Zugriffrecht auf Datenverarbeitungssystem (§ 147 Abs. 6 AO): Rz. 1.513. cc) Korrekturvorschriften

1.38

Die Umsetzung der Ergebnisse der Prüfung in geänderten Steuerbescheiden (oder eine Änderung während der Prüfung) erfolgt in der Praxis regelmäßig nach § 164 AO (Änderung wegen eines Vorbehalts der Nachprüfung). Daneben kann die Korrektur eines Steuerbescheids auch auf der Grundlage einer allgemeinen Änderungs- oder Berichtigungsnorm möglich sein. In Betracht kommt eine Aufhebung, Änderung oder Berichtigung u.a. auf der Grundlage einer der folgenden gesetzlichen Vorschriften: – Offenbare Unrichtigkeit (§ 129 AO) – Schlichte Änderung (§ 172 AO) – Neue Tatsachen (§ 173 AO) – Widerstreitende Steuerfestsetzung (§ 174 AO)

1 2 3 4

Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 71; Seer in T/K, § 199 AO Rz. 2. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 72. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 72. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 72.

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B. Grundlagen | Rz. 1.42 Kap. 1

– Änderung auf Grund von Grundlagenbescheiden und bei rückwirkenden Ereignissen (§ 175 AO) – Umsetzung eines Verständigungsverfahrens (§ 175a AO) – Berichtigung von materiellen Fehlern (§ 177 AO) – Zerlegungsbescheid (§ 189 AO) – Gewerbesteuermessbescheid (§ 35b GewStG) – Verdeckte Gewinnausschüttung (§ 32a KStG) b) Weitere Steuergesetze Außerhalb der AO ist das Recht der Betriebsprüfung in weiteren Steuergesetzen geregelt. Dazu zählen z.B. die Lohnsteuer-Außenprüfung (§ 42f EStG), die Prüfung der Anrechnung, Vergütung oder Erstattung von Körperschaft- und Kapitalertragsteuer (§ 50b EStG), die Umsatzsteuersonderprüfung (§ 27b Abs. 3 UStG), die Liquiditätsprüfung1 (§ 2 Abs. 2 BpO 2000; §§ 249 II, 88, 93 ff. AO) und die kommunale Gewerbesteuerprüfung (§ 21 Abs. 3 FVG).

1.39

c) Datenschutz-Grundverordnung Die Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) finden m.E. auch im Rahmen einer Betriebsprüfung Anwendung. Für Einzelheiten wird auf (Rz. 1.698) verwiesen.

1.40

3. Verwaltungsvorschriften a) Anwendungserlass zur Abgabenordnung Im Anwendungserlass zur Abgabenordnung2 ist die Auffassung der Finanzverwaltung zur Auslegung und Anwendung der allgemeinen Vorschriften zur Betriebsprüfung (§ 193 ff. AO; Rz. 1.33) dargestellt. Bei dem Anwendungserlass handelt es sich um ein BMF-Schreiben, durch das eine einheitliche Rechtsauslegung sichergestellt werden soll. Im Anwendungserlass werden – mit Ausnahme von § 199 AO (Prüfungsgrundsätze) und § 203a AO (Betriebsprüfung bei Datenübermittlung) – sämtliche Vorschriften zur Betriebsprüfung (zumindest in Teilbereichen) und zur verbindlichen Zusage erläutert bzw. deren Auslegung durch die Verwaltung festgelegt.

1.41

Nach dem Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG) und der Selbstbindung der Finanzverwaltung entfaltet der Anwendungserlass eine (Außen-)Wirkung für den Steuerpflichtigen. Der Steuerpflichtige kann in Abhängigkeit von der Regelung im Anwendungserlass einen Anspruch auf eine bestimmte Anwendung bzw. Auslegung der entsprechenden gesetzlichen Regelung durch

1.42

1 Bruschke, NZI 2003, 636, 641. 2 BStBl. I 2014, 290 geändert durch BMF-Schreiben v. 1.8.2014, BStBl. I 2014, 1067; BMF v. 3.11.2014, BStBl. I 2014, 1393; BMF v. 14.1.2015, BStBl. I 2015, 76; BMF v. 22.7.2015, BStBl. I 2015, 571,; BMF v.10.12.2015, BStBl. I 2015, 1018; BMF v. 26.1.2016, BStBl. I 2016, 155; BMF v. 23.5.2016, BStBl. I 2016, 490; BMF v. 5.9.2016, BStBl. I 2016, 974; BMF v. 12.1.2017, BStBl. I 2017, 51; BMF v. 7.8.2017, BStBl. I 2017, 1257; BMF v. 6.12.2017, BStBl. I 2017, 1603; BMF v. 11.12.2017, BStBl. I 2017, 1604; BMF v. 12.1.2018, BStBl. I 2008, 175; BMF v. 18.1.2018, BStBl. I 2018, 204; BMF v. 24.1.2018, BStBl. I 2008, 258; BMF v. 29.5.2018, BStBl. I 2018, 699; BMF v. 19.6.2018, BStBl. I 2018, 706; BMF v. 31.1.2019, BStBl. I 2019, 71; BMF v. 5.4.2019, BStBl. I 2019, 446; BMF v. 17.6.2019, BStBl. I 2019, 518; BMF v. 27.9.2019, 946; BMF v. 20.12.2019, BStBl. I 2020, 59; BMF v. 4.5.2020, BStBl. I 2020, 518; BMF v. 28.5.2020, BStBl. I 2020, 534.

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Kap. 1 Rz. 1.42 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

die Verwaltung haben. Die FG sind an den Anwendungserlass als Verwaltungsvorschrift zwar nicht gebunden. Sie überprüfen jedoch im Einzelfall die Einhaltung der Grundsätze der Selbstbindung der Finanzverwaltung. b) Betriebsprüfungsordnung aa) Allgemeines

1.43

Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung (BpO)1 ist eine allgemeine Verwaltungsvorschrift i.S.v. Art. 108 Abs. 7 GG. Da die Verwaltung der Steuern den Landesfinanzbehörden obliegt (Art. 108 Abs. 2 GG), war für den Erlass der BpO und ist für Änderungen oder Ergänzungen der Verwaltungsvorschrift eine Zustimmung des Bundesrates erforderlich.

1.44

Die BpO gilt für Betriebsprüfungen der Landesfinanzbehörden und des Bundeszentralamts für Steuern (§ 1 Abs. 1 BpO 2000). Die Verwaltungsvorschrift umfasst Vorschriften zur Organisation der Finanzverwaltung und zum Verfahren bei der Durchführung der Betriebsprüfung.

1.45

Die BpO dient dazu, eine einheitliche Rechtsanwendung durch die Finanzbehörden sicherzustellen. Die Verwaltungsvorschrift bindet unmittelbar nur die Verwaltung, nicht den Steuerpflichtigen. Da die Behörde zur Anwendung der Verwaltungsvorschrift verpflichtet ist, kann sie jedoch auch für den Steuerpflichtigen Bedeutung haben. Denn ein Steuerpflichtiger kann über den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) einen Anspruch darauf haben, dass die Verwaltung ihr Ermessen innerhalb des Ermessenspielraums entsprechend der BpO ausübt.2 Andernfalls liegt ein Ermessensfehlgebrauch3 oder eine Ermessensüberschreitung vor, die von den FG und vom BFH überprüft werden können. bb) Vorschriften zur Organisation

1.46

Durch die Organisationsvorschriften wird die (innere) Organisation der Finanzbehörde geregelt. Die Regelungen sind z.B. die Grundlage für die Festlegung des sachlichen Anwendungsbereichs der BpO, für die verwaltungsinterne Aufgabenzuweisung, die Einbeziehung bzw. Unterrichtung der Steuerfahndung und das verwaltungsinterne Zusammenwirken bei der Prüfung eines Konzerns. Die Vorschriften haben keine (Außen-)Wirkung auf den Steuerpflichtigen. Die BpO umfasst die folgenden Organisationsvorschriften:4 – Anwendungsbereich der BpO 2000 (§ 1 BpO): Betriebsprüfungen und besondere Betriebsprüfungen (z.B. Lohnsteuer-Außenprüfung und Umsatzsteuersonderprüfung) der Landesfinanzbehörden und des Bundeszentralamts für Steuern. – Aufgaben der Betriebsprüfungsstellen (§ 2 BpO): U.a. Ermittlung und Beurteilung der steuerlich bedeutsamen Sachverhalte, um die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen (§§ 85, 199 Abs. 1 AO). Berücksichtigung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit der Mittel und des geringstmöglichen Eingriffs. – Unterrichtung der Steuerfahndung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 BpO): Unterrichtungspflicht der Betriebsprüfungsstelle, wenn sich während einer Betriebsprüfung zureichende tatsächliche 1 BpO 2000 v. 15.3.2000, BStBl. I 2000, 368, zuletzt geändert durch die allgemeine Verwaltungsvorschrift v. 20.7.2011, BStBl. I 2011, 710. 2 Vgl. z.B. Seer in T/K, Vor § 193 AO Rz. 7. 3 Vgl. z.B. Seer in T/K, § 5 AO Rz. 43, 50. 4 Vgl. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 81.

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B. Grundlagen | Rz. 1.48 Kap. 1

Anhaltspunkte für eine (Steuer-)Straftat (§ 152 Abs. 2 StPO) oder Ordnungswidrigkeit ergeben (Rz. 4.58). – Mitwirkung der Betriebsprüfungsstelle bei Erlass von Änderungsbescheiden und im Rechtsbehelfsverfahren (§ 12 Abs. 2 BpO): Betriebsprüfungsstelle hat Recht zur Stellungnahme, wenn das (Veranlagungs-)Finanzamt bei der Auswertung des Prüfungsberichts oder im Rechtsbehelfsverfahren von den Feststellungen der Betriebsprüfung abweichen will. – Konzernbetriebsprüfung (§§ 13–19 BpO): Prüfung eines Konzerns mit einem Außenumsatz von mindestens 25 Mio. Euro soll unter einheitlicher Leitung (grundsätzlich des Finanzamtes, das für das herrschende Unternehmen zuständig ist) und nach einheitlichen Gesichtspunkten erfolgen (zur Konzernprüfung Rz. 6.1). – Mitwirkung des Bundeszentralamts für Steuern (§ 20, § 24 BpO): Regelung der Bestimmung von Art und Umfang der Mitwirkung des Bundeszentralamtes für Steuern bei einer Betriebsprüfung. – Betriebsprüfungspersonal und Zusammenwirken (§§ 25–31 BpO): Regelungen zur Verwendung eines Beamten oder eines Verwaltungsangestelten als Betriebsprüfer, zum Einsatz eines sog. Betriebsprüfungshelfers, zum Prüfungsausweis und zur Durchführung von Prüferbesprechungen. – Führung der Betriebskartei und des Konzernverzeichnisses (§§ 32–33 BpO): Führung einer Kartei über Groß-, Mittel- und Kleinbetriebe durch Betriebsprüfungsstelle, Zusammensetzung der Kartei, Erhebung von „Konzerndaten“ durch zuständige Finanzbehörde zwecks Weiterleitung an das Bundeszentralamt für Steuern zur Erstellung eines Konzernverzeichnisses. – Prüfungsgeschäftsplan, Jahresstatistik (§ 34, § 35 BpO): Erfassung der zur Prüfung vorgesehenen Fälle in einem Prüfungsgeschäftsplan, Verpflichtung der Betriebsprüfungsstellen zur Aufstellung einer Jahresstatistik. – Betriebsprüfungsarchiv, Kennzahlen, Hauptorte (§§ 36–38 BpO): Sammlung und Erfassung von Daten, Informationen und Unterlagen für ein Betriebsprüfungsarchiv und eine Datenbank. cc) Vorschriften zum Prüfungsverfahren In den Verfahrensvorschriften der BpO ist die Durchführung der Betriebsprüfung z.T. ergänzend zu den Regelungen in § 193 ff. AO (Rz. 1.33) und z.T. darüber hinausgehend geregelt. Diese Vorschriften entfalten nach dem Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG) und Selbstbindung der Verwaltung eine unmittelbare (Außen-)Wirkung für den Steuerpflichtigen. Ein Steuerpflichtiger hat danach einen durchsetzbaren Anspruch so behandelt zu werden, wie es die Vorschriften der BpO vorsehen.

1.47

Soweit eine Verfahrensvorschrift das „Wie“ einer Ausübung von Ermessen, das der Verwaltung nach einer Regelung der AO zusteht (z.B. § 194 Abs. 1 Satz 2 AO), regelt (z.B. § 3, § 4 und § 7 BpO), hat sich die Verwaltung durch die Verfahrensvorschrift m.E. selbst gebunden. Dies bedeutet, dass alle vergleichbaren Fälle entsprechend der in der BpO geregelten Ermessensausübung zu behandeln sind.1 Für den Fall, dass die Betriebsprüfung hiervon ohne sachli-

1.48

1 Eckhoff, Rechtsanwendungsgleichheit im Steuerrecht, S. 492; Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193– 203 AO Rz. 84 mit Hinweis auf BFH v. 11.11.2010 – VI R 16/09, DStRE 2011, 218; BFH v. 7.12.2005 – I R 123/04, BFH/NV 2006, 1097; BFH v. 26.4.1995 – XI R 81/93, BStBl. II 1995, 754.

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Kap. 1 Rz. 1.48 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

chen Grund abweicht, also ermessenfehlerhaft handelt, kann der Steuerpflichtige dieses fehlerhafte Verwaltungshandeln finanzgerichtlich angreifen (zum Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Betriebsprüfung Rz. 1.807).

1.49

Die folgenden Vorschriften der BpO regeln das Prüfungsverfahren: – Einteilung der Steuerpflichtigen in Größenklassen (§ 3 BpO): Die zu prüfenden Steuerpflichtigen werden in die Größenklassen Großbetriebe, Mittelbetriebe, Kleinbetriebe und Kleinstbetriebe eingeordnet. Der Umfang der Prüfung richtet sich u.a. nach der Größenklasse (§ 4 Abs. 4). – Umfang der Betriebsprüfung (§ 4 BpO): Bestimmung des Prüfungszeitraums, ggf. nur Durchführung einer abgekürzten Betriebsprüfung (§ 203 AO). – Zeitnahe Betriebsprüfung (§ 4a BpO): Möglichkeit einer gegenwartsnahen Prüfung eines Steuerpflichtigen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen. – Anordnung der Betriebsprüfung (§ 5 BpO): Konkretisierung von § 196 AO (Prüfungsanordnung). – Ort der Betriebsprüfung (§ 6 BpO): Grundsätzlich ist die Prüfung in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen durchzuführen. – Prüfungsgrundsätze (§ 7 BpO): Konkretisierung der Prüfungsgrundsätze nach § 199 AO u.a. dahingehend, dass die Prüfung auf das Wesentliche und ihre Dauer auf das notwendige Maß zu beschränken ist (zu den Prüfungsgrundsätzen Rz. 1.404). – Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (§ 8 BpO): Konkretisierung von § 200 AO (zu den Mitwirkungspflichten Rz. 1.525). – Kontrollmitteilungen der Betriebsprüfung (§ 9 BpO): Mitteilungspflicht der Betriebsprüfung gegenüber zuständigen Finanzbehörden hinsichtlich von Feststellungen i.S.v. § 194 Abs. 3 AO und dem Bundeszentralamt für Steuern hinsichtlich Auslandsbeziehungen. – Verdacht einer Steuerstraftat (§ 10 Abs. 1 Satz 3 ff. BpO): Fortsetzung der Prüfung erst nach Mitteilung an den Steuerpflichtigen über Einleitung des Strafverfahrens. Belehrungspflicht mit Hinweis auf § 393 Abs. 1 AO (zu den steuerstrafrechtlichen Aspekten der Betriebsprüfung Rz. 4.1). – Schlussbesprechung (§ 11 BpO): Konkretisierung von § 201 AO. – Prüfungsbericht und Auswertung der Prüfungsfeststellungen (§ 12 BpO): Konkretisierung von § 202 AO. – Auswahl der Betriebe und Unterrichtung über die vorgesehene Mitwirkung (§ 21 BpO): Konkretisierung von § 193, § 195 AO. – Mitwirkung des Bundeszentralamts für Steuern (§ 22 BpO): Übernahme von in sich geschlossenen Prüfungsfeldern durch Bundesprüfer. c) Rationalisierungserlasse der Länder

1.50

In (Länder-)Erlassen haben die obersten Finanzbehörden der Länder Vorschriften für eine „rationelle“ Durchführung von Betriebsprüfungen aufgestellt.1 Den Erlassen liegt die Über1 FinMin. NW, Erlass v. 13.6.1995 – S 1502 - 4 - V C 5.

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B. Grundlagen | Rz. 1.52 Kap. 1

legung zugrunde, dass eine wesentliche Aufgabe des Betriebsprüfungsdienstes die Sicherstellung einer gleichmäßigen Anwendung des Steuerrechts ist.1 Diese Aufgabe sei – so die Vorbemerkung des Erlasses des Finanzministeriums Nordrhein-Westfalens angelehnt an die Prüfungsgrundsätze der BpO (§ 7 BpO) – nur erfüllbar, wenn der Prüfungsdienst sein Augenmerk in erster Linie auf solche Sachverhalte richtet, die zu endgültigen Steuerausfällen oder Steuererstattungen oder zu nicht unbedeutenden Gewinnverlagerungen führen. Dabei ist das Ziel der Erlassregelungen, nach einheitlichen Grundsätzen zu einer effizienten Fallauswahl, zu einer qualitativen Verbesserung der Betriebsprüfungen, zu einer zügigeren Abwicklung der Betriebsprüfungen, zu zeitnahen Betriebsprüfungen und zu einer schnelleren Auswertung der Prüfungsfeststellungen zu kommen.2

1.51

Die Rationalisierungserlasse umfassen Vorschriften zu folgenden Bereichen: – Vorbereitende Maßnahmen (Auswahl der zu prüfenden Betriebe, branchenmäßiger Einsatz der Betriebsprüfer, mehrmalige Prüfung durch denselben Prüfer, Einsatz eines Prüferteams, Zusammenarbeit mit dem Bundeszentralamt für Steuern, Grundsätze für die Prüfungsvorbereitung, Aussonderung nicht prüfungsrelevanter Betriebe), – Durchführung der Betriebsprüfung (Prüfungsschwerpunkte, Kontrollmaterial, vorzeitige Beendigung von Betriebsprüfungen, Erweiterung des Prüfungszeitraums bei erwarteten nicht unerheblichen Steuernachforderungen oder Steuererstattungen, vorzeitige Auswertung von Prüfungsfeststellungen bei langdauernden Betriebsprüfungen), – Prüfungsbericht (Inhalt des Prüfungsberichts, Aussagen zur Buchführung, Bericht bei abgekürzter Betriebsprüfung, Abfassung des Prüfungsberichts, Arbeitsbogen des Betriebsprüfers, Frist für die Stellungnahme zum Prüfungsbericht), – Verwertungsverbot hinsichtlich der Betriebsprüfungsergebnisse (dazu Rz. 1.515). d) BMF-Schreiben Die Rechtsauffassung der Verwaltung zur Anwendung des Rechts der Betriebsprüfung wird in zahlreichen BMF-Schreiben wiedergegeben. Zu nennen sind z.B. der Anwendungserlass zur Abgabenordnung (Rz. 1.41) und das BMF-Schreiben v. 11.11.19743 zur Prüfungstechnik. Im „Prüftechnik-Schreiben“ sind die Begriffe der steuerlichen Prüfungstechnik erläutert. Da die Begriffe der steuerlichen Prüfungstechnik die durch das Steuerrecht gezogenen Grenzen (§§ 4 bis 7 EStG, § 9b EStG, § 1 UStG, § 30 UStG, § 1 Abs. 3 WEV) beachten müssen, stimmen sie mit den allgemeinen betriebswirtschaftlichen Begriffen nicht in allen Fällen überein. Ferner weichen die Begriffe der steuerlichen Prüfungstechnik aus praktischen Gründen in einigen Fällen geringfügig von den Begriffen der Richtsatzermittlung und Richtsatzanwendung ab. Auf die Vorbemerkungen in den Richtsatzsammlungen wird hingewiesen. Weiterhin zu nennen sind die BMF-Schreiben, in denen die Größenklasse i.S.v. § 3 BpO konkretisiert wird (Rz. 1.93).4

1 2 3 4

Vgl. FinMin. NW, Erlass v. 13.6.1995 – S 1502 - 4 - V C 5, Tz. 1. Vgl. FinMin. NW, Erlass v. 13.6.1995 – S 1502 - 4 - V C 5, Tz. 1. BMF-Schreiben v. 11.11.1974 – IV B 7 - S 1401 – 25/74, BStBl. I 1974, 994. BMF-Schreiben v. 20.8.2009 – IV A 4 - S 1450/08/10001, 2009/0499217, BStBl. I 2009, 886.

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1.52

Kap. 1 Rz. 1.53 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

III. Aufbau und Organisation der Finanzverwaltung 1. Aufbau der Finanzverwaltung a) Ober-, Mittel- und örtliche Behörden

1.53

Gemäß Art. 108 Abs. 2 GG obliegt die Aufgabe der Steuerverwaltung weitgehend den Ländern. Denn Schwerpunkt deren Tätigkeit ist im Wesentlichen die Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Steuererklärung im Bereich der Ertragssteuern i.S.d. EStG, KStG, GewStG sowie der Umsatzsteuer. Soweit diese Steuern ganz oder teilweise dem Bund zufließen, werden sie im Auftrag des Bundes tätig. Ursprünglich (bis 2001) schrieb § 2 FVG einen dreigliedrigen Verwaltungsaufbau vor, nämlich: 1. Landesfinanzministerium als oberste Landesbehörde, 2. Oberfinanzdirektion als Mittelbehörde und 3. Finanzamt als örtliche Behörde.

1.54

Diese zwingende Vorgabe wurde 20011 aufgegeben. Seitdem können die Länder anstelle der Mittelbehörde auf deren Einrichtung ganz verzichten und die dort wahrgenommenen Aufgaben in den Ministerien eingliedern (§ 2a FVG) oder auch reine Landesbehörden als Oberbehörden einrichten (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 FVG). Viele Länder haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht2. Aufgabe der obersten Landesbehörde ist die Leitung der Landesfinanzverwaltung (§ 3 Abs. 2 Satz 1 FVG). Die Ober- bzw. Mittelbehörden dienen als Bindeglied zwischen Ministerium und Finanzamt. Sie nehmen die ihnen vom Ministerium übertragenen Aufgaben wahr (§ 6 Abs. 2 FVG). Als solche unterstützen sie die ihnen nachgeordneten Finanzämter in fachlicher, organisatorischer und technischer Hinsicht und üben grundsätzlich über diese die Fach- und Dienstaufsicht aus. Als solche sind sie keine unmittelbaren Ansprechpartner für den Steuerpflichtigen. b) Finanzamt aa) Zuständigkeit

1.55

Sachlich nehmen die Finanzämter als örtliche Behörden die Aufgabe als Ansprechpartner für den Steuerpflichtigen wahr. Dies folgt aus § 16 AO i.V.m. § 17 Abs. 2 FVG, wonach diese für die Verwaltung der Steuern mit Ausnahme der Kraftfahrzeugsteuer, der sonstigen auf motorisierte Verkehrsmittel bezogenen Verkehrssteuern, der Zölle und der bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern zuständig sind. Verkürzt gesprochen konzentrieren sich deren Aufgaben auf die Festsetzung und Erhebung der von ihnen verwalteten Steuern. Diesem Zweck dient auch die steuerliche Betriebsprüfung. Deren Aufgabe ist es im Wesentlichen, die Erklärungen betrieblicher Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Nr. 1–3 EStG) sowie tatsächlich komplexer Überschusseinkünfte (§ 193 Abs. 2 Nr. 2 AO), nicht im Finanzamt, sondern beim Steuerpflichtigen (§ 200 Abs. 2 AO) zu überprüfen und die Ergebnisse an den Innendienst – ggf. zum Zweck des Erlasses eines Änderungsbescheids – zu berichten (§ 202 AO). Als solche sind sie grundsätzlich3 auf Ebene der örtlichen Finanzbehörden angesiedelt.

1.56

Funktional und örtlich sind die Finanzämter jeweils für einen räumlich bestimmten Zuständigkeitsbereichs (Bezirk) zuständig, innerhalb dessen sie alle Aufgaben im Zusammenhang mit 1 Gesetz v. 14.12.2001, BGBl. I 2001, 3714. 2 Überblick: https://de.wikipedia.org/wiki/Oberfinanzdirektion. 3 Zu den Ausnahmen s. Rz. 1.72 und 1.78.

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B. Grundlagen | Rz. 1.59 Kap. 1

der Besteuerung der dort ansässigen Steuerpflichtigen wahrnehmen. Die Abgabenordnung (AO) und die Einzelsteuergesetze legen Grundsätze für die Bestimmung der Zuständigkeit fest, z.B. das Wohnsitzprinzip bei der Einkommensteuer (§ 18 AO), das Belegenheitsprinzip bei der Grundsteuer (§ 22 AO) oder das Geschäftsleitungsprinzip bei der Körperschaftsteuer (§ 20 AO). Darüber hinaus können die Länder aus organisatorischen Gründen die Zuständigkeiten der Finanzämter per Verordnung auch anders regeln. Davon machen sie in unterschiedlichem Ausmaß Gebrauch. Häufig werden die folgenden Aufgaben bei bestimmten Finanzämtern konzentriert, das heißt, ein Finanzamt nimmt sie komplett oder große Teile davon für den gesamten Bezirk einer Oberfinanzdirektion/eines Landesamtes wahr: Finanzkasse, Betriebsprüfung, Steuerfahndung, Bearbeitung von Steuerstrafsachen sowie Erbschafts- und Schenkungsteuer.1 bb) Hierarchischer Aufbau Nach der Geschäftsordnung für die Finanzämter (FAGO) existieren in jedem Finanzamt drei Hierarchieebenen: Die Leitung eines Finanzamtes hat der Amtsvorsteher bzw. Amtsleiter inne. Auf der mittleren Führungsebene werden i.d.R. funktionsbezogene Sachgebiete eingerichtet. Geleitet werden sie jeweils von einem Sachgebietsleiter. Auf der dritten Ebene, der sog. Arbeitsebene, werden Sachbearbeiter eingesetzt.

1.57

cc) Innendienst und Außendienst Begrifflich werden die verschiedenen Aufgaben des Finanzamts2 in zwei große Kategorien unterteilt: den Innendienst und den Außendienst. Wie die Namen zum Ausdruck bringen, unterscheiden sich die Aufgaben durch den Ort ihrer Tätigkeitsausübung. Die überwiegende Aufgabe3 des Innendienstes ist die Festsetzung bzw. Erhebung der Steuern. Indes betreiben sämtliche Außendienste des Finanzamts (Betriebsprüfung, Steuerfahndung, Lohnsteuer-Außenprüfung, Umsatzsteuersonderprüfung) als verlängerter Arm des Innendienstes lediglich Sachverhaltsaufklärung vor Ort beim Steuerpflichtigen. Das Ergebnis dieser Tätigkeit mündet in einem Bericht, den der Innendienst in Form von Bescheiden ggü. dem Steuerpflichtigen umsetzt.

1.58

c) Die verschiedenen Betriebsprüfungsdienste aa) Betriebsprüfung Mit Abstand die größte Außenprüfungseinheit verkörpert die Betriebsprüfung mit knapp 14.000 Mitarbeitern bundesweit.4 2019 führte sie knapp 182 tsd. Betriebsprüfungen durch und stellte dabei ein Mehrergebnis i.H.v. 15,2 Mrd. €.5 Zweck der Betriebsprüfung ist die Ermittlung und Beurteilung der steuerlich bedeutsamen Sachverhalte, um die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen (§ 2 BpO 2000). Im Schwerpunkt überprüft sie beim Steuerpflichtigen die Ordnungsmäßigkeit der Steuererklärungen der Gewinnermittler (§ 193 Abs. 1 AO). Als solche ist sie als Prüfungsdienst für sämtliche Steuern im Zuständigkeitsbereich der Landesfinanzverwaltungen zuständig. Dies gilt gleichermaßen für die Betriebsprüfungsdienste der Länder und des Bundes. 1 2 3 4 5

Siehe Anhang: Aufgaben im Finanzamt. Siehe Tabelle (Anhang 1): Aufgaben im Finanzamt. Siehe Tabelle (Anhang 1): Aufgaben im Finanzamt. Monatsbericht des BMF Oktober 2020: Ergebnisse der steuerlichen Betriebsprüfung 2019. Monatsbericht des BMF Oktober 2020: Ergebnisse der steuerlichen Betriebsprüfung 2019.

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1.59

Kap. 1 Rz. 1.60 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.60

Als „Kontrollinstitution“ ist die Betriebsprüfung kein lediglich dem materiellen Steuerrecht dienendes Verfahren, sondern ein verfassungsrechtlich gebotenes, zugleich auch verfassungsrechtlich begrenztes Mittel zur Verwirklichung der Besteuerungsgleichheit.1 Im Bereich der Einkommensteuer legt der Steuergesetzgeber dem Stpfl. die Erklärungspflicht hinsichtlich seiner Einkünfte sowie erhebliche Mitwirkungspflichten (§§ 90 ff. AO) bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen auf. Im Bereich der Gewinneinkünfte verlagert er mit Hilfe der Buchführungspflicht (§ 140 ff. AO) die Ermittlungsarbeit im ersten Schritt vollständig auf die Stpfl. Im Veranlagungsverfahren bedarf das Deklarationsprinzip der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip. Mit Hilfe der kontrollierenden Verwaltung muss der Gesetzgeber insb. sicherstellen, dass Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit auch dort verwirklicht werden, wo nicht die Verwaltung selbst, sondern wo Private das materielle Recht (durch Steuererklärungen und Steuerbilanzen) vollziehen. Dabei gilt insbesondere zu beachten, dass Steuerpflichtige, die ihre Einkünfte als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten ermitteln (§ 2 Abs. 1 Nr. 4–7 EStG), grundsätzlich gehalten sind, neben ihrer Steuererklärung (§ 150 Abs. 1, 149 Abs. 1 AO z.B. i.V.m. § 25 Abs. 3 EStG) die dazu gehörigen Belege vorzulegen (§ 90 Abs. 1 AO i.V.m. § 97 AO). An diesem Verifikationsprinzip hat sich durch das Verfahrensrechtsmodernisierungsgesetz2 nichts geändert. Zwar hat sich mit Wirkung ab Veranlagungszeitraum 2017 die Vorlagepflicht in eine Belegvorhaltepflicht3 gewandelt, nach der der Steuerpflichtige die Unterlagen bis zur Bestandskraft des Steuerbescheids zur Überprüfung durch das Finanzamt vorhalten muss.4 Dies ändert jedoch nicht an dem Prinzip, dass der Steuerpflichtige bei Zweifeln sämtliche Belege am Finanzamt vorzulegen hat. Hingegen haben Gewinnermittler neben der Steuererklärung lediglich ihre Gewinnermittlung einzureichen (§ 150 Abs. 4 AO i.V.m. § 60 Abs. 2 bzw. Abs. 4 EStDV). Die dieser zugrunde liegenden Grundaufzeichnungen sind indes grds. nicht beim Amt vorzulegen. Diese Unterlagen sind aber – im Unterschied zu den Überschusseinkünften – zehn bzw. sechs Jahre aufzubewahren (§ 147 Abs. 3 AO) und werden von der Betriebsprüfung vor Ort beim Steuerpflichtigen geprüft. Damit ermöglicht die Betriebsprüfung Rechtsanwendungsgleichheit beim Vollzug der Einkommen- und Körperschaftsteuer.5

1.61

Die Betriebsprüfung hat ihren Tätigkeitsschwerpunkt im Besteuerungsverfahren. Ihre Prüfungstätigkeit (§ 199 Abs. 1 AO) übt sie unter Mitwirkung des Steuerpflichtigen aus (§ 200 AO). Bei nicht weiter aufklärbaren Sachverhalten gilt der Grundsatz der Feststellungslast, d.h. jede Partei muss im Zweifel die für sie günstigen Umstände nachweisen.6 Im Unterschied zur Steuerfahndung kündigt die Betriebsprüfung ihr Tätigwerden ggü. dem Steuerpflichtigen grds. durch eine Prüfungsanordnung (§ 196 AO) an.7

1.62

Kein Gegenstand ist die Durchführung von Steuerfahndungsprüfungen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BpO 2000). Sie ist den Steuerfahndungsbehörden vorbehalten, deren Aufgabe im Wesentlichen die Aufdeckung von Steuerstraftaten und Ordnungswidrigkeiten ist. Im Einzelnen 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Tipke, Steuerliche Betriebsprüfung im Rechtsstaat, 14 ff. Gesetz v. 18.7.2016, BGBl. I 2016, 1679. Siehe z.B. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG, § 50 Abs. 5 EStDV. Baldauf, DStR 2016, 833 (839). Schallmoser in HHSp, Vor § 193–203 AO Rz. 42. Rätke in Klein, § 88 AO, Rz. 61. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz regelt § 146b AO. Bei der sog. Kassen-Nachschau ist das Finanzamt berechtigt, ohne vorherige Ankündigung außerhalb einer Betriebsprüfung die Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen und Buchungen der Kasseneinnahmen und -ausgaben zu prüfen. In der Regel übernimmt die Betriebsprüfung diese Aufgabe.

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B. Grundlagen | Rz. 1.64 Kap. 1

sind diese Aufgaben in § 208 AO und die über das Steuerverfahren hinausgehenden Rechte in § 404 AO geregelt. Auch wird die Betriebsprüfung i.d.R. nicht bei unbekannten Steuerfällen tätig (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO). bb) Betriebsnahe Veranlagung (BNV) Bei der BNV handelt es sich um einen Teil des Innendienstes, der vor Ort beim Steuerpflichtigen Sachverhaltsaufklärung betreibt. Diese Prüfungseinheit ist weder in der AO noch in der BpO 2000 gesondert geregelt. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in der GNOFÄ v. 4.3.1981.1 Gemäß Tz. 1.2.5. GNOFÄ ist eine BNV vorgesehen, wenn die bei der Ermittlung des steuerlichen Sachverhalts auftretenden Unklarheiten an Ort und Stelle geklärt werden, soweit nicht die Durchführung einer Betriebsprüfung erforderlich ist. Hieraus wird abgeleitet, dass die BNV eine Form der Sachverhaltsaufklärung des Innendienstes ist. Daraus folgt zweierlei: zum einen stützen sich die Ermittlungsmaßnahmen insoweit auf die §§ 85 ff. AO und nicht auf §§ 193 ff. AO; zum anderen wird aus der Zugehörigkeit zum Innendienst abgeleitet, dass die BNV berechtigt ist, die Ergebnisse ihrer Ermittlungen in Form eines geänderten Bescheids selbst umzusetzen (veranlagende Betriebsprüfung). Das Recht hierzu wird aus § 195 S. 3 AO abgeleitet, nach dem die mit der Prüfung beauftragte Behörde im Namen der beauftragenden Behörde die Steuerfestsetzung vornehmen darf.2 Soweit sie die Prüfung von Kst-Betrieben durchführt, wird sie allerdings auf Basis von §§ 193 ff. AO i.V.m. BpO tätig. In diesem Fall erstreckt sich die Prüfung auf sämtliche steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen. Als Teil des Innendienstes wird sie teilweise auch veranlagend tätig. Üblich ist diese Form der Prüfung nach wie vor in Bayern.

1.63

cc) Steuerfahndung Aufgabe der Steuerfahndung ist die Erforschung von Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten, die Ermittlung der dazu gehörigen Besteuerungsgrundlagen sowie die Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle (§ 208 Abs. 1 Satz 1 AO). Neben der Betriebsprüfung ist sie der zweitgrößte Außendienst der Finanzverwaltung. 2019 erledigte diese Einheit bundesweit insgesamt rd. 35.000 Prüfungen, stellte ca. 2,8 Mrd. € Mehrsteuern fest und führte zu 1.234 Jahren Gefängnisstrafe.3 Zur Ermittlung von Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten stehen ihr die polizeilichen Befugnisse zu, die der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zustehen (§§ 404, 385, 399 AO i.V.m. StPO). Dafür gilt für den Steuerpflichtigen das Recht zu schweigen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO) sowie, dass sich niemand selbst einer Straftat bezichtigen muss4. Die Rechte und Pflichten im Besteuerungsverfahren werden von diesen strafrechtlichen Regeln nur insoweit beschränkt, als im Besteuerungsverfahren Zwangsmittel unzulässig sind, wenn der Steuerpflichtige hierdurch gezwungen würde, sich selbst einer Steuerstraftat zu bezichtigen (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO). Dies bedeutet etwa, dass das strafrechtlich zulässige Schweigen für Besteuerungszwecke nach den allgemeinen Regeln der Feststellungslast berücksichtigt werden darf.

1 BStBl. I 1981, 270. 2 Ebenso: Schallmoser in H/H/Sp Vor §§ 193–203 AO, Rz. 150. 3 Monatsbericht des BMF Oktober 2020: Verfolgung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten im Jahr 2019. 4 Sog. „nemo tenetur“- Grundsatz; s. nur: BVerfG v. 27.4.2010 – 2 BvL 13/07.

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1.64

Kap. 1 Rz. 1.65 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

dd) Lohnsteuer-Außenprüfung

1.65

Die Lohnsteuer-Außenprüfung ist eigenständig in § 42 f. EStG geregelt. Sie ist zuständig für die Betriebsprüfung des Einbehalts (§ 38 Abs. 3 EStG) oder Übernahme (§ 40 Abs. 3 EStG) und Abführung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) der Lohnsteuer. Die Lohnsteuer-Außenprüfung erstreckt sich darauf, ob der ArbG die Lohnsteuer zutreffend einbehalten oder übernommen und an das Finanzamt abgeführt hat.1 Sie betrifft daher – übereinstimmend mit dem Regelungsinhalt der zugrunde liegenden Lohnsteueranmeldungen (§ 41a Abs. 1 EStG) – die einzubehaltende und zu übernehmende Lohnsteuer. Sie erfasst – wie die Lohnsteueranmeldungen – (zeitraumbezogen) grds. alle Sachverhalte, die in den jeweiligen Anmeldungszeiträumen (§ 41a Abs. 2 EStG) zu Lohnzuflüssen (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG) beim Arbeitnehmer geführt haben. Sie erfasst auch die pauschale Lohnsteuer i.S.v. 37b Abs. 4 EStG. Kein Ziel der Lohnsteuer-Außenprüfung ist es, die zutreffende individuelle Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers zu ermitteln.2 ee) Umsatzsteuer-Sonderprüfung

1.66

Bei der Umsatzsteuer-Sonderprüfung handelt es sich um einen speziellen Prüfungsdienst im Finanzamt, der auf die zeitnahe Prüfung spezieller umsatzsteuerlicher Sachverhalte konzentriert ist.3 Als solcher prüft er im Wesentlichen die Ordnungsmäßigkeit von Umsatzsteuervoranmeldungen (§ 18 Abs. 1 UStG i.V.m. § 167 Abs. 1 AO). Die Überprüfung der Jahressteuererklärungen (§ 18 Abs. 3 UStG) obliegt hingegen der Betriebsprüfung. Das Verfahren richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften der Betriebsprüfung (§§ 193 ff. AO). Dementsprechend werden Umsatzsteuer-Sonderprüfungen ebenso wie Betriebsprüfungen durch eine Prüfungsanordnung (§ 196 AO) ggü. dem Steuerpflichtigen angekündigt. Eine Ausnahme regelt die sog. Umsatzersteuer-Nachschau (§ 27b UStG). Ebenso wie die Kassennachschau ist sie keine Betriebsprüfung und unterscheidet sich durch die unterbleibende Ankündigung. Ihre Zielrichtung ist die Überprüfung vor Ort, ob gesetzliche Vorgaben vom Unternehmer tatsächlich umgesetzt werden. Klassisches Beispiel hierfür ist z.B. die Überprüfung, ob die Berechnung des richtigen Umsatzsteuersatzes (7 % bzw. 19 %) durch den Unternehmer erfolgt. ff) Liquiditätsprüfung

1.67

§ 2 Abs. 2 BpO nennt als eine weitere Prüfungsart, die der BP übertragen werden kann, sog. Liquiditätsprüfungen. Diese umfassen Prüfungen im Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren auf Grund der Ermittlungsbefugnisse nach §§ 88 und 249 Abs. 2 AO sowie der Auskunftsund Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen nach §§ 90 ff. AO. Als solche sind sie – entgegen § 2 Abs. 2 BpO – i.d.R. nicht der BP sondern den Vollstreckungsdiensten des Finanzamts zugeteilt. Sie dienen in erster Linie der Ermittlung pfändbarer Forderungen, belastbarer Grundstücke und pfändbarer Sachen auch die Ermittlung anfechtbarer Rechtshandlungen und der Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme. Wesentlich ist auch die Feststellung der Zahlungsfähigkeit sowie die Prüfung der Werthaltigkeit angebotener Sicherheiten. Darüber hinaus dient die Prüfung der Sachverhaltsermittlung bei bedeutenden Vollstreckungsschutz-, Stundungs- und Erlassanträgen bis hin zur betriebswirtschaftlichen Prognose über die Ertragslage eines Unternehmens.4 1 2 3 4

Vgl. auch BFH v. 9.3.1990 – VI R 87/89, BStBl. II 1990, 608. Heuermann in Blümich, § 42f EStG Rz. 14. Siehe BMF v. 7.11.2002 – IV B 2 - S 7420 a – 4/02, BStBl. I 2002, 1366. Bruschke, NZI 2003, 636.

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B. Grundlagen | Rz. 1.69 Kap. 1

gg) Kommunale Gewerbesteuerprüfung Gemäß § 21 Abs. 3 FVG stehen den Gemeinden hinsichtlich der Realsteuern insoweit Auskunfts- und Teilnahmerechte im Rahmen von Betriebsprüfungen zu, als diese von den Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Die Gemeinden sind jedoch nur dann berechtigt, durch Gemeindebedienstete an Betriebsprüfungen bei Steuerpflichtigen teilzunehmen, wenn diese in der Gemeinde eine Betriebsstätte unterhalten oder Grundbesitz haben und die Betriebsprüfungen im Gemeindebezirk erfolgen. In der Regel wird dieses Recht auf dem Gebiet der Gewerbesteuer genutzt (Gewerbesteuerprüfung). Größere Kommunen verfügen zum Teil über eigene Prüfungseinheiten. Ein eigenes Recht, Prüfungen anzuordnen steht diesen ebenso wenig zu1 wie das Recht, eigene Prüfungshandlungen vorzunehmen. Denn § 21 Abs. 3 FVG berechtigt nur zur Teilnahme2 und in diesem Zusammenhang auch zur Betretung der Geschäftsräume des Steuerpflichtigen (§ 200 Abs. 3 Satz 2 AO).3

1.68

2. Aufbau der Betriebsprüfung a) Betriebsprüfung der Länder aa) Organisation durch Länder Wie die Betriebsprüfung organisiert ist, können die jeweiligen Landesregierungen bzw. Länderfinanzministerien per Rechtsverordnung selbst bestimmen (§ 17 Abs. 2 Satz 3 FVG).4 Hier1 2 3 4

BFH v. 23.1.2020 – III R 9/18, DStRE 2020,944. Zur Abgrenzung zu Mitwirkungsrechten s. unten Rz. 1.79. BFH v. 23.1.2020 – III R 9/18, DStRE 2020, 944. BW VO des Finanzministeriums zur Übertragung von Aufgaben der Finanzverwaltung auf bestimmte Finanzämter – Finanzämter-ZuständigkeitsVO v. 30.11.2004 (GBl. 2004, 865), zuletzt geändert durch VO des Finanz- und Wirtschaftsministeriums zur Änderung der Finanzämter-Zuständigkeitsverordnung v. 1.12.2015, (BStBl. I 2015, 1089); Bay. VO über Organisation und Zuständigkeiten in der Bayerischen Steuerverwaltung (ZZustSt) v. 1.12.2005, zuletzt geändert durch VO zur Änderung der Steuer-Zuständigkeitsverordnung v. 15.12.2017 (BStBl. I 2018, 248); Berliner VO über besondere Zuständigkeitsregelungen im Bereich der Finanzverwaltung des Landes Berlin (Finanzämter-Zuständigkeitsverordnung – FÄZustV) v. 4.6.2015 (BStBl. I 2015, 547), zuletzt geändert durch VO über besondere Zuständigkeitsregelungen im Bereich der Finanzverwaltung des Landes Berlin (Finanzämter-Zuständigkeitsverordnung – FÄZustVO) v. 17.11.2015 (BStBl. I 2016, 15); Bdb. VO über die Zuständigkeiten der Finanzämter v. 11.3.1996 (GVBl. II 1996, 238), zuletzt geändert durch VO zur Änderung der VO über die Zuständigkeiten der Finanzämter v. 9.9.2015 (BStBl. I 2015, 747); Bremer Finanzämter-ZuständigkeitsVO v. 31.7.2004 (Bremer GBl. 2004, 446), zuletzt geändert durch Vierzehnte VO zur Änderung der FinanzämterZuständigkeitsverordnung v. 8.12.2017 (BStBl. I 2018, 172); Hamburger Anordnung über die Zuständigkeit der Finanzämter v. 28.10.1997 (Amtl. Anz. 1997, 2609), zuletzt geändert durch Anordnung v. 25.2.2003 (BStBl. I 2003, 172); Hess. ZustVOFÄ v. 11.12.2003 (GVBl. I 2003, 335); MV FinanzamtszuständigkeitsVO v. 10.9.1998 (GVOBl. MV 1998, 820), geändert durch VO v. 26.5.1999 (GVOBl. MV 1999, 305); Erbschaft- und Schenkungsteuer-ÜbertragungsVO v. 13.9.2001 (BStBl. I 2002, 546); Nds. VO über die Zuständigkeit der Finanzbehörden v. 14.12.2005 (Nds. GvBl. 2005,411), zuletzt geändert durch VO zur Änderung der Verordnung über Zuständigkeiten der Finanzbehörden v. 14.12.2016 (BStBl. I 2017, 98); NRW FinanzamtszuständigkeitsVO v. 17.6.2013 (GV NRW 2013, 350), zuletzt geändert durch Vierte VO zur Änderung der FinanzamtszuständigkeitsVO v. 16.7.2015 (BGBl. I 2015, 634); Rh.-Pf. VO v. 10.10.1990 (GVBl. 1990, 311), zuletzt geändert durch VO v. 24.11.1994 (GVBl. 1994, 450); Saarl. VO über die Zuständigkeiten der Finanzämter (FinÄZVO) v. 16.9.2005 (ABl. Saarl. I 2005, 1538), geändert durch Erste VO zur Änderung der VO über Zuständigkeiten der Finanzämter (FinÄZVO) v. 1.10.2007 (BStBl. I 2008, 20); Sächs. VO des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen über Bezeichnung, Sitz,

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1.69

Kap. 1 Rz. 1.69 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

zu können sie einzelnen Behörden Aufgaben für mehrere Finanzämter zuweisen, sofern dies den Vollzug der Aufgaben verbessert oder erleichtert. Dementsprechend unterscheiden sich die Organisationsformen der einzelnen Bundesländer.1 Gemeinsam ist allen, dass die Prüfung kleinerer Unternehmen2 durch eine unselbständige Prüfungseinheit innerhalb eines Finanzamts (im Weiteren: Betriebsprüfungsstelle) erfolgt.3 Indes ist die Prüfung von großen Betrieben und Konzernen sehr unterschiedlich geregelt. Teilweise erfolgt diese ebenfalls durch die Betriebsprüfungsstelle4 am Finanzamt, teilweise ist diese aber auch auf einzelne spezielle Betriebsprüfungsstellen5 oder Betriebsprüfungsämter6 konzentriert. Ferner gibt es in einzelnen Bundesländern Sonderzuständigkeiten in einzelnen Betriebsprüfungsstellen7 oder in einem Amt8 für die Prüfung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe. Neben den Prüfern an den eben genannten Stellen gibt es i.d.R. sog. Fachprüfer für Internationales Steuerrecht (s. unten Rz. 1.74), betriebliche Altersversorgung (s. unten Rz. 1.75) und Unternehmensbewertung (s. unten Rz. 1.76), deren Aufgabe es ist, einzelne Prüfungsthemen zu übernehmen. Diese Personen sind in der Bundesbetriebsprüfung (s. unten Rz. 1.78) am Bundezentralamt für Steuern, den Oberbehörden oder einzelnen BP-Stellen/-Ämtern angesiedelt. Sie unterstützen die Prüfung vor Ort. bb) Groß- und Konzernbetriebsprüfung, Haupt-BP

1.70

Die Groß- und Konzernbetriebsprüfung9 gibt es als unselbständige Stelle innerhalb eines Finanzamts oder als eigenes Amt. Zumeist ist sie für ein größeres Einzugsgebiet zuständig, das die örtliche Zuständigkeit mehrerer Betriebsprüfungsstellen abdeckt.10 In Sachsen werden diese Einheiten als Haupt-BP11 bezeichnet. In der Regel ist sie zuständig für Großbetriebe ab einer bestimmten Schwelle12 bzw. für bestimmte Branchen13 sowie für Konzerne, deren Spitze sich in ihrem Zuständigkeitsbereich befindet. Im Rahmen der Konzernprüfung sind sämtliche abhängigen Betriebe unabhängig von ihrer Größenklasse mit zu prüfen. Welche Unternehmen

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Bezirk und Zuständigkeit der Finanzämter sowie über die Einrichtung eines Landesrechnungszentrums Steuern (Finanzamts- und Rechenzentrums-ZuständigkeitsVO – FARZZustVO) i.d.F. der Bek. v. 14.10.2004 (SächsGVBl. 2004, 539), zuletzt geändert durch Achtzehnte Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen zur Änderung der Finanzamts- und Rechenzentrums-Zuständigkeitsverordnung v. 28.4.2016 (BStBl. I 2016, 528); Sa-Anh. VO über zentrale Zuständigkeiten der Finanzbehörden v. 17.2.2014 (BGBl. I 2014, 556); Schl.-Holst. FÄZustVO v. 28.11.1996 (BStBl. I 1997, 105), zuletzt geändert durch Landesverordnung zur Änderung der Finanzämter-Zuständigkeitsverordnung v. 1.11.2016 (BStBl. I 2016, 1409); Thür. FAZustVO v. 8.6.1994 (GVBl. 1994, 769); vgl. auch Iber, DB 1991, 2003 (2004 f.). Überblick über die einzelnen Organisationsformen s. Anlage 1. Zur Größenklasseneinteilung s. unten Rz. 1.93; Anlage 2. Sog. Amts-BP, Betriebsnahe Veranlagung (BNV). Bayern, Berlin, Thüringen. Z.B. Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern., Niedersachsen, RheinlandPfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt. Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein. Berlin, Brandenburg, Hamburg. Niedersachsen. Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfahlen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein. Dies ergibt sich aus den jeweiligen Zuständigkeitsverordnungen der Länder. Sachsen. Siehe Anlage 2. Z.B. Hessen: Banken, Versicherungen.

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B. Grundlagen | Rz. 1.73 Kap. 1

zu einem Konzern gehören regeln die §§ 13 ff. BpO (s. unten Rz. 6.6). Als prüfungsleitende Stelle führt sie nicht nur die Prüfung im eigenen Zuständigkeitsbereich durch, sondern koordiniert auch die Prüfung abhängiger Betriebe durch andere Betriebsprüfungsstellen. Ggf. gibt sie auch Prüfungsrichtlinien (§ 16 BpO 2000) heraus; Zum Ganzen s. unten: Köstler Konzernbetriebsprüfung, Kapitel 6. Zweck der Konzentration dieser Betriebe an einer Stelle sind die hohen Anforderungen in rechtlicher, tatsächlicher und technischer Hinsicht, die diese Betriebe mit sich bringen. Innerhalb dieser Stellen gibt es i.d.R. weitere Spezialisierungen fachlicher Art; s. unten Rz. 1.89. cc) Betriebsprüfung, BP-Hauptstelle Sofern keine Groß- und Konzernbetriebsprüfung in dem Bundesland besteht, deckt die Betriebsprüfung1 die Prüfung sämtlicher Betriebe unabhängig von deren Größenklasse ab, es sei denn, es gibt spezialisierte Prüfungsdienste für kleinere Unternehmen; s. unten Rz. 1.72. In Baden Württemberg wird diese Einheit als Bp-Hauptstelle2 bezeichnet. Im Fall der Allzuständigkeit ist sie auch für die Konzernprüfung (s. oben Rz. 1.70) zuständig. In der Regel decken die Zuständigkeitsbezirke der Betriebsprüfungsstellen örtlich die Zuständigkeitsbereiche mehrerer Finanzämter ab.

1.71

dd) Amtsbetriebsprüfung, Betriebsnahe Veranlagung Daneben unterhält jedes Finanzamt eine sog. Amts-BP bzw. in Bayern und Thüringen eine BNV (s. Rz. 1.63). Dieser Betriebsprüfungsdienst deckt die Prüfung der Betriebe im Zuständigkeitsbereich unterhalb der Zuständigkeit der Betriebsprüfungsstellen (s. Rz. 1.63). ab. Oftmals übernimmt er auch die Betriebsprüfung bei Überschusseinkünften oder die Sachverhaltsermittlung in anderen Fällen wie z.B. die Besichtigung von Arbeitszimmern unselbständig tätiger Personen.

1.72

ee) Fachprüfer der Landesfinanzverwaltung (1) Spezialisierung in Form von Fachprüfern Inzwischen unterhalten sämtliche Bundesländer Fachprüfer für bestimmte Rechtsgebiete oder spezielle Prüfungsfelder, teilweise auch zur Unterstützung in technischer Hinsicht. Letztlich ist dies die Antwort auf die allen Ortens voranschreitende Spezialisierung, die auch vor der Verwaltung keinen Halt macht. In den meisten Bundesländern sind die Fachprüfer lediglich an einigen BP-Stellen angesiedelt und werden von dort auf Basis rein verwaltungsinterner Verfügungen zu den einzelnen Prüfungen sowohl innerhalb desselben Finanzamts als auch bei anderen Finanzämtern hinzugezogen. Im Falle der Hinzuziehung von Fachprüfern aus dem eigenen Finanzamt bleibt die Frage der örtlichen Zuständigkeit insoweit unangetastet (§ 195 Satz 1 AO). Stammt der Prüfer von einem anderen Finanzamt und ist die sachliche Zuständigkeit nicht durch Rechtsverordnung i.S.v. § 17 Abs. 2 Satz 3 FVG auf das Amt des Fachprüfers übertragen, wird dieser zwar kraft verwaltungsinterner Weisung (Meldeverfügung), jedoch rechtlich im Wege der Amtshilfe (§§ 111 ff. AO) für das gem. § 195 AO zuständige Finanzamt tätig.3 Ist der Fachprüfer an einer übergeordneten Behörde angesiedelt4, 1 2 3 4

Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen. Baden-Württemberg. Rätke in Klein/AO § 111 Rz. 2. Z.B. in Bayern beim LfSt.

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1.73

Kap. 1 Rz. 1.73 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

liegt keine Amtshilfe vor, da hier ein Weisungsverhältnis i.S.v. § 111 Abs. 2 Nr. 1 AO besteht. Hierbei handelt es sich um einen rein innerbehördlichen Organisationsakt ohne Außenwirkung.1 Nichts anderes gilt, wenn ein Bundesprüfer gem. § 19 Abs. 1 1 Satz 1 FVG an der Prüfung mitwirkt (s. unten Rz. 1.80) oder ein kommunaler Gewerbesteuerprüfer gem. § 21 Abs. 3 FVG an der Prüfung teilnimmt (s. oben Rz. 1.68). Im Ergebnis erlässt daher das sachlich und örtlich zuständige bzw. das beauftragte Finanzamt die Prüfungsanordnung, in die der Fachprüfer als weiterer Prüfer aufzunehmen ist (§ 197 Abs. 1 Satz 1 AO). Hierdurch wird der Fachprüfer formal dem Verfahren zugezogen und erhält verfahrensrechtlich ggü. dem Steuerpflichtigen vollumfängliche Mitwirkungsrechte (s. auch unten Rz. 1.80). Inhaltlich konzentrieren die Fachprüfer sich auf ihr Spezialgebiet. Die verwaltungsinterne Ausgestaltung dieser Beteiligungsrechte variiert zwischen den Bundesländern. (2) Fachprüfer für internationales Steuerrecht

1.74

Wie der Name schon zum Ausdruck bringt, sind Fachprüfer für internationales Steuerrecht (teilweise wird auch der Ausdruck: Auslandsbeziehungen verwendet) bei bestimmten Fragen des Internationalen Steuerrechts hinzuzuziehen. Unbeachtlich ist, ob es sich um grenzüberschreitende Fragen inländischer Unternehmen mit ausländischen Anknüpfungspunkten oder ausländische Unternehmen mit inländischen Anknüpfungsmerkmalen handelt. Praktischer Schwerpunkt ist die Verrechnungspreisprüfung bei Leistungsbeziehungen zwischen nahestehenden Personen bzw. zwischen Stammhaus2 und Betriebsstätte (§ 1 AStG). Ebenso beschäftigen sich diese Prüfer mit Fragen der Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7–15 AStG), Quellensteuern auf Dividenden bzw. Lizenzen (§ 50a EStG) sowie der Entstrickung von Wirtschaftsgütern (§ 4 Abs. 1 Satz 3–9 EStG, § 12 Abs. 1 KStG).3 Ferner sind sie bei anderen Fragen des DBA-Rechts und bei der Durchführung internationaler Verfahren hinzuzuziehen. Zumeist hängt die Beteiligung von bestimmten Wertgrenzen ab, die überschritten sein müssen. (3) Fachprüfer für betriebliche Altersversorgung (BAV)

1.75

Diese Fachprüfer können bei materiell-rechtlichen und versicherungsmathematischen Fragen im Bereich von Pensionsrückstellungen, Jubiläumsrückstellungen, Direktversicherungen, Pensionskassen, Unterstützungskassen oder Pensionsfonds hinzugezogen werden.4 Dabei geht es um die steuerliche Anerkennung von Betriebsausgaben, die Unternehmen ihren Mitarbeitern in Form einer betrieblichen Altersversorgung einräumen. Der Begriff stammt aus dem § 1 Abs. 1 Halbs. 1 1 BetrAVG v. 19.12.19745, der die betriebliche Altersversorgung als „Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass eines Arbeitsverhältnisses“ definiert. Denkbar ist dies einerseits durch eine Zusage des Betriebs selbst (sog. Direktzusage) oder durch eine Vereinbarung des Arbeitgebers mit einem Dritten (sog. indirekte Zusage), i.d.R. einer Versicherung oder Pensionskasse. Diese verschiedenen Formen der Zusage werden unterschiedlich von der Steuergesetzgebung begünstigt. So ist die Direktzusage in § 6a EStG und die indirekte Zusage in den §§ 4b-e EStG geregelt. Deren Anwendung erfordert spezielle Kenntnisse im Bereich der Versicherungsmathematik bzw. der umfangreichen Recht1 Schallmoser in HHSp, AO/FGO, § 195 AO, Rz. 13. 2 Die BsGaV spricht insoweit vom „übrigen Unternehmen“. 3 PWC: Studie zur Praxis der Betriebsprüfung in Deutschland 2018; „https://www.pwc.de/de/steuer beratung/pwc-studie-betriebspruefung-20191.pdf“ 4 Vgl. OFD Koblenz v. 25.6.2003 – S 1557 A – St 43 1, NWB TAAAA-80643. 5 BGBl. I 1974, 3610.

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B. Grundlagen | Rz. 1.77 Kap. 1

sprechung, unter welchen Voraussetzungen insbesondere der Abschluss, die Auflösung oder Übertragung einer solchen Versorgungsregelung zugunsten eines Gesellschafter(-geschäftsführers) bzw. diesem nahe stehender Personen angemessen und fremdüblich ist. Zumeist hängt die Beteiligung von bestimmten Wertgrenzen ab, die überschritten sein müssen. (4) Fachprüfer für Unternehmensbewertung bzw. betriebswirtschaftliche Bewertung Manifestiert sich der konkrete Marktwert eines Wirtschaftsguts oder einer Sachgesamtheit nicht in einem zwischen Fremden tatsächlich erbrachten Preis erlangt die Frage nach demselben insbesondere dann Bedeutung, wenn ein (möglicher) Realisationstatbestand verwirklicht wird, der ggf. zur steuerpflichtigen Aufdeckung der stillen Reserven zwingt. Ertragsteuerlich von Bedeutung ist dies etwa bei Vermögensübergängen i.S.v. § 6 Abs. 3 EStG bzw. des UmwStG. Ferner können sich diese Fragen in Zusammenhang mit den Entstrickungsregeln gem. § 4 Abs. 1 Satz 3–9 EStG, § 12 Abs. 1 KStG oder aber mit § 1 AStG stellen, wenn es um die Ermittlung des Fremdpreises bei Transfer vergleichbarer Wirtschaftsgüter, Funktionen oder Sachgesamtheiten über die Grenze geht. Für Zwecke der Erbschaftsteuer oder Grunderwerbsteuer sind etwa Grundbesitzwerte, der Wert des Betriebsvermögens bzw. Anteile an einem solchen oder der Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften gesondert festzustellen und damit zu bewerten, wenn dies von Bedeutung ist (§ 151 BewG). Dieses Verfahren richtet sich im Weiteren nach den R B 95 bis R B 109.2 sowie R B 199.1 bis R B 203 ErbStR 2019. Diese Regeln gelten auch für die ertragsteuerliche Bewertung.1 Jenseits der Anwendung der eben genannten steuerlichen Bewertungsregeln erlangen gerade im Bereich der Ertragsteuer betriebswirtschaftliche Bewertungsmethoden, z.B. gemäß Standards IDW S 1 für Unternehmensbewertung2 bzw. IDW S 5 für immaterielle Vermögengegenstände, immer stärkere Bedeutung. Werden solche oder andere Wertgutachten von Unternehmen, Unternehmensteilen oder immateriellen Wirtschaftsgütern der Steuererklärung zugrunde gelegt, ist es die Aufgabe der Fachprüfer für Unternehmensbewertung, die vorgelegte Wertermittlung auf ihre betriebswirtschaftliche Ordnungsmäßigkeit hin zu überprüfen.

1.76

(5) IT-Fachprüfer, NPT-Prüfer, MAP-Prüfer u.Ä. Die digitale Prüfung erfolgt in der Betriebsprüfung bereits flächendeckend. Die Betriebsprüfer nutzen die Möglichkeiten des Datenzugriffs, wobei weit überwiegend auf die Datenträgerüberlassung zurückgegriffen wird. Die zur Prüfung dieser Daten erforderlichen Programme und Prüfroutinen (z.B. IDEA, Summarische Risikoprüfung (SRP) Schnittstellenverprobung3, BpAEuro) unterliegen einer kontinuierlichen Weiterentwicklung und werden daher fortlaufend an die sich verändernden Anforderungen angepasst. Auch ERP4-Systeme unterliegen dem Datenzugriff. Dort geht es um die Einräumung der sog. Prüferrolle, die die Zugriffsrechte auf das System definiert. Entsteht hierüber Streit sind z.B. Kenntnisse des von der Firma verwendeten Programms erforderlich, um die Aussagen über Zugriffsrechte beurteilen zu können. Zum Teil erstreckt sich die Prüfung nur auf die Buchführungssysteme. Die Werkzeuge der Betriebsprüfung ermöglichen aber darüber hinaus auch die Auswertung der sog. Primärebene, also der Daten der Systeme, die der Buchführung vorgelagert sind (Vorsysteme). Hierunter sind u.a. Kassensysteme, Warenwirtschaftssysteme oder Systeme zur Koordinierung und Überprü1 2 3 4

BMF v. 22.9.2011 – IV C 6 - S 2170/10/10001, BStBl. I 2011, 859. Vgl. BFH v. 5.10.2018 – IX B 48/18, BFH/NV 2019, 39. Siehe unten Danielmeyer, Rz. 2.134 Enterprise reporting program.

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1.77

Kap. 1 Rz. 1.77 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

fung des Mitarbeitereinsatzes zu verstehen.1 Um bei solchen Themen zu unterstützen stellen die meisten Bundesländer innerhalb Betriebsprüfung dem Prüfer vor Ort die Möglichkeit der Hinzuziehung eines sog. „IT-Fachprüfers“2 zur Verfügung. Deren Aufgabe ist es, die Betriebsprüfer bei der Planung des Datenzugriffs, der Anforderung der Daten und anschließend bei der Analyse und Aufbereitung der Firmendaten zu unterstützen.3 b) Bundesbetriebsprüfung aa) Aufbau

1.78

Die Bundesbetriebsprüfung ist im Bundeszentralam für Steuern (BZSt; s. oben Rz. 1.7) angesiedelt. Sie besteht aus drei Abteilungen mit insgesamt 30 fachlich abgegrenzten Prüfungsreferaten. Die Prüfungsreferate sind überwiegend nach Branchen gegliedert. Während die Referate der Abteilung Bp I hauptsächlich die Produktionsbranchen prüfen, befassen sich die Referate der Abteilung Bp II mit der Dienstleistungsbranche. Der Abteilung Bp III sind im wesentlichen Referate zugeordnet, die branchenübergreifende Prüfungen durchführen so z.B. der Digitalen Wirtschaft, der betrieblichen Altersvorsorge und der Lohnsteuer.4 bb) Sachliche Zuständigkeit

1.79

Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FVG hat das Bundeszentralamt für Steuern die Aufgabe, d.h. sachliche Zuständigkeit, an Außenprüfungen (der Länder) mitzuwirken. Die Befugnisse ergeben sich aus § 19 FVG. Ein eigenständiges Prüfungsrecht hat das BZSt nicht. Es kann nur im Einvernehmen mit den zuständigen Landesfinanzbehörden im Auftrag des zuständigen Finanzamts Betriebsprüfungen durchführen (§ 19 Abs. 3 FVG). Soweit in § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ff. FVG Aufgaben auf das BZSt übertragen sind, regeln diese ausschließlich die dort exakt bezeichnete Aufgabe, z.B. in Nr. 12 die Veranlagung bestimmter Fälle der beschränkten Steuerpflicht sowie die Durchführung des Steuerabzugsverfahrens nach § 50a Abs. 1 EStG einschließlich des Erlasses von Haftungs- und Nachforderungsbescheiden und deren Vollstreckung.5 Die allgemeine sachliche Zuständigkeit der Landesfinanzbehörden im Übrigen und damit insbesondere die Zuständigkeit für die Durchführung von Betriebsprüfungen bleibt hiervon unberührt (§ 17 Abs. 2 FVG i.V.m. Art. 108 Abs. 7 GG). Systematisch folgt dies aus dem gleichwertigen Nebeneinander der Nr. 1 und den übrigen Nummern in § 5 Abs. 1 Satz 1 FVG sowie den dort ggf. inhaltlich beschränkten Aufgabenübertragungen. Nur soweit die Aufgabenübertragung auf das BZSt umfassend ist, hat es ein eigenständiges Prüfungsrecht und ist auch für die Anordnung und Durchführung einer Betriebsprüfung sachlich zuständig. Dies ist z.B. bei der Versicherungs- und Feuerschutzsteuer (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 25 FVG) der Fall, bei der dem BZSt die gesamte Verwaltung der Steuer übertragen ist. In derartigen Fällen ist die oberste Landesfinanzbehörde berechtigt, durch Landesbedienstete an der Betriebsprüfung teilzunehmen (§ 21 Abs. 2 FVG). Das Teilnahmerecht der obersten Landesfinanzbehörde ist eine 1 FinMin. Schl.-Holst. v. 4.9.2019, Abschlussbericht des Projektes „Anforderungsorientierte Außenprüfung“, „http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl19/umdrucke/02800/umdruck-19-02875.pdf“. 2 Weitere Bezeichnungen sind etwa NPT für „Neue Prüfungstechniken“ bzw. MAP für „Methodik, Analyse und Prüfungstechnik“ 3 Vgl. z.B. Bürgerschaft der freien und Hansestadt Hamburg, Drucks. 20/2509 v. 6.12.2011. 4 Https://www.bzst.de/DE/DasBZSt/Leitung_Organisation/leitung_organisation_node.html. 5 A.A. FG Nds v. 10.3.2021 – 7 K 1/21, IStR 2021, 481 (m. Anm. Grams), das die Beschränkung der sachlichen Zuständigkeit des BZSt auf die Mitwirkung an Betriebsprüfungen gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FVG übersieht.

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B. Grundlagen | Rz. 1.81 Kap. 1

rein interne Befugnis, der Anspruch auf Teilnahme richtet sich gegen die Bundesbehörde.1 Die Landesbediensteten haben wie die Bundesprüfer ein Recht auf Zugang zu den Räumlichkeiten des Steuerpflichtigen (Rz. 1.499) und auf Einsichtnahme in die Prüfungsunterlagen. Die Teilnahme ist jedoch eine sog. beobachtende Teilnahme und kein Mitwirkungsrecht, wie dasjenige des Bundeszentralamtes für Steuern in § 19 FVG bei Betriebsprüfung einer Landesfinanzbehörde.2 cc) Mitwirkungsrechte bei Betriebsprüfung einer Landesfinanzbehörde (1) Allgemeines Aufgabe der Bundesbetriebsprüfung beim BZSt ist es, an Betriebsprüfungen der Länder mitzuwirken (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 FVG i.V.m. § 19 FVG). Darüber hinaus hat es Initiativrechte hinsichtlich der Anordnung einer Betriebsprüfung (§ 19 Abs. 1 Satz 2 FVG). Durch die BpO werden Einzelheiten zum Zusammenwirken der zuständigen Landesfinanzbehörden mit dem Bundeszentralamt für Steuern konkretisiert (§§ 20–24 BpO). Durch die Mitwirkung des Bundeszentralamtes soll dem Amt die Möglichkeit gegeben werden, Prüfungserfahrungen im ganzen Bundesgebiet zu sammeln, um dadurch in die Lage versetzt zu werden, das Bundesministerium der Finanzen über steuerliche Entwicklungen in Kenntnis zu setzen, die für gesetzgeberische Maßnahmen oder Verwaltungsregelungen von Bedeutung sein können.3 Die Bundesbetriebsprüfung soll auf die gleiche Besteuerung gleichartiger Sachverhalte im ganzen Bundesgebiet hinwirken, um auf diesem Weg auf die Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung im gesamten Bundesgebiet hinzuwirken.4 Die Mitwirkung des BZSt bei einer Betriebsprüfung ist von einer Prüfung des Amtes, die auf der Grundlage eines Auftrags der zuständigen Landesfinanzbehörde erfolgt (Auftragsprüfung, § 19 Abs. 3 FVG, Rz. 1.27), zu unterscheiden. Die Mitwirkungsrechte des Amtes hinsichtlich einer Betriebsprüfung umfassen Prüfungsrechte (Rz. 1.81) und Initiativrechte (Rz. 1.84).

1.80

(2) Prüfungsrechte Das Bundeszentralamt für Steuern ist zur Mitwirkung an Betriebsprüfungen berechtigt, die durch Landesfinanzbehörden durchgeführt werden (§ 19 Abs. 1 Satz 1 FVG, § 20 Abs. 1 BpO) (Beteiligungsverfahren). Die zuständige Landesfinanzbehörde stellt dem Bundeszentralamt für Steuern die Prüfungsgeschäftspläne für Großbetriebe spätestens zehn Tage vor dem Beginn des Zeitraums, für den sie aufgestellt worden sind, zur Verfügung (§ 21 Abs. 1 Satz 1 BpO). Dabei soll die Landesfinanzbehörde in den Plänen die Betriebe, bei deren Prüfung eine Mitwirkung des Bundeszentralamtes für Steuern für zweckmäßig gehalten wird, kenntlich machen (§ 21 Abs. 1 Satz 2 BpO). Auf der Grundlage der Pläne kann das Bundeszentralamt sodann die Betriebe auswählen, deren Betriebsprüfung Gegenstand einer Mitwirkung des Amtes sein sollen. Das Amt teilt den Landesfinanzbehörden unverzüglich die Betriebe mit, an deren Prüfung es mitwirken will (§ 21 Abs. 1 Satz 3 BpO). Die Landesfinanzbehörde teilt dem Bundeszentralamt zu gegebener Zeit den Prüfungsbeginn mit, das Amt unterrichtet sodann die Landesfinanzbehörde über die vorgesehene Mitwirkung (§ 21 Abs. 2 BpO). 1 Schmieszek in HHSp, § 21 FVG Rz. 7. 2 Krumm in Tipke/Kruse, § 21 FVG Rz. 1; von Wedelstädt in Gosch, § 21 FVG Rz. 3. 3 Vgl. die Beschreibung zur Mitwirkung des Bundeszentralamtes für Steuern bei Außenprüfungen der Landesfinanzbehörden auf der Homepage des BZSt; Krumm in Schwarz/Pahlke, § 19 FVG Rz. 1. 4 Vgl. die Beschreibung zur Mitwirkung des Bundeszentralamtes für Steuern bei Außenprüfungen der Landesfinanzbehörden auf der Homepage des BZSt; Schmieszek in HHSp, § 19 FVG Rz. 6.

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1.81

Kap. 1 Rz. 1.82 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.82

Die zuständige Landesfinanzbehörde ist verpflichtet, dem Bundeszentralamt auf dessen Anforderung alle den Prüfungsfall betreffenden Unterlagen zugänglich zu machen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen (§ 19 Abs. 2 Satz 2 FVG) (Zusammenarbeit mit Landes-BP). Das Amt bestimmt die Art und den Umfang seiner Mitwirkung im gegenseitigen Einvernehmen mit der zuständigen Landesfinanzbehörde (§ 19 Abs. 2 Satz 1 FVG, § 20 Abs. 2 BpO). Dabei wird der verantwortliche Prüfer durch die Landesfinanzbehörde bestimmt (§ 20 Abs. 3 BpO). Die Mitwirkung des Bundeszentralamtes erfolgt durch Prüfungstätigkeit des Bundesprüfers und durch Teilnahme an Besprechungen, wie z.B. einer Zwischenbesprechung oder der Schlussbesprechung (§ 20 Abs. 1 BpO). Die Aufteilung des Prüfungsstoffes auf Landesund Bundesprüfer erfolgt im gegenseitigen Einvernehmen, wobei der Bundesprüfer in sich geschlossene Prüfungsfelder übernimmt und auch die entsprechende Darstellung im Prüfungsbericht entwirft (§ 22 Abs. 1 BpO). Das Mitwirkungsrecht nach § 19 Abs. 1 FVG ist mehr als nur das Teilnahmerecht (vgl. § 21 Abs. 3 FVG).1 Denn es ermächtigt den Prüfer zu eigenen Prüfungshandlungen gegenüber dem Steuerpflichtigen. Jedoch ist es weniger als ein eigenes Prüfungsrecht.2 Das Recht zum Erlass von Verwaltungsakten gegenüber dem Steuerpflichtigen, wie z.B. der Erlass der Prüfungsanordnung, steht daher unverändert dem örtlich zuständigen Finanzamt zu. Aus diesem Grund ist ggf. der Bundesprüfer als weiterer Prüfer in die Prüfungsanordnung (§ 196 AO) des zuständigen Finanzamts (§ 195 AO) aufzunehmen.3 Jedoch kann der Bundesprüfer dieselben Prüfungsmaßnahmen (Rz. 1.441) durchführen wie der Landesprüfer, er hat dieselben Betretungs- und Besichtigungsrechte (Rz. 1.449).4 Im Fall einer Rechtsschutzmaßnahme des Steuerpflichtigen (Rz. 1.463, 1.478, 1.485, 1.497, 1.505, 1.512) ist Einspruchsgegner bzw. Beklagter die zuständige Landesfinanzbehörde, nicht das Bundeszentralamt für Steuern.

1.83

Das Bundeszentralamt für Steuern erhält nach Beendigung der Prüfung eine Ausfertigung des Prüfungsberichts (§ 22 Abs. 2 BpO) (Abschluss des Beteiligungsverfahrens). Für den Fall, dass das zuständige Finanzamt bei der Umsetzung der Feststellungen im Prüfungsbericht durch den Erlass von Änderungsbescheiden von einer Feststellung des Bundeszentralamtes für Steuern abweichen will, ist hierüber zunächst Einvernehmen mit dem Bundeszentralamt zu erzielen (§ 19 Abs. 4 Satz 1 FVG). Entsprechendes gilt, wenn eine verbindliche Zusage (§ 204 AO, Rz. 9.75) erteilt werden soll, die von einer Feststellung im Prüfungsbericht, die vom Bundesprüfer verfasst worden ist, abweicht (§ 19 Abs. 4 Satz 2 FVG). Kann eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Bundeszentralamt für Steuern und der zuständigen Landesfinanzbehörde nicht ausgeräumt werden, ist dem Bundesfinanzministerium und dem zuständigen Landesfinanzministerium zu berichten und der „Stichentscheid“ des Bundesministeriums abzuwarten (§ 19 Abs. 4 Satz 3 FVG, § 24 BpO).5 (3) Initiativrechte

1.84

Das Bundeszentralamt für Steuern kann die Durchführung einer Betriebsprüfung durch die zuständige Landesfinanzbehörde bei vom Amt namhaft gemachten Betrieben verlangen (§ 19 1 Ebenso: Schmieszek in HHSp, § 19 FVG Rz. 23. 2 Schallmoser in HHSp O, § 195 AO Rz. 9. 3 Zur Frage, ob die Benennung des Prüfers in der Prüfungsanordnung ein eigenständiger Verwaltungsakt ist s. Schallmoserin HHSp, § 196 AO Rz. 60 m.w.N. 4 Gosch in Gosch, § 195 AO Rz. 26; Krumm in Schwarz/Pahlke, § 19 FVG Rz. 4; Schmieszek in HHSp, § 19 FVG Rz. 23. 5 Krumm in Tipke/Kruse, § 19 FVG Rz. 5; Seer in Tipke/Kruse, § 195 AO Rz. 7; Schmieszek in HHSp, § 19 FVG Rz. 43.

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B. Grundlagen | Rz. 1.87 Kap. 1

Abs. 1 Satz 2 FVG). Den Zeitpunkt der Prüfung darf gleichfalls das Bundeszentralamt bestimmen (§ 19 Abs. 1 Satz 2 FVG). Die Gruppe der Betriebe, aus der das Bundeszentralamt einzelne Betriebe auswählen kann, ergibt sich aus dem Prüfungsgeschäftsplan der Landesfinanzbehörde.1 Darüber hinaus kann das Bundeszentralamt verlangen, dass bestimmte von ihm namhaft gemachte Steuerpflichtige, die nach § 193 AO (Rz. 1.185) oder nach § 5 InvStG2 der Betriebsprüfung unterliegen, geprüft werden (§ 19 Abs. 5 Satz 1 FVG). Sachlich zuständig ist das (Prüfungs-)Finanzamt, nicht das Bundeszentralamt.3 Durch dieses Initiativrecht soll eine länderübergreifende Gleichmäßigkeit der Rechtsanwendung insbesondere im Rahmen von Konzernsachverhalten und im Bereich des internationalen Steuerrechts (vgl. § 19 Abs. 5 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 FVG) sichergestellt werden.4 Die Gruppe der Steuerpflichtigen, aus der das Bundeszentralamt einzelne Steuerpflichtige auswählen kann, wird – anders als bei § 19 Abs. 1 Satz 2 FVG (Rz. 1.81) – nicht durch die Landesfinanzbehörde begrenzt.5 Das Bundeszentralamt ist in diesem Fall verpflichtet, an der Prüfung mitzuwirken (§ 19 Abs. 5 Satz 2 FVG).

1.85

3. Organisation der Betriebsprüfung a) Personal, Aus- und Fortbildung Für die Tätigkeit als Betriebsprüfer sind grundsätzlich Beamte des gehobenen Dienstes6 vorgesehen (§ 25 BpO 2000). Hierzu müssen sie an einer Verwaltungshochschule die Ausbildung zum Diplom-Finanzwirt erfolgreich abgeschlossen haben. Erwartet werden von ihnen vertiefte Kenntnisse im Ertragssteuerrecht, insbesondere im Bilanzsteuerrecht und Umsatzsteuerrecht sowie daneben auch in den verschiedenen Nebengebieten wie etwa dem InvStG, GrEStG, ErbStG u.Ä. Ehe sie im Finanzamt ihre Tätigkeit als Betriebsprüfer aufnehmen, müssen sie eine mindestens sechsmonatige Einarbeitung durchlaufen. In der Regel begleiten die Prüfer in dieser Einarbeitungszeit zunächst erfahrene Kollegen bei Betriebsprüfungen, ehe sie alleine diese Aufgaben wahrnehmen. Parallel erhalten sie verschiedene Schulungen in den Bereichen Recht, Buchführung und vor allem im Umgang mit der zur Verfügung stehenden EDV, insbesondere der Prüfsoftware IDEA und dem Programm zur Erstellung von Prüfungsberichten.

1.86

Auf der Führungsebene besteht eine Betriebsprüfungsstelle als unselbständige Einheit (s. oben Rz. 1.71) eines Finanzamts i.d.R. aus einem Hauptsachgebietsleiter (HSL) und diesem fachlich nachgeordnete Sachgebietsleiter. Jeder dieser Führungskräfte verantwortet ein Sachgebiet, das aus mehreren Prüfern besteht. Die Aufgabe des HSL besteht neben der Leitung des eigenen Sachgebiets in der Organisation der Betriebsprüfungsstelle. Hierbei wird er von der Kanzlei bzw. dem sog. Prüfungsinnendienst unterstützt. Wegen der besonderen Anforderun-

1.87

1 Krumm in Tipke/Kruse, § 19 FVG Rz. 4; Schmieszek in HHSp, § 19 FVG Rz. 26; Seer in Tipke/ Kruse, § 195 AO Rz. 3. 2 Nach § 5 InvStG ist eine Prüfung der steuerlichen Verhältnisse zulässig bei Investmentfonds zur Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Investmentfonds, der Voraussetzungen für eine Besteuerung als Spezial-Investmentfonds und der Besteuerungsgrundlagen der Anleger. 3 Krumm in Tipke/Kruse, § 19 FVG Rz. 4; Seer in Tipke/Kruse, § 195 AO Rz. 8. 4 Gosch in Gosch, § 195 AO Rz. 26; Krumm in Tipke/Kruse, § 19 FVG Rz. 6; Seer in Tipke/Kruse, § 195 AO Rz. 8. 5 Krumm in Tipke/Kruse, § 19 FVG Rz. 8; Schmieszek in HHSp, § 19 FVG Rz. 44; Seer in Tipke/ Kruse, § 195 AO Rz. 8. 6 Bayern: Qualifizierungsebene 3 (Bay LlbG).

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Kap. 1 Rz. 1.87 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

gen dürfen Sachgebietsleiter für Betriebsprüfung nur mit Einwilligung der zuständigen vorgesetzten Behörde1 eingesetzt werden.

1.88

Die Sachgebietsleiter für Betriebsprüfung sollen mit den Prüfern ihrer Sachgebiete, die zuständigen vorgesetzten Finanzbehörden mit den Sachgebietsleitern für Betriebsprüfung oder mit den Betriebsprüfern ihrer Oberfinanzbezirke regelmäßig Zweifelsfragen aus der Prüfungstätigkeit erörtern, sie über neuere Rechtsprechung und neueres Schrifttum unterrichten sowie Richtlinien und Anregungen für ihre Arbeit geben (§ 30 BpO 2000). Hierzu werden in regelmäßigen Abständen Besprechungen mit dem Sachgebiet, Hauptsachgebiet bzw. Finanzamt übergreifend mit den HSL des jeweiligen LfSt/OFD-Bezirks durchgeführt.

1.89

Daneben werden für die Fach-(Branchen-)Prüfer nach Bedarf Besprechungen durchgeführt. Diese dienen dem Austausch und Vergleich von Branchenerfahrungen sowie der Ermittlung zweckmäßiger Prüfungsmethoden, Kennzahlen und Formblätter für das prüfungstechnische Vorgehen und der Erarbeitung gemeinsamer Richtlinien (§ 31 BpO 2000). b) Betriebskartei

1.90

Jede Betriebsprüfungsstelle hat über die Groß-, Mittel- und Kleinbetriebe in ihrem Zuständigkeitsbereich (§ 16 AO i.V.m. §§ 18 ff. AO) eine Kartei (Betriebskartei) zu führen (§ 32 Abs. 1 BpO 2000). Sie wird alle 3 Jahre aufgestellt und dient der Betriebsprüfungsstelle als Grundlage für die Aufstellung des Prüfungsgeschäftsplans. Die Kartei ist neben anderen Kriterien nach Branchen und Wirtschaftszweigen einzuteilen (§ 32 Abs. 2 BpO 2000). Bei Abgängen aufgrund von Sitzverlegung (Wohnsitz oder Sitz der Geschäftsleitung) sind die Daten der Betriebskartei an die neu zuständige Finanzbehörde (§ 195 AO) zu übermitteln; Zugänge von einer anderen Finanzbehörde und Neugründungen sind in der Betriebskartei zu erfassen (§ 32 Abs. 4 BpO 2000).

1.91

Betriebe werden zur Einordnung in Betriebsgrößenklassen in unterschiedliche Wirtschaftszweige eingeteilt. Hintergrund für diese Einteilung sind branchenspezifische Unterschiede von Umsatz und Gewinn. So ist etwa im Handel der auf den Umsatz bezogene Wertschöpfungsanteil niedriger als in der Produktion. Dem entsprechend weichen die umsatzbezogenen Größenklassenmerkmale bei gleichen Gewinnschwellen voneinander ab. Wirtschaftszweige in diesem Sinne sind: – Handelsbetriebe (H) – Fertigungsbetriebe (F) – Freie Berufe (FB) – Andere Leistungsbetriebe (AL) – Kreditinstitute (K) – Versicherungsunternehmen, Pensionskassen (P) – Unterstützungskassen (U) – Land- und forstwirtschaftliche Betriebe (LuF) – Verlustzuweisungsgesellschaften (VZG) und Bauherrengemeinschaften (BHG) 1 LfSt bzw. OFD.

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B. Grundlagen | Rz. 1.96 Kap. 1

– bedeutende steuerbegünstigte Körperschaften und Berufsverbände (BKÖ) – Fälle mit bedeutenden Einkünften (bE) Welchem Wirtschaftszweig die Unternehmen zuzuordnen sind, ist in einem eigenen BMFSchreiben geregelt.1 Technisch erfolgt dies auf Grundlage der vom Finanzamt zugeteilten Gewerbekennziffer (GKZ) bzw. Wirtschaftszweignummer.

1.92

c) Größenklassen aa) Einordnung nach Umsatz und Gewinn Gemäß § 3 BpO werden Steuerpflichtige, die der Betriebsprüfung unterliegen, in die Größenklassen

1.93

– Großbetriebe (G) – Mittelbetriebe (M) – Kleinbetriebe (K) und – Kleinstbetriebe (Kst) eingeordnet. Von Bedeutung ist dies für die Prüfungshäufigkeit (§ 4 BpO 2000); s. z.B. unten Rz. 1.104.

1.94

Die Einordnung in Größenklassen erfolgt nach einheitlichen Regeln2 i.d.R. auf Basis überschrittener Umsatz- bzw. Gewinnwerte.3 Gemäß BMF-Schreiben v. 13.4.20184 sind Kleinbetriebe in den Wirtschaftszweigen Handel, Fertigung, Freie Berufe und sonstige Leistungen Unternehmen, deren Umsatz 210.000 € bzw. deren Gewinn 44.000 € überschreitet. Die Schwelle zu Mittelbetrieben ist je nach Wirtschaftszweig deutlich stärker ausdifferenziert. So verlangt ein Mittelbetrieb im Bereich Handel das Überschreiten einer Umsatzschwelle von 1.100.000 € und einen Mindestgewinn i.H.v. 68.000 €. Im Bereich der Fertigung gilt dieselbe Gewinnschwelle, jedoch wird lediglich ein Umsatz von mindestens 610.000 € festgeschrieben. Ein Großbetrieb liegt im Handel vor, wenn der Umsatz 8.600.000 € oder der Gewinn 335.000 € überschreitet. Im Bereich der Fertigung liegt die Schwelle für den Umsatz bei 5.200.000 € und den Gewinn bei 300.000 €.

1.95

Bei den Großbetrieben wird weiter differenziert in sog. G1-, G2- bzw. G3-Betriebe. Hierbei handelt es sich um Umsatzschwellen. Diese betragen für G2-Betriebe 10 Mio. € und für G1Betriebe 39 Mio. €.5

1.96

1 2 3 4 5

BMF v. 24.4.2012 – IV A 4 - S 1451/07/10011, BStBl. I 2012, 492. Zur Stichtagsbezogenheit s. unten: 0. Im Einzelnen s. Anlage 3: BMF v. 13.4.2018 – IV A 4 - S 1450/17/1000, BStBl. I 2018, 614. BMF v. 13.4.2018 – IV A 4 - S 1450/17/1000, BStBl. I 2018, 614. Vgl. Bleiber, 10.6.2013, https://www.haufe.de/finance/jahresabschluss-bilanzierung/rueckstellungfuer-betriebspruefung/rueckstellung-fuer-betriebspruefung-betroffene-unternehmen_188_181234. htmlSonderregeln bestehen für – Kreditinstitute: Aktivvermögen: G1 > 1 Mrd. €; G2 > 128 Mio. € – Versicherungen: Jahresprämieneinnahmen: G1 > 100 Mio. €; G2 > 28 Mio. €.

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Kap. 1 Rz. 1.97 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

bb) Einordnung bestimmter Unternehmensformen

1.97

Grundsätzlich erfolgt die Einstufung auf Basis von Umsatz bzw. Gewinn.1 Unabhängig von diesen Kriterien werden folgende Fallarten als Großbetrieb eingestuft: – Verlustzuweisungsgesellschaften (VZG) und Bauherrengemeinschaften (BHG) unabhängig von Umsatz/Gewinn oder Verlust2 – bedeutende steuerbegünstigte Körperschaften und Berufsverbände (BKÖ), deren Summe der Einnahmen 6 Mio. € übersteigt – Fälle mit bedeutenden Einkünften (bE), deren Summe der positiven Einkünfte gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4–7 EStG vor Saldierung mit negativen Einkünften 500 tsd. € übersteigt. Ebenso wie Gewinnermittler hat diese Personengruppe Belege in Zusammenhang mit ihren Überschusseinkünften aufzubewahren. Diese Pflicht besteht unabhängig von der Bestandskraft des Bescheids. Die Frist beträgt 6 Jahre (§ 147a AO). cc) Stichtagsbezogene Einstufung für Prüfungsturnus

1.98

Die Einordnung in Größenklassen erfolgt i.d.R. alle 3 Jahre (sog. Prüfungsturnus) (§ 32 Abs. 4 Satz 1 BpO 2000). Der Stichtag, der maßgebende Besteuerungszeitraum und die Merkmale für diese Einordnung werden jeweils von den obersten Finanzbehörden der Länder im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen festgelegt (§ 3 Satz 2 BpO 2000). Zuletzt ist dies für den 23. Prüfungsturnus zum 1.1.2019 erfolgt.3 Maßgeblich für die Größenklasse sind grundsätzlich Umsatzerlöse oder der steuerliche Gewinn in Abhängigkeit von der Branche des Unternehmens.4 Ausnahmen bestehen für Kreditinstitute5 und Versicherungen.6 Landund Forstwirtschaften wurden bis zum 22. Turnus nach ihrem Wirtschaftswert eingestuft.7 Diese Sonderregelung wurde mit Wirkung für den 23. Turnus aufgegeben. Nunmehr werden sie ebenfalls nach Umsatz und Gewinn eingeordnet. dd) Verfahren zur Einstufung

1.99

Eingeordnet in die Größenklassen (Verfahren zur Einstufung) werden die Betriebe nach den zum Stichtag erfassten Ergebnissen der Veranlagung, hilfsweise nach den Angaben in den Steuererklärungen (§ 32 Abs. 4 Satz 2 BpO 2000). Wird die Erklärung im Folgejahr abgegeben bedeutet dies, dass z.B. für den Stichtag 1.1.2019 die in der 2018 abgegebene Erklärung enthaltenen Umsatzerlöse bzw. der steuerliche Gewinn der Erklärung 2017 maßgeblich sind. Das (richtig) vergebene Merkmal ändert sich während des Turnus nicht. Schwankungen beim Umsatz oder Gewinn sind bis zum nächsten Stichtag unbeachtlich. Fällt etwa der Umsatz eines Immobilienmaklers im maßgeblichen Jahr besonders hoch aus, bleibt es bei der Einstufung unabhängig davon, dass der Umsatz in den Folgejahren eine Einstufung in einer kleineren Betriebsgrößenklasse gerechtfertigt hätte. Fehler, die bei der Einordnung der Betriebe zum 1 BMF v. 13.4.2018 – IV A 4 - S 1450/17/1000, BStBl. I 2018, 614. 2 Personenzusammenschlüsse und Gesamtobjekte i.S.d. Nrn. 1.2 und 1.3 des BMF-Schreibens v. 13.7.1992 – IV A 5 - S 0361 – 19/92, BStBl. I 1992, 404. 3 BMF v. 13.4.2018 – IV A 4 - S 1450/17/1000, BStBl. I 2018, 614. 4 BMF v. 13.4.2018 – IV A 4 - S 1450/17/1000, BStBl. I 2018, 614 i.V.m. BMF v. 24.4.2012 – IV A 4 S 1451/07/10011, BStBl. I 2012, 492. 5 Anstelle des Umsatzes wird auf das Aktivvermögen abgestellt. 6 Maßgeblich sind die Jahresprämieneinnahmen. 7 BMF v. 9.6.2015 – IV A 4 - S 1450/15/10001, BStBl. I 2015, 504.

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B. Grundlagen | Rz. 1.103 Kap. 1

Stichtag unterlaufen sind, können jederzeit berichtigt werden (§ 32 Abs. 4 Satz 3 BpO 2000). Hierzu kann es etwa kommen, wenn für den Betrieb eine falsche Gewerbekennziffer vergeben wurde oder steuerfreie Umsätze unberücksichtigt blieben. d) Konzernverzeichnis Betriebe, die zu einem Konzern i.S.v. § 18 AktG (vgl. § 13 BpO 2000), zu einem sonstigen Unternehmensverband (§ 18 BpO 2000) oder zu einem international verbundenen Konzern (§ 19 BpO 2000) gehören, sind einheitlich zu prüfen (s. unten Rz. 6.33, 6.34, 6.35). Um für diesen Zweck den Überblick zu bewahren und die ggf. Länder übergreifende Prüfung zu organisieren1 (s.: §§ 13 ff. BpO 2000), hat jede zuständige Betriebsprüfungsstelle ein Verzeichnis der Konzerne i.S.d. §§ 13, 18 und 19 BpO 2000 zu führen (Konzernverzeichnis2). In diesem sind neben dem leitenden die dem Konzern zugehörigen, steuerpflichtigen in- oder ausländischen Unternehmen nebst Beteiligungsverhältnis, das jeweils zuständige Finanzamt sowie die bisherige Betriebsprüfungsstelle und den dortigen Prüfer auszuweisen. Hierfür hat die Betriebsprüfungsstelle die erforderlichen Daten zu ermitteln und der zuständigen vorgesetzten Finanzbehörde (Landesamt oder OFD) zur Weiterleitung an das Bundeszentralamt für Steuern zur Aufnahme in eine zentrale Datenbank zu übermitteln. Gleiches gilt für spätere Änderungen oder Ergänzungen dieser Daten. Das zentrale Konzernverzeichnis (BUKON) enthält die einzelnen Konzernübersichten.

1.100

Dies gilt entsprechend für sonstige zusammenhängende Unternehmen i.S.v. § 18 BpO, d.h. Unternehmensverbänden, die zwar die Voraussetzungen des § 18 AktG erfüllen, deren Außenumsatz jedoch 25 Mio. € p.a. nicht übersteigt.

1.101

Für international verbundene Unternehmen verweist § 19 BpO auf die entsprechende Anwendung der Regelungen für Konzerne bzw. sonstige zusammenhängende Unternehmen.

1.102

e) Prüfungsgeschäftsplan (Fallauswahl) aa) Auswahl der zu prüfenden Betriebe Die zur Prüfung vorgesehenen Betriebe werden in regelmäßigen Abständen in Prüfungsgeschäftsplänen zusammengestellt (§ 34 Satz 1 BpO 2000), die von einzelnen Prüfern oder Prüferteams zu bearbeiten sind. I.d.R findet dies halbjährlich statt. Für diesen Zweck hat die zuständige Betriebsprüfungsstelle eine Auswahl der zu prüfenden Betriebe nach pflichtgemäßem Ermessen vorzunehmen (§ 4 Abs. 1 BpO 2000). Bestimmend für diese Ausübung sind zum einen die zu prüfenden Betriebe aus der Betriebskartei und zum anderen die Prüfungskapazität, die der Stelle tatsächlich in Form von Personal zur Verfügung steht. Reicht das Personal nicht zur Prüfung sämtlicher Betriebe aus, bedarf es sachgerechter Auswahlkriterien. Ausgangspunkt für diese ist der Untersuchungsgrundsatz (§ 88 Abs. 1 AO) und das damit verbundene Recht bei der Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen allgemeine Erfahrungen der Finanzbehörden sowie Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit einfließen zu lassen (§ 88 Abs. 2 AO).3 Hierzu dienen die Größenklassen sowie persönliche bzw. automatisierte Hinweise (s. unten Rz. 1.547). Die Auswahl als solche obliegt den Sachgebietsleitern.4 1 2 3 4

s. auch unten: Köstler, Konzernbetriebsprüfung Rz. 6.1 ff. BMF v. 2.7.2004 – IV D 2 - S 1451-76/04, BStBl. I 2004, 574. Ebenso Panek, DB 2018, Beilage Nr. 2, 31 (32). FinMin. NW v. 13.6.1995 – S 1502 - 4 - V C 5, StEK AO 1977 § 199 Nr. 2.

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1.103

Kap. 1 Rz. 1.104 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

bb) Konzerne, Großbetriebe und vergleichbare Unternehmen

1.104

Zum Umfang der Betriebsprüfung konkretisiert § 4 Abs. 2 BpO, dass bei Großbetrieben, Konzernen, sonstigen zusammenhängenden Unternehmen (s. oben Rz. 1.100) der Prüfungszeitraum an den vorhergehenden Prüfungszeitraum anschließen soll (sog. Anschlussprüfung) und bei international verbundenen Unternehmen eine Anschlussprüfung möglich ist. Dies bedeutet aber nicht, dass der Prüfer ununterbrochen in der Firma ist, sondern nur, dass jedes erklärte Jahr geprüft wird. Dem entsprechend bedarf es bei G-Betrieben grundsätzlich keiner Fallauswahl. Soll ein Großbetrieb entgegen der Regel nicht geprüft werden, bedarf es wegen der Vorgabe in § 4 Abs. 2 BpO einer Entscheidung über die im Einzelfall fehlende Prüfungsbedürftigkeit.1 Diese sog. Aussparung ist ein reines Verwaltungsinternum. Einen Anspruch des Steuerpflichtigen auf eine dahingehende Entscheidung gibt es nicht. Sie wird als solche nicht bekannt gegeben und kann ggf. bei neuen Anhaltspunkten rückgängig gemacht werden.

1.105

Im Falle von Konzernen (§§ 13 ff. BpO 2000), sonstigen zusammenhängenden Unternehmen (§ 18 BpO 2000) und international verbundenen Unternehmen (§ 19 BpO 2000) sollen sämtliche zu dem Unternehmensverbund gehörenden, inländischen Unternehmen gleichzeitig geprüft werden. Dies gilt unabhängig von der Größenklasse der einzelnen Konzernunternehmen. Dem entsprechend unterliegen auch M-, K und Kst-Betriebe der Anschlussprüfung, sofern sie zu einem Unternehmensverbund gehören, der diesem Prüfungsgrundsatz unterliegt. Zu diesem Zweck nimmt die für das herrschende Unternehmen zuständige Betriebsprüfungsstelle die Betriebe im eigenen Zuständigkeitsbereich in den Plan auf und ruft die für abhängige Unternehmen zuständigen BP-Stellen rechtzeitig zur gemeinsamen Prüfung auf. Das Nähere ist in den §§ 13 ff. BpO geregelt. Siehe auch Kapitel 6, Konzernbetriebsprüfung (Köstler). cc) Andere (Einzel-)Betriebe

1.106

Die Anzahl der prüfungswürdigen Betriebe, die nicht der Anschlussbetriebsprüfung unterliegen, ist so groß, dass von ihr nur ein kleiner Ausschnitt der vorhandenen Betriebe tatsächlich geprüft werden kann. Etwa wurden in 2018 von den bundesweit vorhandenen 792.326 M-Betrieben nur 50.251 bzw. von den 1.191.438 K-Betrieben lediglich 38.429 geprüft.2 Dies entspricht einem durchschnittlichen Prüfungsturnus bei M-Betrieben von ca. 16 Jahren und bei K-Betrieben von ca. 32 Jahren. Da also bei weitem nicht alle Betriebe geprüft werden, erhält die Fallauswahl in diesen Größenklassen eine besondere Bedeutung.

1.107

Zu unterscheiden ist dabei zwischen einer gezielten Fallauswahl und einer Zufallsauswahl. In die gezielte Auswahl sollen alle verfügbaren Informationen eingehen. Um die prüfungsbedürftigen Fälle erkennen zu können, sollen vor allem folgende Erkenntnisquellen ausgeschöpft werden: – die individuelle Einschätzung der Anschlussprüfungsbedürftigkeit anlässlich der letzten Betriebsprüfung; – die begründeten Prüfungsersuchen insbesondere der Veranlagungsstellen; – die branchenbezogenen und sonstigen Erfahrungen der Betriebsprüfung.3

1 Für G3-Betriebe wird zu dieser Entscheidung ebenfalls die maschinelle Fallauswahl genutzt; Panek, DB 2018, Beilage Nr. 2, 31 (34). 2 Monatsbericht BMF v. Oktober 2019 „Ergebnisse der steuerlichen Betriebsprüfung 2018“. 3 FinMin. NW v. 13.6.1995 – S 1502 – 4 – V C 5, StEK AO 1977 § 199 Nr. 2.

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B. Grundlagen | Rz. 1.111 Kap. 1

– die maschinelle Fallauswahl durch ein automationsgestützes Risikomanagementsystem (RMS-Bp)1 Siehe zum Ganzen auch Kaligin2. dd) Prüfungsaufruf (von anderen BP-Stellen) Gehört ein Unternehmen im Zuständigkeitsbereich zu einem Konzern (§§ 13 ff. BpO 2000), sonstigen zusammenhängenden Unternehmen (§ 18 BpO 2000) oder internationalen Unternehmensverbund (§ 19 BpO 2000) und regt die leitende Betriebsprüfungsstelle die Prüfung an (Prüfungsaufruf), soll das im Zuständigkeitsbereich der aufgerufenen Betriebsprüfungsstelle befindliche Unternehmen geprüft werden.

1.108

ee) Meldungen aus dem Innendienst Einer der wichtigsten Hinweisquellen für Prüfungsbedürftigkeit ist der Innendienst. Meldungen mit der Bitte um Prüfung kommen vor allem bei Auffälligkeiten in der Steuererklärung. Als solche kommen beispielsweise in Betracht:

1.109

– Nicht nachvollziehbare Umsatzschwankungen, – Gewerbeaufgabe bzw. -veräußerung, – Verträge mit Angehörigen, – knappe Privatentnahmen zum Lebensunterhalt, – private Grundstückserwerbe, – Investitionen bei niedrigen Privatentnahmen, – Teilwertabschreibungen, – Unklarheiten aufgrund einer Umsatzsteuer-Nachschau oder – Kontrollmitteilungen.3 ff) Anzeigen Ebenso verwertet werden z.B. anonyme oder namentliche Anzeigen von Steuerpflichtigen. Zumeist sind Enttäuschungen privater oder beruflicher Natur Ursache für die Anzeige. Je konkreter diese ausgestaltet sind, desto eher können sie im Rahmen der Prüfung verwertet werden und desto eher werden sie bei der Planaufstellung berücksichtigt.

1.110

gg) Risikomanagement-Betriebsprüfung Gemäß § 88 Abs. 5 AO können die Finanzbehörden zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern und Steuervergütungen sowie Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen automationsgestützte Systeme einsetzen (Risikomanagementsysteme; RMS4). Dabei 1 2 3 4

Panek, DB 2018, Beilage Nr. 2, 31 (32). Kaligin, Stbg 2012, 173. Beyer, BBP 2016, 138. Ausführlich Panek, DB 2018, Beilage Nr. 2, 31.

Hruschka | 47

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1.111

Kap. 1 Rz. 1.111 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

soll auch der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung berücksichtigt werden. Dies gilt nicht nur für das RMS im Innendienst, sondern auch für die Fallauswahl in der Betriebsprüfungen (RMS-Bp). Durch diese Verfahren soll die Effizienz der Fallauswahl gesteigert werden. Ferner soll durch einheitliche Risikokriterien und -parameter die Gleichmäßigkeit der Besteuerung gestärkt werden (Art. 3 GG, § 85 AO).1

1.112

Datenbasis für das RMS-Bp sind neben den allgemeinen Grundinformationen (Stammdaten, festsetzungsnahe Daten, Dauertatbestände) im Besonderen auch die elektronische Verfügbarkeit von Veranlagungsdaten (z.B. Festsetzungs- und Erhebungsdaten, Compliance-Kriterien, Kontrollmaterial u.Ä.) sowie Gewinnermittlungsdaten aus der E-Bilanz, der GuV-Rechnung sowie der EÜR.2

1.113

Potentielle Risikobereiche können z.B. sein: – Ansatz-, Abgrenzungs- und Bewertungsfragen – steuerliche Sondervorschriften – Auslandssachverhalte und Verrechnungspreise – Umstrukturierungsvorgänge – Auffälligkeiten bei Abweichungs und Vergleichsanalysen – Auffälligkeiten bei Verprobungen im Bereich der Gewinnermittlungen – prüfungsrelevante Erkenntnisse aus Vorprüfungen

1.114

Das RMS-BP ist als regelbasiertes Scoringsystem aufgebaut, das sowohl „negative“ Risiko- als auch „positive“ Compliance-Regeln enthält. Die einzelnen Regeln werden auf einer Punkteskala bewertet, automatisiert auf die Steuerfälle angewendet und die Punkte der im Einzelfall zur Anwendung gekommenen Regeln aufaddiert. Hieraus ergibt sich eine risikobasierte Rangliste der untersuchten Fälle. Diese dient dem Sachgebietsleiter als Entscheidungsgrundlage bei der Fallauswahl. hh) Richtsatzprüfungen

1.115

Unabhängig von äußeren Risikoanzeichen haben die Betriebsprüfungsstellen nach den Ergebnissen von Betriebsprüfungen ermittelte branchenbezogene Kennzahlen der jeweils zuständigen vorgesetzten Finanzbehörde zur Weiterleitung an das Bundeszentralamt für Steuern zur Aufnahme in eine zentrale Datenbank zu übermitteln (§ 37 BpO 2000). Hierzu haben die Betriebsprüfungsstellen Betriebe bestimmter Branchen und Größenklassen zu prüfen (sog. Richtsatzprüfungen3). Die Ergebnisse dieser Prüfungen fließen in die jährlich vom BMF veröffentlichte Richtsatzsammlung4 ein. Diese Erkenntnisse dienen wiederum als Branchenerfahrung zur personellen oder automatisierten Einschätzung anderer Betriebe.

1 2 3 4

Panek, DB 2018, Beilage Nr. 2, 31 (32). Panek, DB 2018, Beilage Nr. 2, 31 (34). BMF v. 8.7.2019 – IV A 4 - S 1544/09/10001-11, BStBl. I 2019, 605. Zuletzt für das Jahr 2018: BMF v. 8.7.2019 – IV A 4 - S 1544/09/10001-11, BStBl. I 2019, 605.

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C. Prüfungsvorbereitung | Rz. 1.118 Kap. 1

ii) Zufallsauswahl Schließlich ist daneben ein Teil der Prüfungsfälle nach dem Zufallsprinzip auszuwählen (Zufallsauswahl), um so dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung Rechnung zu tragen. Die Unvorhersehbarkeit einer Betriebsprüfung gehört zu ihrer prophylaktischen Wirkung.1

1.116

C. Prüfungsvorbereitung I. Prüfungsvorbereitung durch die Finanzbehörde 1. Zuständigkeit a) Überblick Zuständig für die Anordnung und Durchführung einer Betriebsprüfung ist nach § 195 Satz 1 AO die „zuständige Finanzbehörde“. Im Grundsatz ist dies die Finanzbehörde, die auch für die Durchführung der Besteuerung des Steuerpflichtigen (z.B. GmbH mit Sitz in Bonn, Stadtbezirk Bad Godesberg) sachlich und örtlich zuständig ist (z.B. Finanzamt Bonn-Außenstadt2; Rz. 1.129; zur internen Organisation der Betriebsprüfung Rz. 1.69). Behördenintern wird die Aufgabe vom Außendienst wahrgenommen (Rz. 1.58). Für den Fall, dass die (sachliche) Zuständigkeit gesetzlich einer anderen Finanzbehörde zugewiesen worden ist, liegt die Prüfungszuständigkeit bei dieser Behörde (zum Prüfungsdienst im Aufbau der Finanzverwaltung Rz. 1.213). Für z.B. das Land Nordrhein-Westfalen erfolgt eine solche Zuweisung in der Finanzamtszuständigkeitsverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (FA-ZVO)3. Danach kann z.B. das (örtlich zuständige) Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung sachlich für die Durchführung einer Betriebsprüfung zuständig sein (z.B. Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung Bonn, § 195 Satz 1 AO i.V.m. § 17 Abs. 1 FVG, §§ 20 ff. FA-ZVO). Es handelt sich dabei um eine Prüfung durch die zuständige Behörde, nicht um eine Auftragsprüfung. Eine Prüfungsanordnung (Rz. 1.165), die durch eine sachlich oder örtlich unzuständige Behörde erlassen worden ist, ist rechtswidrig. Ein besonders schwerwiegender Fehler i.S.v. § 125 AO muss nicht vorliegen, so dass die rechtswidrige Prüfungsanordnung nicht zwingend nichtig ist. Da die Aufhebungssperrvorschrift des § 127 AO nicht anwendbar ist, kann die Prüfungsanordnung angefochten werden (Rz. 1.372).4

1.117

Die örtlich und sachlich zuständige Finanzbehörde kann eine andere Finanzbehörde auch mit der Durchführung der Betriebsprüfung beauftragen (§ 195 Satz 2 AO). In der Praxis ist der Weg i.d.R. umgekehrt, d.h. die „unzuständige“ Behörde möchte einen Steuerpflichtigen prüfen, der sich außerhalb der eigenen Zuständigkeit befindet. In diesem Fall kontaktiert sie die zuständige Betriebsprüfungsstelle und bittet diese um Beauftragung. Typischerweise kommt es hierzu, wenn sich verbundene Unternehmen auch außerhalb der Zuständigkeit befinden

1.118

1 FinMin. NW v. 13.6.1995 – S 1502 – 4 – V C 5, StEK AO 1977 § 199 Nr. 2; ebenso BFH v. 2.9.1988 – X R 89/89, BStBl. II 1992, 220. 2 § 2 Abs. 2 Nr. 5 Verordnung über die Zuständigkeiten der Finanzämter NRW (FA-ZVO NRW) v. 17.6.2013, zuletzt geändert durch Verordnung v. 17.12.2018. 3 Verordnung über die Zuständigkeiten der Finanzämter NRW v. 17.6.2013, zuletzt geändert durch Verordnung v. 17.12.2018. Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung ist § 17 Abs. 1 FVG. 4 Schallmoser in HHSp, § 195 AO Rz. 21 mit Hinweis auf BFH v. 30.11.1987 – VIII B 3/87, BStBl. II 1988, 183; BFH v. 23.4.1986 – I R 178/82, BStBl. II 1986, 880; BVerwG v. 29.9.1982 – 8 C 138/81, BVerwGE 66, 178; ferner Gosch in Gosch, § 195 AO Rz. 51; Seer in Tipke/Kruse, § 195 AO Rz. 13 a.E.

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Kap. 1 Rz. 1.118 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

und einheitlich von derselben Stelle geprüft werden sollen. Im Fall einer solchen Auftragsprüfung (Rz. 1.215) erlässt die beauftragte Behörde die Prüfungsanordnung (Rz. 1.215). Die beauftrage Behörde kann im Namen der zuständigen Behörde auch die Steuerfestsetzung vornehmen und eine verbindliche Zusage (Rz. 1.217) erteilen (§ 195 Satz 3 AO). Die Betriebsprüfung eines Konzerns (dazu Kapitel 6), dem ggf. zahlreiche Konzerngesellschaften mit jeweils unterschiedlichem Sitz angehören, fällt im Rahmen einer Auftragsprüfung grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes, das für die Betriebsprüfung des herrschenden Unternehmen zuständig ist (§ 14 Abs. 1 BpO; Rz. 6.54). Hiervon abweichend kann bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auch das Finanzamt zuständig sein, in dessen Zuständigkeitsbereich das wirtschaftlich bedeutendste Unternehmen des Konzerns fällt (Rz. 6.41).

1.119

Die Zuständigkeit für eine Lohnsteuer-Außenprüfung (Rz. 3.258), eine Umsatzsteuersonderprüfung (Rz. 3.65) und eine Zollprüfung (Rz. 3.403) sind besonders geregelt, so dass sich Abweichungen von der generellen Zuständigkeitsregelung ergeben.

1.120

Das Bundeszentralamt für Steuern ist zur Mitwirkung bei einer Betriebsprüfung, die von einer zuständigen Finanzbehörde (§ 195 Satz 1 AO; Rz. 1.210) durchgeführt wird, berechtigt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, § 19 Abs. 1 FVG; zur internen Organisation des Prüfungsdienstes des Bundeszentralamtes für Steuern Rz. 1.7). Darüber hinaus kann das Bundeszentralamt auch eine eigene Betriebsprüfung durchführen (§ 19 Abs. 3 FVG). Regelmäßig nehmen Bundesprüfer an Konzernprüfungen (Kapitel 6) teil (zur Mitwirkung des Bundeszentralamtes für Steuern an einer Konzernprüfung Rz. 1.80). b) Zuständige Finanzbehörde aa) Sachliche Zuständigkeit (1) Landesfinanzbehörden

1.121

Die Finanzämter sind nach § 16 AO i.V.m. § 17 Abs. 2 Satz 2 FVG als örtliche Landesbehörden für die Verwaltung der Steuern mit Ausnahme der Kraftfahrzeugsteuer, der sonstigen auf motorisierte Verkehrsmittel bezogenen Verkehrssteuern, der Zölle und der bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern (§ 12 FVG) zuständig, soweit die Verwaltung nicht auf Grund des Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG den Bundesfinanzbehörden oder auf Grund des Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG den Gemeinden (Gemeindeverbänden) übertragen worden ist. Danach ist ein Finanzamt als Landesfinanzbehörde in sachlicher Hinsicht für die Betriebsprüfung zuständig, wenn die Anordnung und Durchführung der Prüfung in den Tätigkeitsbereich, der dieser Behörde (z.B. Finanzamt Bonn-Außenstadt) durch Gesetz zugewiesen ist, fällt (§ 195 AO i.V.m. § 16 AO. Nach § 17 Abs. 2 Satz 3 FVG kann die zuständige Landesregierung durch Rechtsverordnung u.a. die Zuständigkeit eines Finanzamts oder einer besonderen Landesfinanzbehörde (§ 2 Abs. 3 FVG) auf einzelne Aufgaben beschränken und einem Finanzamt oder einer besonderen Landesfinanzbehörde (§ 2 Abs. 3 FVG) Zuständigkeiten für die Bezirke mehrerer Finanzämter übertragen. Die Bundesländer haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.1 1 BW VO des Finanzministeriums zur Übertragung von Aufgaben der Finanzverwaltung auf bestimmte Finanzämter v. 30.11.2004 (GBl. 2004, 865), zuletzt geändert durch VO v. 1.12.2015 (BStBl. I 2015, 1089); Bay. VO über Organisation und Zuständigkeiten in der Bayerischen Steuerverwaltung v. 1.12.2005, zuletzt geändert durch VO v. 15.12.2017 (BStBl. I 2018, 248); Berliner VO über besondere Zuständigkeitsregelungen im Bereich der Finanzverwaltung des Landes Berlin v. 4.6.2015 (BStBl. I 2015, 547), zuletzt geändert durch VO v. 17.11.2015 (BStBl. I 2016, 15); Bdb. VO über die Zuständigkeiten der Finanzämter v. 11.3.1996 (GVBl. II 1996, 238), zuletzt geändert

50 | Hruschka/von Freeden

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C. Prüfungsvorbereitung | Rz. 1.123 Kap. 1

Danach kann z.B. ein „Finanzamt für Betriebsprüfung“ sachlich für die Anordnung und Durchführung einer Betriebsprüfung zuständig sein (z.B. Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung). Die Zuständigkeit des Finanzamtes kann sich auch aus einer spezialgesetzlichen Regelung ergeben (§ 42f Abs. 1 EStG: Zuständigkeit des Betriebsfinanzamtes für eine Lohnsteuer-Außenprüfung1 [Rz. 3.265). Die sachliche Zuständigkeit der Behörde bezieht sich ausschließlich auf die Außenzuständigkeit der Behörde, also das Verhältnis der Behörde zum Steuerpflichtigen, nicht auf die interne Geschäfts- und Zuständigkeitsverteilung (zum Prüfungsdienst im Aufbau der Finanzverwaltung Rz. 1.86). Diese bestimmt sich nach verwaltungsinternen Maßgaben. Für den Steuerpflichtigen rechtlich unerheblich ist mangels Außenwirkung die Person oder Position des innerbehördlichen Unterzeichners der Prüfungsanordnung.2 Ferner steht dem Steuerpflichtigen kein Recht auf die Durchführung der Betriebsprüfung durch einen bestimmten Prüfer zu.

1.122

Im Grundsatz ist die Finanzbehörde für die Anordnung und Durchführung einer Betriebsprüfung sachlich zuständig, die sachlich auch für das Besteuerungsverfahren zuständig ist (vgl. § 195 Satz 1 AO). Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Betriebsprüfung Teil des Besteuerungsverfahrens ist (Rz. 1.33). Die sachlich zuständige Behörde ist danach unter Anwendung der allgemeinen Zuständigkeitsregelungen (§ 16 AO i.V.m. FVG, Zuständigkeitsverordnungen der Bundesländer3) zu bestimmen. Dabei ist in zeitlicher Hinsicht auf den Zeitpunkt der Be-

1.123

durch VO v. 9.9.2015 (BStBl. I 2015, 747); Bremer Finanzämter-ZuständigkeitsVO v. 31.7.2004 (Brem. GBl. 2004, 446), zuletzt geändert durch VO v. 8.12.2017 (BStBl. I 2018, 172); Hamburger Anordnung über die Zuständigkeit der Finanzämter v. 28.10.1997 (Amtl. Anz. 1997, 2609), zuletzt geändert durch Anordnung v. 25.2.2003 (BStBl. I 2003, 172); Hess. ZustVOFÄ v. 11.12.2003 (GVBl. I 2003, 335); MV FinanzamtszuständigkeitsVO v. 10.9.1998 (GVOBl. MV 1998, 820), geändert durch VO v. 26.5.1999 (GVOBl. MV 1999, 305); Erbschaft- und Schenkungsteuer-ÜbertragungsVO v. 13.9.2001 (BStBl. I 2002, 546); Nds. VO über die Zuständigkeit der Finanzbehörden v. 14.12.2005 (Nds. GvBl. S. 411), zuletzt geändert durch VO v. 14.12.2016 (BStBl. I 2017, 98); NRW FinanzamtszuständigkeitsVO v. 17.6.2013 (GV. NRW. S. 350), zuletzt geändert durch VO v. 16.7.2015 (BGBl. I 2015, 634); Rh.-Pf. VO v. 10.10.1990 (GVBl. 1990, 311), zuletzt geändert durch VO v. 24.11.1994 (GVBl. 1994, 450); Saarl. VO über die Zuständigkeiten der Finanzämter (FinÄZVO) v. 16.9.2005 (ABl. Saarl. I 2005, 1538), geändert durch VO v. 1.10.2007 (BStBl. I 2008, 20); Sächs. VO des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen über Bezeichnung, Sitz, Bezirk und Zuständigkeit der Finanzämter sowie über die Einrichtung eines Landesrechnungszentrums Steuern i.d.F. der Bek. v. 14.10.2004 (SächsGVBl., 539), zuletzt geändert durch VO v. 28.4.2016 (BStBl. I 2016, 528); Sa-Anh. VO über zentrale Zuständigkeiten der Finanzbehörden v. 17.2.2014 (BGBl. I 2014, 556); Schl.-Holst. FÄZustVO v. 28.11.1996 (BStBl. I 1997, 105), zuletzt geändert durch VO v. 1.11.2016 (BStBl. I 2016, 1409); Thür. FAZustVO v. 8.6.1994 (GVBl. 1994, 769). 1 Seer in Tipke/Kruse, § 195 AO Rz. 4. 2 BFH v. 12.1.1983 – IV R 211/82, BStBl. II 1983, 360; FG Rh.-Pf. v. 6.5.1991 – 5 K 1179/91, EFG 1991, 641; so auch Seer in Tipke/Kruse, § 195 AO Rz. 5. 3 BW VO des Finanzministeriums zur Übertragung von Aufgaben der Finanzverwaltung auf bestimmte Finanzämter v. 30.11.2004 (GBl. 2004, 865), zuletzt geändert durch VO v. 1.12.2015 (BStBl. I 2015, 1089); Bay. VO über Organisation und Zuständigkeiten in der Bayerischen Steuerverwaltung v. 1.12.2005, zuletzt geändert durch VO v. 15.12.2017 (BStBl. I 2018, 248); Berliner VO über besondere Zuständigkeitsregelungen im Bereich der Finanzverwaltung des Landes Berlin v. 4.6.2015 (BStBl. I 2015, 547), zuletzt geändert durch VO v. 17.11.2015 (BStBl. I 2016, 15); Bdb. VO über die Zuständigkeiten der Finanzämter v. 11.3.1996 (GVBl. II 1996, 238), zuletzt geändert durch VO v. 9.9.2015 (BStBl. I 2015, 747); Bremer Finanzämter-ZuständigkeitsVO v. 31.7.2004 (Brem. GBl., 446), zuletzt geändert durch VO v. 8.12.2017 (BStBl. I 2018, 172); Hamb. Anordnung über die Zuständigkeit der Finanzämter v. 28.10.1997 (Amtl. Anz. 1997, 2609), zuletzt geändert

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Kap. 1 Rz. 1.123 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

kanntgabe der Prüfungsanordnung abzustellen (Rz. 1.165; ein späterer Zuständigkeitswechsel hat keine Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung zur Folge Rz. 1.211).1 Dies bedeutet, dass z.B. ein Wohnsitzwechsel eines Steuerpflichtigen nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung keine Auswirkungen auf die sachliche Zuständigkeit des Finanzamtes, das im Zeitpunkt der Prüfungsanordnung für die Anordnung und Durchführung der Betriebsprüfung sachlich (und örtlich) zuständig ist, hat. (2) Gemeinden

1.124

Die Gemeinden sind für die Anordnung oder Durchführung einer Betriebsprüfung nicht sachlich zuständig, d.h., es besteht kein eigenes Prüfungsrecht der Gemeinden z.B. hinsichtlich der Ermittlung der gewerbesteuerlichen Besteuerungsgrundlagen oder der Einheitswerte. Allerdings sind die Gemeinden hinsichtlich der Realsteuern berechtigt, an einer Prüfung eines Finanzamtes teilzunehmen, wenn der Steuerpflichtige in der Gemeinde eine Betriebsstätte unterhält oder Grundbesitz hat und die Betriebsprüfung in dem Gemeindebezirk erfolgt (§ 21 Abs. 3 Satz 2 FVG). Auf die Teilnahme der Vertreter der Gemeinde an der Betriebsprüfung ist in der Prüfungsanordnung (Rz. 1.339) hinzuweisen. Danach kann eine Gemeinde z.B. bei der Ermittlung der gewerbesteuerlichen Besteuerungsgrundlagen eines Steuerpflichtigen teilnehmen. Das Teilnahmerecht der Gemeinde beschränkt sich auf die Beobachtung2, eigene Prüfungshandlungen darf sie nicht vornehmen oder veranlassen. (3) Bundesfinanzbehörden (a) Hauptzollämter

1.125

Die Hauptzollämter sind als örtliche Bundesbehörden für die Verwaltung der Zölle, der bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer und der Biersteuer, der Luftverkehrsteuer, der Kraftfahrzeugsteuer, der Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften, für die zollamtliche Überwachung des Warenverkehrs über die Grenze, für die Grenzaufsicht, für die Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Bedurch Anordnung v. 25.2.2003 (BStBl. I 2003, 172); Hess. ZustVOFÄ v. 11.12.2003 (GVBl. I 2003, 335); MV FinanzamtszuständigkeitsVO v. 10.9.1998 (GVOBl. MV 1998, 820), geändert durch VO v. 26.5.1999 (GVOBl. MV 1999, 305); Erbschaft- und Schenkungsteuer-ÜbertragungsVO v. 13.9.2001 (BStBl. I 2002, 546); Nds. VO über die Zuständigkeit der Finanzbehörden v. 14.12.2005 (Nds. GvBl. 2005, 411), zuletzt geändert durch VO v. 14.12.2016 (BStBl. I 2017, 98); NRW FinanzamtszuständigkeitsVO v. 17.6.2013 (GV. NRW. S. 350), zuletzt geändert durch VO v. 16.7.2015 (BGBl. I 2015, 634); Rh.-Pf. VO v. 10.10.1990 (GVBl. 1990, 311), zuletzt geändert durch VO v. 24.11.1994 (GVBl. 1994, 450); Saarl. VO über die Zuständigkeiten der Finanzämter (FinÄZVO) v. 16.9.2005 (ABl. Saarl. I 2005, 1538), geändert durch VO v. 1.10.2007 (BStBl. I 2008, 20); Sächs. VO des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen über Bezeichnung, Sitz, Bezirk und Zuständigkeit der Finanzämter sowie über die Einrichtung eines Landesrechnungszentrums Steuern i.d.F. der Bek. v. 14.10.2004 (SächsGVBl. 2004, 539), zuletzt geändert durch VO v. 28.4.2016 (BStBl. I 2016, 528); Sa-Anh. VO über zentrale Zuständigkeiten der Finanzbehörden v. 17.2.2014 (BGBl. I 2014, 556); Schl.-Holst. FÄZustVO v. 28.11.1996 (BStBl. I 1997, 105), zuletzt geändert durch VO v. 1.11.2016 (BStBl. I 2016, 1409); Thür. FAZustVO v. 8.6.1994 (GVBl. 1994, 769). 1 BFH v. 26.7.2007 – VI R 68/04, BStBl. II 2009, 338; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 195 AO Rz. 2 und 5; Intemann in Koenig3, § 195 AO Rz. 10; Schallmoser in HHSp, § 195 AO Rz. 6; Seer in Tipke/Kruse, § 195 AO Rz. 1. 2 Krumm in Schwarz/Pahlke, § 21 FVG Rz. 1 ff.; Krumm in Tipke/Kruse, § 21 FVG Rz. 1b; Rüsken in Klein15, AO, § 195 Rz. 7; Schmieszek in HHSp, § 21 FVG Rz. 16.

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C. Prüfungsvorbereitung | Rz. 1.129 Kap. 1

schäftigung und für die ihnen sonst übertragenen Aufgaben zuständig (§ 12 Abs. 2 FVG). Danach sind sie auch für die entsprechenden Betriebsprüfungen zuständig (zur Zollprüfung Rz. 3.403). Auf die Darstellung der Prüfung durch die Zollverwaltung wird verwiesen (Rz. 3.403).

1.126

(b) Bundeszentralamt für Steuern Grundsätzlich beteiligt sich das Bundeszentralamt für Steuern nur an Betriebsprüfungen der Länder (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FVG i.V.m. § 19 FVG). Im Einzelfall kann es auch im Einvernehmen mit dem zuständigen Finanzamt und in dessen Auftrag eigene Prüfungen durchführen (§ 19 Abs. 3 FVG). Darüber hinaus steht ihr ausnahmsweise ein eigenes Recht zur Anordnung und Durchführung einer Betriebsprüfung zu, soweit die sachliche Zuständigkeit vollumfänglich auf das Bundeszentralamt für Steuern übertragen ist. Das ist z.B. bei der Versicherungs- und Feuerschutzsteuer (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 25 FVG) der Fall. Im Übrigen bleibt es bei der Mitwirkung i.S.v. 19 FVG, soweit § 5 Abs. 1 Nr. 2 ff. FVG nur punktuelle Aufgaben, wie z.B. die Veranlagung u.a. (s. z.B. § 5 Abs. 1 Nr. 12 FVG), zuweist.

1.127

Näheres zur Zusammenarbeit zwischen Landesbetriebsprüfung und Bundesbetriebsprüfung s. oben unter „Bundesbetriebsprüfung“ Rz. 1.80.

1.128

bb) Örtliche Zuständigkeit Die örtliche Zuständigkeit bestimmt, welche von mehreren sachlich zuständigen Behörden (z.B. Finanzämter) territorial zuständig ist. § 195 AO knüpft insoweit an die allgemeinen Regeln an. Die örtliche Zuständigkeit für eine Betriebsprüfung, die Teil des Besteuerungsverfahrens ist, ergibt sich daher aus den §§ 17–29a AO. Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit können u.a. Wohnsitz (Einkommen einer natürlichen Person, § 19 Abs. 1 Satz 1 AO) oder Sitz der Geschäftsleitung (gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung bei gewerblicher Personengesellschaft, § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a, § 18 Abs. 1 Nr. 2 AO; Kapitalgesellschaft, § 20 Abs. 1 AO) sein. Zieht der Steuerpflichtige um und ändert sich damit seine Zuordnung zu einem Finanzamtsbezirk, ändert sich die örtliche Zuständigkeit erst in dem Zeitpunkt, in dem eine der beiden betroffenen Finanzbehörden davon positiv Kenntnis nimmt (vgl. § 26 Satz 1 AO).1 Da die Möglichkeit der Kenntniserlangung durch ein Finanzamt nicht ausreicht, muss der Steuerpflichtige die Änderung der örtlichen Zuständigkeit im Zweifel der Finanzbehörde mitteilen. Durch eine Rechtsverordnung der Landesregierung kann die gleich geartete Zuständigkeit mehrerer Finanzämter bei einem Finanzamt oder einer anderen Behörde konzentriert werden, auch über die Ländergrenzen hinaus (vgl. § 17 Abs. 4 FVG).2 Auf diesem Wege ist auch die Bildung besonderer Prüfungsfinanzämter für Betriebsprüfungen zulässig.

1 BFH v. 26.7.2007 – VI R 68/04, BStBl. II 2009, 338; Schallmoser in HHSp, § 195 AO Rz. 8 und 21; Rätke in Klein15, § 26 AO Rz. 3; Wackerbeck in HHSp, § 26 AO Rz. 18; Wünsch in Koenig3, § 26 AO Rz. 12. 2 Krumm in Tipke/Kruse, § 17 FVG Rz. 5; Seer in Tipke/Kruse, § 195 AO Rz. 2.

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1.129

Kap. 1 Rz. 1.130 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

c) Auftragsprüfung aa) Auftragserteilung (1) Beauftragung einer anderen Behörde

1.130

Eine (sachlich und örtlich) zuständige Finanzbehörde kann eine andere Finanzbehörde mit der Durchführung einer Betriebsprüfung beauftragen (§ 195 Satz 2 AO). Die beauftragte Finanzbehörde kann in diesem Fall auch im Namen der beauftragenden Finanzbehörde die Steuerfestsetzung vornehmen und eine verbindliche Zusage (Rz. 9.75) erteilen (§ 195 Satz 3 AO). Zumeinst kommt es hierzu, indem die unzuständige Betriebsprüfungsstelle ihr Prüfungsbegehren an die zuständige Betriebsprüfungsstelle mit der Bitte um Auftragserteilung richtet. Im Rahmen einer Konzernbetriebsprüfung erfolgt eine „Zuständigkeitskonzentration“ auf das Finanzamt, das für das herrschende (Konzern-)Unternehmen sachlich und örtlich zuständig ist, durch die Beauftragung des Finanzamtes (zur Konzernbetriebsprüfung Kapitel 6).1 Entsprechendes gilt für die Prüfung einer Organgesellschaft, bei der regelmäßig das Organträger-Finanzamt mit der Betriebsprüfung beauftragt wird (zur Organschaft in der Betriebsprüfung, Rz. 6.156).2

1.131

Eine Auftragsprüfung kann auch vom Bundeszentralamt für Steuern als beauftragte Behörde durchgeführt werden (§ 19 Abs. 3 Satz 1 FVG). Nach dem Gesetz soll das Bundeszentralamt insbesondere bei Prüfungen von Auslandsbeziehungen und bei Prüfungen, die sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstrecken (Konzernbetriebsprüfung, Kapitel 6), tätig werden (§ 19 Abs. 3 Satz 2 FVG). Die Beauftragung durch die zuständige Finanzbehörde hat nur zur Folge, dass die beauftragte Behörde „ausnahmsweise“ für die konkrete (einzelne) Betriebsprüfung zuständig ist.3 Einen Zuständigkeitswechsel auf Dauer hat die Beauftragung nicht zur Folge. (2) Auftragsprüfung als Ermessensentscheidung

1.132

Die Beauftragung ist nur dann ein Verwaltungsakt, wenn sie, was in der Praxis die Ausnahme darstellt, dem Steuerpfichtigen gegenüber bekannt gegeben wird. Andernfalls handelt es sich um eine verwaltungsinterne Maßnahme. Die Prüfungsanordnung wird vom beauftragten Finanzamt erlassen. Diese muss den Prüfungspflichtigen, die Rechtsgrundlagen der Betriebsprüfung sowie den sachlichen und zeitlichen Umfang der Betriebsprüfung bestimmen. Dabei darf nicht verkannt werden, dass die Beauftragung eine Ermessensentscheidung des beauftragenden Finanzamts voraussetzt. Die erforderlichen Ermessenserwägungen sind vom beauftragenden Finanzamt anzustellen, sie können dem Steuerpflichtigen aber vom beauftragten Finanzamt bekannt gegeben und von diesem sogar nötigenfalls ergänzt werden.4 Dies hat in der Prüfungsanordnung selbst oder in der ebenfalls durch das beauftragte Amt zu erlassenden Einspruchsentscheidung zu geschehen.5 Nicht abschließend geklärt ist, ob eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Durchführung einer Auftragsprüfung nur die Prüfung und Begründung, weshalb die Außenprüfung nicht durch das zuständige Wohnsitz- oder Betriebs1 FG Düsseldorf v. 3.8.2001 – 18 V 2743/01, EFG 2001, 1349; Seer in Tipke/Kruse, § 195 AO Rz. 14; vgl. dazu kritisch Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 195 AO Rz. 15. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 195 AO Rz. 14. 3 BFH v. 10.12.2012 – II B 108/11, BFH/NV 2013, 344, Rz. 7; Gosch in Gosch, § 195 AO Rz. 50; Intemann in Koenig3, § 195 AO Rz. 24; Schallmoser in HHSp, § 195 AO Rz. 23; Seer in Tipke/ Kruse, § 195 AO Rz. 11. 4 BFH, Urt. v. 10.12.1987 – IV R 77/86, BStBl. II 1988, 322; BFH, Beschl. v. 27.11.2003 – I B 119/03, I S 11/03, BFH/NV 2004, 756. 5 Vgl. BFH, Beschl. v. 27.11.2003 – I B 119, S 11/03, BFH/NV 2004, 756.

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C. Prüfungsvorbereitung | Rz. 1.136 Kap. 1

stättenfinanzamt durchgeführt wird (Entschließungsermessen, voraussetzt, oder ob darüberhinaus auch dargelegt werden muss, warum sie gerade durch das beauftragte Finanzamt vorgenommen werden soll (Auswahlermessen).1 Zu den im Rahmen des Entschließungsermessens anzustellenden sachlichen Erwägungen können z.B. die Tatsache gehören, dass die beauftragte Finanzbehörde aufgrund räumlicher oder fachlicher Gesichtspunkte oder zur Sicherstellung der Gleichbehandlung von Prüfungspflichtigen geeigneter für die Durchführung der Betriebsprüfung ist, als die ursprünglich zuständige Finanzbehörde.2 Räumliche Gesichtspunkte für die Ermessensentscheidung sind u.a. die Ortsnähe des Finanzamtes zum Steuerpflichtigen. Liegt das zuständige Finanzamt vom Wohnsitz oder von der Betriebsstätte des prüfungspflichtigen Steuerpflichtigen weiter entfernt, als eine andere (nicht örtlich zuständige) Finanzbehörde, kann dies ein sachgerechter Grund für die Beauftragung von letzteren mit der Betriebsprüfung sein.3 Ermessensgerecht ist auch, wenn die für den Gesellschafter aufgrund seines Wohnsitzes zuständige Finanzbehörde die (nicht übereinstimmende) für den Betrieb zuständige Finanzbehörde mit der Überprüfung beauftragt. Auf diesem Wege können die zwei Prüfungssubjekte zusammen oder zumindest zusammenhängend geprüft werden.4 Hier steht nicht die räumliche Nähe im Mittelpunkt, sondern die inhaltliche Verbindung zweier Prüfungspflichtiger.

1.133

Die Auftragserteilung an ein anderes Finanzamt kann auch der Konfliktvermeidung dienen, z.B. wenn der prüfungspflichtige Steuerpflichtige ein Steuerberater oder eine Steuerberatergesellschaft ist, die mit der räumlich nächsten Finanzbehörde im Regelfall selbst beruflich in Berührung kommt.5

1.134

Ein fachlicher ermessensleitender Gesichtspunk ist, ob die beauftragte Finanzbehörde bessere Fachkenntnisse für die Betriebsprüfung besitzt. Dies ist der Fall, wenn die beauftragte Finanzbehörde über bessere Sachkenntnisse oder etwaige Sonderqualifikationen von Mitarbeitern für die (konkrete) Betriebsprüfung verfügt.6 Dies kann sich auch daraus ergeben, dass die Steuerfahndungsstelle eines anderen und nicht des zuständigen Finanzamtes bereits Vorermittlungen zu dem prüfungspflichtigen Steuerpflichtigen geführt hat.7

1.135

Sachgerecht ist die Auftragserteilung insbesondere, wenn dadurch sichergestellt wird, dass gleichgelagerte Sachverhalte von derselben Finanzbehörde geprüft werden. Durch die Auftragserteilung wird gewährleistet, dass die jeweils Prüfungspflichtigen formell und materiell gleichbehandelt werden.8

1.136

1 Das Sächsische FG (FG Sachs. v. 12.4.2018 – 4 K 273/14, juris) und das FG Münster (FG Münster v. 28.6.2021 – 1 K 3391/20 AO, juris) fordern die Ausübung von Entschließungs- und Auswahlermessen, während nach einem früheren Urteil des FG Münster (FG Münster v. 1.12.2010 – 6 K 2311/10 AO, juris, bestätigt durch BFH, Beschl. v. 29.2.2012 – III B 235/11, BFH/NV 2012, 981) auch ein typisiertes Entschließungsermessen genügen soll. 2 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 195 AO Rz. 9; Gosch in Gosch, § 195 AO Rz. 56; Rüsken in Klein15, § 195 AO Rz. 12; Schallmoser in HHSp, § 195 AO Rz. 27; Seer in Tipke/Kruse, § 195 AO Rz. 10. 3 Gosch in Gosch, § 195 AO Rz. 56; Schallmoser in HHSp, § 195 AO Rz. 27. 4 FG Berlin-Bdb. v. 6.7.2009 – 6 V 6078/09, EFG 2009, 1986; vgl. auch Gosch in Gosch, § 195 AO Rz. 56; Schallmoser in HHSp, § 195 AO Rz. 27. 5 BFH v. 29.2.2012 – III B 235/11, BFH/NV 2012, 981; BFH v. 10.12.1987 – IV R 77/86, BStBl. II 1988, 322, vgl. auch Gosch in Gosch, § 195 AO Rz. 56. 6 Gosch in Gosch, § 195 AO Rz. 56; Schallmoser in HHSp, § 195 AO Rz. 27. 7 BFH v. 11.12.1987 – I R 66/90, BStBl. II 1992, 595; vgl. auch Gosch in Gosch, § 195 AO Rz. 56. 8 Schallmoser in HHSp, § 195 AO Rz. 27.

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Kap. 1 Rz. 1.137 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

bb) Wirkung der Auftragserteilung

1.137

Die beauftragte Finanzbehörde ist an den Umfang des Prüfungsauftrags gebunden. Für die Erweiterung der Prüfungsanordnung muss die beauftragende Finanzbehörde entweder eine Erweiterungsanordnung erlassen oder den ursprünglichen Prüfungsauftrag dergleichen erweitern, dass die beauftragte Finanzbehörde die Erweiterungsanordnung erlassen kann. Der Auftrag kann auch die Anordnung der Betriebsprüfung, also den Erlass der Prüfungsanordnung, umfassen.

1.138

Die beauftragte Finanzbehörde ist über die Durchführung der Betriebsprüfung hinaus berechtigt, im Namen der beauftragenden Finanzbehörde die Steuerfestsetzung vorzunehmen und verbindliche Zusagen (§§ 204–207 AO) zu erteilen (§ 195 Satz 3 AO). Über Einsprüche gegen Verwaltungsakte im Zusammenhang mit der Betriebsprüfung entscheidet jeweils die Behörde, die die Prüfungsanordnung erlassen hat.1 Dies kann die beauftragende oder die beauftragte Behörde sein.

1.139

Die Prüfungsanordnung, die von einer (unzuständigen) Finanzbehörde ohne Vorliegen eines Prüfungsauftrags erlassen wird, ist rechtswidrig, aber nicht nichtig (Rz. 1.117, 1.220). Eine Heilung kommt weder durch nachträgliche Zustimmung oder nachträglich erteilten Prüfungsauftrag durch die zuständige Behörde in Frage (§ 26 Satz 2 AO), noch ist die Anordnung über § 127 AO heilbar. Sofern die Zuständigkeit der beauftragenden Finanzbehörde nachträglich entfällt, kann die beauftragte Finanzbehörde die begonnene Betriebsprüfung fortführen, wenn „dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt“ (§ 26 Satz 2 AO).Die Ergebnisse einer Betriebsprüfung unterliegen einem Verwertungsverbot, wenn die Rechtswidrigkeit eines Prüfungsauftrags von einem FG (rechtskräftig) festgestellt wird.2 cc) Rechtsschutz

1.140

Die Entscheidung über die Durchführung einer Betriebsprüfung in Form einer Auftragsprüfung ist im Rahmen einer Anfechtung mittels Einspruch und ggf. Klage der Prüfungsanordnung inzident zu überprüfen. Das FG überprüft die Entscheidung nur in den Grenzen des § 102 FGO auf Ermessensfehler hin. Zu beachten ist dabei, dass die Anfechtung einer Prüfungsanordnung mittels Einspruch und ggf. Klage die Vollziehbarkeit der Prüfungsanordnung nicht hemmt und die Prüfung trotz der Anfechtung durchgeführt werden kann. Soll dies verhindert werden, muss ergänzend ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Prüfungsanordnung nach § 361 AO bzw. § 69 FGO gestellt werden. Vgl. im Übrigen zur Anfechtung einer Prüfungsanordnung Rz. 1.372.

2. Akten- und Datenabholung 1.141

Hat der Prüfer seinen Prüfungsgeschäftsplan (s.o. Rz. 1.103) erhalten, holt er zunächst die dazugehörigen Steuerakten in Papier- und/oder elektronischer Form ab. Neben den Steuerklärungen selbst umfassen die Steuerakten z.B. weitere Informationen, etwa Verträge bzw. Kon1 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 195 AO Rz. 14; Intemann in Koenig3, § 195 AO Rz. 40; Rüsken in Klein15, § 195 AO Rz. 15; Schallmoser in HHSp, § 195 AO Rz. 37. 2 Vgl. jeweils mit Verweis auf BFH v. 21.4.1993 – X R 112/91, BStBl. II 1993, 649; Intemann in Koenig3, § 195 AO Rz. 31; Rüsken in Klein15, § 195 AO Rz. 20; Schallmoser in HHSp, § 195 AO Rz. 41.

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C. Prüfungsvorbereitung | Rz. 1.144 Kap. 1

trollmaterial, das von anderen Behörden aber auch von Dritten stammen kann. Diese reichen von (anonymen) Anzeigen von Steuerpflichtigen über Veräußerungsanzeigen der Notare bis hin zu automatisiert ausgetauschten Daten aus dem Ausland (z.B. auf Basis EUAHiG, FATCA). Während der Prüfer in der Vergangenheit die auf Papier vorliegenden Daten der Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und steuerlichen Gewinnermittlung noch manuell in das bundeseinheitlich im Außendienst eingesetzte Fallverwaltungs- und Berechnungsprogramm „BpA-Euro“ eingeben musste, werden diese seit Einführung der elektronischen Übermittlung von Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen (E-Bilanz) automatisiert auf die PrüferNotebooks übertragen. Gleiches gilt für das angesammeltes digitales Kontrollmaterial.1

3. Prüfungsentscheidung (qualifizierte Absetzung) Um die Prüfungsbedürftigkeit im Näheren zu prüfen, kann ein interner (innerer) Betriebsvergleich durchgeführt werden, bei dem die Bilanzwerte und Positionen der Gewinn- und Verlustrechnung für den Prüfungszeitraum gegenübergestellt und verglichen werden (Prüfungsvorbereitung). Dabei werden in Zeitreihenvergleichen z.B. die wöchentlichen Umsatzerlöse und Wareneingänge gegenübergestellt – und als Ergebnis die Differenz und das Verhältnis der wöchentlichen Verkehrszahlen ausgeworfen. Weitere Zeitreihenvergleiche ermitteln die Differenz und das Verhältnis der Verkehrszahlen zweier beliebiger Konten (oder Kontenbereiche) innerhalb eines frei bestimmbaren zeitlichen Intervalls. Zusätzlich kann ein externer (äußerer) Betriebsvergleich erfolgen, bei dem die vorliegenden Kennzahlen des zur Prüfung anstehenden Unternehmens mit Kennzahlen branchengleicher Betriebe verglichen werden. Bei diesem Vergleich werden neben den jährlich vom Bundesministerium der Finanzen veröffentlichten amtlichen Richtsatzsammlungen weitere Vergleichszahlen aus Erhebungen oder Datenbanken wie z.B. Geschäftsführergehälter einbezogen. Zur Berücksichtigung regionaler Besonderheiten sollen diese Vergleichswerte künftig um weitere Daten aus den eingereichten E-Bilanzen ergänzt werden.2

1.142

Ergibt die Fallvorbereitung durch den Prüfer keine größeren Auffälligkeiten, kann der Fall vom Prüfungsgeschäftsplan abgesetzt werden (qualifizierte Absetzung). Hierbei handelt es sich um ein reines Verwaltungsinternum. Eine Mitteilung an den Steuerpflichtigen ergeht nicht. Rechtsfolgen, wie etwa ein Anspruch auf „Nichtprüfung“ ergeben sich hieraus nicht, d.h. entscheidet sich die Betriebsprüfungsstelle nachträglich doch für eine Prüfung, steht dieser Entscheidung die Absetzung vom Prüfungsgeschäftsplan nicht entgegen.

1.143

Bei anderen Betrieben als Großbetrieben soll der Prüfungszeitraum i.d.R. nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000). Welcher Prüfungszeitraum dies ist, obliegt dem Auswahlermessen des Prüfers. Er ist nicht auf die Prüfung der Steuerklärungen der letzten drei abgegebenen Jahre beschränkt. Prüfbar sind daher auch Jahre, die weiter in der Vergangenheit liegen. Auf die materielle Bestandskraft des Steuerbescheids kommt es nicht an.3 Eine absolute Grenze hinsichtlich der Ausdehnung des zeitlichen Umfangs bilden aber die Festsetzungsfristen der §§ 169 ff. AO, denn eine Betriebsprüfung, deren Ergebnisse nicht verwertet werden können, verstößt gegen das Übermaßverbot.4

1.144

1 Lindgens, creditreform-magazin v. 3.12.2018, https://creditreform-magazin.de/finanzen/betrieb spruefung-verstecken-gilt-nicht/. 2 Lindgens, creditreform-magazin v. 3.12.2018, https://creditreform-magazin.de/finanzen/betrieb spruefung-verstecken-gilt-nicht/. 3 AEAO Rz. 1 zu § 193; BFH v. 28.3.1985 – IV 224/83, BStBl. II 1985, 700. 4 Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 47, Gosch in Gosch, § 194 AO Rz. 102, 107.

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Kap. 1 Rz. 1.144 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

Innerhalb dieser Schranke kann der Prüfungszeitraum insbesondere dann drei Besteuerungszeiträume übersteigen, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht (§ 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000). Unabhängig davon sind Anschlussprüfungen auch bei M-, K- oder Kst-Betrieben zulässig (§ 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000). Eine gesonderte Begründung ist dafür nicht erforderlich. Hierzu kommt es beispielsweise, wenn in der vorangegangenen BP Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden und kontrolliert werden soll, ob der Unternehmer diese abgestellt hat.

4. Kontaktaufnahme zum Steuerpflichtigen und Prüfungsanordnung 1.145

Kommt der Prüfer zu dem Ergebnis, dass der Betrieb einer Prüfung unterzogen werden soll, bespricht er dies i.d.R. mit seinem Sachgebietsleiter. Nach dessen Zustimmung nimmt er i.d.R. Kontakt mit dem Steuerpflichtigen bzw. dessen steuerlichen Vertreter auf und vereinbart Ort und Termin für die Prüfung. Erst im Anschluss daran erlässt er die Prüfungsanordnung (§ 196 AO, § 5 BpO 2000).

II. Prüfungsvorbereitung durch den Steuerpflichtigen 1. Allgemeines 1.146

Eine sorgfältige Vorbereitung des Steuerpflichtigen auf eine Betriebsprüfung kann erhebliche Auswirkungen auf einen für „beide Seiten“ zufriedenstellenden Prüfungsablauf haben. Die Vorbereitungsmaßnahmen des Steuerpflichtigen können zur Folge haben, dass die Betriebsprüfung, die vom Steuerpflichtigen häufig als störend im Betriebsablauf empfunden wird, ohne Verzögerung durchgeführt und abgeschlossen werden kann. Darüber hinaus ist eine gute Vorbereitung auch ein Signal der Kooperationsbereitschaft an den Prüfer, das erfahrungsgemäß positiv vom Prüfer zur Kenntnis genommen wird.

1.147

Der Vollständigkeit halber ist hervorzuheben, dass Vorbereitungsmaßnahmen bereits im Rahmen einer Sachverhaltsverwirklichung, also zeitlich sehr weit vor der Betriebsprüfung, erfolgen können. Z.B. kann durch die Ergänzung einer Präambel eines Vertrags um steuerliche Hinweise ein Verständnis des Prüfers in einer später stattfindenden Betriebsprüfung erleichtert werden. Vorteilhaft kann auch die Erstellung eines steuerlichen Dokumentations-Vermerks sein, in dem ein Sachverhalt (unter Erläuterung des wirtschaftlichen Motivs der Transaktion und einer steuerlichen Würdigung) für einen Prüfer erläutert wird (Was haben wir wann und warum mit welchen Steuerfolgen wie gemacht?). Erfahrungsgemäß kann eine solche „freiwillige“ Dokumentation auch für die Vertreter des Steuerpflichtigen, die Jahre später mit der Begleitung der Betriebsprüfung befasst sind, hilfreich sein.

1.148

Idealerweise wird der eigentlichen Vorbereitungsphase eine steuerstrafrechtliche Kontrolle zeitlich vorangestellt. Dabei ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung (§ 196 AO, Rz. 1.262) entscheidend. Denn bis zur Bekanntgabe der Prüfungsanordnung kommt eine strafbefreiende Selbstanzeige des Steuerpflichtigen mit Blick auf Steuersachverhalte in Betracht, die Gegenstand der Betriebsprüfung werden können. Nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung ist eine strafbefreiende Selbstanzeige hinsichtlich des zeitlichen und sachlichen Umfangs der (bevorstehenden) Betriebsprüfung ausgeschlossen (§ 371 Abs. 2 Nr. 1a AO). Auf die Darstellung zu den steuerstrafrechtlichen Auswirkungen einer Betriebsprüfung wird verwiesen (Rz. 4.1). Sofern der Steuerpflichtige die Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige in Erwägung zieht oder die Möglichkeiten und Folgen einer solchen Anzeige durch einen Rechtsanwalt oder Steuerberater im Rahmen einer Vorbereitung auf eine Betriebsprüfung 58 | Hruschka/von Freeden

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C. Prüfungsvorbereitung | Rz. 1.152 Kap. 1

prüfen lassen möchte, darf er nicht auf den formalen Beginn der Betriebsprüfung, den Zugang der Prüfungsanordnung, warten.1 Nach Zugang der Prüfungsanordnung (Rz. 1.262) hat der Steuerpflichtige Kenntnis von dem bevorstehenden Beginn der Betriebsprüfung. In der Prüfungsanordnung ist der zeitliche und sachliche Umfang der Betriebsprüfung geregelt, so dass sie die eigentliche Vorbereitungsphase einleitet. Bei den einzelnen Vorbereitungsmaßnahmen kann es sich um organisatorische Maßnahmen (Rz. 1.150) oder steuerrechtliche (Vorbereitungs-)Überlegungen handeln. Dabei ist der Umfang einer Betriebsprüfungsvorbereitung selbstverständlich abhängig von der Größe des Betriebs (Mittelstandsbetrieb vs. Konzern), dessen Struktur (Einzelgesellschaft vs. Holdingstruktur) und dessen Tätigkeitsgebiet (nationale Sachverhalte vs. internationale Sachverhalte).

1.149

2. Einzelne Vorbereitungsmaßnahmen a) Organisatorische Maßnahmen Festlegung eines Ansprechpartners für den Prüfer: Neben dem Steuerpflichtigen (bzw. dessen gesetzlichem Vertreter) ist eine Person zu bestimmen, die Ansprechpartner des Prüfers ist. Dies können z.B. sein der Berater des Steuerpflichtigen oder (bei größeren Betrieben) ein Mitarbeiter des Steuerpflichtigen (Betriebsprüfungs-Beauftragter). Der Ansprechpartner nimmt die Anfragen der Betriebsprüfung entgegen, prüft deren verfahrensrechtliche Zulässigkeit unter Berücksichtigung des Rechts und Verfahrens der Betriebsprüfung (zu den Prüfungsgrundsätzen Rz. 1.404; zu den Mitwirkungspflichten Rz. 1.525) und stellt die angeforderten Unterlagen bzw. Informationen zur Verfügung. Der Ansprechpartner verwaltet (ggf. durch Nutzung einer IT-Lösung, Rz. 2.202) die einzelnen BP-Anfragen, ihren Bearbeitungsstand und die Stellungnahmen des Steuerpflichtigen. Der Ansprechpartner koordiniert ggf. auch den Einsatz von Beratern. Bei Schwierigkeiten oder Unstimmigkeiten zwischen Steuerpflichtigem und Prüfer hinsichtlich des Ablaufs der Prüfung kann dem Ansprechpartner erfahrungsgemäß eine (informelle) „Vermittler- oder Schlichterrolle“ zukommen. Die Funktion und Bedeutung des Ansprechpartners sind deshalb nicht zu unterschätzen.

1.150

Einrichtung eines Prüferplatzes/Prüferzimmers: Für den Prüfer oder das Prüferteam sind – soweit darstellbar – Räumlichkeiten vorzubereiten, die vom Prüfer genutzt werden können. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Beschaffenheit des Raumes einen „Angemessenheitstest“ übersteht (Raumgröße, Helligkeit, Lage im Unternehmen, Sauberkeit, Beheizbarkeit). Im Zweifel kann auch ein Prüferzimmer in der Kanzlei des Beraters angeboten werden.

1.151

Vorbereitung einer Betriebsbesichtigung: Identifizierung eines Mitarbeiters, der eine Betriebsbesichtigung mit dem Prüfer – falls vom Prüfer gewünscht (Rz. 1.499) – durchführen kann. Der Mitarbeiter sollte die Arbeitsweise des Betriebs und ggf. Besonderheiten erklären können. Erfahrungsgemäß kann es hilfreich sein, wenn ein Mitarbeiter, der mit steuerlichen Angelegenheiten (weitestgehend) befasst ist, an der Besichtigung teilnimmt (z.B. Mitarbeiter aus den Bereichen Geschäftsführung, Steuerabteilung, Rechnungswesen oder Finanzen). Denn der „Prüferblick“ auf den Betrieb dürfte dem Blick eines solchen Mitarbeiters entsprechen (z.B. Nutzung von Sonderabschreibungen für bestimmte Maschinen, Lagerung von Beständen, Besonderheiten mit Blick auf Grundstücke etc.).

1.152

1 Beckemper in HHSp, § 371 AO Rz. 128; Streck/Kamps, Außenprüfung, Rz. 301; Webel in Schwarz/ Pahlke, § 371 AO Rz. 169 ff.

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Kap. 1 Rz. 1.153 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.153

Zusammenstellung von „Basisunterlagen“: Die Unterlagen, die vom Prüfer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesichtet werden, sollten zur Weitergabe bzw. zur Einsichtnahme vorbereitet werden. Hierzu zählen Jahresabschlüsse des Prüfungszeitraums, Summen- und Saldenlisten, Sachkonten, Personenkonten, Journale, Kassenbücher. In Abhängigkeit von der Betriebsgröße und -struktur zählt hierzu auch die Verrechnungspreisdokumentation (Rz. 7.15), die Verfahrensdokumentation (Rz. 2.65) und die Dokumentation zu einem Tax Compliance Management System (Rz. 6.255).

1.154

Nachweise/Dokumentation zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen: Weiterhin sollten die Unterlagen zusammengestellt werden oder „griffbereit“ gemacht werden, durch die außerordentliche Geschäftsvorfälle oder Maßnahmen nachgewiesen bzw. dokumentiert werden (z.B. Gesellschafterwechsel; Umstrukturierung; Vermögensverlust wegen Diebstahl, Betrug o.Ä.). Hierzu zählen auch Auskunftsanträge und verbindliche Auskünfte (§ 89 AO), die zeitlich in den Prüfungszeitraum fallen.

1.155

Ermöglichung eines Datenzugriffs: Die technischen Voraussetzungen für einen Datenzugriff des Prüfers sind zu schaffen (Rz. 1.513). b) Rechtliche Überlegungen

1.156

Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung: Zu prüfen ist, ob die Prüfungsanordnung rechtmäßig ist. Siehe dazu Rz. 1.165.

1.157

Rechtmäßigkeit der Dokumenten-Anforderung: Zu prüfen ist, ob eine Anforderung von Dokumenten durch den Prüfer rechtmäßig ist. Siehe dazu Rz. 1.445, 1.467.

1.158

Rechtliche Bewertung von „Risikosachverhalten“: Die Sachverhalte und Transaktionen des Prüfungszeitraums, denen ein „Aufgriffsrisiko“ anhaftet, sind zu identifizieren. Dies können Sachverhalte sein, die Gegenstand eines Prüfungsschwerpunktes sind (Rz. 1.429), oder besondere Geschäftsvorfälle (z.B. Errichtung einer Organschaft, Umstrukturierung, Funktionsverlagerung, Teilwertabschreibung, Geschäftsbeziehungen mit Gesellschaftern oder nahe stehenden Personen). Hierzu zählen auch sämtliche Sachverhalte, die Voraussetzung für ein „Steuerprivileg“ sind (z.B. Voraussetzungen für ein Schachtelprivileg oder die erweiterte Kürzung für Grundstückunternehmen, Ausnahmetatbestände zu § 8c KStG, Befreiungen im Grunderwerbsteuerrecht) oder die Voraussetzung für den Wegfall einer vorteilhaften Steuerposition sind (z.B. Anteilsübertragung hat einen Untergang nicht genutzter Verluste oder die Entstehung von Grunderwerbsteuer zur Folge). Weiterhin dürften dies zukünftig sämtliche Sachverhalte sein, die Gegenstand einer Anzeigepflicht bei Steuergestaltungen waren (§ 138d AO). Die steuerliche Behandlung dieser Sachverhalte im Rahmen der Deklaration ist mit Blick auf aktualisierte Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen zu hinterfragen, eine rechtliche Argumentation gegenüber dem Prüfer ist vorzubereiten.

1.159

Berichtigung von Erklärungen: Im Rahmen der Vorbereitung einer Betriebsprüfung können Fehler erkannt werden, die eine Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Steuererklärung zur Folge hatten. Insoweit ist zu prüfen, ob eine Berichtigungspflicht nach § 153 AO besteht.

1.160

Vorbereitung der Ausübung steuerlicher Wahlrechte: Für den Fall, dass bestimmte steuerliche Wahl- oder Antragsrechte, die im Zusammenhang mit einer Transaktion bestehen, noch nicht ausgeübt worden sind, sollte die Vorbereitung einer Betriebsprüfung Anlass sein, sich hinsichtlich einer Ausübung festzulegen bzw. vorzubereiten. Dabei können die Wahlrechtsausübung bzw. eine Antragstellung unter Berücksichtigung der Feststellungen der Betriebsprü60 | Hruschka/von Freeden

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.165 Kap. 1

fung erfolgen (z.B. Stellung eines Antrags nach § 8d KStG, weil der Prüfer die Existenz steuerpflichtiger stiller Reserven verneint). Zukünftige Transaktionen: Die Aufgabe des Prüfers ist die vergangenheitsbezogene Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen (Rz. 1.408). Die Prüfdienste der Finanzverwaltung sind allerdings auch „zukunftsbezogen“ tätig. Denn verwaltungsintern sind sie z.T. auf Grund ihrer Sachnähe und steuerrechtlichen Kompetenz in den Prozess der Erteilung einer verbindlichen Auskunft (§ 89 AO, Rz. 9.1) einbezogen. Zuständig für die Erteilung einer verbindlichen Auskunft ist das für die Besteuerung zuständige Finanzamt. Unter Berücksichtigung dieser verwaltungsinternen Einbeziehung in einen Auskunftsprozess (oder einer ggf. informellen Mitwirkung der Prüfdienste) kann die Offenlegung bzw. die Erläuterung einer geplanten Maßnahme gegenüber dem Prüfer im Rahmen einer Betriebsprüfung zielführend sein. Für einen Prüfer hat dieses Vorgehen den Vorteil, dass ein Sachverhalt vom Steuerpflichtigen (mit steuerrechtlicher Würdigung) vollumfänglich dargelegt wird. Der Steuerpflichtige sollte deshalb im Rahmen einer Prüfungsvorbereitung konkret geplante Maßnahmen zusammenstellen und überlegen, diese Maßnahmen (oder ausgewählte Maßnahmen) gegenüber dem Prüfer anzusprechen.

1.161

Verbindliche Zusage: Bereits im Rahmen der Prüfungsvorbereitung sollte überlegt werden, ob (und ggf. welche) Prüfungssachverhalte zum Gegenstand einer verbindlichen Zusage (§ 204 AO, Rz. 9.75) gemacht werden können.

1.162

Tatsächliche Verständigung: Bereits im Rahmen der Prüfungsvorbereitung sollte überlegt werden, ob bestehende Sachverhaltsdefizite zum Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung (Rz. 9.109) gemacht werden können. Dabei ist zu beachten, dass die tatsächliche Verständigung auch den Steuerpflichtigen bindet.

1.163

Verbindliche Auskunft: Für den Fall, dass eine verbindliche Auskunft (§ 89 AO, Rz. 9.1) zu einem Sachverhalt im Prüfungszeitraum vorliegt, ist im Rahmen der Prüfungsvorbereitung zu verifizieren, ob der im Auskunftsantrag dargestellte Sachverhalt verwirklicht worden ist. Sollte eine wesentliche Sachverhaltsabweichung vorliegen, kann die Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft weggefallen sein.1 In diesem Fall kann eine neue steuerliche Würdigung geboten sein, die von der Rechtsauffassung, die Gegenstand der verbindlichen Auskunft ist, abweicht. Möglicherweise ergibt die Überprüfung auch, dass zwar eine Sachverhaltsabweichung vorliegt, diese aber nur unwesentlich ist.

1.164

D. Prüfungsanordnung I. Allgemeines 1. Prüfungsanordnung und Erweiterungsanordnung Mit einer schriftlich oder elektronisch zu erteilenden Prüfungsanordnung einschließlich Rechtsbehelfsbelehrung nach § 356 AO bestimmt die Finanzbehörde den Umfang der Betriebsprüfung (§ 196 AO). Die Prüfungsanordnung leitet die Betriebsprüfung formell ein. Sie ist die Eintrittskarte des Prüfers und Herzstück der Betriebsprüfung. Ihr Regelungsgehalt besteht darin, dem Steuerpflichtigen aufzugeben, die Prüfung in dem in der Anordnung näher beschriebenen Umfang zu dulden.2 1 § 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV. 2 BFH v. 13.10.2015 – IV R 55/04, BStBl. II 2006, 404 Rz. 14.

Hruschka/von Freeden und Dominik | 61

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1.165

Kap. 1 Rz. 1.166 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.166

Eine Prüfungsanordnung kann auch in Form einer Erweiterungsanordnung auftreten. Dies ist eine Prüfungsanordnung, die den ursprünglich bestimmten Umfang der Betriebsprüfung nachträglich erweitert. Demzufolge gelten die Ausführungen zur Prüfungsanordnung grundsätzlich auch für eine Erweiterungsanordnung. Allerdings ist insbesondere zu beachten, dass für eine Erweiterungsprüfung spezielle Voraussetzungen vorliegen müssen und es daher auch einer substantiierten Begründung bedarf.

2. Sinn und Zweck 1.167

Nach den Gesetzesmaterialien dient die Prüfungsanordnung nicht einem formalistischen Selbstzweck, sondern dem Schutz des Steuerpflichtigen und der Vermeidung von Unklarheiten hinsichtlich der Art und Auswirkung der durchzuführenden Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund ist es hinzunehmen, dass das Erfordernis einer umfassend geregelten Prüfungsanordnung zur (weiteren) Formalisierung der Betriebsprüfung beiträgt.1

1.168

Prüfungsanordnungen sind vergleichsweise selten Gegenstand finanzgerichtlicher Entscheidungen. Trotzdem ist es für die Praxis unerlässlich, die verfahrensrechtlichen Ansatzpunkte für eine rechtliche Überprüfung von Prüfungsanordnungen zu identifizieren und eine gewisse Sensibilität in diesem Bereich zu entwickeln.

1.169

Rechtsmittel gegen rechtswidrige Prüfungsanordnungen können beispielsweise im Rahmen einer prüfungsbegleitenden (Strategie-)Beratung und einer der Prüfung nachgelagerten (Abwehr-)Beratung ein wichtiges Handwerkzeug für den beratenden Steuerpraktiker sein.

1.170

Nicht zuletzt verdeutlichen auch die Zusammenhänge zwischen einer rechtmäßigen bzw. rechtswidrigen Prüfungsanordnung einerseits und den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (§ 200 AO), der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung (vgl. § 164 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 3 AO), der Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 4 AO sowie der Sperrwirkungen gem. § 173 Abs. 2 AO und § 371 Abs. 2 AO andererseits die erhöhte Praxisrelevanz.

3. Prüfungsanordnungen in der Praxis

4. Gesetzliche Grundlagen und Verwaltungsvorschriften a) Gesetzliche Grundlagen

1.171

Die §§ 193 ff. AO enthalten die gesetzlichen Grundlagen für die Prüfungsanordnung. Die zentrale Norm ist § 196 AO. Aber auch die weiteren allgemeinen Vorschriften zur Betriebsprüfung sind für eine Prüfungsanordnung von Bedeutung.

1.172

§ 193 AO definiert die Prüfungssubjekte und regelt damit die Zulässigkeit einer Betriebsprüfung. Der Erlass einer Prüfungsanordnung setzt voraus, dass eine Betriebsprüfung zulässig ist. Liegen die Voraussetzungen des § 193 AO nicht vor, ist die Prüfungsanordnung rechtswidrig.

1.173

§ 194 AO enthält Regelungen zum Umfang einer Betriebsprüfung. Da die Finanzbehörde den Umfang einer Betriebsprüfung mit einer Prüfungsanordnung i.S.d. § 196 AO bestimmt, muss der so bestimmte Prüfungsumfang den Vorgaben des § 194 AO entsprechen. Ist dies nicht der Fall, kann ein anfechtbarer Ermessensfehler vorliegen.

1 BT-Drucks. VI/1982, 162.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.180 Kap. 1

§ 195 AO regelt die Zuständigkeit für eine Betriebsprüfung. Die für die Durchführung zuständige Finanzbehörde ist grundsätzlich auch für den Erlass der Prüfungsanordnung zuständig. Eine Prüfungsanordnung, die von einer unzuständigen Finanzbehörde erlassen wurde, ist anfechtbar.

1.174

Das Herzstück der gesetzlichen Grundlagen für die Prüfungsanordnung ist § 196 AO. Zugleich enthält diese Norm formale Vorgaben für die Prüfungsanordnung (Form und Rechtsbehelfsbelehrung). Ein Verstoß gegen diese formalen Anforderungen kann zu einer formell fehlerhaften Prüfungsanordnung führen

1.175

§ 197 AO befasst sich mit der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung. Eine fehlende oder mangelhafte Bekanntgabe kann zur Folge haben, dass die Prüfungsanordnung unwirksam ist. Außerdem stellt § 197 Abs. 1 AO eine Verknüpfung zwischen der Prüfungsanordnung an sich und den hiervon abzugrenzenden Mitteilungen über den voraussichtlichen Prüfungsbeginn und die Namen der Prüfer her. Schließlich regelt § 197 Abs. 2 AO die Verschiebung des Prüfungsbeginns auf Antrag des Steuerpflichtigen.

1.176

b) Verwaltungsanweisungen aa) AEAO Verwaltungsanweisungen für den Erlass einer Prüfungsanordnung enthalten insbesondere der AEAO und die BpO 2000. Der AEAO enthält Anweisungen für die Finanzverwaltung und gilt für die Anwendung der Abgabenordnung. Die Ausführungen zu den gesetzlichen Grundlagen, die im Zusammenhang mit einer Prüfungsanordnung stehen, sind relativ umfangreich. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Darstellung zur Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung (§ 197 AO). Diese knüpft an die ausführliche Darstellung zu § 122 AO (Bekanntgabe eines Verwaltungsakts) an und erläutert hiervon abweichende Regelungen im Zusammenhang mit einer Prüfungsanordnung.

1.177

Zwar richtet sich der AEAO eigentlich an die Finanzverwaltung und nicht an die Beratungspraxis. Trotzdem sollten auch beratende Steuerpraktiker die im AEAO enthaltenen Anweisungen und Verweise auf die Rechtsprechung des BFH beachten. Gerade in außergerichtlichen Verhandlungen mit der Finanzverwaltung ist es für das Verständnis der von der Finanzbehörde vertretenen Auffassung hilfreich, die insoweit geltenden und verbindlichen Weisungen zu kennen. Außerdem ist es für Berater, die gegenüber der Finanzverwaltung mit der Rechtsprechung des BFH argumentieren, vorteilhaft, wenn sie zugleich darauf verweisen können, dass die entsprechende Entscheidung auch im AEAO enthalten ist. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um Entscheidungen handelt, die nicht im BStBl. II veröffentlicht sind. In diesen Fällen kann mit einem Verweis auf den AEAO dem Argument begegnet werden, dass es sich bei Entscheidungen, die nicht im BStBl. II veröffentlicht sind, um Einzelfallentscheidungen handelt, die grundsätzlich nicht in gleich gelagerten Fällen anzuwenden sind.

1.178

bb) Betriebsprüfungsordnung Mit der BpO 2000 liegt eine allgemeine Verwaltungsvorschrift für Betriebsprüfungen vor. Im Zusammenhang mit einer Prüfungsanordnung sind insbesondere die allgemeinen Vorschriften (§§ 1 bis 3 BpO 2000) und diejenigen zur Durchführung der Betriebsprüfung (§§ 4 bis 12 BpO 2000) einschlägig.

1.179

Vor der Anwendung der Anweisungen der BpO 2000 ist deren Anwendungsbereich zu prüfen. Diese Verwaltungsvorschriften betreffen nur Betriebe. Demzufolge sind Anlassprüfungen

1.180

Dominik | 63

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Kap. 1 Rz. 1.180 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

i.S.d. § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO, die sich nicht auf einen Betrieb beziehen, nicht vom Anwendungsbereich der BpO 2000 umfasst.

1.181

Zwar richtet sich die BpO 2000, ebenso wie der AEAO, eigentlich nicht an beratende Steuerpraktiker. Sie gilt für Betriebsprüfungen der Landesfinanzbehörden und des BZSt. Trotzdem ist es für die Beratungspraxis hilfreich, diese Verwaltungsvorschrift zu kennen und bei der Überprüfung von Prüfungsanordnungen die Anweisungen in der BpO 2000 zu beachten. Insbesondere sollte bekannt sein, dass diese Verwaltungsregelungen nicht nur der sinnvollen Nutzung der begrenzten Prüfungskapazitäten, sondern auch der Gleichmäßigkeit der Besteuerung dienen. Sie sind deshalb als Selbstbindung der Verwaltung bei einer Ermessensausübung durch die Finanzbehörden zu berücksichtigen und auch im Rahmen einer finanzgerichtlichen Überprüfung einer getroffenen Ermessensentscheidung (§ 102 FGO) zu beachten.1 Insbesondere trifft dies auf die Bestimmung des zeitlichen Umfangs einer Betriebsprüfung zu.

5. Prüfungsentschluss und nachgeholte Prüfungsanordnung a) Verwaltungsinterner Prüfungsentschluss der Finanzbehörde

1.182

Der Entschluss einer Finanzbehörde, eine Betriebsprüfung durchzuführen, ist zunächst eine verwaltungsinterne Entscheidung. Er ist der mit Außenwirkung versehenen Prüfungsanordnung regelmäßig zeitlich vorgelagert. Da es sich bei dem verwaltungsinternen Prüfungsentschluss mangels Außenwirkung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, ist dieser nicht mit dem Einspruch anfechtbar (vgl. §§ 118 Satz 1, 347 AO).

1.183

Für die Praxis ist zu beachten, dass die Finanzbehörden möglicherweise auch zur näheren Vorbereitung des Prüfungsentschlusses umfangreiche Akten bzw. Daten anfordern und bearbeiten. Die entsprechenden Mitwirkungsverlangen können mangels vorhergehender Prüfungsanordnung nicht auf § 200 AO gestützt werden. Außerdem kann sich in einem solchen Fall die Frage stellen, ob durch die Anforderung und Bearbeitung umfangreicher Akten bereits faktisch eine Betriebsprüfung begonnen wird und die Ergebnisse mangels vorhergehender Prüfungsanordnung im Rahmen einer Steuerfestsetzung verwertbar sind.2 Diesem Streitpunkt können sich die Finanzbehörden möglicherweise entziehen, indem sie die „Vorbereitungshandlungen“ nach dem Erlass einer Prüfungsanordnung wiederholen. b) Erlass einer Prüfungsanordnung nach Prüfungsbeginn

1.184

Eine Prüfungsanordnung kann bis zum Abschluss einer Betriebsprüfung wirksam ergehen. Wird eine Prüfung ohne den vorherigen Erlass einer Prüfungsanordnung begonnen, kann die Finanzbehörde die erforderliche Prüfungsanordnung nachholen, solange sie die Betriebsprüfung noch nicht für abgeschlossen erklärt hat. Die Erklärung über den Abschluss einer Betriebsprüfung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Regelmäßig kann eine Betriebsprüfung nicht vor Absendung des Betriebsprüfungsberichts als abgeschlossen angesehen werden.

1.185

Ergeht eine Prüfungsanordnung nicht vor, sondern im Laufe einer Betriebsprüfung, bildet diese Anordnung jedenfalls die Grundlage für die nach ihrem Erlass ergriffenen Prüfungsmaßnahmen, insbesondere die Schlussbesprechung (§ 201 AO), den Erlass des Prüfungsberichts (§ 202 AO) und die mit diesen zukünftigen Maßnahmen getroffenen Feststellungen.3 1 BFH v. 28.6.2000 – I R 20/99, BFH/NV 2000, 1447 Rz. 11. 2 Schallmoser in HHSp, § 196 AO Rz. 23. 3 BFH v. 16.3.1989 – IV R 6/88, BFH/NV 1990, 139 Rz. 11 f.; FG Münster v. 21.4.2010 – 6 K 3514/ 09 AO, EFG 2010, 1754, Rz. 40, rkr.

64 | Dominik

2021-10-28, 11:05, HB mittel

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.191 Kap. 1

II. Durchführung einer zulässigen Betriebsprüfung 1. Generelle Prüfungsbedürftigkeit (§ 193 Absatz 1 AO) Grundlegende Voraussetzung für den Erlass einer Prüfungsanordnung ist die bevorstehende Durchführung einer zulässigen Betriebsprüfung. Ist eine Betriebsprüfung nicht zulässig, kann eine trotzdem erlassene Prüfungsanordnung aus diesem Grund angefochten werden.

1.186

§ 193 Abs. 1 AO definiert diejenigen Prüfungssubjekte, bei denen eine Betriebsprüfung generell zulässig ist. Hiernach ist eine Betriebsprüfung bei Steuerpflichtigen zulässig, die einen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalten, die freiberuflich tätig sind und bei Steuerpflichtigen i.S.d. § 147a AO. Demzufolge ist eine Betriebsprüfung zum einen bei Steuerpflichtigen mit Gewinneinkünften (§§ 13, 15 und 18 EStG) und zum anderen bei Steuerpflichtigen mit hohen Überschusseinkünften (> 500.000 €) ohne weitere Voraussetzungen zulässig. Einschränkungen ergeben sich weder aus den §§ 193 ff. AO noch aus anderen abgabenrechtlichen Vorschriften.1

1.187

Durch die generelle Zulässigkeit von Betriebsprüfungen bei Steuerpflichtigen mit hohen Überschusseinkünften erhält die Finanzbehörde eine Ermittlungsmöglichkeit für Prüfungsfälle, die regelmäßig von erheblicher Bedeutung sind und beachtliche Mehrergebnisse aufweisen.2

1.188

Eine generelle Prüfungsbedürftigkeit gem. § 193 Abs. 1 AO liegt nicht erst dann vor, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige Gewinneinkünfte (oder hohe Überschusseinkünfte) erzielt. Die Betriebsprüfung hat es auch mit potentiellen Steuerpflichtigen zu tun. Liegen Anhaltspunkte für Gewinneinkünfte (oder hohe Überschusseinkünfte) vor, so kann eine Betriebsprüfung zur Klärung dieser Frage auf § 193 Abs. 1 AO gestützt werden. Ein typisches Praxisbeispiel ist der Erlass einer Prüfungsanordnung, um zu prüfen, ob ein Steuerpflichtiger einen gewerblichen Grundstückshandel betreibt. Erst wenn sich durch die Prüfung herausstellt, dass der Steuerpflichtige keine Gewinneinkünfte (oder hohe Überschusseinkünfte) erzielt, darf die Prüfung nur fortgesetzt werden, wenn auch die Voraussetzungen nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO vorliegen.3

1.189

2. Besondere Prüfungsbedürftigkeit (§ 193 Absatz 2 AO) Sollten die Voraussetzungen des § 193 Abs. 1 AO nicht vorliegen, kann eine Betriebsprüfung gem. § 193 Abs. 2 AO zulässig sein. Folglich kann für Steuerpflichtige mit Überschusseinkünften, die die Betragsgrenzen des § 147a AO nicht übersteigen, eine Betriebsprüfung nach § 193 Abs. 2 AO in Betracht kommen. Diese Regelung enthält drei Tatbestandsalternativen für die Zulässigkeit einer Betriebsprüfung. Für die Praxis ist hiervon insbesondere § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO relevant.

1.190

Bei Steuerpflichtigen mit Überschusseinkünften, die die die Betragsgrenzen des § 147a AO unterschreiten und somit nicht bereits Prüfungssubjekt gem. § 193 Abs. 1 AO sind, ist eine Betriebsprüfung zulässig, wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist (§ 193 Abs. 2 Nr. 2 AO). Die Finanzbehörde kann auf diese Ermittlungsmöglichkeit insbesondere bei Steuerpflichtigen mit umfangreichen und vielgestaltigen Überschusseinkünften zurückgreifen.4

1.191

1 2 3 4

BFH v. 2.10.1991 – X R 89/89, BStBl. II 1992, 220 Rz. 13. BT-Drucks. 16/13106, 12. BFH v. 19.2.1996 – VIII B 5/95, BFH/NV 1996, 686 Rz. 11 f. AEAO zu § 193 Nr. 5.

Dominik | 65

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Kap. 1 Rz. 1.192 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.192

§ 193 Abs. 2 Nr. 1 AO dient als Rechtsgrundlage für eine Prüfung der Lohnsteuer bei Steuerpflichtigen, die nicht unter § 193 Abs. 1 AO fallen. Dies können beispielsweise Privatpersonen sein, die Arbeitnehmer beschäftigen.1

1.193

Gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 3 AO ist eine Betriebsprüfung zulässig, wenn ein Steuerpflichtiger, der nicht von § 193 Abs. 1 AO erfasst wird, seinen Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 Satz 3 AO nicht nachkommt. § 90 Abs. 2 AO normiert erweiterte Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei internationalen Steuerfällen. Durch die hieran anknüpfende Prüfungsbefugnis erhalten die Finanzbehörde weitere Ermittlungsmöglichkeiten, um sachgerecht und effizient Sachverhalte mit Auslandsbezug steuerlich zu beurteilen.2

3. Anschluss- und Erweiterungsprüfungen a) Anschlussprüfung

1.194

Anschluss- und Erweiterungsprüfungen sind keine Betriebsprüfungen eigener Art. Diese Begriffe werden lediglich dafür verwendet, um auf Besonderheiten einer Betriebsprüfung in zeitlicher und sachlicher Hinsicht hinzuweisen.

1.195

Eine Anschlussprüfung ist eine Betriebsprüfung, die in zeitlicher Hinsicht an den vorhergehenden Prüfungszeitraum anschließt.

1.196

Grundsätzlich bestimmt die Finanzbehörde den zeitlichen Umfang einer Betriebsprüfung nach pflichtgemäßen Ermessen. Bei Großbetrieben und Unternehmen i.S.d. §§ 13 und 19 BpO 2000 (Konzerne und international verbundene Unternehmen) ist dieses Ermessen jedoch dahingehend eingeschränkt, dass der Prüfungszeitraum an den vorhergehenden Prüfungszeitraum anschließen soll. Weiter ist eine Anschlussprüfung auch in den Fällen des § 18 BpO 2000 (sonstige zusammenhängende Unternehmen) möglich (§ 4 Abs. 2 BpO 2000).

1.197

Im Übrigen sieht § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 ausdrücklich vor, dass die Finanzbehörden bei der Festlegung des Prüfungszeitraums nicht daran gehindert sind, auch bei Betrieben, die keine Großbetriebe, Konzerne und international verbundene Unternehmen sind, Anschlussprüfungen vorzunehmen.

1.198

Trotz dieser Besonderheiten hinsichtlich des zeitlichen Umfangs handelt es sich auch bei einer Anschlussprüfung um eine Betriebsprüfung, für die eine Prüfungsanordnung erforderlich ist. b) Erweiterungsprüfung

1.199

Eine Erweiterungsprüfung liegt vor, wenn der Umfang einer Betriebsprüfung nachträglich erweitert wird. In diesen Fällen gilt die ursprüngliche Prüfungsanordnung nicht für den hinzutretenden Prüfungsumfang. Vielmehr ist eine ergänzende Prüfungsanordnung zu erlassen (§ 5 Abs. 2 Satz 5 BpO 2000).

1.200

Eine Prüfungserweiterung kann in Betracht kommen, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000).

1 AEAO zu § 193 Nr. 5. 2 BT-Drucks. 16/13106, 12.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.206 Kap. 1

4. Besondere Betriebsprüfungen und Sonderprüfungen a) Allgemeines Neben einer allgemeinen Betriebsprüfung kommen auch besondere Betriebsprüfungen und Sonderprüfungen der Finanzbehörden in Betracht. Hierunter fallen beispielsweise eine Lohnsteuer-Außenprüfung (§ 42f EStG), Umsatzsteuer-Sonderprüfung und Steuerfahndungsprüfung (§ 208 Abs. 2 Nr. 1 AO). Zudem ist es einer Finanzbehörde auch möglich, eine abgekürzte Betriebsprüfung (§ 203 Abs. 1 AO, § 4 Abs. 5 BpO 2000) anzuordnen. Schließlich kann eine Finanzbehörde eine Lohnsteuer-Nachschau (§ 42g EStG), eine Umsatzsteuer-Nachschau (§ 27b UStG) und eine Kassen-Nachschau (§ 146b AO) durchführen.

1.201

Für die Lohnsteuer-Außenprüfung, Umsatzsteuer-Sonderprüfung, Steuerfahndungsprüfung und abgekürzte Betriebsprüfung gelten die §§ 193 bis 207 AO. Demzufolge sind auch diese besonderen Betriebsprüfungen und Sonderprüfungen nur unter den Voraussetzungen des § 193 AO möglich. Außerdem ist auch vor der Durchführung einer solchen Prüfung grundsätzlich eine Prüfungsanordnung zu erteilen.

1.202

Von der Steuerfahndungsprüfung gem. § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO, die nur auf Ersuchen der zuständigen Finanzbehörde von Beamten der Steuerfahndung durchgeführt wird, sind die eigentlichen Erforschungs- und Ermittlungshandlungen der Steuerfahndung abzugrenzen. Diese setzen keine Prüfungsanordnung voraus.

1.203

Bei Steuerpflichtigen, bei denen die Finanzbehörde eine Betriebsprüfung in regelmäßigen Abständen nach den Umständen des Falls nicht für erforderlich hält, kann sie eine abgekürzte Betriebsprüfung durchführen. Diese Prüfung hat sich auf einzelne, wesentliche Besteuerungsgrundlagen eines Besteuerungszeitraums oder mehrerer Besteuerungszeiträume zu beschränken (§ 203 Abs. 1 AO; § 4 Abs. 5 BpO 2000). In der Prüfungsanordnung ist die Betriebsprüfung als abgekürzte Betriebsprüfung i.S.d. §§ 193, 203 AO ausdrücklich zu bezeichnen (§ 5 Abs. 2 Satz 4 BpO 2000). Ein Wechsel von der abgekürzten zur nicht abgekürzten Betriebsprüfung ist zulässig. Allerdings bedarf es hierzu einer ergänzenden Prüfungsanordnung.1

1.204

b) Lohnsteuer-Nachschau und Umsatzsteuer-Nachschau Von der Lohnsteuer-Außenprüfung (§ 42f EStG) und der Umsatzsteuer-Sonderprüfung sind die Lohnsteuer-Nachschau (§ 42g EStG) und die Umsatzsteuer-Nachschau (§ 27b UStG) abzugrenzen. Diese setzen keine Prüfungsanordnungen voraus, da es sich nicht um Betriebsprüfungen i.S.d. § 193 AO handelt. Für die Praxis ist zu beachten, dass von der Lohnsteuer-Nachschau und der Umsatzsteuer-Nachschau ohne vorherige Prüfungsanordnung zu einer Lohnsteuer-Außenprüfung oder Umsatzsteuer-Sonderprüfung übergegangen werden kann, wenn die bei der jeweiligen Nachschau getroffenen Feststellungen hierzu Anlass geben (§ 42g Abs. 4 EStG, § 27b Abs. 3 UStG).

1.205

c) Kassen-Nachschau Der Finanzbehörde ist es auch möglich, eine Kassen-Nachschau (§ 146b AO) durchzuführen. Hierbei kann ohne vorherige Ankündigung und außerhalb einer Betriebsprüfung die Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen und Buchungen von Kasseneinnahmen und Kassenausgaben geprüft werden (§ 146b Abs. 1 Satz 1 AO). In der Praxis ist zu beachten, dass der mit 1 AEAO zu § 203 Nr. 3.

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1.206

Kap. 1 Rz. 1.206 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

einer Kassen-Nachschau betraute Amtsträger ohne vorherige Prüfungsanordnung zu einer Betriebsprüfung übergehen kann, wenn die bei der Kassen-Nachschau getroffenen Feststellungen hierzu Anlass geben. Der Steuerpflichte ist auf den Übergang zur Betriebsprüfung lediglich schriftlich hinzuweisen (§ 146b Abs. 3 AO). Nach den Verwaltungsanweisungen soll der Übergang zu einer Betriebsprüfung regelmäßig geboten sein, wenn die sofortige Sachverhaltsaufklärung zweckmäßig erscheint und wenn anschließend auch die gesetzlichen Folgen der Betriebsprüfung für die Steuerfestsetzung eintreten sollen.1

III. Formelle Aspekte einer Prüfungsanordnung 1. Allgemeines 1.207

Die formellen Aspekte im Zusammenhang mit einer Prüfungsanordnung sind häufig der erste Anhaltspunkt für eine Überprüfung einer Prüfungsanordnung. Die formelle Rechtmäßigkeit betrifft, bildlich gesprochen, die äußere Hülle einer Prüfungsanordnung.

1.208

In diesem Zusammenhang kann die sachliche und örtliche Zuständigkeit der die Prüfungsanordnung erlassenden Behörde, aber auch die Beachtung der Verfahrens- und Formvorschriften im Einzelnen geprüft werden. Zu den in Betracht kommenden Verfahrens- und Formvorschriften zählen insbesondere § 196 AO (Form), § 121 AO (Begründungserfordernisse) und § 197 AO (Bekanntgabe). Außerdem ist auch im Blick zu behalten, ob ein formeller Mangel unbeachtlich ist oder geheilt werden kann. Sollte ein beachtlicher, nicht zu heilender Fehler vorliegen, ist zu entscheiden, welche Folgen er hat.

2. Zuständigkeit a) Überblick

1.209

Hinsichtlich der Zuständigkeit ist zunächst die Frage zu beantworten, welche Finanzbehörde für die Anordnung einer Betriebsprüfung zuständig ist. Stellt sich heraus, dass im Einzelfall eine unzuständige Behörde die Prüfungsanordnung erlassen hat, sind die Fehlerfolgen zu ermitteln. b) Zuständige Finanzbehörde aa) Allgemeines

1.210

Die Zuständigkeit zum Erlass einer Prüfungsanordnung folgt der Zuständigkeit für die Durchführung der jeweiligen Betriebsprüfung. Demzufolge ordnet grundsätzlich die für die Besteuerung zuständige Finanzbehörde die Betriebsprüfung an (§ 195 Satz 1 AO, § 5 Abs. 1 Satz 1 BpO 2000).

1.211

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit ist die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung. Ein späterer Wechsel in der Zuständigkeit führt daher nicht zur Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung.2

1.212

Ändert sich die Zuständigkeit nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung, ist die Betriebsprüfung auf Grundlage der bereits ergangenen Prüfungsanordnung vom neu zuständigen Finanzamt fortzuführen. Die Prüfungsanordnung ist nicht aufzuheben, sondern durch Benennung 1 AEAO zu § 146b AO Nr. 6. 2 BFH v. 26.7.2007 – VI R 68/04, BStBl. II 2009, 338 Rz. 27.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.216 Kap. 1

des Namens des neuen Betriebsprüfers zu ergänzen. Unter den Voraussetzungen des § 26 AO kann die Betriebsprüfung auch von dem bisher zuständigen Finanzamt durchgeführt werden.1 Dies ist der Fall, wenn es unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die neu zuständige Finanzbehörde zustimmt. bb) Betriebsprüfung durch spezialisierte Finanzämter Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass das Besteuerungs-Finanzamt für den Erlass der Prüfungsanordnung zuständig ist, kann vorliegen, wenn die zuständige Landesregierung die Möglichkeit zur Zuständigkeitskonzentration (§ 17 Abs. 2 Satz 3 FVG) in Hinblick auf die Durchführung von Betriebsprüfungen genutzt hat. Hiermit kann die zuständige Landesregierung spezielle Prüfungsfinanzämter bilden, die nur für Betriebsprüfungen zuständig sind (§ 17 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FVG) oder bestimmten Finanzämtern Betriebsprüfungsaufgaben für die Bezirke mehrere Finanzämter übertragen (§ 17 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 FVG). Beispielsweise sind in Nordrhein-Westfalen die Finanzämter für Groß- und Konzernbetriebsprüfung u.a. für die Anordnung und Durchführung von Betriebsprüfungen (ausgenommen Lohnsteuer-Außenprüfungen und Umsatzsteuer-Sonderprüfungen) bei Großbetrieben und Konzernen zuständig (§§ 20 ff. FA-ZVO NRW).2 In diesem Umfang verdrängt die Prüfungszuständigkeit der Finanzämter für Groß- und Konzernbetriebsprüfung die Zuständigkeit der Besteuerungs-Finanzämter. In den übrigen Bundesländern bestehen entsprechende Zuständigkeitsverordnungen.

1.213

In die Größenklasse Großbetrieb fallen jedenfalls bis zum 1.1.2022 auch Steuerpflichtige mit positiven Überschusseinkünften von mehr als 500.000 € (Steuerfälle mit bedeutenden Einkünften, bE-Fälle). Demzufolge sind für die Anordnung und Durchführung von Betriebsprüfungen in bE-Fällen bis zu diesem Stichtag grundsätzlich die auch für die Anordnung und Durchführung von Betriebsprüfungen bei sonstigen Großbetrieben zuständigen (GKBP-)Finanzämter zuständig. Allerdings haben die für Fragen der Betriebsprüfung zuständigen Referatsleiter des Bundes und der Länder im September 2018 beschlossen, bE-Fälle ab dem Stichtag 1.1.2022 nicht mehr als Großbetriebe zu behandeln.3 Für die Praxis ist demzufolge davon auszugehen, dass in bE-Fällen ab dem 1.1.2022 überwiegend keine Betriebsprüfungen angeordnet werden, sondern eine intensive Bearbeitung durch die Festsetzungsfinanzämter erfolgt (I-Fälle).4

1.214

cc) Auftrags-Betriebsprüfung Von dem Grundsatz, dass das Besteuerungs-Finanzamt für den Erlass der Prüfungsanordnung zuständig ist, kann auch eine Ausnahme vorliegen, wenn es sich um eine Auftrags-Betriebsprüfung i.S.d. § 195 Satz 2 AO handelt.

1.215

Gemäß § 195 Satz 2 AO kann die für die Besteuerung und demzufolge auch für die Durchführung einer Betriebsprüfung zuständige Finanzbehörde andere Finanzbehörden mit der Betriebsprüfung beauftragen. Darüber hinaus ermöglicht diese Regelung auch die Beauftragung

1.216

1 AEAO zu § 195. 2 NRW FinanzamtszuständigkeitsVO v. 17.6.2013 (GV NRW. S. 350), zuletzt geändert durch VO v. 16.7.2015 (BGBl. I 2015, 634). 3 Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen, Jahresbericht über das Ergebnis der Prüfungen im Geschäftsjahr 2020, S. 238. 4 Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen, Jahresbericht über das Ergebnis der Prüfungen im Geschäftsjahr 2019, S. 285.

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Kap. 1 Rz. 1.216 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

eines anderen Finanzamts mit der Betriebsprüfung im Falle einer sachlichen Sonderzuständigkeit des beauftragenden Finanzamts. Demzufolge kann auch ein Finanzamt mit sachlicher Sonderzuständigkeit (z.B. für Erbschaft- und Schenkungsteuer) ein anderes Finanzamt mit der Durchführung einer Betriebsprüfung im Bereich der Sonderzuständigkeit beauftragen.1

1.217

Einer mit der Betriebsprüfung beauftragten Finanzbehörde kann auch die Befugnis zur Anordnung der Betriebsprüfung übertragen werden (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BpO 2000). Hieraus folgt, dass in diesen Fällen die beauftragende Finanzbehörde die Prüfungsanordnung selbst erlassen oder die beauftragte Finanzbehörde zum Erlass der Prüfungsanordnung ermächtigen kann.2 Beispielsweise könnte also sowohl die die Steuerfahndung mit einer Steuerfahndungsprüfung beauftragende Finanzbehörde (§ 195 Satz, § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO) als auch die Steuerfahndung selbst eine Prüfungsanordnung erlassen.

1.218

Will der Steuerpflichtige die Übertragung der Betriebsprüfung beanstanden, muss er die Prüfungsanordnung anfechten. Gegenüber nachfolgenden Verwaltungsakten der beauftragten Finanzbehörde, die der Durchführung der Prüfung dienen, kann er diese Beanstandung nicht mehr erheben.3 Über einen Einspruch, der gegen eine Prüfungsanordnung eines beauftragten Finanzamts gerichtet ist, hat dieses Finanzamt und nicht das beauftragende Finanzamt zu entscheiden.4

1.219

Ein Spezialfall einer Auftrags-Betriebsprüfung wird durch § 19 Abs. 3 FVG geregelt. Hiernach kann das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) im Einvernehmen mit den zuständigen Landesfinanzbehörden und im Auftrag des zuständigen Finanzamts Betriebsprüfungen durchführen. Das gilt insbesondere bei Prüfungen von Auslandsbeziehungen und bei Prüfungen, die sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstrecken. Für einen Einspruch gegen eine vom BZSt erlassene Prüfungsanordnung ist – in entsprechender Anwendung der Grundsätze zu § 195 AO – das BZSt zuständig. c) Fehlerfolgen aa) Erlass durch örtlich unzuständige Finanzbehörde

1.220

Erlässt eine örtlich unzuständige Finanzbehörde eine Prüfungsanordnung, liegt ein formeller Fehler vor. Die betreffende Prüfungsanordnung ist aber nicht allein deswegen nichtig. Denn ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind (§ 125 Abs. 3 Nr. 1 AO). Weiter ist dieser Fehler nicht heilbar gem. § 126 AO.

1.221

Legt der Steuerpflichtige rechtzeitig einen Rechtsbehelf ein und begehrt die Aufhebung der Prüfungsanordnung, kann ihm grundsätzlich auch nicht die Regelung des § 127 AO entgegengehalten werden. Gemäß § 127 AO kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 AO nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Diese Voraussetzung liegt bei Prüfungsanordnungen regelmäßig nicht vor. Denn bei einer Entscheidung, ob eine Betriebsprüfung angeordnet und durchgeführt wird, handelt es sich um eine Ermessensentschei1 2 3 4

BFH v. 10.12.2012 – II B 108/11, BFH/NV 2013, 344 Rz. 6 f. AEAO zu § 195. BFH v. 10.12.1987 – IV R 77/86, BStBl. II 1988, 322 Rz. 8. BFH v. 18.11.2008 – VIII R 16/07, BStBl. II 2009, 507 Rz. 17 f.; AEAO zu § 195.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.227 Kap. 1

dung. Bei Ermessensentscheidungen kann grundsätzlich nicht angenommen werden, dass keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.1 Wenn eine Prüfungsanordnung mit einem Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit behaftet ist und der betroffene Steuerpflichtige rechtzeitig einen Rechtsbehelf eingelegt hat, muss die Prüfungsanordnung grundsätzlich aufgehoben werden. Nach erneuter Ausübung des Ermessens durch die örtlich zuständige Finanzbehörde kann sie nochmals erlassen werden.2

1.222

bb) Erlass durch sachlich unzuständige Finanzbehörde Erlässt eine sachlich unzuständige (Finanz-)Behörde eine Prüfungsanordnung (z.B. ein Besteuerungs-Finanzamt anstatt des eigentlich zuständigen Finanzamts für Groß- und Konzernbetriebsprüfung), ist die Prüfungsanordnung mit einem formellen Fehler behaftet. Dieser Fehler dürfte nicht in jedem Fall dazu führen, dass die Prüfungsanordnung gem. § 125 AO nichtig ist. Hiernach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Der Erlass eines Verwaltungsakts durch eine sachlich unzuständige Behörde ist nicht stets als besonders schwere Rechtsverletzung anzusehen.3 Weiter ist dieser Fehler nicht heilbar gem. § 126 AO.

1.223

Legt der Steuerpflichtige rechtzeitig Einspruch ein und begehrt die Aufhebung der Prüfungsanordnung, kann die (Finanz-)Behörde sich nicht darauf berufen, dass dieser Fehler gem. § 127 AO unbeachtlich ist. Diese Vorschrift ist nicht anwendbar bei einer Verletzung der Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit.4

1.224

Wenn eine Prüfungsanordnung unter Verstoß gegen die sachliche Zuständigkeit erlassen wurde und der betroffene Steuerpflichtige rechtzeitig Einspruch eingelegt hat, muss die Prüfungsanordnung aufgehoben werden. Sie kann nach erneuter Ausübung des Ermessens durch die sachlich zuständige Finanzbehörde nochmals erlassen werden, falls der betroffene Steuerpflichtige rechtzeitig Einspruch eingelegt hat.5

1.225

3. Form a) Grundsätzliche Anforderungen Eine Prüfungsanordnung ist durch die zuständige Finanzbehörde schriftlich oder elektronisch zu erteilen (§ 196 AO). Zu beachten ist, dass das Formerfordernis nur die Prüfungsanordnung an sich (einschließlich Begründung) erfasst. Die Bekanntgabe des voraussichtlichen Prüfungsbeginns und der Namen der Prüfer können demzufolge auch mündlich erfolgen.6

1.226

Wird eine Prüfungsanordnung schriftlich oder elektronisch erlassen, muss sie die erlassende Behörde erkennen lassen (§ 119 Abs. 3 Satz 1 AO). Außerdem muss sie die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthal-

1.227

1 BFH v. 20.6.1990 – I R 157/87, BStBl. II 1992, 43 Rz. 14; BFH v. 18.5.1994 – I R 21/93, BStBl. II 1994, 697 Rz. 27; BFH v. 15.10.1998 – V R 77/97, Rz. 17; AEAO zu §§ 127 Nr. 2. 2 Vgl. AEAO zu § 127 Nr. 2. 3 BFH v. 30.11.1987 – VIII B 3/87, BStBl. II 1988, 183 Rz. 23 f. 4 BFH v. 21.4.1993 – X R 112/91, BStBl. II 1993, 649 Rz. 52. 5 Vgl. AEAO zu § 127 Nr. 2. 6 BFH v. 18.10.1988 – VII R 123/85, BStBl. II 1989, 76 Rz. 14.

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Kap. 1 Rz. 1.227 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

ten. Dies gilt ausnahmsweise nicht bei Prüfungsanordnungen, die formularmäßig oder mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen werden (vgl. § 119 Abs. 3 Satz 2 AO). Formularmäßig ergehen Prüfungsanordnungen, für die ein Formular verwendet wird, das ausgefüllt werden kann, aber nicht wesentlich abgeändert werden darf.1 In der Praxis erlassen Finanzbehörden vornehmlich bei Routineprüfungen (§ 193 Abs. 1 AO) formularmäßige Prüfungsanordnungen.

1.228

Unterläuft der Finanzbehörde bei dem Erlass einer Prüfungsanordnung ein Formfehler, kann dies zur Nichtigkeit oder Unwirksamkeit dieser Prüfungsanordnung führen.

1.229

Durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016 ist die Möglichkeit eröffnet worden, Prüfungsanordnungen auch elektronisch erlassen zu können. Da es sich hierbei um eine analoge Regelung zu der entsprechenden Regelung zu Steuerbescheiden handelt (§ 157 Abs. 1 Satz 1 AO),2 sind die in diesem Zusammenhang geltenden Regelungen auch im Rahmen des § 196 AO entsprechend anzuwenden.

1.230

Demzufolge können Prüfungsanordnungen elektronisch erlassen werden, wenn der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet hat (vgl. §§ 87a Abs. 1 Satz 1, 122 Abs. 2a AO). Außerdem können Prüfungsanordnungen mit Einwilligung des Beteiligten oder der von ihm bevollmächtigten Person bekannt gegeben werden, indem sie zum Datenabruf durch Datenfernübertragung bereitgestellt werden (vgl. § 122a Abs. 1 AO).

1.231

Schließlich ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung ein Telefax, auch ein Computerfax, zwar kein elektronisches Dokument i.S.d. § 87a AO, aber ein elektronischer Verwaltungsakt i.S.d. § 122 Abs. 2a AO ist (AEAO zu § 122, Nr. 1.8.2.2).3 Demzufolge gilt die Drei-Tagesfrist – abweichend von § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO – auch für elektronische Übermittlungen in das Ausland.

b) Elektronische Erteilung einer Prüfungsanordnung

c) Fehlerfolgen

1.232

Erlässt eine Finanzbehörde eine Prüfungsanordnung nicht schriftlich oder elektronisch, sondern beispielsweise mündlich oder per einfacher E-Mail, ist diese Prüfungsanordnung mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe unwirksam. Denn ein Verwaltungsakt wird erst mit ordnungsmäßiger Bekanntgabe wirksam (§ 122 Abs. 1, § 124 AO). In einem solchen Fall kann in entsprechender Anwendung des § 125 Abs. 5 AO von der Finanzbehörde festgestellt werden, dass die Prüfungsanordnung wegen eines Bekanntgabemangels nicht wirksam geworden ist.4

1.233

Ist eine Prüfungsanordnung zwar schriftlich oder elektronisch erlassen worden, lässt aber die erlassende Finanzbehörde nicht erkennen, ist diese Prüfungsanordnung nichtig (§ 125 Abs. 2 Nr. 1 AO). Der Steuerpflichtige kann die Nichtigkeit jederzeit, auch noch nach Ablauf der Rechtsbehelfsfristen, geltend machen. Er kann Einspruch einlegen und ggf. vorsorglich Aussetzung der Vollziehung beantragen. Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen. Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist sie festzustellen, wenn der Steuer1 BFH v. 18.7.1985 – VI R 41/81, BStBl. II 1986, 169 Rz. 14; BFH v. 29.1.1992 – II B 132/91, BFH/ NV 1992, 788 Rz. 2. 2 BT-Drucks. 18/7457, 89. 3 Seer in Tipke/Kruse, § 196 AO Rz. 15 a.E., § 122 AO Rz. 63b. 4 AEAO zu § 125 Nr. 5.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.238 Kap. 1

pflichtige hieran ein berechtigtes Interesse hat (§ 125 Abs. 5 AO). Wird die Nichtigkeit einer Prüfungsanordnung festgestellt, sollte dies im Interesse der Rechtssicherheit durch einen Verwaltungsakt erfolgen.1 Ist eine Prüfungsanordnung schriftlich oder elektronisch, aber nicht formularmäßig oder mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen worden, muss sie die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten (§ 119 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 AO). Fehlt die Unterschrift (oder die Namenswiedergabe), so ist die Prüfungsanordnung zwar nicht nichtig (§ 125 AO), aber jedenfalls mit einem Formfehler behaftet.2 Dieser ist nicht gem. § 126 AO heilbar und einem im Rahmen eines Einspruchs geltend gemachten Aufhebungsbegehren des Steuerpflichtigen kann die Finanzbehörde nicht § 127 AO entgegenhalten. § 127 AO gilt nur für gesetzesgebundene Verwaltungsakte und nicht für die Ermessensentscheidungen hinsichtlich einer Prüfungsanordnung. Im Ergebnis ist eine solche Prüfungsanordnung aufzuheben und kann nach erneuter Ausübung des Ermessens nochmals erlassen werden.

1.234

Als gem. § 119 Abs. 2 Satz 3 AO erforderliche Unterschrift kann auch die Unterschrift einer behördenintern unzuständigen Person ausreichen. Für den Bekanntgabewillen einer Behörde ist es ausreichend, wenn er von einem Bediensteten gebildet wurde, der nach seiner Stellung zum Erlass eines Verwaltungsakts befugt ist. Verstöße gegen interne Aufgabenzuweisungen innerhalb einer Finanzbehörde wirken sich daher auf die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung nicht aus.3

1.235

4. Rechtsbehelfsbelehrung a) Inhaltliche Anforderungen Eine Prüfungsanordnung hat, wie Steuerbescheide (§ 157 Abs. 1 AO), eine Rechtsbehelfsbelehrung nach § 356 AO zu enthalten (§ 196 AO). Hiernach ist der Steuerpflichtige über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in der für den Verwaltungsakt verwendeten Form zu belehren (§ 356 Abs. 1 AO). Eine Prüfungsanordnung mit (zutreffender) Rechtsbehelfsbelehrung kann der Steuerpflichtige nur innerhalb eines Monats anfechten.

1.236

Inhaltlich sollte beachtet werden, dass es sich bei einer Prüfungsanordnung regelmäßig um einen Sammel-Verwaltungsakt handelt. Sie fasst die einzelnen Prüfungsanordnungen für jeweils eine Steuerart und einen Besteuerungszeitraum zusammen.4 Diese einzelnen Prüfungsanordnungen sind ebenso wie die sachlich von der (Sammel-)Prüfungsanordnung abzugrenzende Bestimmung des Prüfungsbeginns isoliert anfechtbar.5

1.237

b) Fehlerfolgen Enthält eine Prüfungsanordnung – entgegen § 197 AO – keine oder eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung, ist sie zwar nicht deshalb rechtswidrig. In diesem Fall kann der Steuer1 BFH v. 20.8.2014 – X R 15/10, BStBl. II 2015, 109; AEAO zu § 125 Nr. 4. 2 BFH v. 18.7.1985 – VI R 41/81, BStBl. II 1986, 169 Rz. 14; BFH v. 29.1.1992 – II B 132/91, BFH/ NV 1992, 788 Rz. 2. 3 BFH v. 16.12.1987 – I R 238/83, BStBl. II 1988, 233 Rz. 14. 4 BFH v. 19.3.2009 – IV R 26/08, BFH/NV 2009, 1405 Rz. 41. 5 Schallmoser in HHSp, § 196 AO Rz. 62.

Dominik | 73

2021-10-28, 11:05, HB mittel

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1.238

Kap. 1 Rz. 1.238 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

pflichtige sie jedoch grundsätzlich innerhalb eines Jahres seit ihrer Bekanntgabe anfechten (§ 356 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 AO). Diese Jahresfrist gilt nicht, wenn die Einlegung des Einspruchs vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder schriftlich oder elektronisch darüber belehrt wurde, dass ein Einspruch nicht gegeben sei (§ 356 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 AO).

5. Begründung a) Allgemeines

1.239

Eine Prüfungsanordnung und die ihr zugrunde liegende Ermessensentscheidungen bedürfen grundsätzlich einer Begründung, soweit dies zu ihrem Verständnis erforderlich ist (vgl. § 121 Abs. 1 AO). Die erforderliche Begründungstiefe hängt – bei praxisorientierter Betrachtung der Rechtsprechung des BFH – von der Art der angeordneten Prüfung und somit auch der Regelung ab, auf die die Finanzbehörde die Prüfungsanordnung stützt. b) Routineprüfungen i.S.d. § 193 Abs. 1 AO

1.240

Routineprüfungen i.S.d. § 193 Abs. 1 AO betreffen Prüfungssubjekte, die generell prüfungsbedürftig sind. Nach dieser Regelung sind Betriebsprüfungen zum einen bei Steuerpflichtigen mit Gewinneinkünften (§§ 13, 15 und 18 EStG) und zum anderen bei Steuerpflichtigen mit hohen Überschusseinkünften (> 500.000 €) generell zulässig.

1.241

Im Allgemeinen genügt es für eine Anordnung einer routinemäßigen Prüfung i.S.d. § 193 Abs. 1 AO, also einer turnusmäßig durchgeführten Prüfung ohne besonderen Anlass, wenn als Begründung die Rechtsgrundlage, also die für die Prüfungsanordnung maßgebende Rechtsvorschrift (§ 193 Abs. 1 AO), angegeben wird.1 Dies entspricht auch dem Regelungsgehalt des § 193 Abs. 1 AO, der eine generelle Prüfungsbedürftigkeit für bestimmte Prüfungssubjekte vorsieht. Eine Betriebsprüfung in diesem Sinne setzt daher keine besonderen Voraussetzungen und demzufolge auch keine besondere Begründung voraus.

1.242

Ausnahmsweise kann jedoch auch bei einer Routineprüfung i.S.d. § 193 Abs. 1 AO eine weitere Begründung erforderlich sein. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Prüfungszeitraum in den Fällen des § 4 Abs. 3 BpO 2000 (Betriebe, die keine Großbetriebe, Konzerne und international verbundene Unternehmen sind) mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen soll.2 Außerdem kann dies der Fall sein, wenn ungewiss ist, ob ein Steuerpflichtiger gewerbliche Einkünfte erzielt. Hier muss die Finanzbehörde grundsätzlich begründen, weshalb es für möglich erachtet, dass entgegen der Auffassung des Steuerpflichtigen die Voraussetzungen des § 193 Abs. 1 AO vorliegen.3 c) Anlassprüfungen i.S.d. § 193 Abs. 2 AO

1.243

Anlassprüfungen i.S.d. § 193 Abs. 2 AO betreffen Prüfungssubjekte, die nicht gem. § 193 Abs. 1 AO generell prüfungsbedürftig sind. Daher können Anlassprüfungen nur bei Steuerpflichtigen mit Überschusseinkünften durchgeführt werden, die keine Steuerpflichtigen i.S.d. § 147a AO sind. Weitere Voraussetzung für eine Anlassprüfung ist, dass die besonderen Um1 BFH v. 10.2.1983 – IV R 104/79, BStBl. II 1983, 286 Rz. 17; AEAO zu § 193 Nr. 4. 2 AEAO zu § 194 Nr. 4. 3 BFH v. 15.7.2005 – I B 25/05, BFH/NV 2005, 1967 Rz. 10.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.249 Kap. 1

ständen des Einzelfalls hierzu Anlass geben und die speziellen Tatbestandsvoraussetzungen der § 193 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AO erfüllt sind. Für die Anordnung einer Anlassprüfung i.S.d. § 193 Abs. 2 AO reicht es grundsätzlich nicht aus, wenn als Begründung die für die Prüfungsanordnung maßgebende Rechtsgrundlage angegeben wird. Die verschiedenen Tatbestandsalternativen des § 193 Abs. 2 AO – die Nr. 1 bis 3 – setzen spezielle Tatbestandsvoraussetzungen voraus. Daher ist in der Begründung der Prüfungsanordnung darzulegen, dass und aufgrund welcher besonderen Umstände des Einzelfalls diese Voraussetzungen erfüllt sind, sofern dies zum Verständnis der Prüfungsanordnung erforderlich ist.

1.244

Beabsichtigt eine Finanzbehörde, eine Anlassprüfung i.S.d. § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO durchzuführen, ist eine substantiierte Begründung erforderlich. Gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO ist eine Betriebsprüfung bei anderen als den in § 193 Abs. 1 AO bezeichneten Steuerpflichtigen, also bei Steuerpflichtigen mit nicht besonders hohen Überschusseinkünften, zulässig, wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist.

1.245

Demzufolge muss die Prüfungsanordnung erkennen lassen, welche steuererheblichen Verhältnisse aufzuklären sind und warum eine Prüfung an Amtsstelle nicht zweckmäßig ist.1 Schließlich muss die Finanzbehörde im Rahmen der Begründung darauf eingehen, dass für jeden Besteuerungszeitraum, der in die Betriebsprüfung einbezogen werden soll, die besonderen Voraussetzungen des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO vorliegen müssen.2

1.246

In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass eine Betriebsprüfung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO bereits dann zulässig ist, wenn Anhaltspunkte vorliegen, die es nach den Erfahrungen der Finanzverwaltung als möglich erscheinen lassen, dass ein Steuertatbestand erfüllt ist. Demzufolge kann eine solche Betriebsprüfung auch durchgeführt werden, wenn eine Steuererklärung nicht oder noch nicht vorliegt.3

1.247

Ob eine Prüfung an Amtsstelle nicht zweckmäßig ist und demzufolge eine Betriebsprüfung i.S.d. § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO durchzuführen ist, entscheidet die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass eine Betriebsprüfung für den betroffenen Steuerpflichtigen eine erhebliche Belastung bedeutet. Die Finanzbehörde muss daher begründen, dass die gewünschte Aufklärung nicht auch durch Maßnahmen der Einzelermittlung erreicht werden kann. Dies gilt insbesondere bei Steuerpflichtigen, die keine umfangreichen und vielgestaltigen Überschusseinkünfte erzielen.4 Hieraus folgt jedoch auch, dass eine Anlassprüfung i.S.d. § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO vorzugsweise bei Steuerpflichtigen mit umfangreichen und vielgestaltigen Überschusseinkünften vorgenommen werden kann.5

1.248

In der Praxis ist zu beobachten, dass die Begründung für eine Anlassprüfung i.S.d. § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO mitunter rein formularmäßig, mit Hilfe eines amtsinternen Vordrucks begründet wird. In diesen Fällen erfolgt lediglich eine Wiedergabe des Wortlauts von § 193 Abs. 2 Nr. 2

1.249

1 BFH v. 7.11.1985 – IV R 6/85, BStBl. II 1986, 435 Rz. 11; BFH v. 16.12.1986 – VIII R 123/86, BStBl. II 1987, 248 Rz. 28; BFH v. 9.11.1994 – XI R 16/94, BFH/NV 1995, 578 Rz. 11; AEAO zu § 193 Nr. 5. 2 AEAO zu § 194 Nr. 4 unter Verweis auf BFH v. 18.10.1994 – IX R 128/92, BStBl. II 1995, 291. 3 BFH v. 17.11.1992 – VIII R 25/89, BStBl. II 146 Rz. 19 f.; AEAO zu § 193 Nr. 5. 4 BFH v. 16.12.1986 – VIII R 123/86, BStBl. II 1987, 248 Rz. 32. 5 AEAO zu § 193 Nr. 5.

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Kap. 1 Rz. 1.249 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

AO („Die Prüfung erfolgt gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO, weil für die Besteuerung erhebliche Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhaltes nicht zweckmäßig ist“). Diese Art der Begründung dürfte nur in Einzelfällen ausreichend sein. Zu den Fehlerfolgen s. f) d) Anschlussprüfungen

1.250

Ordnet die Finanzbehörde eine (erste oder zweite) Anschlussprüfung an, ist eine weitere Begründung für das Verständnis der Prüfungsanordnung grundsätzlich nicht erforderlich. Die Finanzbehörden sind weder durch die AO noch durch die BpO 2000 an einen bestimmten Prüfungsturnus gebunden und können daher auch Anschlussprüfungen anordnen.1 e) Erweiterungsprüfungen

1.251

Soll der Prüfungszeitraum im Rahmen einer Erweiterungsprüfung nachträglich erweitert werden, muss die Begründung der Prüfungsanordnung die von der Finanzbehörde angestellten Ermessenserwägungen erkennen lassen. In diesen Fällen ist eine substantiierte Begründung erforderlich.2

1.252

Eine substantiierte Begründung für eine Erweiterungsprüfung sollte sich an den Voraussetzungen für eine solche Prüfung orientieren. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 kann der Prüfungszeitraum (über drei Besteuerungszeiträume hinaus) erweitert werden, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraft oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht.

1.253

Stützt die Finanzbehörde die Erweiterung des Prüfungszeitraums auf die Erwartung nicht unerheblicher Änderungen der Besteuerungsgrundlagen, so handelt es sich um eine Zukunftsprognose, die aber durch Tatsachen gestützt sein muss.3 Diese Tatsachen muss das Finanzamt in der Begründung bezeichnen. Vage Vermutungen genügen nicht.4 Im Einzelfall kann es aber auch ausreichen, wenn ein Steuerpflichtiger aus den Umständen, z.B. aus dem Ergebnis der mit ihm besprochenen Prüfungsfeststellungen, erkennen kann, dass das Finanzamt mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen in dem bisher nicht in den Prüfungszeitraum einbezogenen Jahr rechnen kann.5

1.254

Ein Mindestbetrag für eine nicht unerhebliche Änderung der Besteuerungsgrundlagen – und somit letztlich eine nicht unerhebliche Steuernachforderung – lässt sich nicht für alle Fälle festlegen. Für einen Mittelbetrieb können nach der Rechtsprechung des BFH rd. 1.500 € pro Veranlagungszeitraum als absoluter Orientierungsmaßstab dienen.6 Hierbei handelt es sich nach jüngerer Rechtsprechung nur um einen geeigneten Anhaltspunkt dafür, dass aufgrund konkreter Umstände zumindest Mehrergebnisse in diese Größenordnung zu erwarten sind.7 1 BFH v. 19.11.2009 – IV B 62/09, BFH/NV 2010, 595 Rz. 11; BFH v. 15.6.2016 – III R 8/15, BStBl. II 2017, 25 Rz. 30. 2 BFH v. 4.2.1988 – V R 57/83, BStBl. II 1988, 413 Rz. 22; AEAO zu § 194 Nr. 4. 3 BFH v. 16.9.2014 – X R 30/13, BFH/NV 2015, 301 Rz. 16. 4 BFH v. 24.2.1989 – III R 36/88, BStBl. II 1989, 445 Rz. 18. 5 BFH v. 6.12.1978 – I R 131/75, BStBl. II 1979, 162 Rz. 15, 18; FG BW v. 5.12.2002 – 13 K 128/00, EFG 2003, 433. 6 BFH v. 28.4.1988 – IV R 106/86, BStBl. II 1988, 857 Rz. 8 f.; BFH v. 24.2.1989 – III R 36/88, BStBl. II 1989, 445 Rz. 19. 7 BFH v. 22.2.2000 – X B 102/99 und X B 103/99, BFH/NV 2000, 1109 Rz. 16.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.259 Kap. 1

Dem Vernehmen nach geht die Finanzverwaltung bei Kleinbetrieben von einer zulässigen Erweiterung der Prüfungsanordnung aus, wenn eine Grenze von 500 € pro Veranlagungszeitraum überschritten wird.1 Abgesehen von diesen absoluten Orientierungsmaßstäben sollte im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände entschieden werden, ob die Änderung der Besteuerungsgrundlagen nicht unerheblich ist. Hierbei können Art, Umfang und Größe des Unternehmens, das Verhältnis der zu erwartenden Steuernachforderung zur bisher festgesetzten Steuer, eine eventuelle Zahlungsfähigkeit des Unternehmens oder die Ungewissheit von Schätzungsparametern berücksichtigt werden.2 Für die Praxis ist zu beachten, dass die Berechtigung, den Prüfungszeitraum zu erweitern, grundsätzlich aus Sicht der Verhältnisse zu beurteilen ist, die dem Finanzamt im Zeitpunkt der Anordnung der Erweiterung des Prüfungszeitraums bekannt waren und zur Begründung dieser Anordnung dienten. Ergeht jedoch eine Einspruchsentscheidung, so sind die Verhältnisse maßgebend, wie sie zum Zeitpunkt dieser Entscheidung bestanden.3

1.255

In der Praxis werden Erweiterungsprüfungen teilweise formularmäßig, mit Hilfe eines amtsinternen Vordrucks begründet. Hierbei erfolgt lediglich eine Wiedergabe des Wortlautes von § 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000 („Die Prüfungsanordnung erfolgt, weil (Alt. 1) mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist und (Alt. 2) der Verdacht einer Steuerstraftat/Steuerordnungswidrigkeit besteht.). Wie bei Anlassprüfungen i.S.d. § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO dürfte diese Art der Begründung nur in Einzelfällen ausreichend sein. Zu den Fehlerfolgen siehe f).

1.256

f) Betriebsprüfung durch beauftragte Finanzbehörde Ein Entschluss einer Finanzbehörde, die Prüfung nicht selbst durchzuführen, sondern eine andere Finanzbehörde mit der Betriebsprüfung zu beauftragen (§ 195 Satz 2 AO), ist eine Ermessensentscheidung. Sie ist zu begründen, soweit dies zu ihrem Verständnis erforderlich ist (§ 121 Abs. 1 AO). Demzufolge müssen bei einer Betriebsprüfung durch eine beauftragte Finanzbehörde (§ 195 Satz 2 AO) in der Prüfungsanordnung die Gründe für die Übertragung der Prüfung genannt werden. Dies gilt sowohl für den Fall, dass die Prüfungsanordnung von der beauftragenden Finanzbehörde erlassen wird als auch für den Fall, dass die Prüfungsanordnung von der beauftragten Finanzbehörde erlassen wird. Hierauf kann nur verzichtet werden, wenn diese Gründe dem Steuerpflichtigen bekannt oder ohne weiteres erkennbar sind (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 AO).4

1.257

g) Fehlerfolgen Weist eine Prüfungsanordnung keine oder eine nicht den jeweiligen Anforderungen entsprechende Begründung auf, ist sie nicht nichtig, sondern allenfalls als rechtswidrig anfechtbar.5

1.258

Jedoch kann die Finanzbehörde diesen formellen Mangel nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO heilen. Eine Heilung tritt ein, wenn die fehlende oder mangelhafte Begründung bis zum Abschluss

1.259

1 Bruschke, AO-StB 2019, 218, 220. 2 Erlass betreffend Grundsätze zur Rationalisierung der steuerlichen Betriebsprüfung v. 13.6.1995, Tz. 4.4. 3 BFH v. 27.10.2003 – III B 13/03, BFH/NV 2004, 312 Rz. 8. 4 BFH v. 10.12.1987 – IV R 77/86, BStBl. II 1988, 322 Rz. 8, 10; AEAO zu § 195. 5 BFH v 14.3.1990 – X R 104/88, BStBl. II 1990, 612 Rz. 25.

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Kap. 1 Rz. 1.259 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens nachgeholt wird. Dies kann durch eine mündliche Erläuterung des Betriebsprüfers oder auch durch Ausführungen in der Einspruchsentscheidung erfolgen.1

1.260

Außerdem ist eine Heilung grundsätzlich auch bis zum Abschluss der finanzgerichtlichen Tatsacheninstanz möglich (vgl. § 126 Abs. 2 AO). Hierbei können jedoch nur bereits bei Erlass der Prüfungsanordnung tatsächlich erfolgte Ermessenserwägungen erläutert werden. Ein Nachholen von tatsächlich nicht erfolgten Ermessenserwägungen ist nach Abschluss des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens bzw. in der finanzgerichtlichen Tatsacheninstanz nicht mehr möglich (vgl. § 102 Satz 2 FGO).

1.261

Fehlt einer Prüfungsanordnung die erforderliche Begründung und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung dieser Prüfungsanordnung versäumt worden, gilt die Versäumung der Einspruchsfrist als unverschuldet (vgl. § 126 Abs. 3 Satz 1 AO). Der Steuerpflichtige kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) beantragen.

6. Bekanntgabe a) Ankündigungsfrist

1.262

Grundsätzlich ist die Prüfungsanordnung dem Steuerpflichtigen, bei dem die Betriebsprüfung durchgeführt werden soll, angemessene Zeit vor Beginn der Prüfung bekannt zu geben (vgl. § 197 Abs. 1 Satz 1 AO). Im Zeitpunkt der Bekanntgabe wird die Prüfungsanordnung wirksam (vgl. § 124 Abs. 1 Satz 1 AO).

1.263

Ob die von der Finanzbehörde beachtete Ankündigungsfrist angemessen ist, ist anhand der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigten, welche Vorbereitungen der Steuerpflichtige für die bevorstehende Prüfung treffen kann bzw. muss. Es ist sowohl im Interesse des Steuerpflichtigen als auch der Finanzbehörden, dass der Steuerpflichtige von einer bevorstehenden Betriebsprüfung Kenntnis erlangt. Sinn und Zweck einer rechtzeitigen Bekanntgabe ist ein möglichst reibungsloser Ablauf der Prüfung unter weitgehender Vermeidung von Störungen des Geschäftsbetriebs des Unternehmens.2 Dies verdeutlicht, dass eine Betriebsprüfung nicht als Überraschungsaktion durchgeführt werden soll.

1.264

Nach der BpO 2000 sind i.d.R. bei Großbetrieben vier Wochen und in anderen Fällen zwei Wochen angemessen (§ 5 Abs. 4 Satz 2 BpO 2000). Hierbei handelt es sich um eine Ermessensrichtlinie, von der die Finanzbehörden nicht ohne triftige Gründe abweichen dürfen. Insbesondere rechtfertigt es der drohende Ablauf der Festsetzungsfrist im Allgemeinen nicht, eine angemessene Frist abzukürzen.3

1.265

Ausnahmsweise ist eine angemessene Zeit vor Prüfungsbeginn erfolgende Bekanntgabe nicht erforderlich. Dies ist der Fall, wenn durch diese Bekanntgabe der Prüfungszweck gefährdet wird (§ 197 Abs. 1 Satz 1 AO).4

1.266

Schließlich kann der Steuerpflichtige auf eine angemessene Zeit vor Prüfungsbeginn erfolgende Bekanntgabe verzichten (vgl. § 197 Abs. 1 Satz 2 AO). Ein solcher (konkludenter) Verzicht

1 2 3 4

BFH v. 16.12.1986 – VIII R 123/86, BStBl. II 1987, 248 Rz. 30 f. BT-Drucks. VI/1982, S. 162. BFH v. 10.4.2003 – IV R 30/01 BStBl. II 2003, 827 Rz. 19. BFH v. 4.2.1988 – V R 57/83, BStBl. II 1988, 413.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.272 Kap. 1

dürfte auch dann vorliegen, wenn ein Steuerpflichtiger zwar die Bekanntgabe nicht für rechtzeitig erachtet, sich aber trotzdem auf die Prüfung einlässt. b) Form Auf welche Art und Weise die Finanzbehörde die Prüfungsanordnung bekannt gibt, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Jedenfalls ist eine Zustellung gesetzlich nicht vorgeschrieben (vgl. §§ 122 Abs. 5, 196 f. AO). Entscheidend dürfte sein, welche Bekanntgabeform im Einzelfall die hinreichende Gewähr für den Zugang der Prüfungsanordnung bietet.1

1.267

c) Betriebsprüfung bei einer Personengesellschaft Auch in den Fällen des § 194 Abs. 1 Satz 3 AO (Betriebsprüfung bei einer Personengesellschaft) genügt es, wenn die Prüfungsanordnung gegenüber dem Steuerpflichtigen ergeht, bei dem die Prüfung durchgeführt wird.2 Soll die Prüfung jedoch nach § 194 Abs. 2 AO auf die steuerlichen Verhältnisse von Gesellschaftern erstreckt werden, so ist die Prüfungsanordnung insoweit auch diesen Personen bekannt zu geben (§ 197 Abs. 1 Satz 3 AO).

1.268

In diesen Fällen steht es der Finanzverwaltung offen, ob gesonderte Prüfungsanordnungen ergehen oder eine einheitliche Prüfungsanordnung ergeht, die den jeweils Betroffenen bekanntgegeben wird. Sie kann die Entscheidung im jeweiligen Einzelfall nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten treffen.3

1.269

d) Fehlerfolgen Hat die Finanzbehörde bei der Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung eine angemessene Ankündigungsfrist einzuhalten und hält diese trotzdem nicht ein, ist die so bekannt gegebene Prüfungsanordnung zwar wirksam, aber aus formellen Gründen rechtswidrig.

1.270

Gegen eine nicht angemessene Zeit vor Beginn der Prüfung bekannt gegebene Prüfungsanordnung kann der Steuerpflichtige Einspruch einlegen. Er muss die Nichteinhaltung der angemessenen Ankündigungsfrist nicht in dem Verfahren nach § 197 Abs. 2 AO geltend machen. Demzufolge ist er nicht auf einen Antrag auf Verlegung des Prüfungsbeginns (§ 197 Abs. 2 AO) beschränkt.4

1.271

Für die Praxis dürfte es sich im Falle einer nicht angemessenen Ankündigungsfrist regelmäßig anbieten, Einspruch gegen die Prüfungsanordnung und Aussetzung der Vollziehung zu beantragen. Ein Antrag auf Verlegung des Prüfungsbeginns dürfte in diesem Fall grundsätzlich nicht zweckmäßig sein. Ein Antrag auf Verschiebung des Prüfungsbeginns, dem stattgegeben wird, löst nämlich die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2. AO aus. Dieser Aspekt kann insbesondere dann Bedeutung gewinnen, wenn eine Prüfungsanordnung kurz vor Eintritt der Festsetzungsverjährung bekannt gegeben wird.

1.272

1 2 3 4

BFH v. 14.3.1990 – X R 104/88, BStBl. II 1990, 612 Rz. 33. BT-Drucks. VI/1982, S. 162. BT-Drucks. VI/1982, S. 162. BFH v. 18.12.1986 – I R 49/83, BStBl. II 1987, 408 Rz. 16; BFH v. 10.4.2003 – IV R 30/01, BStBl. II 2003, 827 Rz. 18 f.

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Kap. 1 Rz. 1.273 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

IV. Adressaten einer Prüfungsanordnung 1. Allgemeines 1.273

Beim Erlass einer Prüfungsanordnung ist zwischen drei verschiedenen Adressaten – dem Inhaltsadressaten, dem Bekanntgabeadressaten und dem Empfänger – zu entscheiden. Zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten im Allgemeinen und von Prüfungsanordnungen im Besonderen finden sich umfangreiche Anweisungen für die Finanzverwaltung im AEAO. Die Darstellung zur Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung (§ 197 AO) knüpft an die ausführliche Darstellung zu § 122 AO (Bekanntgabe eines Verwaltungsakts) an und erläutert hiervon abweichende Regelungen im Zusammenhang mit einer Prüfungsanordnung.1 Auch die Folgen von Verfahrens- und Formfehlern werden ausführlich dargestellt.2

2. Inhaltsadressat 1.274

Der Inhaltsadressat ist derjenige, an den sich die Prüfungsanordnung richtet.3 Die Finanzbehörde gibt ihm mit dem Erlass der Prüfungsanordnung auf, die Prüfung in dem in der Anordnung näher beschriebenen Umfang zu dulden.

1.275

Die Finanzbehörden richten die Prüfungsanordnungen in der Praxis regelmäßig an den Inhaltsadressaten, indem sie anordnen, dass bei ihm eine steuerliche Betriebsprüfung vorgenommen wird.

3. Bekanntgabeadressat 1.276

Der Bekanntgabeadressat ist derjenige, dem die Prüfungsanordnung bekannt gegeben werden soll bzw. bekannt zu geben ist. Grundsätzlich ist der Bekanntgabeadressat mit dem Inhaltsadressaten identisch. Dies ist nicht der Fall, soweit die Bekanntgabe an den Inhaltsadressaten nicht möglich oder nicht zulässig ist (beispielsweise Insolvenzverwalter, Liquidator).4

1.277

Soweit ein Bekanntgabeadressat in Betracht kommt, nehmen die Finanzbehörden in der Praxis regelmäßig einen erläuternden Zusatz in die Prüfungsanordnung auf. In diesem wird der Grund für die Bekanntgabe beim Bekanntgabeadressaten erläutert.

4. Empfänger 1.278

Die Person, an die die Prüfungsanordnung übermittelt werden soll, ist der Empfänger. Grundsätzlich ist der Empfänger mit dem Bekanntgabeadressaten identisch. Demzufolge ist i.d.R. der Inhaltsadressat nicht nur Bekanntgabeadressat, sondern auch Empfänger der Prüfungsanordnung. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn für eine andere Person eine Empfangsvollmacht des Bekanntgabeadressaten vorliegt oder die Prüfungsanordnung gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden soll.5

1.279

Die Finanzbehörden bezeichnen den Empfänger einer Prüfungsanordnung im Anschriftenfeld der Prüfungsanordnung mit seinem Namen und seiner Anschrift. Ist der Empfänger nicht mit dem Adressat identisch, enthält die Prüfungsanordnung die Angabe, dass der Empfänger 1 2 3 4 5

AEAO zu § 122 und zu § 197. AEAO zu § 122 Nr. 4. AEAO zu § 122 Nr. 1.3 und zu § 197 Nr. 2.1. AEAO zu § 122 Nr. 1.4 und zu § 197 Nr. 2.2. AEAO zu § 122 Nr. 1.5 und zu § 197 Nr. 2.3.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.286 Kap. 1

die Prüfungsanordnung „für“ den Adressaten erhält. Bei der Bekanntgabe an einen Empfangsbevollmächtigten enthält die Prüfungsanordnung außerdem eine Kennzeichnung des Vertretungsverhältnisses („als Empfangsbevollmächtiger“).

5. ABC der Inhalts- und Bekanntgabeadressaten a) Atypisch stille Gesellschaft Eine atypisch stille Gesellschaft ist nicht selbst Steuerschuldnerin.1 Eine Prüfungsanordnung ist daher an den Inhaber des Handelsgeschäfts zu richten.

1.280

Hinsichtlich der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung ist zu unterscheiden.

1.281

Liegt z.B. eine GmbH & atypisch still vor, ist eine Prüfungsanordnung nicht an die atypisch stille Gesellschaft zu richten. Vielmehr sind getrennte Prüfungsanordnungen an jeden Gesellschafter zu richten und auch bekannt zu geben. Demzufolge sind bei einer GmbH & atypisch still eine Prüfungsanordnung an die GmbH als Geschäftsinhaber und eine Prüfungsanordnung an den atypisch stillen Gesellschafter zu richten.

1.282

Liegt eine atypisch stille Beteiligung an einer Personenhandelsgesellschaft vor, reicht es aus, die Prüfungsanordnung an die Personenhandelsgesellschaft als Geschäftsinhaber und Prüfungssubjekt zu richten und bekannt zu geben. Gemäß § 194 Abs. 1 Satz 3 AO umfasst die Betriebsprüfung bei einer Personengesellschaft die steuerlichen Verhältnisse der Gesellschafter insoweit, als diese Verhältnisse für die zu überprüfenden einheitlichen Feststellungen von Bedeutung sind. Eine gesonderte Prüfungsanordnung an den atypisch stillen Gesellschafter ist daher nicht erforderlich.2

1.283

b) Eheleute bzw. Lebenspartner Wenn beide Eheleute bzw. Lebenspartner unternehmerisch (jedoch nicht gemeinschaftlich) tätig sind, müssen getrennte Prüfungsanordnungen erlassen werden.

1.284

Im Übrigen können Prüfungsanordnungen an Eheleute bzw. Lebenspartner in einer Anordnung zusammengefasst werden. In diesen Fällen ist jedoch zu erläutern, für welche Steuerarten bei welchem Ehegatten die Betriebsprüfung vorgesehen ist. In der Verwaltungspraxis sollen zusammengefasste Prüfungsanordnungen an Eheleute bzw. Lebenspartner aus Gründen der Klarheit und Übersichtlichkeit vermieden und getrennte Prüfungsanordnungen bevorzugt werden.3

1.285

c) Insolvenzfälle Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verliert der Schuldner die Befugnis, sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen (§ 80 Abs. 1 InsO), sofern keine Eröffnung unter Anordnung der Eigenverwaltung erfolgt (§ 270 InsO). Die Verwaltungs- und Verfügungsrechte werden durch den Insolvenzverwalter ausgeübt (§ 34 Abs. 3 AO). Demzufolge ist eine Prüfungsanordnung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i.d.R. dem Insolvenzverwalter bekannt zu geben (Bekanntgabeadressat).4 1 2 3 4

BFH v. 12.11.1985 – VIII R 364/83, BStBl. II 1986, 311. AEAO zu § 197 Nr. 5.5. AEAO zu § 197 Nr. 3. AEAO zu § 197 Nr. 7.

Dominik | 81

2021-10-28, 11:05, HB mittel

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1.286

Kap. 1 Rz. 1.287 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

d) Kapitalgesellschaften

1.287

Die Prüfungsanordnung ist an die Kapitalgesellschaft zu richten und ihr unter ihrer Geschäftsanschrift bekannt zu geben. Die Angabe des gesetzlichen Vertreters als Bekanntgabeadressat ist nicht erforderlich.1 e) Lohnsteuer-Außenprüfung

1.288

Prüfungssubjekt der Lohnsteuer-Außenprüfung ist der Arbeitgeber. Die Lohnsteuer-Außenprüfung dient der Prüfung der Einbehaltung oder Übernahme oder Abführung der Lohnsteuer. Dies sind Pflichten des Arbeitgebers. f) Personenhandelsgesellschaften

1.289

Bei Personenhandelsgesellschaften (oHG, KG) sind Prüfungsanordnungen der Gesellschaft unter ihrer Firma bekannt zu geben. Dies betrifft sowohl Betriebsprüfungen hinsichtlich Betriebssteuern, bei denen die Personengesellschaft selbst Steuerschuldnerin ist (z.B. Gewerbesteuer, Umsatzsteuer), als auch gesonderte und einheitliche Feststellungen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb.2 Im Übrigen ist es nicht erforderlich, der Prüfungsanordnung eine Anlage mit einer Auflistung der Feststellungsbeteiligten beizufügen.3

1.290

Bei einer handelsrechtlich voll beendigten Personenhandelsgesellschaft ist die Prüfungsanordnung der Personenhandelsgesellschaft bekannt zu geben.4 Die Verpflichtung, nach §§ 193 ff. AO ein Betriebsprüfung zu dulden, hat zur Folge, dass die betreffende Personengesellschaft noch nicht steuerrechtlich vollbeendet ist.5

1.291

Geht das Vermögen einer zweigliedrigen Personenhandelsgesellschaft, die einen gewerblichen Betrieb unterhält, beim Ausscheiden eines der beiden Gesellschafter auf den verbleibenden Gesellschafter als Gesamtrechtsnachfolger über, ist dieser Bekanntgabeadressat für die Prüfungsanordnungen hinsichtlich der Betriebssteuern und für der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung.6 g) Umsatzsteuer-Sonderprüfung

1.292

Inhaltsadressat für eine Anordnung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung ist der Unternehmer. h) Umwandlungen

1.293

Im Falle einer Verschmelzung sind Prüfungsanordnungen dem übernehmenden Rechtsträger bzw. dem neuen durch die Verschmelzung gegründeten Rechtsträger bekannt zu geben. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Betriebssteuern als auch hinsichtlich der gesonderten und einheitlichen Feststellungen.7

1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 7.8.1970 – VI R 24/67, BStBl. II 1970, 814; AEAO zu § 122 Nr. 2.8, § 197 Nr. 6. BFH v. 26.6.2007 – IV R 75/05, Ubg 2008, 234 Rz. 27. AEAO zu § 197 Nr. 5.1. BFH v. 1.10.1992 – IV R 60/91, BStBl. II 1993, 82 Rz. 17 f.; AEAO zu 197 Nr. 5.6. AEAO zu § 197 Nr. 5.6. BFH v. 25.4.2006 – VIII R 46/02, BFH/NV 2006, 2037 Rz. 23. AEAO zu 197 Nr. 9.1, zu 197 Nr. 5.7.3.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.300 Kap. 1

Bei einer Abspaltung oder Ausgliederung sind die Prüfungsanordnungen, die sich auf die Zeiträume bis zur Umwandlung beziehen, an den abspaltenden bzw. ausgliedernden Rechtsträger bekannt zu geben.1

1.294

Nach einer Aufspaltung ist eine Prüfungsanordnung, die sich auf Zeiträume bis zur Umwandlung bezieht, an alle spaltungsgeborenen Gesellschaften zu richten. Dies gilt jedoch nicht für die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen.2

1.295

6. Fehlerfolgen beim Inhaltsadressaten Wenn einer Finanzbehörde beim Erlass einer Prüfungsanordnung hinsichtlich des Inhaltsadressaten Fehler unterlaufen, kann dies dazu führen, dass die Prüfungsanordnung inhaltlich nicht bestimmt ist. In einem solchen Fall ist die betreffende Prüfungsanordnung nichtig (§§ 119 Abs. 1, 125 Abs. 1 AO) und damit unwirksam (§ 124 Abs. 3 AO). Eine Prüfungsanordnung kann daher wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nichtig und damit unwirksam sein, wenn der Inhaltsadressat gar nicht, falsch oder so ungenau bezeichnet wird, dass Verwechslungen möglich sind.3

1.296

Der Steuerpflichtige kann die Nichtigkeit jederzeit, auch noch nach Ablauf der Rechtsbehelfsfristen, geltend machen. Er kann gegen den nichtigen Bescheid Einspruch einlegen und ggf. vorsorglich Aussetzung der Vollziehung beantragen. Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen. Auf Antrag des Steuerpflichtigen ist sie festzustellen, wenn der Steuerpflichtige hieran ein berechtigtes Interesse hat (§ 125 Abs. 5 AO). Wird die Nichtigkeit einer Prüfungsanordnung festgestellt, sollte dies im Interesse der Rechtssicherheit durch einen Verwaltungsakt erfolgen.4

1.297

V. Inhaltliche Aspekte 1. Allgemeines Zwar enthält die auf die formalen Aspekte der Prüfungsanordnung fokussierte Regelung des § 196 AO keine Ausführungen zu den inhaltlichen, materiellen Anforderungen an eine Prüfungsanordnung. Jedoch werden diese materiellen Aspekte durch § 194 Abs. 1 Satz 2 AO und § 197 AO konkretisiert.

1.298

Gemäß § 194 Abs. 1 Satz 2 AO kann eine Betriebsprüfung in sachlicher Hinsicht eine oder mehrere Steuerarten und in zeitlicher Hinsicht einen oder mehrere Besteuerungszeiträume umfassen. Außerdem kann sie sich auf bestimmte Sachverhalte beschränken. § 197 AO präzisiert den Inhalt einer Prüfungsanordnung bezüglich des voraussichtlichen Prüfungsbeginns und der Namen der Prüfer.

1.299

Hinsichtlich des sachlichen Umfangs (eine oder mehrere Steuerarten) ist zu beachten, dass bezüglich jeder zu prüfenden Steuerart ein selbständiger Verwaltungsakt vorliegt. Dasselbe gilt hinsichtlich des zeitlichen Umfangs (ein oder mehrere Besteuerungszeiträume). Für jeden Besteuerungszeitraum liegt ein eigenständiger Verwaltungsakt vor.5 Demzufolge enthält bei-

1.300

1 AEAO zu § 197 Nr. 9.3. 2 AEAO zu § 197 Nr. 9.4. 3 BFH v. 17.7.1986 – V R 96/85, BStBl. II 1986, 834; BFH v. 17.3.1970 – II 65/63, BStBl. II 1970, 598; AEAO zu § 122 Nr. 4. 4 BFH v. 20.8.2014 – X R 15/10, BStBl. II 2015, 109; AEAO zu § 125 Nr. 4. 5 BFH v. 19.3.2009 – IV R 26/08, BFH/NV 2009, 1405 Rz. 41.

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Kap. 1 Rz. 1.300 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

spielsweise eine Prüfungsanordnung für zwei Steuerarten und drei Besteuerungszeiträume sechs eigenständige Verwaltungsakte.

2. Sachlicher Umfang a) Allgemeines

1.301

Der sachliche Umfang kann eine oder mehrere Steuerarten umfassen. Demzufolge bestimmt die Finanzbehörde den sachlichen Umfang nach pflichtgemäßen Ermessen (vgl. § 4 Abs. 1 BpO 2000). Weder der AEAO noch die BpO 2000 enthalten spezielle Regelungen zum sachlichen Umfang einer Betriebsprüfung. Die Finanzbehörde kann das ihr insoweit zustehende Ermessen beispielsweise dahingehend ausüben, dass beispielsweise nur die Einkommensteuer oder neben der Einkommensteuer auch die Gewerbesteuer und Umsatzsteuer geprüft werden. b) Routineprüfung (§ 193 Abs. 1 AO)

1.302

Eine Routineprüfung gem. § 193 Abs. 1 AO kommt bei Steuerpflichtigen mit Gewinneinkünften und bei Steuerpflichtigen mit hohen Überschusseinkünften in Betracht. Im Falle einer Routineprüfung bei einem Steuerpflichtigen mit Gewinneinkünften kann sich der sachliche Umfang einer solchen Prüfung auf sämtliche Steuerarten erstrecken, die für die betrieblichen Verhältnisse Bedeutung haben.

1.303

Im Rahmen einer Routineprüfung gem. § 193 Abs. 1 AO können auch Besteuerungsmerkmale kontrolliert werden, die mit den betrieblichen Vorgängen nichts zu tun haben. Im Ergebnis kann eine solche Betriebsprüfung damit auch auf die nichtbetrieblichen, privaten Verhältnisse des Steuerpflichtigen ausgeweitet werden. Sie kann sich auch auf andere Besteuerungsgrundlagen, insbesondere die Höhe von Überschusseinkünften und von Sonderausgaben, erstrecken. Hierfür müssen nicht die Voraussetzungen des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO vorliegen.1 c) Betriebsprüfung bei einer Personengesellschaft

1.304

Grundsätzlich erfasst eine Betriebsprüfung bei einer Personengesellschaft die steuerlichen Verhältnisse der Gesellschafter nur insoweit, als diese Verhältnisse für die zu überprüfenden einheitlichen Feststellungen von Bedeutung sind (§ 194 Abs. 1 Satz 3 AO). Demzufolge ist die Überprüfung der Verhältnisse der Gesellschafter ohne gesonderte Prüfungsanordnung nur insoweit erlaubt, als sie mit der Personengesellschaft zusammenhängen und für die Feststellungsbescheide von Bedeutung sind.2 Beispielsweise kann daher im Rahmen einer Betriebsprüfung bei einer Personengesellschaft geprüft werden, ob bestimmte Wirtschaftsgüter zum Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter gehören.

1.305

Ausnahmsweise können die steuerlichen Verhältnisse von Gesellschaftern und Mitgliedern sowie von Mitgliedern der Überwachungsorgane in die bei einer Gesellschaft durchzuführende Betriebsprüfung einbezogen werden, wenn dies im Einzelfall zweckmäßig ist (§ 194 Abs. 2 AO). Hiermit wird der Finanzbehörde gestattet, die Betriebsprüfung bei einer Personengesellschaft auf die steuerlichen Verhältnisse der Gesellschafter auszudehnen, auch wenn diese Verhältnisse für die einheitlichen Feststellungen bei der Gesellschaft keine Bedeutung haben.3 1 BFH v. 28.11.1985 – IV R 323/84, BStBl. II 1986, 437 Rz. 6, 10; AEAO zu § 194 Nr. 1. 2 AEAO zu § 194 Nr. 2. 3 BFH v. 16.12.1986 – VIII R 123/86, BStBl. II 1986, 248 Rz. 23.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.313 Kap. 1

In diesem Zusammenhang ist hinsichtlich der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung § 197 Abs. 1 Satz 3 AO zu beachten. Wenn die Prüfung gem. § 194 Abs. 2 AO auf die steuerlichen Verhältnisse von Gesellschaftern erstreckt werden soll, so ist gem. § 197 Abs. 1 Satz 3 AO die Prüfungsanordnung insoweit auch diesen Personen bekannt zu geben. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Einbeziehung eines Gesellschafters gem. § 194 Abs. 2 AO auch die Zulässigkeit einer Betriebsprüfung (§ 193 AO) voraussetzt.1

1.306

3. Zeitlicher Umfang a) Allgemeines Die Bestimmung des zeitlichen Umfangs einer Betriebsprüfung obliegt grundsätzlich dem pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Im jeweiligen Einzelfall können sich jedoch hinsichtlich des zeitlichen Umfangs aus der BpO 2000 einerseits und den Vorschriften zur Verjährung bzw. mangels Änderungsmöglichkeit andererseits Ermessenseinschränkungen ergeben.

1.307

b) Ermessenseinschränkung durch BpO 2000 Bei der Ermessensentscheidung, welche Besteuerungszeiträume vom Prüfungszeitraum umfasst sein sollen, sind die hierzu in der BpO 2000 enthaltenen speziellen Regelungen zu beachten.

1.308

Die BpO 2000 unterscheidet hinsichtlich des zeitlichen Umfangs einer Betriebsprüfung zwischen den Größenklassen, in die die der Betriebsprüfung unterliegenden Steuerpflichtigen eingeordnet sind. Eine Einordnung erfolgt in die Größenklassen: Großbetriebe (G), Mittelbetriebe (M), Kleinbetriebe (K) und Kleinstbetriebe (Kst; § 3 BpO 2000). Der Stichtag, der maßgebende Besteuerungszeitraum und die Merkmale für die Einordnung in die Größenklassen wurden von den obersten Finanzbehörden der Länder im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen festgelegt.2

1.309

Maßgeblich für die Entscheidung, nach welcher Regelung geprüft wird, ist grundsätzlich die Größenklasse, in der der Betrieb im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung eingeordnet ist (§ 4 Abs. 4 BpO 2000).

1.310

Bei Großbetrieben und Unternehmen i.S.d. §§ 13 und 19 BpO 2000 soll der Prüfungszeitraum an den vorhergehenden Prüfungszeitraum anschließen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 BpO 2000; Grundsatz der Anschlussprüfung). Eine Anschlussprüfung ist auch in den Fällen des § 18 BpO 2000 möglich (§ 4 Abs. 2 Satz 2 BpO 2000).

1.311

Bei anderen Betrieben soll der Prüfungszeitraum i.d.R. nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 BpO 2000). Jedoch kann der Prüfungszeitraum insbesondere dann drei Besteuerungszeiträume übersteigen, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht (§ 4 Abs. 3 Satz 2 BpO 2000). Soll der Prüfungszeitraum mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen oder nachträglich erweitert werden, muss die Begründung der Prüfungsanordnung die von der Finanzbehörde angestellten Ermessenserwägungen erkennen lassen.

1.312

§ 4 Abs. 3 BpO 2000 bezieht sich (ausschließlich) „auf andere Betriebe“. Demzufolge gilt diese Regelung nur für Betriebe, die nicht Großbetriebe und keine Unternehmen i.S.d. §§ 13, 18

1.313

1 BFH v. 16.12.1986 – VIII R 123/86, BStBl. II 1987, 248 Rz. 23 f.; AEAO zu § 194 Nr. 2. 2 BMF v. 13.4.2018, BStBl. I 2018, 614.

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Kap. 1 Rz. 1.313 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

und 19 BpO 2000 sind. Bei einer Anlassprüfung nach § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO, die sich nicht auf einen Betrieb bezieht, ist § 4 Abs. 3 BpO 2000 daher nicht anwendbar. In diesen Fällen ist für jeden Besteuerungszeitraum, der in eine Betriebsprüfung gem. § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO einbezogen werden soll, zu prüfen, ob die besonderen Voraussetzungen des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO vorliegen und eine entsprechende Ermessensentscheidung zu treffen.1 c) Ermessenseinschränkung aufgrund Verjährung und mangels Änderungsmöglichkeit

1.314

Liegt für einen Besteuerungszeitraum auf der Hand, dass bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist, weil keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die Festsetzungsfrist ausnahmsweise noch nicht abgeschlossen ist, ergibt eine Prüfungsanordnung für diesen Besteuerungszeitraum keinen Sinn. Wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist, sind eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung und Änderung nicht mehr zulässig (vgl. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Dasselbe gilt, wenn für Besteuerungszeiträume bereits eine Betriebsprüfung stattgefunden hat, die Steuern nicht (mehr) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt sind (vgl. § 165 Abs. 3 Satz 2 AO) und die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO greift. Beachtet die Finanzbehörde diese Umstände nicht, können sich hieraus Anhaltspunkte für eine sachwidrige Ausübung des Ermessens ergeben.2

1.315

Für die Praxis ist jedoch zu beachten, dass sich die Frage der Verjährung vielfach erst nach der Klärung des Sachverhalts durch eine Betriebsprüfung zuverlässig beantworten lässt. Daher ist es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, eine Prüfung für solche Steuern anzuordnen, für die bereits Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Das Gleiche gilt, wenn nicht zweifelsfrei feststeht, dass die Steueransprüche aus anderen Gründen, beispielsweise wegen der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO, nicht durchgesetzt werden können. In diesen Fällen ist die Finanzbehörde nicht gehindert, dem Verdacht einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung nachzugehen.3 d) Fehlerfolgen

1.316

Insbesondere im Zusammenhang mit dem zeitlichen Umfang einer Prüfungsanordnung treten in der Praxis Fehler der Finanzbehörde auf. Beispielsweise kann dies der Fall sein, wenn der zeitliche Umfang einer Prüfungsanordnung einen Veranlagungszeitraum umfasst, für den bereits offensichtlich Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Außerdem kann dies der Fall sein, wenn die Finanzbehörde eine Erweiterungsanordnung erlässt und die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 3 BpO 2000 nicht vorliegen.

1.317

Fehler bei dem Erlass einer Prüfungsanordnung, die den Umfang der Prüfungsanordnung betreffen, führen zur Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung. Da es sich bei der Bestimmung des Umfangs einer Prüfungsanordnung um eine Ermessensentscheidung handelt, ist insbesondere § 102 FGO zu beachten. Zum einen kann die Finanzbehörde ihre Ermessenserwägungen bis zum Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen (§ 102 Satz 2 FGO). Zum anderen darf das FG die Ermessensentscheidung nur in einem beschränkten Umfang überprüfen (§ 102 Satz 1 FGO).

1 BFH v. 18.10.1994 – IX R 128/92, BStBl. II 1995, 291 Rz. 31; AEAO zu § 194 Nr. 4. 2 BFH v. 3.7.1986 – IV R 258/84, BFH/NV 1987, 685 Rz. 12. 3 BFH v. 15.5.2007 – I B 10/07, BFH/NV 2007, 1624 Rz. 3; BFH v. 23.7.1985 – VIII R 48/85, BStBl. II 1986, 433 Rz. 14.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.324 Kap. 1

4. Beschränkung auf bestimmte Sachverhalte Die Betriebsprüfung kann sich auch auf bestimmte Sachverhalte beschränken (§ 194 Abs. 1 Satz 2 AO).

1.318

Prüfungsanordnungen, die die Betriebsprüfung auf bestimmte Sachverhalte beschränken, sind jedenfalls bei den gem. § 193 Abs. 1 AO der Betriebsprüfung unterliegenden Steuerpflichtigen seltene Ausnahmen. Wird die Prüfung bereits in der Prüfungsanordnung auf einen bestimmten Sachverhalt beschränkt, schließt dies eine umfassende Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen aus. Außerdem kann dies zum Streit darüber führen, ob Prüfungshandlungen noch der Aufklärung des in der Prüfungsanordnung bezeichneten Sachverhalts dienen oder über den angeordneten Prüfungsumfang hinausgehen. Im Zweifelsfall bietet es sich daher jedenfalls im Anwendungsbereich des § 193 Abs. 1 AO aus Sicht der Finanzverwaltung an, die Prüfung generell für den Besteuerungszeitraum anzuordnen, in dem der betreffende Sachverhalt verwirklicht wurde.1

1.319

Eine Beschränkung der Betriebsprüfung auf bestimmte Sachverhalte kommt in der Praxis in Betracht, wenn Gegenstand der Betriebsprüfung Lebensvorgänge sein sollen, die unabhängig von bestimmten Besteuerungszeiträumen geprüft werden sollen. Dies kann beispielsweise bei der Prüfung eines gewerblichen Grundstückshandels der Fall sein.2

1.320

VI. Prüfungsbeginn 1. Mitteilung über den voraussichtlichen Prüfungsbeginn Die Mitteilung über den voraussichtlichen Beginn der Prüfung ist ein eigenständiger Verwaltungsakt. Sie kann mit der Prüfungsanordnung verbunden werden (vgl. § 197 Abs. 1 Satz 1 AO, § 5 Abs. 2 Satz 3 BpO 2000). Diese Mitteilung kann jedoch auch formlos erfolgen.

1.321

An die Annahme eines Verwaltungsakts, mit dem der voraussichtliche Prüfungsbeginn festgelegt wird, sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Für die Praxis bedeutet dies, dass sie von den weithin üblichen Mischformen aus einvernehmlichen Abstimmungen und gleichzeitigen Anordnungen Gebrauch machen kann. Zwar reicht für eine Mitteilung über den voraussichtlichen Prüfungsbeginn nicht aus, wenn der Prüfer lediglich fragt, ob man einen konkret bestimmten Termin vereinbaren kann. Jedoch liegt eine solche Mitteilung bereits vor, wenn der Prüfer ausdrücklich erklärt, dass er an einem konkret bestimmten Termin mit der Prüfung beginnen möchte. Hierauf hat es keinen Einfluss, wenn der Prüfer zugleich nachfragt, ob der Steuerpflichtige an diesem Termin Zeit hat.3

1.322

2. Antrag auf Verschiebung des Prüfungsbeginns Auf Antrag des Steuerpflichtigen soll der Beginn der Betriebsprüfung auf einen anderen Zeitpunkt verlegt werden, wenn dafür wichtige Gründe glaubhaft gemacht werden (§ 197 Abs. 2 AO). Für die Praxis ist zu beachten, dass ein Antrag auf Verschiebung des voraussichtlichen Prüfungsbeginns die Rechtsfolge des § 171 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 AO (Ablaufhemmung) auslösen kann.

1.323

Ein Antrag auf Verschiebung muss dem Verwaltungsakt, in dem der voraussichtliche Prüfungsbeginn mitgeteilt wird, denklogisch nachfolgen. Ist dem Steuerpflichtigen der voraussichtliche

1.324

1 BFH v. 28.6.2000 – I R 20/99, BFH/NV 2000, 1447 Rz. 17 f. 2 FG Hamburg v. 21.4.1999 – I 43/97, EFG 1999, 879. 3 BFH v. 19.5.2016 – X R 14/15, BStBl. II 2017, 97 Rz. 42 f.

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Kap. 1 Rz. 1.324 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

Prüfungsbeginn nicht mitgeteilt worden, kann eine Äußerung des Steuerpflichtigen demzufolge nicht als Verschiebungsantrag nach § 197 Abs. 2 AO angesehen werden. Mithin kann eine solche Äußerung nicht die Rechtsfolge des § 171 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 AO mit sich bringen.1

1.325

Für die Annahme eines Verschiebungsantrags gelten eher geringe Anforderungen. Es genügt eine mündlich geäußerte Bitte, den Prüfungsbeginn hinauszuschieben, wenn sie erkennbar darauf abzielt, dass die Prüfung zu dem beabsichtigten Zeitpunkt unterbleiben und zu einem späteren Termin durchgeführt werden soll. Auch eine Vereinbarung zwischen dem Prüfer und dem Steuerpflichtigen, den Prüfungsbeginn hinauszuschieben, reicht aus, wenn dieser Vereinbarung eine eindeutige, gegenüber dem Prüfer geäußerte Erklärung des Steuerpflichtigen zugrunde liegt, dass sein rechtsgeschäftlicher Wille auf ein Hinausschieben des Prüfungsbeginns gerichtet ist.2 Im Übrigen ist für einen Antrag auf Verschiebung des Prüfungsbeginns nicht erforderlich, dass der Steuerpflichtige ein konkretes Datum angibt.3

1.326

Als wichtige Gründe können z.B. eine Erkrankung des Steuerpflichtigen, seines steuerlichen Beraters oder eines für Auskünfte maßgeblichen Betriebsangehörigen, beträchtliche Betriebsstörungen durch Umbau oder höhere Gewalt anerkannt werden (§ 5 Abs. 5 Satz 1 BpO 2000).

1.327

Lehnt die Finanzbehörde die Verlegung des Betriebsprüfungsbeginns ab, liegt hierin ein anfechtbarer Verwaltungsakt. Sollte das Einspruchsverfahren erfolglos bleiben, kann der Steuerpflichtige eine Verpflichtungsklage erheben. Der Antrag kann unter Angabe der entsprechenden Bescheiddaten dahingehend formuliert werden, dass die Festsetzung des Prüfungsbeginns in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufgehoben und die Finanzbehörde verpflichtet wird, den Antrag auf Terminverlegung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.4

1.328

Für die Praxis ist zu beachten, dass ein hinsichtlich der Prüfungsanordnung gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung das Begehren einschließt, den Beginn der Betriebsprüfung hinauszuschieben, bis über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Anordnung entschieden ist.5

VII. Namen der Prüfer 1.329

Die Bekanntgabe der Namen der Prüfer kann mit der Prüfungsanordnung verbunden werden (§ 197 Abs. 1 Satz 1 AO).

1.330

In der Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass gegen die Bestimmung des Betriebsprüfers kein Rechtsbehelf gegeben ist. Nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung handelt es sich hierbei um eine nicht anfechtbare innerdienstliche Maßnahme. Möchte der Steuerpflichtige gegen die Bestimmung des Prüfers vorgehen, muss er seine Auffassung im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Steuerbescheid geltend machen, der aufgrund der jeweiligen Betriebsprüfung ergangen ist.6

1.331

Außerdem kann ein Steuerpflichtiger, der behauptet, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Prüfers zu rechtfertigen, gem. § 83 AO die Besorgnis der Befangenheit geltend machen. 1 2 3 4 5 6

BFH v. 19.5.2016 – X R 14/15, BStBl. II 2017, 97 Rz. 40. BFH v. 19.5.2016 – X R 14/15, BStBl. II 2017, 97 Rz. 36 f. AEAO zu § 197 Nr. 11. Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz4, Rz. 3.219. BFH v. 25.2.2015 – I B 66/14, BFH/NV 2015, 803 Rz. 15. BFH v. 13.12.1994 – VII R 46/94, BFH/NV 1995, 758 Rz. 12, 14.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.338 Kap. 1

VIII. Ort der Betriebsprüfung Die Festlegung des Ortes der Betriebsprüfung kann mit der Prüfungsanordnung verbunden werden (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 3 BpO 2000).

1.332

Grundsätzlich hat der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten, insbesondere hinsichtlich der Vorlage der in § 200 Abs. 1 AO genannten Unterlagen, in seinen Geschäftsräumen, oder soweit ein zur Durchführung der Betriebsprüfung geeigneter Geschäftsraum nicht vorhanden ist, in seinen Wohnräumen oder an Amtsstelle nachzukommen (vgl. § 200 Abs. 2 Satz 1 AO). Dementsprechend führt die Finanzbehörde eine Betriebsprüfung grundsätzlich in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen durch. An Amtsstelle prüft sie, wenn kein geeigneter Geschäftsraum vorhanden ist und die Betriebsprüfung nicht in den Wohnräumen des Steuerpflichtigen stattfinden kann. Ein anderer Prüfungsort kommt für die Finanzbehörde nur ausnahmsweise in Betracht (§ 6 Satz 3 BpO 2000). Da weder das Gesetz noch die BpO 2000 die Büroräume des Steuerberaters als Prüfungsort anführt, ziehen die Finanzbehörden diesen Prüfungsort zwar nicht von Amts wegen in Erwägung. Jedoch kann der Steuerpflichtige einen dahingehenden Antrag stellen.

1.333

Bei der Bestimmung des Prüfungsortes handelt es sich um einen eigenständigen Verwaltungsakt. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Festlegung des Prüfungsortes mit der Prüfungsanordnung verbunden wird. Wenn der Steuerpflichtige sich gegen die Bestimmung des Prüfungsortes wenden möchte, muss er diesen Verwaltungsakt demzufolge anfechten.1

1.334

Ein Großteil der Betriebsprüfer ist nicht ausschließlich an Amtsstelle, sondern auch im Home-Office tätig. Dass dies kein in der AO oder BpO 2000 genannter Prüfungsort ist, kann sich auf die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen im Rahmen des § 147 Abs. 6 AO auswirken. Nach der Rechtsprechung des BFH besteht keine Ermächtigung für die Finanzverwaltung, die Herausgabe digitalisierter Steuerdaten auf mobile Rechner des Prüfers zur Verwendung außerhalb der Geschäftsräume oder ihrer Diensträume zu verlangen.2

1.335

IX. Teilnahme von Gemeindebediensteten Gemäß § 21 Abs. 3 FVG sind Gemeinden berechtigt, durch Gemeindebedienstete an Betriebsprüfungen hinsichtlich der Realsteuern (Grundsteuer, Gewerbesteuer; § 3 Abs. 2 AO) teilzunehmen, wenn die Steuerpflichtigen in der Gemeinde eine Betriebsstätte unterhalten oder Grundbesitz haben und die Betriebsprüfungen im Gemeindebezirk erfolgen.

1.336

Den Gemeinden steht kein eigenes Prüfungsrecht zu. Sie haben nur das Recht, an einer vom Finanzamt angeordneten Betriebsprüfung teilzunehmen. Demzufolge sind die Gemeinden auch nicht ermächtigt, die Teilnahme eines Gemeindebediensteten an der Betriebsprüfung des Finanzamts anzuordnen.

1.337

Wenn eine Gemeinde das ihr eingeräumte Teilnahmerecht einfordern möchte, kann sie dies gegenüber der jeweils zuständigen Finanzbehörde geltend machen. Dieses Finanzamt ist dann verpflichtet, durch eine entsprechende, dem Steuerpflichtigen bekanntzugebende Regelung der Teilnahme im Rahmen der Prüfungsanordnung oder in einer separaten Verfügung dem Beteiligungsrecht der Gemeinde im Zusammenhang mit der Ermittlung der Realsteuern Geltung zu verschaffen.

1.338

1 BFH v. 13.9.2017 – III B 109/16, BFH/NV 2018, 180 Rz. 15. 2 BFH v. 16.12.2014 – VIII R 52/12, BFH/NV 2015, 1455 Rz. 18, 31.

Dominik | 89

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Kap. 1 Rz. 1.339 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.339

Bei der Regelung des Rechts auf Teilnahme an der Betriebsprüfung handelt es sich um einen gegenüber dem Steuerpflichtigen eigenständigen Verwaltungsakt, der dem Steuerpflichtigen die Duldung der Teilnahme der Gemeinde an der Betriebsprüfung auferlegt.1 Wenn der Steuerpflichtige sich gegen die Teilnahme eines Gemeindebediensteten wenden möchte, muss er diesen Verwaltungsakt anfechten.

X. Mitwirkung des BZSt an Betriebsprüfungen 1.340

Das BZSt ist zur Mitwirkung an Betriebsprüfungen berechtigt, die durch Landesfinanzbehörden durchgeführt werden (Rz. 1.80, 1.127, 1.78 ff.). Es bestimmt Art und Umfang seiner Mitwirkung. Die Landesfinanzbehörden machen dem BZSt auf Anforderung alle den Prüfungsfall betreffenden Unterlagen zugänglich und erteilen die erforderlichen Auskünfte (§ 19 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FVG). Weitere Einzelheiten zur Mitwirkung des BZSt enthalten die §§ 20 ff. BpO 2000.

1.341

Das durch § 19 Abs. 1 Satz 1 FVG eingeräumte Mitwirkungsrecht geht über ein bloßes Teilnahmerecht hinaus, bleibt jedoch hinter dem in § 19 Abs. 3 FVG geregelten eigenem Prüfungsrecht des BZSt zurück. Entsprechend der Regelung des Teilnahmerechts von Gemeindebediensteten ist auch für die Regelung des Mitwirkungsrechts des BZSt an der Betriebsprüfung ein gegenüber dem Steuerpflichtigen eigenständiger Verwaltungsakt erforderlich, der ihm die Duldung der Mitwirkung des BZSt an der Betriebsprüfung auferlegt. Dieser kann in die Prüfungsanordnung aufgenommen oder gesondert mitgeteilt werden. Wenn der Steuerpflichtige sich gegen die Mitwirkung des BZSt wenden möchte, muss er diesen – von der Prüfungsanordnung zu unterscheidenden – Verwaltungsakt anfechten.2

XI. Relevanz der Prüfungsanordnung für verfahrensrechtliche Vorschriften 1. Allgemeines 1.342

Die Prüfungsanordnung hat als Herzstück der Betriebsprüfung mittelbare Auswirkungen auf weitere verfahrensrechtliche Vorschriften. Diese Relevanz schlägt sich in dem Verhältnis zu den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen, dem Vorbehalt der Nachprüfung, der Ablaufhemmung, der Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden und der Selbstanzeige nieder.

1.343

Wenn ein Steuerpflichtiger eine Prüfungsanordnung erhält, ist es – nach Prüfung der formellen und inhaltlichen Aspekte – zweckmäßig, mit der Vorbereitung auf die anstehende Betriebsprüfung zu beginnen. Hierbei ist zu beachten, dass der Regelungsgehalt der Prüfungsanordnung zwar lediglich darin besteht, dem Steuerpflichtigen aufzugeben, die Prüfung in dem in der Anordnung näher beschriebenen Umfang zu dulden. Allerdings bestehen in Hinblick auf eine Betriebsprüfung auch Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (§ 200 AO).

1.344

Die Mitwirkungspflichten des § 200 AO entstehen erst mit der Bekanntgabe eine Prüfungsanordnung. Die Prüfungsanordnung bildet durch die Festlegung des Prüfungssubjekts, des Prüfungsumfangs und des Prüfungszeitraums den Rahmen für die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen.3

2. Prüfungsanordnung und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen

1 BFH v. 23.1.2020 – III R 9/18, BStBl. II 2020, 436 Rz. 20, 22, 27. 2 Krumm in Tipke/Kruse, § 19 FVG Rz. 2a. 3 BFH v. 6.6.2012 – I R 99/10, BStBl. II 2013, 196 Rz. 16.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.350 Kap. 1

Dies bedeutet zunächst, dass Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen nur bestehen können, wenn eine wirksame Prüfungsanordnung vorliegt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine nichtige Prüfungsanordnung keine Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen auslöst.

1.345

Weiter hat dies zur Folge, dass ein Steuerpflichtiger nur insoweit zur Mitwirkung verpflichtet ist, als dies für den durch den Rahmen der Prüfungsanordnung definierten steuererheblichen Sachverhalt notwendig, verhältnismäßig, erfüllbar und zumutbar ist.1 Demzufolge hat der Steuerpflichtige selbstverständlich beispielsweise Unterlagen vorzulegen, die den durch die Prüfungsanordnung bestimmten Rahmen betreffen und für die Prüfung des steuererheblichen Sachverhalts unerlässlich sind. Außerdem kann von dem Steuerpflichtigen auch die Vorlage von Unterlagen gefordert werden, die zwar nicht unmittelbar den durch die Prüfungsanordnung definierten Rahmen betreffen, aber für die Aufklärung des steuererheblichen Sachverhalts nötig sind. Dies bedeutet jedoch auch, dass Vorlageverlangen der Finanzverwaltung, die nicht von dem durch die Prüfungsanordnung bestimmten Rahmen gedeckt sind und auch nicht zur Aufklärung des steuererheblichen Sachverhalts beitragen, nicht auf die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (§ 200 AO) gestützt werden können.

1.346

3. Prüfungsanordnung und Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) Solange ein Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, können die Steuern allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden (§ 164 Abs. 1 Satz 1 AO). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nicht mehr in Betracht kommt, wenn der Steuerfall abschließend geprüft wurde.2 Außerdem normiert § 164 Abs. 3 Satz 3 AO ausdrücklich, dass nach einer Betriebsprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung aufzuheben ist, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben.

1.347

Für die Praxis ist entscheidend, unter welchen Umständen nach einer Betriebsprüfung von einer abschließenden Prüfung des Steuerfalls ausgegangen werden kann. Denn in diesem Fall ist eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nicht (mehr) zulässig. Nach einer abschließenden Betriebsprüfung ist demzufolge auch ein ggf. bis dahin bestehender Vorbehalt der Nachprüfung aufzuheben.

1.348

Von einer abschließenden Betriebsprüfung ist auszugehen, wenn die Prüfungsanordnung keine besonderen Einschränkungen enthält. Eine nicht abschließende Betriebsprüfung kann vorliegen, wenn sich aus der Prüfungsanordnung unmissverständlich ergibt, dass die Prüfung eingeschränkt ist. Demzufolge können nach einer auf den Vorsteuerabzug beschränkten Umsatzsteuer-Sonderprüfung noch Umsatzsteuerbescheide unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen werden. Insoweit hat keine abschließende Betriebsprüfung stattgefunden.3

1.349

Vor dem Hintergrund, dass Betriebsprüfungen lediglich in seltenen Ausnahmefällen gem. § 194 Abs. 1 Satz 2 AO auf bestimmte Sachverhalte beschränkt werden, werden i.d.R. abschließende Betriebsprüfungen angeordnet und durchgeführt. Nach Beendigung dieser abschließenden Betriebsprüfungen kommen keine Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (mehr) in Betracht.

1.350

1 BFH v. 4.11.2003 – VII R 28/01, BStBl. II 2004, 1032 Rz. 14. 2 BFH v. 30.4.1987 – V R 29/79, BStBl. II 1987, 486 Rz. 14. 3 BFH v. 12.2.1990 – V R 183/84, BFH/NV 1990, 547 Rz. 8.

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Kap. 1 Rz. 1.351 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

4. Prüfungsanordnung und Ablaufhemmung (§ 171 Abs. 4 AO) a) Allgemeines

1.351

Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Betriebsprüfung begonnen oder wird deren Beginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben, wird der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt (§ 171 Abs. 4 Satz 1 AO).

1.352

Zunächst ist hierbei der Grundsatz zu beachten, dass ein nichtiger Verwaltungsakt keinerlei Rechtswirkung entfalten kann. Folglich führt eine Betriebsprüfung, die aufgrund einer unwirksamen Prüfungsanordnung erfolgt, zu keiner Ablaufhemmung.1 Dasselbe gilt grundsätzlich für eine rechtswidrige Prüfungsanordnung. Ausnahmsweise kann eine rechtswidrige Prüfungsanordnung jedoch zu einer Ablaufhemmung führen. Dies ist der Fall, wenn die Prüfungsanordnung mit einem Fehler behaftet ist, der gem. § 126 AO geheilt wird.2

1.353

Für Steuerpraktiker hat Bedeutung, dass der zeitliche und sachliche Umfang der Prüfungsanordnung für eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 maßgeblich ist. Eine Ablaufhemmung kann nur für Festsetzungsfristen gelten, soweit sich die Prüfungsanordnung wirklich auf sie erstreckt hat. Auf Steueransprüche, die in der Prüfungsanordnung nicht bezeichnet sind, kann sich die Hemmungswirkung selbst dann nicht beziehen, wenn der Prüfer den Prüfungsumfang lediglich tatsächlich erweitert, also auch beispielsweise auf Sachverhalte außerhalb des in der Prüfungsanordnung genannten Prüfungszeitraums eingeht.3 b) Ablaufhemmung wegen Beginns einer Betriebsprüfung

1.354

Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Betriebsprüfung begonnen, wird der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt (§ 171 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 AO). Voraussetzung für eine solche Ablaufhemmung durch eine Betriebsprüfung ist, dass eine wirksame, rechtmäßige Prüfungsanordnung erlassen wurde und tatsächlich, wenn auch nur stichprobenweise, Prüfungshandlungen für die einzelnen Steuerarten vorgenommen wurden.4

1.355

Die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 4 AO knüpft nicht an den Erlass der Prüfungsanordnung an. Zwar ist die Prüfungsanordnung Voraussetzung dafür, dass mit der Prüfung ablaufhemmend begonnen werden kann. Die Prüfungsanordnung bestimmt auch den Umfang der Ablaufhemmung. Maßgebend für den zeitlichen Beginn der Ablaufhemmung ist jedoch allein der nachhaltige Beginn der Prüfungshandlungen.5

1.356

Eine Prüfungsanordnung verfällt innerhalb der Festsetzungsfrist nicht durch bloßen Zeitablauf. Hieraus folgt für die Praxis u.a., dass es auch dann keiner neuen Prüfungsanordnung bedarf, wenn die Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn unterbrochen wird, mehr als sechs Monate ruht und dann jedoch vor Ablauf der Festsetzungsfrist zügig beendet wird.6

1.357

Die beiden Voraussetzungen für eine Ablaufhemmung wegen des Beginns einer Betriebsprüfung müssen nicht in einer bestimmten Reihenfolge eintreten. Dies bedeutet, dass auch eine nach Vornahme tatsächlicher Prüfungshandlungen ergehende Prüfungsanordnung den Rah1 2 3 4 5 6

BFH v. 17.9.1992 – V R 17/86, BFH/NV 1993, 279 Rz. 52; AEAO zu § 171 Nr. 3.1. BFH v. 25.2.2015 – I B 66/14, BFH/NV 2015, 803 Rz. 14. BFH v. 25.1.1996 – V R 42/95, BStBl. II 1996, 338 Rz. 21; AEAO zu § 171 Nr. 3.2; § 196 Nr. 5. BFH v. 2.2.1994 – I R 57/93, BStBl. II 1994, 377 Rz. 17. Zum Beginn der Außenprüfung vgl. AEAO zu § 198 Nr. 1 und 2. BFH v. 13.2.2003 – IV R 31/01, BStBl. II 2003, 552 Rz. 21 ff.; AEAO zu § 196, Nr. 5.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.363 Kap. 1

men bestimmt, innerhalb dessen eine Ablaufhemmung eintreten kann. Ein typischer Sachverhalt für die Vornahme tatsächlicher Prüfungshandlungen und einer danach ergehenden Prüfungsanordnung ist eine Prüfungserweiterung (§ 5 Abs. 2 Satz 4 BpO 2000).1 c) Ablaufhemmung wegen eines Antrags des Steuerpflichtigen auf Verschiebung des Prüfungsbeginns Wird der Beginn einer Betriebsprüfung auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben, wird der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt (§ 171 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 AO).

1.358

Nach dem Wortlaut dieser Regelung tritt eine Ablaufhemmung nur ein, wenn die Verschiebung des Prüfungsbeginns auf dem Antrag des Steuerpflichtigen beruht. Wird der Prüfungsbeginn aus anderen Gründen, beispielsweise aufgrund eigener Belange der Finanzbehörde bzw. aus innerhalb deren Sphäre liegenden Gründen verschoben, tritt keine Ablaufhemmung ein und die Festsetzungsfrist läuft trotz des Antrags ab.2

1.359

Für die Praxis ist in diesem Zusammenhang die Frage zu beantworten, ob (1.) ein Verwaltungsakt, in dem der voraussichtliche Prüfungsbeginn angekündigt wird, und (2.) ein dieser Mitteilung denklogisch nachfolgender Antrag des Steuerpflichtigen auf Verschiebung vorliegen. Liegt bereits keine Mitteilung über den voraussichtlichen Prüfungsbeginn vor, kann kein, dieser Mitteilung denklogisch nachfolgender, Verschiebungsantrag vorliegen. Liegt eine Ankündigung über den voraussichtlichen Prüfungsbeginn vor, ist zu prüfen, ob ein Antrag auf Verschiebung des Prüfungsbeginns vorliegt.

1.360

5. Prüfungsanordnung und Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel (§ 173 Abs. 2 AO) Steuerbescheide können aufzuheben oder zu ändern sein, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden (§ 173 Abs. 1 AO). § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sieht eine Änderung zu Lasten des Steuerpflichtigen und § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen vor. Allerdings besteht gem. § 173 Abs. 2 AO eine Änderungssperre. Hiernach können abweichend von § 173 Abs. 1 AO Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Betriebsprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO ergangen ist (§ 173 Abs. 2 Satz 2 AO).

1.361

Durch die in § 173 Abs. 2 AO enthaltene Änderungssperre wird die besondere Bedeutung der Betriebsprüfung hervorgehoben. Nach der vollumfänglichen Prüfung eines Sachverhalts im Rahmen einer Betriebsprüfung soll grundsätzlich Rechtsfrieden herrschen.3

1.362

In der Praxis ist zu beachten, dass sich der Umfang der Änderungssperre (§ 173 Abs. 2 AO) allein nach dem Inhalt der Prüfungsanordnung richtet. Ob Steuerbescheide aufgrund einer Betriebsprüfung ergangen sind, ist nach dem Inhalt der Prüfungsanordnung zu beurteilen.4

1.363

1 2 3 4

BFH v. 2.2.1994 – I R 57/93, BStBl. II 1994, 377 Rz. 17 f. AEAO zu § 171, Nr. 3.3. BT-Drucks. VI/1982, 153. BFH v. 12.10.1994 – XI R 75/93, BStBl. II 1995, 289 Rz. 17; BFH v. 11.2.1998 – I R 82/79, BStBl. II 1998, 552 Rz. 19; AEAO zu § 173 Nr. 8.2.

Dominik | 93

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Kap. 1 Rz. 1.364 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.364

Das tatsächliche Prüfungsverhalten hat auf die Änderungssperre gem. § 173 Abs. 2 AO keine Auswirkung. Einerseits bedeutet dies, dass keine Änderungssperre ausgelöst wird, wenn die Prüfungshandlungen über den durch die Prüfungsanordnung gebildeten Rahmen hinausgehen.1 Andererseits hat dies zur Folge, dass eine Änderungssperre auch dann besteht, wenn der Betriebsprüfer bestimmte Vorgänge innerhalb des zeitlichen und sachlichen Prüfungsumfangs überhaupt nicht prüft, sie aus rechtlichen Erwägungen von sich aus nicht aufgreift oder er sie in Übereinstimmung mit der (damaligen) Verwaltungsübung unbeanstandet gelassen hat.2

1.365

Die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO setzt eine Prüfungsanordnung voraus, die auf eine abschließende Prüfung ausgerichtet ist. Sie kann nur eintreten, wenn die Prüfungsmaßnahmen auf eine umfassende und zusammenhängende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen angelegt sind. Dies ist beispielsweise bei einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung, durch welche auf der Grundlage eingereichter Umsatzsteuervoranmeldungen insbesondere der Vorsteuerabzug geprüft wird, nicht der Fall.3

1.366

Wird die Betriebsprüfung auf bestimmte Sachverhalte beschränkt (§ 194 Abs. 1 Satz 2 AO) umfasst die Änderungssperre nur diese bestimmten Sachverhalte. Eine auf bestimmte Sachverhalte beschränkte Prüfungsanordnung löst folglich keine umfassende, sondern lediglich eine punktuelle Änderungssperre aus.4 Da in der Praxis Betriebsprüfungen lediglich in seltenen Ausnahmefällen auf bestimmte Sachverhalte beschränkt werden, wird regelmäßig eine umfassende Änderungssperre ausgelöst.

6. Prüfungsanordnung und Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung (§ 371 Abs. 2 AO) 1.367

Grundsätzlich wird derjenige, der gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 AO bestraft (Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung; § 371 Abs. 1 Satz 1 AO). Diese Straffreiheit tritt aber u.a. dann nicht ein, wenn bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten i.S.d. § 370 Abs. 1 oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekanntgegeben worden ist. Dieser Ausschluss der grundsätzlichen Straffreiheit ist beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Betriebsprüfung (§ 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO).

1.368

Die vormals umfassende Sperrwirkung einer Prüfungsanordnung wurde durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014 (Inkrafttreten: 1.1.2015) auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Betriebsprüfung eingeschränkt. Demzufolge ist gewährleistet, dass eine strafbefreiende Selbstanzeige für Zeiträume, die nicht von der angekündigten Betriebsprüfung umfasst sind, grundsätzlich möglich bleibt.5 Im Zusammenhang mit einer Erweiterungsprüfung kann daher eine Sperrwirkung gem. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO hinsichtlich des erweiterten 1 2 3 4 5

BFH v. 11.2.1998 – I R 82/79, BStBl. II 1998, 552 Rz. 19. BFH v. 4.2.1987 – I R 58/86, BStBl. II 1988, 215 Rz. 20; AEAO zu § 173 Nr. 8.2.2. BFH v. 11.11.1987 – X R 54/82, BStBl. II 1988, 307 Rz. 14 f. AEAO zu § 173 Nr. 8.2.1. BT-Drucks. 18/3018, 11.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.373 Kap. 1

Prüfungszeitraums erst eintreten, wenn dem Steuerpflichtigen die Erweiterungsanordnung bekannt gegeben worden ist. Zeitgleich mit der Einschränkung der Sperrwirkung einer Prüfungsanordnung auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Betriebsprüfung ist der Adressatenkreis der Sperrwirkung einer Prüfungsanordnung erweitert worden. Zum einen erstreckt sich die Sperrwirkung auch auf Anstifter und Gehilfen. Nach der geltenden Rechtslage kann beispielsweise ein Anstifter zur Steuerhinterziehung nicht mehr eine Selbstanzeige mit strafbefreiender Wirkung abgeben, wenn dem Täter der Steuerhinterziehung eine Prüfungsanordnung für eine steuerliche Betriebsprüfung bekannt gegeben worden ist. Zum anderen ist die Selbstanzeige auch gesperrt, wenn einem Begünstigten eine Prüfungsanordnung bekanntgegeben worden ist. Dies soll insbesondere Fälle erfassen, in denen ein Mitarbeiter zugunsten eines Unternehmens eine Steuerhinterziehung begangen hat und dem Unternehmen erst nach dem Ausscheiden dieses Mitarbeiters eine Prüfungsanordnung bekanntgegeben wird. In diesen Fällen gilt die Sperrwirkung auch für den an der Tat Beteiligten, also auch für den mittlerweile ausgeschiedenen Mitarbeiter, der selbst nicht Adressat der Prüfungsanordnung ist. Nach den Gesetzesmaterialien soll es nicht notwendig sein, dass der an der Tat Beteiligte, der (ausgeschiedene) Mitarbeiter, von der Prüfungsanordnung Kenntnis erhält.1

1.369

§ 371 Abs. 21 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a AO setzt voraus, dass die Prüfungsanordnung bekannt gegeben worden ist. Ob in diesem Zusammenhang die Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO greift, ist durch die Rechtsprechung noch nicht entschieden worden. Sollte zugunsten der Steuerpflichtigen nicht auf den tatsächlichen Zugang abzustellen sein, sondern die 3-Tages-Fiktion Anwendung finden, könnten die Steuerpflichtigen im Einzelfall zumindest einen kurzen Zeitraum nutzen, um eine Selbstanzeige zu erstatten. Dies wäre der Zeitraum zwischen dem tatsächlichen Erhalt der Prüfungsanordnung und dem gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO fingierten Zugang.2

1.370

Die Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO erfordert nicht, dass die Prüfungsanordnung rechtmäßig ist. Sie tritt auch ein, wenn die Prüfungsanordnung rechtswidrig, aber nicht nichtig ist. Nur wenn die Prüfungsanordnung wegen besonders schwerwiegender, offenkundiger Fehler nichtig ist, wird eine Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO ausscheiden.3 Dasselbe kann gelten, wenn der Steuerpflichtige den Zugang der Prüfungsanordnung bestreitet und die Finanzbehörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nicht nachweisen kann. In diesem Fall ist die Prüfungsanordnung nicht wirksam geworden (§ 124 Abs. 1 Satz 1 AO).4

1.371

XII. Rechtsschutz 1. Allgemeines Bei einer Prüfungsanordnung handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Rechtsschutz gegen eine Prüfungsanordnung bietet somit zunächst ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren. Der Steuerpflichtige muss Einspruch einlegen (§ 347 AO).

1.372

Grundsätzlich ist bei der Anfechtung einer Prüfungsanordnung zu beachten, dass es sich regelmäßig um einen Sammel-Verwaltungsakt handelt. Sie fasst die einzelnen Prüfungsanord-

1.373

1 2 3 4

BT-Drucks. 18/3018, 11. Beckemper in HHSp, § 371 AO Rz. 128. BGH v. 16.6.2005 – 5 StR 118/05, BFH/NV 2005, Beilage 4, 380 Rz. 24 f. Vgl. FG München v. 12.9.2013 – 10 K 3728/10, EFG 2014, 167 Rz. 18.

Dominik | 95

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Kap. 1 Rz. 1.373 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

nungen für jeweils eine Steuerart und einen Besteuerungszeitraum zusammen.1 Die einzelnen Prüfungsanordnungen sind wie die sachlich von der (Sammel-)Prüfungsanordnung abzugrenzende Bestimmung des Prüfungsbeginns isoliert anfechtbar.

1.374

Um in der Praxis den sichersten Weg für einen möglichst umfassenden Rechtsschutz zu wählen, können bereits die Einspruchseinlegung und die Einspruchsbegründung separat eingereicht werden. Bei der Einspruchseinlegung sollte vorsichtshalber klargestellt werden, dass sich der Einspruch vollumfänglich gegen die betreffende Prüfungsanordnung und auf alle mit ihr verbundenen Verwaltungsakte bezieht. Selbst wenn die spätere Einspruchsbegründung nur einen Aspekt oder einen mit der Prüfungsanordnung verbundenen Verwaltungsakt betrifft (z.B. Bestimmung des Prüfungsortes) kann so sichergestellt werden, dass sich der Einspruch auch hierauf bezieht.

1.375

Richtet sich ein Einspruch zunächst gegen eine unspezifisch bezeichnete Prüfungsanordnung und erfolgt zugleich – in demselben Schreiben – eine Begründung, ist der Gegenstand der Anfechtung anhand dieser Begründung einengend auszulegen. Werden später – außerhalb der Einspruchsfrist – Einwendungen gegen einen mit dieser Prüfungsanordnung verbundenen, aber in der ursprünglichen Begründung nicht angesprochenen Verwaltungsakt erhoben (z.B. Bestimmung des Prüfungsortes), kann dem die Bestandskraft dieses Verwaltungsakts entgegenstehen.2

2. Ziel: Vorläufiger Rechtsschutz 1.376

Vorläufiger Rechtsschutz gegen eine Prüfungsanordnung kann durch Aussetzung der Vollziehung durch die Finanzbehörde (§ 361 AO) oder das Finzanzgericht (§ 69 FGO) gewährt werden.3

1.377

Ein Einspruch gegen eine Prüfungsanordnung hat zwar keine aufschiebende Wirkung (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AO). Allerdings kann die Finanzbehörde, die die angefochtene Prüfungsanordnung erlassen hat, die Vollziehung aussetzen (§ 361 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 AO). Auf Antrag des Steuerpflichtigen soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der angefochtenen Prüfungsanordnung bestehen oder wenn die Vollziehung für das Prüfungssubjekt eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 361 Abs. 2 Satz 2 AO). Die Finanzbehörden sind angehalten, über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung einer Prüfungsanordnung unverzüglich zu entscheiden.4

1.378

Gegen die ablehnende Entscheidung der Finanzbehörde über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist der Einspruch gegeben. Außerdem kann sich der Steuerpflichtige – zeitgleich mit und unabhängig von einem Einspruch – an das FG wenden und dort einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) stellen. Insbesondere braucht der Steuerpflichtige nicht die Entscheidung über einen Einspruch gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung abzuwarten, bevor er vorläufigen Rechtsschutz vor dem FG begehrt. Ein gerichtlicher Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist bereits zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat (§ 69 Abs. 4 Satz 1 FGO). Demzufolge erfordert ein solcher Antrag nicht, dass ein außergerichtlicher Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist. 1 2 3 4

BFH v. 19.3.2009 – IV R 26/08, BFH/NV 2009, 1405 Rz. 41. Vgl. BFH v. 29.10.2019 – IX R 4/19, BFH/NV 2020, 250 Rz. 16. BFH v. 17.9.1974 – VII B 122/73, BStBl. II 1975, 197 Rz. 6. AEAO zu § 196 Nr. 1 und zu § 361 Nr. 3.

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D. Prüfungsanordnung | Rz. 1.384 Kap. 1

Der Streitwert für einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gem. § 69 FGO ist grundsätzlich mit 10 % des Betrags zu bemessen, dessen Aussetzung begehrt wird.1 Als Betrag, dessen Aussetzung begehrt wird, wird bei der Anfechtung einer Prüfungsanordnung, regelmäßig 50 % der mutmaßlich zu erwartenden Mehrsteuern angesetzt. Ist die Betriebsprüfung noch nicht durchgeführt worden, sind die zu erwartenden Mehrsteuern im Einzelfall zu schätzen. Ist eine solche Schätzung nicht möglich, ist der Auffangstreitwert i.H.v. 5.000 € (§ 52 Abs. 2 GKG) anzusetzen.2

1.379

In der Praxis sollte grundsätzlich ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt werden. Wird eine Prüfungsanordnung angefochten, hat dies nicht zwangsläufig zur Folge, dass die Finanzbehörde die beabsichtigte Betriebsprüfung nicht durchführt. Selbst wenn sich später herausstellen sollte, dass die aufgrund dieser Betriebsprüfung gewonnenen Erkenntnisse nicht verwertet werden dürfen, hat die Finanzbehörde die Erkenntnisse bereits erlangt.

1.380

3. Ziel: Verwertungsverbot a) Rechtsbehelfe aa) Allgemeines Wenn ein ein Steuerpflichtiger ein Verwertungsverbot erreichen möchte, muss er grundsätzlich die Prüfungsanordnung anfechten. Die Prüfungsanordnung ist ein selbständiger Verwaltungsakt, der in einem besonderen Verfahren angefochten werden muss. Die Rechtswidrigkeit einer Prüfungsanordnung wird nicht inzidenter in einem Verfahren gegen die aufgrund der Betriebsprüfung erlassenen Steuerbescheide geprüft.3

1.381

Nur wenn die Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit einer Prüfungsanordnung geltend gemacht wird, können alle Einwendungen gegen die Prüfungsanordnung im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide geprüft werden.4 Das Gleiche gilt, wenn überhaupt keine Prüfungsanordnung vorliegt. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn ein Prüfer den Prüfungszeitraum ohne entsprechende Erweiterung der Prüfungsanordnung ausgedehnt hat.5

1.382

Der Antrag des Steuerpflichtigen im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren und auch in einem finanzgerichtlichen Verfahren richtet sich danach, ob die Betriebsprüfung noch nicht oder bereits beendet ist. Wird die Betriebsprüfung noch durchgeführt, hat sich die Prüfungsanordnung noch nicht erledigt. Ist die Betriebsprüfung bereits beendet worden, hat sich die Prüfungsanordnung erledigt.

1.383

bb) Vor Beendigung der Betriebsprüfung Ist die Betriebsprüfung auch nach einem erfolglosem Rechtsbehelfsverfahren noch nicht beendet, kann ein Steuerpflichtiger gegen eine Prüfungsanordnung Anfechtungsklage erheben (§ 40 Abs. 1, Alt. 1 FGO). Im Klageverfahren kann er unter Angabe der entsprechenden Bescheiddaten beantragen, die Prüfungsanordnung in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.6 1 2 3 4 5 6

BFH v. 6.9.2012 – VII E 12/12, BFH/NV 2013, 211 Rz. 4. BFH v. 20.5.2014 – X E 1/14, BFH/NV 2014, 1387 Rz. 11. BFH v. 27.7.1983 – I R 210/79, BStBl. II 1984, 285 Rz. 20. BFH v. 20.2.1990 – IX R 83/88, BStBl. II 1990, 789. BFH v. 25.11.1997 – VIII R 4/94, BStBl. II 1988, 461 Rz. 25. Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz4, Rz. 3.216.

Dominik | 97

2021-10-28, 11:05, HB mittel

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1.384

Kap. 1 Rz. 1.385 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

cc) Nach Beendigung der Betriebsprüfung

1.385

Sollte die Finanzbehörde die Betriebsprüfung bereits vor Klageerhebung beendet haben oder im Laufe des Gerichtsverfahrens beenden, muss der Steuerpflichtige, um ein Verwertungsverbot zu erreichen, hinsichtlich seines Klagebegehrens von der Anfechtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) wechseln. Unter Angabe der entsprechenden Bescheiddaten kann er beantragen, festzustellen, dass die Prüfungsanordnung rechtswidrig gewesen ist.1

1.386

In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer erledigten Prüfungsanordnung die Verwertung der Prüfungsergebnisse nicht hindert. Haben die Prüfungsfeststellungen bereits Eingang in Steuerbescheide gefunden, müssen zur Beseitigung der aus den Prüfungsergebnissen gezogenen Folgerungen zusätzlich die Steuerbescheide angefochten werden.2 b) Anforderungen und Rechtsfolgen von Verwertungsverboten aa) Allgemeines

1.387

Die Voraussetzungen an ein Verwertungsverbot hängen davon ab, welche Art von Verwertungsverbot begehrt wird. Grundsätzlich gibt es nur ein verfahrensrechtliches Verwertungsverbot. Nur ausnahmsweise kann ein qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot gegeben sein. Die Rechtsfolgen eines verfahrensrechtlichen Verwertungsverbots einerseits und eines qualifizierten materiell-rechtlichen Verwertungsverbots andererseits unterscheiden sind. bb) Verfahrensrechtliches Verwertungsverbot

1.388

Auf ein verfahrensrechtliches Verwertungsverbot kann sich derjenige berufen, der eine Prüfungsanordnung erfolgreich angefochten hat bzw. der nach Abschluss der Betriebsprüfung deren Rechtswidrigkeit nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO hat feststellen lassen.3

1.389

Dieses formelle Verwertungsverbot wird jedoch in Fällen der Erstveranlagung und bei unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Steuerbescheiden beschränkt. Dies bedeutet, dass in diesen Fällen der Umsetzung der aufgrund der (rechtswidrigen) Prüfungsanordnung erlangten Erkenntnisse kein Verwertungsverbot entgegensteht. Denn das Interesse an einer gesetzmäßigen und gleichmäßigen Steuerfestsetzung überwiegt in diesen Fällen das Interesse des Steuerpflichtigen an einem formal rechtmäßigen Verfahren.4

1.390

Wenn eine rechtswidrige Prüfungsanordnung vorliegt und keine Umsetzung im Rahmen einer Erstveranlagung oder Vorbehaltsfestsetzung erfolgt, besteht zwar ein verfahrensrechtliches Verwertungsverbot für die betroffene Betriebsprüfung. Allerdings kann die Finanzbehörde in diesen Fällen eine erneute fehlerfreie Prüfungsanordnung erlassen. Dasselbe gilt, wenn eine Finanzbehörde oder ein FG eine Prüfungsanordnung aus formellen Gründen für nichtig erklärt. Auf Grundlage einer erneuten fehlerfreien Prüfungsanordnung findet sodann eine Wiederholungsprüfung statt.5 1 Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz4, Rz. 3.217. 2 BFH v. 16.12.1986 – VIII R 123/86, BStBl. II 248 Rz. 19; AEAO zu § 196 Nr. 2. 3 BFH v. 19.6.2007 – VIII R 99/04, BStBl. II 2008, 7 Rz. 46; BFH v. 14.8.1985 – I R 188/82, BStBl. II 1986, 2; AEAO zu § 196 Nr. 2. 4 BFH v. 25.11.1997 – VIII R 4/94, BStBl. II 1998, 461 Rz. 32; BFH v 10.5.1991 – V R 51/90, BStBl. II 1991, 825 Rz. 12; AEAO zu § 196 Nr. 2. 5 BFH v. 7.11.1985 – IV R 6/85, BStBl. II 1986, 435 Rz. 9; BFH v. 20.10.1988 – IV R 104/86, BStBl. II 1989, 180 Rz. 6 f.; BFH v. 24.8.1989 – IV R 65/88, BStBl. II 1990, 2 Rz. 8; AEAO zu § 196 Nr. 3.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.396 Kap. 1

Mit der Durchführung einer Wiederholungsprüfung hat die Finanzbehörde grundsätzlich einen anderen Prüfer zu beauftragen. Dieser Prüfer muss sich in eigener Verantwortung ein selbständiges Urteil über die Erfüllung der steuerlichen Pflichten durch den Steuerpflichtigen bilden. Die gegebenenfalls vorliegenden Feststellungen einer Erstprüfung können ihm hierbei (nur) Anhaltspunkte geben.1 Demzufolge entwickelt ein verfahrensrechtliches Verwertungsverbot auch keine Fernwirkung.

1.391

Für die Praxis bedeutet dies im Ergebnis, dass ein Rechtsbehelf gegen eine Prüfungsanordnung in vielen Fällen nicht dazu führt, dass der Finanzbehörde ein Verwertungsverbot auferlegt wird. Selbst wenn ein Verwertungsverbot aufgrund einer rechtswidrigen Prüfungsanordnung vorliegen sollte, ist die Finanzbehörde nicht daran gehindert, eine Wiederholungsprüfung anzuordnen und im Rahmen dieser Prüfung Erkenntnisse über den Steuerpflichtigen zu erlangen.

1.392

cc) Materiell-rechtliches Verwertungsverbot Ein qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot kann anzunehmen sein, wenn die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen verletzt hat. Die auf diese Weise ermittelten Tatsachen sind schlechthin und ohne Ausnahme unverwertbar. Ein Verstoß kann nicht durch zulässige, erneute Ermittlungsmaßnahmen geheilt werden.2

1.393

Im Zusammenhang mit einer Prüfungsanordnung an sich wird es in der Praxis nicht zu einer Verletzung eines verfassungsrechtlich geschützten Bereichs des Steuerpflichtigen kommen. Selbst theoretisch sind solche Fälle schwer vorstellbar. Ein materiell-rechtliches Verwertungsverbot ist allenfalls bei einzelnen Prüfungshandlungen denkbar.

1.394

E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse I. Überblick Die wesentlichen Tätigkeiten der Finanzverwaltung im Rahmen der Betriebsprüfung sind auf die Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen im Prüfungszeitraum gerichtet. Man könnte diesen Teil des Ablaufs einer Betriebsprüfung – in Abgrenzung zur Vorbereitungsphase und Nachbereitungsphase – als „Hauptphase“ bezeichnen. Diese Phase beginnt durch ein Eröffnungsgespräch zwischen Prüfer und Steuerpflichtigem (Rz. 1.400), dem sich – i.d.R. über mehrere Monate – die Vornahme der Sachverhaltsermittlung (Rz. 1.404, 1.441) anschließt. Bei der Sachverhaltsermittlung setzt das Gesetz dem Prüfer „Leitplanken“ in Form der Prüfungsgrundsätze (Rz. 1.404).

1.395

Die Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen im Prüfungszeitraum erfolgt durch Vornahme einzelner Ermittlungshandlungen (z.B. Einholung einer Auskunft des Steuerpflichtigen), die als (Grundrechts-)Eingriffe in die (Rechts-)Sphäre des Steuerpflichtigen gesetzlich geregelt sein müssen. Die Vornahme einer Maßnahme, die gesetzlich nicht geregelt ist, wäre rechts- bzw. gesetzeswidrig. Unter Berücksichtigung der technischen Umsetzung könnte man zwischen „händischen“ Ermittlungsmaßnahmen (dazu nachstehend Rz. 1.441) und IT-gestützten „digitalen“ Maßnahmen (zur digitalen Betriebsprüfung

1.396

1 BFH v. 20.10.1988 – IV R 104/86, BStBl. II 1989, 180 Rz. 7; AEAO zu § 196 Nr. 3. 2 BFH v. 19.8.2009 – I R 106/08, BFH/NV 2010, 5 Rz. 20.

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Kap. 1 Rz. 1.396 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

Rz. 2.1) unterscheiden. Bei Vornahme einer Ermittlungsmaßnahme stellt sich aus Sicht des Steuerpflichtigen die Frage, ob die Maßnahme zulässig ist und – falls dies aus Sicht des Steuerpflichtigen zu verneinen sein sollte – auf welche Weise er die Maßnahme angreifen kann (zum Rechtsschutz gegen Maßnahmen des Prüfers Rz. 1.441, 1.807). Aus Sicht des Prüfers stellt sich die Frage, auf welche Weise er eine Maßnahme gegen den Willen des Steuerpflichtigen durchsetzen kann (dazu nachstehend Rz. 1.441). Erlangt der Prüfer Sachverhaltskenntnisse durch ein rechtswidriges Vorgehen, kann sich für ihn ein Verwertungsverbot (Rz. 1.515) hinsichtlich der Ergebnisse ergeben.

1.397

Die Sachverhaltsermittlung ist zwar Aufgabe des Prüfers. Der Steuerpflichtige ist gesetzlich jedoch zur Mitwirkung bei der Sachverhaltsermittlung verpflichtet. Die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (Rz. 1.525) kann man als „Gegenstück“ zum Amtsermittlungsgrundsatz (Rz. 1.554) bezeichnen. Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten durch den Steuerpflichtigen hat für ihn regelmäßig Nachteile zur Folge. Im Besteuerungsverfahren gilt das Prinzip der vollen Wahrheitsüberzeugung (zur Feststellungs- und Beweislast Rz. 1.554).1 Danach muss der entscheidungserhebliche Sachverhalt, der Grundlage für die Besteuerung ist, von der Finanzbehörde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.2 Wirkt der Steuerpflichtige entgegen seinen gesetzlichen Pflichten aus §§ 90 ff. AO nicht mit, reduziert sich für steuerbegründende oder steuererhöhende Tatsachen das Beweismaß (§ 162 Abs. 2 AO; zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen Rz. 1.554).3 Soweit die Unaufklärbarkeit eines steuerbegründenden oder steuererhöhenden Sachverhalts nicht auf eine Mitwirkungspflichtverletzung des Steuerpflichtigen zurückführbar ist, bleibt es bei dem Regelbeweismaß der vollen Wahrheitsüberzeugung und es ist eine Beweislastentscheidung zugunsten des Steuerpflichtigen zu treffen.4

1.398

Für den Fall, dass der Prüfer im Rahmen der Sachverhaltsermittlung bzw. der Durchführung der Betriebsprüfung den Verdacht des Vorliegens einer Steuerstraftat (Rz. 1.540) erlangt, ist die Prüfung zu unterbrechen. Für die Darstellung der Besonderheiten, die sich in diesem Fall ergeben, wird auf Rz. 1.540 und Rz. 4.1 verwiesen.

1.399

Erlangt der Prüfer im Rahmen der Sachverhaltsermittlung Kenntnisse über die Besteuerungsgrundlagen Dritter, können diese Informationen zum Gegenstand von Kontrollmitteilungen (Rz. 1.547) gemacht werden. Die Informationen, die Gegenstand der Mitteilungen sind, können z.B. im Rahmen von Veranlagungen oder Betriebsprüfungen bei den betroffenen Personen verwertet werden.

II. Eröffnungsgespräch 1. Vorstellung der Beteiligten und Organisation des Prüfungsablaufs 1.400

Die Hauptphase der Betriebsprüfung beginnt durch ein Eröffnungsgespräch zwischen Prüfer und Steuerpflichtigem. Das Gespräch findet üblicherweise in den Räumen des Betriebs des Steuerpflichtigen oder den Kanzleiräumen des Steuerberaters statt. Sofern dies nicht möglich 1 Vgl. Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 1; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 1. 2 BFH v. 7.11.2006 – VIII R 81/04, BStBl. II 2007, 364; Ratschow in Gräber9, § 96 FGO Rz. 83; Roser in Gosch, § 88 Rz. 45; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 1; Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 222; Thürmer in HHSp, § 76 FGO Rz. 105; Volquardsen in Schwarz/Pahlke, § 88 AO Rz. 15. 3 Vgl. BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462; BFH v. 5.2.2014 – X B 138/13, BFH/NV 2014, 720; Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 1; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 1; Rüsken in Klein15, § 162 AO Rz. 1; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 9. 4 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 5.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.403 Kap. 1

ist, kann das Gespräch auch in den Räumen des Finanzamtes stattfinden. Auf Seite der Finanzverwaltung nimmt zumindest der Prüfer (ggf. mit seinen Kollegen) an dem Gespräch teil. Bei einer größeren Prüfung nimmt darüber hinaus häufig auch der Sachgebietsleiter teil, bei Beteiligung des Bundeszentralamtes für Steuern (Rz. 1.80, 1.127) auch der Bundesprüfer. Auf Seite des Steuerpflichtigen nimmt dieser ggf. zusammen mit seinem Berater an dem Gespräch teil. Handelt es sich bei dem Steuerpflichtigen um eine Gesellschaft, wird der gesetzliche Vertreter (z.B. Geschäftsführer, Vorstandsmitglied) und/oder der zuständige Mitarbeiter (z.B. Steuerabteilungsleiter, Betriebsprüfungsbeauftragter) ggf. zusammen mit dem Berater teilnehmen. Die Vertreter der Finanzverwaltung stellen im Rahmen des Gesprächs ihr geplantes Vorgehen in zeitlicher Hinsicht und die (internen) Zuständigkeiten der Beteiligten dar (z.B. Zuständigkeit des Bundesprüfers für die Prüfung der Verrechnungspreise). Die Vertreter des Steuerpflichtigen sollten Ansprechpartner benennen und ggf. auf Besonderheiten hinweisen (z.B. Betriebsferien im Monat August). Im Rahmen des Gesprächs sollten die organisatorischen „Eckpunkte“ der Prüfung festgelegt werden. Hierzu zählen z.B. die Festlegung eines Büros im Betrieb, das der Prüfer nutzen kann, die Beschreibung der IT, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, das „Blocken“ von Terminen für Zwischenbesprechungen etc.

1.401

2. Vorstellung des Betriebs und der wesentlichen Transaktionen im Prüfungszeitraum Der Prüfer hat im Zeitpunkt des Eröffnungsgesprächs sein geplantes Vorgehen und seine Prüfungsschwerpunkte bereits festgelegt (zur Prüfungsvorbereitung Rz. 1.117). Sofern dem Prüfer der Betrieb aus einer vorangegangenen Betriebsprüfung bekannt ist, wird er ein „Bild im Kopf haben“, das ihm einen Prüfungseinstieg erleichtern wird (aber ggf. auch mit Vorurteilen oder negativen Erfahrungen aus vorangegangenen Prüfungen behaftet ist). Handelt es sich um einen (Erst-)Prüfer, der den Betrieb noch nicht „von innen“ kennt, muss sich der Prüfer zunächst in die Strukturen einarbeiten. Ein Steuerpflichtiger sollte das Eröffnungsgespräch in jedem Fall nutzen, seine Sichtweise auf den Betrieb und wesentliche Transaktionen oder Besonderheiten im Prüfungszeitraum darzustellen (Wer sind wir? Wie verdienen wir unser Geld? Was ist hinsichtlich des Prüfungszeitraumes aus unserer Sicht berichtenswert?). Eine solche Darstellung kann z.B. in Form einer Präsentation unter Hinzuziehung eines Organigramms erfolgen. Es ist davon auszugehen, dass dem Prüfer im Zeitpunkt des Eröffnungsgesprächs die Steuerbescheide, also die „nackten“ Zahlen, bekannt sind. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass der Prüfer – sofern es sich um größere Betriebe handelt – die öffentliche Berichterstattung bekannt ist (z.B. Pressemeldungen zu Umstrukturierungen, Sanierungsmaßnahmen etc.). Die Einzelheiten zum wirtschaftlichen Hintergrund der Zahlen, die Motive für Transaktionen (z.B. Errichtung einer Tochtergesellschaft in einem Niedrigsteuerstaat, Umwandlung einer Gesellschaft) und/oder die betrieblichen Schwierigkeiten bzw. Herausforderungen folgen aus den Steuerbescheiden nicht. Erfahrungsgemäß wird ein Prüfer eine entsprechende (kooperative) Maßnahme des Steuerpflichtigen wohlwollend würdigen. Der Steuerpflichtige hat die Chance, das Bild im Kopf des Prüfers vor Beginn der Durchführung der Prüfungsmaßnahmen „zurechtzurücken“. Für den Fall, dass auf Seite des Steuerpflichtigen Unsicherheiten hinsichtlich einer bislang nicht erfolgten Anzeige einer unrichtigen Steuererklärung (§ 153 AO) bestehen, ist zu überlegen, die Thematik dem Prüfer bekannt zu machen. Dies setzt jedoch eine sorgfältige Vorprüfung voraus, denn eine strafbefreiende Selbstanzeige ist im Zeitpunkt des Eröffnungsgesprächs nicht mehr zulässig bzw. wirksam (Rz. 4.36).

1.402

Im Rahmen des Eröffnungsgesprächs sollten die Beteiligten – so wie im Rahmen des regelmäßigen „informellen“ Austausches zwischen Prüfer und Steuerpflichtigem, den formalen

1.403

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Kap. 1 Rz. 1.403 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

Zwischenbesprechungen (Rz. 1.678) und der Schlussbesprechung (Rz. 1.684, 1.741) – die Regel „Hart in der Sache, fair im Umgang“ beherzigen. Erfahrungsgemäß ist dies für beide Seite zielführend.

III. Ermittlung des Sachverhalts 1. Prüfungsgrundsätze a) Allgemeines

1.404

Bei der Ermittlung des Sachverhalts als Grundlage für die Besteuerung hat der Prüfer als Vertreter der Finanzverwaltung die sog. Prüfungsgrundsätze zu beachten. Der Adressat der Prüfungsgrundsätze ist ausschließlich die Verwaltung, nicht der Steuerpflichtige. Die Grundsätze für das Handeln des Steuerpflichtigen im Rahmen einer Betriebsprüfung ergeben sich aus den gesetzlichen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (§ 200 AO; Rz. 1.525).

1.405

Die Prüfungsgrundsätze bestimmen die Leitlinien einer Betriebsprüfung und die Art und Weise des Handelns des Prüfers. Sie sind eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes1, wonach ein (Grundrechts-)Eingriff des Staates – vertreten durch die Finanzbehörde bzw. den Prüfer – nur gerechtfertigt ist, wenn der Eingriff in Form der Prüfungshandlung geeignet, erforderlich und mit Blick auf das Ziel auch angemessen ist.2 Bei den Grundsätzen handelt es sich um Bestimmungen, denen eine gesetzliche Regelung (§ 199 AO) zugrunde liegt. Bereits hieraus folgt, dass den Prüfungsgrundsätzen bei einer (finanzgerichtlichen) Überprüfung von Maßnahmen eines Prüfers (zu einzelnen Prüfungsmaßnahmen Rz. 1.441) erhebliche Bedeutung zukommen kann. Die gesetzliche Regelung wird durch Bestimmungen in der BpO (§ 7 BpO) und den Erlassen der Länder konkretisiert (z.B. Rz. 1.47, 1.50).

1.406

Nach dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) und der Selbstbindung der Verwaltung wirken die Prüfungsgrundsätze zwar zugunsten des Steuerpflichtigen. Allerdings sind die Rechtsschutzmöglichkeiten des Steuerpflichtigen (Rz. 1.807) begrenzt.

1.407

Die Prüfungsgrundsätze umfassen die folgenden Gebote, die bei der Durchführung einer Betriebsprüfung vom Prüfer zu beachten sind: – Begrenzung auf die Ermittlung der maßgebenden Besteuerungsgrundlagen (Rz. 1.408), – Begrenzung der Ermittlung auf das „Wesentliche“ (Rz. 1.428), – Begrenzung der Dauer der Prüfung auf das „notwendige Maß“ (Rz. 1.432), – Neutralität des Prüfers (Rz. 1.437) und – laufende Unterrichtung des Steuerpflichtigen (Rz. 1.662). b) Begrenzung auf die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen aa) Inhalt (1) Steuerliche Erheblichkeit der Verhältnisse

1.408

Der Betriebsprüfer hat nach § 199 Abs. 1 AO die „tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind (Besteuerungs1 Das Gebot der Verhältnismäßigkeit ist auch in § 2 Abs. 1 Satz 2 BpO bestimmt. 2 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 199 AO Rz. 1a; Seer in Tipke/Kruse, § 199 AO Rz. 6; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 8, 19.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.409 Kap. 1

grundlagen)“ zu prüfen (zu den einzelnen Prüfungsmaßnahmen (Rz. 1.441). Die Regelung entspricht inhaltlich dem allgemeinen Untersuchungsgrundsatz, wonach die Finanzbehörde den Sachverhalt von Amts wegen u.a. unter Berücksichtigung der für den Steuerpflichtigen günstigen Umstände zu ermitteln hat (§ 88 Abs. 1 AO).Die Besteuerungsgrundlagen sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse beim Prüfungssubjekt, deren Vorliegen z.B. die Erfüllung eines Steuertatbestands (z.B. Einkünfte nach § 15 Abs. 1 EStG) zur Folge hat, die sich auf die Höhe der Steuer auswirken (Bemessungsgrundlage) und/oder die sich auf den anwendbaren Tarif auswirken.1 Dabei werden regelmäßig nicht sämtliche Besteuerungsgrundlagen des Steuerpflichtigen geprüft, sondern im Vorfeld von der Finanzbehörde festgelegte Prüffelder (Schwerpunkprüfung). Diese Prüffelder werden von den meisten Landesfinanzverwaltungen nicht veröffentlicht. Eine Ausnahme ist die Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen, die ihre Prüffelder jährlich u.a. auf ihrer Internet-Homepage veröffentlicht.2 Die Prüffelder der Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen umfassen im Jahr 2020 u.a. – Einkommensteuer – Einkünfteerzielungsabsicht (Liebhaberei) bei § 15 und § 18 EStG – Sonderausgaben (§ 10 EStG): u.a. Beiträge an berufsständische Versorgungseinrichtungen, Kirchensteuer auf Abgeltungsteuer – Land- und Forstwirtschaft (§ 13 EStG): u.a. Erbauseinandersetzung – Gewerbebetriebe und Selbstständige (§ 15, § 18 EStG): u.a. Photovoltaikanlage im Erstjahr – Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften (§ 17 EStG) – Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG): u.a. Vermietung und Verpachtung im Erstjahr, hohe Erhaltungsaufwendungen – Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EStG) – Körperschaftsteuer – Beteiligung an anderen Körperschaften und Personenvereinigungen (§ 8b KStG) – Verlustabzug bei Körperschaften (§ 8c KStG) – Darlehensbeziehungen zwischen Kapitalgesellschaft und Gesellschaft – Umsatzsteuer – Berichtigung des Vorsteuerabzugs (§ 15a EStG) – Ferienwohnungen – Handwerkerleistungen – Organschaft Die Prüfungsanordnung (Rz. 1.165) begrenzt in sachlicher und zeitlicher Hinsicht die Verhältnisse, die Besteuerungsgrundlagen sein können. Die Verhältnisse des Steuerpflichtigen, die bereits denklogisch keine Auswirkung auf z.B. das Vorliegen eines Tatbestands haben können, sind keine 1 Vgl. Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 199 AO Rz. 2b f.; Intemann in Koenig3, § 199 AO Rz. 6; Sauer in Gosch, § 199 AO Rz. 16; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 10. 2 Für 2020 abrufbar unter www.finanzverwaltung.nrw.de/de/prueffelder-fuer-das-kalenderjahr2020 (zuletzt abgerufen 15.1.2021).

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1.409

Kap. 1 Rz. 1.409 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

Besteuerungsgrundlagen i.S.v. § 199 AO. Solche Verhältnisse sind nicht „maßgebend“ für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer (vgl. § 199 Abs. 1 AO). Deshalb scheiden nach den Prüfungsgrundsätzen Maßnahmen des Prüfers, die auf eine Überprüfung solcher Verhältnisse gerichtet sind, aus. Gleichfalls scheidet eine Prüfung von Verhältnissen beim Prüfungsobjekt aus, die erst zukünftig die Erfüllung eines Steuertatbestands zur Folge haben können. In der Prüfungspraxis ist bei der Durchführung einer Prüfungshandlung somit stets danach zu fragen, ob die konkrete Handlung des Prüfers überhaupt zielführend sein kann. Für den Fall, dass dies nicht der Fall sein sollte, wäre die Prüfungshandlung ein Verstoß gegen die Prüfungsgrundsätze (zu den Rechtsschutzmöglichkeiten Rz. 1.463, 1.478, 1.485, 1.497, 1.505, 1.512 und Rz. 1.807). (2) Tatsächliche und rechtliche Verhältnisse (a) Tatsachen (aa) Unmittelbare und mittelbare Tatsachen

1.410

Die prüfungsgegenständlichen tatsächlichen Verhältnisse eines Steuerpflichtigen umfassen Tatsachen und Erfahrungssätze (sog. Erfahrungstatsachen, dazu Rz. 1.410). Tatsachen sind der Überprüfung durch Dritte offenstehende, konkrete, nach Raum und Zeit bestimmte, vergangene oder gegenwärtige Geschehnisse oder Zustände der Außenwelt (äußere Tatsachen) oder Vorgänge des Seelenlebens, wie z.B. Kenntnis, Absicht, Wille oder Vorsatz (innere Tatsachen), die Merkmal oder Teilstück eines Steuertatbestands (z.B. § 15 EStG) sein können.1 Das Vorliegen der Tatsachen muss eine Steuerpflicht ergeben können. Eine (tatsächliche) Handlung eines Steuerpflichtigen, wie z.B. die regelmäßige Teilnahme an Flohmarktveranstaltung (z.B. Verkauf von Modelleisenbahn-Artikeln), kann die Merkmale des § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG erfüllen, so dass eine Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) vorliegt. Eine (tatsächliche) Handlung eines Steuerpflichtigen kann sich auch auf die Höhe der Steuer auswirken (z.B. erfüllt eine bestimmte Handlung eines Steuerpflichtigen die Merkmale von § 34b Abs. 1 Nr. 1 EStG [außerordentliche Holznutzung], so dass ein besonderer Steuersatz nach § 34b Abs. 3 EStG zur Anwendung kommt).

1.411

Bei den Tatsachen kann es sich auch um Indizien (mittelbare Tatsache) handeln, deren Vorliegen zwar nicht unmittelbar eine Steuerpflicht und/oder eine Auswirkung auf die Bemessung der Steuer zur Folge hat, die aber auf das Vorliegen unmittelbar erheblicher Tatsachen schließen lassen.2

1.412

Keine Tatsachen sind Schlussfolgerungen des Betriebsprüfers, die dieser unter Zugrundelegung seiner Erfahrungen und Kenntnisse aus dem Vorliegen von Tatsachen zieht.3 Dies gilt auch für die juristische Beschreibung bzw. Einordung eines Sachverhalts. Die Qualifikation eines Sachverhalts als „Darlehen“ macht den Sachverhalt nicht zu einer Tatsache i.S.v. § 199 Abs. 1 AO. Zu prüfen ist vielmehr, ob die Tatsachen vorliegen, die eine juristische Einordnung des Sachverhalts als Darlehen i.S.v. § 488 BGB zulassen. Keine Tatsachen sind auch Schätzungen, die der Betriebsprüfer auf der Grundlage von Tatsachen und Schätzungsmethoden durchführt (zur Schätzung im Rahmen einer Betriebsprüfung Rz. 1.554).4 1 Sauer in Gosch, § 199 AO Rz. 11 ff.; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 10; Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 31; Volquardsen in Schwarz/Pahlke, § 88 AO Rz. 11; Wünsch in Koenig3, § 88 AO Rz. 13. 2 Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 40; Volquardsen in Schwarz/Pahlke, § 88 AO Rz. 11; Wünsch in Koenig3, § 88 AO Rz. 14. 3 Vgl. Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 32. 4 Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 32 m.w.N.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.419 Kap. 1

(bb) Offenkundige Tatsachen Die Tatsachen, die offenkundig sind (offenkundige Tatsachen), kann ein Betriebsprüfer ohne weitere Prüfung bzw. Aufklärung als „gegeben“ behandeln (vgl. § 291 ZPO, wonach Tatsachen, die bei einem Gericht offenkundig sind, keines Beweises bedürfen). Die folgenden Tatsachen sind offenkundig:

1.413

Allgemeinkundige Tatsachen: Eine allgemeinkundige Tatsache ist dadurch gekennzeichnet, dass sie einer beliebig großen Anzahl von verständigen und erfahrenen Menschen ohne weiteres bekannt oder für jedermann jederzeit aus allgemein zugänglichen Quellen ohne besondere Fachkunde wahrnehmbar ist und in weiten, verständigen Kreisen der Öffentlichkeit als feststehend angesehen wird.1 Es handelt sich z.B. um nachprüfbare Informationen aus den Medien, um Naturvorgänge, die Entfernung zwischen Orten, die Lage von Grundstücken, die Börsenkurse von Wertpapieren etc.

1.414

Amtskundige Tatsachen: Eine amtskundige Tatsache ist dadurch gekennzeichnet, dass sie dem Betriebsprüfer im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit bekannt oder mitgeteilt worden sind. Eine Tatsacheninformation, die der Betriebsprüfer in seinem privaten Bereich erhält, ist keine amtskundige Tatsache. Um eine solche Information zu einer Tatsache zu machen, ist eine Ermittlung im Rahmen der Betriebsprüfung erforderlich.

1.415

Gesetzlich vermutete Tatsachen: Eine gesetzlich vermutete Tatsache ist dadurch gekennzeichnet, dass ihr Vorliegen durch eine gesetzliche Vermutung, die z.B. an das Vorliegen einer nicht-erheblichen Tatsache anknüpft, festgestellt wird (z.B. die Werbungskostenpauschale nach § 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a und b EStG). Die Vermutung kann durch eine entsprechende Darlegung vom Steuerpflichtigen entkräftet bzw. beseitigt werden.

1.416

Gesetzlich fingierte Tatsachen: Eine gesetzlich fingierte Tatsache ist dadurch gekennzeichnet, dass eine gesetzliche Bestimmung das Vorliegen der Tatsache bestimmt. Der Steuerpflichtige kann die Fiktion des Vorliegens dieser Tatsache nicht durch entsprechende Argumente oder Informationen beseitigen (z.B. AfA-Tabellen).

1.417

Verbindlich durch andere Finanzbehörden festgestellte Tatsachen: Eine verbindlich durch eine andere Finanzbehörde festgestellte Tatsache ist dadurch gekennzeichnet, dass sie von einer Finanzbehörde, die nicht für die Betriebsprüfung zuständig ist, festgestellt worden ist. Diese Tatsache ist nicht gesondert vom Betriebsprüfer zu ermitteln, wenn sie nicht Gegenstand der Betriebsprüfung ist. (z.B. Vorliegen der Gemeinnützigkeit nach einer Freistellungsbescheinigung im Erstattungsverfahren nach § 44c EStG2)

1.418

Verbindlich durch andere „Nicht-Finanzbehörden“ oder durch Gerichte festgestellte Tatsachen: Die Entscheidung bzw. das Handeln einer Nicht-Finanzbehörde z.B. in Form des Erlasses eines Verwaltungsaktes oder des Abschlusses eines öffentlich-rechtlichen Vertrags kann eine Tatsache darstellen, deren Vorliegen Auswirkungen auf die Steuerpflicht und/oder für die Bemessung der Steuer hat. Entsprechendes kann für die Entscheidung eines Gerichts (z.B. VG) gelten. Dies kann auch der Fall sein, wenn es sich um die Entscheidung einer Behörde oder eines Gerichts eines anderen Staates handelt. Eine gesetzliche Regelung, wonach die Finanzverwaltung verpflichtet ist, den Entscheidungen ressortfremder Behörden bzw. Gerichte

1.419

1 BVerfG v. 3.11.1959 – 1 BvR 13/59, BVerfGE 10, 177; Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 21 mit Verweis auf Krumm in Tipke/Kruse, § 81 FGO Rz. 8a; Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 45 m.w.N. 2 Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 55.

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Kap. 1 Rz. 1.419 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

im Rahmen des Besteuerungsverfahrens – und somit auch im Rahmen einer Betriebsprüfung – zu folgen, existiert nicht. Die Thematik ist deshalb streitbehaftet.1 Unter Berücksichtigung der Finanzrechtsprechung und der herrschenden Literaturauffassung können folgende Fallgruppen gebildet werden:2 – Bindung an behördliche oder gerichtliche Entscheidung: Die Entscheidung einer Behörde z.B. in Form eines Verwaltungsaktes dürfte vom Betriebsprüfer in der Prüfungspraxis als Tatsache berücksichtigt werden.3 Dies gilt entsprechend für eine gerichtliche Entscheidung (Urteil, Beschluss). Wenn z.B. bei der (Über-)Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Bildung einer Pensionsrückstellung (§ 6a EStG) die Tatsache „Bestehen eines zivilbzw. arbeitsrechtlichen Anspruchs des Pensionsberechtigten gegen den Steuerpflichtigen“ entscheidungserheblich ist, wird ein Betriebsprüfer eine entsprechende Entscheidung eines ArbG, durch die das Bestehen eines Anspruchs bejaht wird, akzeptieren. Etwas anderes dürfte nur dann gelten, wenn die Entscheidung erkennbar „fehlerhaft“ ist (z.B. erhebliche Kritik im Schrifttum, gegenteilige Auffassung eines anderen ArbG in einem identischen Fall). In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass der Prüfer bzw. die zuständige Finanzbehörde (§ 195 AO, Rz. 1.117) bei der Tatsachenermittlung gezwungen sein kann, außersteuerliche Rechtsfragen zu beantworten (z.B. Entscheidung zur zivil- bzw. arbeitsrechtlichen Frage, ob ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Pensionsleistung besteht). In der Besteuerungspraxis haftet diese Thematik regelmäßig der Überprüfung des Vorliegens von steuerbilanziellen Rückstellungen an (z.B. Pensionsrückstellung, Rückstellung für Umweltrisiken). – Bindung an Rechtsverhältnisse: Ein Betriebsprüfer ist grundsätzlich an ein bestehendes Rechtsverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und einem Dritten gebunden. Dies bedeutet, dass ein Prüfer die Tatsache bzw. das rechtliche Verhältnis (Rz. 1.410, 1.421) „Bestehen eines öffentlich-rechtlichen Vertrags zwischen einer Gemeinde und dem Steuerpflichtigen“ zu berücksichtigen hat. Entsprechendes gilt für behördliche und gerichtliche Akte, durch ein bestehendes Rechtsverhältnis begründet, geändert oder aufgehoben wird (z.B. Ehescheidung durch Gestaltungsurteil). Hervorzuheben ist, dass die Bindung des Prüfers an ein bestehendes Rechtsverhältnis nicht ein diesbezügliches „Prüfungsverbot“ bedeutet. Der Prüfer kann im Rahmen einer Betriebsprüfung das Vorliegen der Voraussetzungen für die Wirksamkeit eines Rechtsverhältnisses, das eine steuererhebliche Tatsache darstellt, überprüfen. Denkbar ist z.B., dass der Prüfer bei der Überprüfung eines Vertragsverhältnisses zu dem Ergebnis kommt, dass das Vertragsverhältnis wegen Vorliegens eines Scheingeschäfts (§ 117 BGB) nicht besteht. Der Steuerpflichtige kann dieser (Prüfer-)Würdigung im Rahmen eines Einspruch- und Klageverfahrens entgegentreten (zum Rechtsschutz s. Rz. 1.807). (cc) Erfahrungssätze

1.420

Erfahrungssätze sind sog. allgemeine Tatsachen oder Erfahrungstatsachen.4 Dies sind einerseits Regeln der allgemeinen Lebenserfahrung, also der Lebenserfahrung, die jedermann gewinnt.5 Andererseits sind dies Regeln einer besonderen Fach- und Sachkunde in Kunst, Wis1 Ausführlich z.B. Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 58 ff. und 65 ff. 2 Angelehnt an Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 58 ff. 3 „Überwindung eines Ressortegoismus“, Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 63; vgl. auch Roser in Gosch, § 88 AO Rz. 13. 4 Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 42; Volquardsen in Schwarz/Pahlke, § 88 AO Rz. 12. 5 Roser in Gosch, § 88 AO Rz. 15.2; Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 20; Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 42; Volquardsen in Schwarz/Pahlke, § 88 AO Rz. 12.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.424 Kap. 1

senschaft, Gewerbe, Handel und Verkehr, die aus der Beobachtung des Lebens und des Tuns und Strebens der Menschen abgeleitet werden oder Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung, einer gewerblichen oder einer künstlerischen Tätigkeit.1 Die Erfahrungstatsachen werden aus Indizien (Rz. 1.411) abgeleitet, um das Vorliegen unmittelbarer (erheblicher) Tatsachen durch den Betriebsprüfer festzustellen. (b) Rechtliche Verhältnisse (aa) Rechtsbeziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und einem Dritten oder einer Sache Neben den tatsächlichen Verhältnissen sind vom Betriebsprüfer auch die rechtlichen Verhältnisse zu prüfen (§ 199 Abs. 1 AO). Diese Prüfung umfasst einerseits die Prüfung von Rechtsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und einem Dritten (z.B. Wirksamkeit eines zivilrechtlichen Vertrags, Rz. 1.422) und andererseits die Prüfung der Auslegung bzw. Anwendung von materiell-steuerrechtlichen Normen (Rechtsfragen, Rz. 1.425).

1.421

Die rechtlichen Verhältnisse i.S.v. § 199 Abs. 1 AO umfassen die Rechtsbeziehungen zwischen dem Steuerpflichtigen und einem Dritten. Z.B. kann bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Ansatz eines steuerbilanziellen Passivpostens (z.B. Verbindlichkeit, Rückstellung, Rechnungsabgrenzungsposten) das Bestehen einer z.B. zivilrechtlichen Schadenersatzverpflichtung des Steuerpflichtigen gegenüber einem Dritten im Zeitpunkt des Bilanzstichtags eine steuerlich maßgebende Tatsache (in Form eines rechtlichen Verhältnisses) sein. Der Prüfer hat nach den Prüfungsgrundsätzen das zivilrechtliche Bestehen der Verpflichtung zu prüfen. Sofern ein Bestehen dieser Verpflichtung offenkundig ist, weil das Bestehen der Verpflichtung bereits durch ein zivilgerichtliches Urteil festgestellt worden ist, kann der Prüfer m.E. vom Vorliegen der Tatsache ausgehen (zur Bindung des Prüfers an behördliche und gerichtliche Entscheidungen Rz. 1.419). Einer Rechtsbeziehung zwischen dem Steuerpflichtigem und einem Dritten kann auch eine öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage zugrunde liegen. Z.B. kann sich eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Steuerpflichtigen aus einem Verwaltungsakt (z.B. gerichtet auf Zahlung einer Kartellbuße oder auf den Abriss eines Gebäudes) oder einem öffentlich-rechtlichen Vertrag ergeben. Auch eine Rechtsbeziehung, die sich aus ausländischem Recht ergibt, ist eine zu prüfende Tatsache.

1.422

Ein rechtliches Verhältnis ist auch die Rechtsbeziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und einer Sache. Fraglich kann im Rahmen einer Betriebsprüfung z.B. sein, ob der Steuerpflichtige am Bilanzstichtag (rechtlicher) Eigentümer einer Maschine war. Eine Beantwortung der Frage setzt eine Prüfung der zivilrechtlichen Rechtslage voraus (§§ 929 ff. BGB).

1.423

In der Besteuerungspraxis wird eine (Über-)Prüfung von Rechtsbeziehungen durch den Betriebsprüfer durch Hinzuziehung bzw. Einschaltung behördeninterner Spezialisten erfolgen, wenn die Überprüfung der Rechtsbeziehung Sonderwissen voraussetzt. In Betracht kommt auch die Einschaltung externer Spezialisten als Gutachter, wenn auf andere Weise eine Prüfung nicht möglich ist (z.B. Einholung eines Gutachtens zur Klärung der Frage, ob ein Darlehensvertrag, der nach ausländischem Recht geschlossen worden ist, wirksam ist).

1.424

1 Roser in Gosch, § 88 AO Rz. 15.2; Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 20; Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 42; Volquardsen in Schwarz/Pahlke, § 88 AO Rz. 12.

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Kap. 1 Rz. 1.425 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

(bb) Rechtsfragen zur Auslegung und Anwendung materiell-steuerrechtlicher Normen

1.425

Der Gegenstand der Betriebsprüfung ist nach § 199 Abs. 1 AO die Prüfung bestimmter1 Besteuerungsgrundlagen bei einem Steuerpflichtigen, d.h., die Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen „Sachverhaltskomponenten“, deren Vorliegen eine Steuerfolge (Rz. 1.408) auslösen könnte. Gegenstand der Betriebsprüfung ist lediglich die Ermittlung des Sachverhalts. Die Entscheidung über die Auslegung bzw. Anwendung einer Steuernorm unter Berücksichtigung dieser Norm anhaftender Rechtsfragen und unter Zugrundelegung des durch die Betriebsprüfung ermittelten Sachverhalts ist zwar Aufgabe des Innendienstes bzw. der Veranlagungsstelle. Um zu bestimmen, ob eine Tatsache steuerlich maßgebend sein kann ist allerdings eine Meinungsbildung durch den Prüfer – unter Berücksichtigung einer Verwaltungsauffassung in Form von Steuerrichtlinien, BMF-Schreiben, Verfügungen, Kurz-Informationen etc. – hinsichtlich der Anwendung der entsprechenden Steuernorm erforderlich.

1.426

Bei z.B. der Prüfung, ob ein Abzug von Darlehenszinsen beim Steuerpflichtigen wegen Vorliegens einer Überentnahme nach § 4 Abs. 4a EStG (anteilig) ausgeschlossen ist, sind die steuererheblichen Tatsachen zu ermitteln. Eine Tatsache ist die Höhe des Gewinns i.S.v. § 4 Abs. 4a EStG. Die Rechtsfrage, ob das gesetzliche Merkmal „Gewinn“ i.S.v. § 4 Abs. 4a Satz 2 EStG nur den steuerbilanziellen Gewinn oder ggf. den steuerlichen Gewinn (Steuerbilanzgewinn mit außerbilanziellen Korrekturen) umfasst2, muss der Prüfer für sich beantworten. Denn sofern aus Sicht des Prüfers auch außerbilanzielle Korrekturen für die Tatbestandsmäßigkeit Auswirkung haben, sind auch diesbezügliche Tatsachen zu ermitteln.

1.427

In der Prüfungspraxis wird sich ein Prüfer regelmäßig mit dem Innendienst abstimmen, bevor er Tatsachen mit Blick auf eine Anwendung von mit Rechtsfragen behafteten Steuernormen durchführt. Dies gilt insbesondere, wenn sich in zeitlicher Nähe zu einem Prüfungsbeginn oder während der Durchführung einer Betriebsprüfung der BFH im Rahmen einer Entscheidung abweichend zur Verwaltungsauffassung zu bestimmten Rechtsfragen äußert (z.B. dürften die Entscheidungen des BFH zur Auslegung von § 6a GrEStG3 eine Auswirkung auf die Ausgestaltung einer Betriebsprüfung zum Vorliegen der Voraussetzungen der Norm haben). (3) Begrenzung der Ermittlung auf das Wesentliche

1.428

Der sachliche Umfang der Betriebsprüfung, der in § 199 Abs. 1 AO auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind (Besteuerungsgrundlagen), beschränkt ist (Rz. 1.408), wird in § 7 BpO (zur BpO Rz. 1.43) konkretisiert. Danach ist die Betriebsprüfung auf „das Wesentliche“ abzustellen (§ 7 Satz 1 BpO). Die Prüfung hat sich „in erster Linie auf solche Sachverhalte zu erstrecken, die zu endgültigen Steuerausfällen oder Steuererstattungen oder -vergütungen oder zu nicht unbedeutenden Gewinnverlagerungen führen können“ (§ 7 Satz 3 BpO). M.E. handelt es sich im Ergebnis nicht um eine Konkretisierung der Regelung in § 199 Abs. 1 AO, sondern um eine weitere Begrenzung des sachlichen Umfangs einer Betriebsprüfung. Nach dem Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG) und der Selbstbindung der Verwaltung kann der Steuerpflichtige aus der Regelung in § 7 BpO einen Anspruch auf Gleichbehandlung ableiten (Rz. 1.45).

1.429

Eine Begrenzung auf das Wesentliche erfolgt in der Besteuerungspraxis durch die Bildung von Prüfungsschwerpunkten zu Sachverhalten, die endgültige Steuerausfälle zur Folge haben kön1 Umfang der Prüfung ist regelmäßig durch die Prüfungsanordnung begrenzt (Rz. 1.298). 2 Dazu z.B. von Freeden, FR 2020, 615. 3 BFH v. 21.8.2019 – II R 15/19, BStBl. II 2020, 329.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.431 Kap. 1

nen. Eine diesbezügliche „Soll-Anweisung“ enthalten die Ländererlasse zur Rationalisierung der Betriebsprüfung (Ziff. 4.1 mit Verweis auf § 7 BpO1; zu den Rationalisierungserlassen Rz. 1.50). In den Erlassen werden folgende Bereiche genannt: – Vollständigkeit der Betriebseinnahmen – ungeklärter Vermögenszuwachs – Abgrenzung Betriebsvermögen/Privatvermögen, Betriebseinnahmen/Einlagen, Betriebsausgaben/Entnahmen – Verträge zwischen nahestehenden Personen – Auslandsbeziehungen – Investitionszulagen/Sonderabschreibungen – Gesellschaftsverhältnisse (z.B. Änderung der Beteiligungsverhältnisse, Wechsel der Unternehmensform, Betriebsaufspaltung, Verträge mit Gesellschaftern) – Betriebserwerb, -umwandlung, -verpachtung, -aufgabe, -veräußerung – Anpassung der Firmensteuerbilanz an die letzte Bp-Steuerbilanz – Grundstückskäufe und -verkäufe, Nutzungsänderungen bei Grundstücken – Finanzanlagen, Beteiligungen, Wertpapiere – Bewertung – Prüfung wesentlicher nichtbetrieblicher Einkünfte – Umsatzsteuer (z.B. Differenzen vorangemeldeter/erklärter Umsätze, Vorsteuerabzug, § 15a UStG, Ausfuhrlieferungen, innergemeinschaftliche Lieferungen, innergemeinschaftlicher Erwerb) Die folgenden Bereiche sind erfahrungsgemäß auch regelmäßig Gegenstand einer Schwerpunktprüfung:

1.430

– Ertrag- und/oder umsatzsteuerliche Organschaft – Rückstellungen – Altersvorsorgeaufwendungen (einschließlich Pensionsrückstellungen) – Verrechnungspreise (dazu Rz. 7.1) – Kapitalertragsteuerabzug (§ 50a EStG) Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung soll ein Anspruch auf Einhaltung der Prüfungsfelder durch einen Steuerpflichtigen nicht bestehen.2 Dieser Auffassung ist im Grundsatz zuzustimmen, zumal aus der Formulierung in § 7 BpO („[...] in erster Linie [...]) und in den Erlassen (Ziffer 4.1 [...] Betriebsprüfung soll insbesondere durch [...]) folgt, dass es sich nicht 1 In den Rationalisierungserlassen wird auf § 6 BpO verwiesen. Die Regelung in § 6 BpO wurde im Rahmen der Änderung der BpO v. 15.3.2000, BStBl. I 368 in § 7 BpO verschoben, so dass diese Norm nunmehr die zutreffende Bezugsnorm ist. 2 Intemann in Koenig3, § 199 AO Rz. 8; Rüsken in Klein15, § 199 AO Rz. 1; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 14; Seer in Tipke/Kruse, § 199 AO Rz. 7.

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1.431

Kap. 1 Rz. 1.431 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

um eine abschließende Aufzählung handelt. Ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Einhaltung von bestimmten Prüfungsfeldern könnte sich allerdings ergeben, wenn z.B. die Prüfungsschwerpunkte bei Mitbewerbern des Steuerpflichtigen auf Dauer „zu Lasten“ des Steuerpflichtigen von den Prüfungsschwerpunkten beim Steuerpflichtigen abweichen. (4) Begrenzung der Dauer der Prüfung auf das notwendige Maß

1.432

Der zeitliche Umfang der Betriebsprüfung wird in § 7 Satz 2 BpO (zur BpO Rz. 1.43) eingegrenzt. Danach ist ihre „Dauer [...] auf das notwendige Maß zu beschränken“. Eine Betriebsprüfung stellt für den Steuerpflichtigen regelmäßig eine zusätzliche Arbeitsbelastung dar, die mit zusätzlichem Aufwand (z.B. Berateraufwand, Lohnaufwand etc.) verbunden ist. Die Bestimmung der zeitlichen Begrenzung der Dauer der Prüfung als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes berücksichtigt dies.

1.433

Bei der Bestimmung des zeitlich notwendigen Maßes der Prüfungsdauer sind Verhältnisse zugrunde zu legen, die aus Sicht eines objektiven Betrachters als üblich bzw. angemessen bezeichnet werden können. Dabei hat die Finanzbehörde unter Berücksichtigung der Sicherstellung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung einen weiten Ermessensspielraum. Hinzu kommt, dass die Dauer der Prüfung stets auch eine Mitwirkung des Steuerpflichtigen voraussetzt (§ 200 AO, Rz. 1.525), die sich regelmäßig auf die Dauer der Prüfung auswirkt. Stellt ein Steuerpflichtiger z.B. Informationen, die vom Prüfer angefordert worden sind, erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung zur Verfügung (z.B. ist der zuständige Mitarbeiter der Steuerpflichtige langfristig erkrankt), so ist diese Tatsache bei der Prüfung einer Verletzung von § 7 BpO zu berücksichtigen.

1.434

Eine angemessene Prüfungsdauer setzt auf Seite der Finanzbehörde z.B. das Folgende voraus: – Sorgfältige Vorbereitung der Prüfung durch die Finanzbehörde – ggf. Einsatz mehrerer Prüfer (Prüferteam) – Einsatz einer Prüfungsmethode, deren Dauer – bei Vorliegen mehrerer in gleicher Weise geeigneter Methoden – am kürzesten ist

1.435

Eine Erkrankung des Prüfers oder der Urlaub des Prüfers können u.E. keine Überschreitung des zeitlich notwendigen Maßes einer Betriebsprüfung zur Folge haben. bb) Rechtsschutz

1.436

Für die Rechtsschutzmaßnahmen wird auf Rz. 1.807 verwiesen. c) Neutralitätsgebot aa) Inhalt

1.437

Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen hat der Betriebsprüfer nach § 199 Abs. 1 AO „zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen“ zu prüfen. Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt ein Neutralitäts- bzw. Objektivitätsgebot für den Prüfer. Dieses Gebot entspricht inhaltlich den allgemeinen Besteuerungsgrundsätzen, wonach die Finanzbehörden u.a. sicherzustellen haben, dass Steuern nicht zu Unrecht erhoben sowie Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht versagt werden (§ 85 Abs. 1 Satz 2 AO). Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) liegt dem Gebot zugrunde. 110 | von Freeden

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.440 Kap. 1

Das Neutralitätsgebot wirkt auf das Verhalten des Prüfers im Rahmen der Betriebsprüfung gegenüber dem Steuerpflichtigen. Ein Prüfer ist als Vertreter des Staates zu Objektivität und Neutralität verpflichtet, er handelt nicht als „Geldeintreiber“. Diese Verpflichtung muss seinen Prüfungsstil prägen.1 Dieser Stil ist nach Assmann2 durch z.B. folgende Verhaltensweisen gekennzeichnet:

1.438

– Verständnis des Prüfers für Schutzverhalten, Schutzbehauptungen und Abwehrtechniken des Steuerpflichtigen, – Prüfer sollte sich bei einem gedanklichen „Rollentausch“ mit dem Steuerpflichtigen stets als objektiver Vertreter der Finanzbehörde akzeptieren, – Unterlassen von Äußerungen oder Verhaltensweisen gegenüber dem Steuerpflichtigen, die Neidgefühle, übertriebenen Ehrgeiz oder fachliche Überlegenheit signalisieren, – Offenes und transparentes Handeln, so dass der Steuerpflichtige nachvollziehen kann, was gerade abläuft, – Auskünfte erteilen und Ratschläge erteilen (§ 89 AO). Umstritten ist, ob ein Prüfer bzw. die zuständige Behörde das Neutralitätsgebot verletzt, wenn er bzw. die Behörde sich beim Vorgehen von der Erzielung von Mehrergebnissen leiten lässt. Nach einer Auffassung ist dies nicht der Fall.3 Danach soll z.B. keine Verletzung des Neutralitätsgebots vorliegen, wenn ein Prüfer z.B. Prüffelder auswählt, denen erfahrungsgemäß Mehrergebnisse anhaften. Die Finanzverwaltung könne sich bei Auswahl des Prüfungssubjekts auch von fiskalischen Erwägungen leiten lassen4, so dass einem entsprechenden Prüferhandeln keinen Bedenken entgegenstünden. Nach einer anderen Ansicht, der m.E. zuzustimmen ist, soll dagegen eine Verletzung des Neutralitätsgebots vorliegen, wenn z.B. auf Mehrergebnisse ausgerichtete Zielvereinbarungen zwischen Behördenleitung und Prüfer vereinbart werden.5 Nach dieser Sichtweise ist ein Prüferhandeln, dass ausschließlich auf die Erzielung eines steuerlichen Mehrergebnisse gerichtet ist, ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot.

1.439

bb) Rechtsschutz Ein Steuerpflichtiger kann bei (einer aus seiner Sicht vorliegenden) Verletzung des Neutralitätsgebots eine Gegenvorstellung und/oder eine Dienstaufsichtsbeschwerde erheben. Rz. 1.822, 1.825. Die Tatsache, dass der Steuerpflichtige über keine weiteren Rechtsschutzmöglichkeiten verfügt, stehen nach ganz herrschender Auffassung keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen.6

1 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 199 AO Rz. 2b f; Roser in Gosch, § 88 AO Rz. 6.1; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 18; vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 199 AO Rz. 12 mit Hinweis auf und Zustimmung zu Assmann, StBp 1993, 25. 2 Assmann, StBp 1993, 25. 3 Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 16. 4 Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 16 und § 193 AO Rz. 113. 5 Seer in Tipke/Kruse, § 199 AO Rz. 5; wohl auch Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 199 AO Rz. 4. 6 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 199 AO Rz. 4; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 17; Seer in Tipke/Kruse, § 199 AO Rz. 5.

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1.440

Kap. 1 Rz. 1.441 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

2. Einzelne Ermittlungsmaßnahmen a) Allgemeines

1.441

Das Ziel einer Betriebsprüfung, die Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen (§ 194 Abs. 1 Satz 1 AO), setzt voraus, dass der Prüfer über entsprechende „Ermittlungsinstrumente“ verfügt. Durch den Einsatz dieser Instrumente im Rahmen der Betriebsprüfung wird das Prüfungsziel erreicht. Die möglichen Prüfungsmaßnahmen eines Prüfers können u.a. nach ihrer technischen Umsetzung unterschieden werden. Danach stehen den Prüfungsmaßnahmen, die auf herkömmliche „analoge“ Weise umgesetzt werden (z.B. Anhörung, Sichtung von Unterlagen, Befragung von Angestellten des Steuerpflichtigen), die „digitalen“ Maßnahmen gegenüber (z.B. Datenzugriff auf das Rechnungswesen des Steuerpflichtigen; zur digitalen Betriebsprüfung Rz. 2.1).

1.442

Die Prüfungsmaßnahmen müssen auf die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, also die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen gerichtet sein (§ 199 Abs. 1 AO; Rz. 1.408; zum Neutralitätsgebot des Prüfers Rz. 1.437). Dabei werden regelmäßig nicht sämtliche Besteuerungsgrundlagen des Steuerpflichtigen geprüft, sondern im Vorfeld von der Finanzbehörde festgelegte Prüffelder (sog. Schwerpunkprüfung). In der Prüfungspraxis kann es zielführend sein, wenn ein Steuerpflichtiger bereits vor Beginn der Prüfungsmaßnahmen die entsprechenden Materialen bzw. Informationen (z.B. Vertrag, Rückstellungsberechnung) zusammenstellt, um eine effiziente Durchführung und somit eine zeitnahe Beendigung der Prüfung zu unterstützen (zur Vorbereitung auf die Prüfung Rz. 1.46).

1.443

Die Vornahme einer Prüfungsmaßnahme ist i.d.R. ein Eingriff in die Grundrechte des Steuerpflichtigen. Deshalb ist eine Prüfungsmaßnahme nur zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgt (zu den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen, Rz. 1.525). Die gesetzlichen Grundlagen für die Vornahme einer Prüfungsmaßnahme finden sich einerseits in den allgemeinen Verfahrensvorschriften (z.B. § 90 AO) und den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei der Durchführung der Besteuerung (z.B. § 147 Abs. 6 AO, Rz. 1.513; zu den Rechtsgrundlagen der Betriebsprüfung Rz. 1.30). Darüber hinaus sind die besonderen Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei einer Betriebsprüfung (§ 200 AO, Rz. 1.525) die Rechtsgrundlage für die Vornahme einer Prüfungsmaßnahme. Die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsmaßnahme setzt weiterhin voraus, dass sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Die einzelne Maßnahme muss danach geeignet, erforderlich und mit Blick auf das Ziel auch angemessen sein.

1.444

Aus Sicht eines Prüfers stellt sich die Frage, ob (und ggf. auf welche Weise) eine bestimmte Prüfungsmaßnahme gegen den Willen des Steuerpflichtigen durchgesetzt werden kann. Weiterhin stellt sich aus Prüfersicht die Frage, welche Auswirkungen sich auf das Ermittlungsergebnis ergeben, wenn der Steuerpflichtige nicht kooperiert (z.B. stellt der Prüfer eine Frage zu einer Sachverhaltskomponente, der Steuerpflichtige verweigert jedoch die Auskunft oder erteilt eine „unzureichende“ Auskunft; dazu nachstehend „Durchsetzung durch den Prüfer“). Aus Sicht des Steuerpflichtigen ist mit Blick auf eine Prüfungsmaßnahme fraglich, ob (und ggf. auf welche Weise) er die Vornahme einer Prüfungsmaßnahme oder die Verwertung ihres (Ermittlungs-)Ergebnisses verhindern kann (dazu nachstehend „Rechtsschutz“; allgemein zum Rechtsschutz in der Betriebsprüfung Rz. 1.807).

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.447 Kap. 1

b) Einholung von Auskünften aa) Inhalt (1) Auskunftsgegenstand und -form Der Prüfer kann vom Auskunftsverpflichteten (Rz. 1.449) Auskünfte zum Sachverhalt, also zu den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen beim Steuerpflichtigen (Rz. 1.410), einholen (§ 200 Abs. 1 Satz 2, § 92 Satz 2 Nr. 1, § 93 Abs. 3 AO). Eine Rechtsfrage kann nicht Gegenstand einer Auskunft sein. Die Auskunft des Verpflichteten muss geeignet, erforderlich und zumutbar sein.1 Eine Auskunft ist geeignet, wenn durch sie das Ziel, einen bestimmten Sachverhaltskomplex aufzuklären, erreicht werden kann. Dies setzt voraus, dass der Prüfer sein Ermittlungsziel im Rahmen des Auskunftsverlangens offenlegt. Ein Auskunftsverlangen „ins Blaue hinein“, also eine BP-Anfrage ohne konkretes Ermittlungsziel, ist rechtwidrig.2 Erforderlich ist die Auskunft, wenn dem Prüfer keine andere Maßnahme, die für den Steuerpflichtigen weniger belastend ist, zur Verfügung steht (z.B. Nachfrage im Innendienst, Akteneinsicht, Einsicht in vorliegende Dokumente). Ein Auskunftsverlagen, das auf die Ermittlung eines Sachverhalts gerichtet ist, der nicht steuererheblich (Rz. 1.408) ist, ist rechtswidrig (z.B. Auskunftsverlangen eines Prüfers dahingehend, ob vorhandene Liquidität zukünftig entnommen werden soll).3

1.445

Der Erteilung einer Auskunft durch den Verpflichteten geht regelmäßig eine Frage des Prüfers voraus (sog. Betriebsprüfer-Anfrage, kurz „BP-Anfrage“). Die BP-Anfrage kann mündlich oder schriftlich gestellt werden. Die Anfrage kann auch in ein IT-BP-Tool „eingestellt“ werden, auf das Auskunftsverpflichtete und der Prüfer zugreifen können. Einen Anspruch auf Schriftform der BP-Anfrage hat der Steuerpflichtige zwar nicht (§ 93 Abs. 2 Satz 2 AO ist nach § 200 Abs. 1 Satz 4 AO im Rahmen einer Betriebsprüfung nicht anwendbar). Da es sich bei der BP-Anfrage, also bei dem Auskunftsverlagen des Prüfers, um einen Verwaltungsakt (§ 118 AO) handelt4, hat der Steuerpflichtige jedoch einen Anspruch auf schriftliche Bestätigung der BP-Anfrage, wenn hieran ein „berechtigtes Interesse“ besteht und der Steuerpflichtige dies „unverzüglich“ verlangt (§ 119 Abs. 2 Satz 2 AO). Ein berechtigtes Interesse besteht im Rahmen einer Betriebsprüfung m.E., wenn sich die (mündliche) BP-Anfrage auf einen komplexen Sachverhalt bezieht und eine mündliche Anfrage für den Steuerpflichtigen nicht nachvollziehbar bzw. unverständlich ist. Weiterhin liegt ein berechtigtes Interesse vor, wenn der Steuerpflichtige gegen die BP-Anfrage durch Einspruch (und ggf. Klage) vorgehen will.5 Unverzüglichkeit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige nach Vorliegen einer BP-Anfrage ohne schuldhaftes Zögern sein Begehren geltend macht (vgl. § 121 Abs. 1 BGB). Dies ist m.E. zumindest dann erfüllt, wenn ein Steuerpflichtiger innerhalb eines Monats nach Zugang der BPAnfrage eine schriftliche Bestätigung des Prüfers anfordert.6

1.446

Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung ist mit ordnungsgemäßer Erteilung der Auskunft durch den Verpflichteten erfüllt. Dies setzt voraus, dass der Auskunftsverpflichtete die Aus-

1.447

1 Vgl. BFH v. 29.10.1986 – VII R 82/85, BStBl. II 1988, 359; BFH v. 24.10.1989 – VII R 1/87, BStBl. II 1990, 198; Rätke in Klein15, § 92 AO Rz. 2 und § 93 AO Rz. 20; Rüsken in Klein15, § 200 AO Rz. 2. 2 BFH v. 23.10.1990 – VIII R 1/86, BStBl. II 1991, 277; BFH v. 12.5.2016 – II R 17/14, BStBl. II 2016, 822; AEAO zu § 93, Tz. 1.1. 3 Vgl. BFH v. 29.7.2015 – X R 4/14, BStBl. II 2016, 135; AEAO zu § 93, Tz. 1.1.1. 4 Überblicksartig Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 6; vgl. auch Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 200 AO Rz. 17 f.; Rüsken in Klein15, § 200 AO Rz. 6; Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 17. 5 Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 42; Seer in Tipke/Kruse, § 119 AO Rz. 13, § 200 AO Rz. 7. 6 Vgl. aber restriktiver Fritsch in Koenig3, § 119 AO Rz. 28; Güroff in Gosch, § 119 AO Rz. 36; Söhn in HHSp, § 119 AO Rz. 271.

von Freeden | 113

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Kap. 1 Rz. 1.447 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

kunft wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen erteilt hat (§ 93 Abs. 3 Satz 1 AO). Dabei muss er sich im Zweifel vor Erteilung der Auskunft unter Heranziehung der ihm zur Verfügung stehenden Informationen (Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden) entsprechende Kenntnisse verschaffen (§ 93 Abs. 3 Satz 2 AO). Eine Auskunftserteilung kann danach eine (der Auskunftserteilung vorangehende) interne Recherche des Verpflichteten voraussetzen.

1.448

Die Auskunft kann zwar grundsätzlich mündlich, fernmündlich, schriftlich oder elektronisch erteilt werden (§ 93 Abs. 4 Satz 1 AO). Bei der Nutzung eines IT-BP-Tools kann die Antwort auch mittels Erfassung der Auskunft in das Tool erteilt werden. Der Prüfer kann jedoch auf eine schriftliche Auskunft bestehen, wenn dies sachdienlich ist (§ 93 Abs. 4 Satz 2 AO). Die Voraussetzung der Sachdienlichkeit ist im Rahmen einer Betriebsprüfung m.E. nur gegeben, wenn eine mündliche Auskunft des Auskunftsverpflichteten nicht auch geeignet ist, den Sachverhaltskomplex darzustellen (z.B. spricht der Steuerpflichtige kein Deutsch). Eine Ansicht, dass Sachdienlichkeit bereits vorliegt, weil eine schriftliche Auskunft wegen der Möglichkeit, diese aktenkundig zu machen ggf. „beweiskräftiger“ ist, ist abzulehnen.1 Denn nach dieser Sichtweise könnte ein Prüfer über das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen des Merkmals entscheiden, die gesetzliche Voraussetzung der Sachdienlichkeit wäre keine Hürde. In der Prüfungspraxis kann eine schriftliche Auskunftserteilung bei komplexen Sachverhalten für den Steuerpflichtigen und seinen Berater allerdings häufig vorteilhaft sein. Erfahrungsgemäß ist der Grad der Sorgfalt bei einer schriftlichen Auskunftserteilung im Vergleich zu einer mündlichen Auskunftserteilung (die ggf. schriftlich protokolliert wird, § 93 Abs. 6 Satz 1 AO) höher. Darüber hinaus werden im Fall einer schriftlichen Auskunft Missverständnisse, die aus einer mündlichen Kommunikation resultieren können, minimiert. Letztlich hat eine schriftliche Auskunftserteilung eine Dokumentation der Prüfungsmaßnahme zur Folge, die im Fall einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme hilfreich sein kann. (2) Auskunftsverpflichteter (a) Steuerpflichtiger

1.449

Ein Steuerpflichtiger als natürliche Person (z.B. Einzelunternehmer) ist der Auskunftsverpflichtete; Auskunftsverpflichteter und Adressat der Prüfungsanordnung (Rz. 1.273) sind identisch. Die Personen, die der Steuerpflichtige zu Beginn oder während der Prüfung als Auskunftspersonen benannt hat, sind neben dem Steuerpflichtigen Auskunftsverpflichtete (§ 8 Abs. 1 BpO und § 200 Abs. 1 Satz 3 AO; z.B. Steuerberater).

1.450

Handelt es sich bei dem Steuerpflichtigen um eine Personen- oder Kapitalgesellschaft, sind der Komplementär (vertreten durch seine gesetzlichen Vertreter) bzw. die gesetzlichen Vertreter (Geschäftsführer, Vorstand) und die Auskunftspersonen i.S.v. § 8 Abs. 1 BpO (z.B. Leiter der Steuerabteilung) die Auskunftsverpflichteten. (b) Betriebsangehörige

1.451

Weitere Auskunftsverpflichtete können die (anderen) Betriebsangehörigen des Steuerpflichtigen sein (§ 8 Abs. 2 BpO; § 200 Abs. 1 Satz 3 AO). In der Prüfungspraxis wird es sich bei 1 Nach Auffassung von Schuster rechtfertige die Einholung einer schriftlichen Auskunft die Tatsache, dass die Erteilung einer schriftlichen Auskunft diese aktenkundig und danach beweiskräftiger macht, Schuster in HHSp, § 93 AO Rz. 43.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.454 Kap. 1

diesen Personen zwar häufig um Arbeitnehmer des Steuerpflichtigen handeln. Die Arbeitnehmer-Eigenschaft einer Person ist jedoch nicht Voraussetzung für eine Betriebsangehörigkeit i.S.v. § 200 Abs. 1 Satz 3 AO.1 Entscheidend ist, dass die Person aus Sicht eines objektiven Betrachters zum Betrieb des Steuerpflichtigen gehört bzw. in den geschäftlichen Ablauf einbezogen ist. Danach können z.B. auch Personen, die auf der Grundlage eines Werkvertrags, eines Geschäftsbesorgungsvertrags oder als Arbeitnehmer eines Dritten (Subunternehmer des Steuerpflichtigen) für den Steuerpflichtigen tätig werden, Betriebsangehörige und Auskunftsverpflichtete sein. Die Rechtmäßigkeit eines Auskunftsverlangens des Prüfers gegenüber einem Betriebsangehörigen setzt zunächst voraus, dass der Steuerpflichtige hierüber vorher informiert wird.2 Der Steuerpflichtige muss die Möglichkeit haben, die angeforderte Auskunft selbst zu geben. Denn Voraussetzung für die Einholung einer Auskunft von einem Betriebsangehörigen ist (§ 200 Abs. 1 Satz 3 AO), dass

1.452

– der Steuerpflichtige (bzw. dessen gesetzliche Vertreter) oder seine Auskunftspersonen nicht in der Lage sind, Auskünfte zu erteilen (z.B. ist dem Steuerpflichtigem der Sachverhalt nicht bekannt), – die Auskünfte des Steuerpflichtigen oder seiner Auskunftspersonen unzureichend sind (z.B. hat Steuerpflichtiger keine Detailkenntnisse zu einem Sachverhalt) oder – die Auskünfte des Steuerpflichtigen oder seiner Auskunftspersonen keinen Erfolg versprechen (z.B. ist dem Prüfer bekannt, dass der Steuerpflichtige nicht persönlich mit dem Sachverhalt, der Gegenstand der Ermittlung ist, befasst war). Liegt keine der Voraussetzungen vor, ist die Einholung einer Auskunft eines Betriebsangehörigen durch den Prüfer rechtswidrig. Nach herrschender Auffassung hat der Steuerpflichtige das Recht, an der Befragung des Betriebsangehörigen teilzunehmen.3 Dieses Recht kann ausnahmsweise nicht bestehen, wenn eine Beeinflussung des Betriebsangehörigen wahrscheinlich ist.4 Im Übrigen ist dem Steuerpflichtigen das Ergebnis der Befragung mitzuteilen oder eine Kopie des Protokolls zuzuleiten (§ 93 Abs. 6 Satz 4 AO).

1.453

(c) Dritte (aa) Voraussetzungen für Auskunftsverlangen Neben dem Steuerpflichtigen (Rz. 1.449) und seinen Betriebsangehörigen (Rz. 1.451) können auch Dritte Auskunftsverpflichtete sein (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO). In diesem Fall ist der Adressat des Auskunftsverlangens der Dritte, Gegenstand des Auskunftsverlangens bleibt ein steuererheblicher Sachverhalt aus dem Bereich des Steuerpflichtigen. Dritte können natürliche und juristische Personen des privaten Rechts (z.B. Geschäftspartner des Steuerpflichtigen, Bank) und des öffentlichen Rechts (z.B. Behörde) sein.

1 Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 25; Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 18. 2 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 200 AO Rz. 14a; Rüsken in Klein15, § 200 AO Rz. 12; Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 26. 3 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 200 AO Rz. 15; Schallmoser in HHSp, § 200 Rz. 26; Seer in Tipke/ Kruse, § 200 AO Rz. 20; a.A. Wenzig, StuW 1983, 242 (254). 4 Schallmoser in HHSp, § 200 Rz. 27; Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 20; Wenzig, StuW 1983, 242 (253).

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1.454

Kap. 1 Rz. 1.455 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.455

Im Regelfall hat der Prüfer vor einem Auskunftsverlangen gegenüber einem Dritten den Steuerpflichtigen um Auskunft zu ersuchen.1 Ein Auskunftsverlagen gegenüber einem Dritten ist somit im Grundsatz subsidiär zu dem Auskunftsverlangen gegenüber dem Steuerpflichtigen (Subsidiaritätsprinzip). Eine Ausnahme liegt z.B. vor, wenn der Steuerpflichtige nicht mitwirkt2 oder der Prüfer auf Grund offenkundiger oder konkret nachweisbarer Tatsachen davon ausgehen muss, dass der Versuch der Einholung einer Auskunft vom Steuerpflichtigen erfolglos bleiben wird3. In diesen Ausnahmefällen kann ein Auskunftsverlagen gegenüber einem Dritten ohne vorherige Befragung des Steuerpflichtigen geboten sein.

1.456

Unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips, also nach vorheriger Befragung des Steuerpflichtigen, kann ein Auskunftsverlangen gegenüber einem Dritten geboten sein, wenn der Steuerpflichtige oder seine Betriebsangehörigen keine Angaben zu einem Sachverhalt machen können (z.B. weil sie nicht persönlich bei der Sachverhaltsverwirklichung mitgewirkt haben).4 Dabei soll der Steuerpflichtige nach dem AEAO vor Einholung der „Dritt-Auskunft“, falls der Ermittlungszweck dadurch nicht gefährdet wird, über die Möglichkeit eines Auskunftsersuchens gegenüber dem Dritten informiert werden.5 Ziel ist, dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit zu verschaffen, das Auskunftsverlangen gegenüber dem Dritten abzuwenden (z.B. könnte der Steuerpflichtige selbst eine Auskunft machen oder Urkunden vorlegen, aus denen sich das Ermittlungsziel ergibt).

1.457

Für den Fall, dass mehrere Dritte als Auskunftsverpflichtete in Betracht kommen, hat der Prüfer eine Auswahl nach pflichtgemäßem Ermessen vorzunehmen. Dabei hat er sich von einer Interessenabwägung zwischen den besonderen Belangen, den der Dritte als Auskunftsverpflichteter ausgesetzt ist, und dem Interesse der Allgemeinheit an der Gleichmäßigkeit der Besteuerung leiten zu lassen.6 (bb) Auskunftsverweigerungsrechte Dritter

1.458

Ein Dritter kann das Auskunftsverlangen des Prüfers zurückweisen, wenn ihm ein Auskunftsverweigerungsrecht (§§ 101 bis 103, § 106 AO) zusteht. Ein Auskunftsverweigerungsrecht kann in folgenden Fällen bestehen: – Dritter ist Angehöriger (§ 101 AO): Ein Dritter kann die Auskunft über die steuerlichen Verhältnisse eines Angehörigen i.S.v. § 15 AO verweigern. Der Prüfer hat den Dritten über dieses Recht zu belehren und die Belehrung zu dokumentieren. – Dritter ist Berufsgeheimnisträger (§ 102 AO): Ein Dritter kann die Auskunft verweigern, wenn er im Verhältnis zum Beteiligten bzw. Steuerpflichtigen ein Träger von Berufsgeheimnissen ist. Dies kann der Fall sein, wenn es sich bei dem Dritten um einen Geistlichen, einen Bundestags- oder Landtagsabgeordneten oder einen Journalisten handelt.7 Dies gilt auch, wenn der Dritte eine Hilfsperson eines Berufsgeheimnisträgers ist. Weiterhin gilt dies u.a. für Verteidiger, Rechtsanwälte, Steuerberater und Ärzte8, es sei denn, sie sind von ihrer 1 AEAO zu § 93, Tz. 1.2.2. 2 BFH v. 30.3.1989 – VII R 89/88, BStBl. II 1989, 537. 3 Vgl. BFH v. 29.7.2015 – X R 4/14, BStBl. II 2016, 135; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 200 AO Rz. 14; Intemann in Koenig3, § 200 AO Rz. 37; Schallmoser in HHSp, § 200 Rz. 28. 4 AEAO zu § 93, Tz. 1.2.3. 5 AEAO zu § 93, Tz. 1.2.7. 6 AEAO zu § 93, Tz. 1.2.6. 7 Für die vollständige Aufzählung wird auf § 102 Abs. 1 AO verwiesen. 8 Für die vollständige Aufzählung wird auf § 102 Abs. 1 Nr. 3 AO verwiesen.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.461 Kap. 1

Schweigepflicht entbunden worden. Ein Auskunftsrecht des Dritten besteht nicht, wenn er zu einem Sachverhalt Auskunft erteilen soll, der nicht Gegenstand des Berufsgeheimnisses ist (z.B. Geistlicher soll eine Aussage als Geschäftspartner des Steuerpflichtigen machen, nicht als dessen Seelsorger). – Drittem oder seinen Angehörigen drohen Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit (§ 103 AO): Ein Dritter kann die Auskunft verweigern, wenn die Aussage ihn oder einen Angehörigen i.S.v. § 15 AO der Gefahr aussetzen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Der Prüfer hat den Dritten über dieses Recht zu belehren und die Belehrung zu dokumentieren. – Auskunft des Dritten würde dem Wohl des Bundes oder eines Landes erhebliche Nachteile bereiten (§ 106 AO): Der Prüfer darf keine Auskunft von einem Dritten verlangen, wenn die zuständige oberste Bundes- oder Landesbehörde erklärt, dass die Auskunft dem Wohle des Bundes oder eines Landes erhebliche Nachteile bereiten würde. Ein solcher erheblicher Nachteil soll z.B. vorliegen, wenn Bund, Länder oder Verfassungsorgane in ihrer Existenz oder Sicherheit gefährdet sind, nicht aber bereits bei bloßem Prestigeverlust.1 (cc) Auskunftspflicht öffentlicher Stellen Ein Auskunftsverpflichteter kann auch eine Behörde bzw. eine sonstige öffentliche Stelle sein. Für diese Stellen besteht zwar grundsätzlich eine Verschwiegenheitspflicht, die eine Auskunftserteilung ohne gesetzliche Regelung ausschließt. Eine Auskunftserteilung gegenüber den Finanzbehörden ist allerdings nach § 105 Abs. 1 AO zulässig. Dies gilt jedoch nicht, soweit von einer Auskunftserteilung das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis verletzt würde (§ 105 Abs. 2 AO), d.h., insoweit geht die Schweigepflicht der öffentlichen Stelle einer Auskunftspflicht vor.

1.459

bb) Durchsetzung durch den Prüfer (1) Auskunftseinholung durch Einsatz von Zwangsmittel Die Einholung einer Auskunft vom Steuerpflichtigen, einem Betriebsangehörigen oder einem Dritten setzt eine tatsächliche Mitwirkung des Auskunftsverpflichteten voraus (zu den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen Rz. 1.525). Für den Fall, dass der Auskunftsverpflichtete trotzt gesetzlicher Verpflichtung eine Mitwirkung bei der Auskunftserteilung ablehnt oder tatsächlich nicht mitwirkt, kann der Prüfer (Verwaltungs-)Zwang in Form eines Zwangsgeldes (§ 328 AO) einsetzen, um vom Verpflichteten eine Auskunft zu erhalten.2

1.460

Das einzelne Zwangsgeld darf € 25.000 nicht übersteigen (§ 329 AO). Es ist unter Angabe der Höhe vor seiner Festsetzung schriftlich von der Finanzbehörde anzudrohen (§ 332 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 AO). Dabei ist dem Auskunftsverpflichteten eine angemessene Frist einzuräumen, innerhalb der er die Auskunft (noch) erteilen kann, um eine Festsetzung des Zwangsgeldes zu vermeiden (§ 332 Abs. 1 Satz 3 AO).

1.461

1 Wünsch in Koenig3, § 106 AO Rz. 3; so auch Seer in Tipke/Kruse, § 106 AO Rz. 1. 2 Zum Einsatz von Zwangsmitteln bei unzureichender Mitwirkung des Beteiligten, AEAO zu § 200, Tz. 1; vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 44; Schallmoser in HHSp, § 200 Rz. 112.

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Kap. 1 Rz. 1.462 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

(2) Schätzung der Besteuerungsgrundlagen bei Erfolglosigkeit des Zwangsmittels

1.462

Erteilt der Auskunftsverpflichtete die Auskunft trotz Festsetzung eines Zwangsgeldes nicht oder verzichtet der Prüfer nach pflichtgemäßem Ermessen auf die Durchsetzung der Auskunftsverpflichtung mittels Zwangsgelds, darf er (auch ohne vorherige Zwangsanwendung) die Besteuerungsgrundlagen schätzen (zur Schätzung Rz. 1.554). Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ist dabei kein Zwangsmittel – auch wenn sie vom Steuerpflichtigen erfahrungsgemäß als ein solches empfunden wird –, sondern ein Instrument der Steuerfestsetzung.1 Der Steuerpflichtige hat es durch seine Mitwirkung in der Hand, eine Schätzung zu verhindern. cc) Rechtsschutz

1.463

Das Auskunftsverlagen des Prüfers ist ein Verwaltungsakt (Rz. 1.816), der vom Auskunftsverpflichteten mittels Einspruch (§ 347 AO) und (Anfechtungs-)Klage (§ 40 Abs. 1 FGO) angefochten werden kann. Einspruchsführer bzw. Kläger ist derjenige, der Adressat des Auskunftsverlangens ist (Steuerpflichtiger, Betriebsangehöriger, Dritter; Rz. 1.449, 1.451, 1.454). Ziel des Einspruchs bzw. der Klage ist die Aufhebung des Verwaltungsaktes, der auf Erteilung der Auskunft durch den Auskunftsverpflichteten gerichtet ist. Der Erfolg eines Einspruchs bzw. einer Klage setzt voraus, dass das Auskunftsverlangen nichtig (§ 125 AO) oder (zumindest) rechtswidrig ist.

1.464

Ein Auskunftsverlangen ist nichtig, soweit es an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (§ 125 Abs. 1 AO). Es kann sich um verfahrensrechtliche oder materiell-rechtliche Fehler handeln. Ein Auskunftsverlangen ist z.B. nichtig, wenn es auf ein nicht existierendes oder nicht bestimmbares Grundstück gerichtet ist.2

1.465

Rechtwidrig ist ein Auskunftsverlangen, wenn es zwar nicht nichtig ist, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Auskunftspflicht des Adressaten aber nicht vorliegen. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn es auf einen steuerlich unerheblichen Sachverhalt gerichtet ist (Rz. 1.408), die Auskunft tatsächlich nicht erforderlich war oder ein Auskunftsverweigerungsrecht vorlag (Rz. 1.458). Dabei ist mit Blick auf bestimmte Verfahrens- und Formfehler (z.B. fehlende Begründung zum Auskunftsverlangen § 121 Abs. 1 AO) zu berücksichtigen, dass diese – sofern sie nicht eine Nichtigkeit des Auskunftsverlangens (§ 125 AO) zur Folge haben (Rz. 1.464) – noch bis zur finalen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit nachgeholt werden können (§ 126 AO). Darüber hinaus ist die Aufhebung des Auskunftsverlangens ausschließlich wegen einer Verletzung von Verfahrens- und Formfehlern ausgeschlossen, wenn keine andere Entscheidung in der Sache (Verlangen einer Auskunft) hätte getroffen werden können (§ 127 AO).

1.466

Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes kann der Adressat des Auskunftsverlangens die Aussetzung der Vollziehung des Auskunftsverlangens gegenüber dem Finanzamt oder dem FG geltend machen (§ 361 Abs. 2 Satz 2 AO, § 69 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 FGO).

1 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 13; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 66. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 125 AO Rz. 7.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.471 Kap. 1

c) Einsicht in Urkunden aa) Inhalt (1) Einsichts- und Prüfungsrecht (a) Ergebnisse aus gesetzlicher Aufzeichnungspflicht Dem Prüfer sind auf Anforderung Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen und die zum Verständnis der Aufzeichnungen erforderlichen Erläuterungen zu geben (§ 200 Abs. 1 Satz 2 AO, § 97 Abs. 1 Satz 1 AO). Unstrittig umfasst von der Vorlagepflicht sind Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden, die das Ergebnis einer gesetzlichen Aufzeichnungspflicht des Steuerpflichtigen sind (zu einem Einsichtsrecht in freiwillig erstellten Unterlagen, Rz. 1.472). Konzernunternehmen haben nach dem AEAO auf Anforderung u.a. den Prüfungsbericht des Wirtschaftsprüfers über die Konzernabschlüsse der Konzernmuttergesellschaft, die Richtlinie der Konzernmuttergesellschaft zur Erstellung des Konzernabschlusses und die konsolidierungsfähigen Einzelabschlüsse (sog. Handelsbilanzen II) von in- und ausländischen Konzernunternehmen vorzulegen.1 Die gesetzliche Aufzeichnungspflicht ermöglicht insoweit das Ziel der Betriebsprüfung, u.a. durch Einsicht und Prüfung der Unterlagen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen zu ermitteln.

1.467

Voraussetzung für eine Vorlagepflicht ist eine steuerliche Relevanz der Unterlagen. Dies bedeutet, dass die Unterlagen geeignet sein müssen, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen im Prüfungszeitraum zu ermitteln bzw. zu überprüfen.2 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Unterlagen des Steuerpflichtigen, die unter keinem Gesichtspunkt geeignet sein können, Schlüsse für einen bestimmten steuerlich erheblichen Sachverhalt zu ermitteln, mangels steuerlicher Relevanz nicht vorzulegen sind. Der Prüfer hat im Rahmen seiner Anforderung das Vorliegen einer steuerlichen Relevanz darzulegen.3

1.468

Die Unterlagen müssen sich zwar grundsätzlich unmittelbar auf den Prüfungszeitraum (Rz. 1.307) beziehen, d.h., sie müssen der Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse (Rz. 1.410) des Prüfungszeitraums dienen. Nach der BpO sind allerdings auch Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Unterlagen4 vorzulegen, die nicht unmittelbar den Prüfungszeitraum betreffen, wenn dies zur Feststellung von Sachverhalten des Prüfungszeitraums für erforderlich gehalten wird (§ 8 Abs. 3 BpO). Voraussetzung für eine Vorlagepflicht dieser „Vor- oder Nach-Prüfungszeitraum-Unterlagen“ ist somit, dass sich aus ihnen Schlüsse auf die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen im Prüfungszeitraum ableiten lassen. In Betracht kommen z.B. Bilanzen zum Vor- oder Nachprüfungszeitraum.

1.469

Dem Prüfer sind die Unterlagen grundsätzlich in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen vorzulegen (§ 200 Abs. 2 Satz 1 AO). Für den Fall, dass ein zur Durchführung der Betriebsprüfung geeigneter Geschäftsraum nicht vorhanden ist, sind die Unterlagen dem Prüfer in den Wohnräumen des Steuerpflichtigen oder an Amtsstelle vorzulegen (§ 200 Abs. 1 Satz 2 AO).

1.470

Für den Fall, dass dem Steuerpflichtigen die Unterlagen in der Form einer Wiedergabe auf einem Bildträger oder auf anderen Datenträgern vorgelegt werden, ist der Steuerpflichtige

1.471

1 2 3 4

AEAO zu § 200 Tz. 1. Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 52; Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 9 a.E. Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 52; Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 10. Das Merkmal „andere Unterlagen“, das in der BpO verwendet wird, ist m.E. inhaltlich deckungsgleich mit dem Begriff „andere Urkunden“ aus § 200 Abs. 1 Satz 1 AO.

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Kap. 1 Rz. 1.471 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

verpflichtet, auf seine Kosten dem Prüfer diejenigen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die erforderlich sind, um die Unterlagen lesbar zu machen (§ 97 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 147 Abs. 5 Halbs. 1 AO). Auf Verlangen des Prüfers hat der Steuerpflichtige auf seine Kosten die Unterlagen unverzüglich ganz oder teilweise auszudrucken oder ohne Hilfsmittel lesbare Reproduktionen beizubringen (§ 97 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 147 Abs. 5 Halbs. 2 AO). (b) Ergebnisse aus freiwilliger Aufzeichnungspflicht

1.472

Dem Einsichts- und Prüfungsrecht des Prüfers unterliegen steuerliche relevante Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden, die das Ergebnis einer gesetzlichen Aufzeichnungspflicht des Steuerpflichtigen sind (Rz. 1.467). Offen ist die Frage, ob von der Vorlagepflicht auch Unterlagen umfasst sind, die das Ergebnis einer freiwilligen Aufzeichnung bzw. einer freiwilligen Dokumentation des Steuerpflichtigen sind. Bei diesen Unterlagen kann es sich z.B. um interne Aufzeichnungen und Notizen, Kalkulationen oder um Ergebnisse aus einer Due Diligence handeln. Die Rechtsfrage ist – soweit ersichtlich – höchstrichterlich nicht geklärt.1 Unter Zugrundelegung der Auffassung des BFH zur Vorlage von „freiwillig“ erzeugten Daten könnte das Bestehen einer Vorlagepflicht allerdings zu bejahen sein.2 Der Entscheidung lag eine Erzeugung und Speicherung von Daten durch den Steuerpflichtigen zugrunde, die unstreitig nicht von einer gesetzlichen Aufzeichnungspflicht umfasst waren. Nach Auffassung des Gerichts besteht auch insoweit eine Herausgabepflicht des Steuerpflichtigen. Dieser Sichtweise scheint auch das FG Münster zu folgen.3 Denn nach Auffassung des Gerichts kann ein Vorlageverlangen des Prüfers auch rechtmäßig sein, wenn es sich auf Unterlagen bezieht, für die keine Aufbewahrungspflicht besteht. (c) Vorlageverweigerungsrechte Dritte

1.473

Der Steuerpflichtige hat keine Vorlage- bzw. Mitwirkungsverweigerungsrechte mit Blick auf die eigenen steuerlichen Verhältnisse.

1.474

Dagegen kann ein Dritter das Auskunftsverlangen des Prüfers zurückweisen, wenn ihm ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht. Ein solche Recht kann sich aus den §§ 101 bis 103 und § 106 AO ergeben (dazu Rz. 1.458). (2) Erläuterungspflicht des Steuerpflichtigen

1.475

Dem Prüfer sind die zum Verständnis der Aufzeichnungen erforderlichen Erläuterungen zu geben (§ 200 Abs. 1 Satz 2 AO, § 97 Abs. 1 Satz 1 AO); Voraussetzung ist, dass kein Vorlageverweigerungsrecht besteht (Rz. 1.468). Gegenstand dieser Verpflichtung sind nicht nur Aufzeichnungen, sondern sämtliche Urkunden, die einer Einsichts- und Prüfungspflicht unterliegen.4 Ziel der Erläuterungspflicht ist, dem Prüfer das Verstehen der vorzulegenden Unterlagen zu ermöglichen. Danach muss der Steuerpflichtige z.B. Organigramme, Grafiken, Abkürzungen, Symbole und Ziffern erläutern, deren Bedeutung sich aus der Unterlage nicht (oder nicht eindeutig) ergibt (vgl. § 146 Abs. 3 Satz 2 AO). 1 Dafür: Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 200 AO Rz. 3; Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 49, Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 9; Rüsken in Klein15, § 200 AO Rz. 4. 2 BFH v. 16.12.2014 – X R 29/13. 3 FG Münster v. 18.8.2014 – 6 V 1932/14 AO. 4 Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 60, Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 15; Rüsken in Klein15, § 200 AO Rz. 10.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.480 Kap. 1

bb) Durchsetzung durch den Prüfer Der Prüfer kann ein Einsichts- und Prüfungsrecht durch (Verwaltungs-)Zwang in Form eines Zwangsgeldes (§ 328 AO) durchsetzen. Auf die Darstellung zur Durchsetzung einer Auskunftsverpflichtung wird verwiesen (Rz. 1.460).

1.476

Legt der Vorlageverpflichtete die Unterlagen trotz Festsetzung eines Zwangsgeldes nicht vor oder verzichtet der Prüfer nach pflichtgemäßem Ermessen auf die Festsetzung eines Zwangsgeldes, kommt eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen in Betracht (zur Schätzung Rz. 1.554). Auf die Darstellung zur Durchsetzung einer Auskunftsverpflichtung wird verwiesen (Rz. 1.525).

1.477

cc) Rechtsschutz Das Vorlageverlangen des Prüfers ist ein Verwaltungsakt (Rz. 1.816), der vom Auskunftsverpflichteten mittels Einspruch (§ 347 AO) und (Anfechtungs-)Klage (§ 40 Abs. 1 FGO) angefochten werden kann. Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes kann der Einspruchsführer Aussetzung der Vollziehung geltend machen. Auf die Darstellung zur Durchsetzung einer Auskunftsverpflichtung (Rz. 1.445) und zum Rechtsschutz in der Betriebsprüfung (Rz. 1.807) wird verwiesen.

1.478

d) Hinzuziehung von Sachverständigen aa) Inhalt Der Prüfer kann im Rahmen der Betriebsprüfung einen Sachverständigen hinzuziehen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 AO); in der Prüfungspraxis ist dies die Ausnahme. Der Sachverständige ist Unterstützer bzw. Gehilfe der Finanzbehörde.1 In Betracht kommt die Einschaltung eines Sachverständigen z.B. bei Beurteilung des Vorliegens von Kunst2, der Bewertung von Wirtschaftsgütern oder Unternehmen3, der Aufteilung eines Kaufpreises auf Gebäude und Grund und Boden4, von technischen, physikalischen, chemischen oder medizinischen Sachverhalten (z.B. Vorliegen einer Berufskrankheit5). Keine Hinzuziehung eines Sachverständigen i.S.v. § 96 AO ist die Vorlage eines Privatgutachtens (z.B. zum Nachweis eines niedrigeren Unternehmenswertes für Erbschaftsteuerzwecke; zum Bewertungsrecht Rz. 10.136, zur Erbschaftsteuer Rz. 10.1) oder einer Stellungnahme durch einen Vertreter der Finanzverwaltung oder durch einen Beauftragten des Steuerpflichtigen.6

1.479

Ein Sachverständiger ist eine natürliche Person, die in einem bestimmten Fach- oder Lebensbereich über ein besonderes fachliches Wissen verfügt. Die Person kann auf Grund ihrer besonderen Fach- und Sachkunde besondere Erfahrungssätze liefern.7 Eine Sachverständigen-Eigenschaft setzt nicht voraus, dass die Person öffentlich bestellt ist; eine öffentliche Bestellung hat allerdings zur Folge, dass die Person der Hinzuziehung durch den Prüfer Folge zu leisten hat (§ 96 Abs. 3 AO, Rz. 1.484). Ein Angehöriger des öffentlichen Dienstes kann zwar Sach-

1.480

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Schuster in HHSp, § 96 AO Rz. 51. FG Rh.-Pf. v. 25.3.1993 – 5 K 1211/93, EFG 1993, 674. BFH v. 31.8.1994 – X R 170/93, BFH/NV 1995, 299. Seer in Tipke/Kruse, § 96 AO Rz. 2. BFH v. 26.3.1965 – VI 150/64 U, BFHE 82, 308. Seer in Tipke/Kruse, § 96 AO Rz. 3. Rätke in Klein15, § 96 AO Rz. 1; Seer in Tipke/Kruse, § 96 AO Rz. 5; Wünsch in Koenig3, § 96 AO Rz. 6.

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Kap. 1 Rz. 1.480 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

verständiger sein. Voraussetzung für eine Hinzuziehung ist jedoch, dass die Person eine nach dem Dienstrecht erforderliche Genehmigung erhält (§ 96 Abs. 5 AO).

1.481

Eine Person kann in folgenden Fallgruppen nicht als Sachverständiger hinzugezogen werden: – Person ist ausgeschlossen (§ 82 AO): Eine Person darf im Rahmen der Betriebsprüfung nicht als Sachverständiger für die Finanzbehörde tätig werden, wenn sie selbst Beteiligter ist, Angehöriger eines Beteiligten oder eines Hilfe-in-Steuersachen-Leistenden ist, einen Beteiligten kraft Gesetzes oder Vollmacht vertritt, bei dem Beteiligten beschäftigt bzw. als gesetzlicher Vertreter oder Aufsichtsratsmitglied tätig ist, in der Angelegenheit ein Gutachten abgegeben oder in der Angelegenheit sonst tätig geworden ist. – Person ist befangen (§ 96 Abs. 4, Abs. 2 AO): Zunächst kann die Person selbst die Erstellung eines Sachverständigengutachtens ablehnen, wenn aus ihrer Sicht die Besorgnis einer Befangenheit vorliegt (§ 96 Abs. 4 AO). Eine Besorgnis der Befangenheit liegt vor, wenn Zweifel an der Unparteilichkeit der Person bestehen (§ 96 Abs. 2 Alt. 1 AO), die Verletzung eines Geschäfts- oder Berufsgeheimnisses eines Beteiligten drohen (z.B. ist Sachverständiger ein geschäftlicher Konkurrent des Steuerpflichtigen) oder sich ein Schaden für einen Beteiligten ergeben könnte (§ 96 Abs. 2 AO). – Darüber hinaus kann auch der Steuerpflichtige die Person wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen (§ 96 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Ablehnung ist gegenüber der zuständigen Finanzbehörde (§ 96 Abs. 2 Satz 4 AO) unverzüglich nach Bekanntgabe des Sachverständigen, jedoch spätestens innerhalb von zwei Wochen unter Glaubhaftmachung der Ablehnungsgründe geltenden zu machen (§ 96 Abs. 2 Satz 2 AO). Nach diesem Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn glaubhaft gemacht wird, dass der Ablehnungsgrund vorher nicht geltend gemacht werden konnte (§ 96 Abs. 2 Satz 3 AO). Das Ablehnungsgesuch hat zwar keine aufschiebende Wirkung (§ 96 Abs. 2 Satz 5 AO). Solange über die Ablehnung jedoch nicht entschieden worden ist, darf das Gutachten nicht verwertet werden.1 Gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs ist der Einspruch statthaft (Rz. 1.485). – Person hat ein „Gutachtenverweigerungsrecht“ (§ 104 Abs. 1 AO): Eine Person kann die Erstellung eines Sachverständigengutachtens verweigern, wenn die Voraussetzungen für ein Auskunftsverweigerungsrecht vorliegen. Zu den Voraussetzungen eines Auskunftsverweigerungsrechts Rz. 1.458.

1.482

Die Finanzbehörde bzw. der Prüfer wählt die Person, die Sachverständiger werden soll, aus. Vor Ernennung der Person zum Sachverständigen hat die Behörde den Namen der Person den Beteiligten mitzuteilen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 AO), so dass diese ggf. eine Besorgnis der Befangenheit (Rz. 1.481) geltend machen können. Eine (in der Praxis nicht relevante) Ausnahme von dieser „Vorab-Mitteilungspflicht“ ist das Vorliegen von Gefahr im Verzug (§ 96 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Sachverständige ist von der Finanzbehörde auf die Wahrung des Steuergeheimnisses hinzuweisen (§ 96 Abs. 6 AO).

1.483

Die Finanzbehörde hat dem Sachverständigen den Sachverhalt bzw. die Tatsache mitzuteilen.2 Im Zusammenwirken mit dem Prüfer kann ein Sachverständiger bei einer Einnahme des Augenscheins (Rz. 1.487) hinzugezogen werden (§ 98 Abs. 2 AO) und in diesem Rahmen Grundstücke und Räume des Steuerpflichtigen betreten (§ 99 Abs. 1 AO). Der Sachverständige hat 1 BFH v. 17.2.1987 – IX R 172/84, BStBl. II 1987, 501. 2 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 96 AO Rz. 36; Schuster in HHSp, § 96 AO Rz. 43; Seer in Tipke/ Kruse, § 96 AO Rz. 14.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.485 Kap. 1

sein Ergebnis bzw. seine Ausführungen zum Beweisthema in Form eines (Sachverständigen-) Gutachtens darzulegen. Im Grundsatz ist das Gutachten schriftlich zu erstatten (§ 96 Abs. 7 Satz 1 AO). Allerding kann die Finanzbehörde auch eine mündliche Gutachtenerstattung zulassen (§ 96 Abs. 7 Satz 2 AO). Zuzustimmen ist Seer, der hervorhebt, dass aus dem Gutachten in nachprüfbarer Weise hervorgehen muss, auf welche Weise und unter Nutzung welcher Quellen und Erkenntnisse der Sachverständige zu seinem Ergebnis gekommen ist.1 bb) Durchsetzung durch den Prüfer Im Grundsatz ist ein Sachverständiger nicht verpflichtet, der Ernennung bzw. der Hinzuziehung durch den Prüfer Folge zu leisten. Danach kann der Prüfer eine Stellungnahme des Sachverständigen nicht erzwingen. Dagegen ist eine Person zur Erstellung eines Gutachtens in folgenden Fallgruppe verpflichtet, wenn kein Ablehnungsgrund (Rz. 1.481) vorliegt:

1.484

– Die vom Prüfer ernannte Person ist zur Erstattung von Gutachten der erforderlichen Art öffentlich bestellt (§ 96 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 AO). Die öffentliche Bestellung kann sich nach Bundes- oder Landesrecht richten. Die Verwaltung kann die Erstellung eines Sachverständigengutachtens mit den Mitteln des Verwaltungszwangs (Rz. 1.460) erzwingen (§§ 328, 329 AO). – Die vom Prüfer ernannte Person übt die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich aus (§ 96 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 AO). Die Voraussetzungen dieser Fallgruppe dürften stets erfüllt sein, wenn die Person der Tätigkeit beruflich nachgeht. In der Praxis wird die Finanzverwaltung vor der Hinzuziehung eines Sachverständigen regelmäßig prüfen, ob derjenige fachlich geeignet ist, sich u.a. in Form eines schriftlichen Gutachtens zu äußern. Übt eine Person die Tätigkeit lediglich als Hobby aus, fehlt es an der „öffentlichen Ausübung“. Ein „Freizeitkünstler“ muss danach einer Hinzuziehung als Sachverständiger nicht Folge leisten. – Die vom Prüfer ernannte Person ist zur Ausübung der Wissenschaft, der Kunst oder des Gewerbes, deren Kenntnis Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich bestellt oder ermächtigt (§ 96 Abs. 3 Satz 1 Alt. 3 AO). Von dieser Fallgruppe sind z.B. Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater umfasst, da für die Ausübung ihrer Tätigkeit eine öffentliche Bestellung erforderlich ist. Solange die öffentliche Bestellung wirkt, ist die Person zur Erstellung eines Sachverständigengutachtens verpflichtet. Dies gilt auch, wenn die Person die Tätigkeit nicht (mehr) aktiv ausübt. – Die vom Prüfer ernannte Person hat sich gegenüber der Finanzbehörde zur Erstellung von Gutachten bereit erklärt (§ 96 Abs. 3 Satz 2 AO). In diesem Fall hat die Person jeder Hinzuziehung Folge zu leisten. Die Person kann z.B. nicht die Erstellung eines Sachverständigengutachtens ablehnen, weil sie „Sympathie“ für die Berufsgruppe des Steuerpflichtigen hat. cc) Rechtsschutz Der Steuerpflichtige kann sich gegen die Hinzuziehung eines Sachverständigen nur durch Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit (Rz. 1.487) wehren. Ein Einspruch scheidet aus, da es an einer Beschwer des Steuerpflichtigen fehlt.2 Die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs 1 Seer in Tipke/Kruse, § 96 AO Rz. 14. 2 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 96 AO Rz. 48; Roser in Gosch, § 96 AO Rz. 28; Schuster in HHSp, § 96 AO Rz. 62; Seer in Tipke/Kruse, § 96 AO Rz. 18.

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1.485

Kap. 1 Rz. 1.485 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

durch die Finanzbehörde ist ein Verwaltungsakt, gegen den ein Einspruch (§ 347 AO) – und bei Zurückweisung Klage (§ 40 Abs. 1 FGO) – statthaft sind.

1.486

Eine Person, die zum Sachverständigen ernannt wird, kann mittels Einspruchs (§ 347 AO) gegen die Ernennung (Verwaltungsakt) vorgehen. e) Einnahme von Augenschein aa) Inhalt (1) Wahrnehmung von Personen, Sachen und Vorgängen

1.487

Der Prüfer kann im Rahmen einer Betriebsprüfung den Augenschein einnehmen (§ 92 Satz 2 Nr. 4, § 98 Abs. 1 AO). Die Einnahme des Augenscheins ist die unmittelbare Wahrnehmung von Personen, Sachen und Vorgängen, also die Erfassung z.B. deren Zustands, Beschaffenheit, Größe, Lage sowie das Zusammenwirken von Personen und Betriebslabläufen mit allen1 Sinnesorgangen des Prüfers (z.B. Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken).2 In der Prüfungspraxis kann eine Einnahme von Augenschein u.a. im Zusammenhang mit folgenden Prüfungssachverhalten Bedeutung erlangen: – Bewertung von Grundstücken, Einzelwirtschaftsgütern und Sachgesamtheiten (z.B. Besichtigung einer Immobilie; zur Betriebsbesichtigung im Rahmen einer Betriebsprüfung Rz. 1.499; zur Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz Rz. 10.136). – Überprüfung der Existenz „greifbarer“ Tatbestandsmerkmale (z.B. Arbeitszimmer, Tankbehälter auf Firmengelände), – Prüfung des Ablaufs eines technischen Vorgangs (z.B. Verfolgen des Auspumpvorgangs eines Tankschiffes, um den Ladungstransport zwecks Bestandsprüfung nachzuvollziehen), – Überprüfung des Kassenbestands (sog. Kassensturz; zur Kassenführung Rz. 5.1), – „Testkauf“ durch einen Prüfer (Rz. 1.491).

1.488

Die Einnahme des Augenscheins dürfte m.E. auch Bedeutung bei einer Überprüfung der Funktionsweise eines (steuerlichen) innerbetrieblichen Kontrollsystems3 (Tax Compliance Management Systems, dazu Rz. 6.255) erlangen. Um zu prüfen, ob eine (schriftliche) Steuerrichtlinie tatsächlich eingehalten wird, dürfte eine stichprobenartige Kontrolle z.B. des Deklarationsvorgangs durch Augenscheineinnahme erforderlich sein.

1.489

Die Finanzbehörde bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, ob eine Einnahme von Augenschein zur Sachverhaltsermittlung erfolgen soll (§ 92 Satz 1 AO). Die Anordnung der Prüfungsmaßnahme gegenüber den Beteiligten unter Angabe des Objekts der Augenscheineinnahme ist ein Verwaltungsakt (§ 118 AO). Dabei kann Adressat auch ein „Nicht-Beteiligter“ 1 Die gesetzliche Formulierung „Augenschein“ wird weit ausgelegt, Seer in Tipke/Kruse, § 98 AO Rz. 1. 2 Vgl. Rätke in Klein15, § 98 AO Rz. 1; Schuster in HHSp, § 98 AO Rz. 4; Seer in Tipke/Kruse, § 98 AO, Rz. 1; Wünsch in Koenig3, § 98 AO Rz. 2. 3 Der Begriff wird im AEAO (Ziff. 2.6 Satz 6 Zu § 153 AO: Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dies ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalles) und in den GoBD (Rz. 2.91) verwendet.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.492 Kap. 1

sein, wenn er Besitzer der Sache ist. Die Rechtmäßigkeit der Prüfungsmaßnahme setzt voraus, dass die Einnahme des Augenscheins erforderlich, geeignet und verhältnismäßig ist. Die Maßnahme ist nicht rechtmäßig, wenn eine Sachverhaltsaufklärung auch auf andere Weise, die den Steuerpflichtigen weniger belastet, möglich ist. Bei der Einnahme des Augenscheins kann ein Sachverständiger (Rz. 1.479) hinzugezogen werden (§ 98 Abs. 2 AO). Die Beteiligten haben keinen Anspruch auf Teilnahme an der Prüfungsmaßnahme1, erst im Einspruchsverfahren besteht nach § 365 Abs. 2 AO ein Teilnahmerecht des Einspruchsführers2. In der Prüfungspraxis wird den Beteiligten allerdings i.d.R. eine Teilnahme freigestellt. Das Ergebnis der Einnahme des Augenscheins ist aktenkundig zu machen, also in Form einer Niederschrift festzuhalten (§ 98 Abs. 1 AO). Dabei kann ein Lageplan oder eine Fotografie3 erstellt werden.

1.490

(2) Testkauf und verdeckte Beobachtung Besondere Fallgruppen einer Augenscheineinnahme sind die Vornahme eines Testkaufs durch den Prüfer und eine verdeckte Beobachtung z.B. einer Kaufabwicklung. Der Prüfer tritt bei einem Testkauf „verdeckt“ als Kunde des Steuerpflichtigen auf, um den Ablauf des Verkaufsvorgangs nachzuvollziehen und ggf. Unregelmäßigkeiten insbesondere bei der Kassenführung festzustellen. Die Ermittlungsmaßnahme ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Als Rechtsgrundlagen kommen die heimliche Inaugenscheinnahme (§ 98 AO4) oder – mit Blick auf die Gesetzesbegründung5, die Sichtweise der Finanzverwaltung6 und Vertreter im Schrifttum7 – die Kassennachschau (§ 146b AO; zur Kassennachschau Rz. 3.325) in Betracht. Die grundsätzliche Zulässigkeit von Testkäufen lässt sich in Frage stellen.8 In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung werden Testkäufe allerdings grundsätzlich akzeptiert,9 wenngleich hierzu keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt.

1.491

Die Durchführung von Testkäufen steht im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Verwaltung und muss dementsprechend erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar sein.10 Die durch eine verdeckte Beobachtung oder einenTestkauf erlangten Erkenntnisse können vom Prüfer bspw. herangezogen werden, um die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung in Zweifel zu ziehen oder im Rahmen einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen (vgl. hierzu F.) eine Ausbeutekalkulation durchzuführen.11

1.492

1 Rätke in Klein15, § 98 AO Rz. 2; Schmitz in Schwarz/Pahlke, § 98 AO Rz. 8a; Seer in Tipke/Kruse, § 98 AO, Rz. 6; Wünsch in Koenig3, § 98 AO Rz. 5. 2 Klein/Rätke, AO § 98 Rz. 2. 3 Seer in Tipke/Kruse, § 98 AO Rz. 7. 4 Siehe etwa Seer in Tipke/Kruse, § 98 AO Rz. 2, 4. 5 BT-Drucks. 18/9535, 22. 6 § 146b Nr. 4 Satz 5 AEAO. 7 Märtens in Gosch, § 146b AO Rz. 22; Achilles, DB 2018, 18 (22); Bleschik, DB 2018, 2390 (2391). Krit. hinsichtlich der Eignung von § 146b AO als Rechtsgrundlage für Testkäufe Seer in Tipke/ Kruse, § 98 AO Rz. 4 und § 146b AO Rz. 15; auch Peters, DStR 2017, 1953 (1956). 8 Krit. etwa Peters, DStR 2017, 1953 (1956); besondere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit eines testkaufs formuliert Seer in Tipke/Kruse, § 98 AO Rz. 4. 9 Siehe FG Nds. v. 2.9.2004 – 10 V 52/04, juris; grundsätzlich zustimmend: FG Münster v. 17.9.2010 – 4 K 1412/07 G, U, EFG 2011, 506. 10 Seer in Tipke/Kruse, § 98 AO Rz. 4; Binnwies/Bertrand, AO-StB 2016, 165 (166) m.w.N. 11 Achilles, DB 2018, 18 (22).

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Kap. 1 Rz. 1.493 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.493

Verdeckte Beobachtungen sowie Testkäufe haben – ohne die Einleitung weiterer Verfahren – i.d.R. keinen Ausschluss der strafbefreienden Selbstanzeige zur Folge, da der Steuerpflichtige noch keine Gewissheit über die Prüfung hat.1

1.494

Hinweis: Auch wenn die grundsätzliche Berechtigung des Betriebsprüfers zur Durchführung verdeckter Beobachtungen und Testkäufe in Zweifel gezogen werden kann, ist zu berücksichtigen, dass im Besteuerungsverfahren kein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung von Verfahrensvorschriften ermittelt worden sind, besteht (vgl. E.IV.). In der Regel wird es deshalb in der Betriebsprüfungspraxis für den steuerlichen Berater erfolgversprechender sein, die Aussagekraft eines Testkaufs oder einer verdeckten Beobachtung für den Prüfungszeitraum (substantiiert) anzuzweifeln. Haben sich bspw. Portionsgrößen, Rezepturen oder tatsächliche Handhabungen bei der Kassenführung zum Zeitpunkt der Betriebsprüfung im Vergleich zu den geprüften Jahren nachweislich verändert oder fehlt es an einer repräsentativen Anzahl von Testkäufen, lassen sich aus einem Testkauf bzw. einer verdeckten Beobachtung kaum Rückschlüsse auf den Prüfungszeitraum ziehen.2

bb) Durchsetzung durch den Prüfer

1.495

Der Prüfer kann die Einnahme des Augenscheins durch (Verwaltungs-)Zwang durchsetzen (Rz. 1.460). Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen kommt in Betracht, wenn durch Vornahme der Prüfungsmaßnahme keine Sachverhaltsaufklärung möglich ist (zur Schätzung Rz. 1.554).

1.496

Eine Durchsetzung der Vornahme eines Testkauf bzw. einer verdeckten Beobachtung unter Einsatz von Zwang ist regelmäßig nicht erforderlich. Denn die Durchführung der Maßnahme erfolgt ohne (wissentliche) Mitwirkung des Steuerpflichtigen, so dass Zwang nicht erforderlich ist. cc) Rechtsschutz

1.497

Die Anordnung der Einnahme von Augenschein ist ein Verwaltungsakt, der vom Auskunftsverpflichteten mittels Einspruchs (§ 347 AO) und (Anfechtungs-)Klage (§ 40 Abs. 1 FGO) bzw. Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) angefochten werden kann. Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes kann Aussetzung der Vollziehung geltend gemacht werden (zum Rechtsschutz in der Betriebsprüfung Rz. 1.807, zu steuerlichen Verwertungsverboten Rz. 1.515). Die Rechtmäßigkeit eines Testkaufs kann als Realakt Gegenstand einer Feststellungsklage sein.3

1.498

Für den Fall, dass die Einnahme des Augenscheins nicht Gegenstand einer (schriftlichen oder mündlichen) formalen Anordnung des Prüfers war, muss der Beteiligte seine (ablehnende) Auffassung im Rahmen des Einspruch- bzw. Klageverfahrens gegen den Steuerbescheid vortragen. Die Rechtmäßigkeit der Prüfungsmaßnahme wird von der Rechtsbehelfsstelle bzw. dem FG inzident (mit-)geprüft.4

1 2 3 4

Bleschik, DB 2018, 2390 (2391). So im Ergebnis auch FG Münster v. 17.9.2010 – 4 K 1412/07 G, U, EFG 2011, 506. Märtens in Gosch, § 146b AO Rz. 32. Seer in Tipke/Kruse, § 98 AO Rz. 8.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.504 Kap. 1

f) Grundstücksbetretung und Betriebsbesichtigung aa) Inhalt Der Prüfer ist berechtigt, Grundstücke und Betriebsräume zu betreten und zu besichtigen (§ 200 Abs. 3 Satz 2, § 99 AO). Durch Ausübung dieses Rechts kann sich der Prüfer einen Eindruck vom Betriebsablauf, dem Zustand der Anlagen, der Organisation und dem Zusammenwirken des Personals verschaffen (zur Einnahme von Augenschein Rz. 1.487). Dieser Eindruck kann ein Verstehen des Datenmaterials bzw. der Aktenlage erleichtern.

1.499

Gegenstand des Betretungs- und Besichtigungsrechts des Prüfers sind Grundstücke und Betriebsräume (§ 200 Abs. 3 Satz 2 AO) sowie Räume, Schiffe, umschlossene Betriebsvorrichtungen (§ 68 Abs. 2 BewG; z.B. Tankanlage) und ähnliche Einrichtungen (§ 99 Abs. 1 Satz 1 AO). In der Praxis dürfte unter Zugrundelegung der Rechtsgrundlagen eine umfassende Besichtigung eines Betriebs (ggf. auch an mehreren Tagen und ggf. auch wiederholt) möglich sein.1 Eine Zustimmung des Beteiligten, also eine vorherige „Einverständniserklärung“ zur Betretung bzw. Besichtigung, ist insoweit nicht erforderlich. Allerdings soll der Prüfer den Betriebsinhaber oder dessen Beauftragten (z.B. Steuerberater) zur Besichtigung hinzuziehen (§ 200 Abs. 3 Satz 3 AO). Unter Berücksichtigung des Merkmals „soll“ ist allenfalls in einem Einzelfall eine Betriebsbesichtigung ohne den Beteiligten zulässig (z.B. Beteiligter lehnt eine Teilnahme ab; Beteiligter ist aus gesundheitlichen Gründen an einer Teilnahme gehindert). Die Prüfungsmaßnahme muss erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sein (Rz. 1.443).

1.500

Wohnräume i.S.v. § 99 Abs. 1 Satz 3 AO sind auch vom Betretungsrecht eines Prüfers umfasst, da die Vorschrift im Rahmen einer Betriebsprüfung anwendbar ist. Allerdings setzt die Ausübung des Rechts durch den Prüfer insoweit eine Zustimmung des Wohnungsinhabers voraus, es sei denn, die Betretung erfolgt zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (§ 99 Abs. 1 Satz 3 AO).2 Erteilt der Inhaber seine Zustimmung nicht, scheidet eine Besichtigung der Wohnräume aus. Bei dem Besitzer der Wohnung kann es sich um einen Beteiligten oder einen Dritten handeln.

1.501

Die Finanzbehörde bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, ob eine Betriebsbesichtigung erfolgen soll. Die Anordnung der Prüfungsmaßnahme gegenüber den Beteiligten ist ein Verwaltungsakt (§ 118 AO). Dabei kann Adressat auch ein „Nicht-Beteiligter“ sein, wenn er Besitzer des Grundstücks ist.

1.502

bb) Durchsetzung durch den Prüfer Der Prüfer kann die Betriebsbesichtigung durch (Verwaltungs-)Zwang durchsetzen (Rz. 1.460). Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen kommt in Betracht, wenn durch Vornahme der Prüfungsmaßnahme keine Sachverhaltsaufklärung möglich ist (zur Schätzung Rz. 1.554).

1.503

Für den Fall, dass der Beteiligte sich einer Betriebsbesichtigung „in den Weg stellt“, also z.B. die Eingangstür zu den Betriebsräumen nicht öffnet oder keine Rahmenbedingungen für die

1.504

1 Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 103 ff.; Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 23. 2 Nach Auffassung von Seer soll ein Prüfer gegen den Willen des Wohnungsinhabers die Wohnräume selbst dann nicht betreten dürfen, wenn die Betretung zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erfolgen soll, Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 23; vgl. demgegenüber Schuster in HHSp, § 99 AO Rz. 24; Roser in Gosch, § 99 AO Rz. 31.

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Kap. 1 Rz. 1.504 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

Betriebsbesichtigung schafft (z.B. Zurverfügungstellen von Schutzkleidung), kann der Prüfer eine Duldungsanordnung erlassen.1 cc) Rechtsschutz

1.505

Die Anordnung der Betriebsbesichtigung ist ein Verwaltungsakt, der mittels Einspruchs (§ 347 AO) und (Anfechtungs-)Klage (§ 40 Abs. 1 FGO) bzw. Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) angefochten werden kann. Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes kann Aussetzung der Vollziehung geltend gemacht machen (zum Rechtsschutz in der Betriebsprüfung Rz. 1.372, 1.807, zu steuerlichen Verwertungsverboten Rz. 1.515).

1.506

Für den Fall, dass die Betriebsbesichtigung nicht Gegenstand einer (schriftlichen oder mündlichen) formalen Anordnung des Prüfers war, muss der Beteiligte seine (ablehnende) Auffassung im Rahmen des Einspruch- bzw. Klageverfahrens gegen den Steuerbescheid vortragen. Die Rechtmäßigkeit der Prüfungsmaßnahme wird von der Rechtsbehelfsstelle bzw. dem FG inzident (mit-)geprüft. g) Ansicht von Wertsachen aa) Inhalt

1.507

Der Prüfer kann vom Beteiligten oder von anderen Personen die Vorlage von Wertsachen verlangen (§ 100 Abs. 1 Satz 1 AO). Wertsachen sind nach § 100 Abs. 1 Satz 1 AO Geld, Wertpapiere (z.B. verbriefte Anleihen, Aktien, Zertifikate) und Kostbarkeiten (z.B. Schmuck, Edelsteine, Münzen, Briefmarken etc.). Die Anordnung der Vorlage ist ein Verwaltungsakt (§ 118 AO).

1.508

Voraussetzung für den Vorlageanspruch ist zunächst, dass die Ansicht der Wertsachen durch den Prüfer erforderlich ist, um Feststellungen über ihre Beschaffenheit und ihren Wert zu treffen (§ 100 Abs. 1 Satz 1 AO). Praktische Bedeutung kann diese Prüfungsmaßnahme z.B. bei der Prüfung der Höhe eines steuerpflichtigen Erwerbs von Todes wegen haben (zur Erbschaftsteuer in der Betriebsprüfung Rz. 10.1). Weitere Voraussetzung für den Vorlageanspruch ist, dass dem Prüfer die Existenz der Wertsachen bekannt ist. Denn eine Vorlage von Wertsachen darf nicht angeordnet werden, um nach unbekannten Gegenständen zu forschen (§ 100 Abs. 2 AO).

1.509

Ein Sachverständiger (Rz. 1.479) darf vom Prüfer bei der Ansicht der Wertsachen hinzugezogen werden (§ 100 Abs. 1 Satz 2, § 98 Abs. 2 AO). bb) Durchsetzung durch den Prüfer

1.510

Der Prüfer kann ein Vorlagerecht durch (Verwaltungs-)Zwang in Form eines Zwangsgeldes (§ 328 AO) durchsetzen. Auf die Darstellung zur Durchsetzung einer Auskunftsverpflichtung wird verwiesen (Rz. 1.460).

1.511

Legt der Vorlageverpflichtete trotz Festsetzung eines Zwangsgeldes nicht vor oder verzichtet der Prüfer nach pflichtgemäßem Ermessen auf die Festsetzung eines Zwangsgeldes, kommt eine Schätzung des Wertes in Betracht (zur Schätzung Rz. 1.554).

1 Schuster in HHSp, § 99 AO Rz. 38; Seer in Tipke/Kruse, § 99 AO Rz. 16.

128 | von Freeden

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.516 Kap. 1

cc) Rechtsschutz Das Vorlageverlangen des Prüfers ist ein Verwaltungsakt (Rz. 1.816), der vom Auskunftsverpflichteten mittels Einspruch (§ 347 AO) und (Anfechtungs-)Klage (§ 40 Abs. 1 FGO) angefochten werden kann. Auf die Darstellung zur Durchsetzung einer Auskunftsverpflichtung (Rz. 1.460) und zum Rechtsschutz in der Betriebsprüfung (Rz. 1.807) wird verwiesen.

1.512

h) Zugriff auf steuerliche Daten Für den Inhalt des Rechts auf Datenzugriff, seine Durchsetzung und die Rechtsschutzmöglichkeiten wird auf Rz. 2.14 verwiesen.

1.513

i) Datenauswertung und Datenverprobung Für den Inhalt des Rechts auf Datenauswertung und Datenverprobung, seine Durchsetzung und die Rechtsschutzmöglichkeiten wird auf Rz. 2.126 verwiesen.

1.514

IV. Steuerliche Verwertungsverbote 1. Allgemeines In Auseinandersetzungen um die Feststellungen der Betriebsprüfung wird in der Praxis unter Verweis auf (vermeintliche) formelle Fehler im Verlauf der Prüfung nicht selten der Einwand erhoben, dass die so ermittelten Tatsachen nach Abschluss der Betriebsprüfung von der Finanzbehörde bei Erlass von Änderungsbescheiden nicht verwertet werden durften. Eine solche Berufung auf ein Verwertungsverbot ist nur in Ausnahmefällen erfolgversprechend. Anders als im (Steuer-)Strafverfahren besteht im Besteuerungsverfahren kein allgemeiner Grundsatz, dass Verfahrensverstöße im Rahmen einer Außen- oder Steuerfahndungsprüfung eine Verwertung der im Rahmen dieser Verfahren gewonnenen Erkenntnisse im Besteuerungsverfahren ausschließen. Die Frage nach einem Verwertungsverbot ist vielmehr im (Steuer-)Strafverfahren nach strafprozessualen und im Besteuerungsverfahren nach abgabenrechtlichen Vorschriften zu beantworten.1

1.515

2. Voraussetzungen eines steuerlichen Verwertungsverbots a) Abgrenzung Ein steuerliches Verwertungsverbot wegen Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften kommt nur unter engen Voraussetzungen in Betracht. Grundsätzlich ist zwischen den Individualinteressen von Steuerpflichtigen, nicht aufgrund verfahrensfehlerhafter Ermittlungsmaßnahmen mit einer materiell-rechtlich an sich zutreffenden Steuer belastet zu werden, und der Pflicht des Staates, eine gesetzmäßige und gleichmäßige Steuerfestsetzung zu gewährleisten, abzuwägen.2 Dabei unterscheidet die Rechtsprechung grundsätzlich zwischen materiell-rechtlichen und formellen Verwertungsverboten.3 1 BFH v. 23.1.2002 – XI R 10, 11/01, BStBl. II 2002, 328. 2 BFH v. 15.4.2015 – VIII R 1/13, wistra 2015, 479; BFH v. 4.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227; Roser in Gosch, § 88 AO Rz. 42; Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 240; Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 26; Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 291. 3 Grundlegend BFH v. 4.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227; BFH v. 15.4.2015 – VIII R 1/ 13, wistra 2015, 479 (die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde 1 BvR 3062/15 nicht zur Entscheidung angenommen); BFH v. 29.8.2017 – VIII R 17/13, BStBl. II 2018, 408.

von Freeden und Peters | 129

2021-10-28, 11:05, HB mittel

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1.516

Kap. 1 Rz. 1.517 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

b) Materielles Beweisverwertungsverbot

1.517

Ein materielles Beweisverwertungsverbot kommt als Folge einer fehlerhaften Maßnahme in Betracht, wenn die zur Fehlerhaftigkeit der Ermittlungsmaßnahme führenden Verfahrensverstöße schwerwiegend waren und die Prüfungsfeststellungen hierauf beruhen. Die so ermittelten Tatsachen sind schlechthin und ohne Ausnahme unverwertbar.1 Ein solcher schwerwiegender Verfahrensverstoß liegt insbesondere dann vor, wenn der Rechtsverstoß einer unmittelbaren Ermittlungsmaßnahme grundrechtsrelevant ist oder die Fehler bewusst oder willkürlich begangen wurden. Ein solcher schwerwiegender Verstoß kann nicht durch zulässige, erneute Ermittlungsmaßnahmen geheilt werden.2 Schwerwiegende Verfahrensverstöße können zudem eine Fernwirkung entfalten – vgl. die im nordamerikanischen Recht geltende „fruit of the poisonous tree-doctrine“, also auch die weiteren Beweismittel, die auf Grund der unverwertbaren Information gewonnen wurden, erfassen.3 c) Formelles Beweisverwertungsverbot

1.518

Unterlaufen dem Betriebsprüfer lediglich einfache formelle Fehler, überwiegt das Interesse an einer gesetz- und gleichmäßigen Steuerfestsetzung grundsätzlich dasjenige der Steuerpflichtigen an einem formal rechtmäßigen Verfahren. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass bei einfachen formellen Fehlern eine Wiederholungsprüfung grundsätzlich zulässig ist.4 Formelle Rechtsfehler führen deshalb regelmäßig zu keinem endgültigen Verwertungsverbot.5

1.519

Bei „einfachen“ verfahrensrechtlichen Fehlern setzt die Berufung auf ein formelles Beweisverwertungsverbot vielmehr voraus, dass die Prüfungsmaßnahme erfolgreich im Einspruchsoder Klageverfahren angefochten bzw. gem. § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ihre Rechtswidrigkeit festgestellt wird. Wird die Prüfungsmaßnahme nicht angefochten, entfaltet ihre Anordnung Tatbestandswirkung mit der Folge, dass dem FG im Rahmen einer Anfechtung der auf den Prüfungsfeststellungen beruhenden Steuerbescheide eine nochmalige Überprüfung der Maßnahme verwehrt ist. Das Gericht hat dann für das Steuerfestsetzungsverfahren von der Rechtmäßigkeit der Prüfungsmaßnahme auszugehen.6 Dies gilt auch für strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, deren Ergebnisse im Besteuerungsverfahren verwertet werden. Die – auch inzidente – Überprüfung der Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen obliegt weder der Finanzbehörde, noch dem FG, sondern den ordentlichen Gerichten. Wird die strafprozessuale Maßnahme nicht angefochten oder hat die Anfechtung keinen Erfolg, entfaltet ihre Anordnung Tatbestandswirkung mit der Folge, dass dem FG eine nochmalige Überprüfung verwehrt ist und es für das Steuerfestsetzungsverfahren von der Rechtmäßigkeit der Maßnahme auszugehen hat.7

1 BFH v. 4.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227; Schallmoser in HHSp, Vorbem. zu §§ 193– 203 AO Rz. 241; Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 28; Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 308. 2 BFH v. 4.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227. 3 Vgl. BFH v. 4.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227; Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 30. 4 BFH v. 4.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227. 5 BFH v. 4.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227; Schallmoser in HHSp, Vorbem. zu §§ 193– 203 AO Rz. 241; Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 27; Rätke in Klein15, § 92 AO Rz. 7. 6 BFH v. 15.4.2015 – VIII R 1/13, wistra 2015, 479; vgl. Roser in Gosch, § 88 AO Rz. 43; Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 33; speziell zur Prüfungsanordnung nach § 196 AO vgl. Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 196 AO Rz. 18. 7 BFH v. 29.1.2002 – VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749; BFH v. 15.4.2015 – VIII R 1/13, wistra 2015, 479.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.523 Kap. 1

Wird die Prüfungsmaßnahme mit Einspruch und Klage bzw. vor den ordentlichen Gerichten angefochten, muss zusätzlich stets der Steuerbescheid angefochten werden, bei dessen Erlass die betreffenden Erkenntnisse ausgewertet wurden, um sicherzustellen, dass im Fall der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsmaßnahme der Bescheid entsprechend korrigiert werden kann, sog. „doppeltes Anfechtungserfordernis“.

1.520

Stellen die beanstandeten Prüfungsmaßnahmen keine Verwaltungsakte dar, so kann die Rechtmäßigkeit nur inzident im Rahmen der Anfechtung der Steuerbescheide geprüft werden.1

1.521

Auch bei doppelter Anfechtung greift das formelle Verwertungsverbot wiederum dann nicht, wenn es sich um eine Erstveranlagung handelt oder der zu ändernde Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO steht.2 Die Rückausnahme vom Bestehen eines verfahrensrechtlichen Verwertungsverbots hat ihren Grund darin, dass die Finanzbehörde zur Ermittlung des Sachverhalts für eine erstmalige oder eine unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Steuerfestsetzung keiner förmliche Prüfungsanordnung bedürfte, sondern zur Erforschung des steuerrechtlich erheblichen Sachverhalts verpflichtet ist.3 In diesen Fällen besteht noch kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand der Steuerfestsetzung. Die Berechtigung zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts für die erstmalige oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Steuerfestsetzung wird durch eine eventuelle fehlerhafte Begründung für die Sachverhaltsermittlung nicht beeinträchtigt, zumal verfahrensrechtliche Verstöße bei der Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen der im Einspruchsverfahren gebotenen vollständigen neuen Sach- und Rechtsprüfung geheilt werden könnten.4

1.522

3. Beispiele 1.523

Ein steuerliches Verwertungsverbot lösen aus: – Durchsuchungen von Wohnungen oder Geschäftsräumen bei dritten Personen ohne richterliche Anordnung oder Gefahr im Verzug5, – heimliche Tonbandaufnahmen (Art. 2 GG), – unberechtigtes Öffnen der Post (Art. 10 GG) – Zufallserkenntnisse aus einer Telefonüberwachung, wenn sich diese Erkenntnisse nicht auf die sog. Katalogtaten des § 100a StPO beziehen6, – Einsatz verbotener Vernehmungsmethoden wie Drohung oder Zwang (§ 136a StPO), wobei es sich bei der Inaussichtstellung einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht um den Einsatz eines Zwangsmittels handelt7, – Verletzung von Belehrungspflichten gegenüber Dritten nach § 101 Abs. 1 Satz 2 AO8. 1 BFH v. 4.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227; Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 241; Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 305. 2 BFH v. 17.1.2002 – V B 88/01, BFH/NV 2002, 748; BFH v. 4.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227; Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 298. 3 BFH v. 4.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227. 4 BFH v. 4.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227. 5 FG Nds. v. 20.9.2018 – 11 K 267/17, EFG 2019, 202. 6 BFH v. 24.4.2013 – VII B 202/12, BStBl. II 2013, 987. 7 BFH v. 15.4.2015 – VIII R 1/13, wistra 2015, 479. 8 BFH v. 31.10.1990 – II R 180/87, BStBl. II 1991, 204; vgl. Rätke in Klein15, § 101 AO Rz. 5 f.

Peters | 131

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Kap. 1 Rz. 1.524 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.524

Kein steuerliches Verwertungsverbot lösen aus: – die Erfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten, auch bei einem parallel eingeleiteten Steuerstrafverfahren,1 – heimliche Testkäufe, wenn der konkrete Verdacht besteht, dass bei einem offenen Testkauf eine manipulierte Ware geliefert wird2, – ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 393 Abs. 1 Satz 4 AO3, – die Verletzung von Belehrungspflichten bei Benennungsverlagen nach § 160 AO zu vermuteten straf- oder bußgeldbewehrten Vorteilszuwendungen4, – Unterlassung einer Unterbrechung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 BpO 20005, – Verletzung der Unterrichtspflicht nach § 199 Abs. 2 AO6, – fehlende Schlussbesprechung7.

V. Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen 1. Allgemeines 1.525

Der Betriebsprüfer hat im Rahmen der Betriebsprüfung die Besteuerungsgrundlagen zu prüfen (§ 199 Abs. 1 AO; zu den Prüfungsgrundsätzen Rz. 1.404). Die Prüfung erfolgt durch Umsetzung einzelner Prüfungshandlungen bzw. Prüfungsmaßnahmen (Rz. 1.441). Der Steuerpflichtige ist dabei gesetzlich zur Mitwirkung verpflichtet. Diese Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen ist das „Gegenstück“ zur Pflicht des Prüfers, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Nach § 200 Abs. 1 Satz 1 AO hat der Steuerpflichtige bei der Feststellung der Sachverhalte, die für die Besteuerung erheblich sein können, mitzuwirken. Diese Verpflichtung ergibt sich bereits aus § 90 Abs. 1 AO, der auch auf eine Betriebsprüfung als Teil des Besteuerungsverfahrens (Rz. 1.33) Anwendung findet (zu den Rechtsgrundlagen Rz. 1.30). Die Mitwirkungspflichten gelten auch für die Lohnsteuer-Außenprüfung (Rz. 3.258), Kassennachschau (Rz. 3.325), Umsatzsteuersonderprüfung (Rz. 3.65) und Zollprüfung (Rz. 3.403). Die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen umfassen insbesondere die Erteilung von Auskünften (Rz. 1.445), die Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren und anderen Urkunden (Rz. 1.467) sowie die Unterstützung des Prüfers bei einem Datenzugriff (§ 147 Abs. 6 AO, Rz. 1.513). Neben dem Steuerpflichtigen können auch Dritte zu einer Mitwirkungshandlung verpflichtet sein (Rz. 1.531).

1.526

Der Prüfer kann die Mitwirkung des Steuerpflichtigen durch Einsatz von Zwangsmitteln erzwingen (Rz. 1.553), der Steuerpflichtige kann sich durch Einspruch (und Klage) ggf. gegen eine Prüfungsmaßnahme bzw. ein Mitwirkungsverlagen des Prüfers „wehren“ (Rz. 1.539).

1.527

Im Rahmen der Anordnung einer Betriebsprüfung (Rz. 1.165) soll der Steuerpflichtige auf seine Verpflichtung zur Mitwirkung hingewiesen werden (§ 5 Abs. 2 Satz 2 BpO). Dies erfolgt in 1 BFH v. 15.4.2015 – VIII R 1/13, wistra 2015, 479. 2 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 98 AO Rz. 4 m.w.N. zum Meinungsstand. 3 BFH v. 8.1.2014 – X B 112, 113/13, BFH/NV 2014, 487; BFH v. 29.8.2017 – VIII R 17/13, BStBl. II 2018, 408. 4 AEAO zu § 160 Nr. 1; BMF v. 10.10.2012 – IV A 6 – S 2145 – 35/02, BStBl. I 2012, 1031, Tz. 30. 5 BFH v. 29.8.2017 – VIII R 17/13 – BStBl. II 2018, 408. 6 BFH v. 29.8.2017 – VIII R 17/13 – BStBl. II 2018, 408. 7 BFH v. 24.8.1998 – III S 3/98 – BFH/NV 1999, 436.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.532 Kap. 1

der Prüfungspraxis durch Übersendung eines Merkblattes1 als Anlage zur Prüfungsanordnung (Rz. 1.343), in dem u.a. auf die vorstehenden Mitwirkungspflichten hingewiesen wird.2 Die Mitwirkungshandlungen des Steuerpflichtigen können bei ihm Aufwand verursachen. Dieser Aufwand ist vom Steuerpflichtigen zu tragen, er hat keinen Erstattungsanspruch gegen die Finanzbehörde. Für steuerliche Zwecke ist der Aufwand als Betriebsausgabe abzugsfähig. Die Bildung einer Rückstellung in Handels- und Steuerbilanz ist zulässig (Rz. 8.1).3

1.528

2. Adressaten der Mitwirkungspflichten Der Steuerpflichtige ist grundsätzlich der Mitwirkungsverpflichte, d.h., er hat eine gebotene Mitwirkungshandlung vorzunehmen bzw. die Vornahme der Handlung zu veranlassen. Das Mitwirkungsverlangen des Prüfers als Voraussetzung für die Begründung einer konkreten Mitwirkungspflicht (Rz. 1.532) richtet sich in diesem Fall an den Steuerpflichtigen.

1.529

Ein Betriebsangehöriger des Steuerpflichtigen kann auch zu einer Mitwirkungshandlung in Form einer Auskunftserteilung verpflichtet sein (§ 8 Abs. 2 BpO; § 200 Abs. 1 Satz 3 AO, Rz. 1.451). In der Praxis handelt es sich bei Betriebsangehörigen i.d.R. um Arbeitnehmer des Steuerpflichtigen. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist jedoch nicht zwingend für das Vorliegen einer Betriebsangehörigkeit i.S.v. § 200 AO.

1.530

Neben dem Steuerpflichtigen und seinen Betriebsangehörigen können auch Dritte zu einer Mitwirkung in Form einer Auskunftserteilung verpflichtet sein (§ 93 Abs. 1 Satz 3 AO). In diesem Fall ist der Adressat des Mitwirkungsverlangens der Dritte (Rz. 1.454). Dritte können natürliche und juristische Personen des privaten Rechts (z.B. Geschäftspartner des Steuerpflichtigen, Bank) und des öffentlichen Rechts (z.B. Behörde) sein. Im Gegensatz zum Steuerpflichtigen kann ein Dritter berechtigt sein, eine Mitwirkung in Form einer Auskunft zu verweigern (zu den Auskunftsverweigerungsrechten eines Dritten Rz. 1.458). Für eine Behörde bzw. eine sonstige öffentliche Stelle kann sich aus der Verschwiegenheitspflicht ein Mitwirkungsverweigerungsrecht ergeben (Rz. 1.459).

1.531

3. Voraussetzungen für Entstehung einer Pflicht zu einer bestimmten Mitwirkungshandlung Die Entstehung einer konkreten Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen oder eines Dritten (z.B. Verpflichtung zur Vorlage einer bestimmten Urkunde) knüpft an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen. Fehlt es am Vorliegen einer Voraussetzung, besteht keine konkrete Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen. Die Entstehung einer konkreten Mitwirkungspflicht, die auf ein bestimmtes Handeln bzw. eine bestimmte Maßnahme des Steuerpflichtigen gerichtet ist, setzt das Folgende voraus: 1. Konkretes Mitwirkungsverlangen des Prüfers: Der Prüfer muss gegenüber dem Adressaten der Mitwirkungspflicht ein bestimmtes Handlungsbegehren kundtun (z.B. Aufforde1 Anlage „Ihre wesentlichen Rechte und Mitwirkungspflichten bei der Außenprüfung“, BMF v. 24.10.2013 – IV A 4 - S 0403/13/10001, BStBl. I 2013, 1264. 2 Wenn dem Steuerpflichtigen kein Merkblatt zur Verfügung gestellt wird oder er nicht auf die Mitwirkungspflichtigen hingewiesen wird, sollen sich keine Rechtsfolgen oder Ansprüche des Steuerpflichtigen ergeben, Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 1 a.E. 3 BFH v. 6.6.2012 – I R 99/10, BStBl. II 2013, 196. Die Verwaltung wendet die Entscheidungsgrundsätze nicht an, BMF v. 7.3.2013 – IV C 6 - S 2137/12/10001, BStBl. I 2013, 274.

Peters/von Freeden | 133

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1.532

Kap. 1 Rz. 1.532 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

rung des Prüfers zur Vorlage einer bestimmten Urkunde, Rz. 1.467). Ohne ein konkretes Handlungsbegehren des Prüfers muss z.B. der Steuerpflichtige nicht tätig werden. Denn der Steuerpflichtige prüft sich nicht selbst, sondern der Prüfer führt die Betriebsprüfung durch. 2. Prüfungsanordnung umfasst die Mitwirkungshandlung: Die Mitwirkungshandlung, die vom Prüfer begehrt wird, muss von der Prüfungsanordnung (§ 196, § 197 AO, Rz. 1.165) umfasst sein. Dies gilt hinsichtlich des Umfangs, des Adressaten und des Prüfungszeitraums.1 Bezieht sich die Prüfung z.B. auf den Prüfungszeitraum 2015 bis 2018, kann die Aufforderung des Prüfers auf Vorlage einer Urkunde, aus der ausschließlich Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 2020 hervorgehen, nicht vom Umfang der Prüfungsanordnung umfasst sein (s. aber zur Vorlage von „Vor- oder Nach-Prüfungszeitraum-Unterlagen“, Rz. 1.469). Eine Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen besteht insoweit nicht, ein Einspruch gegen das Prüferbegehren (Rz. 1.478) wäre begründet.2 3. Mitwirkungshandlung ist geeignet, erforderlich und angemessen: Die begehrte Mitwirkungshandlung muss unter Zugrundelegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig sein. Dies bedeutet, dass die Mitwirkungshandlung des Steuerpflichtigen geeignet sein muss, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind (Besteuerungsgrundlagen i.S.v. § 199 Abs. 1 AO, Rz. 1.404), zu ermitteln. Z.B. ist die Vorlage eines Kaufvertrags geeignet, einen bestehenden Anspruch des Steuerpflichtigen gegen einen Dritten zu ermitteln, um diesen bei der Gewinnermittlung nach § 4, § 5 EStG zu berücksichtigen. Um die Geeignetheit einer Maßnahme durch den Steuerpflichtigen beurteilen zu können, muss ihre steuerliche Bedeutung für ihn erkennbar sein. Die Ansicht der Finanzverwaltung im AEAO, wonach der Steuerpflichtige verpflichtet ist, „vorhandene Aufzeichnungen und Unterlagen vorzulegen, die nach Einschätzung der Finanzbehörde für eine ordnungsgemäße und effiziente Abwicklung der Betriebsprüfung erforderlich sind, ohne dass es ihm gegenüber einer zusätzlichen Begründung hinsichtlich der steuerlichen Bedeutung bedarf“ (AEAO zu § 200, Abs. 1 Satz 2), ist abzulehnen. Denn bei Zugrundelegung dieser Sichtweise, ist eine Überprüfung der Geeignetheit der Maßnahme nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht möglich. Weiterhin muss die Mitwirkungshandlung erforderlich sein, um die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln. Z.B. kann die Vorlage eines Kaufvertrags erforderlich sein, wenn keine andere Möglichkeit besteht, einen Kaufpreisanspruch zu ermitteln. Darüber hinaus muss das Mitwirkungsbegehren auch angemessen sein, d.h., die Mitwirkungshandlung des Steuerpflichtigen darf nicht unzumutbar sein.

4. Inhalt und Reichweite der Mitwirkungspflichten 1.533

Der Inhalt der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen ist z.T. ausdrücklich im Gesetz geregelt. Nach § 200 Abs. 1 Satz 2 AO und § 90 ff. AO umfassen sie insbesondere die Erteilung von Auskünften durch den Steuerpflichtigen (Rz. 1.445), die Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren und anderen Urkunden (Rz. 1.467), die Duldung der Hinzuziehung eines Sachverständigen durch den Prüfer (Rz. 1.479), die Duldung der Einnahme von Augenschein durch den Prüfer (Rz. 1.487), die Duldung der Grundstücksbetretung und Betriebs1 Intemann in Koenig3, § 200 AO Rz. 66; Hendricks in Gosch, § 200 AO Rz. 6; Rüsken in Klein15, § 200 AO Rz. 1; Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 15; Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 2. 2 Nach Auffassung von Seer ist ein Mitwirkungsverlangen des Prüfers nichtig (§ 125 AO) – und nicht nur rechtswidrig –, wenn keine wirksame Prüfungsanordnung vorliegt, Seer in Tipke/Kruse, § 200 AO Rz. 28.

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.539 Kap. 1

besichtigung durch den Prüfer (Rz. 1.499), die Vorlage von Wertsachen (Rz. 1.507) und die Ermöglichung eines Datenzugriffs durch den Prüfer (Rz. 1.513). Für den Inhalt dieser Mitwirkungspflichten, deren mögliche Durchsetzung durch den Prüfer gegen den Willen des Steuerpflichtigen und die Rechtsschutzmöglichkeiten des Steuerpflichtigen wird auf die Darstellung zu den Prüfungsmaßnahmen (Rz. 1.441) verwiesen. Aus der Verwendung des gesetzlichen Merkmals „insbesondere“ in § 200 Abs. 1 Satz 2 AO folgt u.E., dass es sich um (Regel-)Beispiele handelt. Die Aufzählung ist nicht abschließend.

5. Steuergeheimnis nach § 30 AO Das Steuergeheimnis gem. § 30 AO bildet das Gegenstück zu den umfassenden Offenlegungsund Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren. Der Steuerpflichtige soll sicher sein können, dass die von der Finanzbehörde erlangten Erkenntnisse über seine finanziellen, wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse nicht missbraucht und an Dritte weiter gegeben werden.

1.534

Zur Wahrung des Steuergeheimnisses sind gem. § 30 AO Amtsträger (§ 7 AO) verpflichtet. Einem Amtsträger stehen gem. § 30 Abs. 3 AO Personen gleich, die besonders verpflichtet worden sind (z.B. Schreibkräfte, Boten), amtlich zugezogene Sachverständige und Amtsträger öffentlich-rechtlicher Religionsgemeinschaften. Der Steuerpflichtige selbst oder dessen Prozessbevollmächtigter sind nicht zum Steuergeheimnis verpflichtet. Für letzteren gilt die berufliche Schweigepflicht.

1.535

Unter den Schutz des Steuergeheimnisses fallen „geschützte Daten“ in Form personenbezogener Daten (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 AO) und fremde Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (§ 30 Abs. 2 Nr. 2 AO). Dabei besteht die Geheimhaltungspflicht gem. § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO nur bezüglich solcher Umstände, die dem Amtsträger in einem Steuerverfahren, einem Steuerstrafverfahren oder einem steuerlichen Bußgeldverfahren durch die Mitteilung einer Finanzbehörde, die gesetzlich vorgeschriebene Vorlage eines Steuerbescheids oder einer Bescheinigung über die bei der Besteuerung getroffenen Feststellungen bekannt geworden sind.

1.536

Das Steuergeheimnis wird verletzt, wenn Verhältnisse eines anderen unbefugt offenbart oder fremde Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse verwertet werden. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Offenbarung bzw. Verwertung durch den Amtsträger zum eigenen oder zum Vorteil eines Dritten erfolgt. In den in § 30 Abs. 4 bis 6 AO geregelten Fällen ist die Offenbarung geschützter Daten erlaubt. Hiernach kann z.B. befugt offenbart werden, wenn dies der Durchführung eines Steuerverfahrens, eines Steuerstrafverfahrens oder eines steuerlichen Bußgeldverfahrens dient (z.B. Abgabe einer Steuerstrafsache an die Staatsanwaltschaft), oder wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist oder der Betroffene zustimmt. Diese Regelungen berechtigen zur Offenbarung, begründen aber keine Verpflichtung hierzu. Zulässig ist die Offenbarung der durch § 30 AO geschützten Daten außerdem in den Fällen der §§ 31a, 31b AO. Hier besteht eine Verpflichtung der Finanzbehörde zur Mitteilung an die zuständigen Stellen.

1.537

Die Verletzung des Steuergeheimnisses ist gem. § 355 StGB strafbar. Die Tat wird nur auf Antrag des Verletzten oder des Dienstvorgesetzten verfolgt.

1.538

6. Rechtsschutz Für die Möglichkeiten zur Durchsetzung von Rechtsschutz gegen ein rechtswidriges Mitwirkungsverlagen des Prüfers s. Rz. 1.807. Zum Auskunftsverlagen Rz. 1.463, zur Vorlage von Urkunden Rz. 1.467, zur Hinzuziehung von Sachverständigen Rz. 1.479, zur Einnahme von AuPeters/von Freeden | 135

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1.539

Kap. 1 Rz. 1.539 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

genschein Rz. 1.487, zur Grundstücksbetretung und Betriebsbesichtigung Rz. 1.499, zur Ansicht von Wertsachen Rz. 1.507, zum Zugriff auf steuerliche Daten Rz. 1.513, zur Datenauswertung und Datenverprobung Rz. 1.514).

VI. Anfangsverdacht einer Steuerstraftat 1. Mitteilungspflicht bei Anhaltspunkten für eine Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit 1.540

Im Rahmen der Betriebsprüfung können steuerstraf- bzw. bußgeldrechtliche relevante Sachverhalte bekannt werden.1 Für die Verwaltung richtet sich das Verfahren im Näheren nach der sog. „Anweisung für das Straf- und Bußgeldverfahren“2 (AStBV). Die Einleitung eines (steuer-)strafrechtlichen Verfahrens richtet sich danach, ob hinsichtlich eines steuerlichen Sachverhalts ein Verdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO besteht (Nr. 26 Abs. 1 AStBV).3 Liegen die Voraussetzungen vor, ist die Einleitung des Verfahrens für die handelnde Behörde verpflichtend (sog. Legalitätsprinzip; Nr. 130 Abs. 1 AStBV).4 Ein Verdacht besteht, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat vorliegen. Die bloße Möglichkeit einer schuldhaften Steuerverkürzung (vgl. Nrn. 131 Abs. 2, 12, 13 AStBV) begründet noch keinen Verdacht (Nr. 26 Abs. 2 AStBV).

1.541

Für die Mitteilung der Betriebsprüfung an die Bußgeld- und Strafsachenstelle (Bustra) (Nrn. 131 Abs. 1 i.V.m. 130 Abs. 1 Satz 1 AStBV) genügt es hingegen, dass Anhaltspunkte für eine mögliche Durchführung eines Strafverfahrens vorliegen (§ 10 Abs. 1 Satz 2 BpO). Für diesen sog. „Anfangsverdacht“ muss die Schwelle des Verdachts (§ 152 Abs. 2 StPO) nicht überschritten sein (Nrn. 131 Abs. 1 i.V.m. 130 Abs. 3 AStBV).5 Umgekehrt ist bei einer nur vagen Vermutung schuldhaften Verhaltens nur in Ausnahmefällen eine Unterrichtung geboten (Nrn. 131 Abs. 1 i.V.m. 130 Abs. 1 Satz 2 AStBV). Eine trennscharfe Abgrenzung, wann die Voraussetzungen des Anfangsverdachts erfüllt sind, gibt es nicht. In der Praxis ist es daher ausreichend, wenn die konkrete Möglichkeit einer Steuerverkürzung besteht, die bisher ermittelten Anhaltspunkte aber noch nicht ausreichen, um einen Verdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) zu begründen. Diese Regelung soll eine frühzeitige Kontaktaufnahme zu der zuständigen BuStra sicherstellen, um so in Zweifelsfällen fachkundige Unterstützung einzuholen.6

2. Unterbrechung der Prüfung (§ 194 AO, § 10 Satz 3 BpO) 1.542

Erfolgt eine Mitteilung an die BuStra, haben Ermittlungen (§ 194 AO) hinsichtlich des Sachverhalts durch die Betriebsprüfung insoweit zunächst zu unterbleiben.7 Die Prüfung darf nur für die nicht strafbefangenen Sachverhalte fortgesetzt werden. Erst wenn die BuStra nach Prüfung des Sachverhalts die Annahme des Verdachts für unbegründet hält, darf die Prüfung für diesen Sachverhalt fortgesetzt werden. Hält die BuStra das Vorliegen eines Anfangsverdachts 1 Peters, DStR 2015, 2583 (2587 ff.) mit praktischen Hinweisen zu „Kooperativen Vorermittlungen in Grenzfällen eines Anfangsverdachts“. 2 Gleichlautende Erlasse der obersten Dienstbehörden der Länder v. 1.12.2019, BStBl. I 2019, 1142. 3 Peters, DStR 2015, 2583. 4 Jäger in Klein15, § 397 AO Rz. 15. 5 Gleich lautende Ländererlasse v. 31.8.2009, BStBl. I 2009, 829 mit einer Aufstellung von Sachverhaltsbeispielen, die tatsächliche Anhaltspunkte und die keine tatsächlichen Anhaltspunkte begründen. 6 Peters, DStR 2015, 2583 (2586 f.). 7 Peters, DStR 2015, 2583 (2586 f.).

136 | Peters/von Freeden und Hruschka

2021-10-28, 11:05, HB mittel

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E. Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse | Rz. 1.547 Kap. 1

für begründet oder werden weitere Ermittlungshandlungen durch die Steuerfahndung notwendig, wird dem Beschuldigten die Einleitung des Strafverfahrens (§ 397 Abs. 1 und Abs. 2 AO) bekanntgegeben und die Fortsetzung der Betriebsprüfung erfolgt (§ 10 Abs. 1 Satz 3 BpO).

3. Strafrechtliche Folgen einer pflichtwidrig unterlassenden Mitteilung Die Mitteilungspflicht steht nicht im Ermessen des Prüfers bzw. seines Sachgebietsleiters (SGL). Gibt es auf Ebene des subjektiven Tatbestands nachvollziehbare Gründe wie Rechenoder Schreibfehler und entscheiden Betriebsprüfer und SGL, dass kein Hinweis an die BuStra erteilt wird (Nrn. 131 Abs. 1 i.V.m. 130 Abs. 1 Satz 2 AStBV), sollten sich aus den BP-Akten die Beweggründe der Entscheidung objektiv nachvollziehbar ergeben.

1.543

Ein pflichtwidriges Missachten des sog. Legalitätsprinzips, durch das Unterlassen strafrechtlichgebotener Maßnahmen, wie das Erfüllen der Mitteilungspflicht löst für den Betriebsprüfer eigene strafrechtliche Risiken aus (Strafverfahren wegen Begünstigung, Strafvereitelung im Amt).1

1.544

4. Strafrechtlicher Hinweis in der Betriebsprüfung Der Steuerpflichtige ist darüber zu belehren, dass soweit Prüfungsfeststellungen auch für Zwecke eines Strafverfahrens verwendet werden können, seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren nicht mehr erzwungen werden kann (§ 393 Abs. 1 AO).

1.545

Einen Sonderfall bildet die Schlussbesprechung (§ 201 AO). Ergeben sich erstmals zum Zeitpunkt der Schlussbesprechung Erkenntnisse, die die Vermutung einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit nahelegen oder ist zu dem Sachverhalt nicht weiter ermittelt worden, ist gem. § 201 Abs. 2 AO2 ein entsprechender Hinweis auf die straf- oder bußgeldrechtliche Würdigung zu erteilen und der Prüfungsbericht der BuStra zuzuleiten (Nr. 131 Abs. 2 AStBV).

1.546

VII. Kontrollmitteilungen 1. Überblick Gegenstand der Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen der Betriebsprüfung sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse beim Steuerpflichtigen (Prüfungssubjekt), deren Vorliegen z.B. die Erfüllung eines Steuertatbestands (z.B. § 15 Abs. 1 EStG) zur Folge hat, die sich auf die Höhe der Steuer auswirken (Bemessungsgrundlage) und/oder die sich auf den anwendbaren Tarif auswirken. Werden anlässlich dieser Betriebsprüfung rechtliche oder tatsächliche Verhältnisse3 anderer Personen (z.B. Lieferanten, Kunden) festgestellt, so ist die Auswertung der Feststellungen insoweit zulässig, als ihre Kenntnis für die Besteuerung dieser anderen Personen von Bedeutung ist oder die Feststellungen eine unerlaubte Hilfeleistung in Steuersachen betreffen (§ 194 Abs. 3 AO, § 9 BpO). Die Umsetzung der Auswertung der Feststellungen erfolgt dadurch, dass der Prüfer seine Feststellung vor Beendigung der Betriebsprüfung in einer Kontrollmitteilung festhält und die Mitteilung dem Finanzamt, das für die Besteuerung des Betroffenen zuständig ist, zuleitet. Informationen über Auslandsbeziehungen sind auch dem Bundeszentralamt für Steuern zur Auswertung zu übersenden (§ 9 Satz 2 BpO). Das Finanzamt prüft die Erheblichkeit der mitgeteilten Informationen für die Besteuerung der betroffe1 ausf. dazu: Gehm, StBp 2006, 105. 2 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 201 AO Rz. 20. 3 Gosch in Gosch, § 194 AO Rz. 223; Seer in Tipke/Kruse, § 194 AO Rz. 32; Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 140.

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1.547

Kap. 1 Rz. 1.547 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

nen Person und setzt ggf. entsprechende Maßnahmen um (z.B. Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 AO). Durch Kontrollmitteilungen soll eine gleichmäßige und konsequente Besteuerung gewährleistet werden.1

2. Voraussetzungen für eine Kontrollmitteilung a) Erste Alternative: Feststellung ist für die Besteuerung einer anderen Person von Bedeutung

1.548

Die Auswertung einer Feststellung der Verhältnisse eines Dritten bzw. eine diesbezügliche Kontrollmitteilung ist zulässig, wenn ihre Kenntnis für die Besteuerung der betroffenen Person von Bedeutung ist (zur Zulässigkeit der Kontrollmitteilung bei Feststellung einer unerlaubten Hilfeleistung in Steuersachen). Bei den Verhältnissen des Dritten kann es sich um tatsächliche Tatsachen (z.B. Zahlung des Steuerpflichtigen an den Dritten) oder um rechtliche Tatsachen (z.B. Qualifizierung einer Geldzuwendung vom Dritten an den Steuerpflichtigen als Darlehen) handeln.2 Unbeachtlich ist, ob die Tatsachen dem Finanzamt, das für die Besteuerung des Dritten zuständig ist, bereits bekannt sind. Dritte können auch die Gesellschafter einer Personengesellschaft sein.3 Die Feststellung der Verhältnisse eines Dritten müssen „Nebenprodukt“ der Betriebsprüfung sein.4 Dies bedeutet, dass die Feststellung sachlich durch die Betriebsprüfung veranlasst sein muss. Ein Dokument, eine Information oder ein Beleg (z.B. Buchungsbeleg zu einer Geldüberweisung an den Dritten) als Grundlage der Feststellung muss Gegenstand der Betriebsprüfung sein.5 In zeitlicher Hinsicht müssen die Kenntnisse über die Verhältnisse während der Betriebsprüfung erlangt sein.6 Nicht zulässig ist deshalb, eine Betriebsprüfung bei einem Steuerpflichtigen anzuordnen, um Informationen über den Dritten zu erlangen.7

1.549

Eine Feststellung der Verhältnisse setzt weiterhin voraus, dass sie für die Besteuerung des Dritten von Bedeutung sein könnte.8 Dies ist z.B. der Fall, wenn durch die Information das Vorliegen eines Steuertatbestands (z.B. regelmäßiger Erwerb von Sachen des Dritten durch den Steuerpflichtigen deutet auf das Vorliegen eines Gewerbebetriebs des Dritten hin, § 15 Abs. 1 EStG) oder die Höhe der Steuer (z.B. Erfassung von Zahlungen an den Dritten als Betriebseinnahmen) beeinflusst werden könnten. Erst das zuständige Finanzamt wird beurteilen können, ob die Information im konkreten Fall letztlich auch von Bedeutung ist. In der Praxis wird es am Vorliegen dieser Voraussetzung nur fehlen, wenn die Feststellung der Verhältnisse unter keinem Gesichtspunkt für die Besteuerung des Dritten von Bedeutung sein kann.

1.550

Eine weitere Voraussetzung besteht, wenn es sich um eine Betriebsprüfung bei einem Berufsgeheimnisträger handelt (z.B. Rechtsanwalt). In diesem Fall hat der Prüfer den Geheimnisträ1 Zum Verhältnis zu Art. 3 GG Gosch in Gosch, § 194 AO Rz. 212; Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 125. Zum Schutznormcharakter von § 194 Abs. 3 AO Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 127. 2 Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 140; Seer in Tipke/Kruse, § 194 AO Rz. 32. 3 Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 143. 4 § 194 Abs. 3 AO: [...] anlässlich einer Außenprüfung [...]. 5 Gosch in Gosch, § 194 AO Rz. 236; Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 146 ff.; Seer in Tipke/ Kruse, § 194 AO Rz. 30. 6 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 164 AO Rz. 44; Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 146; Rüsken in Klein15, § 194 AO Rz. 41c. 7 BFH v. 4.11.2003 – VII R 28/01, BStBl. II 2004, 1032; AEAO zu § 194 Nr. 5. 8 BFH v. 4.11.2003 – VII R 28/01, BStBl. II 2004, 1032; Intemann in Koenig3, § 194 AO Rz. 55; Seer in Tipke/Kruse, § 194 AO Rz. 32; Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 160.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.554 Kap. 1

ger, also den Steuerpflichtigen, vor Erstellung der Kontrollmitteilung zu informieren.1 Auf diese Weise wird sichergestellt, dass das Prüfungssubjekt ausreichend Zeit hat, sich gegen die Kontrollmitteilung zur Wehr setzen zu können (zum Rechtsschutz Rz. 1.552). b) Zweite Alternative: Feststellung betrifft eine unerlaubte Hilfeleistung in Steuersachen Die Auswertung einer Feststellung der Verhältnisse eines Dritten ist auch zulässig, wenn sie eine unerlaubte Hilfeleistung in Steuersachen betrifft. Dies bedeutet, dass der Prüfer eine mögliche Verletzung von § 5 StBerG zum Gegenstand einer Kontrollmitteilung machen kann. Eine mögliche Verletzung kommt in Betracht, wenn aus den Prüfungsunterlagen folgt, dass Personen, die nicht in § 3, § 3a oder § 4 StBerG genannt sind, den Steuerpflichtigen geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten. Die zuständige Finanzbehörde wird – nach Prüfung der Angelegenheit – die zuständigen Stellen informieren (vgl. § 5 Abs. 2 bis 4 StBerG).

1.551

3. Rechtsschutz Bei einer Kontrollmitteilung handelt es sich um schlicht hoheitliches Handeln in Form einer ressortinternen Amtshilfe2, sie stellt mangels Außenwirkung keinen Verwaltungsakt dar.3 Deshalb kann der Steuerpflichtige ein fehlendes Vorliegen der Voraussetzungen für eine Kontrollmitteilung mit der allgemeinen Leistungsklage (§ 40 Abs. 1 Alt. 1 FGO) angreifen.4 Vor Versand der Kontrollmitteilung sind eine Unterlassungsklage und vorläufiger Rechtsschutz in Form eines Antrags auf einstweilige Anordnung (§ 114 AO) zulässig. Nach Versand ist eine Folgenbeseitigungsklage statthaft.

1.552

Der Dritte kann vor Versand der Kontrollmitteilung gleichfalls durch Unterlassungsklage (und ggf. Antrag auf einstweilige Anordnung) gegen die Maßnahme des Prüfers vorgehen. Für den Fall, dass die Kontrollmitteilung dennoch versandt wird, kommt zusätzlich eine Anfechtung des geänderten Steuerbescheids in Betracht, mit dem Ziel eine Verwertung der Informationen zu vermeiden.

1.553

F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen I. Einführung Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gehört zu den „klassischen“ Problemstellungen in der Betriebsprüfung insbesondere bargeldintensiver Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe. Eine Schätzung ist dabei keine Besteuerung nach dem „Gefühl“ des Betriebsprüfers oder Finanzrichters, sondern ein gesetzlich geregeltes Instrument zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, dessen Grenzen insbesondere durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gezogen werden. Welche Voraussetzungen und Grenzen für eine rechtmäßige Schätzung im Be1 BFH v. 8.4.2008 – VIII R 61/06, BStBl. II 2009, 579. 2 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 164 AO Rz. 44; Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 112; Seer in Tipke/Kruse, § 194 AO Rz. 27 ff. 3 BFH v. 8.4.2008 – VIII R 61/06, BStBl. II 2009, 579; Gosch in Gosch, § 194 AO Rz. 266; Intemann in Koenig3, § 194 AO Rz. 69; Rüsken in Klein15, § 194 AO Rz. 67; Seer in Tipke/Kruse, § 194 AO Rz. 33. 4 BFH v. 8.4.2008 – VIII R 61/06, BStBl. II 2009, 579; Intemann in Koenig3, § 194 AO Rz. 69; Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 180; Seer in Tipke/Kruse, § 194 AO Rz. 33.

von Freeden und Peters | 139

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1.554

Kap. 1 Rz. 1.554 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

steuerungsverfahren beachtet werden müssen, ist Gegenstand der folgenden Ausführungen. Dabei wird auch darauf eingegangen, welche Rahmenbedingungen für eine Schätzung in einem parallelen Steuerstrafverfahren bestehen.

II. Grundlagen 1. Wesen der Schätzung 1.555

Gemäß § 162 Abs. 1 AO hat die Finanzbehörde, soweit sie die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, diese zu schätzen. Bei der in § 162 AO gesetzlich geregelten Schätzung handelt es sich im Ausgangspunkt um eine Form der Beweiswürdigung aufgrund unzureichender Beweismittel1 bei gleichzeitig reduziertem Beweismaß2. Diese – zugegebenermaßen sehr abstrakte – Definition ist grundlegend für das Verständnis der Bedeutung und Funktion von Schätzungen.

1.556

§ 162 AO ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass im Besteuerungsverfahren grundsätzlich das Prinzip der vollen Wahrheitsüberzeugung als Regelbeweismaß gilt.3 Danach muss der entscheidungserhebliche Sachverhalt von der Finanzbehörde (§ 88 AO) und dem FG (§ 96 FGO) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.4 In der Praxis stellt sich die Sachlage allerdings nicht selten so dar, dass sich die Besteuerungsgrundlagen trotz Heranziehung des Steuerpflichtigen zur Mitwirkung (§§ 90, 200 AO) und trotz Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Beweismittel (§ 92 AO) nicht ermitteln oder berechnen lassen. In diesem Fall verpflichtet § 162 Abs. 1 AO die Finanzbehörde zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen. Diese dürfen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitserwägungen festgestellt werden.5 § 162 AO regelt also eine gesetzliche Beweismaßreduzierung6 auf eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit oder sogar im Extremfall, beim sog. Beweisverderber oder Beweisvereiteler, auf die Möglichkeit der festgestellten Besteuerungsgrundlagen. Ziel der Schätzung muss aber immer die Ermittlung derjenigen Besteuerungsgrundlagen sein, die die größtmögliche Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben.7 Die Finanzbehörde hat dabei gem. § 162 Abs. 1 Satz 2 AO alle Umstände, die für die Schätzung von Bedeutung sind, zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen.8

1.557

Besondere Bedeutung kommt dabei den steuerlichen Mitwirkungspflichten zu. Das Besteuerungsverfahren beruht nach der Grundkonzeption der Abgabenordnung in den §§ 88, 89, 90 ff. AO auf der Kooperation zwischen Steuerpflichtigem und Finanzbehörde bei der Sachverhaltsaufklärung.9 Wirkt der Steuerpflichtige entgegen seinen gesetzlichen Pflichten aus §§ 90 ff. AO nicht mit, redu1 BFH v. 11.5.2005 – IV B 144/03, BFH/NV 2005, 1612; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 9. 2 BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462; Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 1; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 1; Rüsken in Klein15, § 162 AO Rz. 1; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 9. 3 Vgl. Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 1; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 1. 4 BFH v. 7.11.2006 – VIII R 81/04, BStBl. II 2007, 364; Ratschow in Gräber9, § 96 FGO Rz. 83; Roser in Gosch, § 88 Rz. 45; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 1; Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 222; Thürmer in HHSp, § 76 FGO Rz. 105; Volquardsen in Schwarz/Pahlke, § 88 AO Rz. 15. 5 BT-Drucks. VI/1982 zu § 143. 6 Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 1; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 1; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 2. 7 St. Rspr., vgl. nur BFH v. 18.12.1984 – VIII R 195/82, BStBl. II 1986, 226; BFH v. 7.5.2004 – IV B 221/02, BFH/NV 2004, 1367; BFH v. 23.3.2011 – X R 44/09, BStBl. II 2011, 884. 8 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 30. 9 Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 30; Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 1 und § 162 AO Rz. 4; Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 92.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.562 Kap. 1

ziert sich für steuerbegründende oder – erhöhende Tatsachen gem. § 162 Abs. 2 AO das Beweismaß1 – die Finanzbehörde darf und muss schätzen. Deutlich wird dieses Zusammenspiel am extremsten Fall der Pflichtverletzung, der Nichtabgabe einer Steuererklärung, die die Finanzbehörde zur Vollschätzung sämtlicher Besteuerungsgrundlagen berechtigt. Soweit die Unaufklärbarkeit eines steuerbegründenden/-erhöhenden Sachverhalts nicht auf eine Mitwirkungspflichtverletzung des Steuerpflichtigen zurückführbar ist, bleibt es allerdings bei dem Regelbeweismaß der vollen Wahrheitsüberzeugung und es ist eine Beweislastentscheidung zugunsten des Stpfl. zu treffen.2 Auch dann, wenn wegen fehlender Mitwirkung des Steuerpflichtigen steueraufhebende oder -mindernde Tatsachen unaufgeklärt bleiben, ist am Regelbeweismaß festzuhalten und – umgekehrt – eine Beweislastentscheidung zuungunsten des Steuerpflichtigen, in dessen Verantwortungsbereich das Aufklärungsdefizit fällt, zu treffen.3 Insofern gilt ein Verbot der Prämierung einer Mitwirkungsverweigerung.4

1.558

Beruht die Unaufklärbarkeit eines steueraufhebenden oder -mindernden Sachverhalts hingegen nicht auf einer Mitwirkungspflichtverletzung des Steuerplichtigen, verpflichtet § 162 Abs. 1 S. 1 die Finanzbehörde wiederum zu Schätzung – in diesem Fall zugunsten des Steuerpflichtigen.5 Insofern erleichtert die Schätzung beiden Seiten das „Geschäft“.6

1.559

Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn die Buchführung des Steuerpflichtigen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden kann, weil diese formell oder materiell nicht ordnungsgemäß ist. Dies dürfte in der Betriebsprüfung gerade von bargeldintensiven Einzelhandels- und Dienstleistungsbetrieben der häufigste Schätzungsanlass sein. § 162 Abs. 2 bis 4 AO regeln daneben weitere Anwendungsfälle für eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen aufgrund von Mitwirkungspflichtverletzungen, wozu auch die Verletzung der Mitwirkungspflichten in der Betriebsprüfung gem. § 200 AO wie bspw. die Nichtvorlage steuerrelevanter Unterlagen gehören. § 162 Abs. 1 und 2 AO kann deshalb verkürzt dahingehend verstanden werden, dass Besteuerungsgrundlagen insbesondere dann zu schätzen sind, wenn sie deshalb nicht ermittelt oder berechnet werden können, weil der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt hat.7

1.560

Hervorzuheben ist, dass eine Schätzung keine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde ist, sondern der vollen Überprüfung durch das FG unterliegt. Das FG ist dabei nicht auf eine rechtliche Überprüfung der Schätzung der Finanzbehörde beschränkt, sondern kann gem. § 96 FGO von einer eigenen Schätzungsbefugnis Gebrauch machen, aufgrund derer es die Schätzung der Finanzbehörde durch eine eigene ersetzen kann.

1.561

Eine Schätzung ist schließlich – auch wenn sie in der Praxis faktisch ähnlich wirken kann – kein Zwangsmittel zur Durchsetzung des Steueranspruchs i.S.d. §§ 328 ff. AO.8

1.562

1 Vgl. BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462; BFH v. 5.2.2014 – X B 138/13, BFH/NV 2014, 720; Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 1; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 1; Rüsken in Klein15, § 162 AO Rz. 1; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 9. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 5. 3 BFH, Urt. v. 19.1.2017 – III R 28/14, BStBl. II 2017, 743; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 6. 4 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 6. 5 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 6. 6 Trzaskalik in HHSp, § 162 AO Rz. 13. 7 Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 52; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 11; Seer in Tipke/ Kruse, § 162 AO Rz. 8 a.E. 8 BFH v. 19.10.2005 – X B 88/05, BFH/NV 2006, 15; BFH v. 28.12.2006 – VIII B 48/06, BFH/NV 2007, 646; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 66; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 13.

Peters | 141

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Kap. 1 Rz. 1.563 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

2. Gegenstand der Schätzung a) Allgemeines

1.563

Gegenstand der Schätzung sind die Besteuerungsgrundlagen des Steuerpflichtigen, nicht die Steuer als solche. Eine Ausnahme besteht u.U. bei der Lohnsteuer.1

1.564

Der Begriff der Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 AO, der im Zusammenhang mit Betriebsprüfungen auch in § 199 Abs. 1 AO verwendet wird, wird definiert durch die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, welche den Anspruch im Steuerbescheid tragen.2 Hierdurch wird deutlich, dass bei einer Schätzung tatsächliche Feststellung und rechtliche Schlussfolgerung eng miteinander verknüpft sind.3

1.565

Beispiel: Bei einer Richtsatzschätzung etwa bilden die betrieblichen Daten die Grundlage für die Einordnung in die Größenklassen der amtlichen Richtsatzsammlung, während die Entscheidung, ob die Richtsatzschätzung generell oder bezogen auf den Einzelfall eine geeignete Schätzungsmethode darstellt, eine Frage der Rechtsanwendung darstellt.4

1.566

Im Rahmen von § 162 Abs. 1 und 2 AO sind dabei nach herrschender Auffassung unter „Besteuerungsgrundlagen“ nur die quantitativen Größen, also zahlenmäßigen Festlegungen und nicht sämtliche für die Besteuerung maßgeblichen Fakten des Besteuerungssachverhalts zu verstehen.5 Anders gewendet: Sachverhaltsschätzungen im Sinne einer Schätzung des Grundsachverhalts nach werden von § 162 Abs. 1 und 2 AO nicht umfasst.6 Es darf also erst dann geschätzt werden, wenn zumindest sicher ist, dass überhaupt ein steuerlich relevanter Sachverhalt verwirklicht worden ist.7 Auch in diesem Zusammenhang gilt allerdings, dass an die diesbezügliche Überzeugungsbildung umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je gravierender der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt.8 Auf der Unterscheidung zwischen sicherem Grundsachverhalt und zu schätzenden Einzelfolgen beruhen auch die nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu stellenden hohen Anforderungen an die Verwerfung einer formell ordnungsgemäßen Buchführung.9

1 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 25. 2 Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 33; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 13; Rüsken in Klein15, § 162 AO Rz. 9; Trzaskalik in HHSp, § 162 AO Rz. 11; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 101. 3 Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 33; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 19; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 101. 4 Vgl. zur Richtsatzschätzung ausf. unter Rz. 1.599, 1.602 ff., 1.645. 5 So BFH v. 20.7.2010 – X B 70/10, BFH/NV 2010, 2007; BFH v. 3.11.2010 – I R 4/10, BFH/NV 2011, 800; BFH v. 10.2.2015 – V B 87/14, BFH/NV 2015, 662; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 14; Trzaskalik in HHSp, § 162 AO Rz. 11; a.A. Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 33; Rüsken in Klein15, § 162 AO Rz. 9; kritisch bzgl. der Differenzierung Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 102; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 20. 6 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 13; Rüsken in Klein15, § 162 AO Rz. 9b; Trzaskalik in HHSp, § 162 AO Rz. 15. 7 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 13; Rüsken in Klein15, § 162 AO Rz. 9b; Trzaskalik in HHSp, § 162 AO Rz. 14. 8 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 162 Rz. 20. 9 Vgl. Trzaskalik in HHSp, § 162 AO Rz. 16; ausf. zu den Anforderungen an die Verwerfung einer formell ordnungsgemäßen Buchführung vgl. unter Rz. 1.590.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.570 Kap. 1

b) Einzelne Besteuerungsgrundlagen Bei Steuerpflichtigen, die Einkünfte aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft erzielen, ist der Gewinn zu schätzen. Dabei ist jeweils die für die jeweilige Einkunftsart geltende Gewinnermittlungsart maßgeblich.1 Der Wahl der Gewinnermittlungsart durch den Steuerpflichtigen ist dabei grundsätzlich zu folgen. Ermittelt also der Steuerpflichtige seinen Gewinn gem. § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG durch Bestandsvergleich, ist das Finanzamt daran ebenso gebunden wie an die (zulässige) Wahl der Einnahme-Überschuss-Rechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG.2 Hat der Steuerpflichtige – bspw. in Vollschätzfällen – keine Wahl getroffen, ist der Gewinn durch Bestandsvergleich zu ermitteln.3

1.567

Entsprechendes gilt für die Schätzung von Umsätzen. Auch hier ist das Finanzamt an die Wahl des Steuerpflichtigen, die Umsätze nach vereinbarten (Sollumsätze) bzw. (zulässigerweise) auf Antrag nach vereinnahmten (Istumsätze) Umsätzen zu ermitteln, gebunden.4 Trifft der Steuerpflichtige keine Wahl, ist die Ermittlung der Umsätze nach vereinbarten Umsätzen maßgeblich.5 Eine Schätzung von Vorsteuerbeträgen kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Gemäß § 15 Abs. 1 UStG ist eine ordnungsgemäße Rechnung i.S.v. § 14 UStG Voraussetzung für den Vorsteuerabzug. Das Fehlen einer Rechnung kann nicht durch eine Schätzung behoben werden.6 Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise dann, wenn mit ausreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass ursprünglich ordnungsgemäße Rechnungen vorhanden waren.7 Ferner kann eine Anerkennung von schätzungsweise ermittelten Vorsteuerbeträgen im Rahmen einer Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen in Betracht kommen.8

1.568

Bei einem buchführungspflichtigen Landwirt, der keine nach §§ 140, 141 AO erforderlichen Bücher geführt hat, ist der Gewinn nach einer anerkannten, für die betreffende Landwirtschaft brauchbaren Schätzungsmethode zu ermitteln.9

1.569

Grundsätzlich können auch steuermindernde Posten wie Betriebsausgaben, Werbungskosten und Sonderausgaben schätzungsweise ermittelt werden.10 Dieser Grundsatz findet allerdings seine Grenze in den Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen und den allgemeinen Regeln der Beweisrisikoverteilung, vgl. hierzu oben unter Rz. 1.557. Fällt die Verantwortung für die Aufklärung steuermindernder Tatsachen in die Verantwortungssphäre des Steuerpflichtigen und wirkt dieser an der Aufklärung nicht mit, ist der steuermindernde Posten nicht schätzungsweise zu ermitteln.11

1.570

1 BFH v. 15.4.1999 – IV R 68/98, BStBl. II 1999, 481; Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 34; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 21. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 21 m.w.N. 3 BFH v. 31.7.2009 – VIII B 28/09, BFH/NV 2009, 1967. 4 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 23. 5 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 23. 6 Vgl. etwa BFH v. 12.6.1986 – V R 75/78, BStBl. II 1986, 721; BFH v. 31.7.2007 – V B 156/06, BFH/ NV 2008, 416; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 8; Rüsken in Klein15, § 162 AO Rz. 17a; a.A. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 28. 7 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 8; Rüsken in Klein15, § 162 AO Rz. 17a. 8 BFH v. 30.4.2009 – V R 15/07, BStBl. II 2009, 744; A. 15.11 VII UStAE. 9 BFH v. 29.3.2001 – IV R 67/99, BStBl. II 2001, 484. 10 Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 36; Rüsken in Klein15, § 162 AO Rz. 13; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 24. 11 BFH v. 19.1.2017 – III R 28/14, BStBl. II 2017, 743; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 5; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 24a.

Peters | 143

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Kap. 1 Rz. 1.571 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.571

Beispiel: Die Kosten eines häuslichen Arbeitszimmers können bspw. nicht im Schätzungswege als Werbungskosten berücksichtigt werden, wenn der Sachverhalt deshalb nicht abschließend aufgeklärt werden kann, weil der Steuerpflichtige die entsprechenden Nachweise wie einen Grundriss des Gebäudes oder Fotografien des Raumes nicht vorlegt. Eine weitere Grenze der Schätzung von steuermindernden Posten bildet § 160 AO, wenn der Steuerpflichtige dem Benennungsverlangen des Finanzamts nicht nachkommt.1

3. Arten der Schätzung 1.572

Zu unterscheiden ist zwischen Vollschätzungen und Teil- bzw. Ergänzungsschätzungen.

1.573

Bei einer Vollschätzung werden sämtliche Teile der steuerlichen Bemessungsgrundlage einer Steuer geschätzt, bspw. die Einkünfte bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer und der Umsatz bei der Umsatzsteuer.2 Eine Vollschätzung kommt nur bei gravierenden Mitwirkungspflichtverletzungen in Betracht, wenn keine Möglichkeit besteht, vorhandene Unterlagen durch eine punktuelle Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zu ergänzen.3

1.574

Bei einer Teil- oder Ergänzungsschätzung werden Teile einer bestimmten Besteuerungsgrundlage oder selbständige Einzelbesteuerungsgrundlagen geschätzt.4

1.575

Hierzu gehören bspw. die Schätzung von Betriebseinnahmen und -ausgaben, des Eigenverbrauchs, der Nutzungsdauer von Wirtschaftsgütern, Kosten einzelner Wirtschaftsgüter, die Aufteilung eines Kaufpreises auf Grund und Boden oder die Höhe einer Rückstellung.

4. Anwendungsbereiche 1.576

Eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen kommt in jedem Stadium des steuerlichen Festsetzungsverfahrens in Betracht. Die Schätzungsbefugnis der Finanzbehörde gilt im Veranlagungsverfahren und im Einspruchsverfahren. Dem FG steht gem. § 96 Abs. 1 FGO i.V.m. § 162 AO eine eigene Schätzungsbefugnis zu.

1.577

Im Steuerstrafverfahren hingegen gilt nicht § 162 AO, sondern § 261 StPO und damit uneingeschränkt das Beweismaß der vollen richterlichen Überzeugung5.

5. Schätzung und Verprobung 1.578

Die Verprobung ist von der Schätzung zu unterscheiden. Während Ziel der Schätzung die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen des Steuerpflichtigen ist, ist Gegenstand der Verprobung die rechnerische Überprüfung der sachlichen Richtigkeit der erklärten Besteuerungsgrundlagen.6 Zu differenzieren ist zwischen der Verprobung zur Widerlegung der Angaben des Steuerpflichtigen und der Schätzung nach erfolgter Verwerfung der Buchführung (auch) infolge der Verprobung.7 1 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 25. 2 Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 99; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 47. 3 BFH v. 29.3.2011 – IV R 67/99, BStBl. II 2001, 484; BFH v. 15.4.1999 – IV R 68/98, BStBl. II 1999, 481; Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 99 f. 4 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 48. 5 BGH v. 6.4.2016 – 1 StR 523/15, NStZ 2016, 728. 6 Vgl. auch Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 22; Schuster in HHSp, § 158 AO Rz. 11; Seer in Tipke/ Kruse, § 162 AO Rz. 53; Trzaskalik in HHSp, § 162 AO Rz. 40. 7 Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 22; Schuster in HHSp, § 158 AO Rz. 11; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 53; Trzaskalik in HHSp, § 162 AO Rz. 40.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.582 Kap. 1

In der Praxis ist die Unterscheidung zwischen Schätzung und Verprobung deshalb nicht immer einfach zu treffen, weil dieselben Schätzungsmethoden sowohl zur Verprobung, wie zur schätzungsweisen Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen eingesetzt werden.1 Bspw. kann mithilfe der amtlichen Richtsätze sowohl ein erklärter Gewinn auf seine Plausibilität hin überprüft, als auch nach Verwerfen der Buchführung als nicht ordnungsgemäß ein abweichender Gewinn ermittelt werden.

1.579

Hohe Anforderungen sind an die Verprobung zu stellen, wenn mit ihr eine formell ordnungsgemäße Buchführung verworfen, also die gesetzliche Vermutung des § 158 AO widerlegt und der Nachweis geführt werden soll, dass der erklärte Gewinn nicht zutreffend sein kann; vgl. hierzu ausführlich unter Rz. 1.594.

1.580

6. Besonderheiten bei Auslandssachverhalten Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 AO ist auch dann zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzt. Damit nimmt § 162 Abs. 2 AO auf die erweiterten Mitwirkungspflichten von Steuerpflichtigen bei Auslandssachverhalten Bezug.2 Ist ein Sachverhalt zu ermitteln und steuerrechtlich zu würdigen, der sich auf Vorgänge im Ausland bezieht, ist der Steuerpflichtige gem. § 90 Abs. 2 Satz 1 AO verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 AO sind dabei alle für den Steuerpflichtigen bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen. Dem liegt der Gedanke der Beweisnähe zugrunde.3 Die Finanzbehörde und das FG können Sachverhalte außerhalb ihres Hoheitsbereichs häufig nicht mit zumutbarem Aufwand aufklären. § 162 Abs. 2 Satz 2 AO reduziert das Beweismaß für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und lässt es zu, dass aus der Mitwirkungspflichtverletzung des Steuerpflichtigen Schlussfolgerungen zu seinen Lasten gezogen werden.4

1.581

Die Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten erweitert § 90 Abs. 2 Satz 3 AO für Fälle, in denen der Steuerpflichtige Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten in Staaten oder Gebieten unterhält, mit denen kein Abkommen besteht, das die Erteilung von Auskünften entsprechend Art. 26 des OECD-MA 2005 auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vorsieht, oder der Staat oder das Gebiet keine Auskünfte in einem vergleichbaren Umfang erteilt oder keine Bereitschaft zu einer entsprechenden Auskunftserteilung zeigt. Für die Finanzbehörde soll so die Sachaufklärung bei Geschäftsbeziehungen des Steuerpflichtigen in als kooperationsunwillig eingestuften „Steueroasen“-Staaten erleichtert werden.5 Die Finanzbehörde kann hier verlangen, dass der Steuerpflichtige die Richtigkeit und Vollständigkeit seiner Angaben über Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten in einem Steueroasen-Staat an Eides statt versichert und die Finanzbehörde bevollmächtigt, in seinem Namen Auskunftsansprüche gegenüber den betreffenden Kreditinstituten geltend zu machen. Kommt der Steuerpflichtige dem nicht nach, enthält § 162 Abs. 2 Satz 3 AO eine gesetzliche Ver-

1.582

1 Vgl. Kulosa, DB 2015, 1797. 2 Das BMF hat mit Datum vom 3.12.2020 neue Verwaltungsgrundsätze zu Mitwirkungspflichten unr zur Schätzungsbefugnis bei Auslandsbezug veröffentlicht (BStBl. I 2020, 1325), vgl. dazu Lachnit/Spensberger, DStR 2021, 1073 ff. 3 Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 216; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 35. 4 BFH v. 26.10.1994 – X R 114/92, BFH/NV 1995, 373; BFH v. 19.12.2007 – X B 34/07, BFH/NV 2008, 597; Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 58; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 215 ff.; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 35; kritisch Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 26. 5 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 43b.

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Kap. 1 Rz. 1.582 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

mutung, dass in dem Steueroasen-Staat steuerpflichtige Einkünfte erzielt wurden oder höher als die erklärten Einkünfte sind. Es werden also dem Grunde nach Einkünfte – widerlegbar – vermutet.1 Der Höhe nach sind diese Einkünfte nach § 162 Abs. 2 Satz 1 AO zu schätzen.

1.583

Ergänzt werden diese Regelungen durch die Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO für Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 4 AStG, sog. Verrechnungspreisdokumentation (vgl. hierzu Rz. 7.99). Legt der Steuerpflichtige keine Verrechnungspreisdokumentation vor oder ist diese im Wesentlichen unverwertbar oder hat er außergewöhnliche Geschäftsvorfälle i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 8 AO nicht zeitnah hinsichtlich der Verrechnungspreisbestimmung dokumentiert, sieht § 162 Abs. 3 AO vor, dass widerlegbar vermutet wird, dass die im Inland steuerpflichtigen Einkünfte, zu deren Ermittlung die Verrechnungspreisdokumentation dient, höher als die tatsächlich erklärten Einkünfte sind.2 Bei der dann erforderlichen Schätzung darf der Schätzungsrahmen gem. § 162 Abs. 3 Satz 2 AO von der Finanzbehörde ausgeschöpft werden. Hinzu können Steuerzuschläge gem. § 162 Abs. 4 AO kommen.

III. Grundsätze ordnungsgemäßer Schätzung 1. Prüfungsschritte 1.584

Eine dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßige Schätzung erfordert eine dreistufige Prüfung: – Schätzungsbefugnis dem Grunde nach (§ 162 AO) – Schätzung der Höhe nach – Plausibilität des Schätzungsergebnisses.

1.585

Zu allen drei Prüfungsschritten sind durch den Betriebsprüfer, die Rechtsbehelfsstelle des Finanzamts oder (spätestens) durch das FG substantiierte Feststellungen zu treffen. Die Schätzung ist als rechtmäßig zu betrachten, wenn die Voraussetzungen des § 162 AO vorliegen und sich das Ergebnis als schlüssige, wirtschaftlich vernünftige und mögliche, wenn auch an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens bewegende Wahrscheinlichkeitsüberlegung darstellt. Eine Schätzung ist rechtswidrig, wenn sie den durch die Umstände des Einzelfalles gezogenen Schätzungsrahmen verlässt und das Schätzungsergebnis unschlüssig, wirtschaftlich unvernünftig und unwahrscheinlich ist.3 Eine Schätzung ist außerdem dann rechtswidrig, wenn ihr Zustandekommen für den Steuerpflichtigen nicht nachvollziehbar ist, weil ihre Grundlagen und ihre Durchführung nicht begründet werden. Nichtig ist ein auf einer Schätzung beruhender Steuerbescheid nur in Ausnahmefällen.

2. Schätzung dem Grunde nach a) Überblick

1.586

Wie dargestellt, sind die Besteuerungsgrundlagen insbesondere dann zu schätzen, wenn sie deshalb nicht ermittelt oder berechnet werden können, weil der Steuerpflichtige seine Mitwir1 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 53; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 262; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 43b. 2 Vgl. auch Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 270; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 66 f. 3 BFH v. 28.3.2001 – VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217; BFH v. 13.10.2003 – IV B 85/02, BStBl. II 2004, 25; BFH v. 31.5.2005 – IX B 1/05, juris; BFH v. 9.5.2006 – XI B 104/05, BFH/NV 2006, 1801; BFH v. 19.7.2011 – X R 48/08, BFH/NV 2011, 2032.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.591 Kap. 1

kungspflichten verletzt hat.1 Insbesondere gilt dies gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 AO dann, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können. Letztes ist wiederum der Fall, wenn die Buchführung nicht den Vorschriften der §§ 140–148 AO entspricht und deshalb nicht die Beweiskraft für die Richtigkeit ihres Ergebnisses entfaltet, die § 158 AO regelt. Eine ordnungsgemäße Begründung der Schätzungsbefugnis erfordert dabei die Darlegung und Begründung folgender Voraussetzungen:

1.587

– Benennung der verletzten Rechtsnorm, – Angabe der Tatsachen, aus denen die Verletzung der Rechtsnorm folgt, – Gewichtung des Verstoßes gegen Aufzeichnungs- und/oder Buchführungspflichten unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles. Bei der Überprüfung, ob die Buchführung fehlerhaft ist, ist zwischen materiellen und formellen Mängeln bzw. Rechtsnormverletzungen zu unterscheiden.

1.588

b) Materielle Mängel Materielle Mängel haben als solche bereits unmittelbare Auswirkungen auf das Buchführungsergebnis, also den Gewinn oder Verlust des einzelnen Jahres.2 Zu den materiellen Mängeln gehören bspw. die Nichterfassung von Einnahmen, die unberechtigte Erfassung von Aufwendungen als Betriebsausgaben oder Bareinlagen, deren Herkunft sich nicht aufklären lässt, also eine unzutreffende Abgrenzung zum Privatbereich. Materielle Mängel sind zunächst zu korrigieren. Geben die Mängel darüber hinaus Anlass, die Richtigkeit des Buchführungsergebnisses insgesamt anzuzweifeln, berechtigen sie zu einer (Voll-) Schätzung des Betriebsergebnisses.3

1.589

c) Formelle Mängel Formelle Mängel betreffen die Nichteinhaltung von Aufzeichnungs-, Ordnungs- und Aufbewahrungsvorschriften. Formelle Mängel berechtigen nicht in jedem Fall zur Schätzung. Eine Schätzungsbefugnis ist bei formellen Mängeln nur gegeben, soweit diese Anlass geben, auch die sachliche Richtigkeit des erklärten Ergebnisses anzuzweifeln.4 Auch in diesem Fall sind bei der Schätzung alle relevanten Umstände zu berücksichtigen, die dem Finanzamt bekannt sind oder im Rahmen verhältnismäßiger Sachaufklärung bekannt sein können und müssen.5

1.590

Beispiele: Tätigt der Steuerpflichtige bspw. überwiegend Bargeschäfte, kommt bei der Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich der Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung besondere Bedeutung zu. Hier können Mängel der Kassenführung den gesamten Aufzeichnungen die Ordnungsmäßigkeit nehmen.6 Dabei stellt bspw. die fehlende Datierung vorhandener und lückenlos nummerierter Tagesendsummenbons

1.591

1 2 3 4 5 6

Vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 32. Kulosa, DB 2015, 1797. Kulosa, DB 2015, 1797. BFH v. 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921. BFH v. 24.6.1997 – VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51. Vgl. nur BFH v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204 m.w.N.

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Kap. 1 Rz. 1.591 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung einen geringfügigen (und nicht zu einer Schätzung berechtigenden) Mangel dar,1 während das Fehlen der Dokumentationsunterlagen bei einer elektronischen Registrierkasse einen Fehler darstellt, der so gravierend ist, dass er der gesamten Buchführung ihre Nachvollziehbarkeit nimmt und zur (Voll-) Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berechtigt.2 Eine ordnungsgemäße Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG setzt, auch wenn eine förmliche Aufzeichnungspflicht nicht besteht, voraus, dass die Höhe der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben durch Belege nachgewiesen wird.3

1.592

In diesem Zusammenhang ist – was eine Selbstverständlichkeit sein sollte, im Betriebsprüfungsalltag aber nicht immer beachtet wird – hervorzuheben, dass eine Rechtsnormverletzung nur bei einem Verstoß gegen eine gesetzlich geregelte Buchführungs- oder Aufzeichnungsvorschrift vorliegt.4 Der Verstoß gegen die Regelungen eines BMF-Schreibens als norminterpretierender Verwaltungsvorschrift genügt hierfür bspw. nur dann, wenn sich die Verwaltungsanweisung auf eine gesetzliche Vorschrift zurückführen lässt. Insbesondere sind gerichtlicher Prüfungsmaßstab allein die steuerlichen und außersteuerlichen gesetzlichen Buchführungsvorschriften. Diese Unterscheidung ist in Betriebsprüfungen insbesondere bei der Prüfung digitaler Buchführungsunterlagen von Bedeutung, wenn sich der Prüfer auf die Anforderungen der sog. „GoBD“ und die Nichterfüllung der darin geregelten Dokumentationspflichten stützt; ausführlich Rz. 2.65 ff.

1.593

In diesem Zusammenhang ist weiter zu beachten, dass es nicht darauf ankommt, ob der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungs- und Vorlagepflichten nicht erfüllen kann oder nicht erfüllen will.5 Selbst dann, wenn Buchführungsunterlagen unverschuldet vernichtet wurden (bspw. aufgrund eines Wasser- oder Feuerschadens oder eines Einbruchs), ist das Finanzamt zur Schätzung berechtigt, da die Besteuerungsgrundlagen in diesem Fall nicht ermittelt oder berechnet werden können.6 d) Formell ordnungsgemäße Buchführung und Aufzeichnungen

1.594

Entspricht die Buchführung des Steuerpflichtigen den gesetzlichen Aufzeichnungs-, Ordnungs- und Aufbewahrungsvorschriften, ist sie gem. § 158 AO der Besteuerung zugrunde zu legen. § 158 AO enthält eine gesetzliche Vermutung für die sachliche Richtigkeit der Buchführung als Gesamtwerk.7 Diese gesetzliche Vermutung kann – wie jede zugunsten oder zu Lasten des Steuerpflichtigen bestehende gesetzliche Vermutung – von der Finanzbehörde widerlegt werden. Hierfür ist aber erforderlich, dass die Finanzbehörde darlegt und ggf. beweist, dass das erklärte Ergebnis nicht zutreffend sein kann. An diesen Nachweis sind strenge Anforderungen zu stellen. Die gesetzliche Vermutung ist erst dann widerlegt, wenn die Sachverhaltswürdigung ergibt, dass das Buchführungsergebnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ganz oder teilweise sachlich unrichtig ist.8 Als Nachweis kann bspw. eine Ausbeutekalkulation oder eine Geldverkehrs- oder Vermögenszuwachsrechnung9 dienen. Bezüglich mathematisch-statistischer Methoden wie dem Zeitreihenvergleich10 oder der sog. Sum1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. BFH v. 12.2.2020 – X R 8/18, BFH/NV 2020, 1045. Vgl. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. BFH v. 28.10.2015 – X R 47/13, BFH/NV 2016, 171. BFH v. 28.6.1972 – I R 182/69, BStBl. II 1972, 819; BFH v. 9.3.1994 – VIII S 9/93, BFH/NV 1995, 28; BFH v. 26.10.2011 – X B 44/11, BFH/NV 2012, 168. Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 230; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 39. Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 230; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 39. Vgl. hierzu BFH v. 28.1.2009 – X R 20/05, BFH/NV 2009, 912. Vgl. hierzu BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.599 Kap. 1

marischen Risikoprüfung bestehen zumindest erhebliche Zweifel an der Aussagekraft bezüglich der sachlichen Richtigkeit des erklärten Buchführungsergebnisses; dazu Rz. 2.178. Der Vergleich mit der amtlichen Richtsatzsammlung ist allein nicht geeignet, das Ergebnis einer formell ordnungsgemäßen Buchführung zu verwerfen.1 Bei einer formell ordnungsgemäßen Buchführung ergibt sich also ein zweistufiges Vorgehen, wie sich am Beispiel der Ausbeutekalkulation verdeutlichen lässt: Im ersten Schritt dient die Ausbeutekalkulation der Verwerfung der formell ordnungsgemäßen Buchführung (= Verprobung) und im zweiten Schritt der Begründung der Höhe der Hinzuschätzung. e) Darlegung des Mangels Die Feststellungslast für steuererhöhende Umstände trägt die Finanzbehörde.2 Die Finanzbehörde muss dementsprechend im Betriebsprüfungsbericht, spätestens aber in einer (etwaigen) Einspruchsentscheidung die nach ihrer Auffassung verletzte Rechtsnorm und die Tatsachen, aus denen sich diese Verletzung ergibt, genau bezeichnen und so die Schätzungsbefugnis darlegen.3 Gleiches gilt für das FG in der Urteilsbegründung. Textbausteine zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Buchführung genügen dieser Anforderung gerade nicht. Die festgestellten Tatsachen müssen zudem solche des Prüfungszeitraums sein.

1.595

f) Gewichtung des Mangels Zudem müssen auf den konkreten Einzelfall bezogene Ausführungen zum Gewicht der festgestellten Buchführungsmängel erfolgen.4 Hierzu gehört auch eine quantitative Gewichtung.5

1.596

Beispiel: Findet sich im Betriebsprüfungsbericht nur der pauschale Hinweis auf das Fehlen „einiger Rechnungen“ oder „lückenhafter“ Tagesendsummenbons, ist eine Überprüfung des Gewichts dieser Mängel ohne Kenntnis der genauen Anzahl der insgesamt gestellten und der fehlenden Rechnungen bzw. der Gesamtzahl der vorhandenen und fehlenden Tagesendsummenbons nicht möglich. Hier muss spätestens das FG eine genaue zahlenmäßige Darlegung einfordern.

1.597

3. Schätzung der Höhe nach a) Grundlagen Bei der Ermittlung der Höhe der Schätzung sind ebenfalls mehrere Schritte zu unterscheiden. Es ist zu differenzieren zwischen6

1.598

– der sachgerechten Auswahl zwischen verschiedenen Schätzungsmethoden, – der technisch korrekten Anwendung der ausgewählten Schätzungsmethode und – der Verprobung des rechnerischen Schätzungsergebnisses. Eine der Höhe nach rechtmäßige Schätzung erfordert also zunächst die Wahl der „richtigen“ Schätzungsmethode. In der Praxis haben sich verschiedene Schätzungsmethoden entwickelt, 1 2 3 4 5 6

BFH v. 24.11.1993 – X R 12/89, BFH/NV 1994, 766. Vgl. bspw. BFH v. 2.3.2006 – II R 57/04, BFH/NV 2006, 1480. Vgl. Kulosa, DB 2015, 797 (798). Vgl. Kulosa, DB 2015, 797 (798). Vgl. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. Vgl. Kulosa, DB 2015, 797 (798).

Peters | 149

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1.599

Kap. 1 Rz. 1.599 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

die teilweise der umfassenden Ermittlung aller Einkünfte dienen oder darauf ausgerichtet sind, auf eine bestimmte Einkunftsart angewendet zu werden.1 Die einzelnen Schätzungsmethoden schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern können miteinander kombiniert werden oder es kann das Ergebnis einer Schätzungsmethode mithilfe des Ergebnisses einer anderen verprobt werden. Beispiele: – Der Betriebsprüfer erstellt eine Ausbeutekalkulation mit Aufschlagssätzen, die einem Betriebsvergleich entnommen wurden. – Die Ergebnisse der vom Betriebsprüfer erstellten Ausbeutekalkulation werden mittels der amtlichen Richtsatzsammlung verprobt.

Die Wahl der Schätzungsmethode liegt im Ermessen des Finanzamts bzw. des FG. Bei der Ausübung dieses Ermessens ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.2 Schätzungsmethoden, die die individuellen Verhältnisse des jeweiligen Steuerpflichtigen berücksichtigen (also bspw. Aufschlagskalkulation, Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnung) sind vorrangig vor anderen Methoden wie der Richtsatzschätzung und der griffweisen Schätzung, aber auch vor mathematisch-statistische Methoden (Zeitreihenvergleich, Quantilsschätzung, Summarische Risikoprüfung) heranzuziehen.3 Wird von der Betriebsprüfung bspw. eine Ausbeutekalkulation angestellt, besteht aber keine darüberhinausgehende Verpflichtung, zusätzlich eine Geldverkehrsrechnung vorzunehmen.4 Die gewählte Schätzungsmethode ist sodann technisch korrekt anzuwenden. So müssen bspw. bei einer Ausbeutekalkulation die betrieblichen Verhältnisse des Prüfungszeitraums (Portionsgrößen, Eigenverbrauch, etc.) zugrunde gelegt, bei einer Geldverkehrsrechnung der Anfangsbestand ermittelt und bei einer Richtsatzschätzung der zutreffende Richtsatz unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles (Lage des Betriebs, sachliche und personelle Ausstattung) ausgewählt werden. Auch bezüglich der Höhe der Schätzung gilt, dass diese für den Steuerpflichtigen und das FG in einem späteren Klageverfahren überprüfbar sein muss. Deshalb sind die Umstände, die Grundlagen und die Durchführung der Schätzung nachvollziehbar zu dokumentieren.5 Der Betriebsprüfer hat die Schätzungsgrundlagen (bspw. angesetzte Portionsgrößen oder zugrunde gelegte Rezepte bei einer Ausbeutekalkulation) zu belegen. Werden Verprobungen und Kalkulationen, wie heute allgemein üblich, in elektronischer Form angestellt, haben der Steuerpflichtige und sein Berater einen Anspruch auf Übergabe der digitalen Formatvorlagen.6 b) Schätzungsmethoden aa) Vorjahresvergleich

1.600

Bei der Schätzungsmethode des Vorjahresvergleichs werden die Besteuerungsgrundlagen auf der Grundlage entsprechender Angaben des Steuerpflichtigen, insbesondere der Steuererklä-

1 2 3 4

Vgl. hierzu auch Peters, wistra 2019, 217. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. BFH v. 13.9.2016 – X B 146/15, BFH/NV 2016, 1747; BFH v. 11.1.2017 – X B 104/16, BFH/NV 2017, 561. 5 Vgl. Peters, wistra 2019, 217. 6 BFH v. 25.7.2016 – X B 213/15, BFH/NV 2016, 1679.

150 | Peters

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.602 Kap. 1

rungen, für die Vorjahre und ggf. einer Anpassung an veränderte Umstände durch Zu- und Abschläge ermittelt.1 Es handelt sich um eine grobe Schätzungsmethode, die insbesondere dann in Betracht kommt, wenn Steuererklärungen ausbleiben. bb) Äußerer Betriebsvergleich Beim äußeren Betriebsvergleich werden die betriebsinternen Daten betriebsexternen Daten gegenüber gestellt.2 Diese Schätzungsmethode kommt in Betracht, wenn ausreichende betriebsinterne Daten fehlen oder so fehlerhaft sind, dass sie einer Schätzung nicht zugrunde gelegt werden können. Eine besondere Form des äußeren Betriebsvergleichs ist die Anwendung der sog. Richtsatzsammlungen des BMF (vgl. hierzu auch Rz. 1.115), in denen jährlich für eine Reihe von Gewerbezweigen die die Besteuerungsgrundlagen betreffenden Kennziffern zusammengestellt werden, die aus den Betriebsergebnissen von Unternehmen bestimmter Branchen und Größenklassen gewonnen werden.3 Die Richtsatzsammlungen enthalten für eine Reihe von Branchen die Besteuerungsgrundlagen betreffenden Kennziffern wie Rohgewinn-, Halbreingewinn- und Reingewinnsätze. Die Richtsätze sind keine Rechtsnormen, sondern Anhaltspunkte, um Umsatz und Gewinn eines Gewerbebetriebes zu verproben und ggf. zu schätzen. Der äußere Betriebsvergleich hat regelmäßig einen geringeren Beweiswert als der innere Betriebsvergleich.4 Er ist insbesondere nicht geeignet, für sich genommen eine formell ordnungsgemäße Buchführung zu verwerfen.5 Gleichwohl handelt es sich um eine anerkannte Schätzungsmethode.6 Der Steuerpflichtige muss die Ungenauigkeiten einer Richtsatzschätzung insbesondere dann hinnehmen, wenn seine Aufzeichnungen nicht den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Buchführung entsprechen und die Aufzeichnungen so lückenhaft sind, dass ein innerer Betriebsvergleich nicht möglich ist.7

1.601

Die Richtsatzsammlungen geben für die betrieblichen Kennziffern für die jeweiligen Branchen bestimmte Bandbreiten vor, den unteren, mittleren und höchsten Rohgewinn-, Halbreingewinn- und Reingewinnsatz. Die Wahl des Satzes ist vom Betriebsprüfer und ggf. vom FG zu begründen. Unanwendbar ist die Richtsatzsammlung, wenn der Betrieb des Steuerpflichtigen nicht in die Größenklassen fällt.8 Die Richtsätze werden aus den Betriebsergebnissen von Unternehmen bis mittlerer Größe gewonnen und stellen auf die Verhältnisse eines „Normalbetriebs“ ab.9 Bei Anwendbarkeit der Richtsatzsammlung ist den Unsicherheiten, die dieses grobe Raster mit sich bringt, dadurch Rechnung zu tragen, dass die Wahl des „richtigen“ Richtsatzes unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles wie der Lage des Betriebs und dessen sachlicher und personelle Ausstattung zu treffen ist. Hierbei ist wiederum der Steuerpflichtige gefragt, dem Betriebsprüfer und ggf. dem FG die erforderlichen Informationen zu geben.10 Fehlen bei besonders groben Mitwirkungspflichtverletzungen tatsächliche Anhaltspunkte für die Wahl des Richtsatzes, bestehen allerdings keine Bedenken, den höchsten

1.602

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Vgl. hierzu Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 54. Vgl. hierzu Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 55. Vgl. zuletzt für das Jahr 2018 BMF v. 8.7.2019 – IV A 4 – S-1544/09/10001-11, BStBl. I 2019, 605. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 56. BFH v. 26.10.1994 – X R 114/92, BFH/NV 1995, 373. So BFH, v. 8.8.2019 – X B 117/18, BFH/NV 2019, 1219; zur Kritik an der Eignung als Schätzungsmethode vgl. etwa Beyer, nwb 2018, 3232. BFH v. 19.3.2007 – X B 191/06, BFH/NV 2007, 1134. BFH v. 18.10.1983 – VIII R 190/82, BStBl. II 1984, 88. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 56. Vgl. zur Quantilsschätzung BFH v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204.

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Kap. 1 Rz. 1.602 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

Richtsatz anzuwenden.1 Dies gilt insbesondere dann, wenn die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen so lückenhaft sind, dass ein innerer Betriebsvergleich (vgl. hierzu Rz. 1.603 ff.). nicht möglich ist. cc) Innerer Betriebsvergleich

1.603

Beim inneren Betriebsvergleich werden Vergleichsdaten aus den innerbetrieblichen Verhältnissen gewonnen, indem aus den Vergleichswerten der Vorjahre oder anderer Zeitabschnitte Entwicklungstendenzen des jeweiligen Betriebes sichtbar gemacht werden.

1.604

Zum inneren Betriebsvergleich gehört als Schätzungsmethode die sog. Nachkalkulation oder Ausbeutekalkulation. Bei der Nachkalkulation werden Umsatz und Gewinn nach den Kalkulationsdaten des jeweiligen Betriebes nachvollzogen. Dabei ist von den vorhandenen betriebsinternen Zahlen auszugehen. Diese werden weiter zu einem Gesamtergebnis eines Besteuerungsabschnitts entwickelt. Auf diesem Weg lässt sich der wahrscheinliche betriebliche Umsatz durch Anwendung betrieblicher Aufschlagssätze auf den vom Unternehmen verbuchten Waren- und Materialeinsatz bestimmen.2 Das Ergebnis einer Nachkalkulation ist umso belastbarer, je mehr betriebliche Einzeldaten in die Kalkulation einfließen. Diese Einzeldaten sind vom Betriebsprüfer zu berücksichtigen, wobei nach dem Gedanken der Sphärenverantwortlichkeit der Steuerpflichtige verpflichtet ist, dem Betriebsprüfer die erforderlichen Informationen zu geben.3 Je mehr betriebliche Einzeldaten ihrerseits geschätzt werden müssen, desto ungenauer ist das Kalkulationsergebnis.

1.605

Große praktische Bedeutung hat der innere Betriebsvergleich im Bereich der gastronomischen Betriebe. Zu den zu berücksichtigenden betrieblichen Daten gehören hier bspw. das Speisenangebot, die Rezepturen, die Portionsgrößen und der Brat-, Schneid- und Schankverlust. Jeder einzelne der Schätzungsparameter kann dabei erhebliche „Hebelwirkungen“ entfalten. Im Einzelnen kann die Erstellung einer solchen Kalkulation sehr zeitaufwendig sein und erhebliches Streitpotential beinhalten. Den Schwierigkeiten der Speisenkalkulation bei umfangreichem Angebot trägt die sog. Getränkekalkulation oder „30/70-Methode“Rechnung. Diese Methode basiert auf der Überlegung, dass in einem Speiserestaurant das Verhältnis zwischen verzehrten Speisen und Getränken nur geringen Schwankungen unterliegt, da die Gäste typischerweise im Durchschnitt zu jeder Speise eine bestimmte Menge an Getränken zu sich nehmen. Dieser Gedanke rechtfertigt es, aus der Höhe der kalkulierten Getränkeumsätze auf die Höhe der Speisenumsätze zu schließen, ohne dass diese gesondert anhand des Wareneinkaufs kalkuliert werden müssten. Der Getränkeumsatz wird dabei durch Ausbeutekalkulation ermittelt. Die Rechtsprechung erkennt die „30/70-Methode“ als geeignete Schätzungsmethode an.4

1.606

Hinweis: Problematisch ist eine Ausbeutekalkulation bei Gastronomiebetrieben insbesondere dann, wenn der Betriebsprüfer Schwarzeinkäufe annimmt. Diese können je nach Fallgestaltung nur mit geschätzten Werten in die Kalkulation übernommen werden, was zu den beschriebenen Hebelwirkungen führt. Hervorzuheben ist dabei, dass an die Annahme von Schwarzeinkäufen „dem Grunde nach“ hohe Anforderungen zu stellen sind. Bloße Vermutungen reichen hier nicht aus, sondern es müssen tatsächliche Feststellungen hierzu getroffen werden.5 1 FG Münster v. 31.10.2000 – 5 K 6661/98 E, G, U, F, (Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen, BFH v. 19.9.2001 – Az. XI B 6/01, BStBl. II 2002, 4); Apitz, StBp 2002, 107. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 58. 3 Vgl. zur Quantilsschätzung BFH v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204. 4 BFH v. 11.1.2017 – X B 104/16, BFH/NV 2017, 561. 5 BFH v. 27.8.2019 – X B 160/18, X B 3 – 10/19, BFH/NV 2020, 5.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.610 Kap. 1

Eine weitere Form der Nachkalkulation ist die sog. Lohnkalkulation, die insbesondere bei inhabergeführten Handwerksbetrieben zur Anwendung kommen kann. Ziel der Lohnkalkulation ist es, aus den im Betrieb zur Verfügung stehenden produktiven Arbeitsstunden sowie den Stundenlöhnen den deklarierten Umsatz zu plausibilisieren. Die einzelnen Kalkulationsgrundlagen, insbesondere der Anteil der produktiven Arbeitsstunden, beruhen bei der Lohnkalkulation wiederum auf Schätzungen und sind daher mit Unsicherheiten behaftet. Eine Erschütterung einer formell ordnungsmäßigen Buchführung kann deshalb nur angenommen werden, wenn die Abweichungen nicht nur im geringfügigen Bereich liegen.1

1.607

Hinweis: Zuschätzungen aufgrund einer Nachkalkulation bei einer Kapitalgesellschaft sind als verdeckte Gewinnausschüttung an die Gesellschafter zu beurteilen, wenn die Nachkalkulation den Schluss zulässt, dass die Kapitalgesellschaft Betriebseinnahmen nicht vollständig gebucht hat und diese den Gesellschaftern außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung zugeflossen sind.2

1.608

dd) Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnung Ziel der Geldverkehrs- und der Vermögenszuwachsrechnung ist die Ermittlung von Einnahmeverkürzungen aufgrund der Überprüfung von Einnahmen- und Ausgabenvorgängen bzw. Vermögenszuwächsen und -abgängen. Auch diese Methoden sind sowohl zur Verprobung des erklärten Gewinns, als auch zur Schätzung bei Feststellung der fehlenden Ordnungsmäßigkeit der Buchführung geeignet. Der Grundgedanke der Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnungen besteht darin, dass ein Steuerpflichtiger in einem bestimmten Zeitraum nicht mehr Geld ausgeben kann, als ihm aus Einkünften oder sonstigen Quellen zufließt.3 Anwendungsfälle der Geldverkehrsrechnung sind die Bargeldverkehrsrechnung, die private Geldverkehrsrechnung und die Vermögenszuwachsrechnung. Während die Vermögenszuwachsrechnung das Gesamtvermögen in den Vergleich einbezieht, beruht die Geldverkehrsrechnung auf einem Vergleich des Geldvermögens und entspricht in ihrem Aufbau eher einer Überschussrechnung.4 Die Bargeld-Verkehrsrechnung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn hinreichende Kenntnisse über Vermögen und Schulden nicht vorhanden sind.5 Bei dieser Art der Vergleichsrechnung ist das zu Beginn und am Ende der Vergleichsrechnung vorhandene Barvermögen zu berücksichtigen. Die Lebenshaltungskosten sind, wenn bessere Erkenntnisquellen nicht vorhanden sind, aufgrund statistischer Durchschnittswerte zu ermitteln.6

1.609

Die Durchführung einer Bargeldverkehrs- oder Vermögenszuwachsrechnung kann im Einzelfall Probleme aufwerfen, weil diese Methoden nur dann hinreichend genau sein können, wenn die Finanzbehörde über ausreichende Informationen aus der privaten Sphäre des Steuerpflichtigen verfügt und sämtliche Kontenbewegungen und Vermögenszu- und -abflüsse einbeziehen kann. Insbesondere gehört ein zutreffender Bargeldanfangsbestand zu den Kernelementen jeder Bargeldverkehrsrechnung.7 Im Privatbereich bestehen allerdings keine Aufbewahrungspflichten für Bankunterlagen, Rechnungen usw. Der Steuerpflichtige ist nicht verpflichtet, einen in sich geschlossenen Nachweis über die Herkunft seines Privatvermögens zu

1.610

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. hierzu und zur Lohnkalkulation im Einzelnen Haas, DStR 2015, 600. BFH v. 22.9.2004 – III R 9/03, BStBl. II 2005, 160. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 61. BFH v. 25.7.1991 – XI R 27/89, BFH/NV 1991, 796. BFH v. 25.7.1991 – XI R 27/89, BFH/NV 1991, 796. BFH v. 25.7.1991 – XI R 27/89, BFH/NV 1991, 796. BFH v. 28.1.2009 – X R 20/05, BFH/NV 2009, 912.

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Kap. 1 Rz. 1.610 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

führen.1 Die Beweislastverteilung richtet sich insofern nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles.2 Nach Auffassung des BFH soll dennoch die Geldverkehrsrechnung gegenüber einem Zeitreihenvergleich und den Methoden des äußeren Betriebsvergleichs eine vorrangig anzuwendende Schätzungsmethode sein.3 ee) Mathematisch-statistische Schätzungsmethoden

1.611

Der Begriff der „mathematisch-statistischen“ Schätzungsmethoden umschreibt Verprobungsund Schätzungsmethoden, die darin bestehen, die Entwicklung bestimmter betrieblicher Daten im Zeitablauf zu beobachten und die Beobachtungen nach bestimmten Kriterien zu ordnen. Hierzu gehören bspw. der Zeitreihenvergleich, die Quantilsschätzung und der Chi 2-Test. Auf den Grundannahmen des Zeitreihenvergleichs und des Chi 2-Test basiert bspw. die von der Finanzverwaltung entwickelte „Summarische Risikoprüfung“. Die mathematisch-statistischen Verprobungs- und Schätzungsmethoden haben sich in jüngerer Zeit insbesondere vor dem Hintergrund der digitalen Verarbeitung von Geschäftsvorfällen weiterentwickelt. Die praktisch bedeutsamsten Methoden werden ausführlich in Kapitel 2 dargestellt. Zu den Prüfungsmethoden ausführlich Rz. 2.126 ff. ff) Sicherheitszuschläge

1.612

Bei der griffweisen Schätzung in Form von (Un-)Sicherheitszuschlägen werden die erklärten Umsätze und Gewinne pauschal um einen bestimmten Prozentsatz des Umsatzes und/oder Gewinns erhöht. Diese Schätzungsmethode ist gegenüber dem äußeren und dem inneren Betriebsvergleich nachrangig und kann insbesondere dann zur Anwendung kommen, wenn die Buchführung und Aufzeichnungen so lückenhaft sind, dass eine Ausbeutekalkulation nicht in Betracht kommt oder aus anderen Gründen nicht geeignet ist und auch eine Richtsatzschätzung ausscheidet, weil bspw. der geprüfte Betrieb keiner der in der Richtsatzsammlung aufgeführten Branchen entspricht. Der Sicherheitszuschlag muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht erklärten Einnahmen stehen.4 Hervorzuheben ist, dass auch ein Sicherheitszuschlag nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn die Voraussetzungen für eine Schätzung dem Grunde nach vorliegen. Für die Abgeltung einer nur „gefühlten“ Unsicherheit des Betriebsprüfers oder Finanzrichters bzgl. der materiellen Richtigkeit des formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Buchführungsergebnisses ist der Sicherheitszuschlag nicht geeignet. Auch die griffweise Schätzung in Form eines Sicherheitszuschlags muss die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Schätzung erfüllen und schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Deshalb ist Ergebnis der griffweisen Schätzung vom Prüfer und nachfolgend ggf. vom FG ausreichend zu begründen und auf seine Plausibilität hin zu überprüfen.5 Dies gilt insbesondere dann, wenn das Ergebnis einer Ausbeutekalkulation vom Prüfer um einen zusätzlichen Sicherheitszuschlag erhöht werden soll. Hierbei müssen tatsächliche Gründe für die Anwendung eines Sicherheitszuschlags sprechen, die nicht bereits in die Ausbeutekalkulation eingeflossen sind.

1 2 3 4

BFH v. 7.6.2000 – III R 82/97, BFH/NV 2000, 1462. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 65. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. BFH v. 12.12.2017 – VIII R 5–6/14, BFH/NV 2018, 602 und 606; BFH v. 26.2.2018 – X B 53/17, BFH/NV 2018, 820. 5 BFH v. 20.3.2017 – X R 11/16, BStBl. II 2017, 992.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.616 Kap. 1

4. Plausibilität des Schätzungsergebnisses Das Schätzungsergebnis muss schließlich plausibel sein.1 Das bedeutet, dass das Schätzungsergebnis schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und wahrscheinlich sein muss.2 Die Höhe der dem Steuerpflichtigen zugerechneten Einkünfte darf nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit stehen. Die Schätzung muss einerseits tatsächliche Anhaltspunkte für die zutreffende Höhe der Besteuerungsgrundlagen, andererseits das Maß der Mitwirkungspflichtverletzung berücksichtigen.3 In diesem Punkt spielt bspw. das Gewicht der festgestellten Buchführungsmängel eine Rolle. Auch zur Plausibilität des Schätzungsergebnisses sind vom Betriebs- oder Steuerfahndungsprüfer konkrete Feststellungen zu treffen.

1.613

Die vorgenannten Anforderungen zur Plausibilität des Schätzungsergebnisses gelten auch für die Anwendung von Sicherheitszuschlägen bzw. eine „griffweise“ Schätzung. Auch hier bedarf es der Plausibilisierung, indem die Höhe der Hinzuschätzung und das Gewicht der Buchführungsmängel gegeneinander abgewogen und auch das Verhältnis zwischen Umsatz- und Gewinnerhöhung ermittelt wird.4

1.614

Hinweis: Bei der Plausibilisierung des Schätzungsergebnisses kann wiederum die amtliche Richtsatzsammlung eine Rolle spielen. Überschreitet etwa ein Kalkulationsergebnis die obersten Reingewinnsätze laut amtlicher Richtsatzsammlung ist das Kalkulationsergebnis grundsätzlich nicht plausibel, es sei denn, es liegen betriebliche Besonderheiten vor, die hierzu geführt haben könnten.5 Zu solchen Besonderheiten sind vom Betriebsprüfer Feststellungen zu treffen.

1.615

5. Transparenzanforderungen Der Betriebsprüfer hat, wie dargestellt, zu den Voraussetzungen der Schätzungsbefugnis dem Grunde nach, zur Auswahl der Schätzungsmethode und zur Plausibilität des Schätzungsergebnisses Feststellungen zu treffen und seine rechtlichen Überlegungen hierzu im Betriebsprüfungsbericht darzulegen. Dieses Erfordernis folgt nicht zuletzt aus dem Gebot des § 121 Abs. 1 AO, Steuerbescheide zu begründen.6 Aus der Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs gem. § 91 AO folgt darüber hinaus, dass dem Steuerpflichtigen Gelegenheit gegeben wird, sich vor Erlass des auf den geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhenden Bescheid zu Schätzungsgrundlagen, die ihm zuvor nicht bekannt waren, zu äußern.7 Stützt der Betriebsprüfer eine Hinzuschätzung auf die Durchführung einer Kalkulation, ist er verpflichtet, sowohl die Kalkulationsgrundlagen als auch die Ergebnisse der Kalkulation sowie die Ermittlungen, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, offenzulegen. Wurde die Kalkulation in elektronischer Form durchgeführt, kann der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Übermittlung der Kalkulationsgrundlagen in elektronischer Form haben.8 Dieser Anspruch auf Mitteilung 1 Vgl. bspw. BFH v. 26.2.2018 – X B 53/17, BFH/NV 2018, 820. 2 Vgl. BFH v. 28.9.2011 – X B 35/11, BFH/NV 2012, 177; BFH v. 20.3.2017 – X R 11/16, BStBl. II 2017, 992 und BFH v. 12.12.2017 – VIII R 5/14, BFH/NV 2018, 602. 3 BFH v. 20.3.2017 – X R 11/16, BStBl. II 2017, 992. 4 Vgl. BFH v. 28.9.2011 – X B 35/11, BFH/NV 2012, 177; BFH v. 20.3.2017 – X R 11/16, BStBl. II 2017, 992 und BFH v. 12.12.2017 – VIII R 5/14, BFH/NV 2018, 602. 5 BFH v. 17.6.2004 – IV R 45/03, BFH/NV 2004, 1618. 6 Vgl. auch Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 154; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 188; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 96. 7 BFH v. 2.2.1982 – VIII R 65/80, BStBl. II 1982, 409; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 162 AO Rz. 154; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 185; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 94. 8 BFH v. 25.7.2016 – X B 213/15, X B 4/16, BFH/NV 2016, 1679.

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1.616

Kap. 1 Rz. 1.616 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

der Kalkulationsgrundlagen lässt sich auf die Ergebnisse mathematisch-statistischer Verprobungs- und Schätzungsergebnisse übertragen; dazu Rz. 2.160.

1.617

In einem finanzgerichtlichen Verfahren gelten die dargestellten Transparenzanforderungen entsprechend. Ist die vom Finanzrichter beabsichtigte Schätzungsmethode den bisher im Verfahren erörterten Schätzungsmöglichkeiten unähnlich oder bringt sie die Einführung neuer Tatsachen mit sich, hat der Finanzrichter außerdem einen entsprechenden Hinweis zu erteilen.1

6. Nichtige Schätzung 1.618

Nicht selten wird vom Steuerpflichtigen eingewendet, die auf der Schätzung beruhenden Steuerbescheide seien aufgrund von Schätzungsfehlern nichtig. Diese Argumentation ist nur in seltenen Ausnahmefällen erfolgversprechend. Schätzungsfehler führen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit, nicht aber zur Nichtigkeit i.S.v. § 125 AO der Bescheide. Es ist deshalb auch bei grob fehlerhaften Schätzungen eine Anfechtung der auf der Schätzung beruhenden Steuerbescheide erforderlich. Stellt sich im Einspruchs- oder Klageverfahren heraus, dass der Bescheid tatsächlich nichtig ist, kann die Finanzbehörde bzw. das FG auch einen nichtigen Bescheid zur Beseitigung des Rechtsscheins eines wirksamen Bescheids aufheben. Eine Nichtigkeit kann ausnahmsweise anzunehmen sein, wenn der Finanzbeamte subjektiv willkürlich handelt und bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt2 oder ein objektiv willkürlicher Hoheitsakt vorliegt, weil das Schätzungsergebnis trotz der vorhandenen Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden.3

IV. Verfahrensfragen 1. Anwendung von Korrekturvorschriften 1.619

Zum Zeitpunkt der Betriebsprüfung werden die Steuerbescheide der Prüfungsjahre in aller Regel formell bestandskräftig, also die Veranlagung durchgeführt und kein Einspruchsverfahren anhängig sein. Die Umsetzung des Schätzungsergebnisses in Form geänderter Bescheide ist dann – wie die Umsetzung der weiteren Prüfungsfeststellungen auch – nur möglich, wenn die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen und keine materielle Bestandskraft eingetreten, der Steuerbescheid also noch änderbar ist. In der Praxis ergehen die Steuerbescheide im Rahmen der Veranlagung des Unternehmers zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer i.d.R. unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO. § 164 Abs. 2 Satz 1 AO ermöglicht eine Gesamtaufrollung der Besteuerungssachverhalte, so dass die Ergebnisse der Betriebsprüfung in den Grenzen der Festsetzungsverjährung ohne weiteres Grundlage eines Änderungsbescheids werden können.

1.620

Stehen die Steuerbescheide nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, kann § 173 Abs. 1 AO eine Änderung wegen neuer Tatsachen ermöglichen. Hierbei ist zunächst hervorzuheben, dass § 173 Abs. 1 AO, anders als § 164 Abs. 2 AO, nur eine punktuelle Änderung des Steuerbescheids – zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen – ermöglicht. § 173 Abs. 1 AO setzt außerdem voraus, dass nachträglich neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, 1 BFH v. 19.1.2018 – X B 60/17, BFH/NV 2018, 530; BFH v. 3.12.2019 – X R 5/18, BFH/NV 2020, 698. 2 BFH v. 13.10.2003 – IV B 85/02, BStBl. II 2004, 25. 3 BFH v. 20.10.2005 – IV B 65/04, BFH/NV 2006, 240.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.624 Kap. 1

die zu einer höheren (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO) oder niedrigeren (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO) Steuer führen. Das Schätzungsergebnis als solches ist keine Tatsache i.S.v. § 173 Abs. 1 AO, sondern gehört zu den Schlussfolgerungen aus Tatsachen.1 Tatsachen können nur die tatsächlichen Umstände darstellen, die bspw. zu einer Verwerfung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung führen und die Schätzungsbefugnis begründen, also die Schätzungsgrundlagen.2 Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO ist deshalb nur möglich, wenn neue Schätzungsgrundlagen festgestellt worden sind.3 Der Betriebsprüfer hat dementsprechend auch dazu Feststellungen zu treffen, ob die von ihm ermittelten Sachverhalte die Voraussetzungen einer neuen Tatsache oder eines neuen Beweismittels i.S.v. § 173 Abs. 1 AO erfüllen. Hinweis: Richt- und Erfahrungssätze, Vergleichszahlen u.Ä. sind nur das Ergebnis von Schlussfolgerungen und keine Tatsachen.4

1.621

Ist die Betriebsprüfung abgeschlossen, unterliegen die Steuerbescheide des Prüfungszeitraums gem. § 173 Abs. 2 AO einer erhöhten Bestandskraft. Sie können nur dann (wiederum) aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt.

2. Tatsächliche Verständigung Die Schätzungsgrundlagen sowie Umsatz- und Gewinnaufteilungen oder Kalkulationsannahmen können zum Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung gemacht werden, die beide Beteiligte bindet. Hervorzuheben ist dabei, dass eine tatsächliche Verständigung nur im Hinblick auf solche Zweifelsfragen zulässig ist, die die tatsächliche Ebene der Schätzung betreffen. So ist bspw. eine tatsächliche Verständigung über die (Rechts-)Frage der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung oder das Bestehen einer Schätzungsbefugnis dem Grunde nach unzulässig, während sie aber bzgl. der Gewichtung konkret festgestellter Buchführungsmängel getroffen werden kann. Die (Rechts-)Frage der grundsätzlichen Eignung einer Schätzungsmethode kann nicht zum Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung gemacht werden, während eine Verständigung über die Höhe der Schätzung innerhalb der von der gewählten Schätzungsmethode vorgegebenen Bandbreite zulässig ist. Im Betriebsprüfungsalltag kommt diese Unterscheidung allerdings nicht immer im Wortlaut der tatsächlichen Verständigung zum Ausdruck. Vgl. ausführlich zur tatsächlichen Verständigung im Rahmen einer Betriebsprüfung Rz. 9.109 ff.

1.622

3. Grundlagen- und Folgebescheide Schätzt die Finanzbehörde die im Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen, ist diese Schätzung für den Folgebescheid gem. § 182 Abs. 1 AO bindend. Werden die Feststellungen – bspw. aufgrund späterer Einreichung einer Feststellungserklärung – geändert, sind diese Änderungen gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO ebenfalls zwingend in den Folgebescheid zu übernehmen.

1.623

Eine Sonderregelung für das Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheiden enthält § 162 Abs. 5 AO. Danach können die in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungs-

1.624

1 BFH v. 5.11.2007 – XI B 42/07, BFH/NV 2008, 190. 2 Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO, Rz. 10; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 73. 3 BFH v. 5.8.2004 – VI R 90/02, BFH/NV 2005, 501; BFH v. 28.4.2011 – III B 78/10, BFH/NV 2011, 1108. 4 Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO, Rz. 11.

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Kap. 1 Rz. 1.624 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

grundlagen im Folgebescheid schätzungsweise angesetzt werden. Gemäß § 155 Abs. 2 AO ist der Erlass eines Folgebescheids, der von einem Grundlagenbescheid abhängt, bereits vor Erlass des Grundlagenbescheids zulässig. Hervorzuheben ist dabei, dass es sich bei der Schätzung gem. § 162 Abs. 5 i.V.m. § 155 Abs. 2 AO um eine nur vorläufige Entscheidung handelt.1 Der auf § 155 Abs. 2 AO gestützte Steuerbescheid muss einen klaren und eindeutigen Hinweis auf eine insoweit nur vorläufig getroffene Regelung enthalten.2 Das für den Erlass des Folgebescheids zuständige Finanzamt muss sich also bewusst sein, dass der Erlass eines Grundlagenbescheids erforderlich ist.3 Ergeht der Grundlagenbescheid und weichen die festgestellten von den im Folgebescheid geschätzten Besteuerungsgrundlagen ab, ist der Folgebescheid gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern.

1.625

Beispiel: Geht das Wohnsitz-Finanzamt bei Erlass des Einkommensteuerbescheids unzutreffend davon aus, dass keiner gesonderten Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb des Steuerpflichtigen bedarf und ermittelt es diese im Schätzungswege, sind §§ 162 Abs. 5 i.V.m. 155 Abs. 2 AO nicht einschlägig und der Einkommensteuerbescheid ist rechtswidrig.4

4. Schätzung und Steuerhinterziehung a) Bedeutung von Mitwirkungspflichtverletzungen

1.626

Gehört die Steuerhinterziehung (oder die leichtfertige Steuerverkürzung) zum Tatbestand einer Steuernorm, gelten die dargestellten Grundsätze zur Schätzung bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten nur eingeschränkt und eine Reduzierung des Beweismaßes findet nicht statt. b) Verlängerte Festsetzungsfrist

1.627

Gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO verlängert sich die Festsetzungsfrist für vorsätzlich hinterzogene Steuern auf zehn Jahre und bei Vorliegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung auf fünf Jahre. Je nach dem Zeitpunkt der Erfüllung der steuerlichen Erklärungspflichten kann dies einen Zeitraum von dreizehn Veranlagungszeiträumen umfassen. Die reguläre Festsetzungsverjährungsfrist beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). In jedem Fall können gemäß der Ablaufhemmung des § 171 Abs. 7 AO die verkürzten Steuern so lange festgesetzt werden, bis die strafrechtliche Verjährung eingetreten ist. Die Regelung des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO ist von entscheidender Bedeutung für die Frage, für welche Besteuerungsabschnitte noch eine Erstveranlagung bzw. eine Änderung einer formell bestandskräftigen Steuerveranlagung möglich ist. c) Verzinsung

1.628

Hinterzogene Steuern sind gem. § 235 AO mit einem Zinssatz von 6 % p.a. zu verzinsen. Diese neben die Vollverzinsung tretende Vorschrift ist für die Zeiträume von Bedeutung, in denen es wegen der Karenzfrist nicht zur Vollverzinsung gem. § 233a AO kommt. Praktisch spielt diese Verzinsungsregelung nur eine untergeordnete Rolle, denn nach Ablauf der sog. Karenzfrist, die i.d.R. 15 Monate beträgt, kann die Finanzbehörde unabhängig vom Nachweis eines Hinterziehungsvorsatzes Zinsen zur Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer 1 Cöster in Koenig3, § 162 AO Rz. 92; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 87; Trzaskalik in HHSp, § 162 AO Rz. 55. 2 BFH v. 5.4.2011 – II B 153/10, BStBl. II 2011, 942. 3 BFH v. 25.9.2013 – II R 2/12, BStBl. II 2014, 329. 4 Vgl. BFH v. 9.2.2005 – X R 52/03, BFH/NV 2005, 1235.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.632 Kap. 1

und Umsatzsteuer festsetzen. Von Bedeutung ist § 235 AO bei denjenigen Steuern, für die keine Vollverzinsung vorgesehen ist, also insbesondere bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer. d) Haftung Die Begehung einer Steuerhinterziehung und die Beteiligung an einer solchen lösen gem. § 71 AO eine Haftung für die verkürzten Steuern, die zu Unrecht gewährten Steuervorteile und die Hinterziehungszinsen gem. § 235 AO aus.

1.629

e) Durchbrechung der erhöhten Bestandskraft Das Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung führt gem. § 173 Abs. 2 AO zu einer Durchbrechung der erhöhten Bestandskraft nach einer Betriebsprüfung. Bei Bekanntwerden neuer Tatsachen kann das Finanzamt die Steuerbescheide gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zum Nachteil des Steuerpflichtigen ändern, es sei denn, die Bescheide sind aufgrund einer Betriebsprüfung ergangen, § 173 Abs. 2 AO. Die Betriebsprüfung führt zu einer Änderungssperre, die aber gem. § 173 Abs. 2 AO durchbrochen wird, soweit die betreffenden Steuern hinterzogen oder leichtfertig verkürzt wurden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine Steuerfahndungsprüfung keine Betriebsprüfung i.S.v. § 173 Abs. 2 AO ist und damit die Änderungssperre nicht auslöst.1

1.630

f) Prüfungsmaßstab Die Finanzbehörde bzw. das FG prüft die genannten Vorschriften auch bezüglich des Tatbestandsmerkmals der Steuerhinterziehung eigenständig und unabhängig von den Ergebnissen eines etwaigen Steuerstrafverfahrens. Die für die Annahme einer Steuerhinterziehung erforderlichen Feststellungen sind dabei nicht nach strafprozessualen Vorschriften, sondern nach denjenigen der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung zu treffen.2 Dies gilt auch, soweit weitere strafrechtliche Normen zu prüfen sind, bspw. das Vorliegen einer Beihilfehandlung i.S.v. § 27 StGB bei einer Haftung nach § 71 AO.3 Eine strafrechtliche Verurteilung ist nicht erforderlich, damit die an eine Steuerhinterziehung anknüpfenden Verfahrensvorschriften anwendbar sind.4 Die Finanzbehörde und das FG sind auch nicht an die Feststellungen der Strafverfolgungsbehörden und deren rechtliche Beurteilung gebunden, auch wenn diese grundsätzlich verwertet werden können.5

1.631

Im Zusammenhang mit der Feststellung, ob im Einzelfall die Voraussetzungen der genannten Normen vorliegen und eine Steuerhinterziehung gegeben ist, stellt sich die Frage, ob aus einer Verletzung von steuerlichen Mitwirkungspflichten eine Reduzierung des Beweismaßes folgt und das Vorliegen der objektiven und subjektiven Merkmale einer Steuerhinterziehung „geschätzt“ werden kann. Der BFH verneint dies. Zwar sollen die für die Annahme einer Steuerhinterziehung erforderlichen Feststellungen nicht nach strafprozessualen Vorschriften, son-

1.632

1 BFH v. 11.12.1997 – V R 56/94, BStBl. II 1998, 367; BFH v. 20.8.2010 – VIII B 30/09, BFH/NV 2010, 2233; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 173 AO Rz. 244; Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 92; Rüsken in Klein15, § 173 AO Rz. 142. 2 BFH v. 7.11.2006 – VIII R 81/04, BStBl. II 2007, 364; BFH v. 19.6.2007 – VII B 184/06, BFH/NV 2007, 2053. 3 BFH v. 9.12.2003 – VI R 35/96, BStBl. II 2004, 641. 4 BFH v. 19.3.1998 – V R 54/97, BStBl. II 1998, 466. 5 BFH v. 30.7.2009 – VIII B 214/07, BFH/NV 2009, 1824.

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Kap. 1 Rz. 1.632 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

dern nach denjenigen der Abgabenordnung und der Finanzgerichtsordnung zu treffen sein.1 Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist aber auch im Besteuerungs- und Finanzgerichtsverfahren zu beachten.2 Dies bedeutet keine Übernahme von Grundsätzen des Strafverfahrens, sondern sei Ausfluss dessen, dass die Finanzbehörde im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt. Das Finanzamt trifft die Feststellungslast für die Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung.3 Für das Vorliegen einer Steuerhinterziehung ist dabei allerdings auch kein höherer Grad an Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die die Finanzbehörde die Feststellungslast trägt. Erleichterungen des Beweismaßes, die, wie dargestellt, die Folge verweigerter Mitwirkung des Steuerpflichtigen bei der Aufklärung des Sachverhaltes sein können, dürfen bei der Feststellung einer Steuerhinterziehung dem Grunde nach aber nicht genutzt werden. Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung müssen auch bei einer Verletzung von Mitwirkungspflichten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen.4 Verbleiben nicht behebbare Zweifel, darf die Steuerhinterziehung nicht mittels reduzierten Beweismaßes festgestellt werden. Bei Überzeugung des FG vom Vorliegen einer Steuerhinterziehung ist allerdings eine Schätzung der Höhe nach grundsätzlich zulässig.5 Bislang nicht abschließend geklärt ist, ob der Grundsatz „in dubio pro reo“ eine Orientierung am oberen Schätzungsrahmen ausschließt6 oder ob das FG – anders als das Strafgericht – bezüglich der Höhe eine eigene (uneingeschränkte) Schätzungsbefugnis hat.7

1.633

Hinweis: In Fällen einer Erweiterung der Betriebsprüfung auf Jahre, für die die vierjährige Regelfestsetzungsverjährung bereits abgelaufen ist, kann bei der Argumentation gegen die Umsetzung der Prüfungsfeststellungen in entsprechende Steuerbescheide eine Berufung auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung erfolgversprechend sein. Die Feststellungslast für das Eingreifen der verlängerten Festsetzungsfrist trägt das Finanzamt. Der Betriebsprüfer muss deshalb nicht nur den objektiven Tatbestand der Steuerverkürzung darlegen, sondern auch Feststellungen zum subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung treffen.

V. Rechtsschutzüberlegungen 1. Gerichtlicher Prüfungsmaßstab 1.634

Gegen die auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhenden Steuerbescheide steht dem Steuerpflichtigen – grundsätzlich nach erfolglosem Einspruchsverfahren, § 44 FGO – der Weg zum FG offen. Durch das FG wird die Schätzung der Finanzbehörde nicht nur – nach Art einer Ermessensentscheidung – auf Fehler hin überprüft, sondern das Gericht kann – und muss ggf. – eine eigene Schätzung vornehmen, denn der Finanzrichter hat gem. § 96 Abs. 1 FGO i.V.m. § 162 AO eine eigene Schätzungsbefugnis. Je nach Lage des Falles – und Bundesland – kann der Richter dabei auf die Unterstützung durch gerichtseigene Prüfer zurückgrei1 BFH v. 7.11.2006 – VIII R 81/04, BStBl. II 2007, 364; BFH v. 19.6.2007 – VII B 184/06, BFH/NV 2007, 2053. 2 BFH v. 7.11.2006 – VIII R 81/04, BStBl. II 2007, 364. 3 BFH v. 11.12.2012 – IX R 33/11, BFH/NV 2013, 1057. 4 BFH v. 7.11.2006 – VIII R 81/04, BStBl. II 2007, 364; BFH v. 11.12.2012 – IX R 33/11, BFH/NV 2013, 1057. 5 BFH v. 19.12.2007 – X B 34/07, BFH/NV 2008, 597; BFH v. 9.3.2011 – X B 153/10, BFH/NV 2011, 965. 6 So wohl BFH v. 7.11.2006 – VIII R 81/04, BStBl. II 2007, 364. 7 So wohl BFH v. 9.3.2011 – X B 153/10, BFH/NV 2011, 965.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.636 Kap. 1

fen. Die Betriebsprüfungsakten, insbesondere die Prüferhandakten, sind vom Gericht beizuziehen, im Zweifel gilt dies auch für die Akten eines parallelen Steuerstrafverfahrens. Der Finanzrichter muss, ggf. durch weitere Sachverhaltsermittlungen, eine eigene Überzeugung bilden, ob die Voraussetzungen für eine Schätzung dem Grunde nach vorliegen. Bejaht er diese, steht die Auswahl zwischen den oben dargestellten verschiedenen Schätzungsmethoden grundsätzlich in seinem pflichtgemäßen Ermessen,1 wobei insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist. Das finanzgerichtliche Urteil muss schließlich Ausführungen dazu enthalten, ob die Schätzung schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und möglich, also plausibel, ist.2

2. Klagebegründung in Schätzungsfällen a) Umfang der Einwendungen Die Klage vor dem FG gegen die auf einer Schätzung beruhenden Steuerbescheide ist, wie jede finanzgerichtliche Klage, gem. § 65 Abs. 1 Satz 3 FGO zu begründen. Dabei ist auch die grundlegende Entscheidung zu treffen, ob Einwendungen nur gegen die Höhe der Schätzung oder auch gegen die Schätzungsbefugnis der Finanzbehörde dem Grunde nach erhoben werden sollen. Diese prozesstaktische Entscheidung muss abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalles getroffen werden. Dies muss nicht direkt bei Klageerhebung geschehen, sondern es kann der diesbezügliche Vortrag auch noch im Verlauf des Klageverfahrens erweitert werden.3 Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei Einwendungen gegen die Schätzungsbefugnis dem Grunde nach regelmäßig der gesamte auf der Hinzuschätzung beruhende Steuerbetrag streitbefangen ist, was sich auf die Höhe der Gerichtskosten auswirkt. Obsiegt der Steuerpflichtige „nur“ bzgl. der Schätzungshöhe, wird diese also auf der Grundlage seiner zutreffenden Einwendungen und ggf. weiterer Sachverhaltsermittlungen des Gerichts reduziert, ist ihm außerdem gem. § 136 Abs. 1 FGO ein Teil der Gerichtskosten aufzuerlegen.4 Greifen die Einwendungen der Klägerseite gegen die Schätzungshöhe, also die Auswahl und/oder Anwendung der von der Finanzbehörde gewählten Schätzungsmethode durch, wird das FG im Regelfall, wie dargestellt, von seiner eigenen Schätzungsbefugnis Gebrauch machen, wobei auch eine andere Schätzungsmethode zur Anwendung kommen kann.5

1.635

b) Substantiierung der Einwendungen Bezüglich der Begründungstiefe der Klagebegründung ist zu beachten, dass die schlichte Behauptung von Tatsachen, die gegen Grund und/oder Höhe der Schätzung der Finanzbehörde sprechen, regelmäßig nicht ausreicht, um eine Reduzierung der Schätzung zu erreichen.6 Die für den Steuerpflichtigen sprechenden Umstände sind vielmehr zu substantiieren und ggf. nachzuweisen. Auch im finanzgerichtlichen Verfahren ergänzen sich die Amtsermittlungspflicht des Gerichts und die Mitwirkungspflichten der Beteiligten. Substantiierten Einwendungen des Steuerpflichtigen gegen die Richtigkeit der Prüfungsfeststellungen zu Grund und Höhe der Schätzung hat das Gericht nachzugehen. Dazu gehört, bei entsprechend substantiiertem klägerischem Vortrag, auch die tatsächliche Aufklärung – wenn erforderlich mittels Be1 BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. 2 Vgl. BFH v. 24.6.1997 – VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51; BFH v. 27.12.2019 – X B 6/18, BFH/NV 2020, 769. 3 Vgl. Peters, Stbg 2020, 307. 4 Vgl. Peters, Stbg 2020, 307. 5 Vgl. Peters, Stbg 2020, 307. 6 Vgl. Peters, Stbg 2020, 307.

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1.636

Kap. 1 Rz. 1.636 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

weisaufnahme – ob der geprüfte Betrieb deutlich höhere Umsätze und Gewinne, als er sie erklärt hat, überhaupt erwirtschaften konnte.1 c) Fehlender Zugang zu verfahrenswesentlichen Unterlagen

1.637

In der Praxis nicht selten ist die Problematik, dass der Steuerpflichtige vorübergehend keinen Zugang zu Unterlagen hat, die er für eine Substantiierung seines Klagevorbringens benötigt. Diese können bspw. in einem parallelen Steuerstrafverfahren beschlagnahmt und von einem steuerlichen Vorberater zurückbehalten worden sein. Hier gilt, dass der Rechtsstreit im Regelfall nicht entscheidungsreif ist, solange der Klägerseite kein Zugang zu verfahrenswesentlichen beschlagnahmten Unterlagen eingeräumt wird, die diese für die Anfertigung seiner Klagebegründung benötigt.2 Vor der Zugänglichmachung dieser Unterlagen darf das FG die Klage nicht mangels Geltendmachung einer konkreten Beschwer als unzulässig verwerfen.3 Auch eine Ausschlussfrist nach § 79b Abs. 1 FGO darf im Regelfall nicht gesetzt werden, solange es der Klägerseite objektiv unmöglich ist, verfahrenswesentliche beschlagnahmte Unterlagen einzusehen bzw. Kopien dieser Unterlagen zu erhalten.4 Zu verlangen ist dabei aber zumindest, dass die Klägerseite die Gründe darlegt und nachweist, aus denen sich die Unmöglichkeit, verfahrenswesentliche Unterlagen einzusehen, ergibt. Vom FG kann verlangt werden, dass sich dieses selbst zur Förderung des Verfahrens darum bemüht, verfahrenswesentliche Unterlagen zu erhalten und bspw. bei der Steuerfahndung oder Staatsanwaltschaft auf die Übersendung von Unterlagen oder Anfertigung von Kopien hinwirkt.5

3. Revisibilität von Hinzuschätzungen 1.638

Im Revisionsverfahren vor dem BFH gehört die finanzgerichtliche Schätzung grundsätzlich zu den tatsächlichen Feststellungen, an die der BFH als Revisionsinstanz nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist. Das bedeutet aber nicht, dass eine Revisionszulassung in Schätzungsfällen nicht geboten sein und eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht im Einzelfall erfolgreich sein kann.

1.639

So entfällt die Bindung des Revisionsgerichts dann, wenn bei der Schätzung gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, allgemeine Erfahrungssätze oder die Denkgesetze verstoßen wurde.6 Die Schätzung des FG kann außerdem verfahrensfehlerhaft zustande gekommen und dadurch gem. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO der Weg in das Revisionsverfahren eröffnet sein. Schließlich können sich auch in Schätzungsfällen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen, die eine Revisionszulassung durch das FG erfordern (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Der BFH stellt Schätzungsfälle in jüngerer Zeit zunehmend auf den Prüfstand. Die Entscheidungen betreffen sowohl die Anforderungen an die Schätzungsbefugnis dem Grunde nach7 als auch die Anwen1 BFH v. 26.2.2018 – X B 53/17, BFH/NV 2018, 820. 2 Vgl. BFH v. 27.12.2019 – X B 6/18, BFH/NV 2020, 769, mit Anm. Peters, jurisPR-SteuerR 35/2020 Anm. 5. 3 Vgl. BFH v. 27.12.2019 – X B 6/18, BFH/NV 2020, 769, mit Anm. Peters, jurisPR-SteuerR 35/2020 Anm. 5. 4 Vgl. BFH v. 27.12.2019 – X B 6/18, BFH/NV 2020, 769, mit Anm. Peters, jurisPR-SteuerR 35/2020 Anm. 5. 5 Vgl. BFH v. 27.12.2019 – X B 6/18, BFH/NV 2020, 769, mit Anm. Peters, jurisPR-SteuerR 35/2020 Anm. 5. 6 St. Rspr., vgl. nur BFH v. 20.3.2017 – X R 11/16, BStBl. II 2017, 992; BFH v. 12.12.2017 – VIII R 5–6/14, BFH/NV 2018, 602 und 606; BFH v. 3.7.2018 – VI R 55/16, BFH/NV 2018, 1145. 7 Vgl. bspw. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743 und BFH v. 23.2.2018 – X B 65/17, BFH/NV 2018, 517 zur Vorlage von Dokumentationsunterlagen zu PC-Kassensystemen.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.643 Kap. 1

dung von Schätzungsmethoden bei der Begründung der Höhe der Schätzung1 sowie Transparenzanforderungen an eine Schätzung2. Dabei überprüft der BFH auch das Zahlenwerk der Buchführung und die Berechnungen des Finanzamts bzw. FG und beschränkt sich nicht auf eine reine Plausibilitätskontrolle.3 Hinweis: Verfahrensfehler im vorgenannten Sinn können bspw. vorliegen bei – einer Verletzung der Sachaufklärungsplicht, weil bspw. ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens vom Fehlen der Dokumentationsunterlagen einer PC-Kasse ausgegangen und deshalb die formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung verneint wird4; – einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil bspw. ohne vorherigen richterlichen Hinweis die Schätzungsmethode gewechselt wird und die beabsichtigte Schätzungsmethode den bisher erörterten Schätzungsmöglichkeiten unähnlich ist oder die Einführung neuer Tatsachen mit sich bringt5.

1.640

Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich bspw. bei – der Frage nach den Konsequenzen fehlender Dokumentationsunterlagen bei einer frei programmierbaren PC-Kasse6; – der Frage der grundsätzlichen Eignung und Reichweite einer Schätzungsmethode wie dem Zeitreihenvergleich oder der Quantilsschätzung7.

1.641

In Fällen, die den vorgenannten Konstellationen vergleichbar sind, kann es also für den steuerlichen Berater erfolgversprechend sein, einen Antrag auf Revisionszulassung vor dem FG zu stellen oder bei fehlender Revisionszulassung eine Nichtzulassungsbeschwerde zu erheben.

1.642

VI. Zur Abgrenzung: Schätzung im Steuerstrafverfahren 1. Rechtsgrundlagen und Ziel der Schätzung Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen ist auch im Steuerstrafverfahren von Bedeutung.8 Die Auswirkungen der Tat sind gem. § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB ein wesentliches Strafzumessungskriterium. Die Höhe der eingetretenen Steuerverkürzung spielt deshalb im Steuerstrafverfahren eine entscheidende Rolle. Auch im Steuerstrafverfahren ist die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, die tatsächlichen Verhältnisse, die für die Bemessung der Steuer maßgebend sind, aber ungewiss sind.9 Rechtsgrundlage für die Schätzung im Steuerstrafverfahren ist nicht § 162 AO, sondern § 261 StPO. Der wesentliche Unterschied besteht im Beweismaß: Während die Finanzbehörde und das FG bei einer Schätzung nach § 162 AO Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen anstellen können, muss der Strafrichter im Steuerstrafverfahren auch dem Ausmaß nach von der Schuld des Angeklagten überzeugt sein10 – das Beweismaß bildet also 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. bspw. BFH v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204 zur Quantilsschätzung. Vgl. bspw. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. Vgl. grundlegend bspw. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. BFH v. 23.2.2018 – X B 65/17, BFH/NV 2018, 517. BFH v. 19.1.2018 – X B 60/17, BFH/NV 2018, 530. BFH v. 23.2.2018 – X B 65/17, BFH/NV 2018, 517. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743; BFH v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204. 8 Vgl. hierzu ausf. Reichling, wistra 2019, 222 ff. 9 BGH v. 6.4.2016 – 1 StR 523/15, wistra 2016, 363. 10 BGH v. 11.12.1952 – 3 StR 69/52, BGHSt 3, 377 (383 f.); BGH v. 10.9.1985 – 4 StR 487/85, wistra 1986, 65; BGH v. 17.3.2005 – 5 StR 461/04, wistra 2005, 311; BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, wistra 2007, 345; BGH v. 6.4.2016 – 1 StR 523/15, wistra 2016, 363.

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1.643

Kap. 1 Rz. 1.643 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

die „volle richterliche Überzeugung“. Zur Durchführung der Schätzung kommen die auch im Besteuerungsverfahren anerkannten – und erforderlichenfalls kombiniert anzuwendenden – Schätzungsmethoden in Betracht, einschließlich der Heranziehung der Richtsatzsammlung des BMF.1 Die Schätzung obliegt dem Tatrichter selbst.

1.644

Ziel der (strafrechtlichen) Schätzung ist es damit, aus den vorhandenen Anhaltspunkten diejenigen Tatsachen zu ermitteln, von deren Richtigkeit der Tatrichter überzeugt ist.2 Die im Besteuerungsverfahren grundsätzlich ausreichende größtmögliche Wahrscheinlichkeit des Schätzungsergebnisses reicht im Steuerstrafverfahren nicht aus.3 Die Schätzung ist so vorzunehmen, dass sie im Ergebnis einem ordnungsgemäß durchgeführten Bestandsvergleich bzw. einer ordnungsgemäßen Einnahmeüberschussrechnung möglichst nahekommt und muss daher schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein.4 Soweit Tatsachen zur Überzeugung des Tatrichters feststehen, hat er diese der Schätzung zugrunde zu legen. Die im Rahmen des Steuerstrafverfahrens erfolgende Schätzung steht zudem unter dem Gebot, dass sich unüberwindbare Zweifel zugunsten des Angeklagten auswirken müssen, „in dubio pro reo“-Grundsatz.5 Der Strafrichter hat einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang festzustellen.6 Das bedeutet insbesondere, dass der Strafrichter die Schätzung der Höhe nach auf den Betrag zu begrenzen hat, der „mindestens“ hinterzogen worden ist.7

1.645

Konkret bedeuten die dargestellten Grundsätze, dass der Strafrichter Betriebsprüfungs- und Steuerfahndungsberichte nicht unbesehen übernehmen darf, sondern sich eine eigene Überzeugung vom Tathergang bilden muss. Der Strafrichter muss außerdem grundsätzlich eine eigene Schätzung unter Beachtung der dargestellten strafprozessualen Verfahrensgrundsätze vornehmen und darf die Schätzung der Finanzbehörden nur dann übernehmen, wenn er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Bei Richtsatzschätzungen wird grundsätzlich nur der untere Wert angesetzt werden dürfen. Bei Nachkalkulationen müssen alle Kalkulationsgrundlagen zur Überzeugung des Strafrichters feststehen.8 Die steuerlichen „Grundsätze ordnungsgemäßer Schätzung“ dürften dabei die Mindestanforderungen darstellen, die auch an eine Schätzung im Steuerstrafverfahren zu stellen sind. Dies dürfte insbesondere für die Rangfolge der steuerlichen Schätzungsmethoden sowie für die Anforderungen an die Plausibilisierung und Transparenz des Schätzungsergebnisses gelten. Es kann deshalb je nach Fallgestaltung erfolgversprechend sein, eine strafrechtliche Schätzung mit „steuerlichen“ Argumenten in Frage zu stellen.

2. Aussetzung des Strafverfahrens 1.646

Das Nebeneinander von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren birgt das Risiko, dass beide Verfahren zu Lasten des Steuerpflichtigen mit unterschiedlichen Entscheidungen abschließen, es also im Steuerstrafverfahren zu einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung kommt, während das FG zu dem Ergebnis kommt, dass die Steuerfestsetzung unzutreffend war. Die Abgabenordnung und die Finanzgerichtsordnung sehen verschiedene Möglichkeiten vor, das Besteuerungs- oder Steuerstrafverfahren bis zum Abschluss des jeweils anderen Verfahrens 1 BGH v. 6.4.2016 – 1 StR 523/15, wistra 2016, 363. 2 BGH v. 24.5.2007 – 5 StR 58/07, wistra 2007, 345. 3 Vgl. auch Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 16; Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 16; Trzaskalik in HHSp, § 162 AO Rz. 6. 4 BGH v. 6.4.2016 – 1 StR 523/15, wistra 2016, 363 m.w.N. 5 BGH v. 6.4.2016 – 1 StR 523/15, wistra 2016, 363. 6 Vgl. BGH v. 10.11.2009 – 1 StR 283/09, wistra 2010, 148. 7 BGH v. 6.4.2016 – 1 StR 523/15, wistra 2016, 363 m.w.N. 8 Vgl. hierzu BGH v. 6.4.2016 – 1 StR 523/15, wistra 2016, 363.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.649 Kap. 1

auszusetzen, um divergierende Entscheidungen zu vermeiden. Insbesondere ermöglicht § 396 AO die Aussetzung des Steuerstrafverfahrens bis zum Abschluss des Besteuerungsverfahrens durch das sachnähere FG. In der Praxis machen Steuerfahndung, Staatsanwaltschaft und Strafgericht allerdings nur sehr zurückhaltend von der Aussetzungsmöglichkeit des § 396 AO Gebrauch. Der Grund dafür liegt sicherlich auch darin, dass nach überwiegender Auffassung eine Aussetzung des Strafverfahrens gem. § 396 AO nur bei entscheidungserheblichen Rechtsfragen zulässig sein soll und in der Strafjustiz unzutreffende Vorstellungen von der – zwischenzeitlich stark verkürzten – Dauer finanzgerichtlicher Verfahren vorherrschen. Ob die Beschränkung der Aussetzung des Strafverfahrens auf Rechtsfragen sachgerecht ist, ist zumindest zweifelhaft. Eine Abgrenzung ist im Einzelfall kaum trennscharf möglich, was insbesondere Schätzungsfälle zeigen. Bspw. dürfte es sich bei der Ermittlung von Kalkulationsgrundlagen um eine Sachverhaltsfrage handeln, während die Frage der Geeignetheit einer Schätzungsmethode wie des Zeitreihenvergleichs oder der Quantilsschätzung oder die Frage der Reichweite des Anwendungsbereichs der Summarischen Risikoprüfung Rechtsfragen darstellen dürften.

1.647

Sollte ein Steuerstrafverfahren im Einzelfall auf die Ergebnisse einer mathematisch-statistischen Prüfungsmethode gestützt werden und der Berater Zweifel an der Tragfähigkeit der Methode oder der Richtigkeit der Ergebnisse haben, sollte eine Aussetzung des Steuerstrafverfahrens gem. § 396 AO beantragt und der Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens abgewartet werden. Der Umstand, dass es sich bei den Fragen nach der Reichweite des Zeitreihenvergleichs1 und der Quantilsschätzung2 um revisible Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung handelt, dürfte ausreichen, um eine Aussetzung eines auf die Ergebnisse einer mathematischstatistischen Schätzungsmethode gestützten Steuerstrafverfahrens zu erreichen.

1.648

VII. Zusammenfassende Beispiele 1. Beispiel zur Schätzungsbefugnis dem Grunde nach a) Sachverhalt A ist Augenoptiker. In seinem Unternehmen verwendet er zur Erfassung von Einkaufs-, Verkaufs- und Inventurdaten ein digitales Warenwirtschaftssystem des Softwareherstellers C. Das Warenwirtschaftssystem erfasst auch die Namen und ggf. die augenärztliche Diagnose der Kunden des A. Eine Trennung der Diagnosedaten von den übrigen Kundendaten lässt die Software systembedingt nicht zu. Rechnungen über Aufträge unterhalb eines bestimmten Umsatzes lassen sich mit dem Programm nicht erstellen, weshalb A diese mittels Microsoft Excel schreibt. Sämtliche Rechnungen legt A fortlaufend nummeriert ausschließlich in Papierform ab. In der Betriebsprüfung fordert der Prüfer den A zur Vorlage sämtlicher Daten des Warenwirtschaftssystems für die Prüfungsjahre 2016 bis 2018 auf. Er verlangt außerdem die Vorlage einer Verfahrensdokumentation. A übergibt dem Prüfer die Daten des Warenwirtschaftssystems auf einem USB-Stick und das Betriebshandbuch der Software in Papierform. Der Betriebsprüfer ist der Auffassung, dass sich anhand der von A übergebenen Daten und Unterlagen kein Überblick über die Geschäftsvorfälle und die Lage des Unternehmens gewinnen lässt und nimmt eine Hinzuschätzung mittels eines Sicherheitszuschlags i.H.v. 15 % der von A erklärten Umsätze vor. A erhebt gegen die nach der Betriebsprüfung ergangenen Änderungsbescheide nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage vor dem FG. 1 BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. 2 BFH v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204.

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1.649

Kap. 1 Rz. 1.650 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

b) Lösung

1.650

Das FG prüft, ob die Voraussetzungen für eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen des A dem Grunde nach vorliegen. Dies wäre der Fall, wenn die Buchführung des A formell oder materiell nicht ordnungsgemäß ist. Zur Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der digitalen Buchführung des A macht der Prüfer von seinem Datenzugriffsrecht gem. § 147 Abs. 6 AO auf die Daten des Warenwirtschaftssystems Gebrauch (vgl. zum Datenzugriffsrecht ausführlich Rz. 2.14 ff.). Dieser Datenzugriff ist berechtigt, da das Warenwirtschaftssystem in Form der Einkaufs-, Verkaufs- und Inventurdaten steuerrelevante Daten aufzeichnet, die aufzuzeichnen und aufzubewahren sind.1 Dem Datenzugriff unterliegen grds. auch Daten aus vorgeschalteten Systemen und Nebensystemen.2 Entscheidend ist, ob Datensätze steuerrelevant und aufbewahrungspflichtig sind und in verdichteter Form in das eigentliche Buchführungssystem übergeben werden.3 Im Hinblick auf die Diagnosedaten des A besteht zwar grds. entsprechend § 102 Abs. 1 AO keine Aufbewahrungspflicht. Im Beispielsfall lassen sich die Diagnosedaten aber technisch nicht von den übrigen Daten trennen, weshalb sämtliche Daten dem Datenzugriff unterliegen. Der Steuerpflichtige trägt das Risiko, wenn er steuerrelevante und nicht steuerrelevante Daten ununterscheidbar vermengt haben sollte.4

1.651

Bezüglich der Überprüfbarkeit der formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung prüft das Gericht, welche weiteren Unterlagen Optiker A vorlegen muss. Der Betriebsprüfer forderte die Vorlage einer „Verfahrensdokumentation“ i.S.v. Tz. 151 der GoBD.5 Die GoBD fordern die Erstellung einer Verfahrensdokumentation für alle im Unternehmen verwendeten Datenverarbeitungssysteme, die im Zusammenhang mit elektronischen Büchern und sonst erforderlichen Aufzeichnungen stehen. Dazu sollen eine allgemeine Beschreibung, Anwenderdokumentation, technische Systemdokumentation und Betriebsdokumentation und eine Beschreibung aller Betriebsabläufe i.R.d. Datenverarbeitung gehören (vgl. ausführlich zum Erfordernis einer Verfahrensdokumentation Kapitel 2, Rz. 2.57 ff.). Die GoBD als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift sind für das Gericht nicht bindend. Eine „Subsumtion“ unter die GoBD wird im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung nicht erfolgen – sie sind, nicht mehr, aber auch nicht weniger, eine Auffassung im Rahmen des Meinungsspektrums, mit dem sich der Finanzrichter im Rahmen seiner Entscheidung auseinanderzusetzen hat. Prüfungsmaßstab für das FG sind allein die steuerlichen und außersteuerlichen Buchführungsvorschriften. Gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO kommt es darauf an, ob Datensätze steuerrelevant sind und in verdichteter Form in das eigentliche Buchführungssystem übergeben werden. Die Inhalte und die Ordnungsmäßigkeit steuerrelevanter digital erstellter Buchführungsunterlagen müssen erkennbar sein, weshalb dem Gericht die Programmierung und die Funktionsweise des eingesetzten Datenverarbeitungssystems zur Kenntnis gebracht werden müssen. Die entsprechende Dokumentation ist ein unverzichtbares Hilfsmittel zum Verständnis der steuerrelevanten Daten.6 Programmierung und Funktion der Software dürfen deshalb kein „Geheimwissen“ des Steuerpflichtigen sein. Ob darüber hinaus im Hinblick auf § 145 Abs. 1 AO eine umfassende Beschreibung sämtlicher Betriebsabläufe im Zusammenhang mit der Buchführung und Beleg-

1 2 3 4

Vgl. hierzu BFH v. 24.6.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452. BFH v.16.12.2014 – X R 42/13, BStBl. II 2015, 519. BFH v.16.12.2014 – X R 42/13, BStBl. II 2015, 519. BFH v.16.12.2014 – X R 42/13, BStBl. II 2015, 519; für Berufsgeheimnisträger offengelassen von BFH v. 7.6.2021 – VIII R 24/18, DB 2021, 1995. 5 BMF v. 28.11.2019 – IV A 4 - S 0316/19/10003 :001, BStBl. I 2019, 1269, GoBD. 6 Zur Vorlage der Dokumentationsunterlagen einer PC-Kasse vgl. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743 und BFH v. 23.2.2018 – X B 65/17, DStR 2018, 614.

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F. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen | Rz. 1.653 Kap. 1

ablage im Sinne einer Verfahrensdokumentation gefordert werden kann, ist umstritten (vgl. hierzu ausführlich Rz. 2.57 ff.). Jedenfalls aus finanzrichterlicher Sicht dürften im Rahmen der Amtsermittlungspflicht sämtliche Erkenntnisquellen zur Gewinnung des von § 145 Abs. 1 AO geforderten Überblicks über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens auszunutzen sein, also bspw. die mündliche Erläuterung des Steuerpflichtigen und/oder die Befragung von Mitarbeitern.1 Im Beispielsfall hat Optiker A dem Betriebsprüfer die Bedienungsanleitung seines Warenwirtschaftssystems und die Daten übergeben. Die Funktionsweise (erforderliche Größenordnung der erfassten Umsätze) und die individuellen Benutzereinstellungen der Software (bspw. Vorgehen bei der Vergabe von Rechnungsnummern) sind von A spätestens im finanzgerichtlichen Verfahren zu erläutern. Sollten sich die Informationen über die ursprüngliche Programmierung und spätere Änderungen der Programmierung nicht im Datenverarbeitungssystem vollständig gespeichert sein und auch nicht in Papierform vorliegen (bspw. in Form von Ausdrucken der Screen-Shots von Software-updates), würde hierin ein formeller Mangel liegen. Da es sich um eine Standardsoftware handelt, tatsächliche Manipulationen nicht festgestellt wurden, A den Einsatz der Software mündlich erläutern kann und sämtliche Rechnungen des A in Papierform vorliegen, dürfte dieser formelle Mangel nicht dazu führen, dass keine Gewähr mehr für die Richtigkeit des erklärten Buchführungsergebnisses und damit eine Schätzungsbefugnis dem Grunde nach besteht.

1.652

2. Beispiel zur zutreffenden Anwendung einer Schätzungsmethode a) Sachverhalt B ist Inhaberin einer Apotheke. In der steuerlichen Betriebsprüfung für Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer der Jahre 2008 bis 2011 stellt der Betriebsprüfer fest, dass die Dokumentationsunterlagen zu dem im Streitzeitraum verwendeten PC-Kassensystem und die in digitaler Form geführten Einzelaufzeichnungen zu den Bargeschäften nicht vorgelegt wurden. Der Betriebsprüfer nimmt deshalb eine Schätzung der Umsätze und Gewinne vor, der er den sich aus der amtlichen Richtsatzsammlung für Apotheken ergebenden mittleren Rohgewinnaufschlagssatz2 von 39 % zugrunde legt. Dies führt zu Mehrumsätzen und -gewinnen von jeweils 60.000 €. B erhebt nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage gegen die auf der Grundlage der Feststellungen der Betriebsprüfung geänderten Einkommensteuer-, Gewerbesteuermessbetrags- und Umsatzsteuerbescheide. Sie trägt vor, dass die Höhe der Hinzuschätzungen keinen Bestand haben könne. Ihre Apotheke habe sich in einer strukturschwachen Region befunden. Ihr Umsatz pro Rezept habe unter dem Durchschnitt des Regionalbereichs gelegen. Ihr Umsatz mit Privatumsätzen sei nur halb so hoch wie der Bundesdurchschnitt gewesen. Die in der Nähe der Apotheke gelegenen Arztpraxen hätten nach und nach geschlossen. Sie selbst habe private Kapitalanlagen veräußern müssen, um die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation auszugleichen. Sie habe die Apotheke mittlerweile aufgegeben. In den Räumen sei auch keine neue Apotheke eröffnet worden, weil in der näheren Umgebung ein Ärztezentrum mit eigener Apotheke errichtet worden sei.3

1 § 146a AO als neue Ordnungsvorschrift für elektronische Aufzeichnungssysteme und die Kassensicherungsverordnung v. 26.9.2017 greifen frühestens ab dem 1.1.2020. Auf Warenwirtschaftssysteme findet die Vorschrift im Übrigen keine Anwendung. 2 Rohgewinnaufschlagssatz = Rohgewinn X 100/Wareneinsatz. Der Rohgewinn ist der Saldo aus Umsatzerlösen und Wareneinsatz. 3 Beispiel nach Peters, Stbg 2020, 307.

Peters | 167

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1.653

Kap. 1 Rz. 1.654 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

b) Lösung

1.654

Im Beispielsfall besteht für das FG dem Grunde nach eine Schätzungsbefugnis. Die fehlende formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung folgt bereits daraus, dass B die Unterlagen zur Bedienung und Programmierung der von ihr eingesetzten PC-Kasse nicht vorlegen kann. Nach der Rechtsprechung des BFH stellt das Fehlen der aufbewahrungspflichtigen Betriebsanleitung sowie der Protokolle nachträglicher Programmänderungen bei einem programmierbaren Kassensystem einen formellen Mangel dar, dessen Bedeutung dem Fehlen von Tagesendsummenbons bei einer Registrierkasse oder dem Fehlen von Kassenberichten bei einer offenen Ladenkasse gleichsteht und der daher grundsätzlich schon für sich genommen zu einer Hinzuschätzung berechtigt.1 Hinzu kommt das Fehlen der Einzelaufzeichnungen der Barumsätze.2

1.655

Der Höhe nach begegnet die Schätzung des Betriebsprüfers erheblichen Bedenken. Der vom Betriebsprüfer herangezogene Rohgewinnaufschlagssatz war für den Apothekenbetrieb der B ungeeignet. Bei Apotheken wird der tatsächlich erzielte Rohgewinnaufschlagssatz in nicht unerheblichem Maße durch den Anteil des Umsatzes mit Privatpatienten und rezeptfreien Artikeln beeinflusst. Hierzu hat die Klägerin glaubhaft vorgetragen, dass der Anteil ihrer Umsätze mit Privatrezepten deutlich unterhalb des Bundesdurchschnitts lag. Zudem lag die Apotheke in einer strukturschwachen Region, was Folgen für die erzielbaren Preise bei nicht preisgebundenen Artikeln haben musste. Die von der Klägerin geschilderte Ertragslage und wirtschaftliche Entwicklung der Apotheke sowie ihre private finanzielle Situation lassen es außerdem als ernsthaft zweifelhaft erscheinen, dass die geschätzten zusätzlichen Umsätze und Gewinne tatsächlich hätten erwirtschaftet werden können. Da der Sachverhalt keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Vornahme einer Ausbeutekalkulation bietet, dürfte eine Hinzuschätzung mittels eines pauschalen Sicherheitszuschlags angemessen sein. Dieser ist, da sich die von der Betriebsprüfung festgestellten Mängel im Wesentlichen auf die Kassenführung bezogen, nicht auf die Gesamtumsätze der Apotheke, sondern auf die Barumsätze zu beziehen.

3. Beispiel zur Plausibilität des Schätzungsergebnisses a) Sachverhalt

1.656

Gastronom C ist Inhaber von drei spanischen Restaurants in bester Lage. Jährlich erwirtschaftet er Umsätze von durchschnittlich zwei Mio. Euro. In allen drei Filialen setzt C seit Jahren eine PC-Kasse mit angeschlossenem Warenwirtschaftssystem des Softwareherstellers T ein. Unterlagen zur Bedienung und Programmierung der Kassen hat er nicht aufbewahrt. Die Veranlagung des C zur Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer ist immer antragsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgt. Im Herbst 2020 wird bei C eine steuerliche Betriebsprüfung für die Jahre 2016 bis 2018 angeordnet. Der Betriebsprüfer beanstandet die fehlenden Kassenunterlagen. Er stellt außerdem fest, dass C in allen drei Prüfungsjahren Schwarzeinkäufe von Kartoffeln und Fleisch getätigt hat. C wird daraufhin die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben und der Steuerfahndungsprüfer übernimmt die Ermittlungen. Der Steuerfahndungsprüfer schätzt die Besteuerungsgrundlagen des C mittels einer Ausbeutekalkulation auf der Basis der wichtigsten Umsatzträger unter Berücksichtigung von Schwarz1 BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. 2 Zu der in den Prüfungsjahren des Beispielsfalles geltenden Fassung des § 146 Abs. 1 AO hat der BFH entschieden, dass sich der Steuerpflichtige nicht auf die Unzumutbarkeit der Einzelaufzeichnung von Barumsätzen berufen kann, wenn er ein elektronisches Kassensystem einsetzt, dass eine Einzelaufzeichnung technisch ermöglicht, vgl. BFH v. 16.12.2014 – X R 29/13, BFH/NV 2015, 790. Diese Rechtsprechung hat Eingang in den Wortlaut des § 146 Abs. 1 AO n.F. gefunden.

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G. Informationsrechte des Steuerpflichtigen | Rz. 1.658 Kap. 1

einkäufen, deren Höhe er wiederum schätzt. Die Ergebnisse dieser Schätzung, die außerhalb der höchsten Reingewinnsätze nach amtlicher Richtsatzsammlung liegen, werden vom Betriebsprüfer und vom Veranlagungsfinanzamt des A übernommen und der Änderung der Einkommen-, Gewerbesteuermessbetrags- und Umsatzsteuerbescheide 2016 bis 2018 zugrunde gelegt. Das Strafverfahren wird fortgesetzt und Anklage gegen A erhoben.1 b) Lösung Im Beispielsfall ist der Betriebsprüfer dem Grunde nach zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen des C befugt. Die fehlende formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung folgt bereits daraus, dass C die Unterlagen zur Bedienung und Programmierung der von ihm eingesetzten PC-Kasse nicht vorlegen kann. Nach der Rechtsprechung des BFH stellt das Fehlen der aufbewahrungspflichtigen Betriebsanleitung sowie der Protokolle nachträglicher Programmänderungen bei einem programmierbaren Kassensystem einen formellen Mangel dar, dessen Bedeutung dem Fehlen von Tagesendsummenbons bei einer Registrierkasse oder dem Fehlen von Kassenberichten bei einer offenen Ladenkasse gleichsteht und der daher grundsätzlich schon für sich genommen zu einer Hinzuschätzung berechtigt.2 Hinzu kommen die festgestellten Schwarzeinkäufe, aufgrund derer die Buchführung des C nicht vollständig ist. Der Betriebsprüfer ist deshalb dem Grunde nach zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen befugt. Mit der Ausbeutekalkulation hat sich der Steuerfahndungsprüfer für eine grundsätzlich geeignete Methode entschieden, die Besteuerungsgrundlagen des C im Schätzungsweg zu ermitteln. Als Schätzungsmethode, die auf betriebsinternen Daten beruht, ist die Kalkulation gegenüber einer Richtsatzschätzung oder einem Sicherheitszuschlag auch grundsätzlich vorrangig heranzuziehen.3 Im Beispielsfall bestehen allerdings Zweifel an der Plausibilität des Schätzungsergebnisses des Fahndungsprüfers. Die Kalkulation überschreitet die obersten Reingewinnsätze laut amtlicher Richtsatzsammlung. Eine erhebliche Überschreitung der oberen Richtsatzspanne ist grundsätzlich nicht plausibel, es sei denn, es liegen betriebliche Besonderheiten vor, die hierzu geführt haben könnten.4 Zu solchen Besonderheiten haben weder der Betriebsprüfer, noch der Fahndungsprüfer Feststellungen getroffen.5 Die Schätzung dürfte deshalb für Zwecke des Besteuerungsverfahrens auf die Umsätze und Gewinne zu beschränken sein, die sich auf der Basis der oberen Richtsatzspanne ergeben.

1.657

G. Informationsrechte des Steuerpflichtigen I. Überblick Dem Steuerpflichtigen stehen während und nach Beendigung der steuerlichen Betriebsprüfung verschiedene Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte zu. Die Bedeutung dieser Rechte im Betriebsprüfungsalltag ist groß. Je komplexer die geprüften Sachverhalte auf der einen und die eingesetzten Prüfungsmethoden auf der anderen Seite sind, desto mehr sind der Steuerpflichtige und sein Berater darauf angewiesen, die Sichtweise des Prüfers zu kennen. 1 2 3 4 5

Beispiel nach Peters, wistra 2019, 217. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. Vgl. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. BFH v. 17.6.2004 – IV R 45/03, BFH/NV 2004, 1618. Eine mögliche Besonderheit könnte in der Praxis in der Beschäftigung „schwarz“ bezahlter Mitarbeiter liegen. Hierzu wären von der Außenprüfung, ggf. unter Anberaumung einer Lohnsteueraußenprüfung, substantiierte Feststellungen zu treffen.

Peters und Peters/von Freeden | 169

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1.658

Kap. 1 Rz. 1.659 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.659

Systematisch ist zwischen spezialgesetzlich in den Vorschriften über die Betriebsprüfung geregelten Anhörungs- und Auskunftsrechten (dazu Rz. 1.660), allgemeinen Informationsrechten nach den Informationsfreiheitsgesetzen und der DSGVO (dazu Rz. 1.698) und Akteneinsichtsrechten (dazu Rz. 1.715) zu unterscheiden.

II. Anhörungs- und Auskunftsrechte nach §§ 193 ff. AO 1. Einordnung 1.660

Der Anspruch des Steuerpflichtigen auf rechtliches Gehör wird in der Betriebsprüfung durch verschiedene Vorschriften konkretisiert. Hierzu gehören:1 – § 197 AO: Bekanntgabe der Prüfungsanordnung (Rz. 1.661), – § 199 Abs. 2 AO: Unterrichtungspflicht des Prüfers während der Betriebsprüfung (Rz. 1.662), – § 201 Abs. 1 AO: Anspruch auf Schlussbesprechung (Rz. 1.684), – § 201 Abs. 1 AO: Hinweispflicht hinsichtlich straf- oder bußgeldrechtlicher Würdigung der Feststellungen der Betriebsprüfung (Rz. 1.688), – § 202 Abs. 2 AO: Anspruch auf Übersendung des Prüfungsberichts vor dessen Auswertung und Gelegenheit zur Stellungnahme (Rz. 1.694).

2. Bekanntgabe der Prüfungsanordnung 1.661

Nach § 197 Abs. 1 Satz 1 FGO sind die Prüfungsanordnung sowie der voraussichtliche Prüfungsbeginn und die Namen der Prüfer dem Steuerpflichtigen angemessene Zeit vor Beginn der Prüfung bekannt zu geben, wenn der Prüfungszweck dadurch nicht vereitelt wird (zur Bekanntgabe der Prüfungsanordnung (Rz. 1.262). Die rechtzeitige Bekanntgabe soll dem Steuerpflichtigen die Gelegenheit geben, sich auf die Betriebsprüfung inhaltlich und organisatorisch vorzubereiten, damit ein möglichst reibungsloser Ablauf der Prüfung unter weitgehender Vermeidung von Störungen des Geschäftsbetriebs des Unternehmens gewährleistet ist.2 Die namentliche Benennung des Prüfers dient dazu, mögliche Ausschlussgründe nach § 82 AO oder Befangenheitsgründe gem. § 83 AO festzustellen. Hervorzuheben ist dabei, dass die fehlende Anerkennung möglicher Ausschluss- und/oder Befangenheitsgründe sowie die Prüferauswahl allgemein die Prüfungsanordnung als solche nicht anfechtbar machen (zur Anfechtung der Prüfungsanordnung (Rz. 1.372).3 Der Steuerpflichtige hat dann nur die Möglichkeit, gegen die im Anschluss an die Betriebsprüfung ergangenen Bescheide vorzugehen4 und/oder eine Dienstaufsichtsbeschwerde zu erheben (zur Dienstaufsichtsbeschwerde (Rz. 1.825).

3. Unterrichtungspflicht des Prüfers a) Allgemeines

1.662

Nach § 199 Abs. 2 AO ist der Steuerpflichtige während der Betriebsprüfung über die festgestellten Sachverhalte und die möglichen steuerlichen Auswirkungen zu unterrichten, wenn 1 2 3 4

Vgl. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 245. BT-Drucks. VI/1982, 162. Vgl. hierzu Seer in Tipke/Kruse, § 197 AO Rz. 2. BFH v. 13.12.1994 – VII R 46/94, BFH/NV 1995, 758; BFH v. 9.4.2009 – IV S 5/09; BFH/NV 1995, 758; BFH v. 15.5.2009 – IV B 3/09, BFH/NV 2009, 1401.

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G. Informationsrechte des Steuerpflichtigen | Rz. 1.666 Kap. 1

dadurch Zweck und Ablauf der Prüfung nicht beeinträchtigt werden. Die Unterrichtungspflicht ist eine Ausprägung des Rechts auf Gehör1, sie ergänzt die Unterrichtung des Steuerpflichtigen im Rahmen der Schlussbesprechung (§ 201 AO). § 199 Abs. 2 AO konkretisiert den allgemeinen Anhörungsanspruch aus § 91 Abs. 1 AO und bildet das „Herzstück“ der Anhörungs und Informationsrechte des Steuerpflichtigen in der Betriebsprüfung. § 199 Abs. 2 AO schützt den Steuerpflichtigen vor Überraschungen und verpflichtet die Finanzbehörde zu einem Handeln mit „offenem Visier“. Der Zweck der Unterrichtungspflicht ist damit einerseits der Schutz des Steuerpflichtigen, der bereits während der Prüfung (und nicht erst am Ende) die Ergebnisse erfahren soll.2 Andererseits hat die Pflicht auch eine Steigerung der Effizienz der Prüfung zum Ziel. Der Steuerpflichtige kann sich bereits während der Prüfung zu den (möglicherweise unzutreffenden oder nicht vollständigen) Sachverhaltsfeststellungen äußern und im Zusammenwirken mit dem Prüfer z.B. Unklarheiten oder Missverständnisse beseitigen.3 Im Rahmen einer Großbetriebs- oder Konzernbetriebsprüfung kann eine Unterrichtung nach § 199 Abs. 2 AO die Form einer förmlichen Besprechung (sog. Zwischenbesprechung, Rz. 1.678) haben. Aus Sicht des Steuerpflichtigen ist zu berücksichtigen, dass Adressat der Unterrichtungspflicht nur der Prüfer ist, d.h. nur der Prüfer ist (in bestimmtem Umfang, (Rz. 1.670) zur laufenden Unterrichtung verpflichtet. Nach einer Unterrichtung des Steuerpflichtigen durch den Prüfer sollte der Steuerpflichtige jedoch aktiv werden, wenn die Darstellung festgestellter Sachverhalte (Rz. 1.670) oder möglicher steuerlicher Auswirkungen aus Sicht des Steuerpflichtigen unzutreffend oder unvollständig sind. Verhält sich der Steuerpflichtige „passiv“, d.h. reagiert er nicht, wird der Prüfer festgestellte Sachverhalte seiner steuerlichen Würdigung zugrunde legen.

1.663

b) Betriebsprüfer als Verpflichteter Die Pflicht zur Unterrichtung des Steuerpflichtigen hat der zuständige Betriebsprüfer, also der von der zuständigen Finanzbehörde bestellte Prüfer. Der zuständige Prüfer ist dem Steuerpflichtigen bekannt, da sich der Prüfer zu Beginn der Prüfung gegenüber dem Steuerpflichtigen auszuweisen hat (§ 198 Satz 1 AO; zum Eröffnungsgespräch s. Rz. 1.400).

1.664

Für den Fall, dass im Rahmen einer Betriebsprüfung mehrere Prüfer tätig werden, trifft die Unterrichtungspflicht alle Prüfer. Allerdings ist mit Blick auf den Zweck der Vorschrift ausreichend, dass die Unterrichtung durch einen Prüfer erfolgt. Der Steuerpflichtige hat keinen Anspruch, einen bestimmten Prüfer (aus dem Kreis mehrerer Prüfer) auszuwählen.

1.665

c) Voraussetzungen der Unterrichtungspflicht und Pflichterfüllung Eine Unterrichtungspflicht während der Betriebsprüfung setzt voraus, dass die Unterrichtung des Steuerpflichtigen Zweck und Ablauf der Prüfung nicht beeinträchtigt. Hätte eine Unterrichtung des Steuerpflichtigen über einen festgestellten Sachverhalt oder über eine mögliche steuerliche Auswirkung eine Beeinträchtigung des Zwecks der Prüfung oder eine Beeinträchtigung des Ablaufs der Prüfung zur Folge, bestände insoweit keine Unterrichtungspflicht. 1 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 199 AO Rz. 9; Intemann in Koenig3, § 199 AO Rz. 18; Rüsken in Klein, § 199 AO Rz. 3; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 23; Seer in Tipke/Kruse, § 199 AO Rz. 16. 2 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 199 AO Rz. 9; Intemann in Koenig3, § 199 AO Rz. 18; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 23; Seer in Tipke/Kruse, § 199 AO Rz. 16. 3 Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 23; Seer in Tipke/Kruse, § 199 AO Rz. 17.

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1.666

Kap. 1 Rz. 1.667 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.667

Der „Zweck der Prüfung“ ist die Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen (§ 194 Abs. 1 Satz 1 AO, (Rz. 1.395); zu den Besteuerungsgrundlagen i.S.v. § 199 Abs. 1 AO, Rz. 1.408). Unter Berücksichtigung des Telos von § 199 Abs. 2 AO ist die Formulierung „Ablauf der Prüfung“ m.E. im Sinne von „ordnungsgemäßer Ablauf der Prüfung“ zu lesen. Eine „Beeinträchtigung“ i.S.v. § 199 Abs. 2 AO liegt danach vor, wenn die Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen oder der Ablauf der Betriebsprüfung – im Vergleich zu einer gedachten Nicht-Unterrichtung – erschwert, verschleppt oder unmöglich1 würde. Dies wäre z.B. der Fall, wenn eine Vernichtung von Urkunden durch den Steuerpflichtigen, eine Beeinflussung von Auskunftspersonen oder ein „Frisieren“ von Buchführungsunterlagen droht.2

1.668

Die Verpflichtung zur Unterrichtung ist erfüllt, wenn der Betriebsprüfer den Steuerpflichtigen (ggf. vertreten durch dessen Bevollmächtigten, § 80 Abs. 3 Satz 1 AO) zutreffend informiert hat. Die Unterrichtung kann mündlich oder schriftlich erfolgen. Insbesondere mit Blick auf komplexe Sachverhalte (z.B. einzelne Schritte einer Unternehmensumstrukturierung) bietet sich eine schriftliche Unterrichtung des Steuerpflichtigen an. Erfahrungsgemäß kann eine Stellungnahme des Steuerpflichtigen eine aufwendige Recherche voraussetzen.

1.669

Soweit der Prüfer eine Unterrichtung vorgenommen hat, entfällt die Unterrichtungspflicht. Deshalb sollte ein Steuerpflichtiger bzw. dessen Bevollmächtigter das Ergebnis einer Unterrichtung dokumentieren (z.B. durch Verwendung eines IT-Tools, Rz. 2.126), um zu verhindern, dass die Informationen – z.B. bei Zuständigkeits- bzw. Personalwechsel auf Seite des Steuerpflichtigen – verloren gehen. d) Umfang der Unterrichtungspflicht aa) Festgestellte Sachverhalte

1.670

Die Unterrichtungspflicht nach § 199 Abs. 2 AO erstreckt sich zunächst auf die festgestellten Sachverhalte. Ein „Sachverhalt“ kann aus einer Vielzahl von Tatsachen (Rz. 1.408) bestehen. Dies sind sämtliche Tatsachen, die dem Prüfer bis zum Zeitpunkt der Unterrichtung des Steuerpflichtigen bekannt geworden sind bzw. die er ermittelt hat. In der Praxis dürfte es sich regelmäßig um neue Tatsachen handeln, die dem Steuerpflichtigen noch nicht bekannt waren. Die Tatsachen, die dem Steuerpflichtigen bekannt waren, sind vom Prüfer zu bestätigen.

1.671

Da sich die Unterrichtungspflicht auf „festgestellte“ Sachverhalte bezieht, sind Tatsachen bzw. Sachverhaltsbestandteile, die vom Prüfer noch nicht abschließend (aus-)ermittelt worden sind, nicht (zumindest nicht nach § 199 Abs. 2 AO verpflichtend) mitzuteilen. Denn § 199 Abs. 2 AO begründet kein „Kontrollrecht“ des Steuerpflichtigen.

1.672

Fraglich ist, ob ein Prüfer dem Steuerpflichtigen auch einen festgestellten Sachverhalt mitteilen muss, der aus Sicht des Prüfers nicht maßgebend für die Besteuerung, also steuerunerheblich, ist (zu den maßgebenden Besteuerungsgrundlagen nach § 199 Abs. 1 AO, Rz. 1.408). Nach einer Auffassung soll insoweit keine Unterrichtungspflicht bestehen.3 U.E. besteht auch insoweit eine Unterrichtungspflicht. Denn anders als § 199 Abs. 1 AO sieht § 199 Abs. 2 AO keine Beschränkung auf „für die Besteuerung maßgebende“ (festgestellte) Sachverhalte vor. Darüber hinaus besteht eine weitergehende Unterrichtungspflicht zu den möglichen steuerli1 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 199 AO Rz. 9c; Intemann in Koenig3, § 199 AO Rz. 21; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 33; Seer in Tipke/Kruse, § 199 AO Rz. 21. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 199 AO Rz. 21. 3 Bauer, DStR 1988, 140; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 199 AO Rz. 9; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 29.

172 | Peters/von Freeden

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G. Informationsrechte des Steuerpflichtigen | Rz. 1.676 Kap. 1

chen Auswirkungen. Für einen Steuerpflichtigen kann die Information, dass ein festgestellter Sachverhalt aus Sicht des Prüfers für die Besteuerung unerheblich ist, Bedeutung haben. Denn aus Sicht des Steuerpflichtigen könnte zu seinen Lasten ein Sachverhalt als möglicherweise steuerlich bedeutend qualifiziert werden. Das Wissen, dass dies vom Prüfer anders gesehen wird, wäre für den Steuerpflichtigen insoweit hilfreich. bb) Mögliche steuerliche Auswirkungen Die Unterrichtungspflicht nach § 199 Abs. 2 AO erstreckt sich – zusätzlich zu den festgestellten Sachverhalten (Rz. 1.670) – auf die möglichen steuerlichen Auswirkungen. Der Prüfer hat den Steuerpflichtigen danach auch über die steuerlichen Auswirkungen eines festgestellten Sachverhalts zu informieren, die sich aus Sicht des Prüfers ergeben. Dies kann z.B. das Bestehen einer Körperschaftsteuerpflicht (inländischer Verwaltungssitz, § 1 KStG), die anteilige Nichtabziehbarkeit von Zinsen (Überentnahme, § 4 Abs. 4a EStG) oder die Erhöhung des gewerbesteuerlichen Gewerbeertrags (Hinzurechnung von Finanzierungsaufwendungen, § 8 Nr. 1 GewStG) sein. Der Steuerpflichtige hat danach die Möglichkeit z.B. im Rahmen einer Stellungnahme der Sichtweise des Prüfers entgegenzutreten.

1.673

Bei der Frage, ob ein festgestellter Sachverhalt eine mögliche steuerliche Auswirkung (mit belastender Wirkung für den Steuerpflichtigen) hat, kann eine Abstimmung zwischen dem Prüfer und dem Innendienst erforderlich sein. Denn letztlich hat das zuständige Finanzamt z.B. über die Auslegung und Anwendung einer materiellen Steuernorm (z.B. Überentnahme i.S.v. § 4 Abs. 4a EStG) zu entscheiden. Die Auffassung des Prüfers zu der Frage, ob ein festgestellter Sachverhalt die Tatbestandsmerkmale einer Steuernorm erfüllt, wird der Innendienst allerdings erfahrungsgemäß berücksichtigen. Die Entscheidung liegt insoweit aber beim Finanzamt.

1.674

Für den Umfang der Unterrichtungspflicht nach § 199 Abs. 2 AO kommt es letztlich nur auf die „Möglichkeit“ einer steuerlichen Auswirkung an. Diese läge nicht vor, wenn sich aus Sicht des Prüfers (bei Zugrundelegung der Verwaltungsauffassung) eindeutig keine steuerliche Auswirkung ergeben kann. Insoweit besteht keine Unterrichtungspflicht des Prüfers.

1.675

cc) Anwendungsbeispiele Besondere Bedeutung haben die Informations- und Gehörsrechte in der Betriebsprüfung bspw. dann, wenn es um den Einsatz digitaler Betriebsprüfungs-Tools und/oder die Anwendung komplexer Schätzungsmethoden wie einer umfangreichen Kalkulation oder einer Quantilsschätzung geht, die eine große Menge betrieblicher Daten des Steuerpflichtigen auswerten (zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (Rz. 1.554), zur Anwendung digitaler Betriebsprüfungsinstrumente (Rz. 2.126). Gerade die Anwendung der digitalen Prüfungsmethoden kann eine „rechnerisch-technische“ Überlegenheit des Prüfers zur Folge haben.1 Grundsätzlich müssen Schätzungsgrundlagen von der Finanzbehörde so dargelegt werden, dass ihre Nachprüfung – insbesondere eine Schlüssigkeitsprüfung des zahlenmäßigen Ergebnisses der Schätzung – möglich ist.2 Dabei müssen sowohl die Kalkulationsgrundlage – und damit auch die spezifischen Daten, auf denen die Prüfungsmethode basiert – als auch die Ergebnisse der Kalkulation sowie die Ermittlungen, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, offengelegt werden.3 1 BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743. 2 BFH v. 25.7.2016 – X B 213/15, X B 4/16, BFH/NV 2016, 1679. 3 BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743; BFH v. 17.11.1981 – VIII R 174/77, BStBl. II 1982, 430; BFH v. 31.7.1974 – I R 216/72, BStBl. II 1975, 96.

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1.676

Kap. 1 Rz. 1.676 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

Aus § 199 Abs. 2 AO folgt ein Anspruch des Steuerpflichtigen, ihm die Kalkulationsgrundlagen in digitaler Form – und nicht lediglich in Papierform – zur Verfügung zu stellen.1 Die Ergebnisse von Prüfungsmethoden wie der Ausbeutekalkulation oder der Quantilsschätzung sind umso genauer und belastbarer, je mehr Informationen über den geprüften Betrieb der Prüfer verarbeiten kann. Auch dieser Umstand spricht dafür, den Steuerpflichtigen möglichst früh gem. § 199 Abs. 2 AO aktiv in das Prüfungsgeschehen einzubinden.

1.677

Auch im Bereich der Bewertung – bspw. Ermittlung von Grundstückswerten für die Feststellung einer verdeckten Gewinnausschüttung, Bewertung einer Rückstellung oder Verrechnungspreisfindung – ist das Informations- und Anhörungsrecht des Steuerpflichtigen von Bedeutung. Auch in diesem Zusammenhang ist der Prüfer auf Information seitens des Steuerpflichtigen angewiesen. Bewertungen liegen außerdem in der Praxis vielfach automationsgestützte Berechnungen insbesondere in Form von Microsoft-Excel-Tabellen zugrunde, zu denen der Steuerpflichtige sich nur dann äußern kann, wenn ihm die Berechnungsgrundlagen und ggf. die Formeln der zugrunde liegenden Tabellenvorlagen mitgeteilt werden. e) Abgrenzung von Zwischen- und Schlussbesprechung aa) Zwischenbesprechung i.S.v. § 199 Abs. 2 AO

1.678

Die gesetzliche Unterrichtungspflicht hat in der Praxis idealerweise einen laufenden Dialog zwischen Steuerpflichtigem und Prüfer zur Folge. Dabei kann die Unterrichtungspflicht z.B. durch regelmäßige „Jour Fixes“, an denen Vertreter der Betriebsprüfung und Vertreter des Steuerpflichtigen teilnehmen, umgesetzt werden. Bei Groß- oder Konzernbetrieben hat diese Unterrichtung den Rahmen einer (formalen) Besprechung und wird als Zwischenbesprechung bezeichnet.2 Um Streit zwischen Prüfer bzw. dem zuständigen Finanzamt und Steuerpflichtigem zu vermeiden, sollte zwischen allen Beteiligten Einigkeit über den verfahrensrechtlichen Charakter einer solchen Zwischenbesprechung bestehen. Es könnte sich bei der Besprechung um eine bloße Unterrichtung nach § 199 Abs. 2 AO oder um eine Schlussbesprechung nach § 201 AO handeln.

1.679

Eine Schlussbesprechung nach § 201 AO (Rz. 1.741) hat – anders als eine Unterrichtung nach § 199 Abs. 2 AO in der Form einer Zwischenbesprechung – u.a. Folgen für die Aufhebung und Änderung einer Steuerfestsetzung. Eine Steuerfestsetzung, -aufhebung und -änderung ist nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist endet spätestens, wenn seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Schlussbesprechung stattgefunden hat, oder, wenn sie unterblieben ist, seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die letzten Ermittlungen im Rahmen der Betriebsprüfung stattgefunden haben, vier Jahre verstrichen sind (§ 171 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Der Zweck der Schlussbesprechung ist neben der Beseitigung von Meinungsverschiedenheiten und Missverständnissen die Gewährung rechtlichen Gehörs.3 Die Besprechung hat Befriedungsfunktion, da sie zeitlich auf die Durchführung der Prüfungshandlungen folgt und sich schwerpunktmäßig auf Fragen bezieht, die im Rahmen der Prüfung streitig geblieben sind.4 Der Gegenstand der Schlussbespre1 BFH v. 25.7.2016 – X B 213/15, X B 4/16, BFH/NV 2016, 1679; BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743; vgl. auch Bleschick, DStR 2018, 1050 ff. 2 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 21.246; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 30. 3 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 201 AO Rz. 2a; Hendricks/Wedel in Gosch, § 201 AO Rz. 1; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 1; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 1; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 5; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 5. 4 Hendricks/Wedel in Gosch, § 201 AO Rz. 1; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 1; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 12; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 5; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 21.247.

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G. Informationsrechte des Steuerpflichtigen | Rz. 1.682 Kap. 1

chung sind die streitigen Aspekte, die gegen Ende der Betriebsprüfung offen geblieben sind. Zu diesen Aspekten tragen die Beteiligten ihre gegensätzlichen Auffassungen vor, um die andere Seite von der Richtigkeit ihrer Auffassung zu überzeugen.1 Die Äußerungen, die während der Schlussbesprechung gemacht werden, haben dabei nur vorläufigen Charakter; auch das rechtliche Ergebnis der Schlussbesprechung ist grundsätzlich unverbindlich.2 Im Unterschied zur Schlussbesprechung sind Gegenstand der laufenden Unterrichtung des Steuerpflichtigen nach § 199 Abs. 2 AO die während der Prüfung festgestellten Sachverhalte und deren mögliche steuerliche Auswirkungen (Rz. 1.670).3

1.680

bb) Abgrenzung von der Schlussbesprechung nach materiellen Gesichtspunkten Nach einer Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg4 ist die Unterscheidung zwischen einer Zwischen- und einer Schlussbesprechung nach materiellen und nicht nach formellen Gesichtspunkten zu bestimmen. Entscheidend ist nicht die Bezeichnung der Besprechung, sondern ihr Inhalt und Zweck. Im Zweifel liegt danach eine Schlussbesprechung vor, wenn die maßgeblichen Personen teilnehmen und Gegenstand der Besprechung sämtliche (vorläufigen5) Prüfungsfeststellungen des Betriebsprüfers sind.

1.681

Diese Sichtweise sei nach Ansicht des FG mit Blick auf § 171 Abs. 4 Satz 3 AO geboten. Denn der Zweck des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO bestehe darin, zugunsten des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit eine zeitlich unbegrenzte Auswertung von Prüfungsfeststellungen zu verhindern und damit eine zeitgerechte Auswertung der Prüfungsfeststellungen durch den Erlass von Änderungsbescheiden zu erzwingen.6 Dagegen hätten vor der Einfügung des Satzes 3 in § 171 Abs. 4 AO Änderungsbescheide auf Grund einer Betriebsprüfung ergehen können, ohne dass ein fester zeitlicher Rahmen für den Erlass der Bescheide vorgesehen gewesen sei. Den somit bestehenden Widerspruch zu dem Zweck der Verjährungsvorschriften – innerhalb eines festen Zeitrahmens Klarheit über den Gegenstand des Steuerschuldverhältnisses zu schaffen – sei durch die Ergänzung des Satzes 37 (mit einer an § 169 Abs. 2 AO orientierten Frist für die Auswertung der Prüfungsfeststellungen) beseitigt worden. Mithin diene § 171 Abs. 4 Satz 3 AO der Rechtssicherheit. Die Finanzbehörde solle nach der Ermittlung des Sachverhalts im Wege der Betriebsprüfung für den Erlass der Steuerbescheide aufgrund der Betriebsprüfung nicht unbegrenzt Zeit verbleiben, während erstmalige Steuerfestsetzungen innerhalb der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 AO erfolgen müssten. Dem Zweck des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO würde es zuwiderlaufen, wenn es die Finanzbehörde in der Hand hätte, durch die von ihr gewählte Bezeichnung bzw. Klassifizierung eines Besprechungstermins das Besteuerungsverfahren offen zu halten.8 Der Prüfer bzw. die Finanzbehörde sei demnach an

1.682

1 Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 1; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 12. 2 BFH v. 27.4.1977 – I R 211/74, BStBl. II 77, 623; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 201 AO Rz. 6 ff.; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 17; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 2; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 67; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 13. 3 Vgl. dazu Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 201 AO Rz. 9a; Sauer in Gosch, § 199 AO Rz. 56; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 23; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 21.246. 4 FG Berlin-Bdb. v. 18.4.2012 – 12 K 12041/10, EFG 2012, 1806, rkr. 5 Erst der in § 202 Abs. 1 Satz 1 AO normierte Prüfungsbericht enthält die „endgültigen“ bzw. für die Auswertung und Umsetzung der Betriebsprüfungsergebnisse in Steuerbescheide maßgeblichen Prüfungsfeststellungen. 6 BFH v. 8.7.2009 – XI R 64/07, BStBl. II 2010, 4. 7 BT-Drucks. 10/1636, 43 f.; vgl. auch BFH v. 8.7.2009 – XI R 64/07, BStBl. II 2010, 4. 8 Siehe dazu auch Cöster in Koenig3, § 171 AO Rz. 100.

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Kap. 1 Rz. 1.682 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

ihre Vorgehensweise gebunden und müsse – wenn sie mit dem Steuerpflichtigen eine Besprechung durchführt, die sämtliche Voraussetzungen des § 201 AO erfüllt – diesem auch die notwendige Rechtssicherheit gewähren, dass dieses Gespräch eine maßgebliche Etappe auf dem Weg zum Abschluss der Betriebsprüfung darstellt. f) Durchsetzung

1.683

Verlangt der Steuerpflichtige die Erfüllung seiner Informations- und Anhörungsansprüche gem. § 199 Abs. 2 AO, stellt eine Verweigerung durch den Betriebsprüfer einen Verwaltungsakt dar.1 Gegen die Ablehnung ist dementsprechend der Einspruch gegeben und nach dessen Zurückweisung die Verpflichtungsklage als statthaftes Rechtsmittel.2 Im Wege einstweiligen Rechtsschutzes in Form des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO lassen sich die Informationsrechte wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache nicht durchsetzen.3 In jedem Fall liegt aber ein Verfahrensfehler vor. Dieser kann durch Nachholung der Gewährung rechtlichen Gehörs noch in einem späteren Einspruchs- oder Klageverfahren gegen die nach der Betriebsprüfung ergangenen Änderungsbescheide geheilt werden.4 Die Bescheide dürften während des Rechtsbehelfsverfahrens von der Vollziehung auszusetzen sein, wenn die Information und Anhörung des Steuerpflichtigen nicht nachgeholt wird.5 Im Übrigen löst eine Verletzung des § 199 Abs. 2 AO kein Beweisverwertungsverbot aus.6

4. Anspruch auf Schlussbesprechung 1.684

Gelegenheit zur Erörterung der Prüfungsfeststellungen besteht für den Steuerpflichtigen auch am Schluss der Betriebsprüfung. Gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 AO ist über das Ergebnis der Betriebsprüfung eine Besprechung, die Schlussbesprechung, abzuhalten, es sei denn, dass sich nach dem Ergebnis der Betriebsprüfung keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt oder der Steuerpflichtige auf die Besprechung verzichtet; zur Schlussbesprechung s. Rz. 1.741). Der Steuerpflichtige hat grundsätzlich einen Anspruch auf Durchführung der Schlussbesprechung.7 Von diesem Recht sollte er im Regelfall auch Gebrauch machen. Auch wenn die Schlussbesprechung formal keine Maßnahme der Sachverhaltsermittlung ist, lassen sich hier doch auch letzte offene Sachverhaltsfragen klären und vor allem die rechtlichen Auswirkungen der Prüfungsfeststellungen diskutieren. Auch für den Abschluss einer tatsächlichen Verständigung bietet die Schlussbesprechung Raum; zur tatsächlichen Verständigung s. Rz. 9.109).

1 So BFH v. 16.12.1987 – I R 66/84, BFH/NV 1988, 319 für den Fall des Verlangens der Herausgabe von Fotokopien; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 39 f.; Seer in Tipke/Kruse, § 199 AO Rz. 23; a.A. Rüsken in Klein15, § 199 AO Rz. 3; zur Ablehnung der Schlussbesprechung vgl. Seer in Tipke/ Kruse, § 201 AO Rz. 3. 2 Vgl. hierzu auch Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 36; Bleschick, DStR 2018, 1050 (1052). 3 BFH v. 27.7.1994 – I B 246/93, BStBl. II 1994, 899; vgl. auch Loose in Tipke/Kruse, § 114 FGO, Rz. 38. 4 Intemann in Koenig3, § 199 AO Rz. 20; Rüsken in Klein15, § 199 AO Rz. 3; Schallmoser in HHSp, § 199 AO Rz. 36; Seer in Tipke/Kruse, § 199 AO Rz. 22. 5 BFH v. 4.4.1987 – VII R 71/77, BStBl. II 1978, 402. 6 BFH v. 26.6.1997 – XI B 174/96, BFH/NV 1998, 17; Klein/Rüske, § 199 Rz. 3; Schallmoser in HHSp., § 199 Rz. 36, Seer in Tipke/Kruse, § 199 Rz. 22. Zu den steuerlichen Verwertungsverboten Rz. 1.515. 7 BFH v. 16.12.1987 – I R 66/84, BFH/NV 1988, 319; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 9; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 5; Sauer in Gosch, § 201 AO Rz. 5; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 20; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 1.

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G. Informationsrechte des Steuerpflichtigen | Rz. 1.689 Kap. 1

Bei der Schlussbesprechung sind gem. § 201 Abs. 1 Satz 2 AO insbesondere strittige Sachverhalte sowie rechtliche Beurteilungen der Prüfungsfeststellungen und ihre steuerlichen Auswirkungen zu erörtern. Die Schlussbesprechung ist – anders als die unter § 199 Abs. 2 AO zu fassende Zwischenbesprechung (vgl. hierzu Rz. 1.678), keine Maßnahme der Sachverhaltsermittlung, sondern dient der Gewährung rechtlichen Gehörs.1 Dementsprechend kann der Steuerpflichtige nicht nur auf ihre Durchführung ausdrücklich verzichten, sondern er kann auch nicht zur Teilnahme gezwungen werden.2 Liegt ein wirksamer Verzicht des Steuerpflichtigen auf die Durchführung der Schlussbesprechung vor, ist der Prüfer nicht mehr berechtigt, eine solche durchzuführen.3 Ein (konkludenter) Verzicht kann auch im Nichterscheinen zu einer vom Prüfer anberaumten Schlussbesprechung zu sehen sein.4

1.685

Unterbleibt die Schlussbesprechung, ohne dass der Steuerpflichtige auf die Durchführung verzichtet hat, liegt ein Verfahrensfehler vor. Dieser Fehler kann durch Nachholung der Schlussbesprechung geheilt werden. Eine solche Nachholung kann auch darin liegen, dass dem Steuerpflichtigen Gelegenheit gegeben wird, zum Betriebsprüfungsbericht Stellung zu nehmen.5

1.686

Die Schlussbesprechung als solche ist kein Verwaltungsakt. Lehnt der Betriebsprüfer aber die Durchführung einer solchen ab, liegt in der Ablehnung ein Verwaltungsakt, der mittels Einspruch und ggf. Klage angefochten werden kann.6

1.687

5. Hinweispflicht hinsichtlich straf- oder bußgeldrechtlicher Würdigung der Feststellungen der Betriebsprüfung a) Grundlagen § 201 Abs. 2 AO erweitert die Anhörungsrechte bzw. Informationspflichten des Betriebsprüfers auf Fälle steuerstrafrechtlicher Relevanz. Besteht die Möglichkeit, dass auf Grund der Prüfungsfeststellungen ein Straf- oder Bußgeldverfahren durchgeführt werden muss, soll der Steuerpflichtige gem. § 201 Abs. 2 AO darauf hingewiesen werden, dass die straf- oder bußgeldrechtliche Würdigung einem besonderen Verfahren vorbehalten bleibt. Ein strafprozessualer Anfangsverdacht ist für den Hinweis nicht erforderlich, sondern es genügt ein (geringwertigerer) Anlass in Form der „Möglichkeit“.7

1.688

b) Einordnung § 201 Abs. 2 AO ist auch Konsequenz der in § 393 Abs. 1 AO zum Ausdruck kommenden Trennung zwischen Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren. Nach §§ 386, 409 AO ist zwar auch die Finanzbehörde für die Ermittlung des Sachverhalts in Steuerstrafsachen oder Steuerordnungswidrigkeiten zuständig. Diese Ermittlungen sind aber gerade nicht Teil der steuerli-

1 Sauer in Gosch, § 201 AO Rz. 7; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 1; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 1; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 5; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 5. 2 BVerfG v. 21.7.2016 – 1 BvR 3092/15, DStR 2016, 1985; BFH v. 20.10.2015 – IV B 80/14, BFH/NV 2016, 168. 3 BFH v. 20.10.2015 – IV B 80/14, BFH/NV 2016, 168. 4 AEAO Nr. 3 zu § 201. 5 Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 2 m.w.N. 6 BFH v. 16.12.1987 – I R 66/84, BFH/NV 1988, 319; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 9; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 22; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 3. 7 Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 7; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 72.

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1.689

Kap. 1 Rz. 1.689 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

chen Betriebsprüfung,1 sondern einer Steuerfahndungsprüfung. Der steuerliche Betriebsprüfer darf etwaige straf- oder bußgeldrechtliche Folgen nicht selbst ziehen2, sondern muss dies der zuständigen Strafverfolgungsbehörde überlassen. Verfahrensrechtlich wird dies während der steuerlichen Betriebsprüfung durch § 10 BpO sichergestellt. Danach ist, wenn sich während einer Betriebsprüfung zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat i.S.v. § 152 Abs. 2 StPO ergeben, deren Ermittlung der Finanzbehörde obliegt, die Betriebsprüfung zu unterbrechen und unverzüglich die für die Bearbeitung dieser Straftat zuständige Stelle zu unterrichten, also die Bußgeld- und Strafsachenstelle oder, wenn weitere Sachverhaltsermittlungen erforderlich sind, die Steuerfahndung.

1.690

Die Vorschrift soll sicher stellen, dass der Betriebsprüfer rechtzeitig fachkundige Unterstützung einholt, um einerseits sicherzustellen, dass nicht im Nachhinein festgestellt wird, dass bereits ein Anfangsverdacht bestand und Belehrungspflichten verletzt wurden, und um andererseits zu vermeiden, dass ohne Vorliegen eines Anfangsverdachts durch Ermittlungsmaßnahmen „über das Ziel hinausgeschossen“ wird.3 Die Unterbrechungs- und Unterrichtungspflicht greift deshalb gem. § 10 BpO bereits dann, wenn lediglich die Möglichkeit besteht, dass ein Strafverfahren durchgeführt werden muss, also im Vorfeld eines strafrechtlichen Anfangsverdachts, wenn zwar tatsächliche Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat sprechen, aber diese noch nicht i.S.v. § 152 StPO „zureichend“ sind.4 Wenn die tatsächlichen Anhaltspunkte für einen strafrechtlichen Anfangsverdacht gegen den Steuerpflichtigen ausreichen, darf die Betriebsprüfung hinsichtlich des Sachverhalts, auf den sich der Verdacht bezieht, gem. § 10 Abs. 1 Satz 3 BpO erst fortgesetzt werden, wenn dem Steuerpflichtigen die Einleitung des Strafverfahrens mitgeteilt und er darüber belehrt worden ist, dass seine Mitwirkung im Besteuerungsverfahren gem. § 393 Abs. 1 AO nicht mehr erzwungen werden kann.

1.691

Vor diesem Hintergrund kommt die Vorgehensweise nach § 201 Abs. 2 AO nur dann in Betracht, wenn während der Betriebsprüfung noch nicht die Möglichkeit oder der (Anfangs-)Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit bestand, aber am Ende der Prüfung die Möglichkeit einer solchen Tat besteht. § 201 Abs. 2 AO ist eine Sollvorschrift, die dem Betriebsprüfer aber angesichts des strafrechtlichen Legalitätsprinzips nur einen geringen Ermessensspielraum einräumen kann: Solange die nicht nur theoretische Möglichkeit der Durchführung eines Steuerstrafverfahrens besteht, ist der Hinweis zu erteilen.5 Hervorzuheben ist dabei, dass der Hinweis selbst noch nicht das Strafverfahren nach §§ 397, 410 Abs. 1 Nr. 6 AO eröffnet. Erst nach Abgabe des Betriebsprüfungsberichts mit Stellungname des Prüfers zur steuerstrafrechtlichen Relevanz der geprüften Sachverhalte Prüfers entscheidet die Straf- und Bußgeldsachenstelle über eine Einleitung eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens.6

1.692

Hinweis: Sollte im Anschluss an die steuerliche Betriebsprüfung im Anschluss an den strafrechtlichen Hinweis ein Steuerstrafverfahren oder ein Bußgeldverfahren eingeleitet werden, sollten der Steuerpflichtige und sein Berater stets prüfen, ob die Voraussetzungen für die Einleitung eines Steuerstrafverfah1 Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 7; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 71; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 16. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 18. 3 Vgl. ausf. zu den Voraussetzungen und Folgen eines strafrechtlichen Anfangsverdachts im Besteuerungsverfahren Peters, DStR 2015, 2583 ff. 4 Vgl. auch Nr. 130 Abs. 3, Nr. 131 Abs. 1 AStBV (St) 2017. 5 Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 18; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 72. 6 Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 24; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 18; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 72.

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G. Informationsrechte des Steuerpflichtigen | Rz. 1.696 Kap. 1 rens in Gestalt eines strafrechtlichen Anfangsverdachts einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerverkürzung nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt der Betriebsprüfung vorlagen und deshalb bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein Strafverfahren hätte eingeleitet werden müssen (zur Einleitung eines Steuerstrafverfahrens während einer Außenprüfung [Rz. 1.540]). Dies kann bspw. durch Akteneinsicht in die Prüferhandakte ermittelt werden. Sollten bereits zu einem früheren Zeitpunkt der Prüfung die Voraussetzungen eines strafrechtlichen Anfangsverdachts vorgelegen haben, lag ab diesem Zeitpunkt eine unzulässige verdeckte strafrechtliche Ermittlung vor mit der Folge, dass zumindest strafrechtlich ein Verwertungsverbot für die ab diesem Zeitpunkt ermittelten Tatsachen bestehen dürfte.

c) Rechtsfolgen bei unterlassenem Hinweis Der strafrechtliche Hinweis ist kein Verwaltungsakt.1 Unterbleibt er, hat dies keine unmittelbaren steuerlichen Folgen. Das Unterlassen des Hinweises als solchem führt auch nicht zu einem steuerlichen oder strafrechtlichem Verwertungsverbot.2 Die Finanzbehörde wird hierdurch auch nicht an einer Einleitung eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens gehindert.3 Es dürfte andererseits unter dem Gesichtspunkt einer fairen Verfahrensführung auch angezeigt sein, den Steuerpflichtigen zu informieren, wenn nach einem Hinweis gem. § 201 Abs. 2 AO kein Steuerstraf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet wurde.4

1.693

6. Anspruch auf Übersendung des Prüfungsberichts vor dessen Auswertung und Gelegenheit zur Stellungnahme. Über das Ergebnis der Betriebsprüfung ist gem. § 202 Abs. 1 Satz 1 AO ein schriftlicher Bericht, der Prüfungsbericht, zu erstellen, in dem die Prüfungsfeststellungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sowie die Änderungen der Besteuerungsgrundlagen dargestellt werden (zu Inhalt und Bedeutung des Betriebsprüfungsberichts [Rz. 1.768]). Die Finanzbehörde hat, bevor der Bericht ausgewertet wird, diesen dem Steuerpflichtigen gem. § 202 Abs. 2 AO auf dessen Antrag zu übersenden und ihm Gelegenheit zu geben, in angemessener Zeit dazu Stellung zu nehmen. Der Prüfungsbericht wird also nur auf entsprechenden Antrag des Steuerpflichtigen vor seiner Auswertung übersandt. Der Steuerpflichtige hat dann einen Anspruch auf Übersendung und Gelegenheit zur Stellungnahme.5

1.694

Für die Stellungnahme ist dem Steuerpflichtigen eine angemessene Frist einzuräumen. Welche Frist angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Zu berücksichtigen sind dabei der Umfang der Fragen, über die bei der Schlussbesprechung keine Einigung erzielt worden ist, sowie die Schwierigkeit der zu entscheidenden Fragen.6

1.695

Der Antrag auf Übersendung des Betriebsprüfungsberichts kann unabhängig davon gestellt werden, ob die steuerliche Betriebsprüfung einvernehmlich beendet wurde oder nicht. Auch dann, wenn es in der Schlussbesprechung zu einer Einigung gekommen ist, kann der Steuerpflichtige

1.696

1 Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 8; Sauer in Gosch, § 201 AO Rz. 49; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 73; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 18. 2 FG Münster v. 5.3.1970 – I-II 993/68 A, EFG 1979, 512; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 8; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 74; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 19. 3 Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 19. 4 Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 19 a.E. 5 Vgl. BFH v. 11.12.1980 – IV R 127/78, BStBl. II 1981, 457. 6 Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 31; Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 8; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 41; Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 10.

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Kap. 1 Rz. 1.696 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

die Übersendung verlangen.1 Wird kein Prüfungsbericht erstellt, sondern nur eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 2 AO erteilt, entfällt insoweit selbstverständlich auch das Antragsrecht.2

1.697

Der Prüfungsbericht als solcher ist kein Verwaltungsakt. Die unterlassene Anhörung zum Prüfungsbericht kann von der Finanzbehörde noch im weiteren Verfahrensverlauf, bspw. im Einspruchsverfahren gegen die im Anschluss an die Betriebsprüfung erlassenen Änderungsbescheide, nachgeholt werden. Unabhängig davon macht die unterlassene Übersendung des Prüfungsberichts für sich genommen die im Anschluss an die Betriebsprüfung erlassenen Änderungsbescheide nicht rechtswidrig.3

III. Informationsrechte nach IFG und DSGVO 1. Informationsfreiheitsrechte nach dem IFG 1.698

Für den Zuständigkeitsbereich der Bundesfinanzverwaltung, insbesondere der Zollverwaltung, gilt das Informationsfreiheitsgesetz (IFG)4. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG hat jedermann einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Das IFG tritt neben die Regelungen der Abgabenordnung zu Informations- und Akteneinsichtsrechten.5 Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 IFG besteht ein Anspruch auf Auskunft und ggf. auch Akteneinsicht.

1.699

Für den Bereich der Landesfinanzverwaltung gilt nicht das IFG, sondern, soweit solche erlassen wurden, die Informationsfreiheitsgesetze der Länder.6 Ob sich aus den Landes-IFG ebenfalls Akteneinsichtsrechte ergeben, ist umstritten7 und wird von den FG überwiegend verneint mit der Begründung, dass die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers der AO gegen ein allgemeines Akteneinsichtsrecht im Besteuerungsverfahren eine abweichende Regelung durch den Landesgesetzgeber ausschließe.8

1.700

Für Ansprüche nach dem Bundes-IFG oder den Landes-IFG gelten gem. § 32e AO die Art. 12 bis 15 DSGVO sowie die §§ 32a-d AO entsprechend (vgl. zum Ausschlussgrund des § 32c AO unter Rz. 1.711). Dadurch soll sichergestellt werden, dass diese Informationsansprüche nicht weiter gehen als die Rechte nach der DSGVO und der AO.9

1.701

Trotz dieser materiellen Angleichung führt § 32e AO i.V.m. § 32i Abs. 2 AO nicht dazu, dass Auskunftsansprüche gegen die Finanzbehörden, die auf Vorschriften der IFG gestützt sind, vor den FG zu verhandeln sind.10 Ansprüche nach dem Bundes-IFG oder den Landes-IFG sind grundsätzlich vor den VG geltend zu machen.11 1 Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 8. 2 Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 8. 3 FG Berlin v. 22.4.1996, EFG 1997, 90; FG BW v. 7.7.1999 – 12 K 247/96, EFG 1999, 1257; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 39; Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 10. 4 Gesetz v. 5.9.2005, BGBl. I 2005, 2722. 5 BFH v. 5.12.2016 – VI B 37/16, DStRK 2017, 153. 6 Vgl. hierzu die Zusammenstellung bei Seer in Tipke/Kruse, § 91 AO Rz. 34. 7 Vgl. zum Meinungsstand Seer in Tipke/Kruse, § 91 AO Rz. 34. 8 Vgl. bspw. FG Münster v. 5.11.2002 – 1 K 7155/00 S, EFG 2003, 499; FG Münster v. 20.11.2003 – 12 K 6405/02 S, EFG 2004, 387; FG Münster v. 28.3.2012 – 6 K 4441/10, EFG 2012, 1414; FG Rh.Pf. v. 15.6.2011 – 1 K 1776/10, EFG 2012, 2; FG Düsseldorf v. 16.3.2016 – 7 K 3003/15 AO, bestätigt durch BFH v. 5.12.2016 – VI B 37/16, DStRK 2017, 153. 9 Seer in Tipke/Kruse, § 91 AO Rz. 34 mit Verweis auf BMF v. 12.1.2018, BStBl. I 2018, 185, (ersetzt durch BMF v. 13.1.2020, BStBl. I 2020, 143). 10 BFH v. 16.6.2020 – II B 65/19, BFH/NV 2020, 1187; a.A. Krumm in Tipke/Kruse, § 32i AO Rz. 6. 11 BFH v. 16.6.2020 – II B 65/19, BFH/NV 2020, 1187.

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G. Informationsrechte des Steuerpflichtigen | Rz. 1.705 Kap. 1

2. Auskunftsrechte nach der Datenschutzgrundverordnung a) Grundlagen Ein Anspruch auf Auskunft und Information ergibt sich seit dem 25.5.2018 auch aus Art. 15 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)1. Die DSGVO regelt die Verarbeitung von personenbezogenen Daten natürlicher Personen. Sie soll ein gleichwertiges harmonisiertes Schutzniveau für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten in allen Mitgliedstaaten schaffen.2 Art. 15 DSGVO gibt dem Bürger einen allgemeinen Anspruch auf Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten.3 Die DSGVO gilt unmittelbar im Verwaltungsverfahren in Steuersachen nach der AO vor den Finanzbehörden4 und damit auch in der steuerlichen Betriebsprüfung5. Im finanzgerichtlichen Verfahren gilt die DSGVO nicht.6 Auch in Steuerstraf- und Bußgeldverfahren findet die Verordnung gem. Art. 2 Abs. 2 Buchst. d DSGVO keine Anwendung. Begrenzt wird der Informationsanspruch aus Art. 15 DSGVO in seinem Anwendungsbereich durch die Regelung des § 32c AO und – selbstverständlich – das Steuergeheimnis. In der steuerlichen Betriebsprüfung wird der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO insbesondere dann relevant, wenn es um umfangreiche Berechnungen, Wertermittlungen oder Schätzung des Prüfers unter Verwendung betriebsinterner Daten des Steuerpflichtigen geht. Er ergänzt insofern den Anspruch auf Unterrichtung durch den Prüfer nach § 199 Abs. 2 AO (vgl. hierzu Rz. 1.660).

1.702

Es ist bislang noch nicht abschließend geklärt, welchen Umfang der Anwendungsbereich des Art. 15 DSGVO im Einzelnen hat. Dies betrifft zunächst die grundsätzliche Frage, ob die Vorschriften der DSGVO im Bereich des Steuerrechts nur auf harmonisierte Steuern anwendbar sind. Fraglich ist außerdem, ob Art. 15 DSGVO neben dem Recht auf Information auch ein umfassendes Akteneinsichtsrecht gewährt.

1.703

b) Persönlicher Anwendungsbereich Unmittelbar gilt die DSGVO nur für personenbezogene Daten lebender natürlicher Personen. § 2a Abs. 5 AO erweitert den Anwendungsbereich der Verordnung auf verstorbene natürliche Personen und Körperschaften, rechtsfähige oder nicht rechtsfähige Personenvereinigungen und Vermögensmassen. Damit gilt auch der Informationsanspruch des Art. 15 DSGVO in diesem Umfang.

1.704

c) Sachlicher Anwendungsbereich Die DSGVO gilt nach ihrem Art. 2 Abs. 1 für die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie für die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen. Sie findet gemäß ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. a) u.a. keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen einer Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des 1 VO (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (DSGVO, ABl. Nr. L 119 v. 4.5.2015, 1). 2 DSGVO, Erwägungsgrund zu (3). 3 Vgl. Hildebrand/Leyva, Ubg 2020, 109 (111). 4 Vgl. BMF v. 13.1.2020, BStBl. I 2020, 143 Rz. 2. 5 Vgl. BMF v. 13.1.2020, BStBl. I 2020, 143 Rz. 3. 6 So BFH v. 29.8.2019 – X S 6/19, BFH/NV 200, 25.

Peters | 181

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1.705

Kap. 1 Rz. 1.705 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

Unionsrechts fällt. Diese Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs wirft für Zwecke des Besteuerungsverfahrens die Frage auf, ob die DSGVO und damit der Auskunftsanspruch des Art. 15 DSGVO nur im Bereich der harmonisierten oder auch auf nicht harmonisierte Steuern anwendbar sind. Im ersteren Fall würde eine auf Art. 15 DSGVO gestützte Akteneinsicht bspw. die Umsatzsteuer, nicht aber die Einkommensteuer umfassen. Die Finanzverwaltung geht – ohne auf die Problematik ausdrücklich einzugehen – bislang davon aus, dass sich der sachliche Anwendungsbereich der DSGVO auch auf die Einkommensteuer erstreckt.1 Auch im Schrifttum wird die Anwendung auf nicht harmonisierte Steuern bejaht.2 Eine höchstrichterliche Entscheidung der Frage steht bislang aus.3

1.706

In der Praxis der steuerlichen Betriebsprüfung dürfte diese Frage der Begrenzung des Anwendungsbereichs des Auskunftsanspruchs aus Art. 15 DSGVO in aller Regel nicht problematisch sein, da die Finanzverwaltung, wie dargestellt, eine steuerartübergreifende Anwendung annimmt. Darüber hinaus dürften auch bei einer Begrenzung des Anwendungsbereichs die bspw. für Zwecke der Umsatzsteuer erhaltenen Informationen auch für andere geprüfte Steuerarten nutzbar gemacht werden können. Dies gilt bspw., wenn der Prüfer eine umfangreiche Ausbeutekalkulation erstellt, aus der er im Schätzungswege Mehrumsätze und -gewinne ableitet. d) Form und Umfang des Informationsrechts gem. Art. 15 DSGVO

1.707

Art. 15 Abs. 1 DSGVO spricht ausdrücklich von einem Recht auf Auskunft und Information. Während der Inhalt der Auskünfte wie bspw. die Verarbeitungszwecke oder die Kategorien der verarbeiteten Daten in der Vorschrift genannt werden, werden über die Form und den Umfang der Auskunft keine näheren Regelungen getroffen. § 32d AO ergänzt Art. 12 bis 15 DSGVO und sieht in Abs. 1 vor, dass die Finanzbehörde die Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt. Vom Auskunftsrecht erfasst sein dürfte die Auskunft und Information über einzelne Betriebsprüfungsfeststellungen, die unter Anwendung betriebsinterner Daten des Steuerpflichtigen gewonnen wurden, wie bspw. eine Wertermittlung oder Schätzung. Hierzu gehören auch die von der Betriebsprüfung durch Anwendung bestimmter Berechnungsmethoden oder Betriebsprüfungs-Tools durch Auswertung der Daten des Steuerpflichtigen gewonnen Ergebnisse, da insoweit eine „Verarbeitung“ von Daten i.S.v. Art. 15 i.V.m. Art. 4 Nr. 2 DSGVO vorliegt.4 Fraglich ist aber, ob Art. 15 DSGVO darüber hinaus als besondere Form der Auskunftserteilung auch einen gebundenen Anspruch auf Akteneinsicht umfasst.

1.708

Die Finanzverwaltung verneint einen solchen gebundenen Anspruch und geht unter Verweis auf § 32d AO davon aus, dass auch im Anwendungsbereich des Art. 15 DSGVO die Gewährung von Akteneinsicht eine mögliche, aber nicht zwingende und damit im Ermessen der Finanzbehörde stehende Form der Auskunftserteilung darstellt.5 Im Schrifttum wird ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht aus Art. 15 DSGVO überwiegend bejaht.6 Eine höchstrich1 BMF v. 13.1.2020, BStBl. I 2020, 143, Rz. 22. 2 Vgl. bspw. Krumm, DB 2017, 2182 (2186 f.); Hildebrand/Leyva, Ubg 2020, 109 (112). 3 Das Niedersächsische FG hat mit Urteil FG Nds. v. 28.1.2020 – 12 K 213/19, EFG 2020, 665 den Anwendungsbereich des Art. 15 DSGVO nicht auf die Einkommensteuer erstreckt. Das entsprechende Revisionsverfahren ist beim BFH unter dem Az. II R 15/20 anhängig. 4 A.A.: kein Anspruch auf Information über Daten, die von der Finanzbehörde in der Betriebsprüfung „generiert“ wurden, FG Sachs. v. 8.5.2019 – 5 K 337/19, EFG 2020, 661. 5 BMF v. 13.1.2020, BStBl. I 2020, 143 Rz. 32 und 66. 6 Vgl. bspw. Krumm, DB 2017, 2182 (2186 f.); Bareither/Großmann/Uterhark, BB 2019, 111 (115); Haverkamp/Meinert, AO-StB 2019, 276; Hildebrand/Leyva, Ubg 2020, 109 (112); a.A. Poschenrieder, DStR 2020, 21 (23).

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G. Informationsrechte des Steuerpflichtigen | Rz. 1.713 Kap. 1

terliche Entscheidung zu Form und Umfang der Auskunftserteilung steht bislang aus. Nach Auffassung des FG des Saarlands soll die Vorschrift dahingehend auszulegen sein, dass für alle Steuerpflichtigen ein gebundener Anspruch auf Akteneinsicht bei der Finanzbehörde besteht.1 M.E. umfasst Art. 15 Abs. 1 DSGVO als Form der Auskunftserteilung auch die Akteneinsicht. Allein die Akteneinsicht gibt dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, sich über sämtliche Verarbeitungszwecke seiner Daten, deren Wiedergabe Art. 15 Abs. 1 DSGVO vorschreibt, zu informieren. Hierzu gehören, wie sich aus Art. 12 Abs. 1 Satz 2 DSGVO ableiten lässt, sowohl schriftliche als auch elektronische Aktenbestandteile. Die Akteneinsicht ist zudem ein ressourcensparender und praktikabler Weg der Informationsgewährung, weil nicht einzelne Aktenbestandteile zwecks Weitergabe an den Steuerpflichtigen ausgesondert werden müssen.2 Auch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 DSGVO spricht davon, dass Informationen in einer präzisen, transparenten, verständlichen und leicht zugänglichen Form übermittelt werden müssen. Diesen Erfordernissen wird am ehesten durch eine Akteneinsicht erfüllt, zumal dem Erfordernis der Transparenz gem. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 AO auch ausgehend von der Auffassung der Finanzverwaltung nur dann genügt sein dürfte, wenn der Steuerpflichtige darüber informiert wird, nach welchen Kriterien die ihm zur Verfügung gestellten Informationen aus dem gesamten Akteninhalt ausgewählt wurden.

1.709

Hinweis: In der Betriebsprüfungspraxis dürfte es für den Steuerpflichtigen und seinen Berater in jedem Fall ratsam sein, unter Berufung auf Art. 15 DSGVO zumindest die Einsicht in Teile der Steuerakte zu beantragen. Dies gilt insbesondere in Bezug auf umfangreiche Kalkulationen, Berechnungen und die Ergebnisse digitaler Betriebsprüfungs-Tools, die auch ausgehend von der Auffassung der Finanzverwaltung offen zu legen sein dürften, da es sich um eine einzelne Verarbeitung personenbezogener Daten des Steuerpflichtigen handelt.

1.710

e) Ausschluss der Informationsrechte gem. § 32c AO Das Auskunftsrecht aus Art. 15 DSGVO wird in verschiedener Hinsicht gem. § 32c Abs. 1 AO zugunsten der Finanzverwaltung beschränkt. Der gesetzliche Ausschluss greift allerdings nicht umfassend, sondern nur, „soweit“ ein Ausschlusstatbestand erfüllt ist.3

1.711

Auch in der Praxis der steuerlichen Betriebsprüfung bildet § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AO den wichtigsten Anwendungsfall. Danach ist das Auskunftsrecht ausgeschlossen, wenn die Erteilung der Information die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Finanzbehörde gefährden würde. Beruft sich die Finanzbehörde darauf, dass die Erteilung der vom Steuerpflichtigen eingeforderten Information die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Aufgaben gefährden würde, hat sie diesen Einwand hinreichend zu konkretisieren; pauschale Ausführungen reichen insofern nicht.4 Die Ablehnung muss gegenüber dem Steuerpflichtigen nachvollziehbar erläutert werden.5

1.712

Während der steuerlichen Betriebsprüfung dürfte danach eine Auskunftserteilung bspw. ausgeschlossen sein, wenn es um Informationen zu den Mechanismen der Auswahl als Prüfungs-

1.713

1 FG Saarl., Beschl. v. 3.4.2019 – 2 K 1002/16, EFG 2019, 1217. Es handelt sich um einen unanfechtbaren Kostenbeschluss nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, weshalb eine Beschwerde zum BFH nicht zugelassen werden konnte. 2 So auch Hildebrand/Leyva, Ubg 2020, 109 (113). 3 Drüen in Tipke/Kruse, § 32c AO Rz. 13; Rüsken in Klein15, § 32c AO Rz. 4. 4 FG Sachs. v. 8.5.2019 – 5 K 337/19, EFG 2020, 661–664 m. Anm. Lutter. 5 Krumm, DB 2017, 2182 (2195); Seer in Tipke/Kruse, § 91 AO Rz. 32.

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Kap. 1 Rz. 1.713 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

fall oder zu Angaben des Risikomanagementsystems1 geht. Auch eine Auskunft über vorläufige Überlegungen und probeweise Berechnungen, die sich noch nicht zu einer Prüfungsfeststellung verdichtet haben und mit denen der Steuerpflichtige noch nicht mit der Aufforderung zur Stellungnahme konfrontiert wurde, dürften vom Auskunftsrecht ausgeschlossen sein. Nach Abschluss der Betriebsprüfung dürften bspw. Hinweise des Prüfers für die nächste Betriebsprüfung von einer Auskunftserteilung ausgeschlossen sein.2 f) Durchsetzung

1.714

Zur Durchsetzung des Auskunfts- und Informationsanspruchs aus Art. 15 DSGVO bestehen für den Steuerpflichtigen grds. zwei Möglichkeiten.3 Lehnt die Finanzbehörde den auf Art. 15 DSGVO gestützten Antrag auf Auskunft ganz oder teilweise ab, kann zum einen gem. § 32i Abs. 2 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 AO unmittelbar Klage vor dem FG, in dessen Bezirk die Finanzbehörde ihren Sitz hat, erhoben werden. Ein Einspruch gegen die Ablehnung wäre unzulässig.4 Zum anderen besteht die Möglichkeit der Beschwerde beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI). Gegen die Entscheidung des BfDI im Beschwerdeverfahren kann der Steuerpflichtige sodann gem. § 32i Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 AO Klage vor dem FG Köln5 erheben.

IV. Akteneinsichtsrecht 1.715

Im Unterschied zu den Informationsrechten, zu deren Erfüllung die Finanzbehörde die entscheidungserheblichen Unterlagen aus dem Aktenmaterial selektiert, gewährt das Recht auf Akteneinsicht dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, sich von der Gesamtheit der in der Akte abgelegten bzw. elektronisch gespeicherten Unterlagen ein eigenes Bild zu machen.6 Die AO kennt kein allgemeines Akteneinsichtsrecht.7 Dementsprechend gibt es ein solches auch nicht in der steuerlichen Betriebsprüfung – zumindest nicht nach den Vorschriften der Abgabenordnung. Zu der Frage, ob und ggf. in welchem Umfang Art. 15 DSGVO einen Anspruch auf Akteneinsicht gewährt, vgl. Rz. 1.702. Der Steuerpflichtige hat lediglich ein Recht darauf, dass die Finanzbehörde über seinen Antrag auf Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet.8 Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sind die Gründe des Steuerpflichtigen für die begehrte Akteneinsicht zu prüfen. Der Steuerpflichtige muss ein berechtigtes steuerliches Interesse substantiiert darlegen. Ein rein wirtschaftliches Interesse reicht nicht aus. Ein berechtigtes steuerliches Interesse liegt z.B. vor, wenn ein Beraterwechsel stattgefunden hat und der Antragsteller durch die Auskunft in die Lage versetzt werden soll, zutreffende und vollständige Steuererklärungen abzugeben.9 Das Ermessen der Finanzbehörde kann nur im 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Myßen/Kraus, FR 2019, 58 (64). Vgl. Myßen/Kraus, FR 2019, 58 (64). Vgl. Hildebrand/Leyva, Ubg 2020, 109 (112). Krumm in Tipke/Kruse, § 32i AO Rz. 13; Schober in Gosch, § 32i AO Rz. 35. Der BfDI hat seinen Sitz in Bonn. Seer in Tipke/Kruse, § 91 AO Rz. 24. Rätke in Klein15, § 91 AO Rz. 25; Seer in Tipke/Kruse, § 91 AO Rz. 25 m.w.N.; Söhn in HHSp, § 91 AO Rz. 124; Wünsch in Koenig3, § 91 AO Rz. 23. 8 BFH v. 7.5.1985 – VII R 25/82, BStBl. II 1985, 571; BFH v. 8.2.1994 – VII R 88/92, BStBl. II 1994, 552; BFH v. 4.6.2003 – VII B 138/01, BStBl. II 2003, 790; BFH v. 23.2.2010 – VII R 19/09, BStBl. II 2010, 729; BFH v. 19.3.2013 – II R 17/11, BStBl. II 2013, 639; BFH v. 5.12.2016 – VI B 37/16 – DStRK 2017, 153. 9 BMF v. 17.12.2008 – IV A 3 - S 0030/08/10001, BStBl. I 2009, 6.

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H. Beendigung der Prüfung | Rz. 1.718 Kap. 1

Ausnahmefall auf null reduziert sein mit der Folge eines Anspruchs auf Akteneinsicht, wenn bspw. der Steuerpflichtige seine Rechte allein durch die Ermöglichung der Akteneinsicht effektiv wahrnehmen kann.1 Auch in einem Einspruchsverfahren gegen die auf der Grundlage der Feststellungen der Betriebsprüfung erlassenen Änderungsbescheide steht dem Steuerpflichtigen nur ein Anspruch auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen gem. § 364 AO zu. Erst in einem etwaigen finanzgerichtlichen Verfahren steht dem Steuerpflichtigen gem. § 78 FGO ein umfassendes Akteneinsichtsrecht zu. Lehnt die Finanzbehörde die Akteneinsicht ab, liegt hierin ein Verwaltungsakt.2 Rechtsschutz ist dementsprechend in Form des Einspruchs und nachfolgend ggf. der Verpflichtungsklage zu suchen.3

1.716

H. Beendigung der Prüfung I. Überblick Die AO regelt nicht ausdrücklich, wann die Betriebsprüfung beendet ist. Gleichwohl knüpfen Vorschriften wie § 171 Abs. 4 AO (Dauer der Ablaufhemmung), § 173 Abs. 2 AO (erhöhte Bestandskraft nach Betriebsprüfung) und § 164 Abs. 3 Satz 3 AO (Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung) an das Ende der Betriebsprüfung an (vgl. hierzu ausführlich unter Rz. 1.718 ff.). Die Bestimmung des Zeitpunkts der Beendigung der Betriebsprüfung kann außerdem bedeutsam für die Frage sein, ob die Prüfungsanordnung (noch) anfechtbar oder insoweit bereits eine Erledigung eingetreten ist (vgl. hierzu Rz. 1.739 und ausführlich Rz. 1.381 ff.). Das Ende der Betriebsprüfung im Sinne der formellen Beendigung des Betriebsprüfungsverfahrens ist dabei nicht notwendig identisch mit dem Abschluss der Prüfungshandlungen.4 Die AO regelt mit dem Betriebsprüfungsbericht (§ 202 Abs. 1 AO, vgl. Rz. 1.768 ff.), der Schlussbesprechung (§ 201 AO, vgl. Rz. 1.741 ff.) und der Mitteilung über die Ergebnislosigkeit der Prüfung (§ 202 Abs. 1 Satz 3, vgl. Rz. 1.802 ff.) Elemente der „Schlussphase“ der Betriebsprüfung. Die Finanzbehörde kann die Betriebsprüfung außerdem ausdrücklich für beendet erklären.5 Spätestens tritt das Ende der Betriebsprüfung mit der Auswertung der Prüfungsergebnisse durch Steuerbescheide bzw. Haftungsbescheide ein (vgl. Rz. 1.805 ff.).6

1.717

II. Bedeutung 1. Allgemeines Die Frage nach dem Ende der Betriebsprüfung stellt sich nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit bestimmten verfahrensrechtlichen Situationen. Hierzu gehören der Beginn der Auswertungsfrist und das Ende der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO, die erhöhte Be1 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 246; Söhn in HHSp, § 91 AO Rz. 126; a.A. – grds. bestehe ein Anspruch auf Akteneinsicht – Seer in Tipke/Kruse, § 91 AO Rz. 27. 2 BFH v. 16.12.1987 – I R 66/84, BFH/NV 1988, 319. 3 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 246; Rätke in Klein15, § 91 AO Rz. 32; a.A. – zu erheben sei eine Leistungsklage – Seer in Tipke/Kruse, § 91 AO Rz. 36. 4 Schallmoser in HHSp, § 198 AO Rz. 33. 5 Vgl. BFH v. 17.7.1985 – I R 214/82, BStBl. II 1986, 21; BFH v. 14.4.2020 – VI R 32/17, BStBl. II 2020, 487; Seer in Tipke/Kruse, § 198 AO Rz. 8. 6 FG Hamburg v. 4.11.1986 – II 277/84, EFG 1987, 253; Schallmoser in HHSp, § 198 AO Rz. 33.

Peters | 185

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1.718

Kap. 1 Rz. 1.718 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

standskraft nach § 173 Abs. 2 AO, die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 3 Satz 3 AO und die Frage der fortbestehenden Anfechtbarkeit der Prüfungsanordnung.

2. Ablaufhemmung, § 171 Abs. 4 AO 1.719

Gemäß § 171 Abs. 4 Satz 1 AO läuft, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Betriebsprüfung begonnen oder deren Beginn auf Antrag des Steuerpflichtigen hinausgeschoben wird, die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Betriebsprüfung erstreckt oder im Fall der Hinausschiebung der Betriebsprüfung erstrecken sollte, nicht ab, bevor die auf Grund der Betriebsprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder nach Bekanntgabe der Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 drei Monate verstrichen sind. Gemäß § 171 Abs. 4 Satz 3 AO endet die Festsetzungsfrist spätestens, wenn seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Schlussbesprechung stattgefunden hat, oder, wenn sie unterblieben ist, seit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die letzten Ermittlungen im Rahmen der Betriebsprüfung stattgefunden haben, die Festsetzungsfristen nach § 169 Abs. 2 AO verstrichen sind, dabei bleibt eine Ablaufhemmung nach anderen Vorschriften unberührt. Der Beginn der Auswertungsfrist nach § 171 Abs. 4 Satz 3 AO knüpft also (materiell) an das Ende der konkreten Prüfungshandlungen an. Eine Schlussbesprechung kann auch aufgrund eines Verzichts des Steuerpflichtigen unterbleiben (vgl. hierzu Rz. 1.763 ff.).

1.720

§ 171 Abs. 4 Satz 3 AO regelt den spätest möglichen Ablauf der Festsetzungsfrist nach einer Betriebsprüfung und indirekt den Beginn der Frist für die Auswertung der Prüfungsergebnisse. Die Vorschrift knüpft hierfür an die „letzten Ermittlungen im Rahmen der Betriebsprüfung“ an. Der Zweck des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO besteht darin, zugunsten des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit eine zeitlich unbegrenzte Auswertung von Prüfungsfeststellungen zu verhindern und damit eine zeitgerechte Auswertung der Prüfungsfeststellungen durch den Erlass von Änderungsbescheiden zu erzwingen.1

1.721

Unter „Ermittlungen“ fallen diejenigen Maßnahmen eines Betriebsprüfers, die auf eine umfassende Überprüfung der Besteuerungsgrundlagen gerichtet sind.2 Die Schlussbesprechung gehört nicht zu diesen Maßnahmen, sondern dient der Gewährung rechtlichen Gehörs.3 Ebenso wenig dient das Erstellen des Betriebsprüfungsberichts der Überprüfung von Besteuerungsgrundlagen, sondern beschränkt sich darauf, das Ergebnis der vorausgehenden Ermittlungen und Überprüfungen darzustellen.4 Auch der bloße Blick in die beim Finanzamt vorhandenen Akten reicht nicht aus, ebenso wenig die erneute rechtliche Überprüfung bereits ermittelter Tatsachen.5 Letzte Ermittlungen im Rahmen der Betriebsprüfung setzen vielmehr Maßnahmen des Prüfers oder des Finanzamts voraus, die darauf gerichtet sind, bisher noch nicht bekannte Sachverhaltselemente festzustellen, etwa indem der Prüfer Unterlagen anfordert, den 1 BFH v. 8.7.2009 – XI R 64/07, BStBl. II 2010, 4; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 74; Paetsch in Gosch, § 171 AO Rz. 96. 2 Vgl. BFH v. 6.7.1999 – VIII R 17/97, BStBl. II 2000, 306; BFH v. 8.7.2009 – XI R 64/07, BStBl. II 2010, 4; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 128; Cöster in Koenig3, § 171 AO Rz. 102; Drüen in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz. 63; Paetsch in Gosch, § 171 AO Rz. 98; Rüsken in Klein15, § 171 AO Rz. 70b; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 171 AO Rz. 109. 3 BFH v. 26.6.2014 – IV R 51/11, BFH/NV 2014, 1716. 4 BFH v. 8.7.2009 – XI R 64/07, BStBl. II 2010, 4; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 128; Drüen in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz. 63; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 171 AO Rz. 109; Paetsch in Gosch, § 171 AO Rz. 98; Rüsken in Klein15, § 171 AO Rz. 70c. 5 BFH v. 28.6.2011 – VIII R 6/09, BFH/NV 2011, 1830; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 128; Rüsken in Klein15, § 171 AO Rz. 70b.

186 | Peters

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H. Beendigung der Prüfung | Rz. 1.724 Kap. 1

Steuerpflichtigen in irgendeiner anderen Weise zur Mitwirkung auffordert oder vom Steuerpflichtigen nachgereichte Unterlagen auswertet.1 Insofern wird das Ende der Ermittlungshandlungen auch nicht zwangsläufig durch den Zugang des Betriebsprüfungsberichts definiert. In der Regel wird die Betriebsprüfung zwar mit der Zusendung des Prüfungsberichts (§ 202 Abs. 1 AO) abgeschlossen,2 so dass nach diesem Zeitpunkt stattfindende Ermittlungen nicht mehr im Rahmen der Betriebsprüfung erfolgen. Etwas anderes kann sich jedoch dann ergeben, wenn Tatsachen vorliegen, die darauf hindeuten, dass aus der maßgeblichen Sichtweise des Betroffenen die Betriebsprüfung mit der Zusendung des Prüfungsberichts noch nicht abgeschlossen sein sollte.3 Dies kann bspw. der Fall sein, wenn sich der Steuerpflichtige ausweislich des Betriebsprüfungsberichts eine Stellungnahme zu diesem vorbehalten hatte (vgl. § 202 Abs. 2 AO). Wird eine solche Stellungnahme tatsächlich abgegeben und werden dieser Stellungnahme auch Unterlagen beigefügt, die objektiv zur Wiederaufnahme von Ermittlungshandlungen geeignet waren, ist aus Sicht des Steuerpflichtigen nicht davon auszugehen, dass die Betriebsprüfung mit der Übersendung des Prüfungsberichts beendet war.4 Aufgrund der systematischen Parallele zur Durchführung einer Schlussbesprechung, die gem. § 171 Abs. 4 Satz 2 AO ebenfalls die Festsetzungsfrist neu in Gang setzt, ist es erforderlich, dass der Zeitpunkt der letzten Ermittlungshandlungen im Interesse der verjährungsrechtlichen Rechtssicherheit eindeutig feststeht.5 Im Zweifel trägt die Finanzbehörde die Darlegungs- und Beweislast.6

1.722

3. Erhöhte Bestandskraft, § 173 Abs. 2 AO Den denkbar spätesten Zeitpunkt für das Ende der Betriebsprüfung stellt der Zeitpunkt des Erlasses der Erst- oder Änderungsbescheide dar, in denen die Prüfungsfeststellungen ausgewertet werden. Hieran knüpft die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO an. Gemäß § 173 Abs. 2 Satz 1 AO können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Betriebsprüfung ergangen sind, auch bei Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel nur dann aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt gem. § 173 Abs. 2 Satz 2 AO auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO ergangen ist, die Prüfung also nicht zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen geführt hat.

1.723

§ 173 Abs. 2 AO dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Im Interesse des Rechtsfriedens sollen Steuerbescheide, die das Ergebnis einer Betriebsprüfung sind, verstärkte Be-

1.724

1 BFH v. 28.6.2011 – VIII R 6/09, BFH/NV 2011, 1830; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 128; Cöster in Koenig3, § 171 AO Rz. 102; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 171 AO Rz. 109; Rüsken in Klein15, § 171 AO Rz. 70b. 2 Vgl. BFH v. 17.7.1985 – I R 214/82, BStBl. II 1986, 21; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 128; Cöster in Koenig3, § 171 AO Rz. 102; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 171 AO Rz. 112; Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 1. 3 BFH v. 8.7.2009 – XI R 64/07, BStBl. II 2010, 4; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 128; Cöster in Koenig3, § 171 AO Rz. 102; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 171 AO Rz. 112; Rüsken in Klein15, § 171 AO Rz. 70c. 4 BFH v. 8.7.2009 – XI R 64/07, BStBl. II 2010, 4. 5 BFH v. 28.6.2011 – VIII R 6/09, BFH/NV 2011, 1830; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 128. 6 BFH v. 28.6.2011 – VIII R 6/09, BFH/NV 2011, 1830; FG Münster v. 21.3.2014 – 4 K 3707/11 F, EFG 2014, 1074; Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 128; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 171 AO Rz. 110; Paetsch in Gosch, § 171 AO Rz. 98.

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Kap. 1 Rz. 1.724 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

standskraft genießen und nur unter erschwerten Bedingungen korrigiert werden dürfen.1 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Betriebsprüfung als zusammenhängende, auf intensive und umfassende Sachprüfung angelegte Unternehmung für beide Seiten des Steuerrechtsverhältnisses die Erwartung auslöst, die daraufhin ergehenden Maßnahmen seien das „letzte Wort“ in dieser Angelegenheit.2

1.725

Betriebsprüfung i.S.d. § 173 Abs. 2 AO sind auch die Lohnsteuer-Außenprüfung nach § 42f EStG,3 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung und auch die abgekürzte Betriebsprüfung nach § 203 AO.4 Eine Steuerfahndungsprüfung ist keine Betriebsprüfung im Sinne der Vorschrift, weil sie keine umfassende Prüfung ist und anders als eine Betriebsprüfung nicht den für diese vorgeschriebenen, Vertrauen des Steuerpflichtigen begründenden besonderen Förmlichkeiten unterliegt.5

1.726

Der Umfang der Änderungssperre richtet sich dem Umfang der Betriebsprüfung, für deren Umfang wiederum die Prüfungsanordnung maßgebend ist.6 Sie bezieht sich also nur auf den nach der Anordnung zu prüfenden Steuerpflichtigen und die zu prüfenden Steuern und Prüfungszeiträume.7

1.727

§ 173 Abs. 2 AO verbietet nur eine Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden wegen neuer Tatsachen oder Beweismittel und gilt dabei sowohl für eine Änderung zuungunsten, als auch zugunsten des Steuerpflichtigen.8 Stehen die geprüften Bescheide weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung oder wird die Änderung auf § 175 AO oder § 174 AO gestützt bzw. kann sie auf diese Vorschriften gestützt werden, steht § 173 Abs. 2 AO der Änderung nicht entgegen.9 1 Vgl. BT-Drucks. VI/1982, 153 zu § 154 AO Entw. 1974; s. auch BFH v. 11.11.1987 – X R 54/82, BStBl. II 1988, 307; außerdem BFH v. 29.1.1987 – V R 96/85, BStBl. II 1987, 410; BFH v. 11.12.1997 – V R 56/94, BStBl. II 1998, 367 = BFHE 185, 98; BFH v. 25.3.2003 – IX R 106/00, BFH/NV 2004, 1379; BFH v. 16.6.2004 – X R 56/01, BFH/NV 2004, 1502; Koenig in Koenig, § 173 AO Rz. 138; Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 89; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 310; von Wedelstädt in Gosch, § 173 AO Rz. 117. 2 Vgl. BFH v. 18.8.1988 – V R 194/83, BStBl. II 1988, 932; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 173 AO Rz. 238; Loose in Tipke/Kruse, § 173 Rz. 89; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 311; von Wedelstädt in Gosch, § 173 AO Rz. 117. 3 BFH v. 15.5.1992 – VI R 106/88, BStBl. 1993, 840; vgl. auch BFH v. 31.8.1990 – VI R 78/86, BStBl. 1991, 537; Koenig in Koenig3, § 173 AO Rz. 141; Rüsken in Klein15, § 173 AO Rz. 142; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 320. 4 Vgl. Koenig in Koenig3, § 173 AO Rz. 141; Rüsken in Klein15, § 173 AO Rz. 142; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 318, 323. 5 BFH v. 11.12.1997 – V R 56/94, BStBl. II 1998, 367; BFH v. 16.6.2004 – X R 56/01, BFH/NV 2004, 1502; Koenig in Koenig3, § 173 AO Rz. 142; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 324. 6 BFH v. 11.2.1998 – I R 82/97, BFHE 185, 568; BFH v. 12.10.1994 – XI R 75/93, BFHE 176, 208; BFH v. 12.5.1992 – VIII R 45/90, BFH/NV 1993, 191; BFH v.18.8.1988 – V R 194/83, BFHE 154, 274; Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 93; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 173 AO Rz. 247; Koenig in Koenig3, § 173 AO Rz. 145; Rüsken in Klein15, § 173 AO Rz. 152; von Wedelstädt in Gosch, § 173 AO Rz. 117. 7 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 173 AO Rz. 247; Koenig in Koenig3, § 173 AO Rz. 145; Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 93; Rüsken in Klein15, § 173 AO Rz. 152; von Wedelstädt in Gosch, § 173 AO Rz. 117. 8 Rüsken in Klein15, § 173 AO Rz. 143 m.w.N. 9 BFH v. 29.4.1987 – I R 118/83, BStBl. II 1988, 168; BFH v. 28.11.1989 – VIII R 83/86, BStBl. II 1990, 458; BFH v. 15.12.1994 – V R 135/93, BFH/NV 1995, 938; BFH v. 16.9.2004 – X R 22/01, BFH/NV 2005, 322; BFH v. 18.8.2009 – X R 8/09, BFH/NV 2010, 161; Frotscher in Schwarz/Pahl-

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H. Beendigung der Prüfung | Rz. 1.731 Kap. 1

Liegen die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) vor, gilt die Änderungssperre ebenfalls nicht, soweit infolgedessen Tatsachen erst nachträglich bekannt werden. Eine Selbstanzeige nach § 371 AO oder der Eintritt der Verfolgungsverjährung nach § 384 AO schließen eine Anwendung des § 173 Abs. 2 AO nicht aus.1 Auf eine strafrechtliche Verurteilung oder überhaupt den Aufgriff durch die Strafverfolgungsbehörden kommt es für den Ausschluss der Änderungssperre nicht an.

1.728

Ist die Betriebsprüfung ohne steuerliche Auswirkung geblieben und ergeht dementsprechend auch kein Erst- oder Änderungsbescheid, greift die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO nach dessen Satz 2 ebenfalls,2 wenn eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO ergangen ist. Diese Mitteilung kann auch in einem bloßen entsprechenden Hinweis im Betriebsprüfungsbericht bestehen.3

1.729

4. § 164 Abs. 3 S. 3 AO – Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung a) Bedeutung der Vorbehaltsfestsetzung Nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO können Steuern, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden. Die Vorschrift dient der Beschleunigung der steuerlichen Veranlagung. Das sich hieraus ergebende Spannungsverhältnis zwischen einer schnellen Festsetzung auf der einen und einer materiell richtigen Festsetzung auf der anderen Seite wird dadurch aufgelöst, dass § 164 Abs. 2 AO eine weitgehende Korrekturmöglichkeit vorsieht.4. Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt gem. § 164 Abs. 4 AO mit Ablauf der Festsetzungsfrist. Eine auf § 164 Abs. 2 AO gestützte Änderung setzt zwar nicht voraus, dass im Rahmen einer Betriebsprüfung eine umfassende Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht stattgefunden hat. Die Durchführung einer Betriebsprüfung dürfte aber praktisch zu den häufigsten Anlässen für eine Änderung von Steuerbescheiden nach § 164 Abs. 2 AO gehören.

1.730

b) Anwendungsbereich der Vorbehaltsfestsetzung Der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 164 AO ist dabei nicht auf Steuerbescheide begrenzt, sondern umfasst insbesondere auch Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, Steuermessbescheide oder Zinsbescheide.5 Vorauszahlungsbescheide beinhalten gem. § 164 Abs. 1 Satz 2 AO stets eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Steueranmeldungen wie insbesondere die Umsatzsteuerund Lohnsteuervoranmeldungen stehen gem. § 168 AO einer Vorbehaltsfestsetzung gleich. Auch eine geänderte Steuerfestsetzung ist eine Festsetzung i.S.v. § 164 Abs. 1 AO, wenn bereits der ursprüngliche Bescheid mit einem Vorbehalt der Nachprüfung versehen war.6 War der ur-

1 2 3 4 5 6

ke, § 173 AO Rz. 241; Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 90; Rüsken in Klein15, § 173 AO Rz. 143; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 31. Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 96; Rüsken in Klein15, § 173 AO Rz. 144. BFH v 31.8.1990 – VI R 78/86, BStBl. II 1991, 537; Rüsken in Klein15, § 173 AO Rz. 146; Koenig in Koenig3, § 173 AO Rz. 161 f.; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 340. BFH v. 2.10.2003 – IV R 36/01, BFH/NV 2004, 307. Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 2; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 164 AO Rz. 2; Vgl. hierzu mit weiteren Beispielen zum Anwendungsbereich des § 164 AO Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 4. Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 5.

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1.731

Kap. 1 Rz. 1.731 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

sprüngliche Bescheid nicht mit einem Vorbehalt nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO versehen, so lassen §§ 172 ff. AO grds. nicht zu, dass (erstmalig) der Änderungsbescheid durch einen Vorbehalt der Nachprüfung verschärft wird.1 Dazu bedarf es gem. § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO der Zustimmung des Steuerpflichtigen. Eine Vorbehaltsfestsetzung kommt nicht in Betracht bei Verwaltungsakten, für die §§ 130, 131 AO gilt, also insbesondere bei Haftungsbescheiden, Abrechnungsbescheiden und Bescheiden über die Festsetzung von Verspätungszuschlägen.2 c) Aufhebung des Vorbehalts nach einer Betriebsprüfung aa) Einordnung

1.732

Gemäß § 164 Abs. 3 Satz 3 AO ist nach einer Betriebsprüfung der Vorbehalt aufzuheben, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben. § 164 Abs. 3 Satz 3 AO greift den Rechtsgedanken des § 164 Abs. 1 Satz 1 AO auf, wonach eine Vorbehaltsfestsetzung zulässig ist, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist. Insofern wirft die Regelung des § 164 Abs. 3 Satz 3 AO – neben der Frage der „technischen“ Umsetzung der Aufhebung des Nachprüfungsvorbehaltes (dazu Rz. 1.736 f.) – die Fragen auf, wann eine Betriebsprüfung eine „abschließende“ Prüfung darstellt (dazu Rz. 1.733 f.) und ob ihr Anwendungsbereich über den Wortlaut hinaus auf Fälle zu erstrecken ist, in denen die Ergebnisse der Betriebsprüfung eine Änderung der Steuerfestsetzung erfordern (dazu Rz. 1.735 f.). Zudem können Rechtsschutzüberlegungen anzustellen sein, wenn der Vorbehalt der Nachprüfung nicht aufgehoben wird (dazu Rz. 1.738 ff.). bb) Abschließende Prüfung des Besteuerungssachverhalts

1.733

Aus dem Regelungszusammenhang mit § 164 Abs. 1 Satz 1 AO folgt, dass eine Verpflichtung zur Aufhebung des Vorbehalts nur nach einer „abschließenden“ Betriebsprüfung besteht, also einer solchen, die zur vollständigen Prüfung des Steuerfalles führt.3 Das kann auch eine abgekürzte Betriebsprüfung i.S.v. § 203 AO sein.4 Ob eine Betriebsprüfung in diesem Sinne abschließend ist, richtet sich nach der Prüfungsanordnung.5 Darauf, ob im Rahmen der Betriebsprüfung die steuerlichen Verhältnisse tatsächlich umfassend geprüft wurden, kommt es nicht an.6 Enthält allerdings bereits die Prüfungsanordnung eine Beschränkung auf bestimmte einzelne zu prüfende Besteuerungsgrundlagen, ist es zulässig, wenn der Vorbehalt der Nachprüfung nach Abschluss der Prüfung beibehalten wird.7

1.734

Hinweis: Diese Grundsätze gelten auch für Sonderprüfungen. Ist bspw. eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung auf den Vorsteuerabzug beschränkt, darf der nach dieser Prüfung von der Finanzbehörde erlassene Umsatzsteuerbescheid weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen.8 1 Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 5. 2 Cöster in Koenig3, § 164 AO Rz. 13; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 164 AO Rz. 2; Seer in Tipke/ Kruse, § 164 AO Rz. 8. 3 Cöster in Koenig3, § 164 AO Rz. 72; Heuermann in HHSp, § 164 AO Rz. 94; Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 48. 4 Heuermann in HHSp, § 164 AO Rz. 94; Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 48. Zur abgekürzten Außenprüfung Rz. 3.1 ff. 5 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 164 AO Rz. 104; Heuermann in HHSp, § 164 AO Rz. 94; Oellerich in Gosch, § 164 AO Rz. 133; Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 48. 6 Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 48; vgl. restriktiver Cöster in Koenig3, § 164 AO Rz. 25. 7 Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 48; Heuermann in HHSp, § 164 AO Rz. 99. 8 BFH v. 30.4.1987 – V R 29/79, BStBl. II 1987, 486.

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H. Beendigung der Prüfung | Rz. 1.738 Kap. 1 Eine Steuerfahndungsprüfung stellt keine „Außenprüfung“ i.S.v. § 164 Abs. 3 Satz 3 AO dar. Die Steuerfahndungsprüfung ist keine i.S.v. § 164 Abs. 1 Satz 1 AO abschließende Prüfung,1 da Aufgabe der Steuerfahndung die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten (vgl. § 208 Abs. 1 Nr. 1 AO) ist und die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in diesen Fällen (vgl. § 208 Abs. 1 Nr. 2 AO) unmittelbar zur Erforschung der Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten gehört und deren nicht abtrennbarer Teil ist2.

cc) Reichweite Nach dem Wortlaut des § 164 Abs. 3 Satz 3 AO besteht die Verpflichtung zur Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung nur dann, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben. Dies entspricht dem Ziel einer Betriebsprüfung, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen umfassend zu ermitteln und rechtlich zu würdigen. Ein Fortbestehen des Änderungsvorbehalts wäre mit dieser Zielrichtung unvereinbar. Dem Zweck des § 164 Abs. 1 AO entsprechend ist der Vorbehalt der Nachprüfung über den Wortlaut des § 164 Abs. 3 Satz 3 AO hinaus aber auch dann aufzuheben, wenn sich Änderungen gegenüber der bisherigen Steuerfestsetzung ergeben.3 Das durch § 164 Abs. 3 Satz 1 AO eingeräumte Ermessen der Finanzbehörde ist insofern auf null reduziert.

1.735

dd) Umsetzung und Wirkung Die Aufhebung des Vorbehalts erfolgt durch gesonderten Bescheid, wenn sich keine Änderungen gegenüber der bisherigen Steuerfestsetzung ergeben. Ergeben sich Änderungen, erfolgt die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung in aller Regel durch die Änderungsbescheide, in denen die Prüfungsergebnisse umgesetzt werden.

1.736

Die Aufhebung des Vorbehalts steht gem. § 164 Abs. 3 Satz 2 AO einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Spätere Änderungen der Steuerfestsetzung sind dementsprechend nur noch nach den Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO möglich,4 wobei die Änderungsmöglichkeiten wegen neuer Tatsachen bei einer Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung im Anschluss an eine Betriebsprüfung durch § 173 Abs. 2 AO begrenzt werden (vgl. hierzu Rz. 1.723 ff.). Auch die Anwendung des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO ist insofern begrenzt, als nur solche Ereignisse eine Änderung rechtfertigen können, die nach der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung eingetreten sind.5

1.737

ee) Rechtsschutz In der Praxis wird der Steuerpflichtige i.d.R. ein erhebliches Interesse daran haben, dass der Vorbehalt der Nachprüfung im Anschluss an die Betriebsprüfung aufgehoben wird, da nur so Rechtssicherheit in Bezug auf den Bestand der Prüfungsfeststellungen erreicht werden kann. 1 Vgl. Heuermann in HHSp, § 164 AO Rz. 94. 2 BFH v. 11.12.1997 – V R 56/94, BStBl. II 1998, 367. 3 BFH v. 14.9.1993 – VIII R 9/93, BStBl. II 1995, 2; Cöster in Koenig3, § 164 AO Rz. 73; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 164 AO Rz. 105; Heuermann in HHSp, § 164 AO Rz. 95; Oellerich in Gosch, § 164 AO Rz. 133; Rüsken in Klein15, § 164 AO Rz. 46; Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 49. 4 Cöster in Koenig3, § 164 AO Rz. 65; Heuermann in HHSp, § 164 AO Rz. 13; Rüsken in Klein15, § 164 AO Rz. 44; Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 50. 5 BFH v. 17.3.1994 – V R 123/91, BFH/NV 1995, 274.

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1.738

Kap. 1 Rz. 1.738 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

Wird der Vorbehalt nicht aufgehoben, besteht die Änderungsbefugnis aus § 164 Abs. 2 AO fort und wird auch durch § 173 Abs. 2 AO nicht eingeschränkt.1 Es ist auch nicht treuwidrig, wenn die Finanzbehörde von der Änderungsbefugnis aus § 164 Abs. 2 AO (erneut) Gebrauch macht.2 Ebenso steht die Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO einer späteren Änderung nach § 164 Abs. 2 AO nicht entgegen. Allerdings besteht grundsätzlich ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung. Dieser kann – und sollte im Zweifel –, in der Weise durchgesetzt werden, dass Einspruch gegen den Änderungsbescheid eingelegt wird. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufhebung des Vorbehalts gem. § 164 Abs. 2, Abs. 3 AO bei der Finanzbehörde gestellt und ggf. mittels Einspruchs und Verpflichtungsklage weiter verfolgt werden.3 Nach Ergehen einer Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO bleibt nur der Weg, den Anspruch auf Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung durch einen Antrag nach § 164 Abs. 2, Abs. 3 AO durchzusetzen.4

5. Anfechtbarkeit der Prüfungsanordnung 1.739

Die Prüfungsanordnung ist ein Verwaltungsakt und als solcher mittels Einspruch und Klage anfechtbar (zur Anfechtbarkeit Rz. 1.372). Eine Anfechtung mit dem Ziel der Aufhebung ist allerdings nur solange möglich, wie sich die Prüfungsanordnung nicht erledigt hat. Die Erledigung tritt mit Beendigung der Betriebsprüfung ein, da dann die auf der Prüfungsanordnung (und ggf. der Prüfungserweiterung) beruhende Pflicht des Steuerpflichtigen, die Durchführung der Betriebsprüfung durch die Finanzbehörde (weiterhin) zu dulden, entfällt. Diese Erledigung kann mit der Zusendung des Prüfungsberichts eintreten, die Finanzbehörde kann die die Betriebsprüfung aber auch ausdrücklich für beendet erklären.5 Dies ist auch noch in einem finanzgerichtlichen Klageverfahren gegen die Prüfungsanordnung möglich.

1.740

Nach Erledigung der Prüfungsanordnung ist das Einspruchs- bzw. Klagebegehren auf einen Feststellungsantrag umzustellen bzw. von vornherein ein Feststellungsantrag zu stellen. Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass ungeachtet der Frage, ob und in welchem Umfang in einem Besteuerungsverfahren ein allgemeines gesetzliches Verwertungsverbot für Prüfungsfeststellungen besteht, die im Rahmen einer rechtswidrigen Betriebsprüfung erlangt worden sind (vgl. hierzu ausführlich Rz. 1.515 ff.), ein solches Verwertungsverbot voraussetzt, dass die Rechtswidrigkeit der Prüfung im Wege der Anfechtung der Prüfungsanordnung festgestellt worden ist.6

1 Vgl. Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 164 AO Rz. 107; Heuermann in HHSp, § 164 AO Rz. 97; Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 51. 2 Vgl. BFH v. 18.8.2009 – X R 8/09, BFH/NV 2010, 161; BFH v. 3.12.2019 – VIII R 23/17, BFH/NV 2020, 613; in diesem Sinne auch Cöster in Koenig3, § 164 AO Rz. 74; hingegen kritisch Heuermann in HHSp, § 164 AO Rz. 98; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 164 AO Rz. 107; Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 51. 3 Cöster in Koenig3, § 164 AO Rz. 62; Heuermann in HHSp, § 164 AO Rz. 98; Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 51 ff. 4 Seer in Tipke/Kruse, § 164 AO Rz. 51. 5 BFH v.14.4.2020 – VI R 32/17, BStBl. II 2020, 487. 6 Vgl. etwa BFH v. 25.1.2017 – I R 70/15, BStBl. II 2017, 780 m.w.N.; BFH v. 14.4.2020 – VI R 32/ 17, BStBl. II 2020, 487.

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H. Beendigung der Prüfung | Rz. 1.742 Kap. 1

III. Schlussbesprechung 1. Rechtliche Grundlagen und Bedeutung Gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 AO ist über das Ergebnis der Betriebsprüfung eine Besprechung abzuhalten, die sog. Schlussbesprechung. Die Schlussbesprechung ist ein Erörterungstermin, in dem der Steuerpflichtige und die Finanzbehörde das Ergebnis der Betriebsprüfung miteinander besprechen.1 Aus dem Wortlaut des § 201 Abs. 1 Satz 1 AO folgt, dass der Steuerpflichtige einen Anspruch auf Durchführung der Schlussbesprechung hat.2 Eine Schlussbesprechung ist entbehrlich, wenn sich nach dem Ergebnis der Betriebsprüfung keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt, es also bei den Ergebnissen der überprüften Steuererklärungen oder Bescheide verbleibt,3 oder wenn der Steuerpflichtige auf die Durchführung einer Schlussbesprechung verzichtet (zur Entbehrlichkeit der Schlussbesprechung vgl. im Einzelnen Rz. 1.761 ff.). Bei der Schlussbesprechung sind gem. § 201 Abs. 1 Satz 2 AO insbesondere strittige Sachverhalte sowie die rechtliche Beurteilung der Prüfungsfeststellungen und ihre steuerlichen Auswirkungen zu erörtern. Hierauf sollten sich der Steuerpflichtige und dessen Berater vorbereiten. Zu Gegenstand, Teilnehmern und Durchführung der Schlussbesprechung vgl. im Einzelnen Rz. Auch wenn die Schlussbesprechung formal keine Maßnahme der Sachverhaltsermittlung ist, lassen sich in ihrem Rahmen doch letzte offene Sachverhaltsfragen klären und vor allem die rechtlichen Auswirkungen der Prüfungsfeststellungen diskutieren. Auch für den Abschluss einer tatsächlichen Verständigung bietet die Schlussbesprechung Raum, vgl. hierzu Rz. 1.760 und ausführlich Rz. 9.109 ff. Besteht die Möglichkeit, dass auf Grund der Prüfungsfeststellungen ein Straf- oder Bußgeldverfahren durchgeführt werden muss, sieht § 201 Abs. 2 AO vor, dass der Steuerpflichtige darauf hingewiesen werden soll, dass die straf- oder bußgeldrechtliche Würdigung einem besonderen Verfahren vorbehalten bleibt (vgl. zur Hinweispflicht hinsichtlich straf- oder bußgeldrechtlicher Würdigung der Feststellungen der Betriebsprüfung Rz. 1.766. Sollte die Schlussbesprechung nicht durchgeführt werden, bestehen für den Steuerpflichtigen Rechtsschutzmöglichkeiten, vgl. hierzu Rz. 1.767.

1.741

2. Gegenstand, Teilnehmer, Ort und Ablauf der Schlussbesprechung a) Gegenstand Gegenstand4 der Schlussbesprechung sind die die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse i.S.v. § 199 Abs. 1 AO, wie sie sich aufgrund der Prüfung ergeben haben.5 Bei der Schlussbesprechung sind gem. § 201 Abs. 1 Satz 2 AO insbesondere strittige Sachverhalte sowie rechtliche Beurteilungen der Prüfungsfeststellungen und ihre steuerlichen Auswirkungen zu erörtern. Die Schlussbesprechung ist – anders als die unter § 199 Abs. 2 AO zu fassende Zwischenbesprechung (vgl. hierzu Rz. 1.678 ff.), keine Maßnahme der Sachverhaltsermittlung, sondern dient der Gewährung rechtlichen Gehörs.6 Die Erörterung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse geht inhaltlich über die Anhörungsrechte der §§ 199 Abs. 2 und 200 Abs. 3 Satz 3 AO hinaus.7 1 Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 1. 2 BFH v. 16.12.1987 – I R 66/84, BFH/NV 1988, 319; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 9; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 5; Sauer in Gosch, § 201 AO Rz. 5; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 20. 3 Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 21; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 1. 4 Zum Verhandlungsmanagement Rz. 1.904 ff. 5 Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 1. 6 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 201 AO Rz. 2; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 1; Seer in Tipke/ Kruse, § 201 AO Rz. 1a, 5. 7 Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 5; vgl. auch Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 1.

Peters | 193

2021-10-28, 11:05, HB mittel

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1.742

Kap. 1 Rz. 1.742 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

Sie beinhaltet eine Auseinandersetzung des Prüfers mit den tatsächlichen und rechtlichen Argumenten des Steuerpflichtigen. Die Schlussbesprechung besitzt damit auch eine Befriedungsfunktion.1 Im Gespräch können kontrovers gebliebene Punkte tatsächlicher und rechtlicher Art geklärt und Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten überwunden werden.2 b) Form der Schlussbesprechung

1.743

Üblicherweise findet die Schlussbesprechung in persönlicher Anwesenheit der Beteiligten statt. Vom Gesetz ist dies jedoch nicht vorgeschrieben. Aufgrund etwaiger Kontaktbeschränkungen, wie sie etwa während der Corona-Pandemie herrschten, kann daher eine Schlussbesprechung auch fernmündlich oder per Videokonferenz stattfinden.3 c) Teilnehmer

1.744

An der Schlussbesprechung nimmt der Steuerpflichtige teil, der das Recht hat, Bevollmächtigte, Beauftragte oder Unternehmensangehörige wie insbesondere den Steuerabteilungsleiter hinzuziehen oder sich durch diese vertreten zu lassen. Bei Personengesellschaften sind ausgeschiedene Gesellschafter von dem Schlussbesprechungstermin zu verständigen, damit sie die Möglichkeit haben teilzunehmen, soweit sie betroffen sind.4 Lassen sich die Besprechungspunkte, die für sie erheblich sind, eingrenzen, so erstreckt sich ihr Teilnahmerecht aus Gründen des Steuergeheimnisses nur auf diese Punkte.5

1.745

Auf Seiten der Finanzbehörde nehmen der oder die Betriebsprüfer teil. Für den Fall, dass die Grundlagen für eine tatsächliche Verständigung gefunden werden, sollten zudem solche Bedienstete teilnehmen, die befugt sind, verbindliche Entscheidungen zu treffen; dazu (Rz. 9.127). Bei der veranlagenden Betriebsprüfung ist dies der Betriebsprüfer oder dessen Sachgebietsleiter selbst. Je nach thematischem Schwerpunkt der Betriebsprüfung können außerdem bspw. der Bausachverständige oder ein IT-Fachprüfer an der Schlussbesprechung teilnehmen. Sollte parallel zur Betriebsprüfung ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden sein und versucht werden, eine „Paketlösung“ für beide Verfahren zu finden, kann an der Schlussbesprechung auch der Steuerfahndungsprüfer teilnehmen. d) Ort der Schlussbesprechung

1.746

Der Ort der Schlussbesprechung wird in § 200 AO nicht geregelt. In Betracht kommen insbesondere die Räume des geprüften Betriebs, die Räume der Finanzbehörde und die Büroräume des steuerlichen Beraters des Steuerpflichtigen. Die Wahl sollte im besten Fall gemeinsam von Betriebsprüfer, Steuerpflichtigem und dessen Berater getroffen werden.6 Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles. Sollten noch Sachverhaltsermittlungen vor Ort erforderlich 1 FG Berlin-Bdb. v. 18.4.2012 – 12 K 12041/10, EFG 2012, 1806; FG München v. 19.12.2013 – 1 K 2603/11, Rz. 206; BVerfG v. 21.7.2016 – 1 BvR 3092/15, Rz. 14; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 1; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 1; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 5; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 12. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 5. 3 Vgl. FG Düsseldorf v. 11.5.2020 – 3 V 1087/20 AE AO, EFG 2021, 517 (m. Anm. Dr. Oliver Rode). 4 Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 38; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 8. 5 Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 38; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 8. 6 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 201 AO Rz. 5; Sauer in Gosch, § 201 AO Rz. 20; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 31; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 10.

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H. Beendigung der Prüfung | Rz. 1.750 Kap. 1

sein, bietet es sich an, die Schlussbesprechung im Betrieb anzuberaumen. Sollten vorrangig rechtliche Fragen zu klären sein, kann die Schlussbesprechung auch in den Räumen der Finanzbehörde oder des steuerlichen Beraters stattfinden. e) Ablauf aa) Einordnung Auch der konkrete Ablauf einer Schlussbesprechung im Einzelfall hängt in der Praxis von einer Vielzahl von Faktoren wie der Größe des geprüften Unternehmens, dem Umfang der Prüfung und der Anzahl der beteiligten Akteure ab. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen auch das Prüfungsklima und die „Professionalität“ der an der Prüfung beteiligten Personen. Es lassen sich dennoch bei jeder steuerlichen Betriebsprüfung drei Phasen im Zusammenhang mit der Durchführung der Schlussbesprechung unterscheiden.

1.747

bb) Vorbereitung Die Schlussbesprechung sollte vom Steuerpflichtigen und dessen Berater inhaltlich vorbereitet werden. Im Interesse des Steuerpflichtigen sieht § 11 Abs. 1 BpO vor, dass die Besprechungspunkte und der Termin der Schlussbesprechung dem Steuerpflichtigen angemessene Zeit vor der Besprechung bekannt zu geben sind, wobei die Bekanntgabe nicht der Schriftform bedarf. Welche inhaltlichen Anforderungen an die Bekanntgabe der Besprechungspunkte zu stellen sind, lässt sich nicht allgemein bestimmen und hängt vom Umfang der Prüfung und der bisherigen Prüfungsfeststellungen ab. Zumindest sollte dem Steuerpflichtigen stichpunktartig mitgeteilt werden, welche Feststellungen der Prüfer bislang getroffen hat und welche Punkte aus der Sicht des Prüfers diskussionsbedürftig sind. Auch die Frage, wann eine einzuräumende Frist angemessen i.S.v. § 11 BpO ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles beantworten. Die Angemessenheit der einzuräumenden Frist hängt danach insbesondere davon ab, innerhalb welcher Zeit der Steuerpflichtige unter Berücksichtigung von Zahl und Schwierigkeiten der zu erörternden Punkte in der Lage ist, sich auf die Schlussbesprechung vorzubereiten.1

1.748

Der Steuerpflichtige seinerseits sollte im Sinne eines zielgerichteten und konzentrierten Ablaufs der Schlussbesprechung dem Betriebsprüfer ergänzende Sachverhaltsinformationen zur Verfügung stellen und auf aus seiner Sicht besprechungsbedürftige Punkte hinweisen. Solche ergänzenden Informationen sollten dem Betriebsprüfer – ein Gebot der Fairness und spiegelbildlich zu § 11 BpO – eine angemessene Zeit vor der Schlussbesprechung zur Verfügung gestellt werden.

1.749

Aus § 201 Abs. 1 AO folgt nicht, dass Erörterungen mit dem Steuerpflichtigen bis zur Schlussbesprechung aufzuschieben sind.2 Der Betriebsprüfer ist schon während der Prüfung verpflichtet, den Steuerpflichtigen über die festgestellten Sachverhalte und die möglichen steuerlichen Auswirkungen zu unterrichten (vgl. zur Unterrichtungspflicht nach § 199 Abs. 2 AO ausführlich Rz. 1.662 ff.) und je nach Umfang der Prüfung Zwischen- bzw. Arbeitsbesprechungen abzuhalten (vgl. zur Zwischenbesprechung ausführlich Rz. 1.678 ff.).3

1.750

1 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 201 AO Rz. 2a; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 18; Sauer in Gosch, § 201 AO Rz. 21; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 6; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 4. 2 Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 31; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 6. 3 Intemann in Koenig3, § 199 AO Rz. 17; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 6; Rüsken in Klein15, § 199 AO Rz. 3.

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2021-10-28, 11:05, HB mittel

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Kap. 1 Rz. 1.751 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.751

Hinweis: Auch wenn die Schlussbesprechung formal nicht mehr der Sachverhaltsaufklärung dient, sollten der Steuerpflichtige und sein Berater im Rahmen der Vorbereitung der Schlussbesprechung ein besonderes Augenmerk darauf legen, ob dem Betriebsprüfer sämtliche Informationen, Unterlagen und Belege zur Kenntnis gebracht wurden, die erforderlich sind, um die eigene Auffassung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu stützen. Zu einer zielgerichteten Vorbereitung der Schlussbesprechung gehört es auch, die Voraussetzungen und Grenzen für eine mögliche Einigung abzustecken. Der steuerliche Berater sollte dabei den Steuerpflichtigen auch über möglicherweise bestehende Chancen einer gerichtlichen Durchsetzung der eigenen Position und die damit verbundenen Kosten aufklären.

cc) Durchführung

1.752

Die Schlussbesprechung muss so durchgeführt werden, dass sie ihrem Zweck, einen Rahmen für die Erörterung strittiger Sachverhalte und der rechtlichen Beurteilung der Prüfungsfeststellungen sowie der steuerlichen Auswirkungen zu schaffen und zu einer Befriedung beizutragen, gerecht wird.1 Was hierzu im Einzelfall erforderlich ist, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Zu diesen gehören insbesondere die Größe des geprüften Unternehmens (Kleinunternehmen, mittelständischer Betrieb oder Konzern?), der Umfang der Prüfung (Anzahl der geprüften Jahre, Umfang der Prüfungsfeststellungen?) und die Anzahl der beteiligten Akteure (parallele Zollfahndungs- und/oder Steuerfahndungsprüfung?). Auch das bisherige „Prüfungsklima“ spielt eine Rolle. Im Allgemeinen dürfte es ratsam sein, wenn die Vertreter der Finanzbehörde auf der einen und der Steuerpflichtige und sein Berater auf der anderen Seite nicht mit vorgefestigten Standpunkten, sondern offen für die Ansicht der jeweils anderen Seite in die Schlussbesprechung gehen. Im Rahmen der Schlussbesprechung kann (und sollte) auch erörtert werden, welche steuerlichen Konsequenzen sich aus den Prüfungsfeststellungen für die dem Prüfungszeitraum folgenden Jahre ergeben. Dies ist insbesondere bei Dauersachverhalten relevant. Sollte sich herausstellen, dass die andere Seite mit neuen Problemen konfrontiert wird, so ist die Besprechung insoweit nötigenfalls zu unterbrechen oder zu vertagen.2

1.753

Die Schlussbesprechung markiert regelmäßig das Ende der Prüfungshandlungen, aber nicht den Abschluss der Betriebsprüfung.3 Ergibt sich im Verlauf der Schlussbesprechung, dass relevante Sachverhalte noch nicht hinreichend aufgeklärt sind, muss die Prüfung insoweit wieder aufgenommen und die erforderlichen Sachverhaltsermittlungen vorgenommen werden.4

1.754

Am Ende der Schlussbesprechung steht in der Praxis häufig der Abschluss einer tatsächlichen Verständigung (vgl. hierzu ausführlich Rz. 9.109 ff.). Sollte parallel zur Betriebsprüfung ein Steuerstrafverfahren eingeleitet worden sein, kann in der Schlussbesprechung versucht werden, eine „Paketlösung“ für beide Verfahren zu finden und die steuerliche Lösung dem strafrechtlichen Verfahrensabschluss zugrunde zu legen.

1.755

Kommt eine Einigung nicht zustande, kann die Schlussbesprechung dazu dienen, einvernehmlich den weiteren Verfahrensablauf abzustimmen. Hierzu können bspw. die Fragen gehören, ob die jeweiligen Standpunkte noch einmal schriftlich ausgetauscht werden oder unmittelbar der Betriebsprüfungsbericht ergehen soll, oder ob, wenn nur rechtliche Fragen zu 1 2 3 4

Vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 11. Vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 11. Sauer in Gosch, § 201 AO Rz. 6; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 11. FG Rh.-Pf. v. 24.9.1984 – 5 V 12/84, EFG 1985, 158.

196 | Peters

2021-10-28, 11:05, HB mittel

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H. Beendigung der Prüfung | Rz. 1.760 Kap. 1

klären sind, nach Erlass von Änderungsbescheiden der Weg ins Einspruchsverfahren gegangen oder direkt Sprungklage1 erhoben werden soll. Trotz der strengen verfahrensrechtlichen Trennung zwischen Steuerfestsetzung und Steuererhebung ist es den Verfahrensbeteiligten in der Schlussbesprechung nicht verwehrt, auch die Höhe und die Zahlungszeitpunkte der Abschlusszahlungen zum Gegenstand ihrer Erörterungen zu machen.

1.756

§ 201 AO schreibt eine Protokollierung der Schlussbesprechung nicht vor. Der Steuerpflichtige und der Betriebsprüfer sowie ggf. die weiteren Akteure sollten sich deshalb zu Beginn der Schlussbesprechung darüber verständigen, dass ein Protokoll über die wesentlichen Punkte aufgenommen wird.

1.757

Hinweis: Es sollte sich von selbst verstehen, dass das „Inaussichtstellen“ der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens kein legitimes Mittel im Rahmen der Schlussbesprechung darstellt, wenn hiermit Druck auf den Steuerpflichtigen ausgeübt werden soll. Die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens ist an bestimmte Voraussetzungen, das Bestehen eines sog. strafrechtlichen Anfangsverdachts i.S.v. § 152 Abs. 2 StPO, geknüpft und steht nicht im Ermessen des Betriebsprüfers.2

1.758

dd) Weiteres Verfahren An die Schlussbesprechung kann sich ein weiterer schriftlicher Austausch von Steuerpflichtigem und Betriebsprüfer über einzelne Prüfungsfeststellungen anschließen. Sodann wird der Betriebsprüfungsbericht vorbereitet (vgl. zum Betriebsprüfungsbericht ausführlich Rz. 1.768 ff.). Der Prüfer hat dem Steuerpflichtigen auf dessen Antrag gem. § 202 Abs. 2 AO den Betriebsprüfungsbericht vor seiner Auswertung zu übersenden und ihm Gelegenheit zu geben, in angemessener Zeit dazu Stellung zu nehmen (vgl. hierzu Rz. 1.791 ff.).

1.759

3. Tatsächliche Verständigung Die Schlussbesprechung bietet insbesondere Raum für den Abschluss einer tatsächlichen Verständigung, vgl. hierzu ausführlich Rz. 9.109 ff. In der Praxis des Betriebsprüfungsalltags wird eine Einigung häufig angestrebt.3 Diese Zielrichtung ist nachvollziehbar, gewährleistet die Einigung doch sofortige Rechtssicherheit. Vor dem Abschluss einer tatsächlichen Verständigung sollten sich der Steuerpflichtige und dessen Berater auf der einen und die Vertreter der Finanzbehörde auf der anderen Seite aber vergegenwärtigen, dass der „Preis“ einer Einigung darin bestehen kann, dass eine der beiden Seiten unangemessen weit von ihrer bisherigen Position abrückt. Dies kann, gerade auf Seiten des Steuerpflichtigen, auch dazu führen, dass dieser sich übervorteilt fühlt und seinen „Frieden“ mit dem Betriebsprüfungsergebnis nicht machen kann. Die Durchführung eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen die zur Umsetzung der Betriebsprüfungsergebnisse erlassenen Änderungsbescheide kann demgegenüber den Vorteil haben, in Gestalt der Rechtsbehelfsstelle der Finanzbehörde und erst Recht in Gestalt des FG eine unvoreingenommene Prüfung des Besteuerungssachverhalts durch eine an der Betriebsprüfung nicht beteiligte Instanz zu erreichen. Es sollte außerdem stets ein besonderes Augenmerk darauf gerichtet werden, ob die rechtlichen Grundlagen der tatsächlichen Verständigung klar sind und keine 1 Zu den Voraussetzungen einer zulässigen Sprungklage im Einzelnen vgl. Schaumburg in Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz4, Rz. 3.476 ff. 2 Vgl. hierzu ausf. Peters, DStR 2015, 2583 (2585 ff.). 3 Vgl. auch Streck/Kamps3, Rz. 643.

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2021-10-28, 11:05, HB mittel

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1.760

Kap. 1 Rz. 1.760 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

ungeklärten Rechtsfragen „miterledigt“ werden. Dies kann auch die Durchführung der Betriebsprüfung als solche betreffen. Bspw. zur Aussagekraft der modernen digitalen Prüfungsmethoden (dazu ausführlich Rz. 2.126 ff.), zur Reichweite des Datenzugriffs (dazu ausführlich Rz. 2.14 ff.), zum Umgang mit Testkäufen (dazu ausführlich Rz. 1.491) oder zur Aussagekraft einzelner Regelungen der GoBD (dazu ausführlich Rz. 2.65 ff.) stellen sich derzeit viele neue Rechtsfragen von teils grundsätzlicher Bedeutung. Die Chancen, durch die Klärung dieser Fragen in einem finanzgerichtlichen Verfahren die eigene Rechtsposition zu verbessern, sollte auf beiden Seiten des Besprechungstisches abgewogen werden. Stimmen beide Beteiligte darin überein, dass sich Rechtsfragen stellen, die einer (höchst)richterlichen Klärung zugeführt werden sollten, kann der weitere Verfahrensablauf durch eine kurzfristige Erstellung des Prüfungsberichts und schnellen Erlass der Änderungsbescheide sowie einen „Verzicht“ auf das Einspruchsverfahren durch einvernehmliche Erhebung einer Sprungklage nach § 47 FGO1 abgekürzt werden.

4. Entbehrlichkeit der Schlussbesprechung a) Einordnung

1.761

Die Schlussbesprechung ist dann entbehrlich, wenn sich nach dem Ergebnis der Betriebsprüfung keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt (vgl. dazu Rz. 1.762) oder der Steuerpflichtige auf die Durchführung einer Schlussbesprechung verzichtet (vgl. dazu Rz. 1.763 ff.). b) Keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen

1.762

Eine Schlussbesprechung ist ausnahmsweise dann nicht erforderlich, wenn sich keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt. Dies ist dann der Fall, wenn es bei den Ergebnissen der überprüften Steuererklärungen oder Bescheide verbleibt.2 Fehlt es an einem Vergleichsmaßstab, weil weder Steuerbescheide noch Steuererklärungen vorliegen, ist in jedem Fall eine Schlussbesprechung durchzuführen.3 Auf das steuerliche Ergebnis kommt es bei der Betrachtung, ob sich eine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt, nicht an. Auch Änderungen zugunsten des Steuerpflichtigen oder eine Umqualifizierung von Einkünften lösen deshalb die Verpflichtung zur Schlussbesprechung aus.4 Ebenso liegt eine Änderung der Besteuerungsgrundlagen i.S.v. § 201 Abs. 1 AO vor, wenn sich infolge des Bilanzzusammenhangs außerhalb des Prüfungszeitraums steuerliche Auswirkungen ergeben.5 c) Verzicht des Steuerpflichtigen

1.763

Die Schlussbesprechung dient der Gewährung rechtlichen Gehörs.6 Dementsprechend kann der Steuerpflichtige nicht nur auf ihre Durchführung ausdrücklich verzichten, sondern er kann auch nicht zur Teilnahme gezwungen werden.7 Liegt ein wirksamer Verzicht des Steuer1 Zu den Voraussetzungen einer zulässigen Sprungklage im Einzelnen vgl. Schaumburg in Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz, 4. Aufl. 2018, Rz. 3.476 ff. 2 Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 10; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 21; Seer in Tipke/ Kruse, § 201 AO Rz. 1; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 1. 3 Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 21. 4 Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 21. 5 Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 1. 6 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 201 AO Rz. 2; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 1; Seer in Tipke/ Kruse, § 201 AO Rz. 1a, 5. 7 BVerfG v. 21.7.2016 – 1 BvR 3092/15, DStR 2016, 1985; BFH v. 20.10.2015 – IV B 80/14, BFH/NV 2016, 168; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 21; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 1a.

198 | Peters

2021-10-28, 11:05, HB mittel

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H. Beendigung der Prüfung | Rz. 1.767 Kap. 1

pflichtigen auf die Durchführung der Schlussbesprechung vor, ist der Prüfer nicht mehr berechtigt, eine solche durchzuführen.1 Ein (konkludenter) Verzicht kann auch im Nichterscheinen zu einer vom Prüfer anberaumten Schlussbesprechung zu sehen sein.2 Erscheint der Steuerpflichtige hingegen unverschuldet nicht zur Schlussbesprechung, ist diese ggf. nachzuholen und dem Steuerpflichtigen insoweit „Wiedereinsetzung“ zu gewähren.3 Der Steuerpflichtige kann seine Verzichtserklärung bis zum Abschluss der Prüfungshandlungen widerrufen.4 Verzichtet der Steuerpflichtige auf die Durchführung der Schlussbesprechung, darf die Finanzbehörde nicht gegen dessen Willen eine Schlussbesprechung ansetzen.5

1.764

Weitergehende Folgen ergeben sich aus einem Verzicht des Steuerpflichtigen auf die Schlussbesprechung nicht. Insbesondere beinhaltet der Verzicht keine Zustimmung zu den Prüfungsfeststellungen und erst Recht keinen Rechtsbehelfsverzicht.6

1.765

5. Strafrechtlicher Vorbehalt Besteht die Möglichkeit, dass auf Grund der Prüfungsfeststellungen ein Straf- oder Bußgeldverfahren durchgeführt werden muss, soll der Steuerpflichtige gem. § 201 Abs. 2 AO darauf hingewiesen werden, dass die straf- oder bußgeldrechtliche Würdigung einem besonderen Verfahren vorbehalten bleibt. Vgl. zur Hinweispflicht hinsichtlich straf- oder bußgeldrechtlicher Würdigung der Feststellungen der Betriebsprüfung ausführlich Rz. 1.545 ff.)

1.766

6. Rechtsschutz Der Steuerpflichtige hat grundsätzlich einen Anspruch auf Durchführung der Schlussbesprechung.7 Unterbleibt die Schlussbesprechung, ohne dass der Steuerpflichtige auf die Durchführung verzichtet hat, liegt ein Verfahrensfehler vor. Dieser Fehler kann durch Nachholung der Schlussbesprechung geheilt werden, die auch darin liegen kann, dass dem Steuerpflichtigen Gelegenheit gegeben wird, zum Betriebsprüfungsbericht Stellung zu nehmen.8 Unterbleibt die erforderliche Schlussbesprechung, führt dies auch nicht zur Rechtswidrigkeit der auf den Prüfungsfeststellungen beruhenden Steuerfestsetzungen aufgrund eines Verwertungsverbotes.9; zu den steuerlichen Verwertungsverboten (Rz. 1.515 ff.), Die Schlussbesprechung als solche hat keine Verwaltungsaktqualität. Lehnt aber der Betriebsprüfer die Durchführung einer solchen ab, liegt in der Ablehnung ein Verwaltungsakt, der mittels Einspruch und ggf. Klage angefochten werden kann.10 1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 20.10.2015 – IV B 80/14, BFH/NV 2016, 168. AEAO Nr. 3 zu § 201; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 21. Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 9; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 21. Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 21. Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 21. Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 21. BFH v. 16.12.1987 – I R 66/84, BFH/NV 1988, 319; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 9; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 5; Sauer in Gosch, § 201 AO Rz. 5; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 20. 8 Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 2; vgl. auch Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 201 AO Rz. 10; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 9; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 22. 9 BFH v. 24.5.1989 – I R 85/85, BFH/NV 1990, 273; BFH v. 24.8.1998 – III S 3/98, BFH/NV 1999, 436; BFH v. 26.6.1997 – XI B 174/96, BFH/NV 1998, 17; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 11; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 22; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 2; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 5. 10 BFH v. 16.12.1987 – I R 66/84, BFH/NV 1988, 319.; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 9; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 22; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 3; a.A. Frotscher in Schwarz/ Pahlke, § 201 AO Rz. 10.

Peters | 199

2021-10-28, 11:05, HB mittel

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1.767

Kap. 1 Rz. 1.768 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

IV. Betriebsprüfungsbericht 1. Gesetzliche Grundlage 1.768

Über das Ergebnis der Betriebsprüfung ergeht gem. § 202 Abs. 1 Satz 1 AO ein schriftlicher Bericht, der Prüfungsbericht. Im Prüfungsbericht sind gem. § 202 Abs. 1 Satz 2 AO die für die Besteuerung erheblichen Prüfungsfeststellungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sowie die Änderungen der Besteuerungsgrundlagen darzustellen. Führt die Betriebsprüfung zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen, genügt es gem. § 202 Abs. 1 Satz 3 AO, wenn dies dem Steuerpflichtigen schriftlich mitgeteilt wird. Vor der Auswertung des Prüfungsberichts ist dieser dem Steuerpflichtigen gem. § 202 Abs. 2 AO auf dessen Antrag hin zu übersenden und ihm Gelegenheit zu geben, in angemessener Zeit dazu Stellung zu nehmen.

2. Bedeutung und Funktion 1.769

Die Bekanntgabe des Prüfungsberichts bildet den letzten Schritt im Rahmen der Betriebsprüfung.1 Der Prüfungsbericht hat eine Dokumentations- und Protokollfunktion, in dem er die Prüfungsergebnisse zusammenfasst.2 Gemäß §§ 204, 205 Nr. 1 AO bildet der Bericht insbesondere die Grundlage für eine verbindliche Zusage aufgrund der Betriebsprüfung (vgl. zur verbindlichen Zusage ausführlich Rz. 9.75 ff.). Der Bericht ist auch für die für den Erlass etwaiger Änderungsbescheide zuständige Veranlagungsstelle von Bedeutung. Insofern hat der Prüfungsbericht den Charakter einer vorgezogenen Begründung eines späteren Änderungsbescheids.3 Ebenso haben die tatsächlichen Feststellungen des Prüfungsberichts in einem späteren finanzgerichtlichen Verfahren große Bedeutung, auch wenn diese bei einem substantiierten Bestreiten die eigene Sachaufklärung des Gerichts selbstverständlich nicht ersetzen. Als Urkunde hat der Bericht aber in jedem Fall Beweismittelqualität.4

1.770

Die Inhalte des Prüfungsberichts gelten, wenn dieser zu den Veranlagungsakten genommen wurde, der Finanzverwaltung als bekannt i.S.v. § 173 Abs. 1 AO. Eine (erneute) Korrektur der aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Steuerbescheide ist deshalb hinsichtlich der im Prüfungsbericht enthaltenen Tatsachen auch dann nicht möglich, wenn die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung i.S.v. § 173 Abs. 2 AO vorliegen.5

1.771

Für den Steuerpflichtigen konkretisiert der Prüfungsbericht den Anspruch auf rechtliches Gehör.6 Hinzu kann eine Warn- und „Erziehungs“funktion für den Steuerpflichtigen kommen, wenn dieser auf Mängel bspw. der Buchführung hingewiesen wird.7

1.772

Der Prüfungsbericht wird von der Finanzbehörde von Amts wegen erstellt. Anders als auf die Schlussbesprechung (vgl. hierzu Rz. 1.763) kann der Steuerpflichtige zwar auf die Übersen1 Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 4; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 1; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 1. 2 Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 4; Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 4. 3 Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 4; Seer in Tipke/Kruse, § 201 AO Rz. 1. 4 BFH v. 24.11.1981 – VII R 67/80, juris; Hendricks in Gosch, § 201 AO Rz. 2; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 11. 5 BFH v. 22.8.1968 – IV R 1/67, BFHE 94, 179 = BStBl. II 1969, 118; Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 35; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 25. 6 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 202 AO Rz. 6; Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 2; Intemann in Koenig3, § 202 AO Rz. 1; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 13; Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 1. 7 Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 2; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 4.

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H. Beendigung der Prüfung | Rz. 1.776 Kap. 1

dung, aber nicht auf die Erstellung des Prüfungsberichts verzichten. Der Grund hierfür liegt in der erwähnten Protokollfunktion des Berichts, dem auch innerbehördliche Bedeutung zukommt.1 In zeitlicher Hinsicht bildet der Prüfungsbericht ein „Scharnier“ zwischen dem Abschluss der Prüfungshandlungen und der Auswertung der Prüfungsfeststellungen in Form von (geänderten) Steuerbescheiden. Der Bericht fasst das Ergebnis der Prüfungshandlungen einschließlich des Ergebnisses der Schlussbesprechung zusammen, weshalb er erst nach dieser erstellt werden kann.2 Aus dem Umstand, dass der Prüfungsbericht dem Steuerpflichtigen auf dessen Antrag vor der Auswertung zu übersenden ist, folgt außerdem, dass der Bericht erstellt werden muss, bevor die Finanzbehörde die Erkenntnisse der Betriebsprüfung in Form von Bescheiden oder anderen Entscheidungen umsetzt.3

1.773

In der Praxis nicht selten verkannt werden die Wirkungen des Prüfungsberichts. Dieser fasst die tatsächlichen und rechtlichen Ergebnisse der Betriebsprüfung zusammen, entfaltet aber keine „bindende“ Wirkung, weder in tatsächlicher, noch in rechtlicher Hinsicht.4 Dies gilt auch dann, wenn im Bericht von „Einvernehmen“ oder „Zustimmung“ die Rede ist. Wollen Steuerpflichtiger und Finanzbehörde eine bindende Wirkung eines gemeinsamen Verständnisses erreichen, muss einer tatsächliche Verständigung geschlossen oder eine verbindliche Zusage i.S.v. § 204 AO beantragt und erteilt werden (vgl. zur tatsächlichen Verständigung ausführlich Rz. 9.109 ff. und zur Zusage Rz. 9.75 ff.). Die Inhalte dieser Vereinbarungen können dann im Bericht dokumentiert werden.

1.774

Der Prüfungsbericht als Zusammenfassung der Ergebnisse der steuerlichen Betriebsprüfung ist abzugrenzen von anderen Berichten, die ggf. parallel zum Prüfungsbericht erstellt werden, wie bspw. dem strafrechtlichen Ermittlungsbericht im Steuerstrafverfahren, dem Bericht der Zollfahndung (dazu Rz. 3.403 ff.) oder dem Lohnsteuer-Außenprüfungsbericht (dazu Rz. 3.258 ff.).

1.775

3. Inhaltliche Anforderungen a) Einordnung Der Inhalt des Prüfungsberichts im konkreten Fall je nach Umfang der Betriebsprüfung und Größe des geprüften Unternehmens unterschiedlich ausfallen. Jeder Prüfungsbericht muss aber bestimmte Mindestanforderungen erfüllen (dazu unter Rz. 1.777 ff.). Andere Inhalte sind fakultativ möglich (dazu unter Rz. 1.786 ff.). Wieder andere Inhalte können unzulässig sein (dazu unter Rz. 1.788 f.). Neben den Prüfungsbericht können weitere Unterlagen treten, die für das weitere Besteuerungsverfahren oder Parallelverfahren von Bedeutung sind (dazu unter Rz. 1.790).

1 Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 8. 2 Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 9; vgl. auch Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 202 AO Rz. 6; Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 2. 3 Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 10; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 9. 4 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 202 AO Rz. 4, 8; Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 16; Intemann in Koenig3, § 202 AO Rz. 7, 29; Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 8; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 27; Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 5.

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1.776

Kap. 1 Rz. 1.777 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

b) Mindestanforderungen an den Prüfungsbericht aa) Formelle Anforderungen

1.777

Der Prüfungsbericht muss zunächst die äußeren Prüfungsumstände dokumentieren. Dazu gehören Inhalt und Datum der Prüfungsanordnung, das Erscheinen des Prüfers, der Ort der Prüfung, Beginn und Dauer der Prüfung teilnehmende Prüfer, Teilnehmer der Prüfung und der Ablauf der Schlussbesprechung. Betriebliche Besonderheiten auf Seiten des geprüften Unternehmens wie Konzernzugehörigkeit, Organschaftsverhältnisse, Betriebsstätten, Höhe des Grund- oder Stammkapitals bei Kapitalgesellschaften oder die Gewinnverteilungsregelungen bei Personengesellschaften sind ebenfalls zu nennen.1 Ferner sind Einzelheiten des Prüfungsablaufs darzustellen wie bspw. die Vornahme eines Datenzugriffs, eine Ablehnung der Schlussbesprechung durch den Steuerpflichtigen oder die Verweigerung einzelner Mitwirkungshandlungen.2

1.778

Der Prüfungsbericht muss außerdem den inhaltlichen Prüfungsgegenstand wiedergeben. Hierzu gehören die geprüften Steuerarten und die geprüften Besteuerungszeiträume. Deckt sich der so beschriebene Prüfungsgegenstand nicht mit dem Prüfungsumfang laut Prüfungsanordnung, muss im Bericht dargestellt werden, dass über die Prüfungsanordnung hinaus geprüft und welche Erkenntnisse insoweit – aufgrund des Fehlens einer Prüfungsanordnung rechtswidrig – gewonnen wurden.3 Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen sich hieraus ein steuerliches Verwertungsverbot ergibt, vgl. Rz. 1.387 ff.

1.779

Wurden im Rahmen der Betriebsprüfung zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde Absprachen getroffen, ist dies ebenfalls im Prüfungsbericht festzuhalten. Gleiches gilt für Anträge des Steuerpflichtigen wie bspw. auf Erteilung einer verbindlichen Zusage i.S.v. § 204 AO.4

1.780

Verweise auf Bescheide, Erklärungen und sonstige Unterlagen außerhalb des Prüfungsberichts sind zulässig, wenn dem Steuerpflichtigen diese vorliegen.5

1.781

Der Prüfungsbericht wird typischerweise um Anlagen ergänzt, die die Darstellung der Prüfungsfeststellungen ergänzen. Hierzu gehören eine Mehr-/Wenigerrechnung, die Prüferbilanz, die Kapitalentwicklung sowie im Einzelfall weitere Anlagen wie die Entwicklung geänderter Bilanzposten oder Berechnungen.

1.782

In der Betriebsprüfungspraxis ist die Erfüllung der genannten formellen Anforderungen selten problematisch, da der Betriebsprüfer für die Abfassung des Prüfungsberichts EDV-gestützte Vorlagen verwenden kann. bb) Materielle Anforderungen

1.783

Gemäß § 202 Abs. 1 Satz 2 AO sind im Prüfungsbericht die für die Besteuerung erheblichen Prüfungsfeststellungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sowie die Änderungen der Besteuerungsgrundlagen darzustellen. Unter „Besteuerungsgrundlagen“ sind, wie in § 199 Abs. 2 AO, alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu verstehen, die für die Steuer1 2 3 4 5

Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 16. Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 4; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 15. Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 15. Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 1; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 15. Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 15.

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H. Beendigung der Prüfung | Rz. 1.788 Kap. 1

pflicht und für die Bemessung der Steuer maßgeblich sind.1 Im Einzelnen gehören hierzu die Sachverhaltsfeststellungen, die Rechtsauffassung der Finanzbehörde, die Rechtsauffassung des Steuerpflichtigen und die Darstellung der steuerlichen Auswirkungen.2 Der Bericht muss vollständig sein und jedes Prüfungsergebnis, das für das Besteuerungsverfahren von Bedeutung ist, darstellen. Die vorgenannten Inhalte müssen im Prüfungsbericht klar und verständlich formuliert sein. Zu den darzustellenden rechtlichen Grundlagen gehören auch verfahrensrechtliche Fragen. Anzugeben sind insbesondere die Korrekturvorschriften, auf die die Umsetzung der Prüfungsergebnisse bei Erlass geänderter Steuerbescheide gestützt werden soll. Treten Probleme der Festsetzungsverjährung auf, sind auch diesbezüglich die tatsächlichen und rechtlichen Umstände darzulegen.

1.784

Hinweis: Die Darstellungsanforderungen an den Prüfungsbericht sind bspw. dann hoch, wenn es um die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen geht. Die Schätzungsbefugnis dem Grunde und der Höhe nach muss sich anhand der Darstellung im Prüfungsbericht nachvollziehen lassen. Textbausteine bspw. zur Ordnungsmäßigkeit der Buchführung genügen dem nicht, sondern es muss eine einzelfallbezogene Betrachtung erfolgen. Genügt der Bericht diesen Anforderungen nicht, muss die Rechtsbehelfsstelle in einem späteren Einspruchsverfahren gegen die Änderungsbescheide dies nachholen und ggf. auch erneut in eine Sachverhaltsprüfung eintreten. Vgl. zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen ausführlich Rz. 1.554 ff.

1.785

c) Fakultative Inhalte Auch wenn der Prüfungsbericht grundsätzlich auf ein notwendiges Maß zu beschränken ist, können bei Vorliegen sachlicher Gründe weitere Inhalte in den Bericht aufgenommen werden. Hierzu gehören bspw. Hinweise oder Empfehlungen an den Steuerpflichtigen für spätere Jahre nach dem Prüfungszeitraum wie zur Organisation der Buchführung oder Feststellungen, die anlässlich der Prüfung getroffen wurden, aber nicht von der Prüfungsanordnung umfasst sind wie Ausführungen zu anderen Steuerarten oder Besteuerungszeiträumen.3

1.786

Hinweis: Nicht selten wird im Betriebsprüfungsbericht ein bestimmtes Verhalten des Steuerpflichtigen für die Zukunft empfohlen oder eingefordert. So könnte der Bericht bspw. mit der Aufforderung verbunden werden, für die Zukunft bestimmte Kassenmängel abzustellen oder eine Verfahrensdokumentation4 zu erstellen. Der Steuerpflichtige sollte in jedem Fall prüfen, ob es für das eingeforderte Verhalten eine gesetzliche Grundlage gibt. Der Prüfungsbericht allein ist insofern nicht ausreichend.

1.787

d) Unzulässige Inhalte Die inhaltliche Grenze des Prüfungsberichts wird zunächst durch das Steuergeheimnis gezogen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine Verletzung des Steuergeheimnisses in Form der Offenbarung geschützter Inhalte nur durch die Übersendung an den Steuerpflichtigen oder andere Personen erfolgen kann.5 Die Finanzbehörde hat hier die Möglichkeit, einzelne Abschnitte des Berichts vor der Übersendung zu schwärzen oder nur einzelne Ausschnitte zu übersenden, um eine Verletzung des Steuergeheimnisses zu vermeiden. 1 2 3 4 5

Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 12; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 17. Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 12; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 17. Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 20. „GoBD“ = BMF v. 14.11.2014 – IV A 4 - S 0316/13/10003, BStBl. I 2014, 1450, Tz. 151. Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 22; vgl. auch Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 202 AO Rz. 9.

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1.788

Kap. 1 Rz. 1.789 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.789

Im Prüfungsbericht ist außerdem – eine Selbstverständlichkeit – kein Raum für unrichtige, unsachliche, diskriminierende oder beleidigende Aussagen des Betriebsprüfers.1 e) Weitere Unterlagen

1.790

Sonstige Unterlagen, die der Prüfer im Zusammenhang mit der Betriebsprüfung für Zwecke der Finanzbehörde erstellt, gehören nicht zum Prüfungsbericht und fallen nicht unter die Pflicht zur Übersendung nach § 202 Abs. 1 AO. Dazu zählen bspw. die Arbeitsbögen zur Prüfungsvorbereitung oder eigene Berechnungen oder Recherchen des Prüfers.2 Sind diese Unterlagen allerdings zum Verständnis der Prüfungsfeststellungen erforderlich, sind sie dem Steuerpflichtigen ebenfalls zur Verfügung zu stellen.3 Sofern dies nicht bereits im Rahmen der Unterrichtungspflicht nach § 199 Abs. 2 AO erfolgt ist (vgl. hierzu Rz. 1.662 ff.), sind solche zum Verständnis notwendigen Unterlagen zusammen mit dem Prüfungsbericht zu übersenden. Eine besondere Rolle spielt dies bei umfangreichen Berechnungen, Schätzungen oder Wertermittlungen. Eine ausschnittweise Darstellung der Berechnungsergebnisse im Prüfungsbericht genügt den inhaltlichen Anforderungen der Verständlichkeit und Vollständigkeit nur dann, wenn das zugrunde liegende Zahlenwerk dem Steuerpflichtigen im Verlauf der Prüfung, spätestens mit der Übersendung des Berichts, zur Verfügung gestellt wird. Das Zahlenwerk ist außerdem für das weitere Verfahren, auch für ein etwaiges finanzgerichtliches Klageverfahren, aufzubewahren und ggf. vorzulegen.

4. Gelegenheit zur Stellungnahme 1.791

Die Finanzbehörde hat, bevor der Bericht ausgewertet wird, diesen dem Steuerpflichtigen gem. § 202 Abs. 2 AO auf dessen Antrag zu übersenden und ihm Gelegenheit zu geben, in angemessener Zeit dazu Stellung zu nehmen. Der Prüfungsbericht wird also nur auf entsprechenden Antrag des Steuerpflichtigen vor seiner Auswertung übersandt. § 202 Abs. 2 AO ist eine besondere Ausprägung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.4 Der Steuerpflichtige hat dann einen Anspruch auf Übersendung und Gelegenheit zur Stellungnahme.5

1.792

Der Antrag auf Übersendung des Betriebsprüfungsberichts kann unabhängig davon gestellt werden, ob die steuerliche Betriebsprüfung einvernehmlich beendet wurde oder nicht. Auch dann, wenn es in der Schlussbesprechung zu einer Einigung gekommen ist, kann der Steuerpflichtige die Übersendung verlangen.6 In zeitlicher Hinsicht ist für die Antragstellung keine Frist vorgesehen. Vielmehr kann der Steuerpflichtige eine Übersendung des Prüfungsberichts so lange verlangen, wie ein berechtigtes Interesse an der Übersendung besteht.7

1.793

Stellt der Steuerpflichtige keinen Antrag auf Übersendung des Prüfungsberichts, sollte dieser spätestens mit den aufgrund der Feststellungen der Betriebsprüfung geänderten Steuerbescheiden übersandt werden. Die Finanzbehörde ist zur Übersendung verpflichtet, wenn sie, 1 2 3 4

Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 22. Vgl. BFH v. 27.3.1961 – I 276/60 U, BFHE 73, 58. Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 23. BFH v. 29.4.1987 – I R 118/83, BStBl. II 1988, 168; Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 30; Intemann in Koenig3, § 202 AO Rz. 23. 5 Vgl. BFH v. 11.12.1980 – IV R 127/78, BStBl. II 1981, 457; Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 28; Intemann in Koenig3, § 202 AO Rz. 23; Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 8. 6 Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 8. 7 Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 31.

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H. Beendigung der Prüfung | Rz. 1.798 Kap. 1

was in der Praxis den Regelfall darstellen dürfte, in der Begründung der Änderungsbescheide auf die Ergebnisse der Betriebsprüfung Bezug nimmt. Wird kein Prüfungsbericht erstellt, sondern nur eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 2 AO erteilt, entfällt insoweit selbstverständlich auch das Antragsrecht.1

1.794

Hinweis: In der Praxis der steuerlichen Betriebsprüfung sollte der Antrag auf Übersendung des Betriebsprüfungsberichts vom Steuerpflichtigen bzw. dessen Berater im Zweifel gestellt werden. Erst durch den Betriebsprüfungsbericht erhält der Steuerpflichtige ein vollständiges Bild von den Prüfungsfeststellungen und der Berücksichtigung der bislang von ihm vorgetragenen Argumente. Auch auf die Möglichkeit, bei streitigen Fragen den eigenen Standpunkt nochmals im Rahmen einer Stellungnahme vor der Auswertung des Berichts zu verdeutlichen, sollte nicht verzichtet werden. Letzte offene Sachverhaltsfragen lassen sich möglicherweise im Rahmen dieser Stellungnahme klären. Außerdem erfolgt die Auswertung und Umsetzung des Berichts – außer in Fällen der Amtsbetriebsprüfung – nicht durch den Prüfer, sondern die Veranlagungsstelle im Finanzamt, für die die tatsächlichen und rechtlichen Prüfungsfeststellungen nicht verbindlich sind.2

1.795

Mit der Übersendung des Prüfungsberichts ist dem Steuerpflichtigen eine angemessene Frist zur Stellungnahme einzuräumen. Welche Frist angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Der Umfang der Betriebsprüfung und der Umfang der getroffenen Feststellungen sowie der zu erwartenden steuerlichen Auswirkungen sind bei der Bemessung der Frist ebenso zu berücksichtigen wie der Umfang der Fragen, über die bei der Schlussbesprechung keine Einigung erzielt worden ist.3. Im Zweifelsfall dürfte eine Frist von einem Monat den Interessen beider Seiten gerecht werden.4 Eine Fristverlängerung ist gem. § 109 AO möglich.

1.796

Der Steuerpflichtige ist nicht verpflichtet, zu den Feststellungen des Prüfungsberichts Stellung zu nehmen. Verzichtet er auf eine Stellungnahme, liegt darin weder ein Einwendungsverzicht5, noch ist der Steuerpflichtige mit etwaigen Einwendungen in einem späteren Rechtsbehelfsverfahren präkludiert6.

1.797

Will die Veranlagungsstelle vom Prüfungsbericht zum Nachteil des Steuerpflichtigen abweichen, ist diesem erneut Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Dies folgt unmittelbar aus dem Anspruch des Steuerpflichtigen auf rechtliches Gehör.7 § 12 Abs. 2 Satz 3 BpO nimmt die Finanzbehörde insofern auch ausdrücklich in die Pflicht. Die Verletzung dieser Anhörungspflicht macht den dann ergehenden Steuerbescheid formell fehlerhaft, wobei der Fehler gem. § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO durch Nachholung der Anhörung bspw. im Einspruchsverfahren geheilt werden kann. § 12 Abs. 2 Satz 1 BpO verpflichtet die auswertende Veranlagungsstelle außerdem, der Betriebsprüfungsstelle Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn sie beabsichtigt, von den Prüfungsfeststellungen abzuweichen. Da es sich hierbei um eine rein innerbehördliche Regelung ohne Außenwirkung handelt, führt ein Unterlassen der Anhörung des Prüfers nicht zur Rechtswidrigkeit des von den Prüfungsfeststellungen abweichenden Steuerbescheids.8

1.798

1 Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 8. 2 BFH v. 21.6.2001 – V R 33/99, BFH/NV 2001, 1619. 3 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 202 AO Rz. 18a; Intemann in Koenig3, § 202 AO Rz. 24; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 41; Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 8. 4 Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 10; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 41. 5 Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 42. 6 Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 31; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 45. 7 Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 13. 8 Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 13.

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Kap. 1 Rz. 1.799 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

5. Rechtsschutz 1.799

Der Prüfungsbericht ist kein Verwaltungsakt, sondern eine innerdienstliche Maßnahme ohne Außenwirkung.1 Dies gilt auch dann, wenn die Finanzbehörde dem Steuerpflichtigen den Prüfungsbericht auf Antrag nach § 202 Abs. 2 AO vor der Auswertung zur Stellungnahme übersendet.2

1.800

Der Steuerpflichtige hat einen Anspruch auf Übersendung des Prüfungsberichts.3 Weigert sich die Finanzbehörde, dem Steuerpflichtigen den Prüfungsbericht zur Verfügung zu stellen, liegt in der Ablehnung ein Verwaltungsakt, gegen den sich der Steuerpflichtige mittels Einspruch und Klage zur Wehr setzen kann.4 Unterlässt die Finanzbehörde die Übersendung ohne eine ausdrückliche Ablehnung, kann der Steuerpflichtige gegen die Nichtbescheidung seines Antrags auf Übersendung des Berichts nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO Untätigkeitseinspruch einlegen und sodann ggf. Untätigkeitsklage gem. § 46 FGO erheben.5

1.801

Enthält der Prüfungsbericht Fehler tatsächlicher oder rechtlicher Art, ist hinsichtlich des weiteren Vorgehens zu unterscheiden. Zunächst ist festzuhalten, dass der Prüfungsbericht, der dem weiteren Besteuerungsverfahren zugrunde liegen soll, richtig sein muss.6 Unabhängig von Art des aufgetretenen Fehlers muss der Umstand der späteren Berichtigung als solcher erkennbar sein, indem bspw. der Bericht schriftlich ergänzt wird oder kleinere Korrekturen durch Paraphierung des Bearbeiters und Datumsangabe kenntlich gemacht werden.7 Letzteres kommt vor allem für die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten des Prüfungsberichts wie Schreibfehlern in Betracht, die entsprechend § 129 AO jederzeit vorgenommen werden kann. Andere Fehler wie eine unterlassene Datumsangabe oder vergessene Unterschrift können nachgeholt werden.8 Auch falsche Angaben zum Prüfungsablauf oder -umfang können korrigiert werden. Der Steuerpflichtige hat einen Anspruch auf Berichtigung, wenn von den (falschen) Angaben im Prüfungsbericht rechtliche Wirkungen ausgehen, was bspw. bei der Angabe des Zeitpunkts des Prüfungsbeginns im Hinblick auf die Festsetzungsverjährung gem. § 171 Abs. 4 AO der Fall ist.9 Dieser Anspruch kann mittels einer Leistungsklage durchgesetzt werden. Im Übrigen ist der Steuerpflichtige gehalten, seine Einwendungen tatsächlicher und/ oder rechtlicher Art gegen die nach seiner Auffassung unzutreffenden Prüfungsfeststellungen im weiteren Verfahrensablauf, also insbesondere in einem Einspruchs- und Klageverfahren, vorzubringen.

1 Vgl. BFH v. 17.7.1985 – I R 214/82, BStBl. II 1986, 21, 23; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 202 AO Rz. 8; Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 16; Intemann in Koenig3, § 202 AO Rz. 7, 29; Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 8; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 27; Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 2. 2 Vgl. auch Drüen, AO-StB 2009, 88, 89. 3 BFH v. 11.12.1980 – IV R 127/78, BStBl. II 1981, 457; Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 1; Intemann in Koenig3, § 202 AO Rz. 6; Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 1; Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 1a. 4 Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 32; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 38 f. 5 Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 38. 6 Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 31. 7 Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 31. 8 Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 31. 9 Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 31.

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H. Beendigung der Prüfung | Rz. 1.806 Kap. 1

V. Mitteilung ergebnisloser Prüfung 1. Gesetzliche Grundlage und Bedeutung Führt die Betriebsprüfung zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen, genügt es gem. § 202 Abs. 1 Satz 3 AO, wenn dies dem Steuerpflichtigen mitgeteilt wird. Ein Betriebsprüfungsbericht muss dann nicht erstellt werden. Erstellt die Finanzbehörde trotzdem einen Bericht, kann die Mitteilung ergebnisloser Prüfung in den Bericht aufgenommen werden.1

1.802

Die Mitteilung ergebnisloser Prüfung i.S.v. § 202 Abs. 1 Satz 3 AO erfüllt dieselben Dokumentations- und Protokollierungszwecke wie der Prüfungsbericht. Die Mitteilung muss deshalb hinreichend bestimmt sein.2

1.803

2. Wirkungen der Mitteilung Noch nicht abschließend geklärt ist, ob es sich bei der Mitteilung ergebnisloser Prüfung um einen Verwaltungsakt handelt, der als solcher mittels Einspruch und Klage angefochten werden könnte. Die Frage kann dann relevant werden, wenn der Prüfer eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen übersehen hat und das Minderergebnis zu einer Steuererstattung führen kann.3 Sieht man die Mitteilung ergebnisloser Prüfung als Realakt an, muss der Steuerpflichtige versuchen, die für ihn günstige Änderung unmittelbar durch einen Antrag auf Änderung des betreffenden Steuerbescheids und ein anschließendes Rechtsbehelfsverfahren durchzusetzen.

1.804

VI. Umsetzung der Prüfungsergebnisse Führt das Ergebnis der Betriebsprüfung zu Mehr- oder Minderergebnissen, erlässt die Veranlagungsstelle der Finanzbehörde in Auswertung der Prüfungsfeststellungen entsprechend geänderte Steuerbescheide.4 Dabei sind, wenn die zu ändernden Steuerbescheide nicht gem. § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen, von der Finanzbehörde die allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO zu beachten. Darüber hinaus können aus den im Rahmen der Betriebsprüfung gewonnenen Kenntnissen auch Schlussfolgerungen für steuerliche Verhältnisse in den Jahren vor und nach dem Prüfungszeitraum gezogen werden.5

1.805

Die Finanzbehörde ist nicht verpflichtet, die Änderungsbescheide unmittelbar nach Zusendung des Prüfungsberichts und ggf. Eingang der Stellungnahme des Steuerpflichtigen zu erlassen. Auch das Verstreichen eines längeren Zeitraums führt nicht zu einer Verwirkung des Rechts der Finanzbehörde auf Erlass von Änderungsbescheiden.6 Bei Erlass der Änderungsbescheide sind allerdings die Regelungen über die Festsetzungsverjährung zu beachten. Insofern bildet § 171 Abs. 4 Satz 3 AO die zeitliche Grenze für die Umsetzung der Prüfungsergebnisse in Form von Änderungsbescheiden.

1.806

1 BFH v. 2.10.2003 – IV R 36/01, BFH/NV 2004, 307; BFH v. 19.1.2010 – X R 30/09, BFH/NV 2010, 1234; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 50; Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 4. 2 BFH v. 19.1.2010 – X R 30/09, BFH/NV 2010, 1234; vgl. Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 50; Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 16. 3 Vgl. zum Meinungsstand Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 51, Fn. 3; kein VA: BFH v. 29.4.1987 – I R 118/83, BFHE 149, 508; Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 5; a.A. FG Rh.-Pf. v. 17.12.1984 – 5 K 38/84, EFG 1985, 431; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 202 AO Rz. 12; Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 27; Intemann in Koenig3, § 202 AO Rz. 17; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 51; Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 16. 4 Krit. zur Trennung von Außenprüfung und Veranlagung Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 15. 5 BFH v. 28.8.1987 – III R 189/84, BStBl. II 1988, 2. 6 Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 15.

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Kap. 1 Rz. 1.807 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

J. Rechtsschutz I. Einführung 1.807

Die steuerliche Betriebsprüfung ist vom Gedanken der Kooperation zwischen Steuerpflichtigem und Betriebsprüfer geprägt. Kooperation ist allerings nicht gleichbedeutend mit Konsens.1 Der Steuerpflichtige ist nur dann in der Lage, dem Betriebsprüfer auf Augenhöhe zu begegnen, wenn er seine Rechte in der Betriebsprüfung kennt und weiß, wie er diese – im Zweifel gerichtlich – durchsetzen kann. Eine gerichtliche Klärung muss dabei nicht zwingend das Betriebsprüfungsklima „verderben“, sondern kann für den Steuerpflichtigen und den Betriebsprüfer die Chance bieten, offene Rechtsfragen durch eine neutrale Instanz verbindlich klären zu lassen und die Betriebsprüfung ggf. „unbelastet“ fortzusetzen. Zu Streitigkeiten im Zusammenhang mit der „Eintrittsberechtigung“ des Prüfers in das zu prüfende Unternehmen, der Prüfungsanordnung (Rz. 1.165), zur nachträglichen Erweiterung der Prüfungsanordnung (Rz. 1.251). Zu den steuerlichen Rechtsbehelfen in der Betriebsprüfung gehören sowohl förmliche (hierzu Rz. 1.809) als auch formlose (hierzu Rz. 1.821) Rechtsbehelfe. Eine weitere sich in diesem Zusammenhang stellende Frage geht dahin, unter welchen Voraussetzungen Verfahrensfehler in der steuerlichen Betriebsprüfung – ggf. nach Obsiegen des Steuerpflichigen im Rechtsbehelfsverfahren – das Verbot nach sich ziehen, die verfahrensfehlerhaft ermittelten Tatsachen zu verwerten (hierzu Rz. 1.639).

II. Steuerliche Rechtsbehelfe 1. Allgemeines 1.808

Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung sehen für das Verfahren der steuerlichen Betriebsprüfung keine besonderen Rechtsbehelfe vor. Damit finden auch vor, während und im Anschluss an eine Betriebsprüfung die allgemeinen Rechtsbehelfsmöglichkeiten Anwendung.2 Zu unterscheiden ist dabei zwischen förmlichen Rechtsbehelfen (Einspruch und Klage, s. hierzu Rz. 1.809) sowie formlosen Rechtsbehelfen (Gegenvorstellung, Dienstaufsichtsbeschwerde, Sach- und Fachaufsichtsbeschwerde und Befangenheitsantrag, s. hierzu Rz. 1.821). Im Verlauf der steuerlichen Betriebsprüfung kann die Finanzbehörde eine Vielzahl von Maßnahmen treffen oder verweigern. Diese können als Maßnahmen mit Außenwirkung den Rechtskreis des Steuerpflichtigen betreffen oder sich als verwaltungsinterne Maßnahmen in ihrer Wirkung auf den Rechtskreis der Behörde beschränken. Die Statthaftigkeit der einzelnen förmlichen Rechtsbehelfe wiederum richtet sich danach, ob die jeweilige Maßnahme des Prüfers, gegen die sich der Steuerpflichtige wenden will, einen Verwaltungsakt (s. hierzu Rz. 1.816) oder sog. „schlichtes“ Verwaltungshandeln (s. hierzu Rz. 1.817) darstellt.

2. Förmliche Rechtsbehelfe a) Grundlagen

1.809

Als förmliche Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen im Rahmen der steuerlichen Betriebsprüfung mit Außenwirkung kommen der Einspruch nach § 347 Abs. 1 AO und nachfolgend bei Erfolglosigkeit des Einspruchs eine Klage vor dem FG nach § 40 FGO in Betracht. Voraussetzung für die Statthaftigkeit der formellen Rechtsbehelfe ist, dass es sich bei der Maßnahme, 1 Vgl. Drüen, AO-StB 2009, 88. 2 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 255; Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 193–203 AO Rz. 33.

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J. Rechtsschutz | Rz. 1.813 Kap. 1

deren Rechtmäßigkeit in Frage steht, um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 118 Satz 1 AO handelt. Nur Maßnahmen, die als Verwaltungsakt qualifiziert werden können, sind selbständig mit Einspruch und Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage angreifbar.1 Wendet sich der Steuerpflichtige gegen die Anordnung einer Maßnahme, bspw. bereits gegen die Anordnung der Vorlage von Unterlagen, ist nach erfolglosem Einspruchsverfahren eine Anfechtungsklage nach § 40 Abs. 1 Alt. 1 FGO statthaft. Begehrt der Steuerpflichtige eine Maßnahme, bspw. die Gewährung von Akteneinsicht, und lehnt die Finanzbehörde diese mittels Verwaltungsakt ab, ist nach erfolglosem Einspruchsverfahren eine Verpflichtungsklage nach § 40 Abs. 1 Alt. 2 FGO statthaft. Diese Rechtsbehelfe werden ergänzt durch Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. hierzu Rz. 1.831). Die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen in der Betriebsprüfung ohne Verwaltungsaktcharakter kann erst im Rahmen eines späteren Rechtsbehelfsverfahrens gegen die auf der Grundlage der Feststellungen der Betriebsprüfung erlassenen Änderungsbescheide inzident überprüft werden.2

1.810

b) Wirkungen von Einspruch und Klage Eine Betriebsprüfungsmaßnahme mit Verwaltungsaktcharakter kann gem. § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO mittels eines Einspruchs selbständig angefochten werden. Bleibt der Einspruch erfolglos, ist gem. § 40 Abs. 1 AO eine Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage beim FG statthaft. Die erfolglose Durchführung des Einspruchsverfahrens als Vorverfahren ist dabei gem. § 44 FGO grundsätzlich Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage.3 Wird gegen eine Betriebsprüfungsmaßnahme mit Verwaltungsaktcharakter nicht Einspruch eingelegt, wird diese formell bestandkräftig. Dies hindert nicht nur eine Aufhebung, sondern bedeutet auch, dass die betreffende Anordnung der Maßnahme Rechtsgrund für deren Durchführung ist und bleibt. Der Verwaltungsakt entfaltet Tatbestandswirkung. Im Rahmen einer späteren Überprüfung der auf der Grundlage der Prüfungsfeststellungen erlassenen Änderungsbescheide sind die Finanzbehörde und ggf. das FG deshalb an einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der betreffenden Maßnahme gehindert.

1.811

Einspruch und Klage sind auch gegen nichtige Verwaltungsakte statthaft, da diese einen Rechtsschein der Wirksamkeit entfalten und das Vorliegen der Unwirksamkeit, bspw. in Fällen streitiger Bekanntgabe, oft einer detaillierten Prüfung bedarf. Der Steuerpflichtige hat hier alternativ die Möglichkeit, über einen Antrag nach § 125 Abs. 5 AO oder im Wege der Feststellungsklage nach § 41 Abs. 1 FGO die Nichtigkeit feststellen zu lassen.4

1.812

c) Sonderproblem: Die Eröffnung des Finanzrechtswegs Die Prüfung, ob Maßnahmen im Rahmen der Betriebsprüfung erfolgreich mittels Einspruch und ggf. Klage angefochten werden können, kann im Einzelfall die Prüfung der Vorfrage erfordern, ob der Finanzrechtsweg eröffnet ist oder im Einzelfall Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten gesucht werden muss. Diese Abgrenzungsfrage wird insbesondere dann relevant, wenn neben oder anstelle der steuerlichen Betriebsprüfung die Steuerfahndung tätig wird, denn Einspruch und Klage sind statthaft gegen Verwaltungsakte in Abgabenangelegen1 Drüen, AO-StB 2009, 88 (88); Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 259; 2 Drüen, AO-StB 2009, 88 (88); Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 259; Seer in Tipke/ Kruse, Vor §§ 193–203 AO Rz. 33. 3 Ausnahmen bilden die Sprungklage nach § 45 FGO und die Untätigkeitsklage nach § 46 FGO. 4 BFH v. 9.5.1985 – IV R 172/83, BStBl. II 1985, 579.

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1.813

Kap. 1 Rz. 1.813 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

heiten nach § 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 AO bzw. § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FGO, also in allen mit der Verwaltung der Steuern zusammenhängenden Angelegenheiten, während gegen Maßnahmen im Rahmen eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens nach §§ 369 ff. AO Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten nach Maßgabe der Vorschriften der StPO und des OWiG gesucht werden muss.

1.814

Beispiele: Wendet sich der Steuerpflichtige gegen die aufgrund der Ermittlung der Steuerfahndung festgesetzten Steuern, handelt es sich um eine Abgabenangelegenheit i.S.v. § 347 Abs. 1 AO, § 33 Abs. 3 FGO, über die gem. § 393 Abs. 1 Satz 1 AO unabhängig vom Strafverfahren zu entscheiden ist.1 Für Streitigkeiten um die Festsetzung einer Frist zur Entrichtung verkürzter Steuern nach § 371 Abs. 3 Satz 1 AO ist demgegenüber der ordentliche Rechtsweg zu den Strafgerichten gegeben.2 Richtet die Steuerfahndung vor Einleitung eines Steuerstrafverfahrens ein auf §§ 93, 97 i.V.m. § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO gestütztes Sammelauskunftsersuchen an den Betreiber einer Internethandelsplattform, um Informationen über namentlich bislang nicht bekannte Verkäufer zu erhalten, liegt eine Abgabenangelegenheit vor, für die gem. § 347 Abs. 1 AO, § 33 Abs. 1 FGO der Einspruch gegeben bzw. der Finanzrechtsweg eröffnet ist.3 Da das Steuerstrafverfahren als paralleles Verfahren neben das Besteuerungsverfahren und damit die Betriebsprüfung tritt, ist für die Frage nach der Eröffnung des Finanzrechtswegs zum einen darauf zu achten, welche Person oder Behörde agiert und welche Rechtsqualität die betreffende Maßnahme hat. Hinzu kommt, dass aufgrund der „Doppelfunktion“ der Steuerfahndung, die gem. § 208 Abs. 1 Nr. 1–3 AO zum einen die Aufgabe der Erforschung von Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten und zum anderen die Aufgabe der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen hat, es zu einer Aufspaltung des Rechtswegs kommen kann je nachdem, in welcher Funktion die Steuerfahndung tätig geworden ist. Der Finanzrechtsweg ist nicht eröffnet (bzw. Einspruch und Klage vor dem FG sind nicht statthaft), wenn Nachforschungen der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen desjenigen Steuerpflichtigen dienen, gegen den sich das strafrechtliche Ermittlungsverfahren richtet, soweit durch die Maßnahmen der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung aufgeklärt werden soll.4 Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen gehört dann unmittelbar zur Erforschung der Steuerhinterziehung und ist deren untrennbarer Teil, weshalb keine Abgabenangelegenheit vorliegt. Ausgehend hiervon sind Ermittlungsmaßnahmen der Steuerfahndung nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens i.d.R. dem Strafverfahren zuzuordnen und damit in Fällen des § 208 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO weder der Einspruch, noch der Finanzrechtsweg, sondern die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben. Die Vorfeldermittlungen nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO, bei denen die Steuerfahndung zur Aufdeckung unbekannter Steuerfälle tätig wird, sind demgegenüber der steuerverfahrensrechtlichen Tätigkeit der Amtsermittlung unbekannter Steuerfälle zuzuordnen. In diesem Ermittlungsstadium vor bzw. außerhalb der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens ist gegen Maßnahmen der Steuerfahndung der Einspruch statthaft bzw. der Finanzrechtsweg gegeben.5 Auch bei der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen durch die Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt es sich deshalb jedenfalls dann um eine Abgabenangelegenheit, wenn kein förmliches Straf- und Bußgeldverfahren eingeleitet wurde.6 Nach Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, also auch nach dessen Einstellung, ist ggf. wieder der Finanzrechtsweg eröffnet, wenn erneut oder erst jetzt eine abgabenrechtliche Streitigkeit aufgeworfen wird. Ist für eine Maßnahme der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Nr. 2 1 2 3 4 5

BFH v. 4.5.2005 – XI B 230/03, BFH/NV 2005, 1485. BFH v. 17.12.1981 – IV R 94/77, BStBl. II 1982, 352 zu § 371 Abs. 2 AO a.F. BFH v. 16.5.2013 – II R 15/12, BStBl. II 2014, 225. BFH v. 20.4.1983 – VII R 2/82, BStBl. II 1983, 482. BFH v. 29.10.1986 – VII R 82/85, BStBl. II 1988, 359; BFH v. 21.3.2002 – VII B 152/01, BStBl. II 2002, 495; vgl. auch AEAO Tz. 3 zu § 208. 6 Vgl. zur Zuständigkeit der Steuerfahndung, wenn nicht gleichzeitig auch ein Steuerstrafverfahren eingeleitet wurde Rüsken in Klein15, § 208 AO Rz. 35; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 22.96.

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J. Rechtsschutz | Rz. 1.816 Kap. 1 oder Nr. 3 AO der Finanzrechtsweg gegeben, überprüft das FG auch, ob das Tätigwerden der Steuerfahndung verhältnismäßig war.1

d) Rechtsschutz gegen einzelne Betriebsprüfungsmaßnahmen aa) Abgrenzung Wie dargestellt, hängt die Frage, in welcher Weise Rechtsschutz im Zusammenhang mit Maßnahmen der steuerlichen Betriebsprüfung gesucht werden kann, entscheidend davon ob, ob die betreffende Maßnahme Verwaltungsaktqualität hat. § 118 Satz 1 AO definiert den Verwaltungsakt (ebenso wie § 35 VwVfG und § 31 SGB X) als Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.

1.815

bb) Betriebsprüfungsmaßnahmen mit Verwaltungsaktqualität

1.816

Zu den Betriebsprüfungsmaßnahmen mit Verwaltungsaktqualität gehören: – Die Prüfungsanordnung gem. § 197 AO ist ein Verwaltungsakt (vgl. zur Prüfungsanordnung ausführlich Rz. 1.165).2 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Prüfungsanordnung ein sog. Sammelbescheid ist, der mehrere selbständige Verwaltungsakte umfasst. Die Anordnungen von Beginn und Ort (nicht aber die Person des Prüfers, vgl. Rz. 1.329) stellen Verwaltungsakte dar.3 Die Frage, ob eine Betriebsprüfung überhaupt angeordnet werden darf, ist von der Frage nach der Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen im Zuge der Prüfung zu unterscheiden.4 – Auskunftsersuchen nach § 93 AO erfolgen mittels Verwaltungsakt.5 – Die Aufforderungen gem. § 147 Abs. 6 AO, dem Prüfer Einsicht in gespeicherte Daten zu gewähren, das Datenverarbeitungssystem zur Prüfung nutzen zu können und die Daten nach Verfahren der Finanzbehörde aufzubereiten oder ihr auf einem Datenträger zur Verfügung zu stellen, sind jeweils gesonderte Verwaltungsakte (zu den Voraussetzungen und Grenzen des Datenzugriffs (Rz. 2.46)).6 – Der Abbruch einer Betriebsprüfung stellt eine anfechtbare Ermessensentscheidung in Form eines Verwaltungsakts dar.7 – Auch die Ablehnung einer beantragten Betriebsprüfung, die Ablehnung einer beantragten Schlussbesprechung, die Ablehnung der beantragten Erteilung eines Betriebsprüfungs1 Vgl. BFH v. 4.12.2012 – VIII R 5/10, BStBl. II 2014, 220. 2 BFH v. 6.3.1986 – I R 299/82, BFH/NV 1987, 626; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 196 AO Rz. 3a; Rüsken in Klein15, § 196 AO Rz. 1; Schallmoser in HHSp, § 196 AO Rz. 11; Seer in Tipke/Kruse, § 196 AO Rz. 5. 3 BFH v. 4.2.1988 – V R 57/83, BStBl. II 1988, 413; Rüsken in Klein15, § 196 AO Rz. 3; Schallmoser in HHSp, § 196 AO Rz. 11. 4 BFH v. 11.1.2018 – VIII B 67/17, BFH/NV 2018, 553. 5 BFH v. 12.5.2016 – II R 17/14, BStBl. II 2016, 822; Rätke in Klein15, § 93 AO Rz. 65; Seer in Tipke/ Kruse, § 93 AO Rz. 22; AEAO zu § 93 Nr. 1.1.5 Satz 1; Volquardsen in Schwarz/Pahlke, § 93 AO Rz. 28. 6 BFH v. 8.4.2008 – VIII R 61/06, BStBl. II 2009, 579. 7 BFH v. 24.10.1972 – VIII R 108/72, BStBl. II 1973, 542.

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Kap. 1 Rz. 1.816 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

berichts, die Ablehnung der beantragten Gewährung von Auskunft oder Akteneinsicht oder die Ablehnung der beantragten Aufnahme bestimmter Feststellungen in den Betriebsprüfungsbericht stellen einen Verwaltungsakt dar.1 – Einen Verwaltungsakt stellen schließlich die Änderungsbescheide dar, die in Auswertung der Feststellungen der Betriebsprüfung ergehen. cc) Betriebsprüfungsmaßnahmen ohne Verwaltungsaktqualität

1.817

Keine Verwaltungsakte stellen dar: – Die Fallauswahl der örtlichen Finanzbehörde und die Aufnahme in den Prüfungsgeschäftsplan haben als verwaltungsinterne Vorbereitungsmaßnahmen keine Außenwirkung.2 – Die Benennung des Betriebsprüfers hat ebenfalls keine Außenwirkung (vgl. hierzu Rz. 1.329, zur Möglichkeit eines Befangenheitsantrags vgl. Rz. 1.829).3 – Typische Prüfungshandlungen wie die Besichtigung des Betriebs, die Befragung des Steuerpflichtigen und seiner Mitarbeiter, die Durchsicht von Unterlagen oder die Erstellung von Berechnungen und Kalkulationen haben keine Regelungswirkung und sind rein tatsächlicher Natur.4 – Auch bei Testkäufen handelt es sich um rein tatsächliches Verwaltungshandeln. – Benennungsverlangen nach § 159 AO (Nachweis der Treuhänderschaft) und § 160 AO (Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern) stellen als Vorbereitungshandlungen keine Verwaltungsakte dar.5 – Die Verletzung von Belehrungspflichten durch den Betriebsprüfer hat als Unterlassen ebenfalls keine Verwaltungsaktqualität. – Kontrollmitteilungen haben keine Außenwirkung und stellen auch mangels Bindungswirkung für die empfangende Finanzbehörde keinen Verwaltungsakt dar.6 – Auch die Unterrichtung des Steuerpflichtigen über die Prüfungsfeststellungen gem. § 199 Abs. 2 AO ist als Maßnahme rein tatsächlicher Natur kein Verwaltungsakt. Verlangt der Steuerpflichtige aber die Erfüllung seiner Informations- und Anhörungsansprüche § 199 Abs. 2 AO, stellt eine Verweigerung durch den Betriebsprüfer einen Verwaltungsakt dar.7

1 Vgl. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 231; Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 193–203 AO Rz. 33. 2 Vgl. Drüen, AO-StB 2009, 88 (89). 3 BFH v. 13.12.1994 – VII R 46/94, BFH/NV 1995, 758; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 197 AO Rz. 6; a.A. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 232 m.w.N. 4 Vgl. Drüen, AO-StB 2009, 88 (89); Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 236; Thormöhlen, AO-StB 2013, 192 (194). 5 Vgl. BFH v. 12.9.1985 – VIII R 371/83, BStBl. II 1986, 537; BFH v. 25.11.1986 – VIII R 350/82, BStBl. II 1987, 286; BFH v. 25.8.1986 – IV B 76/86, BStBl. II 1987, 481; BFH v. 20.4.1988 – I R 67/ 84, BStBl. II 1988, 927; Thormöhlen, AO-StB 2013, 192 (194); a.A. – Benennungsverlangen sind Verwaltungsakte – u.a. Seer in Tipke/Kruse, § 159 AO Rz. 18, § 160 AO Rz. 12 m.w.N. zur Gegenmeinung. 6 Vgl. Drüen, AO-StB 2009, 88 (89). 7 So BFH v. 16.12.1987 – I R 66/84, BFH/NV 1999, 319 für den Fall des Verlangens der Herausgabe von Fotokopien.

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J. Rechtsschutz | Rz. 1.819 Kap. 1

– Die Schlussbesprechung als solche ist ebenfalls kein Verwaltungsakt, sondern rein tatsächlicher Natur. Lehnt der Betriebsprüfer aber die Durchführung einer solchen ab, liegt in der Ablehnung ein Verwaltungsakt.1 – Noch nicht abschließend geklärt ist, ob es sich bei der Mitteilung ergebnisloser Prüfung um einen Verwaltungsakt handelt, der als solcher mittels Einspruch und Klage angefochten werden könnte.2 – Der Prüfungsbericht, der im Anschluss an die Betriebsprüfung nach § 202 Satz 1 AO ergeht, ist ebenfalls eine innerdienstliche Maßnahme ohne Außenwirkung, auch wenn die Finanzbehörde dem Steuerpflichtigen den Prüfungsbericht auf Antrag nach § 202 Abs. 2 AO vor der Auswertung zur Stellungnahme übersendet.3 – Die Einleitung eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens ist ein Realakt, ebenso die Weiterleitung des Betriebsprüfungsberichts an die Straf- und Bußgeldsachenstelle.4 dd) Mitwirkungsverlangen In der Praxis der steuerlichen Betriebsprüfung kann die Frage nach dem Vorliegen eines Verwaltungsakts dann schwierig zu beantworten sein, wenn es nicht um eine Maßnahme des Prüfers geht, sondern vom Steuerpflichtigen verlangt wird, an der Prüfung bspw. durch Vorlage von Unterlagen oder Erteilung von Auskünften mitzuwirken (vgl. zu den Mitwirkungspflichten in der steuerlichen Betriebsprüfung ausführlich Rz. 1.525). Nicht jede während der Betriebsprüfung vom Prüfer getroffene Sachaufklärungsmaßnahme muss Verwaltungsaktcharakter haben.5 Ein wesentliches Abgrenzungskriterium dürfte in der Erzwingbarkeit der Maßnahme zu sehen sein.6 Maßgeblich ist hierbei – im Sinne eines objektivierten Empfängerhorizonts – die Perspektive des Steuerpflichtigen7. Unzweifelhaft ein Verwaltungsakt dürfte in diesem Zusammenhang vorliegen, wenn das Mitwirkungsverlangen mit einem Hinweis auf die Erzwingbarkeit und/oder einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen wird.

1.818

Beispiele: Zu den Mitwirkungsverlangen, deren Rechtscharakter im Einzelfall unklar sein kann, gehören bspw. – die Aufforderung zur Vorlage eines Due-Diligence-Berichts; – die Aufforderung zur Vorlage einer Verfahrensdokumentation; – die Aufforderung zur Vorlage von Belegen, Konten und Verträgen.

1.819

Angesichts der beschriebenen Unsicherheiten und der Reichweite, die die steuerliche Bestandskraft bei einer Fehleinschätzung des Verwaltungsaktcharakters einer Betriebsprüfungsmaßnahme hat, sollte

1 BFH v. 16.12.1987 – I R 66/84, BFH/NV 1988, 319; Intemann in Koenig3, § 201 AO Rz. 9; Schallmoser in HHSp, § 201 AO Rz. 22; a.A. Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 201 AO Rz. 10. 2 Vgl. zum Meinungsstand Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 51, Fn. 3; kein VA: BFH v. 29.4.1987 – I R 118/83, BFHE 149, 508; Rüsken in Klein15, § 202 AO Rz. 5; a.A. FG Rh.-Pf. v. 17.12.1984 – 5 K 38/84, EFG 1985, 431; Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 202 AO Rz. 12; Hendricks in Gosch, § 202 AO Rz. 27; Intemann in Koenig3, § 202 AO Rz. 17; Schallmoser in HHSp, § 202 AO Rz. 51; Seer in Tipke/Kruse, § 202 AO Rz. 16. 3 Vgl. auch Drüen, AO-StB 2009, 88 (89). 4 Vgl. Peters, DStR 2015, 2583 (2584); Thormöhlen, AO-StB 2013, 192 (194). 5 BFH v. 10.11.1998 – VIII R 3/98, BStBl. II 1999, 199. 6 BFH v. 10.11.1998 – VIII R 3/98, BStBl. II 1999, 199; BFH v. 28.9.2011 – VIII R 8/09, BStBl. II 2012, 395; Überblick über den Meinungsstand bei Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 17. 7 Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 17.

Peters | 213

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Kap. 1 Rz. 1.819 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung vorsorglich Einspruch eingelegt werden.1 Dies gilt auch deshalb, weil eine unberechtigte Verweigerung einer Aufforderung zur Mitwirkung ggf. eine Schätzungsbefugnis des Prüfers auslösen kann (vgl. zur Schätzungsbefugnis des Betriebsprüfers ausführlich Rz. 1.554). Zudem setzt die erfolgreiche Berufung auf ein steuerliches Beweisverwertungsverbot i.d.R. die Anfechtung der betreffenden Maßnahme der Informationsgewährung voraus. Wird eine Anfechtung aufgrund der Fehleinschätzung der Verwaltungsaktqualität einer Maßnahme unterlassen, greift die Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts und die Rechtmäßigkeit des Mitwirkungsverlangens ist in einem späteren Rechtsbehelfsverfahren nicht mehr zu überprüfen (vgl. hierzu auch Rz. 1.518). Es empfiehlt sich außerdem, in Zweifelsfällen auf die Erteilung eines schriftlichen Verwaltungsakts zu drängen, um frühzeitig Rechtssicherheit zu erlangen.2 Auch für den Betriebsprüfer bringt dieses Vorgehen Rechtsklarheit.

e) Erledigung der Betriebsprüfungsmaßnahme

1.820

Beginnt der Betriebsprüfer die Prüfung trotz Anfechtung der Prüfungsanordnung oder setzt er sie trotz Anfechtung einer einzelnen Betriebsprüfungsmaßnahme fort, erledigt sich die betreffende Maßnahme mit Beendigung der Prüfung in Form der Zusendung des Prüfungsberichts.3 Ist die Prüfung beendet, bevor der Steuerpflichtige Klage erhoben hat oder wird die Prüfung während des Klageverfahrens beendet, muss der Steuerpflichtige statt einer Anfechtungsklage eine Fortsetzungsfeststellungsklage erheben bzw. von der Anfechtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungsklage wechseln.4 § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO sieht den Übergang zu der sog. Fortsetzungsfeststellungsklage ausdrücklich vor. Das für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis liegt darin, dass für den Fall, dass die Klage Erfolg hat, die Auswertung der betreffenden Prüfungsfeststellung verhindert werden kann.5 Sind bereits geänderte Steuerbescheide ergangen, die die betreffende Prüfungsfeststellung auswerten, müssen auch diese angefochten werden,6 sog. „doppeltes Anfechtungserfordernis“.

3. Formlose Rechtsbehelfe a) Bedeutung

1.821

Gegen verwaltungsinterne Maßnahmen ohne Außenwirkung sind keine förmlichen Rechtsbehelfe gegeben.7 Zu den verwaltungsinternen Maßnahmen gehören bspw. die Aufnahme in den Prüfungsturnus, die Auswahl des Prüfers oder unverbindliche Informationen.8 Das bedeutet allerdings nicht, dass der Steuerpflichtige keine Möglichkeit hat, auch verwaltungsinterne Maßnahmen einer Überprüfung auf ihre Rechtmäßigkeit hin unterziehen zu lassen. In Betracht kommen hierfür formlose Rechtsbehelfe. Das Recht zur Einlegung solcher Rechtsbehelfe ergibt sich aus Art. 17 GG.9 Danach hat jedermann das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen oder an die Volksvertretung zu wenden, sog. Petitionsrecht.10 Die formlosen Rechtsbehelfe sind gesetzlich nicht geregelt, weshalb die Terminologie nicht eindeutig ist.11 Gemeinsam haben alle formlosen Rechtsbehelfe, 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

So auch Drüen, AO-StB 2009, 88 (91). So auch Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 193–203 AO Rz. 34 und Drüen, AO-StB 2009, 88 (91). Vgl. auch Thormöhlen, AO-StB 2013, 192 (195). Schaumburg in Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz4, Rz. 3.217. Vgl. Schaumburg in Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz4, Rz. 3.217. Vgl. zur Prüfungsanordnung BFH v. 16.12.1986 – VIII R 123/86, BStBl. II 1987, 248. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 256. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 256. Brenner in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6, Art. 17 Tz. 20. Vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, 163. Lieferung 10.2020, Vorbemerkungen zu §§ 347–367 Rz. 30. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 261; Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 193–203 AO Rz. 35.

214 | Peters

2021-10-28, 11:05, HB mittel

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J. Rechtsschutz | Rz. 1.826 Kap. 1

dass sie einerseits weder Form- noch Fristerfordernisse kennen, andererseits aber die Bestandskraft der angegriffenen Maßnahme nicht hinausschieben können.1 b) Gegenvorstellung Mittels einer Gegenvorstellung kann sich der Steuerpflichtige gegen jede Maßnahme des Prüfers oder eines anderen Angehörigen der Finanzverwaltung im Rahmen der steuerlichen Betriebsprüfung wenden, die kein Verwaltungsakt ist. Adressat der Gegenvorstellung ist der Beamte, dessen Handeln oder Entscheidung in Frage gestellt wird.2 Ziel der Gegenvorstellung ist es, den Betreffenden dazu zu bewegen, sein Verhalten und/oder seine Rechtsauffassung aufgrund eigener Einsicht zu ändern, weshalb dieser Rechtsbehelf insbesondere dann in Betracht kommt, wenn der Finanzbehörde bei der Entscheidung ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zusteht, so dass die Möglichkeit besteht, dass sich die tatsächliche oder rechtliche Beurteilung aufgrund der vom Steuerpflichtigen vorgetragenen Argumente ändert.3

1.822

Für die Erhebung der Gegenvorstellung gelten weder Form noch Frist. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt, dass der Adressat der Gegenvorstellung verpflichtet ist, die Gegenvorstellung entgegenzunehmen, inhaltlich zu prüfen und in angemessener Frist zu beantworten, wobei kein Anspruch des Steuerpflichtigen auf eine Begründung besteht.4

1.823

Beispiel Die Stellungnahme des Steuerpflichtigen zum Betriebsprüfungsbericht beinhaltet eine Gegenvorstellung.5

1.824

c) Dienstaufsichtsbeschwerde Eine Dienstaufsichtsbeschwerde betrifft das persönliche Verhalten eines an der steuerlichen Betriebsprüfung beteiligten Angehörigen der Finanzverwaltung. Begründet dieses persönliche Verhalten Bedenken bzgl. der Unparteilichkeit des Amtsangehörigen, kommt auch ein Befangenheitsantrag in Betracht (vgl. hierzu unter d)).6 Adressat der Gegenvorstellung ist der jeweilige Dienstvorgesetzte. Dies kann der Prüfungsleiter, Amtsvorsteher, OFD-Präsident oder die Behörde, der die Dienstaufsicht obliegt, sein.7 Ziel der Dienstaufsichtsbeschwerde ist es, den Dienstvorgesetzten dazu zu bewegen, dass dieser mittels dienstaufsichtlicher Maßnahmen auf den betreffenden Angehörigen der Finanzverwaltung einzuwirken und so eine Änderung von dessen Verhalten hervorzurufen.8

1.825

Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt, dass der Dienstvorgesetzte die Dienstaufsichtsbeschwerde entgegen zu nehmen, inhaltlich zu prüfen und sich gegenüber dem Beschwerdeführer dazu zu äußern hat.9

1.826

1 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 261; Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 347–367 AO Rz. 21. 2 Keß in Schwarz/Pahlke, Vor §§ 347–368 AO Rz. 43; Rätke in Klein15, Vor § 347 AO Rz. 16; Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 262; Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 347–367 AO Rz. 36. 3 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 263. 4 Rätke in Klein15, Vor § 347 AO Rz. 16; Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 263; Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 347–367 AO Rz. 38. 5 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 262. 6 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 264; Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 347–367 AO Rz. 35. 7 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 265; Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 347–367 AO Rz. 36. 8 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 265. 9 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 265; Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 347–367 AO Rz. 38.

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Kap. 1 Rz. 1.827 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.827

Beispiel: Die Wirkungen einer Dienstaufsichtsbeschwerde können so weit gehen, dass bspw. der Betriebsprüfer durch einen neuen Prüfer abgelöst wird.

d) Sach- und Fachaufsichtsbeschwerde

1.828

Im Gegensatz zur Dienstaufsichtsbeschwerde betrifft die Sach- und Fachaufsichtsbeschwerde nicht das persönliche, sondern die sachliche Behandlung einer sich im Verlauf der steuerlichen Betriebsprüfung stellenden konkreten Rechtsfrage durch den Prüfer oder einen anderen im Verlauf der steuerlichen Betriebsprüfung tätigen Angehörigen der Finanzverwaltung.1 Adressat der Sach- und Fachaufsichtsbeschwerde ist entweder der unmittelbare Dienstvorgesetzte oder die Behörde, welche die Sach- und Fachaufsicht führt, also die OFD oder das Finanzministerium. Ziel ist die erneute rechtliche Überprüfung der Rechtsfrage. Die Sachund Fachaufsichtsbeschwerde ist ebenfalls entgegen zu nehmen, zu prüfen und zu bescheiden, wobei kein Anspruch des Steuerpflichtigen auf eine Begründung besteht.2 e) Befangenheitsantrag

1.829

Sind die Voraussetzungen für eine Befangenheit des Prüfers i.S.v. § 83 AO erfüllt, liegt also ein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen, sieht § 83 Abs. 1 Satz 1 AO vor, dass beim Behördenleiter eine Entscheidung über den betreffenden Prüfer einzuholen ist. Dieser kann anordnen, dass der betreffende Prüfer an der Betriebsprüfung nicht mehr mitwirken darf und abzulösen ist. Eine begründete Besorgnis der Befangenheit hat im Unterschied zu den Ausschlussgründen des § 82 AO also nicht kraft Gesetzes den Ausschluss des betroffenen Amtsträgers zur Folge. Erst aufgrund einer entsprechenden Anordnung des Behördenleiters (bzw. der Aufsichtsbehörde) ist der Amtsträger von der weiteren Mitwirkung im Verwaltungsverfahren ausgeschlossen.3 § 83 AO will das Vertrauen in die objektive Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben schützen, weshalb es für den Erfolg eines Befangenheitsantrags nicht darauf ankommt, ob dem betreffenden Prüfer tatsächlich eine Pflichtverletzung zur Last gelegt werden kann.4 Das Vorgehen nach § 83 Abs. 1 Satz 1 AO ist auch deshalb von praktischer Bedeutung, weil die Bestimmung des Betriebsprüfers im Rahmen der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung nach § 197 Abs. 1 Satz 1 AO kein anfechtbarer Verwaltungsakt ist und etwaige Befangenheitsgründe nicht mittels Anfechtung der Prüfungsanordnung geltend gemacht werden können (vgl. zur Anfechtbarkeit der Prüfungsanordnung ausführlich Rz. 1.372).5

1.830

Beipiele: Befangenheitsgründe können ihren Ursprung in der Person des Prüfers, in seinem Verhalten in der konkreten Sache oder in der Person eines Dritten (z.B. des Bevollmächtigten) haben.6 Hierzu gehören

1 Cöster in Koenig3, Vor §§ 347–368 AO Rz. 18; Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 266; Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 347–367 AO Rz. 34. 2 Rätke in Klein15, Vor § 347 AO Rz. 16; Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 266; Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 347–367 AO Rz. 38. 3 Baum in AO-eKommentar, § 83 AO Rz. 13, Rätke in Klein15, § 83 AO Rz. 1; Schneider in Schwarz/ Pahlke, § 83 AO Rz. 8; Söhn in HHSp, § 83 AO Rz. 42. 4 Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 267. 5 Vgl. BFH v. 13.12.1994 – VII R 46/94, BFH/NV 1995, 758; BFH v. 29.4.2002 – IV B 2/02, BStBl. II 2002, 507, m.w.N.; BFH v. 29.5.2012 – IV B 70/11, BFH/NV 2012, 1412. 6 Vgl. Brandis in Tipke/Kruse, § 83 AO Rz. 2.

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J. Rechtsschutz | Rz. 1.832 Kap. 1 sowohl ein gespanntes Verhältnis („Feindschaft“) als auch Freundschaft.1 Auch aus unsachlichen Äußerungen über die Sach- und/oder Rechtslage kann sich eine Voreingenommenheit ergeben ebenso aus wirtschaftlichem und/oder persönlichem Interesse am Ausgang des Verfahrens.2 Fachliche Vorbefassung allein reicht aber nicht aus.3 Die Entscheidung des Behördenleiters über den Befangenheitsantrag hat keine Verwaltungsaktqualität, weshalb ein Einspruch bei Erfolglosigkeit des Antrags nicht statthaft ist.4 Der Steuerpflichtige hat allerdings die Möglichkeit, die Befangenheit des Prüfers in einem Rechtsbehelfsverfahren gegen die aufgrund der Prüfungsfeststellungen geänderten Steuerfestsetzungen geltend zu machen.5 Wirkt ein Amtsträger mit, dessen Nicht-Mitwirkung vom Behördenleiter oder von der Aufsichtsbehörde angeordnet worden war oder der zu Unrecht vom Behördenleiter zur Mitwirkung zugelassen worden war, ist die getroffene Maßnahme rechtswidrig. Die Voraussetzungen für eine Nichtigkeit des betreffenden Bescheids werden, wie sich in entsprechender Anwendung des § 125 Abs. 3 Nr. 2 AO ergibt, i.d.R. nicht erfüllt sein.6 Erfolgreich werden Rechtsbehelfe außerdem i.d.R. gem. § 127 AO nur dann sein, wenn auf der Grundlage der Feststellungen des betreffenden Prüfers eine Ermessensentscheidung getroffen wurde.7

III. Vorläufiger Rechtsschutz 1. Grundlagen Wehrt sich der Steuerpflichtige mittels Einspruch und Klage gegen eine Maßnahme in der steuerlichen Betriebsprüfung oder begehrt er eine solche, wird die Betriebsprüfung hierdurch von Gesetzes wegen nicht unterbrochen. Dies birgt das Risiko, dass Fakten zu Lasten des Steuerpflichtigen geschaffen werden. Hier besteht für den Steuerpflichtigen die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, um zumindest eine vorläufige rechtliche Einschätzung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Betriebsprüfungsmaßnahme bzw. des verfolgten Begehrens zu erhalten.

1.831

2. Aussetzung der Vollziehung a) Allgemeines Die Vollziehbarkeit einer Betriebsprüfungsmaßnahme wird weder durch die Einlegung eines Einspruchs noch durch die Erhebung einer Anfechtungsklage gehemmt. Beide Rechtsbehelfe haben keinen Suspensiveffekt. Die Prüfungsmaßnahme kann also vollzogen, das heißt im Zweifel mittels Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Zur Vermeidung von faktischen Rechtsverlusten während der Dauer des Einspruchs- und Klageverfahrens ist deshalb die Möglichkeit, Aussetzung der Vollziehung beantragen zu können, von großer Bedeutung. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) ist bei der Finanzbehörde oder – subsidiär – beim FG zu stellen. 1 Vgl. Brandis in Tipke/Kruse, § 83 AO Rz. 2; Schneider in Schwarz/Pahlke, § 83 AO Rz. 3; Wünsch in Koenig3, § 83 AO Rz. 8. 2 Vgl. Brandis in Tipke/Kruse, § 83 AO Rz. 2; Rätke in Klein15, § 83 AO Rz. 3; Schneider in Schwarz/Pahlke, § 83 AO Rz. 3a. 3 Vgl. Brandis in Tipke/Kruse, § 83 AO Rz. 2. 4 BFH v. 13.12.1994 – VII R 46/94, BFH/NV 1995, 758; Brandis in Tipke/Kruse, § 83 AO Rz. 8; Schneider in Schwarz/Pahlke, § 83 AO Rz. 10; Söhn in HHSp, § 83 AO Rz. 68. 5 BFH v. 13.12.1994 – VII R 46/94, BFH/NV 1995, 758; Rätke in Klein15, § 83 AO Rz. 2; Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 267; Schneider in Schwarz/Pahlke, § 83 AO Rz. 10; Söhn in HHSp, § 83 AO Rz. 68. 6 Brandis in Tipke/Kruse, § 83 AO Rz. 9. 7 Brandis in Tipke/Kruse, § 83 AO Rz. 9; Rätke in Klein15, § 83 AO Rz. 2.

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1.832

Kap. 1 Rz. 1.833 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.833

Eine AdV setzt gem. § 361 Abs. 2 AO bzw. § 69 FGO voraus, dass der Verwaltungsakt, dessen Aussetzung begehrt wird, angefochten und vollziehbar ist. Der Antrag auf AdV beim FG kann gem. § 69 Abs. 3 Satz 2 FGO auch schon vor Erhebung der Anfechtungsklage gestellt werden, ist aber gegenüber dem Antrag bei der Finanzbehörde subsidiär. b) Voraussetzungen aa) Einordnung

1.834

Die AdV soll gem. § 361 Abs. 2 AO bzw. § 69 Abs. 2 FGO erfolgen, wenn entweder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte für den Steuerpflichtigen darstellen würde. Da die AdV vorläufiger Rechtsschutz ist, findet keine ins Einzelne gehende, sondern nur eine summarische Prüfung statt, die sich auf präsente Beweismittel beschränkt. Gleichwohl beinhaltet die Entscheidung über die AdV durch das FG oftmals ein Präjudiz für die spätere Entscheidung in der Hauptsache. bb) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit

1.835

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen dann, wenn bei der überschlägigen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit der Beurteilung der Tatfragen bewirken.1 Die für die Unrechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Bedenken müssen nicht überwiegen, ein Erfolg des Steuerpflichtigen muss nicht wahrscheinlicher sein als ein Misserfolg.2 Die Prüfung hat sich auf alle rechtlichen und tatsächlichen Aspekte zu erstrecken, auch auf formelle Gesichtspunkte wie bspw. die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsakts. Die Prüfung, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen, setzt eine Begründung des AdV-Antrags voraus. Andernfalls kann eine Überprüfung nur anhand der Aktenlage erfolgen.

1.836

Macht der Steuerpflichtige die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend, ist die Rechtsprechung des BFH uneinheitlich. Im Ergebnis erhält der Steuerpflichtige AdV, wenn bei einer Abwägung zwischen öffentlichem Haushaltsinteresse und individuellem AdV-Interesse das Individualinteresse überwiegt.3 cc) Unbillige Härte

1.837

Eine unbillige Härte liegt vor, wenn durch die sofortige Vollziehung dem Steuerpflichtigen wirtschaftliche Nachteile drohen würden, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und die nicht oder nur schwer wieder gut zu machen sind oder wenn die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen gefährdet wäre.4 Dieser Aussetzungsgrund spielt in der Praxis eine eher 1 St. Rspr. vgl. nur BFH v. 16.10.2012 – I B 128/12, BStBl. II 2013, 30; BFH v. 11.7.2013 – XI B 41/ 13, BFH/NV 2013, 1647; BFH v. 2.7.2014 – XI S 8/14, BFH/NV 2014, 1601; BFH v. 20.1.2015 – XI B 112/14, BFH/NV 2015, 537; BFH v. 18.2.2015 – V S 19/14, BFH/NV 2015, 866. 2 AEAO § 361 Tz. 2.5. 3 BFH v. 9.11.1992 – X B 137/92, juris; BFH v. 19.8.1994 – X B 318–319/93, BFH/NV 1995, 143; BFH v. 1.4.2010 – II B 168/09, BStBl. II 2010, 558; BFH v. 25.11.2014 – VII B 65/14, BStBl. II 2015, 207. 4 AEAO § 361 Nr. 2.6.

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J. Rechtsschutz | Rz. 1.841 Kap. 1

untergeordnete Rolle. Sind Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts fast ausgeschlossen, ist eine Aussetzung der Vollziehung selbst dann nicht zulässig, wenn die Vollziehung eine unbillige Härte zur Folge hätte.1 c) Wirkungen Nach Anordnung der AdV darf der Verwaltungsakt gem. § 251 Abs. 1 AO nicht vollstreckt werden. Auch in anderer Weise darf von dem Verwaltungsakt kein „Gebrauch“ gemacht werden. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt gem. § 361 Abs. 2 Satz 3 AO, § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Stelle der Aussetzung die Aufhebung der Vollziehung.

1.838

d) Subsidiarität Das FG kann die AdV einer Betriebsprüfungsmaßnahme nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO anordnen. Danach ist der bei Gericht gestellte Antrag auf AdV nur zulässig, wenn das Finanzamt einen bei ihm gestellten Antrag auf AdV ganz oder zum Teil abgelehnt hat, § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO, es sei denn

1.839

– die Finanzbehörde hat über einen bei ihr gestellten Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden oder – eine Vollstreckung droht. Hierfür muss das Finanzamt mit der Vollstreckung begonnen haben oder zumindest konkrete Schritte zur Durchführung der Vollstreckung angekündigt haben.2 Die dargestellten Voraussetzungen sind echte Zugangsvoraussetzungen und müssen im Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht vorliegen.3 Ein „Hineinwachsen“ in die Zulässigkeit durch Eintritt der Voraussetzungen während des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens ist nicht möglich. Lehnt also die Finanzbehörde einen bei ihr gestellten Antrag auf AdV einer Betriebsprüfungsmaßnahme nach Eingang des Antrags auf AdV bei Gericht ab, wird der bei Gericht gestellte AdV-Antrag als unzulässig abgelehnt. Der Steuerpflichtige kann jederzeit einen neuen Antrag auf AdV bei Gericht stellen. Zu beachten ist hierbei auch, dass bei vorheriger AdV durch die Finanzbehörde der Hinweis in der Einspruchsentscheidung, dass die AdV nach Ablauf eines Monats nach Ergehen der Einspruchsentscheidung endet, keine Ablehnung der AdV durch die Finanzbehörde darstellt. Hier muss zunächst ein erneuter Antrag auf AdV bei der Finanzbehörde gestellt werden, bevor ein Antrag beim FG gestellt werden kann.

1.840

3. Einstweilige Anordnung Eine einstweilige Anordnung durch das FG nach § 114 FGO kommt in Betracht, soweit vorläufiger Rechtsschutz nicht durch eine AdV erlangt werden kann (Subsidiaritätsklausel in § 114 Abs. 5 FGO). § 114 FGO bietet damit vorläufigen Rechtsschutz bei nicht vollziehbaren Verwaltungsakten und ist deshalb regelmäßig in Fällen der Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 Alt. 2 FGO) oder der allgemeinen Leistungsklage (§ 40 Abs. 1 Alt. 3 FGO) anwendbar. 1 BVerfG v. 11.10.2010 – 2 BvR 1710/10, DStR 2010, 2296; BFH v.19.4.1968 – IV B 3/66, BStBl. II 1968, 538; BFH v. 24.3.1994 – IV S 1/94, BStBl. II 1994, 398; BFH v. 28.1.1997 – X S 28/96, BFH/ NV 1997, 510; BFH v. 2.11.2004 – XI S 15/04, BFH/NV 2005, 490. 2 Vgl. BFH v. 22.11.2000 – V S 15/00, BFH/NV 2001, 620; Gehm in Schwarz/Pahlke, § 361 AO Rz. 17; Seer in Tipke/Kruse, § 69 FGO Rz. 78; Stapperfend in Gräber9, § 69 FGO Rz. 154. 3 BFH v. 12.3.2013 – XI B 14/13, BStBl. II 2013, 390.

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1.841

Kap. 1 Rz. 1.842 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.842

§ 114 Abs. 1 FGO unterscheidet zwischen der Sicherungsanordnung (§ 114 Abs. 1 Satz 1 FGO, Gefahr der Vereitelung oder Beeinträchtigung eines bestehenden Rechts durch Veränderung der Umstände) und der Regelungsanordnung (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO, Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis). Die Regelungsanordnung ist der praktisch bedeutsamere Fall.

1.843

Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag ist, dass der Antragsteller einen Grund für die zutreffende Regelung (Anordnungsgrund) und den Anspruch, aus dem er sein Begehren herleitet (Anordnungsanspruch), schlüssig darlegt und deren tatsächliche Voraussetzungen nach § 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 ZPO glaubhaft macht. Der Anordnungsanspruch ist in den Fällen der Regelungsanordnung der Anspruch auf Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis, der sich aus dem künftigen Hauptsachebegehren ableiten lässt. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn eine einstweilige Regelung in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.1

1.844

Die Regelungsanordnung muss sich auf eine vorläufige Regelung beschränken und darf das Ergebnis der Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen.2 In den Verpflichtungssituationen in der steuerlichen Betriebsprüfung ist die Bedeutung der einstweiligen Anordnung deshalb sehr begrenzt. Insbesondere lassen sich die Informationsrechte des Steuerpflichtigen (vgl. hierzu Rz. 1.658) in der Betriebsprüfung wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache nicht im Wege einer einstweilige Anordnung durchsetzen.3

K. Mitteilungspflichten der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden I. Einordnung und Abgrenzung 1.845

Die Finanzbehörden haben den gesetzlichen Auftrag eine gleichmäßige Anwendung des Steuerrechts sicherzustellen, insbesondere, dass Steuern nicht verkürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden. Folgerichtig übernehmen §§ 194 Abs. 1 Satz 1, 199 Abs. 1 AO und §§ 2 Abs. 1, 7 Satz 3 BpO 2000 den vorgenannten Rechtsgedanken aus § 85 AO klarstellend in das Recht und Verfahren der Betriebsprüfung, indem der Betriebsprüfer sein Hauptaugenmerk, bei der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse, in erster Linie auf rechtliche und tatsächliche Sachverhalte zu richten hat, die zu endgültigen Steuerausfällen, Steuererstattungen, -vergütungen oder zu nicht unbedeutenden Gewinnverlagerungen führen können.

1.846

Die Bekämpfung von Wirtschaftsstraftaten wie z.B. Geldwäsche, Korruption oder Steuerhinterziehung steht zunehmend (noch) stärker im Fokus der (Straf-)Behörden. Um die notwendige Zusammenarbeit zwischen Finanzbehörden und der ressortübergreifenden4 Behörde in diesem Zusammenhang gewinnbringend zu organisieren, wird die Pflicht der Finanzbehörde

1 BFH v. 27.7.1994 – I B 246/93, BStBl. II 1994, 899. 2 Zu Ausnahmen vgl. BFH v. 23.9.1998 – I B 82/98, BStBl. II 2000, 320 m.w.N; vgl. auch Lange in HHSp, § 114 FGO Rz. 125. 3 BFH v. 27.7.1994 – I B 246/93, BStBl. II 1994, 899; vgl. auch Loose in Tipke/Kruse, § 114 FGO Rz. 38. 4 Ressortübergreifend meint in diesem Sinneszusammenhang eine Mitteilungspflicht von einer Finanzbehörde an eine andere Behörde, die keine Finanzbehörde ist (§ 6 Abs. 2 AO).

220 | Peters und Gütschow

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K. Mitteilungspflichten der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden | Rz. 1.849 Kap. 1

normiert, bestimmte Tatsachen anderen Behörden mitzuteilen (sog. Mitteilungspflichten der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden). Die Mitteilungspflichten lassen sich systematisch in den Bereich des Ermittlungsverfahrens einordnen und dienen der gegenseiten Amtshilfe. Da die Übersendung der Mitteilung durch die Finanzbehörde ohne Ersuchen der andere Behörden erfolgt, liegt eine sog. Spontanhilfe1 vor. Spiegelbildlich dazu haben ressortfremde Behörden und andere öffentliche Stellen des Bundes und der Länder (vgl. § 6 Abs. 1 bis 1c AO) den Finanzbehörden Mitteilungen zur Sicherung der Besteuerung nach § 85 AO in bestimmten Fällen zu übersenden.2 Häufig verfügen oder gewinnen auch ressortfremde Behörden Informationen, die steuererheblich sein können oder zur Prävention benötigt werden. Diesen Mitteilungen (z.B. einer Geldwäscheverdachtsanzeige oder eine allgemeine Zahllungsmitteilung über öffentliche Subventionen) kommt für das Recht und Verfahren der Betriebsprüfung insofern eine besondere Bedeutung zu, als dass sie eine Prüfungsbedürftigkeit des Falls begründen können, sofern die Gefahr einer unvollständigen Erfassung des Sachverhalts zu steuerlichen Zwecken als hoch einzuschätzen ist.

1.847

Aufgrund der weitreichenden Ermittlungsbefugnisse der Betriebsprüfung (Rz. 1.404–1.514) sind die Mitteillungspflichten insbesondere im Recht und Verfahren der Betriebsprüfung zu beachten. Die Betriebsprüfung als mitteilungspflichtige Stelle wird in diesem Zusammenhang zu einem zusätzlichen Kontrollinstrument, um anderen (ressortfremden) Behörden bei der Erfüllung des jeweiligen (ressortübergreifenden) Gesetzesauftrags behilflich zu sein. Insgesamt erschöpfen sich die Ermittlungshandlungen des Betriebsprüfers nicht nur auf steuerliche Sachverhalte, sondern dienen gleichzeitig auch der Ermittlung (steuer-)strafrechtlich relevanter Sachverhalte. Die Ermittlungshandlungen des Betriebsprüfers können somit eine „Doppelfunktion“ haben: die Ermittlung des steuerlichen und die des strafrechtlichen Sachverhalts.3

1.848

Konkretisieren und einordnen lassen sich diese Mitteilungspflichten wie folgt:

1.849

– Ressortübergreifende Mitteilungspflichten, die vorrangig der Bekämpfung bestimmter Taten im Bereich der Wirtschaftskriminalität dienen (§§ 31a, 31b AO): Diese Mitteilungspflichten sollen sicherstellen, dass während der Betriebsprüfung gewonnene Anhaltspunkte von ressortübergreifender Bedeutung den Behörden in den Bereichen der Schwarzarbeitsbekämpfung, illegalen Beschäftigung, Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung bzw. der Korruptionsbekämpfung zur Verfügung gestellt werden. Ein strafrechtlicher Anfangsverdacht ist nicht notwendig. Hervorzuheben ist, dass im Bereich von § 31a AO eine Mitteilungspflicht gegenüber öffentlichen Leistungs- und Subventionsgebern für die Betriebsprüfung besteht. Angesichts der in der Corona-Viruskrise für die Privatwirtschaft unter hohem zeitlichem Druck ausgezahlten milliardenhohen Subventionen, gewinnt diese Mitteilungspflicht tendenziell an Bedeutung (Rz. 1.865–1.890). – Ressortübergreifende Mitteilungspflicht bei Vorliegen eines strafrechtlichen Anfangsverdacht bei sog. Schmier- und Bestechungsgeldern (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG; s. Rz. 1.891). 1 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 21.271. 2 Dazu Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 21.272 unter Hinweis auf §§ 116 Abs. 1, 93a (MitteilungsVO), 93c AO (automatische Datenübermittlung durch Dritte) sowie den zahlreichen allgemeinen Mitteilungs- und Anzeigepflichten von u.a. Behörden, Gerichte, Rundfunkanstalten, Notare, Kreditinstitute, Versicherungsunternehmen. 3 BFH, Urt. v. 4.11.1987 – II R 102/85, BStBl. II 1988, 113; dazu aktuell: FG Köln, Urt. v. 22.3.2017 – 3 K 123/14, EFG 2017, 1705; BFH v. 14.4.2020 – VI R 32/17, BStBl. II 2020, 487.

Gütschow | 221

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Kap. 1 Rz. 1.849 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

– Ressorteigene Mitteilungspflicht gegenüber der Bußgeld- und Strafsachenstelle (nachfolgend „BuStra“ genannt) gem. § 10 BpO 2000: Im Rahmen der Betriebsprüfung können steuerstraf- bzw. bußgeldrechtliche relevante Sachverhalte bekannt werden. Für die Verwaltung richtet sich das Verfahren nach der sog. „Anweisung für das Straf- und Bußgeldverfahren“1 (AStBV). Für die Mitteilung der Betriebsprüfung an die Bußgeld- und Strafsachenstelle (Bustra) genügt es, dass Anhaltspunkte für eine mögliche Durchführung eines Strafverfahrens vorliegen.2 (s. Rz. 1.540–1.545 „Anfangsverdacht einer Steuerstraftat“).

1.850

Davon abzugrenzen sind Mitteilungen der Betriebsprüfung, die keine Offenbarungspflicht gegenüber anderen Stellen zur Folge haben und folglich im pflichtgemäßen Ermessen (§ 5 AO) des Betriebsprüfers stehen: – Finanzbehördeninterne Kontrollmitteilungen (§ 194 Abs. 3 AO, § 9 BpO 2000): Kontrollmitteilungen dienen der gegenseitigen Amtshilfe zur Erleichterung von Sachverhaltsermittlungen, die nach allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen der Betriebsprüfung nicht oder nur mit sehr hohem Aufwand ermittelt werden könnten3 (s. Rz. 1.547, „Kontrollmitteilungen“). – Allgemeine Unterrichtungspflicht gegenüber dem Steuerpflichtigen aus dem Prüfungsgrundsatz der Unterrichtungspflicht (§ 199 Abs. 2 AO): Die allgemeine Unterrichtungspflicht dient nicht nur der Gewährung von rechtlichem Gehör (§ 91 AO), sondern auch einem zielgerichteten und effizienten Prüfungsablauf durch Mittel der Kommunikation (s. Rz. 1.658, 1.662 – Informationsrechte des Steuerpflichtigen). – Spezielle Anhörungs- und Auskunftsrechte des Steuerpflichtigen (s. Rz. 1.684–1.694 – Informationsrechte des Steuerpflichtigen).

1.851

Berechtigte Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten nach § 30 Abs. 4 AO. Die Mitteilungspflichten der Betriebsprüfung stehen im Widerstreit zwischen den personenbezogenen Rechten, wie beispielsweise dem Steuergeheimnis (§ 30 AO), der betroffenen Person(en) und dem staatlichem Interesse der Informationsweitergabe im Hinblick auf eine gleichmäßige Besteuerung bzw. einer funktionierenden Strafverfolgung.4

1.852

Im Rahmen der Betriebsprüfung wird der Vornahme einer Mitteilung eine sorgfältige Prüfung vorrausgehen müssen, da eine Verletzung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) sowohl strafrechtliche als auch zivilrechtliche Konsequenzen für den Betriebsprüfer nach sich ziehen kann. Andererseits kann genauso das pflichtwidrige Unterlassen einer (steuer-) strafrechtlich gebotenen Mitteilung Konsequenzen nach sich ziehen (u.a. Strafverfahren wegen Begünstigung, Strafvereitelung im Amt gem. § 258a StGB, Beihilfe zur Steuerhinterziehung).5 Hilfestellungen finden sich u.a. im AEAO zu §§ 30–31b AO und in der „Anweisung für das Straf- und Bußgeldverfahren“6 (AStBV).

1 Gleichlautende Erlasse der obersten Dienstbehörden der Länder v. 1.12.2019, BStBl. I 2019, 1142 (AStBV). 2 Nrn. 131 Abs. 1 i.V.m. 130 Abs. 1 Satz 1 AStBV; § 10 Abs. 1 Satz 2 BpO 2000. 3 Vgl. Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 194 AO Rz. 44. 4 Frotscher/Watrin in Frotscher/Geurts, § 4 EStG Rz. 868 zu verfassungsrechtlichen Fragestellungen. 5 Gehm, StBp 2006, 105. 6 Gleichlautende Erlasse der obersten Dienstbehörden der Länder v. 1.12.2019, BStBl. I 2019, 1142.

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K. Mitteilungspflichten der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden | Rz. 1.856 Kap. 1

II. Durchbrechung des Steuergeheimnisses im Rahmen von Mitteilungspflichten 1. Die Bedeutung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) Das Steuergeheimnis (§ 30 AO) regelt zentral den Datenschutz in Steuersachen und garantiert im Grundsatz die umfassende Geheimhaltung aller personenbezogenen Daten sowie aller fremden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die einem Amtsträger i.S.d. § 7 AO in einem Besteuerungsverfahren über den Steuerpflichtigen bekannt geworden sind.1 Die umfassenden steuerlichen Mitwirkungspflichten (s. Rz. 1.525–1.539) sind aus der Sicht der Unternehmen nur hinnehmbar, wenn ein wirksamer Rechtsschutz gegen eine unbefugte Weitergabe der Daten besteht.2 Nach Auffassung des BVerfG bezweckt das Steuergeheimnis „durch besonderen Schutz des Vertrauens in die Amtsverschwiegenheit die Bereitschaft der Offenlegung steuerlicher Sachverhalte zu fördern, um so das Steuerverfahren zu erleichtern, die Steuerquelle vollständig zu erfassen und eine gesetzmäßige, d.h. insbesondere auch gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen“.3

1.853

2. Erlaubtes Offenbaren und Umfang der Offenbarung Eine Offenbarung4 oder Verwertung5 der geschützten Daten (§ 30 Abs. 2 AO) ist im Besteuerungsverfahren und damit auch in der Betriebsprüfungspraxis immer nur aufgrund einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage zulässig (sog. Befugnis zur Offenbarung). Offenbarungsbefugnisse finden sich zentral aufgelistet in § 30 Abs. 4 und Abs. 5 AO, zur Durchführung von steuerlichen und gerichtlichen Verfahren, aufgrund eines zwingenden öffentlichen Interesses oder aufgrund gesetzlicher Erlaubnisse. Darüber hinaus enthalten sowohl die §§ 31a, 31b AO, als auch Regelungen außerhalb der Abgabenordnung, z.B. in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG oder § 10 BpO 2000, weitere Offenbarungstatbestände. Unabhängig davon ist eine Offenbarung immer zulässig, soweit der Betroffene zustimmt (§ 30 Abs. 4 Nr. 3 AO).

1.854

Die genannten Rechtsgrundlagen bestimmen jeweils den Rahmen bzw. Umfang der offenbarungsfähigen Informationen. Der Umfang der Offenbarung ist damit nicht grenzenlos, sondern punktuell beschränkt, soweit der Betroffene nicht seine Zustimmung erteilt (§ 30 Abs. 4 Nr. 3 AO). Nur die Erkenntnisse bzw. Informationen, die für den qualifizierten Adressaten der Mitteilung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls notwendig sind, dürfen mitgeteilt werden.6 Eine Befugnis zur Gewährung von Akteneinsicht oder für die Übersendung der gesamten Steuerakten sehen die vorgenannten Rechtsgrundlagen nicht vor.7

1.855

Dort wo eine Offenbarung der geschützten Daten an einen berechtigten, ggf. auch ausländischen, Adressaten befugt stattfindet, muss der Empfänger das „verlängerte Steuergeheimnis“ achten und darf die geschützten Daten nur für den beabsichtigten Zweck der Mitteilung verwenden (§ 30 Abs. 11 AO).8

1.856

1 2 3 4 5 6 7 8

Statt aller Rüsken in Klein15, § 30 AO Rz. 1. Statt aller Rüsken in Klein15, § 30 AO Rz. 6. BVerfG v. 27.6.1991 – 2 BvR 1493/89, BStBl. II 1991, 654. Zum Begriff: AEAO zu § 30 AO Nr. 3.2. Zum Begriff: AEAO zu § 30 AO Nr. 3.6. In diesem Sinne z.B.: AEAO zu § 31a AO Nr. 2.4 Abs. 1 Satz 1. Z.B.: AEAO zu § 31a AO, Nr. 1 Satz 7. Kordt in Schwarz/Pahlke, § 30 AO Rz. 26 und 145 m.w.N.

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Kap. 1 Rz. 1.857 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

3. Offenbarungspflichten 1.857

Um die strafrechtliche Verfolgung schwerer Wirtschaftsstraftaten und die Zusammenarbeit der (ressortübergreifenden) „zuständigen Stellen“ zu erleichtern, sind im Recht und Verfahren der Betriebsprüfung Offenbarungspflichten (Mitteilungspflichten) zu beachten. Durch eine verpflichtende Weitergabe der Informationen an andere zuständige Behörden soll ein notwendiger Wissenstransfer stattfinden, so dass alle Behörden den ihnen auferlegten Pflichten nachkommen können.1 Der Schutz des Steuergeheimnisses soll nicht dazu führen, dass schwere Wirtschaftsstraftaten wie Korruption, Geldwäsche oder Schwarzarbeit durch dieses gedeckt werden.2 Dieser Grundgedanke liegt allen nachfolgend genannten verpflichtenden Mitteilungen der Betriebsprüfung zugrunde.

4. Unbefugtes Offenbaren und Rechtsschutz 1.858

Entscheidungsträger einer Offenbarung ist immer der Amtsträger (Betriebsprüfer), den § 30 AO zur Geheimhaltung verpflichtet, nicht die anfragende oder amtshilfeersuchende Stelle. Wenn eine anfragende Dienststelle glaubhaft versichert, dass Sie eine Information für die Durchführung eines Verfahrens benötigt, für das eine Offenbarungsbefugnis vom Steuergeheimnis vorgesehen ist, kann der zuständige Amtsträger grundsätzlich von der Rechtmäßigkeit der Anfrage ausgehen.3 Aus Sicht des Entscheidungsträgers ist eine Informationsweitergabe von Amts wegen problembehaftet, da hier sorgsam der Umfang der Offenbarungspflicht zu beachten ist. Wird der gesetzliche Rahmen der Mitteilungspflicht bzw. Offenbarungspflicht überschritten, werden durch § 30 AO geschützte Daten insoweit unbefugt offenbart und dürfen nicht verwertet werden.4

1.859

Eine Verletzung von § 30 AO5 durch eine unbefugte Weitergabe von geschützten Daten ist gem. § 355 Abs. 1 StGB strafbewehrt. Eine strafrechtliche Verfolgung findet nach § 355 Abs. 3 StGB auf Antrag des Dienstvorgesetzen oder des Verletzten (Steuerpflichtigen) statt. Neben einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren kann die Fähigkeit aberkannt werden, öffentliche Ämter zu bekleiden (§ 358 StGB). Ferner kann auch der Anwendungsbereich eines Schadensersatzanspruches nach Amtshaftungsgrundsätzen eröffnet sein (§ 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG).

1.860

Aus der Sicht des Betriebsprüfers bietet es sich in dieser Gemengelage an, die Entscheidung zum Eigenschutz in einem Aktenvermerk zu dokumentieren und den zuständigen Sachgebietsleiter mit einzubinden.

1.861

Ein „unbefugtes Offenbaren“ von § 30 AO geschützter Daten ist kein Verwaltungsakt (§ 118 AO), so dass ein Rechtsschutz gegen die hoheitliche Maßnahme nicht im Rahmen des Einspruchsverfahrens (§§ 347 ff. AO) besteht.6 Der Rechtsweg steht dem Betroffenen grundsätzlich vor dem FG offen, wenn die Rechtsverletzung z.B.7 im Rahmen einer sog. „sonstigen Leistungsklage“ auf Untersagung der Offenbarung gegen die jeweilige Finanzbehörde geltend gemacht wird (sog. „vorbeugende Unterlassungsklage“8, § 40 Abs. 1 Alt. 3 FGO). Als wei1 2 3 4 5 6 7 8

In diesem Sinne: BFH, Beschl. v. 14.7.2008 – VII B 92/08, BStBl. II 2008, 850 – 1. Leitsatz. In diesem Sinne: Rüsken in Klein15, § 31b AO Rz. 1. In diesem Sinne: AEAO zu § 31a AO Nr. 1. Rüsken in Klein15, § 30 AO Rz. 242 m.w.N. Rüsken in Klein15, § 30 AO Rz. 240 f. Alber in HHSp, § 30 AO, Rz. 119–605. Alber in HHSp, § 30 AO, Rz. 606–618 m.w.N. Ossinger in Schwarz/Pahlke, § 40 FGO Rz. 53 ff.

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K. Mitteilungspflichten der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden | Rz. 1.865 Kap. 1

teres vorbeugendes Rechtsmittel für einen vorläufigen Rechtsschutz dient in diesem Zusammenhang der Antrag auf eine einstweilige Anordnung vor dem FG (§ 114 FGO). In diesem Fall sind dem FG nur die den Streitfall betreffenden Akten vorzulegen (§ 71 Abs. 2 FGO); diese Akten können die Beteiligten einsehen (§ 78 Abs. 1 FGO). „Die vorbeugende Unterlassungsklage ist zulässig, wenn vom Kläger substantiiert und in sich schlüssig dargelegt wird, dass er durch ein bestimmtes, künftig zu erwartendes Handeln einer Behörde in seinen Rechten verletzt wird, und dass ein Abwarten der tatsächlichen Rechtsverletzung für ihn unzumutbar sei, weil die Rechtsverletzung nicht oder nur schwerlich wiedergutzumachen wäre“.1

1.862

Aus Sicht des Stpfl. ergeben sich in Bezug auf die Mitteilungspflichten der Betriebsprüfung praktische Probleme diese Rechtsschutzmöglichkeit wahrzunehmen. Um „schlüssig darzulegen“, dass im Sinne der Unterlassungsklage ein bestimmtes, künftig zu erwartendes Handeln einer Behörde besteht, ist das Wissen von verwaltungsinternen Entscheidungswegen und Prozessen notwendig, wenn keine vorherige Anhörung durch den Betriebsprüfer erfolgt ist.

1.863

Diesbezüglich sind zwar die datenschutzrechtlichen Verpflichtungen der EU-DSGVO2 relevant. Die Pflicht der Information des Betroffenen vor der Weitergabe seiner Daten nach Art. 13 Abs. 3 EU-DSGVO besteht aber nach § 32a Abs. 1 Nr. 4 AO nicht, wenn die Erteilung der Information „eine vertrauliche Offenbarung geschützter Daten gegenüber öffentlichen Stellen gefährden würde“. Die Verwaltung führt in diesem Zusammenhang folgende Beispiele an:

1.864

– Mitteilungen zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Leistungsmissbrauchs (§ 31a AO), – Mitteilungen zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (§ 31b AO) und – Mitteilungen an Strafverfolgungsbehörden und Steuerfahnung.3

III. Ressortübergreifende Mitteilungspflichten im Rahmen von Amts- und Rechtshilfe 1. Mitteilungen zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Leistungsmissbrauchs von Amts wegen (§ 31a AO) a) Allgemeines Die Verfolgung und Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Leistungsmissbrauchs4 öffentlicher Gelder ist geprägt vom Grundsatz der Zusammenarbeit und der Kooperation aller zuständigen Behörden. Seit dem 1.8.20025 besteht eine ausdrückliche Verpflichtung zur Offenbarung von § 30 AO geschützter Daten in den in § 31a Abs. 1 AO genannten Verfahren zur Bekämpfung von: 1 Ossinger in Schwarz/Pahlke, § 40 FGO Rz. 57, m.w.N. 2 Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften v. 17.7.2017, BGBl. 2017 I, 2541; BMF v. 12.1.2018 – IV A 3 - S 0030/16/10004-07, BStBl. I 2018, 185. 3 BMF v. 12.1.2018 – IV A 3 - S 0030/16/10004-07, BStBl. I 2018, 185, Rz. 45, 49. 4 Verfügung betr. Mitteilungen zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Leistungsmissbrauchs nach § 31a AO v. 13.2.2019, LfSt Bayern, S 0132.2.1-4/7 St43. 5 Gesetz zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit v. 23.7.2002, BGBl. I 2002, 2787.

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1.865

Kap. 1 Rz. 1.865 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

– Schwarzarbeit1 – illegale Beschäftigung2 – Leistungsmissbrauch bei Bezug öffentlicher Gelder.

1.866

Regelmäßig wird diese Mitteilungspflicht im Rahmen der „klassischen Betriebsprüfung“ eine nicht so hohe Bedeutung haben wie im Rahmen der besonderen Betriebsprüfungsformen (Umsatzsteuersonderprüfung [Rz. 3.65], Umsatzsteuernachschau [Rz. 3.145], Lohnsteuer-Außenprüfung [Rz. 3.258], Lohnsteuernachschau [Rz. 3.301] oder auch Kassennachschau [Rz. 3.325]), die i.d.R. zeitlich vor der klassischen Betriebsprüfung stattfinden.

1.867

Eine Mitteilungspflicht von Amts wegen besteht, wenn dem Betriebsprüfer Informationen bzw. Anhaltspunkte bekannt werden, die für die zuständigen Stellen für ein vorgenannten Verfahren erforderlich sind. Ein konkreter Tatverdacht im prozessualen Sinne ist nicht notwendig.3 Es ist ausreichend, dass die Informationen für die andere Behörde „entscheidungserheblich“ bzw. für die Einleitung (und/oder) Durchführung eines Verwaltungsverfahrens „geeignet sein können“.4 Dies wird der Fall sein, wenn sich beispielsweise im Rahmen einer LohnsteuerAußenprüfung herausstellt, dass Lohnsteuern und Sozialversicherungsbeträge für tatsächlich bestehende, aber nicht erklärte, Arbeitsverhältnisse nicht abgeführt wurden. In diesem Fall ist der Betriebsprüfer verpflichtet seine Erkenntnisse an die Zollverwaltung (Finanzkontrolle Schwarzarbeit – FKS) über die „Partnerstelle Steuer“ zu übermitteln (Rz. 1.870).

1.868

Die Entscheidungserheblichkeit für die andere Behörde muss der Betriebsprüfer selbst erkennen und aufgreifen. In jedem Fall ist es aus Sicht des Betriebsprüfers geboten, seinen Sachgebietsleiter (SGL) und den zuständigen finanzbehördeninternen Ansprechpartner für die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und der Schwarzarbeit einzubeziehen, in dem der gegebene Sachverhalt vorab geschildert wird. Die Offenbarung ist dann zulässig, soweit sie für die Erfüllung der Aufgaben des anderen (ressortfremden) Dienstzweigs erforderlich ist.

1.869

Die Mitteilungspflicht besteht nicht, wenn die Weitergabe der Informationen aufgrund einer bloßen Vermutung lediglich vorsorglich erfolgt oder soweit deren Erfüllung mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre (§ 31a Abs. 2 Satz 3 AO). Ein unverhältnismäßiger Aufwand liegt i.d.R. dann vor, wenn der zur Erfüllung der Mitteilungspflicht erforderliche sachliche, personelle oder zeitliche Aufwand erkennbar außer Verhältnis zum angestrebten Erfolg der Mitteilung steht. Das gilt vor allem in Fällen sog. „Bagatellmitteilungen“.5 Der Betriebsprüfer ist ferner nicht verpflichtet im Rahmen der Prüfung eigene Ermittlungen für Mitteilungszwecke i.S.d. § 31a AO sowie nach Regelungen außerhalb der Steuergesetze vorzuneh1 Zum Begriff „Schwarzarbeit“, § 1 SchwarzArbG, BGBl. I 2004, 1842. Hierzu zählen Informationen, aus denen sich Anhaltspunkte ergeben für die Verletzung der Mitteilungspflichten nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I, der Meldepflicht nach § 8a AsylbewerberLeistungsG, die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ohne dies vorher anzuzeigen (§ 14 GewO) oder ohne die Reisegewerbekarte erworben zu haben (§ 55 GewO), die Ausübung eines Handwerks ohne in die Handwerksrolle eingetragen zu sein (§ 1 HandwO); Rüsken in Klein15, § 31a AO Rz. 2; Kordt in Schwarz/Pahlke, § 31a AO Rz. 8; AEAO zu § 31a AO Nr. 2.2. 2 Zum Begriff „illegale Beschäftigung“, der die illegale Arbeitnehmerbeschäftigung und unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung erfasst: Kordt in Schwarz/Pahlke, § 31a AO Rz. 9; Rüsken in Klein15, § 31a AO Rz. 3; AEAO zu § 31a AO Nr. 2.1. 3 AEAO zu § 31a AO Nr. 1. 4 Rüsken in Klein15, § 31a AO Rz. 12; BFH v. 4.10.2007 – VII B 110/07, BStBl. II 2008, 42, II. 1. 5 Rüsken in Klein15, § 31a AO Rz. 10; AEAO zu § 31a AO Nr. 4.3.

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K. Mitteilungspflichten der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden | Rz. 1.873 Kap. 1

men. Zusätzliche Ermittlungen zur Feststellung von Missbräuchen sind seitens der Betriebsprüfung genauso wenig vorzunehmen wie vorsorgliche Mitteilungen. b) Bestehen einer Mitteilungspflicht im Bereich des SchwarzArbG und Zusammenarbeit mit der Zollverwaltung – Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) Die Rechtsgrundlagen für die Verfolgung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung ergeben sich aus dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG)1.

1.870

Im Bereich der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und der Schwarzarbeit erfolgt die zentrale Zusammenarbeit der Landesfinanzbehörden mit den Bundes-Behörden der Zollverwaltung („Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ – FKS) über sog. „örtliche Partnerstellen“ auf beiden Seiten.2 Die sog. „örtlichen Partnerstellen“ dienen der gemeinsamen Koordination der Ermittlungsarbeit.

1.871

Der FKS wurden im § 2 Abs. 1 Satz 1 SchwarzArbG zentrale Prüfungsaufgaben in den Gebieten der Bekämpfung der Schwarzarbeit, der Schattenwirtschaft zur Durchsetzung des SGB IIIV und des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes zugewiesen. Die FKS ist bei ihrer Aufgabenerfüllung durch die Finanzämter zu unterstützen (§ 2 Abs. 2 SchwarzArbG). Die Prüfung der Erfüllung steuerlicher Pflichten i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG obliegt den zuständigen Finanzämtern. Die Behörden der Zollverwaltung sind zur Mitwirkung an Prüfungen der Landesfinanzbehörden berechtigt (§ 2 Abs. 1 SchwarzArbG). Verfügt die Betriebsprüfung über Informationen, die für die örtlich zuständige FKS zur Bekämpfung der Schwarzarbeit oder der illegalen Beschäftigung erforderlich sein können, besteht grundsätzlich eine Mitteilungspflicht gegenüber der „Partnerstelle Steuer“, die dann ihrerseits die Mitteilung an die örtliche „Partnerstelle FKS“ übermittelt. Ein direkter Kontakt zwischen Betriebsprüfung und FKS ist nur in „begründeten Einzelfällen“ vorgesehen und mit einer zeitnahen Unterrichtung der örtlichen Partnerstellen verbunden. Die „Partnerstelle Steuer“ dient insofern einer engen und effizienten Steuerung des Informationsflusses über feste Ansprechpartner, der allgemeinen und fallbezogenen Organisation der Zusammenarbeit von Zoll- und Finanzbehörden und der Sammlung von Erfahrungswerten im Verwaltungsverfahren (Rz. 3.403 – Prüfungen der Zollverwaltung).

1.872

c) Mitteilungspflichten bei Arbeitnehmerüberlassungen und gegenüber Sozialleistungs- und Subventionsgebern Eine besondere Mitteilungspflicht besteht für die Betriebsprüfung im Rahmen von Lohnsteuer-Außenprüfungen gegenüber der Bundesagentur für Arbeit bei der Prüfung von sog. Verleihern im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung (§ 31a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa AO). Die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hängt nach den Vorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) u.a. von der steuerlichen Zuverlässigkeit ab, wozu insbesondere die Einhaltung der Vorschriften über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer gehören (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG). Zu den mitteilungspflichtigen und zu offenbarenden Tatsachen zählt die Verwaltung u.a.3: – bestehende Steuerrückstände, soweit diese durch die gewerbliche Tätigkeit ausgelöst wurden, – erhebliche Nachforderungen aus Lohnsteuer-Außenprüfungen. 1 BGBl. I 2004, 1842. 2 AEAO zu § 31a AO Nr. 2.5. 3 AEAO zu § 31a AO Nr. 3 ff.

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1.873

Kap. 1 Rz. 1.874 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.874

Die Betriebsprüfung hat in bestimmten Fällen weitere Mitteilungspflichten gegenüber Sozialleistungs-1 und Subventionsgebern2 der öffentlichen Hand zu erfüllen (§ 31a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Doppelbuchst. bb und Nr. 2 AO). Sozialleistungen und Subventionen zeichnen sich dadurch aus, dass diese unter bestimmten Voraussetzungen den Empfängern ohne Gegenleistung einseitig begünstigen und nicht zurückzuzahlen sind. Regelmäßige Bedingung ist jedoch, dass die Angaben im Antrag und die Verwendung der öffentlichen Gelder (insbesondere Subventionen) rechtmäßig erfolgt sind.

1.875

Von Amts wegen hat eine Offenbarung zu erfolgen, sofern konkrete Anhaltspunkte es möglich erscheinen lassen, dass aufgrund eines (ressortfremden) Verwaltungsakts Sozialleistungen zu Unrecht in Anspruch genommen wurden, Sozialleistungen zu erstatten sind oder schließlich Tatsachen subventionserheblich i.S.d. § 264 Abs. 9 StGB sind.3 Tatsachen können als subventionserheblich bezeichnet werden, die durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes. Es genügt die Möglichkeit, dass die gewährten Subventionen oder Sozialleistungen zurückgefordert werden können. Ein konkreter Tatverdacht im strafprozessualen Sinne (z.B. Subventionsbetrug) ist nicht erforderlich.4 Die bestehende Mitteilungspflicht der Betriebsprüfung an die zuständigen Leistungs- und Subventionsgeber gewinnt tendenziell an Bedeutung. Entwicklungen in der Organisierten Kriminalität im Zuge der Covid-19-Pandemie beschäftigen die Behörden im Bereich von möglichen Subventionsbetrügereien im Zusammenhang mit staatlichen Corona-Soforthilfen oder Überbrückungshilfen für KMU. Neben den Fällen möglichen Subventionsbetrugs waren eine Vielzahl von Antragstellungen bekannt geworden, bei denen der Verdacht besteht, dass Sozialleistungen, Unterstützungsgelder oder Kredite rechtswidrig beantragt wurden. Dies umfasst beispielsweise die Beantragung von nicht rückzahlbaren Zuschüssen für nichtexistierende oder nicht mehr aktive Unternehmen sowie das Vortäuschen pandemiebedingter Liquiditätsengpässe.5

1.876

Bei diesen Leistungen handelt es sich um steuerpflichtige Betriebseinnahmen, deren ordnungsgemäße Besteuerung durch die Betriebsprüfung geprüft wird. Die Möglichkeit zur Überprüfung bietet sich, da dem Antrag die Steuernummer bzw. die Steuer-ID (§ 138b AO) beizufügen waren und eine Umstellung auf ein elektronisches Verfahren erfolgt. Bei diesem elektronischen Verfahren erfolgt eine Mitteilung der Bewilligungsbehörde an die Finanzbehörden nach Maßgabe des § 93c AO.6 Zusätzlich ist im Rahmen der Einkommensteuererklärung oder Feststellungserklärung 2020 die sog. „Anlage Corona-Hilfen“ auszufüllen. Sollte keine Corona-Hilfen bezogen worden sein, ist in die Zeile 4 die Ziff. 2 für „Nein“ ausdrücklich einzutragen.

1.877

Soweit sich im Laufe einer Betriebsprüfung Anhaltspunkte für subventionserhebliche Tatsachen aus der Buchführung, den Aufzeichnungen oder den Unterlagen des geprüften Unter1 Sozialleistungen sind gem. § 11 SGB I die nach SGB I vorgesehenen Dienst-, Sach- und Geldleistungen der Bundesagentur für Arbeit, der gesetzlichen Krankenkassen, der gesetzlichen Rentenversicherungsträger, der Sozialämter und Unterhaltsvorschussbehörden, AEAO zu § 31a AO Nr. 4.1.1. 2 Subventionen sind gem. § 1 Abs. 1 SubvG i.V.m. § 264 Abs. 7 StGB Leistungen, die aus öffentlichen Mitteln nach Bundes- oder Landesrecht oder nach dem Recht der Europäischen Gemeinschaften an Betriebe oder Unternehmen wenigstens zum Teil ohne marktübliche Gegenleistung gewährt werden und der Förderung der Wirtschaft dienen sollen, AEAO zu § 31a AO Nr. 4.1.2. 3 Rüsken in Klein15, § 31a AO Rz. 12. 4 AEAO zu § 31a AO, Nr. 4 ff. 5 Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung (BT-Drucks. 19/19708) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drucks. 19/19236) hervor. Zum aktuellen Rückforderungsvorgehen der Länder z.B.: BT-Drucks. 19/21490. 6 BR-Drucks. 518/20 (JT).

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K. Mitteilungspflichten der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden | Rz. 1.880 Kap. 1

nehmens ergeben, die es möglich erscheinen lassen, dass die gewährten Corona-Hilfen zurückgefordert werden können, wird die Mitteilungspflicht nach § 31a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Doppelbuchst. bb AO in der Regel ausgelöst sein.

2. Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (§ 31b AO) a) Allgemeines Ähnlich wie § 31a AO ist § 31b AO eine Norm, die die Durchbrechung des Steuergeheimnisses zugunsten der Strafverfolgung in den Bereichen der Bekämpfung der Geldwäsche sowie der Terrorismusfinanzierung und deren Vortaten legitimiert. Die genannten Tatbestände können auch meist in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem Steuerstrafverfahren (§§ 370 ff. AO) oder einer Korruptionstat auftreten, da die handelnden Personen Maßnahmen unternehmen, um die Herkunft des Geldes zu verschleiern.1 Im Allgemeinen bezeichnet der Begriff der Geldwäsche2 das Einführen nicht legal erworbener Vermögensgegenstände in den legalen Wirtschaftskreislauf unter Verschleierung der tatsächlichen Herkunft. Die Vermögensgegenstände müssen dabei nicht unbedingt aus dem Kernbereich der organisierten Kriminalität, wie Drogenoder Waffenhandel, stammen. Sie können vielmehr auch aus den sog. Vortaten der Geldwäsche stammen, mit denen die Finanzbehörden regelmäßiger in Berührung kommen. Gemeint sind damit z.B. Bestechlichkeit, gewerbsmäßiger Betrug, Untreue oder Steuerhinterziehung. Sachverhalte mit einem Bezug zu Korruptionsdelikten können zudem die Pflicht der Mitteilung gegenüber der Staatsanwaltschaft nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG auslösen (Rz. 1.891).

1.878

Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sind im Rahmen der organisierten Kriminalität in nahezu allen Wirtschaftsbereichen zu beobachten, was eine qualifizierte Zusammenarbeit der unterschiedlichen Behördendienststellen erfordert. Aus Sachverhaltsermittlungen der Betriebsprüfungen können besondere Erkenntnisse resultieren, die für die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität im Bereich der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung von Bedeutung sind. Derartige Anhaltspunkte lösen eine Mitteilungspflicht nach § 31b Abs. 2 bzw. Abs. 3 AO von Amts wegen aus.3 Diesbezüglich sind insbesondere Geldzuflüsse zu nennen, die durch die betriebliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen nicht stichhaltig und nachvollziehbar aufgeklärt werden können (zur Kassenführung Rz. 5.1).4 Darüber hinaus beinhaltet § 31b Abs. 1 AO eine abschließende Aufzählung von Offenbarungsbefugnissen für nach dem Geldwäschegesetz (GwG) relevante Sachverhalte, z.B. im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Geldwäsche oder zur Ahnung einer Ordnungswidrigkeit.5

1.879

Die verbesserte Ahndung und Verfolgung von Geldwäsche dienen der erfolgreichen Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Die Grundlagen für eine strafrechtliche Verfolgung und eine Änderung der strafrechtlichen Tatbestände wurden mit Wirkung zum 18.3.2021 verschärft. Die Umsetzung einer EU-Richtlinie hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, den Tatbestand des § 261 StGB signifikant zu erneuern und zu erweitern.6

1.880

1 Madauß in NZWiSt 2016, S. 437, S. 441. 2 Schnabl in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht5, 6. Kapitel Rz. 2. 3 Darüber hinaus soll auf die in § 31b Abs. 1 AO niedergeschriebene Mitteilungsbefugnis hingewiesen werden. Dazu Kordt in Schwarz/Pahlke, § 31b AO Rz. 14f und 47. 4 Rüsken in Klein15, § 31a AO Rz. 9. 5 Siehe Rüsken in Klein15, § 31a AO Rz. 3 ff. m.w.N. 6 BGBl. I 2021, 327, s. dazu BT-Drucks. 19/24180 (RegE) in der vom Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz geänderten Fassung, BT-Drucks. 19/26602 (BeschlE); dazu Gazeas, NJW 2021, 1041.

Gütschow | 229

2021-10-28, 11:05, HB mittel

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Kap. 1 Rz. 1.881 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

b) Offenbarungspflichten (§ 31b Abs. 2 und 3 AO)

1.881

§ 31b AO und § 1 Abs. 1 Geldwäschegesetz1 (GwG) knüpfen an den (Straf-)Tatbestand des § 261 StGB an und übernehmen jeweils den strafrechtlichen Begriff2 der Geldwäsche. Nach § 2 Abs. 1 GwG sind u.a. Geldinstitute, Rechtsanwälte, Angehörige der steuerberatenden Berufe, Immobilienmakler verpflichtet sog. Geldwäscheverdachtsanzeigen zu fertigen.

1.882

Den Begriff der Terrorismusfinanzierung regelt § 1 Abs. 2 GwG.3 Danach ist Terrorismusfinanzierung die Bereitstellung oder Sammlung finanzieller Mittel in Kenntnis dessen, dass sie ganz oder teilweise dazu verwendet werden oder verwendet werden sollen terroristische Straftaten zu begehen oder zu einer solchen Tat anzustiften oder Beihilfe zu leisten.

1.883

Gemäß § 31b Abs. 2 AO besteht eine unverzügliche „täterbezogene“4 Mitteilungspflicht (sog. Geldwäscheverdachtsmeldungen) gegenüber der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (Financial Intelligence Unit – FIU). Betroffen sind Sachverhalte, sofern Tatsachen gegeben sind, die darauf hindeuten, dass: – es sich bei Vermögensgegenständen, die mit dem mitzuteilenden Sachverhalt im Zusammenhang stehen, um den Gegenstand einer Straftat nach § 261 StGB handelt oder – die Vermögensgegenstände im Zusammenhang mit Terrorismusfinanzierung stehen.

1.884

Die FIU soll dadurch in die Lage versetzt werden Sofortmaßnahmen i.S.d. § 40 GwG zu ergreifen.5 Die Informationsweitergabe erfolgt dabei mittels elektronischer Datenübermittlung im Rahmen eines sicheren Verfahrens (§ 31b Abs. 2 Satz 2 AO) und ist nur im Ausnahmefall auf dem Postweg zulässig (§ 31b Abs. 2 Satz 3 AO).6

1.885

Die FIU ist eine Abteilung der Generalzolldirektion. Sie besitzt eine sog. „administrative Filterfunktion“.7 Die Aufgabe der FIU besteht in der Informationssammlung und -zusammenführung sowie in der Koordinierung der jeweils zuständigen inländischen Strafverfolgungsund Aufsichtsbehörden (§ 27 ff. GwG). Geldwäscherechtliche Verdachtsmeldungen (sog. Geldwäscheverdachtsmeldungen) sollen von der FIU mit Daten aus unterschiedlichen Quellen angereichert, analysiert und selbst bewertet und in geeigneten Fällen an die jeweilige Strafverfolgungsbehörde weitergeleitet werden.

1.886

Eine weitere Mitteilungspflicht folgt aus § 31b Abs. 3 AO gegenüber den zuständigen Verwaltungsbehörden hinsichtlich solcher Tatsachen, die darauf schließen lassen, dass – ein Verpflichteter nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 bis 16 GwG eine Ordnungswidrigkeit nach § 56 GwG begangen hat oder begeht oder – die Voraussetzungen für das Treffen von Maßnahmen und Anordnungen nach § 51 Abs. 2 GwG gegenüber Verpflichteten nach § 2 Abs. 1 Nr. 13 bis 16 des Geldwäschegesetzes gegeben sind. 1 BGBl. I 2008, 1690; Neubekanntmachung v. 23.6.2017, BGBl. I 2017, 1822. 2 Zum Begriff im Einzelnen: Kordt in Schwarz/Pahlke, § 31b AO Rz. 24 ff.; Gazeas, NJW 2021, 1041. 3 Zum Begriff im Einzelnen: Kordt in Schwarz/Pahlke, § 31b AO Rz. 27 f. 4 Kordt in Schwarz/Pahlke, § 31b AO Rz. 54. 5 Kordt in Schwarz/Pahlke, § 31b AO Rz. 54. 6 Zu weiteren Einzelheiten: Kordt in Schwarz/Pahlke, § 31b AO Rz. 57 ff. 7 Kordt in Schwarz/Pahlke, § 31b AO Rz. 20.

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K. Mitteilungspflichten der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden | Rz. 1.888 Kap. 1

Die jeweils zuständigen Verwaltungsbehörden ergeben sich aus § 56 Abs. 5 GwG. Unverzüglich bedeutet im Falle des § 31b Abs. 2 und 3 AO – nach herkömmlicher Rechtsterminologie – „ohne schuldhaftes Zögern“.1

1.887

Beispiele2 für Pflichtverletzungen, die zu einer Ordnungswidrigkeit nach § 56 GwG führen können: – Verletzung von Sorgfaltspflichten bei der Entgegennahme und Abgabe von Barzahlungen über mindestens 10.000 € bei Güterhändlern – keine Identifizierung des Vertragspartners – erhobene Angaben nicht, nicht richtig oder unvollständig aufgezeichnet – keine Aufbewahrung der Aufzeichnungen – keine Anzeigenerstattung durchgeführt – wirtschaftlich Berechtigten nicht abgeklärt oder erhoben – Auftraggeber von Verdachtsmeldung in Kenntnis gesetzt Beispiele für gebotene aufsichtsrechtliche Maßnahmen3: – Gewerbeuntersagung nach § 51 Abs. 5 GwG – Anordnung zur Schaffung interner Sicherungsmaßnahmen und/oder die Bestellung eines Geldwäschebeauftragten etwa bei Güterhändlern nach §§ 6 und 7 GwG – Anordnung und Durchführung von Prüfungen zur Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen.

An Stelle eines strafrechtlichen Anfangsverdachts (§ 152 Abs. 2 StPO) wird gesetzgeberisch in § 31b Abs. 2 und Abs. 3 AO verlangt, dass „Tatsachen vorliegen, die darauf hindeuten, dass ...“ bzw. „Tatsachen mitzuteilen, die darauf schließen lassen, dass...“. Wie im Bereich von § 31a AO braucht der Amtsträger demnach nicht das Vorliegen eines konkreten strafrechtlichen Anfangsverdachts zu prüfen.4 Das Vorhandensein objektiv erkennbarer strafverfolgungsnotwendiger Anhaltspunkte, die auf eine Geldwäschestraftat mit kriminellen Hintergrund schließen lassen, sind grundsätzlich ausreichend.5 Um ein unbefugtes Offenbaren der von § 30 AO geschützten Daten zu verhindern, haben die Finanzbehörden in allen Ländern sichergestellt, dass die sog. „Verdachtsanzeigen“ erst nach Prüfung durch spezialisierte und geschulte Amtsträger weitergeleitet werden.6 Dieser Verfahrensablauf wird behördenintern organisiert und koordiniert. Um die Ermittlungserfolge nicht zu gefährden, sind Details zum Informationsfluss und Organisation der Öffentlichkeit nicht zugänglich. c) Verbot der Information an die Betroffenen (§ 31b Abs. 4 AO, § 47 Abs. 3 GwG) Gesetzgeberisch wurde zugunsten der vertraulichen Weitergabe der Informationen an die FIU zum Zwecke der Strafverfolgung in den Bereichen der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ein Verbot der Information an die Betroffenen in § 31b Abs. 4 i.V.m. § 47 Abs. 3 GwG festgeschrieben. Eine Weitergabe der Information an die Betroffenen unterliegt einem Zustimmungsvorbehalt der FIU (§ 47 Abs. 3 Satz 2 GwG)7 und ist damit auch im Recht und Verfahren der Betriebsprüfung zu beachten. 1 2 3 4

Alber in HHSp, § 31b AO Rz. 39. Alber in HHSp, § 31b AO Rz. 28 ff. Alber in HHSp, § 31b AO Rz. 30 f. Kordt in Schwarz/Pahlke, § 31b AO Rz. 55; Rüsken in Klein15, § 31a AO Rz. 9; Madauß, NZWiSt 2016, 437 (441 m.w.N.). 5 AEAO zu § 31b AO, Nr. 2.2. 6 Alber in HHSp, § 31b AO Rz. 40.3; Tormöhlen in Gosch, § 31b AO Rz. 41. 7 Kordt in Schwarz/Pahlke, § 31b AO Rz. 61; zum Umfang: AEAO zu § 31b AO Nr. 4.1.

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1.888

Kap. 1 Rz. 1.889 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.889

Davon unabhängig, dürfen Mitteilungen und Aufzeichnungen i.S.d. § 32 Abs. 6 GwG für Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren verwendet werden, wenn weitestgehend sichergestellt werden kann, dass der Zweck eines eingeleiteten Ermittlungsverfahrens der Strafverfolgungsbehörden wegen außersteuerlicher Straftaten nicht gefährdet wird.1

1.890

Durch den Verweis auf § 47 Abs. 3 GwG wird vom Gesetzgeber auch noch einmal bestärkt, dass Informationen an die Betroffenen nach § 32a Abs. 1 Nr. 4 AO zu unterbleiben haben.2

3. Mitteilungspflicht bei Schmier- und Bestechungsgeldern (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG) a) Betriebsausgabenabzugsverbot für Vorteilszuwendungen und Mitteilungspflicht

1.891

Eine verfahrensrechtliche Mitteilungspflicht zur Bekämpfung strafrechtlich relevanter Korruptionstaten beinhaltet § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG gegenüber der Staatsanwaltschaften oder Verwaltungsbehörden. Diese Mitteilungspflicht umfasst Tatsachen, die den Verdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit i.S.v. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 1 EStG begründen. Der Anwendungsbereich erstreckt sich über § 8 Abs. 1 KStG auf juristische Personen und über § 9 Abs. 5 EStG auch auf den Werbungskostenabzug. Beispiele für Tatbestände des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts3:

1.892

§ 108b StGB (Wählerbestechung), § 108e StGB (Bestechung von Mandatsträgern), § 265c StGB (Sportwettbetrug), § 265d StGB (Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben), § 299 Abs. 2 StGB (Bestechung im geschäftlichen Verkehr), § 299b StGB (Bestechung im Gesundheitswesen), § 333 StGB (Vorteilsgewährung), § 334 StGB (Bestechung), § 335a StGB (Vorteilsgewährung und Bestechung ausländischer und internationaler Bediensteter),§ 2 des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung (Bestechung ausländischer Abgeordneter im Zusammenhang mit internationalem geschäftlichen Verkehr), § 119 Abs. 1 des Betriebsverfassungsgesetzes (Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder), § 21 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Vorteilsgewährung für wettbewerbsbeschränkendes Verhalten), § 405 Abs. 3 Nr. 7 AktG (Vorteilsgewährung in Bezug auf das Stimmverhalten in der Hauptversammlung), § 152 Abs. 1 Nr. 2 GenG (Vorteilsgewährung in Bezug auf das Abstimmungsverhalten in der Generalversammlung), § 23 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (Vorteilsgewährung in Bezug auf die Abstimmung in der Gläubigerversammlung).

1.893

Neben diesem Regelungskomplex für Zwecke des Informationsaustausches beinhaltet die Norm ein davon unabhängiges Betriebsausgabenabzugsverbot4 für sog. Schmier- und Bestechungsgelder. Zuwendungen und damit im Zusammenhang stehende Aufwendungen i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 1 EStG dürfen nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden, wenn mit der Zuwendung von Vorteilen objektiv gegen das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht verstoßen wird. Auf ein Verschulden des Zuwendenden, auf die Stellung des Strafantrags oder auf eine tatsächliche Ahnung kommt es nicht an.5 Unerheblich ist auch, ob der Empfänger bereichert ist.6 Durch die Anknüpfung an das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht wer1 AEAO zu § 31b AO Nr. 4.3. 2 In diesem Sinne auch: Kordt in Schwarz/Pahlke, § 31b AO Rz. 67. 3 Vgl. R 4.14 EStR/H 4.1 EStH; zu den Einzelheiten: BMF v. 10.10.2002 – IV A 6 - S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031, sub. II.4; zur Frage, ob die Aufzählung als abschließend anzusehen ist: Pelz, DStR 2014, 449, 452 m.w.N. 4 BMF v. 10.10.2002 – IV A 6 - S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031, Tz. 5 f., R/H 4.14 EStR/EStH; Madauß, NZWiSt 2016, 437; Frotscher/Watrin in Frotscher/Geurts, § 4 EStG Rz. 868. 5 BMF v. 10.10.2002 – IV A 6 - S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031, Tz. 5 f. 6 BMF v. 10.10.2002 – IV A 6 - S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031, Tz. 7.

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K. Mitteilungspflichten der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden | Rz. 1.897 Kap. 1

den zudem Leistungen an ausländische Amtsträger und Abgeordnete vom Abzugsverbot erfasst, wenn die Tat ebenfalls in Deutschland strafbar wäre.1 b) Auslösung der Mitteilungspflicht durch einen strafrechtlichen (Anfangs-)Verdacht Das Betriebsausgabenabzugsverbot und die Mitteilungspflicht sind getrennt voneinander zu betrachten.2 Keine Zuwendung eines Vorteils i.S.d. Betriebsausgabenabzugsverbots -wohl aber im strafrechtlichen Kontext der Mitteilungspflicht- liegt vor, wenn der Steuerpflichtige keinen unmittelbaren Aufwand aus der Vorteilsgewährung hatte, wie beispielsweise aus der verbilligten Überlassung von Waren, Rabatten, Gewährung von zinsverbilligten Darlehen, Überlassung von Geschäftschancen und anderen Vorteilen vergleichbarer Art.3 Der Vorteilsbegriff, der dem Betriebsausgabenabzug zugrunde liegt, ist deutlich enger gefasst als der Vorteilsbegriff, der die Mitteilungspflicht auslöst.4

1.894

In der Praxis wird die Feststellung von Sachverhalten, die unter die Mitteilungspflicht fallen, durch die Betriebsprüfung schwierig aufzudecken sein, weil rechtswidrige Vorteilszuwendungen nicht ohne weiteres offen ausgewiesen und die Handlung ggf. durch eine Vielzahl von Buchungen „verschleiert“ werden soll. Die Zuwendungen können nicht nur in Geld, sondern auch in Geldeswert (Sachwerte) bestehen.

1.895

Die Mitteilungspflicht wird erst ausgelöst, wenn ein strafrechtlich relevanter Anfangsverdacht besteht5, der das Vorliegen „zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte (§ 152 Abs. 2 StPO)“6 verlangt. Für eine ausreichende Begründung, muss der Betriebsprüfer Indizien7 sammeln und ggf. getätigte Aussagen des Steuerpflichtigen in Gesprächsvermerken aufnehmen. Bloße Vermutungen aufgrund von allgemeinen Erfahrungswerten, die die Wahrscheinlichkeit von Vorteilszuwendungen nahelegen, genügen noch nicht um die Schwelle des „Anfangsverdachts“ zu überschreiten.8 In Zweifelsfällen ist daher die Kontaktaufnahme zur „BuStra“ angezeigt.

1.896

Ergeben sich während der Betriebsprüfung erste Anhaltspunkte, die an dem Betriebsausgabencharakter einer Vorteilszuwendung zweifeln lassen, ist bei den Prüfungsanfragen, die den Steuerpflichtigen zur Mitwirkung an der Sachverhaltserklärung auffordern, zu beachten, dass der Betriebsprüfer den Steuerpflichtigen über:

1.897

1. die mögliche Mitteilungspflicht nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG 1 BMF v. 10.10.2002 – IV A 6 - S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031, Tz. 12; Frotscher/Watrin in Frotscher/Geurts, § 4 EStG Rz. 863. 2 Frotscher/Watrin in Frotscher/Geurts, § 4 EStG Rz. 868. 3 BMF v. 10.10.2002 – IV A 6 - S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031, Tz. 7. Madauß, NZWiSt 2016, 437, 437 f. 4 Pelz, DStR 2014, 449. 5 Madauß, NZWiSt 2016, 437 (439) unter Verweis auf das BGH-Urt. v. 21.6.2007 – 4 StR 99/07 (LG Saarbrücken): „Vorteil im Sinne der Korruptionstatbestände sind alle Leistungen, die den Empfänger materiell oder immateriell in seiner wirtschaftlichen, rechtlichen oder persönlichen Lage objektiv besser stellen und auf die er keinen rechtlich begründeten Anspruch hat.“; ders. der darauf hinweist, dass Tz. 32 des BMF-Schreibens v. 10.10.2002 – IV A 6 - S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031 durch den BFH-Beschl. v. 14.7.2008 – VII B 92/08, BStBl. II 2008, 850 überholt ist. 6 BFH v. 14.7.2008 – VII B 92/08, BStBl. II 2008, 850, sub. II.1; dazu Madauß, NZWiSt 2016, 437 (440 m.w.N.); Pelz, DStR 2014, 449 (453 ff.). 7 Madauß, NZWiSt 2016, 437 (440): „Indizien können sich aus Auffälligkeiten z.B. Auftragsgewinnung und Auftragsabwicklung, Preisfindung, Rechnungsstellung, Bezahlung ergeben.“ 8 Frotscher/Watrin in Frotscher/Geurts, § 4 EStG Rz. 871.

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Kap. 1 Rz. 1.897 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

2. die Möglichkeit der straf- und bußgeldrechtlichen Selbstbelastung 3. das Zwangsmittelverbot

1.898

zu belehren hat (Belehrungspflicht bei Verdacht der Vorteilszuwendung).1

1.899

Sollte der Gläubiger oder der Empfänger der Zahlung selbst noch nicht bekannt sein, kann zunächst ein im Ermessen (§ 5 AO) des Betriebsprüfers stehendes Bennungsverlangen i.S.d. § 160 AO erforderlich sein, um den Verdacht einer straf- oder bußgeldbewehrten Vorteilszuwendung prüfen zu können.2

1.900

Sollte dieses Bennungsverlangen nicht beantwortet werden, besteht ggf. die Verpflichtung zur Mitteilung i.S.d. § 31b Abs. 2 oder 3 AO (Rz. 1.881).

1.901

Werden entgegen § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 1 EStG vorsätzlich oder leicht fahrlässig rechtswidrige Vorteilszuwendungen steuermindernd als Betriebsausgaben abgezogen, so steht meist gleichzeitig der Vorwurf einer Steuerstraftat bzw. einer Steuerordnungswidrigkeit im Raum. Damit ist der Anwendungsbereich von § 10 BpO 2000 eröffnet (Rz. 1.542, 1.903). Vor diesem Hintergrund kommt der Belehrungspflicht eine zentrale Bedeutung zu, da ein Verstoß regelmäßig ein sog. strafrechtliches Verwertungsverbot zur Folge haben kann.3

1.902

Eine Selbstanzeige nach §§ 371, 378 Abs. 3 AO, unter Berichtigung der unrichtigen Angaben in den abgegebenen Steuererklärungen (Behandlung der Aufwendungen als nichtabziehbare Betriebsausgaben), ist wegen des Ausschlusstatbestands § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c AO nicht möglich. Unabhängig vom Ergebnis der Überprüfung der Geschäftsvorfälle sollte das Ergebnis in den BP-Arbeitsakten zum „Eigenschutz“ des Prüfers im Hinblick auf § 258a StGB (Strafverteitelung im Amt) dokumentiert werden. In diesem Zusammenhang wäre dann auch zu erläutern, warum im konkreten Sachverhalt gegebenfalls keine Mitteilung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 3 EStG vorgenommen wurde.

IV. Ressorteigene Mitteilungspflichten bei Verdacht einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit (§ 10 BpO 2000) 1.903

Für die Mitteilungspflichten und Besonderheiten, die sich bei einem Verdacht des Prüfers auf das Vorliegen einer Steuerstraftat ergeben, wird auf Rz. 1.540–1.545 und Rz. 4.1–4.69 verwiesen.

L. Verhandlungsmanagement I. Vorbemerkungen 1.904

Betriebsprüfungsdiskussionen als Kommunikationsprozess. Auch Verhandlungen in Betriebsprüfungen sind – abstrakt betrachtet – in erster Linie ein fortlaufender Kommunikationsprozess, in dessen Zentrum die bestmögliche Verwirklichung der jeweils eigenen Interessen und Positionen der Beteiligten steht. 1 BMF v. 10.10.2002 – IV A 6 - S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031 Tz. 30. 2 BMF v. 10.10.2002 – IV A 6 - S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031 Tz. 36; Pelz, DStR 2014, 449 (450, 453). 3 BMF v. 10.10.2002 – IV A 6 - S 2145 – 35/02, BStBl. I 2002, 1031 Tz. 30.

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L. Verhandlungsmanagement | Rz. 1.908 Kap. 1

Grundlegende Fähigkeiten als geschickter Verhandler werden sowohl für den Steuerpflichtigen als auch für den Berater in der Praxis zunehmend wichtiger. Denn viele Besteuerungskonflikten in steuerlichen Betriebsprüfungen lassen sich aufgrund ihrer Komplexität nicht „schulbuchmäßig“ lösen. Wenn eine Lösung gefunden wird, so entstammt diese i.d.R. einem mehr oder minder komplexen Verhandlungsprozess; hierbei sind Finanzverwaltung und Steuerpflichtiger – gerade, wenn es darum geht, mitunter langwierige Streitauflösungsmechanismen wie Finanzgerichtsprozesse, Verständigungs- und Schiedsverfahren zu vermeiden – trotz dieser Unterschiedlichkeit der Interessen aufeinander angewiesen.

1.905

Ausgangsposition. Dabei ist die Ausgangsposition für eine konstruktive Verhandlung in steuerlichen Betriebsprüfungen nicht immer einfach: Grundsätzlich hängen Konflikt und Kooperation eng mit der Entscheidungsmacht der Beteiligten zusammen. Hierbei ist die Verhandlungsmacht scheinbar zunächst zugunsten der Finanzverwaltung verteilt, denn im Rahmen der eigentlichen Prüfung des Sachverhalts ist der Betriebsprüfer in seiner Würdigung zunächst (nahezu) frei. Er unterliegt während der Betriebsprüfung keiner strengen Rechtfertigung seiner Prüfungsbehauptungen; es findet i.d.R. auch keine verwaltungsinterne „Qualitätskontrolle“ seiner Prüfersichtweise statt. Natürlich versteht es sich von selbst, dass sich die Betriebsprüfung im Rahmen ihrer Amtsermittlung ein eigenständiges Bild der Sachlage machen darf und muss; dazu gehört selbstredend auch das Anfertigen eines eigenen Meinungsbilds. Gleichwohl erweist sich der Umstand eines – teilweise sehr großen – Beurteilungsspielraums in der Würdigung prüfungsrelevanter Sachverhalte für eine faire und ausgewogene Verhandlungssituation mitunter als sehr problematisch. Denn der Steuerpflichtige gewinnt in einer Prüfungssituation – in der es mitunter um hohe Anpassungsbeträge gehen kann – nahezu zwangsläufig den Eindruck, dass die Finanzverwaltung gewissermaßen „am längeren Hebel“ sitzt und den Steuerpflichtigen durch Behauptungen, die ihrerseits in fachlicher Hinsicht zunächst nicht verifiziert werden müssen, in eine Verhandlungsecke „zu drängen“ versucht. In diesem Zusammenhang entsteht – abhängig vom jeweiligen Prüferverhalten – oft auf Seiten der Steuerpflichten die Empfindung, dass unabhängig vom dokumentierten und im Prüfungsverlauf weiter vorgetragenen Sachverhalt die Prüferauffassung ehedem „zementiert“ sei und durch den Steuerpflichtigen und dessen Berater – frei nach Don Quijote – ein „Kampf gegen Windmühlen“ stattfinde; es existiert ein – wenn auch nur empfundenes – Verhandlungsungleichgewicht.

1.906

Keine Entscheidung durch einen Dritten. Der Konstruktivität einer Verhandlung im Rahmen der steuerlichen Betriebsprüfung tut diese systemische Dysbalance der Verhandlungssituation nicht gut. Denn letztlich entscheiden in der Verhandlungssituation zu einer einvernehmlichen Beendigung einer steuerlichen Betriebsprüfung keine Dritten („Richter“), sondern i.d.R. die Betriebsprüfer und die Bfa. selbst. Zielsetzung einer jeden Verhandlung sollte daher sein, dass ein gemeinsames Finden einer Lösung erfolgt, die von beiden Parteien getragen wird. Verhandlungen in steuerlichen Betriebsprüfungen sind keine Nullsummen-Spiele; ein – sowohl von Betriebsprüfern als auch von geprüften Steuerpflichtigen praktizierter – „win/lose“-Verhandlungsansatz funktioniert in den seltensten Fällen; dies zeigen vielfältige Prüfungserfahrungen.

1.907

Bedeutung der Kompromissfähigkeit. Die Fähigkeit Absprachen zu treffen, von denen sowohl die Finanzverwaltung als auch der Steuerpflichtige profitieren, sind alles andere als einfach und gehören zur „hohen Kunst“ des Verhandelns. Verhandlungen in der Betriebsprüfung gleichen daher keinem „Pokerspiel“, denn beim „Poker“ geht es letztlich zu wie bei einem Nullsummenspiel: Was ein Spieler gewinnt, nimmt er einem anderen weg. Diese Sichtweise verkürzt die Diskussion um das Finden von Lösungen in steuerlichen Betriebsprüfungen einseitig. Denn eine gute Lösung kann neben dem finanziellen Ergebnis für den Prüfungszeitraum i.d.R. auch die Fragestellung nach einer Behandlung der Streitfrage in der Zukunft be-

1.908

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Kap. 1 Rz. 1.908 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

inhalten („Dauersachverhalte“). Es geht darum, eine systematisch „richtige“ Lösung für eine steuerrechtliche Fragestellung zu finden, anstelle eines reinen (und womöglich „faulen“) Zahlenkompromisses.

II. Die Phasen des Verhandlungsprozesses aus verhandlungstaktischer Perspektive 1. Überblick 1.909

Verhandlungsphasen. Die nachstehende Übersicht zeigt die einzelnen Phasen des Verhandlungsprozesses in der steuerlichen Betriebsprüfung. Die einzelnen Phasen werden im Folgenden näher betrachtet und erläutert; sie sind in vielfältigen Verhandlungsprozessen relativ ähnlich und mithin auch auf andere Verhandlungssituationen übertragbar.1 Die profunde Vorbereitung der einzelnen Verhandlungsphasen und das konzentrierte Angehen der einzelnen Aufgaben in den jeweiligen Verhandlungsphasen sind für einen Verhandlungserfolg von erheblicher Bedeutung.

2. Vorbereitungsphase 1.910

Analyse der eigenen Position. Jede erfolgreiche Verhandlung in der steuerlichen Betriebsprüfung bedarf – wie bereits oben angeführt – einer guten Vorbereitung. Hierbei steht zunächst im Vordergrund die eigene Position zu analysieren und sich die Frage zu beantworten, was aus eigener Sicht überhaupt Gegenstand der Verhandlung mit der Betriebsprüfung sein soll.

1.911

Bestimmung des Verhandlungsziels. Ferner ist neben der profunden steuerrechtlichen Aufbereitung der Diskussionsthematik das konkrete Verhandlungsziel für sich zu benennen. Zum Beispiel ist im Bereich der Verrechnungspreise der Angemessenheitsnachweis oft „Kern“ der Verhandlung; insofern ist eine ökonomische Analyse verschiedener Verteidigungs- wie ggf. auch Einigungsszenarien von ebensolcher Bedeutung. In der Praxis erweist es sich als sehr vorteilhaft, bereits vor Eintritt der Bfa. in die Prüfungsgespräche gemeinsam mit dem Berater unterschiedliche Verhandlungsverläufe und die taktische Positionierung von Argumenten im Verhandlungsverlauf sowie mögliche Einigungsvorschläge zu durchdenken und ggf. in Form eines gesprächsbegleitenden (internen) Leitfadens festzuhalten. Es geht auch darum, die Reihenfolge der Verhandlungsgegenstände strategisch sinnvoll zu ordnen, Teilziele des Verhandlungsprozesses für sich zu definieren, die Verhandlungsstrategie zu wählen (z.B. konfrontativ-sachlich) und die Reaktion der Betriebsprüfer hierauf abzuschätzen. All dies erfordert selbstredend eine profunde Vorbereitung. Erfahrene Verhandler beginnen zudem die Vorbereitung der Verhandlung mitunter mit dem gedanklichen Ende einer Verhandlungssituation, d.h. dem aus ihrer Sicht gewünschten Verhandlungsergebnis. Es geht bei der Verhandlungsvorbereitung mithin letztlich um das sog. „Deal Design“, d.h. der profunden Planung der Architektur des gesamten Verhandlungsprozesses ein.

1.912

Handlungsalternativen. In diesem Zusammenhang gilt es auch bereits die Aufmerksamkeit auf die zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen zu richten, sofern die Verhandlung fehlschlägt; diesbezüglich geht es um die Abschätzung der Erfolgsaussichten eines künftigen Einspruchs- und FG-Verfahrens, aber auch um Verständigungsverfahren bzw. Schiedsverfahren bspw. nach der EU-SchÜ oder dem Gesetz zur Umsetzung der sog. Streitbeilegungsrichtlinie (EU) 2017/1852 in der EU.2 1 Siehe Erbacher, Grundzüge der Verhandlungsführung3, S. 31 ff. 2 Sog. BATNA, den Best Alternative to a Negotiated Agreement.

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L. Verhandlungsmanagement | Rz. 1.917 Kap. 1

Blick auf das Verhandlungsgegenüber. Der gewissenhafte Berater wird sich zudem auch immer Gedanken im Hinblick auf die Positionierung der Betriebsprüfer und ihrer fallbezogenen Interessen machen (liegt ein Grundsatzfall aus Sicht der Finanzverwaltung vor? Geht es eher um ein „persönliches“ Interesse im Hinblick auf die weitere Prüferkarriere? etc.). Hierbei ist es ratsam sich mit dem Verhandlungsgegenüber – soweit dies möglich ist – vertraut zu machen, d.h. dessen Arbeitsweise und Kompetenz sowie etwaige weitere dahinterstehende Interessen zu identifizieren (z.B. infolge verwaltungsintern beteiligte Oberfinanzdirektionen, Landesämter für Steuern etc.).

1.913

Verhandlungsteam. Wichtig ist zudem, die Verhandlung im jeweiligen Verhandlungsteam gemeinsam vorzubereiten. Es ist die Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Teams sicherzustellen; dies umfasst die Aufgaben- und Rollenverteilung im Team (d.h. verschiedene Teammitglieder führen die Verhandlungen bei bestimmten Verhandlungsgegenständen). Am erfolgreichsten sind auf Basis vielfältiger Erfahrungen jene Verhandlungsteams, die personell eine Symmetrie mit dem Team der Betriebsprüfung herstellen.

1.914

3. Kontaktphase Festlegung der Agenda. In der sog. Kontaktphase des Verhandlungsprozesses erfolgt gemeinsam mit den Betriebsprüfern (ggf. unter Einbeziehung eines Sachgebietsleiters) die Festlegung des Verhandlungsgebiets und die Bestimmung der Reihenfolge der Verhandlungsgegenstände bzw. Bestätigung der Agenda. Dies bezieht sich sowohl auf Zwischenbesprechungen im Rahmen der Betriebsprüfung, schließlich aber auch auf die Schlussbesprechung nach § 201 AO. Der Berater sollte hier die Aufgabe der Moderation übernehmen und eine positive Beziehung zu Gesprächsbeginn herstellen, die auf die Erzeugung gegenseitigen Vertrauens gerichtet ist. Diesbezüglich darf nicht vergessen werden, dass in jeder Verhandlung (als Stresssituation) zunächst ein persönlicher Eindruck der Verhandlungspartner voneinander gewonnen werden muss und dass dieser Eindruck auch den weiteren Gesprächsverlauf mitbestimmen wird.

1.915

4. Kernphase der Verhandlung Die eigentliche Verhandlung. In der sog. Verhandlungskernphase wird durch die Diskussion über Inhalte und Details des Prüfungsfalls und einer – sofern möglich – angestrebten Einigung mit der Finanzverwaltung gesprochen. In dieser Phase erfolgt die Darlegung der Argumente der Bfa., die gegen die beabsichtigten Prüfungsfeststellungen sprechen. In diesem Verhandlungsstadium erfolgt zugleich die Anwendung der ausgewählten Verhandlungstaktik. Alle Beteiligten müssen hier mit z.T. heftigen Auseinandersetzungen rechnen, da die wesentlichen inhaltlichen Fragestellungen in dieser Phase Gegenstand ggf. sehr unterschiedlicher Antworten sein können. Hier ist es für den weiteren Fortgang der Verhandlungen sehr wichtig den Respekt zu wahren, denn – so die einschlägigen Erfahrungen – Verhandlungen scheitern oft, sobald das Selbstwertgefühl eines Beteiligten angegriffen wird.

1.916

Abstecken der Positionen. Diese Verhandlungsphase ist insoweit von kritischer Bedeutung, da in ihr gewissermaßen der „Ankerpreis“ für das spätere Verhandlungsergebnis gesetzt wird. Häufig startet diese Preisfindung durch ein „Anfangsangebot“ in Gestalt von Prüfungsanmerkungen bzw. Zwischenfeststellungen der Finanzverwaltung und einer entsprechenden Reaktion des Steuerpflichtigen und seines Beraters; es werden von beiden Seiten verschiedene „Versuchsballons“ gestartet, Desinteresse an einer Einigung wird vorgegeben und es wird mit vermeintlichen Drohszenarien gearbeitet. Diese Phase- insbesondere das sog. Ankern – ist für den Verhandlungserfolg sehr kritisch und verdient die vollumfängliche Aufmerksamkeit, insbesondere des Beraters. Will er einen Verhandlungserfolg für seinen Mandanten ermöglichen,

1.917

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Kap. 1 Rz. 1.917 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

so darf die inhaltlich-sachliche Ebene der Verhandlung nicht verlassen werden. Ggf. müssen Verhandlungspausen eingelegt werden; bislang im Verhandlungswege Erreichtes sollte als Zwischenkonsens festgehalten (und schriftlich protokolliert) werden.

5. Vereinbarungsphase 1.918

Fixierung des Verhandlungsergebnisses. Gelingt es eine Brücke zwischen den Positionen der Betriebsprüfung und des Steuerpflichtigen zu schlagen, so ist das Verhandlungsergebnis schriftlich zu vereinbaren, bspw. im Rahmen eines gemeinsamen „Memorandum of Understanding“, das dem späteren Betriebsprüfungsbericht nach § 202 AO inhaltlich zugrunde gelegt werden kann.

6. Umsetzungsphase 1.919

Auswertung des Prüfungsberichts und Bescheidänderung. In der Abschluss- bzw. Umsetzungsphase erfolgt die Ausfertigung und die sich daran anschließende Auswertung des Prüfungsberichts durch das Veranlagungsfinanzamt, auf Basis dessen die Steuerbescheide geändert werden. Die infolge der steuerlichen Betriebsprüfung geänderten Bescheide unterliegen im Weiteren einer Änderungssperre, die nur unter den Voraussetzungen des § 173 Abs. 2 AO (steuerstrafrechtliche Gesichtspunkte) durchbrochen werden kann.

1.920

Beibehaltung des Kontakts zum Prüferteam. Nach Abschluss dieser Phase ist es insbesondere aus Beratersicht sehr ratsam, den Kontakt zum Prüferteam zu halten (sofern dies der Bfa. weiterhin zugeordnet bleibt). Dies eröffnet die Möglichkeit, bei besonderen Sachverhalten (z.B. grenzüberschreitende Restrukturierungen der Bfa.) fortlaufend Rücksprache mit der Betriebsprüfung zu halten und im Vorfeld der kommenden Prüfung bereits zu erläutern, um damit den kommenden Prüfungsablauf zu vereinfachen und die Prüfungsdauer zu verkürzen.

III. Verhandlungsstile in der steuerlichen Betriebsprüfung 1. Betrachten der Verhandlungsstile der Beteiligten a) Vorbemerkung

1.921

Ausgangssituation. Prüfungssachverhalte sind in vielen Fällen durch einen zuweilen immensen Beurteilungsspielraum gekennzeichnet; dies ist bspw. in Verrechnungspreisangelegenheiten häufig der Fall. Der Grund ist, dass im Verrechnungspreisbereich viele Termini und die dahinter stehenden Tatbestände als sog. Typusbegriffe fungieren (z.B. der Limited Risk Distributor), die durch ein elastisches Merkmalsgefüge geprägt sind.1 Hier findet keine tatbestandliche Subsumtion im eigentlichen Sinne statt, sondern vielmehr eine gedankliche Zuordnung eines Sachverhalts zu einem als typisch erkannten Muster; dies macht bspw. Verrechnungspreissachverhalte in Betriebsprüfungen interpretationsoffen und damit auch „verhandlungsintensiv“. Darüber hinaus geht es oftmals um Preisbandbreiten, die für Diskussionsspielraum sorgen können. Insofern ist die Betrachtung des jeweiligen Verhandlungsstils der Beteiligten sehr praxisrelevant. Aber auch in anderen Prüffeldern des Unternehmenssteuerrechts treten ähnliche Beurteilungs- bzw. Interpretationsspielräume auf, die zu gleichgelagerten Konflikten führen können.

1 Vgl. Mössner in FS Kruse, Typusbegriffe im Steuerrecht, 2001, 161 f.

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L. Verhandlungsmanagement | Rz. 1.926 Kap. 1

b) Der harte Stil Charakteristika. Betritt ein sog. harter Verhandler – dies kann sowohl für den Betriebsprüfer als auch für den Steuerpflichtigen und seinen Berater gelten – die Prüfungsverhandlung, so geht es ihm i.d.R. um ein unbedingtes Durchsetzen der eigenen Position. Jedes Zugeständnis wird als „Verlust“ gewertet, Kooperation und das Wechseln von Perspektiven wird als Zeichen der Schwäche gesehen. Der sog. harte Verhandler arbeitet häufig mit dem Einsatz von Drohungen, Manipulationstaktiken werden von ihm gerne genutzt; er arbeitet insgesamt wenig kreativ in der Verhandlung. Verhandlungsempathie ist ihm nicht bekannt, vielmehr erwartet der harte Verhandler dasselbe „Konkurrenz-Denken“ von der Gegenseite. Der harte Verhandler fordert einseitige Zugeständnisse des Gegenübers, die mitunter zur Voraussetzung für ein Weiterführen der Gespräche gemacht werden. Sein Verhandlungsziel ist der Sieg über die andere Partei.1

1.922

Folgen dieses Verhandlungsstils. Verhandeln sowohl die Betriebsprüfer als auch die Bfa. und/oder der Berater im harten Stil, so wird die Verhandlung zu einem Willenskampf der Parteien; das Gegenüber ist sprichwörtlich der Feind. Eine inhaltliche Übereinkunft steht nicht mehr im Vordergrund, sondern nur die Frage, wer sich durchsetzt. Letztlich mutiert die Verhandlung in einen persönlichen Machtkampf der Verhandler.2

1.923

Konsequenz dessen ist, dass beide Seiten erschöpft sind und ggf. ein ergebnisloser Abbruch der Verhandlungen droht. Sofern sich eine Seite doch durchsetzt, so interpretiert dies die unterlegene Seite das Verhandlungsergebnis als persönliche Niederlage. In der Regel erfolgt dann eine nur mangelhafte Umsetzung des Verhandlungsergebnisses in Gestalt der tatsächlichen Verständigung.

1.924

c) Der weiche Stil Konfliktvermeidung als oberste Priorität. Der „weiche“ Verhandlungstyp hingegen will Konflikte vermeiden; er weiß um die Komplexität von Prüfungssachverhalten und ist sich des Beurteilungsspielraums bei deren Würdigung bewusst. Für den weichen Verhandler ist das Aufrechterhalten einer entspannten, quasi freundschaftlichen Beziehung zum Gegenüber (sei dies der Betriebsprüfer oder – umgekehrt – der Steuerpflichtige) sehr wichtig. Er verhandelt nach dem Motto: „Der Verhandlungspartner ist mein Freund“.3 In diesem Zusammenhang ist er sehr offen für das proaktive Unterbreiten von Angeboten und Vorschlägen zur Lösung des Problems. Er gibt nach, sobald von der anderen Seite Druck aufgebaut wird, da er von einem unbedingten Kooperationswunsch getragen wird. Ziel der Verhandlung ist die Übereinkunft um jeden Preis.

1.925

Folgen. Trifft ein harter Verhandler auf ein weiches Gegenüber, so unterliegt der weiche i.d.R. dem harten Verhandler. Jene Verhandlungen in Betriebsprüfungen sind vom Geiste geprägt „der eine sucht den Konflikt und der andere biete ihm dafür ein gefundenes Fressen“.4 Das Ergebnis einer derartigen Verhandlung ist ein quasi einseitiger Vertrag zugunsten des harten Verhandlers. Der unterlegene (weiche) Verhandler fühlt sich jedoch unfair behandelt, da sein Vertrauen und seine Kompromissbereitschaft aus seiner Sicht missbraucht worden sind. In der Regel führte eine derartige Verhandlungskonstellation dazu, dass die persönliche Beziehung regelmäßig zerstört ist; der weiche Verhandler sucht in Folgeverhandlungen nach Möglichkeiten, es dem harten Verhandler zurückzuzahlen.

1.926

1 Erbacher, Grundzüge der Verhandlungsführung3, 57. 2 Siehe Helmold/Dathe/Hummel, Erfolgreiche Verhandlungen, 2018, 45 f.; Voeth/Herbst, Verhandlungsmanagement2, 204 f. 3 Erbacher, Grundzüge der Verhandlungsführung3, 58. 4 Erbacher, Grundzüge der Verhandlungsführung3, 58, 59.

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Kap. 1 Rz. 1.927 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

d) Interessenbasierter Stil

1.927

Alternativer Ansatz. Weder der harte noch der weiche Verhandlungsstil erweisen sich in der Praxis als tatsächlich effizient; sie führen i.d.R. nicht zu langfristig erfolgreichen Verhandlungsergebnissen.

1.928

Dieses Dilemma der Verhandlungsstile ist durch ein Professorenteam der Harvard Law School, Roger Fisher, Bruce Patton und William Ury, analysiert worden; sie haben – sozusagen als Gegenentwurf zu dem klassischen harten und weichen Verhandlungstypus – ein spezielles Verhandlungskonzept – das sog. Harvard-Konzept – geschaffen.1

1.929

Verbindung von Inhalt und Verhandlungsstil. Die Lösung des Verhandlungsproblems liegt auf Basis vieler Erfahrungen in Betriebsprüfungsverhandlungen nicht in der Entscheidung zwischen einem harten und weichen Stil, sondern in ihrer Vereinigung. Kern dieses Verhandlungsansatzes ist die Kurzformel: „Hart“ in der Sache, jedoch „weich“ zu den Menschen. Das Harvard-Verhandlungskonzept bietet genau dieses ausgleichende Momentum: Es besteht aus dem Gedanken eines Ausgleichs von (i) Konflikt und (ii) Kooperation, indem im Verhandlungsprozess die Inhalts- von der Beziehungsebene getrennt wird.2 Verhandeln nach der Harvard-Methode bedeutet daher durch eine Förderung der Kooperation in der persönlichen Beziehung zum Verhandlungsgegenüber sowie im streitigen Inhalt (d.h. der zu klärenden Sachund/oder Rechtsfrage) quasi eine Weiterentwicklung des Streits zu einem sog. „vernünftigen Konflikt“. Es geht mithin um die Realisierung von Kooperationsgewinnen.

1.930

Typisches Verhandlungsverhalten. Ein typisches Vorgehen des Harvard-Verhandlers besteht auf der Meta-Ebene aus folgenden Verhandlungsmaximen: – Der geschickte Harvard-Verhandler betrachtet die Ideen des Verhandlungsgegenübers großzügig und integriert sie in seine eigenen Vorschläge. – Er stellt viele Fragen und bittet um die Ansicht seines Gegenübers. – Er lässt sein Gegenüber sich mit den Verhandlungsfortschritten identifizieren. – Er verhandelt nicht positionsgetrieben, sondern interessengetrieben; das gemeinsame Interesse besteht in der einvernehmlichen Lösung des Besteuerungsfalls im Rahmen der steuerlichen Betriebsprüfung und ggf. – soweit dies möglich ist – für die Zukunft.

1.931

Konzept der interessengeleiteten Verhandlung. Da es sich bei dem Harvard-Verhandlungskonzept im Grundsatz um eine interessengeleitete Verhandlungsmethodik handelt, sind – auf Basis zahlreicher Praxiserfahrungen mit teilweise sehr unterschiedlichen „Prüfertypen“ folgende Gedanken als Grundlage jeder Verhandlung wichtig: – Menschen und das zu klärende inhaltliche (steuerrechtliche) Problem sind immer getrennt voneinander zu behandeln. – Eine gute Beziehung zum Betriebsprüfer als Verhandlungspartner ist für ein gutes Verhandlungsergebnis unabdingbar (dies ist nicht immer einfach, gleichwohl ein sehr wichtiger Erfolgsfaktor im Verlauf der Verhandlung). – Der geschickte Verhandler bemüht sich darum, keine Abwehrreaktion beim Gegenüber hervorzurufen; er erhebt keine Vorwürfe oder Schuldzuweisungen; er geht auch nicht auf Vorwürfe oder Wutausbrüche des Gegenübers ein. 1 Siehe grundlegend Fisher/Ury/Patton, Das Harvard-Konzept22, 2018. 2 Erbacher, Grundzüge der Verhandlungsführung3, 60 f.

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L. Verhandlungsmanagement | Rz. 1.936 Kap. 1

Der Einstieg in die Verhandlungssituation für den Harvard-Verhandler beginnt dabei selbstredend auch mit der „Arbeit am Problem“: Es erfolgt daher zunächst eine Problembeschreibung mit dem Ziel der Zustimmung des Gegenübers zur Beschreibung des Problems. Danach erfolgt eine Darstellung eigener Vorschläge und Schlussfolgerungen, die den Weg in die Diskussion der beiderseitigen Vorstellungen aufzeigen. Hierbei entstehen die entscheidenden Unterschiede zum Vorgehen des „harten“ und des „weichen“ Verhandlers: Der geschickte Verhandler konzentriert sich nach der Harvard-Methode auf Interessen anstelle von Positionen (was zugegeben viel Verhandlungserfahrung und persönliche Stärke erfordert). Denn das Verhandeln aus bestimmten Positionen verengt den Einigungsspielraum; es ist verbunden mit der Vorstellung, dass es nur eine einzige richtige „Lösung“ des Besteuerungsfalls gibt. Dies ist in der Praxis häufig jedoch nicht der Fall.

1.932

Interessen liegen hinter den Positionen. Entscheidend für den Verhandlungserfolg ist aus Perspektive des Harvard-Konzepts, dass die eigentlichen Interessen der Verhandler regelmäßig hinter deren Positionen liegen. Es geht mithin darum, die eigentlichen Interessen der Gegenseite herausfinden, denn eine Position ist immer das Ergebnis eines (längeren) Gedankengangs des Betriebsprüfers und weist immer auf bestimmte Interessen hin. Dies bedeutet zugleich, dass es für jedes Interesse mehrere Positionen gibt. Ein hartes, sachliches Vertreten der eigenen Interessen bedeutet allerdings nicht, dass die Interessen der Gegenseite bei der Lösung nicht berücksichtigt werden können.1

1.933

Kern des Harvard-Konzepts ist mithin die Entwicklung von (Lösungs-)Optionen, was bei verschiedenen Prüfungsfragestellungen in der Betriebsprüfungspraxis vielfach gut möglich und umsetzbar ist. Das reine „Beharren auf Positionen“ hemmt dabei i.d.R. die Kreativität der Verhandler, es verfestigt den Kritiksinn und verleitet zu vorschnellen Urteilen. Zielsetzung sollte nach der Harvard-Methodik vielmehr sein, eine Win-Win-Situation durch das Entwerfen von verschiedenen Lösungsansätzen zu schaffen und hierbei neutrale Beurteilungskriterien zu vereinbaren. Das Maß der Entscheidung in der Verhandlung darf zu keinem Zeitpunkt die Willenskraft der Verhandler sein, sondern ausschließlich objektive und inhaltlich-neutrale Maßstabe (als sog. Legitimitätskriterien). Dies können bspw. „Marktwerte“, in Rechtsprechungsentscheidungen getroffene Aussagen von allgemeiner Bedeutung, OECD-Verrechnungspreisleitlinien, Erkenntnisse aus der Fachliteratur, Handelsbräuche u.v.m. sein. Für die Akzeptanz beider Verhandlungsseiten ist wichtig, dass – soweit dies möglich ist – die Neutralität des Maßstabs gewahrt wird; mit anderen Worten geht es darum, sich von Positionen wegzubewegen und sich stattdessen gerechtfertigten (objektiven) Maßstäben anzunähern.

1.934

Berücksichtigung der Handlungsalternativen. In der Praxis ist dies gewiss alles andere als einfach und erfordert großes Verhandlungsgeschick. Ist ein Verhandlungspartner – sei es der Betriebsprüfer oder mitunter auch der Steuerpflichtige und sein Berater – nicht bereit, derartige Standards anzuerkennen, muss die Verhandlung ggf. abgebrochen werden; der eigene Ruf als fairer und standhafter Verhandler bleibt dann gewahrt.2

1.935

Die sog. „Grenzlinie“ der Interessen, die in der Verhandlung gewahrt bleiben soll, ist nach dem Harvard-Konzept die sog. BATNA. Hinter diesem Kurzwort steht die sog. „Best Alternative to a Negotiated Agreement“, d.h. die beste Alternative zu einer Verhandlungsübereinkunft in der Betriebsprüfung. Die BATNA käme gedanklich dann zur Anwendung, wenn die Verhandlung zwischen der Bfa. und dem Betriebsprüfer ergebnislos enden würde (mit anderen Worten der sog. Plan B). Die BATNA verkörpert mithin eine Art „Sicherheitsnetz“ in der Be-

1.936

1 Erbacher, Grundzüge der Verhandlungsführung3, 67. 2 Erbacher, Grundzüge der Verhandlungsführung3, 73.

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Kap. 1 Rz. 1.936 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

triebsprüfungsverhandlung; sie ist eines der wichtigsten Kriterien – sowohl für den Steuerpflichtigen als auch für den Betriebsprüfer –, um die in einer Verhandlung vorgeschlagene Einigungsmöglichkeit an den eigenen Interessen und Handlungsoptionen zu messen. Die BATNA bildet in einer Verhandlung daher eine „Grenzlinie“, ob die Verhandlung weiter betrieben werden soll oder ein Abbruch ggf. günstiger erscheint. Die Verhandlung ist aus Sicht des jeweilig Verhandelnden im Ergebnis mithin immer dann erfolgreich, wenn das Verhandlungsergebnis besser als die persönlich definierte BATNA ist.

1.937

In der Verhandlung mit der Betriebsprüfung bedeutet dies, dass die der Bfa. zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen – vornehmlich in Gestalt eines Einspruchs- bzw. FG-Verfahrens bzw. das Betreiben eines Verständigungs- bzw. Schiedsverfahrens – genau analysieren und für sich bewerten muss. In diesem Zusammenhang ist der Berater gefragt, der die Bfa. in diesem Zusammenhang mit seiner Expertise und einschlägigen Erfahrung begleiten und die diesbezügliche Analyse der Handlungsoptionen realistisch einschätzen muss.

2. Anwendbarkeit der Verhandlungsstile in der Betriebsprüfungspraxis 1.938

Grundproblematik. In der Praxis birgt insbesondere der „harte“ Verhandlungsstil die hohe Wahrscheinlichkeit, dass eine Verhandlung scheitert und die Parteien in ihren Positionen verharren. Der Reflex, die eigene Position mit allen Mitteln verteidigen zu wollen und die oftmals verbreitete Vorstellung, dem Gegenüber ginge es vornehmlich um die Klärung einer „Machtfrage“, lähmt die Verhandlungssituation. Der „harte“ Verhandlungsstil ist daher in der Praxis nicht wirklich erfolgreich. Es bedarf der Fähigkeit einer tiefergehenden Selbstreflexion, um das Schema seiner Verhandlungsweise zu durchbrechen und auf der Meta-Ebene mit dem Gegenüber zu klären, auf welche Weise miteinander verhandelt und umgegangen werden soll. Erfolgreich verlaufen Verhandlungen nach vielen Praxiserfahrungen immer dann, wenn die Inhaltsebene von der persönlichen Ebene getrennt werden kann; dies ist ein Grundpfeiler des o.g Harvard-Verhandlungskonzepts.

1.939

Herausforderungen in der Praxis. Aber auch der Verhandlungsstil nach der „Harvard“-Methode, erfordert eine gewisse Übung des Verhandlers. Der Fokus der Harvard-Methode setzt seiner Konzeption nach auf eine „Gesamtpaket“-Sichtweise. Es soll um die Wahrung der Interessen der Verhandlungsparteien gehen, mithin letztlich um eine „Vergrößerung des Kuchens“. In der Verhandlungssituation zwischen dem Steuerpflichtigen und der Betriebsprüfung geht es allerdings zumeist nicht um eine imaginäre „Kuchenvergrößerung“, sondern meist um die Verteilung eines „fixen Kuchens“.

1.940

Gleichwohl kann das interessenbasierte Verhandlungskonzept nach der Harvard-Methode hier einen erheblichen Nutzen stiften, denn letztlich geht es auch in der Betriebsprüfungsverhandlung um die Lösung eines Gesamtpakets mit den Bestandteilen Rechtssicherheit, Ressourcenschonung und vertretbarem (finanziellen) Steuermehraufwand aus Sicht der Beteiligten. Dem Verhandler bieten die nach der Harvard-Methode angedienten Verhandlungsinstrumente daher zahlreiche Möglichkeiten, den Verhandlungsprozess zu strukturieren und gewissermaßen auf der Sachebene zu halten. Es geht um die Ausbalancierung von Empathie im Verhandlungsprozess (persönliche Ebene), aber auch um inhaltliche Durchsetzungsstärke (Sachebene). Das Verhandeln nach der Harvard-Methode ermöglicht es, rational (statt emotional, wie dies der „harte Verhandler“ tun würde) zu agieren und das eigentliche Verhandlungsziel durch eine Trennung der sachlich-inhaltlichen von der persönlichen Ebene zu erreichen.

1.941

Vorteile des interessenbasierten Verhandelns. Die Anwendung des Harvard-Konzepts erfordert daher Übung und Flexibilität des Verhandlers. Wird dem Verhandlungsgegenüber für sei242 | Puls

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L. Verhandlungsmanagement | Rz. 1.945 Kap. 1

ne Bemühungen um ein Fortkommen in der Sache Anerkennung gewährt, so fühlt sich dieser i.d.R. ernst genommen. Es mag in gewisser Weise paradox klingen, das Verhandlungsgegenüber auf der Sachebene „anzugreifen“ und ihm gleichzeitig zu signalisieren, dass man ihn in der Lösungsfindung konstruktiv unterstützt. Genau dieser Ansatz führt jedoch zu einer konstruktiven Zuspitzung des Konflikts, mit der Chance den Konflikt vollumfänglich zu lösen. Anwendungsflexibilität entscheidend. Der größte Fehler in der Anwendung des interessenbasierten Verhandlungsstils nach dem Harvard-Konzept liegt daher nach den Erfahrungen des Verfassers in der schematischen Anwendung dessen. Eine erfolgreiche Anwendung des Harvard-Konzepts in der Betriebsprüfungsverhandlung setzt immer eine flexible Anwendung der nach dem Harvard-Konzept angebotenen Strategien an. Der Harvard-Verhandler muss die Verhandlungssituation genau einschätzen können; er muss die Interessen seines Gegenübers identifizieren können und eine gute Verhandlungsbeziehung etablieren können. Flexibilität in der Gedankenführung und Verhandlungsstrategie ist daher eine besonders wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Verhandlungsführung.

1.942

3. Wichtige Rhetorikelemente der Verhandlung/Praxiserfahrungen Persönlicher Eindruck des Gegenübers. Für die erfolgreiche Verhandlung im Rahmen der steuerlichen Betriebsprüfung ist es entscheidend sich zu vergegenwärtigen, dass letztlich Menschen mit anderen Menschen interagieren. Menschen lassen sich leichter überzeugen, wenn ihnen das Gegenüber vertrauenswürdig und fachlich kompetent erscheint.1 Der diesbezügliche Eindruck von dem jeweiligen Gesprächspartner wird größtenteils nonverbal vermittelt, so dass in der Verhandlung auch der persönliche Eindruck die Beziehung zwischen den Verhandlern bestimmen wird.

1.943

Einfluss der Gesprächsführung. In diesem Zusammenhang erweist sich eine Gesprächsführung, in der der Verhandler viele Fragen an sein Gegenüber stellt, als für den Kommunikationsfluss sehr erfolgreich, denn Fragen besitzen eine immense Kraft für die Gesprächsführung.2 Fragen können zudem den inhaltlichen Standpunkt der Betriebsprüfung besser verstehen lassen, denn ist klar, aus welchem Grund und wie die Betriebsprüfung zu ihrem Standpunkt gelangt ist, so kann dies eine bessere Möglichkeit für realistische Einigungsszenarien bieten.3 In diesem Zusammenhang ist sog. aktives Zuhören wichtig: Aktives Zuhören basiert auf dem Zusammenfassen des Gesagten des Gegenübers; der Verhandlungspartner soll zum Sprechen angeregt werden. Dies schafft in den allermeisten Fällen eine positive, interessierte Gesprächs- und Verhandlungsatmosphäre. Denn hört der Steuerpflichtige und sein Berater dem Betriebsprüfer zu, so wird sich auch dieser zu einem aktiven Zuhören verpflichtet fühlen. Gleichzeit erfordert aktives Zuhören sehr viel Selbstkontrolle und Zurückhaltung des Verhandlers, da vorschnelle Reaktionen und Interpretationen vermieden werden müssen.4

1.944

IV. Schwierige Verhandlungssituationen 1. Taktiken schwieriger Verhandler Herausforderungen in der Praxis. Die größtmögliche Offenheit und Konstruktivität des Verhandlers nutzt dann nichts, wenn das Gegenüber gar nicht an einer ernsthaften Verhandlung 1 2 3 4

Erbacher, Grundzüge der Verhandlungsführung3, 127. von Schlieffen, Mediation und Streitbeilegung, 2006, 195. Helmold/Dathe/Hummel, Erfolgreiche Verhandlungen, 2018, 99 f. Erbacher, Grundzüge der Verhandlungsführung3, 88.

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Kap. 1 Rz. 1.945 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

interessiert ist. Glücklicherweise kommen derartige Gesprächssituationen in der Praxis sehr selten vor, gleichwohl existieren schwierige Verhandlungspartner, die auch dem gutwilligen, seriös agierenden Verhandler einiges abverlangen. Typische Taktiken schwieriger Verhandlungspartner – hier sind Betriebsprüfer wie Steuerpflichtige und deren Berater gleichermaßen angesprochen – bestehen vornehmlich darin Stress zu erzeugen, um Fehler des Gegenübers zu erzwingen. Mauern und Blockieren – was in der Praxis bei derartigen Verhandlern recht häufig anzutreffen ist – sollen das Gegenüber dazu bringen sich unangenehm zu fühlen, um die Verhandlung absichtlich zu sabotieren. Weitere typische Verhaltensweisen sind offenes Misstrauen äußern und das „Arbeiten“ mit vermeintlichen Komplimenten und Schmeicheleien (das Gegenüber soll in Sicherheit gewogen werden).

1.946

Hintergrundmotivation. Wichtig ist in einer derartigen Situation immer den Ursachen des Problems auf den Grund zu gehen: Geht es dem manipulativen Gesprächspartner um eine grundsätzliche Konkurrenzhaltung, oder gar um Stolz? Ist es ggf. einfach nur Gewohnheit?

2. Abfangen einer „geladenen“ Situation 1.947

Identifikation manipulativen Verhaltens. Entscheidend ist zunächst in der Verhandlungssituation, dass die manipulativen Taktiken des Gegenübers erkannt werden; dies ist oftmals nicht einfach, da ein manipulatives Verhalten auch sehr subtil und dosiert erfolgen kann, gleichwohl seine Wirkung nicht verfehlt.

1.948

Handlungsansätze. Die bestmögliche Begegnung eines derartigen Verhaltens besteht in der Anwendung einer bestimmten Verhandlungsmethodik, der sog. Methode der Durchbruchsverhandlung, die von William Ury, einem der Mitbegründer des o.g. Harvard-Konzepts, „erschaffen“ worden ist.1 Diese Methodik besteht aus folgenden Einzelschritten, wie dem schwierigen Verhandlungsgegenüber zu begegnen ist: Zunächst ist Ruhe zu bewahren, um den Angriff abprallen lassen zu können. Wichtig ist ferner in dieser Stresssituation vollkommen konzentriert zu bleiben:2

1.949

i. Den Verhandlungspartner entwaffnen und Feindseligkeit abbauen: Entscheidend ist zunächst, nicht „zurückschießen“, sondern kühlen Kopf und wache Sinne sowie Kontrolle über die eigenen Emotionen zu bewahren. Ein sehr wirksames Abwehrmittel ist zudem das gezielte Stellen von Fragen an das Gegenüber. Es sollten keine Vorwürfe oder Schuldzuweisungen erfolgen; erlaubt ist stattdessen ein generell sachliches und höfliches Hinweisen auf inakzeptables Verhalten. Generell gilt, dass ein feinfühliges, aber bestimmtes Verhalten den Angriffen des Gegenübers schnell den Boden entzieht. Es sollte zudem deutlich gemacht werden, dass man trotz des Verhaltens des Gegenübers weiterverhandeln will.

1.950

ii. Die Konfrontation in Kooperation umwandeln: Ein weiterer „Schachzug“ ist es, den Verhandlungspartner zu entwaffnen und Feindseligkeit abzubauen. In vielen Fällen bietet es sich an, die Verhandlung zunächst zu unterbrechen und danach eine klare Aussage dazu zu treffen, welchen Verhandlungsstil man sich stattdessen gewünscht hätte. Hier ist wichtig, dass dies nicht in eine „Schuldzuweisung“ eingebettet wird. 1 William Ury, Getting Past No: Negotiating in difficult situations, 2007, 11 ff.; Erbacher, Grundzüge der Verhandlungsführung3, 99. 2 Erbacher, Grundzüge der Verhandlungsführung3, 99.

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L. Verhandlungsmanagement | Rz. 1.953 Kap. 1

Als erfolgreich wird auf Basis vieler Erfahrungen auch das Senden von klaren „Ich-Botschaften“ zum Verhandlungspartner betrachtet, denn damit positioniert sich der redliche Verhandler sehr klar und macht sich i.d.R. unangreifbar im Hinblick auf den gewünschten Umgang in der Verhandlung.

1.951

iii. Dem Gegenüber eine „goldene Brücke bauen“: Für den weiteren Gang der Verhandlung steht an, dem schwierigen Verhandlungspartner die bekannte „goldene Brücke“ zu bauen. Dies geschieht i.d.R. dadurch, dass dem schwierigen Verhandlungspartner das Abweichen von der eigenen Position vereinfacht wird: In diesem Zusammenhang wird der schwierige Verhandlungspartner um realistische Lösungsvorschläge gebeten. Wichtig ist nun, den Diskussionsbeitrag des Gegenübers aufzunehmen; dies vermittelt ihm das Gefühl in die Lösungsfindung eingebunden zu sein und sein Gesicht wahren zu können.

1.952

iv. Die eigene Verhandlungsmacht konstruktiv einsetzen: Der geschickte, redliche Verhandler wird sich niemals zu einem Machteinsatz in Form von Provokation und Zwang einlassen. Ihm ist der faire Umgang (auch bei einem eigenen „Machtüberschuss“) wichtig, wenngleich er in der Sache selbst sehr hart auftritt bzw. auftreten kann. In diesem Zusammenhang zeigt er sehr konkret die Konsequenzen im Fall des Scheiterns der Verhandlung auf (bspw. ein drohendes FG-Verfahren oder die Beantragung von Verständigungs- bzw. Schiedsverfahren, in welchen die Position der Betriebsprüfung vermutlich ebenso wenig durchsetzbar sein wird). Auf Basis vieler Verhandlungserfahrungen in Betriebsprüfungsverhandlungen empfiehlt es sich zudem, bereits die ersten „Maßnahmen“ zur Realisierung der eigenen Handlungsalternativen einzuleiten, so dass das Gegenüber es klar und deutlich mitbekommt. Beispielhaft ist hierbei die Vorlage eines bereits ausformulierten Antrags auf Einleitung eines Verständigungsbzw. Schiedsverfahrens während der Verhandlung zu nennen, hierbei aber die Hintertür zu einer Einigung für das Gegenüber offenzulassen. Hierdurch entsteht beim schwierigen Verhandlungspartner das Bewusstsein, dass der redliche Verhandler die ihm zur Verfügung stehenden „Machtquellen“ verantwortungsbewusst nutzen wird.

V. Analyse nach Abschluss der Betriebsprüfung Handlungserfordernisse nach Prüfungsabschluss. Ähnlich wie im Fußball gilt auch in der steuerlichen Betriebsprüfung (frei nach Herberger): „Nach der Verhandlung ist vor der Verhandlung“, denn die nächste Betriebsprüfung in diesem Themengebiet ist vermutlich lediglich eine Frage der Zeit. Wichtig ist vor diesem Hintergrund, dass der Steuerpflichtige die Verhandlungssituation – und eine hoffentlich erzielte realistische Einigung – noch einmal durchdenkt und diejenigen Punkte analysiert, die möglicherweise in der kommenden Betriebsprüfung Gegenstand der Verhandlung sein werden. Dies bietet sich nicht zuletzt deswegen an, weil die Verhandlungsergebnisse aus einer Betriebsprüfung immer Einzug in das steuerliche IKS finden sollten. Eine konstruktive Mitarbeit der Bfa. an der Verbesserung des IKS-relevanter Prozesse infolge des Prüfungsabschlusses und der Erkenntnisse aus dem Verhandlungsprozess bedeutet fast immer zugleich eine Verbesserung der eigenen Position in der kommenden Betriebsprüfungsverhandlung.

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Kap. 1 Rz. 1.954 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

VI. Abschließende Gedanken zu einer effektiven und lösungsorientierten Verhandlungsführung 1.954

Anregungen für die Verhandlungspraxis. Im Hinblick auf die Begleitung einer steuerlichen Betriebsprüfung haben sich auf Basis vielfältiger Erfahrungen diverse Handlungsempfehlungen herausgestellt, die den verhandelnden Parteien – dem Steuerpflichtigen sowie seinem Berater aber auch dem Betriebsprüfer – sozusagen „ans Herz“ gelegt werden sollen:

1.955

Unterscheiden Sie „Spieler“ von „Rechthabern“ als Verhandlungspartner Jede Verhandlung und ihr Verlauf ist nicht nur von den zugrunde liegenden (materiellen) steuerlichen Fragestellungen bestimmt; sie wird in erheblichem Maß von den Verhandlungsansätzen und -interessen der Beteiligten geprägt. Entscheidend für eine realistische Einschätzung des Verhandlungsgegenübers ist u.a. die Frage, mit welchen Interessen das Gegenüber in der Verhandlungssituation involviert ist. Der „rechthaberische“ Verhandlungspartner kämpft regelmäßig „um das Prinzip“; seine Position „aufzuweichen“ wird – wenn überhaupt – nur auf der rechtstechnischen Argumentationsebene gelingen. Eine realistische Wahrnehmung des Gegenübers hilft daher ungemein bei der eigenen Formulierung der Verhandlungsstrategie.

1.956

Überschätzen Sie Ihre Beziehung zum Verhandlungspartner nicht In vielen Betriebsprüfungen herrscht teilweise die Überzeugung, dass ein „Sich-kennen“ und „Gut-miteinander-auskommen“ gleichsam bedeuten müsse, man werde in der Sache schon eine einvernehmliche Lösung erzielen können. Es ist unbestritten, dass ein gutes Gesprächsklima und gegenseitiges Vertrauen der Verhandlungspartner zueinander für die Erzielung eines Verhandlungserfolgs unerlässlich sind. Gleichwohl wird sich die Verhandlung eines komplexen Prüfungsproblems nicht auf der persönlichen Ebene entscheiden, da die Parteien sich immer primär von ihren eigenen Verhandlungsinteressen leiten lassen werden. Keine persönliche Beziehung zum Verhandlungsgegenüber vermag dies zu ändern. Die profunde inhaltliche und saubere rechtstechnische Vorbereitung der streitigen Fragestellungen ist unersetzlich für den Verhandlungserfolg.

1.957

Versuchen Sie die Verhandlung zu moderieren, dann bestimmen Sie i.d.R. über den Ablauf der Verhandlung Die kluge Moderation einer Verhandlung erlaubt dem Moderator zugleich das Gespräch zu steuern. Es können gezielt Fragen gestellt werden, die den Verlauf der Verhandlung in eine bestimmte Richtung bewegen können. Der Moderator einer Verhandlung besitzt zudem etwas „Unangreifbares“; er hat eine bestimmte Autorität in den Augen seines Gegenübers, aber auch eine Verantwortung für den konstruktiven Verlauf der Verhandlung.

1.958

Denken Sie niemals „ich habe recht“ Der Gedanke recht zu haben, verengt den Blickwinkel auf die streitige Prüfungsfragestellung und blendet die Sichtweise des Verhandlungsgegenübers aus. Die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und das „Sich-hineindenken-können“ in die Sichtweise des Verhandlungspartners ist für die realistische Einschätzung der Verhandlung und der zu wählenden Strategie von großem Nutzen. Rechthaberisches Auftreten verdirbt zudem die Verhandlungsatmosphäre; es ist schlicht kontraproduktiv.

1.959

Handeln Sie nicht intuitiv, sondern strategisch; seien Sie stets gut vorbereitet Die gute und inhaltlich profunde Vorbereitung auf die Verhandlungssituation – sei es eine Zwischenbesprechung oder gar die Schlussbesprechung – ist ein absolutes „Muss“. Die strate246 | Puls

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L. Verhandlungsmanagement | Rz. 1.963 Kap. 1

gische Aufbereitung des Sachverhalts sowie der Argumentationskette sind für den Verhandlungserfolg maßgeblich. Eine gute Vorbereitung vermittelt Selbstsicherheit und die notwendige Flexibilität auf unerwartete Handlungsweisen des Gegenübers zu reagieren. Die Orientierung an objektiven Kriterien im Hinblick auf die Analyse und Bewertung eines streitigen Prüfungsfalls ist für dessen Lösung unerlässlich. Selbst wenn die Verhandlung scheitern sollte, so bleibt die inhaltlich und rechtstechnisch „sauber“ aufbereitete Argumentationslinie erhalten und wird sich spätestens in den nach Prüfungsabschluss zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfs- bzw. Streitauflösungsverfahren auszahlen.

1.960

Drohen Sie niemals – nur Anfänger drohen Drohungen führen i.d.R. zu einer Zementierung der Position des Verhandlungsgegenübers; sie zerstören die Konstruktivität des Verhandlungsprozesses. Drohungen bringen in der Sache selbst keinen inhaltlichen Diskussionsfortschritt. Die Verhandlungsparteien kennen regelmäßig ihre Handlungsoptionen sehr genau. Drohungen werden den Verhandlungspartner daher nicht in seiner inhaltlichen Position bewegen; sie führen eher zu einer Blockadehaltung und münden nicht selten in einen Willenskampf der Verhandler. Folge dessen ist, dass keine inhaltliche Diskussion mehr möglich ist; die Verhandlung erschöpft sich in einem reinen Austausch von Positionen, es gibt keine Schnittstelle mehr für das Ausloten eines inhaltlichen Lösungsansatzes.

1.961

Eskalieren Sie niemals bewusst Wichtig für einen angestrebten Verhandlungserfolg ist es in der Gesprächsführung unbedingt auf der Sachebene zu bleiben. Verhandlungssituationen verkörpern Stresssituationen; nicht selten handeln Verhandlungsparteien in derartigen Stresssituationen emotional, da sie sich bspw. vom Gegenüber ungerecht behandelt fühlen. Eine emotionsgeladene Verhandlungssituation verleitet die Verhandlungspartner jedoch zu Fehlern; sie vernebelt den Blick auf die zu lösenden Sachfragen eines komplexen Prüfungsproblems. Ratsam ist es immer, in einer zu emotionsgeladenen Verhandlungssituation eine Verhandlungspause einzulegen. Anschließend sollte zunächst auf der Meta-Ebene weitergesprochen werden, d.h. es sollte gemeinsam festgelegt werden, wie das Verhandlungsgespräch weiter gemeinsam gestaltet werden soll. Unbedingter Respekt vor dem Verhandlungsgegenüber ist hierbei von besonderer Bedeutung.

1.962

Halten Sie Zusagen unbedingt ein Wenn es um die Beibringung von Unterlagen an die Betriebsprüfung oder – umgekehrt – um die Mitteilung von verfahrenserheblichen Einschätzungen durch die Betriebsprüfung an den Steuerpflichtigen geht: Verlässlichkeit und Termintreue bauen Vertrauen auf und unterstreichen die Konstruktivität, mit welcher die Verhandlungspartner einander begegnen.

1.963

Bei „Rückzugsgefechten“: Lassen Sie dem Anderen sein Gesicht wahren können Tritt die Situation ein, dass das Gegenüber – meist schrittweise – von seiner initialen Verhandlungsposition abrückt, so ist es sehr ratsam hierfür die berühmte „goldene Brücke“ zu bauen. Entschließt sich das Verhandlungsgegenüber zu einem derartigen Rückzug, so sollte dieser Rückzug nicht von verbalen Zustimmungsbekundungen begleitet werden; dies legt den „Rückzug“ des Verhandlungsgegenübers nur noch einmal unnötig offen und erschwert es dem Verhandlungspartner seine Position zu revidieren („Gesichtsverlust“). Schweigen ist hier eher die bessere Handlungsmöglichkeit, ggf. begleitet von konstruktiven, unterstützenden Kommentaren. Derartige Rückzugsgefechte werden in der Praxis immer dann stattfinden, wenn es gelingt dem Gegenüber eine Erklärung – zumeist auf Sachverhaltsebene – zu finden, damit dieser sein Gesicht wahren kann. Puls | 247

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Kap. 1 Rz. 1.964 | Recht und Verfahren der Betriebsprüfung

1.964

Bleiben Sie fair – immer Verhandlungen in Betriebsprüfungssituationen können mitunter sehr fordernd sein. So kann z.B. in Verrechnungspreisstreitigkeiten, wo vieles u.a. von betriebswirtschaftlichen Einschätzungen abhängt, ein sehr großer Verhandlungsspielraum mit scheinbar unüberwindbaren Hindernissen zu einer Einigung bestehen. Fairness ist aber auch hier ein unbedingtes Verhandlungsgebot. Auch auf Inhaltsebene „harte“ Verhandler erzielen nach vielfältigen Erfahrungen des Verfassers in der Sache den größten Erfolg, wenn sie zuverlässig und aufrichtig sind und das Verhandlungsgegenüber – trotz aller inhaltlichen Divergenzen – dies entsprechend realisiert. Es ist ein Gebot menschlichen Verhaltens, einem Verhandlungsgegenüber eher Zugeständnisse zu machen (und auch inhaltlich recht zu geben), wenn das Gefühl besteht, das Verhandlungsgegenüber hat die „Kampfregeln“ beachtet und aufrecht gehandelt.

248 | Puls

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Kapitel 2 Digitalisierung der Betriebsprüfung A. Einführung I. Einordnung digitalisierter Verfahrensabläufe in das Recht der Betriebsprüfung 1. Digitalisierung des steuerlichen Festsetzungsverfahrens . . . . . . . . 2. Digitalisierung des Prüfungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Überblick über die Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Datenzugriff I. Rechtsgrundlagen des Datenzugriffs 1. Gesetzlicher Ausgangspunkt . . . . 2. Datenzugriff als Ermessensentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Technik des Datenzugriffs 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriff des Datenverarbeitungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Formen des Datenzugriffs a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbarer Datenzugriff (Nur-Lese-Zugriff, „Z1“) . . . c) Mittelbarer Datenzugriff („Z2“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Datenträgerüberlassung („Z3“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Datenzugriff bei Dritten („Z4“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Technische Grenzen und Kompatibilitätsfragen a) Problemstellung . . . . . . . . . . b) Lösungsansätze . . . . . . . . . . III. Umfang und rechtliche Grenzen des Datenzugriffs 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Maßgeblichkeit der steuerlichen Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . IV. Dokumentationspflichten 1. Überprüfbarkeit digitaler Aufzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verpflichtung zur Erstellung einer Verfahrensdokumentation? . . . . . V. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Schätzung und Sanktionsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. GoBD I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.1 2.3 2.11

2.14 2.18 2.19 2.21 2.32 2.33 2.36 2.37 2.41 2.42 2.43 2.46 2.51 2.57 2.59 2.61 2.63

II. Verfahrensdokumentation 1. Sinn und Zweck der Verfahrensdokumentation a) Beschreibung interner betrieblicher Abläufe . . . . . . . . b) Die GoBD als Wegbereiter der digitalen Betriebsprüfung aa) Datenseriosität . . . . . . . bb) Datensicherheit . . . . . . . cc) Datenverarbeitungssystem . . . . . . . . . . . . . . dd) Geschäftsvorfälle . . . . . . ee) Verfahrensdokumentation für jedes eingesetzte Datenverarbeitungssystem . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt der Verfahrensdokumentation a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Beschreibung . . c) Anwenderdokumentation . . d) Technische Systemdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Betriebsdokumentation und internes Kontrollsystem (IKS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . III. Internes Kontrollsystem nach den GoBD 1. Grundlagen für ein Internes Kontrollsystem (IKS) a) Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und Verifikationsprinzip . . . . . . . . . . . . . b) Sicherstellung der Ordnungsmäßigkeit der elektronischen Buchführung durch ein IKS c) Abgrenzung des GoBD-IKS von einem allgemeinen IKS und von einem Tax CMS . . 2. Elemente des GoBD-IKS a) Zugangs- und Zugriffsberechtigungskontrollen . . . b) Funktionstrennungen . . . . . c) Erfassungskontrollen . . . . .

2.65

2.68

2.74 2.76 2.78 2.79

2.80 2.81 2.82 2.84 2.86 2.88 2.90

2.91 2.97 2.100 2.106 2.112 2.117

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Kap. 2 | Digitalisierung der Betriebsprüfung d) Abstimmungskontrollen bei der Dateneingabe . . . . . 2.119 e) Verarbeitungskontrollen . . . 2.122 f) Schutzmaßnahmen gegen Verfälschungen . . . . . . . . . . 2.123 D. Digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung I. Darstellung und Funktionsweise aus Sicht der Finanzverwaltung 1. Digitale Welt – digitale Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.126 2. Gesamtbildprüfung der Neuzeit a) Datentransfer . . . . . . . . . . . 2.129 b) Auswertungsprogramm IDEA . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.130 c) Einzelne Betriebsprüfungstools und deren Funktion aa) Schnittstellen-Verprobung (SSV) (1) Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . 2.134 (2) Hintergrund . . . . . . . . . 2.135 (3) Funktion . . . . . . . . . . . . 2.136 bb) Summarische Risikoprüfung (SRP) (1) Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . 2.140 (2) Hintergrund . . . . . . . . . 2.142 (3) Funktion . . . . . . . . . . . . 2.143 cc) Monetary Unit Sampling (MUS) (1) Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . 2.153 (2) Hintergrund . . . . . . . . . 2.154 (3) Funktion . . . . . . . . . . . . 2.155 dd) Zusammenfassender Vergleich der Funktionen der einzelnen Tools 2.157 d) Ausblick: Systemprüfung . . 2.158 II. Verteidigungsstrategien 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.159 2. Auf Überlassung der vom Außenprüfer erstellten Dateien bestehen 2.160 3. Quantilsschätzung a) Komponenten der Quantilsschätzung . . . . . . . . . . . . . . 2.161 b) Würdigung der Quantilsschätzung durch den BFH aa) „Portal-Drei-StufenTheorie“ . . . . . . . . . . . . 2.163 bb) Konstantes Verhältnis zwischen Wareneinsatz und Umsatzerlösen bzw. keine wesentlichen Änderungen der Betriebsstruktur („Das Portal“) 2.165 cc) Die „drei Stufen“ . . . . . 2.167

c) Mögliche Verteidigungsansätze gegen die Quantilsschätzung aa) Schätzungsbefugnis in Zweifel ziehen . . . . . . . bb) Einwendungen trotz bestehender Schätzungsbefugnis . . . . . . . . . . . . 4. Schnittstellenverprobung a) Nachweis des sachlichen (materiellen) Mangels . . . . . b) Punktuelle Fehlerkorrektur vor generalisierender Hinzuschätzung . . . . . . . . . . . . 5. Monetary Unit Sampling . . . . . . E. Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement der Unternehmen unter Einsatz von IT-Lösungen I. Status Quo der digitalen Betriebsprüfung sowie Kernelemente und Ziele für effizienzsteigernde Digitalisierungsmaßnahmen . . . . . . . . . II. Einsatzgebiete für IT-Lösungen in den verschiedenen Phasen einer Betriebsprüfung (Überblick) III. Phase 1: Vorbereitung der Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Phase 2: Durchführung der Betriebsprüfung 1. Datenzugriff und -prüfung . . . . a) Zugriffsarten . . . . . . . . . . . . b) Datenauswertung und Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Datenauslagerung und Systemwechsel . . . . . . . . . . 2. Betriebsprüfungsanfragen a) Abbildung eines Regelprozesses für Betriebsprüfungsanfragen b) Organisatorische und prozessuale Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) IT-Lösungen zur administrativen Unterstützung von BP-Anfragen . . . . . . . . . . . . 3. (Vorläufige) Prüfungsfeststellungen a) Administrative und ermittlungstechnische Herausforderungen bei der Behandlung von (vorläufigen) Prüfungsfeststellungen . . . .

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2.178 2.179 2.197 2.199 2.200

2.202

2.207

2.214 2.215 2.221 2.223

2.226 2.229

2.235

Digitalisierung der Betriebsprüfung | Kap. 2 b) Spezialsoftware für das professionelle BP-Management mit automationsgestützter Berechnung von BP-Anpassungseffekten . . . . . . . . . . . . 2.238 4. Schlussbesprechung . . . . . . . . . . 2.243 V. Phase 3: Nach der Betriebsprüfung . 2.245 F. Datenschutz I. Tax-Compliance-Maßnahmen und Datenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtlicher Rahmen für Tax-Compliance-Maßnahmen 1. Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) a) Wesentliche Vorgaben für die Compliance-Tätigkeit aus Art. 5 DSGVO aa) Zentrale datenschutzrechtliche Vorgaben . . . bb) Dokumentationspflichten (Art. 5 Abs. 2 DSGVO) . b) Zentrale Bedeutung des Art. 6 DSGVO für die Compliance-Tätigkeit . . . . . . . . . c) Konzerninterner Datentransfer für Zwecke des Tax-CMS d) Räumlicher Anwendungsbereich (Niederlassungsprinzip) . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis des Datenschutzrechts zum Abgabenrecht a) Datenschutzrechtliche Bestimmungen für die Finanzbehörden . . . . . . . . . . . . . . . b) Datenschutzrechtliche Bestimmungen für erwerbswirtschaftliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erfordernis einer datenschutzrechtlichen Ermächtigungsgrundlage für die Datenverarbeitung . . III. Allgemeines zur datenschutzrechtlichen Zulässigkeit von ComplianceMaßnahmen 1. Einwilligung (Art. 6 Abs. 1 Buchst. a DSGVO) . . . . . . . . . . . 2. Keine Ermächtigungsgrundlage durch Vertragserfüllung bzw. Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b DSGVO) . . . . . . . . . . .

2.248

2.253 2.261 2.262 2.263 2.264 2.266

2.268

2.271 2.274

2.279

2.284

3. Erforderlichkeit der Datenverarbeitung zur Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung (Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO) a) Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses (§ 26 BDSG) . b) Kollektivvereinbarungen: Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen (§ 26 Abs. 4 BDSG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weitere Rechtsvorschriften . . . . . 5. Keine Ermächtigung wegen Schutzes lebenswichtiger Interessen (Art. 6 Abs. 1 Buchst. d DSGVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Keine Befugnis aufgrund Wahrnehmung überwiegender öffentlicher Interessen (Art. 6 Abs. 1 Buchst. e DSGVO) . . . . . . . . . . . 7. Rechtfertigung wegen überwiegenden Interesses (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO) . . . . . . . . . . . . IV. Weitergabe von Informationen an Dritte durch die ComplianceAbteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung anhand des Bestehens einer Rechtspflicht . . . . . . . 2. Datenweitergabe im Rahmen gesetzlicher Verpflichtungen a) Datenverarbeitung zur Erstellung und Abgabe von Steuererklärungen aa) Zulässige Datenweitergabe im Rahmen von Steuererklärungsvorschriften . . . . . . . . . . . . bb) Datenschutzrechtliche Informationspflichten bei Steuererklärungspflichten . . . . . . . . . . . . b) Weitergabe von Informationen an staatliche Stellen außerhalb von Steuererklärungspflichten aa) Abgabenrechtliche Verpflichtungen außerhalb von Steuererklärungspflichten . . . . . . . . . . . . bb) Verpflichtungen außerhalb des materiellen Abgabenrechts . . . . . . .

2.285

2.289 2.294

2.295

2.296 2.298 2.302 2.304

2.307

2.312

2.320 2.328

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Kap. 2 | Digitalisierung der Betriebsprüfung c) Spezifische Datenschutzrechtliche Besonderheiten beim Bestehen einer rechtlichen Pflicht zur Informationsweitergabe aa) Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erforderlichkeit der Datenverarbeitung . . . . cc) Keine Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO . . . . . . . . . . . . dd) Keine gesonderte Prüfung der Zweckänderung der Datenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rechtliche Verpflichtung indiziert unabdingbare Weitergabe für Datenschutz-Folgenabschätzung nach Art. 35 DSGVO . . . . . . . . . . . . 3. Weitergabe von Daten an Dritte ohne rechtliche Verpflichtung a) Einwilligung zur Datenweitergabe außerhalb von Betriebsvereinbarungen praktisch irrelevant . . . . . . . b) Zulässige Zweckänderung nach § 24 BDSG . . . . . . . . . aa) Gefahrenabwehr und Strafverfolgung (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 BDSG) . . . bb) Geltendmachung, Ausübung und Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG) . . . . . . . . . cc) Erforderlichkeit . . . . . . dd) Notwendigkeit einer Abwägung . . . . . . . . . . . c) Rechtfertigung einer Sekundärverarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beachtung der Informationspflicht (Art. 13 DSGVO) . .

2.330 2.337 2.342

2.343

2.345

2.346 2.351 2.354

2.356 2.357 2.359

2.366 2.368

V. Begrenzung von Tax-ComplianceMaßnahmen durch Beschäftigtendatenschutz 1. Abgrenzung präventiver von repressiver Compliance . . . . . . . 2. Präventive Tax-Compliance a) Zulässigkeitsfragen . . . . . . . b) Zulässigkeit nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG aa) Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG bb) Rechtsfolgen des § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG . . . c) Zulässigkeit aufgrund von Betriebsvereinbarungen (§ 26 Abs. 4 BDSG i.V.m. Art. 88 Abs. 2 DSGVO) . . . d) Zulässigkeit aufgrund der Abwägungsklausel (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO) . . e) Informationspflichten bei generalpräventiven TaxCompliance-Maßnahmen . f) Datenschutz-Folgenabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . 3. Zulässigkeit repressiver TaxCompliance a) Voraussetzungen nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG . . . . . . b) Rechtsfolge des § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG . . . . . . . . . . . . c) Informationspflichten bei repressiven Compliance-Maßnahmen (Art. 13 DSGVO) . d) Datenschutz-Folgenabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Typische Compliance-Maßnahme: Mitarbeiterbefragungen („Mitarbeiterinterviews“) aa) Befragung des verdächtigten Mitarbeiters . . . . bb) Zeugenbefragung . . . . . 4. Auskunftsanspruch, Anspruch auf Datenkopie . . . . . . . . . . . . . . VI. Datenschutzrechtlicher Rahmen bei behördlichen Ermittlungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.370 2.374

2.376 2.384

2.385 2.387 2.388 2.389 2.392

2.393 2.404 2.406 2.408 2.409 2.410 2.416 2.417 2.422

Literatur: Achilles/Danielmeyer, REthinking Tax 4.2020, 20, Beispiel „Zahnarztpraxis“; Achilles/Pump, Lexikon der Kassenführung, Datev e.G., 1. Aufl. 2018, S. 362 „Trinkgeld“; Alpar/Grob/Weimann, Anwendungsorientierte Wirtschaftsinformatik, 2013, 384; Apitz, Digitale Buchführung und Datenzugriff

252 | Peters/Danielmeyer/Liekenbrock/Bleschick

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Digitalisierung der Betriebsprüfung | Kap. 2 der Finanzverwaltung ab 1.1.2002, StBp 2002, 33–46; Barton, Risiko-/Compliance-Management und Arbeitnehmerdatenschutz – eine nach wie vor unbefriedigende Kollisionslage, RDV 2009, 200–204; Baum, Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, NWB 2016, 2778–2785; Becker/Danielmeyer/ Neubert/Unger, „Digitale Offensive" der Finanzverwaltung: Die Schnittstellen-Verprobung (SSV), DStR 2016, 2983–2989; Blenkers, Chi-Test – oder „Jeder Mensch hat seine Lieblingszahl", StBp 2003, 261–264; Bleschick, Der kalkulierte Beanstandungsanlass: Kein Nachweis von Mehrergebnissen durch die Summarische Risikoprüfung, DStR 2017, 426–432; Bleschick, Überprüfung elektronischer Daten im Besteuerungsverfahren durch den Außenprüfer, DStR 2018, 1050–1058, 1105–1110; Bleschick, SteuerStud 2018, 52; Brete, Das Märchen von der Verfahrensdokumentation, DStR 2019, 258–260; Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht, 5. Aufl., Berlin 2020; Brink/Schmidt, Die rechtliche (Un-)Zulässigkeit von Mitarbeiterscreenings, MMR 2010, 592–596; Brink/Schwab, Verwertung eines Zufallsfundes aus einer Videoüberwachung, jurisPR-ArbR 8/2017, Anm. 2; Brücker/Drumm/Schuster, Rethinking Tax 2020, 26; Bruschke, Datenzugriff und Prüfung digitaler Unterlagen, StB 2002, 42–47; Bungartz, Handbuch Interne Kontrollsysteme, 2017, 519 ff.; Buse, Urkundenvorlagepflicht im Rahmen einer Außenprüfung, AO-StB 2012, 373–379; Byers, Die Zulässigkeit heimlicher Mitarbeiterkontrollen nach dem neuen Datenschutzrecht, NZA 2017, 1086–1091; Carlé, Der Zugriff der Finanzverwaltung auf die Unternehmens-EDV, KöSDI 2001,13106–13115; Damas, Die praxisgerechte Verfahrensdokumentation, StBp 2019, 291–295; Danielmeyer/Neubert/Unger, Anforderungen an die elektronische Verfahrensdokumentation betrieblicher Prozesse, AO-StB 2019, 125–127; Deutsch/Diller, Die geplante Neuregelung des Arbeitnehmerdatenschutzes in § 32 BDSG, DB 2009, 1462; Diller, „Konten-AusspähSkandal" bei der Deutschen Bahn: Wo ist das Problem?, BB 2009, 438–440; Dißers, Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren, DStR 2005, 137–141; Drüen, Datenzugriffsrechte der Außenprüfung und Archivierungspflichten der Unternehmen, AO-StB 2003, 83–87; Düwell/Brink, Die EU-Datenschutz-Grundverordnung und der Beschäftigtendatenschutz, NZA 2016, 665–668; Eichhorn, Wegweiser des BFH zur Diskussion über die "offene Ladenkasse" und zur Hinzuschätzungspraxis der Betriebsprüfung, DStR 2017, 2470–2474; Eismayr/Kirsch, Globale Entwicklungen bei der Automation von Besteuerungsprozessen, DB-Beilage 04/2016, 40–45; Erfurth, Der „neue” Arbeitnehmerdatenschutz im BDSG, NJOZ 2009, 2914–2927; Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz, 3. Aufl. 2019; Franzen, Arbeitnehmerdatenschutz – rechtspolitische Perspektiven, RdA 2010, 257–263; Franzen, Datenschutz-Grundverordnung und Arbeitsrecht, EuZA 2017, 313–351; Giezek/Wähnert, Künstliche Intelligenz vs. anwendergelenkten Softwareeinsatz, DB 2019, 1707–1711; Giezek/Wähnert, Wahrscheinlichkeitstheorie in der Betriebsprüfung, DB 2018, 470–476; Göpfert/Mertens/Siegrist, Mitarbeiter als Wissensträger, NJW 2008, 1703–1709; Gola/Pötters/Thüsing, Art. 82 DSGVO: Öffnungsklausel für nationale Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz – Warum der deutsche Gesetzgeber jetzt handeln muss, RDV 2016, 57–61; Goldshteyn/Thelen, Extra fiscum recta doctrina non est? – Kritische Anmerkungen zu den GoBD und ihre Rechtsqualität, DStR 2015,326–333; Goldshteyn/Thelen, Praxishandbuch digitale Betriebsprüfung, 2016, 116 ff.; Härting, Was ist eigentlich eine "Kopie"?, CR 2019, 219–225; Hagenkötter, Die Digitale Steuerprüfung, NJW 2002, 1977-1983; Hanselmann/Berger, Darf der Betriebsprüfer die Vorlage des geschäftlichen E-Mailverkehrs verlangen?, IWB 2020, 21–28; Heldmann, Betrugs- und Korruptionsbekämpfung zur Herstellung von Compliance, DB 2010, 1235–1239; Herrfurth, Die neuen GoBD zur DV-gestützten Buchführung und zum Datenzugriff, StuB 2015, 250–256; Herrmann/Zeidler, Arbeitnehmer und interne Untersuchungen – ein Balanceakt, NZA 2017, 1499–1505; Herzig/Liekenbrock, Bilanzierung von Steuerrückstellungen nach BilMoG und IDW RS HFA 34, DB 2013, 409–417; Henn, Verfahrensdokumentation nach den GoBD, DB 2016 254–260; Hruschka, Rechtsgrundlage für die in den GoBD geforderte Verfahrensdokumentation, DStR 2019, 260; Kerssenbrock/Riedel/ Strunk, Datenzugriff und kein Ende der Unsicherheit, StB 2002, 263-265; Klass, Mehr Beteiligungsrechte des Verdächtigen – Der Einfluss des Transparenzgrundsatzes der DS-GVO auf die Durchführung interner Ermittlungen, CCZ 2018, 242–250; Kock/Francke, Mitarbeiterkontrolle durch systematischen Datenabgleich zur Korruptionsbekämpfung, NZA 2009, 646–651; Köhler, Grundzüge des Rechnungswesens als Grundlage für eine Verfahrensdokumentation, StBp 2018, 291–299; König, Das Recht auf eine Datenkopie im Arbeitsverhältnis, CR 2019, 295–301; Kopp/Pfisterer, Die Übermittlung personenbezogener Daten durch Unternehmen im Rahmen freiwilliger Kooperation mit Aufsichtsund Ermittlungsbehörden – Teil 1, CCZ 2015, 98–105; Kowalik, Modernisierung der deutschen Außenprüfung mittels Datenzugriff, E-Bilanz und Tax CMS, DB-Beilage 03/2020, 3–7; Kowalik, TechnologieLösungen zur Automation von Betriebsprüfungen, DB Beilage 02/2018, 26–31; Kreß, Criminal Com-

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Kap. 2 Rz. 2.1 | Digitalisierung der Betriebsprüfung pliance und Datenschutz im Konzern, 1. Aufl. 2018; Krumm, Rechtsfragen der digitalen Betriebsprüfung (Summarische Risikoprüfung), DB 2017, 1105–1111; Kühling/Martini, Die Datenschutz-Grundverordnung: Revolution oder Evolution im europäischen und deutschen Datenschutzrecht?, EuZW 2016, 448–454; Kulosa, Neue Vorgaben der Rechtsprechung zur Kassenbuchführung und zu Schätzungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung, SAM 2017, 9–22; Lensdorf, Der Schutz von Whistleblowern kann eine Beschränkung des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs von Beschäftigten rechtfertigen, CR 2019, 304–308; Liekenbrock, Praxishinweise zur technischen Umsetzung von Tax Compliance Management Systemen, Ubg 2018, 43; Marx, Bedeutung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung im geltenden Steuerbilanzrecht, FR 2016, 389-395; Neubert, Die digitalen Methoden der modernen Betriebsprüfung, AO-StB 2018, 291–294; Maschmann, Verarbeitung personenbezogener Entgeltdaten und neuer Datenschutz, BB 2019, 628–636; Nöcker, Quantile in der BFH-Rechtsprechung, NWB 2017, 3050–3055; Peters, Aus der digitalen Betriebsprüfung, DStR 2017, 1953–1958; Peters, Aus der digitalen Betriebsprüfung: Datenzugriff und Verfahrensdokumentation, DB 2018, 2846– 2851; Peters, Brauche ich eine Verfahrensdokumentation?, DB 2019, M4-M5; Prinz, Brennpunkt Personengesellschaftsbesteuerung, DB 2019, M4–M5; Reichling, Strafprozessuale Ermittlungen bei Kreditinstituten – ein Überblick, JR 2011, 12–17; Rieble/Gutzeit, Betriebsvereinbarungen nach Unternehmensumstrukturierung, NZA 2003, 233–238; Risse, Tax Compliance in der Form der zeitnahen steuerlichen Außenprüfung, DB 2011, 667–674; Rudkowski, Die Aufklärung von Compliance-Verstößen durch „Interviews", NZA 2011, 612–615; Schäfer/Bohnenberger, Die Verfahrensdokumentation – Erforderlich, freiwillig oder unnötig?, StB 2019, 131–133; Schäperclaus/Hanke, GoBD 2019 und Bürokratieentlastungsgesetz III, DB Beilage 03/2020, 16–22; Schaumburg, Der Datenzugriff und andere Kontrollmöglichkeiten der Finanzverwaltung, DStR 2002, 829–838; Schiffers, Aktualisierung der GoBD – Konsequenzen in der Praxis der GmbH, GmbHR 2020, 308–312; Schmitz, Zweifelsfragen im Zusammenhang mit dem Zugriffsrecht der Finanzverwaltung auf DV-gestützte Buchführungssysteme, StBp 2002, 189-198; Schneider, Investigative Maßnahmen und Informationsweitergabe im konzernfreien Unternehmen und im Konzern, NZG 2010, 1201–1207; Steinkühler, Kein Datenproblem bei der Deutschen Bahn AG? Mitnichten!, BB 2009, 1294–1295; Ströbel/Böhm/Breunig/Wybitul, Beschäftigtendatenschutz und Compliance: Compliance-Kontrollen und interne Ermittlungen nach der EU-Datenschutz-Grundverordnung und dem neuen Bundesdatenschutzgesetz, CCZ 2018, 14–21; Stück, Präventive und repressive Compliance: Datenschutz- und arbeitsrechtliche Aspekte nach DSGVO sowie BDSG 2018, ArbRAktuell 2019, 216–219; Teutemacher, Praxisfragen GoBD, 2020, S. 107 f.; Tormöhlen, Der Datenzugriff in der Außenprüfung, AO-StB 2014, 243–246; Uterhark/Peters/Braun, Uneingeschränkter Datenzugriff der Finanzverwaltung auf E-Mail-Konten?, beck.digitax 2020, 13–16; Vogel/ Glas, Datenschutzrechtliche Probleme unternehmensinterner Ermittlungen, DB 2009, 1747–1754; Vogt, Compliance und Investigations – Zehn Fragen aus Sicht der arbeitsrechtlichen Praxis, NJOZ 2009, 4206–4220; Wähnert, Die betriebswirtschaftliche und statistische Analyse als Mittel der Außenprüfung, StBg 2007, 289–294; Wähnert, Zeitgemäße Datenanalyse der Betriebsprüfung, DB 2016, 2627–2631; Wargowske/Greil, Digitale steuerliche Außenprüfung, FR 2019, 608–613; Wurzberger, Anforderungen an Betriebsvereinbarungen nach der DS-GVO, ZD 2017, 258–263; Wybitul, E-Mail-Auswertung in der betrieblichen Praxis, NJW 2014, 3605–3611; Wybitul/Sörup/Pötters, Betriebsvereinbarungen und § 32 BDSG: Wie geht es nach der DS-GVO weiter?, ZD 2015, 559–564.

A. Einführung I. Einordnung digitalisierter Verfahrensabläufe in das Recht der Betriebsprüfung 1. Digitalisierung des steuerlichen Festsetzungsverfahrens 2.1

Das steuerliche Festsetzungsverfahren ist wie alle Lebens- und Rechtsbereiche Gegenstand einer voranschreitenden Digitalisierung. Erklärungserstellung und -abgabe, steuerliche Veranlagung und Rechtsbehelfsverfahren können teilweise vollautomatisch ohne manuelle Eingriffe eines Sachbearbeiters von statten gehen. Die (ausschließliche) automationsgestützte Steuer254 | Peters

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A. Einführung | Rz. 2.5 Kap. 2

festsetzung oder die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen oder Vorauszahlungen regelt § 155 Abs. 4 AO. Außerdem werden Bestandteile der Steuererklärung, wie z.B. Einnahmen, Steuerabzugsbeträge oder Sonderausgaben, seitens Dritter gemäß § 93c AO (voll-) automatisch der Finanzverwaltung übermittelt. Der Steuerpflichtige kann sich diese Daten für seine Erklärungserstellung über das Elster-Portal bereitstellen lassen. Hinzu kommt die Verpflichtung zur Übersendung einer eBilanz und eEÜR gemäß § 5b Abs. 1 EStG. Aus der Belegvorlagepflicht ist die Verpflichtung geworden, Belege für eine etwaige spätere Überprüfung vorzuhalten. Grenzen werden der automationsgestützten Steuerfestsetzung in der Form gesetzt, dass nur Verwaltungsakte, die keine Ermessensentscheidung oder die Ausfüllung eines Beurteilungsspielraums voraussetzen, durch Einsatz künstlicher Intelligenz der Verwaltung erlassen oder geändert werden können. Der Steuerpflichtige kann eine manuelle Überprüfung ohne weiteres durch einen Vermerk in einem dafür vorgesehenen Abschnitt oder Datenfeld der Steuererklärung erreichen, § 150 Abs. 7 Satz 1 AO. Ergänzt wird die automationsgestützte Steuerfestsetzung durch die in § 88 Abs. 5 AO geregelte Möglichkeit des Einsatzes von Risikomanagementsystemen zur „Aussteuerung“ der Steuerfestsetzung, also zur Beurteilung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen und Prüfungen für eine gleichmäßige und gesetzmäßige Festsetzung von Steuern und Steuervergütungen. Dies wird zusätzlich gewährleistet durch Zufalls- und Turnusprüfungen sowie die Möglichkeit der individuellen Aussteuerung durch den zuständigen Sachbearbeiter der Finanzbehörde.

2.2

2. Digitalisierung des Prüfungsverfahrens Die steuerliche Betriebsprüfung ist – wie das Festsetzungsverfahren – zunehmend von digitalen Prozessen geprägt. Dies ist im Wesentlichen eine Reaktion darauf, dass betriebliche Prozesse zunehmend in digitalisierter Form ablaufen und auch die betriebliche Buchführung von den Unternehmen zunehmend elektronisch organisiert wird. Eine „digitale Betriebsprüfung“ im Sinne einer besonderen Prüfungsform (vgl. zu den Prüfungsformen Kapitel 3, Rz. 3.1 ff.) – vergleichbar bspw. der Kassennachschau oder der Lohnsteueraußenprüfung – kennt die Abgabenordnung allerdings nicht. Die Begriffe „Digitalisierung der Außenprüfung“ stehen vielmehr für die Beschreibung und Bewertung rechtlicher, organisatorischer und technischer Veränderungen und Besonderheiten im Recht und Verfahren einer Außenprüfung, die auf eine Digitalisierung des Prüfungsablaufs gerichtet sind.

2.3

Die gesetzliche Grundlage für digitale Prüfungsmaßnahmen bildet § 147 Abs. 6 AO (vgl. zu den Rechtsgrundlagen der Außenprüfung im Allgemeinen Rz. 1.11 ff.), der ein umfassendes Datenzugriffsrecht des Außenprüfers auf digitale Buchführungsdaten regelt. Die Finanzverwaltung hat ihre Verwaltungsgrundsätze zur Prüfung digitaler Unternehmensprozesse in dem umfangreichen BMF-Schreiben „GoBD1 niedergelegt. Im Einzelnen wird die Rechtsentwicklung der „digitalen Außenprüfung“ unter Rz. 2.11 ff. dargestellt.

2.4

Die im Rahmen der automationsgestützten Steuerfestsetzung gewonnen Daten und Informationen können von der Finanzbehörde im Rahmen der Prüfungsvorbereitung genutzt werden, um „vom Schreibtisch aus“ ein vorläufiges Bild des zu prüfenden Unternehmens zu erhalten und erste Prüfungsschwerpunkte zu setzen. Die Deklaration von Umsätzen und die Übermittlung von eBilanz/eEÜR-Werten unter Berücksichtigung von gemeldeten Versiche-

2.5

1 Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD), BMF-Schreiben v. 28.11.2019 – IV A 4 - S 0316/19/10003 :001, FMNR520000019, BStBl. I 2019, 1269.

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Kap. 2 Rz. 2.5 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

rungs- und Lohndaten ermöglicht eine interne und externe Verprobung der Betriebsdaten etwa anhand der Richtsatzsammlung für Betriebe. Aber auch ohne Heranziehung der Richtsatzsammlung lassen sich die vorliegenden Daten im Wege der Prüfungsvorbereitung sichten, analysieren und mit evtl. vorliegendem Kontrollmaterial abgleichen. Hinzu kommen die Möglichkeiten der Datenbeschaffung im Internet durch sog. Webcrawler im e-Commerce-Bereich oder bei Umsatzsteuerkarussell-Geschäften durch die Finanzverwaltungssoftware „NEPOMUK“ und weitere, frei zugängliche Erkenntnisquellen. Der Steuerpflichtige muss davon ausgehen, dass Google und die gängigen sozialen Netzwerke dem Außenprüfer bekannt sind und zur Informationsgewinnung genutzt werden. Aus den Informationen der sozialen Netzwerke wie Facebook, Instagram, LinkedIn, YouTube und Twitch sowie über Google lassen sich anhand öffentlich zugänglicher Profile oder mittels der Anzeige der Auslastung zu einer gewissen Stunde an einem bestimmten Tag Informationen zum Lebensstandard oder zur geschäftlichen Auslastung anhand von Bewegungsdaten gewinnen.

2.6

Im Rahmen der Durchführung der Prüfung spielt sodann der Datenzugriff des Außenprüfers gemäß § 147 Abs. 6 AO eine entscheidende Rolle (vgl. hierzu ausführlich unter Rz. 2.14 ff.). Dabei steht das Datenzugriffsrecht dem Außenprüfer nur als eine von mehreren Maßnahmen der Sachverhaltsermittlung zur Verfügung (vgl. zu Maßnahmen der Sachverhaltsermittlung in der Außenprüfung im Allgemeinen Rz. 1.441), was insbesondere bei der Frage nach einem ermessensfehlerfreien Ausüben des Datenzugriffsrechts eine Rolle spielt. Im Einzelfall können die technischen und rechtlichen Grenzen des Datenzugriffs Streitpotential bergen. Das Datenzugriffsrecht des Prüfers korrespondiert gemäß § 200 Abs. 1 Satz 2 AO mit einer besonderen Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen, den Prüfer bei der Ausübung seines Datenzugriffsrechts zu unterstützen. Hinzu kommt die – je nach den Umständen des Einzelfalles unterschiedlich weit reichende Verpflichtung des Steuerpflichtigen, Inhalt und Funktion steuerrelevanter Datenverarbeitungsprozesse gegenüber der Finanzbehörde zu dokumentieren (vgl. hierzu unter Rz. 2.57 ff.). Bei einer Verletzung der steuerlichen Mitwirkungspflichten im Zusammenhang mit dem Datenzugriffsrecht des Prüfers kommen eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen oder andere Sanktionen in Betracht (vgl. hierzu unter Rz. 2.63).

2.7

Die Finanzverwaltung hat auf die Digitalisierung steuerrelevanter Daten mit dem bereits erwähnten umfangreichen BMF-Schreiben, den sog. GoBD, reagiert, dessen Anwendung in der Außenprüfung zunehmend an Bedeutung gewinnt und dessen Reichweite im Einzelnen ebenfalls Fragen aufwirft. Im Zusammenhang mit steuerlichen Dokumentationspflichten spielt insbesondere die in den GoBD vorgesehene Verpflichtung zur Erstellung einer Verfahrensdokumentation für die im Unternehmen eingesetzten Datenverarbeitungssysteme in der Praxis der steuerlichen Betriebsprüfung eine Rolle. Durch eine Verfahrensdokumentation sollen die steuerrelevanten digitale Unternehmensprozesse beschrieben werden, um diese Dritten, insbesondere der Finanzverwaltung, gegenüber transparent zu machen (vgl. zur Verfahrensdokumentation i.S.d. GoBD ausführlich unter Rz. 2.68 ff., zur Kritik an diesem Instrument vgl. unter Rz. 2.59). Teil der Verfahrensdokumentation ist die Beschreibung des zur Einhaltung der abgabenrechtlichen Ordnungsvorschriften im Unternehmen eingerichteten Internen Kontrollsystems („IKS“). Die GoBD sehen eine Verpflichtung zur Einrichtung eines IKS vor und regeln Anforderungen an die einzurichtenden Kontrollmaßnahmen (vgl. hierzu ausführlich unter Rz. 2.91 ff.).

2.8

Bei einer Verletzung von steuerlichen Mitwirkungspflichten steht – in der digitalen ebenso wie in der analogen Betriebsprüfung – die Frage im Raum, ob die Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden dürfen bzw. müssen. Auf Ebene der Finanzverwaltung wurden und werden neue Prüfungstools entwickelt, um steuerrelevante digitale Massendaten zu strukturieren, zu überprüfen und die Höhe einer Hinzuschätzung zu ermitteln. Hierzu gehören die Summarische Risikoprüfung, die Schnittstellenverprobung oder das Monetary-Unit-Sampling (vgl. zur 256 | Peters

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A. Einführung | Rz. 2.12 Kap. 2

Darstellung und Funktionsweise der einzelnen Betriebsprüfungstools ausführlich unter Rz. 2.126 ff.). Die neuen digitalen Prüfungsmethoden treten neben die „traditionellen“ Verprobungs- und Schätzungsmethoden (vgl. zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen ausführlich Kapitel 1, Rz. 1.554 ff.). Eine – ggf. streitige – Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der einzelnen Tools bedarf der Kenntnis der Funktionsweise der Methoden und der rechtlichen Einordnung ihrer Reichweite (vgl. zu möglichen Verteidigungsstrategien ausführlich unter Rz. 2.159 ff.). Dabei bringt der Einsatz neuer Prüfungsmethoden für den Prüfer im Rahmen seiner Informationspflichten insbesondere die Verpflichtung mit sich, die Datengrundlage sowie die Prüfungsergebnisse und deren Zustandekommen gegenüber dem Steuerpflichtigen zu erläutern. Auf Seiten der Steuerpflichtigen können im Rahmen der Außenprüfung ebenfalls IT-gestützte Prozesse zum Einsatz kommen. Je nach Unternehmensgröße kann dabei der gesamte Prüfungsablauf von der Vorbereitung über die Durchführung der Außenprüfung bis zur Umsetzung der Prüfungsergebnisse durch IT-Lösungen begleitet und im Sinne eines zeitgerechten Betriebsprüfungsmanagement effektiv gestaltet werden (vgl. zu einem zeitgerechten Betriebsprüfungsmanagement unter Einsatz von IT-Lösungen unter Rz. 2.202 ff.). Dies schließt die Möglichkeiten einfacherer und damit effektiverer Kommunikation mit den zuständigen Sachbearbeitern der Finanzbehörde in allen Phasen der Betriebsprüfung mit ein.

2.9

Die Digitalisierung der Außenprüfung hat schließlich nicht nur die Schaffung neuer Rechtsgrundlagen und die Einführung neuer Verfahrenstechniken bzw. Prüfinstrumente zur Folge. Sie wirft auch neue Rechtsfragen zum Datenschutz auf, die bislang nur wenig „ausgeleuchtet“ sind. Hierzu gehören insbesondere die Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die sowohl im innerbetrieblichen Bereich als auch im Rahmen der Kommunikation mit Behörden zu beachten sind (vgl. hierzu ausführlich unter Rz. 2.249 ff.).

2.10

II. Überblick über die Rechtsentwicklung Gesetzgeber und Finanzverwaltung haben seit Mitte der neunziger Jahre die zunehmende Bedeutung der digitalen Erfassung steuerrelevanter Daten zum Anlass gesetzlicher Regelungen und Erlass von Verwaltungsvorschriften genommen. Besondere Bedeutung nimmt dabei seit jeher die Kassenführung ein (vgl. zur Kassenführung ausführlich Kapitel 5, Rz. 5.1 ff.). Eine gesetzliche Grundlage für den Zugriff der Finanzverwaltung auf digitale Buchführungsdaten findet sich erst seit dem 1.1.2002 in § 147 Abs. 6 AO. Der Datenzugriff ist ein Informationseingriff in das „Grundrecht auf Datenschutz“ und hat als solcher eine besondere Eingriffsintensität1, die eine spezielle gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erfordert. Das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen vom 22.12.20162 sieht neben der Kassennachschau und einer Konkretisierung der steuerlichen Aufzeichnungspflichten insbesondere Neureglungen zum Manipulationsschutz digitaler Kassenaufzeichnungen vor.

2.11

Das BMF hat im Jahr 2014 in den „Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)“seine bisherigen Stellungnahmen zur digitalen Außenprüfung zusammengefasst.3 Im Jahr 2019 wurden die GoBD an die aktuelle rechtliche und technische Entwicklung angepasst.4

2.12

1 BFH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452. 2 BGBl. I 2016, 3152. 3 BMF-Schreiben v. 14.11.2014 – IV A 4 - S 0316/13/10003, BStBl. I 2014, 1450, neugefasst durch BMF-Schreiben v. 28.11.2019 – IV A 4 - S 0316/19/10003 :001, FMNR520000019, BStBl. I 2019, 1269. 4 BMF-Schreiben v. 28.11.2019 – IV A 4 - S 0316/19/10003 :001, FMNR520000019, BStBl. I 2019, 1269.

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Kap. 2 Rz. 2.13 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

2.13

Im Einzelnen ergibt sich die Rechtsentwicklung der „digitalen Außenprüfung“ aus folgender Tabelle: Datum/ Inkrafttreten

Norm

Gegenstand

7.11.1995

GoBS

BMF-Schr. v. 7.11.1995, BStBl. I 1995, 738 zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme

9.1.1996

Kassenrichtlinie

BMF-Schr. v. 9.1.1996, BStBl. I 1996, 34 zum Verzicht auf die Aufbewahrung von Kassenstreifen bei Einsatz elektronischen Registrierkassen (Z-Bons)

16.7.2001

GDPdU

BMF-Schr. v. 16.7.2001, BStBl. I 2001, 415 zu den Grundsätzen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Daten

1.1.2002

§ 147 Abs. 6 AO

Datenzugriffsrecht

26.11.2010

Kassenrichtlinie

BMF-Schr. v. 26.11.2010, BStBl. I 2010, 1342 zur Aufbewahrung digitaler Unterlagen bei Bargeschäften (Auslesbarkeit der Kasse)

1.1.2015

GoBD

BMF-Schr. v. 14.11.2014, BStBl. I 2014, 1450, Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) (Digitale Belegausgabe), Aufhebung GoBS und GDPdU

22.12.2016

Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen v. 22.12.2016 (BGBl. I 2016, 3152), „Kassengesetz“

Einzelaufzeichnungspflicht (§ 146 Abs. 1 AO), dazu BMF-Schr. v. 19.6.2018, BStBl. I 2018, 706 Datenzugriff bei Dritten (§ 146 Abs. 6 Satz 3 und 4 AO)

31.12.2016

Ende Übergangsregelung Kassenrichtlinie

1.1.2018

„Kassengesetz“

Kassennachschau (§ 146b AO), dazu BMF-Schr. v. 29.5.2018, BStBl. I 2018, 699

1.1.2020

GoBD („neu“)

BMF-Schr. v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269, Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) (Digitale Belegausgabe), ersetzt BMF-Schr. v. 14.11.2014, BStBl. I 2014, 1450

1.1.2020

„Kassengesetz“

§ 146a AO

31.12.2022

„Kassengesetz“

Ende Übergangsregelung Kassengesetz (Art. 97 § 30 Abs. 1 EGAO)

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B. Datenzugriff | Rz. 2.17 Kap. 2

B. Datenzugriff I. Rechtsgrundlagen des Datenzugriffs 1. Gesetzlicher Ausgangspunkt Gesetzliche Grundlage für das Datenzugriffsrecht des Außenprüfers ist § 147 Abs. 6 AO. Erstellt der Steuerpflichtige steuerlich relevante Unterlagen mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems, hat die Finanzbehörde nach dieser Vorschrift im Rahmen einer Außenprüfung das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen und das Datenverarbeitungssystem zur Prüfung dieser Unterlagen zu nutzen. Dem Recht der Finanzverwaltung auf Einsicht und Prüfung auf der einen Seite entspricht auf der anderen Seite die Verpflichtung zur Gewährung dieser Einsicht und zur uneingeschränkten Ermöglichung der Prüfung dieser Daten.1 Der Steuerpflichtige hat den Prüfer bei der Ausübung des Datenzugriffs zu unterstützen (§ 200 Abs. 1 Satz 2 AO) und die dabei entstehenden Kosten zu tragen (§ 147 Abs. 6 Satz 3 AO). Aus dem Zusammenspiel von § 147 Abs. 6 AO und § 200 Abs. 1 Satz 2 AO wird deutlich, dass der Prüfer nicht von sich aus in Daten und Datenverarbeitungssysteme Einblick nehmen kann, sondern er darauf beschränkt ist, den Steuerpflichtigen zur Mitwirkung aufzufordern und ihm die Möglichkeit zur Prüfung zu geben.2 Insoweit besteht kein „beförderliches“ Recht auf „Selbstbedienung“.3

2.14

Der Anwendungsbereich des Datenzugriffsrechts aus § 147 Abs. 6 AO umfasst die steuerliche Außenprüfung i.S.d. §§ 193 ff. AO und damit auch die Umsatzsteuer-Sonderprüfung und die Lohnsteuer-Außenprüfung. Der Steuerfahndung steht, auch wenn sie keine Außenprüfung ist, nach Maßgabe des § 298 Abs. 1 Satz 3 AO ein Zugriffsrecht zu.4 Auch den Zollbehörden steht der Datenzugriff offen.5 Für die Umsatzsteuer-Nachschau und die Lohnsteuer-Nachschau gilt § 147 Abs. 6 AO nicht. Die Regelungen der zum 1.1.2018 eingeführten Kassennachschau, die ebenfalls keine steuerliche Außenprüfung i.S.d. §§ 193 ff., sondern ein verfahrensrechtlich eigenständiges Prüfungsverfahren darstellt,6 enthalten in § 146b Abs. 2 Satz 2 AO eine spezielle gesetzliche Ermächtigung für den Datenzugriff.

2.15

Ein Datenzugriffsrecht des Prüfers besteht gemäß § 147a Satz 5 i.V.m. § 147 Abs. 2, Abs. 5 bis 7 AO auch in den in § 147 AO geregelten Fällen einer Außenprüfung bei Steuerpflichtigen, die Überschusseinkünfte erzielen.

2.16

§ 147 Abs. 6 AO stellt keine Ermächtigungsgrundlage für den Aufbau von Datensammlungen über Verrechnungspreise oder Branchenkennzahlen dar.7 Die im Rahmen des Datenzugriffs erhaltenen Datenträger sind spätestens nach Bestandskraft der aufgrund der Außenprüfung ergangenen Bescheide an den Steuerpflichtigen zurückzugeben und die Daten sind zu löschen.8

2.17

1 2 3 4 5 6 7 8

Sauer in Gosch, § 147 AO Rz. 51. So auch Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 69a; a.A. Buse, AO-StB 2012, 375. Streck, Die Außenprüfung, Rz. 353. Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 70. Vgl. Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 70 m.w.N. auch zur Gegenauffassung. Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 2. Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 81. BMF, BStBl. I 2019, 1269 (GoBD).

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Kap. 2 Rz. 2.18 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

2. Datenzugriff als Ermessensentscheidung 2.18

§ 147 Abs. 6 AO begründet keine eigenständige Prüfungsform im Sinne einer „digitalen Außenprüfung“, sondern stellt eine von mehreren möglichen Maßnahmen der Sachverhaltsermittlung in der steuerlichen Außenprüfung i.S.d. §§ 193 ff. AO dar (vgl. zur den einzelnen Prüfungsmaßnahmen ausführlich Kapitel 1, Rz. 1.441). Gemäß § 147 Abs. 6 AO liegt es im Ermessen des Prüfers, ob er den Datenzugriff anordnet (Entschließungsermessen) und in welcher Form er dies tut (Auswahlermessen). Die Ausübung des Datenzugriffsrechts steht damit insbesondere unter Verhältnismäßigkeitsvorbehalt.1 Der Prüfer muss den Zeit- und Arbeitsaufwand und die Kosten des Steuerpflichtigen ebenso berücksichtigen wie die betrieblichen Begebenheiten wie Größe des Unternehmens und Zahl der Mitarbeiter.2 Die Datenanforderung kann bspw. unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft sein, wenn mehrere Zugriffsmöglichkeiten nebeneinander gewählt werden oder auf Kostenstellen zugegriffen werden soll, obwohl sich die erforderlichen Daten bereits aus der Finanzbuchhaltung ergeben. Eine Aufforderung zum Datenzugriff ist auch dann unverhältnismäßig, wenn bei einem Berufsgeheimnisträger nicht sichergestellt ist, dass der Datenzugriff und die Auswertung der Daten nur in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen oder in den Diensträumen der Finanzverwaltung stattfindet.3 Ein Zugriff auf nicht aufbewahrungspflichtige Daten (vgl. hierzu unter Rz. 2.46) ist allerdings bereits mangels Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 147 Abs. 6 AO und nicht wegen eines Ermessensfehlers rechtswidrig. Ein Ermessensfehler liegt auch bei einem Ermessensnichtgebrauch vor, wenn also die Finanzbehörde im Rahmen der Datenanforderung kein Ermessen ausgeübt hat. Anhaltspunkte hierfür bestehen bspw., wenn die standardmäßige Aufforderung zur Einräumung des Datenzugriffs im Rahmen der Prüfungsanordnung nicht begründet wird. Insofern dürfte es allerdings ausreichen, wenn die Datenanforderung zur Begründung auf die Vorschrift des § 147 Abs. 6 AO verweist.4

II. Technik des Datenzugriffs 1. Einführung 2.19

Der Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO durch die Finanzbehörde stellt originär auf Geschäftsvorfälle ab, die mittels eines Datenverarbeitungssystems (dazu unter Rz. 2.21 ff.) erstellt werden. Hierfür ist der Finanzverwaltung Einsichtnahme in die gespeicherten Daten zu gewähren und mithilfe des Datenverarbeitungssystems zur Prüfung der Unterlagen nutzbar zu machen. Das Datenzugriffsrecht kann wie folgt ausgeübt werden (vgl. hierzu ausführlich unter Rz. 2.32 ff.): – Am System des Steuerpflichtigen, § 147 Abs. 6 Satz 1 AO („Z1-Zugriff“), – nach Vorgabe der Finanzbehörde am System aufbereiten, § 147 Abs. 6 Satz 2 Hs. 1 („Z2Zugriff“), – durch Zurverfügungstellung der aufgezeichneten Daten per Datenträger, § 147 Abs. 6 Satz 2 Hs. 2 („Z3-Zugriff“). 1 BFH, Urt. v. 7.6.2021 – VIII R 24/18, DB 2021, 1995; BFH, Beschl. v. 27.9.2010 – II B 164/09, BFH/NV 2011, 193; FG Münster, Urt. v. 7.11.2014 – 14 K 2901/13 AO, EFG 2015, 262; Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 69; Peters, DB 2018, 2846. 2 Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 76a; Schaumburg, DStR 2002, 831; Schmitz, StBp. 2002, 254; Stahl, KöSDI 2005, 14538; auch BMF, BStBl. I 2019, 1269 (GoBD). 3 BFH, Urt. v. 7.6.2021 – VIII R 24/18, DB 2021, 1995. 4 In diese Richtung auch Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 76.

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B. Datenzugriff | Rz. 2.26 Kap. 2

Befinden sich die Daten bei einem Dritten, so können die unter Punkt 1–3 genannten Zugriffsarten auch dort angewandt werden, § 147 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1–3 („Z4-Zugriff“). Bei der Ausübung des Datenzugriffs durch den Außenprüfer können technische Probleme auftreten, die eine steuerliche Prüfung der Daten erschweren oder verhindern können (dazu unter Rz. 2.42 ff.).

2.20

2. Begriff des Datenverarbeitungssystems § 147 Abs. 6 AO ermöglicht den Datenzugriff auf „Datenverarbeitungssysteme“. Der Begriff des „Datenverarbeitungssystems“ ist gesetzlich nicht definiert, was in der Betriebsprüfungspraxis im Einzelfall zu Problemen bei der Bestimmung der Reichweite des Datenzugriffsrechts des Prüfers führen kann. Die Rechtsprechung spricht in diesem Zusammenhang davon, dass sich das Datenzugriffsrecht auch auf Daten aus vorgeschalteten Systemen und Nebensystemen erstreckt.1

2.21

Rz. 20 der GoBD2 definiert das Datenverarbeitungssystem wie folgt:

2.22

Unter Datenverarbeitungssystem wird die im Unternehmen oder für Unternehmenszwecke zur elektronischen Datenverarbeitung eingesetzte Hard- und Software verstanden, mit denen Daten und Dokumente im Sinne der Rzn. 3 bis 5 erfasst, erzeugt, empfangen, übernommen, verarbeitet, gespeichert oder übermittelt werden. Dazu gehören das Hauptsystem sowie Vor- und Nebensysteme (z.B. Finanzbuchführungssystem, Anlagenbuchhaltung, Lohnbuchhaltungssystem, Kassensystem, Warenwirtschaftssystem, Zahlungsverkehrssystem, Taxameter, Geldspielgeräte, elektronische Waagen, Materialwirtschaft, Fakturierung, Zeiterfassung, Archivsystem, Dokumenten-Management-System) einschließlich der Schnittstellen zwischen den Systemen. Auf die Bezeichnung des Systems oder auf dessen Größe (z.B. Einsatz von Einzelgeräten oder von Netzwerken) kommt es dabei nicht an. Ebenfalls kommt es nicht darauf an, ob die betreffenden Systeme vom Steuerpflichtigen als eigene Hardware bzw. Software erworben und genutzt oder in einer Cloud bzw. als eine Kombination dieser Systeme betrieben werden.

2.23

Die Bezeichnungen Haupt-, Vor- und Nebensystem stellen nur Orientierungshilfen zur Begrenzung des Umfangs des Datenzugriffs dar. Entscheidend für die Berechtigung zum Datenzugriff der Betriebsprüfung ist, ob Datensätze steuerrelevant und aufbewahrungspflichtig sind und in verdichteter Form in das eigentliche Buchführungssystem übergeben werden.3 Diesbezüglich ist eine Trennung durch den Steuerpflichtigen erforderlich, sog. "Erstqualifikationsrecht".

2.24

Dies lässt sich an folgenden Beispielen verdeutlichen:

2.25

Beispiel Kassensystem: – Zur Aufzeichnungspflicht für Einzelhandelsgeschäfte hat der BFH klargestellt, dass die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung jeden Einzelhändler verpflichten, im Rahmen der Zumutbarkeit sämtliche Geschäftsvorfälle einschließlich der über die Kasse bar vereinnahmten Umsätze einzeln aufzuzeichnen. Der Umfang der zumutbaren Aufzeichnungen soll dabei von der Art des Aufzeichnungsmediums bestimmt werden. Verwendet ein Einzelhändler, der in seinem Betrieb Waren von geringem Wert an ihm der Person nach nicht bekannten Kunden über den Ladentisch gegen Barzahlung verkauft, eine PC-Kasse, die detaillierte Informationen zu den einzelnen Verkäufen aufzeichnet und eine dauerhafte Speicherung ermöglicht, sollen die damit bewirkten Einzelaufzeichnungen auch zumutbar sein. Der Umstand, dass eine gesetzliche Verpflichtung zur Verwendung einer PC-Kasse nicht besteht, führt nicht dazu, dass es sich bei den mit Hilfe einer PC-Kasse einzeln aufgezeichneten Bareinnahmen um freiwillige Aufzeichnungen handelt. Vielmehr sollen

2.26

1 BFH, Urt. v. 16.12.2014 – X R 42/13, BStBl. II 2015, 519. 2 BMF, BStBl. I 2019, 1269. 3 Vgl. BFH, Urt. v. 16.12.2014 – X R 42/13, BStBl. II 2015, 519.

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Kap. 2 Rz. 2.26 | Digitalisierung der Betriebsprüfung Grundaufzeichnungen gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO vorliegen. Die durch das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen vom 22.12.20161 eingeführte Regelung des § 146 Abs. 1 Satz 1 AO stellt dies ausdrücklich klar. Dem Datenzugriff unterliegen damit auch die Daten aus (Kassen-)Systemen, die der eigentlichen Buchführung vorgelagert sind.2

2.27

Beispiel Warenwirtschaftssystem: – Warenwirtschaftssysteme können verschiedene Bereiche eines Unternehmens (z.B. Einkauf, Verkauf oder Lagerhaltung) betreffen und unterschiedliche Bestandteile (z.B. Kasse, Provisionsabrechnung, Mitarbeiter-Zeiterfassung oder statistische Auswertungen von Daten für das Controlling) umfassen. Ein Warenwirtschaftssystem unterliegt deshalb nicht per se dem Datenzugriffsrecht des Prüfers, sondern es ist nach der Art der erfassten Daten zu entscheiden.3 Steuerrelevante – und damit dem Datenzugriff unterliegende – Daten liegen vor soweit Einkauf, Verkauf4, Fakturierung, Inventur, Kassenführung oder Provisionsabrechnung abgebildet werden. Keine steuerrelevanten Daten liegen vor, soweit reine Angebotserstellung, betriebsinterne Zeitverwaltung, Patientendaten oder statistische Auswertungen für das Controlling abgebildet werden. Im Zweifel hat der Außenprüfer gegenüber dem Steuerpflichtigen substantiiert darzulegen, aus welchen Gründen die Daten, auf die zugegriffen werden soll, steuerrelevant sind.

2.28

Beispiel E-Mails: – Die E-Mail als Datei aus dem Datenverarbeitungssystem E-Mail-Account spielt eine immer größer werdende Rolle. Ihre Bedeutung entspricht der analoger Geschäftsbriefe, die in der „analogen“ Betriebsprüfung vorzulegen sind. Die Grundsätze über zugriffspflichtige Daten gelten auch für den E-Mail-Verkehr und diesen angehängte Dateien, weil sich deren steuerliche Relevanz nicht von vornherein leugnen lässt.5 Eine E-Mail kann je nach ihrem Inhalt die Voraussetzungen eines Handels- und Geschäftsbriefs i.S.v. § 147 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO oder „sonstiger Unterlagen“ i.S.v. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO erfüllen.6 Digitale Geschäftsbriefe oder E-Mails mit steuerlicher Relevanz sind hierbei bis zu zehn Jahren vorzuhalten und jederzeit lesbar zu machen. Verlangt der Prüfer die Offenlegung des gesamten, auch unternehmensinternen, E-Mail-Verkehrs, ist bezüglich der Berechtigung zum Datenzugriff dementsprechend nach dem Inhalt der E-Mails zu unterscheiden. Die digitale Form der Informationsübermittlung allein reicht für die Zulässigkeit des Datenzugriffs nicht aus. Auch in diesem Zusammenhang greift allerdings das Erstqualifikationsrecht des Steuerpflichtigen. Werden die in einzelnen E-Mails verbrieften steuerrelevanten und nicht steuerrelevanten Daten nicht hinreichend voneinander getrennt oder kann die Art der Trennung vom Steuerpflichtigen nicht nachgewiesen werden, unterliegen die E-Mail-Korrespondenz dem Datenzugriff.7 Die Archivierung privater E-Mails kann zusätzlich datenschutzrechtliche Fragen aufwerfen. Eine Lösung in der Praxis kann hier das Verbot des privaten E-Mailverkehrs durch den Unternehmensinhaber sein. – Nach Auffassung der Finanzverwaltung8 sollen aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtige Daten, Datensätze, elektronische Dokumente und elektronische Unterlagen, die im Unternehmen entstanden oder dort eingegangen sind, zudem auch in dieser Form aufzubewahren sein und vor Ablauf der Aufbewahrungsfrist nicht gelöscht werden dürfen. Zu den im Unternehmen entstandenen elektronischen Dokumenten sollen auch eingescannte Papierbelege sowie per E-Mail eingegangene Rechnungen im PDF-Format gehören, die – soweit zumutbar – nicht mehr ausschließlich in ausgedruckter Form aufbewahrt werden dürfen und für die Dauer der Aufbewahrungsfrist unveränderbar erhalten bleiben müssen.9 Der Ansatz der Finanzverwaltung, nur eine „medienbruch1 2 3 4 5 6 7 8 9

BGBl. I 2016, 3152. BFH, Urt. v. 16.12.2014 – X R 42/13, BStBl. II 2015, 519. Peters, DB 2018, 2846 (2848). BFH, Urt. v. 16.12.2014 – X R 42/13, BStBl. II 2015, 519. Drüen, AO-StB 2003, 85 m.w.N. Vgl. hierzu ausführlich Hanselmann/Berger, IWB 2020, 21 ff. Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 73. BMF, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 131. BMF, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 133.

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B. Datenzugriff | Rz. 2.31 Kap. 2 freie“ Aufbewahrung als ordnungsgemäß anzusehen, ist im Sinne einer Erleichterung der Prüfung nachvollziehbar. Kritisch ist einzuwenden, dass auch ein Steuerpflichtiger, der E-Mails, die steuerrelevante Informationen enthalten, oder die solche Informationen enthaltenden Anhänge bspw. ausgedruckt und in Papierform vollständig ablegt, seinen Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten genügt und die damit verbundene fehlende Eignung der Unterlagen zur maschinellen Auswertung in einem Analyseprogramm der Finanzverwaltung keinen Verstoß gegen die steuerlichen Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten begründen kann. Im Schrifttum wird dementsprechend die Auffassung vertreten, dass, wenn Textdokumente und E-Mails ausgedruckt und anschließend gelöscht werden, kein Verstoß gegen die Pflicht zur elektronischen Aufbewahrung und damit kein Datenzugriffsrecht des Prüfers besteht.1 – Problematisch kann eine Auslagerung der (archivierten) E-Mails sein, wenn der (Mail-)Server nicht im Inland belegen ist. § 146 Abs. 2a AO sieht für diese Fälle eine Antragstellung vor. Das im Dezember 2020 durch Bundestag und Bundesrat verabschiedete Jahressteuergesetz 20202 sieht in § 146 Abs. 2a AO n.F. eine Ausweitung der zulässigen Serverstandorte auf das europäische Ausland vor.

Zu den Datenverarbeitungssystemen i.S.v. § 147 Abs. 6 AO können darüber hinaus je nach Tätigkeitsfeld des Unternehmens noch weitere technische Einrichtungen gehören, bei denen der Gedanke an die Gewährung des Datenzugriffs zu steuerlichen Zwecken nicht auf den ersten Blick nahe liegt.

2.29

Beispiele: a) In einem Unternehmen wird ein Bagger vermietet. Der Bagger ist mit einem Betriebsstundenzähler ausgestattet. Für die Aufzeichnung der Betriebsstunden ist herstellerbedingt ein kleines Aufzeichnungsgerät im Cockpit eingebaut. Das Wartungsintervall beträgt 200 Betriebsstunden.Erfolgt die Abrechnung pauschal, besteht mangels Bezugs zur Abrechnung kein Recht zum Datenzugriff auf die eventuell aufgezeichneten Daten, da diese nicht steuerlich relevant sind.

2.30

b) Wird der für den Erdaushub verwendete Bagger demgegenüber nach Betriebsstunden abgerechnet, ist der Betriebsstundenzähler Grundlage für die Abrechnung der geleisteten Stunden. Die aufgezeichneten Daten sind steuerrelevant und das Datenzugriffsrecht des Prüfers erstreckt sich auf den Betriebsstundenzähler. Problematisch kann das Auslesen der Daten sein. Fehlt eine Schnittstelle, muss hilfsweise auf „analoge“ Papierbelege zurückgegriffen und bspw. geprüft werden, wann der Bagger gekauft und wann gewartet wurde und wie sich der aktuelle Stand des Betriebsstundenzählers darstellt. Werden die abgerechneten Stunden bspw. in fortlaufend nummerierten, vollständigen Rechnungsbelegen dargestellt, dürfte der formelle Mangel der fehlenden Speicherung für sich allein gesehen kein sachliches Gewicht haben und keine Schätzungsbefugnis auslösen. c) Die dargestellte Problematik kann sich auch bei Kaffeevollautomat mit Bezahlfunktion, Milchautomaten oder Autowaschanlagen ergeben.

Sowohl Unternehmer als auch Steuerberater sollten auf „Knopfdruck“ alle betrieblich genutzten Datenverarbeitungsgeräte kennen, die steuerlich relevante Daten erzeugen, und sich im Sinne der Beweisvorsorge bemühen, entsprechende Dokumentationsunterlagen für die eingesetzten Systeme vorzuhalten. Aus dieser Dokumentation sollten sich die Funktionen des Systems, Einsatzzeiten und Nutzerberechtigungen ergeben (vgl. zu Dokumentationspflichten ausführlich unter Rz. 2.57 ff. und zur Verfahrensdokumentation im Sinne der GoBD ausführlich Rz. 2.68 ff.).

1 So auch Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 73; Stahl, KöSDI 2005, 14534; Intemann, NWB F. 17, 2016; wohl auch Apitz, StBp. 2002, 44; Bruschke, StB 2002, 43; a.A. Hagenkötter, NJW 2002, 1978; Kerssenbrock/Riedel/Strunk, StB 2002, 264. 2 BGBl. 2020 Nr. 65, 3096.

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2.31

Kap. 2 Rz. 2.32 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

3. Formen des Datenzugriffs a) Überblick

2.32

§ 147 Abs. 6 AO sieht drei Formen des Datenzugriffs der Finanzverwaltung vor: Den unmittelbaren Zugriff auf das Datenverarbeitungssystem selbst (sog. „Z1-Zugriff“), den mittelbaren Datenzugriff durch maschinelle Auswertung der Daten durch den Steuerpflichtigen nach Vorgaben des Prüfers (sog. „Z2-Zugriff“) und die Überlassung der Daten auf einem Datenträger (sog.“Z3-Zugriff“). Diese drei Möglichkeiten stehen gleichberechtigt nebeneinander. Eine Rangfolge der verschiedenen Zugriffsformen bestimmt § 147 Abs. 6 AO nicht.1 § 146 Abs. 6 Satz 3 und 4 AO erweitern das Zugriffsrecht des Außenprüfers auf Daten, die sich bei einem Dritten (bspw. Steuerberater oder Finanzbuchhalter) befinden (sog. „Z4-Zugriff“). b) Unmittelbarer Datenzugriff (Nur-Lese-Zugriff, „Z1“)

2.33

Der Prüfer hat nach § 147 Abs. 6 Satz 1 AO das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen und das Datenverarbeitungssystem zur Prüfung der Unterlagen zu nutzen. Gegenstand des Z1-Zugriffs ist die vom Steuerpflichtigen oder einem von diesem beauftragten Dritten eingesetzte Hard- und Software einschließlich der im Datenverarbeitungssystem vorhandenen Auswertungsmöglichkeiten.2 Der Z1-Zugriff umfasst nicht nur die Sichtbarmachung, sondern auch das Sortieren und Filtern der Daten.3 Der Steuerpflichtige ist frei in der Organisation seiner Buchführung und deshalb nicht verpflichtet, auf Verlangen des Prüfers auf eigene Kosten Auswertungsprogramme zu installieren, selbst dann nicht, wenn solche Auswertungsprogramme vorhanden, aber nicht installiert sind.4 Auch eigene Programme, bspw. Analyseprogramme, darf der Prüfer beim Z1-Zugriff nicht verwenden.5

2.34

Der Steuerpflichtige muss den Prüfer gemäß § 200 Abs. 1 Satz 2 AO bei der Ausübung des Datenzugriffs unterstützen, indem er ihm eine Zugangsberechtigung zu dem Datenverarbeitungssystem einräumt und ihn in die Benutzung der Hard- und Software einweist.6 Ein Fernzugriff, also ein Online-Zugriff, ist nicht zulässig.7 Es genügt außerdem, wenn dem Prüfer ein EDV-Zugang ohne Netzzugriff eingeräumt wird, solange dieser Zugang den Zugriff auf sämtlichen steuerrelevanten Daten und Programme ermöglicht.8

2.35

Bedient der Prüfer das Datenverarbeitungssystem nicht sachgemäß und verletzt er dadurch die Integrität der Daten oder bringt das System zum Absturz, kommen Schadenersatzansprüche nach den Regelungen über die Amtshaftung in Betracht.9 c) Mittelbarer Datenzugriff („Z2“)

2.36

Gemäß § 147 Abs. 6 Satz 2 Fall 1 AO kann der Prüfer verlangen, dass die gespeicherten Daten nach seinen Vorgaben maschinell ausgewertet werden. Der Nur-Lese-Zugriff des Prüfers wird 1 2 3 4 5 6 7 8 9

BFH, Urt. v. 27.9.2010 – II B 164/09, BFH/NV 2011, 193. Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 78; BMF, BStBl. I 2019, 1269 (GoBD). Tormöhlen, AO-StB 2014, 244. Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 78; Burchert, INF 2006, 745; a.A. BMF, BStBl. I 2019, 1269 (GoBD). Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 78a; Tormöhlen, AO-StB 2014, 244. Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 78a; Tormöhlen, AO-StB 2014, 244. Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 78a. Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 78a. Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 78a m.w.N.

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B. Datenzugriff | Rz. 2.40 Kap. 2

also durch den Steuerpflichtigen oder dessen mit der Hard- und Software vertrautes Personal ausgeübt. Dabei muss der Prüfer die Kriterien, nach denen Daten verknüpft werden, selbst festlegen und darf nur EDV-spezifische Ergänzungsfragen an den Stpfl. richten.1 Der Steuerpflichtige wird also nicht zum „Hilfsprüfer“.2 d) Datenträgerüberlassung („Z3“) Der Prüfer kann schließlich gemäß § 147 Abs. 6 Satz 2 2. Fall AO verlangen, dass die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt werden. Der Z3-Zugriff dürfte in der Praxis den Regelfall darstellen. Je nach Umfang der Datenmenge kann hierzu ein USB-Stick, eine Festplatte oder eine DVD verwendet werden.

2.37

Hinweis: Die Vollständigkeit und Richtigkeit der Datenübermittlung hängt beim Z3-Zugriff insbesondere von der Qualität der Programmierung der entsprechenden Schnittstelle des Datenverarbeitungssystems ab. Um unliebsame Überraschungen in der Außenprüfung zu vermeiden, sollte im Zweifel vor der Datenübermittlung an den Prüfer ein „Test-Zugriff“ erfolgen. Die Praxis zeigt, dass allein HerstellerTestate bspw. über eine „GoBD-Konformität“ nicht in jedem Einzelfall die Gewähr dafür bieten, dass eine zutreffende Filterung und Sortierung der Daten erfolgt. Im Zweifel sollte bei nicht aufklärbaren Auffälligkeiten der Daten zusätzlich ein Z1-Zugriff durch den Prüfer vorgenommen werden.

2.38

Der Prüfer darf nicht selbst Daten aus dem EDV-System des Steuerpflichtigen kopieren oder auf seinen Rechner herunterladen, sondern er hat den Datenträger des Steuerpflichtigen auf seinem Rechner zu verwenden.3 Sodann hat der Prüfer die Möglichkeit, spezielle Auswertungs- und Analyseprogramme einzusetzen, die eine Analyse der Datenstruktur ermöglichen. Dabei findet bundesweit insbesondere die Prüfungssoftware „IDEA“ Anwendung (zur fehlenden Kompatibilität der vom Steuerpflichtigen verwendeten Hard- und Software mit den Analyseprogrammen der Finanzverwaltung vgl. unter Rz. 2.42 ff.). In Betracht kommt außerdem eine Analyse mittels anderer digitaler Verprobungs- und Prüfungsmethoden wie bspw. einer Summarischen Risikoprüfung oder einer Schnittstellenverprobung (vgl. zu den digitalen Betriebsprüfungstools ausführlich unter Rz. 2.126 ff.).

2.39

Insbesondere der Z3-Zugriff wirft Fragen des Datenschutzes auf, da die Daten des Steuerpflichtigen dessen „Machtbereich“ verlassen. Die Bestimmung des (zulässigen) Ortes des Datenzugriffs hat deshalb besondere Bedeutung. Die Rechtsprechung grenzt den Ort des Datenzugriffs ein und beschränkt diesen dahingehend, dass die Finanzverwaltung die Herausgabe digitalisierter Steuerdaten zur Speicherung und Auswertung auf mobilen Rechnern der Prüfer nur verlangen kann, wenn Datenzugriff und Auswertung in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen oder in den Diensträumen der Finanzverwaltung stattfinden.4 Die Finanzbehörde ist auch nicht berechtigt, die ihr im Rahmen der Außenprüfung in digitaler Form überlassenen Daten über den Zeitraum der Prüfung hinaus auf Rechnern außerhalb der Diensträume der Finanzverwaltung zu speichern.5 Danach ist es als eine Frage der Verhältnismäßigkeit des Datenzugriffs anzusehen, dass der Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung der Daten Rechnung getragen und nach Möglichkeit ausgeschlossen wird, dass die Daten außerhalb der

2.40

1 2 3 4 5

Burchert, INF 2001, 232; Carlé, KöSDI 2001, 13111. Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 79. Tormöhlen, AO-StB 2014, 245. BFH, Urt. v. 16.12.2014 – VIII R 52/12, DStR 2015, 1920. BFH, Urt. v. 16.12.2014 – VIII R 52/12, DStR 2015, 1920.

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Kap. 2 Rz. 2.40 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

Geschäftsräume des Steuerpflichtigen oder der Diensträume der Finanzverwaltung z.B. infolge eines Diebstahls des Prüfer-Notebooks in fremde Hände geraten können.1 Bei einem Berufsgeheimnisträger muss außerdem sichergestellt sein, dass der Datenzugriff und die Auswertung der Daten nur in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen oder in den Diensträumen der Finanzverwaltung stattfindet.2 Nach dem Abschluss der Außenprüfung dürfen die nach § 147 Abs. 6 AO überlassenen Daten bzw. die entsprechenden Datenträger nur noch in den Diensträumen der Finanzverwaltung gespeichert bzw. aufbewahrt werden und nur soweit und solange, wie sie noch für Zwecke des Besteuerungsverfahrens, z.B. bis zum Abschluss etwaiger Rechtsbehelfsverfahren, benötigt werden.3 e) Datenzugriff bei Dritten („Z4“)

2.41

Nach § 147 Abs. 6 Satz 3 AO kann der Datenzugriff auch bei dritten Personen, bspw. bei dem Steuerberater oder Bilanzbuchhalter des Steuerpflichtigen, erfolgen. § 146 Abs. 7 Satz 3 AO hat insofern klarstellenden Charakter, als der Datenzugriff bei Dritten auch schon zuvor in Abstimmung mit dem Steuerpflichtigen als zulässig erachtet wurde.4 Teilt der Steuerpflichtige dem Prüfer mit, dass sich seine Daten nach Absatz 1 bei einem Dritten befinden, so hat der Dritte der Finanzbehörde Einsicht in die für den Steuerpflichtigen gespeicherten Daten zu gewähren (Satz 3 Nr. 1) oder diese Daten nach den Vorgaben der Finanzbehörde maschinell auszuwerten (Satz 3 Nr. 2) oder für den Steuerpflichtigen gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung zu stellen (Satz 3 Nr. 3). Der Dritte hat also in eigener Person die drei Zugriffsformen zu erfüllen. Ihn trifft insofern eine eigene gesetzliche Mitwirkungspflicht,5 die bei Verweigerung nach § 328 AO erzwingbar ist und zur Festsetzung eines Verzögerungsgeldes nach § 146b Abs. 2b AO führen kann.

4. Technische Grenzen und Kompatibilitätsfragen a) Problemstellung

2.42

In der Praxis der steuerlichen Außenprüfung kann der Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO an technischen Hürden scheitern. Zu Problemen kann es im Prüfungsalltag kommen, wenn der Steuerpflichtige eine Buchhaltungssoftware verwendet, dessen Daten von den von der Finanzverwaltung eingesetzten Programmen, insbesondere der Software „IDEA“, nicht ausgewertet werden können (fehlende „IDEA-Funktionalität“). Dies kann insbesondere bei älteren oder selbstprogrammierten Softwarelösungen der Fall sein. Auch technisch überholte Hardware wie ein Diskettenlaufwerk kann zu Problemen führen. Ferner können Datenmigrationen z.B. aus Vorsystemen in andere Systeme oder aber längst ausgediente Systeme Schwierigkeiten aufwerfen. Auch im Hinblick auf „exotische“ Geräte, bei deren Fertigung und Programmierung ein mögliches Datenzugriffsrecht durch die Finanzverwaltung nicht bedacht wurde, können, wie oben unter Rz. 2.29 ff. dargestellt, Datenzugriffsrechte bestehen. Probleme kann zudem ein Datenverlust bereiten, wenn anlässlich von Systemwechseln eine Datenmigration erfolgt, da in diesen Fällen die Schwierigkeit darin besteht, die Daten für die Dauer der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist von zehn Jahren vorzuhalten und sichtbar zu machen. 1 2 3 4 5

BFH, Urt. v. 16.12.2014 – VIII R 52/12, DStR 2015, 1920. BFH, Urt. v. 7.6.2021 – VIII R 24/18, DB 2021, 1995. BFH, Urt. v. 16.12.2014 – VIII R 52/12, DStR 2015, 1920. Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 81a. Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 81a.

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B. Datenzugriff | Rz. 2.45 Kap. 2

b) Lösungsansätze Die Einrichtung einer IT-gestützten Buchführung schreibt § 147 Abs. 6 AO nicht vor. Der Steuerpflichtige ist zur Einrichtung einer digitalen Buchführung nicht verpflichtet und in der Organisation seiner Bücher und Aufzeichnungen frei.1 Auch zur Hard- und Software trifft § 147 Abs. 6 AO keine Aussage. Grundsätzlich gilt, dass das Datenzugriffsrecht aus § 147 Abs. 6 AO nicht von der verwendeten Hard- oder Software abhängt. Die Technik kann allerdings im Einzelfall der Ermessensausübung des Prüfers Grenzen setzen, da der Datenzugriff sich als geeignete Prüfungsmethode darstellen muss und vom Steuerpflichtigen nichts Unmögliches verlangt werden kann. Die Ausrichtung des Datenverarbeitungsprogramms auf die Analysesoftware der Finanzverwaltung oder die Einrichtung einer Schnittstelle kann zur Vermeidung von Diskussionen in der Außenprüfung ratsam sein, gesetzlich geschuldet ist sie nicht.2 Etwas anderes gilt insofern allerdings für PC-Kassensysteme i.S.v. § 146a AO, die grundsätzlich seit dem 1.1.2020 über eine einheitliche digitale Schnittstelle verfügen müssen, über die die Kassendatensätze in standardisierter Form exportiert werden können (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 5, Rz. 5.31, (Kassenführung). Einen formellen Fehler der Buchführung, der den Prüfer gemäß §§ 162 Abs. 2, 158 AO zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berechtigen würde, begründet die fehlende IDEA-Funktionalität deshalb nicht. Es genügt, wenn die Software ein allgemein erkennbares Datenformat verwendet und keine Auswertungssperren oder -hindernisse enthält.3 Sollte der Prüfer den ihm zur Verfügung gestellten Datenträger, bspw. eine Diskette, nicht auslesen können, kann er sein Datenzugriffsrecht in Form des Z1oder Z2-Zugriffs ausüben. Allerdings reicht es nicht aus, wenn der Steuerpflichtige bloß behauptet, der Datenzugriff oder eine bestimmte Form sei technisch unmöglich oder verursache unverhältnismäßige Kosten, sondern er muss dies substantiieren, in dem er bspw. eine Stellungnahme des Softwareherstellers vorlegt.4

2.43

Im Hinblick auf die steuerlichen Aufbewahrungspflichten sieht § 147 Abs. 6 Satz 6 AO eine Erleichterung vor. Die Vorschrift regelt, dass die Aufbewahrungsfrist für Alt-Datenverarbeitungsgeräte auf fünf Jahre reduziert wird, wenn der Steuerpflichtige Daten ausgelagert oder einen Systemwechsel vollzogen hat. Das Datenzugriffsrecht reduziert sich danach auf die Datenträgerüberlassung.

2.44

Hinweis: Steuerpflichtige sollten sich vergewissern, dass die Daten auf dem verwendeten Datenträger tatsächlich lesbar sind und dauerhaft geschützt werden. Dies spielt insbesondere bei USB-Sticks eine Rolle, die im Alltag häufig Belastungen wie häufigem Transport oder versehentlichen Beschädigungen ausgesetzt sind mit der Folge, dass die Daten nicht mehr uneingeschränkt lesbar sind. Bei einem Systemwechsel sollten Steuerpflichtige vor Vernichtung des Altsystems die Daten sichten und speichern. Allgemein sollten gespeicherte Daten in regelmäßigen Abständen gesichtet und auf ihre Funktionalität hin getestet werden.

2.45

1 Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 70a. 2 FG Münster v. 15.1.2013 – 13 K 3764/09, EFG 2013, 638 (offengelassen nachfolgend von BFH v. 7.5.2014 – X K 11/13, BFH/NV 2014, 1748); so auch Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 41c. 3 Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 41c. 4 FG Münster, Urt. v. 1.7.2010 – 6 K 357/10 AO, EFG 2010, 1961 [1965]; Drüen in Tipke/Kruse, AO, § 147 AO Rz. 76a.

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Kap. 2 Rz. 2.46 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

III. Umfang und rechtliche Grenzen des Datenzugriffs 1. Grundlagen 2.46

Das Datenzugriffsrecht erstreckt sich auf Buchführungsunterlagen, die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems (dazu unter Rz. 2.21 ff.) erstellt wurden. Dies ist der Fall, wenn Buchführungsunterlagen entweder originär digital erstellt oder nachträglich, bspw. durch Einscannen und Speichern, digitalisiert wurden.1 Allgemein ist der Datenzugriff beschränkt durch den Gegenstand der Außenprüfung, also die steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen in den zu prüfenden Steuerarten und Besteuerungszeiträumen, und auf solche Unterlagen, die nach § 146 AO aufzuzeichnen und dementsprechend nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren sind (vgl. hierzu ausführlich unter Rz. 2.51 ff.). Ein umfassender Zugriff auf alle gespeicherten Daten eines Unternehmens ist nicht zulässig.2

2.47

§ 147 Abs. 6 Satz 3 und 4 AO erweitern das Zugriffsrecht der Finanzverwaltung auch auf Daten, die sich bei einem Dritten (bspw. Steuerberater oder Finanzbuchhalter) befinden.

2.48

§ 147 Abs. 6 AO berechtigt die Finanzverwaltung nicht, die ihr im Rahmen einer Außenprüfung in digitaler Form überlassenen Daten über den Zeitraum der Prüfung hinaus auf Rechnern außerhalb der Diensträume der Finanzverwaltung zu speichern.3 Insbesondere ist für die Zeit nach Abschluss der Außenprüfung eine weitere Speicherung der Daten des Steuerpflichtigen auf mobilen Rechnern der Prüfer nicht zulässig.4 Im Zweifel sollte der Steuerpflichtige schreibgeschützte Datenträger oder solche mit maschinellem Ablaufdatum verwenden.5

2.49

Die Frage, wie Auskunftsverweigerungsrechte gemäß § 102 AO im Rahmen des Datenzugriffs gewährleistet werden können, ist bislang nicht abschließend geklärt. Es bleibt zuvorderst Aufgabe des Steuerpflichtigen, seine Daten so zu organisieren, dass bei einem zulässigen Datenzugriff keine gesetzlich geschützten Bereiche tangiert werden können.6 Eine Aufforderung zum Datenzugriff ist zudem unverhältnismäßig, wenn bei einem Berufsgeheimnisträger nicht sichergestellt ist, dass der Datenzugriff und die Auswertung der Daten nur in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen oder in den Diensträumen der Finanzverwaltung stattfindet.7 Zumindest bei bewusster Überschreitung der sachlichen Grenzen des Datenzugriffsrechts durch den Prüfer dürfte ein steuerliches Beweisverwertungsverbot bestehen.8

2.50

Das „Gegenstück“ zum Datenzugriffsrecht des Prüfers bildet das Recht des Steuerpflichtigen, seinerseits Einsicht in die digitalen Verarbeitungsvorgänge seiner Daten zu nehmen9 (Rz. 2.160).

2. Maßgeblichkeit der steuerlichen Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten 2.51

Voraussetzung für die Anforderung digitaler Buchführungsdaten ist das Bestehen einer Verpflichtung zur Aufbewahrung und Aufzeichnung dieser Daten. Die Befugnisse aus § 147 Abs. 6 1 BFH, Beschl. v. 9.2.2011 – I B 151/10, BFH/NV 2011, 962. 2 BFH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452; FG Rh.-Pf. v. 13.6.2006 – 1 K 1743/05, EFG 2006, 1634; BMF, BStBl. I 2019, 1269; Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 71. 3 BFH, Urt. v. 16.12.2014 – VIII R 52/12, BFH/NV 2015, 1455. 4 BFH, Urt. v. 16.12.2014 – VIII R 52/12, BFH/NV 2015, 1455. 5 Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 80c. 6 Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 71. 7 BFH, Urt. v. 7.6.2021 – VIII R 24/18, DB 2021, 1995. 8 Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 85; a.A. BMF, BStBl. I 2019, 1269 (GoBD). 9 Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 84 m.w.N.

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B. Datenzugriff | Rz. 2.55 Kap. 2

AO stehen der Finanzbehörde nur in Bezug auf solche Unterlagen zu, die der Steuerpflichtige gemäß § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat.1 Der sachliche Umfang der Aufbewahrungspflicht in § 147 Abs. 1 AO wird wiederum grundsätzlich begrenzt durch die Reichweite der zugrunde liegenden Aufzeichnungspflicht.2 Dabei bestimmt insbesondere § 147 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AO den Umfang der aufzeichnungs- und damit aufbewahrungspflichtigen Daten. Aufbewahrungspflichtig sind alle Unterlagen, die zum Verständnis und zur Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen von Bedeutung sind.3 Hierzu gehören insbesondere die Daten der Finanzbuchhaltung, der Anlagenbuchhaltung und der Lohnbuchhaltung.4 Befinden sich in anderen Bereichen des Datenverarbeitungssystems steuerlich relevante Daten (vgl. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO, bspw. Z-Bons, Speisekarten oder Schichtzettel), sind auch diese von der Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflicht betroffen.5

2.52

Nicht zu den aufzeichnungs- und damit aufbewahrungspflichtigen Unterlagen gehören bspw. Unterlagen

2.53

– aus dem Privatbereich (bspw. Aufzeichnungen über Werbungskosten, Anschaffungskosten bei § 17 EStG, rein private Bankkonten), – Daten, die einem Auskunftsverweigerungsrecht gem. § 102 Abs. 1 AO unterliegen (bspw. patientenbezogene Daten) oder – freiwillig aufbewahrte Unterlagen, die rein betriebsinterne Vorgänge abbilden (bspw. Wertgutachten, Personalakten, Daten der Forschung und Entwicklung, elektronische Protokolle aus Geschäftsführungs- und Aufsichtsratsgremien oder Daten der betriebsinternen Revision). Es ist Aufgabe des Steuerpflichtigen, eine geeignete Trennung von steuerlich relevanten und steuerlich irrelevanten Daten vorzunehmen und ggf. geeignete Zugriffsbeschränkungen einzurichten, sog. Erstqualifikationsrecht.6 Der Steuerpflichtige trägt das Risiko, wenn er steuerrelevante und nicht steuerrelevante Daten ununterscheidbar vermengt haben sollte.7 Ob von einem Berufsgeheimnisträger gegen ein Datenzugriffsverlangen eingewandt werden kann, dass eine Trennung der Daten einen hohen Aufwand und eine hohe Kostenbelastung verursachen würde und deshalb unzumutbar ist, ist offen.8

2.54

Besonderheiten gelten für Steuerpflichtige, die ihren Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahme-Überschuss-Rechnung ermitteln. Eine ordnungsgemäße Überschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG setzt lediglich voraus, dass die Höhe der Betriebseinnahmen bzw. der Betriebsausgaben durch Belege nachgewiesen wird; eine förmliche Aufzeichnungspflicht besteht hingegen nicht.9 Eine Aufbewahrungspflicht für Belege in elektronischer Form besteht ebenfalls nicht.10 Die Aufbewahrungspflicht betrifft Steuerpflichtige mit einer Einnahmen-

2.55

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BFH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452. BFH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452. BFH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452. Sauer in Gosch, § 147 AO Rz. 55. Sauer in Gosch, § 147 AO Rz. 55. BFH, Urt. v. 16.12.2014 – X R 42/13, BStBl. II 2015, 519; Sauer in Gosch, § 147 AO Rz. 56. BFH, Urt. v. 16.12.2014 – X R 42/13, BStBl. II 2015, 519. BFH, Urt. v. 7.6.2021 – VIII R 24/18, DB 2021, 1995. Ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. nur BFH, Urt. v. 12.12.2017 – VIII R 6/14, BFH/NV 2018, 606 m.w.N. 10 BFH, Urt. v. 12.2.2020 – X R 8/18, BB 2020, 2150.

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Kap. 2 Rz. 2.55 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

Überschussrechnung nur, soweit aus anderen Gründen zu Besteuerungszwecken Aufzeichnungen gefordert werden, etwa aufgrund weiterer Steuergesetze, wie z.B. nach § 4 Abs. 3 Satz 5, Abs. 7 EStG und nach § 22 UStG.1

2.56

Hervorzuheben ist, dass der Steuerpflichtige auch bei Unzulässigkeit des Datenzugriffs gemäß § 200 Abs. 1 AO zur Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung verpflichtet bleibt. Gemäß § 200 Abs. 1 Satz 2 AO gehört hierzu auch die Erteilung von Auskünften und die Vorlage von Unterlagen zur Einsicht und Prüfung.2 Auch Unterlagen, für die keine Aufbewahrungspflicht besteht, sind, soweit sie vorhanden sind, vorzulegen.3 Allerdings bezieht sich diese Vorlagepflicht des Steuerpflichtigen regelmäßig auf solche Unterlagen, die typischerweise erwartet werden können.4 Anders als im Fall des Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO wird dieser Pflicht schon durch die Vorlage von Unterlagen in Papierform Genüge getan.5 Da gespeicherte Daten als verfassungsrechtlich besonders geschützt gelten, ist aber der Datenzugriff gemäß § 147 Abs. 6 AO auf solche freiwillig aufbewahrten Daten unzulässig.6

IV. Dokumentationspflichten 1. Überprüfbarkeit digitaler Aufzeichnungen 2.57

Zwischen dem Steuerpflichtigen, der ein Datenverarbeitungssystem zur Aufzeichnung und ggf. Speicherung steuerrelevanter Datensätze verwendet, und der Finanzbehörde, in einem späteren Verfahrensstadium ggf. auch dem Finanzgericht, bestehen typischerweise Informationsasymmetrien im Hinblick auf die Funktionsweise, Programmierung sowie Art und Umfang der Nutzung des Datenverarbeitungssystems. Auch der Steuerpflichtige, der „Herr“ über Inhalt und Organisation seiner Daten ist, wird, zumindest bei der Verwendung von Standardsoftware, oftmals nicht über genaue Kenntnisse bzgl. der Programmierung des von ihm verwendeten Systems verfügen. Die Ordnungsmäßigkeit digital aufgezeichneter und ggf. gespeicherter Buchführungsunterlagen kann durch einen Dritten – in Gestalt des Außenprüfers, des Sachbearbeiters in der Rechtsbehelfsstelle oder des Finanzrichters – aber nur dann überprüft werden, wenn der Dritte Kenntnis von der Programmierung und der Funktionsweise des eingesetzten Datenverarbeitungssystems erlangt. Eine Dokumentation, die diese Informationen enthält, ist kein Selbstzweck, sondern ein Hilfsmittel zum Verständnis der steuerrelevanten Daten. Auch für den BFH gehören die Betriebsanleitung sowie die Protokolle nachträglicher Programmänderungen bei einem programmierbaren Kassensystem zu den gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufbewahrungspflichtigen „sonstigen Organisationsunterlagen“.7

2.58

Auf der Basis der Rechtsprechung des BFH zu Kassenunterlagen bei einem programmierbaren Kassensystem kann daher gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO eine Dokumentation für solche Datenverarbeitungssysteme gefordert werden, die steuerrelevante Daten aufzeichnen. Diese Dokumentation muss das Verständnis des Dateninhalts sowie eine systematische Prüfung der 1 Vgl. BFH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452; BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204; BFH, Urt. v. 12.2.2020 – X R 8/18, BB 2020, 2150; BFH, Urt. v. 7.6.2021 – VIII R 24/18, DB 2021, 1995. 2 Vgl. hierzu auch Bleschick, SteuerStud 2018, 52 (53). 3 BFH, Urt. v. 28.10.2009 – VIII R 78/05, BStBl. II 2010, 455. 4 BFH, Urt. v. 28.10.2009 – VIII R 78/05, BStBl. II 2010, 455. 5 BFH, Urt. v. 12.2.2020 – X R 8/18, BB 2020, 2150. 6 BFH, Urt. v. 28.10.2009 – VIII R 78/05, BStBl. II 2010, 455. 7 BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743 und BFH, Urt. v. 25.3.2015 – BFH X B 65/ 17, BFH/NV 2018, 517.

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B. Datenzugriff | Rz. 2.59 Kap. 2

Daten ermöglichen. Hierzu gehört eine Beschreibung der Funktion der eingesetzten Software, der grundlegenden Programmabläufe und Strukturen sowie gemäß § 146 Abs. 4 AO die Dokumentation der ursprünglichen Programmierung und späterer Änderungen der Programmierung. Es ist außerdem darzulegen, welche individuellen Benutzereinstellungen die eingesetzte Software ermöglicht und in welcher Weise diese Einstellungen vom Steuerpflichtigen vorgenommen wurden.1 Die Verantwortung für die Erstellung einer entsprechenden Dokumentation der Programmierung und der Funktion der eingesetzten Hard- und Software fällt in die Verantwortungssphäre des Steuerpflichtigen, der sich des Datenverarbeitungssystems bedient. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung wird der Steuerpflichtige in aller Regel auf eine Mitarbeit des Dienstleisters, der die Hard- und/oder Software verkauft und eingerichtet hat, angewiesen sein, in dem dieser ihm die entsprechenden Handbücher, Vertragsunterlagen und technischen Informationen zur Verfügung stellt. Je nach Programmierung und Speichermöglichkeit des eingesetzten Datenverarbeitungssystems können sich die Informationen auch aus dem System selbst ergeben, so dass der Sachverhalt ggf. unter Hinzuziehung von Sachverständigen weiter aufzuklären ist.2 Fehlt die so beschriebene Dokumentation und lässt sich die Frage nach der Funktionsweise und Programmierung des eingesetzten Datenverarbeitungssystems auch nicht im Wege ergänzender Sachaufklärung beantworten, liegt ein formeller Mangel vor, der in Bezug auf die Frage einer Schätzungsbefugnis des Prüfers einzelfallbezogen zu gewichten ist. Der BFH sieht das Fehlen der Programmierunterlagen einer PC-Kasse grds. als gravierenden formellen Mangel an.3 Das Fehlen der Dokumentationsunterlagen für eine PCKasse dürfte im Zweifel allerdings schwerer wiegen als bspw. das Fehlen der Unterlagen für ein digitales Fakturierungssystem. Entscheidend ist stets die einzelfallbezogene Begründung der Schätzungsbefugnis (vgl. zu den Anforderungen an eine Darlegung der Schätzungsbefugnis dem Grunde nach ausführlich Rz. 1.586).

2. Verpflichtung zur Erstellung einer Verfahrensdokumentation? Das Erfordernis einer Dokumentation der Programmierung und der Funktion der zur Aufzeichnung und ggf. Speicherung steuerrelevanter Daten eingesetzten Hard- und Software ist m.E. nicht gleichbedeutend mit einer Verpflichtung zur Erstellung einer Verfahrensdokumentation, wie sie nach der in den GoBD niedergelegten Auffassung der Finanzverwaltung4 für alle im Unternehmen verwendeten Datenverarbeitungssysteme besteht (vgl. zu den Anforderungen an eine Verfahrensdokumentation i.S.d GoBD ausführlich unter Rz. 2.68 ff.). Nach Auffassung der Finanzverwaltung muss für jedes Datenverarbeitungssystem eine übersichtlich gegliederte Verfahrensdokumentation vorhanden sein, aus der Inhalt, Aufbau, Ablauf und Ergebnisse des Datenverarbeitungsverfahrens vollständig und schlüssig ersichtlich sind.5 Danach sind für ein Unternehmen in Abhängigkeit von der Zahl der eingesetzten Datenverarbeitungssysteme ggf. mehrere Verfahrensdokumentationen zu erstellen. Die Verfahrensdokumentation soll außerdem verständlich und damit für einen sachverständigen Dritten in angemessener Zeit nachprüfbar sein, wobei die konkrete Ausgestaltung der Verfahrensdokumentation von der Komplexität und Diversifikation der Geschäftstätigkeit und der Organisationsstruktur sowie des eingesetzten DV-Systems abhängen soll.6 Die Verfahrensdokumentation soll in der 1 Peters, DB 2018, 2846 (2850). 2 Vgl. zur Kassenprogrammierung BFH, Beschl. v. 23.2.2018 – X B 65/17, BFH/NV 2018, 517. 3 BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743 und BFH, Urt. v. 23.2.2018 – BFH X B 65/ 17, BFH/NV 2018, 517. 4 BMF, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 151. 5 BMF, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 151. 6 BMF, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 151.

Peters | 271

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2.59

Kap. 2 Rz. 2.59 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

Regel aus einer allgemeinen Beschreibung, einer Anwenderdokumentation, einer technischen Systemdokumentation und einer Betriebsdokumentation bestehen,1 also einer Beschreibung sämtlicher betrieblichen Abläufe im Zusammenhang mit der digitalen Buchführung und Belegablage. Damit geht eine Verfahrensdokumentation im Sinne der GoBD inhaltlich weit über die oben unter 1. beschriebenen Dokumentationspflichten hinaus. Letztere dürften sich allenfalls mit der Anwenderdokumentation und der technischen Systemdokumentation im Sinne der GoBD decken.

2.60

Auch wenn das Anliegen der Finanzverwaltung, das Informationsgefälle zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde, das mit Blick auf den Ablauf der betrieblichen Prozesse besteht, zu reduzieren, nachvollziehbar ist, stellt sich die Frage, ob die GoBD als BMF-Schreiben als Rechtsgrundlage ausreichen, um die umfassende Beschreibung sämtlicher betrieblichen Abläufe im Zusammenhang mit der digitalen Buchführung und Belegablage zu verlangen. In Beantwortung dieser Frage hat sich in jüngerer Zeit eine kontroverse Diskussion entwickelt.2 M.E. bestünde nur dann eine Verpflichtung zur Erstellung einer Verfahrensdokumentation i.S.d GoBD, wenn sich dies als Konkretisierung allgemeiner gesetzlicher Aufzeichnungspflichten darstellen würde, bspw. der aus § 145 AO folgenden Pflicht, die Buchführung so zu gestalten, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann,3 oder der Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO. Im Hinblick darauf, dass eine Verpflichtung zur Erstellung einer umfangreichen Verfahrensdokumentation den Charakter einer neuen Aufzeichnungspflicht hätte, reichen allerdings weder § 145 Abs. 1 AO, noch § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO und erst recht nicht § 200 AO in ihrer Allgemeinheit als Rechtsgrundlage aus. Hinzu kommt, dass der von § 145 Abs. 1 AO geforderte Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens auch auf andere Weise, bspw. durch mündliche Erläuterung des Steuerpflichtigen, Befragung von Mitarbeitern oder Betriebsbesichtigung, gewonnen werden kann (vgl. zu den einzelnen Prüfungsmaßnahmen ausführlich Kapitel 1, Rz. 1.441). Die umfassende Prüfung der tatsächlichen steuerlichen Verhältnisse des Unternehmens, die die steuerliche Außenprüfung zum Ziel hat, kann eine Verfahrensdokumentation ohnehin nicht ersetzen.4 Zu einer formell fehlerhaften Buchführung und damit einer Schätzungsbefugnis des Prüfers führt eine fehlende Verfahrensdokumentation im Sinne der GoBD m.E. deshalb nicht. Gleichwohl dürfte im Betriebsprüfungsalltag das Risiko bestehen, dass sich der Prüfer auf die Einhaltung der Anforderungen der GoBD an eine ausreichende Verfahrensdokumentation fokussiert und aus rein formalen Beanstandungen eine Schätzungsbefugnis ableitet, ohne die Bedeutung eines Fehlens oder einer – aus Sicht des Prüfers – ungenügenden Verfahrensdokumentation darzulegen und einzelfallbezogen zu gewichten (vgl. zu den Anforderungen an eine Darlegung der Schätzungsbefugnis dem Grunde nach ausführlich Kapitel 1, Rz. 1.586). Zur Vermeidung von Aufgriffsrisiken in der Außenprüfung kann es für den Steuerpflichtigen deshalb im Zweifel ratsam sein, eine Verfahrensdokumentation vorzuhalten (vgl. zu den aus Sicht der Finanzverwaltung zu erfüllenden Anforderungen an eine ordnungsgemäße Verfahrensdokumentation ausführlich unter Rz. 2.68 ff.).

1 BMF, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 153. 2 Eine gesetzliche Verpflichtung bejahend etwa Hruschka, DStR 2019, 260; Danielmeyer/Neubert/ Unger, AO-StB 2019, 125; Henn, DB 2016, 254; Teutemacher, Praxisfragen GoBD, 2020, S. 107 f.; ablehnend dagegen Brete, DStR 2019, 258; Peters, DB 2018, 2846 (2849); krit. auch Schäfer/Bohnenberger, StB 2019, 131. 3 So Hruschka, DStR 2019, 260. 4 Peters, DB 2018, 2846 (2850).

272 | Peters

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C. GoBD | Rz. 2.65 Kap. 2

V. Rechtsschutz Die Datenanforderung gemäß § 147 Abs. 6 AO stellt einen Verwaltungsakt dar.1 Hiergegen kann sich der Steuerpflichtige bzw. dessen Berater mit einem Einspruch und nachfolgend einer finanzgerichtlichen Anfechtungsklage wehren. Zudem kann ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Datenanforderung gestellt werden (vgl. ausführlich zum Rechtsschutz gegen Maßnahmen in der Außenprüfung Kapitel 1, Rz. 1.807). Ist in den Fällen des § 146 Abs. 7 Satz 3 AO ein Dritter Adressat der Datenanforderung, stehen diesem die genannten Rechtsschutzmöglichkeiten zu.

2.61

Im Rahmen der Anfechtung kann der Steuerpflichtige bzw. der Dritte insbesondere vortragen, dass die angeforderten Daten mangels Bestehens einer Aufzeichnungspflicht nicht aufbewahrungs- und vorlagepflichtig sind und der Prüfer seine Zugriffsbefugnisse überschreitet oder die Datenanforderung ermessensfehlerhaft bzw. unverhältnismäßig ist. Geht ein Datenzugriffsverlangen des Prüfers über die gesetzlichen Befugnisse hinaus, ist das Vorlageverlangen insgesamt rechtswidrig. Es kann nicht im Wege der Auslegung im Sinne einer „geltungserhaltenden Reduktion“ auf den gesetzlich zulässigen Regelungsgegenstand der Einsichtnahme eingeschränkt werden.2

2.62

VI. Schätzung und Sanktionsmöglichkeiten Liegen die Voraussetzungen für einen Datenzugriff vor und verweigert der Steuerpflichtige diesen, stellt dies eine Mitwirkungspflichtverletzung dar, die eine Schätzungsbefugnis gemäß § 162 Abs. 2 AO auslöst (vgl. zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen ausführlich Kapitel 1, Rz. 1.554). Eine Schätzungsbefugnis ist auch dann gegeben, wenn Streit über die Verpflichtung zum Datenzugriff besteht.3 Bezüglich der Anforderungen an eine ausreichende Dokumentation der Datenverarbeitung ist einzelfallbezogen zu prüfen, welche ergänzenden Unterlagen vorzulegen sind und welche Folgen ihr Fehlen auslöst (vgl. hierzu unter Rz. 2.57 ff.). Eine „Heilung“ ist noch in einem Einspruchsverfahren oder einem finanzgerichtlichen Klageverfahren gegen die Schätzungsbescheide möglich, in dem der Datenzugriff ermöglicht und/oder die Dokumentationsunterlagen des eingesetzten Datenverarbeitungssystems übergeben werden. Im Klageverfahren ist dies für den Steuerpflichtigen allerdings mit dem Risiko verbunden, auch bei Obsiegen die Kosten des Klageverfahrens gemäß § 137 FGO tragen zu müssen.

2.63

Die Verweigerung oder Verzögerung der Einräumung des Datenzugriffs kann außerdem die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes gemäß § 146 Abs. 2c AO durch die Finanzbehörde zur Folge haben.4

2.64

C. GoBD I. Allgemeines In den „Grundsätzen zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)“ hat 1 BFH, Urt. v. 12.2.2020 – X R 8/18, BB 2020, 2150; Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 82. 2 BFH, Urt. v. 24.6.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452; BFH, Urt. v. 12.2.2020 – X R 8/18, BB 2020, 2150. 3 BFH, Urt. v. 28.10.2015 – X R 47/13, BFH/NV 2016, 171. 4 Vgl. hierzu Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 82.

Peters | 273

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2.65

Kap. 2 Rz. 2.65 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

die Finanzverwaltung im Jahr 2014 ihre bis dahin ergangenen Stellungnahmen zur digitalen Außenprüfung zusammengefasst.1 Im Jahr 2019 wurden die GoBD punktuell überarbeitet und an die aktuelle rechtliche und technische Entwicklung angepasst.2 In der Betriebsprüfung haben die GoBD eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, die mit zunehmender Digitalisierung betrieblicher Abläufe noch zunehmen wird. Nicht zuletzt angesichts ihres Umfangs werden die GoBD in der Praxis nicht unkritisch gesehen.

2.66

Dabei darf nicht verkannt werden, dass die GoBD nicht den Charakter eines allgemeingültigen materiellen Gesetzes haben, sondern als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift Auslegungsleitlinien der Finanzverwaltung wiedergeben. Unmittelbar binden die GoBD nur die Finanzverwaltung und entfalten keine Außenwirkung. Insbesondere sind die Finanzgerichte nicht an die GoBD gebunden und werden diese einer Entscheidung nicht zugrunde legen. Auch als Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) – mit der Folge einer mittelbaren Bindungswirkung über § 140 AO und § 5 Abs. 1 EStG i.V.m. §§ 238, 239 HGB – sind die GoBD nicht einzustufen.3 Die Finanzverwaltung kann aufgrund ihrer Funktion im Besteuerungsverfahren nicht einseitig Recht schaffen oder weiterentwickeln.4 Unabhängig von der fehlenden rechtlichen Bindungswirkung dürfte aber ein Befolgen der Vorgaben der GoBD Aufgriffsrisiken in der Außenprüfung reduzieren.5 Die Kenntnis der einzelnen Regelungen vermittelt zudem ein Verständnis der Perspektive der Finanzverwaltung in der Außenprüfung.

2.67

Besondere Bedeutung kommt im Rahmen der einzelnen Regelungen der GoBD den Vorgaben zur Verfahrensdokumentation (vgl. hierzu unter Rz. 2.68 ff.) sowie zur Einrichtung eines internen Kontrollsystems (IKS) zu (vgl. hierzu unter Rz. 2.91 ff.)

II. Verfahrensdokumentation 1. Sinn und Zweck der Verfahrensdokumentation a) Beschreibung interner betrieblicher Abläufe

2.68

Die Verfahrensdokumentation beschreibt in der digitalen Arbeits- oder Steuerwelt einst analoge, mittlerweile digitale Prozesse, um deren Funktion, Wertigkeit und Abläufe für einen unbeteiligten Dritten transparent und nachprüfbar zu machen. Da sich die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung auch aus den im Betrieb verwendeten Datenverarbeitungssystem ableiten lässt, muss für jedes Datenverarbeitungssystem eine übersichtlich gegliederte Verfahrensdokumentation vorhanden sein, aus der Inhalt, Aufbau und Ergebnisse des DVVerfahrens vollständig und schlüssig ersichtlich sind.6 Die Verfahrensdokumentation beschreibt den organisatorisch und technisch gewollten IT-Prozess, von der Entstehung der Information über die Indizierung, Verarbeitung und Speicherung, dem eindeutigen Wiederfinden und der maschinellen Auswertbarkeit, der Absicherung gegen Verlust und Verfälschung und Reproduktion.7 Verantwortliche Person ist der Steuerpflichtige,8 der sich der Unterstützung seines IT-Dienstleisters/Systemanbieters bedienen kann. 1 2 3 4 5 6 7 8

BMF, Schr. v. 14.11.2014 – IV A 4 - S 0316/13/10003, BStBl. I 2014, 1450. BMF, Schr. v. 28.11.2019 – IV A 4 - S 0316/19/10003 :001, FMNR520000019, BStBl. I 2019, 1269. Goldshteyn/Thelen, DStR 2015, 326; Herrfurth, StuB 2015, 250. Schiffers, GmbHR 2020, 308, 311 unter Verweis auf Marx, FR 2016, 389 (393) und Goldshteyn/ Thelen, DStR 2015, 326, 331. Schiffers, GmbHR 2020, 308 (311). Rz. 151 GoBD v. 28.11.2019. BMF, BStBl. I 2019, 1269 (GoBD) Rz. 152. BMF, BStBl. I 2019, 1269 (GoBD) Rz. 21.

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C. GoBD | Rz. 2.73 Kap. 2

Die Verfahrensdokumentation wird erstmalig in einer Stellungnahme des IDW zu RS FAIT 1 im Jahr 2002 erwähnt. Die GoBD greifen diese Vorgaben deklaratorisch auf und verweisen auf die Wichtigkeit der handelsrechtlichen Prozesse in Bezug auf das Steuerrecht.1

2.69

Beispiel: Das mittelständische Unternehmen hat jeweils eine Einkaufs- und Verkaufsabteilung. Die Waren durchlaufen bis zur Weiterveräußerung unterschiedliche Prozesse. Manche Waren gehen in andere ein oder unter. Manche verderben, andere wiederum werden vernichtet.

2.70

Allein aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist das Unternehmen daran interessiert, den WarenWorkflow genauestens zu kennen, um z.B. zeitnah Nachbestellungen vornehmen zu können oder – wenn keine Verarbeitung ansteht – Maschinenwartungen in Auftrag zu geben. Sobald mehr als eine Person mit den beschriebenen Prozessen vertraut ist, führt dies zu Reibungsverlusten, sofern die Betriebsabläufe nicht verschriftlicht wurden. Daten, Kennzahlen oder Grafiken können durch einen außenstehenden Dritten wie den Betriebsprüfer kaum effektiv gelesen, beurteilt oder gar testiert werden, ohne die betrieblichen Abläufe zu kennen oder existierende Datensatzbeschreibungen gelesen und – idealerweise – verstanden zu haben. Will der Betriebsprüfer bspw. eine Verprobung der Wareneinkäufe vornehmen, muss er wissen, ob Ware in andere Ware eingeht oder vermengt wird, da sonst bspw. bei einer Ausbeutekalkulation sämtlicher Wareneinsatz mit einem entsprechenden Verkaufspreis angesetzt würde, was möglicherweise zu einer nicht sachgerechten Erlöshöhe führen würde. Eine Verfahrensdokumentation dieser Abläufe würde zu einer höheren Sachlichkeit der Verprobung führen.

Je nach Branche, aber mindestens im bargeldintensiven Bereich mit Kasse, sollte schon aus Gründen der Beweisvorsorge zumindest eine Art Betriebstagebuch mit Besonderheiten betreffend z.B. zum Wareneinsatz, Störungen des Betriebsablaufs, Gründe für eine durchschnittlich schlechtere/bessere Ertragslage, Bargeldwege oder Trinkgeld (Beschäftigten/Unternehmer/ Pool2) zusätzlich zur Verfahrensdokumentation geführt werden.

2.71

Dabei ist hervorzuheben, dass der Unternehmer die Verfahrensdokumentation primär nicht für die Finanzverwaltung fertigt, sondern für die Organisation und die Kontrolle und die Optimierung seines eigenen Unternehmens. Um aber die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu bejahen, ist die Verfahrensdokumentation m.E. der Betriebsprüfung vorzulegen (streitig, vgl zum Meinungsstand oben unter C.II.2). Wie beschrieben, kann die sachgerechte Auswertung der Daten nur mit Kenntnis der Betriebsabläufe, der betrieblichen Besonderheiten und der beschriebenen Datenstruktur erfolgen. Die Beschreibung der betrieblichen Prozesse ist in der digitalen Welt deshalb von so großer Bedeutung, weil – im Gegensatz zur analogen Welt – viele Prozesse automatisiert ablaufen. Was in der analogen Welt „durch die Hände“ des Unternehmers oder dessen Angestellten geht, läuft in der digitalen Welt in einem Datenverarbeitungssystem ab. Der Unternehmer verlässt sich vollständig auf digitale Prozesse, ohne möglicherweise deren Auswirkung auf die Datenbasis zu kennen. Diese wiederum wird dann per vordefinierter Schnittstelle als Geschäftsvorfall aufgezeichnet, archiviert und für die Außenprüfung exportiert.

2.72

Kommt es dann im Rahmen der Auswertung der Daten zu Fragen seitens der Finanzverwaltung, ist der Unternehmer oftmals nicht in der Lage, diese aus eigener Kenntnis und Anschauung zu beantworten. Verschärft wird diese Problematik, wenn das betreffende Datenverarbeitungssystem nicht mehr im Einsatz ist (bspw. Neuanschaffung) und nur noch die gespeicherten Daten aus der GoBD-Schnittstelle des Altsystems vorliegen. Hat der Unternehmer diese

2.73

1 Damas, StBp 2019, 295. 2 Achilles/Pump Lexikon der Kassenführung, Datev e.G., 1. Aufl. 2018, S. 362 „Trinkgeld“.

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Kap. 2 Rz. 2.73 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

nie auf Vollständigkeit geprüft, läuft er Gefahr, im Rahmen einer Betriebsprüfung keine Daten nachliefern zu können. b) Die GoBD als Wegbereiter der digitalen Betriebsprüfung aa) Datenseriosität

2.74

Die moderne Betriebsprüfung setzt neben der Formalprüfung auf die retrograde Prüfung der Besteuerungsgrundlagen. Sie startet bei den digital verdichteten Aufzeichnungen der Buchführung mit der Gesamtbildprüfung. Diese Prüfung umfasst Datenaufbereitung, -analyse und -verprobung, um später zum einzelnen Geschäftsvorfall zu kommen. Sollte dies aus den vorgenannten Gründen nicht möglich sein, ist bei formellen und materiellen Mängeln die Tür zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen eröffnet (vgl. zur Schätzung von Besteuerungsgrundlagen ausführlich Kapitel 1, F.II). Werden Systemfunktionalitäten oder Manipulationsprogramme (z.B. Zapper oder Phantomware) eingesetzt, die dazu führen, dass die Unveränderbarkeit oder Änderungshistorie nicht mehr nachvollziehbar sind, ist ebenfalls keine Ordnungsmäßigkeit der elektronischen Aufzeichnungen/Bücher gegeben.1

2.75

Hinweis: Die vorstehenden Überlegungen führen sicherlich gerade in den Jahren 2017–2020 zu einem Prüfungsschwerpunkt „Kassensystem“ in der digitalen Betriebsprüfung. Ab Implementierung der zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtung (TSE) werden Formate und Inhalte der Datenexporte durch die Digitale Schnittstelle der Finanzverwaltung für Kassensysteme (DSFinV-K) genau vorgegeben. Sofern Installation und Anwendung zutreffend erfolgen, ist zumindest im Bereich der elektronischen Aufzeichnungssysteme (Kassen) mit „seriösen“ Daten zu rechnen. Problematisch verbleiben z.B. Rechnungslegungsprogramme oder Warenwirtschaftssysteme. Hier bestimmt der Hersteller weiter über den Inhalt des Datenexportes über die selbstprogrammierten Schnittstellen. Ein Standard wäre für Unternehmen, Steuerberatung, Softwareanbieter und die Finanzverwaltung elementar wichtig. Eine weitere verdeckte Problematik beinhalten Rechnungslegungsprogrammen. Erfolgt anstatt der üblichen Bezahlung per Überweisung ein barer Bezahlvorgang, leben für diesen Geschäftsvorfall die Vorgaben des § 146a AO auf. Der Umsatz ist dann über eine TSE abzusichern.2

bb) Datensicherheit

2.76

Werden die Daten, Datensätze, elektronischen Dokumente oder elektronischen Unterlagen nicht ausreichend geschützt und können deswegen nicht mehr vorgelegt werden, ist die Buchführung formell nicht ordnungsmäßig.3

2.77

Hinweis: Sicherung gegen Verlust (beispielsweise Unauffindbarkeit, Vernichtung, Untergang und Diebstahl) und Schutz vor unberechtigten Eingaben oder Veränderungen kann durch ein funktionierendes IKS hergestellt werden (vgl. Rz. 2.88).

cc) Datenverarbeitungssystem

2.78

Unter Datenverarbeitungssystem wird die im Unternehmen oder für Unternehmenszwecke zur elektronischen Datenverarbeitung eingesetzte Hard- und Software verstanden, mit denen Dokumente und Daten im Sinne des § 147 AO erzeugt, verarbeitet, gespeichert und übermit1 BMF, BStBl. I 2019, 1269 (GoBD) Rz. 112. 2 Achilles/Danielmeyer, Rethinking TAX 4.2020, 20, Beispiel „Zahnarztpraxis“.s 3 BMF, BStBl. I 2019, 1269 (GoBD) Rz. 104.

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C. GoBD | Rz. 2.83 Kap. 2

telt werden (vgl. zum Begriff des Datenverarbeitungssystems ausführlich unter B.II.2) Dazu gehört nicht nur das Finanzbuchführungssystem, sondern auch alle anderen Vor- und Nebensysteme wie Kassensysteme oder Warenwirtschaftssysteme. dd) Geschäftsvorfälle Die Verarbeitung jedes einzelnen Geschäftsvorfalls sowie das dabei angewandte Verfahren müssen nachvollziehbar sein. Die progressive und retrograde Prüfung (vom Entstehen bis zur Verbuchung des einzelnen Geschäftsvorfalles) muss für die gesamte Dauer der Aufbewahrungsfrist und in jedem Verfahrensschritt möglich sein. Diese Nachprüfbarkeit der Geschäftsvorfälle und der sonstigen für die Besteuerung bedeutsamen Aufzeichnungen erfordert eine vollständige und aussagekräftige Verfahrensdokumentation.

2.79

ee) Verfahrensdokumentation für jedes eingesetzte Datenverarbeitungssystem Für jedes im Unternehmen eingesetzte Datenverarbeitungssystem (vgl. zum Begriff des Datenverarbeitungssystems ausführlich unter B.II 2) muss eine übersichtlich gegliederte Verfahrensdokumentation vorhanden sein, aus welcher Inhalt, Aufbau, Ablauf und Ergebnisse des DV-Verfahrens vollständig und schlüssig ersichtlich sind.1 Für die Unternehmenspraxis kann dies bedeuten, dass ggf. mehrere Verfahrensdokumentationen zu erstellen sind.

2.80

2. Inhalt der Verfahrensdokumentation a) Überblick

2.81

Die Verfahrensdokumentation besteht i.d.R. aus vier Komponenten: 1. Allgemeine Beschreibung 2. Anwenderdokumentation 3. Technische Systemdokumentation 4. Betriebsdokumentation b) Allgemeine Beschreibung Diese ist vom Unternehmer zur Verfügung zu stellen und beschreibt den innerbetrieblichen Ablauf und die Organisation im Betrieb. Angefangen von der Struktur und den betrieblichen Besonderheiten bis hin zur Darstellung von Arbeitsabläufen etc.

2.82

Beispielhaft wären hier folgende Informationen aufzuführen:

2.83

Art des Betriebes Genaue Beschreibung

Bereiche / Teilbetriebe z.B. Gaststätte – Restaurant – Außerhaus

Vor- oder Kassensysteme – Welche Module werden hiervon genutzt? – In welchem Zeitraum?

– Catering

1 BMF, BStBl. I 2019, 1269 (GoBD) Rz. 151.

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Kap. 2 Rz. 2.84 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

c) Anwenderdokumentation

2.84

Dieser Teil ist vom Dienstleister/Systemanbieter zur Verfügung zu stellen. Dabei soll eine allgemeine Beschreibung des eingesetzten DV-Systems erfolgen. Weiterhin sollen die Beziehungen zwischen den einzelnen Anwendermodulen, Art und Bedeutung der Eingabefelder, maschinelle Verarbeitungsregeln und Vorschriften zur Erstellung von Auswertungen erläutert werden. Die Darstellung sollte in einer Art Organigramm erfolgen.

2.85

Handbücher und Bedienungsanleitungen sind in der Verfahrensdokumentation zusammen zu führen. Bei Einsatz von Standardsoftware ist die vom Produkthersteller gelieferte Dokumentation um die Beschreibung der anwendungsspezifischen Anpassungen und die Dokumentation des eingerichteten internen Kontrollsystems (IKS) des Anwenders (z.B. Parametrisierungen, Verwendung der Eingabefelder, Schlüsselsystematiken) zu ergänzen. d) Technische Systemdokumentation

2.86

Auch dieser Teil ist vom Dienstleister/Systemanbieter zu erstellen, und muss insb. folgende Informationen enthalten:

2.87

Diese Dokumentation muss in einer Art und Weise dargestellt sein, die einem sachverständigen Dritten die Nachvollziehbarkeit der programmierten Verarbeitung, insb. der Funktionen und Regeln, in angemessener Zeit ohne Kenntnisse einer Programmiersprache erlaubt. Ein Organigramm erleichtert hierbei die Orientierung. e) Betriebsdokumentation und internes Kontrollsystem (IKS)

2.88

Dieser Teil ist wieder vom Unternehmer zur Verfügung zu stellen. Hier muss die ordnungsgemäße Anwendung des IKS dokumentiert werden (zum IKS vgl. Rz. 2.91).

2.89

Weiterhin müssen Angaben über das Datensicherungsverfahren und Verarbeitungsnachweise (Verarbeitungs- und Abstimmprotokolle) enthalten sein. Es sind sämtliche Arbeits- und Organisationsanweisungen, Stammdaten, verfügbare Programme und Programmversionen zu beschreiben. Erleichternd kann folgender Kreislauf als Mindestvorgabe verwendet werden:

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C. GoBD | Rz. 2.92 Kap. 2

3. Zusammenfassung Um die betrieblichen Prozesse, insb. der Finanzverwaltung gegenüber, in seriöser und beständiger Weise stets abbilden und nachhalten zu können, sind Unternehmer, Soft- und Hardwareanbieter und Steuerberatung gefordert im ständigen Austausch zu stehen. Die Verfahrensdokumentation muss einer ständigen Evaluation unterliegen. Es ist auch zu beachten, dass die Verfahrensdokumentation länger als zehn Jahre aufzubewahren ist. Sie ist Bestandteil des lebenden Geschäftsbetriebs.1

2.90

III. Internes Kontrollsystem nach den GoBD 1. Grundlagen für ein Internes Kontrollsystem (IKS) a) Ordnungsmäßigkeit der Buchführung und Verifikationsprinzip Nur der ordnungsmäßigen Buchführung kommt Beweiskraft zu (§ 158 AO). Verstöße gegen die Vorschriften zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen (§§ 140 bis 147 AO) können z.B. die Anwendung von Zwangsmitteln nach § 328 AO, eine Schätzung nach § 162 AO oder eine Ahndung nach § 379 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 AO zur Folge haben. Die Verletzung der Buchführungspflichten ist unter den Voraussetzungen der §§ 283 und 283b StGB (sog. Insolvenzstraftaten) strafbar.2

2.91

Die Finanzverwaltung hat in ihrem Schreiben vom 28.11.2019 die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)3 zusammengefasst. Die Anforderungen an

2.92

1 Danielmeyer/Neubert/Unger, AO-StB 2019, 125. 2 AEAO zu § 146 Tz. 1.1. 3 BStBl. I 2019, 1269.

Danielmeyer und Liekenbrock | 279

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Kap. 2 Rz. 2.92 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

die Ordnungsmäßigkeit ergeben sich aus außersteuerlichen Rechtsnormen (z.B. den handelsrechtlichen GoB gem. §§ 238, 239, 257, 261 HGB, § 140 AO) und steuerlichen Ordnungsvorschriften (insbesondere gem. §§ 145 bis 147 AO)1. Demnach sind bei der Führung von Büchern in elektronischer oder in Papierform und sonst erforderlicher Aufzeichnungen in elektronischer oder in Papierform die folgenden Anforderungen bzw. GoB zu beachten, die während der Dauer der Aufbewahrungsfrist nachweisbar erfüllt werden müssen:2 – Grundsatz der Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit (§ 145 Abs. 1 AO, § 238 Abs. 1 Sätze 2 f. HGB) – Grundsätze der Wahrheit, Klarheit und fortlaufenden Aufzeichnung – Vollständigkeit (§ 146 Abs. 1 AO, § 239 Abs. 2 HGB) – Richtigkeit (§ 146 Abs. 1 AO, § 239 Abs. 2 HGB) – zeitgerechte Buchungen und Aufzeichnungen (§ 146 Abs. 1 AO, § 239 Abs. 2 HGB) – Ordnung (§ 146 Abs. 1 AO, § 239 Abs. 2 HGB) – Unveränderbarkeit (§ 146 Abs. 4 AO, § 239 Abs. 3 HGB)

2.93

Hinsichtlich der Erfüllung der Ordnungsmäßigkeitsanforderungen kommt der Beleg-, Journalund Kontenfunktion zentrale Bedeutung zu. Jedem Geschäftsvorfall muss ein Beleg zugrunde liegen (Belegfunktion).3 Die Belegfunktion ist die Grundvoraussetzung für die Beweiskraft der Buchführung und sonst erforderlicher Aufzeichnungen; sie gilt auch bei Einsatz eines EDV-Systems.4 Die Belege in Papierform oder in elektronischer Form sind zeitnah, d.h. möglichst unmittelbar nach Eingang oder Entstehung gegen Verlust zu sichern (Belegsicherung). Die Belegsicherung wird häufig organisatorisch und technisch mit der Zuordnung zwischen Beleg und Grund (buch)aufzeichnung oder Buchung verbunden. Der Steuerpflichtige hat organisatorisch und technisch sicherzustellen, dass die elektronischen Buchungen und sonst erforderlichen elektronischen Aufzeichnungen entsprechend den o.g. GoB-Anforderungen einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorgenommen werden. Jede Buchung oder Aufzeichnung muss im Zusammenhang mit einem Beleg stehen.5 Bei der doppelten Buchführung müssen alle Geschäftsvorfälle in zeitlicher Reihenfolge (Grund(buch)aufzeichnung, Journalfunktion) und in sachlicher Gliederung (Hauptbuch, Kontenfunktion) darstellbar sein.6 Die Journalfunktion dient dem Nachweis der tatsächlichen und zeitgerechten Verarbeitung der Geschäftsvorfälle. Die Geschäftsvorfälle sind so zu verarbeiten, dass sie geordnet darstellbar sind (Kontenfunktion) und damit die Grundlage für einen Überblick über die Vermögens- und Ertragslage darstellen.7 1 Die allgemeinen Ordnungsvorschriften in den §§ 145 bis 147 AO gelten nicht nur für Buchführungsund Aufzeichnungspflichten nach § 140 AO und nach den §§ 141–144 AO. Insbesondere § 145 Abs. 2 AO betrifft alle zu Besteuerungszwecken gesetzlich geforderten Aufzeichnungen, also auch solche, zu denen der Steuerpflichtige aufgrund anderer Steuergesetze verpflichtet ist, wie z.B. nach § 4 Abs. 3 Satz 5, Abs. 7 EStG und nach § 22 UStG, BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 25. 2 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 30 ff. 3 Zu den Beleginhalten BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 77. 4 Zweck der Belege ist es, den sicheren und klaren Nachweis über den Zusammenhang zwischen den Vorgängen in der Realität einerseits und dem aufgezeichneten oder gebuchten Inhalt in Büchern oder sonst erforderlichen Aufzeichnungen und ihre Berechtigung andererseits zu erbringen (Belegfunktion), BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 61. 5 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 82; BFH v. 24.6.1997 – VIII R 9/96, BStBl. II 1998, 51. 6 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 83. 7 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 95.

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C. GoBD | Rz. 2.97 Kap. 2

Nach § 145 Abs. 1 Satz 1 AO muss die Buchführung so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann (sog. Verifikationsprinzip);1 die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen (§ 145 Abs. 1 Satz 2 AO, progressive und retrograde Prüfbarkeit; sog. Audit Trail). Die progressive Prüfung beginnt beim Beleg, geht über die Grundbuchaufzeichnungen und Journale zu den Konten, danach zur Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung und schließlich zur Steueranmeldung bzw. Steuererklärung. Die retrograde Prüfung verläuft umgekehrt. Die progressive und retrograde Prüfung muss für die gesamte Dauer der Aufbewahrungsfrist und in jedem Verfahrensschritt möglich sein.2

2.94

Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist zum Verständnis der (elektronischen) Buchführung regelmäßig eine sog. Verfahrensdokumentation erforderlich, in der für jedes EDV-System der Inhalt, Aufbau, Ablauf und das Ergebnis des Datenverarbeitungsverfahrens vollständig und schlüssig ersichtlich sind.3 Soweit eine fehlende oder ungenügende Verfahrensdokumentation die Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit nicht beeinträchtige, läge jedoch kein formeller Mangel mit sachlichem Gewicht vor, der zum Verwerfen der Buchführung führen könne.4

2.95

Aus Sicht der Finanzverwaltung besteht die Verfahrensdokumentation in der Regel aus einer allgemeinen Beschreibung (Dokumentation zur innerbetrieblichen Organisation und Operationalisierung der steuerrelevanten DV-Prozesse), einer Anwenderdokumentation (insbes. Bedienungsanleitung), einer technischen Systemdokumentation (technische Darstellung der ITAnwendungen) und einer Betriebsdokumentation (Anwendung des IKS).5 Die Beschreibung des IKS ist damit Teil der Verfahrensdokumentation.6

2.96

b) Sicherstellung der Ordnungsmäßigkeit der elektronischen Buchführung durch ein IKS Für die Einhaltung der Ordnungsvorschriften des § 146 AO hat der Steuerpflichtige Kontrollen einzurichten, auszuüben und zu protokollieren.7 Da die GoBD der Finanzverwaltung entsprechend der unternehmerischen Lebenswirklichkeit eine EDV-gestützte Generierung von steuerrelevanten Daten unterstellen, zielen auch die generischen Vorgaben an das IKS auf die EDV-Systeme ab. Konkret geht es um den ordnungsgemäßen Betrieb und die Sicherung der EDV-Systeme (Hard- und Software), mit denen steuerrelevante Daten verarbeitet, aufgezeichnet, ausgewertet und aufbewahrt werden. Die Anforderungen der GoBD beziehen sich auf das gesamte Datenverarbeitungssystem, also das Hauptsystem (insb. Finanzbuchhaltung) sowie die Vor- und Nebensysteme einschließlich der Schnittstellen zwischen den Systemen (z.B. Systeme der Anlagen- und Lohnbuchhaltung, der Kassenführung, des Zahlungsverkehrs, der Wa1 Zum Verifikationsprinzip s. z.B. BFH v. 16.5.2013 – II R 15/12, BStBl. II 2014, 225 (Rz. 35, m.w.N.); Liekenbrock/Wähnert, Digitale Betriebsprüfung, Düsseldorf 2021, 20 ff. 2 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 33, 146. 3 Die Verfahrensdokumentation beschreibt den organisatorisch und technisch gewollten Prozess, z.B. bei elektronischen Dokumenten von der Entstehung der Informationen über die Indizierung, Verarbeitung und Speicherung, dem eindeutigen Wiederfinden und der maschinellen Auswertbarkeit, der Absicherung gegen Verlust und Verfälschung und der Reproduktion. BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 151 ff. Kritisch aufgrund fehlender konkreter Rechtsgrundlage für eine Verfahrensdokumentation s. Brete, DStR 2019, 258, Peters, DB 2018, 2846, 2849; a.A. Hruschka, DStR 2019, 260. 4 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019 1269 Tz. 155. 5 Zum Aufbau und den Inhalten einer Verfahrensdokumentation Köhler, StBp 2018, 291. 6 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 102. 7 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 100.

Liekenbrock | 281

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2.97

Kap. 2 Rz. 2.97 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

ren- und Materialwirtschaft, der Fakturierung, der Zeiterfassung sowie des Datenmanagements und der Archivierung).1 Bei den IT-bezogenen Kontrollen wird zwischen den sog. generellen IT-Kontrollen und den Anwendungskontrollen unterschieden. Unter generellen IT-Kontrollen versteht man Regelungen und Verfahren, die sich auf viele Anwendungen beziehen und die die Wirksamkeit von Anwendungskontrollen unterstützen, in dem den sie den ordnungsmäßigen IT-Betrieb gewährleisten (ISA 315 Apendix 1, Tz. 9). In Abgrenzung hierzu stellen Anwendungskontrollen die funktionsgerechte und zutreffende Anwendung bzw. Verarbeitung von Programmen und Daten sicher (z.B. Eingabe- und Abstimmkontrollen). Zusammengenommen bilden die generellen IT-Kontrollen und die Anwendungskontrollen das IT-bezogene IKS.

2.98

Bereits das Vorgängerschreiben der GoBD, die Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme (GoBS),2 enthielt detaillierte Ausführungen zu den Anforderungen an das IKS, die in generischer Form in die GoBD übernommen wurden. Die GoBD zählen die folgenden Kontrollmaßnahmen (GoBD-IKS) auf, die unter B. näher erläutert werden.3 – Zugangs- und Zugriffsberechtigungskontrollen – Funktionstrennungen – Erfassungskontrollen – Abstimmungskontrollen bei der Dateneingabe – Verarbeitungskontrollen – Schutzmaßnahmen gegen Verfälschungen Bei den ersten beiden Kontrollen sowie der letzten Kontrolle handelt es sich um generelle ITKontrollen, während die Übrigen den Anwendungskontrollen zuzuweisen sind.

2.99

Die Kontrollen des GoBD-IKS sind speziell auf die Qualitätssicherung und den Revisionsschutz der mit den jeweiligen EDV-Systemen erzeugten und verarbeiteten Daten gerichtet. In komplexen Infrastrukturen sind zur Sicherstellung der vollständigen und richtigen Erfassung und Verarbeitung von steuerrelevanten Daten neben manuellen Kontrollen insbesondere maschinelle Kontrollen erforderlich; manuelle und maschinelle Kontrollen müssen aufeinander abgestimmt sein.4 Eingebettet sein muss das GoBD-IKS in eine angemessen geschützte IT-Infrastruktur. Es sind Maßnahmen zu ergreifen, die den ordnungsgemäßen Ablauf der Datenverarbeitung durch Sicherung von Hard- und Software sowie von Daten vor Verlust, Beschädigung oder Missbrauch schützen sollen.5 Die konkrete Ausgestaltung des GoBD-IKS ist abhängig von der Komplexität und Diversifikation der Geschäftstätigkeit und der Organisationsstruktur sowie des eingesetzten EDV-Systems. Im Rahmen eines funktionsfähigen IKS muss auch anlassbezogen (z.B. Systemwechsel) geprüft werden, ob das eingesetzte DV-System tatsächlich dem dokumentierten System entspricht.6 1 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 20. 2 BMF v. 7.11.1995, BStBl. I 1995, 738. 3 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 100. Es bestehen Überschneidungen mit den Anforderungen des IDW RS FAIT 1, der vor vielen Jahren verabschiedet wurde, als die Buchführung zunehmend digitalisiert wurde. 4 BMF v. 7.11.1995, BStBl. I 1995, 738 Tz. 4.4. 5 IDW PH 9.860.4, IDW Life 2021, 865. 6 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 100 f.

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C. GoBD | Rz. 2.101 Kap. 2

c) Abgrenzung des GoBD-IKS von einem allgemeinen IKS und von einem Tax CMS Das GoBD-IKS ist von einem allgemeinen IKS (bzw. Risiko- oder Compliance-Managementsystem) abzugrenzen. Die Verpflichtung zur Einrichtung eines allgemeinen IKS leitet sich aus verschiedenen gesetzlichen Vorschriften ab (insbes. §§ 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 AktG, § 289 Abs. 4 HGB)1. Das allgemeine IKS beschreibt die Gesamtheit der von der Unternehmensleitung eingeführten Grundsätze, Verfahren und Maßnahmen, welche die Sicherung der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftstätigkeit bewirken, die Ordnungsmäßigkeit und Verlässlichkeit der internen und externen Rechnungslegung gewährleisten sowie die Einhaltung der für das Unternehmen anzuwendenden rechtlichen Vorschriften sicherstellen.2 In dieses Gesamtsystem fügt sich das rechnungslegungsbezogene IKS bzw. das GoBD-IKS ein, das als Sub-IKS für die jeweiligen rechnungslegungs- und steuerrelevanten EDV-Systeme des Unternehmens zu verstehen ist.

2.100

Ein international anerkannter Standard zur Errichtung eines allgemeinen IKS ist das sog. COSO-Framework. Das Committe of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission (COSO) hat 1992 eine Studie mit dem Titel „Internal Control – Integrated Framework“ veröffentlicht, den COSO-Report, der 2013 erweitert und überarbeitet wurde.3 Die nachfolgende Darstellung stellt das COSO-Framework als einen Würfel dar mit den drei Dimensionen i) Zielkategorien, ii) IKS-Komponenten und iii) Organisationseinheiten.4

2.101

1 § 91 Abs. 2 AktG schreibt dem Vorstand vor, geeignete Maßnahmen zu treffen und insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten. Dadurch sollen gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden, damit der Fortbestand der Gesellschaft gesichert ist. § 93 Abs. 1 AktG verlangt von Vorstandsmitgliedern ein angemessenes Risikomanagementsystem zu führen, da bei unternehmerischen Entscheidungen auf der Grundlage angemessener Informationen gehandelt wird; dies impliziert die Einführung eines angemessen Risikomanagementsystems. Gem. § 289 Abs. 4 HGB haben Kapitalgesellschaften im Sinne des § 264d HGB im Lagebericht die wesentlichen Merkmale des internen Kontroll- und des Risikomanagementsystems im Hinblick auf den Rechnungslegungsprozess zu beschreiben. 2 IDW PS 261, Rz. 19. 3 https://www.coso.org/Pages/aboutus.aspx. 4 Weitergehend Bungartz, Handbuch Interne Kontrollsysteme, 2017, 519 ff.; Goldshteyn/Thelen, Praxishandbuch digitale Betriebsprüfung, 2016, 116 ff.

Liekenbrock | 283

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Kap. 2 Rz. 2.102 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

2.102

Im Hinblick auf die Betriebssicherung von EDV-Systemen wurden aufbauend auf dem COSO-Framework verschiedene IT-Prozessmodelle entwickelt. Prominente Beispiele für die Beschreibung von generischen IT-Prozessen sind die Controll Objectives for Information and related Technology (COBIT), die IT Infrastructure Library (ITIL) und die internationale Norm ISO/IEC 27001 Information Technology – Security Techniques – Information Security Management Systems – Requirements sowie die IT-Grundschutz-Kataloge des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Im Hinblick auf die generellen IT-Kontrollen sind von besonderer Bedeutung die folgenden IT-Prozesse1: – Change-Management (Programm- und Datenänderungsverfahren) – Zugang und Zugriff auf IT-Systeme (Datensicherheit) – Prozesse zum Betrieb der IT-Infrastruktur (IT-Betrieb) Typische IT-Prozesse sind neben dem Change-Management etwa das Incident- und Problemmanagement sowie die Job-Steuerung und die Produktüberwachung.

2.103

In Anlehnung an das COSO-Framework wurden auch die „Standards“ für den konzeptionellen Aufbau eines Compliance Management Systems (CMS) bzw. eines Tax CMS entwickelt. In einem CMS werden auf der Grundlage der Unternehmensziele die Grundsätze und Maßnahmen definiert, die auf die Sicherstellung eines regelkonformen Verhaltens der gesetzlichen Vertreter und der Mitarbeiter des Unternehmens sowie ggf. von Dritten abzielen, d.h. auf die Einhaltung bestimmter Regeln und damit auf die Verhinderung von wesentlichen Verstößen (Regelverstöße).2 Das Tax CMS ist ein abgegrenzter Teilbereich eines CMS, dessen Zweck die vollständige und zeitgerechte Erfüllung steuerlicher Pflichten ist. Die sieben Grundelemente des Tax CMS nach IDW Praxishinweis 1/2016 sind nachfolgend abgebildet.

1 IDW PH 9.860.4, IDW Life 2021, 865 (873). 2 IDW PS 980, Tz. 6.

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C. GoBD | Rz. 2.107 Kap. 2

Die Erfüllung der GoBD-Anforderungen stellt eine steuerliche Verpflichtung dar, weshalb sämtliche Vorgaben – einschließlich GoBD-IKS – zu erfüllen sind. Nun mag man über den Verpflichtungscharakter der GoBD streiten, weil es sich hierbei „nur“ um ein Schreiben der Finanzverwaltung handelt. Diese Debatte ist aber nicht zielführend, weil die Unternehmenspraxis zeigt, dass die Sicherung der Integrität der steuerrelevanten Daten eine Hauptaufgabe darstellt, um steuerlich zutreffende Steuererklärungen bzw. -anmeldungen abgegeben zu können.1 Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Etablierung eines GoBD-IKS unabhängig von der gesetzlichen Anordnung keine Kür, sondern ein Pflichtprogramm.2 Denn ist kein rechnungslegungsbezogenes IKS bzw. GoBD-IKS eingerichtet, ist die Buchhaltung handels- und steuerrechtlich formal nicht ordnungsgemäß, weil jeder ordentliche Kaufmann die vollständige und zutreffende Datenverarbeitung zu kontrollieren hat.3 Wird auf eine effektive Kontrolle der Finanzsysteme verzichtet, wird damit nicht nur eine schwerwiegende organisatorische Schwäche zum Ausdruck gebracht, sondern es ist darin ein gewichtiges Indiz zu sehen, dass die Buchführung auch materielle Fehler aufweisen könnte. Die Betriebsprüfung ist dann geneigt, sich die Datenverarbeitungsprozesse mit aktuellen Methoden und Technologien ganz genau anzuschauen.

2.104

Die Durchführung einer Kontrolle sowie die Kontrollergebnisse sind zu dokumentieren. Eine nicht dokumentierte Kontrolle ist aus IKS-Sicht „keine“ Kontrolle. Die eingesetzten EDV-Systeme sind dahingehend einzustellen, dass die Kontrollaktivitäten revisionssicher protokolliert werden (Logfiles).

2.105

2. Elemente des GoBD-IKS a) Zugangs- und Zugriffsberechtigungskontrollen Nach dem IT-Grundschutz-Kompendium des BSI ist der Zugang zu schützenswerten Ressourcen auf berechtigte Benutzer und berechtigte IT-Komponenten einzuschränken. Benutzer und IT-Komponenten müssen zweifelsfrei identifiziert und authentisiert werden. Die Verwaltung der dafür notwendigen Informationen wird als Identitätsmanagement bezeichnet. Beim Berechtigungsmanagement geht es darum, ob und wie Benutzer oder IT-Komponenten auf Informationen oder Dienste zugreifen und diese benutzen dürfen, ihnen also basierend auf dem Benutzerprofil Zutritt, Zugang oder Zugriff zu gewähren oder zu verweigern ist. Berechtigungsmanagement bezeichnet die Prozesse, die für Zuweisung, Entzug und Kontrolle der Rechte erforderlich sind.4

2.106

Die Zugangsberechtigung regelt den physischen Zutritt zum lokalen EDV-System (z.B. PC am Arbeitsplatz), während die Zugriffsberechtigung den Zugriff auf die jeweilige EDV-Anwendung (z.B. Finanzbuchhaltungssoftware) definiert.5 Auf Basis entsprechender Zugangs- und Zugriffsberechtigungskonzepte wird sichergestellt, dass die Identität des Benutzers des EDVSystems eindeutig feststellbar ist. Nur dann kann die Nutzung von EDV-Systemen und die Verarbeitung von steuerrelevanten Daten auch Personen zugerechnet werden. Die Zugangsund Zugriffsberechtigungskonzepte müssen so ausgestaltet sein, dass die jeweilige autorisierte Person die Erzeugung des Datensatzes nicht abstreiten kann.6 Aus GoBD-Sicht sichert dies die

2.107

1 Dazu siehe Liekenbrock/Wähnert, Digitale Betriebsprüfung, Düsseldorf 2021, 91 ff. 2 Goldshteyn/Thelen, Praxishandbuch digitale Betriebsprüfung, 2016, 110. 3 Zur strukturierten Qualitätssicherung steuerrelevanter Daten Liekenbrock/Wähnert, Digitale Betriebsprüfung, Düsseldorf 2021, 46 ff., 108 ff. 4 BSI, IT-Grundschutz-Kompendium (Edition 02/2020), ORP.4, Abschn. 1.1. 5 BMF v. 7.11.1995, BStBl. I 1995, 738 Tz. 5.5.1. 6 IDW RS FAIT 1, Tz. 23.

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Kap. 2 Rz. 2.107 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

retrograde und progressive Nachprüfbarkeit von Geschäftsvorfällen ab. Allgemein soll hierdurch aber insbesondere das sog. Need-to-Know-Principle eingehalten werden, dass besagt, dass auf schützenswerte Informationen nur derjenige zugreifen können darf, wenn er die jeweilige Information benötigt, um seine Aufgabe erfüllen zu können. Ein sorgloser Zugang zu Informationen öffnet Missbrauch und Fehlerpotenzialen Tür und Tor.

2.108

Zugangsberechtigungskontrollen verhindern, dass unberechtigte Personen Zugang zu Räumen erlangen, in denen DV-Systeme betrieben werden oder wichtige Datenträger aufbewahrt werden. Es sind Verfahren zu entwickeln und zu implementieren, die Personen entsprechende Zutritte zum Gelände, Gebäude und Arbeitsräumen im Normal- und Notfall erteilen, wo sich die jeweiligen EDV-Systeme befinden. Der Zugang zu Gelände, Gebäuden und Arbeitsbereichen sollte begründet, genehmigt, protokolliert und überwacht werden. Dies gilt für alle Personen, die das Gelände betreten, inklusive Personal, temporäres Personal, Kunden, Lieferanten, Besucher oder andere Drittparteien. Es muss festgelegt werden, welche Zutrittsberechtigungen an welche Personen im Rahmen ihrer Funktion vergeben bzw. ihnen entzogen werden. Die Ausgabe bzw. der Entzug von verwendeten Zutrittsmittel wie Chipkarten muss dokumentiert werden. Wenn Zutrittsmittel kompromittiert wurden, müssen sie ausgewechselt werden. Die Zutrittsberechtigten sollten auf den korrekten Umgang mit den Zutrittsmitteln geschult werden. Bei längeren Abwesenheiten sollten berechtigte Personen vorübergehend gesperrt werden.1 Vor und im Zusammenhang mit der Vergabe der Zutrittsberechtigung sind – die schutzbedürftigen Räume eines Gebäudes (z.B. Arbeitsplatz, Serverraum) zu bestimmen, – diejenigen Personen(kreise) zu identifizieren, denen notwendigerweise Zutritt zu gewähren ist, um die Anzahl der Personen auf das Minimum unter Wahrung des Grundsatzes der Funktionstrennung (s. B. II.) zu begrenzen, und – Dokumentationen über die erteilten und entzogenen Zutrittsberechtigungen sowie festgestellten Konflikte bei der Erteilung von Zutritten anzulegen.2

2.109

Die Überwachung der Einhaltung der Zugangsberechtigungen kann auf unterschiedlichste Art und Weise erfolgen: Neben der Kontrolle durch Personen (Pförtner oder Schließdienst) lassen sich auch technische Kontrollen wie Ausweisleser, Schließanlage oder biometrische Verfahren einsetzen.3 Weitere Kontrollmechanismen sind bspw. sichtbares Tragen von (Besucher)Ausweisen, Information und Sensibilisierung der Berechtigten, Begleiten von Besuchern.4

2.110

Regelungen für die Einrichtung von Benutzern / Benutzergruppen bilden die Voraussetzung für eine angemessene Vergabe von Zugriffsrechten und für die Sicherstellung eines geordneten und überwachbaren Betriebsablaufs.5 Durch eine angemessene Vergabe von Zugriffsrechten wird analog zu den Zugangsberechtigungskontrollen ein unberechtigter Zugriff auf EDV-Systeme, Anwendungen und Daten verhindert. Die Zugriffsrechte (z.B. Lesen, Schreiben, Ausfüh1 2 3 4 5

BSI, IT-Grundschutz-Kompendium, ORP.4.A5 (Edition 02/2020). BSI, IT-Grundschutz-Katalog, M 2.6 (13. EL Stand: 2013). BSI, IT-Grundschutz-Katalog, M 2.6 (13. EL Stand: 2013). BSI, IT-Grundschutz-Katalog, M 2.17 (13. EL Stand: 2013). Es sollte eine begrenzte Anzahl von Rechteprofilen festgelegt werden. Ein neuer Benutzer wird dann einem solchen Profil zugeordnet und erhält damit genau die für seine Tätigkeit erforderlichen Rechte. Dabei sind die systemspezifischen Möglichkeiten bei der Einrichtung von Benutzern und Gruppen zu beachten. Es ist sinnvoll, Namenskonventionen für die Benutzer- und Gruppennamen festzulegen (z.B. Benutzer-ID = Kürzel Organisationseinheit || lfd. Nummer); BSI, ITGrundschutz-Katalog, M 2.30 (13. EL Stand: 2013).

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C. GoBD | Rz. 2.111 Kap. 2

ren) auf IT-Anwendungen, Teilanwendungen oder Daten werden in Abhängigkeit von der Funktion erteilt, die die Person wahrnimmt (z.B. Anwenderbetreuung, Arbeitsvorbereitung, Systemprogrammierung, Anwendungsentwicklung, Systemadministration, Revision, Datenerfassung, Sachbearbeitung). Es werden immer nur so viele Zugriffsrechte vergeben, wie es für die Aufgabenwahrnehmung notwendig ist („Need-to-Know-Principle“). Umgesetzt werden müssen die Zugriffsrechte durch die Rechteverwaltung des IT-Systems.1 Es ist festzulegen, welche Zugriffsrechte an welche Personen im Rahmen ihrer Funktion vergeben bzw. ihnen entzogen werden. Werden im Rahmen der Zugriffskontrolle Chipkarten oder Token verwendet, so muss die Ausgabe bzw. der Entzug dokumentiert werden. Bei längeren Abwesenheiten sollten berechtigte Personen vorübergehend gesperrt werden.2 Für die Festlegung, Veränderung und den Entzug von Zugriffsberechtigungen ist ein Verfahren erforderlich, aus dem hervorgeht – welche Funktion unter Beachtung der Funktionstrennung (Rz. 2.112 ff.) mit welchen Zugriffsberechtigungen ausgestattet wird, – welche Gruppen bzw. Berechtigungsprofile eingerichtet werden, – welche Person welche Funktion wahrnimmt (und somit welche Berechtigungsprofile ihr zugewiesen werden), – welche Zugriffsrechte eine Person im Rahmen welcher Rolle erhält (hierbei sollten auch die Zugriffsrechte von Vertretern erfasst werden), – welche Konflikte bei der Vergabe von Zugriffsberechtigungen aufgetreten sind und – welche Personen Notfallzugriffsberechtigungen erhalten.3 Damit in Übereinstimmung mit dem vergebenen Zugriffsrecht auch nur die jeweils berechtigten Personen tatsächlich auf das EDV-System bzw. die Daten zugreifen, ist ein angemessenes Authentisierungsverfahren zu implementieren. Der Zugriff auf alle IT-Systeme und Dienste muss durch eine angemessene Identifikation und Authentisierung der zugreifenden Benutzer, Dienste oder IT-Systeme abgesichert sein. Vorkonfigurierte Authentisierungsmittel müssen vor dem produktiven Einsatz geändert werden.4 Unternehmensseitig muss der Passwortgebrauch verbindlich geregelt werden. Dabei ist festzustellen, ob Passwörter als alleiniges Authentisierungsverfahren eingesetzt werden können, oder ob andere Authentisierungsmerkmale bzw. -verfahren zusätzlich zu oder anstelle von Passwörtern zu verwenden sind (z.B. Zweifaktorverfahren durch Verwendung von Tokens oder von SMS-TANs);5 weitere Möglichkeiten zur Identifikation sind Codekarten mit einem Identifikationsträger, der über zusätzliche Geräte gelesen werden kann, oder biometrische Verfahren (z.B. Abgleich Stimme, Fingerabdruck).6

1 Eine Vielzahl von IT-Systemen lassen es zu, dass verschiedene Rechte als Gruppenrechte bzw. als Rechteprofil definiert werden (z.B. Gruppe Datenerfassung). Diese Definition entspricht der technischen Umsetzung der Rechte, die einer Funktion zugeordnet werden. Für die Administration der Rechte eines IT-Systems ist es vorteilhaft, solche Gruppen oder Profile zu erstellen, da damit die Rechtezuteilung und deren Aktualisierung erheblich vereinfacht werden kann; BSI, IT-Grundschutz-Katalog, M 2.7 (13. EL Stand: 2013). 2 BSI, IT-Grundschutz-Kompendium, ORP.4.A7 (Edition 02/2020). 3 BSI, IT-Grundschutz-Katalog, M 2.7 (13. EL Stand: 2013). 4 BSI, IT-Grundschutz-Kompendium, ORP.4.A9 (Edition 02/2020). 5 BSI, IT-Grundschutz-Kompendium, ORP.4.A8 (Edition 02/2020). 6 Alpar/Grob/Weimann, Anwendungsorientierte Wirtschaftsinformatik, 2013, 384.

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2.111

Kap. 2 Rz. 2.112 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

b) Funktionstrennungen

2.112

Funktionstrennung (auch Segregation of Duties „SoD“ genannt) bezeichnet Kontrollaktivitäten zur Gewährleistung der Aufgabentrennung zwischen Personen, die Geschäftsprozesse oder Teile davon genehmigen, ausführen, verwalten oder abrechnen.1 Hierüber soll verhindert werden, dass eine einzelne Person sämtliche Teilschritte eines Prozesses ausführen kann, ohne dass eine zweite Person einzubeziehen ist. Wird die Funktionstrennung nicht umgesetzt, ist das Risiko von Fehlern sowie von unangemessenen oder dolosen Verhaltensweisen erhöht.2 Die Funktionstrennung ist im Identitäts- und Berechtigungsmanagement (s. Rz. 2.110) zu berücksichtigen, in dem unvereinbaren Aufgaben und Funktionen definiert, Unvereinbarkeiten bei der Vergabe von Zugriffsberechtigungen beachtet und mögliche Verstöße laufend überwacht werden. Die Unternehmensleitung hat sicherzustellen, dass das Personal ausschließlich genehmigte, ihrer Stelle und Position entsprechende Aktivitäten ausführt.

2.113

Die Aufgaben und die hierfür erforderlichen Rollen und Funktionen müssen so strukturiert sein, dass unvereinbare Aufgaben wie operative und kontrollierende Funktionen auf verschiedene Personen verteilt werden. Für unvereinbare Funktionen muss eine Funktionstrennung festgelegt und dokumentiert sein (s.u.). Auch Vertreter müssen der Funktionstrennung unterliegen.3 Ein Beispiel für die Funktionstrennung ist die Unterscheidung zwischen Mitarbeitern, die laufende Geschäftsvorfälle buchen, und solchen, die sich um die Stammdatenverwaltung kümmern. In diesem Fall kann durch die vorhandene Funktionstrennung verhindert werden, dass derjenige, der laufende Geschäftsvorfälle bucht, Stammdaten (wie die Bankverbindung eines Kreditors) zu seinen eigenen Gunsten verändert, eine Buchung vornimmt und dann die Änderung der Stammdaten rückgängig macht.4

2.114

Bei der Festlegung der wahrzunehmenden Funktionen sind zwei Ebenen zu unterscheiden. Die erste Ebene besteht aus den Funktionen, die den IT-Einsatz ermöglichen oder unterstützen wie Arbeitsvorbereitung, Datennachbereitung, Operating, Programmierung, Netzadministration, Rechteverwaltung, Revision („Admin-Ebene“). Die zweite Ebene besteht aus den Funktionen, die die zur Aufgabenerfüllung bereitstehenden IT-Verfahren anwenden, bspw. Fachverantwortlicher, IT-Anwendungsbetreuer, Datenerfasser, Sachbearbeiter, Zahlungsanordnungsbefugter („User-Ebene“). Unter Beachtung dieser Ebenen ist die Funktionstrennung festzulegen und zu begründen, warum welche Funktionen nicht miteinander vereinbar sind, also auch nicht von einer Person gleichzeitig wahrgenommen werden dürfen. Vorgaben hierfür können aus den Aufgaben selbst oder aus gesetzlichen Bestimmungen resultieren. Beispiele dafür sind:5 – Rechteverwaltung und Revision, – Netzadministration und Revision, – Programmierung und Test bei eigenerstellter Software, – Datenerfassung und Zahlungsanordnungsbefugnis, – Revision und Zahlungsanordnungsbefugnis. 1 IDW PS 261, Rz. 52. 2 COSO, Internal Control – Integrated Framework, 2013, 176. 3 BSI, IT-Grundschutz-Kompendium, ORP.1.A4 (Edition 02/2020); BSI, IT-Grundschutz-Katalog, M 3.3 (13. EL Stand: 2013). 4 Goldshteyn/Thelen, Praxishandbuch digitale Betriebsprüfung, 2016, 114. 5 BSI, IT-Grundschutz-Katalog, M 2.5 (13. EL Stand: 2013).

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C. GoBD | Rz. 2.118 Kap. 2

Insbesondere wird deutlich, dass meistens operative Funktionen nicht mit kontrollierenden Funktionen vereinbar sind. Nach der Festlegung der einzuhaltenden Funktionstrennung kann die Zuordnung der Funktionen zu Personen erfolgen. Die hier getroffenen Festlegungen sind zu dokumentieren und bei Veränderungen im IT-Einsatz zu aktualisieren. Sollte bei dieser Zuordnung eine Person miteinander unvereinbare Funktionen wahrnehmen müssen, so ist dies in einer entsprechenden Dokumentation über die Funktionsverteilung besonders hervorzuheben.1

2.115

Wenn eine Funktionstrennung nicht umsetzbar ist (bspw. aufgrund der Anzahl der Mitarbeiter), dann sind geeignete nachgelagerte Kontrollaktivitäten zu schaffen, die sicherstellen, dass die Aktivitäten der Mitarbeiter, die keiner angemessenen Funktionstrennung unterliegen, dennoch aus Sicht der Unternehmensführung derartig kontrolliert werden, dass zumindest der Missbrauch der weitreichenden Befugnisse der Mitarbeiter mit einer gewissen Entdeckungswahrscheinlichkeit behaftet ist.2

2.116

c) Erfassungskontrollen Bei der Erfassungskontrolle handelt es sich um eine softwareanwendungsbezogene Kontrolle3, wodurch bereits während der Dateneingabe die Richtigkeit und Vollständigkeit der eingegebenen Daten in die Softwareanwendung validiert wird. Die Validierung erfolgt automatisiert, wobei das Hauptziel der Kontrolle die Sicherstellung der formalen Richtigkeit der Buchungen ist, damit alle für die – unmittelbar oder zeitlich versetzt – nachfolgende Verarbeitung erforderlichen Merkmale einer Buchung vorhanden und plausibel sind; insbesondere müssen die Merkmale für eine zeitliche Darstellung sowie eine Darstellung nach Sach- und Personenkonten gespeichert sein.4 Erfassungskontrollen prüfen die Integrität der eingegebenen bzw. erfassten Informationen sowie die vom Programm erwarteten Eingabewerte (z.B. Eingabe von numerischen Werten in ein Betragsfeld). Die Erfassungskontrolle findet unabhängig davon statt, ob die Daten manuelle oder (teil-)maschinell erfasst werden.5 Die Durchführung der Kontrollen ist zu protokollieren.6

2.117

Beispiele für Erfassungskontrollen sind feldbezogene Kontrollen (z.B. Datumskontrollen, Muss-/Kann-Feldsteuerung) sowie komplexe Kontrollstrukturen unter Verwendung von Stamm- und Referenzdaten (z.B. Kontrolle auf zulässige Soll-/Haben-Kontenkombinationen, auf zulässige Kombinationen von Steuerkennzeichen, Ware und Lieferant).7 Insbesondere feldbezogene Erfassungskontrollen (z.B. vollständige Eingabe der Kontierungsinformationen, Identifikation von Duplikaten z.B. bei Rechnungsnummern) sind in der Regel standardmäßig im EDV-System aktiviert. Komplexere Kontrollstrukturen erfordern häufig eine individuelle Implementierung, weil die erforderlichen Prüfroutinen in Abhängigkeit von den Datenverarbeitungsprozessen im jeweiligen Unternehmen angelegt werden müssen.8

2.118

1 BSI, IT-Grundschutz-Katalog, M 2.5 (13. EL Stand: 2013). 2 IDW RS FAIT 1, Tz. 79; Goldshteyn/Thelen, Praxishandbuch digitale Betriebsprüfung, 2016, 113. 3 Softwareanwendungsbezogene Kontrollen sind Kontrollen, die durch die IT-Anwendung selbst unterstützt werden und den einzelnen Geschäftsprozess betreffen; sie sind Bestandteil der Anwendung, um beispielsweise nicht autorisierte Transaktionen zu verhindern bzw. aufzudecken. Sie sind in Kombination mit manuellen Kontrollen einzusetzen, um eine umfassende Wirksamkeit des gesamten IKS zu erreichen. 4 BMF v. 7.11.1995, BStBl. I 1995, 738 Tz. 3.1. 5 Goldshteyn/Thelen, Praxishandbuch digitale Betriebsprüfung, 2016, 114. 6 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 88. 7 IDW RS FAIT 1, Tz. 95. 8 Goldshteyn/Thelen, Praxishandbuch digitale Betriebsprüfung, 2016, 114.

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Kap. 2 Rz. 2.119 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

d) Abstimmungskontrollen bei der Dateneingabe

2.119

Mittels Abstimmungskontrollen sollen unplausible Dateneingaben durch Vergleich von Daten aus ggf. verschiedenen EDV-Systemen erkannt werden. Auch hierbei handelt es sich um eine softwareanwendungsbezogene Kontrolle (s. Fn. 1 zu Rz. 2.117). Ein Beispiel für Abstimmungskontrollen ist der sog. Rechnungsabgleich. Hier werden die Eingangsrechnungen während der Erfassung im Buchhaltungssystem mit Bestellinformationen abgeglichen. Ausgewählte Rechnungsinformationen werden mit der Bestellung automationsgestützt abgeglichen, bevor eine Buchung erfolgen bzw. eine Zahlung genehmigt werden kann. Informationen, die typischerweise übereinstimmen müssen, sind Stückpreis, Maßeinheit, Menge und Gesamtpreis der Bestellung.

2.120

Im Rahmen der Festlegung transaktionaler Kontrollanforderungen ist u.a. zu klären, ob eine Bestandskontrolle und Lieferungsverifizierung erforderlich sind, ob eine Zustimmung, Preisgestaltung, Zuordnung und Ausgabedatenkontrolle benötigt werden, und welche Voraussetzungen für die Überwachung und Kontrolle von Beschaffungsvorgängen einzuhalten sind. Verschiedene Kontrollansätze können genutzt werden, entweder basierend auf der Bestellung (Zwei- oder Drei-Wege-Abgleich) oder über andere Verfahren, die nicht auf der Bestellung basieren. Beim Zwei-Wege-Abgleich werden die Bestellung und die Rechnung miteinander verglichen (zwei Belege). Der Drei-Wege-Abgleich ist ein Kontrollverfahren, bei dem Zahlungen erst dann geleistet werden, wenn die Bestellung, die Rechnung und der Lieferschein überprüft wurden (drei Belege). Erkannte Abweichungen werden vom EDV-System zur manuellen Prüfung ausgesteuert.

2.121

Weitere Abstimmungskontrollen sind beispielsweise die Prüfung, ob die Anzahl der erfassten Kreditorenbuchungen mit der Anzahl der vorliegenden Rechnungen übereinstimmt, oder ob die Summe der gebuchten Personalaufwendungen für eine Periode in der Finanzbuchhaltung identisch ist mit den im Lohnbuchhaltungssystem ausgewiesenen Aufwendungen.1 e) Verarbeitungskontrollen

2.122

Eine weitere softwareanwendungsbezogene Kontrolle (s. Fn. 165) ist die Verarbeitungskontrolle, die sicherstellen soll, dass die Daten den Verarbeitungsprozess vollständig, richtig und autorisiert durchlaufen. Beispiele hierfür sind Abstimmungen von Kontrollnummern und Satzzählern in Batchprozeduren. Darüber hinaus sollen mit Verarbeitungskontrollen Fehler im Ablauf erkannt und geeignete Korrekturmaßnahmen ausgelöst werden (bspw. Recovery nach Abbruch der Datenverarbeitung aufgrund fehlerhafter oder fehlender Dateien).2 Die Kontrolldurchführung ist mittels Verarbeitungsprotokollen nachzuweisen.3 Es ist auch sicherzustellen, dass die Protokolle regelmäßig auf ungewöhnliche Aufzeichnungen überprüft werden. f) Schutzmaßnahmen gegen Verfälschungen

2.123

Nach § 146 Abs. 4 AO darf eine Buchung oder eine Aufzeichnung nicht in einer Weise verändert werden, dass der ursprüngliche Inhalt nicht mehr feststellbar ist; es dürfen auch solche Veränderungen nicht vorgenommen werden, deren Beschaffenheit es ungewiss lässt, ob sie ursprünglich oder erst später gemacht worden sind. Mithin sind die rechnungslegungs- und 1 Goldshteyn/Thelen, Praxishandbuch digitale Betriebsprüfung, 2016, 115. 2 IDW RS FAIT 1, Tz. 95. 3 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 60, 88.

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C. GoBD | Rz. 2.124 Kap. 2

steuerrelevanten EDV-Systeme vor beabsichtigten und unbeabsichtigten Verfälschungen von Programmen, Daten und Dokumenten zu schützen. Der Steuerpflichtige hat sein EDV-System gegen Verlust (z.B. Unauffindbarkeit, Vernichtung, Untergang und Diebstahl) zu sichern und gegen unberechtigte Eingaben und Veränderungen (z.B. durch Zugangs- und Zugriffskontrollen) zu schützen. Werden die Daten, Datensätze, elektronischen Dokumente und elektronischen Unterlagen nicht ausreichend geschützt und können deswegen nicht mehr vorgelegt werden, so ist die Buchführung formell nicht mehr ordnungsmäßig.1 Die Anforderung an die Datensicherheit betrifft die Sicherheit der IT-Infrastruktur, der eingesetzten Programme sowie der Datenmanagementsysteme. Es sind technische und organisatorische Maßnahmen umzusetzen, damit alle Informationen, die einmal in den steuerlichen Datenverarbeitungsprozess eingebracht wurden, nicht mehr ohne Kenntlichmachung überschrieben, gelöscht, geändert oder sogar verfälscht werden können und auch nicht ohne Kenntlichmachung durch neue Daten ersetzt werden können.2 Die Unveränderbarkeit der Daten, Datensätze, elektronischen Dokumente und elektronischen Unterlagen kann sowohl hardwaremäßig (z.B. unveränderbare und fälschungssichere Datenträger) als auch softwaremäßig (z.B. Sicherungen, Sperren, Festschreibung, Löschmerker, automatische Protokollierung, Historisierungen, Versionierungen) als auch organisatorisch (z.B. mittels Zugriffsberechtigungskonzepten, s. Rz. 2.106 ff.) gewährleistet werden.3 Im IDW RS FAIT 1 (Tz. 23) werden die folgenden Sicherheitsanforderungen an EDV-Systeme definiert: – Vertraulichkeit: Von Dritten erlangte Daten dürfen nicht unberechtigt weitergegeben oder veröffentlicht werden. Schutzmaßnahmen sind bspw. Verschlüsselungstechniken und Anweisungen, dass vertrauliche Daten nur an berechtigte sowie identifizierte und verifizierte Dritte versendet werden dürfen. – Integrität: Die IT-Infrastruktur, die IT-Anwendungen und Daten stehen vollständig sowie richtig zur Verfügung und sind vor Manipulationen sowie ungewollten oder fehlerhaften Änderungen geschützt. Technische Maßnahmen sind geeignete Test- und Freigabeverfahren. Technische Maßnahmen sind bspw. Virenscanner und Firewalls. – Verfügbarkeit: Die IT-Infrastruktur, die IT-Anwendungen und Daten sind ständig verfügbar und stehen bspw. nach einem Notfall zusammen mit der IT-Organisation in angemessener Zeit funktionsfähig bereit. Es sind geeignete Datensicherungssysteme4 zur Notfallversorgung einzurichten und es sind Maßnahmen zur Sicherung der dauerhaften Verfügbarkeit und Lesbarkeit der Buchführung erforderlich. – Autorisierung: Nur im Voraus festgelegte Personen können auf die Daten zugreifen (autorisierte Person) und dass nur sie die für das System definierten Rechte wahrnehmen können. Diese Rechte betreffen das Lesen, Anlegen, Ändern und Löschen von Daten oder die Administration des EDV-Systems. Hierdurch soll ausschließlich die genehmigte Abbildung von Geschäftsvorfällen im System gewährleistet werden. Geeignete Schutzmaßnahmen sind die unter B. I. erläuterten Zugangs- und Zugriffsberechtigungen. – Authentizität: Ein Geschäftsvorfall kann einem Verursacher (Person, Institution etc.) eindeutig zugeordnet werden. Dies kann bspw. über Berechtigungsverfahren geschehen. 1 2 3 4

BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 103 f. BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 108. BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 110. Dazu s. auch BSI, IT-Grundschutz-Katalog, M 6.34–M 6.37 (13. EL Stand: 2013).

Liekenbrock | 291

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2.124

Kap. 2 Rz. 2.124 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

– Verbindlichkeit: Transaktionen dürfen durch den Veranlasser nicht abstreitbar sein, weil bspw. der Geschäftsvorfall nicht gewollt ist.

2.125

Wie die v.g. Anforderungen zur Herstellung der Datensicherheit konkret umzusetzen sind, hängt aber von dem jeweils eingesetzten EDV-System und dem gegebenen Stand der EDVTechnik ab. Aus der technischen Entwicklung ergibt sich für das Unternehmen die Notwendigkeit, das Datensicherheitskonzept den jeweils aktuellen Anforderungen und Möglichkeiten im Laufe der Zeit anzupassen.1 Welche technischen und organisatorischen Maßnahmen angemessen sind, um eine dem Stand der Technik entsprechende wirksame Datensicherheit herzustellen, kann bspw. den IT-Grundschutz-Katalogen des BSI entnommen werden.2 Ziel der IT-Grundschutz-Kataloge ist es, das EDV-System vor Gefährdungslagen zu schützen. Es wird differenziert zwischen elementaren Gefährdungen (u.a. Zerstörung, Ausfall, Störung, Fehlfunktionen, Virenbefall), höherer Gewalt (u.a. Personalausfall, Naturereignisse), Organisationsmängeln (fehlende Sicherheitsmaßnahmen, unzureichende Kontrollen, Wartungsdefizite), menschliche Fehlhandlungen (u.a. fehlerhafte Administration, sorgloser Umgang mit Benutzerberechtigungen), technischem Versagen (u.a. Stromausfall, Datenverlust) und vorsätzlichen Handlungen (u.a. Manipulationen, unberechtigte IT-Nutzung). Zum Schutz des EDV-Systems und damit auch zum Schutz der rechnungslegungs- und steuerrelevanten Daten ist ein Sicherheitskonzept bzw. ein Informationssicherheitsmanagementsystem (ISMS) zu implementieren.3 Das ISMS erfüllt eine Planungs-, Lenkungs- und Kontrollaufgabe, die erforderlich ist, um einen durchdachten und wirksamen Prozess zur Herstellung von Informationssicherheit aufzubauen und kontinuierlich umzusetzen.4 Ein funktionierendes Sicherheitsmanagement muss in die existierenden Managementstrukturen eingebettet werden. Daher ist es praktisch nicht möglich, eine für jedes Unternehmen unmittelbar anwendbare Organisationsstruktur für das Sicherheitsmanagement anzugeben. Vielmehr sind regelmäßig individuelle Anpassungen an spezifische Gegebenheiten erforderlich.5

D. Digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung I. Darstellung und Funktionsweise aus Sicht der Finanzverwaltung 1. Digitale Welt – digitale Betriebsprüfung 2.126

Seit dem 1.1.2002 hat die Finanzverwaltung die Möglichkeit auf die steuerlich relevanten digitalen Daten der Unternehmer zuzugreifen. Wurde diese Möglichkeit bis vor kurzem eher stiefmütterlich wahrgenommen, erlebt die digitale Betriebsprüfung gerade einen regelrechten Boom. Neue Schulungskonzepte und Prüfmethoden der Finanzverwaltung werden die digitale Betriebsprüfung weiter forcieren. Allein die fortschreitende Digitalisierung in den Unternehmen macht eine effizientere und digitalisierte Betriebsprüfung notwendig. Dokumentenmanagement-Systeme (DMS) oder Tax Compliance Systeme (Tax CMS) sorgen in Betrieben dafür, dass Geschäftsvorgänge revisionssicher dokumentiert und nachvollziehbar sind. Folglich muss auch die Betriebsprüfung digitale Prüfungs-Ansätze generieren. Zu nennen sind hier insbesondere die Summarische Risikoprüfung, das Monetary Unit Sampling und die Schnittstellenverprobung. 1 2 3 4 5

BMF v. 7.11.1995, BStBl. I 1995, 738 Tz. 5.6. Abrufbar unter https://www.bsi.bund.de. Siehe auch IDW RS FAIT 1, Tz. 19 ff. Weitergehend Goldshteyn/Thelen, Praxishandbuch digitale Betriebsprüfung, 2016, 137 ff. BSI, IT-Grundschutz-Kompendium (Edition 02/2020), ISMS.1.1.

292 | Liekenbrock und Danielmeyer

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D. Digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung | Rz. 2.132 Kap. 2

Eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Methoden zeigt, dass es sich dabei um alles andere als um eine Revolution der Prüfmethoden handelt. In den Wirtschaftsprüfungsabteilungen der Großunternehmen und der Beratungsgesellschaften werden diese Methoden schon seit vielen Jahren angewandt. Sie dienen zum einen dem internen Controlling und der Mitarbeiterrevision in den Unternehmen und zum anderen helfen diese bei der Beratung und Testierung von Jahresabschlüssen.

2.127

Die Finanzverwaltung macht sich diese bekannten und anerkannten Prüfmethoden zunutze, um bei Massendaten in einer angemessenen Zeit Prüfungsschwerpunkte und Prüfungsansätze herauszuarbeiten. Dabei geht es primär darum, die Prüfdauer in den Unternehmen zu verkürzen und gleichzeitig die Prüfqualität zu steigern. Die Visualisierung der (Massen)-Daten führt dazu, dass das menschliche Auge Auffälligkeiten leichter wahrnehmen und so besser analysieren kann.

2.128

2. Gesamtbildprüfung der Neuzeit a) Datentransfer Ein praktisches Problem im Zusammenhang mit der Anwendung neuer digitaler Prüfungsmethoden kann die Datenbasis bilden, auf der diese Methoden angewandt werden. Es gibt, zumindest bis zum 31.12.2019. grds. keinen Standard für Kassendaten. Für andere steuerlich relevante Daten aus Vorsystemen fehlt auch aktuell ein verbindlicher Standard. Aufgrund dessen können die Daten, die dem Betriebsprüfer per Schnittstelle übergeben werden, von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich sein. Sowohl Datenaufbau als auch Dateninhalt können sich stark unterscheiden. GoBD-Schnittstellen (früher GDPdU) werden meist durch die Softwareanbieter programmiert, welche oft keinerlei Kenntnisse der Betriebsabläufe in den jeweiligen Unternehmen und auch nicht zwingend steuerliche Kenntnisse besitzen. Dies kann dazu führen, dass steuerlich relevante und für die Anwendung der Prüfmethoden elementare Daten – möglicherweise unwissentlich – nicht übergeben werden. Dies führt unweigerlich zu Auffälligkeiten bei Anwendung der einzelnen Prüfmethoden. Können diese Auffälligkeiten durch die Unternehmer nicht geklärt werden, stellt dies häufig ein Konfliktfeld innerhalb der Betriebsprüfung dar. Zeitliches Auseinanderfallen zwischen Betriebsprüfung und Entstehungszeitpunkt der Daten (meist findet die Betriebsprüfung drei bis sechs Jahre später statt), erschweren dann die Sachverhaltsaufklärung. Abhilfe kann zumindest ab dem Kalenderjahr 2020 mit der DSFinV-K geschaffen werden, sofern die Implementierung der TSE und der einheitlichen digitalen Schnittstelle erfolgt ist.

2.129

b) Auswertungsprogramm IDEA IDEA hat seinen Ursprung in der internen Revision und im Controlling und wird heute auch in der Wirtschaftsprüfung in 90 Ländern in unterschiedlichen Bereichen der Datenanalyse verwendet. Seit dem 1.1.2002 findet die Software bei der deutschen Finanzverwaltung Verwendung. Auch die Zollverwaltung setzt IDEA seit 2005 im Rahmen der Zollprüfung ein.

2.130

IDEA wird vor allem im Rahmen der Außenprüfung zur Analyse von Daten verwendet, auf welche die Finanzverwaltung entsprechend den GoBD zugreifen darf.

2.131

Konzeptionell ist IDEA sowohl mit Tabellenkalkulationssoftware wie Microsoft Excel als auch mit einem Datenbank-System vergleichbar. Auch IDEA verwaltet Daten in Tabellen. Im Gegensatz zu Excel oder einem Datenbank-System sind die Funktionen von IDEA etwas eingeschränkter und mehr für den konkreten Einsatzzweck ausgelegt. IDEA ist dagegen für die

2.132

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Kap. 2 Rz. 2.132 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

schnelle Verarbeitung sehr großer Datenmengen optimiert. Darüber hinaus werden die durchgeführten Import- und Analyseschritte protokolliert. Entsprechend bleibt die Entstehung einer Auswertungsdatei nachvollziehbar. Die Funktionalität von IDEA richtet sich auf die Massendatenanalyse.

2.133

Beispiele: Zu den Anwendungsbereichen gehören Prüfungen, ob Mitarbeiter und Lieferanten mit identischen Kontoverbindungen vorhanden sind, oder ob Kontoverbindungen von Lieferanten für einzelne Überweisungstransaktionen verändert und nach Abschluss der Transaktionen wieder in ihren Ursprungszustand zurückversetzt wurden. Auch die Prüfung der Vollständigkeit von Belegen anhand deren Nummerierung oder das Erkennen von Zeiträumen, in denen keine Belege existieren, gehören zu den typischen Aufgaben.

c) Einzelne Betriebsprüfungstools und deren Funktion aa) Schnittstellen-Verprobung (SSV) (1) Ziel

2.134

Die Schnittstellen-Verprobung (SSV) zeigt Dateninkongruenzen in elektronischen Massendaten (Big Data) auf. Mit einer Handvoll Prüfschritte können Aussagen zu systemischen Fehlern, Manipulationsspuren oder zur Seriosität der vorgelegten Daten getroffen werden. Die SSV arbeitet neben den Zahlen auch mit Visualisierungen. (2) Hintergrund

2.135

Einsatz findet die SSV im Bereich der Einnahmen, der Ausgaben und in der Systemprüfung. Ziel ist es, verschiedene Datenpools, von denen erwartet wird, dass sie zu identischen Ergebnissen führen, miteinander zu vergleichen. So ist etwa zu erwarten, dass die summierten Umsätze der verkauften Einzelprodukte eines Tages (Datenpool 1) dem erklärten Gesamtumsatz des Tages (Datenpool 2) entsprechen. Verstoßen die Ergebnisse gegen diese Erwartung, gilt es, den Grund für die Abweichung aufzuklären. In vielen Fällen können mit dieser Methode Manipulationsmuster verhältnismäßig leicht und einwandfrei identifiziert werden. Die SSV setzt ferner in der Datenentstehung an. Anhand der Grafiken können Prüferanfragen generiert oder aber auch Datenpools als seriös eingestuft werden. Grundgedanke ist die Erwartungshaltung der Datengleichheit. (3) Funktion

2.136

Die SSV ist äußerst flexibel in ihrer Anwendbarkeit. Sowohl in IDEA als auch in Excel können die Verprobungen vorgenommen werden. Für Excel spricht die Vielseitigkeit der Visualisierungsmöglichkeiten. Abbildung Grundschema SSV:

294 | Danielmeyer

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D. Digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung | Rz. 2.139 Kap. 2

Bspw. werden Vorsystemdaten systembedingt in diversen Tabellen mit unterschiedlichen Verknüpfungen in Datenbanken abgelegt. Über eine zutreffende „Verbindung“ werden diese Daten mit identischer Wirksamkeit in mehreren Tabellen nachgehalten. Auch die tatsächliche Durchführung der Angaben zur Verfahrensdokumentation lassen sich schnell und aussagekräftig analysieren. Das folgende Schaubild verdeutlicht dies. Die Tabellen „Einzelverkäufe“ und „Gesamtverkäufe“ stammen aus dem Vorsystem. In beiden Tabellen wird derselbe Datenpool mit identischer Wirksamkeit erwartet. Einziger Unterschied: in der Tabelle Einzelverkauf ist jeder Artikel auf Artikelebene abgebildet, in der Tabelle Gesamtverkauf nur summiert. Die Grafik zeigt auf, dass diese Werte mehrfach auseinanderklaffen. Betriebliche Gründe konnten nicht aufgezeigt werden. Ferner wurde der Betrieb im Beispiel offiziell zum 1.4.2017 eröffnet. Umsätze aus der nicht offiziellen Karnevalsfeier am Rosenmontag (27.2.2017) wurden nicht in die Gesamterlöse und folglich auch nicht in die Besteuerung mit aufgenommen. Die Karnevalsparty wurde übrigens seitens des Inhabers werbewirksam in den sozialen Netzwerken beworben (vgl. zu den digitalen Erkenntnisquellen der Finanzverwaltung im Rahmen der Prüfungsvorbereitung unter Rz. 2.207).

2.137

Insbesondere durch Einzelaufzeichnungspflicht, elektronische Aufzeichnungssysteme, zertifizierte TSE und der zusätzlichen digitalen Schnittstelle werden künftig vermehrt unterschiedliche Datenpools in Ketten bzw. Abhängigkeiten zu – bzw. untereinander abgeglichen. Hier wird es also zwangläufig zu mehrfachen Schnittstellen-Verprobungen1 kommen (z.B: Einbindung, Export, DSFinV-K, Warenwirtschaft, Finanzbuchhaltung). Insbesondere die Kombination zwischen einem Kassensystem und weiterem Vorsystem wie z. B. einer Hotelsoftware ist hier relevant.

2.138

Beispiel: Der Übernachtungsgast speist abends im Restaurant und lässt die „Rechnung aufs Zimmer schreiben“. Wo bisher in der alten Kassenwelt eine Abänderung des Zahlweges und die Zuweisung der Mehrwertsteuersätze im Nachgang erfolgen konnte, sind diese Vorgänge künftig am Tag des Konsums zutreffend im Kassensystem zu erfassen und mit der technischen Sicherheitseinrichtung abzusichern.

2.139

1 https://taxtech.blog/2019/06/21/elektronische-aufzeichnungssysteme-aeao-zu-%C2%A7-146a-aoveroffentlicht/.

Danielmeyer | 295

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Kap. 2 Rz. 2.139 | Digitalisierung der Betriebsprüfung Dem entsprechend ist zu erwarten, dass der im Restaurant erfasste Umsatz (Datenpool 1) ebenfalls im Gesamtumsatz des Hotels (Datenpool 2) erfasst ist. Ob dies tatsächlich der Fall ist, kann die Schnittstellen-Verprobung aufzeigen.

bb) Summarische Risikoprüfung (SRP) (1) Ziel

2.140

Die SRP bietet sich bei der Prüfung von Einnahmen, Ausgaben und etwaigen Systemfehlernoder -inkongruenzen an, um die zufällige Werteentstehung und Verteilung zu verproben. Zu diesem Zweck werden mathematische Erwartungen an das Verhalten großer Zahlenmengen genutzt. Stichworte wie Gleichverteilung und Benfords-Law1 sind hier zu nennen. Ebenso der Chi²-Test2, der hier genutzt wird, um die Erwartung mit den tatsächlich erklärten Einnahmen (Beobachtung) abzugleichen.

2.141

Hinweise: Benfords-Law Der amerikanische Mathematiker und Astronom Simon Newcomb bemerkte bei der Benutzung von Logarithmentafeln, dass die vorderen Seiten stets stärker abgenutzt waren als die hinteren. Auf Grund der Untersuchung des Phänomens veröffentlichte er bereits im Jahre 1881 im American Journal of Mathematics das „Benfordsche Gesetz“. Allerdings geriet die Entdeckung wieder in Vergessenheit. 1938 bemerkte der amerikanische Physiker Frank Benford ebenfalls die abgegriffenen Seiten der Logarithmentafeln und veröffentlichte das nach ihm benannte Benfordsche Gesetz. Inzwischen wird das Benfordsche Gesetz (Benfordsche Gesetz bzw. Benford-Law) auch als Newcomb-Benford-Law bezeichnet, um die Verdienste von Simon Newcomb zu würdigen Beim Benfords-Law handelt es sich um ein Verfahren der Ziffernanalyse zur Prüfung von Anfangsziffern einer Zahl. Es besagt vereinfacht, dass die Anfangsziffern (1 bis 9) einer großen Menge von Zahlen beliebiger Länge gewissen Regelmäßigkeiten unterliegen müssen. Es gibt mehr Zahlen, die mit einer 1 beginnen als mit einer 2, mehr Zahlen, die mit einer 2 anfangen als mit einer 3, usw. Diese Verteilung wird als Benford-Verteilung bezeichnet. Durch Auswertung von tausenden Einzelbeobachtungen bestätigte sich, dass die Anfangsziffer einer Zahl zu 30,1 % eine 1 ist und lediglich zu 4,5 % eine 9. Beispiel: Eine Gaststätte verbucht ihre täglichen Tagesendsummen. Aus dem eben beschriebenen Gesetz folgt die Erwartung, in welcher Häufigkeit als 1. Ziffer des Tagesumsatzes unabhängig von der Länge der Zahl die Zahlen 1 bis 9 erscheinen. Kommt es zu Abweichungen von dieser Erwartung, ist dies noch kein Grund für eine Zuschätzung. Vielmehr entsteht in diesen Fällen lediglich Aufklärungsbedarf, woher die Abweichung kommt. Chi2-Test Im Gegensatz zum Benford-Test, der die Anfangsziffern einer Zahl testet, werden beim Chi-QuadratTest in der Regel die letzten Ziffern vor dem Komma überprüft. Die hinter diesem naturwissenschaftlichen Gesetz steckende Logik geht davon aus, dass die 10 Ziffern (0–9) der Gleichverteilung unterliegen. Liegt keine Gleichverteilung vor, könnte dies ein Indiz für Manipulationen sein. Bei 100 Kasseneinnahmen müsste demnach zum Beispiel die erste Ziffer vor dem Komma 10 mal eine 0, 10 mal eine 1, 10 mal eine 2, usw. sein. Sollten die täglichen Kasseneinahmen manipuliert werden, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass diese manipulierten Zahlen nicht der Gleichverteilung unterliegen. Denn oftmals haben Menschen Lieblingszahlen (evtl. Geburtstag) bzw. Zahlen, die sie meiden (z.B. die 0 oder 5). Unbewusst werden die so ausgedachten Zahlen nicht der Gleichverteilung unterliegen, weswegen der Chi-Quadrat-Test auch als Lieblingszahlentest bezeichnet wird. 1 Zum Ganzen: Wähnert, StBg 2007, 289. 2 Blenkers, StBp 2003, 261 ff.

296 | Danielmeyer

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D. Digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung | Rz. 2.145 Kap. 2

(2) Hintergrund Unterstellt man, dass Tageskasseneinnahmen täglich variieren können und mal niedrig, mal hoch und mal vorhersehbar sind, ist bei einer Verprobung zu erwarten, dass die erklärten Zahlen den mathematischen Zufallsregeln folgen. Liegt hier eine Disharmonie vor, ist der betriebliche Grund für diese zu erfragen.

2.142

(3) Funktion Das Prüfprogramm der Verwaltung dient dazu, Zahlen zu verbildlichen, komplexe Sachverhalte darzustellen oder zu erforschen. Dies erfolgt mithilfe von Vorlagen. Kernstücke dieser Vorlage sind Zeitreihen1 zur Abhängigkeit von Wareneinsatz zu Erlösen, Analyse der Wochentagserlöse oder aber die Rückrechnung des notwendigen Warenbestandes2, um die erklärten Erlöse tatsächlich auch mit dem erklärten Wareneinsatz erwirtschaftet haben zu können. Ziel dieser Methode ist es, über eine bestimmte Periode den durchschnittlichen Warenumsatz mit dem nach derselben Methode ermittelten, durchschnittlichen Wareneinsatz zu vergleichen. Dabei ist zu erwarten, dass der Rohgewinnaufschlagsatz unabhängig von der Umsatzhöhe in etwa gleich bleibt. Ebenso ist z.B. zu erwarten, dass ein Warenbestand – ebenso wie die Kasse – nicht negativ werden kann. Wurde etwa Ware eingekauft, die nicht in der Buchführung erfasst wurde, wird es hier schnell mal rot und es herrscht Klärungsbedarf.

2.143

Praktisch werden zu diesem Zweck bei Prüfungsbeginn zunächst die Daten, wie z.B. die Tageseinnahmen der elektronischen Buchführung, aufbereitet und in das Prüfprogramm der Verwaltung importiert. zur Kontrolle des vollständigen Imports sieht die prüfende Person die Anzahl der Datensätze, die Herkunft (Buchungskonto) und evtl. den Datenfilter auf einen Blick. Im Anschluss an den Import weist das Programm (Vorlage: BWA) auf eine geordnete und zeitnahe Buchführung hin oder eben nicht. Die weitere Auswertung erfolgt dann wie eben beschrieben.

2.144

Abbildung aus dem Handbuch zur SRP Tz. 4.2.8. Rückrechnung der monatlichen Warenbestände 1 S.a. Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht5, Anhang 13 Beispiel Zeitreihenvergleich. 2 S.a. Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht5, Anhang 14 Beispiel Warenbestandsentwicklung.

Danielmeyer | 297

2021-10-28, 11:58, HB mittel

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2.145

Kap. 2 Rz. 2.146 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

2.146

Die negativen monatlichen Bestände stehen übrigens häufig in Kombination mit einem Zickzack-Kurs im Bereich der Monatszeitreihen.

2.147

Bei der Überprüfung der Einnahmen mittels der Vorlage Stochastik erfolgt die Analyse zum einen bei einzelnen Zahlenpositionen zum anderen aber auch in der Betragsanalyse. Ein wichtiger Baustein ist die Schichtung der Tageskasseneinnahmen nach Jahren oder Wochentagen. So kann die Struktur der einzelnen Jahre auf zufällig entstandene Erlöse oder eben auf bewusst herbeigeführte Erlöse hinweisen. Wichtig ist es, bei der Analyse etwaige betriebliche Besonderheiten zu kennen. Insbesondere in Zeiten, in denen sich typische Geschäftsfelder durch behördliche Beschränkungen, wie etwa im Jahr 2020/2021 durch die Corona-Pandemie spontan und dauerhaft auf den Warenfluss auswirken können. Hier empfiehlt es sich ein Betriebstagebuch zu führen.

2.148

Ebenso kann die Betragsanalyse für die Beurteilung der zufälligen Entstehung von Betriebsausgaben herangezogen werden. Denn auch hier findet sich grundsätzlich eine zufällige Entstehung und eine Verteilung wieder, die aber wiederum einem mathematischen Grundsatz (Standardnormalverteilung) gehorcht. Wohingegen ein Aufwandsposten wie Mietzahlungen oder Leasinggebühren für eine Maschine über den Leasingzeitraum mit Ausnahme der Sonderzahlungen häufig unverändert monatlich konstant ist, unterliegen Wareneinkäufe bei Produkten einer entsprechenden (normalen) Schwankung. Diese Schwankung wiederum findet in einem gemäßigten Rahmen statt. Es wird wenige, hohe und mittlere Einkäufe für ein Produkt geben. Korrespondierend hierzu entwickeln sich grds. die Erlöse. Wird viel Ware eingekauft, erwartet der Unternehmer viele Gäste und entsprechend höhere Einnahmen (so der Grundsatz, Abweichungen denkbar z.B. Vorratskäufe).

2.149

Zur Folge ergeben sich unterschiedliche Rohgewinnaufschlagssätze für den Betrieb. Egal ob täglich, wöchentlich oder monatlich ermittelt.

2.150

Die in der Vorlage BWA integrierte Schätzungsmöglichkeit („Quantilsschätzung“) ermittelt entsprechend der vorgenannten Kriterien das 80 %-Quantil, welches die Berechnungsbasis für die Hinzuschätzung bildet (Wareneinsatz x 80 %-Quantil = geschätzte Erlöse). Die Quantilsschätzung ist eine Vollschätzungsmethode, um auf Basis der regelbasierten Zeitreihenanalysen intern die objektivierte Leistungsfähigkeit abzuleiten und folgt damit dem Gebot des BFH, „in dem gegebenen Schätzungsrahmen an die oberste Grenze zu gehen“. Dabei gründet sich die Quantilsschätzung nicht auf einer allgemeingültigen Gesetzmäßigkeit, weil Steuerhinterziehungen nicht einheitlich verlaufen, sondern nutzt für die notwendigen Schritte, um aus Zeitreihenanalysen ein Schätzungsergebnis zu gewinnen, die gängigen, anerkannten Methoden aus Statistik und BWL.

2.151

Abbildung Standardnormalverteilung aus dem Handbuch für die Summarische Risikoprüfung 2. Öffentliche Auflage vom 16.3.2020 298 | Danielmeyer

2021-10-28, 11:58, HB mittel

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D. Digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung | Rz. 2.156 Kap. 2

Der Bereich –4 bis + 4 gibt 100 % der Daten (Rohgewinnaufschlagssätze) wieder. Der Bereich –1 bis + 1 ist der Regelgeschäftsbereich (Mittelwert +/– Standardabweichung 1, ca. 68 %). Der Bereich unterhalb – 1 stellt niedrige RGA dar, der Bereich oberhalb von + 1 stellt hohe (z.B. nicht repräsentative Besonderheiten, die zu hohen RGAs führen) dar. Für die sogenannte Quantilsschätzung werden die 84 % auf 80 % reduziert, um die nicht repräsentativen Ausreißer nach oben noch etwas abzumildern.1

2.152

cc) Monetary Unit Sampling (MUS) (1) Ziel Mit MUS können Massendaten, die aus einem Bereich stammen, der als fehlerarm gilt, per mathematischer Stichprobenziehung auf deren zutreffende Entstehung und Verbuchung analysiert werden. Dadurch unterscheidet sie sich von zufälligen Stichprobenziehung, bei der Prüfer mit dem Steuerpflichtigen nach reinen Zufallskriterien Stichproben zieht. Wegen der regelorientierten Zufallsauswahl bietet MUS im Falle einer Fehlerhaftigkeit eine mathematisch basierte Schätzungsmöglichkeit an.

2.153

(2) Hintergrund MUS ist ein aus der Wirtschaft stammendes Standard-Verprobungstool, welches mit Wahrscheinlichkeiten, Unterstellungen (Erwartungen) und einem Schätzungsmechanismus arbeitet. Die Finanzverwaltung nutzt das in IDEA integrierte Tool für seine Verprobungen. MUS bietet sich bei vielen Daten mit einer niedrig erwarteten Fehlerquote an. Eine aus einem konkreten Prüffeld gezogene Stichprobe lässt Rückschlüsse auf das gesamte Prüffeld zu (z.B. Vorsteuerabzug oder Aufwandsbuchungen). Bei Erlösen wird das Tool aufgrund seiner Art (Analyse von Überbewertungen) grundsätzlich nicht eingesetzt. Die Stichprobe greift nicht für einzelne Rechnungen, sondern ist in Geldeinheiten aufgeteilt. Größe und Intervall werden basierend auf den vorliegenden Daten geclustert.

2.154

(3) Funktion Zu Beginn ist eine Hypothese aufzustellen. Nachfolgend ist die Stichprobe zu ziehen. Das Ergebnis ist zu beurteilen und es sind ggf. Konsequenzen zu ziehen.

2.155

Beispiel: Hypothese: Die Fehlerquote des Prüffelds Aufwand 1 beträgt 3 %. Die gezogene Stichprobe ergibt eine Fehlerquote von über 3 %. Folglich ist eine Schätzung mit dem Ziel der Kürzung der Betriebsausgaben

2.156

1 Rz. 4.8, Handbuch für die Summarische Risikoprüfung 2. Öffentliche Auflage vom 16.3.2020; Downloadlink: https://www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/B/betriebspruefung_digital/Downloads/ SRP_Handbuch.pdf;jsessionid=FB78667ECFE3966A09F38BB0E4067634.delivery1-replication?__ blob=publicationFile&v=2.

Danielmeyer | 299

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Kap. 2 Rz. 2.156 | Digitalisierung der Betriebsprüfung zu dem Prüffeld Aufwand 1 durchzuführen. Die Schätzungsbefugnis wird dabei aus § 162 Abs. 2 Satz 2 AO hergeleitet, wenn beispielsweise feststeht, dass einzelne Geschäftsvorfälle nicht erfasst oder diese fehlerhaft verbucht wurden1. Bei der Berechnung der Schätzungshöhe greifen statistische Grundsätze. Werden keine Fehler festgestellt, kann das Prüffeld als gering risikobehaftet verlassen werden. Die Hypothese, dass die Buchführung fast fehlerfrei ist, findet somit Bestätigung. Bei MUS handelt es sich um eine Möglichkeit effektiv eine große Anzahl von Datensätzen auf Seriosität zu prüfen.

dd) Zusammenfassender Vergleich der Funktionen der einzelnen Tools Verprobung von Erlösen Aufwendungen Umsatzsteuer Vorsteuer Waren Vorsystem Vorsystem und Fibu Schätzungsmethode Systemprüfung …

2.157

SRP Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja

SSV Ja Ja Ja Ja Ja Ja Ja Nein Ja

MUS Nein Ja Nein Ja Ja Ja Nein Ja Ja

Die Aufzählung ist nicht abschließend. d) Ausblick: Systemprüfung

2.158

Die vorgenannten Tools können auf ihre Weise für Systemprüfungen verwendet werden, um festzustellen, ob innerhalb dieser Systeme Daten verloren gehen oder mit unterschiedlichen Werten in andere Systeme geraten. Diese Verprobungen finden allerdings immer erst nachgelagert, also dann statt, wenn der Geschäftsvorfall oder steuerlich relevante Datensatz bereits aufgezeichnet und der Betriebsprüfung verfügbar gemacht wurden. Eine Möglichkeit wäre es, die Verifikation der vorgenannten Daten bereits im Zeitpunkt der Entstehung und Aufzeichnung abzusichern. Dies wird bei Daten aus einem elektronischen Aufzeichnungssystem (Kasse) bereits seit dem 1.1.2020 mit einer zertifizierten TSE Sicherheitseinrichtung und einer einheitlichen digitalen Schnittstelle vollzogen, für Daten aus Vorsystemen ohne Kassenfunktion gibt es allerdings keine Vorgaben zur Datenabsicherung vor Verlust oder Manipulation. § 87c AO sieht für nicht amtliche Programme, die für das Besteuerungsverfahren erforderliche Daten verarbeiten vor, die Gewährleistung der richtigen und vollständigen Verarbeitung durch die Anbieter nachzuweisen. Bezieht sich der § 87c AO im Wesentlichen auf Daten, die nach dem 31.12.2016 auf Grund gesetzlicher Vorschriften der Finanzbehörde zu übermitteln sind, könnte zukünftig eine Systemprüfung für alle Datenverarbeitungssysteme, die steuerlich relevante Daten aufzeichnen, bereits im Zeitpunkt der Aufzeichnung erfolgen. Voraussetzung wäre hier beispielsweise eine Gesetzesänderung des § 87c AO oder anderer Vorschriften der Abgabenordnung. Im Entwurf des Jahressteuergesetzes 2020 sollte ein neuer § 147b AO-E geschaffen werden. Dieser sah für Datenverarbeitungssysteme eine einheitliche digitale Schnittstelle, eine Datensatzbeschreibung sowie die Speicherung der aufzeichnungs- und aufbewah1 Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht5, 3.6 Widerlegen der Richtigkeitsvermutungen Monetary Unit Sampling, S. 215.

300 | Danielmeyer

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D. Digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung | Rz. 2.160 Kap. 2

rungspflichtigen Daten vor1. Letztendlich wurde der § 147b AO-E nicht ins Jahressteuergesetz 2020 übernommen und somit nicht verabschiedet.

II. Verteidigungsstrategien 1. Überblick In der digitalen Außenprüfung werden edv-gestützte Verprobungs- und Schätzungsmethoden eingesetzt, gegen die dem Steuerpflichtigen unterschiedliche Verteidigungsmöglichkeiten zustehen. Diese Prüfungsmethoden mit ihrem „systematisch-visualisierenden Prüfungsduktus“2 können beim außerhalb des Datenverarbeitungsprozesses stehenden Steuerpflichtigen bzw. bei dessen Berater Unsicherheiten hervorrufen. Um diese zu minimieren, stehen mehrere Verteidigungsmöglichkeiten entweder einheitlich gegen sämtliche digitalen Verprobungsmethoden (2.) oder spezifisch bei den jeweiligen digitalen Verprobungsmethoden (3. und 4.) zur Verfügung.

2.159

2. Auf Überlassung der vom Außenprüfer erstellten Dateien bestehen Die Summarische Risikoprüfung, die Schnittstellenverprobung und das Monetary Sampling Unit sind Excel-basiert und ihre Ergebnisse lassen sich regelmäßig grafisch darstellen.3 Dies kann ggf. gewisse Erkenntnisse erleichtern.4 Wie bei jeder Verprobungs- oder Schätzungsmethode, die auch edv-gestützt mit Visualisierungen arbeitet, gilt es aber, die hinter den Ergebnissen und grafischen Darstellungen liegenden Annahmen zu hinterfragen, um keiner Fehlinterpretation zu unterliegen. Zwar mag „ein Bild mehr als 1.000 Worte sagen“, die hinter der Visualisierung stehenden Annahmen werden jedoch weder offenbart noch sind sie unmittelbar eingängig. So verarbeitet der Außenprüfer die Rohdaten des Steuerpflichtigen im Rahmen der Summarischen Risikoprüfung unter Zugrundelegung gewisser Parameter, Annahmen oder Formeln weiter (z.B. Ermittlung des Wareneinsatzes aufgrund bestimmter Annahmen zum Eigenverbrauch, zum Schwund und zur Lagerhaltung und Zuordnung des so ermittelten zu einem Bestimmten Monat5). Damit nimmt gerade die Visualisierung dem Außenprüfer jedoch nicht die Last des Nachweises materieller oder gravierender formeller Mängel. Zudem ist der Steuerpflichtige zur Wahrung seiner Verteidigungsrechte in den gleichen Kenntnisstand zu versetzen wie der Außenprüfer. Daher stehen ihm während der Außenprüfung ein Unterrichtungsanspruch nach § 199 Abs. 2 AO, im Einspruchs- bzw. Klageverfahren ein Mitteilungsanspruch gemäß § 364 AO bzw. § 75 FGO sowie unabhängig von der jeweiligen Verfahrenssituation ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO i.V.m. § 32c AO zu.6 Gleiches folgt aus der verfassungsrechtlichen verbürgten Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 20 Abs. 3 GG).7 Im Rahmen der Rechtsschutzmöglichkeiten zu diesen Informationsansprüchen8 ist hinsichtlich des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DSGVO i.V.m. § 32c AO zu 1 Liedgens im https://taxtech.blog/2020/10/05/kommt-nun-doch-der-allgemeine-datenstandard-imjahressteuergesetz-2020/. Letzter Abruf: 29.12.2020. 2 Prinz, DB 2019, Heft 45, M4. 3 Neubert, AO-StB 2018, 291 (294); Becker/Danielmeyer/Neubert/Unger, DStR 2016, 2983 (2986); Giezek/Wähnert, DB 2018, 470 (472). 4 Giezek/Wähnert, DB 2019, 1707 (1710), zur vereinfachten Erkennung von Mustern durch den Außenprüfer. 5 Vgl. dazu und zu den darin liegenden Schwächen Bleschick, DStR 2017, 426 f. 6 Vgl. dazu Bleschick, DStR 2018, 1050 ff. 7 Vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 4.5.2021 – 2 BvR 277/19, juris; 2 BvR 868/20, juris; jeweils m.w.N.; zum Bußgeldverfahren. 8 S. dazu Bleschick, DStR 2018, 1050, 1055, auch zum einstweiligen Rechtsschutz.

Bleschick | 301

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2.160

Kap. 2 Rz. 2.160 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

beachten, dass insoweit gem. § 32i Abs. 9 AO kein Einspruchsverfahren stattfindet, dieser Anspruch also unmittelbar beim FG geltend zu machen ist.

3. Quantilsschätzung a) Komponenten der Quantilsschätzung

2.161

Die Quantilsschätzung zählt zu den sog. mathematisch-statistischen Schätzungsmethoden. Bei dieser Schätzungsmethode1 führt der Außenprüfer zunächst einen Zeitreihenvergleich durch. Typischerweise wird dazu ein Prüfungszeitraum von drei Jahren in seine 36 Monate aufgeteilt. Für jeden Monat wird aus dem Wareneinkauf durch Abzug von Eigenverbrauch und Schwund der Wareneinsatz berechnet. Der so ermittelte Wareneinsatz wird ins Verhältnis zu den monatlichen Umsatzerlösen gesetzt, um die monatlichen Rohgewinnaufschlagsätze zu ermitteln. Dann wird überprüft, ob die Zahlen bestimmten statistischen Verteilungsidealen (z.B. Newcomb/Benford-Gesetz oder logarithmische bzw. Gauß’sche Normalverteilung) genügen.

2.162

Ergeben sich auffällige Schwankungen bei den monatlichen Rohgewinnaufschlagsätzen oder entsprechen die Zahlen nicht den statistischen Verteilungsidealen, wird daraus mitunter ein Schätzungsanlass hergeleitet. Unter Anwendung eines sog. Quantils2 wird der für den gesamten Prüfungszeitraum maßgebliche Rohgewinnaufschlagsatz bestimmt. b) Würdigung der Quantilsschätzung durch den BFH aa) „Portal-Drei-Stufen-Theorie“

2.163

Der X. Senat des BFH versteht die Quantilsschätzung in seinem AdV-Beschluss als eine Sonderform des Zeitreihenvergleichs und wendet die in seiner Senatsrechtsprechung hierzu entwickelten Rechtsgrundsätze3 auf die Quantilsschätzung ebenso an.4

2.164

Der BFH stellt hohe Anforderungen an die Quantilsschätzung. Für diese Schätzungsmethode muss der Anwendungsbereich prinzipiell eröffnet sein („Portal“). Wegen gewisser Schwächen der Quantilsschätzung ist sodann eine vorsichtige Interpretation der Schätzungsmethode geboten, was im Ergebnis zu einer gestuften Anwendung der Schätzungsergebnisse führt.5 bb) Konstantes Verhältnis zwischen Wareneinsatz und Umsatzerlösen bzw. keine wesentlichen Änderungen der Betriebsstruktur („Das Portal“)

2.165

Die Quantilsschätzung ist – selbst wenn die Schätzungsbefugnis zu bejahen sein sollte – schon nicht anwendbar, wenn es sich um einen Betrieb handelt, bei denen das Verhältnis zwischen Wareneinsatz und Umsatzerlösen nicht weitgehend konstant ist.6

2.166

Dann scheidet eine Quantilsschätzung schon dem Grunde nach als geeignete Schätzungsmethode aus. Denn der bei der Quantilsschätzung zur Anwendung kommende Zeitreihenvergleich basiert entscheidend auf der Grundannahme, dass im Betrieb des Steuerpflichtigen 1 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204. 2 Typischerweise ist dies das sog. 80 %-Quantil, so dass bei 36 ermittelten Rohgewinnaufschlagsätzen der (36 • 80 % =) 28,8-höchste Rohgewinnaufschlagsatz maßgeblich ist. 3 BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl. II 2015, 743. 4 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204s Rz. 11; Nöcker, NWB 2017, 3050, 3055. 5 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204 Rz. 38. 6 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFH/NV 2017, 1204 Rz. 56.

302 | Bleschick

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D. Digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung | Rz. 2.174 Kap. 2

das Verhältnis zwischen dem Wareneinsatz und den Erlösen im betrachteten Zeitraum – der allerdings nicht notwendig ein volles Kalenderjahr umfassen muss (z.B. bei Saisonbetrieben) – weitgehend konstant ist. Fehlt es an dieser weitgehenden Konstanz, haben die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs regelmäßig keine hinreichende Aussagekraft.1 Auch darf es im maßgebenden Zeitraum nicht zu solchen Änderungen in der Betriebsstruktur gekommen sein, die – nicht anderweitig behebbare – wesentliche Unsicherheiten bei der Aufstellung und Interpretation des Zahlenwerks mit sich bringen.2 cc) Die „drei Stufen“ Die vom BFH zum Zeitreihenvergleich entwickelte „Drei-Stufen-Theorie“ findet auf die Quantilsschätzung Anwendung.

2.167

(1) Schwächen des Zeitreihenvergleichs sind Schwächen der Quantilsschätzung

2.168

Im Kern handelt es sich bei der Quantilsschätzung lediglich um eine geänderte Interpretation der Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs.3

2.169

Auch die Quantilsschätzung stellt eine Vollschätzung dar, da das Ergebnis der eigenen Gewinnermittlung des Steuerpflichtigen vollständig verworfen und durch ein anderes Ergebnis ersetzt wird. Die besonderen Risiken bestehen hier ebenso.4

2.170

Bei der Quantilsschätzung wird der nächsthöchste Einzel-Rohgewinnaufschlagsatz herangezogen, der nach dem Ausscheiden der 20 % höchsten Einzelwerte verbleibt. Eine solche Schätzung wird auch bei einer formell und materiell ordnungsmäßigen Gewinnermittlung regelmäßig zu Mehrergebnissen führen, da der (verbleibende) 80 %-Wert meist höher liegen wird als der 50 %-Wert (Mittelwert). Die mathematischen Hebelwirkungen beziehen sich bei der Quantilsschätzung jedenfalls auf den Anfang und das Ende desjenigen Zeitraums, dessen Rohgewinnaufschlagsatzes nach Ausscheiden der 20 % höchsten Einzelwerte als maßgeblich für das Gesamtjahr herangezogen wird.5

2.171

Überdies ist bisher nicht geklärt, ob die monatlichen Rohgewinnaufschlagsätze, die von der Software der Finanzverwaltung geschätzt werden, der Gauß'schen Normalverteilung folgen, und ob die in einem üblichen Prüfungszeitraum (drei Jahre mit 36 Monats-Einzelwerten) erhobene Grundgesamtheit groß genug für die Anwendung der bei einer Gauß'schen Normalverteilung geltenden Gesetzmäßigkeiten ist.6

2.172

(2) Differenzierung nach formellen und materiellen Mängeln

2.173

Ob die Ergebnisse der Quantilsschätzung Anwendung finden dürfen, beurteilt sich nach einer gestuften Betrachtung.7

2.174

1 BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl. II 2015, 743 Rz. 56, zum Zeitreihenvergleich. 2 BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl. II 2015, 743 Rz. 57, zum Zeitreihenvergleich. 3 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 112. 4 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 112. 5 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 112. 6 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 137. 7 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 109.

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Kap. 2 Rz. 2.175 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

2.175

Stufe 1: Bei einer Buchführung, die formell ordnungsgemäß ist oder nur geringfügige formelle Mängel aufweist, kann der Nachweis der materiellen Unrichtigkeit grundsätzlich nicht allein aufgrund der Ergebnisse der Quantilsschätzung geführt werden.

2.176

Stufe 2: Ist die Buchführung formell nicht ordnungsgemäß, sind aber materielle Unrichtigkeiten der Einnahmenerfassung nicht konkret nachgewiesen, sind andere Schätzungsmethoden, die auf betriebsinternen Daten aufbauen oder in anderer Weise die individuellen Verhältnisse des jeweiligen Steuerpflichtigen berücksichtigen, grundsätzlich vorrangig heranzuziehen. Nur wenn solche Schätzungsmethoden nicht sinnvoll einsetzbar sind, können die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs einen Anhaltspunkt für die Höhe der erforderlichen Hinzuschätzung bilden. Diese Ergebnisse sind aber von Amts wegen auf ihre Plausibilität anhand der besonderen betrieblichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen zu überprüfen. Bei verbleibenden Zweifeln können Sicherheitsabschläge in einem Umfang geboten sein, der über eine bloße Abrundung des rechnerischen „Mehrergebnisses“ hinausgeht.

2.177

Stufe 3: Steht bereits aus anderen Gründen fest, dass die Buchführung nicht nur formell, sondern auch materiell unrichtig ist und übersteigt die Unrichtigkeit eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Bagatellschwelle, können die Ergebnisse einer – technisch korrekt durchgeführten – Quantilsschätzung auch für die Ermittlung der erforderlichen Hinzuschätzung der Höhe nach herangezogen werden, sofern sich im Einzelfall keine andere Schätzungsmethode aufdrängt, die tendenziell zu genaueren Ergebnissen führt und mit vertretbarem Aufwand einsetzbar ist. c) Mögliche Verteidigungsansätze gegen die Quantilsschätzung aa) Schätzungsbefugnis in Zweifel ziehen

2.178

Es soll in der Praxis noch immer vorkommen, dass der Außenprüfer eine Schätzungsbefugnis aus Auffälligkeiten der Quantilsschätzung herleitet. Das ist nicht zulässig. Denn bei einer Buchführung, die formell ordnungsgemäß ist oder nur geringfügige formelle Mängel aufweist, kann der Nachweis der materiellen Unrichtigkeit grundsätzlich nicht allein aufgrund der Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs, auf die die Quantilsschätzung gründet, geführt werden.1 bb) Einwendungen trotz bestehender Schätzungsbefugnis

2.179

Aber selbst wenn eine Schätzungsbefugnis aufgrund wesentlicher formeller Mängel oder sogar materieller Mängel anzunehmen ist, kann eine Minderung der aus einer Quantilsschätzung folgenden Schätzungsergebnisse erreicht werden.

2.180

(1) Anwendungsbereich für Quantilsschätzung in Zweifel ziehen

2.181

Der Anwendungsbereich der Quantilsschätzung sollte – sofern möglich – in Zweifel gezogen werden. Dies ist dann gegeben, wenn es beim Betrieb kein gleichbleibendes Verhältnis von Wareneinsatz und Umsatzerlösen gibt2 oder wenn es zu wesentlichen Änderungen in der Be-

1 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 109. 2 BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl. II 2015, 743 Rz. 56, zum Zeitreihenvergleich.

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D. Digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung | Rz. 2.187 Kap. 2

triebsstruktur gekommen ist1. Hierzu zählt der BFH – wie schon ausgeführt – bereits Betriebe, bei denen es im Prüfungszeitraum zu einer Preissteigerung von 26 % gekommen ist.2 (2) Höhere Eignung anderer Schätzungsmethoden darlegen

2.182

Die Quantilsschätzung ist nach der Rechtsprechung des BFH wie der Zeitreihenvergleich auch eine grobe Schätzungsmethode.3 Daher kann substantiiert dargelegt werden, dass andere Schätzungsmethoden geeigneter erscheinen.

2.183

Geldverkehrsrechnung geeignetere Schätzungsmethode: Der BFH stuft die Geldverkehrsrechnung als eine der Quantilsschätzung überlegene Prüfungsmethode ein. Weil dem Finanzamt der Kontenabruf (§ 93 Abs. 7, § 93b AO) und die deutlich gestärkten Möglichkeiten des internationalen Datenaustausches zur Verfügung stehen, hat das Finanzamt von diesen Schätzungsmethoden vorrangig Gebrauch zu machen. Daher sollte der Steuerpflichtige das Finanzamt insbesondere in der Stufe 2 (wesentlicher formeller Mangel und kein materieller Mangel) – wie bei der Eröffnung der Schätzungsbefugnis stets – nach Kräften unterstützen und die ihm zur Verfügung stehenden Konten im In- und Ausland benennen und auch Ausführungen zu seinen Lebenshaltungskosten (Angaben zu seinem Hobby und seinem Lebensstandard4) machen; ersatzweise können statistische Durchschnittswerte für die Lebenshaltungskosten herangezogen werden.5 Ggf. können sich aufgrund der niedrigeren Ergebnisse der Geldverkehrsrechnung in der Stufe 3 (materieller Mangel liegt vor) trotz der dann bestehenden Zulässigkeit gröberer Schätzungsmethoden6 weitere (erhebliche) Abschläge rechtfertigen lassen.

2.184

Aufschlagkalkulation geeignetere Schätzungsmethode: Erscheint die Schätzungsmethode der Aufschlagkalkulation günstiger, sollte der Steuerpflichtige seine Preisgestaltung im Prüfungszeitraum vollkommen transparent machen (z.B. sämtliche im Prüfungsjahr verwendeten Speisekarten vorlegen).7 Ist damit die Preisgestaltung bekannt, kann der Außenprüfer insbesondere in der Stufe 2 (wesentlicher formeller Mangel und kein materieller Mangel) die vorrangige Aufschlagkalkulation durchführen. Ggf. können sich aufgrund der niedrigeren Ergebnisse der Aufschlagkalkulation in der Stufe 3 (materieller Mangel liegt vor) trotz der Zulässigkeit gröberer Schätzungsmethoden8 auch hier weitere (erhebliche) Abschläge rechtfertigen lassen.

2.185

(3) Verteilungsideale in Zweifel ziehen

2.186

Die Auffälligkeiten, die die Finanzverwaltung aus dem Verteilungsidealen der Gauß’schen Normalverteilung und des Newcomb/Benford-Gesetzes sind nicht nachgewiesen. Insoweit empfiehlt sich die Einholung des Gutachtens eines mathematisch-statistischen Sachverständigen.9

2.187

1 BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl. II 2015, 743 Rz. 57, zum Zeitreihenvergleich. 2 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 128. 3 Eichhorn, DStR 2017, 2470 (2474). 4 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 125. 5 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 125. 6 BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl. II 2015, 743 Rz. 66. 7 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 126. 8 BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl. II 2015, 743 Rz. 66; Bleschick, DStR 2017, 426 (429); zur Gauß’schen Normalverteilung; zu den Schwächen des Newcomb/Benford-Gesetzes vgl. Bleschick, DStR 2017, 426 (428 f.). 9 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 137.

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Kap. 2 Rz. 2.188 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

2.188

(4) Technisch korrekte Durchführung der Quantilsschätzung überprüfen

2.189

Selbstverständlich muss die Quantilsschätzung technisch korrekt durchgeführt werden. Hierzu muss der Außenprüfer insbesondere eine Verteilung der Einkäufe über den Zeitraum bis zum nächsten Einkauf gleichartiger Waren vornehmen, um erhebliche rechnerische Unsicherheiten zu vermeiden.1 Die daraus folgenden Unsicherheiten schlagen auch auf die Höhe des Schätzungsergebnisses durch, weil die verzerrten (ggf. überhöhten) Rohgewinnaufschlagsätze in der Gesamtrechnung bestehen bleiben und dann zur Begründung der Höhe der Hinzuschätzung herangezogen werden.2

2.190

In dem vom BFH entschiedenen Streitfall konnte der Antragsteller darlegen, dass bereits eine – auch angesichts der konkreten betrieblichen Verhältnisse als eher geringfügig anzusehende – Verschiebung eines Wareneinkaufs/Wareneinsatzes im Umfang von nur 250 € über eine Monatsgrenze hinaus – die Rohgewinnaufschlagsätze wurden für einen Monat ermittelt – zu einer Veränderung des Monatswertes des Rohgewinnaufschlagsatzes um 21 Prozentpunkte führte.3

2.191

Bei der Überprüfung der technisch korrekten Umsetzung der Quantilsschätzung ist auch zu berücksichtigen, dass der Außenprüfer von Amts wegen unbar getätigte Geschäfte in seine Datenanalyse einbeziehen muss, um Verzerrung der Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs zu vermeiden.4 Auch hier muss der Steuerpflichtige mitwirken; ansonsten würde die darin zu sehende Verletzung seiner Mitwirkungspflichten die Verletzung der Ermittlungspflichten des Finanzamtes überholen, so dass dem Finanzamt die Nichtberücksichtigung unbar getätigter Geschäfte nicht mehr zum Nachteil gereichen könnte.5

2.192

(5) Auf amtswegige Sensitivitätsanalyse hinwirken

2.193

Bei der Quantilsschätzung muss der vorhandene Warenbestand in sachgerechter Weise, die vor allem die Besonderheiten des geprüften Betriebs berücksichtigt, in die Betrachtung einbezogen werden.6 Sofern dieser Ausgangsparameter „Warenbestand“ aber auch weitere Ausgangsparameter (wie etwa die Umschlagshäufigkeit der Waren) mit Unsicherheiten behaftet sind, ist von Amts wegen eine Sensitivitätsanalyse durchzuführen, die verdeutlichen muss, welche Auswirkungen die nicht behebbaren Unsicherheiten bei einzelnen Parametern auf die Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs haben können.7

2.194

Eine solche von Amts wegen durchzuführende Sensitivitätsanalyse würde voraussetzen, dass der Außenprüfer seine Grundannahmen von sich aus kritisch hinterfragt. Dies erscheint praxisfern. Daher sollte der Steuerpflichtige dem Außenprüfer verdeutlichen, dass der vom Außenprüfer angenommene Warenbestand, für den keine Aufzeichnungspflichten bestehen, auf bloßen Annahmen beruhen. Die dann anzunehmende Unsicherheit bei den Ausgangsparametern muss zur Wahrung der formellen Anforderungen an eine technisch korrekte Quantilsschätzung8 zur vorgenannten Sensitivitätsanalyse führen. 1 2 3 4 5 6

BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 132. BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 135. BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 135. BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 129 f. BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 131. BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl. II 2015, 743 Rz. 68, zum Zeitreihenvergleich. 7 BFH, Beschl. v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 109. 8 Vgl. BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl. II 2015, 743 Rz. 69, zum Zeitreihenvergleich.

306 | Bleschick

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D. Digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung | Rz. 2.198 Kap. 2

(6) Begründung anfordern und hinterfragen

2.195

Auch unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs der Steuerpflichtigen auf einen effektiven Rechtsschutz durch die Gerichte (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) sind der Zeitreihenvergleich und die darauf aufbauende Quantilsschätzung nicht frei von methodenspezifischen Bedenken. Schätzungsgrundlagen müssen von der Finanzbehörde so dargelegt werden, dass ihre Nachprüfung – insbesondere eine Schlüssigkeitsprüfung des zahlenmäßigen Ergebnisses der Schätzung – möglich ist. Dabei müssen sowohl die Kalkulationsgrundlage – und damit auch die spezifischen Daten, auf denen der Zeitreihenvergleich basiert – als auch die Ergebnisse der Kalkulation sowie die Ermittlungen, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, offengelegt werden.1 Genügt das Finanzamt diesem Begründungserfordernis nicht, kann allein deshalb – wie bei der Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnung – die Hinzuschätzung rechtswidrig sein,2 wenn die vom Finanzamt (versuchte) Begründung mangels Verständlichkeit dem Fehlen einer Begründung gleichgestellt werden muss, weil ohne Begründung kein Ansatzpunkt für eine Kontrolle besteht.3 Allerdings erlaubt § 126 Abs. 2 AO die Nachholung der schriftlichen Begründung noch im Klageverfahren.4

2.196

4. Schnittstellenverprobung a) Nachweis des sachlichen (materiellen) Mangels Ihrem Wesen nach spürt die Schnittellen-“Verprobung“ der fehlerhaften Übernahme von Daten einer Datei in einen anderen Datenbestand nach.5 Der mittels Schnittstellenverprobung vorgenommene Richtigkeitskontrolle durch Datenabgleich deckt damit sachliche, d.h. materielle Mängel auf.

2.197

Der Nachweis materieller Mängel obliegt der Finanzbehörde. Er ist geführt, wenn sich die Prämissen der im Einzelfall angestellten „Verprobung“ belegen lassen. Hierfür genügt es keinesfalls, typisierend davon auszugehen, Schnittstellen würden generell ein Fehlerpotential aufweisen.6 Auch sind tägliche oder monatliche Verschiebungen bei der Datenerfassung in den unterschiedlichen Dateien irrelevant,7 solange sie dasselbe Kalenderjahr betreffen. Es muss vielmehr feststehen, dass die in einer Datei zusammengefassten Daten den Erwartungen des Außenprüfers entsprechend8 ganz oder teilweise für die Besteuerung von Bedeutung sind sowie dass diese steuerrelevanten Daten unvollständig in die weitere Datenerfassung der Buch- und/ oder Kassenführung übernommen wurden (z.B. Manipulationen von Kasseneinnahmen oder programmbedingt fehlerhafte Kürzung jedes Umsatzes um Skonti, obwohl diese Preisnachlässe nur für einzelne Umsätze in Anspruch genommen wurden9).

2.198

1 2 3 4 5 6

BFH, Urt. v. 25.3.2015 – X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl. II 2015, 743 Rz. 49. Kulosa, SAM 2017, 9, 17; Krumm, DB 2017, 1105 (1111). Krumm, DB 2017, 1105 (1111). Krumm, DB 2017, 1105 (1111). Neubert, AO-StB 2018, 291 (294); Becker/Danielmeyer/Neubert/Unger, DStR 2016, 2983 (2985). Auch die Annahme von Becker/Danielmeyer/Neubert/Unger, DStR 2016, 2983 (2985), Schnittstellen zögen generell ein Fehlerpotenzial von ca. 39 % bis 50 % nach sich, d.h. jede zweite Schnittstelle könne fehlerhaft sein, verlangt vom Außenprüfer die Ermittlung, dass die vom konkreten Steuerpflichtigen eingesetzten EDV fehlerhaft ist. 7 Brinkmann in Brinkmann, Schätzungen im Steuerrecht4, Tz. 3.6.3.8 Fußnote 838; Becker/Danielmeyer/Neubert/Unger, DStR 2016, 2983 (2987). 8 Vgl. dazu im Detail Becker/Danielmeyer/Neubert/Unger, DStR 2016, 2983 (2986). 9 Becker/Danielmeyer/Neubert/Unger, DStR 2016, 2983 (2986 f.).

Bleschick | 307

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Kap. 2 Rz. 2.199 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

b) Punktuelle Fehlerkorrektur vor generalisierender Hinzuschätzung

2.199

Ist der Finanzbehörde der Nachweis des materiellen Mangels gelungen, ist der darin liegende sachliche Mangel zu korrigieren. Eine darüber hinausgehende Hinzuschätzung verlangt weitere Schätzungsanlässe, z.B. formelle Mängel, soweit diese Anlass geben, sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln.1

5. Monetary Unit Sampling 2.200

Soweit das Monetary Unit Sampling mit Hypothesen zum – typischerweise mit geringem Fehleranteil behafteten, aber gleichwohl risikobelasteten2 – Prüffeld arbeitet, sind diese auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Wie bei der Schnittstellenverprobung auch ist das Ergebnis des Testverfahrens3 die Aufdeckung materieller (sachlicher) Mängel, so dass die zu dieser Verprobung gegebenen Verteidigungsmöglichkeiten4 auch gegen das Monetary Unit Sampling bestehen.

2.201

Trifft der Außenprüfer unter Anwendung dieser digitalen Prüfungsmethode Hinzuschätzungen, sollten die dahinter stehenden Parameter kritisch ergründet werden. Soweit im Rahmen des Monetary Unit Sampling in bestimmten Stichproben Fehler aufgefunden wurden, hat der Außenprüfer zwar materielle Fehler aufgefunden. Für eine weitere Hinzuschätzung im Rahmen einer Hochrechnung der bei der Stichprobe aufgefundenen Ergebnisse5 müssen die hinter der Hochrechnung liegenden Annahmen6 aber ebenfalls nachgewiesen sein. So muss bei der Hochrechnung mittels „Most Likely Error“7 feststehen, dass der Anteil der aufgefundenen Fehler in der Stichprobe demjenigen der gesamten Buch- und/oder Kassenführung oder einem anderen Verhältnis entspricht. Dies dürfte nur ganz ausnahmsweise der Fall sein. Insoweit hat der Steuerpflichtige zwar zur Aufklärung mitzuwirken. Dagegen obliegt es dem Steuerpflichtigen nicht, die (indiziellen) Beweisanzeichen gegen die – über den Stichprobenfehler hinausgehende – sachliche Unrichtigkeit zu entkräften,8 weil es ansonsten zu einer unzulässigen Umkehr der Nachweislast kommen würde.

E. Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement der Unternehmen unter Einsatz von IT-Lösungen I. Status Quo der digitalen Betriebsprüfung sowie Kernelemente und Ziele für effizienzsteigernde Digitalisierungsmaßnahmen 2.202

Eine ganzheitliche Betrachtung des Betriebsprüfungsablaufs nimmt sowohl die Verhältnisse auf Unternehmens- als auch Finanzverwaltungsseite in den Blick. Optimierungsbestrebungen

1 2 3 4 5 6

BFH, Urt. v. 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 Rz. 22. Giezek/Wähnert, DB 2018, 470 (472 f.) Neubert, AO-StB 2018, 291 (294). Vgl. Rz. 2.153 ff. Vgl. hierzu Giezek/Wähnert, DB 2018, 470 (473). Etwa dass eine „fehlerhafte Geldeinheit“ in einer wertmäßig kleinen Rechnung die gleiche Bedeutung habe wie eine „fehlerhafte Geldeinheit“ in einer wertmäßig großen Rechnung (Giezek/Wähnert, DB 2018, 470, 473). 7 Giezek/Wähnert, DB 2018, 470 (473 f.). 8 So aber Giezek/Wähnert, DB 2018, 470 (473).

308 | Bleschick und Liekenbrock

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E. Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement | Rz. 2.204 Kap. 2

gibt es zwar auf beiden Seiten, gleichwohl ist zu konstatieren, dass die Bemühungen auf Finanzverwaltungsseite den Erwartungen deutlich hinterherhinken.1 So gehen Prüfungsanordnungen und regelmäßig auch Betriebsprüfungsanfragen und -berichte papierhaft beim Unternehmen ein. Ferner ist eine elektronische Abholung von geänderten Bescheiddaten sowie EBilanzen im Nachgang einer Außenprüfung noch nicht möglich. Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuermessbescheide können zwar (mittlerweile) elektronisch abgeholt werden, aber Änderungsbescheide im Nachgang einer Betriebsprüfung nicht. Dies geht technisch nur über den Umweg, wenn der Steuerpflichtige die Anpassungen selbst vornimmt und eine neue Steuererklärung elektronisch übermittelt, die dann zu einem neuen Bescheid führt, dessen Daten abholfähig wären. Die Voraussetzungen für die Abholung von geänderten E-Bilanzen wurden zwar geschaffen, aber ein Startzeitpunkt ist noch nicht definiert.2 Ein Standard für die Bereitstellung von Unternehmensdaten im Rahmen des Datenzugriffsrechts der Finanzverwaltung existiert nur in technischer, aber nicht in inhaltlicher Form (s. Rz. 2.219).3 Positiv ist zu vermerken, dass einzelne Bundesländer mittlerweile Datenaustauschplattformen (z.B. HessenDrive) anbieten, die auch für die Organisation der Betriebsprüfung genutzt werden können. Davon abzugrenzen ist der Bereich des Technologieeinsatzes der Finanzverwaltung zur Auswertung der Unternehmensdaten. Hier ist eine stetige Weiterentwicklung sowohl in den fachlichen Fähigkeiten der Prüfer als auch bei den eingesetzten Methoden und Softwarelösungen zu beobachten. Praktisch vollzieht sich die Hebung von Optimierungspotenzialen im Betriebsprüfungsprozess auf Seite des Unternehmens. Teils ohne und teils mit Einbezug der Prüfer. Der Einsatz von ITTools für die Unterstützung der Betriebsprüfung ist allein nicht ausreichend. Vielmehr bedarf es zunächst einer guten Organisation der Verantwortlichkeiten und der Arbeitsabläufe sowie einer geordneten und klaren Kommunikation, damit durch den Tooleinsatz signifikante Effizienz- und Qualitätssteigerungen erzielt werden können (s. Rz. 2.226 ff.).4 Das Management der Betriebsprüfung kann durch sog. Kollaborationsplattformen in administrativer Hinsicht deutlich optimiert werden, mittels derer der Datenaustausch, die Kommunikation und die Aufgabenverteilung organisiert und überwacht werden (s. Rz. 2.229 ff.). Eine weitere Ausbaustufe der digitalen Optimierung bieten Speziallösungen, mit denen die (potenziellen) Steuereffekte (inkl. Nachzahlungszinsen) aus (vorläufigen) Betriebsprüfungsfeststellungen simuliert und für Zwecke der Steuerberechnung im Jahres- und Konzernabschluss berücksichtigt werden können (Rz. 2.238 ff.). Die digitale Kür wird erreicht, wenn die Prüfungsfeststellungen inklusive Umkehreffekte in Nach-BP-Jahren automationsgestützt in IFRS-, Handels- und Steuerbilanz sowie in den Steuererklärungsprogrammen berücksichtigt werden können.5

2.203

Durch die (digitale) Optimierung des Betriebsprüfungsprozesses kann die Prüfungsdauer verkürzt werden. Dies ist in Fällen, in denen die Betriebsprüfung weit in die Vergangenheit reicht bzw. gegenwartsfern ist, eine zentrale Voraussetzung dafür, um die Möglichkeit einer zeit-

2.204

1 Zu den Modernisierungsvorschlägen zur Reformierung der BP Kowallik, DB-Beilage 03/2020, 3 ff. 2 Grabowski, BBK 2019, 296. 3 In anderen Staaten (z.B. Österreich) werden auf der Grundlage des von der OECD entwickelten Standard Audit File for Tax (SAF-T) einheitliche Vorgaben für die im Rahmen von Betriebsprüfungen bereitzustellenden Daten gemacht, Eismayr/Kirsch, DB-Beilage 4/2016, 40 (43). 4 Dies inkludiert auch die Kommunikation und Abstimmung zwischen Unternehmen und Betriebsprüfung, Risse, DB 2011, 667 (673), Liekenbrock/Wähnert, Digitale Betriebsprüfung, Düsseldorf 2021, 117. 5 Liekenbrock, Ubg 2018, 43 (50 f.); Liekenbrock/Wähnert, Digitale Betriebsprüfung, Düsseldorf 2021, 118

Liekenbrock | 309

2021-10-28, 11:58, HB mittel

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Kap. 2 Rz. 2.204 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

nahen Betriebsprüfung zu eröffnen. Denn für eine zeitnahe Betriebsprüfung ist es nach § 4a BpO erforderlich, dass sich die Betriebsprüfung im Verhältnis zu den eingereichten Steuererklärungen auf gegenwartsnahe Besteuerungszeiträume erstreckt. Über die verschiedenen Optimierungsschritte arbeiten sich die Unternehmen an einen gegenwartsnahen Prüfungszeitraum heran (sog. Aufholprüfungen), um in den Modus einer zeitnahen Betriebsprüfung zu wechseln. Eine zeitnahe Betriebsprüfung wirkt wiederum häufig beschleunigend auf die Durchführung der Prüfung, weil einerseits auf Unternehmensseite die Informationsbeschaffung und Beantwortung von Anfragen aufgrund der Gegenwartsnähe regelmäßig schneller möglich ist und andererseits sich die Finanzverwaltung teilweise in die Richtung eines „risikoorientierten“ Prüfungsansatzes mit ausgewählten Schwerpunktthemen bewegt, um die Prüfung in der gebotenen Zeit abschließen zu können.

2.205

Anzumerken ist, dass die Finanzverwaltung in der Praxis nur dann eine zeitnahe Betriebsprüfung anordnet, wenn die verantwortlichen Amtsträger von dem gesetzestreuen Verhalten des prüfungspflichtigen Unternehmens überzeugt sind.1 Vertrauensbildende Maßnahmen auf Unternehmensseite können bspw. sein: Offenlegung von Sachverhalten mit steuerlichen Bewertungsspielräumen, Einführung und Zertifizierung eines Tax CMS, Gewährung eines umfassenden Datenzugriffs und Bereitstellung qualitativ überzeugender Dokumentationen (z.B. Verrechnungspreis- und Verfahrensdokumentationen sowie vollständige Unterlagen und Aktennotizen zur Erläuterung wesentlicher Bilanzpositionen und von Geschäftsvorfällen.

2.206

Je schneller ein Besteuerungszeitraum geprüft und erweitert bestandskräftig veranlagt ist, desto schneller können bilanzielle Steuer- und Zinsrisiken (und -chancen) für zurückliegende Wirtschaftsjahre abgebaut werden. Die Risikoreduktion wird insbesondere von kapitalmarktorientierten Unternehmen zunehmend als gewichtiger bewertet als der damit ebenfalls verbundene Verlust von Chancenpotenzialen aus positiven Rechtsentwicklungen (z.B. BFH-Urteilen), von denen man ansonsten bei späterem Abschluss der Betriebsprüfung ggf. noch hätte profitieren können.2

II. Einsatzgebiete für IT-Lösungen in den verschiedenen Phasen einer Betriebsprüfung (Überblick) Überblick über die Phasen einer Betriebsprüfung und Einsatzgebiete von Tools: BP-Phasen & To Dos Phase 1 Vor BP

– Kontaktaufnahme durch den Prüfer

Digitale Optimierungsansätze – Festlegung der Aufgaben und Zuständigkeiten

– Übersendung Prüfungsanordnung

– Bereitstellung eines Dokumentenmanagementsystems, eines Datenraums oder einer Kollaborationsplattform – Unmittelbare Prüfungsvorbereitung (inkl. Vorbereitung des – Datenanalyse von prüfungsrelevanten Datenzugriffs) Finanz- und Vorsystemen – Interne Organisation und ggf. Rücksprache mit Steuerberater

1 In diesem Sinne OFD Nds. v. 10.4.2014 – S 1502 - 7-St 11, abrufbar bei juris. 2 Liekenbrock/Wähnert, Digitale Betriebsprüfung, Düsseldorf 2021, 119 f.

310 | Liekenbrock

2021-10-28, 11:58, HB mittel

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E. Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement | Rz. 2.207 Kap. 2 BP-Phasen & To Dos Phase 2 Durchführung BP

Digitale Optimierungsansätze

– Betriebsbesichtigung durch den Prüfer – – – – – – –

– Standardisierte Erfassung/Ablage der BPAnfragen, Antworten, ausgetauschten Unterlagen und etwaigen ÄnderungsDurchführung des Datenzugriffs anträgen Übermittlung prüfungsrelevan– Delegation von Anfragen der BP an interne ter Unterlagen an Prüfer und externe Ansprechpartner Anfragen des Prüfers – Fristenkontrolle für die Beantwortung von Fristgerechte Beantwortung der BP-Anfragen BP-Anfragen – Kommunikations- und KollaborationsplattErhalt und Diskussion von (vorform ggf. für die gemeinsame Nutzung mit läufigen) Prüfungsfeststellungen der BP Erhalt und Prüfung des vorläu- – Dokumentation der Handlungen der BP figen Prüfungsberichts und des Kommunikationsverlaufs Schlussbesprechung – Status- und Auswertungsberichte z.B. für steuerartspezifische BP-Findings – Simulation von finanziellen und bilanziellen BP-Effekten

Phase 3 Nach BP

– Erhalt und Prüfung des endgültigen Prüfungsberichts

– Unterstützung bei der Prüfung des BP-Berichts

– Erhalt und Prüfung der geänder- – Ablage des BP-Berichts und der geänderten Bescheide ten Steuerbescheide – Ggf. Einleitung des Rechtsbehelfsverfahrens

– Fristenkontrolle bzgl. Rechtsbehelfsverfahren

– Verarbeitung der Prüfungsfeststellungen bzw. Steuereffekte

– (Teil-)Automatisierung der Verarbeitung der BP-Feststellungen

III. Phase 1: Vorbereitung der Betriebsprüfung In Vorbereitung auf eine Betriebsprüfung sind unternehmensintern die Zuständigkeiten festzulegen und Aufgaben zu verteilen, damit die Betriebsprüfung reibungslos ablaufen kann. Die weiteren Ansprechpartner für die jeweiligen Steuerarten und Themengebiete sind zu benennen. Meist wird auch ein zentraler BP-Ansprechpartner („BP-Verantwortlicher“) benannt (§ 8 Abs. 1 BpO), über den die Kommunikation mit der Betriebsprüfung läuft und der für die Einbindung von weiteren Kollegen/Fachbereichen sowie von Extern (z.B. Beratern) verantwortlich ist. Der BP-Verantwortliche prüft die Prüfungsanordnung und wertet die Prüfungsanordnung nach vorab angefragten Unterlagen und mitgeteilten Prüfungsschwerpunkten aus, sichtet den Prüfungsbericht der letzten Betriebsprüfung und analysiert ein etwaig vorhandenes Steuerrisikoinventar, das in den Unternehmen für Zwecke des Tax Compliance Management Systems oder der Steuerrückstellungsermittlung geführt wird. Auf dieser Basis werden die voraussichtlich benötigten wesentlichen Daten und Unterlagen vorab zusammengestellt. Hierzu zählen bspw. Geschäftsberichte, wichtige Verträge und Dokumentationen zur Bewertung von Bilanzpositionen. Der Bericht der letzten BP sollte danach durchgesehen werden, welche Unterlagen für die Sachverhaltsaufklärung und steuerliche Würdigung herangezogen bzw. von der BP als kritisch erachtet wurden. Weitere Anhaltspunkte für die vorzuhaltenden Informationen lassen sich teils den Prüfungsanordnungen entnehmen oder den Verlautbarungen der jeweiligen Bundesländer über PrüfungsschwerLiekenbrock | 311

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2.207

Kap. 2 Rz. 2.207 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

punkte.1 Aus der Prüfungsanordnung geht regelmäßig auch hervor, über welche Form des Datenzugriffs die mit den EDV-Systemen des Steuerpflichtigen verarbeiteten steuerrelevanten Daten eingesehen und analysiert werden sollen (dazu s.u. Rz. 2.214 ff.). Der geforderte Datenzugriff ist entsprechend vorzubereiten.

2.208

In der Praxis empfiehlt es sich, dass der BP-Verantwortliche die involvierten Personen (insbes. aus den Fachbereichen Rechnungswesen, Controlling und IT sowie die Berater) frühzeitig informiert, damit die Kollegen abschätzen können, wann sie entsprechende Kapazitäten vorhalten müssen und welche Informationen benötigt werden. In solchen Vorbesprechungen wird auch häufig festgestellt, dass noch der Bedarf für die Anfertigung oder Aktualisierung von Verfahrensdokumentationen besteht, die von der Betriebsprüfung verstärkt angefragt werden.

2.209

Darüber hinaus sind Vorgaben für die einzusetzenden IT-Tools zu machen und die „Spielregeln“ für die Kommunikation und Dokumentation festzulegen, damit der Betriebsprüfungsprozess für einen ausgewählten Personenkreis zu jederzeit transparent ist sowie auf Dokumente und Aktenvermerke schnell zugegriffen werden kann. Teilweise nutzen die Betriebsprüfer für die Kommunikation mit dem Steuerpflichtigen auch die Unternehmens-EDV. In diesem Fall sind die PCs, Laptops etc. vorzubereiten, wozu insbesondere die Einrichtung von E-Mailadressen sowie Netzwerk- und Programmzugriffen (z.B. Officeprogramme, Dokumentenmanagementsysteme, s.u.) zählt.

2.210

Sofern für den Betriebsprüfungszeitraum die vorzuhaltenden Informationen nicht schon ohnehin zentral über ein Dokumentenmanagementsystem o.Ä. abrufbar sind, sollten sie in einer sachlich und zeitlich sortierten Ordnerstruktur auf einem Netzlaufwerk abgelegt oder über eine Kommunikations-/Kollaborationsplattform erreichbar sein, sodass alle relevanten Personen (ggf. einschließlich Betriebsprüfer) hierauf im Bedarfsfall zugreifen können. Beispiele für solche Plattformen sind Microsoft Sharepoint, Microsoft Teams oder Confluence. Vereinzelt bieten auch die Landesfinanzverwaltungen Plattformen für den Datenaustausch an (z.B. HessenDrive), die aber regelmäßig erst ab Phase 2 (Durchführung der BP, s. Rz. 2.214 ff.) praktischen Einsatz finden werden, weil hier i.a.R. nur die konkret von der Betriebsprüfung angefragten Unterlagen hochgeladen werden.

2.211

Sofern im geprüften Unternehmen keine modernen Kommunikations- und Kollaborationslösungen vorhanden sind, können Standardfunktionalitäten des E-Mailprogramms genutzt werden, um die Kommunikation über Betriebsprüfungsanfragen etc. zu organisieren. In Abhängigkeit von der Anzahl der regelmäßig involvierten Personen kann die Einrichtung eines sog. Funktions- bzw. Gruppenpostfaches (z.B. betriebsprü[email protected]) sinnvoll sein, auf die die involvierten Personen (ggf. inkl. Betriebsprüfer) zugreifen können. Darüber hinaus bietet bspw. Outlook von Microsoft die Funktionalität einer Aufgabenverteilung an, worüber aus dem besagten Funktionspostfach heraus Aufgaben (z.B. Auffindung bestimmter Belege) mit einer individuellen Frist an eine bestimmte Person adressiert werden können.

2.212

Sofern das geprüfte Unternehmen eine Spezialsoftware für die Betriebsprüfung einsetzt (s. dazu unter Rz. 2.238 ff.), ist diese entsprechend für den Betriebsprüfungszeitraum und die geprüften Steuerarten einzurichten. Die Administratoren, themenspezifischen Sachbearbeiter und Verantwortungsträger sind zu pflegen, damit die Anfragen der Betriebsprüfung von der Software der zuständigen Person zugewiesen und mit einer Bearbeitungsfrist belegt werden 1 Z.B. https://www.finanzverwaltung.nrw.de/de/prueffelder-fuer-das-kalenderjahr-2020, Abruf: 27.7. 2020.

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E. Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement | Rz. 2.215 Kap. 2

können. Für Zwecke der Simulation von BP-Anpassungseffekten können Schnittstellen zu anderen Kalkulations- und Deklarationstools (z.B. E-Bilanz-Tool) und Programmverknüpfungen konfiguriert werden, damit die Betriebsprüfungsanfragen und Feststellungen den jeweiligen Bilanz- und GuV-Positionen zugeordnet werden können. Je nach „Steuerhistorie“ des Unternehmens empfiehlt es sich, auch die Daten des Finanzbuchhaltungssystems und anderer Vorsysteme nach Auffälligkeiten zu analysieren. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn in einer abgeschlossenen Betriebsprüfung (systematische) Fehler in der Datenhaltung und/oder -verarbeitung festgestellt wurden. Es ist dann sicherzustellen, dass diese Fehler im anschließenden BP-Zeitraum nicht mehr bestehen. Die Finanzbuchhaltungsdaten können mittels verschiedener Datenanalysetools auf ihre Konsistenz überprüft werden. Die Finanzverwaltung setzt hierfür IDEA ein. Mit Datev Datenprüfung und SAP Tax Compliance stellen auch andere Hersteller Analysetools zur Verfügung, mit denen unabhängig vom Anlass einer bevorstehenden Betriebsprüfung laufend die Datenqualität überwacht werden kann und womit Korrekturprozesse gemanaged werden können.

2.213

IV. Phase 2: Durchführung der Betriebsprüfung 1. Datenzugriff und -prüfung Nach § 147 Abs. 6 AO hat die Finanzbehörde das Recht, die mit Hilfe eines EDV-Systems erstellten und aufbewahrungspflichtigen Unterlagen im Sinne von § 147 Abs. 1 AO durch Datenzugriff zu prüfen.1 Das Datenzugriffsrecht gilt nur im sachlichen Umfang der Außenprüfung (oder Nachschau etc.), der durch die Prüfungsanordnung (§ 196 AO, § 5 BpO) bestimmt wird.2 Der Steuerpflichtige muss die Betriebsprüfung bei der Ausübung ihres Datenzugriffsrechts unterstützen (§ 200 Abs. 1 AO) und hat die in diesem Zusammenhang anfallenden Kosten zu tragen (§ 147 Abs. 6 Satz 4 AO). Es sind insbesondere die Daten der Finanzbuchhaltung, der Anlagenbuchhaltung, der Lohnbuchhaltung sowie aller Vor- und Nebensysteme (z.B. Warenwirtschafts-, Kassen-, Faktura-, Controlling- und Zeiterfassungssysteme), die aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtige Unterlagen enthalten, für den Datenzugriff bereitzustellen.3 Da auch über E-Mails oder andere Kommunikations- und Kollaborationsplattformen aufbewahrungspflichtige Daten (Geschäftsbriefe etc.) ausgetauscht werden, können auch diese Systeme vom Zugriff durch die Finanzverwaltung erfasst sein.4

2.214

a) Zugriffsarten Es stehen der Finanzbehörde drei gleichberechtigte Möglichkeiten für den Datenzugriff zur Verfügung (Z1-, Z2- und Z3-Zugriff), die auch dann gelten, wenn sich die Daten bei einem Dritten (z.B. Steuerberater) befinden (§ 147 Abs. 6 Satz 3 AO). Für den Zugriff auf SAP-Systeme hat die deutschsprachige SAP-Anwendergruppe DSAG e.V. eine Anwendungsempfehlung veröffentlicht.5 1 Sofern der Steuerpflichtige den geforderten Datenzugriff nicht ermöglicht, kann ein Verzögerungsgeld zwischen 2.500 € und 250.000 € festgesetzt werden (§ 146 Abs. 2b AO). 2 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 158. 3 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 159. Die steuerrelevanten Systeme und Daten sind vom Steuerpflichtigen zu identifizieren und hinsichtlich ihrer Steuerrelevanz zu qualifizieren (sog. Erstqualifikation), ebenda, Tz. 161. Unterlässt er diese Erstqualifikation, muss er den umfassenden Zugriff auf Daten in diversen EDV-Systemen gewähren, BFH v. 16.12.2014 – X R 29/13, BFH/NV 2015, 790 a.E. 4 BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 121. 5 Online im Internet (Abruf: 31.7.2020): https://www.dsag.de/sites/default/files/dsag_handlungsemp fehlung_gobd_gdpdu_v4.01.pdf.

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2.215

Kap. 2 Rz. 2.216 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

Unmittelbarer Datenzugriff (Z1)1

2.216

Der Z1-Zugriff ist im Bereich der Groß- und Konzernbetriebsprüfung die derzeit dominierende Zugriffsart (häufig in Kombination mit dem Z3-Zugriff, s.u.). Die Finanzbehörde hat das Recht, selbst unmittelbar auf das EDV-System zuzugreifen, um die aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtigen Daten zu sichten und zu analysieren. Dabei muss sie die vom Steuerpflichtigen oder von einem beauftragten Dritten eingesetzte Hard- und Software zur Prüfung der gespeicherten Daten einschließlich der jeweiligen Meta-, Stamm- und Bewegungsdaten sowie der entsprechenden Verknüpfungen (z.B. zwischen den Tabellen einer relationalen Datenbank) nutzen; ein Ferndatenzugriff (z.B. aus dem Amt heraus) ist ausgeschlossen. Macht die Betriebsprüfung hiervon Gebrauch, ist ihr eine entsprechende Nur-Lese-Berechtigung einzuräumen. Die Datenanalysemöglichkeiten sind im Rahmen des Z1-Zugriffs auf die beim geprüften Unternehmen vorhandenen Hard- und Softwarelösungen beschränkt. Mittelbarer Datenzugriff (Z2)2

2.217

Die Finanzbehörde kann vom Steuerpflichtigen auch verlangen, dass er an ihrer Stelle die aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtigen Daten nach ihren Vorgaben maschinell auswertet oder von einem beauftragten Dritten maschinell auswerten lässt, um anschließend einen NurLesezugriff durchführen zu können. Es kann nur eine maschinelle Auswertung unter Verwendung der im EDV-System des Steuerpflichtigen oder des beauftragten Dritten vorhandenen Auswertungsmöglichkeiten verlangt werden. Datenträgerüberlassung (Z3)3

2.218

Dem Z3-Zugriff kommt – über alle Größenklassen hinweg betrachtet – die größte Bedeutung in der Praxis zu. Der Z1-Zugriff wird häufig mit dem Z3-Zugriff kombiniert. Im Rahmen des Z3-Zugriffs kann der Prüfer verlangen, dass die aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtigen Daten, einschließlich der jeweiligen Meta-, Stamm- und Bewegungsdaten sowie der internen und externen Verknüpfungen (z.B. zwischen den Tabellen einer relationalen Datenbank), und elektronische Dokumente und Unterlagen auf einem maschinell lesbaren und auswertbaren Datenträger zur Auswertung überlassen werden. Die Finanzbehörde ist nicht berechtigt, selbst Daten aus dem EDV-System herunterzuladen oder Kopien vorhandener Datensicherungen vorzunehmen.4 Die Daten werden je nach Volumen auf einem USB-Stick, einer Festplatte oder DVDs überlassen. Zum Teil werden die Daten auch auf einem Netzlaufwerk des Steuerpflichtigen für den Datenaustausch mit der Betriebsprüfung abgelegt, worauf der Prüfer mit seinem Notebook zugreifen kann. Die überlassenen Daten können die Sphäre des Steuerpflichtigen verlassen.

2.219

Die Finanzverwaltung definiert nicht die Datenfelder und Inhalte, die bei der Datenträgerüberlassung auf den Datenträger gebracht werden. Folglich muss der Steuerpflichtige bzw. Softwarehersteller entscheiden, welche Daten bei der Datenträgerüberlassung bereitgestellt werden. Die Finanzverwaltung hat mit Softwareherstellern sowie dem deutschen Vertrieb der bundeseinheitlichen Prüfsoftware der Finanzverwaltung IDEA eine einheitliche, technische Bereitstellungshilfe zur Format- und Inhaltsbeschreibung der aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtigen Daten entwickelt.5 Auf dieser Grundlage bieten viele Finanzsysteme eine Ex1 2 3 4 5

BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 165. BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 166. BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 167 ff. Mithin ist auch hier ein Ferndatenzugriff – wie beim Z1-Zugriff (s.o.) – ausgeschlossen. Umfang, Struktur oder Bezeichnung der aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtigen Daten werden durch den Beschreibungsstandard nicht vorgegeben. Der Beschreibungsstandard für die Daten-

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E. Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement | Rz. 2.222 Kap. 2

portschnittstelle an, worüber die geforderten Daten aus dem System extrahiert und bereitgestellt werden können. Für SAP-Systeme hat die Finanzverwaltung bundeseinheitlich eine Datenanforderung für die Datenträgerüberlassung bei Nutzung des Data Retention Tools (DART) abgestimmt und veröffentlicht.1 Im Bereich der Lohnbuchhaltung und Kassensysteme setzt die Finanzverwaltung nicht nur auf technische, sondern auch auf inhaltliche Standardisierung bei der Datenbereitstellung. Für Zwecke der Lohnsteuer-Außenprüfung hat die Finanzverwaltung die Digitale Lohnschnittstelle (DLS) vorgegeben, die den standardisierten Datenexport aus dem Lohnabrechnungsprogramm zur Übergabe an den Betriebsprüfer ermöglicht.2 Für Kassensysteme ist u.a. eine einheitliche digitale Schnittstelle einzurichten (§ 146a AO), über die die Kassendatensätze in standardisierter Form exportiert und im Rahmen der Kassennachschau (§ 146b AO) ausgewertet werden können (§ 4 KassenSichV).

2.220

b) Datenauswertung und Prüfung Die überlassenen Daten werden in das Prüfer-Notebook eingelesen und mittels der bundesweit eingesetzten IDEA-Software analysiert. Je nachdem setzen die Prüfer mit Unterstützung von DV-Fachprüfern auch weitere Tools für die Datenanalyse ein (z.B. Microsoft Excel, Tableau, RapidMiner, Microsoft Power BI).3 Ziel der Analyse ist die umfassende Anomalieerkennung in den überlassenen Daten. Die Daten werden auf ihre Vollständigkeit und Integrität geprüft. Dies umfasst insbesondere auch den Abgleich der Finanzbuchhaltungsdaten mit den Datensätzen aus vorgelagerten Systemen abgeglichen (sog. Schnittstellenverprobung, s. Rz. 2.197).4 Im Bereich der Analyse von Auslandssachverhalten (Verrechnungspreise und Betriebsstätten) gewinnt die Auswertung von E-Mailpostfächern eine zunehmende Bedeutung.5 Im Rahmen ihrer Datenanalysen setzt die Finanzverwaltung indes nicht allein auf die „Intelligenz“ der eingesetzten Software, sondern hat in ihren Reihen gezielt das methodische Wissen gefördert, um eine menschengelenkte und risikoorientierte Datenanalyse zu etablieren.6

2.221

Über die Analyse der Daten erfolgt teils auch eine indirekte Prüfung der jeweiligen EDV-Systeme dahingehend, ob die Daten zutreffend verarbeitet werden. Eine direkte Systemprüfung kann nach § 87c Abs. 4 AO für Programme von Softwareherstellern, mit denen steuerliche Daten verarbeitet werden, angeordnet werden. Verwaltungsvertreter legen die Vorschrift weit dahingehend aus, dass sie auch für die der Steuerdatenübermittlungssoftware vorgeschalteten

2.222

1 2 3 4 5 6

trägerüberlassung definiert die Datenimport-Schnittstelle zur automatisierten Übernahme aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtiger Daten in die Prüfsoftware einschließlich der zur maschinellen Auswertung erforderlichen Strukturinformationen und Verknüpfungen, s. https://www.bundes finanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Weitere_Steuerthemen/Abga beordnung/2019-11-28-GoBD-Ergaenzende-Informationen-zur-Datentraegerueberlassung.html (Abruf: 31.7.2020). Die technische Beschreibung kann unter http://support.audicon.net/index. php/idea/idea-aktuelle-downloads/doc_details/28-gdpdu-beschreibungsstandard.html abgerufen werden (Abruf: 31.7.2020). Zum Ganzen instruktiv Schäperclaus/Hanke, DB-Beilage 04/2016, 17. Online im Internet (Abruf: 31.7.2020): https://elektronische-steuerpruefung.de/bmf/sap-z3-datenbundeseinheitlich-agegestimmt.pdf. BMF v. 26.5.2017, BStBl. I 2017, 789. Wargowske/Greil, FR 2019, 608 (610 f.); Liekenbrock/Wähnert, Digitale Betriebsprüfung, Düsseldorf 2021, 46 ff., 96 ff., 108 ff. Becker/Danielmeyer/Neubert/Unger, DStR 2016, 2983. Wargowske/Greil, FR 2019, 608 (612); Uterhark/Peters/Braun, beck.digitax 2020, 13. Wähnert, DB 2016, 2627; Giezek/Wähnert, DB 2019, 1707.

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Kap. 2 Rz. 2.222 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

Systeme gilt (z.B. Buchhaltungssystem und ERP-Software).1 Die Vorschrift gilt (wohl) auch für Unternehmen, die Eigenentwicklungen programmiert haben und produktiv nutzen. Ggf. könnte auch das Customizing von ERP-Systemen durch interne oder extern beauftragte ITBerater das geprüfte Unternehmen zum Softwarehersteller i.S.d. Vorschrift werden lassen.2 Fehler bei der Datenverarbeitung sind insbesondere auf unzureichende Interne Kontrollsysteme (s. Rz. 2.91 ff.), Fehler bei der Datenübertragung von Quell- in Zielsysteme (Schnittstellenfehler), fehlerhafte Stammdaten und Systemkonfigurationen sowie teils auch auf Fehler im Programmcode (insbes. bei veralteten Systemen oder Releaseständen) zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund kommt der Beschreibung des Datenverarbeitungsverfahrens in einer Verfahrensdokumentation zentrale Bedeutung zu, die die Betriebsprüfung verstärkt anfragt, worin neben der Beschreibung des eingesetzten EDV-Systems und der Datenverarbeitungsprozesse auch das Interne Kontrollsystem zu erläutern ist (Rz. 2.65 ff.).3 c) Datenauslagerung und Systemwechsel

2.223

Die Sicherstellung der o.g. Datenzugriffsarten ist mit praktischen Schwierigkeiten, Kosten und Rechtsunsicherheiten verbunden, wenn die in den relevanten EDV-Systemen verarbeiteten Daten ausgelagert (Datenauslagerung), die EDV-Systeme ausgetauscht (Systemwechsel) oder die EDV-Systeme z.B. durch ein Upgrade ohne Abwärtskompatibilität geändert werden (Systemänderung). Bei derartigen Vorgängen besteht die Gefahr, dass relevante Daten verloren gehen und/oder maschinelle Auswertungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Die Anforderungen der Finanzverwaltung4 führen häufig zu der Beratungsempfehlung, dass im Falle eines Systemwechsels oder einer relevanten Systemänderung das Altsystem bis zum Abschluss der Betriebsprüfung aufrechterhalten werden sollte, bzw. im Falle der Datenauslagerung die ausgelagerten Daten wieder in das Produktivsystem zurückgespielt werden können, um den Datenzugriff, die Datengüte und die Auswertungsmöglichkeiten uneingeschränkt sicherzustellen. Dies ist mit erheblichen Kosten (insbes. Lizenz-, Server- und Supportkosten) verbunden.5

2.224

Eine hiervon abweichende Vorgehensweise, die den Aufbau eines Archivsystems für die ausgelagerten Daten (ohne Wiedereinlesen in das Produktivsystem) anstrebt oder eine Migration der vorzuhaltenden Daten in ein neues System unter Abschaltung des Altsystems vorsieht, sollte mit der zuständigen Betriebsprüfung abgestimmt werden. Praktisch gehen die Abstimmungen mit der Betriebsprüfung dahin, dass das Archivierungs- bzw. Migrationskonzept in einer Dokumentation beschrieben wird und hierüber der Nachweis erbracht wird, dass die relevanten Daten vollständig und ohne die Nachprüfbarkeit beeinträchtigende Datenverdichtungen übertragen werden sowie auch nach der Datenübertragung maschinelle Auswertungsmöglichkeiten bestehen, die mit denjenigen des (ehemaligen) Produktivsystems vergleichbar sind. In Einzelbzw. Härtefällen wird auch einer Datenextraktion und Aufbewahrung des Datenextrakts entsprechend den Vorgaben für die Datenträgerüberlassung (s.o. Z3-Zugriff) zugestimmt, womit im Ergebnis auf den Z1- und Z2-Zugriff verzichtet wird. Rechtsgrundlage hierfür kann § 148 AO sein. Gleichwohl ist zu beachten, dass einige Landesfinanzverwaltungen einer Anwendung von § 148 AO in Bezug auf Erleichterungen beim Datenzugriff kritisch gegenüberstehen.6 1 2 3 4 5 6

Baum, NWB 2016, 2778 (2780); Wargowske in Gosch, § 87c AO Rz. 19, 24. So Wargowske in Gosch, § 87c AO Rz. 5. BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 102. BMF v. 28.11.2019, BStBl. I 2019, 1269 Tz. 142 ff. Schäperclaus/Hanke, DB Beilage 03/2020, 16 (19). S. BayLfSt, Vfg. v. 20.1.2017 – S 0317.1.1 - 5/3 St42, DStR 2017, 265 in Bezug auf die Einrichtung eines neuen Archivierungssystems.

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E. Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement | Rz. 2.225 Kap. 2

Insbesondere bei weit in die Vergangenheit reichenden Betriebsprüfungszeiträumen entstehen für die Unternehmen unverhältnismäßig hohe Kosten im Zusammenhang mit der Sicherstellung des gesetzlichen Datenzugriffs, wenn mit der zuständigen Finanzbehörde bzw. Betriebsprüfung praktisch keine Abstimmung über Erleichterungen im vorstehend erläuterten Sinne möglich ist. Dies kann auch zu weiteren betriebswirtschaftlichen Verwerfungen führen, weil bspw. notwendige Modernisierungen der IT-Infrastruktur verhindert oder Unternehmenstransaktionen beeinträchtigt werden. Um diesen schädlichen Wirkungen der Datenvorhaltepflichten entgegen zu wirken, hat der Gesetzgeber im Zuge des Bürokratieabbaugesetzes III mit § 147 Abs. 6 Satz 6 AO eine Neuregelung geschaffen, mit der der Zeitraum der Bereitstellung des Z1-Zugriffs verkürzt wird und nach Ablauf des bestimmten Zeitraums im Ergebnis nur noch der Z3-Zugriff einzuräumen ist.1 Nach dieser Vorschrift ist es im Fall eines Systemwechsels oder im Fall der Datenauslagerung ausreichend, wenn der Steuerpflichtige nach Ablauf des fünften Kalenderjahres, das auf die Umstellung oder Auslagerung folgt, diese Daten ausschließlich auf einem maschinell lesbaren und maschinell auswertbaren Datenträger vorhält; sofern jedoch vor Ablauf des fünften Kalenderjahres mit einer Außenprüfung begonnen wurde und diese noch nicht abgeschlossen ist, ist eine Verlagerung der Daten auf einen Datenträger erst nach Abschluss der Außenprüfung möglich.2

2. Betriebsprüfungsanfragen a) Abbildung eines Regelprozesses für Betriebsprüfungsanfragen

1 Die Regelung gilt für steuerrelevante Daten, deren Aufbewahrungsfrist bis zum 1.1.2020 noch nicht abgelaufen war (Art. 97 § 19b Abs. 2 EGAO). 2 BT-Drucks. 13959, 32. Zu Beispielsfällen und Auslegungsfragen zu der Neuregelung s. Schäperclaus/Hanke, DB Beilage 03/2020, 16 (18 ff.).

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2.225

Kap. 2 Rz. 2.226 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

b) Organisatorische und prozessuale Herausforderungen

2.226

Aus operativer Sicht beginnt die Betriebsprüfung erst richtig mit der ersten Anfrage des Prüfers. Der Betriebsprüfer fordert Unterlagen (Belege, Verträge etc.) an, um sich ein Bild über die jeweiligen Sachverhalte und deren steuerliche Würdigung zu schaffen. Grundlage hierfür ist § 200 AO, wonach den Steuerpflichtigen eine Mitwirkungspflicht trifft. Diese besteht insbesondere darin, Auskünfte zu erteilen und bestimmte Unterlagen vorzulegen, die zur Feststellung von besteuerungsrelevanten Sachverhalten erheblich sind. Hierbei handelt es sich insbesondere um die nach § 147 AO aufbewahrungspflichtigen Unterlagen. Die Anfrage wird in der Praxis noch sehr häufig in Papierform zugestellt.1 Hintergrund sind Bedenken der Prüfer, dass sie bei Einsatz des EDV-Systems der Finanzverwaltung den Datenschutz und das Steuergeheimnis wahren. Da mit § 87a AO eine Regelung für den elektronischen Informationsaustausch zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen geschaffen wurde, wäre es wünschenswert, wenn in Betriebsprüfungen – ggf. unter Einholung einer Erklärung, dass auf eine Verschlüsselung verzichtet wird (§ 87a Abs. 1 Satz 3 AO) – verstärkt auf die elektronische Kommunikation umgestellt würde. Deshalb stellen die geprüften Unternehmen den Prüfern zunehmend eigene Laptops, E-Mailadressen und Zugänge zu Datenaustauschplattformen zur Verfügung, um eine aus Sicht der Prüfer bedenkenfreie elektronische Kommunikation zu ermöglichen. Inhaltlich bezieht sich die Betriebsprüfungsanfrage überwiegend auf Belege und Dokumentationen zu Geschäftsvorfällen (Sachverhaltsanfragen). Mit der Zustellung der Anfrage müssen die angeforderten Informationen innerhalb der abgestimmten Frist (regelmäßig 4 Wochen) beschafft werden. Um eine fristgerechte Beantwortung der Anfrage sicherzustellen, müssen die empfangenden Personen den Informationsbeschaffungsprozess anstoßen. Zunächst müssen sie feststellen, welche Informationen benötigt werden und wer hierauf Zugriff hat. In größeren Unternehmen können eine Vielzahl von Personen aus unterschiedlichen Ressorts (Buchhaltung, Controlling, IT) involviert sein. Die Informationsbeschaffung ist in der Praxis insbesondere dann zäh und aufreibend, wenn die geprüften Wirtschaftsjahre weit in der Vergangenheit liegen und/oder Mitarbeiterwechsel stattgefunden haben. Gerade in solchen Fällen zahlt sich eine gute Vorbereitung der Betriebsprüfung aus (s.o. Phase 1). Der die Sachverhaltsanfrage der Betriebsprüfung weiterreichende BP-Verantwortliche sieht sich häufig der Situation ausgesetzt, dass er von seinen Kollegen keine (zeitnahe) Antwort zu den erbetenen Informationen erhält. Dies kann verschiedene Gründe haben. Häufig ist den Kollegen, die die Informationen beibringen sollen, nicht bewusst, dass eine relativ kurze Frist von der Betriebsprüfung gesetzt wurde, weshalb sie die Anfrage ihres Kollegen aus dem Steuerbereich erst einmal aufgrund anderer Themen liegen lassen. Vielfach ist oder fühlt sich der angesprochene Kollege nicht zuständig und leitet die Anfragen wiederum an andere Kollegen weiter, die den Hintergrund und den Umfang der angefragten Informationen nicht einordnen können. Teilweise scheuen sich die Kollegen aber auch ohne Rücksprache mit ihrem Vorgesetzten Auskünfte an den BP-Verantwortlichen zu geben.

2.227

Der BP-Verantwortliche sieht sich dann der unliebsamen Aufgabe ausgesetzt, seine Kollegen zu erinnern oder bei Ausbleiben der Antwort die Anfrage über Vorgesetzte zu eskalieren. Zudem kommt es bei Betriebsprüfungen, die weit in die Vergangenheit reichen und wo die handelsrechtlichen Aufbewahrungsfristen abgelaufen sind, auch schon einmal vor, dass die angeforderten Unterlagen nicht mehr ausfindig gemacht werden können. Es vergehen so schnell mehrere Wochen bis die Informationen vorliegen oder die Erkenntnis gereift ist, dass die In1 Die Zustellung erfolgt daher häufig durch persönliche Übergabe des Ausdrucks der Anfrage. Teils werden aber auch Postfächer bei der Poststelle des geprüften Unternehmens bestimmt, in denen der Zugang und die Frist dokumentiert werden.

318 | Liekenbrock

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E. Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement | Rz. 2.231 Kap. 2

formationen nicht mehr beigebracht werden können. Im Anschluss an die Informationsbeschaffung erfolgt häufig noch eine interne Abstimmung, mit welchen begleitenden Erläuterungen man die angefragten Informationen an die Betriebsprüfung übermittelt. Je nach Bedeutung des Sachverhalts bzw. der damit verbundenen Steuereffekte ist hierfür ein ausreichendes Zeitfenster einzuplanen, damit die Entscheidungsträger die vorbereitete Antwort auf die Betriebsprüfungsanfrage freigeben können. Darüber hinaus bleibt es nicht bei einer Anfrage, sondern die vorstehend beschriebenen Herausforderungen multiplizieren sich mit jeder weiteren Anfrage. Da ist es wichtig, dass der BP-Verantwortliche den Überblick über die erhaltenen BP-Anfragen und die daraus resultierenden betriebsintern angefragten Informationen behält. Diesbzgl. dominieren in der Praxis immer noch individuelle (Excel-)Listen, auf denen die Anfrage und die entsprechenden Folgemaßnahmen mit Ansprechpartnern gepflegt werden. Die an die Kollegen adressierten Aufgaben zur Beschaffung von Informationen werden regelmäßig per E-Mail gestellt. Sowohl die manuelle Pflege von Excellisten als auch die E-Mailkorrespondenz stoßen in größeren Unternehmen sehr schnell an die Grenze der Administrierbarkeit.

2.228

c) IT-Lösungen zur administrativen Unterstützung von BP-Anfragen Der vorstehende Abriss über den Informationsbeschaffungsprozess im Zusammenhang mit Betriebsprüfungsanfragen verdeutlicht, dass eine fristgerechte Antwort von vielen Faktoren abhängig ist, die überwiegend mit dem Inhalt der Anfrage nichts zu tun haben. Neben klaren Regelungen über die unternehmensinternen Mitwirkungspflichten und (ressortübergreifenden) Zuständigkeiten bei der Beantwortung von Betriebsprüfungsanfragen (s.o. Phase 1) können IT-Lösungen dabei helfen, Fristsäumnisse, unnötigen Zeitverzug und Informationsverluste zu reduzieren.

2.229

Als eine digitale Mindestanforderung sollte für jede Anfrage der Betriebsprüfung eine elektronische Fristenkontrolle aktiviert sein, die den verantwortlichen Mitarbeiter und etwaige Vorgesetzte an die von der Betriebsprüfung gesetzte Antwortfrist erinnert. Hierfür können gängige elektronische Posteingangsbücher mit Fristenkontrolle eingesetzt werden, die von unterschiedlichsten Herstellern angeboten werden und in den Unternehmen im Einsatz sind. Häufig reichen die Funktionalitäten dieser Lösungen aber nicht aus, um den BP-Anfrageprozess hinreichend effizient administrieren zu können. Sind nämlich neben dem Empfänger der Betriebsprüfungsanfrage weitere Mitarbeiter in die Kette der Informationsbeschaffung und Freigabe der Antwort einzubeziehen, gilt für diese weiteren Personen eine separate und kürzere Bearbeitungsfrist, damit noch ausreichend Zeit besteht, um die beigebrachten Informationen fristwahrend auszuwerten und diese für den Versand an die BP freigeben zu können. Die Beantwortungsfrist der Betriebsprüfung unterteilt sich daher sehr häufig in Unterfristen für die weitere Bearbeitung durch ggf. mehrere Kollegen. Um einen zeitnahen Informationsfluss ohne großen Erklärungsbedarf zu gewährleisten, ist es darüber hinaus wertvoll, wenn alle Beteiligte in der Bearbeitungskette denselben Informationsstand haben und auf die Anfrage und den hierzu ergangenen Kommunikationsfluss zugreifen können. Dies ist mit den oben erwähnten elektronischen Posteingangsbüchern häufig nicht praktikabel abbildbar.

2.230

In der Praxis ist häufig eine Kombination von Kommunikations- und Datenaustauschplattformen zu beobachten. Der interne Informationsaustausch erfolgt dabei per E-Mail und die Ablage von Dateien (z.B. Buchungsbelege, Stellungnahmen etc.) erfolgt gesondert auf einem firmeninternen Netzlaufwerk oder in einem Dokumentenmanagementsystem mit einer entsprechend für die Betriebsprüfung eingerichteten Ordnerstruktur. Die Bearbeitungsfrist wird mit dem E-Mailversand oder einer Aufgabenfunktion für den Empfänger festgelegt oder indi-

2.231

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Kap. 2 Rz. 2.231 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

viduell überwacht. Ein derartiges Setting ist in kleineren und mittleren Unternehmen ausreichend, aber nicht „smart“ nach dem heutigen Stand der Technik.

2.232

Daher ist in der Praxis zunehmend zu beobachten, dass Betriebsprüfungen über webbasierte Kollaborationsplattformen gemanaged werden, die es ermöglichen, den Kommunikationsund Datenfluss an einem virtuellen Ort (Single-Point-of-Truth) zu konzentrieren und die Aufgabenplanung zu überwachen. Es sind zahlreiche nicht-steuerspezifische Produkte am Markt verfügbar, die im unternehmenseigenen Rechenzentrum oder in einer externen Infrastruktur („Cloud“) gehostet werden können (z.B. Sharepoint-basierte Lösung, Confluence/Jira, Microsoft Teams). Die Kollaborationsplattformen unterscheiden sich in technologischer und funktionaler Hinsicht. Trotz der Unterschiede im Detail können die folgenden Grundfunktionalitäten ausgemacht werden, die eine geeignete Kollaborationsplattform erfüllen sollte (Hinweis: die nachstehenden Funktionalitäten werden auch von den in Rz. 2.238 ff. vorgestellten Spezialsoftwarelösungen für die Betriebsprüfung erfüllt): Einfacher Datenzugriff und Informationsaustausch

2.233

Der Upload von Dokumenten und die einfache Bearbeitung der Dokumente durch die für den virtuellen BP-Bereich freigeschalteten Anwender ist möglich. Das Hinzufügen von Anwendern zu der Plattform ist durch einen berechtigten Nutzer des BP-Bereichs (Bereichsadministrator) gewährleistet und erfordert keine IT-Unterstützung. Nebeninformationen zu den über die Plattform geteilten Dokumenten (bspw. Fragen zum Hintergrund und Genese der Quelle) sind am Dateiablageort bzw. in dem BP-Bereich referenziert an das jeweilige Dokument möglich, damit die Diskussion über das Dokument nicht außerhalb der Plattform geführt werden muss (z.B. per E-Mail oder in einem separaten Chatsystem). Obgleich das Ziel der Plattform insbesondere darin besteht, für den Nutzerkreis der Plattform bzw. des BP-Bereichs eine allgemeine Transparenz über die Informationen zu verschaffen, sollte es in Bezug auf bestimmte Dateien (oder Versionsstände) und Kommunikationsverläufe möglich sein, bestimmte Nutzer von der Einsehbarkeit der Informationen ausschließen zu können; dies ist insbesondere dann eine zentrale Funktionalität, wenn der Betriebsprüfer auch Zugriff auf den BP-Bereich haben soll. Auch im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Betriebsprüfung im Anschluss an die Beantwortung der BP-Anfrage, kann es sich empfehlen, dass nicht der gesamte Nutzerkreis, der für die BP-Anfrage freigeschaltet ist, auch für den anschließenden meist steuerbereichsinternen Prozessschritt freigeschaltet wird. Planung und Koordination von Projekten und Aufgaben

2.234

Der BP-Bereichsadministrator hat die Möglichkeit, bestimmten Personen oder Gruppen Aufgaben zuzuweisen und kann diese mit einer Bearbeitungsfrist belegen. Er kann Abhängigkeiten und Meilensteine definieren. Hierbei kann er auf Kalender und andere Planungsfunktionalitäten zurückgreifen. Die Verteilung der Aufgaben und Fristen ist mit dem E-Mailsystem verknüpft, worüber der Adressat über seine Aufgaben und Fristen informiert wird sowie über einen Link in den BP-Bereich „abspringen“ kann. Die verteilten Aufgaben und bestehenden Fristen können überwacht werden. Gute Lösungen weisen mit einer Erinnerungsfunktion darauf hin, wenn Fristen drohen abzulaufen. Diese Funktionalitäten nehmen dem Betriebsprüfungsverantwortlichen die unliebsamen und zeitraubenden administrative Tätigkeiten (insbes. das Nachhaken bei den Kollegen) ab und erleichtern die Verwaltung des gesamten Betriebsprüfungsanfrageprozesses.

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E. Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement | Rz. 2.238 Kap. 2

3. (Vorläufige) Prüfungsfeststellungen a) Administrative und ermittlungstechnische Herausforderungen bei der Behandlung von (vorläufigen) Prüfungsfeststellungen Nachdem sich der Prüfer ein Bild über den Sachverhalt verschafft hat und zu einer von der Steuererklärung abweichenden Bewertung gekommen ist, stellt er in der Regel seine vorläufige Prüfungsfeststellung dem geprüften Unternehmen zur Verfügung.1 Diese löst dann je nach Bedeutung und Angreifbarkeit der Feststellung eine weitergehende Diskussion zwischen Betriebsprüfung und Steuerabteilung aus, wenn die Beurteilungen des Sachverhalts und/oder der Rechtsanwendung differieren. In die Erarbeitung einer Stellungnahme, die sich gegen die vorläufige Prüfungsfeststellung wendet, sind regelmäßig mehrere Personen aus der Steuerabteilung und häufig auch Berater eingeschaltet. Die weitere Diskussion über die ausgetauschten Schriftstücke zieht sich teilweise über Monate oder gar Jahre. Je komplexer das Thema und je länger die Diskussion desto wertvoller wird eine zeitnahe, lückenlose und transparente Dokumentation von Besprechungsergebnissen, von Schriftwechseln und der Fortentwicklung von Stellungnahmen. Auch hierfür zahlt sich der Einsatz von Kollaborationsplattformen aus (s. Rz. 2.232).

2.235

In die Steuerrückstellungs- und Steuerlatenzberechnung sind auch Erkenntnisse aus einer laufenden Betriebsprüfung einzubeziehen, weshalb für jede endgültige Prüfungsfeststellung die entsprechende bilanzielle Steuerwirkung abzuschätzen ist. Dies gilt auch für vorläufige Prüfungsfeststellung, es sei denn, dass nach dem anzuwendenden Rechnungslegungsstandard noch kein hinreichender Konkretisierungsgrad für die Annahme einer finalen Prüfungsfeststellung erreicht wurde.2

2.236

Bei Einzelsachverhalten ist jedenfalls der Bemessungsgrundlageneffekt einer Prüfungsfeststellungen noch verhältnismäßig einfach zu ermitteln, wobei die Ermittlung des Steuereffekts in komplexen Konzernstrukturen mit Organschaften nicht trivial ist. Bei Massensachverhalten ist der Bemessungsgrundlagen- und Steuereffekt in angemessener Zeit vielfach nur schätzbar. Bei der Erhebung des potenziellen Steuereffekts können übliche Kollaborationsplattformen (s. Rz. 2.232) nicht helfen. Hierfür werden vielfach Kalkulationstabellenprogramme (insbes. Microsoft Excel) sowie die eingesetzten Steuerberechnungsprogramme (Datev etc.) eingesetzt. Diese separate Berechnung erfordert einen hohen Grad an manuellen Tätigkeiten bei jeder Aktualisierung des Bemessungsgrundlagen- und Steuerbelastungseffekts und ist deshalb sehr zeitaufwendig und teils nicht praktikabel; daher werden für Rechnungslegungszwecke pauschalierende Annahmen (z.B. in Bezug auf den anzuwendenden Effektivsteuersatz) getroffen und es wird keine Detailberechnung für jede relevante vorläufige Prüfungsfeststellung durchgeführt.

2.237

b) Spezialsoftware für das professionelle BP-Management mit automationsgestützter Berechnung von BP-Anpassungseffekten Die bislang erläuterten Herausforderungen können durch den Einsatz professioneller Spezialsoftware für Betriebsprüfungen gemeistert werden, die über den Funktionsumfang von Kol1 Bei festgestellten gravierenden Verstößen muss die Betriebsprüfung die Straf- und Bußgeldstelle einschalten (§ 10 BpO), worauf nachfolgend aber nicht weiter eingegangen wird. 2 Zur Bilanzierung von Steuerrisiken nach HGB: Herzig/Liekenbrock, DB 2013, 409, nach IFRS: Meyer/Ruberg in Thiele/von Keitz/Brück, Internationales Bilanzrecht, IAS 12, Rz. 38 ff. (Stand: 03/ 2018).

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2.238

Kap. 2 Rz. 2.238 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

laborationsplattformen hinausgehen.1 Für den Bereich der Ertragsteuern sind Lösungen verfügbar, mit denen für jede bemessungsgrundlagenmäßig konkretisierbare Prüfungsfeststellung der Steuereffekt automatisch berechnet sowie in den Steuererklärungen und Bilanzen weiterverarbeitet werden kann. In Bezug auf das professionelle BP-Management sind die folgenden deutschen Softwarelösungen von Infolog (Betriebsprüfung-Online), von AMANA (Global Tax Center, Modul Betriebsprüfung) und von der Deutschen Telekom (teo 2.0, BP-Modul) zu nennen. Bei allen Anbietern handelt es sich um webbasierte Lösungen, mit denen sich die folgenden Mehrwerte erreichen lassen, wobei sie sich im Funktionsumfang und in der Bedienung teils deutlich unterscheiden: 1. Standardisierte Workflows für alle Beteiligten im Betriebsprüfungsprozess 2. Einfache Administrierbarkeit durch integriertes Benutzerberechtigungskonzept 3. Fristenkontrolle und Erinnerungsfunktionen 4. Delegations- und Trackingfunktionen zur einfachen Steuerung des Informationsbeschaffungsprozesses 5. Zentrale Dokumentation und Historisierung von Anfragen und Feststellungen der BP 6. Korrespondenz-/Chatfunktionen zur Vermeidung von paralleler Korrespondenz über andere Medien 7. Bemessungsgrundlageneffekte können je Anfrage und Bilanzposition erfasst werden 8. Verknüpfung von BP-Anfragen mit Dokumenten, Korrespondenz und Bemessungsgrundlageneffekten je Bilanz- oder Steuerformularzelle 9. Simulation von BP-Mehrsteuern und Zinseffekten sowie Berichtsfunktion zur periodenübergreifenden Darstellung der Werte vor und nach BP 10. Berechnung der BP-Auswirkungen für das Tax Reporting in IFRS- und Handelsbilanz (AMANA und teo 2.0) 11. Automationsgestützte Verarbeitung von BP-Anpassungseffekten in den Steuererklärungsformularen (Erklärungsversion nach BP) sowie in den Steuer-, Handels- und IFRS-Bilanzen (nur teo 2.0). Betriebsprüfung-Online2

2.239

Betriebsprüfung-Online von Infolog ist vermutlich die in Deutschland am häufigsten eingesetzte Spezialsoftware für Betriebsprüfungen. Nach Aussage des Herstellers nutzen mehr als 100 Konzernbetriebsprüfer die Software. Aufgaben bspw. resultierend aus Betriebsprüfungsanfragen können aufgeteilt und die Teilaufgaben verschiedenen Bearbeitern zugewiesen werden; auch Externe können bei Bedarf per E-Mail einbezogen werden. Der Bearbeitungsfortschritt kann laufend kontrolliert werden; Dashboards geben einen Überblick über die anfallenden und erledigten Aufgaben. Die Anwender werden per E-Mail über Aufgaben und Fristen informiert. Das Fristenmanagement operiert nach einem Ampelsystem mit konfigurierbaren Zeitintervallen für die jeweiligen Prozessschritte, sodass eine drohende Fristüberschreitung frühzeitig angezeigt wird und ggf. Fristverlängerungen beantragt werden können. In der Da1 Risse, DB 2011, 667 (674); Kowallik, DB Beilage 02/2018, 26 (27 ff.); Brücker/Drumm/Schuster, REt 2020, 26. 2 Online im Internet (Abruf: 31.7.2020): www.infolog.de/produkte/betriebspruefung-online/.

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E. Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement | Rz. 2.241 Kap. 2

tenbank werden alle Bearbeitungsstände inklusive Dateianhängen gespeichert, worauf alle Beteiligten Zugriff haben. Für die rein unternehmensinterne Dokumentation und Kommunikation dienen nicht-öffentliche Bereich, die die Betriebsprüfung und Externe nicht einsehen kann. Darüber hinaus bietet die Software zahlreiche Detailauswertungen mit Exportfunktion an, anhand derer Auswirkungen auf das steuerliche Einkommen dargestellt werden können. Alle in der Datenbank gespeicherten Dokumente und Kommunikationsverläufe sind im Volltext durchsuchbar, sodass einzelne Ergebnisse schnell aufgefunden werden können. Die Software kann über eine Schnittstelle mit dem Steuerbilanztool von Infolog verknüpft werden, sodass bilanzielle und nicht bilanzielle Prüfungsauswirkungen und deren Folgewirkungen direkt eingearbeitet und über grafische Auswertungen die Effekte von Betriebsprüfungsfeststellungen analysiert werden können. Die Software GlobalTaxCenter (GTC) ist die in deutschen Großkonzernen meist eingesetzte Konzernsteuerlösung, mit der der gesamte Ertragsteuerprozess (inkl. Tax Accounting und Steuerdeklaration) und vieles mehr abgebildet werden kann (s. Abbildung). Für das GTC ist optional ein Betriebsprüfungsmodul verfügbar, über das Prüfungsfeststellungen erfasst werden können. Neben der Inventarisierung von Prüfungsfeststellungen können aber auch Steuerrisiken bzw. drohende Mehrergebnisse erfasst werden. Für jeden Sachverhalt kann der Status der Bearbeitung und der Konkretisierung des Sachverhalts als Feststellung oder Risiko gepflegt und verfolgt werden. Als webbasierte Lösung kann die Erfassung der Sachverhalte dezentral erfolgen. Mittels einer Schattenrechnung können bilanzielle wie außerbilanzielle Auswirkungen transparent gemacht werden. Steuerrisiken können simuliert werden. Die Steuerrückstellungen und Verlustvorträge werden über den gesamten Betriebsprüfungszeitraum ermittelt, was die systematische Erfassung von Umkehreffekten voraussetzt. Ferner werden verschiedene Auswertungsfunktionen angeboten.

2.240

teo 2.01 Auch das BP-Modul von teo 2.0 richtet sich prozessual am Regelprozess einer Betriebsprüfung aus, die praktisch mit einer Betriebsprüfungsanfrage startet. Die Erfassung der Informationen erfolgt über eine webbasierte Oberfläche; die Zuordnung zum korrespondierenden Bearbeiter im Steuerbereich geschieht automatisch. Entlang der jeweiligen Betriebsprüfungsanfrage werden Kommentare, Dokumente und die bilanziellen sowie außerbilanziellen Sachverhalte di1 Brücker/Drumm/Schuster, REt 2020, 26 ff.

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2.241

Kap. 2 Rz. 2.241 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

rekt erfasst. Die (vorläufigen) Prüfungsfeststellungen sind mit den Steuerformularkennziffern verknüpft und die von dem Prüfer vorgesehenen Korrekturbeträge können an den Steuerbereich zurückgespiegelt werden. Mittels integrierter E-Mail-Funktion werden die betroffenen Personen über Änderungen an Daten oder Kommentaren systemisch informiert. Es werden umfangreiche Analyse- und Reporting-Funktionalitäten bereitgestellt, die einen schnellen Überblick über Effekte, Anzahl und Status der offenen Feststellungen, Verantwortlichkeiten und Reaktionszeiten verschaffen. Der Betriebsprüfung stehen zudem mehrperiodische Prüferbilanzen zur einfachen Abstimmung der Werte vor und nach Prüfung zur Verfügung. Da teo 2.0 nicht nur eine Software für das Management der Betriebsprüfung ist, sondern darüber hinaus der gesamte Ertragsteuerprozess einschließlich Tax Accounting abgedeckt wird, können die aus den Korrekturbeträgen resultierenden Steuereffekte unmittelbar simuliert werden. Der Betriebsprüfungsprozess wird vollständig in die Prozesse für das Tax Accounting und die Steuerdeklaration integriert (s. nachstehende Abbildung). Mit Abschluss der Betriebsprüfung werden die Effekte aus der Simulationsschicht per Knopfdruck in die Steuererklärungsversionen der betroffenen Jahre übernommen. Die bilanziellen Anpassungen in Handels- und IFRS-Bilanz resultierend aus der Betriebsprüfung werden in dem nächsten offenen Abschluss zur Korrektur der Anfangsbestände automationsgestützt vorgenommen.

Finanzverwaltung (BpA EURO)

2.242

Die Finanzverwaltung setzt zur Dokumentation der Betriebsprüfung und Berechnung der Mehr- und Minderergebnisse ebenfalls eine spezielle Software namens BpA EURO (Betriebsprüfung Außendienst Euro) ein, die in NRW seit 2002 zum Einsatz kommt.1 Das Programm unterstützt die Prüfer bei der Bearbeitung von Prüfungsfällen und ist auf den Prüferlaptops installiert. Dem Anwender können bereits bei der Prüfungsvorbereitung Eingabewerte und Berechnungen sämtlicher veranlagter Steuerarten zur Verfügung gestellt werden. Noch nicht gespeicherte Daten (z.B. Steuerbilanzen) sind zu ergänzen. Nach Eingabe der Prüfungsfeststellungen werden Prüferbilanzen, Kapitalkonten, Steuer- und Feststellungsarten automatisch berechnet und ein kompletter Prüfungsbericht (Bp-Office Word) mit allen Anlagen (pdf-Datei) ausgedruckt.

1 Andere Bundesländer sind zwischenzeitlich nachgezogen.

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E. Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement | Rz. 2.247 Kap. 2

4. Schlussbesprechung Im Vorgang zur Schlussbesprechung einer Betriebsprüfung wird regelmäßig ein vorläufiger Prüfungsbericht mit allen Prüfungsfeststellungen an den BP-Verantwortlichen übergeben. Sofern eine Betriebsprüfungssoftware eingesetzt wird (s.o. E.IV.3.b), kann hieraus das Mengengerüst für den Prüfungsbericht extrahiert werden. In der Software wird dann auch dokumentiert, welche vorläufigen Feststellungen ggf. von dem Prüfer verworfen werden, welche vom Unternehmen akzeptiert werden und über welche man sich im Rechtsbehelfsverfahren streiten wird.

2.243

Die Erkenntnisse aus der Schlussbesprechung sind im Rahmen der Bilanzierung von Steuerrückstellungen und Steuerlatenzen zu berücksichtigen. Dies ist regelmäßig sehr arbeits- und zeitintensiv. Mithilfe der unter E.IV.3.b erwähnten Softwarelösungen wird diese Arbeit deutlich erleichtert bzw. ist per Knopfdruck möglich, wenn sämtliche Prüfungsfeststellungen nebst Umkehreffekten (ggf. über den BP-Zeitraum hinaus) auf die jeweiligen Bilanzpositionen feingranular „gemapped“ wurden.

2.244

V. Phase 3: Nach der Betriebsprüfung Nach Abschluss der Betriebsprüfung ergeht der finale Prüfungsbericht, es werden geänderte Steuerbescheide erlassen und der Vorbehalt der Nachprüfung wird aufgehoben. Der geänderte Steuerbescheid ist danach zu überprüfen, ob die Prüfungsfeststellungen laut Prüfungsbericht umgesetzt wurden. Eine elektronische Bescheidabholung wäre auch für die Unternehmen wünschenswert. Gegen nicht zu akzeptierende Prüfungsfeststellungen ist fristwahrend Einspruch einzulegen. Über eine professionelle Softwarelösung, in der die nicht akzeptierten Feststellungen der Betriebsprüfung dokumentiert sind, kann nach Erfassung des Eingangs des geänderten Steuerbescheids auch die Einspruchsfirst überwacht werden.

2.245

Die Prüfungsfeststellungen sind in Handels-, IFRS- und Steuerbilanz zu berücksichtigen. Aufgrund von Folgeeffekten sind regelmäßig auch eingereichte Steuererklärungen für Veranlagungszeiträume zu berichtigen, die sich an den Prüfungszeitraum anschließen. Auch dies ist eine sehr zeitintensive Arbeit, die erheblich erleichtert wird, wenn eine professionelle Betriebsprüfungssoftware zum Einsatz kommt, die die Folgeeffekte von Prüfungsfeststellungen transparent macht oder im Idealfall die Daten automationsgestützt in der Deklarationssoftware für die Ausfertigung von neuen Versionen der bereits übermittelten Steuererklärungen bereitstehen.

2.246

Im Anschluss an eine Betriebsprüfung sollten negative Erfahrungen und Fehlerquellen entsprechend aufgearbeitet und für die Zukunft beseitigt werden. Hierbei handelt es sich zunehmend um Aufarbeitungen von Beanstandungen betreffend die Dokumentation der EDV-Systeme sowie die konkrete Überwachung der Datenverarbeitungsprozesse.1 Dies ist nicht nur eine Frage des Technologieeinsatzes, sondern auch der Organisation und der Vorgabe von unternehmensverbindlichen Leitlinien für den Schutz der Daten (Data Governance).2 Die GoBD geben hierfür die zentralen Eckpunkte vor.

2.247

1 Liekenbrock/Wähnert, Digitale Betriebsprüfung, Düsseldorf 2021, 134 ff. 2 Liekenbrock/Danielmeyer, REt 2021, 32 ff.

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Kap. 2 Rz. 2.248 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

F. Datenschutz I. Tax-Compliance-Maßnahmen und Datenschutzrecht 2.248

Im innerbetrieblichen Bereich spielt der Datenschutz eine immer größere Rolle. Die Vorschriften der DSGVO sind sowohl im rein innerbetrieblichen Bereich, als auch im Rahmen der Kommunikation mit Behörden zu beachten. Im Folgenden werden – entsprechend der Chronologie der Datenverarbeitung – die datenschutzrechtlichen Auswirkungen auf Tax-Compliance-Maßnahmen, wozu insbesondere die Weitergabe von Daten anlässlich behördlicher Ermittlungsmaßnahmen (einschließlich einer Außenprüfung1) zählt, in den Blick genommen.

2.249

Jedenfalls in größeren Unternehmen werden Tax-Compliance-Maßnahmen getroffen, um Reputationsverluste des Unternehmens und Haftungsrisiken zu vermeiden. Durch die voll- oder teilautomatisierte Abwicklung der meisten Betriebsabläufe – sowohl in den Produktions- und Vertriebsabteilungen als auch in den Verwaltungs- und Stabsabteilungen – verfügen Unternehmen über immense Datenbestände, die auch personenbezogene Daten von Beschäftigten, Kunden und Lieferanten enthalten, die für ein belastbares Kontrollsystem mit elektronischem Datenabgleich unverzichtbar sind.2

2.250

Zur Einrichtung und Aufrechterhaltung eines Tax-Compliance-Management-Systems (TaxCMS) werden aber personenbezogene Daten von Beschäftigten, von Kunden und sonstigen Vertragspartnern des Unternehmens erhoben und verarbeitet. Darüber hinaus werden zur Steuerfestsetzung für die Besteuerung relevante Daten für die Finanzbehörden verarbeitet und mitunter – nach Aufdeckung von Pflichtverletzungen – Personendaten der Verantwortlichen an die Finanzbehörden weitergegeben.

2.251

Damit ist jedoch der Anwendungsbereich des Datenschutzrechts im Allgemeinen und der DSGVO im Besonderen eröffnet. Insoweit stellen sich neuartige Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Tax-CMS: Die DSGVO sieht nicht nur empfindliche Geldbußen für die Verletzung datenschutzrechtlicher Pflichten vor,3 sondern es sind in letzter Zeit ebenso wie Verstöße gegen das Steuerrecht Verletzungen des Datenschutzes verstärkt Gegenstand öffentlichen Interesses geworden.

2.252

Die nachfolgenden Ausführungen – geben einen Überblick über datenschutzrechtliche Bestimmungen (unter Rz. 2.253), – beleuchten die datenschutzrechtliche Zulässigkeit von Compliance-Maßnahmen (Rz. 2.279) – zeigen auf, ob und ggf. welche datenschutzrechtlichen Vorgaben zur Informationsweitergabe an Dritte zu beachten sind (Rz. 2.302), wozu auch die Weitergabe von Informationen anlässlich einer Außenprüfung zählt, und – betrachten hinsichtlich üblicher Tax-Compliance-Maßnahmen (E-Mail-Kontrolle und Mitarbeiterinterviews) datenschutzrechtliche Vorgaben zum Beschäftigtendatenschutz (s. dazu unter Rz. 2.370).

1 Vgl. dazu allgemein unter F.VI. 2 Hanloser in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil V. Kapitel 1. Beschäftigtendatenschutz, Rz. 81. 3 Art. 83 DSGVO.

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F. Datenschutz | Rz. 2.260 Kap. 2

II. Rechtlicher Rahmen für Tax-Compliance-Maßnahmen 1. Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) a) Wesentliche Vorgaben für die Compliance-Tätigkeit aus Art. 5 DSGVO aa) Zentrale datenschutzrechtliche Vorgaben Hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Bestimmungen können Vorschriften der DSGVO, des BDSG relevant werden. Diese werden insbesondere auch durch abgabenrechtliche Vorschriften nicht vollständig verdrängt.

2.253

Die DSGVO wurde im Mai 2016 als VO (EU) 2016/679 im Abl. EU veröffentlicht1 und ist am 24.5.2016 in Kraft getreten (Art. 99 Abs. 1 DSGVO). Sie gilt gemäß Art. 99 Abs. 2 DSGVO seit dem 24.5.2018.

2.254

Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich, weil sie als Verordnung i.S.d. Art. 288 Abs. 2 Satz 1 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union gilt, ohne dass es eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes bedürfte.2

2.255

Indes bildet die DSGVO nur den Ausgangspunkt datenschutzrechtlicher Überlegungen („Grundverordnung“), weil sie dem nationalen Gesetzgeber Spielräume eröffnet.3 Daher ist bei der Rechtsanwendung nicht nur zu prüfen, ob die DSGVO eine bestimmte Vorgabe beinhaltet bzw. ein konkretes Recht gewährt, sondern auch, ob hierzu im nationalen Recht Ausnahmen oder Erweiterungen geregelt sind.

2.256

Eine Auslegungshilfe der DSGVO geben die Erwägungsgründe. Diese sind der DSGVO vorgeschaltet, spiegeln die politischen Diskussion der europäischen Organe wider und sind nicht vollständig mit dem Verordnungstext abgestimmt.4

2.257

Art. 5 Abs. 1 und 2 DSGVO enthält die zentralen datenschutzrechtlichen Vorgaben, die allgemein – und damit auch für die Tax-Compliance-Tätigkeit – zu beachten sind.

2.258

Die Vorgaben des Art. 5 DSGVO lassen aber keine Rückschlüsse auf die Zulässigkeit der Datenverarbeitung zu. Diese folgen v. a. aus Art. 6 DSGVO.5

2.259

Wesentliche Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten sind

2.260

– Rechtmäßigkeit (Art. 5 Abs. 1 Buchst. a DSGVO): die Datenverarbeitung muss rechtmäßig sein; – Transparenz (Art. 5 Abs. 1 Buchst. a DSGVO): auch und gerade für Compliance-Sachverhalte muss ggf. eine Einwilligung des Betroffenen vorliegen und es können Informationspflichten (v. a. nach Art. 13 DSGVO) bestehen; diese Informationspflichten sind in der DSGVO wesentlich aufgewertet worden;6

1 Abl. EU L 119/1 v. 4.5.2016. 2 Drüen in Tipke/Kruse, § 2a AO Rz. 5; Franzen in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht21, § 1 BDSG Rz. 3. 3 Drüen in Tipke/Kruse, § 2a AO Rz. 7, zum Steuerverfahrensrecht. 4 Drüen in Tipke/Kruse, § 2a AO Rz. 2; Kühling/Martini, EuZW 2016, 448. 5 Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 1. Konzerndatenschutz, Rz. 52. 6 Bierekoven in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil III. Informationspflichten, Rz. 58.

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Kap. 2 Rz. 2.260 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

– Zweckbindung (Art. 5 Abs. 1 Buchst. b DSGVO), weshalb die gerade bei ComplianceSachverhalten die Zulässigkeit einer Zweckänderung (Art. 6 Abs. 4 DSGVO, § 24 BDSG) besonders zu prüfen ist. bb) Dokumentationspflichten (Art. 5 Abs. 2 DSGVO)

2.261

Die Tax-Compliance-Abteilung hat auch Dokumentationspflichten nach Art. 5 Abs. 2 DSGVO zu genügen, zu denen mindestens gehören:1 – Dokumentation der Einwilligungen i.S.d. Art. 7 DSGVO, wodurch das verantwortliche Unternehmen nachweist, dass die betroffene Person in die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten freiwillig und ohne jeglichen Zwang eingewilligt hat; – bei Verarbeitung durch mehrere Verantwortliche: Dies verlangt einer Vereinbarung zwischen den Verantwortlichen zur Aufgabenverteilung in transparenter Form; – bei einer Verarbeitung durch einen Auftragsverarbeiter: Dokumentation des Vertrags über die Auftragsverarbeitung i.S.d. Art. 28 DSGVO), wobei sicherzustellen ist, dass der Auftragsverarbeiter keinen weiteren Auftragsverarbeiter ohne vorherige gesonderte oder allgemeine schriftliche Genehmigung des Verantwortlichen in Anspruch nimmt (Art. 28 Abs. 2 DSGVO); – das Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten nach Art. 30 DSGVO; – Ergebnisse von Datenschutz-Folgenabschätzungen nach Art. 35 DSGVO; – Meldung von Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten an die Aufsichtsbehörde nach Art. 33 DSGVO binnen 72 Stunden; ggf. auch die Benachrichtigung der Betroffenen nach Art. 34 DSGVO; – Bestellung eines Datenschutzbeauftragten nach Art. 37 DSGVO i.V.m. §§ 38, 6 Abs. 4, 5 Satz 2 und Abs. 6 BDSG. b) Zentrale Bedeutung des Art. 6 DSGVO für die Compliance-Tätigkeit

2.262

Die Zulässigkeit einer Datenverarbeitung verlangt nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO eine Rechtsgrundlage. Für die Tax-Compliance-Abteilung sind v. a. von Bedeutung – Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO (Bestehen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, wozu auch Betriebsvereinbarungen zählen) und – Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO (Bestehen eines überwiegenden berechtigten Interesses, sog. Abwägungsklausel), der weit ausgelegt wird.2 c) Konzerninterner Datentransfer für Zwecke des Tax-CMS

2.263

Wenngleich die DSGVO kein allgemeines Konzernprivileg enthält, besteht nach Erwägungsgrund 48 innerhalb eines Konzerns („Unternehmensgruppen“) ein berechtigtes Interessen daran, Daten zu internen Verwaltungszwecken, einschließlich der Verarbeitung von Kunden1 Schild in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil II. Kapitel 5. Compliance und Datenschutz, Rz. 19. 2 Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 1. Konzerndatenschutz, Rz. 52.

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F. Datenschutz | Rz. 2.266 Kap. 2

und Beschäftigtendaten, zu übermitteln (sog. kleines Konzernprivileg). Danach ist ein berechtigtes Interesse regelmäßig zu bejahen.1 Für Konzernzwecke, zu dem auch das Tax-Compliance gehört, ist sogar der Datenexport in Drittstaaten zulässig, wenn ein sog. Angemessenheitsbeschluss durch die Kommission nach Art. 45 DSGVO festgestellt hat, dass diese Drittstaaten über ein angemessenes, also sicheres Datenschutzniveau gewährleisten.2 d) Räumlicher Anwendungsbereich (Niederlassungsprinzip) Praktisch ist die DSGVO für sämtliche Tax-Compliance-Abteilungen eines Konzerns v. a. dann relevant, wenn dieser in der EU eine Niederlassung vorhält. Art. 3 Abs. 1 DSGVO ordnet an, dass die DSGVO für jeden Verantwortlichen gilt, der im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung in der Union personenbezogene Daten verarbeitet, unabhängig davon, ob die Verarbeitung in der Europäischen Union stattfindet. Ebenso irrelevant sind der Aufenthaltsund Wohnort der betroffenen Personen, weshalb die Verarbeitung von Daten über Angehörige von Drittstaaten der DSGVO, wenn diese im Rahmen einer Niederlassung in der Union erfolgt.3

2.264

Der Begriff der Niederlassung wird weit ausgelegt.4 Es reicht die Präsenz eines einzigen Mitarbeiters in einer festen Einrichtung aus, der dort wiederholt geschäftlich tätig wird.5 Auch das Merkmal „im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung“ ist mit Blick auf das Ziel der DSGVO, einen wirksamen und umfassenden Schutz der Grundfreiheiten und Grundrechte natürlicher Personen zu gewährleisten, umfassend zu verstehen.6 Dementsprechend gilt nach wie vor die Entscheidung des EuGH7 zur einer Vorgängerregelung der DSGVO, dass schon eine Veröffentlichung personenbezogener Daten auf Websites zur Vermittlung von Immobilien in einem Mitgliedstaat sowie ggf. in der Nutzung dieser Daten für Zwecke der Abrechnung der Inserate durch einen Vertreter des Verantwortlichen in diesem Mitgliedstaat als eine Verarbeitung im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung angesehen werden kann.8

2.265

2. Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) Wie ausgeführt (vgl. Rz. 2.253) gibt die DSGVO einen mehr oder weniger verbindlichen Rahmen zum Datenschutz vor. Mögliche Ausnahmen von oder Erweiterungen zur DSGVO können sich insbesondere auch aus dem BDSG ergeben. Dies wird – wie noch zu zeigen sein wird – insbesondere für die Tax-Compliance-Tätigkeit relevant. Neben der DSGVO greift also auch das BDSG, soweit Unternehmen personenbezogene Daten für Tax-Compliance-Zwecke verarbeiten. Das BDSG spricht insoweit von der Datenverarbeitung durch nichtöffentliche Stellen 1 Albers/Veit in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 6 DS-GVO Rz. 49; Gola in Gola2, Art. 6 DSGVO Rz. 104; Buchner/Petri in Kühling/Buchner3, Art. 6 DSGVO Rz. 168; Franzen in Europäisches Arbeitsrecht3, Art. 6 DSGVO Rz. 11; offener Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 271: weiterhin keine gesonderte Rechtfertigung. 2 S. dazu http://ec.europa.eu/justice/data-protection/international-transfers/adequacy/index_en.htm; derzeit Andorra, Argentinien – einzig für private Stellen –, Schweiz, Färöer-Inseln, Guernsey, Israel, Isle of Men, Jersey, Neuseeland und Uruguay bzw. bei Übermittlungen in die USA im Anschluss an eine Registrierung des Datenempfängers nach Maßgabe des EU-US Privacy Shields. 3 Ennöckl in Sydow2, Art. 3 DS-GVO Rz. 6. 4 Ennöckl in Sydow, Europäische Datenschutzgrundverordnung2, Art. 3 DSGVO Rz. 7. 5 EuGH, Urt. v. 1.10.2015 – C-230/14 – Weltimmo, ZD 2015, 580. 6 Piltz in Gola2, Art. 3 DSGVO Rz. 16. 7 EuGH, Urt. v. 1.10.2015 – C-230/14 – Weltimmo, ZD 2015, 580. 8 Ernst in Paal/Pauly2, Art. 3 DSGVO Rz. 7.

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2.266

Kap. 2 Rz. 2.266 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

(vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 BDSG). Anliegen des BDSG ist im Kern die Steuerung und Begrenzung der Datenverarbeitung im Interesse derjenigen, auf die sich die Daten beziehen können.1

2.267

Beispiel Geburtstagsliste: Erstellt etwa ein Arbeitgeber aus den ihm zum Zwecke der Lohn- und Gehaltsabrechnung vorliegenden Geburtstagsdaten seiner Mitarbeiter eine Geburtstagsliste ohne Einwilligung der Betroffenen, ist die Datenverarbeitung – ohne vorherige Einwilligung der Arbeitnehmer – unzulässig, da das BDSG den vorbeugenden Schutz des Einzelnen vor einem zweckwidrigen und missbräuchlichen Umgang mit seinen personenbezogenen Daten bezweckt und eine Geburtstagsliste nicht zur Durchführung des Vertrages erforderlich ist (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG).2 In anderen Konstellationen kann man über die Rechtsvorschriften über die Zweckänderung (Art. 6 Abs. 4 DSGVO, § 24 BDSG) noch zur Zulässigkeit der Datenverarbeitung ohne Einwilligung gelangen.

3. Verhältnis des Datenschutzrechts zum Abgabenrecht a) Datenschutzrechtliche Bestimmungen für die Finanzbehörden

2.268

Nach seinem § 1 Abs. 2 Satz 2 findet das BDSG Anwendung, soweit andere Rechtsvorschriften des Bundes über den Datenschutz einen datenschutzrechtlich relevanten Sachverhalt nicht betreffen (sog. Auffangwirkung des BDSG). Allerdings normiert § 1 Abs. 2 Satz 1 BDSG, dass andere Vorschriften des Bundes über den Datenschutz den Vorschriften des BDSG vorgehen. Hierzu zählen auch abgabenrechtliche Verpflichtungen.

2.269

So zählt zu den gegenüber dem BDSG vorrangig anzuwendenden Bundesnormen zum Datenschutz die Regelung des § 2a AO. Dieser regelt in Bezug auf das deutsche Datenschutzrecht, dass dieses für die Finanzbehörden nur gilt, soweit dies in der AO oder den Steuergesetzen bestimmt ist (§ 2a Abs. 1 Satz 2 AO).

2.270

Hinsichtlich der DSGVO sieht § 2a Abs. 3 AO vor, dass weder die AO noch die Einzelsteuergesetze Anwendung finden, soweit das Recht der EU, also insbesondere der DSGVO unmittelbar oder nach § 2a Abs. 5 AO entsprechend gilt. Diese Regelung hat aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts rein deklaratorische Natur.3 Ohnehin sind Adressaten des § 2a Abs. 3 AO nicht erwerbswirtschaftliche Unternehmen mit ihren Tax-Compliance-Maßnahmen, sondern die Finanzbehörden. b) Datenschutzrechtliche Bestimmungen für erwerbswirtschaftliche Unternehmen

2.271

Für öffentliche Stellen, die keine Finanzbehörden sind, und für nichtöffentliche Stellen, also insbesondere für Unternehmen mit einem Tax-CMS, soll die in § 1 Abs. 2 Satz 2 BDSG normierte Auffangwirkung des BDSG nach Auffassung des Gesetzgebers erhalten bleiben, wobei ausdrückliche Regelungen in der AO und den Steuergesetzen als bereichsspezifisches Datenschutzrecht den allgemeinen Regelungen im neuen BDSG und dem ggf. anzuwendenden Landesrecht vorgehen.4

2.272

Die Compliance-Abteilung hat also darauf zu achten, dass das Datenschutzrecht der TaxCompliance Grenzen setzt. Mithin muss das Tax-CMS nicht nur seinem primären Zweck, der 1 2 3 4

Gusy/Eichenhofer in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 1 BDSG Rz. 2. Franzen in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht21, § 1 BDSG Rz. 11. Drüen in Tipke/Kruse, § 1 AO Rz. 10. BT-Drucks. 18/12611, 75.

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F. Datenschutz | Rz. 2.278 Kap. 2

Beachtung steuerrechtlicher Vorschriften, dienen, sondern das Tax-CMS hat auch datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu entsprechen. Weil also das Tax-CMS datenschutzrechtliche Relevanz hat und die Compliance-Tätigkeit ihrerseits das Datenschutzrecht zu beachten hat, wird in diesem Zusammenhang auch von „Compliance-Compliance“ gesprochen.1 Damit ist auch die Datenverarbeitung von Unternehmen zur Vorbereitung und Erfüllung abgabenrechtlicher Verpflichtungen DSGVO-konform auszugestalten.

2.273

4. Erfordernis einer datenschutzrechtlichen Ermächtigungsgrundlage für die Datenverarbeitung DSGVO und BDSG treffen v. a. Regelungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten.2

2.274

Personenbezogene Daten sind nach der in Art. 4 Nr. 1 DSGVO enthaltenen Legaldefinition3 alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person („betroffene Person“) beziehen. Hierunter fallen4

2.275

– persönliche Daten (z.B. Name, Alter, Herkunft, Geschlecht, Ausbildung, Familienstand, Anschrift, Geburtsdatum, Gesundheitszustand, Fotos und Videoaufzeichnungen) und – sachliche Angaben, also Beziehungen des Betroffenen zu Dritten, aber auch Angaben zum Umfeld, seiner finanziellen Situation (Vermögen, Gehalt, Kreditwürdigkeit), Vertragsbeziehungen, Freundschaften, Eigentumsverhältnisse, Konsum- oder Kommunikationsverhalten, Arbeitszeiten, E-Mail-Adressen u. Ä. Damit arbeitet auch die Compliance-Abteilung mit personenbezogenen Daten, soweit die von ihr durchgeführte Datenerhebung und -verarbeitung natürliche Personen betrifft. Nicht erfasst sind Daten über juristische Personen oder Personenmehrheiten und Personengesellschaften.5

2.276

Eine Verarbeitung personenbezogener Daten ist bei der Compliance-Tätigkeit stets gegeben. Dies gilt sowohl für die interne Erhebung und Nutzung der Daten als auch für die Weitergabe an Dritte (z.B. Finanzbehörden oder Staatsanwaltschaften). Denn jeder Umgang personenbezogener Daten – von der Erhebung über die Verwendung einschließlich der Offenlegung durch Übermittlung bis hin zum Löschen – ist eine Verarbeitung i.S.d. Art. 4 Nr. 2 DSGVO.6

2.277

Zusammenfassend gilt: Vom BDSG sind sämtliche anlässlich einer Compliance-Tätigkeit erhobenen und genutzten Daten zu einer natürlichen Person erfasst,7 wobei schon deren direkte Bestimmung oder deren indirekte Bestimmbarkeit genügt.8

2.278

1 2 3 4 5

Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 64 zur Criminal Compliance. Vgl. Art. 2 Abs. 1 DSGVO; § 1 Abs. 1 Satz 1 BDSG. Gusy/Eichenhofer in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 1 BDSG Rz. 47. Ernst in Paal/Pauly2, Art. 4 DSGVO Rz. 14. Ernst in Paal/Pauly2, Art. 4 DSGVO Rz. 5; anderes gilt für die Finanzbehörden, vgl. § 2a Abs. 5 Nr. 2 AO. 6 Vgl. Gola in Gola2, Art. 4 DSGVO Rz. 30. 7 Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 74, zur Criminal Compliance. 8 Die rein fiktive Möglichkeit der Bestimmbarkeit reicht nicht aus, insoweit wird nur der praktisch verhältnismäßige Aufwand berücksichtigt, Schild in BeckOK DatenschutzR, 28. Ed., 1.2.2019, Art. 4 DSGVO Rz. 18, vgl. auch Erwägungsgrund 26 Sätze 3 und 4.

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Kap. 2 Rz. 2.279 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

III. Allgemeines zur datenschutzrechtlichen Zulässigkeit von ComplianceMaßnahmen 1. Einwilligung (Art. 6 Abs. 1 Buchst. a DSGVO) 2.279

Die zentrale Vorschrift für die Rechtmäßigkeit einer Datenverarbeitung im Rahmen eines Tax-CMS ist Art. 6 DSGVO. Diese Norm regelt das „Ob“ der Datenverarbeitung, also die Gründe, die die Datenverarbeitung anlässlich von Compliance-Maßnahmen tragen.1 Nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten nur rechtmäßig, wenn sie auf eine der dort aufgeführten sieben Ermächtigungsgrundlagen gestützt werden kann.2 Die in Art. 6 Abs. 1 DSGVO genannten Ermächtigungsgrundlagen sind abschließend.3 Die sieben möglichen Gründe für eine Datenverarbeitung sind voneinander unabhängig: Die Datenverarbeitung braucht nur auf eine der Zulässigkeitsvoraussetzungen gestützt zu werden.

2.280

In der Compliance-Praxis dürften Einwilligungen i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. a DSGVO keine Relevanz haben.

2.281

Zwar kann nach den Regelungen der DSGVO eine Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten eine taugliche Ermächtigungsgrundlage darstellen.4 Hieran sind aber hohe Anforderungen zu stellen. Der nationale Gesetzgeber hat auf Grundlage Art. 88 DSGVO die spezifischen Bedingungen für eine Einwilligung im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen in § 26 Abs. 2 BDSG festgelegt. Danach müssen sie hohen Anforderungen genügen, um wirksam zu sein.5 So bedarf es nach § 26 Abs. 2 Satz 3 BDSG der schriftlichen Einholung der Einwilligung. Auch müssen die allgemeinen Voraussetzungen des Art. 7 DSGVO gewahrt werden.6 Letztlich dürften Einwilligungen in der Compliance-Praxis daran scheitern, dass eine wirksame Einwilligungen auch deren Freiwilligkeit voraussetzt7 und bei der Beurteilung dieser Freiwilligkeit nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BDSG insbesondere von Bedeutung ist, dass für die beschäftigte Person ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Vorteil erreicht wird oder Arbeitgeber und beschäftigte Person gleichgelagerte Interessen verfolgen. Indes sind interne Ermittlungen für den Beschäftigten nicht lediglich vorteilhaft und Arbeitgeber und Beschäftigte verfolgen bei Compliance-Sachverhalten keine gleichgelagerten Interessen.8 Daher fehlt es bei Compliance-Maßnahmen regelmäßig an der Freiwilligkeit der Einwilligung.

2.282

Aber selbst wenn Beschäftigte in Compliance-Maßnahmen einwilligen sollten, kann diese jederzeit gemäß Art. 7 Abs. 3 DSGVO9 – mit Wirkung ex nunc – widerrufen werden, was deren Praxistauglichkeit erheblich einschränkt.

2.283

Compliance-Maßnahmen sollten in der Praxis nicht auf Einwilligungen gestützt werden. Letztlich ist es nicht im Interesse des Arbeitgebers, die Durchführung rechtmäßiger ComplianceKontrollen – auch wegen der Möglichkeit des Widerrufs nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 DSGVO zur Disposition des Beschäftigten zu stellen.10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Vgl. Albers/Veit in BeckOK, DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 6 DSGVO Rz. 1. Art. 6 Abs. 1 DSGVO spricht von „Bedingungen“. Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 257. Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 260. Ströbel/Böhm/Breunig/Wybitul, CCZ 2018, 14 (15). Transparenzanforderungen nach Art. 7 Abs. 2 DSGVO und Kopplungsverbot nach Art. 7 Abs. 4 DSGVO. S. Erwägungsgrund 43, Art. 4 Nr. 11 und Art. 7 Abs. 4 DSGVO. Stück, ArbRAktuell 2019, 216 (217); Ströbel/Böhm/Breunig/Wybitul, CCZ 2018, 14 (15). Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 261. Ströbel/Böhm/Breunig/Wybitul, CCZ 2018, 14 (15).

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F. Datenschutz | Rz. 2.287 Kap. 2

2. Keine Ermächtigungsgrundlage durch Vertragserfüllung bzw. Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen (Art. 6 Abs. 1 Buchst. b DSGVO) Compliance-Maßnahmen dürfen nicht auf die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. b DSGVO genannten Kriterien gestützt werden. Danach muss die Verarbeitung für die Erfüllung eines Vertrags erforderlich sein, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen notwendig sein, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen. Weil aber der deutsche Gesetzgeber durch Schaffung der speziellen Ermächtigungsgrundlage des § 26 BDSG von seinem Recht nach Art. 88 DSGVO Gebrauch gemacht hat, geht die Ermächtigungsgrundlage des § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG gemäß Art. 88, 6 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 3 Satz 3 DSGVO dem Rechtfertigungsgrund des Art. 6 Abs. 1 Buchst. b DSGVO vor.1

2.284

3. Erforderlichkeit der Datenverarbeitung zur Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung (Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO) a) Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses (§ 26 BDSG) Im Bereich des Tax-CMS ist Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO eine sehr wichtige Ermächtigungsgrundlage, wenn es um die Verarbeitung personenbezogener Daten geht.

2.285

Art. 88 DSGVO enthält eine besondere Vorschrift für die Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext. Danach können die Mitgliedstaaten u. a. durch Rechtsvorschriften spezifischere Vorschriften zum Schutz von Beschäftigtendaten erlassen. Diese Öffnungsklausel ist im Rahmen der Compliance-Tätigkeit wie beim Tax-CMS von besonderer Relevanz,2 geht es hierbei doch die Verhinderung bzw. Aufklärung von Regelverstößen v. a. durch die Beschäftigten eines Unternehmens. Beim Beschäftigtendatenschutz hat der Unionsgesetzgeber zwar auf eigene Regelungen verzichtet.3 Indes darf keine Absenkung des Datenschutzniveaus unterhalb desjenigen der DSGVO erfolgen.4 Dies schließt auch das Abbedingen eines Erlaubnistatbestands, etwa ein ausdrückliches oder faktisches mitgliedstaatliches Verbot der Einwilligung im Beschäftigungsverhältnis, aus.5

2.286

Rechtsvorschriften i.S.d. Art. 88 Abs. 1 DSGVO sind in erster Linie abstrakt-generelle Regelungen gesetzlicher Art, etwa des Bundes- oder Landesgesetzgebers, sowie Gesetze im materiellen Sinn, wie beispielsweise Rechtsverordnungen oder Satzungen.6 Weil aber sowohl die englische („by law“) als auch die französische („par la loi“) Fassung des Art. 88 Abs. 1 DSGVO die Auslegung mit „Recht und Gesetz“ zulassen, sind ebenso richterrechtliche Grundsätze wie die Rechtsprechung des BAG zum sog. Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung oder zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers als Nebenpflicht des Arbeitgebers erfasst.7

2.287

1 2 3 4

Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 1. Aufl. 2018, 262 f. Vgl. Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 88 DSGVO Rz. 12. Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 88 DSGVO Rz. 12. Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 273; Pötters in Gola2, Art. 88 DSGVO Rz. 3; Düwell/Brink, NZA 2016, 665 (666 f.); Gola/Pötters/Thüsing, RDV 2016, 57 (59 f.); Franzen, EuZA 2017, 313, 345; a.A. Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 88 DSGVO Rz. 67. 5 Hanloser in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil V. Kapitel 1. Beschäftigtendatenschutz, Rz. 31. 6 Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 88 DSGVO Rz. 50; Franzen in Europäisches Arbeitsrecht3, Art. 88 DSGVO Rz. 15. 7 Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 88 DSGVO Rz. 50; Franzen in Europäisches Arbeitsrecht3, Art. 88 DSGVO Rz. 15.

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Kap. 2 Rz. 2.288 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

2.288

Zentrale Rechtsvorschrift gerade auch für die Compliance-Tätigkeit ist § 26 BDSG, der die Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses zulässt, vgl. dazu genauer unter F.V: Rz. 2.370. b) Kollektivvereinbarungen: Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen (§ 26 Abs. 4 BDSG)

2.289

Von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO sind ebenso erfasst normative Teile von Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen.1 Diese Befugnis hierfür räumt Art. 88 Abs. 1 DSGVO ein. Danach dürfen „die Mitgliedstaaten“ durch Kollektivvereinbarungen spezifischere Vorschriften zur Gewährleistung des Beschäftigungsgrundlagen erlassen. Zwar werden im deutschen Recht Kollektivvereinbarungen nicht vom (Mitglied-)Staat erlassen. Indes lässt sich diese Schräglage ausgleichen, wenn man mit der sog. Delegationstheorie annimmt, dass § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG den Betriebsparteien eine vom Staat abgeleitete bzw. übertragene Rechtssetzungsbefugnis einräumt.2

2.290

Praxis-Tipp: Neben dem Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage für die (primäre) Datenverarbeitung bedarf es für die weitere Verarbeitung der Daten für das Tax-CMS einer zusätzlichen Ermächtigungsgrundlage. Denn werden Daten zum Zweck der Compliance-Tätigkeit genutzt, liegt darin eine Zweckänderung,3 die einer besonderen Rechtfertigung bedarf.4 Hier gelten strengen Anforderungen,5 weil personenbezogene Daten dem Grundsatz der Zweckbindung unterliegen (s. Art. 5 Abs. 1 Buchst. b DSGVO).

2.291

Weil die Weiterarbeitung von Daten für Zwecke des Tax-CMS eine Zweckänderung zur Folge hat, sollte die Compliance-Abteilung darauf achten, dass die Zwecke der geplanten Datenverarbeitung konkret und detailliert, also transparent i.S.d. Art. 88 Abs. 2 DSGVO benannt werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass zu allgemein gehaltene oder zu unbestimmte Regelungen einer gerichtlichen Überprüfung im Einzelfall nicht standhalten.6

2.292

In der Regel dürfte die in der Zweckänderung für Tax-Compliance-Zwecke liegende Datenverarbeitung aber unter § 24 Abs. 1 Nr. 1 BDSG (Gefahrenabwehr für öffentliche Sicherheit) fallen und mithin zulässig sein, weil für dessen Auslegung auf die Schutzzwecke des Art. 23 Abs. 1 Buchst. a und Buchst. c DSGVO zurückzugreifen,7 und unter den Begriff der öffentlichen Sicherheit u. a. die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung zu fassen ist.8 Hierunter fällt auch der Schutz des Steuerrechts. Soweit die Compliance-Abteilung zivilrechtliche Ansprüche sichern möchte, ist die Zweckänderung nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG zulässig.

2.293

Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO können auch bei Fehlen einer vorherigen Information darüber, dass die Daten auch für Zwecke des Tax-CMS verarbeitet werden, von vorn1 Frenzel in Paal/Pauly2, Art. 6 Rz. DS-GVO 16 f.; Schulz in Gola2, Art. 6 DSGVO Rz. 43; Petri in Kühling/Buchner3, Art. 6 DSGVO Rz. 85; Franzen in Europäisches Arbeitsrecht3 Art. 6 DSGVO Rz. 6; Wybitul/Sörup/Pötters, ZD 2015, 559 (560). 2 Hanloser in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil V. Kapitel 1. Beschäftigtendatenschutz, Rz. 5; Picker, NZA 2002, 761 (769); Rieble/Gutzeit, NZA 2003, 233 (234). 3 Hanloser in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil V. Kapitel 1. Beschäftigtendatenschutz, Rz. 81. 4 Vgl. Art. 6 Abs. 4 DSGVO (ggf. i.V.m. §§ 24, 32 BDSG). 5 Albers in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 24 BDSG Rz. 1. 6 Wurzberger, ZD 2017, 258 (261). 7 Heckmann/Scheurer in Gola/Heckmann13, § 24 BDSG Rz. 11. 8 Stender-Vorwachs in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 23 DSGVO Rz. 19.

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F. Datenschutz | Rz. 2.298 Kap. 2

herein nicht bestehen (Fälle des Art. 4 Nr. 9 Satz 2 DSGVO; s. dazu genauer unter Rz. 2.342). oder nach § 32 Abs. 1 Nr. 3 BDSG entfallen (s. dazu unter Rz. 2.385).

4. Weitere Rechtsvorschriften Daneben können gerade für den Bereich des Tax-CMS noch weitere Rechtsvorschriften greifen, auf die insbesondere bei der Datenweitergabe an Dritte (s. dazu unter Rz. 2.302) oder bei internen Ermittlungen (S. dazu unter Rz. 2.370) noch einzugehen sein wird.

2.294

5. Keine Ermächtigung wegen Schutzes lebenswichtiger Interessen (Art. 6 Abs. 1 Buchst. d DSGVO) Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. d DSGVO ist eine Datenverarbeitung zulässig, wenn sie erforderlich ist, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen. Erwägungsgrund 46 nennt als Beispiele für lebenswichtige Interessen humanitäre Zwecke einschließlich der Überwachung von Epidemien und deren Ausbreitung oder humanitäre Notfälle insbesondere bei Naturkatastrophen oder von Menschen verursachten Katastrophen. Die praktische Bedeutung dieses Erlaubnistatbestands wird im Allgemeinen schon aufgrund der hohen Hürde eines Schutzes „lebenswichtiger“ Interessen gering sein.1 Insbesondere im Compliance-Bereich erscheint jedoch keine Konstellation denkbar, in der diese Voraussetzungen erfüllt sein können.2

2.295

6. Keine Befugnis aufgrund Wahrnehmung überwiegender öffentlicher Interessen (Art. 6 Abs. 1 Buchst. e DSGVO) Maßnahmen innerhalb eines Tax-CMS privater Unternehmen dürfen nicht auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. e DSGVO gestützt werden.

2.296

Diese Ermächtigungsgrundlage ist auf staatliche Stellen oder auf juristische bzw. natürliche Person des Privatrechts zugeschnitten, die beliehen wurden, um eine öffentliche Aufgabe wahrzunehmen.3 Nicht ausreichend ist es, wenn ein privates oder öffentlich-rechtliches Unternehmen einen auch im öffentlichen Interesse liegenden erwerbswirtschaftlichen Zweck verfolgt.4 Demnach sind Compliance-Maßnahmen nicht von der Ermächtigungsgrundlage umfasst. Zwar liegen erfolgreiche Maßnahmen eines Tax-CMS auch im öffentlichen Interesse. Letztlich betreiben Unternehmen aber Compliance, um Sanktionen zu umgehen und um mögliche Reputationsverluste durch Auffälligkeiten entgegenzuwirken, so dass das öffentliche Interesse nicht überwiegt.5

2.297

7. Rechtfertigung wegen überwiegenden Interesses (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO) Compliance-Maßnahmen sind insbesondere nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO zulässig.6 Danach die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder 1 2 3 4 5 6

Buchner/Petri in Kühling/Buchner3, Art. 6 DSGVO Rz. 106. Im Ergebnis ebenso Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 264. Frenzel in Paal/Pauly2, Art. 6 DSGVO Rz. 24; Schulz in Gola2, Art. 6 DSGVO Rz. 48. Frenzel in Paal/Pauly2, Art. 6 DSGVO Rz. 24; Schulz in Gola2, Art. 6 DSGVO Rz. 51. Ähnlich Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 266. Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 248; Hanloser in Forgó/Helfrich/ Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil V. Kapitel 1. Beschäftigtendatenschutz, Rz. 86; Kania in Küttner Personalbuch, Whistleblowing Rz. 17; Stück, ArbRAktuell 2019, 216 (217).

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Kap. 2 Rz. 2.298 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen.

2.299

Zu den berechtigten Interessen des Verantwortlichen zählt nach Erwägungsgrund 47 Satz 6 „ebenfalls“ die Verarbeitung personenbezogener Daten im für die Verhinderung von Betrug unbedingt erforderlichen Umfang. Die Compliance-Tätigkeit, insbesondere diejenige aufgrund eines Tax-CMS, umfasst allerdings mehr als nur die Verhinderung eines Betruges. Weil Erwägungsgrund 50 den Hinweis des Verantwortlichen auf mögliche Straftaten und die Übermittlung maßgeblicher personenbezogener Daten an eine zuständige Behörde als berechtigtes Interesse einstuft, müssen erst recht vorbereitende interne Compliance-Untersuchungen zur Verhinderung sonstiger Straftaten zulässig sein.1 Aus demselben Grund sind auch Maßnahmen des Tax-CMS zulässig, obwohl die Erwägungsgründe an anderer Stelle für eine zulässige Datenverarbeitung neben dem Betrug ausdrücklich noch die Steuerhinterziehung nennen.2

2.300

Ebenso liegt im berechtigten Interesse des Unternehmens die konzerninterne Datenübermittlung zur zentralen Erfüllung von Compliance-Maßnahmen.3 Denn nach Erwägungsgrund 48 Satz 1 können verantwortliche Stellen, die ein Teile einer Unternehmensgruppe sind, ein berechtigtes Interesse daran haben, personenbezogene Daten innerhalb der Unternehmensgruppe für interne Verwaltungszwecke zu übermitteln.

2.301

Im Grundsatz dürfen also präventive und repressive Compliance-Maßnahmen ebenso auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO gestützt werden wie die Datenübermittlung innerhalb des Konzerns zur zentralen Wahrnehmung des Tax-CMS. Weil die Datenverarbeitung aber „erforderlich“ sein muss, ist im Einzelfall zu prüfen, ob die konkrete Compliance-Maßnahme notwendig ist.4 Wegen der deshalb erforderlichen Abwägung können im Einzelfall erhebliche Rechtsunsicherheiten bestehen.

IV. Weitergabe von Informationen an Dritte durch die Compliance-Abteilung 2.302

Tax-Compliance-Maßnahmen zielen auf die bestmöglichste Einhaltung abgabenrechtlicher Verpflichtungen ab. Das Unternehmen trifft aber keine Pflicht zur Einrichtung eines TaxCMS als solches sowie zu den damit im Zusammenhang stehenden Compliance-Maßnahmen. Dagegen stehen abgabenrechtliche und sonstige Verpflichtungen – wie insbesondere die datenschutzrechtlich relevante Weitergabe personenbezogener Daten – häufig nicht zur Disposition des Unternehmens. Gleichwohl hat die Compliance-Abteilung auch bei der Erfüllung (abgaben-)rechtlicher Verpflichtungen auf den Schutz personenbezogener Daten zu achten.

2.303

Die Beachtung des Datenschutzrechts bei der Erfüllung (abgaben-)rechtlicher Verpflichtungen ist nicht nur zur Wahrung der Reputation, sondern auch aus finanziellen Gründen ratsam. Denn Datenschutzrechtliche Verstöße werden mit Geldbußen von bis zu 20 Millionen € bzw. 4 % des gesamten weltweiten Jahresumsatzes sanktioniert.5 1 Plath in Plath3, Art. 6 DSGVO Rz. 89. 2 Vgl. Hanloser in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil V. Kapitel 1. Beschäftigtendatenschutz, Rz. 86, allgemein zur Compliance-Tätigkeit. 3 Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 271; Plath in Plath3, Art. 6 DSGVO Rz. 89; Kort, DB 2016, 511 (516). 4 Vgl. Plath in Plath3, Art. 6 DSGVO Rz. 91; dem im Ergebnis folgend Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 268. 5 S. insbesondere Art. 83 Abs. 5 Buchst. a DSGVO i.V.m. Art. 5 bis 7 DSGVO.

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F. Datenschutz | Rz. 2.310 Kap. 2

1. Abgrenzung anhand des Bestehens einer Rechtspflicht Hinsichtlich der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit ist bei der Weitergabe von Informationen an Externe datenschutzrechtlich danach zu differenzieren, ob die Weitergabe personenbezogener Daten erfolgt

2.304

– im Rahmen einer gesetzlichen Verpflichtung oder – freiwillig außerhalb einer solchen Obliegenheit.1 Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein, insbesondere wenn es um die Abgrenzung zum informellen Staats- und Verwaltungshandeln geht.2

2.305

Im Zweifel sollte die Compliance-Praxis zur Klärung des Bestehens einer Rechtspflicht auf den Erlass einer hoheitlichen Maßnahme (z.B. eines Verwaltungsaktes) bestehen, zumal in diesen Konstellationen – wie noch gezeigt wird – rechtssicher eine Rechtfertigung erreicht werden kann.3

2.306

2. Datenweitergabe im Rahmen gesetzlicher Verpflichtungen a) Datenverarbeitung zur Erstellung und Abgabe von Steuererklärungen aa) Zulässige Datenweitergabe im Rahmen von Steuererklärungsvorschriften Wegen unterschiedlicher datenschutzrechtlichen Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO ist danach zu unterschieden, ob die Offenbarung personenbezogener Daten im Rahmen einer Steuererklärungspflicht oder einer sonstigen (abgaben-)rechtlichen Verpflichtung erfolgt.

2.307

Soweit personenbezogene Daten zur Abgabe von Steuererklärungen (zu den Steuererklärungen zählen auch die Voranmeldungen, vgl. § 150 Satz 3 AO) erhoben, verarbeitet und an die Finanzbehörden weitergegeben werden, ist dies wegen entsprechender rechtlicher Verpflichtungen nach § 149 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. den Einzelsteuergesetzen gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO zulässig.

2.308

Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO ist nicht nur für die Compliance-Praxis, sondern auch für die Erfüllung steuerrechtlicher und sonstiger Verpflichtungen eine wichtige Ermächtigungsgrundlage.4 Danach ist eine Datenverarbeitung rechtmäßig, wenn diese Verarbeitung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung des Unternehmens (als Verantwortlicher i.S.d. Art. 4 Nr. 7 DSGV) erforderlich ist.

2.309

Die Rechtspflicht kann jeglichem Rechtsgebiet entspringen,5 so dass neben Verpflichtungen aus öffentlich-rechtlichen Vorgaben auch solche aus den jeweiligen Normen des Zivilrechts, insbesondere des Vertragsrechts, aber auch (straf-)prozessuale Pflichten von Art. 6 Abs. 1 Buchst. c erfasst sind.6

2.310

1 Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 246. 2 Kopp/Pfisterer, CCZ 2015, 98 (99 f.). 3 Vgl. vgl. Reichling, JR 2011, 12, 16, der für an Kreditinstitute gerichtete Auskunftsbegehren zu Bankkundendaten im Interesse der Rechtssicherheit empfiehlt, auf die Vorlage eines Durchsuchungsbeschlusses zu bestehen. 4 Hanloser in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil V. Kapitel 1. Beschäftigtendatenschutz, Rz. 86. 5 Auch ein materielles Gesetz reicht aus, wenn es den Ermächtigungsrahmen des formellen Gesetzes nicht verlässt, vgl. Weinhold, ZD-Aktuell 2017, unter 7. 6 Schulz in Gola2, Art. 6 DSGVO Rz. 43.

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Kap. 2 Rz. 2.311 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

2.311

Ist eine rechtliche Verpflichtung zur Verarbeitung personenbezogener Daten erforderlich, bedarf es insbesondere keiner Einwilligung der betroffenen Person (z.B. des Beschäftigten),1 die ohnehin jederzeit widerrufen werden kann (Art. 7 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO) und auch sonst strengen Nachweis- und Formalanforderungen zu genügen hat.2 bb) Datenschutzrechtliche Informationspflichten bei Steuererklärungspflichten

2.312

Das Datenschutzrecht sieht selbst bei der Weiterleitung personenbezogener Daten aufgrund einer Rechtspflicht grundsätzlich (zu den Ausnahmen vgl. unter Rz. 2.342) Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO vor. Es mag überraschen, dass diese Informationspflicht selbst bei gesetzlichen Offenbarungspflichten bestehen kann.

2.313

Zu informieren ist über sämtliche der in Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 DSGVO genannten Punkte. So sind insbesondere nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. c DSGVO im Zeitpunkt der Erhebung der Daten die Zwecke, für die die personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen, sowie die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung mitzuteilen. Diese Information dient gemäß Erwägungsgrund 60 dem Erfordernis einer fairen und transparenten Datenverarbeitung und der Überprüfung des Zweckbindungsgrundsatzes (Art. 5 Abs. 1 Buchs. b DSGVO).

2.314

Nach Art. 12 Abs. 1 DSGVO müssen die in Art. 13 DSGVO aufgelisteten Informationen in präziser, transparenter, verständlicher und leicht zugänglicher Form in einer klaren und einfachen Sprache gegeben werden.

2.315

Praxis-Tipp: Indes sind an die Erfüllung der Informationspflichten keine überzogenen Anforderungen zu stellen. So empfiehlt der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg (LfDI BW)3 den Arbeitgebern, die Erfüllung seiner Informationspflichten gegenüber den Mitarbeitern über die im Unternehmen üblicherweise zur Verfügung stehenden Kanäle (z.B. Veröffentlichungen im Intranet, ein zentraler Aushang am schwarzen Brett oder eine entsprechende E-Mail an alle Mitarbeiter).4 Nicht erforderlich ist es, jedem Mitarbeiter ein persönliches Schreiben mit den nach der DSGVO vorgesehen Informationen auszuhändigen und sich den Empfang des Schreibens bestätigen zu lassen; ob der Mitarbeiter die ihm überlassenen Informationen zur Kenntnis nimmt, liegt ganz bei ihm.5

2.316

Eine einmalige Information genügt. Denn nach Art. 13 Abs. 4 DSGVO greift die Informationspflicht nicht, wenn und soweit die betroffene Person, also etwa die Beschäftigten, bereits über die Informationen verfügt.

2.317

Zwischen steuerrechtlichen Deklarationspflichten und der datenschutzrechtlichen Informationspflicht kann es Überschneidungen geben. Dies betrifft etwa das Verhältnis zwischen der datenschutzrechtlichen Informationspflicht nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. c DSGVO über die Rechtsgrundlage und den steuerrechtlichen Unterrichtungspflichten (z.B. bei Pauschalie1 Maschmann, BB 2019, 628 (629). 2 Vgl. Art. 6 Abs. 1 Buchst. a DSGVO i.V.m. Art. 7 DSGVO: Zu nennen sind insbesondere das Erfordernis einer Einwilligung in verständlicher und leicht zugänglichen Form (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 DSGVO), die (zusätzlich!) in einer klaren und einfachen Sprache zu erfolgen hat sowie das Erfordernis der Freiwilligkeit (Art. 7 Abs. 4 DSGVO). 3 Vgl. LfDI BW, Ratgeber Beschäftigtendatenschutz, Stand April 2020, abrufbar unter https://www. baden-wuerttemberg.datenschutz.de/wp-content/uploads/2019/03/Ratgeber-Beschäftigtendatenschutz. pdf. 4 LfDI BW, Ratgeber Beschäftigtendatenschutz, S. 15. 5 LfDI BW, Ratgeber Beschäftigtendatenschutz, S. 15.

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F. Datenschutz | Rz. 2.320 Kap. 2

rung der Einkommensteuer durch Dritte im Falle der Gewährung von Sachprämien gemäß § 37a Abs. 2 Satz 2 EStG oder bei der Pauschalierung der Einkommensteuer bei sonstigen Sachzuwendungen nach § 37b Abs. 3 Satz 3 EStG). Die steuerrechtliche Unterrichtungspflicht umfasst die Unterrichtung über die Steuerübernahme als solche, ohne dass die Angabe der Rechtsgrundlage erforderlich wäre. Sollte die Ermächtigungsgrundlage bei Erfüllung der steuerrechtlichen Unterrichtungspflicht bisher nicht angegeben worden sein, besteht insoweit datenschutzrechtlicher Ergänzungsbedarf zur steuerrechtlichen Unterrichtungspflicht. Praxis-Tipp: Soweit in der Literatur1 vertreten wird, die Angabe einer konkreten Rechtsgrundlage gelte nur für öffentliche Stellen und nichtöffentliche Stellen würden ihrer Pflicht aus Art. 13 Buchst. c DSGVO allein durch die Angabe „zum Anschluss und zur Durchführung des Vertrags“ erfüllen können, wird dies deshalb abgelehnt, weil dies sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck der Informationspflicht widerspricht.2

2.318

Sind mehrere Rechtsgrundlagen einschlägig und erkennt das datenschutzrechtlich verantwortliche Unternehmen dies, sollte es aus Gründen äußerster Vorsicht sämtliche Rechtsgrundlagen nennen und klarstellen, dass die Datenverarbeitung jedenfalls nach einer der genannten Rechtsgrundlagen zulässig ist.3 Sind mehrere Rechtsgrundlagen einschlägig, erkennt der Verantwortliche dies aber nicht und nennt daher nur eine (z.B. weil er die anderen Rechtsgrundlagen übersehen hat), hat er gleichwohl Art. 13 Abs. 1 Buchst. c DSGVO gewahrt ist, weil Art. 13 Abs. 1 Buchst. c DSGVO die betroffene Person im Vergleich zum Verantwortlichen auf ein identisches Informationsniveau bezüglich der Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung stellen möchte.4 Die Frage, ob die Datenverarbeitung dann auch tatsächlich auf die angegebene Rechtsgrundlage gestützt werden kann, ist für die Erfüllung der Pflicht nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. c DSGVO unerheblich.5

2.319

b) Weitergabe von Informationen an staatliche Stellen außerhalb von Steuererklärungspflichten aa) Abgabenrechtliche Verpflichtungen außerhalb von Steuererklärungspflichten

2.320

Bestandteil täglicher Compliance-Praxis ist es auch, dass – Finanzbehörden das Unternehmen außerhalb der Steuererklärungspflichten, aber auch sonstige staatliche Stellen – wie etwa die Gerichte und die Staatsanwaltschaften – um Erteilung von Auskünften bitten, was sich gerade bei der Außenprüfung konkretisiert, oder aber – die Tax-Compliance-Abteilung ohne konkrete Anfragen von Behörden Informationen an staatliche Stellen weiterleiten möchte (z.B. im Rahmen finanz-, arbeits- oder zivilgerichtlicher Rechtstreitigkeiten).6 1 Schaffland/Wiltfang, Art. 13 DSGVO Rz. 11. 2 Schmidt-Wudy in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 13 DSGVO Rz. 44, Art. 14 DSGVO Rz. 46. 3 Schmidt-Wudy in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 13 DSGVO Rz. 44, Art. 14 DSGVO Rz. 46.1. 4 Schmidt-Wudy in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 13 DSGVO Rz. 44, Art. 14 DSGVO Rz. 46.1. 5 Kamlah in Plath3, Art. 13 DSGVO Rz. 11. 6 Vgl. Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 245; Wybitul, NJW 2014, 360, (3606).

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Kap. 2 Rz. 2.321 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

2.321

Wegen unterschiedlicher datenschutzrechtlicher Anforderungen werden die vorgenannten Konstellationen getrennt voneinander betrachtet.

2.322

Zum Kreis materieller abgabenrechtlicher Verpflichtungen, in deren Erfüllung die Weitergabe personenbezogener Daten liegt, gehören insbesondere die

2.323

Berichtigungspflicht (z.B. § 153 AO, etwa zur Mitteilung der Compliance-Abteilung über die fehlerhafte Erfassung lohnsteuerrechtlich relevanter Zuflüsse, die dann im Rahmen der – ggf. ändernden – Einkommensteuerfestsetzung zutreffend besteuert werden) und

2.324

Mitwirkungspflichten im Rahmen einer Außenprüfung gemäß § 200 AO bzw. allgemeine Mitwirkungspflichten i.S.d. § 90 AO (z.B. Auskunftspflicht im Besteuerungsverfahren nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AO,1).

2.325

Auch soweit Informationsweitergaben auf die vorgenannten gesetzlichen Verpflichtungen gestützt werden, ist die darin liegende Datenverarbeitung gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO zulässig.2

2.326

Praxis-Tipp: Die Compliance-Abteilung darf nur offensichtlich ungerechtfertigten Auskunftsverlangen nicht nachkommen.3 Insoweit genügt eine Plausibilitätsprüfung.4 Diese wird nur in krassen Ausnahmefällen zur Auskunftsverweigerung gegenüber der Finanzbehörde führen. Denn aus der maßgeblichen Sicht der Compliance-Abteilung besteht die grundsätzliche Vermutung, dass die Finanzbehörden die Grenzen zulässiger Auskünfte Dritter beachtet.5

2.327

Um eine hinreichende Dokumentation gegenüber dem Datenschutzbeauftragten über erfolgte Übermittlungen von Beschäftigtendaten führen zu können, ist von dem in § 93 Abs. 2 Satz 2 AO geregelten Anspruch Gebrauch zu machen, sich das Auskunftsbegehren schriftlich erteilen zu lassen.6 bb) Verpflichtungen außerhalb des materiellen Abgabenrechts

2.328

Außerhalb des materiellen Abgabenrechts bestehen rechtliche Verpflichtungen etwa im Bereich – finanzgerichtlichen Verfahrens, z.B. (Auskunfts-, Vorlage- und Übermittlungspflichten nach § 79 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 FGO), – des Strafprozessrechts, z.B. nach § 94, 95 StPO Sicherstellung und Beschlagnahme von Gegenständen zu Beweiszwecken gemäß § 94 StPO, Herausgabepflicht nach § 95 StPO 1 Voigt/H. Oenning/J. Oenning in von dem Bussche/Voigt, Konzerndatenschutz2, Kapitel 1. Datenschutzrecht und Compliance, Rz. 63. 2 Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 263 f. 3 Voigt/H. Oenning/J. Oenning in von dem Bussche/Voigt, Konzerndatenschutz2, Kapitel 1. Datenschutzrecht und Compliance, Rz. 73. 4 Voigt/H. Oenning/J. Oenning in von dem Bussche/Voigt, Konzerndatenschutz2, Kapitel 1. Datenschutzrecht und Compliance, Rz. 75, z.B. ob bereits ein besonderes Aktenzeichen angelegt ist. 5 Weitergehend verlangen Voigt/H. Oenning/J. Oenning in von dem Bussche/Voigt, Konzerndatenschutz2, Kapitel 1. Datenschutzrecht und Compliance, Rz. 74, das Unternehmen unter Einbezug des Datenschutzbeauftragten Prozesse zu etablieren habe, in denen eine Kontrolle – ggf. auch unter Hinzuziehung der Rechtsabteilung – sichergestellt werde. 6 Voigt/H. Oenning/J. Oenning in von dem Bussche/Voigt, Konzerndatenschutz2, Kapitel 1. Datenschutzrecht und Compliance, Rz. 66.

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F. Datenschutz | Rz. 2.335 Kap. 2

oder Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft (§ 161a Abs. 1 StPO),1 – des Zivilprozessrechts, z.B. Vorlegungspflicht des Gegners nach bürgerlichem Recht (§ 422 ZPO)2, – sektorspezifische Meldepflichten im Bereich der Geldwäsche oder der Terrorfinanzierung (etwa § 43 GWG, Art. 5 VO (EG) 881/2002, Art. 3 VO (EG) 2580/2001)3 oder – des Sozialrechts, z.B. Zweckbindung sowie Speicherung, Veränderung und Nutzung von Sozialdaten zu anderen Zwecken (§ 67c SGB X).4 Auch diese Regelungen sind rechtliche Verpflichtungen i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO.

2.329

c) Spezifische Datenschutzrechtliche Besonderheiten beim Bestehen einer rechtlichen Pflicht zur Informationsweitergabe aa) Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage Auch wenn eine gesetzliche Pflicht zur Offenbarung personenbezogener Daten besteht, kann der rechtlich Verpflichtete bei der Erfüllung seiner (abgaben-)rechtlichen Verpflichtungen spezifischen datenschutzrechtlichen Beschränkungen unterworfen sein.

2.330

So muss die Ermächtigungsgrundlage i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO bestimmten Anforderungen genügen. Die Rechtsgrundlage muss festgelegt werden

2.331

– durch das Unionsrecht (Art. 6 Abs. 3 UAbs. 1 Buchst. a DSGVO) oder – durch das Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt (Art. 6 Abs. 3 UAbs. 1 Buchst. b DSGVO). Daneben ist nach Art. 6 Abs. 3 UAbs. 2 Satz 1 und Satz 3 DSGVO zu verlangen, dass der Zweck der Verarbeitung

2.332

– in der Rechtsgrundlage festgelegt oder – für die Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden oder in Ausübung hoheitlicher Gewalt erfolgenden Aufgabe erforderlich ist. Diesen Anforderungen ist stets genügt, soweit rechtliche Verpflichtungen bestehen.

2.333

Denn diese Rechtspflichten folgen – wie es Art. 6 Abs. 3 UAbs. 1 DSGVO verlangt – entweder aus dem Unionsrecht (Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a DSGVO, für den Bereich des harmonisierten Steuerrechts, also dem Mehrwertsteuer- und dem Verbrauchsteuerrecht), oder dem Steuerrecht des Mitgliedstaates, dem der datenschutzrechtlich Verantwortliche unterliegt, ergeben (Art. 6 Abs. 3 UAbs. 1 Buchst. b DSGVO, v. a. Einkommensteuer-, Körperschaftsteuer-, Gewerbesteuer- und Erbschaftsteuerrecht).

2.334

Inhaltlich verlangt Art. 6 Abs. 3 UAbs. 2 Satz 1 DSGVO für Verarbeitungen i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO, dass der Zweck der Verarbeitung in der Rechtsgrundlage festgelegt sein

2.335

1 Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 246; Heckmann/Scheurer in Gola/ Heckmann13, § 24 BDSG Rz. 6. 2 Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 246. 3 Klaas, CCZ 2018, 242 (248). 4 Heckmann/Scheurer in Gola/Heckmann13, § 24 BDSG Rz. 6.

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Kap. 2 Rz. 2.335 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

muss. Hieran könnte man deshalb zweifeln, weil der Zweck steuerrechtlicher Vorschrift häufig nicht festgelegt ist. Allerdings bedarf es keiner ausdrücklichen Festlegung des Zwecks. Vielmehr kann sich der Zweck auch aus dem Kontext der Aufgabe ergeben, zu deren Erfüllung die Datenverarbeitung geschieht.1 Jede abgabenrechtlich vorgeschriebene Datenverarbeitung wird aber der Steuerfestsetzung dienen. Datenschutzrechtlich besteht also für den Bereich der öffentlichen Steuerverwaltung eine Kopplung von Verarbeitungszwecken an die jeweiligen Sachkompetenzen, was ein großes Maß an Flexibilität bei der Normanwendung zur Folge hat.2

2.336

Handelt die Compliance-Abteilung also aufgrund abgabenrechtlicher Verpflichtungen, bedarf hinsichtlich der Ermächtigungsgrundlage („Ob“ der Pflichterfüllung) keiner weiteren datenschutzrechtlichen Vorkehrungen. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist aber besonderes Augenmerk darauf zu legen, auf welche Weise diese Verpflichtungen erfüllt werden („Wie“ der Pflichterfüllung), wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen.

2.337

Die Ermächtigungsgrundlage des Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO verlangt auch bei Bestehen einer rechtlichen Verpflichtung die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung. Dadurch ist sichergestellt, dass keine überschießenden Informationen erhoben und verarbeitet (z.B. durch Weitergabe3) werden.4

2.338

Erforderlich i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO ist eine Verarbeitung stets schon dann, wenn sie durch ein verfassungsgemäßes Gesetz verpflichtend angeordnet ist.5 Dies gilt für sämtliche Vorschriften des Abgabenrechts, wonach das Unternehmen Daten von Mitarbeitern oder Dritten für bestimmte steuerrechtliche Sachverhalte zu erheben und zu verarbeiten hat.

2.339

Beispiel: Verarbeitung für Zwecke des Lohnsteuerrechts Dies gilt etwa die Erfassung von Lohnsteuermerkmalen von Arbeitnehmern, die für die Bemessung der Lohnsteuer relevant ist. Nach § 39 Abs. 8 Satz 1 EStG darf der Arbeitgeber die Lohnsteuerabzugsmerkmale, die stets personenbezogene Daten beinhalten, nur für die Einbehaltung der Lohn- und Kirchensteuer verwenden. Diese Regelung ist Befugnis- und Begrenzungsnorm zugleich, da zwar die Datenverarbeitung für Lohnsteuerzwecke erlaubt, aber auch auf das notwendige Maß begrenzt wird. Daneben darf der Arbeitgeber die Lohnsteuerabzugsmerkmale und mithin die personenbezogenen Daten gemäß § 39 Abs. 8 Satz 2 EStG ohne Zustimmung des Arbeitnehmers nur offenbaren, soweit dies gesetzlich zugelassen ist. Hier ist etwa zu denken an Auskunftspflichten im Rahmen einer den Arbeitgeber treffenden Außenprüfung, die nicht die Lohnsteuerfestsetzung selbst, sondern deren Betriebsausgabenabzug zur Ermittlung des Gewinns betrifft. Darüber hinaus kann die Befugnis zur Offenbarung nach § 39 Abs. 8 Satz 2 EStG relevant werden, wenn lohnsteuerrechtliche Sachverhalte zugleich für die Umsatzsteuerfestsetzung bedeutsam sind (etwa im Rahmen von Betriebsveranstaltungen6).

bb) Erforderlichkeit der Datenverarbeitung

1 Albers/Veit in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 6 DSGVO Rz. 57; Frenzel in Paal/Pauly2, Art. 6 DSGVO Rz. 41. 2 Albers/Veit in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 6 DSGVO Rz. 57. 3 Verarbeitung ist gemäß Art. 4 Nr. 2 Alt. 11 DSGVO auch die „Offenlegung durch Übermittlung“. 4 Petri in Kühling/Buchner3, Art. 6 DSGVO Rz. 81. 5 Frenzel in Paal/Pauly2, Art. 4 DSGVO Rz. 16; Albers/Veit in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, Art. 6 DSGVO Rz. 34. 6 Vgl. dazu etwa BMF, Schr. v. 14.10.2015 – IV C 5 - S 2332/15/10001, FMNR47e000015, BStBl. I 2015, 832.

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F. Datenschutz | Rz. 2.344 Kap. 2 Beispiel: Abzugsverbot des § 160 AO Weil § 160 AO mittelbar nur die rechtliche Verpflichtung zur Identitätsfeststellung („die Gläubiger oder die Empfänger [sind auf Verlangen der Finanzbehörde] genau zu benennen“) vorsieht, wäre es nicht erforderlich, neben Identitätsdaten auch sonstige Angaben etwa zur Zuverlässigkeit des Zahlungsempfängers zu erheben und zu verarbeiten.

2.340

Praxis-Tipp: Diese Begrenzung auf die Datenweitergabe in erforderlichem Umfang ist unbedingt einzuhalten. Eine überschießende Informationsweitergabe ist seit Inkrafttreten der DSGVO sanktionsbewehrt.1 Dies ist eine Neuerung gegenüber der bisherigen Rechtslage. Denn die unzulässige Weitergabe steuerrechtlicher Informationen ist nach dem Abgabenrecht für Private nicht sanktionsbewehrt, da dem Steuergeheimnis allein Finanzbeamte unterliegen.2 Soweit aber das Steuergeheimnis nicht greift, bleibt das Datenschutzrecht – einschließlich seiner Bußgeldbestimmungen – anwendbar.3

2.341

cc) Keine Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO Die in einer verpflichtenden Informationsweitergabe liegende Zweckänderung löst keine Informationspflicht nach Art. 13 DSGVO aus. Außerhalb einer regelmäßigen und/oder massenhaften Datenübermittlung4 greift das Informationsrecht zur Zweckänderung nicht, weil insbesondere im Rahmen ihres Untersuchungsauftrags handelnde Steuerbehörden nicht als Empfänger der personenbezogenen Daten gelten (Art. 4 Nr. 9 Satz 2 DSGVO, Erwägungsgrund 31 Satz 1),5 wodurch die Informationspflicht entfällt.6 Diese Erleichterung wird gerade für die Außenprüfung mit der Überprüfung von Geschäftsvorfällen, die regelmäßig Daten Dritter betreffen, relevant.

2.342

dd) Keine gesonderte Prüfung der Zweckänderung der Datenverarbeitung Soweit personenbezogene Daten durch die Tax-Compliance-Stellen an staatliche Stellen weitergegeben werden, geht damit eine Zweckänderung der Datenverarbeitung einher. Denn der ursprüngliche Zweck der internen Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten wird mit der Weitergabe an staatliche Stellen aufgegeben. Erfolgt die Weitergabe im Rahmen des Besteuerungsverfahrens oder anlässlich einer Außenprüfung, bezweckt das Unternehmen die Verhinderung einer höheren Steuerfestsetzung durch weitere Sachverhaltsaufklärung. Soweit die Daten im Rahmen (steuer-)strafrechtlicher Ermittlungen weitergegeben werden, beabsichtigt das Unternehmen mit der Übermittlung die Abwehr weiterer Ermittlungsmaßnahmen (z.B. Durchsuchungen) oder einer höheren Strafzumessen und mithin zugleich der Verhinderung von Reputationsschäden.7

2.343

Gleichwohl ist die Zweckänderung durch die Rechtsgrundlage abgedeckt und mithin nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO zulässig. Insoweit ist überdies das BDSG von vornherein nicht anwendbar, so dass hinsichtlich der Zweckänderung ebenfalls kein Rechtfertigungsbedürfnis

2.344

1 Art. 83 Abs. 5 Buchst. a DS-GVO i. V. m. Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO. 2 § 30 Abs. 1 AO: „Amtsträger haben das Steuergeheimnis zu wahren.“; Alber in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 30 AO Rz. 30a. 3 § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BDSG; vgl. auch Drüen in Tipke/Kruse, § 30 AO Rz. 5: Datenschutzrecht als lückenfüllende Ergänzungsfunktion. 4 Klabunde in Ehmann/Selmayr2, Art. 4 DSGVO Rz. 43. 5 Die Ausnahme des Art. 4 Nr. 9 Satz 2 DSGVO gilt nicht für regelmäßige und massenhafte Übermittlung von Daten an Steuerbehörden ohne Anforderung im Einzelfall, vgl. Klabunde in Ehmann/ Selmayr2, Art. 4 DSGVO Rz. 43. 6 Gola in Gola2, Art. 4 Rz. 79; Klaas, CCZ 2018, 242 (248). 7 Vgl. Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 248.

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Kap. 2 Rz. 2.344 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

nach § 24 BDSG hinsichtlich der Zweckänderung besteht1 Denn dann ist die Datenweitergabe i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 BDSG durch andere Rechtsvorschriften des Bundes über den Datenschutz geregelt.2 ee) Rechtliche Verpflichtung indiziert unabdingbare Weitergabe für DatenschutzFolgenabschätzung nach Art. 35 DSGVO

2.345

Schließlich kann die im Rahmen der Datenschutz-Folgenabschätzung (Art. 35 Abs. 1 Satz 1 DSGVO) erforderliche Abschätzung der Folgen der vorgesehenen Verarbeitungsvorgänge und dem damit verbundenen hohen Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen bei der Weitergabe von Informationen an staatliche Stellen bei einer rechtlichen Verpflichtung nur dahin gehen, dass eine Weitergabe unabdingbar ist.3

3. Weitergabe von Daten an Dritte ohne rechtliche Verpflichtung a) Einwilligung zur Datenweitergabe außerhalb von Betriebsvereinbarungen praktisch irrelevant

2.346

Compliance-Maßnahmen können auch die freiwillige Weitergabe personenbezogener Daten an Dritte notwendig erscheinen lassen.4

2.347

Die auf berechtigtem Interesse des Unternehmens liegende Zweckänderung, die auch den Grundsatz der Zweckbindung aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. b DSGVO berührt,5 muss den Anforderungen des Art. 6 Abs. 4 DSGVO genügen, den der deutsche Gesetzgeber als Befugnisnorm zum Erlass nationaler Regelungen begreift.6

2.348

Abgrenzung typischer Tax-Compliance-Sachverhalte

2.349

Eine freiwillige Informationsweitergabe wird in Tax-Compliance-Situationen die Ausnahme sein (z.B. Auswertung umfangreicher Datenbestände durch Dritte, Prüfung steuerrechtlicher Fragen durch Externen). Erfolgt die Datenübergabe an Finanzbehörden, wird dies häufig auf einer Rechtspflicht (z.B. Berichtigungspflicht nach § 153 AO) beruhen. Eine verpflichtende Weitergabe lässt sich auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO stützen.

2.350

Eine – vor Weitergabe der Daten – vorliegende Einwilligung Dritter (z.B. von Kunden) wird praktisch nicht vorliegen. Die freiwillige Weitergabe von Arbeitnehmerdaten durch die Compliance-Abteilung ist nicht zulässig. Eine hierfür notwendige Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. a DSGVO scheidet grundsätzlich aus, soweit es sich um Beschäftigtendaten handelt. Denn Erwägungsgrund 43 Satz 1 verneint in den Fällen eines klaren Ungleichgewichts die Freiwilligkeit und in Compliance-Fällen ist eine rechtliche Vorteilhaftigkeit i.S.d. § 26 Abs. 2 Satz 2 BDSG nicht gegeben.7 1 Vgl. Heckmann/Scheurer in Gola/Heckmann13, § 24 BDSG Rz. 6; Albers in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 24 BDSG Rz. 13. 2 Heckmann/Scheurer in Gola/Heckmann13, § 24 BDSG Rz. 6; Albers in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 24 BDSG Rz. 13. 3 Klaas, CCZ 2018, 242 (249). 4 Etwa die Auswertung von E-Mails durch Externe, Herrmann/Zeidler, NZA 2017, 1499 (1500). 5 Franzen in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht21, § 24 BDSG Rz. 1. 6 Albers/Veit in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 23 BDSG Rz. 1, § 24 BDSG Rz. 1. 7 Vgl. Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 132 f., 259.

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F. Datenschutz | Rz. 2.355 Kap. 2

b) Zulässige Zweckänderung nach § 24 BDSG Der Umsetzung der aus Art. 6 Abs. 4 DSGVO hergeleiteten Befugnis für eine zweckändernde Datenverarbeitung dient § 24 BDSG.1 Dieser kann eine Ermächtigungsgrundlage insbesondere für Tax-Compliance-Maßnahmen sein.2

2.351

Nach § 24 Abs. 1 BDSG ist die Verarbeitung personenbezogener Daten zu einem anderen Zweck als zu demjenigen, zu dem die Daten erhoben wurden, durch nichtöffentliche Stellen zulässig, wenn

2.352

– sie zur Abwehr von Gefahren für die staatliche oder öffentliche Sicherheit oder zur Verfolgung von Straftaten (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 BDSG) oder – sie zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG), – erforderlich ist, – sofern nicht die Interessen der betroffenen Person an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegen. Zu beachten ist, dass die spezielleren gesetzlichen Grundlagen i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO der Ermächtigungsgrundlage des § 24 BDSG vorgehen.3 Dann sind dessen zusätzliche Voraussetzungen nicht zu prüfen.

2.353

aa) Gefahrenabwehr und Strafverfolgung (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 BDSG) Die Informationsweitergabe zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung erfasst im Schwerpunkt den Bereich der Datenübermittlung nichtöffentlicher Stellen an öffentliche Stellen.4 Dies erfasst im Bereich der Tax-Compliance v. a. die freiwillige Datenweitergabe an Finanz- oder Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit unzutreffender Steuerfestsetzung oder mit Steuerstraftaten. Indes ermöglicht § 24 Abs. 1 Nr. 1 BDSG auch die Weitergabe an Private.5

2.354

Im Zusammenhang mit der Tax-Compliance und der Weitergabe an Private ist hier etwa an die Weitergabe durch die Compliance-Abteilung an externe Berater zur Klärung steuerrechtlicher Fragen zu denken, ggf. um Berichtigungspflichten nach § 153 AO zu prüfen. Im Hinblick auf das Merkmal der Erforderlichkeit und die dabei notwendige Abwägung zwischen den Belangen des Betroffenen und den Unternehmensinteressen sollte aber die Möglichkeit einer Anonymisierung geprüft werden.

2.355

1 Heckmann/Scheurer in Gola/Heckmann13, § 24 BDSG Rz. 2. 2 Vgl. Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 132 f., 278; Voigt/H. Oenning/ J. Oenning in von dem Bussche/Voigt, Konzerndatenschutz2, Kapitel 1. Datenschutzrecht und Compliance, Rz. 67. 3 Frenzel in Paal/Pauly2, § 24 BDSG Rz. 6; Herbst in Kühling/Buchner3, § 24 BDSG Rz. 8; Voigt/ H. Oenning/J. Oenning in von dem Bussche/Voigt Konzerndatenschutz2, Kapitel 1, Datenschutzrecht und Compliance, Rz. 69. 4 Heckmann/Scheurer in Gola/Heckmann13, § 24 BDSG Rz. 11. 5 Heckmann/Scheurer in Gola/Heckmann13, § 24 BDSG Rz. 11.

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Kap. 2 Rz. 2.356 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

bb) Geltendmachung, Ausübung und Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG)

2.356

Mit § 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG ist nicht nur die gerichtliche Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche gemeint.1 Daher fällt darunter insbesondere auch die Weitergabe der Informationen an externe Rechtsanwälte zur vorgerichtlichen Geltendmachung.2 cc) Erforderlichkeit

2.357

Die in der Weitergabe liegende Datenverarbeitung wird durch das Merkmal der Erforderlichkeit begrenzt. Deshalb ist die Weiterverarbeitung nur zulässig, wenn andere, gleich geeignete, aber mildere Mittel ausscheiden.3

2.358

Allerdings gelten keine überspannten Anforderungen an das Kriterium der Erforderlichkeit, so dass von einer Erforderlichkeit ausgegangen werden kann, wenn es letztlich keine sinnvolle beziehungsweise zumutbare Alternative zu der vorgesehenen Verarbeitung gibt.4 Praktisch dürfte die Tax-Compliance-Arbeit ebenso wenig durch das Merkmal der Erforderlichkeit wie durch die Notwendigkeit einer Abwägung (s. dazu sogleich) behindert werden. dd) Notwendigkeit einer Abwägung

2.359

Das Erfordernis einer Abwägung (s. § 24 Abs. 1 BDSG a.E.) verlangt im Allgemeinen, dass – für die Abwägungsentscheidung die beteiligten Interessen und ihre rechtliche Anerkennung bestimmt werden, – dass die Rechtspositionen einander gegenüber gestellt und – dabei gewichtet werden und dass transparent ein bestimmtes Ergebnis formuliert wird.5

2.360

Schutzwürdig sind neben dem Interesse an der informationellen Selbstbestimmung auch rechtliche, ideelle und wirtschaftliche Interessen jeder Art.6

2.361

Betrifft die freiwillige Offenbarung Gefahrenabwehr für die öffentliche Sicherheit – wozu wie ausgeführt auch die Wahrung des Abgabenrechts zählt – und Strafverfolgung (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 BDSG), überwiegen die Interessen des Unternehmens (Vermeidung möglicher Reputationsschäden sowie Straf- und haftungsrechtliche Erleichterungen für die Verantwortlichen des Unternehmens) des von der Veröffentlichung Betroffenen dann, wenn gegen den Betroffenen ein begründeter Verdacht besteht. Dann ist das entgegenstehende Interesse des Betroffenen (informationelle Selbstbestimmung, Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung) nicht schutzwürdig.7 Daher ist nicht der Auffassung zu folgen, wonach die freiwillige Informationsweitergabe nur dann gerechtfertigt werden kann, wenn der Strafverfolgungsbehörde kein formelles Aus1 2 3 4 5 6

Albers in BeckOK, DatenschutzR, 28. Ed., 1.8.2018, § 24 BDSG Rz. 14. Vgl. Heckmann/Scheurer in Gola/Heckmann13, § 24 BDSG Rz. 15. Herbst in Kühling/Buchner3, § 24 BDSG Rz. 7. Heckmann/Scheurer in Gola/Heckmann13, 9 § 24 BDSG Rz. 8. Frenzel in Paal/Pauly2, § 24 BDSG Rz. 12. Voigt/H. Oenning/J. Oenning in von dem Bussche/Voigt Konzerndatenschutz2, Kapitel 1. Datenschutzrecht und Compliance, Rz. 72. 7 Voigt/H. Oenning/J. Oenning in von dem Bussche/Voigt Konzerndatenschutz2, Kapitel 1. Datenschutzrecht und Compliance, Rz. 72.

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F. Datenschutz | Rz. 2.366 Kap. 2

kunftsersuchen möglich gewesen sei bzw. wenn die Informationen allein das Ordnungswidrigkeitenrecht betreffen.1 Allein weil die Weitergabe personenbezogener Daten für den aufgrund der Weitergabe Betroffenen strafrechtliche Verfolgung zur Folge haben kann, ist die Weitergabe nicht ausgeschlossen.2 Erst recht gilt dies, wenn der Beschäftigte zu seinen Lasten aufgrund der freiwilligen Mitteilung durch die Compliance-Abteilung die Festsetzung höherer Steuern zu seinen Lasten befürchten muss (z.B. bei der Aufdeckung von Schmiergeldzahlungen3).

2.362

Geht es bei der Weiterleitung von Daten um die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG), wird dies im Allgemeinen ebenfalls zu einem überwiegenden Interesse des Verantwortlichen führen. Einzig, wenn der geltend gemachte zivilrechtliche Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheint, wird die Abwägung zugunsten des Betroffenen ausfallen.

2.363

Praxis-Tipp: Die Compliance-Abteilung hat bei freiwilliger Datenübermittlung nicht zu überprüfen, ob der Behörde ein formelles Auskunftsersuchen hätte stellen können. Denn dies hat die Compliance-Abteilung nicht in der Hand.4 Auch bei freiwilligen Übermittlungen ist darauf zu achten, dass nur die erforderlichen Informationen übermittelt werden.5

2.364

In jedem Fall sollten die von der Compliance-Abteilung angestellten Erwägungen zur Abwägung dokumentiert werden.6

2.365

c) Rechtfertigung einer Sekundärverarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO Erfolgt die Datenweitergabe außerhalb rechtlicher Verpflichtungen durch nichtöffentliche Stellen, kann sich die Rechtfertigung der Sekundärverarbeitung – als praktische Alternative zu § 24 BDSG – unmittelbar auf Grundlage des Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO gestützt werden.7 Dies gilt umso mehr, als dass die Vereinbarkeit des § 24 BDSG mit dem Unionsrecht insgesamt8 bzw. des § 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG9 mit dem Unionsrecht angezweifelt wird. Diese Ermächtigungsgrundlage greift gerade auch für Compliance-Maßnahmen im Allgemeinen10 und die freiwillige Informationsweitergabe im Besonderen.11

1 So aber Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 279. 2 Voigt/H. Oenning/J. Oenning in von dem Bussche/Voigt, Konzerndatenschutz2, Kapitel 1, Datenschutzrecht und Compliance, Rz. 72. 3 Vgl. dazu BFH, Urt. v. 16.6.2015 – IX R 26/14, BFHE 250, 362, BStBl. II 2015, 1019. 4 Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 250. 5 Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 250. 6 Voigt/H. Oenning/J. Oenning in von dem Bussche/Voigt Konzerndatenschutz2, Kapitel 1. Datenschutzrecht und Compliance, Rz. 75. 7 Heckmann/Scheurer in Gola/Heckmann13, § 24 BDSG Rz. 4; Frenzel in Paal/Pauly2, § 24 BDSG Rz. 1. 8 Frenzel in Paal/Pauly2, § 24 BDSG Rz. 4: Abwägung alleine würde nicht die Einhaltung der Öffnungsklausel des Art. 23 DS-GVO gewährleisten. 9 Herbst in Kühling/Buchner3, § 24 BDSG Rz. 2: Mangels entsprechender Öffnungsklausel in Art. 6 Abs. 4 DS-GVO bzw. Art. 23 DS-GVO. 10 Hanloser in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil V. Kapitel 1. Beschäftigtendatenschutz, Rz. 86. 11 Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 279.

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2.366

Kap. 2 Rz. 2.367 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

2.367

Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO muss dies der Wahrung berechtigter Interessen des Verantwortlichen dienen.1 Hinsichtlich der anzustellenden Abwägung gelten die zu § 24 BDSG dargestellten Grundsätze ebenso. d) Beachtung der Informationspflicht (Art. 13 DSGVO)

2.368

Auch bei der freiwilligen Weitergabe von Daten trifft die verantwortliche Compliance-Abteilung gemäß Art. 13 DSGVO grundsätzlich die Pflicht, die von der Zweckänderung Betroffenen umfassend zu informieren. Diese Informationspflicht greift aber nicht, wenn die freiwillige Informationsweitergabe an eine öffentliche Stelle erfolgt und die weitergegebene Information im Rahmen des Untersuchungsauftrages der Behörde liegt (Art. 4 Nr. 9 DSGVO). Diese Ausnahme ist für die Tax-Compliance-Arbeit besonders relevant, weil danach die freiwillige Weitergabe an Finanzbehörden keine Informationspflicht auslöst.

2.369

Ebenso entfällt bei der freiwilligen Informationsweitergabe die Informationspflicht in den Fällen der Ausnahmetatbestände der §§ 32 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 BDSG,2 also insbesondere wenn ansonsten die öffentliche Sicherheit gefährdet würde oder das Unternehmen die Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung rechtlicher Ansprüche beeinträchtigen würde und die Unternehmensinteressen an der Nichterfüllung der Informationspflicht die Interessen der betroffenen Person überwiegen. Hinsichtlich der Abwägung gelten dieselben Erwägungen wie zu § 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG.

V. Begrenzung von Tax-Compliance-Maßnahmen durch Beschäftigtendatenschutz 1. Abgrenzung präventiver von repressiver Compliance 2.370

Die Zulässigkeit repressiver und präventiver Tax-Compliance-Maßnahmen ist datenschutzrechtlich unterschiedlich ausgestaltet.

2.371

Präventive Compliance-Maßnahmen sind allgemeine Überprüfungen der Compliance-Abteilung, die ohne konkreten Anlass erfolgen und einer Überprüfung der Einhaltung bestehender Regelungen und Weisungen dienen.3

2.372

Dagegen unternimmt die Compliance-Abteilung repressive Compliance-Maßnahmen, wenn der Arbeitgeber aufgrund konkreter Hinweise einen bestimmten Anfangsverdacht, z.B. auf eine Straftat (etwa Steuerhinterziehung, Arbeitszeit-, Entgeltfortzahlungsbetrug) oder eine schwere Vertragspflichtverletzung hat, und diesen in einer unternehmensinternen Untersuchung (interne Ermittlungen/internal investigation) aufklären möchte.4 Hinweise können

1 Frenzel in Paal/Pauly2, § 24 BDSG Rz. 1; Heckmann/Scheurer in Gola/Heckmann13, § 24 BDSG Rz. 3. 2 Heckmann/Scheurer in Gola/Heckmann13, § 24 BDSG Rz. 10; Herbst in Kühling/Buchner3, § 24 BDSG Rz. 16. 3 Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 58; Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/ Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 3. Präventive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 5; Stück, ArbAktuell 2019, 216. 4 Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 59; Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/ Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 3. Präventive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 5; Stück, ArbAktuell 2019, 216.

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F. Datenschutz | Rz. 2.379 Kap. 2

sich ergeben aus Hinweisgebersystemen, Kontrollen der Revision, durch Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, Wettbewerber oder sonstige Dritte.1 Präventive Compliance-Maßnahmen münden also nach Entdeckung von Verstößen in repressive Compliance-Maßnahmen. Sie haben mithin ebenso repressiven Charakter.2

2.373

2. Präventive Tax-Compliance a) Zulässigkeitsfragen Präventive Tax-Compliance-Maßnahmen können im Einzelfall datenschutzrechtlich zulässig sein. Die Zulässigkeit präventiver Tax-Compliance-Maßnahmen lässt sich praktisch nicht auf Einwilligungen stützen, da eine Einwilligung – wie bereits ausgeführt – nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. a DSGVO freiwillig erfolgen muss, wogegen das auch in § 26 Abs. 2 Satz 1 BDSG strukturelle Ungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer spricht.3

2.374

Taugliche Ermächtigungsgrundlagen ergeben sich aber aus § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG (gesetzliche Grundlage i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO), aus Betriebsvereinbarungen (§ 26 Abs. 4 BDSG i.V.m. Art. 88 Abs. 2 DSGVO) und aus überwiegendem Unternehmerinteresse i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO.

2.375

b) Zulässigkeit nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG aa) Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG Präventive Tax-Compliance-Maßnahmen sind jedenfalls dann zulässig, wenn sie den Anforderungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG genügen.

2.376

Abzulehnen ist die Ansicht, wonach ein Verweis auf § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG ergebe, dass zumindest eine Strafbarkeit des zu erkennenden Verhaltens auch bei präventiven ComplianceMaßnahmen gefordert wird4 oder die präventive Kontrollen grundsätzlich abgelehnt werden.5 Dies widerspricht dem eindeutigen Wortlaut des § 26 Abs. 1 BDSG, der zwischen strafrechtlich relevanten Konstellationen (Satz 2 BDSG) und sonstigen Situationen trennt (Satz 1 BDSG).

2.377

Kein Anfangsverdacht: Entgegen einer vereinzelt gebliebenen Auffassung6 ist insbesondere das Vorliegen eines „konkreten Verdachts“ kein Tatbestandsmerkmal für präventive Compliance-Maßnahmen, die auf § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG gestützt werden.7

2.378

Verhältnismäßigkeitsprüfung: Präventive Tax-Compliance-Maßnahmen unterliegen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Verarbeitung und die Nutzung der personenbezogenen Daten müssen geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen.8

2.379

1 Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 59. 2 Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 3. Präventive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 5. 3 Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 3. Präventive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 14. 4 Heldmann, DB 2010, 1235 (1238). 5 Brink/Schmidt, MMR 2010, 592 (594); Erfurth, NJOZ 2009, 2914 (2920 f.). 6 Barton, RDV 2009, 200 (203). 7 Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 141. 8 BAG, Urt. v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, ZD 2019, 226.

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Kap. 2 Rz. 2.380 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

2.380

Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen (Erforderlichkeit).1

2.381

Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist gewahrt, die Datenverarbeitung und -nutzung keine übermäßige Belastung für die Betroffenen ist und der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entspricht.2 Im Rahmen der Angemessenheit sind die folgenden Kriterien relevant:3 – die Wahrscheinlichkeit eines Fehlverhaltens, – das Gewicht der daraus folgenden Nachteile, – das Interesse und ggf. die Compliance-Pflichten des Arbeitgebers zum Schutz seines Eigentums und Vermögens, – Möglichkeit zur Anonymisierung der Daten; oft wird das indes aus Praktikabilitätsgründen oder mit Rücksicht auf die zugrundeliegenden mathematischen oder statistischen Regeln oder mit Rücksicht auf Gefahrenpotentiale (Kollusion von Mitarbeitern verschiedener Abteilungen) nicht möglich sein; – Interessen der Beschäftigten, wobei der bloß präventive Abgleich z.B. von Kontonummern der Beschäftigten mit Kunden/Lieferanten ohne Veranlassung des Betroffenen persönlichkeitsrechtlich von geringem Gewicht ist.4

2.382

Beispiel: Kontrolle nach vagem Hinweis Es stellt eine unverhältnismäßige Kontrollmaßnahme nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG dar, wenn der Arbeitgeber auf einen vagen Hinweis, der Arbeitnehmer hätte sich geschäftsschädigend über den Arbeitgeber geäußert, den privaten E-Mail-Verkehr eines Arbeitnehmers in einem Zeitraum von einem Jahr auswertet. Dieser Verstoß gegen das Datenschutzrecht führt nach einer Abwägung zwischen Art. 103 Abs. 1 GG und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 1, 2 Abs. 1 GG zu einem „Sachvortragsverwertungsverbot“.5 Weitgehend Einigkeit herrscht jedenfalls in der Bewertung, dass regelmäßige Datenabgleiche sämtlicher Mitarbeiterdaten zum Zweck der Compliance (permanente Vollkontrolle) wegen ihres unverhältnismäßigen Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter unzulässig sind.6 Derzeit werden verdeckte präventive Kontrollen mit Blick auf das Transparenzgebot der Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, 12 ff. DSGVO und die verschärften Informationspflichten des Art. 13 Abs. 1 DSGVO für unzulässig gehalten.7 Diese Streitfrage dürfte praktisch kaum relevant sein. Denn immerhin kann der mit einer generalpräventiven Kontrolle bezweckte Abschreckungseffekt mit heimlichen Kontrollen nicht verwirklicht werden,8 weshalb von derartigen Maßnahmen abzuraten ist. 1 2 3 4 5 6 7

8

BAG, Urt. v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, ZD 2019, 226. BAG, Urt. v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, ZD 2019, 226. Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 142. Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 142; Diller, BB 2009, 438 (439); Franzen, RdA 2010, 257 (262); a.A. Steinkühler, BB 2009, 1249 f. LAG Hess., Urt. v. 21.9.2018 – 10 Sa 601/18, NZA-RR 2019, 130. BAG, Urt. v. 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, NJW 2003, 3436; Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 3. Präventive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 16; Brink/Schmidt, MMR 2010, 592; Kock/Francke, NZA 2009, 646 (648). Herbst in Kühling/Buchner3, Art. 5 DSGVO Rz. 18; Maschmann in Kühling/Buchner3, Art. 88 DSGVO Rz. 47; Tiedemann in Sydow2, Art. 88 DSGVO Rz. 20: grundsätzlich Verbot, wenn nicht eine der Einschränkungen des Art. 23 DSGVO vorliegen; a.A. für enge Ausnahmefälle Byers, NZA 2017, 1086 (1089 f.). Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 3. Präventive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 19.

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F. Datenschutz | Rz. 2.388 Kap. 2 Praxis-Tipp: Angesichts der seit Geltung der DSGVO bestehenden erheblichen Rechtsunsicherheit sollte die TaxCompliance Maßnahmen wählen, die einerseits eine aus Gründen der Compliance gebotene stichprobenmäßige Kontrolle ermöglichen, andererseits aber die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen durch klare Begrenzung der Datenabgleiche auf vordefinierte Risikogruppen, auf bestimmte Zeitvorgänge und auf die für die Aufdeckung des vermuteten Fehlverhaltens erforderlichen Daten wahren.1

2.383

bb) Rechtsfolgen des § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, sind präventive Compliance-Maßnahmen zulässig. Ist jedoch die Datenverarbeitung gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer nach den Vorschriften des BDSG zulässig, liegt insoweit keine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und daraus gewonnene Erkenntnisse können gerichtlich voll verwertet werden.2

2.384

c) Zulässigkeit aufgrund von Betriebsvereinbarungen (§ 26 Abs. 4 BDSG i.V.m. Art. 88 Abs. 2 DSGVO) Unternehmen, die der Mitbestimmungspflicht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliegen, sollten Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat treffen.3 Betriebsvereinbarungen sind in § 26 Abs. 4 Satz 1 BDSG ausdrücklich vorgesehen. Eine Betriebsvereinbarung schafft Transparenz und damit auch Vertrauen in die Einhaltung des Datenschutzrechts, so dass sie für die Akzeptanz der Compliance in einem Unternehmen von entscheidender Bedeutung sein kann.4

2.385

Hinsichtlich des möglichen Inhalts von Betriebsvereinbarungen sollten die zu § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG dargestellten Grundsätze übernommen werden.

2.386

d) Zulässigkeit aufgrund der Abwägungsklausel (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO) Alternativ zu § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG und zu Betriebsvereinbarungen lassen sich präventive Tax-Compliance-Maßnahmen auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO stützen. Danach können präventive Datenabgleiche im Einzelfall nach Abwägung der berechtigten Compliance-Interessen der verantwortlichen Stelle mit den schutzwürdigen Interessen der Mitarbeiter gerechtfertigt sein.5 Aufgrund der unionsrechtlich geprägten Auslegung des § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG gelten für die Abwägung dieselben Grundsätze.

2.387

e) Informationspflichten bei generalpräventiven Tax-Compliance-Maßnahmen Die Beschäftigten sind über generalpräventive Tax-Compliance-Maßnahmen nach Art. 13 DSGVO zu unterrichten. Dies empfiehlt sich auch aus general-präventiven Gründen.6 1 Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, tive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 20. 2 BAG, Urt. v. 29.6.2017 – 2 AZR 597/16, NZA 2017, 1179. 3 Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, tive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 44. 4 Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, tive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 45. 5 Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, tive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 17. 6 Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, tive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 33.

Teil VI. Kapitel 3. PrävenTeil VI. Kapitel 3. PrävenTeil VI. Kapitel 3. PrävenTeil VI. Kapitel 3. PrävenTeil VI. Kapitel 3. Präven-

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2.388

Kap. 2 Rz. 2.389 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

f) Datenschutz-Folgenabschätzung

2.389

Es ist streitig, ob präventive Compliance-Maßnahmen einer Datenschutz-Folgenabschätzung bedürfen. Dies wird einerseits als Pflicht des verantwortlichen Unternehmens begriffen.1 Andererseits wird vertreten, dass das für eine Datenschutz-Folgenabschätzung nach Art. 35 Abs. 1 Satz 1 DSGVO erforderliche „hohe Risiko“ zwar bei repressiven Compliance-Maßnahmen vorliegen soll, jedoch nur ausnahmsweise bei präventiven, stichprobenartigen Kontrollen.2

2.390

Richtigerweise wird die Compliance-Abteilung zur Vermeidung datenschutzrechtlicher Probleme eine Datenschutz-Folgenabschätzung treffen. Nach Art. 35 Abs. 2 DSGVO ist nämlich bei der (ggf. notwendigen) Durchführung der Datenschutz-Folgenabschätzung den Rat des betrieblichen Datenschutzbeauftragten einzuholen. Eine Zustimmung des Datenschutzbeauftragten zur Maßnahme ist jedoch nicht erforderlich. Die Unterrichtung des betrieblichen Datenschutzbeauftragten ist nicht nur eine wichtige, der Transparenz der Durchsuchung und damit der allgemeinen Akzeptanz förderliche Maßnahme.3

2.391

Im Zweifel sollte der Datenschutzbeauftragte im Rahmen einer Datenschutz-Folgenabschätzung unterrichtet werden, da ein Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht nach Art. 83 Abs. 4 Buchst. a DSGVO bußgeldbewehrt ist. g) Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats

2.392

Zu beachten ist nach h.M. ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bei präventiven Tax-Compliance-Maßnahmen, da bei einer Vielzahl von technischen Abgleichen Rückschlüsse auf das Verhalten oder die Leistung der betroffenen Arbeitnehmer möglich sind.4

3. Zulässigkeit repressiver Tax-Compliance a) Voraussetzungen nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG

2.393

Repressive Compliance-Maßnahmen gegenüber Beschäftigten sind nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig. Dieser hat sehr eng formulierte Voraussetzungen:5 – Verdacht, begründet durch tatsächliche Anhaltspunkte, – von im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftaten, – Handeln zum Aufdeckungszweck, – Dokumentationsobliegenheit, – Erforderlichkeit der Datenverarbeitung, 1 Wybitul/Schultze-Melling, Datenschutz im Unternehmen2, Rz. 231. 2 Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 3. Präventive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 31. 3 Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 3. Präventive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 31. 4 BAG, Urt. v. 14. 9.1984 – 1 ABR 23/82, DB 1984, 2513; Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 3. Präventive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 30; Heldmann, DB 2010, 1235, 1236 (1238); Schneider, NZG 2010, 1201 (1205); a.A. Diller, BB 2009, 438 (439). 5 Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 131.

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2021-10-28, 11:58, HB mittel

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F. Datenschutz | Rz. 2.400 Kap. 2

– Verhältnismäßigkeit: kein überwiegendes entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse des Betroffenen; insbesondere keine Unverhältnismäßigkeit von Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass. Straftat sind Verbrechen und Vergehen i.S.d. § 12 StGB.1 Andere Vergehen als Straftaten sind nach einer Auffassung nicht von § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG erfasst. Mithin fallen danach Ordnungswidrigkeiten i.S.d. § 21 OWiG ebenso wenig darunter,2 wie schwere Vertragspflichtverletzungen3.

2.394

Soweit unter Hinweis auf ältere Rechtsprechung des BAG angenommen wird, auch schwerwiegende Vertragspflichtverletzungen würden unter § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG fallen,4 entspricht das nicht aktueller Rechtsprechung unterer Instanzen zu § 26 BDSG. Aus Vorsichtsgründen sollten repressive Tax-Compliance-Maßnahmen Steuerstraftaten und sonstige Straftaten betreffen.

2.395

Ein Verdacht i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG setzt lediglich einen „einfachen“ Verdacht i. S. eines Anfangsverdachts voraus, der über vage Anhaltspunkte und bloße Mutmaßungen hinausreichen muss.5

2.396

Praxis-Tipp: Im Falle von Whistleblowing-Hinweisen sollte versucht werden, diese vor entsprechenden Dateneingriffen zu plausibilisieren und durch Heranziehung weiterer Informationen zu einem gewissen Grad zu verifizieren.6

2.397

Im Beschäftigungsverhältnis werden Straftaten begangen, wenn sie in Ausübung der Beschäftigungstätigkeit oder bei Gelegenheit der Tätigkeit verübt werden.7 Der Begriff der Beendigung umfasst dabei auch die Zeit nach der Kündigung zur Abwicklung eines Beschäftigungsverhältnisses.8 Der Arbeitgeber darf deshalb alle Daten speichern und verwenden, die er benötigt, um die ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast in einem potenziellen Kündigungsschutzprozess zu erfüllen.9

2.398

Handeln zur Aufdeckung der Straftat: Das Handeln muss zur Aufdeckung der Straftat dienen. Dies umfasst nicht nur bereits begangene Straftaten, sondern auch – aufgrund konkreter Anhaltspunkte – vermutete künftige strafbare Handlungen im Beschäftigungsverhältnis.10

2.399

Die Erforderlichkeit verlangt, dass gegenüber der konkret ergriffenen Maßnahme der TaxCompliance-Abteilung mildere, gleich geeignete Mittel nicht vorhanden sind.11

2.400

1 Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 133. 2 Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 133. 3 LAG BW, Urt. v. 20.7.2016 – 4 Sa 61/15, ArbRAktuell 2016, 532; Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 133. 4 Gräber/Nolden in Paal/Pauly2, § 26 BDSG Rz. 23. 5 BAG, Urt. v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 443. 6 Stück, ArbRAktuell 2019, 216 (218). 7 Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 133; Deutsch/Diller, DB 2009, 1462 (1464). 8 BT-Drucks. 16/13657, 21, zur Vorgängervorschrift des § 32 BDSG a.F. 9 BAG, Urt. v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327. 10 BAG, Urt. v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, NZA 2017, 112. 11 BAG, Urt. v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327; Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 136.

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Kap. 2 Rz. 2.401 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

2.401

Die Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne) verlangt eine Abwägung zwischen Aufklärungsinteresse und Persönlichkeitsbeeinträchtigung der Überwachten vorzunehmen. In diese Abwägung müssen einbezogen werden – die Dringlichkeit des Tatverdachts, – die Zahl der (ggf. unschuldig) überwachten Beschäftigten, – Gewährleistung eines ungestörten Betriebsablaufs, – Fürsorgepflicht gegenüber anderen Arbeitnehmern sowie – die Größe des bereits entstandenen oder drohenden Schadens (einschließlich Reputationsschadens) gegen die Intensität der Überwachungsmaßnahme.1

2.402

Praxis-Tipp: Die Heimlichkeit einer repressiven Compliance-Maßnahme ist in der Regel vorgegeben.2 Bei Beurteilung der Verhältnismäßigkeit erhöht die Heimlichkeit einer Kontrolle gegenüber einem identifizierten mutmaßlichen Täter aber typischerweise das Gewicht der Freiheitsbeeinträchtigung, während dies die Anwesenheit des betretreffenden Arbeitnehmer, Betriebsrats bzw. betrieblichen Datenschutzbeamten typischerweise senkt.3 So ist die Durchsuchung des Computers in Anwesenheit des Arbeitnehmers milderes Mittel als die (dann mithin unverhältnismäßige) heimliche Installation eines Keyloggers (zur Aufzeichnung von Tastenanschlägen und Bildschirminhalten) zum Zweck der Aufdeckung einer pflichtwidrigen umfangreichen Privatnutzung des Dienstrechners.4

2.403

Dokumentationsobliegenheit: Die tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Straftat sind zu dokumentieren. Dies zwingt die Tax-Compliance-Abteilung, sich über die Verdachtsmomente Rechenschaft abzulegen, sie zu manifestieren und transparent zu machen und so eine Kontrollmöglichkeit vorzubereiten.5 Die Dokumentationsobliegenheit bezieht sich nur auf die Verdächtigen; erweist sich ein von der Datenerhebung unvermeidlich miterfasster weiterer Beschäftigter als Täter, schadet der in Bezug auf diesen bestehende Dokumentationsmangel nicht.6 b) Rechtsfolge des § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG

2.404

Rechtsfolge des § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG ist die Erlaubnis, personenbezogene Daten des Beschäftigten, der im Verdacht steht, eine Straftat begangen zu haben, zu verarbeiten.7 Die Erlaubnis erstreckt sich darüber hinaus auch auf unverdächtige Beschäftigte, wenn die Daten der Verdächtigen nicht ohne die Daten weiterer Beschäftigter erhoben werden können („Zufallsfund“).8

1 Franzen in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht19, § 26 BDSG Rz. 39; Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 137. 2 Gola in Gola/Heckmann13, § 26 BDSG Rz. 126. 3 BAG, Urt. v. 20.6.2013 – 2 AZR 546/12, NZA 2014, 143; Franzen in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht19, § 26 BDSG Rz. 39. 4 EGMR, Urt. v. 5.9.2017 – 61496/08, ZD 2017, 571, Bărbulescu/Rumänien; BAG, Urt. v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, NZA 2017, 1327; Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 136.1. 5 Vgl. Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 135. 6 BAG, Urt. v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112. 7 Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 132. 8 BAG, Urt. v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, NZA 2017, 112; NZA 2017, 112 Rz. 30: Videoüberwachung des Kassenbereichs; ablehnend Brink/Schwab, jurisPR-ArbR 8/2017, Anm. 2.

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F. Datenschutz | Rz. 2.412 Kap. 2

Weil § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG auf Daten der Beschäftigten beschränkt ist, ist für die Erhebung von Daten von Kunden oder Verwandten des Beschäftigten auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO zurückzugreifen.1

2.405

c) Informationspflichten bei repressiven Compliance-Maßnahmen (Art. 13 DSGVO) Liegt der Anfangsverdacht einer Straftat vor, kann von der Informationspflicht abgesehen werden, wenn die Ausnahmen des § 32 Abs. 1 BDSG greifen. Hier dürften v. a. § 32 Abs. 1 Nr. 4 BDSG (Gefährdung eigener Haftungsansprüche des Unternehmens) und § 32 Abs. 1 Nr. 3 BDSG (Gefährdung der öffentlichen Sicherheit in Form der Einhaltung des Steuerrechts) greifen.

2.406

Werden die Informationen an Behörden im Rahmen deren Zuständigkeit weitergegeben, sind die gilt die entsprechende Behörde gem. Art. 4 Nr. 9 Satz 2 DSGVO nicht als Empfänger, so dass eine Informationspflicht entfällt, also die Behörde auch auf Anfrage des Mitarbeiters auch nicht als Übermittlungsziel angegeben werden muss.2

2.407

d) Datenschutz-Folgenabschätzung Das für eine Datenschutz-Folgenabschätzung nach Art. 35 Abs. 1 Satz 1 DSGVO erforderliche „hohe Risiko“ ist bei repressiven Compliance-Maßnahmen gegeben, so dass eine solche durchzuführen ist.3

2.408

e) Typische Compliance-Maßnahme: Mitarbeiterbefragungen („Mitarbeiterinterviews“) Besteht der Verdacht auf eine Straftat, wird die Tax-Compliance-Abteilung auch prüfen, ob Mitarbeiter zu befragen sind (sog. Mitarbeiterinterview). Wegen unterschiedlicher datenschutzrechtlicher Anforderungen ist insoweit zu trennen zwischen der Befragung des verdächtigten Mitarbeiters und des Mitarbeiters, der als Zeuge Auskunft geben könnte.

2.409

aa) Befragung des verdächtigten Mitarbeiters Die Befragung des verdächtigten Mitarbeiters und die Nutzung der daraus folgenden personenbezogenen Daten sind eine Datenverarbeitung i.S.d. Art. 4 Nr. 2 DSGVO.4

2.410

Damit entstehen „im Zeitpunkt der Erhebung“ gemäß Art. 13 Abs. 1, 2 DSGVO Informationspflichten, so dass der Mitarbeiter grundsätzlich zu informieren ist.

2.411

Es können allerdings auch Ausnahmen von der Informationspflicht greifen: Dient das Interview etwa der Durchsetzung rechtlicher Ansprüche kommt bei fehlenden überwiegenden Interessen des Unternehmens auch der Ausschluss der Information nach § 32 Abs. 1 Nr. 4 BDSG in Betracht.5

2.412

1 Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 132; Vogel/Glas, DB 2009, 1747 (1750). 2 Klaas, CCZ 2018, 242 (247). 3 Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 3. Präventive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 31. 4 Art. 4 Nr. 2 DS-GVO: „… ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführte(r) … Vorgang im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, …, das Ordnen, die Speicherung, …, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, …, den Abgleich oder die Verknüpfung, …“); Klaas, CCZ 2018, 242 (245). 5 Klaas, CCZ 2018, 242 (245).

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Kap. 2 Rz. 2.412 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

Rechtliche Ansprüche sind nicht nur zivilrechtliche Ansprüche1, sondern sämtliche, einem Unternehmen zustehende Ansprüche2. Bei der Befragung eines verdächtigen Mitarbeiters hat regelmäßig das Unternehmensinteresse Vorrang, wenn ein Verdacht i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG vorliegt. Dann überwiegt nicht das Interesse des Verdächtigen am Ausschluss der Befragung gegenüber dem Unternehmensinteresse an einer effektiven Geltendmachung eigener Rechte.3

2.413

In jedem Fall sollte die einzelfallbezogene Abwägung aus Gründen der Nachweisvorsorge dokumentiert werden.

2.414

Liegt dagegen kein Verdacht i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG vor oder überwiegt aus sonstigen Gründen das Interesse des Verdächtigen, ist der Verdächtige gemäß Art. 13 Abs. 1, 2 DSGVO „im Zeitpunkt der Erhebung“ zu informieren.4 Dies bedeutet, dass eine Information schon während der Befragung des Verdächtigen zu erfolgen hat.5 Die Erfüllung der Informationspflicht des Art. 13 DSGVO verlangt insbesondere eine6 – Unterrichtung über den Zweck des Interviews (Art. 13 Abs. 1 Buchst. c DSGVO): Noch vor der ersten Frage wird der verdächtigte Mitarbeiter über die Zielrichtung der Befragung in Kenntnis gesetzt; um dem Zweckbindungsgrundsatz des Art. 5 Abs. 1 Buchst. b DSGVO (keine Weitervereinbarung für Sekundärzwecke, die mit dem Primärzweck unvereinbar sind) zu genügen, sollte eine möglicherweise geplante Kooperation mit Behörden offengelegt werden; konkret ist zu informieren über den Empfänger7 (fremde Unternehmensabteilungen, nationale Behörden), die mögliche Absicht der Drittlandübermittlung8 (bei Konzernmüttern im Drittausland), über die Rechtsgrundlage9 (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG oder Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO) und über das Widerspruchsrecht10; – Belehrung über das Nichtbestehen einer Auskunftspflicht: Der verdächtige Mitarbeiter ist auch darauf hinzuweisen, ob er zur Bereitstellung der personenbezogenen Daten verpflichtet ist oder nicht und welche Folgen eine Nichtbereitstellung haben wird;11 eine Mitwirkungspflicht kann sich als Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag ergeben (Treuepflicht i.S.d. § 242 BGB) und bestehen, wenn die Mitwirkung für den verdächtigen Mitarbeiter nicht unzumutbar ist;12 zwar bindet auch den verdächtigen Mitarbeiter eine Treuepflicht, er muss sich wegen des ihm zustehenden Persönlichkeitsrechts allerdings nicht selbst belasten; ihm ist also die wahrheitsgemäße Auskunft wegen der möglichen Folgen unzumutbar;13 1 So aber Klaas, CCZ 2018, 242 (245). 2 Zivilrechtliche Ansprüche nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. j DSGVO und Schutz sonstiger Rechte nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. i DSGVO, s. Schmidt-Wudy in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 32 BDSG Rz. 44; Golla in Kühling/Buchner3, § 32 BDSG Rz. 17. 3 In diese Richtung weisen die Überlegungen von Kreß, Criminal Compliance und Datenschutz im Konzern, 248. 4 Die Informationspflicht ist nicht analog Art. 14 Abs. 5 Buchst. b DS-GVO wegen ernsthafter Beeinträchtigung der Verarbeitungsziele ausgeschlossen (so aber Byers, NZA 2017, 1086 [1090]), weil es an der dafür erforderlichen Regelungslücke fehlt (Klaas, CCZ 2018, 242 [245]). 5 Klaas, CCZ 2018, 242 (245). 6 Klaas, CCZ 2018, 242 (245). 7 Art. 13 Abs. 1 Buchst. e DSGVO. 8 Art. 13 Abs. 1 Buchst. f DSGVO. 9 Art. 13 Abs. 1 Buchst. a DSGVO. 10 Art. 13 Abs. 2 Buchst. b DSGVO. 11 Art. 13 Abs. 2 Buchst. e DSGVO. 12 Rudkowski, NZA 2011, 612 (613). 13 BGH, Urt. v. 23.2.1989 – IX ZR 236/86, BB 1989, 649; Rudkowski, NZA 2011, 612 (613); Göpfert/ Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1705); a.A. Vogt, NJOZ 2009, 4206 (4212).

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F. Datenschutz | Rz. 2.420 Kap. 2

umgekehrt stehen dem Unternehmen andere Möglichkeiten zur Verfügung, Compliance-Verstöße aufzudecken, von der Zeugenbefragung bis zu technischen Ermittlungsmaßnahmen;1 Das Widerspruchsrecht des verdächtigen Mitarbeiters2 gegen die Datenverarbeitung führt nicht zum Abbruch des Interviews und zur Unverwertbarkeit der dabei gewonnenen Informationen. Denn die Befragung dient der Verarbeitung der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen. Das aber führt nach Art. 21 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 a.E. DSGVO – ohne dem Erfordernis einer Abwägung – dazu, dass die Datenverarbeitung zulässig bleibt.

2.415

bb) Zeugenbefragung Wird ein Zeuge befragt, richtet sich die Informationspflicht nach Art. 14 DSGVO (Datenerhebung bei nicht betroffenen Personen), der weniger streng ist.3 So

2.416

– ist die Informationspflicht „innerhalb einer angemessenen Frist“ (maximal ein Monat) nach Erlangung personenbezogener Daten zu erfüllen4; – kann auf die Bereitstellung der Informationen verzichtet werden, wenn hiermit die Verwirklichung des Untersuchungsziels ernsthaft beeinträchtigt wird.5

4. Auskunftsanspruch, Anspruch auf Datenkopie In den Fällen präventiver und repressiver Compliance-Maßnahmen hat der betroffene Beschäftigte gemäß Art. 15 Abs. 1 DSGVO gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Auskunft über die verarbeiteten personenbezogenen Daten. Nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO darf er eine Kopie der Daten verlangen.6

2.417

Im Einzelfall können aber Geheimhaltungsinteressen oder berechtigte Interessen Dritter der Auskunftserteilung gem. § 34 Abs. 1 BDSG i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 2 BDSG entgegenstehen.7 Das kommt insbesondere in Betracht, wenn der Schutz von Hinweisgebern („Whistleblower“) im Raum steht.8

2.418

Praxis-Tipp: Das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO kann auch zugunsten der Compliance-Abteilung wirken. Die Compliance-Pflicht resultiert u. a. aus der Sorgfaltspflicht.9 Droht dem Unternehmen ein Reputationsschaden durch eine ungerechtfertigte eines Anzeigeerstatters, kann es Gegenstand der Sorgfaltspflicht des Unternehmens sein gegenüber der Finanzbehörde, bei der die Anzeige eingegangen ist, seinen Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 DSGVO geltend machen.

2.419

Zwar ist der gegen die Finanzbehörde gerichtete Auskunftsanspruch ausgeschlossen, soweit überwiegende berechtigte Interessen eines Dritten bestehen (§§ 32c Abs. 1 Nr. 1, 32b Abs. 1

2.420

1 2 3 4 5 6

Rudkowski, NZA 2011, 612 (613); Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1705). Art. 23 Abs. 1 Satz 1 DSGVO i.V.m. § 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO. Klaas, CCZ 2018, 242 (245). Art. 14 Abs. 3 Buchst. a DSGVO. Art. 14 Abs. 5 Buchst. b DSGVO. S. dazu LAG BW, Urt. v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18, NZA-RR 2019, 242; vgl. dazu Härting, CR 2019, 219 ff.; König, CR 2019, 295 ff; Lensdorf, CR 2019, 306 ff. 7 LAG BW, Urt. v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18, NZA-RR 2019, 242: nur pauschale Darlegung nicht ausreichend. 8 Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, 35. Ed., 1.2.2021, § 26 BDSG Rz. 210. 9 Chr. Schröder in Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz3, Teil VI. Kapitel 3. Präventive Compliance und Whistleblowing im Konzern, Rz. 2.

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Kap. 2 Rz. 2.420 | Digitalisierung der Betriebsprüfung

Satz 1 Nr. 2 AO). Dadurch ist insbesondere das Steuergeheimnis Dritter geschützt, weshalb die Identität des Anzeigeerstatters grundsätzlich nicht zu offenbaren ist und sich das Auskunftsrecht grundsätzlich nicht auf die Identität des Anzeigeerstatters erstreckt.1 Der Auskunftsanspruch kann aber ausnahmsweise die Identität des Anzeigeerstatters umfassen, wenn sich die Anschuldigungen des Anzeigeerstatters steuerrechtlich nicht als bedeutsam erweisen und der Anzeigeerstatter den Steuerpflichtigen bewusst schädigen wollte2 oder wenn das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nur durch die Offenbarung des Namens gewahrt werden kann.3 Fazit

2.421

Das neue Datenschutzrecht stellt die Tax-Compliance-Abteilungen vor Herausforderungen. Die DSGVO zeigt sich offen für Tax-Compliance-Belange und schränkt diese trotz gegenteiliger Befürchtungen in der Anfangszeit nicht übermäßig ein. Soweit seit Geltung der DSGVO der Zweckbindungsgrundsatz stärkere Relevanz erlangt hat, haben die vorstehenden Überlegungen ergeben, dass dieser gerade im Zusammenhang mit Tax-Compliance-Maßnahmen die Arbeit der Compliance-Abteilung nicht einschränkt. Soweit die DSGVO die Transparenz von Datenverarbeitungsvorgängen durch Informationspflichten zu stärken sucht, rechtfertigt das Ziel der Tax-Compliance umfangreiche Ausnahmen.

VI. Datenschutzrechtlicher Rahmen bei behördlichen Ermittlungsmaßnahmen 2.422

Soweit ein Steuerpflichtiger im Rahmen der Außenprüfung oder sonst im Rahmen behördlicher Ermittlungsmaßnahmen Auskünfte zu erteilen hat, liegt ebenfalls eine datenschutzrechtlich relevante Datenverarbeitung i.S.d. Art. 4 Nr. 2 DSGVO vor.

2.423

Da sich der datenschutzrechtliche Rahmen nicht von den Fällen unterscheidet, in denen die Compliance-Abteilung Adressat behördlicher Ermittlungsmaßnahmen wird, ist festzuhalten, dass bei sämtlichen, von einer Außenprüfung betroffenen Steuerpflichtigen (ob nun mit und ohne Compliance-Abteilung) – den Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 3 UAbs. 2 Satz 1 und Satz 3 DSGVO genügt ist (vgl. dazu unter Rz. 2.330), insoweit also keine datenschutzrechtlichen Bedenken bestehen, – die Weitergabe von Informationen an die ermittelnden Behörden bzw. ihre Amtsträger unbedingt auf das erforderliche Maß i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO zu begrenzen ist (vgl. dazu unter Rz. 2.337), – das Informationsrecht zur Zweckänderung nicht eingreift, weil insbesondere im Rahmen ihres Untersuchungsauftrags handelnde Steuerbehörden nicht als Empfänger der personenbezogenen Daten gelten (Art. 4 Nr. 9 Satz 2 DSGVO, Erwägungsgrund 31 Satz 1), weshalb keine Informationspflicht besteht (vgl. dazu unter Rz. 2.342), – kein Rechtfertigungsbedürfnis nach § 24 BDSG hinsichtlich der in der Informationsweitergabe an die Behörden bzw. ihre Amtsträger liegenden Zweckänderung besteht (vgl. dazu unter Rz. 2.343) und – nach der Datenschutz-Folgenabschätzung (Art. 35 Abs. 1 Satz 1 DSGVO) eine Weitergabe an Behörden bzw. ihre Amtsträger unabdingbar und mithin datenschutzrechtlich zulässig ist (vgl. dazu unter Rz. 2.345). 1 BFH, Beschl. v. 7.12.2006 – V B 163/05, BFHE 216, 15, BStBl. II 2007, 275. 2 Vgl. Dißars, DStR 2005, 137 (138); AEAO zu § 30, Tz. 1.4, 9 und 10. 3 Dißars, DStR 2005, 137 (138).

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Kapitel 3 Besondere Prüfungsformen A. Abgekürzte Betriebsprüfung (§ 203 AO) I. Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . III. Besonderheiten 1. Prüfungsbegrenzung auf „wesentliche Besteuerungsgrundlagen“ 2. Unterrichtung des Steuerpflichtigen über Abweichung von Steuererklärungen oder Steuerfestsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schriftliche Mitteilung der Prüfungsfeststellungen durch Finanzbehörde . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Schlussbesprechung und keine Vorabübersendung des Prüfungsberichts . . . . . . . . . . . . B. Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte (§ 203a AO) I. Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . III. Besonderheiten 1. Prüfungsgegenstand . . . . . . . . . 2. Entsprechende Geltung von §§ 196 bis 203 AO . . . . . . . . . . . C. Zeitnahe Betriebsprüfung I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwicklung der zeitnahen Betriebsprüfung in Deutschland . . . . III. Ablauf einer zeitnahen Betriebsprüfung in Deutschland 1. Auswahl der Betriebe . . . . . . . . 2. Prüfungszeitraum und Prüfungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beginn, Kooperationsvereinbarung und Schwerpunktbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ablauf der zeitnahen Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abschluss der zeitnahen Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . IV. Zeitnahen Betriebsprüfung in anderen Ländern 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.1 3.4 3.8

3.10 3.12 3.15

3.17 3.20 3.22 3.23 3.25 3.31 3.36 3.38 3.42 3.50 3.55 3.57 3.59 3.62

D. Umsatzsteuersonderprüfung I. Rechtsgrundlagen und Verfahren der Umsatzsteuersonderprüfung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit der Umsatzsteuersonderprüfung . . . . . . . . . . . . . 3. Auswahl der Prüfungsfälle a) Zuleitung von Prüfungsvorschlägen durch das Finanzamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungsersuchen anderer EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . 4. Vorbereitung der Prüfung a) Finanzamtsinterne Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Datenbanken aa) USLO (UmsatzSteuerLänder-online) . . . . . . . bb) ATLAS . . . . . . . . . . . . . cc) ZAUBER (Zentrale Datenbank zur Speicherung und Auswertung von Umsatzsteuerbetrugsfällen und zur Entwicklung von Risikoprofilen) . . . . 5. Ablauf der Umsatzsteuersonderprüfung a) Prüfungsanordnung . . . . . . b) Beginn der Prüfung . . . . . . . c) Eröffnungsbesprechung . . . d) Sachverhaltsermittlung aa) Mitwirkungspflichten . . bb) Verprobung . . . . . . . . . . cc) Prüfung der Buchführung, Belegprüfung, Betriebsbesichtigung . . . dd) Anfertigung von Kontrollmitteilungen und Auskunftsersuchen . . . . e) Ende der Prüfung . . . . . . . . f) Wirkungen der Umsatzsteuersonderprüfung . . . . . . II. Schwerpunkte bei Umsatzsteuerprüfungen 1. Steuerbefreiungen: Innergemeinschaftliche Lieferungen, § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG a) Voraussetzungen . . . . . . . . . b) Nachweis . . . . . . . . . . . . . . .

3.65 3.70

3.78 3.83 3.86 3.88 3.94

3.95 3.98 3.108 3.109 3.110 3.112 3.115 3.116 3.120 3.121

3.128 3.131

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Kap. 3 | Besondere Prüfungsformen

E. I. II. III. IV.

V. VI. VII. VIII. IX. F. I. II.

III.

2. Vorsteuerabzug: Ordnungsmäßigkeit von Rechnungen . . . Umsatzsteuer-Nachschau Vorbemerkung – Wesen der Umsatzsteuer und Bedarf der Nachschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umsatzsteuer-Nachschau in Abgrenzung zur UmsatzsteuerSonderprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtliche Bestimmung der Umsatzsteuer-Nachschau . . . . . . . . Anforderungen und Inhalte der Nachschau 1. Anlassbezogene Prüfung . . . . . 2. berechtigte Prüfer . . . . . . . . . . . 3. betroffene Person . . . . . . . . . . . 4. Unangekündigte Prüfung und Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Betretungsrechte von Geschäftsund Betriebsräumen . . . . . . . . . 6. Vorlagerecht und Auskunftserteilungspflicht . . . . . . . . . . . . 7. Zugriff auf digitale Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Verwertung von Prüfungserkenntnissen . . . . . . . . . . . . . . Übergang zur Außenprüfung . . . . Einleitung eines Strafverfahrens während der Umsatzsteuer-Nachschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sperrwirkung einer Selbstanzeige Keine Verjährungshemmung – keine erhöhte Bestandskraft . . . . . Rechtschutz gegen die Umsatzsteuer-Nachschau . . . . . . . . . . . . . . Lohnsteuer-Außenprüfung Rechtsgrundlagen und Ziele der Lohnsteuer-Außenprüfung . . . . . . Prüfungsgegenstand der Lohnsteuer-Außenprüfung 1. Persönlich . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeit für die LohnsteuerAußenprüfung 1. Sachlich und örtlich . . . . . . . . . 2. Sonderzuständigkeit(en) und Zentralisierungsmöglichkeiten . 3. Auftragsprüfung der Lohnsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenwirken mit anderen Prüfungsdiensten . . . . . . . . . . .

3.139

3.145 3.150 3.164 3.172 3.181 3.185 3.189 3.196 3.215 3.221 3.224 3.232 3.237 3.238 3.244 3.245

3.258 3.260 3.264 3.265 3.266 3.267 3.270

IV. Anordnung der LohnsteuerAußenprüfung 1. Zu prüfender Arbeitgeber und Prüfungsanordnung . . . . . . . . . 2. Prüfungszeitraum . . . . . . . . . . . 3. Prüfungsschwerpunkte . . . . . . . V. Durchführung der LohnsteuerAußenprüfung 1. Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prüfungsbefugnisse und Pflichten auf Unternehmensseite a) Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . b) Digitaler Datenzugriff . . . . c) Auskunftspflichten der (potentiellen) Arbeitnehmer und Dritter . . . . . . 3. Schlussbesprechung . . . . . . . . . 4. Prüfungsbericht und Abschluss VI. Auswertung der Prüfungsfeststellungen und Folgen der Lohnsteuer-Außenprüfung . . . . . . . . . . G. Lohnsteuer-Nachschau I. Rechtsgrundlagen und Ziele der Lohnsteuer-Nachschau . . . . . . . . . II. Zuständigkeit 1. Ermessensentscheidung der Behörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mit der Nachschau Beauftragter III. Durchführung der LohnsteuerNachschau 1. Ohne vorherige Ankündigung . 2. Betretungsrechte und deren Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nachschaubefugnisse und Mitwirkungspflichten a) Ausschluss einer Durchsuchung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mitwirkungspflichten der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . c) Kein digitaler Datenzugriff . IV. Übergang zur Lohnsteuer-Außenprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Auswertung der Feststellungen und Rechtsfolgen der Nachschau .

3.280

3.282 3.284 3.286 3.290 3.292 3.294

3.301 3.304 3.306 3.307 3.310

3.313 3.314 3.317 3.318 3.321

H. Kassen-Nachschau I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.325 II. Gesetzliche Grundlage 1. Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen . . . . . . . . . . . . 3.327

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3.273 3.276 3.278

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Besondere Prüfungsformen | Kap. 3

III.

IV.

V.

VI.

VII.

2. Zeitlicher Anwendungsbereich . 3. Sachlicher Anwendungsbereich a) Steuerpflichtige und Steuerart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungszeitraum . . . . . . . . 4. Voraussetzungen a) Anlass und Zielgruppe . . . . b) Prüfungsdauer . . . . . . . . . . . c) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . d) Keine Vorankündigung . . . . e) Übliche Geschäfts- und Arbeitszeiten . . . . . . . . . . . . f) Betreten von Geschäftsgrundstücken und -räumen . . . . . Abgrenzung 1. Unterschiede zur Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschiede zu sonstigen Nachschauen . . . . . . . . . . . . . . . Formen 1. Isolierte Kassen-Nachschau . . . 2. Kassen-Nachschau vor bzw. nach einer Betriebsprüfung . . . Prüfungsinhalte 1. Anforderung von Unterlagen . . 2. Systemprüfung . . . . . . . . . . . . . 3. Kassensturz . . . . . . . . . . . . . . . . Ablauf 1. Vorbereitung a) Aktenstudium und Prüfungsvorbereitung . . . . . . . . . . . . b) Beobachtung und Testkauf . 2. Durchführung a) Offenbarung gegenüber Auskunftspersonen . . . . . . . b) Prüfungshandlungen . . . . . . c) Zufallsfunde . . . . . . . . . . . . . d) Zwangsmittel . . . . . . . . . . . . e) Kostentragung . . . . . . . . . . . 3. Nachgang a) Versendung der Prüfungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbarer Übergang zur Betriebsprüfung . . . . . . c) Mitteilung der Beendigung der Kassen-Nachschau . . . . Rechte des Steuerpflichtigen 1. Ansicht des Prüferausweises . . . 2. Hinzuziehung des steuerlichen Vertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.329 3.330 3.333 3.335 3.340 3.343 3.345 3.346 3.347 3.352 3.355 3.359 3.362 3.364 3.367 3.370

3.373 3.376 3.378 3.379 3.382 3.383 3.385 3.386 3.387 3.389 3.391 3.392

3. Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung . . . . . . 4. Selbstanzeige nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e AO . . . . . VIII. Rechtsfolgen 1. Unmittelbare Rechtsfolgen . . . . 2. Mittelbare Rechtsfolgen . . . . . .

3.393 3.396 3.399 3.401

J. Prüfungen der Zollverwaltung I. Aufbau und Organisation (Gemeinsamkeiten/Unterschiede zu Kapitel 1.B.III. [Rz. 1.53 ff.]) 1. Zollverwaltung . . . . . . . . . . . . . 3.403 2. Prüfungsdienst . . . . . . . . . . . . . 3.408 II. Prüfungsanlass . . . . . . . . . . . . . . . . 3.415 III. Prüfungsarten 1. Steueraufsichtsmaßnahme/ Zollamtliche Überwachung . . . 3.427 2. Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . 3.437 3. Fahndungsmaßnahmen . . . . . . 3.442 IV. Recht und Verfahren der Betriebsprüfung (Gemeinsamkeiten/Unterschiede zu Kapitel 1 B.I. [Rz. 1.24 ff.] und B.II. [Rz. 1.30 ff.]) 1. Steuerliche Prüfungen a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . 3.446 b) Prüfungsanordnung . . . . . . 3.447 c) Prüfungsvorbereitung . . . . . 3.453 d) Beginn der Prüfung . . . . . . . 3.461 e) Durchführung der Prüfung . 3.467 f) Abschluss der Prüfung . . . . 3.483 g) Zollprüfung . . . . . . . . . . . . . 3.493 h) Präferenzprüfung . . . . . . . . 3.503 i) Verbrauchsteuerprüfung . . . 3.521 2. Außenwirtschaftsprüfung a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . 3.527 b) Prüfungsanordnung . . . . . . 3.531 c) Prüfungsvorbereitung . . . . . 3.538 d) Beginn der Prüfung . . . . . . . 3.545 e) Durchführung der Prüfung . 3.547 f) Abschluss der Prüfung . . . . 3.561 V. Digitalisierung der Betriebsprüfung (Gemeinsamkeiten/Unterschiede zu Kapitel 2 [Rz. 2.3 ff.]) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 3.567 2. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . 3.570 3. Vorhalten aller relevanten Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.573 4. Datenzugriff der Behörde . . . . . 3.600 5. Prüfpfad . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.612

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Kap. 3 Rz. 3.1 | Besondere Prüfungsformen

A. Abgekürzte Betriebsprüfung (§ 203 AO) Literatur: App, Anordnung einer abgekürzten Außenprüfung durch das Finanzamt und Ablauf des Verfahrens, BuW 1995, 186–188; App, Zulässigkeit und Durchführung einer abgekürzten Außenprüfung, StB 1995, 95–97; App, Zur abgekürzten Außenprüfung, KKZ 2005, 78–79; Assmann, Die abgekürzte Außenprüfung (§203 AO), StBp 1998, 309–314; Buse, Die abgekürzte Außenprüfung, AO-StB 2013, 90–96; Eversloh, Abgekürzte Außenprüfung, AO-StB 2002, 13; Latsch, Die abgekürzte Außenprüfung (§ 203 AO) im Vergleich zur üblichen Außenprüfung, StBp 1977, 197–202; Mösbauer, Die abgekürzte Außenprüfung, StBp 2001, 309–312; Schick, Die Außenprüfung nach der AO 1977 – eine kritische Würdigung, StuW 1977, 163; Schmidt-Liebig, Die Bedeutung der abgekürzten Außenprüfung (§ 203 AO) für die Prüfungspraxis – Ein Vorschlag, StBp 1978, 157.

I. Einordnung 3.1

Eine abgekürzte Betriebsprüfung kann bei einem Steuerpflichtigen – statt einer allgemeinen Betriebsprüfung (Rz. 1.24) – durchgeführt werden, wenn die Finanzbehörde eine regelmäßige Prüfung nicht für erforderlich hält (§ 203 Abs. 1 Satz 1 AO). Für die Durchführung einer abgekürzten Betriebsprüfung gelten – mit in § 203 AO geregelten Ausnahmen – die allgemeinen Voraussetzungen und Verfahrensvorschriften (§ 193 ff. AO).1 Die Prüfung dient der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen (§ 194 AO), sie beginnt mit dem Erscheinen der Prüfer (§ 198 AO). Der Steuerpflichtige ist während der Prüfung nach allgemeinen Grundsätzen vom Prüfer zu unterrichten (§ 199 Abs. 2 AO), der Steuerpflichtige ist zur Mitwirkung verpflichtet (§ 200 AO).

3.2

Die Prüfungsform wird regelmäßig zur Prüfung kleinerer Betriebe oder bei Steuerpflichtigen ohne betriebliche Einkünfte angewandt. Die abgekürzte Prüfung soll eine effiziente Nutzung der behördlichen Prüfungskapazität ermöglichen, indem die Finanzbehörde in Fällen, wo sie es nicht für sinnvoll hält, von einer „normalen“ personal- und zeitintensiven Prüfung absehen kann. Dieses Ziel soll u.a. dadurch erreicht werden, dass der Gegenstand der abgekürzten Prüfung nur einzelne Besteuerungsgrundlagen eines Besteuerungszeitraums oder mehrerer Besteuerungszeiträume sind (§ 4 Abs. 5 Satz 2 BpO 2000; § 203 Abs. 1 Satz 2 AO: „wesentliche Besteuerungsgrundlagen“)2, also nicht – wie bei einer allgemeinen Prüfung – die „umfassende Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse“ eines Steuerpflichtigen (§ 194 Abs. 1 Satz 1 AO; § 4 Abs. 5 Satz 1 BpO 2000; zum Gegenstand einer allgemeinen Betriebsprüfung Rz. 1.395).3 Die abgekürzte Prüfung erfolgt nie turnusmäßig, wie dies § 4 Abs. 2 BpO 2000 für Großbetriebe anordnet, sondern unregelmäßig und von Fall zu Fall.4

3.3

Die Entscheidung der Behörde zur Durchführung einer nur abgekürzten Prüfung liegt in ihrem Ermessen und richtet sich nach der Erforderlichkeit bzw. dem Ausmaß des Prüfungs-

1 AEAO zu § 203 AO, Nr. 2; Hendricks in Gosch, § 203 AO Rz. 13; Schallmoser in HHSp, § 203 AO Rz. 15; Seer in Tipke/Kruse, § 203 AO Rz. 11. 2 AEAO zu § 203 AO, Nr. 3. 3 Nach Auffassung von Seer ist § 203 AO bzw. das Instrument der abgekürzten Betriebsprüfung überflüssig, Seer in Tipke/Kruse, § 203 AO Rz. 2. Im Rahmen einer allgemeinen Betriebsprüfung sei bereits eine Beschränkung auf bestimmte Sachverhalte möglich, zudem würden regelmäßig Prüfungsschwerpunkte gesetzt. Deshalb sei bereits nach § 193 ff. AO die Durchführung einer effizienten und konzentrierten Prüfung möglich. 4 Hendricks in Gosch, § 203 AO Rz. 5; Intemann in Koenig3, § 203 AO Rz. 11; Seer in Tipke/Kruse, § 203 AO Rz. 1, 4.

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A. Abgekürzte Betriebsprüfung (§ 203 AO) | Rz. 3.6 Kap. 3

bedürfnisses.1 Diese Entscheidung kann von einem Finanzgericht nur auf Ermessenfehler hin überprüft werden (§ 102 FGO). Für einen Steuerpflichtigen muss die Durchführung einer abgekürzten Prüfung nicht stets vorteilhaft sein. Denn im Gegensatz zu einer allgemeinen Prüfung sind seine (Verfahrens-)Rechte eingeschränkt. Eine obligatorische Schlussbesprechung ist ausgeschlossen (zur Schlussbesprechung bei der allgemeinen Betriebsprüfung Rz. 1.741), es besteht kein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Vorabzusendung des Prüfungsberichts (§ 203 Abs. 2 Satz 3 AO; zum Prüfungsbericht bei der allgemeinen Betriebsprüfung Rz. 1.768).

II. Zulässigkeitsvoraussetzungen Die Durchführung einer abgekürzten Betriebsprüfung bei einem Steuerpflichtigen setzt zunächst das Vorliegen der der allgemeinen Voraussetzungen für die Vornahme einer Betriebsprüfung nach § 193 AO vor. Es gelten – mit in § 203 AO geregelten Ausnahmen – die allgemeinen Voraussetzungen und Verfahrensvorschriften (§ 193 ff. AO).2 Die Prüfung kann auch bei Steuerpflichtigen, die keinen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalten, nicht freiberuflich tätig sind oder keine aufbewahrungspflichtigen Steuerpflichtigen i.S.v. § 147a AO sind (Steuerpflichtige i.S.v. § 193 Abs. 1 AO), durchgeführt werden, wenn die Voraussetzung von § 193 Abs. 2 AO erfüllt sind.3

3.4

Die Entscheidung, statt einer allgemeinen Prüfung nur eine abgekürzte Betriebsprüfung durchzuführen, liegt im Ermessen der zuständigen Finanzbehörde, wobei sich die Zuständigkeit nach allgemeinen Grundsätzen richtet (§ 195 AO)4. Die Behörde kann für die Prüfung der Besteuerungsgrundlagen eines Steuerpflichtigen die Prüfungsform der abgekürzten Betriebsprüfung wählen, wenn sie die Durchführung einer Betriebsprüfung in regelmäßigen Zeitabständen nach den Umständen des Falls nicht für erforderlich hält (§ 203 Abs. 1 Satz 1 AO5, § 4 Abs. 5 Satz 1 BpO). Danach hat die Behörde zwar ein Auswahlermessen zwischen allgemeiner Prüfung und abgekürzter Prüfung.6 Eine fehlerhafte Ermessensausübung durch die Behörde kann der Steuerpflichtige jedoch angreifen. Bei einer Ausübung des Ermessens hat sich die Behörde im konkreten Fall7 von den Aspekten

3.5

– Verfahrensökonomie (rasche Prüfungsdurchführung liegt im Interesse der Verwaltung und des Steuerpflichtigen; reduzierter Prüfungsumfang belastet den Steuerpflichtigen inhaltlich und zeitlich geringer; geringerer Einsatz von Personal erforderlich) und – Belange des Steuerpflichtigen (Eingrenzung der Verfahrensrechte des Steuerpflichtigen nach § 203 Abs. 2 Satz 3 AO) leiten lassen. Die Ermessensentscheidung der Finanzbehörde für eine abgekürzte Betriebsprüfung muss beide Aspekte berücksichtigen. Eine Entscheidung wäre z.B. fehlerhaft, wenn die 1 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 203 AO Rz. 5; Schallmoser in HHSp, § 203 AO Rz. 9; Seer in Tipke/ Kruse, § 203 AO Rz. 4, 6. 2 AEAO zu § 203 AO, Nr. 2; Hendricks in Gosch, § 203 AO Rz. 13; Schallmoser in HHSp, § 203 AO Rz. 15; Seer in Tipke/Kruse, § 203 AO Rz. 11. 3 Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 203 AO Rz. 4; Hendricks in Gosch, § 203 AO Rz. 7; Schallmoser in HHSp, § 203 AO Rz. 8; Seer in Tipke/Kruse, § 203 AO Rz. 3. 4 AEAO zu § 203 AO, Nr. 2. 5 Die Vorschrift ist hinreichend bestimmt, ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip liegt nicht vor, BFH v. 25.1.1989 – X R 158/87, BStBl. II 1989, 483. 6 BFH v. 25.1.1989 – X R 158/87, BStBl. II 1989, 483; Schallmoser in HHSp, § 203 AO Rz. 9; Intemann in Koenig3, § 203 AO Rz. 12. 7 „Umstände des Falls“, § 203 Abs. 1 Satz 1 AO.

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3.6

Kap. 3 Rz. 3.6 | Besondere Prüfungsformen

Behörde mit Blick auf einen verwaltungsseitigen Personalengpass eine abgekürzte Prüfung der Verrechnungspreise, also ein in der Praxis häufig streit- und erläuterungsbedürftiges Thema (Rz. 7.1), anordnet. Die Möglichkeit, die Prüfungsergebnisse (spätestens) im Rahmen der Schlussbesprechung zu kommentieren bzw. in Frage zu stellen, würde dem Steuerpflichtigen abgeschnitten. Eine Entscheidung wäre gleichfalls ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde die Prüfungsform nur wählt, um einem „unliebsamen“ Steuerpflichtigen die Durchführung einer Schlussbesprechung zu verwehren.1

3.7

Eine abgekürzte Betriebsprüfung setzt die Erteilung einer Prüfungsanordnung (§ 196 AO) voraus (Rz. 1.165). Dabei ist in der Prüfungsanordnung anzugeben, dass es sich um eine abgekürzte Betriebsprüfung handelt (§ 5 Abs. 2 Satz 4 BpO 2000).2 Weiterhin muss die Anordnung eine Begründung der Ermessensentscheidung (§ 121 AO) und die Prüffelder (§ 5 Abs. 2 Satz 1 BpO 2000) enthalten.3 Möglich ist, die abgekürzte Betriebsprüfung nach Beginn durch Änderung der Prüfungsanordnung als allgemeine Betriebsprüfung fortzusetzen (Übergang von abgekürzter zur „normalen“ Prüfung). Entsprechend kann auch eine allgemeine Prüfung in eine abgekürzte Prüfung durch Ermessensentscheidung der Behörde übergleitet werden. Auch in diesem Fall ist die Prüfungsanordnung anzupassen.

III. Besonderheiten 1. Prüfungsbegrenzung auf „wesentliche Besteuerungsgrundlagen“ 3.8

Im Rahmen einer abgekürzten Betriebsprüfung ist die Prüfung auf die „wesentlichen Besteuerungsgrundlagen“ beschränkt (§ 203 Abs. 1 Satz 2 AO, § 4 Abs. 5 Satz 2 BpO 2000). Die Prüffelder sind in der Prüfungsanordnung bezeichnet. In der Praxis erfolgt eine intensive Prüfungsvorbereitung durch die Behörde, deren Ergebnisse Gegenstand einer punktuellen Sachverhaltsermittlung beim Steuerpflichtigen sind. Eine Konzentration der Prüfung auf einzelne ausgewählte Sachverhalte oder eine zeitlichen Einschränkung der Prüfung sind möglich4.

3.9

Ein Steuerpflichtiger hat im Rahmen einer abgekürzten Betriebsprüfung eine Mitwirkungspflicht (Rz. 1.525). Keine Pflicht zur Mitwirkung trifft den Steuerpflichtigen allerdings bei Maßnahmen des Prüfers (zu den Ermittlungsmaßnahmen Rz. 1.441), die auf Sachverhalte gerichtet sind, die nicht zu den prüfungsgegenständlichen wesentlichen Besteuerungsgrundlagen zählen. Sofern der Prüfer in weiterem Umfang prüfen möchte, ist die Prüfungsanordnung zunächst zu ändern.

2. Unterrichtung des Steuerpflichtigen über Abweichung von Steuererklärungen oder Steuerfestsetzungen 3.10

Der Prüfer hat den Steuerpflichtigen vor Abschluss der Prüfung darauf hinzuweisen, inwieweit von den Steuererklärungen oder den Steuerfestsetzungen abgewichen werden soll (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AO). Dadurch wird sichergestellt, dass der Steuerpflichtige noch vor Abschluss der Prüfung Kenntnis von den Steuerbelastungen bekommt, die Folge der Prüfung sind. Eine Schlussbesprechung ist bei einer abgekürzten Betriebsprüfung gesetzlich nicht vorgesehen 1 Vgl. Beispiel nach Schallmoser in HHSp, § 203 AO Rz. 9. 2 Intemann in Koenig3, § 203 AO Rz. 33; Seer in Tipke/Kruse, § 203 AO Rz. 4. 3 Hendricks in Gosch, § 203 AO Rz. 14; Schallmoser in HHSp, § 203 AO Rz. 15; Rüsken in Klein, § 195 AO Rz. 7. 4 Schallmoser in HHSp, § 203 AO Rz. 18; Schick, StuW 1977, 163 (168); Schmidt-Liebig, StBp 1978, 157 (158 f.).

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B. Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte (§ 203a AO) | Rz. 3.17 Kap. 3

(§ 203 Abs. 2 Satz 3 AO; Rz. 3.1). Der Hinweis ist formlos und nicht bindend, er kann mithin mündlich durch den Prüfer erfolgen. Der Steuerpflichtige kann auf seinen Unterrichtungsbzw. Hinweisanspruch verzichten.1 Nicht von der Mitteilungspflicht erfasst sind solche Veränderungen, die zur Richtigstellung offensichtlicher Fehler dienen oder zu bloß unerheblichen Abweichungen führen.2 Die Verletzung der Unterrichtungspflicht kann durch Nachholung geheilt werden (§ 126 Abs. 1 Nr. 3 AO). Unterbleibt die Unterrichtung endgültig, kann der entsprechende Steuerbescheid nach Maßgabe des § 127 AO aufgehoben werden. Dies setzt allerdings voraus, dass bei Unterrichtung eine andere Entscheidung in der Sache getroffen worden wäre.

3.11

3. Schriftliche Mitteilung der Prüfungsfeststellungen durch Finanzbehörde Die steuerlich erheblichen Prüfungsfeststellungen sind dem Steuerpflichtigen schriftlich mitzuteilen (§ 203 Abs. 2 Satz 2 AO). Diese Mitteilung hat zeitlich spätestens mit Bekanntgabe der Steuerbescheide zu erfolgen (§ 203 Abs. 2 Satz 2 AO). Das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorabübersendung des Prüfungsberichts nach § 202 Abs. 2 AO, also das Recht des Steuerpflichtigen auf schriftliche Mitteilung der Prüfungsfeststellungen vor Beendigung der Prüfung, ist bei einer abgekürzten Betriebsprüfung ausgeschlossen (§ 203 Abs. 2 Satz 3 AO).

3.12

Die schriftliche Mitteilung der Prüfungsfeststellungen kann die Form eines ausführlichen „normalen“ Prüfungsberichts i.S.v. § 202 AO haben. In der Praxis ist die Mitteilung regelmäßig eine knappe Darstellung der Feststellungen.

3.13

Für den Fall, dass die abgekürzte Betriebsprüfung keine Prüfungsfeststellungen und keine Änderungen der Steuerfestsetzungen zur Folge hat, ist dies dem Steuerpflichtigen entsprechend § 202 Abs. 1 Satz 3 AO mitzuteilen. Die Anwendung von § 202 Abs. 1 Satz 3 AO ist im Rahmen einer abgekürzten Betriebsprüfung durch § 203 Abs. 2 Satz 3 AO nicht ausgeschlossen.

3.14

4. Keine Schlussbesprechung und keine Vorabübersendung des Prüfungsberichts Im Rahmen einer abgekürzten Betriebsprüfung ist die Durchführung einer (obligatorischen) Schlussbesprechung nicht vorgesehen (§ 203 Abs. 2 Satz 3 AO). Sofern von Verwaltung und Steuerpflichtigem gewollt, kann eine Schlussbesprechung jedoch durchgeführt werden. Die Besprechung ersetzt in diesem Fall die Unterrichtungspflicht des Prüfers nach § 203 Abs. 2 Satz 1 AO (Rz. 1.662).

3.15

Weiterhin ist das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorabübersendung des Prüfungsberichts nach § 202 Abs. 2 AO ausgeschlossen (§ 203 Abs. 2 Satz 3 AO; Rz. 1.768).

3.16

B. Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte (§ 203a AO) I. Einordnung Die Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte zielt auf die Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Erfüllung einer Datenübermittlungspflicht durch einen „Datenübermitt1 Schallmoser in HHSp, § 203 AO Rz. 28; Seer in Tipke/Kruse, § 203 AO Rz. 9. 2 Schallmoser in HHSp, § 203 AO Rz. 22 f.

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3.17

Kap. 3 Rz. 3.17 | Besondere Prüfungsformen

ler“ (sog. mitteilungspflichtige Stelle iSv. § 93c Abs. 1 AO). Ein solcher Datenübermittler ist z.B. eine Renten- und Pensionskasse, die zur Übermittlung von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 2a i.V.m. § 10 Abs. 2 EStG), Altersvorsorgebeiträgen (§ 10a Abs. 5 i.V.m. Abs. 2a EStG) und Rentenbezugsmitteilungen (§ 22a Abs. 1 EStG) verpflichtet ist.1 Dabei ist Gegenstand der Prüfung, ob die mitteilungspflichtige Stelle ihren Mitteilungspflichten ordnungsgemäß nachgekommen ist (§ 203a Abs. 1 AO).2 Die gesetzliche Zulässigkeit einer solchen Prüfung ergibt sich nicht aus § 193 AO, da das Prüfungssubjekt nicht ein Steuerpflichtiger (§ 193 Abs. 1 AO) oder ein zur Abführung von Steuern Verpflichteter (§ 193 Abs. 2 Nr. 1 AO) ist, sondern aus § 203a AO. Davon abzugrenzen ist eine „normale“ Betriebsprüfung bei einer mitteilungspflichtigen Stelle, die auf die Ermittlung der (eigenen) Besteuerungsgrundlagen der mitteilungspflichtigen Stelle als Steuerpflichtiger gerichtet ist; Rechtsgrundlage für eine solche Prüfung ist § 193 AO. Die Prüfungsbefugnis aus § 203a AO ergänzt die einfache Befugnis der Finanzbehörden zur Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Datenübermittlung, die in § 93c Abs. 4 AO geregelt ist.

3.18

Zuständig für die Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte ist die Finanzbehörde, die auch nach den entsprechenden Einzelsteuergesetzen, aus denen sich die jeweilige Datenübermittlungspflicht ergibt, zuständig ist (§ 203a Abs. 2 iVm. § 93c Abs. 4 Satz 1 AO und den Einzelsteuergesetzen). Dies ist das Bundeszentralamt für Steuern (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 18 und 36 FVG).3 Die zuständige Behörde kann eine andere Finanzbehörde mit der Prüfung beauftragen (§ 203a Abs. 3 i.V.m. § 195 Satz 2 AO; zur Auftragsprüfung Rz. 1.130).4

3.19

Für die Durchführung der Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte gelten § 195 Satz 2 AO sowie §§ 196 bis 203 AO entsprechend (§ 203a Abs. 3 AO).

II. Zulässigkeitsvoraussetzungen 3.20

Eine Betriebsprüfung zur Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit einer Datenübermittlung iSv. § 203a Abs. 1 AO ist nur bei einer „mitteilungspflichtigen Stelle“ i.S.v. § 93c Abs. 1 AO zulässig (§ 203a Abs. 1 AO).5 Dies sind Personen, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften steuerliche Daten eines Steuerpflichtigen (z.B. Versicherter) an Finanzbehörden elektronisch übermitteln müssen (z.B. Rentenkasse). Zu den mitteilungspflichtigen Stellen zählen u.a. Arbeitgeber (Lohnersatzleistungen, § 32b Abs. 3 EStG; Lohnsteuerbescheinigungen, § 41b Abs. 1 EStG), Renten- und Pensionskassen (Übermittlungspflicht für Vorsorgeaufwendungen, § 10 Abs. 2a i.V.m. § 10 Abs. 2 EStG; Altersvorsorgebeiträge, § 10a Abs. 5 i.V.m. Abs. 2a EStG; Rentenbezugsmitteilungen, § 22a Abs. 1 EStG)6, Kapitalerträge auszahlende Stellen (z.B. hinsichtlich unentgeltlicher Übertragungen, § 43 Abs. 1 Sätze 5, 6 EStG; Erklärung zur Freistellung von Kapitalertragsteuerabzug, § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 EStG; Freistellungsaufträge, § 45d Abs. 1 EStG) und Versicherungsvermittler (§ 45d Abs. 3 EStG).

1 2 3 4

Seer in Tipke/Kruse, § 93c AO Rz. 3. Hendricks in Gosch, § 203a AO Rz. 3; Seer in Tipke/Kruse, § 203a AO Rz. 1. Hendricks in Gosch, § 203a AO Rz. 15. Hendricks in Gosch, § 203a AO Rz. 16; Niewerth in Lippross/Seibel, § 203a AO Rz. 5; Seer in Tipke/Kruse, § 203a AO Rz. 6. 5 Die Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte ist erstmals für steuerliche Daten anzuwenden, die nach dem 31.12.2016 oder für die Besteuerungszeiträume nach 2016 auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten als mitteilungspflichtiger Stelle elektronisch an Finanzbehörden zu übermitteln sind (Art. 97 § 27 Abs. 2 EGAO). 6 Seer in Tipke/Kruse, § 93c AO Rz. 3.

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B. Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte (§ 203a AO) | Rz. 3.24 Kap. 3

Soweit in einer gesetzlichen Grundlage für eine Datenübermittlung eine Ausnahme von der grundsätzlichen Übermittlungspflicht bestimmt ist, scheidet auch die Anordnung bzw. Durchführung einer Prüfung aus.1 Eine Betriebsprüfung scheidet auch aus, wenn dies – außerhalb von § 203a AO – gesetzlich in einem Einzelsteuergesetz bestimmt ist.

3.21

III. Besonderheiten 1. Prüfungsgegenstand Der Gegenstand einer Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte ist in § 203a Abs. 1 AO bestimmt. Danach ist die Prüfung nur zulässig, um zu ermitteln, ob die mitteilungspflichtige Stelle (1) ihre Verpflichtung nach § 93c Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4, Abs. 2 und 3 AO erfüllt hat und (2) den Inhalt des Datensatzes nach den Vorgaben des jeweiligen Steuergesetzes bestimmt hat (§ 203a Abs. 1 AO). Die Ermittlungsmaßnahmen des Prüfers sind somit auf folgende Bereiche gerichtet:

3.22

– Einhaltung der Übermittlungsfrist und der -form (§ 93c Abs. 1 Nr. 1 AO), – Vollständigkeit der Datensatzangeben (§ 93c Abs. 1 Nr. 2 AO), – Einhaltung der Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten (§ 93c Abs. 1 Nr. 4 AO), – Übermittlung trotz „verspäteter“ Identifizierung der Rechtspflicht (§ 93c Abs. 2 AO), – Beachtung der Korrektur- und Stornierungspflicht (§ 93c Abs. 3 AO).

2. Entsprechende Geltung von §§ 196 bis 203 AO Als Verfahrensvorschriften für die Durchführung der Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte gelten – neben der Möglichkeit einer Auftragsprüfung nach § 195 Satz 2 AO (Rz. 1.130) – die §§ 196 bis 203 AO entsprechend (§ 203a Abs. 3 AO). Danach erfolgt die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung nach allgemeinen Grundsätzen (§ 196 AO, § 197 AO; zur Prüfungsanordnung Rz. 1.165). Die Prüfer haben sich bei Beginn der Prüfung auszuweisen, der Beginn der Prüfung ist aktenkundig zu machen (§ 198 AO; zum Prüfungsbeginn Rz. 1.321). Vom Prüfer sind die allgemeinen Prüfungsgrundsätze zu beachten (§ 199 AO; zu den Prüfungsgrundsätzen Rz. 1.404), die mitteilungspflichtige Stelle ist zur Mitwirkung bei der Prüfung verpflichtet (entsprechende Anwendung von § 200 AO; zur Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen Rz. 1.525). Für die Schlussbesprechung (§ 201 AO; zur Schlussbesprechung Rz. 1.741) und die Bekanntgabe des Prüfungsberichts (§ 202 AO; zum Prüfungsbericht Rz. 1.768) gelten gleichfalls keine Besonderheiten.

3.23

Eine Betriebsprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte kann „abgekürzt“ in Form einer abgekürzten Betriebsprüfung (§ 203 AO; Rz. 3.1) erfolgen, da § 203a Abs. 3 AO auch einen Verweis auf § 203 AO umfasst. Die Erteilung einer verbindlichen Zusage (§ 204 AO; zur verbindlichen Zusage Rz. 9.75) soll dagegen ausgeschlossen sein, weil § 203a Abs. 3 AO keinen Verweis auf § 204 ff. AO umfasst.2

3.24

1 Baum in AO-eKommentar, § 203a AO Rz. 3; Hendricks in Gosch, § 203a AO Rz. 10. 2 Baum in AO-eKommentar, § 203a AO Rz. 8; Hendricks in Gosch, § 203a AO Rz. 20; Seer in Tipke/Kruse, § 93c AO Rz. 9.

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Kap. 3 Rz. 3.25 | Besondere Prüfungsformen

C. Zeitnahe Betriebsprüfung Literatur: Drüen, Modelle und Rechtsfragen zeitnaher Betriebsprüfung, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011; Hermenau, Rechtsstaatlichkeit und zeitnahe Betriebsprüfung – ein Widerspruch?, FR 2011, 120; Hruschka, Ausgewählte Aspekte der Betriebsprüfung, Stbg 2012, 1; Kaiser, Zeitnahe Betriebsprüfungen als Eingriffsverwaltung oder als Ko-Operation, StBp 2020, 263; Kaiser, Die kooperativ ausgerichtete Konzernbetriebsprüfung in Niedersachsen, StBp 2013, 1; Köhler, Innerbetriebliche Kontrollsystem (Tax Compliance Management System), StBp 2018, 43; Meussen, Horizontaal toezicht, eine neue Kooperationsform im Besteuerungverfahren in den Niederlanden, FR 2011, 114; Richter/Welling, Diskussionsbericht zum 37. Berliner Steuergespräch – Kooperationsformen im Besteuerungsverfahren, 2011, 123; Risse, Zeitnahe Betriebsprüfung, Fr 2011, 117; Seer, Besteuerungsverfahren im 21. Jahrhundert, FR 2012, 1000; Wermke, Ablauf einer Außenprüfung Gegenseitige Rechte und Pflichten – Faires Verhalten, StBp 2020, 205; Zöchling/Dziurdz, Das Steuerkontrollsystem als große Chance für mehr Cooperative Tax Compliance in Österreich, SWK 2018, 1150.

I. Einführung 3.25

Als zeitnah wird eine Betriebsprüfung1 bezeichnet, wenn der Prüfungszeitraum einen oder mehrere gegenwartsnahe Veranlagungszeiträume umfasst (§ 4a Abs. 1 Satz 2 BpO 2000). Werden im Jahr 2020 die Veranlagungszeiträume 2010 bis 2012 geprüft handelt es sich um eine zeitverschobene Betriebsprüfung. Eine zeitnahe Betriebsprüfung liegt hingegen vor, wenn der Prüfungszeitraum die Veranlagungszeiträume 2017 bis 2019 umfasst. Da es an einer Legaldefinition der Gegenwartsnähe mangelt und somit ein unbestimmter Rechtbegriff vorliegt ist nicht abschließend geklärt, wann die Regelungen zur zeitnahen Betriebsprüfung greifen. Es erscheint aber sinnvoll nur dann von einer Gegenwartsnähe auszugehen, wenn der Prüfungszeitraum auch den Veranlagungszeitraum umfasst, der dem Jahr des Prüfungsbeginns vorangegangenen ist. Das Finanzministerium Nordrhein-Westfalen vertritt hingegen die Auffassung, dass ein Prüfungszeitraum, bei dem der letzte Veranlagungszeitraum, der durch die Prüfungsanordnung erfasst ist, nicht länger als zwei Jahre vor dem Jahr des Prüfungsbeginns liegen darf.2

3.26

Dem Interesse der Wirtschaft an einer zeitnahen Rechtssicherheit sowie der Planbarkeit von steuerlichen Sachverhalten und das Interesse der Finanzverwaltung an einer zeitnahen Feststellung des Steueraufkommens kann am besten mit einer zeitnahen Veranlagung der eingegangenen Steuererklärungen und der zeitnahen Prüfung der steuerlichen Sachverhalte Rechnung getragen werden. Ein weiterer entscheidender Vorteil einer zeitnahen Betriebsprüfung ist die kurze Zeitspanne zwischen dem verwirklichten Sachverhalt und den Anfragen der Prüfer. Soweit das Unternehmen effiziente Strukturen geschaffen hat, können die von den Betriebsprüfern aufgeworfenen Punkte durch den Steuerpflichtigen schnell und zielgerichtet beantwortet und die angeforderten Unterlagen zügig beigebracht werden. Komplikationen durch veraltete EDV-Systeme treten ebenso wenig auf wie Wissensschwund durch den Abgang von Mitarbeitern in der Steuerabteilung sowie den Fachabteilungen und die daraus resultierende zeitraubende Suche nach Belegen und Fakten. Die Klarheit über die rechtliche Einschätzung der (Dauer-)Sachverhalte durch die Finanzverwaltung machen die Liquiditätsabflüsse für die Steuerzahlungen besser planbar. Zeitverschobene Betriebsprüfungen, wie sie in Deutschland weiterhin üblich sind, führen bei den Steuerpflichtigen zu zeitverschobenen Zahlungsabflüs1 Im Rahmen dieses Kapitels wird durchgängig der Begriff Betriebsprüfung verwendet. Die anderen Prüfungsformen einer steuerlichen Betriebsprüfung sind nicht Gegentand dieses Kapitels. 2 FinMin. NW, Erlass v. 10.9.2012 – S 0401-10-V A 5.

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C. Zeitnahe Betriebsprüfung | Rz. 3.31 Kap. 3

sen und zu einer zusätzlichen Belastung durch die nach § 233a AO mit 6 % p.a. relativ hohen Nachzahlungszinsen. Für die Unternehmen kommt erschwerend hinzu, dass die Nachzahlungszinsen als steuerliche Nebenleistungen nicht von der Steuer abgesetzt werden können (vgl. hierzu § 10 Nr. 2 KStG und R 10.1 Abs. 2 Satz 1 KStR). Der Fokus der Finanzverwaltung bei zeitnahen Betriebsprüfungen liegt auf Groß- und Konzernbetriebe.1 Dabei ist festzustellen, dass mit der zeitnahen Betriebsprüfung auch eine Verschiebung von einer Totalprüfung hin zu einer Schwerpunktprüfung einhergeht.2

3.27

Nach einer Umfrage des BDI dauern Betriebsprüfungen in Deutschland zwischen einem und fünf Jahren; in Ausnahmefällen auch länger.3 Zeitnahe Betriebsprüfungen können zu einer Verkürzung der Prüfungsdauer führen. Dies setzt aber neben einer effizienten Prozessorganisation sowohl auf Seiten der Unternehmen als auch auf Seiten der Finanzverwaltung eine Kooperation zwischen den Unternehmen und der Finanzverwaltung voraus. Die OFD Niedersachsen nennt in ihrem Faltblatt zur zeitnahen Betriebsprüfung eine „wechselseitige gute Zusammenarbeit“ eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg einer zeitnahen Betriebsprüfung.4

3.28

Den klaren Vorteilen einer zeitnahen Betriebsprüfung stehen der Mangel an Personal und Sachressourcen gegenüber. Die Steuerabteilungen der Unternehmen und die Steuerkanzleien verfügen zumeist nicht über ausreichend Personal um alle Steuererklärungen kurzfristig nach der Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses zu erstellen. Ebenso ist die Personalsituation der deutschen Finanzverwaltungen optimierungsbedürftig; eine zeitnahe Veranlagung ist nicht in allen Regionen Deutschlands gewährleistet. Obwohl die Bundesbetriebsprüfung in den letzten Jahren stetig aufgestockt wurde, leiden die Betriebsprüfungen seit Jahren an Personalmangel, der es fraglich erscheinen lässt, alle Unternehmen zeitnah zu prüfen. Um einen optimalen Personaleinsatz zu gewährleisten ist eine Auswahl unter den Betrieben nötig.

3.29

Gerade bei Auslandssachverhalten bieten auch zeitnahe Betriebsprüfungen keine abschließende Planungs- und Rechtssicherheit. Mit der Prüfung in Deutschland ist lediglich die Rechtsaufassung der deutschen Finanzverwaltung klargestellt worden. Die Sichtweise des bzw. der ausländischen Finanzverwaltungen ergibt sich erst durch eine im Ausland durchgeführte Veranlagung bzw. abgeschlossene Betriebsprüfung. Erfolgen die ausländischen Prüfungen nicht zeitsyncron zu den deutschen Betriebsprüfungen besteht weiterhin eine rechtliche Unsicherheit. Selbige kann aber durch ein teilweise sehr zeitraubendes Vorabverständigungsverfahren (APA) oder durch eine gemeinsame grenzüberschreitende Betriebsprüfung (joint tax audit) gemindert bzw. verhindert werden. Führen die genannten Instrumente zu keiner einheitlichen Rechtsauffassung bleibt nur der Weg in ein Verständigungsverfahren bzw. ein EUSchiedsverfahren. Zu Verständigungsverfahren s. Rz. 7.322 ff. und zu grenzüberschreitenden Betriebsprüfungen s. Rz. 7.217 ff.

3.30

II. Entwicklung der zeitnahen Betriebsprüfung in Deutschland Die Entwicklung der zeitnahen Betriebsprüfung ist seit Mitte der 1990er Jahre von der Überlegung der Rationalisierung und schnellen Auswertung der Prüfungsfeststellungen geprägt. 1 Gosch in Gosch, § 194 AO Rz. 50. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 194 AO Rz. 25. 3 Siehe hierzu Positionspapier von BDI/Deloitte zur Steuerlichen Betriebsprüfung – Optionen für zeitgemäße Reformen aus dem Jahr 2019, S. 7, abrufbar unter https://bdi.eu/publikation/news/steu erliche-betriebspruefungen. 4 Der Flyer ist unter https://lstn.niedersachsen.de/download/101979 abrufbar.

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3.31

Kap. 3 Rz. 3.31 | Besondere Prüfungsformen

In diesem Sinne erließen die Finanzministerien von Niederachsen und Nordrhein-Westfalen 1995 Anweisungen an die Betriebsprüfungsstellen zur Rationalisierung der Betriebsprüfungen.1 Ziel ist es zwischen dem verwirklichten Sachverhalt und der Durchführung der Betriebsprüfung einen möglichst geringen Zeitraum zu schaffen.2

3.32

Ausfluss des Rationalisierungserlasse war das sog. „Bielefelder Modell“ in Nordrhein-Westfalen und das sog. „Osnabrücker Modell“ in Niedersachsen. Kernelement beider Modelle war es, dass die Betriebsprüfung zwar auf Basis einer Prüfungsanordnung tätig wurde, jedoch ohne das Vorliegen einer finalen Steuererklärung; eine vorläufige und nicht unterschriebene Steuererklärung und eine vorläufige steuerliche Gewinnermittlung genügten. Die Prüfung schloss ohne formellen Betriebsprüfungsbericht ab. Die Feststellungen wurden dann von dem geprüften Unternehmen in die endgültige Steuererklärung übernommen und vom Innendienst veranlagt.3 Wegen erheblicher rechtlicher Bedenken gegen Prüfungen ohne rechtswirksame Steuererklärungen wurden beide Modelle aber aufgegeben.4

3.33

In den folgenden Jahren waren zeitnahe Betriebsprüfungen nur noch nach vorheriger Einreichung der unterschriebenen Steuererklärung und Veranlagung derselbigen möglich.5 Wobei sich bereits abzeichnete, dass der Prüfungszeitraum in den einzelnen Landesfinanzverwaltungen unterschiedlich ausgelegt wurde. Während Nordrhein-Westfahlen auch zeitnahe Betriebsprüfungen mit einem Prüfungszeitraum von unter drei Jahren durchführte, bestand die bayerische Finanzverwaltung auf einen Prüfungszeitraum von mindestens drei Jahren.6 Im sog. „Münsteraner Modell“ wurde beispielsweise für jeweils einen Veranlagungszeitraum eine zeitnahe Betriebsprüfungen durchgeführt.7 Eine explizite Rechtsgrundlage in der Abgabenordnung oder Betriebsprüfungsordnung 2000 fehlte aber auch für dieses Modell.

3.34

Um sowohl für die Unternehmen als auch die Finanzverwaltung Planungssicherheit zu schaffen, wurde im Jahr 2009 im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP die Einführung einer gesetzlichen Regelung für einer zeitnahen Betriebsprüfung verabredet. Ziel war es dadurch zu gewährleisten, dass Betriebsprüfungen grundsätzlich binnen fünf Jahren nach Beginn abgeschlossen sind.8 Mit der Einführung von § 4a BpO 2000 durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Betriebsprüfungsordnung v. 20.7.20119 ist erstmals eine bundesweit einheitliche Regelung für zeitnahen Betriebsprüfung ab dem Jahr 2012 geschaffen worden. Der Prüfungszeitraum nach § 4a Abs. 1 Satz 2 BpO 2000 kann einen oder mehrere Veranlagungszeiträume umfassen.10 Soweit ein Mitwirkungsrecht des BZSt besteht ist der ausgewählte Betrieb nach § 4a Abs. 2 Satz 2 BpO 2000 diesem unverzüglich zu melden. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

FinMin. Nds., Erlass v. 6.2.1995 – S 1535-7-33; FinMin. NW, Erlass v. 13.6.1995 –S 1502-4-V C5. Drüen, IFSt 2011, 24. Hruschka, Stbg 2012, 1, 5. Siehe hierzu Drüen, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011, S. 58 mit ausf. Begründung auf den Seiten 33 bis 38. Zur Kritik an dem Osnabrücker Modell aus der Finanzverwaltung s. Richter/Welling, FR 2011, 123, 126. OFD-Hannover, Vfg. v. 30.3.2009 – S 1502-7-StO 11; FinMin. NW, Erlass v. 11.6.2008 – S 040110-V A 5. Hruschka, Stbg 2012, 1, 5. Hermenau, FR 2011, 120, 121. Wachtum, Bildung, Zusammenhalt“, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP v. 26.10.2009, 17. Legislaturperiode, S. 13. BMF, Schr. v. 20.7.2011, BStBl. I 2011, 710. Zur Abgrenzung der zeitnahen Betriebsprüfung gegenüber der abgekürzten Betriebsprüfung s. Hannig in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, § 203 AO Rz. 7.

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C. Zeitnahe Betriebsprüfung | Rz. 3.38 Kap. 3

Gegen eine zeitnahe Betriebsprüfung und die Begrenzung auf einen einjährigen Prüfungszeitraum bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.1

3.35

III. Ablauf einer zeitnahen Betriebsprüfung in Deutschland 1. Auswahl der Betriebe Die Initiative für eine zeitnahe Betriebsprüfung muss von dem Steuerpflichtigen ausgehen. Beispielsweise indem er mit der für ihn zuständigen Betriebsprüfungsstelle Kontakt aufnimmt und das Gespräch mit dem zuständigen Sachgebietsleiter sucht. Wird der Betrieb anschlussgeprüft ist es sinnvoller auf den vor Ort tätigen (Konzern-)Betriebsprüfer zuzugehen. Es ist zu beachten, dass aus dem Grundgesetz lediglich ein Beschleunigungsgebot abzuleiten ist, jedoch kein Anspruch auf eine zeitnahe Betriebsprüfung.2 Dieser Überlegung trägt § 2 Abs. 3 BpO 2000 Rechnung, der die Durchführung einer zeitnahen Betriebsprüfung in das pflichtgemäße Ermessen der Finanzverwaltung stellt.3 So kann es vorkommen, dass dem Begehren des Steuerpflichtigen nicht entsprochen wird. Gerade auf Grund der eingeschränkten Personalressourcen können nicht alle Betriebe zeitnah geprüft werden und die jeweilige Landesfinanzverwaltung muss eine Auswahl vornehmen.4

3.36

Nach Auffassung der Finanzverwaltung müssen die auszuwählenden Betriebe bestimmte vergangenheitsbezogenen Mindestanforderungen erfüllen. Hierzu zählen die tatsächliche aktive Mitwirkung bei vorangegangenen Betriebsprüfungen, Steuerehrlichkeit in abgelaufenen Veranlagungszeiträumen sowie die Erfüllung der steuerlichen Pflichten und der Verzicht auf die Nutzung von fragwürdigen Steuergestaltungsmodellen.5 Daraus lässt sich erkennen, dass es bei einer zeitnahen Betriebsprüfung nicht nur um die Beschleunigung der Betriebsprüfung, sondern auch um eine verstärkte Kooperation zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung geht. Ohne eine Complianceorientierung ist eine zeitnahe Betriebsprüfung grundsätzlich nicht denkbar.6 Werden von einem Unternehmen keine geeigneten Compliancemaßnahmen ergriffen, kann gerade dieser Umstand zu einer zeitnahen Betriebsprüfung führen.7 Davon wird in der Praxis aber derzeit kein Gebrauch gemacht.

3.37

2. Prüfungszeitraum und Prüfungsanordnung In der Praxis umfasst der Prüfungszeitraum einer zeitverschobenen Betriebsprüfung grundsätzlich drei Veranlagungszeiträumen. Dies ist verfahrensrechtlich aber nicht zwingend. Neben § 4a Abs. 1 BpO 2000 eröffnet auch § 194 Abs. 1 Satz 2 AO einen kürzeren oder längeren Prüfungszeitraum.8 Einige Bundesländer (bspw. Bayern) streben auch bei zeitnahen Betriebs-

1 2 3 4 5 6 7 8

Drüen, IFSt 2011, 33. Drüen, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011, S. 58 mit ausf. Begründung auf den Seiten 14 bis 23. So auch Hruschka, Stbg 2012, 1, 6. Harle in Lexikon des Steuerrechts, 2020, Übersichtsbeitrag zum Ablauf einer Betriebsprüfung, Rz. 37. FinMin. NW, Erlass v. 10.9.2012 – S 0401-10-V A 5. OFD Nds., Vfg. v. 10.4.2014 – S 1502-7-St 11. So auch Wermke, StBp 2020, 205, 208 und Kamps in Streck/Mack/schwedhelm, Tax Compliance3, Betriebsprüfung, Rz. 3.25. Zur Ausgestaltung eines Tax Compliance Managment System s. Köhler, StBp 2018, 43 sowie Kapitel 44. FinMin. NW, Erlass v. 10.9.2012 – S 0401-10-V A 5. Drüen, IFSt-Schrift Nr. 469, 2011, S. 58.

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3.38

Kap. 3 Rz. 3.38 | Besondere Prüfungsformen

prüfungen einen dreijährigen Prüfungszeitraum an, während andere Bundesländer einen Einoder Zweijahreszeitraum praktizieren (bspw. Rheinland-Pfalz1).

3.39

Eine zeitnahe Betriebsprüfung macht nur Sinn, wenn die letzten veranlagten Steuererklärungen dieser Betriebsprüfung zugrunde gelegt werden. Da bei Groß- und Konzernbetrieben nach § 4 Abs. 2 BpO 2000 eine Anschlussprüfung durchzuführen ist, muss vor der Durchführung einer zeitnahen Betriebsprüfung ggf. eine Aufholungsprüfung erfolgen.2 Um alle ungeprüften Veranlagungszeiträume sowie die gegenwartsnahen Veranlagungszeiträume zu prüfen, kann diese Aufholungsprüfung mehr als drei Veranlagungszeiträume umfassen und bindet sowohl auf Seiten des Unternehmens als auch auf Seiten der Finanzverwaltung nicht unerhebliche Personalressourcen. Dies sollte vor dem Antrag auf eine zeitnahe Betriebsprüfung bedacht werden.

3.40

Auch wenn die Steuerabteilung oder der Steuerberater alle prüfungswürdigen Unternehmen kennt muss dennoch für jede einzelne Konzerngesellschaften eine eigene Prüfungsanordnung erlassen werden (zur Prüfungsanordnung s. Rz. 1.165 ff.). Es empfiehlt sich daher für die (Konzern-)Betriebsprüfung das Konzernverzeichnis unter Beteiligung der Steuerabteilung bzw. des Steuerberaters regelmäßig zu aktualisieren, da ansonsten für einzelne Konzerngesellschaften Verjährung eintreten kann. Ein Muster für ein Konzernverzeichnis findet sich im Schreiben des BMF v. 28.10.20023. Für weitere Details s. Rz. 1.100.

3.41

Die Prüfungsanordnung für die zeitnahe Betriebsprüfung kann erst erlassen werden, wenn die unterschriebenen Steuererklärungen sowie die Handelsbilanz und die steuerliche Gewinnermittlung dem Innendienst vorliegen und veranlagt wurden. Daher sind die Finanzämter berechtigt Steuererklärungen von Unternehmen, die zeitnah geprüft werden, vorab anzufordern oder Fristverlängerungen abzulehnen.4

3. Beginn, Kooperationsvereinbarung und Schwerpunktbildung 3.42

Zu Beginn der Betriebsprüfung sollte in einem Eröffnungsgespräch mit allen Beteiligten ein gemeinsamer Zeitplan abgestimmt werden5 (ein Beispiel für einen Zeitplan findet sich unter Rz. 3.64). Neben dem angestrebten Ende der Betriebsprüfung sollten auch die Teilabschnitte fixiert werden. Beispielsweise sollten Zeitfenster für die Prüfung der einzelnen Prüfungsfelder vereinbart werden. Dadurch kann das Unternehmen die jeweiligen Fachabteilungen besser in die Zeitplanung integrieren. Der Zeitplan sollte auch die Urlaubszeiten sowie Stoßzeiten im Unternehmen (bspw. Jahresabschlussarbeiten) berücksichtigen. Es ist aber zu beachten, dass der Steuerpflichtige über den Grundsatz von Treu und Glauben keinen Rechtsanspruch auf die Einhaltung dieses Zeitplans hat. Insbesondere dann, wenn aufgrund der Einhaltung des Zeitplans bei einzelnen Konzerngesellschaften Verjährung droht oder sich bei einem Prüfungsfeld unerwartete Rechtsprobleme ergeben, die die Hinzuziehung der vorgesetzten Dienstbehörden erfordern. Im Interesse eines effektiven Konfliktmanagement sollte zeitnah der Kontakt zu den Unternehmensvertretern gesucht werden.

1 OFD-Koblenz, Broschüre „Eckpunkte für die Durchführung einer zeitnahen Prüfung von Großbetrieben und Konzernen“ (abrufbar unter https://elektronische-steuerpruefung.de/bmf/ofd-koblenz-zeit nahe-pruefung.pdf). 2 Hruschka, Stbg 2012, 1, 6. 3 BMF, Schr. v. 28.10.2002, BStBl. I 2002, 1026. 4 LfStF Sachs., Vfg. v. 1.2.2019 – 214 - S0320/1/4-2019/2289 Tz. 2.4. 5 Köhler, StBp 2018, 43, 45; Kaiser, StBp 2013, 1, 3.

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C. Zeitnahe Betriebsprüfung | Rz. 3.47 Kap. 3

Bei einem einjährigen Prüfungszeitraum muss die Betriebsprüfung bis November abgeschlossen sein sowie der Prüfungsbericht spätestens Ende Dezember vorliegen. Nur so kann die Einarbeitung in die Steuererklärungen des Folgezeitraums sicherzustellt und damit der reibungslose Ablauf der zeitnahen Folgeprüfung gewährleistet werden.

3.43

Bei Beginn der Betriebsprüfung ist sicherzustellen, dass der von der Betriebsprüfung geforderte Datenzugriff vorliegt und während des gesamten Prüfungszeitraums uneingeschränkt zur Verfügung steht (zum Datenzugriff im Einzelnen s. Rz. 2.14 ff.). Die Art und den Umfang des Datenzugriffs sollte auch in die schriftliche Vereinbarung aufgenommen werden.

3.44

Zu Beginn der Betriebsprüfung müssen zudem folgende Unterlagen zwingend vorliegen:1

3.45

– unterschriebene Steuererklärungen – unterschriebene Handels- und Steuerbilanzen – Abschlussunterlagen aus dem Bereich des Rechnungswesens – Anpassung an vorangegangene Betriebsprüfung durch Bilanzpostenmethode – Wirtschaftsprüfungsberichte – gesellschaftsrelevante Vertragsunterlagen – Selbstauskunft des Unternehmens zu steuerlichen Risiken (ein Beispiel für eine Selbstauskunft findet sich in der Broschüre der OFD Koblenz2. Auch bei einer zeitnahen Betriebsprüfung sind nach § 7 BpO 2000 durch den zuständigen Betriebsprüfer Prüfungsschwerpunkte zu bilden. Dabei sollten die Prüfungsfelder ausgewählt werden, die zu endgültigen Steuerausfällen führen und nicht zu eine reinen Periodenverschiebungen.3 So stellen beispielsweise die Korrektur von Verrechnungspreisen zugunsten Deutschlands oder Feststellungen im Bereich der Abzugssteuern einen finalen Mehrwert für das Steueraufkommen in Deutschland dar. Der Erhöhung des Warenschlussbestandes und der damit einhergehenden Gewinnerhöhung steht in den folgenden Perioden ein Mehraufwand in gleicher Höhe gegenüber. Es handelt sich um eine reine Periodenverschiebung. Erste Anhaltspunkte zur Bestimmung der Prüfungsschwerpunkte sind neben den eingereichten und veranlagen Steuererklärungen sowie den (ausführlichen) Anschreiben zur Steuererklärung auch das Tax Compliance Management System (TCMS).4 Für das Tax Compliance Management System s. Rz. 6.255 ff. Der Steuerpflichtige hat aber keinen Einfluss auf den Umfang und die Art der Schwerpunktbildung bzw. einen Rechtsanspruch auf die Prüfung bestimmter Themenfelder. Es liegt alleine im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzverwaltung die Prüfungsfelder zu bestimmen.

3.46

Im Rahmen der angestrebten Kooperation zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung sollten in einer Kooperationsvereinbarung neben dem organisatorischen Ablauf auch die Prüfungsschwerpunkte schriftlich festgehalten und von den vereinbarten Prüfungsfeldern nur

3.47

1 Siehe OFD-Koblenz, Bröschüre „Eckpunkte für die Durchführung einer zeitnahen Prüfung von Großbetrieben und Konzernen“, S. 6. So auch Harle in Lexikon des Steuerrechts, Übersichtsbeitrag zum Ablauf einer Betriebsprüfung, Rz. 39. 2 Broschüre „Eckpunkte für die Durchführung einer zeitnahen Prüfung von Großbetrieben und Konzernen“, abrufbar unter https://elektronische-steuerpruefung.de/bmf/ofd-koblenz-zeitnahepruefung.pdf. 3 So bereits der Rationalisierungserlass aus dem Jahr 1995 (FinMin. NW, Erlass v. 13.6.1995 – S 1502-4-V C 5). 4 Kaiser, StBp 2013, 1, 4.

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Kap. 3 Rz. 3.47 | Besondere Prüfungsformen

in Ausnahmefällen abgewichen werden.1 Auch über den Grundsatz von Treu und Glauben besteht kein Rechtsanspruch auf die Einhaltung der schriftlichen Vereinbarung; ein moralische Verbindlichkeit hingegen schon. Im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens und dem Ziel einer gleichmäßigen Besteuerung kann der Betriebsprüfer von der Vereinbarung Abstand nehmen, wenn sich im Laufe der Prüfung der vereinbarten Prüfungsfelder Anhaltspunkte für bisher unbekannte Sachverhalte ergeben. Zu einer Abweichung muss es kommen, wenn der Verdacht einer Steuerordnungswidrigkeit bzw. Steuerstraftat vorliegt. Andernfalls setzt sich der Betriebsprüfer dem Vorwurf der Strafvereitelung im Amt aus.

3.48

Die Umsetzung der zeitnahen Betriebsprüfung setzt die Kooperation der zu prüfenden Unternehmen sowie eine effiziente Struktur voraus. Hierzu ist dem Betriebsprüfer bzw. dem leitenden Konzernbetriebsprüfer ein Ansprechpartner zu benennen, der auch entscheidungsbefugt und in der Lage ist die notwendigen Unterlagen und Antworten von den Fachabteilungen zeitnah zu beschaffen. Idealerweise ist der Mitarbeiter der Steuerabteilung nicht in anderweitige (laufende) Projekte eingebunden, um so eine zügige Beantwortung der aufgeworfenen Fragen zu gewährleisten.

3.49

In Konzernbetriebsprüfungen obliegt die Prüfungsleitung nach § 14 BpO 2000 einem Landesprüfer. Das BZSt hat aber nach § 19 FVG ein Mitwirkungsrecht und kann die von einem oder mehreren Bundesprüfern zu übernehmenden Prüfungsfelder selbstständig bestimmen. Für die Stellung der Bundesbetriebsprüfung s. Rz. 1.78. In der Regel erfolgt dies in Abstimmung mit dem oder den Landesprüfern. Ein Landesprüfer hat aber kein Weisungsrecht gegenüber einem Bundesprüfer. Dieser ist folglich auch nicht an die von der Landesfinanzverwaltung getroffenen zeitlichen Vorgaben gebunden. In der Praxis kommt es daher immer wieder zu zeitlichen Verzögerungen.2 Dem sollte entgegengetreten werden, in dem der Bundesprüfer und das BZSt von Anfang an in den Zeitplan und die Schwerpunksetzung eingebunden sind.

4. Ablauf der zeitnahen Betriebsprüfung 3.50

Ziel ist es die Prüfung entsprechend dem gemeinsam vereinbarten Zeitplan durchzuführen. Hierzu ist neben der effizienten Aufgabenverteilung innerhalb des Prüferteams und der Hinzuziehung von geeigneten Fachprüfern auch ein Prozessmanagement erforderlich. Zur Übersicht über die Fachprüfer s. Rz. 1.73 ff. Ein Prozessmanagement umfasst feste Verfahrensabläufe, die schriftliche Dokumentation von Prüfungsanfragen und Prüfungsfeststellungen3 sowie die Antworten der Unternehmensvertreter hierauf. Zwischenbesprechungen runden den Prüfungsprozess ab.4

3.51

Die Prüfungsanfragen sollten thematisch strukturiert werden und in vorher festgelegten jourfixes, idealerweise wöchentlichen, mit dem Ansprechpartner erörtert werden. Die Beantwortung sollte im Regelfall innerhalb von vier Wochen erfolgen.5 Ausnahmen sollten bei komple1 So auch OFD-Hannover, Vfg. v. 30.3.2009 – S 1502-7-StO 11 Tz. 2 und OFD-Koblenz, Broschüre „Eckpunkte für die Durchführung einer zeitnahen Prüfung von Großbetrieben und Konzernen“, S. 5. 2 Verbandsschreiben v. 14.8.2019 zur Arbeitsgruppe „Fortentwicklung der Außenprüfung, S. 6 (abrufbar unter https://www.wuerzburg.ihk.de/fileadmin/user_upload/downloads/Steuern/8er-Fortentwick lung_BP_19-08.pdf). 3 In der Praxis wird auch die Formulierung „Prüfungsvermerk“ verwendet, da dieser als weniger verbindlich erscheint. 4 Risse, FR 2011, 117, 119 f. 5 OFD-Koblenz, Broschüre „Eckpunkte für die Durchführung einer zeitnahen Prüfung von Großbetrieben und Konzernen“, S. 7. So auch OFD-Koblenz, Bröschüre „Eckpunkte für die Durchführung einer zeitnahen Prüfung von Großbetrieben und Konzernen“, S. 46.

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C. Zeitnahe Betriebsprüfung | Rz. 3.57 Kap. 3

xen Sachverhalten bestehen, die beispielsweise die Beiziehung von Fachabteilungen im Ausland und die Einholung von Rechtsgutachten erfordern. Es sollte die Einrichtung einer speziellen Betriebsprüferdatenbank angestrebt werden, in der sowohl die Prüfungsanfragen und Prüfungsfeststellungen als auch die Antworten und Zustimmungen zu den Prüfungsfeststellungen abgelegt werden und alle Beteiligten darauf Zugriff haben. Beispielsweise kann diese Betriebsprüferdatenbank mittels eines Microsoft Acess Datenbank erstellt werden.

3.52

Neben den Jour-Fix sollten auch regelmäßige gemeinsame Besprechungen, sog. Fortgangsgespräche1, geführt werden, die neben dem fachlichen Austausch auch der Klimaverbesserung und dem Aufbau von Vertrauen dienen. Denkbar sind auch unverbindliche Erörterungen über die Verbesserung des TCMS und der Austausch über aktuelle steuerliche Themen. Obwohl es sich bei einer Betriebsprüfung unverändert um eine Eingriffsverwaltung handelt, bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen diese Form des Austausches.2 Die Aussagen des Betriebsprüfers sind aber nicht rechtsverbindlich und stellen auch keine tatsächliche Verständigung nach § 88 AO dar. Zur tatsächlichen Verständigung s. Rz. 9.109 ff.

3.53

Die Belegprüfung sollte nicht mehr den Schwerpunkt bilden, dennoch kann nicht in Gänze darauf verzichtet werden. Es sollte weiterhin stichprobenhaft überprüft werden, ob die internen Kontrollsysteme funktionieren.

3.54

5. Abschluss der zeitnahen Betriebsprüfung Die zeitnahe Betriebsprüfung wird genau wie eine zeitverschobene Betriebsprüfung mit einer Schlussbesprechung nach § 201 AO und der Erstellung eines Betriebsprüfungsberichts nach § 202 AO beendet (s. hierzu auch § 4a Abs. 3 BpO 2000. Der Erlass der Änderungsbescheide erfolgt dann durch die Veranlagungsstelle. Zum Abschluss der Betriebsprüfung s. Rz. 1.717 ff.

3.55

Die Steuerabteilung hat den Prüfungsbericht zügig in die Steuererklärungen des Folgeveranlagunsgzeitraums anzupassen und die Anpassungen durch die Bilanzpostenmethode zu dokumetnieren.3 Die GuV-Methode ist wegen der Unübersichtlichkeit abzulehnen.

3.56

IV. Zeitnahen Betriebsprüfung in anderen Ländern 1. Überblick Auch in anderen Ländern ist die zeitnahe Betriebsprüfung auf dem Vormarsch. Grundlage der Überlegungen in Deutschland war der Compliance Assurance Process (CAP) des Internal Revenue Service der Vereinigten Staaten und das Compliance Programm der australischen Steuerverwaltung. Anders als derzeit in Deutschland ist dort eine rechtsverbindliche und vollständige Steuererklärung nicht Voraussetzung für die Durchführung einer zeitnahen Betriebsprüfung.4

1 Zum Begriff Fortgangsgespräch s. Kaiser, StBp 2013, 1, 4. 2 So auch Kaiser, StBp 2020, 263, 263 f. 3 So auch OFD-Koblenz, Broschüre „Eckpunkte für die Durchführung einer zeitnahen Prüfung von Großbetrieben und Konzernen“, S. 6. 4 Seer, FR 2012, 1000, 1001.

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3.57

Kap. 3 Rz. 3.58 | Besondere Prüfungsformen

3.58

Bereits im Jahr 2005 wurde das Horizontal Monitoring in den Niederlanden eingeführt, welches auch keine unterschriebene Steuererklärung voraussetzt und sich an in den Niederlanden ansässigen multinationalen und mittelgroßen Unternehmen richtet. Für eine effektive Zusammenarbeit im Rahmen der Kooperationsform wird ein verbindlicher Vertrag zwischen dem Unternehmen und der Finanzverwaltung geschlossen. Ziel ist ein permanenter Austausch zwischen den Beteiligten. Zur Sicherstellung der Tax Compliance hat das Unternehmen ein System der internen Kontrolle zu implementieren, welches von externen Beratern Prüfern kontrolliert wird. Eine erneute Prüfung durch die Finanzverwaltung erfolgt grds. nicht.1

2. Österreich 3.59

In Österreich wurde vom 17.6.2011 bis zum 30.6.2016 mit 17 Unternehmensgruppen ein Pilotprojekt zum horizontal Monitoring durchgeführt. Dabei ergab sich, dass durch die Kooperation zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung und das dadurch entstehende Vertrauensverhältnis sowohl die Tax Compliance als auch die Rechts- und Planungssicherheit gefördert wurden. Die Unternehmen profitieren von einer Reduzierung der Compliancekosten und die Finanzverwaltung von einem effektiven Personaleinsatz.2

3.60

In der Folge wurde mit dem Jahressteuergesetz 20183 die §§ 153a bis 153g BAO eingefügt und mit Wirkung 1.1.2019 die begleitende Kontrolle in Österreich eingeführt. Ziel ist es von einer vergangenheitsbezogenen Prüfung zu einer gegenwartsbezogenen Begleitung von Unternehmen zu kommen.4 Die Teilnahme ist nach § 153b BAO nur für Steuerinländer möglich und freiwillig. Neben gewissen Formvoraussetzungen wird nach § 153c Abs. 4 BAO bei der Auswahl der Unternehmen auch auf das sog. „steuerliche Wohlverhalten“ in den letzten fünf Jahren abgestellt.

3.61

Die begleitende Kontrolle steht nach § 153b BAO nur Unternehmen aus der Kredit- und Versicherungswirtschaft sowie Unternehmen mit einem Jahresumsatz in den letzten zwei Jahren von jeweils 40 Mio. Euro offen. Die Einführung eines Steuerkontrollsystem ist obligatorisch und ermöglicht erst eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung. Zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses verlangt § 153f Abs. 4 BAO mindestens vier Besprechungen pro Jahr. Über diese ist eine Niederschrift zu fertigen. Daneben unterliegen die Unternehmen nach § 153f Abs. 1 BAO einer erweiterte Offenlegungspflicht, die sie dazu verpflichtet alle Sachverhalte offenzulegen, deren rechtliche Würdigung zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.

V. Ausblick 3.62

Derzeit nutzen noch zu wenige Finanzämter das Instrument der zeitnahen Betriebsprüfung.5 Nicht nur deshalb kommt aus der Industrie und den Verbänden zunehmend Kritik an den bestehenden Regelungen zur Betriebsprüfung in Deutschland. Vor allem die Dauer, die Zeitspanne zwischen der Abgabe der Steuererklärung und der abgeschlossenen Betriebsprüfung sowie der Ressourcenaufwand werden dabei hervorgehoben. Mit Hinweis auf die begleitende

1 Meussen, FR 2001, 114, 115 f. 2 Siehe im Detail öBMF, Horizontal Monitoring – Evaluationsbericht, 2016, S. 12 ff. Die Übersicht der beteiligten Unternehmen befindet sich auf der S. 21 des Evaluationsberichts; die Schlussfolgerungen auf S. 66 ff. 3 öBGBl. I 2018/62, ausgegeben am 14.8.2018. 4 Zöchling/Dziurdz, SWK 2018, 1150. 5 Kowallik in Deloitte, E-Bilanz8, K. Ziele und Möglichkeiten der Finanzverwaltung, Rz. 2110.

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C. Zeitnahe Betriebsprüfung | Rz. 3.64 Kap. 3

Kontrolle in Österreich und das horizontal Monitoring in den Niederlanden wird eine Reform der zeitnahen Betriebsprüfung angemahnt.1 Diese sollte neben einer Höchstdauer für Betriebsprüfungen auch den Ausbau der Kooperation zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung beinhalten; insbesondere ein gemeinsam abgestimmter Zeitplan mit im Voraus definierten Prüfungsschwerpunkten. Die Umsetzung dieser Forderung ist zwar begrüßenswert, aber mit dem derzeitigen Verfahrensrecht schwer im Einklang zu bringen. Auch die Fokussierung auf Großbetriebe wird kritisiert. Vielmehr sollte die zeitnahe Betriebsprüfung auch im Hinblick auf die Erfordernisse von Klein- und Mittelbetrieben fortentwickelt werden.2

3.63

Die Politik hat mit der Einsetzung einer Bund/Länder-Arbeitsgruppe zur Weiterentwicklung der Betriebsprüfung auf die Anregungen aus der Industrie und den Verbänden reagiert. Insbesondere die Einführung einer begleitenden Betriebsprüfung nach österreichischem Modell unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Verfahrensrechts wird geprüft. Daneben geht es um die Fortentwicklung der gemeinsamen steuerlichen Betriebsprüfungen mit ausländischen Steuerverwaltungen.3

3.64

Anhang Zeitplan Thema

Zeitfenster

zu erledigen durch

Abgabe der Steuererklärungen (inkl. WP-Berichte, Geschäftsberichte)

bis...

Firma

Erstellung der steuerlichen Selbstauskünfte

bis...

Firma

Datenzugriff

ab...

Firma

Durchsicht der Steuererklärungen

bis...

BP

Bestimmung der Prüfungsschwerpunkte

bis...

BP

Erstellung der Prüfungsanfragen

ab...

BP

Anpassung an die Vor-BP

bis...

Firma

Vorlage Prüfungsfeststellungen und Austausch darüber

laufend

BP

Einarbeitung der Prüfungsfeststellungen in die Steuererklärungen

bis...

Firma

Abstimmung der berichtigten Steuererklärungen

bis...

BP

1 Siehe hierzu Positionspapier von BDI/Deloitte zur Steuerlichen Betriebsprüfung – Optionen für zeitgemäße Reformen aus dem Jahr 2019 und Verbandsschreiben v. 14.8.2019 zur Arbeitsgruppe „Fortentwicklung der Außenprüfung. 2 Verbandsschreiben v. 14.8.2019 zur Arbeitsgruppe „Fortentwicklung der Außenprüfung, S. 8. 3 Siehe hierzu Antwort der BReg auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten der FDP-Fraktion (BTDrucks. 19/16305, 2 f.).

Girlich | 377

2021-11-03, 15:58, HB mittel

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Kap. 3 Rz. 3.65 | Besondere Prüfungsformen

D. Umsatzsteuersonderprüfung Literatur: Frye, Zusätzliche Voraussetzungen für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen ab 1.1.2020, UR 2020, 325; Henseler in Lexikon des Steuerrechts, Loseblatt, Umsatzsteuersonderprüfung; Wenning, Umsatzsteuersonderprüfung, NWB Datenbank WAAAB-40738.

I. Rechtsgrundlagen und Verfahren der Umsatzsteuersonderprüfung 1. Allgemeines 3.65

Im Unterschied zur Einkommen- oder Körperschaftssteuer ist die Umsatzteuer eine „Selbstberechnungssteuer“. Sowohl für Zwecke von Voranmeldungen (§ 18 Abs. 1 UStG) als auch Jahreserklärungen (§ 18 Abs. 4 UStG) hat der Unternehmer die Umsatzsteuer nicht nur zu erklären, sondern auch selbst zu berechnen (§ 150 Abs. 1 Satz 3, § 167 AO). Dieses Verfahren ist sehr missbrauchsanfällig, da der Unternehmer insbesondere durch das Institut des Vorsteuerabzugs direkten Zugriff auf das Steueraufkommen erhält. Um eine gleichmäßige und gerechte Besteuerung zu erreichen und Steuerausfälle zu verhindern, ist es daher notwendig zeitnah Kontrollen durchzuführen. Diese Kontrollen erfolgen unabhängig vom Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung durch die Durchführung von Umsatzsteuersonderprüfungen. Damit will das Finanzamt erreichen, dass – steuerpflichtige Leistungen sachlich und zeitlich zutreffend besteuert werden – Steuerbefreiungen nicht zu Unrecht in Anspruch genommen werden – Vorsteuer nicht unberechtigt abgezogen wird.1

3.66

Für den Unternehmer bietet die zeitnahe Prüfung den Vorteil, dass er früh Rechtssicherheit über die Richtigkeit seiner Berechnungen erhält und so nicht mehr mit größeren Steuerrückforderungen rechnen muss.

3.67

Man unterscheidet sog. Erstprüfungen von sog. Bedarfs- oder Anlassprüfungen. Erstprüfungen finden zeitnah zur Gründung oder zur erstmaligen Inanspruchnahme bestimmter Steuervergünstigungen statt. Diese Prüfungen sind allerdings eher selten. In der Regel findet eine Umsatzsteuersonderprüfung statt, wenn Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der erklärten Sachverhalte bestehen (sog. Bedarfs- oder Anlassprüfungen, s. unten Rz. 3.80).

3.68

Speziell für diese Prüfungen wurden an vielen Finanzämtern Sonderprüfstellen eingerichtet, die sich ausschließlich auf die Umsatzsteuer konzentrieren. Diese sind zuständig für Umsatzsteuersonderprüfungen und führen oft auch Umsatzsteuernachschauen nach § 27b UStG durch (zu den Unterschieden vgl. Rz. 3.150 ff.).

3.69

Die Prüfungen sind ein wirkungsvolles Instrument der Finanzverwaltung. Allein im Jahr 2019 haben die durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfungen zu einem Mehrergebnis von 1,55 Mrd. Euro geführt.2

2. Zulässigkeit der Umsatzsteuersonderprüfung 3.70

Umsatzsteuersonderprüfungen haben als besondere Betriebsprüfungen ihre Rechtsgrundlage in §§ 193–203 AO. § 1 Abs. 2 BpO 2000 ordnet außerdem die sinngemäße Anwendung der §§ 5–12, 20–24, 29 und 30 BpO 2000 mit Ausnahme des § 5 Abs. 4 BpO 2000 an. 1 Siehe BMF, Schr. v. 7.11.2002 – IV B 2 - S 7420a-4/02. 2 Quelle: www.bundesfinanzministerium.de.

378 | Caspar

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D. Umsatzsteuersonderprüfung | Rz. 3.78 Kap. 3

Im Wesentlichen heißt das, dass im Unterschied zur allgemeinen Betriebsprüfung die Vorschriften über die Einteilung der Betriebe in Größenklassen und den Prüfungszeitraum keine Anwendung finden und die Fristenregel (4 Wochen bei Großbetrieben und 2 Wochen bei anderen Betrieben) nicht gilt.

3.71

Wie die Betriebsprüfung kann die Umsatzsteuersonderprüfung sowohl bei gewerblich als auch land- und forstwirtschaftlich als auch freiberuflich tätigen Unternehmern durchgeführt werden (§ 193 Abs. 1 AO).

3.72

Daneben ist eine Umsatzsteuersonderprüfung nur zulässig, wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist (§ 193 Abs. 2 AO).

3.73

Gemäß § 194 Abs. 1 Satz 2 AO kann die Betriebsprüfung auf eine Steuerart, einen Besteuerungszeitraum oder auch bestimmte Sachverhalte beschränkt werden. Betriebsprüfungen, die sich auf eine Steuerart beschränken und nicht beanspruchen, die betrieblichen Verhältnisse in ihrer Gesamtheit zu prüfen, bezeichnet man als Sonderprüfungen (§ 1 Abs. 2, § 2 Abs. 2 BpO 2000). Die Umsatzsteuersonderprüfung bezieht sich allein auf die Besteuerungsgrundlagen der Umsatzsteuer, jedoch beschränkt auf einzelne Voranmeldungszeiträume oder bestimmte Sachverhalte.

3.74

Beispiel: Unternehmer A handelt mit Kraftfahrzeugen. Im Jahr 2019 hat er sehr viele Fahrzeuge steuerfrei nach Italien an Unternehmer B geliefert (§ 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG). Das Finanzamt ordnet für das Jahr 2019 eine Umsatzsteuersonderprüfung beschränkt auf die innergemeinschaftlichen Lieferungen an. In diesem Fall wäre auch eine Beschränkung auf die innergemeinschaftlichen Lieferungen an den Unternehmer B möglich.

3.75

Der sachliche Umfang der konkreten Prüfung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamts (zu den Grundsätzen der Ermessensausübung s. oben Rz. 1.301 und 1.307). Konkretisiert werden die Vorgaben für den sachlichen Umfang durch § 7 BpO 2000. Die Prüfung hat auf das Wesentliche abzustellen und sich in erster Linie auf solche Sachverhalte zu erstrecken, die zu endgültigen Steuerausfällen oder Steuererstattungen oder -vergütungen führen. Daraus ergibt sich, dass die Umsatzsteuersonderprüfung genau wie die Betriebsprüfung auch zugunsten des Steuerpflichtigen prüft.

3.76

Auch eine abgekürzte Umsatzsteuersonderprüfung ist möglich (§ 203 AO, Einzelheiten s. oben Rz. 3.1).

3.77

3. Auswahl der Prüfungsfälle a) Zuleitung von Prüfungsvorschlägen durch das Finanzamt Die Veranlagungsstellen und die Voranmeldungsstellen schlagen geeignete Fälle zur Prüfung vor. Zur Unterstützung dieser Stellen werden im automatisierten Verfahren Hinweismitteilungen ausgegeben, die Sonderprüfungen anregen. Können bestehende Zweifel nicht zunächst mit den Mitteln des Innendienstes ausgeräumt werden, soll unverzüglich eine Umsatzsteuersonderprüfung durchgeführt werden.1

1 Henseler, Lexikon des Steuerrechts, Umsatzsteuersonderprüfung Rz. 7.

Caspar | 379

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3.78

Kap. 3 Rz. 3.79 | Besondere Prüfungsformen

3.79

Kriterien für die Durchführung einer Umsatzsteuersonderprüfung sind im BMF, Schr. v. 7.11.2002 (s. oben Rz. 3.65) aufgeführt. Typische Prüfungsanlässe sind z.B.:

3.80

– Vorsteuerabzug: – außergewöhnlich hohe Vorsteuerbeträge – Vorsteuerabzug bei Inanspruchnahme von Steuerbefreiungen für Umsätze mit – Vorsteuerabzug – Vorsteuerdifferenzen auf Grund von Verprobungen – untypische vorsteuerbelastete Leistungsbezüge – Rechnungen von Scheinfirmen – unklare Verwendungsabsicht und Nutzung von Gegenständen für das Unternehmen – Rechnungen von Ausstellern, bei denen die Unternehmereigenschaft zweifelhaft ist – Vorsteuerberichtigungen gem. § 15a UStG: – Grundstücksveräußerungen und -entnahmen – erstmalige Anwendung bzw. Änderung des Verwendungsschlüssels bei gemischtgenutzten Grundstücken und beweglichen Wirtschaftsgütern – Neugründung von Unternehmen: – Unternehmereigenschaft – hohe Vorsteuerüberhänge – Inanspruchnahme von Steuerbefreiungen: – Umsätze nach § 4 Nr. 1–7 UStG, bei innergemeinschaftlichen Lieferungen auch – Abgleich Steueranmeldung/Zusammenfassende Meldung – innergemeinschaftliche Erwerbe – Berechtigung zur Inanspruchnahme des ermäßigten Steuersatzes – Versendungsumsätze nach § 3c UStG – Leistungsort in besonderen Fällen – Zeitgerechte Besteuerung der Umsätze: – Zahlung des Entgelts oder eines Teilentgelts vor Ausführung der Leistung – erhebliche Abweichungen bei Umsätzen und Vorsteuern zwischen Steuererklärungen für das Kalenderjahr und Voranmeldungen oder bei Abgabe Berichtigter Voranmeldungen – Insolvenzfälle – Wechsel der Steuerschuldnerschaft i.S.d. § 13b UStG – Umsatzbesteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts und der Vereine

3.81

Dieser Katalog ist sehr umfangreich. Daneben können auch vorliegende Kontrollmitteilungen eine Sonderprüfung erforderlich machen. 380 | Caspar

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D. Umsatzsteuersonderprüfung | Rz. 3.90 Kap. 3 Beispiel: Unternehmer A betreibt sein Unternehmen seit 2011. Im Jahr 2017 erweitert er sein Unternehmen und führt verstärkt Maschinen ins Ausland aus. In seinen Voranmeldungen macht er erstmals innergemeinschaftliche Lieferungen und Ausfuhrlieferungen geltend. Außerdem hat er im Jahr 2017 Investitionen getätigt, die zu einem ungewöhnlich hohen Vorsteuerüberschuss führen. Diese Veränderungen im Vergleich zu den Vorjahren führen in der Veranlagungsstelle zu automatisierten Hinweisen, weswegen eine Umsatzsteuersonderprüfung angeordnet wird, die das komplette Jahr 2017 prüfen soll, beschränkt auf die innergemeinschaftlichen Lieferungen und den Vorsteuerabzug.

3.82

b) Prüfungsersuchen anderer EU-Mitgliedstaaten Im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit können auch ausländische Staaten Auskunftsersuchen an andere EU-Mitgliedstaaten stellen. (§ 2 Abs. 1 EG-Amtshilfegesetz, § 117 Abs. 4 AO). Diese betreffen Anfragen, die für die ausländische Besteuerung benötigt werden. Geregelt ist diese Amtshilfe in der Zusammenarbeitsverordnung (Verordnung EU Nr. 904/2010). Diese ist unmittelbar geltendes Recht. Im Wesentlichen betroffen sind innergemeinschaftliche Lieferungen und Dienstleistungen, der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen und die Einfuhr von Waren. Ein solches Auskunftsersuchen wird vom Bundeszentralamt für Steuern an das zuständige Finanzamt weitergeleitet.

3.83

Daneben gibt es im Zusammenhang mit dem innergemeinschaftlichen Kontrollverfahren die sog. Spontanauskünfte (Art. 15 Zusammenarbeitsverordnung). Diese sind Mitteilungen an andere EU-Mitgliedstaaten, die für die Besteuerung von Bedeutung sein können und entsprechen den innerstaatlichen Kontrollmitteilungen.

3.84

Sowohl bei Auskunftsersuchen als auch bei Spontanauskünften können Sonderprüfungen angezeigt sein. Die Prüfung ist dann in der Regel beschränkt auf den zu ermittelnden Sachverhalt.

3.85

4. Vorbereitung der Prüfung a) Finanzamtsinterne Unterlagen Ausgangspunkt für die Prüfung ist der Inhalt der beim Finanzamt vorhandenen Steuerakte, einschließlich der bei den Umsatzsteuervoranmeldungsstellen vorhandenen Unterlagen.

3.86

Besondere Berücksichtigung finden sollten vor allem Berichte über vorangegangene Betriebsprüfungen, vorhandene Kontrollmitteilungen, letzte Bilanz, Betriebseröffnungsbogen und letzte Umsatzsteuerüberwachungsbögen.

3.87

b) Datenbanken aa) USLO (UmsatzSteuer-Länder-online) Darüberhinaus stehen dem Prüfer zur Vorbereitung einige Datenbanken zur Verfügung, deren Nutzung ihm wertvolle Hinweise über den Steuerpflichtigen geben können.

3.88

Zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges beim innergemeinschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehr wurde in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten ein innerstaatliches und innergemeinschaftliches Kontrollverfahren eingeführt (MIAS: Mehrwertsteuer-InformationsAustauschsystem). So haben die Länder u.a. die steuerliche Erwerbskontrolle durchzuführen.

3.89

Zu diesem Zweck werden in der Datenbank USLO vom BZSt Daten zu innergemeinschaftlichen Lieferungen und Leistungen erfasst. Gespeist wird die Datenbank aus den abzugebenden zu-

3.90

Caspar | 381

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Kap. 3 Rz. 3.90 | Besondere Prüfungsformen

sammenfassenden Meldungen (§ 18 Abs. 4 UStG). Erfasst werden Name und Adresse des Steuerpflichtigen, Umsatzsteueridentifikationsnummer, Wert der innergemeinschaftlichen Erwerbe oder Lieferungen und die Umsatzsteueridentifikationsnummer des Transaktionspartners1.

3.91

Diese Informationen werden von allen EU-Staaten erfasst und europaweit zur Verfügung gestellt, umso einen Abgleich der Werte zu ermöglichen.

3.92

Über USLO kann der Prüfer so ermitteln, ob die von seinem Unternehmer erklärten steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen an einen bestimmten Erwerber mit dem von diesem erklärten innergemeinschaftlichen Erwerben übereinstimmen.

3.93

Daneben kann der Prüfer über USLO auch die Daten über das Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG abfragen. Er kann also überprüfen, ob einem Unternehmer von einem anderen Mitgliedstaat eine USt-IdNr. erteilt wurde und ob diese noch gültig ist. Auch ist es für ihn möglich nachzuvollziehen, ob der inländische Unternehmer zu einer ausländischen USt-IdNr. eine Bestätigungsabfrage an das BZSt gerichtet hat. Er kann also überprüfen, ob der Unternehmer alles Erforderliche getan hat, um Vertrauensschutz gem. § 6a UStG zu erlangen (s. unten). bb) ATLAS

3.94

ATLAS greift auf die Daten der Zollverwaltung zu und enthält ähnlich wie USLO Informationen zu Ein- und Ausfuhren. So kann der Prüfer z.B. die bei der Einfuhr als Vorsteuer geltend gemachte EUSt abgleichen oder bei der Ausfuhr einen Abgleich von steuerfreien Ausfuhrlieferungen vornehmen. cc) ZAUBER (Zentrale Datenbank zur Speicherung und Auswertung von Umsatzsteuerbetrugsfällen und zur Entwicklung von Risikoprofilen)

3.95

Diese Datenbank dient ebenfalls der Verhinderung des Umsatzsteuerbetruges und wurde beim Bundeszentralamt für Steuern eingerichtet (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 FVG und § 88a AO).

3.96

Erfasst werden u.a. Scheinunternehmen, Umsatzsteuerprüfungsfälle mit hohen Mehrergebnissen, innergemeinschaftliche Lieferungen von Kfz, eingeleitete Steuerstrafverfahren auf dem Gebiet der Umsatzsteuer. Die Datenbank wird von allen Finanzämtern befüllt2.

3.97

Alle Datenbanken geben dem Prüfer lediglich Hinweise oder Indizien auf Unregelmäßigkeiten in der steuerlichen Behandlung. Zur Versagung der Steuerfreiheit oder des Vorsteuerabzuges sind weitere konkrete Sachverhaltsermittlungen erforderlich. So können z.B. zur Überprüfung der durch die Datenbank gewonnenen Informationen Auskunftsersuchen an andere EU-Mitgliedstaaten gestellt werden (s. unten Rz. 3.117).

5. Ablauf der Umsatzsteuersonderprüfung a) Prüfungsanordnung

3.98

Gemäß § 196 AO ist vor der Durchführung einer Umsatzsteuersonderprüfung eine schriftliche Prüfungsanordnung zu erteilen, aus dieser ergibt sich der zeitliche und sachliche Umfang der Prüfung (bezüglich der allgemeinen Anforderungen an eine PA, s. oben Rz. 1.165 ff.). 1 Siehe Girlich, S. 71. 2 Girlich, S. 71.

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D. Umsatzsteuersonderprüfung | Rz. 3.108 Kap. 3

Werden einzelne Voranmeldungszeiträume geprüft, sind diese in der Prüfungsanordnung zu benennen. Meist erstreckt sich die Prüfung bis zum letzten Voranmeldungszeitraum und umfasst regelmäßig 3 Voranmeldungszeiträume, bei Vierteljahreszahlern werden regelmäßig zwei Voranmeldungszeiträume geprüft.1 Eine Beschränkung des Prüfungsumfangs auf bestimmte Sachverhalte ist nicht erforderlich, damit zusätzliche Sachverhalte ohne Änderung der Prüfungsanordnung berücksichtigt werden können.

3.99

Erstreckt sich die Prüfung auf Besteuerungszeiträume, so ist der sachliche Prüfungsumfang grundsätzlich einzuschränken. In der Prüfungsanordnung ist dann genau anzugeben, auf welche Sachverhalte sich die Prüfung erstreckt, z.B. auf den Sachverhalt innergemeinschaftliche Lieferungen oder Vorsteuerabzug.

3.100

Sollen während der Prüfung noch Sachverhalte hinzugefügt werden oder die Prüfung zeitlich ausgedehnt werden (z.B. auf eine vorangehende oder nachfolgende Voranmeldung), bedarf es einer schriftlichen Änderung der Prüfungsanordnung.

3.101

Geht nach der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung eine Umsatzsteuerjahreserklärung ein, muss eine geänderte Prüfungsanordnung erlassen werden.

3.102

Beispiel: Arzt A erhält eine Prüfungsanordnung, die nur die das 3. Quartal 2019 umfasst. Dem Prüfer fallen einige Rechnungen auf (z.B. Fernseher, Musikanlage), aus denen Vorsteuer geltend gemacht wurde, die auf private Ausgaben entfallen. Deswegen soll die Prüfung auf das 1. und 2. Quartal ausgedehnt werden. Dazu muss eine erweiterte Prüfungsanordnung erlassen werden.

3.103

Wird eine Umsatzsteuersonderprüfung bei Unternehmen durchgeführt, die weder einen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb haben noch freiberuflich tätig sind (§ 193 Abs. 2 Nr. 2 AO), so muss die Prüfungsanordnung eine besondere Begründung enthalten.

3.104

Wird die Umsatzsteuersonderprüfung als abgekürzte Betriebsprüfung durchgeführt (§§ 193, 203 AO), so ist dies in die Prüfungsanordnung aufzunehmen.

3.105

Die Prüfungsanordnung muss eine angemessene Zeit vor Prüfungsbeginn bekannt gegeben werden. Da § 5 Abs. 4 Satz 2 BpO 2000 für die Umsatzsteuersonderprüfung nicht gilt, muss über die Angemessenheit der Frist im Einzelfall entschieden werden (§ 197 AO). In der Regel dürften zwei Wochen ausreichend sein.

3.106

Zu den Rechtsfolgen einer fehlerhaften Prüfungsanordnung s. Rz. 1.220, 1.223, 1.232, 1.258, 1.270, 1.296, 1.316.

3.107

b) Beginn der Prüfung Der Beginn der Prüfung ist vom Umsatzsteuersonderprüfer unter Angabe des Datums und der Uhrzeit aktenkundig zu machen. Der Nachweis des Prüfungsbeginns ist wichtig für die Berechnung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO. Insoweit bestehen keine Besonderheiten zur Betriebsprüfung (s. Rz. 1.321, 1.323).

1 Siehe Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 41.

Caspar | 383

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3.108

Kap. 3 Rz. 3.109 | Besondere Prüfungsformen

c) Eröffnungsbesprechung

3.109

Auch der Umsatzsteuersonderprüfer führt in der Regel eine Eröffnungsbesprechung, um einen allgemeinen Überblick über den zu prüfenden Betrieb zu erhalten. d) Sachverhaltsermittlung aa) Mitwirkungspflichten

3.110

Gemäß § 200 AO ist der Steuerpflichtige zur Mitwirkung bei der Umsatzsteuersonderprüfung verpflichtet. Auf Anforderung hat er prüfungsrelevante vorhandene Aufzeichnungen und Belege vorzulegen, die nach Einschätzung des Prüfers erforderlich sind.

3.111

Bei der Anwendung der Regelungen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen sind die § 146 Abs. 5, § 147 Abs. 2, 5, 6, § 200 Abs. 1 AO und § 14 Abs. 4 Satz 2 UStG und das BMF-Schreiben 16.7.2001 zu beachten. Insoweit gilt das gleiche wie bei der Betriebsprüfung (s. Rz. 1.525–1.539). bb) Verprobung

3.112

Zur überschlägigen Kontrolle der Umsätze, kann der Prüfer eine Umsatzverprobung vornehmen. Hierbei gleicht er die erklärten Umsätze mit den Sachkonten und Einzelaufzeichnungen ab und kann so Anhaltspunkte dafür finden, ob die Umsätze vollständig erklärt wurden.

3.113

Mit der Vorsteuerverprobung überprüft der Prüfer, ob die erklärte Vorsteuer mit den Sachkonten überschlägig übereinstimmt, aus deren Bezeichnung sich Hinweise darauf ergeben, dass in den gebuchten Aufwendungen Vorsteuern enthalten sind.

3.114

Lassen sich erhebliche Differenzen im Rahmen der Prüfung nicht aufklären, so kann es zu einer Schätzung nach § 162 AO kommen. cc) Prüfung der Buchführung, Belegprüfung, Betriebsbesichtigung

3.115

Da die Umsatzsteuer sehr betrugsanfällig ist, sind die Anforderungen an formale Nachweise sehr hoch. Den Steuerpflichtigen treffen umfangreiche Aufzeichnungspflichten (s. § 22 UStG). Der Prüfer wird daher besonderen Wert auf die Vollständigkeit und Richtigkeit dieser Nachweise legen. Eine Umsatzsteuersonderprüfung soll sich jedoch nicht nur auf eine formelle Prüfung der Buchführung sowie der buch- und belegmäßigen Nachweise beschränken, vielmehr wird auch geprüft, ob der Unternehmer seine Geschäfte tatsächlich in der von ihm dargestellten Weise abgewickelt hat.1 So ist z.B. für die Prüfung der Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen nicht nur entscheidend, dass die Nachweisanforderungen erfüllt sind, wichtig ist, dass die Warenbewegung im Einzelnen nachvollzogen wird. Um die betrieblichen Abläufe besser verstehen zu können, ist auch für eine Sonderprüfung eine Betriebsbesichtigung unerlässlich. dd) Anfertigung von Kontrollmitteilungen und Auskunftsersuchen

3.116

Hat der Prüfer Zweifel an der Berechtigung des Leistungsempfängers zum Vorsteuerabzug, so muss er sich mit dem Finanzamt des leistenden Unternehmers abstimmen, damit es nicht zu unterschiedlichen Sachverhaltsbeurteilungen kommt. Dies kann durch eine Kontrollmittei1 Wenning, Umsatzsteuersonderprüfung, NWB Datenbank WAAAB-40738, S. 4.

384 | Caspar

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D. Umsatzsteuersonderprüfung | Rz. 3.123 Kap. 3

lung geschehen oder durch telefonische Kontaktaufnahme und der Bitte, beim leistenden Unternehmer eine Sonderprüfung durchzuführen. Handelt es sich um Zweifel bei Umsätzen, die mit dem innergemeinschaftlichen Kontrollsystem in Verbindung stehen, so hat der Prüfer die Möglichkeit über das Bundeszentralamt für Steuern ein Auskunftsersuchen an einen anderen Mitgliedstaat zu stellen (s. oben). Wie bei inländischen Ermittlungen ist dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 54 Abs. 1a der ZusammenarbeitsVO) zu beachten. Das Finanzamt trifft die Entscheidung, ob eine ausländische Finanzbehörde um Hilfe ersucht wird, nach pflichtgemäßem Ermessen (§§ 88, 92, 112 Abs. 1 AO). Insbesondere soll die Amtshilfe erst in Anspruch genommen werden, wenn keine Sachverhaltsaufklärung durch USLO (s. oben Rz. 3.88) möglich ist.

3.117

Mit dem Abschluss der Prüfung wird dann in der Regel gewartet, bis das Finanzamt die Antwort des ausländischen Staates erhält. Es besteht keine Verpflichtung des Finanzamts den Steuerpflichtigen über die Ermittlungen zu unterrichten.

3.118

Beispiel: Der Prüfer stellt fest, dass in der Voranmeldung 2/2020 des Kraftfahrzeugunternehmers S 6 hochwertige Kfz an einen Erwerber in Italien steuerfrei geliefert worden sind. Der italienische Unternehmer hat jedoch, wie der Prüfer aus USLO entnehmen konnte, keinen korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerb erklärt. Er bittet das für den Erwerber zuständige Finanzamt über das BZSt diese Differenz aufzuklären.

3.119

e) Ende der Prüfung Nach Beendigung der Prüfung sind die Feststellungen mit dem Unternehmer abschließend zu erörtern (§ 201 Abs. 1 AO) und ein Prüfungsbericht zu erstellen. Führt die Prüfung zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen, so wird an den Unternehmer eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 AO versandt. Insoweit ergeben sind keine Besonderheiten zur Betriebsprüfung (s. Rz. 1.717 ff.).

3.120

f) Wirkungen der Umsatzsteuersonderprüfung Sowohl Umsatzsteuervoranmeldung als auch Jahressteuerfestsetzung stehen unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Satz 2, § 168 AO).

3.121

Da die Prüfung von Voranmeldungszeiträumen oder bestimmten Sachverhalten keine abschließende Prüfung des Steuerfalles ist, wird der Vorbehalt der Nachprüfung in diesen Fällen nicht gem. § 164 Abs. 3 Satz 3 AO nach Abschluss der Prüfung aufgehoben.

3.122

Auch greift nach diesen Prüfungen die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO nicht ein. Zwar ist grundsätzlich auch die Umsatzsteuersonderprüfung eine Betriebsprüfung im Sinne dieser Vorschrift. Der Zweck der Änderungssperre macht jedoch eine Konkretisierung dieses Begriffes erforderlich. Im Sinne dieser Vorschrift wird Betriebsprüfung verstanden als eine auf umfassende und zusammenhängende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen angelegte Maßnahme der Sachaufklärung.1 Der Gedanke der Rechtssicherheit verdient nur dann Vorrang vor dem Gedanken der Rechtsrichtigkeit, wenn durch intensive Prüfungsmaßnahmen und abschließende Entscheidung eine besondere Vertrauenslage geschaffen wurde. Dies ist bei der Prüfung von Voranmeldungen oder eingeschränkten Sachverhalten nicht der Fall (Rz. 1.319 ff.).

3.123

1 von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 318.

Caspar | 385

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Kap. 3 Rz. 3.124 | Besondere Prüfungsformen

3.124

Betrifft die Prüfung eine Jahreserklärung und war die Prüfungsanordnung nicht sachlich beschränkt, so handelt es sich hingegen um eine abschließende Prüfung. Der daraufhin ergehende Bescheid hat endgültigen Charakter. In diesem Fall ist der Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 3 Satz 3 AO aufzuheben und es greift die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO.

3.125

Hat bei einem Unternehmen eine nicht abschließende Umsatzsteuersonderprüfung stattgefunden, so ist eine spätere Betriebsprüfung für den gleichen Zeitraum nicht ausgeschlossen. Die Betriebsprüfung könnte für diesen Zeitraum auch abweichende Feststellungen treffen. Solange eine Änderung der Bescheide formell möglich ist, ist das Finanzamt nicht an die vorherigen Feststellungen einer Umsatzsteuersonderprüfung gebunden.

3.126

Beispiel: Bei Unternehmer U wurde eine Umsatzsteuersonderprüfung für das 2. Quartal 2018 ohne Änderung durchgeführt. Im Jahr 2020 wird für die Jahre 2017–2019 eine Betriebsprüfung angeordnet, die auch die Umsatzsteuer prüft. Der Prüfer entdeckt in den Unterlagen eine Rechnung von April über 100.000 € zzgl. USt, für die bisher keine USt abgeführt wurde.

3.127

Durch die Umsatzsteuerprüfung ist keine abschließende Prüfung erfolgt, weswegen der Vorbehalt der Nachprüfung in der Jahreserklärung für 2018 bestehen blieb. Die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer kann also in die Feststellungen des Prüfers aufgenommen werden.

II. Schwerpunkte bei Umsatzsteuerprüfungen 1. Steuerbefreiungen: Innergemeinschaftliche Lieferungen, § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG a) Voraussetzungen

3.128

Letztlich ergeben sich die Schwerpunkte aus den Kriterien, die Anlass für eine Umsatzsteuersonderprüfung sind. Im Folgenden sind daher beispielhaft nur Schwerpunkte erörtert, bei denen es aktuelle Änderungen gegeben hat.

3.129

Ein Schwerpunkt im Rahmen der Steuerbefreiungen sind die innergemeinschaftlichen Lieferungen. Seit dem 1.1.2020 haben sich die Voraussetzungen für das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung geändert. Es müssen zusätzlich zu den schon bisher vorhandenen Voraussetzungen noch 3 weitere erfüllt sein: – der Abnehmer muss in einem anderen Mitgliedstaat registriert sein (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und b UStG) – der Abnehmer muss eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte USt-ID Nummer verwenden (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 UStG) – der Unternehmer muss eine korrekte zusammenfassende Meldung abgeben (§ 4 Nr. 1 Buchst. b UStG)1

3.130

Der Prüfer wird daher noch stärker als bisher Wert auf eine gültige, korrekte USt-ID Nummer legen. Wenn diese in den Aufzeichnungen fehlt, so kann die Steuerfreiheit nur noch über den Vertrauensschutz des § 6 Abs. 4 UStG gewährt werden. Um diesen zu erlangen, ist es erforderlich, dass der Unternehmer beim BZSt eine qualifizierte Bestätigungsabfrage i.S.d. § 18e UStG getätigt hat. Mit dieser wird die Gültigkeit der Nummer im Zeitpunkt der Lieferung bestätigt. 1 Zum Ganzen Frye, UR 2020, 325 (326–328).

386 | Caspar

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D. Umsatzsteuersonderprüfung | Rz. 3.138 Kap. 3

b) Nachweis Auch die Vorschriften über die Nachweise der innergemeinschaftlichen Lieferungen wurden zum 1.1.2020 geändert.1 Mit dem neuen § 17a UStDV wurden europaweit gültige Nachweise geschaffen. Dieser enthält eine Gelangensvermutung in den europäischen Mitgliedstaat, sofern die dort genannten Belege vorliegen. Erforderlich sind:

3.131

Bei Transport durch den Lieferanten:

3.132

– 2 Transportbelege oder 1 Transportbeleg und ein sonstiger Beleg Als Transportbelege kommen gem. § 17a Abs. 2 Nr. 1 UStDV Beförderungs- oder Versendungsbelege in Betracht. Welche genau das sein können, ergibt sich aus § 17b Abs. 3 UStDV. Die sonstigen Belege sind in § 17a Abs. 2 Nr. 2 UStDV aufgezählt. – Bei Transport durch den Erwerber ist zusätzlich zu den oben aufgeführten Nachweisen noch eine Gelangensbestätigung (§ 17b Abs. 2 Nr. 2 UStDV) erforderlich. Dieser neue § 17a UStDV ist sehr schwer zugänglich. Er verlangt ein Mehr an Nachweisen gegenüber den bisherigen Vorschriften. Da die bisherigen Nachweismöglichkeiten auch weiterhin existieren, kommt der Neuregelung bisher kaum praktische Bedeutung zu.

3.133

Der Prüfer wird es daher zumeist mit dem alten Buch- und Belegnachweis zu tun haben.

3.134

Der Belegnachweis soll beweisen, dass der Gegenstand der Lieferung tatsächlich physisch aus Deutschland in ein anderen EU-Land befördert wurde. Gemäß § 17b UStDV müssen folgenden Belege vorliegen:

3.135

– Gelangensbestätigung – Doppel der Rechnung Die Gelangensbestätigung kann durch die in § 17b Abs. 3 genannten Belege ersetzt werden.

3.136

Für den Buchnachweis ist gem. § 17d UStDV insbesondere die Aufzeichnung folgender Daten erforderlich:

3.137

– Name, Anschrift und Gewerbezweig des Abnehmers – Bezeichnung und Menge des Gegenstandes – Lieferdatum – Entgelt – Beförderung oder Versendung – Bestimmungsort Das UStG und die UStDV verpflichten eindeutig den Steuerpflichtigen, der steuerfreie Leistungen geltend macht zum Nachweis der Voraussetzungen. Kann er diesen Nachweis nicht erbringen, so ist das Finanzamt nicht verpflichtet zu seinen Gunsten weitere Ermittlungen durchzuführen. So kann das Finanzamt von Auskunftsersuchen ins Ausland absehen, auch dann, wenn dadurch bessere Erkenntnisse möglich wären. Ohne Nachweis wird der Prü1 Frye, UR 2020, 325 (328–329).

Caspar | 387

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3.138

Kap. 3 Rz. 3.138 | Besondere Prüfungsformen

fer die Steuerfreiheit verweigern. In allen Fällen von innergemeinschaftlichen Lieferungen ist daher eine umfassende und lückenlose Dokumentation äußerst empfehlenswert, um Nachzahlungen bei einer Umsatzsteuersonderprüfung zu verhindern.

2. Vorsteuerabzug: Ordnungsmäßigkeit von Rechnungen 3.139

Eine Vorsteuer kann nur dann geltend gemacht werden, wenn eine Rechnung vorliegt. Deshalb wird der Prüfer die zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnungen einer genauen Prüfung unterziehen.

3.140

Formal muss eine Rechnung die in § 14 Abs. 4 UStG geforderten Angaben enthalten: – Name, Anschrift, Steuernummer oder USt-IdNr. des leistenden Unternehmers – Name und Anschrift des Leistungsempfängers – Rechnungsdatum und Leistungszeitpunkt – Rechnungsnummer – Menge und Bezeichnung der gelieferten Gegenstände oder Art und Umfang der sonstigen Leistung – Entgelt und darauf entfallender Umsatzsteuerbetrag – Steuersatz

3.141

Eine fehlerhafte Rechnung kann gem. § 31 Abs. 5 UStDV berichtigt werden. Lange Zeit war umstritten, ob diese Berichtigung rückwirkenden Charakter hat oder ob die Vorsteuer erst in dem Zeitraum geltend gemacht werden kann, indem die berichtigte Rechnung vorliegt. Dies hatte für den Unternehmer teils hohe Zinszahlungen zur Folge. Sowohl EuGH1 als auch BFH2 haben entschieden, dass eine Berichtigung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zurückwirkt.

3.142

In der Folge kam er zu Diskussionen, ob für den Vorsteuerabzug unbedingt eine berichtigte Rechnung vorliegen muss bzw. ob überhaupt eine Rechnung nötig ist. Dies wurde jetzt für die Verwaltung durch das BMF-Schreiben vom 18.9.20203 geklärt. Laut diesem muss grundsätzlich eine ordnungsgemäße Rechnung für den Vorsteuerabzug vorliegen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG). Durch die Rechnung ist es der Finanzverwaltung möglich, sowohl den Leistenden als auch den Leistungsempfänger zu kontrollieren. Ausnahmsweise kann von diesem Erfordernis abgewichen werden, wenn der Unternehmer eine Rechnung besitzt, die nicht alle formellen Voraussetzungen erfüllt und die auch nicht berichtigt wurde. Insbesondere, wenn die Finanzverwaltung über sämtliche Angaben verfügt, um die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs zu überprüfen, ist eine Berichtigung der Rechnung nicht erforderlich.4 Auch können einzelne Voraussetzungen durch objektive Nachweise ersetzt werden. Ein Vorsteuerabzug gänzlich ohne Rechnung ist jedoch nicht möglich.

3.143

Durch dieses BMF-Schreiben entschärft sich der Konflikt zwischen Steuerberatern und Finanzverwaltung. Ist die Rechnung nicht ordnungsgemäß, so wird sich die Diskussion ver1 2 3 4

EuGH, Urt. v. 15.9.2016 – C-518/14 – Senatex, UR 2016, 800. BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, BStBl. II 2020, 593. BMF, Schr. v. 18.9.2020 – III C 2 - S 7286-a. EuGH, Urt. v. 15.09.2016 – C-516/14 – Barlis, UR 2016, 795.

388 | Caspar

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E. Umsatzsteuer-Nachschau | Rz. 3.147 Kap. 3

schieben auf die Frage, ob die in der Rechnung fehlenden oder ungenauen Angaben durch ausreichende objektive Nachweise belegt wurden. Ist das nicht der Fall, so kann immer noch eine Rechnungsberichtigung erfolgen. In diesem Fall wird mit dem Prüfer nur noch die Frage zu erörtern sein, ob die ursprüngliche Rechnung überhaupt berichtigungsfähig war oder ob es sich bei der berichtigten Rechnung um eine Erstrechnung handelt. Um sich Diskussionen zu ersparen, ist es daher nach wie vor sinnvoll, Rechnungen möglichst ordnungsgemäß zu erstellen.

3.144

E. Umsatzsteuer-Nachschau Literatur: Grune, Die Umsatzsteuer-Nachschau gem. § 27b UStG; Harksen/Höink/Witte, Der zertifizierte Steuerpflichtige – Einzug des AEO in die Umsatzsteuer? Die Neuerungen der Reform des Mehrwertsteuerrechts, MwStR 2018, 57–67.

I. Vorbemerkung – Wesen der Umsatzsteuer und Bedarf der Nachschau Die Umsatzsteuer begegnet uns überall. Sie ist eine indirekte Steuer, welche im Massenverfahren angewandt werden muss. Die Umsatzsteuer – im Unionsrecht Mehrwertsteuer – ist eine „proportionale Verbrauchsteuer“, Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL. Das Mehrwertsteuersystem aller EU-Mitgliedstaaten, welches u.a. auf der MwStSystRL fusst, beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenständen und Dienstleistungen ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und/oder Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist, vgl. Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL. Dieses gemeinsame System ist das Harmonisierte Mehrwertsteuersystem.1

3.145

Der Unternehmer (§ 2 Abs. 1 UStG), als die Schlüsselfigur im Umsatzsteuerrecht und i.d.R. als der Steuerschuldner, ist nicht der Steuerdestinatar. Steuerdestinatar ist der Endverbraucher, der Einkommen und Vermögen für einen verbrauchbaren Vorteil (Güter oder Dienstleistungen) aufwendet. D.h. der Unternehmer ist lediglich der zwangsverpflichtete Steuereinsammler des Staates.2 Aufgrund dieser Konstellation ist die Umsatzsteuer auf „Überwälzung“ der Steuerlast auf den Kunden angelegt. Unternehmerische Kunden werden unter den Voraussetzungen des § 15 UStG von der Umsatzsteuer auf Eingangsleistungen entlastet, indem ihnen ein Vorsteuerabzug gewährt wird.

3.146

Dieses System der Umsatzsteuer (unionsrechtlich Mehrwertsteuer), welches auf jeder Wertschöpfungsstufe besteuert und den Unternehmer über den Vorsteuerabzug entlastet, führt in Verbindung mit den Steuerbefreiungen im europäischen Binnenmarkt (Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung) zu einer systembedingten Betrugsanfälligkeit. Vorrangig, aber nicht ausschließlich, liegt dies daran, dass die Erhebung und Vergütung der Umsatzsteuer im Rahmen des Vorsteuerabzugs auseinanderfallen.3 In Deutschland wird diese Missbrauchsanfälligkeit noch gefördert durch den föderalen Staatsaufbau und die Zuständigkeit der Landesfinanzbehörden (im Wege der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 108 Abs. 2 GG). Um-

3.147

1 Zum Charakter der Umsatzsteuer s. Jacob, Umsatzsteuer4; vgl. Höink in Adick/Kurt/Höink, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 2 Rz. 3. 2 Stadie in Rau/Dürrwächter, Einführung zum UStG, Rz. 197. 3 Adick/Höink/Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 1.

Caspar und Höink | 389

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Kap. 3 Rz. 3.147 | Besondere Prüfungsformen

satzsteuerkarussellbetrug, bei dem Waren i.d.R. tatsächlich physisch über mehrere EU-Ländergrenzen hinweg in Lieferketten mit dem Ziel bewegt werden in einem oder mehreren EUMitgliedstaaten letztendlich missbräuchlich eine Erstattung und/oder Steuerbefreiung zu erlangen, welche in der Lieferkette nicht gerechtfertigt ist.1 Daneben sind Scheingeschäfte, Scheinunternehmer (sog. Missing Trader) und das „kollusive Zusammenwirken zum Missbrauch des Gemeinschaftsrechts“ sowie die sog. Missbrauchsrechtsprechung des EuGH mit der Frage des „Wissens oder hätte wissen müssens“ über einen Steuerbetrug in der Lieferkette (s. dazu auch den ab 1.1.2020 eingeführten § 25f UStG) Herausforderungen für den ehrlichen und ehrbaren Unternehmer sowie für die Finanzverwaltung. Reformbestrebungen der EU, wie das sog. „endgültige System“2 oder die Einführung des „Zertifizierten Steuerpflichtigen“3 sind stark getrieben von der Problematik des Missbrauchs in der Umsatzsteuer/Mehrwertsteuer.

3.148

Die erheblichen Steuerausfälle in der Umsatzsteuer durch Missbrauch und Betrug sowie die Notwendigkeit dieser Entwicklung mit einer schnellen und effizienten Prüfungsmöglichkeit zu begegnen, waren erhebliche Beweggründe zur Einführung der Umsatzsteuer-Nachschau.

3.149

Darüber hinaus ist allerdings das UStG nicht „wehrlos“. Eigene Straf- und Bußgeldvorschriften in §§ 26a, 26b und 26c UStG, die Haftung im sog. Karussellbetrug nach § 25d UStG, die sog. Marktplatzhaftung nach § 25e UStG sowie der zum 1.1.2020 eingeführte § 25f UStG4 (legislative Umsetzung der sog. Missbrauchsrechtsprechung der EuGH in das nationale UStG) zeugen von dem stetigen Ringen Missbrauch und Betrug einzudämmen.

II. Umsatzsteuer-Nachschau in Abgrenzung zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung 3.150

Um den Charakter der Umsatzsteuer-Nachschau zu betrachten, muss man die Abgrenzung zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung vornehmen.5 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen sind Außenprüfungen i.S.d. § 193 AO. Die Umsatzsteuer-Nachschau ist ein besonderes Verfahren zur zeitnahen Aufklärung steuerlich erheblicher Sachverhalte und keine Betriebsprüfung.6

3.151

Die Umsatzsteuer-Nachschau dient in erster Linie der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs durch kursorische Kontrollen.7 Die Einführung der Umsatzsteuer-Nachschau erfolgte zusammen mit weiteren „Sicherungsmaßnahmen“ in der Umsatzsteuer und Abgabenordnung durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz. Zeitgleich erfolgte u.a. die Einführung einer Sicherheitsleistung bei Vorsteuererstattungen nach § 18f UStG, die zwingende monatliche Abgabe von Umsatzsteuer-Voranmeldungen bei Neugründungen, die Einführung des Haftungstatbestands nach § 25d UStG a.F. für den Karussellbetrug, die Erweiterung der Straf- und Bußgeldvorschriften in § 26b und 26c UStG sowie die ergänzenden Rechnungsvorschriften in § 14a UStG; der Änderung der gewerbs- und bandenmäßigen Steuerhinterziehung nach § 370a AO zum Verbrechen. Dennoch ist für eine Umsatzsteuer-Nachschau nicht erforderlich, dass die Finanzverwaltung einen Steuerbetrug vermutet. 1 Ausf. zum Umsatzsteuerkarussellbetrag s. Höink in Adick/Höink/Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. 4 Rz. 64 ff. 2 Siehe dazu Wäger, UR 2020, 45; Widmann, UR 2020, 633. 3 Harksen/Höink/Witte, MwStR 2018, 57–67. 4 Siehe dazu auch Höink, DB 2019, Heft 23, M4–M5. 5 Ebenso Kostecka in Weymüller2, § 27b UStG Rz. 5. 6 Abschn. 27b.1. Abs. 1 UStAE. 7 Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 262 Rz. 11; Kostecka in Weymüller, § 27b UStG Rz. 3; Nieskens in Rau/Dürrwächter, § 27b UStG Rz. 1; Huschens in Haufe Steuer Office, HaufeIndex 854196.

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E. Umsatzsteuer-Nachschau | Rz. 3.157 Kap. 3

Die vertiefte Prüfung bleibt aber der Umsatzsteuer-Sonderprüfung vorbehalten. Rechtsgrundlage für die Umsatzsteuer-Sonderprüfungen ist § 194 Abs. 1 Satz 2 AO.1 Die Aufgabe einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung ist es, die sachliche und zeitliche Richtigkeit der Besteuerung der Leistungen und Vorsteuererstattungen näher zu prüfen (Prüfung der Besteuerungsgrundlagen).2

3.152

Im Gegensatz dazu dient die Umsatzsteuer-Nachschau (§ 27b UStG) dazu tatsächliche Umstände der Gegenwart zu prüfen (Gegenwartsprüfung) und festzustellen. Mithin ist die Umsatzsteuer-Nachschau eine Prüfung der Gegenwartsverhältnisse. Die Umsatzsteuer-Sonderprüfung ist eine Überprüfung bereits vollendeter Kalenderjahre und i.d.R. aufgrund von Steuererklärungen erfolgter Steuerfestsetzungen.

3.153

Bei den Finanzämtern ist für die Umsatzsteuer-Sonderprüfung gewöhnlich ein besonderer Prüfungsdienst eingerichtet.3 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen gelten als sog. Anlassprüfungen. Sie sind unabhängig von Turnus der allgemeinen Betriebsprüfung vorzunehmen. Für die Veranlassung dieser gelten die allgemeinen Zulässigkeits- und Veranlassungskriterien, insbesondere das der Prüfungsbedürftigkeit im Einzelfall.4 Die Umsatzsteuer-Nachschau hingegen ist anlassbezogen und eher als ad hoc Prüfung einzuordnen. Zudem kann jeder Amtsträger diese Prüfung durchführen (s. berechtigte Prüfer – Rz. 3.181).

3.154

Die Umsatzsteuer-Sonderprüfung ist regelmäßig auf drei Voranmeldungszeiträume beschränkt.5 Zulässig ist auch, eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung nur auf den Vorsteuerabzug zu beschränken. Eine solche Prüfung löst jedoch keine Änderungssperre gem. § 173 Abs. 2 aus und verpflichtet nicht zur Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 3 Satz 3 AO.6

3.155

Im Gegensatz zu den typischen Betriebsprüfungen unterscheiden sich die Umsatzsteuer-Sonderprüfungen dadurch, dass regelmäßig nicht ganze Besteuerungszeiträume, sondern nur Teile davon (Voranmeldungszeiträume) oder einzelne Sachverhalte, und nicht mehrere Steuerarten, sondern nur die USt geprüft werden.7 Ferner werden die steuerlichen Verhältnisse bei Umsatzsteuer-Sonderprüfungen zeitnäher geprüft.8 Durch die zeitnahe Prüfung soll verhindert werden, dass nach einer längeren Zeit wesentliche Beanstandungen des angewandten Verfahrens und der angewandten Umsatzsteuerberechnungen zu steuerlichen Belastungen führen, die das Unternehmern ggf. im Zeitpunkt der Feststellung nicht mehr verkraften könnte.9

3.156

Darüber hinaus dient die Umsatzsteuer-Sonderprüfung der zeitnahen Prüfung von Unternehmern, die entweder bestimmte Steuervergünstigungen in Anspruch nehmen (sog. „Erstprüfungen“) oder bei denen Zweifel über die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Begünstigungen besteht (sog. „Bedarfsprüfungen“). Nach § 1 Abs. 2 Betriebsprüfungsordnung (BPO) sind insbesondere die Regelungen über die Durchführung der Betriebsprüfung mit Ausnahme des Umfangs der Betriebsprüfung nach § 4 BPO sowie der zeitnahen Betriebsprüfung nach § 5 BPO sinngemäß anzuwenden.

3.157

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 136. Frotscher in Schwarz/Pahlke, Vor §§ 193–203 AO Rz. 29, 4.3 Umsatzsteuersonderprüfung. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 137. Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 41. Gosch in Gosch, § 194 AO Rz. 46. Schallmoser in HHSp, § 194 AO Rz. 41. Frotscher in Schwarz/Pahlke, Vor §§ 193–203 Rz. 29, 4.3 Umsatzsteuersonderprüfung. Schallmoser in HHSp Vor §§ 193–203 AO Rz. 136. Schallmoser in HHSp, Vor §§ 193–203 AO Rz. 136.

Höink | 391

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Kap. 3 Rz. 3.158 | Besondere Prüfungsformen

3.158

Die Umsatzsteuer-Nachschau hingegen ist keine Betriebsprüfung, so dass die verfahrensrechtlichen Vorschriften der Außenprüfung nicht gelten. Die Regelungen der UmsatzsteuerNachschau sind ausschließlich dem § 27b UStG zu entnehmen. Anderweitige Vorschriften sind eher zum Zwecke der Auslegung des Anwendungsbereichs heranzuziehen.

3.159

Zur Durchführung der Betriebsprüfung ist eine Vielzahl an Regelungen erlassen: Anordnung der Außenprüfung (§ 5 BPO), Ort der Außenprüfung (§ 6 BPO), Prüfungsgrundsätze (§ 7 BPO), Mitwirkungspflichten (§ 8 BPO), Kontrollmitteilungen (§ 9 BPO), Verdacht einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit (§ 10 BPO), Schlussbesprechung (§ 11 BPO) und Prüfungsbericht und Auswertung der Prüfungsfeststellungen (§ 12 BPO).

3.160

Für die Umsatzsteuer-Nachschau ist hingegen kein derartiges Regelwerk erforderlich, da die Nachschau sich i.d.R. auf singulare Prüfungen / Prüfungspunkte der Gegenwart beschränkt. Auch ist kein Schlussbericht zu verfassen. Sollen die Steuerbescheide aufgrund einer Umsatzsteuer-Nachschau geändert werden, so ist dem Steuerpflichtigen vorher rechtliches Gehör zu gewähren (§ 91 AO). Änderungsfestsetzungen aufgrund einer Umsatzsteuer-Nachschau führen nicht zur erhöhten Bestandskraft nach § 173 Abs. 2 AO, da die Umsatzsteuer-Nachschau keine Betriebsprüfung ist. Auch ist der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO nach einer Umsatzsteuer-Nachschau nicht (zwingend) aufzuheben.

3.161

Da die Umsatzsteuer-Nachschau keine Betriebsprüfung ist, ist ein Antrag auf verbindliche Zusage nach § 204 AO unzulässig.

3.162

Auch die Mitwirkungspflichten unterscheiden sich. Nach § 200 Abs. 1 Satz 1 AO hat der Steuerpflichtige auch im Rahmen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Feststellung der Sachverhalte, die für die Besteuerung erheblich sein können, mitzuwirken. Dies erfolgt insbesondere durch die Vorlegung der Aufzeichnungen, Bücher und sonstigen Unterlagen, die der Prüfer benötigt. Ferner sollen die vom Prüfer erbetenen Auskünfte erteilt werden, die Aufzeichnungen ggf. erläutert werden und der Datenzugriff ermöglicht werden.

3.163

Sind Unterlagen und sonstige Aufzeichnungen mit Hilfe eines Datenverarbeitungs-Systems (DV-Systems) erstellt worden, hat der Prüfer das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen und das DV-System zur Prüfung der Unterlagen zu nutzen (unmittelbarer Datenzugriff). Dazu kann er verlangen, dass der Steuerpflichtige ihm die dafür erforderlichen Geräte und sonstigen Hilfsmittel zur Verfügung stellt. Das umfasst unter Umstände die Einweisung in das DV-System und die Bereitstellung von fachkundigem Personal zur Auswertung der Daten. Auf Anforderung sind dem Prüfer die Daten auf maschinell auswertbaren Datenträgern zur Verfügung zu stellen (Datenträgerüberlassung) oder nach seinen Vorgaben maschinell auszuwerten (mittelbarer Datenzugriff)1; § 200 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 147 Abs. 6 AO.

III. Rechtliche Bestimmung der Umsatzsteuer-Nachschau 3.164

Aufgrund der eingangs beschriebenen Missbrauchsanfälligkeit und der i.d.R. hohen Steuersummen2 und dem Massenverfahren in der Anwenderpraxis erfordert die Umsatzsteuer ein Verfahren, welches eine einfache, schnelle und für Unternehmer sowie Finanzverwaltung praktikable Überprüfung ermöglicht. Vielfach fordern Unternehmensverbände auch ein wei1 Vgl. Trzaskalik in HHSp, § 147 AO Rz. 41–46; Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 65–68. 2 Die Umsatzsteuer ist i.d.R. die aufkommensstärkste Steuer des Staatshaushaltes, wie sich den Steuerspiralen und Steuerschätzungen des Bundesfinanzministeriums entnehmen lässt. Jährlich auf der homepage des Bundesfinanzministeriums abrufbar.

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E. Umsatzsteuer-Nachschau | Rz. 3.169 Kap. 3

teres Vehikel für die so wesentliche Steuer, welche vom Unternehmer als Steuereinsammler stetig korrekt angewandt werden muss und dennoch erhebliche Anwendungsfragen und Stolpersteine in sich birgt: eine Umsatzsteuer-Anrufungsauskunft – vergleichbar der LohnsteuerAnrufungsauskunft des § 42e EStG. Dieses sicherlich sinnvolle Instrument, welches dem „zwangsverpflichteten“ Steuereinsammler mehr Rechtssicherheit und Anwenderfreundlichkeit gewähren würde, ist (noch) nicht eingeführt. Vergleichbar der Lohnsteuer-Nachschau ist allerdings seit dem 1.1.20021 mit § 27b UStG die Umsatzsteuer-Nachschau im UStG verankert.2 Im Rahmen der Einführung des sog. dritten Weges bei den elektronischen Rechnungen3 wurde der Anwendungsbereich mit § 27b Abs. 2 Satz 2 und 3 UStG erweitert, so dass der Prüfer die gespeicherten Daten und das Datenverarbeitungssystem prüfen können.4 Der Nutzen der Umsatzsteuer-Nachschau wurde schnell erkannt. Nach ihrem Vorbild wurde zunächst die Lohnsteuer-Nachschau (§ 42g EStG) und nachfolgend die (allgemeine) KassenNachschau nach § 146b eingeführt.

3.165

Die Umsatzsteuer-Nachschau ist sicherlich erfolgreich eingesetzt zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs aber eine Vielzahl der Anwendungsfälle ist nicht betrugsbehaftet. Der Anwendungsbereich der Umsatzsteuer-Nachschau erfordert keinen betrugs- oder missbrauchsbehafteten Sachverhalt.5 Er ist eine allgemeine Aufklärungsmöglichkeit der Finanzbehörde.

3.166

Weder in der MwStSystRL6 noch in der VorgängerRL (sog. 6. EG-RL) existiert eine unionsrechtliche Vorgabe für die Umsatzsteuer-Nachschau. Eine Vorgabe ist auch nicht erforderlich, da es sich um eine Überprüfung des materiellen Rechts handelt und nicht das materielle Recht selbst festlegt. Das Unionsrecht erteilt den Mitgliedstaaten den Auftrag alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um Missbrauch oder Steuerhinterziehung zu verhindern.7 Die Nachschau ist eine derartige Maßnahme. Streitig ist allerdings, ob die Umsatzsteuer-Nachschau wegen des Betretungsrechtes ein Verstoß gegen die Grundrechte der Europäischen Union darstellt.8

3.167

§ 27b UStG umfasst ein Betretungsrecht von Geschäfts- und Betriebsräumen (Abs. 1); ein Anforderungs- und Auskunftsrecht (Abs. 2) sowie die Ermöglichung des Übergangs zur Betriebsprüfung ohne Prüfungsanordnung (Abs. 3) und ein Aus- und Verwertungsrecht über die anlassbezogene Fragestellung hinaus (Abs. 4).

3.168

Mithin besteht eine Duldungsverpflichtung im Rahmen des § 27b Abs. 1 UStG und eine Mitwirkungsverpflichtung nach § 27b Abs. 2 UStG.

3.169

1 Eingeführt mit dem Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz (StVBG) v. 27.12.2001, BGBl. I 2001, 3922. 2 Eine „Allgemeine Nachschau“ in einem § 88b AO (RegE, BT-Drucks. 14/6883) wurde nicht umgesetzt; Näheres Heidner in Bunjes20, § 27b UStG Rz. 1; Nieskens in Rau/Dürrwächter, § 27b UStG Rz. 9. Eine unangekündigte Nachschau war auch bereits in § 2001 RAO als allgemeine Steuerüberwachung anlegt. Vielfache Kritik des BFH führte dazu, dass diese in die AO 1977 nicht übernommen wurde; vgl. dazu Tormöhlen, AO-StB 2009, 268. 3 Zu den elektronischen Rechnungen s. Hudasch/Höink, UStB 2013, 355–361. 4 Eingeführt mit dem Steuervereinfachungsgesetz 2011 v. 4.11.2011, BGBl. I 2001, 2131 mit Wirkung zum 1.7.2011. 5 Vgl. auch Kemper, UR 2016, 377. 6 Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (RL 2006/112/ EG). 7 Vgl. Art. 325 AEUV (ex-Art. 280 EGV); Art. 273 MwStSystRL oder beispielsweise Art. 131 MwStSystRL für die Steuerbefreiungen. 8 Vgl. dazu Weigel, UStB 2018, 213.

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Kap. 3 Rz. 3.170 | Besondere Prüfungsformen

3.170

Streitig ist, ob § 27b UStG aufgrund des mit der Nachschau verbundenen Betretungsrecht von Betriebs- und Geschäftsräumen gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt. Zum Teil wird in der Literatur ein Verstoß gesehen, da durch die Umsatzsteuer-Nachschau in die Unverletzlichkeit der Wohnung und Geschäftsräume (Art. 13 GG) eingegriffen werde.1 Nach anderer Ansicht hingegen wird den Schranken des Art. 13 GG bei Geschäfts- und Betriebsräumen mit Blick auf den Grundrechtseingriff in Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeines Selbstbestimmungsrecht) und Art. 12 GG (Berufs(wahl)freiheit) genügt, da für Art. 2 und Art. 12 GG das Zitiergebot nicht gelte.2 Die Finanzverwaltung zieht sich überwiegend darauf zurück, dass bislang keine höchstrichterliche Entscheidung eine Nichtigkeit des UStG oder der AO aufgrund des Verstoßes gegen das Zitiergebot festgestellt habe.3 Im Hinblick auf § 27b Abs. 1 Satz 2 UStG (Betretungsrecht der Wohnräume bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung) ist die fehlende Einhaltung des Zitiergebots kritisch zu sehen.4 Die Folgen, welche daraus gezogen werden, dass das UStG nicht eine Grundrechtseinschränkung benennt und damit gegen das Zitiergebot verstößt reichen von er Annahme, dass das gesamte UStG5 oder zumindest der § 27b Abs. 1 Satz 2 UStG6 nichtig sei, bis hin zur Verneinung des Erfordernisses des Zitiergebots im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer-Nachschau in § 27b UStG. Eine gerichtliche Entscheidung, welche sich in der Sache mit der Frage auseinander setzt, steht derzeit noch aus. Die Umsatzsteuer-Nachschau wäre günstiger in die AO anstatt in das UStG aufgenommen worden,7 da sie eine Prüfungsmaßnahme im Rahmen der Festsetzung und Erhebung ist.

3.171

Da die Umsatzsteuer-Nachschau keine Betriebsprüfung ist, gelten die Vorschriften für Außenprüfungen nicht und es wird insbesondere kein Schlussbericht verfasst. Sollen Änderungen in den steuerlichen Festsetzungen aufgrund der Umsatzsteuer-Nachschau erfolgen, so ist dem Steuerpflichtigen rechtliches Gehör zu gewähren. In der Praxis ist dem Steuerpflichtigen anzuraten sich über die Ergebnisse der Nachschau am Tag der Nachschau direkt (bei Beendigung) oder wenige Tage später beim mit der Durchführung betrauten Amtsträger zu erkundigen. Anderenfalls kann es sein, dass Ergebnisse nicht dem Betroffenen nicht bekannt werden und somit auch Schlussfolgerungen nicht gezogen werden oder sinnvolle Änderungen einer Geschäftspraxis nicht erkannt werden.

IV. Anforderungen und Inhalte der Nachschau 1. Anlassbezogene Prüfung 3.172

Eine Eingriffsverwaltung, wie die Steuerverwaltung, darf nicht einfach „Ermittlungen ins Blaue hinein“ vornehmen.8 Dem Gesetz nach darf eine Nachschau zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung erfolgen, um Sachverhalte festzustellen, die für die Besteuerung erheblich sein können und eine gewisse Erheblichkeit haben. Der Gesetzes1 Grune, Die Umsatzsteuer-Nachschau gem. § 27b UStG, S. 150 f.; Wäger, DB 2002, Beilage zu Heft 7, S. 72; Haep, UR 2008, 445; Helmschrott, StC (Haufe) 2011/07, 28; Sterzinger, DStR 2010, 471. 2 So Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 262 Rz. 36; Heidner in Bunjes20, § 27b UStG Rz. 7. 3 Zwei veröffentlichte Beschlüsse über Nichtzulassungsbeschwerden scheiterten (BFH, Beschl. v. 18.5.2011 – VII B 195/10, BFH/NV 2011, 1743 und Beschl. v. 9.4.2014 – VII B 228/13, BFH/NV 2014, 1227) ohne, dass es eine Entscheidung in der Sache gab. 4 Ebenso Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 262 Rz. 39. 5 Wäger, DB 2002, Beilage 1/2002, 68 ff. 6 Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 262 Rz. 44. 7 Vgl. auch Tormöhlen in Reiß/Kraeusel/Langer, § 27b UStG Rz. 3. 8 Ebenso Heidner in Bunjes20, § 27b UStG Rz. 8.

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E. Umsatzsteuer-Nachschau | Rz. 3.176 Kap. 3

begründung folgend, dient das Instrument der Umsatzsteuer-Nachschau dazu zeitnah und punktuell zu agieren, da mit einer „normalen“ Umsatzsteuer-Sonderprüfung (s. dazu Rz. 3.65) und einer Betriebsprüfung dem Umsatzsteuerbetrug nicht ausreichend begegnet werden könne.1 Eine Umsatzsteuer-Nachschau darf daher nur durchgeführt werden, um Sachverhalte festzustellen, welche für die Besteuerung erheblich sind. Es ist nicht erforderlich, dass die betroffene Person bereits steuerlich erfasst ist, ihr eine Steuernummer erteilt wurde oder Steuererklärungen eingereicht wurden.2

3.173

Die Finanzverwaltung listet einige Beispiele im UStAE auf:

3.174

– Existenzprüfungen bei neu gegründeten Unternehmen – Prüfung vor Erteilung von Steuernummern oder USt-IdNrn. – Entscheidungen im Zustimmungsverfahren nach § 168 Satz 2 AO – Erledigung von Auskunftsersuchen zum Vorsteuerabzug anderer Finanzämter (USt 1 KM) – Erledigung von Amtshilfeersuchen anderer EU-Mitgliedstaaten. – Prüfungen der Unternehmerexistenz (Unternehmereigenschaft) – Prüfung des Vorhandenseins von Anlage- und Umlaufvermögen – Überprüfung einzelner Eingangs- oder Ausgangsrechnungen – Überprüfung einzelner Buchungsvorgänge – Feststellung und Prüfung der Verwendungsverhältnisse (usw). Eine derartige Vielzahl der Anlässe stößt in der Literatur durchaus auf Kritik.3 Diese Auflistung ist nicht enumerativ. Sie verdeutlicht, dass die Nachschau dazu dient die Verhältnisse beim Unternehmer, in seinen Betriebs- und Geschäftsräumen sowie seiner umsatzsteuerrechtlich relevanten Umsätze zu prüfen. Auch kann eine Umsatzsteuer-Nachschau durchgeführt werden, um Sachverhalte oder Anfragen anderer Finanzämter in Bezug auf die Umsatzsteuer aufzuklären. Dies wäre beispielsweise die zutreffende Einordnung oder Erbringung von Leistungen (Lieferungen [§ 3 Abs. 1 UStG] oder sonstige Leistungen [§ 3 Abs. 9 UStG]), welche beim zu prüfenden Steuerpflichtigen zum Vorsteuerabzug berechtigen sollen. In der Praxis sind Neugründungen, Firmen- oder Unternehmenskäufe, Entscheidungen über Vorsteuererstattungen erheblichen Ausmaßes, umfangreiche Vorsteuerberichtigungen, zeitgerechte Erfassung der Leistungen aufgrund von Kontrollmaterial, Überprüfung der unternehmerischen Betätigung mit Nähe zur Freizeitgestaltung, Überprüfung von Differenzen im MIAS – Meldeverfahren (über die Zusammenfassende Meldung) oder mit den zollrechtlichen Daten (zollrechtlichen Einfuhr- oder Ausfuhranmeldungen) über die OZEAN Schnittstelle, Insolvenzfälle, Amtshilfeverfahren aus anderen EU-Mitgliedstaaten, typische Anwendungsfälle der Umsatzsteuer-Nachschau.

3.175

Aus den regelmäßig geringen Umfang der Prüfungen in sachlicher und zeitlicher Hinsicht sowie der Notwendigkeit einer ad hoc Prüfung, um die tatsächlichen Umstände beim Unterneh-

3.176

1 BT-Drucks. 14/6883. 2 Vgl. Tormöhlen in Reiß/Kraeusel/Langer, § 27b UStG Rz. 2. 3 Stadie in Stadie3, § 27b UStG Rz. 4 betrachtet den Anwendungsbereich für unverhältnismäßig weit.

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Kap. 3 Rz. 3.176 | Besondere Prüfungsformen

mer anzutreffen, zeigt sich ein deutlicher Unterschied zu einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung oder Betriebsprüfung, welche mit Prüfungsanordnung angekündigt werden.

3.177

Die Prüfung im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau ist immer auf Fragestellungen der Gegenwart beschränkt – eine Ermittlung vergangener Jahre ist der Außenprüfung (Betriebsprüfung oder Umsatzsteuer-Sonderprüfung) vorbehalten.1 Bereits nach dem Wortlaut des Gesetzes muss der Prüfungsanlass einen umsatzsteuerrechtlichen Bezug haben. D.h. für außersteuerliche Zwecke oder Zwecke in anderen Steuerarten als der Umsatzsteuer ist die Umsatzsteuer-Nachschau rechtswidrig. Die Umsatzsteuer-Nachschau darf daher nicht als allgemeine Steuernachschau angewandt werden.

3.178

I.d.R. findet die Nachschau statt, um Zweifelsfragen des Finanzamtes aufzuklären. Eine Prüfung kann auch auf Anregung des Steuerpflichtigen erfolgen. Dies wäre z.B. zwecks Vermeidung einer späterer Entscheidung des Finanzamtes zuungunsten des Steuerpflichtigen über einen steuerlichen Sachverhalt/eine Zweifelsfrage möglich. Da die Umsatzsteuer-Nachschau keine Außenprüfung ist, erwachsen Bescheide allerdings nicht in die erhöhte Bestandskraft nach § 173 Abs. 2 AO und eine verbindliche Zusage nach § 204 AO ist nach einer Umsatzsteuer-Nachschau nicht möglich.

3.179

Die Umsatzsteuer-Nachschau kann zulässigerweise im Rahmen der Nachschau auf andere Sachverhalte als die dem betroffene Steuerpflichtigen zu Beginn der Nachschau bekanntgegebenen ausgeweitet werden. Allerdings wird diese Ausweitung dem Betroffenen mitzuteilen sein.

3.180

Ob eine Umsatzsteuer-Nachschau durchgeführt wird, steht im Ermessen der Finanzbehörde. Dieses Ermessen ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (§ 102 FGO).

2. berechtigte Prüfer 3.181

Die mit der Festsetzung und Erhebung betrauten Amtsträger sind nach § 27b Abs. 1 Satz 1 UStG befugt eine Umsatzsteuer-Nachschau durchzuführen. Der Kreis der Berechtigten bestimmt sich daher nach § 7 AO. Mithin sind Beamte aber auch Angestellte der Finanzverwaltung berechtigt die Umsatzsteuer-Nachschau wahrzunehmen.

3.182

Der Amtsträger hat sich zu Beginn der Nachschau als solcher auszuweisen. Auch wenn die Prüfer nicht die in der Außenprüfung bzw. Umsatzsteuer-Sonderprüfung eingesetzten Amtsträger sein müssen, so sind es vielfach diese, welche amtsintern oder aufgrund allgemeiner Dienstanweisungen die Nachschau durchführen. Es kann aber auch der zuständige Sachbearbeiter sein, der für seine Entscheidung eine Nachschau für erforderlich erachtet.

3.183

Kritisch ist die Einbeziehung von Beamte der Steuerfahndungsstellen zu beurteilen, welche zwar grundsätzlich im Rahmen der allgemeinen Steueraufsicht (§ 208 Abs. 1 Nr. 3 AO) Umsatzsteuer-Nachschauen durchführen dürfen.2 Die Einbeziehung im Rahmen des sog. Flankenschutzes, in denen der Steuerfahnder dem Innendienst des Finanzamtes unterstützt, ist fraglich. Zum einen sind die durch die Rechtsprechung ausgeprägten Grenzen des Flankenschutzes zu beachten.3 Zum anderen besteht die Gefahr die Verfahren zu verquicken, so dass 1 Huschens in Haufe Steuer Office, HaufeIndex 854196. 2 Grune in Küffner/Zugmaier, § 27b UStG Rz. 3; Kemper in Schwarz/Widmann/Radeisen, § 27b UStG Rz. 25; Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 262 Rz. 81. 3 Vgl. BFH, Urt. v. 4.12.2012 – VIII R 5/10, BStBl. II 2014, 220.

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E. Umsatzsteuer-Nachschau | Rz. 3.187 Kap. 3

trotz steuerstrafrechtlichen Anfangsverdachtes auf die Bekanntgabe der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens vor Beginn der Umsatzsteuer-Nachschau verzichtet wird.1 Besteht ein steuerstrafrechtlicher Anfangsverdacht und führt die Finanzverwaltung gleichwohl eine Umsatzsteuer-Nachschau durch, so unterliegen die erlangten Erkenntnisse und Feststellungen einem Beweisverwertungsverbot.2 Daher ist vor Beginn einer Umsatzsteuer-Nachschau zu beurteilen, ob diese oder eine Fahndungsprüfung die richtige Maßnahme ist.

3.184

3. betroffene Person Unternehmer als Steuerpflichtige sind i.d.R. die zu prüfenden Subjekte. Wenn § 27b Abs. 1 Satz 1 UStG von Personen spricht, die eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausüben, so ist der Begriff grundsätzlich identisch mit dem Unternehmerbegriff des § 2 UStG. Der Kreis der betroffenen Personen geht über den Kreis der Unternehmer nach dem UStG hinaus. Der Anwendungsbereich ist auch gegeben wenn die Unternehmereigenschaft i.S.d. § 2 UStG zu überprüfen ist. Teilweise ist gerade das Ziel einer Umsatzsteuer-Nachschau festzustellen, ob Unternehmereigenschaft (in Abgrenzung zum Scheinunternehmer – Missing Trader) vorliegt oder die erforderlichen Sach- und Personalmittel für eine feste Niederlassung (umsatzsteuerrechtliche Betriebsstätte) vorhanden sind. Eine Umsatzsteuer-Nachschau kann daher auch bereits dann schon stattfinden, wenn die Person nach objektiven Anhaltspunkten eine unternehmerische Tätigkeit beabsichtigt und obwohl es noch keine eigenen Umsätze getätigt hat.3 Die Bezeichnung gewerblich und berufliche Tätigkeit, welche selbständig ausgeführt wird, ist auch in § 210 AO zu finden. Dies spricht dafür, dass die alleinige Begrenzung auf selbständige Unternehmen i.S.d. Umsatzsteuerrechts nicht gewollt ist. So wird auch eine unselbständige Organgesellschaft (im Organkreis nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) betroffene Person einer Umsatzsteuer-Nachschau sein können.4

3.185

Der Fahrzeuglieferer, welcher nach § 2a UStG als wie ein Unternehmer behandelt wird, ist nicht betroffene Person, da auf ihn die Voraussetzungen nicht zutreffen. Grundsätzlich ist der Anwendungsbereich rechtsformneutral. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können lediglich insoweit im Anwendungsbereich der Umsatzsteuer-Nachschau sein, wie sie Unternehmer sind. Dies wird nach § 2 und § 2b UStG zu bestimmen sein. Aber auch hier kann die Prüfung der Abgrenzung zwischen wirtschaftlichen (unternehmerischen) Bereich und nichtwirtschaftlichen/unternehmensfremden (hoheitlichen) Bereich Teil einer UmsatzsteuerNachschau sein. Der Kleinunternehmer (§ 19 UStG) wird hingegen insoweit betroffene Person einer Umsatzsteuer-Nachschau sein können, als umsatzsteuerrechtlich relevante Feststellungen möglich sind.5

3.186

Eine Mitwirkungspflicht besteht nur für die betroffene Person. Mithin ist der Unternehmer i.d.R. der Mitwirkungsverpflichtete. Mitarbeiter oder steuerliche Beauftragte sind nicht mitwirkungsverpflichtet. Sie dürfen ohne Einwilligung des betroffenen Steuerpflichtigen auch

3.187

1 Dies sei ein unverhältnismäßiger Überrumpelungseffekt, Beyer, NWB 2013, 1733, 1736. Zustimmend: Grune in Küffner/Zugmaier, § 27b UStG Rz. 3. 2 FG Hamburg, Urt. v. 11.4.2018 – 6 K 44/17; EFG 2018, 1146–1152; Leipold in Sölch/Ringleb, § 27b UStG Rz. 8 m.w.N.; Kemper, UR 2016, 377, 378. 3 Ebenso Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Lange, § 27b UStG Rz. 25; Kostecka in Weymüller2, § 27b UStG Rz. 20.1. 4 Tormöhlen in Reiß/Kraeusel/Langer, § 27b UStG Rz. 7; Leipold in Sölch/Ringleb, § 27b UStG Rz. 12. 5 Einschränkender Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 262 Rz. 75.

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Kap. 3 Rz. 3.187 | Besondere Prüfungsformen

nicht befragt werden. § 27b UStG bezieht die Rechte und Pflichten im Rahmen UmsatzsteuerNachschau ausschließlich auf die „betroffene Person“, welches sowohl die natürlich Person des tatsächlichen oder vermeintlichen Einzelunternehmers als auch eine juristische Person oder Personengesellschaft sein kann. Bei juristischen Personen oder Personengesellschaften sind die vertretungsberechtigten Organe (i.d.R. Geschäftsführung) oder sonstigen Vertreter nach §§ 24, 25 AO Adressaten der Mitwirkungspflicht.

3.188

Die betroffene Person kann grundsätzlich Dritte (beispielsweise Mitarbeiter oder Berater) beauftragen Auskunft zu erteilen.

4. Unangekündigte Prüfung und Rechte 3.189

Die Umsatzsteuer-Nachschau darf unangekündigt erfolgen. Es bedarf keiner Prüfungsanordnung. Vielfach wird aber telefonisch ein Termin vereinbart, um den Steuerpflichtigen oder seinen Berater auch anzutreffen. Nur durch die vorherige Ankündigung des Prüfers eine Nachschau durchzuführen, erlangt die Prüfung nicht den Charakter einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung.

3.190

Einige Überprüfungen allerdings erfordern das unangekündigte Erscheinen des Prüfers. Eine Ankündigung gäbe dem steuerunehrlichen Steuerpflichtigen die Gelegenheit die tatsächlichen Umstände anzupassen und falsche Tatsachen vorzuspiegeln.1 Das Finanzamt soll mit der Umsatzsteuer-Nachschau in die Lage versetzt worden sein, sich einen tatsächlichen Einblick in den Geschäftsbetrieb, dessen Räumlichkeiten und der Buchhaltung sowie in die Aufzeichnungen und Bücher zu machen.2 Die unangekündigte Umsatzsteuer-Nachschau hat daher einen Vorteil zu der Inaugenscheinnahme nach § 99 AO.3

3.191

Dem Steuerpflichtigen bleibt unbenommen um eine Verschiebung zu ersuchen, wenn gewichtige Gründe gegen eine Nachschau zu sofortigen Zeitpunkt sprechen. Gewichtige Gründen können aktuelle betriebliche Abläufe, Hinderungen im IT-System zum aktuellen Zeitpunkt, Abwesenheit von Auskunftspersonen oder die Abwesenheit des Unternehmers bzw. dessen steuerlichen Beraters sein. Die Entscheidung steht allerdings im Ermessen der Finanzbehörde.

3.192

Der Steuerpflichtige ist vor Beginn der Prüfung über seine Rechte und Pflichten zu belehren. Zudem muss der Prüfer sich gegenüber dem Steuerpflichtigen oder dessen Berater als Vertreter der zuständigen Finanzbehörde ausweisen.4 Diese Pflicht ist aus dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass der Amtsträger sich als solcher zu erkennen geben muss und dem Umstand hergeleitet, das keine Prüfungsanordnung bekanntgegeben wird.5 Werden diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so muss der Steuerpflichtige nicht Zutritt gewähren bzw. mitwirken.

3.193

Der betroffene Steuerpflichtige kann sich den Umfang und den Anlass der UmsatzsteuerNachschau schriftlich bestätigen lassen, wenn er dies unverzüglich verlangt.6 Dies ist wichtig, wenn er die Nachschau anfechten möchte (s. Rz. 3.245). Das allgemeine Merkblatt, welche häufig zu Beginn einer Umsatzsteuer-Nachschau ausgehändigt wird, ist kein Verwaltungsakt und auch keine Prüfungsanordnung sondern, reine Informationsmitteilung. 1 2 3 4 5 6

Ebenso Grune in Küffner/Zugmaier, § 27b UStG Rz. 2/1. Vgl. RegE StVBG, BT-Drucks. 14/6883, zu Art. 2, zu Nr. 2. Ebenso Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 262 Rz. 13. Kemper, UR 2016, 377, 378. Ebenso Kemper, UR 2016, 377, 379. Huschens in Haufe Steuer Office, HaufeIndex 854196.

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E. Umsatzsteuer-Nachschau | Rz. 3.198 Kap. 3

Fotografien sind als Eingriff in die Grundrechte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nicht ohne Einwilligung des Steuerpflichtigen zulässig. Gegenteilige Auffassungen, welche Fotografieren für zulässig erachten, wenn es eine gewisse Beweisnot gebe1 oder wenn die Fotos einer Inaugenscheinnahme oder Betriebsbesichtigung dokumentieren2, verkennen, dass es keine gesetzliche Grundlage für Fotografien im § 27b UStG gibt.3 Ohne Einwilligung des betroffenen Steuerpflichtigen angefertigte Fotografien können gegen Betriebs-, Geschäfts- oder Produktionsgeheimnisse verstoßen oder gar Persönlichkeitsrechte verletzten. Zudem ist eine Gefahr eröffnet, dass die Fotografien über die Steuerakten und über den zulässigen Prüferkreis hinaus die Fotografien Einblicke das Unternehmen des betroffenen Steuerpflichtigen gewähren.

3.194

Dem Steuerpflichtigen darf nicht verwehrt werden sich einen steuerlichen Berater hinzuziehen. Die Umsatzsteuer-Nachschau braucht deswegen nicht unterbrochen werden. Grundsätzlich ist anzuraten einen Steuerberater oder sonstigen steuerlichen Berater hinzuzunehmen und den Rahmen des Anlasses der Umsatzsteuer-Nachschau mit dem Prüfer genau abzustecken. Es muss konkreter Aufklärungsbedarf bestehen, da die Umsatzsteuer-Nachschau nicht „ins Blaue hinein“ angeordnet werden darf. Dieser Prüfungsanlass begrenzt die Nachschau. Um ggf. Rechtsbehelfe gegen die Verwaltungsakte im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau geltend zu machen (s. Rz. 3.245) sollte eine schriftliche Fixierung des Anlasses angefordert werden. Mündliche Verwaltungsakte sind auf Verlangen schriftlich zu bestätigen (§ 119 Abs. 2 Satz 2 AO). Diese können auch im Nachhinein übersandt werden.

3.195

5. Betretungsrechte von Geschäfts- und Betriebsräumen Die Umsatzsteuer-Nachschau umfasst ein Betretungsrecht für Grundstücke und Räume des von betroffenen Steuerpflichtigen. Dies sind grundsätzlich die Geschäfts- und Betriebsräume. Dabei ist irrelevant, ob es sich um Eigentum oder um gemietete oder gepachtete oder wiederum anderweitig überlassene Räumlichkeiten handelt. Es empfiehlt sich für Steuerpflichtige, welche Geschäfts- und Betriebsräume in der räumlichen Nähe zu Wohnbereichen oder in den Wohnbereichen ausüben, die räumliche Abgrenzung kenntlich zu machen.

3.196

Das Betretungsrecht bezieht sich auf Räume von Personen, welche eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausüben. Auf den ersten Blick muss die betroffene Person daher nicht anwesend sein. Auf dem zweiten Blick ist aber eine Umsatzsteuer-Nachschau bei Nichtantreffen der betroffenen Person besonders heikel. Zum einen hätte die betroffene Person evtl. den Zutritt verweigert und Rechtsbehelf eingelegt oder Aussetzung der Vollziehung beantragt (zu den Rechtsbehelfen s. Rz. 3.245). Zum anderen können Mitarbeiter oder Familienangehörige nicht „freiwillig“ einen Zutritt im Namen der betroffenen Person gewähren.4 Daher wird bei Nichtantreffen der betroffenen Person der Zutritt i.d.R. auf den im Rahmen der Geschäftstätigkeit allgemein zugänglichen Bereich zu beschränken sein. Die Wohnung ist jedenfalls ausgeschlossen; es sei denn es ist Gefahr in Verzug (§ 27b Abs. 1 Satz 2 UStG).

3.197

Wohnräume sind auch grundgesetzlich besonders geschützt und dürfen daher auch im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau nur mit Einwilligung des Inhabers oder zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (§ 27b Abs. 1 Satz 2 UStG)

3.198

1 2 3 4

OFD Magdeburg, Vfg. v. 20.2.2012 – S 7420b-7-St 24 DStR 2012, 909. Sterzinger, DStR 2012, 887. Ebenso Kostecka in Weymüller2, § 27b UStG Rz. 22.1. Näheres bei Kemper, UR 2016, 377 (383).

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Kap. 3 Rz. 3.198 | Besondere Prüfungsformen

betreten werden. Zu dem Streit, ob das grundgesetzliche Zitiergebot eingehalten wurde s. Rz. 3.170.

3.199

Betretungsrechte sind sensible Rechte, denn der Einblick in Geschäfts- und Betriebsräume oder womöglich in Wohnräumen, wenn dort auch die berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausgeübt wird, sind generell Schutzbereiche des Unternehmers/Steuerpflichtigen und daher nur restriktiv auszuüben. Wohnräume sind grundsätzlich nicht vom Betretungsrecht des § 27b UStG umfasst.

3.200

Die Umsatzsteuer-Nachschau ermöglicht keine Durchsuchung, wie dies z.B. im Rahmen einer Steuerfahndungsprüfung mit richterlicher Anordnung möglich ist. Eine Durchsuchung unterliegt aufgrund der Schwere des Eingriffs zu Recht einem Richtervorbehalt und strengen gesetzlichen Anforderungen.

3.201

Kennzeichnend für die Durchsuchung ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe in Räumlichkeiten, um dort planmäßig etwas aufzuspüren, was der Inhaber von sich aus nicht offenlegt oder herausgeben will, etwas nicht klar zutage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften; mithin das Ausforschen eines für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wesentlichen Lebensbereiches, das unter Umständen bis in die Intimsphäre des Betroffenen dringen kann.1

3.202

Ebenso wie § 27b UStG räumen § 210 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AO im Bereich der Zölle und Verbrauchsteuern den Finanzbehörden unter bestimmten Voraussetzungen ein Betretungsrecht für Räumlichkeiten ein.

3.203

Grundstücke und Räume von Personen, die eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausüben, dürfen nach § 27b Abs. 1 UStG betreten werden. Demnach sind die Betriebsund Geschäftsräume vorrangig betroffen. Wohnräume unterliegen besonderen grundgesetzlichen Schutz und dürfen auch im Rahmen des § 27b Abs. 1 UStG nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gegen den Willen des Inhabers betreten werden.2 Werden ohne ihre Abwehr wesentliche Rechtsgüter verletzt, so ist eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gegeben.3 Die Sicherung des Steueraufkommens ist grundsätzlich kein derartiges Schutzgut.4 Sollten Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat oder umsatzsteuerrechtlicher Missbrauch vorliegen, so wäre eine Steuerfahndungsprüfung das zulässige Mittel der Wahl.

3.204

Gemischt genutzte Räume sind lediglich in engen Grenzen in den Anwendungsbereich des § 27b UStG einzuschließen.5 Es ist im Rahmen der allgemeinen Verhältnismäßigkeit ein abgestuftes Verhalten geboten.

3.205

Zwar ist bei gemischt genutzten Räumen die Besonderheit, dass diese sowohl als Geschäftsals auch als Wohnraum dienen und daher nicht mittels der Umsetzung als gemischt genutzte

1 BVerfG v. 3.4.1979 – 1 BvR 994/76, BVerfGE 51, 97, 106; BFH v. 4.10.1988 – VII R 59/86, BFHE 154, 435. 2 Ebenso Kostecka in Weymüller2, § 27b UStG Rz. 24. 3 BVerfG v. 13.2.1964 – 1 BvL 17/61, BVerfGE 17, 232–2521. 4 Ebenso Heidner in Bunjes20, § 27b UStG Rz. 11 allerdings mit dem Hinweis, dass ein Ausnahmefall konkrete Anhaltspunkte für die Beteiligung an einem Umsatzsteuerkarussell sein könnte. 5 A.A. Nieskens in Rau/Dürrwächter, § 27b UStG Rz. 32, welcher grundsätzlich das Betreten von Wohnräumen im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau ausschließt.

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E. Umsatzsteuer-Nachschau | Rz. 3.210 Kap. 3

Räume eine Einschränkung der Prüfungsmöglichkeiten erfolgen sollte. Allerdings sind angesichts des Grundrechtsschutzes des Art. 13 GG bei Wohnräume höhere Anforderungen an die Betretungsrechte zu stellen, als dies bei Geschäfts- oder Betriebsräumen erforderlich ist, welche zu den allgemeinen Öffnungszeiten dem Publikumsverkehr offen sind. Der Begriff der Wohnung ist nach der Rechtsprechung des BVerfG weit auszulegen und umfasst auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume.1 Die Wohnung genießt grundgesetzlichen Schutz durch Art. 13 GG. Geschäftsräume hingegen stehen grundsätzlich einer gewissen Öffentlichkeit zu Verfügung.

3.206

Ein Betretungsrecht, welches sich ausschließlich auf Wohnräume bezieht gibt es nach § 27b UStG nicht. Die Forderung eines Zugangs zu ausschließlich als Wohnraum genutzten Räumlichkeiten im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau ist daher rechtswidrig und kann mit Rechtsbehelfen angefochten werden, welche zu einem Verwertungsverbot führen.

3.207

Im Rahmen der Nachschau gibt es das Recht ausschließlich als Betriebs- und Geschäftsräume verwendete Räumlichkeiten zu betreten. Bei gemischter Nutzung ist abzuwägen. Besondere Einhaltung der Verhältnismäßigkeitsgrundsätze ist geboten, wenn eine gemischte Nutzung vorliegt, also auch Wohnräume betroffen sind oder der Betriebs- und Geschäftsbereich fließend in einen Wohnbereich übergeht.

3.208

Der Verwaltungsansicht, dass gemischt genutzte Räume im gleichen Umfang dem Betretungsrecht des § 27b Abs. 1 UStG unterliegen, wie andere Geschäfts- und Betriebsräume2, wird daher nicht uneingeschränkt zuzustimmen sein.3 Sofern die Räumlichkeiten auch für Geschäftskunden zugänglich und abgrenzbar vom Wohnbereich sind, wird das Betretungsrecht möglich sein. Bei im allgemeinen Wohnbereich befindlichen gewerblichen und beruflichen Einrichtungen ist der Grundrechtsschutz zu beachten. Sofern der Steuerpflichtige versucht sich dadurch der Prüfung zu entziehen, dass die gewerblichen und beruflichen Einrichtungen und Unterlagen in den Wohnbereich verlagert werden, wird man diese Teilbereiche wiederum als Geschäfts- und Betriebsbereich einordnen müssen. Insgesamt ist – abgesehen von dem Fall in dem eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt – ein behutsames Vorgehen der Prüfer erforderlich, um auch den Grundrechtsschutz zu gewährleisten. Ein Arbeitszimmer, welches auch als Wohnraum genutzt wird oder im Wohnraum angesiedelt ist, wird aber regelmäßig unter den Einschränkungen für Wohnräume betreten werden dürfen.4

3.209

Das Betretungsrecht besteht nur während der Geschäfts- und Arbeitszeiten. Dies sind grundsätzlich die branchenüblichen Geschäfts- und Arbeitszeiten. Weicht beim betroffenen Steuerpflichtigen dessen Geschäfts- und Arbeitszeit hiervon ab, so ist eine Nachschau auch in der abweichenden Zeit möglich.5 Wird in einigen Unternehmen nur nachts gearbeitet (beispielsweise Diskotheken, Nachtclubs, etc.) so muss auch die Nachschau zu diesen Zeiten stattfinden. Allerdings wird in der Anwendung der Regelung des § 27b UStG die des § 104 StPO einschränkend zu berücksichtigen sein.6 D.h. die Betretungsrechte beschränken sich auf die für jedermann zugänglichen Bereiche.

3.210

1 BVerfG v. 17.2.1998 – 1BvF 1/91, BVerfGE 97, 228, 265. 2 So Abschn. 27b.1. Abs. 5 Satz 1 UStAE. 3 Leipold in Sölch/Ringleb, § 27b UStG Rz. 18; Haep, UR 2008, 445; Heidner in Bunjes20, § 27b UStG Rz. 12 m.w.N. 4 Das Betretungsrecht ganz ausschließend in diesem Fall; Leipold in Sölch/Ringleb, § 27b UStG Rz. 18. 5 Kritisch Kostecka in Weymüller2, § 27b UStG Rz. 28. 6 Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 262 Rz. 58.

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Kap. 3 Rz. 3.211 | Besondere Prüfungsformen

3.211

Die Nachschau ist aufgrund der territorialen Zuständigkeit deutscher Finanzbehörden und des Völkerrechts im Ausland nicht zulässig. Zur Aufklärung von steuerlich erheblichen Sachverhalten oder Fragen im Ausland wird die deutsche Finanzverwaltung das Amtshilfeverfahren zwischen den EU-Mitgliedstaaten oder zu besonderen Drittstaaten nach den dafür geltenden Regelungen wählen müssen.

3.212

Es ist regelmäßig nicht zu empfehlen den Prüfer den Zutritt zu Betriebs- und Geschäftsräumen zu verweigern, da dies negative Rückschlüsse hervorrufen kann, welches zu Anordnung einer regulären Außenprüfung oder Steuerfahndungsprüfung führen könnten.

3.213

Wird der Zutritt verweigert, kann das Betretungsrecht mit den allgemeinen Zwangsmitteln der AO (beispielsweise Zwangsgeld, unmittelbarer Zwang – § 328 AO) durchgesetzt werden. Unmittelbarer Zwang (§ 331 AO) wird die Ausnahme bleiben und ist zudem subsidiär. Daher ist bei jedem Zwangsmittel, welches erst das Betretungsrecht durchsetzen muss, der unangekündigte Prüfungseffekt nicht mehr gegeben.1 Es besteht nun die Gefahr, dass sofern Missbrauch und Betrug bei Zutritt aufgedeckt würden, die Zeit genutzt wird, um Beweismittel zu vernichten. Somit ist für die Finanzbehörde abzuwägen, ob eine Umsatzsteuer-Nachschau durchgeführt wird oder weitere behördeninterne Ermittlungen geführt werden, wenn die Zweifel nahe an der Grenze zum steuerstrafrechtlichen Anfangsverdacht sind. Erhärten sich die Zweifel zum strafrechtlichen Anfangsverdacht, so wäre eine Steuerfahndungsprüfung das Mittel der Wahl. Eine Umsatzsteuer-Nachschau könnte die Gefahr der „Warnung“ und Beweismittelvernichtung in sich bergen.2

3.214

Schließt die Umsatzsteuer-Nachschau den Bereich der Wohnung mit ein, so liegt ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG vor (s. Rz. 3.170). Jede Beeinträchtigung eines grundgesetzlich geschützten Rechts ist mittels des Zitiergebots kenntlich zu machen, um die Einschränkung des Grundrechts zu verdeutlichen. Die Folgen, welche daraus gezogen werden, dass das UStG nicht eine Grundrechtseinschränkung benennt und damit gegen das Zitiergebot verstößt reichen von er Annahme, dass das gesamte UStG nichtig sei bis hin zur Verneinung des Erfordernisses des Zitiergebots im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer-Nachschau in § 27b UStG (s. dazu Rz. 3.170 f.).

6. Vorlagerecht und Auskunftserteilungspflicht 3.215

§ 27b Abs. 2 UStG normiert eine Vorlagepflicht für Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden soweit dies zur Feststellung einer steuerlichen Erheblichkeit zweckdienlich ist. Allerdings muss hier ein Verlangen des Amtsträgers geäußert werden. Die verlangte Mitwirkung darf sich nur auf Informationen und Dokumente beziehen, die unter umsatzsteuerrechtliche Gesichtspunkten für die Besteuerung Relevanz haben. Andere Steuerarten oder die Privatsphäre darf daher nicht im Rahmen der Nachschau ausgeforscht werden. Dies betrifft auch die Vorlage privater Unterlagen oder Fragen zu persönlichen oder familiären Verhältnissen. Zudem wird die Mitwirkungspflicht durch das Auskunfts- und Verweigerungsrecht in Bezug auf Angehörige nach § 101 AO begrenzt. Die Aufzählung in § 27b Abs. 2 ist enumerativ für die Mitwirkungspflicht im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau.3 1 Kemper in Schwarz/Widmann/Radeisen, § 27b UStG Rz. 77; Kemper, UR 2016, 377, 380; Zugmaier/Kaiser in Hartmann/Metzenmacher, § 27b UStG Rz. 6. 2 Ebenso Kemper, UR 2016, 377, 380. 3 Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 262 Rz. 103; Kemper in Schwarz/Widmann/Radeisen, § 27b UStG Rz. 82.

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E. Umsatzsteuer-Nachschau | Rz. 3.223 Kap. 3

Adressat des Auskunftsverlangens ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 27b Abs. 2 UStG nur die betroffene Person (i.d.R. der Unternehmer). Bei juristischen Personen oder Personengesellschaften wird dies die Organe bzw. (gesetzlichen) Vertreter betreffen. Ohne Delegation bzw. Einwilligung des betroffenen Unternehmers sind daher Angestellte oder steuerliche Berater nicht zur Auskunft heranzuziehen.1

3.216

Auch in Bezug auf das Vorlage- und Auskunftsverlangen im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau ist zu beachten, dass die Umsatzsteuer-Nachschau sich nur auf Gegenwartsfeststellungen beschränkt.2 Es darf daher keine Umsatzsteuer-Sonderprüfung unter der Bezeichnung der Umsatzsteuer-Nachschau durchgeführt werden.

3.217

Die Zweckdienlichkeit muss seitens der Finanzverwaltung dargelegt werden und sich aus objektiven Umständen ergeben (beispielsweise Kaufverträge zwecks Überprüfung von Eingangsrechnungen).3

3.218

Dem Prüfer steht ohne Einwilligung des betroffenen Steuerpflichtigen nicht das Recht zur Mitnahme von Dokumenten oder gar einer Beschlagnahme zu.

3.219

Ebenso sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit zu wahren. Das heißt der Aufwand die Dokumente zu beschaffen darf nicht unverhältnismäßig oder unerfüllbar sein.

3.220

7. Zugriff auf digitale Unterlagen Mit Ausweitung der rechtlichen Möglichkeiten elektronische Rechnungen zu Vorsteuerabzugszwecke zu erstellen (§ 14 Abs. 1 Satz 8 UStG zum 1.7.2011)4 wurden auch die Zugriffrechte auf elektronische/digitale Unterlagen und das Datenverarbeitungssystem ausgeweitet. Dies soll „Waffengleichheit“ zwischen Unternehmer und Finanzverwaltung schaffen.

3.221

Wurden Unterlagen mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt, so kann der Prüfer auch im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau Einblick in die gespeicherten Daten verlangen. Sofern es dafür erforderlich ist, muss der betroffene Steuerpflichtige sein Datenverarbeitungssystem dem Prüfer dafür zur Verfügung stellen.

3.222

Unternehmen ist daher anzuraten entsprechende Berechtigungen bereits im Vorfeld prophylaktisch einzurichten und Sperren zu setzen. Der elektronische Zugang muss nicht über den Umfang und Anlass der Umsatzsteuer-Nachschau hinausgehen. Teilweise ist es Unternehmen in der Praxis allerdings nur möglich einen Vollzugriff zu gewähren. Im Bereich der Datenanalyse (z.B. mit der Prüfsoftware IDEA) ist damit der Datenkranz erheblich über den Prüfungsanlass hinausgehend. Zufallsfunde der Prüfer können allerdings zu einer Ausweitung der Umsatzsteuer-Nachschau zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung (§ 27b Abs. 3 UStG) führen.

3.223

1 A.A. Leipold in Sölch/Ringleb, § 27b UStG Rz. 24, welcher ein Befragungsrecht an andere Betriebsangehörige Personen aus § 200 Abs. 1 Satz 3 AO herleitet. 2 Ebenso Leipold in Sölch/Ringleb, § 27b UStG Rz. 7; Tormöhlen in Reiß/Kraeusel/Langer, § 27b UStG Rz. 6. 3 Mende/Huschens, INF 2002, 65 (71). 4 Steuervereinfachungsgesetz 2011 v. 1.11.2011, BGBl. I 2011, 2131.

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Kap. 3 Rz. 3.224 | Besondere Prüfungsformen

8. Verwertung von Prüfungserkenntnissen 3.224

Grundsätzlich ist die Umsatzsteuer-Nachschau eine punktuell stattfindende Prüfung mit Betretungsrechten sowie Auskunfts- und Dokumentenvorlagerechten der Finanzverwaltung im Hinblick auf einen umsatzsteuerrechtlich erheblichen Sachverhalt des geprüften Steuerpflichtigen. Der Wortlaut des § 27b Abs. 1 und Abs. 2 UStG spricht nur von der Sicherstellung der gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung der Umsatzsteuer sowie der steuerlichen Erheblichkeit und Zweckdienlichkeit. Auch in der Verwaltungsanweisung wird darauf verwiesen, dass da die Umsatzsteuer-Nachschau auf die Umsatzsteuer begrenzt ist, nur der Übergang zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung in Betracht kommen kann.1

3.225

Missachtet der Prüfer seien Befugnisse im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau, weil er beispielsweise – das Gebot der Gegenwartsbezogenheit seiner Prüfungen missachtet und vergangene Zeiträume prüft; – das Betretungsrecht überschreitet und private Wohnräume unbefugt betritt; – Angehörige oder Angestellte ohne Einwilligung des Unternehmers befragt; – private Verhältnisse des Unternehmers oder seiner Angehörigen erfragt

3.226

so kann dies mit den Rechtsbehelf angefochten werden und zu einem Verwertungsverbot führen.

3.227

Ein Verwertungsverbot existiert immer dann, wenn eine Umsatzsteuer-Nachschau rechtskräftig für rechtswidrig erklärt wurde.

3.228

Der Finanzbehörde bleibt es jedoch unbenommen eine Umsatzsteuer-Nachschau in rechtmäßiger Weise nachzuholen.

3.229

Die Erkenntnisse einer Umsatzsteuer-Nachschau dürfen nach § 27b Abs. 4 UStG auch für andere Steuerarten als der Umsatzsteuer oder anderer Personen verwertet werden, wenn sie für die dortige Festsetzung und Erhebung Bedeutung hat. Dies bedeutet, dass die Erkenntnis auch in Kontrollmitteilungen verwendet werden dürfen. Bei Dritten ist nach dem Wortlaut der Regelung nur die Verwertung für andere Steuerarten als der Umsatzsteuer möglich.2 Für außersteuerliche Belange ist nach dem klaren Wortlaut des § 27b Abs. 4 UStG allerdings eine Verwendung ausgeschlossen. Auch Zufallsfunde einer Umsatzsteuer-Nachschau dürfen verwertet werden.

3.230

Es empfiehlt sich einen „Nur-Lese-Zugriff“ für Außenprüfungen und Umsatzsteuer-Nachschau vorzuhalten. Der Amtsträger darf für den Datenzugriff des Datenverarbeitungssystem der betroffenen Person nutzen.

3.231

Wurden elektronische Rechnungen erstellt, so gilt das Recht auf die elektronischen Unterlagen und Datenverarbeitungssysteme auch diesbezüglich. Es ist nicht ausreichend, wenn der betroffene Steuerpflichtige Ausdrucke in Papierform zur Verfügung stellt. In diesem Fall ist der elektronische Zugriff zu gewähren. 1 Vgl. Abschn. 27b.1. Abs. 9 UStAE. Die Anordnung einer über die Umsatzsteuer-Nachschau hinausgehenden Außenprüfung ohne Ankündigung bleibt aber nach § 197 Abs. 1 Satz 1 AO zulässig, wenn der Prüfungszweck durch eine vorherige Ankündigung gefährdet würde. 2 Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, § 262 UStG Rz. 123; Zugmaier/Kaiser in Hartmann/Metzenmacher, § 27b UStG Rz. 62; a.A. Leipold in Sölch/Ringleb, § 27b UStG Rz. 26.

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E. Umsatzsteuer-Nachschau | Rz. 3.237 Kap. 3

V. Übergang zur Außenprüfung Die Umsatzsteuer-Nachschau kann ohne vorherige Prüfungsanordnung (§ 196 AO) in eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung übergehen (§ 27b Abs. 3 UStG). Allerdings müssen die Feststellungen der Umsatzsteuer-Nachschau Anlass dafür geben. D.h. es muss sich der Entschluss zum Übergang zur Außenprüfung erst während der Umsatzsteuer-Nachschau herausgebildet haben. Anderenfalls würden die Vorschriften zur Außenprüfung umgangen und es könnte eine Nachschau nur vorgeschoben werden, um eine Außenprüfung ohne Prüfungsanordnung durchzuführen.1

3.232

Der betroffene Steuerpflichtige muss nach dem Gesetz schriftlich darauf hingewiesen werden, dass die Umsatzsteuer-Nachschau in eine Außenprüfung übergeführt wird. Dies wird auch mit einer Zäsur verbunden sein müssen, damit der Steuerpflichtige sich seiner Rechte und Pflichten bewusst werden kann. Zudem muss der Übergang aktenkundig gemacht werden.2 Streitig ist, ob die schriftliche Erklärung, welche die Prüfungsanordnung ersetzt, alle Angaben einer Prüfungsanordnung enthalten muss.

3.233

In der Praxis verhält es sich i.d.R. derart, dass der Finanzbeamte, der die Umsatzsteuer-Nachschau durchführt den Sonderprüfer hinzuzieht und dieser die schriftliche Erklärung zum Übergang in eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung mit den Angaben einer Prüfungsanordnung mitbringt.

3.234

Die schriftliche Erklärung muss mindestens die Festlegung des Anlasses sowie den zeitlichen und sachlichen Umfang der Umsatzsteuer-Sonderprüfung bestimmen. Dies ist zum einen wichtig, um ggf. Rechtsbehelfe dagegen einzulegen. Zum anderen ist hat dies erhebliche Wirkung für die Bestimmung inwieweit nun durch die Umsatzsteuer-Sonderprüfung die Ablaufhemmung für die Festsetzungsfrist eintritt, eine Änderungssperre eintritt oder die Sperrwirkung für Selbstanzeigen aufgrund der Umsatzsteuer-Sonderprüfung ausgelöst wird. Daher sollte auch jeder Übergang zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung, wie der Beginn einer allgemeinen Außenprüfung aktenkundig gemacht werden.

3.235

Der Übergang ist ausschließlich zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung möglich. Allerdings bleibt es der Finanzbehörde unbenommen eine allgemeine Außenprüfung ohne vorherige Ankündigung durchzuführen, wenn die Ankündigung – beispielsweise aufgrund Verdunkelungsgefahr – den Prüfungszweck gefährden würde (§ 197 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2. AO). Ebenso kann die Behörde anstelle des Übergangs zu einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung auch schlicht zur Korrektur von Aufzeichnungen, Buchhaltungsunterlagen oder Abgabe korrigierter Steuererklärungen auffordern. Zudem bleibt es unbenommen anstelle des Übergangs zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung ein Straf- und Bußgeldverfahren einzuleiten, wenn die Erkenntnisse dazu Anlass geben.

3.236

VI. Einleitung eines Strafverfahrens während der Umsatzsteuer-Nachschau Ergibt sich während der Prüfungen im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau ein Anfangsverdacht für eine Steuerstraftat, so ist die Nachschau zu unterbrechen. Auch im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau gilt, dass die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens dem Beschuldigten mitgeteilt werden muss (§ 397 Abs. 3 AO). Der Betroffene ist über seine Rechte zu belehren und nur noch eingeschränkt mitwirkungsverpflichtet (§ 393 AO). Zwangsmittel 1 Zugmaier/Kaiser in Hartmann/Metzenmacher, § 27b UStG Rz. 52. 2 Abschn. 27b.1. Abs. 9 UStAE.

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3.237

Kap. 3 Rz. 3.237 | Besondere Prüfungsformen

(§ 328) gegen den Steuerpflichtigen sind unzulässig, wenn er dadurch gezwungen würde, sich selbst wegen einer von ihm begangenen Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit zu belasten.

VII. Sperrwirkung einer Selbstanzeige 3.238

Angestoßen durch die Rechtsprechung des BGH-Senats für Strafrecht1 wurden die Regelungen zur strafbefreienden Selbstanzeige erheblich verschärft2 und auch die Teilselbstanzeige als nicht mehr ausreichend betrachtet.

3.239

In der Rechtsprechung wurde die Umsatzsteuer-Nachschau als Prüfung i.S.d. § 371 Abs. 2 Buchst. a AO eingeordnet, so dass eine strafbefreiende Selbstanzeige mit Erscheinen des Finanzbeamten ausgeschlossen wäre.3 Dem wiederum steht die Auffassung entgegen, welche erst beim Übergang einer Umsatzsteuer-Nachschau in eine Außenprüfung (UmsatzsteuerSonderprüfung, Betriebsprüfung) nach § 27b Abs. 3 UStG die Sperrwirkung für ausgeschlossen betrachtet.4 Die punktuelle Prüfungshandlung einer Nachschau könne die Sperrwirkung nicht auslösen.5

3.240

Dies kann inzwischen allerdings dahinstehen, da durch die Regelung in § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. e AO die Sperrwirkung ausgelöst wird, wenn der Amtsträger zur UmsatzsteuerNachschau erschienen ist und sich ausgewiesen hat.6 Daher wird der restriktiven Literaturansicht, welche in der Umsatzsteuer-Nachschau lediglich eine punktuelle Prüfungshandlung sieht und daher keinen Sperrgrund einer Selbstanzeige, in der Praxis wenig Aufmerksam zu schenken sein.

3.241

Während einer Umsatzsteuer-Nachschau ist allerdings eine Selbstanzeige in anderen Steuerarten als der Umsatzsteuer nicht gesperrt.7

3.242

Eine Umsatzsteuer-Nachschau wird auch dann noch möglich sein, wenn die Finanzbehörde eine Steuerstraftat lediglich vermutet. Sofern aber bereits ein Anfangsverdacht für die Steuerhinterziehung besteht, darf die Umsatzsteuer-Nachschau nicht erfolgen. Dies würde ansonsten zu einer Umgehung der Rechte des Steuerpflichtigen in einem Strafverfahren führen. Die Durchführung der Nachschau wäre in einer derartigen Situation rechtswidrig.8

3.243

Eine Selbstanzeige nach § 378 Abs. 2 AO wegen leichtfertiger Steuerverkürzung ist während einer Umsatzsteuer-Nachschau jederzeit möglich.

1 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, DStR 2010, 1133. 2 Einen Überblick geben Prowatke/Felten, DStR 2011, 899; Adick in Adick/Höink/Kurt, Umsatzsteuer und Strafrecht, Kap. D.II. 3 Zum damaligen Stand: Heidner in Bunjes20, § 27b UStG Rz. 23 m.w.N. 4 Heidner in Bunjes20, § 27b UStG Rz. 23 m.w.N.; Nieskens in Rau/Dürrwächter, § 27b UStG Rz. 16. 5 Heidner in Bunjes20, § 27b UStG Rz. 23 m.w.N. 6 Eingeführt durch das Gesetz zur Änderung der AO und des EGAO v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415 = BStBl. I 2015, 55. Zu der Sperrwirkung s. Tormöhlen, AO-StB 2019, 372–376. 7 Ebenso Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Lange, § 27b UStG Rz. 46; Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 262 Rz. 20. 8 Huschens in Haufe Steuer Office, HaufeIndex 854196.

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E. Umsatzsteuer-Nachschau | Rz. 3.251 Kap. 3

VIII. Keine Verjährungshemmung – keine erhöhte Bestandskraft Durch eine Umsatzsteuer-Nachschau wird die Festsetzungsverjährung – im Gegensatz zur Umsatzsteuer-Sonderprüfung (s. dazu Rz. 3.65 ff.) nicht gehemmt, da es keine Außenprüfung i.S.d. § 193 AO ist. Auch wird durch eine Umsatzsteuer-Nachschau keine erhöhte Bestandskraft i.S.d. § 173 Abs. 2 AO ausgelöst. Ebenso ist der Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 AO, welcher bei Abschluss einer Außenprüfung grundsätzlich aufzuheben ist, nicht nach einer Umsatzsteuer-Nachschau aufzuheben. Dem Charakter einer punktuellen Prüfungshandlung folgend, wird auch eine verbindliche Zusage im Anschluss an die Außenprüfung nach § 204 AO als unzulässig betrachtet.1

3.244

IX. Rechtschutz gegen die Umsatzsteuer-Nachschau Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau werden i.d.R. mehrere Verwaltungsakte (meistens auch mündlich) erlassen.2 Die (Be-)Schau im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau ist reines Verwaltungshandeln und daher nicht rechtmittelfähig.

3.245

Der betroffene Unternehmer kann jedoch gegen die im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau ergangenen Verwaltungsakte, welche beispielsweise darin vorliegen, wenn ein Amtsträger den Steuerpflichtigen auffordert das Betreten der Betriebs- und Geschäftsräume zu dulden oder Aufzeichnungen oder Bücher vorzulegen oder Auskunft zu erteilen, Einspruch einlegen.

3.246

Der erste Verwaltungsakt ist die Bekanntgabe der Prüfungshandlung mit Beginn der Prüfung. Diese kann mit dem Einspruch (§ 347 AO) angefochten werden und zu der Aussetzung der Vollziehung zugänglich (§ 361 AO).3

3.247

Es empfiehlt sich zu Beginn einer Umsatzsteuer-Nachschau den steuerlichen Berater zu informieren und sich bei berechtigtem Interesse eine schriftliche Bestätigung über Anlass und Umfang der Nachschau geben zu lassen. Gleich sollte darauf geachtet werden, dass dieser Rahmen (Anlass und Umfang) nicht während der Nachschau überschritten wird. Das Merkblatt, welches zu Beginn einer Umsatzsteuer-Nachschau i.d.R. ausgehändigt wird, ist kein Verwaltungsakt, sondern reine Informationsmitteilung.

3.248

Im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau werden vielfach mündliche Verwaltungsakte erlassen. Mündliche Verwaltungsakte sind auf Verlangen schriftlich zu bestätigen (§ 119 Abs. 2 Satz 2 AO). Dies kann auch im Nachhinein geschehen. Aber das Verlangen der schriftlichen Bestätigung ist unverzüglich zu äußern. Um Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte im Rahmen einer Umsatzsteuer-Nachschau geltend zu machen, sollte die schriftliche Bestätigung der Verwaltungsakte verlangt werden. Dies ändert nichts daran, dass der Prüfer zunächst berechtigt ist auf Basis mündlicher Verwaltungsakte zu agieren.

3.249

Rechtsbehelfe hiergegen haben aber keine aufschiebende Wirkung, es sei denn die Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 FGO) wurde gewährt.

3.250

Mit Beendigung der Umsatzsteuer-Nachschau sind bzw. werden Einspruch und Anfechtungsklage unzulässig. Allerdings steht dem Betroffenen dann die Möglichkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) zu. Die Rechtswidrigkeit einer Umsatzsteuer-Nach-

3.251

1 Vgl. Abschn. 27b.1. Abs. 7 Satz 4 UStAE. 2 Ebenso Weigel, UStB 2018, 213, 217. 3 Kostecka in Weymüller2, § 27b UStG Rz. 34.

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Kap. 3 Rz. 3.251 | Besondere Prüfungsformen

schau kann dann zum steuerstrafrechtlichen Verwertungsverbot führen.1 Über Verwertungsverbote bzw. Amtshaftung kann der Betroffene dann seine Rechte durchsetzen.

3.252

Folgen rechtswidrigen Verwaltungshandelns sind grundsätzlich rückgängig zu machen. Daher sind Erkenntnisse und Beweismittel, welche im Rahmen einer rechtswidrigen Nachschau gewonnen wurden, nicht verwertbar. Wurden Ergebnisse bereits in einer steuerlichen (Änderungs-) Festsetzung berücksichtigt, so muss der Verwaltungsakt mit Rechtsmittel angefochten werden. Die Grundsätze der Anfechtung einer Außenprüfungsanordnung (nach AEAO zu 196) gelten entsprechend für die Mitteilung des Übergangs zur Außenprüfung nach § 27b Abs. 3 UStG. Verwunderlich ist daher die Ausweitung durch die Hintertür in § 27b Abs. 4 UStG für andere Steuerarten. Eine allgemeine Außenprüfung durch die Hintertür (ohne Prüfungsanordnung) soll gleichwohl durch die Begrenzung des Zwecks nach § 27b Abs. 1 und 2 UStG nicht möglich sein. Kritisch zu betrachten ist die Ansicht, dass die Auswertungen der Feststellungen auch Dritten gegenüber zulässig sein soll. Dies käme einer Ausweitung vielfach gleich.

3.253

Ergebnisse einer Umsatzsteuer-Nachschau werden i.d.R. nicht in einem Schlussbericht verfasst oder gar besondere Feststellungen dem Steuerpflichtige mitgeteilt. Die Ergebnisse der Umsatzsteuer-Nachschau finden schlicht Eingang in die steuerlichen Festsetzungen oder den Erhebungsentscheidungen.

3.254

Der Rechtsweg wird vielfach erst gegen die aufgrund der Prüfungshandlungen und Erkenntnisse im Rahmen der Nachschau ergangenen (Änderungs-) Festsetzungen oder anderen Verwaltungsakte wahrgenommen. Dies ist im Hinblick auf Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der im Rahmen der Umsatzsteuer-Nachschau ergangenen Verwaltungsakte und dem Prüfungsanlass zu spät. Verwertungsrechte diesbezüglich müssen sich gegen diese Verwaltungsakte richten.

3.255

Betroffene Unternehmer sollten zwecks Wahrung ihrer Rechtsmittelrechte und der Dokumentation den Zweck der Umsatzsteuer-Nachschau erfragen; schriftliche Bestätigungen (§ 119 Abs. 2 Satz 2 AO) der Verwaltungsakte zum Betretungsersuchen bzw. den Auskunfts- und Vorlageersuchen und Einsichtsersuchen anfordern und Ergebnisse/Erkenntnisse der Umsatzsteuer-Nachschau am Tag selbst besprechen, wenn sie Rechtsbehelfe aufgrund der Prüfungshandlungen vornehmen wollen. Ist eine Besprechung mit dem Prüfer am Tag der Prüfungshandlungen nicht möglich, so ist es ratsam zeitnah sich über die Erkenntnisse zu erkundigen. Dies schafft auch die Möglichkeit für die weitere zukünftige Tätigkeit Schlussfolgerungen zu ziehen und positive Veränderungen vorzunehmen.

3.256

In der Regel wird dem Unternehmer zu Beginn der Prüfung auch ein Merkblatt zur Umsatzsteuer-Nachschau übergeben. Dies ist reine Information und kein Verwaltungsakt.

3.257

Sofern der betroffene Steuerpflichtige sich gegen die Art und Weise der Durchführung wehren möchte, muss er auf die Gegenvorstellung oder Dienstaufsichtsbeschwerde zurückgreifen.2

1 FG Hamburg v. 9.1.2018 – 1 K 168/17, MwStR 2018, 770–771. 2 Sterzinger in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 262 Rz. 131; Kemper in Schwarz/Widmann/Radeisen, § 27b UStG Rz. 122.

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F. Lohnsteuer-Außenprüfung | Rz. 3.259 Kap. 3

F. Lohnsteuer-Außenprüfung Literatur: Apel, Neuer Standard für die Datenbereitstellung bei der LSt-Außenprüfung, BB 2011, 2527; Beyer, Grenzen der Speicherung digitalisierter Steuerdaten aufgrund einer Außenprüfung – Anschlussprüfung bei Freiberuflern, NWB 2015, 2622; von Bornhaupt, Lohnsteuer-Außenprüfung und Lohnsteuer-Haftungsbescheid, BB 1990, Beilage 1; Drüen, Verfassungsfragen der digitalen Außenprüfung, StuW 2003, 205; Drüen, Das finanzbehördliche Ermessen bei der Anordnung einer Außenprüfung, AO-StB 2014, 343; Eismann, Einheitliche Digitale LohnSchnittstelle (DLS), DB 2016, Beilage 4, 23; Engelberth, Datenzugriff und Aufzeichnungspflichten, NWB 2010, 2307; Felix, Unzulässige Prüfungskonzentration bei der Lohnsteuer-Außenprüfung in Nordrhein-Westfalen, DB 1989, 354; Foerster, Lohnsteuer-Außenprüfung nach § 42f EStG, StuB 2014, 642; Haupt, Neuregelung der Verjährung bei Lohnsteuer und anderen Abzugssteuern – der neue § 171 Abs. 15 AO, BB 2015, 983; Hartz/Meeßen/Wolf (im Folgenden kurz: H/M/W), ABC-Führer Lohnsteuer, Loseblatt, Stuttgart; Hilbert, Modernisierung des Besteuerungsverfahrens – einheitliche Digitale LohnSchnittstelle (DLS), NWB 2015, 3377; Hilbert, Lohnsteuerrecht in der Unternehmenswirklichkeit, Diss., Siegen 2017; Hilbert, Die Lohnsteuer-Anrufungsauskunft nach § 42e EStG, NWB 2018, 466; Hilbert, Unterstützung, Kontrolle oder Einnahmequelle?, NWB 2020, 1449; Kalenberg/Heilgenberg, Unzulässige Zuständigkeitsübertragung bei der Lohnsteuer-Außenprüfung in Nordrhein-Westfalen?, DB 1989, 900; Krüger, Einführung der Digitalen Lohnschnittstelle, BBK 2017, 708; Lohmeyer, Die Änderungssperre nach einer Außenprüfung, INF 1995, 236; Mösbauer, Zum Umfang der Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers bei der Lohnsteuer-Außenprüfung, DB 1998, 1303; Neufang/Schäfer, Betriebsprüfung im Fokus der Rechtsprechung des BFH, StB 2015, 388; Ochs/Wargowske, Zum „Ort“ des Datenzugriffs gem. § 147 Abs. 6 S. 2 2. Mod. AO, DStR 2015, 2689; Schmidt, Zeitgleiche Außenprüfung durch Finanzamt und Rentenversicherung, NWB 2012, 3692; Schmidt, Beeinflusst der Mindestlohn auch die Lohnsteuer-Außenprüfung?, NWB 2015, 1944; Streck, Steuerberatung in der Lohnsteueraußenprüfung, in Hanau/Röller/ Macher/Schlegel (Hrsg.), Personalrecht im Wandel, FS für Küttner, München 2006, 231; Thomas, Änderungssperre gem. § 173 Abs. 2 AO nach Lohnsteuer-Außenprüfung, DStR 1992, 1468.

I. Rechtsgrundlagen und Ziele der Lohnsteuer-Außenprüfung Die Lohnsteuer-Außenprüfung ist als organisatorisch und von ihrer Durchführung her eigenständiges Instrument eine der Sonderformen der Betriebsprüfung. Gesetzlich geregelt ist sie in § 42f EStG unter den Verfahrensvorschriften zur Steuererhebung und dem Steuerabzug vom Arbeitslohn im Gesetzesabschnitt VI. 2., es gelten für sie aber zudem allgemein die Vorschriften der §§ 193–207 AO (Rz. 1.11 f., 1.33 ff.), die mit Blick auf die Lohnsteuer durch § 42f EStG ergänzt werden; die Regelungen der BpO 2000 (Rz. 1.13 ff., 1.43 ff.) gelten nur, sofern diese nach § 1 Abs. 2 BpO 2000 sinngemäß anzuwenden sind.1 So ist etwa § 4a BpO 2000 zur zeitnahen Betriebsprüfung (Rz. 3.25 ff.) nicht heranzuziehen; die Lohnsteuer-Außenprüfung findet aber in aller Regel ohnehin zeitnah statt.

3.258

Ziel der Lohnsteuer-Außenprüfung als zentralem Kontrollinstrument zur Absicherung und Durchsetzung des diesbezüglichen staatlichen Steueranspruchs2 soll(te) eigentlich nicht das Mehrergebnis sein, sondern vielmehr die Vermeidung von sich beim Lohnsteuerabzug häufig monatlich wiederholenden Fehlern, womit die Maßnahme sogar einen Unterstützungscharakter gegenüber den einseitig und unentgeltlich zum Lohnsteuerabzug in Dienst genommenen Arbeitgebern hätte; dadurch würde u.a. die auch verfassungsrechtlich relevante steuerliche Gleichbehandlung unter den Arbeitnehmern gefördert und ferner die Wettbewerbsneutralität

3.259

1 R 42f Abs. 1 LStR 2015. 2 Ein weitere mögliche Maßnahme ist die im folgenden Kapitel 3.G vorgestellte Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG.

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Kap. 3 Rz. 3.259 | Besondere Prüfungsformen

zwischen den Arbeitgebern gestärkt.1 Dafür sprechen auch die Grundsätze nach den §§ 85 und 199 Abs. 1 AO, auf welche § 2 Abs. 1 Satz 1 BpO 2000 für die allgemeine Betriebsprüfung verweist.2 Ob diesem Anspruch jedoch immer Genüge getan wird, lässt sich auch nach praktischen Erfahrungen respektive empirischen Erkenntnissen durchaus in Zweifel ziehen.3 Teils wird gerade für die Lohnsteuer-Außenprüfung von fiskalisch äußerst bedeutsamen und vor allem endgültig zufließenden steuerlichen Mehrergebnissen gesprochen.4

II. Prüfungsgegenstand der Lohnsteuer-Außenprüfung 1. Persönlich 3.260

Hauptadressat der Lohnsteuer-Außenprüfung sind die Arbeitgeber, also all jene, die unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer beschäftigen oder im Prüfungszeitraum beschäftigt haben oder bei denen dies zwar möglicherweise streitig ist, es aber doch zu vermuten steht.5 U. a. deshalb besteht auch die Mitwirkungspflicht der in § 42f Abs. 2 Satz 3 EStG genannten Personen. Der Anwendungsbereich trifft Unternehmen der privaten Wirtschaft (unabhängig von ihrer jeweiligen Organisations- und Rechtsform, also ebenso bei einer GbR, bei Freiberuflern oder bei entsprechenden Personenzusammenschlüssen), aber auch öffentliche Kassen der Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Kommunen und anderer Behörden) sowie anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts,6 zudem als juristische Person organisierte Verbände, Stiftungen, Pensionskassen oder gemeinnützige Organisationen. Rechtlich unselbständige betriebliche Einrichtungen wie etwa Betriebskranken- oder Unterstützungskassen, die nicht selbst Arbeitgeber sind, aber Leistungen erbringen, die zum Arbeitslohn zählen, werden von der Prüfungsbefugnis mit erfasst.7 Der Arbeitgeber ist im Zuge der Maßnahme Verfahrensbeteiligter i.S.d. § 78 AO.

3.261

In den Fällen des gesetzlichen Übergangs oder der vom Finanzamt zugelassenen Übernahme von Arbeitgeberpflichten nach § 38 Abs. 3a EStG ist die Lohnsteuer-Außenprüfung gleichwohl (auch) weiterhin beim originären Arbeitgeber zulässig; zudem bleiben dessen Mitwirkungspflichten neben denen des Dritten bestehen (§ 42f Abs. 3 Satz 2 EStG).

3.262

Privathaushalte, in denen nur gering entlohnte Hilfen beschäftigt werden, sollen in der Regel nicht geprüft werden,8 sie werden deshalb auch nicht in die Prüfungspläne der Finanzverwaltung mit aufgenommen. Mögliche Untersuchungen etwa im Zuge einer abgekürzten Außenprüfung sind dadurch jedoch nicht ausgeschlossen. Für die Sozialversicherung ist die Nichtprüfung in derartigen Fällen korrespondierend sogar gesetzlich festgelegt (§ 28p Abs. 10 SGB IV). Für die Lohnsteuer handelt es sich hierbei wahrscheinlich vor allem um eine auf verwaltungsökonomischen Erwägungen fußende Vorgabe, um die beschränkten Prüfungsressourcen effizient zu nutzen;9 zudem stellen sich hier aufgrund des verfassungsrechtlichen Schutzes des Privatbereichs des Steuerpflichtigen durch Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der 1 H/M/W, Außenprüfung Rz. 1 m.w.N. 2 Zutreffend stellt Fissenewert in HHR, § 42f EStG Rz. 6 heraus, dass diese BpO 2000-Regelung für die Lohnsteuer-Außenprüfung ebenso angewendet werden müsste. 3 Hilbert, Diss., 182 f., S. 287 und 311. 4 Fissenewert in HHR, § 42f EStG Rz. 3. Ergänzend zum gesamten Abschnitt Hilbert, NWB 2020, 1449. 5 BFH v. 1.8.1986 – VI R 26/85, BFH/NV 1987, 77. 6 R 42f Abs. 2 LStR 2015. 7 Insgesamt H/M/W, Außenprüfung Rz. 5. 8 R 42f Abs. 3 Satz 2 LStR 2015. 9 Insgesamt H/M/W, Außenprüfung Rz. 5/2; krit. zur Regelung Fissenewert in HHR, § 42f EStG Rz. 11.

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F. Lohnsteuer-Außenprüfung | Rz. 3.264 Kap. 3

Wohnung) besondere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit. Die Beschränkungen auf bestimmte Steuerpflichtige nach § 193 Abs. 1 AO gelten für die Lohnsteuer-Außenprüfung indes nicht, da § 193 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Blick auf die Steuereinbehaltungs- und Abführungsverpflichtung eine gesonderte Rechtsgrundlage enthält, die z.B. auch die Prüfung der Lohnsteuer bei Arbeitnehmer beschäftigenden Privatpersonen ermöglicht.1 Obwohl selbst Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG), sind weder die originären steuerlichen Pflichten noch der Einkommensteueranspruch gegen den Arbeitnehmer2 Gegenstand der Lohnsteuer-Außenprüfung; er ist darüber hinaus nicht Verfahrensbeteiligter i.S.d. § 78 AO. Aufgrund der Einbehaltungsverpflichtung des Arbeitgebers dürfen die steuerlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer aber insoweit geprüft werden, selbst wenn etwaige Steuernachforderungen dann ihnen gegenüber geltend zu machen sind (§ 194 Abs. 1 Satz 4 AO). Darüber hinaus treffen die Arbeitnehmer bestimmte Auskunfts- sowie Vorlagepflichten und über die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 15 AO3 kann aufgrund der Maßnahme ihnen gegenüber die Festsetzungsfrist hinausgezögert werden.

3.263

2. Sachlich Da die „Einbehaltung oder Übernahme und Abführung der Lohnsteuer“ (§ 42f Abs. 1 EStG) durch das Betriebsstättenfinanzamt bei der Lohnsteuer-Außenprüfung geprüft werden soll, können alle im Lohnsteuerverfahren relevanten Aspekte Gegenstand der Prüfung sein. Hierdurch wird aber zugleich bereits eine Grenze gesteckt, sind doch lediglich dem Lohnsteuerabzug als besonderer Erhebungsform der Einkommensteuer unterliegende Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 EStG von der Prüfung in Blick zu nehmen.4 Nach der Finanzverwaltung soll das Hauptaugenmerk darauf liegen, „ob sämtliche Arbeitnehmer, auch die nicht ständig beschäftigten, erfasst wurden und alle zum Arbeitslohn gehörigen Einnahmen, gleichgültig in welcher Form sie gewährt wurden, dem Steuerabzug unterworfen wurden und ob bei der Berechnung der Lohnsteuer von der richtigen Lohnhöhe ausgegangen wurde“5. Im Einzelnen heruntergebrochen kann also insbesondere die im Gesetz nicht definierte steuerliche Arbeitnehmereigenschaft der für ein Unternehmen tätigen Personen geprüft werden, die lohnsteuerliche Erfassung von im Rahmen einer Entsendung aufgenommenen Mitarbeitern (§ 38 Abs. 1 Satz 2 EStG) sowie die zutreffende Behandlung und Bewertung aller Vergütungsbestandteile einschließlich der dem Lohnsteuereinbehalt zu unterwerfenden Drittlohnzahlungen nach § 38 Abs. 1 Satz 3 EStG, wobei im Fall der letztgenannten Leistungen möglicherweise zunächst geklärt werden muss, wer für diese den Steuerabzug durchzuführen hatte. Weitere Prüfungsfelder können die korrekte Bestimmung der Höhe der Lohnsteuer unter Beachtung des Verfahrens der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM) sowie der sonstigen lohnsteuerlichen Verfahrensvorschriften und die ordnungsgemäße Anwendung von Pauschalierungsnormen einschließlich der Einkommensteuerpauschalierungen nach den §§ 37a und 37b EStG6 sein.7 Die Prüfung kann und wird sich regelmäßig zudem insoweit auch auf den Solidaritätszuschlag und die Kirchen(lohn)steuer als Zuschlagsteuern nach § 51a 1 2 3 4 5 6 7

Nr. 5 AEAO zu § 193. BFH v. 15.12.1989 – VI R 151/86, BStBl. II 1990, 526. Zur Regelung z.B. Haupt, BB 2015, 983. Vgl. Fissenewert in HHR, § 42f EStG Rz. 4. R 42f Abs. 3 Satz 1 LStR 2015. „Die pauschale Einkommensteuer gilt als Lohnsteuer“ (§ 37a Abs. 4 und § 37b Abs. 4 Satz 1 EStG). Ein ausf. Überblick zu möglichen einzelnen Prüfungsschwerpunkten findet sich bei Foerster, StuB 2014, 642, 645 f.

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3.264

Kap. 3 Rz. 3.264 | Besondere Prüfungsformen

Abs. 1 EStG erstrecken, ebenso z.B. auf Arbeitnehmer-Sparzulagen1 und die in Bremen und im Saarland erhobenen Beiträge zur Arbeits- bzw. Arbeitnehmerkammer. Verbunden mit der Lohnsteuer-Außenprüfung wird zudem oftmals die Prüfung anderer Abzugsteuern, insbesondere der Kapitalertragsteuer (§ 50b EStG) und des Steuerabzugs bei beschränkt Steuerpflichtigen nach § 50a EStG i.V.m. § 73d EStDV.2 Die sachliche Richtigkeit der ELStAM aber ist ebenso wenig Prüfungsgegenstand wie die Umsatzsteuer, die Wahrnehmung der bei der Altersvorsorgezulage dem Anbieter (§ 80 EStG) und der zuständigen Stelle (§ 81a EStG) obliegenden Pflichten3 oder die Einhaltung des Mindestlohns4. Auch gehört die Prüfung der sozialversicherungsrechtlich gestalteten Voraussetzungen der Lohnsteuerpauschalierung für geringfügig Beschäftigte nach § 40a Abs. 2 EStG ungeachtet der hierfür geltenden Verfahrensvorschriften der AO nicht zu den originären Aufgaben des Finanzamts, weshalb dieses insoweit regelmäßig lediglich kontrollieren wird, ob alle geringfügig beschäftigten – und damit vom normalen Lohnsteuerabzug ausgenommenen – Arbeitnehmer bei der Minijob-Zentrale erfasst sind.5

III. Zuständigkeit für die Lohnsteuer-Außenprüfung 1. Sachlich und örtlich 3.265

Sofern keine der nachfolgend erläuterten Sonderzuständigkeiten greifen oder es sich um eine Auftragsprüfung handelt, ist das Betriebsstättenfinanzamt des Arbeitgebers (§ 42f Abs. 1 EStG)6 oder das des die Arbeitgeberpflichten übernehmenden Dritten (§ 42f Abs. 3 Satz 1 EStG) für die Lohnsteuer-Außenprüfung zuständig. Örtlich ist die Festlegung damit nach der lokalen Belegenheit der lohnsteuerlichen Betriebsstätte gem. § 41 Abs. 2 EStG zu treffen; nicht maßgebend ist der Betriebsstättenbegriff des § 12 AO.

2. Sonderzuständigkeit(en) und Zentralisierungsmöglichkeiten 3.266

§ 17 Abs. 2 Satz 3 FVG enthält eine Verordnungsermächtigung für Landesregierungen der Bundesländer, auf deren Grundlage etwa Zuständigkeiten bei einem Finanzamt oder einer besonderen Landesfinanzbehörde gebündelt werden können; wiederum im Verordnungswege kann diese von der Regierung auf die oberste für die Finanzverwaltung zuständige Landesbehörde übertragen werden. Ein Beispiel für die Nutzung dieses Instrumentariums ist die Zentrale Außenprüfung Lohnsteuer (ZALST) in NRW, bei der Arbeitgeber ab einer gewissen Größenklasse geprüft werden.7

3. Auftragsprüfung der Lohnsteuer 3.267

Bereits im Gesetzestext zur Lohnsteuer-Außenprüfung selbst findet sich der Hinweis zur Möglichkeit der Auftragsprüfung nach § 195 Satz 2 AO (§ 42f Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 EStG; Rz. 1.130 ff.); diese Option besteht sogar im Fall der vorstehend beschriebenen Sonderzustän1 2 3 4 5 6

S. dazu auch § 15 Abs. 5 5. VermBG. Krüger in Schmidt40, § 42f EStG Rz. 1. Insgesamt H/M/W, Außenprüfung Rz. 6/1 und 8 f. Schmidt, NWB 2015, 1944. H/M/W, Außenprüfung Rz. 12. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll es sich hierbei um eine § 195 Satz 1 AO ergänzende Zuständigkeitsvorschrift handeln; BT-Drucks. 7/1470, 7. 7 Vgl. z.B. BFH v. 16.11.2005 – VI R 23/02, BStBl. II 2006, 210; BFH v. 13.1.2011 – VI R 61/09, BStBl. II 2011, 479. Zu einer Kontroverse zur Zulässigkeit einer solchen Prüfungskonzentration Felix, DB 1989, 354 und Kalenberg/Heilgenberg, DB 1989, 900.

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F. Lohnsteuer-Außenprüfung | Rz. 3.270 Kap. 3

digkeit.1 Auch Vorschriften zum Datenschutz oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stehen dem nicht entgegen;2 es müssen aber neben sachlichen Erwägungen die berechtigten Interessen des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden.3 Ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf lohnsteuerliche Prüfung durch ein bestimmtes Finanzamt besteht indes nicht.4 Gerade für die Lohnsteuer-Außenprüfung kann eine Auftragsprüfung etwa zur Kontrolle von Lohnzahlungen durch Dritte oder bei Betriebsstätten bundesweit tätiger Unternehmen in Betracht kommen. Die Beauftragung ist auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet und ist damit ein selbständiger Verwaltungsakt i.S.d. § 118 Satz 1 AO.5 Die Prüfungsanordnung kann das beauftragende Finanzamt nach seinem Ermessen (§ 5 AO) selbst erlassen oder diese Befugnis nach § 5 Abs. 1 Satz 2 BpO 2000 ebenso auf das beauftragte Finanzamt übertragen.6 Die beauftragende Finanzbehörde bestimmt dabei den sachlichen Umfang der Lohnsteuer-Außenprüfung und den Prüfungszeitraum.7 Aus der Prüfungsanordnung müssen sich die Ermessenserwägungen für die Beauftragung ergeben,8 wobei für die Lohnsteuer jedoch ein Hinweis auf die Prüfung anderer Betriebsstätten desselben Arbeitgebers oder verbundener Unternehmen durch das beauftragende Finanzamt ausreichen dürfte.

3.268

Ein Rechtsbehelf gegen die vom beauftragten Finanzamt selbst erlassene Prüfungsanordnung ist auch gegen ebendieses zu richten9. Wird eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch ein örtlich unzuständiges Finanzamt ohne wirksamen Auftrag angeordnet, so ist die Prüfungsanordnung insoweit rechtswidrig und muss auf entsprechenden Rechtsbehelf hin aufgehoben werden.10

3.269

4. Zusammenwirken mit anderen Prüfungsdiensten Die Lohnsteuer-Außenprüfung kann zeitgleich zu einer Prüfung durch die Rentenversicherungsträger nach § 28p SGB IV ausgeführt werden. Der zum Jahr 2010 dem § 42f EStG angefügte Abs. 4 sieht vor, dass der Arbeitgeber dies über einen formlosen Antrag verlangen kann.11 Ziel der Regelung sollte sein, den Aufwand für die Wirtschaft durch zwei zeitlich voneinander getrennte Prüfungen zu reduzieren. Es handelt sich allerdings um eine Ermessensentscheidung; ein Rechtsanspruch auf zeitgleiche Außenprüfungen besteht nicht. Auch führt die zeitgleiche keineswegs zu einer inhaltlich gemeinsamen oder einheitlichen Prüfung. Die Trennung der Verwaltungswege und in Streitfällen ebenso der Gerichtszweige bleibt beibehalten; zudem müssen jeweils die Grenzen des Steuer- und Sozialgeheimnisses sowie des Datenschutzes gewahrt werden. Die Möglichkeit einer tatsächlich einheitlichen und verbundenen Prüfung wurde vom Gesetzgeber allenfalls für die Zukunft in Aussicht gestellt.12 1 BFH v. 10.12.2012 – II B 108/11, BFH/NV 2013, 344. 2 BFH v. 17.2.2011 – VIII B 51/10, BFH/NV 2011, 761 (Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen; BVerfG v. 20.12.2012 – 1 BvR 1572/11). 3 FG Sa.-Anh. v. 25.1.2012 – 3 K 616/10, EFG 2012, 1218 (rkr.). 4 FG Rh.-Pf. v. 6.5.1991 – 5 K 1179/91, EFG 1991, 641 (rkr.). 5 BFH v. 21.4.1993 – X R 112/91, BStBl. II 1993, 649. 6 FG Sa.-Anh. v. 25.1.2012 – 3 K 1216/09 (NZB als unzulässig verworfen; BFH v. 12.7.2012 – I B 31/12). 7 Satz 2 AEAO zu § 195; ergänzend FG Schl.-Holst. v. 19.3.2013 – 1 K 64/10, EFG 2013, 1191 (rkr.). 8 St. Rspr.; z.B. BFH v. 10.12.1987 – IV R 77/86, BStBl. II 1988, 322, ferner BFH v. 6.8.2013 – VIII R 15/12, BStBl. II 2014, 232. 9 BFH v. 18.11.2008 – VIII R 16/07, BStBl. II 2009, 507. 10 BFH v. 25.1.1989 – X R 158/87, BStBl. II 1989, 483. Insgesamt zu den Ausführungen dieses Abschnitts H/M/W, Außenprüfung, Rz. 14 f. 11 Ausf. zu dieser Regelung Schmidt, NWB 2012, 3692. 12 Dazu insgesamt die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 16/10188, 26.

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3.270

Kap. 3 Rz. 3.271 | Besondere Prüfungsformen

3.271

Organisatorische Schwierigkeiten und auch die gegenseitig fehlende Bindungswirkung führen indes eher zu einer bescheidenen Entlastungswirkung durch die Prüfung zur gleichen Zeit. Selbiges ist aus Sicht der Unternehmenspraxis wohl ebenfalls für eine neben der LohnsteuerAußenprüfung zeitgleich durchgeführte allgemeine steuerliche Betriebsprüfung oder eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung (Rz. 3.65 ff.) zu konstatieren. Selbst wenn hier parallel stattfindende Prüfungen grundsätzlich sogar angestrebt werden, können etwa unterschiedliche Prüfungszeiträume oder die teils gar naturgemäß stark voneinander abweichenden Inhalte zu Konfusionen führen. Auch kann eine Häufung von Anfragen an die nach § 8 Abs. 1 BpO 2000 vom Unternehmen benannten Auskunftspersonen zur Überlastung führen.1

3.272

Über die Regelung des § 19 FVG ist das BZSt zur Mitwirkung an einer Lohnsteuer-Außenprüfung berechtigt, wovon es u.a. Gebrauch macht, um für bestimmte lohnsteuerliche Prüfungsfelder auf eine Gleichmäßigkeit der Behandlung von Arbeitgebern und ihrer Arbeitnehmer hinzuwirken. Diese Aufgabe nimmt es mit Hilfe eigener Prüfer wahr, aber im Rahmen der Prüfung durch das zuständige Finanzamt, mithin ohne originäres eigenes Prüfungsrecht. Ferner zulässig ist die Unterstützung des Finanzamts durch Fachprüfer einer Mittelbehörde wie einer OFD oder eines Landesamtes für Steuern.2

IV. Anordnung der Lohnsteuer-Außenprüfung 1. Zu prüfender Arbeitgeber und Prüfungsanordnung 3.273

Insbesondere begrenzte personelle Ressourcen erlauben es der Finanzverwaltung nicht, jeden Arbeitgeber für jeden möglichen Prüfungszeitraum der Lohnsteuer-Außenprüfung zu unterwerfen. Das Ansinnen solch vollends lückenloser Kontrolle mag zwar grundsätzliches Ziel der Außenprüfung sein, wäre aber wohl auch nur wenig effizient. Das Finanzamt ist deshalb berechtigt, im Zuge einer gerichtlich nach § 102 FGO überprüfbaren Ermessensentscheidung eine Auswahl zu treffen.3 Regelmäßig wird hierzu ein entsprechender Prüfungsplan erstellt. Das Finanzamt sollte sich diesbezüglich von Erwägungen zu Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit leiten lassen und dabei insbesondere die eingangs erwähnten Ziele der LohnsteuerAußenprüfung verfolgen, weshalb ein etwaiges Mehr- oder Minderergebnis nicht entscheidend sein darf.4 Eine besondere Begründung oder eine konkrete Vermutung, dass Unregelmäßigkeiten in der Erfüllung der lohnsteuerlichen Pflichten bestehen, ist allerdings nicht erforderlich; äußere Grenzen steckt letztlich das Willkür- und Schikaneverbot ab.5

3.274

Dem sachlichen Prüfungsgegenstand der Lohnsteuer-Außenprüfung entsprechend, kann sie nicht nur angeordnet werden, wenn die Eigenschaft als (einbehaltungspflichtiger) Steuerpflichtiger nach § 33 Abs. 1 AO bereits feststeht, sondern auch, wenn ein Aufklärungsbedürfnis besteht, ob die Eigenschaft als lohnsteuerlicher Arbeitgeber oder ein Fall der Übernahme entsprechender Verpflichtungen gegeben ist.6 Es gilt dies selbst dann, wenn der Erlass eines Haftungsbescheids gegen den Arbeitgeber womöglich ermessenswidrig wäre, die Steuernachforderung aber anderen Personen gegenüber geltend gemacht werden kann.7 1 H/M/W, Außenprüfung, Rz. 12/1. 2 H/M/W, Außenprüfung, Rz. 13. 3 BFH v. 21.6.1994 – VIII R 54/92, BStBl. II 1994, 678 m.w.N.; ferner allgemein z.B. Drüen, AO-StB 2014, 343. 4 BFH v. 11.4.1990 – I R 167/86, BStBl. II 1990, 772. 5 BFH v. 28.9.2011 – VIII R 8/09, BStBl. II 2012, 395. 6 BFH v. 1.8.1986 – VI R 26/85, BFH/NV 1987, 77. 7 BFH v. 23.1.1985 – I R 53/81, BStBl. II 1985, 566 zum Steuerabzug nach § 50a EStG. Insgesamt ferner H/M/W, Außenprüfung, Rz. 15 f.

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F. Lohnsteuer-Außenprüfung | Rz. 3.278 Kap. 3

Angeordnet wird die Lohnsteuer-Außenprüfung über eine schriftlich oder elektronisch zu erteilende Prüfungsanordnung mit Rechtsbehelfsbelehrung nach § 356 AO (Rz. 1.165 ff.). Diese Anordnung nach § 196 AO ist ein eigenständiger Verwaltungsakt i.S.d. § 118 AO, die den Arbeitgeber zur Duldung und Mitwirkung verpflichtet. Verfahrensrechtlich gelten hier die bei der allgemeinen Betriebsprüfung zu beachtenden Grundsätze, es bedarf allerdings neben dem Verweis auf § 193 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AO auch eines Hinweises auf § 42f EStG als Rechtsgrundlage. Wird aufgrund der bei einer Lohnsteuer-Nachschau getroffenen Feststellungen zu einer Lohnsteuer-Außenprüfung übergegangen, so ist dies ohne vorherige Prüfungsanordnung möglich; es bedarf dann allerdings eines schriftlichen Hinweises (§ 42g Abs. 4 EStG). Für diesen gelten die Grundsätze zur Prüfungsanordnung entsprechend.

3.275

2. Prüfungszeitraum Die Anschlussprüfung, also die nahtlose Anknüpfung an den vorherigen Prüfungszeitraum, ist grundsätzliches Ziel der Lohnsteuer-Außenprüfung, allerdings gelten auch für den zeitlichen Rahmen die bereits vorstehend erwähnten faktischen Restriktionen durch begrenzte Prüfungsressourcen. Im Sinne einer gleichheitsgerechten Behandlung ist zu vermeiden, dass einige Arbeitgeber stets und lückenlos, andere hingegen nur äußerst selten oder gar nicht geprüft werden. Auch den Prüfungszeitraum kann die Finanzverwaltung deshalb durch entsprechend ermessenslenkende Weisungen begrenzen.1 Ausprägung einer solchen Beschränkung kann etwa eine Weisung sein, nach der für bestimmte Größenklassen und Verflechtungsgrade von Unternehmen Referenz-Prüfungszeiträume festgelegt werden.2 Entsprechende Weisungen dienen einer gleichmäßigen Behandlung vergleichbarer Arbeitgeber; sie sind auf längere Dauer angelegt, hinreichend konkret und lassen deshalb auf einen Willen zur Selbstbindung schließen.3 Regionale Unterschiede sind dabei hinzunehmen.4 Solche Weisungen eines Bundeslandes binden allerdings nicht die Verwaltung eines anderen.5 Obwohl der Prüfungszeitraum bei Klein- und Mittelbetrieben regelmäßig drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume nicht überschreiten soll, kann gleichwohl auch bei diesen eine zeitlich umfassendere Lohnsteuer-Außenprüfung angeordnet werden.6

3.276

Der Prüfungszeitraum endet oft mit dem letzten Tag des Zeitraums, für den zum Prüfungsbeginn eine Lohnsteuer-Anmeldung vorhanden sein müsste;7 damit ist die Lohnsteuer-Außenprüfung häufig relativ zeitnah.8 Die Prüfung auf Zeiträume zu erstrecken, für die ein Steueranspruch sicher verjährt ist, dürfte i.d.R. nicht verhältnismäßig sein.9

3.277

3. Prüfungsschwerpunkte Die Bestimmung des sachlichen Umfangs der einzelnen Prüfung ist ebenso Ermessensentscheidung der Finanzbehörde; eine Beschränkung auf bestimmte Sachverhalte ist möglich 1 2 3 4 5 6 7 8

BFH v. 10.6.1992 – I R 142/90, BStBl. II 1992, 784. BFH v. 15.6.2016 – III R 8/15, BStBl. II 2017, 25, ferner §§ 3 und 4 BpO 2000. FG Nds. v. 22.2.1989 – XI 389/87, DStR 1989, 53 (rkr.). BFH v. 17.7.1985 – I R 214/82, BStBl. II 1986, 21. BFH v. 23.7.1985 – VIII R 197/84, BStBl. II 1986, 36, dort: Prärogativ des föderalen Prinzips. Dies ist nicht ermessensfehlerhaft; FG Thür. v. 22.5.1997 – I 44/97, EFG 1998, 984 (rkr.). H/M/W, Außenprüfung, Rz. 17, dort auch insgesamt zu diesem Abschnitt. Es gelten allerdings nicht die Regelungen zur zeitnahen Betriebsprüfung nach § 4a BpO 2000; vgl. § 1 Abs. 2 BpO 2000. 9 Eine solche Prüfung würde u.a. gegen die für allgemeine Betriebsprüfungen geltenden Grundsätze zur Verhältnismäßigkeit nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BpO 2000 verstoßen; so mit m.E. zutreffender Ansicht H/M/W, Außenprüfung, Rz. 16.

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3.278

Kap. 3 Rz. 3.278 | Besondere Prüfungsformen

(§ 194 Abs. 1 Satz 2 AO). Darüber hinaus sind weitere ermessenslenkende Weisungen zulässig, etwa die Festlegung bestimmter vorrangiger Prüffelder oder die Anordnung von Schwerpunktprüfungen. Die Beschränkung einer Prüfung auf bestimmte Sachverhalte führt aber nicht ohne Weiteres zu einer abgekürzten Betriebsprüfung i.S.d. § 203 AO, bei der eine Schlussbesprechung nicht zwingend ist und der Prüfungsbericht nicht auf Antrag vor seiner Auswertung zur Möglichkeit der Stellungnahme an den Arbeitgeber übersandt werden muss (Rz. 3.1 ff.).

3.279

Das Finanzamt kann die Lohnsteuer-Außenprüfung etwaig auch auf andere Sachverhalte erweitern. Umgekehrt prüft die allgemeine Betriebsprüfung zudem bisweilen Sachverhalte, die an sich der gesonderten Betriebsprüfung der Lohnsteuer vorbehalten sind, etwa die Pauschalierungen bei der Einkommen- und der Lohnsteuer nach den §§ 37a und b sowie den §§ 40 bis 40b EStG. Sollen sodann im Zuge einer späteren Lohnsteuer-Außenprüfung noch andere Sachverhalte in diesem Bereich geprüft werden, so bedarf es einer klaren Abgrenzung in der Prüfungsanordnung, da die nach der Betriebsprüfung eintretende verfahrensrechtliche Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO durch den sachlichen Prüfungsumfang determiniert wird.1

V. Durchführung der Lohnsteuer-Außenprüfung 1. Vorbereitung 3.280

Der zur Prüfung herangezogene Arbeitgeber oder sein steuerlicher Berater sollten zunächst die formale Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung kontrollieren und sich sodann mit dem vom Finanzamt benannten Prüfer über Ort und tatsächlichen Beginn der Prüfung abstimmen. Fehlt ein geeigneter Geschäftsraum, so kann auf entsprechenden Antrag hin eine Prüfung im Büro des Steuerberaters in Betracht kommen,2 wenn der Prüfung dort zumindest keine gleichwertigen Verwaltungsinteressen entgegenstehen.3 Gerade bei größeren Betrieben wird dem Prüfer jedoch i.d.R. dort ein eigener Arbeitsplatz unentgeltlich (§ 200 Abs. 2 Satz 2 AO) gestellt werden. Praktisch sollte auch an die etwaige Bereitstellung eines Parkplatzes gedacht werden, gerade in Industriebetrieben zudem an die notwendigen Zugangsberechtigungen (Ausweis) und – sofern einschlägig – maßgebliche arbeitsschutzrechtliche Hinweise zum Verhalten auf dem Betriebsgelände respektive an den Anlagen. Ferner sollten dem Prüfer vom Arbeitgeber eine oder mehrere Auskunftspersonen benannt werden, die als – vorzugsweise steuerrechtlich – fachlich versierte Ansprechpartner die Mitwirkungspflichten erfüllen; in Großunternehmen werden dies im Regelfall die mit lohnsteuerlichen Fragen betrauten Mitarbeiter der jeweiligen Steuerabteilung sein (vgl. Rz. 1.150 f.). Gleichwohl bleibt der Steuerpflichtige selbst weiterhin ebenfalls zur Mitwirkung verpflichtet, ferner kann der Prüfer unter den Voraussetzungen des § 200 Abs. 1 Sätze 3 und 4 AO sowie des § 42f Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG auch andere Betriebsangehörige um Auskunft ersuchen (§ 8 Abs. 1 und 2 BpO 2000); über das konkrete Vorgehen in solchen Fällen – etwa Befragung nur im Beisein der Auskunftspersonen – kann und sollte jedoch im Idealfall vorab Einvernehmen erzielt werden.4

3.281

Der Prüfer wird sich anhand der in der Finanzverwaltung vorhandenen Unterlagen ein erstes Bild verschaffen, etwa Unterlagen vorheriger Prüfungen einsehen und insbesondere klären, ob Unregelmäßigkeiten oder Diskrepanzen wie z.B. ausgebliebene Lohnsteuer-Anmeldungen 1 Insgesamt H/M/W, Außenprüfung, Rz. 19 f. 2 Hierüber hat die Verwaltung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden; BFH v. 28.11.2006 – VI B 33/06, n.v. Ansonsten gilt § 6 BpO 2000; s. ferner § 200 Abs. 2 und 3 AO. 3 von Bornhaupt, BB 1990, Beilage 1, 5. 4 So zutreffend und auch insgesamt H/M/W, Außenprüfung, Rz. 40 f.

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F. Lohnsteuer-Außenprüfung | Rz. 3.284 Kap. 3

oder Zahlung zu verzeichnen sind. Er wird daraus sowie aus den später vor Ort getroffenen Wahrnehmungen und anfänglichen Feststellungen seine (weiteren) Prüfungsanfragen ableiten.

2. Prüfungsbefugnisse und Pflichten auf Unternehmensseite a) Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers Der Arbeitgeber als Steuerpflichtiger hat bei der Feststellung der Sachverhalte, die für die Besteuerung erheblich sein können, mitzuwirken; (auch) für die Lohnsteuer-Außenprüfung gelten die Vorschriften des § 200 AO (§ 42f Abs. 2 Satz 1 EStG).1 Konkret hat er vor allem Auskünfte zu geben und Einsicht in die ihm zur Verfügung stehenden (elektronischen) Lohnsteuerabzugsmerkmale und die Identifikationsnummern der Arbeitnehmer, in die nach § 4 LStDV vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Lohnkonto sowie in die Lohn- und Geschäftsbücher einschließlich sonstiger Unterlagen zu gewähren. Als Verfahrensbeteiligter kann der Arbeitgeber die Auskunftsverweigerungsrechte der §§ 101 und 103 AO nicht für sich beanspruchen. Die Auskunftspflicht geht so weit, wie der Prüfer nach den §§ 88, 194, 199 AO zu Ermittlungen berechtigt ist. Der Prüfer darf somit auch Anstellungsverträge und andere Unterlagen, wie etwa Miet- oder Kaufverträge, einsehen, sofern diese Aufschluss über geldwerte Vorteile für Arbeitnehmer geben könn(t)en. Art und Umfang der zur Einsicht angeforderten Unterlagen liegen im pflichtgemäßen Ermessen des Prüfers, das durch die je nach Lage des Einzelfalls unterschiedlichen Erfordernisse einer ordnungsgemäßen Durchführung der Prüfung bestimmt wird. Das Interesse des Arbeitgebers an einer besonderen Geheimhaltung, z.B. von Personalakten (soweit es sich nicht um die Anstellungsverträge handelt), ist angemessen zu berücksichtigen. Kommt der Arbeitgeber seiner Mitwirkungspflicht nicht nach, kann das Finanzamt ein Verzögerungsgeld nach § 146 Abs. 2b AO festsetzen.2

3.282

Der Prüfer wird Auskünfte i.d.R. vom Arbeitgeber oder von den von diesem beauftragten Auskunftspersonen (§ 8 Abs. 1 BpO 2000) einholen. Der Arbeitgeber kann – wie erwähnt – einen oder mehrere der eigenen Mitarbeiter, seine Steuerberater oder dessen Mitarbeiter beauftragen. Bestehen Zweifel, kann das Finanzamt eine Vollmacht verlangen; bei Angehörigen der steuerberatenden Berufe darf die Bevollmächtigung aber vermutet werden.3 Derjenige, der für den Arbeitgeber als Gesprächspartner des Prüfers auftritt, kann kraft Anscheinsvollmacht wirksam einen Antrag auf Lohnsteuer-Pauschalierung stellen.4

3.283

b) Digitaler Datenzugriff Sofern der Arbeitgeber Unterlagen auf Bild- oder heutzutage wohl vor allem Datenträgern5 aufbewahrt, ist er verpflichtet, die entsprechenden Hilfsmittel wie etwa ein Lesegerät auf seine Kosten zur Verfügung zu stellen; auf Verlangen der Finanzbehörde hat er die Unterlagen unverzüglich ganz oder teilweise auszudrucken oder ohne Hilfsmittel lesbare Reproduktionen beizubringen (§ 147 Abs. 5 AO). Die Anforderung eines Ausdrucks elektronisch gespeicherter 1 Ergänzt um die nachfolgend angesprochenen Auskunfts- und Vorlagepflichten der (potentiellen) Arbeitnehmer nach § 42f Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG. Einen Überblick zu den Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers bei der Lohnsteuer-Außenprüfung gibt Mösbauer, DB 1998, 1303. 2 BFH v. 16.6.2011 – IV B 120/10, BStBl. II 2011, 855. Ferner insgesamt H/M/W, Außenprüfung, Rz. 43. 3 BFH v. 16.6.1989 – III R 119/85, BStBl. II 1989, 1022. 4 BFH v. 10.10.2002 – VI R 13/01, BStBl. II 2003, 156. Insgesamt H/M/W, Außenprüfung, Rz. 46. 5 Respektive an anderen digitalen Speicherorten (z.B. in einer „Cloud“).

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3.284

Kap. 3 Rz. 3.284 | Besondere Prüfungsformen

Daten liegt im Ermessen des Prüfers.1 Der Prüfer ist darüber hinaus nicht nur berechtigt, Einsicht in gespeicherte Daten zu nehmen, sondern darf betriebliche IT-Systeme zur Prüfung der Daten nutzen oder eine maschinelle Auswertung respektive die Vorlage der Daten auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Auswertung in eigenen Systemen verlangen (§ 147 Abs. 6 AO); der Arbeitgeber soll ihn hierbei unterstützen (§ 200 Abs. 1 Satz 2 AO). Eine Speicherung und Auswertung auf mobilen Rechnern der Prüfer ist grundsätzlich nur bei Nutzung in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen oder den Diensträumen der Finanzverwaltung zulässig.2 Es entspricht dies zwar den Vorgaben zum Ort der Prüfung nach § 6 BpO 2000, oftmals aber nicht der durchaus pragmatisch gelebten Realität gerade in der Lohnsteuer-Außenprüfung.3 Möglich und sinnvoll erscheint sodann vielmehr auch eine einvernehmliche Verständigung zwischen Steuerpflichtigem und Prüfer, ob Daten durch den Prüfer z.B. ebenfalls bei diesem zu Hause mit dem dienstlichen Notebook ausgewertet werden dürfen.4 Neben den Gehaltsunterlagen und den Lohnkonten erstreckt sich das Datenzugriffsrecht zudem auf die Finanzbuchhaltung und die sonstigen nach § 147 Abs. 1 AO geordnet aufzubewahrenden Unterlagen.5 Bei der Anwendung dieses sehr weiten Zugriffsrechts sind die Vorgaben des Datenschutzes und das Steuergeheimnis zu beachten, ferner stellt gerade die digitale Betriebsprüfung aufgrund der weiten Einblicks- und Auswertungsmöglichkeiten besondere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit.6

3.285

Die im Lohnkonto aufzuzeichnenden Daten haben Arbeitgeber nach einer amtlich vorgeschriebenen einheitlichen Form über eine digitale Schnittstelle elektronisch bereitzustellen (siehe dazu die Verordnungsermächtigung in § 41 Abs. 1 Satz 7 EStG i.V.m. § 4 Abs. 2a LStDV).7 Hierzu dient die sog. Digitale LohnSchnittstelle (DLS). Sie besteht aus einem Standarddatensatz mit einer einheitlichen Strukturierung und Bezeichnung von elektronischen Dateien und Datenfeldern, dessen jeweils aktuelle Version auf der Internetseite des BZSt zum Download bereitsteht; zur Vermeidung unbilliger Härten kann das Betriebsstättenfinanzamt in begründeten Fällen zulassen, dass die lohnsteuerlichen Daten auch in einer anderen auswertbaren Form bereitgestellt werden.8 c) Auskunftspflichten der (potentiellen) Arbeitnehmer und Dritter

3.286

Neben dem Arbeitgeber können bei der Lohnsteuer-Außenprüfung aber zudem die Arbeitnehmer des Betriebs zur Mitwirkung verpflichtet werden. Personen mit gegenwärtigem und auch früherem Dienstverhältnis zum Betrieb haben dem Prüfer jede gewünschte Auskunft über Art und Höhe ihrer Einnahmen zu geben und auf Verlangen die etwa in ihrem Besitz befindlichen Bescheinigungen für den Lohnsteuerabzug sowie die Belege über bereits entrichtete Lohnsteuer vorzulegen (§ 42f Abs. 2 Satz 2 EStG). Die Regelung ist lex specialis im Ver1 BFH v. 26.9.2007 – I B 53, 54/07, BStBl. II 2008, 415; dazu ausführlich Engelberth, NWB 2010, 2307. 2 BFH v. 16.12.2014 – VIII R 52/12, BFH/NV 2015, 1455; besprochen von Ochs/Wargowske, DStR 2015, 2689. 3 So auch Beyer, NWB 2015, 2622, 2623. 4 Zutreffend empfehlen Neufang/Schäfer, StB 2015, 388 (391) dies im Sinne einer Güterabwägung. 5 BFH v. 24.6.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452. Ergänzend FG Rh.-Pf. v. 20.1.2005 – 4 K 2167/04, EFG 2005, 667 (rkr.). 6 Umfassend Drüen, StuW 2003, 205; insgesamt H/M/W, Außenprüfung, Rz. 44 f. 7 Dies gilt für seit dem 1.1.2018 aufzuzeichnende Daten; vgl. § 8 Abs. 3 LStDV. 8 BMF v. 26.5.2017 – IV C 5-S 2386/07/0005 :001, BStBl. I 2017, 789. Weiterführend zur DLS Apel, BB 2011, 2527; Hilbert, NWB 2015, 3377; Eismann, DB 2016, Beilage 4, 23; Krüger, BBK 2017, 708.

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F. Lohnsteuer-Außenprüfung | Rz. 3.291 Kap. 3

hältnis zu § 200 Abs. 1 Satz 3 AO. Der Prüfer kann sich also unmittelbar an die Arbeitnehmer wenden, ohne dass es insoweit erforderlich ist, dass die Auskünfte des Arbeitgebers zur Klärung des Sachverhalts unzureichend oder nicht erfolgversprechend sind. Die Möglichkeit der direkten Auskunftseinholung mag zielführend sein, wenn etwa eine Lohnzahlung durch Dritte – z.B. durch Gewährung steuerpflichtiger Rabattvorteile – gegeben sein könnte. Dies dürfte aber nur solche Zuwendungen betreffen, für die der Arbeitgeber zum Lohnsteuerabzug verpflichtet ist, es sei denn, dass der sachliche Prüfungsumfang gemäß Prüfungsanordnung über die Kontrolle des Steuerabzugs durch den Arbeitgeber hinausreicht.1 Auch darüber hinaus ist die Mitwirkungspflicht der Arbeitnehmer nicht unbegrenzt: Befragt werden dürfen sie zu allen im Rahmen des Dienstverhältnisses vom Arbeitgeber und Dritten zugeflossenen Bar- und Sachleistungen.2 Im Übrigen beschränkt sich die Auskunftspflicht aber auf die jeweiligen steuerlichen Identifikationsnummern und die den Mitarbeitern bekannten persönlichen Lohnsteuerabzugsmerkmale. Außerdem kann der Prüfer die Belege über bereits entrichtete Lohnsteuer (Verdienstbescheinigungen/-abrechnungen) anfordern.3

3.287

Die vorgenannten Auskunftspflichten der Arbeitnehmer erstrecken sich auch auf Personen, bei denen es streitig ist, ob sie Arbeitnehmer des Arbeitgebers sind oder waren (§ 42f Abs. 2 Satz 3 EStG). Diese Personen müssen Angaben zu all solchen Tatsachen machen, die zur Feststellung des Status als steuerrechtlicher Arbeitnehmer von Belang sind. Die Regelung erklärt sich über das Ziel der Lohnsteuer-Außenprüfung, den Kreis der dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfenden Personen genau zu bestimmen.

3.288

Von Dritten – also Personen, die weder vom Arbeitgeber als Auskunftsperson benannt worden noch (mögliche) Arbeitnehmer oder sonstige Betriebsangehörige sind – darf der Prüfer Auskunft grundsätzlich nur in engen Grenzen verlangen. Die Auskunft muss zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und die Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar sein. In Betracht kommen u.a. Auskunftsersuchen an Behörden wie das Melde- oder Ausländeramt, die Agentur für Arbeit oder Berufskammern, Verbände und Sachverständige.4

3.289

3. Schlussbesprechung Wie auch im Fall der allgemeinen Betriebsprüfung (Rz. 1.684 ff., 1.741 ff.) steht vor dem Ende der Lohnsteuer-Außenprüfung im Regelfall eine Schlussbesprechung – nur im Fall einer „ergebnislosen“ Prüfung, bei Verzicht des Arbeitgebers auf die Besprechung (s. zu beidem § 201 Abs. 1 Satz 1 AO) oder im Fall einer abgekürzten Betriebsprüfung entfällt dieser Schritt.

3.290

Von besonderem praktischen Interesse ist hierbei häufig die Verständigung über Tatsachen, die bei einer Schlussbesprechung grundsätzlich verbindlich vereinbart werden kann.5 Erforderlich ist, dass die Einzelsachverhalte ansonsten nur mit großem und als unverhältnismäßig

3.291

1 Allgemein zum notwendigen Bezug zur konkreten Prüfungstätigkeit BFH v. 4.11.2003 – VII R 28/ 01, BStBl. II 2004, 1032; insgesamt H/M/W, Außenprüfung, Rz. 46. 2 Die Auskunftspflicht bezieht sich auf Einnahmen (§ 8 EStG), nicht auf Einkünfte. Fragen zum Abzug von Werbungskosten (§ 9 EStG) sind hier nicht Gegenstand. 3 So zutreffend H/M/W, Außenprüfung, Rz. 48/1. 4 Zu Einzelheiten BFH v. 4.10.2006 – VIII R 53/04, BStBl. II 2007, 227; insgesamt H/M/W, Außenprüfung, Rz. 49. 5 BFH v. 6.2.1991 – I R 13/86, BStBl. II 1991, 673. Plakativ zur Sachverhaltsfeststellung in der Lohnsteuer-Außenprüfung Streck in FS Küttner, S. 231, 232 f.

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Kap. 3 Rz. 3.291 | Besondere Prüfungsformen

anzusehenden Aufwand ermittelt werden könnten und die Angelegenheit einer solchen Verständigung überhaupt zugänglich ist. So kann im Bereich der Lohnsteuer z.B. Einigung zu einem Durchschnittsbetrag an pauschal zu versteuernden Bezügen, zur Zahl der einzubeziehenden Arbeitnehmer und zur Summe der Jahresarbeitslöhne erzielt werden, nicht aber zu einem daraus abzuleitenden Pauschsteuersatz nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Zudem müssen an der Verständigung die für die Vereinbarung zuständigen Amtsträger mitwirken; dies sind bei der Lohnsteuer-Außenprüfung der Vorsteher des Betriebsstättenfinanzamts, der für den Arbeitgeberbezirk und damit für die Geltendmachung der Steuernachforderungen zuständige Sachgebietsleiter der Behörde oder ggf. der Sachgebietsleiter der Rechtsbehelfsstelle.1

4. Prüfungsbericht und Abschluss 3.292

Über das Ergebnis der Lohnsteuer-Außenprüfung ergeht ein schriftlicher Prüfungsbericht, in dem die für die Besteuerung erheblichen Prüfungsfeststellungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sowie die Änderungen der Besteuerungsgrundlagen darzustellen sind. Wenn es zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen kommt (kein Mehr- oder Minderergebnis), so genügt es, wenn dies dem Arbeitgeber schriftlich mitgeteilt wird (§ 202 Abs. 1 AO). Sofern es sich nicht um eine abgekürzte Betriebsprüfung handelt, kann der Arbeitgeber beantragen, dass ihm der Bericht zur Durchsicht sowie zur etwaigen Stellungnahme vorab übersandt wird (§ 202 Abs. 2 AO); der Prüfer sollte den Arbeitgeber auf diese Möglichkeit auch hinweisen (vgl. § 89 Abs. 1 Satz 1 AO). Einspruch kann gegen den Prüfungsbericht nicht eingelegt werden; er ist kein anfechtbarer Verwaltungsakt2 und es besteht ferner kein Anspruch darauf, die Abfassung des Berichts zu beeinflussen3. Mit einer etwaigen Stellungnahme kann der Arbeitgeber aber möglicherweise eine Änderung der Position des Finanzamts erwirken.4

3.293

In der Absendung des finalen Prüfungsberichts ist i.d.R. auch eine Erklärung der prüfenden Behörde zu sehen, dass die Lohnsteuer-Außenprüfung nunmehr abgeschlossen ist. Mit dem Abschluss endet die Pflicht des Arbeitgebers zur Duldung der Maßnahme sowie die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 4 AO (Rz. 1.719 ff.).5

VI. Auswertung der Prüfungsfeststellungen und Folgen der LohnsteuerAußenprüfung 3.294

Führt die Lohnsteuer-Außenprüfung zu Nachforderungen, so können diese verfahrensrechtlich auf unterschiedlichen Wegen geltend gemacht werden. In Betracht kommen kann eine Nachforderung beim Arbeitgeber als originärem Steuerschuldner durch Steuerbescheid nach § 155 AO bei Anwendung der Pauschalierungsnormen (§ 40 Abs. 3 Satz 2 Hs. 1 EStG), alternativ die Nachforderung durch Steuerbescheid (§ 41a Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 155 AO) im Zuge der Änderung einer Festsetzung oder der erstmaligen Festsetzung im Verfahren der Lohnsteuer-Anmeldung oder aber – sofern die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind – 1 Insgesamt H/M/W, Außenprüfung Rz. 64 f. Allgemein zur tatsächlichen Verständigung BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831, ergänzt durch BMF v. 15.4.2019 – IV A 3 - S 0223/07/10002, BStBl. I 2019, 447 zur Beteiligung des für die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträgers. 2 BFH v. 17.7.1985 – I R 214/82, BStBl. II 1986, 21; BFH v. 6.8.2014 – V B 116/13, BFH/NV 2014, 1722. 3 FG Rh.-Pf. v. 6.1.1992 – 5 K 1050/89, EFG 1992, 312. 4 Insgesamt H/M/W, Außenprüfung, Rz. 70 ff. 5 H/M/W, Außenprüfung, Rz. 70 ff. m.w.N.

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F. Lohnsteuer-Außenprüfung | Rz. 3.298 Kap. 3

die Haftungs-Inanspruchnahme des Arbeitgebers nach § 42d EStG durch entsprechenden Haftungsbescheid. Der Pauschalierungs- oder der Haftungsbescheid müssen inhaltlich hinreichend bestimmt sein, wobei es genügt, wenn in seinem Tenor oder in seinen Anlagen – etwa dem entsprechend beigefügten Prüfungsbericht – der Sachkomplex bezeichnet ist, auf dem die Erhebung der Lohnsteuer beruht.1 Zeichnet es sich ab, dass es zu Nachforderungen des Finanzamts kommen wird, so kann es sich in der Praxis – etwa zur schnellen Befriedung der Situation oder zur Vermeidung des weiteren „Einsteigens“ des Finanzamts in bestimmte Sachverhalte – für den Arbeitgeber möglicherweise anbieten, eine berichtigte Anmeldung abzugeben, so dass das Finanzamt die von ihm begehrten Steuerabzüge durch anderweitige Steuerfestsetzung gem. § 168 Satz 1 i.V.m. § 164 Abs. 2 AO verwirklicht. Alternativ ist auch ein schriftliches Lohnsteuer-Anerkenntnis von Seiten des Arbeitgebers möglich, das zu einer entsprechenden Festsetzung kraft Gesetzes führt (§ 42d Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 EStG i.V.m. §§ 167 Abs. 1 Satz 3, 168 AO).2 Minderergebnisse führen zu einem Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung von Lohnsteuer. Es ergeht dann i.d.R. ein entsprechender Steuerbescheid oder es kommt zu einer die notwendige Anpassung nachvollziehenden Bescheid-Änderung.

3.295

Die Lohnsteuer-Anmeldung des Arbeitgebers nach § 41a EStG steht kraft gesetzlicher Fiktion einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1 AO). Da es sich bei der Lohnsteuer-Außenprüfung jedoch um eine abschließende Prüfung im Gesetzessinne handelt, ist der Vorbehalt der Nachprüfung im Anschluss an diese aufzuheben (§ 164 Abs. 3 Satz 3 AO; Rz. 1.730 ff.). Meist geschieht dies innerhalb eines verbundenen Bescheids. Bei Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den gesamten Bescheid kann es sich in der Praxis empfehlen, die oftmals vorteilhaft wirkende Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung nicht anzufechten.

3.296

Als Folge der Lohnsteuer-Außenprüfung tritt auch die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO ein. Aufgrund der Prüfung ergangene Steuerbescheide können dann nur noch geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung gegeben ist. Auch dem späteren Erlass eines Lohnsteuer-Haftungs- oder eines Nachforderungsbescheids wegen neuer, den Prüfungszeitraum betreffender Tatsachen steht die Änderungssperre entgegen.3 Sie greift zudem ebenso nach einer Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 AO4 und selbst, wenn die Finanzbehörde im Prüfungsbericht auf die Möglichkeit einer späteren Inanspruchnahme für den Fall hingewiesen hat, dass die Lohnsteuer nicht von den Arbeitnehmern gezahlt wird.5

3.297

Zu einer über den Prüfungszeitraum hinausgehenden Bindung für die Zukunft führt die Lohnsteuer-Außenprüfung nicht; eine solche lässt sich auch nicht aus dem Verhalten des Prüfers ableiten.6 Eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers in späteren Zeiträumen für fortwährende Fehler, die erkannt, aber nicht beanstandet wurden, könnte sich aber als ermessensfehlerhaft erweisen7 oder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen. Ebenso keine Bindungswirkung erzeugt die Lohnsteuer-Außenprüfung für die Ertragsteuern des Arbeit-

3.298

1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 28.11.1990 – VI R 115/87, BStBl. II 1991, 488. Zu den Möglichkeiten der Inanspruchnahme und Zahlung H/M/W, Außenprüfung, Rz. 77 ff. BFH v. 15.5.1995 – VI R 106/88, BStBl. II 1993, 840. Allgemein zu § 173 Abs. 2 AO Lohmeyer, INF 1995, 236 und Thomas, DStR 1992, 1468. BFH v. 17.2.1995 – VI R 52/94, BStBl. II 1995, 555. BFH v. 20.7.1962 – VI 167/61 U, BStBl. III 1963, 23. Krüger in Schmidt40, § 42f EStG Rz. 11.

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Kap. 3 Rz. 3.298 | Besondere Prüfungsformen

gebers1 sowie für die Veranlagung des Arbeitnehmers; dessen Wohnsitz-Finanzamt ist mithin nicht daran gehindert, einen der Prüfung unterworfenen Sachverhalt anders zu bewerten. Bindungswirkung zur konkret lohnsteuerlichen Behandlung eines geprüften Sachverhalts in der Zukunft lässt sich über die Beantragung einer verbindlichen Zusage nach § 204 AO (Rz. 9.75 ff.) erreichen. Ferner sollte in der Praxis bei Unklarheiten – auch, wenn diese von einer Lohnsteuer-Außenprüfung hervorgerufen wurden – die Einholung einer ebenfalls wiederum (rein) für das Lohnsteuerverfahren Bindungswirkung erzeugenden Anrufungsauskunft nach § 42e EStG2 in Blick genommen werden. Das Recht auf Anrufungsauskunft steht dem Recht auf Erteilung einer verbindlichen Zusage aufgrund einer Betriebsprüfung dabei nicht entgegen.3

3.299

Eventuell ist – insbesondere, wenn eine Haftungs-Inanspruchnahme des Arbeitgebers ermessensfehlerhaft wäre – der Arbeitnehmer in Anspruch zu nehmen. Grundsätzlich können bei einer Lohnsteuer-Außenprüfung zudem auch die Verhältnisse anderer Personen als des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer ermittelt und im Wege der Kontrollmitteilung (Rz. 1.545 ff.) verwertet werden (§ 194 Abs. 3 AO); es ist allerdings nicht zulässig, dass die Außenprüfung allein zu diesem Zweck durchgeführt wird.4

3.300

Als steuerliche Prüfung sperrt die Lohnsteuer-Außenprüfung – jeweils beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang – bereits mit Bekanntgabe der Prüfungsanordnung oder mit Erscheinen des Amtsträgers zur Durchführung der Maßnahme5 die Straffreiheit im Fall einer Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung (§ 371 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und c AO).

G. Lohnsteuer-Nachschau Literatur: Apitz, Lohnsteuer-Nachschau – § 42g EStG, StBp 2014, 33; Bruschke, Die Nachschau und ähnliche Maßnahmen als Instrument der Steueraufsicht, AO-StB 2018, 376; Buse, Die LSt-Nachschau (§ 42g EStG), DB 2016, 1152; Dißars, Die neue Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG, NWB 2013, 3210; Hartwig, Nachschauen als Instrument der Außenprüfung, DB 2018, Beilage 2, 43; Hartz/Meeßen/Wolf (im Folgenden kurz: H/M/W), ABC-Führer Lohnsteuer, Loseblatt, Stuttgart; Hilbert, Die geplante Lohnsteuer-Nachschau (§ 42g EStG-E), NWB 2012, 3752; Hilbert, Die Lohnsteuer-Nachschau (§ 42g EStG), StB 2013, 244; Hilbert, Nachschau als (neuer) Selbstanzeigen-Sperrgrund, NWB 2014, 2984; Hilbert, Lohnsteuerrecht in der Unternehmenswirklichkeit, Diss., Siegen 2017; Janssen-Heid/ Hilbert, Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG – Übersicht und offene Fragen, BB 2015, 598; Markl/ Eisele, Die neue Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG, BBK 2013, 864; Webel, Ausschluss der Straffreiheit durch das Erscheinen eines Amtsträgers zur steuerlichen Nachschau, StBp 2015, 309.

I. Rechtsgrundlagen und Ziele der Lohnsteuer-Nachschau 3.301

Ein neben der Lohnsteuer-Außenprüfung nach § 42f EStG (Rz. 3.258 ff.) weiteres gesondertes Kontroll- und Absicherungsinstrument im Bereich des Lohnsteuerverfahrens ist die in § 42g EStG unter den Verfahrensvorschriften zur Steuererhebung und dem Steuerabzug vom Arbeits1 BFH v. 8.7.1998 – I R 134/9, BFH/NV 1999, 370. 2 Zur Anrufungsauskunft BMF v. 12.12.2017 – IV C 5 - S 2388/14/10001, BStBl. I 2017, 1656; für einen Überblick z.B. Hilbert, NWB 2018, 466. 3 R 42f Abs. 5 LStR 2015. 4 BFH v. 18.2.1997 – VIII R 33/95, BStBl. II 1997, 499; ferner Nr. 5–7 AEAO zu § 194. 5 Letzteres kann vor allem dann relevant sein, wenn die Prüfungsanordnung nach § 197 Abs. 1 AO ausnahmsweise nicht zuvor bekannt gegeben wurde.

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G. Lohnsteuer-Nachschau | Rz. 3.302 Kap. 3

lohn im Gesetzesabschnitt VI. 2. geregelte Lohnsteuer-Nachschau. Die Norm wurde zu Mitte 20131 neu ins Gesetz eingefügt und orientiert sich stark an der schon länger bestehenden Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b UStG (Rz. 3.145 ff.), die ihrerseits der Nachschau zur zollamtlichen Überwachung in § 210 AO (Rz. 3.427 ff.) entlehnt ist; weitere jüngere Parallel-Regelung ist die Kassen-Nachschau in § 146b AO (Rz. 3.325 ff.). Schlüssiger als diese Vielzahl von Einzelkodifikationen wäre wohl die Einführung einer allgemeinen steuerlichen Nachschau gewesen; eine solche früher einmal geplante Regelung2 wurde jedoch nicht ins Gesetz übernommen. Nach der Gesetzesbegründung sollte die Schaffung des § 42g EStG vor allem dazu dienen, Lohnsteuer-Außenprüfern für deren Beteiligung an Einsätzen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit eine gesicherte Rechtsgrundlage zu schaffen.3 Die Regelung an sich ist allerdings breiter angelegt bzw. formuliert und verfolgt allgemein die „Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer“ (§ 42g Abs. 1 Satz 1 EStG). Nach dem Anwendungsschreiben zur Norm schließt dies auch Annexsteuern- und Abgaben wie möglicherweise noch anfallenden Solidaritätszuschlag, etwaige Kirchenlohnsteuer und Pflichtbeiträge zu Arbeits- oder Arbeitnehmerkammern mit ein.4 Die Lohnsteuer-Nachschau dient dabei als zusätzliches Instrument und besonderes Verfahren der rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlich relevanten Aufgabe, den materiellen Steuergesetzen durch wirksamen Vollzug zu Gleichheit im tatsächlichen Belastungserfolg zu verhelfen. Erreicht werden soll dies über einen Eindruck von den konkreten räumlichen Verhältnissen, dem tatsächlich eingesetzten Personal sowie dem üblichen Geschäftsbetrieb; durch die Möglichkeit, sich schnell, punktuell und spontan ein Bild über das jeweilige Unternehmen zu verschaffen, sollen etwa auch Fälle der nur vorgetäuschten unternehmerischen Betätigung aufgedeckt werden.5 Dem Instrument selbst kommt dabei insgesamt ein eher kursorischer Charakter zu. Erlangt werden sollen im Zuge der Nachschau der Lohnsteuer insbesondere Feststellungen zur Arbeitgeber- oder Arbeitnehmer-Eigenschaft (auch in Abgrenzung zu selbständig oder gewerblich tätigen Personen), zur Anzahl der Mitarbeiter, zum etwaigen Unterhalten einer lohnsteuerlichen Betriebsstätte, zur Aufnahme eines neuen Betriebs, zur steuerlichen Behandlung von Minijobs oder zur Anwendung des elektronischen Lohnsteuer-Verfahrens; kontrolliert werden kann zudem die ordnungsgemäße Anwendung der lohnsteuerlichen Pauschalierungsnormen §§ 40 bis 40b EStG sowie der Einkommensteuerpauschalierungen nach den §§ 37a und 37b EStG. Nicht untersucht werden sollen für den betrieblichen Lohnsteuerabzug nicht relevante individuelle steuerliche Verhältnisse der Arbeitnehmer, die Erfüllung von Arbeitgeberpflichten nach dem 5. VermBG oder – insoweit auch parallel zur Lohnsteuer-Außenprüfung – Beschäftigungen in Privathaushalten.6 Der Zielsetzung nach scheint die Lohnsteuer-Nachschau damit vor allem ein Instrument zu sein, das zur Anwendung in bestimmten Branchen und Fällen (z.B. Bau, Gastronomie, landwirtschaftliche Erntetätigkeit und Dienstleistungsbetriebe wie Nagelstudios, Barber-Shops usw.) prädestiniert ist und das – wie etwa empirische Erkenntnisse zeigen – vor allem gegenüber kleinen bis mittleren und gerade der Finanzverwaltung noch 1 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809 (1817); zusammenfassend zur diesbezüglichen Gesetzgebung z.B. Hilbert, NWB 2012, 3752; Hilbert, StB 2013, 244 und Janssen-Heid/Hilbert, BB 2015, 598. 2 BT-Drucks. 14/6883, 5 f. und 9, seinerzeit geplant als § 88b AO. 3 BT-Drucks. 17/10604, 13; BR-Drucks. 302/12, 39; BR-Drucks. 302/1/12, 48; ergänzend Apitz, StBp 2014, 33, 34 sowie ferner H/M/W, Lohnsteuer-Nachschau, Rz. 3/1, dort zudem zur Zusammenarbeit mit weiteren Behörden. 4 Rz. 3 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408. 5 Bruschke, AO-StB 2018, 376 (378). 6 Rz. 3 ff. in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408.

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3.302

Kap. 3 Rz. 3.302 | Besondere Prüfungsformen

unbekannten Unternehmen zum Einsatz kommt. In der Praxis scheinen eingeführte und große Betriebe dieser Maßnahme eher nicht unterworfen zu werden, wobei bei ebendiesen gegenwartsbezogene und möglicherweise gar laufende Kontroll- und Korrekturmaßnahmen entlang des aktuellen Unternehmensgeschehens von einigen Arbeitgebern durchaus begrüßt würden.1

3.303

Als „besonderes Verfahren zur zeitnahen Aufklärung steuererheblicher Sachverhalte“ (§ 42g Abs. 1 Satz 2 EStG) steht die Lohnsteuer-Nachschau neben den Möglichkeiten zur steuerlichen Außenprüfung, insbesondere also auch neben der Lohnsteuer-Außenprüfung nach § 42f EStG; dies verdeutlicht ergänzend § 42g Abs. 2 Satz 2 EStG mit der dortigen Wendung „außerhalb einer Lohnsteuer-Außenprüfung“. Die verfahrensrechtlichen Regelungen der §§ 193 ff. AO gelten für die Nachschau nicht (vgl. Rz. 1.205). Es bedarf keiner Prüfungsanordnung i.S.d. § 196 AO, zudem keiner Schlussbesprechung nach § 201 AO sowie ferner keines Prüfungsberichts gem. § 202 AO; ein Antrag auf verbindliche Zusage nach § 204 AO ist im Anschluss an eine Lohnsteuer-Nachschau ebenso nicht zulässig.2 Die Festsetzung eines Verzögerungsgelds gem. § 146 Abs. 2b AO kommt nicht in Betracht.3

II. Zuständigkeit 1. Ermessensentscheidung der Behörde 3.304

Der Lohnsteuer-Nachschau unterworfen werden können „Personen, die eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit ausüben“ (§ 42g Abs. 2 Satz 2 EStG), wobei bei diesen der zuvor aufgezeigte, explizit lohnsteuerliche Nachschaubedarf gegeben sein muss; ob dies der Fall ist und ob die Durchführung damit im Einzelnen überhaupt zulässig und auch konkret verhältnismäßig ist, hat die Finanzbehörde im Rahmen einer entsprechenden Ermessensentscheidung nach § 5 AO zu beurteilen.4 Ein steuerstrafrechtlicher (Anfangs-)Verdacht darf hierbei allerdings nicht gegeben sein.5

3.305

In erster Linie trifft die Nachschau des § 42g EStG also zum Lohnsteuereinbehalt verpflichtete (potentielle) Arbeitgeber i.S.d. § 38 Abs. 1 EStG oder aber Dritte, auf denen Arbeitgeberpflichten nach § 38 Abs. 3a EStG lasten können. Bei Arbeitnehmerüberlassung kann die Nachschau – je nach konkretem Ziel – den Ent- oder den Verleiher treffen, zudem ist es möglich, dass eine andere Finanzbehörde mit der Nachschau beauftragt wird, sofern diese über geeignete Bedienstete verfügt.6 Zuständig ist hierbei i.d.R. das jeweilige Betriebsstättenfinanzamt nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG des (vermeintlichen) Arbeitgebers.

2. Mit der Nachschau Beauftragter 3.306

In § 42g Abs. 2 Satz 2 EStG wird lediglich von den „mit der Nachschau Beauftragten“ gesprochen, während die anderen steuerlichen Nachschau-Regelungen diese explizit als Amtsträger (§ 7 AO) bezeichnen. Ein qualitativer Unterschied ist darin jedoch nicht zu erkennen, zumal auch im Anwendungserlass zur lohnsteuerlichen Regelung der Begriff des Amtsträgers ge1 Hilbert, Diss., S. 187 und 287 f. 2 Rz. 2 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408; BT-Drucks. 17/ 10604, 13. Bei Unklarheiten sollte jedoch an die Möglichkeit zur Einholung einer gebührenfreien lohnsteuerlichen Anrufungsauskunft nach § 42e EStG gedacht werden. 3 Apitz, StBp 2014, 33 (36). 4 Gerichtlich überprüft werden kann diese nach § 102 FGO. 5 Janssen-Heid/Hilbert, BB 2015, 598 (600) m.w.H. 6 H/M/W, Lohnsteuer-Nachschau, Rz. 7; Buse, DB 2016, 1152 (1153).

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G. Lohnsteuer-Nachschau | Rz. 3.309 Kap. 3

nutzt und dabei vorgeschrieben wird, dass dieser sich als solcher auszuweisen hat.1 I.d.R. wird es sich um einen Lohnsteuer-Außenprüfer des zuständigen Finanzamts handeln.2 Genannt werden können daneben jedoch noch zahlreiche weitere mögliche Beauftragte wie Veranlagungssachbearbeiter, Großbetriebs-, Konzern- oder Amtsbetriebsprüfer, Prüfer für Auslandsangelegenheiten sowie Steuer- und Zollfahndungsbeamte, soweit sie für die Finanzbehörde tätig werden.3 Die Beauftragung zur Nachschau findet innerhalb der Verwaltung durch interne Dienstanweisung statt.

III. Durchführung der Lohnsteuer-Nachschau 1. Ohne vorherige Ankündigung Die Lohnsteuer-Nachschau wird ohne vorherige Ankündigung während der üblichen Geschäfts- und Arbeitszeiten abgehalten (§ 42g Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG). Nach Ansicht der Finanzverwaltung soll die Maßnahme auch außerhalb von Geschäftszeiten vorgenommen werden können, wenn auf den fraglichen Grundstücken oder in den Räumen (bereits oder noch) Arbeitnehmer anzutreffen sind.4 Obwohl diese Ansicht mit Blick auf den Gesetzeszweck durchaus schlüssig erscheint, findet sie keinen hinreichenden Niederschlag im Wortlaut des § 42g EStG, so dass eine Beschränkung auf die normalerweise gegebenen Geschäfts- und Betriebszeiten gelten sollte.5

3.307

Dem Charakter als nicht vorhersehbare Kontrollmaßnahme entsprechend wird die Anordnung der Lohnsteuer-Nachschau gegenüber dem Betroffenen mündlich vorgenommen. Übergeben werden soll in diesem Zusammenhang auch ein Vordruck „Durchführung einer Lohnsteuer-Nachschau“,6 der die kontrollierende Behörde nebst Kontaktdaten, den zuständigen Amtsträger sowie die der Maßnahme unterworfene Einheit bezeichnet und auf dessen Rückseite bzw. Anlage der Gesetzestext zur Norm sowie eine Auflistung der Rechte und insbesondere Pflichten des Arbeitgebers wiedergegeben sind.7 Die Anordnung ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 118 AO; dieser und auch die weiteren Verwaltungsakte im Zuge der Durchführung der Maßnahme können mit Einspruch nach § 347 AO – zu dessen Entgegennahme der beauftragte Amtsträger berechtigt und verpflichtet ist – sowie mit Klage nach § 40 Abs. 1 FGO angefochten werden, was aber keine aufschiebende Wirkung entfaltet,8 es sei denn, die Vollziehung des jeweils angefochtenen Verwaltungsakts wurde ausgesetzt (§ 361 AO, § 69 FGO).

3.308

Ist ein Amtsträger zur Durchführung einer Nachschau erschienen und hat er sich ausgewiesen, so geht damit eine Sperrwirkung zur Straffreiheit über eine Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung einher (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. e AO).9 Allein daraus könnte sich ein berechtigtes Interesse des Betroffenen ergeben, sich die Anordnung der Nachschau gem. § 119 Abs. 2

3.309

1 Rz. 6 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408. 2 Die Gesetzesbegründung verweist auf Lohnsteuer-Außenprüfer der Landesfinanzverwaltungen; z.B. BT-Drucks. 17/10604, 13. 3 Webel, StBp 2015, 309, 311 allgemein für steuerliche Nachschauen und Buse, DB 2016, 1152 (1153) konkret für die Lohnsteuer-Nachschau. 4 Rz. 10 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408. 5 Gl. A. Krüger in Schmidt40, § 42g EStG Rz. 9 m.w.N. 6 Rz. 6 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408. 7 Janssen-Heid/Hilbert, BB 2015, 598 (601) m.w.H. 8 Krüger in Schmidt40, § 42g EStG Rz. 21 m.w.N. 9 Zur Einführung dieser Regelung zum 1.1.2015 z.B. Hilbert, NWB 2014, 2984 und Webel, StB 2015, 309.

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Kap. 3 Rz. 3.309 | Besondere Prüfungsformen

Satz 2 AO schriftlich bestätigen zu lassen. Auch kann der Steuerpflichtige zu Beginn sowie während der Durchführung der Maßnahme jederzeit Kontakt zu (s)einem steuerlichen Berater und/oder Rechtsanwalt suchen und diesen hinzuziehen, wobei die mit der Nachschau Beauftragten aber das Eintreffen dieser Person(en) nicht abwarten müssen.1

2. Betretungsrechte und deren Zulässigkeit 3.310

Zum Zweck der Lohnsteuer-Nachschau darf der Beauftragte die jeweiligen Grundstücke und Räume betreten, die entsprechend eindeutig der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit dienen.2 Das Betreten muss das Ziel verfolgen, Sachverhalte festzustellen, die für den Steuerabzug vom Arbeitslohn erheblich sind; nach objektiver Sicht muss sich dort also überhaupt „etwas Lohnsteuerliches“ feststellen lassen. Diese Voraussetzungen dürften neben originären Betriebseinrichtungen auch auf Baustellen, auf landwirtschaftlichen Flächen (etwa, wenn dort Erntehelfer eingesetzt werden) usw. erfüllt sein. Ob die zu betretenden Flächen im Eigentum des der Maßnahme Unterworfenen stehen, sie gemietet, gepachtet oder auf sonstige Weise überlassen sind oder zur Verfügung stehen, ist unerheblich.3 Für die meisten Fahrzeuge dürfte indes vom Gesetz her kein Betretungsrecht eingeräumt sein, denn diese sind weder Räumlichkeiten noch Grundstücke.4

3.311

Das Betretungsrecht soll zudem ebenfalls für Wohnräume gelten, die allerdings „gegen den Willen des Inhabers nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreten werden“ dürfen (§ 42g Abs. 2 Satz 3 EStG). Die Norm bedient sich damit – in derselben Form wie § 99 Abs. 1 Satz 3 AO – einer der Formulierungen der Schrankenregelung des Art. 13 Abs. 7 GG, was bereits Hinweis darauf ist, dass hier ein potentieller Konflikt zur nach Art. 13 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Unverletzlichkeit der Wohnung entstehen kann. Die Steuergesetze zählen zur insgesamt geschützten Rechtsordnung, so dass ein Verstoß gegen diese oder eine Gefährdung des staatlichen Steueranspruchs Abwehrmaßnahmen notwendig erscheinen lassen können. Da die Wohnung jedoch ein elementar geschützter Raum der privaten Sphäre und persönlichen Lebensführung des einzelnen Bürgers ist, muss hier ein besonders strenger Maßstab an die Verhältnismäßigkeit angelegt werden, so dass das Betreten von Wohnräumen nach entsprechend sorgfältiger Abwägung i.d.R. nicht zulässig sein wird; rein pauschale Vermutungen z.B. bieten keine hinreichende Rechtfertigung.5 Nach Ansicht der Finanzverwaltung sollen häusliche Arbeitszimmer oder Büros, die innerhalb einer ansonsten privat genutzten Wohnung belegen sind, auch dann betreten bzw. besichtigt werden dürfen, wenn sie nur durch die ausschließlich privat genutzten Wohnräume erreichbar sind.6 Mit Blick auf die vorgenannten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit dürfte diese Auslegung zu weit gehen. Im konkreten Fall kann Betroffenen praktisch geraten werden, von Rechtsbehelfsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, um so über Rüge verfassungswidrigen Verhaltens möglicherweise ein steuerliches Verwertungsverbot erlangen zu können.7

3.312

Bei einer Einschränkung von Grundrechten muss das jeweilige (einfachrechtliche) Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG; sog. Zitiergebot). 1 2 3 4 5 6 7

Hilbert in HHR, § 42g EStG Rz. 33. Dißars, NWB 2013, 3210 (3213). Rz. 7 und 11 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408. Hilbert in HHR, § 42g EStG Rz. 34. Markl/Eisele, BBK 2013, 864 (865) mit Beispiel. Rz. 9 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408. Janssen-Heid/Hilbert, BB 2015, 598 (602).

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G. Lohnsteuer-Nachschau | Rz. 3.314 Kap. 3

Trotz des vorgenannten Bezugs wird diese Anforderung von § 42g EStG selbst nicht erfüllt. Der Hinweis in § 413 AO (i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 AO) dürfte insoweit nicht hinreichend sein. Bei der später geschaffenen Kassen-Nachschau hat sich der Gesetzgeber hingegen für einen expliziten Verweis entschieden (§ 146b Abs. 1 Satz 4 AO). Die aus diesem Umstand bei der Lohnsteuer-Nachschau erwachsenden Unsicherheiten gehen allgemein zu Lasten der Rechtsanwender, praktisch dürfte sich daraus aber wohl allenfalls für die eher seltenen Fälle des letztlich tatsächlichen Betretens von Wohnräumen gegen den Willen des Inhabers eine Teilnichtigkeit der Regelung und/oder ein steuerliches Verwertungsverbot für die in diesem Zuge erlangten Erkenntnisse ergeben.1

3. Nachschaubefugnisse und Mitwirkungspflichten a) Ausschluss einer Durchsuchung Die Lohnsteuer-Nachschau gewährt kein Durchsuchungsrecht; dies hebt bereits die Finanzverwaltung explizit hervor.2 Ein solches zielgerichtetes Fahnden und Forschen ist im steuerlichen Bereich in aller Regel steuerstrafrechtlichen Ermittlungen vorbehalten. Anders ist es bei den steuerlichen Nachschau-Regelungen – unter sehr engen Voraussetzungen – nur im § 210 Abs. 2 Satz 2 AO. Neben damit bei der Lohnsteuer-Nachschau fraglos unzulässigen Personendurchsuchungen oder Taschenkontrollen sind etwa auch Handlungen wie das eigenständige und unvermittelte Öffnen von Schränken und Schubladen, sonstiger (Büro-)Möbel, das wahllose Herausziehen und Sichten von Aktenordnern, das Durchstöbern von abgelegten Unterlagen sowie das selbständige Heraussuchen und Sichten von Dokumenten durch den Beauftragten generell nicht gestattet. Die Nachschau beschränkt sich mithin auf das bloße Betreten, Durchschreiten und Besichtigen der Betriebsräume, Flächen und Anlagen, ermöglicht dem Amtsträger dabei Kenntnisnahme aller offen zutage tretenden Sachverhalte und erlaubt die nachfolgend dargelegte Einforderung maßgeblicher Dokumente und Informationen bzw. Auskünfte.3 Eine Anfertigung und Speicherung von Fotografien zur Dokumentation des Augenscheinergebnisses dürfte nur unter strikter Wahrung des Steuergeheimnisses, betrieblicher und geschäftlicher Belange, der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und des Datenschutzes in Betracht kommen.4

3.313

b) Mitwirkungspflichten der Betroffenen Die von der Lohnsteuer-Nachschau betroffenen Personen haben dem Beauftragten gem. § 42g Abs. 3 Satz 1 EStG auf Verlangen Lohn- und Gehaltsunterlagen, Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden über die der Lohnsteuer-Nachschau unterliegenden Sachverhalte vorzulegen und Auskünfte zu erteilen, soweit dies zur Feststellung einer steuerlichen Erheblichkeit zweckdienlich ist. Die in der Lohnsteuer-Außenprüfung nach § 42f Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG bestehenden Auskunftspflichten der Arbeitnehmer oder möglicher früherer oder derzeitiger Arbeitnehmer gelten entsprechend (§ 42g Abs. 3 Satz 2 EStG). Das heißt, dass diese Personen jede gewünschte Auskunft über Art und Höhe ihrer Einnahmen zu geben und auf Verlangen die etwa in ihrem Besitz befindlichen Bescheinigungen für den Lohnsteuerabzug sowie die Belege über bereits entrichtete Lohnsteuer vorzulegen haben. 1 Hilbert in HHR, § 42g EStG Rz. 5; H/M/W, Lohnsteuer-Nachschau, Rz. 13. 2 Rz. 11 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408. 3 Insgesamt Hilbert in HHR, § 42g EStG Rz. 43; zur Abgrenzung ferner BFH v. 4.10.1988 – VII R 59/86, BFHE 154, 435. 4 Janssen-Heid/Hilbert, BB 2015, 598 (603).

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3.314

Kap. 3 Rz. 3.315 | Besondere Prüfungsformen

3.315

Die Zweckdienlichkeit ist nach objektiven und nachvollziehbaren Kriterien zu beurteilen, zudem spricht entlang des Gesetzeszwecks der Lohnsteuer-Nachschau viel dafür, eine explizit lohnsteuerliche Erheblichkeit zu fordern, sowie – insbesondere mit Blick auf die Gegenwartsbezogenheit der Maßnahme und die nachfolgend aufgezeigte Möglichkeit des Übergangs zur Lohnsteuer-Außenprüfung – in der Nachschau von einer vornehmlichen Beschränkung auf zeitnahe und aktuelle Lohnzahlungszeiträume auszugehen.1

3.316

Die im Rahmen der Maßnahme möglicherweise gegebenen Verwaltungsakte – der Anwendungserlass zählt hierzu insbesondere die Aufforderung zur Duldung des Betretens der nicht öffentlich zugänglichen Geschäftsräume2, zur Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren und anderen lohnsteuerlich relevanten Urkunden sowie ferner jene zur Auskunftserteilung – können von der Finanzverwaltung grundsätzlich mit den Zwangsmitteln nach den §§ 328 ff. AO durchgesetzt werden.3 Hierunter würde auch der unmittelbare Zwang nach § 331 AO mit Möglichkeit zur Selbstvornahme fallen, wobei dann jedoch besonderes Augenmerk auf die Verhältnismäßigkeit in der konkreten Situation zu legen ist; in der Praxis wird in solchen Fällen aber vielmehr die nachfolgend dargelegte Möglichkeit zum Übergang zur Lohnsteuer-Außenprüfung nach § 42g EStG in Betracht kommen.4 c) Kein digitaler Datenzugriff

3.317

Ein Recht des Amtsträgers auf digitalen Datenzugriff ist im Rahmen der Lohnsteuer-Nachschau nicht gegeben – insofern besteht ein Unterschied etwa zur Umsatzsteuer- oder zur Kassen-Nachschau (§ 27b Abs. 2 Sätze 2 und 3 UStG; § 146b Abs. 2 Satz 2 AO). Diese Differenzierung bereits in den Gesetzesnormen ist – auch wenn dadurch die praktische Umsetzung der Maßnahme im Einzelnen erschwert werden kann –5 inhaltlich durchaus schlüssig, betrachtet man die jeweiligen Zielsetzungen der unterschiedlichen Nachschau-Instrumente. Bei einer Durchführung in kooperativer Atmosphäre ist aber davon auszugehen, dass der Arbeitgeber einem gewünschten Datenzugriff zustimmen wird, sofern dies zweckdienlich und praktisch sinnvoll erscheint. Dies dürfte mit Blick auf die nachfolgend dargelegte Überleitungsmöglichkeit zur Lohnsteuer-Außenprüfung als auch aufgrund ansonsten etwaig erforderlicher Ausdrucke (§ 147 Abs. 5 Hs. 2 AO) meist der Fall sein.6

IV. Übergang zur Lohnsteuer-Außenprüfung 3.318

§ 42g Abs. 4 EStG gewährt die Möglichkeit, ohne vorherige Prüfungsanordnung zu einer Lohnsteuer-Außenprüfung überzugehen, wenn die bei der Nachschau getroffenen Feststellungen hierzu Anlass geben. In Betracht kommt hier nur und ausschließlich der Übergang zu einer Prüfung nach § 42f EStG, nicht aber zu einer allgemeinen Betriebs- oder einer anderen Sonderprüfung. Ein bereits vorab geplanter Übergang zur Lohnsteuer-Außenprüfung wäre aber ebenfalls unzulässig. Ein solcher Kunstgriff dürfte zudem praktisch i.d.R. nicht vonnöten sein, da bei ansonsten vorhandener Gefährdung des Prüfungszwecks auch der direkte Beginn 1 Insgesamt Janssen-Heid/Hilbert, BB 2015, 598, 603, ferner Buse, DB 2016, 1152; a.A. (keine zeitliche Beschränkung) Krüger in Schmidt40, § 42g EStG Rz. 3. 2 Hierzu ggf. a.A. Apitz, StBp 2014, 33 (36): Betreten selbst als reiner Realakt. 3 Rz. 22 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408. 4 Janssen-Heid/Hilbert, BB 2015, 598 (606). 5 Hartwig, DB 2018, Beilage 2, 43 (46). 6 Insgesamt ergänzend Rz. 14 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408.

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G. Lohnsteuer-Nachschau | Rz. 3.321 Kap. 3

einer Lohnsteuer-Außenprüfung – und in diesen Fällen zudem ebenso einer allgemeinen Betriebsprüfung oder einer anderen Sonderprüfung – ohne vorherige Bekanntgabe der Prüfungsanordnung möglich ist (§ 197 Abs. 1 Satz 1 a.E. AO). Der Übergang nach § 42g Abs. 4 EStG indes ist unmittelbar; eine Frist zwischen dem Abschluss der Nachschau und dem Beginn der Betriebsprüfung ist bewusst nicht vorgesehen, da nach der Gesetzesbegründung auf diesem Wege sichergestellt werden soll, dass die Erkenntnisse der Nachschau nicht gefährdet werden.1 Es handelt sich um eine gerichtlich nach § 102 FGO überprüfbare Ermessensentscheidung (§ 5 AO) der Behörde. Auf den Übergang muss dabei schriftlich hingewiesen werden (§ 42g Abs. 4 Satz 2 EStG). Der Hinweis ersetzt die ansonsten erforderliche Prüfungsanordnung, weshalb für ihn die dazu entwickelten Grundsätze zum notwendigen Inhalt sowie auch zur möglichen Anfechtung entsprechend gelten. Prüfungszeitraum und Prüfungsumfang sind festzulegen, zudem ist der Beginn der Prüfung unter Angabe von Datum und Uhrzeit aktenkundig zu machen.2 Die Übergangsanordnung ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 118 AO. Wie für den Beginn der Nachschau, so hat die Finanzverwaltung auch für den Übergang zur Lohnsteuer-Außenprüfung zur praktischen Umsetzung vor Ort einen Vordruck entwickelt, über den die fraglichen Daten durch Eintragungen oder das Ankreuzen entsprechender Felder gegeben werden können. Sofern jeweils einschlägig, kann in diesem Dokument z.B. zudem darauf hingewiesen werden, dass es sich um eine Auftragsprüfung (§ 195 Satz 2 AO) handelt, dass eine abgekürzte Außenprüfung (§ 203 AO) durchgeführt wird oder dass sich der Umfang nach § 194 Abs. 1 Satz 2 AO auf bestimmte – im Einzelfall zu benennende – Sachverhalte beschränkt. Darüber hinaus wird eine Rechtsbehelfsbelehrung gegeben. In einer Anlage finden sich schließlich noch Hinweise zu wesentlichen Rechten und Mitwirkungspflichten bei der Lohnsteuer-Außenprüfung sowie zur abgekürzten Betriebsprüfung und zur sog. Digitalen LohnSchnittstelle (DLS). Gemäß Vordruck wird die schriftliche Übergangsmitteilung dem Betroffenen grundsätzlich in doppelter Ausfertigung übergeben.3

3.319

Die Finanzverwaltung listet in ihrem Anwendungserlass zur Lohnsteuer-Nachschau (nicht abschließend; Wortlaut „inbesondere“) einige Gründe auf, die den Übergang zu einer Lohnsteuer-Außenprüfung ihres Erachtens angezeigt erscheinen lassen, etwa, wenn erhebliche Fehler beim Steuerabzug vom Arbeitslohn festgestellt wurden, wenn der für die Besteuerung maßgebliche Sachverhalt im Rahmen der Nachschau nicht abschließend geprüft werden kann und weitere Ermittlungen erforderlich sind, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungspflichten bei Durchführung der Maßnahme nicht nachkommt oder wenn die Ermittlung von Sachverhalten aufgrund des fehlenden Datenzugriffs nicht oder nur erschwert möglich ist.4

3.320

V. Auswertung der Feststellungen und Rechtsfolgen der Nachschau Der Finanzverwaltung sind im Rahmen der Lohnsteuer-Nachschau über die ihr eingeräumten Betretungsrechte, die Wahrnehmungs- und Kontrollmöglichkeiten, die aufgezeigten Mitwirkungs-, Auskunfts- und Vorlageverpflichtungen der Betroffenen sowie auch jene ihrer Arbeitnehmer und von Personen mit ungeklärtem Beschäftigungsstatus zahlreiche Gelegenheiten zur Feststellung tatsächlicher Verhältnisse und Gegebenheiten eröffnet. Diese lassen sich für die Festsetzung und Erhebung der Lohnsteuer unmittelbar verwerten. Der Arbeitgeber kann aufgrund der im Rahmen der Lohnsteuer-Nachschau gewonnenen Erkenntnisse – sofern die jewei1 2 3 4

BR-Drucks. 302/1/12, 49; BR-Drucks. 302/12, 40. Rz. 15 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408. So insgesamt zum diesbezüglichen Vordruck Janssen-Heid/Hilbert, BB 2015, 598 (604). Rz. 16 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408.

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3.321

Kap. 3 Rz. 3.321 | Besondere Prüfungsformen

ligen Voraussetzungen erfüllt sind – durch Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid oder Lohnsteuer-Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Ist dies beabsichtigt, so ist ihm rechtliches Gehör zu gewähren. Ferner kann die Lohnsteuer-Nachschau auch zu einer nachträglichen oder geänderten Lohnsteuer-Anmeldung führen und ebenso ist es möglich, dass der jeweilige Arbeitnehmer im Rahmen der allgemeinen gesetzlichen Regelungen (§ 42d Abs. 3 EStG) in Anspruch genommen wird. Die Finanzverwaltung stellt hierzu heraus, dass gewonnene Erkenntnisse auch im Veranlagungsverfahren des Arbeitnehmers berücksichtigt werden können.1 Aufgrund der in einer Lohnsteuer-Außenprüfung vertieften und umfassenderen Untersuchungsmöglichkeiten ist in der Praxis anstelle der vorgenannten unmittelbaren Verwertungsmöglichkeiten in einschlägigen Fällen allerdings meist eher zunächst die Nutzung der dargestellten Übergangsmöglichkeit nach § 42g Abs. 4 EStG zu ebendieser Prüfung wahrscheinlich.2

3.322

§ 42g Abs. 5 EStG erweitert darüber hinaus – dem § 194 Abs. 3 AO im Fall der Betriebsprüfung ähnlich – die für die festgestellten Verhältnisse geltenden Auswertungsbefugnisse sowohl sachlich als auch persönlich. Die Regelung ist mithin z.B. Rechtsgrundlage für die Übermittlung etwaiger Kontrollmitteilungen (Rz. 1.545 ff.).3 Konkret ist dabei die Auswertung von während der Nachschau festgestellten Verhältnissen, die für die Festsetzung und Erhebung anderer Steuern erheblich sein können, insoweit zulässig, als ihre Kenntnis für die Besteuerung der der Nachschau unterworfenen Personen oder anderer Personen von Bedeutung sein kann. Die diesbezüglichen Auswertungsmöglichkeiten sind sehr weit und können – nur beispielhaft genannt – etwa Korrekturen der Umsatzsteuer bzw. des Vorsteuerabzugs betreffen oder in der Körperschaftsteuer die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung aufgrund unangemessener Lohnzahlung oder verbotswidriger Privatnutzung eines Firmenfahrzeugs durch einen Gesellschafter-Geschäftsführer.4 Praktisch darf es sich allerdings nur um tatsächliche Zufallsfunde oder Folgeauswirkungen handeln, da – wie dargelegt – die Durchführung einer Lohnsteuer-Nachschau im Einzelnen nur zulässig ist, wenn (vorab angenommener) explizit lohnsteuerlicher Kontrollbedarf anzunehmen ist. Eine bewusst geplante „Nachschau durch die Hintertür“ gerade zu Bereichen, für die ein derartiges Kontrollinstrument nicht existiert, ist unzulässig. Dazu hätte sich der Gesetzgeber einer entsprechend allgemeineren Kodifikation bedienen müssen.5

3.323

Da die Lohnsteuer-Nachschau keine Prüfung i.S.d. §§ 193 ff. AO ist, ruft sie nicht die damit verbundenen Rechtsfolgen hervor. Entsprechend hemmt ihr Beginn nicht den Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 4 AO. Die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO findet keine Anwendung, zudem ist der Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 AO nicht aufzuheben.6

3.324

Mit Beendigung der Nachschau sind oder werden Einspruch und Anfechtungsklage als Rechtsbehelf gegen die Anordnung der Maßnahme unzulässig; insoweit kommt lediglich eine Fortsetzungs-Feststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) in Betracht. Wurden die Ergebnisse der Lohnsteuer-Nachschau in einem Steuer- oder Haftungsbescheid berücksichtigt, muss auch dieser Bescheid selbst angefochten werden, um möglicherweise ein steuerliches Verwertungsverbot zu erlangen.7 1 2 3 4 5 6 7

Insgesamt Rz. 17 f. in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408. Janssen-Heid/Hilbert, BB 2015, 598 (604 f.). Insgesamt Hilbert in HHR, § 42g EStG Rz. 60. Z. B. Apitz, StBp 2014, 33 (35 f.). Insgesamt Janssen-Heid/Hilbert, BB 2015, 598, 605. Insgesamt Rz. 20 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408. Insgesamt Rz. 22 in BMF v. 16.10.2014 – IV C 5 - S 2386/09/10002 :001, BStBl. I 2014, 1408.

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H. Kassen-Nachschau | Rz. 3.328 Kap. 3

H. Kassen-Nachschau Literatur: Achilles, Kassen-Nachschau nach § 146b AO, DB 2018, 18; Bellinger, Was bedeutet die Kassen-Nachschau ab 1.1.2018 in der Praxis? Fragen und Antworten für den Unternehmer und seinen Berater, BBK 2017, 1168; Bleschick, Die Kassennachschau – Grenzen und Rechtsschutzmöglichkeiten, DB 2018, 2390; Hartwig, Nachschauen als Instrumente der Außenprüfung, DB 2018, 43; Kläne/Thünemann, Von der Kassenrichtlinie zum Kassengesetz, StBp 2017, 239; Teutemacher, Die Kassennachschau kommt! – Die neue Form der „Feldüberwachung“ durch die Finanzverwaltung, BBK 2017, 1160.

I. Hintergrund Der Bundesrechnungshof hat bereits im Jahr 2003 auf die bestehenden Möglichkeiten zur Manipulation an digitalen Grundaufzeichnungen wie Kassenaufzeichnungen hingewiesen.1 Demnach lassen sich bei diesen Systemen eingegebene Daten sowie im System erzeugte Registrier- und Kontrolldaten ohne nachweisbare Spuren steuermindernd verändern oder löschen.2

3.325

Nach Einschätzung des Finanzministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen beträgt der bundesweite Steuerausfall aus Kassenmanipulationen insgesamt fünf bis zehn Milliarden Euro pro Jahr. Dies stellt eine signifikante Wettbewerbsverzerrung dar, die im Interesse eines fairen Wettbewerbs für steuerehrliche Unternehmen nicht akzeptabel ist.3 Da derartige technische Manipulationen von Kassendaten im Rahmen einer Betriebsprüfung nicht oder nur mit hohem Aufwand festgestellt werden können, wurde in Anlehnung an die Umsatzsteuer- bzw. Lohnsteuer-Nachschau die Einführung der Kassen-Nachschau für nötig erachtet.

3.326

II. Gesetzliche Grundlage 1. Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen Die gesetzliche Grundlage der Kassen-Nachschau bildet das am 28.12.2016 im Bundesgesetzblatt verkündete Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen.4 Gemäß Art. 1 dieses Gesetzes wurde ein neu geschaffener § 146b in die Abgabenordnung eingefügt und damit das Instrument der Kassen-Nachschau eingeführt.

3.327

Bei der Kassen-Nachschau handelt es sich um eine Sachverhaltsermittlung vor Ort.5 § 146b Abs. 1 AO berechtigt dabei die Finanzbehörde dazu, zur Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen und Buchungen von Kasseneinnahmen und Kassenausgaben ohne vorherige Ankündigung und außerhalb einer Betriebsprüfung während der üblichen Geschäfts- und Arbeitszeiten, Geschäftsgrundstücke oder Geschäftsräume von Steuerpflichtigen zu betreten, um steuerrelevante Sachverhalte festzustellen. § 146b Abs. 2 AO regelt die Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen sowie die Befugnisse der Finanzbehörden im Rahmen der Kassen-Nachschau. § 146b Abs. 3 AO eröffnet die Möglichkeit, von der Kassen-Nachschau direkt in eine Betriebsprüfung überzugehen.

3.328

1 2 3 4 5

BT-Drucks. 15/2020 Nr. 54 v. 24.11.2003, S. 197. Vgl. BT-Drucks. 18/9535 v. 5.9.2016, S. 25. Vgl. BT-Drucks. 18/10667 v. 14.12.2016, S. 2. BGBl. I 2016, 3152. Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 9.

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Kap. 3 Rz. 3.329 | Besondere Prüfungsformen

2. Zeitlicher Anwendungsbereich 3.329

Gemäß Art. 97 § 30 Abs. 2 EGAO können Kassen-Nachschauen seit dem 1.1.2018 durchgeführt werden. Mit Ablauf des 31.12.2019 sind die Finanzbehörden berechtigt, die elektronischen Aufzeichnungssysteme i.S.d. § 146a Abs. 1 AO auf Ordnungsmäßigkeit zu überprüfen und die Übermittlung der Kassendaten über eine einheitliche Schnittstelle oder durch ZurVerfügung-Stellung auf einem Datenträger zu verlangen.

3. Sachlicher Anwendungsbereich a) Steuerpflichtige und Steuerart

3.330

Die Kassen-Nachschau kann bei allen Steuerpflichtigen durchgeführt werden, die aufgrund ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit ein Kassensystem verwenden.1 Die Rechtsform des Steuerpflichtigen und die Art der Gewinnermittlung spielen keine Rolle, ebenso wenig das Vorliegen der Einstufung als Kleinunternehmer nach § 19 UStG.2

3.331

Ungeachtet des Titels des zugrunde liegenden Gesetzes erstreckt sich der sachliche Anwendungsbereich der Kassen-Nachschau auf sämtliche Kassen eines Steuerpflichtigen, unabhängig davon, ob es sich um offene Ladenkassen oder um elektronische Aufzeichnungssysteme handelt. Geprüft werden können demnach neben Registrierkassen und elektronischen oder computergestützten Kassensystemen beispielsweise auch App-Systeme, Waagen mit Registrierkassenfunktion, Taxameter und Geldspielgeräte.3 Die Prüfung umfasst nicht nur sämtliche kassenrelevanten elektronischen Daten, sondern auch die nur in Papierform vorliegenden Unterlagen.

3.332

Die Kassen-Nachschau kann dabei steuerartenübergreifend eingesetzt werden, sofern sie für die Kasseneinnahmen, -ausgaben oder -führung von Bedeutung sind. Dies sind i.d.R. die Ertragssteuern sowie die Umsatzsteuer. b) Prüfungszeitraum

3.333

In § 146b AO ist nicht geregelt, welchen Prüfungszeitraum die Kassen-Nachschau betreffen darf. Anders als eine Betriebsprüfung ist die Kassen-Nachschau nicht nur auf zurückliegende Zeiträume bezogen, sondern bezweckt auch die Prüfung der aktuellen Kassenführung. Ob für den Prüfungszeitraum bereits Steuererklärungen oder -anmeldungen abgegeben wurden, spielt dementsprechend keine Rolle.4

3.334

Die Kassen-Nachschau soll eine Aussage darüber treffen, ob die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung gem. § 146 AO gegeben ist. Insbesondere die Beachtung der Einzelaufzeichnungspflicht sowie das Vorliegen geordneter, zeitgerechter und unveränderbarer Buchungen können aber oftmals nur mit Hilfe moderner Prüfungsmethoden verifiziert werden. Um aussagekräftige Ergebnisse liefern zu können, benötigen diese die Untersuchung eines größeren Prüfungszeitraums und damit einer ausreichenden Datenmenge.5 Auch wenn aus Sicht der Finanzverwaltung vor allem für eine nachfolgende Betriebsprüfung ein Zeitraum von bis zu drei Jahren gewünscht ist, hat sich in der Praxis insbesondere im Hinblick auf die Datenmenge ein Zeitraum von bis zu mehreren Monaten bewährt. 1 2 3 4 5

Märtens in Gosch, § 146b AO Rz. 7. Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 10. Hartwig, DB 2018, 43 (47). Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 10. Achilles, DB 2018, 18 (20).

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H. Kassen-Nachschau | Rz. 3.339 Kap. 3

4. Voraussetzungen a) Anlass und Zielgruppe Die Kassen-Nachschau ist anlasslos zulässig. Das allgemeine Verbot finanzbehördlicher Ermittlungen ins Blaue hinein steht dem nicht entgegen. Begründet wird dies mit der Generalprävention im Hinblick auf das hohe Betrugspotential sowie mit der Häufigkeit der Manipulationen bei Kassenführungen.1 Die Kassen-Nachschau erfordert damit keinen einzelfallbezogenen Anlass oder sonstigen konkreten Verdachtsmoment, vielmehr genügt die abstrakte Manipulationsgefahr bei der Kassenführung.2

3.335

Erst durch die Kassen-Nachschau selbst kann festgestellt werden, ob die Kassenführung ordnungsgemäß ist. Sie ist daher immer schon dann zulässig, wenn eine Kassenführung erforderlich ist und Bargeschäfte anfallen.3 Demzufolge sind auch wiederholte Kassen-Nachschauen ohne Mindestabstand zwischen den einzelnen Überprüfungen erlaubt, sofern die erneuten Prüfungen sachlich begründet werden können.4

3.336

Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit ist demnach eine sachgerechte und risikoorientierte Fallauswahl nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO). Im Fokus werden dabei vor allem inhabergeführte Betriebe stehen, die im Gegensatz zu Filial-, Groß- und Konzernunternehmen nicht überwiegend angestelltes Kassenpersonal einsetzen und selten über hinreichende interne Kontrollsysteme verfügen.5 Dabei kommen insbesondere bargeldintensive Betriebe wie Gaststätten, Apotheken, Bäckereien, der Einzelhandel oder Friseure in Betracht, die in der Vergangenheit vielfach durch Manipulationen von Kassenaufzeichnungen aufgefallen sind.6

3.337

Eine Kassen-Nachschau wird in der Praxis u.a. aus folgenden Gründen durchgeführt werden:7

3.338

– Hinweis durch das Risiko-Management-System, z.B. – Auffälligkeiten in der Veranlagung (innerer/äußerer Betriebsvergleich, Geldverkehrsrechnung) – Auffälligkeiten in USt-Voranmeldungen (Umsatzhöhe, -schwankungen oder -einbrüche) – Kontrollmaterial (anonyme Anzeigen, auffällige Quittungen, Zwischenrechnungen, auffällige Bewirtungsbelege, Ermittlungen der Steuerfahndung) – Zufällige Beobachtungen und Testkäufe (zusätzliche Schwarzkasse, Bezahlvorgänge ohne Kassenbuchung) – Buchführungsmängel bei vorangegangener Betriebsprüfung – Sammlung von Informationen zur Fallauswahl oder zur Vorbereitung einer Betriebsprüfung – Prüfungen von Richtsatzbetrieben Aus Sicht des Steuerpflichtigen ist damit festzuhalten, dass nur geringe Aussichten bestehen, sich mit dem Argument einer fehlerhaften Ermessensausübung erfolgreich gegen die Auswahl 1 2 3 4 5 6 7

BVerfG v. 9.3.2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 Rz. 71. Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 13. Bleschick, DB 2018, 2390 (2392). vgl. BVerwG v. 2.3.1971 – I C 37.69, zur Nachschau nach der GewO. Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 14. Teutemacher, BBK Sonderausgabe, S. 1161. Achilles, DB 2018, 18 (19).

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3.339

Kap. 3 Rz. 3.339 | Besondere Prüfungsformen

seines Betriebs zu wehren. Einwendungen sollten grundsätzlich erst im Rahmen einer nachfolgenden Betriebsprüfung erfolgen, da hier die Chancen höher sind, sich erfolgreich gegen die Ergebnisse einer Kassen-Nachschau zu wehren. b) Prüfungsdauer

3.340

§ 146b AO sieht keine zeitliche Begrenzung der Prüfungsdauer der Kassen-Nachschau vor.1 Die Finanzbehörde muss aber unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine ermessensgerechte Abwägung treffen. So muss einerseits ein ausreichend langer Prüfungszeitraum gewählt werden, um die vollständige Erfassung der Einnahmen prüfen zu können, andererseits darf dies nicht dazu führen, dass der Geschäftsbetrieb des Steuerpflichtigen über längere Zeit beeinträchtigt wird.2 In der Praxis haben sich dabei Kassen-Nachschauen mit einer Anwesenheitsdauer des Prüfers vor Ort von ein bis zwei Stunden bei einem untersuchten Prüfungszeitraum von bis zu mehreren Monaten ergeben.

3.341

Nach Abschluss der zwingend notwendigen Prüfungen der Kasse kann der Prüfer allerdings dazu aufgefordert werden, die Prüfung mit Zustimmung des Steuerpflichtigen in dessen Wohnräumen, beim steuerlichen Vertreter oder an Amtsstelle fortzuführen, wenn die Beschaffenheit der Geschäftsräume, die betrieblichen Abläufe oder arbeitsrechtliche Vorschriften einer weiteren Prüfung vor Ort entgegenstehen.3 Sind beispielsweise die Systemprüfung und die Übermittlung der Kassendaten erfolgt, ist zur Auswertung der Daten ein weiterer Aufenthalt in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen nicht mehr nötig.

3.342

Ein Antrag auf zeitliche Verlegung der Kassen-Nachschau wird im Hinblick auf den gewollten Überraschungseffekt nur Ausnahmefällen in Betracht kommen. Dies kommt vor allem in Frage, wenn sich der Prüfer nicht ausweisen kann, eine Prüfung zur Unzeit erfolgen soll oder die Durchführung der Kassen-Nachschau z.B. aufgrund von Umbau oder höherer Gewalt tatsächlich unmöglich ist.4 c) Zuständigkeit

3.343

Gemäß § 146b Abs. 2 Satz 1 AO wird die Kassen-Nachschau von damit betrauten Amtsträgern durchgeführt. Dies können sämtliche Amtsträger nach § 7 AO, spezialisierte Kassenprüfer der Betriebsprüfung oder Umsatzsteuersonderprüfer sein. Die Festlegung der Zuständigkeit kann sich dabei in den Bundesländern unterscheiden.5 Ungeachtet dessen werden in der Praxis ausschließlich geschulte Amtsträger Kassen-Nachschauen durchführen, da nur sie über die speziellen Kenntnisse zur Überprüfung der Kassensysteme verfügen. Auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und zur Minimierung der Prüfungsdauer kommt eine Prüfung durch ungeschultes Personal nicht in Betracht.6 Aus Beweisgründen werden Kassen-Nachschauen in der Praxis oftmals zu zweit durchgeführt.

3.344

Aus Beratersicht sollten grundsätzlich keine Einwände gegen die Person des Prüfers erhoben werden, sofern nicht die Gefahr der Befangenheit besteht. Eventuelle Mängel sind vielmehr 1 2 3 4 5

Märtens in Gosch, § 146b AO Rz. 21. Achilles, DB 2018, 18 (20). Bleschick, DB 2018, 2390 (2393). Achilles, DB 2018, 18 (21). So ist z.B. in Bayern gem. § 5 Abs. 2 Nr. 2 ZustVSt für die Anordnung und Durchführung der Kassen-Nachschauen ausschließlich die Betriebsprüfung zuständig. 6 Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 11.

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H. Kassen-Nachschau | Rz. 3.347 Kap. 3

im Rahmen einer nachfolgenden Betriebsprüfung zu erheben, da sich zu diesem Zeitpunkt intensiver mit den Feststellungen auseinandergesetzt werden kann als während des kurzen Zeitraums der Kassen-Nachschau. d) Keine Vorankündigung Die Kassen-Nachschau wird gem. § 146b Abs. 1 Satz 1 AO ohne vorherige Ankündigung und außerhalb einer Betriebsprüfung durchgeführt. Die Kassen-Nachschau muss demnach in keinem Zusammenhang mit einer Betriebsprüfung stehen, weder muss eine solche vorangegangen noch muss eine geplant sein. Das Überraschungsmoment soll dabei eine Manipulation oder Veränderung der Kassenführung vorbeugen und die Vortäuschung einer ordnungsgemäßen Kassenführung verhindern. Wäre eine Vorankündigung nötig, bliebe den Steuerpflichtigen genügend Zeit, etwaige Manipulationen oder Unstimmigkeiten in der Kassenführung zu beseitigen, Kassensysteme zu entfernen oder den Geschäftsbetrieb einzustellen.1 Allein schon aufgrund der erhöhten Entdeckungsgefahr durch eine unangekündigte Prüfung erhofft sich der Gesetzgeber eine Reduzierung der Kassenmanipulationen und damit eine generalpräventive Wirkung.2

3.345

e) Übliche Geschäfts- und Arbeitszeiten Eine Kassen-Nachschau ist nur während der üblichen Geschäfts- und Arbeitszeiten zulässig. Dabei handelt es sich nicht um die branchenüblichen Öffnungszeiten, sondern die tatsächlichen Geschäfts- und Arbeitszeiten des konkreten Betriebs.3 Entscheidend ist demnach nur, ob im Betrieb schon oder noch gearbeitet wird.4 Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen ist eine Kassen-Nachschau auch außerhalb dieser Zeiten möglich. Die Zulässigkeit der KassenNachschau auch außerhalb der Öffnungszeiten soll dabei eine möglichst geringe Eingriffsintensität gewährleisten, um beispielsweise eine Rufschädigung zu vermeiden oder in einem sensiblen Umfeld die Privatsphäre der Kunden zu bewahren.5 In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass eine Durchführung während der Öffnungszeiten weder bei den Betriebsinhabern noch bei den Kunden negativ aufgefasst wurde. Anders als bei Durchsuchungen der Steuerfahndung oder der Polizei spielt es für die meisten Betriebsinhaber und die Kunden keine Rolle, ob es sich um Prüfer des Gesundheitsamts, des Gewerbeamts oder der Finanzverwaltung handelt.

3.346

f) Betreten von Geschäftsgrundstücken und -räumen § 146b Abs. 1 Satz 1 AO erlaubt dem Amtsträger bei der Kassen-Nachschau das Betreten von Geschäftsgrundstücken und Geschäftsräumen. Dies sind neben den betrieblich oder beruflich genutzten Immobilien auch solche Räume, die nicht für den Publikumsverkehr vorgesehen sind wie das Lager, die Werkstätte oder das Archiv. Dabei kommt es nicht auf das zivilrechtliche Eigentum an, die tatsächliche Verfügungsgewalt des Steuerpflichtigen reicht aus. Dies gilt auch für gemeinsam mit Dritten genutzte Räume, solange der Steuerpflichtige zumindest auch das Betretungs- und Benutzungsrecht hat. 1 2 3 4 5

Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 12. vgl. BT-Drucks. 18/9535 v. 5.9.2016, S. 12. Baum in AO-eKommentar, § 146b AO Rz. 5.1. AEAO zu § 146b AO Rz. 3. Achilles, DB 2018, 18 (22).

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3.347

Kap. 3 Rz. 3.348 | Besondere Prüfungsformen

3.348

Fremde Geschäftsgrundstücke dürfen hingegen nur betreten werden, wenn es sich um unvermeidbare Zutrittswege handelt. Dies ist beispielsweise bei einem Automatenaufsteller der Fall, der seine Geldspielgeräte in Räumlichkeiten fremder Steuerpflichtiger, z.B. in Kneipen, Autobahnraststätten oder Gaststätten, betreibt.1

3.349

Sofern private Wohnräume für den Publikumsverkehr geöffnet sind und die Wohnung damit zugleich geschäftlichen Zwecken dient, handelt es sich wie bei gemischt genutzten Räumen und häuslichen Arbeitszimmern um Geschäftsräume i.S.d. § 146b Abs. 1 Satz 1 AO. Ebenso erfasst sind Kassen in Verkaufswägen und Marktständen, da für deren Prüfung das Betreten von Geschäftsgrundstücken und -räumen nicht erforderlich ist.2 Nach Ansicht der Finanzverwaltung dürfen zudem auch Pkw und sonstige Fahrzeuge betreten werden, sofern sie landund forstwirtschaftlich, gewerblich oder beruflich vom Steuerpflichtigen genutzt werden.3

3.350

Das Betretungsrecht des Amtsträgers umfasst dabei die körperliche Anwesenheit sowie die Inaugenscheinnahme der örtlichen Gegebenheiten. Nicht erlaubt sind Durchsuchungshandlungen, also das ziel- und zweckgerichtete Suchen zur Ermittlung des Sachverhalts. Es dürfen weder verschlossene Schränke oder Behältnisse geöffnet noch Personen durchsucht werden, auch nicht, um etwa eine zweite Kasse zu suchen. Dies ist nur im Rahmen einer Durchsuchung der Steuerfahndung bei Vorliegen eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses nach Art. 13 Abs. 2 Satz 2 GG zulässig.4 Der Amtsträger darf gem. § 146b Abs. 2 Satz 1 und 2 AO hingegen nur zur Vorlage von Unterlagen auffordern.

3.351

Gemäß § 146b Abs. 1 Satz 3 AO dürfen reine Wohnräume gegen den Willen des Inhabers nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreten werden. An diese aus Art. 13 Abs. 7 GG abgeleiteten Voraussetzungen sind hohe Anforderungen zu stellen, so dass das Betreten privater Wohnräume nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig sein wird. Drohende Steuerausfälle allein sind dabei nicht ausreichend, da die Finanzverwaltung diesen durch eine Schätzung nach § 162 AO entgegenwirken kann. Ein Betreten von Wohnräumen wäre beispielsweise dann zulässig, wenn sich anhand einer in die Wohnung verbrachten Kasse Rückschlüsse auf die Urheberschaft oder die Vertriebswege von Manipulationssoftware gewinnen ließe. 5 Aber auch in diesem Fall ist zu beachten, dass § 146b Abs. 1 Satz 3 AO den Amtsträger nur zum Betreten der Wohnung, nicht aber zu deren Durchsuchung oder gar zur Ansichnahme der Kasse berechtigt.6 In der Praxis kommt § 146b Abs. 1 Satz 3 AO demnach nur eine untergeordnete Bedeutung zu.

III. Abgrenzung 1. Unterschiede zur Betriebsprüfung 3.352

Bei der Kassen-Nachschau handelt es sich nicht um eine Betriebsprüfung, sondern lediglich um eine schnelle Sachverhaltsüberprüfung. Damit sind weder die § 193 ff. AO noch die BpO 2000 anwendbar.7 1 2 3 4 5 6 7

Teutemacher, BBK Sonderausgabe, S. 1164. Märtens in Gosch, § 146b AO Rz. 16. AEAO zu § 146b AO Rz. 3. Bleschick, DB 2018, 2390 (2394). Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 22. Märtens in Gosch, § 146b AO Rz. 25. AEAO zu § 146b AO Rz. 2: Eine Ausnahme davon ist aber die Beauftragung einer anderen Finanzbehörde mit einer Kassen-Nachschau gem. § 195 Satz 2 AO, der sinngemäß Anwendung findet.

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H. Kassen-Nachschau | Rz. 3.354 Kap. 3

Dies führt u.a. zu folgenden Unterschieden zwischen einer Betriebsprüfung und der KassenNachschau:1 Betriebsprüfung nach §§ 193 ff. AO

Kassen-Nachschau nach § 146b AO

Vorherige Prüfungsanordnung nach § 196 AO nötig

Ohne vorherige Ankündigung

Mitteilung des voraussichtlichen Prüfungsbeginns nach § 5 Abs. 2 BpO 2000

Ohne Mitteilung Während der üblichen Geschäfts- und Arbeitszeiten

Festlegung des Prüfungsortes nach § 6 BpO 2000

In den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen

Bestimmung der zu prüfenden Steuerarten nach § 5 Abs. 2 BpO 2000

Kurze Sachverhaltsüberprüfung Keine Eingrenzung auf bestimmte Steuerarten

Bestimmung des Prüfungszeitraums nach § 4 BpO 2000

Grds. keine Einschränkung des Prüfungszeitraums (jedenfalls mehrere Monate)

Datenzugriffsrecht nach § 147 Abs. 6 AO

Dateneinsichtnahme, aber kein Datenzugriffsrecht nach § 147 Abs. 6 AO Seit 2020 Nutzung des Datenverarbeitungssystems und Recht auf Datenübermittlung, sofern die Kasse einen Datenzugriff ermöglicht

Erhöhte Bestandskraft der Steuerbescheide gem. § 173 Abs. 2 AO

Keine Änderungssperre bei nachfolgenden Steuerbescheiden

Verjährungshemmung nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gem. § 171 Abs. 4 AO

Kein Eintritt der Verjährungshemmung nach § 171 Abs. 4 AO bei Durchführung der KassenNachschau, erst mit Übergang zur Betriebsprüfung nach § 146b Abs. 3 AO

Aufhebung der Vorbehaltsfestsetzung nach § 164 Abs. 3 Satz 3 AO

Keine Aufhebung der Vorbehaltsfestsetzung

Schlussbesprechung nach § 201 AO

Kein Anspruch auf eine Schlussbesprechung

Prüfungsbericht nach § 202 AO

Kein Anspruch auf Zusendung eines Prüfungsberichts

Anspruch auf verbindliche Zusage nach § 204 AO

Antrag auf verbindliche Zusage nicht möglich

Die beiden Instrumente der Finanzbehörden bestehen nebeneinander und können unabhängig voneinander durchgeführt werden. § 146b AO ermöglicht nur zusätzliche Befugnisse, ohne die weitergehenden Rechte der Betriebsprüfung einzuschränken. Eine Kassen-Nachschau kann demnach auch während einer laufenden Betriebsprüfung durchgeführt werden.2 Zudem hindert eine durchgeführte Kassen-Nachschau nicht eine nachfolgende Kassenauslesung im Rahmen einer Betriebsprüfung.

1 AEAO zu § 146b AO Rz. 7 f.; Bleschick, DB 2018, 2390 (2391); Märtens in Gosch, § 146b AO Rz. 31; Baum in AO-eKommentar, § 146b AO, Rz. 3; Hartwig, DB 2018, 43 (44). 2 Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 12.

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3.353

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3.354

Kap. 3 Rz. 3.355 | Besondere Prüfungsformen

2. Unterschiede zu sonstigen Nachschauen 3.355

Anders als die Kassen-Nachschau erstrecken sich die Umsatzsteuer- sowie die LohnsteuerNachschau nur auf einen eingeschränkten Bereich von Steuerarten. Die verschiedenen Nachschauen sind dabei nebeneinander und voneinander unabhängig durchführbar, sofern die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind.

3.356

Die Umsatzsteuer-Nachschau (Rz. 3.145 ff.) wurde 2001 „zur frühzeitigen Feststellung von Firmen, die primär zur Schädigung des Fiskus genutzt werden“1 eingeführt. Sie bietet dabei auf dem Gebiet der Umsatzsteuer die Möglichkeit, Einzelsachverhalte zu überprüfen, die USt-Voranmeldungen zeitnah zu kontrollieren oder Scheinfirmen aufzudecken. Daneben obliegt ihr die Prüfung im Falle von schwankenden oder steuerfreien Umsätzen.2 § 27b UStG räumt der Umsatzsteuer-Nachschau dabei kein vollständiges Datenzugriffsrecht ein. Sie erlaubt nur die Einsichtnahme in die gespeicherten Daten über die der Umsatzsteuer-Nachschau unterliegenden Sachverhalte und die dafür nötige Nutzung des Datenverarbeitungssystems, entweder mit Lesezugriff oder durch Zuhilfenahme Dritter. Eine Datenträgerüberlassung kann nicht gefordert werden.3

3.357

Die Lohnsteuer-Nachschau (Rz. 3.301 ff.) wurde 2013 durch Einführung des § 42g EStG neu ins Gesetz aufgenommen.4 Hintergrund war die Bekämpfung der Schwarzarbeit und die damit verbundene bessere Zusammenarbeit mit der Bundeszollverwaltung (Finanzkontrolle Schwarzarbeit).5 Sie dient dabei der zeitnahen Aufklärung zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer. Ebenso wie die UmsatzsteuerNachschau beinhaltet § 42g EStG kein Datenzugriffsrecht, es besteht lediglich eine Verpflichtung zur Herausgabe von lohnsteuerrelevanten Unterlagen.

3.358

Gemeinsamer Zweck der Nachschauen ist die Aufdeckung steuerlich erheblicher Sachverhalte, um eine Wettbewerbsgleichheit und den Schutz steuerehrlicher Unternehmer zu erreichen. Die Kassen-Nachschau ermöglicht dabei die weitreichendsten Befugnisse vor allem im Hinblick auf das Datenzugriffsrecht. Somit ist davon auszugehen, dass auch in der Regel auch umsatzoder lohnsteuerliche Sachverhalte im Rahmen einer Kassen-Nachschau mitgeprüft werden.6

IV. Formen 1. Isolierte Kassen-Nachschau 3.359

Anwendung findet die Kassen-Nachschau entweder in Form einer isolierten Kassen-Nachschau oder vor, während bzw. nach einer Betriebsprüfung. Im Fall einer isolierten KassenNachschau findet diese ohne zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Betriebsprüfung statt.

3.360

In Betracht kommt dabei die Durchführung einer sog. „Begrüßungsnachschau“. In diesem Fall erscheint der Amtsträger bereits kurze Zeit nach Eröffnung des Betriebs, um frühzeitig die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung sicherzustellen. Werden Mängel entdeckt, kann der Steuerpflichtige bereits von Anfang an darauf hingewiesen werden und sein Verhalten kor1 2 3 4 5 6

BT-Drucks. 14/6883 v. 10.9.2001, Buchstabe B. Hartwig, DB 2018, 43 (45). UStAE zu § 27b UStG, Abs. 5. BGBl. I 2013, 1817. BT-Drucks. 17/13033 v. 10.4.2013, S. 69. Hartwig, DB 2018, 43 (47).

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H. Kassen-Nachschau | Rz. 3.365 Kap. 3

rigieren. Zudem besitzen die Finanzbehörden so größere Erkenntnisse über die Kassenführung und werden diese bei der Aufstellung der Prüfungsgeschäftspläne für eine spätere Betriebsprüfung berücksichtigen. Die Anzahl der vorhandenen Betriebe und Neueröffnungen lässt eine flächendeckende Überprüfung bei den derzeit bestehenden Prüferkapazitäten aber eher als nicht durchführbar erscheinen. Wahrscheinlicher sind demnach zufällige Kassen-Nachschauen bei der in Rz. 3.335. genannten Zielgruppe. Dies dient zum einen der Generalprävention, zum anderen der Feststellung der Prüfungswürdigkeit der jeweiligen Steuerpflichtigen. Werden Mängel in der Kassenführung festgestellt, erfolgt eine Meldung an die Betriebsprüfung. Ist die Kassenführung ordnungsgemäß, ist eine Prüfungswürdigkeit abzulehnen und der Steuerpflichtige für den geprüften Zeitraum nicht in den Prüfungsgeschäftsplan aufzunehmen.

3.361

2. Kassen-Nachschau vor bzw. nach einer Betriebsprüfung Als häufigster Anwendungsfall hat sich in der Praxis eine Kassen-Nachschau im Vorfeld einer Betriebsprüfung erwiesen. In diesem Fall befindet sich der Betrieb bereits auf dem Prüfungsgeschäftsplan eines Betriebsprüfers. Die Kassen-Nachschau bietet dabei vor Beginn der zeitaufwendigen Betriebsprüfung die Möglichkeit, die Prüfungswürdigkeit mit überschaubarem Aufwand festzustellen. Im Rahmen der Kassen-Nachschau können so beispielsweise Meldegründe der Veranlagung oder des Risiko-Management-Systems für eine Betriebsprüfung nachgeprüft werden. Ebenso wie bei der zufälligen Kassen-Nachschau hängt von ihrem Ergebnis ab, ob in der Folge eine Betriebsprüfung durchgeführt wird oder eine Absetzung vom Prüfungsplan erfolgt.

3.362

Möglich ist zudem die Durchführung der Kassen-Nachschau einige Zeit nach Abschluss einer Betriebsprüfung. Dies dient der Kontrolle, ob der Steuerpflichtige seine Kassenführung entsprechend den Prüfungsfeststellungen der Finanzbehörden korrigiert hat. Ist dies nicht der Fall, besteht die Gefahr, dass eine Anschlussprüfung durchgeführt wird. Dadurch soll verhindert werden, dass Steuerpflichtige, weil sie mit keiner weiteren Prüfung rechnen, ihr steuerschädliches Verhalten nicht umgestellt haben, ein solches Vorgehen dient damit der Generalprävention. Aufgrund der begrenzten Prüferkapazitäten wurden solch nachgelagerte KassenNachschauen bisher nur selten durchgeführt.

3.363

V. Prüfungsinhalte 1. Anforderung von Unterlagen Die Prüfungsinhalte der Kassen-Nachschau unterscheiden sich grundsätzlich nicht von denen einer Kassenprüfung im Rahmen einer Betriebsprüfung. Aufgrund des gesteigerten Eingriffscharakters der Kassen-Nachschau erstreckt sich die Prüfung, wie in Rz. 3.333 f. erläutert, aber auf einen kürzeren Zeitraum.

3.364

Wie bei gewöhnlichen Kassenprüfungen beginnt die Nachschau mit der Inaugenscheinnahme der Kasse sowie der Anforderung des Kassenzertifikats, der Programmier- und Bedienungsanleitungen sowie der Kassenbücher und -berichte. Daneben darf der Amtsträger alle Aufzeichnungen, Bücher und sonstige Organisationsunterlagen anfordern, die zur Prüfung der Vollständigkeit der Einnahmen und der für die Besteuerung gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall erforderlich sind.1 Vorgelegt werden müssen somit beispielsweise

3.365

1 BT-Drucks. 18/9535 v. 5.9.2016, S. 23.

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Kap. 3 Rz. 3.365 | Besondere Prüfungsformen

auch Terminkalender, soweit sie Aufschluss über steuererhebliche Tatsachen geben.1 Vermehrt wird zudem die Vorlage einer aussagekräftigen Verfahrensdokumentation angefordert, aus der sich der organisatorische und technische Datenverarbeitungsprozess ergibt.2 Liegen diese Unterlagen in elektronischer Form vor, so hat der Amtsträger das Recht, die Übermittlung dieser Daten oder deren Übergabe auf einem maschinell auswertbaren Datenträger zu verlangen. Eine Quittierung des Amtsträgers über den Erhalt der Daten kann nicht gefordert werden, wobei der Prüfer in der Regel keine Unterlagen in Papierform an sich nehmen wird.

3.366

Aus Sicht des Steuerpflichtigen sind somit alle mit der Kasse in Verbindung stehenden Unterlagen sorgfältig aufzubewahren und alle Ausdrucke nach Änderungen am Kassensystem für den Fall einer Kassen-Nachschau bereitzuhalten. Hier obliegt dem Steuerpflichtigen die alleinige Beweislast. Auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen kommt es nicht an. Fehlende schriftliche oder elektronische Unterlagen führen demnach stets zu formellen Mängeln in der Kassenführung.

2. Systemprüfung 3.367

Die Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen und Buchungen von Kasseneinnahmen und -ausgaben gem. § 146b Abs. 1 Satz 1 AO erfolgt dabei i.d.R. durch eine Systemprüfung. § 146b Abs. 2 AO ermächtigt den Prüfer, digitale Daten einzusehen und seit dem 1.1.2020, die Überlassung dieser Daten (über die definierte digitale Schnittstelle oder durch Überlassung eines Datenträgers) zu verlangen. Dies dient dem Auslesen der Registrierkasse und der Mitnahme der Daten, um diese auszuwerten. Das Lesen und Erkennen der Systemeinstellungen und dabei vor allem der individuellen Programmanpassungen einer Kasse stellen den eigentlichen Zweck der Systemprüfung dar. Nicht ausreichend ist demnach die Bereitstellung der Daten durch Übergabe von Papierausdrucken.3

3.368

Prüfungsgegenstand ist dabei die Datenintegrität (einzeln, richtig, zeitgerecht, geordnet und unveränderbar), die Datenvollständigkeit und die Datenverfügbarkeit über die definierte Schnittstelle (jederzeit verfügbar, unverzüglich lesbar und maschinell auswertbar). Mit Einführung der zertifizierten Kassensysteme nach § 146a AO sollte unbedingt darauf geachtet werden, nur noch eine solch zertifizierte Kasse zu verwenden. Andernfalls droht neben dem Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit gem. § 379 AO die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO.

3.369

Besonderes Augenmerk wird bei der Datenintegrität auf das Radierverbot nach § 146 Abs. 4 AO gelegt, da das spurenlose Überschreiben oder Löschen von Bareinnahmen unmittelbare steuerliche Auswirkungen hat. Bei der Prüfung der Datenvollständigkeit werden i.d.R. Testbonierungen vorgenommen, um deren korrekte Verbuchung festzustellen oder die Verwendung eines Trainingskellners, dessen Umsätze nicht in Tagesseinnahme einfließen, auszuschließen. Insbesondere die zutreffende Unterteilung der Umsatzsteuersätze ist dabei Gegenstand der Prüfung. Die Kontrolle der Datenverfügbarkeit bezieht sich hingegen auf die Einzelaufzeichnungspflicht, die Beachtung des Aufbewahrungszeitraums und im Falle einer Cloud-Speicherung auf die ständige Verfügbarkeit.

1 Achilles, DB 2018, 18 (23). 2 BMF, Schr. v. 14.11.2014 – IV A 4 - S 0316/13/10003, Rz. 152. 3 Baum in AO-eKommentar, § 146b AO Rz. 14.

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H. Kassen-Nachschau | Rz. 3.374 Kap. 3

3. Kassensturz Nach der Gesetzesbegründung ist der Amtsträger dazu berechtigt, einen Kassensturz zu verlangen.1 Insbesondere bei Verwendung einer offenen Ladenkasse stellt der Kassensturz eine effektive Prüfungsmöglichkeit der Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung dar. Die Durchführung ist aber genauso bei der Nutzung von elektronischen Aufzeichnungssystemen zulässig.2 Dabei zeigen sich häufig folgende Mängel:3

3.370

– Die Kasse wird nur rechnerisch geführt. Der Soll-Bestand laut Kassenbuch wird nicht mit dem Ist-Bestand der Kasse abgeglichen. – Es erfolgt keine gesonderte Erfassung von unbaren Einnahmen. – Der Kassenbestand ist wegen fiktiver Einlagen oder nicht gebuchter Privatentnahmen überhöht, um Kassenfehlbeträge zu vermeiden. – Der Kassenbestand verteilt sich auf mehrere Kassen oder Aufbewahrungsorte, so dass ein Abgleich nicht erfolgen kann. Dabei handelt es sich um schwere materielle Mängel, die im Rahmen einer Betriebsprüfung unmittelbar zu einer Schätzungsbefugnis nach § 162 AO führen und daher möglichst vermieden werden sollten. Zu beachten ist, dass der Kassensturz immer vom Steuerpflichtigen selbst durchgeführt wird, der Amtsträger wird die Zählung nur überwachen, aber niemals selbst mit dem in der Kasse befindlichen Bargeld in Kontakt kommen.4 Aus Sicht des Steuerpflichtigen ist also höchste Vorsicht geboten, wenn ein Finanzbeamter die Zählung des Bargelds selbst übernimmt. Zur Absicherung sollte in diesen Fällen beim Finanzamt nachgefragt werden, ob es sich tatsächlich um einen Amtsträger handelt.

3.371

Eine abschließende Aufzählung der Prüfungsmethoden ist dabei nicht möglich, da sich der Prüfungsumfang am jeweiligen Prüfer, der Dauer, dem verwendeten Kassensystems und dem Steuerausfallrisiko orientiert. Abhängig von ihrem Gewicht können diese Mängel zur Verwerfung des gesamten Buchführungsergebnisses führen.

3.372

VI. Ablauf 1. Vorbereitung a) Aktenstudium und Prüfungsvorbereitung Auch wenn sich die Kassen-Nachschauen in den Bundesländern und Finanzämtern in einigen Punkten unter-scheiden können, so ist grundsätzlich dennoch von einem weitgehend gleichen Ablauf auszugehen.

3.373

Zur Vorbereitung der Kassen-Nachschau wird sich der Amtsträger als Erstes einen Eindruck von der Art und Größe des Betriebs und der Kassenführung machen. Dazu studiert er die Steuerakten sowie insbesondere eventuell vorhandene Betriebsprüfungsakten. Daneben erfolgen die Sammlung von Branchenkenntnissen, der Vergleich mit externen Betrieben (Richtsätze, Datenbanken) sowie die Auswertung von Kontrollmaterial und Risikohinweisen. Gibt es mehrere Standorte, wird er entweder nur eine Filiale prüfen oder in Abstimmung mit weiteren Kassenprüfern eine simultane Kassen-Nachschau veranlassen.

3.374

1 2 3 4

BT-Drucks. 18/9535 v. 5.9.2016, S. 23. Teutemacher, BBK Sonderausgabe, S. 1165. Achilles, DB 2018, 18 (24). Achilles, DB 2018, 18 (24).

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Kap. 3 Rz. 3.375 | Besondere Prüfungsformen

3.375

Ist ihm das Kassensystem bekannt, z.B. aufgrund der Meldung des Steuerpflichtigen nach § 146a Abs. 4 AO oder aufgrund einer vorangegangenen Betriebsprüfung, wird er sich bereits vor der Kassen-Nachschau über die Programmierung informieren. b) Beobachtung und Testkauf

3.376

Die verdeckte Beobachtung der Kassen sowie deren Handhabung ist zulässig. Diese kann entweder einige Tage oder auch unmittelbar vor der Kassen-Nachschau erfolgen.1 Solange sich der Kassenprüfer wie andere Kunden verhält, d. h. sich im öffentlich zugänglichen Bereich aufhält und lediglich beobachtet, muss er sich nicht als Amtsträger zu erkennen geben. Nicht mehr umfasst ist aber das heimliche Betreten des hinteren Thekenbereichs oder eine Bespitzelung des Steuerpflichtigen über einen längeren Zeitraum.2 Die Beobachtungen beziehen sich dabei auf die Anzahl der Gäste sowie dem Verhältnis von Außer-Haus-Umsätzen zu Gästen, die vor Ort bedient werden. Im Rahmen der Kassen-Nachschau wird der Amtsträger dann die Umsätze, die in diesem Zeitraum erfasst werden, mit seinen Beobachtungen und Notizen abgleichen. Ergeben sich hier Abweichungen, mangelt es bereits an der Datenvollständigkeit.

3.377

Im Rahmen dieses Besuchs darf auch ein Testkauf getätigt werden, mit dessen Hilfe die Bedienung der Kasse sowie die Ausgabe der Kassenbelege geprüft werden können. Mangels Eingriffsintensität und fehlender Unterscheidung von anderen Kunden muss sich der Amtsträger bei einem Testkauf noch nicht ausweisen.3 Da findige Steuerpflichtige nachträglich nur solche Umsätze aus der Kasse löschen könnten, deren Belege von den Kunden nicht mitgenommen wurden, fotografieren Amtsträger ihren eigenen Beleg nur und lassen ihn dann in den Räumen des Steuerpflichtigen zurück. Eine solche Fotografie ist als Kontrollmaterial erlaubt.4 Wird im Rahmen der einige Tage später stattfindenden Kassen-Nachschau festgestellt, dass der Beleg des Amtsträgers im Tagesumsatz nicht enthalten ist, wird dieser die fehlende Erfassung als Anlass nehmen, eine Schätzungsbefugnis nach § 162 AO zu begründen. Zwar ist ein einzelner Beleg noch nicht geeignet, eine bestimmte Hinzuschätzung von Umsätzen vorzunehmen. Die Höhe der Hinzuschätzung wird dann aber beispielsweise mit Hilfe einer Ausbeutekalkulation ermittelt. Zudem kann ein solch fehlender Beleg bereits einen strafrechtlichen Anfangsverdacht begründen.

2. Durchführung a) Offenbarung gegenüber Auskunftspersonen

3.378

Bei der Kassen-Nachschau selbst wird der Amtsträger nach dem Steuerpflichtigen verlangen, sich diesem gegenüber als Finanzbeamter zu erkennen geben und sich ausweisen. Sind der Steuerpflichtige selbst oder dessen Vertreter nach § 34 AO nicht verfügbar, hindert dies nicht den Beginn der Kassen-Nachschau. Zur Mitwirkung verpflichtet sind in diesem Fall diejenigen Angestellten, die über alle wesentlichen Zugriffs- und Benutzungsrechte des Steuerpflichtigen verfügen. Diese haben dann die Pflichten des Steuerpflichtigen zu erfüllen, soweit sie hierzu gem. § 35 AO rechtlich oder tatsächlich in der Lage sind.5 Um die Auskunftspflichten der Mitarbeiter gering zu halten, sind aus Sicht des Steuerpflichtigen die administrativen 1 2 3 4 5

BT-Drucks. 18/9535 v. 5.9.2016, S. 22. Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 15. Märtens in Gosch, § 146b AO Rz. 22. Bleschick, DB 2018, 2390 (2396). AEAO zu § 146b AO Rz. 4.

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H. Kassen-Nachschau | Rz. 3.383 Kap. 3

Rechte der Mitarbeiter durch Einschränkung ihres Zugriffs auf die Kasse zu beschränken.1 Zur Vermeidung von Komplikationen werden die Amtsträger in der Praxis i.d.R. daher das Eintreffen des Steuerpflichtigen abwarten. b) Prüfungshandlungen Als Nächstes wird der Amtsträger die Durchführung der Kassen-Nachschau bekannt geben und dem Steuerpflichtigen den Prüfungsauftrag sowie ein Informationsblatt aushändigen. Der Prüfungsauftrag ist ein schriftlicher Duldungsbescheid und enthält dabei folgende Informationen: das ausstellende Finanzamt, das Datum der Kassen-Nachschau, die Rechtsgrundlage in § 146b AO, den Namen des Amtsträgers, Namen und Anschrift des Steuerpflichtigen sowie eine Rechtsbehelfsbelehrung. Das Informationsblatt hingegen enthält grundlegende Informationen über den Ablauf einer Kassen-Nachschau sowie über die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, sollte Einspruch gegen den Prüfungsauftrag sowie Aussetzung der Vollziehung beantragt werden.

3.379

Im nächsten Schritt wird der Amtsträger die in Abschnitt V. beschriebenen Prüfungshandlungen vornehmen und den Steuerpflichtigen in diesem Zusammenhang befragen und zur Vorlage der relevanten Unterlagen auffordern.

3.380

Sofern er dies für sinnvoll erachtet, wird der Amtsträger auch Fotografien von Räumen, Geräten, Unterlagen und Einstellungen der Kasse anfertigen. Personen dürfen im Hinblick auf ihr Persönlichkeitsrecht nicht fotografiert werden. Fotografien sollten dabei nur angefertigt werden, wenn ihnen ein besonderer Beweiswert zukommt und anderweitige Nachweismöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. So können Fotografien von digitalen Kasseneinstellungen z.B. zum Nachweis fehlender Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung dienen. Ebenso ist das Scannen von Belegen zulässig.2 Nach Durchführung der Systemprüfung (s. Rz. 3.367 ff.) wird der Amtsträger den Datenexport über die definierte Schnittstelle oder durch Entgegennahme des maschinell auswertbaren Datenträgers vornehmen. Fehlt es dem Steuerpflichtigen an den entsprechenden EDV-Kenntnissen, wird der Amtsträger Kontakt mit dem Kassenhersteller aufnehmen und die entsprechenden Informationen zur Datenübermittlung erfragen. Mit Verlassen der Geschäftsräume endet die Kassen-Nachschau.

3.381

c) Zufallsfunde Stößt der Amtsträger auf steuerrelevante Zufallsfunde betreffend den Steuerpflichtigen oder Dritte, die in keinem Zusammenhang mit der Kassen-Nachschau stehen, so dürfen diese nichtsdestotrotz ausgewertet werden. Beispielsweise kann die Prüfung der Barausgaben einer GmbH zu einer Entdeckung verdeckter Gewinnausschüttungen an den Gesellschafter führen. Dies erlaubt eine Änderung der Bescheide, auch wenn die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung nicht beanstandet wird.3

3.382

d) Zwangsmittel Kommt der Steuerpflichtige den Auskunfts- und Vorlageverlangen nicht nach, dürfen diese grundsätzlich mit Zwangsmitteln nach §§ 328 ff. AO durchgesetzt werden. In Frage kommen 1 Bleschick, DB 2018, 2390 (2397). 2 AEAO zu § 146b AO Rz. 6. 3 Achilles, DB 2018, 18 (26).

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3.383

Kap. 3 Rz. 3.383 | Besondere Prüfungsformen

dabei insbesondere die Ersatzvornahme1 sowie der unmittelbare Zwang. Dieser erstreckt sich aber nur auf die Einsichtnahme, nicht auf eine Wegnahme oder eine Durchsuchung.2 Die Festsetzung von Verzögerungsgeld kann dagegen erst im Rahmen einer Betriebsprüfung erfolgen.3

3.384

Die Durchsetzung der Vorlagepflichten im Rahmen der Kassen-Nachschau ist jedoch die absolute Ausnahme. Weigert sich der Steuerpflichtige, seinen Pflichten nachzukommen, wird der Amtsträger vielmehr unmittelbar zur Betriebsprüfung übergehen. Ab diesem Zeitpunkt stehen ihm die erweiterten Möglichkeiten der Betriebsprüfung zur Verfügung.4 Anstelle einer Weigerung ist es demnach sinnvoller, die Feststellungen des Amtsträgers im Rahmen der nachfolgenden Betriebsprüfung zu widerlegen. e) Kostentragung

3.385

Gemäß § 146 Abs. 2 Satz 3 AO trägt der Steuerpflichtige die Kosten der Kassen-Nachschau. Dies umfasst sämtliche Kosten, die dem Steuerpflichtigen in Erfüllung der ihm im Rahmen der Kassen-Nachschau auferlegten Pflichten nach § 146b Abs. 1 und 2 AO entstehen. Dies betrifft beispielsweise auch die Kosten bei Rückfragen an den Kassenhersteller, wenn der Steuerpflichtige die geforderten Auskünfte nicht erteilen kann. Nicht davon umfasst sind aber die Kosten der Kassen-Nachschau für die Finanzbehörde. Somit dürfen weder Schulungskosten noch Reise- oder Personalkosten dem Steuerpflichtigen in Rechnung gestellt werden.5

3. Nachgang a) Versendung der Prüfungsanordnung

3.386

Abhängig von den Ergebnissen der untersuchten Daten bestehen drei Handlungsmöglichkeiten. Der Regelfall nach der Durchführung einer Kassen-Nachschau wird dabei die Versendung einer Prüfungsanordnung (vgl. die Ausführungen in Rz. 3.362) an den Steuerpflichtigen sein. Die Ergebnisse der Kassen-Nachschau werden in diesem Fall in einem Ergebnisprotokoll zusammengefasst und können in der darauffolgenden Betriebsprüfung verwendet werden. b) Unmittelbarer Übergang zur Betriebsprüfung

3.387

Geben die aus den während der Kassen-Nachschau getroffenen Feststellungen dazu Anlass, kann der Amtsträger gem. § 146b Abs. 3 Satz 1 AO aber auch ohne vorherige Prüfungsanordnung direkt zur Betriebsprüfung nach § 193 AO übergehen. Mögliche Anlässe dafür sind u.a.: – Der Steuerpflichtige verweigert jegliche Mitwirkung.6 Durch Übergang zur Betriebsprüfung stehen dem Amtsträger weitergehende Möglichkeiten, insbesondere die Aufforderung zur Mitwirkung nach § 200 AO sowie die Schätzungsbefugnis nach § 162 AO zur Verfügung. 1 Beispielsweise könnte der Kassenhersteller kontaktiert werden, um Informationen über das Kassensystem zu erhalten, wenn der Steuerpflichtige keine Auskünfte erteilt. 2 Baum in AO-eKommentar, § 146b AO Rz. 15. 3 Vgl. Wortlaut des § 146 Abs. 2b AO. 4 Dabei handelt es sich einerseits um die erhöhten Mitwirkungspflichten nach § 200 AO sowie die Schätzungsbefugnis nach § 162 AO. 5 Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 30. 6 Achilles, DB 2018, 18 (25).

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H. Kassen-Nachschau | Rz. 3.391 Kap. 3

– Der Ermittlung des Sachverhalts ist aufgrund fehlenden Datenzugriffs nur erschwert möglich.1 – Es wurden bereits bei der Kassen-Nachschau erhebliche Kassenführungsmängel festgestellt, die unmittelbar zu Steuerverkürzungen führen.2 – Es besteht der Verdacht der Verdunkelung oder der Steuerhinterziehung. In diesem Fall wird der Amtsträger, nach Rücksprache mit der zuständigen Bußgeld- und Strafsachenstelle, zudem das Strafverfahren einleiten. Auf den Übergang muss der Steuerpflichtige schriftlich unter Darlegung der Gründe sowie der Angabe von Datum und Uhrzeit hingewiesen werden.3 Die formalen Voraussetzungen werden in der Praxis i.d.R. durch eine vorbereitete und mitgeführte Prüfungsanordnung erfüllt.4 Grundsätzlich ist jedoch festzuhalten, dass ein unmittelbarer Übergang zur Betriebsprüfung die Ausnahme bleiben wird, weil die Prüfung der exportierten Daten eine zeitaufwendige Auswertung im Finanzamt erfordert. Da der Übergang zudem eine ordnungsgemäße Ermessensausübung seitens des Amtsträgers erfordert, wäre ein routinemäßiger Übergang nach § 146b Abs. 3 Satz 1 AO unverhältnismäßig.5

3.388

c) Mitteilung der Beendigung der Kassen-Nachschau Ergeben sich bei der Kassen-Nachschau und der späteren Auswertung der exportierten Daten keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Kassenführung, erhält der Steuerpflichtige eine Mitteilung, dass die Kassen-Nachschau ohne Feststellungen beendet wurde. Weitere Maßnahmen muss er nicht befürchten.

3.389

Befand sich der Betrieb des Steuerpflichtigen auf dem Prüfungsgeschäftsplan eines Betriebsprüfers und besteht auch sonst kein Anlass, eine Betriebsprüfung durchzuführen, wird der Betriebsprüfer eine Absetzung vom Prüfungsgeschäftsplan veranlassen. Die im Rahmen der Kassen-Nachschau erhobenen Daten werden in diesem Fall gelöscht.

3.390

VII. Rechte des Steuerpflichtigen 1. Ansicht des Prüferausweises Die Kassen-Nachschau begründet zwar vor allem Pflichten für den Steuerpflichtigen, jedoch stehen diesem bei einer Kassen-Nachschau auch bestimmte Rechte zu. So ist der Amtsträger dazu verpflichtet, sich vor Beginn der Kassen-Nachschau auszuweisen und den Steuerpflichtigen über dessen Rechte und Pflichten zu belehren. Kann der Amtsträger dies nicht, ist allein schon aufgrund der Gefahr, dass es sich um Betrüger handeln könnte, die Durchführung zu verweigern. Die Anfertigung einer Kopie ist nicht zulässig, der Name des Prüfers darf jedoch notiert und mit dem Namen auf dem Prüfungsauftrag abgeglichen werden. Zudem ist es zulässig, bei Zweifeln im Finanzamt anzurufen und sich die Rechtmäßigkeit der Kassen-Nachschau und die Identität des Amtsträgers bestätigen zu lassen.

1 2 3 4 5

Bleschick, DB 2018, 2390 (2399). Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 34. Teutemacher, BBK Sonderausgabe, S. 1166. Bleschick, DB 2018, 2390 (2399). Drüen in Tipke/Kruse, § 146b AO Rz. 34.

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3.391

Kap. 3 Rz. 3.392 | Besondere Prüfungsformen

2. Hinzuziehung des steuerlichen Vertreters 3.392

Jeder Steuerpflichtige hat das Recht, einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe zur Kassen-Nachschau hinzuzuziehen. Der Amtsträger ist jedoch nicht verpflichtet, die Durchführung der Kassen-Nachschau bis zu dessen Eintreffen zu unterbrechen. Eine Hinzuziehung ist dabei grundsätzlich nicht nötig, da die Einflussmöglichkeiten des Steuerberaters im Rahmen der Kassen-Nachschau gering sind. Sinnvoller ist es, Einwendungen erst in der nachfolgenden Betriebsprüfung vorzubringen.

3. Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung 3.393

Bei der Kassen-Nachschau handelt es sich um schlichtes Verwaltungshandeln, so dass mangels Vorliegens eines Verwaltungsakts eine Anfechtung durch Einlegung eines Einspruchs nicht möglich ist. Anders ist dies bei Aufforderung zur Duldung des Betretens von Grundstücken oder zur Mitwirkung. Gegen diese Verwaltungsakte ist der Einspruch zulässig. Zu beachten ist jedoch, dass ein solcher Einspruch gem. § 361 Abs. 1 Satz 1 AO keine aufschiebende Wirkung hat und nach Abschluss der Kassen-Nachschau wegen Erledigung unzulässig wird.

3.394

Die Beantragung der Aussetzung der Vollziehung ist möglich, wird aber i.d.R. durch den Amtsträger abgelehnt werden, sofern keine Auskunftsverweigerungsrechte bestehen.

3.395

Nach Beendigung der Kassen-Nachschau kann zwar die Rechtswidrigkeit im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO festgestellt werden, die Erfolgsaussichten sind jedoch wegen der grundsätzlichen Zulässigkeit der Kassen-Nachschau eher gering. Es empfiehlt sich daher, etwaige rechtswidrige Realakte im Rahmen der Anfechtung des nachfolgenden Steuerbescheids überprüfen zu lassen.

4. Selbstanzeige nach § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e AO 3.396

Sobald sich der Amtsträger ausgewiesen und den Prüfungsauftrag übergeben hat, ist eine strafbefreiende Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. e AO nicht mehr möglich. Dies führt aber nicht zu einer umfassenden Sperrwirkung, sondern betrifft nur die Steuerarten, die mit der Kassenführung in Verbindung stehen. Umfasst sind für die Dauer der Kassen-Nachschau demnach die Umsatzsteuer sowie die Ertragssteuern hinsichtlich aller Barumsätze und -einnahmen, nicht aber beispielsweise internationale Sachverhalte wie Verrechnungspreise oder andere Steuerarten.

3.397

Verdeckte Beobachtungen und Testkäufe im Vorfeld einer Kassen-Nachschau führen hingegen noch nicht zu einer Sperrwirkung.

3.398

Wird die Kassen-Nachschau beendet, ohne dass eine Betriebsprüfung begonnen oder ein Strafverfahren eröffnet wird, lebt die Möglichkeit der Selbstanzeige wieder auf.

VIII. Rechtsfolgen 1. Unmittelbare Rechtsfolgen 3.399

Bei den Feststellungen im Rahmen einer Kassen-Nachschau handelt es sich nicht um Feststellungen i.S.d. § 179 AO. Sie führen somit nicht unmittelbar zu einer Änderung von Steuerbescheiden, Eine Änderung wird zudem oft nicht möglich sein, weil sich festgestellte Mängel i.d.R. auf Zeiträume beziehen, für die noch keine Steuererklärung abgegeben wurde. 446 | Brenner

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.402 Kap. 3

Andererseits bietet eine beanstandungslose Kassen-Nachschau noch keine Gewähr dafür, dass eine Änderung der Besteuerungsgrundlagen endgültig unterbleibt. Da die Kassen-Nachschau aber zur Einschätzung der Prüfungsrelevanz durchgeführt wird, kann davon ausgegangen werden, dass bei einer beanstandungslosen Kassen-Nachschau, sofern nicht sonstige Prüfungsgründe vorliegen, keine nachfolgende Betriebsprüfung erfolgen wird.

3.400

2. Mittelbare Rechtsfolgen Feststellungen im Rahmen einer Kassen-Nachschau werden, wie in Rz. 3.386 f.). beschrieben, i.d.R. zur Anordnung einer Betriebsprüfung führen. Die festgestellten Mängel werden dabei im Prüfungsbericht berücksichtigt und zu einer Änderung der Steuerbescheide führen.

3.401

Wird bei der Durchführung der Kassen-Nachschau festgestellt, dass die in § 379 AO genannten Pflichten nicht eingehalten wurden, handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, die seit dem 1.1.2020 mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 € geahndet werden kann.

3.402

J. Prüfungen der Zollverwaltung Literatur: Basler/Burkert-Basler/Nawrotzki, Güterklassifizierung nach Anhang I der EG-Dual-useVerordnung und der Ausfuhrliste, AW-Prax 2017, 284, 327; Becker/Beckmann, Digitale Zollprüfung: more data, less opinion, AW-Prax 2014, 172; Burkert-Basler, Sanktionslistenprüfungen: Fallstricke im operativen Geschäft, AW-Prax 2019, 234; Burkert-Basler/Nawrotzki, EU-Sanktionslistenprüfung, AWPrax 2016, 35; Dammholz, Zollprüfungen, AW-Prax 2019, 455; Eßer, Außenwirtschaftsrechtliche Unterlagencodierungen, Der Zoll-Profi! 5/2018, 7; Eßer, Zollfahndung: Die (Kriminal-)Polizei der Zollverwaltung, Der Zoll-Profi! 4/2013, 9; Eßer/Sieben, Die Anforderung außenhandelsrelevanter (Stamm-)Daten und Unterlagen von Lieferanten, Der Zoll-Profi! 2014/12, 10; 2015/1, 9; 2015/2, 10; 2015/4, 6; 2015/5, 11; Felderhoff, Der handelspolitische Warenursprung im Unionszollkodex, AWPrax 2016, 284; Gailler, Die Grundregeln bei der Bewertung des präferenziellen Ursprungs, Der ZollProfi! 3/2015, 2; Haellmigk, Die Catch-all-Kontrollen für nichtgelistete Güter in der EU, AW-Prax 2017, 79; Hannemann-Kacik, § 30 OWiG Geldbuße gegen juristische Personen und Personenvereinigungen, Der Zoll-Profi! 2/2012, 10; Hannemann-Kacik, Die Aufsichtspflichtverletzung in Betrieben und Unternehmen nach § 130 OWiG, Der Zoll-Profi! 9/2011, 2; Hannemann-Kacik, Hilfe, der Prüfer kommt! – Na, und?, Der Zoll-Profi! 12/2016, 9; Helck/Petry, Die Selbstanzeige im Außenwirtschaftsrecht, ZfZ 2015, 151; Jehke/Schöppner, Die Selbstanzeige im Außenwirtschaftsrecht, AW-Prax 2016, 3; Jung, Betriebsprüfungen und Compliance im Außenhandel, AW-Prax 2014, 274; Jung, Buchführung 2.0 mit GoBD: Audit-ready oder blinder Fleck im Unternehmen?, AW-Prax 2019, 188, 221; Merz/ Damm, Anforderungen an die Sanktionslistenprüfung, Der Zoll-Profi! 6/2019, 2; Möller, Tax CM für Steuer und Zoll 2.0 vs. Customs CM 2.0, AW-Prax 2019, 308; Pohl, Risiken und Chancen der Zollbeschau, AW-Prax 2015, 17; Pohl/Darwichpour, Meldungen im Außenwirtschaftsverkehr, AW-Prax 2013, 346; Schoenfeld, Das Rechtsschutzsystem nach dem Unionszollkodex, ZfZ 2017, 226; Sieben, Konsequenzen fehlerhafter präferenzieller Ursprungsnachweise, Der Zoll-Profi! 2012/9, 9, 2012/10, 8; Stein/von Rummel, Selbstanzeige – wer Hunde weckt, schläft ruhiger, AW-Prax 2020, 277; Traub, Einführung ins Zollwertrecht, AW-Prax 2019, 255, 339; Uhl, Lizenzgebühren und Zollwert, Der Zoll-Profi! 11/2016, 2; Voss/Gerharz, Neues vom außenwirtschaftsrechtlichen Ausführer?, AW-Prax 2020, 72, 114; Waldhecker, Stammdatenmanagement, Der Zoll-Profi, 8/2019, 2; Waldhecker/Eßer, Neues zum Ausführerbegriff, Der Zoll-Profi 1/2020, 2; Wemmer, Abgespaltene Kaufpreisbestandteile als Herausforderungen bei der Zollwertermittlung, Der Zoll-Profi! 11/2019, 2; Witte/Kurt, IKS bei Bewilligungen, AW-Prax 2018, 184.

Brenner und Sieben | 447

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Kap. 3 Rz. 3.403 | Besondere Prüfungsformen

I. Aufbau und Organisation (Gemeinsamkeiten/Unterschiede zu Kapitel 1.B.III. [Rz. 1.53 ff.]) 1. Zollverwaltung 3.403

Die Zollverwaltung gehört zum Bundesministerium der Finanzen, welches für die politische und strategische Steuerung der Zollverwaltung zuständig ist.

3.404

Darunter befindet sich als Bundesoberbehörde die Generalzolldirektion mit Hauptsitz in Bonn, welche zentrale Organisationsaufgaben sowie die Rechts- und Fachaufsicht über die Ortsebene ausübt. Hier sind auch das Zollkriminalamt und das Bildungs- und Wissenschaftszentrum angesiedelt.

3.405

Für Prüfungen relevant sind in erster Linie die Hauptzollämter, die auf Ortsebene verantwortlich sind. Hier werden Prüfungspläne aufgestellt, Prüfungsanordnungen erlassen, Prüfungen durchgeführt und ausgewertet. Von den derzeit 41 Hauptzollämtern in Deutschland besitzt allerdings nicht jedes einen eigenen Prüfungsdienst, in vielen Fällen zumindest keinen Prüfungsdienst, der alle Themenbereiche abdeckt. Es kann daher des Öfteren vorkommen, dass die Prüfungsanordnung vom örtlich zuständigen Hauptzollamt ergeht, die Prüfer allerdings einem anderen Hauptzollamt angehören.

3.406

Auf gleicher Ebene befinden sich auch die acht Zollfahndungsämter, welche bei der Ermittlung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zum Einsatz kommen.

3.407

Den Hauptzollämtern nachgeordnet sind sodann die derzeit 250 Zollämter, welche in erster Linie für Zollabfertigungen (Zollanmeldungen, Beschauen etc.) verantwortlich sind.1

2. Prüfungsdienst 3.408

Der Prüfungsdienst bildet innerhalb eines Hauptzollamtes ein Sachgebiet, nämlich das Sachgebiet D. Innerhalb des Sachgebietes werden sodann verschiedene Fachgebiete nach den jeweiligen Rechtsgebieten eingerichtet (in erster Linie Außenwirtschaftsrecht, Verbrauchsteuern, Zölle). Je nach Größe des Prüfungsdienstes können auch für ein Rechtsgebiet mehrere Fachgebiete eingerichtet sein (Zölle 1 und Zölle 2).

3.409

Dem Sachgebiet D steht sodann ein Leiter2 vor, der in erster Linie für die Organisation verantwortlich ist. Er führt das Sachgebiet, plant und organisiert die Arbeitsabläufe, übt die Rechtsund Fachaufsicht im Sachgebiet aus, sorgt für adäquate Fortbildung der Mitarbeiter etc. Er ist im Regelfall Angehöriger des höheren Dienstes der Zollverwaltung. Die Sachgebietsleitung kann Vorgänge von besonderer Bedeutung und mit außergewöhnlichem Schwierigkeitsgrad außerdem auch selbst bearbeiten. Darüber hinaus berichtet sie bei Bedarf der Generalzolldirektion.

3.410

Die jeweiligen Fachgebiete haben ebenfalls einen Leiter3, der innerhalb dieser Unterorganisation wiederum koordinierende Aufgaben wahrnimmt. Die Fachgebietsleitung gewährleistet den Informationsfluss und die Weiterbildung im Fachgebiet, fördert den Informationsaustausch, sorgt für eine einheitliche Rechtsanwendung und beispielsweise für die Zusammenarbeit mit anderen Sachgebieten, der Generalzolldirektion und anderen Behörden. Die Fachgebietsleitung verteilt außerdem die Aufträge zu Prüfungen und Überwachungsmaßnahmen 1 https://www.zoll.de/DE/Der-Zoll/Struktur-des-Zolls/struktur-des-zolls_node.html. 2 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 301. 3 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 302 ff.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.416 Kap. 3

an die jeweiligen Prüfer und Mitarbeiter und gibt die finalen Prüfungsberichte frei. Die Leitung schaltet sich in Prüfungen normalerweise nur richtungsweisend ein oder ordnet bestimmte Prüfungsstrategien an. Der Fachgebietsleiter wird durch die zu ihm gehörenden Prüfer in schwierigen Fällen jedoch auch aktiv in Prüfungen mit eingebunden. Der Fachgebietsleiter kann auch selbst operativ Prüfungen durchführen. An Schlussbesprechungen soll die Fachgebietsleitung regelmäßig teilnehmen. In dem jeweiligen Fachgebiet werden sodann die einzelnen Prüfer1 tätig, die operativ und vor Ort im Unternehmen die jeweiligen Prüfungshandlungen durchführen und den Prüfungsbericht erstellen. In schwierigen Fällen führen Prüfer auch Überwachungsmaßnahmen durch. Fachgebietsleiter und Prüfer gehören dem gehobenen Dienst der Zollverwaltung an.

3.411

Letztendlich existieren Mitarbeiter2 im Prüfungsdienst, die beispielsweise für unterstützende Handlungen in Prüfungen zur Verfügung stehen (z.B. Datenaufbereitung, Recherchetätigkeiten etc.). Im Einzelfall dürfen diese Mitarbeiter auch eigene Prüfungen durchführen. In erster Linie werden die Überwachungsmaßnahmen durch Mitarbeiter des Prüfungsdienstes durchgeführt. Diese Mitarbeiter sind im mittleren Dienst der Zollverwaltung tätig.

3.412

Darüber hinaus gehört zur Unterstützung der Sachgebietsleitung eine Geschäftsstelle, die beispielsweise für die Koordinierung von Terminen, die Verwaltung von Akten oder Materialbestellungen verantwortlich ist.

3.413

Eine weitere wichtige Rolle im Rahmen der Prüfung spielt das Sachgebiet B (Abgabenerhebung)3. Dieses Sachgebiet ist verantwortlich für die Aufstellung des jährlichen Prüfungsplans bzw. des jährlichen Kontrollplans. Dieses Sachgebiet erteilt die Prüfungsanordnungen und wertet vor allem auch die Prüfungsberichte aus. Der Prüfungsdienst ist also das ausführende Organ für die Prüfung, Auslöser und Auswerter dieser ist allerdings das Sachgebiet B.

3.414

II. Prüfungsanlass Da die deutsche Zollverwaltung nicht ausreichend Prüfer zur Verfügung hat, um jedes Unternehmen in den relevanten Prüfungsbereichen lückenlos zu kontrollieren, findet im Regelfall eine risikoorientierte Auswahl4 des Prüfungspflichtigen statt. Um dies allerdings nicht dazu führen zu lassen, dass manche Unternehmen mit einem vermeintlich geringen Risiko nie geprüft werden, werden Unternehmen auch zufällig zur Prüfung ausgewählt. Zu diesem Zweck erstellt das jeweilige Hauptzollamt einen Prüfungsplan5, auf welchem die zur Prüfung ausgesuchten Unternehmen aufgeführt werden. Hinzu treten sodann anlassbezogene Prüfungen6 aufgrund von Erkenntnissen des Abfertigungsdienstes, Problemen bei Bewilligungen etc.

3.415

Die Risiken, die zu einer Prüfung führen, können unterschiedlicher Natur sein. Ein hohes Risiko kann bereits das Volumen der Tätigkeiten sein, hohe Abgabensätze, häufige Inanspruchnahme von Befreiungen (die von bestimmten Voraussetzungen abhängig sind), die Nutzung von Vereinfachungen, Bewilligungen oder Zollverfahren und selbstverständlich Erkenntnisse aus vorangegangenen Prüfungsmaßnahmen oder eingeleiteten Straf- oder Bußgeldverfahren.

3.416

1 2 3 4 5 6

E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 309 ff. E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 312. E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 313. Jung, AW-Prax 2014, 274. E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 500, 600. E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 501.

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Kap. 3 Rz. 3.417 | Besondere Prüfungsformen

3.417

Die Zollverwaltung unterhält zur Bewertung von Wirtschaftsbeteiligten unterschiedliche Programme, wie „BISON“, „PRÜF“1 oder „DEBBI“.

3.418

BISON enthält Beteiligtendaten, wie personenbezogene Stammdaten und verfahrensbezogene Informationen, die sich beispielswiese aus Bewilligungen, Erlaubnissen oder Zulassungen ergeben können. Die Daten in diesem System werden durch das Sachgebiet Abgabenerhebung (Sachgebiet B) eines Hauptzollamtes geführt.

3.419

Das IT-System PRÜF soll bei der Prüfungsplanung unterstützen, insbesondere werden den Beteiligten hier bestimmte Überwachungsgegenstände zugeordnet und risikoorientiert bewertet. Je höher das Risiko bei dieser Bewertung ausfällt, desto wahrscheinlicher ist eine Prüfung.

3.420

DEBBI, in voller Länge die „dezentrale Beteiligtenbewertung“ beinhaltet eine Schnittstelle zum zollinternen IT-Verfahren PRÜF, so dass eine risikoorientierte Aufstellung der Prüfungspläne erfolgen kann.

3.421

Mit DEBBI sollen, unabhängig vom sendungsbezogenen Risiko, die Wirtschaftsbeteiligten bewertet werden, um einschätzen so können, wie wahrscheinlich es ist, dass diese Personen zollrechtliche Vorschriften missachten.

3.422

Die Unternehmen erhalten hier eine Bewertungsziffer, die wie folgt ausgestaltet sein kann: 1

Zuverlässig oder geringes Risiko

2

Mittleres Risiko

3

Hohes Risiko

3.423

Je höher das Risiko ist, desto wahrscheinlicher ist es, auf einem Prüfungsplan zu landen oder auch sonstigen Kontrollen unterzogen zu werden.

3.424

Die Risikoparameter, anhand dessen die Zollverwaltung sowohl eine Bewertung in PRÜF als auch in DEBBI vornimmt, sind nicht öffentlich zugänglich. Berücksichtigt werden hier beispielsweise für den Einfuhrbereich sicherlich in der Vergangenheit angefallene zu geringe Abgabenentrichtungen, eingeleitete Straf- und Bußgeldverfahren und sonstige Verfehlungen.

3.425

Die Bewertung in DEBBI bleibt allerdings nicht unbegrenzt gültig. Lediglich die Kennziffer „1“ bleibt zeitlich unbegrenzt bzw. bis zum Vorliegen gegenteiliger Erkenntnisse bestehen, die anderen Bewertungen werden i.d.R. nach 12 Monaten wieder gestrichen.

3.426

Der Wirtschaftsbeteiligte hat im Übrigen ein Recht darauf, seine aktuelle Bewertungsziffer genannt zu bekommen.

III. Prüfungsarten 1. Steueraufsichtsmaßnahme/Zollamtliche Überwachung 3.427

Eine Steueraufsichtsmaßnahme bedarf keiner förmlichen Prüfungsanordnung2. Der Zollbeamte kann daher ohne Vorankündigung im Unternehmen erscheinen und bestimmte Prüfungen durchführen. Im Gegensatz zu einer Betriebsprüfung, die der Ermittlung der steuerli1 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 105 ff. 2 Jung, AW-Prax 2014, 274.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.435 Kap. 3

chen Verhältnisse des Steuerpflichtigen dient (vgl. § 194 Abs. 1, § 199 Abs. 1 AO) und bei der bereits abgeschlossene Vorgänge geprüft werden, erfolgt bei der Steueraufsicht eine fortlaufende Überwachung einzelner Vorgänge bzw. Sachverhalte, es wird die Einhaltung bestimmter Auflagen geprüft und Ähnliches. Das Zoll- und Verbrauchsteuerrecht enthält zahlreiche Vorgaben, Auflagen oder Pflichten, die es einzuhalten gilt, seien es Aufzeichnungspflichten, Kennzeichnungspflichten, Auflagen hinsichtlich Räumlichkeiten, zulässigen Bearbeitungen, Meldepflichten usw. Im Kleinen sollen und können diese bereits im Rahmen von Steueraufsichtsmaßnahmen bzw. zollamtlichen Überwachungen kontrolliert werden.

3.428

Eine Rechtsgrundlage für Steueraufsichtsmaßnahmen im Bereich der Verbrauchsteuern bietet § 209 AO. Hier werden die Begriffe der zollamtlichen Überwachung und der Steueraufsicht synonym verwendet.

3.429

Wie § 209 Abs. 3 AO zeigt, können sich Steueraufsichtsmaßnahmen allerdings auch aus einzelsteuerlichen Regelungen ergeben (vgl. z.B. § 33 TabStG, § 26 BierStG, § 31 AlkStG, § 61 EnergieStG).

3.430

Die Befugnisse und Mitwirkungspflichten des Beteiligten ergeben sich in diesem Zusammenhang aus §§ 210 ff. AO. § 211 AO sieht als Pflichten des Betroffenen insbesondere vor, auf Verlangen Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden über die der Steueraufsicht unterliegenden Sachverhalte und über den Bezug und den Absatz verbrauchsteuerpflichtiger Waren vorzulegen, Auskünfte zu erteilen und die zur Durchführung der Steueraufsicht sonst erforderlichen Hilfsdienste zu leisten.

3.431

Im Bereich des originären Zollrechts sind die Vorschriften der Abgabenordnung regelmäßig überlagert durch Rechtsvorschriften der EU. Der Unionszollkodex (UZK, Verordnung (EU) Nr. 952/2013) spricht nicht von Steueraufsichtsmaßnahmen, sondern zollamtlicher Überwachung, mit welcher sich in erster Linie Art. 134 Abs. 1 UZK beschäftigt.

3.432

3.433

Art. 134 Abs. 1 UZK Zollamtliche Überwachung (1) Waren, die in das Zollgebiet der Union verbracht werden, unterliegen ab dem Zeitpunkt ihres Eingangs der zollamtlichen Überwachung und können Zollkontrollen unterzogen werden. [...] Sie bleiben so lange unter zollamtlicher Überwachung, wie dies für die Ermittlung ihres zollrechtlichen Status erforderlich ist, und sie dürfen daraus nicht ohne Erlaubnis der Zollbehörden entfernt werden. Unbeschadet des Artikels 254 unterliegen Unionswaren nicht mehr der zollamtlichen Überwachung, sobald ihr zollrechtlicher Status festgestellt ist. Nicht-Unionswaren bleiben unter zollamtlicher Überwachung, bis sich ihr zollrechtlicher Status ändert oder sie aus dem Zollgebiet der Union verbracht oder zerstört werden.

Ergänzend formulieren Art. 158 Abs. 3 UZK für die Ausfuhr, den internen Unionsversand und die passive Veredelung und Art. 267 Abs. 1 UZK für den Ausgang von Waren aus dem Zollgebiet Zeitrahmen für die zollamtliche Überwachung. Zum Ende der zollamtlichen Überwachung im Rahmen der Endverwendung vgl. Art. 254 Abs. 4 UZK.

3.434

Die Mitwirkungspflicht des Beteiligten ergibt sich neben den genannten Artikeln auch aus Art. 15 Abs. 1 UZK, der insbesondere vorsieht, dass auf Verlangen der Zollbehörden und innerhalb der gesetzten Frist alle erforderlichen Unterlagen und Informationen zu übermitteln

3.435

Sieben | 451

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Kap. 3 Rz. 3.435 | Besondere Prüfungsformen

sind und ihnen die erforderliche Unterstützung, damit diese Formalitäten oder Kontrollen abgewickelt werden können, zu gewähren ist. Die Befugnisse der Zollverwaltung sind umfangreich und ergeben sich auf EU-Ebene aus Art. 46 Abs. 1 UZK. Dieser formuliert als Zollkontrollen insbesondere die Beschau1 der Waren, die Entnahme von Proben und Mustern, die Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der in einer Anmeldung oder Mitteilung gemachten Angaben sowie des Vorhandenseins, der Echtheit, Richtigkeit und Gültigkeit von Unterlagen, die Prüfung der Buchführung der Wirtschaftsbeteiligten und der sonstigen Aufzeichnungen, die Kontrolle der Beförderungsmittel, des Gepäcks und der sonstigen Waren, die von oder an Personen mitgeführt werden, sowie die Durchführung von behördlichen Nachforschungen und dergleichen. Nationale Besonderheiten ergeben sich aus § 10 Zollverwaltungsgesetz (ZollVG), wobei derzeit nicht klar ist, ob Art. 46 UZK § 10 ZollVG überlagert, so dass die Einschränkungen dieses Paragraphen (z.B. der Bezug zum grenznahen Raum) unbeachtlich sind, oder § 10 ZollVG in dieser Form weiterhin vollumfänglich Anwendung findet und Art. 46 UZK lediglich ausgestaltet2. Zur Prüfung einer Zollanmeldung ergänzt Art. 188 UZK, dass die Zollbehörden die Zollanmeldung und die Unterlagen prüfen können, vom Anmelder verlangen können, dass er weitere Unterlagen beibringt, eine Beschau der Waren vornehmen und/ oder Muster und Proben zur Analyse oder eingehenden Prüfung entnehmen können (ergänzend Art. 238 Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447, nachfolgend „UZK-DVO“).

3.436

Überwachungsmaßnahmen sollen nicht länger als fünf Jahre in Folge vom selben Prüfer bzw. Mitarbeiter durchgeführt werden, es sei denn, innerhalb dieser Zeit hat diese Tätigkeit mindestens ein Jahr lang ein anderer Prüfer durchgeführt oder es wurden regelmäßig mehrere Prüfer/Mitarbeiter in unterschiedlichen Zusammensetzungen eingesetzt3.

2. Betriebsprüfung 3.437

Eine Betriebsprüfung dient der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse eines Steuerpflichtigen (§ 194 Abs. 1 AO). Im Bereich der Zölle und Verbrauchsteuern geht es somit in erster Linie darum, dass die Abgaben rechtzeitig und in voller Höhe entrichtet worden sind.

3.438

Im Außenwirtschaftsrecht passt die Bezeichnung daher nicht unmittelbar, da es nicht um steuerliche Belange geht. Der Einfachheit halber wird der Begriff der Betriebsprüfung aber auch hier verwendet. Im Außenwirtschaftsrecht geht es um die Prüfung der Einhaltung von außenwirtschaftsrechtlichen Beschränkungen, d.h. insbesondere um die Frage, ob Genehmigungsvorbehalte beachtet worden sind, gegen Verbote verstoßen wurde, aber auch die verfahrensrechtlichen Anforderungen, z.B. im zollrechtlichen Ausfuhrverfahren, eingehalten worden sind.

3.439

Eine Betriebsprüfung dient in Abgrenzung zur Steueraufsichtsmaßnahme, die der Kontrolle laufender Vorgänge dient, dazu, nachträglich bestimmte, bereits abgeschlossene Vorgänge nochmals hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit zu kontrollieren.

3.440

Eine Betriebsprüfung ist nicht zwingend von einem konkreten Ereignis abhängig. Welche Unternehmen geprüft werden, ergibt sich zollintern aus dem Prüfungsplan. Eine rechtmäßig angeordnete Prüfung kann im Regelfall nicht verhindert werden. Auf der anderen Seite hat ein Unternehmen keinen Anspruch darauf, geprüft zu werden. 1 ergänzend dazu Pohl, AW-Prax 2015, 17. 2 Zur Subsidiarität nationaler Vorschriften siehe Henke/Wemmer in Witte, Zollkodex der Union, Art. 46 Rz. 10; von Marschall in Krenzler/Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, Art. 46 Rz. 33 3 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 206.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.446 Kap. 3

Die Zollverwaltung erlegt sich über ihre interne Dienstvorschrift selbst auf, dass derselbe Prüfer ein Unternehmen nicht mehr als vier Mal in Folge bzw. nicht länger als vier Jahre (je nachdem, welches Ereignis später eintritt) prüfen darf1. Anschließend muss das Unternehmen mindestens zwei Mal bzw. zwei Jahre lang (je nachdem, welches Ereignis früher eintritt) von einem anderen Prüfer kontrolliert werden. Ausnahmen von dieser Grundregel sind allerdings möglich, müssen vom Sachgebietsleiter intern allerdings begründet und dokumentiert werden.

3.441

3. Fahndungsmaßnahmen Die Zollfahndung2 ist zuständig für die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zuständigkeitsbereich der Zollverwaltung, insbesondere im Zusammenhang mit schwerer und organisierter Kriminalität. Sie soll für diese Fälle die Besteuerungsgrundlagen ermitteln. Außerdem soll sie unbekannte Steuerfälle aufdecken und ermitteln. Die Aufgaben und Befugnisse der Zollfahndungsämter werden in § 208 AO für den steuerlich relevanten Bereich und in § 21 AWG für den außenwirtschaftsrechtlichen Bereich beschrieben.

3.442

Die Beamten der Zollverwaltung haben in diesem Zusammenhang die Rechte und Pflichten der Polizeibeamten und sind insoweit Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft (vgl. § 399 Abs. 1, § 404 AO, § 21 Abs. 3 AWG).

3.443

Wesentlicher Unterschied im Gegensatz zur Betriebsprüfung sind die Rechte und Pflichten, die dem Betroffenen zustehen. Im Falle von Ermittlungshandlungen der Zollfahndung bestehen beispielsweise nur eingeschränkte Auskunfts- und Vorlagepflichten. Da sich für den Bereich der Zollverwaltung hier allerdings keine wesentlichen Besonderheiten ergeben, gelten die Ausführungen zu Rz. 1.540 ff. hier sinngemäß.

3.444

Im Falle von Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung verlängert sich die Festsetzungsfrist auf zehn bzw. fünf Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Steuerarten ist, dass für Zollabgaben nur die Verlängerung auf zehn Jahre im Falle der Steuerhinterziehung greift. Eine Verlängerung auf fünf Jahre für den Fall der leichtfertigen Steuerverkürzung ist nicht vorgesehen, denn die Regelung der Abgabenordnung greift hier nicht, da sie an dieser Stelle durch Art. 103 Abs. 2 UZK überlagert ist, der eine Verlängerung der Festsetzungsfrist ausschließlich bei Straftaten vorsieht.

3.445

IV. Recht und Verfahren der Betriebsprüfung (Gemeinsamkeiten/Unterschiede zu Kapitel 1 B.I. [Rz. 1.24 ff.] und B.II. [Rz. 1.30 ff.]) 1. Steuerliche Prüfungen a) Einleitung Die steuerlichen Prüfungen, d.h. Zollprüfungen, Präferenzprüfungen und solche im Bereich der Verbrauchsteuern (die Luftverkehrsteuer und das Marktordnungsrecht werden in diesem Beitrag nicht weiter thematisiert) weisen einige Gemeinsamkeiten3 auf, die deshalb vorweg dargestellt werden. Anschließend werden die Besonderheiten der einzelnen Prüfungsgebiete näher beschrieben.

1 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 205. 2 Vertiefend Eßer, Der Zoll-Profi! 4/2013, 9. 3 Vgl. E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 500 ff.

Sieben | 453

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3.446

Kap. 3 Rz. 3.447 | Besondere Prüfungsformen

b) Prüfungsanordnung

3.447

Vor Beginn einer Prüfung wird durch das jeweils zuständige Hauptzollamt eine Prüfungsanordnung erstellt. Dies erfolgt durch das Sachgebiet B (Abgabenerhebung) des jeweiligen Hauptzollamtes. Bei Zoll- und Präferenzprüfungen ist jeweils das Hauptzollamt zuständig, von dessen Bezirk aus der Steuerpflichtige sein Unternehmen betreibt (§ 23 Abs. 2 AO). Die Zollverwaltung spricht hier vom Betriebs-Hauptzollamt. Gleiches gilt in der Regel für Verbrauchsteuerprüfungen, wobei sich die Zuständigkeit jeweils aus den einzelnen Verbrauchsteuerverordnungen ergibt. Das Betriebs-Hauptzollamt muss nicht zwingend mit dem zuständigen Hauptzollamt übereinstimmen, das dem Unternehmen Vereinfachungen und Bewilligungen erteilt. Für zollrechtliche Entscheidungen ist nämlich nach Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 3 UZK das Hauptzollamt zuständig, in dessen Bezirk die Hauptbuchhaltung für Zollzwecke des Antragstellers geführt wird oder zugänglich ist.

3.448

Sollen gleichzeitig Zollprüfungen, Präferenzprüfungen und/oder Verbrauchsteuerprüfungen angeordnet werden, wird für jeden Bereich eine eigene Prüfungsanordnung erstellt.

3.449

Diese wird auf einem standardisierten Vordruck (0681) erstellt und muss mindestens folgende Angaben enthalten1: – das Hauptzollamt, welches die Prüfung anordnet, – die Rechtsgrundlage für die Prüfung (s.u. zur jeweiligen Prüfungsart), – den Adressaten der Prüfung, d.h. die genaue Bezeichnung des Beteiligten, der geprüft werden soll, – den Prüfungsumfang: welche Steuerarten oder Steuervergütungen/Steuerentlastung und/ oder welche bestimmten Sachverhalte geprüft werden sollen, – den Zeitraum, der geprüft werden soll, – eine Rechtsbehelfsbelehrung (hier: Einspruch gem. § 347 AO).

3.450

Zusätzlich wird der Prüfungsanordnung ein standardisiertes Merkblatt zu den wesentlichen Rechten und Pflichten im Rahmen der Prüfung (Vordruck 0683) beigefügt.

3.451

Im Regelfall wird in der Prüfungsanordnung noch nicht der zuständige Prüfer genannt, da er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht feststeht. Auch der genaue Prüfungsbeginn steht zu diesem Zeitpunkt regelmäßig noch nicht fest. Nach § 197 Abs. 1 AO ist eine Bekanntgabe dieser Informationen binnen einer angemessenen Zeit vor Beginn der Prüfung erforderlich, soweit der Prüfungszweck dadurch nicht gefährdet erscheint. Andernfalls würde eine Prüfungsanordnung zu Beginn der Prüfung ausgehändigt werden. Dies sollte regelmäßig jedoch nicht der Fall sein, da andernfalls über die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens zumindest nachgedacht werden müsste. In der Regel vergehen zwischen dem Zugang der Prüfungsanordnung und der Mitteilung des tatsächlichen Prüfungsbeginns mehrere Wochen, manchmal Monate. Existiert bereits ein Ermittlungsverfahren, ist eine Prüfung dennoch möglich, sofern die beiden Sachverhalte klar voneinander abgegrenzt werden können. Ein laufendes Ermittlungsverfahren aufgrund fehlerhaft ausgestellter Präferenznachweise hindert also nicht die Durchführung einer Zollprüfung im Bereich der Einfuhr.

1 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 510.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.458 Kap. 3

Bei der Prüfungsanordnung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, gegen den grds. auch ein Rechtsbehelf möglich ist. Regelmäßig wird es aber an einer ausreichenden Begründung fehlen, um die Prüfung tatsächlich abwenden zu können.

3.452

c) Prüfungsvorbereitung Das Unternehmen sollte sich hinsichtlich des in der Prüfungsanordnung genannten Prüfungsgegenstandes und über den genannten Zeitraum auf die Prüfung vorbereiten1. Dies bedeutet u.a., dass ggf. bereits archivierte Akten wieder hervorgeholt werden sollten.

3.453

Für die Prüfung sollte das Unternehmen zentrale Ansprechpartner zur Verfügung stellen und als Auskunftsperson (intern und extern) benennen. Selbst wenn diese Personen nicht alle Fragen des Prüfers selbst beantworten können, sollten sie diese entgegennehmen und die interne Klärung herbeiführen. Es sollte vermieden werden, den Prüfer direkten Kontakt mit anderen Abteilungen wie beispielsweise Einkauf, Vertrieb oder IT aufnehmen zu lassen, da in vielen Fällen bereits nicht die gleiche Sprache gesprochen wird und Fragen häufig nicht vollständig, nicht richtig oder nicht zielführend beantwortet werden können. Es geht also weniger darum, dem Prüfer unvorteilhafte Informationen vorzuenthalten, sondern eher darum, die notwendigen Informationen sofort vollständig und korrekt beizubringen. Häufig ist es schwierig, einmal getätigte Auskünfte, die schlichtweg nicht korrekt oder zollrechtlich missverständlich sind, im Nachgang wieder klar zu stellen.

3.454

Bei den (möglichst wenigen) Auskunftspersonen sollte es sich um die Personen handeln, die in den zu prüfenden Bereichen das größte Wissen haben, aber auch mit der notwendigen Kompetenz ausgestattet sind, um von anderen Abteilungen erforderliche Informationen zu beschaffen. Prüfer haben sich zunächst an die benannten Auskunftspersonen zu wenden, dürfen also im Regelfall nicht von sich aus andere Personen im Unternehmen um Auskünfte bitten. Erst wenn die benannte Auskunftsperson nicht in der Lage ist, Auskünfte zu erteilen (z.B. verhindert ist, sich als uninformiert erweist oder von einem Mitwirkungsverweigerungsrecht Gebrauch macht) oder die Auskünfte zur Klärung des Sachverhalts unzureichend sind oder keinen Erfolg versprechen, kann der Prüfer auch andere Betriebsangehörige um Auskunft ersuchen (§ 200 Abs. 1 AO).

3.455

Diese Auskunftspersonen sollten sich auch um die Prüfungsvorbereitung kümmern. Neben der Beschaffung der notwendigen Unterlagen gehört auch die Vorbereitung des Prüferzugangs zum eigenen System oder die Datenextraktion der angeforderten Unterlagen (zu den verschiedenen Zugriffsmöglichkeiten s.u. zur Digitalisierung der Betriebsprüfung).

3.456

Ein wichtiger Vorbereitungspunkt sollte auch die Durchsicht alter Prüfungsberichte zum gleichen Prüfungsgegenstand sein. Punkte, die in vorangegangenen Prüfungen bereits angemahnt wurden, sollten unbedingt abgestellt sein, da ansonsten der Verdacht des Vorsatzes oder zumindest der Leichtfertigkeit bedrohlich naherückt, da man den Missstand ja bereits kannte.

3.457

Sollte dies nicht bereits ohnehin auf Basis eines regelmäßigen Turnus im Rahmen eines internen Kontrollsystems2 passieren, sollten hinsichtlich des Prüfungsgegenstandes eigene Kontrollen durchgeführt werden, um etwaige Fehler bereits selbst zu entdecken. Zwar ist in die-

3.458

1 Vertiefend dazu Hannemann-Kacik, Der Zoll-Profi! 12/2016, 9. 2 Hannemann-Kacik, Der Zoll-Profi! 12/2016, 9.

Sieben | 455

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Kap. 3 Rz. 3.458 | Besondere Prüfungsformen

sem Zeitpunkt die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO nicht mehr gegeben, aber eine bußgeldbefreiende Offenlegung im Rahmen der leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 Abs. 3 AO käme noch in Betracht. Selbst wenn dies aber nicht der Fall wäre, sollte immer darüber nachgedacht werden, ob selbst festgestellte Verstöße freiwillig im Zuge des Beginns der Prüfung offengelegt werden sollten oder nicht. Dabei berücksichtigt werden sollte immer die Pflicht aus § 153 AO, unverzüglich anzuzeigen, wenn erkannt wurde, dass unrichtige oder unvollständige Erklärungen abgegeben wurden und es dadurch zu einer Verkürzung von Abgaben kommen kann oder bereits gekommen ist1. Diese Pflicht gilt auch im Bereich des Zoll- und des Verbrauchsteuerrechts. Eine unmittelbare Anwendung im Bereich falsch ausgestellter Präferenznachweise erscheint allerdings nicht gegeben. Auch Auflagen aus oder Voraussetzungen für Bewilligungen sollten an dieser Stelle beachtet werden2. In der präferenzrechtlichen Bewilligung als Ermächtigter Ausführer wird beispielsweise standardmäßig auferlegt, dass bei Feststellung von falsch ausgestellten Ursprungserklärungen eine Unterrichtung des Hauptzollamtes unter Angabe der Gründe zu erfolgen hat.

3.459

Zu den weiteren Vorbereitungshandlungen gehört die Suche nach einem geeigneten Raum (§ 200 Abs. 2 AO) für den Prüfer und die Ermittlung, ob alle erforderlichen Personen, die für Auskünfte im Rahmen der Prüfung benötigt werden, im geplanten Zeitraum auch verfügbar sind. Sollte dies nicht der Fall sein, kann mit dem Prüfer auch eine Verschiebung des Prüfungsbeginns abgestimmt werden.

3.460

Auch das Hauptzollamt bzw. der Prüfungsdienst bereiten sich entsprechend auf eine Prüfung vor. Der Prüfer soll sich intern mit den anderen Sachgebieten (insbesondere dem Sachgebiet B – Abgabenerhebung) austauschen, um bereits im Vorfeld über relevante Erkenntnisse ins Bild gesetzt zu werden. Auch Informationen des Zollkriminalamtes (ZKA) oder anderer besonderer Stellen innerhalb der Zollverwaltung (z.B. der Bundesstelle Zollwert) sollen im Vorfeld eingeholt werden3. Nicht zuletzt wird sich der Prüfer auch die Berichte aus bereits vergangenen Prüfungen anschauen und seine Prüfungsschwerpunkte danach ausrichten. d) Beginn der Prüfung

3.461

Der Prüfungsbeginn ist nach § 198 AO aktenkundig zu machen. Es wird an dieser Stelle allerdings kein genauer Zeitpunkt bestimmt, wann die Prüfung beginnt.

3.462

Die deutsche Zollverwaltung unterhält eine eigene Dienstvorschrift zur Anwendung der Abgabenordnung im Bereich der Zollverwaltung (AO-DV Zoll). Diese dient zum einen dazu, ein einheitliches Verständnis der Normen innerhalb aller deutschen Zollstellen sicherzustellen und interpretiert daher in vielen Fällen unbestimmte Rechtsbegriffe. Die AO-DV Zoll soll darüber hinaus aber auch dabei helfen, zu erkennen, welche Normen der AO im Bereich der Zollverwaltung überhaupt anwendbar sind und wann eine Überlagerung durch höherrangiges EU-Recht besteht.

3.463

Zum Prüfungsbeginn führt die AO-DV Zoll wie folgt aus:

3.464

„Die Außenprüfung beginnt grundsätzlich in dem Zeitpunkt, in dem der Außenprüfer nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung konkrete Ermittlungshandlungen vornimmt. Die Hand-

1 Vertiefend dazu Möller, AW-Prax 2019, 308. 2 Vertiefend dazu Witte/Kurt, AW-Prax 2018, 184. 3 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 515.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.469 Kap. 3

lungen brauchen für den Betroffenen nicht erkennbar zu sein; es genügt vielmehr, dass der Außenprüfer nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung mit dem Studium der den Steuerfall betreffenden Akten beginnt (BFH-Urteile vom 7.8.1980 – II R 119/77, vom 11.10.1983 – VIII R 11/82 und vom 18.12.1986 – I R 49/83). Bei einer Datenträgerüberlassung beginnt die Außenprüfung spätestens mit der Auswertung der Daten. Als Beginn der Außenprüfung ist auch ein Auskunfts- und Vorlageersuchen der Finanzbehörde anzusehen, mit dem unter Hinweis auf die Außenprüfung um Beantwortung verschiedener Fragen und Vorlage bestimmter Unterlagen gebeten wird (BFH-Urteil vom 2.2.1994 – I R 57/93 und BFH-Beschluss vom 3.3.2009 – IV S 12/08). Ein Aktenstudium, das vor dem in der Prüfungsanordnung genannten Termin des Beginns der Prüfung durchgeführt wird, gehört hingegen noch zu den Prüfungsvorbereitungen (BFH-Urteil vom 8.7.2009 – XI R 64/07).“ Die Prüfung beginnt für das betroffene Unternehmen regelmäßig mit dem Eröffnungsgespräch. Insbesondere wenn der Prüfer dieses Unternehmen oder in diesem Prüfungsgegenstand das erste Mal prüft, soll in diesem Gespräch die Richtung der Prüfung abgestimmt, notwendige Unterlagen angefragt und Termine für die Prüfung festgelegt werden.

3.465

Je nach Größe des Unternehmens sollten an diesem Gespräch neben den benannten Auskunftspersonen auch der zuständige Geschäftsführer oder der Leiter der Steuerabteilung bzw. die ansonsten ranghöchste Person teilnehmen, die er Abteilung vorsteht, der die für Zoll verantwortlichen Personen angehören. Auf diese Weise soll einerseits gegenüber der Verwaltung aufgezeigt werden, dass die Prüfung unternehmensintern ernst genommen wird, andererseits aber auch innerhalb des Unternehmens diese Einstellung vermittelt werden, um sicherzustellen, dass alle Abteilungen die für die Prüfung notwendigen Informationen und Daten mit höchster Priorität bereitstellen. Bei der Auswahl der an diesem Gespräch teilnehmenden Personen sollte allerdings auch deren diplomatisches Geschick berücksichtigt werden, um das Prüfungsklima nicht zu gefährden.

3.466

e) Durchführung der Prüfung Die Prüfung findet während der üblichen Geschäfts- oder Arbeitszeit statt. Grundstücke und Betriebsräume dürfen durch den Prüfer betreten und besichtigt werden (§ 200 Abs. 3 AO). Um tatsächlich nur den Prüfer hereinzulassen und keine anderen unbefugten Personen, hat sich dieser unverzüglich bei Erscheinen auszuweisen (§ 198 AO).

3.467

Auch die Prüfung der Zollverwaltung soll weitestgehend „wirtschaftlich“ sein. Ein Prüfer soll sich also nicht wochenlang an Kleinigkeiten aufhalten, die im Ergebnis nur zu unwesentlichen Beanstandungen führen würden. Die Prüfung soll sich auf das Wesentliche und ihre Dauer auf das notwendige Maß beschränken1.

3.468

Im Rahmen dieses Gebotes wird sich der Prüfer regelmäßig auf Stichproben beschränken, wenngleich im Rahmen einer digitalen Betriebsprüfung in vielen Fällen bereits eine nahezu vollständige Auswertung2 von elektronischen Daten möglich sein wird. Durch das Vergleichen von Daten, das Filtern, mathematischen Auswertungsmethoden, vorprogrammierten PrüfMakros etc. kann ein Prüfer häufig recht schnell bereits Standard-Fehler entdecken oder Auffälligkeiten herausfiltern und seine Stichproben darauf konzentrieren.

3.469

1 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 522. 2 Jung, AW-Prax 2014, 274; Becker/Beckmann, AW-Prax 2014, 172 f.

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Kap. 3 Rz. 3.470 | Besondere Prüfungsformen

3.470

Wichtig im Rahmen der Durchführung der Prüfung sind auch hier die in § 199 AO normierten Prüfungsgrundsätze: 1. Der Betriebsprüfer hat die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind (Besteuerungsgrundlagen), zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen zu prüfen. 2. Der Steuerpflichtige ist während der Betriebsprüfung über die festgestellten Sachverhalte und die möglichen steuerlichen Auswirkungen zu unterrichten, wenn dadurch Zweck und Ablauf der Prüfung nicht beeinträchtigt werden.

3.471

Der Prüfer sollte also als Person gesehen werden, die aus neutraler Sicht beurteilt, ob gemäß den zoll-/präferenz-/verbrauchsteuerrechtlichen Anforderungen gearbeitet wurde. Wird beispielsweise festgestellt, dass Waren unter Verwendung falscher Zolltarifnummern importiert wurden, kann dies auch in einer Erstattung für das Unternehmen münden, wenn der Zollsatz bei der korrekten Codenummer entsprechend geringer ausfällt.

3.472

Über im Rahmen der Prüfung bereits festgestellte Verstöße soll der Prüfer die Auskunftspersonen im Regelfall unterrichten. Insbesondere kann das Unternehmen dann bereits Gegenmaßnahmen einleiten, um Verstöße aus dem gleichen Grund zu verhindern, sofern nicht bereits geschehen. In diesem Zuge darf der Prüfer durchaus auch Anregungen zur Verbesserung der Ablauforganisation oder möglichen Vereinfachungsmöglichkeiten geben. Der Prüfer sollte also nicht zwingend als Gegenspieler gesehen werden, es können aus Prüfungen durchaus auch Vereinfachungen entstehen, die in Zukunft genutzt werden und das zollrechtliche Leben einfacher machen können1. Im Regelfall sollten sich die Prüfer in ihrem zu prüfenden Rechtsbereich sehr gut auskennen und haben meist auch bereits eine große Zahl anderer Unternehmen mit vergleichbaren Problemen gesehen, so dass ein Unternehmen aus diesen Kenntnissen und Erfahrungen durchaus auch Vorteile ziehen kann.

3.473

Die Mitwirkungspflichten des Unternehmens ergeben sich für Zollprüfungen einerseits aus Art. 15 Abs. 1 UZK:

3.474

„Auf Verlangen der Zollbehörden und innerhalb der gesetzten Frist übermitteln die unmittelbar oder mittelbar an der Erfüllung von Zollformalitäten oder an Zollkontrollen beteiligten Personen den Zollbehörden in geeigneter Form alle erforderlichen Unterlagen und Informationen und gewähren ihnen die erforderliche Unterstützung, damit diese Formalitäten oder Kontrollen abgewickelt werden können.“

3.475

Andererseits und auch für die anderen Prüfungsarten in diesem Bereich gilt § 200 AO:

3.476

„Der Steuerpflichtige hat bei der Feststellung der Sachverhalte, die für die Besteuerung erheblich sein können, mitzuwirken. Er hat insbesondere Auskünfte zu erteilen, Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen, die zum Verständnis der Aufzeichnungen erforderlichen Erläuterungen zu geben und die Finanzbehörde bei Ausübung ihrer Befugnisse nach § 147 Abs. 6 zu unterstützen.“

3.477

Erst wenn die benannten Auskunftspersonen nicht in der Lage sind, ausreichende Auskünfte zu erteilen, darf ein Prüfer andere Betriebsangehörige zur Auskunft ersuchen. Aus diesem Grund ist die oben bereits beschriebene Auswahl geeigneter Auskunftspersonen wichtig. Verfügen diese entweder selbst über das Wissen zur Beantwortung der Fragen oder können diese 1 Dammholz, AW-Prax 2019, 455.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.484 Kap. 3

zumindest innerhalb angemessener Zeit beschaffen, so kann ein direkter Kontakt anderer Betriebsabteilungen mit dem Prüfer vermieden werden. Unterbleiben die erforderlichen Mitwirkungshandlungen oder ist das Unternehmen mangels geeigneter Prüfpfade (s. dazu ausf. Rz. 3.612 im Punkt „Digitalisierung der Betriebsprüfung“) nicht prüfbar, kann die Zollverwaltung auch auf Zwangsmittel nach §§ 328 ff. AO oder die Verhängung eines Verzögerungsgeldes zurückgreifen (§ 146 Abs. 2c AO). Das Verzögerungsgeld kann zwischen 2.500 € und 250.000 € betragen und auch mehrmals verhangen werden, wenn den Anforderungen der Verwaltung innerhalb der gesetzten Fristen nicht nachgekommen wird. Wird auch auf diese Weise kein Ergebnis erzielt, können die Besteuerungsgrundlagen auch nach § 162 AO geschätzt werden.

3.478

Die bei erschwerter Sachverhaltsermittlung bekannte tatsächliche Verständigung (s. Rz. 9.109) zwischen Verwaltung und Beteiligtem auf einen bestimmten Sachverhalt, kommt im Bereich des Zollrechts nur selten zur Anwendung, ist aber nicht ausgeschlossen. In der AO-DV Zoll ist für den genauen Anwendungsbereich und die Voraussetzungen eine Anlage 2 zu § 88 AO geschaffen worden.

3.479

„Diese tatsächliche Verständigung kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (BFH-Urteile vom 11.12.1984 – VIII R 131/76 – vom 5.10.1990 – III R 19/88 und vom 6.02.1991 – I R 13/86 vom 8.9.1994 – V R 70/91 vom 13.12.1995 – XI R 43 – 45/89 vom 31.7.1996 – XI R 78/95) in jedem Stadium des Besteuerungsverfahrens, insbesondere auch anlässlich einer Betriebsprüfung und während eines anhängigen Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelverfahrens (z.B. im Rahmen einer Erörterung nach § 364a AO) getroffen werden. Von ihr kann auch bei Zollfahndungsprüfungen bzw. nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens Gebrauch gemacht werden. In solchen Fällen ist frühzeitig die für Straf- und Bußgeldverfahren zuständige Stelle bzw. die Staatsanwaltschaft einzubeziehen. [...]

3.480

Voraussetzung für eine tatsächliche Verständigung ist das Vorliegen eines Sachverhalts, der nur unter erschwerten Umständen ermittelt werden kann. Das ist z.B. der Fall, wenn sich einzelne Sachverhalte nur mit einem nicht mehr vertretbaren Arbeits- oder Zeitaufwand ermitteln lassen [...]. Allein die Kompliziertheit eines Sachverhalts begründet für sich noch nicht die Annahme einer erschwerten Sachverhaltsermittlung.

3.481

Bei der Frage, ob eine erschwerte Sachverhaltsermittlung vorliegt, kann auch auf das Verhältnis zwischen voraussichtlichem Arbeitsaufwand und steuerlichem Erfolg abgestellt und ferner berücksichtigt werden, in welchem Maß das Hauptzollamt durch ein zu erwartendes finanzgerichtliches Verfahren belastet wird, sofern es bei vorhandenen tatsächlichen Zweifeln dem Begehren des Steuerpflichtigen nicht entspricht und zu seinem Nachteil entscheidet.“

3.482

f) Abschluss der Prüfung Durch die laufende Unterrichtung während der Prüfung (§ 199 Abs. 2 AO) sollte bereits klar sein, zu welchen Feststellungen es im Wesentlichen kommen wird. Nichtsdestotrotz bedeutet dies nicht, dass das Unternehmen zwingend mit diesen Feststellungen auch einverstanden sein muss.

3.483

An dieser Stelle ist zu berücksichtigen, dass die Auffassung des Prüfers und der daraus entstehende Prüfungsbericht kein Verwaltungsakt ist, gegen den der Beteiligte unmittelbar Rechtsmittel einlegen kann. Die erste offizielle Möglichkeit des Unternehmens, seine gegenteilige Meinung darzulegen, ist die Schlussbesprechung nach § 201 Abs. 1 AO. Auf diese hat ein

3.484

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Kap. 3 Rz. 3.484 | Besondere Prüfungsformen

Unternehmen Anspruch, wenn es durch die Feststellungen im Rahmen der Prüfung zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen kommt. Im Rahmen der Schlussbesprechung sollen sodann strittige Sachverhalte, deren rechtliche Beurteilung aus Verwaltungssicht sowie die daraus resultierenden steuerlichen Auswirkungen erörtert werden.

3.485

Das Hauptzollamt soll nach ihrer Dienstvorschrift1 den Termin sowie die Besprechungspunkte angemessene Zeit vorab bekanntgeben. Viele Prüfer stellen auch bereits den Prüfungsbericht in der Entwurfsfassung zur Verfügung, damit das geprüfte Unternehmen sich entsprechend vorbereiten kann. Auf die Übermittlung des Prüfungsberichts in der Entwurfsfassung besteht allerdings kein rechtlicher Anspruch.

3.486

Auf Seiten der Zollverwaltung sollen an dieser Schlussbesprechung sowohl Personen des Prüfungsdienstes (Sachgebiet D) als auch der Abgabenerhebung (Sachgebiet B) teilnehmen2. In der Regel sind dies die beteiligten Prüfer, die Person, die die Prüfung angeordnet hat und den Bericht des Prüfungsdienstes auswerten wird sowie deren Vorgesetzte, meist die Fachgebietsleiter, manchmal auch die Sachgebietsleiter (je nach Bedeutung und Komplexität des Vorgangs).

3.487

Das Unternehmen erhält hier also die Gelegenheit, seine gegenteilige Rechtsauffassung zu äußern, was sodann auch im Prüfungsbericht vermerkt wird.

3.488

Lässt sich die Zollverwaltung an dieser Stelle jedoch nicht von der gegenteiligen Auffassung überzeugen (was der Regelfall sein wird), sollte als weiteres Instrument die Möglichkeit genutzt werden, nach § 202 Abs. 2 AO vor Auswertung des Prüfungsberichts dazu Stellung nehmen zu dürfen. Dieses Instrument wird nur auf Antrag gewährt. Wie bereits beschrieben, ist der Prüfungsdienst lediglich das ausführende Organ. Die Prüfung wird vom Sachgebiet B – Abgabenerhebung angeordnet und ausgewertet. Der auswertende Beamte entscheidet also im Ergebnis, ob er der Prüfermeinung folgt oder nicht. Sind sich Unternehmen und Hauptzollamt in der Schlussbesprechung also nicht einig geworden, sollte auch diese Möglichkeit ausgeschöpft werden. In diesem Stadium verfügt das Unternehmen bereits über den finalen Prüfungsbericht, kann also, falls es den Prüfungsbericht nicht bereits im Entwurf kannte, hier erstmalig oder zumindest in finaler Fassung die schriftliche Auffassung des Hauptzollamtes würdigen.

3.489

Auf diese Weise gelangen an die auswertende Stelle sowohl der Prüfungsbericht als auch die ausführliche gegenteilige Stellungnahme des geprüften Unternehmens, so dass an dieser Stelle neutral geprüft werden soll, welche Rechtsauffassung korrekt ist. Für die Ausarbeitung der Stellungnahme ist dem Unternehmen eine angemessen Frist zu gewähren. Diese beträgt regelmäßig einen Monat.

3.490

Die Erfolgsaussichten sind hier keinesfalls so gering, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Sollte der Sachverhalt klar sein und nur die rechtliche Würdigung strittig, ist es unwahrscheinlich, dass die auswertende Stelle eine andere Meinung vertreten wird als der Prüfungsdienst, da sich beide Stellen bereits vor der Schlussbesprechung dahingehend abgestimmt haben sollten. In vielen Fällen sind die Sachverhalte aber gar nicht ausermittelt worden, weil das Unternehmen beispielsweise aus seiner Sicht unwichtige Informationen nicht geliefert hat oder Daten unvollständig oder unsauber waren. Fällt dies im Nachgang auf und kann dadurch

1 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 544. 2 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 544.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.496 Kap. 3

der Sachverhalt gerade gerückt werden, kann sich auch die rechtliche Würdigung ändern, was wiederum von der auswertenden Stelle entsprechend berücksichtigt werden muss. Selbst wenn aber nur über die rechtliche Würdigung gestritten wird und die Erfolgsaussichten zur Änderung der Meinung des Hauptzollamtes gering erscheinen, sollte zumindest mit Blick auf ein ggf. angestrebtes Klageverfahren dieser Schritt mit berücksichtigt werden. Im Klageverfahren kann dem Unternehmen dann zumindest nicht vorgeworfen werden, nicht alle Schritte unternommen zu haben, um die Zollverwaltung auf ihre irrige Meinung hinzuweisen.

3.491

Sollte auch durch die Stellungnahme vor Auswertung kein Sinneswandel auf Seiten der Verwaltung herbeigeführt werden können, erfolgt regelmäßig erst jetzt, nach der Auswertung, die Erstellung eines rechtsmittelfähigen Verwaltungsaktes. Dies könnte beispielsweise der Nacherhebungsbescheid im Rahmen einer Zollprüfung sein. Gegen diesen kann dann wiederum Einspruch eingelegt werden, zur Verhinderung des Zahlungserfordernisses Aussetzung der Vollziehung (beachte hier Art. 45 UZK1) beantragt und bei erfolglosem Einspruch der Klageweg beschritten werden.

3.492

g) Zollprüfung

3.493

Rechtsgrundlage für eine Zollprüfung ist Art. 48 UZK. Art. 48 UZK Nachträgliche Kontrolle Zum Zwecke der Zollkontrollen können die Zollbehörden die Richtigkeit und Vollständigkeit der gemachten Angaben in einer Zollanmeldung, einer Anmeldung zur vorübergehenden Verwahrung, einer summarischen Eingangsanmeldung, einer summarischen Ausgangsanmeldung, einer Wiederausfuhranmeldung oder einer Wiederausfuhrmitteilung sowie das Vorhandensein und die Echtheit, Richtigkeit und Gültigkeit gegebenenfalls beigefügter Unterlagen überprüfen und die Buchhaltung des Anmelders und andere Aufzeichnungen über die die fraglichen Waren betreffenden Arbeitsvorgänge oder vorangegangenen oder nachfolgenden wirtschaftlichen Vorgänge nach Überlassung der Waren prüfen. Die Zollbehörden können auch, sofern es ihnen noch möglich ist, eine Prüfung dieser Waren vornehmen und/oder Muster und Proben nehmen.

3.494

Solche Kontrollen können beim Besitzer der Waren oder seinem Vertreter, bei allen in geschäftlicher Funktion unmittelbar oder mittelbar an diesen Vorgängen beteiligten Personen und allen anderen Personen durchgeführt werden, die über diese Unterlagen oder diese Daten aus geschäftlichen Gründen verfügen.

Einerseits bestimmt Art. 48 UZK den inhaltlichen Umfang von Zollprüfungen, d.h. um welche Anmeldungen es geht und dass darüber hinaus auch Unterlagen und Waren geprüft werden können. Andererseits wird auch geregelt, bei wem solche Prüfungen stattfinden können. In erster Linie ist das zu prüfende Unternehmen der Anmelder (vgl. Art. 5 Nr. 15 UZK), d.h. das Unternehmen, in dessen Namen die Zollanmeldung abgegeben wurde. Darüber hinaus können Prüfungen aber auch bei Zollvertretern vorgenommen werden sowie bei allen Personen, die in geschäftlicher Funktion unmittelbar oder mittelbar an den Vorgängen beteiligt waren oder über Daten und Unterlagen aus geschäftlichen Gründen verfügen.

3.495

Die §§ 193 bis 203 AO sind bei Zollprüfungen ebenfalls anwendbar, soweit sie nicht durch Regelungen des höherrangigen EU-Rechts überlagert sind.

3.496

1 Vertiefend dazu Schoenfeld, ZfZ 2017, 226.

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Kap. 3 Rz. 3.497 | Besondere Prüfungsformen

3.497

Bei Zollprüfungen ist vorrangiges Ziel, zu ermitteln, ob die Einfuhrabgaben in richtiger Höhe ermittelt worden sind. Prüfungsschwerpunkt sind also die Bemessungsgrundlagen, die entscheiden, ob die Abgaben korrekt berechnet worden sind.

3.498

Bereitet ein Unternehmen die Prüfung also vor, sollte besonderes Augenmerk auf folgende Bereiche gelegt werden: – Zolltarifnummern: Bei der Einfuhr ist in der Anmeldesoftware ATLAS (das ist der Name des in Deutschland eingesetzten IT-Verfahrens, das auf Seiten der Zollverwaltung u.a. zur Abwicklung von Zollanmeldungen genutzt wird; die Abkürzung steht für Automatisiertes Tarif- und Lokales Zollabwicklungssystem) eine elfstellige Codenummer anzugeben. Diese entscheidet insbesondere über die Höhe des Regelzollsatzes. Der elektronische Zolltarif1 (EZT) bietet die Möglichkeit, die korrekte Nummer zu ermitteln. Neben dem Regelzollsatz enthält der EZT auch Hinweise auf mögliche Zusatzabgaben, die beispielsweise von einem bestimmten Ursprungsland abhängen aber auch vergünstigte Zollsätze. Daneben enthält er Hinweise auf mögliche Verbote oder Genehmigungspflichten, die bei der Einfuhr eine Rolle spielen könnten. Die Sorgfalt der Unternehmen, die Zolltarifnummer korrekt zu ermitteln, lässt in der Praxis häufig zu wünschen übrig. Einerseits liegt dies in der Komplexität dieses Rechtsgebietes begründet, da das Zolltarifrecht gute (juristische) Kenntnisse der Funktionsweise des Zolltarifs erfordert, andererseits aber auch gute Produktkenntnisse über die einzuführende Ware erforderlich sind. Diese Kombination von erforderlichen Kenntnissen findet man im Unternehmen nur selten in einer Person oder Abteilung, häufig müssen hier mehrere Personen/Abteilungen zusammenarbeiten, um zu einem korrekten Ergebnis zu gelangen. Viele Unternehmen verlassen sich deshalb darauf, dass der Lieferant wohl wisse, welche Zolltarifnummer bei seiner Ware korrekt ist2. Dies kann aber nur bedingt erfolgreich sein, denn selbst wenn der drittländische Lieferant sich im Zolltarifrecht gut auskennt, sind lediglich die ersten sechs Stellen der Zolltarifnummer weltweit (und das auch nicht bei allen Ländern) harmonisiert (sog. harmonisiertes System). Es bleibt also die Verantwortung des importierenden Unternehmens3, mindestens die noch weiter erforderlichen fünf Stellen der Zolltarifnummer selbst zu ermitteln. Die Auslagerung dieser Tätigkeit an den Verzollungsdienstleister ist dabei i.d.R. keine gute Idee, da es diesem regelmäßig an den erforderlichen produktspezifischen Kenntnissen mangelt. – Zollwert: Im Zollwertrecht existieren zahlreiche Felder, auf die sich der Prüfer stürzen kann4. Eine der einfacheren Übungen ist der Abgleich des angemeldeten Zollwertes mit den tatsächlich getätigten Zahlungen in der Finanzbuchhaltung. Häufig wird die Zollanmeldung auf Basis einer Pro-forma-Rechnung erstellt, da die Handelsrechnung zu diesem Zeitpunkt noch nicht existiert. Ist die Handelsrechnung im Ergebnis höher als die Pro-forma-Rechnung und wird dies von den für die Zollabwicklung verantwortlichen Personen nicht bemerkt, wurde im Ergebnis der Abgabenbetrag auf einer zu geringen Basis ermittelt. Maßgeblich ist zumeist nämlich der tatsächlich gezahlte Preis (vgl. Art. 70 UZK). Darüber hinaus wird geprüft werden, ob neben dem Kaufpreis noch weitere Zahlungen für den Erhalt der Ware getätigt wurden, die dann häufig als sog. abgespaltene Kaufpreis1 2 3 4

https://auskunft.ezt-online.de/ezto/Welcome.do. Vgl. dazu Eßer/Sieben, Der Zoll-Profi! 2014/12, 10; 2015/1, 9; 2015/2, 10; 2015/4, 6; 2015/5, 11. Vgl. auch Waldhecker, Der Zoll-Profi, 8/2019, 2. Grundlegend dazu Traub, AW-Prax 2019, 255, 339.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.499 Kap. 3

bestandteile1 im Zollwert zu berücksichtigen sind. Ein solcher „aufgespaltener Kaufpreis“ liegt immer dann vor, wenn der Verkäufer auf Grund der vertraglichen oder gesetzlichen Regelungen dazu verpflichtet ist, eine Tätigkeit auszuführen, die sich auf die eingeführte Ware bezieht und für die die zusätzliche Zahlung des Käufers oder einer mit dem Käufer verbundenen Person erfolgt. Beispiele dafür enthält die Dienstvorschrift der deutschen Zollverwaltung zum Zollwertrecht2 (Zertifizierungs- und Analysekosten, Qualitätsprüfungen, Werbung). Darüber hinaus wird geprüft werden, ob alle Hinzurechnungstatbestände des Art. 71 UZK berücksichtigt worden sind. Standardmäßig sind dies die Frachtkosten, die bis zum Ort des Verbringens in das Zollgebiet der Union angefallen und noch nicht im Rechnungspreis enthalten sind. An vielen Zollabteilungen vorbei gehen allerdings Themen wie Lizenzgebühren3 oder Beistellungen4. Wird dem drittländischen Lieferanten beispielsweise die Maschine zur Produktion der Einfuhrwaren kostenlos zur Verfügung gestellt, ist der Wert dieser Maschine zumindest anteilig dem Wert der Einfuhrwaren hinzuzurechnen, denn verzollt werden soll der realistische Wert einer Ware. Hätte der Hersteller die Maschine selbst erwerben müssen, hätte er diese Kosten auch auf den Preis der produzierten Waren aufgeschlagen. Sollte der Einfuhr kein Kaufgeschäft zugrunde liegen, ist der Zollwert nach einer der Folgemethoden des Art. 74 UZK zu berechnen, da Grundlage hier ja kein tatsächlich gezahlter oder zu zahlender Preis sein kann. Auch hierbei gilt die Idee, dass der tatsächliche Wert der Ware verzollt werden soll. Insbesondere bei Miete, Leasing, Mustern, Proben, Ansichtsexemplaren ist es also wenig hilfreich, wenn der Versender im Drittland eine Pro-formaRechnung mit einem unrealistischen Wert von z.B. 1 $ ausstellt. – Ursprung: Der Ursprung der Ware kann ebenfalls Einfluss nehmen auf die Höhe des Zollsatzes. Dies kann zum einen im Rahmen des nichtpräferenziellen Ursprungs5 der Fall sein, denn möglicherweise werden bei der Einfuhrware mit Ursprung in bestimmten Ländern Antidumping-/Ausgleichszölle oder sonstige Zusatzzölle erhoben. Ob dies der Fall ist, verrät ebenfalls ein Blick in den EZT (s. Rz. 3.498). Dabei sollte darauf geachtet werden, dass im EZT immer der maßgebende Zeitpunkt an den tatsächlichen Einfuhrzeitpunkt angepasst wird, um den jeweiligen Rechtsstand einsehen zu können. Der Ursprung kann aber insbesondere in Form des Präferenzursprungs6 auch die gegenteilige Wirkung haben. Kann der Ursprung in einem präferenziellen Partnerland nachgewiesen werden, wird bei der Einfuhr in der EU i.d.R. ein geringerer Zollsatz gewährt. Dies bedingt wiederum das Vorhandensein entsprechender Nachweisdokumente (insb. zum Präferenzursprung und darüber hinaus oft auch zur Direktbeförderung). Diese müssen nicht nur in der Zollanmeldung codiert worden, sondern auch im Unternehmen noch auffindbar sein. In vielen Fällen reicht dabei die Vorlage eines Scans oder einer Kopie nicht aus. Neben diesen klassischen Prüfungsschwerpunkten sollten auch immer die erteilten Bewilligungen im Blick behalten werden. Werden beispielsweise besondere Zollverfahren wie die aktive Veredelung oder ein Zolllager betrieben, sind die hier erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen regelmäßig Prüfungsgegenstand. Neben den Vorgaben im UZK und dessen 1 2 3 4 5 6

Vertiefend dazu Wemmer, Der Zoll-Profi! 11/2019, 2. E-VSF, Dienstvorschrift „Zollwertrecht“ Z 51 01 Abs. 13. Vertiefend dazu Uhl, Der Zoll-Profi! 11/2016, 2. Vertiefend dazu Traub, AW-Prax 2019, 339. Grundlegend dazu Felderhoff, AW-Prax 2016, 284. Grundlegend dazu Gailler, Der Zoll-Profi! 3/2015, 2.

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2021-10-28, 13:05, HB mittel

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3.499

Kap. 3 Rz. 3.499 | Besondere Prüfungsformen

ergänzenden Rechtsakten sollten auch immer die Bewilligungen an sich und die dort aufgeführten Einzelheiten und Auflagen berücksichtigt werden.

3.500

Wie an einigen Stellen bereits erwähnt, findet die Abgabenordnung im Bereich des Zollrechts lediglich Anwendung, wenn deren Vorschriften nicht durch höherrangiges EU-Recht überlagert sind. Eine genaue Darstellung enthält pro Paragraph der Abgabenordnung (teilweise pro Absatz und Satz darin) die Dienstvorschrift AO-DV Zoll. Auf einige wesentliche Punkte soll hier aber explizit hingewiesen werden.

3.501

Die Verjährungsfrist im Zollrecht beträgt drei Jahre (Art. 103 Abs. 1 UZK überlagert insoweit § 169 AO). Die Berechnung von zollrechtlichen Fristen erfolgt nach der sog. FristenVO (vgl. Art. 55 Abs. 2 UZK). Die in den §§ 170 und 171 AO dargestellten Fristberechnungen, Anlauf-/und Ablaufhemmungen finden insoweit keine Anwendung. Die Verjährungsfrist wird im Zollrecht insbesondere nicht durch den Beginn der Prüfung gehemmt. Das ist auch der Grund, weshalb während einer Zollprüfung auch bei noch nicht ganz ausermittelten Sachverhalten Steuerbescheide erstellt werden, da nur so die drohende Verjährung gestoppt werden kann. Diese Sachverhalte sollten also unbedingt durch Einlegung von Einsprüchen offengehalten werden, sofern die Sach- oder Rechtslage nicht eindeutig ist.

3.502

Darüber hinaus sieht Art. 103 Abs. 2 UZK eine Verlängerung der dreijährigen Verjährungsfrist nur bei strafbaren Handlungen vor, gibt dafür einen maximalen Rahmen von zehn Jahren vor und verweist dann auf einzelstaatliches Recht. Es bleibt daher kein Raum für die bei der leichtfertigen Steuerverkürzung nach nationalem Recht vorgesehene Erweiterung der Festsetzungsfrist auf fünf Jahre, da es sich lediglich um eine Ordnungswidrigkeit handelt (§ 169 Abs. 2 AO). h) Präferenzprüfung

3.503

Grundlage des Präferenzrechts1 sind in erster Linie völkerrechtliche Abkommen zwischen der Europäischen Union (oder Rechtsvorgängern) und einzelnen oder einer Gruppe von Drittländern. Daneben existieren auch autonome Maßnahmen der EU, auf Basis dessen einseitig für bestimmte Länder eine Präferenzbegünstigung gewährt wird. In den meisten Präferenzabkommen hängt die Begünstigung davon ab, dass der Ursprung des jeweiligen Partnerlandes nachgewiesen werden kann. Die Begünstigung besteht in einem geringeren Zollsatz bei der Einfuhr im Partnerland oder sogar einer Zollbefreiung.

3.504

Mit drei Ländern hat die EU die Begünstigung aber nicht vom Ursprung der Waren abhängig gemacht, sondern lediglich von der Freiverkehrseigenschaft. Im Warenverkehr mit Andorra, San Marino und der Türkei reicht es bei den meisten Waren daher aus, wenn sich diese lediglich im zollrechtlich freien Verkehr der anderen Vertragspartei befunden haben, um eine Begünstigung zu erlangen. Es könnte sich also beispielsweise um eine Ursprungsware Chinas handeln, die lediglich in der Türkei in den freien Verkehr übergeführt wurde. Dies ist ausreichend, um in der EU diese Zollabgaben nicht nochmal abführen zu müssen. Andorra, San Marino und die Türkei sind zwar keine Mitgliedstaaten der EU, gehören insoweit aber mit zur Zollunion. Sie unterhalten also gegenüber Drittländern die gleichen Zollsätze wie die EU und beim Handel innerhalb der Zollunion fallen Zollabgaben nicht nochmals an, soweit die Freiverkehrseigenschaft nachgewiesen werden kann. Allerdings sollte beachtet werden, dass es hier lediglich um die Regelzollsätze geht und eventuelle Zusatzzölle, Antidumping- oder Ausgleichszölle nicht zwingend ebenfalls harmonisiert sind. Es kann daher passieren, dass 1 Grundlegend dazu Gailler, Der Zoll-Profi! 3/2015, 2.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.510 Kap. 3

aufgrund der Freiverkehrseigenschaft zwar der Regelzollsatz auf null reduziert wird, aber dennoch Zusatzzölle anfallen, weil die Ware aus einem Land stammt, für das die Türkei entsprechende Maßnahmen vorsieht, die EU aber nicht (oder umgekehrt). Darüber hinaus umfasst die Zollunion mit diesen Ländern nicht immer alle Waren. Bei bestimmten Warenkreisen ist die Präferenzbegünstigung doch vom Nachweis der Ursprungseigenschaft des Partnerlandes abhängig. Die Zuordnung der Warenkreise kann übersichtlich anhand der Zolltarifnummern unter Eingabe des jeweiligen Landes auf www.wup.zoll.de eingesehen werden.

3.505

Allein die Tatsache, dass mit einem Land ein Abkommen besteht, bedeutet allerdings nicht, dass alle Waren zollfrei importiert werden können. Einzelne Warenkreise können beispielsweise vom Abkommen ganz ausgenommen sein. Andererseits könnte zwar eine Reduzierung des Zollsatzes vorgesehen sein, jedoch nicht auf null. Ob die Ausstellung und Anforderung von Präferenznachweisen also wirtschaftlich sinnvoll ist, sollte immer im Einzelfall überprüft werden. Gleiches gilt bei der Feststellung, dass falsche Präferenznachweise ausgestellt wurden. War in dem Empfangsland für diese Ware gar keine Begünstigung vorgesehen, kann zumindest keine Steuerverkürzung eingetreten sein1.

3.506

Welche Zollsätze beim Import in die EU fällig werden, kann unter Eingabe der elfstelligen Zolltarifnummer und des entsprechenden Herkunftslandes unter im EZT eingesehen werden (s. Rz. 3.498). Dieser elektronische Zolltarif enthält allerdings nicht gleichzeitig auch die Zolltarife aller möglichen Empfangsländer. Ein solcher Service wird allerdings von der Europäischen Kommission im Rahmen der Datenbank „Access2Markets“ bereitgestellt.2

3.507

Im Rahmen einer Präferenzprüfung könnte man sich grds. zwei Richtungen vorstellen, die geprüft werden. Einerseits käme die Prüfung der Einfuhr in die EU dahingehend in Betracht, ob zu Recht präferenzielle Zollsätze gewährt wurden. Dies wird allerdings im Rahmen von Zollprüfungen gemacht, da es hier um die Ermittlung der richtigen Abgabenhöhe bei der Einfuhr geht. Es bleibt daher für die Präferenzprüfung nur die zweite Richtung, nämlich die Ausfuhr. Im Rahmen von Präferenzprüfungen wird ermittelt, ob ausgestellte Präferenznachweise zu Recht ausgestellt worden sind.

3.508

Das Interesse an nicht anlassbezogenen Präferenzprüfungen dürfte bei der Behörde des Exportlandes daher überschaubar ausfallen, denn selbst wenn falsche Präferenznachweise festgestellt werden, tritt die Konsequenz in erster Linie im Empfangsland ein. Dort würde auf Basis einer Meldung des Exportlandes über die falschen Präferenznachweise eine Nacherhebung der zu Unrecht eingesparten Abgaben erfolgen.

3.509

Häufiger entstehen Präferenzprüfungen daher über ausländische Nachprüfungsersuchen. Nachdem im Exportland Präferenznachweise ausgestellt wurden, ersucht das Empfangsland stichprobenweise oder verdachtsbezogen die Behörde des Exportlandes um Amtshilfe und Prüfung des Nachweises. Im Rahmen dieser Nachprüfungsersuchen geht es zunächst also um die Prüfung ganz bestimmter Vorgänge. Wird dabei nun festgestellt, dass Präferenznachweise zu Unrecht ausgestellt wurden, ist eine Ausweitung der Prüfung auf ähnliche Fälle oder die gesamten Ausfuhren zu Präferenzbedingungen wahrscheinlich.

3.510

1 Vertiefend dazu Sieben, Der Zoll-Profi! 2012/9, 9 und 2012/10, 8. 2 Auf https://trade.ec.europa.eu/access-to-markets/de/home kann unter Eingabe von Ursprungs-, Bestimmungsland und Zolltarifnummer der Regelzollsatz sowie der Präferenzzollsatz für EU-Ursprungswaren eingesehen werden, sofern ein entsprechendes Abkommen existiert.

Sieben | 465

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Kap. 3 Rz. 3.511 | Besondere Prüfungsformen

3.511

Rechtsgrundlage für Präferenzprüfungen ist in erster Linie das jeweilige Abkommen, auf dem die Präferenzbegünstigung basiert. Aufgrund der Funktionsweise von Präferenzabkommen tritt die Wirkung des Präferenznachweises im Empfangsland ein, so dass das Interesse an der Prüfung auch dort liegt. Die Prüfung der Richtigkeit des Nachweises kann allerdings nur im Exportland stattfinden, da dort die notwendigen Unterlagen aufbewahrt werden. Um die korrekte Handhabung von Präferenzabkommen sicherzustellen, müssen also beide Behörden zusammenarbeiten. Beispielsweise sieht das Regionale Übereinkommen über Pan-Europa-Mittelmeer-Präferenzursprungsregeln, welches die Grundlage für die Gewährung von Präferenzen mit zahlreichen Ländern ist, in Art. 32 seiner Anlage I Folgendes vor:

3.512

Art. 32 Prüfung der Ursprungsnachweise 1) Eine nachträgliche Prüfung der Ursprungsnachweise erfolgt stichprobenweise oder immer dann, wenn die Zollbehörden der einführenden Vertragspartei begründete Zweifel an der Echtheit der Papiere, der Ursprungseigenschaft der betreffenden Erzeugnisse oder der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen dieses Übereinkommens haben. 2) Für die Zwecke der Durchführung des Absatzes 1 senden die Zollbehörden der einführenden Vertragspartei die Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 oder EUR-MED und die Rechnung, wenn sie vorgelegt worden ist, die Ursprungserklärung oder die Ursprungserklärung EUR-MED oder eine Kopie dieser Papiere an die Zollbehörden der ausführenden Vertragspartei zurück, gegebenenfalls unter Angabe der Gründe für das Ersuchen um Prüfung. Zur Begründung des Ersuchens um nachträgliche Prüfung übermitteln sie alle Unterlagen und teilen alle ihnen bekannten Umstände mit, die auf die Unrichtigkeit der Angaben in dem Ursprungsnachweis schließen lassen. (3) Die Prüfung wird von den Zollbehörden der ausführenden Vertragspartei durchgeführt. Sie sind befugt, zu diesem Zweck die Vorlage jeglicher Beweismittel zu verlangen und jede Art von Überprüfung der Buchführung des Ausführers oder jede sonstige von ihnen für zweckdienlich erachtete Kontrolle durchzuführen. (4) Beschließen die Zollbehörden der einführenden Vertragspartei, bis zum Eingang des Ergebnisses der Nachprüfung die Präferenzbehandlung für die betreffenden Erzeugnisse nicht zu gewähren, so bieten sie dem Einführer an, die Erzeugnisse vorbehaltlich der für notwendig erachteten Sicherungsmaßnahmen freizugeben. (5) Das Ergebnis der Prüfung ist den Zollbehörden, die um die Prüfung ersucht haben, so bald wie möglich mitzuteilen. Anhand dieses Ergebnisses muss sich eindeutig feststellen lassen, ob die Papiere echt sind und ob die Erzeugnisse als Ursprungserzeugnisse einer der Vertragsparteien angesehen werden können und die übrigen Voraussetzungen dieses Übereinkommens erfüllt sind. (6) Ist im Falle begründeter Zweifel zehn Monate nach dem Datum des Ersuchens um nachträgliche Prüfung noch keine Antwort eingegangen oder enthält die Antwort keine ausreichenden Angaben, um über die Echtheit des betreffenden Papiers oder den tatsächlichen Ursprung der Erzeugnisse entscheiden zu können, so lehnen die ersuchenden Zollbehörden die Berechtigung zur Präferenzbehandlung ab, es sei denn, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

3.513

Das Abkommen wird modernisiert. Die neuen Regeln gelten für einige Länder seit 1.9.2021. Der entsprechende Artikel wird dort Art. 341.

1 Der Entwurf ist zu finden im Amtsblatt der EU L 339/22 v. 30.12.2019. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses waren die Umstellungen mit Jordanien (ABl. EU Nr. L 164/22 vom 10.5.2021) und dem Westjordanland und Gazastreifen (ABl. EU Nr. L328/23 vom 16.9.2021) bereits veröffentlicht. Leichte Abweichungen im Wortlaut sind ggü. der Entwurfsfassung möglich.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.516 Kap. 3 Art. 34 Prüfung der Ursprungsnachweise (Entwurf) (1) Eine nachträgliche Prüfung der Ursprungsnachweise erfolgt stichprobenweise oder immer dann, wenn die Zollbehörden der einführenden Vertragspartei begründete Zweifel an der Echtheit der Papiere, der Ursprungseigenschaft der betreffenden Erzeugnisse oder der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen dieses Übereinkommens haben.

3.514

(2) Im Fall eines Ersuchens um nachträgliche Prüfung senden die Zollbehörden der einführenden Vertragspartei die Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 und die Rechnung, wenn sie vorgelegt worden ist, die Ursprungserklärung oder eine Abschrift dieser Papiere an die Zollbehörden der ausführenden Vertragspartei zurück, gegebenenfalls unter Angabe der Gründe für das Ersuchen um nachträgliche Prüfung. Zur Begründung des Ersuchens um nachträgliche Prüfung übermitteln sie alle Unterlagen und teilen alle bekannten Umstände mit, die auf die Unrichtigkeit der Angaben in dem Ursprungsnachweis schließen lassen. (3) Die Prüfung wird von den Zollbehörden der ausführenden Vertragspartei durchgeführt. Sie sind berechtigt, zu diesem Zweck die Vorlage von Beweismitteln zu verlangen und jede Art von Überprüfung der Buchführung des Ausführers oder jede sonstige von ihnen für zweckdienlich erachtete Kontrolle durchzuführen. (4) Beschließen die Zollbehörden der einführenden Vertragspartei, bis zum Eingang des Ergebnisses der Nachprüfung die Präferenzbehandlung für die betreffenden Erzeugnisse nicht zu gewähren, so bieten sie dem Einführer an, die Erzeugnisse vorbehaltlich der für notwendig erachteten Sicherungsmaßnahmen freizugeben. (5) Das Ergebnis dieser Prüfung ist den Zollbehörden, die um die Prüfung ersucht haben, so bald wie möglich mitzuteilen. Anhand dieser Ergebnisse muss sich eindeutig feststellen lassen, ob die Papiere echt sind und ob die Erzeugnisse als Ursprungserzeugnisse einer der Vertragsparteien angesehen werden können und die übrigen Voraussetzungen dieses Übereinkommens erfüllt sind. (6) Ist bei begründeten Zweifeln nach Ablauf von zehn Monaten nach dem Datum des Ersuchens um nachträgliche Prüfung noch keine Antwort erfolgt oder enthält die Antwort keine ausreichenden Angaben, um über die Echtheit des betreffenden Papiers oder den tatsächlichen Ursprung der Erzeugnisse entscheiden zu können, so lehnen die ersuchenden Zollbehörden die Gewährung der Präferenzbehandlung ab, es sei denn, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

Ähnliche Klauseln enthalten auch die anderen Präferenzabkommen, so dass eine gegenseitige Amtshilfe ermöglicht wird. Das gilt auch für die Freiverkehrspräferenzen, die im Warenverkehr mit Andorra, San Marino oder der Türkei gewährt werden. Im Falle der Türkei sieht Art. 16 Beschluss Nr. 1/2006 eine der obenstehenden Regelung ähnliche Vorgehensweise vor. Für die autonomen Präferenzen, die die EU für Waren mit Ursprung in Entwicklungsländern gewährt, ergibt sich die Möglichkeit der nachträglichen Prüfung aus Art. 110 UZK-DVO. Die genaue Ausgestaltung dieser Nachprüfungsmöglichkeiten kann aber je nach Einzelfall und Abkommen zumindest leicht abweichen, so dass im Prüfungsfall immer ein Blick in das jeweils anwendbare Abkommen erforderlich ist. Darüber hinaus gelten die §§ 195 bis 203 AO.

3.515

An dieser Stelle könnte die Frage auftauchen, weshalb Vorschriften der AO anwendbar sind, wenn es doch um die Prüfung von in der EU ausgestellten Präferenznachweisen geht, die ihre Wirkung ausschließlich im Empfangsland entfalten. Auch hier spielt die Wirkungsweise der Präferenzabkommen wieder die entscheidende Rolle. Gäbe es im ausführenden Staat keine Sanktionsmöglichkeiten1 gegenüber Unternehmen, die falsche Präferenznachweise ausstellen,

3.516

1 Ausführlich zu den Sanktionstatbeständen im Präferenzrecht Sieben, Der Zoll-Profi! 2012/9, 9 und 2012/10, 8.

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Kap. 3 Rz. 3.516 | Besondere Prüfungsformen

da der Taterfolg ja ausschließlich im Empfangsland eintritt, so wäre die Motivation für rechtskonformes Handeln in diesem Bereich gering.

3.517

Daher sieht beispielsweise § 370 Abs. 6 und 7 AO vor, dass wegen einer Steuerhinterziehung jemand auch dann bestraft werden kann, wenn die Einfuhrabgaben einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) zustehen (ein damit assoziierter Staat ist derzeit nicht existent). Unter den weiteren Voraussetzungen des § 370 AO kann es also eine Straftat darstellen, wenn falsche Präferenznachweise in die Schweiz, nach Norwegen, Island oder Liechtenstein ausgestellt werden. Eine leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO kommt regelmäßig nicht in Betracht, da diese als Täter lediglich den Steuerpflichtigen vorsieht.

3.518

Für alle anderen Präferenzabkommen kommt aber zumindest der Bußgeldtatbestand des § 379 AO, der Steuergefährdung in Betracht. Diese begeht, wer vorsätzlich oder leichtfertig Belege ausstellt, die in tatsächlicher Hinsicht unrichtig sind und dadurch ermöglicht, Steuern zu verkürzen. Dies findet ausdrücklich auch Anwendung, wenn die Abgaben einem Staat zustehen, der für Waren aus der Europäischen Union auf Grund eines Assoziations- oder Präferenzabkommens eine Vorzugsbehandlung gewährt. Darüber hinaus kommt auch die Ahndung nach § 130 OWiG1 aufgrund mangelnder Aufsichtsmaßnahmen des Betriebsinhabers in Betracht.

3.519

Die Prüfung besteht also in der nachträglichen Kontrolle, ob bereits ausgestellte Präferenznachweise zu Recht ausgestellt worden sind, d.h. die versandten Waren tatsächlich den bescheinigten Ursprung (oder Freiverkehrseigenschaft) aufwiesen. Jedes Präferenzabkommen enthält zur Ursprungsermittlung eigene Regeln, es muss also je nach Empfangsland im entsprechend anwendbaren Abkommen geprüft werden, welche Regeln erfüllt worden sein müssten. Im Normalfall erlangt eine Ware den EU-Ursprung durch eine sog. ausreichende Beoder Verarbeitung. Wann diese gegeben ist, regeln in den Abkommen enthaltene ausführliche Verarbeitungslisten. Diese können übersichtlich (Gegenüberstellung der Verarbeitungsliste unter Eingabe der vierstelligen Zolltarifposition der hergestellten Ware pro Abkommen) eingesehen werden2. Wurde beispielsweise ein Verbrennungsmotor der Zolltarifposition 8407 in die Schweiz exportiert, ist eine sog. 50 %-Wertregel zur Ursprungserlangung zu erfüllen. In der Liste heißt es: „Herstellen, bei dem der Wert aller verwendeten Vormaterialien 50 % des Ab-Werk-Preises der hergestellten Ware nicht überschreitet“. Diese Angabe bezieht sich auf die bei der Produktion eingesetzten Vormaterialien ohne nachgewiesenen EU-Ursprung. Wird der Motor beispielsweise zu einem Ab-Werk-Preis i.H.v. 5.000 € verkauft, dürfen NichtEU-Materialien bis zu einem Wert von 2.500 € eingesetzt worden sein, um dennoch die EUUrsprungseigenschaft zu erlangen.

3.520

An den Nachweis der EU-Ursprungseigenschaft der Vormaterialien und die Wertermittlung im Rahmen der Präferenzkalkulation werden besondere Anforderungen gestellt, die im Rahmen der Präferenzprüfung sodann kontrolliert werden können. Daneben sind weitere in den Abkommen enthaltene Grundregeln und Prinzipien einzuhalten, deren Erfüllung der Prüfer kontrollieren könnte. i) Verbrauchsteuerprüfung

3.521

Im Gegensatz zum Zollrecht, in welchem die Rechtsgrundlage zur Prüfung direkt aus einer EUVerordnung stammt, ergibt sich die Grundlage zur Prüfung des Verbrauchsteuerrechts aus1 Vertiefend dazu Hannemann-Kacik, Der Zoll-Profi! 9/2011, 2; Hannemann-Kacik, Der Zoll-Profi! 2/2012, 10. 2 unter https://wup.zoll.de/wup_online/index.php.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.528 Kap. 3

schließlich aus nationalen Vorgaben. Im Verbrauchsteuerrecht existiert auf EU-Ebene lediglich das Institut der Richtlinie, welche zunächst noch in nationales Recht umzusetzen ist. Die einzelnen Verbrauchsteuergesetze sehen teilweise Regeln für Steueraufsichtsmaßnahmen vor. Die Grundlage für eine Betriebsprüfung ergibt sich jedoch ausschließlich aus den §§ 193 ff. AO. Der Prüfungsablauf, die Rechte und Pflichten der einzelnen Parteien usw. unterscheiden sich daher nicht von „normalen“ steuerlichen Prüfungen.

3.522

Folgende Verbrauchsteuerarten werden aus steuerlichen Gesichtspunkten in Deutschland geprüft:

3.523

– Alkoholsteuer – Alkopopsteuer – Biersteuer – Energiesteuer – Kaffeesteuer – Schaumwein- und Zwischenerzeugnissteuer – Stromsteuer – Tabaksteuer Die Prüfungsschwerpunkte variieren stark je nach Verbrauchsteuerart und Tätigkeitsfeld des Unternehmens. In vielen Fällen wird geschaut, ob das Unternehmen alle Steuergegenstände korrekt erkannt und entsprechend behandelt hat. Es wird geprüft, ob beispielsweise für die Herstellung, die Lagerung oder den Versand dieser Waren besondere Erlaubnisse erforderlich sind und falls diese bereits vorhanden sind, die Auflagen dieser auch eingehalten wurden.

3.524

Beim Bezug von steuerfreien Waren, der meist an einen bestimmten Zweck gebunden ist (beispielsweise der Bezug von unversteuertem Alkohol zur Herstellung von Arzneimitteln), wird die Erreichung dieses Zwecks und die Involvierung lediglich zulässiger Personen kontrolliert.

3.525

Im Bereich der Energie- und Stromsteuer ist Schwerpunkt häufig die gerechtfertigte Inanspruchnahme von Vergünstigungen oder Entlastungen, z.B. für Unternehmen des produzierenden Gewerbes.

3.526

2. Außenwirtschaftsprüfung a) Einleitung Viele Abläufe stimmen mit denen von steuerlichen Betriebsprüfungen überein1. Dort wird aber an vielen Stellen auf Normen der Abgabenordnung zurückgegriffen, da Zölle ebenfalls zu den Abgaben im Sinne der Abgabenordnung gehören (vgl. § 3 Abs. 3 AO). Dies ist bei Außenwirtschaftsprüfungen allerdings nicht möglich, da es hier nicht um die Prüfung steuerlicher Pflichten geht.

3.527

Im Rahmen einer Außenwirtschaftsprüfung wird einerseits die Einhaltung der exportkontrollrechtlichen Vorgaben geprüft, d.h. die Beachtung von Verboten oder Genehmigungs-

3.528

1 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 600 ff.

Sieben | 469

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Kap. 3 Rz. 3.528 | Besondere Prüfungsformen

pflichten bei bestimmten Gütern (Rüstungsgüter, Dual-Use-Güter), Ländern (Embargos), Personen (Sanktionslisten) oder bei kritischen Endverwendungszwecken. Ebenfalls Gegenstand von Außenwirtschaftsprüfungen sind die Meldungen gegenüber der Deutschen Bundesbank bei bestimmten Vermögen oder Zahlungsverkehren1 (§§ 64 ff. AWV). Die Rechtsgrundlage zur Prüfung dieser Sachverhalte ergibt sich aus § 23 AWG. Die Besonderheit besteht hier darin, dass die Zollverwaltung in Deutschland nicht zuständig ist für beispielsweise die Erteilung einer Genehmigung. Diese Kompetenz liegt beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das wiederum dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie untersteht. Die Zollverwaltung ist hier also lediglich die Kontrollbehörde.

3.529

Daneben wird bei Außenwirtschaftsprüfungen auch die Einhaltung der Vorgaben von zollverfahrensrechtlichen Regelungen überwacht, in erster Linie im Zusammenhang mit der Ausfuhr einer Ware. Insoweit ist Rechtsgrundlage für die Prüfung auch Art. 48 UZK.

3.530

Die Vorschriften der Abgabenordnung finden hingegen keine Anwendung, da bei der Ausfuhr derzeit keine Abgaben anfallen. Es geht somit nicht um die Prüfung der steuerlichen Belange. b) Prüfungsanordnung

3.531

Vor Beginn einer Prüfung wird durch das jeweils zuständige Hauptzollamt eine Prüfungsanordnung erstellt. Dies erfolgt durch das Sachgebiet B (Abgabenerhebung) des jeweiligen Hauptzollamtes. Die Zuständigkeit bestimmt sich grds. gem. § 3 Abs. 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Danach ist das Hauptzollamt zuständig, von dessen Bezirk aus der Beteiligte sein Unternehmen betreibt. Dies wäre also auch hier das sog. Betriebs-Hauptzollamt.

3.532

Eine abweichende Zuständigkeit kann sich aber aufgrund erteilter Bewilligungen ergeben. Für zollrechtliche Entscheidungen ist nach Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 3 UZK das Hauptzollamt zuständig, in dessen Bezirk die Hauptbuchhaltung für Zollzwecke des Antragstellers geführt wird oder zugänglich ist (vgl. auch § 24 Zollverordnung – ZollV).

3.533

Die Prüfungsanordnung wird auf einem standardisierten Vordruck (0681) erstellt und muss mindestens folgende Angaben enthalten2: – das Hauptzollamt, welches die Prüfung anordnet, – die Rechtsgrundlage für die Prüfung (s.o.), – den Adressaten der Prüfung, d.h. die genaue Bezeichnung des Beteiligten, der geprüft werden soll, – den Prüfungsumfang: z.B. „Prüfung des Außenwirtschaftsverkehrs“ – den Zeitraum, der geprüft werden soll, – eine Rechtsbehelfsbelehrung (hier: Widerspruch gem. § 69 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

3.534

Zusätzlich wird der Prüfungsanordnung ein standardisiertes Merkblatt zu den wesentlichen Rechten und Pflichten im Rahmen der Prüfung (Vordruck 0682) sowie zur Benennung von sachkundigen Auskunftspersonen (Vordruck 0684) beigefügt. 1 Vgl. dazu Pohl/Darwichpour, AW-Prax 2013, 346. 2 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 609.

470 | Sieben

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.543 Kap. 3

Im Regelfall wird in der Prüfungsanordnung noch nicht der zuständige Prüfer genannt, da er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht feststeht. Auch der genaue Prüfungsbeginn steht zu diesem Zeitpunkt regelmäßig noch nicht fest. In der Regel vergehen zwischen dem Zugang der Prüfungsanordnung und der Mitteilung des tatsächlichen Prüfungsbeginns mehrere Wochen, manchmal Monate.

3.535

Existiert bereits ein Ermittlungsverfahren, ist eine Prüfung dennoch möglich, sofern die beiden Sachverhalte klar voneinander abgegrenzt werden können. Ein laufendes Ermittlungsverfahren aufgrund von Verstößen gegen Embargovorschriften hindert also grds. nicht die Durchführung einer Prüfung der Einhaltung der zollrechtlichen Verfahrensvorschriften.

3.536

Der zutreffende Rechtsbehelf gegen die Prüfungsanordnung ist hier nicht der Einspruch, sondern der Widerspruch (§ 69 VwGO). Regelmäßig wird es aber ohnehin an einer ausreichenden Begründung fehlen, um die Prüfung tatsächlich abwenden zu können.

3.537

c) Prüfungsvorbereitung Grds. gelten die unter Rz. 3.447 Punkt H.IV.1.b. getätigten Aussagen hier sinngemäß. Zusammengefasst sollte das zu prüfende Unternehmen den Prüfungsgegenstand und den zu prüfenden Zeitraum genau studieren und bereits die erforderlichen Unterlagen vorbereiten1.

3.538

Auch hier sollten zu Beginn bereits die zentralen Auskunftspersonen benannt werden, an die der Prüfer seine Fragen zu richten hat. Es greift zwar nicht die Einschränkung nach § 200 Abs. 1 AO, die Zollverwaltung erlegt sich aber für Außenwirtschaftsprüfungen über ihre eigene Dienstvorschrift das Gleiche auf2:

3.539

„Benennt der Beteiligte Auskunftspersonen, hat sich das Prüfungspersonal zunächst an diese zu wenden. Erst wenn der Beteiligte oder die von ihm benannten Auskunftspersonen nicht in der Lage sind, Auskünfte zu erteilen oder die Auskünfte zur Klärung des Sachverhalts unzureichend sind oder keinen Erfolg versprechen, kann der Prüfer/die Prüferin auch andere Betriebsangehörige um Auskunft ersuchen.“

3.540

Im Rahmen der Prüfungsvorbereitung sollten auch ähnliche Überlegungen hinsichtlich der freiwilligen Offenlegung von bereits festgestellten Verstößen gemacht werden. Bestimmte Verstöße sind einer bußgeldbefreienden Offenlegung zugänglich. Dazu müssen die Voraussetzungen von § 22 Abs. 4 AWG erfüllt sein3:

3.541

„Die Verfolgung als Ordnungswidrigkeit unterbleibt in den Fällen der fahrlässigen Begehung eines Verstoßes im Sinne des § 19 Absatz 3 bis 5, wenn der Verstoß im Wege der Eigenkontrolle aufgedeckt und der zuständigen Behörde angezeigt wurde sowie angemessene Maßnahmen zur Verhinderung eines Verstoßes aus gleichem Grund getroffen werden. Eine Anzeige nach Satz 1 gilt als freiwillig, wenn die zuständige Behörde hinsichtlich des Verstoßes noch keine Ermittlungen aufgenommen hat. Im Übrigen bleibt § 47 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten unberührt.“

3.542

Eine solche Offenlegung bedingt also einerseits die richtige Art von Verstoß (§ 19 Abs. 3–5 AWG) sowie dessen nur fahrlässige Begehung. Der Verstoß muss außerdem im Wege der Ei-

3.543

1 Vgl. auch Hannemann-Kacik, Der Zoll-Profi! 12/2016, 9 ff. 2 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 625. 3 Vgl. dazu Stein/von Rummel, AW-Prax 2020, 277; Jehke/Schöppner, AW-Prax 2016, 3; Helck/Petry, ZfZ 2015, 151.

Sieben | 471

2021-10-28, 13:05, HB mittel

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Kap. 3 Rz. 3.543 | Besondere Prüfungsformen

genkontrolle aufgedeckt worden sein, was erneut die Bedeutung eines internen Kontrollsystems1 auch für den Bereich der Zollverwaltung untermauert. Die Offenlegung ist so lange möglich, wie die zuständige Behörde hinsichtlich des Verstoßes noch keine Ermittlungen aufgenommen hat. Da dieser Zeitpunkt für den Beteiligten nicht zwingend erkennbar ist, sollte die Offenlegung spätestens zum Prüfungsbeginn erfolgen.

3.544

Auch das Hauptzollamt bzw. der Prüfungsdienst bereiten sich entsprechend auf eine Prüfung vor. Der Prüfer soll sich intern mit den anderen Sachgebieten (insbesondere dem Sachgebiet B – Abgabenerhebung) austauschen, um bereits im Vorfeld über relevante Erkenntnisse ins Bild gesetzt zu werden. Auch Informationen des Zollkriminalamtes (ZKA) oder anderer besonderer Stellen innerhalb der Zollverwaltung sollen im Vorfeld eingeholt werden2. Nicht zuletzt wird sich der Prüfer auch die Berichte aus bereits vergangenen Prüfungen anschauen und seine Prüfungsschwerpunkte danach ausrichten. d) Beginn der Prüfung

3.545

Der Prüfungsbeginn ist auch im Rahmen der Außenwirtschaftsprüfung aktenkundig zu machen. Erneut fehlt es aber an der Beschreibung eines genauen Zeitpunktes, wann die Prüfung beginnt. Dieser ist im Fall der Außenwirtschaftsprüfung aber auch nicht in der Dienstvorschrift genauer erläutert.

3.546

Sinnvoll erschiene auch hier eine ähnliche Regelung wie bei den steuerlichen Betriebsprüfungen. Die Betriebsprüfung beginnt dort grundsätzlich in dem Zeitpunkt, in dem der Betriebsprüfer nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung konkrete Ermittlungshandlungen vornimmt. e) Durchführung der Prüfung

3.547

Es fehlt an vielen Stellen an eindeutig im Gesetz normierten Rahmenbedingungen für die Prüfung, wie es diese in der Abgabenordnung gibt. Im Wesentlichen wendet die Zollverwaltung aber auch hier die gleichen Grundsätze an und beschreibt diese in ihrer Dienstvorschrift3.

3.548

Der Prüfer hat sich auch bei dieser Prüfungsart bei Erscheinen unverzüglich auszuweisen. Aufgabe des Prüfers ist die Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zugunsten wie zu Ungunsten des Beteiligten. Auch hier gilt also, dass der Prüfer nicht gegen das Unternehmen ermitteln soll, sondern neutral die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben zu prüfen hat.

3.549

Das Unternehmen soll außerdem während der Prüfung über die festgestellten Sachverhalte und die möglichen rechtlichen Auswirkungen unterrichtet werden, wenn dadurch der Ablauf und der Zweck der Prüfung nicht beeinträchtigt werden. Das Prüfungsergebnis sollte während der Prüfung also in den wesentlichen Zügen bereits bekannt werden.

3.550

Auch eine Außenwirtschaftsprüfung soll weitestgehend „wirtschaftlich“ sein. Ein Prüfer soll sich also nicht wochenlang an Kleinigkeiten aufhalten, die im Ergebnis nur zu unwesentlichen Beanstandungen führen würden. Die Prüfung soll sich auf das Wesentliche und ihre Dauer auf das notwendige Maß beschränken. 1 Vgl. auch Hannemann-Kacik, Der Zoll-Profi! 12/2016, 9 ff. 2 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 615. 3 E-VSF Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 620 ff.

472 | Sieben

2021-10-28, 13:05, HB mittel

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.557 Kap. 3

Im Rahmen dieses Gebotes wird sich der Prüfer regelmäßig auf Stichproben beschränken, wenngleich im Rahmen einer digitalen Betriebsprüfung in vielen Fällen bereits eine nahezu vollständige Auswertung1 von elektronischen Daten möglich sein wird. Durch das Vergleichen von Daten, das Filtern, mathematischen Auswertungsmethoden, vorprogrammierten PrüfMakros etc. kann ein Prüfer häufig recht schnell bereits Standard-Fehler entdecken oder Auffälligkeiten herausfiltern und seine Stichproben darauf konzentrieren.

3.551

Die Mitwirkungspflichten ergeben sich in erster Linie aus Art. 46 UZK sowie § 23 AWG. Die Zollverwaltung fasst die wesentlichen Pflichten in ihrer Dienstvorschrift wie folgt zusammen2:

3.552

„Die Verpflichtung zur Duldung (Art. 46 UZK, § 23 AWG) der Prüfung schließt insbesondere ein, dass der Beteiligte

3.553

– dem Prüfer/der Prüferin das Betreten der Geschäftsräume und die Besichtigung der Fertigungsräume, Lager und sonstigen Betriebseinrichtungen während der üblichen Geschäfts- und Arbeitszeit ermöglicht; – bei der Feststellung der Sachverhalte dadurch mitwirkt, dass er Auskünfte erteilt, Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden (auch soweit sie auf einem Bildträger oder auf einem anderen Datenträger aufbewahrt werden) zur Einsicht und Prüfung vorlegt und die zum Verständnis der Aufzeichnungen erforderlichen Erläuterungen gibt; – dem Prüfer/der Prüferin einen zur Durchführung der Prüfung geeigneten Raum oder Arbeitsplatz sowie die erforderlichen Hilfsmittel unentgeltlich zur Verfügung stellt. Zu den Hilfsmitteln gehören auch Geräte, die erforderlich sind, um Unterlagen lesbar zu machen, die nur als Wiedergabe auf einem Bildträger oder auf einem anderen Datenträger aufbewahrt werden. Steht ein geeigneter Raum oder Arbeitsplatz nicht zur Verfügung, kann die Prüfung der Aufzeichnungen, Bücher und Geschäftspapiere an Amtsstelle erfolgen. Bei einer Betriebsbegehung soll der Beteiligte oder sein Beauftragter hinzugezogen werden.“

3.554

Auch hier ergeben sich somit keine wesentlichen Unterschiede zu einer steuerlichen Betriebsprüfung. Hinsichtlich der Zurverfügungstellung der notwendigen digitalen Daten oder der Erteilung eines Systemzugriffs verweisen wir auch hier auf die Erläuterungen zur „Digitalisierung der Betriebsprüfung“.

3.555

Das Verweigern der in § 23 Abs. 1 AWG (Rz. 3.567 ff.) genannten Auskünfte kann bußgeldrechtlich nach § 19 Abs. 3 Nr. 2 AWG geahndet werden. Darüber hinaus verweist die deutsche Zollverwaltung auf mögliche Maßnahmen nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG). Dort genannte Zwangsmittel sind die Ersatzvornahme, das Zwangsgeld oder der unmittelbare Zwang (vgl. § 9 VwVG).

3.556

Die regelmäßigen Prüfungsschwerpunkte ergeben sich einerseits aus den vier wesentlichen Kategorien des Exportkontrollrechts.

3.557

1. Güterkontrolle Sind Waren exportiert oder ggf. in der EU verbracht worden, die einer Genehmigungspflicht unterliegen? Dies können Rüstungsgüter oder sog. Dual-Use-Güter sein, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden können3. Lag eine entsprechende Genehmigung 1 Jung, AW-Prax 2014, 274; Becker/Beckmann, AW-Prax 2014, 172. 2 E-VSF, Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 622 f. 3 Grundlegend dazu Basler/Burkert-Basler/Nawrotzki, AW-Prax 2017, 284, 327.

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Kap. 3 Rz. 3.557 | Besondere Prüfungsformen

vor oder konnte ggf. eine Allgemeingenehmigung genutzt werden? Ist in diesem Zusammenhang eine korrekte Codierung in der Ausfuhranmeldung erfolgt?1 2. Länderkontrolle Sind Güter/Technologien in Länder verbracht worden, gegen welche ein Embargo besteht2? Sind die Anforderungen des Embargos beachtet worden, d.h. wurden erforderliche Genehmigungen eingeholt oder ggf. bestehende Verbote beachtet? 3. Personenkontrolle Den Personen auf den sog. Sanktionslisten (relevant sind hier ausschließlich die der EU) dürfen keinerlei wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, d.h. weder Gelder noch Waren oder ggf. sonstige Ansprüche. Die Geschäftspartner sollten also hinsichtlich einer Listung geprüft werden3. In manchen Fällen ist auch bereits der Vertragsschluss untersagt, auch wenn es letztendlich gar nicht zu einer Lieferung gekommen ist. 4. Verwendungskontrolle Darüber hinaus können generell nicht genehmigungspflichtige Güter dennoch einer Genehmigungspflicht unterliegen, wenn bekannt ist, dass diese zu einem sog. kritischen Endverwendungszweck4 eingesetzt werden, z.B. in einer Anlage für kerntechnische Zwecke in bestimmten Ländern (vgl. § 9 AWV). Das Unternehmen sollte geeignete Mechanismen implementiert haben, um solche kritischen Endverwendungszwecke zu erkennen und vor allem, entsprechende Umgehungsversuche zu verhindern.

3.558

Andererseits soll die Einhaltung der korrekten Durchführung des zollrechtlichen Ausfuhrverfahrens geprüft werden. In diesem Zusammenhang unterhalten die meisten Unternehmen eine Bewilligung zur vereinfachten Abgabe von Ausfuhranmeldungen (Art. 166 UZK, früher Zugelassener Ausführer). Diese ermöglicht die Anmeldung und Überlassung der Waren zur Ausfuhr auch außerhalb der Öffnungszeiten der jeweiligen Zollstellen. Diese Bewilligung enthält aber bestimmte Einschränkungen, deren Einhaltung geprüft werden kann. Beispielsweise ist die Bewilligung nur für bestimmte Verladeorte erteilt. Es dürfen nur die bewilligten Waren unter der Vereinfachung angemeldet werden und das nur zu den genannten Verfahren (z.B. ausschließlich Verfahrenscode 10 für die endgültige Ausfuhr; die Bewilligung könnte dann nicht für vorübergehende Ausfuhren oder Wiederausfuhren genutzt werden).

3.559

Darüber hinaus kann die Richtigkeit der Daten in der Anmeldung geprüft werden, d.h. wurden die Personen wie der Ausführer5, der Anmelder und der Empfänger korrekt ermittelt? Sind Werte, Gewichte, Zolltarifnummern vollständig und korrekt angegeben worden etc.? Welche Angaben hier erwartet werden, kann übersichtlich dem Merkblatt zu Zollanmeldungen, summarischen Anmeldungen und Wiederausfuhrmitteilungen eingesehen werden, das i.d.R. jährlich neu erscheint. Dieses kann auf der Homepage der deutschen Zollverwaltung www.zoll.de heruntergeladen werden. 1 Vertiefend dazu Eßer, Der Zoll-Profi! 5/2018, 7. 2 Eine Übersicht bestehender Embargos kann hier eingesehen werden: https://www.zoll.de/DE/Fach themen/Aussenwirtschaft-Bargeldverkehr/Embargomassnahmen/embargomassnahmen_node.html oder https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Embargos/embargos_node.html. 3 Vgl. dazu Merz/Damm, Der Zoll-Profi! 6/2019, 2; Burkert-Basler, AW-Prax 2019, 234; BurkertBasler/Nawrotzki, AW-Prax 2016, 35. 4 Grundlegend dazu Haellmigk, AW-Prax 2017, 79. 5 Ausführlich dazu Waldhecker/Eßer, Der Zoll-Profi 1/2020, 2; Voss/Gerharz, AW-Prax 2020, 72, 114 ff.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.566 Kap. 3

Nicht zuletzt wird auch kontrolliert, ob auch für alle Waren die richtige Art der Anmeldung gewählt wurde bzw. überhaupt alle Waren zur Ausfuhr angemeldet wurden. Bis zu den Wertgrenzen 1.000 € und 3.000 € kommen bestimmte Vereinfachungen in Betracht, die möglicherweise genutzt worden sind.

3.560

f) Abschluss der Prüfung Die zu steuerlichen Prüfungen der Zollverwaltung beschriebenen Grundsätze gelten hier in vielen Punkten sinngemäß und sollen nicht vollständig wiederholt werden. Die wichtigsten Grundsätze und vor allem Unterschiede zur steuerlichen Prüfung sollen nachfolgend dargestellt werden.

3.561

Auch hier orientiert sich die Zollverwaltung an den Vorgaben für steuerliche Betriebsprüfungen und sieht eine Schlussbesprechung1 vor. Diese kann ausbleiben, wenn die Prüfung keine Beanstandungen ergeben hat oder der Beteiligte darauf verzichtet, im Regelfall also, wenn über die Prüfungsergebnisse Einigkeit besteht. Nur in Fällen von besonderer Bedeutung soll auch ein Vertreter der anordnenden Stelle im Sachgebiet B – Abgabenerhebung an der Schlussbesprechung teilnehmen.

3.562

In der Schlussbesprechung sollen in erster Linie sodann strittige Sachverhalte, deren rechtliche Beurteilung und Auswirkungen erläutert werden. Der Beteiligte erhält die Gelegenheit, seine gegenteilige Meinung darzulegen. Um eine entsprechende Vorbereitung zu ermöglichen, sollen Termin und Besprechungspunkte angemessene Zeit vor der Besprechung bekanntgegeben werden. Das Unternehmen sollte darum ersuchen, den Prüfungsbericht bereits vorab in der Entwurfsfassung zu erhalten, um eine bestmögliche Vorbereitung zu erzielen, wenngleich darauf kein rechtlicher Anspruch besteht. Das Ergebnis der Schlussbesprechung wird im endgültigen Prüfungsbericht vermerkt.

3.563

Der Prüfungsdienst als ausführendes Organ für die Außenwirtschaftsprüfung leitet den endgültigen Bericht sodann innerhalb der Behörde an die anordnende und auswertende Stelle im Sachgebiet B – Abgabenerhebung weiter.

3.564

Sollte der Beteiligte im Rahmen der Schlussbesprechung seine gegenteilige Meinung gegenüber der Verwaltung nicht durchgesetzt haben können, räumt die Verwaltung auch bei Außenwirtschaftsprüfungen auf Antrag ein, vor Auswertung des Berichts innerhalb einer angemessenen Frist Stellung nehmen zu dürfen2. Die auswertende Stelle erhält sodann den Prüfungsbericht sowie die Stellungnahme des Beteiligten und soll anhand beider Schilderungen entscheiden, welcher Auffassung zu folgen ist. Auch bei Außenwirtschaftsprüfungen besteht häufig nicht nur Uneinigkeit bei der rechtlichen Beurteilung, sondern bei der Sachverhaltsermittlung. Kann im Rahmen dieser Stellungnahme also der Sachverhalt gerade gerückt werden, weil der Prüfer von anderen, ggf. unvollständigen oder unrichtigen Tatsachen ausgegangen ist, kann in diesem Verfahrensstadium bereits ein Schaden für das Unternehmen abgewandt werden.

3.565

Sollte dies nicht gelingen, ergeht nach Auswertung des Prüfungsberichts der i.d.R. rechtmittelfähige Bescheid. Je nach Sachverhalt und Entscheidung der Verwaltung können hier die entsprechenden Rechtsmittel eingelegt, bei erfolglosem Vorverfahren Klage erhoben werden.

3.566

1 E-VSF Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 639 ff. 2 E-VSF Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Abs. 651.

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Kap. 3 Rz. 3.567 | Besondere Prüfungsformen

V. Digitalisierung der Betriebsprüfung (Gemeinsamkeiten/Unterschiede zu Kapitel 2 [Rz. 2.3 ff.]) 1. Allgemeines 3.567

Die deutsche Zollverwaltung setzt – abhängig vom Prüfungsgebiet – bei digitalen Betriebsprüfungen häufig die Software IDEA ein, die auch die Landesfinanzbehörden regelmäßig bei Betriebsprüfungen verwenden.

3.568

Durch die umfangreichen Prüfungsmöglichkeiten, insbesondere durch bereits vorinstallierte Makros, kann die Zollverwaltung wesentlich mehr Daten überprüfen, als dies bei einer rein papiergestützten Betriebsprüfung nach dem Stichprobenverfahren der Fall war. Prüfer können leicht durch Sortieren der Daten, Filtern, Abgleichen usw. vermeintliche Unregelmäßigkeiten identifizieren und diese im Folgenden genauer überprüfen.

3.569

Beispiele: Der Prüfer ordnet den Warenkatalog nach Artikelnummern. Dabei stellt er sog. „Dubletten“ fest, d.h. Waren derselben Artikelnummer werden mit verschiedenen Zolltarifnummern angemeldet. Dies legt den Verdacht nahe, dass Zollanmeldungen mit falschen Zolltarifnummern abgegeben wurden. Bei unterschiedlichen Zollsätzen führt dies zu einer Nacherhebung oder Erstattung. Im Rahmen von Verbrauchsteuerprüfungen stellt der Prüfer fest, dass in einem Monat eine verdächtig hohe Menge an Schwund im Steuerlager angemeldet wurde. Der Prüfer wird diesen Zeitraum genauer überprüfen. Im Rahmen von Außenwirtschaftsprüfungen stellt der Prüfer anhand der Auswertungen fest, dass bestimmte, über Materialstammnummern identifizierbare Produkte sowohl mit, als auch ohne Einzelgenehmigung ausgeführt wurden. Sofern sich kein Bezug zu tauglichen Allgemeingenehmigungen findet, liegt der Verdacht von Verstößen gegen das Außenwirtschaftsrecht nahe.

2. Grundsätze 3.570

Die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)1 und die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen im Zuständigkeitsbereich der Zollverwaltung (GDPdUZ)2 bilden die Grundlage jeder Betriebsprüfung der deutschen Zollverwaltung (Zollprüfung, Außenwirtschaftsprüfung, Verbrauchsteuerprüfung, Präferenzprüfung). Demnach muss ein Unternehmen sicherstellen, dass seine Buchführung so beschaffen ist, dass sie einem „sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann“. Dies gilt sowohl hinsichtlich einzelner Geschäftsvorfälle als auch des gesamten Abrechnungsverfahrens. Es muss vom Unternehmen außerdem durch geeignete Zugriffsberechtigungen sichergestellt werden, dass Daten nicht von unbefugten Dritten manipuliert werden können. Die Vergabe und Verwaltung von Zugriffsrechten stellen auch zentrale Punkte in dem Fragenkatalog der deutschen Zollverwaltung dar, der beispielsweise Grundlage für die Erteilung der Bewilligung als Zugelassener Wirtschaftsbeteiligter (AEO) ist (vgl. Punkte 3.7.2, 3.8.1, 3.8.2). Darüber hinaus muss das Unternehmen dafür Sorge tragen, dass gespeicherte Buchungen für einen berechtigten Dritten (Betriebsprüfer) innerhalb einer angemessenen Zeit lesbar gemacht und zu deren Verständnis beitragende Arbeitsanweisungen und sonstige Organisationsunterlagen vorgelegt werden. 1 Vgl. auch Jung, AW-Prax 2019, 188, 221. 2 Vgl. auch Becker/Beckmann, AW-Prax 2014, 172.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.577 Kap. 3

Für Außenwirtschaftsprüfungen formuliert § 23 Abs. 4 AWG diese Forderungen wie folgt:

3.571

„[...] (4) Sind die Unterlagen nach Absatz 1 unter Einsatz eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden, so dürfen die Verwaltungsbehörde und die Deutsche Bundesbank im Rahmen einer Prüfung Einsicht in die gespeicherten Daten nehmen und das Datenverarbeitungssystem zur Prüfung dieser Unterlagen nutzen. Sie können im Rahmen einer Prüfung auch verlangen, dass die Daten nach ihren Vorgaben automatisiert ausgewertet oder ihnen die gespeicherten Unterlagen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt werden. Dazu ist sicherzustellen, dass die gespeicherten Daten während der Dauer der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen verfügbar sind sowie dass sie unverzüglich lesbar gemacht und unverzüglich automatisiert ausgewertet werden können. Die Auskunftspflichtigen haben die Verwaltungsbehörde und die Deutsche Bundesbank bei der Ausübung der Befugnisse nach den Sätzen 1 und 2 zu unterstützen und die Kosten zu tragen.“

3.572

3. Vorhalten aller relevanten Unterlagen Um eine nachträgliche Betriebsprüfung überhaupt erst zu ermöglichen, muss ein Unternehmen zunächst sicherstellen, dass alle relevanten Unterlagen entsprechend archiviert werden.

3.573

Eine abschließende Aufzählung darüber, welche Unterlagen relevant sind und welche nicht, existiert nicht. Dies liegt ganz einfach daran, dass dieselben Daten bei einem Beteiligten z.B. für eine Besteuerung relevant sind, bei einem anderen hingegen nicht. Die Abgrenzung zwischen relevanten und irrelevanten Unterlagen obliegt dem zu prüfenden Unternehmen. In Zweifelsfällen sollte eine Absprache mit den jeweiligen Behörden erfolgen.

3.574

Einen ersten Hinweis darauf, welche Unterlagen und Daten jedenfalls zu archivieren sind, enthält die Verfahrensanweisung zum IT-Verfahren ATLAS in Punkt 6.2. Auch diese kann in jeweils aktueller Fassung auf der Homepage der deutschen Zollverwaltung www.zoll.de heruntergeladen werden. Alle mit der Zollverwaltung ausgetauschten Nachrichten und das Logbuch zum Nachweis des Nachrichtenaustauschs sind vom Anmelder zu archivieren und zehn Jahre lang aufzubewahren. Die Frist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Nachricht versandt oder empfangen bzw. der Eintrag im Logbuch vorgenommen wurde.

3.575

Die grundsätzlichen Aufbewahrungspflichten von Unterlagen, die für eine Zollprüfung relevant sind, richtet sich nach § 147 AO. Unterschieden wird hier zwischen Unterlagen, die zehn und Unterlagen, die lediglich sechs Jahre aufbewahrt werden müssen. Um eine zeitaufwendige Abgrenzung der Unterlagen nach den verschiedenen Fristen zu vermeiden, bewahren viele Unternehmen alle zollrechtlich relevanten Unterlagen generell zehn Jahre auf.

3.576

Problematisch ist eine Archivierung oft dann, wenn sich Unternehmen bei der Zollabwicklung vertreten lassen. Häufig übermittelt der Dienstleister gar nicht alle Unterlagen (z.B. Steuerbescheid ohne Zollanmeldung) und in den seltensten Fällen werden dem Vertretenen die elektronischen Nachrichten, die der Dienstleister mit der Zollverwaltung ausgetauscht hat, zur Verfügung gestellt1. Wie beschrieben, sind allerdings auch diese Nachrichten aufzubewahren. Die Verwendung des IT-Verfahrens ATLAS ändert an den gesetzlichen Aufbewahrungs- und Mitwirkungspflichten nichts. Demnach obliegt es grds. dem Anmelder, den „Zollbeleg“ entsprechend den gesetzlichen Vorgaben aufzubewahren. Ausreichend ist grds. auch der mittelbare Besitz. Es ist also ausreichend, wenn der Anmelder die angeforder-

3.577

1 Vgl. auch Becker/Beckmann, AW-Prax 2014, 172.

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Kap. 3 Rz. 3.577 | Besondere Prüfungsformen

ten Unterlagen auf Verlangen der Zollbehörde kurzfristig vorlegen kann. Verpflichteter bleibt jedoch der Anmelder1.

3.578

Der „Zollbeleg“ besteht dabei aus Zollanmeldung und Einfuhrabgabenbescheid sowie aller der Zollanmeldung beizufügenden Unterlagen (z.B. Rechnung, Präferenznachweise, vgl. Art. 163 UZK).

3.579

Der Vertretene hat also auch im Falle der (i.d.R. direkten) Stellvertretung dafür Sorge zu tragen, dass der gesamte „Zollbeleg“ archiviert und für Betriebsprüfungen zur Verfügung gehalten wird. Dabei muss eine Archivierung nicht zwingend bei dem Anmelder selbst erfolgen. Möglich ist es etwa, einen Steuerberater oder einen Spediteur mit der Archivierung zu beauftragen. Allerdings darf diese Auslagerung der Archivierung die Prüfungstätigkeit der Zollbehörden nicht erschweren. Es ist somit sicherzustellen, dass aufbewahrungspflichtige Unterlagen jederzeit am Prüfungsort (grds. im Betrieb des Anmelders) verfügbar sind, unverzüglich lesbar gemacht und maschinell ausgewertet werden können. In seinem Erlass vom 24.11.2004 (III A 6 - S 1445 – 59/04) stellt das BMF klar, dass dies auch für Unterlagen gilt, über deren Kopien oder inhaltsgleiche elektronische Nachrichten die Zollverwaltung selber verfügen kann2.

3.580

Maschinell auswertbar sind Daten dann, wenn der Prüfer einen „wahlfreien Zugriff auf alle gespeicherten Daten“ nehmen kann. Das Unternehmen darf also keine Dateien zur Verfügung stellen, die bereits vorgefiltert oder verdichtet wurden und nicht mehr alle originär relevanten Daten aufweisen3.

3.581

Hinweis: Zu empfehlen ist es, den Dienstleister im Rahmen eines Dienstleistungsvertrages zu verpflichten, nach der Abfertigung einen vollständigen Zollbeleg mit allen relevanten Unterlagen, einschließlich der elektronischen Nachrichten, zu übermitteln. Eine Übersendung der elektronischen Nachrichten kann nach Absprache ggf. auch quartalsweise oder halbjährlich erfolgen. Diese elektronischen Nachrichten können auch für eigene interne Kontrollzwecke genutzt werden, so dass ein Unternehmen auch durchaus eigenes Interesse daran haben sollte, diese zu erhalten. Die von der Zollverwaltung für Prüfungen im Regelfall eingesetzte Software IDEA ist kommerziell erhältlich, kann also auch von den Unternehmen im Sinne einer Waffengleichheit eingesetzt werden. Es können eigene Prüf-Makros entwickelt werden, um regelmäßige Kontrollen einzurichten, Auffälligkeiten rechtzeitig zu entdecken und Gegenmaßnahmen einzuleiten.

3.582

Die auf diese Weise übermittelten Zollbelege müssen im Folgenden mit der Unternehmensbuchführung des Anmelders verknüpft werden4.

3.583

Hinsichtlich der Anforderung an die Aufbewahrung und Prüfbarkeit von Unterlagen greift die deutsche Zollverwaltung in erster Linie auf die GoBD zurück, weshalb nachfolgend einige wichtige Grundsätze dieser dargestellt werden5.

3.584

Sind aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtige Daten, Datensätze, elektronische Dokumente und elektronische Unterlagen im Unternehmen entstanden oder dort eingegangen, sind sie 1 Vgl. E-VSF, Dienstvorschrift „Zollwertrecht“ Z 51 01 Abs. 115. 2 Einsehbar unter https://www.zoll.de/DE/Fachthemen/Zoelle/ATLAS/ATLAS-Publikationen/Erlasse/ erlasse_node.html. 3 „Fragen und Antworten zum Datenzugriffsrecht der Finanzverwaltung“, http://elektronische-steuer pruefung.de/faqs/faqsbmf.htm#FAQ1. 4 BMF,Erlass v. 7.1.2004 – III A 6 - S 1445 – 5/03, https://www.zoll.de/DE/Fachthemen/Zoelle/ATLAS/ ATLAS-Publikationen/Erlasse/erlasse_node.html. 5 Vgl. auch Jung, AW-Prax 2019, 188, 221.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.590 Kap. 3

auch in dieser Form aufzubewahren und dürfen vor Ablauf der Aufbewahrungsfrist nicht gelöscht werden. Sie dürfen daher nicht mehr ausschließlich in ausgedruckter Form aufbewahrt werden und müssen für die Dauer der Aufbewahrungsfrist unveränderbar erhalten bleiben (z.B. per E-Mail eingegangene Rechnung im PDF-Format oder eingescannte Papierbelege). Werden Handels- oder Geschäftsbriefe und Buchungsbelege in Papierform empfangen und danach elektronisch erfasst (scannen), ist das Scanergebnis so aufzubewahren, dass die Wiedergabe mit dem Original bildlich übereinstimmt, wenn es lesbar gemacht wird. Papierdokumente werden durch den Scanvorgang in elektronische Dokumente umgewandelt. Im Anschluss an den Scanvorgang darf die weitere Bearbeitung nur mit dem elektronischen Dokument erfolgen. Die Papierbelege sind dem weiteren Bearbeitungsgang zu entziehen, damit auf diesen keine Bemerkungen, Ergänzungen usw. vermerkt werden können, die auf dem elektronischen Dokument nicht enthalten sind. Sofern aus organisatorischen Gründen nach dem Scanvorgang eine weitere Vorgangsbearbeitung des Papierbeleges erfolgt, muss nach Abschluss der Bearbeitung der bearbeitete Papierbeleg erneut eingescannt und ein Bezug zum ersten Scanobjekt hergestellt werden. Nach dem Einscannen dürfen Papierdokumente vernichtet werden, soweit sie nicht nach außersteuerlichen oder steuerlichen Vorschriften im Original aufzubewahren sind.

3.585

Werden gescannte Dokumente per Optical-Character-Recognition-Verfahren (OCR-Verfahren) um Volltextinformationen angereichert (z.B. volltextrecherchierbare PDFs), so ist dieser Volltext nach Verifikation und Korrektur über die Dauer der Aufbewahrungsfrist aufzubewahren und auch für Prüfzwecke verfügbar zu machen.

3.586

Eingehende elektronische Handels- oder Geschäftsbriefe und Buchungsbelege müssen in dem Format aufbewahrt werden, in dem sie empfangen wurden. Eine Umwandlung in ein anderes Format (z.B. MSG in PDF) ist nur dann zulässig, wenn die maschinelle Auswertbarkeit nicht eingeschränkt wird und keine inhaltlichen Veränderungen vorgenommen werden (s.u. Rz. 3.590).

3.587

Bei den Daten und Dokumenten ist – wie bei den Informationen in Papierbelegen – auf deren Inhalt und auf deren Funktion abzustellen, nicht auf deren Bezeichnung. So sind beispielsweise E-Mails mit der Funktion eines Handels- oder Geschäftsbriefs oder eines Buchungsbelegs in elektronischer Form aufbewahrungspflichtig. Dient eine E-Mail nur als „Transportmittel“, z.B. für eine angehängte elektronische Rechnung, und enthält darüber hinaus keine weitergehenden aufbewahrungspflichtigen Informationen, so ist diese nicht aufbewahrungspflichtig.

3.588

Die aufzubewahrenden Daten und Informationen können auch von dem jeweiligen Dateiformat abhängen. Rechnungen im PDF/A-3-Format bestehen beispielsweise aus einem Rechnungsbild (dem augenlesbaren, sichtbaren Teil der PDF-Datei) und den in die PDF-Datei eingebetteten Rechnungsdaten im standardisierten XML-Format. Entscheidend ist hier jetzt nicht, ob der Rechnungsempfänger nur das Rechnungsbild (Image) nutzt, sondern, dass auch noch tatsächlich XML-Daten vorhanden sind, die nicht durch eine Formatumwandlung (z.B. in TIFF) gelöscht werden dürfen. Die maschinelle Auswertbarkeit bezieht sich auf sämtliche Inhalte der PDF/A-3-Datei.

3.589

Eine maschinelle Auswertbarkeit ist nach diesem Beurteilungsmaßstab bei aufzeichnungsund aufbewahrungspflichtigen Daten, Datensätzen, elektronischen Dokumenten und elektronischen Unterlagen u.a. gegeben, die

3.590

– mathematisch-technische Auswertungen ermöglichen, – eine Volltextsuche ermöglichen, Sieben | 479

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Kap. 3 Rz. 3.590 | Besondere Prüfungsformen

– auch ohne mathematisch-technische Auswertungen eine Prüfung im weitesten Sinne ermöglichen (z.B. Bildschirmabfragen, die Nachverfolgung von Verknüpfungen und Verlinkungen oder die Textsuche nach bestimmten Eingabekriterien)1.

3.591

Mathematisch-technische Auswertung bedeutet, dass alle in den aufzeichnungs- und aufbewahrungspflichtigen Daten und Datensätzen enthaltenen Informationen automatisiert (DV-gestützt) interpretiert, dargestellt, verarbeitet sowie für andere Datenbankanwendungen und eingesetzter Prüfsoftware direkt, ohne weitere Konvertierungs- und Bearbeitungsschritte und ohne Informationsverlust nutzbar gemacht werden können (z.B. für wahlfreie Sortier-, Summier-, Verbindungs- und Filterungsmöglichkeiten).

3.592

Neben den Daten in Form von Datensätzen und den elektronischen Dokumenten sind auch alle zur maschinellen Auswertung der Daten im Rahmen des Datenzugriffs notwendigen Strukturinformationen (z.B. über die Dateiherkunft [eingesetztes System], die Dateistruktur, die Datenfelder, verwendete Zeichensatztabellen) in maschinell auswertbarer Form sowie die internen und externen Verknüpfungen vollständig und in unverdichteter, maschinell auswertbarer Form aufzubewahren. Im Rahmen einer Datenträgerüberlassung ist der Erhalt technischer Verlinkungen auf dem Datenträger nicht erforderlich, sofern dies nicht möglich ist.

3.593

Die Reduzierung einer bereits bestehenden maschinellen Auswertbarkeit, beispielsweise durch Umwandlung des Dateiformats oder der Auswahl bestimmter Aufbewahrungsformen, ist nicht zulässig. Eine Umwandlung in ein anderes Format (z.B. Inhouse-Format) ist zulässig, wenn die maschinelle Auswertbarkeit nicht eingeschränkt und keine inhaltliche Veränderung vorgenommen wird.

3.594

Einige wenige Dokumente müssen allerdings weiterhin im Original aufbewahrt werden, eine rein elektronische Aufbewahrung ist also nicht ausreichend. § 147 Abs. 2 AO formuliert dies wie folgt:

3.595

„Mit Ausnahme der Jahresabschlüsse, der Eröffnungsbilanz und der Unterlagen nach Absatz 1 Nummer 4a, sofern es sich bei letztgenannten Unterlagen um amtliche Urkunden oder handschriftlich zu unterschreibende nicht förmliche Präferenznachweise handelt, können die in Absatz 1 aufgeführten Unterlagen auch als Wiedergabe auf einem Bildträger oder auf anderen Datenträgern aufbewahrt werden [...]“

3.596

Bei den Unterlagen nach § 147 Abs. 1 Nr. 4a AO handelt es sich um Unterlagen nach Art. 15 Abs. 1 und Art. 163 UZK. Dies sind in erster Linie alle Unterlagen, die für die Überführung in das gewählte Zollverfahren erforderlich sind. Dies können beispielsweise Genehmigungen oder Lizenzen sein. In erster Linie handelt es sich jedoch um Nachweise über den präferenziellen Ursprung einer Ware, die dazu dienen, bei der Einfuhr einen geringeren Zollsatz in Anspruch nehmen zu können.

3.597

Übersendet der drittländische Lieferant also von der in seinem Land jeweils zuständigen Behörde unterzeichnete und abgestempelte Warenverkehrsbescheinigungen (z.B. EUR.1, EUR-MED, A.TR), sind diese beim importierenden Unternehmen zwingend im Original aufzubewahren. Als Vereinfachung sehen die meisten Präferenzabkommen vor, anstatt dieser im Einzelfall von der Behörde auszustellenden Dokumente, eine sog. Ursprungserklärung auf ein Handelsdokument, meist die Rechnung, setzen zu können. Bis zu einem Sendungswert von 6.000 € bedarf dies keiner besonderen Zulassung, d.h. bei Sendungen bis zu dieser Wertgrenze darf der dritt1 Jung, AW-Prax 2019, 188, 221.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.601 Kap. 3

ländische Exporteur selbst entscheiden, ob die Waren einer Präferenzbehandlung zugänglich sind und dies über diese Ursprungserklärung auf dem Handelsdokument bestätigen. In diesem Fall ist die Ursprungserklärung bei den meisten Freihandelsabkommen jedoch handschriftlich zu unterzeichnen (eine Ausnahme dazu wäre beispielsweise das Freihandelsabkommen mit Japan, das keine Unterzeichnung mehr vorsieht). In diesem Fall kommt dieser Unterschrift Beweiskraft zu, so dass hier eine Aufbewahrung im Original auf Empfängerseite in Deutschland gefordert wird. Übersteigt der Sendungswert der präferenzberechtigten Waren 6.000 €, kann eine solche Ursprungserklärung lediglich von einer besonders berechtigten Person ausgestellt werden. In den meisten Präferenzabkommen der EU bedingt dies eine Bewilligung als Ermächtigter Ausführer (auch hier gibt es aber Ausnahmen). Im Fall der Bewilligung als Ermächtigter Ausführer kann auf die handschriftliche Unterzeichnung der Ursprungserklärung verzichtet werden. In diesem Fall ist auch keine Aufbewahrung im Original notwendig. Die Unterzeichnungspflicht hängt jedoch von der Bewilligung des jeweiligen Unternehmens ab. In Deutschland haben Ermächtigte Ausführer die Wahl, sich den Unterschriftsverzicht bewilligen zu lassen oder nicht. Es existieren also auch Ermächtigte Ausführer, die die Ursprungserklärung auch weiterhin handschriftlich unterzeichnen müssen, was wiederum eine Aufbewahrung im Original nach sich ziehen würde. Ob eine Ursprungserklärung von einem Ermächtigten Ausführer abgegeben wurde, kann an der Ursprungserklärung selbst erkannt werden, in die nämlich sodann die Bewilligungsnummer einzutragen ist. Für den Empfänger bedeutet dies also, dass wenn eine Bewilligungsnummer in der Erklärung angegeben und keine handschriftliche Unterschrift aufzufinden ist, davon ausgegangen werden muss, dass wohl ein Unterschriftsverzicht bewilligt worden ist. Alternativ könnte man dahingehend um eine Bestätigung des Lieferanten bitten. Da steuerrechtliche Anforderungen i.d.R. nicht für außenwirtschaftsrechtliche Belange gelten, formuliert § 6 AWV eine ähnliche Anforderung für diese Zwecke gesondert. Der Adressat eines Verwaltungsakts muss die diesen Verwaltungsakt verkörpernde Urkunde nach Ablauf der Gültigkeit des Verwaltungsaktes für die Dauer von fünf Jahren aufbewahren, es sei denn, dass die Urkunde vorher zurückgegeben werden muss. In erster Linie trifft dies auf Einzeloder Sammelausfuhrgenehmigungen zu, die Unternehmen für den Export bestimmter Güter oder in bestimmte Länder benötigen.

3.598

Faustregel Grundsätzlich gilt, dass alle Unterlagen, die von den Zollbehörden oder anderen Verwaltungen unterschrieben und/oder abgestempelt worden sind, im Original aufzubewahren sind, da diesem Original dann eine besondere Beweiskraft zukommt.

3.599

4. Datenzugriff der Behörde Die Möglichkeiten der Verwaltung zum Datenzugriff und der Umfang der Mitwirkungspflichten des Beteiligten können im Wesentlichen den GDPdUZ1 entnommen werden, deren wichtigste Inhalte nachfolgend beschrieben werden.

3.600

Je nach Prüfungsart leitet die Verwaltung das Recht zum Datenzugriff aus unterschiedlichen Rechtsgrundlagen ab.

3.601

– zollamtliche Überwachung: Art. 15 Abs. 1 UZK – Zollprüfung: Art. 15 Abs. 1 UZK und § 147 Abs. 6 AO 1 E-VSF Dienstvorschrift „Prüfungsdienst“ S 13 10 Anlage 3.

Sieben | 481

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Kap. 3 Rz. 3.601 | Besondere Prüfungsformen

– Präferenzprüfung: die jeweiligen Freihandelsabkommen und § 147 Abs. 6 AO – Verbrauchsteuern: § 147 Abs. 6 AO – Außenwirtschaftsprüfung: Art. 15 Abs. 1 UZK und § 23 Abs. 4 AWG

3.602

Die genannten Rechtsgrundlagen räumen dem Prüfungsdienst der Zollverwaltung das Recht ein, die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellte Buchführung und sonstige Geschäftsunterlagen des zu prüfenden Unternehmens durch Datenzugriff zu prüfen. Diese Prüfungsmethode tritt neben die Möglichkeit der herkömmlichen Prüfung. Ein Datenzugriff kann nur bei einer Zollprüfung (Art. 48 UZK, § 193 AO), Präferenzprüfung (Rz. 3.511 ff.), Betriebsprüfung im Verbrauchsteuerrecht (§ 193 AO) oder Außenwirtschaftsprüfung (Art. 48 UZK, § 23 AWG) sowie bei einer Prüfungsmaßnahme im Rahmen der zollamtlichen Überwachung i.S.v. Art. 46 UZK verlangt werden.

3.603

Gegenstand der Prüfung sind bei einer – Zoll- oder Verbrauchsteuerprüfung die in § 147 Abs. 1 AO genannten Unterlagen, – Präferenzprüfung alle zweckdienlichen Unterlagen zum Nachweis der Ursprungs-/Freiverkehrseigenschaft, – Außenwirtschaftsprüfung alle Unterlagen, die zur Überprüfung der Einhaltung der Rechtsvorschriften erforderlich sind, – Prüfungsmaßnahme im Rahmen der zollamtlichen Überwachung die Geschäftsunterlagen.

3.604

Dem Prüfer können im Rahmen einer digitalen Betriebsprüfung regelmäßig drei unterschiedliche Möglichkeiten eröffnet werden, auf die Daten des zu prüfenden Unternehmens zuzugreifen. Innerhalb einer Prüfung besteht natürlich die Möglichkeit, mehrere Zugriffsformen anzuwenden. Unmittelbarer Zugriff (Z1)

3.605

Beim unmittelbaren Zugriff verwendet der Prüfer die Hard- und Software des zu prüfenden Unternehmens und erhält einen reinen Lesezugriff auf das System. Dabei darf der Prüfer lediglich die bereits aufgespielte Software für die Prüfung verwenden, eine gesonderte Prüfsoftware darf nicht installiert werden. Die Prüfungsmöglichkeiten beschränken sich auf die im Datenverarbeitungssystem vorhandenen Auswertungsmöglichkeiten. Auch ein Online-Zugriff auf das System ist damit ausgeschlossen.

3.606

Aufgrund der Tatsache, dass der Prüfer sich nicht in jedem Fall mit der eingesetzten Software auskennt, ist ihm auf Wunsch eine Einweisung zu gewähren.

3.607

Achten sollte das zu prüfende Unternehmen darauf, dass der Zugriff des Prüfers auf die für den Prüfungsgegenstand relevanten Daten beschränkt wird, auf die sich auch die Prüfung bezieht (Steuerart, Prüfungszeitraum).

3.608

Ein Verwertungsverbot für Informationen, die der Prüfer aufgrund einer mangelnden Abgrenzung seiner Zugriffsmöglichkeiten erhält, besteht nicht. Darüber hinaus kann der Prüfer bzw. die Behörde i.d.R. nicht in Regress genommen werden, falls der Prüfer Daten versehentlich verändert, wenn ihm ein Schreibzugriff gewährt wurde.

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J. Prüfungen der Zollverwaltung | Rz. 3.614 Kap. 3

Mittelbarer Zugriff (Z2) Auch bei diesem Zugriff verwendet der Prüfer die Hard- und Software des zu prüfenden Unternehmens im Rahmen eines Lesezugriffs. Hier erteilt der Prüfer dem Steuerpflichtigen vorab allerdings Vorgaben, wie die Daten bereits maschinell ausgewertet sein sollen.

3.609

Datenträgerüberlassung (Z3) Bei dieser Methode wird dem Prüfer ein Datenträger überlassen, auf dem alle relevanten Daten zur Verfügung gestellt werden. Diese Daten sollten natürlich auf den Prüfungsgegenstand und den Prüfungszeitraum begrenzt werden. Welche Daten benötigt werden, ist mit dem Prüfer vorab zu klären.

3.610

Da die meisten Unternehmen mit der auf dem Laptop des Prüfers installierten Prüfungssoftware (IDEA) geprüft werden sollen, stellt die Z3-Methode die am häufigsten angewandte Form des Datenzugriffs dar.

3.611

5. Prüfpfad Im Fragenkatalog der deutschen Zollverwaltung, der im Rahmen der AEO-Bewilligung und weiteren Bewilligungen Anwendung findet, fordert die deutsche Zollverwaltung in Punkt 3.1.1 einen Prüfpfad1, der es den Zollbehörden ermöglicht, jede Eintragung bis zu ihrer Quelle zurückzuverfolgen, um deren Richtigkeit zu überprüfen. Insbesondere im Rahmen der AEO-Bewilligung legen die Zollbehörden einen großen Wert auf das Vorliegen eines nachvollziehbaren Prüfpfads. Sofern dieser Prüfpfad nicht vorliegt, sollte keine Zertifizierung erfolgen. Der Fragenkatalog kann auf der Homepage der deutschen Zollverwaltung www.zoll.de heruntergeladen werden2.

3.612

Zweck des Prüfpfads ist laut Punkt 3.1.1 des Fragenkatalogs die Darstellung der vollständigen und kurzfristigen Nachvollziehbarkeit von zollrelevanten Vorgängen im Buchführungssystem anhand von Verbindungen zwischen Warenbewegungen, Datenerfassung und Buchungsbelegen. Diese Verbindung soll mittels manueller oder elektronischer Referenzmerkmale geschaffen werden. Ergänzende Informationen enthalten die Leitlinien der Europäischen Kommission zum Zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten3. Der Begriff „Prüfpfad“ wird dort definiert als „Prozess [...], mit dem man jede Eintragung bis zu ihrer Quelle zurückverfolgen kann, um deren Richtigkeit zu prüfen. Ein vollständiger Prüfpfad ermöglicht es, den vollständigen Lebenszyklus betrieblicher Vorgänge zu verfolgen, d.h. in diesem Zusammenhang die Bewegungen von Waren und Produkten, die beim Antragsteller eingehen, dort verarbeitet werden und das Unternehmen wieder verlassen.“

3.613

Sollte kein Prüfpfad implementiert sein, sind Zollkontrollen in Form von Betriebsprüfungen lediglich unter erheblich erschwerten Bedingungen durchführbar. Im schlimmsten Fall ist das Unternehmen gar nicht prüfbar, was sanktionierbar ist. Insbesondere im Zeitalter der digitalen Betriebsprüfung muss demnach sichergestellt werden, dass zwischen den verschiedenen Softwaresystemen (Material- und Warenwirtschaft, Lagerlogistik, Finanzbuchführung, Archiv,

3.614

1 Vgl. auch Hannemann-Kacik, Der Zoll-Profi! 12/2016, 9; Jung, AW-Prax 2014, 274. 2 https://www.zoll.de/DE/Fachthemen/Zoelle/Zugelassener-Wirtschaftsbeteiligter-AEO/Antragsver fahren/Hinweise-Fragebogen-zollrechtliche-Bewilligungen/hinweise-fragebogen-zollrechtliche-be willigungen_node.html. 3 https://ec.europa.eu/taxation_customs/aeo-legislation-and-management-instruments_en.

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Kap. 3 Rz. 3.614 | Besondere Prüfungsformen

Zollsoftware etc.1) ein Referenzmerkmal besteht, das die Prüfung einzelner Geschäftsvorfälle ermöglicht.

3.615

In der Praxis fehlt es häufig in erster Linie zwischen der Zollanmeldung und den dazugehörigen Unterlagen (Rechnung, Frachtpapiere, Präferenznachweise etc.) an entsprechenden Referenzmerkmalen. Bei einer Zollprüfung hat der Betriebsprüfer regelmäßig Zugriff auf die Zollanmeldungen des Unternehmens, die in ATLAS abgegeben wurden. Anhand der dort angegebenen Daten muss nun sichergestellt werden, dass im Unternehmen alle dazugehörigen Unterlagen aufgefunden werden können. Haben die Betriebsprüfer aufgrund der Auswertung der Daten in IDEA den Verdacht, dass eine ganz bestimmte Zollanmeldung nicht korrekt abgegeben worden ist, können sie dazu den gesamten Vorgang anfordern. Da der Prüfer zunächst lediglich die Daten aus der Zollanmeldung zur Verfügung hat, kann er der Ansprechperson im Unternehmen auch nur anhand dieser Daten den Vorgang beschreiben. Beispielsweise könnte er die Nummer der Zollanmeldung nennen (z.B. AT/C/40/1/10/2021/xxxx). Feld 7 der Zollanmeldung (Bezugsnummer) ist allerdings genau für diese Zwecke vorgesehen. Hier kann das Unternehmen eine interne Nummer seiner Wahl angeben, die dazu dient, den Vorgang wieder auffinden zu können. Meist werden hier Rechnungsnummer, Auftragsnummer, Lieferscheinnummer o.Ä. angegeben. Im Folgenden müssen natürlich alle dazugehörigen Unterlagen ebenfalls nach diesem System archiviert werden. Eine Archivierung nach beauftragten Spediteuren ist damit beispielsweise meist ungeeignet. Nicht selten werden die für eine Zollanmeldung relevanten Unterlagen im Unternehmen auch von verschiedenen Abteilungen aufbewahrt. Die Rechnung findet sich in der Finanzbuchhaltung wieder, die Frachtunterlagen in der Logistik, die Zollanmeldung im Einkauf und der Steuerbescheid in der Steuerabteilung. Für Zollprüfungen müssen dann diese einzelnen Unterlagen mühsam wieder zusammengetragen werden.

3.616

Insbesondere wenn sich Unternehmen bei der Erstellung der Zollanmeldung vertreten lassen, wird oft kein geeignetes Referenzmerkmal eingetragen. In vielen Fällen trägt der Spediteur seine eigene Referenznummer in die Zollanmeldung ein. Da allerdings eine direkte Stellvertretung die Regel ist (vgl. Art. 18 UZK), wird die vertretene Person geprüft und muss daher das Auffinden aller Unterlagen ermöglichen. Bei Vertretungsverhältnissen muss bei der Beauftragung deshalb festgelegt werden, welches Referenzmerkmal der Vertreter in Feld 7 einzutragen hat, damit die vertretene Person anhand dessen eine Archivierung vornehmen kann.

1 Vgl. auch Becker/Beckmann, AW-Prax 2014, 172.

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Kapitel 4 Steuerstrafrechtliche Aspekte in der Betriebsprüfung A. Steuerstraftaten I. Begriff des Steuerstrafrechts und Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerhinterziehung 1. Objektiver Tatbestand a) Aktives Tun . . . . . . . . . . . . . . b) Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . c) Taterfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vollendung und Beendigung . 2. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . III. Leichtfertige Steuerverkürzung . . . . . IV. Nichtsteuerliche Straftaten 1. Abgrenzung zu Steuerstraftaten . . 2. Offenbarung nichtsteuerlicher Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Steuerstraftaten als Anknüpfungstaten B. Steuerliche Korrekturen I. Berichtigung von Erklärungen . . . . . II. Strafbefreiende Selbstanzeige . . . . . . 1. Nacherklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Sperrgrund . . . . . . . . . . . . . . 3. Fristgerechte Nachzahlung . . . . . . III. Bußgeldbefreiende Selbstanzeige . . .

4.1 4.3 4.13 4.14 4.20 4.24 4.25 4.26 4.27 4.31 4.32 4.36 4.37 4.39 4.40 4.41

C. Steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren (Überblick) I. Verhältnis zum Besteuerungsverfahren und handelnde Behörden 1. Verhältnis zum Besteuerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständige Behörden . . . . . . . . . . II. Anfangsverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Pflichten des Betriebsprüfers 1. Unterrichtungspflicht . . . . . . . . . . 2. Belehrungspflicht . . . . . . . . . . . . . 3. Unterbrechung der Prüfung . . . . . V. Verstöße gegen die Pflichten 1. Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besteuerungsverfahren . . . . . . . . . VI. Risiken für den Betriebsprüfers 1. Strafbarkeit wegen Strafvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafbarkeit wegen Verfolgung Unschuldiger . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Disziplinarrechtliche Ahndung und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.42 4.46 4.50 4.55 4.58 4.59 4.63 4.64 4.65 4.67 4.68 4.69

Literatur: Brete/Braumann, Verfolgung Unschuldiger nach § 344 StGB durch Betriebsprüfer, Steufaund BuStra-Beamte anhand eines Praxisfalls, NZWiSt 2020, 381; Bülte, Die Strafbarkeit des Amtsträgers wegen Strafvereitelung und Steuerhinterziehung bei Verletzung der Mitteilungspflicht aus § 116 I 1 AO, NStZ 2009, 57; Kemper, Der Anfangsverdacht in der Außenprüfung, StBp 2007, 263; Madauß, Außenprüfung und Steuerstrafverfahren, NZWiSt 2014, 396; Peters, Der strafrechtliche Anfangsverdacht im Steuerrecht, DStR 2015, 2583; Schmid/Ntamadaki, Die abweichende Rechtsauffassung in der Steuererklärung und ihre steuerstrafrechtliche Relevanz in der Betriebsprüfung, DStR 2019, 1713; Schneider, Zur Anzeigepflicht nichtsteuerlicher Straftaten durch Finanzbeamte als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, wistra 2004, 1; Wilke, Die Auswirkungen der tatsächlichen Verständigung im Steuerrecht auf das parallel geführte Steuerstrafverfahren, DStR 2018, 108.

A. Steuerstraftaten I. Begriff des Steuerstrafrechts und Rechtsgut Das Steuerstrafrecht umfasst alle Normen, die Verstöße gegen Steuergesetze als Straftat oder Ordnungswidrigkeit sanktionieren (§§ 369, 377 AO). Der Begriff des Steuerstrafrechts stellt somit allein auf die formale Regelung in einem Steuergesetz ab.1 Zentrale Tatbestände sind die 1 Schaumburg in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 1.1.

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4.1

Kap. 4 Rz. 4.1 | Steuerstrafrechtliche Aspekte in der Betriebsprüfung

Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und die leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO).1 Nach diesen Vorschriften wird bestraft oder mit einem Bußgeld sanktioniert, wer eine steuerliche Erklärungspflicht2 verletzt.3 Damit sind die Steuerhinterziehung und die leichtfertige Steuerverkürzung Erklärungsdelikte. Die reine Nichtzahlung von Steuern ist nicht strafbar.4

4.2

Beide Delikte schützen das staatliche Interesse am rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommen.5 Inhaltlich verweisen sie auf das materielle Steuerrecht. Deshalb zeigt sich erst in einer Gesamtschau mit den steuerlichen Einzelgesetzen, ob ein Verhalten strafbar oder ordnungswidrig ist. Welche Tatsachen „steuerlich erheblich“ sind oder ob eine Erklärung des Steuerpflichtigen im Einzelfall „unvollständig“ oder „unrichtig“ war, lässt sich nur anhand des im Einzelfall zugrunde liegenden materiellen Steuerrechts beantworten.6 Das Strafrecht ist deshalb akzessorisch zum Steuerrecht. Eine steuerliche Pflichtverletzung ist notwendige Bedingung für die Annahme einer Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung.7 Zum Verhältnis zwischen Besteuerungs- u. Strafverfahren vgl. nachstehend Rz. 4.42.

II. Steuerhinterziehung 1. Objektiver Tatbestand a) Aktives Tun

4.3

Der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO kann durch aktives Tun oder durch Unterlassen verwirklicht werden.8

4.4

Eine Steuerhinterziehung durch aktives Tun setzt nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO voraus, dass der Täter gegenüber den Finanzbehörden (§ 6 Abs. 2 AO) oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat.9

4.5

Täter einer Steuerhinterziehung durch aktives Tun kann jedermann sein.10 Insbesondere setzt die Strafbarkeit in der Variante von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO keine besondere Pflichtenstellung voraus. Täter kann sein, wer in der Lage ist, auf die Erhebung, Festsetzung oder Vollstreckung des Steueranspruchs Einfluss zu nehmen. Demnach können neben dem Steuerpflichtigen als (Allein-)Täter (§ 25 Abs. 1 Var. 1 StGB) auch Dritte wegen Steuerhinterziehung strafbar sein, wenn sie als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) oder mittelbare Täter (§ 25 Abs. 1. Var. 2 StGB) anzusehen sind.11

1 Es gibt jedoch insbesondere weitere Bußgeldnormen in steuerlichen Einzelgesetzen, vgl. z.B. § 26a UStG. 2 Z.B. zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Offenlegung von Besteuerungsgrundlagen, § 90 Abs. 1 Satz 2 AO. 3 Heuel/Hilgers-Klautzsch/Peters/Ransiek/Schauf in Kohlmann, § 370 AO. 4 Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 41 unter Hinweis auf §§ 26b, 26c UStG. 5 Str., so jedoch die h.M., vgl. Peters in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 11.5 m.w.N. 6 Adick in Adick/Bülte, Kap. 17 Rz. 11 ff. 7 Hierzu und zu weiteren Folgen der Akzessorietät des Strafrechts vgl. Peters in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 11.21 ff. 8 Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 1. 9 Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 40 ff. 10 Ransiek/Schauf in Kohlmann, § 370 AO Rz. 204. 11 Flore in Flore/Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 32 ff.

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A. Steuerstraftaten | Rz. 4.11 Kap. 4

Tatsachen sind reale, dem Beweise zugängliche äußere oder innere Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart.1 Sie sind daher abzugrenzen von bloßen Rechtsausführungen, die den Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht erfüllen. Für das Steuerstrafrecht ist diese Abgrenzung zuweilen besonders problematisch. Denn insbesondere bei der Abgabe von Steuererklärungen auf den amtlichen Erklärungsvordrucken (§ 150 Abs. 1 AO) ist jeder Eintrag einer Zahl das Ergebnis einer steuerrechtlichen Bewertung.2

4.6

Der Steuerpflichtige darf die für ihn günstigste Rechtsansicht zu Grunde legen.3 Nach der Rechtsprechung steht es dem Steuerpflichtigen zudem frei, einen Sachverhalt steuerlich so zu gestalten, dass er eine möglichst geringe Steuerbelastung auslöst. Insbesondere macht das Motiv, Steuern zu sparen, eine rechtliche Gestaltung noch nicht unangemessen.4 Auch ist niemand verpflichtet, einen Sachverhalt so zu gestalten, dass ein Steueranspruch entsteht.5 Gleichwohl erweisen sich tatsächliche oder rechtliche Gestaltungen häufig als problematisch, die als Scheingeschäfte oder als Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten verstanden werden können.

4.7

Scheingeschäfte i.S.v. Gestaltungen, deren Folgen die Parteien ausschließlich steuerlich, nicht aber zivilrechtlich gelten lassen wollen, sind steuerstrafrechtlich zunächst nicht relevant. Eine Strafbarkeit kommt erst in Betracht, wenn der Steuerpflichtige seiner Erklärung allein das Scheingeschäft zu Grunde legt und das verdeckte Geschäft verschweigt. Beispielhaft ist der zu niedrig beurkundete Kaufpreis für ein Grundstück.

4.8

Strafrechtliche Risiken birgt ferner der Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten. Zwar ist eine Steuergestaltung unbedenklich, die durch Ausübung rechtmäßiger steuerlicher Wahlrechte erfolgt. Auch die Steuerumgehung, die auf einem Missbrauch steuerlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S.v. § 42 Abs. 2 AO beruht, ist nicht per se strafbar. Die Grenze zur strafbaren Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wird aber überschritten, wenn der Steuerpflichtige in seiner Erklärung die Umgehung der Steuer verschleiert, indem er die Finanzbehörde über den Missbrauch in Unkenntnis lässt.

4.9

Um das Risiko strafrechtlicher Vorwürfe insoweit zu reduzieren, empfiehlt es sich in möglichen Zweifelsfällen und insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige eine von der Ansicht der Finanzverwaltung abweichende Rechtsansicht vertritt, den Sachverhalt vollständig und transparent mitzuteilen, um der Finanzbehörde eine eigene Bewertung zu ermöglichen. Wenn die Finanzverwaltung eine andere Rechtsansicht einnimmt, kann Einspruch erhoben und nötigenfalls das Finanzgericht angerufen werden. Nach der Rechtsprechung ist es dem Steuerpflichtigen regelmäßig möglich und auch zumutbar, offene Fragen nach vollständiger und wahrheitsgemäßer Offenlegung im Besteuerungsverfahren zu klären.

4.10

Unrichtig sind Angaben, wenn sie objektiv nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen;6 unvollständig sind sie, wenn bei ansonsten wahrheitsgemäßen Angaben ggf. durch schlüssiges Verhalten der unzutreffende Eindruck erzeugt wird, dass sie vollständig sind.7 In der Praxis kann darüber hinaus die Abgrenzung zwischen dem Machen unvollständiger Angaben und

4.11

Flore in Flore/Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 161. Flore in Flore/Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 130 ff. Flore in Flore/Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 133. BFH v. 16.1.1996 – IX R 13/92, NJW 1996, 2327; BFH v. 9.11.2006 – IV R 21/05, DStRE 2007, 673 (674). 5 Ratschow in Klein15, § 42 AO Rz. 42 m.w.N. 6 Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 41; Flore in Flore/Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 138 f. 7 Flore in Flore/Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 140.

1 2 3 4

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Kap. 4 Rz. 4.11 | Steuerstrafrechtliche Aspekte in der Betriebsprüfung

dem Unterlassen problematisch sein. Die überwiegende Ansicht geht von unvollständigen Angaben aus, wenn der Steuerpflichtige lediglich einzelne Sachverhalte nicht mitteilt. Hingegen geht sie von einem Unterlassen aus, wenn er überhaupt keine Erklärung abgibt. Erklärt der Steuerpflichtige z.B. seine inländischen Einkünfte aus Kapitalvermögen und verschweigt er im Ausland erzielte Kapitaleinkünfte, ist seine Erklärung insoweit unvollständig.1

4.12

Steuerlich erheblich sind Tatsachen, wenn sie zur Ausfüllung eines Besteuerungstatbestandes erforderlich sind. Dies ist grundsätzlich der Fall, wenn sie notwendig sind, um Grund und Höhe des materiellen Steueranspruchs zu bestimmen. Darüber hinaus genügt es, wenn sie für die Finanzbehörde relevant sind, um über den bereits feststehenden Steueranspruch zu disponieren (z.B. ihn zu stunden oder zu vollstrecken).2 b) Unterlassen

4.13

Eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen setzt nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO voraus, dass der Täter die Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen pflichtwidrig in Unkenntnis lässt. In dieser Variante kann Täter nur sein, wen eine besondere Pflicht zur Aufklärung der Finanzbehörde trifft.3 Die Steuergesetze kennen eine Vielzahl von Erklärungs- und Offenbarungspflichten.4 Besonders relevant ist die steuerliche Anzeige- und Berichtigungspflicht aus § 153 AO. Erkennt der Steuerpflichtige – oder eine für ihn handelnde Person – nachträglich, dass steuerliche Erklärungen unrichtig oder unvollständig waren und es hierdurch zu einer Steuerverkürzung gekommen ist oder kommen könnte, hat er dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderlichen Korrekturen vorzunehmen. Eine Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige kann eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung begründen. c) Taterfolg

4.14

Die Steuerhinterziehung ist ein Erfolgsdelikt und setzt den Eintritt einer Steuerverkürzung voraus. Als Taterfolg von § 370 Abs. 1 AO kommen sowohl die Steuerverkürzung als auch die Erlangung eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils in Betracht. Tritt der Erfolg nicht ein, kommt allenfalls ein nach § 370 Abs. 2 AO strafbarer Versuch der Steuerhinterziehung in Betracht.5

4.15

Eine Steuerverkürzung liegt nach § 370 Abs. 4 AO vor, wenn Steuern nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig festgesetzt werden. Damit steht die Vermögensgefährdung im Festsetzungsverfahren dem Vermögensschaden gleich. Eine Steuerhinterziehung ist aber nicht nur im Festsetzungsverfahren möglich, sondern auch im Beitreibungsverfahren. Die Höhe der Steuerverkürzung ergibt sich dann aus einem Vergleich zwischen der Soll- und der Ist-Steuer.6 Dies wirft die Frage auf, zu welchem Zeitpunkt der Vergleich zwischen Soll- und Ist-Steuer anzustellen ist:

4.16

Bei Veranlagungssteuern ist die Steuerhinterziehung durch aktives Tun im Festsetzungsverfahren vollendet, wenn aufgrund unrichtiger Angaben zu niedrige Festsetzungen getroffen und wirksam werden. Da bei Veranlagungssteuern die Festsetzung regelmäßig durch Bescheid 1 2 3 4 5 6

Flore in Flore/Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 142. Vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370 AO Rz. 436 m.w.N. Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 61. Vgl. die Aufzählung bei Graf/Jäger/Wittig2, § 370 AO Rz. 33 ff. oder Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 62. Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 85. Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 80.

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A. Steuerstraftaten | Rz. 4.22 Kap. 4

erfolgt (§§ 155, 157 AO), ist die Tat vollendet, sobald der unrichtige Steuerbescheid dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben wird (§ 124 AO). Im Fall der Steuerhinterziehung durch Unterlassen ist die Tat in dem Zeitpunkt vollendet, indem ein Schätzungsbescheid mit zu niedrigen Festsetzungen bekannt gegeben wird. Ergeht kein Steuerbescheid, ist die Steuerhinterziehung durch Unterlassen erst zu dem Zeitpunkt vollendet, zu dem bei ordnungsgemäßer Abgabe der Steuererklärung auch der unterlassende Täter spätestens veranlagt worden wäre.1 Bei Fälligkeitssteuern, die wie z.B. die Umsatzsteuer (vgl. § 18 Abs. 1, Abs. 3 UStG) als Anmeldungssteuer ausgestaltet sind, kommt es auf die Steueranmeldung (vgl. § 150 Abs. 1 Satz 3 AO) an, bei der der Steuerpflichtige die Steuer selbst zu berechnen hat. Liegt die Steueranmeldung zum Fälligkeitszeitpunkt nicht vor, ist eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gegeben.

4.17

Der Begriff des Steuervorteils ist nicht gesetzlich definiert. Nach § 370 Abs. 4 S. 2 AO stellen jedenfalls Steuervergütungen, die auf Grund eines steuerrechtlich erheblichen Verhaltens zu Unrecht gewährt oder belassen wurden, Steuervorteile dar. Als Steuervorteile kommt insbesondere die Erstattung von Vorsteuern in Betracht. Daneben können aber auch verfahrensrechtliche Vergünstigungen wie die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Fristverlängerung zur Abgabe der Steuererklärung oder die Stundung einer Steuer tatbestandsmäßig sein.2

4.18

Nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO ist unerheblich, ob die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können. Dieses sog. Kompensationsverbot soll sicherstellen, dass der Strafrichter nicht den gesamten Steuerfall darauf nachprüfen muss, ob sich nicht eventuell aus bisher nicht berücksichtigten Umständen eine Steuerermäßigung ergibt, die den durch die Hinterziehung erzielten Vorteil wieder egalisiert.3

4.19

d) Vollendung und Beendigung Die Vollendung ist abhängig davon, ob die Steuerstraftat sich auf eine Veranlagungssteuer oder eine Fälligkeitssteuer bezieht.

4.20

Bei Veranlagungssteuern ist die Steuerhinterziehung durch aktives Tun im Festsetzungsverfahren vollendet, wenn aufgrund unrichtiger Angaben zu niedrige Festsetzungen getroffen und wirksam werden.4 Die Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist in dem Zeitpunkt vollendet, indem ein Schätzungsbescheid mit zu niedrigen Festsetzungen bekannt gegeben wird. Ergeht kein Steuerbescheid, z.B. weil der Steuerpflichtige dem Finanzamt nicht bekannt ist, ist die Steuerhinterziehung durch Unterlassen erst zu dem Zeitpunkt vollendet, zu dem bei ordnungsgemäßer Abgabe der Steuererklärung auch der unterlassende Täter spätestens veranlagt worden wäre.5

4.21

Bei Fälligkeitssteuern kommt es, jedenfalls wenn sie (wie die Umsatzsteuer) als Anmeldesteuern ausgestaltet sind, auf die Fälligkeit der Steueranmeldung an. Mit Ablauf der Frist ist die Steuerhinterziehung durch Unterlassen vollendet. Wird die Steueranmeldung mit unrichtigem

4.22

1 2 3 4 5

BGH v. 28.10.1998 – 5 StR 500/98, wistra 1999, 385. Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 120 ff. Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 130. Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 90. Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 91.

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Kap. 4 Rz. 4.22 | Steuerstrafrechtliche Aspekte in der Betriebsprüfung

Inhalt abgegeben, liegt eine Steuerhinterziehung durch aktives Tun vor. Führt die unrichtige Anmeldung zu einem Erstattungsanspruch, ist die Tat erst mit Zustimmung der Finanzbehörde vollendet.1

4.23

Von der Vollendung zu unterscheiden ist die Beendigung der Tat. Durch die Beendigung wird das tatbestandsmäßige Unrecht tatsächlich abgeschlossen. Sie ist insbesondere relevant für den Beginn der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung relevant, die nach §§ 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 78a StGB mit der Beendigung beginnt. Ferner kann nach der Beendigung keine Beihilfe (§ 27 StGB) mehr geleistet werden.

2. Subjektiver Tatbestand 4.24

Die Steuerhinterziehung setzt vorsätzliches Handeln voraus (§ 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 15 StGB). Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehört, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will.2 Hieraus folgt, dass bedingter Vorsatz genügt und die Schwelle zum strafrechtlichen Vorwurf relativ niedrig liegt. Die Folgen von Fehlvorstellungen über die Reichweite steuerlicher Normen sind nicht völlig geklärt. Es bedarf sorgfältiger Prüfung im Einzelfall, ob ein den Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB) oder ein Verbotsirrtum (§ 17 StGB) vorliegt, der den Vorsatz nicht berührt. Insoweit sei an dieser Stelle auf die vertiefende strafrechtliche Literatur verwiesen.3

III. Leichtfertige Steuerverkürzung 4.25

Wegen leichtfertiger Steuerverkürzung wird bestraft, wer eine der Tathandlungen der Steuerhinterziehung leichtfertig begeht. Damit dient § 378 AO als Auffangtatbestand für die Fälle, in denen ein Vorsatz zur Steuerhinterziehung nicht nachgewiesen werden kann.4 Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falles und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm aufdrängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird. Der BFH nimmt Leichtfertigkeit an, wenn der Täter nach den Gegebenheiten des Einzelfalls und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den Pflichten zu genügen, die sich aus den anwendbaren Steuergesetzen im konkreten Fall ergeben.5 Dies schließt eine Pflicht ein, sich über diejenigen steuerlichen Pflichten zu informieren, die den Steuerpflichtigen in seinem Lebenskreis treffen (Erkundigungspflicht). Insbesondere gilt dies in Bezug auf solche steuerrechtlichen Pflichten, die aus der Ausübung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Tätigkeit erwachsen. Bei einem Kaufmann sind deshalb jedenfalls bei Rechtsgeschäften, die zu seiner kaufmännischen Tätigkeit gehören, höhere Anforderungen an die Erkundigungspflichten zu stellen als bei anderen Steuerpflichtigen. In Zweifelsfällen hat er von sachkundiger Seite Rat einzuholen.6

1 Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 106. 2 Ständige Rechtsprechung, vgl. BGH v. 24.1.2018 – 1 StR 331/17 m.w.N. 3 Peters in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht2, Rz. 11.32; Jäger in Klein15, § 370 AO Rz. 174 m.w.N. 4 Jäger in Klein15, § 378 AO Rz. 1. 5 BFH v. 29.10.2013 – VIII R 27/10, DStR 2013, 2694. 6 BGH v. 17.12.2014 – 1 StR 324/14; Jäger in Klein15, § 378 AO Rz. 23 m.w.N.

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A. Steuerstraftaten | Rz. 4.31 Kap. 4

IV. Nichtsteuerliche Straftaten 1. Abgrenzung zu Steuerstraftaten Im Deliktsumfeld von Steuerstraftaten treten regelmäßig andere Delikte auf. Zu denken ist insbesondere an Betrugsstraftaten (§§ 263, 264 StGB), an Untreue (§ 266 StGB), Vorenthalten von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB), an Buchführungs- und Bilanzdelikte (§§ 331 ff. HGB) sowie an Korruptions- (§§ 299 ff. StGB) oder Insolvenzdelikte (§ 15a InsO). Oftmals führen erst die Erkenntnismöglichkeiten der Finanzbehörden zur Aufdeckung solcher Sachverhalte. Ungeachtet eines sachlichen Zusammenhangs zu steuerlichen Pflichtverletzungen handelt es sich bei den genannten Delikten jedoch nicht um Steuerstraftaten. Diese klare Abgrenzung ist schon deshalb wichtig, weil für Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten teilweise andere Verfahrensregeln als für Wirtschaftsstraftaten gelten (insbes. Zuständigkeit von Ermittlungsbehörden).

4.26

2. Offenbarung nichtsteuerlicher Straftaten Für die steuerliche Betriebsprüfung ist zu beachten, dass die Offenbarungsbefugnisse des Prüfers hinsichtlich nichtsteuerlicher Straftaten durch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) begrenzt sind. Insbesondere besteht keine allgemeine Mitteilungspflicht aus der Betriebsprüfung heraus. Hierdurch soll die rechtliche Konfliktlage entschärft werden, die sich einerseits aus dem Fortbestehen steuerlicher Erklärungspflichten auch bei deliktischer Herkunft von Einnahmen1 (z.B. aus Bestechungs- oder Betrugsdelikten) und andererseits aus dem Verbot des Zwangs zur Selbstbelastung („nemo tenetur se ipsum accusare“) ergibt.

4.27

Relativ unproblematisch ist die Offenbarung von Tatsachen zur Durchführung eines Besteuerungsoder Strafverfahrens nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO. Die Offenbarung durch den Betriebsprüfer ist zulässig, wenn die Tatsachen eine Prüfung der Merkmale einer Steuerstraftat ermöglichen, erleichtern oder auf eine festere Grundlage stellen können, also ein unmittelbarer funktionaler Zusammenhang zwischen der Offenbarung und der Verfahrensdurchführung besteht.2

4.28

Schwieriger ist die Offenbarung von Tatsachen zur Verfolgung einer nicht steuerlichen Straftat. Nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a AO ist die Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten zulässig, soweit sie der Durchführung eines Strafverfahrens wegen einer nichtsteuerlichen Straftat dient und die Kenntnisse in einem Verfahren wegen einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit erlangt worden sind. Damit ist die Offenbarung von Tatsachen, die in der Betriebsprüfung zu Tage getreten sind und auf eine nichtsteuerliche Straftat hindeuten, grundsätzlich unzulässig.

4.29

Uneingeschränkt offenbart werden dürfen nach § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. b AO lediglich Tatsachen, die ohne Bestehen einer steuerlichen Verpflichtung oder unter Verzicht auf ein Auskunftsverweigerungsrecht erlangt worden sind.

4.30

V. Steuerstraftaten als Anknüpfungstaten Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten haben als sog. Anknüpfungsdelikte für Sanktionen gegen Verbände erhebliche Bedeutung gewonnen. Nach geltendem Recht können sich Verbände zwar nicht selbst strafbar machen. Bei rechtswidrigen Handlungen ihrer Orga1 In der Steuererklärung muss zwar die deliktische Herkunft nicht angegeben werden, die Einnahmen müssen jedoch betragsmäßig zutreffend erfasst werden. Vgl. BGH v. 2.12.2005 – 5 StR 119/ 05, NJW 2006, 925. 2 Pflaum in MünchKomm. StPO, § 30 AO Rz. 18.

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4.31

Kap. 4 Rz. 4.31 | Steuerstrafrechtliche Aspekte in der Betriebsprüfung

ne und Leitungspersonen kann jedoch ein Bußgeld (§ 30 OWiG) verhängt oder eine Einziehung von Vermögenswerten (§ 73 StGB) angeordnet werden. Nach dem Regierungsentwurf für ein Verbandssanktionsgesetz (VerSanG) ist die Steuerhinterziehung eine taugliche Verbandsstraftat (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E).

B. Steuerliche Korrekturen I. Berichtigung von Erklärungen 4.32

Aus § 153 AO ergibt sich eine Anzeige- und Korrekturpflicht für den Fall, dass der Steuerpflichtige nachträglich erkennt, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Steuererklärung unrichtig oder unvollständig ist und es hierdurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist.1 Die Anzeige ist der Finanzbehörde unverzüglich zu erstatten. Unverzüglich bedeutet hierbei ebenso wie im Zivilrecht „ohne schuldhaftes Zögern“, so dass – je nach Komplexität des Falles – einige Tage oder Wochen nach Kenntniserlangung als ausreichend anzusehen sind.2 Auf die anschließende Korrekturpflicht bezieht sich die Unverzüglichkeit nicht.

4.33

Die Anzeige- und Korrekturpflicht besteht nicht, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Steuererklärung bereits bei Abgabe kannte; in diesem Fall dolosen Verhaltens kommt eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung in Betracht und steht ggf. der Weg der Selbstanzeige offen. Zu bedenken ist jedoch, dass der BGH eine steuerliche Anzeigeund Korrekturpflicht auch für den Fall annimmt, dass der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit bei der Abgabe der Erklärung lediglich für möglich hielt und erst später positive Kenntnis erlangte.3 Diese Rechtsprechung ist erheblich kritisiert worden, weil sie letztlich zu einer Rechtspflicht führt, eine bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung zu offenbaren.4 Gleichwohl ist die Finanzverwaltung der Rechtsprechung gefolgt, so dass eine steuerliche Anzeige- und Korrekturpflicht nach herrschender Ansicht auch im Fall eines zuvor bestehenden Eventualvorsatzes anzunehmen ist.5

4.34

Eine Verletzung der Pflicht aus § 153 AO kann als Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 371 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar sein.6

4.35

In der Praxis werden Anzeigen nach § 153 AO von den Finanzbehörden nicht selten in Selbstanzeigen nach § 371 AO umgedeutet, weil mit dem Eingang einer Korrekturanzeige oftmals ein Anfangsverdacht der Steuerhinterziehung bejaht wird. Dieser zunehmenden Kriminalisierung steuerlicher Korrekturen ist das BMF zwar durch einen Anwendungserlass zu § 153 AO entgegengetreten. Insbesondere hat es ausgeführt, dass nicht jede objektive Unrichtigkeit den Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nahelegt.7 Gleichwohl wird wegen der mit einer „aufgedrängten Selbstanzeige“ verbundenen Risiken weiterhin zurecht empfohlen, auch die Anzeige nach § 153 AO vorsorglich an den strengeren Anforderungen des § 371 AO auszurichten.8 Flore in Flore/Tsambikakis2, § 370 AO Rz. 168 ff. Vgl. Jehke/Dreher, DStR 2012, 2467 (2470). BGH v.17.3.2009 – 1 StR 479/08, NJW 2009, 1984 (1986). Hellmann in HHSp, § 370 AO Rz. 95; Wulf, PStR 2009, 190 ff. Vgl. BMF, Schr. v. 23.5.2016 – IV A 3 - S 0324/15/1001, dort Ziff. 2 unter Hinweis auf AEAO zu § 153, Nr. 2.6. 6 Rätke in Klein15, § 153 AO Rz. 21. 7 BMF, Schr. v. 23.5.2016 – IV A 3 - S 0324/15/10014, dort Ziff. 2.5. 8 Vgl. auch Neuling, DStR 2015, 558 (562); Beyer, NZWiSt 2016, 234 (235).

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B. Steuerliche Korrekturen | Rz. 4.40 Kap. 4

II. Strafbefreiende Selbstanzeige Die Selbstanzeige ist ein persönlicher Strafaufhebungsgrund1 und führt zum nachträglichen Wegfall der Strafbarkeit. Demnach ist § 371 AO eine strafrechtliche Ausnahmeregel und nach der Rechtsprechung des BGH eng auszulegen.2

4.36

1. Nacherklärung Nach § 371 Abs. 1 Satz 1 AO wird wegen Steuerstraftaten nach § 370 AO nicht bestraft, wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt (Nacherklärung). Nach § 371 Abs. 1 Satz 2 AO müssen die Angaben zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen. Die Nacherklärung muss in diesem Sinne vollständig sein; andernfalls ist sie als sog. Teilselbstanzeige nicht geeignet, strafbefreiende Wirkung zu entfalten.3

4.37

Weil die Selbstanzeige ein persönlicher Strafaufhebungsgrund ist, wirkt sie ausschließlich für den, der sie erstattet. Dies können neben dem Täter auch Anstifter oder Gehilfen sein. Die Selbstanzeige eines Dritten führt jedoch nicht zur Straffreiheit. Wollen alle Betroffenen sicher Straffreiheit erlangen, sind zeitlich und inhaltlich koordinierte Selbstanzeigen erforderlich.4

4.38

2. Kein Sperrgrund In § 371 Abs. 2 AO sind mehrere Sperrgründe geregelt, bei deren Vorliegen die Selbstanzeige keine strafbefreiende – ggf. jedoch strafmildernde – Wirkung hat. Im Überblick:

4.39

– Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung i.S.v. § 196 AO; – Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens; – ein Amtsträger war zur steuerlichen Prüfung, zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit bereits erschienen; – ein Amtsträger war zu einer steuerlichen Nachschau nach § 27b UStG oder § 42g EStG oder nach anderen Vorschriften erschienen und hat sich ausgewiesen; – die Steuerstraftat war bereits entdeckt und der Steuerpflichtige wusste dies oder musste bei verständiger Würdigung damit rechnen; – die verkürzte Steuer oder erlangter Steuervorteil übersteigen den Betrag von 25.000 €.

3. Fristgerechte Nachzahlung Sind Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt, so tritt nach § 371 Abs. 3 Satz 1 AO für den an der Tat Beteiligten Straffreiheit nur ein, wenn er die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und die Zinsen nach § 233a AO innerhalb einer ihm von dem Finanzamt bestimmten angemessenen Frist entrichtet. 1 2 3 4

Jäger in Klein15, § 371 AO Rz. 6. Jäger in Klein15, § 371 AO Rz. 3 ff. Wessing in Flore/Tsambikakis2, § 371 AO Rz. 73. Schauf in Kohlmann, § 371 AO Rz. 65.4.

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4.40

Kap. 4 Rz. 4.41 | Steuerstrafrechtliche Aspekte in der Betriebsprüfung

III. Bußgeldbefreiende Selbstanzeige 4.41

Für die bußgeldbefreiende Selbstanzeige gilt nach § 378 Abs. 3 AO, dass der Täter ebenfalls eine Berichtigungserklärung abgeben muss. Im Übrigen sind die Voraussetzungen deutlich niedriger. Insbesondere gilt das Vollständigkeitsgebot nicht. Sperrwirkung entfaltet nur die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens. Daher kann eine bußgeldbefreiende Selbstanzeige auch noch in die laufende Betriebsprüfung hinein abgegeben werden.

C. Steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren (Überblick) I. Verhältnis zum Besteuerungsverfahren und handelnde Behörden 1. Verhältnis zum Besteuerungsverfahren 4.42

Das Steuerstrafverfahren ist davon bestimmt, dass zwei Verfahren parallel geführt werden. Das jeweils geführte Besteuerungs- und das Strafverfahren stehen unabhängig und gleichrangig nebeneinander (Nr. 16 AStBV).1 Dabei unterliegen sie jedoch völlig unterschiedlichen Prinzipien und Verfahrensregeln.

4.43

Die Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde richten sich im Besteuerungs- und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften (§ 393 Abs. 1 Satz 1 AO). Während der Beschuldigte im Strafverfahren das elementare Recht hat, sich nicht selbst belasten zu müssen und schweigen darf (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO),2 ist das Besteuerungsverfahren durch zahlreiche Mitwirkungspflichten gegenüber den Finanzbehörden gekennzeichnet (vgl. §§ 90, 200 Abs. 1 und Abs. 2 AO).3 Lediglich Zwangsmittel sind unzulässig, wenn dies zu einer Selbstbelastung führen würde (§ 393 Abs. 2 Satz 2 AO). Die Regelung ist erforderlich, um den mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ zu schützen.4

4.44

Das Verbot von Zwangsmitteln umfasst indes ausschließlich die in § 328 AO genannten Mittel des Zwangsgelds, der Ersatzvornahme sowie des unmittelbaren Zwangs. Nicht tangiert werden die Möglichkeiten der Finanzbehörde, in Einspruchsverfahren eine Ausschlussfrist für die Angabe von Tatsachen zu setzen (§ 364b AO),5 zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung aufzufordern (§ 284 AO)6 oder die Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 AO zu schätzen.7 Zwar darf die Finanzbehörde keine Strafschätzung vornehmen, indem sie aus Anlass der Nichterfüllung steuerlicher Mitwirkungspflichten bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt.8 Die Rechtsprechung sieht es jedoch als zulässig an, in entsprechenden Fällen den oberen Rahmen einer Schätzung zu wählen.9 1 BFH v. 9.3.2011 – X B 153/10, BFH/NV 2011, 965; Jäger in Klein15, § 393 AO Rz. 1; Grimsel in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 4 Rz. 62. 2 Vgl. zur verfassungsrechtlichen Bedeutung Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 17. 3 Nickolai in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 26 Rz. 102; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 15. 4 Bülte in Graf/Jäger/Wittig2, § 393 AO Rz. 2 m.w.N. 5 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 70. 6 BFH v. 16.7.2001 – VII B 203/00, BFH/NV 2002, 305; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 71. 7 Pflaum in MünchKomm. StPO, § 393 AO Rz. 22. 8 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 68; Grimsel in Adick/Bülte, Fiskalstrafrecht2, Kap. 4 Rz. 63. 9 BFH v. 20.12.2000 – I R 50/00, BStBl. II 2001, 381, DStR 2001, 847.

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C. Steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren (Überblick) | Rz. 4.49 Kap. 4

Von der Einleitung des Strafverfahrens unberührt bleibt auch die steuerrechtliche Pflicht zur Abgabe richtiger Steuererklärungen.1 Für denselben Zeitraum, für den ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, ist die strafbewehrte Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen suspendiert, wenn sich der Steuerpflichtige nicht auf rechtmäßigem Wege (Rücktritt oder Selbstanzeige) aus seiner rechtlichen Konfliktlage befreien kann.2 Für nicht vom Ermittlungsverfahren betroffene Besteuerungszeiträume bestehen die Erklärungspflichten unter Strafbewehrung auch dann fort, wenn ein inhaltlicher Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren besteht. In keinem Fall berechtigt der Nemo-tenetur-Grundsatz zur Abgabe einer inhaltlich falschen Steuererklärung.3

4.45

2. Zuständige Behörden Das Ermittlungsverfahren in Steuerstrafsachen liegt weitgehend in der Hand der Finanzbehörden.4

4.46

Die Finanzbehörde ermittelt bei Verdacht einer Steuerstraftat den Sachverhalt (§ 386 Abs. 1 Satz 1 AO). Stellt die Tat ausschließlich eine Steuerstraftat dar, führt die Finanzbehörde – die Straf- und Bußgeldsachenstelle (StraBu bzw. BuStra5) – das Ermittlungsverfahren mit den Befugnissen der Staatsanwaltschaft durch („Steuerstaatsanwaltschaft“), § 386 Abs. 2 Nr. 1, § 399 Abs. 1 AO.6 Damit ist die Finanzbehörde nach dem Legalitätsprinzip (§ 152 StPO) verpflichtet, bei Vorliegen eines Anfangsverdachtes einzuschreiten, den Sachverhalt zu ermitteln und alle zulässigen Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet und erforderlich sind, die Straftat aufzuklären. Die StraBu bzw. BuStra ist Herrin des Ermittlungsverfahrens und kann der Steuerfahndung Anweisungen erteilen.

4.47

Die Staatsanwaltschaft kann das Verfahren jederzeit an sich zu ziehen (sog. Evokation), § 386 Abs. 4 Satz 2 AO. Ebenso kann die Finanzbehörde die Sache jederzeit an die Staatsanwaltschaft abgeben, § 386 Abs. 4 AO. In bestimmten Konstellationen ist sie zur frühzeitigen Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft verpflichtet, damit diese über eine mögliche Evokation entscheiden kann.7

4.48

Die Steuerfahndung ist für die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten zuständig (§ 208 Abs. 1 Nr. 1 AO), was sie an die Regeln der StPO bindet. Ferner hat sie die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln (§ 208 Abs. 1 Nr. 2 AO), wobei sie ihr Handeln auf die Befugnisse der AO stützen kann. Beide Aufgaben werden in der Regel von denselben Beamten durchgeführt. Die Steuerfahndung muss dabei jeweils prüfen, welche Befugnisse ihr im Einzelfall zur Verfügung stehen. Insbesondere darf sie die Befugnisnormen nicht beliebig aus den Verfahrensordnungen entnehmen. Generell kritisch sind die sog. „Kombiprüfungen“ und der Einsatz von Steuerfahndern für den sog. „Flankenschutz“ zu sehen. Dabei wird auf den Effekt der Überraschung und des Zufalls gesetzt. Die Aufgabe eines Flankenschutzfahnders ist es, unklare Sachverhalte zu ermitteln und aufzuklären – er wird auch als Sachverhaltsermittler bezeichnet. Allerdings ermittelt er verdachtsunabhängig. Die Finanzverwaltung hält

4.49

1 Vgl. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 109. 2 Nickolai in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 26 Rz. 111. 3 Bülte in Graf/Jäger/Wittig2, § 393 AO Rz. 43; Nickolai in Wabnitz/Janovsky/Schmitt5, Kap. 26 Rz. 104. 4 Jäger in Klein15, § 386 AO Rz. 1. 5 Hierbei handelt es sich um besondere Abteilungen der Finanzämter. 6 Vgl. auch Quedenfeld/Füllsack Rz. 151. 7 BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180; Nr. 22 Abs. 2 AStBV (St) 2020.

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Kap. 4 Rz. 4.49 | Steuerstrafrechtliche Aspekte in der Betriebsprüfung

dieses Prüfkonzept für rechtens. Steuerfahnder könnten auf Ersuchen des Finanzamts bereits im steuerlichen Ermittlungsverfahren tätig werden.1 Dieses Vorgehen ist hoch problematisch. Die Steuerfahndung benötigt eine Rechtsgrundlage, wenn sie im Besteuerungsverfahren ermitteln will. Der Verweis auf § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 1 AO überzeugt für den Flankenschutz jedoch nicht. Er führt zu einer Vermischung beider Verfahren, die ebenso unzulässig ist wie ein „Rosinenpicken“ aus den Ermächtigungsnormen der Steuerfahndung. Auch für die Wahl des Rechtsweges ist eine deutliche Unterscheidung wichtig. Keinesfalls dürfen sog. Flankenschutzfahnder ohne richterliche Durchsuchungsanordnung – zusammen mit Finanzbeamten – Wohnungen betreten oder verdeckt ermitteln, wenn bereits der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat besteht.2

II. Anfangsverdacht 4.50

Ein Strafverfahren darf nicht anlasslos eingeleitet werden. Erforderlich, aber auch ausreichend, ist ein sog. Anfangsverdacht. Durch diese rechtliche Mindestschwelle soll der Bürger vor ungerechtfertigten bzw. willkürlichen Eingriffen in seine Rechte geschützt werden. Andererseits soll für die zuständigen staatlichen Stellen geregelt sein, wann sie zum Einschreiten verpflichtet sind. Der Rechtsbegriff des Anfangsverdachts ist im Gesetz nicht definiert. Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, für den ein Beurteilungsspielraum besteht.

4.51

In § 152 StPO – der über § 385 AO für das Steuerstrafverfahren gilt – wird der Anfangsverdacht mit dem Vorliegen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte umschrieben. Dies bedeutet, dass bereits die Einleitung von Ermittlungen konkrete Tatsachen erfordert. Allein die Möglichkeit, dass es zu einer Steuerverkürzung gekommen ist, begründet keinen Anfangsverdacht. Insbesondere sind Ermittlungen „ins Blaue hinein“ unzulässig. Erst recht dürfen Ermittlungen nicht reiner Ausforschung dienen. Auf der anderen Seite dürfen Behörden und Gerichte jedoch „kriminalistische Erfahrungen“ – bisweilen wird auch etwas reißerisch vom „fahnderischen Gespür“ gesprochen – ergänzend berücksichtigen.3 Insgesamt wird ein Anfangsverdacht bejaht, wenn „nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit besteht, dass eine verfolgbare Straftat vorliegt“. Die Annahme eines Anfangsverdachts ist – ebenso wie der Realakt der Einleitung von Ermittlungen4 – nicht isoliert anfechtbar. Denkbar ist allenfalls, den Anfangsverdacht inzident durch eine Beschwerde gegen konkrete Ermittlungshandlungen (z.B. Anordnung von Durchsuchungen oder Beschlagnahmen) zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen.

4.52

Wird ein Anfangsverdacht bejaht, müssen die in § 397 Abs. 1 AO genannten Stellen nach dem Legalitätsprinzip wegen aller verfolgbaren Steuerstraftaten einschreiten und zur Aufklärung des Verdachts den Sachverhalt erforschen (§ 160 Abs. 1 StPO). Das Legalitätsprinzip erfordert sogar ein unverzügliches Tätigwerden, damit der Schwebezustand zwischen Verdacht und Gewissheit über die Berechtigung des Schuldvorwurfs möglichst bald beendet wird (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Nr. 5 RiStBV und Nr. 6 AStBV).

4.53

Bereits der Anfangsverdacht legitimiert schwerwiegende Grundrechtseingriffe. Insbesondere dürfen Durchsuchungen von Privatwohnungen und Geschäftsrumen sowie Beschlagnahmen von Unterlagen und Dateien oder vermögenssichernde Maßnahmen (z.B. Kontenpfändungen etc.) angeordnet werden. 1 2 3 4

Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 97. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 98. Vgl. hierzu Madauß, NZWiSt 2014, 296 (297). Peters, DStR 2015, 2583 (2584).

496 | Adick

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C. Steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren (Überblick) | Rz. 4.58 Kap. 4

Der Übergang einer steuerlichen Betriebsprüfung in ein Steuerstrafverfahren ist daher sensibel und hochgradig konfliktanfällig. Es kommt vor, dass seitens der Finanzbehörde falsche Schlüsse aus den vorgefundenen Sachverhalten gezogen werden. Diese können zu einer Eskalation und dem Eindruck führen, die Finanzverwaltung gehe ohne Anfangsverdacht und mit unverhältnismäßigen Maßnahmen gegen unbescholtene Steuerpflichtige vor. Andererseits wird bisweilen auch bei einem eindeutig bestehendem Anfangsverdacht weiter nur steuerlich geprüft wird, was zu einer Umgehung von strafprozessualen Beschuldigtenrechten führt.1

4.54

III. Einleitung Nach § 397 Abs. 1 AO ist das Steuerstrafverfahren eingeleitet, sobald die Finanzbehörde eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen. Es handelt sich hierbei um einen reinen Realakt. Grundsätzlich kann die Einleitung auch durch den Betriebsprüfer erfolgen.2 Sein Handeln muss dann jedoch erkennbar darauf abzielen, gegen die betreffende Person strafrechtlich vorzugehen. Entscheidend ist, wie sich das Handeln nach außen darstellt, die innere Zielsetzung des Amtsträgers ist unerheblich.3

4.55

Die Abgrenzung ist im Einzelfall schwierig, weil viele in einer Betriebsprüfung denkbare Handlungen äußerlich neutral sind (z.B. Fragen zu bestimmten Buchungsposten etc.). Aus der Sicht eines außenstehenden objektiven Dritten lässt sich jedoch folgende Vermutung aufstellen: Handelt das für die Besteuerung zuständige Finanzamt, liegt regelmäßig eine Maßnahme der Steuerfestsetzung und -erhebung vor. Dazu gehört auch die Betriebsprüfung. Handelt demgegenüber die Steuerfahndung, ist trotz ihrer Doppelaufgabe im Zweifel davon auszugehen, dass sie zur Strafverfolgung tätig wird. Demnach leitet das Finanzamt durch Ermittlungsmaßnahmen ein Steuerstrafverfahren nach § 397 AO nur ein, wenn es ausdrücklich darauf hinweist, dass die Ermittlungen der Verfolgung von Steuerstraftaten dienen. Dies gilt auch für Maßnahmen der Betriebsprüfung.4

4.56

Die Einleitung ist nach § 397 Abs. 2 AO unter Angabe des Zeitpunkts unverzüglich in den Akten zu vermerken. Dieser Aktenvermerk ist jedoch rein deklaratorisch und nicht konstitutiv. Er dient der Beweissicherung.5 Als innerbehördliche Maßnahme kommt der Einleitung bzw. dem Vermerk grundsätzlich keine Außenwirkung zu. Der Beschuldigte erfährt ggf. erst deutlich später, dass ein Steuerstrafverfahren gegen ihn geführt wird. Eine Mitteilung an ihn erfolgt erst, wenn er dazu aufgefordert wird, Tatsachen vorzutragen oder Unterlagen vorzulegen, die im Zusammenhang mit der vorgeworfenen Straftat stehen (§ 397 Abs. 3 AO). Bereits vorher können jedoch Ermittlungshandlungen mit Außenwirkung (z.B. Auskunftsersuchen an Banken) ergriffen werden. Die stigmatisierende Wirkung solcher Ermittlungshandlungen und aus ihr folgende wirtschaftliche Konsequenzen (z.B. Zweifel an der Bonität) können erheblich sein.

4.57

IV. Pflichten des Betriebsprüfers 1. Unterrichtungspflicht Ergibt sich während einer Betriebsprüfung ein Anfangsverdacht für eine Steuerstraftat, so ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BpO 2002 die für die Bearbeitung dieser Straftat zuständige Stelle unver1 2 3 4 5

Vgl. Kemper, StBp 2007, 263, 264. Jäger in Klein15, § 397 AO Rz. 20. Jäger in Klein15, § 397 AO Rz. 20. Seer in Tipke/Kruse, § 397 AO Rz. 16; Jäger in Joecks/Jäger/Randt8, § 397 AO Rz. 99. Seer in Tipke/Kruse, § 397 AO Rz. 23; Muhler in Müller-Gugenberger7, Steuerstrafsachen, Rz. 15.2.

Adick | 497

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4.58

Kap. 4 Rz. 4.58 | Steuerstrafrechtliche Aspekte in der Betriebsprüfung

züglich zu unterrichten. Dies gilt nach Satz 2 auch dann, wenn lediglich die Möglichkeit besteht, dass ein Strafverfahren durchgeführt werden muss. Hieraus folgt eine Rechtspflicht des Prüfers, die funktionell zuständige Finanzbehörde (i.d.R. die Straf- und Bußgeldsachenstelle) zu unterrichten. Ein eigenes Ermessen steht ihm insoweit nicht zu. Unverzüglich bedeutet dabei ohne schuldhaftes Zögern i.S.v. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB. In der Literatur wird dem Betriebsprüfer empfohlen, in Zweifelsfällen formlos mit der Strafsachenstelle Kontakt aufzunehmen.1 Aus Sicht des Steuerpflichtigen ist ein solcher Austausch zwischen Betriebsprüfung und Strafsachenstelle allerdings nicht unproblematisch, weil er zu einer ggf. nicht durch einen Anfangsverdacht legitimierten Befassung durch die Strafsachenstelle führt und im Zweifel nicht dokumentiert wird.

2. Belehrungspflicht 4.59

Nach § 393 Abs. 1 Satz 4 AO ist der Steuerpflichtige über den Inhalt von § 393 Abs. 1 Satz 1 bis 3 AO zu belehren, soweit dazu Anlass besteht. Dieser Anlass setzt keinen strafprozessualen Anfangsverdacht voraus. Ausreichend ist vielmehr, dass aufgrund besonderer Anhaltspunkte oder allgemeiner Erfahrungen die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommt.2 Eine formularmäßige Belehrung durch Übergabe eines Merkblatts zu Beginn der Prüfung reicht schon deshalb nicht aus, weil sie dann nicht bei Anlass erfolgt. Spätestens ist jedoch bei Einleitung des Steuerstrafverfahrens zu belehren bzw. ist die Belehrung zu wiederholen.3

4.60

Inhaltlich ist der Steuerpflichtige über den gesamten Wortlaut von § 393 Abs. 1 AO zu belehren. Dies umfasst die Eigenständigkeit der Verfahren, den Fortbestand der steuerlichen Mitwirkungspflichten und das Verbot der Zwangsmittelanwendung sowie die Möglichkeit, die Mitwirkung zu verweigern. Soweit die Belehrungspflicht in § 10 Abs. 1 Satz 4 BpO 2002 enger gefasst, kommt es in der Praxis mangels rechtlicher Konsequenzen eines Verstoßes hierauf nicht an.4

4.61

Bisweilen wird der Hinweis auf eine mögliche strafrechtliche Relevanz von Prüfungsfeststellungen erst in der Schlussbesprechung nach § 201 Abs. 2 AO erteilt. Die Motive hierfür reichen von der Sorge, das Prüfungsklima vermeintlich unnötig zu belasten bis hin zu dem Kalkül, die sprudelnde Erkenntnisquelle nicht versiegen lassen zu wollen. In aller Regel liegt hierin ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 393 Abs. 1 AO. Zu den Rechtsfolgen vgl. nachstehend Rz. 4.65. In § 10 Abs. 1 Satz. 5 BpO 2002 finden sich genauere Angaben zur Art der Belehrung, wenn während einer Betriebsprüfung zureichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat entdeckt werden. Danach ist die Vornahme der Belehrung unter Angabe von Datum und Uhrzeit aktenkundig zu machen und auf Verlangen des Steuerpflichtigen schriftlich zu bestätigen.

4.62

Eine weitere, zeitlich später greifende Hinweispflicht ergibt sich aus § 201 Abs. 2 AO für die Schlussbesprechung. Besteht die Möglichkeit, dass auf Grund der Prüfungsfeststellungen ein Straf- oder Bußgeldverfahren durchgeführt werden muss, soll der Steuerpflichtige darauf hingewiesen werden, dass die straf- oder bußgeldrechtliche Würdigung einem besonderen Verfahren vorbehalten bleibt. Nach zutreffender Ansicht „muss“ der Hinweis erteilt werden, wenn die Voraussetzungen vorliegen; das Ermessen ist auf Null reduziert. § 201 Abs. 2 AO bezieht sich jedoch nur auf Erkenntnisse, die während der Schlussbesprechung erlangt werden. 1 2 3 4

Hendricks/Wedel in Gosch, § 201 AO Rz. 47. Bülte in Graf/Jäger/Wittig2, § 393 AO Rz. 28. Bülte in Graf/Jäger/Wittig2, § 393 AO Rz. 28. Bülte in Graf/Jäger/Wittig2, § 393 AO Rz. 30; Pflaum in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht5, 21. Kap. Rz. 194.

498 | Adick

2021-10-28, 13:08, HB mittel

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C. Steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren (Überblick) | Rz. 4.64 Kap. 4

Deshalb kann der Hinweis eigentlich nicht zu Beginn der Prüfung erteilt werden. Ist dies der Fall, spricht vieles dafür, dass die Erkenntnisse tatsächlich bereits während der Prüfung erlangt wurden, was weitere Pflichten ausgelöst hätte. Der Hinweis ist nach § 11 Abs. 2 BpO 2002 aktenkundig zu machen. Weder durch den Hinweis nach § 201 Abs. 2 AO noch durch die zeitlich nachfolgende Fertigung des sog. Rotberichts wird das Verfahren bereits eingeleitet.1

3. Unterbrechung der Prüfung Besteht ein Anfangsverdacht gegen den Steuerpflichtigen, ist die Betriebsprüfung nach § 10 Abs. 1 Satz 4 BpO 2002 hinsichtlich des Sachverhaltes zu unterbrechen, auf den sich der Verdacht bezieht. In der Praxis wird die Betriebsprüfung häufig vollständig unterbrochen, bis die Einleitung des Strafverfahrens bekannt gegeben worden ist. Diese Vorgehensweise ist im Interesse einer transparenten und eindeutigen Verfahrensführung vorzugswürdig. Denn oftmals ist in diesem frühen Stadium nicht sicher abzusehen, welche Bestandteile eines Lebenssachverhaltes so miteinander verknüpft sind, dass sie strafrechtlich als prozessuale Tat i.S.d. § 264 StPO anzusehen sind.2 Im Ergebnis dient es alles Verfahrensbeteiligten, mögliche Rechtsverletzungen des Steuerpflichtigen auszuschließen. Konkret bestünde die Gefahr, dass der Steuerpflichtige aktiv weitere Tatsachen zu dem Sachverhalt offenbart, die den gegen ihn bestehenden Verdacht i.S. einer Mosaiktheorie wenigstens mittelbar „als Teilstück in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäude“ erhärten.3

4.63

V. Verstöße gegen die Pflichten 1. Strafverfahren Im Strafverfahren entfalten die in § 393 Abs. 1 AO statuierten Hinweispflichten vor allem deshalb Bedeutung, weil der Beschuldigte durch das Steuerrecht verpflichtet wird, Angaben zu machen. Im Besteuerungsverfahren und insbesondere auch im Rahmen von Betriebsprüfungen besteht nach §§ 193 ff. AO u.a. die Pflicht, umfassende und wahrheitsgemäße Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen zu machen. Dies gilt im Besteuerungsverfahren auch dann, wenn sich der Beschuldigte dadurch selbst belastet. Daher führt ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 393 Abs. 1 Satz 4 AO im Strafverfahren zu einem Verwertungsverbot der unmittelbar hierdurch erlangten Informationen.4 Der BGH leitet dies aus dem Schutz des Persönlichkeitsrechts sowie dem Grundsatz des fairen Verfahrens ab.5 Etwas anderes gilt jedoch für Spontanäußerungen sowie dann, wenn der Beschuldigte sein Schweigerecht im Zeitpunkt der gemachten Angaben kannte.6 Zweifel über die Rechtzeitigkeit der Belehrung gehen zulasten der Finanzbehörde.7 Im Strafverfahren muss der verteidigte Angeklagte nach der vom BGH entwickelten sog. Widerspruchslösung der Verwertung seiner Angaben bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt widersprechen. Gleiches gilt für einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht über das Zwangsmittelverbot.8 1 2 3 4 5 6 7 8

Hendricks/Wedel in Gosch, § 201 AO Rz. 50 m.w.N. Grimsel in Adick/Bülte, Kap. 4 Rz. 88; Ebner in Graf/Jäger/Wittig, § 10 BpO 2002 Rz. 4. Vgl. Ebner in Graf/Jäger/Wittig2, § 10 BpO 2002 Rz. 4 m.w.N. BGH v. 16.6.2005 – Az. 5 StR 118/05, NJW 2005, 2723, 2725; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385 AO Rz. 205 sowie § 393 Rz. 158; Lindemann in Hüls/Reichling2. BGH v. 16.6.2005 – Az.5 StR 118/05, NJW 2005, 2723, 2725; Bülte in Graf/Jäger/Wittig2, § 393 AO Rz. 35. Bülte in Graf/Jäger/Wittig2, § 393 AO Rz. 35 m.w.N. Bülte in Graf/Jäger/Wittig2, § 393 AO Rz. 36. Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 164.

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4.64

Kap. 4 Rz. 4.65 | Steuerstrafrechtliche Aspekte in der Betriebsprüfung

2. Besteuerungsverfahren 4.65

Im Besteuerungsverfahren besteht nach der Rechtsprechung des BFH kein allgemeines Verwertungsverbot für Tatsachen, die unter Verletzung steuerlicher Verfahrensvorschriften ermittelt wurden. Begründet wird dies damit, dass es der steuerlichen Gleichbehandlung widerspräche, Feststellungen nur deswegen nicht der Besteuerung zugrunde zu legen, weil in früheren Stadien Verfahrensfehler gemacht wurden, während bei Steuerehrlichen alle Feststellungen uneingeschränkt der Besteuerung zugrunde gelegt werden. Hierdurch würden die unredlichen Steuerpflichtigen gegenüber den ehrlichen Steuerpflichtigen privilegiert.1

4.66

Ob die o.g. strafrechtlichen Verwertungsverbote auf das Besteuerungsverfahren durchschlagen, ist bisher nicht vollständig geklärt. Die überwiegende Ansicht in der Literatur will § 136a StPO auch im Besteuerungsverfahren direkt oder analog anwenden. Zur Begründung wird u.a. angeführt, die Norm sichere ein allgemeines Rechtsprinzip, demzufolge niemand gezwungen werden dürfe, sich selbst zu belasten.2 Die Rechtsprechung hat über die Anwendbarkeit von § 136a StPO im Besteuerungsverfahren bisher nicht entschieden. Für Verstöße gegen die Belehrungspflicht nach § 393 Abs. 1 Satz 4 AO oder die Unterbrechungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 3 BpO 2002 hat der BFH ein steuerliches Verwertungsverbot indes bereits mehrfach abgelehnt; hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerden hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen.3 Insgesamt kommt ein steuerliches Verwertungsverbot somit nur in Ausnahmefällen in Betracht. Jedenfalls ist ein steuerliches Verwertungsverbot anzunehmen, wenn eine Täuschung i.S.v. § 136a StPO vorliegt. Aussagen, die unter Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip erlangt wurden, sind in der gesamten Rechtsordnung unverwertbar. Lässt der Betriebsprüfer den Steuerpflichtigen also bewusst unbelehrt, in der Hoffnung, kausal durch dessen Irrtum Informationen zur weiteren Ermittlung des Steuersachverhalts zu erhalten, liegt eine Täuschung und damit ein steuerverfahrensrechtliches Beweisverwertungsverbot vor.4

VI. Risiken für den Betriebsprüfers 1. Strafbarkeit wegen Strafvereitelung 4.67

Eine Strafbarkeit kommt u.a. dann in Betracht, wenn der Betriebsprüfer seine aus § 378 AO folgende Pflicht verletzt, an der Verfolgung von Steuerstraftaten mitzuwirken. Wie vorstehend dargestellt, sind die nicht einer Steuerfahndungsstelle bzw. einer Straf- und Bußgeldsachenstelle angehörigen Beamten der Finanzbehörde bei dem Verdacht u.a. einer Steuerstraftat (zumindest) zur unverzüglichen Unterrichtung der Steuerfahndung bzw. der Straf- und Bußgeldsachenstelle verpflichtet, wenn sie nicht selbst das Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat einleiten.5 Werden entgegen dieser Verpflichtung keine Ermittlungen aufgenommen bzw. der Sachverhalt nicht unverzüglich der Straf- und Bußgeldsachenstelle bzw. der Steuerfahndung zur Überprüfung zugeleitet, so kann dies den Tatbestand einer Strafvereitelung bzw. einer Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen begründen. Nach § 258a Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechts1 Peters in Schaumburg/Peters, Int. Steuerstrafrecht2, Rz. 6.43; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 169. 2 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393 AO Rz. 167 m.w.N. 3 BFH, Urt. v. 23.1.2002 – XI R 10, 11/01, BFHE 198, 7 m.w.N. 4 Ebenso Bülte in Graf/Jäger/Wittig2, § 393 AO Rz. 40 m.w.N. 5 LG Stuttgart, Beschl. v. 24.3.2020 – 61 Ns 142 Js 114222/16, jurisPR-SteuerR 47/2020; zur Garantenpflicht aus § 13 StGB vgl. auch Bülte, NStZ 2009, 57.

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C. Steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren (Überblick) | Rz. 4.69 Kap. 4

widrigen Tat bestraft wird. Wird die Tat im Amt begangen, verschiebt sich der Strafrahmen nach § 258a StGB auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Problematisch kann insbesondere ein Verhalten sein, in dem der Betriebsprüfer es unterlässt, in dem gebotenen Zeitpunkt die Strafsachenstelle oder Steuerfahndung zu informieren. In einem jüngst durch das LG Stuttgart entschiedenen Fall hatte sich der Betriebsprüfer trotz Vorliegen der Voraussetzungen eines Anfangsverdachts entschieden, statt eines „roten“ Berichts einen „grünen“ Bericht zu verfassen. Das LG Stuttgart verglich dieses Verhalten mit dem eines Zeugen, der trotz Aussagepflicht nicht nur schweigt, sondern lügt. In der Praxis führt dieses Risiko nicht selten dazu, dass Betriebsprüfer aus Eigenschutz vor strafrechtlichen Vorwürfen auch Fälle an die Strafsachenstelle geben, die sich ggf. am untersten Ende eines Anfangsverdachts bewegen. Dies ist insoweit verständlich, als das Risiko eines entsprechendes Ermittlungsverfahrens nach in der Literatur vertretener Ansicht wie eine Art Damoklesschwert über allen Betriebsprüfungen schweben soll.1

2. Strafbarkeit wegen Verfolgung Unschuldiger In der Praxis kommt es vor, dass steuerstrafrechtliche Vorwürfe erhoben werden, um die Einigungsbereitschaft des Steuerpflichtigen zu fördern. Das Ermittlungsverfahren dient dann nur vorgeblich einem gesetzesmäßigen Zweck und ist in Wahrheit ein Druckmittel. Wie vorstehend dargestellt, ist der Begriff des Anfangsverdachts nach § 152 Abs. 2 StPO unbestimmt. Er ist deshalb leicht zu konstruieren. Nach § 344 Abs. 1 Satz 1 StGB wird bestraft, wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren berufen ist, absichtlich oder wissentlich einen Unschuldigen strafrechtlich verfolgt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt. Eine strafrechtliche Verfolgung dürfte durch den Betriebsprüfer in der Regel ausscheiden, weil er nicht im Rahmen eines Strafverfahrens ermittelt.2 Anders könnte sich dies jedoch nach hier vertretener Auffassung darstellen, wenn er im Rahmen einer Kombiprüfung im Auftrag der Straf- und Bußgeldsachenstelle oder der Steuerfahndung tätig wird und für Zwecke des Strafverfahrens steuerliche Sachverhaltsfeststellungen trifft. Ein Hinwirken auf eine Verfolgung ist ggf. leichter möglich, etwa indem der Betriebsprüfer in Kenntnis eines fehlenden Anfangsverdachts die Steuerfahndung oder Strafsachenstelle zur Einleitung veranlasst.3

4.68

3. Disziplinarrechtliche Ahndung und Haftung Ungeachtet einer möglichen Strafbarkeit können Pflichtverletzungen durch den Betriebsprüfer zu einer Ahndung nach dem jeweils geltenden Disziplinarrecht sowie zu Ersatzansprüchen des Steuerpflichtigen nach § 839 BGB führen. Die Verpflichtung des Betriebsprüfers, die Besteuerungsgrundlagen nur unter den Voraussetzungen des Gesetzes und im Rahmen des gesetzlich Zulässigen festzustellen, stellt eine Amtspflicht auch gegenüber dem Steuerpflichtigen dar.4

1 Kemper, StBp 2007, 263, 268. 2 Vgl. Brete/Braumann, NZWiSt 2020, 381 (382). 3 Brete/Braumann, NZWiSt 2020, 381 (383) halten dies für „eine theoretische Möglichkeit, die in der Praxis nicht vorkommen dürfte oder sich jedenfalls nicht beweisen lassen wird.“ 4 Vgl. BGH, Beschl. v. 26.6.1986 – III ZR 191/85, NJW 1987, 434.

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Kapitel 5 Kassenführung A. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtliche Grundlagen I. Entwicklung der Kassenvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. BMF-Schreiben v. 9.1.1996 . . . . . . III. BMF-Schreiben v. 16.7.2001 (GDPdU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. BMF-Schreiben v. 26.11.2010 . . . . V. BMF-Schreiben v. 14.11.2014 (GoBD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Kassengesetz vom 22.12.2016 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Änderung des § 146 AO: Einzelaufzeichnungspflicht a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . c) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . d) Handlungsempfehlung . . . . 3. Einführung des § 146a AO a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich aa) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . bb) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . c) Zertifizierte Sicherheitseinrichtung nach § 146a Abs. 1 und 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . d) Belegausgabepflicht nach § 146a Abs. 2 AO . . . . . . . . . e) Mitteilungspflicht nach § 146a Abs. 4 AO . . . . . . . . . f) Folgen bei Nichtbeachtung . g) Handlungsempfehlung . . . . 4. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Chronologie der Kassenvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Aufzeichnungsebenen I. Primärebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sekundäre Summenebene . . . . . . . III. Finale Summenebene . . . . . . . . . . . IV. Steuererklärung . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . D. Kassenarten I. Freie Wahl der Kasse . . . . . . . . . . . II. Offene Ladenkasse . . . . . . . . . . . . .

5.1

5.4 5.6 5.9 5.10 5.11 5.12 5.13 5.15 5.19 5.26 5.28 5.29 5.30 5.31 5.35 5.40 5.43 5.46 5.48 5.49 5.50 5.52 5.54 5.56 5.58 5.60 5.61

III. Elektronische Kassensysteme 1. Funktionsweise . . . . . . . . . . . . . 2. Arten von Kassensystemen a) ECR-Kasse analog . . . . . . . . b) ECR-Kasse digital . . . . . . . . c) PC-Kasse . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zulässigkeit der Verwendung . . . . V. Verwendung von mehreren Kassen und Kassenwechsel . . . . . . . . . . . . . E. Besonderheiten bei der Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG I. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelaufzeichnungspflicht . . . . . . III. Belegaufbewahrungspflicht . . . . . . F. Prüfungsansätze der Betriebsprüfung I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unterlagenanforderung . . . . . . . . . III. Kassenbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Tagesendsummenbons . . . . . . . . . . V. Datenbank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verfahrensdokumentation . . . . . . . VII. Kassenbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Geldtransit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Kassenfehlbeträge . . . . . . . . . . . . . . X. Kassensturzfähigkeit . . . . . . . . . . . XI. Testbonierung . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Sonstige Systemprüfungen 1. Kellnerprogrammierung . . . . . . 2. Stornierungseinstellungen . . . . XIII. Warengruppenbericht . . . . . . . . . . XIV. Sonstige Berichte . . . . . . . . . . . . . . XV. Innerer Betriebsvergleich . . . . . . . .

5.64 5.67 5.69 5.72 5.75 5.77

5.80 5.83 5.89

5.94 5.95 5.99 5.103 5.106 5.113 5.116 5.120 5.121 5.126 5.130 5.132 5.134 5.135 5.139 5.143

G. Kassenmängel I. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.145 II. Arten 1. Formelle Mängel a) Schwere formelle Mängel aa) Verschiedene Kassenformen . . . . . . . . . . . . . 5.148 bb) Offene Ladenkasse ohne Vorliegen von Einzeldaten

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Kap. 5 Rz. 5.1 | Kassenführung cc) ECR-Kasse ohne Einzeldatenspeicherung dd) ECR-Kasse bzw. PCKasse mit Einzeldatenspeicherung ee) Allgemeine schwere formelle Mängel b) Leichte formelle Mängel . . . 5.150 c) Formell ordnungsgemäße Buch- und Kassenführung . 5.151

III.

H. I. II.

2. Materielle Mängel a) Schwere materielle Mängel . b) Leichte materielle Mängel . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . Rechtsfolgen 1. Steuerliche Auswirkungen . . . . 2. Strafrechtliche Auswirkungen . Handlungsempfehlung Bei Mandatsübernahme bzw. Betriebseröffnung . . . . . . . . . . . . . Während einer Betriebsprüfung .

5.153 5.155 5.156 5.158 5.162

5.165 5.169

Literatur: Achilles, Einzelaufzeichnungspflicht: Theorie und Praxis im Licht des AEAO zu § 146, DB 2018, 2454; Adomat, Das ordnungsgemäße Kassenbuch – eine große Herausforderung, Beilage zu NWB 51/2014, 3, 7; Henn, Verfahrensdokumentation nach den GoBD, DB 2016, 254; Henn, GoBD-Zweifelsfragen: Erfassung in Grundbüchern oder Grundaufzeichnungen sowie zeitgerechte Buchungen und Aufzeichnungen, DB 2015, 2660–2665; Henn/Kuballa, Streitpunkt: Unveränderbarkeit von (elektronischen) Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen, DB 2016, 2749–2755; Hennigfeld, Folgen fehlender Dokumentation der Kassenprogrammierung, DB 2018, 2465; Kamps, Streit um Schätzung, Verprobung und Kassenbuchführung insbesondere bei bargeldintensiven Geschäftsbranchen in der Betriebsprüfung, Stbg 2017, 201; Klingebiel, Ordnungsgemäße Kassenführung und sachliche Richtigkeit der Buchführung, NWB 2008, 384; Krumm, Rechtsfragen der digitalen Betriebsprüfung (Summarische Risikoprüfung), DB 2017, 1105; Kuhni, Bareinnahmen – die Betriebsprüfung bei bargeldintensiven Betrieben, juris Lexikon Steuerrecht; Moritz, Anforderungen an die Aufzeichnung bei Gewinnermittlung durch EinnahmenÜberschuss-Rechnung und Verwendung einer offenen Ladenkasse – Zulässigkeit einer Quantilschätzung, DB 2017, 1936; Peters, Aus der digitalen Betriebsprüfung: Datenzugriff und Verfahrensdokumentation, DB 2018, 2846; Schlegel, Kassenaufzeichnungsmängel bei der Einnahmenüberschussrechnung; Skalecki, Ordnungsmäßige Kassenführung bei Mehrfilialbetrieb mit proprietärem Kassensystem, NWB direkt 2018, 878; Teutemacher, Das leidige Thema der Verfahrensdokumentation – Wie kann die Prüfbarkeit des DV-Verfahrens sichergestellt werden?, NWB Datenbank; Teutemacher, Ordnungsgemäße Kassenführung bei der Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG, IWW Datenbank v. 12.1.2016.

A. Hintergrund 5.1

Die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ist Gegenstand jeder Betriebsprüfung. Im Bereich von Klein- und Mittelbetrieben, die den Großteil ihres Umsatzes im Bargeldbereich erwirtschaften, steht die Kassenführung der Steuerpflichtigen besonders im Fokus. Neben dem weiten Feld der Gastronomie (typischerweise genannt werden Bäcker, Metzger und Wirte) ist dies beispielsweise auch bei Friseuren, Kioskbetreibern oder Apotheken der Fall.

5.2

Vermutete Einnahmeverkürzungen in Milliardenhöhe1 und das hohe Betrugspotential im Bargeldbetrieb haben dazu geführt, dass der Kassenführung für die Frage der Ordnungsmäßigkeit der gesamten Buchführung eine erhebliche Bedeutung zukommt. Für die Betriebsprüfung handelt es sich somit stets um einen zwingenden Prüfungsschwerpunkt.

5.3

Aus Sicht des Steuerberaters ist es demnach unerlässlich, die Grundsätze der Präventiv- als auch der Abwehrberatung zu kennen, um den möglichen Feststellungen einer Betriebsprüfung effektiv entgegentreten zu können. 1 Vgl. BT-Drucks. 18/10667 v. 14.12.2016, S. 2.

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B. Rechtliche Grundlagen | Rz. 5.10 Kap. 5

B. Rechtliche Grundlagen I. Entwicklung der Kassenvorschriften Aufgrund der stetig fortschreitenden Digitalisierung und dem zunehmenden Datenverkehr ergaben sich für den Gesetzgeber und die Steuerverwaltung die Notwendigkeit, die bestehenden rechtlichen Grundlagen anzupassen. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Kassenführung ergeben sich nicht nur aus den Steuergesetzen, sondern unterliegen, u.a. abhängig von der jeweiligen Branche oder der Gesellschaftsform, zahlreichen weiteren Vorschriften.

5.4

Ungeachtet dessen ergeben sich die wesentlichen Regelungen aber aus den Steuergesetzen. Die steuerrechtlichen Vorgaben haben sich in den zurückliegenden Jahren dabei ständig weiterentwickelt, so dass sich je nach Prüfungszeitraum unterschiedliche Anforderungen an eine ordnungsgemäße Kassenführung ergeben.

5.5

II. BMF-Schreiben v. 9.1.1996 Das BMF-Schreiben v. 9.1.19961 erlaubte beim Einsatz elektronischer Registrierkassen unter bestimmten Voraussetzungen den Verzicht auf die Aufbewahrung von Kassenstreifen. Offene Ladenkassen waren von diesem Schreiben nicht betroffen.

5.6

Die grundsätzlich bestehende Einzelaufzeichnungspflicht, d.h. die einzelne Aufzeichnung jedes Geschäftsvorfalls war entbehrlich, sofern insbesondere folgende Voraussetzungen erfüllt waren:

5.7

– Aufbewahrung sämtlicher Organisationsunterlagen – Aufbewahrung aller tatsächlich erstellten Einzelrechnungen – Aufbewahrung aller Tagesendsummenbons – Sonstige Ausdrucke der Kasse. Das bedeutet, eine digitale Prüfung der elektronischen Registrierkasse war laut diesem Schreiben zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vorgesehen.

5.8

III. BMF-Schreiben v. 16.7.2001 (GDPdU) Gemäß dem BMF-Schreiben v. 16.7.20012 traten die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU) zum 1.1.2002 in Kraft. Sie enthielten Regeln zur Aufbewahrung digitaler Unterlagen, zum Datenzugriffsrecht der Betriebsprüfung nach § 147 Abs. 6 AO und zur Mitwirkungspflicht der Steuerpflichtigen bei Betriebsprüfungen.

5.9

IV. BMF-Schreiben v. 26.11.2010 Das BMF-Schreiben vom 9.1.1996 wurde durch das BMF-Schreiben v. 26.11.20103 abgelöst. Inhalt des Schreibens war die Aufbewahrung digitaler Unterlagen bei Bargeschäften. Diese mussten jederzeit verfügbar, unverzüglich lesbar sowie maschinell auslesbar sein. Damit wurde eine vollständige und unveränderte Speicherung der steuerlich relevanten Einzeldaten vorgeschrieben 1 BMF v. 9.1.1996 – IV A 8 - S 0310 - 5/95, BStBl. I 1996, 34. 2 BMF v. 16.7.2001 – IV D 2 - S 0316 - 136/01, BStBl. I 2001, 415. 3 BMF v. 26.11.2010 – IV A 4 - S 0316/08/10004-07, BStBl. I 2010, 1342.

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5.10

Kap. 5 Rz. 5.10 | Kassenführung

und folglich eine digitale Prüfung der Kasse ermöglicht. Festgelegt wurde dabei aber eine Übergangsregelung, gemäß der für nicht aufrüstbare Kassen nur das BMF-Schreiben v. 9.1.1996 (siehe Rz. 5.6 ff.) gelten sollte. Die Übergangsregelung galt bis zum Ablauf des 31.12.2016.

V. BMF-Schreiben v. 14.11.2014 (GoBD) 5.11

Gemäß BMF-Schreiben v. 14.11.20141 traten die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) zum 1.1.2015 in Kraft. Sie lösten damit die GDPdU vom 16.7.2001 (siehe Rz. 5.9) ab. Bezüglich der Einzelheiten wird auf Rz. 2.65 ff. verwiesen.

VI. Kassengesetz vom 22.12.2016 1. Überblick 5.12

Das am 22.12.2016 beschlossene Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen2 (sog. „Kassengesetz“) trat am 29.12.2016 in Kraft. Im Rahmen dieses Gesetzes wurden § 146 Abs. 1 AO geändert sowie die §§ 146a und 146b AO neu in die Abgabenordnung eingefügt. Bezüglich § 146b AO wird auf Rz. 3.325 ff. verwiesen.

2. Änderung des § 146 AO: Einzelaufzeichnungspflicht a) Grundsatz

5.13

Im Zuge der Neufassung des § 146 Abs. 1 AO wurde insbesondere die Einzelaufzeichnungspflicht gesetzlich festgehalten. So besteht nach § 146 Abs. 1 Satz 1 AO nunmehr grundsätzlich für alle Steuerpflichtigen die Einzelaufzeichnungspflicht, und zwar unabhängig von der Art der Gewinnermittlung und des verwendeten Kassensystems.3 Einzelaufzeichnungspflicht bedeutet, dass aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfälle (Betriebseinnahmen und -ausgaben, Einlagen und Entnahmen) laufend zu erfassen, einzeln festzuhalten sowie aufzuzeichnen und aufzubewahren sind, so dass sich die einzelnen Geschäftsvorfälle in ihrer Entstehung und Abwicklung von einem sachverständigen Dritten verfolgen lassen können. Erfasst werden müssen demnach grundsätzlich der Name und die Anschrift des Vertragspartners, der Inhalt des Geschäfts, die verkaufte Menge und der Preis inkl. Preisminderungen, der Umsatzsteuersatz und- betrag, die Zahlungsart sowie die Angabe von Datum und Uhrzeit. In der Regel ist jede Ware einzeln zu bezeichnen, wobei die Bildung von Warengruppen mit gleichen Waren und demselben Einzelpreis zulässig ist.4 Die Aufzeichnungen sind dabei grundsätzlich täglich festzuhalten, ausnahmsweise erst am nächsten Geschäftstag, wenn zwingende geschäftliche Gründe dies erfordern und aus den Aufzeichnungen und Unterlagen sicher entnommen werden kann, wie sich der sollmäßige Kassenbestand entwickelt hat.5

5.14

Fällt das verwendete elektronische Aufzeichnungssystem vorübergehend aus, ist für diese Zeit eine Aufzeichnung auf Papier zulässig. Die Ausfallzeit muss dabei dokumentiert und durch Nachweise (z.B. durch eine Rechnung über die Reparaturleistung) belegt werden.6 1 2 3 4 5 6

BMF v. 14.11.2014 – IV A 4 - S 0316/13/10003, BStBl. I 2014, 1450. BGBl. I 2016, 3152. AEAO zu § 146 AO Rz. 2.1.1, 2.1.4 und 2.1.7. Achilles, DB 2018, 2454 (2455). AEAO zu § 146 AO Rz. 3.4. AEAO zu § 146 AO Rz. 2.1.6.

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B. Rechtliche Grundlagen | Rz. 5.21 Kap. 5

b) Ausnahmen Im Fall von Unzumutbarkeit ist gem. § 146 Abs. 1 Satz 3 AO eine Ausnahme vom Grundsatz der Einzelaufzeichnungspflicht möglich. Eine solche Pflicht ist gem. § 146 Abs. 1 Satz 3 AO nicht zumutbar, wenn es technisch, betriebswirtschaftlich und praktisch unmöglich ist, die einzelnen Geschäftsvorfälle aufzuzeichnen.1 Dies ist insbesondere beim Verkauf von Waren oder Erbringung von vergleichbaren Kleindienstleistungen an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung der Fall.2

5.15

Diese Ausnahme gilt dabei jedoch ausschließlich bei der Verwendung einer offenen Ladenkasse. Wird ein elektronisches Aufzeichnungssystem verwendet, ist zwingend eine Einzelaufzeichnung vorzunehmen, unabhängig davon, ob das verwendete System eine Einzelaufzeichnung ermöglicht oder die gesetzlichen Anforderungen nach § 146 Abs. 3 AO erfüllt.

5.16

Bei der Benutzung von elektronischen Aufzeichnungssystemen müssen diese grundsätzlich zur Aufzeichnung sämtlicher Erlöse verwendet werden. Existiert ein räumlich oder organisatorisch abgrenzbarer Bereich, ist für diesen aber auch die Verwendung einer offenen Ladenkasse zulässig, soweit eine Erfassung über das vorhandene elektronische Aufzeichnungssystem aus technischen Gründen oder aus Zumutbarkeitserwägungen nicht möglich ist3 (s. auch weitere Ausführungen unter Rz. 5.77 ff.)

5.17

Um Rechtssicherheit darüber zu erlangen, ob eine Ausnahme von der Einzelaufzeichnungspflicht vorliegt, empfiehlt es sich, im Zweifel einen entsprechenden Antrag auf Erleichterung nach § 148 AO zu stellen. Eine darauffolgende Genehmigung kann gem. § 148 Satz 2 AO auch rückwirkend erteilt werden.4

5.18

c) Beispiele Um aus Beratersicht einschätzen zu können, ob eine Ausnahme von der Einzelaufzeichnungspflicht vorliegen kann, werden im Folgenden einige Beispiele erläutert:

5.19

Bäcker/Metzger/Kiosk/Eisdiele: Hierbei handelt es sich um typische Anwendungsfälle der Ausnahmeregelung. Trotz eines Dienstleistungscharakters in Form der Bedienung ist hier in der Regel von einem Warenverkauf auszugehen, bei dem aufgrund der Vielzahl der Kunden deren Identität eine nur untergeordnete Rolle spielt. Unerheblich ist, ob dem Steuerpflichtigen die Kunden namentlich bekannt sind. Die Unzumutbarkeit ergibt sich dabei beispielsweise aus dem (zeitweise) großen Kundenandrang, den geringen Individualisierungsmöglichkeiten der verkauften Waren und einer kurzen Abwicklungsdauer der einzelnen Geschäftsvorfälle. Werden einzelne Rechnungen erstellt (z.B. für Hochzeiten oder Betriebsveranstaltungen), müssen diese aber zwingend einzeln erfasst und aufbewahrt werden. Bei der Verwendung eines Wiegesystems ist zu beachten, dass es sich um ein elektronisches Aufzeichnungssystem handeln kann, das die Einzelaufzeichnungspflicht nach sich zieht.

5.20

Friseur: Im Falle eines Friseurs kommt es auf das Geschäftsmodell an. Handelt es sich um Laufkundschaft, die ohne vorherige Terminvereinbarung betreut wird, kann eine Ausnahme gegeben sein. Andernfalls besteht die Einzelaufzeichnungspflicht.

5.21

1 2 3 4

BFH v. 12.5.1966 – IV 472/60, BFHE 86, 118 Rz. 16. BFH v. 12.7.2017 – X B 16/17, BFHE 257, 523 Rz. 96. AEAO zu § 146 AO Rz. 2.2.3. Achilles, DB 2018, 2454 (2460).

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Kap. 5 Rz. 5.22 | Kassenführung

5.22

Gastronomie: Die im Bereich der Gastronomie verbreiteten Bierdeckel oder Strichlisten stellen Einzelaufzeichnungen dar. Unabhängig von der Frage der Aufbewahrung ist die Anfertigung von Einzelaufzeichnungen damit technisch und praktisch möglich. Es besteht demnach eine Einzelaufzeichnungspflicht, wobei allerdings auf die Erfassung der Identität der Kunden verzichtet werden kann.

5.23

Kfz-Werkstatt: Der Inhaber benutzt einen fortlaufend nummerierten Durchschreibe-Quittungsblock, wobei die Durchschrift aufbewahrt wird. Am Ende des Tages werden die Beträge zusammengerechnet. Es liegen Einzelaufzeichnungen vor, es fehlt bereits an der Unzumutbarkeit der Einzelaufzeichnungspflicht.

5.24

Physiotherapiepraxis: Behandlungen erfolgen nur nach vorheriger Terminvereinbarung. Es werden Eintragungen im Terminkalender mit dem Namen des Patienten und der durchgeführten Behandlung vorgenommen. Die Preise werden einzeln notiert oder ergeben sich aus der Preisliste. Da eine Aufzeichnung der einzelnen Geschäftsvorfälle tatsächlich bereits vorgenommen wird, ist die Einzelaufzeichnungspflicht auch zumutbar.

5.25

Rechtsanwaltskanzlei: Es werden täglich an mehrere Mandanten juristische Ratschläge erteilt, das Entgelt wird in der Folge bar vereinnahmt. Bei der individuellen juristischen Beratung liegt bereits keine Kleindienstleistung mehr vor, zudem fehlt es an der Vielzahl an Kunden. Der Rechtsanwalt unterliegt demnach der Einzelaufzeichnungspflicht.

d) Handlungsempfehlung

5.26

Wird ein elektronisches Aufzeichnungssystem verwendet, besteht zwingend eine Einzelaufzeichnungspflicht. Eine Nichtbeachtung führt zur Verwerfung der Buchhaltung und damit zur Schätzungsbefugnis des Finanzamts. Aus Beratersicht ist demnach unbedingt auf ihre Einhaltung zu achten.

5.27

Auch bei der Verwendung einer offenen Ladenkasse besteht grundsätzlich die Pflicht zur Einzelaufzeichnung. Aus diesem Grund ist stets zu überlegen, ob eine Befreiung aufgrund von Unzumutbarkeit in Frage kommt. Ist dies der Fall, sollte zur Sicherheit ein Antrag auf Befreiung nach § 148 AO gestellt werden. Im Falle der Bewilligung kann damit auch der mögliche Streit im Rahmen einer Betriebsprüfung vermieden werden.

3. Einführung des § 146a AO a) Überblick

5.28

Der neu geschaffene § 146a AO präzisiert § 146 AO betreffend die gesetzlichen Anforderungen an elektronische Aufzeichnungssysteme. Damit soll sichergestellt werden, dass alle Geschäftsvorgänge lückenlos erfasst und nicht nachträglich manipuliert werden können. b) Anwendungsbereich aa) Sachlicher Anwendungsbereich

5.29

Nach § 146a Abs. 3 AO i.V.m. § 1 der Verordnung zur Bestimmung der technischen Anforderungen an elektronische Aufzeichnungs- und Sicherungssysteme im Geschäftsverkehr (Kassensicherungsverordnung – KassenSichV) handelt es sich bei elektronischen oder computergestützten Kassensystemen oder Registrierkassen um elektronische Aufzeichnungssysteme i.S.v. § 146a Abs. 1 AO. Fahrscheinautomaten, Fahrscheindrucker, elektronische Buchhal508 | Brenner

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B. Rechtliche Grundlagen | Rz. 5.34 Kap. 5

tungsprogramme, Waren- und Dienstleistungsautomaten, Geldautomaten, Taxameter und Wegstreckenzähler sowie Geld- und Warenspielgeräte gehören nicht dazu. bb) Zeitlicher Anwendungsbereich Gemäß Art. 97 § 30 EGAO gilt § 146a AO erstmals für Kalenderjahre, die nach dem 31.12.2019 beginnen. Eine Ausnahme gibt es aber für solche Registrierkassen, die nach dem 25.11.2010 und vor dem 1.1.2020 angeschafft wurden. Sofern diese Kassen die Anforderungen des BMF-Schreibens vom 26.11.2010 (s. Rz. 5.10) erfüllen und bauartbedingt nicht entsprechend den Anforderungen des § 146a AO aufrüstbar sind, dürfen sie bis zum 31.12.2022 weiterverwendet werden.1

5.30

c) Zertifizierte Sicherheitseinrichtung nach § 146a Abs. 1 und 3 AO Gemäß § 146a Abs. 1 AO ist jedes eingesetzte elektronische Aufzeichnungssystem durch eine sog. zertifizierte Sicherheitseinrichtung (TSE) zu schützen. Diese besteht aus einem Sicherheitsmodul, einem Speichermedium und einer digitalen Schnittstelle.

5.31

Das Sicherheitsmodul muss nach § 2 KassenSichV die sichere Protokollierung aller Vorgänge gewährleisten.2 Damit soll sichergestellt werden, dass die protokollierten einzelnen digitalen Grundaufzeichnungen anschließend nicht mehr manipuliert werden können. Das Speichermedium soll die sichere Speicherung der Aufzeichnungen sowie deren Export ermöglichen. Der Datenexport erfolgt dann im Rahmen einer Betriebsprüfung über die digitale Schnittstelle.

5.32

Zugelassen sind gem. § 7 KassenSichV nur solche Aufzeichnungssysteme, die vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert wurden. Die Zertifizierung ist demnach nicht auf ein bestimmtes Kassensystem beschränkt.3

5.33

Da eine flächendeckende Aufrüstung aller Kassen mit zertifizierten Sicherheitseinrichtungen bis zum 1.1.2020 nicht umgesetzt werden konnte, wurde mit BMF-Schr. v. 6.11.20194 eine Nichtbeanstandungsregelung bis zum 30.9.2020 festgelegt. Von Seiten des Bundesministeriums der Finanzen wurde eine weitere Verlängerung zwar abgelehnt, davon abweichend hat aber ein Großteil der Länder eigenständig die Nichtbeanstandungsfrist bis zum 31.3.2021 verlängert. So wurde z.B. in Bayern die Verwendung eines elektronischen Aufzeichnungssystems ohne TSE bis zum 31.3.2021 nicht beanstandet, wenn der Unternehmer die erforderliche Anzahl an TSE bei einem Kassenfachhändler oder einem anderen Dienstleister bis zum 30.9.2020 nachweislich verbindlich bestellt oder in Auftrag gegeben hat oder der Einbau einer cloud-basierten TSE zwar vorgesehen ist, eine solche aber nachweislich noch nicht verfügbar ist. Der entsprechende Nachweis ist der Verfahrensdokumentation zur Kassenführung beizufügen und für die Dauer der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist vorzuhalten.5 Bis zum Vorhandensein eines elektronischen Aufzeichnungssystems mit TSE muss den Betriebsprüfern kein Datenexport über die digitale Schnittstelle ermöglicht werden.

5.34

1 2 3 4 5

AEAO zu § 146a AO Rz. 2.2.2. AEAO zu § 146a AO Rz. 3.2.3. Drüen in Tipke/Kruse, § 146a AO Rz. 7. BMF v. 6.11.2019 – IV A 4 - S 0319/19/10002 :001, BStBl. I 2019, 1010. Bay. Staatsministeriums der Finanzen und für Heimat v. 10.7.2020 – 33 - S 0319 - 1/2, abrufbar im Internet auf den Seiten des Bay. Staatsministeriums der Finanzen und für Heimat sowie des BayLfSt.

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Kap. 5 Rz. 5.35 | Kassenführung

d) Belegausgabepflicht nach § 146a Abs. 2 AO

5.35

Beim Einsatz einer elektronischen Registrierkasse besteht seit dem 1.1.2020 die Pflicht zur Belegausgabe. Das bedeutet, bei jedem Geschäftsvorgang muss unmittelbar ein Beleg erstellt werden. Dabei ist zu beachten, dass keine Belegmitnahmepflicht des jeweiligen Vertragspartners besteht. Dementsprechend muss der Beleg z.B. durch Auslage auf dem Verkaufstresen verfügbar gemacht werden, eine Übergabe von Hand zu Hand ist aber nicht erforderlich.1 Mit Zustimmung des Vertragspartners darf der Beleg auch elektronisch bereitgestellt werden. Dies ist der Fall, wenn dem Kunden die Möglichkeit der Entgegennahme des elektronischen Belegs gegeben wird. Eine bloße Sichtbarmachung des Belegs am Bildschirm des Unternehmers ist nicht ausreichend, der Kunde muss den Beleg auch tatsächlich abrufen können müssen. Der elektronische Beleg muss dabei mit einer kostenfreien Standardsoftware auf dem Gerät des Kunden sichtbar gemacht werden können, zulässig ist die Bereitstellung per QR-Code, Download-Link, per Near-Field-Communication (NFC), unmittelbar per E-Mail oder direkt in ein Kundenkonto.2 Ein nachträgliches Versenden per Post oder E-Mail ist hingegen nicht zulässig, da in diesem Fall keine unmittelbare Ausgabe vorliegt.

5.36

Die Mindestangaben des Belegs sind in § 6 Satz 1 KassenSichV festgelegt. Demnach muss ein Beleg mindestens folgenden Angaben enthalten: 1. den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers, 2. das Datum der Belegausstellung und den Zeitpunkt des Vorgangbeginns i.S.d. § 2 Satz 2 Nr. 1 KassenSichVsowie den Zeitpunkt der Vorgangsbeendigung i.S.d. § 2 Satz 2 Nr. 6 KassenSichV, 3. die Menge und die Art der gelieferten Gegenstände oder den Umfang und die Art der sonstigen Leistung, 4. die Transaktionsnummer i.S.d. § 2 Satz 2 Nr. 2 KassenSichV, 5. das Entgelt und den darauf entfallenden Steuerbetrag für die Lieferung oder sonstige Leistung in einer Summe sowie den anzuwendenden Steuersatz oder im Fall einer Steuerbefreiung einen Hinweis darauf, dass für die Lieferung oder sonstige Leistung eine Steuerbefreiung gilt und 6. die Seriennummer des elektronischen Aufzeichnungssystems oder die Seriennummer des Sicherheitsmoduls.

5.37

Die umsatzsteuerlichen Vorschriften an eine Rechnung bleiben davon unberührt.3

5.38

Gemäß § 146a Abs. 2 AO kann beim Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen (Massengeschäft) eine (auch rückwirkend mögliche, aber jederzeit widerrufliche) Befreiung von der Belegausgabepflicht nach § 148 AO beantragt werden. In Frage kommen dabei insbesondere Einzelhändler, die in schneller Folge eine Vielzahl kleinpreisiger Produkte in jeweils geringen Mengen gegen Barzahlung verkaufen (z.B. Eisdiele, Bäckereien, Marktstände).4 Die Voraussetzungen decken sich dabei mit denen für die Befreiung von der Einzelaufzeichnungspflicht. Anders als bei der Verwendung einer offenen Ladenkasse besteht für elektro-

1 2 3 4

Drüen in Tipke/Kruse, § 146a AO Rz. 11. AEAO zu § 146a AO Rz. 6.3, 6.4 und 6.6 AEAO zu § 146a AO Rz. 5.3. Drüen in Tipke/Kruse, § 146a AO Rz. 13.

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B. Rechtliche Grundlagen | Rz. 5.43 Kap. 5

nische Registrierkassen aber unabhängig von der Befreiung von der Belegausgabe die Pflicht zur Einzelaufzeichnung (s. Rz. 5.16). Angesichts der fortgeschrittenen Technik und der Tatsache, dass eine Belegausgabe beispielsweise in Italien oder Österreich seit Jahren reibungslos funktioniert, wird die Befreiung zudem eine absolute Ausnahme darstellen. Ungeachtet dessen kann die Ablehnung der Befreiung nach § 348 AO mit dem Einspruch angefochten werden. Dasselbe gilt im Fall des Widerrufs der Befreiung nach § 146a Abs. 2 Satz 3 AO. Die Nichtbeanstandung im Falle des Fehlens einer zertifizierten Sicherheitseinrichtung bis zum 30.9.2020 erstreckte sich nicht auf die Belegausgabepflicht. Diese besteht somit seit dem 1.1.2020.1

5.39

e) Mitteilungspflicht nach § 146a Abs. 4 AO § 146a Abs. 4 AO schreibt eine Mitteilung des Steuerpflichtigen an das zuständige Finanzamt vor, in der Informationen über das verwendete elektronische Aufzeichnungssystem gemeldet werden. Der genaue Inhalt ist in § 146a Abs. 4 Nr. 1–8 AO geregelt und muss vom Steuerpflichtigen nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck mitgeteilt werden. Diese Mitteilungen sollen die Finanzverwaltung in die Lage versetzen, eine risikoorientierte Fallauswahl vornehmen zu können und sich im Falle einer Kassen-Nachschau bereits im Vorfeld über die Programmierung der Kasse zu informieren.

5.40

Die Mitteilung ist gem. § 146a Abs. 4 Satz 2 AO innerhalb eines Monats nach Anschaffung oder Außerbetriebnahme des elektronischen Aufzeichnungssystems zu erstatten. Für Kassen, die bereits vor dem 1.1.2020 angeschafft wurden, musste die Meldung grundsätzlich bis zum 31.1.2020 erfolgen Die Ausnahmeregelung für nicht aufrüstbare Altkassen (siehe Rz. 5.30) gilt aber auch hier: Handelt es sich dabei um Kassen, die die Anforderungen des BMF-Schreibens vom 26.11.2010 erfüllen und bauartbedingt nicht entsprechend den Anforderungen des § 146a AO aufrüstbar sind, dürfen sie bis zum 31.12.2022 weiterverwendet werden.2 Während dieses Übergangszeitraums gilt für solche Kassen nicht die Mitteilungspflicht nach § 146a Abs. 4 AO.3

5.41

Eine Mitteilung muss jedoch bis zum Einsatz einer elektronischen Übermittlungsmöglichkeit nicht erfolgen. Der Zeitpunkt des Einsatzes wird im Bundessteuerblatt Teil I gesondert bekannt gegeben.4

5.42

f) Folgen bei Nichtbeachtung Bei § 146a Abs. 1 AO handelt es sich um eine Ordnungsvorschrift, deren Befolgung nicht durch einen Verwaltungsakt angeordnet oder durch Zwangsmittel nach §§ 328 ff. AO erzwungen werden kann. Gemäß § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen aber grundsätzlich nur dann der Besteuerung zugrunde zu legen, wenn sie den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen. Die Anschaffung eines elektronischen Aufzeichnungssystems mit einer zertifizierten Sicherheitseinrichtung unterliegt demnach keiner Handlungspflicht, ein Verstoß gegen die Ordnungsvorschriften des § 146a Abs. 1 AO kann dafür aber zu einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO führen. 1 2 3 4

BMF v. 6.11.2019 – IV A 4 - S 0319/19/10002 :001, BStBl. I 2019, 1010. AEAO zu § 146a AO Rz. 2.2.2 und 2.2.4. AEAO zu § 146a AO Rz. 2.2.3. BMF v. 6.11.2019 – IV A 4 - S 0319/19/10002 :001.

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5.43

Kap. 5 Rz. 5.44 | Kassenführung

5.44

Anders verhält es sich bei der Belegausgabepflicht nach § 146a Abs. 2 AO sowie der Mitteilungspflicht nach § 146a Abs. 4 AO, deren Befolgung aufgrund der Handlungspflicht erzwingbar sind.1

5.45

Aus strafrechtlicher Sicht liegt gem. § 379 Abs. 1 Nr. 4, 5 AO eine Ordnungswidrigkeit vor, wenn eine elektronische Registrierkasse vorsätzlich oder fahrlässig nicht entsprechend den Vorgaben von § 146a Abs. 1 AO verwendet oder nicht ausreichend geschützt wird. Die Ordnungswidrigkeit kann gem. § 379 Abs. 6 AO mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 € geahndet werden. Zu beachten ist, dass die Belegausgabepflicht nach § 146a Abs. 2 AO und die Mitteilungspflicht nach § 146a Abs. 4 AO zwar erzwungen werden können, ihre Nichtbeachtung aber keine Ordnungswidrigkeit nach § 379 AO darstellt. g) Handlungsempfehlung

5.46

Jede nach dem 1.1.2020 angeschaffte elektronische Kasse muss seit dem 30.9.2020 (in einigen Ländern bis zum 31.3.2021, siehe Rz. 5.34 den Vorgaben des § 146a AO entsprechen, unabhängig davon, ob es sich um neue oder eine gebrauchte Kasse handelt. Aus Sicht des Beraters ist demnach darauf zu achten, dass nur eine vom BSI zertifizierte Kasse angeschafft und ordnungsgemäß verwendet wird. Im Zweifel ist eine entsprechende Anfrage beim Kassenhersteller einzuholen. Sofern noch nicht geschehen, ist auf eine unmittelbare Belegausgabe zu achten und eine Mitteilung nach § 146a Abs. 4 AO an das zuständige Finanzamt zu übermitteln.

5.47

Wurde eine elektronische Registrierkasse bereits vor dem 1.1.2020 angeschafft, muss die Kasse jedenfalls die Voraussetzungen des BMF-Schreibens vom 26.11.2010 erfüllen, um sie bis zum 31.12.2022 weiter verwenden zu dürfen (s. Rz. 5.30). Da eine Zuwiderhandlung zur Schätzungsbefugnis des Finanzamts führt und zudem die Gefahr einer Geldbuße besteht, sollte auf die Einhaltung des § 146a AO großer Wert gelegt werden.

4. Übersicht 5.48

Die gesetzlichen Folgen lassen sich demnach wie folgt einordnen:2 Neue Vorschrift

Anwendung ab

Ausnahmen

Mögliche Folgen bei Nichtbeachtung

§ 146 Abs. 1 Satz 1 AO Einzelaufzeichnungspflicht

29.12.2016

Verkauf von Waren/Kleindienstleistungen an eine Vielzahl nicht bekannter Kunden mittels einer offenen Ladenkasse Antrag auf Befreiung nach § 148 AO möglich

Schätzungsbefugnis nach § 162 AO

§ 146 Abs. 1 Satz 2 AO Tägliche Aufzeichnungen

29.12.2016

Ausnahmsweise am nächsten Geschäftstag, wenn zwingende geschäftliche Gründe dies erfordern

Schätzungsbefugnis nach § 162 AO

1 Drüen in Tipke/Kruse, § 146a AO Rz. 25. 2 Vgl. OFD Karlsruhe v. 7.8.2020 – S 0315 - St 42, juris Rz. 7.

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B. Rechtliche Grundlagen | Rz. 5.49 Kap. 5 Neue Vorschrift

Anwendung ab

Ausnahmen

Mögliche Folgen bei Nichtbeachtung

§ 146a Abs. 1 AO Zertifizierte Sicherheitseinrichtung für elektronische Registrierkassen

1.1.2020 (Nichtbeanstandung bis zum 30.9. 2020 bzw. teilweise abweichende Länderregelung bis zum 31.3.2021) bzw. 1.1.2023

Registrierkassen, die nach dem 25.11.2010 und vor dem 1.1.2020 angeschafft wurden und nicht aufrüstbar sind, dürfen bis 31.12. 2022 weiter genutzt werden; Voraussetzung: Kasse entspricht Vorgaben des BMF-Schreibens vom 26.11.2010

Schätzungsbefugnis nach § 162 AO, Geldbuße nach § 379 AO

Antrag auf Befreiung nach § 148 AO möglich

erzwingbar, aber keine Geldbuße

§ 146a Abs. 2 AO 1.1.2020 Belegausgabepflicht § 146a Abs. 4 AO Mitteilungspflicht

1.1.2020

erzwingbar, aber keine Geldbuße

§ 146b AO Kassen-Nachschau

1.1.2018

Datenübermittlung über einheit- Unmittelbarer Überliche digitale Schnittstelle erst ab gang zur Betriebsprü1.1.2020, Datenzugriff bereits ab fung 1.1.2018

VII. Chronologie der Kassenvorschriften Zusammenfassend ergibt sich folgende zeitliche Entwicklung der Kassenvorschriften:

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5.49

Kap. 5 Rz. 5.50 | Kassenführung

C. Aufzeichnungsebenen I. Primärebene 5.50

Für die Prüfung der Kassenführung ist es nötig, zwischen den verschiedenen Aufzeichnungsebenen zu unterscheiden. Die Primärebene ist dabei der Hauptanknüpfungspunkt der Kassenprüfung und beinhaltet die Grundaufzeichnungen wie z.B. die Bareinnahmen. Schwerpunkt ist die Überprüfung der formellen und sachlichen Richtigkeit sowie der Vollständigkeit der Geschäftsvorgänge nach § 146 AO. Die Ordnungsvorschriften nach § 145 ff. AO dienen dabei vor allem dem Zweck, dem Betriebsprüfer trotz der großen Anzahl an Geschäftsvorgängen in angemessener Zeit einen aussagekräftigen Überblick zu verschaffen. Unter anderem aus Zeitgründen oder Unkenntnis, aber durchaus auch aufgrund willentlichen Handelns fehlt es oftmals an einer ordnungsgemäßen Kassenführung. Formelle Mängel bei der Erfassung der Vorgänge führen dabei häufig auch zu materiellen Fehlern, die sich unmittelbar auf die Höhe der Einkünfte auswirken. Wird nicht jeder Geschäftsvorfall einzeln aufgezeichnet, ist nicht garantiert, dass sämtliche Einnahmen erfasst werden. Von Seiten der Betriebsprüfung wird aus diesem Grund im ersten Schritt großes Augenmerk auf die formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung gelegt, bevor im zweiten Schritt die Prüfung der materiellen Richtigkeit erfolgt.

5.51

Beispiel: Bei Verwendung einer offenen Ladenkasse ist am Ende des Tages ein Kassenbericht anzufertigen (zur Erstellung des Kassenberichts s. Rz. 5.99 ff), aus dem sich u.a. die Einnahmen und Ausgaben des Geschäftstages ergeben.

II. Sekundäre Summenebene 5.52

In der sekundären Summenebene befinden sich die bekannten Buchhaltungskonten. Der Inhalt des Bestandskontos Kasse setzt sich dabei aus den Aufzeichnungen der Primärebene zusammen.

5.53

Fortführung Beispiel: Die in den Kassenberichten berechneten Tagesumsätze und Ausgaben werden in das Kassenbuch eingetragen und in der Folge vom Steuerberater im Buchhaltungskonto „Kasse“ sowie im Ertragskonto verbucht. Kassenbuch und das Konto „Kasse“ stehen sich damit spiegelbildlich auf der Sekundärebene gegenüber.

III. Finale Summenebene 5.54

Auf der finalen Summenebene erfolgt schließlich die Zusammenfassung der Bestands- bzw. Erfolgskonten in der Bilanz bzw. der Gewinn- und Verlustrechnung.

5.55

Fortführung Beispiel: Der Schlussbestand des Kontos „Kasse“ wird in die Bilanz übertragen, entsprechend erfolgt die Eintragung der Einnahmen laut Ertragskonto in der Gewinn- und Verlustrechnung.

IV. Steuererklärung 5.56

Auf Ebene der Steuererklärung ist im letzten Schritt der Gewinn laut Gewinn- und Verlustrechnung bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb einzutragen.

5.57

Fortführung Beispiel: Von den auf der Primärebene berechneten Tageserlösen verbleibt schlussendlich nur der Jahresgewinn in der Steuererklärung.

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D. Kassenarten | Rz. 5.61 Kap. 5

V. Zusammenfassung Im Schaubild dargestellt ergibt sich damit folgender Aufbau:

5.58

Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung bezieht sich insbesondere auf die Primärebene. Liegen bereits hier fehlerhafte oder unvollständige Daten vor, hat das direkte Auswirkungen auf die darüber liegenden Ebenen. Eine Prüfung, die erst auf der sekundären sowie der finalen Summenebene ansetzt, kann allenfalls grobe Verprobungen durchführen und damit niemals den Grad der Genauigkeit einer Überprüfung der Primärebene erreichen. Aus Sicht der Finanzverwaltung besteht aber vor allem auf der ersten Ebene die größte Manipulationsgefahr, da dort die Erlöserfassung erfolgt.

5.59

D. Kassenarten I. Freie Wahl der Kasse Wie bereits beim Kassengesetz vom 22.12.2016 (s. Rz. 5.12 ff.) angesprochen, besteht grundsätzlich unabhängig von der Art des verwendeten Kassensystems die Einzelaufzeichnungspflicht. Die Aufzeichnungen können dabei sowohl elektronisch als auch händisch erstellt werden. Das bedeutet, es besteht keine gesetzliche Pflicht zur Verwendung einer elektronischen Registrierkasse. Abhängig vom verwendeten Kassensystem bestehen jedoch unterschiedliche Erlöserfassungs- und Aufzeichnungsvorgaben.

5.60

II. Offene Ladenkasse Bei Verwendung einer offenen Ladenkasse erfolgt keine elektronische Einzelaufzeichnung. Demnach sind die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Kassenführung aufgrund der händischen Erstellung mit einem hohen Aufwand verbunden. Brenner | 515

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5.61

Kap. 5 Rz. 5.62 | Kassenführung

5.62

Ist die Einzelaufzeichnung nicht zumutbar (s. Rz. 5.15 ff.), müssen die Geschäftsvorfälle nicht einzeln aufgezeichnet werden. In diesem Fall müssen die Bareinnahmen und -ausgaben mit Hilfe eines retrograd aufgebauten Kassenberichts nachgewiesen werden. Auch bei einem Kassenbericht müssen dabei die erklärten Betriebseinnahmen auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit hin überprüfbar sein.1 Zweck des Kassenberichts ist demnach die nachvollziehbare, systematisch richtig errechnete Ermittlung der täglichen Tageseinnahmen. Der Tagesumsatz wird dabei rechnerisch, ausgehend vom Geldbestand am Ende des Tages, ermittelt (für die Erstellung des Kassenberichts s. Rz. 5.99 ff.). Es erfolgt also eine summarische Ermittlung der Bareinnahmen.2

5.63

Insbesondere im Fall von Einlagen und Entnahmen sind Eigenbelege anzufertigen, um die Nachvollziehbarkeit der Geldflüsse gewährleisten zu können. Auch wenn bei Einnahmenüberschussrechnern vereinnahmtes Geld sofort Privatvermögen wird, so sollte nichtsdestotrotz eine strikte Trennung von Kasse und den privaten Bargeldbeständen beibehalten werden, um die Ordnungsmäßigkeit der Kasse nicht durch Unstimmigkeiten beim Kassenbestand zu gefährden.

III. Elektronische Kassensysteme 1. Funktionsweise 5.64

Unter einem elektronischen Kassensystem versteht man eine EDV-Lösung mit einer elektronischen Registrierkasse oder einer PC-Kasse zur Einbindung von Peripheriegeräten oder -software. Der Einsatz von elektronischen Registrierkassen hat sich in der Gastronomie und im Handel weitgehend durchgesetzt. Eine Registrierkasse dient vor allem der Erfassung der Einnahmen, bei Betrieben mit Fremdpersonal zusätzlich der Kontrolle, ob tatsächlich alle Umsätze vom Personal eingegeben werden. Zudem bieten viele Kassentypen Arbeitserleichterungen durch Artikel- und Preisspeicher, so dass mittels Tastendruckes nur noch der jeweilige Artikel ausgewählt werden muss. In manchen Branchen ist das Kassensystem zudem noch an ein Warenwirtschaftssystem gekoppelt und dient somit vor allem betriebswirtschaftlichen Zwecken.3

5.65

Zur Bedienung der Kasse ist in der Regel eine Entsperrung mittels Schlüssel oder PIN erforderlich. Da eine Kasse nicht ständig überwacht wird, dient dies zur Beschränkung der Zugriffsmöglichkeit.

5.66

Abhängig von der gewollten Art der Bedienung gibt es grundsätzlich den Kellnerschlüssel, den Managerschlüssel (Chef-Schlüssel) und den Programmierschlüssel. Der Kellnerschlüssel ermöglicht in der Regel nur das Registrieren von Umsätzen. Der Managerschlüssel ist dagegen eine Art Generalschlüssel, der einen vollumfänglichen Zugriff ermöglicht. Neben der Registrierung und Umbuchung von Umsätzen können insbesondere Tages- und Periodenberichte abgerufen, Stornierungen durchgeführt oder Programmierungen vorgenommen werden. Wenn dies nicht bereits mit dem Managerschlüssel möglich ist, dient der Programmierschlüssel dazu, Grundeinstellungen und -programmierungen zu ändern und Artikeländerungen einzupflegen. Für eine Kassenauslesung bzw. Datenübermittlung durch die Betriebsprüfung sind daher Manager- und/oder Programmierschlüssel erforderlich.

1 BFH v. 13.3.2013 – X B 16/12, BFH/NV 2013, 902 Nr. 5 Rz. 9. 2 Teutemacher, BBK 2014, 752 (755). 3 Kuhni, juris Lexikon Steuerrecht, Bareinnahmen – die Betriebsprüfung bei bargeldintensiven Betrieben, Rz. 7.

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D. Kassenarten | Rz. 5.72 Kap. 5

2. Arten von Kassensystemen a) ECR-Kasse analog Bei elektronischen Kassensystemen wird grundsätzlich zwischen den ECR (Electronic Cash Register) Kassen und den PC-Kassen unterschieden. Die wesentlichen Unterschiede sind dabei der Speicherplatz der Daten sowie die Art der Bedienung. Eine genaue Zuordnung ist aber nicht immer ohne weiteres möglich und richtet sich vielmehr danach, was die Kasse tatsächlich leisten kann.

5.67

Als analoge ECR-Kassen werden in der Regel ältere Modelle mit einem vom Hersteller selbst entwickelten, geschlossenen Betriebssystem bezeichnet. Die Bedienung erfolgt dabei häufig über die Eingabe von Codes. Ein Datenaustausch bzw. eine Datenübermittlung sind in der Regel nicht möglich. Aufgrund der geringen Speicherkapazität werden die Einzeldaten in der Regel nur für wenige Tage gespeichert. Über längere Zeiträume hinweg erfolgt eine Speicherung lediglich in Form aufaddierter Summen. Eine Kasse mit einer solchen Verdichtung von Einzeldaten sowie einer fehlenden Schnittstelle entspricht nicht den Vorgaben des BMFSchreibens vom 26.11.2010 (s. Rz. 5.10) und darf somit seit dem 1.1.2017 nicht mehr verwendet werden. Neben der Speicherfunktion besitzen diese Kassen zudem oftmals noch eine Journalrolle in Papierform, auf der alle Buchungen gedruckt werden.

5.68

b) ECR-Kasse digital Bei digitalen ECR-Kassen handelt es sich um modernere Kassensysteme, deren Bedienung meistens mittels Eingaben über einen Touchscreen erfolgt. Auch diese Kassen weisen ein geschlossenes Betriebssystem mit einer individuellen Kassensoftware und geringem Speicherplatz auf. Anders als bei den analogen ECR-Kassen ist aber, abhängig vom Modell und dessen Aufrüstbarkeit, eine langfristige und maschinell auswertbare Einzeldatenspeicherung möglich.

5.69

Die Verwendung einer digitalen ECR-Kasse mit Einzeldatenspeicherung, die nicht die Vorgaben des § 146a AO erfüllt, ist seit dem 1.1.2020 unzulässig. Eine derartige Registrierkasse darf jedoch unter folgenden Voraussetzungen bis zum 31.12.2022 weiterverwendet werden (s. Rz. 5.30):

5.70

– Die Kasse wurde nach dem 25.11.2010 und vor dem 1.1.2020 angeschafft. – Die Kasse entspricht den Vorgaben des BMF-Schreibens vom 26.11.2010 (s. Rz. 5.10). – Die Kasse ist bauartbedingt nicht entsprechend den Anforderungen des § 146a AO aufrüstbar (mit einer durch das BSI zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtung, s. Rz. 5.31 ff.). §§ 146a, 379 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 AO finden für diesen Zeitraum keine Anwendung.

5.71

c) PC-Kasse Aktuell am häufigsten im Einsatz sind PC-Kassen. Bei einer solchen Kasse handelt es sich in der Regel um einen mit einer speziellen Kassensoftware bestückten PC, an den Peripheriegeräte wie Kundendisplay, Kassenlade, Bon- und Rechnungsdrucker sowie Kartenlesegeräte angeschlossen werden können. Der Funktionsumfang ist softwareabhängig und daher beliebig erweiterbar. Es wird grundsätzlich jeder einzelne Verkaufsvorgang gespeichert. Der Unternehmer hat in der Regel jederzeit Zugriff auf alle getätigten Einzelumsätze der Kasse. In das Kassensystem können zudem das Warenwirtschaftssystem und die Kundenverwaltung eingebunden werden. Ein Datenaustausch über Datenbanken ist fortwährend möglich. Brenner | 517

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5.72

Kap. 5 Rz. 5.73 | Kassenführung

5.73

Als Eingabegerät wird bei den PC-Kassen zunehmend ein sog. Orderman eingesetzt. Dabei handelt es sich um ein tragbares Eingabesystem (auch Handheld genannt), auf denen der Kellner die Bestellungen eingibt. Der Orderman wird dabei entweder als eigenständige Kasse eingesetzt oder er fungiert als bloßes Eingabegerät und übermittelt die Bestellungen an ein zentrales Kassensystem, an dem die Bons gedruckt und die Managerabfragen vorgenommen werden können.

5.74

Die Verwendung einer PC-Kasse garantiert dabei noch nicht die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, da nicht alle PC-Kassen die entsprechenden Vorgaben, insbesondere das in den GoBD vorgeschriebene Gebot der Unveränderbarkeit der Daten sowie die technischen Anforderungen des § 146a AO (s. Rz. 5.28 ff.), erfüllen.

IV. Zulässigkeit der Verwendung 5.75

Zusammengefasst stellt sich die Zulässigkeit der verschiedenen Kassenarten wie folgt dar: Kassenart

5.76

Verwendungszulässigkeit bis 31.12.2016

ab 1.1.2017

ab 1.1.2020

Offene Ladenkasse ohne Einzelaufzeichnungen

zulässig

zulässig

zulässig

Offene Ladenkasse mit Einzelaufzeichnungen

zulässig

zulässig

zulässig

ECR-Kasse analog (bauartbedingt ohne dauerhafte Einzelaufzeichnungen)

ausnahmsweise zulässig

unzulässig

unzulässig

ECR-Kasse digital/PC-Kasse ohne Einzelaufzeichnungen

ausnahmsweise zulässig

unzulässig

unzulässig

ECR-Kasse digital/PC-Kasse mit Einzelaufzeichnungen ohne Sicherheitseinrichtung

zulässig

zulässig

unzulässig, ausnahmsweise bis 31.12.2022 weiter verwendbar

ECR-Kasse digital/PC-Kasse mit Einzelaufzeichnungen mit Sicherheitseinrichtung

zulässig

zulässig

zulässig, sofern vom BSI zertifiziert

Verwendet ein Steuerpflichtiger nach dem 1.1.2020 eine nicht zulässige Kassenart, liegt gem. § 379 AO eine Ordnungswidrigkeit vor, die mit einem Bußgeld i.H.v. bis zu 25.000 € geahndet werden kann (s. Rz. 5.45). Da eine flächendeckende Aufrüstung aller Kassen mit zertifizierten Sicherheitseinrichtungen bis zum 1.1.2020 nicht umgesetzt werden konnte, wurde mit BMF, Schr. v. 6.11.20191 aber eine Nichtbeanstandungsregelung bis zum 30.9.2020 (teilweise abweichende Länderregelung bis zum 31.3.2021, siehe Rz. 5.34) festgelegt.

V. Verwendung von mehreren Kassen und Kassenwechsel 5.77

Verwendet ein Steuerpflichtiger in seinem Betrieb eines oder mehrere elektronische Aufzeichnungssysteme, so müssen diese grundsätzlich zur Aufzeichnung sämtlicher Erlöse verwendet 1 BMF v. 6.11.2019 – IV A 4 - S 0319/19/10002 :001, BStBl. I 2019, 1010.

518 | Brenner

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E. Besonderheiten bei der EÜR nach § 4 Abs. 3 EstG | Rz. 5.82 Kap. 5

werden. Ausnahmen hiervon können beispielsweise im Falle von einzelnen Cateringleistungen vorliegen. Derartige Umsätze sollten jedoch durch Aufbewahrung der Ausgangsrechnung und des Kontoauszugs sowie bestenfalls durch Eintragung in einem Rechnungsausgangsbuch festgehalten werden.1 Soweit mehrere Geschäftskassen geführt werden, sind die Ordnungsvorschriften betreffend die Aufzeichnung von baren und unbaren Geschäftsvorfällen für jede einzelne Sonder- und Nebenkasse zu beachten. Ist für einen räumlich oder organisatorisch eindeutig abgrenzbaren Bereich aus technischen Gründen oder aus Zumutbarkeitserwägungen eine Erfassung über das vorhandene elektronische Aufzeichnungssystem nicht möglich, wird es nicht beanstandet, wenn zur Erfassung dieser Geschäftsvorfälle eine offene Ladenkasse verwendet wird.2 In Frage kommt hierbei insbesondere der räumlich abgetrennte Straßenverkauf bei einer Eisdiele oder einer Gaststätte, ein zusätzlicher Marktstand oder Hofladen.3 Hier wird es im Einzelfall auf eine Prüfung der Voraussetzungen zur Befreiung von der Einzelaufzeichnungspflicht nach § 146 Abs. 1 Satz 3 AO ankommen (s. Rz. 5.15 ff.).

5.78

Wurde in der Vergangenheit eine Registrierkasse verwendet, kann nicht ohne weiteres auf eine offene Ladenkasse umgestellt werden (sog. „Downsizing“). Zwar ist der Steuerpflichtige in der Wahl des Aufzeichnungssystems frei, so dass der Wechsel zur offenen Ladenkasse grundsätzlich zulässig ist, allerdings hat der Steuerpflichtige durch die bisherige Verwendung einer Registrierkasse bewiesen, dass ihm Einzelaufzeichnungen möglich sind.4 In diesem Fall muss genau geprüft werden, ob eine Befreiung von der Einzelaufzeichnungspflicht nach § 146 Abs. 1 Satz 3 AO möglich ist.

5.79

E. Besonderheiten bei der Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG I. Grundsatz Zur Kassenbuchführung verpflichtet sind einerseits jeder Unternehmer bzw. Gewerbetreibende, der eine Bilanz nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG erstellt, andererseits jeder Kaufmann, der nach § 238 HGB Bücher und Aufzeichnungen führen muss. Nach § 158 AO sind der Besteuerung die Buchführung und die Aufzeichnungen, die den §§ 140 bis 148 AO entsprechen, zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden.5

5.80

Unternehmer, die Ihren Gewinn gem. § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, sind von diesen Regelungen dem Wortlaut nach nicht betroffen. Sie sind lediglich verpflichtet, ihre Betriebseinnahmen und -ausgaben dauerhaft festzuhalten, müssen also weder sämtliche Geschäftsvorfälle nach § 145 Abs. 1 AO noch alle Kassenaufzeichnungen nach § 146 Abs. 1 AO aufzeichnen.

5.81

Nichtsdestotrotz finden aber nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Grundsätze der §§ 140 bis 148 ff. AO entsprechende Anwendung auf Steuerpflichtige, die nicht zur Buchfüh-

5.82

1 2 3 4 5

Achilles, DB 2018, 2454 (2460). AEAO zu § 146 Rz. 2.2.3. Achilles, DB 2018, 2454 (2460). Achilles, DB 2018, 2454 (2459). Adomat, Beilage zu NWB 51/2014, 3 (7).

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Kap. 5 Rz. 5.82 | Kassenführung

rung verpflichtet sind, sondern ihre Gewinne nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 EStG ermitteln. Dabei besteht aber grundsätzlich keine Pflicht zur Führung eines Kassenbuchs. Bei der Einnahmenüberschussrechnung gibt es keine Bestandskonten und somit auch kein Kassenkonto. Entscheidend ist vielmehr, dass die für die Besteuerung maßgeblichen Vorgänge vollständig erfasst werden.1

II. Einzelaufzeichnungspflicht 5.83

Ebenso wie für die zur Buchführung verpflichteten Steuerpflichtigen besteht auch für Unternehmen, die ihre Gewinne nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, die Pflicht zur Einzelaufzeichnung. Zu erfassen sind Inhalt des Geschäfts, Name, Firma und Adresse des Vertragspartners.2 Die Einzelaufzeichnungspflicht ergibt sich aus § 22 UStG i.V.m. § 63 ff. UStDV. Die Aufzeichnungsverpflichtung aus einem Steuergesetz wirkt dabei unmittelbar auch für andere Steuergesetze, folglich auch für das Einkommensteuergesetz.3 Auch die Einnahmenüberschussrechnung setzt demnach voraus, dass Betriebseinnahmen und -ausgaben durch Belege nachgewiesen und grundsätzlich einzeln aufzuzeichnen sind. Dem Grundsatz nach gilt das auch für Bareinnahmen; die Tatsache der sofortigen Bezahlung der Leistung rechtfertigt nicht, die jeweiligen Geschäftsvorfälle nicht einzeln festzuhalten.4 Somit gelten im Hinblick auf das Führen von Aufzeichnungen die §§ 145 bis 147 AO auch für den Einnahmenüberschussrechner.5

5.84

Ob eine Ausnahme von der Einzelaufzeichnungspflicht gegeben ist, richtet sich demnach nicht nach der Gewinnermittlungsart, sondern allein nach den Voraussetzungen des § 146 Abs. 1 Satz 3 AO.6 Werden eine ECR-Kasse oder eine PC-Kasse verwendet, ist die Einzelaufzeichnung zwingend vorgeschrieben. Nur bei der Verwendung einer offenen Ladenkasse und bei Vorliegen von Unzumutbarkeit ist die Befreiung von der Einzelaufzeichnungspflicht nach § 146 Abs. 1 Satz 3 AO möglich (s. Rz. 5.15 ff.).

5.85

Aber selbst im Falle einer solchen Befreiung ist es für bargeldintensive Betriebe fast unumgänglich, ein detailliertes Kassenkonto oder Kassenbuch zu führen.7 So besteht die Verpflichtung, die Kassenerlöse täglich nach § 146 Abs. 1 Satz 2 AO aufzuzeichnen, auch für Einnahmenüberschussrechner. Wenn die Einnahmen nicht einzeln aufgezeichnet werden, ist es folglich notwendig, Bareinnahmen und -ausgaben wie bei einem Buchführungspflichtigen nachvollziehbar aufzuzeichnen, zu dokumentieren und gegebenenfalls in einem Kassenbericht zu erfassen.8

5.86

Werden überwiegend Bargeschäfte getätigt, genügt somit eine geordnete Belegsammlung allein nicht den Anforderungen des § 22 UStG. Bareinnahmen und Barausgaben müssen auch in diesem Fall täglich aufgezeichnet werden.9 Andernfalls können die erklärten Betriebseinnahmen nicht auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit überprüft werden mit der Folge, dass eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO erfolgt.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

BFH v. 16.2.2006 – X B 57/05, BFH/NV 2006, 940 Nr. 5 Rz. 3. BFH v. 16.2.2006 – X B 57/05, BFH/NV 2006, 940 Nr. 5 Rz. 3. BFH v. 2.3.1982 – VIII R 225/80, BFHE 136, 28 Rz. 26. BFH v. 7.2.2008 – X B 189/07, juris Rz. 3. Teutemacher, BBK 2014, 752 (755). AEAO zu § 146 AO, Tz. 2.1.1. FG Saarl. v. 21.6.2012 – 1 K 1124/10, EFG 2012, 1816 Rz. 80. FG Münster v. 20.12.2000 – 8 K 4633/97, openJur 2011, 83094 Rz. 68. BFH v. 2.9.2008 – V B 4/08, openJur 2011, 85754 Rz. 6.

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E. Besonderheiten bei der EÜR nach § 4 Abs. 3 EstG | Rz. 5.92 Kap. 5

Aus Sicht der Betriebsprüfung stellt die korrekte Ermittlung des Kassenbestands bei bargeldintensiven Betrieben eine unentbehrliche Grundlage für die Berechnung der Tageslosung dar. Daher ist vor allem bei Vorliegen einer Einnahmenüberschussrechnung die Kassensturzfähigkeit eine Grundvoraussetzung für eine ordnungsgemäße Buchführung.1

5.87

Zusammengefasst ist damit Folgendes festzuhalten: Bei der Verwendung eines elektronischen Aufzeichnungssystems besteht stets die Einzelaufzeichnungspflicht. Wird eine offene Ladenkasse verwendet und ist die Pflicht zur Einzelaufzeichnung unzumutbar, ist dennoch eine tägliche Erfassung der Kassenerlöse vorzunehmen. Nur so kann der Nachweis der ordnungsgemäßen Kassenführung nachvollziehbar und überprüfbar erbracht werden.

5.88

III. Belegaufbewahrungspflicht Ungeachtet des Umstands, dass keine Verpflichtung zur Aufzeichnung aller Geschäftsvorfälle und Kassenvorgänge sowie keine Belegaufbewahrungspflicht besteht, müssen auch die Aufzeichnungen einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG für einen sachverständigen Dritten in vertretbarer Zeit klar und vollständig sein. Selbst wenn ein Steuerpflichtiger nicht gezwungen ist, seine Betriebseinnahmen und -ausgaben einzeln aufzuzeichnen und die dazugehörigen Belege aufzubewahren, kann das schon aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht bedeuten, dass das Finanzamt die nach § 4 Abs. 3 EStG erklärten Gewinne oder Verluste ungeprüft übernehmen muss. Auch bei Anwendung einer Einnahmenüberschussrechnung ist demnach die Vorlage geordneter und vollständiger Belege nötig, um die Vermutung der Richtigkeit in Anspruch nehmen zu können.2 Diese Anforderung ist beispielsweise erfüllt, wenn sämtliche Ausgangsrechnungen chronologisch nach dem Tag des Geldeingangs abgelegt und in handschriftliche Listen eintragen werden, wobei es ausreicht, dass ausschließlich auf den Rechnungen eine Unterscheidung zwischen Geldeingang auf dem Bankkonto oder Barzahlung getroffen wurde.3

5.89

Dem Unternehmer ist es dabei freigestellt, in welcher Form diese Vorgänge festgehalten werden. Dementsprechend können auch Aufzeichnungen und Konten geführt werden.4 Laut dem BFH5 müssen diese Aufzeichnungen im Rahmen einer Betriebsprüfung vorgelegt werden, unabhängig davon, ob die Buchführung gesetzlich vorgeschrieben ist:

5.90

„Werden im oder für den Betrieb Bücher oder Aufzeichnungen oder Verzeichnisse geführt, so unterliegen sie der Prüfung, gleichviel ob ihre Führung vorgeschrieben ist oder nicht. Auch Aufzeichnungen, die weder durch Gesetz noch durch die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung gefordert werden, unterliegen der Vorlegungspflicht, wie z.B. Buchungsanweisungen und dergleichen, wenn sie tatsächlich geführt werden.“

5.91

Aufbewahrungs- und vorlagepflichtig nach § 147 Abs. 1 AO sind demnach alle geführten Aufzeichnungen, die zum Verständnis und zur Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen erforderlich sind. Nicht dazu gehören private und freiwillige Aufzeichnungen, für deren Aufbewahrung keine gesetzliche Pflicht besteht. Diese müssen nicht vorgelegt, sondern dürfen jederzeit vernichtet werden.

5.92

1 Teutemacher, BBK 2014, 752 (753). 2 FG Saarl. v. 21.6.2012 – 1 K 1124/10, EFG 2012, 1816 Rz. 78; BFH v. 15.4.1999 – IV R 68/98, BStBl. II 1999, 481 Rz. 3. 3 BFH v. 16.2.2006 – X B 57/05, BFH/NV 2006, 940 Nr. 5 Rz. 2. 4 Adomat, Beilage zu NWB 51/2014, 3 (7). 5 BFH v. 24.6.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 Rz. 17.

Brenner | 521

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Kap. 5 Rz. 5.93 | Kassenführung

5.93

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass auch Einnahmenüberschussrechner zur geordneten und vollständigen Belegablage verpflichtet sind. Erfolgt dies in Form einer gesetzlich nicht vorgeschriebenen bilanzmäßigen Buchführung, so müssen diese Aufzeichnungen nichtsdestotrotz im Rahmen einer Betriebsprüfung vorgelegt werden. Für die über die gesetzlichen Aufbewahrungsvorschriften hinausgehenden freiwilligen Aufzeichnungen gelten dagegen weder die Ordnungsvorschriften der §§ 145, 146 AO noch die Aufbewahrungspflichten gem. § 147 Abs. 1 AO.

F. Prüfungsansätze der Betriebsprüfung I. Allgemeines 5.94

Bereits die Vielzahl an Gerichtsverfahren belegen, dass in vielen Betrieben gravierende Kassenmängel vorhanden sind und die Nachprüfbarkeit der aufbewahrungspflichtigen Bücher, Aufzeichnungen und Unterlagen oft nicht gegeben ist. Aus Sicht des steuerlichen Beraters rückt die Kassenführung in der Regel erst im Rahmen einer Betriebsprüfung in den unmittelbaren Fokus. Umso wichtiger ist es, bereits im Vorfeld die Prüfungsansätze der Betriebsprüfung zu kennen, um die negativen Folgen einer nicht ordnungsgemäßen Kassenführung zu vermeiden.

II. Unterlagenanforderung 5.95

Jede Betriebsprüfung beginnt mit der Anforderung der steuerlichen Unterlagen, sei es in elektronischer oder in Papierform. Zu den kassenrelevanten Unterlagen gehören insbesondere folgende Organisationsunterlagen: – Bedienungs- und Programmieranleitungen der Kasse, – lückenlose Dokumentation der Kassenprogrammierung in Form von Programmierprotokollen, aus denen sich die nachträglichen Änderungen ergeben,1 – Protokolle über die Einrichtung von Verkäufer-, Kellner- oder Trainingsspeicher, – sämtliche Einzeldaten der Geschäftsvorgänge, sofern es sich um ein elektronisches Aufzeichnungssystem handelt, – sonstige Berichte wie betriebswirtschaftliche Auswertungen oder Spartenberichte.

5.96

Vereinfacht ausgedrückt müssen alle vorhandenen Dokumente, Eingaben und Änderungen der elektronischen Kasse in elektronischer Form dauerhaft gespeichert werden. Sind einzelne Unterlagen nur in Papierform vorhanden, sind diese unbedingt aufzubewahren. Besondere Vorsicht ist beim Kauf einer gebrauchten Kasse geboten, da in diesen Fällen oftmals nicht mehr alle Unterlagen vorhanden sind.

5.97

Bezüglich der Einzeldaten muss es dem Betriebsprüfer dabei möglich sein, eine durchgehende progressive und retrograde Prüfung vornehmen zu können. Die progressive Prüfung beginnt beim Beleg und setzt sich über die Stufen Grundbuchaufzeichnung und Journale, Konten, Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung bis hin zur Steueranmeldung bzw. Steuererklärung fort (s. das Schaubild Rz. 5.58). Die retrograde Prüfung verläuft entsprechend umgekehrt. Die progressive und die retrograde Prüfung müssen für die gesamte Dauer der Aufbewahrungsfrist und in jedem Verfahrensschritt möglich sein. 1 Kamps, Stbg 2017, 201 (206).

522 | Brenner

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F. Prüfungsansätze der Betriebsprüfung | Rz. 5.103 Kap. 5

In der Praxis wird der Prüfer eine Auswahl von Buchungen (oftmals die höchsten Beträge, ungewöhnliche Buchungstexte sowie Zufallsauswahlen) sowohl daraufhin überprüfen, ob die entsprechenden Belege vorhanden sind, als auch dahingehend, ob diese Beträge bei den Einnahmen in der Gewinn- und Verlustrechnung berücksichtigt wurden. Aus diesem Grund ist der Steuerpflichtige unbedingt darauf hinzuweisen, auf die Vollständigkeit der Belege zu achten.

5.98

III. Kassenbericht Tägliche Kassenberichte als Bestandteil der Primärebene (s. Rz. 5.50) sind bei der Verwendung einer offenen Ladenkasse zwingend anzufertigen. Dabei werden die Geschäftsvorfälle aufgrund der oftmals nicht bestehenden Einzelaufzeichnungspflicht (s. Rz. 5.15 ff.) nicht einzeln erfasst. Die Tageserlöse sind nur durch Verwendung von Kassenberichten zu ermitteln. Der Tagesumsatz wird dabei rechnerisch unter Zugrundelegung des Kassenbestandes bei Geschäftsschluss wie folgt ermittelt:

5.99

Ausgezählter Kassenbestand bei Geschäftsschluss des aktuellen Tages

5.100

+ + – –

Ausgaben (z.B. Wareneinkäufe, Bankeinzahlungen, Barauszahlung von Lohn) Entnahmen (Privatentnahmen) Einlagen (Privateinlagen, Einlegen von Wechselgeld) Kassenbestand bei Geschäftsschluss des Vortages

=

Tagesumsatz brutto

Der rechnerisch ermittelte Tagesumsatz muss in der Folge ins Kassenbuch eingetragen werden. Die alleinige Aufzeichnung des Tagesumsatzes im Kassenbuch ohne Berechnung mittels Kassenbericht ist nicht ausreichend. Gemäß § 146 Abs. 1 Satz 2 AO muss der Kassenbericht täglich erstellt werden. Nicht nötig ist dagegen das Anfertigen eines Zählprotokolls bei der Ermittlung des Kassenbestands.1

5.101

Neben der Kontrolle der ordnungsgemäßen Erstellung der Kassenberichte wird der Prüfer darauf achten, ob der Steuerpflichtige ausreichend freie Entnahmen, also Mittel zur Deckung der Kosten des privaten Lebensbedarfs, aus der Kasse getätigt hat, sofern er keine anderweitigen Einkünfte erzielt. Dabei handelt es sich in der Regel um glatte Beträge, die keiner bestimmten Anschaffung zuzuordnen sind. Fehlt es an derartigen Entnahmen, liegt der Verdacht nahe, dass die zur Lebensführung nötigen Mittel aus nicht erfassten Einnahmen stammen.2 Im Gegenzug werden auch höhere Bareinlagen im Hinblick auf ihre Herkunft überprüft.3 Unregelmäßigkeiten und ungeklärte Bargeldbewegungen sollten unbedingt vermieden werden. Der Steuerpflichtige ist demnach verstärkt auf die vollständige Dokumentation aller Geldflüsse hinzuweisen.

5.102

IV. Tagesendsummenbons Bei der Verwendung von Registrierkassen und PC-Kassen ersetzen sog. Tagesendsummenbons bzw. Z-Bons den Kassenbericht. Der Z-Bon dient der Ermittlung der Tagesumsätze und bewirkt eine Nullstellung (Löschung bzw. „Zero-Mode“) des Speichers seit der letzten Null1 BFH v. 16.12.2016 – X B 41/16, BFH/NV 2017, 310 Nr. 3 Rz. 26. 2 Kuhni, juris Lexikon Steuerrecht, Bareinnahmen – die Betriebsprüfung bei bargeldintensiven Betrieben, Rz. 73. 3 Klingebiel, NWB 41/2008, 3849 (3855).

Brenner | 523

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5.103

Kap. 5 Rz. 5.103 | Kassenführung

stellung. Bei einer täglichen Abfrage wird so die Erfassung der Tageseinnahmen sichergestellt. Da die Tagesendsummenbons fortlaufend nummeriert sind, erregen Lücken den Verdacht steuerlich nicht erfasster Einnahmen. Aufgrund der zahlreichen Manipulationsmöglichkeiten bietet allerdings allein die fortlaufende Nummerierung der Z-Bons auch noch keine Gewähr der vollständigen Einnahmenerfassung.

5.104

Der Tagesendsummenbon enthält dabei in der Regel mindestens folgende Angaben: Name des Geschäftes, Tagesumsatz (brutto und netto), fortlaufender Z-Zähler (Zahl der erfolgten Tages- bzw. Periodenabrufe mit Nullstellung), Stornierungen und Retouren, Zahlungswege (bar, Scheck, Kredit), Kundenzahl (fortlaufend oder täglich bei 1 beginnend), Datum und Uhrzeit des durchgeführten Z-Abschlages.

5.105

Der Betriebsprüfer wird dabei die Uhrzeit auf dem Ausdruck des Z-Bons mit den Geschäftszeiten abgleichen. Sollte der Z-Bon vor Geschäftsschluss gedruckt worden sein, könnte es daran liegen, dass Einnahmen nach Ausdruck des Bons eventuell steuerlich nicht erfasst wurden. Besonderes Augenmerk wird der Betriebsprüfer auf die Aufschlüsselung von baren und unbaren Umsätzen richten, da ohne eine solche Unterscheidung Zweifel an der vollständigen Erfassung der Einnahmen bestehen. Bei der Verwendung mehrerer Kassen wird zudem überprüft, ob die Umsätze aller Kassen im Tagesendsummenbon enthalten sind.

V. Datenbank 5.106

Buchungen einer PC-Kasse werden in einer Datenbank gespeichert, deren Daten bei der Erstellung der Berichte zugrunde gelegt werden. Absoluter Schwerpunkt jeder Prüfung einer elektronischen Kasse ist demnach die Kontrolle und Auswertung dieser Daten.

5.107

Die gesetzliche Grundlage des Datenzugriffsrechts bei der Verwendung einer elektronischen Kasse ergibt sich aus § 147 Abs. 6 AO. Wurden Daten mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt, hat der Prüfer das Recht, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen und das Datenverarbeitungssystem zur Prüfung dieser Unterlagen zu nutzen. Nach § 147 Abs. 6 Satz 4 AO muss der der Steuerpflichtige die daraus entstehenden Kosten tragen. Bis zum Abschluss eines möglichen Rechtsbehelfsverfahrens ist der Prüfer zudem berechtigt, die Daten zur weiteren Auswertung zu speichern.

5.108

Die Datenanforderung durch den Prüfer ist ein Verwaltungsakt. Davon umfasst sind alle Daten, die nach § 147 Abs. 1 AO aufbewahrungspflichtig sind. Nicht vorlagepflichtig sind demnach private (steuerliche) Unterlagen, Daten, die dem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 102 Abs. 1 AO unterliegen (z.B. Patientendaten eines Arztes), Personalakten oder Beratergutachten. Werden solche Daten angefordert, kann gegen diese Aufforderung mit Einspruch und Aussetzung der Vollziehung vorgegangen werden. Allerdings liegt es in der Verantwortung des Steuerpflichtigen, eine Trennung dieser Daten vorzunehmen. Ist ihm das nicht möglich, kann dem Betriebsprüfer der Zugang zu den Daten nicht verweigert werden.

5.109

Vorlagepflichtig sind dabei nicht nur rein steuerliche Daten, sondern alle steuerrelevanten Informationen aus vorgeschalteten Systemen, demnach insbesondere auch aus dem Kassensystem. Verwendet der Steuerpflichtige ein elektronisches Kassensystem, muss er die darin enthaltenen Daten offenlegen, auch wenn keine Verpflichtung zur Führung einer elektronischen Kasse besteht.

5.110

Aufgrund der vielfältigen Manipulationsmöglichkeiten durch Änderung der Speichereinstellungen oder nachträgliche Korrekturen wird im Rahmen der Betriebsprüfung untersucht, ob diese Änderungen erkennbar und nachvollziehbar sind. Manipulationen werden dabei nicht 524 | Brenner

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F. Prüfungsansätze der Betriebsprüfung | Rz. 5.117 Kap. 5

zwingend nur im Kassensystem, sondern auch durch den Einsatz externer Programme zur Datenveränderung (sog. „Zapper“) vorgenommen. Diese ermöglichen nachträgliche Umsatzveränderungen, die nicht zurückverfolgt werden können. Dabei wird der zu kürzende Umsatz eingetragen, das Programm ändert in der Folge die Kassendaten entsprechend, wobei der Umsatzverkürzung auf alle verkauften Artikel prozentual umgelegt wird. Derartige Manipulationen können nur in Einzelfällen von der Betriebsprüfung aufgedeckt werden. Aus diesem Grund dürfen nach § 146a AO zukünftig nur noch Kassen mit einer zertifizierten Sicherheitseinrichtung verwendet werden.

5.111

Ungeachtet dessen stehen dem Betriebsprüfer infolge der Auslesung der Datenbank eine Vielzahl an sonstigen Informationen zur Verfügung. So kann z.B. die Anzahl der Öffnungen der Geldlade ohne Verkaufsvorgang abgebildet werden. Passiert dies in zu großer Anzahl, besteht der Verdacht, dass Umsätze teilweise nicht in der Kasse registriert wurden. Bei entsprechender Speicherung kann zudem angezeigt werden, welcher Umsatz auf welchen Tisch entfällt und wie oft Umsätze von einem Tisch auf einen anderen gebucht wurden. Relevant wird dies dann, wenn Produkte mehrfach verkauft, aber nur einmal als Einnahme erfasst werden, indem dasselbe Produkt von einem Tisch auf einen anderen umgebucht wird und dabei keine Rechnung ausgestellt wird.

5.112

VI. Verfahrensdokumentation Eng mit dem Datenzugriff verknüpft ist das Vorliegen einer Verfahrensdokumentation. Die Verfahrensdokumentation dient dabei dem Verständnis des Dateninhalts und soll eine systematische Prüfung der Daten ermöglichen. Beispielsweise muss es dem Prüfer möglich sein, die Entstehung, Verarbeitung und Speicherung eines Verkaufsvorgangs bis hin zur Berücksichtigung dieses Umsatzes in den Tagesseinnahmen nachverfolgen zu können.

5.113

Die Verfahrensdokumentation besteht in der Regel aus einer allgemeinen Beschreibung, einer Anwenderdokumentation, einer technischen Systemdokumentation, einer Betriebsdokumentation sowie der ursprünglichen Programmierung und den Änderungsprotokollen. Die gesetzliche Verpflichtung ergibt sich dabei neben § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO insbesondere aus § 145 Abs. 1 Satz 1 AO, gemäß dem sich der Prüfer als sachverständiger Dritter innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle verschaffen können muss.

5.114

Die Verfahrensdokumentation muss keine festgelegten Mindestvoraussetzungen erfüllen, sondern hängt von der Komplexität des Unternehmens ab. Je vielschichtiger die Vorgänge, desto höher sind die Anforderungen seitens der Betriebsprüfung an die Dokumentation. Dies kann von einer einfachen Belegorganisation bis zur umfangreichen Dokumentation aller im Einsatz befindlichen Verfahren und Anwendungen reichen.

5.115

VII. Kassenbuch Gegenstand jeder Betriebsprüfung ist die Kontrolle des Kassenbuchs, unabhängig davon, ob eine offene Ladenkasse oder ein elektronisches Kassensystem verwendet werden.

5.116

Das Kassenbuch ist das buchmäßige Abbild der Geschäftskasse und beinhaltet sämtliche Barbewegungen (Einnahmen, Ausgaben, Einlagen, Entnahmen) eines Betriebs. Dabei reicht es aus, wenn die Einnahmen täglich nur in einer Summe in das Kassenbuch eingetragen werden, solange das Zustandekommen dieser Summe durch entsprechende Belege, Tagesendsummenbons oder mittels Kassenberichten nachgewiesen werden kann.

5.117

Brenner | 525

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Kap. 5 Rz. 5.118 | Kassenführung

5.118

Das Kassenbuch kann sowohl händisch als auch elektronisch geführt werden. Dabei müssen die Änderungen klar erkennbar sein. Korrekturen sind demnach nicht durch Löschen bzw. Radieren, sondern mittels Durchstreichens kenntlich zu machen (sog. Radierungsverbot). Bei der Verwendung eines elektronischen Kassenbuchs ist darauf zu achten, dass sich Entstehung und Abwicklung der Geschäftsvorfälle nachvollziehen lassen müssen und die Buchungen chronologisch nach dem Buchungszeitpunkt sortiert werden. Aufgrund der fehlenden Nachvollziehbarkeit von Änderungen erfüllt z.B. ein mittels Excel erstelltes Kassenbuch diese Voraussetzungen nicht.

5.119

Beispiel eines Kassenbuchs: Mandantennr. Einnahmen

Ausgaben

Monat Bestand

120,00 30,00 50,00

40,00

Kontonr.

Blattnr.

Belegnummer

Datum

Buchungstext

19

1

01.02.

Tageseinnahme

19

2

01.02.

Tanken

19

3

01.02.

Wareneinkauf

USt-Satz

Gegenkonto

Summe Bestand Anfang/Ende gesamt

VIII. Geldtransit 5.120

Bei der Prüfung der Buchhaltungsdaten wird der Prüfer einen Abgleich der Konten „Kasse“, „Bank“ und „Geldtransit“ vornehmen, um mögliche Unregelmäßigkeiten aufzudecken. Dabei wird geprüft, ob das Datum der Entnahme aus der Kasse identisch ist mit dem Datum des Geldeingangs auf dem betrieblichen Bankkonto laut Kontoauszug. Im Gegenzug wird abgeglichen, ob hohe Einlagen in die Kasse durch vorherige Abhebungen vom betrieblichen Bankkonto erklärt werden können. Kommt es hier zu größeren Zeitabständen zwischen Ein- und Auszahlung, könnten rechnerische Kassenfehlbeträge verschleiert worden sein. Teilweise stimmen auch Ein- und Auszahlungsbeträge im Konto Geldtransit nicht überein. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sollte demnach eine strikte Trennung von privatem und betrieblichem Vermögen vorgenommen werden.

IX. Kassenfehlbeträge 5.121

Da sich in der Kasse nur physisch vorhandenes Bargeld befinden kann, kann der tatsächliche Kassenbestand niemals weniger als 0 € betragen. Kassenfehlbeträge entstehen, wenn an einem Tag mehr Ausgaben als die Summe aus Anfangsbestand der Kasse und der Einnahmen an diesem Tag aufgezeichnet wurden. Mittels Prüfungssoftware ist eine Prüfung des gesamten Prüfungszeitraums innerhalb von kurzer Zeit möglich und wird in der Regel bereits nach Übermittlung der Buchhaltungsdaten durchgeführt.

5.122

Dabei wird der Prüfer bei Bedarf auch auf die genaue Uhrzeit der Ein- und Auszahlungen achten. Teilweise kommt es vor, dass Bankeinzahlungen aufgrund der Höhe nur mit dem Um526 | Brenner

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F. Prüfungsansätze der Betriebsprüfung | Rz. 5.128 Kap. 5

satz des laufenden Tages getätigt werden können, die Einzahlung aber bereits vor Geschäftsbeginn erfolgte. Ebenso gibt es Fälle, in denen Einzahlungen in die Kasse erfolgten, aufgrund von Ausgaben aber bereits vor der Einzahlung ein Kassenfehlbetrag bestand (sog. untertägiger Kassenfehlbetrag). Da eine Geschäftskasse keinen Minusbestand haben kann, wird mit der Aufdeckung von Kassenfehlbeträgen nachgewiesen, dass betriebliche Geldbewegungen unrichtig verbucht worden sind. Kassenfehlbeträge lassen damit unabhängig von den tatsächlichen betrieblichen Geldbewegungen einen inneren Widerspruch der Kassenaufzeichnungen erkennen.1

5.123

Können diese Widersprüche nicht ausreichend begründet werden (z.B. aufgrund einer falschen chronologischen Verbuchung oder Fehlern bei der Einlageerfassung), kann dies von einer Hinzuschätzung in Höhe des Fehlbetrags bis hin zur Verwerfung der gesamten Buchhaltung reichen.

5.124

Teilweise werden Kassenfehlbeträge durch die Buchung von Einlagen ausgeglichen. Dies fällt insbesondere dann auf, wenn laut Buchhaltung ungerade Summen eingelegt werden, die der Höhe des ansonsten bestehenden Kassenfehlbetrags entsprechen, oder die Mittelherkunft der Einlagen nicht geklärt werden kann. Ebenso wird manchmal versucht, durch nicht chronologische Verbuchungen Kassenfehlbeträge zu verschleiern. Wird ein außergewöhnlich hoher Umsatz verbucht, der einen Kassenfehlbetrag verhindert, wird der Prüfer zudem abgleichen, ob diesem Umsatz ein entsprechender Wareneinkauf in zeitlicher Nähe gegenübersteht. Die Erfolgsaussichten derartiger Methoden sind demnach zweifelhaft und führen dazu, den Argwohn des Betriebsprüfers zu wecken. Der Steuerpflichtige sollte daher vielmehr von Anfang an dazu angehalten werden, die Zahlungsflüsse genau zu dokumentieren, um im Falle einer Betriebsprüfung keine Angriffspunkte zu bieten.

5.125

X. Kassensturzfähigkeit Nach ständiger Rechtsprechung müssen Kasseneingänge und Kassenausgänge derart aufgezeichnet werden, dass es jederzeit möglich ist, den Soll-Bestand nach den Kassenaufzeichnungen mit dem Ist-Bestand der Kasse auf die Richtigkeit abzugleichen.2 Dies wird als Kassensturzfähigkeit bezeichnet. Die Kassensturzfähigkeit ist eine wichtige Voraussetzung für die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung und gilt dabei für alle Arten von Kassen.3 Dabei sind auch Geldverschiebungen zwischen mehreren Geschäftskassen buchmäßig festzuhalten, weil andernfalls eine Abstimmung nicht möglich wäre.4

5.126

In der Praxis macht ein Kassensturz nur Sinn, wenn die Kasse vom Unternehmer selbst oder dessen nahen Angehörigen geführt wird. Dabei wird der in der Kasse befindliche Gelbetrag unter Berücksichtigung von Einlagen, Entnahmen sowie des Saldovortrags mit dem Bestand laut Kassenbuch abgeglichen. Das Zählen des Geldbestands wird durch den Steuerpflichtigen oder dessen Angestellten, nicht aber durch den Betriebsprüfer erfolgen.

5.127

Zu beachten ist, dass die Kassensturzfähigkeit zwar zu einem Zeitpunkt geprüft wird, der nicht im Prüfungszeitraum laut Prüfungsanordnung liegt. Der Betriebsprüfer ist jedoch be-

5.128

1 BFH v. 21.2.1990 – X R 54/87, BFH/NV 1990, 683. 2 BFH v. 26.8.1975 – VIII R 109/70, BStBl. II 1976, 210 Rz. 17. 3 Kuhni, juris Lexikon Steuerrecht, Bareinnahmen – die Betriebsprüfung bei bargeldintensiven Betrieben, Rz. 45. 4 BFH v. 17.11.1981 – VIII R 174/77, BStBl. II 1982, 430 Rz. 17.

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Kap. 5 Rz. 5.128 | Kassenführung

rechtigt, steuerlich relevante Sachverhalte durch Inaugenscheinnahme aufzuklären.1 Dabei wird unterstellt, dass aufgrund eines Kassensturzes festgestellte Mängel auch bereits im Prüfungszeitraum vorhanden waren und somit die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung nicht mehr gegeben ist.2

5.129

Die Kassensturzfähigkeit muss dabei zumindest am Ende des Tages gegeben sein, im Falle einer Einzelaufzeichnungspflicht auch jederzeit im Laufe des Geschäftstages.3

XI. Testbonierung 5.130

Durch die Vornahme von Testbonierungen kann überprüft werden, ob Systemänderungen an der Kasse vorgenommen wurden. Dabei werden verschiedene Geschäftsvorfälle in die auf null gestellte Kasse eingegeben. Anschließend wird mittels Ausdrucks des Tagesendsummenbons überprüft, ob sämtliche Vorfälle steuerlich wirksam berücksichtigt wurden. In diesem Zusammenhang wird der Steuerpflichtige auch dazu aufgefordert, einen Geschäftsvorfall vorzunehmen, um sich von der Ordnungsmäßigkeit zu überzeugen. Mögliche Feststellungen sind dabei Verbuchung auf Trainingsumsätze, das bloße Ausstellen von Zwischenrechnungen, die Unterscheidung der Umsatzsteuersätze oder der Zahlungsart. Bei der Verwendung von mehreren Kellnerschlüsseln wird überprüft, ob alle Kellnerumsätze in den Tageseinnahmen berücksichtigt werden.

5.131

Durch den Abgleich des aktuellen Tagesendsummenbons mit den Bons aus dem Prüfungszeitraum kann zudem überprüft werden, ob vor Beginn der Kassenprüfung Systemänderungen vorgenommen wurden. Da der steuerliche Berater bei Übernahme des Mandats in der Regel keine Überprüfung der Kasse vornimmt, sollte der Steuerpflichtige verstärkt auf die ordnungsgemäße Bedienung der Kasse hingewiesen werden. Eventuell sollte eine Schulung durch den Kassenhersteller empfohlen werden.

XII. Sonstige Systemprüfungen 1. Kellnerprogrammierung 5.132

Neben der bereits unter Rz. 5.106 ff. angesprochenen Überprüfung der Kassendaten können unter Zuhilfenahme der Bedienungs- und der Programmieranleitung des Kassensystems weitere Systemprüfungen durchgeführt werden. Während beispielsweise bei den Risikoprüfungen (s. Rz. 2.126 ff.) vor allem die in der Kasse niedergelegten Zahlenwerte untersucht werden, kommen bei der Systemprüfung aufgrund deren unkomplizierter Überprüfbarkeit insbesondere die Kellnerprogrammierung sowie die Stornierungseinstellungen in Betracht.

5.133

Aus der Kellnerprogrammierung ergibt sich, welche Berechtigungen der jeweilige Kellner hat, ob er Stornierungen vornehmen kann oder als Trainingskellner eingerichtet ist. Der Trainingskellner dient dazu, neue Mitarbeiter mit dem System üben zu lassen, ohne dass dessen Buchungen bei den Tageseinnahmen erfasst werden. Die Bedienung der Kasse als Trainingskellner sowie die Abrechnung mit dem Wirt unterscheiden sich grundsätzlich nicht von den anderen Kellnern. Der Unterschied besteht darin, dass die Umsätze des Trainingskellners nicht im Tagesumsatz enthalten sind. Der Betriebsprüfer wird deswegen ein verstärktes Au1 BFH v. 17.11.1981 – VIII R 174/77, BStBl. II 1982, 430 Rz. 26. 2 Kuhni, juris Lexikon Steuerrecht, Bareinnahmen – die Betriebsprüfung bei bargeldintensiven Betrieben, Rz. 52. 3 BFH v. 20.3.2017 – X R 11/16, BStBl. II 2017, 992 Rz. 41.

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F. Prüfungsansätze der Betriebsprüfung | Rz. 5.138 Kap. 5

genmerk darauf richten, ob ein Trainingskellner eingerichtet ist und wann welche Umsätze auf diesen gebucht wurden. Für den Mitarbeiter ist dabei in der Regel nicht ersichtlich, ob seine Umsätze nur als Trainingskellner erfasst werden.

2. Stornierungseinstellungen Anhand der Stornoeinstellungen ist ersichtlich, welche Stornierungsmöglichkeiten bestehen (z.B. Sofortstorno, Managerstorno, Warenrücknahme) und ob diese Stornierungen im Tagesabschluss angezeigt werden. In diesem Zusammenhang wird der Prüfer untersuchen, wie viele Stornierungen zu welchen Zeitpunkten durchgeführt wurden. Liegt eine ungewöhnlich hohe Anzahl an Stornierungen vor oder wurden sie erst nach Geschäftsschluss durchgeführt, erregt dies den Verdacht der Einnahmenverkürzung. Um dies zu vermeiden, sollten die Bediener der Kasse ausreichend geschult und Stornierungen möglichst zeitnah durchgeführt werden.

5.134

XIII. Warengruppenbericht Der Warengruppenbericht stellt den Anteil der verschiedenen Warengruppen am Gesamtumsatz sowohl prozentual als auch in Eurobeträgen dar. Eine Aufschlüsselung reicht im Falle einer Gaststätte bis zur Aufschlüsselung jedes einzelnen Gerichts und jedes Getränks (Anzahl und Gesamtbetrag). Zusammengefasst kann damit eine prozentuale Aufteilung der Umsätze in Getränke und Essen erfolgen.

5.135

Relevant wird dies im Rahmen einer Getränkekalkulation. Dabei wird der gesamte Getränkeeinkauf eines Jahres erfasst und nach Abzug von Schankverlust, Bruch, Freigetränken usw. mit den Verkaufspreisen im Prüfungszeitraum multipliziert. Der sich daraus ergebende Wert ist der Getränkeumsatz des untersuchten Jahres. Mittels des Umsatzverhältnisses von Getränken und Essen laut Warengruppenbericht kann demnach der jährliche Gesamtumsatz kalkuliert werden.

5.136

Insbesondere in Fällen, in denen Einnahmen gar nicht erst in der Kasse erfasst oder bei der Verwendung von mehreren Kassen die Umsätze einer Kasse nicht angegeben wurden, ist eine solche nachträgliche Kalkulation eine Möglichkeit der Betriebsprüfung, Umsatzverkürzungen aufzudecken.

5.137

Beispiel: Der Wareneinsatz für Getränke beträgt 100.000 €. Abzüglich eines 10 %igen Abschlags für Schankverlust, Bruch, usw. ergibt sich ein Wareneinsatz von 90.000 €. Jedes einzelne Getränk wird in der Folge in der ausgeschenkten Menge (z.B. 0,5 Liter) mit dem Verkaufspreis laut Speisekarte in diesem Jahr multipliziert. Daraus ergibt sich ein Umsatz von 300.000 €. Das Verhältnis von Getränken zu Essen laut Warengruppenbericht beträgt 30:70. Der kalkulierte Gesamtumsatz beträgt damit 1.000.000 €.

5.138

Mit Hilfe des Warengruppenberichts ist somit ein Abgleich des kalkulierten Umsatzes mit dem erklärten Umsatz möglich. Ergeben sich hierbei erhebliche Abweichungen, besteht der Verdacht einer Einnahmeverkürzung. Daneben ist ein Abgleich von eingekaufter Menge laut den Einkaufsrechnungen und verkaufter Menge laut Warengruppenbericht möglich. Zudem weist er die Anzahl der Stornierungen sowie negative Umsatzbuchungen (z.B. die Stornierung von 6 Flaschen Wasser, obwohl nur 4 verkauft wurden) aus. Aufgrund der erheblichen steuerlichen Auswirkungen kann eine Nachkalkulation im Falle von derartigen Umsatzverkürzungen existenzbedrohende Wirkung entfalten. Die Steuerpflichtigen sollten demnach nachdrücklich auf eine korrekte Verbuchung der Geschäftsvorfälle hingewiesen werden. Im Falle einer Nachkalkulation ist aus Sicht des Steuerberaters darauf zu achten, dass der Warengruppenbericht eine aussagekräftige Dauer von zumindest mehreren Monaten umfasst. Warengruppen-

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Kap. 5 Rz. 5.138 | Kassenführung berichte über einen Zeitraum von nur wenigen Tagen sind nicht geeignet, das Verhältnis von Getränken und Essen für den gesamten Prüfungszeitraum darzustellen, ebenso wenig lässt ein solcher Zeitraum Aussagen über das Verhältnis von Wareneinsatz und Umsatz zu. Spiegelt der zugrunde gelegte Warengruppenbericht nicht die tatsächlichen Verhältnisse wider, kann es trotz korrekter Erfassung aller Einnahmen zu Abweichungen von Nachkalkulation und erklärten Einnahmen kommen.

XIV. Sonstige Berichte 5.139

Neben dem Warengruppenbericht können zahlreiche weitere Berichte von einer elektronischen Kasse ausgedruckt werden.

5.140

Hierzu zählen Kellnerberichte (s. Rz. 5.132 f.), die den Umsatz der einzelnen Kellner auflisten. Auch diese Berichte sind zwingend aufzubewahren,1 da die Summe aller Kellnerumsätze dem Umsatz auf dem Z-Bon des jeweiligen Tages entsprechen muss.

5.141

Mit Hilfe eines Zeitzonenberichts kann überprüft werden, – zu welchen Zeiten welcher Umsatz erwirtschaftet wurde, – wie hoch der durchschnittliche Umsatz pro Kunde im jeweiligen Zeitraum war, – oder ob zu bestimmten Zeiten negative Umsätze gebucht wurden (z.B. durch Stornierungen nach Geschäftsschluss).

5.142

Daneben gibt es teilweise Tischberichte, auf denen der Umsatz der einzelnen Tische erfasst wurde. Damit kann der Prüfer beispielsweise kontrollieren, ob negative Umsätze immer auf einen bestimmten Tisch gebucht wurden.

XV. Innerer Betriebsvergleich 5.143

Während der äußere Betriebsvergleich dazu dient, insbesondere den Rohgewinnsatz sowie den Rohgewinnaufschlagsatz mit den Werten ähnlicher Betriebe zu vergleichen, werden dem inneren Betriebsvergleich die Kassendaten zugrunde gelegt.

5.144

Der innere Betriebsvergleich beruht dabei auf einer Gegenüberstellung und Analyse innerbetrieblicher Daten im Prüfungszeitraum. Mit Hilfe der Kassendaten kann überprüft werden, ob Rohgewinnsatz und Rohgewinnaufschlagsatz starken Schwankungen unterliegen. So wird z.B. davon ausgegangen, dass beim Betrieb einer Gaststätte mit Biergarten während der Sommermonate der Rohgewinnaufschlagsatz steigt. Ebenso kann überprüft werden, ob Umsatzveränderungen entsprechende Auswirkungen auf den Wareneinkauf hatten. Zudem ist ein Vergleich der Prüfungsjahre untereinander möglich. Unregelmäßigkeiten führen dabei in der Regel zu Rückfragen im Rahmen einer Betriebsprüfung.

G. Kassenmängel I. Grundsatz 5.145

Hintergrund der Kassenprüfung ist die Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung des Steuerpflichtigen. Zur Überprüfung wird der Prüfer durch Vornahme einer Kassen-Nach1 BFH v. 30.11.1989 – I R 225/84, BFH/NV 1991, 356 Rz. 18.

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G. Kassenmängel | Rz. 5.149 Kap. 5

schau (s. Rz. 3.325 ff.) bereits vor Erlass der Prüfungsanordnung eine Kassenauslesung durchführen. Hier wird er insbesondere eine Prüfung der formellen Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung vornehmen und sich auf solche Mängel konzentrieren, die bereits vor Ort festgestellt werden können. Nach Durchführung der Kassen-Nachschau wird in der Regel eine Prüfungsanordnung erlassen und die Übermittlung der Buchhaltungsdaten angefordert werden. Dabei besteht die Möglichkeit, dass der Prüfer entweder die Kassendaten gleich mit anfordert oder im Rahmen der Betriebsbesichtigung eine erneute Kassenauslesung durchführt, wobei sich der Fokus auf die Daten des Prüfungszeitraums richten wird. Die Auswertung der Daten wird der Betriebsprüfer dabei nicht vor Ort, sondern erst im Innendienst vornehmen.

5.146

Ausgehend von den Ergebnissen der durchgeführten Prüfungshandlungen (s. Rz. 5.94 ff.) wird der Steuerpflichtige zur Stellungnahme zu den vorläufigen Feststellungen aufgefordert. Das bedeutet, dass den Prüfer grundsätzlich die objektive Beweislast hinsichtlich etwaiger Kassenmängel trifft.1 Kann der Steuerpflichtige diese in der Folge nicht entkräften, führt dies in der Regel zu für ihn nachteiligen Abweichungen der vorgelegten Buchführung.

5.147

II. Arten 1. Formelle Mängel a) Schwere formelle Mängel aa) Verschiedene Kassenformen Grundsätzlich unterscheidet man zwischen formellen und materiellen Mängeln. Abhängig davon, welches Gewicht die Mängel haben, kann die Buchführung nichtsdestotrotz noch ordnungsgemäß sein. Liegen dagegen schwere Mängel vor, ist die Richtigkeit der vorgelegten Buchhaltung nicht mehr gegeben.

5.148

Schwere formelle Mängel betreffen die Organisation des Rechnungswesens bzw. der Kassenführung. Hierbei ist zwischen den verschiedenen Kassenformen zu unterscheiden. Dazu wurden in der Vergangenheit u.a. folgende Mängel festgestellt:

5.149

bb) Offene Ladenkasse ohne Vorliegen von Einzeldaten – Die offene Ladenkasse wird nur rechnerisch geführt, ohne dass der tatsächliche Bargeldbestand täglich gezählt wird. Eine Kassensturzfähigkeit ist nicht gewährleistet.2 – Es wird kein täglicher Kassenbericht erstellt.3 cc) ECR-Kasse ohne Einzeldatenspeicherung – Die Programmierungsunterlagen oder Protokolle nachträglicher Änderungen können nicht vorgelegt werden.4

1 2 3 4

Kamps, Stbg 2017, 201, 201. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743 Rz. 29. BFH v. 16.12.2016 – X B 41/16, BFH/NV 2017, 310 Nr. 3 Rz. 25. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743 Rz. 26.

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Kap. 5 Rz. 5.149 | Kassenführung

– Die Organisationsunterlagen sind nicht vorhanden, unvollständig oder entsprechen nicht den tatsächlichen Abläufen im Betrieb.1 – Die fortlaufende Nummer wird nicht auf den Tagesendsummenbons abgedruckt.2 – Die Tagesendsummenbons werden nicht vollständig aufbewahrt.3 – Die Finanzberichte weisen weder Stornierungen oder Negativbuchungen auf.4 ee) Allgemeine schwere formelle Mängel – Es liegt eine fehlerhafte oder unvollständige Inventur vor. – Es existiert keine Verfahrensdokumentation. Allerdings liegt nur dann ein schwerer formeller Mangel vor, wenn hierdurch die Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit der Buchführung beeinträchtigt wird. – Es fehlt am vollständigen Belegnachweis. – Die Einzeldaten wurden trotz Verpflichtung nicht aufbewahrt.5 – Änderungen im Kassenbuch sind nachträglich nicht mehr erkennbar. b) Leichte formelle Mängel

5.150

Leichte formelle Mängel allein führen noch nicht allein zur Aufhebung der Beweiskraft der Buchführung. Anders ist dies jedoch, wenn sich die Geschäftsvorfälle nach § 145 Abs. 1 Satz 2 AO aufgrund der vorliegenden Mängel in ihrer Entstehung und Abwicklung nicht mehr verfolgen lassen. Beispiele für leichte formelle Mängel sind: – Der Name des Geschäfts wird nicht auf dem Tagesendsummenbon aufgeführt. – Der Tagesendsummenbon enthält keinen Abschlusszeitpunkt (d.h. Uhrzeit und Datum des Ausdrucks).6 – Das Kassenbuch ist veränderbar angelegt (z.B. als Excel-Datei). – Die Belege liegen zwar vollständig vor, die Belegablage ist aber unübersichtlich und nicht in angemessener Zeit überprüfbar. dd) ECR-Kasse bzw. PC-Kasse mit Einzeldatenspeicherung – Der Steuerpflichtige verletzt seine Mitwirkungspflicht nach § 200 Abs. 1 AO, indem er dem Betriebsprüfer den Datenzugriff verweigert.7 – Stornierungen und die Einrichtung eines Trainingskellners können derart unterdrückt werden, dass diese Daten nachträglich nicht mehr nachvollziehbar sind.8 1 2 3 4 5 6 7 8

Henn, DB 2016, 259. FG Düsseldorf v. 20.7.2004 – 18 V 2853/04 A (E, U), openJur 2011, 28432 Rz. 24. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743 Rz. 24. FG Münster v. 22.12.2014 – 9 V 1742/14 G, juris Rz. 91. AEAO zu § 158. BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743 Rz. 25. Peters, DB 2018, 2846 (2850). FG Berlin-Bdb. v. 24.8.2016 – 5 V 5089/16, DStRE 2017, 885 Nr. 14 Rz. 19.

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G. Kassenmängel | Rz. 5.154 Kap. 5

– Die Zahlungswege werden nicht aufgeschlüsselt dokumentiert.1 – Die Programmierung sowie die Änderungen der Kasse wurden nicht dokumentiert.2 – Es wurde eine Manipulationssoftware zur Einnahmeverkürzung verwendet. c) Formell ordnungsgemäße Buch- und Kassenführung Selbst bei Vorliegen einer formell ordnungsgemäßen Buchführung besteht aber keine Pflicht des Prüfers, die Buchführung des Steuerpflichtigen ohne Änderungen zu übernehmen. Um von der vorgelegten Buchführung steuererhöhend abweichen zu können, müssen allerdings höhere Voraussetzungen erfüllt werden als bei einer ordnungswidrigen Buchführung.

5.151

So handelt es sich z.B. bei der Nachkalkulation um eine anerkannte Schätzungsmethode, die die Beweiskraft einer formell ordnungsmäßigen Buchführung widerlegen und in Höhe der errechneten Beträge nicht verbuchte Betriebseinnahmen nachweisen kann.3 Liegt dabei eine erhebliche Abweichung des Kalkulationsergebnisses von den erklärten Einnahmen vor, kann auch eine formell ordnungsgemäße Buchführung verworfen werden.

5.152

2. Materielle Mängel a) Schwere materielle Mängel Schwere materielle Mängel liegen vor, wenn Geschäftsvorfälle nicht, fehlerhaft oder unvollständig aufgezeichnet wurden und sie so viel Gewicht haben, dass die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht mehr gegeben ist:

5.153

– Einnahmen werden nicht erfasst. – Es werden keine Kassenaufzeichnungen geführt. – Das Kassenbuch wird nicht zeitnah oder chronologisch geführt. – Es liegen zahlreiche Kassenfehlbeträge vor. – Ein Kassensturz ist nicht möglich. – Einlagen und Entnahmen werden nicht zeitgerecht verbucht. – EC-Kartenzahlungen werden als Bareinnahme erfasst. – Es werden keine Eigenbelege für Einlagen und Entnahmen erstellt. – Hohe Einlagen können nicht belegt werden. – Es erfolgt eine Nachbuchung von Einnahmen im Jahresabschluss. – Es werden nachträglich Änderungen an den Kassendaten vorgenommen. Allein die nachträgliche Beseitigung dieser Mängel führt nicht wieder zur Ordnungsmäßigkeit der restlichen Buchführung. Eine darüberhinausgehende Schätzung ist möglich bzw. sogar zwingend geboten. Je schwerwiegender sich die Mängel darstellen, desto gröber kann auch die

1 FG Münster v. 22.12.2014 – 9 V 1742/14 G, juris Rz. 90. 2 BFH v. 25.3.2015 – X R 20/13, BStBl. II 2015, 743 Rz. 26. 3 FG München v. 4.5.2010 – 13 V 540/10, juris Rz. 15.

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5.154

Kap. 5 Rz. 5.154 | Kassenführung

Schätzung ausfallen.1 Zudem spielt es für die steuerliche Betrachtung keine Rolle, ob die Mängel bewusst oder unbewusst verursacht wurden. b) Leichte materielle Mängel

5.155

Um leichte materielle Mängel handelt es sich insbesondere bei einzelnen, nicht systematischen Fehlern: – Bei einzelnen Beträgen wird sich verrechnet oder verzählt. – Es liegen seltene und niedrige Kassenfehlbeträge vor. – Eine einzelne Einnahme wurde nicht oder nicht richtig verbucht.

3. Zusammenfassung 5.156

Die Frage, ob die Beweiskraft der vorgelegten Buchführung in Zweifel gezogen wird, hängt vom Gewicht der Mängel sowie von den Verhältnissen des Einzelfalls ab.

5.157

Schwere Mängel führen dabei grundsätzlich zur Verwerfung der Buchhaltung und begründen eine steuerliche Schätzungsbefugnis. Während bei materiellen Mängeln jedenfalls in Höhe der gefundenen Fehler eine Hinzuschätzung erfolgt, müssen im Falle von formellen Mängeln deren steuerliche Auswirkungen genauer untersucht werden. Formelle Mängel ergeben sich dabei im Rahmen der Überprüfung der Ordnungsvorschriften, materielle Mängel in Form von Einnahmeverkürzungen werden dagegen oftmals erst durch Kalkulationen und Verprobungen offenbar.

III. Rechtsfolgen 1. Steuerliche Auswirkungen 5.158

Wurde in Folge von formellen bzw. materiellen Mängeln die Buchführung verworfen, ist bei den Rechtsfolgen zwischen den steuerlichen und den strafrechtlichen Auswirkungen zu unterscheiden.

5.159

Aus steuerlicher Sicht sind gemäß § 158 AO die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. § 158 AO gilt auch für die Aufzeichnungen eines Einnahmen-Überschuss-Rechners, soweit sie den §§ 140–148 AO entsprechen.

5.160

Werden häufige und/oder schwere Mängel festgestellt, wird der Betriebsprüfer jedoch den gesamten Aufzeichnungen die Ordnungsmäßigkeit absprechen. In diesem Fall besteht eine Schätzungsbefugnis des Finanzamts gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 AO. Steuernachforderungen sind in diesem Fall kaum mehr zu vermeiden. Fraglich ist dann nur noch die Höhe der Nachzahlung.

5.161

Die Hinzuschätzungen haben dabei in der Regel Auswirkungen auf die Umsatzsteuer, die Gewerbesteuer und die Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer. Im Falle von schweren formellen Mängeln allein ist bereits eine Hinzuschätzung von bis zu 10 % nicht als überhöht angese1 BFH v. 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 Rz. 34.

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H. Handlungsempfehlung | Rz. 5.166 Kap. 5

hen worden.1 Materielle Mängel berechtigen daneben stets, unabhängig vom Ergebnis einer zusätzlich durchgeführten Kalkulation, jedenfalls in Höhe des Fehlers zur Hinzuschätzung.2 Dies kann beispielsweise beim Vorliegen mehrerer Kassenfehlbeträge von der Hinzuschätzung in Höhe nur des höchsten Fehlbetrags bis zur Summe aller Fehlbeträge führen. Daneben kann es im Falle zahlreicher Mängel zusätzlich noch zu einem sog. Sicherheitszuschlag kommen. Dieser soll die Unsicherheiten, die durch eine nur punktuelle Korrektur materieller Mängel entstanden sind, ausgleichen.3 Dabei ist aus Beratersicht aber darauf zu achten, dass festgestellte Mängel von der Betriebsprüfung nicht mehrfach gewinnerhöhend berücksichtigt werden.

2. Strafrechtliche Auswirkungen Neben den steuerlichen Auswirkungen kann es im Falle formeller und materieller Mängel auch zu strafrechtlichen Folgen kommen.

5.162

Im Hinblick auf die Ordnungsmäßigkeit bei der Verwendung elektronischer Kassen ist dabei insbesondere an die Vorgaben des § 146a AO zu denken. Wer ein nicht zugelassenes elektronisches Aufzeichnungssystem verwendet, verhält sich gem. § 379 Abs. 1 AO ordnungswidrig. Gemäß § 379 Abs. 6 AO kann dies mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 € geahndet werden.

5.163

Abhängig vom subjektiven Tatbestand und der Art und Höhe der Steuerverkürzung kommt, unabhängig von den Vorschriften zur ordnungsgemäßen Kassenführung, eine Strafbarkeit wegen leichtfertiger Steuerverkürzung nach § 378 AO oder sogar wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO in Betracht. Insbesondere im Fall von zahlreichen materiellen Mängeln oder des Nachweises erheblicher Einnahmeverkürzungen können strafrechtliche Folgen in der Regel nicht mehr vermieden werden.

5.164

H. Handlungsempfehlung I. Bei Mandatsübernahme bzw. Betriebseröffnung Im Hinblick auf die gesetzlichen Verschärfungen rückt die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung zunehmend in den Fokus der Finanzbehörden. Aufgrund der drohenden erheblichen Nachzahlungen im Falle einer Betriebsprüfung empfiehlt es sich daher, den Mandanten bereits bei Übernahme des Mandats bzw. bei Betriebseröffnung möglichst umfassend auf die gesetzlichen Pflichten hinzuweisen.

5.165

Dies beginnt bereits bei der Wahl der Kasse. Eine offene Ladenkasse erfordert zwar weniger Aufzeichnungen, ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn es sich um einen inhabergeführten Betrieb von überschaubarer Größe handelt. Der Betrieb eines elektronischen Kassensystems mit Einzeldatenspeicherung dagegen ist zwar mit viel umfangreicheren Pflichten verbunden und kann daher von der Betriebsprüfung leichter auf Mängel überprüft werden. Im Gegenzug bietet ein solches Kassensystem aber einen aussagekräftigen Überblick über den Wareneinsatz sowie über den erzielten Umsatz und ermöglicht eine bessere Überwachung der Angestellten. Der zunehmende bargeldlose Zahlungsverkehr schließt zudem eine Befreiung von der Ein-

5.166

1 FG Düsseldorf v. 26.3.2012 – 6 K 2749/11 K, G, U, F, juris Rz. 25. 2 Klingebiel, NWB 41/2008, 3849, 3851. 3 Kuhni, juris Lexikon Steuerrecht, Bareinnahmen – die Betriebsprüfung bei bargeldintensiven Betrieben, Rz. 71.

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Kap. 5 Rz. 5.166 | Kassenführung

zelaufzeichnungspflicht aus (s. Rz. 5.15 ff.). Dies ist zwar unabhängig von der Art der verwendeten Kassenart, eine offene Ladenkasse ist bei bestehender Einzelaufzeichnungspflicht jedoch nicht mehr sinnvoll. Die Verwendung einer offenen Ladenkasse wird aus diesem Grund nur in wenigen Fällen zu empfehlen sein.

5.167

Um für den Fall einer Betriebsprüfung gut gewappnet zu sein und mögliche Feststellungen des Prüfers entkräften zu können, ist der Mandant auf die bestehenden gesetzlichen Verpflichtungen hinzuweisen. Diese ergeben sich insbesondere aus den unter Rz. 5.94 ff. dargelegten Prüfungsansätzen der Betriebsprüfung. Neben der Speicherung bzw. Aufbewahrung der gesetzlich vorgeschriebenen Daten sollten zudem zusätzlich noch freiwillige Aufzeichnungen angelegt werden. Im Bereich der Gastronomie kommen dabei folgende freiwillige Aufzeichnungen in Frage: Freigetränke und Gutscheine, Mittagsmenüs, Verderb und Schwund, Rezepturen und Mengenangaben sowie Öffnungszeiten und Betriebsurlaub.

5.168

Grundsätzlich empfiehlt es sich also, möglichst alle steuerrelevanten Vorgänge zu dokumentieren. Je mehr Aufzeichnungen vorhanden sind, desto weniger Zweifel bestehen an der Kassenführung des Steuerpflichtigen und desto schwerer kann eine solche im Rahmen einer Betriebsprüfung verworfen werden. In diesem Zusammenhang sollten jedenfalls zu Beginn die tatsächlichen Betriebsabläufe auf ihre Ordnungsmäßigkeit hin kontrolliert werden und der Steuerpflichtige auf die erheblichen, teilweise existenzgefährdenden steuer- und strafrechtlichen Konsequenzen im Falle einer festgestellten Einnahmenverkürzung hingewiesen werden.

II. Während einer Betriebsprüfung 5.169

Wird eine Betriebsprüfung durch eine Prüfungsanordnung angekündigt, ist das Kind sozusagen bereits in den Brunnen gefallen, Versäumnisse bei der Kassenführung sind für den Prüfungszeitraum dann nicht mehr korrigierbar. Ungeachtet dessen sollte der Steuerpflichtige vor Beginn der Prüfung sämtliche vorhandenen Unterlagen sammeln und ordnen, um auf Rückfragen des Betriebsprüfers schnell reagieren und Hinzuschätzungen aufgrund fehlender Belege vermeiden zu können.

5.170

Aus Sicht des steuerlichen Beraters ist eine erfolgreiche Gegenwehr insbesondere bei Vorliegen zahlreicher formeller Mängel nur im Einzelfall möglich. Allenfalls bei geringfügigen Mängeln kann die Verwerfung der vorgelegten Buchführung verhindert werden. Ungeachtet dessen muss jeder durch den Betriebsprüfer festgestellte Mangel sorgfältig auf seine Richtigkeit hin überprüft werden. Liegen beim geprüften Betrieb in diesem Zusammenhang Besonderheiten vor, müssen diese unbedingt vorgebracht und bestenfalls durch Belege nachgewiesen werden.

5.171

Ist eine Hinzuschätzung unvermeidbar, muss der Fokus auf die steuerlichen Auswirkungen der gefundenen Mängel gelegt werden. Je geringer sich die formellen Mängel gewinnmindernd ausgewirkt haben, desto geringer sollte auch der Betrag der Hinzuschätzung ausfallen. Die Schätzungsbefugnis an sich beinhaltet nur ein grundsätzliches Recht zur Abweichung von der vorgelegten Buchführung, aber noch keine automatische Befugnis zur Hinzuschätzung in einer bestimmten Höhe. Eine solche Befugnis ergibt sich erst dann, wenn die formellen Mängel der Kassenführung Anlass dazu geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln. Dies ist der Fall, wenn die formellen Mängel Einfluss auf den zu versteuernden Gewinn genommen haben (können). Je gravierender sich der Mangel darstellt, desto gröber kann die Schätzung ausfallen.1 Unsicherheiten gehen dabei zu Lasten des Steuerpflich1 BFH v. 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 Rz. 34.

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H. Handlungsempfehlung | Rz. 5.173 Kap. 5

tigen, da er seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Kassenführung nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist. Im Falle einer nachgewiesenen Kassenmanipulation kann dies sogar zu einer Hinzuschätzung am oberen Rahmen des Richtsatzes führen.1 Eine Schätzung scheidet allerdings aus, wenn die durch die Fehler der Buchführung verursachten Unklarheiten und Zweifel durch anderweitige zumutbare Ermittlungen beseitigt werden können. Können entsprechende Nachweise durch den Steuerpflichtigen erbracht werden, kann dies zu einer erheblichen Verringerung der Hinzuschätzung führen.2

5.172

Gegen festgestellte punktuelle materielle Mängel kann dagegen nur wenig eingewandt werden. Umso größer ist dagegen der Spielraum bei pauschalen Hinzuschätzungen oder Gewinnerhöhungen aufgrund einer durchgeführten Kalkulation. Individuelle betriebliche Besonderheiten und entsprechende stichhaltige Nachweise, die die Annahmen bzw. Berechnungsgrundlagen des Betriebsprüfers entkräften, können ebenso wie bei den formellen Mängeln zu einer wesentlichen Verringerung der Nachzahlung führen. Aus Sicht des steuerlichen Beraters ist ein intensives Studium der vorhandenen Unterlagen sowie eine genaue Analyse der Feststellungen der Betriebsprüfung daher unerlässlich, um erhebliche Steuernachforderungen oder sogar eine drohende Insolvenz des Mandanten abwenden zu können.

5.173

1 BGH v. 29.1.2014 – 1 StR 561/13, NStZ 2014, 337 Rz. 20. 2 BFH v. 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 Rz. 23.

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Kapitel 6 Konzerne in der Betriebsprüfung A. Betriebsprüfung bei Konzernen und sonstigen zusammenhängenden Unternehmen I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prüfung eines Konzerns i.S.d. § 13 Abs. 1 BpO 1. Definition des Begriffs Konzern 2. Vorschriften des Aktiengesetzes 3. Außenumsatz von mehr als 25 Mio. Euro . . . . . . . . . . . . . . 4. Unterordnungskonzern a) Voraussetzung für die Prüfung unter einheitlicher Leitung eines Finanzamts . . b) Herrschendes Unternehmen c) Abhängige(s) Unternehmen d) Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung . . . . . . . . . 5. Gleichordnungskonzern . . . . . 6. Konzernunternehmen a) Definition des Begriffs Konzernunternehmen . . . . . . . . b) Beispielsfälle zu Konzernen . III. Prüfung eines Konzerns i.S.d. § 18 Satz 1 Nr. 1 BpO . . . . . . . . . . IV. Prüfung sonstiger zusammenhängender Unternehmen nach § 18 Satz 1 Nr. 2 BpO . . . . . . . . . . V. Prüfung bei international verbundenen Unternehmen . . . . . . . . . . . VI. Leitung der Konzernbetriebsprüfung 1. Grundsätze zur Bestimmung des für die Leitung der Konzernprüfung zuständigen Finanzamts . 2. Prüfschema zur Ermittlung der Zuständigkeit für die Leitung der Konzernprüfung . . . . . . . . 3. Ausgewählte Beispiele aus der Praxis zur Bestimmung des für die Leitung der Prüfung zuständigen Finanzamts a) Konzernspitze ist natürliche Person . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konzernspitze ist eine vermögensverwaltende Kommanditgesellschaft . . . . . . . . c) Ausländischer Konzern . . . .

6.1 6.6 6.12 6.14

6.15 6.16 6.17 6.20 6.23 6.25 6.30 6.33 6.35 6.38

6.41 6.46

6.47 6.51 6.52

VII. Einleitung der Konzernprüfung 1. Allgemeines zum Ablauf einer Konzernprüfung . . . . . . . . . . . 2. Prüfungsaufruf . . . . . . . . . . . . . 3. Vorzeitige Prüfung abhängiger Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . 4. Prüfungsersuchen/Prüfungsbeauftragung . . . . . . . . . . . . . . 5. Zugehörigkeit zu mehreren Konzernen . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beginn der Konzernprüfung a) Festlegung und Mitteilung eines einheitlichen Prüfungszeitraums . . . . . . . . . . . . . . . b) Ernsthafte Prüfungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verschiebung des Prüfungsbeginns durch Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Festlegung eines einheitlichen Prüfungszeitraums . . . . . . . . . . . . IX. Richtlinien zur Durchführung der Konzernprüfung 1. Kein umfassendes Weisungsrecht durch das leitende Finanzamt . 2. Teilnahme an Besprechung/ Schlussbesprechung bei Prüfung konzernabhängiger Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Schlussbesprechung . . . . . . . . . . . . XI. Abstimmung und Freigabe der Prüfungsberichte für abhängige Konzernunternehmen . . . . . . . . . . XII. Prüfungsbericht und Auswertung der Prüfungsfeststellungen . . . . . . XIII. Konzernübersicht/Konzernverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Mitwirkung des Bundeszentralamts für Steuern an der Konzernprüfung 1. Teilnahme mehrere Finanzbehörden an Konzernbetriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art und Umfang der Mitwirkung des BZSt . . . . . . . . . . . . . 3. Mitwirkung des BZSt bei Außenprüfungen – Sonderfälle . . . . .

6.54 6.58 6.66 6.68 6.73

6.74 6.76 6.78 6.81

6.85

6.89 6.91 6.95 6.103 6.107

6.112 6.115 6.119

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Kap. 6 | Konzerne in der Betriebsprüfung 4. Erstellung und Auswertung eines Prüfungsberichts bei Mitwirkung des BZSt . . . . . . . 5. Leitendes Finanzamt muss BZSt den finalen Prüfungsbericht zusenden . . . . . . . . . . . XV. Mitwirkung von Fachprüfern der Landesfinanzbehörden an der Konzernbetriebsprüfung 1. Beteiligung verschiedener Fachprüfer . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erstellung und Auswertung des Prüfungsberichts bei Mitwirkung von Fachprüfern . . . . 3. Übermittlung des Prüfungsberichts an Fachprüfer . . . . . . XVI. Mitwirkung eines Gewerbesteuerprüfers der Gemeinde 1. Fachprüfer für Gewerbesteuer der Gemeinden . . . . . . . . . . . . 2. Erstellung und Auswertung des Prüfungsberichts bei Mitwirkung von Gewerbesteuerprüfern der Gemeinde . . . . . . . 3. Übermittlung des Prüfungsberichts an den Gewerbesteuerprüfer . . . . . . . . . . . . . . . XVII. Konzernprüfung in der Praxis 1. Besonderheiten einer Konzernprüfung in der Praxis . . . . . . . 2. Fristverlängerung zur Abgabe der Steuererklärungen . . . . . . . 3. Freiwillige Steuerzahlungen wegen Prüfungsdauer . . . . . . . 4. Verlagerung der elektronischen Buchführung ins Ausland . . . . 5. Durchführung einer koordinierten Lohnsteuer-Außenprüfung bei einem Konzern . . . . . . . . . B. Ertragsteuerliche Organschaft I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Organschaftsrechtliche Grundlagen 1. Körperschaftsteuerliche Organschaft a) Voraussetzungen und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensrechtliche Aspekte aa) Selbstständigkeit von Organträger und Organgesellschaft . . . . . . . . . . bb) Veranlagung . . . . . . . . .

6.123 6.126

6.128 6.130 6.133

6.134

6.138 6.140

III.

6.141 6.142 6.147 6.151 6.154 6.156

6.159

6.162 6.163

C. I. II.

cc) Rechtsschutz (1) Überblick . . . . . . . . . . . (2) Rechtsschutzziel: Anerkennung der körperschaftsteuerlichen Organschaft (a) Besteuerungszeitraum bis Veranlagungszeitraum 2013 . . . . . . . . . . (b) Besteuerungszeitraum ab Veranlagungszeitraum 2014 . . . . . . . . . . (3) Rechtsschutzziel: Einkommensminderung (a) Besteuerungszeitraum bis Veranlagungszeitraum 2013 . . . . . . . . . . (b) Besteuerungszeitraum ab Veranlagungszeitraum 2014 . . . . . . . . . . 2. Gewerbesteuerliche Organschaft a) Voraussetzungen und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensrechtliche Aspekte aa) Veranlagung . . . . . . . . . bb) Rechtsschutz . . . . . . . . . Prüfung der Besteuerungsgrundlagen 1. Körperschaftsteuerliche Organschaft a) Prüfungsablauf aa) Organträger und Organgesellschaft als eigenständige Prüfungsobjekte . . bb) Zuständigkeit . . . . . . . . cc) Prüfungsanordnung . . . dd) Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse . . . . . . . . . ee) Selbstanzeige . . . . . . . . ff) Schätzung von Besteuerungsgrundlagen . . . . . gg) Informationsrechte des Steuerpflichtigen . . . . . hh) Beendigung der Prüfung b) Prüfungsinhalt . . . . . . . . . . 2. Gewerbesteuerliche Organschaft a) Prüfungsablauf . . . . . . . . . . b) Prüfungsinhalt . . . . . . . . . . Umwandlungen Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prüfungsanordnung 1. Adressat und Bekanntgabe . . . 2. Verschmelzung . . . . . . . . . . . .

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6.170

6.172 6.175

6.176 6.178 6.180 6.182 6.183

6.184 6.186 6.190 6.192 6.195 6.196 6.197 6.198 6.201 6.205 6.207 6.209 6.214 6.215

A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.2 Kap. 6 3. Abspaltung und Ausgliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufspaltung . . . . . . . . . . . . . . . 5. Formwechselnde Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Folgen bei fehlerhafter Bekanntgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umwandlungen als Prüfungsgegenstand 1. Die Frage nach dem Prüfungssubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umwandlungen nach §§ 3 ff. UmwStG a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungshandlungen . . . . . . 3. Umwandlungen nach §§ 11 ff. UmwStG a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungshandlungen . . . . . . 4. Umwandlungen nach §§ 20 ff. UmwStG a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungshandlungen . . . . . . 5. Umwandlungen nach §§ 24 ff. UmwStG a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungshandlungen . . . . . . IV. Prüfungsbericht und Bescheide nach Betriebsprüfung 1. Bescheide nach Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.220 6.221 6.222 6.224

D.

6.226

I. II. III.

6.227 6.232

IV.

6.235 6.240 V. 6.241 6.246 6.247 6.249 VI.

2. Gesamtrechtsnachfolge . . . . . . 3. Spaltung, Ausgliederung, Vermögensübertragung im Wege der Teilübertragung . . . . . . . . . 4. Formwechselnde Umwandlung Tax Compliance Management System: Auswirkungen und Nutzbarmachung in der Betriebsprüfungspraxis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen der Tax Compliance . Grundelemente eines Tax Compliance Management Systems . . . . Gegenwärtige Bedeutung eines Tax Compliance Management Systems für die Betriebsprüfung 1. Sicht der Finanzverwaltung . . . 2. Sicht des steuerpflichtigen Unternehmens . . . . . . . . . . . . . Mehrwert eines Tax Compliance Management Systems für die Betriebsprüfung 1. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensbeschleunigung a) Steuerstrafrechtliche (Vor-) Ermittlungen . . . . . . . . . . . . b) „Regelmäßige“ Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit

6.251 6.252 6.254

6.255 6.258 6.263

6.275 6.277

6.280 6.281 6.288

6.250

A. Betriebsprüfung bei Konzernen und sonstigen zusammenhängenden Unternehmen I. Einleitung Bei der Betriebsprüfung eines Konzerns laufen im Vergleich zur Prüfung einzelner Unternehmen im Hintergrund – für Außenstehende meist unerkannt – zahlreiche Verfahrensmechanismen ab. Ziel ist es, dass die Gesellschaften eines Konzerns unter einheitlicher Leitung geprüft werden, selbst wenn die Konzernspitze und die konzernabhängigen Unternehmen an vielen verschiedenen Finanzämtern in verschiedenen Bundesländern steuerlich erfasst sind. Aufgrund einer einheitlichen Konzernbetriebsprüfung unter der Führung eines einzigen zuständigen Finanzamts soll gewährleistet werden, dass steuerliche identische Sachverhalte in allen Konzernunternehmen steuerlich gleichmäßig behandelt werden.

6.1

Um sicherzustellen, dass die Finanzbehörden bundeseinheitlich dasselbe Verständnis dieser Verfahrensabläufe bei einer Konzernbetriebsprüfung haben, insbesondere wenn es um die Zuständigkeit bzw. Leitung der Konzernbetriebsprüfung geht, wurden die notwendigen Verfahrensregeln in der Betriebsprüfungsordnung (BpO) festgelegt (§§ 13 bis 19 BpO; §§ 32, 33 BpO).

6.2

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Kap. 6 Rz. 6.3 | Konzerne in der Betriebsprüfung

6.3

Da sich an Konzernbetriebsprüfungen der Landesfinanzbehörden regelmäßig auch das Bundeszentralamt für Steuern beteiligt, hält die BpO auch hierfür Verfahrensregeln bereit, die Aussagen zur Kompetenz der einzelnen Behörden untereinander regeln (§§ 20 bis 24 BpO).

6.4

Die BpO unterscheidet in ihrem dritten Abschnitt begrifflich zwischen den folgenden Unternehmensverbindungen1: 1. Konzerne nach § 13 Abs. 1 BpO (Außenumsatz mindestens 25 Mio. Euro) 2. Konzerne nach § 18 Satz 1 Nr. 1 BpO (Außenumsatz kleiner als 25 Mio. Euro) 3. Sonstige zusammenhängende Unternehmen nach § 18 Satz 1 Nr. 2 BpO 4. International verbundene Unternehmen nach § 19 Abs. 1 BpO

6.5

Die Konzernprüfung ist eine Außenprüfung nach § 193 AO. Die BpO – insbesondere die §§ 13 ff. BpO – ist eine Verwaltungsanweisung zur organisatorischen Abwicklung einer Konzernprüfung, die keine Außenwirkung entfaltet. Die Prüfungen bei den einzelnen Konzernunternehmen sind rechtlich daher grundsätzlich selbstständige Prüfungen2.

II. Prüfung eines Konzerns i.S.d. § 13 Abs. 1 BpO 1. Definition des Begriffs Konzern 6.6

Unter welchen Umständen das Vorhandensein eines Konzerns zu bejahen ist, ist folgender Definition der BpO zu entnehmen:

6.7

„Unternehmen, die zu einem Konzern i.S.d. § 18 AktG gehören, sind im Zusammenhang, unter einheitlicher Leitung und nach einheitlichen Gesichtspunkten zu prüfen, wenn die Außenumsätze der Konzernunternehmen insgesamt 25 Millionen Euro im Jahr betragen.“ (§ 13 Abs. 1 BpO).

6.8

Ein Konzern im i.S.d. § 13 Abs. 1 BpO liegt danach vor, wenn – ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen (Unterordnungskonzern) i.S.d. § 18 Abs. 1 AktG oder – mindestens zwei rechtlich selbständige Unternehmen ohne Abhängigkeitsverhältnis (Gleichordnungskonzern) i.S.d. § 18 Abs. 2 AktG

6.9 6.10

unter einheitlicher Leitung zusammengefasst sind. Liegt ein Konzern i.S.d. § 13 Abs. 1 BpO vor, unterliegt dieser zwingend einer einheitlichen Prüfung durch ein einziges Finanzamt, unabhängig davon, bei welchen Finanzämtern bundesweit die Konzernspitze und die abhängigen Unternehmen steuerlich erfasst sind.

1 BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2, FMNR45a000015, juris. 2 Frotscher in Schwarz/Pahlke, Vorbemerkung §§ 193–203 AO Rz. 28.

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.14 Kap. 6

Einteilung der Konzerne nach Konzernarten im Schaubild

Die Entscheidung, ob ein Konzern vorliegt und die Entscheidung, welches Finanzamt für die Leitung der Konzernprüfung zuständig ist, ist grundsätzlich auf der höchst möglichen inländischen Ebene zu treffen. Höchst mögliche Ebene ist die Ebene im Konzernverbund, die eine Konzernartendefinition erfüllt1.

6.11

2. Vorschriften des Aktiengesetzes § 13 BpO verzichtet auf eine eigenständige Definition des Begriffs des Konzerns und verweist stattdessen auf die Definitionen i.S.d. § 18 AktG.

6.12

Die Vorschriften des Aktiengesetzes (insbesondere §§ 15–22 AktG) greifen rechtsformunabhängig für sämtliche Konzerne, also auch für Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Personengesellschaften und auch für Einzelunternehmen. Der Konzernbegriff des § 18 AktG unterscheidet zudem nicht danach, ob der Konzern auf vertraglicher Basis zustande gekommen ist oder ob er faktisch durch die Mehrheit der Anteile oder Stimmrechte gebildet wurde2.

6.13

3. Außenumsatz von mehr als 25 Mio. Euro Eine zwingende Prüfung nach einheitlicher Leitung durch ein Finanzamt nach einheitlichen Gesichtspunkten erfordert einen Außenumsatz des Konzerns von insgesamt mehr als 25 Mio. Euro3. Als Außenumsatz des Konzerns gelten alle steuerbaren und nicht steuerbaren Umsätze der inländischen Konzernunternehmen (ohne innergemeinschaftliche Erwerbe)4. 1 BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2.1, FMNR45a000015, juris. 2 BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2.1, FMNR45a000015, juris. 3 Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Anpassung der Vollziehungsanweisung und der Betriebsprüfungsordnung an den Euro v. 11.12.2001, BStBl. I 2001, 984, Art. 2. 4 BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2.10, FMNR45a000015, juris.

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6.14

Kap. 6 Rz. 6.15 | Konzerne in der Betriebsprüfung

4. Unterordnungskonzern a) Voraussetzung für die Prüfung unter einheitlicher Leitung eines Finanzamts

6.15

Bei einem Unterordnungskonzern müssen folgende Voraussetzungen vorliegen, damit dieser Konzern bei einem Finanzamt zwingend unter einheitlicher Leitung zu prüfen ist: – Herrschendes Unternehmen: Ein Unternehmen des Konzernverbunds – in der Regel die Konzernspitze – muss einen beherrschenden Einfluss auf andere Unternehmen ausüben können. – Abhängige(s) Unternehmen: Es muss ein oder mehrere abhängige Unternehmen im Konzernverbund geben. – Einheitliche Leitung: Für die unternehmerischen Bereiche eines Konzerns muss eine einheitliche Leitung gegeben sein. b) Herrschendes Unternehmen

6.16

Ein Unternehmen gilt in einem Unterordnungskonzern als ein „herrschendes Unternehmen“ i.S.d. § 18 Abs. 1 AktG, wenn es einen beherrschenden Einfluss auf die anderen Konzernunternehmen ausüben kann. Das ist zu bejahen, wenn ein Unternehmen die Möglichkeit hat, die Finanz- und Geschäftspolitik eines anderen Unternehmens dauerhaft zu bestimmen (Einzelheiten vgl. § 290 Abs. 2 HGB). c) Abhängige(s) Unternehmen

6.17

Unter einem abhängigen Unternehmen in einem Unterordnungskonzern ist ein rechtlich selbständiges Unternehmen zu verstehen, auf der ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Von einem im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen wird vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist (§ 17 Abs. 2 AktG).

6.18

Auch überjährig tätige Arbeitsgemeinschaften (Argen) von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung gelten als abhängige Unternehmen i.S.d. § 18 Abs. 1 AktG, wenn das Projektumsatzvolumen mehr als 10 Mio. Euro beträgt und/oder ein Vorsteuerabzug von mehr als 1 Mio. Euro geltend gemacht wird1.

6.19

Als abhängige Unternehmen gelten zudem auch Investmentfonds, bei denen ein Anleger unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % der Anteilsscheine hält. d) Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung

6.20

Eine einheitliche Leitung in einem Unterordnungskonzern kann insbesondere darin bestehen, dass für die zentralen unternehmerischen Bereiche wie das Finanzwesen, den Einkauf, die Organisation, das Personalwesen oder den Verkauf eine einheitliche Planung erfolgt2.

6.21

Bei einem Unterordnungskonzern ist die einheitliche Leitung unwiderlegbar gegeben, wenn zwischen dem herrschenden Unternehmen und den abhängigen Unternehmen ein Beherr1 BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2.4.1, FMNR45a000015, juris. 2 BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2.6, FMNR45a000015, juris.

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.27 Kap. 6

schungsvertrag i.S.d. § 291 AktG besteht oder das eine in das andere Unternehmen i.S.d. § 319 AktG eingliedert ist (§ 18 Abs. 1 Akt). Da § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG festlegt, dass von einem abhängigen Unternehmen vermutet wird, dass es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet, kann widerlegbar bei Vorliegen einer Mehrheitsbeteiligung (= mehr als 50 % der stimmrechtsfähigen Anteile) von einer einheitlichen Leitung ausgegangen werden1.

6.22

5. Gleichordnungskonzern Bei einem Gleichordnungskonzern i.S.d. § 18 Abs. 2 AktG ist zwischen einem vertraglichen und einem faktischen Gleichordnungskonzern zu unterscheiden. Ein vertraglicher Gleichordnungskonzern liegt vor, wenn sich mehrere Unternehmen aufgrund eines Gleichordnungsvertrags freiwillig einer einheitlichen Leitung unterstellen (durch Übertragung der Leitung auf eines der beteiligten Unternehmen oder durch Übertragung der Leitung auf eine oder mehrere Personen).

6.23

Von einem faktischen Gleichordnungskonzern geht die Finanzverwaltung aus, wenn sich mehrere unabhängige Unternehmen rein auf Dauer der gemeinsamen Leitung eines der beteiligten Unternehmen unterstellen. Die Begründung der einheitlichen Leitung ist aus den Gesamtumständen, insbesondere aufgrund personeller Verflechtungen (z.B. Personalunion der Geschäftsführer, konzernstiftende Personenmehrheit), einheitlicher Zielvorgaben und eines gleichgerichteten Verhaltens der Konzerngesellschaften, abzuleiten2.

6.24

6. Konzernunternehmen a) Definition des Begriffs Konzernunternehmen Ein Konzern besteht aus mindestens zwei rechtlich selbständigen Unternehmen im Inland. Hier ist jede Konstellation zwischen zwei und mehreren Unternehmen unabhängig von der Rechtspersönlichkeit oder Kaufmannseigenschaft der Unternehmen denkbar3.

6.25

Als Konzernunternehmen kommen insbesondere in Betracht4:

6.26

– eine Handelsgesellschaft (z.B. Aktiengesellschaft., Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Kommanditgesellschaft, Offene Handelsgesellschaft). – eine andere juristische Person bzw. Personengesellschaft oder eine natürliche Person, die selbst einen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhält oder die freiberuflich tätig ist. Bloße Beteiligungseinkünfte einer Mitunternehmerschaft genügen nicht. – eine natürliche Person, eine Personengesellschaft, eine juristische Person, wenn sie mindestens zwei wesentliche Beteiligungen (Beteiligung von jeweils mehr als 25 v.H.) unmittelbar oder mittelbar an Kapitalgesellschaften hält. Hinweis: Beteiligung an einer anderen Gesellschaft Der wesentlichen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft (= Beteiligung von mehr als 25 v.H.) steht eine Beteiligung an einer anderen Gesellschaft – beispielsweise einer Personengesellschaft – gleich, 1 2 3 4

BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2.6.1, FMNR45a000015, juris. BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2.6.2, FMNR45a000015, juris. Harle/Nüdling/Olles, Die Moderne Betriebsprüfung3, Rz. 195. BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2.2, FMNR45a000015, juris.

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6.27

Kap. 6 Rz. 6.27 | Konzerne in der Betriebsprüfung wenn diese Beteiligung einen entsprechenden Einfluss auf die Geschäftsführung durch gesellschaftsrechtliche Regelungen sicherstellt (z.B. Einfügung des Mehrheitsprinzips oder der Ausschluss des Einstimmigkeitsprinzips). Der Einfluss auf die Geschäftsführung durch gesellschaftsrechtliche Regelung kann kraft Gesetz oder kraft vertraglicher Vereinbarung erfolgen1.

6.28

Als Konzernunternehmen im Sinn der BpO gelten zudem: – Arbeitsgemeinschaften (Argen), – Inländische (teilrechtsfähige) wirtschaftliche Einheiten

6.29

Zu inländischen (teilrechtsfähigen) wirtschaftlichen Einheiten gehören beispielsweise inländische Betriebsstätten eines ausländischen Unternehmens oder wirtschaftliche Einheiten, die steuerlich (umsatzsteuerlich oder ertragsteuerlich) im Inland geführt werden. – Inländische Investmentfonds i.S.d. Investmentsteuergesetzes, insbesondere Spezial-Investmentfonds in Form eines Sondervermögens, in Form einer Investmentgesellschaft mit veränderlichen Kapital oder in Form einer offenen Investment-Kommanditgesellschaft. – Betriebe gewerblicher Art einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts. – Investitionsgesellschaften i.S.d. Investmentsteuergesetzes b) Beispielsfälle zu Konzernen

6.30

Ein Konzern ist danach u.a. möglich zwischen2 – Natürlichen Personen und Kapitalgesellschaften oder Personengesellschaften, – Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften, – Stiftungen und Kapitalgesellschaften, – Anderen Zweckvermögen (z.B. Sondervermögen der Kapitalgesellschaften, sonstige Sammelvermögen, Förderungsfonds, Werbefonds) und Kapitalgesellschaften, – Körperschaften des öffentlichen Rechts inklusiver deren Betriebe gewerblicher Art und Kapitalgesellschaften, – Mehreren Personengesellschaften.

6.31

Keine Konzerne sind nach den Grundsätzen der BpO in folgenden Fällen möglich zwischen – Unterstützungskassen und dem Trägerunternehmen – Anteilseignern mit ihrer Kapitalgesellschaft, soweit diese keine anderweitigen unternehmerischen Interessen verfolgen (z.B. bei Beteiligung von mehr als 25 v.H.). – Den Gesellschaftern mit ihrer Personengesellschaft, soweit diese keine anderweitigen unternehmerischen Interessen verfolgen. Das gilt entsprechend für eine Personengesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG und die Komplementär-GmbH, wenn die GmbH ausschließlich geschäftsführend für die KG tätig ist.

1 BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2.2, Buchst. c Satz 2, FMNR45a000015, juris. 2 BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2.7, FMNR45a000015, juris.

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.39 Kap. 6 Hinweis: Kein Konzern bei Betriebsaufspaltung Bei Betriebsaufspaltungen liegt kein Konzern zwischen dem Besitzunternehmen und der Betriebskapitalgesellschaft vor, wenn das Besitzunternehmen aus natürlichen Personen besteht und nur vermögensverwaltend tätig ist und keine weiteren Unternehmen im konzernrechtlichen Sinn dem Unternehmensverbund zuzuordnen sind. Bei allen anderen Betriebsaufspaltungen ist das Vorliegen eines Konzerns möglich und ist nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen.

6.32

III. Prüfung eines Konzerns i.S.d. § 18 Satz 1 Nr. 1 BpO Für Konzerne i.S.d. § 13 Abs. 1 BpO, die den Außenumsatz von 25 Mio. Euro nicht erreichen, kann dennoch eine Konzernbetriebsprüfung unter einheitlicher Leitung eines Finanzamts durchgeführt werden. In der Praxis wird auch bei solchen Konzernen eine einheitliche Prüfung stattfinden, weil das Ziel verfolgt wird, eine Prüfung steuerlicher Sachverhalte bei allen Konzernunternehmen nach einheitlichen Gesichtspunkten zu gewährleisten.

6.33

Der Unterschied zwischen Konzernen nach § 13 Abs. 1 BpO mit Außenumsätzen der Konzernunternehmen von mehr als 25 Mio. Euro und Konzernen nach § 18 Satz 1 Nr. 1 BpO ist, dass bei letztgenannten Konzernen die einheitliche Prüfung nach einheitlichen Gesichtspunkten keine „Ist-Vorschrift“, sondern eine „Kann-Vorschrift“ darstellt.

6.34

IV. Prüfung sonstiger zusammenhängender Unternehmen nach § 18 Satz 1 Nr. 2 BpO Bei sonstigen zusammenhängenden Unternehmen, die nicht zu einem Konzern i.S.d. § 13 Abs. 1, § 18 Satz 1 Nr. 1 BpO gehören „kann“ eine einheitliche Prüfung durch ein zuständiges Finanzamt unter einheitlichen Gesichtspunkten erfolgen. Sonstige zusammenhängende Unternehmen sind Unternehmen, die eng miteinander verbunden sind, beispielsweise durch wirtschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen der Beteiligten oder durch eine gemeinschaftliche betriebliche Tätigkeit. Die §§ 13 bis 17 BpO geltend für solche zusammenhängenden Unternehmen entsprechend (§ 18 Satz 2 BpO).

6.35

Unternehmen i.S.d. § 18 Satz 1 Nr. 2 BpO können alle Steuerpflichtigen sein, die gewerbliche, land- und forstwirtschaftlich oder freiberuflich tätig sind und insofern der Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO unterliegen.

6.36

Zu solchen Unternehmen können auch die Besitz- und Betriebsgesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung gehören, die nicht als Konzern gelten. Auch die GmbH & Co. KG und die Komplementär-GmbH fallen unter die zusammenhängenden Unternehmen i.S.d. § 18 Satz 1 Nr. 2 BpO, wenn die GmbH ausschließlich für die KG geschäftsführend tätig ist1.

6.37

V. Prüfung bei international verbundenen Unternehmen Die Vorschriften der §§ 13 bis 18 BpO gelten auch für die Prüfung mehrerer inländischer Unternehmen, die von einer ausländischen natürlichen oder juristischen Person, einer Mehrheit von Personen, einer Stiftung oder einem anderen Zweckvermögen beherrscht oder einheitlich geleitet werden oder die mit einem ausländischen Unternehmen wirtschaftlich verbunden sind (§ 19 Abs. 1 BpO).

6.38

Solche international verbundenen Unternehmen „können“ unter einheitlicher Prüfung eines Finanzamts und unter einheitlichen Gesichtspunkten geprüft werden.

6.39

1 BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2.12, FMNR45a000015, juris.

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Kap. 6 Rz. 6.40 | Konzerne in der Betriebsprüfung

6.40

Schwerpunkte bei der einheitlichen Prüfung sind festgestellte oder vermutete Auslandsbeziehungen. Diese Auslandsbeziehungen werden im Rahmen der für die Betriebsprüfung des inländischen Unternehmens erteilten Prüfungsanordnung mitgeprüft.

VI. Leitung der Konzernbetriebsprüfung 1. Grundsätze zur Bestimmung des für die Leitung der Konzernprüfung zuständigen Finanzamts 6.41

Liegt ein Konzern nach § 13 Abs. 1, § 18 Satz 1 Nr. 1 BpO vor oder bietet es sich an, zusammenhängende Unternehmen nach § 18 Satz 1 Nr. 2 BpO bzw. international verbundene Unternehmen nach § 19 Abs. 1 BpO zu prüfen, richtet sich die Durchführung der Konzernbetriebsprüfung nach §§ 14 ff. BpO.

6.42

Die Leitung der Konzernprüfung obliegt der zuständigen Finanzbehörde des Bundeslandes, das für die Außenprüfung des herrschenden Unternehmens oder des einheitlich leitenden Unternehmens zuständig ist (§ 14 Abs. 1 BpO).

6.43

Abweichend von diesem Grundsatz wird die Leitung der Konzernprüfung derjenigen Finanzbehörde übertragen, die für die Prüfung des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmens zuständig ist, wenn – die Konzernspitze selbst nicht der regelmäßigen Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO unterliegt (§ 14 Abs. 2 BpO), – eine natürliche Person als Konzernspitze unter der Regelung des § 147a AO fällt (§ 14 Abs. 2 BpO). – Eine Konzernspitze im Unternehmensverbund nicht vorhanden ist (z.B. Unternehmen des § 18 Satz 1 Nr. 2 BpO oder Fälle des Gleichordnungskonzerns ohne Konzernspitze).

6.44

Unter dem wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmen ist das umsatzstärkste Unternehmen innerhalb eines Konzerns zu verstehen. Sollte das Kriterium „Umsatz“ zu einem offensichtlichen unzutreffenden Ergebnis für die Beurteilung des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmens führen, können bei der Gesamtwürdigung der Verhältnisse abwischend vom „Umsatz“ insbesondere die folgenden Kriterien berücksichtigt werden1: – Zahl der Arbeitnehmer, – Bilanzsumme, – Umsatz der Eigenerzeugnisse, – eigene Wertschöpfung, – eigene wirtschaftliche Betätigung, – Durchsetzung operativer unternehmerischer Entscheidungen (z.B. Holding).

6.45

Die Entscheidung, welches Finanzamt für die Konzernprüfung aufgrund des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmens die Leitung übernehmen soll, treffen die Finanzämter der Konzernunternehmen untereinander. Die einzelnen Unternehmen haben keine Anspruchsgrundlage, dass die Konzernprüfung bei einem von ihnen favorisierten Finanzamt stattfinden. 1 BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 2.9, FMNR45a000015, juris.

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.46 Kap. 6

2. Prüfschema zur Ermittlung der Zuständigkeit für die Leitung der Konzernprüfung Um ermitteln bzw. überprüfen zu können, welches Finanzamt für die Konzernprüfung die leitende Funktion einnimmt, empfiehlt sich folgende Prüfschema: Prüfschema bei inländischem Konzern Konzernspitze

= herrschendes Unterordnungs-konzern Unternehmen (§§ 13, 18 Satz 1 Nr. 1 BpO)

Gleichordnungs-konzern (§§ 13, 18 Satz 1 Nr. 1 BpO)

= einheitlich leitendes Unternehmen oder kein einheitlich leitendes Unternehmen

Notwendige Er- Prüfungsleitung mittlung des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmen In Fällen ohne wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmen

In Fällen mit wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmen

Konzernspitze unterliegt nicht der regelmäßigen Außenprüfung oder fällt unter § 174a AO.

Das für die Prüfung des herrschenden Unternehmens zuständige Finanzamt

Das für die Prüfung des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmens zuständige Finanzamt

Konzernspitze unterliegt nicht der regelmäßigen Außenprüfung oder fällt unter § 174a AO bzw. Gleichordnungskonzern ohne Konzernspitze

Das für die Prüfung einheitlich leitenden Unternehmens zuständige Finanzamt

Das für die Prüfung des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmens zuständige Finanzamt

Prüfschema bei sonstigen zusammenhängenden Unternehmen Konzernspitze

Notwendige Er- Prüfungsleitung mittlung des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmen In Fällen ohne wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmen

Sonstige zusammenhängende Unternehmen (§ 18 Satz 1 Nr. 2 BpO)

keine

Unternehmensverbindung ohne Konzernspitze

In Fällen mit wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmen Das für die Prüfung des wirtschaftlich bedeutendsten Bereich zuständige Finanzamt

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6.46

Kap. 6 Rz. 6.46 | Konzerne in der Betriebsprüfung Prüfschema bei international verbundenen Unternehmen Konzernspitze

Notwendige Er- Prüfungsleitung mittlung des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmen In Fällen ohne wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmen

In Fällen mit wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmen Das für die Prüfung des wirtschaftlich bedeutendsten „inländischen“ Unternehmens zuständige Finanzamt.

Mehrere inländische Personen, die von einer ausländischen Person, einer Mehrheit von Personen einheitlich geleitet oder beherrscht werden oder mit einem Unternehmen mit Ansässigkeit im Ausland verbunden sind (§ 19 BpO) Im Inland auf erster Ebene nur ein herrschendes Unternehmen mit von ihm inländischen Unternehmen (§ 19 BpO)

= herrschendes Konzernspitze Unternehmen ist im Ausland ansässig mit Ansässigkeit im Ausland

Das für die Prüfung des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmens zuständige Finanzamt. Als wirtschaftlich bedeutendster Teil gilt das inländische Unternehmen auf erster Ebene

Im Inland auf erster Ebene mehrere Unternehmen ohne inländisches Abhängigkeitsverhältnis (§ 19 BpO)

= einheitlich Konzernspitze leitendes Unist im Ausland ternehmen mit ansässig Ansässigkeit im Ausland

Das für die Prüfung des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmens zuständige Finanzamt. Als wirtschaftlich bedeutendster Teil kommen inländische Unternehmen auf allen Ebenen in Betracht.

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.50 Kap. 6

3. Ausgewählte Beispiele aus der Praxis zur Bestimmung des für die Leitung der Prüfung zuständigen Finanzamts a) Konzernspitze ist natürliche Person Beispiel: Konzernspitze ist Einzelunternehmer Einzelunternehmer A hält an der B-GmbH und an der C-GmbH jeweils 100 v.H. der Anteile. Der Einzelunternehmer unterliegt nicht der regelmäßigen Betriebsprüfung. Bei der C-GmbH handelt es sich um das wirtschaftlich bedeutendste Unternehmen.

6.47

Folge: Da es sich bei der B-GmbH und der C-GmbH um zwei wesentliche Beteiligungen handelt (Beteiligung von mehr als 25 v.H.), liegt ein Konzern i.S.d. BpO vor. Konzernspitze ist Einzelunternehmer A. Es handelt sich um einen Unterordnungskonzern, weil der Einzelunternehmer A durch seine jeweils 100 %ige Beteiligung sowohl die B-GmbH als auch die C-GmbH beherrscht. Da A nicht der regelmäßigen Betriebsprüfung unterliegt, richtet sich die Zuständigkeit für die Leitung der Konzernprüfung nach § 14 Abs. 2 BpO. Zuständig ist danach das für die C-GmbH (= wirtschaftlich bedeutendstes Unternehmen) zuständige Finanzamt. Diese Lösung würde auch dann greifen, wenn der Einzelunternehmer unter § 147a AO fallen würde. Beispiel: Konzernspitze ist natürliche Person Die natürliche Person A hält an der B-GmbH Anteile i.H.v. 60 v.H. und an der C-GmbH Anteile von 75 v.H. Die C-GmbH hält wiederum Anteile an der D-GmbH. A unterliegt nicht der regelmäßigen Betriebsprüfung. Bei der D-GmbH handelt es sich um das wirtschaftlich bedeutendste Unternehmen.

6.48

Folge: Da es sich bei der B-GmbH und der C-GmbH um zwei wesentliche Beteiligungen handelt (Beteiligung von mehr als 25 v.H.), liegt ein Konzern i.S.d. BpO vor. Konzernspitze ist die natürliche Person A. Es handelt sich um einen Unterordnungskonzern, weil die natürliche Person A durch seine Mehrheitsbeteiligungen sowohl die B-GmbH als auch die C-GmbH beherrscht. Da A nicht der regelmäßigen Betriebsprüfung unterliegt, richtet sich die Zuständigkeit für die Leitung der Konzernprüfung nach § 14 Abs. 2 BpO. Das wirtschaftlich bedeutendste Unternehmen kann auf jeder Ebene des Konzerns zu finden sein. Aus diesem Grund ist das Finanzamt für die Leitung der Konzernprüfung zuständig, bei dem die D-GmbH (= wirtschaftlich bedeutendstes Unternehmen) steuerlich erfasst ist. Diese Lösung würde auch dann greifen, wenn der Einzelunternehmer unter § 147a AO fallen würde. Beispiel: Konzernspitze durch einheitliche Leitung Die natürliche Person A ist an der B-GmbH zu 35 v.H. und an C-GmbH zu 40 v.H. beteiligt (restliche Beteiligung jeweils durch natürliche Personen unter 25 v.H.). A übt in beiden GmbHs die einheitliche Leitung aus. A unterliegt nicht der regelmäßigen Betriebsprüfung. Bei der B-GmbH handelt es sich um das wirtschaftlich bedeutendste Unternehmen.

6.49

Folge: Da es sich bei der B-GmbH und der C-GmbH um zwei wesentliche Beteiligungen handelt (Beteiligung von mehr als 25 v.H.), liegt ein Konzern i.S.d. BpO vor. Konzernspitze ist die natürliche Person A. Es handelt sich um einen Gleichordnungskonzern, weil in beiden GmbHs eine einheitliche Leitung durch A gegeben ist. Es greift § 14 Abs. 2 BpO, weil A nicht regelmäßig der Prüfung unterliegt. Für die Leitung der Konzernprüfung ist das für die B-GmbH (= wirtschaftlich bedeutendstes Unternehmen) zuständige Finanzamt verantwortlich. Beispiel: Natürliche Person ist Konzernunternehmen aber keine Konzernspitze Die natürliche Person A ist an der B-GmbH zu 35 v.H. und an der C-GmbH zu 40 v.H. beteiligt (restliche Beteiligung jeweils durch natürliche Personen unter 25 %). Zwischen der B-GmbH und der CGmbH besteht eine starke wirtschaftliche Verflechtung. Es erfolgt durch A keine einheitliche Leitung der B-GmbH und der C-GmbH. Folge: Da es sich bei der B-GmbH und der C-GmbH um zwei wesentliche Beteiligungen handelt (Beteiligung von mehr als 25 v.H.), ist die natürliche Person A ein Konzernunternehmen. Da jedoch weder ein Unterordnungs- noch ein Gleichstellungskonzern vorliegen, handelt es sich um keinen Kon-

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6.50

Kap. 6 Rz. 6.50 | Konzerne in der Betriebsprüfung zern i.S.d. BpO. Es liegen aufgrund der starken wirtschaftlichen Verflechtung zwischen der B-GmbH und der C-GmbH sonstige zusammenhängende Unternehmen i.S.d. § 18 Satz 1 Nr. 2 BpO vor. Bei der B-GmbH handelt es sich um das wirtschaftlich bedeutendste Unternehmen. Das für die Prüfung des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmen (B-GmbH) zuständige Finanzamt ist gleichzeitig das prüfungsleitende Finanzamt.

b) Konzernspitze ist eine vermögensverwaltende Kommanditgesellschaft

6.51

Beispiel: Konzernspitze ist vermögensverwaltende KG Eine vermögensverwaltende Kommanditgesellschaft erzielt nur Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG oder Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 EStG. Diese KG ist zu 100 v.H. an einer Holding GmbH beteiligt. Die Holding GmbH ist wiederum an drei weiteren Gesellschaften beherrschend beteiligt. Die KG unterliegt nicht der regelmäßigen Betriebsprüfung. Bei der Holding-GmbH handelt es sich um das wirtschaftlich bedeutendste Unternehmen. Folge: Konzernspitze ist die vermögensverwaltende Kommanditgesellschaft. Es liegt aufgrund der Beherrschung der Holding-GmbH ein Unterordnungskonzern vor. Die Zuständigkeit richtet sich in analoger Anwendung nach § 14 Abs. 2 BpO, weil die KG nicht der regelmäßigen Prüfung unterliegt. Die Leitung der Konzernprüfung obliegt dem für die Holding-GmbH zuständigen Finanzamt.

c) Ausländischer Konzern

6.52

Beispiel: Ausländischer Konzern mit einem einzigen inländischen Tochterunternehmen auf erster Ebene Eine im Ausland ansässige Konzernmutter ist Konzernspitze und ist beherrschend an einer im Inland ansässigen Tochtergesellschaft (inländische Konzernmutter) beteiligt, die wiederum Beteiligungen an inländischen Tochtergesellschaften hält. Das wirtschaftlich bedeutendste Unternehmen im Inland ist die inländische Konzernmutter. Folge: Hier liegt ein ausländischer Unterordnungskonzern vor. Konzernspitze ist die im Ausland ansässige Konzernmutter. Es handelt sich um einen Fall i.S.d. § 19 Abs. 2 BpO. Die Ermittlung des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmens ist nicht notwendig, da auf der ersten Ebene nur ein Unternehmen vorhanden ist (= inländische Konzernmutter), das die anderen inländischen Gesellschaften beherrscht. Dieses Unternehmen gilt stets als das wirtschaftlich bedeutendstes Unternehmen. Folglich ist das für die inländische Konzernmutter zuständige Finanzamt das für die Prüfung leitende Finanzamt.

6.53

Beispiel: Ausländischer Konzern mit mehreren inländischen Tochterunternehmen auf erster Ebene Eine im Ausland ansässige Konzernmutter ist Konzernspitze und ist im Inland beherrschend an AGmbH und der B-GmbH beherrschend beteiligt, die wiederum Beteiligungen an inländischen Tochtergesellschaften halten. Das wirtschaftlich bedeutendste Unternehmen im Inland ist die A-GmbH. Folge: Hier liegt ein ausländischer Unterordnungskonzern vor. Konzernspitze ist die im Ausland ansässige Konzernmutter. Es handelt sich um einen Fall i.S.d. § 19 Abs. 2 BpO. Da auf erster Ebene im Inland mehrere Unternehmen von der ausländischen Konzernspitze beherrscht werden, ist die Ermittlung des wirtschaftlich bedeutendsten Unternehmens notwendig. Das für die A-GmbH (= wirtschaftlich bedeutendstes Unternehmen) zuständige Finanzamt ist für die Leitung der Prüfung der international verbundenen Unternehmen zuständig.

552 | Köstler

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.61 Kap. 6

VII. Einleitung der Konzernprüfung 1. Allgemeines zum Ablauf einer Konzernprüfung Steht fest, welches Finanzamt für die einheitliche Durchführung der Konzernprüfung leitend verantwortlich ist, regt dieses Finanzamt für die dem Konzern zuzuordnenden Unternehmen die Prüfung an und stimmt sich mit den beteiligten Finanzbehörden ab (§ 15 Abs. 1 BpO).

6.54

Dass nur einer einzigen Finanzbehörde das Leitungsrecht für die Konzernprüfung zusteht, wird damit begründet, dass regelmäßig bei der Konzernspitze und damit beim für die Leitung der Prüfung zuständigen Finanzamt alle Informationen und Strategien des Konzerns gebündelt vorliegen.

6.55

Konzernunternehmen sollen erst nach Abstimmung mit der für die Leitung der Konzernprüfung zuständigen Finanzbehörde geprüft werden (§ 15 Abs. 2 BpO).

6.56

Hinweis: Abgleich des Konzern-Organigramms mit dem Konzernverzeichnis des Finanzamts In der Praxis wird das für die Konzernprüfung leitende Finanzamt nach Versand der Prüfungsanordnung für die Konzernspitze ein Organigramm über sämtliche Konzernunternehmen im In- und Ausland von der Steuerabteilung der Konzernspitze oder vom zuständigen Steuerberater anfordern. Dieses Organigramm, das für jedes Jahr des in der Prüfungsanordnung festgelegten Prüfungszeitraums vorgelegt werden muss, vergleicht der leitende Konzernprüfer mit dem im Finanzamt erstellten Konzernverzeichnis. So ist er stets informiert, für welche Konzernunternehmen im jeweiligen Prüfungsjahr eine Betriebsprüfung in Betracht kommt.

6.57

2. Prüfungsaufruf Hat das für die Leitung der Konzernprüfung zuständige Finanzamt durch Abgleich des Konzern-Organigramms mit dem Konzernverzeichnis des Finanzamts die Unternehmen des Konzerns lokalisiert, für die sie örtlich in eigener Zuständigkeit prüfen muss und diejenigen Unternehmen, die bei anderen Finanzämtern steuerlich erfasst sind, wird die Entscheidung getroffen, welches Finanzamt die Prüfung des jeweiligen Konzernunternehmens durchzuführen hat.

6.58

Bei konzernabhängigen Unternehmen, die steuerlich bei anderen Finanzämtern erfasst sind, wird ein Prüfungsaufruf durchgeführt. Hier informiert das leitende Finanzamt das für das abhängige Unternehmen zuständige Finanzamt über den Beginn der Konzernprüfung und regt die Prüfung des abhängigen Unternehmens für Konzernprüfungszeitraum an.

6.59

Der Prüfungsaufruf ist notwendig, weil das für die Konzernprüfung leitende Finanzamt nicht automatisch für die örtlich nicht in seinem Finanzamtsbereich liegenden Unternehmen zuständig ist. Bei Konzernen ist jedes einzelne Unternehmen Steuerpflichtiger (und nicht der Konzern als solcher)1. Deshalb muss an jedes Konzernunternehmen, das prüfungswürdig ist, eine eigene Prüfungsanordnung gerichtet werden.

6.60

Hinweis: Exkurs zur Ablaufhemmung nach § 171 AO Aus diesem Grundsatz folgt, dass für die Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 4 AO bei jedem einzelnen Unternehmen des Konzerns bei Verjährungsbedrohung bis zum Jahreswechsel mit ernsthaften Prüfungshandlungen begonnen werden muss, damit der Ablauf der Festsetzungsfrist tatsächlich gehemmt wird. Wird nur bei der Konzernspitze mit ernsthaften Prüfungshandlungen begonnen und nicht bei den konzernabhängigen Unternehmen mit eigenständiger Prüfungsanord-

6.61

1 Burkhard, Betriebsprüfung und Steuerfahndungsprüfung2, § 193 AO Rz. 30.

Köstler | 553

2021-10-28, 13:32, HB mittel

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Kap. 6 Rz. 6.61 | Konzerne in der Betriebsprüfung nung, wird der Ablauf der Festsetzungsfrist bei den abhängigen Unternehmen nach § 171 Abs. 4 AO nicht gehemmt1. Beispiel: Das für die Konzernprüfung zuständige Finanzamt erlässt für die Konzernspitze im Jahr 10 eine Prüfungsanordnung und ruft die für die abhängigen konzernunternehmen zuständigen Finanzämter auf, die Unternehmen eigenständig für den Prüfungszeitraum 05 bis 08 zu prüfen. Das leitende Finanzamt weist in seinem Prüfungsaufruf darauf hin, dass das Prüfungsjahr 05 nach Ablauf des Jahres 10 verjährungsbedroht ist. Für ein abhängiges Unternehmen ergeht die Prüfungsanordnung trotz dieses Hinweises auf die Verjährung erst im Jahr 11. Bei der Konzernspitze wird bis Ende 10 mit ernsthaften Prüfungshandlungen begonnen. Folge: Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird nur hinsichtlich der Steueransprüche gehemmt, „auf die sich die Betriebsprüfung erstreckt“ hat. Der BFH hat hierzu wiederholt die Auffassung vertreten, dass es für den sachlichen Umfang der Ablaufhemmung entscheidend ist, worauf sich die Betriebsprüfung tatsächlich erstreckt hat, d.h., was den Gegenstand der Betriebsprüfung gebildet hat. Da Gegenstand der Prüfung nicht das abhängige Unternehmen war, tritt hinsichtlich des Prüfungsjahrs 05 mit Ablauf des Jahres 10 nicht die Ablaufhemmung hinsichtlich der Festsetzungsverjährung ein. Variante: Wie Beispiel vorher, nur dass bis zum Ende des Jahres 10 für alle abhängigen Unternehmen eine Prüfungsanordnung erlassen wurde. Ernsthafte Prüfungshandlungen wurden jedoch nur bei der Konzernspitze vorgenommen. Folge: Auch hier genügen die ausschließlichen Prüfungshandlungen bei der Konzernspitze nicht, um den Ablauf der Festsetzungsfrist für das Prüfungsjahr 05 bei den konzernabhängigen Unternehmen mit Ablauf des Jahres 10 zu hemmen.

6.62

Aus dem Prüfungsaufruf ergibt sich keine Prüfungspflicht für das örtlich zuständige Finanzamt eines konzernabhängigen Unternehmens. Das für die Prüfung des abhängigen Unternehmens zuständige Finanzamt entscheidet vielmehr eigenständig, ob für ein abhängiges Unternehmen eine Prüfungsanordnung erlassen wird oder ob eine technische bzw. eine qualifizierte Absetzung erfolgen soll.

6.63

Beabsichtigt das für das konzernabhängige Unternehmen zuständige Finanzamt eine technische oder qualifizierte Absetzung (= Nichtprüfung), sollte von diesem Vorhaben vorab das für die Konzernprüfung leitende Finanzamt unterrichtet werden. Im Zweifel wird das leitende Finanzamt darlegen, warum sich eine Mitprüfung des anhängigen Unternehmens anbietet oder warum es dieses abhängige Unternehmen in eigener Zuständigkeit im Rahmen einer Prüfungsbeauftragung im Rahmen der Konzernprüfung mitprüfen möchte.

6.64

Entscheidet sich das für das konzernabhängige Unternehmen zuständige Finanzamt aufgrund des Prüfungsersuchens für den Erlass der Prüfungsanordnung, werden dem leitenden Finanzamt folgende Informationen zur Verfügung gestellt: – Kontaktdaten des Prüfers, der für die Prüfung des abhängigen Unternehmens zuständig ist. – Prüfungsbeginn – Prüfungszeitraum

6.65

Diese Informationen dienen dazu, dass der leitende Konzernprüfer sich mit dem für die Prüfung des abhängigen Unternehmens eingesetzten Prüfer hinsichtlich von Prüfungsschwerpunkten austauschen kann und dass er einen Ansprechpartner hat, wenn es um Fragen der Festsetzungsverjährung oder um den Hinweis geht, dass für die Freigabe des Prüfungsberichts hinsichtlich der Prüfung bei dem abhängigen Unternehmen der leitende Konzernprüfer verantwortlich ist. 1 BFH v. 11.10.1983 – VIII R 11/82, BStBl. II 1984, 125.

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.73 Kap. 6

3. Vorzeitige Prüfung abhängiger Unternehmen Gehört ein Unternehmen zu einem Konzern und liegt von dem für die Konzernprüfung leitenden Finanzamt noch kein Prüfungsaufruf vor, ist die Konzernprüfung vom für das abhängige Unternehmen zuständigen Finanzamt anzuregen.

6.66

Ansonsten sollen konzernabhängige Unternehmen grundsätzlich nur mit vorheriger Zustimmung des für die Konzernprüfung leitenden Finanzamts vorzeitig geprüft werden. Nur bei drohender Verjährung und fehlendem Prüfungsaufruf kann ausnahmsweise auch ohne Zustimmung mit der Prüfung begonnen werden. Über den Beginn der Prüfung ist das prüfungsleitende Finanzamt zu informieren1.

6.67

4. Prüfungsersuchen/Prüfungsbeauftragung Entscheidet sich das für das abhängige Unternehmen zuständige Finanzamt dafür, den im Rahmen des Prüfungsaufrufs mitgeteilten Fall als nicht prüfungswürdig einzustufen und entweder technisch oder qualifiziert abzusetzen (= keine Prüfung), hat das leitende Finanzamt die Möglichkeit, die Prüfung des abhängigen Unternehmens in eigener Zuständigkeit durchzuführen.

6.68

Dazu muss das leitende Finanzamt jedoch an das für das abhängige Unternehmen zuständigen Finanzamt ein Prüfungsersuchen richten. Dem leitenden Finanzamt kann in diesem Fall die Befugnis zur Anordnung der Prüfung übertragen werden (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BpO).

6.69

Die Beauftragung i.S.d. § 195 Satz 2 AO ist eine innerdienstliche Maßnahme und kein Verwaltungsakt. Sie muss dem Steuerpflichtigen nicht bekanntgegeben werden2.

6.70

Die Prüfungsbeauftragung eines Finanzamts durch das zuständige Finanzamt muss der Prüfungsanordnung entnommen werden können. In der Prüfungsanordnung müssen auch die maßgebenden Erwägungen des beauftragenden Finanzamts für seine Ermessenausübung enthalten sein (z.B. Begründung der Beauftragung wegen einheitlicher Konzernprüfung oder weil die Buchhaltungsunterlagen im Finanzamtsbezirk des beauftragten Finanzamts einsehbar sind)3.

6.71

Die Prüfungsanordnung ist bei einer Prüfungsbeauftragung nicht wegen fehlender Bestimmtheit zur Ermessensausübung des beauftragenden Finanzamts nichtig, wenn für den Steuerpflichtigen der Regelungsgehalt nicht ernsthaft zweifelhaft sein kann

6.72

5. Zugehörigkeit zu mehreren Konzernen Stellt sich heraus, dass ein Konzernunternehmen zu mehreren Konzernen gehört, gilt für die Zuordnung zu einem dieser Konzerne Folgendes: – Das Unternehmen ist bei dem Konzern zu prüfen, der die größte Beteiligung an dem betreffenden Unternehmen besitzt. – Bei gleichen Beteiligungsverhältnissen ist das Unternehmen dem in der Geschäftsführung federführenden Konzern zuzuordnen und mit diesem zu prüfen. 1 BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 3.2, FMNR45a000015, juris. 2 FG Nürnberg, Urt. v. 14.1.2014 – 1 K 215/13. 3 U.a. BFH, Urt. v. 6.8.2013 – VIII R 15/12, BStBl. II 2014, 232.

Köstler | 555

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6.73

Kap. 6 Rz. 6.74 | Konzerne in der Betriebsprüfung

6. Beginn der Konzernprüfung a) Festlegung und Mitteilung eines einheitlichen Prüfungszeitraums

6.74

Die prüfungsleitende Stelle hat den für die abhängigen Unternehmen zuständigen Finanzämtern den Beginn der Konzernprüfung mitzuteilen. In der Regel machen die leitenden Konzernprüfer in diesem Zusammenhang auch Angaben zur ungefähren Prüfungsdauer, damit sichergestellt ist, dass die Betriebsprüfung beim abhängigen Konzernunternehmen frühzeitig – unbedingt vor Beendigung der Prüfung bei der Konzernspitze – abgeschlossen wird.

6.75

Außenprüfungen für Konzernunternehmen können trotz der Corona-Pandemie weiterhin angeordnet und durchgeführt werden. Die Finanzämter sollen jedoch im Vorfeld die aktuelle Situation, die Belange der zu prüfenden Unternehmen sowie gesundheitliche Aspekte (Einhaltung der gebotenen Hygiene-Vorschriften) angemessen berücksichtigen. Das gilt insbesondere in Hinblick auf die Festlegung des Prüfungszeitpunkts. b) Ernsthafte Prüfungshandlungen

6.76

Trotz des für die Leitung zuständigen Finanzamts, ist für jedes prüfungswürdige konzernabhängige Unternehmen eine Prüfungsanordnung zu erstellen. Daraus folgt, dass bei verjährungsbedrohten Prüfungsfällen die Finanzämter für jeden Prüfungsfall mit ernsthaften Prüfungshandlungen beginnen müssen. Nur in diesem Fall wird nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO der Ablauf der Festsetzungsfrist gehemmt. Es genügt für die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist also nicht, wenn ernsthafte Prüfungshandlungen nur bei der Konzernspitze erfolgen.

6.77

Beispiel: Ernsthafte Prüfungshandlungen bei jedem einzelnen verjährungsdrohten Prüfungsfall erforderlich Anfang Dezember werden im Rahmen einer Konzernprüfung die Prüfungsanordnung für die Konzernspitze und 35 konzernabhängige Unternehmen erlassen. Das erste Jahr des Prüfungszeitraums sämtlicher Prüfungsfälle ist mit Ablauf des Jahres verjährungsbedroht. Am 2. Dezember beginnt der leitende Konzernprüfer mit ernsthaften Prüfungshandlungen bei der Konzernspitze. Bei den abhängigen Konzernunternehmen beginnt die Prüfung erst im Januar des Folgejahrs. Folge: Da für die abhängigen Konzernunternehmen nicht vor Ablauf des Jahres mit ernsthaften Prüfungshandlungen begonnen wurde, ist das erste Jahr des Prüfungszeitraums verjährt. Die ernsthaften Prüfungshandlungen bei der Konzernspitze haben keine Wirkung auf den Beginn der Prüfung bei den abhängigen Konzernunternehmen.

c) Verschiebung des Prüfungsbeginns durch Steuerpflichtigen

6.78

Kommt einem zu prüfenden Unternehmer der Prüfungsbeginn aus welchen Gründen auch immer ungelegen, kann er eine Verschiebung des Prüfungsbeginns auf einen späteren Zeitpunkt beantragen (§ 197 Abs. 2 AO). In der Praxis erfolgen solche Anträge regelmäßig, wenn kurz vor Jahresende eine Konzernprüfung begonnen wird und wegen der Verjährungsbedrohung des ersten Prüfungsjahrs des Prüfungszeitraums noch vor dem Jahresende mit der Betreuung eines oder mehrerer Konzernprüfer und mit zahlreichen Anfragen aufgrund der notwendigen ernsthaften Prüfungshandlungen zu rechnen ist.

6.79

Ein Verschiebungsantrag nach § 197 Abs. 2 AO, dem stattgegeben wird, löst die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 AO aus1. 1 AEAO zu § 171, Nr. 3.3; BFH, Urt. v. 19.5.2016 – X R 14/15, BStBl. II 1917, 97.

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.87 Kap. 6

Teilt ein Unternehmen dem Finanzamt mit, dass wegen der Corona-Pandemie der Prüfungsbeginn verschoben werden soll, wird die aktuelle Situation bei Prüfung dieses Antrags angemessen berücksichtigt. Es handelt sich um eine Entscheidung im jeweiligen Einzelfall1. In der Regel sollen die Prüfer der Finanzämter hier jedoch grundsätzlich großzügig agieren und dem Antrag entsprechen.

6.80

VIII. Festlegung eines einheitlichen Prüfungszeitraums Das Finanzamt teilt Unternehmen je nach Umsätzen, Gewinnen und je nach Betriebsart in verschiedene Größenklassen ein (§ 3 BpO)2.

6.81

Bei Großbetrieben und Unternehmen i.S.d. §§ 13 und 19 BpO soll der Prüfungszeitraum an den vorhergehenden Prüfungszeitraum anschließen. Eine Anschlussprüfung ist auch in Fällen des § 18 BpO möglich (§ 4 Abs. 2 BpO).

6.82

Bei anderen Betrieben soll der Prüfungszeitraum in der Regel nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 BpO).

6.83

Hinweis: Anschlussprüfung für alle Konzernunternehmen Auch wenn die konzernabhängigen Unternehmen keine Großbetriebe sind, unterliegen sie einer Anschlussprüfung. Die Prüfungsbeschränkung des § 4 Abs. 3 BpO greift nicht für Unternehmen, die einem Konzern zuzuordnen sind. Auch die Begrenzung des Prüfungszeitraums auf nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume greift für konzernabhängige Unternehmen nicht3.

6.84

Voraussetzung für die Ausdehnung des Prüfungszeitraums auf mehr als drei Jahre für Unternehmen, die vom Finanzamt nicht als Großbetriebe eingestuft sind, ist eine Begründung des Interesses für einen einheitlichen Prüfungszeitraum in der Prüfungsanordnung4. Die Begründung ist der Hinweis auf die Konzernprüfung.

IX. Richtlinien zur Durchführung der Konzernprüfung 1. Kein umfassendes Weisungsrecht durch das leitende Finanzamt Das für die Leitung der Konzernprüfung zuständige Finanzamt kann Richtlinien für die Prüfung aufstellen. Diese „Konzernprüfungsrichtlinien“, an die sich die Prüfer der Finanzämter der abhängigen Unternehmen orientieren sollen, können neben prüfungstechnischen Einzelheiten auch Vorschläge zur einheitlichen Beurteilung von Sachverhalten enthalten (§ 16 Abs. 1 BpO).

6.85

Dass das für die Konzernspitze zuständige Finanzamt oder das Finanzamt, in dessen Zuständigkeitsbereich sich das wirtschaftlich bedeutendste Unternehmen befindet, die Leitungsfunktion für die Konzernprüfung erhält, führt nicht zu einem allumfassenden Weisungsrecht gegenüber dem für die Prüfung des abhängigen Unternehmens zuständigen Finanzamt5.

6.86

Ob die vom leitenden Finanzamt erlassenen Konzernrichtlinien für die für die abhängigen Unternehmen zuständigen Finanzämter bindend sind, hängt davon ab, welche Bereiche diese Richtlinien regeln sollen. Danach gilt folgende Unterscheidung6:

6.87

1 2 3 4 5 6

FAQ „Corona“ (Steuern); www.bundesfinanzministerium.de. BMF, Schr. v. 13.4.2018 – IV A 4 - S 1450/17/10001, BStBl. I 2018, 614. BFH, Urt. v. 26.2.1987 – IV R 109/86, BStBl. II 1987, 361. BFH, Urt. v. 26.2.1987 – IV R 109/86, BStBl. II 1987, 361. BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 4.1, FMNR45a000015, juris. Frotscher in Schwarz/Pahlke, Vor §§ 193–203 AO Rz. 27a.

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Kap. 6 Rz. 6.87 | Konzerne in der Betriebsprüfung

– Organisatorische Fragen: Betreffen die Richtlinien den Prüfungsbeginn, den Prüfungszeitraum, die zu prüfenden Steuerarten oder die Festlegung der Teilnahme an Besprechungen des Finanzamts des konzernabhängigen Unternehmens mit dem Steuerpflichtigen, sind diese Richtlinien für die Finanzämter bindend. – Materiell-rechtliche Regelungen: Erteilt das leitende Finanzamt Vorgaben zur steuerlichen Beurteilung bestimmter Sachverhalte, entfalten die Konzernrichtlinien kein Weisungsrecht. Es handelt sich vielmehr um Vorschläge.

6.88

In der Regel dürfte sich das für das abhängige Unternehmen zuständige Finanzamt jedoch den Vorgaben des leitenden Finanzamts auch bei materiell-rechtlichen Vorgaben „beugen“. Denn das Finanzamt, dass für die Prüfung des abhängigen Unternehmens zuständig ist, darf seinen Prüfungsbericht erst nach Freigabe durch das leitende Finanzamt an das abhängige Unternehmen senden. Sollte das für das abhängige Unternehmen zuständige Finanzamt die die vom leitenden Konzernprüfer vorgegebenen Konzernrichtlinien nicht umsetzen, dürfte der Bericht nicht freigegeben werden.

2. Teilnahme an Besprechung/Schlussbesprechung bei Prüfung konzernabhängiger Unternehmen 6.89

Das leitende Finanzamt behält sich das Recht vor, an Besprechungen und der Schlussbesprechung bei den Prüfungen konzernabhängiger Unternehmen durch andere Finanzämter teilzunehmen. Ziel ist eine einheitliche steuerliche Behandlung gleichgelagerter Sachverhalte bei allen Konzernunternehmen.

6.90

Dieses Recht an Besprechungen und der Schlussbesprechung teilnehmen zu können, teilt das leitende Finanzamt den mit der Prüfung der konzernabhängigen Unternehmen beauftragten Prüfern in seinem Prüfungsaufruf mit.

X. Schlussbesprechung 6.91

Nach Beendigung der Prüfungshandlungen hat ein Steuerpflichtiger einen Rechtsanspruch auf eine Schlussbesprechung. Findet eine Schlussbesprechung statt, so sind dem Steuerpflichtigen die Besprechungspunkte und der Termin der Schlussbesprechung angemessene Zeit vor der Besprechung bekanntzugeben. Die Bekanntgabe kann auch mündlich erfolgen (§ 11 Abs. 1 BpO).

6.92

Die Schlussbesprechung ist ein Bestandteil des Prüfungsverfahrens, die darauf abzielt, die abschließende Klärung zu steuerlichen Feststellungen im Rahmen der Betriebsprüfung herbeizuführen.

6.93

Ist wegen bestimmter Prüfungsfeststellungen beabsichtigt, einen Hinweis nach § 201 Abs. 2 AO zu geben, dass die straf- und bußgeldrechtliche Würdigung der Prüfungsfeststellungen einem besonderen Verfahren vorbehalten bleibt und der Prüfungsbericht der Bußgeld- und Strafsachenstelle im Finanzamt zugeleitet werden soll, ist der Hinweis nach § 201 Abs. 2 AO aktenkündig zu machen.

6.94

Hinweis: Einspruch trotz Einigung in Schlussbesprechung Wird im Rahmen der Schlussbesprechung eines Konzernunternehmens eine Einigung bzw. ein Kompromiss erzielt, entfaltet diese Einigung keine Bindungswirkung. Stellt sich nach Auswertung des Prüfungsberichts oder nach Erhalt der Änderungsbescheide heraus, dass der gefundene Kompromiss nicht den Erwartungen entspricht, kann erneut eine Änderung bezüglich der Feststellungen des Finanzamts beantragt bzw. Einspruch gegen die Änderungsbescheide Einspruch eingelegt werden.

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.102 Kap. 6

XI. Abstimmung und Freigabe der Prüfungsberichte für abhängige Konzernunternehmen Ziel der Konzernprüfung unter einheitlicher Leitung eines Finanzamts ist wie bereits erwähnt, dass bestimmte steuerlichen Sachverhalte bei allen Konzernunternehmen, unabhängig bei wie vielen Finanzämtern diese geführt werden, steuerlich einheitlich behandelt werden.

6.95

Deshalb sind die Berichte der Konzernspitze und die Berichte der abhängigen Unternehmen nach Abschluss der Prüfung aufeinander abzustimmen. Das wird dadurch erreicht, dass das für das abhängige Unternehmen zuständige Finanzamt den Prüfungsbericht an das für die Konzernprüfung leitende Finanzamt mit der Bitte um Freigabe schickt (§ 17 BpO).

6.96

Erst nach Freigabe durch die prüfungsleitende Stelle darf der Bericht an den Steuerpflichtigen und an die Veranlagungsstelle zur Auswertung übersandt werden.

6.97

Die Verpflichtung zur Freigabe bezieht sich nicht nur auf Prüfungsberichte. Auch wenn das Finanzamt des konzernabhängigen Unternehmens den Prüfungsfall wegen fehlender Prüfungswürdigkeit technisch oder qualifiziert absetzen (also auf eine Prüfung verzichten) möchte oder nach Abschluss der Prüfung keine Prüfungsfeststellungen hat, muss das leitende Finanzamt die Absetzung bzw. die Mitteilung über die Beendigung der Prüfung ohne Änderungen die Freigabe erteilen.

6.98

Hinweis: Steuergeheimnis muss gewahrt bleiben Besteht keine Empfangsvollmacht für Steuerbescheide eines abhängigen Konzernunternehmens zugunsten des herrschenden Unternehmens bzw. zugunsten der Steuerabteilung des herrschenden Unternehmens, ist die Weitergabe des Prüfungsberichts für das abhängige Unternehmen an das herrschende Unternehmen aufgrund der Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) nicht gestattet1.

6.99

Dieser Grundsatz zur Wahrung des Steuergeheimnisses gilt selbst dann, wenn

6.100

– Personal des herrschenden Unternehmens an der Außenprüfung oder an der Schlussbesprechung des geprüften abhängigen Unternehmens teilgenommen haben (i.d.R. Vertreter der Steuerabteilung der Konzernspitze) oder – die Steuerabteilung bzw. Revisionsabteilung des herrschenden Unternehmens die Jahresabschlüsse des geprüften abhängigen Konzernunternehmens überprüft hat. Trotz der Leitungsfunktion des für die Konzernspitze zuständigen Finanzamts behält jede an der koordinierten Konzernprüfung beteiligte Finanzbehörde ihre eigene Entscheidungsbefugnis. Sollte es wider Erwarten zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich der steuerlichen Beurteilung bestimmter Sachverhalte zwischen dem leitenden Finanzamt und dem Finanzamt kommen, das für das abhängige Unternehmen zuständig ist, sind die vorgesetzten Finanzbehörden (Landesamt für Steuern, Oberfinanzdirektion) einzuschalten (§ 16 Abs. 2 BpO). Bis zu der Entscheidung bzw. Einigung dieser vorgesetzten Behörden darf der Bericht nicht an den Steuerpflichtigen oder an die auswertende Veranlagungsstelle im Finanzamt versandt werden.

6.101

Hat eine Konzernprüfung bereits begonnen und die Prüfung für ein abhängiges Konzernunternehmen und wechselt sich für dieses abhängige Unternehmen durch Verkauf die Konzernzugehörigkeit, bleibt bis zur Beendigung der bereits begonnenen Prüfung das bisher für die Leitung zuständige Finanzamt für die Freigabe des Prüfungsberichts zuständig.

6.102

1 BMF, Schr. v. 2.10.2015 – IV A 4 - S 1455/11/10001, Tz. 4.4, FMNR45a000015, juris.

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Kap. 6 Rz. 6.103 | Konzerne in der Betriebsprüfung

XII. Prüfungsbericht und Auswertung der Prüfungsfeststellungen 6.103

Nach Abschluss der Prüfungshandlungen bei den konzernabhängigen Unternehmen und bei der Konzernspitze, erstellt das für die Leitung der Konzernprüfung zuständige Finanzamt den Prüfungsbericht für die Konzernspitze. Ist zu einem Sachverhalt mit einem Rechtsbehelf oder mit einem Antrag auf verbindliche Zusage nach § 204 AO zu rechnen, soll der Sachverhalt im Prüfungsbericht umfassend dargestellt werden (§ 12 Abs. 1 BpO).

6.104

Die für die Konzernspitze zuständige Veranlagungsstelle kann bei Auswertung des Prüfungsberichts oder im Rechtsbehelfsverfahren von den im Rahmen der Konzernprüfung getroffenen Feststellungen abweichen. Der Betriebsprüfungsstelle ist jedoch Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Sollte eine Abweichung zuungunsten des Steuerpflichtigen vorgenommen werden, soll auch dem Steuerpflichtigen Gelegenheit gegeben werden, sich hierzu zu äußern (§ 12 Abs. 2 BpO).

6.105

Da der Bericht für die Konzernspitze bei einer mehrere Jahre dauernden Konzernprüfung sehr viele Feststellungen umfassen wird, muss dem Steuerpflichtigen bzw. dessen Steuerberater ausreichend Gelegenheit gegeben werden, die Feststellungen im Prüfungsbericht zu überprüfen. Dazu kann eine bis zu vierwöchige Einwendungsfrist beantragt bzw. gewährt werden (§ 202 Abs. 2 AO).

6.106

Die Einwendungsfrist hat folgende Vorteile und ist deshalb unbedingt empfehlenswert: – Verhinderung Einspruchsverfahren: Ohne Einwendungsfrist wird der Prüfungsbericht der Konzernspitze von der Veranlagungsstelle in der Regel umgehend ausgewertet. Gegen die Änderungsbescheide kann dann bei Fehlern im Bericht zur Berichtigung nur mit einem Einspruch und gegebenenfalls mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vorgegangen werden. Das kann zusätzliche Honorarzahlungen für den Steuerberater auslösen. Bei Gewährung der vierwöchigen Einwendungsfrist setzt sich der Steuerpflichtige oder dessen Steuerberater mit dem Betriebsprüfer in Verbindung und beantragt formlos die Änderung und Neu-Erstellung des Prüfungsberichts. – Stundung: Bei sehr hohen Steuernachzahlungen aufgrund der Prüfungsfeststellungen anlässlich der Konzernprüfung führt die Einwendungsfrist nach § 202 Abs. 2 AO, die vom Finanzamt bei einem plausiblen Antrag des Steuerpflichtigen bis zu zweimal um jeweils vier Wochen verlängert wird, bei Zahlungsschwierigkeiten zu einer Steuerstundung. Lediglich mit höheren Nachzahlungszinsen nach § 233a AO ist bei dieser Stundungsvariante zu rechnen.

XIII. Konzernübersicht/Konzernverzeichnis 6.107

Das für die Leitung der Konzernprüfung zuständige Finanzamt ist dazu verpflichtet, ein Konzernverzeichnis aufzustellen (§ 33 Satz 1 BpO). In dieses Verzeichnis hat es die Konzerne i.S.d. §§ 13, 18 und 19 BpO einzutragen.

6.108

Die Erstellung des Konzernverzeichnisses hat folgende Hintergründe: – Das Konzernverzeichnis zu Beginn der Prüfung ermöglicht es dem leitenden Konzernprüfer, dass er alle konzernunternehmen lokalisiert und veranlassen kann, dass vor Ablauf der Festsetzungsverjährung eine Prüfungsanordnung versandt und mit ernsthaften Prüfungshandlungen begonnen wird oder dass eine technisch bzw. qualifizierte Absetzung erfolgt, sollte ein konzernabhängiges Unternehmen nicht prüfungswürdig sein. – Das Konzernverzeichnis ist der zuständigen vorgesetzten Finanzbehörde (Landesamt für Steuern, Oberfinanzdirektion) zu übermitteln. Diese vorgesetzte Finanzbehörde wird das 560 | Köstler

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.114 Kap. 6

Konzernverzeichnis an das Bundeszentralamt für Steuern zur Aufnahme in eine zentrale Datenbank weiterleiten (§ 33 Satz 2 BpO). Das Bundeszentralamt wird durch die Übermittlung des Konzernverzeichnisses in die Lage versetzt, zu entscheiden, ob sich an der Konzernprüfung beteiligen möchte. Welche Informationen das leitende Finanzamt in dem zu erstellenden Konzernverzeichnis zur Konzernspitze und zu den konzernabhängigen Unternehmen festhält, kann einem BMFSchreiben entnommen werden1, das nach wie vor anzuwenden ist2.

6.109

Bei erstmaliger Erstellung eines Konzernverzeichnisses vergibt das leitende Finanzamt eine Konzernnummer. Wird ein konzernabhängiges Unternehmen in das Konzernverzeichnis aufgenommen, wird das für dieses Unternehmen zuständige Finanzamt mit Hinweis auf die Konzernnummer informiert. In der Folge ergehen die Steuerbescheide für dieses abhängige Unternehmen unabhängig von dessen Größenklasse nach § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Somit ist gewährleistet, dass im Rahmen der Konzernprüfung aufgedeckte Feststellungen problemlos im Rahmen von geänderten Steuerbescheiden berücksichtigt werden können.

6.110

Auch das Bundeszentralamt für Steuern führt aus der Ablage aller Konzernübersichten aus dem Bundesgebiet zwecks Information der Finanzbehörden über Konzernzusammenhänge ein Konzernverzeichnis (Bukon). Dieses Konzernverzeichnis wird der leitende Konzernprüfer mit dem vorhandenen Firmen-Organigramm und dem selbst erstellen Konzernverzeichnis abgleichen. Damit soll verhindert werden, das zu prüfende Unternehmen übersehen werden bzw. dass bei einer zu spät versandten Prüfungsanordnung und wegen fehlender ernsthafter Prüfungshandlungen die Festsetzungsverjährung für den Prüfungszeitraum eintritt.

6.111

XIV. Mitwirkung des Bundeszentralamts für Steuern an der Konzernprüfung 1. Teilnahme mehrere Finanzbehörden an Konzernbetriebsprüfung Die Konzernprüfung ist eine besondere Form der Betriebsprüfung. Das wird insbesondere an der Anzahl der teilnehmenden Prüfer deutlich, die bei einer Konzernprüfung eingesetzt wird. Neben einem leitenden Prüfer oder bei einem größeren Konzern eines Prüfungsteams, bestehend aus einem leitenden Prüfer und mehreren Prüfern der Landesfinanzbehörde, kann auch das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) einen Prüfer entsenden, der sich an der Konzernprüfung beteiligt (§ 20 Abs. 1 BpO; § 19 FVG).

6.112

Die Mitwirkung des Bundeszentralamts an einer Betriebsprüfung ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 FVG einer ihrer originären Aufgaben. In § 19 FVG ist geregelt, welche Kompetenzen den an der Konzernprüfung beteiligten Behörden zustehen.

6.113

Hinweis: Bundesbetriebsprüfung sammelt Prüfungserfahrung durch Mitwirkung an Konzernbetriebsprüfung Das Bundeszentralamt für Steuern hat in seinem Portal unter www.bzst.de die Mitwirkung der Bundesbetriebsprüfung an Konzernprüfungen folgendermaßen begründet: – Durch die Mitwirkung an Konzernprüfungen der Länder sammelt die Bundesbetriebsprüfung Prüfungserfahrungen im ganzen Bundesgebiet. – Das Bundeszentralamt für Steuern ist dadurch in der Lage, das Bundesministerium der Finanzen über steuerliche Entwicklungen in Kenntnis zu setzen, die für gesetzgeberische Maßnahmen oder Verwaltungsregelungen von Bedeutung sein können.

6.114

1 BMF, Schr. v. 28.10.2002 – IV D 2 - S 1451 - 13/02, BStBl. I 2002, 1026. 2 BMF, Schr. v. 11.3.2020 – IV A 2 - O 2000/19/10008 :001, BStBl. I 2020, 298.

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Kap. 6 Rz. 6.114 | Konzerne in der Betriebsprüfung – Die Bundesbetriebsprüfung kann durch die Mitwirkung an Konzernprüfungen der Länder auf die gleiche Besteuerung gleichartiger Sachverhalte im ganzen Bundesgebiet hinwirken.

2. Art und Umfang der Mitwirkung des BZSt 6.115

Die Art und den Umfang der Mitwirkung eines Prüfers des BZSt bei einer Konzernprüfung werden von den beteiligten Behörden im gegenseitigen Einvernehmen festgelegt (§ 20 Abs. 2 BpO.

6.116

Mit gegenseitigem Einvernehmen ist nicht die Entscheidung über die Prüfungswürdigkeit eines Konzernunternehmens oder die Festlegung des Prüfungszeitraums gegeben. Das gegenseitige Einvernehmen bezieht sich vielmehr auf die Aufteilung der Prüfungsfelder. Dabei sollen sich der Prüfer des BZSt und der leitende Prüfer des Finanzamts einigen, ob bestimmte Prüfungsschwerpunkte nur von einer der beiden Behörden bearbeitet werden oder ob beide Prüfer einen Sachverhalt gemeinsam prüfen (§ 22 Abs. 1 Satz 2 BpO).

6.117

Das BZSt hat zwar das Recht, an der Konzernprüfung mitzuwirken, „Herrin des Verfahrens“ bleibt dennoch einzig und allein das für die Leitung der Konzernprüfung zuständige Finanzamt. Das bedeutet, dass der leitende Konzernprüfer festlegen kann, bei jeder Besprechung des Prüfers des BZSt mit Vertretern der zu prüfenden Konzernunternehmen anwesend zu sein oder sich die Prüfungsanfragen des BZSt zuleiten zu lassen, um informiert darüber zu sein, welche Prüfungstätigkeiten der Prüfer des BZSt ausübt.

6.118

Hinweis: Uneinigkeit bei Bestimmung der Art und des Umfangs der Mitwirkung des BZSt In der Praxis kommt es häufig zu Kontroversen zwischen dem Prüfer des BZSt und den leitenden Prüfern des Finanzamts. Das ist auf die Formulierung in § 19 Abs. 2 Satz 1 FVG zurückzuführen. Dort heißt es: „Das Bundeszentralamt für Steuern bestimmt Art und Umfang seiner Mitwirkung.“.

6.119

Aus dieser Formulierung schließt so mancher Prüfer des BZSt, dass nicht das für die Leitung des Konzerns zuständige Finanzamt „Herrin der Konzernprüfung“ ist, sondern das Bundeszentralamt für Steuern vorgeben darf, welcher Prüfer welche Prüfungsschwerpunkte bearbeiten darf. Das leitende Finanzamt bezieht sich dagegen auf § 20 Abs. 2 BpO, nach der Art und Umfang der Mitwirkung des BZSt an der Konzernprüfung in gegenseitigem Einvernehmen festgelegt wird. Nach der Formulierung in der BpO sind die beiden Behörden also gleichberechtigt. Sollte es bereits zu Beginn der Konzernprüfung Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bundeszentralamt für Steuern und dem für die Leitung der Konzernprüfung zuständigen Finanzamt über die Art und den Umfang der Mitwirkung des Bundeszentralamt für Steuern kommen, ist die Entscheidung von den obersten Finanzbehörden des Bundes und des Landes zu treffen.

3. Mitwirkung des BZSt bei Außenprüfungen – Sonderfälle 6.120

In § 20 Abs. 1 BpO ist geregelt, dass das Bundeszentralamt für Steuern an „Außenprüfungen“ der Landesfinanzbehörden durch Prüfungstätigkeit und Beteiligung an Besprechungen teilnehmen kann. Sollte für einen Konzern ausnahmsweise keine Konzernprüfung durch die Landesfinanzbehörde stattfinden, sondern lediglich eine Umsatzsteuersonderprüfung oder eine Lohnsteuerprüfung, kann sich das Bundeszentralamt für Steuern auch an diesen Außenprüfungen beteiligen und spezialisierte Prüfer der betreffenden Referate mit der Prüfung betrauen.

6.121

Sollte sich das mit der Leitung der Konzernprüfung zuständige Finanzamt aus welchen Gründen auch immer dafür entscheiden, einen Konzern nicht zu prüfen, kann das Bundeszentralamt für Steuern die Konzernprüfung im Auftrag des Finanzamts eigenständig durchfüh562 | Köstler

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.128 Kap. 6

ren (§ 19 Abs. 3 Satz 1 FVG). Solche selbständigen Prüfungen kommen insbesondere bei Prüfungen von Auslandsbeziehungen und bei Prüfungen in Betracht, die sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstrecken (§ 19 Abs. 3 Satz 2 FVG). Die Durchführung einer selbständigen Konzernprüfung durch das Bundeszentralamt für Steuern ohne Beteiligung des zuständigen Finanzamts, muss nach § 19 Abs. 3 Satz 1 FVG im Einvernehmen den zuständigen „Landesfinanzbehörden“ erfolgen. M.E. kann mit „Landesfinanzbehörden“ nur das für die Prüfung eines Unternehmens zuständige Finanzamt gemeint sein. Das Einvernehmen muss nicht mit dem Landesamt für Steuern oder der Oberfinanzdirektion getroffen werden, weil dies in § 19 Abs. 3 Satz 1 FVG nicht ausdrücklich formuliert wird (§ 357 Abs. 2 Satz 3 AO).

6.122

Hinweis: Einspruchsverfahren gegen Verwaltungsakt des BZSt Erfolgt die Konzernprüfung im Rahmen einer selbständigen Prüfung ohne Beteiligung des zuständigen Finanzamts, geschieht das im Auftrag dieses Finanzamts. Es greifen die Regelungen zur Auftragsprüfung nach § 195 Sätze 2 und 3 AO. Werden vom Bundeszentralamt im Rahmen dieser selbständigen Prüfung Verwaltungsakte erlassen, kann das geprüfte Unternehmen gegen diese Verwaltungsakte Einsprüche sowohl ans Bundeszentralamt für Steuern als ans zuständige Finanzamt adressieren (§ 357 Abs. 2 Satz 3 AO).

6.123

4. Erstellung und Auswertung eines Prüfungsberichts bei Mitwirkung des BZSt Nach Beendigung der Prüfungshandlungen durch einen Prüfer des BZSt, muss ein Prüfungsbericht erstellt werden, der dem leitenden Prüfer des Finanzamts zugeleitet werden muss. Der leitende Prüfer des Finanzamts wird die Feststellungen des BZSt in seinen eigenen Konzernprüfungsbericht übernehmen und diesem den Prüfungsbericht des BZSt als Anlage beifügen.

6.124

Grundsätzlich wird erwartet, dass der leitende Prüfer des Finanzamts weder bei Auswertung des Prüfungsberichts noch im Rechtsbehelfsverfahren von den Feststellungen des BZSt abweicht, ohne den Prüfer des BZSt dazu zu hören. Beabsichtigt der leitende Prüfer des Finanzamts von einzelnen Feststellungen des BZSt abzuweichen, so ist hierüber Einvernehmen mit dem Bundeszentralamt für Steuern zu erzielen.

6.125

Wird kein Einvernehmen zur Behandlung steuerlicher Sachverhalte erzielt, kann die Frage dem Bundesfinanzministerium zur Entscheidung vorgelegt werden (§ 19 Abs. 4 Satz 3 FVG). Das Bundesfinanzministerium hat sich in diesem Fall mit dem Finanzministerium des Landes abzustimmen (§ 24 BpO). Dieselben Grundsätze gelten auch, wenn das Bundeszentralamt für Steuern für seine Feststellungen eine verbindliche Zusage nach § 204 ff. AO erteilt. Über die Aussagen in der verbindlichen Zusage muss Einvernehmen mit dem für die Konzernprüfung leitenden Finanzamt getroffen werden (§ 19 Abs. 4 Satz 2 FVG).

6.126

5. Leitendes Finanzamt muss BZSt den finalen Prüfungsbericht zusenden Das leitende Finanzamt hat dem BZSt alle Prüfungsberichte des Finanzamts für die Unternehmen zusenden, an deren Prüfung ein Prüfer des BZSt mitgewirkt hat und in dem die Feststellungen des Bundeprüfers eingearbeitet wurden.

6.127

Sollte das BZSt nicht an der Konzernprüfung mitgewirkt haben, obwohl das zu prüfende Unternehmen in seinem Prüfungsgeschäftsplan aufgeführt war, ist dem BZSt gleichwohl in Hinblick auf § 19 Abs. 2 Satz 2 FVG eine Ausfertigung des vom leitenden Finanzamt erstellten Prüfungsberichts zur Verfügung zu stellen.

6.128

Köstler | 563

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Kap. 6 Rz. 6.129 | Konzerne in der Betriebsprüfung

XV. Mitwirkung von Fachprüfern der Landesfinanzbehörden an der Konzernbetriebsprüfung 1. Beteiligung verschiedener Fachprüfer 6.129

Bei einer Konzernprüfung wird sich das für die Leitung der Prüfung zuständige Finanzamt einer Vielzahl von Prüfern bedienen, um die Prüfung in einer angemessenen Zeit abwickeln zu können. Neben dem leitenden Prüfer und gegebenenfalls seinem Prüferteam wird das Finanzamt versuchen, bestimmte steuerliche Bereiche an Fachprüfer zu vergeben. Denkbar sind insbesondere folgende Fachprüfer, die zur Konzernprüfung hinzugezogen werden können: – Fachprüfer für internationales Steuerrecht (ggf. des Landesamts für Steuern bzw. der Oberfinanzdirektion) – Fachprüfer für Bedarfsbewertung (Klärung von Bewertungsfragen wie Grundstückswertermittlung, Ermittlung des Werts bei einer Funktionsverlagerung, Unternehmenswertermittlung, etc.) – Fachprüfer für versicherungsmathematische Fragen (zur Prüfung von Pensionsrückstellungen etc.) – Fachprüfer mit speziellen IT-Kenntnissen (zur Auswertung von Datenanalysen, zum Auslesen von Kassenspeichern und anderen Kassenvor- und Kassensystemen) – Sonstige Fachprüfer mit Spezialisierung für bestimmte steuerliche Bereiche (z.B. Umwandlungssteuerrecht, Spezialist für in- und ausländische Betriebsstätten) – Bausachverständige

6.130

Die Finanzbehörde bestimmt den Umfang der Konzernprüfung nach pflichtgemäßen Ermessen (§ 4 Abs. 1 BpO). Dazu gehört auch die Entscheidung, wie viele Prüfer im Rahmen der Konzernprüfung eingesetzt werden.

2. Erstellung und Auswertung des Prüfungsberichts bei Mitwirkung von Fachprüfern 6.131

Die im Rahmen einer Konzernprüfung eingesetzten Fachprüfer müssen einen Prüfungsbericht verfassen, sofern deren Namen in der ursprünglichen Prüfungsanordnung oder in einer Ergänzung zur Prüfungsanordnung genannt sind. Der Leiter der Konzernprüfung wird die Feststellungen der Fachprüfer in seinen Prüfungsbericht aufnehmen und als Anlage beigefügt.

6.132

Werden Fachprüfer des Finanzamts eingesetzt, das für die Leitung der Konzernprüfung verantwortlich ist, dürfte es bei Beendigung der Konzernprüfung keine Meinungsverschiedenheiten geben. Der leitende Prüfer wird eine einheitliche Beurteilung steuerlich strittiger Sachverhalte mit den eingesetzten Fachprüfern herbeiführen.

6.133

Wird dagegen ein Fachprüfer des Landesamts für Steuern bzw. der Oberfinanzdirektion zur Konzernprüfung hinzugezogen, kann es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Fachprüfer und den leitenden Prüfer kommen. Grundsätzlich müssen die Feststellungen des Prüfers der vorgesetzten Landesbehörde ohne Änderung übernommen werden. In der Praxis dürfte bei Meinungsverschiedenheiten in einem ersten Schritt ein Konsens zwischen der vorgesetzten Behörde und der Betriebsprüfungsstelle des Finanzamts gesucht werden. Kann keine Einigung zur Beurteilung bestimmter Sachverhalte erzielt werden, wird das Finanzministerium der Landesbehörden eine Entscheidung treffen müssen. 564 | Köstler

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.138 Kap. 6

3. Übermittlung des Prüfungsberichts an Fachprüfer Der endgültige Bericht für die Prüfung bei der Konzernspitze oder bei einem verbundenen Unternehmen, in den die Feststellungen des Fachprüfers eingeflossen sind, müssen dem Fachprüfer übermittelt werden.

6.134

XVI. Mitwirkung eines Gewerbesteuerprüfers der Gemeinde 1. Fachprüfer für Gewerbesteuer der Gemeinden An einer Konzernprüfung nimmt regelmäßig ein Prüfer der Gemeinde bei der Prüfung der Konzernspitze und bei ausgewählten Konzernunternehmen zur Prüfung der Ermittlung des Gewerbeertrags teil.

6.135

Die Gemeinden sind hinsichtlich der Realsteuern (Gewerbe- und Grundsteuern), die von den Landesfinanzbehörden verwaltet werden, berechtigt, durch Gemeindebedienstete an Außenprüfungen teilzunehmen, die durch die Landesfinanzbehörden durchgeführt werden (§ 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FVG).

6.136

In der Praxis wenden sich regelmäßig Unternehmen gegen die Mitwirkung der Gemeinde an der Konzernprüfung bezüglich der Ermittlung des für die Gewerbesteuer maßgeblichen Gewerbeertrags und des Gewerbesteuermessbetrags. Der BFH hat jedoch klargestellt, dass die Mitwirkung eines Gemeindebediensteten zulässig ist1.

6.137

In seiner Urteilsbegründung führte der BFH zum Recht der Teilnahme an der einer Konzernprüfung einer Landesfinanzbehörde Folgendes aus:

6.138

– Aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 3 FVG ergibt sich kein eigenes Prüfungsrecht der Gemeinde. Die Gemeindesind deshalb nicht dazu ermächtigt, gegenüber Gewerbesteuerpflichtigen die Teilnahme eines Gemeindebediensteten an der Außenprüfung des Finanzamts eigenständig anzuordnen. – Das Finanzamt räumt im Rahmen seiner Prüfungsanordnung zur Außenprüfung nach §§ 193 ff. AO i.V.m. § 21 Abs. 3 FVG der Gemeinde ihr Recht zur Teilnahme an der Außenprüfung an. – Da es sich bei der Regelung des Rechts auf Teilnahme der Gemeinde an der Außenprüfung um einen gegenüber dem Steuerpflichtigen eigenständigen Verwaltungsakt handelt, kann der Steuerpflichtige im Rahmen der Anfechtung dieser Anordnung alle Einwendungen geltend machen. – Das für die Leitung der Konzernprüfung zuständige Finanzamt muss zur Wahrung des Steuergeheimnisses im Einzelnen sorgfältig prüfen, ob die Offenbarung bestimmter Informationen der Durchführung des Verfahrens dient und verhältnismäßig ist. Dem Prüfer der Gemeinde dürfen demnach nur Unterlagen zugänglich gemacht werden, die für die Ermittlung des Gewerbeertrags steuerlich relevant sind. – Das Recht eines Gewerbesteuerprüfers der Gemeinde, die Geschäftsräume des zu prüfenden Unternehmens zu betreten, beruht auf der verfassungsrechtlichen Anforderung genügenden Grundlage des § 200 Abs. 3 Satz 2 AO i.V.m. § 21 Abs. 3 FVG.

1 BFH, Urt. v. 23.1.2020 – III R 9/18, BStBl. II 2020, 436.

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Kap. 6 Rz. 6.139 | Konzerne in der Betriebsprüfung

2. Erstellung und Auswertung des Prüfungsberichts bei Mitwirkung von Gewerbesteuerprüfern der Gemeinde 6.139

Der Gemeindebedienstete hat seine Feststellungen in einem Prüfungsbericht festhalten und dem leitenden Prüfer des Finanzamts aushändigen. Der Prüfer des Finanzamts übernimmt in der Regel die Feststellungen des Prüfungsberichts der Gemeinde und berücksichtigt diese in seinem eigenen Prüfungsbericht. Der Prüfungsbericht der Gemeinde wird dem Bericht des Finanzamts als Anlage beigefügt.

6.140

Sollte es bei der Beurteilung bestimmter gewerbesteuerlicher Sachverhalte zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Gemeindebediensteten und dem leitenden Prüfer des Finanzamts kommen, ist eine einvernehmliche Lösung zu suchen. Lassen sich Meinungsverschiedenheiten nicht ausräumen, sollten die vorgesetzte Landesbehörde (Landesamt für Steuern, Oberfinanzdirektion) und die Gemeinde eine einvernehmliche Lösung suchen.

3. Übermittlung des Prüfungsberichts an den Gewerbesteuerprüfer 6.141

Der endgültige Bericht für die Prüfung bei der Konzernspitze oder bei einem verbundenen Unternehmen, in den die Feststellungen des Gewerbesteuerprüfers eingeflossen sind, müssen dem Gewerbesteuerprüfer übermittelt werden.

XVII. Konzernprüfung in der Praxis 1. Besonderheiten einer Konzernprüfung in der Praxis 6.142

Im Rahmen einer Konzernprüfung gibt es zahlreiche Besonderheiten für den Steuerpflichtigen oder für den mit der Mitwirkung an der Prüfung beauftragten Steuerberater zu beachten. Hervorzuheben sind insbesondere folgende Besonderheiten:

6.143

Hinweis: Aufgrund der Corona-Pandemie gelten für 2019 und 2020 geänderte Abgabefristen für Steuererklärungen. In den folgenden Passagen werden jedoch die „üblichen“ Abgabefristen – ohne Besonderheiten während der Corona-Pandemie – berücksichtigt. Gegebenenfalls ergeben sich auch für das Steuerjahr 2021 neue Abgabefristen.

6.144

Erstellen in einem Konzern angestellte Steuerberater sowie Mitarbeiter der Steuerabteilung die Steuererklärungen für die Konzernspitze und für die konzernabhängigen Unternehmen, stellt sich die Frage, ob für die Abgabe der Steuererklärungen die verlängerte Abgabefrist nach § 149 Abs. 3 AO greift. In diesem Fall müssten die Steuererklärungen spätestens mit dem letzten Tag des Monats Februars des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahrs abzugeben.

6.145

Die verlängerte Abgabefrist nach § 149 Abs. 3 AO greift hier nicht, weil diese steuerliche Erleichterung nur Anwendung auf Steuererklärungen findet, die von Personen erstellt werden, die unter §§ 3 und 4 StBerG fallen. Zu diesem Personenkreis fallen grundsätzlich nur selbständig eigenverantwortlich tätige Personen und Gesellschaften (Vgl. §§ 57, 58 und 60 StBerG).

6.146

Es gilt lediglich die allgemeine Steuererklärungsfrist nach § 149 Abs. 2 AO. Ohne Fristverlängerungsantrag sind die Steuererklärungen der Konzernunternehmen daher bis spätestens 31. Juli des auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahrs ans Finanzamt zu übermitteln.

2. Fristverlängerung zur Abgabe der Steuererklärungen

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A. Betriebsprüfung bei Konzernen | Rz. 6.154 Kap. 6 Hinweis: Fristverlängerung analog § 149 Abs. 3 AO üblich Zwar greift die verlängerte Abgabefrist nach § 149 Abs. 3 AO nicht, wenn die Mitarbeiter der Steuerabteilung eines Konzerns die Steuererklärungen für die Konzernunternehmen erstellen. Bei Beantragung eines gut begründeten Fristverlängerungsantrags ist es jedoch üblich, dass eine Fristverlängerung analog der Regelung des § 149 Abs. 3 AO bis spätestens zum letzten Tag des Monats Februars des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahrs gewährt wird.

6.147

3. Freiwillige Steuerzahlungen wegen Prüfungsdauer Kommt es aufgrund einer Feststellung des Prüfers des Finanzamts zu einer hohen Steuernachzahlung und die Konzernprüfung dauert voraussichtlich noch ein paar Jahre, sind hohe Nachzahlungszinsen nach § 233a AO einzukalkulieren.

6.148

Um Nachzahlungszinsen zu vermeiden, kann der Steuerpflichtige eine freiwillige Steuerzahlung wegen der Feststellungen aufgrund der Konzernprüfung ans Finanzamt leiten. Das führt dazu, dass das Finanzamt zwar die Nachzahlungszinsen in voller Höhe bis zum Zeitpunkt der Steuerfestsetzung im Steuerbescheid festsetzt, jedoch ab dem Zeitpunkt der freiwilligen Zahlung auf Antrag aus Billigkeitsgründen (§ 227 AO) erlässt1.

6.149

Der teilweise Erlass der Nachzahlungszinsen aufgrund einer freiwilligen Steuerzahlung hängt jedoch von folgender Voraussetzung ab: Es ist mit einem Sachbearbeiter der Finanzkasse des Finanzamts zu klären, welche Informationen der Überweisungsbeleg enthalten muss, damit die freiwillige Steuerzahlung eindeutig einer Steuerart und einem Steuerjahr zugeordnet werden kann.

6.150

Hinweis: Keine Erstattungszinsen bei zu hoher freiwilliger Steuerzahlung Wurde eine zu hohe freiwillige Steuerzahlung geleistet, erstattet das Finanzamt diese Überzahlung. Erstattungszinsen werden für diesen Erstattungsbetrag vom Finanzamt nicht festgesetzt und gezahlt.

6.151

4. Verlagerung der elektronischen Buchführung ins Ausland Grundsätzlich sind elektronische Bücher und sonstige erforderliche elektronische Aufzeichnungen im Geltungsbereich der Abgabenordnung – also in Deutschland – zu führen (§ 146 Abs. 2 Satz 1 AO).

6.152

Aufgrund der weltweiten Verflechtung bei Konzernunternehmen kommt es in der Praxis häufig vor, dass die elektronische Buchführung aus organisatorischen Gründen und aus Kostengründen zentralisiert ins Ausland verlagert wird. Die Verlagerung der elektronischen Buchführung und sonstiger elektronischer Aufzeichnungen ins Ausland muss beim Finanzamt beantragt werden. In der Regelung wird der Antrag, unabhängig vom ausländischen Staat, in den die elektronischen Aufzeichnungen verlagert werden sollen bei Vorliegen verschiedener Voraussetzungen gewährt (§ 146 Abs. 2a AO).

6.153

Hinweis: Schriftlicher Antrag für jedes einzelne Konzernunternehmen notwendig § 146 Abs. 2a Satz 1 AO setzt einen schriftlichen Antrag des Steuerpflichtigen an die zuständige Finanzbehörde voraus. Zuständig ist das Finanzamt, das für die Besteuerung des Unternehmens bzw. der Betriebsstätte nach Maßgabe der §§ 16 ff. AO zuständig ist. Es muss für jeden Steuerpflichtigen ein gesonderter Antrag gestellt werden. Das gilt auch für Konzerne i.S.d. §§ 13 und 18 Satz 1 Nr. 1 BpO.

6.154

1 AEAO Nr. 70.12 S. 4; BFH, Urt. v. 31.5.2017 – I R 92/15, BStBl. II 2019, 14.

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Kap. 6 Rz. 6.155 | Konzerne in der Betriebsprüfung

5. Durchführung einer koordinierten Lohnsteuer-Außenprüfung bei einem Konzern 6.155

Mit einem nicht im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlichten BMF-Schreiben1 wurde nach Abstimmung unter den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder die Einführung einer koordinierten Lohnsteuer-Außenprüfung verwaltungsintern bekanntgegeben. Unter der koordinierten Lohnsteuer-Außenprüfung ist eine zusammenhängende Prüfung von einzelnen lohnsteuerlichen Betriebsstätten, die zu Konzernen oder verbundenen Unternehmen gehören, zu verstehen. Ziel der koordinierten Lohnsteuer-Außenprüfung ist es, ein einheitliches Auftreten der Finanzverwaltung und eine erhöhte Effizienz im Rahmen von LohnsteuerAußenprüfungen sicherzustellen.

6.156

Zur koordinierten Lohnsteuer-Außenprüfung in Bezug auf Konzerne ist Folgendes wissenswert: – Bei koordinierten Lohnsteuer-Außenprüfungen soll im Falle von Konzernen mit mehreren inländischen Unternehmen das Finanzamt die Prüfungsleitung übernehmen, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung (§ 10 AO) des herrschenden oder des einheitlich leitenden Unternehmens im Inland befindet. – Ist dieses Finanzamt kein Betriebsstättenfinanzamt oder handelt es sich um einen ausländisch beherrschten Konzern ohne einheitliche Leitung im Inland oder um verbundene Unternehmen, die kein Konzern sind, ist das Finanzamt für die koordinierte Lohnsteuer-Außenprüfung zuständig, in dessen Bezirk sich das wirtschaftlich bedeutendste Unternehmen befindet. – Ist auch dieses Finanzamt kein Betriebsstättenfinanzamt, ist das Betriebsstättenfinanzamt zuständig, in dessen Bezirk sich das Unternehmen mit einer lohnsteuerlichen Betriebsstätte und dem größten Außenumsatz befindet.

B. Ertragsteuerliche Organschaft Literatur: Benecke/Schnitger, Wichtige Änderungen bei der körperschaftsteuerlichen Organschaft durch das UntStG 2013, IStR 2013, 143; Bilsdorfer, Steuerstrafrechtliche Aspekte bei der Betriebsprüfung, INF 2002, 72; Binnewies in Ziemons/Binnewies, Handbuch Aktiengesellschaft, 88. Lieferung 06.2021, Organschaft; Brinkmann, Die förmliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen einer Organgesellschaft – Gelöste und neue Probleme für die Außenprüfung, StBp 2016, 189; Brühl, Anmerkung zu Urteil des FG Kassel vom 28.5.2015 (4 K 677/14) – Zur Mindestlaufzeit eines Gewinnabführungsvertrages und wichtigen Grund bei vorzeitiger Vertragsbeendigung, GmbHR 2016, 79; Brühl/ Lange, § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG: Keine Billigkeitsmaßnahme bei verzögerter Handelsregistereintragung eines Gewinnabführungsvertrags?, DK 2016, 522; Brühl/Weiss, Körperschaftsteuerliche Organschaft: Variable Ausgleichszahlungen an Außenstehende und Anpassungszwang bei Verlustübernahmeklauseln nach § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG a.F., BB 2018, 94; Brühl/Weiss, Ertragsteuerliche Organschaft: Variable Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter – BMF-Schreiben zu § 14 Abs. 2 KStG vom 4.3.2020, BB 2020, 1436; Cordes/Kraft, Regierungsentwurf zum Optionsmodell – Körperschaftsteuer ab 2022 auch für Personengesellschaften?, FR 2021, 401; Detmering in Müller/Detmering/Lieber, Die Organschaft, 11. Aufl. 2020; Dötsch/Pung, Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts: Die Änderungen bei der Organschaft, DB 2013, 305; Drüen, Das neue Verfahrensrecht der Organschaft, DK 2013, 433; Drüen, Verfassungs- und 1 BMF, Schr. v. 20.12.2017 – IV C 5 - S 2386/11/10005 :001, BStBl. I 2017, 789.

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B. Ertragsteuerliche Organschaft | Rz. 6.159 Kap. 6 verfahrensrechtliche Grundlagen der Organschaft, in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, 2. Aufl. 2019, S. 147; von Freeden/Lange, Verspätete Handelsregistereintragung eines Gewinnabführungsvertrags: Keine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen zugunsten des Steuerpflichtigen (§ 163 AO), DK 2018, 191; Hasbach, Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter nach § 14 Abs. 2 KStG (§ 14 Abs. 2 KStG) – Anmerkungen zum BMF-Schreiben vom 4.3.2020, DB 2020, 806; Hendricks, Verfahrensrechtliche Grundlagen der körperschaftsteuerlichen Organschaft, Ubg 2011, 711; Hoheisel, Die ertragsteuerliche Organschaft in der Unternehmenspraxis – Neues aus der Rechtsprechung, StuB 2018, 325; Kaligin, Einzelfragen der Betriebsprüfung, 2018; Kolbe in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, Einkommensermittlung, Einkommenszurechnung, Gewinnabführung und Verlustübernahme bei Organschaft, 2. Aufl. 2019; Lüdicke/Eiling, Erste Überlegungen zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts, BB 2021, 1439; Müller, Verfahrensrechtliche Fragen in Organschaftsfällen, DK 2009, 167; Müller-Gatermann, Überfällige Strukturreformen bei den direkten Steuern, FR 2021, 72; Nadoushani, Zur objektiven Auslegung von Ergebnisabführungsverträgen durch den Bundesfinanzhof, DStR 2009, 620; Neumayer in Centrale für GmbH, GmbH-Handbuch, Organschaft, 177. Lieferung 07.2021; Olbing, Tatsächliche Durchführung eines Ergebnisabführungsvertrags, Checkliste unschädlicher und schädlicher Faktoren, GmbH-StB 2011, 281; Prinz/Keller, Neue BFH-Rechtsprechung zur ertragsteuerlichen Organschaft – Einordnung und Beratungskonsequenzen –, DB 2018, 400; Prinz/Ludwig, Bilanzrecht der Organschaft: Anwendungsfragen der Durchführungsfiktion für GAV-Zwecke bei fehlerhaften Bilanzansätzen, FR 2020, 1069; Schöneborn in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft, Die Organschaft aus Finanzverwaltungsperspektive, 2. Aufl. 2019; Schuck/Faller, Probleme der parallelen Anwendung von Zinsschranke und gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen in der Organschaft, DB 2010, 2186; Teiche, Verfahrensrechtliche Aspekte nach der Organschaftsreform, DStR 2013, 2197.

I. Einführung Steuerpflicht bei Bestehen einer Organschaft: Eine körperschaft- und gewerbesteuerliche Organschaft (§ 14 ff. KStG, § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG) zwischen einem Organträger (z.B. Organträger-GmbH & Co. KG) und einer Organgesellschaft (z.B. Organgesellschaft-GmbH) hat u.a. eine steuerliche Zusammenfassung von Organträger- und Organergebnis beim Organträger zur Folge. Zahlreiche mittelbare Folgen einer ertragsteuerlichen Organschaft können sich bei Anwendung von Tatbeständen außerhalb des Organschaftsrechts ergeben (z.B. § 4 Abs. 4a EStG, § 4h EStG/§8a KStG, § 15a EStG, § 34a EStG, § 8c KStG). Für körperschaftsteuerliche Zwecke bleiben Organträger und Organgesellschaft selbstständige Feststellungsubjekte (Personengesellschaft als Organträger) oder Körperschaftsteuersubjekte (Kapitalgesellschaft als Organträger; Organgesellschaft). Die Organschaft lässt insoweit die Steuererklärungspflichten von Organträger und Organgesellschaft unberührt, wobei die Einkommenszurechnung (§ 14 ff. KStG) und damit zusammenhängende Besteuerungsgrundlagen Gegenstand einer gesondert und einheitlichen Feststellung sind (§ 14 Abs. 5 KStG). Für Gewerbesteuerzwecke gilt die Organgesellschaft als Betriebsstätte des Organträgers (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG), wobei ausschließlich der Organträger persönlich steuerpflichtig ist.

6.157

Eine ertragsteuerliche Organschaft hat mit Blick auf eine Betriebsprüfung zur Folge, dass sich zusätzliche Prüfungsthemen ergeben können. Dabei können die Voraussetzungen und/oder die Rechtsfolgen einer Organschaft (z.B. Zeitpunkt der Einkommenszurechnung, Behandlung von Mehr- und Minderabführungen, Anwendung von gewerbesteuerlichen Hinzurechnungs- und Kürzungstatbeständen) Gegenstand einer Prüfung sein.

6.158

Recht und Verfahren der Betriebsprüfung bei einem Organträger und/oder einer Organgesellschaft folgen deren Steuerveranlagung (zu den Rechtsgrundlagen der Betriebsprüfung Rz. 1.30 ff.), wobei nur bei Überschreiten der Größenmerkmale zwingend eine Konzernbetriebsprüfung (§ 13 ff. BpO) durchzuführen ist (Rz. 6.2 ff.). Deshalb gelten mit Blick auf

6.159

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Kap. 6 Rz. 6.159 | Konzerne in der Betriebsprüfung

Organträger und Organgesellschaft zwar im Grundsatz die allgemeinen Regelungen des Betriebsprüfungsrechts (zur Prüfungsvorbereitung, Rz. 1.117 ff.; Prüfungsanordnung, Rz. 1.165 ff.; Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, Rz. 1.395 ff.; Schätzung von Besteuerungsgrundlagen, Rz. 1.554 ff.; Informationsrechte des Steuerpflichtigen, Rz. 1.658 ff.; Beendigung der Prüfung, Rz. 1.717 ff.). Unter Berücksichtigung der Rechtsfolgen der ertragsteuerlichen Organschaft (Ergebnisbesteuerung beim Organträger) können allerdings rechtliche und praktische Besonderheiten zu berücksichtigen sein, deren Ziel eine effiziente Prüfung der Besteuerungsgrundlagen von Organträger und Organgesellschaft sind. Diese Besonderheiten können Auswirkungen haben auf die Prüfungszuständigkeit (Rz. 6.46), die Ermittlungsmaßnahmen des Prüfers (Rz. 6.196), die Beendigung der Prüfung (Rz. 6.199 ff.) und die Rechtsschutzmöglichkeiten (Rz. 6.171 ff.).

II. Organschaftsrechtliche Grundlagen 1. Körperschaftsteuerliche Organschaft a) Voraussetzungen und Rechtsfolgen

6.160

Organträger in einer körperschaftsteuerlichen Organschaft können u.a. eine natürliche Person, eine Personengesellschaft und eine Kapitalgesellschaft sein (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG; natürliche Person und/oder Personengesellschaft müssen originär gewerblich tätig sein). Organgesellschaft kann nur eine Kapitalgesellschaft sein (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG). Voraussetzungen für eine körperschaftsteuerliche Organschaft zwischen Organträger und Organgesellschaft sind u.a.: – Stimmrechtsmehrheit des Organträger an Organgesellschaft (finanzielle Eingliederung, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG). – Zuordnung der Organbeteiligung zu einer Inlandsbetriebsstätte des Organträgers i.S.v. § 12 AO (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 KStG). – Gewinnabführungsvertrag zwischen Organträger und Organgesellschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1, § 17 KStG).1

6.161

Unmittelbare Rechtsfolge der Organschaft ist eine Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft zum Organträger (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG). Die Einkommenszurechnung hat im Ergebnis zur Folge, dass das Einkommen des Organträgers (z.B. EUR +100) und das Einkommen der Organgesellschaft (z.B. EUR ./. 100) „verrechnet“ werden (hier z.B. Gesamteinkommen EUR 0, Steuerbelastung EUR 0). Auf diese Weise werden z.B. steuerliche Gewinne und Verluste im Organkreis saldiert. Eine Organschaft kann darüber hinaus zahlreiche mittelbare Rechtsfolgen haben, die sich aus einer Anwendung „außerorganschaftsrechtlicher“ Tatbestände ergeben (z.B. § 4 Abs. 4a EStG, § 4h EStG/§8a KStG, § 15a EStG, § 34a EStG, § 8c KStG).

6.162

Das Vorliegen der Organschaftsvoraussetzungen kann Gegenstand einer Betriebsprüfung sein. Für den Fall, dass nach Auffassung der Betriebsprüfung die Voraussetzungen für eine Organschaft i.S.v. § 14 ff. KStG nicht vorliegen (z.B. liegt nach Auffassung der Betriebsprüfung keine finanzielle Eingliederung vor), erfolgt in den „Nicht-Organschaftsjahren“ keine Einkommenszurechnung von der Organgesellschaft an den Organträger. Organträger und Organgesellschaft haben in diesem Fall nur ihr jeweils eigenes Einkommen zu versteuern, was nachteilig 1 Zur Formulierung eines Gewinnabführungsvertrags z.B. Schöneborn in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 7.23 ff.

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B. Ertragsteuerliche Organschaft | Rz. 6.166 Kap. 6

sein kann (z.B. Organträger-Einkommen: EUR +100; Steuerbelastung rd. EUR 30; Organgesellschafts-Einkommen: EUR ./. 100, Steuerbelastung: EUR 0; Steuerbelastung insgesamt: rd. EUR 30). b) Verfahrensrechtliche Aspekte aa) Selbstständigkeit von Organträger und Organgesellschaft Organträger und Organgesellschaft sind trotz Bestehens einer Organschaft selbstständige Steuersubjekte, eine Organträgerpersonengesellschaft ist Feststellungssubjekt. Der Organkreis, bestehend aus Organträger und Organgesellschaft, ist kein gesetzliches Merkmal und nicht Gegenstand einer materiell- oder verfahrensrechtlichen Regelung. Sind an der Organgesellschaft neben dem Organträger weitere außenstehende (Minderheits-)Gesellschafter beteiligt, sind auch diese außenstehenden Gesellschafter selbstständige Steuersubjekte bzw. Feststellungssubjekte. Diese Selbstständigkeit von Organträger, Organgesellschaft und außenstehenden Gesellschaftern hat u.a. zur Folge, dass im Rahmen einer Betriebsprüfung mehrere Prüfungssubjekte vorliegen.

6.163

bb) Veranlagung Organträger und Organgesellschaft sind als selbstständige Steuer- bzw. Feststellungssubjekte nach allgemeinen Grundsätzen jeweils zur Abgabe von Steuererklärungen verpflichtet. Es ergehen entsprechende Steuerbescheide jeweils an Organträger und Organgesellschaft. Bei der Organgesellschaft handelt es sich stets um eine Kapitalgesellschaft, sodass ein Körperschaftsteuerbescheid ergeht. Bei dem Organträger kann es sich um einen Körperschaftsteuerbescheid (Organträger ist Kapitalgesellschaft), einen Einkommensteuerbescheid (Organträger ist natürliche Person) oder einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung (Organträger ist Personengesellschaft) handeln.

6.164

Nach Inkrafttreten von § 14 Abs. 5 KStG sind für (Feststellungs-)Zeiträume, die nach dem 31.12.2013 beginnen (§ 34 Abs. 9 Nr. 9 KStG), die organschaftsrechtlichen Besteuerungsgrundlagen Gegenstand eines Feststellungsverfahrens. Deshalb sind Besteuerungszeiträume vor und nach Inkrafttreten von § 14 Abs. 5 KStG zu unterscheiden.

6.165

Besteuerungszeitraum bis Veranlagungszeitraum 2013: Besondere verfahrensrechtliche Vorschriften für die Organschaft existieren nicht. Der Körperschaftsteuerbescheid der Organgesellschaft ist kein Grundlagenbescheid für den Steuerbescheid des Organträgers i.S.v. § 179 ff. AO und entfaltet keine Bindungswirkung i.S.v. § 182 AO. Das Einkommen der Organgesellschaft ist eine eigenständige Besteuerungsgrundlage i.S.v. § 157 Abs. 2 AO, die ohne einen verfahrensrechtlichen Zwischenschritt in das Gesamtergebnis des Organträgers eingeht und beim Organträger der Besteuerung unterliegt. Für den Fall, dass neben dem Organträger außenstehende Gesellschafter an der Organgesellschaft beteiligt sind, erfolgt die Besteuerung des Einkommens nach § 16 KStG anteilig bei der Organgesellschaft. Die Einkommenszurechnung von der Organgesellschaft an den Organträger ist nicht Gegenstand eines Feststellungsbescheids, sondern lediglich einer internen Mitteilung vom Organgesellschafts-Finanzamt an das Organträger-Finanzamt. Diese interne Mitteilung ist kein Verwaltungsakt i.S.v. § 118 AO, ein Einspruch des Organträgers und/oder der Organgesellschaft ist ausgeschlossen.1 Die Besteuerung des Organträgers unter Zugrundelegung der Summe aus „eigenem“ Einkommen

6.166

1 Vgl. Teiche, DStR 2013, 2197.

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Kap. 6 Rz. 6.166 | Konzerne in der Betriebsprüfung

des Organträgers und zugerechnetem (Organ-)Einkommen erfolgt nach normalen Grundsätzen. Für den Fall, dass an der Organgesellschaft keine außenstehenden Gesellschafter beteiligt sind, sodass das komplette Einkommen dem Organträger zuzurechnen ist, ist die festzusetzende Körperschaftsteuer EUR 0 (Einkommen der Organgesellschaft beträgt nach Einkommenszurechnung EUR 0). Sofern der Steuerbescheid des Organträgers materiell bestandskräftig ist, scheidet eine (Folge-)Änderung dieses Bescheids bei Änderung des Körperschaftsteuerbescheids der Organgesellschaft aus. Der Körperschaftsteuerbescheid der Organgesellschaft ist nicht Grundlagenbescheid i.S.d. § 179 Abs. 10 AO für einen Steuerbescheid des Organträgers. Eine Änderung der Höhe des Einkommens der Organgesellschaft, das dem Organträger nach § 14 Abs. 1 KStG zuzurechnen ist, stellt auch kein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 AO dar. Weiterhin scheidet eine Berichtigungsmöglichkeit nach § 174 AO mangels Vorliegens widerstreitender Steuerfestsetzungen aus. Es handelt sich auch nicht um eine neue Tatsache i.S.v. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, sodass eine Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids des Organträgers auch insoweit ausscheidet.

6.167

Besteuerungszeitraum ab Veranlagungszeitraum 2014: Der Gesetzgeber hat durch Aufnahme von § 14 Abs. 5 KStG mit Wirkung ab dem Jahr 2014 für die Körperschaftsteuer ein (Feststellungs-)Verfahren eingeführt, dessen Ziel eine „korrespondierende Besteuerung“ von Organträger und Organgesellschaft ist. Nach § 14 Abs. 5 Satz 1 KStG werden das dem Organträger zuzurechnende Einkommen der Organgesellschaft und damit zusammenhängende andere Besteuerungsrundlagen gegenüber dem Organträger und der Organgesellschaft gesondert und einheitlich festgestellt. Dabei sind Feststellungsbeteiligte der Organträger und jeweils (nur) eine Organgesellschaft. Für den Fall, dass der Organträger an mehreren Organgesellschaften beteiligt ist, sind die Besteuerungsgrundlagen für jede Organschaft separat festzustellen.

6.168

Zur Abgabe der Feststellungserklärung verpflichtet ist die Organgesellschaft, zuständig für die Feststellung ist das Betriebsfinanzamt der Organgesellschaft (§ 14 Abs. 5 Satz 4 KStG). Nach § 14 Abs. 5 Satz 2 KStG sind die Feststellungen nach Satz 1 für die Besteuerung des Einkommens des Organträgers und der Organgesellschaft bindend. Die Eigenschaft des Feststellungsbescheides nach § 14 Abs. 5 KStG als Grundlagenbescheid eröffnet u.a. eine Berichtigungsmöglichkeit nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO für die Folgebescheide. Z.B. ist der Bescheid des Organträgers anzupassen, wenn der Feststellungsbescheid (z.B. in Folge einer Betriebsprüfung) geändert wird. Dabei verhindert § 171 Abs. 10 AO, dass ein Grundlagenbescheid nicht mehr ausgewertet werden kann, weil die Festsetzungsfrist des Folgebescheides abgelaufen ist. Darüber hinaus ist § 181 Abs. 5 AO zu beachten, wonach auch nach Ablauf der Feststellungsfrist eine Feststellung i.S.v. § 14 Abs. 5 KStG erfolgen kann, soweit die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist.

6.169

Gegenstand der Feststellung nach § 14 Abs. 5 KStG sind u.a. die folgenden Besteuerungsgrundlagen1: – Einkommen der Organgesellschaft, das dem Organträger nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG zuzurechnen ist2; – negative Einkünfte der Organgesellschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG); 1 Dazu z.B. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 14 KStG Rz. 1139. 2 Dies ist nicht der Einkommensanteil, der von der Organgesellschaft als eigenes Einkommen bei Vorliegen einer Ausgleichszahlung nach § 16 KStG zu versteuern ist.

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B. Ertragsteuerliche Organschaft | Rz. 6.171 Kap. 6

– Summe der Einkünfte der Organgesellschaft1; – Steueranrechnungsbeträge der Organgesellschaft (u.a. Steuern i.S.v. § 19 Abs. 5 KStG). – Sachverhalte nach § 15 Satz 1 Nr. 2 bis 5 und Satz 2 KStG, wie z.B. Erträge und Aufwendungen der Organgesellschaft aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland, bei denen über die Anwendung von § 8b KStG, § 3 Nr. 40 EStG, § 3c Abs. 2 erst auf Ebene des Organträgers entschieden werden kann (§ 15 Satz 1 Nr. 2 KStG); Erträge der Organgesellschaft aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften mit Sitz im Ausland, die nach einem DBA steuerbefreit sind (§ 15 Abs. 2 KStG); – Besteuerungsdaten der Organgesellschaft zur Anwendung der Zinsschranke beim Organträger (§ 4h EStG, § 8a KStG). Offen ist, ob im Rahmen der Feststellung auch eine „Statusfeststellung“ zum Vorliegen einer Organschaft dem Grunde nach getroffen wird. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung ist eine Statusfeststellung rechtslogisch geboten, weil eine Zurechnung des Organeinkommens zum Organträger mit verfahrensrechtlicher Bindungswirkung nur dann möglich ist, wenn die materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für eine Organschaft erfüllt sind.2 Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung, wonach mit Erlass des Feststellungsbescheides auch die Feststellung verbunden sein soll, dass eine Organschaft besteht.3 Nach einer anderen Literaturauffassung spricht gegen eine solche Statusfeststellung im Rahmen der Feststellung nach § 14 Abs. 5 KStG, dass sich die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen einer Organschaft mit Zeitraumbezug, wie z.B. die tatsächliche Durchführung des Gewinnabführungsvertrages, erst nachträglich feststellen lassen und insofern keine Vorabfestlegung erfolgen kann.4 In der Besteuerungspraxis sollte zumindest aus Vorsichtsgründen davon ausgegangen werden, dass mit dem Feststellungsbescheid keine Statusfeststellung erfolgt. Die „Positionierung“ der Finanzrechtsprechung zu dieser Thematik bliebt abzuwarten.

6.170

cc) Rechtsschutz (1) Überblick Bei der Anfechtung von Steuerbescheiden durch Organträger und/oder Organgesellschaft kann zunächst zwischen den Rechtsschutzzielen unterschieden werden. Für den Fall, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung (z.B. als Ergebnis einer Betriebsprüfung) die Voraussetzungen für eine körperschaftsteuerliche Organschaft nicht vorliegen5, kann das Rechtsschutzziel von Organträger und Organgesellschaft eine Anerkennung der Organschaft sein (Rz. 6.173 ff.).

1 Hintergrund ist das Ziel, eine Berechnung des Höchstbetrages iSd. § 34c EStG beim Organträger zu ermöglichen. 2 So Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 14 KStG Rz. 763 m.w.N.; Kolbe in HHR, § 14 KStG Rz. 372; Teiche, DStR 2013, 2197; Jesse, FR 2013, 681; Stangl/Brühl, DK 2013, 77. 3 Vgl. BT-Drucks. 17/10774, S. 20. 4 Vgl. Drüen in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 4.34; Drüen, DK 2013, 433; Neumann in Gosch4, § 14 KStG Rz. 529d; Brinkmann, StBp 2016, 189. 5 Mögliche Ursachen für eine „Unwirksamkeit“ der Organschaft: Personengesellschaft-Organträger ist nicht originär gewerblich tätig, Beteiligung an Organgesellschaft vermittelt nicht mehr als 50 % der Stimmrechte, Gewinnabführungsvertrag ist unwirksam, Gewinnabführungsvertrag erfüllt nicht die Voraussetzungen von § 17 KStG, Betrag der Gewinnabführung übersteigt oder unterschreitet den Gewinn der Organgesellschaft.

Lange | 573

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6.171

Kap. 6 Rz. 6.172 | Konzerne in der Betriebsprüfung

6.172

Liegt auch nach Auffassung der Finanzverwaltung eine Organschaft vor, können Gegenstand eines Einspruchs bzw. einer Klage sämtliche Sachverhalte sein, die sich auf die Besteuerung von Organträger oder Organgesellschaft auswirken. Dabei kann dem Sachverhalt die Anwendung von „allgemeinem“ Unternehmenssteuerrecht (z.B. ist die Höhe des Einkommens der Organgesellschaft in Folge der Bildung einer Rückstellung streitbehaftet) oder von Organschaftsrecht (z.B. ist das Vorliegen einer Mehrabführung i.S.v. § 14 Abs. 3 KStG streitbehaftet) zu Grunde liegen. Bei den Rechtsschutzmöglichkeiten von Organträger und Organgesellschaft sind weiterhin die Besteuerungszeiträume vor und nach Inkrafttreten von § 14 Abs. 5 KStG zu unterscheiden. (2) Rechtsschutzziel: Anerkennung der körperschaftsteuerlichen Organschaft (a) Besteuerungszeitraum bis Veranlagungszeitraum 2013

6.173

Geht die Finanzverwaltung (z.B. in Folge einer Betriebsprüfung) – entgegen der Ansicht des Steuerpflichtigen – davon aus, dass die Voraussetzungen einer Organschaft i.S.v. § 14 ff. KStG nicht vorliegen (und deshalb das Einkommen der Organgesellschaft nicht dem Organträger zuzurechnen ist), ist ein Einspruchs- und ggf. Klageverfahren auf die Anerkennung der Organschaft gerichtet. Wenn das Rechtsschutzverfahren erfolgreich ist, erfolgt u.a. eine Zurechnung des positiven oder negativen Einkommens der Organgesellschaft zum Organträger.

6.174

Bei Beantwortung der Frage, ob der Gesellschafter, also der mögliche Organträger, oder die Gesellschaft, also die mögliche Organgesellschaft, einspruchs- bzw. klagebefugt ist, muss unterschieden werden. Für den Fall, dass das Einkommen der möglichen Organgesellschaft positiv ist, ist die Gesellschaft Einspruchsführerin und Klägerin. Die Beschwer der Gesellschaft ergibt sich in Folge des positiven Einkommens und der festgesetzten Körperschaftsteuer. Spiegelbildlich ist der Gesellschafter bzw. der mögliche Organträger in dieser Alternative nicht einspruchs- und klagebefugt. Denn mangels Zurechnung des Organeinkommens fehlt es insoweit an einer „belastenden“ Steuerfestsetzung beim Gesellschafter. Ausnahmsweise kann der Gesellschafter einspruchs- und klagebefugt sein, wenn er geltend macht, dass ihm aus der Nicht-Anerkennung der Organschaft, über mehrere Veranlagungszeiträume hinweg steuerliche Nachteile entstehen.1 Die könnte z.B. der Fall sein, wenn es sich bei dem Organträger um eine Mitunternehmerschaft handelt, deren Gewinn zu niedrig festgestellt wurde und sich die Feststellung in einem anderen Veranlagungszeitraum (z.B. über den Progressionseffekt) zu Ungunsten der Gesellschafter der Mitunternehmerschaft (natürliche Personen) auswirkt.2

6.175

Für den Fall, dass das Einkommen der Organgesellschaft negativ ist, hat die Gesellschaft grundsätzlich keinen unmittelbaren Nachteil aus dem „streitbehafteten“ Körperschaftsteuerbescheid. Denn in Folge des Verlustes wird keine Körperschafsteuer festgesetzt. Insoweit fehlt es an einer Beschwer, sodass die (Organ-)Gesellschaft nicht einspruchs- und klagebefugt ist. In dieser Alternative ist der Gesellschafter als möglicher Organträger einspruchs- und klagebefugt, da er durch die Nicht-Zurechnung des negativen Einkommens der Organgesellschaft in Folge der Nicht-Anerkennung der Organschaft beschwert ist. (b) Besteuerungszeitraum ab Veranlagungszeitraum 2014

6.176

Geht die Finanzverwaltung im Anschluss an eine Betriebsprüfung davon aus, dass – entgegen der Auffassung des Steuerpflichtigen – die Voraussetzungen für eine ursprünglich angenom1 So auch Müller, DK 2009, 167. 2 BFH v. 5.11.2009 – IV R 40/07, BFH/NV 2010, 485.

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B. Ertragsteuerliche Organschaft | Rz. 6.178 Kap. 6

mene Organschaft nicht erfüllt sind, ist ein Feststellungsbescheid nach § 14 Abs. 5 KStG aufzuheben. Unter Berücksichtigung der bestehenden Rechtsunsicherheiten sollte in diesem Fall die Aufhebung des Feststellungsbescheides i.S.v. § 14 Abs. 5 KStG angefochten werden (zur Frage, ob im Rahmen der Feststellung eine Statusfeststellung erfolgt Rz. 6.170).1 Zusätzlich ist aus Vorsichtsgründen vorzugehen wie in Veranlagungszeiträumen vor 2014 (dazu vorstehend Rz. 6.174 f.). (3) Rechtsschutzziel: Einkommensminderung (a) Besteuerungszeitraum bis Veranlagungszeitraum 2013 Sofern auch aus Sicht der Finanzverwaltung (z.B. in Folge einer Betriebsprüfung) die Voraussetzungen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft vorliegen, stellt sich die Frage, ob der Organträger oder die Organgesellschaft (oder beide) eine Steuerfestsetzung bzw. einen Feststellungsbescheid anfechten können. Z.B. kann eine Nicht-Anerkennung einer Betriebsausgabe durch die Finanzverwaltung auf Ebene der Organgesellschaft eine Einkommenserhöhung zur Folge haben. Die Einkommenserhöhung wirkt sich im Ergebnis in Folge der Einkommenszurechnung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG beim Organträger aus.2 Folgende Fallgruppen können unterschieden werden:

6.177

– Organträger als Einspruchsführer und Kläger: Der Organträger ist berechtigt, Einwendungen gegen die Höhe des von der Organgesellschaft erzielten und ihm lediglich zugerechneten Einkommens geltend zu machen. Einspruch einlegen muss der Organträger bei dem für seine Besteuerung zuständigen Finanzamt; und dies auch dann, wenn Gegenstand des Einspruchs ausschließlich die Höhe des ihm zugerechneten Einkommens der Organgesellschaft ist, welches von dem für die Besteuerung der Organgesellschaft zuständigen Finanzamt ermittelt wurde.3 Der Rechtsbehelfsbefugnis des Organträgers steht es nicht entgegen, wenn die ihm gegenüber festgesetzte Steuer EUR 0 beträgt, aber das ihm zugerechnete Einkommen der Organschaft dabei zu hoch angesetzt wurde.4 Die Organgesellschaft ist in diesem Fall nicht beschwert, sodass bei der Organgesellschaft kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. – Organgesellschaft als Einspruchsführer und Kläger: Eine Rechtsbehelfsbefugnis auf Ebene der Organgesellschaft ergibt sich in den Fällen, in denen die Organgesellschaft Ausgleichszahlungen an außenstehende Minderheitsgesellschafter geleistet hat. Denn in diesen Fällen hat die Organgesellschaft nach § 16 KStG ein eigenes Einkommen, auf das Körperschaftsteuer festzusetzen, sodass die Organgesellschaft nach § 350 AO beschwert ist. Die Organgesellschaft ist hinsichtlich des Feststellungsbescheides nach § 27 Abs. 2 KStG rechtsbehelfsbefugt. Dasselbe gilt hinsichtlich eines Feststellungsbescheides nach § 10d EStG betreffend vororganschaftlicher Verluste sowie hinsichtlich vororganschaftlicher Mehrabführungen. 1 Dazu Drüen in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 4.35. 2 Dabei wird davon ausgegangen, dass die Organgesellschaft mangels eines außenstehenden Gesellschafters kein eigenes Einkommen zu versteuern hat. 3 Insoweit sind, soweit für die Besteuerung von Organträger und Organgesellschaft unterschiedliche Finanzämter zuständig sind, verfahrensrechtlich Einwendungen gegenüber einem Finanzamt vorzubringen, das selbst nicht die Besteuerungsgrundlagen ermittelt hat, sondern das Einkommen nach verwaltungsinterner Meldung „lediglich“ übernommen hat. 4 Dazu Meyer/Ball, DStR 2011, 345.

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6.178

Kap. 6 Rz. 6.179 | Konzerne in der Betriebsprüfung

(b) Besteuerungszeitraum ab Veranlagungszeitraum 2014

6.179

Gegenstand eines Einspruchs bzw. einer Klage ist der Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen der Organgesellschaft nach § 14 Abs. 5 KStG. Der Bescheid kann von der Organgesellschaft oder vom Organträger als Feststellungsbeteiligte angefochten werden; höchst vorsorglich sollten Organträger und Organgesellschaft (koordiniert) Einspruch einlegen, um mögliche Rechtsunsicherheiten hinsichtlich des Anwendungsbereichs der (relativ jungen) Vorschrift auszuschließen.1 Der Einspruch ist gegen das Veranlagungsfinanzamt der Organgesellschaft zu richten, da dieses für die Feststellung nach § 14 Abs. 5 Satz 4 KStG zuständig ist.2 Hinzuweisen ist auf die Möglichkeit, im Einspruchs- oder Klageverfahren der Organgesellschaft einen Antrag auf Hinzuziehung bzw. Beiladung des Organträgers nach § 360 AO bzw. § 60 FGO zu stellen (und im Einspruchsbzw. Klageverfahren des Organträgers einen Antrag auf Hinzuziehung bzw. Beiladung der Organgesellschaft).

6.180

Die Organgesellschaft ist daneben hinsichtlich eines Feststellungsbescheids betreffend vororganschaftlicher Verluste rechtsbehelfsbefugt.3

2. Gewerbesteuerliche Organschaft a) Voraussetzungen und Rechtsfolgen

6.181

Die Voraussetzungen der gewerbesteuerlichen Organschaft sind identisch mit den Voraussetzungen der körperschaftsteuerlichen Organschaft. Dies bedeutet, dass bei Vorliegen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft regelmäßig auch eine gewerbesteuerliche Organschaft besteht.

6.182

Rechtsfolge der gewerbesteuerlichen Organschaft ist, dass die Organgesellschaft als (gewerbesteuerliche) Betriebsstätte des Organträger gilt (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG). Die Organgesellschaft verliert in Folge der Betriebsstättenfiktion zwar ihre persönliche Gewerbesteuerpflicht, sodass sie nicht Steuerschuldner (§ 5 GewStG) ist und ein Gewerbesteuermessbescheid gegenüber der Gesellschaft nicht ergeht. Die sachliche Steuerpflicht der Organgesellschaft bleibt allerdings unberührt, sodass die Gesellschaft weiterhin bilanziert und ihren Gewerbeertrag (getrennt vom Organträger) ermittelt. Der Gewerbeertrag der Organgesellschaft erhöht den Gewerbeertrag des Organträgers. Die Zerlegung des (einheitlichen) Gewerbesteuermessbetrags des Organträgers auf seine (echten und fiktiven) Betriebsstätten erfolgt nach allgemeinen Grundsätzen (§ 28 ff. GewStG). b) Verfahrensrechtliche Aspekte aa) Veranlagung

6.183

Gegenstand der Veranlagung ist der Organträger. Der Gewerbeertrag der Organgesellschaft wird zwar selbständig – unter Berücksichtigung der Hinzurechnungen und Kürzungen nach 1 Kritisch Neumann in Gosch4, § 14 KStG Rz. 529g. Seines Erachtens ist, da üblicherweise – also abgesehen von Fällen des § 16 Satz 1 KStG – nur der Organträger auf Grund der Einkommenszurechnung beschwert ist, einspruchsberechtigt. 2 Vgl. Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, § 14 KStG Rz. 773. 3 Zur Rechtsbehelfsbefugnis der Organgesellschaft bei Anfechtung wegen vororganschaftlicher Mehrabführung oder geleisteter Ausgleichszahlung, Neumann in Gosch4, § 14 KStG Rz. 529g; Teiche, DStR 2013, 2197 (2203 f.); keine Rechtsbehelfsbefugnis der Organgesellschaft, Drüen, DK 2013, 433 (445).

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B. Ertragsteuerliche Organschaft | Rz. 6.185 Kap. 6

§§ 8, 9 GewStG – ermittelt, aber es ergeht kein eigenständiger Gewerbesteuermessbescheid, weil die persönliche Gewerbesteuerpflicht der Organgesellschaft für die Dauer der Organschaft dem Organträger zugerechnet wird. Es ergeht nur noch ein Gewerbesteuermessbescheid für alle zum Organkreis gehörenden Gewerbebetriebe gegen den Organträger, in dem die Gewerbeerträge von Organgesellschaft(en) und Organträger zusammengerechnet werden. Soweit Hinzurechnungen und Kürzungen bei den einzelnen Unternehmen des Organgreises zu einer Doppelbelastung oder Doppelbegünstigung führen, werden diese in diesem Zuge neutralisiert. Im Gewerbesteuermessbescheid werden somit alle Informationen (betreffend den Organträger und alle zum Organkreis gehörenden Organgesellschaften) „verdichtet“. bb) Rechtsschutz Aufgrund der steuerschuldrechtlichen und verfahrensrechtlichen Einheit des gewerbesteuerlichen Organkreises wird auch im Rahmen des Gewerbesteuermessbescheides des Gesellschafters als möglicher Organträger darüber entschieden, ob die Voraussetzungen einer gewerbesteuerlichen Organschaft vorliegen. Zuständig ist das Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung des Gesellschafters befindet (Betriebsfinanzamt i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 18 Abs. 1 Nr. 2 AO). Bei Beantwortung der Frage, ob der Organträger oder die Organgesellschaft einspruchs- bzw. klagebefugt ist, kann wie folgt unterschieden werden:

6.184

– Rechtsschutzziel „Anerkennung der Organschaft“: Liegen nach Auffassung der Finanzverwaltung (z.B. im Anschluss an eine Betriebsprüfung) die Voraussetzungen für eine Organschaft nicht vor, ergehen getrennte Gewerbesteuermessbescheide an den Gesellschafter (möglicher Organträger) und die Gesellschaft (mögliche Organgesellschaft). Die (Organ-) Gesellschaft kann den Gewerbesteuermessbescheid anfechten und dessen Aufhebung auf Grund der fehlenden persönlichen Gewerbesteuerpflicht geltend machen. Der Gesellschafter ist mangels Beschwer nicht einspruchs- und klagebefugt. Für den Fall, dass der Gewerbeertrag der (Organ-)Gesellschaft negativ ist, kann auch der Gesellschafter Einspruch gegen seinen Gewerbesteuermessbescheid einlegen und geltend machen, dass ihm der negative Gewerbeertrag der (Organ-)Gesellschaft zugerechnet wird. – Rechtsschutzziel „Gewerbeertragsminderung“: Der Organträger ist hinsichtlich des Gewerbesteuermessbescheids einspruchs- und klagebefugt. Die Einspruchsbefugnis erstreckt sich auch auf das Ergebnis der Organgesellschaft, das ihm zugerechnet wird.1 Ein weiterer Gewerbesteuermessbescheid für die Organgesellschaft ergeht nicht, sodass die Organgesellschaft nicht mittels Einspruchs bzw. Klage gegen die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags vorgehen kann.

III. Prüfung der Besteuerungsgrundlagen 1. Körperschaftsteuerliche Organschaft a) Prüfungsablauf aa) Organträger und Organgesellschaft als eigenständige Prüfungsobjekte Organträger und Organgesellschaft stellen – ungeachtet dessen, dass sie wirtschaftlich eine Unternehmenseinheit bilden – verfahrensrechtlich keine Unternehmenseinheit dar, sondern sind rechtlich selbständige Rechtsträger innerhalb des Organkreises (Rz. 6.163). Die Begrün1 Vgl. Kolbe in HHR, § 14 KStG Rz. 380.

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6.185

Kap. 6 Rz. 6.185 | Konzerne in der Betriebsprüfung

dung einer Organschaft hat auch nicht zur Folge, dass Organträger und Organgesellschaft als einheitliches Steuerrechtssubjekt zu behandeln sind. Vielmehr bleiben Organträger und Organgesellschaften – soweit es sich um Kapitalgesellschaften handelt – entsprechend dem Trennungsprinzip eigenständige Körperschaftsteuersubjekte bzw. – bei Organträger-Personengesellschaften – eigenständige Feststellungssubjekte. Organträger und Organgesellschaft unterliegen verfahrensrechtlich als eigenständige Steuerrechtssubjekte allen (gewöhnlichen) Rechten und Pflichten. Sie haben jeweils ihre eigenen Rechte und Pflichten, wie z.B. Buchführungs-, Steuererklärungs- und sonstige Mitwirkungspflichten (zu den Mitwirkungspflichten Rz. 1.343 ff.), eigenständig zu erfüllen.

6.186

Dem verfahrensrechtlichen Grundsatz folgend, dass Organträger und Organgesellschaft eigenständige Steuerrechtssubjekte sind, ist Gegenstand der Betriebsprüfung nicht der Organkreis als solches, sondern es sind jeweils eigenständig Organträger und Organgesellschaft.1 Für den Fall, dass Organträger und Organgesellschaft geprüft werden sollen, ist die Durchführung einer Betriebsprüfung gegenüber Organträger und Organgesellschaft gesondert anzuordnen (zur Prüfungsanordnung Rz. 1.165 ff.).2 Damit sind die Grundsätze, die bei einer koordinierten Konzernprüfung nach §§ 13, 18 und 19 BpO gelten, entsprechend auch bei einer Organschaft anzuwenden (zur Konzernbetriebsprüfung Rz. 6.4 ff.). bb) Zuständigkeit

6.187

Für die sachliche und örtliche Zuständigkeit bei der Prüfung von Organträger und Organgesellschaft gelten keine Besonderheiten. Deshalb finden die allgemeinen Regelungen Anwendung (zur Zuständigkeit bei einer Betriebsprüfung Rz. 1.209). Zuständig sind danach die Betriebsfinanzämter von Organträger und Organgesellschaft.

6.188

In Abhängigkeit von der Höhe des Außenumsatzes können die Voraussetzungen für eine Konzernbetriebsprüfung vorliegen (zur Konzernbetriebsprüfung Rz. 6.4). Nach § 13 Abs. 1 BpO sind Unternehmen, die zu einem Konzern i.S.d. § 18 AktG gehören, im Zusammenhang unter einheitlicher Leitung und nach einheitlichen Gesichtspunkten – in Form einer koordinierten Konzernbetriebsprüfung – zu prüfen, wenn die Außenumsätze der Konzernunternehmen insgesamt mindestens EUR 25 Mio. betragen. Zuständig ist in diesem Fall das Finanzamt, das für die Prüfung des herrschenden Unternehmens bzw. leitenden Unternehmens zuständig ist (§ 14 Abs. 1 BpO).

6.189

Eine (Konzern-)Betriebsprüfung unter einheitlicher Leitung kommt auch bei Unterschreiten der Umsatzgrenze in Betracht (§ 18 BpO). Insoweit kann auch bei Vorliegen einer Organschaft eine einheitliche (Konzern-)Prüfung durchgeführt werden, wenn die Umsatzgrenze nicht erreicht wird. Zuständig ist in diesem Fall auch das Betriebsfinanzamt des Organträgers (§ 14 Abs. 1 BpO).

6.190

Weiterhin ist für den Fall, dass für Organträger und Organgesellschaft verschiedene Finanzämter örtlich zuständig sind, der Abschluss einer Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO zwischen den Finanzämtern möglich.3 Mit Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO geht grundsätzlich das gesamte Besteuerungsverfahren über; es besteht 1 Vgl. Drüen in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 4.18; Drüen, StbJb 2006/07, S. 273 (300 f.). 2 Hendricks, Ubg 2011, 711 (714). 3 Schmieszek in Gosch, § 20 AO Rz. 12.; FinMin. NRW v. 2.8.2018, AO-Kartei NRW § 26 AO, Karte 803 II, juris.

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B. Ertragsteuerliche Organschaft | Rz. 6.194 Kap. 6

jedoch die Möglichkeit, die örtliche Zuständigkeit auf bestimmte Verfahrensabschnitte, z.B. die Außenprüfung nach § 195 AO, zu begrenzen.1 In diesem Fall bewirkt die Zuständigkeitsvereinbarung ausschließlich einen Zuständigkeitswechsel für die Durchführung der Außenprüfung nach § 195 AO. Der Abschluss einer solchen Zuständigkeitsvereinbarung ist grundsätzlich auch bundeslandübergreifend – z.B. zwischen Nordrhein-Westfalen und Hamburg – möglich. Voraussetzung für den Zuständigkeitswechsel nach § 27 Satz 1 AO ist die Zustimmung des betroffenen Steuerpflichtigen. Der Steuerpflichtige – hier: regelmäßig die Organgesellschaft – hat jedoch die Möglichkeit, seine Zustimmung zum Zuständigkeitswechsel zu verweigern. Dies kann z.B. bei zu erwartenden Konflikten mit der übernehmenden Betriebsprüfungsstelle angezeigt sein. Die Zustimmung gilt nach § 27 Satz 2 bis 4 AO als erteilt, wenn die Organgesellschaft sich innerhalb einer von der Finanzbehörde gesetzten Frist nicht äußert. cc) Prüfungsanordnung Die Prüfungsanordnungen gegenüber Organträger und Organgesellschaft sind jeweils gesondert zu erlassen (allg. zur Prüfungsanordnung Rz. 1.274 f.). Zuständig für die Anordnung einer Betriebsprüfung ist das für die Besteuerung von Organträger oder Organgesellschaft jeweils örtlich zuständige Finanzamt.2 Ein „Automatismus“ dergestalt, dass die Prüfungsanordnungen gegenüber Organgesellschaften von dem für die Prüfung des Organträgers zuständigen Finanzamt erlassen werden, besteht nicht. Möglich ist jedoch, dass das örtlich zuständige Finanzamt, z.B. das für die Organgesellschaft zuständige Finanzamt, ein anderes Finanzamt – z.B. das für den Organträger zuständige Finanzamt – nach § 195 Satz 2 AO mit der Außenprüfung beauftragt (zur Auftragsprüfung Rz. 6.69 ff.).

6.191

In der Prüfungsanordnung sind alle in Betracht kommenden Steuerarten aufzuführen. Die Prüfungsanordnung i.S.v. § 196 AO gegenüber der Organgesellschaft soll ab dem VZ 2014 neben dem steuerlichen Einlagekonto (§ 27 Abs. 2 KStG) sowie ggf. den vororganschaftlichen Verlust (§ 10d EStG) auch die einheitliche und gesonderte Feststellung nach § 14 Abs. 5 KStG umfassen.3

6.192

dd) Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse Für die Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse bei Organträger und Organgesellschaft gelten keine Besonderheiten. Zur Prüfung von Besteuerungsrundlagen auf Ebene der Organgesellschaft und auf Ebene des Organträgers nehmen die Prüfer auf Grundlage der jeweiligen Prüfungsanordnung eigenständige Prüfungshandlungen bei der zu prüfenden Gesellschaft vor.

6.193

Der Prüfer einer Organgesellschaft ist auf Grundlage der Prüfungsanordnung berechtigt, bei dieser Organgesellschaft Prüfungshandlungen durchzuführen. Will der Prüfer Prüfungshandlungen bei z.B. einer weiteren Organgesellschaft vornehmen, kann er dies nur, wenn er dazu auf Grundlage einer eigenständigen Prüfungsanordnung berechtigt ist. Im Ergebnis ist die Vornahme von Prüfungshandlungen auf Grundlage einer Prüfungsanordnung bei der Organgesellschaft auf die jeweilige Gesellschaft beschränkt.

6.194

1 Schmieszek in Gosch, § 27 AO Rz. 4; Wackerbeck in HHSp, § 27 AO Rz. 6. i.V.m. Rz. 14. 2 Wenzig, Außenprüfung Betriebsprüfung10, S. 111. 3 Vgl. Schöneborn in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 7.17.

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Kap. 6 Rz. 6.195 | Konzerne in der Betriebsprüfung

6.195

Wenn nicht alle Gesellschaften eines Organkreises eine Prüfungsanordnung erhalten haben, stehen der Finanzverwaltung zwei Wege offen, um die Besteuerungsgrundlagen zu prüfen: – Sollen (zusätzlich noch) die Besteuerungsgrundlagen auf Ebene einer weiteren Organgesellschaft geprüft werden, kann die für die Besteuerung der Organgesellschaft zuständige Finanzbehörde – ggf. nach verwaltungsinternem Hinweis – unmittelbar an die Organgesellschaft herantreten, eine Prüfungsanordnung erlassen und dann die Prüfung durchführen. Hinsichtlich des Umfangs der Prüfberechtigung gelten in diesem Fall die vorstehend dargestellten Beschränkungen auf die konkrete Organgesellschaft. Für den Fall, dass die Prüfungshandlungen bei der Organgesellschaft zu Mehrergebnissen führen, wirken sich diese Mehrergebnisse über die Einkommenszurechnung beim Organträger aus.1 – Weiterhin kommt in Betracht, dass im Rahmen der Prüfung des Organträgers Sachverhalte, die auf Ebene der Organgesellschaft verwirklicht wurden, mitgeprüft werden, ohne dass gegen die Organgesellschaft eine gesonderte Prüfungsanordnung ergeht. Hierbei fordert der Außenprüfer des Organträgers den Organträger auf, seinen gesellschaftsrechtlichen Einfluss bei der Organgesellschaft geltend zu machen, um bestimmte Unterlagen und Auskünfte, die der Organträger bei der Organgesellschaft beschaffen soll, zu erhalten (mittelbare Inanspruchnahme der Organgesellschaft).2 ee) Selbstanzeige

6.196

Die Selbständigkeit von Organträger und Organgesellschaft hat zur Folge, dass das Erscheinen des Prüfers bei dem Organträger nicht zum Ausschluss der Möglichkeit einer Selbstanzeige (zur Selbstanzeige vor Anordnung einer Betriebsprüfung Rz. 1.148 u. 1.367 ff.) durch die Vertreter der Organgesellschaft führt. Umgekehrt führt auch das Erscheinen des Prüfers bei einer Organgesellschaft nicht dazu, dass eine Selbstanzeige beim Organträger ausgeschlossen ist.3 ff) Schätzung von Besteuerungsgrundlagen

6.197

Für die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gelten im Rahmen einer Organschaft keine Besonderheiten (zur Schätzung Rz. 1.554 ff.). Unter Berücksichtigung der Selbstständigkeit von Organträger und Organgesellschaft ist eine isolierte Schätzung auf jeder Ebene vorzunehmen. Eine Einkommensauswirkung ergibt sich in Folge der Organschaft beim Organträger (oder bei der Organgesellschaft, wenn diese einen Teil ihres Einkommens nach § 16 KStG selbst zu versteuern hat). gg) Informationsrechte des Steuerpflichtigen

6.198

Organträger und Organgesellschaft haben im Hinblick auf ihre Selbstständigkeit jeweils eigene Informationsrechte (zu den Informationsrechten des Steuerpflichtigen Rz. 1.658 ff.). Das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Informationsanspruch ist jeweils isoliert für Organträger und Organgesellschaft zu prüfen.

1 Soweit an der Organgesellschaft außenstehende Gesellschafter beteiligt sind, können sich ggf. auch Auswirkungen auf die Besteuerung der Organgesellschaft ergeben. 2 Vgl. BFH v. 26.6.2007 – V B 97/06, BFH/NV 2007, 1805; Hendricks, Ubg 2011, 711. 3 Vgl. Bilsdorfer, INF 2002, 72; Stahl in Vogelsang/Stahl, BP-Handbuch, Kap. E, Tz. 56.

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B. Ertragsteuerliche Organschaft | Rz. 6.203 Kap. 6

hh) Beendigung der Prüfung Im Rahmen der Durchführung der Betriebsprüfung bei Organträger und Organgesellschaft fertigen die jeweils mit der Betriebsprüfung betrauten Stellen eigene Betriebsprüfungsberichte an (zur Beendigung der Prüfung Rz. 6.95 ff.). Die für die Organgesellschaft zuständigen Betriebsprüfungsstellen haben in ihrem Bericht alle Änderungen der Besteuerungsgrundlagen für die Organgesellschaft darzustellen. Sie dürfen der Organgesellschaft ihren Bericht jedoch erst dann bekannt geben, wenn die konzernleitende Betriebsprüfungsstelle der Bekanntgabe zugestimmt hat. Hierdurch soll vermeiden werden, dass nicht aufeinander abgestimmte Ergebnisse bzw. einander widersprechende Ergebnisse kommuniziert werden.

6.199

Für den Fall, dass Organgesellschafts-Betriebsprüfungsstelle und Organträger-Betriebsprüfungsstelle – trotz Abstimmung – unterschiedliche Rechtspositionen vertreten, ist – ggf. unter Einbeziehung der vorgesetzten Stelle (§ 16 Abs. 2 BpO) – eine Einigung über die Beurteilung des Sachverhalts herbeizuführen. Diese Regelung weicht von der in § 14 Abs. 5 KStG getroffenen Festlegung des Gesetzgebers, dass das für die Veranlagung der Organgesellschaft zuständige Finanzamt über die Anerkennung einer Organschaft zu entscheiden hat, ab.1

6.200

Die für die Besteuerung des Organträgers zuständige Betriebsprüfungsstelle hat alle Änderungen bei der Prüfung des Organträgers und der Organgesellschaft zu berücksichtigen. Folglich kann der Betriebsprüfungsbericht an den Organträger erst gefertigt werden, wenn der Bericht zur Organgesellschaft gefertigt (und abgestimmt) wurde. Dies bedeutet, dass die Betriebsprüfungsberichte in Organkreisen – nach entsprechender Abstimmung zwischen den Betriebsprüfungsstellen und dem Informationsaustausch der Stellen untereinander – nur „von unten nach oben“ erstellt werden können und erst am Schluss der Bericht zum Organträger fertiggestellt werden kann.2

6.201

b) Prüfungsinhalt Die Betriebsprüfungsstelle des Organträgers benötigt für ihre Prüfung eine Vielzahl von Informationen aus der Betriebsprüfung der Organgesellschaft. Um diesen Informationsfluss zu gewährleisten, erstellt die für die Leitung der Konzernprüfung zuständige Stelle regelmäßig ein standardisiertes Einkommensermittlungsschema für Organgesellschaften.3 Mithilfe dieses Schemas übermitteln die Betriebsprüfungsstellen der Organgesellschaften der Betriebsprüfungsstelle des Organträgers alle für die Durchführung der Betriebsprüfung beim Organträger erforderlichen Angaben, wozu u.a. steuerliche Werte der Organgesellschaften gehören, die sich auf Ebene der Organgesellschaft nicht ausgewirkt haben, die indes für die Besteuerung des Organträgers von Bedeutung sind. Hierzu gehören z.B. von der Organgesellschaft steuerfrei vereinnahmte Beteiligungserträge, von der Organgesellschaft im Zusammenhang mit steuerfreien Beteiligungserträgen getragene Ausgaben, Übernahmeverluste und -gewinne in Zusammenhang mit Umwandlungsmaßnahmen, bestimmte Investmenterträge und der Nettozinsaufwand der Organgesellschaft. Daneben werden auch Mehr- und Minderabführungen mitgeteilt.

6.202

Im Übrigen verwenden die Betriebsprüfungsstellen Checklisten, die sich an den gesetzlichen Merkmalen, die zur wirksamen Errichtung einer Organschaft erfüllt bzw. gegeben sein müssen, orientieren.4 Durch Verwendung solcher Checklisten soll sichergestellt werden, dass keine

6.203

1 2 3 4

Vgl. Schöneborn in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 7.19. Fachinfosystem NRW, Finanzamt GKBP Düsseldorf I v. 20.7.2020, Organschaft, Abschn. VII.9. Vgl. Schöneborn in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 7.21. Vgl. Schöneborn in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 7.21.

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Kap. 6 Rz. 6.203 | Konzerne in der Betriebsprüfung

Merkmale, die für das Bestehen einer Organschaft erforderlich sind, ungeprüft bleiben. Mithin dienen die Checklisten dazu, dass seitens der Betriebsprüfungsstellen einerseits keine (wesentlichen) Prüfungskriterien übersehen werden und andererseits eine Konzentration auf das Wesentliche erfolgt.

6.204

Die typischen Prüffelder bei einer Organschaft lassen sich – anknüpfend an die formellen und materiellen Anforderungen an die Anerkennung einer Organschaft – ebenso in die Prüfung der formellen Anforderungen und die Prüfung der materiellen Anforderungen an eine Organschaft untergliedern. Dabei geht zum einen darum, im Rahmen der Betriebsprüfung festzustellen, ob die formalen Anforderungen an die Organschaft in personeller und sachlicher Hinsicht vorliegen, sowie zum anderen darum, zu prüfen, ob die materiellen Kriterien eingehalten werden. Sofern die Betriebsprüfung bilanzielle Feststellungen bei einer Organgesellschaft trifft, sind daneben inner- oder vororganschaftliche Mehr- und Minderabführungen Gegenstand der Betriebsprüfung.

6.205

Gründe, die in der Besteuerungspraxis zu einer Nichtanerkennung einer Organschaft führen, sind: – fehlende gewerbliche Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bei einer OrganträgerPersonengesellschaft, – finanzielle Eingliederung besteht nicht ununterbrochen vom Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft an, – Gewinnabführungsvertrag ist zivilrechtlich unwirksam, – Laufzeit des Gewinnabführungsvertrages beträgt weniger als 5 Jahre, – tatsächliche Laufzeit des Gewinnabführungsvertrages beträgt auf Grund verspäteter Handelsregistereintragung weniger als 5 Jahre1, – Regelung zur Verlustübernahme entspricht nicht den steuerlichen Vorschriften, z.B. fehlender bzw. fehlerhafter dynamischer Verweis auf § 302 AktG, – Regelung zur Gewinnabführung ist fehlerhaft, weil nicht die Abführung des ganzen Gewinns vorgesehen ist, – es wird ein zu hoher (oder ein zu niedriger) Betrag von der Organgesellschaft an den Organträger abgeführt, weil die tatsächliche Gewinnabführung nicht dem Gewinn entspricht, der in der Handelsbilanz auszuweisen wäre; – eine unrichtige Handelsbilanz wird nach Entdeckung des Fehlers nicht fristgerecht korrigiert bzw. es wird trotz fristgerechter Korrektur das korrigierte Ergebnis nicht abgeführt oder ausgeglichen, – Rücklagendotierung bei der Organschaft, die über das hinausgeht, was bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet ist, – Beendigung des Gewinnabführungsvertrages während der Mindestvertragslaufzeit ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes, – tatsächliche Durchführung der Gewinnabführungs- bzw. Verlustübernahmeverpflichtung bei ausschließlicher Buchung auf einem dauerhaft aktiven oder passiven Verrechnungskonto zwischen Organträger und Organgesellschaft, 1 Dazu von Freeden/Lange, DK 2018, 191.

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B. Ertragsteuerliche Organschaft | Rz. 6.209 Kap. 6

– fehlende Regelung über Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter sowie die Vereinbarung von Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter, die insgesamt den dem Anteil am gezeichneten Kapital entsprechenden Gewinnanteil überschreiten, – Organträger mit Sitz im Ausland (u.a. muss Beteiligung an Organgesellschaft nach international-steuerlichen Grundsätzen einer Inlandsbetriebsstätte des Organträgers zuzuordnen sein).

2. Gewerbesteuerliche Organschaft a) Prüfungsablauf Für die Darstellung wird im Grundsatz auf die allgemeinen Ausführungen zum Prüfungsablauf (Rz. 1.22) und zur körperschaftsteuerlichen Organschaft (Rz. 6.185 ff.) verwiesen.

6.206

Die Gewerbesteuer steht den Gemeinden zu und wird durch Gewerbesteuerbescheid von der hebeberechtigten Gemeinde erhoben. Insoweit hat – neben der Finanzverwaltung – auch die Gemeinde ein besonderes Interesse an der „Richtigkeit“ der Besteuerungsgrundlagen des Steuerpflichtigen und deren Prüfung. Deshalb sind die Gemeinden berechtigt, durch Gemeindebedienstete an Außenprüfungen bei Steuerpflichtigen teilzunehmen, wenn diese in der Gemeinde eine Betriebsstätte unterhalten und die Außenprüfung im Gemeindebezirk erfolgt (§ 21 Abs. 3 Satz 2 FVG). Den Gemeinden steht allerdings kein eigenes Prüfungsrecht zu. Für einen Gewerbesteuerprüfer gelten die auch Regeln der Konzernprüfung (zur Konzernprüfung Rz. 6.135).

6.207

b) Prüfungsinhalt Die typischen Prüffelder der gewerbesteuerlichen Organschaft decken sich einerseits mit den Prüffeldern der körperschaftsteuerlichen Organschaft. Insoweit wird auf die Darstellung zur körperschaftsteuerlichen Organschaft verwiesen (Rz. 6.204 f.).

6.208

Zusätzliche Prüffelder im Gewerbesteuerrecht ergeben sich mit Blick auf mögliche Auswirkungen einer Organschaft auf die Anwendung von gewerbesteuerlichen Hinzurechnungsund Kürzungsvorschriften (§ 8, § 9 GewStG). Im Rahmen eines gewerbesteuerlichen Organkreises dürfen Hinzurechnungen und Kürzungen bei den einzelnen Unternehmen des Organkreises keine Doppelbelastung oder Doppelbegünstigung zur Folge haben (z.B. keine Hinzurechnung von Zinsaufwand bei der Organgesellschaft nach § 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG, dem eine Zinszahlung an den Organträger zu Grunde liegt1; keine erweiterte Kürzung bei der Organgesellschaft nach § 9 Nr. 1 Satz 2 ff. GewStG bei Vermietung im Organkreis2).3

6.209

1 Mit weiteren Nachweisen Keß in Lenski/Steinberg, § 2 GewStG Rz. 3766; Kolbe in Prinz/Witt, Steuerliche Organschaft2, Rz. 13.88; Schuck/Faller, DB 2010, 2186. 2 BFH v. 18.5.2011 – X R 4/10, BStBl. II 2011, 887; BFH v. 30.10.2014 – IV R 9/11, NFH/NV 2015, 227. 3 R 7.1 Abs. 5 GewStR 2009; Neumayer in Centrale für GmbH, GmbH-Handbuch, Organschaft, Rz. 5972; Binnewies in Ziemons/Binnewies, Handbuch Aktiengesellschaft, Organschaft, Rz. 1946.

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Kap. 6 Rz. 6.210 | Konzerne in der Betriebsprüfung

C. Umwandlungen I. Allgemeines 6.210

Nach § 1 UmwG können Rechtsträger insbesondere durch Verschmelzung, durch Spaltung (Aufspaltung, Abspaltung, Ausgliederung) oder durch Formwechsel umgewandelt werden.1 Umwandlungen spielen in der Praxis der Betriebsprüfungsverfahren eine große Rolle. Dies liegt zum einen daran, dass Umwandlungen häufig einen inhaltlichen Schwerpunkt in steuerlichen Betriebsprüfungen bilden. Zum anderen kommt es nach Umwandlungen in nahezu jedem Stadium des Betriebsprüfungsverfahrens zu Besonderheiten. So stellt sich zunächst die Frage, an welchen Rechtsträger Prüfungsanordnungen nach Umwandlungen zu richten sind (vgl. hierzu ausführlich Rz. 6.191, 6.215). Sodann stellt sich die Frage, bei welchem Rechtsträger die steuerlichen Folgen einer Umwandlung zu prüfen sind (vgl. hierzu ausführlich Rz. 6.227 ff.). Schließlich bestehen Besonderheiten hinsichtlich der Bekanntgabe der Steuerbescheide nach Betriebsprüfungen (vgl. hierzu Rz. 6.225 f.).

6.211

Die Folgen von Umwandlungen für das Betriebsprüfungsverfahren knüpfen an das Zivilrecht und an das allgemeine steuerliche Verfahrensrecht an:

6.212

In zivilrechtlicher Hinsicht geht im Zuge einer Verschmelzung und einer Aufspaltung das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers auf den oder die übernehmenden Rechtsträger über, der übertragende Rechtsträger wird ohne Abwicklung aufgelöst (§ 2, § 123 Abs. 1 UmwG). Bei einer Abspaltung und einer Ausgliederung überträgt der übertragende Rechtsträger Vermögen auf einen oder mehrere Rechtsträger, ohne dass der übertragende Rechtsträger aufgelöst wird (§ 123 Abs. 2 und 3 UmwG). Der Formwechsel erfolgt ohne Vermögensübertragung und unter Wahrung der rechtlichen Identität (§ 190 UmwG).

6.213

In verfahrensrechtlicher Hinsicht regelt § 45 AO die steuerliche Gesamtrechtsnachfolge. Danach gehen die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis im Falle der Gesamtrechtsnachfolge auf den Gesamtrechtsnachfolger über. Für das Betriebsprüfungsverfahren ist das Konzept der steuerlichen Gesamtrechtsnachfolge deshalb bedeutsam, da die Rechtsfolge des § 45 AO nicht nur im Übergang der Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis besteht, vielmehr geht auch die Verpflichtung, eine Betriebsprüfung zu dulden, auf den Gesamtrechtsnachfolger über.2

6.214

Im Falle der Verschmelzung kommt es unstreitig zu einer steuerlichen Gesamtrechtsnachfolge.3 Mithin ist der im Rahmen der Verschmelzung übernehmende Rechtsträger steuerlicher Gesamtrechtsnachfolger der übertragenden Gesellschaft. Dagegen liegt im Falle der Abspaltung und der Ausgliederung keine steuerliche Gesamtrechtsnachfolge vor.4 In den Fällen der Aufspaltung will die Finanzverwaltung jedoch § 45 AO entsprechend anwenden.5 Eine formwechselnde Umwandlung führt zwar grundsätzlich nicht zu einer steuerlichen Gesamtrechtsnachfolge i.S.d. § 45 AO, da lediglich ein Wechsel der Rechtsform eines Rechtsträgers unter Wahrung seiner rechtlichen Identität vorliegt. Ändert sich allerdings durch den Rechtsform1 Daneben nennt § 1 UmwG die Vermögensübertragung nach § 174 AO, die allerdings in der Praxis von eher geringerer Bedeutung ist. 2 Vgl. BFH v. 25.4.2006 – VIII R 46/02, BFH/NV 2006, 2037. 3 AEAO zu § 45 Rz. 1; Koenig in Koenig3, § 45 AO Rz. 2; 4 Vgl. BFH v. 7.8.2002 – I R 99/00, BStBl. II 2003, 835; BFH v. 5.11.2009 – IV R 29/08, BFH/NV 2010, 356; Ratschow in Klein15, § 45 AO Rz. 3; AEAO zu § 45 Rz. 2. 5 AEAO zu § 45 Rz. 2.

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C. Umwandlungen | Rz. 6.221 Kap. 6

wechsel das Steuersubjekt, wie es bei dem Formwechsel zwischen Kapital- und Personengesellschaften der Fall ist, wendet die Finanzverwaltung auch hier § 45 AO entsprechend an.1

II. Prüfungsanordnung 1. Adressat und Bekanntgabe Die Prüfungsanordnung ist auch in Fällen der Umwandlung an den Inhaltsadressaten zu richten und dem Bekanntgabeadressaten bekannt zu geben. Dabei ist zwischen den einzelnen Umwandlungsformen zu differenzieren.

6.215

2. Verschmelzung Die Verschmelzung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 2 ff. UmwG) zweier Rechtsträger bewirkt die Vollbeendigung des übertragenden Rechtsträgers. Der übernehmende Rechtsträger wird steuerlicher Gesamtrechtsnachfolger i.S.d. § 45 Abs. 1 AO.

6.216

Wird eine Prüfungsanordnung bereits vor Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge an den Rechtsvorgänger gerichtet und ihm gegenüber bekanntgegeben, wirkt die Prüfungsanordnung auch gegenüber dem Rechtsnachfolger.2 Mithin muss nach erfolgter Verschmelzung keine gesonderte Prüfungsanordnung an den Rechtsnachfolger ergehen.

6.217

Ergeht dagegen eine Prüfungsanordnung nach einer Verschmelzung und richtet sie sich auf einen vor der Verschmelzung liegenden Prüfungszeitraum, ist die Prüfungsanordnung an den übernehmenden Rechtsträger unter Verweis auf dessen Stellung als Gesamtrechtsnachfolger zu richten.3

6.218

War der vollbeendete Rechtsträger eine Personengesellschaft, ist zu beachten, dass auch die Duldungspflicht zur Prüfung der gesonderten und einheitlichen Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen gem. § 45 Abs. 1 Satz 1 AO auf den übernehmenden Rechtsträger übergeht.4 Die Prüfungsanordnung ist unter entsprechendem Verweis auf die Stellung als Gesamtrechtsnachfolger an den übernehmenden Rechtsträger zu richten. Es ist jeweils deutlich zu machen, dass die Prüfung die steuerlichen Verhältnisse der beendeten Gesellschaft betrifft.5

6.219

Erzielte die Personengesellschaft ausschließlich Überschusseinkünfte, ist nicht die Personengesellschaft hinsichtlich der Feststellungen Träger der steuerlichen Rechte und Pflichten, sondern die jeweiligen Gesellschafter. Insofern kann die Verschmelzung keine Gesamtrechtsnachfolge bewirken, so dass Prüfungsanordnungen bezogen auf die gesonderten und einheitlichen Feststellungen der Besteuerungsgrundlagen an jeden Gesellschafter gerichtet und ihm bekannt gegeben werden müssen.6

6.220

3. Abspaltung und Ausgliederung Abspaltungen und Ausgliederungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 123 ff. UmwG) führen nicht zu einer Gesamtrechtsnachfolge i.S.d. § 45 Abs. 1 AO. Ergeht eine Prüfungsanordnung nach der Ab1 2 3 4 5 6

AEAO zu § 197 Nr. 9.5 i.Vm. AEAO zu § 45 Nr. 3. Seer in Tipke/Kruse, § 196 AO Rz. 28. AEAO zu § 197 Nr. 5.7.3 i.V.m. Nr. 9.2. BFH v. 25.4.2006 – VIII R 46/02, BFH/NV 2037. AEAO zu § 197 Nr. 5.7.3 i.V.m. Nr. 9.2. AEAO zu § 197 Nr. 5.7.3, 5.2.2 i.V.m. Nr. 9.2.

Hölscher | 585

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6.221

Kap. 6 Rz. 6.221 | Konzerne in der Betriebsprüfung

spaltung bzw. Ausgliederung und bezieht sie sich auf Zeiträume, die vor der Abspaltung bzw. Ausgliederung liegen, ist die Anordnung daher an den abspaltenden bzw. ausgliedernden Rechtsträger zu richten und diesem bekannt zu geben.1 Dies hat der BFH jüngst ausdrücklich bestätigt.2

4. Aufspaltung 6.222

Zwar liegt in Fällen einer Aufspaltung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, §§ 123 Abs. 1 UmwG) keine Gesamtrechtsnachfolge vor, § 45 Abs. 1 AO wird allerdings von der Finanzverwaltung sinngemäß angewendet. Demnach sind Prüfungsanordnungen für die Zeiträume bis zur Aufspaltung an die spaltungsgeborenen Gesellschaften unter Hinweis auf die Gesamtrechtsnachfolge zu richten.3 Dies gilt allerdings nur hinsichtlich der Betriebssteuern; es gilt ausdrücklich nicht für die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen.4 Hierauf zielende Prüfungsanordnungen sind daher an die Gesellschafter der aufgespaltenen Personengesellschaft zu richten.5

5. Formwechselnde Umwandlung 6.223

Bei einer formwechselnden Umwandlung wird die rechtliche Identität gewahrt, es handelt sich lediglich um den Wechsel der Rechtsform. Die Prüfungsanordnung ist daher an die Gesellschaft unter ihrer neuen Bezeichnung zu richten. Dies gilt auch dann wenn es zu einem Wechsel des Steuersubjekts und damit in entsprechender Anwendung von § 45 Abs. 1 AO, zu einer steuerlichen Gesamtrechtsnachfolge kommt, etwa beim Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft oder vice versa.6

6.224

Wurde eine Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt, entscheidet die Art der von ihr erzielten Einkünfte über die Adressierung der Prüfungsanordnung bzgl. der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen. Erzielte die Personengesellschaft Gewinneinkünfte, ist die Prüfungsanordnung an die Kapitalgesellschaft zu richten; bei Überschusseinkünften ist die Prüfungsanordnung an die Gesellschafter der ehemaligen Personengesellschaft zu richten.7

6. Folgen bei fehlerhafter Bekanntgabe 6.225

Ist die Prüfungsanordnung nicht an den richtigen Steuerpflichtigen gerichtet, ist sie nichtig. So hat die Rechtsprechung eine nichtige Prüfungsanordnung etwa dann angenommen, wenn die Prüfungsanordnung an eine im Zuge einer Verschmelzung bereits erloschene Gesellschaft gerichtet ist.8 Eine Umdeutung in einen Bescheid gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolger kommt in diesem Fall auch dann nicht in Betracht, wenn sie diesem zugegangen ist und der Gesamtrechtsnachfolger den Inhalt als für sich bestimmt zur Kenntnis genommen hat.9 1 2 3 4 5 6 7 8 9

AEAO zu § 197 Nr. 9.3. BFH v. 11.11.2020 – XI R 11/18, DStR 2021, 863. AEAO zu § 197 Nr. 9.4. AEAO zu § 45 Nr. 2 sowie AEAO zu § 197 Nr. 9.4. Vgl. AEAO zu § 122 Nr. 2.16 Abs. 2 Satz 2. AEAO zu § 197 Nr. 9.5. AEAO zu § 197 Nr. 9.5 i.V.m. Nr. 5.2.1, 5.2.2. Vgl. FG Rh.-Pf. v. 22.7.2010 – 6 K 1127/08. Vgl. FG München v. 27.2.2018 – 2 K 33/16, EFG 2018, 1018; BFH v. 13.10.2016 – IV R 20/14.

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C. Umwandlungen | Rz. 6.231 Kap. 6

Das FG München hatte jüngst über einen Sachverhalt zu entscheiden, in dem eine Prüfungsanordnung nach einer Abspaltung an den aufnehmenden Rechtsträger „als Rechtsnachfolger“ des übertragenden Rechtsträgers gerichtet war, obwohl der Bescheid wie oben dargestellt an den übertragenden Rechtsträger zu richten war.1 Hier kann die Prüfungsanordnung nach Auffassung des FG München unter Zuhilfenahme der Auslegung wohl so verstanden werden, dass hiermit (auch) der ausgliedernde Rechtsträger gemeint ist. Diese Rechtsprechung ist m.E. kritisch zu sehen. Denn im Ergebnis richtet sich dann die Prüfungsanordnung gegen zwei Rechtsträger, nämlich gegen die übertragende und gegen die aufnehmende Gesellschaft, obwohl nur eine Gesellschaft, nämlich die übertragende Gesellschaft zur Duldung der Betriebsprüfung verpflichtet ist.2 Aus diesem Grund ist es m.E. zutreffend, dass der BFH die Prüfungsanordnung im Revisionsverfahren als nicht wirksam angesehen hat.3

6.226

III. Umwandlungen als Prüfungsgegenstand 1. Die Frage nach dem Prüfungssubjekt Die steuerlichen Folgen von Umwandlungen sind regelmäßig Gegenstand von Betriebsprüfungen. Dabei stellt sich in der Praxis regelmäßig die Frage, ob die einzelnen Prüfungshandlungen auf Ebene der übertragenden Gesellschaft oder auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft zu vollziehen sind. Diese Frage stellt sich insbesondere bei der Ermittlung des Übertragungsgewinns sowie bei der Übermittlung des Übernahmegewinns.

6.227

2. Umwandlungen nach §§ 3 ff. UmwStG a) Grundlagen Die §§ 3 ff. UmwStG regeln Verschmelzungen von Körperschaften auf Personengesellschaften und natürliche Personen sowie den Formwechsel von Körperschaften in Personengesellschaften. Nach § 16 UmwStG gelten die §§ 3 ff. UmwStG auch für Abspaltungen und Aufspaltungen von Kapitalgesellschaften auf Personengesellschaften.

6.228

Nach § 3 Abs. 1 UmwStG hat die übertragende Gesellschaft die übergehenden Wirtschaftsgüter, einschließlich nicht entgeltlich erworbener und selbst geschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter, in der steuerlichen Schlussbilanz mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Für die Bewertung von Pensionsrückstellungen gilt § 6a EStG. Somit ergibt sich aus § 3 Abs. 1 UmwStG ein Übertragungsgewinn der übertragenden Kapitalgesellschaft in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen gemeinen Werten und Buchwerten.

6.229

Auf Antrag können jedoch die übergehenden Wirtschaftsgüter abweichend von § 3 Abs. 1 UmwStG einheitlich mit dem Buchwert oder einem Zwischenwert angesetzt werden, sofern die in § 3 Abs. 2 UmwStG vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind.

6.230

Der übernehmende Rechtsträger hat die auf ihn im Zuge der Umwandlung übergegangenen Wirtschaftsgüter mit dem in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Körperschaft enthaltenen Werte zu übernehmen. Damit ist der übernehmende Rechtsträger an die Werte aus der steuerlichen Schlussbilanz gebunden (Wertverknüpfung).

6.231

1 FG München v. 27.2.2018 – 2 K 33/16, EFG 2018, 1018 (Rev. IX R 11/18). 2 Krit. ebenfalls Seer in Tipke/Kruse, § 196 AO Rz. 28; Kessens, EFG 2018, 1021. 3 BFH v. 11.11.2020 – XI R 11/18, DStR 2021, 863.

Hölscher | 587

2021-10-28, 13:32, HB mittel

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Kap. 6 Rz. 6.232 | Konzerne in der Betriebsprüfung

6.232

Auf der Ebene des übernehmenden Rechtsträgers ist nach § 4 Abs. 4 Satz 1 UmwStG ein Übernahmegewinn bzw. Übernahmeverlust zu ermitteln. Der Übernahmegewinn bzw. Übernahmeverlust ermittelt sich nach dem Unterschiedsbetrag zwischen dem Wert, mit dem die übergegangenen Wirtschaftsgüter zu übernehmen sind, abzgl. der Kosten für den Vermögensübergang und dem Wert der Anteile an der übertragenden Körperschaft. Die Besteuerung des Übernahmegewinns richtet sich nach § 4 Abs. 5 bis 7 UmwStG. b) Prüfungshandlungen

6.233

Der in der steuerlichen Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers angesetzte Wert entfaltet eine materiell-rechtliche Bindungswirkung für den Wertansatz beim übernehmenden Rechtsträger, der auch für die Ermittlung des Übernahmegewinns bzw. Übernahmeverlusts maßgebend ist.1 An einer verfahrensrechtlichen Verknüpfung im Sinne eines Grundlagenund Folgebescheidverhältnisses fehlt es dagegen.2 Daher sind die in der Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers enthaltenen Werte im Rahmen einer Betriebsprüfung beim übertragenden Rechtsträger zu prüfen. Da der übernehmende Rechtsträger materiell-rechtlich an die Schlussbilanzwerte der übertragenden Gesellschaft gebunden ist, kann im Rahmen der Betriebsprüfung des übernehmenden Rechtsträgers keine von der Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers abweichende Zugangsbewertung in der Steuerbilanz des übernehmenden Rechtsträgers vorgenommen werden. Aufgrund der materiellen Bindungswirkung ist die Übernahmebilanz der übernehmenden Personengesellschaft zu ändern, wenn sich ein Ansatz in der steuerlichen Übertragungsbilanz nachträglich im Rahmen einer Außenprüfung ändert (rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO).3

6.234

Gleichwohl können die steuerlichen Werte der übernommenen Wirtschaftsgüter Gegenstand einer Betriebsprüfung bei der übernehmenden Gesellschaft sein. Denn die Werte können in der Steuerbilanz des übernehmenden Rechtsträgers berichtigt werden, sofern ein Bilanzierungsfehler nach § 4 Abs. 2 UmwStG vorliegt.4

6.235

Während die relevanten Prüfungshandlungen auf Ebene des übertragenden Rechtsträgers durchzuführen sind, knüpfen einzelne Tatbestandsvoraussetzungen für den Ansatz zum Buchwert oder zu einem Zwischenwert an den übernehmenden Rechtsträger an. So setzt der Buchwertansatz oder Zwischenwertansatz voraus, dass die übertragenen Wirtschaftsgüter Betriebsvermögen der übernehmenden Personengesellschaft werden (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UmwStG). Dabei darf der Betriebsprüfer auch die gesetzlichen Vertreter sowie sonstige Betriebsangehörige der übernehmenden Personengesellschaft hören. Dies ergibt sich aus § 93 Abs. 1 AO. Zu beachten ist jedoch der Subsidiaritätsgrundsatz des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO. Hieraus ergibt sich, dass die gesetzlichen Vertreter und sonstigen Betriebsangehörigen der übernehmenden Gesellschaft nur dann zur Auskunft angehalten werden, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht.

1 Vgl. Klingberg in Blümich, § 4 UmwStG, Rz.15; BFH v. 16.12.2014 – VIII R 45/12, BStBl. II 2015, 759. 2 Vgl. BFH v. 19.12.2012 – I R 5/12, BFH/NV 2013, 743. 3 Vgl. BFH v. 19.12.2012 – I R 5/12, BFH/NV 2013, 743. 4 Vgl. BFH v. 16.12.2014 – VIII R 45/12, BStBl. II 2015, 759.

588 | Hölscher

2021-10-28, 13:32, HB mittel

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C. Umwandlungen | Rz. 6.243 Kap. 6

3. Umwandlungen nach §§ 11 ff. UmwStG a) Grundlagen Die §§ 11 ff. UmwStG betreffen Verschmelzungen und Spaltungen zwischen Körperschaften.

6.236

Auch nach § 11 Abs. 1 UmwStG hat die übertragende Gesellschaft die übergehenden Wirtschaftsgüter, einschließlich nicht entgeltlich erworbener und selbst geschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter, in der steuerlichen Schlussbilanz mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Für die Bewertung von Pensionsrückstellungen gilt auch hier § 6a EStG. Somit ergibt sich auch aus § 11 Abs. 1 UmwStG ein Übertragungsgewinn der übertragenden Gesellschaft in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen gemeinen Werten und Buchwerten.

6.237

Auf Antrag können jedoch die übergehenden Wirtschaftsgüter abweichend von § 11 Abs. 1 UmwStG einheitlich mit dem Buchwert oder einem Zwischenwert angesetzt werden, sofern die in § 11 Abs. 2 UmwStG vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind.

6.238

Der übernehmende Rechtsträger hat die auf ihn im Zuge der Umwandlung übergegangenen Wirtschaftsgüter nach § 12 Abs. 1 UmwStG mit den in der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Körperschaft enthaltenen Werten zu übernehmen. Damit ist auch hier eine Wertverknüpfung geboten.

6.239

Bei der übernehmenden Gesellschaft ist nach § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG ein Übernahmegewinn bzw. Übernahmeverlust zu ermitteln. Der Übernahmegewinn bzw. Übernahmeverlust ermittelt sich nach der Höhe des Unterschieds zwischen dem Buchwert der Anteile an der übertragenden Körperschaft und dem Wert, mit dem die übergegangenen Wirtschaftsgüter zu übernehmen sind, abzgl. der Kosten für den Vermögensübergang. Auf den Übernahmegewinn ist jedoch § 8b KStG anzuwenden, soweit der Gewinn i.S.d. § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG abzgl. der anteilig darauf entfallenden Kosten für den Vermögensübergang dem Anteil der übernehmenden Körperschaft an der übertragenden Körperschaft entspricht.

6.240

b) Prüfungshandlungen Da die Gesetzessystematik der §§ 3 Abs. 1 und 2 UmwStG und des § 4 Abs. 1 UmwStG der Gesetzessystematik des § 11 Abs. 1 und 2 UmwStG und des § 12 Abs. 1 und 2 UmwStG entspricht, gelten die vorstehend unter Rz. 6.228 ff. dargestellten Grundsätze hier entsprechend.

6.241

4. Umwandlungen nach §§ 20 ff. UmwStG a) Grundlagen Die §§ 20 ff. UmwStG regeln die Einbringung von Unternehmensteilen in eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft und den Anteilstausch. Die Vorschriften gelten dabei nicht nur für Sacheinlagen, sondern auch für Umwandlungen im Sinne des UmwG. So umfasst der Anwendungsbereich der §§ 20 ff. UmwStG etwa auch Verschmelzungen und Spaltungen von Personenhandelsgesellschaften auf Kapitalgesellschaften.1 Außerdem gelten die §§ 20 ff. UmwStG auch für den Formwechsel von Personengesellschaften in Kapitalgesellschaften (§ 25 UmwStG).

6.242

Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 UmwStG hat die übernehmende Gesellschaft das eingebrachte Betriebsvermögen mit dem gemeinen Wert anzusetzen, auch hier gilt für die Bewertung von

6.243

1 BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 01.44.

Hölscher | 589

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Kap. 6 Rz. 6.243 | Konzerne in der Betriebsprüfung

Pensionsrückstellungen § 6a EStG. Unter den in § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG genannten Voraussetzungen kann die übernehmende Personengesellschaft die übernommenen Wirtschaftsgüter mit dem Buchwert oder einem Zwischenwert ansetzen.

6.244

Nach § 20 Abs. 3 Satz 1 UmwStG gilt der Wert, mit dem die übernehmende Gesellschaft das eingebrachte Betriebsvermögen ansetzt, für den Einbringenden als Veräußerungspreis und als Anschaffungskosten der Gesellschaftsanteile. Der übertragende Rechtsträger ist somit an die Werte des übernehmenden Rechtsträgers gebunden.

6.245

Eine ähnliche Systematik verfolgt § 21 UmwStG, der den sog. Anteilstausch regelt. Auch hier hat der übernehmende Rechtsträger die eingebrachten Anteile gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 UmwStG grundsätzlich mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Unter den in § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG genannten Voraussetzungen kann der übernehmende Rechtsträger die eingebrachten Anteile aber auch zum Buchwert ansetzen.

6.246

Der übertragende Rechtsträger ist auch hier nach § 21 Abs. 3 Satz 1 UmwStG an die Werte des übernehmenden Rechtsträgers gebunden. Dies gilt nur in den „Entstrickungsfällen“ des § 21 Abs. 3 Sätze 2 ff. UmwStG nicht. b) Prüfungshandlungen

6.247

Anders als in §§ 3 ff. UmwStG und in §§ 11 ff. UmwStG wird nach §§ 20, 21 UmwStG auf Ebene der übernehmenden Gesellschaft festgelegt, mit welchem Wert die übertragenen Wirtschaftsgüter angesetzt werden. Hier ist der übertragende Rechtsträger grundsätzlich an die Werte des übernehmenden Rechtsträgers gebunden (Wertverknüpfung).1 Die Bindung an den Wertansatz hat zur Folge, dass im Besteuerungsprozess des übertragenden Rechtsträgers keine Prüfung der Richtigkeit des ermittelten Wertes möglich ist.2 Die relevanten Werte sind im Rahmen der Betriebsprüfung des übernehmenden Rechtsträgers zu prüfen und entfalten dann materielle Bindungswirkung für den übertragenden Rechtsträger. Die Veranlagung des übertragenden Rechtsträgers kann gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert werden.3

5. Umwandlungen nach §§ 24 ff. UmwStG a) Grundlagen

6.248

§ 24 UmwStG behandelt Einbringungen von Betriebsvermögen in Personengesellschaften. Auch der Anwendungsbereich des § 24 UmwStG umfasst Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz, insbesondere Verschmelzungen von Personenhandelsgesellschaften nach §§ 2, 39 ff. UmwG auf Personenhandelsgesellschaften, Auf- oder Abspaltungen von Personenhandelsgesellschaften auf Personenhandelsgesellschaften nach § 123 Abs. 1 und 2 UmwG sowie Ausgliederungen aus Körperschaften, Personenhandelsgesellschaften oder Einzelunternehmen auf Personenhandelsgesellschaften nach § 123 Abs. 3 UmwG.

6.249

Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 UmwStG hat die übernehmende Personengesellschaft das eingebrachte Betriebsvermögen in ihrer Bilanz mit dem gemeinen Wert anzusetzen; auch im Rahmen 1 Nitzschke in Blümich, § 20 UmwStG, Rz. 96. 2 Vgl. BFH v. 8.6.2011 – I R 79/10, DStR 2011, 2248; BFH v. 19.12.2007 – I R 111/05, BStBl. II 2008, 536. 3 BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 20.23; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl9, § 20 UmwStG Rz. 372.

590 | Hölscher

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C. Umwandlungen | Rz. 6.252 Kap. 6

des § 24 Abs. 2 Satz 1 UmwStG richtet sich die Bewertung von Pensionsrückstellungen nach § 6a EStG. Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 UmwStG hat jedoch die übernehmende Personengesellschaft unter den dort genannten gesetzlichen Voraussetzungen ein Wahlrecht, das übernommene Betriebsvermögen auf Antrag mit dem Buchwert oder einem höheren Wert anzusetzen. Der Wert, mit dem das eingebrachte Betriebsvermögen in der Bilanz der übernehmenden Personengesellschaft angesetzt wird, gilt für den Einbringenden als Veräußerungspreis. b) Prüfungshandlungen Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist für die Besteuerung des Einbringenden auch hier ausschließlich der sich aus der Bilanz der übernehmenden Personengesellschaft ergebende Wertansatz maßgebend.1 Dies dürfte hiernach selbst dann gelten, wenn der Wertansatz bei der übernehmenden Personengesellschaft gegen gesetzliche Vorschriften verstößt.2 Die in § 24 Abs. 3 S. 1 UmwStG angeordnete Anbindung der Besteuerung des Einbringenden an die von der aufnehmenden Gesellschaft angesetzten Werte bewirkt zum einen, dass über die bei der übernehmenden Personengesellschaft anzusetzenden Werte im Rahmen des Besteuerungsverfahrens der übernehmenden Personengesellschaft zu entscheiden ist, insoweit erfolgt keine Überprüfung im Rahmen der Betriebsprüfung des einbringenden Rechtsträgers. Zum anderen hat die Wertverknüpfung zur Folge, dass eine spätere Änderung der Höhe der bei der übernehmenden Personengesellschaft anzusetzenden Werte, insbesondere im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der übernehmenden Personengesellschaft, auf die Besteuerung des Einbringenden durchschlägt. Die Veranlagung des Einbringenden ist gegebenenfalls nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern.3 Wie oben dargestellt kann nach der Rechtsprechung des BFH im Regelungsbereich des § 20 UmwStG beim Einbringenden nicht geprüft werden, ob der von der übernehmenden Kapitalgesellschaft angesetzte Wert zutreffend ermittelt worden ist. Der Einbringende kann insbesondere nicht mittels Rechtsbehelfes gegen den ihn betreffenden ESt-Bescheid geltend machen, dass der bei der aufnehmenden Kapitalgesellschaft angesetzte Wert überhöht ist und sich daraus für ihn eine überhöhte Steuerfestsetzung ergibt. Nichts anderes kann für die Einbringung in eine Personengesellschaft im Anwendungsbereich des § 24 UmwStG gelten.

6.250

IV. Prüfungsbericht und Bescheide nach Betriebsprüfung 1. Bescheide nach Betriebsprüfung Führt die Betriebsprüfung zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen, erlässt die Finanzverwaltung Änderungsbescheide auf Grundlage der Prüfungsfeststellungen. Auch hier stellt sich die Frage, wer Inhaltsadressat bzw. Bekanntgabeadressat ist, wenn die Änderungen Zeiträume vor einer Umwandlung bzw. Umstrukturierung betreffen.

6.251

2. Gesamtrechtsnachfolge Die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes kann nur an existierende Steuerpflichtige erfolgen, nicht an aufgelöste oder erloschene Gesellschaften.4 Kommt es im Rahmen einer Umwandlung zur Vollbeendigung eines Rechtsträgers, ist der Bescheid – ebenso wie die Prüfungs1 2 3 4

BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 24.03. i.V.m. Rz. 20.23. So auch Schmitt in Schmitt/Hörtnagl9, § 24 UmwStG Rz. 241. BMF v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 Rz. 24.03 i.V.m. Rz. 20.23. Seer in Tipe/Kruse, § 122 AO Rz. 25; Ratschow in Klein15, § 122 AO Rz. 30 f.

Hölscher | 591

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6.252

Kap. 6 Rz. 6.252 | Konzerne in der Betriebsprüfung

anordnung (s.o. Rz. 6.215) – an den Gesamtrechtsnachfolger unter dessen Namen zu richten, sofern ein solches Gesamtrechtsnachfolgeverhältnis besteht. Im Bescheid ist auf das Gesamtrechtsnachfolgeverhältnis hinzuweisen.1 Ein an die nicht mehr existierende Gesellschaft gerichteter Bescheid ist nichtig und damit unwirksam. Dabei ist der Bescheid einer auf den richtigen Adressaten gerichteten Auslegung nicht zugänglich.2 Handelt es sich bei dem vollbeendeten Rechtsträger um eine Personengesellschaft, ist der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen den ehemaligen Gesellschaftern individuell bekannt zu geben.3

3. Spaltung, Ausgliederung, Vermögensübertragung im Wege der Teilübertragung 6.253

Wie oben dargelegt, kommt es in einigen Fällen der Umwandlung nicht zur Gesamtrechtsnachfolge. Hierzu zählen beispielsweise die Abspaltung, die Ausgliederung oder die Vermögensübertragung im Wege der Teilübertragung. Bleibt der übertragende Rechtsträger bestehen, sind die Bescheide über Zeiträume vor der Spaltung an ihn zu richten. Im Rahmen einer Aufspaltung erlischt jedoch der übertragende Rechtsträger, so dass die Regelungen zur Gesamtrechtsnachfolge sinngemäß anzuwenden sind.4

6.254

Die an einer Abspaltung beteiligten Rechtsträger sind hingegen Gesamtschuldner gem. § 133 Abs. 1 UmwG, § 44 AO hinsichtlich der vor der Spaltung begründeten Verbindlichkeiten bzw. Steuerschulden.5 Eine Inanspruchnahme erfolgt in diesen Fällen mittels Haftungsbescheid. Hierbei sind die im Rahmen des Spaltungsvertrages getroffenen Zuweisungen hinsichtlich der Übernahme der Steuerverbindlichkeiten zu beachten. Enthält der Vertrag keine Zuweisungen, soll zunächst nur der übertragende Rechtsträger in Anspruch genommen werden.6

4. Formwechselnde Umwandlung 6.255

Bei einer formwechselnden Umwandlung wird die Identität des Rechtsträgers gewahrt. Führt der Formwechsel aber zu einem Wechsel des Steuersubjekts, sind für Bescheide über Steuern, für welche die Gesellschaft selbst Steuerschuldnerin war, die Regelungen zur Gesamtrechtsnachfolge entsprechend anzuwenden. War die umgewandelte Gesellschaft einen Personengesellschaft, sind die Bescheide zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen den ehemaligen Gesellschaftern einzeln bekannt zu geben.

D. Tax Compliance Management System: Auswirkungen und Nutzbarmachung in der Betriebsprüfungspraxis Literatur: Aichberger/Schwartz, Tax Compliance – Der Vorstand im Fokus? (Teil I), DStR 2015, 1691; Ball/Papasikas, Überlegungen bei Einführung eines innerbetrieblichen steuerlichen Kontrollsystems – Überwachungsaufgaben der Steuerabteilung, BB 2016, 1495; Bilsdorfer, Einleitung eines Strafverfahrens, PStR 2001, 238; Buhleier/Probst/Schenk, Der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates, 3. Aufl. 1 2 3 4 5 6

Seer in Tipe/Kruse, § 122 AO Rz. 25. Fritsch in Koenig3, § 122 AO Rz. 49. Füssenich in BeckOK/AO, § 122 AO Rz. 70.2. AEAO zu § 122 Nr. 2.15. AEAO zu § 122 Nr. 2.15. AEAO zu § 122 Nr. 2.15.

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D. Tax Compliance Management System | Rz. 6.257 Kap. 6 Juni 2020; Mellinghoff (Hrsg.), Steuerstrafrecht an der Schnittstelle zum Steuerrecht, DStJG Band 38 Köln 2015; Ehrke-Rabel, Steuervollzug im Umbruch?, StuW 2015, 101; Erdbrügger/Jehke, Das BMFSchreiben vom 23.5.2016 zu § 153 AO – strafrechtliche Haftungsentlastung bei Einrichtung eines TaxCompliance-Management-Systems, BB 2016, 2455; Ernsting, Überlegung zu Tax Compliance aus der Perspektive der Steuerfunktion eines internationalen Konzerns, Ubg 2020, 441; Esterer/Eisgruber, Steuerliches internes Kontrollsystem – Eine große Chance für einen Cooperative-Compliance-Ansatz, DB 2017, 986, 987; Flick Gocke Schaumburg (Hrsg.), frauen@fgs – Vielfalt in der Steuerzentrierten Rechtsberatung, 2021; Geuenich/Kiesel, Tax Compliance bei Unternehmen – einschlägige Risiken und Folgerungen für die Praxis, BB 2012, 155; IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017); Kaeser, § 153 AO und IKS-Systeme, DB Sonderausgabe Nr. 02/2017, 91; Ludwig/Breimann/Kusch, Ausgestaltung eines steuerlichen Kontrollsystems im Sinne des IDW-Praxishinweises zu PS 980 – BMF-Schreiben v. 23.5.2016 zu § 153 AO, DStR 2016, 2240; Macho/Schrottmeyer (Hrsg.), Praxishandbuch Steuerkontrollsystem, Wien 2021; Madauß, Steuerstrafrechtliche Einzelaspekte der Berichtigung nach § 153 AO, NZWiSt 2016, 343; Merkt, Überprüfung des Compliance-Management-Systems zwischen Wirtschaftsprüfern und Juristen (Teil 1), DB 2014, 2271; Neuling, Tax Compliance im Unternehmen: schlichte Anzeige (§ 153 AO) vs. Selbstanzeige, DStR 2015, 558; Peters, Der strafrechtliche Anfangsverdacht im Steuerrecht, DStR 2015, 2583; Peters, Die begleitende Kontrolle (Horizontal Monitoring), ein Statement, FR 2020, 944, 945; Richter/Welling, Tagungs- und Diskussionsbericht zum Webinar des 75. Berliner Steuergesprächs „Die begleitende Kontrolle (Horizontal Monitoring)“, FR 2020, 937–949; Risse, Steuerliche Transparenz durch ein Tax Compliance System und die Anforderungen nach IDW PS 980, DB 2017, 2061, 2063; Schlögelhofer/Schrottmeyer/Schwab, Die begleitende Kontrolle in Österreich, IWB 4/2020, 145; Martin R. Schulz (Hrsg.), Compliance Management im Unternehmen, 2. Aufl., Frankfurt am Main 2021; Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance, 2. Aufl., Köln 2016; Streck/Binnewies, Tax Compliance, DStR 2009, 229; von Frantzki, Tax Compliance: Bedeutung für Steuerstrafverfahren und Bussgeldverfahren, Haufe Index 11727631; von Wolfersdorff/Hey, Was kann ein Tax Compliance Management System leisten? Wpg 2016, 934; Wargowski/Greil, Digitale steuerliche Außenprüfung, FR 2019, 608.

I. Einführung Ein Compliance System ist die Summe der unternehmensinternen Maßnahmen, die durch systematisches und organisiertes Zusammenwirken auf eine Vermeidung von Gesetzesverstößen abzielen. Die (Organisations-)Maßnahmen, Prozesse und Richtlinien, die auf eine systematische Befolgung der steuergesetzlichen Vorgaben abzielen (z.B. fristgemäße Abgabe der Körperschaftsteuererklärung; zutreffende Ermittlung der Umsatzsteuervorauszahlung für April 2021), sind Gegenstand des Tax Compliance Management Systems1. Ein solches System dürfte in den meisten Konzern- und Unternehmenssteuerabteilungen bereits eingerichtet oder im Aufbau sein.

6.256

Durch ein ordnungsgemäß implementiertes und wirksames Tax Compliance Management System kann das Haftungsrisiko für die Unternehmensvertreter und Gesellschafter systematisch verringert werden (z.B. Haftungsrisiko der Geschäftsführung für „fehlerhaft“ nicht gezahlte Umsatzsteuer). Dies gilt gleichermaßen für ein Reputationsrisiko, dessen Bedeutung auch im Steuerfunktionen-Bereich ganz erheblich zugenommen hat (z.B. Berichterstattung zu den sog. „Panama-Papers“). Darüber hinaus kann einem Tax Compliance Management System auch Bedeutung im Rahmen einer steuerstrafrechtlichen Abwehrargumentation zukommen. Denn nach Auffassung der Finanzverwaltung kann ein Tax Compliance Management System ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder Leichtfertigkeit spricht. Dies gilt auch, wenn die steuerstrafrechtliche Ermittlung Folge einer Betriebsprüfung

6.257

1 Die Finanzverwaltung verwendet zutreffend die deutsche Bezeichnung „innerbetriebliches Kontrollsystem“, Abschnitt 2.6 zu § 153 AEAO v. 23.5.2016.

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Kap. 6 Rz. 6.257 | Konzerne in der Betriebsprüfung

ist. Schließlich sind auch in der Rechtsprechung Tendenzen erkennbar, Compliance-Bemühungen des Unternehmens im Rahmen von Steuerstrafverfahren positiv zu bewerten und entsprechend strafmildernd zu berücksichtigen.1

6.258

Eine steuerliche Betriebsprüfung ist auf die Ermittlung bzw. Überprüfung der Besteuerungsgrundlagen in einem Prüfungszeitraum, also auf die Sachverhaltsermittlung, gerichtet (Rz. 1.14). Ein Prüfer könnte daher bei der Sachverhaltsermittlung ein bestehendes Tax Compliance Management System nutzen. Voraussetzung wäre, dass die Ordnungsmäßigkeit bzw. Funktionsfähigkeit des Systems durch den Prüfer verifiziert wird (z.B. Prüfung, ob das Ziel einer zutreffenden Ermittlung der Umsatzsteuer durch das System erreicht wird). Dies ist gegenwärtig nicht der Fall.2 Bei einem solchen Prüfungsansatz würde sich eine „SachverhaltsBetriebsprüfung“ – zumindest in Teilen – zu einer „Prozess-Betriebsprüfung“ wandeln. Dadurch könnten sich (Effizienz-)Vorteile für den Steuerpflichtigen und die Finanzverwaltung ergeben.

II. Grundlagen der Tax Compliance 6.259

Unter Tax Compliance versteht man gemeinhin die Summe aller organisatorischen Maßnahmen, die die vollständige und zeitgerechte Einhaltung der für die Unternehmen relevanten, steuerlichen Gesetze und Verordnungen und deren Überprüfung gewährleisten sollen.3 Die Konzernsteuerabteilung hat durch organisatorische Maßnahmen, wie z.B. Prozessorganisation, Schnittstellenmanagement und Pflege der steuerrelevanten IT-Landschaft innerhalb der End-to-End Prozesse sicherzustellen, dass Fehler mit steuerlichen Auswirkungen soweit wie möglich vermieden werden.4 Orientierungspunkt ist insoweit stets § 130 OWiG, der – insbesondere aus (steuer-)strafrechtlicher Sicht – als notwendiger Mindeststandard zur Gewährung einer ordnungsgemäßen Organisation (Aufbau- und Ablauforganisation) gesehen wird.5 Über die Erfüllung dieser steuerlichen Aufgaben hinaus umfasst Tax Compliance auch die Wahrung der Interessen des Unternehmens dergestalt, dass eine Minimierung der Steuerbelastung im Rahmen des legal Möglichen erreicht wird.6

6.260

Tax Compliance im vorgenannten Sinne ist nicht neu, sondern gehört seit jeher zu den ureigensten und wesentlichen Aufgaben der Konzernsteuerabteilung. Gleichwohl ist die Tax Compliance seit 2016 verstärkt in den Fokus insbesondere der steuerlichen Beraterschaft geraten. Hintergrund war neben der Tendenz der Finanzverwaltung, die ordnungsgemäße Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Unternehmen verstärkt unter Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitsaspekten zu prüfen7, auch die zunehmende Verschärfung der gesetzlichen

1 Vgl. BGH v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16, BB 2017, 1913. 2 In Österreich ist seit 2019 in den §§ 153a ff. BAO für Unternehmen bestimmter Größenordnung (Umsatzerlöse > 40 Mio. €) die sog. „Begleitende Kontrolle“ gesetzlich verankert. Einer erhöhten Offenlegungspflicht der Unternehmen, die u.a. ein zertifiziertes Steuerkontrollsystem einzurichten haben, steht dort die Verpflichtung der Finanzverwaltung zu laufendem Austausch und Auskunft gegenüber. Vgl. dazu u.a. Richter/Welling, FR 2020, 937. 3 Zur begrifflichen Herleitung vgl. z.B. Streck in Streck/Mack/Schwedhelm, Tax Compliance, Rz. 1.4 ff. 4 Kaeser, DB Sonderausgabe Nr. 02/2017, 91. 5 Gürtler in Göhler18, § 130 OWiG RZ. 9. 6 Risse, DB 2017, 2035; Streck/Binnewies, DStR 2009, 231. 7 So z.B. Neuling, DStR 2015, 558; Peters, DStR 2015, 2240 ff.; Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1691.

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D. Tax Compliance Management System | Rz. 6.265 Kap. 6

Rahmenbedingungen zur Selbstanzeige1 sowie die Rechtsprechung des BGH2, wonach der für die Bejahung einer Steuerhinterziehung notwendige bedingte Vorsatz grundsätzlich schon vorliegen kann, wenn dem Täter einer Steuerhinterziehung der als möglich erscheinende Handlungserfolg gleichgültig ist. Für den Steuerpflichtigen wie auch für die Finanzverwaltung3 stellte sich damit die haftungsrelevante Frage, wie insbesondere eine Korrekturerklärung nach § 153 AO von der strafrechtlich relevanten Selbstanzeige nach § 371 AO abzugrenzen ist. Die Finanzverwaltung hat hierauf mit Schreiben vom 23.5.2016 reagiert und in Bezug auf die Vorsatzfrage in Tz. 2.6 ausgeführt:

6.261

„Hat der Steuerpflichtige ein innerbetriebliches Kontrollsystem eingerichtet, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient, kann dieses Kontrollsystem ggf. ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit sprechen kann, jedoch befreit dies nicht von einer Prüfung des jeweiligen.“4

6.262

Durch das Schreiben wollte das BMF Rechtssicherheit sowohl für den Steuerpflichtigen wie auch für die mit steuerstrafrechtlichen Aufgaben befassten Stellen innerhalb der Finanzverwaltung schaffen, die einen strafrechtlich relevanten Anfangsverdacht im Einzelfall ablehnen können sollten, wenn ein Tax Compliance Management System vorhanden ist.5 Daneben sollte auch eine verkürzte Betriebsprüfung und mithin eine beschleunigte Veranlagung erreicht werden.6

6.263

III. Grundelemente eines Tax Compliance Management Systems Verwaltungsseitig wurde damit zunächst zwar der Grundstein für die Einführung von Tax Compliance Management Systemen gelegt, allerdings ohne zu klären, was unter einem derartigen System zu verstehen ist, was es leisten kann und insbesondere, wie ein solches System im Rahmen der Betriebsprüfung zu berücksichtigen ist, um die intendierte Wirkung – Beschleunigung von Betriebsprüfung und Veranlagung – zu entfalten.7

6.264

Auf Initiative des BMF hat daher der Steuerfachausschuss des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) auf Basis des bestehenden Compliance Standards IDW PS 980 die Anforderungen an die konkrete Ausgestaltung eines Tax Compliance Management Systems erarbeitet und die Ergebnisse veröffentlicht.8 Obwohl nicht als verbindliche Empfehlung zu verstehen, liefert der IDW-Praxishinweis erstmals eine speziell auf ein Tax Compliance Management System zugeschnittene und mithin für die Praxis des Steuerpflichtigen hilfreiche Empfehlung für eine Ausgestaltung.9

6.265

1 Vgl. Schwarzgeldbekämpfungsgesetz v. 28.4.2011, BGBl. I 2011, 676; hierzu Geuenich/Kiesel, BB 2012, 155; Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und zur Änderung des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415. 2 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BB 2009, 312; BGH v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09, BB 2010, 2027; BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 479/08, BB 2009, 1903. 3 Zur Frage der Amtshaftung siehe Oberherr in Flick/Gocke/Schaumburg (Hrsg.), frauen@fgs, S. 475 (486). 4 Abschnitt 2.6 zu § 153 AEAO v. 23.5.2016. 5 Esterer/Eisgruber, DB 2017, 986 (987). 6 Esterer/Eisgruber, DB 2017, 986 (987); Erdbrügger/Jehke, BB 2016, 2455 (2458 f.). 7 von Wolfersdorff/Hey, Wpg 2016, 934 (935). 8 IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017). 9 Ludwig/Breimann/Kusch, DStR 2016, 2240.

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Kap. 6 Rz. 6.266 | Konzerne in der Betriebsprüfung

6.266

Grundelemente eines Tax Compliance Management Systems nach IDW PS 9801 sind: – Compliance-Kultur – Compliance-Ziele – Compliance-Risiken – Compliance-Organisation – Compliance-Programm – Compliance-Kommunikation – Compliance-Überwachung und -verbesserung.

6.267

Diese Grundelemente stehen in Wechselwirkung zueinander und sind in die Geschäftsabläufe eingebunden, können aber in Abhängigkeit verschiedener Einflussfaktoren, wie z.B. Größe des Unternehmens, Art und Umfang der Geschäftstätigkeit oder Organisationsstruktur unterschiedlich ausgeprägt sein, so dass diese letztlich in der Wahl „ihres“ Tax Compliance Management System frei sind.2

6.268

Die Tax Compliance-Kultur wird maßgeblich durch die Grundeinstellungen und Verhaltensweisen der geschäftsführenden Organe und des Managements sowie die Rolle der Aufsichtsorgane geprägt.3 Diese müssen schlüssig und glaubhaft gegenüber den handelnden Personen innerhalb und außerhalb des Unternehmens zum Ausdruck bringen, dass die Einhaltung steuerlicher Vorschriften wichtig ist, Verstöße nicht geduldet und Zuwiderhandlungen unternehmensintern sanktioniert werden („tone from the top“) und daher auch die Steuerfunktion umfassend und frühzeitig in steuerrelevante Fragen eingebunden wird.4

6.269

Auf der Grundlage der allgemeinen Unternehmensziele und einer Analyse und Gewichtung (z.B. branchenspezifische Bedeutung) der vom Unternehmen zu beachtenden Regeln legen die gesetzlichen Vertreter die Tax Compliance-Ziele fest. Die Tax Compliance-Ziele geben den Rahmen und die Aufgaben für die Steuerfunktion vor und sind Grundlage für die Beurteilung von Tax Compliance-Risiken. Sie werden idR in einer Steuerrichtlinie, einem Leitbild oder Verhaltenskodex oder in gesonderten Dokumenten definiert und dokumentiert.5

6.270

Unter Berücksichtigung der Tax Compliance-Kultur sowie der Tax Compliance-Ziele werden die Rollen und Verantwortlichkeiten (Aufgaben) sowie die Ablauforganisation für die Einhaltung der steuerlichen Pflichten als integralen Bestandteil der Unternehmensorganisation festgelegt sowie die für die effektive Umsetzung eines Tax Compliance Management Systems notwendigen Ressourcen definiert und zur Verfügung gestellt (sog. Tax Compliance-Organisation).6

6.271

Unter Berücksichtigung der Tax Compliance-Ziele werden die Tax Compliance-Risiken, d.h. die Risiken für Verstöße gegen einzuhaltende Regeln in Bezug z.B. auf die jeweilige Steuerart und die damit verbundenen Prozesse, festgestellt. Hierzu wird eine der Unternehmensorgani1 Zur Umsetzung in der Unternehmenspraxis bzw. im Konzern z.B. Kaeser, DB Sonderausgabe Nr. 02/2017, 91; Ernsting, Ubg 2020, 441. 2 IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017), Tz. 22 ff. 3 IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017), Tz. 27. 4 IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017), Tz. 28 f. 5 IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017), Tz. 31 ff. 6 IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017), Tz. 35 ff.

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D. Tax Compliance Management System | Rz. 6.277 Kap. 6

sation angemessene systematische Risikoerkennung und -beurteilung durchgeführt. Risiken sind hierbei zu identifizieren und in Risikoklassen einzuordnen. Dabei sind ihre Eintrittswahrscheinlichkeit und mögliche Folgen zu berücksichtigen.1 Auf der Grundlage der Beurteilung der Tax Compliance-Risiken werden Grundsätze und Maßnahmen eingeführt, die den Tax Compliance-Risiken entgegenwirken und damit auf die Vermeidung von Compliance-Verstößen, bzw. bei festgestellten Compliance-Verstößen auf zu ergreifende Maßnahmen ausgerichtet sind (sog. Tax Compliance-Programm).2

6.272

Im Rahmen der Tax Compliance-Kommunikation werden die jeweils betroffenen Mitarbeiter des Unternehmens und erforderlichenfalls Dritte, die in die Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Unternehmens eingebunden sind, über das Tax Compliance-Programm sowie die festgelegten Rollen und Verantwortlichkeiten informiert und überdies festgelegt, wie Tax Compliance-Risiken sowie Hinweise auf mögliche und festgestellte Regelverstöße an die zuständigen Stellen im Unternehmen berichtet werden.3

6.273

Die Tax Compliance-Überwachung und Verbesserung schließlich zielt auf eine systematische und kontinuierliche Überwachung und Verbesserung des implementierten Tax Compliance Management Systems.4

6.274

Entsprechend implementierte Tax Compliance Management Systeme können durch einen Wirtschaftsprüfer geprüft werden, entweder als Angemessenheitsprüfung oder als Wirksamkeitsprüfung. Es ist angemessen, wenn es geeignet ist, mit hinreichender Sicherheit sowohl Risiken für wesentliche Regelverstöße rechtzeitig zu erkennen als auch solche Regelverstöße zu verhindern und wirksam, wenn die Grundsätze und Maßnahmen in den laufenden Geschäftsprozessen von den hiervon Betroffenen nach Maßgabe ihrer Verantwortung zur Kenntnis genommen und beachtet werden,5 also die Maßnahmen auch tatsächlich wirksam sind.

6.275

IV. Gegenwärtige Bedeutung eines Tax Compliance Management Systems für die Betriebsprüfung 1. Sicht der Finanzverwaltung In der Betriebsprüfungspraxis wird ein vorhandenes Tax Compliance Management System (noch) weitestgehend außer Acht gelassen, obwohl aus Sicht der Finanzverwaltung ein Risikomanagement der risikogesteuerten und damit effizienten Prüfung des Steuerpflichtigen gerade auch in Zeiten knapper Verwaltungsressourcen dienen sollte.6

6.276

Der vom BMF intendierten „kundenbezogenen“ Berücksichtigung von Tax Compliance Management Systemen steht noch immer das „klassische“ Prüferverständnis zur Rollenverteilung zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigem gegenüber, die eher auf ein reaktives Verhalten der Betriebsprüfung setzt7, also die Ermittlung des abgabenrelevanten Sachverhaltes nach Erlass des der Einreichung der Steuererklärung folgenden Bescheides.8 Der Steuerpflich-

6.277

1 2 3 4 5 6 7 8

IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017), Tz. 41 f. IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017), Tz. 43 ff. IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017), Tz. 48 ff. IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017), Tz. 52 ff. IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017), Tz. 15 f. Ernsting, Ubg 2020, 441 (444). von Frantzki, Tax Compliance, Haufe Index 11727631; Esterer/Eisgruber, DB 2017, 986. Ehrke-Rabel, StuW 2015, 101 (114).

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Kap. 6 Rz. 6.277 | Konzerne in der Betriebsprüfung

tige soll primär zu einer verbesserten Einhaltung der Steuergesetze motiviert werden, der Kontrollbedarf der Betriebsprüfung im Einzelnen nachhaltig gesenkt und damit zur Effektivität des Gesetzesvollzugs beigetragen werden.1 Diese auf die Ermittlung von Lebenssachverhalten zielende Tax Compliance soll im Wesentlichen die Bereitschaft des Steuerpflichtigen zur „freiwilligen“ Beachtung von Steuergesetzen und den damit verbundenen Pflichten motivieren.2 Der unbedingte Wille der Finanzverwaltung, auf Basis einer vorherigen Systemprüfung eines Tax Compliance Management Systems auf die idR intensive und daher auch zeitaufwendige Prüfung durch die Betriebsprüfung zu verzichten, ist in der Besteuerungspraxis allerdings (noch) nicht ersichtlich, obgleich verschiedene Ansätze hierzu bereits diskutiert werden.3

2. Sicht des steuerpflichtigen Unternehmens 6.278

Das steuerpflichtige Unternehmen hat naturgemäß ein Interesse, durch Implementierung eines wirksamen Tax Compliance Management Systems Sanktionen und (steuerstraf- und steuerordnungswidrigkeitsrechtliche) Haftungsrisiken für Unternehmensverantwortliche und Unternehmen zu vermeiden und insoweit weitestgehend Rechts- und Planungssicherheit zu haben4, insbesondere in Fällen, die auch nach genauerer Prüfung durch die Finanzverwaltung keine steuerstraf- oder steuerordnungsrechtliche Relevanz haben. Neben der Konzernsteuerabteilung5 sind daher vor allem der Vorstand einer Aktiengesellschaft bzw. die Geschäftsführer einer GmbH und der Aufsichtsrat Adressaten eines funktionierenden Tax Compliance Management Systems. Denn der Vorstand bzw. die Geschäftsführer, die nach § 130 OWiG jeweils zur gehörigen Aufsicht verpflichtet sind6, haften als gesetzliche Vertreter der juristischen Personen für etwaige Steuerschulden nach § 69 AO iVm. §§ 34, 35 AO mit ihrem gesamten Vermögen. Bei Verletzung der ihnen obliegenden Aufsichtspflichten7 können nach §§ 370, 378 AO i.V.m. § 130 OWiG auch Geldbußen gegen sie festgesetzt werden.8 Gleiches gilt für den Aufsichtsrat, der bei Verletzung der ihm obliegenden Überwachungspflichten der Haftung nach §§ 116 Satz 1, 93 Abs. 2 Satz 1 AktG unterliegt.9

6.279

Ein steuerstrafrechtlicher bzw. ordnungswidrigkeitsrechtlicher Vorwurf für – in Unternehmen aufgrund der Komplexität der zu berücksichtigenden Sachverhalte regelmäßig vorkommende – „schlichte“ Arbeitsfehler dürfte indes nicht der Regelfall in der unternehmerischen Praxis sein.10 Die Vermeidung potenzieller (steuerstraf- und steuerordnungswidrigkeitsrechtlicher) Haftungsrisiken allein begründet aus Sicht der Konzernsteuerabteilung daher kein ausreichendes Interesse für die umfangreiche, zeit- und kostenintensive Implementierung eines Tax 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Streck/Binnewies, DStR 2009, 229 (230). Risse, DB 2017, 2061 (2063). Vgl. Richter/Welling, FR 2020, 937 (938). Vgl. von Frantzki, Tax Compliance, Haufe Index 11727631; Schwartz/Stürzl-Friedlein in Schulz, Compliance Management im Unternehmen, 25. Kap. Rz. 28 ff.; zweifelnd an der haftungsminimierenden Wirkung Kaeser, DB Sonderausgabe Nr. 02/2017, 91. Bei Verletzung von steuerlichen Sorgfaltspflichten und dadurch bedingter Steuerverkürzung kommt der Vorwurf einer Steuerordnungswidrigkeit oder Steuerhinterziehung in Betracht, §§ 370, 378 AO. Ernsting, Ubg 2020, 441 (442). Vgl. Aichberger/Schwartz, DStR 2015, 1696. Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ist auch eine Steuerhinterziehung nach §§ 370, 378 AO durch die Organe möglich. Zur darüber hinaus bestehenden zivilrechtlichen Haftung nach § 92 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG Merkt, DB 2014, 2271 ff. Vgl. Buhleier/Probst/Schenk, Der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrates, 449 ff. Ball/Papasikas, BB 2016, 1495.

598 | Schulz

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D. Tax Compliance Management System | Rz. 6.281 Kap. 6

Compliance Management Systems (bzw. bei bereits vorhandener Compliance Organisation: Anpassung an die Leitlinien des IDW1). Für Zwecke der Rechtssicherheit und der aktiven Steuerplanung spielen vielmehr auch außerhalb des haftungsrechtlichen Bereichs liegende Kriterien eine Rolle, wie z.B. die Minimierung etwaiger finanzieller und nicht-finanzieller Risiken. Hierzu gehören u.a. die Vermeidung von Zinsen und Geldbußen im Zusammenhang mit zusätzlich anfallenden Steuern oder von Ordnungsmaßnahmen wie Blacklisting für öffentliche Aufträge, Lizenzentzug oder negative Publicity mit weitreichenden Folgen auf die Kunden oder den gesamten Markt.2 Und schließlich bedeutet Tax Compliance im Interesse eines steuerpflichtigen Unternehmens auch die aktive Ausnutzung von Steuergestaltungsmöglichkeiten im Rahmen der Legalität.3 Daneben kann ein Tax Compliance Management System zur Beweisvorsorge genutzt werden, was ebenfalls unmittelbare positive Wirkungen in der Betriebsprüfung haben kann. Gerade bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen oder unvorhergesehenen Ereignissen ist es hilfreich, wenn das Tax Compliance Management System nicht nur die zutreffende Rechtsanwendung sicherstellt, sondern auch dafür sorgt, dass die entsprechenden Sachverhalte aufbereitet und zur späteren Prüfung vorgehalten werden. So erleichtert das Unternehmen sich und dem Prüfer die spätere Verifikation (z.B. sollte ein Tax Compliance Management System nicht nur die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen zum zutreffenden Lohnsteuerabzug bei Dienst-PKW berücksichtigen, sondern auch gewährleisten, dass die im Betrieb geltenden Homeoffice-Regelungen erfasst und belegt werden). Für das steuerpflichtige Unternehmen sind mithin Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung entscheidend. Offene bzw. unsichere Fragen sollten möglichst frühzeitig und abschließend mit der Betriebsprüfung geklärt werden, um sie so aus dem Fokus der (weiteren) Betriebsprüfung herauszunehmen und infolgedessen weitestgehend Rechts- und Planungssicherheit zu haben. Es besteht die berechtigte Erwartung, dass mit einem eingerichteten und vollumfänglich wirksamen Tax Compliance Management System Prozesse weitestgehend systematisiert und damit typische Fehler im Unternehmen vermieden werden, wenngleich – natürlich - nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Einzelfall weiter Fehler vorkommen und auch eine Überprüfung aller steuerliche Einzelsachverhalte des Unternehmens idR nicht erfolgen kann.

6.280

V. Mehrwert eines Tax Compliance Management Systems für die Betriebsprüfung 1. Haftung Zumindest in Bezug auf haftungsrechtliche Fragen kann ein Tax Compliance Management System die aus Sicht des steuerpflichtigen Unternehmens wünschenswerte Rechtssicherheit nicht unmittelbar gewährleisten. Denn ein Tax Compliance Management System ist nach Auffassung der Finanzverwaltung lediglich ein Indiz gegen die Annahme von Vorsatz und Leichtfertigkeit und bewirkt damit keine sichere Entlastung. Es ist nicht das einzige Indiz („ein Indiz“) und befreit nicht von der Prüfung des Einzelfalles. Und schließlich bindet die 1 Wie bereits dargelegt, gehört Compliance zu den ureigensten Aufgaben der Konzernsteuerabteilung. Vor diesem Hintergrund dürfte eine Vielzahl von Unternehmen bereits aus der Vergangenheit heraus über verschieden Compliance Maßnahmen verfügen, die in ihrer Gesamtheit der Compliance dienen, die allerdings nicht vollumfänglich den Empfehlungen im IDW-Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017) entsprechen dürften, vgl. auch Erdbrügger/Jehke, BB 2016, 2455. 2 Kaeser, DB Sonderausgabe Nr. 02/2017, 91 (92). 3 Risse, DB 2017, 2061 (2063).

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6.281

Kap. 6 Rz. 6.281 | Konzerne in der Betriebsprüfung

Verwaltungsvorschrift die Finanzverwaltung nur intern, nicht aber die Justizbehörden sowie die Finanz- und Strafgerichte.1 Daneben schützt ein Tax Compliance Management System auch nicht gegen vorsätzliches Handeln einzelner.

2. Verfahrensbeschleunigung a) Steuerstrafrechtliche (Vor-)Ermittlungen

6.282

Gleichwohl kann ein wirksam implementiertes Tax Compliance Management System im Hinblick auf eine insoweit wünschenswerte Verfahrensbeschleunigung genutzt werden.

6.283

Eine mögliche Tendenz in der Betriebsprüfungs-Praxis, auf Basis der im Rahmen einer Betriebsprüfung gewonnen Erkenntnisse – aus Sicht des Steuerpflichtigen z.T. „vorschnell“ – die BuStra einzuschalten und auf die Eröffnung eines Strafverfahrens hinzuwirken, wird im Wesentlichen durch zwei Umstände begünstigt.2 Zum einen stellen die in § 10 BpO statuierten Voraussetzungen einer Mitteilungs- bzw. Unterrichtungspflicht bei Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit lediglich geringe Hürden für die Meldung an die entsprechenden Stellen dar. So wird eine Unterrichtungspflicht an die BuStra bereits begründet, wenn lediglich Anhaltspunkte für die auch nur mögliche Durchführung eines Strafverfahrens (oder einer Ordnungswidrigkeit, § 10 Abs. 1 Satz 2 BpO 2020) vorliegen.3 Die Schwelle des Anfangsverdachts nach § 152 Abs. 2 StPO muss dabei noch nicht überschritten sein.4 Die bloße Vermutung löst noch keine Unterrichtungspflicht aus. In Zweifelsfällen soll der Betriebsprüfer aber stets Kontakt zur BuStra aufnehmen5, insbesondere dann, wenn erhebliche Nachzahlungen zu erwarten sind und der Verdacht einer Steuerstraftat nicht offensichtlich ausgeschlossen ist.6 Zum anderen dürfte auch die Intention von Betriebsprüfern eine Rolle spielen, sich gegenüber dem Vorwurf der (vermeintlichen)7 Strafvereitlung im Amt zu schützen und damit mögliche eigene strafrechtliche Risiken zu minimieren.8

6.284

Ist die BuStra informiert, wird erfahrungsgemäß auch ein Steuerstrafverfahren eingeleitet, ohne bspw. strafrechtliche Vorermittlungen gemäß Nr. 13 AStBV (St) (2013) als milderes Mittel zu wählen.9 Gerade auch in Fällen, in denen wegen „lediglicher Arbeitsfehler“ aber letztlich eine Steuerstraftat bzw. eine Ordnungswidrigkeit ausscheidet (deren steuerstrafrechtliche Irrelevanz sich regelmäßig erst im Laufe des Verfahrens nach Prüfung des Anfangsverdachtes zeigt), ist dieses, im Ergebnis sowohl für die Finanzverwaltung wie auch das steuerpflichtige Unternehmen überflüssige, formale Prozedere höchst unbefriedigend und für den Steuerpflichtigen zudem mit dem Risiko insbesondere eines nachhaltigen (öffentlichen) Reputati1 von Wolfersdorff/Hey, WPg 2016, 934 (940). 2 Vgl. von Wolfersdorff/Hey, WPg 2016, 934 (940). 3 Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden zu § 10 BpO v. 31.8.2009, BStBl. I 2009, 829, 830. 4 Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden zu § 10 BpO v. 31.8.2009, BStBl. I 2009, 829, 830. 5 Oberherr in Flick/Gocke/Schaumburg (Hrsg.), frauen@fgs, S. 475 (486). 6 Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden zu § 10 BpO v. 31.8.2009, BStBl. I 2009, 829 (830). 7 Hierzu Drüen, DStJG 38 (2015), 219 (238 ff.) m.w.N., der m.E. zu Recht schon eine insoweit erforderliche Garantenpflicht des Betriebsprüfers verneint. Zustimmend auch Seer in Tipke/Kruse, Vor § 193 AO Rz. 29. 8 Ernsting, Ubg 2020, 441 (444). 9 Oberherr in Flick/Gocke/Schaumburg (Hrsg.), frauen@fgs, S. 475 (486); Madauß, NZWiSt 2016, 343 (349).

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D. Tax Compliance Management System | Rz. 6.288 Kap. 6

onsschadens verbunden. Ein wirksames Tax Compliance Management System ist – unabhängig davon, ob vollständig implementiert oder aber lediglich im Aufbau befindlich1 – geeignet, das Verfahren schon insoweit zu straffen: Die Wirkungsweise eines Tax Compliance Management System wird vorrangig auf die Prüfung des Anfangsverdachtes gerade auch unter dem Blickwinkel des subjektiven Tatbestandes (mindestens leichtfertiges Handeln) bezogen.2 Von einem mindestens leichtfertigen Handeln wird die Finanzverwaltung bei Vorliegen eines wirksamen und gelebten Tax Compliance Management Systems auf Basis von AEAO Nr. 2.6 aber nicht (mehr ohne weiteres) ausgehen dürfen, wie sich auch aus der Anweisung des BMF an die Finanzbehörde in AEAO Nr. 2.5 ergibt3:

6.285

„Nicht jede objektive Unrichtigkeit legt den Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nahe. Es bedarf einer sorgfältigen Prüfung durch die zuständige Finanzbehörde, ob der Anfangsverdacht einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerverkürzung gegeben ist. Insbesondere kann nicht automatisch vom Vorliegen eines Anfangsverdachts allein aufgrund der Höhe der steuerlichen Auswirkung der Unrichtigkeit der abgegebenen Erklärung oder aufgrund der Anzahl der abgegebenen Berichtigungen ausgegangen werden.“

6.286

Richtigerweise muss danach ein vorhandenes und auch tatsächlich gelebtes Tax Compliance Management System jedenfalls im Rahmen von steuerstraf- und steuerordnungswidrigkeitsrechtlichen Prüfungen Berücksichtigung finden.4 Das steuerpflichtige Unternehmen dokumentiert mit der Implementierung eines wirksamen Tax Compliance Management Systems seinen Willen und seine Bemühungen zur vollständigen und zeitgerechten Erfüllung der steuerlichen Pflichten ebenso wie die Absicht, die erforderliche Sorgfalt walten zu lassen.5 Unterläuft dennoch ein Fehler, wird die Finanzverwaltung bei Vorliegen eines Tax Compliance Management Systems nicht (mehr ohne weiteres) von Vorsatz oder Leichtfertigkeit in Bezug auf die steuerbezogenen Organisationspflichten ausgehen können.6 Zudem relativiert das BMF die weitereichenden Aussagen in den gleich lautenden Ländererlassen v. 31.8.2009, so dass insbesondere aufgrund der Höhe von Mehr-Ergebnissen nicht mehr auf die Notwendigkeit eines Steuerstraf- oder Steuerordnungswidrigkeitsverfahrens geschlossen werden darf.7

6.287

Geht man weiterhin davon aus, dass die Betriebsprüfung als Teil des Finanzamtes steuerstrafrechtliche Vorermittlungen im Rahmen eigener Kompetenz in begrenztem Umfang eigenständig vornehmen kann8, hat die Betriebsprüfung die Möglichkeit, die Frage des Anfangsverdachtes unter Berücksichtigung eines wirksamen Tax Compliance Management System eigenständig zu prüfen und den Steuerpflichtigen – mittelbar durch Hinzuziehung der BuStra – nicht vorschnell langwierigen strafrechtlichen (Vor-)Ermittlungen mit allen psychologischen,

6.288

1 Zur Wirkungsweise eines TCMS im Aufbau bei straf- oder ordnungsrechtlichen Vorwürfen Oberherr in Flick/Gocke/Schaumburg (Hrsg.), frauen@fgs, S. 475 (485 ff.). 2 Oberherr in Flick/Gocke/Schaumburg (Hrsg.), frauen@fgs, S. 475 (486); von Frantzki, Tax Compliance, Haufe Index 11727631; Seer in Tipke/Kruse§ 153 AO Rz. 32. 3 Seer in Tipke/Kruse, § 153 AO Rz. 32. 4 Seer in Tipke/Kruse, § 153 AO Rz. 32. 5 Oberherr in Flick/Gocke/Schaumburg (Hrsg.), frauen@fgs, S. 475 (486). 6 Zutreffend Seer in Tipke/Kruse, § 153 AO Rz. 32. 7 Seer in Tipke/Kruse, § 153 AO Rz. 32 sowie Vor § 193 AO Rz. 29. 8 Vgl. Drüen, DStJG 38 (2015), 219, 224 (233 ff.); auch Peters, DStR 20015, 238; a.A. möglicherweise Bilsdorfer, PStR 2001, 238 ff.: keine Befugnis des Betriebsprüfers, sich durch Vorermittlungen ohne entsprechende Einleitung des Steuerstrafverfahrens Klarheit über das Vorliegen eines Anfangsverdachtes zu verschaffen.

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Kap. 6 Rz. 6.288 | Konzerne in der Betriebsprüfung

rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen auszusetzen. Eine „Belastung“ des Prüfungsklimas wird möglicherweise vermieden, eine Beschleunigung des Verfahrens erscheint erreichbar.1 b) „Regelmäßige“ Betriebsprüfung

6.289

Daneben ermöglicht ein Tax Compliance Management System aber auch insgesamt eine Straffung des gesamten Betriebsprüfungsverfahrens, wenn ein effizientes und kooperatives Handeln zusammen mit der Betriebsprüfung gelebt wird und der Steuerpflichtige dadurch ein Interesse hat, freiwillig, transparent und aktiv an der Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten mitzuarbeiten, ohne dass andererseits die Kontrollausübung durch die Behörde vernachlässigt wird. Dies könnte auch zu dem – wünschenswerten – Effekt führen, dass die Finanzverwaltung von ihrem bisherigen Rollenverständnis abrückt, frühzeitiger in die Sachverhaltsevaluierung einsteigt und ihrerseits auf Basis von Prozessprüfungen die Prüfung optimiert und bestimmte Themengebiete aus dem Prüfungsfokus herausnimmt. Ein Tax Compliance Management System kann hier sinnvoll unterstützen:

6.290

Zur steuerlichen Betriebsprüfung gehört in Zeiten der Digitalisierung zunehmend, das Ergebnis der durch die Unternehmen vorgenommenen Datenverarbeitung hinreichend zu überprüfen bzw. nachzurechnen, dabei die zutreffende systematische Handhabung der Datenverarbeitung seitens des steuerpflichtigen Unternehmens zu hinterfragen und somit nahezu 80 % aller maßgeblichen Geschäftsvorfälle eigens auch unter Berücksichtigung des Pareto-Effekts digital zu prüfen.2

6.291

Ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Betriebsprüfung ist insoweit der steuerliche Datenzugriff gemäß § 147 Abs. 6 AO und die damit verbundene, vorbereitende Auswertung der Daten des Unternehmens in Form eines KDD-Prozesses3, mit dem die Daten auf Vollständigkeit und Integrität hin überprüft werden4; zur Digitalisierung in der Betriebsprüfung siehe auch Kapitel 2. Im Anschluss hieran erfolgt idR die systematische Anwendung statistischer Methoden auf große Datenbestände und ggf. auch ein Screening der gesamten Gewinn- und Verlustrechnung sowie eine Analyse des individuellen Buchungsverhaltens auf Basis der Finanzbuchhaltung unter Abgleich mit den jeweiligen Vorsystemen.5 Die Verarbeitung der digitalen Daten dient letztlich der Sachverhaltsermittlung im Rahmen der steuerlichen Außenprüfung nach §§ 194, 199 AO.6

6.292

Da das Tax Compliance Management System aus Sicht des Unternehmens auf Basis der operativen Geschäftsvorfälle aufgesetzt wird und gleichzeitig eine ordnungsgemäße Besteuerung sicherstellen soll, kann es grundsätzlich auch der Betriebsprüfung für die (Vor-)Prüfung relevante Daten liefern und einen wichtigen Einblick in verschiedene Abläufe des Unternehmens sowie (mittelbar auch) in (steuer-)spezifische Sachverhalte gewähren. Allerdings gibt es nicht „das“ standardisierte Compliance Management System, sondern eine Vielzahl an Systemen, die in Abhängigkeit von der Größe des Unternehmens, Art und Umfang der Geschäftstätigkeit oder der Organisationsstruktur unterschiedlich ausgeprägt sind. Zudem geht es bei einer nach IDW PS 980 durchgeführten Angemessenheits- oder Wirksamkeitsprüfung nicht 1 2 3 4 5 6

Vgl. Drüen, DStJG 38 (2015), 219 (233). Wargowski in Macho/Schrottmeyer (Hrsg.), Praxishandbuch Steuerkontrollsystem, Kap 13, S. 201. Knowledge Discovery in Databases = Wissensentdeckung in Datenbanken. Wargowski/Greil, FR 2019, 608. Wargowski in Macho/Schrottmeyer (Hrsg.), Praxishandbuch Steuerkontrollsystem, Kap. 13, S. 201. Wargowski in Macho/Schrottmeyer (Hrsg.), Praxishandbuch Steuerkontrollsystem, Kap. 13, S. 202.

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D. Tax Compliance Management System | Rz. 6.294 Kap. 6

um das Erkennen von einzelnen Regelverstößen. Als Systemprüfung ist sie daher weder darauf ausgerichtet, Sicherheit über die tatsächliche Einhaltung von steuerrechtlichen Vorschriften im Einzelfall zu erreichen, noch darauf, die Angemessenheit der von der Geschäftsführung gewählten Steuerstrategie im Einzelnen zu beurteilen.1 Um vor diesem Hintergrund gleichwohl eine auch für die Betriebsprüfung verlässliche Datenund Informationsqualität zu gewährleisten, muss die Betriebsprüfung nicht nur stichprobenartige Kontrollen dahingehend vornehmen, dass die in der Dokumentation des Compliance Management Systems dargestellten Abläufe und die Kontrollschritte schlüssig erscheinen, sondern auch periodisch prüfen, ob das Compliance Management System laufend an sich verändernde Risikofaktoren und Rahmenbedingungen, wie z.B. personelle, organisatorische und gesetzliche Veränderungen angepasst wird.2

6.293

Eine solche „Prozessprüfung“ widerspricht nicht dem Amtsermittlungsgrundsatz nach § 88 AO. Zwar dient die Betriebsprüfung als spezielles Verwaltungsverfahren zur Erfüllung der den Finanzbehörden durch § 85 AO gestellten Ermittlungsaufgabe3 vornehmlich dem Zweck, Steuergerechtigkeit durch gleichmäßige Vollziehung der Steuergesetze zu verwirklichen.4 Als spezifisches Verwaltungsverfahren zur Sachverhaltsermittlung5 hängt die Erfüllung des Vollzugsauftrages aber weitestgehend auch von der Mitwirkung des Steuerpflichtigen ab, so dass aus dem Zusammenspiel des in § 88 AO geregelten Amtsermittlungsgrundsatzes und der in § 90 AO zum Ausdruck kommenden Mitwirkungspflichten grundsätzlich eine kooperative Arbeitsteilung zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigem folgt.6 Dem Unternehmen muss es daher zum einen nachweislich gelingen, durch Prozessverbesserungen Anzahl und Umfang steuerlicher Korrekturen kontinuierlich deutlich zu reduzieren.7 Zum anderen aber muss auch das steuerpflichtige Unternehmen (verpflichtend) proaktiv tätig werden und, sobald ein Geschäftsvorfall eine nennenswerte steuerliche Auswirkung nach sich zieht bzw. Steuerrisiken lauern, diese frühzeitig der Finanzverwaltung zur Kenntnis geben und offen mit dieser diskutieren.8 Aus diesem Wechselspiel heraus sollte es sowohl für das Unternehmens als auch die Betriebsprüfung möglich sein, die Betriebsprüfung konstruktiv zu beschleunigen und auf das Wesentliche zu fokussieren.

6.294

VI. Fazit – Ein Tax Compliance Management System, das auf die Vermeidung von Gesetzesverstößen und die Minimierung von Risiken gerichtet ist, kann zur Folge haben, dass die „Aufgriffswahrscheinlichkeit“ im Rahmen einer Betriebsprüfung abnimmt. Dies ist Folge der Wirkung eines Tax Compliance Management Systems, Fehler bei der Ermittlung der Steuerschuld zu vermeiden bzw. zu verringern. – Das Tax Compliance Management System kann ein Indiz darstellen, das gegen das Vorliegen eines steuerstrafrechtlichen Vorsatzes oder steuerstrafrechtlicher Leichtfertigkeit 1 IDW Praxishinweis 1/2016 (Stand: 31.5.2017), Rz. 59. 2 Vgl. Schlögelhofer/Schrottmeyer/Schwab, IWB 4/2020, 145 (149) zur begleitenden Kontrolle in Österreich. 3 Seer in Tipke/Kruse, Vor § 193 AO Rz. 9. 4 BFH v. 2.10.1991 – X R 89/89, BStBl. II 1992, 220 (221); Drüen, DStJG 38 (2015), 219, 222. 5 Seer in Tipke/Kruse, Vor § 193 AO Rz. 9. 6 Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 3; Peters, FR 2020, 944. 7 Esterer, DB 2016, Heft 21 Seite M5. 8 Ehrke-Rabel, StuW 2015, 101 (115).

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Kap. 6 Rz. 6.294 | Konzerne in der Betriebsprüfung

spricht. Diese „entlastende“ Wirkung kann Bedeutung erlangen, wenn im Rahmen einer Betriebsprüfung steuerstrafrechtsrelevante Sachverhalte identifiziert werden. – Zudem bietet ein Tax Compliance Management System die Möglichkeit, die Betriebsprüfung sowohl im Hinblick auf haftungsrechtliche Fragen als auch in Bezug auf sonstige Fragen zu beschleunigen. Voraussetzung ist, dass die Finanzverwaltung eine System- bzw. Prozessprüfung akzeptiert und der Steuerpflichtige die Funktionsweise des Tax Compliance Management Systems – einschließlich seiner möglichen „Schwachstellen“ – offenlegt. Hinzu kommt die Möglichkeit der Beweisvorsorge. Dabei darf zwar nicht vergessen werden, dass die Interessen von Unternehmen und Betriebsprüfung nicht deckungsgleich sind. Gleichwohl ermöglicht die Transparenz und das kooperative Miteinander eine Verfahrensbeschleunigung dergestalt, dass Steuerpflichtiger und Betriebsprüfung bzw. Finanzbehörde sich gemeinsam über die punktuell zu klärenden Streitfragen und die verfahrensrechtliche Vorgehensweise unter Nutzung eines vorhandenen Tax Compliance Management Systems abstimmen.1

1 Peters, FR 2020, 944 (945), die insoweit vom „kooperativen Streit“ spricht.

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Kapitel 7 Internationale Aspekte der Betriebsprüfung A. Verrechnungspreise I. Die steuerliche Betriebsprüfung im Verrechnungspreisbereich 1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . 2. Der Einstieg in die Prüfung steuerlicher Verrechnungspreissachverhalte a) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . b) Phase 1: Die Prüfungsvorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . c) Phase 2: Der Prüfungsbeginn aa) Das Auftaktgespräch . . . bb) Die Übergabe der Verrechnungspreisdokumentation an den Betriebsprüfer . . . . . . . . . . . . . . cc) Weitere Prüferanfragen . dd) Fremdsprachige Verrechnungspreisdokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Prüfung des Inhalts der Verrechnungspreisdokumentation . . . . . . . . . . . (1) Wortlaut: „Ernsthaftes Bemühen“ nach § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV . . (2) Aktualisierte Auffassung der Finanzverwaltung nach BMF v. 3.12.2020 . ff) Meinungsstand in der Literatur zur (Un-)Verwertbarkeit . . . . . . . . . . gg) Eigene Analyse und Auffassung (1) Auslegung im Lichte des Sinns und Zwecks . . (2) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Betrachtung der individuellen Geschäftsbeziehung (4) Zwischenfazit . . . . . . . . hh) Besonderheiten bei der Angemessenheitsdokumentation . . . . . . . . . . . ii) Weitere Verifikation der Verrechnungspreismethodik durch die Finanzverwaltung . . . . . . . . . .

7.1

7.4 7.6 7.12

7.15 7.19 7.23 7.28 7.32 7.34 7.37

7.38 7.40 7.45 7.49 7.52

7.55

d) Phase 3: Eigentliche Prüfungsphase aa) Diskussion der Verrechnungspreissystematik in der Betriebsprüfung (1) Vorbemerkungen . . . . . (2) Pflichten des Betriebsprüfers im Lichte des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 88 AO . . . (3) Bedeutung des Amtsermittlungsgrundsatzes in der Praxis . . . . . . . . . (4) Verhältnis der Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO zu § 90 Abs. 2 AO . . . . . . . . . . . (5) Verfahrensbezogene Mitwirkungspflichten nach § 200 AO . . . . . . . (6) Vorlage von Verrechnungspreisgutachten und E-Mail-Verkehr . . . (7) Betriebsnahe Prüfung und Betriebsbesichtigung (8) Verteilung der sog. Feststellungslast im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . (9) Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 2 AO bei verwertbarer Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . (10) Ausnahmefall: Schätzungsbefugnis der Finanzverwaltung nach § 162 Abs. 3 AO bei sog. Dokumentationsversagen . . . . . . . . . . . . (11) Benchmarking-Analyse der Betriebsprüfung . . . (12) Steuerstrafrechtliche Aspekte einer unverwertbaren Verrechnungspreisdokumentation . . . . . . . (13) Zuschläge nach § 162 Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . bb) Typische Konfliktsituationen in der Praxis (1) Ausgangssituation . . . .

7.59

7.61 7.65

7.69 7.74 7.78 7.83 7.86

7.92

7.99 7.103

7.111 7.113 7.120

605

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Kap. 7 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung (2) Der Betriebsprüfer ignoriert den vorgetragenen Sachverhalt als „nicht relevant“ . . . . . . . . . . . . (3) Der Betriebsprüfer bleibt passiv und verzögert die Analyse sowie die Rückmeldung . . . . . . . . . . . . (4) Der Betriebsprüfer bietet ein schnelles Prüfungsende gegen reine „Zahleneinigung“ an . . . . . . e) Phase 4: Abschluss- bzw. -Vereinbarungsphase . . . . . II. Beispielhafte Prüfungsproblemfelder aus materieller Verrechnungspreissicht 1. Konzerninterne Dienstleistungsverrechnung in der Betriebsprüfung a) Häufiger Konfliktpunkt der Kostenverrechnung . . . . . . . b) Verrechenbare Kosten und Gesellschafteraufwand . . . . c) Sog. Benefit Test . . . . . . . . . d) Verrechnungsformen . . . . . e) Höhe der Kostenallokation . 2. Prüfungsfeld IP-relevante Sachverhalte und Lizenzverhältnisse a) Streitpunkt Lizenzsatzhöhe b) Prüfungsstrategie der Finanzverwaltung . . . . . . . . . . . . . c) Preisvergleich als grundlegender methodischer Ansatz . . d) Einbeziehung der DEMPErelevanten Werttreiber . . . . 3. Ausländische Vertriebsgesellschaften und deren operative Rendite als Prüfungsgegenstand a) Vertrieb als Routine-Tätigkeit nur unter eingeschränkten Bedingungen qualifizierbar b) Funktions- und Risikoanalyse entscheidend . . . . . 4. Finanztransaktionen in der Betriebsprüfung a) Konzerninterne Darlehensgewährungen . . . . . . . . . . . . b) Einbettung des Finanzierungssachverhalts in die Konzernstruktur . . . . . . . . . c) Abgrenzung Eigenkapital versus Fremdkapital . . . . . . d) Zinssatzbemessung . . . . . . .

7.121

7.125

7.128 7.132

7.141 7.142 7.145 7.149 7.152 7.155 7.158 7.162 7.164

7.168 7.174

7.176 7.177 7.179 7.181

e) Spezialfragestellung der Kreditwürdigkeit im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Folgerungen für die Prüfungspraxis . . . . . . . . . . . . . 5. Cash Pooling-Sachverhalte in der Betriebsprüfung . . . . . . . . . . 6. Finanzierungsunterstützung . . . 7. Funktionsverlagerungssachverhalte als Prüfungsgegenstand a) Alternativen zur Transferpaketbewertung . . . . . . . . . b) Preisanpassungen/Transferpaketlizenzen . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Joint Audits I. Internationale Ausrichtung der Betriebsprüfung 1. Rahmenbedingungen . . . . . . . . . 2. Der OECD Joint Audit Report 2010 a) Skizzierung einer Idee . . . . b) Definition . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . 3. Deutsche Pilotverfahren ab 2013 4. Der Report des EU-JTPF von 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Das OECD Papier „Joint Audits 2019“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Koordinierte Betriebsprüfungen der deutschen Steuerverwaltung 1. Begriffe und Abgrenzungsfragen a) Der deutsche Status Quo . . b) Gleichzeitige Prüfungen bzw. Simultanprüfungen . . c) Gemeinsame Prüfungen bzw. Joint Audits . . . . . . . . 2. Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zuständigkeit für Prüfungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zuständigkeit für den Informationsaustausch a) Der „Competent Authority Status“ des Bundes . . . . . . . b) Übertragung von Zuständigkeiten auf die Prüfer . . . . . . III. Rechtsgrundlagen 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgabenordnung a) § 88 AO . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 117 AO . . . . . . . . . . . . . . . c) §§ 193 ff. AO . . . . . . . . . . . .

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7.186 7.192 7.194 7.198

7.202 7.208 7.214

7.217 7.219 7.220 7.222 7.224 7.228 7.229

7.231 7.233 7.234 7.236 7.239

7.241 7.243 7.246 7.251 7.254 7.257

Internationale Aspekte der Betriebsprüfung | Kap. 7 3. Europäisches Recht a) Die EU-Amtshilferichtlichtlinie für direkte Steuern . . . . b) Die MwStZusVO für die Mehrwertsteuer . . . . . . . . . . c) Zoll bzw. Verbrauchsteuern d) Ausblick: Der neue Art. 12a in der EU-Amtshilferichtlinie 4. Das Multilaterale Übereinkommen der OECD . . . . . . . . . . . . . . 5. DBA-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. TIEA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Sonstige zwischenstaatliche Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verfahrensfragen bei Joint Audits 1. Einleitung a) Kein Antragsrecht der Steuerpflichtigen . . . . . . . . . b) Vorschlag einer Steuerverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Auswahlsitzung – Selection Meeting . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anhörung nach § 117 AO, Zustimmung nach § 10 Abs. 3 EUAHiG . . . . . . . . . . 2. Prüfungsphase a) Auftaktsitzung/Start Meeting b) Abstimmung eines Fragenkatalogs . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einbeziehung des Steuerpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . d) Kommunikation . . . . . . . . . 3. Abschluss a) Abschlussbesprechung . . . . b) Fixierung eines gemeinsamen Ergebnisprotokolls . . . . . . . . c) Transport der Ergebnisse in das nationale Recht . . . . . . . V. Einzelfragen 1. Welches Recht gilt wann? a) Ausgangslage: Betriebsperspektive und Rechtslage . . . b) Deutsche Prüfer auf deutschem Territorium . . . . . . . . c) Deutsche Prüfer auf ausländischem Territorium . . . . . . d) Ausländische Prüfer auf deutschem Territorium . . . . 2. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenspiel mit Vorabverständigungsverfahren . . . . . . . . . VI. Ausblick 1. Evaluierungsergebnisse und Verbesserungspotential . . . . . . . .

7.261 7.269 7.271 7.272 7.275 7.280 7.281 7.282

7.283 7.284 7.287 7.288 7.293 7.294 7.296 7.299 7.301 7.303 7.305

7.307 7.309 7.310 7.312 7.314 7.316 7.317

2. Joint Audits als Teil der Tax Certainty Agenda . . . . . . . . . . . . C. Verständigungsverfahren . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vergangenheitsbezogene Verständigungsverfahren 1. Verständigungsverfahren nach DBA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antragsvoraussetzungen a) Antragserfordernis – Ort der Antragstellung – Inhalt b) Antragsberechtigung – Ansässige Person . . . . . . . . . c) Antragsbefugnis – Maßnahme eines Vertragsstaats . d) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verhältnis zum Rechtsbehelfsverfahren . . . . . . . . . f) Stellung des Antragstellers im Verfahren . . . . . . . . . . . . g) Verfahren der zuständigen Behörden . . . . . . . . . . . . . . . h) Zustimmung und Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Scheitern und Billigkeitsmaßnahme . . . . . . . . . . . . . j) Verzicht auf Verständigungsverfahren – Treu und Glauben – Verfahrenshindernisse 3. Schiedsverfahren nach DBA a) Einführung aa) Schiedsklausel . . . . . . . . bb) „Last Best Offer“ . . . . . . cc) „Independent Opinion“ b) Schiedsverfahren als Bestandteil des Verständigungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfahrensablauf aa) Musterabkommen . . . . bb) Verbleibende streitige Punkte . . . . . . . . . . . . . . cc) Antrag und Frist: . . . . . dd) Stellung des Antragstellers . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Umsetzung . . . . . . . . . . ff) Verhältnis zu nationalen Rechtsmitteln . . . . . . . . gg) Alternative Verfahrenswege . . . . . . . . . . . . . . . d) Deutsche DBA mit obligatorischer Schiedsklausel . . . 4. EU-Schiedskonvention a) Hintergrund und Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.321 7.322 7.323

7.326 7.328 7.330 7.334 7.338 7.342 7.343 7.345 7.348 7.351 7.354 7.360 7.361 7.363 7.364 7.365 7.367 7.368 7.369 7.370 7.371 7.372 7.373 7.374

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Kap. 7 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung b) Zeitlicher, persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorverfahren . . . . . . . . . . . . d) Verständigungsverfahren aa) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterbreitung bei der Zuständigen Behörde . . cc) Verfahrenshindernisse . dd) Verlängerung der Verständigungsphase . . . . . e) Schiedsphase . . . . . . . . . . . . 5. EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz a) Einführung . . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich . . . . . . c) Verfahrensabschnitte aa) Einreichung der Streitbeilegungsbeschwerde . bb) Verständigungsverfahren cc) Schiedsverfahren – Antragserfordernis und Frist – Versagensgründe dd) Umsetzung . . . . . . . . . . ee) Verfahrenserleichterungen . . . . . . . . . . . . . . . .

7.376 7.382 7.383 7.384 7.385 7.388 7.389 7.391 7.396 7.397 7.406 7.407 7.410 7.411

III. Konkurrenz der Schiedsverfahren untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.412 IV. Multilaterales Instrument . . . . . . . . 7.417 V. Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements – APA) 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Definition und Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Arten von APAs . . . . . . . . . . . . . 4. APA-Verfahren a) Berechtigtes Interesse . . . . . b) Vorgespräch . . . . . . . . . . . . c) Stellung des Antragstellers im Verfahren . . . . . . . . . . . . d) Inhalt des Antrags und Laufzeit des APA . . . . . . . . e) Kosten – Antragsgebühr, Änderungsgebühr und Renewal . . . . . . . . . . . . . . . . f) Gültigkeitsbedingungen und Jahresbericht . . . . . . . . g) Abschluss und Umsetzung . h) Automatischer Informationsaustausch . . . . . . . . . .

7.419 7.421 7.426 7.429 7.430 7.432 7.434 7.437 7.443 7.446 7.447

A. Verrechnungspreise Literatur: Baumhoff/Ditz/Greinert, Grundsätze der Dokumentation internationaler Verrechnungspreise nach der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung, DStR 2004, 157; Buciek/Schreiber, JbFStR 2005/2006, 647; Busch, Der Unverwertbarkeit einen Riegel vorgeschoben: Implikationen des BFH-Urteils zur Unionsrechtskonformität der Dokumentationspflicht für Verrechnungspreise, FR 2013, 943; Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 2009; Ebeling/Grundmann/Nolden, Wenn schon interner Preisvergleich, dann richtig! Anm. zu FG Köln v. 29.6.2017 – 10 K 771/16, IStR 2018, 581; Ebeling/Nolden/Overesch/Pflitsch/Wolff, Eignen sich Zinssätze von Anleihen für die Ermittlung fremdüblicher Zinssätze von konzerninternen Darlehen?, IStR 2018, 841; Fiehler, Vergütungsformen von funktions- und risikoarmen Vertriebsgesellschaften, IStR, 2007, 465; Fischer/Looks/im Schlaa, Dokumentationspflichten für Verrechnungspreise – Aktuelle Erfahrungen mit der Betriebsprüfung und zukünftige Entwicklungen, BB 2010, 157; Frotscher in FS Wassermeyer, Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, 2005, Verfassungsrechtliche Fragen zu den Dokumentationspflichten bei Verrechnungspreisen, und den Rechtsfolgen ihrer Verletzung 2005, 391; Greil, Die Preisanpassung nach § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG i.V.m. der Funktionsverlagerungsverordnung, IStR 2009, 567; Kiesel/Theisen, Steuerstrafrechtliche Risiken konzerninterner Verrechnungspreisgestaltungen, IStR 2006, 284; Kluge/Probst/Bestelmeyer: Verwaltungsgrundsätze 2020 – Eine erste Analyse des Umfangs der Mitwirkungspflichten, IStR 2021, 281; Martens, Die eigenartige Beweislast im Steuerrecht, StuW 1981, 322; Melan, Die VWG 2020 und die Schätznatur von Verrechnungspreisen, DStR 2021, 1394; Puls, Finanzierungsunterstützung im Konzern aus Verrechnungspreissicht, IStR 2012, 209; Puls, Funktionsverlagerungsbesteuerung: Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche als „Transferpaket”-Ersatz nach § 8 FVerlV, IStR 2010, 89; Puls/Heravi, DEMPE-Funktionen und wirtschaftliches Eigentum an immateriellen Werten – Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung, IStR 2018, 721; Puls/Heravi, Kostenumlagesysteme im

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.2 Kap. 7 grenzüberschreitenden Konzern pre- und post-BEPS, Erste praxisbezogene Anmerkungen zum BMFSchreiben vom 5.7.2018, Ubg 2018, 507; Puls, (Un-)Verwertbarkeit einer Verrechnungspreisdokumentation, in FS Kuckhoff, Verrechnungspreise und Außensteuerrecht, 2018, 179; Rasch, Verwaltungsgrundsätze 2020: Mitwirkungs-, Aufzeichnungspflichten und Schätzungen – auf ein Neues, ISR 2021, 10; Roeder, Ökonomische Aspekte des hypothetischen Fremdvergleichs, Ubg 2008, 202; Sassmann/ Holtz, Steine statt Brot – Die Verwaltungsgrundsätze 2020 zu Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten bei Verrechnungspreisen, Ubg 2021, 61; Schaumburg, Der Datenzugriff und andere Kontrollmöglichkeiten der Finanzverwaltung, DStR 2002, 829; Schaumburg/Schaumburg, Rödder/Wassermeyer/ Ditz, Internationale Einkünfteabgrenzung (Freundesgabe für Hubetrus Baumhoff,) 2019, 297, 309; Schmidt/Gröger, Neue Dokumentationspflichten und „Strafzuschläge” bei Geschäftsbeziehungen mit Auslandsbezug oder: „Zuckerbrot und Peitsche”, FR 2003, 813; Schnitger, Die erweiterte Mitwirkungspflicht und ihre gemeinschaftsrechtlichen Grenzen, BB 2002, 332; Schnorberger/Haverkamp/Etzig, Entwurf des Bundesministeriums der Finanzen zur Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung vom 21.2.2017 – Erste Anmerkungen, BB 2017, 1111; Scholz/Köhler, Konzernrückhalt und Nachrangigkeit in der konzerninternen Finanzierung, DStR 2018, 15; Schreiber/Greil, Das "Anti-BEPS-Umsetzungsgesetz", DB 2017, 10; Siduh/Schemmel, Steuerhinterziehung bei grenzüberschreitenden Gewinnverlagerungen durch Festlegung unangemessener Konzernverrechnungspreise, BB 2005, 2549; Stein/ Schwarz/Burger, Die Besteuerung immaterieller Werte in multinationalen Unternehmensgruppen, Eine Analyse des Referentenentwurfs für ein ATADUmsG, IStR 2020, 83; Stein/Schwarz/Holinski, Funktionales Eigentum und Wertschöpfungsbeitragsanalysen: Steuerliche Erfolgsermittlung bei immateriellen Werten mithilfe betriebswirtschaftlicher Konzepte, DStR 2017, 118; Weigell, Dokumentationspflichten bei der Ermittlung von Verrechnungspreisen: Einzug des Steuerstrafrechts, IStR 2005, 162; Werder/Rudolf, Compliance-Berichte in der steuerlichen Betriebsprüfung, BB 2014, 3094.

I. Die steuerliche Betriebsprüfung im Verrechnungspreisbereich 1. Vorbemerkungen Tragweite in Betriebsprüfungen. Die steuerliche Betriebsprüfung im Bereich der Verrechnungspreise ist – sowohl aus Perspektive der Finanzverwaltung als auch des Steuerpflichtigen – letztlich ein „organisierter Konflikt“.1 Verrechnungspreisthemen beziehen sich auf die Grundstruktur eines grenzüberschreitend handelnden Konzernunternehmens; sie berühren Geschäftsmodelle und entscheiden über die Höhe lokaler steuerlicher Bemessungsgrundlagen und mithin über die (ökonomische) Kostenexposition und schließlich auch über die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Eingriffe in die Verrechnungspreissystematik eines Unternehmens sind – da sie im Kern nicht nur steuerliche Fragestellungen berühren – vor diesem Hintergrund besonders konfliktträchtig. Es handelt sich bei Verrechnungspreissachverhalten zudem häufig um sog. Dauersachverhalte mit (weiteren) Auswirkungen auf künftige Besteuerungszeiträume, die zu erheblichen Einkünftekorrekturvolumina und ggf. signifikanten Steuernachzahlungen nebst Zinslasten führen können.

7.1

Systematische Betrachtung erforderlich. In der Beratungspraxis scheinen sich Verrechnungspreiskonflikte besonders deswegen als diffizil zu erweisen, weil nach Meinung vieler Beobachter bei Verrechnungspreisregeln nur „steuerliches Soft Law“ vorhanden sei, das einen weitreichenden Interpretations- und Beurteilungsspielraum durch die Finanzverwaltung zuließe; dies mache es besonders schwierig, Verrechnungspreiskonflikte zu verteidigen und schließlich zu befrieden. Dem kann im Ergebnis größtenteils nicht zugestimmt werden. Auch Verrechnungspreiskonflikte in der Betriebsprüfung unterliegen bestimmten Regeln, dies gilt sowohl verfahrensrechtlich als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht. In der Beratungspraxis zeigt sich zudem, dass Verrechnungspreissachverhalte in der Betriebsprüfung in vielen Fällen

7.2

1 Frei nach Reinhard K. Sprenger, Magie des Konflikts, 2020.

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Kap. 7 Rz. 7.2 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

wenig systematisch betrachtet und analysiert werden und demzufolge wenig zielorientiert in der Verteidigungspraxis vorgegangen wird; dies ist vermutlich eine der weitreichendsten Ursachen für die Konfliktträchtigkeit von Verrechnungspreissachverhalten in Betriebsprüfungen. Erfahrung und Bedacht der handelnden Personen – vor allem des Beraters – erweisen sich hier neben dem fachlichen steuerrechtlichen und betriebswirtschaftlichen Spezialwissen als zentrale Ratgeber.

7.3

Blick auf die Praxis. Im Rahmen des folgenden Kapitels soll aufgezeigt werden, welche Verrechnungspreiskonflikte typischerweise Gegenstand von steuerlichen Betriebsprüfungen sind und welche Aspekte für die Verteidigung sowie ihre Lösung in Betracht kommen können. Bei alledem ist aus Sicht des Beraters nicht zu vergessen, dass das Thema Verhandlungsführung in diesem Zusammenhang eine zunehmend große Rolle spielt (siehe dazu Rz. 1.904–1.964). Angesichts der Tatsache, dass es bei Verrechnungspreiskonflikten in der Regel um hohe Einkünftekorrekturbeträge geht, fängt die Verteidigungsberatung zudem nicht erst in der eigentlichen Betriebsprüfung an. Eine vorbeugende, risikoorientierte Diskussion der Verrechnungspreissystematik in grenzüberschreitend tätigen Unternehmen ist heutzutage ein „Muss“. Ein entsprechendes Risikomanagement von Verrechnungspreissachverhalten verbessert die Verteidigungsposition von Unternehmen zudem erheblich (siehe dazu auch Rz. 6.256 ff.).

2. Der Einstieg in die Prüfung steuerlicher Verrechnungspreissachverhalte a) Vorbemerkung

7.4

Einstieg in die Betriebsprüfung. Der Einstieg in Verrechnungspreissachverhalte durch die Betriebsprüfung läuft häufig nach den im Folgenden geschilderten Phasen ab. Wichtig für das geprüfte Unternehmen sowie seinen Beratern ist, einen Verrechnungspreisfall in der steuerlichen Betriebsprüfung fortwährend „systemisch“ zu betrachten, mithin die Analyse des Verrechnungspreissystems im Rahmen der Betriebsprüfung strukturiert anzugehen. Dies bedeutet auch, dass – anstelle von Einzelausschnitten aus einem Verrechnungspreissystem und erzielten operativen Einzelergebnissen – dezidiert auf den Gesamtzusammenhang des Verrechnungspreissystems zu blicken ist und Wechselwirkungen zwischen Funktionen, Risiken, eingesetzten Vermögenswerten, Wertschöpfungsbeiträgen und der Unternehmenscharakterisierung nicht aus den Augen verloren werden dürfen. Was dies im Einzelnen konkret bedeutet, wird im Folgenden näher aufgezeigt.

7.5

Prozessual lassen sich steuerliche Betriebsprüfungen im Bereich der Verrechnungspreise in vier Hauptphasen unterteilen: b) Phase 1: Die Prüfungsvorbereitung

7.6

Vorbemerkung. Die Vorbereitung auf eine steuerliche Betriebsprüfung im Bereich des Internationalen Steuerrechts einschließlich der Verrechnungspreise verlangt von einem grenzüberschreitend tätigen Unternehmen als entsprechende Berichtsfirma (Bfa.) zunächst eine Überprüfung der dem Betriebsprüfer zu überreichenden Unterlagen und Dokumente.

7.7

Hinreichende Vorbereitung. Vor diesem Hintergrund sollte eine profunde Vorbereitung darauf gerichtet sein, die vorzulegende Verrechnungspreisdokumentation noch einmal im Hinblick auf (i) ihre Vollständigkeit (im Lichte der §§ 4, 5 GAufzV) und (ii) ihre inhaltliche Richtigkeit und Schlüssigkeit zu überprüfen. Diesbezüglich sollten auch etwaige datenbankbasierte Benchmarking-Analysen auf Ihre Aktualität überprüft werden. Vollumfänglich neue Benchmarking-Analysen sollten in der Regel alle drei Jahre erfolgen; ein sog. Financial Update der 610 | Puls

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.13 Kap. 7

Vergleichswerte kann auf jährlicher Basis vorgenommen werden. Besteht eine Verrechnungspreisrichtlinie nach § 2 Abs. 3 GAufzV (als Dokumentationsergänzung), so ist auch diese entsprechend inhaltlich zu überprüfen und soweit erforderlich zu aktualisieren. Intercompany-Verträge. Da im Zusammenhang mit den zu prüfenden Geschäftsbeziehungen von den Betriebsprüfern sehr wahrscheinlich auch die formalen Voraussetzungen des Fremdvergleichs analysiert werden, ist ferner darauf zu achten, dass die entsprechenden Intercompany-Vertragsverhältnisse sachgerecht in schriftlicher Form abgebildet sind. Ggf. müssen bereits mündlich vereinbarte Geschäftsbeziehungen im Nachhinein noch schriftlich fixiert werden; keinesfalls darf der tatsächliche Beginn eines Vertragsverhältnisses rückdatiert werden.

7.8

Unternehmensinterne Kommunikation. Teilweise besonders kritisch erweisen sich in der Praxis betriebsinterne Kommunikationsunterlagen, wie z.B. Mitarbeiterzeitschriften oder Pressemeldungen. Hier werden oftmals – ohne Bedacht und aus dem Motiv einer positiven Unternehmensdarstellung – ggf. außensteuerlich relevante Informationen preisgegeben, die für Missverständnisse sorgen können und dem Betriebsprüfer die Identifikation von (weiteren) „interessanten“ Prüfungsfeldern nahelegen (z.B. Auslandsentsendungen, die das Risiko tatbestandlicher Funktionsverlagerungen begründen; Überlassungen bzw. Übertragungen von Know-how an Auslandstochtergesellschaften etc.).

7.9

Verrechnungspreis-Stresstest. Schließlich ist im Rahmen der Vorbereitung – wenn dies möglich ist – gemeinsam mit dem Berater eine Art „Stresstest“ durchzuführen, in welchem besonders verrechnungspreissensitive Sachverhaltskomplexe vorab gemeinsam analysiert werden und ggf. bereits mit einer dezidierten Zusammenstellung von Verteidigungsunterlagen begonnen wird. Hierbei können CbCR-relevante Daten mit einbezogen und eine konzernweite Gewinnallokation auf Basis der jeweiligen Standortdaten (Mitarbeiter, gezahlte Steuern etc.) verprobt werden.

7.10

Abschließend sollte eine Betriebsbesichtigung durch die Betriebsprüfer bereits gedanklich durchgespielt werden. Es sollten entsprechende Mitarbeiter – vornehmlich auch aus dem operativen Bereich – als potenzielle Auskunftspersonen ausgewählt und entsprechend „gebrieft“ werden (siehe § 200 Abs. 1 Satz 3 AO). Dies zum einen im Hinblick auf eine mögliche Befragung durch die Betriebsprüfer, zum anderen, um etwaig erforderlichen Sachvortrag im Rahmen der Betriebsprüfung bereits vororganisieren und entsprechende interne Ansprechpartner bereithalten zu können.

7.11

c) Phase 2: Der Prüfungsbeginn aa) Das Auftaktgespräch Kontaktaufnahme mit der Betriebsprüfung. Im Rahmen des Auftaktgesprächs wird in der Regel der Prüfungsablauf und die organisatorischen Rahmenbedingungen der Prüfertätigkeiten vor Ort besprochen und abgestimmt. Da bei Betriebsprüfungen im Bereich der Verrechnungspreise in der Regel eine Vielzahl von Unterlagen mit dem Betriebsprüfer geteilt werden müssen, empfiehlt es sich diesem eine eigene, unternehmensinterne E-Mail-Adresse zu vergeben bzw. Zugriff auf einen entsprechenden „Sharepoint“ zu gewähren. Durch diese Form der Datenbereitstellung lässt sich auch leichter nachhalten, welche Unterlagen dem Prüfer zu welchem Zeitpunkt bereitgestellt worden sind.

7.12

Zeitliche Abstimmung. In zeitlicher Hinsicht sollte bereits im Auftaktgespräch eine Übereinkunft im Hinblick auf künftige „Besprechungs-Milestones“ erzielt werden. Dies ist auf Basis vielfältiger Prüfungserfahrungen sehr ratsam, da der Prüfungsverlauf ohne feste zeitliche Strukturen oftmals erheblichen Verzögerungen ausgesetzt sein kann. Durch das Festlegen ver-

7.13

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Kap. 7 Rz. 7.13 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

bindlicher Zwischenbesprechungstermine werden beide Seiten – die Bfa. wie der Prüfer bzw. das Prüferteam – dazu angehalten, ihre jeweiligen Aufgaben möglichst effizient abzuarbeiten („BP-Fahrplan“). Kommt es dennoch zu Verzögerungen, so sind diese im Rahmen eines Prüfungs-Monitorings zu protokollieren und den Gründen nachzugehen. Sind bspw. auf Seiten der Betriebsprüfung Ressourcenengpässe vorhanden, die zu einer erheblichen Verzögerung des Prüfungsablaufs (z. B. Prüfung ruht über einen längeren Zeitraum, Prüferwechsel ohne Übergabe, Nachweismaterial und Stellungnahmen der Bfa. werden nicht oder nur verzögert ausgewertet etc.) führen, so wird dieser Umstand bei der Frage nach der Bemessung des Zinslaufs zu berücksichtigen sein, da anderenfalls korrespondierende Amtshaftungsansprüche grundsätzlich in Betracht kommen können (Verpflichtung zur (zeitlichen) Prüfungseffizienz nach § 199 Abs. 2 AO und § 7 Satz 1 und 2 BpO 2002).1

7.14

Wichtig ist in diesem Zusammenhang derartige Störungen des Prüfungsablaufs frühzeitig und fortwährend zu adressieren sowie schriftlich zu dokumentieren. Im Rahmen von regelmäßigen Prüfungs-Jour Fixes zwischen der Bfa. und der Betriebsprüfung lassen sich diese Themen erfahrungsgemäß konstruktiv besprechen und gemeinsam protokollieren. bb) Die Übergabe der Verrechnungspreisdokumentation an den Betriebsprüfer

7.15

Anforderung der Dokumentation und weiterer Unterlagen. Zusammen mit der Prüfungsanordnung bittet der Betriebsprüfer in der Regel um Vorlage der Verrechnungspreisdokumentation (Master- wie Local File Dokumente) und stellt bereits erste, ggf. auf Basis von Erkenntnissen aus Vorprüfungen motivierte Sachverhaltsfragen an die Bfa.

7.16

Insbesondere Ergebniszahlen ausländischer Konzerngesellschaften sind hierbei von besonderem Interesse des Betriebsprüfers, da zunächst ein Gefühl dafür entwickelt werden soll, wie sich die Ergebnissituation im Konzern darstellt, d.h. welche (Auslands-)Konzerngesellschaften über ggf. sehr auskömmliche Margen verfügen. Bereits an dieser Stelle ist aus Sicht des geprüften Unternehmens und seines Beraters Vorsicht geboten, denn der von vielen Betriebsprüfern vorgenommene „globale Gewinnvergleich“ zur Plausibilisierung der im Gesamtunternehmen erzielten Profitabilität als Prüfungseinstieg ist in dieser Pauschalität unzulässig2; er hat sich gleichwohl in der Praxis stillschweigend etabliert.

7.17

Verfahrensrechtliche Aspekte. Wird um Vorlage der Verrechnungspreisdokumentation gebeten, so ist das Vorlagebegehren selbst an bestimmte verfahrensrechtliche Voraussetzungen gebunden: Die Vorlagefrist beträgt zunächst bei „normalen“ grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen mit ausländischen nahestehenden Personen 60 Tage; bei sog. außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen 30 Tage ab Zugang einer rechtmäßigen Aufforderung zur Vorlage (§ 90 Abs. 3 Satz 7, 8 AO). Die Frist beginnt mit der Bekanntgabe der Anforderung, nicht mit dem Prüfungsbeginn im Unternehmen des Steuerpflichtigen.3 Die Finanzbehörde kann die Vorlage der Verrechnungspreisdokumentation auch dann innerhalb der Frist verlangen, wenn die Betriebsprüfung auf Antrag des Steuerpflichtigen verschoben wird; insoweit soll keine Fristverlängerung „durch die Hintertür“ eintreten können.4 Erfolgt eine Verschiebung des Prüfungs1 Vgl. nur OLG Köln v. 11.12.2014 – 7 U 23/14. 2 BMF v. 14.7.2021 – IV B 4 - S 1341/19/10017 :001, BStBl. I 2021, 301 (im Folgenden „VWG 2021“), Tz. 3.9 lit. a) bis e) und Tz. 3.23. 3 VWG 2021, Tz. 3.46 sowie BMF v. 3.12.2020 – IV B 5 - S 1341/19/10018 :001, BStBl. I 2020, 1325 (im Folgenden „VWG 2020“), Tz. 63. 4 Siehe VWG 2020, Tz. 63 S. 2.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.20 Kap. 7

beginns, so sollte Rücksprache mit dem Betriebsprüfer gehalten werden, da eine fristgerechte Vorlage der Verrechnungspreisdokumentation in der Regel dann keinen Sinn ergeben dürfte. Rechtswirksame Dokumentationsanforderung. Das Vorlagebegehren selbst ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden: Zwar muss nach § 93 AO der Steuerpflichtige die erstellten Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO (d.h. die Verrechnungspreisdokumentation) an die Finanzverwaltung für Prüfungszwecke übergeben, allerdings setzt dies voraus, dass das Vorlagebegehren hinreichend klar und eindeutig ggü. dem Steuerpflichtigen bekanntgegeben worden ist. Die Anforderung zur Vorlage der Verrechnungspreisdokumentation soll bereits nach § 2 Abs. 6 Satz 2 GAufzV die Geschäftsbereiche und die Geschäftsbeziehungen des Steuerpflichtigen bezeichnen, die Gegenstand der Betriebsprüfung sein sollen (siehe auch § 93 Abs. 2 AO). In der Anforderung sollen auch die Art und der Umfang der angeforderten Aufzeichnungen inhaltlich hinreichend bestimmt werden. Die Anforderung kann zusammen mit der Prüfungsanordnung erfolgen und jederzeit nachgeholt, ergänzt oder geändert werden (siehe § 90 Abs. 3 Satz 10 AO). Da die Vorlageanfrage ggü. dem Steuerpflichtigen einen Verwaltungsakt verkörpert, unterliegt die Anfrage bereits nach § 118 Satz 1 AO grundsätzlich einem Bestimmtheitserfordernis; zudem ist die Anfrage mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Vorlageanfragen, wonach insgesamt „die Verrechnungspreisdokumentation“ des Unternehmens vorzulegen sei, wären daher rechtswidrig; es bedarf mindestens einer genauen Bezeichnung des Unternehmens, seiner zu prüfenden Geschäftsbereiche und -beziehungen sowie des Betrachtungszeitraums.1 Schließlich muss bezeichnet werden, welche weiteren Unterlagen (Verträge, Datenbankstudien etc.) in diesem Zusammenhang mit zur Verfügung gestellt werden sollen.2

7.18

cc) Weitere Prüferanfragen Rechtsnatur einer Prüferanfrage. Streitig sind in der Praxis immer wieder Fallkonstellationen, in denen der Betriebsprüfer nach der (oder parallel zur) Durchsicht der Verrechnungspreisdokumentation weitere Unterlagen und Dokumente anfordert; hierbei ist zunächst zu klären, ob sog. schlichtes Verwaltungshandeln vorliegt oder ob die Prüferanfrage als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, dem mit einem Einspruch begegnet werden könnte.

7.19

Nach Ansicht des BFH ist im Umfeld von Betriebsprüfungen die Grenze zwischen (i) reinen Hilfs- und Vorbereitungsmaßnahmen ohne Regelungscharakter und (ii) Verwaltungsakten nicht immer eindeutig zu ziehen.3 Besonders relevant wird diese Thematik, wenn Dokumente und prüfungsrelevantes Datenmaterial nur bei Dritten vorhanden ist (z. B. ausländische Daten aus dem Rechnungswesen einer Konzerngesellschaft). In der Vergangenheit ist von der höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich die Ansicht vertreten worden, entsprechende Vorlageverlangen und Prüferanfragen seien nur in Ausnahmefällen als selbständig anfechtbare Verwaltungsakte zu qualifizieren.4 Streitig ist hier die Abgrenzung zu reinen sog. Vorbereitungshandlungen (die rechtlich nicht selbständig anfechtbar sind) zum Erlass eines (nachfolgenden) Verwaltungsakts.5 Macht hingegen der Betriebsprüfer deutlich, dass sein Verlangen nach bestimmten Informationen und Dokumenten isoliert neben der durch die Prüfungsanordnung eingeleiteten Betriebsprüfung steht, so kann ein anfechtbarer Verwaltungsakt vorliegen, wenn der Steuerpflichtige die Aufforderung bestimmte Fragen zu beantworten und bezeichnete

7.20

1 2 3 4 5

Rätke in Klein15, § 93 AO Rz. 45. Siehe etwa Fischer/Looks/im Schlaa, BB 2010, 157. BFH v. 11.12.2018 – XI B 123/17, BFH/NV 2019, 565. BFH v. 20.4.1988 – I R 67/84, BStBl. II 1988, 927. BFH v. 12.9.1985 – VIII R 371/83, BStBl. II 1986, 537.

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Kap. 7 Rz. 7.20 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

Unterlagen vorzulegen, nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt als Maßnahme zur Schaffung einer Rechtsgrundlage für die Einleitung eines Erzwingungsverfahrens verstehen musste.1

7.21

Jüngere Rechtsprechung. In der jüngeren Rechtsprechung vertritt der BFH die Auffassung, dass ein Verwaltungsakt nach § 118 AO, der grundsätzlich die Möglichkeit einer Anfechtungsklage eröffnet, jedenfalls dann vorliegt, wenn zwar (ggf.) der ursprüngliche Akt kein Verwaltungsakt war (sondern schlichtes Verwaltungshandeln), jedoch die Einspruchsentscheidung aus der schlichten Willenserklärung der Behörde gewissermaßen einen Verwaltungsakt „erzeugt“. Hierdurch wird ausdrücklich die Möglichkeit eines Beschreitens des Rechtswegs infolge der (ablehnenden) Einspruchsentscheidung auch gegen Nicht-Verwaltungsakte eröffnet.2

7.22

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf eine neuere Entscheidung in der FGRechtsprechung. Hiernach ist eine Anfechtungsklage im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 FGO gegen eine bloße „Androhung“ der Durchführung eines Auskunftsersuchens nach § 93 AO gegenüber dem Steuerpflichtigen in Ermangelung eines Steuerverwaltungsakts nach § 118 Abs. 1 Satz 1 AO nicht statthaft. Denn erst das schriftliche Auskunftsersuchen an einen Dritten stellt nach Ansicht des FGs einen anfechtbaren Verwaltungsakt dar.3 Das Klagebegehren kann jedoch unter dem Gesichtspunkt der verfassungsrechtlich gebotenen rechtsschutzgewährenden Auslegung von Klagen in eine sog. vorbeugende Feststellungsklage umgedeutet werden (quasi-negatorischer Abwehranspruch nach §§ 1004 BGB analog, 30 AO). dd) Fremdsprachige Verrechnungspreisdokumentation

7.23

Häufige Praxisfallgestaltung. Streitpunkt in der Praxis ist häufig die Vorlage einer fremdsprachigen Verrechnungspreisdokumentation durch die Bfa. Denn grundsätzlich ist nach § 2 Abs. 5 GAufzV die Verrechnungspreisdokumentation in deutscher Sprache zu erstellen; dies entspricht dem Grundsatz, dass die Amtssprache Deutsch ist, § 87 Abs. 1 AO.

7.24

Die Finanzverwaltung kann in diesem Zusammenhang auf Antrag zulassen, dass Aufzeichnungen in einer anderen lebenden Sprache erstellt werden; in der Praxis ist dies vornehmlich die englische Sprache. Der Antrag ist vom Veranlagungsfinanzamt unverzüglich zu entscheiden, sofern nicht bereits die Prüfungsanordnung bekanntgegeben worden ist. Wird der Antrag nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung gestellt, so entscheidet die Betriebsprüfung selbst über den Antrag.4 Grundsätzlich gilt, dass der Antrag bereits vor der Anfertigung der Verrechnungspreisdokumentation gestellt werden sollte, spätestens jedoch unverzüglich nach der Anforderung der Verrechnungspreisdokumentation durch die Betriebsprüfung.

7.25

Möglicher Lösungsansatz. Auf Basis zahlreicher Diskussionserfahrungen mit der Finanzverwaltung ist allerdings festzustellen, dass Anträge auf Zulässigkeit fremdsprachiger Verrechnungspreisdokumentationen (zumeist englischsprachige Aufzeichnungen) regelmäßig abgelehnt werden; dies geschieht unter Verweis darauf, dass die Amtssprache Deutsch ist (§ 87 AO) und es den Betriebsprüfern in der Regel unverhältnismäßige Schwierigkeiten bereiten würde, komplexe Verrechnungspreissachverhalte auf Grundlage nicht deutschsprachiger Erläuterungen analysieren zu müssen.

7.26

In der Praxis wird zur Lösung dieses Dilemmas in der Regel mit der Betriebsprüfung besprochen, welche Passagen aus der Verrechnungspreisdokumentation eine deutschsprachige Über1 2 3 4

BFH v. 10.11.1998 – VIII R 3/98, BStBl. II 1999, 199; Gosch in Gosch, § 196 AO Rz. 109. Siehe auch Anmerkung v. Kippenberg, IStR 2019, 670. FG Berlin-Bdb. v. 14.3.2019 – 9 K 9069/18, EFG 2019, 1430. VWG 2020, Tz. 34.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.30 Kap. 7

setzung erfordern. Die meisten Betriebsprüfer wissen, dass gerade in global agierenden Unternehmen Englisch die „Dienstsprache“ ist und haben mitunter Verständnis für englischsprachige Verrechnungsdokumentationen. Es empfiehlt sich diesbezüglich frühzeitig mit dem Betriebsprüfer Kontakt aufzunehmen und offen zu besprechen, welche Teile der Dokumentation (und ggf. welche „Intercompany Agreements“) ins Deutsche übersetzt werden sollen. In der Regel sind die Betriebsprüfer, gerade in größeren Prüfungsbehörden, gesprächsbereit und zeigen hier einen entsprechenden „goodwill“. Beglaubigte Übersetzung als Ausnahmefall. Die Vorlage einer beglaubigten oder von einem öffentlich bestellten bzw. vereidigten Dolmetscher oder Übersetzer angefertigten Übersetzung wird auf Basis vielfältiger Erfahrungen nur in absoluten Ausnahmefällen verlangt. Wird eine derartige Übersetzung nicht durchgeführt und den Betriebsprüfern vorgelegt, so kann die Betriebsprüfung selbst eine Übersetzung auf Kosten des Steuerpflichtigen anfertigen lassen (vgl. § 87 Abs. 2 Satz 3 AO) oder die fremdsprachigen Unterlagen als „nicht vorliegend“ und daher steuerlich unbeachtlich behandeln; hierauf hat sie den Steuerpflichtigen allerdings vorab hinzuweisen.

7.27

ee) Prüfung des Inhalts der Verrechnungspreisdokumentation Zentrale Informationsquelle der Betriebsprüfung. Die Verrechnungspreisdokumentation dient der Finanzverwaltung als eine der zentralen Erkenntnisquellen im Hinblick auf den Einstieg in die Prüfung von grenzüberschreitenden Sachverhalten in Konzernstrukturen. In diesem Zusammenhang ist der Steuerpflichtige angehalten, im Rahmen der Erstellung einer sog. Sachverhalts- sowie Angemessenheitsdokumentation „ernsthaftes Bemühen“ walten zu lassen. Damit denklogisch verbunden ist die Aussage, dass es keinen einzig „richtigen“ Verrechnungspreis für einen konzerninternen Geschäftsvorfall geben kann; vielmehr kann es nur ein „ernsthaftes Bemühen“ seitens des Steuerpflichtigen um das Finden eines fremdvergleichskonformen Verrechnungspreises geben.

7.28

Streitpunkt „(Un-)Verwertbarkeit“. In der Praxis kommt es bei einer Vielzahl von steuerlichen Betriebsprüfungen zu teils erbitterten Diskussionen zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung, ob die vorgelegten Aufzeichnungen ausreichend und (im Wesentlichen) „verwertbar“ sind, d.h. der Finanzverwaltung den für die Prüfung grenzüberschreitender Liefer- und Leistungsbeziehungen mit Nahestehenden erforderlichen quantitativen sowie qualitativen Informationsgehalt vermittelt. Da die Rechtsfolgen einer „im Wesentlichen unverwertbaren“ Verrechnungspreisdokumentation von erheblicher Tragweite sind, kommt der Frage nach dem tatsächlichen Vorliegen einer „Unverwertbarkeit“ auch in der Praxis eine wesentliche Bedeutung zu.

7.29

In Tz. 4.1 der „alten“ VWG 20051 wurde ein beispielhafter Überblick darüber vermittelt, welche Konsequenzen den Steuerpflichtigen treffen können, wenn eine „im Wesentlichen unverwertbare“ Dokumentation vorgelegt wird; dieser Überblick gilt inhaltlich weiter fort. Hierzu gehören u. a.:

7.30

– eine Minderung der Amtsermittlungspflichten nach § 88 AO zugunsten der Finanzverwaltung, – die mögliche Versagung der steuerlichen Anerkennung von Verbindlichkeiten und Betriebsausgaben gem. § 160 AO, 1 Siehe dazu explizit die vormaligen „Verwaltungsgrundsätze Verfahren“ v. 12.4.2005 (BStBl. I 2005, 570), im Folgenden „VWG 2005“.

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Kap. 7 Rz. 7.30 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

– der Einsatz von Zwangsmitteln nach der AO, – eine mögliche Präklusionswirkung im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, – Verlagerung der Beweislast zuungunsten des Steuerpflichtigen bzw. Vermutung einer Einkünfteminderung, – Eröffnung der Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 3 AO, – Festsetzung eines Zuschlags nach § 162 Abs. 4 AO sowie – ggf. steuerordnungs- bzw. steuerstrafrechtliche Konsequenzen.

7.31

Die Frage nach einer „im Wesentlichen unverwertbaren“ Verrechnungspreisdokumentation hat mithin im Lichte der o.g. Folgewirkungen substanzielles Gewicht, dies gilt sowohl für die Finanzverwaltung (allen voran im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung), als auch für die geprüfte Bfa. Insbesondere die Frage nach der „Beweislast“ sowie die angrenzende Schätzungsbefugnis hat maßgebliche Bedeutung in außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren sowie in gerichtlichen Klageverfahren und verkörpert – neben den nach § 162 Abs. 4 AO möglichen Zuschlägen – die wohl einschneidendste Folgewirkung.1 (1) Wortlaut: „Ernsthaftes Bemühen“ nach § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV

7.32

Grammatikalische Auslegung. Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV hat der Steuerpflichtige bei der Erstellung der Verrechnungspreisdokumentation sog. „ernsthaftes Bemühen“ walten zu lassen. Danach soll die Verrechnungspreisdokumentation folgelogisch jenes „ernsthafte Bemühen“ belegen, dass der Steuerpflichtige die von ihm mit Nahestehenden eingegangenen Geschäftsbeziehungen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz – und damit nach kaufmännisch rationalen Handlungsmaßstäben – ausgerichtet hat. Die GAufzV adressiert mithin eine sog. „Bemühensdokumentation“ an den Steuerpflichtigen.2 Diese Bemühensdokumentation soll mithin die Anstrengungen des Steuerpflichtigen reflektieren, seine Verrechnungspreise auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes ermittelt zu haben. Weder § 90 Abs. 3 AO noch die GAufzV fordern daher vom Steuerpflichtigen einen „Strengbeweis“ für die Angemessenheit seiner Verrechnungspreise aus dem Blickwinkel fremdvergleichskonformen Verhaltens.3 Der Steuerpflichtige muss aus seiner subjektiven Perspektive alle ihm zumutbaren Anstrengungen („ernsthaft“) unternehmen, im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation die aus seiner Sicht gewahrte Fremdvergleichskonformität der Verrechnungspreisbestimmung darzulegen. Dies hat zur Folge, dass auch eine sich (ggf. im Nachhinein) als objektiv „fehlerhaft“ erweisende Verrechnungspreisdokumentation (z.B. aufgrund einer fehlerhaften Methodenwahl) dann nicht als „unverwertbar“ angesehen werden kann, wenn der Steuerpflichtige sich ernsthaft um die richtige und vollständige Darstellung bemüht hat.4 Es geht der GAufzV im Hinblick auf die Fragestellung der „Unverwertbarkeit“ lediglich um die subjektiv-formelle Korrektheit und Vollständigkeit der Dokumentation, nicht um die objektiv-materielle Richtigkeit der Verrechnungspreisbestimmung.5

1 Vgl. Frotscher in FS Wassermeyer, 2005, 391 (403); siehe zur Beweislastverteilung auch Baumhoff/ Ditz/Greinert, DStR 2004, 157; Schmidt/Gröger, FR 2003, 813. 2 Siehe Schnorberger/Haverkamp/Etzig, BB 2017, 1111. 3 Siehe dazu die vormaligen VWG 2005 Tz. 2.1 u. 4.1.; vgl. nunmehr VWG 2020, Tz. 68 S. 1. 4 Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV i.d.F. v. 12.7.2017. 5 Schnorberger/Haverkamp/Etzig, BB 2017, 1111.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.36 Kap. 7

Im Übrigen wird der Gedanke, dass es der GAufzV stets um die „subjektive Korrektheit“ der Dokumentation geht, durch den neu eingefügten § 5 Abs. 3 GAufzV hervorgehoben, der noch einmal unterstreicht, dass bei der Anfertigung der „Stammdokumentation“ (d.h. des Master Files) vom Steuerpflichtigen eine „vernünftige kaufmännische Beurteilung“ zugrunde gelegt werden soll. Im Lichte der unten näher skizzierten Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn kommt es mithin entscheidend darauf an, dass der Steuerpflichtige bei der Anfertigung der Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO von der Richtigkeit der Verrechnungspreisbestimmung ausgegangen ist. Genau dieses Postulat wird letztlich auch durch den Terminus „ernsthaftes Bemühen“ begründet.

7.33

(2) Aktualisierte Auffassung der Finanzverwaltung nach BMF v. 3.12.2020 Konkretisierte Ansicht der Finanzverwaltung. Nach tradierter Ansicht der Finanzverwaltung sollen Verrechnungspreisdokumentationen – positiv formuliert – dann verwertbar sein, wenn „sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit die Feststellung und Prüfung ermöglichen, welche Sachverhalte vom Steuerpflichtigen verwirklicht wurden und ob und inwieweit der Steuerpflichtige dabei den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet hat.1 Grundsätzlich soll sich die Frage nach der (Un-)Verwertbarkeit sowohl auf die Sachverhalts- als auch auf die Angemessenheitsdokumentation beziehen. Zudem sollen die Maßstäbe für eine ordnungsgemäße Buchführung i.S.d. § 158 AO entsprechend gelten.2

7.34

Die VWG 2020 enthalten nunmehr aus Sicht der Finanzverwaltung eine Konkretisierung der Unverwertbarkeit einer Verrechnungspreisdokumentation; dies war in Tz. 3.4.19 lit. b VWG 2005 in dieser Form nicht beschrieben. Eine Unverwertbarkeit soll bspw. dann vorliegen, wenn:

7.35

– eine Sachverhaltsdokumentation fehlt oder ein unzutreffender Sachverhalt dargestellt wird (Beispiel: Strategieträger, der als Routineunternehmen dargestellt wird), – eine Angemessenheitsdokumentation fehlt oder die vorgelegten Fremddaten nicht zum Funktions- und Risikoprofil passen, – die Angemessenheitsanalyse keine hinreichende Begründung der Vergleichbarkeit der verwendeten Fremddaten aufweist oder – die Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode nicht dargestellt wird.3 Weiterhin soll gelten, dass die Qualität der Dokumentation („Aufzeichnungen“) entscheidend sein soll, nicht die Quantität. Zudem soll die Unvollständigkeit bzw. Fehlerhaftigkeit in einzelnen Punkten allein regelmäßig nicht dazu führen können, dass dann in Gänze eine im Wesentlichen unverwertbare Dokumentation vorliegt. Ferner heißt es nach Ansicht der Finanzverwaltung, dass die Feststellung der „Unverwertbarkeit“ nur einzelfallabhängig und vor dem Hintergrund der jeweiligen Anforderung (und mithin des Prüfungsgegenstands) beantwortet werden kann.4 1 2 3 4

Siehe noch explizit VWG 2005, Tz. 3.4.19 lit. a. Nunmehr ausdrücklich VWG 2020, Tz. 82. VWG 2020, Tz. 82. Siehe vormals VWG 2005, Tz. 3.4.19 lit. a und lit. b; siehe auch vormals BMF-Glossar zu Verrechnungspreisen, Stichwort „Unverwertbarkeit von Aufzeichnungen“, BMF v. 19.5.2014 – IV B 5 - S 1341/07/10006-01, BStBl. I 2014, 838 (aufgehoben durch VWG 2021, Tz. 6.1) sowie VWG 2020, Tz. 82.

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7.36

Kap. 7 Rz. 7.37 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

ff) Meinungsstand in der Literatur zur (Un-)Verwertbarkeit

7.37

Überblick. Das „Phänomen der Unverwertbarkeit“ einer Verrechnungspreisdokumentation wird bereits seit einiger Zeit in der Literatur diskutiert, wohl nicht zuletzt vor dem Hintergrund seiner steigenden praktischen Bedeutung. Zu der Diskussion finden sich unter anderem folgende Standpunkte: – Nach Auffassung von Schreiber sind Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO erst dann „im Wesentlichen unverwertbar“, wenn sie nahezu vollständig unbrauchbar bzw. unvollständig sind und nicht bereits dann, wenn sie erhebliche Mängel aufweisen. Schreiber folgert diese Sichtweise aus einer analogen Anwendung des § 158 AO, wonach eine Buchführung erst dann als formell ordnungswidrig angesehen wird, wenn sie erhebliche Mängel beinhaltet oder wenn die Gesamtheit der Mängel diesen Schluss zulässt.1 – Dieser Auffassung folgt auch Seer; welcher die Vergleichsparallele zu den Regelungen über die formell ordnungswidrige Buchführung für anwendbar und sachgerecht hält. Demnach ist auch nach seiner Ansicht die Unverwertbarkeit lediglich dann gegeben, wenn die Dokumentationsmängel derart gravierend sind, dass sie in Gänze der Dokumentation keinen Aussagegehalt mehr verleihen.2 – Cordes geht dann von einer Unverwertbarkeit aus, wenn die Verrechnungspreisdokumentation keine Informationen darüber enthält, wie nach den zugrunde liegenden Regelungen ein dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechender Preis zu ermitteln ist; in diesem Zusammenhang wird insbesondere auf die Wahl der Verrechnungspreismethodik abgestellt.3 Cordes folgert hieraus, dass sofern Aufzeichnungen über die ausgeübten Funktionen, die eingegangenen Risiken der Transaktionsparteien sowie Daten zur Plausibilisierung der gewählten Verrechnungspreismethodik vorliegen, eine Verrechnungspreisdokumentation nicht im Wesentlichen unverwertbar sein kann. gg) Eigene Analyse und Auffassung (1) Auslegung im Lichte des Sinns und Zwecks

7.38

Teleologischer Anhaltspunkt. Die Frage nach einer etwaigen Unverwertbarkeit der Verrechnungspreisdokumentation muss u. a. vor dem Hintergrund der Zielsetzung der Dokumentationspflichten beleuchtet werden. Durch die Einführung des § 90 Abs. 3 AO und der entsprechenden Rechtsverordnung (in Gestalt der GAufzV) sollte der Finanzverwaltung – als Reaktion auf die Entscheidung des BFH v. 17.10.2001 – auf Basis entsprechender Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen ein vertiefender Einblick in die Verrechnungspreisbestimmung bei grenzüberschreitenden konzerninternen Geschäftsvorfällen gewährt werden.4 Insoweit spricht die Gesetzesbegründung davon, dass der Steuerpflichtige Unterlagen über Vergleichsdaten und andere „Grundlagen“ zur Beurteilung der Angemessenheit der Verrechnungspreise vorlegen soll.5 Es geht mithin darum, der Finanzverwaltung aus Perspektive des Steuerpflichti1 Siehe Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, VerwGrs.Verf., Rz. 264.2. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 67 (unter Verweis auf Bruschke, DStZ 2006, 575); vgl. auch Seer in Tipke/Kruse, § 158 AO Rz. 25. 3 Cordes in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 8.174. 4 Grundlegend BFH v. 17.10.2001 – I R 103/01, BStBl. II 2004, 171. 5 BT-Drucks. 15/119, 52 (linke Spalte).

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.42 Kap. 7

gen die fundamentalen Erwägungen der Verrechnungspreisbestimmung im Rahmen der Mitwirkungspflichten darzulegen. Zielsetzung der Dokumentation. Hierbei erstrecken sich die Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO nicht nur auf die Darstellung des zugrunde liegenden Sachverhalts – wie bereits in § 90 Abs. 2 AO normiert –, sondern zusätzlich auf die Beleuchtung der Erwägungen zur Findung und Bestimmung eines fremdvergleichskonformen Verrechnungspreises.1 Aus dieser Perspektive ist der „Zweck“ der Dokumentationspflichten letztlich darauf gerichtet, der Finanzverwaltung gewissermaßen ein grundlegendes Verständnis über die Verrechnungspreisbestimmung (sozusagen die „Grundlagen zur Beurteilung der Angemessenheit“) zu vermitteln. Dies bedeutet, dass eine verwertbare Dokumentation dann vorliegen muss, wenn der vorgenannte Dokumentationszweck – ggf. mit dem „Dazutun“ der aus der Amtsermittlungspflicht resultierenden Erkenntnisse der Finanzverwaltung – erreicht werden kann.

7.39

(2) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinn Sog. Bemühensdokumentation. Ferner ist zu berücksichtigen, dass bereits aus dem grundlegenden Dokumentationsauftrag, sich bei der Verrechnungspreisbestimmung um die Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes „ernsthaft zu bemühen“, gefolgert werden muss, dass die Beurteilung einer Verrechnungspreisdokumentation als „im Wesentlichen unverwertbar“ (§ 162 Abs. 3 Satz 1 AO) vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im engeren Sinn gesehen werden muss. Dieses Gebot wird nunmehr – wie bereits oben erwähnt – auch ausdrücklich für das Master File (Stammdokumentation in § 5 Abs. 3 GAufzV) anerkannt. Dort heißt es, dass der Steuerpflichtige bei der Dokumentationserstellung eine „vernünftige kaufmännische Beurteilung“ zugrunde legen soll, „um die mit der Stammdokumentation verbundenen Ziele mit angemessenem Aufwand zu erreichen.“

7.40

Der Aspekt der Angemessenheit des Erstellungsaufwands im Sinne einer „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn“ beinhaltet mithin eine Abwägungsentscheidung unterschiedlicher Belange und Interessen: Auf der einen Seite steht das Informationsinteresse der Finanzverwaltung, dass der Steuerpflichtige bei der Verrechnungspreisbestimmung die Grundsätze des Fremdvergleichs hinreichend beachtet hat. Auf der anderen Seite kann der Steuerpflichtige sich lediglich „(ernsthaft) bemühen“ (siehe explizit § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV) den Fremdvergleichsgrundsatz bei der Verrechnungspreisbestimmung zu beachten. Dies beinhaltet für den Dokumentationsauftrag eine „Reflexwirkung“ dergestalt, dass das Belegen dieses „ernsthaften Bemühens“ sich nur auf die grundlegenden Erwägungen der Verrechnungspreisbestimmung beziehen kann. Denn wenn in der Sache selbst kein „Strengbeweis“ für die Fremdvergleichskonformität der Verrechnungspreise vom Steuerpflichtigen gefordert wird, so schuldet dieser im Rahmen der Dokumentation nur die Darlegung eben dieses „ernsthaften Bemühens“.2

7.41

Ein „ernsthaftes Bemühen“ steht – so wie es in § 5 Abs. 3 GAufzV für die „Stammdokumentation“ formuliert ist – daher in Abhängigkeit zu einem angemessenen Dokumentationsaufwand und dem mit ihm verbundenen Erkenntniswert auf Seiten der Finanzverwaltung als Dokumentationsadressat. Gelingt es daher dem Steuerpflichtigen die Grundlagen seiner Verrechnungspreisbestimmung plausibel und inhaltlich nachvollziehbar darzulegen, so kann im Umkehrschluss keine Unverwertbarkeit angenommen werden. Eine abweichende, niederschwel-

7.42

1 Siehe explizit BT-Drucks. 15/119, 52 (linke Spalte) ; vgl. dazu auch die europarechtlichen Erwägungen des BFH, Urt. v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. I 2013, 771. 2 Siehe Puls in FS Kuckhoff, 179 (180 und 184).

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Kap. 7 Rz. 7.42 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

lige Auslegung der Unverwertbarkeit würde diesen – aus dem Grundsatz der engeren Verhältnismäßigkeit erwachsenden Rechtsgedanken des „ernsthaften Bemühens“ – konterkarieren und erscheint damit weder einleuchtend noch sachgerecht.1

7.43

Berücksichtigung der Rechtsfolgen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, welche einschneidenden Rechtsfolgen eine „im Wesentlichen unverwertbare“ Dokumentation nach sich ziehen kann. Nach dem Wortlaut des § 162 Abs. 3 und 4 AO wird von der „im Wesentlichen unverwertbaren“ Verrechnungspreisdokumentation dieselbe Rechtsfolge abgeleitet, wie dies für die vollumfängliche Nichtvorlage der Fall ist. Bereits hieraus ist zu folgern, dass der Begriff der „Unverwertbarkeit“ mit äußerster Sorgfalt interpretiert werden muss, denn nach dem Gesetzeswortlaut stehen sich mithin die „Unverwertbarkeit“ und die Nichtvorlage wertungsmäßig gleich.2 Dieser Gedanke ist zentral für die Beantwortung der Frage nach einer „im Wesentlichen unverwertbaren“ Dokumentation, denn § 1 Abs. 1 Satz 4 GAufzV verdeutlicht, dass „Aufzeichnungen, die im Wesentlichen unverwertbar sind (§ 162 Abs. 3 und 4 der Abgabenordnung), ...] als nicht erstellt zu behandeln“ sind. Auch wenn die Fiktionsregelung vor dem Hintergrund des Zwecks der GAufzV, lediglich Art, Inhalt und Umfang der Dokumentationsverpflichtungen zu regeln, umstritten ist, unterstreicht sie dennoch, wie tiefgreifend die Dokumentationsmängel sein müssen, um zu einer tatbestandlichen Unverwertbarkeit zu gelangen.3

7.44

Eine bloße Verletzung von Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO reicht demzufolge für die Sanktionen nach § 162 Abs. 3 und 4 AO nicht aus. In diesem Zusammenhang verdeutlicht auch die im Rahmen des BMF-Monatsberichts für Juni 2005 geäußerte Ansicht, dass die in § 162 Abs. 4 AO normierten Zuschläge lediglich „in besonders extremen Fällen“ in Betracht kommen und dass derartige Sanktionen nur in „besonderen Ausnahmefällen“ zu verhängen sind, die Forderung nach einer zurückhaltenden Auslegung der „Unverwertbarkeit“ durch die Finanzverwaltung.4 (3) Betrachtung der individuellen Geschäftsbeziehung

7.45

Transaktionsbezogene Sichtweise. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass eine „Unverwertbarkeit“ nur im Hinblick auf den jeweiligen Geschäftsvorfall (bzw. dem nach § 2 Abs. 3 Satz 2 GAufzV aggregierten „Komplex“ von Geschäftsvorfällen), der Gegenstand einer Prüfung ist, gegeben sein kann.5 Dies folgt auch bereits aus dem Wortlaut des § 162 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 AO, der nunmehr von „Aufzeichnungen über einen Geschäftsvorfall“ spricht. Damit kann nur gemeint sein, dass sich die gesetzlich kodifizierten Sanktionen auf eine etwaige „Unverwertbarkeit“ der für jeden individuellen Geschäftsvorfall getätigten Aufzeichnungen beziehen müssen.6 Insoweit kann es bspw. keine „Abfärbung“ eines fehlerhaft oder unvollstän1 Vgl. auch Busch, FR 2013, 943, der auf die Thematik der „Verhältnismäßigkeit“ im Zusammenhang mit der Entscheidung des BFH v. 10.4.2013 – I R 45/11, BStBl. II 2013, 771, zur Frage einer etwaigen Europarechtswidrigkeit der Dokumentationspflichten hinweist. 2 Siehe auch Buciek/Schreiber, JbFStR 2005/2006, 647 f. 3 Hierzu ausführlich Frotscher in FS Wassermeyer, 391. 4 Siehe BMF-Monatsbericht für den Monat Juni 2005, Verletzung von Dokumentationsvorschriften nach § 90 Abs. 3 AO. 5 Siehe bereits Cordes, Steuerliche Aufzeichnungspflichten bei internationalen Verrechnungspreisen, 2009, 215. 6 Beachte hierzu die Neuregelung des Wortlauts in § 162 Abs. 3 u. 4 AO, wonach die vorgesehenen Sanktion im Hinblick auf den jeweilig zu beanstanden Geschäftsvorfall verhängt werden können soll; siehe § 162 Abs. 3 und 4 AO in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.48 Kap. 7

dig dokumentierten Geschäftsvorfalls auf die Gesamtdokumentation geben; entscheidend ist stets die Betrachtung des jeweiligen Geschäftsvorfalls und der diesbezüglich angeforderten und vorgelegten Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen; dies steht auch im Einklang mit dem Gebot einer transaktionsbezogenen Dokumentation nach § 2 Abs. 3 Satz 1 GAufzV. Interpretationsfolgen. Für die Frage nach der „Unverwertbarkeit“ bedeutet dies Folgendes: (i) Dokumentiert und erläutert der Steuerpflichtige einen grenzüberschreitenden Geschäftsvorfall mit nahestehenden Personen, (ii) stellt er die insoweit relevanten Funktionen, die eingegangenen Risiken sowie die eingesetzten (materiellen und immateriellen) Wirtschaftsgüter sowie die diesbezügliche Positionierung des Unternehmens in der Gesamtwertschöpfungskette in seinen Grundzügen dar und (iii) beschreibt er im Hinblick auf den jeweiligen Geschäftsvorfall die angewandte Verrechnungspreismethodik und Verrechnungspreisbestimmung dergestalt, dass es einem Betriebsprüfer möglich ist, die Verrechnungspreisermittlung – unter Berücksichtigung der gewählten Verrechnungspreismethode – gedanklich zu rekonstruieren, dann liegen grundsätzlich verwertbare Aufzeichnungen i.S.d. § 90 Abs. 3 AO vor.1

7.46

Eigene Erkenntnisquellen der Betriebsprüfung. Insgesamt gilt, dass bei der Erfüllung der vorgenannten „Mindestvoraussetzungen“ wesentliche Elemente des vom Steuerpflichtigen angewandten Verrechnungspreissystems offenkundig sind und durch die Finanzverwaltung aus Perspektive des Fremdvergleichsgrundsatzes geprüft werden können. Nach diesseits vertretener Ansicht ist hierbei ferner zu berücksichtigen, dass die Verrechnungspreisdokumentationspflichten (als Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren) in einer Wechselbeziehung zur Ausschöpfung eigener Erkenntnismöglichkeiten der Finanzverwaltung stehen. Daraus lässt sich schließen, dass die Finanzverwaltung – sowohl im Hinblick auf die oben andiskutierten Erwägungen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – als auch aus lücken- oder (partiell) fehlerhaften Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen keine vorschnellen Schlüsse ziehen und das Erfordernis eigener Ermittlungstätigkeiten nicht umgehend darf (siehe bereits § 88 AO). Die Amtsermittlungspflichten treten somit nicht hinter die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen zurück, vielmehr gehen sie den Mitwirkungspflichten vor bzw. stehen bei der Sachverhaltsaufklärung in einem Verhältnis der Wechselseitigkeit.2

7.47

Insoweit führen auch die „alten“ VWG 2005 sowie die (derzeitigen) VWG 2020 aus, dass die Finanzverwaltung bei der Frage nach der Verwertbarkeit von Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen prüfen soll, ob es ihr möglich und zumutbar ist, „die Verwertbarkeit von Aufzeichnungen ohne weitere Mitwirkung des Steuerpflichtigen herbeizuführen“.3 Dieser grundlegende Gedanke strahlt auf die Frage nach dem Vorliegen einer „Unverwertbarkeit“ ab: Denn legt der Steuerpflichtige bspw. Aufzeichnungen vor, die als solche keine abschließende Beurteilung der Beachtung des Fremdvergleichsgrundsatzes ermöglichen, kann diese Beurteilung jedoch auf Grundlage eines „Dazutuns“ der Finanzverwaltung erreicht werden, so sind die vorgelegten Aufzeichnungen schlechterdings nicht unverwertbar.4

7.48

1 2 3 4

und -verlagerungen vom 20.12.2016 (BGBl. I 2016, 3000), anzuwenden ab dem 24.12.2016, begründet durch Art. 19 Abs. 1d. Gesetzes v. 20.12.2016; siehe auch BR-Drucks. 406/16, 44 sowie BT-Drucks. 18/9536, 43. Hiervon unbenommen bleibt selbstverständlich die Möglichkeit des Steuerpflichtigen, gleichartige Transaktionen aggregiert zu dokumentieren (§ 2 Abs. 3 Satz 2 GAufzV). Puls in FS Kuckhoff, 179 (188). Siehe vormals VWG 2005, Tz. 3.4.19 lit. c; vgl. nunmehr VWG 2020, Tz. 84 S. 2. Vgl. auch Schreiber in Kroppen/Rasch, VerwGrs. Verf., Rz. 264.1.

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Kap. 7 Rz. 7.49 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

(4) Zwischenfazit

7.49

„Dokumentations-Essentialia“ entscheidend. Aus diesem Befund ist auch zu schließen, dass eine Verrechnungspreisdokumentation nicht bereits dann „im Wesentlichen unverwertbar“ sein kann, wenn der Steuerpflichtige – im Hinblick auf den jeweiligen Geschäftsvorfall – nicht schematisch den Dokumentationskatalog für die Stammdokumentation (Master File) oder das Local File „abgearbeitet“ hat. Denn sofern die Finanzverwaltung aufgrund der Darstellung der „Essentialia“ der Verrechnungspreissystematik durch den Steuerpflichtigen erkennen kann, dass der Fremdvergleichsgrundsatz bei der Verrechnungspreisbestimmung eingehalten worden ist, kann prinzipiell keine „im Wesentlichen unverwertbare“ Dokumentation vorliegen.

7.50

Fest steht damit auch, dass es keine schematische Prüfung der Unverwertbarkeit durch die Finanzverwaltung geben darf. Bei alledem darf nicht vergessen werden, dass die Finanzverwaltung verpflichtet ist, eine aus ihrer Sicht unzureichende – und damit ggf. „im Wesentlichen unverwertbare“ Dokumentation unverzüglich zu rügen.1

7.51

Wertungsparallele zur nicht vorhandenen Dokumentation entscheidend. Diese Sichtweise korrespondiert mit der eingangs skizzierten These, dass die „Unverwertbarkeit“ nicht durch ein schablonenhaftes „Abchecken“ des Dokumentationsinhalts am Katalog der §§ 4, 5 GAufzV herbeiinterpretiert werden darf. Der Begriff „im Wesentlichen unverwertbar“ muss vielmehr typisierend verstanden werden, so dass eine Dokumentation nur dann als „unverwertbar“ qualifiziert werden darf, wenn sie einer Nichtdokumentation im Grunde wesensähnlich ist. Hier schließt sich der Kreis zur Aussage des § 1 Abs. 1 Satz 4 GAufzV, wonach die unverwertbare Dokumentation als überhaupt „nicht erstellt zu behandeln“ ist.2 hh) Besonderheiten bei der Angemessenheitsdokumentation

7.52

Datenbankbasierter Angemessenheitsnachweis. Im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation hat der Steuerpflichtige – sofern er datenbankbasierte Fremdvergleichsdaten verwendet – nach § 4 Abs. 3 GAufzV (i) die verwendete Suchstrategie, (ii) die dabei verwendeten Suchkriterien, (iii) das Suchergebnis und (iv) den außerhalb der Datenbank durchgeführten weiteren Selektionsprozess („Suchprozess“, einschließlich der Datenbankkonfiguration) – so wörtlich – „umfassend zu dokumentieren“. Ziel hierbei ist es, dass die Finanzverwaltung den gesamten Suchprozess nachvollziehen, verstehen und prüfen kann.

7.53

Weitere Nachweismöglichkeiten. Daneben kann die Fremdvergleichskonformität ggf. auch über das Verwenden von betrieblichen Plandaten oder marktbezogenen Preisinformationen erfolgen, denn nicht immer stehen in zuverlässiger Weise datenbankbasierte Informationen zur Verfügung. Insoweit kann der Steuerpflichtige die Fremdvergleichskonformität auch ohne datenbankbasierte Fremdvergleichsdaten darlegen; dies folgt bereits aus § 4 Abs. 1 Nr. 4 lit. b und e GAufzV.3 Dass die „Unverwertbarkeit“ einer Verrechnungspreisdokumentation speziell aus unzureichenden Aufzeichnungen über die Verrechnungspreisbestimmung – im Speziellen aus der mangelhaften Darlegung von Fremdvergleichsdaten – folgen soll, dürfte ein absoluter Ausnahmefall sein.

7.54

Folgen für die Verwertbarkeit. Legt der Steuerpflichtige Aufzeichnungen über die gewählte Verrechnungspreismethodik vor, begründet er seine Methodenwahl und unterbreitet er Unter1 Siehe VWG 2020, Tz. 84 S. 1. 2 Puls in FS Kuckhoff, 179 (185). 3 Siehe dazu auch VWG 2020, Tz. 49, 50 und 53.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.57 Kap. 7

lagen, die eine am Fremdvergleichsgrundsatz orientierte Verrechnungspreisbestimmung erkennen lassen (z.B. durch innerbetriebliche Kalkulationen, die branchenübliche Gewinnelemente beinhalten) und kann die Finanzverwaltung sich auf Basis dieser Unterlagen ein „Bild“ über die tragenden Gedanken zur Verrechnungspreisbestimmung machen, so ist kein Raum für die Annahme einer „im Wesentlichen unverwertbaren“ Dokumentation der Angemessenheit der verwendeten Verrechnungspreise. ii) Weitere Verifikation der Verrechnungspreismethodik durch die Finanzverwaltung Verrechnungspreismethodenwahl. Nach Tz. 46 der VWG 2020 muss der Steuerpflichtige im Hinblick auf die Angemessenheitsdokumentation die aus seiner Sicht am besten geeignetste Methode auswählen und begründen; weitere Methoden soll der Steuerpflichtige nicht prüfen müssen.1 Nach Ansicht der Finanzverwaltung darf sie jedoch schlussendlich über die „richtige“ Verrechnungspreismethode entscheiden. Wählt die Finanzverwaltung eine andere Methode als der Steuerpflichtige aus und sind nach Ansicht der Finanzverwaltung die Ergebnisse der Alternativmethode wahrscheinlicher, so soll hierdurch auch der Raum für eine entsprechende Einkünftekorrektur eröffnet werden. In diesem Zusammenhang soll der Steuerpflichtige verpflichtet sein, Unterlagen und Informationen für die von der Finanzverwaltung angewandte Methode vorzulegen.

7.55

Diese Auffassung hat die Finanzverwaltung im Ergebnis bereits in den VWG 2005 vertreten. So sollte nach dortiger Ansicht die Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen Einkünfteberichtigungen nicht ausschließen können. Die Finanzverwaltung durfte daher auch über solche Aufzeichnungen hinaus weitere Auskünfte und Unterlagen anfordern und Verprobungen nach anderen Methoden vornehmen; dies jedoch ausschließlich auf eigenes Betreiben und ohne eine Ausdehnung der Dokumentationspflichten des Steuerpflichtigen.2

7.56

Kein Zwang zur Dokumentation von Alternativmethoden. Problematisch an dieser „neuen“ Verwaltungsansicht ist aus Praktikerperspektive, dass hier eine – durch ein BMF-Schreiben erfolgende und nicht durch Gesetz oder Rechtsverordnung begründete – faktische Ausweitung der Dokumentationsvorschriften auf die von der Finanzverwaltung präferierte Alternativverrechnungspreismethode vorgenommen werden soll. Dies ist weder durch § 90 Abs. 2, noch durch Abs. 3 AO bzw. die materielle Einkünfteberichtigungsvorschrift des § 1 AStG vorgesehen. Denn eine Ausweitung der Mitwirkungspflichten auf durch einen Steuerpflichtigen zusätzlich (!) zu erstellenden Unterlagen und Informationen, die es der Finanzverwaltung ermöglichen sollen, die Anwendbarkeit ihrer Alternativmethode zu prüfen, bedürfte – angesichts des Eingriffscharakters in die Rechtssphäre der Bfa. – einer expliziten Rechtsgrundlage (z.B. in § 90 Abs. 3 bzw. in der GAufzV), sofern es sich nicht um bereits vorliegende Unterlagen handelt, die nach § 90 Abs. 2 AO im Rahmen der erweiterten Mitwirkungspflicht bei Auslandssachverhalten herausgegeben werden müssten. Denn nach der Rechtsprechung bedarf es von Verfassungs wegen eines Gesetzes (bzw. in den technischen Einzelheiten einer Delegation durch Erlass einer Rechtsverordnung, sofern Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz selbst bestimmt werden) als Voraussetzung des Verwaltungshandelns; hiernach ist Verwaltungshandeln ohne gesetzliche Ermächtigung schlechterdings verboten.3 Die besagte Regelung in den VWG 2020 ist daher mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig und dürfte

7.57

1 Siehe jüngst Rasch, ISR 2021, 10 (11); siehe zu den neuen „VWG 2020“ auch auch Kluge/Probst/ Bestelmeyer, IStR 2021, 281 sowie Sassmann/Holtz, Ubg 2021, 61. 2 Siehe ehemals VWG 2005, Tz. 3.4.20 lit. a. 3 Vgl. auch Rasch, ISR 2021, 10 (17).

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Kap. 7 Rz. 7.57 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

einer finanzgerichtlichen Prüfung nicht standhalten; sie steht überdies in einem signifikanten Widerspruch zur eigenen Amtsermittlungsverpflichtung der Finanzverwaltung nach § 88 AO.

7.58

Folgen für die Beweislastverteilung. Wichtig ist dieser Punkt insbesondere vor dem Hintergrund der Zulässigkeit einer von Seiten der Betriebsprüfung ggf. daraus abzuleitenden Schätzungsbefugnis. Klar ist, dass eine Schätzungsbefugnis der Betriebsprüfung nicht bereits aus dem Umstand zu folgern ist, dass diese eine andere Verrechnungspreismethode für „geeigneter“ hält. Es muss mithin stets von der Betriebsprüfung nachgewiesen werden, dass (i) die von der Bfa. gewählte Verrechnungspreismethode nicht sachgerecht gewesen ist und (ii) dass – bei Wahl einer anderen Verrechnungspreismethode – ein höheres Maß an Wahrscheinlichkeit vorhanden wäre, dem Fremdvergleichsgrundsatz Genüge zu tun. Allein die Wahl einer aus Sicht der Betriebsprüfung subjektiv besser geeigneten, alternativen Verrechnungspreismethode löst keine Schätzungsbefugnis aus.1 d) Phase 3: Eigentliche Prüfungsphase aa) Diskussion der Verrechnungspreissystematik in der Betriebsprüfung (1) Vorbemerkungen

7.59

Beginn der Diskussion des Verrechnungspreissystems. Hat der Betriebsprüfer die Verrechnungspreisdokumentation durchgesehen und etwaige weitere, ihm überlassene Dokumente gesichtet, so erfolgt in der Regel der Eintritt in die dritte Phase des Prüfungsgeschehens. In dieser Phase findet die eigentliche Diskussion des Verrechnungspreissystems der Bfa. statt; fortan geht es um die konkrete Aus- und Bewertung und die Ermittlung der Bedeutung der ausgeübten Funktionen, eingegangenen Risiken sowie der eingesetzten immateriellen Wirtschaftsgüter bzw. Vermögenswerte einschließlich ihrer Bedeutung für eine etwaige Einkünftekorrektur, welche die Betriebsprüfung ggf. vornehmen möchte.

7.60

Besondere Bedeutung der Funktions- u. Risikoanalyse. Wichtig ist aus Sicht der Bfa. und des Beraters, dass eine inhaltlich „saubere“ Analyse der Funktions- und Risikoprofile der in einer Transaktionsbeziehung stehenden verbundenen Unternehmen durch die Betriebsprüfung erfolgt. Dies ist insofern von Bedeutung, als das Funktions- und Risikoprofil über die Unternehmenscharakterisierung der Transaktionsparteien entscheidet, was wiederum im letzten Schritt entscheidende Auswirkungen auf die Wahl der geeigneten Verrechnungspreismethode hat. In diesem Zusammenhang lassen sich mitunter immer wieder ähnliche Beobachtungen im Verhalten zwischen Bfa. und dem Prüfer(-team) ausmachen, die zu einer erheblichen Belastung der Verhandlungsatmosphäre führen können, da die Parteien von einer unterschiedlichen Würdigung der Funktions- und Risikoprofile der beteiligten Konzernunternehmen ausgehen, ohne dass dies offen kommuniziert wird. Insoweit ist der Schnittstellenbereich zwischen den Amtsermittlungspflichten des Prüfers, dem durch die Bfa. dokumentierten Sachverhalt sowie der anschließenden inhaltlichen Tiefe und Qualität der Prüfungsdiskussion in der Regel wegweisend für den Fortgang der Betriebsprüfung und eine mögliche Einigung. (2) Pflichten des Betriebsprüfers im Lichte des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 88 AO

7.61

Amtsermittlungsverpflichtung als Ausgangspunkt. Im Grundsatz ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt gem. § 88 AO von Amts wegen. Dabei hat sie nach § 80 Abs. 1 Satz 2 1 VWG 2020, Tz. 73 ist insoweit missverständlich und kann ggf. zu rechtswidrigen Schätzungen führen.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.64 Kap. 7

AO alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Es besteht dabei keine Bindung an Beweisanträge der Beteiligten.1 Im Zweifelsfall ist es jedoch ermessensfehlerhaft, wenn einem Beweisantrag oder einer Anregung des Beteiligten zur Sachverhaltsaufklärung nicht nachgegangen und der Sachverhalt deshalb als nicht geklärt angesehen wird.2 Daher sind die angebotenen Informationen und Unterlagen der Bfa. zumindest zu sichten und im Rahmen einer anderweitigen Auffassung entsprechend zu würdigen; dies ist für die Betriebsprüfung verpflichtend. Amtsermittlung bleibt auch bei Mitwirkungsverletzung bestehen. Die erhöhten Mitwirkungspflichten der Bfa. nach § 90 Abs. 2 und 3 AO führen jedoch nicht dazu, dass die finanzbehördliche Aufklärungspflicht endet, wenn die Beteiligten nicht oder nicht hinreichend mitwirken.3 Zum einen unterliegt die Beurteilung, ob der Mitwirkungspflicht genüge getan wurde, einem Beurteilungsspielraum, der voll gerichtlich überprüfbar ist,4 und zum anderen muss die Finanzbehörde den Sachverhalt erforderlichenfalls auch ohne Mitwirkung des Beteiligten aufklären, solange und soweit sonstige Aufklärungsmittel zugänglich und ihre Inanspruchnahme für die Finanzbehörde verhältnismäßig und zumutbar ist.5 Die Verletzung der Mitwirkungspflicht löst daher als solche keine subjektive Beweislast der Bfa. aus und entbindet den Betriebsprüfer nicht von einer freien Würdigung zu Lasten wie zu Gunsten der Bfa.

7.62

Rechtliche Möglichkeit der Mitwirkung. Vorlagepflichten gegenüber der Betriebsprüfung gelten grundsätzlich nur für vorhandene oder beschaffbare Unterlagen. Die Erstellung gesonderter Unterlagen wird weder durch Gesetz noch durch die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gefordert.6 Beruft sich die Bfa. darauf, dass sie Informationen nicht erteilen oder Aufzeichnungen nicht vorlegen kann, weil ausschließlich eine ausländische nahestehende Person darüber verfügt und die Herausgabe verweigert, liegt kein Verstoß gegen ihre Mitwirkungspflichten vor, wenn die Bfa. weder rechtlich (z.B. gesellschaftsrechtlich) noch tatsächlich die Möglichkeiten hat, die Informationen oder Unterlagen bei dem ausländischen Nahestehenden zu beschaffen und ihr auch eine Beweisvorsorge nicht möglich oder nicht zumutbar war; § 162 Abs. 3 Satz 3 AO ist insoweit rechtswidrig, da die Vorschrift rechtlich wie tatsächlich Unmögliches zuungunsten des Steuerpflichtigen sanktionieren möchte.7 Dies folgt bereits aus dem Rechtsgedanken, dass die §§ 90 Abs. 3, 93 Abs. 1 AO ggü. Ausländern grundsätzlich keine Rechtspflichten begründen können.8

7.63

Besondere Relevanz in der Prüfungspraxis kommt sog. Informationsbeschaffungsklauseln in Intercompany-Vertragswerken zu. Die Finanzverwaltung vertritt hierbei (unter dem Themenkomplex der Beweisvorsorgeverpflichtung) mit Verweis auf § 90 Abs. 2 Satz 4 AO die Ansicht, dass sich fremde Dritte vertraglich stets umfassende Informationsrechte einräumen lassen würden.9 Hierbei muss allerdings entscheidend auf die (fiktive) Verhandlungsmacht der Par-

7.64

1 Schreiber in Kroppen/Rasch, VerwGrS Verf. Rz. 9, 11; Martens, StuW 1981, 322 (330). 2 Wünsch in Koenig3, § 88 AO Rz. 24. 3 Söhn in HHSp, § 90 AO Rz. 29; Schmitz in Schwarz/Pahlke, § 90 AO Rz. 26; Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 1, 14. 4 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171. 5 Söhn in HHSp, § 90 AO Rz. 29; BFH v. 28.10.2009 – I R 28/08, BFH/NV 2010, 432; Rätke in Klein15, § 90 AO Rz. 12; Schnitger, BB 2002, 332; Schmitz in Schwarz/Pahlke, § 90 AO Rz. 26; Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, 177, 195. 6 BFH v. 13.2.1968 – GrS 5/67, BStBl. II 1968, 365. 7 Ehemals VWG 2005, Tz. 3.3.2. lit. b; nunmehr VWG 2020, Tz. 14 S. 4. 8 VWG 2020, Tz. 16. 9 VWG 2020, Tz. 14; siehe vormals auch VWG 2005, Tz. 3.3.3.

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Kap. 7 Rz. 7.64 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

teien bei Vertragsschluss abgestellt werden, denn auch die BFH-Rechtsprechung stellt für die Frage nach der Beweisvorsorge entscheidend auf den Fremdvergleichsgrundsatz als solches ab.1 Insbesondere werden fremde Dritte nicht bereit sein, ihre Geschäftsgeheimnisse (d.h. auch solche Informationen, die für ihre Margenkalkulation relevant sind) ohne Weiteres aufzugeben und umfassende Transparenz zugunsten ihrer Geschäftspartner einzuräumen. Die in Tz. 14 VWG 2020 aufgeführten Beispiele, wann sich ein ordentlicher Geschäftsleiter eine Vorlage von Unterlagen vertraglich vorbehalten würde, sind nach hier vertretener Ansicht daher keinesfalls zwingend; es kann nicht typisierend davon ausgegangen werden, dass sich fremde Dritte einander vollumfänglich transparent behandeln würden. So ist keinesfalls zwingend, dass ein ordentlich und gewissenhaft handelnder Geschäftsleiter – wie in Beispiel a. der Tz. 14 VWG 2020 aufgeführt – seine Abgabepreise ggü. dem Markt seinen Zulieferern vollumfänglich preisgeben würde; er würde hierdurch seine gesamte Verhandlungsmacht für die Preisgestaltung mit seinen Zulieferern aufgeben. Es ist schlechthin höchst unwahrscheinlich, dass fremde Dritte bei Wahrung kaufmännischer Rationalität dergestalt handeln würden. Insoweit entspricht die Verwaltungsauffassung kaum dem Verhalten fremder Dritter. (3) Bedeutung des Amtsermittlungsgrundsatzes in der Praxis

7.65

Zentrale Verpflichtung der Betriebsprüfung. Die Wahrung des sog. Amtsermittlungsgrundsatzes ist eine der zentralen Aufgaben des Betriebsprüfers im Rahmen jeder steuerlichen Betriebsprüfung. Diese Verpflichtung bleibt auch bei einer behaupteten Verletzung der Mitwirkungspflicht bestehen, so dass der Betriebsprüfer nicht davon entbunden ist, den tatsächlichen Sachverhalt weiter aufzuklären und insbesondere nicht berechtigt ist, vom Sachverhalt losgelöste Ermittlungen „ins Blaue hinein“ zu treffen.2

7.66

Insbesondere ist die Betriebsprüfung nach dem Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet, den Sachverhalt auch zugunsten der Bfa. zu ermitteln; sie ist somit gehalten sich mit dem Beweisangebot und dem Vortrag der Bfa. ausführlich auseinanderzusetzen.3

7.67

Sog. objektive Beweislast. Insoweit trägt die prüfende Finanzbehörde die objektive Beweislast (Feststellungslast) für diejenigen Tatsachen, die einen Steueranspruch begründen oder erhöhen.4 Nur dann, wenn die Bfa. ihre Mitwirkungspflichten verletzt und hierdurch ein entscheidungserheblicher Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller zugänglichen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten nicht vollständig aufgeklärt werden kann, wird das Beweismaß zugunsten der Finanzverwaltung gemindert.5 Dies bedeutet im Grundsatz zugleich, dass wenn eine Schätzung durch den Betriebsprüfer erfolgt, der vom Betriebsprüfer im Hinblick auf die Schätzung zugrunde gelegte Sachverhalt vor dem Hintergrund des Fremdvergleichsgrundsatzes wahrscheinlicher sein muss, als der von der Bfa. vorgetragene Sachverhalt.

7.68

Eine Sachverhaltsaufarbeitung durch die Betriebsprüfung, die den Grundsatz der Amtsermittlung nicht hinreichend berücksichtigt ist unzulässig und würde zur Rechtswidrigkeit daraus resultierender Änderungsbescheide führen.6 1 BFH v. 10.5.2001 – I S 3/01, BFH/NV 2001, 957. 2 Roser in Gosch, § 88 AO Rz. 4, 6.2; jüngst BFH v. 16.1.2009 – VII R 25/08, BStBl. II 2009, 58. 3 Wünsch in König3, § 92 AO Rz. 6, § 88 Rz. 29; Schreiber in Kroppen/Rasch, VerwGrs. Verf., Rz. 12. 4 VWG 2020, Tz. 68 Satz 1. 5 BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462. 6 Siehe Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 375 m.w.N.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.73 Kap. 7

(4) Verhältnis der Mitwirkungspflichten gem. § 90 Abs. 3 AO zu § 90 Abs. 2 AO Erweiterung der Mitwirkungsverpflichtung. Bei steuerlichen Sachverhalten, die sich auf Vorgänge außerhalb Deutschlands beziehen, bestehen grundsätzlich erhöhte Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 AO. Diese flankieren den vorgenannten Amtsermittlungsgrundsatz der Finanzverwaltung, der im Grundsatz unberührt bleibt und die verfahrensrechtliche Grundlage der Sachverhaltsermittlung im Rahmen der Betriebsprüfung bildet.1

7.69

Die Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO bestehen überdies separat zur Dokumentationsverpflichtung nach § 90 Abs. 3 AO und den Regelungen der GAufzV.2 Zur Erfüllung dieser Pflichten haben Beteiligte im Rahmen ihrer rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten in grenzüberschreitenden Verrechnungspreisfällen insbesondere (i) selbst Auslandssachverhalte aufzuklären, (ii) Auskünfte im Ausland einzuholen, (iii) erforderliche Beweismittel, die sich im Ausland befinden, zu beschaffen und (iv) entsprechende Beweisvorsorge zu treffen.

7.70

Vom Steuerpflichtigen ist in diesem Zusammenhang bspw. aufzuklären, auf welche Weise die zwischen ihm und ausländischen Nahestehenden vereinbarten Preise zustande gekommen sind, welche vertraglichen Vereinbarungen bestehen, welche Funktionen, Risiken und Wirtschaftsgüter bei der Preisfindung berücksichtigt wurden, welche Verrechnungspreismethode angewandt wurde, wie kalkuliert wurde, ob und was der Steuerpflichtige zur Durchführung von Fremdvergleichen unternommen hat und inwieweit nahestehende Personen auf die Preisgestaltung Einfluss ausgeübt haben.3 Erfüllt der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO, so obliegt der Finanzverwaltung die entsprechende Feststellungslast im Hinblick auf eine etwaige Einkünftekorrektur.4

7.71

Schnittstelle zwischen Dokumentation und weiterer Informationsbeibringung. Die Vorlagepflichten gelten auch für vorhandene oder beschaffbare Unterlagen, deren Erstellung weder durch Gesetz noch durch die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gefordert wird.5 Solche Unterlagen können bspw. Kostenstellenrechnungen, Budgets, Kalkulationen, Absatzplanungen, Aufgliederung von Erlösen und Aufwendungen auf Sparten sowie Verrechnungspreisrichtlinien, konzerninternes Reporting und Verrechnungspreisstudien sein.6

7.72

Streitig ist, ob Betriebsprüfer im Rahmen der Begutachtung einer Verrechnungspreisdokumentation durch weitere, nach § 90 Abs. 2 AO isoliert betrachtet zulässige Informationsanfragen, die inhaltlichen Anforderungen an eine Verrechnungspreisdokumentation faktisch ausdehnen darf: Denn werden derartige Sachverhaltsanfragen vom Steuerpflichtigen nicht oder nur unzureichend beantwortet, so wird in diversen Prüfungsdiskussionen die Behauptung aufgestellt, es liege mithin in Gänze eine unverwertbare Verrechnungspreisdokumentation vor; der Steuerpflichtige habe schließlich in Gänze keine klare Sachverhaltsdarstellung liefern können; dies strahle auf die Verrechnungspreisdokumentation aus. Diese Vorhaltung ist bereits dem Grunde nach unzulässig; sie differenziert im Übrigen nicht hinreichend genau zwischen einzelnen Mitwirkungsverpflichtungen des Steuerpflichtigen nach § 90 Abs. 2 und 3 AO.

7.73

1 Ausdrücklich BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462; BFH v. 22.9.2004 – III R 9/03, BStBl. II 2005, 160. 2 Schreiber in Kroppen/Rasch, VerwGrs. Verf. Rz. 53 ff., 62, 71.2. 3 Siehe ehemals noch VWG 2005, Tz. 3.3.2., jedoch aufgehoben durch VWG 2020, Tz. 9 ff. 4 VWG 2020, Tz. 68. 5 BFH v. 13.2.1968 – GrS 5/67, BStBl. II 1968, 365. 6 Vormals VWG 2005, Tz. 3.3.2 lit. a, nunmehr VWG 2020, Tz. 13.

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Kap. 7 Rz. 7.74 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

(5) Verfahrensbezogene Mitwirkungspflichten nach § 200 AO

7.74

Abgrenzung zu den Pflichten nach § 90 AO. Neben den Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO und den erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO bestehen im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung auch die aus § 200 AO resultierenden (verfahrensbezogenen) Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen. Nach dem AEAO zu § 200 AO wird vorgesehen, dass die Bestimmung des Umfangs der Mitwirkung des Steuerpflichtigen im Rahmen der Prüfungshandlungen im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde liegt. So hat auf Anforderung der Steuerpflichtige vorhandene Aufzeichnungen und Unterlagen vorzulegen, die nach Einschätzung der Finanzbehörde für eine ordnungsgemäße und effiziente Abwicklung der Betriebsprüfung erforderlich sind.1

7.75

Bei Auslandssachverhalten trägt nach Ansicht der Finanzverwaltung zudem der Steuerpflichtige wegen seiner „Beweisnähe“ eine erhöhte Mitwirkungspflicht, und zwar nicht nur vor dem Hintergrund des o.g. § 90 Abs. 2 AO.2 Damit konzentrieren sich die Mitwirkungspflichten nach § 200 AO auf die Unterstützung des Betriebsprüfers bei der Durchführung des eigentlichen Prüfungsverfahrens. Demgegenüber zielen die Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO darauf ab, der Finanzverwaltung auf Anforderung eine den Vorschriften der GAufzV entsprechendes „Informationskompendium“ zur Verfügung zu stellen, um die Grundlagen der Verrechnungspreissystematik im Hinblick auf ihre Fremdvergleichskonformität prüfen zu können.

7.76

Einräumung von Nachbesserungsmöglichkeiten. Schnittmengen der Mitwirkungstatbestände können sich dann ergeben, wenn während des Prüfungsverfahrens die vorgelegte Verrechnungspreisdokumentation als „defizitär“ betrachtet wird. Dies beinhaltet jedoch nicht nur eine Mitwirkungsverpflichtung zu Lasten des Steuerpflichtigen, sondern spiegelbildlich auch die Verpflichtung der Finanzverwaltung, dem Steuerpflichtigen eine entsprechende Nachbesserungsmöglichkeit – als Kehrseite seiner Mitwirkungsverpflichtungen – einzuräumen. In diesem Zusammenhang ist dem Steuerpflichtigen Gelegenheit zu gewähren, eine vorgelegte Verrechnungspreisdokumentation erforderlichenfalls nachzubessern.3

7.77

Auf Basis zahlreicher Praxiserfahrungen wird diese Nachbesserungsmöglichkeit zugunsten des Steuerpflichtigen von vielen Betriebsprüfern oftmals nicht gewährt, sondern vielfach unmittelbar auf eine etwaige „Unverwertbarkeit“ der vorgelegten Dokumentation beharrt. Ein derartiges Vorgehen verstößt erkennbar gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 88 AO und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, so dass die Rechtsfolgen des § 162 Abs. 3 und 4 AO bei einem derartigen Vorgehen nicht eintreten. Darüber hinaus bleiben die Grundsätze der Beweislastverteilung unberührt, so dass die Feststellungslast für eine etwaige Einkünftekorrektur bei der Finanzverwaltung verbleibt.4 (6) Vorlage von Verrechnungspreisgutachten und E-Mail-Verkehr

7.78

Besondere Vorsicht bei der Anfrage von weitergehenden Informationen. Nach den VWG 2020 wird von Seiten der Finanzverwaltung klargestellt, dass die Betriebsprüfung auch die Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapieren oder anderen Unterlagen sowie Daten ausländischer nahestehender Personen beanspruchen können soll.5 Die Vorlagepflicht 1 2 3 4 5

Intemann in König3, § 200 AO Rz. 1; BFH v. 4.11.2003 – VII R 28/01, BStBl. II 2004, 1032. Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Rz. 20 f. Siehe VWG 2020, Tz. 84 Satz 1. Schreiber in Kroppen/Rasch, VerwGrs. Verf., Rz. 11. Siehe VWG 2020, Tz. 13 und 46 Satz 3.

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2021-10-28, 14:09, HB mittel

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.81 Kap. 7

soll nach Ansicht der Finanzverwaltung auch für Gutachten und Stellungnahmen zu Verrechnungspreisen gelten, soweit diese für die Festsetzung von Verrechnungspreisen oder für die Einkünfteermittlung im Zusammenhang mit Verrechnungspreisen für bedeutsam gehalten werden. Im Hinblick auf die „inhaltliche Form“ soll dies auch für E-Mails, Nachrichten über Messengerdienste und vergleichbare Informationen gelten, soweit diese geschäftliche Inhalte mit steuerlichem Bezug aufweisen und damit insbesondere als „Handels- oder Geschäftsbrief“ anzusehen seien.1 Die Rechtmäßigkeit derartiger Verpflichtungen, die den Steuerpflichtigen treffen sollen, ist sehr umstritten. Nach der Regelung des § 200 Abs. 1 Satz 2 AO ist der Steuerpflichtige neben der Erteilung von Auskünften insbesondere zur Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren und anderen Urkunden verpflichtet. Nach der Auslegung dieser Verpflichtung durch die BFH-Rechtsprechung besteht die Mitwirkungspflicht aber nur im Rahmen des Prüfungsumfangs, wie er sich aus der Prüfungsanordnung selbst ergibt.2 Des Weiteren ist der Steuerpflichtige nur dann zur Vorlage verpflichtet, wenn die Vorlageverpflichtung der entsprechenden Angaben, Unterlagen oder Informationen zur Feststellung des steuererheblichen Sachverhalts notwendig, verhältnismäßig, erfüllbar und zumutbar ist; dies ist einzelfallabhängig zu beurteilen.3

7.79

Involviertsein eines Beraters. Grundsätzlich unterfällt daher auch sämtliche Korrespondenz zwischen dem Steuerpflichtigen und seinem Rechts- und/oder Steuerberater der Herausgabeverpflichtung. Denn die Herausgabe von Unterlagen des Steuerpflichtigen kann nicht dadurch verhindert werden, dass sie beim Rechts- oder Steuerberater auf- bzw. verwahrt werden. Zwar besteht unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht zur Verweigerung der Vorlage von Urkunden (siehe § 104 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 102 Abs. 1 Nr. 3 lit. a und b AO). Gem. § 104 Abs. 2 Satz 1 AO müssen die Urkunden aber vorgelegt werden, wenn sie für den Steuerpflichtigen aufbewahrt werden und sie der Steuerpflichtige (hier die Bfa.) herausgeben müsste, befänden sie sich in seinem Gewahrsam.

7.80

Keine Verpflichtung zur Vorlage rechtlicher Einschätzungen. Die Mitwirkungspflicht der §§ 90 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 200 Abs. 1 Satz 1 AO erstreckt sich allerdings nur auf die Feststellung des „Sachverhalts“, also die einem konkreten Besteuerungs- bzw. Prüfungsfall zugrunde liegenden Tatsachen. Bereits der Wortlaut des § 200 Abs. 1 Satz 2 AO, der die Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren und anderen Urkunden verlangt, spricht eindeutig dafür, dass nur sog. Primärunterlagen – d.h. solche die sich durch Sachverhaltsinhalt kennzeichnen – vorzulegen sind.4 Die steuerrechtliche Würdigung des Sachverhalts muss die Finanzverwaltung (Betriebsprüfung) selbst vornehmen; rein steuerliche Rechtsgutachten sind daher von der Herausgabeverpflichtung grundsätzlich ausgeschlossen.5 Gleiches dürfte für die tatsächliche Würdigung der festgestellten Fakten gelten, d.h. für Schlussfolgerungen von einzelnen Fakten auf das prüfungsrelevante Gesamtgeschehen. Der Betriebsprüfer muss mithin selbst entscheiden, aus welchen Tatsachen sich der prüfungsrelevante Sachverhalt ergibt, ob und wie etwaige Widersprüche bei

7.81

1 So VWG 2020, Tz. 13. 2 BFH v. 6.6.2012 – I R 99/10, BStBl. II 2013, 196. 3 BFH v. 28.10.2009 – VIII R 78/05, BStBl. II 2010, 455; siehe auch Werder/Rudolf, BB 2014, 3094 (3095). 4 Vgl. Werder/Rudolf, BB 2014, 3094 (3096). 5 So explizit Drüen in Tipke/Kruse, § 147 AO Rz. 23 m.w.N.; Schaumburg, DStR 2002, 829 (833); Werder/Rudolf, BB 2014, 3094 (3096), siehe auch FG Münster, Beschl. v. 18.8.2004 – 6 V 1932/14, EFG 2014, 1936 (1938).

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2021-10-28, 14:09, HB mittel

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Kap. 7 Rz. 7.81 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

der Sachverhaltsermittlung beseitigt werden können.1 Dies bedeutet für die Praxis, dass genau zwischen „Tatsachen“ und „rechtlicher Würdigung“ zu unterscheiden ist; sämtliche Korrespondenz, die eine „rechtliche Würdigung“ zum Gegenstand hat, ist damit nicht herausgabepflichtig.2

7.82

Schriftlichkeit der Anfrage. In der Praxis ist zudem bei mündlichen Anfragen der Betriebsprüfung im Hinblick auf Vorlageersuchen anzuraten, unverzüglich um eine schriftliche Bestätigung i.S.v. § 119 Abs. 2 AO zu bitten. Dies ist deswegen wichtig, da auch Herausgabeverlangen der Betriebsprüfung grundsätzlich sofort vollziehbar sind, so dass ggf. ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gem. §§ 361 AO, 69 FGO in Betracht gezogen werden muss. (7) Betriebsnahe Prüfung und Betriebsbesichtigung

7.83

Grundsätzliches. Die Betriebsprüfung ist nach § 200 Abs. 3 Satz 3 AO auch bei Verrechnungspreisfällen dazu berechtigt, Grundstücke und Betriebsräume zu betreten und zu besichtigen. Die Betriebsbesichtigung soll es dem Prüfer ermöglichen, über den Inhalt der Verrechnungspreisdokumentation und weiterer, vorgelegter Unterlagen hinaus, sich über Aufbau und Entwicklung des Unternehmens, Betriebsorganisation/-ablauf, wirtschaftliche Funktionen des Betriebs sowie über die Organisation des Rechnungswesens zu informieren. Der Prüfer darf in diesen Zusammenhang den Betrieb mithin „durchschreiten“ und sich umschauen, um sich ein eigenes Bild vom Betrieb zu machen. Das Betreten privater Räume ist hingegen nicht gestattet. Es ist dem Betriebsprüfer dabei in der Regel jedoch nicht gestattet, Betriebsbesichtigungen ohne Anwesenheit des Betriebsinhabers oder seines Beauftragten durchzuführen (vgl. § 200 Abs. 3 Satz 3 AO – „soll“). Etwas anderes gilt nur in atypischen Sonderfällen, etwa weil der Geprüfte die Betriebsbesichtigung auf Dauer dadurch blockiert.

7.84

Keine Durchsuchung. Es ist der Betriebsprüfung dabei auch nicht gestattet, Betriebs- oder Geschäftsräume ziel- und zweckgerichtet auf Personen oder Sachen hin zu durchsuchen. Ohne Einverständnis des Unternehmensinhabers dürfen daher keine Behältnisse geöffnet oder Unterlagen gesichtet werden. Von dieser Befugnis ist es mithin nicht erfasst, etwas „aufzuspüren“, was der Inhaber des Betriebs von sich aus nicht offenlegt oder herausgibt.3 Da die Betriebsbesichtigung im Regelfall nur gemeinsam mit dem Geprüften durchgeführt werden darf, wird sie in der Regel zu einem zuvor vereinbarten Termin durchgeführt. Hierfür wird üblicherweise ein Termin während der üblichen Geschäfts- oder Arbeitszeiten bestimmt.4

7.85

Das Öffnen von Schränken und der Zugriff auf Computer ist nicht von der Ermächtigungsgrundlage für die Betriebsbesichtigung gedeckt. Sofern es anlässlich einer Betriebsbesichtigung zu weiteren Maßnahmen kommen soll, müsste es seitens des Prüfers zu dem Erlass von einem darüberhinausgehenden Mitwirkungsverlangen (nach Maßgabe von § 200 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 147 Abs. 6 AO) kommen. Denn auch während einer Betriebsbesichtigung ist der Prüfer grundsätzlich weiterhin dazu berechtigt, entsprechende, auf § 200 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO zu stützende, Mitwirkungs- und insbesondere Auskunftsverlangen an den Steuerpflichtigen zu richten.5 Sollte der Prüfer während der Betriebsbesichtigung Mitwirkungsverlangen adressieren, die über „Kleinigkeiten“ hinausgehen, sollte der Vertreter der Bfa. ihn allerdings bitten, das Mitwirkungsverlagen schriftlich zu formulieren. 1 2 3 4 5

Siehe Werder/Rudolf, BB 2014, 3094 (3096 f.). Schreiber in Kroppen/Rasch, VerwGrs. Verf., Rz. 71.2. So BVerfG v. 16.6.1987 – 1 BvR 1202/84, BVerfGE 76, 83, 89. So Hendricks in Gosch, § 200 AO Rz. 50, 51 f. Vgl. Schallmoser in HHSp, § 200 AO Rz. 109.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.90 Kap. 7

(8) Verteilung der sog. Feststellungslast im Besonderen Verfahrenstaktische Aspekte. Grundsätzlich trägt die prüfende Finanzbehörde die objektive Beweislast (Feststellungslast) für diejenigen Tatsachen, die einen Steueranspruch begründen oder erhöhen, wenn die Bfa. ihre Mitwirkungspflichten erfüllt hat.1

7.86

Verletzt die Bfa. ihre Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 1 bis 3 AO, so gilt diese Beweislastverteilung weiterhin, allerdings ist das Beweismaß gemindert.2 Ist die Bfa. nicht in der Lage darzulegen, dass angesetzte Verrechnungspreise trotz einer begangenen Pflichtverletzung dem Fremdvergleich entsprechen, kann die Finanzbehörde eine Schätzung vornehmen und bei der Schätzung einen für die Bfa. ungünstigen Sachverhalt unterstellen, solange dieser wahrscheinlich ist.3 Eine Schätzung, die den (dem Betriebsprüfer) vorgelegten Informationen und Daten widerspricht oder keinerlei Anhaltspunkt im Sachverhalt findet, erfolgt gewissermaßen „ins Blaue hinein“ und ist unzulässig.4

7.87

Kein Strengbeweis der Fremdvergleichskonformität durch die Bfa. geschuldet. Steuererhebliche Tatsachen dürfen folglich nicht bereits deshalb als vorliegend oder nicht vorliegend unterstellt werden, weil die Bfa. ihre Mitwirkung versagt (weder zugunsten noch zuungunsten der Bfa. als Mitwirkungspflichtige) und eine auf Beweislastverteilungsregeln gestützte Entscheidung darf erst dann ergehen, wenn alle Beweismittel erschöpft sind.5

7.88

Dies bedeutet im Ergebnis, dass die Bfa. für die Fremdüblichkeit ihrer Verrechnungspreise mithin nicht die objektive Beweislast trägt.6 Die Frage der Beweislast stellt sich allerdings nur, wenn ein entscheidungserheblicher Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller zugänglichen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten nicht vollständig aufgeklärt werden kann und das Beweismaß durch eine Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen gemindert ist. Eine Beweislastreduzierung, die im Ergebnis eine Schätzungsbefugnis zugunsten der Finanzbehörde eröffnet, kommt mithin nur in Betracht, sofern

7.89

– die Bfa. ihre Mitwirkungspflicht verletzt hat, – ein entscheidungserheblicher Sachverhalt trotz Ausschöpfung aller zugänglichen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten nicht vollständig aufgeklärt werden kann und – der von der Bfa. vorgetragene Sachverhalt nicht wahrscheinlich ist. Nichtaufklärbarkeit eines Prüfungssachverhalts. Ein entsprechender Sachvortrag ist grundsätzlich vom Betriebsprüfer zu erbringen und ausführlich darzustellen; dies ist Ausfluss seiner Amtsermittlungsverpflichtung nach § 88 AO. Darüber hinaus muss der Betriebsprüfer auch darlegen, dass sein eigener sachverhaltsrelevanter Vortrag wahrscheinlicher ist als der von der Bfa. vorgetragene Sachverhalt.7 Dies ist umfassend und sachlich nachvollziehbar zu begründen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass eine Schätzungsbefugnis des Betriebsprüfers dann ausgeschlossen ist, wenn die Nichtaufklärbarkeit eines Verrechnungspreissachverhalts nicht auf 1 VWG 2020, Tz. 68 Satz 1; siehe auch vormals VWG 2005, Tz. 4.2. 2 BFH v. 15.2.1989 – X R 16/86, BStBl. II 1989, 462; BFH v. 9.9.1991 – III R 129/85, BStBl. II 1992, 55; BMF v. 12.4.2005, BStBl. I 2005, 570 Tz. 4.2. 3 VWG 2020 Tz. 70; vgl. ehemals VWG 2005 Tz. 4.4. 4 BFH v. 20.12.2000 – I R 5/00, BStBl. II 2001, 381. 5 Söhn in HHSp, § 90 AO Rz. 36. 6 So explizit noch VWG 2005, Tz. 2.1.; vgl. nunmehr VWG 2020, Tz. 68 im Hinblick auf die Frage nach der sog. Feststellungslast der Finanzbehörde. 7 VWG 2020, Tz. 73; siehe auch noch ehemals VWG 2005, Tz. 3.4.20 Buchst. d).

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7.90

Kap. 7 Rz. 7.90 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

einem Mitwirkungsversagen des Steuerpflichtigen bzw. der Berichtsfirma beruht. Es greift dann die sog. „non liquet“-Regelung, wonach die objektive Feststellungslast auf Seiten der Finanzverwaltung liegt.1

7.91

Eine jüngst im Schrifttum geäußerte Auffassung, bei Verrechnungspreissachverhalten sei aufgrund von Bewertungsunsicherheiten grundsätzlich von einem sog. „sachtypischen Beweisnotstand“ auszugehen, der zu einer grundsätzlichen Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 1 AO zugunsten der Finanzbehörde führen müsse, erscheint sehr offensiv.2 Gegen eine derartige Einschätzung spricht bereits, dass sie offenkundig in einem systematischen Widerspruch zur Trias aus (i) der gesetzlichen Amtsermittlungsverpflichtung der Finanzbehörde, (ii) den Mitwirkungspflichten der Bfa. auf Basis der vorhandenen Beweisrisikosphäre und (iii) der daraus resultierenden Frage der Feststellungslastverteilung für eine angestrebte Einkünftekorrektur stünde. Im Ergebnis würde diese Auffassung – in Ermangelung eines tatbestandlich geforderten Schätzungsanlasses – vermutlich per se zu rechtswidrigen Schätzungen führen. (9) Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 2 AO bei verwertbarer Dokumentation

7.92

Regelfall des Vorliegens einer verwertbaren Dokumentation. In den allermeisten Prüfungsfällen liegt nach den Erfahrungen des Verfassers eine verwertbare Verrechnungspreisdokumentation vor, sodass eine Einkünftekorrektur auf Grundlage des § 162 Abs. 3 AO infolge einer Verletzung von Dokumentationsvorschriften grundsätzlich ausscheidet (siehe dazu im Folgenden unter Rz. 7.99). Ist eine verwertbare Verrechnungspreisdokumentation vorhanden, so kann dennoch eine Einkünftekorrektur im Wege einer Schätzung erfolgen, dies jedoch nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen des § 162 Abs. 1, 2 AO.

7.93

Zielrichtung einer Schätzung. In Verrechnungspreisfällen soll eine Schätzung nach § 162 Abs. 1, 2 AO zur Besteuerung des Gewinns führen, der erzielt worden wäre, wenn dem Fremdvergleich entsprechende Preise angesetzt worden wären. An die Nachweise, die von der Finanzbehörde zu erbringen sind, sollen allerdings keine überspitzten Anforderungen gestellt werden dürfen.3

7.94

Schätzung dem Grunde und der Höhe nach. Dies ist kritisch zu sehen, da die Finanzbehörde vollumfänglich darlegen und im Einzelnen zu erläutern hat, aus welchen Gründen ihre Feststellung zum Sachverhalt in einem höheren Wahrscheinlichkeitsmaß dem Fremdvergleichsgrundsatz genüge tut als die von der Bfa vorgetragene Angemessenheit. Reine Behauptungen und Verweise auf Erfahrungswerte sind diesbezüglich nicht ausreichend. Es bedarf vielmehr einer präzisen Darlegung und Herleitung der Sichtweise der Finanzbehörde, aus welchen Gründen die Ansicht der Betriebsprüfer in besserem Maße dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Insoweit ist die von der Finanzverwaltung geäußerte Ansicht4, eine Schätzung bei Verletzung der Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO dann zulässig, wenn für eine bestimmte Sachverhaltsannahme – in Anbetracht der in der Sphäre der Bfa. angesiedelten Tatsachen und Beweismittel – eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ spreche, wenig brauchbar; sie ist eindeutig überschießender Natur.

7.95

Genaue Prüfung des Schätzanlasses erforderlich. Schätzanlässe nach § 162 Abs. 2 AO kommen – wie eingangs erwähnt – in der Praxis immer dann zum Tragen, wenn zwar eine ver1 2 3 4

Ausdrücklich BFH v. 19.8.2015 – X R 30/12, BFH/NV 2016, 203. Siehe Melan, DStR 2021, 1394. BFH v. 23.6.1993 – I R 72/92, BStBl. II 1993, 801. VWG 2020, Tz. 23.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.99 Kap. 7

wertbare Verrechnungspreisdokumentation vorliegt, jedoch der zugrunde liegende Sachverhalt sich bspw. durch weitere fehlende Mitwirkungshandlungen nach § 90 Abs. 2 AO der Bfa. nicht aufklären lässt. Aber auch in dieser Hinsicht ist Vorsicht geboten, denn nicht jede Mitwirkungsverweigerung nach § 90 Abs. 2 AO rechtfertigt eine Schätzung durch die Finanzverwaltung. Entscheidend ist stets, dass Unsicherheiten im Sachverhalt sich auf den konkret Prüfungsgegenstand auf Tatbestandsebene auswirken, mithin für eine Würdigung durch die Betriebsprüfung Relevanz aufweist. Hier ist in der Prüfungspraxis auf Basis zahlreicher Prüfungserfahrungen in der Tat „genau hinzusehen“. Schätzungsplausibilität. Sind die Voraussetzungen für eine Schätzung nach § 162 Abs. 2 AO erfüllt, so dürfen nach Ansicht der Finanzverwaltung die Besteuerungsgrundlagen nach Methoden und aufgrund von Daten geschätzt werden, deren Beweiswert außerhalb einer solchen Schätzung ggf. nicht für eine Gewinnberichtigung ausreicht.1 Dies bedeutet eine signifikante Erweiterung der inhaltlich nutzbaren Erkenntnisquellen zugunsten der Finanzverwaltung im Rahmen einer Schätzung. Ein derartiges Vorgehen läuft zudem erhebliche Gefahr, dem zwingenden Gebot der sog. Schätzungsplausibilität nach der ständigen BFH-Rechtsprechung zuwider zu laufen. In diesem Zusammenhang gilt stets und uneingeschränkt, dass jedwede Schätzung durch die Finanzverwaltung in sich schlüssig, wirtschaftlich vernünftig und möglichst zutreffend sein muss.2 Daraus ist zu folgern, dass eine Schätzung dann rechtswidrig ist, wenn der Schätzungsrahmen überschritten wird, der durch die Kenntnisse des Betriebsprüfers über den zugrundeliegenden Sachverhalt gegeben ist.3

7.96

Wahrscheinlichkeitsbetrachtung als finaler Aspekt. Entscheidend für die inhaltliche Richtigkeit einer Schätzung ist daher, dass mit einer höheren Wahrscheinlichkeit durch die Betriebsprüfung dargelegt werden kann, dass der von der Bfa. bestimmte Verrechnungspreis in einem weniger plausiblen Maß dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht, als dies von der Betriebsprüfung behauptet wird. Wie bereits eingangs erwähnt, sind pauschale Zweifel an der Angemessenheit des Verrechnungspreises der Bfa. insoweit nicht ausreichend. Kann von der Bfa. mithin eine gleich hohe Wahrscheinlichkeit der Angemessenheit ihrer Verrechnungspreise angeführt werden, so läuft die von der Betriebsprüfung angestellte Schätzung demzufolge ins Leere.4

7.97

Auch eine Reduzierung des diesbezüglichen Beweismaßes („vermindertes Beweismaß“) für die Bestimmung der Schätzungshöhe kann erst dann zum Tragen kommen, wenn die Bfa. die in ihrer Sphäre angesiedelten Tatsachen nicht ausermitteln und ggü. der Betriebsprüfung darlegen will und diese für die Betriebsprüfung schätzungsrelevant sind; auch dies ist von der Betriebsprüfung konkret darzulegen.

7.98

(10) Ausnahmefall: Schätzungsbefugnis der Finanzverwaltung nach § 162 Abs. 3 AO bei sog. Dokumentationsversagen Unverwertbarkeit als Ausgangspunkt. Verstößt die Bfa. gegen ihre Verpflichtung zur Erstellung einer ordnungsgemäßen Verrechnungspreisdokumentation, so wird von Gesetzes wegen gem. § 162 Abs. 3 Satz 1 AO widerlegbar vermutet, dass die Einkünfte aus Geschäftsbeziehun1 VWG 2020, Tz. 71, 72. 2 BFH v. 8.12.1984 – VIII R 195/82, BStBl. II 1986, 226 und BFH v. 20.12.2000 – I R 5/00, BStBl. II 2001, 381. 3 VWG 2020, Tz. 70. 4 Dies folgt bereits folgelogisch aus VWG 2020, Tz. 73.

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7.99

Kap. 7 Rz. 7.99 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

gen mit nahestehenden Personen durch eine, gemessen am Maßstab des Fremdvergleichs, nicht fremdübliche Preisgestaltung gemindert worden sind. In diesen Fällen trifft die Bfa. die Beweisführungslast, dass es zu keiner Einkünfteminderung gekommen ist. Bereits vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung einer sachgerechten Verrechnungspreisdokumentation – auch im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung – deutlich.

7.100

Schätzungsrahmen. Insoweit kann durch den Betriebsprüfer auch eine Schätzung unter Ausschöpfung von Bandbreiten zu Lasten der Bfa. nach § 162 Abs. 3 Satz 2 AO vorgenommen werden. Dies bedeutet, dass ein gegebener Schätzrahmen zu Lasten der Bfa. ausgeschöpft werden darf.1 Wichtig ist allerdings hier, dass eine Schätzung dann rechtswidrig ist, wenn der Schätzungsrahmen überschritten wird, der durch die Kenntnisse der Finanzbehörde über den Fall vorgegeben ist.2 Keinesfalls zulässig sind sog. Schätzung „ins Blaue hinein“. Insoweit bestehen an die Schätzungshöhe ebenfalls sehr hohe Anforderungen.

7.101

Kann die Bfa. plausibel und auf Basis geeigneter Unterlagen darlegen, dass die Verrechnungspreise dem Fremdvergleichsgrundsatz folgen, so ist es an der Finanzverwaltung anhand konkreter Anhaltspunkte zu widerlegen, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht angemessener Verrechnungspreise gegeben ist (siehe oben). Der pauschale Vorwurf der Betriebsprüfung, die von der Bfa. vorgelegten Unterlagen seien „unplausibel“ oder „inhaltlich nicht nachvollziehbar“ rechtfertigt zudem in der Regel bereits keine Schätzung dem Grunde nach. Die Schätzungshöhe ist mithin immer auf Basis vernünftiger und plausibler kaufmännischer Erwägungen zu bestimmen; es ist grundsätzlich diejenige Schätzungshöhe zu wählen, für welche im Ergebnis die größtmögliche Wahrscheinlichkeit spricht.3

7.102

Schätzung bei verspäteter Dokumentation. Im Fall der verspäteten Erstellung von Aufzeichnungen für außergewöhnliche Geschäftsvorfälle ist nach Ansicht der Finanzverwaltung deren Beweiswert unter Berücksichtigung der Tatsache der Verspätung (Indiz) zu würdigen.4 Dies bezieht sich in der Regel auf einen etwaigen Erkenntnisverlust infolge einer nicht zeitgerechten Anfertigung der Aufzeichnungen i.S.d. § 3 GAufzV. Ist sichergestellt, dass ein derartiger Informationsverlust im vorliegenden Besteuerungsfall bereits erfolgt sein kann, so kann dies regelmäßig nicht zu einer Minderung des Beweiswerts der Dokumentationsaufzeichnungen führen. (11) Benchmarking-Analyse der Betriebsprüfung

7.103

Umgang mit Datenbanken durch die Betriebsprüfer. Streitig ist in der Praxis hierbei immer wieder die Verwendung von datenbankbasierten Benchmarking-Analysen und die daraus abgeleitete Bandbreite angemessener Fremdvergleichswerte durch die Bfa. Wird im Rahmen der Angemessenheitsdokumentation durch die Bfa. selbst dargelegt, dass im Rahmen von datenbankgestützten Benchmark-Analysen gefundene Vergleichswerte die Fremdvergleichskonformität der Verrechnungspreise belegen, bleibt dieser Nachweis in vielen Fällen durch die Betriebsprüfung bestritten. In der Regel wird dann im Rahmen von eigenen Benchmark-Analyse versucht, die durch die Bfa. dargelegten Ergebnisse in Zweifel zu ziehen. Insbesondere bei Auslandsvertriebsaktivitäten führt die Finanzverwaltung häufig an, auf Basis eigener Benchmarking-Erkenntnisse seien die Auslandsmargen – die Anwendung der TNMM zugrunde ge1 VWG 2020 Tz. 80 i.V.m. 68. 2 VWG 2020, Tz. 67 ff. und 75. 3 BFH v. 24.1.2013 – V R 34/11, BStBl. II 2013, 460; BFH v. 23.4.2015 – V R 32/14, BFH/NV 2015, 1106; BFH v. 26.2.2002 – X R 59/98, BStBl. II 2002, 450 sowie VWG 2020, Tz. 70. 4 VWG 2020, Tz. 81 sowie Tz. 89 lit. d im Hinblick auf die Verhängung von Zuschlägen.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.107 Kap. 7

legt – zu hoch bemessen. Nicht selten wird – bei Werten außerhalb der Bandbreite der Bfa. – eine Einkünftekorrektur auf den Median einer eigens ermittelten Interquartilsbandbreite nach § 1 Abs. 3 Satz 2, 4 AStG gefordert. Funktions- und Risikoprofil zu berücksichtigen. In Übereinstimmung mit § 1 Abs. 3 Satz 1 AStG ist ein Nettomargenniveau eines Unternehmens jedoch stets im Lichte seines Funktionsund Risikoprofils zu betrachten. Konkret bedeutet dies, dass auch im Rahmen der Anwendung der TNMM Faktoren bestehen können, die Nettogewinnindikatoren erheblich beeinflussen können. Die OECD sieht im Rahmen der Verrechnungspreisleitlinien 2017 mithin Anpassungsmöglichkeiten vor, wenn auf Grund bestimmter Faktoren (wie beispielsweise Wettbewerbs- und Marktposition oder abweichende Kapitalkosten) eine Beeinflussung einer fremdüblichen Nettomarge vorliegt.

7.104

Die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 stellen in diesem Zusammenhang ferner klar, dass auf Basis von Datenbankrecherchen ermittelte Nettogewinnvergleichswerte in einem differenzierten Licht zu betrachten sind.1 Wirken sich – so die Auffassung der OECD – Vergleichsmerkmale auf die Nettogewinnindikatoren aus, so wäre es bereits nicht sachgerecht die TNMM ohne entsprechende Anpassungen anzuwenden. Dementsprechend kann es bspw. erforderlich werden, funktionsintensiven Vertriebstätigkeiten bzw. einer Koppelung von Vertriebstätigkeiten mit weiteren lokalen Funktionen eines ausländischen Konzernunternehmens (z. B. Zusammensetzen der Vertriebsprodukte vor Ort, Produktcustomizing etc.) und daraus entstehenden Synergieeffekten durch eine entsprechende Bandbreitenbetrachtung bzw. durch Anpassungsrechnungen zu begegnen.

7.105

Streitpunkt Auswahl der Vergleichsunternehmen. Besteht zwischen der Bfa. und der Betriebsprüfung Uneinigkeit über die Vergleichsunternehmen, die im Rahmen der durch die Bfa. vorgelegten Benchmark-Analyse identifiziert worden sind, so stellt sich in der Praxis häufig die Frage, wie mit dieser Unsicherheit im Rahmen der Angemessenheitsprüfung umzugehen ist. Nach § 162 AO fängt die Schätzungsbefugnis der Finanzverwaltung dort an, wo durch die Amtsermittlung und die Mitwirkung der Bfa. kein hinreichend sicheres Ergebnis für die steuerliche Würdigung eines Sachverhalts erzielt werden kann. Eine Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 1 AO setzt demnach voraus, dass die eigenen Untersuchungspflichten der Betriebsprüfung umfassend erfüllt und alle möglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft und berücksichtigt worden sind. Dies bedeutet zugleich, dass die Betriebsprüfung nur dann eine eigene Datenbankanalyse als Schätzungsgrundlage heranziehen, darf, wenn die von ihr durchgeführte Verprobung mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu einem angemessenen Verrechnungspreis gelangt und die von der Bfa. angewandten Verrechnungspreise mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ nicht dem Fremdvergleich entsprechen; nur wenn diese beiden Hürden „übersprungen“ sind, darf auf Basis einer von der Betriebsprüfung vorgelegten Benchmark-Analyse geschätzt werden. Anderenfalls ist die Schätzung rechtswidrig.

7.106

Vergleichbarkeitsanalyse. Für die Vergleichbarkeitsprüfung auf Grundlage einer Datenbankanalyse sind alle Faktoren heranzuziehen, die sich auf die Preisgestaltung auswirken könnten. Hierzu gehören insbesondere

7.107

– die vertraglichen Bedingungen, die zwischen den Vertragsparteien vereinbart wurden, – die jeweils ausgeübten Funktionen, sowie die dazugehörigen Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken, dies unter Berücksichtigung der Bedeutung der ausgeübten Funktio1 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 2.75 f., 2.77.

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Kap. 7 Rz. 7.107 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

nen in der Wertschöpfung innerhalb der Unternehmensgruppe sowie den konkreten Umständen der Geschäftsvorfälle, – die Merkmale und Besonderheiten der betreffenden Wirtschaftsgüter (z.B. physische Eigenschaften, Qualität, Art immaterieller Wirtschaftsgüter, Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Liefermenge) bzw. der Dienstleistungen, – die wirtschaftlichen Umstände der Vertragsparteien und des Marktes in dem sie tätig sind sowie – die individuelle Geschäftsstrategie, die von den Vertragsparteien verfolgt wird.

7.108

Eine uneingeschränkte Vergleichbarkeit ist gegeben, wenn die Geschäftsbedingungen identisch sind oder Unterschiede bei den Geschäftsbedingungen keine wesentliche Auswirkung auf die Preisgestaltung haben bzw. die Unterschiede in den Geschäftsbedingungen (z.B. unterschiedliche Zahlungsziele) durch hinreichend genaue Anpassungen beseitigt werden. Ist dies nicht der Fall, so kann dennoch eine eingeschränkte Vergleichbarkeit gegeben sein, wenn dargelegt wird, welche Unterschiede im Einzelnen bestehen und welche Anpassungsrechnungen vorgenommen wurden bzw. nicht vorgenommen wurden.

7.109

Vorstehende Gesichtspunkte sind für die Frage nach der in einer Benchmark-Analyse gefundenen Daten und deren Reliabilität von besonderer Bedeutung; sie müssen selbstredend auch von der Betriebsprüfung im Rahmen einer eigenen Benchmark-Analyse zum Zweck einer Schätzung berücksichtigt werden.

7.110

Keine „Provokation“ von Doppelbesteuerungseffekten. Generell gilt bei „Benchmark-Streitigkeiten“, dass die Betriebsprüfung kein adverses Ausschöpfen von Doppelbesteuerung provozierenden Werten in der Bandbreite vornehmen darf. Zu einer „Mäßigung“ des Prüfervorgehens zwingt umso mehr das Verbot internationaler Doppelbesteuerung. Es widerspricht mithin grundsätzlich völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland, wenn die Finanzbehörde durch ihr Prüfungsvorgehen Doppelbesteuerungen provoziert.1 (12) Steuerstrafrechtliche Aspekte einer unverwertbaren Verrechnungspreisdokumentation

7.111

Keine Schnittstelle zum Steuerstrafrecht. Strikt zu trennen von einer (verfahrensrechtlichen) Verletzung von Verrechnungspreisdokumentationspflichten ist deren steuerstrafrechtliche Relevanz. Eine von der Betriebsprüfung als „im Wesentlichen unverwertbare“ eingestufte Verrechnungspreisdokumentation kann nicht mit dem Vorwurf gleichgesetzt werden, dass der Steuerpflichtige der Finanzverwaltung vorsätzlich über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen hat (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AO).2 Die gesetzlich in § 162 Abs. 3 und 4 AO vorgesehenen Sanktionen beziehen sich ausschließlich auf die Möglichkeit der Verhängung von Zuschlägen und Schätzungen; sie haben steuerstrafrechtlich keine Präjudizwirkung.3 Dementsprechend gilt auch die gesetzliche Fiktion bei einer unverwertbaren Dokumentation, dass die im Inland erzielten Einkünfte höher seien als die erklärten Einkünfte

1 Vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 69. 2 Siehe Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 12, 36 f.; Weigell, IStR 2005, 162; Siduh/Schemmel, BB 2005, 2549. 3 Schaumburg/Schaumburg in Freundesgabe H. Baumhoff, 2019, 297 (309).

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.115 Kap. 7

(§ 162 Abs. 3 Satz1 i.V.m. § 90 Abs. 3 AO) ausschließlich für das Steuerrecht; steuerstrafrechtlich ist diese Fiktion unmittelbar ohne Belang.1 Um einen steuerstrafrechtlichen Vorwurf zu konstruieren, müssen zusätzliche Anhaltspunkte durch Handlungen oder Unterlassungen des Steuerpflichtigen hinzutreten, die den Vorwurf einer Hinterziehungstat oder Steuerordnungswidrigkeit begründen können. Regelmäßig Fehlen eines entsprechendes Vorsatzes. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist auch die höchstrichterliche Rechtsprechung zum subjektiven Tatbestand eines Hinterziehungsdelikts. Hat der Steuerpflichtige keine Verrechnungspreisdokumentation erstellt oder gegenüber der Finanzverwaltung fehlerhafte Angaben über die Verrechnungspreisermittlung gemacht, die zu einer „im Wesentlichen unverwertbaren“ Dokumentation führen, so kann nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Steuerhinterziehung lediglich dann in Erwägung zu ziehen sein, wenn der Steuerpflichtige die hieraus resultierende Gefahr einer Steuerverkürzung erkennt.2 Insoweit vertritt die Rechtsprechung den Standpunkt, dass auch bei einer Nichtabgabe einer Steuererklärung der Versuch einer Steuerhinterziehung nicht angenommen werden kann, wenn seitens des Steuerpflichtigen aufgrund bestehender Erfahrungen die Erwartung naheliegt, die Finanzverwaltung werde vor Abschluss der Veranlagungsarbeiten ehedem eine höhere Steuerfestsetzung aufgrund einer Schätzung vornehmen. Daraus folgt wertungsparallel, dass ein Verstoß gegen die Dokumentationspflichten nach § 90 Abs. 3 AO i.V.m. den Regelungen der GAufzV nicht automatisch den Rückschluss zulassen kann, der Steuerpflichtige habe in der Absicht gehandelt, wissen- und willentlich Steuern zu hinterziehen und dadurch eine versuchte oder vollendete Steuerverkürzung herbeiführen wollen.3

7.112

(13) Zuschläge nach § 162 Abs. 4 AO Sanktionierung der Unverwertbarkeit. Liegt ein Verstoß gegen die Dokumentationspflichten vor, so dass (i) keine Aufzeichnungen vorhanden sind oder (ii) im Wesentlichen unverwertbare Aufzeichnungen vorliegen oder (iii) verwertbare Aufzeichnungen verspätet vorgelegt werden, so ist ein sog. Zuschlag gegen die Bfa. festzusetzen. Dies gilt für sämtliche Geschäftsvorfälle, d.h. auch solche ggü. ausländischen Betriebsstätten und Personengesellschaften (§ 90 Abs. 3 Satz 4 AO und §§ 6 und 7 GAufzV).

7.113

Bei Nichtvorlage von Aufzeichnungen bzw. Vorlage unverwertbarer Aufzeichnungen ist ein Zuschlag von mindestens 5 % und höchstens 10 % eines positiven Mehrbetrags der Einkünfte aus grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen festzusetzen, mindestens jedoch 5.000 €. Die Entscheidung, welcher Betrag angesetzt werden soll, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzverwaltung (§ 5 AO). Bei einer verspäteten Vorlage einer verwertbaren Verrechnungspreisdokumentation ist unabhängig von einer Berichtigung ein Zuschlag von mindestens 100 € für jeden vollen Tag der Fristüberschreitung, jedoch höchstens ein Betrag in Höhe von 1.000.000 € für alle Fälle verspäteter Vorlage verwertbarer Aufzeichnungen je Veranlagungszeitraum festzusetzen. Die Festsetzung des Zuschlages erfolgt durch das Finanzamt, welches den Bescheid aufgrund des Betriebsprüfungsberichts erlässt, d.h. in der Regel das Veranlagungsfinanzamt.

7.114

Der Zuschlag ist nach Ansicht der Finanzverwaltung einheitlich für jeden Veranlagungszeitraum, für den die Verrechnungspreisdokumentation angefordert worden ist, festzusetzen und

7.115

1 Kiesel/Theisen, IStR 2006, 284, Häck in Schaumburg/Peters2, Rz. 16.129. 2 BGH v. 30.9.1980 – 5 StR 394/80, MDR 1981, 100 = HFR 1981, 286. 3 Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 12.37.

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Kap. 7 Rz. 7.115 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

bezieht sich nach dem Wortlaut des Gesetzes (§ 162 Abs. 4 Satz 1 AO) auf die jeweils nämliche Geschäftsbeziehung.1

7.116

Überschießende Sanktionierung durch Ansatz der Finanzverwaltung. In der Praxis stellt sich mithin die Frage, ob der Zuschlag dann für jede nicht-dokumentierte Geschäftsbeziehung einzeln festgesetzt werden darf, was im Prinzip zu enormen Zuschlagsvolumina führen könnte. In dieser Hinsicht ist Vorsicht geboten: Zum einen kommt es darauf an, für welche Geschäftsbeziehungen von dem Betriebsprüfer Aufzeichnungen nach § 90 Abs. 3 AO angefordert worden sind. Die Anforderung kann sich unter Berücksichtigung der Einschränkungen des § 2 Abs. 6 GAufzV daher auf Aufzeichnungen für das von der Finanzbehörde ausgewählte Prüfungsfeld und letztlich auf Aufzeichnungen für einen einzelnen (z.B. außergewöhnlichen) Geschäftsvorfall beziehen.

7.117

Zum anderen ist auf eine mögliche Aggregation von Geschäftsvorfällen zu achten. Ließen sich die in Rede stehenden Geschäftsbeziehungen nach § 2 Abs. 3 GAufzV zulässigerweise zusammenfassen, so wäre es schlechterdings widersinnig (und im Ergebnis sicherlich auch unverhältnismäßig) bei der Verhängung von Zuschlägen wieder eine „Zerlegung“ in einzelne Geschäftsvorfälle vorzunehmen. Zwar ist nachvollziehbar, dass die Verhängung von Zuschlägen eine generalpräventive Wirkung haben soll und den Steuerpflichtigen zu einer sachgerechten Erfüllung seiner Dokumentationspflichten anhalten soll, gleichwohl gilt auch bei der Auslegung dieser Sanktionsnorm der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. In einer aktuellen Entscheidung des FG Bremen ist zudem die Frage der Europarechtswidrigkeit aufgeworfen worden.2

7.118

Berücksichtigung sachgerechten Ermessens. Zudem ist jede Verhängung von Zuschlägen im Hinblick auf deren Höhe ermessensabhängig. Verschulden der Bfa., Dauer des Zustands einer fehlenden Dokumentation etc. müssen in diesem Lichte zwingend berücksichtigt werden.3 Verhängung von Zuschlägen nach § 162 Abs. 4 Satz 1 bis 3 AO ist zudem nicht zulässig, wenn die Nichterfüllung der Pflichten nach § 90 Abs. 3 AO entschuldbar erscheint oder nur ein geringfügiges Verschulden vorliegt (§ 162 Abs. 4 Satz 5 AO).

7.119

In der Prüfungspraxis ist zudem feststellbar, dass Betriebsprüfer oftmals gewillt sind, die Verhängung von Zuschlägen nicht zu verfolgen, wenn in der Sache eine Einigung über den streitigen Verrechnungspreisfall erzielt werden kann. Selbst wenn dies nicht gelingt, kann im Rahmen des Einspruchsverfahrens nach §§ 130 ff. AO noch eine Änderung des Zuschlags erreicht werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die betreffenden Einkünfte in einem Rechtsbehelfsverfahren, in einem Verständigungsverfahren oder in einem EU-Schiedsverfahren niedriger angesetzt werden als aufgrund der Feststellungen des Betriebsprüfers. Nach Ansicht der Finanzverwaltung kommt eine Änderung des Zuschlags (in Gestalt einer Neuberechnung) in diesen Fällen nur in Betracht, soweit der Steuerpflichtige gleichwohl eine im Wesentlichen verwertbare Verrechnungspreisdokumentation vorlegt.4

1 BT-Drucks. 18/9536, 43, stellt auf den einzelnen dokumentationspflichtigen Geschäftsvorfall ab; Schreiber/Greil, DB 2017,10 (17). 2 FG Bremen v. 7.7.2021 – 2 K 187/17(3). 3 VWG 2020, Tz. 90. 4 VWG 2020, Tz. 89 lit. e.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.123 Kap. 7

bb) Typische Konfliktsituationen in der Praxis (1) Ausgangssituation Praxiserfahrungen. Im Zusammenhang mit der eigentlichen Diskussion des Verrechnungspreissystems kommt es in verfahrensrechtlicher Hinsicht in vielen Betriebsprüfungen immer wieder zu folgenden Konfliktsituationen, deren konstruktive Bewältigung für den weiteren Ausgang der Betriebsprüfung von großer Bedeutung ist. Die nachfolgenden Schilderungen bestimmter Prüfungsabläufe verkörpern ausdrücklich keine Kritik am Wirken der Betriebsprüfung. Der Beruf des Betriebsprüfers ist ein sehr verantwortungsvoller Beruf, der in vielerlei Hinsicht nicht einfach ist und hohen Respekt verdient. In den meisten Betriebsprüfungen gelingt es eine konstruktive Gesprächsatmosphäre herzustellen, die faire und nachhaltig praktizierbare Lösungen von Verrechnungspreisfragestellungen ermöglicht. Gleichwohl bestehen in der Praxis mitunter typische Konfliktsituationen in „Phase 3“, denen nachfolgend nachgegangen werden soll und für die auf Basis vielfältiger Erfahrungswerte Lösungswege aufgezeigt werden sollen:

7.120

(2) Der Betriebsprüfer ignoriert den vorgetragenen Sachverhalt als „nicht relevant“ Sog. Prüfungssturheit. In der Praxis kommt es – gerade bei komplexen und durch hohe Transaktionsvolumina gekennzeichneten Sachverhalten – immer wieder zu der Situation, dass der Betriebsprüfer nach Durchsicht der Verrechnungspreisdokumentation und ggf. weiter angeforderten Unterlagen und Daten sich „bereits eine Meinung gebildet hat“. Jeder Versuch der Bfa. und des Beraters diesbezüglich zu replizieren wird entweder inhaltlich ignoriert oder mit dem Verweis abgetan, jener Sachverhaltsvortrag habe für die (vorläufigen) Prüfungsfeststellungen keine Relevanz und könne daher „dahingestellt“ bleiben; der Fall stehe in seiner Würdigung fest.

7.121

Nichtberücksichtigung verstößt gegen die zwingende Amtsermittlungsverpflichtung. In derartigen Situationen ist noch einmal sehr dezidiert das Gespräch mit dem Betriebsprüfer zu suchen und zu verdeutlichen, dass jeder Sachverhaltsvortrag der Bfa. zu würdigen ist; dies folgt bereits aus dem Amtsermittlungsgrundsatz nach § 88 AO und wird auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gleichlautend betrachtet.1 Gleichzeitig ist zu verdeutlichen, dass ein nicht ausermittelter Sachverhalt bzw. ein durch die Betriebsprüfung fehlerhaft festgestellter Sachverhalt bereits einer finanzgerichtlichen Überprüfung nicht standhalten wird. Überdies ist deutlich zu unterstreichen, dass ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz infolge einer rechtswidrig verweigerten Kenntnisnahme eines von der Bfa. vorgetragenen Sachverhalts zur Rechtswidrigkeit darauf beruhender Änderungsbescheide führt.

7.122

Kann ggü. dem Betriebsprüfer dargelegt werden, dass bei der Sachverhaltsaufarbeitung gravierende Fehler gemacht wurden (bspw. sind erhebliche Sachverhaltsteile (noch) nicht in der Würdigung enthalten), so besteht in der Regel weitere Gesprächsbereitschaft. Wichtig ist hier, grundsätzlich aus Sicht der Bfa. „hartnäckig“ zu bleiben und sich auch nicht von Drohkulissen (z.B. angedrohter Widerruf bislang erreichter Einigungen über Sachverhaltsbewertungen etc.) beeindrucken zu lassen. Ignoriert ein Betriebsprüfer den von einer Bfa. vorgetragenen Sachverhalt, so ist unmissverständlich deutlich zu machen, dass hier – wie oben bereits ausgeführt – ein verfahrensrechtlich rechtswidriges Verhalten vorliegt. Ggf. ist unter Fristsetzung eine Stellungnahme zu dem vorgetragenen Sachverhalt von der Betriebsprüfung einzufordern.

7.123

1 BFH v. 28.11.2007 – X R 11/07, BStBl. II 2008, 335; Wünsch in König3, § 88 AO Rz. 24, 26.

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Kap. 7 Rz. 7.124 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

7.124

Verweigert sich der Betriebsprüfer hingegen vollends dem weiteren Vortrag der Bfa., so gilt es dies seinerseits detailliert zu dokumentieren. Jene Fälle einer „Totalverweigerung“ sind nach den Erfahrungen des Verfassers jedoch eher selten anzutreffen. In diesem Zusammenhang wäre als letzter Schritt zu erwägen, den Sach- bzw. Hauptsachgebietsleiter des Prüfungsamts einzuschalten und auf die erhebliche Verletzung der Amtsermittlungspflichten schriftlich hinzuweisen; hierbei ist stets die Kausalität des nicht berücksichtigten Sachverhalts im Hinblick auf die Würdigung des Falls aus Verrechnungspreissicht darzulegen. Ein derartiges Vorgehen sollte im Vorfeld dem Betriebsprüfer angekündigt werden und ihm verdeutlicht werden, dass er nicht „übergangen“ werden soll, jedoch keine andere Handlungsoption mehr besteht („ultima ratio“). (3) Der Betriebsprüfer bleibt passiv und verzögert die Analyse sowie die Rückmeldung

7.125

Problem fehlenden Prüferfeedbacks. Eine weitere, in der Praxis zuweilen anzutreffende Konfliktsituation ist dadurch gekennzeichnet, dass der Betriebsprüfer auf die verlangten Eingaben und Unterlagen der Bfa. zeitlich extrem verspätet reagiert bzw. keine eindeutige Rückmeldung an die Bfa. gibt. Einem derartigen Prüferverhalten ist stets sehr zeitnah und bestimmt entgegenzutreten, dies jedoch auf eine konstruktive und unterstützende Weise.

7.126

Nach § 199 Abs. 2, 32c AO ist die Bfa. während der Betriebsprüfung über die festgestellten Sachverhalte und die möglichen steuerlichen Auswirkungen zu unterrichten, wenn dadurch Zweck und Ablauf der Prüfung nicht beeinträchtigt werden. Insoweit hat die Bfa. zunächst die Möglichkeit sich darüber zu informieren, in welchem Bearbeitungsstatus sich die Prüfung aus Sicht der Finanzverwaltung befindet.

7.127

Analyse der Gründe wichtig. Darüber hinaus sollte offen nach den Gründen für die Verzögerung gefragt werden, dies sollte in jedem Fall schriftlich und ggf. unter Einbeziehung des gesamten Betriebsprüferteams erfolgen. Ebenfalls wichtig ist es, einen weiteren Vorschlag zum weiteren Prüfungsablauf zu unterbreiten; wenn möglich sollte dies bereits zu Beginn der Prüfungshandlungen durchgeführt und verbindliche „Prüfungs-Milestones“ schriftlich vereinbart werden (Ablaufplan). Die Einhaltung dieser „Prüfungs-Milestones“ ist fortlaufend zu überwachen und im Rahmen von regelmäßig stattfindenden „Jour Fixes“ mit dem Prüferteam zu besprechen. In diesem Rahmen können etwaige Zeitverzögerungen durch nicht erkennbare Prüfungsumstände besprochen und der weitere Ablauf gemeinsam abgestimmt werden. All dies entspricht dem Grundgedanken des § 7 Satz 2 BpO 2002, wonach die Zeitdauer einer steuerlichen Betriebsprüfung auf das „notwendige Maß“ zu beschränken ist. (4) Der Betriebsprüfer bietet ein schnelles Prüfungsende gegen reine „Zahleneinigung“ an

7.128

Der „Bargaining“-Ansatz. Eine weitere, in der Praxis häufig anzutreffende Konfliktsituation ist in diesem Zusammenhang das Anbieten eines zügigen Abschlusses der Betriebsprüfung durch den Betriebsprüfer gegen eine weitgehende Anerkennung seiner Feststellungen. Dies geht in der Regel mit einer eher oberflächlichen Prüfung des zugrunde liegenden Sachverhalts aus formeller und materieller Verrechnungspreisperspektive einher. Oftmals wird in diesem Zusammenhang ggü. der Bfa. aufgrund vermeintlich eindeutiger Feststellungen ein sog. Ankerpreis für die weitere „Einigung auf eine Zahl“ genannt, über den man schließlich reden könne.

7.129

So unbefriedigend ein derartiges Prüferauftreten wirken mag, umso verständlicher ist es manchmal aus dem Blickwinkel der Distanz. Hoher Erledigungsdruck aufgrund verwaltungs640 | Puls

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.133 Kap. 7

interner Vorgaben, fehlende behördeninterne Unterstützung, mangelnde Ausbildung sowie fehlende Erfahrungswerte in vielen komplexen Verrechnungspreisaspekten verleiten Betriebsprüfer mitunter zu einem derartigen Vorgehen. Kritische Betrachtung. Aus Sicht der Bfa. und des Beraters ist bei derartigen Angeboten in der Regel große Vorsicht geboten, denn derartige Verhandlungsergebnisse – mögen sie auf den ersten Blick eine zügige Entledigung eines als sehr mühseligen und mit einer enormen Ressourcenbindung verbundenen Verfahrens betrachtet werden – weisen in aller Regel keine Nachhaltigkeit in ihrem Lösungsansatz auf. Nicht selten eskaliert in der dann darauffolgenden Betriebsprüfung der zugrunde liegende Verrechnungspreiskonflikt umso heftiger: Ggf. hat sich auf Seiten der Bfa. eine Erwartungshaltung auch für die kommenden Prüfungsperiode gebildet, die dann mit der Realität eines sich der Sache nun intensiv annehmenden Betriebsprüfers erheblich kollidieren kann.

7.130

Konzeptionelle Lösung regelmäßig sinnvoller. Die Frage, schnelle, rein zahlengetriebene Einigungsangebote des Betriebsprüfers anzunehmen, ist mithin immer einzelfallabhängig zu entscheiden. Liegt dem Fall eine in der Sache begründete Komplexität zugrunde, ist es oftmals sinnvoller das weitere Gespräch mit dem Betriebsprüfer zu suchen und selbst noch einmal pragmatische Lösungsansätze zu präsentieren, die ggf. über den Prüfungszeitraum – wenn auch nicht rechtsverbindlich, jedoch verrechnungspreissystematisch – weiter tragen können. In der Praxis ist das Meinungsbild nach den Erfahrungen des Verfassers sehr unterschiedlich: Viele Steuerpflichtige nehmen derartige Angebote an, wenn der „Preis stimmt“, da im nächsten Prüfungszeitraum „die Karten sowieso neu gemischt werden“. Ob dies wirklich sinnvoll ist, kann – wie gesagt – nur auf Basis des zu betrachtenden Einzelfalls bewertet werden. Ist der Prüfer hingegen bereit, auch über die Verrechnungspreismethodik zu sprechen und sich hierzu zu verständigen (d.h. eine konzeptionelle Lösung anzuerkennen), so ist ein Weiterverhandeln über den Einigungspreis hinaus in der Regel sinnvoller als eine schnelle, unsubstantiierte Beendigung der Prüfung.

7.131

e) Phase 4: Abschluss- bzw. -Vereinbarungsphase Schlussbesprechung und ihr Charakter. In der Abschlussphase sollte – sofern es gelingt, die Positionen der Betriebsprüfung und der Bfa. zusammen zu bringen – eine Einigung zwischen den Beteiligten erfolgen; zwingend ist dies jedoch nicht. Im Rahmen der Schlussbesprechung sind zwischen der Betriebsprüfung und der Bfa. noch einmal die Prüfungsfeststellungen und deren steuerliche Beurteilung (sowie die damit verbundenen Konsequenzen) zu erörtern. Der Bfa. wird damit die Möglichkeit gegeben, mit den Prüfern streitige Fragestellungen in tatsächlicher wie steuerrechtlicher Hinsicht eingehend zu besprechen, auch wenn er – wie es § 199 Abs. 2 AO vorsieht – fortlaufend über die Prüfungsergebnisse zu unterrichten gewesen ist.1 Hierauf hat die Bfa. sogar einen Rechtsanspruch.2

7.132

Ob und inwieweit eine in der Schlussbesprechung gefundene Einigung für die Steuerfestsetzung bindend ist, läuft auf die Fragestellung hinaus, ob es sich um eine rechtlich bindende Verständigung oder um eine unverbindliche, wenn auch einvernehmliche Beurteilung des Prüfungsstoffes handelt.3 Nach Ansicht der Rechtsprechung haben Äußerungen einer Finanzbehörde in der Schlussbesprechung – ebenso wie diejenigen der Bfa. – lediglich vorläufigen

7.133

1 Wenzig, Außenprüfung/Betriebsprüfung10, 786, 787. 2 BFH v. 16.12.1987 – I R 66/84, BFH/NV 1988, 319. 3 Vgl. nur Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 1a, 2.

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Kap. 7 Rz. 7.133 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

Charakter; sie sind mithin rechtlich unverbindlich.1 Umgekehrt ist eine Zustimmung des Steuerpflichtigen zur Beurteilung durch die Finanzbehörde kein Einspruchsverzicht.2

7.134

Wird in der Schlussbesprechung eine Einigung erzielt, so gilt diese nach den Erfahrungen des Verfassers umfassend, auch wenn sich herausstellen sollte, dass ggf. Dinge von der Betriebsprüfung übersehen worden sind und bei der Auswertung des Prüfungsberichts ggf. noch offenkundig werden. Auch von Vertretern der Finanzverwaltung wird eine einmal gefundene „Lösung“ im Interesse einer Gesamteinigung als ein „hohes Gut“ bezeichnet, über das man sich nicht hinwegsetzen sollte.3

7.135

Gute Vorbereitung und Strukturierung wichtig. Wichtig für die Schlussbesprechung ist, dass sich die Gesprächspartner auf das Wesentliche konzentrieren. Insoweit bedarf es einer stringenten Gliederung der Besprechungspunkte und einer konsequenten Zusammenfassung von kleineren Punkten, die ggf. „en bloc“ geklärt werden können. In der Regel beginnt die Betriebsprüfung mit dem Vortrag zu ihren Sachverhaltsfeststellungen und den ihrer Ansicht nach daraus zu ziehenden Schlüssen.

7.136

Geht es um die Frage der Verrechnungspreissystematik als solches, bietet es sich an, diejenigen Sachverhaltspunkte über die Einvernehmen besteht, gemeinsam zu bestätigen und streitige Verrechnungspreisfragen in einer logischen Systematik zu diskutieren (z.B. Funktions- und Risikoprofil, Folge für die Unternehmenscharakterisierung, daraus abzuleitende Anwendbarkeit der Verrechnungspreismethodik etc.).Denn Ziel der Schlussbesprechung muss es grundsätzlich sein, eine wirtschaftlich sinnvolle und für die Bfa. praktikable Lösung eines Verrechnungspreiskonflikts zu finden, die ggf. – auch aus Sicht der Finanzverwaltung – langwierige FG- bzw. Verständigungsverfahren nach sich zieht. Gelingt dies allerdings nicht, so sollte auch darüber bereits offen in der Schlussbesprechung diskutiert werden. In der Praxis hat es sich aus Sicht vieler Steuerpflichtiger zudem bewährt, einen konkreten „Plan“ zur Beantragung von Verständigungsverfahren ggü. der Betriebsprüfung präsentieren zu können.

7.137

Rechtliche Absicherung für die Zukunft. Fraglich ist in der Praxis in zahlreichen Fällen, wie ggf. Rechtsverbindlichkeit einer gefundenen Verrechnungspreislösung auch für die Zukunft – abseits von Vorabverständigungsverfahren (APAs) – hergestellt werden kann. Hierzu käme vornehmlich eine sog. Anschlusszusage nach § 204 AO in Betracht. Aber auch eine sog. tatsächliche Verständigung über den zugrunde liegenden Prüfungssachverhalt kann unter gewissen Umständen eine Wirkung für die Zukunft erzeugen. Eine tatsächliche Verständigung zielt auf bereits verwirklichte Sachverhalte ab, deren Aufklärung nicht oder nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand erreicht werden könnte; sie bindet beide Beteiligten, allerdings nur hinsichtlich der Beurteilung des (nur unverhältnismäßig schwierig aufzuklärenden) Sachverhalts für die Vergangenheit.4 Insoweit ist es der Finanzverwaltung infolge einer tatsächlichen Verständigung, die im Rahmen einer Betriebsprüfung mit der Bfa. getroffen wurde, auch untersagt, später bei der Auswertung der Prüfungsunterlagen weitere Punkte, die für eine Einkünftekorrektur sprechen, noch auszuwerten.5 Wirkt sich der in der tatsächlichen Verständigung festgelegte Sachverhalt auch in die Zukunft aus und sollte sie sich nach dem Willen der Beteiligten auch hierauf erstrecken, tritt – gleich bleibende tatsächliche Verhältnisse voraus1 2 3 4 5

BFH v. 11.4.1990 – I R 167/86, BStBl. II 1990, 772. Ausdrücklich Rüsken in Klein15, § 201 AO Rz. 1a, 2. Wenzig, Außenprüfung/Betriebsprüfung10, 787. Siehe BMF v. 30.7.2008 – IV C 5 - IV A 3 - S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831. FG Münster 16.5.2019 – 5 K 1303/18 U, DStRE 2020, 41, rkr.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.141 Kap. 7

gesetzt – nach Tz. 4.2. Satz 2 des BMF-Schreibens v. 30.7.2008 insoweit ebenfalls eine Bindung ein. Derartige Verständigungen sind in der Praxis jedoch erfahrungsgemäß selten anzutreffen und beziehen sich erfahrungsgemäß nur auf unmittelbar an einen Prüfungszeitraum angrenzende Zeiträume. Gegenstand einer verbindlichen Zusage nach § 204 AO sind Sachverhalte, deren Verwirklichung im Rahmen der Betriebsprüfung verbindlich festgestellt wurden. Durch die verbindliche Zusage wird die Finanzbehörde im Hinblick auf die künftige steuerliche Behandlung eines zugrunde liegenden Sachverhalts rechtlich gebunden.1 Im Bereich der Verrechnungspreise sind derartige „unilaterale“ Zusagen mittlerweile selten, da die Finanzverwaltung in der Regel auf das Betreiben von bilateralen Vorabverständigungsverfahren drängt. Zudem gehen viele Länderfinanzverwaltungen mittlerweile davon aus, dass Anschlusszusagen als „unilateral tax rulings“ zu qualifizieren sind, die mit entsprechenden Mitteilungspflichten nach DAC3 verbunden wären.

7.138

Informelle Einigung für die Zukunft abseits der AO. Wird in Verrechnungspreisthemen – abseits einer tatsächlichen Verständigung bzw. einer Anschlusszusage – eine Einigung (auch) für die Zukunft getroffen, so erfolgt dies in der Regel auf Grundlage eines informellen Memorandum of Understandings (MoU) zwischen der Bfa. und der Betriebsprüfung. Rechtlich entfaltet ein derartiges „MoU“ als solches grundsätzlich keine Bindungswirkung; es erfolgt lediglich verwaltungsintern eine Mitteilung, dass die geprüften Verrechnungspreisfragestellung im Hinblick auf die abgesprochene Zeitdauer kein „Prüfungsfeld“ durch die Anschlussprüfung sein wird. Hierauf darf sich die Bfa. nach Treu und Glauben auch verlassen.

7.139

Einzelheiten zur Verhandlung selbst, den Verhandlungsstilen der Beteiligten und möglicher methodischer Lösungsansätze bei „verfahrenen“ Verhandlungen sind in Rz. 1.904–1.964 praxisnah weiter erläutert.

7.140

II. Beispielhafte Prüfungsproblemfelder aus materieller Verrechnungspreissicht 1. Konzerninterne Dienstleistungsverrechnung in der Betriebsprüfung a) Häufiger Konfliktpunkt der Kostenverrechnung In der Praxis sind die nachfolgend skizzierten Fragestellungen aus materieller Verrechnungspreissicht regelmäßig anzutreffen. Eine Dauerfragestellung im Bereich der Verrechenbarkeit von durch Dienstleistungserbringungen zwischen Nahestehenden entstandenen Kosten ist die Definition des sog. Gesellschafteraufwands (sog. „shareholder costs“). Dies betrifft Inboundebenso wie Outbound-Sachverhalte, die von der Finanzverwaltung im Rahmen von Betriebsprüfungen begutachtet werden. Streitig ist im Rahmen von Betriebsprüfungen in diesem Zusammenhang oftmals die Höhe der damit verbundenen Kostenbasis. Bei Outbound-Sachverhalten vertritt die deutsche Betriebsprüfung in der Regel die Sichtweise, es seien „zu wenig“ Kosten an ausländische Konzerngesellschaften verrechnet worden. Im Inbound-Fall wird hingegen oftmals die Ansicht geäußert, es liege Gesellschafteraufwand vor, welcher der deutschen Konzerngesellschaft nicht in Rechnung gestellt werden dürfe; zudem wird häufig argumentiert, es liege kein hinreichender „economic benefit“ durch die Leistungserbringung vor, so dass die verrechneten Kosten ehedem nicht steuerlich abzugsfähig sein können.

1 Siehe BFH v. 13.12.1995 – XI R 43–45/89, BStBl. II 1996, 232.

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7.141

Kap. 7 Rz. 7.142 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

b) Verrechenbare Kosten und Gesellschafteraufwand

7.142

Abgrenzung der Begrifflichkeiten. Unter dem Begriff des „Gesellschafteraufwands“ werden regelmäßig sämtliche Kosten verstanden, die durch Maßnahmen entstehen, welche eine Muttergesellschaft trifft, um (i) ihre Rechte als Gesellschafterin ggü. einer Tochtergesellschaft wahrzunehmen oder (ii) um deren Tätigkeiten im Rahmen ihrer Gesellschafterstellung zu überwachen. Aus dieser grundlegenden Erkenntnis wird abgeleitet, dass bspw. Leistungen für den Bereich der Konzernorganisation als in der Regel nicht verrechenbar anzusehen sind.1

7.143

In der Praxis oftmals keine klare Abgrenzung möglich. Sog. Mischleistungen sind gegeben, wenn gleichermaßen verrechenbare und nicht verrechenbare Leistungen vorliegen. Bei derartigen Leistungen handelt es sich um solche, die im Interesse der Konzernmutter erbracht werden, jedoch auch im (wirtschaftlichen) Interesse von Konzerntochtergesellschaften liegen. Insoweit ist der Begriff des „Gesellschafteraufwands“ funktional eng mit dem sog. „benefit test“ zu betrachten, der eine Leistung als verrechenbar ansieht, als sie für den Empfänger einen greifbaren wirtschaftlichen Vorteil begründet. Im Grunde geht es bei der Frage nach der Verrechenbarkeit mithin allgemein um die Fragestellung, wer aus einer Leistung einen (wirtschaftlichen) Nutzen davonträgt und in einer Fremdvergleichssituation für den Leistungsempfang bereit wäre, ein Entgelt zu entrichten („benefit test“ und „willing-to-pay test“).2

7.144

Problematisch an diesem vorstehenden – tradierten – Definitionsansatz ist, dass ihm auf internationaler Ebene unterschiedliche Interpretationen widerfahren und er mithin eine Quelle zahlreicher Doppelbesteuerungskonflikte verkörpert. So wird bspw. aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung der Terminus „Gesellschafteraufwand“ tatbestandlich sehr weit ausgelegt, um gerade Kostenverrechnungen von ausländischen Konzernmüttern an deutsche Tochtergesellschaften im Bereich der Management- und Kontrolltätigkeiten zu verhindern.3 c) Sog. Benefit Test

7.145

Wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit als Hauptansatzpunkt. Zudem besteht im Rahmen des o.g. „benefit tests“ – zumindest aus deutsch-steuerlicher Sicht – eine enge Verbindung zur Frage nach der betrieblichen Veranlassung von Kosten.4 Bereits nach Ansicht der Rechtsprechung gelten bei verbundenen Unternehmen Aufwendungen dann als betrieblich veranlasst, wenn sie in einem objektiven Zusammenhang mit dem Betrieb eines Unternehmens stehen. Aber auch bei einer mittelbaren Veranlassung der Aufwendungen, die mit dem Betrieb zusammenhängen, kann es sich im Ergebnis um betrieblichen Aufwand handeln. Hierbei kommt es entscheidend auf die subjektiven Erwägungen des Steuerpflichtigen an; eine „betriebliche Veranlassung“ liegt dann vor, wenn der Steuerpflichtige mit den Aufwendungen seinen Betrieb „subjektiv fördern wollte“. An dieser Stelle ist auf die Leitfigur des ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiters zurückzugreifen. Kann davon ausgegangen werden, dass ein derartiger Geschäftsleiter die entsprechenden Aufwendungen getragen hätte, so qualifizieren sich diese als „betrieblich veranlasst“.5

1 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 7.10 f.; siehe auch Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung8, 689 f. 2 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 7.6 f. 3 Siehe dazu noch ehemals BMF v. 23.2.1983, BStBl. I 1983, 218 Tz. 6.2.2.; Baumhoff in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 6.118. 4 Dazu Baumhoff in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 6.110. 5 Im Einzelnen ferner dazu Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 3.143 ff.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.148 Kap. 7

Stiftung eines ökonomischen Nutzens. Eine Verrechenbarkeit kann im Ergebnis insofern bejaht werden, wenn die dahinterstehende „Leistung“ beim Empfänger einen wirtschaftlichen Nutzen (bzw. einen wirtschaftlichen Vorteil) generiert und dieser zum Leistungszeitpunkt auch objektiv zu erwarten war.1 Es ist dabei entscheidend, ob zum Zeitpunkt der Leistungserbringung von einer Förderung der Geschäftstätigkeit des konzerninternen Leistungsempfängers vernünftigerweise auszugehen war bzw. dies erwartet werden konnte. Im Zuge dessen ist eine Verrechnung auch dann möglich, wenn der erwartete Nutzen sich später nicht einstellt oder sogar Nachteile aus dem Bezug der „Leistung“ entstehen. In diesem Zusammenhang sind auch sog. „on-call“-Leistungen (insbesondere im IT-Supportbereich oder im Bereich Recht) grundsätzlich verrechenbar, denn das Bereitstellen einer Leistung, die im Bedarfsfall abgerufen werden kann, ist bereits seinerseits als verrechenbare „Leistung“ zu qualifizieren und wird auch zwischen fremden Dritten vergütet.2

7.146

Hinreichende Konkretisierbarkeit. Ferner wird von der Finanzverwaltung in der Praxis teilweise die Ansicht vertreten, dass eine „Leistung“ (nur) dann verrechenbar sein kann, wenn sie einzeln erfasst werden kann und infolgedessen konkretisierbar ist. Diese Voraussetzung für eine Verrechenbarkeit erscheint nicht unproblematisch, denn bei konzerninternen Leistungen kann es sich auch um nicht oder nur teilweise marktgängige Leistungen handeln, die nur wenig spezifizierbar sind. Darüber hinaus werden Leistungen häufig aggregiert erbracht und können ineinander verschmelzen, so dass u.U. nur ein mittelbarer Nutzen auf Ebene des Empfängers entstehen kann (z.B. Leistungen im Digitalisierungsbereich). Auch hier gilt, dass eine Verrechenbarkeit immer dann anzunehmen sein sollte, wenn dem Empfänger dergestalt ein wirtschaftlicher Vorteil zufällt, den auch ein fremder Dritter nicht unentgeltlich hätte erwarten können.3 Dies erfordert jedoch teilweise eine intensive (mitunter unverhältnismäßig aufwendige) „benefit“-Analyse, gerade im Hinblick auf lediglich mittelbare Vorteile aus einem Dienstleistungsbezug. In der Praxis sollte es daher gerechtfertigt sein, bei lediglich mittelbaren Vorteilen einen großzügigeren Betrachtungsmaßstab anzulegen, so dass nicht jede Form eines „mittelbaren Vorteils“ – auch bei Outbound-Sachverhalten, d.h. aus Perspektive einer deutschen Konzernmutter – eine Verrechnungspflicht auslöst. Legt der Steuerpflichtige hier bspw. sachgerechte „Filterkriterien“ an, ab wann eine Verrechnung nach Maßgabe objektiver Kriterien erfolgen soll und dokumentiert er diese hinreichend, so sollte dieses Vorgehen auch in Betriebsprüfungen anerkannt werden, denn auch fremde Dritte würden hier eine Abwägungsentscheidung treffen.

7.147

Erfordernis ersparter eigener Kosten. Schließlich soll – so zumindest teilweise die Ansicht der Finanzverwaltung in der Praxis – das Kriterium der ersparten Kosten (ex-post) beim Empfänger erfüllt sein müssen, um eine Verrechnung von entsprechenden Dienstleistungskosten dem Grunde nach steuerlich anerkennen zu können.4 Zunächst ist bei diesem Kriterium kein hinreichender Unterschied zum Postulat eines „wirtschaftlichen Vorteils“ zu sehen; zum anderen erscheint dieses Kriterium im Ergebnis nicht wirklich sinnstiftend, wenn beim Empfänger insgesamt höhere Erträge durch den Bezug der Leistung entstanden sind. Es sollte da-

7.148

1 Konkret OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 7.6.; Baumhoff in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 6.115; vgl. nunmehr auch VWG 2021, Tz. 3.64 mit dem expliziten Verweis auf das Kapitel VII der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 (Anlage 1 zu den VWG 2021). 2 Siehe auch EU-JTPF, KOM (2011) 16, Rz. 56 f., abrufbar unter https://ec.europa.eu/taxation_cus toms/sites/taxation/files/resources/documents/taxation/company_tax/transfer_pricing/forum/c_ 2011_16_de.pdf; VWG 2021, Tz. 3.68 spricht insoweit bei „on-call services“ von einem „Optionswert“ der Abrufbarkeit einer Leistung. 3 Insoweit der OECD-Sichtweise sich annähernd VWG 2021, Tz. 3.23 im Hinblick auf die Zusammenfassung von Geschäftsvorfällen. 4 Vgl. VWG 2021, Tz. 3.68 lit. c. für sog. Dienstleistungen auf Abruf.

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Kap. 7 Rz. 7.148 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

her in der Betriebsprüfungspraxis ausschließlich um den sog. „benefit test“ gehen, wie ihn die OECD in den Verrechnungspreisleitlinien inhaltlich definiert (siehe oben). d) Verrechnungsformen

7.149

Grundformen der Verrechnung. Grundsätzlich kommen auch bei der Kostenverrechnung infolge von konzerninternen Dienstleistungen die steuerlich anerkannten Verrechnungsformen im grenzüberschreitenden Konzern in Betracht; dies ist neben der (i) bilateralen Verrechnung, die (ii) Konzern- sowie die (iii) Kostenumlage nach dem Pool-Konzept. Bei der „klassischen“ Konzernumlage geht es um die indirekte Verrechnung von Projektkosten. Hierbei werden zunächst sämtliche projektbezogenen Kosten (in der Regel Kosten eigener Ressourcen sowie ggf. externe Berater- und Lizenzkosten) gesammelt und auf Basis eines sachgerechten Schlüssels auf die nutznießenden Tochterkonzerngesellschaften unter Berücksichtigung eines (moderaten) Gewinnaufschlags umgelegt.1

7.150

In der Praxis hat sich das Modell der Fokussierung derartiger Tätigkeiten durch spezielle Projekt- oder Dienstleistungsgesellschaften im Konzern etabliert, die in der Regel von der Konzernmutter entsprechend beauftragt worden sind. Hierbei werden Projektkosten auf reiner Kostenbasis verrechnet und die Konzerndienstleistungsgesellschaft erhält für ihre diesbezüglichen (Administrations-)Tätigkeiten eine „handling fee“, die im wirtschaftlichen Ergebnis auf eine „Cost Plus“-Vergütung hinausläuft.

7.151

Besonderheiten beim Dienstleistungs-Pool. Die Verrechnung über das Instrument einer Kostenumlage (im Sinne eines Pool-Konzepts) begegnet seit der Implementierung des Kapitel 8 der OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 und dem BMF-Schreiben vom 14.7.2021 hingegen größeren Bedenken sowie praktischen Umsetzungsschwierigkeiten.2 Denn insoweit sind sämtliche Beiträge der Pool-Teilnehmer in die Poolsphäre im Prinzip nach Maßgabe von (fiktiven) „Marktpreisen“ zu bewerten. Dies bedeutet in der Praxis, dass bspw. bei der Verrechnung von Kosten im Konzern der „fair market value“ dieser Leistungen in Gestalt eines Fremdpreises zu berechnen wäre. Ferner soll der Teilnehmerkreis auf solche Konzerngesellschaften beschränkt sein, die entsprechend „befähigt“ sind, die Funktions- und Risikosteuerung der Projektrealisierung zu überschauen und ggf. entsprechend mitzuentscheiden. Zwar wird von den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 für den Bereich der sog. reinen „Cost Contribution Arrangements“ eine Ausnahme vom o.g. „Marktpreisprinzip“ in Gestalt einer reinen Kostenverrechnung grundsätzlich zugelassen;3 in der Praxis kann aber selbst für einen derartigen Ansatz nicht ausgeschlossen werden, dass er Gegenstand erheblicher Diskussionen mit der Finanzverwaltung in Betriebsprüfungen sein wird. Erste Beispiele aus Betriebsprüfungsgesprächen, die auf Basis von Kapitel 8 der OECD-Verrechnungsleitlinien 2017 geführt werden, weisen in diese Richtung.4

1 Siehe hierzu auch OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 7.44 ff; siehe auch VWG 2021, Tz. 3.78 f. 2 Siehe hierzu grundlegend Puls/Heravi, Ubg 2018, 507 ff.; nunmehr VWG 2021, Tz. 3.81, 3.82 lit. b. anstelle von BMF v. 5.7.2018 – IV B 5 - S 1341/0 :003, BStBl. I 2018, 743. 3 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 8.28 S. 1 u. 2. 4 Siehe hierzu auch VWG 2021, Tz. 3.82 letzter Satz, wonach rein kostenbasierte Bewertungen der Beiträge der Pool-Teilnehmer (auch beim Dienstleistungs-Pool) grundsätzlich nicht fremdüblich sein sollen.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.154 Kap. 7

e) Höhe der Kostenallokation Kostenbasis. Die Tatsache, dass im Rahmen der Kostenverteilung der Höhe nach ein vernünftiger Beurteilungsspielraum zugunsten des Steuerpflichtigen bestehen muss, folgt bereits aus dem Betrachtungsmaßstab der Rechtsfigur des ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiters. Das Handeln eines derartigen Geschäftsleiters sollte sich zunächst vornehmlich am Interesse des von ihm geführten Betriebs ausrichten und damit die Umsetzung der eigenbetrieblichen Gewinnmaximierung als primäres Ziel verfolgen. Für die Frage nach einer fremdvergleichskonformen Kostenallokation ist hierbei im Grundsatz zu unterstellen, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter – als Ausdruck seines Gewinnmaximierungsziels – in der Regel nur einen möglichst geringen Kostenteil tragen wollen würde.1

7.152

Unternehmerische Einschätzung. Diese subjektive Handlungsmaxime muss hierbei mit einem rationalen Entscheidungskalkül versehen sein: Dies bedeutet, dass jene Rechtsfigur ihre unternehmerischen Entscheidungen unter Einbezug marktbedingter Unsicherheiten und Handlungseinschränkungen fällen muss, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass etwaige Handlungsspielräume durch Handlungen bzw. Entscheidungen der anderen gedachten Transaktionsparteien (in diesem Fall der anderen Vertragsseite) regelmäßig eingeschränkt sind.2 Nach Ansicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat der vorgenannte Fremdvergleichsgrundsatz zentrale Bedeutung für die Fragestellung nach der Veranlassung einer Handlung durch das Gesellschaftsverhältnis.3 Dies bedeutet, dass eine entsprechende Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis (und damit im Ergebnis ein nicht-fremdvergleichskonformes Handeln) anhand eines Vergleichs zwischen dem tatsächlichen Geschehensablauf und dem hypothetischen Handeln eines ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiters „gemessen“ wird. Weicht der tatsächliche Geschehensablauf von dem ab, was ein ordentlicher und gewissenhaft handelnder Geschäftsleiter mutmaßlich unter vergleichbaren Voraussetzungen getan hätte, so wird die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis widerlegbar vermutet; es liegt insoweit ein nicht-fremdvergleichskonformes Handeln vor.4

7.153

Beurteilungsspielraum. Die Rechtsprechung sowie die herrschende Auffassung in der Literatur billigem dem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter insoweit einen Beurteilungs- bzw. Handlungsspielraum zu, sodass sich unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes eine gewisse „Bandbreite“ zulässiger Handlungsalternativen ergeben kann.5 Diesen Beurteilungsspielraum hat die Betriebsprüfung auch bei der Kostenallokation anzuerkennen, wenn die Bfa. darlegen kann, dass die Kostenallokation nach objektiven Kriterien und einer gebotenen kaufmännischen Vorsicht vorgenommen worden ist. Hierbei besteht grundsätzlich zugunsten des Steuerpflichtigen im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs ein steuerlich anzuerkennender Beurteilungsspielraum.

7.154

1 Durch die Beteiligung mehrerer Vertragspartner ist folglich auch die andere Vertragsseite entsprechend ihrer wirtschaftlichen Interessenlage durch einen ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter vertreten und muss daher in einem sog. doppelten Fremdvergleich berücksichtigt werden; vgl. Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 3.144. 2 Vgl. stellvertretend Roeder, Ubg 2008, 202 f. 3 Siehe Wassermeyer in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 2.42 m.w.N. 4 Siehe auch BFH v. 11.9.2013 – I R 28/13, BStBl. II 2014, 726. 5 Vgl. Baumhoff/Liebchen in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 3.147.

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Kap. 7 Rz. 7.155 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

2. Prüfungsfeld IP-relevante Sachverhalte und Lizenzverhältnisse a) Streitpunkt Lizenzsatzhöhe

7.155

Schwerpunktthematik. Insbesondere in jüngeren Zeiträumen ist das Themenfeld der Vergütung für die Nutzungsüberlassung immaterieller Vermögenswerte verstärkt in den Fokus der Betriebsprüfung gerückt. Angesichts der Tatsache, dass hierbei oftmals Dauersachverhalte mit hohen Transaktionsvolumina vorliegen, ist dieses Themenfeld aus Sicht der Bfa. sehr sensitiv. Einer der häufigsten Streitpunkte in der steuerlichen Betriebsprüfung ist die Frage nach der fremdvergleichskonformen Vergütung der IP-Nutzungsüberlassung, vornehmlich bei Markenlizenzierungen.

7.156

Generelle Überlegungen. Für die Beurteilung der Fremdüblichkeit der Höhe nach ist die zwischen den verbundenen Parteien vereinbarte Lizenzgebühr u.a. dahingehend zu überprüfen, ob die gezahlte Vergütung der Höhe nach dem entspricht, was ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter im vergleichbaren Fall zu zahlen bereit gewesen wäre.1

7.157

Ausgangspunkt in der Praxis ist oftmals das Vorliegen von gebenchmarkten Lizenzentgelten, die häufig Gegenstand des Prüfungseinstiegs sind. Diesbezüglich führt eine (ggf. auch begründete) Zurückweisung einzelner Vergleichswerte in einem Daten-Set vergleichbarer Lizenzsatzwerte durch den Betriebsprüfer noch nicht zu einer Mitwirkungspflichtverletzung des Steuerpflichtigen und einem Inzweifelziehen der Verrechnungspreisbestimmung, sofern das ernsthafte Bemühen des Steuerpflichtigen, einen fremdvergleichsüblichen Preis anzusetzen, unzweifelhaft vorhanden ist. b) Prüfungsstrategie der Finanzverwaltung

7.158

Verrechnungspreismethodik. Ausgangspunkt für die Betrachtung einer fremdvergleichskonformen Vergütung der IP-Nutzungsüberlassung ist in der Regel die Preisvergleichsmethode2. In der Praxis versucht die Finanzverwaltung bei Outbound-Sachverhalten hingegen oftmals – auf Basis einer gewinnorientierten Betrachtungsweise – ausländisches Besteuerungssubstrat über die Anwendung der geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode (Profit Split) nach Deutschland „abzusaugen“. Dies geschieht insbesondere bei Markenlizenzsachverhalten. Hier wird argumentiert, es liege auf deutscher Seite stets eine Lizenz-Entrepreneureigenschaft vor, der im Ergebnis immer residualgewinnberechtigt sein müsse und damit auch operative Gewinne aus der Tätigkeit des Lizenznehmers über die Lizenz beanspruchen dürfe. Nach den VWG 2021 soll zudem der sog. hypothetische Fremdvergleich bei der Frage nach der Höhe eines Lizenzentgelts eine entscheidende Rolle spielen; was dies konkret bedeutet, ist von der Finanzverwaltung allerdings offengelassen worden.3

7.159

Die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode („profit split method“) kann jedoch in der Regel nur herangezogen werden, wenn sich die Standardverrechnungspreismethoden nicht oder nicht verlässlich anwenden lassen. Dies kann ausnahmsweise bei der Gewinnabgrenzung von grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen zwischen mehreren Konzernunternehmen mit „Entrepreneur“-Funktion der Fall sein, die gemeinsam an der Anbahnung, Abwicklung und an dem Abschluss eines Geschäfts beteiligt sind, ohne dass wertbeitrags-

1 BFH v. 9.8.2000 – I R 12/99, BStBl. II 2001, 140. 2 Siehe dazu OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 6.33 ff. 3 VWG 2021, Tz. 3.59; siehe auch dazu im Folgenden unter Abschn. cc, Rz. 7.162.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.162 Kap. 7

mäßig Einzelbeiträge abgegrenzt werden können.1 Dies ist bei der klassischen Markenlizenzierung erfahrungsgemäß regelmäßig eher skeptisch zu beurteilen; entscheidend ist jedoch immer der zu betrachtende Prüfungssachverhalt. Berücksichtigung des DEMPE-Konzepts. Die Analyse von ausgeübten betrieblichen Funktionen ist – auch bei Lizenzsachverhalten (!) – hingegen stets vor dem Hintergrund der unternehmerischen Gesamtzielsetzung sowie der Aufgabenverteilung und Organisation eines Unternehmensverbunds zu betrachten.2 Grundlegend lassen sich die Funktionen und Risiken bei Lizenzsachverhalten vor diesem Hintergrund in drei Funktionsgruppen einteilen, d.h. zunächst die Entwicklung, Verbesserung und Erhaltung des immateriellen Wirtschaftsguts, gefolgt vom Schutz des Wirtschaftsguts bis hin zur entsprechenden Verwertung (sog. DEMPE-Konzept). Das DEMPE-Konzept verkörpert mithin ein grundlegendes Konzept, wie eine fremdübliche Aufteilung der Kosten und der Wertschöpfungsbeiträge im Hinblick auf einen immateriellen Vermögenswert sowie der Ertragsberechtigung an einem immateriellen Vermögenswert zwischen verbundenen Unternehmen anhand ihrer Wertbeiträge (zur Schaffung, Verbesserung, Pflege etc. eines immateriellen Vermögenswerts (z.B. einer Marke) erfolgen kann.3

7.160

Die Entwicklung, Verbesserung und Erhaltung des immateriellen Wirtschaftsguts „Marke“ umfasst in der Praxis häufig u.a. die (Weiter-)Entwicklung des Marken-/Produkterscheinungsbilds und der Logos, die Konzeption einer lokalen und globalen Markenstrategie mit Blick auf die Markenpositionierung, ggf. auch die Marktforschung zur Messung der Markenperformance sowie die Auswertung der Marktforschung und Anpassung der Marken- und Marketingstrategie, aber auch die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung des Markenimages und der Markenbekanntheit (Werbung) sowie die dazugehörige Budgetverantwortung und Freigabe. Damit spielt das DEMPE-Konzept im Rahmen der Lizenzsatzbemessung eine erhebliche Rolle und ist auch bei der Prüfung von Lizenzsachverhalten durch die Finanzverwaltung vollumfänglich zu berücksichtigen.

7.161

c) Preisvergleich als grundlegender methodischer Ansatz Tatsächlicher vs. hypothteischer Fremdvergleich. Für die Lizensierung von immateriellen Wirtschaftsgütern (auch von Marken) ist grundsätzlich der Preisvergleichsmethode den Vorzug vor anderen Verrechnungspreismethoden zu geben, wenn keine Umstände vorliegen, die zu einer Ungeeignetheit der Preisvergleichsmethode als solche führen.4 Bei der Prüfung, ob die Verrechnungspreismethode nach Art und Anwendung sachgerecht ist, ist davon auszugehen, dass ein ordentlicher Geschäftsleiter sich an der Methode orientieren wird, die den Verhältnissen am nächsten kommt, unter denen sich auf wirtschaftlich vergleichbaren Märkten Fremdpreise bilden und in Zweifelsfällen diejenige Methode anwendet, für die möglichst zuverlässige preisrelevante Daten aus dem tatsächlichen Verhalten der beteiligten nahestehenden Unternehmen bei Fremdgeschäften zur Verfügung stehen. 1 Siehe ehemals VWG 2005, Tz. 3.4.10.2 lit. b; in den VWG 2021 ist eine Definition der Anwendungsvoraussetzung von Profit Split-Modellen nicht mehr enthalten; insoweit ist auf die OECDVerrechnungspreisleitlinien 2017 (ergänzt durch die Leitlinien zur geschäftsvorfallbezogenen Gewinnaufteilungsmethode vom 21.6.2018) zu verweisen, siehe dort insbesondere Tz. 2.119, 2.120 ff. sowie 2.132. 2 Siehe nunmehr § 1 Abs. 3c Satz 4 AStG n.F. (eingefügt durch Gesetz v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259, anzuwenden ab VZ 2022 gem. § 21 Abs. 1 AStG); vgl. auch VWG 2021, Tz. 3.53 f. 3 Siehe OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 6.32 ff. 4 Siehe OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 6.33 f.

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7.162

Kap. 7 Rz. 7.163 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

7.163

Neuere Verwaltungsauffassung. Der Hinweis in den VWG 2021 (dort Tz. 3.59), die Höhe einer „Lizenzgebühr“ sei im Regelfall nach dem „hypothetischen Fremdvergleich“ zu bemessen, ist wenig hilfreich und verwirft ohne sachlichen Grund tatsächliche Vergleichsmöglichkeiten mit tauglichen Fremdvergleichsdaten; diese Auffassung entspricht mithin nicht den Vorgaben der OECD-Verrechnungspreisleitlinien. Schließlich würde sich auch die Rechtsfigur des doppelt ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiters zunächst an vorhandenen Fremdvergleichsdaten („Marktsicht“) orientieren, bevor eine „Kalibrierung“ auf den zugrunde liegenden Sachverhalt – bspw. durch die Berücksichtigung der von dem Lizenzgeber und dem Lizenznehmer wahrgenommenen DEMPE-Funktionen (siehe dazu nachfolgend) – erfolgt. Die in den VWG 2021 nur rudimentär skizzierte Sichtweise der Finanzverwaltung ist daher für die Praxis wenig tauglich und dürfte – pauschal angewendet – Gefahr laufen, zu fremdvergleichsinkonformen Ergebnissen zu führen. In Betriebsprüfungen bedarf es deshalb großer Wachsamkeit, wie die Finanzverwaltung sich der Fragestellung der Lizenzvergütung insgesamt annähert. d) Einbeziehung der DEMPE-relevanten Werttreiber

7.164

Wertschöpfungsbeitragsbezogene Sichtweise. Ausgangspunkt für die Prüfung eines in Rede stehenden Lizenzsatzes ist daher in der Regel ein Preisvergleich infolge einer datenbankgestützten Benchmark-Analyse. Von diesbezüglich identifizierten Vergleichswerten sind dann in einem Folgeschritt die o.g. DEMPE-relevanten Wertbeiträge des Lizenznehmers – sofern diese vorhanden sind – in Gestalt einer Reduktion des Lizenzsatzes abzuziehen. Hierfür kommen diverse betriebswirtschaftliche Analyseverfahren in Betracht, die in der Literatur bereits hinlänglich diskutiert worden sind (DEMPE/RACI-Analyseverfahren, Stage Gate-Modelle etc.) und die fremde Dritte in einer vergleichbaren Situation für die Frage der Preisbemessung ebenso in ihrem Grundgedanken anwenden würden.1 Liegen keine derartigen Wertschöpfungsbeiträge des Lizenznehmers vor, so ist der Lizenzgeber vollumfänglich ertragsberechtigt; diese bedeutet, dass der „gebenchmarkte“ Lizenzsatz nicht weiter reduziert werden muss.

7.165

Anwendung in der Praxis. Verhält es sich hingegen bspw. so, dass der Lizenzgeber wesentlich durch die zivilrechtliche Nutzungsüberlassung in Erscheinung tritt, die für den Markenauftritt und die wirtschaftliche Markenstärke im Markt relevanten Funktionen hingegen beim Lizenznehmer angesiedelt sind, so scheidet eine residualgewinnorientierte Vergütung des Lizenzgebers („Absauglizenz“) in der Regel von vornherein aus. Denn ein Lizenzgeber, der ein Lizenzgut (Marke) nur zivilrechtlich administriert, hat für diese Administrationsfunktion nur einen Anspruch auf eine sich an den ausgeübten Funktionen und getragenen Risiken orientierende Vergütung; sämtliche DEMPE-relevanten Wertbeiträge des Lizenznehmers müssen bei der Bemessung der Lizenzsatzhöhe berücksichtigt werden, wie dies auch fremde Dritte tun würden.2 Auch die OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 gehen bei der reinen Administration von Markenrechten von einer konzerninternen Dienstleistung mit sog. geringer Wertschöpfung („low value adding service“) und damit von einer Funktionsausprägung mit Routinecharakter aus, die im Rahmen einer kostenbasierten Dienstleistungsvergütung an die leistende Service-Gesellschaft entlohnt werden sollte3.

7.166

Dieses Ergebnis spiegelt den grundlegenden Aussagegehalt des DEMPE-Konzepts wider, bei dem es sich um ein Instrument zur Identifikation desjenigen (wirtschaftlichen) Anspruchs1 Siehe bspw. Stein/Schwarz/Holinski, DStR 2017, 118 f. 2 Stein/Schwarz/Burger, IStR 2020, 83 (87, 88 f). 3 Siehe OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 7.49.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.170 Kap. 7

inhabers handelt, dem der aus einem immateriellen Wert resultierende „Erfolg“ zuzurechnen ist. Das DEMPE-Konzept ist infolgedessen Ausfluss der Fragestellung nach der Fremdvergleichskonformität einer wirtschaftlichen Erfolgszurechnung. Im Kern wird nach der Berechtigung an einem „income stream“ durch die Transaktionsparteien gefragt.1 Fazit. Es ist sehr empfehlenswert diese Gesichtspunkte bei der Verteidigung von Markenlizenzsachverhalten in die Betrachtung einzubeziehen; sie verkörpern dasjenige, was auch fremde Dritten bei einer angemessenen Lizenzsatzbestimmung mit in Erwägung gezogen hätten.

7.167

3. Ausländische Vertriebsgesellschaften und deren operative Rendite als Prüfungsgegenstand a) Vertrieb als Routine-Tätigkeit nur unter eingeschränkten Bedingungen qualifizierbar Konfliktsituation in der Praxis. In vielen Betriebsprüfungen, die Verrechnungspreissachverhalte zum Gegenstand haben, werden insbesondere Warenlieferungen von deutschen Produktionsunternehmen an ihre weltweiten Vertriebsgesellschaften untersucht. Hierbei vertritt die Betriebsprüfung regelmäßig die Ansicht, die durch ausländische Konzernunternehmen ausgeübten Vertriebsaktivitäten seien grundsätzlich Routine-Tätigkeiten, die auf Basis der Kostenaufschlagsmethode bzw. nach der TNMM zu vergüten seien; residualgewinnberechtigt sei stets das deutsche Produktionsunternehmen, da es insoweit grundsätzlich als Strategieführer zu qualifizieren sei; der Vertriebsgewinn sei stets auf die Produktqualität zurückzuführen und sei mithin dem Produzenten zuzuordnen. Diese Auffassung kann – selbstredend in Abhängigkeit zum Prüfungssachverhalt – zutreffend sein, in vielen Praxisfällen ist sie es allerdings nicht, insbesondere bei sog. technischen Vertriebstätigkeiten von Auslandskonzerngesellschaften.

7.168

Routineeigenschaft des Vertriebs sehr einzelfallabhängig. Sog. Routine-Unternehmen kennzeichnen sich dadurch, dass sie technisch wie organisatorisch einfache Funktionen ausüben und dementsprechend lediglich geringe wirtschaftliche Risiken tragen.2 Der Einsatz von (immateriellen) Wirtschaftsgütern und Know-how ist im Vergleich zu einem strategieführenden Unternehmen („Entrepreneur“) stark eingeschränkt. Kennzeichnend für die Stellung eines Routine-Unternehmens ist daher im Grunde die (beliebige) „Austauschbarkeit“ des Unternehmens in der Gesamtwertschöpfungskette.3

7.169

Eine derartige „Austauschbarkeit“ ausländischer Vertriebsgesellschaften – insbesondere in Bezug auf Funktionen des technischen Vertriebs und der Erarbeitung von System- bzw. Produktlösungen mit lokalen Kunden – ist jedoch in der Regel nicht gegeben, da derartige Vertriebstätigkeiten ein spezielles (technisches) Vertriebswissen erfordern, welches nicht ohne Weiteres am Markt erhältlich ist. Technische Vertriebstätigkeiten erfordern einen signifikanten Knowhow Einsatz, z.B. (i) das Unterhalten von sog. lokalen Versuchslaboren für die Erarbeitung von kundenspezifischen Produktlösungen, (ii) kundenauftragsbezogene Anwendungsentwicklungstätigkeiten, (iii) die Verantwortung der lokalen Produktlogistik/Ausgangslogistik, (iv) das Tätigwerden von technischen Verkaufsberatern als Schnittstelle zum Kunden, (v) der Anpassungs- und Modellierungsbedarf auf Produktlösungsebene in Projektverläufen etc.

7.170

1 Puls/Heravi, IStR 2018, 721 (722 f.). 2 Siehe zu dieser Begriffsdefinition ehemals VWG 2005, Tz. 3.4.10.2 lit. a.; vgl. nunmehr Anlage 2 zu VWG 2021 („Routineunternehmen“). 3 Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Verrechnungspreise international verbundener Unternehmen, 2014, Rz. 4.63.

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Kap. 7 Rz. 7.171 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

7.171

Limited Risk Distributoren. Bei einer klassischen Routinevertriebsgesellschaft (auch „Limited Risk Distributor“, nachstehend „LRD“) handelt es sich hingegen um einen Unternehmenstypus, der über eine geringe Funktionstiefe im Vertriebsbereich verfügt, nahezu keinen wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt ist und keine wertvollen immateriellen Wirtschaftsgüter für seine Vertriebstätigkeit einsetzt. Es ist im Grunde beliebig austauschbar, da es keinen vertieften „footprint“ in der Wertschöpfungskette eines grenzüberschreitend tätigen Konzerns hinterlässt. Gleichwohl handelt ein LRD-Unternehmen zivilrechtlich im eigenen Namen und auf eigene Rechnung.1

7.172

Einbindung in Prinzipalstruktur. Die geringere Funktions- und Risikotiefe eines LRD-Unternehmens wird in der Regel organisatorisch durch die Einbindung in eine sog. Prinzipalstruktur umgesetzt, bei der es lediglich einen funktionsstarken und risikoexponierten Strategieführer innerhalb der Unternehmensgruppe gibt. Durch eine schuldrechtliche Vereinbarung übernimmt der Strategieführer einen Großteil derjenigen Funktionen und Risiken für die LRD-Gesellschaft, die für einen „klassischen“ Eigenhändler (sog. „Fully-Fledged Distributor“) und dessen vertriebsseitige Funktionen und Risiken wesenstypisch sind.2

7.173

Kommissionärsähnlichkeit. Das idealtypische LRD-Unternehmen erwirbt als Eigenhändler im eigenen Namen und auf eigene Rechnung die Ware, wobei das Eigentum an dieser typischerweise nur für eine logische Sekunde bei dem LRD-Unternehmen verbleibt, bevor die Übereignung an den Kunden erfolgt (mithin kommissionärsähnliches Tätigwerden des LRDs).3 Dies ist möglich, da die Ware in den meisten Fällen erst nach Bestellung des Kunden vom Lieferanten bzw. vom Strategieführer angefordert wird. Das Markt- und Absatzrisiko für Waren wird durch die o.g. Beststellung der Waren „on demand“ (d.h. erst nach dem Vertragsabschluss mit einem Kunden) weitgehend reduziert. Ferner wird im Regelfall durch geringe Liefermengen und ein kostenfreies Rückgaberecht nicht veräußerbarer Waren an den Strategieführer jenes Risiko aus Sicht des LRDs eliminiert. b) Funktions- und Risikoanalyse entscheidend

7.174

Genaue Analyse erforderlich. In vielen Fällen erweist sich (aufgrund zahlreicher Praxiserfahrungen) eine diesbezügliche Funktions- und Risikoanalyse der Betriebsprüfung als unzutreffend: Es wird durch die Betriebsprüfung oftmals vorschnell eine LRD-Struktur angenommen und teilweise ein signifikanter „Margenimport“ aus dem Ausland nach Deutschland beansprucht.

7.175

Insoweit ist es im Rahmen der Betriebsprüfung unerlässlich, ggf. zusätzlich zu der im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation (Local File) dargelegten Ausführungen zu den Funktionen und Risiken sowie eingesetzten Wirtschaftsgütern, eine detailliertere Analyse durchzuführen und (darauf aufbauend) eine ergänzende Unternehmenscharakterisierung der involvierten Transaktionsparteien durchzuführen. In der Praxis zeigt sich, dass mit einer präzisen Arbeit am Sachverhalt auch auf den ersten Blick „eindeutig“ erscheinende „LRD-Fälle“ einer differenzierten Behandlung aus Verrechnungspreisperspektive zugänglich gemacht werden können.

1 Elbert/von Jesche in Vögele/Borstell/Bernhardt5, Kapitel N: Dienstleistungen, Rz. 591; Hanken/ Kleinhietpaß/Lagarden, Verrechnungspreise3, S. 160. 2 Puls in Wassermeyer/Baumhoff, Rz. 4.63; Elbert/von Jesche in Vögele/Borstell/Bernhardt5, Kapitel N: Dienstleistungen, Rz. 608; Fiehler, IStR, 2007, 465. 3 Hülshorst/Mank in Kroppen/Rasch, Teil II: Geschäftsvorfallbezogene Standardmethoden, Rz. 106.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.180 Kap. 7

4. Finanztransaktionen in der Betriebsprüfung a) Konzerninterne Darlehensgewährungen Zunehmende Bedeutung von Finanztransaktionen aus Verrechnungspreissicht. Häufiger Gegenstand von steuerlichen Betriebsprüfungen im Verrechnungspreisbereich ist überdies das Themenfeld der grenzüberschreitenden konzerninternen Finanzierung. Die konzerninterne Darlehensvergabe ist nach den Erfahrungen des Verfassers gegenwärtig ein Hauptthema in Betriebsprüfungsdiskussionen. Hierbei wird von Betriebsprüfern – insbesondere bei InboundFallgestaltungen – vornehmlich die Höhe des zu zahlenden Zinses an eine darlehensgebende Auslandskonzerngesellschaft analysiert und mitunter als unangemessen verworfen.

7.176

b) Einbettung des Finanzierungssachverhalts in die Konzernstruktur Konzernfinanzierung und ihre Refinanzierung. Die Finanzverwaltung betrachtet Finanzierungstransaktionen im grenzüberschreitend tätigen Konzern auf der Grundlage der allgemeinen Geschäfts- und Risikostrategie der beteiligten Unternehmen ggü. fremden Dritten.1 Erfolgt die Refinanzierung an der Konzernaußengrenze im Bereich des Kapitalbedarfs am Kapitalmarkt bspw. kurzfristig, so ist in aller Regel anzunehmen, dass innerhalb des Konzerns der kurzfristige Finanzierungsbedarf nicht auf Basis von langfristigen Darlehensvergaben befriedigt wird, sondern ebenso kurzfristige, ggf. revolvierende Darlehen in Anspruch genommen werden würden.2 In diesen Zusammenhang erfolgt der Blick der Betriebsprüfer ebenfalls auf die sog. Stammdokumentation (Master File) und die dort enthaltenen Ausführungen zu den Finanzierungsbeziehungen des Konzerns (§ 5 Abs. 1 GAufzV i.V.m. Anlage zu § 5, Nr. 14 bis 16).

7.177

Schließlich wird in Betriebsprüfungen auch der Frage nachgegangen, welche „realistically available options“ im Hinblick auf die Beschaffung von Finanzmitteln dem Konzern zur Verfügung gestanden haben, dies sowohl innerhalb, als auch außerhalb des Konzerns sowie welche Fremdkapitalkosten auf Konzernebene für Finanzierungsaktivitäten entstanden sind; diese Art der Herangehensweise wird durch die, der Betriebsprüfung zur Verfügung stehenden Daten aus dem CbC-Reporting nach den Erfahrungen des Verfassers deutlich befeuert.

7.178

c) Abgrenzung Eigenkapital versus Fremdkapital Grundlegende Fragestellung. Diesbezüglich vertritt die Finanzverwaltung in Betriebsprüfungen oftmals die Ansicht, dass zunächst abzugrenzen ist, ob es sich bei der Kapitalvergabe in der Tat um Fremdkapital handelt, oder nicht um (verdecktes) Eigenkapital. Zu prüfen ist deswegen, ob der Empfänger der Finanzmittel den Kapitaldienst für die gesamte Laufzeit der Finanzierungsbeziehung von Anfang an hat erbringen können und ob die Finanzierung wirtschaftlich wirklich benötigt worden ist bzw. benötigt und schließlich dazu auch tatsächlich verwendet wird (betrieblicher Finanzierungsgrund).3

7.179

Für das Vorhandensein von Fremdkapital spricht nach OECD-Auffassung bei der Mittelvergabe die Regelung eines fixen Rückzahlungstermins, eine Zinszahlungsverpflichtung und das

7.180

1 Siehe auch OECD-Verrechnungspreisleitlinien, Tz. 10.34 ff. 2 OECD-Verrechnungspreisleitlinien, Tz. 10.37. 3 Siehe dazu auch § 1 Abs. 1a AStG-E, siehe Gesetzentwurf der Bundesregierung zum AbzStEntModG v. 5.1.2021 (legislativ bis dato nicht umgesetzt).

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Kap. 7 Rz. 7.180 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

Recht auf deren Durchsetzung sowie die Fähigkeit des Mittelempfängers, sich die Finanzmittel erforderlichenfalls auch von fremden Dritten beschaffen zu können.1 d) Zinssatzbemessung

7.181

Überblick über die relevanten Parameter. Kann die Vergabe von (tatbestandlichem) Fremdkapital bejaht werden, so ist die Frage nach der Zinssatzbemessung zu beantworten. Diese hängt von einer Vielzahl unterschiedlicher Parameter ab und bedarf auch in der Verteidigungssituation einer Betriebsprüfung aus Sicht der Bfa. der Klärung diverser (Vor-)Fragen, u. a. folgende:2 1. Finanzierungspolitik des Konzerns in Gänze, 2. Ansiedlung der Finanzierungsfunktionen im Konzern (d.h. durch welche Konzerngesellschaft bzw. dahinterstehende Personen erfolgt die Steuerung der Finanzierungsfunktion?) 3. Welche Finanzierungsrichtlinien bestehen im Konzern? 4. Welche Finanzierungsinstrumente werden ggü. dem Kapitalmarkt in Anspruch genommen? Welche „Finanzierungslogik“ steht dahinter? 5. Welche Handlungsoptionen („realistically available options“) haben aus Sicht der darlehensnehmenden Konzerngesellschaft zur Deckung des Finanzbedarfs bestanden?

7.182

Zu betrachtende Finanzierungsbeziehung. Überdies ist auch die konkrete Finanzierungsbeziehung zur Vorbereitung der Verteidigungsstrategie zu untersuchen: 1. Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital anhand der o.g. Gesichtspunkte (d.h. Kapitaldiensttragungsfähigkeit des Finanzmittelempfängers, Einsatz der Finanzmittel zu betrieblichen Zwecken etc.), 2. Analyse des Finanzierungsrisikos (Wahrscheinlichkeit und Risikoeintrittsintensität von Ausfallrisiken, Währungsrisiken etc.), 3. Überwachung der Risiken, Risikomanagement (einschließlich des dahinterstehenden Personals und deren Ansiedlung im Konzern), 4. Analyse der Risikotragungsfähigkeit durch den Finanzmittelempfänger.

7.183

Zinssatzbeeinflussende Faktoren. Schließlich ist die anzuwendende Zinssatzhöhe anhand folgender Aspekte näher zu analysieren:3 1. Darlehenshöhe und gewählte Währung, 2. Darlehenszweck, 3. Darlehenslaufzeit und Kündigungs- bzw. Rückführungsmöglichkeiten, 4. Inanspruchnahme der Darlehensvaluta („Credit Facility“, aus der bei Bedarf Mittel „gezogen“ werden dürfen oder „fixe“ Darlehenssumme?), 1 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 (erweitert durch die Leitlinien zu Finanztransaktionen aus Februar 2020), Tz. 10.12, 10.13; vgl. nunmehr auch VWG 2021, Tz. 3.90. 2 Hierzu ausdrücklich Greil in Greil (Hrsg.), Steuerliche Verrechnungspreise, 201 f. 3 Vgl. auch Ebeling/Grundmann/Nolden, IStR 2018, 581 (unter Verweis auf ehemals BMF v. 23.2.1983, BStBl. I 1983, 218, Tz. 4.2.1., aufgehoben durch VWG 2021, siehe Tz. 6.1).

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.187 Kap. 7

5. Konnexität des Darlehens (d.h. Nebenleistung zu anderen Geschäftsvorfällen, z. B. Warenlieferungen), 6. Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers (siehe dazu auch im folgenden Abschnitt […]) und dessen Funktions- und Risikoprofil (z.B. Limited Risk Distributor) zur Abbildung von gesellschaftsbezogenen Risiken (sog. „Company Risk“), 7. Organschaftliche Anbindung (mit der Folge einer Verlustausgleichsverpflichtung?), 8. Gestellung von expliziten Sicherheiten (Abgrenzung zum Konzernrückhalt), 9. Währungs- und Zinsschwankungsrisiken / etwaige Hedging-Transaktionen, 10. Berücksichtigung von Refinanzierungskosten (insbesondere bei Durchleitungs-Finanzmitteln), 11. Situation auf dem Kapitalmarkt zum Zeitpunkt der Darlehensvergabe. Im Rahmen der Betriebsprüfung sollten die vorgenannten Zinsfaktoren konkret durch die Bfa. erläutert werden können, um die Zinssatzbemessung hierdurch ggü. der Finanzverwaltung plausibilisieren und verteidigen zu können. Gelingt es entsprechende Erläuterungen anzuführen, ist es nunmehr an der Betriebsprüfung das Gegenteil darzulegen; insofern trägt sodann die Betriebsprüfung die Feststellungslast im Hinblick auf eine beabsichtigte Einkünftekorrektur hinsichtlich eines vermeintlich nicht angemessenen Darlehenszinssatzes.

7.184

Reine Durchleitungsfunktion. Nach Ansicht der Finanzverwaltung soll bei der reinen „Durchleitung“ von extern beschafften Finanzmitteln die Funktion des Darlehensgebers als „Routine“ zu qualifizieren sein, die nach der Kostenaufschlagsmethode zu vergüten wäre.1 Externe Refinanzierungskosten sollen hierbei nicht in die Kostenbasis einbezogen werden dürfen.

7.185

e) Spezialfragestellung der Kreditwürdigkeit im Konzern Gesellschaftsbezogene Risiken. Im Hinblick auf die Verteidigung von konzerninternen Darlehensvergaben stellt sich – wie bereits oben kurz angerissen – sehr häufig die grundlegende Frage, welche Verrechnungspreismethodik aus Sicht des Darlehensgebers- und -nehmers einen sachgerechten Fremdvergleich simulieren können soll. In der Praxis wird zur Verteidigung gewählter Zinssätze sowohl auf interne wie auch auf externe Preisvergleiche abgestellt.2 Der externe Preisvergleich besteht in der Regel aus denjenigen Zinssätzen, die auf dem Kapitalmarkt für eine Beschaffung der in Rede stehenden Finanzmittel hätten aufgewendet werden müssen. Dies wird vorwiegend über ein Zins-Benchmarking unter Berücksichtigung des (simulierten) Credit Ratings der darlehensnehmenden Konzerngesellschaft auf Basis von Zinsstrukturkurven (und unter Berücksichtigungen von Anpassungsrechnungen) vorgenommen. Eine weitere „Spielart“ dieses externen Preisvergleichs ist die Suche nach Zinssätzen, die im Rahmen von Anleihefinanzierungen am Kapitalmarkt hätten gezahlt werden müssen.3

7.186

Sog. Credit Rating. Die Frage nach dem „Credit Rating“ einer darlehensempfangenden Konzerngesellschaft (in der sich auch ihr sog. „company risk“ reflektiert) ist in diesem Zusammenhang einer der in der Praxis umstrittensten Punkt in Betriebsprüfungsdiskussionen. In

7.187

1 VGW 2021, Tz. 3.92. 2 Dazu Ebeling/Grundmann/Nolden, IStR 2018, 581; siehe dazu auch FG Köln, Urt. v. 29.6.2017 – 10 K 771/16, EFG 2017, 1812, Rev. eingelegt unter BFH I R 62/17. 3 Siehe dazu im Einzelnen Ebeling/Nolden/Overesch/Pflitsch/Wolff, IStR 2018, 841.

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Kap. 7 Rz. 7.187 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

der Regel verfügen einzelne darlehensnehmende Konzerngesellschaften über kein eigenes Rating, so dass unter Verwendung des Gruppenratings bzw. des Ratings der Konzernmuttergesellschaft ein abgeleitetes Rating für den Kreditnehmer im Rahmen einer Simulation ermittelt werden muss. Hierbei gilt der Grundsatz, dass je strategisch „wichtiger“ eine Konzerngesellschaft aus Gesamtkonzernperspektive erscheint, desto „enger“ müsse sie am Gruppenrating angesiedelt sein, da die Konzernmuttergesellschaft diese Konzerntochtergesellschaft vermutlich unter keinen Umständen einem Insolvenzrisiko aussetzen würde.1

7.188

Interaktion mit dem sog. Konzernrückhalt. Vor diesem Hintergrund kommt auch der sog. Konzernrückhalt gewissermaßen „ins Spiel“. Nach der Rechtsprechung des BFH wird hierunter die sog. Unternehmensverflechtung wirtschaftlicher und zivilrechtlicher Natur verstanden. Nach der OECD-Terminologie wird der „Konzernrückhalt“ als sog. „implicit group support“ beschrieben.2 Hierbei ist zu bestimmen, welchen „Status“ die jeweilige Konzerngesellschaft im Gesamtkonzern einnimmt; die Frage geht mithin dahin, ob und in welchem Umfang die Konzernmutter ihr auch in wirtschaftlich schwierigen Situationen den nötigen „Konzernrückhalt“ erweisen würde.3 Grundsätzlich gilt, dass je „höher“ der strategische Status einer darlehensempfangenden Konzerngesellschaft im Konzern ist, desto eher ist es gerechtfertigt von einer ebenso tendenziell höheren Bonität dieser Konzerngesellschaft auszugehen; dies hat konsequenterweise Auswirkungen auf die Zinssatzbemessung.

7.189

Besicherung von Darlehensforderungen. Nach Ansicht der Finanzverwaltung soll zudem die Besicherung von Darlehensforderungen im Konzern grundsätzlich fremdüblich sein. Es sei im Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Nichtbesicherung vorliegen;4 hierbei sollen folgende Aspekte Berücksichtigung finden, die nach Ansicht der Finanzverwaltung für eine Besicherung auch zwischen verbundenen Parteien sprechen können: (i) grundsätzliche Besicherung von Verbindlichkeiten im Außenverhältnis ggü. fremden Dritten, (ii) wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit einer Besicherung zur Minimierung von Kreditausfällen aus Sicht des Darlehensgebers, (iii) realistisch zu Verfügung stehende Handlungsalternativen, bspw. bei der gleichzeitigen Inanspruchnahme von durch fremde Dritte vergebenen Darlehen und dem Nichtzuverfügungstehen der Sicherheit für das konzerninterne Darlehen, etc.

7.190

Die diesbezügliche Sichtweise der Finanzverwaltung in den VWG 2021 trennt nicht immer „sauber“ zwischen Fallkonstellationen, die sich auch zwischen Dritten ereignen würden, und solchen, die grundsätzlich nur im Konzern denkbar sind. So sind typische „downstream“Darlehen von der Muttergesellschaft an eine ausländische Tochtergesellschaft, unabhängig davon ob sie besichert sind oder nicht, bereits nach den Vorgaben der InsO (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) stets nachranging zu behandeln; die Vergabe von Kreditsicherheiten hat hier sozusagen keine Auswirkung auf mögliche Ausfallpositionen des Darlehensgebers; derartige insolvenzrechtliche Vorgaben sollen auch nach OECD-Ansicht berücksichtigt werden.5 Auch ist nicht hinreichend klar, inwieweit die gesellschaftsrechtliche Einflussnahmemöglichkeit letztlich die 1 Siehe etwa S&P Group Rating Methodology, www.standardandpoors.com/ratingdirect, wonach im Hinblick auf die „strategische Wichtigkeit“ zwischen (i) „core“, (ii) „highly strategic“, (iii) strategically important“, (iv) „moderately strategic“ und (v) „non-strategic“ differenziert werden soll, dies mit Hinblick auf die jeweilige Ratingstärke der darlehensnehmenden Konzerngesellschaft. 2 OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 (erweitert durch die Leitlinien zu Finanztransaktionen aus Februar 2020), Tz. 10.78 f. 3 Siehe auch Scholz/Köhler, DStR 2018, 15 (17 f.). 4 VWG 2021, Tz. 3.95. 5 OECD-Verrechnungspreisrichtlinien 2017 (erweitert durch die Leitlinien zu Finanztransaktionen aus Februar 2020), Tz. 10.61.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.195 Kap. 7

Gestellung einer Sicherheit überflüssig machen kann, wie dies von der älteren BFH-Rechtsprechung als grundlegender Gedanke der konzerninternen Finanzierung zutreffend bejaht worden ist. Denn der Gesellschafter kann eine von ihm beherrschte Gesellschaft zur Rückführung von Darlehensvaluta veranlassen, indem er ggf. eine bestimmte Finanzplanung oder Liquiditätssteuerung vorgibt. Insoweit geht auch die neuere BFH-Rechtsprechung fehl, wenn sie grundlegend eine Darlehensbesicherung im Konzern verlangen möchte.1 Auch hier lohnt – sofern diese Thematik in der Betriebsprüfung behandelt wird – ein vertiefter Blick auf den geprüften Sachverhalt. Finanzierungen in wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen. Konzerninterne Finanzierungen in wirtschaftlich problematischen Konstellationen bedürfen ebenfalls einer besonderen Betrachtung im Rahmen von Betriebsprüfungen. Auch hier erfolgt oftmals – unzulässigerweise – eine pauschale Betrachtung von Darlehenskonstellationen durch den Betriebsprüfer: So können durch den Gesellschafter bestimmte Zinskonditionen oder Sicherheiten einem konzerninternen Darlehensnehmer „zugewendet“ werden, wenn hierdurch eigenwirtschaftliche Interessen des Darlehensgebers bedient werden (bspw. das „Offenhalten“ eines Vertriebskanals durch die Stützung einer ausländischen Vertriebsgesellschaft mittels Vergabe von zinsfreien bzw. zinsgünstigen Darlehen). Insbesondere bei EU-/EWR-Fallkonstellationen ist hierbei die EuGH-Rechtsprechung in Sachen SGI, Hornbach und Impresa Pizzarotti unbedingt zu berücksichtigen.2

7.191

f) Folgerungen für die Prüfungspraxis Einzelfallabhängigkeit. Für die Verteidigung in Betriebsprüfungen bedeutet dies Folgendes: In der Regel werden gerade bei Inbound-Finanzierungssachverhalten von der Betriebsprüfung Zweifel an der angesetzten Zinssatzhöhe geäußert. In diesem Zusammenhang ist es für die Verteidigung dieser Zinssätze unerlässlich, auf die oben genannten Kriterien der Zinssatzbestimmung Bezug zu nehmen und zu prüfen, inwieweit die Kriterien Einzug in das angewandte Zinsstrukturmodell gehalten haben. In der Praxis wird daraus regelmäßig eine gewisse Zinsbandbreite entstehen, die Raum für Verhandlung mit den Betriebsprüfern ermöglichen kann.

7.192

Wirtschaftliche Betrachtung. Für die Verteidigungsberatung ist daher die profunde Analyse der o.g. Fragestellungen von entscheidender Bedeutung; insbesondere die Frage nach dem Darlehenszweck und den insoweit zusammenhängenden Finanzierungsrisiken. Eine den wirtschaftlichen Hintergrund der Darlehensfinanzierung in den Blick nehmende Verteidigungshaltung erweist sich in der Praxis als die effektivste Position zur Erzielung einer Prüfungseinigung.

7.193

5. Cash Pooling-Sachverhalte in der Betriebsprüfung Liquiditätsversorgung im Konzern. Vergleichbare Fragestellungen ergeben sich bei der Prüfung von Cash Management-Strukturen im grenzüberschreitend tätigen Konzern, insbesondere im Bereich des grenzüberschreitenden Cash Poolings.

7.194

Von der deutschen Finanzverwaltung werden – vornehmlich bei im Ausland ansässigen Cash Pooling-Systemen mit dortigen Cash Pool Leadern – die Frage nach (i) der Vergütung des

7.195

1 BFH v. 27.2.2019 – I R 73/16, BStBl. II 2019, 394. 2 Siehe EuGH v. 21.1.2010 – C-311/08, EU:C:2010:26; EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16, ECLI:EU: C:2018:366 sowie EuGH v. 8.10.2020 – C-558/19, ECLI:EU:C:2020:806.

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Kap. 7 Rz. 7.195 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

Cash Pool Leaders sowie (ii) die Aufteilung eintretender Finanzierungssynergien (vor allem in Gestalt der Soll- und Haben-Zinssätze) thematisiert. Überdies steht häufig die Frage im Raum, ob tatsächlich ein kurzfristiges Liquiditätsmanagement vorliegt oder ob es sich nicht vielmehr um mittel- bzw. langfristige Geldaufnahmen bzw. Geldeinlagen handelt (die laufzeitbedingt als Darlehensbeziehungen bzw. Kapitalanlagen mit entsprechend abweichenden Zinsen zu vergüten wären); dies läuft oftmals auf die Frage einer (unzulässigen) Recharakterisierung von konzerninternen Geschäftsvorfällen durch die Betriebsprüfung hinaus.1

7.196

Die Frage nach der Vergütung des ausländischen Cash Pool Leaders wird von der Finanzverwaltung regelmäßig unter Verweis auf die Kostenaufschlagsmethode beantwortet, sofern dieser nur administrative und koordinierende Funktionen ausübt.2 Trägt dieser hingegen Liquiditäts(beschaffungs)risiken und Währungsrisiken, so muss eine risikoadäquate Vergütung angesetzt werden; die Kostenaufschlagsmethode ist hier nicht (bzw. nur für Routinetätigkeiten) anwendbar.

7.197

Cash Pooling-Modell entscheidend. Im Hinblick auf die Frage nach der Verteilung von Sollund Haben-Zinsen ist – soweit möglich – einer pragmatischen Betrachtungsweise nachzugehen und im Rahmen der Betriebsprüfung ggü. der Finanzverwaltung zu vertreten: Denn bei einem ausgeglichenen Cash Pool können die über die Cash Pool führende Bank veranschlagten Konditionen (Zinssätze für Geldaufnahme wie Geldanlage) an die Cash Pool-Teilnehmer weitergegeben werden; im Grunde beinhaltet dies die Möglichkeit eines Preisvergleichs. Wichtig sind hierbei auch die vertraglichen Grundlagen des Cash Pool-Vertrags; diese sollten so gefasst sein, dass ein Liquiditätsversorgungssystem über das Cash Pooling ermöglicht worden ist. Hierdurch kommen allen Teilnehmern wirtschaftliche Vorteile in Gestalt möglichst günstiger Zinssätze und eines ungehinderten Liquiditätszugangs zuteil; hierauf ist auch in der Prüfungsverteidigung besonderes Augenmerk zu legen.

6. Finanzierungsunterstützung 7.198

Frage nach der Avalvergütung. Ein weiteres „Spielfeld“ im Bereich der Prüfung von Konzernfinanzierungssachverhalten ist die sog. Finanzierungsunterstützung anhand von Bürgschaften, selbständigen Garantien und/oder (harten) Patronaten. Insbesondere in Outbound-Fragestellungen wird von der Finanzverwaltung die Ansicht vertreten, für die Finanzierungsunterstützung wäre zwischen fremden Dritten eine Avalvergütung angesetzt worden.

7.199

Auch hier ist im Rahmen der Verteidigungsberatung genau zu analysieren, in welchem wirtschaftlichen Kontext die Finanzierungsunterstützung gewährt worden ist. Dient die Finanzierungsunterstützung im weiteren Sinne der wirtschaftlichen Stützung eines Konzernunternehmens, um damit einen Absatzkanal für die Konzernmutter „geöffnet“ zu halten, so ist die Verrechnung einer Avalvergütung nicht (zwangsläufig) erforderlich.3 Diese Auffassung ist von der Finanzverwaltung eigentlich bereits seit jeher vertreten worden. So wurde in den ehemaligen VWG 1983 von der Finanzverwaltung die Ansicht geäußert, dass sofern die Finanzierungsunterstützung der Wahrung eigenbetrieblicher Interessen des Finanzierungsunterstützers dient (z.B. ggü. einem Vertriebsunternehmen), diesbezüglich keine gesonderte Vergütung angesetzt werden müsse. Dies gilt nicht nur für Bürgschaften, sondern ist ein verallgemeine1 Siehe OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017, Tz. 1.122. 2 OECD-Verrechnungspreisleitlinien, Tz. 10.45; VWG 2021, Tz. 3.98. 3 Ehemals BMF v. 6.12.2018 – IV B 5 - S 1341/11/10004-09 unter Verweis auf EuGH v. 31.5.2018 – C-382/16; vgl. nunmehr VWG 2021, Tz. 3.97.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.205 Kap. 7

rungsfähiger Gedanke, der für jede Form der Finanzierungsunterstützung Anwendung findet.1 Mögliche Praxisansätze. Würden fremde Dritte tatsächlich eine Avalvergütung vereinbaren, so bedarf die Fragestellung nach der Höhe einer Avalvergütung ebenfalls einer genauen Analyse. In der Praxis am häufigsten zur Bestimmung der Vergütungshöhe vorkommend sind (i) die sog. Reduced Cost of Funding-Methode sowie (ii) die Expected Cost to Guarantor-Methode.

7.200

Bei der „Reduced Cost of Funding“-Methode werden bspw. jeweils Zinssätze ermittelt, die der Darlehensnehmer mit und ohne Garantiezusage bezahlen würde; die Differenz beider Zinssätze spiegelt den „betriebswirtschaftlichen Wert“ der Garantie wider und bildet gleichzeitig eine Obergrenze für die Avalvergütung. Bei der „Expected Cost to Guarantor“-Methode übernimmt der Garantiegeber einen Teil des Kreditrisikos des Darlehensnehmers; für diese Funktion verlangt der Garantiegeber eine angemessene Kompensation. Der erwartete Verlust aus der Garantie kann als Hinweis für eine Avalvergütung dienen und bildet mithin die Untergrenze der Avalvergütung. Darüber hinaus haben sich in der Praxis pauschalierte Betrachtungsweisen etabliert, die – ausgehend von Bankavalen – deduktiv einen konzerninternen Avalvergütungssatz errechnen.

7.201

7. Funktionsverlagerungssachverhalte als Prüfungsgegenstand a) Alternativen zur Transferpaketbewertung „Escape-Möglichkeiten“ in der Betriebsprüfung. Werden materielle bzw. immaterielle Wirtschaftsgüter sowie dazugehörige betriebliche Tätigkeiten aus dem Inland an eine nahestehende Person im Ausland übertragen bzw. überlassen, so ist grundsätzlich die Entstrickungsbesteuerung des inländischen Gewinnpotenzials in Gestalt der sog. Funktionsverlagerungsbesteuerung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 f. AStG zu prüfen.

7.202

Liegt eine tatbestandliche Funktionsverlagerung vor, so werden im Rahmen von Betriebsprüfungen regelmäßig komplexe Bewertungsfragestellungen zu klären sein, die regelmäßig Anlass zu vielschichtigen Diskussionen zwischen der betreffenden Bfa. sowie der Betriebsprüfung führen. Bevor in die komplexe Bewertungsdiskussion eingestiegen wird, ist jedoch zuvor im Rahmen der Betriebsprüfung unbedingt zu klären, ob überhaupt eine tatbestandliche Funktionsverlagerung vorliegt oder nicht. Denn nur wenn der Tatbestand der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 f. AStG erfüllt ist, kann eine (in der Regel sehr streitbefangene) Transferpaketbewertung überhaupt in Betracht kommen.

7.203

Selbst wenn eine tatbestandliche Funktionsverlagerung vorliegt, so muss die Bewertung des Gewinnpotenzials nicht zwangsläufig auf Basis einer ertragswertbasierten Transferpaketbewertung vorgenommen werden. Nach § 8 FVerlV kommt bspw. die Möglichkeit in Betracht, insbesondere in sog. Funktionsabschmelzungsfällen den Transferpaketwert durch den Wert von Ausgleichs- oder Ersatzansprüchen, die sich aus dem Zivilrecht zwischen fremden Dritten ergeben würden, zu begrenzen. Die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 FVerlV kann sich daher in der Praxis oftmals als „steuerschonend“ erweisen.2

7.204

Zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen als Alternative. In der Betriebsprüfung hilft der Grundgedanke des § 8 FVerlV insofern weiter, als auch fremde Dritte – geleitet von kaufmän-

7.205

1 Siehe ehemals BMF v. 23.2.1983, BStBl. I 1983, 218, Tz. 4.4.2. Nr. 2; dieser Grundgedanke sollte beibehalten werden, vgl. dazu auch VWG 2021, Tz. 3.62 S. 1. 2 Puls, IStR 2010, 89 f.

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Kap. 7 Rz. 7.205 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

nischen Interessen – sich grundsätzlich nur dasjenige zubilligen würden, wozu sie rechtlich verpflichtet wären. Insoweit kann eine Berechnung von Ausgleichsansprüchen nach der Vorgabe des § 8 FVerlV zumindest als Plausibilitätsgrundlage im Vergleich zu einer (klassischen, ertragswertbasierten) Transferpaketbewertung dienen.

7.206

Dem Wortlaut des § 8 Satz 1 FVerlV nach können gesetzliche oder vertragliche Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche anstelle einer Transferpaketbetrachtung der Besteuerung einer Funktionsverlagerung zugrunde gelegt werden, wenn der Steuerpflichtige „glaubhaft machen“ kann, dass unverbundene Parteien „unter ähnlichen Umständen in vergleichbarer Art und Weise“ verfahren würden. § 8 FVerlV betrifft daher in der Praxis häufig anzutreffende Fallgestaltungen, in denen das Funktions- und Risikoprofil eines Unternehmens, bspw. von einem Eigenproduzenten zu einem Lohnfertiger oder – im Vertriebsbereich – von einem Eigenhändler zu einem Kommissionär abgeschmolzen wird. Zwischen unverbundenen Parteien würde bei derartigen Fallgestaltungen die Frage aufgeworfen werden, ob und ggf. welche gesetzlichen bzw. vertraglichen Ersatz- oder Ausgleichsansprüche dem Unternehmen infolge der Funktionsabschmelzung zustehen könnten.

7.207

Gleichartiges Handeln unverbundener Parteien. Die FVerlV macht sich diesen Gedankenansatz zu Nutze und eröffnet dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, der Transferpaketbesteuerung in Fällen einer Funktionsentziehung oder Funktionsabschmelzung zu entgehen, wenn der Nachweis gelingt, dass auch unverbundene Parteien unter ähnlichen Rahmenbedingungen sich auf einen gesetzlich oder vertraglich vorgesehenen Ersatz- oder Ausgleichstatbestand geeinigt hätten und keine wesentlichen immateriellen Wirtschaftsgüter oder Vorteile übergehen. Rechtsdogmatisch basiert § 8 FVerlV damit auf dem Regelungsgedanken des § 1 Abs. 3 Satz 10 AStG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen eine „Einzelbetrachtung“ den Transferpaketansatz ersetzen kann und dem Steuerpflichtigen demnach die Möglichkeit eingeräumt wird, der Funktionsverlagerungsbesteuerung nach Transfergesichtspunkten zu entgehen.1 b) Preisanpassungen/Transferpaketlizenzen

7.208

Entwicklung des Werts des Transferpakets. Ein weiterer, in der Praxis häufig anzutreffender Streitpunkt ist die Frage der tatsächlichen Wertentwicklung eines entstrickten Transferpakets und dem damit verbundenen Gewinnpotenzial. Da Betriebsprüfungen in der Regel erst Jahre nach den Verlagerungsvorgängen stattfinden, hat die Finanzverwaltung daher die Möglichkeit auf Basis von Ist-Zahlen tatsächliche Werteentwicklungen nachzuvollziehen, mithin einen Plan-/Ist-Abgleich durchzuführen.

7.209

Nach der gesetzlich vorgesehen Preisanpassungsklausel in § 1 Abs. 3 Satz 11 f. AStG wird es der Finanzverwaltung auch rechtstechnisch ermöglicht, Verrechnungspreise zu korrigieren, wenn die nachträgliche Entwicklung eines in der Vergangenheit festgelegten Verrechnungspreises dies erlaubt. Konkret bedeutet dies, dass wenn wesentliche immaterielle Wirtschaftsgüter und Vorteile Teil des Verlagerungsvorgangs gewesen sind, nach § 1 Abs. 3 Satz 11 und 12 AStG (bzw. § 1b AStG n.F., siehe dazu im Folgenden) eine Korrektur zu erfolgen hat, sofern die tatsächliche Gewinnentwicklung von der erwarteten Gewinnentwicklung erheblich abweicht.2 Jene Vorschrift gilt generell für alle jene Verrechnungspreisfälle, in denen der hypothetische Fremdvergleich zur Anwendung gekommen ist. Es findet dann die widerlegbare Ver1 Puls, IStR 2010, 89 (90 f.) 2 Siehe § 10 FVerlV.

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A. Verrechnungspreise | Rz. 7.214 Kap. 7

mutung Anwendung, dass zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses Unsicherheiten in Bezug auf die Preisvereinbarung bestanden haben, für die fremde unabhängige Dritte eine sachgerechte Preisanpassungsklausel vereinbart hätten. Bei dieser Vorgehensweise wird eine Umkehrung der Beweislast zu Ungunsten des Steuerpflichtigen offensichtlich, da er etwaigen Unsicherheiten entgegentreten muss.1 Wurde keine Preisanpassungsklausel vereinbart und tritt eine erhebliche Abweichung i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 11 AStG innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren (Betrachtungsperiode) nach dem Verlagerungsvorgang ein, so ist für eine vorzunehmende Berichtigung gem. § 1 Abs. 1 AStG einmalig ein angemessener Anpassungsbetrag auf den ursprünglichen Verrechnungspreis heranzuziehen.

7.210

Streitpunkt nachträglicher Preis- bzw. Wertanpassungen. Für die Bfa. bedeutet dies, dass die Möglichkeit eine nachträgliche Preisanpassung zu verhindern in der Widerlegung der Vermutung besteht, zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses hätten bereits (Bewertungs-)Unsicherheiten bestanden, die eine Anpassungsklausel notwendig gemacht hätten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Preisanpassungsklauseln in der Regel dann nicht (zusätzlich) vereinbart werden würden, wenn ein etwaiges Risiko bereits in den Verrechnungspreis nach den Vorstellungen der Parteien „eingepreist“ worden ist.2

7.211

Im Rahmen einer Betriebsprüfung wären die o.g. Gesichtspunkte ggü. der Finanzverwaltung darzulegen. Insbesondere ist aus Sicht der Bfa. dafür Sorge zu tragen, dass eingehend erläutert werden kann, auf Basis welcher Kalkulationserwägungen die seinerzeitige Transferpaketbewertung vorgenommen worden ist. Kann – wie oben angeführt – bereits in diesem Zusammenhang dargelegt werden, dass bestimmte Risikoaspekte in seinerzeitige Bewertungsannahmen Einfluss gehalten haben, so ist der Anpassungsspielraum der Betriebsprüfung in der Regel tendenziell sehr eingeschränkt.

7.212

„Neue“ Preisanpassungsregelung ab VZ 2022 in § 1b AStG. Durch die gesetzliche Neujustierung der sog. Preisanpassung nach § 1b AStG (ab VZ 2022 geltend3) wird die o.g. Betrachtungsperiode auf 7 Jahre verkürzt; zudem wird eine tatbestandliche „erhebliche Abweichung“ dergestalt definiert, dass eine Abweichung des ursprünglich vereinbarten Verrechnungspreises um mehr als 20 % vorliegen muss. Nach § 1a Satz 6 AStG n.F. kann eine Anpassung des Verrechnungspreises dann nicht erfolgen, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft macht, dass (i) die tatsächliche Entwicklung auf Umständen basiert, die zum Zeitpunkt des Geschäftsvorfalls nicht vorhersehbar waren, (ii) der Nachweis erbracht werden kann, dass bereits bei Vornahme des Geschäfts die aus der künftigen Entwicklung resultierenden Unsicherheiten angemessen berücksichtigt worden sind, oder (iii) eine ergebnisabhängige Lizenzvergütung im Hinblick auf immaterielle Werte und Vorteile vereinbart worden ist.

7.213

III. Fazit Blick in die Praxis. Verrechnungspreisfragestellungen in steuerlichen Betriebsprüfungen sind in der Praxis bei nahezu allen Unternehmen vorzufinden, die signifikante grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen im Konzern unterhalten. Festzustellen ist, dass die Finanzverwaltung – sowohl auf Bundes- wie auf Landesebene – die gesamte Thematik aus Prüfungs1 Siehe Greil, IStR 2009, 567 f. 2 Schreiber in Kroppen/Rasch, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, § 9 FVerlV Rz. 231; Greil, IStR 2009, 567 f. 3 Siehe Gesetz v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259.

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7.214

Kap. 7 Rz. 7.214 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

perspektive mit großem Nachdruck verfolgt. Insbesondere die Prüfungszeiträume „post BEPS“ werden mitunter einer akribischen Untersuchung durch die Betriebsprüfung unterzogen. Hierbei „prallen“ mitunter sehr unterschiedliche Ansichten der Beteiligten aufeinander: Während Unternehmen an historisch gewachsenen Verrechnungspreissystemen und methodischen Ansätzen festhalten möchten, wird von Seiten der Betriebsprüfung mitunter eine von der Behandlung in der Vergangenheit komplett abweichende Bewertung von konzerninternen Verrechnungspreisansätzen vertreten. Dies hat in der Regel zur Folge, dass erhebliche Einkünftekorrekturvolumina auf Unternehmen zukommen, die ggf. noch mit erheblichen Zinslasten behaftet sein können. Dementsprechend sind teils erbitterte Prüfungskonflikte die Folge.

7.215

Systematische Herangehensweise erforderlich. Auch wenn Verrechnungspreisfragestellungen in Betriebsprüfungen für teilweise erhebliche Kontroversen sorgen können, sollen die in diesem Kapitel dargelegten Hinweise und Gedanken – sowohl aus verfahrens- wie materiellrechtlicher Perspektive – den Prüfungsbeteiligten dazu dienen, den Diskussionsprozess strukturieren und in seinen rechtlichen Dimensionen bewerten zu können. Dies ist insbesondere deshalb von erheblicher Bedeutung, weil es in der Beantwortung von Verrechnungspreisfragestellungen nicht immer „schwarz oder weiß“ gibt. Es bedarf deshalb – gerade in der steuerlichen Betriebsprüfung – einer sehr strukturierten Herangehensweise, die eine genaue Untersuchung der Funktions- und Risikoprofile der beteiligten Transaktionsparteien sowie die sich daran anschließende Unternehmenscharakterisierung beinhaltet, denn dies ist die letztlich Grundlage für die Bewertung eines Prüfungsfalls aus verrechnungspreismethodischer Perspektive.

7.216

Relevanz eines guten Verhandlungsmanagements. Zudem soll an dieser Stelle noch einmal auf die in Rz. 1.904–1.964 dargelegten Ausführungen zum Verhandlungsmanagement hingewiesen werden, denn ein gut organisiertes, mit Bedacht geführtes Verhandlungsmanagement ist in der Betriebsprüfung für einen erfolgreichen Verfahrensausgang von außerordentlicher Bedeutung. Souveränität, Konzentration sowie Fach- und Erfahrungswissen der Beteiligten in der Diskussion eines Verrechnungspreisprüfungsfalls sind unerlässliche und gute Ratgeber für einen positiven Prüfungsausgang.

B. Joint Audits Literatur: Altenburg/Oertel/Strotkemper, Rechtssicherheit im internationalen Steuerrecht durch Streitvermeidungs- und Streitbeilegungsmechanismen in: Tagungsband der 3. Jahrestagung des Young IFA Network 2019, S. 76; Anger, Joint Audit (gemeinsame grenzüberschreitende Betriebsprüfung), IWB 2017, 204;Bär/Spensberger/Pölzl, Alle auf einmal, ISR 2019, 212; Bichler, Betriebsprüfungen „senza frontiere“, ISR 2019, 224; Beckmann, Gemeinsame Betriebsprüfung durch deutsche und ausländische Finanzverwaltungen, StBp 2014, 66; Bichler, Betriebsprüfungen „senza frontiere“, ISR 2019, 224; Braun/Eisgruber/Greil/Schmitz, Joint Audits: The German experience, ITR 2020, 23; Criclivaia, „§ 13 Joint Audits: Ein Überblick über die Literatur“ in Kube/Reimer (Hrsg.), Geprägte Freiheit 2020/ 21; Drüen, Rechtsrahmen und Rechtsfragen der multilateralen Betriebsprüfung, DStR-Beih. 2013, 82; Eisgruber, Praxiserfahrungen zu Joint Audits, DStR-Beih. 2013, 89; Eisgruber/Oertel (Hrsg.), International Tax Audit Forum Munich 21.–22.11.2016, Köln 2017); Eisgruber/Oertel „Zum Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete, ISR 2017, 261; Eisgruber/Oertel Grenzüberschreitender Steuervollzug – Nationale Sicht, in Drüen/Hey/ Mellinghoff, 100 Jahre Steuerrechtsprechung in Deutschland 1918–2018, FS 100 Jahre Bundesfinanzhof, Köln 2018, 1113; Haverkamp, Joint Audit: Überlegungen zur Rechtslage und Ausblick in die Zukunft, ISR 2020, 64; Hendricks, „Joint Audits und Abgabenrecht“ in FS Wassermeyer, München 2015; Meickmann, Verfahrensrechtliche Probleme bei der Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte –

662 | Puls und Oertel

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B. Joint Audits | Rz. 7.218 Kap. 7 Gemeinsame Betriebsprüfungen als Lösungsmodell, IStR 2014, 591; Milutinovic in Kube/Reimer (Hrsg.), Geprägte Freiheit 2018/19 – Impulse aus dem Finanz- und Steuerrecht, Berlin 2019, § 13 Joint-Audit-Projekt; Pschierl/Kallina, All together now, ISR 2019, 239; Reislhuber, Streitvermeidung durch Joint Audits – eine Bestandsaufnahme, in: FS für Heinz-Klaus Kroppen, Köln 2020; Schäffkes/ Schreiber/Fechner, Simultane Betriebsprüfungen mit dem EU-Ausland, DB 2017, 1668; Seer, International koordinierte steuerliche Außenprüfungen, in FS für Jürgen Lüdicke, München, 2019; Schmidt/ Oertel, International Tax Audit Forum Munich 2014, Köln 2016; Spensberger, Streitvermeidung durch koordinierte Außenprüfungen“ in FS für Kuckhoff, München, 2018, S. 161; Spensberger/Steiner, Grenzüberschreitende Betriebsprüfungen – Praktische Erfahrungen mit Österreich, ISR 2015, 156; Spensberger/Macho/Erichsen, Joint Audit – ein Erfolgsmodelll im Internationalen Steuerrecht, ISR 2017, 229; Van der Hel/van Dijk, Joint Audits: Next level of cooperation between Germany and the Netherlands, intertax 2015, 492; Peters/Kircher/Moll, Grenzüberschreitende gemeinsame Betriebsprüfung – ein effizienter Weg zur Vermeidung von Doppelbesteuerung und zu mehr Rechts- und Planungssicherheit, IStR 2016, 2.

I. Internationale Ausrichtung der Betriebsprüfung 1. Rahmenbedingungen Das Ertragssteuerrecht folgt dem Welteinkommensprinzip. Die Hoheitsgewalt der steuerlichen Prüfungsdienste ist auf das Territorium jedes Staates begrenzt. Die Vollzugspraxis steht in einem Spannungsfeld zwischen „materieller Universalität und formeller Territorialität“1. Die internationale Ausrichtung der Betriebsprüfung stellt eine besondere Herausforderung dar. Der in § 88 AO verankerte Untersuchungsgrundsatz beauftragt zwar die Finanzverwaltung alle Besteuerungsgrundlagen von Amts wegen zu ermitteln, die Abgabenordnung beschreibt aber nicht, wie dies außerhalb des Staatsgebiets der Bundesrepublik geschehen soll. Der einzige Hinweis, den man derzeit im Gesetz findet, ist der Verweis auf die internationale, zwischenstaatliche Amtshilfe in § 117 Abs. 4 AO.

7.217

Die zwischenstaatliche Amtshilfe2 in steuerlichen Angelegenheiten ist in diversen Übereinkommen, Abkommen, sowie im Unionsrecht teilweise durch Richtlinien, aber auch Verordnungen geregelt. Alle bislang unternommenen Schritte zur Internationalisierung der Betriebsprüfung basieren auf diesen Rechtgrundlagen. Der erste bekannte Fall, in dem ein deutscher Betriebsprüfer zu Ermittlungsmaßnahmen nach Österreich gereist ist, datiert aus dem Jahr 1965.3 Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit mit den österreichischen Kollegen waren die Art. 3–5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Steuersachen.4 Bis vor wenigen Jahren handelte es sich bei diesen Aktivitäten um Ausnahmefälle.5 Eine gezielte und strukturierte Nutzung der Möglichkeiten aus den Amtshilfevereinbarungen ist erst seit etwa 5 bis 10 Jahren festzustellen.

7.218

1 Hendricks in Wassermeyer, DBA-Kommentar, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 1. 2 Allgemein zur zwischenstaatlichen Amtshilfe: BMF, Merkblatt v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/ 10004 :008, BStBl. I 2019, 480. Einen Überblick hierüber gibt Gehm, IWB 2019, 762. 3 Vgl. Eisgruber/Oertel, International Tax Audit Forum Munich 21.–22.11.2016, S. 113 ff. und Beilage. 4 Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen v. 4.10.1954, BGBl. 1955 II, 833 (in Österreich: öBGBl. 1955/ 249). 5 Weitere Nachweise über internationale Prüfungsaktivitäten finden sich bei Flick, DB 1975, 1727 und Strobl, RIW/AWD 1980, 741 (750).

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Kap. 7 Rz. 7.219 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

2. Der OECD Joint Audit Report 2010 a) Skizzierung einer Idee

7.219

Die erste echte Initiative zur Verbesserung der unmittelbaren internationalen Zusammenarbeit der Betriebsprüfungseinheiten ging vom Forum on Tax Administration (FTA) der OECD1 aus. Dieses beschäftigte sich im Jahr 2010 intensiv mit der Thematik und erarbeitete den „Joint Audit Report 2010“2 sowie den „Joint Audit Participant Guide“3. Der Bericht zeigt vor allem die rechtlichen Rahmenbedingen, sowie Chancen und Risiken bei koordinierten Prüfungen auf. Er enthält zwar Vorschläge für das praktische Vorgehen, basiert aber mangels umfangreicher Praxiserfahrungen überwiegend auf theoretischen Überlegungen. Interessant ist, dass das Dokument im Kern zwei Ansätze miteinander verknüpft: Einerseits steht die Zusammenarbeit der Staaten bei der hoheitlichen Ausübung der Prüfungsbefugnisse – also die Kontrolle – im Mittelpunkt, andererseits wird der Gedanke der steuerlichen Compliance – also des offenen Miteinanders – aufgegriffen.4 b) Definition

7.220

Der Joint Audit Report 2010 wurde in englischer Sprache verfasst. Bei sinngemäßer Übersetzung ist ihm folgende Definition eines Joint Audits zu entnehmen:5

7.221

„Eine gemeinsame Betriebsprüfung liegt vor, wenn zwei oder mehr Staaten ein gemeinsames Prüferteam bilden um eine Frage bzw. Fragen in Bezug auf eine oder mehrere nahestehende steuerpflichtige Personen (sowohl juristische, als auch natürliche Personen) mit grenzüberschreitenden Aktivitäten zu untersuchen – eventuell unter Einbeziehung von grenzüberschreitenden Transaktionen – auf die sich ein gemeinsames Ermittlungsinteresse richtet; der Steuerpflichtige gibt in kooperativer Weise Auskünfte und teilt die Informationen mit den Staaten; zum Joint Audit Team gehören jeweils Mitglieder mit „Competent Authority Status“, sowie Teamleiter und Prüfer aus jedem Staat.“ c) Stellungnahme

7.222

Das OECD-Papier hat den Begriff „Joint (Tax) Audit“ maßgeblich geprägt. Die Definition hat in der Praxis und der Literatur aber auch erhebliche Diskussionen ausgelöst, die sich auf zwei Gesichtspunkte beziehen. Steuervollzug – insbesondere Prüfungsmaßnahmen – sind Ausübung von Hoheitsrechten. Damit gelten die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.6 Alles Tun der Behörden ist an Recht und Gesetz gebunden. Ohne eine ausdrückliche Ermächtigungsnorm kann die Finanzverwaltung nicht beschließen mit anderen Staaten ein einziges Prüfungsteam zu bilden. Sie muss vielmehr im Kern eigenständig auf Basis des natio1 Das FTA wurde 2002 von der OECD ins Leben gerufen. Derzeit nehmen Vertreter aus 53 Steuerverwaltungen daran teil. Das Forum umfasst alle G20-Staaten, die meisten OECD-Mitgliedsstaaten, sowie weitere Staaten, die derzeit noch kein offizielles Mitglied der OECD sind. 2 OECD (Hrsg.), Sixth Meeting of the OECD Forum on Tax Administration, Istanbul 15.–16.9.2010 – Joint Audit Report, 2010, im Internet abrufbar unter Http://www.oecd.org./Tax/administration/ 45988932.pdf. 3 OECD (Hrsg.), Joint Audit Participant Guide, 2010. 4 So auch das Verständnis von Meinckmann, IStR 2014, 591. 5 OECD (Hrsg.), Sixth Meeting of the OECD Forum on Tax Administration, Istanbul 15.–16.9.2010 – Joint Audit Report, 2010, im Internet abrufbar unter Http://www.oecd.org./Tax/administration/ 45988932.pdf., 7. 6 Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 10 Rz. 96 f.

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B. Joint Audits | Rz. 7.225 Kap. 7

nalen Rechts agieren. Folglich ist die Formulierung wonach die Prüfer ein gemeinsames Prüferteam bilden (im Original: „form a single audit team“) auf keinen Fall wörtlich zu verstehen. Durch sie kann allenfalls zum Ausdruck kommen, dass die nationalen Prüferteams der beteiligten Staaten sehr eng und kooperativ zusammenarbeiten und nach außen gegenüber dem Steuerpflichtigen abgestimmt auftreten. Im Kern agiert aber jeder Beamte nach den Rechtsvorschriften seines Staates. Außerhalb des eigenen Territoriums nutzt er die Möglichkeiten der internationalen Amtshilfeabkommen. Eine zweite Fragestellung ergibt sich mit Blick auf das Verhalten des Steuerpflichtigen. Natürlich engagiert er sich idealiter im Prüfungsprozess an jeder Stelle kooperativ. Im besten Fall legt er alle Sachverhalte bereitwillig offen. Allerdings sollte eine gemeinsame Prüfung nicht dadurch stehen und fallen, dass der Steuerpflichtige „jointly“ an allem mitwirkt. Sie sollte vielmehr gerade auch dann möglich sein, wenn Ermittlungen geboten sind, weil der Verdacht auf Fehler in den Erklärungen des Steuerpflichtigen besteht und der Sachverhalt unklar ist. In diesen Fällen ist ein hoheitliches Ermitteln durch die Behörden notwendig, um sicherzustellen, dass nicht weniger oder mehr als die gesetzlich geschuldete Zahllast an Steuern entrichtet wird. Nichts Anderes folgt aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz und ist Ausfluss des Untersuchungsgrundsatzes,1 der derzeit das deutsche Steuerverfahrensrecht prägt. Dieser Teil der Definition dürfte wohl darauf zurückzuführen sein, dass der Joint Audit Report 2010 zeitlich mit der OECD-Initiative zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbehörden zusammenfiel, die 2008 unter dem Titel „Enhanced Relationship between Taxpayer and Tax Administration“2 ins Leben gerufen und später unter dem Arbeitstitel „kooperative Compliance“3 weitergeführt wurde.

7.223

3. Deutsche Pilotverfahren ab 2013 Mit der Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie4 in deutsches Recht5 im Jahr 2013 begann die deutsche Steuerverwaltung damit, gemeinsame steuerliche Betriebsprüfungen zu pilotieren und einen flächendeckenden Einsatz vorzubereiten.

7.224

Das erste Pilotprojekt kam mit der niederländischen Steuerverwaltung, dem Belaastingdienst, zustande.6 Projektpartner des Belaastingdienst waren das Bundeszentralamt für Steuern und die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Bayern. In diesem wurden fünf Echtfälle gemeinsam geprüft. Fast zeitgleich dazu wurde von Bayern in Zusammenarbeit mit dem Bundeszentralamt für Steuern ein weiteres Pilotprojekt mit der italienischen Steuerverwaltung, der Agenzia delle Entrate, angestoßen.7 In den ersten beiden Phasen wurden insgesamt fünf Echtfälle

7.225

1 Instruktiv dazu bereits Becker, Reichsabgabenordnung – Erläuterte Handausgabe 1921, § 204 Rz. 1, sowie die aktuellen Kommentierungen zu § 88 AO etwa Söhn in HHSp, § 88 AO Rz. 8ff; Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 1 ff. 2 OECD (Hrsg.), Study into the Role of Tax Intermediaries, OECD Publishing, 2008. 3 OECD (Hrsg.), Co-operative Compliance: A Framework. From Enhanced Relationship to co-operative Compliance“, OECD Publishing, 2013. 4 Richtlinie 2011/16/EU v. 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG, ABl. EU Nr. L 64 v. 11.3.2011, 1. 5 Gesetz über die Durchführung der gegenseitigen Amtshilfe in Steuersachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-Amtshilfegesetz, EUAHiG) v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 6 Van der Hel/van Dijk, intertax 2015, 492. 7 Zu Details s. Bichler, ISR 2019, 224.

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Kap. 7 Rz. 7.225 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

gemeinsam geprüft und ein sog. white-list-Verfahren für die weitere Fallauswahl erarbeitet.1 Etwas später kam schließlich auch ein Projekt zwischen Bayern und dem Bundeszentralamt für Steuern, sowie der kroatischen Steuerverwaltung zustande, in dem zunächst zwei Fälle gemeinsam geprüft wurden. In allen drei Projekten wurden die einzelnen Schritte sorgfältig durch Arbeitsgruppen vorbereitet. Diese analysierten insbesondere den Rechtsrahmen für die geplanten Maßnahmen und erarbeiteten einen Zeitplan. Daneben ermittelten sie Kriterien für die Fallauswahl und die Ansprache geeigneter Pilotunternehmen.

7.226

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor dieser ersten Pilotverfahren dürfte darin liegen, dass die beteiligten Verwaltungen von Beginn an sehr offen und transparent auf die Pilotunternehmen zugegangen sind. Bereits im Vorfeld wurden persönliche Gesprächstermine zwischen der Steuerverwaltung und den Unternehmen vereinbart, die das geplante Vorgehen und alle damit zusammenhängenden Fragen zum Gegenstand hatten. Im späteren Verlauf gab es persönliche Treffen der steuerlichen Vertreter mit allen beteiligten Prüfern, in denen ebenfalls eine offene Kommunikation gepflegt wurde.

7.227

Am Ende der Pilotverfahren wurde eine Evaluierung durchgeführt, im Rahmen derer alle Akteure von Wissenschaftlern interviewt wurden.2 Das Ergebnis der Evaluation zeigte natürlich an einigen Stellen noch Schwächen und Verbesserungspotential auf.3 Allerdings konnte auch eine überraschend hohe Akzeptanz dieses neuen Instruments festgestellt werden. Gemeinsame Prüfungen sollten nach Auffassung aller Beteiligten in Zukunft wesentlich öfter durchgeführt werden und zum „daily business“ in der Prüfungspraxis gehören.4

4. Der Report des EU-JTPF von 2018 7.228

Fünf Jahre nach Ablauf der Frist zur Umsetzung der EU-Amtshilferichtlinie in nationales Recht der EU-Mitgliedstaaten beschäftigte sich das Joint Transfer Pricing Forum (JTPF)5 der EU 2018 erstmals mit den gesammelten Erfahrungen der Mitgliedstaaten im Bereich der internationalen Betriebsprüfung. Die Erkenntnisse wurden sorgfältig analysiert und anschließend in einem Bericht veröffentlicht.6 Der Bericht enthält eine Darstellung der Vorteile von gemeinsamen Prüfungen, sowie Hinweise für Administrationen und Steuerpflichtige, die noch nicht über Praxiserfahrungen verfügen.7 Gleich zu Beginn des Berichts wird herausgearbeitet, dass koordinierte Verrechnungspreisprüfungen in zweifacher Weise positive Effekte auf 1 Siehe hierzu im Einzelnen bei Bichler, ISR 2019, 224 (226 ff.) 2 Milutinovic in Kube/Reimer (Hrsg.), Geprägte Freiheit 2018/19 – Impulse aus dem Finanz- und Steuerrecht, Berlin 2019, § 13 Joint-Audit-Projekt. 3 Hierzu Reimer, Ein Thema stark gemacht: Gemeinsame Betriebsprüfungen in Schmidt/Oertel, International Tax Audit Forum Munich 2014, 68 ff. 4 Zum Ganzen auch: Spensberger/Steiner, „Grenzüberschreitende Betriebsprüfungen – Praktische Erfahrungen mit Österreich, Italien und den Niederlanden“ in Schmidt/Oertel (Hrsg.), International Tax Audit Forum Munich 2014, 123 ff. 5 Dem JTPF gehören jeweils 1 Vertreter aller EU-Mitgliedsstaaten, sowie 18 weitere Mitglieder, die nicht für eine Regierung arbeiten an. Die OECD kann zu den Treffen eingeladen werden. Einzelheiten findet man unter https://ec.europa.eu/taxation_customs/business/company-tax/transfer-pri cing-eu-context/joint-transfer-pricing-forum_en#heading_2. 6 DG-Taxud (Hrsg.), EU Joint Transfer Pricing Forum – A coordinated approach to transfer Pricing Controls within the EU, im Internet abrufbar unter: https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/ taxation/files/jtpf_report_on_a_coordinated_approach_to_transfer_pricing_controls_within_the_ eu_en.pdf. 7 Einen zusammenfassenden Überblick liefern Appel/Barth, IWB 2019, 55.

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B. Joint Audits | Rz. 7.232 Kap. 7

den Binnenmarkt haben können: „Sie stellen ein transparentes und effizientes Werkzeug dar, mithilfe dessen Finanzbehörden die Besteuerungsrechte genau zuweisen können, und mindern zugleich die Gefahr von Doppelbesteuerungen und Doppel-Nichtbesteuerungen.“1

5. Das OECD Papier „Joint Audits 2019“ Ebenfalls im Jahr 2018 erklärte sich die niederländische Steuerverwaltung dazu bereit, im Rahmen des Forum on Tax Administration ein Evaluierungsprojekt zu Joint Audits zu sponsern. Die Ergebnisse dieses Projekts sind im Report „Joint Audits 2019“ nachzulesen.2 Dieser Report basiert zwar auf dem Papier aus dem Jahr 2010, stellt aber inhaltlich an vielen Stellen eine Fortentwicklung dar, die auf eine große Praxisnähe der Mitwirkenden zurückzuführen ist. In dem Report greift die OECD beispielsweise die Definition aus dem Jahr 20103 auf und stellt klar, dass diese nicht funktional zu verstehen ist. Das Kriterium, wonach ein (einziges) Prüferteam gebildet werden soll, umschreibt vielmehr, dass Aufgaben arbeitsteilig, also wie in einem Team, zugewiesen und erledigt werden, um ein hohes Maß an Koordinierung und wechselseitiger Einbindung aller Steuerverwaltungen zu gewährleisten.4

7.229

Dem Report ist auch zu entnehmen, dass die OECD das Thema Joint Audits weiter voranbringen möchte. Sie wird voraussichtlich Folgearbeiten aufnehmen.

7.230

II. Koordinierte Betriebsprüfungen der deutschen Steuerverwaltung 1. Begriffe und Abgrenzungsfragen a) Der deutsche Status Quo Die deutsche Steuerverwaltung hat mittlerweile eine dreistellige Anzahl gemeinsamer bzw. multilateraler Betriebsprüfungen mit Fokus auf Ertrag- und/oder Umsatzsteuerfragen abgeschlossen. Basierend auf den Erfahrungen im Ertragssteuerbereich wurde 2017 ein „Merkblatt über koordinierte steuerliche Betriebsprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete“ veröffentlicht.5 Darin definiert die Verwaltung Begriffe und Abläufe. Das Merkblatt ist auf der Homepage des Bundesministeriums der Finanzen6 auch in englischer Sprache verfügbar. Dies erleichtert sowohl ausländischen Administrationen als auch ausländischen Konzerneinheiten und Beratern den Zugang zu den Informationen.

7.231

In dem Merkblatt wird der Begriff „Koordinierte Außenprüfung“ als Oberbegriff für gleichzeitige Prüfungen, sog. Simultanprüfungen, und gemeinsame steuerliche Außenprüfungen,

7.232

1 DG-Taxud (Hrsg.), EU Joint Transfer Pricing Forum – A coordinated approach to transfer Pricing Controls within the EU, im Internet abrufbar unter: https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/ taxation/files/jtpf_report_on_a_coordinated_approach_to_transfer_pricing_controls_within_the_ eu_en.pdf., 2. 2 OECD (Hrsg.), Joint Audit 2019 – Enhancing Tax Cooperation and Improving Tax Certainty, OECD Publishing, 2019. 3 OECD (Hrsg.), Sixth Meeting of the OECD Forum on Tax Administration, Istanbul 15.–16.9.2010 – Joint Audit Report, 2010, im Internet abrufbar unter Http://www.oecd.org./Tax/administration/ 45988932.pdf. 4 OECD (Hrsg.), Joint Audit 2019 – Enhancing Tax Cooperation and Improving Tax Certainty, OECD Publishing, 2019, S. 21, dazu auch Reislhuber, FS für Kroppen, S. 347 (348f). 5 BMF v. 6.1.2017 – IV B - 6 S 1315/16/10016 :002 – DOK 2016/0996151, BStBl. I 2017, 89; s. hierzu die Anmerkungen von Gehm, IWB 2017, 229 und Eisgruber/Oertel, ISR 2017, 270. 6 www.bundesfinanzministerium.de.

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Kap. 7 Rz. 7.232 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

sog. Joint Audits, verstanden. Die terminologische Abgrenzung zu „Joint Audits“ ist zutreffend, denn nach geltendem Recht sind immer mehrere Prüfungen in den einzelnen Staaten notwendig, die zwar aufeinander angestimmt werden aber nicht zu einer einzigen gemeinsamen Prüfung verbunden werden können.1 b) Gleichzeitige Prüfungen bzw. Simultanprüfungen

7.233

Gleichzeitige Betriebsprüfungen bzw. Simultanprüfungen zeichnen sich dadurch aus, dass die beteiligten Finanzbehörden jeweils im eigenen Hoheitsgebiet verbleiben und dort eigenständig ermitteln. Es handelt sich daher nicht um eine „einheitliche internationale Gesamtprüfung“, sondern um mindestens zwei organisatorisch verklammerte nationale Prüfungen. Dabei gilt das Trennungsprinzip, d.h. die Beamten führen die Prüfung auf dem eigenen Territorium nach dem eigenen Steuerverfahrensrecht durch.2 Die Prüferteams tauschen sich – in der Regel schriftlich, per E-Mail oder fernmündlich bzw. seit Beginn der Coronapandemie verstärkt auch in Videokonferenzen – über Fragen und Erkenntnisse aus. Alle Kontakte erfolgen nach den Bestimmungen für den internationalen Informationsaustausch. Physische Treffen finden nur in Ausnahmefällen statt, eventuell zu Beginn oder am Ende einer Simultanbetriebsprüfung. Gemeinsame Ermittlungshandlungen in einem der Staaten sind nicht vorgesehen. Zusammengefasst kann man festhalten: Simultanbetriebsprüfungen bestehen aus den zwei traditionellen Elementen „nationale Außenprüfung“ und „internationaler Informationsaustausch“, die nebeneinander zur Anwendung kommen.3 c) Gemeinsame Prüfungen bzw. Joint Audits

7.234

Gemeinsame Betriebsprüfungen finden zeitgleich und gemeinsam statt. Die Prüferteams jeder Verwaltung treffen sich – je nach Frage des Einzelfalls – so oft und so lange, bis alle Sachverhaltsaspekte aus Sicht der beteiligten Beamten hinreichend klar ermittelt sind. Die Beamten arbeiten bei der Festlegung der Prüfungsschwerpunkte, der Ausarbeitung einer Prüfungsstrategie und der Umsetzung eng zusammen. Im Rahmen der gemeinsamen Arbeitstreffen im Inoder Ausland gehen die Prüfer auf den Steuerpflichtigen bzw. die betroffenen Konzerneinheiten zu, und führen Gespräche mit deren steuerlichen Vertretern und Auskunftspersonen. Gemeinsame Prüfungen können bilateral oder multilateral ausgestaltet sein. Bei multipler Beteiligung spricht man in der Praxis häufig von „Multilateralen Kontrollen/Multilateral Controls“ oder der englischen Abkürzung MLC.4

7.235

Die gemeinsame Betriebsprüfung ist die intensivste Form der internationalen Zusammenarbeit der Steuerverwaltung in Einzelfällen. Da alle Prüfungsmaßnahmen auf einer Kombination verschiedener Amtshilfevorschriften5 basieren, können die relevanten Bestimmungen quasi nach dem Baukastenprinzip miteinander verbunden werden. Neben den typischen Abläufen sind daher auch immer häufiger Mischformen in der Praxis anzutreffen. Beispielsweise kann über die Institute „Ersuchen auf Informationsbereitstellung“ und „Beamtenentsendung 1 Seer in Tipke/Kruse, Vorb. §§ 193–203 Rz. 44. 2 Vgl. Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, Köln 2004, 383 ff.; Drüen, DStR Beihefter zu 41/2013, 82 (83). 3 Zur simultanen Betriebsprüfung aus österreichischer Sicht: Jirousek, SWI 1998, 205; Urtz, SWI 1996, 354. 4 Spezifisch zu Multilateralen Kontrollen: Pschierl/Kallina, ISR 2019 (239 ff.). 5 Eisgruber/Oertel in FS 100 Jahre BFH, 1113 (1121); Schreiber/Schäffkes/Fechner, DB 2018, 1624 (1625).

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B. Joint Audits | Rz. 7.239 Kap. 7

ins Ausland zur Beantwortung dieses Ersuchens“ eine bloße Betriebsbesichtigung initiiert werden. In einfacheren Fällen kann es genügen eine einmalige Besprechung – mit und ohne Einbeziehung des Steuerpflichtigen in das Gespräch – anzuberaumen. Oder es kann effizient sein, im Rahmen eines größer angelegten Meetings gleich mehrere Fragen zu mehreren Fällen miteinander zu besprechen, und so im Rahmen eines einzigen Treffens der Steuerbeamten eine Vielzahl an Fällen voranzubringen.

2. Ziele Das wesentliche Ziel koordinierter Betriebsprüfungen besteht darin, einen grenzüberschreitenden Sachverhalt gemeinsam zu ermitteln und alle Fakten übereinstimmend festzustellen. Regelmäßig schließt sich an die Ermittlung des Sachverhalts auch ein Gespräch1 an, in welchem die Rechtsfolgen erläutert werden, die sich aus den Erkenntnissen ergeben. Diese Transparenz über die rechtliche Würdigung des einvernehmlich festgestellten Sachverhalts darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Subsumtion stets eigenständig durch jede Finanzverwaltung erfolgt.

7.236

Dies kommt im Merkblatt des BMF deutlich zum Ausdruck. Sofern eine Verständigung über Rechtsfolgen angestrebt wird, kann dies nicht im Rahmen der Prüfung geschehen, sondern nur im Rahmen eines Vorab-/Verständigungsverfahrens, welches gesondert beantragt werden muss.2

7.237

Sowohl die Verwaltung, als auch die Wirtschaft erhoffen sich von Joint Audits die Vermeidung langwieriger, ressourcenintensiver Verständigungsverfahren.3 Natürlich sollen im Gegenzug auch doppelte Nichtbesteuerungsfälle aufgedeckt werden.4 Die Wirtschaft und die Beraterschaft gehen davon aus, dass positiver Nebeneffekt die Verringerung von Dokumentationskosten, die Verfahrensbeschleunigung und eine effiziente Kommunikation sein können.5 Im Ergebnis geht es bei koordinierten Betriebsprüfungen um die Herbeiführung einer zutreffenden Einmalbesteuerung im Einvernehmen mit allen betroffenen Steuerverwaltungen, sowie dem Steuerpflichtigen bzw. den betroffenen Konzerneinheiten eines international agierenden Unternehmens. Ein Joint Audit kann schließlich die Grundlage für die Beantragung eines Advance Pricing Agreements bilden.

7.238

3. Zuständigkeit für Prüfungsmaßnahmen Im föderalistischen Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland ist der Steuervollzug grundsätzlich Aufgabe der Länder (Art. 108 Abs. 2 und 3 GG). Die Betriebsprüfung ist ein Teil der Vollzugsaufgaben und damit ebenfalls Kernkompetenz der Länder. Die Bundesbetriebsprüfung (Rz. 1.78 ff.) kann nach § 19 FVG an den Prüfungen der Landesfinanzbehör1 Spensberger/Steiner, „Grenzüberschreitende Betriebsprüfungen – Praktische Erfahrungen mit Österreich, Italien und den Niederlanden“ in: Schmidt/Oertel, International Tax Audit Forum Munich 2014, 123 (131). 2 Vgl. zu den Antragsvoraussetzungen eines Verständigungsverfahrens: Merkblatt zum internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, BMF v. 13.7.2006 – IV B - 6 S 1300 - 340/06, BStBl. I 2006, 461; zu den Antragsvoraussetzungen eines Vorabverständigungsverfahrens: Merkblatt für bilaterale oder multilaterale Vorabverständigungsverfahren auf der Grundlage der Doppelbesteuerungsabkommen zur Erteilung verbindlicher Vorabzusagen über Verrechnungspreise zwischen international verbundenen Unternehmen (sog. Advance Pricing Agreements – APAs), BMF v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06, BStBl. I 2006, 594. 3 Riegel/Sassmann, BB 2019, 2519; Peters/Kircher/Moll, IStR 2016, 2; 4 BMF v. 6.1.2017 – IV B – 6 S 1315/16/10016 :002 – DOK 2016/0996151, BStBl. I 2017, 89, Tz. 1.1. 5 Meickmann, IStR 2014, 591 (595).

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7.239

Kap. 7 Rz. 7.239 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

den mitwirken und Prüfungsmaßnahmen anregen. Diese Grundsätze gelten ohne Ausnahme auch bei allen Maßnahmen mit Auslandsbezug.1 Das Grundgesetz und das FVG enthalten keine Sonderregelungen.

7.240

Ob eine Teilnahme an einer internationalen Prüfungsmaßnahme erfolgen soll oder ob ein Fall gegenüber dem Ausland vorgeschlagen wird, entscheidet das für die Betriebsprüfung nach § 195 AO zuständige Finanzamt. Alle nationalen Zuständigkeiten, sowie die Aufgabenverteilung zwischen Bundes- und Landesprüfern bleiben unberührt.

4. Zuständigkeit für den Informationsaustausch a) Der „Competent Authority Status“ des Bundes

7.241

Anders als bei rein nationalen Ermittlungsmaßnahmen muss des Weiteren die Berechtigung zum Informationsaustausch mit anderen Verwaltungen auf die Prüfer übertragen werden. Außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland sind keine hoheitlichen Maßnahmen deutscher Beamter zulässig. Deshalb können die Prüfer nur im Rahmen der Amtshilfe durch verschiedene Formen des Informationsaustauschs agieren.

7.242

Nach geltender Rechtslage ist nicht jeder deutsche Beamte befugt, den zwischenstaatlichen Informationsaustausch zu betreiben. Die Befugnis Auskünfte an andere Staaten zu erteilen und Informationen aus anderen Staaten entgegenzunehmen, gehört in den Bereich der Aufgaben des Bundesministerums der Finanzen. Das Bundesministerium hat das Bundeszentralamt für Steuern mit einer Generalvollmacht ausgestattet und es gegenüber anderen Staaten und den deutschen Landesfinanzbehörden als sog. „zentrales Verbindungsbüro“ benannt. Damit ist das Bundeszentralamt für Steuern im Kern die zuständige Behörde (sog. Competent Authority) für die Kommunikation und den Informationsaustausch mit anderen Steuerverwaltungen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 5 FVG). b) Übertragung von Zuständigkeiten auf die Prüfer

7.243

Die Eigenschaft als „competent authority“ Auskünfte mit Beamten im Ausland auszutauschen und Informationen entgegenzunehmen, kann von den Bundesbediensteten auf die Landesbeamten weiterübertragen werden. In der Praxis erhalten alle deutschen Prüfer, also sowohl die Bundes- als auch die Landesprüfer, bei Mitwirkung an einem Joint Audit den „Competent Authority Status“ bezüglich des zu prüfenden Einzelfalls.

7.244

Dem geht jedoch immer ein erster Informationsaustausch zwischen dem Bundeszentralamt für Steuern und dem ausländischen zentralen Verbindungsbüro voraus. Erst wenn die Rahmenabsprachen zwischen den zentralen Verbindungsbüros getroffen sind, werden die Prüfer zur unmittelbaren Kontaktaufnahme berechtigt, so dass die Arbeit am Einzelfall beginnen kann. Das Bundeszentralamt entsendet zu den Prüfertreffen in der Regel einen Beamten, der die Fälle koordiniert und das zentrale Verbindungsbüro über die wesentlichen Erkenntnisse informiert.2 Im Übrigen ist es Aufgabe der entsendeten Prüfer das zentrale Verbindungsbüro über die Ergebnisse der Treffen zu unterrichten.

7.245

Anders als die Berechtigung zum Informationsaustausch kann die Berechtigung eine Verständigungslösung auszuarbeiten nicht auf die Prüfer übertragen werden. Ist aus rechtlichen 1 Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 193–203 AO Rz. 47. 2 Drüen, DStR Beihefter zu 41/2013, 82 (85).

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B. Joint Audits | Rz. 7.247 Kap. 7

Gründen eine Doppelbesteuerung unvermeidbar, so muss das Verständigungsverfahren gesondert beantragt und von anderen Personen als den Betriebsprüfern, geführt werden. Dies ist zumindest die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung, die auch im Merkblatt über koordinierte Außenprüfungen klar zum Ausdruck gebracht wird. Die Auffassung deckt sich mit einer Empfehlung der OECD. Wenn Verständigungsverfahren nicht von denselben Personen geführt werden, die zuvor für die Steuerfestsetzung verantwortlich waren, soll dies der Korruptionsvermeidung dienen und die Verfahren erleichtern. Zwar mag es Fälle geben, in denen diese Empfehlung uneingeschränkte Zustimmung verdient; In Fällen, in denen die Prüfer aber bereits umfangreich gemeinsam ermittelt haben, der Sachverhalt allen Akteuren bekannt ist und das wesentliche Interesse aller Beteiligten auf den schnellen und effizienten Abschluss des Falles gerichtet ist, überzeugt dieser Ansatz nicht. Hier wären flexiblere Lösungen vorzugswürdig und eine Übertragung der Berechtigung zum Abschluss einer Verständigungslösung auf den Prüfer geboten. Im Zweifel sollte zumindest ein Team, das zu Verständigungslösungen befugt ist, schnell und flexibel zu Besprechungen hinzugezogen werden können, so dass alle Beteiligten gemeinsam am Ende einer Prüfungsmaßnahme auch eine eindeutige Verteilung der Besteuerungsrechte beschließen können. Unbefriedigend ist ein Zustand, bei dem eine unvermeidbare Doppelbesteuerung sehenden Auges in Steuerbescheide umgesetzt werden muss, Steuern und Zinsen anfallen und sodann ein langwieriges Verständigungsverfahren nach allgemeinen Grundsätzen initiiert werden muss. Dies sollte in naher Zukunft sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene in den Regelwerken aufgegriffen werden.

III. Rechtsgrundlagen 1. Überblick Derzeit gibt es auf nationaler Ebene noch keine spezifischen Rechtsgrundlagen, die gezielt auf gemeinsame steuerliche Betriebsprüfungsmaßnahmen zugeschnitten sind. Im internationalen Umfeld hat sich dies durch die politische Einigung über die „Richtlinie (EU) 2021/514 des Rates vom 22. März 2021 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung“1 geändert. Die sog. DAC 7, also die siebte Änderungsrichtlinie der EU-Amtshilferichtlinie, enthält erstmals einen Art. 12a, der in der deutschen Sprachfassung die Überschrift „Gemeinsame Prüfungen“ und in der gleichsam verbindlichen englischen Sprachfassung die Überschrift „Joint Audits“ trägt. Die neuen Bestimmungen sind bis 31.12.2022 in allen europäischen Mitgliedstaaten in nationales Recht zu transformieren. Das europäische Recht nimmt damit eine Vorreiterstellung ein. Die OECD hat bislang zwar das Thema geprägt, jedoch im Ergebnis nur Empfehlungen ausgesprochen ohne dabei einen konkreten Vorschlag für eine eigenständige Rechtsnorm für koordinierte Betriebsprüfungen zu unterbreiten.

7.246

Die Europäische Staatengemeinschaft und die übrige nationale und internationale herrschende Meinung2 begreifen Joint Tax Audits übereinstimmend als besondere Form der Amtshilfe, d.h. es werden verschiedene Amtshilfevorschriften in Kombination miteinander zur Anwendung gebracht.3 Die gemeinsame Prüfung wird durch einen Echtzeit-Informationsaustausch

7.247

1 Abl. EU L 104/1 v. 25.3.2021. 2 Meickmann, IStR 2014, 591 (594); Seer, IWB 2014, 87 ff.; Spensberger/Macho/Erichsen, IStR 2017, 261 ff. 3 BMF v. 6.1.2017 – IV B – 6 S 1315/16/10016 :002 – DOK 2016/0996151, BStBl. I 2017, 89; entsprechende Aussagen finden sich auch in Erwägungsgrund 24 der Richtlinie 2021/514 des Rates vom 22.3.2021, ABl. (EU) 104/1.

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Kap. 7 Rz. 7.247 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

ermöglicht. Sofern die internationale Vereinbarung ein aktives Fragerecht ausländischer Beamter vorsieht, und dies in nationales Recht transformiert wurde, können ausländische Beamte direkte Prüfungsgespräche mit den Steuerpflichtigen führen und Unterlagen selbst prüfen. Andernfalls können sie zumindest passiv den Ermittlungsmaßnahmen der lokalen Einheiten bewohnen, ihren Kollegen Fragen stellen und Hinweise für weitere Ermittlungen geben.

7.248

Zur Abgrenzung der Befugnisse zwischen aktivem und passivem Prüfungsrecht empfiehlt es sich immer sowohl den Text der internationalen Vereinbarung als auch den nationalen Gesetzestext nebeneinander zu legen. Oftmals enthalten die internationalen Vereinbarungen Öffnungsklauseln, so dass das nationale Recht anders ausgestaltet sein kann als die internationale Vereinbarung. Umgekehrt gibt es Staaten, deren Recht weitreichendere Befugnisse enthält bzw. deren Rechtspraxis eine großzügige Auslegung ermöglicht. In diesem Fällen muss der deutsche Rechtsanwender prüfen, ob das internationale Recht hier tatsächlich als Brücke dienen kann.

7.249

Es gibt zahlreiche Vereinbarungen über die zwischenstaatliche Amtshilfe1, die gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Innerhalb der EU stützen die Verwaltungen ihr Handeln regelmäßig auf Rechtsgrundlagen, die von der Europäischen Union geschaffen wurden (s. dazu unter 3.). Die unionalen Vereinbarungen unterscheiden traditionell zwischen den Steuerarten, die von der Verwaltung in den Fokus genommen werden. Daher bestehen für die Ertragsteuer (direct taxation), Umsatzsteuer (Indirect Taxation) und die Zölle (Excise Tax) jeweils eigene Amtshilfevorschriften. Weitere Rechtsgrundlagen haben ihren Ursprung in Arbeiten der OECD. Im Verhältnis zwischen denjenigen Staaten, die eine Transformation der OECD-Werke in nationales Recht vorgenommen haben, entfalten die Rechtsgrundlagen eine globale Reichweite (Rz. 7.275 ff.).

7.250

In der Regel legen die Verwaltungen zu Beginn der Zusammenarbeit fest, auf Basis welcher Rechtsgrundlage der Prüfungsprozess vorgenommen wird. Im Fall einer gerichtlichen Überprüfung ist eine Handlung allerdings auch dann rechtmäßig, wenn das Gericht zwar nicht die von der Verwaltung angenommene Norm für rechtmäßig erachtet, aber eine andere (internationale) Amtshilfevorschrift greift.

2. Abgabenordnung a) § 88 AO

7.251

§ 88 AO verpflichtet die deutschen Finanzbehörden jeden Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären.2 Steuern sind nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. § 88 AO ist allerdings nur Aufgabennorm und keine Befugnisnorm.3 Zur Erfüllung des Ermittlungsauftrags aus § 88 AO benötigen die Behörden eine spezielle Rechtsgrundlage, welche die beabsichtigte Maßnahme konkret vorsieht und die Voraussetzungen für die Zulässigkeit definiert. Auf § 88 AO können allenfalls Maßnahmen ohne jeden Eingriffscharakter gestützt werden, also beispielsweise Maßnahmen mit Einwilligung bzw. auf Betreiben des Steuerpflichtigen. Ebenso kann eventuell auch die Entgegennahme von Kontrollmitteilungen und Ermittlungsergebnissen anderer Behörden oder von Informationen im Wege der Amts- und Rechtshilfe auf Basis des § 88 AO zulässig sein. In diesen sehr eng umgrenzten Fällen ist § 88 AO ausnahmsweise zugleich Aufgaben- und Befugnisnorm.4 1 2 3 4

Einen wissenschaftlichen Überblick gibt Seer, FS für Lüdicke, 577 (579 ff.). Zum Ganzen: Seer, SteuerStud 2010, 369; Krüger, DStZ 2017, 761. Klein, AO, § 88 Rz. 6; Koenig3, § 88 AO Rz. 3. Vgl. hierzu Söhn in HHSp, § 117 AO Rz. 3.

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B. Joint Audits | Rz. 7.256 Kap. 7

Bei der Prüfung internationaler Sachverhalte besteht ein Spannungsverhältnis: § 88 AO enthält einen weltweiten Ermittlungsauftrag1, der nicht an der Staatsgrenze endet. Die deutschen Behörden sind aber nur innerhalb des Territoriums mit Ermittlungsbefugnissen ausgestattet. Nach allgemein anerkanntem Völkergewohnheitsrecht darf außerhalb der eigenen Staatsgrenzen keine hoheitliche Tätigkeit ausgeübt werden, es sei denn es existiert eine ausdrückliche völkerrechtliche Erlaubnis, die dieses Verbot einschränkt oder aufhebt.2 Ohne eine solche Erlaubnis ist die Mitwirkung/Teilnahme deutscher Finanzbeamter an Ermittlungsmaßnahmen ausländischer Finanzbehörden im Ausland oder ausländischer Finanzbeamter an innerstaatlichen Durchführungsmaßnahmen deutscher Finanzbehörden ebenso völkerrechtsund verfassungswidrig wie selbstständige Ermittlungsmaßnahmen deutscher Finanzbehörden im Ausland und ausländischer Finanzbehörden in der Bundesrepublik Deutschland, selbst wenn sie im Einvernehmen mit dem Steuerpflichtigen durchgeführt werden.3

7.252

§ 88 AO enthält damit nur einen Arbeitsauftrag, ist jedoch selbst keine Rechtsgrundlage für internationale Prüfungsmaßnahmen der Finanzbehörden.

7.253

b) § 117 AO § 117 AO bildet die rechtliche Brücke zwischen der Abgabenordnung bzw. dem deutschen Verfahrensrecht und den internationalen Regelungen, welche die Zusammenarbeit ermöglichen.4 Er regelt Voraussetzungen und Durchführung der zwischenstaatlichen Amtshilfe in Steuersachen.5 Abs. 1 ermächtigt die deutschen Finanzbehörden zur Inanspruchnahme zwischenstaatlicher Amtshilfe. Abs. 2 zählt die speziellen Rechtsgrundlagen für die Gewährung zwischenstaatlicher Amtshilfe durch deutsche Finanzbehörden auf. Abs. 3 nennt die Voraussetzungen für eine zwischenstaatliche Amtshilfe durch deutsche Finanzbehörden bei Fehlen einer speziellen Rechtsgrundlage (sog. „Kulanzhilfe“). Abs. 4 regelt die innerstaatliche Durchführung zwischenstaatlicher Amtshilfe durch deutsche Finanzbehörden. Für den Bereich der gemeinsamen Betriebsprüfungen ist insbesondere Abs. 4 von zentraler Bedeutung.

7.254

Die internationale steuerliche Amtshilfe ist eine ergänzende Hilfe, welche die ersuchte Stelle der ersuchenden Finanzbehörde bei der Durchführung der Besteuerung leistet. Sie kann nicht zu anderen Zwecken angefordert oder geleistet werden. Amtshilfe ist von Rechtshilfe abzugrenzen: Rechtshilfe setzt im steuerrechtlichen Sprachgebrauch Hilfeleistung an ein Gericht voraus, die von § 117 AO nicht erfasst ist und einer besonderen Regelung bedarf.

7.255

§ 117 AO regelt nicht, ob und inwieweit ausländische Finanzbehörden Amtshilfe verlangen bzw. leisten müssen und/oder dürfen. Insoweit sind die völkerrechtlichen Vereinbarungen, die Rechtsakte der EU und das ausländische Verfahrensrecht maßgeblich. Die deutschen Finanzbehörden können zwischenstaatliche Amtshilfe nach Maßgabe des deutschen Rechts in Anspruch nehmen. Das deutsche Recht entscheidet ob, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen sich die deutschen Finanzbehörden durch ausländische Finanzbehörden unterstützen lassen müssen und dürfen.

7.256

1 Ausf. Eisgruber/Oertel, FS 100 Jahre BFH, 1113 (1114 f.). 2 Reimer, Ein Thema stark gemacht: Gemeinsame Betriebsprüfungen in Eisgruber/Oertel, International Tax Audit Forum Munich 21.–22.11.2016 (2017), 69, 73 f. 3 Vgl. hierzu Söhn in HHSp, § 117 AO Rz. 3. 4 BT-Drucks. 10/5562, 26. 5 Zu allen Einzelheiten vgl. BMF, Merkblatt v. 29.5.2019 – IV B 6 - S 1320/07/10004 :008, BStBl. I 2019, 480. Einen Überblick hierüber gibt Gehm, IWB 2019, 762.

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Kap. 7 Rz. 7.257 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

c) §§ 193 ff. AO

7.257

Die §§ 193 ff. AO sind Grundlage aller Prüfungshandlungen der deutschen Steuerbehörden, vgl. dazu Rz. 1.186 ff. Sie gelten auch in allen Fällen der Zusammenarbeit mit ausländischen Steuerbehörden, solange deutsche Prüfer auf deutschem Territorium agieren. Demnach ist die Betriebsprüfung auf eine abschließende nachträgliche Überprüfung des Steuerfalls bzw. bestimmter Steuerarten in bestimmten Besteuerungszeiträumen gerichtet. Sie ist für den Fall gedacht, dass Steuererklärungen vorliegen, wenngleich dies keine zwingende Voraussetzung für eine Anordnung der Betriebsprüfung ist. Daraus ergibt sich, dass nach h.M. die Zusammenarbeit der deutschen Steuerverwaltung in Fällen, in denen die ausländischen Behörden im Rahmen eines sog. „Co-operative-Compliance-Programms“1 im laufenden Steuerjahr tätig sind, nicht möglich ist.2

7.258

Die deutsche Betriebsprüfung wird im angloamerikanischen Sprachraum oftmals als „field audit“ bezeichnet, was darauf zurückzuführen ist, dass die Prüfer direkt beim Steuerpflichtigenprüfen. In Abgrenzung dazu hat sich in vielen Jurisdiktionen auch ein sog. „desk audit“ etabliert. Bei diesem Verfahren verbleiben die Prüfer im Amtsgebäude und führen Analysen und Prüfungsmaßnahmen durch, ohne sich direkt zum Steuerpflichtigen zu begeben. Sie agieren daher nicht „on the field“, sondern vom Schreibtisch aus.

7.259

Die Betriebsprüfung ist zur Erledigung eines zwischenstaatlichen Rechts- und Amtshilfeersuchens zulässig, wenn das geprüfte Unternehmen an dem ausländischen Besteuerungsverfahren beteiligt ist.

7.260

Das BMF-Merkblatt zu koordinierten Außenprüfungen stellt zutreffend klar, dass die Prüfungsanordnung i.S.d. § 196 AO (Rz. 1.165 ff.) nur an den inländischen Steuerpflichtigen bekanntgegeben wird.3 Die ausländischen Prüfer sind nicht in der Prüfungsanordnung zu vermerken, da sie keine Hoheitsrechte im Rahmen der auf deutschem Territorium vorgenommenen Prüfung haben. Auch die Koordinatoren, die im Bundeszentralamt für Steuern für die Begleitung des internationalen Prüfungsverfahrens bereitstehen, sind nicht Teil des Prüferteams und daher nicht in der Prüfungsanordnung zu benennen. Im Übrigen gelten die allgemeinen Grundsätze des deutschen Verfahrensrechts.

3. Europäisches Recht a) Die EU-Amtshilferichtlichtlinie für direkte Steuern

7.261

Für den Bereich der direkten Steuern ist die Zusammenarbeit der europäischen Steuerverwaltungen durch die EU-Amtshilferichtlinie4 geregelt. Sie war bis 2013 in nationales Recht umzusetzen und ist von allen Mitgliedstaaten transformiert worden. In Deutschland wurde das EU-

1 Vgl. zu Co-operativen Compliance Programmen die Übersicht bei Birkemeyer/Blaufus/Keck/Reineke/Trenn, DStR 2019, 121. 2 A.A. Macho/Oertel, ISR 2019, 232, die zumindest die Möglichkeit der Pilotierung eines auf freiwilliger Basis durchzuführenden „begleitenden Prüfverfahrens“ nach österreichischem Vorbild nicht ausschließen. 3 BMF v. 6.1.2017 – IV B - 6 S 1315/16/10016 :002 – DOK 2016/0996151, BStBl. I 2017, 89 Tz. 1.2; s. hierzu die Anmerkungen von Gehm, IWB 2017, 229 und Eisgruber/Oertel, ISR 2017, 270. 4 Richtlinie 2011/16/EU v. 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG, ABl. EU Nr. L 64 v. 11.3.2011, 1.

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B. Joint Audits | Rz. 7.265 Kap. 7

Amtshilfegesetz1 geschaffen. Die EU-Amtshilferichtlinie regelt die Voraussetzungen für den Informationsaustausch zwischen den Steuerverwaltungen im Bereich der direkten Steuern. Grundvoraussetzung ist, dass die Informationen für Besteuerungsverfahren im jeweils anderen Mitgliedstaat „voraussichtlich erheblich“ sind. Der EuGH legt dieses Merkmal weit aus, um den Mitgliedstaaten eine umfassende Zusammenarbeit zu ermöglichen. Er grenzt es im Wesentlichen negativ ab. Ein Informationsaustausch ist nur dann nicht zulässig, wenn die Antwort auf ein Ersuchen voraussichtlich völlig unerheblich für das Besteuerungsverfahren des anfragenden Mitgliedsstaates ist.2 Im Übrigen genügt eine ex-ante Schlüssigkeitsprüfung.3 Das Urteil erging zwar zum schriftlichen Informationsaustausch, aber es kann uneingeschränkt auf Anfragen im Rahmen einer koordinierten Prüfung übertragen werden. Das FG Köln hat dies bereits bestätigt.4 Mit mehreren richtungsweisenden Urteilen hat es den Weg für eine Intensivierung der internationalen Prüfungspraxis geebnet.5 Die weite Auslegung des Gerichts ist zutreffend, denn unklare oder unterschiedliche Sachverhalte wirken sich zweifellos meist auf die Besteuerung in den beiden betroffenen Staaten aus.6 Um unzulässige Anfragen handelt es sich sog. „fishing expeditions“, also komplett „ins Blaue hinein“ gerichteten Ermittlungsanfragen.7

7.262

Weitere Voraussetzung ist, dass der geplante Informationsaustausch erforderlich sein muss, d.h. keine Maßnahme mit einer geringeren Eingriffsintensität möglich und ausreichend wäre. In der Praxis fordert die Betriebsprüfung zur Vorlage von Unterlagen auf. Selbst wenn alle Unterlagen tatsächlich vorgelegt werden, besteht jedoch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten darüber hinaus die Notwendigkeit für einen Abgleich mit den im Ausland vorhandenen Daten. Das Merkmal ist daher in der Prüfungspraxis von untergeordneter Bedeutung.

7.263

Bei ausländischen Ermittlungsersuchen muss die deutsche Finanzverwaltung gem. § 4 Abs. 1 Satz 4 EUAHiG alle „nach der Abgabenordnung vorgesehenen behördlichen Ermittlungen“ durchführen, falls sie nicht bereits über Informationen verfügt. Nach § 4 Abs. 6 EUAHiG kann ein Ersuchen nicht aus dem Grund abgelehnt werden, weil die zu übermittelnden Informationen nach deutschem Recht nicht für steuerliche Zwecke benötigt werden.

7.264

Im Rahmen einer Auslandsentsendung können die Beamten auf unterschiedliche Weise Erkenntnisse erlangen. § 10 Abs. 1 und 2 EUAHiG räumen ein sog. passives Prüfungsrecht ein. Danach ist die Anwesenheit in Amtsräumen von ausländischen Steuerbehörden sowie die Teilnahme an behördlichen Ermittlungsmaßnahmen gestattet. Die Möglichkeit durch eigene Wahrnehmung (Sehen und Hören) Informationen entgegenzunehmen ersetzt in diesen Fällen die schriftliche Beantwortung eines Ersuchens. Der Steuerpflichtige muss solche Maßnahmen nach Durchführung des Anhörungsverfahrens dulden. Nach deutschem Recht ist die passive Anwesenheit ausländischer Prüfer im Inland nicht von einer Zustimmung des Steuerpflichtigen abhängig.

7.265

1 Gesetz über die Durchführung der gegenseitigen Amtshilfe in Steuersachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-Amtshilfegesetz, EUAHiG) v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 2 Zu der Auslegung dieses Merkmals ganz allgemein: EuGH v. 16.5.2017 – C-682/15, „Berlioz Investment Funds“ Rz. 60 ff. – insbesondere Rz. 71 – IStR 2017, 785. 3 Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 193–203 AO Rz. 48. 4 FG Köln v. 23.5.2017 – 2 V 2498/16, EFG 2017, 1322; FG Köln v. 20.10.2017 – 2 V 1055/17, Ubg 2018, 295 mit Anm. Bleschick/Oertel/Mohr; FG Köln v. 23.2.2018 – 2 V 814/17, EFG 2018, 852; FG Köln v. 12.9.2018 – 2 K 814/18, DStRK 2019, 175. 5 Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 193–203 AO Rz. 49. 6 Spensberger in FS für Kuckhoff, 161, (168). 7 Allgemein: Seer in Tipke/Kruse Vor §§ 193–203 AO Rz. 48; im Übrigen instruktiv FG Köln v. 7.9.2015 – 2 V 1315/15, EFG 2015, 1769, dazu wiederum Seer, IWB 2016, 6 ff.

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Kap. 7 Rz. 7.266 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

7.266

§ 10 Abs. 3 EUAHiG räumt unterdessen ein aktives Prüfungsrecht ein. Demnach kann es dem ausländischen Beamten gestattet werden im Beisein inländischer Bediensteter eine Befragung von Auskunftspersonen vorzunehmen oder Aufzeichnungen eigenständig zu prüfen. Ein aktives Prüfungsrecht setzt im deutschem Recht die ausdrückliche Zustimmung des Steuerpflichtigen voraus.1 Die Zulässigkeit der Anwesenheit eines inländischen Steuerprüfers in einem anderen EU-Mitgliedstaat ist nach deutschem Recht durch § 11 EUAHiG gedeckt, allerdings ist in diesem Fall immer auch das das ausländische Steuerrecht entscheidend. Die Richtlinie sieht vor, dass eine aktive Anwesenheit ermöglicht werden kann, enthält aber keine zwingende Regelung. Verbindlicher Mindeststandard in allen EU-Staaten ist nur die passive Anwesenheit. Einzelne Mitgliedstaaten, bspw. Ungarn, haben die Richtlinie bislang restriktiv umgesetzt, so dass bei Entsendungen von und nach Ungarn eine aktive Anwesenheit derzeit nicht vereinbart werden kann.

7.267

In jedem Fall bleibt die inländische Behörde Herrin des Verfahrens, die ausländischen Bediensteten haben keine eigenen Ermittlungsbefugnisse.2 Die Amtshilferichtlinie ermöglicht den Finanzbehörden anderer Mitgliedstaaten nicht die eigenständige Vornahme von Hoheitsakten sondern nur die Zusammenarbeit.3

7.268

Daneben eröffnet Art. 12 EUAHiG die Möglichkeit einer rein simultanen Betriebsprüfung. b) Die MwStZusVO für die Mehrwertsteuer

7.269

Für den Bereich der Mehrwertsteuer ist die Zusammenarbeit durch eine Verordnung4 geregelt. Eine EU-Verordnung gilt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Sie bedarf keines Umsetzungsaktes. In Art. 29 findet sich die Rechtsgrundlage für die Entsendung von Prüfern in andere Mitgliedstaaten. Abs. 1 beschreibt in ähnlicher Weise wie Art. 12 EU-AHiRL, dass die Staaten im Einvernehmen miteinander die Voraussetzungen regeln können, unter denen Beamte in fremdes Territorium entsandt werden. Abs. 2 stellt klar, dass alle behördlichen Ermittlungen ausschließlich von den Beamten der ersuchten Behörde geführt werden und die lokalen Beamten jede Art von Zugang zu Räumlichkeiten und Informationen vermitteln. Diese ausdrückliche Klarstellung, die anderen Normen derzeit noch fehlt, ist sehr zu begrüßen. Sie schafft Rechtssicherheit über die geltenden Mechanismen und grenzt die Kompetenzen klar ab. Abs. 2a enthält die weitere Klarstellung, dass alle Ermittlungen gemäß den Rechtsvorschriften des ersuchten Staates stattfinden. Damit ist die Frage „welches Recht gilt bei Entsendungen in das Ausland“ für die Mehrwertsteuerprüfungen klar beantwortet. Richtungsweisend ist ferner, dass nach Abs. 3 ein gemeinsamer Ermittlungsbericht vorgesehen ist.

7.270

Insgesamt zeigt sich an der Regelungstiefe, dass der 2018 im Amtsblatt der EU verkündete Art. 29 die jüngste Rechtsnorm auf dem Gebiet der unmittelbaren Zusammenarbeit und Entsendung von Beamten ist. In seinen Wortlaut sind die Praxiserfahrungen der Zusammenarbeit eingeflossen. Er enthält folgerichtig eine Weiterentwicklung der vorhandenen Rechtsgrundlagen und bildet einen Meilenstein auf den Weg zu einem internationalen steuerlichen Verfahrens- und Prüfungsrecht. Zu den Verbesserungen durch Art. 12a EUAHiG, dessen Transformation in verbindliches Recht noch aussteht, s. Rz. 7.272. 1 2 3 4

Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 193–203 AO Rz. 44. Söhn in HHSp, § 117 AO Rz. 283a. Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 10 Rz. 96. Verordnung (EU) Nr. 904/2016 des Rates v. 7.10.2016 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer, ABl. EU Nr. L 268 v. 12.10.2010, 1, zuletzt geändert durch VO (EU) Nr. 1541/2018 v. 2.10.2018, ABl. EU Nr. L 259, 1.

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B. Joint Audits | Rz. 7.275 Kap. 7

c) Zoll bzw. Verbrauchsteuern Der Vollständigkeit halber muss erwähnt werden, dass für die besonderen Verbrauchsteuern Art. 13 der Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung1 als unmittelbar geltende Rechtsgrundlage einschlägig ist. Die Vorschrift ermöglicht allerdings nur passive Anwesenheit. Aktive Prüfungsrechte gewährt die Vorordnung im Rahmen der Entsendung nicht.

7.271

d) Ausblick: Der neue Art. 12a in der EU-Amtshilferichtlinie Im Rahmen von DAC 7 wurde mit Art. 12a ein Vorschlag des Joint Transfer Pricing Forums aufgegriffen und erstmals weltweit eine Rechtsgrundlage für gemeinsame Prüfungen geschaffen. In den allgemeinen Erwägungen der Richtlinie stellt die Kommission zutreffend heraus, dass der koordinierte Betriebsprüfungsansatz zu einem besseren Funktionieren des Binnenmarkts beiträgt, indem er Steuerpflichtigen dank klarer Verfahrensregeln Rechtssicherheit verschaffen kann.2 Mit dem neuen Artikel sollen daher eine Reihe von Regelungen getroffen werden, in denen der Rahmen und die wichtigsten Grundsätze weiter präzisiert werden. Er umfasst insbesondere Vorgaben, die zur Anwendung kommen sollten, wenn die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten beschließen, auf eine gemeinsame Prüfung zurückzugreifen.3

7.272

Art. 12a gliedert sich in fünf Absätze.

7.273

– Absatz 1 regelt eine 60-Tage Frist, innerhalb derer das Ersuchen eines Staates um Initiierung einer gemeinsamen Prüfung beantwortet werden muss. – Absatz 2 enthält Hinweise auf abzustimmende Grundsatzfragen, die vor Prüfungsbeginn zu klären sind. – Absatz 3 regelt Details des gemeinsamen Prüfungsgeschehens. – Absatz 4 nimmt die finale Phase der gemeinsamen Prüfungen in den Blick. – Absatz 5 bestimmt, dass die geprüften Personen innerhalb von 60 Tagen nach Abschluss der Prüfung über das Ergebnis unterrichtet werden müssen. Die Bestimmungen des Art. 12a sind zwar bereits wirksames europäisches Recht, müssen jedoch noch in das nationale Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten transformiert werden, um auch in der Praxis Anwendung zu finden. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet die Umsetzung bis zum 31.12.2023 abzuschließen. 4

7.274

4. Das Multilaterale Übereinkommen der OECD Das von der OECD entwickelte Multilaterale Übereinkommen5 differenziert nicht zwischen den Steuerarten. Es gilt einheitlich für Ertragssteuern, Verbrauchsteuern und umfasst auch den Austausch von Informationen über Sozialbeiträge. 1 2 3 4 5

Verordnung (EU) Nr. 389/2012 des Rates v. 13.5.2013, ABl. EU Nr. L 121 v. 8.5.2012. Erwägungsgrund 24 der Richtlinie (EU) 2021/514 v. 22.3.2021, Abl. 104/1. Erwägungsgrund 25 der Richtlinie (EU) 2021/514 v. 22.3.2021, Abl. 104/1. Vgl. Art. 2 der Richtlinie (EU) 2021/514 v. 22.3.2021, Abl. 104/1. Übereinkommen vom 25.1.1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen, in Deutschland umgesetzt durch das Gesetz zu dem Übereinkommen vom 25.1.1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll v. 27.5.20201 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen, BGBl. II 2015, 966.

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7.275

Kap. 7 Rz. 7.276 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

7.276

Europarat und OECD hatten bereits 1988 ein multilaterales Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen verabschiedet, welches im Jahre 2010 durch ein Änderungsprotokoll modifiziert worden ist. Die Bundesrepublik Deutschland hat das Übereinkommen jedoch erst am 17.4.2008 und das Änderungsprotokoll am 3.11.2011 unterzeichnet. Die Umsetzung in deutsches Recht erfolgte 2015.1

7.277

In Art. 27 ist die ausdrückliche Regelung getroffen, wonach andere völkerrechtliche Übereinkünfte über die gegenseitige Amtshilfe, wie bspw. die EU-Amtshilferichtlinie, nicht beschränkt werden.

7.278

Art. 8 AmtshÜbereink sieht die Möglichkeit der simultanen Betriebsprüfung (gleichzeitige Steuerprüfung) durch Vertragsstaaten vor. Zwei oder mehr Steuerverwaltungen können vereinbaren gleichzeitig im jeweils eigenen Steuerhoheitsgebiet eine Betriebsprüfung durchzuführen und anschließend die gewonnenen sachdienlichen Informationen austauschen. In der Vereinbarung sollen der Ablauf des Verfahrens sowie die Bedingungen, also beispielsweise eine Verabredung über ausgewählte Prüffelder festgehalten werden. Art. 8 schafft lediglich die Rechtsgrundlage für die Möglichkeit zu einer simultanen Betriebsprüfung, ohne dass für einen Vertragsstaat eine Verpflichtung besteht, sich daran zu beteiligen.

7.279

Nach Art. 9 AmtshÜbereink kann die zuständige Steuerbehörde des ersuchten Vertragsstaates gestatten, dass Steuerbeamten des ersuchenden Vertragsstaates während des relevanten Teils einer steuerlichen Betriebsprüfung im ersuchten Staat anwesend sind. Die Unterzeichnerstaaten des AmtshÜbereink können erklären, dass sie eine Anwesenheit von ausländischen Steuerbeamten bei inländischen Betriebsprüfungen nicht gestatten. Hiervon hat beispielsweise die Schweiz Gebrauch gemacht.

5. DBA-Recht 7.280

Nach dem Wortlaut des Art. Art. 26 OECD-MA ist die Möglichkeit der Vereinbarung einer simultanen Betriebsprüfung durch die Steuerverwaltungen abkommensrechtlich nicht ausdrücklich geregelt. Im OECD-Musterkommentar wird unter Tz. 9.1 zu Art. 26 OECD-MK jedoch ausgeführt, dass die Vertragsstaaten auch andere Verfahren des Informationsaustausches (neben dem Informationsaustausch auf Ersuchen sowie dem spontanen oder automatischen Informationsaustausch) wie gleichzeitige Prüfungen oder Steuerprüfungen im Ausland (Anwesenheit von Steuerbeamten des ersuchenden Vertragsstaates bei einer Steuerprüfung im ersuchten Vertragsstaat) zulassen können. Die deutsche Finanzverwaltung vertritt daher die Auffassung, dass eine Vereinbarung, die Art. 26 OECD-MA entspricht, als Rechtsgrundlage für Prüferentsendungen herangezogen werden kann.2 Dafür spricht nach hier vertretener Auffassung insbesondere der Umstand, dass Art. 26 OECD-MA mit seinem sehr weit formulierten Wortlaut die Brücke zwischen den verschiedenen Verfahrensrechten der Weltgemeinschaft bilden kann.

6. TIEA 7.281

„Tax Exchange Information Agreements“ (TIEA) sind bilaterale Auskunftsabkommen mit solchen Staaten, mit denen kein DBA besteht. Art. 6 des TIEA-MA sieht sowohl die Möglichkeit 1 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 25.1.1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27.5.2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen v. 16.7.2015, BGBl. II 2015, 966. 2 Czakert, IStR 2013, 596 (602); BMF v. 6.1.2017 – IV B - 6 S 1315/16/10016 :002 – DOK 2016/ 0996151, BStBl. I 2017, 89, Tz. 2.1.2.

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B. Joint Audits | Rz. 7.285 Kap. 7

der simultanen Betriebsprüfung als auch die Anwesenheit von Steuerbeamten eines anderen Vertragsstaates bei einer steuerlichen Betriebsprüfung vor. Da TIEA überwiegend mit vermeintlichen Steueroasen abgeschlossen wurden, hat Art. 6 TIEA-MA bis dato kaum eine praktische Bedeutung erlangt, weil Prüferentsendungen in diese Staaten kaum zielführend erscheinen. Bemerkenswert ist, dass das TIEA-MA die Möglichkeit vorsieht, dass Prüfungshandlungen im Ausland auch ohne die Anwesenheit eines inländischen Steuerbeamten durchgeführt werden dürfen. In diesem Falle ist die Einordnung der so erhaltenen Informationen als Ergebnis eines Informationsaustausches nicht überzeugend.1

7. Sonstige zwischenstaatliche Abkommen Sonstige zwischenstaatliche Abkommen können die Möglichkeit der Prüferentsendung umfassen. Zu nennen sei hier beispielsweise das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich aus dem Jahr 1954.2 In der Praxis fokussiert man derzeit jedoch auf die oben erwähnten Rechtsgrundlagen. Aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung spielen solche bilateralen Abkommen derzeit eine untergeordnete Rolle. Sollten die internationalen Organisationen nicht zeitnah die Arbeiten zur Verbesserung des Rechtsrahmens für internationale Prüfungen aufnehmen, könnte mittelfristig die Bedeutung bilateraler Abkommen in den steuerpolitischen Fokus geraten.

7.282

IV. Verfahrensfragen bei Joint Audits 1. Einleitung a) Kein Antragsrecht der Steuerpflichtigen Steuerpflichtige können keinen Antrag auf Durchführung einer Betriebsprüfung stellen. Die Entscheidung eine Prüfungsmaßnahme einzuleiten, obliegt der Finanzverwaltung. Dieser nationale Grundsatz gilt auch im internationalen Kontext. Die Steuerpflichtigen können zwar eine Prüfungsmaßnahme bei der Finanzverwaltung anregen. Diese Anregung muss jedoch von der zuständigen lokalen Finanzbehörde nicht unbedingt aufgegriffen werden.

7.283

b) Vorschlag einer Steuerverwaltung Eine gemeinsame Prüfung kann sowohl durch einen Prüfungsvorschlag eines deutschen Betriebsprüfers eingeleitet werden als auch durch die ausländische Steuerverwaltung. In Deutschland bestimmt das für die Betriebsprüfung zuständige Finanzamt welche Prüfungsfälle es aus welchen Gründen für eine koordinierte Betriebsprüfung vorschlägt. Die Bundesbetriebsprüfung kann die Durchführung und Mitwirkung an einer koordinierten Betriebsprüfung gegenüber dem zuständigen Finanzamt anregen. Wer im Ausland vorschlagsberechtigt ist, entscheidet sich nach ausländischem Verfahrensrecht.

7.284

In jeden Fall wird der Vorschlag von der zuständigen Stelle auf dem Dienstweg an das zentrale Verbindungsbüro des Heimatstaates und von dort an das ausländische zentrale Verbin-

7.285

1 Altenburg/Oertel/Strotkemper, Rechtssicherheit im internationalen Steuerrecht durch Streitvermeidungs- und Streitbeilegungsmechanismen, in Tagungsband der 3. Jahrestagung des Young IFA Network 2019, S. 76 (91). 2 Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen v. 4.10.1954, BGBl. II 1955, 833 (in Österreich: öBGBl. 1955/ 249).

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Kap. 7 Rz. 7.285 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

dungsbüro weitergeleitet. Die zentralen Verbindungsbüros der Staaten sind im Rahmen der Anbahnung um am Ende der Zusammenarbeit die zentralen Knotenpunkte. Sie prüfen die rechtliche Zulässigkeit sowohl der eingehenden als auch der ausgehenden Ersuchen. Die zentralen Verbindungsbüros schließen ferner die Entsendungsvereinbarungen ab, welche den ausländischen Beamten gestatten im jeweils anderen Staat anwesend zu sein.

7.286

Schlägt ein anderer Staat die koordinierte Außenprüfung vor, unterrichtet das zentrale Verbindungsbüro das für die Betriebsprüfung zuständige Finanzamt und die Bundesbetriebsprüfung über den Vorschlag. Die Entscheidung, ob eine Teilnahme sinnvoll und möglich ist, trifft die zuständige Landesbehörde. Die Bundesbetriebsprüfung kann an dem Entscheidungsprozess mitwirken. c) Auswahlsitzung – Selection Meeting

7.287

Auswahlsitzungen bzw. Selection Meetings sollen dazu dienen, mehrere Fälle für eine koordinierte Prüfung vorzuschlagen und die Bearbeitungsreihenfolge festzulegen. Mit zunehmender Erfahrung der Steuerverwaltungen und steigender Fallzahl erscheint es nicht mehr effizient jeden Einzelfall gesondert vorzubereiten. Die zentralen Verbindungsbüros aus zwei oder mehr Staaten vereinbaren daher immer häufiger größere Gesprächstermine, in denen über mehrere Fälle gesprochen und das weitere Vorgehen festgelegt wird. d) Anhörung nach § 117 AO, Zustimmung nach § 10 Abs. 3 EUAHiG

7.288

Im deutschen Recht findet sich die Besonderheit, dass Steuerpflichtige vor dem geplanten Informationsaustausch angehört werden müssen.1 Davon wird auch im Rahmen einer Betriebsprüfungsmaßnahme keine Ausnahme gemacht. Für den Fall, dass eine aktive Anwesenheit ausländischer Prüfer im Inland vorgesehen ist, muss vielmehr sogar eine ausdrückliche Zustimmung des Steuerpflichtigen eingeholt werden. In vielen anderen Staaten kennt man dieses Erfordernis nicht. Im Einzelnen gilt Folgendes:

7.289

Aus § 91 AO folgt, dass Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden soll, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in ihre Rechte eingreift. Die Vorbereitung und Durchführung des zwischenstaatlichen Auskunftsaustauschs beinhalten zunächst keinen Verwaltungsakt, sondern umfasst verwaltungsinterne Maßnahmen. Diese bereiten allenfalls den Erlass nachfolgender Verwaltungsakte vor.2 Gleichwohl bestimmt § 117 Abs. 4 Satz 3 AO i.V.m. § 91 AO, dass auch vor der Übermittlung von Auskünften und Unterlagen in andere Staaten eine Anhörung der Beteiligten erfolgen muss. (Lediglich die Zölle, sind von vorneherein vom Anhörungserfordernis ausgenommen, weil sie von Bundesbeamten verwaltet werden und daher nicht in den Wortlaut der Norm fallen.) Der erste Halbsatz betont, dass die Anhörung „stets“, durchzuführen ist, was zunächst darauf schließen lässt, dass es hiervon keine Ausnahmen gäbe. Allerdings sieht der zweite Halbsatz explizit Ausnahmen vor. Bei einem Informationsaustausch im EU-Binnenmarkt, also wenn die Maßnahme auf das EU-Amtshilfegesetz gestützt werden kann oder die Mehrwertsteuer betroffen ist, liegt es im Ermessen der handelnden Beamten die Anhörung durchzuführen oder zunächst zurückzustellen. Das BMF Merkblatt3 stellt klar, dass Anhörungsbedarf dem Grunde nach bereits dann besteht, wenn zwischenstaatliche Informationen mit dem Ziel ausgetauscht werden sollen, dass Unterneh1 Siehe insgesamt: Franz, IStR 2017, 273 ff. 2 Vgl. Oppel, IWB 2017, 359 (365); zustimmend Rätke in Klein15, § 117 AO Rz. 122. 3 BMF v. 6.1.2017 – IV B – 6 S 1315/16/10016 :002 – DOK 2016/0996151, BStBl. I 2017, 89, Tz. 3.2.

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B. Joint Audits | Rz. 7.294 Kap. 7

men für eine koordinierte Prüfung ausgewählt oder vorgeschlagen werden. Allerdings bestimmt § 12 Abs. 5 EUAHiG, dass die Anhörung im Ermessen der handelnden Beamten auch bis zur Bekanntgabe der Prüfungsanordnung zurückgestellt werden kann. Die Anhörung ist nicht vom Bundeszentralamt für Steuern, sondern vom örtlich zuständigen (Betriebsprüfungs-) Finanzamt durchzuführen. Sie ist Teil des Besteuerungsverfahrens. Das Finanzamt informiert das Bundeszentralamt für Steuern über das Anhörungsverfahren und leitet eventuell erhobene Einwendungen weiter. Das Bundeszentralamt für Steuern informiert den Steuerpflichtigen, wenn trotz erhobener Einwendungen ein Informationsaustausch eingeleitet werden soll. Der Steuerpflichtige hat dann die Möglichkeit beim FG Köln eine einstweilige Anordnung zu beantragen, mit welcher die Informationsübermittlung in das Ausland untersagt wird.

7.290

Ausländische Bedienstete dürfen im Beisein inländischer Bediensteter Personen befragen und Dokumente prüfen. § 10 Abs. 3 EUAHiG regelt ausdrücklich, dass die zentralen Verbindungsbüros entsprechende Vereinbarungen treffen können, sofern die betroffenen Personen vorab eine Zustimmung erteilen. Während im Rahmen der Anhörung lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden muss, und der Steuerpflichtige die Anhörungsfrist kommentarlos verstreichen lassen kann, ist im Fall des § 10 Abs. 3 EUAHiG eine ausdrückliche Zustimmung erforderlich.

7.291

In der Regel werden die Anhörung und das Einholen der Zustimmung in einem Schreiben zusammengefasst. Wie das BMF-Merkblatt1 ausführt sind dann im Rahmen der Anhörung folgende Punkte zu beachten: Der Steuerpflichtige ist auf den geplanten Informationsaustausch sowie die beabsichtigte Anwesenheit der Bediensteten ausländischer Mitgliedstaaten im Inland hinzuweisen. Zudem muss mitgeteilt werden, dass den ausländischen Bediensteten ein aktives Frage- und Prüfungsrecht eingeräumt werden soll, wobei dieses unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Steuerpflichtigen steht.

7.292

2. Prüfungsphase a) Auftaktsitzung/Start Meeting Die Prüfung beginnt regelmäßig mit einer Auftaktsitzung bzw. einem Start Meeting. Im Rahmen der Auftaktsitzung soll Einvernehmen über die Ziele und den Rahmen der koordinierten Betriebsprüfung hergestellt werden. Die Auftaktsitzung dient regelmäßig dazu den Prüfungsfall vorzustellen und die Prüfungsschwerpunkte herauszuarbeiten. Ferner werden ein Zeitplan erstellt, eine Prüfungsstrategie abgestimmt und weitere Festlegungen über die Zusammenarbeit getroffen. Der erste Teil einer Auftaktsitzung findet zumeist nur zwischen den Finanzverwaltungen statt. In einem zweiten Teil wird oftmals der Steuerpflichtige hinzugezogen, so dass erste Fragen gemeinsam diskutiert werden können und der Steuerpflichtige über den Zeitplan unterrichtet wird.

7.293

b) Abstimmung eines Fragenkatalogs Herzstück der koordinierten Prüfung ist das Herausarbeiten der Fragestellungen, die für die beteiligten Finanzverwaltungen interessant sind. Ziel der gemeinsamen Prüfungen ist es den grenzüberschreitenden Sachverhalt umfassend aufzuklären. Dazu müssen alle offenen Fragen identifiziert werden. Sofern eine Klärung nicht sofort im Gespräch möglich ist wird ein Fra1 BMF v. 6.1.2017 – IV B – 6 S 1315/16/10016 :002 – DOK 2016/0996151, BStBl. I 2017, 89, Tz. 3.2.

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7.294

Kap. 7 Rz. 7.294 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

genkatalog erarbeitet. Dieser abgestimmte Fragenkatalog wird dem Steuerpflichtigen bzw. den Steuerpflichtigen sodann zu einem abgestimmten Zeitpunkt zugeleitet. Falls die Prüfung eines verbundenen Unternehmens mit Unternehmensteilen in verschiedenen Staaten erfolgt, leitet die jeweils zuständige Finanzbehörde die Fragen an die beteiligte Unternehmenseinheit in ihrem Zuständigkeitsbereich weiter.

7.295

Für die Beantwortung der Fragen wird dem Steuerpflichtigen bzw. den Unternehmenseinheiten eine abgestimmte Frist gesetzt. Eventuell schließt sich daran eine gemeinsame Erörterung unter Einbeziehung aller Beteiligter an. c) Einbeziehung des Steuerpflichtigen

7.296

Die Einbeziehung des Steuerpflichtigen in die einzelnen Prozessschritte hängt vom Einzelfall und vom Ermessen der Finanzbehörden ab. In der Regel finden mindestens 1 bis 3 gemeinsame Besprechungen statt. Im besten Fall wird der Steuerpflichtige gleich zu Beginn im Rahmen der Auftaktsitzung, und sodann bei nachfolgenden gemeinsamen Erörterungsterminen, sowie am Ende im Rahmen eines Abschlussgesprächs am Verfahren beteiligt. Weitere Erörterungstermine, eine Betriebsbesichtigung sowie die Einladung zu Terminen im Ausland können das Spektrum erweitern.

7.297

Es ist eine oftmals kritisierte Schwäche der aktuell bestehenden Rechtsgrundlagen, dass die Rolle der Steuerpflichtigen nirgends explizit beschrieben und geregelt ist. Die Rechtsgrundlagen, welche den Auskunftsaustausch regeln, sind für die Zusammenarbeit der Finanzverwaltungen entwickelt worden. In diesem zwischenstaatlichen Vertragsnetz spielt der Steuerpflichtige zunächst keine Rolle, weil die Rechte und Pflichten der Staaten im Fokus stehen. Daher kann der Steuerpflichtige aus den Amtshilfeabkommen kaum eigene Rechte für sich ableiten.

7.298

Die Praxis zeigt jedoch, dass es ein elementarer Bestandteil der deutschen Prüfungskultur ist „beim Steuerpflichtigen“ zu prüfen und den Steuerpflichtigen während der Prüfungen unmittelbar zu Gesprächen zu bitten. Von diesem Ansatz sind auch die koordinierten Prüfungen mit deutscher Beteiligung bislang mehrheitlich getragen. Damit verbessert sich im Rahmen von koordinierten Prüfungsmaßnahmen jedenfalls die Situation der Steuerpflichtigen im Vergleich zum schriftlichen Informationsaustausch bzw. zu Verständigungsverfahren.1 d) Kommunikation

7.299

Amtssprache für das deutsche Besteuerungsverfahren ist deutsch. Arbeitssprache in vielen koordinierten Prüfungsverfahren ist Englisch, gelegentlich einigen sich Prüfer auch auf andere europäische Sprachen, sofern – insbesondere im grenznahen Bereich – alle Beteiligten über ausreichende Kenntnisse verfügen. Das BMF-Merkblatt2 führt daher zurecht aus, dass als Arbeitssprachen im Einvernehmen mit allen Beteiligten grundsätzlich alle Fremdsprachen in Betracht kommen. Die Ergebnisse der koordinierten Prüfungen fließen am Ende in den nationalen deutschen Prüfungsbericht (§ 202 AO) ein. Der nationale Prüfungsbericht wird in deutscher Sprache bekanntgegeben. In seinem Anhang können sich Arbeitsdokumente – insbesondere ein Schlussprotokoll – befinden, welche in der Arbeitssprache des internationalen Prüfungsprozesses verfasst wurden.

1 Spensberger in FS für Kuckhoff, S. 161, 168. 2 BMF v. 6.1.2017 – IV B - 6 S 1315/16/10016 :002 – DOK 2016/0996151, BStBl. I 2017, 89, Tz. 3.9.

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B. Joint Audits | Rz. 7.305 Kap. 7

Sofern das Verfahrensrecht anderer Staaten vorsieht, dass mit einem Steuerpflichtigen ausschließlich in der Amts- bzw. Landessprache kommuniziert werden darf, können vereidigte Dolmetscher und Übersetzer am Verfahren beteiligt werden. Die Vereinbarungen über solche formalen Fragen sind zu Beginn der Prüfung zu treffen. Ebenso muss geklärt werden, wer die Kosten für die Beteiligung der Übersetzungsdienste trägt. Aus deutscher Sicht ist jedenfalls wichtig, dass alle externen Dienstleister, die am Besteuerungsverfahren beteiligt werden sollen, auf das Steuergeheimnis verpflichtet und vereidigt sind. Andernfalls kann auf deutscher Seite kein Dolmetscher oder Übersetzer tätig werden.1

7.300

3. Abschluss a) Abschlussbesprechung Eine Schlussbesprechung ist im nationalen Recht nur dann zwingend vorgesehen, wenn der Steuerpflichtige sie einfordert. Für koordinierte Betriebsprüfungen gibt es zu dieser Frage keine Regelung. Unter rechtlichem Blickwinkel ist der internationale Auskunftsaustausch nur ein Element der nationalen Prüfung, so dass § 201 AO nicht – auch nicht analog – zur Anwendung kommt.

7.301

Damit entscheiden allein die beteiligten Prüfer ob sie sich am Ende der Maßnahme persönlich treffen oder alle Endabstimmungen schriftlich bzw. per Videokonferenz treffen. Ebenso entscheiden sie, ob es zu einem gemeinsamen Abschlussgespräch mit dem Steuerpflichtigen kommt. Ist dies nicht der Fall informieren die Verwaltungen jeweils national über das Ergebnis der Prüfung, im deutschen Recht also nach den Regeln der Abgabenordnung.

7.302

b) Fixierung eines gemeinsamen Ergebnisprotokolls Für das Ergebnisprotokoll gibt es keine international verbindlichen Formalien. Das Merkblatt des BMF2 führt aus, dass ein Ergebnisprotokoll über die gemeinsame Betriebsprüfung angefertigt werden soll, aus welchem der Sachverhalt und die jeweils nationalen Würdigungen hervorgehen.

7.303

Verfahrensrechtlich ist allein der nationale Prüfungsbericht gem. § 202 AO maßgeblich. Die Feststellungen und Ergebnisse der internationalen Zusammenarbeit fließen in den nationalen Prüfungsbericht ein. Regelmäßig wird das Ergebnisprotokoll dem nationalen Prüfungsbericht als Anlage beigefügt und spätestens zusammen mit diesem dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben.

7.304

c) Transport der Ergebnisse in das nationale Recht Alle Ergebnisse müssen nach Abschluss der koordinierten Zusammenarbeit in das nationale Recht überführt werden. Im Rahmen der Auswertung wird geprüft, ob sich die Beurteilung der Rechtslage geändert hat und Steuerfestsetzungen zu ändern sind. Dazu sind die Änderungsmöglichkeiten der Abgabenordnung und der Spezialgesetze maßgeblich. Eine Korrekturvorschrift, die sich explizit auf die Transformation der Ergebnisse aus koordinierten Prüfungsmaßnahmen ergibt, existiert bislang nicht. De lege ferenda wäre eine Vorschrift analog § 175a AO wünschenswert. 1 Übersetzungsaufträge können allenfalls dann an nicht vereidigte Personen vergeben, wenn die Dokumente zuvor vollständig anonymisiert wurden. 2 BMF v. 6.1.2017 – IV B - 6 S 1315/16/10016 :002 – DOK 2016/0996151, BStBl. I 2017, 89, Tz. 3.10.

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7.305

Kap. 7 Rz. 7.306 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

7.306

Dabei sollten sowohl Berichtigungen nach unten wie auch nach oben unproblematisch zulässig sein. Bislang geht die h.M. davon aus, dass im Rahmen von Verrechnungspreiskorrekturen von § 1 AStG keine Abwärtskorrekturen gedeckt sind. Sofern es nicht möglich ist am Ende einer koordinierten Prüfung die richtige Steuer festzusetzen, widerspricht dies dem Ziel einer international abgestimmten Zusammenarbeit zur Bewirkung einer fairen und zutreffenden Einmalbesteuerung.

V. Einzelfragen 1. Welches Recht gilt wann? a) Ausgangslage: Betriebsperspektive und Rechtslage

7.307

Dem Grunde nach lässt das Völkerrecht weder die Anwesenheit noch die Vornahme von Hoheitsakten von Funktionsträgern anderer Staaten auf dem eigenen Territorium zu.1 Die Staaten müssen die Voraussetzungen bestimmen unter denen Personen in staatlichem Auftrag entsendet werden. Daher stellt sich die Frage, welche Rechte dann jeweils im Rahmen der Zusammenarbeit bestehen und wie diese Rechte ausgeübt werden.

7.308

In Fällen der Anwesenheit im Ausland mit aktivem Frage- und Einsichtsrecht kommt es bei äußerer Betrachtung regelmäßig zu Situationen, die wie eine klassische Betriebsprüfungssituation anmuten: Der ausländische Prüfer befragt im Inland einen Steuerpflichtigen bzw. dessen steuerlichen Vertreter. Das direkte Gespräch zwischen den beteiligten Personen, bzw. die direkte Einsicht in Unterlagen unterscheidet sich faktisch nicht von einer rein nationalen Prüfungssituation. Bei rechtlicher Betrachtung ist aber ganz entscheidender Aspekt zu berücksichtigen: Alle Rechtgrundlagen verlangen stets, dass bei der aktiven Prüfung durch ausländische Prüfer ein inländischer Bediensteter anwesend sein muss. Dieses Erfordernis ist folgerichtig. Denn die Bestimmungen über die internationale Amtshilfe gewähren dem ausländischen Prüfer keinerlei Hoheitsrechte, sondern vermitteln nur zwischenstaatliche Hilfeleistungen. Im Aufbau des internationalen Rechts ist handelnde Person stets der inländische Bedienstete. Er dient dem ausländischen Gast als Kontakt- und Auskunftsperson. Auch wenn sich der ausländische Gast im Beisein des inländischen Kollegen direkt an den Steuerpflichtigen wendet, fingiert das Recht, dass diese Handlungen allein vom inländischen Beamten ausgehen.2 Er ist rechtlich der „Herr des Verfahrens“3. Ihm werden alle Handlungen zugerechnet. b) Deutsche Prüfer auf deutschem Territorium

7.309

Für alle Prüfungsmaßnahmen, die von deutschen Prüfern auf deutschem Territorium durchgeführt werden, gilt die Abgabenordnung. Sie greift auch dann, wenn die Informationen nicht für das deutsche Besteuerungsverfahren, sondern ausschließlich für ausländische Besteuerungszwecke ermittelt werden.4 Die deutschen Prüfer können im Rahmen der Zusammenarbeit die Vorschläge der ausländischen Kollegen aufgreifen und Fragen der Kollegen an den Steuerpflichtigen richten bzw. den ausländischen Kollegen gestatten, diese Fragen selbst direkt zu stellen. Hinsichtlich des „OB“ der Ermittlungen wirken die Prüfer zusammen, für das „WIE“ der Ermittlungen tragen allein die deutschen Beamten die Verantwortung. 1 Seer in Tipke/Kruse, § 117 AO Rz. 2; Zöllner in Koenig3, § 117 AO Rz. 1; Söhn in HHSp, § 117 AO Rz. 3. 2 Eisgruber/Oertel, ISR 2017, 270 (275). 3 Seer, IWB 2014, 87 (92); Söhn in HHSp, § 117 AO Rz. 283a. 4 Beckmann, IStR 2016, 627, 628.

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B. Joint Audits | Rz. 7.314 Kap. 7

c) Deutsche Prüfer auf ausländischem Territorium Soweit sich deutsche Behördenbedienstete im Rahmen von Joint Audits im Ausland aufhalten und dort bei ausländischen Ermittlungshandlungen zugegen sind, berührt dies die Grundrechte der von den Ermittlungshandlungen betroffenen, da die Grundrechte die deutsche Hoheitsgewalt auch im Ausland binden. Soweit die Inanspruchnahme der Hilfe unter Beachtung der Vorgaben von § 117 Abs. 1 AO erfolgt, liegt jedoch keine Grundrechtsverletzung vor.

7.310

Die deutschen Prüfer können den ausländischen Kollegen Hinweise geben, was zum Gegenstand der Ermittlungen gemacht werden sollte und welche Anfragen an die Steuerpflichtigen gestellt werden könnten. Die ausländischen Kollegen reagieren darauf nach den Maßgaben ihres nationalen Verfahrensrechts und machen allein davon Gebrauch. Es gilt damit im Kern: Das „OB“ der Ermittlungen können die deutschen Prüfer durch Vorschläge und Anregungen beeinflussen; das „WIE“ bestimmt sich allein nach dem ausländischen Recht und dem Ermessen der ausländischen Kollegen.1

7.311

d) Ausländische Prüfer auf deutschem Territorium Die in Deutschland anwesenden ausländischen Prüfer können sich nicht auf das Instrumentarium der Abgabenordnung berufen.2 Aus § 117 Abs. 4 AO kann dies nicht abgeleitet werden, da die Bestimmung ausschließlich „Finanzbehörden“ i.S.d. § 6 Abs. 2 FGO, also deutsche Finanzbehörden, bindet. Die verfahrensrechtliche Brücke bilden hier die zwischenstaatlichen Amtshilfeabkommen.3

7.312

Die Amtshilfevereinbarungen räumen ausländischen Bediensteten keine Hoheitsrechte ein. Sie regeln lediglich Fragen der Zusammenarbeit. Dies kommt schon darin zum Ausdruck, dass stets die Anwesenheit eines inländischen Bediensteten erforderlich ist. Dieser ist quasi immer der erste Ansprechpartner und die verantwortliche Person, mit der alle Vorgänge, Fragen und Ermittlungshandlungen abzustimmen sind.4 Folgerichtig ist jede Weigerung des Steuerpflichtigen gegenüber dem ausländischen Bediensteten in rechtlicher Hinsicht als Weigerung gegenüber dem inländischen Bediensteten zu würdigen. Die Bediensteten anderer Staaten nehmen also nicht etwa ihr Hoheitsrecht mit nach Deutschland, sondern agieren wie ein verlängerter Arm der inländischen ersuchten Behörden, denen die Beantwortung der Ersuchen obliegt. Insgesamt handelt es sich bei direkten Anfragen und Einsichtnahmen ausländischer Bediensteter um ein abgekürztes, effektiveres Auskunftsverfahren.5

7.313

2. Rechtsschutz Koordinierte steuerliche Betriebsprüfung sind Informationsaustausch.6 Zuständige Behörde für den steuerlichen Informationsaustausch ist das Bundeszentralamt für Steuern mit Sitz in Bonn. Rechtsschutz gegen internationale Prüfungsmaßnahmen ist daher vor dem FG Köln zu suchen, welches sachlich und örtlich zuständig ist. In der Regel wird eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO gegen die Durchführung der zwischenstaatlichen Amtshilfe zu erwir1 2 3 4 5

So auch Seer, FS für Lüdicke, 577 (581). Hendricks, „Joint Audits und Abgabenrecht“ in FS Wassermeyer, Rz. 10. Beckmann, IStR 2016, 627 (628). So auch Seer, FS für Lüdicke, 577 (581). Kokott, Das Steuerrecht der Europäischen Union, § 10 Rz. 97; Eisgruber/Oertel, ISR 2017, 270 (274 f.). 6 Allgemein zum Rechtsschutz: Franz, IStR 2017, 273.

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7.314

Kap. 7 Rz. 7.314 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

ken sein.1 Rechtsgrundlage für einen Unterlassungsanspruch ist § 1004 BGB analog i.V.m. § 30 AO. Das zwischenstaatliche Informationsersuchen ist kein Verwaltungsakt. Neben der einstweiligen Anordnung kommen im Hauptsacheverfahren die vorbeugende Unterlassungsklage oder die Feststellungsklage in Betracht.2

7.315

Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung sind nach den allgemeinen Regeln gegenüber dem Rechtsträger der handelnden Behörde geltend zu machen.

3. Zusammenspiel mit Vorabverständigungsverfahren 7.316

Durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz3 wurde § 89a AO zu Vorabverständigungsverfahren (Rz. 7.419) eingeführt. In § 89a Satz 7 AO findet sich die erste gesetzliche Erwähnung des Begriffs „koordinierte bilaterale oder multilaterale steuerliche Außenprüfung“. Der Begriff wird allerdings nicht näher legal definiert. Auch die Gesetzesbegründung enthält keine näheren Ausführungen zu dem Rechtsinstitut als solchem. § 89a Satz 7 AO ordnet an, dass die Gebühr für die Beantragung eines Vorabverständigungsverfahrens um 75 % zu reduzieren ist, wenn für den zu beurteilenden Sachverhalt bereits eine koordinierte steuerliche Betriebsprüfung stattgefunden hat, die zu einem übereinstimmend festgestellten Sachverhalt und zu einer übereinstimmenden steuerlichen Würdigung führte. Im Rahmen eines Vorabverständigungsverfahrens kann das Ergebnis somit für die Zukunft fortgeschrieben werden.

VI. Ausblick 1. Evaluierungsergebnisse und Verbesserungspotential 7.317

Die Praxiserfahrungen im Bereich der gemeinsamen steuerlichen Betriebsprüfung sind weit überwiegend sehr positiv.4 Dies liegt im Wesentlichen an zwei Gründen. Entscheidend ist zunächst, dass Joint Audits darauf abzielen, einen grenzüberschreitenden Sachverhalt eindeutig zu ermitteln und ein gemeinsames Verständnis der Administrationen über einen Sachverhalt herbeizuführen. Am Ende eines Joint Audits haben alle Beteiligten regelmäßig das gleiche Bild von der Faktenlage, so dass es anschließend zu einer zutreffenden Besteuerung kommt. Mit anderen Worten formuliert bedeutet dies: Gemeinsame Betriebsprüfungen beseitigen das Doppelbesteuerungsrisiko, und zwar bevor endgültige Steuerbescheide ergehen, die nur noch durch komplexe Verständigungsverfahren beseitigt werden können. Sowohl Verwaltung als auch Steuerpflichtige haben ein großes Interesse daran, kosten- und resourcenintensive Verständigungsverfahren zu vermeiden.

7.318

Der zweite große Vorteil der gemeinsamen Betriebsprüfungen liegt darin, dass während der Prüfung alle Beteiligten buchstäblich an einem Tisch zusammenkommen. Dadurch können sich auch die Steuerpflichtigen selbst aktiv in den internationalen Abstimmungsprozess ein1 In jüngster Vergangenheit wurden vier Verfahren vor das FG Köln getragen: FG Köln v. 23.5.2017 – 2 V 2498/16, EFG 2017, 1322; FG Köln v. 20.10.2017 – 2 V 1055/17, Ubg 2018, 295 mit Anm. Bleschick/Oertel/Mohr; FG Köln v. 23.2.2018 – 2 V 814/17, EFG 2018, 852; FG Köln v. 12.9.2018 – 2 K 814/18, DStRK 2019, 175. 2 Zum Ganzen: Franz, IStR 2017, 273 ff.; Bozza-Bodden, DStJG 36, 2013, 133; Seer, IWB 2014, 87 (94 ff.). 3 Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugssteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (AbzStEntModG v. 2.6.2021, BGBl. I 2021, 1259. 4 Peters/Kircher/Moll, IStR 2016, 2 m.w.N; Seer, FS für Lüdicke, 577 (589); Reislhuber, FS für Kroppen, 347 (364).

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B. Joint Audits | Rz. 7.321 Kap. 7

bringen. Sie sind Beteiligte des Verfahrens. Anders als bei den anderen Formen des Informationsaustauschs oder bei Verständigungs- und Schiedsverfahren ist ihre Mitwirkung prozessual vorgesehen. Die an anderen Stellen so oft kritisierte mangelnde Beteiligung und Einbeziehung des Steuerpflichtigen ist bei Joint Audits elementarer Bestandteil des Verfahrens. Diese positiven Aspekte dürfen natürlich nicht vergessen lassen, dass die Entwicklung der gemeinsamen steuerlichen Betriebsprüfung gerade erst begonnen hat und sie noch lange kein „daily business“ im nationalen und internationalen Prüfungsalltag sind. Um Joint Audits noch mehr Akzeptanz zu verschaffen, braucht es weiterer positiver Erfahrungen, aber auch eine intensive Evaluierung und Verbesserung der Prozesse und des Rechtsrahmens. In rechtlicher Hinsicht ist zu bemängeln, dass der bisherige Rechtsrahmen auf die Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen im Rahmen eines Informationsaustauschs zugeschnitten ist. Für echte zwischenstaatliche Prüfungsmaßnahmen gibt es noch keinerlei Regelwerk, viele Rechtsfragen lassen sich derzeit nicht sicher beantworten. Der Steuerpflichtige spielt in den Amtshilfeabkommen keine Rolle, seine Rechte und Pflichten müssten dringend definiert werden.

7.319

Mit allen offenen Fragen wird man sich auf nationaler und auf internationaler Ebene demnächst beschäftigen müssen, um allen Beteiligten mehr Rechtssicherheit im Bereich der verfahrensrechtlichen Fragen bieten zu können.

7.320

2. Joint Audits als Teil der Tax Certainty Agenda Die Erhöhung der Rechtssicherheit im internationalen Steuerrecht steht weit oben auf der politischen Agenda. Deutschland hat das Thema während des G20-Vorsitzes 2017 in den Blickpunkt gerückt, die OECD1 beschäftigt sich intensiv mit „Tax Certainty Mechanismen“ und auch auf der europäischen Ebene zeichnet sich eine tiefere Befassung ab. Neben Joint Audits rückt der Compliance-Gedanke, der schon im Joint Audit Report 2010 enthalten war, eigenständig in den Fokus, denn die OECD hat mit dem „International Compliance Assurance Programme“2 ein weiteres verfahren etabliert, welches künftig flächendeckend3 zum Einsatz kommen soll. Dieses hat an vielen Stellen Ähnlichkeiten mit Joint Audits, knüpft aber nicht an Steuererklärungen, sondern an Country-by-Country-Reports an und ist insgesamt auch ganz stark multilateral ausgerichtet. Bei ICAP steht weniger die gleichberechtigte Kooperation bei der Ausarbeitung von Prüfungsfragen und Prüfungsstrategien, als die zentrale Steuerung der Abläufe durch die „Leading Tax Administration“ im Vordergrund. Sollte sich das Verfahren in der Praxis dauerhaft bewähren, wäre neben koordinierten Betriebsprüfungen mit ICAP ein weiterer wichtiger Baustein geschaffen, welcher der Streitvermeidung zwischen den Staaten dient und zu schneller Rechtssicherheit beiträgt.4 Umgekehrt könnten sich ICAP und Joint Audits auch hervorragend ergänzen, wenn im Rahmen des ICAP eben nicht alle Probleme gelöst werden, sondern weiterer Prüfungsbedarf identifiziert wird.

1 Vgl. OECD (Hrsg.), OECD/IMF Progress Report on Tax Certainty“, Paris, 2019. 2 Strohm, ISR 2019, 217. 3 Einzelheiten und das aktuelle Arbeitsprogramm finden sich auf der Homepage des Forum on Tax Administration der OECD unter https://www.oecd.org/tax/forum-on-tax-administration/interna tional-compliance-assurance-programme.htm 4 Altenburg/Oertel/Strotkemper, Rechtssicherheit im internationalen Steuerrecht durch Streitvermeidungs- und Streitbeilegungsmechanismen, in Tagungsband der 3. Jahrestagung des Young IFA Network 2019, S. 76.

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Kap. 7 Rz. 7.322 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

C. Verständigungsverfahren 7.322

Dieser Beitrag wurde nicht in dienstlicher Eigenschaft des Autors verfasst. Literatur (Auswahl): Ditz/Bärsch/Kluge, Verrechnungspreise in der Unternehmenspraxis – Ergebnisse einer empirischen Untersuchung in Zeiten von BEPS und zunehmender Digitalisierung, IStR 2019, 299–304; Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, Unternehmenssteuerrechtliche Änderungen im AStG – Ein erster Überblick über den Referentenentwurf des ATAD-Umsetzungsgesetzes v. 10.12.2019, DStR 2020, 73–81; Dräger, Die Personengesellschaft und ihre Abkommensberechtigung in den Doppelbesteuerungsabkommen, StBW 2014, 915–917; Flüchter, Seminar C: Verständigungsverfahren und die Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten, IStR 2012, 694; Flüchter, Das „EU-Doppelbesteuerungsabkommens-Streitbeilegungsgesetz“ ist in Kraft, ISR 2020, 5664; Frink, Verständigungs- und Schiedsverfahren im Internationalen Steuerrecht, Dissertation 2015; Gehm, Neue Stellungnahme des BMF zu internationalen Verständigungs- und Schiedsverfahren, IWB 2019, 114 ff.; Geyer/Puls/Ullmann, Brexit: Zugänglichkeit der EU-Schiedskonvention und des EuGH nach dem EU-Austritt eines Mitgliedstaates, IStR 2017, 881–889; Greil/Greil, Vorabverständigungsverfahren – Für und Wider der Veröffentlichung, StuW 2015, 269–280; Grotherr, Überlegungen zur Ausgestaltung von speziellen Verfahrensregelungen für Advance Pricing Agreements, IStR 2005, 350–360; Grotherr, Was wird sich für welche deutschen Doppelbesteuerungsabkommen durch das Multilaterale Instrument künftig ändern?, RIW 2020, 473–490; Gradl/Kiesewetter, Das Mehrseitige Übereinkommen (Multilateral Instrument) zur Umsetzung abkommensbezogener Maßnahmen aus dem OECD/G20-BEPS-Projekt und dessen voraussichtliche Auswirkungen auf die deutschen Doppelbesteuerungsabkommen, IStR 2018, 1–11; Hendricks in Festgabe für Hubertus Baumhoff zum 65. Geburtstag, 2019, 121–135, Die Qual der Wahl – Bestimmung des richtigen Rechtsbehelfs zur Abwehr einer eingetretenen Doppelbesteuerung; Jansen/Mammen, Kritische Analyse des EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetzes, DStR 2020, 465–475; Krabbe, Seminar C: Verständigungsverfahren, IStR 2002, 548–551; Kramer, APA – Vorabverständigungsverfahren und Vorabzusage über Verrechnungspreise, IStR 2007, 174–177; Kircher/Pfeiffer/Boch, Das EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz, IWB 2019, 526–532; Köhn/Lorenz, Unilaterale Advance Pricing Agreements zur Vermeidung von Doppelbesteuerung in China, Hongkong, Singapur und Thailand, IStR 2019, 893–898; Mammen/Jansen/Rasche, Instrumente der Verständigung im Internationalen Steuerrecht, IStR 2019, 372–380; Martiny/ Sassmann/Wehnert, Schiedsverfahren: Brexit und Schiedsverfahren über Verrechnugnspreise – Konsequenzen und Praktikerhinweise, ISR 2017, 140 ff.; Merz/Sajogo, Das Verständigungs- und Schiedsverfahren nach Art. 25 OECD-MA als „letzter Ausweg“, PIStB 2010, 185 ff.; Mückl/München, Automatischer Informationsaustausch über grenzüberschreitende Steuervorbescheide und Vorabverständigungsvereinbarungen in der EU, BB 2015, 2775–2782; Nürnberg, Das Schiedsverfahren nach dem Multilateralen Instrument, IWB 2018, 688–697; Riegel/Sassmann, Der Verrechnungspreisstreit – Möglichkeiten zur Vermeidung von Doppelbesteuerung, BB 2019, 2519–2524; Schoppe, Verrechnungspreise – warum nicht mal zum FG, BB 2014, 2199–2205; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017; Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2020; Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise, 5. Aufl. 2020; Vollert/Eikel/Sureth, Advance Pricing Agreements (APAs) als Instrument zur Vermeidung von Verrechnungspreiskonflikten – eine kritische Betrachtung, StuW 2013, 367–379.

I. Einleitung 7.323

Regelmäßig werden Sachverhalte mit Auslandsbezug zum Gegenstand von steuerlichen Betriebsprüfungen1. Korrekturen der Finanzverwaltung in diesem Bereich verdienen besondere Beachtung durch den Steuerpflichtigen. Sie können dazu führen, dass derselbe Sachverhalt in mehreren Staaten der Besteuerung unterworfen wird und damit eine abkommenswidrige Besteuerung eintritt, die sich regelmäßig in einer Doppelbesteuerung äußert. Bereits aus wirt1 Ausführlich zur Bedeutung der Verrechnungspreise in der Betriebsprüfung s. Ditz/Bärsch/Kluge, IStR 2019, 299 ff., zu Aufgriffen in der Betriebsprüfung insb. 301 f.; Riegel/Sassmann, BB 2019, 2519.

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.326 Kap. 7

schaftlicher Sicht wird es für den Steuerpflichtigen daher geboten sein, diesen Zustand möglichst schnell und umfänglich zu beseitigen bzw. – unter optimalen Bedingungen – gar nicht erst eintreten zu lassen. Der Gesetzgeber bietet hierfür – neben den bekannten nationalen Rechtsbehelfen – ein mittlerweile vergleichsweise umfangreiches Instrumentarium aus Doppelbesteuerungsabkommen1 und Schiedsübereinkommen an, auf das der Steuerpflichtige zurückgreifen kann, soweit er die jeweiligen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt2. Das Netzwerk aus DBA und Schiedsvereinbarungen umfasst jedoch bei weitem nicht alle Staaten3. Bei der Beseitigung bzw. der Vermeidung von Doppelbesteuerung wird im Bereich der Verständigungsverfahren zwischen präventiven und reaktiven Instrumenten unterschieden4. Als präventives Instrument besteht im Bereich der Verständigungsverfahren das sog. Vorabverständigungsverfahren oder auch Advance Pricing Agreement (APA). Das APA soll vermeiden, dass eine abkommenswidrige Besteuerung überhaupt eintritt (oder droht) und rückblickende Diskussionen über bereits verwirklichte Sachverhalte vermeiden, die womöglich zu einer Doppelbesteuerung führen können. Zusätzlich besteht bei Korrekturen durch die Betriebsprüfung in einigen Staaten das Risiko, dass „Penalties“, d.h. Strafzahlungen, festgesetzt werden, die durch den Abschluss eines APAs ggf. ebenfalls verhindert werden können5.

7.324

Als reaktives Instrument bestehen (vergangenheitsbezogene) Verständigungsverfahren, die es den Finanzverwaltungen der betroffenen Staaten auf Antrag ermöglichen, miteinander in Kontakt zu treten, um eine eingetretene oder drohende Doppelbesteuerung aufzulösen. Dabei sieht Art. 25 OECD-MA verschiedene Arten von Verständigungsverfahren vor. Art. 25 Abs. 3 Satz 1 (sog. Konsultationsverfahren) sowie Art. 25 Abs. 3 Satz 2 sehen Verständigungsverfahren in Fällen vor, die sich allgemein mit der Auslegung des Abkommens befassen sowie Verfahren in Fällen, die nicht vom Abkommen erfasst sind. Nachfolgend soll jedoch nur das Verständigungsverfahren im engeren Sinn nach Art. 25 Abs. 1 und 2 OECD-MA sowie die Verfahren nach EU-Schiedskonvention und dem EU-DBA-SBG näher betrachtet werden.

7.325

II. Vergangenheitsbezogene Verständigungsverfahren 1. Verständigungsverfahren nach DBA Ist z.B. im Anschluss an eine Betriebsprüfung eine abkommenswidrige Besteuerung bzw. – nach einigen der nachfolgend dargestellten Vorschriften – eine Doppelbesteuerung eingetreten oder droht eine solche, kann der Steuerpflichtige gegebenenfalls ein Verständigungsverfahren (im engeren Sinn) beantragen mit dem Ziel, eine abkommensgemäße Besteuerung herbeizuführen6. Internationale Verständigungs- und Schiedsverfahren sind zwischenstaatliche Verfahren zur übereinstimmenden Anwendung der DBA bzw. der bestehenden Schiedskonvention7. Voraussetzung für die Beantragung eines Verständigungsverfahrens ist regelmäßig8, dass hier1 Die aktuell geltenden Abkommen veröffentlicht das BMF regelmäßig auf seiner Website, zuletzt mit BMF-Schreiben v. 18.2.2021 - IV B 2 - S1301/07/10017 - 12. 2 Vgl. hierzu zusammenfassend u.a. Hendricks in: Internationale Einkünfteabgrenzung, 121 ff.; Schoppe, BB 2014, 2199 ff.; Riegel/Sassmann, BB 2019, 2519, 2520 ff. 3 Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.3 ff.; Schoppe, BB 2014, 2199; 4 Vgl. u.a. Liebchen in Mössner5, Rz. 12.50. 5 So bereits Grotherr, IStR 2005, 350. 6 Rz. 32 des Merkblatts v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004, im Weiteren: Merkblatt 2021. 7 Rz. 1 des Merkblatts 2021 8 Das BMF-Merkblatt aus dem Jahr 2018 führte hierzu noch aus, dass ein Verständigungsverfahren nach Entscheidung durch das BMF auch eingeleitet werden kann, wenn ein bestehendes DBA ein

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7.326

Kap. 7 Rz. 7.326 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

für im jeweils einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen, dem EU-DBA-SBG oder in der Schiedskonvention eine rechtliche Grundlage besteht und der Steuerpflichtige die jeweiligen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt. Verwaltungsseitig werden die vergangenheitsbezogenen Verständigungsverfahren von einem Merkblatt begleitet, das mittlerweile in der dritten Version vorliegt und erst kurz vor Drucklegung auf der Website des BMF1 veröffentlicht worden ist2. Eine Veröffentlichung im Bundessteuerblatt war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt. Gleichwohl finden sich nachfolgend bereits die Fundstellen und wesentlichen Neuerungen aus dem Merkblatt 2021. Die aktuelle Version enthält eine Reihe von verfahrensrechtliche Änderungen, die – auch wegen der damit einhergehenden möglichen Folgen z.B. für die Zulässigkeit des Antrags – durchaus als Verschärfung gewertet werden können.

7.327

Die Bundesrepublik Deutschland unterhält mit einer Vielzahl von Staaten ein im internationalen Vergleich umfangreiches Abkommensnetzwerk. Die von Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen enthalten üblicherweise einen Artikel, der im Falle einer abkommenswidrigen Besteuerung und auf Antrag des Steuerpflichtigen die Möglichkeit für die sog. zuständigen Behörden („Competent Authorities“) eröffnet, untereinander in Kontakt zu treten mit dem Ziel, diese zu beseitigen (vgl. Art. 25 Abs. 2 OECD-MA)3. Bei einer abkommenswidrigen Besteuerung wird es sich zwar regelmäßig (auch) um eine Doppelbesteuerung handeln; dies ist jedoch zumindest in den neueren Doppelbesteuerungsabkommen regelmäßig keine Voraussetzung mehr.

2. Antragsvoraussetzungen a) Antragserfordernis – Ort der Antragstellung – Inhalt

7.328

Das Verständigungsverfahren wird nur auf schriftlichen Antrag des Steuerpflichtigen geführt4. Der Antrag auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens nach DBA kann in Deutschland nunmehr nur noch beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) als zuständiger Behörde gestellt werden5. Das BZSt informiert die zuständige Landesfinanzverwaltung und die ausländische zuständige Behörde über den Eingang eines Antrags6. Grundsätzlich ist der Antrag bei

1

2 3

4 5 6

entsprechendes Verfahren nicht vorsieht, Rz. 1.2.1 Merkblatt 2018. Eine derartige Formulierung fehlt im aktuellen Merkblatt. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Internationa les_Steuerrecht/Allgemeine_Informationen/2021-08-27-merkblatt-zu-internationalen-verstaendi gungs-und-schiedsverfahren-streitbeilegungsverfahren-auf-dem-gebiet-der-steuern-vom-einkom men-und-vom-vermoegen.html Merkblatt v. 13.7.2006 – IV B 6 - S 1300-340/06, abgelöst durch Merkblatt v. 9.10.2018 – IV B 2 S 1304/17/10001, abgelöst durch Merkblatt v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10004. Die von Deutschland abgeschlossenen DBA orientieren sich weitgehend an den entsprechenden OECD-MA, enthalten jedoch typischerweise auch der jeweiligen Interessenlage geschuldete Abweichungen, vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 19.4 sowie die deutsche Verhandlungsgrundlage für DBA, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/ Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht/Allgemeine_Informationen/2013-08-22-Verhandlungs grundlage-DBA-deutsch.pdf?__blob=publicationFile&v=3. Eine Abkommensübersicht zu Art. 25 Abs. 2 OECD-MA enthält u.a. Lehner in Vogel/Lehner7, Art. 25 OECD-MA Rz. 126. Rz. 38 Merkblatt 2021. Rz. 49 i.V.m. Rz. 34 Merkblatt 2021. Insofern liegt eine für Antragsteller bedeutsame Änderung zu den Regelungen des vorangehenden Merkblatts vor, das alternativ eine Antragstellung beim örtlich zuständigen Finanzamt oder dem BZSt zuließ. Rz. 50 Merkblatt 2021.

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.333 Kap. 7

der zuständigen Behörde desjenigen Staates zu stellen, in dem die jeweilige Person ansässig ist, bzw. zweckmäßigerweise1 im Staat des übergeordneten Steuerpflichtigen, wenn mehrere Steuerpflichtige betroffen sind (z.B. Mutter- und Tochtergesellschaft)2. Um den Beginn der Bearbeitung des Antrags nicht durch Nachfragen der Verwaltung zu verzögern oder sich gar dem Risiko eines unzulässigen Antrags auszusetzen, muss der Antrag die im Merkblatt des BMF vom 27.08.2021 3 dargestellten Unterlagen und Erläuterungen enthalten, die – neben den persönlichen Angaben – die in Rz. 57 des Merkblatts 2021 dargestellten Unterlagen4. Im Vergleich zu den Regelungen des vorangegangenen Merkblatts aus dem Jahr 2018 ist hier eine bedeutsame Verschärfung eingetreten. Nur wenn dem BZSt alle zwingend erforderlichen Unterlagen innerhalb der Antragsfrist vorliegen, gilt die Antragsfrist insgesamt als gewahrt5.

7.329

b) Antragsberechtigung – Ansässige Person Voraussetzung für die Beantragung eines Verständigungsverfahrens im Falle einer abkommenswidrigen Besteuerung ist, dass der Antragsteller abkommensberechtigt ist6. Die Abkommensberechtigung ergibt sich grds. aus der Ansässigkeit des Steuerpflichtigen7, die wiederum an dessen Steuerpflicht anknüpft, vgl. Art. 4 Abs. 1 OECD-MA.

7.330

Besonderheiten ergeben sich in diesem Zusammenhang für Personengesellschaften. Diese gelten, da sie nach deutschem Verständnis als transparent anzusehen sind und damit nicht Subjekt der Ertragsbesteuerung sind, nicht als ansässig im Sinne des DBA und sind folglich in der Regel nicht abkommensberechtigt8. Sie können daher unmittelbar keinen Antrag auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens stellen. Aus diesem Grund müssen die Gesellschafter – sofern diese abkommensberechtigt sind – die Durchführung eines Verständigungsverfahrens beantragen9. Nur insoweit abkommensberechtigte Gesellschafter das Verfahren beantragen, können steuerliche Folgen des Verständigungsverfahrens gezogen werden10.

7.331

Im Falle von Betriebsstätten erfolgt die Antragstellung durch das Unternehmen, dem die Betriebsstätte zugehörig ist11.

7.332

Andere Personen als der Abkommensberechtigte können einen Antrag stellen, wenn sie von der abkommenswidrigen Besteuerung betroffen sind (vgl. die Ausführungen zu Haftungsfällen im Merkblatt)12.

7.333

1 Im Falle eines Antrags nach EU-DBA-SBG ist der Antrag regelmäßig zwingend in allen betroffenen Staaten gleichzeitig zu stellen. 2 Zur Ausnahme in Diskriminierungsfällen s. Rz. 45 Merkblatt 2021. 3 BMF v. 27.8.2021 – IV B 3 - S 1304/21/10007. 4 Rz. 57 Merkblatt 2021. 5 Rz. 58 Merkblatt 2021. 6 Rz. 57, 102 Merkblatt 2021. 7 Vgl. Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 25. 8 Dräger, StBW 2014, 915, 916; Rz. 44 Merkblatt 2021. 9 Becker in Haase, AStG3, Art. 25 OECD-MA Rz. 13; Rz. 42 ff. Merkblatt 2021. 10 Rz. 43 Merkblatt 2021. 11 Becker in Haase, AStG3, Art. 25 OECD-MA Rz. 13 – Voraussetzung ist natürlich, dass das Unternehmen eine Person i.S.d. DBA ist. 12 Rz. 40 f. Merkblatt 2021.

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Kap. 7 Rz. 7.334 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

c) Antragsbefugnis – Maßnahme eines Vertragsstaats

7.334

Der Antragsteller muss geltend machen, dass eine Maßnahme eines oder beider Vertragsstaaten zu einer dem Abkommen nicht entsprechenden Besteuerung führt1. Bislang genügte die Behauptung durch den Antragsteller, sofern dies im einschlägigen DBA nicht anders geregelt war2. Das neue Merkblatt verlangt nunmehr jedoch eine Darlegung des Antragstellers, inwiefern nach seiner Auffassung eine abkommenswidrige Besteuerung vorliegt3, erleichtert dies allerdings durch die Aufzählung einer Reihe von Beispielen in Rz. 57 des Merkblatts.

7.335

Als „Maßnahme“ sind alle Handlungen eines Vertragsstaats anzusehen, die in einer abkommenswidrigen Besteuerung münden4. Oftmals wird dabei ein Steuerbescheid diese Maßnahme darstellen, die die abkommenswidrige Besteuerung begründet. Es werden jedoch auch Handlungen allgemeinerer Natur erfasst, wie z.B. die Änderung eines nationalen Steuergesetzes, wenn die unmittelbare notwendige Folge die Erhebung einer Steuer im Widerspruch zum jeweiligen Abkommen ist5. Die OECD-Musterkommentierung sieht auch die Abgabe von Erklärungen im Rahmen einer Selbstveranlagung als Maßnahme in diesem Sinne an.

7.336

Es sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass (wohl in Einzelfällen) Staaten die Position einnehmen können, eine durch den Steuerpflichtigen selber initiierte Änderung des Bescheides durch Korrektur seiner bereits abgegebenen Erklärung (Eigenkorrektur) stelle keine Maßnahme dar6. Nach hier vertretener Auffassung dürfte jedoch spätestens durch Erlass des geänderten Steuerbescheids z.B. in Folge einer vom Steuerpflichtigen beantragten geänderten Erklärung von einer (hoheitlichen) Maßnahme eines Vertragsstaats auszugehen sein, zumal eine solche Korrektur gesetzlich gefordert sein kann.

7.337

In einigen älteren DBA genügte für die Beantragung des Verständigungsverfahrens jedoch nicht das Vorliegen einer abkommenswidrigen Besteuerung. Vielmehr war in diesen Fällen das Vorliegen einer Doppelbesteuerung Voraussetzung. d) Frist

7.338

Der Antrag auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens soll möglichst bald nach Bekanntgabe der zu einer abkommenswidrigen Besteuerung führenden Maßnahme eingereicht werden7. Er muss spätestens innerhalb der im jeweiligen DBA vorgesehenen Frist eingereicht werden. Das OECD-Musterabkommen sieht hierfür eine Frist von drei Jahren vor, beginnend mit der Unterrichtung über die Maßnahme, die erstmalig eine abkommenswidrige Besteuerung herbeigeführt hat, vgl. Art. 25 Abs. 1 OECD-MA. Die Antragsfrist kann jedoch unter 1 2 3 4 5 6

Tz. 55 ff Merkblatt 2021. Vgl. Vogel/Lehner/Ismer/Piotrowski, DBA6, OECD-MA 2017 Art. 25 Rz. 32 f. Vgl. Rz. 57 Merkblatt 2021. Vogel/Lehner/Ismer/Piotrowski, DBA6, OECD-MA 2017 Art. 25 Rz. 34. Rz. 14 zu Art. 25 OECD-MK 2017. Vgl. insoweit z.B. die Positionen Italiens und Frankreichs im OECD-MAP Profile, die die Frage „Are double taxation cases resulting from bona fide taxpayer initiated foreign adjustments covered within the scope of MAP?“ verneint haben (https://www.oecd.org/tax/dispute/France-Dispute-Re solution-Profile-FR-EN.pdf sowie https://www.oecd.org/tax/dispute/Italy-Dispute-Resolution-Pro file.pdf, jeweils unter Nr. 9 – die MAP Profile sind zuletzt am 27. Juli 2017 (Italien) bzw. am 1. September 2021 (Frankreich) überarbeitet worden“. 7 So noch die Formulierung in Rz. 2.2.1 des Merkblatts zu Verständigungsverfahren v. 9.10.2018.

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.341 Kap. 7

Umständen abweichen, wenn dies in den individuell vereinbarten Doppelbesteuerungsabkommen entsprechend vorgesehen ist; sie kann insbesondere auch kürzer ausfallen1. Für eine möglichst zeitnahe Beantragung des Verständigungsverfahrens spricht auch, dass sich eine ggf. erforderliche weitere Aufklärung des Sachverhalts einfacher gestalten wird, je geringer der zeitliche Abstand zu der die abkommenswidrige Besteuerung herbeiführenden Maßnahme ist. Zudem besteht das Risiko, dass DBA-Vertragsstaaten aufgrund nationaler Regelungen nicht mehr in der Lage sind, eine Verständigungslösung umzusetzen2 – auch dies spricht für eine möglichst frühzeitige Antragstellung.

7.339

Mit der Beantragung des Verständigungsverfahrens muss jedoch nicht bis zum Erlass eines Steuerbescheides gewartet werden. Zeichnet sich bereits hinreichend konkret eine drohende abkommenswidrige Besteuerung ab, kann ein Antrag auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens gestellt werden3. Der Musterkommentar verlangt hierfür das Risiko einer abkommenswidrigen Besteuerung, die „[...] nicht bloß möglich, sondern wahrscheinlich“4 ist. Hierfür kann z.B. der (Teil-)Bericht in der Betriebsprüfung ausreichen; auch die mündliche Ankündigung einer entsprechenden Maßnahme in der laufenden Prüfung kann bereits ausreichen5. Folglich kann der Antrag auf Verständigungsverfahren auch bereits während einer noch andauernden Betriebsprüfung gestellt werden. Die mündliche Ankündigung des Prüfers, die Anpassung in einem nachfolgenden Prüfungszeitraum entsprechend der im aktuellen Prüfungszeitraum vorgenommene Korrektur fortschreiben zu wollen, dürfte nach hier vertretener Auffassung jedoch noch keine hinreichend konkret drohende abkommenswidrige Besteuerung darstellen. Der Steuerpflichtige wird evtl. erwägen müssen, ob es aufgrund des Prüfungsergebnisses geboten ist, für an die aktuelle Prüfung anschließende Veranlagungszeiträume berichtigte Erklärungen einzureichen. Sollte der Steuerpflichtige ein APA beantragen, könnten diese Zeiträume evtl. auch zum Gegenstand eines Rollbacks gemacht werden (vgl. hierzu Rz. 7.442). Zu beachten ist jedoch, dass einige Staaten eine Eigenkorrektur (hier also womöglich die Einreichung geänderter Erklärungen) ggf. nicht als „Maßnahme“ ansehen könnten sowie die Möglichkeit eines Rollbacks nicht durch alle Finanzverwaltungen eröffnet wird6.

7.340

Ist die deutsche zuständige Behörde der Auffassung, der Antrag sei unzulässig, erlässt sie einen Ablehnungsbescheid. Dieser stellt einen Verwaltungsakt dar7, den der Antragsteller mit den entsprechenden Rechtsbehelfen angreifen kann.

7.341

1 Zu DBA mit abweichenden Fristen bei der Beantragung von Verständigungsverfahren vgl. Fn. 5 zu Rz. 103 des Merkblatts 2021. 2 Vgl. die Ausführungen in Rz. 39 zu Art. 25 OECD-MK 2017. 3 Vgl. Vogel/Lehner/Ismer/Piotrowski, DBA6 und Rz. 55 Merkblatt 2021; OECD-MA 2017 Art. 25 Rz. 42, der exemplarisch die Besonderheiten des Zeitpunkts der Beantragung in einzelnen Staaten erläutert. 4 „[...] and that this taxation appears as a risk which is not merely possible but probable“, Art. 25 Rz. 14 OECD-MK 2017. 5 Rz. 14 zu Art. 25 OECD-MK 2017. 6 Vgl. insoweit z.B. die Positionen Italiens und Frankreichs im OECD-MAP Profile, die die Frage „Are double taxation cases resulting from bona fide taxpayer initiated foreign adjustments covered within the scope of MAP?“ verneint haben (https://www.oecd.org/tax/dispute/country-map-pro files.htm – die MAP Profile sind zuletzt am 27. Juli 2017 (Italien) bzw. am 1. September 2021 (Frankreich) überarbeitet worden“. 7 Im Gegensatz zur Eröffnung des Verständigungsverfahrens, das lediglich einen Realakt darstellt, stellt die Ablehnung des Verfahrens einen Verwaltungsakt dar, über den der Antragsteller unverzüglich unterrichtet wird. Gegen den Verwaltungsakt kann er mit entsprechendem Rechtsbehelf vorgehen, vgl. Flüchter in Schönfeld/Ditz2, Art. 25 DBA Rz. 143.

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Kap. 7 Rz. 7.342 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

e) Verhältnis zum Rechtsbehelfsverfahren

7.342

Der Fristlauf beginnt unabhängig vom Ausgang eines ggf. parallel geführten Rechtsbehelfsverfahrens1; Verständigungsverfahren und Rechtsbehelfsverfahren können insoweit nebeneinander geführt werden2. Eines der Verfahren – der OECD-Musterkommentar verweist auf das Rechtsmittel – kann ggf. ausgesetzt bzw. ruhend gestellt werden, bis eine Entscheidung im anderen Verfahren getroffen worden ist3.

7.343

Der Antragsteller ist am eigentlichen Verständigungsverfahren nicht beteiligt. Seine Mitwirkung beschränkt sich auf die Stellung des Antrags sowie – bei erfolgreichem Ausgang des Verfahrens – auf die für die Umsetzung der Lösung erforderliche Zustimmung (vgl. hierzu nachfolgend Rz. 7.350). Zudem kann er sich zu den für die Verständigung erheblichen Tatsachen und Rechtsfragen äußern und sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen4. Er unterliegt einer erhöhten Mitwirkungspflicht5.

7.344

Die gelegentlich geäußerte Kritik der Antragsteller bedürfe weitergehender Rechte, um Einfluss auf das Verfahren nehmen und informiert bleiben zu können, verfängt in der Praxis jedoch regelmäßig nicht. Es handelt sich schließlich bei dem Verständigungsverfahren um ein zwischenstaatliches Verfahren über die zutreffende Ausübung von Besteuerungsrechten, bei dem von den Interessen des Antragstellers nur dasjenige, nicht doppelt bzw. abkommenswidrig besteuert zu werden, einbezogen ist. Der Antragsteller kann sich schließlich zu jeder Zeit über den Stand des Verfahrens erkundigen und erhält entsprechende Auskunft.

f) Stellung des Antragstellers im Verfahren

g) Verfahren der zuständigen Behörden

7.345

Bei Antragstellung wird die zuständige Behörde zunächst prüfen, ob der Antrag zulässig ist und – soweit möglich – innerstaatlich abgeholfen werden kann6 (d.h. eine korrespondierende Korrektur/Gegenberichtigung vornehmen, wenn sie zu dem Schluss kommt, dass die Maßnahme des anderen Staats zutreffend ist bzw. die eigene Maßnahme zurückzunehmen ist)7. Hierzu sind unter Umständen weitere Sachverhaltsermittlungen erforderlich. 1 Anders herum hemmt der Antrag auf Durchführung des Verständigungsverfahrens auch nicht den Ablauf der Einspruchsfrist, vgl. Tappe in HHSp Vor §§ 347–368 AO Rz. 159. 2 Vgl. Tz. 12 Merkblatt 2021. 3 Krabbe, IStR 2002, 548, 549. Der OECD-MK, Tz. 77 zu Art. 25, verweist darauf, dass der Antragsteller das nationale Rechtsmittel für den Verlauf des Schiedsverfahrens ruhend stellt und nach abgeschlossenem Schiedsverfahren – strebt er die Umsetzung des Schiedsspruchs an – auf die nationalen Rechtsmittel verzichten muss; unter Verweis darauf Becker in Haase, AStG3, Art. 25 OECD-MA Rz. 51. Eine allgemein geltende Empfehlung, welches Verfahren ruhend gestellt werden sollte, verbietet sich jedoch im Hinblick auf evtl. in späteren Verfahrensschritten erwartete Vor- oder Nachteile, vgl. Flüchter, IStR 2012, 694, 702 unter Hinweis darauf, dass ein einmal ergangenes Urteil im Verständigungsverfahren ein Hindernis darstellen kann. Darauf verweisen nunmehr auch Rz. 12 ff. des Merkblatts 2021 unter beispielhafter Bezugnahme auf die DBA Japan und Luxemburg. 4 Rz. 80 Merkblatt 2021. 5 Lüthi in G/K/G/K, DBA-Kommentar, Art. 25 Rz. 41; ähnlich Eilers/Drüen, Art. 25 Rz. 50, der auf die Konsequenzen bei Verweigerung der Mitwirkung verweist. 6 Rz. 64 Merkblatt 2021; Merz/Sajogo, PIS 2010, 185 (187). 7 Vgl. Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 Rz. 51.

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.351 Kap. 7

Vermag die zuständige Behörde dem zulässigen Antrag nicht abzuhelfen, wird sie sich im Laufe des Verfahrens gemeinsam mit der zuständigen Behörde des anderen Staates bemühen („endeavor“), die abkommenswidrige Besteuerung zu beseitigen, Art. 25 Abs. 1 OECD-MA. Um dieses Ziel zu erreichen, können die zuständigen Behörden unmittelbar miteinander kommunizieren, vgl. hierzu auch Art. 25 Abs. 4 OECD-MA. Hierzu treffen sie sich in den meisten Fällen regelmäßig mit den Vertretern der jeweiligen Staaten zu persönlichen Konsultationen. Dabei handelt das Bundeszentralamt für Steuern im Einvernehmen mit den jeweils betroffenen Bundesländern1.

7.346

Da sich die Behörden lediglich um eine Vermeidung bzw. Beseitigung der abkommenswidrigen Besteuerung bemühen müssen, besteht im Verständigungsverfahren nach DBA kein Einigungszwang2. Ein Verständigungsverfahren kann mithin scheitern und in der Folge bliebe eine abkommenswidrige Besteuerung bestehen. Eine andere Situation ergibt sich in Fällen, in denen das DBA einen Anspruch auf ein obligatorisches Schiedsverfahren einräumt (vgl. hierzu Rz. 7.360 ff.).

7.347

h) Zustimmung und Umsetzung Einigen sich die zuständigen Behörden über eine Beseitigung der abkommenswidrigen Besteuerung muss die Vereinbarung in den jeweiligen Staaten noch umgesetzt werden. Dies erfolgt nach dem nationalen Recht der jeweiligen Vertragsstaaten.

7.348

In Deutschland erfolgt die Umsetzung durch die örtlich zuständigen Finanzbehörden. Verfahrensrechtlich ermöglicht § 175a AO die Umsetzung einer Verständigungslösung. Die Festsetzungsfrist endet insoweit nicht vor Ablauf eines Jahres nachdem die Verständigungsvereinbarung wirksam geworden ist, § 175a Satz 2 AO.

7.349

Der Steuerpflichtige muss der vereinbarten Lösung zustimmen und seine Zustimmung gegenüber dem BZSt erklären. Die Zustimmung muss sich auf die Verständigungsvereinbarung im Ganzen beziehen3. In diesem Zusammenhang erklärt er gegenüber dem örtlich zuständigen Finanzamt, dass schwebende Rechtsbehelfe ihre Erledigung finden und verzichtet zudem darauf, die Einigung zutreffend umsetzende Bescheide mit einem Rechtsbehelf anzugreifen4. Die gesonderte Erklärung von Zustimmung und Rechtsbehelfsverzicht gegenüber BZSt einerseits und zuständiger Landesfinanzverwaltung andererseits ist eine mit dem Merkblatt 2021 eingeführte Neuerung, ebenso wie die nunmehr obligatorische angemessene Frist zur Abgabe der entsprechenden Erklärungen5.

7.350

i) Scheitern und Billigkeitsmaßnahme Im Falle des Scheiterns eines Verständigungsverfahrens informiert das BZSt unverzüglich den Steuerpflichtigen und die zuständige Landesfinanzverwaltung6. Sofern die Möglichkeit ei1 Rz. 35 Merkblatt 2021. 2 Insoweit noch eindeutig im Wortlaut Rz. 1.2.1 des Merkblatts aus dem Jahr 2018. Das aktuelle Merkblatt lässt zwar eine derartige Klarstellung vermissen; der Wortlaut des OECD-MA ist hingegen weiterhin unverändert („endeavour“). 3 Becker in Haase, AStG3, Art. 25 OECD-MA Rz. 38. 4 Rz. 84 Merkblatt 2021. 5 Rz. 86 Merkblatt 2021. 6 Rz. 97 Merkblatt 2021.

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7.351

Kap. 7 Rz. 7.351 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

nes Schiedsverfahrens eröffnet ist, verbleiben dem Steuerpflichtigen die unter Rz. 7.360 ff. nachfolgend dargestellten Möglichkeiten; der Steuerpflichtige muss das Schiedsverfahren i.d.R. selbst beantragen1.

7.352

Ist ein Schiedsverfahren nicht vorgesehen, verbleibt dem Steuerpflichtigen nach einem gescheitertem Verfahren noch die Hoffnung auf eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO sowie ggf. die (weitere) Verfolgung eines Rechtsbehelfs, wenn nicht § 34c Abs. 6 S. 6 i.V.m Abs. 3 EStG Anwendung findet, der einen Abzug der im Ausland gezahlten Steuer bei der Einkunftsermittlung ermöglicht.

7.353

Ist der Steuerpflichtige auf eine Billigkeitsmaßnahme angewiesen, muss die abkommenswidrige Besteuerung allerdings im Einzelfall unbillig sein, vgl. § 163 Abs. 1 Satz 1 AO. Nach wohl h.M. handelt es sich dabei um eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörden2. Billigkeitsmaßnahmen werden dem Antragsteller jedoch insbesondere dann nicht zu Teil, wenn er nicht im erforderlichen Maße mitgewirkt oder sogar falsche Angaben gemacht hat3. Ein Fristversäumnis wird in keinem Fall zu einer Billigkeitsmaßnahme führen4. j) Verzicht auf Verständigungsverfahren – Treu und Glauben – Verfahrenshindernisse

7.354

In der Vergangenheit bestand die Möglichkeit, z.B. im Anschluss an eine Betriebsprüfung auf die Durchführung eines Verständigungsverfahrens zu verzichten5. Das BMF hielt einen Verzicht insoweit wohl auch für wirksam6.

7.355

Das Merkblatt zum Verständigungsverfahren vom 9.10.2018 stellt klar, dass es sich beim Zugang zum Verständigungs- oder Schiedsverfahren um ein gesetzlich verankertes Recht handelt, das seitens der Finanzverwaltung nicht behindert werden darf (Nr. 5 des Merkblatts). Diese Formulierung nimmt Rz. 5 des Merkblatts 2021 grundsätzlich auf und erkennt ebenfalls ein gesetzliches Recht des Steuerpflichtigen, sofern der Verwaltung kein ausdrückliches Ermessen eingeräumt wird. Wird jedoch auf Antrag des Steuerpflichtigen eine Tatsächliche Verständigung abgeschlossen, z.B. um aufwendige Sachverhaltsermittlungen bei komplexen Sachverhalten zu vermeiden, wird die Feststellung des tatsächlichen Sachverhalts im Rahmen eines Verständigungsverfahrens regelmäßig an Grenzen stoßen. Eine präzise Sachverhaltsaufklärung ist aber erforderlich, um das Verfahren (verwaltungsseitig) erfolgreich führen zu können. Unter diesen Umständen hatte es das BMF im Merkblatt 2018 als sachgerecht angesehen, den Abschluss einer tatsächlichen Verständigung vom Verzicht auf Durchführung eines Schiedsverfahrens abhängig zu machen (vgl. Rz. 5 Merkblatt 2018) und den Sachverhalt, welcher der Tatsächlichen Verständigung zugrunde gelegt worden ist, auch dem Verständigungsverfahren zugrunde zu legen. Liegt ein wirksamer Verzicht auf Durchführung eines Schiedsverfahrens durch den Steuerpflichtigen vor, stand (und steht) diesem damit zwar weiterhin der Weg ins Verständigungsverfahren offen; es besteht somit die Möglichkeit, dass die andere zuständige Behörde sich dem zugrunde gelegten Sachverhalt und der entsprechenden Würdigung an1 2 3 4 5

Rz. 109 Merkblatt 2021. Loose in Tipke/Kruse, § 163 AO Rz. 10. Vgl. Rz. 99 Merkblatt 2021. Rz. 99 Merkblatt 2021. Vgl. hierzu u.a. Liebchen in Mössner u.a., Steuerrecht international tätiger Unternehmen5, Rz. 13.136 ff. Zu Fragen der Wirksamkeit des Verzichts s. Insbesondere Flüchter in Schönfeld/Ditz, Art. 25 Rz. 114. 6 Ausführlich zu Fragen des Verzichts auf Verständigungsverfahren bei Flüchter in Schönfeld/Ditz, DBA2, Art. 25 DBA Rz. 111 ff.

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.360 Kap. 7

schließt und eine Gegenkorrektur veranlasst. Unter Berufung auf Treu und Glauben würde sich die deutsche zuständige Behörde nach den Regelungen im Merkblatt 2018 einem anschließenden Schiedsverfahren jedoch verschließen, so dass – wenn der andere Staat zu einer Gegenkorrektur nicht bereit ist – eine Doppelbesteuerung verbleiben kann. Das aktuelle Merkblatt (2021) lässt die Formulierung „[…] und keine Abweichung von der darin geregelten Sachverhaltsfestlegung akzeptieren und bei ausbleibender Einigung im Verständigungsverfahren kein Schiedsverfahren führen“1 vermissen. Daraus sollte m.E. jedoch nicht geschlossen werden, dass die Verwaltung nicht auch in Zukunft diese Position vertreten wird bzw. Einnehmen kann. Gegenüber dem Rechtsbehelfs- und Klageverfahren hat das Verständigungsverfahren den Vorteil, dass – einigen sich die Behörden über die Beseitigung der abkommenswidrigen Besteuerung – diese üblicherweise beseitigt wird2. Der Ausgang des Klageverfahrens ist hingegen nur für denjenigen Staat bindend, in dem das Urteil ergeht. Selbst dann, wenn der Steuerpflichtige mit seiner Klage (teilweise) obsiegt, kann die Doppelbesteuerung weiterhin vollständig oder teilweise bestehen bleiben.

7.356

Da es sich bei Verständigungsverfahren um Verfahren zwischen zwei oder mehreren Staaten handelt ist zu berücksichtigen, dass auch Handlungen im jeweils anderen Staat Einfluss auf die Frage nehmen können, ob ein Verständigungsverfahren eröffnet wird bzw. ob – im Falle eines Scheiterns des Verständigungsverfahrens – Zugang zu einem Schiedsverfahren gewährt werden kann.

7.357

Auch wenn in Fällen ohne (obligatorische) Schiedsklausel kein Einigungszwang für die beteiligten Staaten besteht, zeigen die jährlich veröffentlichten Statistiken zu Verständigungsverfahren, dass bislang in der absoluten Mehrheit von Verfahren eine Einigung zwischen den zuständigen Behörden erzielt werden und die Verfahren einvernehmlich beendet werden konnten3.

7.358

Selbige Statistik zeigt jedoch auch auf, dass sich solche erfolgreichen Einigungen im Verhandlungswege nicht in jedem Fall kurzfristig erzielen lassen.

7.359

3. Schiedsverfahren nach DBA a) Einführung aa) Schiedsklausel Neuere DBA enthalten oftmals eine Schiedsklausel (vgl. Art. 25 Abs. 5 OECD-MA 2017 sowie Rz. 7.373 zu den DBA mit Schiedsklausel)4. Schiedsklauseln haben für den Steuerpflichtigen den Vorteil, dass sich – wird das Verfahren vom Steuerpflichtigen beantragt und sind die Voraussetzungen für das Schiedsverfahren gegeben – für die Streitfragen eines Verständigungs1 Vgl. Rz. 5 Merkblatt 2018. 2 Die Einigung der zuständigen Behörden muss jedoch nicht zwingend zu einer vollständigen Beseitigung der Doppelbesteuerung führen. Gleichwohl kann der Zugang zum DBA-Schiedsverfahren versperrt sein, wenn eine Einigung über die entsprechende Streitfrage durch die Behörden herbeigeführt worden ist, vgl. OECD-MK 2017, Art. 25 Tz. 71, unter Verweis darauf auch Flüchter in Schaumburg/Ditz, DBA2, Art. 25 OECD-MA Rz. 288. 3 Vgl. hierzu die auf der OECD-Website jährlich veröffentlichten Statistiken: https://www.oecd.org/ tax/dispute/mutual-agreement-procedure-statistics.htm. 4 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die veröffentlichte Verhandlungsgrundlage des BMF, Art. 24 Abs. 5, vom 22.8.2013.

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7.360

Kap. 7 Rz. 7.360 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

verfahrens, über die die zuständigen Behörden keine Einigung erzielen konnten, ein Schiedsgremium befindet. Handelt es sich um ein obligatorisches Schiedsverfahren, ergibt sich für die zuständigen Behörden regelmäßig ein Einleitungs- und Einigungszwang; der Steuerpflichtige hat, sofern er alle Voraussetzungen erfüllt, einen Anspruch auf die Einleitung des Schiedsverfahrens1. bb) „Last Best Offer“

7.361

Schiedsklauseln können auf Basis des „last best offer“ (Verfahren des letzten besten Angebots) basieren, die umgangssprachlich auch als „Baseball-Arbitration“ bekannt ist2. In diesem Fall unterbreiten die beteiligten Behörden dem Schiedsgericht jeweils einen Lösungsvorschlag zu dem oder den offenen streitigen Fragen. Das Schiedsgericht entscheidet sich auf der Basis der vorgelegten Unterlagen für einen der beiden Vorschläge. Der Vorteil dieses Verfahrens wird oftmals darin gesehen, dass die jeweils Beteiligten keine Extrempositionen im Schiedsverfahren vertreten werden, da ein solcher Vorschlag im Zweifel nicht die Berücksichtigung der Schiedsrichter finden wird; vielmehr ist zu erwarten, dass die Parteien jeweils mit einem eher moderaten Lösungsvorschlag an das Schiedsgericht herantreten werden. Auf der anderen Seite dürfte dieses Verfahren grundsätzlich auch effizienter sein, da das Schiedsgericht sich nur für einen Vorschlag entscheiden und keine eigene Stellungnahme ausarbeiten und an die Parteien übermitteln muss.

7.362

Die OECD scheint diesem Verfahren in der aktuellen Version des Musterabkommens zu den Vorzug einzuräumen3. cc) „Independent Opinion“

7.363

Neben dem „last best offer“-Verfahren kann das Schiedsverfahren so eingerichtet werden, dass es eine vom bis dahin erreichten Verhandlungsstand abweichende, vom Schiedsgremium als zutreffender angesehene Lösung unterbreiten kann (independent opinion). b) Schiedsverfahren als Bestandteil des Verständigungsverfahrens

7.364

Das Schiedsverfahren nach DBA ist Bestandteil des Verständigungsverfahrens, dessen Durchführung gleichwohl gesondert schriftlich beantragt werden muss. c) Verfahrensablauf aa) Musterabkommen

7.365

Das OECD-MA gibt dabei lediglich einen vergleichsweise übersichtlichen organisatorischen Rahmen vor. Der Ablauf von Schiedsverfahren nach DBA kann bzw. muss daher individuell (d.h. in der Regel bilateral) zwischen den am Abkommen jeweils beteiligten Staaten ausgehan1 Becker in Haase, AStG3, Art. 25 OECD-MA Rz. 48; Es ist jedoch zu beachten, dass eine Einleitung eines Schiedsverfahrens in bestimmten Fällen unterbleiben kann, wenn beide zuständigen Behörden vor dem Zeitpunkt, zu dem das Schiedsverfahren begonnen hätte, den Fall für ungeeignet halten, vgl. z.B. Art. 26 Abs. 5 Buchst. b DBA Deutschland/Schweiz. 2 Z.B. bei Albert, Schiedsverfahren im Internationalen Steuerrecht, IFSt-Schrift Nr. 462, S. 46 m.w.N. 3 Vgl. Nr. 4.5 der Mustervereinbarung zu Schiedsverfahren im Anhang zu Art. 25 OECD-MK.

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.371 Kap. 7

delt werden. Die OECD hat hierfür ein Musterabkommen im Anhang zu Art. 25 OECD-MK veröffentlicht. Zur bilateralen Umsetzung der im Musterabkommen geregelten Verfahrensschritte schließt Deutschland mit den jeweiligen DBA Staaten üblicherweise Konsultationsvereinbarungen ab1. Da die Ausgestaltung des jeweiligen Schiedsverfahrens Gegenstand der Vereinbarung zwischen den DBA-Parteien ist, können sich die nachfolgenden Ausführungen lediglich auf die Vorschläge des OECD-MA beziehen.

7.366

bb) Verbleibende streitige Punkte Grundsätzliche Voraussetzung für die Beantragung des Schiedsverfahrens nach DBA ist, dass im Verständigungsverfahren nicht zu allen streitigen Punkten Einigkeit zwischen den zuständigen Behörden hergestellt werden konnte. Nur diese offenen Fragen können Gegenstand des Schiedsverfahrens werden.

7.367

cc) Antrag und Frist: Zudem muss der Steuerpflichtige das Schiedsverfahren gesondert beantragen; es folgt nicht als Automatismus auf (teilweise) bei Fristablauf noch nicht erfolgreich abgeschlossene Verhandlungen der zuständigen Behörden.

7.368

dd) Stellung des Antragstellers Wie im Verständigungsverfahren im engeren Sinn erschöpft sich in der Stellung des Antrags auch die Stellung des Steuerpflichtigen im Schiedsverfahren. Eine Anhörung des Steuerpflichtigen im Schiedsverfahren ist nur mit Zustimmung des Schiedsgerichts möglich2.

7.369

ee) Umsetzung Die Umsetzung des Schiedsspruchs soll im Rahmen einer Verständigungslösung der beteiligten zuständigen Behörden umgesetzt werden und erfordert die Zustimmung des Steuerpflichtigen und die Rücknahme der nationalen Rechtsmittel3.

7.370

ff) Verhältnis zu nationalen Rechtsmitteln Zudem ist zu beachten, dass grds. keine Schiedsverfahren angestrengt werden können, wenn der streitige Sachverhalt bereits durch ein nationales Rechtsmittel einer der beteiligten Staaten entschieden worden ist4. Vereinzelt können sich jedoch auch zu diesem Grundsatz Ausnahmen ergeben, da einige Staaten von einer Gerichtsentscheidung abweichende Verständigungs1 Vgl. z.B. die Konsultationsvereinbarung über die Auslegung von Schiedsverfahren mit der Schweiz v. 3.3.2017, Gz. IV B 2 - S 1301 – CHE/07/100-26-10. Zum Stand der DBA-Schiedsklauseln mit bestehender Übereinkunft über die Anwendung vgl. die Übersicht in der Anlage zum Merkblatt 2021. 2 Vgl. Eilers/Drüen in Wassermeyer, Art. 25 OECD-MA Rz. 74; Annex zu Art. 25 OECD-MK 2017, Sample Mutual Agreement on Arbitration, Nr. 5 Rz. 2 – dabei wird der „optional arbitration process“ erfasst. 3 Anhang zu Art. 25-OECD-MK Tz. 47 und Art. 25 OECD-MK Tz. 82. 4 S. Art. 25 Abs. 5 Satz 2 OECD-MA sowie Art. 25 OECD-MK Tz. 76.

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7.371

Kap. 7 Rz. 7.371 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

vereinbarungen umsetzen können1. In diesen Fällen schlägt der OECD-Musterkommentar eine entsprechende Anpassung des Wortlauts vor2. gg) Alternative Verfahrenswege

7.372

Im Grundsatz sind die Parteien des DBA aber frei, auch einen gänzlich anderen Verfahrensweg im Rahmen der Vorgaben der jeweiligen Schiedsklausel zu vereinbaren. Besonders sticht hier die zwischen Deutschland und Österreich vereinbarte Schiedsklausel hervor, die den Weg zum EuGH eröffnet, vgl. Art. 25 Abs. 5 DBA D/AT. d) Deutsche DBA mit obligatorischer Schiedsklausel

7.373

Deutschland hat in den DBA mit Australien, Frankreich, Großbritannien, Japan, Liechtenstein, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Schweden, der Schweiz und den USA obligatorische Schiedsklauseln vereinbart3.

4. EU-Schiedskonvention a) Hintergrund und Einleitung

7.374

Die EU-Schiedskonvention (Übereinkommen Nr. 90/436/EWG) trägt dem bereits lange vor tatsächlichem Inkrafttreten des Schiedsübereinkommens verfolgten Interesse der europäischen Staaten Rechnung, Doppelbesteuerung im europäischen Wirtschaftsraum zu vermeiden. Das Übereinkommen basiert auf Art. 293 (ex. 220) EG4 und ist am 1.1.1995 in Kraft getreten5. Zunächst auf eine fünfjährige Laufzeit begrenzt, verlängert sich die Laufzeit um jeweils weitere fünf Jahre, solange keine der Parteien mit einer Frist von sechs Monaten zum Beginn des nächsten Fünfjahreszeitraums widerspricht, Art. 20 EU-Schieko. Bei der EU-Schiedskonvention handelt es sich um ein multilaterales völkerrechtliches Abkommen der EU-Staaten zur Beseitigung der Doppelbesteuerung6.

7.375

Neben dem Schiedsübereinkommen haben sich die beteiligten Mitgliedsstaaten auf einen später nochmals überarbeiteten Verhaltenskodex geeinigt, der eine Reihe von Verfahrensfragen konkretisierend aufgreift und ergänzt7. Erfasst werden in diesem Dokument u. a. grundsätzli1 Vgl. die Ausführungen bei Becker in Haase, AStG3, Art. 25 Rz. 51 unter Verweis auf den Schlussbericht des EU-JTPF v. 14.9.2009, S. 76 ff., der das Ergebnis einer Umfrage unter den EU-Mitgliedsstaaten zur Möglichkeit der Abweichung von Gerichtsurteilen zusammenfasst. 2 OECD-MK, Art. 25 Rz. 76 am Ende. 3 Vgl. z.B. Flüchter in Schönfeld/Ditz2, Art. 25 Rz. 283 sowie umfassender zu den DBA mit Drittstaaten Mammen/Jansen/Rasche, IStR 2019 372, 377 f. (tabellarische Übersicht) – das DBA mit Armenien, das in der Übersicht ebenfalls mit dem Vermerk „Einigungspflicht besteht“ versehen ist, sieht dabei in Art. 24 Abs. 5 den Antrag einer der zuständigen Behörden zur Einleitung des Schiedsverfahrens vor. Eine Liste der DBA mit Schiedsklausel findet sich im Anhang zum Merkblatt 2021. Auf die Ausführungen in Rz. 7.417 ff. dieses Kapitels zum Multilateralen Instrument wird ausdrücklich verwiesen. 4 Vogel/Lehner/Ismer/Piotrowski, DBA6, OECD-MA 2017 Art. 25 Rz. 350. 5 EU-Schiedskonvention (90/436/EWG) v. 23.7.1990, ABl. EG 1990 L 225 sowie das Änderungsprotokoll v. 25.5.1999, ABl. EG 1999 C 202. 6 BFH v. 25.9.2019 – I R 82/17 Rz. 20; Gehm, IWB 2019, 114. 7 Überarbeiteter Verhaltenskodex zur wirksamen Durchführung des Übereinkommens über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen v. 30.12.2009, 2009/C 322/01.

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.379 Kap. 7

che Fragen zur Anwendbarkeit der Schiedskonvention, d.h., der Umgang mit bestimmten Dreieckskonstellationen (Nr. 1.1, Nr. 6.2 des Überarbeiteten Verhaltenskodexes)1 und Fälle der Unterkapitalisierung (Nr. 1.2), die Definition des „empfindlich zu bestrafenden Verstoßes“ (Nr. 3) und die Berechnung von Fristen (Nr. 4 und 5). Außerdem ist eine Aufzählung von Unterlagen enthalten, die der Steuerpflichtige mit seinem Antrag vorlegen soll (Nr. 5). Dabei ist jedoch zu beachten, dass es sich bei dem Verhaltenskodex (lediglich) um eine politische Erklärung handelt2. Dieser kommt durch ihre allgemeine Anwendung und ihre praxisnahe Ausgestaltung jedoch erhebliche Relevanz zu. b) Zeitlicher, persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich Die zeitliche Anwendbarkeit der EU-Schiedskonvention auf den jeweiligen Einzelfall ist vor dem Hintergrund des Beitritts neuer Staaten zur EU in der Vergangenheit und deren Ratifizierung der Schiedskonvention sowie – neuerdings – auch des Austritts von Staaten aus der Europäischen Union zu überprüfen3.

7.376

Als bislang letzter Staat hat Kroatien die EU-Schiedskonvention ratifiziert4.

7.377

Die persönliche Anwendbarkeit der EU-Schiedskonvention erstreckt sich – anders als das Verständigungsverfahren nach Art. 25 Abs. 1 und 2 OECD-MA und das Schiedsverfahren nach Art. 25 Abs. 5 OECD-MA – nur auf Unternehmen der Mitgliedsstaaten sowie Betriebsstätten, Art. 1 Abs. 1 und 2 EU-Schieko. Das Übereinkommen findet sachliche Anwendung in Fällen, in denen Gewinne in die Gewinne eines Unternehmens eines Vertragsstaats einbezogen sind oder voraussichtlich einbezogen werden die ebenfalls in den Gewinnen eines anderen (verbundenen) Unternehmens in einem anderen Vertragsstaat erfasst sind, vgl. Art. 1 Abs. 1 EU-Schieko. Die Verfahren werden dabei unter Berücksichtigung des Fremdvergleichsgrundsatzes geführt, Art. 4 EU-SchieKo.

7.378

Nicht erfasst werden vom Anwendungsbereich der EU-Schiedskonvention Qualifikationskonflikte, also bspw. die Frage, ob eine Betriebsstätte vorliegt oder nicht5. In diesen Fällen empfiehlt das EUJTPF die Stellung von zwei Anträgen (ggf. in einem Schreiben zusammengefasst) nach Art. 25 OECD-MA zur Klärung der Frage, ob eine Betriebsstätte vorliegt sowie nach den Regeln der EU-Schiedskonvention zu der Frage, welcher Gewinn der Betriebsstätte zuzuweisen ist, sofern deren Vorliegen bejaht wird6.

7.379

1 Definiert wird das Vorliegen und das Vorgehen im Falle einer EU-Dreieckskonstellation, d.h., wenn festgestellt wird, dass neben zwei verbundenen Unternehmen in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten mindestens ein weiteres verbundenes Unternehmen in einem dritten Mitgliedsstaat betroffen sein könnte. 2 S. hierzu die einleitenden Worte im überarbeiteten Verhaltenskodex, 2009/C 322/01. 3 Vgl. zu den im Zusammenhang mit dem Brexit entstehenden Fragen insbesondere Martiny/Sassmann/Wehnert, ISR 2017, 140 ff. und Geyer/Puls/Ullmann, IStR 2017, 881 ff. Die britische Regierung hat in diesem Zusammenhang bekanntgegeben, ab dem 1.1.2021 keine Anträge auf Verständigungsverfahren unter der EU-Schiedskonvention oder der EU-Streitbeilegungsrichtlinie mehr anzunehmen, https://www.gov.uk/government/publications/legislating-the-double-taxation-disputeresolution-eu-regulations-2020/legislating-the-double-taxation-dispute-resolution-eu-regulations2020. Zu den an der EU-Schiedskonvention beteiligten Staaten s. Tz. 1.1.3 Merkblatt 2018. 4 Vgl. die Ausführungen im Beschluss des Rates v. 9.12.2014, 2014/899/EU. 5 EUJTPF v. 12.3.2015, Doc: JTPF/002/2015/EN, Report on Improving the Functioning of the Arbitration Convention, Tz. 7 und 8. 6 EUJTPF v. 12.3.2015, Doc: JTPF/002/2015/EN, Report on Improving the Functioning of the Arbitration Convention, Fn. 46, Tz. 7 f. sowie „JTPF recommendation“.

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Kap. 7 Rz. 7.380 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

7.380

Der Antragsteller kann, zusätzlich zur Stellung des Antrags, dem Beratenden Ausschuss gegenüber unmittelbar Erklärungen abgeben und beantragen, vor ihr zu erscheinen, vgl. Art. 10 Abs. 1 EU-Schieko. Damit erhält er in diesem Verfahrensteil eine etwas weitergehende Rechtsposition, als ihm in der Regel im Zuge des Schiedsverfahrens nach DBA zugestanden wird.

7.381

Das Verfahren nach der EU-Schiedskonvention umfasst (i) Vorverfahren, (ii) Verständigungsverfahren und (iii) Schiedsphase, sofern keine Einigung im Verständigungsverfahren erzielt werden konnte. c) Vorverfahren

7.382

Im Rahmen des Vorverfahrens unterrichtet die Finanzverwaltung, die eine Anpassung der Gewinne nach Maßgabe des Art. 4 EU-Schieko (d.h., auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes) durchführen möchte, den Steuerpflichtigen über die beabsichtigte Maßnahme, Art. 5 EUSchieko. Dieser soll das verbundene Unternehmen über den geplanten Schritt informieren, das wiederum mit der Finanzverwaltung des anderen Staates in Kontakt tritt, um sie über diesen Schritt in Kenntnis zu setzen. Können das verbundene Unternehmen und die Finanzverwaltung des anderen Staates den Erwägungen, die der geplanten Anpassung der Verrechnungspreise zugrunde liegen, folgen, und nimmt der andere Staat eine Gegenberichtigung vor, wird das Vorverfahren beendet1. Eine ablehnende Haltung der anderen Finanzverwaltung kann die Anpassung der korrigierenden Finanzverwaltung jedoch nicht verhindern. d) Verständigungsverfahren aa) Frist

7.383

Das Verständigungsverfahren nach der EU-Schiedskonvention ist hier, wie auch im OECDMA normiert, binnen einer Frist von drei Jahren nach der ersten Mitteilung der Maßnahme zu beantragen, die eine Doppelbesteuerung herbeigeführt hat, Art. 6 Abs. 1 EU-Schieko. Die Ausführungen zu den Möglichkeiten, ein Verfahren bereits bei drohender Doppelbesteuerung beantragen zu können und von den Möglichkeiten einer möglichst zeitnahen Beantragung Gebrauch zu machen (s. Rz. 7.340) gelten entsprechend. Der Antrag ist schriftlich zu stellen. Die Fristwahrung setzt auch hier voraus, dass alle erforderlichen Unterlagen und Angaben insgesamt innerhalb der Antragsfrist eingereicht bzw. vorgenommen werden2. bb) Unterbreitung bei der Zuständigen Behörde

7.384

Wir der Antrag im Inland gestellt (zweckmäßigerweise sollte der Antrag in beiden Staaten gestellt werden3), ist er beim Bundeszentralamt für Steuern zu stellen4 und soll die in Rz. 57 und 121 des Merkblatts 2021 aufgeführten Informationen enthalten. Die Textziffer korrespondiert teilweise mit Nr. 5 des überarbeiteten Verhaltenskodex, der die Vorlage genannter Unterlagen als Ausgangspunkt für die Berechnung der Zweijahresfrist nach Art. 7 Abs. 1 EU-Schieko bestimmt5. Einzureichen sind nach Nr. 5 des überarbeiteten Verhaltenskodex: 1 2 3 4 5

Schaumburg in Schaumburg/Englisch2, Rz. 16.11; Tz. 10 Merkblatt 2018. Rz. 58 Merkblatt 2021. Rz. 115 Merkblatt 2021. Rz. 11.1.3 Merkblatt 2018. Riegel/Sassmann, BB 2019, 2519, 2521 stellen die Anforderung von Unterlagen („[...] vorgeblich noch fehlender Sachverhaltsinformationen [...]“/„[...] vorgeblich mangelhafter Mitwirkung des

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.385 Kap. 7

– Name, Anschrift (Sitz), Steuernummer und örtlich zuständiges Finanzamt des antragstellenden Unternehmens des Vertragsstaats sowie der anderen Beteiligten an den betreffenden Geschäftsvorfällen – detaillierte Angaben zu den für den Fall relevanten Tatsachen und Umständen (einschließlich Einzelheiten über die Beziehungen zwischen dem Unternehmen und den anderen Beteiligten an den betreffenden Geschäftsvorfällen) – Angaben zu den vom Antrag betroffenen Besteuerungszeiträumen – Kopien der Steuerbescheide, des Betriebsprüfungsberichts oder vergleichbarer Dokumente, die zu der behaupteten Doppelbesteuerung geführt haben – detaillierte Angaben zu etwaigen außergerichtlichen oder gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren, die das Unternehmen oder die anderen an den betreffenden Geschäftsvorfällen Beteiligten eingeleitet haben, sowie zu etwaigen den Fall betreffenden Gerichtsurteilen – eine Darlegung seitens des Unternehmens, inwiefern nach seiner Auffassung die in Art. 4 der Schiedskonvention festgelegten Grundsätze nicht beachtet wurden – eine Zusage des Unternehmens, dass es so umfassend und so schnell wie möglich alle Nachfragen einer zuständigen Behörde beantworten und den zuständigen Behörden die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung stellen wird – Das aktuelle Merkblatt verlangt noch eine Reihe an zusätzlichen Informationen, die – wie bereits oben dargestellt – Einfluss auf die Zulässigkeit des Antrags haben und daher unbedingter Beachtung bedürfen1. cc) Verfahrenshindernisse Der Zugang zum Verfahren nach den Regeln der EU-Schiedskonvention kann für den Steuerpflichtigen jedoch u.a. gem. Art. 8 Abs. 1 versperrt sein, wenn ein „empfindlich zu bestrafender Verstoß“ vorliegt und dies endgültig festgestellt ist. Jeder Mitgliedstaat bestimmt für sich, wann ein derartiger Verstoß gegeben ist. Die Regelungen finden sich in den einseitigen Erklärungen der Mitgliedstaaten im Anhang zum überarbeiteten Verhaltenskodex (dort Nr. 3). In Deutschland ist „ein empfindlich zu bestrafender Verstoß gegen steuerliche Vorschriften „[...] jeder Verstoß gegen die Steuergesetze, der mit Freiheitsstrafe, Geldstrafe oder Bußgeld geahndet wird“. Damit sind aus deutscher Sicht auch Steuerordnungswidrigkeiten und Fälle der Steuergefährdung erfasst2, nicht jedoch wohl der Zuschlag nach § 162 Abs. 4 AO3.

Steuerpflichtigen [...]“) als ein Instrument der Finanzverwaltung dar, die Eröffnung eines Verständigungsverfahrens zu verhindern bzw. hinauszuzögern. Hier zeigt bereits ein Blick die veröffentlichte OECD-MAP-Statistik, das die Zahl abgelehnter Verständigungsverfahren äußerst gering ist. Der Steuerpflichtige darf im Verständigungsverfahren nicht darauf hoffen, eine im Rahmen der Betriebsprüfung ggf. erfolgreich verfolgte Vermeidungstaktik im Rahmen eines Verständigungsverfahrens fortzusetzen. Diese vermeintliche Schwäche wird auch nicht – wie nachfolgend dargestellt – durch das EU-DBA-SBG minimiert. Vielmehr wird das Verfahren durch klare Fristsetzungen gegenüber Steuerpflichtigen und Behörde gestrafft und – sollte der Antragsteller nicht binnen der gesetzlichen Frist die angeforderten Unterlagen vorlegen – kann das Verfahren zeitnah als unzulässig abgelehnt werden. 1 Vgl. Rz. 57, 58, 119 und 120 Merkblatt 2021. 2 Lauten in Vögele/Borstell/Engler, Verrechnungspreise5, Kap. E Rz. 540. 3 BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl. I 2005, 570, Rz. 6.1.3.2.

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7.385

Kap. 7 Rz. 7.386 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

7.386

Nicht nur die Behörde des einleitenden Staates kann die Einleitung des Verständigungsverfahrens verhindern, sondern auch die des anderen Vertragsstaats1.

7.387

Beachtung verdient in diesem Zusammenhang das bereits vorstehend zitierte Urteil des BFH v. 25.9.20192, das sich u.a. mit der Frage auseinandersetzt, wer einen empfindlich zu bestrafenden Verstoß begangen haben muss und in welchem Zusammenhang Verstoß und Besteuerung zueinander stehen müssen. Dabei legt der BFH die Voraussetzungen eher weit aus. So muss das Strafverfahren nicht alle Antragsjahre betreffen; ein sachlicher Zusammenhang, nach dem Strafrechtsvorwurf und Gewinnberichtigung auf dieselben Regelungen zurückgehen, soll ausreichen3. dd) Verlängerung der Verständigungsphase

7.388

Können sich die zuständigen Behörden nicht innerhalb einer Frist von zwei Jahren einigen, besteht die Möglichkeit einer Verlängerung der Verständigungsphase unter der Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige dieser zustimmt. e) Schiedsphase

7.389

Gelingt es den zuständigen Behörden nicht innerhalb der vorgesehenen Frist von zwei Jahren, eine Einigung zu erzielen, ist ein Beratender Ausschuss einzusetzen. Dieser besteht regelmäßig aus zwei Vertretern der zuständigen Behörde, jeweils zwei unabhängigen Personen, die von den betreffenden Vertragsstaaten benannt werden sowie einem Vorsitzenden. Die Namen verfügbarer und potentiell unabhängiger Personen sowie des Vorsitzenden sind einer Liste zu entnehmen, die die im Büro des EU-Ratspräsidenten hinterlegt ist. Jeder Vertragsstaat benennt hierfür fünf potentiell unabhängige Personen. Tritt der Beratende Ausschuss zusammen, muss er binnen sechs Monaten über die ihm vorgelegten Fragen entscheiden und eine Stellungnahme hierzu abgeben. Die Frist beginnt, sobald der Vorsitzende feststellt, dass der Ausschuss alle erforderlichen Unterlagen für eine Entscheidungsfindung erhalten hat. Der Ausschuss entscheidet im Rahmen einer „independent opinion“, d.h., er kann zu einer von den Auffassungen der jeweiligen Staaten abweichenden Stellungnahme kommen.

7.390

Die Vertragsstaaten sind gleichwohl nicht an die Stellungnahme gebunden und können weiterhin versuchen, den Fall einer Verhandlungslösung zuzuführen. Gelingt es ihnen jedoch nicht, bis spätestens sechs Monate nach Übersendung der Stellungnahme eine Einigung zu erzielen, die die Doppelbesteuerung beseitigt, ist die in der Stellungnahme des Beratenden Ausschusses vorgesehene Lösung zu implementieren, sofern der Steuerpflichtige dieser Lösung zustimmt und er ggf. anhängige Rechtsbehelfe im Hinblick auf die umzusetzenden Punkte zurücknimmt4.

5. EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz a) Einführung

7.391

Eine Evaluierung der EU-Streitbeilegungspraxis mündete schließlich im Erlass einer Streitbeilegungsrichtlinie auf Ebene der EU5, um die identifizierten (vermeintlichen) Schwachstellen 1 2 3 4 5

BFH v. 25.9.2019 – I R 82/17, Rz. 23 m.w.N. BFH v. 25.9.2019 – I R 82/17. Zusammenfassung und Würdigung des Urteils finden sich bei Haverkamp, ISR 2020. 208 ff. Lauten in Vögele/Borstell/Bernhardt, Verrechnungspreise5, Kap. E Rz. 548. Veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union v. 14.10.2017, ABl. Nr. L 265/1.

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.395 Kap. 7

bestehender Streitbeilegungsverfahren zu beheben1. Das Verfahren stützte sich auf Ebene der EU auf Art. 115 AEUV, der ein besonderes Gesetzgebungsverfahren in Fällen vorsieht, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes auswirkt. Die Streitbeilegungsrichtlinie wurde in Deutschland mit Gesetz vom 12.12.2019 in nationales Recht umgesetzt und ist auf alle Streitbeilegungsbeschwerden anzuwenden, die ab dem 1.7.2019 eingereicht werden und Streitfragen im Zusammenhang mit Einkommen oder Vermögen betreffen, die in einem Steuerjahr, das am oder nach dem 1.1.2018 beginnt, erwirtschaftet werden.

7.392

Im Vergleich zu den bislang bestehenden Streitbeilegungsverfahren mit angeschlossenem Schiedsverfahren sieht das EU-DBA-SBG eine größere Regelungstiefe vor und beinhaltet insbesondere eine Reihe von klaren Fristen für bestimmte Verfahrensabschnitte, die zu einer Beschleunigung bestimmter Verfahrensabschnitte beitragen sollen. Es normiert zudem subjektive Rechte des Antragstellers auf den Zugang zum Verfahren und eröffnet die Möglichkeit dessen Anhörung im Verfahren. Er ist jedoch auch in diesem Verfahren nicht Verfahrensbeteiligter2. Außerdem sind klare Kommunikationswege bestimmt. Greifen keine Ausnahmeregeln muss sich der Antragsteller zudem darauf einstellen, zwingend mit allen zuständigen Behörden zu kommunizieren – im Falle Deutschlands ist dabei auch zwingend die deutsche Sprache vorgesehen, § 3 EU-DBA-SBG.

7.393

Als problematisch kann sich für den Antragsteller erweisen, dass die Beantragung des Verständigungsverfahrens nach dem EU-DBA-SBG zum einen alle unter Umständen bereits laufenden Verfahren zum betreffenden Streitgegenstand beendet, § 4 Abs. 4 EU-DBA-SBG3. Hiervon sind lediglich Gerichtsverfahren oder Verwaltungs- und Strafverfahren in derselben Angelegenheit ausgenommen, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 EU-DBA-SBG. Zum anderen können auch keine Verfahren zu den betreffenden Streitigkeiten mehr eingeleitet werden; diese wären unzulässig. Bei der Beantragung eines Verfahrens nach dem SBG ist somit erhöhte Vorsicht geboten, um nicht eventuell durch Einreichung einer unzulässigen Beschwerde nach EUDBA-SBG gleichzeitig die Erfolgsaussichten anderer, unter Umständen zulässiger Verfahren, zu gefährden.

7.394

Wer durch das EU-DBA-SBG eine erhebliche Verkürzung des Verfahrens erwartet, dürfte womöglich enttäuscht werden. Addiert man die für die einzelnen Verfahrensschritte vorgesehenen maximal zulässigen Zeitabschnitte auf, können durchaus drei Jahre (und mehr, wenn von einer Verlängerung der Einigungsfrist um ein Jahr Gebrauch gemacht wird oder bereits im Rahmen der Zulässigkeit Probleme auftreten) vergehen, wenn die einzelnen Fristen ausgereizt werden, bevor sich das Schiedsverfahren anschließt, für das noch einmal sechs Monate mit einer Option zur Verlängerung um weitere drei Monate vorgesehen ist, zzgl. der Zeit für die Einsetzung des Schiedsgremiums.

7.395

1 Vgl. hierzu die einleitenden Worte (Begründung) im Vorschlag für eine Richtlinie des Rates vom 25.10.2016, COM (2016) 686 final, 2016/0338 (CNS) sowie der in diesem Dokument unter Nr. 3 vorgenommene Zusammenfassung einer Konsultation unter Interessenträgern. 2 Jansen/Mammen, DStR 2020, 465, 470. 3 Zur Frage der Reichweite des Ausschlusses und in diesem Zusammenhang bestehender Unsicherheiten vgl. Jansen/Mammen, DStR 2020, 465, 470 f.

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Kap. 7 Rz. 7.396 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

b) Anwendungsbereich

7.396

Das EU-SBG ist nach wohl überwiegender Auffassung in der Literatur auf alle DBA-Fragen anwendbar; eine tatsächliche Doppelbesteuerung ist nicht Voraussetzung1. Auch natürliche Personen können entsprechende Anträge stellen. Damit erfasst das Gesetz einen Regelungsbereich, der innerhalb der EU bislang nicht in allen Fällen Schiedsklauseln enthielt. Gleichwohl wird die Schiedsphase lediglich eingeleitet, wenn tatsächlich eine Doppelbesteuerung vorliegt, § 20 Abs. 2 EU-DBA-SBG, vgl. nachfolgend Rz. 7.409. c) Verfahrensabschnitte aa) Einreichung der Streitbeilegungsbeschwerde

7.397

Das EU-SBG gliedert sich in drei Verfahrensabschnitte, die (i) die Einreichung der Streitbeilegungsbeschwerde, (ii) die Durchführung des Verständigungsverfahrens und (iii) das Schiedsverfahren umfassen.

7.398

Die Streitbeilegungsbeschwerde kann innerhalb eines Zeitraum von drei Jahren nachdem der betroffenen Person die erste Mitteilung der Maßnahme, die im Ergebnis zu einer Streitfrage geführt hat oder führen wird, bekannt gegeben wird, eingereicht werden, § 4 Abs. 3 EU-DBASBG. Sie muss ausdrücklich bei allen zuständigen Behörden gleichzeitig und mit gleichen Angaben eingereicht werden, § 2 Abs. 2 EU-DBA-SBG. Zuständige Behörde in Deutschland ist nach entsprechender Delegation auch für dieses Verfahren das Bundeszentralamt für Steuern, § 2 Abs. 1 Nr. 5 EU-DBA-SBG.

7.399

Auch hier stellt sich die Frage, wie der Begriff der „Maßnahme“ zu verstehen ist, d.h., ob die Antragsfrist z.B. bereits bei Vorliegen eines Prüfungsberichts oder Äußerung einer Rechtsauffassung durch Vertreter der Finanzverwaltung im Rahmen der aktuellen Betriebsprüfung zu laufen beginnt. Die zum Teil ausführliche Herleitung in der Literatur2, insbesondere aber die Gesetzesbegründung3 dürften aber den Schluss zulassen, dass aus deutscher Sicht insbesondere der Erlass eines Steuerbescheids als Maßnahme im Sinne der Vorschrift zu verstehen ist. Ob diese Auffassung allerdings von allen beteiligten zuständigen Behörden geteilt werden wird und ggf. welche weiteren fristauslösenden Maßnahmen in den Anwendungsbereich fallen, bleibt abzuwarten4.

7.400

Der erforderliche Inhalt einer Streitbeilegungsbeschwerde ist ausführlich in § 5 EU-DBA-SBG geregelt. Den Anforderungen an den Inhalt ist besondere Beachtung zu schenken. Fehlen die entsprechenden Angaben, kann die Beschwerde zurückgewiesen werden, § 8 Abs. 3 Nr. 1 EUDBA-SBG. Dabei ist nach jetzigem Stand unklar, ob es zur Ablehnung der Beschwerde genügt, wenn die fehlenden Unterlagen im Zuge eines Informationsersuchens nicht nachgefordert werden5. Auch hier muss der Antragsteller sicherstellen, dass er die nach Rz. 57 Merkblatt 2021 erforderlichen Unterlagen fristgerecht einreicht.6 1 Flüchter, ISR 2020, 56, 59; Rüll, IStR 2019, 728, 730; a.A. wohl Kircher/Pfeiffer/Boch, IWB 2019, 526, 527. 2 Rüll, IStR 2019, 729, 731. 3 Gesetzesbegründung zu § 4 SBG, BT-Drucks. 19/12112. 4 Vgl. z.B. die Ausführungen bei Turcan, TPI 2019, 287, 293, die darauf verweist, dass die österreichische Umsetzung der Richtlinie in ein Gesetz nach § 10 Abs. 2 des EU-Besteuerungsstreitbeilegungsgesetzes auch eine „sonstige Erledigung“ als Maßnahme gelten lässt. Jansen/Mammen, DStR 2020, 465, 470. 5 Flüchter, ISR 2020, 59 f. 6 Rz. 162 Merkblatt 2021.

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.407 Kap. 7

Anders als in den Verständigungsverfahren nach DBA und EU-Schiedskonvention müssen die zuständigen Behörden innerhalb von zwei Monaten den Eingang der Beschwerde bestätigen und binnen sechs Monaten ab Eingang über die Zulässigkeit des Antrags entscheiden, § 6 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 EU-DBA-SBG. Werden innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Streitbeilegungsbeschwerde über den Mindestinhalt einer Beschwerde hinausgehende weitere Informationen angefordert, verschiebt sich der Beginn der Frist bis zum Eingang der Informationen.

7.401

Eine Streitbeilegungsbeschwerde kann bei Fristversäumnis, wenn keine Streitfrage vorliegt, wenn nach § 7 EU-DBA-SBG angeforderte Informationen nicht fristgerecht eingereicht werden oder wenn, wie bereits im Zusammenhang mit Rz. 7.400 dargestellt, die nach § 5 EUDBA-SBG erforderlichen Angaben oder Unterlagen fehlen zurückgewiesen werden, vgl. § 8 Abs. 3 EU-DBA-SBG.

7.402

Kommt eine (bzw. in multilateralen Verfahren einige) der zuständigen Behörden oder kommen alle zuständigen Behörden übereinstimmend zu dem Schluss, dass die Streitbeilegungsbeschwerde nicht zulässig ist, kann der Antragsteller auf verschiedene Mechanismen zur Überprüfung dieser Einschätzung zurückgreifen.

7.403

Ist eine (bzw. sind „einige“ in multilateralen Verfahren) zuständige Behörde der Auffassung, die Beschwerde sei unzulässig, kann der Antragsteller binnen einer Frist von 50 Tagen die Einsetzung eines Beratenden Ausschusses beantragen, sofern gegen die Zurückweisung der Beschwerde kein Rechtsbehelf anhängig bzw. möglich ist und der Antragsteller im Rahmen des Antrags auf ein solches Mittel verzichtet, vgl. § 10 Abs. 1 und 2 EU-DBA-SBG. Dieser Beratende Ausschuss entscheidet lediglich über die Zulassung des Antrags und ist zu unterscheiden von jenem Beratenden Ausschuss, der bei Nichteinigung der zuständigen Behörden im Verständigungsverfahren im nachfolgenden Schiedsverfahren eingesetzt wird.

7.404

Weisen alle zuständigen Behörden den Antrag zurück, ist der Antragsteller auf den nationalen Rechtsweg angewiesen, vgl. § 9 Abs. 1 EU-DBA-SBG1.

7.405

bb) Verständigungsverfahren Kommen alle betroffenen zuständigen Behörden zu dem Ergebnis, dass der Antrag zulässig ist, beginnt die zweijährige Einigungsfrist (§ 13 Abs. 2 EU-DBA-SBG), innerhalb derer im Verständigungsverfahren eine einvernehmliche Lösung des Falles angestrebt wird. Im Zuge dieses Verfahrensabschnitts kann das BZSt weiterhin Informationsersuchen an die betroffene Person richten, die innerhalb von drei Monaten ab Bekanntgabe zu beantworten sind, §§ 14, 7 Abs. 2 EU-DBA-SBG.

7.406

cc) Schiedsverfahren – Antragserfordernis und Frist – Versagensgründe Kommen die zuständigen Behörden im Verständigungsverfahren zu keiner Einigung, teilt das BZSt dies der betroffenen Person unverzüglich mit. Die betroffene Person kann in diesem Fall innerhalb einer Frist von 50 Tagen, beginnend ab dem Tag, der auf den Tag der Bekanntgabe folgt, bei den zuständigen Behörden die Einsetzung eines Beratenden Ausschusses beantragen, § 17 Abs. 1 EU-DBA-SBG. Auch dieser Antrag ist gleichzeitig und mit gleichen Angaben bei den zuständigen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten einzureichen. 1 Hierzu erläuternd Rüll, IStR 2019, 728 (732).

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7.407

Kap. 7 Rz. 7.408 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

7.408

Im Schiedsverfahren selbst ist als Grundfall ein Beratender Ausschuss vorgesehen, § 17 Abs. 1 EU-DBA-SBG. Die Richtlinie sieht darüber hinaus jedoch auch die Möglichkeit eines Ausschusses für alternative Streitbeilegung vor, Art. 10 SBRL1.

7.409

Der Antrag auf Einsetzung eines Beratenden Ausschusses kann unter bestimmten Voraussetzungen abgelehnt werden. Hierzu gehören, ähnlich wie bei der EU-Schiedskonvention, besondere Konstellationen, bestimmte Verstöße gegen Steuergesetze (vgl. § 20 Abs. 1 EU-DBASBG) sowie Fälle, in denen keine Doppelbesteuerung vorliegt, § 20 Abs. 2, § 1 Abs. 1 Nr. 4 EU-DBA-SBG. dd) Umsetzung

7.410

Die Umsetzung erfolgt, ähnlich wie bei den anderen hier vorgestellten Verfahren, erst, wenn der Antragsteller – hier jedoch binnen einer sechzigtägigen Frist und gegenüber der zuständigen Behörde – schriftlich oder zur Niederschrift auf die Einlegung von Rechtsbehelfen gegen Bescheide verzichtet, die das Ergebnis des Streitbeilegungsverfahrens zutreffend umsetzen, vgl. § 18 Abs. 5 EU-DBA-SBG. ee) Verfahrenserleichterungen

7.411

Für kleinere Unternehmen und natürliche Personen gelten Erleichterungen. Sie müssen erforderliche Verfahrenshandlungen (Einlegung der Streitbeilegungsbeschwerde, Antworten auf Ersuchen um zusätzliche Informationen und ggf. die Rücknahme der Beschwerde) lediglich gegenüber der zuständigen Behörde des Mitgliedsstaates erklären, in dem sie ansässig sind, § 28 Abs. 1 EU-DBA-SBG. Die Definition des Begriffs „kleinere Unternehmen“ erfolgt in Abgrenzung zur Definition des „großen Unternehmens“ i.S.d. einschlägigen EU-Vorschriften2. Dabei sind die Verweise statisch zu verstehen.

III. Konkurrenz der Schiedsverfahren untereinander 7.412

Die steigende Zahl an Optionen für Verständigungsverfahren mit anschließendem Schiedsverfahren führt unausweichlich zu der Frage, in welchem Verhältnis die jeweiligen Regelungen zueinander stehen, insbesondere, da in der EU für eine Reihe denkbarer Fallgestaltungen nunmehr mehrere Verfahrenswege eröffnet werden.

7.413

Schiedsklauseln in DBA enthalten regelmäßig keine besonderen Regelungen, die die Anwendbarkeit der jeweiligen Rechtsgrundlage im Verhältnis zu anderen vergleichbaren Verfahren festlegen.

1 Hierzu ist eine Fiscalis Projektgruppe eingesetzt worden, um Möglichkeiten zur Implementierung von Art. 10 zu analysieren, vgl. https://ec.europa.eu/taxation_customs/resolution-tax-disputes-euro pean-union_de. 2 Große Unternehmen sind „[...] Unternehmen i.S.d. Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (ABl. Nr. L 182 vom 29.6.2013, S. 19) und nicht Teil einer großen Gruppe im Sinne des Artikels des Art. 3 Abs. 7 der genannten Richtlinie 2013/34/EU ist“, § 28 Abs. 1 Nr. 2 EU-DBA-SBG.

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.418 Kap. 7

Das EU-Schiedsübereinkommen enthält in Art. 15 lediglich den Verweis, dass weitergehende Verpflichtungen auf dem Gebiet der Beseitigung der Doppelbesteuerung nicht berührt werden. Eine klare Regelung, insbesondere eine klare Vorrangstellung des EU-Schiedsübereinkommens ist aus dieser Formulierung nicht abzulesen.

7.414

Die Literatur ging – zumindest bislang – wohl mehrheitlich davon aus, dass die Rechtsgrundlagen für Verständigungsverfahren nach DBA und EU-Schiedskonvention nebeneinander anwendbar sind1. Das neue Merkblatt zu Verständigungsverfahren gibt dem Antragsteller bei gleichzeitiger Stellung von Anträgen nach DBA und EU-Schiedskonvention nunmehr auf, sich innerhalb einer angemessenen Frist für eine Verfahrensart zu entscheiden; entscheidet der Antragsteller sich nicht, trifft das BZSt eine Ermessensentscheidung2. Bei zeitlich nachgelagert gestellten Anträgen nach DBA/EU-Schiedskonvention wird der später gestellte Antrag nur akzeptiert, wenn der zuerst gestellte Antrag zurückgenommen wird3.

7.415

Das EU-SBG hingegen stellt in § 4 Abs. 4 EU-DBA-SBG klar, dass die Einreichung einer Streitbeilegungsbeschwerde alle anderen Verfahren nach DBA oder EU-Schiedskonvention beendet, die im Hinblick auf den jeweiligen Streitgegenstand anhängig sind. Außerdem sind auch zukünftige Verfahren im Zusammenhang mit dem Streitgegenstand ausgeschlossen4. Wie schon zuvor festgestellt, erfordert die Beantragung eines Verfahrens nach SBG mithin größte Sorgfalt, um nicht durch eine unzulässige nach dem SBG gestellte Beschwerde auch alle anderen, ggf. zulässigen und erfolgversprechenden Verfahren auszuschließen.

7.416

IV. Multilaterales Instrument Am 1.7.2018 trat das Multilaterale Instrument5 (MLI) in Kraft. Das MLI, eines der greifbaren Ergebnisse der BEPS-Arbeiten auf Ebene der OECD, etabliert eine Reihe neuer Standards im internationalen Steuerrecht6. Aufwendige und langwierige Neuverhandlung bestehender Abkommen sollen für die unter das MLI fallenden Abkommen verhindert werden, indem das MLI selbst bestehende Abkommen ändert, vgl. Art. 1 MLI. Teil des MLI ist auch die Einführung eines obligatorischen Schiedsverfahrens bzw. die Modifikation bereits bestehender Schiedsklauseln in bestehende Abkommen, vgl. Art. 19 ff. MLI.

7.417

Deutschland gehört zu den Unterzeichnerstaaten des MLI und hat das entsprechende Abkommen im Dezember 2020 ratifiziert7. In der Folge der Ratifikation werden eine Reihe von Schiedsklauseln in bestehende DBA eingefügt werden8.

7.418

1 Hendricks in Internationale Einkünfteabgrenzung, 121, 128 m.w.N. sowie S. 131 ff. zu der Frage, welche Risiken im Falle gleichzeitiger (abgestufter) Stellung von Anträgen nach beiden Rechtsgrundlagen entstehen können. 2 Rz. 10 Merkblatt 2021. 3 Rz. 9 Merkblatt 2021. 4 Vgl. auch die Gesetzesbegründung zu § 4, 3. Absatz, Drucks. 227/19. Zu den dennoch bestehenden Abgrenzungsfragen s. Jansen/Mammen, DStR 2020, 2020, 465, 470. 5 Mehrseitiges Übereinkommen zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Maßnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung. 6 Nürnberg, IWB 2018, 688. 7 BGBl. II 2020, Nr. 20 v. 27.11.2020, S. 946. 8 Für eine Übersicht zu den durch das MLI zu ändernden DBA s. Gradl/Kiesewetter, IStR 2018, 1 (10 f.), sowie Grotherr, RIW 2020, 473 (483).

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Kap. 7 Rz. 7.419 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

V. Vorabverständigungsverfahren (Advance Pricing Agreements – APA) 1. Einleitung 7.419

Präventiv kann der Steuerpflichtige im Rahmen eines Vorabverständigungsverfahrens (APAVerfahren) um Rechtssicherheit hinsichtlich der Behandlung bestimmter, grenzüberschreitender Sachverhalte und der Akzeptanz damit verbundener Verrechnungspreismethoden ersuchen1 und damit das Risiko einer doppelten Besteuerung für sein Unternehmen verringern. Die Einführung des § 89a AO ermöglicht für Anträge, die nach dem 8.6.2021 gestellt werden auch APAs für Sachverhalte, die keinen Bezug zu Verrechnungspreisen haben.

7.420

Neben dem Vorabverständigungsverfahren, das den Antrag des Steuerpflichtigen umfasst sowie das eigentliche, zwischenstaatliche Verfahren zwischen den beteiligten Staaten2, besteht das APA-Verfahren aus der Vorabzusage der Finanzverwaltung gegenüber dem Antragsteller, die die innerstaatliche Durchführung des APAs darstellt3.

2. Definition und Rechtsgrundlage 7.421

Unter APAs sind Vereinbarungen zwischen einem oder mehreren Steuerpflichtigen und einer oder mehrerer Steuerverwaltungen zur Festlegung einer dem Fremdvergleich entsprechenden Verrechnungspreismethode für Geschäftsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen in verschiedenen Staaten über einen bestimmten, zukünftigen Zeitraum zu verstehen4. Üblicherweise erstrecket sich die Laufzeit einer derartige Vereinbarung über einen Zeitraum zwischen drei und fünf Jahren5.

7.422

Die deutsche Finanzverwaltung bietet seit dem Jahr 2006 ein Programm zum Abschluss von Vorabverständigungsverfahren an6. Zuständige Behörde ist – wie auch für die Bearbeitung der reaktiven Instrumente – das Bundeszentralamt für Steuern7.

7.423

Die Rechtsgrundlage für den Abschluss von Vorabverständigungsverfahren findet sich in den jeweiligen DBA (Art. 25 OECD-MA) sowie (bislang) im APA-Merkblatt8, das den Verfahrensablauf regelt. Die Verwaltung legt sich im APA-Merkblatt nicht fest, auf welche Absätze des Art. 25 OECD-MA sie sich genau stützt; in der Literatur ist die exakte Grundlage innerhalb des Art. 25 OECD-MA daher umstritten9.

7.424

In seiner Sitzung vom 28.5.2021 hat der Bundesrat dem vom Bundestag in seiner Sitzung vom 5.5.2021 beschlossenen Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer (Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – AbzStEntModG) zugestimmt. Das Gesetz wurde am 2.6.2021 verkündet und enthält in Art. 6 nunmehr eine eigene gesetzliche Grundlage für den Abschluss von APA (§ 89a AO). Die Vor1 2 3 4 5 6

Greil/Greil, StuW 2015, 269 (270); Kramer, IStR 2007, 174 (175). Kramer, IStR 2007, 174 (176). Rz. 1.2 APA-Merkblatt. Rz. 3.8 APA-Merkblatt. Vor dem Jahr 2006 erfolgte eine Mitwirkung an verbindlichen Vorwegauskünften ausländischer Finanzverwaltungen auf der Basis von Verwaltungserlassen, vgl. insoweit Grotherr, IStR 2005, 330 (353). 7 Rz. 1.2 APA-Merkblatt. 8 BMF, Schr. v. 5.10.2006 – IV B 4 - S 1341 - 38/06. 9 Vgl. zur Diskussion u.a. Vogel/Lehner/Ismer/Piotrowski, OECD-MA 2017 Art. 25 Rz. 369–371.

710 | Hilse

2021-10-28, 14:10, HB mittel

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.429 Kap. 7

schrift ist erstmals auf Anträge anzuwenden, die nach dem 8.6.2021 bei der zuständigen Behörde eingehen, § 34 EGAO. Mit der Neuregelung ist zudem der Anwendungsbereich generell auf Fragen außerhalb von Verrechnungspreissachverhalten erweitert worden1. Auf diesen neuen Anwendungsbereich soll hier aber nachfolgend nicht weiter eingegangen werden2. Gleichzeitig ist das APA-Merkblatt noch nicht aufgehoben. Es darf vermutet werden, dass dieses im Lichte sich nunmehr z.T. mit dem AbzStEntlModG widersprechender Regelungen angepasst oder aufgehoben werden muss.

7.425

3. Arten von APAs APAs können grundsätzlich unilateral, bilateral oder multilateral (letztere regelmäßig als Folge aufeinander abgestimmter bilateraler Vorabzusagen) durchgeführt werden.

7.426

Die deutsche Finanzverwaltung bietet regelmäßig nur den Abschluss bi- oder multilateraler APAs an. Nur in Ausnahmefällen (z.B., wenn kein entsprechendes DBA vorliegt, auf dessen Grundlage der Abschluss eines bilateralen APAs möglich wäre) ermöglicht auch die deutsche Finanzverwaltung den Abschluss eines unilateralen APAs (Rz. 1.2 APA-Merkblatt)3.

7.427

Aus Sicht eines Steuerpflichtigen, der in verschiedenen Staaten Rechtssicherheit für die steuerliche Behandlung von Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen (oder im Hinblick auf die Gewinnabgrenzung zwischen Betriebsstätten) sucht, die in eben diesen verschiedenen Staaten ansässig sind, wird ein bi- oder multilaterales Verfahren unabhängig von dieser Regelung üblicherweise der Vorrang einzuräumen sein; schließlich sind die im Rahmen einer unilateralen Zusage getroffenen Regelungen immer nur für die Finanzverwaltung des Staates bindend, der die Zusage erteilt hat.

7.428

4. APA-Verfahren a) Berechtigtes Interesse Das APA-Verfahren setzt ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Durchführung dieses Verfahrens voraus. § 89a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO präzisiert die Voraussetzung für die Annahme eines APA-Antrags durch die zuständige Behörde dahingehend, dass die Gefahr einer Doppelbesteuerung im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt bestehen muss. Gleichzeitig muss es wahrscheinlich sein, dass die Doppelbesteuerung durch das Verfahren vermieden und eine einheitliche Auslegung mit dem anderen Staat erreicht werden kann, § 89a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a und b AO. Im Grundsatz liegt die Entscheidung zur Annahme eines entsprechenden Antrags im ordnungsgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde4.

1 Vgl. Ditz/Bärsch/Engelen/Quilitzsch, DStR 2020, 73 (80). 2 Insbesondere im Hinblick auf mögliche Anträge natürlicher Personen wird sich die Frage stellen, ob und inwieweit andere Staaten diese Möglichkeit eröffnen (ggf. bereits eröffnet haben) oder anderweitig bereit sind, derartige Sachverhalte bi- oder multilateral zu verhandeln. Auch diese Verfahren lösen Gebühren aus, § 89a Abs. 7 Satz 6 AO. 3 Vgl. zum Vorgehen in anderen Staaten, die den Abschluss unilateraler APAs durchaus ermöglichen, u. a. Kühn/Lorenz, IStR 2019, 893 ff.; van der Ham/Bühl, IWB Nr. 17 v. 13.9.2019, 691 ff. 4 Rz. 3.9 APA-Merkblatt mit Anhaltspunkten für die Ermessensabwägung der Verwaltung.

Hilse | 711

2021-11-04, 08:24, HB mittel

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7.429

Kap. 7 Rz. 7.430 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

b) Vorgespräch

7.430

Vor Antragstellung eröffnet die Finanzverwaltung dem Steuerpflichtige die Möglichkeit, ein sog. Prefiling-Meeting in Anspruch zu nehmen. Dieses gibt dem Steuerpflichtigen die Gelegenheit, den dem Antrag zugrunde liegenden Sachverhalt und die beabsichtigte Verrechnungspreismethode den Vertretern der Finanzverwaltung vorzustellen. Ist der Steuerpflichtige unsicher, ob er den APA-Antrag später tatsächlich stellen möchte oder befürchtet er, der Antrag könne – z.B. mangels berechtigten Interesses – abgelehnt werden und möchte er daher noch nicht zu viele Informationen über seine steuerlichen und tatsächlichen Verhältnisse preisgeben, die in einem späteren Verfahren von der Finanzverwaltung verwendet werden könnten, besteht die Möglichkeit, das Verfahren auf anonymer Basis durchzuführen1.

7.431

Das APA-Verfahren kann vom Steuerpflichtigen jederzeit auch ohne ein Prefiling-Meeting beim Bundeszentralamt für Steuern als zuständiger Behörde beantragt werden. c) Stellung des Antragstellers im Verfahren

7.432

Der Steuerpflichtige ist lediglich an diesem Antrag beteiligt sowie an der Vorabzusage2, nicht jedoch am APA-Verfahren selbst3.

7.433

Diese Regelung ist gelegentlich Auslöser für Kritik an einer (vermeintlichen) Intransparenz des APA-Verfahrens. Diesem Einwand ist jedoch entgegenzuhalten, dass in der Praxis zwar grundsätzlich kein Anspruch des Steuerpflichtigen besteht, aktiv an den Verhandlungen teilzunehmen. Insgesamt handelt es sich bei einem APA-Verfahen jedoch um ein kooperatives Verfahren, dass Der Antragsteller kann sich zudem regelmäßig nach dem Stand des Verfahrens erkundigen und wird – insbesondere, wenn eine Abweichung vom Antrag beabsichtigt ist – hierzu im Zweifel zu seiner Auffassung befragt werden. d) Inhalt des Antrags und Laufzeit des APA

7.434

Der Antragsteller ist grundsätzlich frei in der Bestimmung des sachlichen Inhalts und der angestrebten Laufzeit des APA-Antrags. § 89a Abs. 2 AO und das APA-Merkblatt zählen jedoch – teilweise in Abhängigkeit der Transaktionen, die von dem APA erfasst werden sollen – eine Reihe von Unterlagen und Angaben auf, die im Antrag enthalten sein sollen bzw. nach dem Gesetzeswortlaut, im Antrag enthalten sein müssen. Diese beinhalten neben Beteiligungsverhältnissen und Organisationsstrukturen und dem ökonomischen Umfeld insbesondere eine detaillierte Auseinandersetzung mit und Dokumentation der Funktionen und Risiken, der Benennung aller offenen Steuerfragen sowie der Begründung der angestrebten Verrechnungspreismethode (vgl. Rz. 3.4–3.6 des Merkblatts).

7.435

Gegenstand des Antrags war bisher die Festlegung einer Verrechnungspreismethode (und regelmäßig nicht eines festgelegten Verrechnungspreises) für die vom Antragsteller formulierte (n) Transaktion(en). In den meisten Verfahren wird es voraussichtlich auch nach Einführung des § 89a AO bei diesem Antragsgegenstand bleiben. Neu ist nunmehr, dass auch für Sachverhalte ein APA beantragt werden kann, das keine Verrechnungspreise zum Gegenstand hat.

1 Vgl. Rz. 2.2 APA-Merkblatt. 2 Mit dem neu eingeführten § 89a AO scheint eine Vorabzusage nicht mehr erforderlich zu sein. 3 Rz. 4.2 APA-Merkblatt.

712 | Hilse

2021-10-28, 14:10, HB mittel

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.438 Kap. 7

Hinsichtlich der Laufzeit der Einigung werden regelmäßig drei bis fünf Jahre angestrebt. Die Neuregelung des § 89a Abs. 1 Satz 1 AO stellt klar, dass ein Zeitraum von fünf Jahren regelmäßig nicht überschritten werden soll. Der Beginn des APAs hängt davon ab, wann es beantragt wird1. Dabei sind insbesondere auch die Regeln in den betroffenen anderen Staaten zu beachten.

7.436

e) Kosten – Antragsgebühr, Änderungsgebühr und Renewal Die Stellung eines Antrags löst in Deutschland auch nach der Neuregelung durch § 89a AO weiterhin Gebühren aus. Die Regelgebühr betrug für Anträge, die bis zum 8.6.2021 eingegangen sind 20.000 €, § 178a Abs. 2 Satz 1 AO. Nach Wegfall des § 178a AO im Zuge des AbzStEntModG ist die Regelung zu Gebühren nunmehr in § 89a Abs. 7 AO aufgenommen und die Gebühr für einen neuen Antrag, der Verrechnungspreissachverhalte zum Gegenstand hat, in diesem Zusammenhang auf 30.000 € angehoben worden. Sie kann weiterhin grds. nicht erstattet werden, § 89a Abs. 8 Satz 2 AO (§ 178a Abs. 5 AO in der bis zum 8.6.2021 anwendbaren Fassung; zu der nunmehr eingefügten möglichen Ausnahme bei Rücknahme vor Bekanntgabe der Gebührenfestsetzung, Rz. 7.441). Es besteht mithin das Risiko – neben den allfälligen Kosten, die unternehmensintern für die Bearbeitung eines APA-Verfahrens anfallen (z.B. Bindung von Personal bei der Erstellung und Dokumentation des Antrags, Beraterhonorare etc.2) – dass die Gebühr „verloren“ geht, wenn sich die beteiligten zuständigen Behörden nicht auf ein APA einigen können oder eine der zuständigen Behörden im Rahmen ihres Ermessens einen Antrag nicht weiterverfolgt3. Die Kosten eines APA-Verfahrens, einschließlich der Gebühren nach § 178a AO a.F. bzw. nunmehr § 89a Abs. 7 AO, stellen einen weiteren in der Literatur wiederholt thematisierten Kritikpunkt dar4. Dabei sind auch die ggf. von der jeweiligen ausländischen Finanzverwaltung erhobenen Gebühren zu berücksichtigen, die durchaus höher sein können, als die in Deutschland für das Verfahren festzusetzende Gebühr5. Der Steuerpflichtige wird die beim APA-Verfahren erwarteten Kosten im Hinblick auf die begehrte Rechtssicherheit abwiegen müssen6. Dabei kann das APA-Verfahren durchaus auch langwierig sein – es erstreckt sich durchschnittlich über mehrere Jahre7 – gleiches kann jedoch auch für Verständigungsverfahren oder Rechtsbehelfs- und nicht zuletzt für Gerichtsverfahren angeführt werden. Außerdem ist die Möglichkeit des „renewals“, einer Fortschreibung des APAs für anschließende Jahre in Betracht zu ziehen (vgl. § 89a Abs. 6 Satz 1 AO).

7.437

Ändert der Steuerpflichtige seinen Antrag, wurden in der Vergangenheit regelmäßig in reduziertem Rahmen auch Gebühren fällig (10.000 €). In der Neuregelung des § 89a AO fällt be-

7.438

1 APA können nach dem Wortlaut des § 89a AO für „im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht verwirklichte Sachverhalte“ beantragt werden. Dies dürfte eine Einschränkung ggü. den bisher geltenden Regelungen darstellen, gleichwohl weiter zurückliegende Zeiträume ggf. über einen Rollback Berücksichtigung finden können, vgl. u.a. Flüchter, IStR 2021, 338 (340). 2 Loh/Peters, RIW 2007, 116 (119). 3 Nur in Ausnahmefällen sehen Doppelbsteuerungsabkommen bei gescheiterten APAs die Möglichkeit vor, ein Schiedsverfahren zu beantragen (insb. die DBA USA/Deutschland sowie Schweiz/ Deutschland). 4 Z.B. noch in der 6. Auflage Lehner in Vogel/Lehner, DBA6, Art. 25 OECD-MA Rz. 330. 5 Eine Übersicht über die Gebührenpflicht von APAs findet sich u.a. in den MAP-Country Profiles der OECD unter https://www.oecd.org/tax/dispute/country-map-profiles.htm. 6 Loh/Peters, RIW 2007, 116 (120). 7 Vgl. zu den durchschnittlichen Laufzeiten von APAs die jährlich vom JTPF veröffentlichten Statistiken, zuletzt für den Zeitraum 2019, https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/default/files/ apas_2019.docx.pdf.

Hilse | 713

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Kap. 7 Rz. 7.438 | Internationale Aspekte der Betriebsprüfung

sonders auf, dass diese keine Ausführungen zu Gebühren für Antragsänderungen enthält. Hieraus kann jedoch nicht unmittelbar der Umkehrschluss gezogen werden, dass Änderungen im laufenden APA-Verfahren nunmehr von Gebühren befreit sind – man wird sich hier womöglich eher auf den Standpunkt stellen, dass es sich bei jeder bisher als Änderungsantrag bezeichneter Verfahrenshandlung um einen „Antrag“ handelt, der wiederum eine volle Gebühr auslöst1. Der Antragsvorbereitung ist folglich größte Sorgfalt zu widmen, um unnötige Kosten im laufenden Verfahren zu vermeiden.

7.439

Die neugefasste Gebührenregelung enthält eine finanzielle Privilegierung (Reduktion der Gebühr um 75 %) für Sachverhalte, die bereits Gegenstand einer erfolgreichen koordinierten steuerlichen Außenprüfung waren und schafft damit einen Anreiz für Unternehmen, nachdem im Rahmen einer koordinierten Außenprüfung ein Sachverhalt übereinstimmend festgestellt und zu einer übereinstimmenden rechtlichen Würdigung geführt hat, dieses Ergebnis für die Zukunft abzusichern, vgl. § 89a Abs. 7 Satz 7 AO.

7.440

Anträge, denen keine Verrechnungspreissachverhalte zugrunde liegen, unterliegen ebenfalls einem reduzierten Gebührenregime (vgl. § 89a Abs. 7 Satz 6 AO).

7.441

Der Steuerpflichtige kann seinen Antrag auch jederzeit zurücknehmen; eine Erstattung der Gebühren ist jedoch in diesem Fall wie auch grundsätzlich in allen anderen Fällen (Ablehnung des Antrags oder Scheitern der Verhandlungen) grundsätzlich ausgeschlossen, sieht man von der neu eingeführten Möglichkeit des § 89a Abs. 8 Satz 1 AO ab; diese Norm sieht vor, dass von einer Gebührenfestsetzung abgesehen werden kann, wenn der Antrag vor Bekanntgabe der Gebührenfestsetzung zurückgenommen wird. Dabei handelt es sich dem Wortlaut nach um eine Ermessensvorschrift.

7.442

Die vom Steuerpflichtigen begehrte Verrechnungspreismethode kann unter Umständen auch auf vergangene Jahre zurückbezogen werden (§ 89a Abs. 6 Satz 2 AO), wenn der Sachverhalt in diesen Jahren nachweislich mit dem APA-Zeitraum übereinstimmt. In diesen Fällen spricht man von einem „Rollback“. Die deutsche Finanzverwaltung bietet eine derartige Option an. Auf diesem Wege können bestehende Unsicherheiten des im Unternehmen verwendeten Verrechnungspreissystems auch für bereits abgelaufene Steuerjahre ausgeräumt werden. Es ist jedoch zu beachten, dass nicht alle Staaten ein Rollback zulassen2. f) Gültigkeitsbedingungen und Jahresbericht

7.443

Hierzu gehören auch Gültigkeitsbedingungen („critical assumptions“), die während der Laufzeit des APAs zu beachten sind. Das APA-Merkblatt formuliert eine Reihe möglicher Gültigkeitsbedingungen, ohne dass die Aufzählung abschließenden Charakter hat. Dabei soll insbesondere sichergestellt werden, dass sich die bei Abschluss des APAs für die kommenden Jahre unterstellte Ausgangslage nicht wesentlich verändert und insbesondere Beteiligungsverhältnisse, Funktionen und Risiken oder bestimmte wirtschaftliche Indikatoren nicht erheblich abweichen (Rz. 3.7 APA-Merkblatt). Wie die Finanzverwaltungen, so kann auch der Steuer1 Die Gesetzesbegründung der Norm trägt hier leider nicht direkt zur Klärung bei, vgl. Drucks. 19/ 27632 v. 17.3.2021, S. 85 ff. zu § 89a Abs. 7 AO, die den Hinweis enthält, § 89a AO entspräche „[…] weitestgehend dem derzeitigen § 178a AO […]“. 2 U.a. sehen Italien und Frankreich die Option eines Rollbacks in ihren jeweiligen APA-Programmen nicht vor, vgl. insoweit mit nützlichen Informationen zu den jeweiligen APA-Programmen und Vorgehen in Verständigungsverfahren die OECD MAP Country Profiles unter: https://www.oecd. org/tax/dispute/country-map-profiles.htm.

714 | Hilse

2021-10-28, 14:10, HB mittel

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C. Verständigungsverfahren | Rz. 7.447 Kap. 7

pflichtige selber in seinem Antrag Gültigkeitsbedingungen vorschlagen. Die Bedeutung klar formulierter Gültigkeitsbedingungen kann insbesondere in einem wirtschaftlich volatilen Umfeld nicht überschätzt werden, wie die Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009 und die wirtschaftlichen Verwerfungen im Rahmen der Corona-Pandemie gezeigt haben. In einem jährlich einzureichenden Bericht hat der Steuerpflichtige zu erklären, dass die Gültigkeitsbedingungen des APA eingehalten worden sind (Rz. 6.1 APA-Merkblatt). Sonst droht, abhängig von der Schwere des Verstoßes, im schlimmsten Fall der Widerruf der Vorabzusage (Rz. 6.5.2 APA-Merkblatt). Dies gilt auch bei Nichtabgabe des Jahresberichts.

7.444

Werden die in der Vorabverständigungsvereinbarung enthaltenen Bedingungen nicht oder nicht mehr erfüllt, ist die Finanzbehörde nicht mehr an ihre Zusage gebunden, § 89a Abs. 4 Nr. 1 AO.

7.445

g) Abschluss und Umsetzung Bei erfolgreichem Abschluss der APA-Verhandlungen wird ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den beteiligten Behörden geschlossen1. Dessen Wirksamwerden steht unter dem Vorbehalt, dass der Antragsteller der Vorabverständigungsvereinbarung zustimmt sowie den Verzicht auf Einsprüche gegen Bescheide erklärt, soweit diese die Vorabzusage zutreffend umsetzen, § 89a Abs. 3 Satz 1 ff. AO2. Die Umsetzung des zwischen den zuständigen Behörden vereinbarten APA-Vertrags erfolgt sodann im Rahmen einer verbindlichen Zusage durch die zuständige Landesfinanzbehörde, gegenüber der auch die entsprechenden Erklärungen abzugeben sind. Die Zusage bedarf eines gesonderten Antrags, der mit dem APA-Antrag gestellt werden kann3.

7.446

h) Automatischer Informationsaustausch Die EU-Amtshilferichtlinie sieht mit Wirkung vom 1.1.2017 einen automatischen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über „grenzüberschreitende Vorbescheide“ und „advance pricing agreements“ vor, vgl. Art. 3 Nr. 14, 15 und Art. 8a EUAHiRL. Dies eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, neben den von der übermittelten Behörde automatisch eingestellten Daten den Wortlaut des Vorabbescheids anzufordern, vgl. Art. 8a Abs. 10, Art. 5 EUAHiRL. Damit wird innerhalb der EU ein erhebliches Maß an Transparenz geschaffen, um ungerechtfertigte Steuervorteile für Unternehmen zu verhindern4.

1 2 3 4

Eine Musterformulierung eines APAs findet sich im Anhang zum APA-Merkblatt. Rz. 4.5, 4.6 APA-Merkblatt. Rz. 5.1, 2.3 APA-Merkblatt. Vgl. Mückl/München, BB 2015, 2775.

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7.447

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Kapitel 8 Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Passivierung von Rückstellungen für betriebsprüfungsbedingte Mehrsteuern I. Überblick über die bilanzielle Abbildung aus einer Betriebsprüfung resultierender Verpflichtungen . . . . II. Voraussetzungen der Passivierung einer Steuerrückstellung dem Grunde nach 1. Kriterien einer Rückstellung für betriebsprüfungsbedingte Mehrsteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Am Bilanzstichtag bestehende Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr a) Abgrenzung betrieblich veranlasster Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einbezug steuerlicher Nebenleistungen in den Rückstellungsbetrag . . . . . . . . . . . . . c) Zum Bilanzstichtag bestehende Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis aa) Rechtliche oder wirtschaftliche Verursachung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zeitpunkt der wirtschaftlichen Verursachung von Nachzahlungszinsen . . . . . . . . . . 3. Hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme aus dem Steuerschuldverhältnis a) Fälle einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme . . . . . . . . b) Fälle einer fehlenden hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme aa) Offensichtlich fehlerhafte Betriebsprüfungsfeststellung . . . . . . . . . . bb) Inanspruchnahme für hinterzogene Steuern . .

8.1

8.4

8.14

8.21 8.27

8.32

8.38

8.40

8.51 8.52

4. Zeitpunkt des bilanziellen Ausweises einer Steuerrückstellung a) Passivierung einer Rückstellung für betrieblich veranlasste Steuern im Jahr der wirtschaftlichen Verursachung aa) Handelsrechtlich maßgeblicher Zeitpunkt . . . 8.53 bb) Zeitpunkt der Passivierung einer Rückstellung in der steuerlichen Gewinnermittlung . . . . 8.59 b) Passivierung einer Rückstellung für hinterzogene Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.65 III. Bewertung von Steuerrückstellungen 1. Ermittlung der Höhe der voraussichtlich zu leistenden Steuerzahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.70 2. Ermittlung der Höhe der Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis a) Risikoadäquate Bandbreitenbewertung . . . . . . . . . . . . . . 8.72 b) Berücksichtigung kompensatorischer Effekte bei der Rückstellungsbewertung . . . 8.75 c) Auf- und Abzinsung von Rückstellungen für Steuerschulden . . . . . . . . . . . . . . . 8.80 3. Einbezug von Nachzahlungszinsen in den Rückstellungsansatz . 8.83 4. Bewertung der Rückstellung in der steuerlichen Gewinnermittlung a) Ansatz des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung ermittelten Rückstellungsbetrages . . . . . . . . . . . . . . . . 8.86 b) Voraussetzungen einer kompensatorischen Bewertung . 8.87 c) Keine Abzinsung verzinslicher Steuerschulden . . . . . 8.98 IV. Rückstellungen für nicht abzugsfähige Steuerzahlungen . . . . . . . . . . 8.99 C. Verminderung bzw. Auflösung einer Steuerrückstellung . . . . . . . . . 8.104

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Kap. 8 Rz. 8.1 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken D. Rückstellungen für Mitwirkungspflichten im Rahmen von Betriebsprüfungen I. Hintergrund von Rückstellungen für Mitwirkungspflichten . . . . . . . . II. Voraussetzungen der Passivierung einer Verbindlichkeitsrückstellung dem Grunde nach 1. Zum Bilanzstichtag bestehende öffentlich-rechtliche Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens der Verpflichtung zur Mitwirkung . . . . . . . . . III. Wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag . . .

8.105

8.108 8.113 8.118

IV. Hinreichende Konkretisierung und Sanktionsbewehrung der Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Höhe der zu passivierenden Rückstellung 1. Art der rückstellungsfähigen Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermittlung der Höhe des Rückstellungsansatzes a) Handelsrechtlicher Rückstellungsansatz . . . . . . . . . . b) Rückstellungsansatz im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung . . . . . . . 3. Zuführungen zu der Rückstellung unterliegen keinem steuerlichen Betriebsausgabenabzugsverbot .

8.122

8.129

8.134 8.136 8.138

Literatur: Atilgan, Die Bilanzierung von strittigen Steueransprüchen aus einer Außenprüfung, StB 2020, 293; Bongaerts/Zimmermann, Rückstellungen, in Prinz/Kanzler, Hdb. Bilanzsteuerrecht, Herne 2018; Briesemeister, Buchführung und Steuerbilanz, in Prinz/Kanzler, Hdb. Bilanzsteuerrecht, Herne 2018; Bierenstiel, Rückstellungen für nichtabziehbare Steuern und Aufwendungen, StBp 2014, 311; Drüen, Das finanzbehördliche Ermessen bei Andordnung einer Außenprüfung, AO-StB 2014, 343; Groß/Matheis/Lindgens, Rückstellungen für Kosten des Datenzugriffs der Finanzverwaltung, DStR 2003, 921; Hänsch, Bilanzierung von Mehr-/Mindersteuern aufgrund geänderter Rechtsauffassung – Rückgängigmachung einer Prüfungsfeststellung, NWB 2016, 725; Herzig/Liekenbrock, Bilanzierung von Steuerrückstellungen nach BilMoG und IDW RS HFA 34, DB 2013, 409; Hick, Anwendungsfragen des § 5 Abs. 4b EStG im Zusammenhang mit der Passivierung von Rückstellungen für Nachsorgeverpflichtungen, in Festheft für Prof. Dr. Ulrich Prinz, FR 2020, 604; Hoffmann, Betriebsprüfungsrisiko und Steuerstreitigkeiten, StuB 2016, 1; Kahle, Ausgewählte Fragen der Bilanzierung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten, DStZ 2017, 904; Kleine/Werner, Rückstellungen für Verwaltungskosten künftiger Betriebsprüfungen, DStR 2006, 1954; Kahle, Ausgewählte Fragen der Bilanzierung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten, DStZ 2017, 904; Langer, Zum Zeitpunkt der Rückstellung für Kosten der Mitwirkung und Verwaltung bei Betriebsprüfungen, FR 2008, 1007; Lewe/Peun, Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken nach BilMoG, DStR 2014, 1186; Madauß, Zeitpunkt der Berücksichtigung von Mehrsteuern aus einer Fahndungsprüfung für die strafrechtliche Verkürzungsberechnung, ZWH 2020, 245; Nettersheim, Zeitpunkt der Bildung von Steuerrückstellungen, EStB 2019, 293; Oser/Wirtz, Rückstellungsreport 2015: Darstellung ausgewählter Rückstellungssachverhalte, StuB 2016, 3; Pelka, Vollzugsdefizite im Steuerrecht aus Sicht des Steuerberaters, StuW 2005, 378; Pflaum, Wann sind Rückstellungen für Steuernachzahlungen zu bilden, StBp 2019, 176; Pfeifer/Hegemann, Die künftigen Vorteile bei der steuerlichen Rückstellungsbewertung, DStR 2014, 1070; Prinz, Steuerbilanzielle Rückstellungen, DB 2020, 10; Prinz/Keller, Kein steuerbilanzielles Ende von Restrukturierungsrückstellungen, DB 2015, 2224; Starke/Spies, Rückstellungen für Mitwirkungspflichten bei Betriebsprüfungen, GmbHR 2005, 1042; Zeidler/Mißbach, Rückstellungen für Kosten zukünftiger Betriebsprüfungen, NWB 2012, 3368.

A. Einführung 8.1

Mit einer steuerlichen Betriebsprüfung sind teilweise nicht nur hohe Steuernachzahlungen und Nachzahlungszinsen, sondern – in Abhängigkeit von der Dauer, Intensität und Komplexität der Prüfungssachverhalte – auch hohe interne und externe Kosten verbunden. Die Praxis 718 | Hick

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B. Passivierung von Rückstellungen für prüfungsbed. Mehrsteuern | Rz. 8.6 Kap. 8

steht daher regelmäßig zum Bilanzstichtag vor der Frage, ob und in welcher Höhe für aus einer Betriebsprüfung resultierende finanzielle Verpflichtungen, Rückstellungen für betriebsprüfungsbedingte Mehrsteuern sowie aus der Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen resultierende Verpflichtungen gebildet werden dürfen. Die besonderen Problemstellungen im Zusammenhang mit der Rückstellungsbildung für Betriebsprüfungs-Risiken sind v.a. auf die oft jahrelangen Unsicherheiten in Bezug auf die Höhe und den zeitlichen Anfall aus einer Betriebsprüfung resultierender finanzieller Verpflichtungen zurückzuführen.1 Dies gilt sowohl für die Handelsbilanz als auch für die steuerliche Gewinnermittlung, und zwar unabhängig von dem Charakter der zurückgestellten Steuerschuld als steuerlich abziehbare bzw. nicht abziehbare Betriebsausgabe. Im Zusammenhang mit dem Ausweis von Steuerrückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken geht es im Kern um die Frage, ob, in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt für aus der Betriebsprüfung resultierende Steuernachzahlungen Rückstellungen gebildet werden dürfen. Dabei stehen das bilanzielle Vollständigkeitsgebot, das Vorsichtsprinzip und das Imparitätsprinzip in einem Spannungsverhältnis. Im Hinblick auf den Verbindlichkeitsgrad der Verpflichtungen ist zudem zu klären, in welchen Fällen an Stelle einer Rückstellung der Ausweis einer Verbindlichkeit für Steuerschulden zu erfolgen hat.

8.2

Ein weiteres Themenfeld der Rückstellungen im Zusammengang mit Betriebsprüfungsrisiken betrifft die im Zusammenhang mit der Durchführung einer Betriebsprüfung anfallende Aufwendungen. Zu klären ist, ob und in welcher Höhe Aufwendungen des Steuerpflichtigen in eine Rückstellung eingestellt werden dürfen. Hier geht es v.a. um Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der gesetzlichen Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen im Rahmen einer Betriebsprüfung gemäß § 200 AO anfallen.

8.3

B. Passivierung von Rückstellungen für betriebsprüfungsbedingte Mehrsteuern I. Überblick über die bilanzielle Abbildung aus einer Betriebsprüfung resultierender Verpflichtungen Bei der Beurteilung, welche bilanziellen Folge aus einer Betriebsprüfung und den hieraus resultierenden finanziellen Risiken zu ziehen sind, stellt sich zunächst die Frage nach dem Verpflichtungsgrad aus einer Betriebsprüfung resultierender finanziellen Verpflichtungen. Konkret geht es darum, ob es sich dem Grunde und der Höhe nach um gewisse oder ungewisse Verbindlichkeiten handelt.

8.4

Gewisse Verbindlichkeiten (bspw. unzweifelhaft bestehende Steuerschulden) sind immer als Verbindlichkeit (§ 247 HGB) zu passivieren. Ungewisse Verbindlichkeiten (ungewisse Steuerschulden) sind hingegen als Rückstellung (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) zu passivieren. Sind die Voraussetzungen des § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB erfüllt, hat die Passivierung einer Rückstellung zu erfolgen. Ein handelsbilanzielles Wahlrecht besteht nicht.

8.5

Sowohl für Verbindlichkeiten als auch für Rückstellungen gilt, dass das Steuerrecht (die Vorschriften zur steuerlichen Gewinnermittlung) keine eigenständigen Ansatzvorschriften für

8.6

1 S. hierzu auch Prinz, Tagungsunterlage zum 72. Fachkongress der Steuerberater v. 4.11.2020, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts, S. 24 ff.

Hick | 719

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Kap. 8 Rz. 8.6 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

Verbindlichkeiten und Rückstellungen aufweist. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen für aus einer Betriebsprüfung resultierende finanzielle Verpflichtungen Verbindlichkeiten bzw. Rückstellungen zu passivieren sind, bestimmt sich daher (dem Grunde und der Höhe nach) nach den handelsrechtlichen Vorschriften.1

8.7

Bei Steuerpflichtigen, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften zur Buchführung verpflichtet sind, zählt die Passivierungspflicht für Verbindlichkeiten bzw. Verbindlichkeitsrückstellungen zu den GoB2, die über den Grundsatz der Maßgeblichkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 EStG) Eingang in die steuerliche Gewinnermittlung finden.3 Zu beachten sind im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung – in Ausfüllung des steuerlichen Bewertungsvorbehalts (§ 5 Abs. 6 EStG) – allerdings die aus § 6 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 3a EStG4 resultierenden steuerlichen Sonderregelungen zur Bewertung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen.

8.8

Steuerpflichtige, die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb und aus selbständiger Arbeit erzielen, sind gemäß § 4 Abs. 1 EStG zur steuerlichen Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich verpflichtet. Hier finden die handelsrechtlichen Grundsätze des § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB über § 141 Abs. 1 AO Eingang in die steuerliche Gewinnermittlung.5 Denn § 141 Abs. 1 AO ordnet die sinngemäße Anwendung der Grundsätze des § 247 HGB bzw. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB im Rahmen der eigenständigen Steuerbilanz an. Gemäß § 8 Abs. 1 KStG gilt dies auch für Körperschaften.

8.9

Die Unterscheidung zwischen Verbindlichkeiten und Rückstellungen ist im Zusammenhang mit Betriebsprüfungssachverhalten deshalb von Relevanz, weil sich Verbindlichkeiten und Rückstellungen hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme unterscheiden.

8.10

Verbindlichkeitsrückstellungen für Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind – anhand des Wahrscheinlichkeitsgrades der Inanspruchnahme – von Verbindlichkeiten für Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 247 HGB) abzugrenzen. Steht die Steuerschuld dem Grunde und der Höhe nach fest (etwa auf Grund eines bereits ergangenen Steuerbescheides6), ist für die aus der Betriebsprüfung resultierenden Verpflichtungen – an Stelle einer Verbindlichkeitsrückstellung für betrieblich veranlasste Steuerschulden7 – eine Steuerverbindlichkeit zu passivieren.8 Daher wird auch aus einer Steuerrückstellung mit Erhalt des Steuerbescheides eine Verbindlichkeit.9 Denn in einem solchen 1 Prinz, DB 2020, 10; Bongaerts/Zimmermann, Rz. 5520. 2 Vgl. nur BFH v. 3.2.1969 – GrS 2/68, BStBl. II 1969, 291; BFH v. 17.10.2013 – IV R 7/11, BStBl. II 2014, 302 = FR 2014, 236 m. Anm. Prinz. 3 S. hierzu u.a. BFH v. 27.11.1997 – IV R 95/96, BStBl. II 1998 375; BFH v. 20.12.2012 – III R 33/12, BStBl. 2013, 1035. 4 So hat der BFH am 20.11.2019 – XI R 46/17, FR 2020, 310 entschieden, dass ein unter Berücksichtigung von § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. a bis f EStG ermittelter Rückstellungsansatz den handelsbilanziellen Rückstellungsansatz nicht überschreiten darf und damit dem handelsbilanziellen Rückstellungsansatz die Funktion einer Obergrenze im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung i.S. einer „Mindestmaßgeblichkeit“ zukommt. S. hierzu auch Hick, Handelsblatt Steuerboard v. 3.3.2020. 5 Vgl. Briesemeister, Rz. 63. 6 Zu einem solchen Fall s. BFH v. 16.12.2009 – I R 43/08, BStBl. II 2012, 688. 7 Tiedchen in HHR, § 5 EStG Rz. 670. 8 Hoffmann, StuB 2016, 1; Winnefeld in Winnefeld (Hrsg.), Bilanzhandbuch, Rz. 1310; Bierenstiel, StBp 2014, 311. 9 Prinz, DB 2020, 10 (11).

720 | Hick

2021-10-28, 14:18, HB mittel

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B. Passivierung von Rückstellungen für prüfungsbed. Mehrsteuern | Rz. 8.13 Kap. 8

Fall handelt es sich bei der Zahlungsverpflichtung des Unternehmens um eine dem Grunde und der Höhe nach feststehende Leistungsverpflichtung.1 Dies gilt auch unabhängig davon, ob der Steuerbescheid im Rahmen eines Rechtbehelfsverfahrens angefochten wird. Beispiel: Im Rahmen einer Betriebsprüfung wird die Feststellung getroffen, dass ein Unternehmen an Dritte Zahlungen geleistet hat, die bislang nicht als Arbeitslohnzahlungen eingestuft worden sind. Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge sind nicht abgeführt worden.

8.11

Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge stellt eine dem Grunde und der Höhe nach sichere Verbindlichkeit dar, die mit der Lohnzahlung entsteht und deren Höhe sich nach der Höhe des gezahlten Arbeitslohns richtet. Eine Berücksichtigung dieser Verpflichtung hat durch den Ausweis einer Verbindlichkeit in dem Jahr zu erfolgen, in dem die Sozialversicherungsbeiträge entstanden sind.2

Steuerrückstellungen für betriebsprüfungsbedingte Mehrsteuern zeichnen sich dadurch aus, dass der aus der Betriebsprüfung resultierende Steueraufwand über den bislang passivierten Steueraufwand hinausgeht. Wobei zum Bilanzstichtag dem Grunde und der Höhe nach Ungewissheit über die tatsächlich anfallenden Steuerzahlungen besteht. Bei auf eine Betriebsprüfung zurückzuführende Steuerrückstellungen ist zu unterscheiden, ob die betriebsprüfungsbedingten Mehrsteuern und der daraus resultierende Rückstellungsbedarf auf durch den Steuerpflichtigen vorhersehbare oder nicht vorhersehbare Prüfungsfeststellungen zurückzuführen ist:

8.12

– Nicht vorhersehbaren Prüfungsfeststellungen liegen Sachverhalte zugrunde, in denen die Finanzverwaltung im Rahmen einer Betriebsprüfung zu einem Einzelsachverhalt eine von der Rechtsaufassung des Steuerpflichtigen abweichende rechtliche Beurteilung vertritt. Der Steuerpflichtige sieht sich in diesem Fall zukünftigen Steuerzahlungen (betriebsprüfungsbedingten Mehrsteuern) ausgesetzt, die – aus Sicht des Bilanzstichtages – weder dem Grunde noch der Höhe nach feststehen und die – auch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns – bei Aufstellung der Bilanz nicht vorhersehbar waren. Der Ausweis einer Verbindlichkeit für diese Verpflichtungen kommt auf Grund der dem Grunde und der Höhe nach bestehenden Ungewissheit nicht in Betracht; – Vorhersehbaren Prüfungsfeststellungen liegen Sachverhalte zugrunde, in denen der Steuerpflichtige – bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns – bei Aufstellung der Bilanz (bspw. auf Grund der veröffentlichten Verwaltungsauffassung) erkennen konnte, dass sich die Finanzverwaltung im Rahmen einer Betriebsprüfung der von dem Steuerpflichtigen vertretenen Rechtsauffassung nicht anschließen wird. Die Bedeutung der Unterscheidung zwischen den beiden Fallgruppen besteht darin, dass bei Steuerrückstellungen, denen – im Zeitpunkt der Aufstellung der Bilanz – nicht vorhersehbare Prüfungsfeststellungen zugrunde liegen, die von dem Steuerpflichtigen aufgestellte Bilanz richtig ist.3 Im Fall der vorhersehbaren Prüfungsfeststellungen dient die von dem Betriebsprüfer passivierte Steuerrückstellung hingegen der Beseitigung eines Bilanzierungsfehlers. Denn bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns hätte der Kaufmann die Steuerrückstellung selbst passivieren müssen (§ 249 i.V.m. § 252 Abs. 1 Nr. 4 und § 253 Abs. 1 HGB). Die Unterscheidung zwischen den beiden Fallgruppen ist für die Frage von Bedeutung, in welchem Veranlagungszeitraum die aus der Betriebsprüfung resultierende Steuerrückstellung in zeitlicher Hinsicht zu passivieren ist (s. hierzu nachfolgend Rz. 8.61). 1 Winnefeld in Winnefeld (Hrsg.), Bilanzhandbuch, Rz. 1310. 2 S. hierzu auch BFH v. 16.2.1996 – I R 73/95, BStBl. II 1996, 592. 3 So auch BFH v. 3.2.2010 – I R 21/06, BStBl. II 2010, 692.

Hick | 721

2021-10-28, 14:18, HB mittel

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8.13

Kap. 8 Rz. 8.14 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

II. Voraussetzungen der Passivierung einer Steuerrückstellung dem Grunde nach 1. Kriterien einer Rückstellung für betriebsprüfungsbedingte Mehrsteuern 8.14

Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zählen zu den sog. Außenverpflichtungen, die gegenüber Dritten bestehende Verpflichtungen abbilden.1 Ob dem Grunde nach die Voraussetzungen für die Passivierung einer Rückstellung für aus einer Betriebsprüfung resultierender Steuernachzahlungen (betriebsprüfungsbedingten Mehrsteuern) erfüllt sind, bestimmt sich danach, ob die Voraussetzungen einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten (§ 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) erfüllt sind. Diese Prüfung hat anhand der allgemeinen Grundsätze für den Ausweis einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu erfolgen.2 Gestützt auf die Rechtsprechung des BFH3 ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten dem Grunde nach zu passivieren (Bilanzierungspflicht), wenn – am Bilanzstichtag eine Verbindlichkeit gegenüber einem Dritten oder eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung besteht, – mit einer Inanspruchnahme ernsthaft zu rechnen ist und – die Verpflichtung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag verursacht ist.4

8.15

Zudem dürfen Rückstellungen nicht für Aufwendungen gebildet werden, die in künftigen Wirtschaftsjahren als Anschaffungs- oder Herstellungskosten für ein Wirtschaftsgut zu aktivieren sind (§ 5 Abs. 4b Satz 1 EStG).5

8.16

Rückstellungen für Steuerzahlungen zählen zu den Rückstellungen für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen, da die dem Unternehmen in steuerlicher Hinsicht obliegende Verpflichtung in den Steuergesetzen selbst angelegt ist.6

8.17

Hinsichtlich des Ausweises einer Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis als Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind die allgemeinen Kriterien für den Ausweis einer Verbindlichkeitsrückstellung dahingehend zu konkretisieren, dass – zum Bilanzstichtag eine aus den Steuergesetzen resultierende betrieblich veranlasste, aber ungewisse Verpflichtung für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr bestehen muss, – die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit besteht und – dass Unternehmen mit der Inanspruchnahme aus dieser Verpflichtung wahrscheinlich rechnen muss.

8.18

Die genannten Kriterien verdeutlichen, dass bei Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zwischen der Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit („Ungewissheit“ i.S.d. 1 Schubert in BeckBilanzkomm, § 249 HGB Rz. 24. 2 Hoffmann, StuB 2016, 1. 3 S. hierzu BFH v. 17.10.2013 – IV R 7/11, BStBl. II 2014, 302 m. Anm. Prinz, Rz. 23 sowie BFH v. 12.12.1991 – IV R 28/91, BStBl. II 1992, 600; BFH v. 9.11.2016 – I R 43/15, BStBl. II 2017; 379; BFH v. 30.11.2005 – I R 110/04, BStBl. II 2007, 251. 4 S. allerdings zur Uneinheitlichkeit und zum Meinungsspektrum bzgl. der Ansatzvoraussetzungen in Schrifttum und Rechtsprechung Meyering/Gröne in H/K/M/S2, § 249 HGB Rz. 31 m.w.N. 5 S. hierzu zuletzt Hick, FR 2020, 604 ff. 6 Schubert in BeckBilanzkomm, § 249 HGB Rz. 29.

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B. Passivierung von Rückstellungen für prüfungsbed. Mehrsteuern | Rz. 8.24 Kap. 8

§ 249 HGB) und der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme (aus der bestehenden Verpflichtung) zu unterscheiden ist. Dies ist dadurch begründet, dass die den beiden Voraussetzungen innewohnenden Risiken unterschiedlich hoch zu bewerten sein können.1 Die Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verpflichtung ist anhand der rechtlichen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage zu prüfen. Es geht also um die Frage, ob der von dem Steuerpflichtigen verwirklichte Sachverhalt die Voraussetzungen erfüllt, an den die Steuergesetze die Verpflichtung zur Entrichtung von Steuerzahlungen knüpfen. Das Ergebnis dieser Prüfung kann in der Feststellung bestehen, dass fraglich ist, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer steuerlichen Norm und damit die Verpflichtung zur Entrichtung von Steuerzahlungen überhaupt erfüllt sind. Bei dieser Prüfung geht es also um die Klärung der Frage, ob zum Bilanzstichtag überhaupt eine Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis besteht (hierzu nachfolgend Rz. 8.21 ff.).

8.19

Von der an die Entstehung der Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis anknüpfenden Verpflichtung ist zu unterscheiden, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Steuerpflichtige damit rechnen muss, aus der im Rahmen der sicheren oder wahrscheinlich bestehenden Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis tatsächlich in Anspruch genommen zu werden. Hierbei geht es also um die Frage der Aufgriffswahrscheinlichkeit eines Sachverhalts im Rahmen einer Betriebsprüfung (also um die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme; hierzu nachfolgend Rz. 8.40 ff.).

8.20

2. Am Bilanzstichtag bestehende Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr a) Abgrenzung betrieblich veranlasster Verpflichtungen Worin die aus den Steuergesetzen resultierende Verpflichtung des Unternehmens (also aus dem Steuerschuldverhältnis) bestehen kann, wird in § 37 AO definiert. Danach kann es sich um einen Steueranspruch, einen Haftungsanspruch oder Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO) für ein abgelaufenes Wirtschaftsjahr handeln.2

8.21

Die Passivierung von Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis als Rückstellung kommt nur für i.S.d. § 4 Abs. 4 EStG betrieblich veranlasste Verpflichtungen in Betracht.3 In der Praxis wird es sich bei den betrieblich veranlassten Verpflichtungen in der Regel um Verpflichtungen aus einem Steueranspruch handeln.

8.22

Hinsichtlich der betrieblich veranlassten Steuern ist zwischen den Steuern vom Einkommen, Steuern vom Ertrag und sonstigen Steuern zu unterscheiden. Bei den Steuern vom Einkommen bildet Hauptanwendungsfall die Passivierung einer Rückstellung für die Körperschaftund Gewerbesteuer, die unabhängig von ihrer Festsetzung nach Ablauf des Veranlagungsund Erhebungszeitraums (§ 30 KStG und § 18 GewStG) entsteht.

8.23

Bei einer Personengesellschaft zählt nur die Gewerbesteuer zu den betrieblich veranlassten Steuerschulden.4 Die von den Mitunternehmern auf ihren Gewinnanteil geschuldete Einkommen- oder Gewerbsteuer ist auf Ebene der Personengesellschaft hingegen nicht betrieblich

8.24

1 2 3 4

BFH v. 16.12.2014 – VIII R 45/12, BStBl. II 2015, 759. Klein15, § 37 AO Rz. 2. Schubert in BeckBilanzkomm, § 249 HGB Rz. 41. BFH v. 9.6.1999 – I R 64/92, BStBl. II 1999, 656.

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Kap. 8 Rz. 8.24 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

veranlasst. Zu den betrieblich veranlassten Steuern zählt zudem auch die von dem Unternehmen gemäß § 37b EStG und § 40 EStG geschuldete pauschale Lohnsteuer. Eine betriebliche Veranlassung ist zudem hinsichtlich der von dem Unternehmen abzuführenden Umsatzsteuer gegeben.

8.25

Eine betriebliche Veranlassung kann aber auch bei Steuerschulden gegeben sein, für die das Unternehmen als Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird (§ 37 Abs. 1, §§ 69 ff. AO).1 Bspw. im Rahmen der Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers gemäß § 42d Abs. 1 EStG2, der Haftung des Vergütungsschuldners gemäß § 50a Abs. 5 EStG oder der Haftung der Organgesellschaft gemäß § 73 AO für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft von Bedeutung ist.

8.26

In der Praxis seltener anzutreffen sind hingegen Steuerrückstellungen für die Verpflichtung zur Entrichtung betrieblich veranlasster Grunderwerbsteuer oder der Grundsteuer. b) Einbezug steuerlicher Nebenleistungen in den Rückstellungsbetrag

8.27

Zu der Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis kann auch die Verpflichtung zur Entrichtung steuerlicher Nebenleistungen i.S.d. § 3 Abs. 4 AO zählen.3 Gemäß dem Grundsatz der Einzelbewertung (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB) sind Schulden eigenständig zu bewerten. Hieraus folgt, dass eigenständig zu prüfen ist, ob und gegebenfalls ab wann in Bezug auf steuerliche Nebenleistungen – für Zeiträume vor ihrer behördlichen Festsetzung – Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden sind.4 Dies bedeutet, dass die Passivierungsvoraussetzungen für steuerliche Nebenleistungen eigenständig und unabhängig von den Voraussetzungen der zugrunde liegenden Steuerschuld vorliegen müssen. Dies gilt auch für das Kriterium der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme und der wirtschaftlichen Verursachung der Verpflichtung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag.5

8.28

Von den in § 3 Abs. 4 AO aufgeführten Nebenleistungen ist für die Praxis v.a. die Verpflichtung zur Entrichtung von Zinsen sowie von Verspätungs- und Säumniszuschlägen von Relevanz. Hinsichtlich des bilanziellen Ausweises ist wie folgt zu unterscheiden:

8.29

Steuerliche Nebenleistungen zu ungewissen Steuerschulden in Form von Verspätungs- und Säumniszuschlägen sind unter den sonstigen Rückstellungen und nicht unter den Steuerrückstellungen auszuweisen. Steht die Verpflichtung zur Zahlung steuerlicher Nebenleistungen dem Grunde und der Höhe nach fest, hat ein Ausweis unter den sonstigen Verbindlichkeiten zu erfolgen.6

8.30

Der Zinslauf für auf Grund einer Betriebsprüfung festgesetzte Mehrsteuern (Steuernachzahlungen) beginnt gemäß § 233a Abs. 1 Satz 1 AO 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Hinsichtlich der auf die Steuerschuld bis zum voraussichtlichen Erfüllungszeitpunkt entfallenden Nachzahlungszinsen nach §§ 233a, 238 AO geht die 1 Schubert in BeckBilanzkomm, § 266 HGB Rz. 201. A.A. Bongaerts/Zimmermann, Rz. 5786, die bei Haftungsschulden für einen Ausweis unter den sonstigen Rückstellungen eintreten. 2 BFH v. 16.2.1996 – I R 73/95, BStBl. II 1996, 592. 3 So auch IDW RS HFA 34, FN-IDW 2013, 53 ff.; BayLfSt v. 10.3.2015 – S 2133.1.2011 - 7/5 St31, DStR 2015, 1752. 4 BFH v. 15.10.1997 – I R 16/97, BStBl. II 1998, 249. 5 FG Münster v. 20.8.2019 – 12 K 2903/15 G, F, EFG 2019, 1820. 6 Schubert in BeckBilanzkomm, § 249 HGB Rz. 45.

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B. Passivierung von Rückstellungen für prüfungsbed. Mehrsteuern | Rz. 8.34 Kap. 8

h.M.1 mit dem IDW2 davon aus, dass Nachzahlungszinsen – bei wirtschaftlicher Betrachtung – als „Preissteigerung“ einzustufen sind und somit in den Erfüllungsbetrag der Steuernachzahlung und damit dann auch in die Steuerrückstellung einzubeziehen sind. Die Abzinsung der Rückstellung hat dann nach Maßgabe des § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB (s. hierzu Rz. 8.80 ff.) zu erfolgen.3 Dies gilt auch für Zinsen, die erst nach dem Bilanzstichtag entstehen. Der IDW begründet diese Vorgehensweise damit, dass die rechtlich erst nach dem Bilanzstichtag entstehenden Nachzahlungszinsen bilanziell als Bestandteil der Steuerrückstellung zu behandeln sind.4 Gegen die Beurteilung des IDW lässt sich einwenden, dass Nachzahlungszinsen nicht auf dem gleichen Rechtsgrund beruhen wie die der Verzinsung zugrunde liegende ungewisse Steuerverbindlichkeit.5 Denn während die Verpflichtung zu Steuernachzahlungen auf der Verwirklichung von Tatbeständen der Steuergesetze beruht, liegen der Festsetzung von Nachzahlungszinsen die Vorschriften der Abgabenordnung zugrunde. Hinzukommt, dass es sich bei Nachzahlungszinsen um ein laufzeitabhängiges Entgelt für eine Kapitalüberlassung handelt. Preissteigerungen treten hingegen üblicherweise bei Sachleistungsverpflichtungen auf und sind v.a. auf die Inflation zurückzuführen. Andererseits spricht für den Einbezug der erst künftig entstehenden Nachzahlungszinsen in den Erfüllungsbetrag, dass die Nachzahlungszinsen durch die erwartete Steuernachzahlung begründet und damit wirtschaftlich auch bereits vor dem Abschlussstichtag angelegt sind.6 Hinzukommt, dass die Unsicherheit hinsichtlich der Höhe der anfallenden Nachzahlungszinsen ausschließlich in der Höhe der voraussichtlich anfallenden Steuernachzahlung begründet ist. Vor diesem Hintergrund geht auch der IDW davon aus, dass Nachzahlungszinsen bei wirtschaftlicher Betrachtung den Charakter von am Abschlussstichtag bereits angelegten Preissteigerungen der zugrunde liegenden ungewissen Steuerverbindlichkeit aufweisen.7

8.31

c) Zum Bilanzstichtag bestehende Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis aa) Rechtliche oder wirtschaftliche Verursachung Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB kommt eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten nur für Verpflichtungen des Unternehmens in Betracht, die in der Zeit vor dem Bilanzstichtag rechtlich wirksam entstanden oder wirtschaftlich verursacht sind. Es geht also um die Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Verbindlichkeit. Wirtschaftlich verursacht ist eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung nach gefestigter Rechtsprechung,

8.32

„Wenn sie so eng mit dem betrieblichen Geschehen des Wirtschaftsjahres verknüpft ist, dass es geboten ist, sie wirtschaftlich als Aufwand des jeweiligen Wirtschaftsjahres zu behandeln.“8

8.33

Diese Voraussetzung wird von der Rechtsprechung bereits dann als erfüllt angesehen, wenn die wesentlichen Tatbestandsmerkmale des die Verpflichtung auslösenden Tatbestands erfüllt

8.34

1 Schubert in BeckBilanzkomm, § 249 HGB Rz. 45 und § 266 HGB Rz. 201. 2 IDW RS HFA 34, FN-IDW 2013, Tz. 34. 3 Vertreten wird allerdings auch der Ausweis unter den sonstigen Rückstellungen s. Lewe, DStR 2014, 1189. 4 Zur Kritik s. Herzig/Liekenbrock, DB 2013, 409, 410. 5 Lewe/Peun, DStR 2014, 1186, 1188 so wohl auch Bongaerts/Zimmermann, Rz. 5786. 6 So auch Lewe/Peun, DStR 2014, 1186, 1188. 7 IDW RS HFA 34, FN-IDW 2013, Tz. 34. 8 BFH v. 17.10.2013 – IV R 7/11, BStBl. II 2014, 302 Rz. 23; BFH v. 12.12.1991 – IV R 28/91, BStBl. II 1992, 600.

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Kap. 8 Rz. 8.34 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

sind und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt.1

8.35

Hieraus folgt, dass nur die Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis rückstellungsfähig sind, die aus Sicht des jeweiligen Bilanzstichtages auf einem im abgelaufenen Wirtschaftsjahr rechtlich oder wirtschaftlich verwirklichten Tatbestand beruhen.

8.36

Beispiel: Ein Arbeitnehmer hat im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf die Zahlung von Arbeitslohn für den Monat Januar 2021 erlangt. Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Lohnzahlung für Januar 2021 findet ihren wesentlichen wirtschaftlichen Bezugspunkt in dem bereits (erfüllten) Arbeitsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis bildet den wirtschaftlichen Bezugspunkt für den Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung von Arbeitslohn und der hierdurch ausgelösten Verpflichtung des Arbeitgebers zur Abführung der darauf entfallenden Lohnsteuer.2

8.37

Im Hinblick auf die Komplexität der steuerlichen Vorschriften kann zum Bilanzstichtag allerdings zweifelhaft sein, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer steuerlichen Norm erfüllt sind. Hintergrund ist, dass die Komplexität des Steuerrechts häufig erhebliche Rechtsunsicherheiten zur Folge hat. Es ist daher eher der Regelfall als die Ausnahme, dass hinsichtlich der zutreffenden steuerlichen Behandlung eines Sachverhalts zwei Meinungen bestehen. Die bloße Möglichkeit einer zu Mehrsteuern führenden Feststellung der Betriebsprüfung rechtfertigt den Ausweis einer Steuerrückstellung hingegen nicht. Die überwiegenden Gründe (51 %) müssen für das Bestehen einer Verpflichtung sprechen.3 Zur Erhöhung der Rechtssicherheit der rechtlichen Beurteilung behilft sich die Praxis regelmäßig mit der Einholung einer steuerlichen Begutachtung eines in rechtlicher Hinsicht ggf. nicht abschließend geklärten Sachverhalts. bb) Zeitpunkt der wirtschaftlichen Verursachung von Nachzahlungszinsen

8.38

In Bezug auf Nachzahlungszinsen hat das Kriterium der wirtschaftlichen Verursachung der Verpflichtung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag zur Folge, dass eine Passivierung bereits zum Ende des Wirtschaftsjahrs – in dem die zugrunde liegende Steuer entstanden ist – ausgeschlossen ist.

8.39

Hintergrund ist, dass zu diesem Zeitpunkt keine Aussage darüber getroffen werden kann, ob, wann und in welcher Höhe zukünftig Nachzahlungszinsen gezahlt werden müssen. Denn die Entstehung und die Höhe von Nachzahlungszinsen hängt vom Zeitpunkt und Inhalt künftiger Steuerfestsetzungen ab, die zum Ende des Wirtschaftsjahres in dem die zugrunde liegende Steuer entstanden ist, noch nicht prognostizierbar sind.4 Zudem ist zu beachten, dass es sich bei Nachzahlungszinsen um Verbindlichkeiten handelt, die erst nach Ablauf des 15. Monats nach Ablauf des Kalenderjahrs entstehen, in dem die Steuer entstanden ist. In zeitlicher Hinsicht entsteht die Verpflichtung zur Entrichtung von Nachzahlungszinsen somit erst nach dem Bilanzstichtag des Wirtschaftsjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Somit kann die Verpflichtung zur Zahlung von Nachzahlungszinsen nicht schon vor diesem Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht sein. 1 S. hierzu BFH v. 8.9.2011 – IV R 5/09, BStBl. II 2012, 122 Rz. 30. 2 S. bspw. auch zur wirtschaftlichen Entstehung der Verpflichtung zur Beihilfegewährung BFH v. 30.1.2002 – I R 71/00, BStBl. II 2003, 279. 3 Weber-Grellet in Schmidt40, § 5 EStG Rz. 377. 4 So auch FG Münster v. 20.8.2019 – 12 K 2903/15 G, F, EFG 2019, 1820.

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B. Passivierung von Rückstellungen für prüfungsbed. Mehrsteuern | Rz. 8.45 Kap. 8

3. Hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme aus dem Steuerschuldverhältnis a) Fälle einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach – deren Höhe zudem ungewiss sein kann – sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag.

8.40

Aus Sicht des Bilanzstichtages muss zudem die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme des Unternehmens aus der im Rahmen des Steuerschuldverhältnisses begründeten Verpflichtung bestehen. Konkret geht es hierbei um die Frage, mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad die Betriebsprüfung tatsächlich zu einem Anfall von Steuernachzahlungen führen wird. Ob eine Inanspruchnahme aus der ungewissen Verbindlichkeit zu erwarten ist, richtet sich nach den Verhältnissen des Bilanzstichtages unter Berücksichtigung der bis zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bekannt werdenden wertaufhellenden Umstände.1

8.41

Dabei ist zu beachten, dass es nicht im Ermessen des Kaufmanns steht, ob er eine Belastung annimmt und dafür eine Rückstellung bildet. Eine solche – auf einer subjektiven Einschätzung beruhende Vorgehensweise – liefe dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zuwider. Deshalb muss das Vorhandensein der Belastung nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt werden.2

8.42

Nach der Rechtsprechung des BFH dürfen Rückstellungen wegen zivilrechtlicher Schadensersatzverpflichtungen und öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen erst gebildet werden, wenn derjenige, der Inhaber des gegen den Steuerpflichtigen gerichteten Anspruchs ist, von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis hat oder eine solche Kenntniserlangung unmittelbar bevorsteht, so dass eine Inanspruchnahme wahrscheinlich ist.3

8.43

Hieraus folgt, dass die Voraussetzungen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme nicht bereits dann erfüllt sind, wenn es einen Gläubiger gibt. Der Gläubiger muss auch von seinem Anspruch Kenntnis erlangt haben. Dabei folgt aus dem Vorsichtsprinzip, dass nicht nur die bestehende Kenntnis, sondern auch eine unmittelbar bevorstehende Kenntniserlangung des Gläubigers die Bildung einer Rückstellung rechtfertigt.4

8.44

Die Voraussetzungen für den Ausweis einer Steuerrückstellung sind daher dem Grunde nach erst dann erfüllt, wenn dem Unternehmer konkrete Hinweise vorliegen, dass die Betriebsprüfung – auf Grund einer von der bisherigen steuerlichen Veranlagung abweichenden Beurteilung durch die Finanzverwaltung – Steuernachzahlungen zur Folge haben könnte.5 Dies bedeutet, dass für die Rückstellungsbildung die Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inan-

8.45

1 BFH v. 22.8.2012 – X R 23/10, BStBl. II 2013, 76; BFH v. 2.10.1992 – III R 54/91, BStBl. II 1993, 153. 2 BFH v. 25.4.2006 – VIII R 40/04, BStBl. II 2006, 749. 3 BFH v. 22.8.2012 – X R 23/10, BStBl. II 2013, 76; BFH v. 27.11.2001 – VIII R 36/00, BStBl. II 2002, 731. 4 BFH v. 19.10.1993 – VIII R 14/92, BStBl. II 1993, 891 zu öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen; BFH v. 25.4.2006 – VIII R 40/04, 364, BStBl. II 2006, 749 zu einer zivilrechtlichen Schadensersatzverpflichtung. 5 BFH v. 12.5.2020 – XI B 59/19, BFH/NV 2020, 909.

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Kap. 8 Rz. 8.45 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

spruchnahme zu ermitteln ist. Ob eine Inanspruchnahme zu erwarten ist, richtet sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtages unter Berücksichtigung der bis zur Bilanzaufstellung bekannt werdenden wertaufhellenden Umstände.1

8.46

Hieraus folgt: Solange ein bestimmter (erklärter) Sachverhalt von der Betriebsprüfung noch nicht aufgegriffen worden ist, kommt der Ausweis einer Rückstellung nicht in Betracht.2 Allein eine bestehende Unsicherheit hinsichtlich der steuerlichen Folgen eines bestimmten Sachverhalts rechtfertigt nicht bereits den Ausweis einer Rückstellung. Das Risiko, dass aus einem bestimmten Sachverhalt Steuernachzahlungen resultieren, muss daher konkret begründet und konkretisiert sein.3 Festzustellen ist damit aber auch, dass die allgemeine Erfahrung, dass im Rahmen einer Betriebsprüfung mit einer Festsetzung von Mehrsteuern zu rechnen ist, den Ausweis einer Rückstellung nicht rechtfertigt.4 Die Bildung einer allgemeinen Betriebsprüfungsrisiko-Steuerrückstellung ist nicht zulässig. Daher lässt sich auch allein mit einer unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Steuerfestsetzung der Ausweis einer Rückstellung nicht rechtfertigen. Gleiches gilt für eine ergangene Prüfungsanordnung. Auch das Bestehen einer zweiten (abweichenden) Meinung hinsichtlich der zutreffenden Behandlung eines Sachverhalts rechtfertigt die Passivierung einer Rückstellung nicht. Dies bedeutet, dass weder durch die Ankündigung einer Betriebsprüfung noch durch den Prüfungsbeginn der Ausweis einer Rückstellung gerechtfertigt ist. Den in den genannten Fällen fehlt es an dem Kriterium der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme des Unternehmens im Rahmen des Steuerschuldverhältnisses.

8.47

Nach der Rechtsprechung des BFH setzt der Ausweis einer Rückstellung voraus, dass der Steuerpflichtige auf Grund eines hinreichend konkretisierten Sachverhalts mit einer quantifizierbaren Steuernachforderung rechnen muss.5 Diese Voraussetzungen sind aber nur dann erfüllt, wenn der Prüfer gegenüber dem Steuerpflichtigen eine bestimmte Sachbehandlung beanstandet hat.6 Dem Steuerpflichtigen müssen also konkrete Hinweise vorliegen, dass die Betriebsprüfung Steuernachzahlungen zur Folge haben wird.

8.48

Bei dem zu fordernden konkreten Hinweis kann es sich bspw. um eine vorläufige Prüfungsfeststellung handeln. Ausreichend dürfte – bei entsprechender Dokumentation – auch eine Besprechung mit der Betriebsprüfung sein, in der die Betriebsprüfung eine von der bisherigen Behandlung abweichende Rechtsauffassung darlegt. Eine schriftliche Prüfungsfeststellung ist daher nicht zwingend.

8.49

Ein derart hinreichend konkretisierter Sachverhalt kann auch die Voraussetzungen einer wertaufhellenden Tatsache erfüllen.7 Diese Voraussetzungen sind bspw. dann erfüllt, wenn der Prüfer dem Steuerpflichtigen bereits vor dem Bilanzstichtag eine Prüfungsfeststellung mitgeteilt hat und die konkreten betragsmäßigen Auswirkungen dieser Feststellung erst nach dem Bilanzstichtag konkretisiert. 1 BFH v. 2.12.1992 – III R 54/91, BStBl. II 1993, 153; BFH v. 22.8.2012 – X R 23/10, BStBl. II 2013, 76. 2 Siehe auch Pflaum, StBp 2019, 176 (179); Weber-Grellet in Schmidt40, § 5 EStG Rz. 550; Kleine/ Werner, DStR 2006, 1954; Hoffmann, StuB 2016, 1 (2). 3 Allerdings wohl a.A. Schubert in BeckBilanzkomm, § 249 HGB Rz. 100 wonach das bereits erfahrungsgemäß bestehende Risiko, dass das Unternehmen aufgrund einer steuerlichen Betriebsprüfung in Anspruch genommen wird, durch die Bildung einer Rückstellung zu berücksichtigen ist. 4 BFH v. 13.1.1966 – IV 51/62, BStBl. II 1966, 189. Ebenso H 4.9 EStR. 5 BFH v. 27.11.2001 – VIII R 36/00, BStBl. II 2002, 731; BFH v. 16.2.1996 – I R 73/95, BStBl. II 1996, 592. 6 S. hierzu auch Hänsch, NWB 2016, 725, 727. 7 S. hierzu allgemein Redding in Kirchhof/Seer, § 5 EStG Rz. 47.

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B. Passivierung von Rückstellungen für prüfungsbed. Mehrsteuern | Rz. 8.53 Kap. 8 Beispiel: Ein Unternehmen erhält im Oktober 2020 eine Prüfungsanordnung für die Jahre 2016 – 2018. Die Betriebsprüfung beginnt im Dezember 2020 und soll bis April 2021 dauern. Dem Unternehmen ist bekannt, dass bei einem Sachverhalt des Jahres 2018 ein steuerliches Risiko i.H.v. € 500.000 besteht. Der Betriebsprüfer greift den Sachverhalt im April 2021 durch eine entsprechende Prüfungsfeststellung auf. Die auf Grund der Betriebsprüfung geänderten Steuerbescheide ergehen im September 2021.

8.50

Zum 31.12.2020 kann das Unternehmen noch keine Rückstellung für die aus dem Sachverhalt des Jahres 2018 resultierenden Mehrsteuern bilden. Die Bildung einer Rückstellung kommt erst zum 31.12.2021 in Betracht.

b) Fälle einer fehlenden hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme aa) Offensichtlich fehlerhafte Betriebsprüfungsfeststellung Die Voraussetzung für die Passivierung einer Rückstellung für betriebsprüfungsbedingte Mehrsteuern sind bei einer fehlenden Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme nicht erfüllt. Dies ist bei bereits vorliegenden Feststellungen der Betriebsprüfung dann der Fall, wenn eine Betriebsprüfungsfeststellung offensichtlich fehlerhaft ist und eine Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen somit mit einer ganz überwiegenden Wahrscheinlichkeit (> 51 %) ausscheidet. Voraussetzung ist, dass der Steuerpflichtige damit rechnen kann, im Rahmen eines Rechtbehelfsverfahrens – mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit – eine Aufhebung der betriebsprüfungsbedingten Steuerfestsetzung erreichen zu können.1 Dies ist letztlich eine Frage der Bewertung des Einzelfalls.2 Zu Dokumentationszwecken sollte die getroffene rechtliche Einschätzung durch eine entsprechende Begutachtung abgesichert werden. Zudem ist zu prüfen, ob der Verzicht auf die Passivierung der Steuerrückstellung gemäß § 283 Nr. 3 HGB im Anhang zu erläutern ist.3

8.51

bb) Inanspruchnahme für hinterzogene Steuern Bei Verpflichtungen, die aus Straftaten resultieren, entsteht die Verbindlichkeit nach den maßgebenden zivil- oder öffentlich-rechtlichen Grundsätzen bereits mit Begehung der Tat. Solange der Steuerpflichtige aber davon ausgehen kann, dass die Tat unentdeckt bleibt, stellt die Verbindlichkeit für ihn keine wirtschaftliche Belastung dar.4 Es fehlt somit an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme. Die Voraussetzungen für die Passivierung einer Rückstellung sind nicht erfüllt.5

8.52

4. Zeitpunkt des bilanziellen Ausweises einer Steuerrückstellung a) Passivierung einer Rückstellung für betrieblich veranlasste Steuern im Jahr der wirtschaftlichen Verursachung aa) Handelsrechtlich maßgeblicher Zeitpunkt Im Grundsatz gilt, dass betrieblich veranlasste Steuern als Aufwand in dem Wirtschaftsjahr zu erfassen sind, dem sie wirtschaftlich zuzuordnen sind. Dies gilt auch Steuerzahlungen, die 1 Schubert in BeckBilanzkomm, § 249 HGB Rz. 43; Atilgan, StB 2020, 293 (296). 2 S. hierzu auch Prinz, 72. Fachkongress der Steuerberater v. 4.11.2020, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts, S. 30. 3 Schubert in BeckBilanzkomm, § 253 HGB Rz. 155. 4 BFH v. 3.7.1991 – X R 163, BStBl. II 1991, 802; BFH v. 2.10.1992 – III R 54/91, BStBl. II 1993, 153. 5 BFH v. 12.5.2020 – XI B 59/19, BFH/NV 2020, 909.

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8.53

Kap. 8 Rz. 8.53 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

aus einer nach Ablauf des Wirtschaftsjahres durchgeführten Betriebsprüfung resultieren. Hieraus folgt, dass der Ausweis einer Steuerrückstellung zwingend in dem Wirtschaftsjahr zu erfolgen hat, zu dem die Mehrsteuern wirtschaftlich gehören.1

8.54

Es stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bislang nicht passivierte Steuerrückstellung in dem Jahr der wirtschaftlichen Veranlassung nachträglich passiviert werden kann. Handelsrechtlich würde der Ansatz einer bislang nicht passivierten Steuerrückstellung eine Bilanzänderung voraussetzen. Gesetzliche Vorschriften zu den Voraussetzungen einer Bilanzänderung weist das HGB nicht auf.2 Unter einer handelsrechtlichen Bilanzänderung ist jede Änderung von Form und Inhalt des festgestellten Jahresabschlusses zu verstehen, sofern es sich nicht um Korrekturen von Schreibfehlern ohne inhaltliche Bedeutung handelt.3

8.55

Die Möglichkeit zu einer Änderung eines festgestellten Jahresabschlusses besteht ohne zeitliche Einschränkungen, wenn die Änderung aus gewichtigen rechtlichen, wirtschaftlichen oder steuerlichen Gründen oder bei Vorliegen werterhellender Erkenntnisse angebracht erscheint.4 Handelsrechtlich besteht damit ein Wahlrecht zur Rückwärtsberichtigung der Handelsbilanz. Bei Ausübung des Wahlrechts müssen wegen des Grundsatzes der Bilanzverknüpfung (§ 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB) dann auch alle folgenden Jahresabschlüsse geändert werden, auch wenn diese bereits festgestellt sind. In der Praxis wird die Ausübung des Wahlrechts zu einer Berichtigung allerdings regelmäßig unterbleiben, da bei prüfungspflichtigen Jahresabschlüssen durch einen berichtigten Jahresabschluss eine Nachtragsprüfung ausgelöst wird.5

8.56

Von der jederzeit möglichen Berichtigung fehlerhafter handelsrechtlicher Bilanzansätze im Wege der Ausübung eines Berichtigungswahlrechts sind die Fälle zu unterscheiden, in denen eine Verpflichtung zu einer Berichtigung besteht. Voraussetzung ist, dass der Fehler (also die nicht passivierte Steuerrückstellung) die Nichtigkeit des Jahresabschlusses zur Folge hat. Dies ist der Fall, wenn ohne Berichtigung ein nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermittelt würde und die Auswirkungen des Fehlers auf die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage nicht zeitnah im laufenden Jahresabschluss richtiggestellt werden können.6 Da nichtige Jahresabschlüsse grundsätzlich im Wege der Rückwärtsberichtigung durch zulässige ersetzt werden müssen, liegt in einem solchen Fall im Grunde keine Berichtigung einer Bilanz vor. Die nichtige Bilanz wird vielmehr durch eine zutreffende ersetzt.

8.57

Eine Verpflichtung zur einer Rückwärtsberichtigung besteht demnach nur dann, wenn die Bilanz fehlerhaft ist und der Fehler auch nicht zeitnah im laufenden Jahresabschluss richtiggestellt werden kann.

8.58

Hinsichtlich des Kriteriums der Fehlerhaftigkeit eines Jahresabschlusses ist zu beachten, dass ein Jahresabschluss nur dann fehlerhaft ist, wenn der Fehler im Zeitpunkt der Feststellung des Jahresabschlusses erkennbar gewesen wäre. Dies setzt voraus, dass bereits im Zeit1 Schiffers/Strahl/Fuhrmann/Veit in Korn, § 5 EStG Rz. 30; BFH v. 3.12.1969, BStBl. II 1970, 229. 2 Sigloch/Keller/Meffert in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbH-Gesetz, Anh. §§ 41–42a Rechnungslegung der GmbH, Rz. 171. 3 Zwirner/Heyd in Beck’sches Steuerberater-Handbuch 2019/2020, ABC der Buchführung, Bilanzierung und Bewertung, Rz. 39. 4 IDW, FS HFA 6, IDW-FN. 2007, 265, Rz. 15. 5 Zwirner/Heyd in Beck’sches Steuerberater-Handbuch 2019/2020, ABC der Buchführung, Bilanzierung und Bewertung, Rz. 808. 6 Schubert in BeckBilanzkomm, § 253 HGB Rz. 806.

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B. Passivierung von Rückstellungen für prüfungsbed. Mehrsteuern | Rz. 8.61 Kap. 8

punkt der Feststellung des Jahresabschlusses die Pflicht zur Passivierung einer Steuerrückstellung – mit Auswirkungen auf die Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage – hätte erkennbar sein müssen. Noch vor Feststellung des Jahresabschlusses müssten dem Unternehmer konkrete Hinweise vorliegen, dass die Betriebsprüfung – auf Grund einer von der bisherigen steuerlichen Veranlagung abweichenden Beurteilung – Steuernachzahlungen zur Folge haben könnte. Zudem muss eine Beseitigung des Fehlers durch die Richtigstellung (also den Ausweis der Steuerrückstellung) in laufender Rechnung ausgeschlossen sein. In der Praxis sind diese Voraussetzungen in der Regel nicht erfüllt, so dass eine Rückwärtsberichtigung unterbleibt und die Passivierung der Rückstellung im laufenden Geschäftsjahr erfolgt.1 bb) Zeitpunkt der Passivierung einer Rückstellung in der steuerlichen Gewinnermittlung Hinsichtlich des Zeitbezugs der Rückstellungspassivierung in der steuerlichen Gewinnermittlung tritt die Finanzverwaltung dafür ein, dass der Ausweis einer Steuerrückstellung in der Steuerbilanz – mit Ausnahme von Mehrsteuern auf Grund einer Steuerfahndungsprüfung – grundsätzlich rückwirkend in dem Jahr zu erfolgen hat, in dem die Steuern wirtschaftlich entstanden sind. Die Finanzverwaltung tritt damit für eine Rückstellungspassivierung in dem Wirtschaftsjahr ein, in dem die Steuer tatbestandlich entstanden ist.2 Praktisch erfolgt dies durch die Einstellung einer Rückstellung in die Prüferbilanz.3 Mit der Rückstellung sind auch Aufwendungen für steuerliche Nebenleistungen (v.a. für etwaige Zinsrisiken gemäß § 233a EStG) zu passivieren.4 Die Relevanz des Zeitpunktes der Passivierung einer Steuerrückstellung ergibt sich zudem daraus, dass hieraus Folgewirkungen für den Fall der späteren Rückgängigmachung der Prüfungsfeststellung resultieren (s. hierzu Rz. 8.104).

8.59

Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage des Zeitpunkts der Berücksichtigung von Mehrsteuern infolge einer Außenprüfung nicht einheitlich ausfällt.5 Abschließend geklärt ist die Rechtsfrage daher bislang nicht. Der BFH ist in der Vergangenheit sowohl für eine Berücksichtigung im Jahr der Kenntniserlangung des Steuerpflichtigen von den Mehrsteuern als auch für eine Passivierung zu Lasten des Jahres der Steuerentstehung eingetreten.

8.60

Der I. Senat des BFH hat in seinem Beschluss v. 16.12.20096 die Bildung einer Rückstellung im Jahr des Aufgriffs des steuerlichen Sachverhalts durch die Betriebsprüfung nicht beanstandet und hält eine Bilanzierung von Mehrsteuern aufgrund einer Betriebsprüfung im Jahr der Steuerentstehung nur dann für geboten, wenn der Steuerpflichtige bei Aufstellung der Bi-

8.61

1 Hoffmann, StuB 2016, 1, 2. 2 S. hierzu H 4.9 EStH; OFD NRW, Vfg. v. 22.8.2013 – S 2141 - 10 - St 222/St 221, zitiert nach juris; BayLfSt v. 10.3.2015 – S 2133.1.1. - 7/5 St 31, zitiert nach juris; gl.A. Schiffers/Strahl/Fuhrmann/ Veit in Korn, § 5 EStG Rz. 309; hierzu auch Nettersheim, EStB 2019, 293; krit. Hänsch, NWB 2016, 725 (726). 3 Eine im Rahmen einer Betriebsprüfung erstellte abweichende Steuerbilanz ist keine berichtigte Bilanz i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG. Der Steuerpflichtige ist nicht verpflichtet, auf Grund der abweichenden Prüferbilanz eine Bilanzberichtigung vorzunehmen. Vgl. Stapperfend in HHR, § 4 EStG Rz. 399. 4 S. hierzu Rz. 8.27; sowie OFD Frankfurt. v.12.7.2013 – S 2133 A – 21 St 210, zitiert nach juris; BayLfSt v. 10.3.2015 – S 2133.1.2011 - 7/5 St31, DStR 2015, 1752. 5 Für einen Überblick über die Rechtsprechung des BFH s. Pflaum, StBp 2019, 176, 177 sowie FG München v. 19.9.2019 – 7 K 621/16 (rkr.), EFG 2016, 1984. 6 BFH v. 16.12.2009 – I R 43/08, BStBl. II 2012, 688.

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Kap. 8 Rz. 8.61 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

lanz – unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns – mit der Entstehung der Mehrsteuern rechnen musste.1 Der III. Senat des BFH hat hingegen in der Entscheidung v. 15.3.20122 die Passivierung von Steuernachforderungen im Steuerentstehungsjahr und nicht erst im Jahr der Aufdeckung der Vorgänge durch die Betriebsprüfung als zutreffend eingestuft. Dies hat der III. Senat damit begründet, dass im Streitfall die von dem Steuerpflichtigen aufgestellten Bilanzen objektiv unrichtig waren.

8.62

Die Finanzverwaltung unterscheidet nicht, ob der zu passivierenden Rückstellung von dem Steuerpflichtigen vorhersehbare oder nicht vorhersehbare Prüfungsfeststellungen zugrunde liegen (zu der Unterscheidung zwischen den beiden Fallgruppen s. Rz. 8.61). Die überwiegenden Aspekte sprechen dafür, dass eine Rückstellung für Mehrsteuern aufgrund einer Betriebsprüfung – die auf eine von dem Steuerpflichtigen nicht vorhersehbare Prüfungsfeststellung zurückzuführen ist – zu dem Bilanzstichtag zu bilden ist, zu dem der Steuerpflichtige mit dem Aufgriff des zu Mehrsteuern führenden Sachverhalts rechnen muss (Rückstellungspassivierung im Wirtschaftsjahr des Aufgriff des Sachverhalts durch die Betriebsprüfung).3 Hierfür spricht, dass das Kriterium der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme“ für die Passivierung einer Verbindlichkeit aus einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung erfordert, dass der Steuerpflichtige durch die Verbindlichkeit wirtschaftlich belastet ist. Dies setzt voraus, dass der Gläubiger seinen Anspruch kennt und anzunehmen ist, dass er diesen auch durchsetzen wird. Diese Voraussetzungen sind frühestens im Zeitpunkt der Beanstandung einer bestimmten Sachbehandlung durch die Betriebsprüfung erfüllt.4 Denn erst durch die Maßnahmen im Rahmen der Betriebsprüfung erlangt das Finanzamt Kenntnis von dem zu Mehrsteuern führenden Sachverhalt. Im Jahr der Steuerentstehung sind diese Voraussetzungen hingegen noch nicht erfüllt.

8.63

Ist die Rückstellung für Mehrsteuern aufgrund einer Betriebsprüfung hingegen auf eine von dem Steuerpflichtigen vorhersehbare Prüfungsfeststellung zurückzuführen, dient die passivierte Rückstellung der Berichtigung eines Bilanzierungsfehlers. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige entgegen einer bekannten Verwaltungsauffassung handelt. Denn in diesem Fall muss der Steuerpflichtige im Rahmen einer Betriebsprüfung mit dem Aufgriff des Sachverhalts durch den Prüfer und mit der Festsetzung von Mehrsteuern rechnen. In einem solchen Fall ist die Rückstellung rückwirkend in dem Jahr zu passivieren, in dem die Steuern wirtschaftlich entstanden sind.5

8.64

Es hängt bei als Betriebsausgabe abzugsfähigen Steuern von den Umständen des Einzelfalls ab, ob die Rückstellungspassivierung im Wirtschaftsjahr der wirtschaftlichen Steuerentstehung gegenüber einer Rückstellungspassivierung im Wirtschaftsjahr des Aufgriff des Sachverhalts durch die Finanzverwaltung für den Steuerpflichtigen wirtschaftlich nachteilig ist. Für die Beurteilung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Varianten sind einerseits der Zinseffekt (§ 233a AO) und andererseits der Progressionseffekt zu berücksichtigen. Denn eine Rückstellungspassivierung im Wirtschaftsjahr des Aufgriff des Sachverhalts durch die Betriebsprüfung hat zur Folge, dass der Gesamtbetrag der Rückstellung in einem Wirtschaftsjahr 1 So auch Hänsch, NWB 2016, 725, 728. 2 BFH v. 15.3.2012 – III R 96/07, BStBl. II 2012, 719. 3 Vgl. BFH v. 16.12.2009 – I R 43/08, BStBl. II 2012, 688; FG Düsseldorf v. 29.8.2013 – 13 K 4451/ 11, EFG 2014, 253; Tiedchen in HHR, § 5 EStG Stichwort „Betriebsprüfung“; Hoffmann, StuB 2016, 1, 2; Hänsch, NWB 2016, 725, 728. 4 So auch FG Münster v. 20.8.2019 – 12 K 2903/15 G, F, EFG 2019, 1820. 5 So auch Hänsch, NWB 2016, 725 (727).

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B. Passivierung von Rückstellungen für prüfungsbed. Mehrsteuern | Rz. 8.68 Kap. 8

anfällt und Progressionseffekte, die möglicherweise aus einer Verteilung des Steueraufwandes (im Fall als Betriebsausgabe abzugsfähiger Steueraufwendungen) auf mehrere Wirtschaftsjahre resultieren, steuerlich nicht nutzbar sind. b) Passivierung einer Rückstellung für hinterzogene Steuern Eine Rückstellung für hinterzogene Steuern darf nach der Rechtsprechung frühestens zu dem Bilanzstichtag gebildet werden, zu dem der Steuerpflichtige mit der Aufdeckung der Hinterziehung rechnen muss.1 Die Finanzverwaltung hat sich dieser Beurteilung angeschlossen.2

8.65

Es stellt sich allerdings die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Steuerpflichtige mit einer Inanspruchnahme ernsthaft rechnen muss. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass sich die Bildung einer Rückstellung weder damit begründen lässt, dass der Steuerpflichtige selbst von der Steuerhinterziehung Kenntnis hat, noch damit, dass nach allgemeiner Erfahrung im Anschluss an Außen- und Fahndungsprüfungen häufig mit der Festsetzung von Mehrsteuern zu rechnen ist.3 Entscheidend ist, ab wann der Steuerpflichtige – auf Grund eines hinreichend konkretisierten Sachverhalts – ernsthaft mit einer quantifizierbaren Steuernachforderung rechnen muss. Dies ist frühestens dann der Fall, wenn der Prüfer eine bestimmte Sachbehandlung durch den Steuerpflichtigen beanstandet.4

8.66

Allerdings ist zu beachten, dass der Aufdeckung einer fehlerhaften Sachbehandlung des Steuerpflichtigen durch den Prüfer in der Regel sog. „aufdeckungsorientierte Maßnahmen“ vorausgehen. Bei den „aufdeckungsorientierten Maßnahmen“ handelt es sich um Handlungen des Prüfers, die auf die Aufdeckung einer fehlerhaften Sachbehandlung abzielen.

8.67

In der Praxis wird die Durchführung aufdeckungsorientierter Maßnahmen durch den Prüfer in zeitlicher Hinsicht regelmäßig mit der Beanstandung einer bestimmten Sachbehandlung durch den Prüfer zusammenfallen.5 Hiervon geht auch der BFH in der Entscheidung vom 22.8.20126 aus. Dass dies in der Praxis aber nicht immer der Fall ist, wird aus dem der BFH-Entscheidung vom 3.7.20187 zugrunde liegenden Sachverhalt deutlich. In diesem Fall betrug der Zeitraum zwischen den ersten aufdeckungsorientierten Maßnahmen und der abschließenden Würdigung des Sachverhalts durch den Prüfer ein Jahr. Dies bedeutet, dass zwischen den ersten aufdeckungsorientierten Maßnahmen und der konkreten Beanstandung eines Sachverhalts durch den Prüfer in der Praxis durchaus auch ein Bilanzstichtag liegen kann. Dies verdeutlicht, dass die Unterscheidung zwischen der Durchführung aufdeckungsorientierter Maßnahmen und der Beanstandung einer bestimmten Sachbehandlung durch den Prüfer von praktischer Relevanz sein kann.

8.68

1 Vgl. BFH v. 22.8.2012 – X R 23/10, BStBl. II 2013, 76. Dies gilt auch für die durch den Arbeitgeber als Haftungsschuldners nicht erfüllte Verpflichtung zur Abführung fälliger Lohnsteuer. Siehe hierzu BFH v. 16.2.1996 – I R 73/95, BStBl. II 1996, 592; BFH v. 15.3.2012 – III R 96/07, BStBl. II 2012, 719; so auch OFD NRW, Vfg. v. 22.8.2013 – S 2141 - 10 - St 222/St 221, zitiert nach juris; gl.A. Bierenstiel, StBp 2014, 311, 312. 2 S. hierzu H 4.9 EStH. 3 S. hierzu auch Madauß, ZWH 2020, 245 (246). 4 Vgl. BFH v. 12.5.2020 – XI B 59/19, BFH/NV 2020, 909; BFH v. 22.8.2012 – X R 23/10, BStBl. II 2013, 76; BFH v. 27.11.2001 – VIII R 36/00, BStBl. II 2002, 731; BFH v. 16.2.1996 – I R 73/95, BStBl. II 1996, 592. 5 S. Weber-Grellet in Schmidt40, § 5 EStG Rz. 550 „Betriebsprüfung“, der von einer Passivierungsverpflichtung bereits mit der Durchführung aufdeckungsorientierter Maßnahmen ausgeht. 6 BFH v. 22.8.2012 – X R 23/10, BStBl. II 2013, 76. 7 BFH v. 3.7.2018 – VIII R 9/16, BStBl. II 2019, 122.

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Kap. 8 Rz. 8.69 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

8.69

Ob ein Steuerpflichtiger bereits aufgrund aufdeckungsorientierter Maßnahmen damit rechnen muss, für die Steuerzahlungen in Anspruch genommen zu werden, hängt allerdings letztlich davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Maßnahmen tatsächlich zu einer Nachzahlung hinterzogener Steuern führen.1 Dies ist frühestens dann der Fall, wenn der Prüfer eine bestimmte Sachbehandlung beanstandet hat. Somit darf für Bilanzstichtage, die vor dem Zeitpunkt liegen, zu dem der Prüfer eine bestimmte Sachbehandlung beanstandet hat, noch keine Rückstellung gebildet werden; zu beachten sind allerdings die Grundsätze der Wertaufhellung bis zum Bilanzstichtag.2

III. Bewertung von Steuerrückstellungen 1. Ermittlung der Höhe der voraussichtlich zu leistenden Steuerzahlungen 8.70

Für die Ermittlung der Höhe der zu passivierenden Steuerrückstellung sind die allgemeinen Grundsätze für die Bewertung von Verbindlichkeitsrückstellungen zu beachten.3 Anzusetzen ist danach gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendige Erfüllungsbetrag.4 Bei dem Erfüllungsbetrag handelt es sich um den Betrag, der zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis voraussichtlich aufgewendet werden muss. Bei dem Erfüllungsbetrag handelt es sich also um den Nominalwert der erwarteten Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis. Eine erstmals gebildete Steuerrückstellung ist in der GuV (mit Ausnahme aus der Auf- und Abzinsung resultierender Zinseffekte) unter der Position Steuern vom Einkommen und Ertrag auszuweisen.5

8.71

Der Nominalwert der voraussichtlichen Zahlungsverpflichtungen ist gemäß § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB mit einem laufzeitkongruenten, durchschnittlichen Marktzinssatz der vergangenen sieben Jahre abzuzinsen, wenn die Steuerzahlung erst nach Ablauf eines Jahres zu erfüllen ist. Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von einem Jahr oder weniger dürfen nicht abgezinst werden.

2. Ermittlung der Höhe der Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis a) Risikoadäquate Bandbreitenbewertung

8.72

In dem Zeitpunkt, in dem erstmals die Voraussetzungen für die Passivierung einer Rückstellung dem Grunde nach erfüllt sind, besteht regelmäßig Unsicherheit hinsichtlich der Höhe der Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis. Der Wortlaut des § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB verlangt, dass der Schätzung der Rückstellungshöhe eine vernünftige kaufmännische Beurteilung zugrunde zu legen ist.6

8.73

Für die Praxis folgt hieraus, dass der durch eine Schätzung ermittelte Wert innerhalb einer plausiblen Bandbreite durch eine Schätzung gewonnener Werte liegen sollte.7 Bei der Abschätzung dieser Bandbreite sind sämtliche am Abschlussstichtag verfügbaren Informationen heranzuziehen. Die aus der Betriebsprüfung resultierenden Verpflichtungen dürfen daher nicht zu optimistisch aber auch nicht zu pessimistisch eingeschätzt werden.8 Der Höhe nach 1 2 3 4 5 6 7 8

So auch Pflaum, StBp 2019, 176, 179. BFH v. 22.8.2012 – X R 23/10, BStBl. II 2013, 76. Bongaerts/Zimmermann, Rz. 5789. S. hierzu Schubert in BeckBilanzkomm, § 249 HGB Rz. 100. IDW, RS HFA 34 Tz. 47. Schubert in BeckBilanzkomm, § 253 HGB Rz. 154. Zur Vorgehensweise bei der Ermittlung einer Bandbreite s. Atilgan, StB 2020, 293 (295). Schubert in BeckBilanzkomm, § 253 HGB Rz. 154.

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B. Passivierung von Rückstellungen für prüfungsbed. Mehrsteuern | Rz. 8.78 Kap. 8

sollte die gebildete Rückstellung dem Betrag entsprechen, mit dem am Bilanzstichtag ernsthaft und konkret gerechnet werden muss. Die Höhe der gebildeten Rückstellung muss nicht zwingend der Höhe der später festgesetzten Steuer entsprechen.1 Die praktischen Schwierigkeiten bei der Abschätzung einer plausiblen Bandbreite können darin bestehen, dass die Abschätzung der Höhe der Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis mit erheblichen Rechtsunsicherheiten behaftet sein kann. Die rechtliche Beurteilung kann je nach Rechtsprechungs-, Erlass- und Literaturlage mit unterschiedlichen Rechtsunsicherheiten behaftet sein.2 Die bestehenden rechtlichen Unsicherheiten schlagen dann auch auf die Ermittlung der Höhe der Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis durch. Zur Erhöhung der Rechtssicherheit bei der Abschätzung der Bandbreite der voraussichtlich anfallenden Steuernachzahlungen kann die Einholung einer externen rechtlichen Beurteilung (hilfsweise auch einer second-opinion) in Betracht kommen.

8.74

b) Berücksichtigung kompensatorischer Effekte bei der Rückstellungsbewertung Es stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen kompensatorische Effekte, die nicht die Voraussetzungen für eine Aktivierung als Forderung erfüllen, bei der Ermittlung der Höhe der Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis rückstellungsbegrenzend zu berücksichtigen sind. Für die Berücksichtigung kompensatorischer Effekte bei der Rückstellungsbewertung spricht, dass es vernünftiger kaufmännischer Beurteilung entspricht, den rückstellungsbegründenden Sachverhalt nicht nur in seinen negativen Aspekten zu erfassen, sondern auch die positiven Merkmale zu berücksichtigen, die die Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme mindern oder ggf. sogar aufheben, weil der Kaufmann insoweit wirtschaftlich und rechtlich nicht belastet ist.3

8.75

Sind die betriebsprüfungsbedingten Mehrsteuern bspw. auf Verrechnungspreiskorrekturen zurückzuführen, kommen als kompensatorischer Effekt (gegenläufige) zugunsten des Steuerpflichtigen wirkende Verrechnungspreiskorrekturen im Ausland in Betracht.

8.76

Die Beurteilung, ob bei der Rückstellungsbewertung kompensatorische Effekte rückstellungsbegrenzend zu berücksichtigen sind, hat nach Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten zu erfolgen. Dieser Vorgehensweise steht weder der Einzelbewertungsgrundsatz (§ 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB), das Saldierungsverbot (§ 246 Abs. 2 HGB) noch der Teilwertgedanke entgegen.4 Dies ist bereits dadurch begründet, dass Rückstellungen handelsrechtlich nur in Höhe des Betrages anzusetzen sind, der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung erforderlich ist (§ 253 Abs. 1 Satz 3 HGB).

8.77

Allerdings darf auch bei dem Ansatz kompensatorischer Aspekte nicht unberücksichtigt bleiben, dass das kaufmännische Vorsichtsprinzip verlangt, im Bewertungsprozess den Faktoren ein größeres Gewicht beizulegen, die geeignet sind, den Wertansatz von Vermögenspositionen zu ermäßigen bzw. von Schuldposten zu erhöhen. Im Zweifel muss der Kaufmann eine aus dem Steuerschuldverhältnis resultierende Verpflichtung daher höher bewerten als sie tatsächlich ist. Wirtschaftlich noch nicht entstandene Rückgriffsansprüche können daher nur dann zur Kompensation herangezogen werden,

8.78

1 2 3 4

So auch FG Nds. v. 15.3.2012 – 6 K 43/10 (rkr.), EFG 2012, 1390. S. hierzu auch Herzig/Liekenbrock, DB 2013, 409 (410). BFH v. 17.2.1993 – X R 60/89, BStBl. II 1993, 437. BFH v. 17.2.1993 – X R 60/89, BStBl. II 1993, 437.

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Kap. 8 Rz. 8.78 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

– wenn sie derart in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der drohenden Inanspruchnahme stehen, dass sie dieser wenigstens teilweise spiegelbildlich entsprechen; – sie in rechtlich verbindlicher Weise der Entstehung oder Erfüllung der Verbindlichkeit zwangsläufig nachfolgen; – der Rückgriffsanspruch vollwertig ist, d.h. vom Rückgriffsschuldner nicht bestritten wird.1

8.79

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien kommt eine kompensatorische Berücksichtigung wirtschaftlich noch nicht entstandener Rückgriffsansprüche (in Form zukünftiger Steuererstattungen) bei der Ermittlung des Rückstellungsbetrages i.d.R. nicht in Betracht. Denn dies würde voraussetzen, dass der Anspruch auf die zukünftige Steuererstattung so strukturiert ist, dass er – bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung – die Inanspruchnahme sicher ausschließt oder mindert. Der IDW spricht davon, dass ein rückstellungsbegrenzender Anspruch so strukturiert sein muss, dass er in verbindlicher Weise der Entstehung oder der Erfüllung der Verpflichtung nachfolgt.2 Diese Voraussetzungen sind bspw. bei einem Steuererstattungsanspruch, der von dem Steuerpflichtigen im Rahmen eines Finanzgerichtsverfahrens erst noch zu erstreiten ist, im Regelfall nicht erfüllt. Auch eine mögliche Steuererstattung im Ausland, die ggf. erst im Rahmen eines Verständigungsverfahrens erlangt werden kann, erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Dies folgt daraus, dass die Realisierung des Steuererstattungsanspruchs einen für den Steuerpflichtigen positiven Ausgang eines Finanzgerichtsverfahrens bzw. Verständigungsverfahrens erfordert. Ein für den Steuerpflichtigen günstiger Ausgang eines Finanzgerichtsverfahrens kann allerdings nur in Ausnahmefällen mit der erforderlichen Rechtssicherheit prognostiziert werden. Dies wäre bspw. dann der Fall, wenn ein für den Steuerpflichtigen günstiger Ausgang aus einem Parallelverfahren bekannt ist. Entsprechendes gilt für den Fall, dass die von der Finanzverwaltung vertretene Rechtsaufassung offenkundig rechtswidrig ist.3 c) Auf- und Abzinsung von Rückstellungen für Steuerschulden

8.80

Bei dem Erfüllungsbetrag der Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis handelt es sich um den Nominalbetrag der erwarteten Steuerschuld. Dieser Betrag ist gemäß § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB mit einem laufzeitkongruenten, durchschnittlichen Marktzinssatz der vergangenen sieben Geschäftsjahre abzuzinsen, wenn die Steuerschuld erst nach Ablauf eines Jahres zu erfüllen ist.4 Grundsätzlich stellt sich die Frage nach einer Abzinsung der Verpflichtung aus dem Steuerschuldverhältnis immer dann, wenn die Steuererklärung nicht innerhalb der gesetzlichen Abgabefrist bei dem Finanzamt eingereicht wird. Denn in diesem Fall ergeht der Steuerbescheid (aus Sicht des Bilanzstichtages) erst nach Ablauf eines Jahres.

8.81

Deutlich wird, dass die Anwendung der gesetzlichen Abzinsungsregelung im Zusammenhang mit den aus einer Betriebsprüfung resultierenden Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis die Schätzung des Zeitpunktes erfordert, zu dem die Verpflichtung voraussichtlich zu erfüllen ist. Geht das Unternehmen aus Sicht des Bilanzstichtages davon aus, dass die Steuerschuld innerhalb der kommenden 12 Monate zu erfüllen ist, ist eine Abzinsung des Rückstellungsbetrages nicht vorzunehmen. Beträgt der Zeitraum hingegen mehr als 12 Monate, ist auf Basis des so ermittelten Erfüllungszeitpunktes der Verpflichtung der von der Deut1 2 3 4

BFH v. 17.2.1993 – X R 60/89, BStBl. II 1993, 437. IDW, RS HFA 34 Rz. 30. So auch Herzig/Liekenbrock, DB 2013, 409, 412. IDW, RS HFA 34 Tz. 17.

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B. Passivierung von Rückstellungen für prüfungsbed. Mehrsteuern | Rz. 8.85 Kap. 8

schen Bundesbank ermittelte und monatlich bekannt gegebene restlaufzeitäquivalente durchschnittliche Marktzinssatz der vergangenen sieben Geschäftsjahre heranzuziehen.1 Für die Ermittlung des voraussichtlichen Erfüllungszeitpunktes der Verpflichtung sind zwei Faktoren von Bedeutung. Zum einen geht es um die Frage, wann mit dem Eintritt des Steuerrisikos auf Grund einer steuerlichen Betriebsprüfung (d.h. mit dem Aufgriff des Sachverhalts durch die Betriebsprüfung) gerechnet wird. Hiervon abzugrenzen ist die Frage, wann mit dem Erlass auf Grund der Betriebsprüfung geänderter Steuerbescheide zu rechnen ist. Hintergrund dieser Abgrenzung ist, dass zwischen dem Aufgriff eines Sachverhalts durch die Betriebsprüfung und der Auswertung der Betriebsprüfungsfeststellungen durch die Finanzverwaltung eine erhebliche Zeitspanne liegen kann. Letztlich kann der voraussichtliche Erfüllungszeitpunkt nur durch eine Schätzung ermittelt werden. Dabei ist zu beachten, dass eine geschätzte kurze Zeitspanne bis zur Erfüllung der Verpflichtung in betragsmäßiger Hinsicht den höchstmöglichen Rückstellungsausweis zur Folge hat. Hinsichtlich der aus einer Abzinsung resultierenden Auswirkungen ist zwischen dem Laufzeiteffekt und dem Zinsänderungseffekt zu unterscheiden:

8.82

– Die Abzinsung der Rückstellung hat zur Folge, dass die Rückstellung mit dem niedrigeren Barwert in der Bilanz ausgewiesen wird (Laufzeiteffekt). Der Differenzbetrag zwischen dem Nominalwert der Rückstellung und dem niedrigeren Barwert ist gemäß § 277 Abs. 5 Satz 1 HGB als Finanzergebnis auszuweisen. Aus der zeitlichen Verschiebung der Inanspruchnahme aus der Steuerrückstellung in die Zukunft können Abzinsungserträge resultieren. Aus der Folgebewertung der Verpflichtung (d.h. der Verringerung der Laufzeit bis zur Inanspruchnahme) resultiert dann Aufzinsungsaufwand. – Veränderungen der Marktzinssätze (Zinsänderungseffekte) haben als Finanzergebnis (§ 277 Abs. 5 Satz 1 HGB) auszuweisende Zinserträge und Zinsaufwendungen zur Folge.

3. Einbezug von Nachzahlungszinsen in den Rückstellungsansatz Auf den Nominalwert der Steuerschuld entfallende Nachzahlungszinsen (§ 233a AO) bilden nach der h.M. einen Bestandteil der zurückzustellenden Steuerschuld. Für die Bewertung der Rückstellung hat dies zur Folge, dass die Nachzahlungszinsen den Nominalbetrag der Verpflichtung erhöhen. Falls keine Abzinsung vorzunehmen ist, gehen die Nachzahlungszinsen in voller Höhe in den Steueraufwand ein.

8.83

Für die Ermittlung der Höhe der Nachzahlungszinsen ist die erwartete Laufzeit des Steuerrisikos entscheidend. Dabei ist zu beachten, dass der IDW davon ausgeht, dass auch die erst nach dem Bilanzstichtag voraussichtlich entstehenden Nachzahlungszinsen in die Ermittlung der Steuerrückstellung einzubeziehen sind.

8.84

Beispiel: Im Jahr 2020 wird auf Grund eines geänderten BMF-Schreibens bekannt, dass die Finanzverwaltung von den Steuererklärungen des Jahres 2017 abweichen wird und das diese Abweichung die Festsetzung von Mehrsteuern zur Folge haben wird. Das Unternehmens geht davon aus, dass mit Erlass geänderter Steuerbescheide im Nachgang zu der Betriebsprüfung frühestens im Dezember 2022 zu rechnen ist. Aus Sicht des Bilanzstichtages 31.12.2020 beträgt die „Restlaufzeit“ der Verpflichtung 24 Monate. Nachzahlungszinsen werden ab April 2019 fällig.

8.85

1 Zu der Vorgehensweise im Fall einer unterjährigen Erfüllung der Verpflichtung s. IDW RS HFA 34, Tz. 42.

Hick | 737

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Kap. 8 Rz. 8.85 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken In die Ermittlung des Rückstellungsansatzes zum 31.12.2020 sind neben dem geschätzten Steuerrisiko auch die voraussichtlich ab April 2019 anfallenden Nachzahlungszinsen einzubeziehen, die bis zur Fälligkeit der Steuerzahlung voraussichtlich auflaufen werden. Der so ermittelte Betrag bildet die Ausgangsgröße für die gemäß § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB mit dem Abzinsungssatz für zweijährige Restlaufzeiten vorzunehmende Abzinsung.

4. Bewertung der Rückstellung in der steuerlichen Gewinnermittlung a) Ansatz des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung ermittelten Rückstellungsbetrages

8.86

Die handelsrechtliche Bewertung von Steuerrückstellungen ist auch der Rückstellungsbewertung in der Steuerbilanz zugrunde zu legen (zu den Rechtsgrundlagen für die Übernahme handelsrechtlicher Bilanzansätze s. Rz. 8.7). Für die steuerliche Gewinnermittlung ist zu beachten, dass eine Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten wie eine Verbindlichkeit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG anzusetzen ist, also in sinngemäßer Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG grundsätzlich mit den „Anschaffungs- oder Herstellungskosten“ (Erfüllungsbetrag) oder mit dem „höheren Teilwert“. Auch für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung darf daher der Rückstellungsansatz nicht den nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung anzusetzenden Rückstellungsbetrag überschreiten. b) Voraussetzungen einer kompensatorischen Bewertung

8.87

Mit der Sonderregelung in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG wird für die steuerliche Rückstellungsbewertung angeordnet, dass – künftige Vorteile, – die mit der Erfüllung der Verpflichtung voraussichtlich verbunden sein werden, – wertmindernd zu berücksichtigen sind, – soweit sie nicht als Forderung zu aktivieren sind.

8.88

Mit dieser Sonderregelung geht der Steuergesetzgeber deutlich über die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung im Bereich der Rückstellungsbewertung hinaus (s. hierzu auch Rz. 8.32). Denn handelsrechtlich sind noch nicht aktivierbare Ersatzansprüche bei der Bewertung von Verbindlichkeitsrückstellungen nur zu berücksichtigen, wenn sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der drohenden Inanspruchnahme stehen, in rechtlich verbindlicher Weise der Entstehung oder Erfüllung der Verbindlichkeit nachfolgen und vollwertig sind.1

8.89

Die steuerliche Sonderregelung zur kompensatorischen Berücksichtigung künftiger Vorteile im Rahmen der Rückstellungsbewertung stützt der Gesetzgeber2 auf den Teilwertgedanken und damit auf Erwägungen des gedachten Erwerbers, der die künftigen Vorteile in sein Kalkül einbeziehen würde. Die Einbeziehung dieser künftigen Vorteile hält der Gesetzgeber für geboten, um die von einer ungewissen Verbindlichkeit ausgehende effektive Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit zutreffend zu bemessen. Damit wird angeknüpft an Überlegungen im Apotheker-Beschluss3 des Großen Senats des BFH zur Abgrenzung des Saldierungs1 So mit weiteren Nachweisen BFH v. 17.2.1993 – X R 60/89, BStBl. II 1993, 440. 2 S. BT-Drucks. 14/23, 172 und BT-Drucks. 14/265, 173. 3 BFH v. 23.6.1997 – GrS 2/93, BStBl. II 1997, 735.

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B. Passivierung von Rückstellungen für prüfungsbed. Mehrsteuern | Rz. 8.93 Kap. 8

bereichs bei Drohverlustrückstellungen. Diese systematische Einordnung verdeutlicht den Ausnahmecharakter des Kompensationsgebots in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG und seinen Widerstreit mit dem Einzelbewertungsgrundsatz und dem Realisationsprinzip, weshalb eine enge Auslegung dieser Regelung geboten erscheint.1 Die kompensatorische Berücksichtigung künftiger Vorteile im Rahmen der Rückstellungsbewertung folgt dem Gedanken, den rückstellungsbegründenden Sachverhalt nicht nur in seinen negativen Aspekten zu erfassen, sondern auch die positiven Aspekte mit zu berücksichtigen.2 Klar ist, dass von dem Kompensationsgebot nur künftige Vorteile, d.h. bilanziell noch nicht berücksichtigte (realisierte) Erfolgsbeiträge erfasst werden.3 Hinsichtlich des Zeitbezugs ist es für die Saldierung grds. ohne Bedeutung, wann die Realisierung des künftigen Vorteils im bilanzsteuerrechtlichen Sinn eintritt. Dies bedeutet, dass künftige Vorteile mit der Erfüllung der Verpflichtung zusammenfallen, ihr vorangehen oder ihr auch nachfolgen können.4 Ein Abschluss schuldrechtlicher Verträge ist für eine Kompensation mit künftigen Vorteilen hingegen nicht erforderlich.5

8.90

Die gesetzliche Regelung in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG sieht ausschließlich eine wertmindernde Berücksichtigung künftiger Vorteile vor. Damit können künftige Vorteile maximal bis zur Höhe der Rückstellungsverpflichtung kompensatorisch erfasst werden. Eine Überkompensation scheidet dagegen aus.6 Eine Berücksichtigung künftiger Gewinne im Rahmen der Rückstellungsbewertung würde einen Verstoß gegen das auch steuerlich zu beachtende Realisationsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) darstellen.

8.91

Die Rechtsprechung des BFH zur kompensatorischen Berücksichtigung vereinnahmter Entsorgungsentgelte im Zusammenhang mit der Bewertung einer Rekultivierungsverpflichtung verdeutlicht, dass für eine kompensatorische Berücksichtigung künftiger Vorteile im Rahmen der Rückstellungsbewertung ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem Vorteil und der Erfüllung der Verpflichtung genügt.7 Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Vorteil und der Verpflichtung wird in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG hingegen nicht gefordert.

8.92

Hieraus folgt, dass künftige Vorteile, die mit einer zu Mehrsteuern führenden Betriebsprüfungsfeststellung verbunden sind, bei der Bewertung der Rückstellung mindernd zu berücksichtigen sind. Bei dem künftigen Vorteil kann es sich bspw. um von dem Steuerpflichtigen erzielte gegenläufige Steuerminderungen im Ausland handeln, die aus einer von der deutschen Finanzverwaltung im Rahmen einer Betriebsprüfung geforderten Verrechnungspreiskorrektur resultieren. Der von der Rechtsprechung für eine kompensatorische Berücksichtigung künftiger Vorteile geforderte sachliche Zusammenhang zwischen dem Vorteil und der Verpflichtung ist in diesem Fall gegeben, wenn der künftige Vorteil (im Beispielsfall die Steuerminderung im Ausland auf Grund einer gegenläufigen Verrechnungspreiskorrektur) voraussichtlich erzielt werden kann. In diesem Fall ist die Verbindung des künftigen Vorteils (der zukünftigen Steuererstattung im Ausland) mit der zu inländischen Mehrsteuern führenden Verrechnungspreiskorrektur gegeben.8

8.93

1 Korn/Strahl in Korn § 6 EStG Rz. 384; Prinz/Keller, DB 2015, 2224, 2225; Oser/Wirtz, StuB 2016, 3 (10). 2 Werndl in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 6 EStG Rz. 23. 3 Kiesel in HHR, § 6 EStG Rz. 745. 4 Kiesel in HHR, § 6 EStG Rz. 745. 5 BFH v. 21.8.2013 – I B 60/12, BFH/NV 2014, 28. 6 So auch Kiesel in HHR, § 6 EStG Rz. 749. 7 Kiesel in HHR, § 6 EStG Rz. 746. 8 S. hierzu auch BFH v. 21.8.2013 – I B 60/12, BFH/NV 2014, 28.

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Kap. 8 Rz. 8.94 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

8.94

Allerdings ist zu beachten, dass allein die bloße Möglichkeit zur Erzielung eines Vorteils für eine kompensatorische Bewertung nicht ausreichend ist.1 Erforderlich ist vielmehr die begründete Aussicht auf den Vorteil (d.h. es muss eine hohe bzw. jedenfalls überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Entstehung des Vorteils bestehen). Der I. Senat des BFH verwendet in seiner Entscheidung vom 21.8.2013 die Formel:

8.95

„Eine voraussichtliche Verbundenheit besteht bereits, wenn mehr Gründe für als gegen den Vorteilseintritt sprechen.“2

8.96

Dieser Beurteilung hat sich die Finanzverwaltung angeschlossen.3 Unter dem Aspekt der bilanzrechtlich erforderlichen Konkretisierung ist allerdings zu fordern, dass nur Vorteile zu berücksichtigen sind, die in einem überschaubaren Zeitraum zu erwarten sind.4 Die h.M. spricht sich daher dafür aus, nur Vorteile zu berücksichtigen, die voraussichtlich in einem Zeitraum von 3 bis 5 Jahren erzielt werden können.5

8.97

In § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG wird die wertmindernde Berücksichtigung künftiger Vorteile ausgeschlossen, soweit die Vorteile als Forderung zu aktivieren sind. Steuerforderungen dürfen zum Bilanzstichtag allerdings nur dann aktiviert werden, wenn sie einen durchsetzbaren gegenwärtigen Vermögenswert verkörpern.6 Dies ist der Fall, wenn der Anspruch entweder rechtskräftig festgestellt ist oder von dem Schuldner anerkannt ist. c) Keine Abzinsung verzinslicher Steuerschulden

8.98

Zurückgestellte Steuerschulden, die gemäß § 233a AO verzinst werden, müssen nicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 1 EStG abgezinst werden.7 Dies gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung auch dann, wenn die Zinsen auf Grund einer Steuerfestsetzung vor Beginn des Zinslaufs nach § 233a Abs. 2 AO möglicherweise nicht festgesetzt werden.8

IV. Rückstellungen für nicht abzugsfähige Steuerzahlungen 8.99

Die handelsrechtlichen Grundsätze des § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB zur Passivierung von Steuerrückstellungen finden gemäß § 5 Abs. 1 EStG bzw. § 4 Abs. 1 EStG i.V.m. § 141 Abs. 1 AO Eingang in die steuerliche Gewinnermittlung (s. hierzu Rz. 8.32). Eine nach diesen Grundsätzen auch in der steuerlichen Gewinnermittlung zu berücksichtigende Rückstellung hat allerdings nicht zwangsläufig auch steuermindernde Betriebsausgaben zur Folge.9 Zu beachten sind die steuerlichen Betriebsausgabenabzugsverbote für Ertragsteuerzahlungen.

8.100

Werden Rückstellungen für Ertragsteuerzahlungen passiviert, stellt sich die Frage nach den Auswirkungen der in § 10 Nr. 2 KStG10 und § 4 Abs. 5b EStG geregelten Abzugsverbote für 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

So auch R 6.11 Abs. 1 Satz 1 EStR 2012. BFH v. 21.8.2013 – I B 60/12, BFH/NV 2014, 28. R 6.11 Abs. 1 Satz 1 EStR 2012. Korn/Strahl in Korn, § 6 EStG Rz. 384. Korn/Strahl in Korn, § 6 EStG Rz. 38; Oser/Wirtz, StuB 2016, 3, 10; Pfeifer/Hegemann, DStR 2014, 1070; Kiesel in HHR, § 6 EStG Rz. 747. BFH v. 26.2.2014 – I R 12/14, BFH/NV 2014, 1544. BMF v. 26.5.2005 – IV B 2 - S 2175-7/05, BStBl. I 2005, 699 sowie Bongaerts/Zimmermann, Rz. 5789. BMF v. 26.5.2005 – IV B 2 - S 2175-7/05, BStBl. I 2005, 699. S. auch Prinz, DB 2020, 10 (13). Aufwendungen einer Organgesellschaft für Körperschaftsteuerschulden des Organträgers gemäß § 73 AO werden von dem Abzugsverbot nicht erfasst. Dies folgt daraus, dass § 10 Nr. 2 KStG

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C. Verminderung bzw. Auflösung einer Steuerrückstellung | Rz. 8.104 Kap. 8

Ertragsteuerzahlungen. Dies gilt auch hinsichtlich der auf die Steuerzahlungen entfallenden steuerlichen Nebenleistungen. Denn die in § 10 Nr. 2 KStG und § 4 Abs. 5b EStG geregelten Abzugsverbote betreffen auch steuerliche Nebenleistungen. Die Nebenleistungen teilen damit das Schicksal der Steuer auf die sie entfallen. Gemäß § 10 Nr. 2 KStG darf die Körperschaftsteuerschuld – als von der Vorschrift erfasste Steuer vom Einkommen – bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens nicht mindernd in Ansatz gebracht werden.1 Das in § 10 Nr. 2 KStG regelte Abzugsverbot hat aber nicht zur Folge, dass in der Steuerbilanz der Ausweis einer Verbindlichkeitsrückstellung für Steuerschulden nicht zulässig wäre.2 Auf Grund der Zweistufigkeit der steuerlichen Gewinnermittlung kommen auch nicht abzugsfähige Betriebsausgaben für eine Rückstellungsbildung in Betracht.3 Die Rechtsfolge des § 10 Nr. 2 KStG besteht dann darin, dass die Steuerrückstellung bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens durch eine außerbilanzielle Hinzurechnung zu neutralisieren ist; dies gilt auch für auf die Steuerschuld entfallende steuerliche Nebenleistungen.4 Auswirkungen auf den körperschaftsteuerrechtlichen Gewinn und den Gewerbeertrag ergeben sich durch die Rückstellung daher nicht.

8.101

Die in § 4 Abs. 5b EStG – mit Wirkung ab dem Erhebungszeitraum 2008 – getroffene Anordnung, dass es sich bei der Gewerbesteuer und darauf entfallender Nebenleistungen um eine nicht abzugsfähige Betriebsausgabe handelt, steht der Passivierung einer Verbindlichkeitsrückstellung für Gewerbesteuer nicht entgegen.5 Die aus dem Ansatz einer Rückstellung resultierende Gewinnminderung ist allerdings außerbilanziell zu korrigieren.6

8.102

Die Abzugsverbote für Ertragsteuerzahlungen erfassen auch Aufwendungen im Zusammenhang mit der Aufzinsung von Steuerrückstellungen; handelsrechtlich hat ein Ausweis gemäß § 277 Abs. 5 Satz 1 HGB im Finanzergebnis zu erfolgen. D.h. die handelsrechtliche Qualifikation als Zinsaufwand hat nicht zur Folge, dass die Abzugsverbote gemäß § 10 Nr. 2 KStG und § 4 Abs. 5b EStG nicht eingreifen.

8.103

C. Verminderung bzw. Auflösung einer Steuerrückstellung Eine Steuerrückstellung ist aufzulösen, sobald und soweit die Voraussetzungen für die Bildung zu einem späteren Bilanzstichtag entfallen (§ 249 Abs. 3 Satz 2 HGB).7 Hieraus folgt zugleich aber auch, dass eine gebildete Steuerrückstellung so lange fortzuführen ist, wie die den Steueranspruch begründenden Umstände fortbestehen. Es sind folgende Fälle zu unterscheiden: – Liegt zu einer für eine betriebsprüfungsbedingte Mehrsteuer gebildeten Steuerrückstellung ein Steuerbescheid vor, dann wird aus der Steuerrückstellung eine Verbindlichkeit. Dies ist

1 2 3 4 5 6 7

Haftungsschulden nicht erfasst. S. hierzu BFH v. 24.10.2018 – I R 78/16, BStBl. II 2019, 570. Die Aufwendungen sind dann allerdings gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht abzugsfähig. BFH v. 23.11.1985 – I R 180/85, BStBl. II 1989, 116. Dürrschmidt in HHR, § 10 KStG Rz. 42; Bierenstiel, StBp 2014, 311 (312). Bongaerts/Zimmermann, Rz. 5787. BFH v. 14.5.2014 – X R 23/12, BStBl. II 2014, 684; BFH v. 9.6.1999 – I R 64/97, BStBl. II 1999, 656. Tiede in HHR, § 4 EStG Rz. 1981; Korn u.a. in Korn, § 4 EStG Rz. 1223.7. OFD Münster v. 2.9.2010, DStR 2010, 1890. Zu den Voraussetzungen für die Auflösung einer Rückstellung s. auch BFH v. 30.1.2002 – I R 68/ 00, BStBl. II 2002, 688.

Hick | 741

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8.104

Kap. 8 Rz. 8.104 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

dadurch begründet, dass durch den Erlass eines Steuerbescheides die Steuerschuld dem Grunde und auch hinsichtlich der Höhe gewiss wird.1 Hieran ändert auch die Anfechtung des Steuerbescheides nichts. – Eine im Zuge einer Betriebsprüfung (für nicht hinterzogene Steuern) gebildete Rückstellung ist aufzulösen, wenn (bspw. auf Grund eines Rechtbehelfsverfahrens) der Steueranspruch zu einem späteren Zeitpunkt in voller Höhe entfällt oder niedriger festgesetzt wird.2 Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass eine Rückstellung für betriebsprüfungsbedingte Mehrsteuern in zeitlicher Hinsicht nicht im Jahr des Aufgriffs des Sachverhalts durch die Betriebsprüfung, sondern grundsätzlich im Jahr der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zu passivieren ist (s. hierzu Rz. 8.59). Führt ein gegen die Feststellungen der Betriebsprüfung geführtes Rechtsbehelfsverfahren zu niedrigeren Mehrsteuern bzw. entfällt der Steueranspruch vollständig, ist die von dem Betriebsprüfer erfolgte Rückstellungspassivierung (im Entstehungsjahr) insoweit rückgängig zu machen, wie nach dem Ergebnis des abgeschlossenen Rechtsbehelfsverfahrens materiell-rechtlich keine Steuerschulden bestanden.3 Hierdurch kommt es nicht zu einer Auflösung der Rückstellung erst im Jahr der Erledigung des Rechtsbehelfsverfahrens.4 – Eine Rückstellung für hinterzogene Steuern ist im Jahr des Aufgriffs des Sachverhalts durch die Betriebsprüfung zu bilden. Entsprechend hat auch die Herabsetzung der Rückstellung im Jahr des Aufgriffs zu erfolgen. – Wurden die betriebsprüfungsbedingten Steuerzahlungen bereits entrichtet, kann – an Stelle der Verminderung bzw. Auflösung der Steuerrückstellung – die Aktivierung eines Steuererstattungsanspruchs in Betracht kommen. Dies setzt allerdings voraus, dass der Steuererstattungsanspruch von dem Finanzamt nicht bestritten wird.5 Aus dem handelsrechtlichen Realisations- und Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) folgt, dass ein Steuererstattungsanspruch nicht anzusetzen ist, wenn dieser durch die zuständige Finanzbehörde bestritten wird oder die Finanzbehörde eine der Entstehung eines Erstattungsanspruchs entgegenstehende Rechtsauffassung vertritt.6 Im Ergebnis ist damit erst ein obsiegendes Finanzgerichtsurteil wertbegründend.7

D. Rückstellungen für Mitwirkungspflichten im Rahmen von Betriebsprüfungen I. Hintergrund von Rückstellungen für Mitwirkungspflichten 8.105

Die Durchführung einer Betriebsprüfung zieht sich regelmäßig über längere Zeiträume und verursacht in den Unternehmen – losgelöst von dem Anfall etwaiger steuerlicher Mehrergebnisse – teilweise erhebliche finanzielle Aufwendungen. Im Kern handelt es sich hierbei um Aufwendungen, die aus der Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen im Rahmen einer Betriebsprüfung gemäß § 200 AO resultieren (zu Einzelheiten hierzu s. Kapitel 1, Rz. 1.533 ff.). 1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 16.12.2009 – I R 43/08, BFH/NV 2010, 552. H 4.9 EStH. H 4.9 EStH; BayLfSt v. 10.3.2015 – S 2133.1.1. – 7/5 St 31, zitiert nach juris. So auch FG München v. 19.9.2016 – 7 K 621/16 (rkr.), EFG 2016, 1984. BayLfSt v. 10.3.2015 – S 2133.1.1. – 7/5 St 31, zitiert nach juris. BFH v. 15.3.2000 – II R 15/98, BStBl. II 2000, 588. BFH v. 26.2.2014 – I R 12/14, BFH/NV 2014, 1544.

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D. Rückstellungen für Mitwirkungspflichten im Rahmen von Bp. | Rz. 8.111 Kap. 8

Für diese Aufwendungen kommt die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB in Betracht. Die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten für aus der Mitwirkungspflicht resultierende Verpflichtungen setzt voraus,

8.106

– dass es sich um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung handelt, – die aus der Mitwirkungspflicht resultierende Verpflichtung vor dem Bilanzstichtag verursacht worden ist und – mit der Inanspruchnahme aus der Verpflichtung ernsthaft zu rechnen ist. Sind die handelsrechtlichen Voraussetzungen für die Passivierung einer Verbindlichkeitsrückstellung gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB erfüllt, hat der Ausweis einer Verbindlichkeitsrückstellung zu erfolgen. Ein handelsbilanzielles Wahlrecht besteht insoweit nicht. Über den Grundsatz der Maßgeblichkeit sind in der handelsrechtlichen Rechnungslegung zu bildende Rückstellungen dann auch im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung zu beachten (zur Maßgeblichkeit in der handelsrechtlichen Gewinnermittlung gebildeter Rückstellungen für die steuerliche Gewinnermittlung s. Rz. 8.6 ff.).

8.107

II. Voraussetzungen der Passivierung einer Verbindlichkeitsrückstellung dem Grunde nach 1. Zum Bilanzstichtag bestehende öffentlich-rechtliche Verpflichtung Die durch eine Prüfungsanordnung begründete Mitwirkungspflicht gemäß § 200 AO ist als öffentlich-rechtliche Außenverpflichtung einzustufen. Gemäß § 200 Abs. 1 Satz 1 AO hat der Steuerpflichtige im Rahmen einer Betriebsprüfung bei der Feststellung der Sachverhalte, die für die Besteuerung erheblich sein können, mitzuwirken. Die Mitwirkungspflicht umfasst gemäß dem Satz 1 der Vorschrift die Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften, zur Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren und anderer Urkunden zur Einsichtnahme und Prüfung. Ergänzend begründet der Satz 2 der Vorschrift die Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften sowie zu den erforderlichen Erläuterungen. Eine inhaltliche Konkretisierung der Mitwirkungspflichten erfolgt durch § 8 BpO 2002.

8.108

Hinsichtlich der aus § 200 AO resultierenden Mitwirkungspflichten geht die BFH-Rechtsprechung davon aus, dass durch die Vorschrift die allgemeinen Vorschriften über die Mitwirkung der Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren gemäß §§ 90 ff. AO für den Fall einer Betriebsprüfung modifiziert werden.1

8.109

Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten kommt auch für Verpflichtungen in Betracht, die auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften beruhen. Gegenstand der Rückstellung können prinzipiell nicht nur Geldschulden, sondern neben Werk- und Dienstleistungspflichten auch Sachleistungsverpflichtungen sein.2

8.110

In einem ersten Schritt stellt sich allerdings – für die Abgrenzung zu einer zu passivierenden Verbindlichkeit – die Frage, wann die Verpflichtung zur Mitwirkung im Rahmen einer Betriebsprüfung gemäß § 200 AO rechtlich entsteht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass durch

8.111

1 S. hierzu u.a. BFH v. 4.11.2003 – VII R 28/01, BStBl. II 2004, 1032. 2 BFH v. 26.10.1977 – I R 148/75, BStBl. II 1978, 97; BFH v. 8.11.2000 – I R 6/96, BStBl. II 2001, 570.

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Kap. 8 Rz. 8.111 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

den Erlass einer Prüfungsordnung gemäß § 196 AO sowohl im Hinblick auf das Prüfungssubjekt, den Prüfungsumfang sowie den Prüfungszeitraum der Rahmen für die dem Steuerpflichtigen nach § 200 AO auferlegten Pflichten gesetzt wird. Diese Sichtweise spricht dafür, dass die dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflichten gemäß § 200 AO (also die öffentlich-rechtliche Verpflichtung) erst mit Bekanntgabe der Prüfungsordnung gemäß § 196 AO entsteht.1

8.112

Beispiel: Bei einem Steuerpflichtigen wird in 2021 eine Betriebsprüfung für die Jahre 2018–2020 angeordnet. Fraglich ist, ob bereits zum Bilanzstichtag 31.12.2020 die Voraussetzungen für die Passivierung einer Rückstellung für aus der Mitwirkungspflicht gemäß § 200 AO resultierende Verpflichtungen erfüllt sind. Zum Bilanzstichtag 31.12.2020 ist die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Betriebsprüfung für die Jahre 2018–2020 gemäß § 200 AO rechtlich noch nicht entstanden. Die Anordnung der Betriebsprüfung für 2018–2020 ist erst in 2021 erfolgt.

2. Überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens der Verpflichtung zur Mitwirkung 8.113

Die Passivierung einer Verbindlichkeitsrückstellung für aus der Mitwirkungspflicht gemäß § 200 AO resultierende zukünftige Aufwendungen setzt dem Grunde nach die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit voraus. Abzustellen ist darauf, ob aus Sicht des Bilanzstichtages mehr Gründe für als gegen das Entstehen aus der Mitwirkungspflicht resultierender Verpflichtungen sprechen.2

8.114

Unter welchen Voraussetzungen eine Betriebsprüfung zulässig ist und eine Prüfungsanordnung ergehen darf, wird in § 193 AO geregelt. Durch § 193 AO wird allerdings nicht bestimmt, nach welchen Kriterien die Finanzbehörde die zu prüfenden Unternehmen auszuwählen hat. Der BFH spricht daher von einer tatbestandlich voraussetzungslosen Prüfungsermächtigung.3 Über die Auswahl der zu prüfenden Betriebe entscheidet die Finanzverwaltung nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO). Diese finanzbehördliche Ermessensentscheidung ist nach § 102 FGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Prüfung zugänglich.4 Durch die Verwaltungsvorschriften der Betriebsprüfungsordnung5 und den Rationalisierungserlass6 hat die Finanzverwaltung ihr Auswahlermessen abstrakt ausgeübt.

8.115

Die Auswahl der Betriebsprüfungsfälle (der zu prüfenden Betriebe) basiert auf der Einteilung der Betriebe in vier Größenklassen, die sich primär am fiskalpolitischen Ausfallrisiko orientiert.7 Für die Anwendung des § 3 BpO 2002 wird zwischen Großbetrieben, Mittelbetrieben, Kleinbetrieben und Kleinstbetrieben unterschieden.8 Die Größenklassen bestimmen sich hierbei nach bestimmten Schwellenwerten, insbesondere Umsatz und Gewinn. Die Prüfungshäufigkeit ist von der Einstufung des Steuerpflichtigen in eine der vier Größenklassen abhängig (§ 4 Abs. 4 BpO 2002). 1 2 3 4 5 6 7

BFH v. 4.11.2003 – VII R 28/01, BStBl. II 2004, 1032. BFH v. 19.10.2005 – XI R 64/04, BStBl. II 2006, 371. BFH v. 28.9.2011 – VIII R 8/09, BStBl. II 2012, 395. S. hierzu auch Drüen, AO-StB 2014, 343; BFH v. 28.9.2011 – VIII R 8/09, BStBl. II 2012, 395. BStBl. I 2000, 368. FinMin. NW v. 13.6.1995 – S 1502 - 4 - VC 5. S. hierzu auch Brinkmeier in Gosch/Schwedhelm/Spiegelberger, GmbH-Beratung, Stichwort – Betriebsprüfung. 8 BMF v. 13.4.2018 – IV A 4 - S 1450/17/10001, BStBl. I 2018, 614.

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D. Rückstellungen für Mitwirkungspflichten im Rahmen von Bp. | Rz. 8.117 Kap. 8

Bei Großbetrieben soll der Prüfungszeitraum zudem an den vorangehenden Prüfungszeitraum anschließen (sog. Anschlussprüfung, § 4 Abs. 2 BpO 2002). Bei anderen Betrieben soll der Prüfungszeitraum i.d.R. nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen (§ 4 Abs. 3 BpO 2002). Die Rechtsprechung hat trotz häufiger Zweifel die größenklassengestützte Ermessensausübung der Finanzbehörden weitestgehend gebilligt.1 Die aus der Einteilung in Größenklassen resultierende unterschiedliche Prüfungshäufigkeit stellt keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar.2

8.116

Hieraus folgt für die Wahrscheinlichkeit des Entstehens der Verpflichtung zur Mitwirkung im Rahmen einer Betriebsprüfung folgendes:

8.117

– Aus Sicht des Bilanzstichtages ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Entstehen aus der Mitwirkungspflicht resultierender Verpflichtungen gegeben, wenn nach den Größenkriterien des § 3 BpO 2002 ein Großbetrieb gegeben ist. Denn in diesem Fall soll der Steuerpflichtige nach den Vorgaben des § 4 Abs. 2 BpO 2002 ohne zeitliche Unterbrechung (im Rahmen einer sog. Anschlussbetriebsprüfung) geprüft werden.3 – Im Fall eines Großbetriebes ist davon auszugehen, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass auch tatsächlich eine Anschlussbetriebsprüfung erfolgen wird.4 Die Passivierung einer Rückstellung für aus der Mitwirkungspflicht resultierender Aufwendungen ist daher bei Großbetrieben auch vor Erlass einer Prüfungsanordnung möglich.5 Dem steht nicht entgegen, dass die Finanzverwaltung – auch bei Großbetrieben – nach pflichtgemäßem Ermessen über die Prüfung entscheidet. Denn auch unter Berücksichtigung des Auswahlermessens der Finanzverwaltung muss ein als Großbetrieb einzustufender Betrieb mit einer weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit (tatbestandlich gefordert sind „51 %“)6 damit rechnen, einer Anschlussbetriebsprüfung unterzogen zu werden; – Das Fehlen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit lässt sich zudem auch nicht damit begründen, dass § 194 Abs. 1 Satz 2 AO der Finanzverwaltung – auch bei Großbetrieben – die Möglichkeit eröffnet, eine abgekürzte Betriebsprüfung (§ 203 AO) anzuordnen. Dem steht entgegen, dass bei Großbetrieben die Betriebsprüfung nach § 194 Abs. 1 und § 199 Abs. 1 AO grundsätzlich auf eine umfassende und zusammenhängende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen angelegt ist.7 Dies spricht dafür, dass bei Großbetrieben – im Rahmen der aus Sicht des Bilanzstichtages gebotenen Wahrscheinlichkeitserwägungen – davon auszugehen ist, dass eine Vollprüfung erfolgen wird; – Bei nicht anschlussgeprüften Betrieben (für diese Betriebe kommt § 4 Abs. 2 BpO 2002 nicht zur Anwendung), ist die Wahrscheinlichkeit einer permanenten Betriebsprüfung statistisch gesehen nicht überwiegend wahrscheinlich. Die mit einer Betriebsprüfung verbundenen Mitwirkungspflichten werden bei Nicht-Großbetrieben (also bei Mittel-, Klein- oder Kleinstbetrieben) somit erst durch den Erlass der Prüfungsanordnungen konkretisiert.8 Erst ab diesem Zeitpunkt müssen die mit der Mitwirkungspflicht verbundenen Aufwen1 Pelka, StuW 2005, 378, 381 f. 2 BFH v. 7.2.2002 – IV R 9/01, BStBl. II 2002, 269. 3 So auch Monatsbericht des BMF – Oktober 2019, S. 31, wonach Großbetriebe lückenlos geprüft werden. 4 BFH v. 6.6.2012 – I R 99/10, BStBl. II 2013, 196. 5 So auch BMF v. 7.3.2013 – S 2137/12/10001, BStBl. I 2013, 274. 6 Weber-Grellet in Schmidt40, § 5 EStG Rz. 377. 7 BFH v. 5.4.1984 – IV R 244/83, BStBl. II 1984, 790. 8 Drüen, AO-StB 2014, 346.

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Kap. 8 Rz. 8.117 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

dungen zurückgestellt werden. Allein der Umstand, dass zum Bilanzstichtag eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) ergangen ist, reicht für die Annahme einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit nicht aus.1

III. Wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag 8.118

Erforderlich ist weiterhin, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Verbindlichkeit bereits am Bilanzstichtag erfüllt sind und das rechtliche Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Die Erfüllung des Kriteriums der wirtschaftlichen Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag ist in der Praxis regelmäßig dann nicht streitig, wenn der Steuerpflichtige – aus Sicht des Bilanzstichtages – an Sachverhalten mitzuwirken hat, die für die Besteuerung bis zum Bilanzstichtag abgelaufener Wirtschaftsjahre von Relevanz sind.

8.119

Einer wirtschaftlichen Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag steht nicht entgegen, dass auch bei Großbetrieben die Betriebsprüfungsanordnung auf einer Ermessensentscheidung des Finanzamtes beruht. Hintergrund ist, dass die Auswahlentscheidung der Finanzverwaltung sich nicht an zukunftsbezogenen Maßstäben, sondern daran orientiert, ob und bei welchem Betrieb für den fraglichen Prüfungszeitraum mit wesentlichen Berichtigungen oder Steuernacherhebungen zu rechnen ist. Dies gilt auch dann, wenn die Auswahlentscheidung von der Finanzverwaltung erst nach dem Bilanzstichtag getroffen wird und die Prüfungsanordnung damit auch erst nach dem Bilanzstichtag ergeht.

8.120

Einer wirtschaftlichen Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag steht zudem auch nicht entgegen, dass eine Prüfung häufig auch Auswirkungen für die sich an den Prüfungszeitraum anschließenden Besteuerungszeiträume haben kann. Dies ist dadurch begründet, dass in solchen zukunftsgerichteten Folgen einer Betriebsprüfung nicht der Anlass und damit auch nicht das wirtschaftlich wesentliche Merkmal der vergangenheitsbezogenen Betriebsprüfung zu sehen ist.

8.121

Anders stellt sich die Situation hingegen für Aufwendungen dar, die erst nach dem Bilanzstichtag – bspw. auf Grund von Beanstandungen durch den Prüfer – ausgelöst werden. Aufwendungen für Buchführungsarbeiten, die auf Grund einer im Rahmen einer Betriebsprüfung bemängelten Ordnungsmäßigkeit der Buchführung anfallen, rechtfertigen nicht die Bildung von Rückstellungen im Abschluss der geprüften Jahre. Es fehlt bei diesen Aufwendungen an einem hinreichenden Vergangenheitsbezug.2

IV. Hinreichende Konkretisierung und Sanktionsbewehrung der Verpflichtung 8.122

Die sich aus § 200 AO ergebenden öffentlich-rechtlichen Mitwirkungspflichten müssen zum Bilanzstichtag sowohl inhaltlich als auch in zeitlicher Hinsicht hinreichend konkretisiert und sanktionsbewehrt sein.

8.123

Die Merkmale der hinreichenden Konkretisierung und der Sanktionsbewehrung dienen dazu, die Voraussetzungen für das Bestehen einer wirtschaftlichen Belastung des Steuerpflichtigen zu präzisieren.

8.124

Die Bildung einer Rückstellung setzt daher nicht voraus, dass das Gesetz die Handlungspflichten im Einzelnen vorschreibt. Es reicht vielmehr aus, dass das Gesetz das Ziel der Verpflich1 Wacker, HFR 2013, 12. 2 BFH v. 24.8.1972 – VIII R 21/69, BStBl. II 1973, 55.

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D. Rückstellungen für Mitwirkungspflichten im Rahmen von Bp. | Rz. 8.130 Kap. 8

tung in dem Sinne hinreichend konkret benennt, dass der Betroffene mit einer Inanspruchnahme ernsthaft rechnen muss. Wird dieses Kriterium erfüllt, ist es unerheblich, dass dem Steuerpflichtigen mehrere – ihn jeweils wirtschaftlich belastende – Handlungsmöglichkeiten verbleiben, um der gesetzlichen Verpflichtung zu genügen.1 Ebenso ist es als ausreichend angesehen worden, wenn nach den Verhältnissen am Bilanzstichtag mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen war, dass die Behörde eine allgemein bestehende Handlungspflicht durch eine den Steuerpflichtigen wirtschaftlich belastende Ermessensentscheidung konkretisieren wird.2

8.125

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann nichts anderes für die gesetzlichen Mitwirkungspflichten nach § 200 AO gelten. Ausschlaggebend ist, dass die in dieser Vorschrift umschriebenen und durch die Prüfungsanordnung begründeten Verpflichtungen im Zuge der Betriebsprüfung durch den Prüfer konkretisiert werden. Dies kann bspw. durch das Verlangen zur Erteilung von Auskünften oder die Vorlage von Unterlagen erfolgen.

8.126

Nach der Rechtsprechung des BFH sind die einzelnen Mitwirkungsverlangen – mittelbar somit auch die aus § 200 AO resultierenden Verpflichtungen – regelmäßig als Verwaltungsakte zu qualifizieren.3 Die Verpflichtungen sind daher auch sanktionsbewehrt. Denn eine Durchsetzung kann mit Zwangsmitteln – beispielsweise durch die Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld (§ 329 i.V.m. §§ 332 f. AO) – erfolgen.4

8.127

Die Mitwirkungsverpflichtungen des § 200 AO sowie die hierauf beruhenden einzelnen Mitwirkungsanforderungen sind auch in zeitlicher Hinsicht hinreichend konkretisiert, wenn die in der Zukunft mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entstehende Verpflichtung innerhalb eines bestimmbaren und dem Belieben des Steuerpflichtigen entzogenen Zeitraums zu erfüllen ist.5 Erforderlich ist weder eine qualifizierte Nähe der geschuldeten Maßnahmen zum Bilanzstichtag noch ein kalendermäßig bestimmter Fälligkeitszeitpunkt. Dies ist dann der Fall, wenn die allgemeinen Festsetzungs- oder Feststellungsfristen noch nicht abgelaufen sind.

8.128

V. Höhe der zu passivierenden Rückstellung 1. Art der rückstellungsfähigen Aufwendungen Rückstellungsfähig sind dem Grunde nach nur die Aufwendungen, die in einem direkten Zusammenhang mit der Mitwirkung des Steuerpflichtigen bei der Betriebsprüfung stehen. Nach der Art der anfallenden Aufwendungen kann zwischen internen und externen Aufwendungen unterschieden werden.

8.129

Von dem Wortlaut des § 200 Abs. 1 AO werden nur die internen Aufwendungen angesprochen. Ausgehend von § 200 Abs. 1 AO muss der Steuerpflichtige zur Durchführung der Betriebsprüfung geeignete Räumlichkeiten sowie die erforderlichen Hilfsmittel unentgeltlich zur Verfügung stellen. Daraus ergibt sich, dass neben geeigneten Räumlichkeiten auch EDV-technische Möglichkeiten, wie PC und Telefon, unentgeltlich bereitgestellt werden müssen. Darüber hinaus wird den Betriebsprüfern in der Regel die Nutzung von Kopiergeräten gestattet.

8.130

1 S. etwa zur Aufbewahrungspflicht von Geschäftsunterlagen BFH v. 19.8.2002 – VIII R 30/01, BStBl. II 2003, 131. 2 BFH v. 19.11.2003 – I R 77/01, BStBl. II 2010, 482. 3 BFH v. 28.10.2009 – VIII R 78/05, BStBl. II 2010, 455. 4 BFH v. 16.6.2011 – IV B 120/10, BStBl. II 2011, 855. 5 BFH v. 25.3.2004 – IV R 35/02, BStBl. II 2006, 644.

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Kap. 8 Rz. 8.131 | Rückstellungen für Betriebsprüfungsrisiken

8.131

Von § 200 Abs. 1 AO nicht ausdrücklich angesprochen werden hingegen die sog. externen Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Erfüllung der Mitwirkungspflicht ausgelöst werden. Hierzu zählen bspw. Aufwendungen, die für die Inanspruchnahme einer rechtlichen oder steuerlicher Beratung im Zusammenhang mit der Durchführung einer Betriebsprüfung entstehen.

8.132

Nicht einzubeziehen in die Ermittlung des Rückstellungsansatzes sind hingegen die allgemeinen Verwaltungskosten, die bei der Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen gemäß § 257 HGB und § 147 AO, der Verpflichtung zur Erstellung des Jahresabschlusses und der Verpflichtung zur Anpassung des betrieblichen EDV-Systems an die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU)1 berücksichtigt worden sind.2

8.133

In zeitlicher Hinsicht dürfen nur Aufwendungen berücksichtigt werden, die bis zur Auswertung der Prüfungsergebnisse durch Steuerbescheide bzw. Feststellungsbescheide anfallen. Die Kosten eines etwaigen Rechtsbehelfsverfahrens zählen nicht mehr zu den durch die Mitwirkungspflichten veranlassten Aufwendungen.

2. Ermittlung der Höhe des Rückstellungsansatzes a) Handelsrechtlicher Rückstellungsansatz

8.134

Für die Ermittlung des Erfüllungsbetrages ist von den handelsrechtlichen Vorgaben für die Bewertung von Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen gemäß § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB auszugehen. Heranzuziehen ist danach der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendige Erfüllungsbetrag als Bewertungsmaßstab, der nach der h.M. durch die voraussichtlich im Erfüllungszeitpunkt anfallenden Vollkosten bestimmt wird. Diese umfassen neben den Einzelkosten auch die notwendigen Gemeinkosten.3 Über § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG sind die handelsrechtlichen GoB für die Rückstellungsbewertung – unter Beachtung des steuerlichen Bewertungsvorbehalts gemäß § 5 Abs. 6 EStG – auch im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung zu beachten.

8.135

Bei der Ermittlung ist neben der Höhe der Aufwendungen auch die voraussichtliche Dauer der Betriebsprüfung von Relevanz. Sowohl hinsichtlich der Höhe der Aufwendungen als auch hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Betriebsprüfung ist im Rahmen der vorzunehmenden Schätzung auf die Erfahrungswerte der Vergangenheit abzustellen. Kann der Nachweis geführt werden, dass sich die Betriebsprüfung im Durchschnitt der vergangenen Jahre über einen Zeitraum von zwei Jahren erstreckt hat, so kann bei der Bemessung der Rückstellung dieser Zeitraum angesetzt werden.4 Auch für die Ermittlung der Höhe der Aufwendungen für externe Berater, kann im Rahmen einer Schätzung der Rückgriff auf Vergangenheitswerte erfolgen. b) Rückstellungsansatz im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung

8.136

Für die Ermittlung des steuerlichen Rückstellungsansatzes ist bei der Bewertung interner Aufwendungen zu beachten, dass § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG – in Ergänzung zu den GoB – vorsieht, dass Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen mit den Einzelkosten 1 2 3 4

S. hierzu Groß/Matheis/Lindgens, DStR 2003, 921 ff. So auch BMF v. 7.3.2013 – S 2137/12/10001, BStBl. I 2013, 274. Schubert in BeckBilanzkomm, § 253 HGB Rz. 159. Vgl. Starke/Spies, GmbHR 2005, 1042 (1044).

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D. Rückstellungen für Mitwirkungspflichten im Rahmen von Bp. | Rz. 8.139 Kap. 8

und den angemessenen Teilen der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten sind. Nach der BFH Rechtsprechung wird hierdurch eine Vollkostenbewertung für die Rückstellungsbewertung verankert.1 Künftige Kostensteigerungen dürfen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. f EStG nicht berücksichtigt werden. Der sich hiernach ergebende Betrag ist bei einer erst zukünftig zu erfüllenden Verpflichtung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG mit einem Zinssatz von 5,5 % (p. a.) abzuzinsen.

8.137

3. Zuführungen zu der Rückstellung unterliegen keinem steuerlichen Betriebsausgabenabzugsverbot Es stellt sich die Frage, ob die Gewinnwirksamkeit der für die Erfüllung der Mitwirkungspflichten gebildeten Rückstellungen im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung dadurch ausgeschlossen wird, dass die Aufwendungen im Zusammenhang mit steuerlich nicht abzugsfähigen Ertragsteuerzahlungen (also insbesondere im Zusammenhang mit der gemäß § 10 Abs. 2 KStG steuerlich nicht abzugsfähigen Körperschaftsteuer) anfallen.2

8.138

Das Betriebsausgabenabzugsverbot für Ertragsteuerzahlungen gemäß § 10 Nr. 2 KStG umfasst neben der Körperschaftsteuer (Steuern vom Einkommen) die hierauf entfallenden steuerlichen Nebenleistungen. Der § 10 Nr. 2 KStG ist nach seinem Wortlaut eng auszulegen.3 Nicht erfasst werden danach Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Erfüllung der Mitwirkungspflicht gemäß § 200 AO anfallen.

8.139

1 BFH v. 11.10.2012 – I R 66/11, BStBl. II 2013, 676. 2 Weber-Grellet in Schmidt40, § 5 EStG Rz. 368. 3 BFH v. 15.2.2012 – I B 97/11, BStBl. II 2012, 697.

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Kapitel 9 Streitvermeidungsinstrumente A. Verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) I. Überblick 1. Inhalt und Zweck . . . . . . . . . . . 2. Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . 3. Normzusammenhänge a) Formen der verbindlichen Willensäußerungen . . . . . . . b) Verbindliche Zusage nach Außenprüfung (§ 204 AO) . c) Lohnsteueranrufungsauskunft (§ 42e EStG) . . . . . . . . d) Tatsächliche Verständigung . II. Verfahren 1. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antragsteller . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bearbeitungsfrist (§ 89 Abs. 2 Satz 4 AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Voraussetzungen 1. Auskunftsanspruch nur unter bestimmten Voraussetzungen . . 2. Genau bestimmter, noch nicht verwirklichter Sachverhalt . . . . 3. Auskunftsinteresse . . . . . . . . . . V. Entscheidung über den Antrag 1. Art der Entscheidung . . . . . . . . 2. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Inhalt der Auskunft und Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . VII. Entfallen der Bindungswirkung 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entfallen der Bindungswirkung bei Gesetzesänderungen (§ 2 Abs. 3 StAuskV) . . . . . . . . . 3. Aufhebung und Änderung (§ 2 Abs. 4 StAuskV) . . . . . . . . . 4. Berichtigung, Rücknahme und Widerruf (§§ 129 bis 131 AO) . VIII. Rechtsschutz 1. Verschiedene Formen des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . 2. Ablehnung einer Auskunft . . . .

9.1 9.4 9.6 9.7 9.8 9.12 9.13 9.19 9.22 9.25 9.27 9.28 9.32 9.34 9.35 9.36 9.39 9.41 9.44 9.49 9.50 9.51 9.55 9.58 9.59

3. Negative Auskunft . . . . . . . . . . . 4. Untätigkeit der Finanzbehörde . 5. Erlass von zusagewidrigen Steuer- oder Feststellungsbescheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Aufhebung und Änderung nach § 2 Abs. 4 StAuskV sowie Berichtigung, Rücknahme und Widerruf nach §§ 129 bis 131 AO . . . 7. Vorläufiger Rechtsschutz . . . . . IX. Gebührenpflicht 1. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . 2. Berechnung der Gebühr . . . . . .

9.60 9.61 9.62

9.64 9.65 9.67 9.70

B. Verbindliche Zusage (§§ 204 ff. AO) I. Überblick 1. Inhalt und Zweck . . . . . . . . . . . 9.75 2. Normzusammenhänge . . . . . . . 9.77 II. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.79 III. Voraussetzungen 1. Im Anschluss an eine Betriebsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.80 2. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.82 3. Für die Vergangenheit geprüfter Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . 9.86 4. Sachverhaltsdarstellung im Prüfungsbericht . . . . . . . . . . . . 9.87 5. Zusageinteresse . . . . . . . . . . . . . 9.89 IV. Rechtsfolgen 1. Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.91 2. Rechtsnatur, Form und Inhalt der Zusage . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.93 3. Bindungswirkung . . . . . . . . . . . 9.99 V. Bestandskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.103 VI. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.108 C. Tatsächliche Verständigung I. Überblick 1. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsgrundlagen und Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung von Sachverhaltund Rechtsfragen . . . . . . . . . . . 3. Erschwerte Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.109 9.112 9.114 9.117 9.118

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Kap. 9 | Streitvermeidungsinstrumente

III. IV. V. D. I. II. III.

4. Kein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beidseitiger Rechtsbindungswille 6. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Vertretungsberechtigung . . . . . Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . Entfallen der Bindungswirkung . . Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrauensschutz und Treu & Glauben Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsätzliches zu sonstigen Vertrauenstatbeständen . . . . . . . . . . . . Begründung und Bindungswirkung sonstiger Vertrauenstatbestände 1. Sonstige Vertrauenstatbestände a) Rechtspraktische Bedeutung b) „Nachdrückliche Willensäußerung“ aa) Zwitterstellung zwischen rechtsverbindlicher Erklärung und unverbindlicher Auskunft . . . . . . .

9.119 9.120 9.122 9.125 9.129 9.131 9.135

9.136 9.141 9.144

bb) FG Köln v. 13.2.2003 – 15 K 600/99 . . . . . . . . . cc) FG München v. 27.2.1973 – II 102/71 . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . c) Langjährige Verwaltungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Exkurs: Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und § 176 AO . . 2. Vertrauensbetätigung (Dispositionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitliche Begrenzung der Bindungswirkung a) Beendigung der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das frühere Verhalten der Finanzbehörde war unrichtig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das frühere Verhalten der Finanzbehörde war rechtlich vertretbar . . . . . . . . . . . d) Abschließender Hinweis . . .

9.146 9.147 9.148 9.149 9.152 9.154

9.157 9.158 9.162 9.163

9.145

A. Verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) Literatur: Blumers, Auskunft, verbindlich nach Belieben der Verwaltung?, DB 2018, 1108; Borggreve, Auskünfte und Zusagen über Besteuerungsgrundlagen (Teil II), AO-StB 2007, 77; Brühl/Süß, Die neuen §§ 163 und 89 AO: Alte Probleme beseitigt – neue geschaffen?, DStR 2016, 2617; Bruns, Die verbindliche Auskunft aus Perspektive der Finanzverwaltung – Zügige Bearbeitung und aktuelle Gebührenfragen, DStR 2017, 2360; Eilers/Nosthoff-Horstmann, Verbindliche Auskunft – ein Werkstattbericht, FR 2017, 170; Hendricks/Rogall/Schönfeld, Probleme der behördlichen Zuständigkeit für die Erteilung verbindlicher Auskünfte in Umwandlungsfällen nach dem UmwStG, Ubg 2009, 197; Joisten/Bergmann, Wann darf das Finanzamt die Erteilung einer verbindlichen Auskunft ablehnen?, FR 2014, 923; Kowanda, Die erbschaft-/schenkungsteuerliche verbindliche Auskunft unter Berücksichtigung der neuen ErbStVA v. 7.12.2017, DStR 2018, 1902; Krumm, Verbindliche Auskunft und gerichtliche Kontrolle – Zu den Voraussetzungen und Grenzen einer administrativen Letztentscheidungskompetenz bei verbindlichen Auskünften, DStR 2011, 2429; Prusko, Die Anrufungsauskunft bei Mitarbeiter- und Managementbeteiligungsprogrammen, DB 2018, 1044; Rapp, Zulässigkeit eines Antrags auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft bei Auseinanderfallen von Handlungs- und Wirkungsebene, FR 2017, 520; Seer, Verbindliche Auskunft, FR 2017, 161; Spilker, Verfassungsrechtliche Anforderungen an eine gesetzliche Regelung der verbindlichen Auskunft, StuW 2013, 19; Thiele, Die Neuregelung der verbindlichen Auskunft durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens, FR 2016, 947; Thiemann, Rechtssichere Anwendung des Steuerrechts – Verfassungsrechtliche Anforderungen und verfahrensrechtliche Optionen, StuW 2019, 295; von Wedelstädt, Abschnittsbesteuerung: keine Bindung an frühere Besteuerungsperioden – Trotzdem: Wege zur Planungssicherheit?, AO-StB 2013, 219; Werder/ Dannecker, Zweifelsfragen zur verbindlichen Auskunft, BB 2011, 2903.

752 | Frantzmann

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A. Verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) | Rz. 9.4 Kap. 9

I. Überblick 1. Inhalt und Zweck Das typische Besteuerungsverfahren zeichnet sich dadurch aus, dass der Steuerpflichtige zunächst einen Sachverhalt verwirklicht und diesen anschließend gegenüber den Finanzbehörden im Rahmen seiner Erklärungs- bzw. Anzeigepflichten offenlegt. Sodann tritt das Finanzamt im Veranlagungsverfahren und der sich ggf. anschließenden Betriebsprüfung in die Prüfung dieses Sachverhalts ein. Dieser Ablauf birgt für den Steuerpflichtigen das Risiko, bei der Verwirklichung des Sachverhalts von einer steuerlichen Würdigung auszugehen, die im Nachhinein vom Finanzamt nicht geteilt wird. Dies kann zu unerwarteten Steuernachzahlungen führen. Da Betriebsprüfungen regelmäßig erst einige Jahre nach dem Veranlagungszeitraum durchgeführt werden, kommen häufig Nachzahlungszinsen in nicht unbeträchtlicher Höhe hinzu. Ärgerlich kann für den Steuerpflichtigen auch sein, wenn er im Nachhinein feststellt, dass die nachteiligen steuerlichen Folgen bei einer – ggf. nur geringfügig – anderen Gestaltung des Sachverhalts hätten vermieden werden können.

9.1

Eine Möglichkeit zur Verhinderung derartiger Konsequenzen bietet das Rechtsinstitut der verbindlichen Auskunft. Vom Blickwinkel her stellt sie das Gegenteil zu einer Betriebsprüfung dar. Während die Betriebsprüfung auf die steuerliche Überprüfung eines abgeschlossenen Sachverhalts gerichtet ist, zielt die verbindliche Auskunft auf die Beurteilung eines noch nicht verwirklichten Sachverhalts. Sie bietet dem Steuerpflichtigen die Gelegenheit, eine verbindliche Einschätzung der Finanzbehörde zu einem geplanten Sachverhalt zu bekommen, und stellt damit zugleich ein Instrument zur Verringerung der Risiken aus zukünftigen Betriebsprüfungen dar.

9.2

Das bedeutet allerdings nicht, dass Sachverhalte, zu denen eine verbindliche Auskunft eingeholt worden ist, nicht Gegenstand einer Betriebsprüfung sein könnten. So kann im Rahmen einer Außenprüfung auch überprüft werden, ob überhaupt eine verbindliche Auskunft erteilt wurde1, ob der später verwirklichte Sachverhalt von dem der Auskunft zugrunde gelegten Sachverhalt nicht oder nur unwesentlich abweicht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV) oder ob die Bindungswirkung einer Auskunft entfallen ist (§ 2 Abs. 3 und 4 StAuskV).

9.3

2. Rechtsentwicklung Die verbindliche Auskunft war zunächst gesetzlich nicht geregelt. Nach der Rechtsprechung des BFH war aber anerkannt, dass Zusagen einer Finanzbehörde nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verbindlich sein können.2 Erst mit dem Föderalismus-Begleitgesetz vom 5.9.20063 hat der Gesetzgeber in § 89 Abs. 2 AO eine gesetzliche Grundlage für die verbindliche Auskunft geschaffen. Die Gebührenpflicht wurde mit dem JStG 2007 vom 13.12.2006 eingefügt und durch das StVereinfG vom 1.11.2011 neu geregelt. Die gebührenrechtlichen Regelungen finden sich seitdem in § 89 Abs. 3 bis 7 AO. Zu der vorerst letzten gesetzlichen Änderung hat das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.20164 geführt. Seitdem findet sich in § 89 Abs. 2 Satz 4 AO eine sechsmonatige Entscheidungsfrist für die Finanzbehörde. 1 BFH v. 30.3.2011 – XI R 30/09, BStBl. II 2011, 613. 2 BFH v. 16.11.2005 – X R 3/04, BStBl. II 2006, 155; BFH v. 13.12.1989 – X R 208/87, BStBl. II 1990, 274. 3 BGBl. I 2006, 2098. 4 BGBl. I 2016, 1679.

Frantzmann | 753

2021-10-28, 14:20, HB mittel

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9.4

Kap. 9 Rz. 9.5 | Streitvermeidungsinstrumente

9.5

Praxisrelevanz sind auch die untergesetzlichen Regelungen. Auf der Grundlage des § 89 Abs. 2 Satz 5 AO hat das BMF die StAuskV erlassen. Die StAuskV beinhaltet Regelungen zu Form und Inhalt des Auskunftsantrags sowie zur Bindungswirkung einer verbindlichen Auskunft. Umfassende Verwaltungsanweisungen finden sich im AEAO zu § 89.

3. Normzusammenhänge a) Formen der verbindlichen Willensäußerungen

9.6

Neben der verbindlichen Auskunft kennt das Gesetz weitere Formen der verbindlichen Willensäußerungen durch Finanzbehörden. Praxisrelevant sind vor allem die verbindliche Zusage im Anschluss an eine Außenprüfung (§ 204 AO), die Lohnsteueranrufungsauskunft (§ 42e EStG) sowie die tatsächliche Verständigung. b) Verbindliche Zusage nach Außenprüfung (§ 204 AO)

9.7

Die verbindliche Zusage nach § 204 AO (dazu Rz. 9.75) beinhaltet – wie eine verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO – eine verbindliche Einschätzung der Finanzbehörde zu einem zukünftigen Sachverhalt. Der Anwendungsbereich ist enger, da sich § 204 AO nur auf Sachverhalte bezieht, die bereits Gegenstand einer Betriebsprüfungwaren. Damit kommt eine verbindliche Zusage vor allem bei Dauersachverhalten zum Tragen. Eine verbindliche Zusage ist – anders als eine verbindliche Auskunft (vgl. § 89 Abs. 3 bis 7 AO) – gebührenfrei, was seine Rechtfertigung darin findet, dass die Finanzbehörde bereits mit dem Sachverhalt befasst war. § 204 AO und § 89 Abs. 2 AO sind nebeneinander anwendbar. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 204 AO dürfte ein Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Zusage wegen der Gebührenfreiheit in den meisten Fällen vorzugswürdig sein. § 204 AO weist zudem den Vorteil auf, dass der zu beurteilende Sachverhalt dem entscheidungsbefugten Finanzamt bereits bekannt ist. c) Lohnsteueranrufungsauskunft (§ 42e EStG)

9.8

Gemäß § 42e Satz 1 EStG hat das Betriebsstättenfinanzamt auf Anfrage eines Beteiligten darüber Auskunft zu geben, ob und inwieweit im einzelnen Fall die Vorschriften über die Lohnsteuer anzuwenden sind. Die Auskunft kann sich auf sämtliche Sachverhalte im Zusammenhang mit der Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer beziehen. Geklärt werden kann beispielsweise die Arbeitnehmereigenschaft1, die Behandlung geldwerter Vorteile2 oder der Zeitpunkt des Zuflusses von Arbeitslohn3. Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass dem Arbeitgeber im Rahmen des Lohnsteuerverfahrens umfangreiche, kostenträchtige und haftungsrelevante Pflichten auferlegt werden. Als Ausgleich hierfür bietet § 42e EStG die Möglichkeit, möglichst frühzeitig eine verbindliche Einschätzung über die Anwendung lohnsteuerrechtlicher Normen zu erhalten.4

9.9

Da § 42e EStG auf die Beteiligten abstellt, sind neben dem Arbeitgeber auch der Arbeitnehmer sowie alle Personen, die nach § 42d EStG in Haftung genommen werden können (z.B. gesetzliche Vertreter juristischer Personen nach §§ 69, 34 AO) antragsberechtigt.5 Die Lohn1 2 3 4 5

BFH v. 30.4.2009 – VI R 54/07, BStBl. II 2010, 996. FG Hess. v. 22.2.2018 – 4 K 1408/17, rkr.; Prusko, DB 2018, 1044 (1048 ff.). FG Hess. v. 20.7.2015 – 6 K 2258/13, rkr. BFH v. 30.4.2009 – VI R 54/07, BStBl. II 2010, 996. BMF v. 12.12.2017 – IV C 5 - S 2388/14/10001, BStBl. I 2017, 1656 Rz. 1.

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A. Verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) | Rz. 9.15 Kap. 9

steueranrufungsauskunft ist – anders als eine verbindliche Auskunft (vgl. § 89 Abs. 3 bis 7 AO) – gebührenfrei.1 Die Auskunft stellt einen feststellenden Verwaltungsakt dar, mit dem sich das Finanzamt zusagt, Lohnsteuer weder im Wege eines Nachforderungs- noch eines Haftungsbescheids nachzuerheben.2 Die Bindung gilt nur für das Lohnsteuerverfahren und nicht auch für die Einkommensteuerveranlagung der Arbeitnehmer durch die Wohnsitzfinanzämter.3

9.10

§ 42e EStG und § 89 Abs. 2 AO sind nebeneinander anwendbar. Aufgrund der Gebührenfreiheit dürfte bei lohnsteuerrechtlichen Fragen in der Regel eine Anfrage nach § 42e EStG vorzugswürdig sein.

9.11

d) Tatsächliche Verständigung Die tatsächliche Verständigung (dazu Rz. 9.109) unterscheidet sich von der verbindlichen Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) – wie auch der verbindlichen Zusage (§ 204 AO) – dadurch, dass sie sich auf bereits abgeschlossene (unklare) Sachverhalte bezieht. Verbindliche Auskünfte und Zusagen sind dagegen auf die steuerliche Behandlung eines zukünftigen Sachverhalts gerichtet.

9.12

II. Verfahren 1. Antrag Eine verbindliche Auskunft setzt einen Antrag voraus (§ 89 Abs. 2 Satz 1 AO), der schriftlich oder elektronisch zu stellen ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 StAuskV).

9.13

Inhaltlich hat der Antrag die in § 1 Abs. 1 Satz 2 StAuskV genannten Angaben zu enthalten. Durch die Angaben wird die Finanzbehörde in die Lage versetzt, die materiellen Voraussetzungen für eine verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 Satz 1 AO zu prüfen (dazu ausführlich Rz. 9.27).

9.14

Besonders bedeutsam ist die Darstellung des geplanten Sachverhalts. Bei unvollständigen bzw. ungenauen Sachverhaltsangaben droht nicht nur die Ablehnung des Antrags,4 sondern auch, dass einer erteilten Auskunft die Bindungswirkung abgesprochen wird. Denn eine Auskunft ist nur dann verbindlich, wenn der später verwirklichte Sachverhalt von dem im Antrag geschilderten Sachverhalt nicht oder nur unwesentlich abweicht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV, AEAO zu § 89 Nr. 3.6.1 Satz 1). Die Sachverhaltsdarstellung wird daher als „Kernelement des Auskunftsantrags“5 bezeichnet. In der Praxis bietet es sich im Interesse einer umfassenden Sachverhaltsaufbereitung an, zunächst den „Status Quo“ und darauf aufbauend die geplanten Änderungen darzustellen.6 Dabei können Vertragsentwürfe vorgelegt werden.7 Zu beachten

9.15

1 BMF v. 12.12.2017 – IV C 5 - S 2388/14/10001, BStBl. I 2017, 1656 Rz. 1. 2 BFH v. 30.4.2009 – VI R 54/07, BStBl. II 2010, 996; BMF v. 12.12.2017 – IV C 5 - S 2388/14/10001, BStBl. I 2017, 1656 Rz. 18. 3 BFH v. 13.1.2011 – VI R 61/09, BStBl. II 2011, 479; BFH v. 9.10.1992 – VI R 97/90, BStBl. II 1993, 166. 4 FG Nürnberg v. 5.12.2017 – 2 K 844/17, EFG 2018, 169 (rkr.); BayLfSt, Vfg. v. 4.7.2018 – S 0224.2.1-21/4 St43, DB 2018, 1701. 5 Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, Anhang 14 Verbindliche Auskünfte bei Umwandlungen, Rz. 81. 6 Dazu ausführlich Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, Anhang 14 Verbindliche Auskünfte bei Umwandlungen, Rz. 81. 7 Dazu FG Nürnberg v. 5.12.2017 – 2 K 844/17, EFG 2018, 169 (rkr.).

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Kap. 9 Rz. 9.15 | Streitvermeidungsinstrumente

ist ferner, dass das Finanzamt keine eigenen Maßnahmen zur Sachverhaltsermittlung durchführen muss und dass für alternative Gestaltungsvarianten keine verbindliche Auskunft erteilt wird (AEAO zu § 89 AO Nr. 3.5.1 Satz 2 und 3). In zeitlicher Hinsicht ist zu beachten, dass der Sachverhalt bei Stellung des Antrags und – jedenfalls nach Auffassung der Finanzverwaltung (AEAO zu § 89 AO Nr. 3.5.2 Satz 3) – auch bei der Entscheidung über den Antrag noch nicht verwirklicht sein darf. Lediglich mit vorbereitenden Maßnahmen darf vorher begonnen werden. Die Abgrenzung von „vorbereitenden“ und „verwirklichenden“ Maßnahmen kann in der Praxis schwierig sein.1 Nach Verwaltungsauffassung ist entscheidend, dass dem Auskunftsantrag zugrunde gelegte Sachverhalt im Wesentlichen noch nicht verwirklicht wurde und noch anderweitige Dispositionen möglich sind (AEAO zu § 89 AO Nr. 3.4.2 Satz 2). In der Praxis ist daher eine möglichst frühzeitige Antragstellung ratsam.

9.16

Der Antragsteller hat ferner das Rechtsproblem mit eingehender Begründung des eigenen Rechtsstandpunktes darzulegen und eine konkrete Rechtsfrage zu formulieren (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4. und 5 StAuskV). Im Interesse einer möglichst weitreichenden Bindungswirkung sollten die Fragen nicht zu eng formuliert werden. Nach AEAO zu § 89 AO Nr. 3.4.4 reicht es allerdings nicht aus, allgemeine Fragen zu den bei Verwirklichung des geplanten Sachverhalts eintretenden steuerlichen Rechtsfragen darzulegen.2

9.17

Im Übrigen hat der Antrag die genaue Bezeichnung des Antragstellers (Nr. 1), die Darlegung des besonderen steuerlichen Interesses (Nr. 3), die Erklärung, dass über den zur Beurteilung gestellten Sachverhalt bei keiner anderen Finanzbehörde eine verbindliche Auskunft beantragt wurde (Nr. 6) sowie die Versicherung, dass alle für die Erteilung der Auskunft und für die Beurteilung erforderlichen Angaben gemacht wurden und der Wahrheit entsprechen (Nr. 7), zu enthalten.

9.18

Zudem soll der Antragsteller nach § 89 Abs. 4 Satz 2 AO Angaben zum Gegenstandswert machen. Diese Angabe ist deshalb besonders bedeutsam, weil die Finanzbehörde diese Angaben nach § 89 Abs. 4 Satz 3 AO grundsätzlich der Gebührenfestsetzung zugrunde legen soll (vgl. dazu Rz. 9.67).

2. Antragsteller 9.19

Antragsteller ist derjenige, in dessen Namen der Antrag gestellt wird.3 In der Praxis sollte sorgfältig geprüft werden, durch wen der Antrag gestellt wird. Denn eine verbindliche Auskunft wird nur erteilt, wenn gerade der Antragsteller ein besonderes Interesse an der verbindlichen Auskunft gelten machen kann (sog. Dispositionsinteresse, dazu Rz. 9.32). Zudem ist der Antragsteller Schuldner der Gebühr nach § 89 Abs. 3 AO (vgl. AEAO zu § 89 Nr. 3.2.1)

9.20

Da regelmäßig der Steuerpflichtige ein besonderes Interesse an der Erteilung der verbindlichen Auskunft haben wird, ist er im Regelfall auch antragsbefugt. In Ausnahmefällen ist eine Antragstellung durch Dritte möglich. Nach AEAO zu § 89 AO Nr. 3.2.3 und § 1 Abs. 4 StAuskV kann ein Dritter antragsbefugt sein, wenn der Steuerpflichtige bei Antragstellung noch nicht existiert und der Dritte ebenfalls ein eigenes berechtigtes Interesse an der Auskunftserteilung darlegen kann. So können beispielsweise Gründer einer noch nicht existenten Kapitalgesellschaft4 oder 1 2 3 4

Vgl. Beispielsfälle bei Werder/Dannecker, BB 2011, 2903 (2906). Dazu Joisten/Bergmann, FR 2014, 923 (925). AEAO zu § 89 Nr. 3.2.1; Roser in Gosch, § 89 AO Rz. 38. Nach AEAO zu § 89 Nr. 3.2.3 sind Gründer nur antragsbefugt, wenn ihre (zukünftige) Beteiligungsquote mindestens 50 % beträgt.

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A. Verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) | Rz. 9.24 Kap. 9

Vorgründergesellschaften eine verbindliche Auskunft zur künftigen Besteuerung der künftigen Gesellschaft stellen. § 1 Abs. 2 Satz 1 StAuskV regelt Fälle, in denen der Antrag von mehreren Beteiligten gemeinsam zu stellen ist. Dies betrifft Sachverhalte, die mehreren Personen steuerlich zuzurechnen sind (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StAuskV i.V.m. § 179 Abs. 2 Satz 2 AO) sowie Organschaftsfälle (Nr. 2 bis 4). Hauptanwendungsfall des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StAuskV ist die Besteuerung von Personengesellschaften, bei denen darauf zu achten ist, dass der Antrag von sämtlichen Gesellschaftern gestellt wird. Durch das Erfordernis eines gemeinsamen Antrags sollen widerstreitende Rechtsauskünfte vermieden werden.1 Feststellungsbeteiligte können sich grundsätzlich nur einvernehmlich auf eine Auskunft berufen. Die Bindungswirkung entfällt, wenn sich ein Beteiligter – beispielsweise durch eine von der Auskunft abweichende Steuererklärung – von ihr löst.2

9.21

3. Bearbeitungsfrist (§ 89 Abs. 2 Satz 4 AO) Nach § 89 Abs. 2 Satz 4 AO soll über den Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft innerhalb von sechs Monaten ab Eingang des Antrags bei der zuständigen Finanzbehörde entschieden werden. Die mit StModernG vom 18.7.20163 eingefügte Vorschrift gilt erstmals für Anträge, die nach dem 31.12.2016 beim zuständigen Finanzamt eingegangen sind (Art. 97 § 25 EGAO).

9.22

Mit der an § 347 Abs. 1 Satz 2 AO angelehnten Bearbeitungsfrist soll erreicht werden, dass die Finanzbehörden der zügigen Bearbeitung von Auskunftsanträgen künftig einen höheren Stellenwert einräumen.4 Die Vorschrift ist allerdings als „Soll-Vorschrift“ ausgestaltet, aus der keine Verpflichtung zur Einhaltung der Frist abgeleitet werden kann. Nach § 89 Abs. 2 Satz 4 Halbs. 2 AO ist die Behörde lediglich verpflichtet, den Antragsteller unter Angabe von Gründen auf die Nichteinhaltung der Frist hinzuweisen. Der Hinweis hat innerhalb der Frist zu erfolgen.5 Anders als § 347 Abs. 1 Satz 2 AO sieht die Regelung nicht die Angabe „zureichender“ Gründe vor.

9.23

Nicht ausdrücklich geregelt ist, welche Rechtsfolgen sich aus einem Verstoß gegen § 89 Abs. 2 Satz 4 AO ergeben. Aus der Gesetzesbegründung folgt, dass aus dem bloßen Ablauf der Bearbeitungsfrist nicht gefolgert werden kann, dass die Auskunft als im beantragten Sinn erteilt gilt.6 Teile der Literatur ziehen hieraus den Schluss, der Steuerpflichtige habe auch nach Fristablauf keine Handhabe, die Finanzbehörde zu einer zeitnahen Entscheidung zu veranlassen.7 Da eine verbindliche Auskunft ein Verwaltungsakt ist, sprechen allerdings überzeugende Gründe dafür, dass der Steuerpflichtige die Erteilung einer verbindlichen Auskunft jedenfalls im Wege des Untätigkeitseinspruchs (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO) bzw. der anschließenden Untätigkeitsklage erzwingen kann (vgl. dazu Rz. 9.61).8

9.24

1 2 3 4 5 6

Roser in Gosch, § 89 AO Rz. 39. BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37. BGBl. I 2016, 1679. BT-Drucks. 18/8434, 109. So auch Rätke in Klein15, § 89 AO Rz. 28. BT-Drucks. 18/8434, 109. Vgl. auch AEAO zu § 89 Nr. 3.5.9 Satz 2; Rätke in Klein15, § 89 AO Rz. 29. Kritisch Seer, FR 2017, 161 (168). 7 Brühl/Süß, DStR 2016, 2617 (2620 f.); Seer, FR 2017, 161, 168; Thiele, FR 2016, 947 (950). 8 So überzeugend Rätke in Klein15, § 89 AO Rz. 29.

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Kap. 9 Rz. 9.25 | Streitvermeidungsinstrumente

III. Zuständigkeit 9.25

Zuständig für die Erteilung einer verbindlichen Auskunft ist die Finanzbehörde, die bei der Verwirklichung des dem Antrag zugrunde liegenden Sachverhalts nach §§ 18 ff. AO örtlich zuständig sein würde (§ 89 Abs. 2 Satz 2 AO). Maßgeblich sind damit nicht die derzeitigen Verhältnisse, sondern der geplante Sachverhalt. Betrifft eine verbindliche Auskunft mehrere Steuerarten und sind hierfür jeweils unterschiedliche Finanzämter zuständig, soll nach AEAO zu § 89 Nr. 3.3.2.3 eine Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO herbeigeführt werden, wenn die unterschiedliche Zuständigkeit weder für den Steuerpflichtigen noch für die Finanzbehörden zweckmäßig ist. Sofern keine Zuständigkeitsvereinbarung herbeigeführt werden kann, sollen sich die beteiligten Finanzämter untereinander abstimmen, um widersprüchliche Auskünfte zu vermeiden.

9.26

Ist eine verbindliche Auskunft nach § 1 Abs. 2 StAuskV von mehreren Beteiligten gemeinsam zu beantragen, so richtet sich die Zuständigkeit nach § 1 Abs. 3 StAuskV. In Fällen der gesonderten und einheitlichen Feststellung ist die verbindliche Auskunft durch das für das Feststellungsverfahren zuständige Finanzamt (§ 18 AO) zu erteilen (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAuskV).

IV. Voraussetzungen 1. Auskunftsanspruch nur unter bestimmten Voraussetzungen 9.27

§ 89 Abs. 2 Satz 1 AO knüpft die Erteilung einer verbindlichen Auskunft an bestimmte Voraussetzungen. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, so ist der Auskunftsantrag unzulässig, d.h. der Steuerpflichtige hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Auskunft.

2. Genau bestimmter, noch nicht verwirklichter Sachverhalt 9.28

Verbindliche Auskünfte werden nur zu genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilt.

9.29

Das Erfordernis eines genau bestimmten Sachverhalts ergibt sich daraus, dass die steuerliche Beurteilung eines Falls regelmäßig nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls möglich ist. Dementsprechend hat der Antrag eine umfassende und in sich abgeschlossene Sachverhaltsdarstellung zu enthalten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StAuskV, dazu Rz. 9.15).

9.30

Der Sachverhalt darf noch nicht verwirklicht sein. Bereits verwirklichte Sachverhalte sollen nicht im Auskunftsverfahren, sondern im Feststellungs- oder Festsetzungsverfahren1 bzw. im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung2 beurteilt werden. Abzustellen ist auf den tatbestandsrelevanten Sachverhalt, der die steuerliche Rechtsfolge auslöst.3 Noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, bis zu welchem Zeitpunkt mit der Verwirklichung des Sachverhalts abzuwarten ist.4 Während die Finanzverwaltung5 und die wohl herrschende Literaturauffassung6 auf den Zeitpunkt der Auskunftserteilung abheben, halten andere Literaturstimmen7 den Zeitpunkt der Antragstellung für maßgeblich. Für den Zeitpunkt der Auskunftserteilung spricht insbesondere der Wortlaut des § 89 Abs. 2 Satz 1 AO. Denn „Auskünfte über die steuerliche 1 2 3 4 5 6 7

AEAO zu § 89 Nr. 3.5.2 Satz 2; Söhn in HHSp., § 89 AO Rz. 228. BFH v. 22.7.2008 – IX R 74/06, BStBl. II 2009, 124. BFH v. 12.8.2015 – I R 45/14, BFHE 251, 119. Offengelassen durch BFH v. 12.8.2015 – I R 45/14, BFHE 251, 119. AEAO zu § 89 Nr. 3.5.2 Satz 3. Rätke in Klein15, § 89 AO Rz. 17; Söhn in HHSp., § 89 AO Rz. 228. Borggreve, AO-StB 2008, 108 (111).

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A. Verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) | Rz. 9.34 Kap. 9

Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten“ können nur erteilt werden, wenn der Sachverhalt bei Auskunftserteilung noch nicht verwirklicht ist.1 Auch aus § 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV, wonach eine verbindliche Auskunft bindend ist, wenn der später verwirklichte Sachverhalt von dem der Auskunft zugrunde gelegte Sachverhalt nicht oder nur unwesentlich abweicht, spricht für die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Auskunftserteilung. Den teilweise geäußerten Bedenken, dem Steuerpflichtigen könne angesichts der häufig längeren Bearbeitungszeit nicht zugemutet werden, mit der Sachverhaltsverwirklichung bis zur Entscheidung der Finanzbehörde abzuwarten, sollte durch eine moderate Auslegung des Merkmals der Sachverhaltsverwirklichung Rechnung getragen werden.2 Nach AEAO zu § 89 Nr. 3.5.2 Satz 1 ist die Erteilung einer verbindlichen Auskunft ausgeschlossen, wenn der Sachverhalt im Wesentlichen bereits verwirklicht ist. Bloße Vorbereitungshandlungen zur Verwirklichung des Sachverhaltes sind unschädlich.3 Nach AEAO zu § 89 Nr. 3.4.2 liegt eine Vorbereitungshandlung vor, solange der dem Auskunftsantrag zugrunde gelegte Sachverhalt im Wesentlichen noch nicht verwirklicht wurde und noch anderweitige Dispositionen möglich sind.

9.31

3. Auskunftsinteresse Der Antragsteller muss an der begehrten Auskunft im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse haben (sog. Dispositionsinteresse). Nach Auffassung der Finanzverwaltung4 ist ein derartiges Interesse nur bei Sachverhalten mit schwierig zu lösenden steuerlichen Fragen gegeben; eine verbindliche Auskunft ist abzulehnen, wenn eindeutig erkennbar ist, dass auf den geschilderten Sachverhalt ein im Bundessteuerblatt I veröffentlichtes BMF-Schreiben bzw. ein im Bundesteuerblatt II veröffentlichte BFH-Entscheidung angewendet werden kann.

9.32

In der Literatur wird dagegen vertreten, dass die Anforderungen an das Dispositionsinteresse nicht überspannt werden dürften.5 So wird es als ausreichend angesehen, dass von der beantragten Zusage wirtschaftliche Dispositionen des Steuerpflichtigen abhängig sind und in rechtlicher Hinsicht Unsicherheit besteht.6 Für eine eher großzügige Auslegung lässt sich – neben der freiheitsgrundrechtlichen Fundierung der verbindlichen Auskunft7 – anführen, dass missbräuchliche Anträge bereits durch die Gebührenpflicht (§ 89 Abs. 3 bis 7 AO) verhindert werden dürften.

9.33

V. Entscheidung über den Antrag 1. Art der Entscheidung 9.34

Die Entscheidung der Finanzbehörde kann folgenden Inhalt haben: – Die Finanzbehörde kann die Auskunft wie beantragt erteilen, d.h. die vom Antragsteller geäußerte Rechtsauffassung bestätigen (sog. „positive Auskunft“). 1 2 3 4 5

Söhn in HHSp., § 89 AO Rz. 228. In diesem Sinne auch Roser in Gosch, § 89 AO Rz. 48. BFH v. 12.8.2015 – I R 45/14, BFHE 251, 119. BayLfSt v. 4.7.2018 – S 0224.2.1-21/4 St43, Rz. 2, DB 2018, 1701. Roser in Gosch, § 89 AO Rz. 55; Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 32; Söhn in HHSp., § 89 AO Rz. 202. 6 Seer in Tipke, § 89 AO Rz. 32. 7 Dazu Seer, FR 2017, 161.

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Kap. 9 Rz. 9.34 | Streitvermeidungsinstrumente

– Ist die Finanzbehörde anderer Auffassung als der Antragsteller, so erteilt sie eine abweichende Auskunft (sog. „negative Auskunft“). – Liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Auskunft nicht vor, so hat die die Auskunft abzulehnen (Ablehnungsbescheid).

2. Rechtsnatur 9.35

Bei der verbindlichen Auskunft handelt es sich um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 118 Satz 1 AO. Die für Verwaltungsakte geltenden Vorschriften über die Form der Bekanntgabe (§ 122 AO), der Abänderbarkeit (§§ 129 bis 131 AO) und der Einspruchs- und Klagemöglichkeiten1 finden Anwendung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Auskunft der Rechtsauffassung des Antragstellers entspricht („positive Auskunft“ = begünstigender Verwaltungsakt) oder nicht („negative Auskunft“ = belastender Verwaltungsakt).2

3. Ermessen 9.36

Liegen die Voraussetzungen für eine verbindliche Auskunft vor, so ist die Erteilung der Auskunft nach dem Wortlaut des § 89 Abs. 2 Satz 1 AO („können“) in das pflichtgemäße Ermessen der Finanzbehörde gestellt.3 Dieses Ermessen ist allerdings eingeschränkt.

9.37

Höchstrichterlich entschieden ist, dass der Finanzbehörde kein Auswahlermessen zusteht. Sie hat keine Wahl zwischen mehreren Auskunftsalternativen, sondern muss die ihrer Auffassung nach richtige Auskunft erteilen.4

9.38

Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass den Behörden ein Entschließungsermessen – also ein Ermessen dazu, ob überhaupt eine Auskunft erteilt wird – zusteht.5 In der Literatur wird hiergegen eingewandt, dass mit der Einführung der Gebührenpflicht kein schützenswertes Interesse der Verwaltung mehr ersichtlich sei, welches im Rahmen einer Ermessensabwägung gegen die Erteilung einer Auskunft angeführt werden könne, und daher grundsätzlich eine Ermessensreduzierung auf null gegeben sei.6 Dem ist im Grundsatz zuzustimmen. Seit Einführung der Gebührenpflicht wird eine Auskunft jedenfalls nicht mehr unter Verweis auf die mit der Auskunftserteilung einhergehende Verwaltungsbelastung abgelehnt werden können. Das bedeutet allerdings nicht, dass nicht in Einzelfällen andere schützenswerte Interessen der Verwaltung zu berücksichtigen sein können. Ein schützenswertes Interesse könnte beispielsweise anzunehmen sein, wenn zu dem Rechtsproblem eine gesetzliche Regelung, eine höchstrichterliche Entscheidung oder eine Verwaltungsanweisung in absehbarer Zeit zu erwarten ist (vgl. AEAO zu § 89 Nr. 3.5.4 Satz 2). In derartigen Fällen kann eine vorübergehende Ablehnung einer Auskunft ermessensgerecht sein.

1 BFH v. 30.4.2009 – VI R 54/07, BStBl. II 2010, 996. 2 BFH v. 29.2.2012 – IX R 11/11, BStBl. II 2012, 651; BFH v. 30.4.2009 – VI R 54/07, BStBl. II 2010, 996. 3 Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 40; Söhn in HHSp., § 89 AO Rz. 236. 4 BFH v. 29.2.2012 – IX R 11/11, BStBl. II 2012, 651. 5 Vgl. insbesondere AEAO zu § 89 Nr. 3.5.4 Satz 2. 6 Rätke in Klein15, § 89 AO Rz. 35; Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 40; Söhn in HHSp., § 89 AO Rz. 237a.

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A. Verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) | Rz. 9.45 Kap. 9

4. Form Nach der älteren Rechtsprechung konnten verbindliche Auskünfte nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich bzw. konkludent erteilt werden.1 Dies entspricht der allgemeinen Regelung in § 119 Abs. 2 AO, wonach Verwaltungsakte grundsätzlich formfrei ergehen können.

9.39

Nunmehr sieht AEAO zu § 89 Nr. 3.5.5 Satz 2 vor, dass die Auskunft schriftlich oder elektronisch zu erteilen und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen ist. Diese Verwaltungsvorschrift kann sich zwar auf keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage stützen, findet aber nach der wohl überwiegenden Literaturauffassung ihre Rechtfertigung in den Vorschriften über die Bindungswirkung (§ 2 StAuskV)2 bzw. darin, dass auch Steuerbescheide (§ 157 Abs. 1 Satz 1 AO) sowie verbindliche Zusagen im Anschluss an eine Betriebsprüfung (§ 205 Abs. 1 AO) schriftlich bzw. elektronisch zu erteilen sind.3 In der Praxis sollte daher darauf geachtet werden, dass die Finanzbehörde die begehrte Auskunft schriftlich oder elektronisch erteilt.

9.40

5. Inhalt der Auskunft und Auslegung 9.41

Nach AEAO zu § 89 Nr. 3.5.6 hat eine verbindliche Auskunft – den ihr zugrunde gelegten Sachverhalt, – die Entscheidung über den Antrag, die zugrunde gelegten Rechtsvorschriften und die dafür maßgebenden Gründe, und – eine Angabe darüber, für welche Steuern und für welchen Zeitraum die verbindliche Auskunft gilt, zu enthalten. Zulässig ist dabei eine Bezugnahme auf die im Antrag enthaltenen Angaben.

9.42

Bei Unklarheiten ist der Inhalt einer verbindlichen Auskunft durch Auslegung zu ermitteln. Nach §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, wobei von dem Standpunkt desjenigen auszugehen ist, für den die Erklärung bestimmt ist. Maßgeblich ist danach der objektive Erklärungswert bzw. die Sicht eines objektiven Betrachters.4

9.43

VI. Bindungswirkung Einer verbindlichen Auskunft kommt Bindungswirkung zu (§ 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV). Die Finanzbehörde hat die Auskunft in den nachfolgenden Festsetzungs- bzw. Feststellungsverfahren umzusetzen. Ein zusagewidriger Steuer- oder Feststellungsbescheid ist rechtswidrig.5 Dies gilt allerdings nur, wenn der später verwirklichte Sachverhalt von dem der Auskunft zugrunde gelegten Sachverhalt nicht oder nur unwesentlich abweicht. Dies sollte bei der Planung und Umsetzung des Sachverhalts stets im Blick behalten werden.

9.44

Nach AEAO zu § 89 Nr. 3.5.6 ist in der Auskunft anzugeben, für welche Steuern und für welche Zeiträume die Auskunft gilt. Aus diesen Angaben ergibt sich zugleich der Umfang der

9.45

1 2 3 4 5

BFH v. 13.12.1989 – X R 208/87, BStBl. II 1990, 274. Söhn in HHSp., AO/FGO, § 89 AO Rz. 247. So Seer in T, § 89 AO Rz. 48. BFH v. 18.12.2014 – IV R 22/12, BStBl. II 2015, 606. Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 52.

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Kap. 9 Rz. 9.45 | Streitvermeidungsinstrumente

Bindungswirkung in sachlicher und zeitlicher Hinsicht. Bei Dauersachverhalten richtet sich das zeitliche Ausmaß der Bindungswirkung nach dem Auskunftsantrag, soweit die Finanzbehörde nicht aus materiell-rechtlichen Gründen von den zeitlichen Vorstellungen des Antragstellers abweicht (z.B. wegen Verlängerung oder Verkürzung des Abschreibungszeitraumes) und deshalb ihre Auskunft für einen anderen Zeitraum erteilt (AEAO zu § 89 Nr. 3.5.3 Satz 3).

9.46

In persönlicher Hinsicht gilt die verbindliche Auskunft zunächst nur für den bzw. die Antragsteller (§ 1 Abs. 1 Satz 1 StAuskV). Im Fall der Gesamtrechtsnachfolge (z.B. bei Versterben des Antragstellers oder bei Umwandlungen1) geht die Bindungswirkung entsprechend § 45 AO auf den Rechtsnachfolger über. Ein Einzelrechtsnachfolger (z.B. ein Käufer) kann sich nicht auf die Bindungswirkung berufen (AEAO zu § 89 Nr. 3.6.2 Satz 2). Im Fall eines Auskunftsantrags nach § 1 Abs. 4 StAuskV erstreckt sich die Bindungswirkung auf die – im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht existente – Person, Personenvereinigung oder Vermögensmasse. Eine von mehreren Beteiligten beantragte Auskunft nach § 1 Abs. 2, Abs. 3 StAuskV ist für die Besteuerung aller Beteiligten einheitlich bindend (§ 2 Abs. 2 Satz 1 StAuskV).

9.47

Die Bindungswirkung einer Auskunft gilt grundsätzlich auch dann, wenn sich später herausstellt, dass die Auskunft nicht richtig und damit rechtswidrig ist.2 Gebunden ist allerdings nur die Finanzbehörde. Der Antragsteller kann sich auf die Rechtswidrigkeit der Auskunft berufen.3 Widerspricht eine einheitlich erteilte verbindliche Auskunft (§ 1 Abs. 2, Abs. 3 StAuskV) dem geltenden Recht und beruft sich ein Beteiligter auf die Rechtswidrigkeit, entfällt die Bindungswirkung der verbindlichen Auskunft einheitlich gegenüber allen Beteiligten (§ 2 Abs. 2 Satz 2 StAuskV). Dies gilt auch dann, wenn sich einzelne Feststellungsbeteiligte unter Verstoß gegen ihre gesellschaftsrechtliche Treuepflicht von der verbindlichen Auskunft lösen.4

9.48

Nach AEAO zu § 89 Nr. 3.6.5 Satz 4 entfaltet eine von einer sachlich oder örtlich unzuständigen Behörde erlassene Auskunft keine Bindungswirkung. Diese Verwaltungsauffassung ist zu weitgehend. Eine verbindliche Auskunft ist ein Verwaltungsakt und daher nur bei Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes unwirksam. § 125 Abs. 3 Nr. 1 AO bestimmt ausdrücklich, dass die örtliche Unzuständigkeit kein Nichtigkeitsgrund ist. Eine von einer örtlich unzuständigen Behörde erteilte Auskunft ist daher wirksam und damit bindend.5 Auch eine sachliche Unzuständigkeit führt nur in Ausnahmefällen (z.B. bei Ressortunzuständigkeit) zur Nichtigkeit.6

VII. Entfallen der Bindungswirkung 1. Überblick 9.49

Die Bindungswirkung kann kraft Gesetzes (§ 2 Abs. 3 StAuskV) oder kraft Verwaltungsakts (Aufhebung und Änderung nach § 2 Abs. 4 StAukV sowie Berichtigung, Rücknahme und Widerruf nach §§ 129 bis 131 AO) entfallen.

1 Dazu ausführlich Stangl in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG3, Anhang 14 Verbindliche Auskünfte bei Umwandlungen, Rz. 156. 2 BFH v. 12.8.2015 – I R 45/14, BFHE 251, 119. 3 § 2 Abs. 1 Satz 2 StAuskV; BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37. 4 BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37. 5 So auch FG Münster v. 17.6.2019 – 4 K 3539/16 F, EFG 2019, 1343 (Rev. BFH IV R 23/19). 6 BFH v. 12.9.2014 – VII B 99/13, BFH/NV 2015, 161.

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A. Verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) | Rz. 9.54 Kap. 9

2. Entfallen der Bindungswirkung bei Gesetzesänderungen (§ 2 Abs. 3 StAuskV) Nach § 2 Abs. 3 StAuskV entfällt die Bindungswirkung ab dem Zeitpunkt, in dem die Rechtsvorschriften, auf denen die Auskunft beruht, aufgehoben oder geändert werden. Bei rückwirkenden Gesetzen geht die Bindungswirkung rückwirkend verlustig.1 Die Bindungswirkung entfällt kraft Gesetzes, d.h. es bedarf keines Hinweises und keiner Aufhebung durch die Finanzbehörde.2 Der Steuerpflichtige sollte daher etwaige Gesetzesänderungen selbst im Blick behalten. Keine Rechtsänderung in diesem Sinne stellt die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (Ausnahme: Entscheidungen des BVerfG mit Gesetzeskraft, § 31 Abs. 2 BVerfGG) oder einer Verwaltungsanweisung dar.3

9.50

3. Aufhebung und Änderung (§ 2 Abs. 4 StAuskV) Stellt sich hieraus, dass eine verbindliche Auskunft der geltenden Rechtslage widerspricht, kann die Finanzbehörde die Auskunft mit Wirkung für die Zukunft aufheben oder ändern (§ 2 Abs. 4 StAuskV). Erfasst sind lediglich Auskünfte, bei denen sich die Unrichtigkeit zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt. Bei Rechtsfehlern zuungunsten des Steuerpflichtigen hat die Auskunft von vornherein keine Bindungswirkung (§ 2 Abs. 1 Satz 2 StAuskV).

9.51

Eine Auskunft ist unrichtig, wenn sie ohne Rechtsgrundlage, unter Verstoß gegen materielle Rechtsnormen oder ermessensfehlerhaft ergangen ist (AEAO zu § 89 Nr. 3.6.6 Abs. 2). Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem die Auskunft gem. § 124 Abs. 1 AO wirksam geworden ist. Die Unrichtigkeit kann sich insbesondere auch aus einer geänderten Rechtsprechung ergeben (AEAO zu § 89 Nr. 3.6.6 Abs. 3). Zu weitgehend ist die Regelung in AEAO zu § 89 Nr. 3.6.6 Abs. 3 Satz 2, wonach auch eine später ergangene Verwaltungsanweisung zu einer Unrichtigkeit der Auskunft führen kann.4 Jedenfalls wenn eine Verwaltungsanweisung umstritten und höchstrichterlich nicht bestätigt ist, kann ihr keine verbindliche Interpretation der Rechtslage entnommen werden.

9.52

Die Aufhebung oder Änderung ist nur für die Zukunft möglich. Hat der Steuerpflichtige den Sachverhalt bereits verwirklicht, so scheidet eine Aufhebung oder Änderung aus (AEAO zu § 89 Nr. 3.6.6 Abs. 5 Satz 2).

9.53

§ 2 Abs. 4 StAuskV sieht eine Ermessensentscheidung der Behörde vor. Abzuwägen sind das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Einhaltung der Auskunft und das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.5 Da § 2 Abs. 4 StAuskV nur eine Aufhebung oder Änderung für die Zukunft ermöglicht, wird der Vertrauensschutz nur in Ausnahmefällen überwiegen – beispielsweise dann, wenn sich der Steuerpflichtige nicht mehr ohne erheblichen Aufwand bzw. unter beträchtlichen Schwierigkeiten von den im Vertrauen auf die Auskunft getroffenen Dispositionen oder eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen zu lösen vermag.6

9.54

1 2 3 4 5 6

BVerfG v. 11.5.2015 – 1 BvR 741/14, BFH/NV 2015, 1230. Rätke in Klein15, § 89 AO Rz. 43. Roser in Gosch, § 89 Rz. 66; Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 56. So auch Rätke in Klein15, § 89 AO Rz. 45. BFH v. 2.9.2010 – VI R 3/09, BStBl. II 2011, 233 zu § 207 Abs. 2 AO. FG Sa.-Anh. v. 18.9.2014 – 1 K 1422/11, EFG 2015, 790 (rkr.); AEAO zu § 89 Nr. 3.6.8 Abs. 1 Satz 2.

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Kap. 9 Rz. 9.55 | Streitvermeidungsinstrumente

4. Berichtigung, Rücknahme und Widerruf (§§ 129 bis 131 AO) 9.55

Neben § 2 Abs. 4 StAuskV finden auch die allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 129 bis 131 AO Anwendung.

9.56

Praxisrelevant ist dabei insbesondere die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO bei offenbaren Unrichtigkeiten (z.B. Rechenfehlern).

9.57

§ 130 AO ermöglicht bei rechtswidrigen Auskünften eine rückwirkende Rücknahme der Auskunft, d.h. die Bindungswirkung kann auch für bereits verwirklichte Sachverhalte entfallen. Dies ist aber nur unter den engen Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO möglich. Praxisrelevant dürfte dabei insbesondere § 130 Abs. 2 Nr. 1 AO sein (Auskunft durch sachlich unzuständige Behörde).1

VIII. Rechtsschutz 1. Verschiedene Formen des Rechtsschutzes 9.58

Die Art des Rechtsschutzes richtet sich danach, ob und ggf. wie die Finanzbehörde über den Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft entschieden hat.

2. Ablehnung einer Auskunft 9.59

Hat die Finanzbehörde die Erteilung einer verbindlichen Auskunft abgelehnt, so ist gegen den Ablehnungsbescheid der Einspruch (§ 347 Abs. 1 AO) und – nach erfolglosem Einspruchsverfahren – die Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 Var. 2 FGO) statthaft, da die begehrte Auskunft als begünstigender Verwaltungsakt zu qualifizieren ist.

3. Negative Auskunft 9.60

Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass die Finanzbehörde eine Auskunft erteilt, dabei aber die Rechtsfrage nicht wie vom Antragsteller erwünscht beantwortet hat (sog. negative Auskunft). Auch hier sind Einspruch und Verpflichtungsklage statthaft. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann das Gericht allerdings nur prüfen, ob die rechtliche Einschätzung in sich schlüssig und nicht evident rechtsfehlerhaft ist.2 Der BFH leitet diesen eingeschränkten Prüfungsmaßstab daraus ab, dass die verbindliche Auskunft – entsprechend ihrer Funktion im Besteuerungsverfahren – lediglich regelt, wie die Finanzbehörde eine ihr zur Prüfung gestellte hypothetische Gestaltung gegenwärtig beurteilt, und gerade keine endgültige Aussage über die materielle Rechtmäßigkeit einer Steuerfestsetzung trifft. Der BFH hat an dieser Rechtsprechung trotz der hiergegen geäußerten Kritik3 bisher festgehalten.

4. Untätigkeit der Finanzbehörde 9.61

In der Praxis wird der Antragsteller nicht selten darauf angewiesen sein, zeitnah eine Entscheidung über den Auskunftsantrag zu erhalten. Gerade komplexen Umstrukturierungsvorgängen liegt häufiger ein enger Zeitplan zugrunde, dessen Umsetzung vom Ausgang des Auskunftsverfahrens abhängig ist. Nimmt die Bearbeitung durch die Finanzbehörde längere Zeit in Anspruch, stellt sich aus Sicht des Steuerpflichtigen die Frage, ob und ggf. auf welcher 1 Vgl. dazu Hendricks/Rogall/Schönfeld, Ubg 2009, 197. 2 BFH v. 29.2.2012 – IX R 11/11, BStBl. II 2012, 651; BFH v. 14.7.2015 – VIII R 72/13; vgl. auch AEAO zu § 89 Nr. 3.7.2. 3 Vgl. beispielsweise Rätke in Klein15, § 89 AO Rz. 38; Seer, FR 2017, 161 (168).

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A. Verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) | Rz. 9.66 Kap. 9

rechtlichen Grundlage er eine Entscheidung herbeiführen kann. § 89 Abs. 2 Satz 4 AO sieht zwar eine Bearbeitungsfrist von sechs Monaten vor, regelt aber keine Rechtsfolgen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist (vgl. dazu auch Rz. 9.22). Überwiegend wird daher vertreten, dass ein Fristverstoß im Ergebnis folgenlos bleibt.1 Dem ist im Grundsatz zuzustimmen. Zu beachten ist aber, dass die Entscheidung über den Auskunftsantrag ein begünstigender Verwaltungsakt ist und daher – neben § 89 Abs. 2 Satz 4 AO – die allgemeinen Rechtsbehelfe und damit auch die Regelungen zum Untätigkeitseinspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO) und zur Untätigkeitsklage (§ 46 FGO) gelten.2 Nach § 347 Abs. 1 Satz 2 AO kann mit dem Untätigkeitseinspruch geltend gemacht werden, dass über einen Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist nicht entschieden worden ist. Wird eine verbindliche Auskunft begehrt, so dürfte eine angemessene Frist – nach dem Rechtsgedanken des § 89 Abs. 2 Satz 4 AO und des § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO – grundsätzlich nicht länger als sechs Monate betragen. Da im Rahmen des § 347 Abs. 1 Satz 2 AO die jeweiligen Umstände des Einzelfalles (z.B. Umfang des Falles, schutzwürdige Interesse des Steuerpflichtigen) maßgeblich sind,3 wird eine angemessene Bearbeitungsdauer in Einzelfällen aber auch kürzer und länger als sechs Monate betragen können.

5. Erlass von zusagewidrigen Steuer- oder Feststellungsbescheiden Gerade bei Betriebsprüfungen kann es vorkommen, dass sich die Finanzbehörde nicht an eine bereits erteilte Auskunft gebunden fühlt (z.B. wegen einer nicht unwesentlichen Sachverhaltsabweichung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 StAuskV) und entsprechend geänderte Steuer- oder Feststellungsbescheide erlässt.

9.62

Geht die Finanzbehörde zu Unrecht von einer fehlenden Bindungswirkung aus, so ist der zusagewidrige Bescheid rechtswidrig.4 Der Steuerpflichtige kann die Rechtswidrigkeit im Wege des Einspruchs bzw. der Anfechtungsklage geltend machen.5

9.63

6. Aufhebung und Änderung nach § 2 Abs. 4 StAuskV sowie Berichtigung, Rücknahme und Widerruf nach §§ 129 bis 131 AO Aufhebung und Änderung (§ 2 Abs. 4 StAuskV) sowie Berichtigung, Rücknahme und Widerruf (§§ 129 bis 131 AO) zu Lasten des Steuerpflichtigen stellen belastende Verwaltungsakte dar. Ihre Rechtswidrigkeit kann im Wege des Einspruchs bzw. der Anfechtungsklage geltend gemacht werden.

9.64

7. Vorläufiger Rechtsschutz Gegen belastende Verwaltungsakte ist ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statthaft (§ 361 Abs. 2 AO bzw. § 69 Abs. 2, Abs. 3 FGO). Bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts, so setzt das Finanzamt bzw. das FG den angefochtenen Verwaltungsakt von der Vollziehung aus.

9.65

Im Übrigen kann einstweiliger Rechtsschutz nur durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung und damit unter den engen Voraussetzungen des § 114 FGO erlangt werden. Regel-

9.66

1 2 3 4 5

Seer, FR 2017, 161, 168; Thiele, FR 2016, 947 (950). So auch Rätke in Klein15, § 89 Rz. 29. Vgl. Bartone in Gosch, § 347 AO Rz. 75. Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 52. Roser in Gosch, § 89 Rz. 73.

Frantzmann | 765

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Kap. 9 Rz. 9.66 | Streitvermeidungsinstrumente

mäßig dürfte ein solcher Antrag wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache nur geringe Erfolgsaussichten haben.1

IX. Gebührenpflicht 1. Grundsätzliches 9.67

Die verbindliche Auskunft ist gebührenpflichtig (§ 89 Abs. 2 Satz 1 AO).2 Die Gebührenpflicht gilt unabhängig davon, ob das Finanzamt die vom Antragsteller begehrte oder eine von seiner Auffassung abweichende Auskunft erteilt (positive bzw. negative Auskunft) oder die Auskunftserteilung dem Grunde nach ablehnt.3 Vor einer Ablehnung ist der Antragsteller allerdings auf die Möglichkeit der Antragsrücknahme hinzuweisen. Mit der Antragsrücknahme tritt eine Gebührenermäßigung nach § 89 Abs. 7 AO ein (AEAO zu § 89 Nr. 4.5.1 und 2.).

9.68

Für jeden Antrag fällt eine Gebühr an. Von einem Antrag ist auszugehen, soweit sich die rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts auf einen Steuerpflichtigen bezieht. Ein Antrag liegt auch dann vor, wenn sich der Sachverhalt auf mehrere Steuerarten auswirkt (AEAO zu § 89 Nr. 4.1.2). Wird ein Auskunftsverfahren von mehreren Antragstellern durchgeführt, so liegen grundsätzlich mehrere Anträge vor. Lediglich im Falle einer gemeinsamen Antragstellung nach § 1 Abs. 2 StAuskV – also insbesondere in Fällen der gesonderten und einheitlichen Feststellung und Organschaftsfällen – fällt nur eine Gebühr an, für die alle Antragsteller als Gesamtschuldner haften (§ 89 Abs. 3 Satz 2 AO).

9.69

Die Gebühr wird durch Verwaltungsakt festgesetzt und ist innerhalb eines Monats fällig (§ 89 Abs. 3 Satz 3 AO). Der Gebührenbescheid kann nach den §§ 129 bis 131 AO korrigiert und durch Einspruch (§ 347 AO) bzw. Klage angefochten werden (AEAO zu § 89 Nr. 4.4.1).

2. Berechnung der Gebühr 9.70

Die Gebühr ist vorrangig nach dem Wert zu berechnen, den die verbindliche Auskunft für den Antragsteller hat (Gegenstandswert). Maßgebend ist die steuerliche Auswirkung, die sich aus der Differenz zwischen dem Steuerbetrag, der bei Anwendung der vom Antragsteller vorgetragenen Rechtsauffassung entstehen würde, und dem Steuerbetrag, der entstehen würde, wenn die Finanzbehörde eine entgegengesetzte Rechtsauffassung vertreten würde.

9.71

Die Gebühr wird in entsprechender Anwendung des § 34 des Gerichtskostengesetzes mit einem Gebührensatz von 1,0 erhoben (§ 89 Abs. 5 Satz 1 AO). Der Streitwert beträgt höchstens 30 Millionen Euro (§ 89 Abs. 5 Satz 2 AO i.V.m. § 39 Abs. 2 GKG); dies entspricht einer Maximalgebühr von 109.736 €. Beträgt der Gegenstandswert weniger als 10.000 €, wird keine Gebühr erhoben (§ 89 Abs. 5 Satz 3 AO).

9.72

Der Antragsteller soll den Gegenstandswert und die für seine Bestimmung erheblichen Umstände in seinem Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft darlegen. Die Finanzbehörde soll der Gebührenfestsetzung den vom Antragsteller erklärten Gegenstandswert zugrunde legen, soweit dies nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt (§ 89 Abs. 4 Satz 2 und 3 AO). 1 Roser in Gosch, § 89 Rz. 73. 2 Die Gebührenpflicht ist dem Grunde und der Höhe nach verfassungsgemäß, BFH v. 30.3.2011 – I R 61/10, BStBl. II 2011, 536. 3 Rätke in Klein15, § 89 Rz. 53; AEAO zu § 89 Nr. 4.1.1.

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B. Verbindliche Zusage (§§ 204 ff. AO) | Rz. 9.79 Kap. 9

Ist ein Gegenstandswert nicht bestimmbar und kann er auch nicht durch Schätzung bestimmt werden, ist eine Zeitgebühr zu berechnen; sie beträgt 50 € je angefangene halbe Stunde Bearbeitungszeit. Beträgt die Bearbeitungszeit weniger als zwei Stunden, wird keine Gebühr erhoben (§ 89 Abs. 6 AO).

9.73

§ 89 Abs. 7 AO ermöglicht eine Reduzierung der Gebühr, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Praxisrelevant ist dies insbesondere, wenn der Antrag auf verbindliche Auskunft zurückgenommen wird (AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2).

9.74

B. Verbindliche Zusage (§§ 204 ff. AO) Literatur: von Wedelstädt, Abschnittsbesteuerung: keine Bindung an frühere Besteuerungsperioden – Trotzdem: Wege zur Planungssicherheit?, AO-StB 2013, 219; von Wedelstädt, Verbindliche Zusage im Anschluss an eine Außenprüfung – Ein solides Fundament für wirtschaftliche Dispositionen?, AOStB 2009, 15.

I. Überblick 1. Inhalt und Zweck Nach dem Grundsatz der Abschnittbesteuerung ist das Finanzamt grundsätzlich nicht verpflichtet, eine zunächst vertretene Rechtsauffassung auch bei der Beurteilung zukünftiger Sachverhalte aufrecht zu erhalten. Vielmehr folgt aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung die Berechtigung und zugleich Verpflichtung, eine als unzutreffend erkannte Auffassung frühestmöglich zu ändern.1

9.75

Da allerdings der Steuerpflichtige ein schützenswertes Interesse daran haben kann, Planungssicherheit über den geprüften Zeitraum hinaus zu erlangen, sieht das Gesetz (§§ 204 ff. AO) die Möglichkeit vor, im Anschluss an eine Betriebsprüfung eine verbindliche Zusage für die Zukunft zu beantragen.

9.76

2. Normzusammenhänge Von der verbindlichen Zusage nach § 204 AO sind insbesondere die tatsächliche Verständigung, die verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO und die Lohnsteueranrufungsauskunft (§ 42e EStG) zu unterscheiden. Wegen der Abgrenzungsfragen wird auf die Ausführungen unter Rz. 9.6 verwiesen.

9.77

In der Praxis haben die Rechtsinstitute der verbindlichen Auskunft und der tatsächlichen Verständigung größere praktische Relevanz als die verbindliche Zusage.2

9.78

II. Zuständigkeit Zuständig für die Erteilung einer verbindlichen Zusage ist das für die Besteuerung zuständige Finanzamt – also das Festsetzungs- oder im Falle einer gesonderten Feststellung das Feststellungsfinanzamt.3 Wenn das für die Besteuerung zuständige Finanzamt nach § 195 Satz 1 AO 1 BFH v. 1.4.2015 – V B 63/14, BFH/NV 2015, 1001. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 1. 3 AEAO zu § 204 Nr. 2.

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9.79

Kap. 9 Rz. 9.79 | Streitvermeidungsinstrumente

auch die Außenprüfung durchführt, erstreckt sich seine Zuständigkeit auch auf die Erteilung einer verbindlichen Zusage. Fallen die Zuständigkeiten für Besteuerung und Prüfung auseinander (§ 17 Abs. 2 Satz 3 und 4 FVG i.V.m. Landesrecht), so ist das Festsetzungs- bzw. Feststellungsfinanzamt für die Erteilung der verbindlichen Zusage zuständig, da es auch ansonsten nicht an die Prüfungsfeststellungen gebunden ist.1 Im Falle der Auftragsprüfung nach § 195 Satz 2 AO ist dagegen das Prüfungsamt für die verbindliche Zusage zuständig, da es nach § 195 Satz 3 AO auch zur Steuerfestsetzung berechtigt ist.2

III. Voraussetzungen 1. Im Anschluss an eine Betriebsprüfung 9.80

Eine verbindliche Zusage kann – anders als eine verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO – nur im Anschluss an eine Betriebsprüfung erteilt werden. Erfasst sind sowohl die Betriebsprüfung nach § 193 AO als auch die abgekürzte Betriebsprüfung nach § 203 AO.3 Andere Ermittlungsverfahren (z.B. Nachschau, Liquiditätsprüfung) können dagegen nicht Grundlage einer verbindlichen Zusage sein.4

9.81

Die verbindliche Zusage kann erst nach Abschluss der Betriebsprüfung erteilt werden, d.h. der Prüfungsbericht muss bereits vorliegen, da dieser die Grundlage für die Zusage bildet.5 Auch der Antrag muss im zeitlichen Zusammenhang mit der Betriebsprüfung gestellt werden (dazu sogleich unter Rz. 9.85).

2. Antrag 9.82

Die verbindliche Zusage erfolgt nur auf Antrag. Das Gesetz sieht kein Formerfordernis vor. In der Praxis ist allerdings AEAO zu § 204 Nr. 3 zu beachten, wonach der Antrag schriftlich bzw. elektronisch gestellt werden soll.

9.83

Das Gesetz enthält keine Vorgaben zum Inhalt des Antrags. Es hat sich allerdings – auch mit Blick auf § 205 Abs. 2 AO – bewährt, den Sachverhalt, die einschlägigen Steuerarten, den betroffenen Zeitraum, das Rechtsproblem, den Inhalt der erwünschten Zusage und das besondere steuerliche Interesse an der Zusage darzulegen.6

9.84

Antragsbefugt ist der Steuerpflichtige, bei dem die Betriebsprüfung durchgeführt wird. Da – auch zusammenveranlagte – Ehegatten eigenständige Steuerpflichtige i.S.d. § 193 AO sind, sind sie unabhängig voneinander zur Antragstellung berechtigt.7 Erstreckt sich die Betriebsprüfung auf die Verhältnisse anderer Personen, so sind auch diese Personen antragsbefugt.8 Im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge (z.B. Erbfall, Umwandlungen) geht das Antragsrecht auf den Rechtsnachfolger über.9 Bezieht sich die verbindliche Zusage auf einen Sachverhalt, der gesondert und einheitlich festzustellen ist (also insbesondere bei Personengesellschaften, 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Hendricks in Gosch, § 204 Rz. 14; Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 3. Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 4. Schallmoser in HHSp., § 204 AO Rz. 12. Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 11. Schallmoser in HHSp., § 204 AO Rz. 12. Hendricks in Gosch, § 204 AO Rz. 20. Schallmoser in HHSp., § 204 AO Rz. 14. Seer in Tipke/Kruse, 204 AO Rz. 6. Schallmoser in HHSp., § 204 AO Rz. 14.

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B. Verbindliche Zusage (§§ 204 ff. AO) | Rz. 9.88 Kap. 9

§ 179 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO), so ist der Antrag entweder von allen Beteiligten gemeinsam oder von einer vertretungsberechtigten Person im Namen aller Mitberechtigten zu stellen.1 Der Antrag muss im zeitlichen Zusammenhang mit einer Betriebsprüfung gestellt werden. Während die Zusage erst nach Abschluss der Betriebsprüfung erteilt werden kann, setzt der Antrag lediglich voraus, dass der Steuerpflichtige den von der Zusage erfassten Sachverhalt bereits verwirklicht hat. Der Antrag kann auch vor oder mit dem Beginn der Betriebsprüfung gestellt werden. Eine frühzeitige Antragstellung ist in der Regel auch empfehlenswert, damit der Prüfer den relevanten Sachverhalt prüfen und im Prüfungsbericht darstellen kann.2 Nicht einheitlich beantwortet wird, bis wann der Antrag spätestens zu stellen ist. Nach AEAO zu § 204 Nr. 3 ist bei einem nach der Schlussbesprechung gestellten Antrag i.d.R. keine verbindliche Zusage mehr zu erteilen, wenn hierzu umfangreiche Prüfungshandlungen erforderlich sind. Nach einem Urteil des FG Baden-Württemberg ist der zeitliche Zusammenhang noch gewahrt, wenn die Zusage kurz nach Erhalt des Prüfungsberichts beantragt wird.3 In der Literatur wird darüber hinaus eine Antragstellung bis zum Erlass der die Prüfungsfeststellungen umsetzenden Bescheide für möglich gehalten.4 Verspätet ist ein Antrag, der vier Jahre nach Abschluss der Betriebsprüfung gestellt wird.5

9.85

3. Für die Vergangenheit geprüfter Sachverhalt Eine verbindliche Zusage setzt einen geprüften Sachverhalt mit Auswirkung für die Zukunft voraus (AEAO zu § 204 Nr. 3). Der Sachverhalt muss ausdrücklich Gegenstand der Prüfung gewesen sein.6 Die Relevanz für die Zukunft ist bei Dauersachverhalten (z.B. Gesellschaftsoder Mietverhältnisse) und bei ständig wiederkehrenden Sachverhalten (z.B. regelmäßig erbrachte Leistungen) zu bejahen.7

9.86

4. Sachverhaltsdarstellung im Prüfungsbericht Nach § 204 AO muss der der Sachverhalt im Prüfungsbericht dargestellt werden. Der Darstellung des Sachverhalts kommt besondere Bedeutung zu, da eine verbindliche Zusage nur dann bindend ist, wenn der später verwirklichte Sachverhalt mit dem im Zusageverfahren dargelegten Sachverhalt identisch ist (§ 206 Abs. 1 AO).8 Steuerpflichtige, die eine verbindliche Zusage beantragen wollen, sollten hierauf möglichst frühzeitig hinweisen, um eine umfassende Darstellung des Sachverhalts im Prüfungsbericht zu ermöglichen (vgl. auch § 12 BpO 2000).9

9.87

Umstritten ist, wie in Fällen zu verfahren ist, in denen mangels Änderung der Besteuerungsgrundlagen kein Prüfungsbericht zu verfassen ist (§ 202 Abs. 1 Satz 3 AO). Während einige Literaturstimmen10 eine Sachverhaltsdarstellung im Zusageantrag bzw. in der verbindlichen Zusage für ausreichend halten, gehen andere davon aus, dass § 204 AO zwingend eine Sach-

9.88

1 Schallmoser in HHSp., § 204 AO Rz. 14; Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 6. 2 Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 9. 3 FG BW v. 20.7.2000 – 3 K 67/95, EFG 2000, 1161 (aus anderen Gründen aufgehoben durch BFH v. 7.8.2002 – I R 99/00, BStBl. II 2003, 835). 4 Hendricks in Gosch, § 204 Rz. 17; Schallmoser in HHSp., § 204 AO Rz. 19. 5 FG Nürnberg v. 23.5.2019 – 4 K 862/17, EFG 2020, 895 (rkr.). 6 Hendricks in Gosch, § 204 AO Rz. 21. 7 Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 18. 8 Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 18. 9 Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 20. 10 Hendricks in Gosch, § 204 Rz. 23; Seer in Tipke/Kruse, 204 AO Rz. 21.

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Kap. 9 Rz. 9.88 | Streitvermeidungsinstrumente

verhaltsdarstellung im Prüfungsbericht voraussetzt und der Steuerpflichtige daher – entgegen § 202 Abs. 1 Satz 3 AO – einen Anspruch auf Erstellung eines Prüfungsberichts hat.1

5. Zusageinteresse 9.89

Eine verbindliche Zusage soll nach § 204 AO nur dann erteilt werden, wenn die Kenntnis der künftigen steuerrechtlichen Behandlung für die geschäftlichen Maßnahmen des Steuerpflichtigen von Bedeutung ist (sog. Zusageinteresse). Der Begriff der geschäftlichen Maßnahmen ist weit zu verstehen.2 Erfasst sind sämtliche wirtschaftlichen Dispositionen.3 Sowohl Vorhaben mit Außenwirkung (z.B. Veräußerungsgeschäfte) als auch innerorganisatorische Maßnahmen (z.B. Buchführungsmaßnahmen) können ein Zusageinteresse begründen.4

9.90

Einschränkend ist allerdings zu beachten, dass ein Zusageinteresse nach h.M. nur dann besteht, wenn die steuerliche Behandlung des Sachverhalts rechtlich ungewiss ist.5 Dies kann dann zweifelhaft sein, wenn zu der Rechtsfrage bereits höchstrichterliche Rechtsprechung oder eindeutige Verwaltungsanweisungen vorliegen.

IV. Rechtsfolgen 1. Ermessen 9.91

§ 204 AO stellt die Erteilung der verbindlichen Zusage in das Ermessen der Finanzbehörde. Durch die Verwendung des Begriffs „soll“ bringt der Gesetzgeber allerdings zum Ausdruck, dass das Ermessen eingeschränkt ist, d.h. die Zusage nur bei Vorliegen besonderer Gründe versagt werden darf.6 Nach AEAO zu § 204 Nr. 5 kann ein Antrag abgelehnt werden, wenn sich der Sachverhalt nicht für eine verbindliche Zusage eignet (z.B. zukünftige Angemessenheit von Verrechnungspreisen bei unübersichtlichen Marktverhältnissen) oder wenn zu dem betreffenden Sachverhalt die Herausgabe von allgemeinen Verwaltungsvorschriften oder eine Grundsatzentscheidung des BFH bevorsteht. Eine Ablehnung ist auch dann denkbar, wenn der geprüfte Sachverhalt Gegenstand eines noch anhängigen finanzgerichtlichen Verfahrens ist.7

9.92

Liegt kein atypischer Sachverhalt vor, so ist das Ermessen der Finanzbehörde auf null reduziert; der Steuerpflichtige hat also einen Anspruch auf die Erteilung einer verbindlichen Zusage.8

2. Rechtsnatur, Form und Inhalt der Zusage 9.93

Die verbindliche Zusage ist ein begünstigender Verwaltungsakt.9 Die Regelung besteht darin, dass sich die Finanzbehörde zu einem bestimmten Verhalten in der Zukunft verpflichtet.10 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

v. Wedelstädt, AO-StB 2009, 15, 16. Hendricks in Gosch, § 204 Rz. 24. BFH v. 29.10.1987 – X R 1/80, BStBl. II 1988, 121. Hendricks in Gosch, § 204 Rz. 24. Niewerth in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 204 AO Rz. 5; Schallmoser in HHSp., § 204 AO Rz. 24; Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 14. Hendricks in Gosch, § 204 AO Rz. 26. BFH v. 18.12.1989 – VIII B 27/89, BFH/NV 1990, 654. Hendricks in Gosch, § 204 AO Rz. 29; Seer in Tipke/Kruse, § 204 AO Rz. 17. BFH v. 30.10.1987 – IV B 148/86, BFH/NV 1989, 558. Schallmoser in HHSp., § 204 AO Rz. 8.

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B. Verbindliche Zusage (§§ 204 ff. AO) | Rz. 9.100 Kap. 9

Nach § 205 Abs. 1 AO wird die verbindliche Zusage schriftlich erteilt und als verbindlich gekennzeichnet. Nach § 87a Abs. 4 AO kann die Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden. Die Verbindlichkeit der behördlichen Willensäußerung muss deutlich erkennbar werden, wobei häufig die Verwendung des Begriffs „verbindliche Zusage“ ausreichen wird.1 Die Verbindlichkeit darf allerdings nicht durch andere Ausführungen wieder in Frage gestellt werden. Insbesondere Vorbehalte in der Zusage (z.B. „vorbehaltlich des Ergebnisses einer Besprechung mit den obersten Finanzbehörden der Länder“) schließen die Bindung aus (AEAO zu § 205).

9.94

Gemäß § 205 Abs. 2 AO muss die verbindliche Zusage

9.95

1. den ihr zugrunde gelegten Sachverhalt; dabei kann auf den im Prüfungsbericht dargestellten Sachverhalt Bezug genommen werden, 2. die Entscheidung über den Antrag und die dafür maßgebenden Gründe, und 3. eine Angabe darüber, für welche Steuern und für welchen Zeitraum die verbindliche Zusage gilt, enthalten. Die Sachverhaltsdarstellung nach Ziff. 1. ist von Bedeutung, da eine verbindliche Zusage nur dann bindend ist, wenn sich der später verwirklichte Sachverhalt mit dem der verbindlichen Zusage zugrunde gelegten Sachverhalt deckt (§ 206 Abs. 1 AO).

9.96

Die nach Ziff. 2. erforderliche Begründung muss sich nach h.M. sowohl auf das Vorliegen der formalen Voraussetzungen (z.B. Zusageinteresse) als auch auf den Inhalt der Zusage beziehen.2 Dabei sind auch die entscheidungserheblichen Rechtsvorschriften zu nennen, da die Zusage mit der Änderung dieser Vorschriften ihre Bindungswirkung verliert (§ 207 Abs. 1 AO).3

9.97

Aus Ziff. 3. ergibt sich, dass verbindliche Zusagen befristet erteilt werden können. Enthält die Zusage keine Zeitangabe, so gilt sie unbefristet.4

9.98

3. Bindungswirkung Gemäß § 206 Abs. 1 AO ist die verbindliche Zusage für die Besteuerung bindend, wenn sich der später verwirklichte Sachverhalt mit dem der verbindlichen Zusage zugrunde gelegten Sachverhalt deckt (sog. Sachverhaltsidentität). Aus der Bindungswirkung folgt, dass die Finanzbehörde die Zusage auch dann umzusetzen hat, wenn sich später herausstellt, dass die Zusage falsch – und damit rechtswidrig – ist. Die Zusage überlagert als selbstbindender Akt die bestehende Rechtslage.5

9.99

Die – für die Bindungswirkung erforderliche – Sachverhaltsidentität ist gegeben, wenn der verwirklichte Sachverhalt im Wesentlichen mit dem der Zusage zugrunde gelegten Sachverhalt übereinstimmt.6 Dabei sind solche Sachverhaltselemente wesentlich, die den steuerlichen Tatbestand in seinem Kern betreffen.7

9.100

1 2 3 4 5 6 7

Hendricks in Gosch, § 205 AO Rz. 10. Hendricks in Gosch, § 205 AO Rz. 15 f.; Seer in Tipke/Kruse, § 205 AO Rz. 7. Schallmoser in HHSp., § 205 AO Rz. 20. Seer in Tipke/Kruse, § 205 AO Rz. 9. Seer in Tipke/Kruse, § 206 AO Rz. 2. Schallmoser in HHSp., § 206 AO Rz. 10. Schallmoser in HHSp., § 206 AO Rz. 10; Seer in Tipke/Kruse, § 206 AO Rz. 6.

Frantzmann | 771

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Kap. 9 Rz. 9.101 | Streitvermeidungsinstrumente

9.101

Gebunden ist die Finanzbehörde, die die Zusage erteilt hat. Im Falle eines Zuständigkeitswechsels (z.B. bei Verlegung der Geschäftsleitung) erstreckt sich die Bindungswirkung auf die nunmehr zuständige Behörde. Da eine wirksame Zusage die bestehende Rechtslage überlagert, sind auch FG an die Zusage gebunden.1

9.102

Die Zusage dient ausschließlich dem Schutz des Steuerpflichtigen. Nach § 206 Abs. 2 AO greift die Bindungswirkung nicht, wenn sie zuungunsten des Antragstellers dem geltenden Recht widerspricht. Maßgeblich ist die Rechtslage im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Zusage. Bei späteren Gesetzesänderungen gilt § 207 Abs. 1 AO. Ein Gesetzesverstoß „zuungunsten des Antragstellers“ liegt vor, wenn seine steuerliche Belastung nach der Zusage höher ist als nach der eigentlich bestehenden Gesetzeslage.2

V. Bestandskraft 9.103

Die Bestandskraft einer verbindlichen Zusage richtet sich nach § 207 AO. Begrifflich ist zwischen dem Außerkrafttreten (Abs. 1), der Aufhebung und Änderung mit Wirkung für die Zukunft (Abs. 2) und der rückwirkenden Aufhebung und Änderung (Abs. 3) zu unterscheiden.

9.104

Die Zusage tritt außer Kraft, wenn die Rechtsvorschriften, auf denen die Entscheidung beruht, geändert werden (§ 207 Abs. 1 AO). Mit Blick auf das Prinzip der Gewaltenteilung soll die Finanzbehörde lediglich die Möglichkeit haben, eine steuerliche Behandlung auf der Grundlage der bestehenden Rechtslage zuzusagen. Die Zusage ist damit „gesetzesakzessorisch“.

9.105

Unter den Begriff „Rechtsvorschriften“ fallen Gesetze i.S.d. § 4 AO – also insbesondere Parlamentsgesetze sowie Rechtsverordnungen (Art. 80 GG) – sowie Entscheidungen des BVerfG mit Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).3 Nicht erfasst sind Verwaltungsanweisungen oder eine geänderte Rechtsprechung (AEAO zu § 207 Nr. 1). Mit dem Inkrafttreten einer geänderten Rechtsvorschrift entfällt die Bindungswirkung kraft Gesetzes. Rückwirkende Gesetze führen zu einem rückwirkenden Entfallen der Bindungswirkung.4 Hat der Steuerpflichtige den Sachverhalt bereits verwirklicht, so kann ein rückwirkendes Außerkrafttreten der Zusage zu erheblichen Härten führen. Von Teilen der Literatur wird daher eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründe nach § 163 AO befürwortet.5 Andere Literaturstimmen sehen für derartige Billigkeitsmaßnahmen wegen der eindeutigen Regelung in § 207 Abs. 1 AO keinen Raum.6

9.106

§ 207 Abs. 2 AO ermöglicht eine Aufhebung oder Änderung der Zusage mit Wirkung für die Zukunft. Die Entscheidung ist in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt. Im Rahmen des Abwägungsprozesses ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Zusage rechtmäßig oder rechtswidrig ist und ob der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die Zusage Dispositionen getroffen hat.7

1 2 3 4 5

Seer in Tipke/Kruse, A§ 206 AO Rz. 16. Seer in Tipke/Kruse, § 206 AO Rz. 20. Hendricks in Gosch, § 207 AO Rz. 6. Schallmoser in HHSp., § 207 AO Rz. 10. Hendricks in Gosch, § 207 AO Rz. 12; Schallmoser in HHSp., § 207 AO Rz. 10; Seer in Tipke/Kruse, § 207 AO Rz. 7. 6 v. Wedelstädt, AO-StB 2009, 15 (19); restriktiv ebenfalls FG Hamburg v. 17.5.2013 – 6 K 199/12, EFG 2013, 1458 (rkr.). 7 Vgl. im Einzelnen Hendricks in Gosch, § 207 AO Rz. 16 ff.

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C. Tatsächliche Verständigung | Rz. 9.110 Kap. 9

Eine rückwirkende Aufhebung oder Änderung der verbindlichen Zusage ist nach § 207 Abs. 3 AO nur zulässig, wenn der Steuerpflichtige zustimmt oder wenn die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 1 AO (Zusage durch sachlich unzuständige Behörde) oder des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO (Erwirkung der Zusage durch unlautere Mittel) vorliegen. Die Aufhebung oder Änderung steht im Ermessen der Finanzbehörde. Ein bereits auf der Grundlage der Zusage ergangener Steuer- oder Feststellungsbescheid ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern.1

9.107

VI. Rechtsschutz Die Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechen weitestgehend denen bei der verbindlichen Auskunft. Es kann daher auf die obigen Ausführungen (vgl. Rz. 9.58) verwiesen werden. Auch ist davon auszugehen, dass der Inhalt einer erteilten Zusage gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist. In der Praxis dürfte sich diese Frage – anders als bei der verbindlichen Auskunft – allerdings kaum stellen, da der Steuerpflichtige eine verbindliche Zusage in der Regel nur dann beantragen wird, wenn er mit Behandlung im Rahmen der Betriebsprüfung einverstanden ist.2

9.108

C. Tatsächliche Verständigung Literatur: Bruschke, Konfliktlösung durch eine tatsächliche Verständigung mit dem Finanzamt, DStR 2010, 2611; Bruschke, Tatsächliche Verständigung mit dem Finanzamt – Zu beachtende Grundsätze, AO-StB 2020, 87; Krüger, Die tatsächliche Verständigung: als „Ding an sich“ ein „Unding in sich“? – Die Rechtsnatur der tatsächlichen Verständigung, DStZ 2015, 478; Riegel/Amler, Die tatsächliche Verständigung – Entfallen der Bindungswirkung bei Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage, BB 2018, 605; Roth, Drohung durch Steuerfahndung: Anfechtung der tatsächlichen Verständigung?, AOStB 2012, 213; Seer, Das Rechtsinstitut der sog. tatsächlichen Verständigung im Steuerrecht, BB 1999, 78; Seer, Verständigungen an der Schnittstelle von Steuer- und Steuerstrafverfahren, BB 2015, 214; Steinhauff, Rechtsinstitut der sog. Tatsächlichen Verständigung, AO-StB 2019, 65.

I. Überblick 1. Zulässigkeit Aus den Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung folgt, dass Vergleiche über Steueransprüche unzulässig sind. Zudem hat die Finanzbehörde nach § 88 Abs. 1 Satz 1 AO den für die Besteuerung relevanten Sachverhalt von Amts wegen zu prüfen (Amtsermittlungsgrundsatz).

9.109

Die Besteuerungspraxis zeigt allerdings, dass diese gesetzlichen Vorgaben nicht immer umsetzbar sind. So kann eine abschließende Sachverhaltsermittlung gerade in Fälle der Schätzung, Wertermittlung und zukunftsorientierten Prognose nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand durchführbar sein.3 Vor diesem Hintergrund ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt, dass sich das Finanzamt mit dem Steuerpflichtigen über die Annahme eines bestimmten Sachverhalts bindend verständigen kann (sog. tatsächliche Verständigung). Eine solche Verständigung fördert die Effektivität der Besteuerung und sichert den Rechtsfrieden.4

9.110

1 2 3 4

v. Wedelstädt, AO-StB 2009, 15 (19). Hendricks in Gosch, § 204 AO Rz. 37. Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht24, Rz. 21.146. BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831 Rz. 1.

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Kap. 9 Rz. 9.111 | Streitvermeidungsinstrumente

9.111

Tatsächliche Verständigungen können grundsätzlich in jedem Verfahrensstadium (z.B. Veranlagungs- oder Rechtsbehelfsverfahren) und insbesondere auch im Rahmen einer Betriebsprüfung geschlossen werden.1

2. Rechtsgrundlagen und Rechtsnatur 9.112

Die tatsächliche Verständigung ist ein richterrechtliches Institut ohne einfachgesetzliche Grundlage. Voraussetzungen und Rechtsfolgen der tatsächlichen Verständigung sind den einschlägigen BFH-Entscheidungen zu entnehmen.2 Praxisrelevante Verwaltungsvorschriften finden sich im BMF-Schreiben v. 30.7.20083.

9.113

Die Rechtsnatur einer tatsächlichen Verständigung ist umstritten. Während die ältere Rechtsprechung4 die Bindungswirkung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben herleitet, nimmt die herrschende Literaturmeinung5 einen öffentlich-rechtlichen Vertrag an. Die jüngere Rechtsprechung ist dazu übergegangen, die Rechtsnatur offen zu lassen.6 Unstreitig ist allerdings, dass einer (wirksamen) tatsächlichen Verständigung Bindungswirkung zukommt.7

II. Voraussetzungen 1. Überblick 9.114

Eine tatsächliche Verständigung ist bindend, wenn – sich die Vereinbarung auf Sachverhaltsfragen – nicht auf Rechtsfragen – bezieht, – die Sachverhaltsermittlung erschwert ist, – die tatsächliche Verständigung nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt, – die Verfahrensbeteiligten mit Rechtsbindungswillen handeln und – auf beiden Seiten zur Vertretung berechtigte Personen beteiligt sind.

9.115

Umstritten ist, ob eine tatsächliche Verständigung eine bestimmte Form erfüllen muss.

9.116

Im Einzelnen:

2. Abgrenzung von Sachverhalt- und Rechtsfragen 9.117

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH8 sowie nach Auffassung der Finanzverwaltung9 kann sich eine tatsächliche Verständigung nur auf Sachverhaltsfragen – nicht auf Rechtsfragen – beziehen. Nicht zulässig ist eine tatsächliche Verständigung zur Klärung zweifelhafter Rechtsfragen, über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen und über die Anwendung bestimmter 1 2 3 4 5 6

BFH v. 27.6.2018 – X R 17/17, BFH/NV 2019, 97. Vgl. zuletzt BFH v. 27.6.2018 – X R 17/17, BFH/NV 2019, 97. BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831. BFH v. 7.7.2004 – X R 24/03, BStBl. II 2004, 975 m.w.N. Krüger, DStZ 2015, 478 (485); Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 118–129 AO Rz. 15. BFH v. 1.9.2009 – VIII R 78/06, BFH/NV 2010, 593 und BFH v. 27.6.2018 – X R 17/17, BFH/NV 2019, 97. 7 BFH v. 27.6.2018 – X R 17/17, BFH/NV 2019, 97. 8 BFH v. 20.2.2014 – XI B 85/13, BFH/NV 2014, 828. 9 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831 Rz. 2.1.

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C. Tatsächliche Verständigung | Rz. 9.122 Kap. 9

Rechtsvorschriften.1 Anerkannt ist allerdings auch, dass eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Tat- und Rechtsfragen nicht in allen Fällen nach abstrakten Maßstäben möglich ist.2

3. Erschwerte Sachverhaltsermittlung Von einer erschwerten Sachverhaltsermittlung ist auszugehen, wenn sich einzelne Sachverhalte nur mit einem nicht mehr vertretbaren Arbeits- oder Zeitaufwand ermitteln lassen. Dabei darf das Finanzamt auch fiskalische Erwägungen anstellen (Abwägung zwischen Arbeitsaufwendung und steuerlichem Erfolg).3

9.118

4. Kein offensichtlich unzutreffendes Ergebnis Unter welchen Voraussetzungen eine tatsächliche Verständigung zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.4 Unwirksam sind dabei vor allem Vereinbarungen, die gegen die Regeln der Logik oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen.5 Für die Praxis folgt hieraus, dass die getroffene Verständigung begründet werden sollte. Insbesondere sollte nachvollziehbar dargelegt werden, dass sich die Verständigung im Rahmen realistischer Annahmen bewegt.6

9.119

5. Beidseitiger Rechtsbindungswille Eine tatsächliche Verständigungswirkung mit Bindungswirkung setzt voraus, dass beide Seiten – objektiv erkennbar – mit Rechtsbindungswillen handeln.7 Nicht ausreichend sein kann z.B. die bloße Äußerung des Finanzamts, dass über „Feststellungen Einigkeit erzielt wurde“.8

9.120

In der Praxis sollte daher die bindende Wirkung der Verständigung ausdrücklich festgehalten werden (Formulierungsbeispiel: „Die tatsächliche Verständigung ist für alle Beteiligten bindend“9).

9.121

6. Form Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine tatsächliche Verständigung grundsätzlich nicht formbedürftig. Allerdings wird die Einhaltung der Schriftform als Indiz für das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens angesehen.10 Eine wirksame tatsächliche Verständigung liegt auch dann vor, wenn sie im Rahmen eines gerichtlichen Erörterungstermins protokolliert wird.11 1 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831 Rz. 2.2. 2 BFH v. 20.9.2007 – IV R 20/05, BFH/NV 2008, 532 zur Gewinnerzielungsabsicht; BFH v. 13.8.1997 – I R 12/97, BFH/NV 1998, 498 zur Angemessenheit einer Geschäftsführervergütung; vgl. zur Abgrenzungsproblematik auch Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor §§ 118–129 AO Rz. 13. 3 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831 Rz. 3. 4 BFH v. 11.7.2012 – X B 136/11, BFH/NV 2012, 1815. 5 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831 Rz. 8.1. 6 Mues in Gosch, § 78 AO Rz. 57. 7 BFH v. 15.12.1999 – XI R 11/99, BFH/NV 2000, 708. 8 BFH v. 4.4.2011 – V B 87/10, BFH/NV 2011, 1745. 9 BMF v. 30.7.2008 – IV A 3-S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831 Rz. 5.5. 10 BFH v. 21.6.2000 – IV B 138/99, BFH/NV 2001, 2; BFH v. 16.2.2006 – X B 176/05, BFH/NV 2006, 1052. 11 BFH v. 7.9.2006 – IX B 199/05, BFH/NV 2007, 75.

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9.122

Kap. 9 Rz. 9.123 | Streitvermeidungsinstrumente

9.123

Nach den Vorgaben der Finanzverwaltung ist der Inhalt der tatsächlichen Verständigung schriftlich festzuhalten und von den Beteiligten aus Beweisgründen zu unterschreiben.1 Auch die wohl herrschende Literaturauffassung geht – unter Hinweis auf die für Steuerbescheide geltenden Formvorgaben (§ 157 Abs. 1 AO) – davon aus, dass tatsächliche Verständigungen der Schriftform bedürfen (Grundsatz der Formenakzessorietät).2

9.124

Für die Praxis folgt hieraus, dass eine tatsächliche Verständigung stets verschriftlicht bzw. in einem gerichtlichen Protokoll festgehalten werden sollte.

7. Vertretungsberechtigung 9.125

Alle Beteiligten müssen durch eine vertretungsberechtigte Person vertreten werden.

9.126

Lässt sich der Steuerpflichtige durch einen Bevollmächtigten vertreten, so muss dieser entsprechend bevollmächtigt sein. Eine uneingeschränkte Vollmacht gem. § 80 Abs. 1 Satz 2 AO umfasst auch die Befugnis zum Abschluss einer tatsächlichen Verständigung.3

9.127

Auf Seiten der Finanzbehörde muss ein Amtsträger beteiligt sein, der für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständig ist. Dies ist nach der innerbehördlichen Organisation in der Regel bei dem Amtsleiter, dem Sachgebietsleiter oder dem Leiter der Rechtsbehelfsstelle anzunehmen. Nur im Falle einer veranlagenden Betriebsprüfung ist auch der Sachgebietsleiter der Betriebsprüfungsstelle entscheidungsbefugt. Bei nichtveranlagenden Betriebsprüfungen besteht eine solche Entscheidungsbefugnis nicht, da das Prüfungsergebnis lediglich als Grundlage für die Festsetzung der Steuer durch die Veranlagungsbeamten dient.4 Auch der Sachgebietsleiter der Steuerfahndungsstelle ist grundsätzlich nicht vertretungsberechtigt.5

9.128

Nach Auffassung der Finanzverwaltung kann ein Vertretungsmangel durch eine nachträgliche Zustimmung des zuständigen Amtsträgers geheilt werden.6 Die Rechtsprechung steht einer Genehmigungsmöglichkeit wegen der weitreichenden Folgen einer tatsächlichen Verständigung für den Steuerpflichtigen kritisch gegenüber und fordert die persönliche Anwesenheit des entscheidungsbefugten Beamten.7 Die jüngere Rechtsprechung hält eine Genehmigungsmöglichkeit zwar für bedenkenswert, knüpft sie aber an andere verfahrensrechtliche Sicherungsmaßnahmen (Schriftform, Hinweis auf Bindungswirkung und auf die schwebende Unwirksamkeit der Verständigung bis zu ihrer Genehmigung durch den zuständigen Amtsträger).8

III. Bindungswirkung 9.129

Mit Abschluss der tatsächlichen Verständigung sind die Beteiligten an die Vereinbarung gebunden. Das bedeutet, dass die von ihnen vereinbarte Tatsachengrundlage der Besteuerung zugrunde zu legen ist.9 Die Bindungswirkung erstreckt sich nur auf die an der Verständigung 1 2 3 4 5 6 7 8 9

BMF v. 30.7.2008 – IV A 3-S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831 Rz. 5.5. Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 118–129 AO Rz. 26. BMF v. 30.7.2008 – IV A 3-S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831 Rz. 5.2 Satz 2. BFH v. 27.6.2018 – X R 17/17, BFH/NV 2019, 97. BFH v. 27.6.2018 – X R 17/17, BFH/NV 2019, 97. BMF v. 30.7.2008, BStBl. I 2008, 831 Rz. 5.3 Satz 2. BFH v. 7.7.2004 – X R 24/03, BStBl. II 2004, 975. BFH v. 27.6.2018 – X R 17/17, BFH/NV 2019, 97. BFH v. 31.7.1996 – XI R 78/95, BStBl. II 1996, 625 Rz. 12; BMF v. 30.7.2008, BStBl. I 2008, 831 Rz. 6.1.

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C. Tatsächliche Verständigung | Rz. 9.133 Kap. 9

Beteiligten (sowie ggf. auf deren Gesamtrechtsnachfolger).1 Eine tatsächliche Verständigung zugunsten bzw. zu Lasten Dritter ist nicht möglich.2 Für den Steuerpflichtigen folgt aus der Bindungswirkung, dass er nach Abschluss der Vereinbarung nicht mehr geltend machen kann, die vereinbarte Tatsachengrundlage sei unzutreffend („materieller Einwendungsausschluss“).3 In der Praxis sollte daher einer tatsächlichen Verständigung nicht vorschnell zugestimmt werden.

9.130

IV. Entfallen der Bindungswirkung Ein einseitiger Widerruf der eigenen Verständigungserklärung ist grundsätzlich nicht möglich.4 Den Beteiligten steht es allerdings frei, sich einvernehmlich von einer tatsächlichen Verständigung zu lösen.5 Von einer solchen einvernehmlichen Aufhebung kann in der Praxis insbesondere dann Gebrauch gemacht werden, wenn sich herausstellt, dass die Verständigung unklar oder unpraktikabel ist.

9.131

Im Übrigen sind die Anfechtungsvorschriften der §§ 119, 123 BGB auf tatsächliche Verständigungen im Steuerverfahren anwendbar.6 Die bisherige Rechtsprechung ist hier allerdings eher zurückhaltend. So reicht es für die Annahme einer „widerrechtlichen Drohung“ (§ 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB) grundsätzlich nicht aus, dass dem Steuerpflichtigen für den Fall, dass er der tatsächlichen Verständigung nicht zustimmt, weitere Ermittlungsmaßnahmen der Steuerfahndung in Aussicht gestellt werden.7 Letztlich kommt es hier aber auf die Umstände des Einzelfalls an.8 Sollte ein Anfechtungsgrund vorliegen, so ist dieser im Rahmen der Anfechtungsfristen geltend zu machen.9 Im Rahmen des § 119 BGB ist die Anfechtung unverzüglich zu erklären (§ 121 BGB). Bei einer Anfechtung nach § 123 BGB beträgt die Anfechtungsfrist ein Jahr (§ 124 BGB).

9.132

Schließlich kann die Bindung der Beteiligten nach den Grundsätzen über das Fehlen oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage entfallen, wenn der Verständigung eine (irrtümlich) angenommene gemeinsame Geschäftsgrundlage von vornherein gefehlt hat oder wenn sie nachträglich weggefallen ist und einem der Beteiligten ein Festhalten an dem Vereinbarten nicht (mehr) zuzumuten ist (§ 313 BGB analog).10 Als Geschäftsgrundlage kommen dabei alle tatsächlichen oder rechtlichen Umstände, ohne die die Beteiligten die Verständigung nicht oder jedenfalls nicht mit diesem Inhalt getroffen hätten, in Betracht. Ein Festhalten an dem Vereinbarten ist nicht bereits dann unzumutbar, wenn sich das mit der Verständigung verbundene Vertragsrisiko realisiert hat oder die betroffene Partei nach der gegenwärtigen Interessenlage vernünftigerweise nicht mehr in die Verständigung einwilligen würde. Die Folgen müssen vielmehr so schwerwiegend sein, dass sie den von der benachteiligten Partei billigerweise zu tragenden Risikorahmen überschreiten. Auf der Rechtsfolgenseite sieht § 313 Abs. 1 BGB grundsätzlich die Anpassung der getroffenen Verständigung an die geänderten Umstände vor. Ist allerdings die Durchführung der tatsächlichen Verständigung unter Anpassung ih-

9.133

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

BMF v. 30.7.2008, BStBl. I 2008, 831 Rz. 6.1. BFH v. 7.7.2004 – X R 24/03, BStBl. II 2004, 975; Mues in Gosch, § 78 AO Rz. 60. Seer in Tipke/Kruse, Vor §§ 118–129 AO Rz. 28. BFH v. 1.9.2009 – VIII R 78/06, BFH/NV 2010, 593. Mues in Gosch, § 78 AO Rz. 62. BFH v. 1.9.2009 – VIII R 78/06, BFH/NV 2010, 593; BMF v. 30.7.2008, BStBl. I 2008, 831 Rz. 8.2. FG Köln v. 20.10.2011 – 15 K 3692/08, EFG 2012, 574 (rkr.). Zu Indizien für eine unzulässige Drucksituation vgl. Roth, AO-StB 2012, 213 (214). BFH v. 1.9.2009 – VIII R 78/06, BFH/NV 2010, 593. BFH v. 11.4.2017 – IX R 24/15, BStBl. II 2017, 1155; BMF v. 30.7.2008, BStBl. I 2008, 831 Rz. 8.2.

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Kap. 9 Rz. 9.133 | Streitvermeidungsinstrumente

res Inhalts an die Verhältnisse tatsächlich oder rechtlich nicht möglich, zur Wiederherstellung der Geschäftsgrundlage ungeeignet oder einer der Parteien nicht zumutbar, kann die benachteiligte Partei von der Verständigung zurücktreten (vgl. § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB).1

9.134

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist danach zu differenzieren, ob die tatsächliche Verständigung bereits in einem Steuer- bzw. Feststellungsbescheid berücksichtigt worden ist.2 Ist sie noch nicht umgesetzt, so führt das Entfallen der Bindungswirkung dazu, dass die zunächst getroffene Verständigung nicht mehr zu berücksichtigen ist. Ist bereits ein Verwaltungsakt ergangen, kann sich die Unwirksamkeit der Verständigung nur noch dann steuerlich auswirken, wenn die Voraussetzungen einer verfahrensrechtlichen Änderungsvorschrift (§§ 164, 172, 367 Abs. 2 Satz 2 AO) vorliegen. Eine Änderung nach § 173 AO kann in Betracht kommen, wenn die Unwirksamkeit der Verständigung auf Tatsachen beruht, die dem Finanzamt nachträglich bekannt geworden sind.

V. Rechtsschutz 9.135

Da die tatsächliche Verständigung kein Verwaltungsakt ist, haben sich Rechtsbehelfe des Steuerpflichtigen grundsätzlich gegen die ergangenen Festsetzungs- bzw. Feststellungsbescheide zu richten.3 Im Rahmen dieser Rechtsbehelfsverfahren kann überprüft werden, ob die tatsächliche Verständigung wirksam ist und ob sie zutreffend umgesetzt worden ist.

D. Vertrauensschutz und Treu & Glauben Literatur: Hendricks/Wedel, Praxisforum Steuerrechtsschutz: Vertrauensschutzbegründende Verwaltungspraxis, Ubg 2020, 172; Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, Habil. 2002, S. 736 ff.; Hey, Schutz des Vertrauens in BFH-Rechtsprechung und Verwaltungspraxis, DStR 2004, 1897; Klass, Vertrauensschutz im Steuerrecht außerhalb von verbindlicher Auskunft und verbindlicher Zusage, DB 2010, 2464; Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, Habil. 1996, S. 449 ff.; Venturini, Betriebsprüfung und Treu und Glauben – Darf die Finanzverwaltung eine bei einer früheren Betriebsprüfung vertretene und von der Veranlagungsstelle übernommene Rechtsauffassung für die Vergangenheit ändern? –, IFSt Nr. 228 (1983).

I. Einleitung 9.136

Die Betriebsprüfung ist auf eine abschließende nachträgliche Überprüfung des Steuerfalls gerichtet.4 In der Prüfungspraxis ergehen Steuerbescheide regelmäßig zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Satz 1 AO).5 Erst einige Zeit später folgt die Betriebsprüfung. Hier kommt es dann nicht selten vor, dass die Finanzbehörde Sachverhalte, die in der Vergangenheit wiederholt eine bestimmte rechtliche Beurteilung erfahren haben, nunmehr abweichend beurteilt. Die geänderte Beurteilung kann den Steuerpflichtigen vor Probleme stellen. Denn sie wirkt sich wegen der retrospektiven Sicht der Besteuerung nicht erst in der Zukunft, sondern auf bereits abgeschlossene Zeiträume aus, die der Steuerpflichtige nicht mehr beeinflussen kann.6 1 2 3 4 5 6

BFH v. 11.4.2017 – IX R 24/15, BStBl. II 2017, 1155. Vgl. dazu auch BMF v. 30.7.2008 – IV A 3 - S 0223/07/10002, BStBl. I 2008, 831 Rz. 8.3. BFH v. 12.6.2017 – III B 144/16, BStBl. II 2017, 1165. Rüsken in Klein15, § 193 AO Rz. 8. Dies ist allerdings keine notwendige Voraussetzung; Seer in Tipke/Kruse, § 193 AO Rz. 5. Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 454; Venturini, IFSt Nr. 228, S. 59.

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D. Vertrauensschutz und Treu & Glauben | Rz. 9.140 Kap. 9

In der Praxis wird dann regelmäßig die Frage nach den Erfolgsaussichten eines Einspruchsbzw. Klageverfahrens gegen die das Ergebnis der Betriebsprüfung umsetzenden (Änderungs-) Bescheide gestellt. Bezogen auf das Argument des Vertrauensschutzes scheinen die Erfolgsaussichten auf den ersten Blick vor allem dann schlecht zu sein, wenn die Finanzbehörde die geänderte Beurteilung damit begründet, dass sich die bisherige Beurteilung (zutreffend) als unrichtig herausgestellt hat.1 Nach dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung ist die Finanzbehörde an die Sach- und Rechtsbehandlung in früheren Veranlagungs- bzw. Besteuerungszeiträumen nicht gebunden. Vielmehr hat sie eine als falsch erkannte Auffassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufzugeben. Diese Verpflichtung besteht (grundsätzlich) auch dann, wenn die Finanzbehörde die fehlerhafte, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung über eine längere Zeitspanne vertreten und der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf disponiert hat.2

9.137

Die Finanzbehörde kann aber auch daran gehindert sein, von ihrer bisherigen Beurteilung Abstand zu nehmen. Dies insbesondere dann, wenn dem Steuerpflichtigen eine bestimmte steuerliche Behandlung zugesagt wurde. Die Zusage bindet die Finanzbehörde an eine bestimmte rechtliche Beurteilung. Sie bietet bereits kraft ihrer Rechtsform abstrakten Vertrauensschutz und überlagert die normative Gesetzeslage.3 Die Finanzbehörden können Zusagen über die steuerliche Beurteilung von genau bestimmten, noch nicht verwirklichten Sachverhalten erteilen, wenn daran im Hinblick auf die erheblichen steuerlichen Auswirkungen ein besonderes Interesse besteht (s. Rz. 9.1 ff.). Auch können die Finanzbehörden im Anschluss an eine vorherige Betriebsprüfung dem Steuerpflichtigen zusagen, wie ein für die Vergangenheit geprüfter und im Prüfungsbericht dargestellter Sachverhalt in Zukunft steuerrechtlich behandelt wird, wenn dies für die geschäftlichen Maßnahmen des Steuerpflichtigen von Bedeutung ist (s. Rz. 9.75 ff.).

9.138

Die Finanzbehörde kann auch aufgrund einer zweiseitigen Verabredung in Form einer sog. tatsächlichen Verständigung zwischen ihr und dem Steuerpflichtigen daran gehindert sein, von ihrer bisherigen Beurteilung Abstand zu nehmen (s. Rz. 9.109 ff.). Wirkt sich der in der tatsächlichen Verständigung festgelegte Sachverhalt auch in die Zukunft aus und sollte sie sich nach dem Willen der Beteiligten auch hierauf erstrecken, tritt bei gleich bleibenden tatsächlichen Verhältnissen insoweit ebenfalls eine Bindung für die Zukunft ein.4 Nach der Rechtsprechung folgt die Bindung nicht schon aus der Verständigung selbst, sondern aus den Grundsätzen von Treu und Glauben.5 Solange und soweit die tatsächliche Verständigung wirksam ist, müssen sowohl die Finanzbehörde als auch der Steuerpflichtige sie beachten und das FG hat sie bei seiner Entscheidung zugrunde zu legen.6

9.139

Die Finanzbehörde kann aber auch dann gehindert sein, von ihrer bisherigen Beurteilung Abstand zu nehmen, wenn weder eine steuerliche Behandlung zugesagt wurde noch eine tatsächliche Verständigung vorliegt.7 In Ausnahmefällen kann eine Bindungswirkung entstehen, wenn die Finanzbehörde durch ihr früheres Verhalten einen sonstigen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.8

9.140

1 Siehe zur Abgrenzung der möglichen Fallgestaltungen bei Venturini, IFSt Nr. 228, S. 54 ff. u. 57 ff. sowie im Folgenden unter Rz. 9.158 u. Rz. 9.162. 2 BFH v. 29.4.2008 – VIII R 75/05, BStBl. II 2008, 817 (820 m.w.N.). 3 Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 50 ff.; Seer in Tipke/Kruse, § 206 AO Rz. 1 f. 4 BMF v. 30.7.2008, BStBl. I 2008, 831 Rz. 4.2. 5 BFH v. 27.6.2018 – X R 17/17, BFH/NV 2019, 81 Rz. 16 m.w.N. 6 Seer in Tipke/Kruse, Vor§§ 118–129 AO Rz. 28 m.w.N. 7 Insbesondere zur Situation im Rahmen der Schlussbesprechung Hendricks/Wedel in Gosch, § 201 AO Rz. 26 ff. 8 BFH v. 18.3.2015 – XI R 8/13, BStBl. II 2016, 788 (792 m.w.N.); BFH v. 30.3.2011 – XI R 30/09, BStBl. II 2011, 613 (615 m.w.N.); BFH v. 29.4.2008 – VIII R 75/05, BStBl. II 2008, 817 (820 m.w.N.); FG Köln v. 13.2.2003 – 15 K 600/99, DStRE 2003, 876 (877 m.w.N.) – rkr.

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Kap. 9 Rz. 9.141 | Streitvermeidungsinstrumente

II. Grundsätzliches zu sonstigen Vertrauenstatbeständen 9.141

Liegt weder eine Zusage noch eine tatsächliche Verständigung vor, kann die Finanzbehörde dennoch aufgrund ihres früheren Verhaltens einen sonstigen Vertrauenstatbestand begründet haben, der ebenfalls Bindungswirkung entfaltet. Die sonstigen Vertrauenstatbestände fallen rechtsdogmatisch in die Schnittmenge zweier Rechtsgrundsätze, die ihren Ursprung in der Gerechtigkeitsidee nehmen: Der allgemeine Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben sowie das Vertrauensschutzprinzip als besonderer Rechtsgrundsatz.1 Vertrauensschutzprinzip und Treu und Glauben-Grundsatz bilden zwei sich partiell überlagernde Rechtskreise, deren Schnittmenge den Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen im konkreten Steuerrechtsverhältnis zur Finanzbehörde enthält.2

9.142

Der Steuerpflichtige kann sich im konkreten Steuerrechtsverhältnis auf Vertrauensschutz berufen, wenn die Finanzbehörde ihm gegenüber durch ihr früheres Verhalten einen sonstigen Vertrauenstatbestand begründet hat (s. Rz. 9.144 ff.), wegen dem er disponiert hat (s. Rz. 9.154 ff.). Die Bindungswirkung folgt also nicht schon aus der Begründung eines Vertrauenstatbestands an sich, sondern tritt erst ein, wenn der Steuerpflichtige sein Vertrauen betätigt hat. In Folge der Bindungswirkung wird die normative Gesetzeslage überlagert. Die Finanzbehörde kann deswegen daran gehindert sein, einen nach dem Gesetz entstandenen Steueranspruch geltend zu machen. Dies kann der Steuerpflichtige (bereits) gegenüber einer Steuerfestsetzung geltend machen; eines gesonderten Billigkeitsverfahrens bedarf es nicht.3

9.143

Für die Prüfungssituation in der Praxis folgt daraus: Die Finanzbehörde kann daran gehindert sein, ein dem Gesetz entsprechendes Betriebsprüfungsergebnis umzusetzen, wenn der Steuerpflichtige aufgrund eines früheren Verhaltens der Finanzbehörde darauf vertraut hat, dass eine andere Beurteilung (auch in Zukunft) zugrunde gelegt wird.4 Ergangene (Änderungs-) Bescheide können in diesen Fällen mit Erfolg angegriffen werden.5 Dies gilt auch dann, wenn dem Steuerpflichtigen weder eine bestimmte steuerliche Behandlung zugesagt wurde noch eine tatsächliche Verständigung vorliegt.

III. Begründung und Bindungswirkung sonstiger Vertrauenstatbestände 1. Sonstige Vertrauenstatbestände 9.144

a) Rechtspraktische Bedeutung Sonstige Vertrauenstatbestände knüpfen an ein früheres Verhalten der Finanzbehörde an, das (auch) in die Zukunft fortwirkt.6 In den Fallprüfungen des BFH wird der sonstige Vertrauenstatbestand regelmäßig dann geprüft, wenn zuvor eine Zusage verneint wurde.7 Die Rechtspre1 Drüen in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 125 f. 2 So ausdrücklich Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 449 f. Siehe hierzu auch bei Drüen in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 128 ff. 3 BFH v. 30.3.2011 – XI R 30/09, BStBl. II 2011, 613 (615). 4 BFH v. 30.3.2011 – XI R 30/09, BStBl. II 2011, 613 (615 m.w.N.). 5 Hendricks/Wedel, Ubg 2020, 172 (173). 6 BFH v. 19.11.1985 – VIII R 25/85, BStBl. II 1986, 520, 523: Ausführungen in einem Betriebsprüfungsbericht aus dem Jahr 1975 sind nicht geeignet, einen sonstigen Vertrauenstatbestand zu begründen, wenn sich diese Ausführungen nur auf die geprüften Veranlagungszeiträume 1970 bis 1973 beziehen. In Abgrenzung dazu FG Köln v. 13.2.2003 – 15 K 600/99, DStRE 2003, 876 (878) – rkr. 7 BFH v. 19.11.1985 – VIII R 25/85, BStBl. II 1986, 520; BFH v. 30.3.2011 – XI R 30/09, BStBl. II 2011, 613; BFH v. 18.3.2015 – XI R 8/13, BStBl. II 2016, 788.

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D. Vertrauensschutz und Treu & Glauben | Rz. 9.146 Kap. 9

chung verlangt ein nachhaltiges Verhalten der Finanzbehörde.1 Dieses kann in einer „nachdrücklichen Willensäußerung“ (außerhalb einer Zusage) oder in einem sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Verhalten liegen.2 In Ermangelung feststehender Tatbestandsmerkmale ist es zweckmäßig, die sonstigen Vertrauenstatbestände anhand von Fällen bzw. Fallgruppen zu umschreiben.3 Dies soll im Folgenden anhand von Rechtsprechungsbeispielen geschehen.4 b) „Nachdrückliche Willensäußerung“ aa) Zwitterstellung zwischen rechtsverbindlicher Erklärung und unverbindlicher Auskunft Die „nachdrückliche Willensäußerung“ ist ein Minus gegenüber der mit Rechtsbindungswillen abgegebenen Erklärung im Rahmen einer Zusage (z.B. nach § 89 Abs. 2 AO, §§ 204 ff. AO). Damit kommt ihr neben den gesetzlichen Regelungen weiterhin Bedeutung zu.5 Sie ist dem Grunde nach erstmal nichts anderes als eine unverbindliche Auskunft. Erst durch Hinzutreten weiterer Umstände kann ein sonstiger Vertrauenstatbestand entstehen. Dieser muss geeignet sein, beim Steuerpflichtigen ein berechtigtes Vertrauen auf ein gleichbleibendes Verhalten der Verwaltung zu begründen.6 Dem steht dann auch nicht entgegen, dass ein Steuerbescheid zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Satz 1 AO) ergangen ist.7 Anderenfalls könnte sich die Finanzbehörde durch die routinemäßige Beifügung eines Vorbehalts von jedem Vertrauensschutz (außerhalb der mittlerweile gesetzlich regelten Vertrauenstatbestände) freizeichnen. Auch die Korrekturbegrenzung durch § 176 AO greift bei einer Vorbehaltsfestsetzung ein (s. Rz. 9.152 f.). Entsprechendes muss dann auch im Kontext der hier interessierenden sonstigen Vertrauenstatbestände gelten, die durch früheres Verhalten begründet werden.8

9.145

bb) FG Köln v. 13.2.2003 – 15 K 600/99 In einem umsatzsteuerlichen Streitfall versagte das FG Köln9 der Finanzbehörde die Durchführung einer Änderung eines unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheids, um eine im Rahmen einer Betriebsprüfung als richtig erkannte Sachbehandlung umzusetzen, 1 BFH v. 31.1.2006 – III B 57/05, BFH/NV 2006, 1047. 2 BFH v. 2.12.1959 – VII 95/58 U, BStBl. III 1960, 127; BFH v. 21.5.1963 – VII 175/61 U, BStBl. III 1963, 390. 3 Drüen in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 130. 4 Siehe hierzu auch bei Hendricks/Wedel, Ubg 2020, 172; Schallmoser in HHSp., Vor §§ 204–207 AO Rz. 11. Beispiele aus der Rechtsprechung: BFH v. 28.2.1961 – I 25/61 U, BStBl. III 1961, 252; BFH v. 11.2.1966 – VI 229/63, BStBl. III 1966, 486; BFH v. 15.12.1966 – V 181/63, BStBl. III 1967, 212; BFH v. 5.3.1970 – IV 213/65, BStBl. II 1970, 793; FG Hamburg v. 25.3.1959 – II 26/57 (III), EFG 1959, 427 – rkr.; FG Freiburg v. 17.8.1965 – I (II) 115/64, EFG 1966, 61 – rkr.; FG Berlin v. 30.4.1969 – VI 231/68, EFG 1969, 483 – Rev. BFH I R 112/69; FG München v. 30.7.1969 – III Z 161-164/64, EFG 1969, 576 –rkr.; FG Düsseldorf v. 17.3.1972 – IX 80/71 G, EFG 1972, 378 – rkr.); FG München v. 27.2.1973 – II 102/71, EFG 1973, 338 – rkr.; FG Saarl. v. 17.10.1980 – II 415/77, EFG 1981, 242 – rkr.; FG Düsseldorf v. 11.5.1988 – 5 K 523/82 E, EFG 1988, 504 – rkr.; FG Bdb. v. 14.5.1997 – 3 V 214/97 I, AO – AdV; FG Köln v. 13.2.2003 – 15 K 600/99, DStRE 2003, 876 – rkr. 5 Im Ergebnis ebenso: Schallmoser in HHSp., Vor §§ 204–207 AO Rz. 11 a.E. 6 Hendricks/Wedel, Ubg 2020, 172 (173 f.); Hendricks/Wedel in Gosch, § 201 AO Rz. 30. 7 FG Köln v. 13.2.2003 – 15 K 600/99, DStRE 2003, 876 (877 f.) – rkr.; auch BFH v. 14.8.1997 – III B 58/97, BFH/NV 1998, 83; v. 14.10.2009 – X R 37/07, BFH/NV 2010, 406 erkennen an, dass eine Einschränkung der Vorbehaltswirkung möglich ist. 8 So auch Oellerich in Gosch, § 164 AO Rz. 95. 9 FG Köln v. 13.2.2003 – 15 K 600/99, DStRE 2003, 876 – rkr.

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9.146

Kap. 9 Rz. 9.146 | Streitvermeidungsinstrumente

weil die Finanzbehörde aufgrund eines zusageähnlichen Verhaltens an ihre vorherige unzutreffende Beurteilung gebunden war. Bei dem Steuerpflichtigen, der seine Leistungen dem Regelsteuersatz unterwarf, wurde im Jahr 1991 eine Umsatzsteuersonderprüfung hinsichtlich der Monate Januar bis März 1991 durchgeführt. Die Prüfung kam zu dem Ergebnis, dass der Steuerpflichtige eine einheitliche Leistung erbringe, die dem begünstigten Steuersatz unterliege. Diese von der bisherigen Rechtsauffassung des Steuerpflichtigen abweichende Beurteilung wurde ausführlich im Prüfungsbericht niedergelegt. Hier wurde der Steuerpflichtige auch darauf hingewiesen, dass er seine bisherigen Rechnungen korrigieren könne. Der Steuerpflichtige korrigierte die jeweiligen Rechnungen und verfuhr entsprechend auch in den Jahreserklärungen 1991 bis 1993, was von der Finanzbehörde nicht beanstandet wurde. Im Jahr 1995 wurde bei dem Steuerpflichtigen eine Betriebsprüfung durchgeführt, die auch die Umsatzsteuer der Jahre 1991 bis 1993 zum Gegenstand hatte. Dabei wurde die bisherige Sachbehandlung als unzutreffend qualifiziert und die betreffenden Bescheide über Umsatzsteuer 1991 bis 1993 nach § 164 Abs. 2 AO geändert. Gegen die ergangenen Änderungsbescheide erhob der Steuerpflichtige Klage. Das FG entschied zugunsten des Steuerpflichtigen. Es ist zwar richtig, dass die Voraussetzungen für eine Besteuerung mit dem ermäßigten Steuersatz nicht vorliegen. Dennoch ist die Finanzbehörde an ihre unzutreffende Beurteilung gebunden und daran gehindert, entsprechende Änderungsbescheide zu erlassen. In dem Verhalten der Finanzbehörde ist ein zusageähnliches Verhalten zu sehen, auf das der Steuerpflichtige vertrauen durfte. Dabei ist entscheidend, dass die Finanzbehörde durch die präzise und unmissverständlich geäußerte Rechtsansicht den Steuerpflichtigen dazu bewegt hat, von seiner bisherigen (zutreffenden) Rechtsposition Abstand zu nehmen, um sich der (unzutreffenden) Rechtsansicht der Finanzbehörde anzuschließen. Das maßgebliche Verhalten der Finanzbehörde geht über eine bloße Billigung einer bereits vom Steuerpflichtigen eingenommen Rechtsposition hinaus. Die Finanzbehörde hat aktiv Einfluss genommen. Nach Auffassung des FG Köln ist der Vertrauenstatbestand im Streitfall dann auch nicht wieder in Fortfall gekommen, weil die Finanzbehörde wegen der im Raum stehenden Frage die beantragte verbindliche Zusage gem. § 204 AO aus formalen Gründen abgelehnt hat. Zwar kann eine auch nur formal begründete Ablehnung ein zuvor begründetes Vertrauen zerstören. Hier war aber weiter zu berücksichtigen, dass das Ablehnungsschreiben zusätzlich eine zusageähnliche Aussage enthält, mit der die Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung (auch mit Wirkung für die Zukunft) bestätigt wurden. cc) FG München v. 27.2.1973 – II 102/71

9.147

In einem (schon etwas zurückliegenden) gewerbesteuerlichen Streitfall versagte das FG München1 der Finanzbehörde die Besteuerung anhand einer im Rahmen einer Betriebsprüfung als richtig erkannten Sachbehandlung, weil die Finanzbehörde an ihre vorherige unzutreffende Beurteilung gebunden war. Der Steuerpflichtige erzielte seit 1961 Einkünfte aus Gewerbebetrieb. In seiner Erklärung für das Jahr 1961 füllte er die für die Kürzung des Gewerbeertrags vorgesehene Zeile durch einen Strich aus. Die Finanzbehörde kürzte demgegenüber die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um den vollen Gewinnbetrag. Dadurch ergab sich ein Steuermessbetrag von DM 0. In den Erläuterungen wurde dies aufgeführt und darauf hingewiesen, dass eine Kürzung mit dem geltenden Gewerbesteuerrecht übereinstimme. Dementsprechend nahm der Steuerpflichtige für die folgenden Jahre in seinen Steuererklärungen jeweils eine entsprechende Kürzung vor. Die Finanzbehörde folgte dem jeweils in endgül1 FG München v. 27.2.1973 – II 102/71, EFG 1973, 338 – rkr.

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D. Vertrauensschutz und Treu & Glauben | Rz. 9.149 Kap. 9

tigen Gewerbesteuermessbescheiden für die Jahre 1962 bis 1965 sowie in einem vorläufigen Bescheid für das Jahr 1966. Im Februar 1968 führte die Finanzbehörde eine Betriebsprüfung für die Jahre 1962 bis 1966 durch. Der Prüfer wies darauf hin, dass die Voraussetzungen für eine Kürzung nicht gegeben seien. Daraufhin wurde der vorläufige Bescheid für 1966 abgeändert und entsprechende erstmalige Bescheide für die Jahre 1967 und 1968 erlassen. Gegen die Bescheide für die Jahre 1966 bis 1968 erhob der Steuerpflichtige Klage. Das FG entschied zugunsten des Steuerpflichtigen. Es sei zwar richtig, dass die Voraussetzungen für eine Kürzung nicht vorliegen. Dennoch ist die Finanzbehörde an ihre unzutreffende Beurteilung aus den Vorjahren auch noch in den Jahren 1966 bis 1968 gebunden. Zwar wurde keine verbindliche Zusage erteilt. Die Sachbehandlung der Finanzbehörde im Gewerbesteuermessbescheid 1961 mit der erfolgten Erläuterung und die vorbehaltlose Vornahme der Kürzung in den Folgejahren ist aber einer verbindlichen Rechtsauskunft gleichzusetzen, die nach der Art ihrer Erteilung in dem Steuerpflichtigen die feste Annahme erwecken musste, dass er sich darauf verlassen kann. dd) Fazit Für die Prüfungssituation in der Praxis folgt daraus: Im Laufe der Betriebsprüfung können sich mehrere Anknüpfungspunkte für die Herausarbeitung eines sonstigen Vertrauenstatbestands durch eine „nachdrückliche Willensäußerung“ ergeben, der je nach Einzelfall (auch) in die Zukunft fortwirkt.1 Die zuvor dargestellten Beispiele aus der Rechtsprechung können dem Praktiker dazu als erste „Orientierungshilfe“ dienen. Ein besonderes Augenmerk sollte auf aus formalen Gründen abgelehnten Zusagen gelegt werden. In der Praxis kommt es bisweilen vor, dass sich im Anschluss an die Darlegung der Ablehnungsgründe auch Ausführungen zur materiell-rechtlichen Beurteilung finden. Dann ist immer auch an die Begründung eines sonstigen Vertrauenstatbestands zu denken. Es muss aber im Blick behalten werden, dass ein sonstiger Vertrauenstatbestand überhaupt nur dann zu einer Bindungswirkung führen kann, wenn er dem jeweils zuständigen Amtsträger zugerechnet werden kann, was insbesondere im Verhältnis Betriebsprüfung – Veranlagung von Bedeutung ist.2

9.148

c) Langjährige Verwaltungspraxis In Einzelfällen kann ein Vertrauenstatbestand auch allein durch eine langjährige Verwaltungspraxis begründet werden. Zuvor wurden Fälle erläutert, in denen die Finanzbehörde entweder auf die Rechtsposition des Steuerpflichtigen aktiv eingewirkt hat (s. zuvor unter Rz. 9.146) oder zumindest eine erst von ihr eingenommene Position mehrere Jahre unverändert fortgeführt wurde (s. zuvor unter Rz. 9.147). Jetzt geht es um Fälle, in denen die Finanzbehörde eine vom Steuerpflichtigen eingenommene Position über Jahre hinweg unverändert übernimmt. Ging es in den Fällen zuvor (in unterschiedlicher Ausprägung) um die aktive Einflussnahme durch die Finanzbehörde, geht es nun lediglich um eine passive Nichtbeanstandung. Die passive Nichtbeanstandung wird regelmäßig als nicht geeignet qualifiziert, um einen sonstigen Vertrauenstatbestand zu begründen.3 Dies soll auch dann gelten, wenn die als falsch erkannte Beurteilung über einen längeren Zeitraum unter Einschluss mehrerer Be1 Insbesondere zur Situation im Rahmen der Schlussbesprechung Hendricks/Wedel in Gosch, § 201 AO Rz. 26 ff. 2 Auch bei der Begründung von sonstigen Vertrauenstatbeständen können Zuständigkeitsfragen von Bedeutung sein; s. Drüen in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 151 f.; Neumann in Gosch, § 4 AO Rz. 65. 3 Siehe hierzu auch FG Köln v. 13.2.2003 – 15 K 600/99, DStRE 2003, 876, 878 – rkr.

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Kap. 9 Rz. 9.149 | Streitvermeidungsinstrumente

triebsprüfungen von der Finanzbehörde vertreten worden ist und der Steuerpflichtige auf den Fortbestand vertraut hat.1

9.150

In bestimmten Fällen hat aber auch die Rechtsprechung schon allein aus einer jahrzehntelang beibehaltenen Verwaltungspraxis einen sonstigen Vertrauenstatbestand abgeleitet. Eine derartige vertrauensschutzbegründende Verwaltungspraxis hat bereits der BFH in dem Urteil des I. Senats vom 28.2.1961 angenommen.2 Den Gegenstand des Urteils bildete die Frage, ob gewerbliche Gewinne einer Erbengemeinschaft oder aber der Witwe des Erblassers zuzurechnen waren. Die Finanzbehörde hatte seit dem Erbfall und in voller Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse den Gewerbebetrieb seit dem Jahr 1941 und dann 16 Jahre lang als Einzelunternehmen der Witwe behandelt. Aufgrund einer Betriebsprüfung im Jahr 1959 änderte die Finanzbehörde ihre Rechtsauffassung und qualifizierte die Erbengemeinschaft für die Jahre ab 1954 erstmals als Unternehmer, ohne dass es zu einer Veränderung der rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse gekommen war. Mit dieser Auffassung konnte sich die Finanzbehörde nicht durchsetzen. Der BFH gewährte aufgrund von Treu und Glauben Vertrauensschutz in die bisherige langjährige Verwaltungspraxis.

9.151

Die Grundsätze dieser Entscheidung sind durch den BFH nicht aufgegeben worden und finden daher noch heute in vergleichbaren Fällen mit (mindestens) ähnlich langer Verwaltungspraxis Anwendung. Dass der BFH auch noch auf Basis des aktuellen Verfahrensrechts an seiner Rechtsprechung festhält, zeigt insbesondere der Beschluss des I. Senats des BFH vom 28.2.20003, in dem der BFH das oben beschriebene Urteil vom 28.2.1961 von anderen zwischenzeitlich ergangenen Urteilen4 abgrenzt und dabei die Fortexistenz der Grundsätze dieser Entscheidung unterstreicht.5 d) Exkurs: Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und § 176 AO

9.152

Keine Frage des Vertrauensschutzes des Steuerpflichtigen im konkreten Steuerrechtsverhältnis zur Finanzbehörde ist es, wenn sich die höchstrichterliche Rechtsprechung ändert.6 Hier fehlt es an einem konkreten Steuerrechtsverhältnis.7 Diese Fälle sind anhand des allgemeinen Vertrauensschutzes, auf den sich der Steuerbürger auch außerhalb eines konkreten Steuerrechtsverhältnisses berufen kann, zu beurteilen.8 Dementsprechend ist die Finanzbehörde auch erst1 2 3 4

5

6 7 8

BFH v. 7.10.2010 – V R 17/09, BFH/NV 2011, 865. BFH v. 28.2.1961 – I 25/61 U, BStBl. III 1961, 252. BFH v. 28.2.2000 – I B 58/99, juris. BFH v. 20.6.1985 – IV R 36/83 (Verwaltungspraxis über 9 Jahre beibehalten); BFH v. 25.4.1990 – I R 78/85, BFH/NV 1990, 630 (Verwaltungspraxis über 7 Jahre beibehalten). Wenn in der letztgenannten Entscheidung darauf verwiesen wird, dass nicht festgestellt worden sei, dass sich die langjährige Behandlung „im Rahmen des Möglichen“ bewegt habe, so hat dies keinerlei Auswirkungen auf die Frage nach der Begründung des Vertrauenstatbestands. Dieser Aspekt wirkt sich richtigerweise erst bei der (nachgelagerten) Frage nach der Beendigung des Vertrauenstatbestands und nicht schon bei der Frage nach dessen Begründung aus (s. dazu noch unter Rz. 9.157 ff.). Hendricks/Wedel, Ubg 2020, 172 (174). Im Ergebnis ebenso Schallmoser in HHSp., Vor §§ 204– 207 AO Rz. 11 a.E.; Streck, Die Außenprüfung3, Rz. 897; Klass, DB 2010, 2464 (2467). Zurückhaltend was die Aussagefähigkeit der Entscheidung I 25/61 U betrifft hingegen Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 453; Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, S. 737 (Fn. 196). Für Gesetzesänderungen oder Änderung von Verwaltungsvorschriften gilt Vergleichbares; s. insbesondere zum Vertrauensschutz hinsichtlich der untergesetzlichen Rechtslage Hey, DStR 2004, 1897. Drüen in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 135 f.; Neumann in Gosch, § 4 AO Rz. 66 f. Zum Vertrauensschutz im Abgabenrecht v. Groll in HHSp., § 176 AO Rz. 25 ff. m.w.N.

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D. Vertrauensschutz und Treu & Glauben | Rz. 9.155 Kap. 9

mal nicht daran gehindert, eine geänderte höchstrichterliche Rechtsprechung zuungunsten des Steuerpflichtigen der (erstmaligen) Steuerfestsetzung zugrunde zu legen. Mit Rücksicht auf den allgemeinen Vertrauensschutz kann es allerdings geboten sein, allgemein gültige Übergangsregelungen vorzuhalten oder Billigkeitsregelungen im Einzelfall auszusprechen.1 Etwas anderes gilt jedoch, wenn die ursprüngliche, für den Steuerpflichtigen günstige, höchstrichterliche Rechtsprechung bereits in einem Steuerbescheid berücksichtigt wurde. In diesem Fall kann sich der Steuerpflichtige auf Vertrauensschutz im konkreten Steuerrechtsverhältnis berufen. Denn die Finanzbehörde hat durch ihr früheres Verhalten, nämlich den Erlass des Steuerbescheids, einen besonderen Vertrauenstatbestand gegenüber dem einzelnen Steuerpflichtigen begründet. Hier setzt § 176 AO an, indem die Korrekturmöglichkeiten der Finanzbehörde begrenzt werden. § 176 AO schützt nicht das allgemeine Vertrauen in die höchstrichterliche Rechtsprechung, sondern in die Bestandskraft der erfolgten Steuerfestsetzung.2 Liegen die Voraussetzungen des § 176 AO vor, ist es der Finanzbehörde (auch) verwehrt, einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheid zu ändern, weil sich während des Prüfungszeitraums eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zuungunsten des Steuerpflichtigen eingestellt hat.3 Fehlt es hingegen an dem von § 176 AO geforderten Vertrauenstatbestand in Form eines Steuerbescheids, kann sich der Steuerpflichtige (jedenfalls) auf den allgemeinen Vertrauensschutz berufen und von einer allgemeinen Übergangsregelung oder einer Billigkeitsentscheidung im Einzelfall profitieren.4

9.153

2. Vertrauensbetätigung (Dispositionen) Ein sonstiger Vertrauenstatbestand entfaltet nicht schon aus sich heraus Bindungswirkung.5 Der Steuerpflichtige muss im Vertrauen auf die Richtigkeit des früheren Verhaltens der Finanzbehörde gehandelt haben.6 Anders als eine Zusage, die bereits aus sich heraus bindet, entfaltet ein sonstiger Vertrauenstatbestands nur Bindungswirkung, wenn der Steuerpflichtige sein Vertrauen betätigt, d.h. disponiert, hat.7

9.154

Hierfür ist es erforderlich, dass das frühere Verhalten der Finanzbehörde für spätere Handlungen des Steuerpflichtigen ursächlich, d.h. kausal, geworden ist. Die späteren Handlungen des Steuerpflichtigen dürfen nicht mehr rückgängig gemacht werden können.8 Aus der Rechtsprechung sind folgende Beispiele zu nennen:

9.155

1 Drüen in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 135 f.; Neumann in Gosch, § 4 AO Rz. 66 f. 2 BFH v. 14.2.2007 – XI R 30/05, BStBl. II 2007, 524. 3 Vorbehaltsfestsetzungen sind das Hauptanwendungsgebiet der Vorschrift; s. Rüsken in Klein15, § 176 AO Rz. 6 m.w.N. 4 BFH v. 26.9.2007 – V B 8/06, BStBl. II 2008, 405; BFH v. 2.4.2012 – III B 189/10, BFH/NV 2012, 1101. 5 Im Hinblick auf die Entscheidungen des BFH v. 28.2.1961 – I 25/61 U, BStBl. III 1961, 252; v. 19.1.1965 – VII 22/62 S, BStBl. III 1965, 206; BFH v. 14.11.1968 – V 191/65, BStBl. II 1969, 120 wird darauf verwiesen, dass der BFH in diesen Entscheidungen auf das Vorliegen von Dispositionen verzichtet habe; s. dazu Drüen in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 158; Neumann in Gosch, § 4 AO Rz. 69. Diese Frage kann jedenfalls dann dahinstehen, wenn tatsächlich disponiert wurde. Bei einem Dauersachverhalt kann eine Disposition auch darin gesehen werden, dass der Dauersachverhalt im Vertrauen auf die bisherige Beurteilung unverändert fortgeführt wird. 6 Hendricks/Wedel, Ubg 2020, 172 (174). 7 Drüen in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 160 f. 8 FG Köln v. 13.2.2003 – 15 K 600/99, DStRE 2003, 876 (879) – rkr.

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Kap. 9 Rz. 9.155 | Streitvermeidungsinstrumente

– die Beibehaltung einer seit Jahren angewandten Methode der Buchführung1 – die Änderung oder Beibehaltung einer Betätigungsform2; – die Fortführung einer bestimmten Preiskalkulation3; – die Verteilung eines Nachlasses4; – die Stellung oder Unterlassung eines Antrags5; – die Änderung eines Umsatzsteuerausweises in einer Rechnung6. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn der Steuerpflichtige infolge des früheren Verhaltens der Finanzbehörde glaubt, keine Steuern zahlen zu müssen und die Beträge anderweitig verwendet.7

9.156

Das vom Steuerpflichtigen in Anspruch genommene Vertrauen muss auch schutzwürdig sein. Das kann ausgeschlossen sein, wenn der Steuerpflichtige oder sein Vertreter (z.B. sein steuerlicher Berater) positive Kenntnis von der Unrichtigkeit des früheren Verhaltens der Finanzbehörde hat oder sich selbst treuwidrig verhält.8

3. Zeitliche Begrenzung der Bindungswirkung a) Beendigung der Bindungswirkung

9.157

Entfaltet ein sonstiger Vertrauenstatbestand Bindungswirkung, bedeutet das nicht, dass die Bindungswirkung endlos bestehen würde. Die Bindungswirkung kann beendet werden. Hierbei gilt es wiederum verschiedene Konstellationen zu unterscheiden.9 b) Das frühere Verhalten der Finanzbehörde war unrichtig

9.158

Stellt sich das frühere Verhalten der Finanzbehörde als unrichtig heraus, muss es der Finanzbehörde möglich sein, die Steuern wieder in Übereinstimmung mit dem gesetzten Recht festzusetzen und zu erheben.10 Dazu muss der durch das frühere Verhalten der Finanzbehörde begründete Vertrauenstatbestand beseitigt werden. Mit der Beseitigung des Vertrauenstatbestands entfällt die Grundlage für zukünftige Dispositionen des Steuerpflichtigen. Die Bindungswirkung wird beendet.11

1 FG Hamburg v. 25.3.1959 – II 26/57 (III), EFG 1959, 427 – rkr.; FG Freiburg v. 17.8.1965 – I (II) 115/64, EFG 1966, 61 (rkr.); FG Berlin v. 30.4.1969 – VI 231/68, EFG 1969, 483 – Rev. BFH I R 112/69. 2 FG Düsseldorf v. 17.3.1972 – IX 80/71 G, EFG 1972, 378 (379) –rkr. 3 FG München v. 27.2.1973 – II 102/71, EFG 1973, 338 – rkr. 4 FG Düsseldorf v. 11.5.1988 – 5 K 523/82 E, EFG 1988, 504 – rkr. 5 FG Bdb. v. 14.5.1997 – 3 V 214/97 I, AO, EFG 1997, 1258 – rkr. 6 FG Köln v. 13.2.2003 – 15 K 600/99, DStRE 2003, 876 (879) –rkr. 7 BFH v. 10.4.1991 – XI R 25/89, BFH/NV 1991, 720. 8 Drüen in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 162 f.; Neumann in Gosch, § 4 AO Rz. 64; Klass, DB 2010, 2464 (2468) jeweils m.w.N. 9 Siehe zur Abgrenzung der möglichen Fallgestaltungen bei Venturini, IFSt Nr. 228, S. 54 ff. u. 57 ff. 10 Siehe zu diesen Fällen Venturini, IFSt Nr. 228, S. 57 ff., 68 f. Für den Fall, dass die bisherige Verwaltungspraxis ausnahmsweise „offensichtlich“ (d.h. evident) rechtswidrig ist, würde bereits gar kein Vertrauenstatbestand begründet (vgl. Venturini, IFSt Nr. 228, S. 50 f.). 11 Hendricks/Wedel, Ubg 2020, 172 (175).

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D. Vertrauensschutz und Treu & Glauben | Rz. 9.161 Kap. 9

Damit wirkt sich die Beendigung der Bindungswirkung grundsätzlich erst in der Zukunft aus. Denn hat der Steuerpflichtige bereits disponiert, ist die Bindungswirkung für den betreffenden Zeitraum/Besteuerungsabschnitt einmal eingetreten.1 Die rückwirkende Beendigung der Bindungswirkung ist allenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen vorliegen, bei denen die Finanzbehörde selbst eine Zusage mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen könnte.2 Zur Konkretisierung bietet sich also ein Rückgriff auf die Bestimmungen zu den gesetzlich geregelten verbindlichen Auskünften (§ 2 StAuskVO) und Zusagen (§ 207 AO) an.3 Hat der Steuerpflichtige (oder sein Vertreter) allerdings selbst treuwidrig agiert, fehlt es bereits am Vorliegen eines schützenswerten Vertrauens (s. bereits oben unter Rz. 9.157). In diesen Fällen kommt es also niemals zu einer Bindungswirkung, die mit Rückwirkung beendigt werden müsste.

9.159

Daraus folgt: in der Vergangenheit liegende Zeiträume/Besteuerungsabschnitte bleiben von der Beendigung der Bindungswirkung grundsätzlich unberührt. Dies kann neben Zeiträumen, für die noch keine Steuerfestsetzung erfolgt ist, vor allem Zeiträume betreffen, für die eine bereits ergangene Steuerfestsetzung noch geändert werden kann, wenn dies verfahrensrechtlich (z.B. nach § 164 Abs. 2 AO) zulässig ist; wobei dann u.U. auch die Korrekturbegrenzung des § 176 AO zu berücksichtigen ist (s. dazu unter Rz. 9.152 f.).

9.160

Denn die Beendigung der Bindungswirkung würde sich hier wegen der retrospektiven Sicht der Besteuerung nicht erst in der Zukunft, sondern auf bereits abgeschlossene Zeiträume auswirken, die der Steuerpflichtige nicht mehr beeinflussen kann.4 Zukünftige Steuerfestsetzungen sind nicht mit zukünftigen Zeiträumen gleichzusetzen. Zu den zukünftigen Steuerfestsetzungen zählen alle noch offenen, d.h. auch solche für bereits abgeschlossene und in der Vergangenheit liegende, Zeiträume.5 In solchen Fällen mit Vergangenheitsbezug muss es daher bei der einmal begründeten Bindungswirkung verbleiben.6 Das betrifft dann insbesondere auch diejenigen Steuerbescheide, die mit Rücksicht auf eine noch durchzuführende Betriebsprüfung zunächst unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind (s. dazu bereits oben unter Rz. 9.136). Die Bindungswirkung steht einer Änderung entgegen. Ergangene Änderungsbescheide sind rechtswidrig und können mit Erfolg angegriffen werden. Von der Frage der Beendigung der Bindungswirkung dem Grunde nach zu trennen, ist die weitere Frage, ob die Finanzbehörde den Steuerpflichtigen auf die beabsichtigte Beendigung hinweisen und ggf. eine Übergangszeit zur Anpassung der Dispositionen gewähren muss. Beides würde den Zeitpunkt der Beendigung der Bindungswirkung weiter hinausschieben. In dem bereits an anderer Stelle (s. oben unter Rz. 9.147) beschriebenen gewerbesteuerlichen Streitfall sah das FG München7 die Finanzbehörde solange an ihre Rechtsauffassung (Inan1 Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, S. 738 f. 2 Hendricks/Wedel, Ubg 2020, 172 (175). 3 Siehe auch Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, 1966, S. 428 zur Konkretisierung der clausula rebus sic stantibus im Zusammenhang mit Verwaltungsverträgen. 4 Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, S. 454; Venturini, IFSt Nr. 228, S. 59. 5 S. Venturini, IFSt Nr. 228, S. 59. 6 BFH v. 13.1.1970 – I R 122/67, BStBl. II 1970, 352 (354); FG Freiburg v. 17.8.1965 – I (II) 115/64, EFG 1966, 61 (62) rkr.; FG München v. 27.2.1973 – II 102/71, EFG 1973, 338 (339) – rkr.; FG Saarl. v. 17.10.1980 – II 415/77, EFG 1981, 242 (243) – rkr.; restriktiver hingegen BFH v. 16.7.1964 – V 92/61 S, BStBl. III 1964, 634. 7 FG München v. 27.2.1973 – II 102/71, EFG 1973, 343 – rkr. Dies ebenfalls bejahend BFH v. 12.5.1970 – VII R 54/67, BStBl. II 1970, 634; FG Saarl. v. 17.10.1980 – II 415/77, EFG 1981, 242 –

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Kap. 9 Rz. 9.161 | Streitvermeidungsinstrumente

spruchnahme der gewerbesteuerlichen Kürzung) gebunden, bis der Steuerpflichtige von der Nichtberechtigung zur Inanspruchnahme der gewerbesteuerlichen Kürzung Kenntnis erlangt hat und seine Dispositionen entsprechend anpassen konnte. Im Streitfall erfuhr der Steuerpflichtige aufgrund einer Betriebsprüfung bzw. eines entsprechenden Hinweises des Prüfers im Februar 1968, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der gewerbesteuerlichen Kürzung bei zutreffender Würdigung nicht gegeben sind. Das FG München versagte der Finanzbehörde die Umsetzung der als zutreffend erkannten Rechtsauffassung nicht nur für die im Zeitpunkt der Kenntniserlangung bereits komplett in der Vergangenheit liegenden Streitjahre 1966 und 1967, sondern auch für das im Zeitpunkt der Kenntniserlangung noch nicht abgeschlossene Streitjahr 1968. Dementsprechend war die Finanzbehörde nach dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung bis zum Beginn des nächsten Besteuerungsabschnitts an ihre frühere Rechtsauffassung gebunden. Die Entscheidung des FG München verdient Zuspruch. Bei periodisch wiederkehrenden Steuern trifft der Steuerpflichtige eine Disposition nicht für einzelne Teile einer Periode. Vielmehr disponiert er für die gesamte Periode, wobei die Disposition regelmäßig schon vor Beginn oder jedenfalls unmittelbar nach dem Beginn des Besteuerungsabschnitts erfolgt. Ein an Dispositionen orientierter Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen im konkreten Steuerrechtsverhältnis wirkt, bis der Steuerpflichtige „umdisponiert“ haben kann.1 Würde man dem Steuerpflichtigen einen solchen Schutz versagen, würde das Risiko der besseren Rechtserkenntnis in unverhältnismäßiger Weise auf den Steuerpflichtigen abgewälzt.2 Sein grundrechtlich fundierter Dispositionsschutz würde entwertet.3 c) Das frühere Verhalten der Finanzbehörde war rechtlich vertretbar

9.162

Anders liegen die Dinge, wenn sich das frühere Verhalten der Finanzbehörde nicht als unzutreffend herausstellt, sondern rechtlich vertretbar gewesen ist und die Finanzbehörde nun zu einer anderen ebenfalls vertretbaren Position wechseln will.4 Anwendungsfälle dürften sich insbesondere dort ergeben, wo Konkretisierungsspielräume verbleiben, so dass eine Bandbreite an vertretbaren Entscheidungen denkbar ist.5 Dies kann bei Angemessenheits-, Bewertungs-, Prognose-, und Schätzungsfragen sowie allgemein bei Ermessens- und Beurteilungsspielräumen als auch bei ungeklärten Rechts- bzw. offenen Auslegungsfragen der Fall sein. Hier ist es der Finanzbehörde nach der Rechtsprechung des BFH bei unverändertem Sachverhalt überhaupt nur dann möglich, die Bindungswirkung zu beenden, wenn ein wichtiger Grund vorgetragen werden kann.6 Daraus wird gefolgert, dass sich die Finanzbehörde (in Ermangelung eines solchen Grundes) auch in Zukunft an ihrem früheren Verhalten festhalten lassen muss, wenn und soweit der Steuerpflichtige weiterhin im Vertrauen darauf dis-

1 2 3 4 5 6

rkr.; FG Freiburg v. 17.8.1965 – I (II) 115/64, EFG 1966, 61 (62) – rkr.; restriktiver hingegen BFH v. 16.7.1964 – V 92/61 S, BStBl. III 1964, 634. Hendricks/Wedel, Ubg 2020, 172 (175). So auch Klass, DB 2010, 2464, 2467. Für eine Übergangsfrist und eine Hinweiserteilung durch die Finanzbehörde bei Dauersachverhalten auch Neumann in Gosch, § 4 AO Rz. 69. Zum Grundrechtlichen Gebot eines Dispositionsschutzes Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, Habil., 1996, S. 305 ff. Siehe zu diesen Fällen Venturini, IFSt Nr. 228, S. 54 ff., 69 f. Exemplarisch im Zusammenhang mit Bewertungsfragen Krumm, FR 2015, 481. BFH v. 28.2.1961 – I 25/61 U, BStBl. III 1961, 252; BFH v. 11.2.1966 – VI 229/63, BStBl. III 1966, 486. Als relevante Gründe werden Änderungen der maßgeblichen Rechtsvorschriften, der Rechtsprechung oder der Verwaltungsvorschriften genannt; so Venturini, IFSt Nr. 228, S. 54 ff.

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D. Vertrauensschutz und Treu & Glauben | Rz. 9.163 Kap. 9

poniert.1 In diesen Fällen gilt dann aber erst recht, dass eine Beendigung der Bindungswirkung bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nur mit Wirkung für die Zukunft und nach erfolgtem Hinweis mit einer sich ggf. anschließenden Übergangszeit in Betracht kommt. d) Abschließender Hinweis Unabhängig davon, ob sich das frühere Verhalten der Finanzbehörde als unzutreffend oder rechtlich vertretbar darstellt, ist zu beachten, dass Steuerfestsetzungen, in denen eine Beurteilung bereits Berücksichtigung gefunden hat, nur noch geändert werden können, wenn dies verfahrensrechtlich (z.B. nach § 164 Abs. 2 AO) zulässig ist, wobei dann u.U. auch die Korrekturbegrenzung des § 176 AO zu berücksichtigen ist (s. oben unter Rz. 9.152 f.).

1 So Venturini, IFSt Nr. 228, S. 54.

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Kapitel 10 Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung I. Vorkommen von erbschaft- und schenkungsteuerlichen Aspekten in der Betriebsprüfung . . . . . . . . . II. Zuwendungstatbestand und Zuwendungsverhältnis 1. Zuwendungstatbestand . . . . . . 2. Auseinanderfallen der Werte zwischen Leistung und Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zuwendungsverhältnis . . . . . . III. Aufgriffspunkte der Erbschaft-/ Schenkungsteuer im privaten Bereich 1. Oder-Konten und Gemeinschaftsdepots . . . . . . . . . . . . . . 2. Unentgeltliche Rechtseinräumung a) Die unentgeltliche Rechtseinräumung . . . . . . . . . . . . b) Zuwendungsnießbrauch . . c) Ablösung eines Nießbrauchsrechts durch eine Versorgungsleistung (gleitende Vermögensübergabe) d) Unverzinsliche Darlehen . . e) Rückgewähr einer Schenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zuwendungen im privaten Bereich und Unterhaltsgewährung . . . . . . . . . . . . . g) Zuwendungen im Zusammenhang mit dem Familienheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Prüfung und Beachtung der Einzelauflistung der jeweiligen Zuwendung im Bescheid IV. Doppelbelastung mit Einkommenund Schenkungsteuer . . . . . . . . . . V. Aufgriffspunkte der Erbschaftund Schenkungsteuer im betrieblichen Bereich 1. Kurzüberblick über das Unternehmenserbschaftsteuerrecht und die wesentlichen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.1 10.2 10.10 10.16

10.20

10.31 10.32

10.36 10.40 10.43 10.49 10.54 10.58 10.62

10.64

2. Aufgriffe der Zuwendungen gemäß § 7 Abs. 8 ErbStG a) Regelung der Vorschrift . . b) Umstrukturierungen als Problembereiche und Abwehrargumentationen . . . . 3. Besonderheiten des Aufgriffs des Verwaltungsvermögens a) 90 % Grenze als Ausschluss der Vergünstigungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke . . . . . c) Bewertungsstreitfragen in Zusammenhang mit dem Verwaltungsvermögen . . . . d) Der Nettowert als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . e) Junges Verwaltungsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Problembereich Optionsfalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Privatvermögen im Betriebsvermögen (nicht betriebliche Wirtschaftsgüter im Gesamthandsvermögen) h) Problembereich unschädliches Reinvestitionsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . i) Reaktionen bei Verstößen gegen § 13a Abs. 6 ErbStG 4. Besonderheiten beim Aufgriff der Lohnsummenproblematik 5. Aufgriffe der Betriebsprüfung wegen Einziehung von Geschäftsanteilen an GmbHs . . . VI. Generelle Reaktionsmöglichkeiten im Rahmen von Betriebsprüfungen 1. Steuerbefreiung des Zugewinnausgleichsanspruchs (§ 5 ErbStG) und rückwirkender Entfall der Schenkungsteuer im Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB . . . . . . 3. Postmortale Gestaltungen . . .

10.73 10.77

10.81 10.85 10.87 10.89 10.92 10.100

10.102 10.105 10.108 10.114 10.116

10.119 10.127 10.132

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Kap. 10 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne Landund Forstwirtschaft) I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . II. Parameter für die Wahl der geeigneten Bewertungsmethode . . . . . III. Praktische Herausforderungen in Betriebsprüfungen und Themenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Marktbewertungsverfahren 1. Marktwirtschaftliche Preise als Wertdeterminante . . . . . . . 2. Vergleichbarkeit als zentrale Determinante der Methodenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitliche Dimension der Vergleichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 4. Erforderliche Anzahl an Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande kommende Preise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Paketzuschlag . . . . . . . . . . . . . 7. Weitere Anpassungsrechnungen V. Kapitalwertmethoden 1. Erwartete finanzielle Überschüsse als Wertdeterminante 2. Kapitalisierungszeitraum . . . . 3. Planung der finanziellen Überschüsse a) Erstellung von Planungsrechnungen . . . . . . . . . . . . b) Stichtagsprinzip . . . . . . . . c) Objektivierte oder subjektive Wertermittlung bei der Ableitung finanzieller Überschüsse . . . . . . . . . . . d) Isolierung und Bestimmung finanzieller Überschüsse . . e) Korrektur der Überschüsse f) Ausschüttungshypothesen 4. Kapitalisierungszinssatz a) Zeitwert des Gelds . . . . . . b) „Risikoloser“ Basiszinssatz c) Marktrisiko-Prämie . . . . . d) Beta-Faktor . . . . . . . . . . . . e) Wachstumsabschlag . . . . . f) Länderrisikoprämien . . . . g) Fungibilitätszuschlag . . . . 5. Berücksichtigung von Steuern a) Ausprägungen der zu berücksichtigenden Steuerwirkungen . . . . . . . . . . . . .

10.136 10.140 10.147 10.151 10.152 10.155 10.160 10.162 10.165 10.170 10.172 10.175

10.180 10.182

10.184 10.186 10.193 10.196 10.197 10.200 10.202 10.203 10.206 10.208 10.210

10.212

b) Besteuerung auf Ebene des Bewertungsobjekts („Unternehmenssteuern“) c) Besteuerung auf Ebene der Anteilseigner . . . . . . . . . . . d) Abschreibungsbedingter Steuervorteil (Tax Amortisation Benefit) . . . . . . . . e) Besteuerung der Veräußerungsgewinne des Bewertungsobjekts . . . . . . . . . . . 6. Mindestwerthypothese . . . . . . VI. Vereinfachtes Ertragswertverfahren 1. Vor- und Nachteile . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . 3. Kapitalisierungszeitraum . . . . 4. Finanzielle Überschüsse a) Ableitung des nachhaltig erzielbaren Jahresertrags . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausschüttungshypothese . c) Keine Zu- und Abschläge aufgrund besonderer Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kapitalisierungszinssatz . . . . . 6. Bewertung ausländischer Anteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Wertuntergrenze (Substanzwert, Liquidationswert) . . . . . . . . . . . . VIII. Bewertung von Grundstücken 1. Grundüberlegungen zur Grundstücksbewertung . . . . . 2. Bewertungsverfahren nach dem BewG a) Grundstücksbewertung . . b) Umfang der Bewertung des Grundbesitzes und Abgrenzungen . . . . . . . . . c) Bewertung unbebauter Grundstücke . . . . . . . . . . . d) Bewertung bebauter Grundstücke aa) Grundlagen der Bewertung bebauter Grundstücke . . . . . . . . . . . . . bb) Vergleichswertverfahren/Vergleichsfaktorverfahren . . . . . . . . . . cc) Bewertung im Ertragswertverfahren . . . . . . .

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10.214 10.215 10.219 10.220 10.224

10.226 10.227 10.230

10.231 10.238 10.239 10.240 10.241 10.243

10.245 10.246 10.248 10.251

10.255 10.257 10.264

A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.1 Kap. 10 dd) Bewertung Im Sachwertverfahren . . . . . . . . . . . 10.270 3. Bewertung durch Gutachten, § 198 BewG . . . . . . . . . . . . . . . 10.274

4. Bewertungen in der Grunderwerbsteuer sofern keine Gegenleistung besteht (§ 8 Abs. 2 GrEStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.277

Literatur: Blusz, Reparatur unentgeltlicher Zuwendungen unter Ehegatten, ZEV 2016, 626; Brüggemann, Allein der Wille zählt – nur in engen Grenzen sind Abweichungen möglich, ErbBstg 2018, 162; Carlé, Insolvenz einer übertragenen Beteiligung als Rücktritts- oder Widerrufsgrund? Klauselverwendung und schenkungsteuerliche Qualifizierung der Rückübertragung, ErbStB 2010, 21; Demuth/ Schreiber, Nochmals: Widerrufs- oder Rücktrittsklauseln für den Fall der Insolvenz, Zum Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, ErbStB 2010, 77; Demuth/Schreiber, Wege aus der Schenkungsteuerfalle „Oder-Konto“, ZEV 2012, 405; Fischer, M., Die Neuregelung des § 7 Abs. 8 ErbStG, ZEV 2012, 77; Fuhrmann, Rückgängigmachung von Schenkungen, ErbStB 2003, 17; Geck, Der koordinierte Ländererlass zur Erbschaftsteuerreform vom 22.6.2017, ZEV 2017, 482; Götz, Lebzeitige Beendigung der Zugewinngemeinschaftals Gestaltungsmittel zur Erlangung rückwirkender Steuer- und Straffreiheit unbenannter Zuwendungen, DStR 2001, 417; Götz, Schenkungsteuerliche Risiken für Ehegatten im Bereich der Einkommensteuerveranlagung, ZEV 2016, 623; Hollender/Schlütter, Schenkung eines Grundstücks an den Ehegatten unter Anrechnung auf die künftige Zugewinnausgleichsforderung, DStR 2002, 1932; Jülicher, Die kleine aber feine Steuerbefreiung des § 13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, ZEV 2000, 94; Korezkij, Anwendungserlasse zur Erbschaftsteuerreform, DStR 2017, 1729; Korezkij, Neuer Verwaltungsvermögenstest im Konzern, DStR 2016, 2434; Milatz/Herbst, Die eheliche Lebensgemeinschaft – (k)eine Wirtschaftsgemeinschaft, DStR 2011, 706; Reich, Schenkungsteuer bei der Übertragung der Ferien-/Zweitimmobilie, NZM 2014, 67; Rübenstahl/Idler, Tax Compliance Handbuch, Kap. 29, Rz. 25, 2018; Stalleiken/Hennig, Weitergeleiteter“ Nießbrauch an den überlebenden Ehegatten, FR 2015, 389; Stein, Steuerliche Probleme durch Fehlbeurteilungen des Güterstandes in Deutschland lebender Ausländer, DStR 2020, 417; Stein, Aktuelle Ertragsteuerliche Fragestellungen zum Nießbrauchsvorbehalt am Gesellschaftstanteil, ZEV 2019, 131; Stein, Begünstigung des Familienheims – aktuelle Rechtsprechung und Probleme, ErbBstg 2017, 283; Stein, Einkommensteuerliches Veräußerungsgeschäft durch die gesetzliche Anrechnung von Ehegattenschenkungen auf den Zugewinnausgleich, DStR 2012, 1734; Stein, Insolvenzen von Tochtergesellschaften in der Lohnsummenprüfung, ZEV 2016, 180; Stein, Vermeidung von Veräußerungsgewinnen bei Beendigung der Zugewinngemeinschaft – Vorteile eines gegenstandsbezogenen Zugewinnausgleichs, DStR 2012, 1063; Stein, Wenn das formunwirksame Testament dem formwirksamen vorzuziehen ist ..., ZEV 2020, 339; Stein/Lupberger, Bitcoins in der Erbschaftsteuer – Gibt es am Ende eine Bitcoin-GmbH? DStR 2019, 311; Stein/Rieder, ErbBstg 2019, 20; Stein/Tack, Die (mittelbare) Hausratsschenkung als Gestaltungsmittel, ZEV 2013, 180; Steiner, Gestaltungen zum Erhalt der Steuerbefreiung für das Familienheim – Testamentsgestaltung und lebzeitige Übertragung anhand von Beispielen ErbStB 2010, 180; Strahl, KöSDI 2019, 21364; von Oertzen/Blasweiler, Gelegenheitsgeschenke im Schenkungsteuerrecht, ZEV 2019, 516; von Oertzen/Grosse, Kryptowährungen im Erbrecht und Erbschaftsteuerrecht, DStR 2020, 1651.

A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung I. Vorkommen von erbschaft- und schenkungsteuerlichen Aspekten in der Betriebsprüfung Betriebsprüfungen mit rein erbschaft- und schenkungsteuerlichem Fokus sind selten. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Sachverhalte werden im Rahmen der ertragsteuerlichen Betriebsprüfungen als weitere Aspekte mitgeprüft oder erstrecken sich auf Bewertungsfragen, die auch eigener isolierter Prüfungsgegenstand sein können. Allerdings gibt es mittlerweile Anweisungen der Finanzverwaltung in einzelnen Bundesländern, schenkungsteuerliche Aspekte im Rahmen von ertragsteuerlichen Betriebsprüfungen gezielt mit zu prüfen. Vor dem Hintergrund T. Stein | 793

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10.1

Kap. 10 Rz. 10.1 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

dieser Bestandsaufnahme liegt der Fokus dieses Kapitels auf den schenkungsteuerlichen Aspekten, die eine Nähe zu den ertragsteuerlichen Prüfungsgebieten haben bzw. vermögende Privatpersonen betreffen. Wenngleich erbschaft- und schenkungsteuerliche Aufgriffspunkte im Rahmen von Betriebsprüfungen seltener sind, bedarf die Reaktion auf etwaige Anfragen der Betriebsprüfung und der Umgang mit diesen einer umso sensibleren Handhabung. Diese sind in ein Gesamtverständnis von den erbschaft- und schenkungsteuerlichen Begleitproblemen einzubetten. Überdies nimmt die Erbschaft- und Schenkungsteuer in der Praxis der Strafverfolgungsbehörden – auch als Ausfluss von Außenprüfungen – eine geringe Bedeutung ein.1

II. Zuwendungstatbestand und Zuwendungsverhältnis 1. Zuwendungstatbestand 10.2

Werden schenkungsteuerliche Sachverhalte in Betriebsprüfungen aufgedeckt bzw. vorgebracht, sollte zunächst der Tatbestand der Zuwendung geklärt werden. Was im ersten Schritt einfach klingt, erweist sich im Einzelfall als diffiziler.

10.3

In der Grundausprägung verlangt der Zuwendungstatbestand eine Entreicherung des Zuwendenden, die Bereicherung des Empfängers und in der Regel einen Zuwendungswillen. Die Zuwendung muss auch zur freien Verfügbarkeit des Empfängers erfolgen.2 Der subjektive Tatbestand ist allerdings nicht in jedem Fall erforderlich, etwa für Zuwendungen nach § 7 Abs. 7 ErbStG beim Ausscheiden eines Gesellschafters.

10.4

Im Übrigen erlangt der subjektive Tatbestand Bedeutung, wenn der Zuwendende irrig glaubt, er sei zur Leistung rechtlich verpflichtet3 bzw. eine falsche Wertvorstellung von der Gegenleistung hat. Ausgangspunkt ist dabei die Parallelwertung in der Laiensphäre, die es in der Abwehrberatung entsprechend mit fallbezogenen Fakten zu untermauern gilt.4 Als steuerbegründende Tatsache trägt das Finanzamt hierfür die Feststellungslast, einen Umstand der gerade auch in den Argumentationsmustern gegenüber der Betriebsprüfung nicht unterschätzt werden darf.

10.5

Die Zuwendung kann sowohl durch Hingabe eines Vermögensgegenstandes wie auch durch den Verzicht auf eine Rechtsposition erfolgen. Einzelfallbezogen ist dabei zu prüfen, ob diese Tatbestandsvoraussetzungen des Zuwendungstatbestands tatsächlich erfüllt sind. Nachfolgende Abgrenzungsargumente zeigen die Problemfelder hierzu auf.

10.6

So ist bei der Übertragung von Vermögenswerten auf die Übertragung des Vollrechts abzustellen. Etwa die Einräumung der Bezugsberechtigung einer Lebensversicherung ist daher noch keine steuerpflichtige Zuwendung, erst der Erwerb des Anspruchs gegen die Versicherung5. Gleiches gilt für den Erwerb von Anwartschaftsrechten und Erwerbsaussichten.6

10.7

Der Rechtsverzicht erfüllt diese Voraussetzung im Übrigen nur, sofern das betreffende Recht als solches bestanden hatte und daher keine reine Erwartung war. Ein Verzicht auf einen entstandenen Vergütungs- oder Verwendungsersatzanspruch erfüllt aber den Zuwendungstat1 2 3 4 5 6

Rolletschke (ltd. Regierungsdirektor), NZWiSt 2019, 141. Götz, ZEV 2016, 623. BFH v. 20.12.2000 – II R 42/99, BStBl. II 2001, 454. BFH v. 27.8.2014 – II R 43/12, BStBl. II 2015, 241. BFH v. 30.6.1999 – II R 70/97, BFH/NV 2000, 145. Stein in Rübenstahl/Idler, Tax Compliance Handbuch, Kap. 29 Rz. 25; zur Abgrenzung: BFH v. 28.6.2007 – II R 12/06, BStBl. II 2007, 785.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.13 Kap. 10

bestand.1 Der Rechtsverzicht eines Ehegatten durch Abschluss eines Ehevertrages, der eine Modifizierung der Zugewinngemeinschaft vorsieht, ist daher noch keine Zuwendung; der Zugewinnausgleichsanspruch als solcher war im Zeitpunkt der Modifizierung noch nicht entstanden.2 Entsprechendes gilt beim Verzicht auf ein Erb- oder Pflichtteilsrecht.3 Selbst ein Forderungserlass im Nachgang zu einem unentgeltlichen, nicht beurkundeten Forderungserwerb wird vor dessen Erfüllung keinen steuerbaren Vorgang darstellen.4 Anders wird dies aber beim bewussten Leisten auf eine Nichtschuld gemäß § 814 BGB in subjektiver Hinsicht beurteilt. Zwar ist das Schenkungsteuerrecht vom Zivilrecht geprägt, so dass wirtschaftliche Eigentumsbetrachtungen eher zweitrangig sind. Für die Frage der Entreicherung des Schenkers bzw. der Bereicherung des Beschenkten bleiben die gesamtvertraglichen Verpflichtungen dennoch entscheidend. So sind bei Übertragungen von Vermögenswerten auf liechtensteinischen Stiftungen keine steuerpflichtigen Zuwendungen anzunehmen, wenn der Stiftungsvorstand oder entsprechende Verwalter über Treuhandverträge weisungsgebunden sind und daher die Entscheidungen des ursprünglichen Vermögensinhabers umsetzen müssen.5

10.8

Festzuhalten bleibt mit dem FG Köln auch, dass die Schenkungsteuer kein Auffangtatbestand für ungeklärte Vermögenszuwächse ist.6

10.9

2. Auseinanderfallen der Werte zwischen Leistung und Gegenleistung Das Bestehen einer schenkungsteuerlichen Zuwendung hängt gerade beim Infragestehen einer Teil- bzw. Vollentgeltlichkeit von der Bewertung der Leistung und der Gegenleistung ab. Die im Zivilrecht als entgeltlich einzustufende unbenannte Zuwendung unter Ehegatten erhält diese Qualifikation im Schenkungsteuerrecht allerdings nicht.7

10.10

Für die Bewertung der Leistung und Gegenleistung zur Beurteilung des Bestehens einer Schenkung sind nicht die jeweiligen steuerlichen Werte, sondern die bürgerlich-rechtlichen gemeinen Werte entscheidend.8

10.11

Die Erfüllung einer verjährten Forderung hat ebenfalls keine schenkungsteuerliche Zuwendung zur Folge, was entweder an der fehlenden Freiwilligkeit oder am fehlenden Bereicherungswillen mangels Einigkeit über die Unentgeltlichkeit festzumachen ist.9

10.12

Gerade immaterielle Gegenleistungen bedürfen einer Bewertung zur Beurteilung der Vollentgeltlichkeit eines Vorganges. Für die Übernahme von Pflegeverpflichtungen im innerfamiliären Kontext wird dies immer wieder zum Problem, insbesondere da steuerlich nicht die zivilrechtliche ex-ante Betrachtung10 gilt, sondern die tatsächliche Belastung mit den (späteren) Leistungen konkret abgezogen wird;11 bei noch nicht bestehender Pflegebedürftigkeit kommt

10.13

1 2 3 4 5 6 7 8

BFH v. 30.8.2017 – II R 46/15, BStBl. II 2019, 38. BFH v. 28.6.2007 – II R 12/06, DStRE 2007, 1516. Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 36. Fischer in Fischer/Pahlke/Wachter7, § 7 ErbStG Rz. 8. BFH v. 28.6.2007 – II R 21/05, BStBl. II 2007, 669. FG Köln v. 28.11.2000 – 9 K 2480/94, EFG 2001, 767. BFH v. 2.3.1994 – II R 59/92, BStBl. II 1994, 366. BFH v. 25.9.1953 – III 229/52 U, BStBl. III 1953, 308; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 44. 9 Fischer in Fischer/Pahlke/Wachter7, § 7 ErbStG Rz. 11. 10 BGH v. 28.9.2016 – IV ZR 513/15, NJW 2017, 329. 11 BFH v. 5.7.2018 – II B 122/17, BStBl. II 2018, 660.

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Kap. 10 Rz. 10.13 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

es steuerlich daher auch nicht auf die abstrakte Verpflichtung an, sondern die Lösung wird über den antragsgebundenen, nachträglichen Ansatz der Belastung nach § 6 BewG gesucht. Sofern nicht grunderwerbsteuerliche Parallelbeurteilungen zu beachten sind, wird die Höherbewertung der Pflegeverpflichtung insbesondere bei bereits bestehender Pflegeverpflichtung das Ziel der Beraterargumentation sein.

10.14

Die Bewertung von Leistung und Gegenleistung zeigt zugleich die Verknüpfung zwischen objektivem und subjektivem Tatbestand der Zuwendung. Wertermittlungen sind stets von Bewertungsunsicherheiten geprägt. Unbeschadet des Vorliegens besonderer Umstände des Einzelfalles räumt die Rechtsprechung daher eine Abweichungstoleranz von 20 %–25 % ein, in der der subjektive Tatbestand verneint und damit eine Vollentgeltlichkeit des Vorgangs angenommen werden kann.1 Bei Unausgewogenheit gegenseitiger Verträge reicht aber für die Annahme des Zuwendungswillens und damit der Zuwendung als solcher regelmäßig das Bewusstsein des einseitig benachteiligten Vertragspartners über den Mehrwert seiner Leistung aus; auf die Kenntnis des genauen Ausmaßes des Wertunterschieds kommt es hingegen nicht an.2

10.15

Dem Umgang mit dem subjektiven Tatbestand einschließlich der Bewertungen von Leistung und Gegenleistung kommt daher in der Abwehrberatung im Rahmen von Betriebsprüfungen besondere Bedeutung zu.

3. Zuwendungsverhältnis 10.16

Festzustellen sind auch Aufgriffe von Zuwendungstatbeständen vor dem Hintergrund der zutreffenden Bestimmung des Zuwendenden und des Empfängers zur Ermittlung der korrekten Steuerklasse. Weithin geklärt sind diejenigen Fälle, in denen formunwirksame Schenkungsversprechen oder Testamente bestehen, die schließlich umgesetzt werden.3 Dies gilt auch für mündliche Testamente.4 Die Rechtsprechung5 bricht hier mit der strengen Maßgeblichkeit des Zivilrechts und stellt auf das tatsächliche Zuwendungsverhältnis ab, auch wenn die Zuwendung zivilrechtlich formunwirksam war. Das Zuwendungsverhältnis der formunwirksamen Schenkung gilt selbst, wenn die Zuwendung nur teilweise erfüllt wird.6 Derartige mündliche, formunwirksame Vereinbarungen können daher ebenfalls Argumentationen zur Verteidigung gegen Steuererhebungen sein und müssen daher entsprechend beim Steuerpflichtigen beraterseits abgefragt werden.7

10.17

Die tatsächliche Problematik der Bestimmung des Zuwendungsverhältnis zeigt die Besteuerung der Abfindung, die ein künftiger gesetzlicher Erbe an ein Geschwister für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch zahlt. Der II. Senat des BFH war mit demselben Sachverhalt zweimal befasst und entschied (in anderer Richterzusammensetzung) den identischen Fall, der nach einer Zurückverweisung wieder zum BFH kam, in den Jahren 2013 und 2017 unterschiedlich.8 Wird die Abfindungsleistung nicht von den Eltern aufgebracht, denen ge1 2 3 4 5 6 7 8

BFH v. 5.7.2018 – II B 122/17, BStBl. II 2018, 660. BFH v. 13.9.2017 – II R 54/15, BStBl. II 2018, 292. Stein/Rieder, ErbBstg 2019, 20; Stein, ZEV 2020, 339. Stein/Rieder, ErbBstg 2019, 20 m.w.N. BFH v. 7.10.1981 – II R 16/80; BStBl. II 1982, 28. BFH v. 7.10.1981 – II R 16/80; BStBl. II 1982, 28. Stein/Rieder, ErbBstg 2019, 20. BFH v. 16.5.2013 – II R 21/11, BStBl. II 2013, 922; BFH v. 10.5.2017 – II R 25/15, BStBl. II 2018, 201.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.21 Kap. 10

genüber der Pflichtteilsverzicht erklärt wird, sondern von den Geschwistern, so erfolgt die steuerbare Zuwendung nach der Rechtsprechung des Jahres 2017 im Geschwisterverhältnis. Den Zuwendungstatbestand betrifft auch der Prüfungsansatz der Kettenschenkung. Dabei wird ein Zuwendungsvorgang in zwei separate Zuwendungen aufgegliedert, so dass die Eltern zunächst an ihr Kind schenken und dieses schenkt sodann an dessen Ehegatten weiter.1 Einer Verklammerung der Schenkungen über § 42 AO steht der BFH kritisch gegenüber, da ein Gesamtplan sogar bei Weiterschenkungen mit der darauffolgenden Urkundennummer abgelehnt wurde, solange die erste Zuwendung selbst noch keine Verpflichtung zur Weiterschenkung enthält.2

10.18

Künftige erbschaft- und schenkungsteuerliche Prüfungsfelder sind im Bereich verdeckte Gewinnausschüttungen zu erwarten. Nach den weiteren Einlassungen des BFH3 und dem dazu ergangenen Schreiben der Finanzverwaltung4 wird die Beurteilung des Zuwendenden bei verdeckten Gewinnausschüttungen aus einer GmbH an nahestehenden Personen interessant werden. Hierbei sollten die Konstellationen in Familiengesellschaften vor Augen behalten werden, an denen zwei Brüder als Gesellschafter beteiligt sind und diese überteuert von der Ehefrau eines Gesellschafters einen Gegenstand anmietet5. Die Abwehrberatung wird versuchen, die Zuwendung, die aus der verdeckten Gewinnausschüttung an die nahestehende Person im Grundverhältnis des Gesellschafters zum Empfänger resultiert, allein auf das Verhältnis zum Ehegatten-Gesellschafter zu ziehen.6 Liegen aber weitere Anzeichen vor, etwa weil der Mietvertragsabschluss durch beide Gesellschafter-Geschäftsführer erfolgt war, mag hingegen die Finanzverwaltung versucht sein, 50 % der Zuwendung im Zuwendungsverhältnis SchwagerGesellschafter zur Vermieter-Schwägerin in Steuerklasse II zu besteuern. Taktisch wird der Berater hierauf reagieren, indem Unterlagen zusammengetragen werden, die dennoch eine alleinige Veranlassung durch den Ehegatten-Gesellschafter zulassen, wozu sich auch wahrheitsentsprechende klarstellende Erklärungen anbieten können.

10.19

III. Aufgriffspunkte der Erbschaft-/Schenkungsteuer im privaten Bereich 1. Oder-Konten und Gemeinschaftsdepots Ehegatten haben von den vermögensrechtlichen Verhältnissen in der Ehe teilweise falsche Vorstellungen. Für Ehegatten, die im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet sind, gilt gemäß § 1363 Abs. 2 BGB, dass das Vermögen des Mannes und das Vermögen der Frau nicht gemeinschaftliches Vermögen der Ehegattengemeinschaft wird, so dass jeder Ehegatte sein eigenes Vermögen behält und lediglich bei Beendigung der Zugewinngemeinschaft ein Zugewinnausgleich vorzunehmen ist. Daraus folgt in schenkungsteuerlicher Hinsicht, dass die Vermögenssphären der Ehegatten auch insoweit zu trennen und Vermögensverschiebungen unter den Ehegatten schenkungsteuerlich zu würdigen sind.

10.20

Gerade im Ehegattenverhältnis weichen die zivilrechtliche Einordnung und die steuerrechtliche Würdigung voneinander ab. Leistungen eines Ehegatten an den anderen, die zum Zwe-

10.21

1 Zu Formulierungsvorschlägen: Munzig/Stein, Münchener Vertragshandbuch8, Band 5, S. 1043. 2 BFH v. 30.11.2011 – II B 60/11, BFH/NV 2012, 380; FG Hamburg v. 26.8.2019 – 3 K 123/18, DStRE 2019, 1939. 3 BFH v. 13.9.2017 – II R 42/16, BStBl. II 2018, 281. 4 Gleich lautender Erlass v. 20.4.2018, BStBl. I 2018, 632. 5 Gleich lautender Erlass v. 20.4.2018, BStBl. I 2018, 632, 2.6.2. 6 Stein in von Oertzen/Loose2, § 15 ErbStG Rz. 173 ff.

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Kap. 10 Rz. 10.21 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

cke der ehelichen Gemeinschaft als sog. unbenannte Zuwendungen erfolgen, qualifizieren zivilrechtlich nicht als Schenkungen. Dieser Austauschcharakter einer unbenannten Zuwendung führt aber nicht zur Verneinung von Zuwendungen nach dem ErbStG. Erbschaft- und schenkungsteuerlich sind unbenannte Zuwendungen ebenfalls steuerbare Vorgänge.1

10.22

Gemeinschaftskonten der Ehegatten bewirken gemäß § 428 BGB, dass beide Ehegatten Gesamtgläubiger der Forderung sind. Dabei gibt § 430 BGB die Vermutung vor, dass Gesamtgläubiger im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen berechtigt sind. Diese Vermutung stellt eine Hilfsregel dar und ist durch anderweitige Bestimmungen im Einzelfall widerlegbar. Der BGH sieht bei Oder-Konten unter Ehegatten diese Hilfsregelung als gegeben an.2 Diese Hilfsregelung soll auch nicht dadurch widerlegt werden können, dass nur ein Ehegatte über Einkommen verfügt, so dass diese Vermögenswerte auch nur von diesem Ehegatten stammen können.3 Oder-Konten haben daher grundsätzlich schenkungsteuerlich hälftige Zuwendungen unter den Ehegatten als Kontoinhaber zur Folge.

10.23

Für den häufigen Fall von gemeinschaftlichen Haushaltskonten, die nicht zum Vermögensaufbau führen, wird auch die Steuerbefreiungsvorschrift für Zuwendungen unter Lebenden zum Zweck des angemessenen Unterhalts zu prüfen sein (§ 13 Abs. 1 Nr. 12 ErbStG). Dies gilt insbesondere für die laufenden Einzahlungen auf diesen Konten.4 Statten beide Ehegatten das Gemeinschaftskonto mit gleichwertigen Einlagen aus, wäre überdies bereits Zuwendung zu verneinen.

10.24

In steuerlicher Hinsicht führte der II. Senat des BFH5 im Jahr 2011 allerdings eine Beweislast des Finanzamts für Zuwendungen durch Einzahlungen auf Oder-Konten ein. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen trägt das Finanzamt die Feststellungslast für die Tatsachen, die zur Annahme einer freigebigen Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erforderlich sind, also auch dafür, dass der nichteinzahlende Ehegatte im Verhältnis zum einzahlenden Ehegatten tatsächlich und rechtlich frei zur Hälfte über das eingezahlte Guthaben verfügen kann bzw. konnte.6 In den Urteilsgründen gibt der II. Senat aber zu, dass Sonderabreden zum Umgang mit den Guthaben auf Oder-Konten regelmäßig nicht nachweisbar sein werden. Zum Tragen kommt an dieser Stelle die Beweislast des Finanzamts für steuerbegründende Tatsachen, welche gerade auch das Nichtbestehen eines Rückzahlungsanspruchs bei Auszahlungen an den gegebenenfalls beschenkten Ehegatten umfassen soll. Gibt es allerdings hinreichend deutliche objektive Anhaltspunkte dafür, dass beide Ehegatten zu gleichen Anteilen am Kontoguthaben beteiligt sind, trägt der zur Schenkungsteuer herangezogene Ehegatte die Feststellungslast dafür, dass im Innenverhältnis nur der einzahlende Ehegatte berechtigt sein solle. Um eine solche Beweislast nicht völlig umzukehren, führt eine Einzahlung auf dem OderKonto durch einen Ehegatten noch nicht alleine dazu, dass der andere Ehegatte am eingezahlten Betrag beteiligt sein soll.7

10.25

In Betriebsprüfungsfällen ist daher zunächst die Ausgangslage zu eruieren, um die tatsächliche und rechtlich freie Verfügungsberechtigung des begünstigten Ehegatten zu beurteilen. Nicht 1 BFH v. 2.3.1994 – II R 59/92, ZEV 1994, 188. 2 BGH v. 29.11.1989 – IV b ZR 4/89, NJW 1990, 705; BGH v. 19.4.2000 – XII ZR 62/98, NJW 2000, 2347. 3 OLG Köln v. 18.3.1987 – 11 U 167/86, FamRZ 1987, 1139. 4 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13 ErbStG Rz. 135 f. 5 BFH v. 23.11.2011 – II R 33/10, BStBl. II 2012, 473. 6 BFH v. 23.11.2011 – II R 33/10, BStBl. II 2012, 473. 7 BFH v. 7.10.1998 – II R 30/97, BFH/NV 1999, 618.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.29 Kap. 10

unbeachtet bleiben sollte hier, dass derartige Schenkungen im Güterstand der Gütergemeinschaft oder entsprechender ausländischer Güterstände (etwa der in Europa häufig anzutreffenden Errungenschaftsgemeinschaften) nicht oder eingeschränkter in Betracht kommen.1 Für Gemeinschaftsdepots ist dieser Fall etwas weiter aufzugliedern. Zivilrechtlich wird beim Oder-Depot eine Vermutung für hälftiges Eigentum des anderen Ehegatten weitgehend abgelehnt2, solange durch das Ehegattendepot nicht die Beteiligung des anderen Ehegatten am gemeinsam Erarbeiteten erreicht werden soll.3 Dem folgt auch der BFH. Beim Gemeinschaftsdepot sind beide Ehegatten als Depotinhaber zwar zunächst gegenüber der Bank berechtigt. Da das Depot als solches nur das Verwahrinstrument ist, bedarf es überdies der Feststellung, wer Eigentümer der im Depot verwalteten Wertpapiere war. Die Prüfung erfolgt daher zweistufig. Nach Ansicht des BFH gibt die Inhaberstellung des Depots über die Eigentumslage an den verwahrten Wertpapieren in der Regel keinen Aufschluss.

10.26

Für die Reaktion der Betriebsprüfungssituation ist aber entscheidend, dass der BFH der nachträglichen schriftlichen Bekundung der Ehegatten über deren Verständnis der Handhabung (klarstellende Vereinbarung) entscheidende Beweiskraft beigemessen hatte.

10.27

Vorzugswürdig sind selbstverständlich vorsorgende Maßnahmen zur Vermeidung der Schenkungsteuerfalle bei Oder-Konten. So kann ein Oder-Konto etwa in einer Treuhandkonstellation vorliegen, in der ein Ehegatte seinen Anteil am Oder-Konto treuhänderisch für den anderen Ehegatten hält. Im Außenverhältnis kann dann der weniger vermögende Ehegatte zwar über die ihm überlassenen Vermögensgegenstände verfügen und diese selbst investieren. Im Innenverhältnis ist er aber an die Anweisungen des überlassenden (vermögenderen) Ehegatten gebunden und hat die Vermögensgegenstände auch wieder herauszugeben. Diese Bindung zwischen den Ehegatten hat zur Folge, dass der empfangende (weniger vermögende) Ehegatte nicht frei über das zugewendete Vermögen verfügen kann und damit auch keine Bereicherung bei ihm vorliegt.4 Das Treuhandverhältnis muss aber im Voraus klar und eindeutig vereinbart und anschließend wie vereinbart durchgeführt werden.

10.28

Daneben ist auch eine sog. Ehegatteninnengesellschaft zu eruieren,5 falls die Mittelübertragung zur Umsetzung eines gemeinschaftlichen Vorhabens dient und dieses Vorhaben über die eheliche Gemeinschaft hinausgeht. Davon kann entweder der gemeinsame Vermögensaufbau durch Errichtung eines Gebäudes oder auch die gewerbliche Betätigung betroffen sein.6 Selbst der gemeinsame Aufbau und die gemeinsame Verwaltung von Immobilien kann eine Ehegatteninnengesellschaft begründen, wie das KG Berlin für Ferienhäuser herausgearbeitet hatte.7 Der Vorgang ist dann auf gesellschaftsrechtlicher und nicht auf Basis einer Zuwendung abzuhandeln.8 Auf dieser Basis kann dem Vorbringen von Zuwendungen in der Betriebsprüfung

10.29

1 Stein, DStR 2020, 417; Stein, ErbBstg 2021, 124. 2 BGH v. 25.2.1997 – XI ZR 321/95, NJW 1997, 1434; OLG Frankfurt v. 27.2.2004 – 15 U 166/03, NJW-RR 2005, 87. 3 OLG Düsseldorf v. 21.6.1996 – 22 U 265–95, NJW-RR 1998, 918. 4 Demuth/Schreiber, ZEV 2012, 405; Milatz/Herbst, DStR 2011, 706. 5 Etwa: OLG Düsseldorf v. 18.1.2018 – 9 UF 59/17, FamRz 2019, 190. 6 KG v. 6.12.2016 – 18 UF 33/16, NJW 2017, 3246; BGH v. 3.2.2016 – XII ZR 29/13, NJW 2016, 547; OLG Saarbrücken v. 13.3.2007 – 4 U 72/06, BeckRS 2008, 1341; BGH v. 28.9.2005 – XII ZR 189/02, NJW 2006, 1268. 7 KG v. 6.12.2016 – 18 UF 33/16, NJW 2017, 3246. 8 Zu Formulierungsvorschlägen eines solchen Gesellschaftsvertrages bzgl. Immobilien: Munzig/ Stein, Münchener Vertragshandbuch8, Band 5, S. 1058.

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Kap. 10 Rz. 10.29 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

auch durch die Auslegung von Verträgen begegnet werden, solange eine Auslegungsvariante als Innengesellschaft möglich ist.1

10.30

Entsprechende Vorsorgemaßnahmen sollten insbesondere dann umgesetzt werden, wenn punktuelle Mittelzuflüsse auf ein Gemeinschaftskonto anstehen, etwa aus Unternehmensoder Immobilienverkäufen oder aus Erbschaften. Dann sollten Abreden zum Innenverhältnis der Ehegatten entsprechend § 430 BGB präferiert werden. Vereinzelt wurden finanzverwaltungsseitig auch große Einkommensteuererstattungen an Ehegatten kritisch beleuchtet, die auf ein Gemeinschaftskonto flossen.2

2. Unentgeltliche Rechtseinräumung a) Die unentgeltliche Rechtseinräumung

10.31

Die unentgeltliche Einräumung eines Rechts wird sich häufig als klarer Schenkungsfall darstellen. Allerdings sind ebenso Fälle anzutreffen, in denen die unentgeltlichen Rechteeinräumungen als Nebeneffekte auftreten oder schlicht nicht bedacht wurden. b) Zuwendungsnießbrauch

10.32

Die Einräumung eines Nießbrauchsrechts bewirkt eine Vermehrung des Vermögens durch die Gewährung eines Rechts. Solange dieser Rechtseinräumung keine adäquate Gegenleistung gegenübersteht, werden Schenkungen auftreten. Die Einräumung eines originären Zuwendungsnießbrauch dürfte dabei weniger leicht übersehen werden wie die Einräumung eines Zuwendungsnießbrauch durch einen verlängerten Vorbehaltsnießbrauch. Davon sind jene Fälle betroffen, in denen sich der Schenker zunächst den Vorbehaltsnießbrauch zurückbehält, zugleich aber geregelt ist, dass nach dessen Tod sein Ehepartner das Nießbrauchsrecht (als Zuwendungssukzessivnießbrauch) erhält.

10.33

In der Praxis ist dabei schon das gemeinschaftliche Nießbrauchsrecht vom verlängerten Nießbrauchsrecht zu unterscheiden. Beim gemeinschaftlichen Nießbrauchsrecht steht dem Ehegatten der hälftige Nießbrauch am Gegenstand bereits von Beginn an zu.3 Es handelt sich dann um einen hälftigen Vorbehalts- und einen hälftigen Zuwendungsnießbrauch. Neben den ertragsteuerlichen Folgen des Zuwendungsnießbrauchs4 sind auch die schenkungsteuerlichen Folgen bereits im Zeitpunkt der Nießbrauchseinräumung abzuhandeln. Hingegen kommt es beim verlängerten Nießbrauchsrecht erst zu einer Zuwendung, wenn der Vorbehaltsnießbraucher verstirbt.5 Betriebsprüfungen wenden sich auch der Berechnung des Nießbrauchswertes zu, der sich nur auf die Lebenszeit des Vorbehaltsnießbrauchers erstreckt und im Übrigen eine aufschiebend bedingte Belastung gemäß § 6 BewG ist.6 Diese aufschiebend bedingte Belastung kann erst mit Eintritt der Belastung angesetzt werden, was gemäß § 6 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG antragsgebunden ist. Anderes gilt aber gemäß § 14 Abs. 3 BewG, wenn es sich um ein einheitliches Recht handelt, was aber gerade bei Nießbrauchsrechten unter Überlebensbedingung schwer darstellbar ist.7 1 BGH v. 18.1.1978 – IV ZR 181/76BB 1978, 522; BFH v. 9.6.2015 – X R 38/12, BFH/NV 2015, 1588. 2 Siehe auch: Götz, ZEV 2016, 623. 3 Moench, ErbStB 2006, 97, 98. 4 BMF v. 30.9.2013 – IV C 1 - S 2253/07/10004, BStBl. I 2013, 1184. 5 Stalleiken/Henning, FR 2015, 389. 6 BFH v. 28.2.2019 – II B 48/18, BFH/NV 2019, 678. 7 Eisele in Rössler/Troll, § 14 BewG Rz. 25.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.39 Kap. 10

Besonderes Augenmerk ist auf die Frage zu richten, wann der Steuerentstehungszeitpunkt ist. Dies hängt von der Art der gewählten Vertragsgestaltung ab und ist auch in der Betriebsprüfungssituation zu beachten.

10.34

Der verlängerte Nießbrauch kann im Rahmen eines Vertrages zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB oder als dreiseitiger Vertrag abgeschlossen werden. Während beim dreiseitigen Vertrag der spätere Zuwendungsnießbraucher bereits beteiligt ist, also in die Rechtsgewährung eingewilligt hat, ist dies beim zweiseitigen Vertrag zugunsten Dritter nicht der Fall. Zwar mag die Steuer in beiden Fällen beim verlängerten Nießbrauch erst mit dem Tod des Erblassers eintreten; beim Vertrag zugunsten Dritter hat der länger lebende Ehegatte aber alleine schon gemäß § 333 BGB ein Zurückweisungsrecht. Einerseits muss sich niemand etwas schenken lassen, andererseits sind mit dem Nießbrauchsrecht auch Belastungen verbunden, die aus dem Nießbrauchsrecht resultieren, weshalb sich der Zuwendungsnießbrauch partiell auch als Vertrag zu Lasten Dritter darstellen kann.1

10.35

c) Ablösung eines Nießbrauchsrechts durch eine Versorgungsleistung (gleitende Vermögensübergabe) Die Zuwendung einer Rente bzw. die Zuwendung eines Nießbrauchsrechts stellt für sich genommen einen unentgeltlichen Vorgang dar. Sofern ein bestehendes Nießbrauchsrecht durch eine Versorgungsleistung abgelöst wird, hat dies einen Gegenleistungscharakter. Zu hinterfragen ist und geprüft wird, ob die Versorgungsleistung wertentsprechend zum Nießbrauchsrecht ist:2

10.36

Aufgegriffen werden Fälle, in denen der monatliche Zahlbetrag der Versorgungsleistung hinter dem zu erwartenden Ertrag aus dem Nießbrauchsrecht zurückhinkt. In Höhe dieser Wertdifferenz sollen sodann Schenkungen festgemacht werden. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass der Wert des Nießbrauchsrechts aus den gemäß § 15 Abs. 3 BewG zu erwartenden kapitalisierten Jahreswerten errechnet wird, wobei im Übrigen beide Rechte nach § 14 BewG bewertet werden.

10.37

Dabei ist aber der Pflichtenkreis des Nießbrauchers mit zu beachten. Der maßgebende Verkehrswert des Nießbrauchsrechts wird auch dadurch beeinflusst, dass der Nießbraucher Erhaltungsverpflichtungen (§ 1047 BGB) zu erfüllen hat und etwa beim Grundstücksnießbrauch der Nießbraucher als Vermieter auftritt, was auch die Erfüllung der Vermieterpflichten mit sich bringt. Überdies wird gerade beim Grundstücksnießbrauch dem Nießbraucher häufig abweichend von der gesetzlichen Regelung die Tragung sämtlicher Instandsetzungsmaßnahmen, einschließlich der Reparaturen an Dach und Fach3, aufgebürdet. Die Befreiung von diesen Belastungen und des Vermietungsaufwands, der den Nießbraucher trifft, muss bei der Ermittlung der Gleichwertigkeit von Nießbrauchsrecht und Versorgungsleistung mitberücksichtigt werden. Dies kann ebenfalls gemäß § 15 Abs. 3 BewG geschehen; bei § 15 Abs. 3 BewG ist von den Nettoerträgen auszugehen, weshalb die laufenden Betriebs- und Verwaltungskosten hierfür von den Bruttoerträgen abzusetzen sind.

10.38

Die Freigebigkeit eines Vorgangs als Voraussetzung einer steuerbaren Zuwendung bestimmt sich überdies nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen und damit nach tatsächlichen Ver-

10.39

1 Vgl. zum Nießbrauch: BGH v. 3.2.2005 – V ZB 44/04, BGHZ 162, 137. 2 Munzig/Stein, Münchener Vertragshandbuch, Band 58, S. 1069. 3 Zur Formulierung und Umsetzung Munzig/Stein, Münchener Vertragshandbuch8, Band 5, S. 974.

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Kap. 10 Rz. 10.39 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

kehrswerten und nicht nach Steuerwerten und den steuerlichen Bewertungsvorschriften.1 Sofern in Betriebsprüfungen die Gleichwertigkeit von ursprünglichem Nießbrauchsrecht und anschließender Versorgungsleistung infrage gestellt wird, sind die Vergleichsparameter zu ergründen, wobei der Mehraufwand und die Mehrbelastung des Nießbrauches durch entsprechende Bewertungsabschläge zu berücksichtigen ist. d) Unverzinsliche Darlehen

10.40

Darlehenseinräumung beinhalten das Recht, einen Geldbetrag zu nutzen. Verkehrsüblich ist dabei die Vereinbarung einer Verzinsung. Gerade im Angehörigenverhältnis wird auf Verzinsung teilweise verzichtet bzw. marktunüblich niedrig gewählt. Rechtsfolge der unentgeltlichen Darlehensgewährung ist, dass für diese ein Kapitalisierungszinssatz von 5,5 % anzusetzen ist.2 Die Verzinsung hat auch zu erfolgen, wenn das zinslose Darlehen im Zusammenhang mit der Eingehung der Lebensgemeinschaft gewährt wurde.3 Einer Gegenargumentation dahingehend, dass es bei der unverzinslichen Nutzungsüberlassung an einer Zuwendung mangels Entreicherung des Schenkers fehlt, dürfte mittlerweile der Weg verbaut sein.4

10.41

Im Hinblick auf die anhaltende Niedrigzinsphase vertritt jedenfalls das Landesamt für Steuern5, dass bei einem niedrig verzinslichen Darlehen in diesen Fällen der schenkungsteuerlich maßgebende Nutzungsvorteil aus der Differenz zwischen dem nachgewiesenen, marktüblichen Darlehenszinssatz und dem vereinbarten Zinssatz zu berechnen ist. Liegt der vereinbarte Zinssatz nur unwesentlich unter dem marktüblichen Zins, ist eine freigebige Zuwendung nicht anzunehmen. Entsprechend ist bei unverzinslichen Darlehen zu verfahren. Hier ergibt sich der Nutzungsvorteil alleine aus der Höhe des nachgewiesenen marktüblichen Darlehenszinses. Fehlen Sicherheitenbestellungen, so wird sich dies auf den Zinssatz bei einer Marktüblichkeitsbetrachtung auswirken und mag gegen die Gewährung niedrigverzinslicher Darlehen sprechen. In der Abwehrberatung einer Betriebsprüfung sollte aber mitbedacht werden, dass diverse Internetanbieter niedrigstverzinsliche Darlehen ohne Sicherheiten anbieten, was durchaus zur Ermittlung des marktüblichen Zinssatzes angeführt werden kann.6

10.42

Die Aufdeckung unentgeltlicher lebzeitiger Zuwendungen kann auch im Rahmen von Erbschaftsteuerveranlagungen bzw. darauf aufbauender Außenprüfungen erfolgen. Die unverzinsliche lebenslängliche Stundung einer Zugewinnausgleichsforderung ist im Hinblick auf den gewährten Nutzungsvorteil eine der Schenkungsteuer unterliegende freigebige Zuwendung, die sodann als Vorschenkung gemäß § 14 ErbStG in die Erbschaftsteuererklärung Eingang finden muss.7 Dabei zeigt sich, dass unverzinsliche Darlehen gerade bei zinslos gestundeten Zugewinnausgleichsansprüchen im Nachgang zu einer Güterstandschaukel zu erbschaftsteuerlichen Mehrbelastungen führen können.8

1 2 3 4 5 6

Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG, Rz. 10. BFH v. 27.11.2013 – II R 25/12, BFH/NV 2014, 537. BFH v. 27.11.2013 – II R 25/12, BFH/NV 2014, 537. BFH/NV 2014, 537; Meincke/Hannes/Holtz18, § 7 ErbStG Rz. 10. BayLfSt, DStR 2018, 1127. 1.000 € Nettokreditbetrag, -0,4 % eff. Jahreszins, -0,4 % geb. Sollzins p.a., 12 Monate, Gesamtbetrag 997,83 €, mtl. Rate 83,15 €, SWK Bank.; Abruf Check24.de, 7 BFH v. 22.8.2018 – II R 51/15, DStR 2019, 45. 8 BFH v. 12.9.2011 – VIII B 70/09, DStRE 2012, 154.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.47 Kap. 10

e) Rückgewähr einer Schenkung Die Schenkung selbst und deren Rückgewähr sind zunächst zwei getrennt voneinander zu beurteilende Rechtsakte. Entscheidend für die steuerliche Beurteilung der Rückgewähr ist, ob die Rückgewährverpflichtung bereits im Schenkungsvertrag eingegangen wurde. Hierbei kommen vertragliche Widerrufsvorbehalte, das gesetzliche Rückforderungsrecht nach § 528, 530 BGB und auch ein Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht, welcher ebenfalls eine Rückgewährverpflichtung gemäß § 313 BGB begründen kann.

10.43

Bedeutung erlangt diese Unterscheidung, da § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG anordnet, dass eine Schenkungsteuer mit Wirkung für die Vergangenheit entfällt, sofern entsprechende Rückabwicklungsverpflichtungen umgesetzt werden. Die Geschenkrückgabe muss dabei aufgrund eines vorbehaltenen Rückforderungsrechtes erfolgen. Einen Sonderfall der Steuerbefreiung für den Rückfall von Geschenken sieht überdies § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG vor, wobei diese Steuerbefreiung nur Vermögensgegenstände betrifft, die Eltern oder Voreltern ihren Abkömmlingen durch Schenkungen zugewandt haben und die an diese Personen von Todes wegen zurückfallen. Diese Steuerbefreiung betrifft aber nur den Rückfall des Schenkungsgegenstandes, nicht die gesamte Aufhebung der Schenkungsteuer, wie es im Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Fall ist.

10.44

Häufig sehen Schenkungsverträge bereits Rückabwicklungsklauseln vor, die für den Fall der Nichtgewährung bestimmter Steuerbefreiungen bzw. der Erhebung von Schenkungsteuern oberhalb eines bestimmten Betrages eingreifen. Derartige Klauseln haben eine besondere Relevanz in der Betriebsprüfung, lösen diese Außenprüfungen durch Mehrsteuererhebungen gerade die Rückforderungsberechtigung aus. Praktische Probleme bei der Rückabwicklung von Schenkungen aufgrund solcher Mehrsteuererhebungen zeigen sich einerseits in der fehlenden Rückwirkung der Rückabwicklung für laufend veranlagte Steuern1 und im Umgang mit den Nutzungen, die der Beschenkte seit der Schenkung bereits aus dem Gegenstand gezogen hat. Verbleiben diese Nutzungen entsprechend den vertraglichen Regelungen beim Beschenkten, so folgt hieraus eine Schenkungsteuerpflicht gemäß § 29 Abs. 2 ErbStG. Hat er diese Nutzungen nach der schenkungvertraglichen Regelung herauszugeben, so muss die Herausgabe umgesetzt werden. Andernfalls liegt in dem Verzicht auf die Nutzungsherausgabe eine weitere Schenkung.

10.45

Um keinen Fehlschlüssen in der Durchführung der Rückabwicklung zu erliegen, sollten auch die formalen Voraussetzungen an die Rückabwicklung genau eingehalten und umgesetzt werden. Dies betrifft etwa formale Anforderungen wie die vertraglich vorgesehene Form oder die Einhaltung der vertraglich vorgesehenen Fristen zur Geltendmachung der Rückabwicklung. Werden diese formalen Kriterien nicht eingehalten, kann der Prüfer den Standpunkt einnehmen, aufgrund des Formverstoßes handle es sich nicht mehr um eine Rückabwicklung sondern um eine eigenständige, freigebige Rückgewähr; diese begründet einerseits einen eigene Schenkungsteuerbarkeit, andererseits wird auch der Zweck verfehlt, dass die ursprüngliche Schenkungsteuer gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entfällt.

10.46

Umstritten ist, ob die Rückabwicklung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG die Herausgabe des nämlichen Gegenstands voraussetzt2 oder nicht, so dass auch die Herausgabe eines Surrogates genügt.3

10.47

1 Bodden, KöSDI 2015,19852. 2 Carlé, ErbStB 2010, 21. 3 Demuth/Schreiber, ErbStB 2010, 77; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 29 ErbStG Rz. 18.

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Kap. 10 Rz. 10.47 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

Nach überwiegend vertretener Auffassung genügt die Herausgabe des Surrogates.1 Wertänderungen des Schenkgegenstands sind grds. unbeachtlich.2

10.48

Während in der Vertragsgestaltung darauf geachtet wird, entsprechende Rückforderungsrechte zur Eröffnung der Optionen nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG in die Verträge aufzunehmen, fehlt es in Betriebsprüfungsfällen häufig an den entsprechenden schriftlichen vertraglichen Regelungen. Die Reaktion des Beraters in Betriebsprüfungsfällen muss dann die Ergründung der tatsächlichen gemeinsamen Vorstellungen der Parteien beim Vertragsabschluss sein, die die Geschäftsgrundlage gebildet haben könnten (s. hierzu nachfolgend Rz. 10.127 ff.). Solche gemeinsamen, eine Geschäftsgrundlage bildenden Vorstellungen der Parteien können Rückabwicklungen von Zuwendungen auch auf der Grundlage nicht schriftlich fixierter Umstände erfolgen. Exemplarisch kann hierzu etwa die Fallkonstellation angeführt werden, die das FG Rheinland-Pfalz3 zu entscheiden hatte. Damals hatte der Bürovorsteher des Notariats für eine Immobilienübertragung des Onkels an die Nichte die Auskunft gegeben, es falle keine Schenkungsteuer an, was aber unzutreffend war. Das FG sah in diesem Umstand eine Geschäftsgrundlage, die weggefallen war. Die Immobilienübertragung konnte schenkungsteuerlich damit gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG rückabgewickelt werden. f) Zuwendungen im privaten Bereich und Unterhaltsgewährung

10.49

Gelegentlich erheben Finanzämter beim Immobilienerwerb gerade auch durch nichteheliche Lebensgefährten Angaben zur Eigenkapitalaufbringung, Darlehenstilgung und Finanzierung des Immobilienerwerbs durch die Ausgabe von Fragebögen. Damit sollen mögliche Schenkungen unter den Lebensgefährten ergründet werden. Dieser Zielrichtung von Nachfragen muss sich der steuerliche Berater auch in Außenprüfungen bewusst sein. Sind die Lebensgefährten zu 50 % Eigentümer und wird das Eigenkapital nicht hälftig von beiden aufgebracht oder werden die laufenden Tilgungen nicht von beiden Lebensgefährten hälftig geleistet, kann hierin eine steuerpflichtige Zuwendung gesehen werden. Häufig wird diesem Aspekt durch den Abschluss von Darlehensverträgen begegnet; dies gilt insbesondere bei geplanter Heirat, da dann ein Verzicht auf dieses Darlehen, sofern es sich bei der Immobilie um das Familienwohnheim handelt, die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG beansprucht werden kann.4 Für weitere Ansätze und Reaktionen zum Umgang mit der Steuerbefreiung des Familienheims in der Außenprüfung gelten die Ausführungen ex lit. g (Rz. 10.54).

10.50

Nicht zuletzt die Entscheidung des FG Hamburg5 hat die Zuwendungen im privaten Bereich in den Vordergrund gerückt. Hierzu durchgeführte Fortbildungen lassen befürchten, dass künftig Zuwendungen in diesen Lebensbereichen in den Außenprüfungsfokus rücken können, sofern sich dem Prüfer entsprechende Anzeichen offenbaren. Interessant ist zunächst einmal, dass das FG Hamburg eine Schenkungsteuerpflicht für die Zuwendung einer Luxuskreuzfahrtreise (Gesamtkosten 500.000 €) ablehnte, da die als Bedachte in Betracht kommende Lebensgefährtin nicht bereichert war, weil das mit der Reise erworbene Forderungsrecht auf die Reiseleistung nicht rechtlich und tatsächlich frei für sie verfügbar war. Es konnte lediglich durch gemeinsamen Konsum zusammen mit dem Schenker genutzt werden. Zudem war auch keine Vermögensverschiebung eingetreten, da ein Verbrauch eintrat. Naturgemäß war auch ein Wert1 2 3 4 5

Reich, in von Oertzen/Loose², § 29 ErbStG Rz. 12. Moench/Weinmann, § 29 ErbStG Rz. 4. 23.3.2001 – 4 K 2805/99, DStRE 2001, 765. R E 13.3 Abs. 4 Nr. 5 ErbSt 2019. FG Hamburg v. 12.6.2018 – 3 K 77/17, DStRE 2018, 1260; Rev. BFH: II R 24/18.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.53 Kap. 10

ersatzanspruch auf bereicherungsrechtlicher Basis ausgeschlossen. Der BFH befasste sich in der Revisionsentscheidung allerdings nicht weiter mit dieser Argumentation, sondern gab der Klage bereits mit dem einfachen Hinweis darauf hin statt, dass nicht sämtliche Einzelzuwendungen explizit im Schenkungsteuerbescheid aufgeführt waren.1 In der Literatur wird aber teils für die gesetzliche Einführung einer Obergrenze plädiert, um Abgrenzungsschwierigkeiten zu vermeiden.2 Künftig wird aber mit in Betracht zu ziehen sein, wann entsprechende Zuwendungen auftreten können, etwa weil Gegenstände des persönlichen Gebrauchs angeschafft werden. Bereits umfangreiche Bekleidungseinkäufe, die ein nichtehelicher Lebensgefährte für den anderen bezahlt, können hiervon umfasst sein. Anders als bei Ehegatten gibt es keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch zwischen Lebensgefährten, der bereits den Zuwendungstatbestand entfallen ließe. Es kommt daher auf die Schenkungsteuerbefreiungen für Gelegenheitsgeschenke, für bewegliche körperliche Gegenstände nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG oder zum Zwecke des Unterhalts an, sofern diese Zuwendungen den persönlichen Schenkungsteuerfreibetrag i.H.v. 20.000 € übersteigen. Für die Steuerbefreiung für Unterhaltsleistungen wird aber eine gewisse Nachhaltigkeit der Leistungen verlangt, da einmalige Leistungen regelmäßig keinen Unterhalt darstellen.3 Überdies muss der Bedachte bedürftig sein, d.h. die Gegenstände müssen benötigt werden und es darf kein entsprechendes Vermögen vorliegen.4 Schließlich muss die Zuwendung auch nach § 13 Abs. 2 ErbStG angemessen sein. Etwaiges Vorbringen im Rahmen einer Außenprüfung zur Verteidigung gegen solche Prüfungsansätze der Außenprüfung müssen sich an diesen engen Kriterien messen lassen, wobei das Problem des Prüfers häufig auf der faktischen Seite liegen wird.

10.51

Offen – aber zu bejahen – ist, ob auch Nutzungsrechte der Steuerbefreiung für Unterhalt unterfallen können. Dies können entweder schuldrechtliche Rechtspositionen sein, etwa das mietfreie Überlassen einer Wohnung5, oder auch dingliche wie die Einräumung eines Nießbrauchs oder eines Wohnungsrechts.6 Die Bedürftigkeit unterstellt, liegt auch in diesen Fällen eine Zuwendung vor, bei der weniger der Einmalcharakter, sondern die laufende Versorgung im Vordergrund steht. Dieser Aspekt kann in der Abwehrberatung auch bei der Zuwendung von Nutzungsrechten an Ehegatten erwogen werden, da derartige Nutzungsrechte nicht gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4a–c ErbStG steuerbefreit sind.7

10.52

Zuwendungen einzelner Gegenstände wie Möbel werden ebenfalls nicht unter die Steuerbefreiung für Unterhalt gefasst.8 Hierauf kann allerdings die Steuerbefreiung gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG für die Zuwendung von Hausrat und beweglichen Gegenständen Anwendung finden. In der Abwehrberatung in der Außenprüfung ist hierbei auch von Bedeutung, dass auch die mittelbare Zuwendung von Hausrat und beweglichen Gegenständen der Steuerbefreiung unterfällt.9 Dabei werden Barmittel dem Beschenkten zur Verfügung gestellt mit der Auflage, bestimmte Hausratsgegenstände anzuschaffen.10

10.53

1 BFH v. 16.9.2020 – II R 24/18, DStR 2021, 796. 2 Schienke-Ohletz in von Oertzen/Loose², § 13 ErbStG Rz. 69. 3 von Oertzen/Blasweiler, ZEV 2019, 516; s. auch etwa: Kien-Hümbert in Moench/Weinmann, § 13 ErbStG Rz. 77, 62. 4 Kien-Hümbert in Moench/Weinmann, § 13 ErbStG Rz. 75. 5 Kien-Hümbert in Moench/Weinmann, § 13 ErbStG Rz. 77. 6 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13 ErbStG Rz. 139. 7 BFH v. 3.6.2014 – II R 45/12, BStBl. II 2014, 806; Stein, ErbBstg 2017, 283. 8 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13 ErbStG Rz. 139. 9 Jülicher, ZEV 2000, 94; Stein/Tack, ZEV 2013, 180. 10 Zu Formulierungsvorschlägen: Munzig/Stein, Münchener Vertragshandbuch8, Band 5, S. 1035; Hermann in Hannes, Formularbuch Vermögens- und Unternehmensnachfolge2, S. 183.

T. Stein | 805

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Kap. 10 Rz. 10.54 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

g) Zuwendungen im Zusammenhang mit dem Familienheim

10.54

§ 13 Abs. 1 Nr. 4a–c ErbStG regeln diverse Steuerbefreiungen im Zusammenhang mit der Übertragung des Familienheims. Begünstigt ist das Familienheim als Mittelpunkt des familiären Lebens,1 wobei es derzeit weder Fristen noch einen Objektverbrauch2 gibt.3

10.55

Beim Erwerb des Familienheims von Todes wegen geht die Prüfung der Finanzverwaltung sowohl auf die Einhaltung der zehnjährigen Selbstnutzungsfrist wie auch auf die unverzügliche Selbstnutzung nach dem Tod des Erblassers hin. Für letzteres muss der Erwerber innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach Erwerb den Selbstnutzungsentschluss fassen und umsetzen.4 Ein Abriss des Gebäudes ist für die Selbstnutzung schädlich.5 Umstände in seinem Einflussbereich, wie Verzögerungen bei der Renovierung der Wohnung, sind ihm nur unter besonderen Voraussetzungen nicht anzulasten.6 Um die Steuerbefreiung zu erlangen, ist es auch nicht ausreichend, wenn die Nutzung als selbstgenutztes Familienheim vom Zuwendenden nur beabsichtigt war, aber bis zum Todeszeitpunkt etwa aufgrund umfangreicher Baumaßnahmen nicht durchgeführt wurde.7 Die Beweislast liegt beim Steuerpflichtigen, insbesondere für den unmittelbar vor dem Stichtag bzw. vor dem Umzug ins Pflegeheim liegenden Zeitraum.

10.56

Der BFH legt den Wortlaut der Steuerbefreiungsnorm für Familienheimzuwendungen insbesondere in jüngerer Zeit eng aus. Dies mag auch auf die vom II. Senat geäußerten Zweifel an der Verfassungskonformität der Norm zurückzuführen sein. Der Erwerb von Eigentumsanwartschaftsrechten ist nicht begünstigt, wenn der Erblasser zwar nach dem Kaufvertragsabschluss und Bezug des Hauses aber vor seiner Eintragung im Grundbuch als Eigentümer verstirbt. Offen ist vor dem Hintergrund dieser engen Auslegung, ob ein Familienheim, welches Ehegatten in der Rechtsform einer GbR halten, unter die Steuerbefreiung fällt oder nicht. Schließlich wird dann nicht das vom Gesetz geforderte „Eigentum“, sondern die Inhaberschaft eines GbR Anteils übertragen.8

10.57

Die Zuwendung im Zusammenhang mit einem Familienheim unter Lebenden nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG wird im Übrigen von der Finanzverwaltung weiter gesehen9 und erstreckt sich neben der Übertragung von (Mit-) Eigentum auch auf den Kauf oder die Herstellung des Familienheims aus den Mitteln eines Ehegatten oder Lebenspartners, die mittelbare Grundstückszuwendung, die Tilgung eines im Zusammenhang mit dem Kauf oder der Herstellung des Familienheims aufgenommenen Darlehens aus Mitteln des zuwendenden Ehegatten und die Befreiung von einer Schuld des einen Ehegatten oder Lebenspartners gegenüber dem anderen, die im Zusammenhang mit dem Kauf oder der Herstellung des Familienheims eingegangen wurde. Zumal die Herstellung des Familienheims nach Sichtweise der Richtlinien unter R E 13.3. Abs. 4 ErbStR gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG begünstigt sein soll, kann es – 1 2 3 4 5 6 7 8 9

BFH v 18.7.2013 – II R 35/11, BStBl. II 2013, 1051. Reich, NZM 2014, 67. FG München v. 22.10.2014 – 4 K 2517/12, DStRE 2016, 532. BFH v. 23.6.2015 – II R 39/13, BStBl. II 2016, 225. FG Düsseldorf v. 8.1.2020 – 4 K 3120/18 Erb, DStRE 2021, 346 (Rev. eingelegt, Az. BFH: II R 18/ 20). BFH v. 28.5.2019 – II R 37/16, DStR 2019, 1571. FG München v. 24.2.2016 – 4 K 2885/14, EFG 2016, 731 (rkr.). Begünstigung bejahend: Kien-Hümbert in Moench/Weinmann, § 13 ErbStG Rz. 31; Steiner, ErbStB 2010, 180; kritisch: Stein, ErbBstg 2017, 283. Vgl. R E 13.3 Abs. 4 ErbStR 2019.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.63 Kap. 10

anders als beim Erwerb von Todes wegen – nicht auf die vorangegangene Selbstnutzung ankommen. Aufgrund der vielfältigen Fallgruppen des steuerbefreiten Erwerbs nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG, die nicht alle auf die Eigentumsübertragung abstellen, wie sich an der Darlehenstilgung durch einen Ehegatten zeigt, liegt in dieser Fallgruppe die Mitbegünstigung der Übertragung von GbR Anteilen nahe. h) Prüfung und Beachtung der Einzelauflistung der jeweiligen Zuwendung im Bescheid Mehrere Steuerfälle erfordern grundsätzlich entweder eine Festsetzung in getrennten Steuerbescheiden oder bei körperlicher Zusammenfassung in einem Schriftstück die genaue Angabe, welche Lebenssachverhalte (Besteuerungstatbestände) dem Steuerbescheid zugrunde liegen, sowie eine gesonderte Steuerfestsetzung für jeden einzelnen Lebenssachverhalt (Steuerfall). Diese bekannte Grundregel betonte der BFH1 jüngst und sollte auch in Betriebsprüfungsfällen Anlass geben, dies genau zu beachten.

10.58

Ist eine solche Einzelauflistung nicht erfolgt, so sind die Bescheide aufzuheben.2 Dabei ist das Zivilrecht für den Gegenstand der Schenkung maßgebend. Ebenso bedeutsam ist der Zeitpunkt der Ausführung der jeweiligen Zuwendung, gerade im Hinblick auf § 9 und § 14 ErbStG.

10.59

Da die einzelne freigebige Zuwendung eigenständiger steuerbegründender Tatbestand ist, sind diese einzeln aufzuführen. Dies gilt auch für den Friseurbesuch und sonstige Dienstleistungen während einer Kreuzfahrt und sonstige Einzel(zuwendungs-)tatbestaände und die Kosten einer Kreuzfahrt als solcher.3

10.60

Eine Differenzierung ist aber entbehrlich, wenn trotz unaufgegliederter Zusammenfassung mehrerer Steuerfälle eindeutig feststeht, welche Steuerfälle von dem Bescheid erfasst werden, und auch aus anderweitigen rechtlichen Gründen keine Notwendigkeit zu einer Differenzierung besteht.4

10.61

IV. Doppelbelastung mit Einkommen- und Schenkungsteuer Die jüngere Rechtsprechung des II. BFH-Senats sieht die Doppelbelastung eines Vorganges mit Schenkung- und Einkommensteuer kritisch.5 Andere Senate des BFH hingegen billigen eine solche Doppelbelastung eines Vorganges mit Einkommen- und Schenkungsteuer. Insoweit wird die Rechtslage unter den BFH Senaten uneinheitlich beurteilt.

10.62

Jedenfalls für die vieldiskutierte Frage dieser Problematik bei verdeckten Gewinnausschüttungen geht der II. Senat davon aus, dass es zu keiner Besteuerung mit Ertrags- und Schenkungsteuer kommt. Die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis sowie die einkommensteuerliche Gleichstellung mit der offenen Gewinnausschüttung schließt nach Ansicht des BFH die Freigebigkeit der Zuwendung aus.6 Eine zusätzliche Belastung mit Schenkungsteuer mag

10.63

1 2 3 4

BFH v. 16.9.2020 – II R 24/18, DStR 2021, 796. BFH v. 16.9.2020 – II R 24/18, DStR 2021, 796. BFH v. 16.9.2020 – II R 24/18, DStR 2021, 796. BFH v. 22.9.2004 – II R 50/03, BFH/NV 2005, 993; BFH v. 20.11.2013 – II R 64/11, BFH/NV 2014, 716, 5 Vgl. BFH, BFH/NV 2012, 229; BFH, BFH/NV, 2014, 1554; instruktiv auch Meßbacher-Hönsch, ZEV 2018, 182. 6 BFH v. 30.1.2013 – II R 6/12, BFH/NV 2013, 846.

T. Stein | 807

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Kap. 10 Rz. 10.63 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

nur auftreten, wenn die verdeckte Gewinnausschüttung an nahestehende Personen erfolgte, denen dadurch ein Vermögensvorteil vom Gesellschafter zugewandt wurde.1

V. Aufgriffspunkte der Erbschaft- und Schenkungsteuer im betrieblichen Bereich 1. Kurzüberblick über das Unternehmenserbschaftsteuerrecht und die wesentlichen Voraussetzungen 10.64

Für die Übertragung unternehmerischen Vermögens gewähren die §§ 13a bis 13c ErbStG besondere Steuerbefreiungen. Solche Zuwendungsgegenstände sollen grundsätzlich von der Erbschaftsteuer verschont bleiben. Die Unterscheidung zwischen begünstigungswürdigem und nicht begünstigungswürdigem betrieblichem Vermögen wird danach getroffen, – ob innerhalb eines fünf- bzw. siebenjährigen Kontrollzeitraums die Lohnsummenkriterien eingehalten wurden (vgl. § 13a Abs. 2–4 ErbStG), – inwieweit nichtbegünstigungsfähiges Verwaltungsvermögen, insbesondere junges Verwaltungsvermögen, vorhanden war (vgl. § 13b Abs. 2–9 ErbStG), – ob innerhalb des fünf- bzw. siebenjährigen Behaltenszeitraums schädlich über das übertragene Vermögen verfügt wurde (vgl. § 13a Abs. 6 ErbSt) – und, nach der Neuregelung zum 1.7.2016, ob es sich um einen weniger bzw. nicht begünstigungswürdigen Erwerb von Großvermögen handelt (vgl. §§ 13a Abs. 1 Satz 1, 13c, 28a ErbStG).

10.65

Dabei kann der Erwerber unwiderruflich erklären, dass anstelle des Regelverschonungsabschlages von 85 % (vgl. § 13a Abs. 1 ErbStG) ein Verschonungsabschlag von 100 % (Optionsverschonung) angewandt wird. Dann ist das begünstigte betriebliche Vermögen insgesamt von der Erbschaftsteuer ausgenommen. Diese vollständige Optionsverschonung gemäß § 13a Abs. 10 ErbStG setzt voraus, dass die Behaltensregelungen und Lohnsummenprüfungen von fünf auf sieben Jahre ausgedehnt und die im Rahmen der Lohnsummenprüfungen zu erreichenden Mindestlohnsummen angehoben werden. Schließlich darf das übertragene Vermögen nicht zu mehr als 20 % aus Verwaltungsvermögen bestehen.

10.66

Neben den Verschonungsabschlag reiht sich noch der gleitende Abzugsbetrag von 150.000 € gemäß § 13a Abs. 2 ErbStG, der aber nur im Falle der Regelverschonung von Bedeutung ist. Verbleibt nach Abzug des Verschonungsabschlags von 85 % ein steuerpflichtiger Erwerb von mehr als 150.000 € (Wertgrenze), so vermindert sich der Verschonungsabschlag um 50 % des diese Wertgrenze übersteigenden Betrags.2 Solange ein Erwerb begünstigten Vermögens in der Regelverschonung unter 1 Million € liegt, bleibt dieser insgesamt steuerfrei (850.000 € Steuerbefreiung mittels Verschonungsabschlag; 150.000 € Steuerbefreiung durch Abzugsbetrag), soweit kein steuerpflichtiges (junges) Verwaltungsvermögen oder keine (jungen) Finanzmittel bestehen.

10.67

Die Steuerverschonung betrieblichen Vermögens bestimmt sich nach § 13b Abs. 1 ErbStG in Anlehnung an das Ertragsteuerrecht und das Bewertungsgesetz. Die Begünstigung wird für den Erwerb von inländischem und innerhalb der EU/des EWR belegenem begünstigtem 1 BFH v. 13.9.2017 – II R 54/15, DStRE 2018, 193. 2 BFH v. 23.2.2021 – II R 34/19, DStR 2021, 1222: innerhalb von 10 Jahren nur für den ersten Erwerb.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.71 Kap. 10

Vermögen gewährt. Hierzu zählt auch das einer Betriebsstätte in diesem Gebiet zuordenbare Vermögen, einschließlich von Personengesellschaften nebst deren Sonderbetriebsvermögens, ebenso wie der begünstigungsfähige Wirtschaftsteil des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens. Land- und forstwirtschaftliches sowie betriebliches Vermögen ist unabhängig von der Beteiligungsquote erbschaftsteuerlich begünstigt. Auch kann land- und forstwirtschaftliches Vermögen begünstigt sein, das ertragsteuerlich Privatvermögen darstellt.1 Bei Mitunternehmeranteilen ist aber zu beachten, dass bei der (Mit-)Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens die Begünstigungen nach §§ 13a, 13b ErbStG nur gewährt werden können, wenn die Wirtschaftsgüter gleichzeitig mit dem Anteil an der Personengesellschaft übertragen werden.2

10.68

Anders verhält es sich für Kapitalgesellschaftsanteile, für die ebenfalls eine Verschonung geregelt ist, aber Mindestbeteiligungsquoten vorgesehen sind. Eine Steuerverschonung wird nur gewährt, sofern der Erblasser oder Schenker am Nennkapital der Gesellschaft unmittelbar zu mehr als 25 % beteiligt war. Beim Abschluss von Poolverträgen erfolgt zur Ermittlung dieser Quote eine Zusammenrechnung des Nennkapitals der Mitglieder des jeweiligen Pools. Eine Poolgemeinschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die Mitglieder untereinander verpflichten, über die Anteile an der Kapitalgesellschaft nur einheitlich zu verfügen oder ausschließlich auf andere denselben Verpflichtungen unterliegenden Anteilseigner zu übertragen und das Stimmrecht gegenüber nicht dem Poolvertrag unterliegenden Gesellschaftern einheitlich auszuüben. Eine bestimmte Form ist nicht vorgesehen für einen solchen erbschaftsteuerlichen Poolvertrag.3

10.69

Betriebsprüfungsrelevant ist im Hinblick auf die jüngere Rechtsprechung4 bei der Übertragung von Betriebsvermögen die Gewährung der ertragsteuerlichen (Mit-)Unternehmerstellung aufgrund der Zuwendung. Dieser Aspekt ist häufiger Gegenstand der Diskussionen mit dem Finanzamt zur Gewährung der Steuerbefreiung nach § 13a, b ErbStG. Es gelten die ertragsteuerlichen Prinzipien. Der Beschenkte muss daher entsprechende Initiativrechte erhalten und ein Mitunternehmerrisiko tragen, um dem gerecht zu werden. Wenngleich diese Komponenten unterschiedlich ausgeprägt sein können, müssen sie doch dem Grunde nach vorliegen. Die Mitunternehmerinitiative fehlt etwa bei weitestgehenden Rechterückbehalt des Schenkers durch Nießbrauchs- oder Widerrufsrechte, die der Sphäre des Schenkers unterfallen (freies Widerrufsrecht)5. Bedeutsam ist auch die Würdigung der gesetzlichen Ausgestaltung eines Nießbrauchsrechts im jeweiligen Einzelfall, da sich der Nießbrauchsumfang beim Nießbrauch am Gesellschaftsanteil anders darstellt als beim Nießbrauch am Grundstück, dem Gewerbebetrieb bzw. dem Nachlassnießbrauch.6

10.70

Insgesamt ist die Mitunternehmerstellung ertragsteuerlich zu bestimmen, so dass diese weiterreichen kann als die Gesellschafterstellung.7 Insbesondere vermitteln auch atypisch stille Ge-

10.71

Stalleiken in von Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 29. BFH v. 17.6.2020 – II R 38/17, BStBl. II 2021, 98. BFH v. 20.2.2019 – II R 25/16, DStR 2019, 1261. BFH v. 19.7.2018 – IV R 10/17, DStR 2018, 2372, Fn. 49; BFH v. 1.3.2018 – IV R 15/15, BStBl. II 2018, 539; BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, ZEV 2017, 471; BFH v. 6.5.2015 – II R 34/13, DStR 2015, 1799; BFH v. 10.12.2008 – II R 34/07, BStBl. II 2009, 381. 5 BFH v. 16.5.1989 – VIII R 196/84, BStBl. II 1989, 877. 6 Stein, ZEV 2019, 131; Hermes, DStR 2019, 1777; Stein, BB 2021, 28 7 BFH v. 6.11.2019 – II R 34/16, BStBl. II 2020, 465.

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Kap. 10 Rz. 10.71 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

sellschaften, Gemeinschaften und Nießbrauchsrechte am Gesellschaftsanteil eine Mitunternehmerstellung, was allerdings einzelfallabhängig zu prüfen ist. Klargestellt wurde jüngst aber nochmals, dass zwar ein Nießbrauchsrecht am Gesellschaftsanteil eine Mitunternehmerstellung begründet, das isolierte Nießbrauchsrecht am Sonderbetriebsvermögen hingegen im Privatvermögen entsteht.1

10.72

Sonderbetriebsvermögen ist ebenfalls Teil des Mitunternehmeranteils und nimmt damit an der Privilegierung grundsätzlich Teil, sofern keine isolierte Übertragung von Sonderbetriebsvermögen vorliegt. Wichtig ist aber in Folge der Rechtsprechung des FG Köln, dass darauf geachtet wird, dass Gesellschaftsanteil und Sonderbetriebsvermögensgegenstand zeitgleich übertragen werden. Bereits eine zeitliche Differenz von wenigen Wochen soll nach Ansicht des erstinstanzlich entscheidenden FG Köln die Begünstigung des Sonderbetriebsvermögens gefährden. Dies gilt selbst dann, wenn dieses Auseinanderfallen darauf beruht, dass das Sonderbetriebsvermögen sofort, die Gesellschaftsanteile aber erst aufschiebend bedingt auf die Eintragung im Handelsregister übertragen werden.2

2. Aufgriffe der Zuwendungen gemäß § 7 Abs. 8 ErbStG a) Regelung der Vorschrift

10.73

§ 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG, eingeführt mit Gesetz vom 7.12.2011, regelt die Schenkungsteuerbarkeit von Werterhöhungen in Kapitalgesellschaftsanteilen, die auf Leistungen anderer beruhen. Leistungen können insbesondere Sach- und Nutzungseinlagen in die Kapitalgesellschaft sein.3 Klargestellt wird durch den Wortlaut des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG aber auch, dass der Steuertatbestand nur erfüllt ist, soweit keine Identität zwischen dem Leistenden und dem Gesellschafter besteht, in dessen Anteilen die Werterhöhung eintritt.

10.74

Weitere Voraussetzung der Steuerbarkeit der Anteilswerterhöhung ist, dass die Werterhöhungen in Kapitalgesellschaftsanteilen bei unmittelbar oder mittelbar beteiligten natürlichen Personen oder Stiftungen eintreten. Nur dieser Personenkreis kann Bedachter sein. Sofern weitere Kapitalgesellschaften als Gesellschafter beteiligt sind, kommen als Bedachte wiederum nur die an dieser Gesellschaft beteiligten Personen in Betracht (mittelbare Beteiligung). Einer Mitwirkung der fiktiv Bedachten bedarf es nach herrschender Meinung nicht.4 Auch ein Wille zur Unentgeltlichkeit ist im Anwendungsbereich des § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG entsprechend § 7 Abs. 7 ErbStG und anders als bei § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG wohl nicht erforderlich.5 Zuwendender als Leistender können neben natürlichen auch sämtliche juristischen Personen sein. Nicht erforderlich ist, dass der Schenker Gesellschafter ist. Bei Leistungen von Nichtgesellschaftern ist zugleich zu prüfen, ob diese auf die Bereicherung der Kapitalgesellschaft selbst abzielen, da dann eine Zuwendung an die Kapitalgesellschaft nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zu prüfen ist.6

10.75

Gegenanzeichen zum Vorliegen einer Schenkung gemäß § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG sind nach Ansicht der Finanzverwaltung7 in folgenden Fällen gegeben: 1 2 3 4 5

Strahl, KöSDI 2019, 21364; BFH v. 2.8.1983 – VIII R 170/78, BStBl. II 1983, 735. FG Köln v. 29.6.2017 – 7 K 1654/16, ZEV 2017, 535; Az. BFH: II R38/17. BMF v. 14.3.2012, BStBl. I 2012, 331, Rz. 3.3.1. Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 263; a.A. Fischer, ZEV 2012, 77. R E 7.1 ErbStR 2011; s. gleich lautender Erlass v. 14.3.2012, BStBl. I 2012, 331, Rz. 3.4.3; s.a. Loose in von Oertzen/Loose2, § 7 ErbStG Rz. 567. 6 BMF v. 12.3 2012, BStBl. I 2012, 331. 7 BMF v. 12.3 2012, BStBl. I 2012, 331.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.79 Kap. 10

– Es ist festzustellen, dass in zeitlichem Zusammenhang auch die übrigen Gesellschafter entsprechende kongruente Leistungen erbringen; dies entspricht dem Fehlen der objektiven Unentgeltlichkeit; – der Leistende erhält als Gegenleistung zusätzliche Rechte in der Gesellschaft (Verbesserung des Gewinnanteils etc.); – Zwar kann im Falle des Forderungsverzichts der Gesellschafter zu Sanierungszwecken § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG einschlägig sein; verkaufen die Gesellschafter die Forderungen untereinander, um einen Verzicht im Verhältnis der Beteiligungsquoten erreichen zu können, wird dies von der Finanzverwaltung akzeptiert. Mangels eines Erwerbs von Anteilen an Kapitalgesellschaften wird auch hier die Steuerbefreiung nach §§ 13a, b ErbStG infrage gestellt und deren Eingreifen von der h.M. abgelehnt.1 Es tritt nur eine Werterhöhung des Anteils ein. Ergänzend sei erwähnt, dass bei Personengesellschaften die Versagung der Vergünstigung nach § 13a, b ErbStG aufgrund der Reflektion der Beteiligung über das Kapitalkonto regelmäßig nicht auftreten wird.2

10.76

b) Umstrukturierungen als Problembereiche und Abwehrargumentationen Die Weite des Tatbestands eröffnet einen weiten Anwendungsbereich der Norm, da neben offenen und verdeckten Einlagen auch Umwandlungsvorgänge und der Verzicht auf Forderungen tatbestandsmäßig sind. In einem zweiten Prüfungsschritt ist stets das Eintreten einer Werterhöhung der Anteile des anderen Gesellschafters zu prüfen.

10.77

Gerade im Familienkreis sollte ein Darlehensverzicht oder eine verdeckte Einlage bereits im Vorfeld genauer überprüft werden. Nach der Umsetzung der Maßnahme stehen im Fall des Aufgriffs im Rahmen einer Betriebsprüfung dem Steuerpflichtigen durch Bewertungen oder Fremdvergleichsargumentationen eher eingeschränkte Reaktionsmittel zur Verfügung. Bedeutsam kann bei Übertragungen mehrerer Gesellschafter der Zusammenhang der jeweiligen Übertragungen zueinander sein, um mehrere, isolierte Tatbestandsverwirklichungen gemäß § 7 Abs. 8 ErbStG auszuschließen. Entscheidend sind dabei die ursprünglichen Abreden unter den Gesellschaftern.3

10.78

Misslich ist dabei auch, dass Umstrukturierungen den Tatbestand des § 7 Abs. 8 ErbStG auslösen können. Die genauere Überprüfung von Umstrukturierungen durch die Finanzverwaltung auch im Rahmen von Betriebsprüfungen erhöht die Aufgriffswahrscheinlichkeit solcher Zuwendungen. Unternehmensbewertungen bzw. der Bewertung der Einlagen bei Umstrukturierungsvorgängen kommen daher vor dem Hintergrund des § 7 Abs. 8 ErbStG erhöhte Bedeutung zu. So können Schenkungen aufgrund von Wertverschiebungen durch zu geringe bzw. zu hohe Einlagen im Rahmen der Umstrukturierungsmaßnahme vermieden werden. Die fehlende bzw. allenfalls gering ausgeprägte subjektive Komponente des Tatbestands erschwert Abwehrargumentationen bei feststehenden Wertdifferenzen.4

10.79

1 Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 234; Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 278; Esskandari in von Oertzen/Loose2, § 7 ErbStG Rz. 576; a.A.: Milatz/Herbst, ZEV 2012, 21, 23; s. aber auch: BFH v. 27. 8. 2014 – II R 43/12, BStBl. II 2015, 241 für Neugesellschaftereintritt. 2 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 406; Weinmann in Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 253; s. auch die weiteren Ausführungen zur nicht i.S.d. § 7 Abs. 7 ErbStG tatbestandsmäßigen Änderung der Beteiligungsverhältnisse bei Personengesellschaften: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 405. 3 Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 237. 4 Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 233.

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Kap. 10 Rz. 10.80 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

10.80

Soweit möglich, wird gerade bei Einbringungen und Umwandlungen bei Bestehendem Näheverhältnis der Gesellschafter bzw. der agierenden Personen zueinander die tatsächliche Reihenfolge der Vorgänge zu ergründen und ggf. in eine Abwehrargumentation einzubauen sein. Während die Einbringung einer (Personen-)Gesellschaft in eine zweigliedrige GmbH durch nur einen Gesellschafter den Tatbestand des § 7 Abs. 8 ErbStG ohne Verschonungsmöglichkeit nach § 13a, b ErbStG auslösen kann, ist dies bei einer Einbringung durch beide Gesellschafter nebst Wertkongruenz nicht der Fall. Eine Vorabschenkung eines entsprechenden Anteils an der Personengesellschaft an den GmbH-Mitgesellschafter und anschließende Einbringung durch beide Gesellschafter lässt zwar nicht die Zuwendung entfallen, ermöglicht aber die Anwendung der §§ 13a, b ErbStG auf den Vorgang.1 Hierbei wird zur Eröffnung der Begünstigung der § 13a, b ErbStG auch genügen, dass der Mitgesellschafter im Rahmen der Einbringung zumindest eine gewisse Erhöhung seiner Beteiligung (nicht nur des Wertes) erfährt, auch wenn diese zu gering ausfällt;2 schließlich ist dann der Tatbestand des § 13a, b ErbStG wiederum eröffnet. Besondere Betrachtungen sind ebenfalls erforderlich, falls die aufnehmende GmbH eine GmbH & atypisch still ist und die GmbH Gesellschafter zugleich atypisch stille Gesellschafter dieser GmbH sind, denn insoweit handelt es sich um eine Einbringung in eine Mitunternehmerschaft.

3. Besonderheiten des Aufgriffs des Verwaltungsvermögens a) 90 % Grenze als Ausschluss der Vergünstigungsregelungen

10.81

Der Verwaltungsvermögenstest ist ein Kernelement der Verschonungsprüfung für unternehmerisches Vermögen des ErbStG. Dessen Bedeutung hob das BVerfG3 in seiner Entscheidung zum ErbStG aus dem Jahr 2014 hervor. Nachstehend werden vor diesem Hintergrund die Grundzüge des Verwaltungsvermögens fest dargestellt und exemplarisch bedeutende Streitpunkte aufgegriffen.

10.82

Einen gänzlichen Ausschluss der Verschonung des an sich begünstigten Vermögens sieht § 13b Abs. 2 ErbStG vor. Die Norm gibt eine 90 %-Grenze vor. Würde die Verschonung nur versagt werden, wenn das effektive Verwaltungsvermögen 90 % betrüge, wäre die Regelung akzeptabel. Aufgrund des Wortlauts des § 13b Abs. 2 S. 2 ErbStG ist anderes zu befürchten:4 jegliche Finanzmittel (vor Schuldenverrechnung und Anwendung der 15 %-Grenze) und übriges Verwaltungsvermögen (ebenfalls vor Schuldenabzug gemäß § 13b Abs. 6 ErbStG und des Schmutzzuschlags von 10 % nach § 13b Abs. 7 ErbStG) werden dem gemeinen Wert des begünstigten Vermögens gegenübergestellt. Etwa bei operativ tätigen Handelsunternehmen kann diese Auslegung aufgrund des hohen Forderungsbestands (und ebenso hohem Verbindlichkeitenstand) zur gänzlichen Verschonungsversagung führen.5 Dies mutet insbesondere dann bizarr an, wenn bei vollständiger Durchführung der Verwaltungsvermögensprüfung – insbesondere der Saldierung der Finanzmittel mit Schulden – überhaupt kein Verwaltungsvermögen vorhanden wäre. Die Finanzverwaltung folgt diesem Ansatz nicht, wodurch die 90 % Kontrolle einen erheblichen Anwendungsbereich erhält.6 In Betriebsprüfungen wird aufgrund 1 Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 233. 2 BFH v. 27.8.2014 – II R 43/12, BStBl. II 2015, 241; 25 % Beteiligung des Schenkers am Nennkapital oder eine entsprechende Poolvereinbarung muss aber bestehen, um den Tatbestand des § 13b ErbStG zu eröffnen. 3 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50. 4 Vgl. Korezkij, DStR 2016, 2434, 2442; kritisch auch Wachter, FR 2016, 690 (697). 5 Vgl. Reich, BB 2016, 2647 (2650). 6 Vgl. R E 13b.25 S. 4, R E 13b.10 S. 3 und 4 ErbStR; zu Recht kritisch Reich BB 2017, 1879.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.87 Kap. 10

der Richtlinienvorgaben diese Position wohl vertreten werden. Hiergegen ist gerade bei entsprechenden Handelsunternehmen im Klagewege vorzugehen. Die Auslegung der Finanzverwaltung stellt im Verschonungsregime ein sachfremdes Abgrenzungskriterium dar, welches zu einer systematischen ungleichmäßigen Schlechterbehandlung entsprechender Handelsunternehmen führt. Entscheidend für die Abwehrberatung ist, dass das FG Münster in einem Verfahren über einstweiligen Rechtsschutz entschieden hat, dass diese Auslegung der Finanzverwaltung der Nettobetrachtung bei der Prüfung der 90 % Grenze aus verfassungsrechtlichen Gründen unzutreffend sei.1

10.83

Bei der 90 % Grenze wie auch bei Verwaltungsvermögensprüfungen allgemein ist auch sog. „steuerliches Privatvermögen im Betriebsvermögen“ zu beachten.2 Hierbei handelt es sich etwa um unverzinsliche Darlehen, die von einer gewerblichen KG an ihre Gesellschafter ausgegeben wurden. Diese Darlehensforderungen gehören dann nicht zum mitunternehmerschaftlichen Betriebsvermögen, sondern gelten als auf eine privatvermögenshaltendende, daneben stehende GbR ausgegliedert.3 (weiteres s.u. Rz. 10.102 ff.).

10.84

b) Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke Zum Verwaltungsvermögen zählen insbesondere Dritten überlassene Grundstücke, sofern keiner der Ausnahmetatbestände des § 13b Abs. 4 Nr. 1 ErbStG vorliegt.4 Ausnahmetatbestände sind insbesondere bei Grundstücksüberlassungen in Betriebsaufspaltungen, Überlassungen im Konzern (gemäß § 4h EStG), Überlassung von Grundstücken des (notwendigen) Sonderbetriebsvermögens vorgesehen, ebenso wie für gewerbliche Wohnungsunternehmen und bei der Überlassung von Brauereigrundstücken an Gaststätten sowie Tankstellenverpachtungen durch Mineralölkonzerne zur Absatzförderung.

10.85

Die Abwehrberatung wird sich in diesem Punkt mit den konkreten Umständen des Einzelfalles beschäftigen müssen. Dies betrifft einerseits die Tatbestandsvoraussetzung der „Nutzungsüberlassung an Dritte“ ebenso wie evtl. Gegenausnahmen. Die Nutzungsüberlassung an Dritte ist nach dem Wortlaut bereits in Frage zu stellen, wenn zum Stichtag die Flächen bzw. Teilflächen leer standen. Eine Nutzungsüberlassung an Dritte fand damit objektiv nicht statt.5 Es mag zwar eine solche Absicht bestanden haben, diese künftig (wieder) an Dritte zu überlassen; nur war dies im Steuerentstehungszeitpunkt nicht der Fall.

10.86

c) Bewertungsstreitfragen in Zusammenhang mit dem Verwaltungsvermögen Ist die Betriebsprüfung bestrebt, die Bewertung des Verwaltungsvermögens anzupassen, erstrecken sich die Reaktionsmöglichkeiten im ersten Schritt ebenfalls auf die Bewertung. Hierzu sei auf das nachstehende Kapitel zu Bewertungsfragen verwiesen, insbesondere die stets bestehende Option, anstelle der schematischen Verfahren des BewG Sachverständigengutachten vorzulegen. 1 FG Münster, Anerkenntnisurt. v. 3.6.2019 – 3 V 3697/18 Erb, ZEV 2019, 551 (m. Anm. Reich). 2 Stein, ErbBstg 2016, 109 zur generellen Handhabung in der Erbschaftsteuer. 3 BFH v. 6.6.1973 – I R 194/71, BStBl. II 1973, 705; BFH v. 16.10.2014 – IV R 15/11, BStBl. II 2015, 267. 4 Vgl. Reich, BB 2016, 2647, 2650 schließt nun darauf, dass die originär gewerbliche Vermietung kein Verwaltungsvermögen begründet (offen). 5 Stalleiken in von Oertzen/Loose², § 13b ErbStG Rz. 108.

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10.87

Kap. 10 Rz. 10.88 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

10.88

Die Reaktionen sollten sich aber nicht nur auf die Bewertung des jeweiligen Verwaltungsvermögens erstrecken, sondern auch die korrespondierende Passivseite mitberücksichtigen. Für normales Verwaltungsvermögen, also nicht junges Verwaltungsvermögen, gilt gemäß § 13b Abs. 6 ErbStG die Nettobetrachtung. Diese erstreckt sich auch auf die Finanzmittelprüfung. Ein konsequentes Nachvollziehen, ob sämtliche Verbindlichkeiten erfasst oder weitere Rückstellungen zu bilden sind, ist daher ebenso erforderlich. d) Der Nettowert als Ausgangspunkt

10.89

Das Verwaltungsvermögen wird seit dem 1.7.2016 nur mit dem Nettowert von der ErbStGVerschonung ausgeschlossen. Es ist daher um Schulden zu kürzen, die mit diesem im Zusammenhang stehen. Der Nettowert wird gemäß § 13b Abs. 6 ErbStG ermittelt: durch Kürzung des gemeinen Werts des Verwaltungsvermögens um den anteiligen Wert der Schulden. Das Verhältnis zwischen dem gemeinen Wert des Verwaltungsvermögens zum gemeinen Wert des Betriebsvermögensbetriebs bestimmt den anteiligen Wert der Schulden, die vom Bruttoverwaltungsvermögen abgezogen werden können. Während die Finanzverwaltung für die Verhältnisrechnung auf den um junges Verwaltungsvermögen gekürzten Wert abstellt1, plädieren am Gesetzeswortlaut orientierte Literaturauffassungen2 für ein Abstellen auf das gesamte Verwaltungsvermögen; letzteres hat einen höheren Schuldenabzug zur Folge, da die Zählergröße erhöht wird. Nur soweit Schulden nicht nach § 13b Abs. 3 (Altersvorsorgeverpflichtungen) und Abs. 4 (Finanzmittelverrechnungen) ErbStG berücksichtigt wurden, können sich diese im Rahmen der Nettobetrachtung auswirken3. § 13b Abs. 8 Satz 2 ErbStG begrenzt den Schuldenabzug weiter. Wirtschaftlich nicht belastende Schulden sind ebenso wie überdurchschnittliche Schulden vom Abzug ausgeschlossen. Letztere sind anzunehmen, sofern die Schulden am Stichtag den durchschnittlichen Schuldenstand der letzten drei Jahre übersteigen, sofern die Erhöhung nicht durch die Betriebstätigkeit veranlasst ist. Schließlich kann der Nettowert des Verwaltungsvermögens nicht unter den gemeinen Wert des jungen Verwaltungsvermögens und der jungen Finanzmittel sinken.4

10.90

Derzeit zeigt sich (noch), dass der Aspekt der nicht belastenden Schulden ähnlich dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen gemäß § 200 Abs. 2 BewG weniger im Fokus der Überprüfung steht. Es ist aber zu erwarten, dass sich diese vergangenheitsbezogene Wahrnehmung durch die Normierung des § 13b Abs. 8 Satz 2 ErbStG ändert. Im Rahmen des § 200 Abs. 2 BewG stellt sich die Frage, wie mit etwaiger nicht betriebsnotwendiger Überliquidität eines Betriebs umzugehen ist. Offensichtlich wird dabei die Ambivalenz der Bewertung, da eine zusätzliche Einbeziehung der Überliquidität gemäß § 200 Abs. 2 BewG den Unternehmenswert ansteigen lässt und damit erhöhte Unschädlichkeitsgrenzen ermöglicht. Folglich ist eine verstärkte Überprüfung der Betriebsnotwendigkeit nicht in jedem Fall negativ für den Steuerpflichtigen.

10.91

Für den Berater kann es in der Betriebsprüfung im Interesse des Mandanten geboten sein, bestimmte Vermögenswerte nicht als betriebsnotwendig darzustellen. Zwar mag durch diese Maßnahme isoliert der Wert der Gesellschaft steigern, bei eingreifender Verschonungsregelung ist die Werterhöhung der Gesellschaftsbeteiligung – Abseits der Nachversteuerungsfälle – weniger beachtlich. Ein höherer Wert vergrößert aber das Volumen des durch die 15 % Grenze in die betrieblichen Verschonungsregeln eingeschlossenen Verwaltungsvermögens. 1 2 3 4

Vgl. H 13b.25 ErbSt 2019 (mit Rechenbeispiel). Vgl. Korezkij, DStR 2017, 1729, 1733; Reich, BB 2017, 1879, 1881. Vgl. Zur Berechnung des Schuldenanteils: R E 13b.28 ErbStR. Vgl. § 13b Abs. 8 S. 3 ErbStG.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.97 Kap. 10

e) Junges Verwaltungsvermögen Als Unterkategorie ist das junge Verwaltungsvermögen hiervon abzugrenzen. Für dieses wird die Steuerverschonung nach § 13a, b ErbStG nicht gewährt.1 Entscheidend ist hierbei, dass es nicht auf eine Wertbetrachtung, sondern auf eine gegenstandsbezogene Prüfung ankommt. Umgeschichtete Wertpapiere führen daher bezogen auf die neu angeschafften Wertpapiere zu jungem Verwaltungsvermögen, etwa wenn Aktien an der BMW AG verkauft und stattdessen Aktien der Daimler AG gekauft werden.2 Entsprechendes kann auch für Wertpapiere gelten, die im Rahmen einer Verschmelzung übergehen.3

10.92

Problematisch sind hierbei auch die Übertragungen von Verwaltungsvermögen zwischen Gesellschaften eines Konzerns. Die Vermögenswerte im Konzern bleiben durch diese Maßnahme unverändert. Geprüft wird aber die Zugehörigkeit bei der jeweiligen (Konzern-)Gesellschaft.4 Ein Aktivtausch von Verwaltungsvermögen kann dieses Verwaltungsvermögen daher zu „jungem“ machen. Zwar ist ein Missbrauch in diesen Fällen schlecht vorstellbar, dennoch vertritt die Finanzverwaltung weitgehend5 diese Sichtweise, wohl auch gestützt auf § 13b Abs. 10 ErbStG.6

10.93

§ 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG ordnet auch Finanzmittel dem Verwaltungsvermögen zu, sofern diese nicht dem Hauptzweck eines Finanzdienstleistungs- oder Kreditinstituts dienen. Für den regulären Finanzmitteltest ist unstreitig, dass diese – wie im alten Recht – nach Abzug der Schulden zu bestimmen sind. Abziehbar sind im Rahmen der Nettobetrachtung alle Schulden, die bei der ertragsteuerlichen Gewinnermittlung zum Betriebsvermögen gehören, einschl. Rückstellungen und Gesellschafterdarlehenskonten, soweit ertragsteuerlich Fremdkapital. Finanzmittel stellen nur Verwaltungsvermögen dar, soweit deren Wert die Unschädlichkeitsgrenze von 15 % des begünstigten Betriebsvermögens (bis zum 30.6.2016: 20 %) übersteigt. Streitig ist die Einordnung von Kryptowährungen in diesem Zusammenhang7, wobei die Finanzverwaltung diese als Finanzmittel einordnet.8

10.94

Bei Personengesellschaften sind sowohl Forderungen und abzugsfähige Schulden des Gesamthands- wie auch des Sonderbetriebsvermögens zu berücksichtigen.

10.95

Eine Ausnahme bei der Handhabung der Finanzmittel bilden die jungen Finanzmittel, die stets Verwaltungsvermögen und keiner Schuldensaldierung zugänglich sind. Junge Finanzmittel sind solche, die dem Betrieb weniger als zwei Jahre zuzurechnen waren, wobei über den Wortlaut hinaus zu fordern ist, dass Finanzmittel in entsprechender Höhe am Stichtag auch noch im Betriebsvermögen vorhanden sind.9

10.96

Unschädliches Verwaltungsvermögen liegt bis zu einer Verwaltungsvermögensquote von bis zu 10 % vor (vgl. § 13b Abs. 7 ErbStG). Diese Quote errechnet sich aus dem Verhältnis des „Nettowerts des Verwaltungsvermögens“ (Zähler) zum „gemeinen Wert des Betriebsver-

10.97

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. § 13b Abs. 7 S. 2 ErbStG. BFH v. 22.1.2020 – II R 8/18, BStBl. II 2020, 567. BFH v. 22.1.2020 – II R 41/18, BStBl. II 2020, 577. Geck, ZEV 2017, 482. A.A. BayLfSt, Vfg. v. 14.11.2017 – S 3715.1.1 - 30/8 St34, DStR 2017, 735. R E 13b.29 Abs. 8 ErbStR 2019. Pro Finanzmittel: Stein/Lupberger, DStR 2019, 311; contra: von Oertzen/Grosse, DStR 2020, 1651. R E 13b.23 Abs. 2 ErbStR 2019. Vgl. R E 13b.23 Abs. 3 S. 3 ErbStR 2019; zur Berechnung der Begrenzung in Konzernfällen: R E 13b.29 Abs. 6 S. 2 ErbStR 2019; kritisch dazu Korezkij DStR 2017, 1729, 1734.

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Kap. 10 Rz. 10.97 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

mögens zzgl. der Schulden des Betriebs“ (Nenner)1. Junges Verwaltungsvermögen und junge Finanzmittel sind von dieser Unschädlichkeitsgrenze ausgenommen, d.h. diese zählen stets zum Verwaltungsvermögen.

10.98

Im Rahmen der Abwehrberatung von Betriebsprüfungen rückt neben den sachlich-rechtlichen Abwehrargumenten die Bewertung in den Vordergrund. Zielvorgabe muss sein, durch entsprechende Bewertungen die Puffergrößen im Bereich der Finanzmittel und des unschädlichen Verwaltungsvermögens im Umfang von 10 % des Unternehmenswertes zu beeinflussen.

10.99

Solange aufgrund der erbschaftsteuerlichen Vollverschonung von betrieblichem Vermögen der Vermögenserwerb selbst steuerfrei bleibt, wirkt sich ein höherer Unternehmenswert steuermindernd auf das Verwaltungsvermögen aus. Ansatzpunkt für höhere Bewertungen kann § 201 Abs. 2 Satz 2 BewG sein, in dem das noch nicht abgelaufene Wirtschaftsjahr anstelle des drittletzten Wirtschaftsjahres zur Ermittlung des zugrunde liegenden Jahresertrages für die Ertragsbewertung einbezogen wird. Auch mag das konsequente Ausscheiden von nach § 200 Abs. 2 BewG herauslösbaren Wirtschaftsgütern aus dem Ertragswert und deren separate Bewertung zu höheren Bewertungen führen. Zumal § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG generell die gutachterliche Bewertung etwa im Rahmen eines IDW S 1 Verfahrens ermöglicht, kann dies gerade bei Wachstumsunternehmen ebenfalls einen Ansatz zur Höherbewertung darstellen. Im Rahmen des Finanzmitteltests haben auch die Bewertungsverfahren der einzelnen Aktivbzw. Passivposten Relevanz, so dass durch die Überprüfung von Einzelwertberichtigungen auf Forderungen bzw. die Überprüfung der Vollständigkeit von Rückstellungen Vorteile für den Steuerpflichtigen erreicht werden können. f) Problembereich Optionsfalle

10.100

Die Option zur Vollverschonung, d.h. zur insgesamten Steuerbefreiung des unternehmerischen Vermögens, kann nach Ansicht der Finanzverwaltung im Erbfall nur einheitlich für alle erworbenen begünstigten Vermögenswerte ausgeübt werden.2 Werden die Optionsvoraussetzungen verfehlt, insbesondere die Verwaltungsvermögensquote, erfolgt ein Rückfall in die Regelverschonung. Gleiches gilt, wenn mehrere begünstigte Vermögenseinheiten erworben werden und alle die Begünstigungsvoraussetzungen verfehlen. Anderes geschieht aber, falls nur einzelne betriebliche Einheiten die Begünstigungsvoraussetzungen verfehlen (sog. „Optionsfalle“).3 Besonders problematisch ist dabei der Miterwerb von Anteilen an geschlossenen Fonds, aus denen gewerbliche Einkünfte fließen und die ebenfalls als begünstigtes betriebliches Vermögen zu qualifizieren sind. Bis zur möglichst vollständigen und abschließenden Klärung der entsprechenden Parameter, gegebenenfalls durch Abstimmungen im Rahmen der Betriebsprüfung, sollte die Stellung des Antrags auf Vollverschonung nicht bzw. möglichst spät ausgeübt werden, wenn mehrere betriebliche Vermögensgegenstände i.S.v. § 13a, b ErbStG vorhanden sind.

10.101

In der Abwehrargumentation ist festzuhalten, dass die Problematik der Optionsfalle ein Ausfluss der ErbStR ist. Eine abschließende gerichtliche Klärung liegt nicht vor, allerdings ist die Rechtsprechung des FG Münster4 mit zu beachten. 1 Schulden x Wert des Verwaltungsvermögens / (Betriebswert + Schulden); R E 13b.26 ErbStR 2019; s.a H 13b.25 AEErbSt 2017. 2 R E 13a.21 Abs. 4 ErbStR 2019. 3 Vgl. R E 13a.21 Abs. 4 Satz 1,2 ErbStR 2019; Reich, BB 2017, 1879, 1883. 4 FG Münster v. 9.12.2013 – 3 K 3969/11 Erb, EFG 2014, 660.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.105 Kap. 10

g) Privatvermögen im Betriebsvermögen (nicht betriebliche Wirtschaftsgüter im Gesamthandsvermögen) In erbschaft-/schenkungsteuerlichen Betriebsprüfungen ist dem Problembereich des steuerlichen Privatvermögens im Betriebsvermögen eher ein Schattendasein zuzuschreiben. Dennoch verdient dieses Thema wegen der u.U. gewichtigen Bedeutung Beachtung.1 Vom steuerlichen Privatvermögen im Gesamthandsvermögen2 einer im Übrigen gewerblich tätigen Personengesellschaft sind solche Wirtschaftsgüter betroffen, die gegen fremdunübliches Entgelt von der Personengesellschaft an einen Gesellschafter oder eine nahestehende dritte Person überlassen werden.

10.102

Die Rechtsprechung hat diese Fälle in ertragsteuerlicher Hinsicht thematisiert, etwa für unverzinslich an Gesellschafter ausgereichte Darlehen oder unentgeltlich an den Gesellschafter überlassene Grundstücke der Gesellschaft.3 Ertragsteuerlich gibt die BFH-Rechtsprechung vor, dass derartige Wirtschaftsgüter dann im Rahmen einer separaten, vermögensverwaltenden GbR befindlich steuerlich zu behandeln seien.4 Aufgrund der grundsätzlich ertragsteuerlichen Anknüpfung des Unternehmenserbschaftsteuerrecht kann erbschaftsteuerlich nichts anderes gelten.

10.103

Hieraus folgt die Konsequenz, dass entsprechende Wirtschaftsgüter nicht als Teil des Unternehmensvermögens angesehen werden und daher gänzlich abseits der Verschonungsregelungen des Unternehmenserbschaftsteuerrechts mitübertragen werden. Gerade bei Darlehen der Gesellschaft an Gesellschafter können Fehlbeurteilungen auftreten, so dass bereits im Vorfeld der Übertragung die tatsächliche Betriebsvermögenseigenschaft dieser Wirtschaftsgüter zu prüfen und die fremdübliche Überlassung zu manifestieren ist. Diesem Aspekt dürfen aber nicht nur negative Aspekte beigemessen werden. Im Einzelfall kann durch die Ausgliederung entsprechender Vermögenswerte sogar eine weiterreichende Begünstigung des im Übrigen übertragenen betrieblichen Vermögens erreicht werden, insbesondere falls durch die Ausgliederung von Vermögenswerten in den Privatbereich die 90 % Verwaltungsvermögensquote für das Restvermögen eingehalten werden kann.5 Dies sollte auch in Betriebsprüfungen als evtl. Abwehrargument im Auge behalten werden.

10.104

h) Problembereich unschädliches Reinvestitionsvermögen Auch wenn Verwaltungsvermögen nach der schematischen Abgrenzung nach § 13b Abs. 3 und 4 ErbStG grundsätzlich dem Verwaltungsvermögen zugeordnet werden müsste, kann es trotzdem geeignet sein, die Begünstigung zu erhalten. Dies ist dann der Fall, wenn dieses Vermögen für eine zeitnahe Investition in begünstigtes Vermögen oder die zeitnahe Zahlung von Löhnen und Gehältern an die Beschäftigten in den erworbenen wirtschaftlichen Einheiten vorgesehen ist (Planungsaspekt). Diese allgemeine (unschädliche) Reinvestitionsmasse ist anzunehmen für – Erwerbe von Todes wegen 1 Zum Ganzen: Stein, ErbBstg 2016, 109. 2 BFH v. 12.9.1985 – VIII R 336/82, BStBl. II 1986, 255, wann ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögenstatsächlich dem Betriebs- und keinem Privatvermögen zuzuordnen ist. 3 BFH v. 9.5.1996 – IV R 64/93, BStBl. II 1996, 642; BFH v. 16.10.2014 – IV R 15/11, BStBl. II 2015, 267. 4 BFH v. 6.6.1973 – IR 194/71, BStBl. II 1973, 705; zur steuerlichen Abbildung über Ergänzungsbilanzen in der Mitunternehmerschaft Wendt, FR 2015, 274. 5 Stein, ErbBstg 2016, 109.

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10.105

Kap. 10 Rz. 10.105 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

– die den Erwerb von nicht begünstigtem Verwaltungsvermögen einschließen, das aber innerhalb des erworbenen begünstigungsfähigen Vermögens in Vermögen investiert wird, das kein Verwaltungsvermögen ist; – die durch die Investition geschaffenen oder angeschafften Gegenstände müssen unmittelbar Tätigkeiten nach § 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG dienen und – die Investition muss aufgrund eines im Zeitpunkt der Entstehung der Steuer vorgefassten Plans des Erblassers erfolgen und darf nicht zu neuem Verwaltungsvermögen führen. – Schließlich ist die Investition innerhalb einer Frist von zwei Jahren nach dem Besteuerungszeitpunkt durchzuführen.

10.106

In Betriebsprüfungsfällen ist im Falle der Reinvestition eine Abwehrargumentationslinie eröffnet. Kritischer ist, dass der Nachweis erbracht wird, diese Investition folge dem Plan des Erblassers. Zwar fordert das Gesetz keine Schriftlichkeit des Planes, allerdings muss Nachweisbarkeit bestehen. Ggf. können daher auch Zeugenaussagen den Nachweis erbringen. Überdies stellen die Kommentarliteratur1 und die ErbStR keine zu hohen Anforderungen an die Fassung eines entsprechenden Planes, so dass auch Investitionsbekundungen in der Gesellschafterversammlung oder einer Strategieversammlung genügen sollten.

10.107

Die Finanzverwaltung stellt an den Plan des Erblassers die Anforderung, dass dieser so konkret sein muss, dass dieser und die entsprechend vom Erwerber umgesetzte Investition nachvollzogen werden können; auch hat der Plan die zu erwerbenden oder herzustellenden Gegenstände zu umfassen.2 i) Reaktionen bei Verstößen gegen § 13a Abs. 6 ErbStG

10.108

§ 13a Abs. 6 ErbStG sichert durch nachlaufende Kontrollmechanismen, dass das stark verschonte betriebliche Vermögen über den Kontrollzeitraum hinweg nicht schädlich eingesetzt wird. Die einzelnen Schädlichkeitstatbestände sind dort enumerativ aufgezählt.

10.109

Ein Schädlichkeitstatbestand ist die Veräußerung des Gewerbebetriebs, Teilbetriebs bzw. der Beteiligung. Entsprechendes gilt auch für die Veräußerung wesentlicher Betriebsgrundlagen eines Gewerbebetriebs bzw. der Überführung dieser in das Privatvermögen oder der Verwendung solcher Wirtschaftsgüter zu anderen betriebsfremden Zwecken. Bei GmbH-Anteilen als Schenkungsgegenstand genügt die Veräußerung der wesentlichen Betriebsgrundlage alleine noch nicht, sondern die Erträge müssen zudem an die Gesellschafter verteilt werden gemäß § 13a Abs. 6 Nr. 4 ErbStG.

10.110

Originäre Verkäufe sind häufig weniger problematisch in Betriebsprüfungen. Kritischer sind hingegen die Entsprechenstatbestände. Dies mag einerseits für die Insolvenz einer Gesellschaft gelten, die ebenfalls als nachsteuerschädliche Aufgabe des Betriebs bzw. der Beteiligung angesehen wird. Andererseits birgt etwa § 13a Abs. 6 Nr. 1 Satz 2 ErbStG Streitpotential, das gerade bei Umstrukturierungen abseits der ausdrücklich in § 13a Abs. 6 Nr. 1 ErbStG aufgeführten Tatbestände auftreten kann.

10.111

Besondere Beachtung sollte die Sichtweise der Finanzverwaltung in den Erbschaftsteuerrichtlinien bei der Umstrukturierung von erworbenen Kapitalgesellschaftsanteilen gelten. Zwar 1 Stalleiken in von Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 210 m.w.N. 2 R E 13b.24 Abs. 3 ErbStR.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.115 Kap. 10

stellt R E 13a.16 Abs. 3 Satz 1 ErbStR 2019 klar, dass Anteiltausch- und Einbringungsvorgänge selbst keinen Verstoß gegen die Behaltensfrist darstellen. Allerdings sind die weiteren Voraussetzungen von R E 13a.16 Abs. 4 ErbStR 2019 zu beachten. Ist in den Fällen einer Sacheinlage oder eines Anteilstauschs in diesem Zeitpunkt der gemeine Wert der Anteile, die der Einbringende erhält, geringer als der gemeine Wert des eingebrachten Vermögens oder der Anteile, liegt eine anteilige schädliche Verfügung über das erworbene begünstigte Vermögen vor. Ein Nachsteuertatbestande gemäß § 13a Abs. 6 ErbStG würde ausgelöst. Demnach wird die Finanzverwaltung verlangen, dass dann eine Bewertung der einzubringenden Anteile erfolgt und die neu ausgegebenen Anteile wertentsprechend sind. Selbst bei Einmann-GmbHs stellt sich dieses Problem, wobei zu beobachten ist, dass die Finanzverwaltungen der Länder – landesabhängig – in diesem Fall Billigkeitsregelungen in Erwägung ziehen. Einzelfallbezogen wird auch die Wesentlichkeit einer Betriebsgrundlage zu hinterfragen sein, sofern ein Nachsteuertatbestand gemäß § 13a Abs. 6 Nr. 1 Satz 2 ErbStG vorgebracht wird. Schließlich unterfällt nur die Veräußerung wesentlicher Betriebsgrundlagen der Nachbesteuerung.

10.112

Der Schädlichkeitstatbestand der Überentnahmen gemäß § 13a Abs. 6 Nr. 3 ErbStG tritt auf, sofern innerhalb des Kontrollzeitraums von fünf Jahren bzw. sieben Jahren Überentnahmen von mehr als 150.000 € erfolgen. Überentnahmen liegen vor, soweit die Entnahmen die dem Gesellschafter zuzurechnen Gewinnanteile und dessen Einlagen übersteigen. Aufgrund des Wirtschaftsjahrbezugs (Kontrolle zum Ende des letzten in den Kontrollzeitraum fallenden Wirtschaftsjahres) beträgt der Kontrollzeitraum regelmäßig keine vollen fünf bzw. sieben Jahre. Werden betriebsprüfungsseitig Überentnahmen vorgebracht, ist als Reaktion anzudenken, durch Einmaleffekte – etwa durch Neubewertung des Warenbestandes oder der unfertigen Leistungen – Ergebniserhöhungen zu bewirken, die sodann Überentnahmen beseitigen oder verringern. Im Einzelfall mag auch die Änderung eines Wirtschaftsjahres sinnvoll erscheinen, wenn wesentliche Gewinne zwischen dem Ende des letzten Wirtschaftsjahres, das in den Kontrollzeitraum fällt, und dem tatsächlichen Ende der fünf bzw. siebenjährigen Frist auftrete; aufgrund der Anknüpfung an das letzte im Kontrollzeitraum endende Wirtschaftsjahr bedarf eine solche Maßnahme allerdings einer Vorabplanung von mindestens einem Jahr. Sollte die Ausübung der Optionsverschonung noch möglich sein, kann auch ein solcher Antrag Nachsteuern aufgrund von Überentnahmen verhindern, wenn diese zwar im fünfjährigen, nicht aber im siebenjährigen Kontrollzeitraum auftreten, etwa weil in den folgenden zwei Wirtschaftsjahren im verlängerten Kontrollzeitraum wesentliche Gewinne erwartet werden.

10.113

4. Besonderheiten beim Aufgriff der Lohnsummenproblematik Die Lohnsummenprüfung ist im Wesentlichen rein mathematisch, so dass Reaktionsmöglichkeiten in der Betriebsprüfung eingeschränkt sind. Verteidigungsargumente werden sich insbesondere mit dem Katalog der Personengruppen und deren Verdienste befassen, die einerseits in die Ausgangslohnsumme und andererseits in die Kontrolllohnsumme einfließen. Dies kann auch nachträgliche Zuordnungen und Richtigstellung von Löhnen einzelner Mitarbeiter haben, wenn diese bislang in einer Drittstaatsgesellschaft oder einer Gesellschaft mit einer Beteiligung von unter 25 % aufwandswirksam erfasst waren. Eine entsprechende Richtigstellung bei der Kontrollgesellschaft oder einer Tochtergesellschaft dieser, erhöht die Kontrolllohnsumme.

10.114

Streitpotential entsteht in Konzernstrukturen auch durch die Frage, welche Gesellschaften zu welchem Zeitpunkt die Ausgangs- oder Kontrolllohnsumme beeinflussen. Dies betrifft jene Fälle, in denen Gesellschaften im Kontrollzeitraum oder dem Ermittlungszeitraum der Aus-

10.115

T. Stein | 819

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Kap. 10 Rz. 10.115 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

gangslohnsumme verkauft oder hinzuerworben wurden.1 Problembehaftet sind auch Insolvenzen von Tochtergesellschaften im Kontrollzeitraum bzw. im Lohnsummenermittlungszeitraum. Für Insolvenzfälle von Tochtergesellschaften ist es zutreffend, insolvente Tochtergesellschaften im Kontrollzeitraum nicht zu berücksichtigen, umgekehrt sind insolvente Tochtergesellschaften bei der Ermittlung der Ausgangslohnsumme ebenfalls auszuscheiden; hierbei ist regelmäßig der Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheidend.2

5. Aufgriffe der Betriebsprüfung wegen Einziehung von Geschäftsanteilen an GmbHs 10.116

GmbH Satzungen sehen in der Regel Möglichkeiten vor, bei entsprechend qualifiziertem Fehlverhalten bzw. besonderen Umständen, Geschäftsanteile eines Gesellschafters einzuziehen. Häufig geht derartigen Einziehungen ein intensiv geführter, gesellschaftsrechtlicher Streit voraus. Die Freude über die Beendigung des Streites mag dadurch getrübt werden, dass Einziehungen erhebliche schenkungsteuerliche Folgen nach sich ziehen können.

10.117

Ausgangslage entsprechender schenkungsteuerlicher Fragestellungen im Rahmen von Betriebsprüfungen ist, dass nach den Satzungsregelungen der GmbH die Entschädigung für die Einziehung hinter dem Verkehrswert der GmbH-Anteile hinterherhinkt. Besonders misslich ist dabei, dass dann keine Gesellschaftsanteile übertragen werden, außer es handelt sich um den Fall einer Zwangsabtretung an Mitgesellschafter,3 so dass die Verschonungen nach § 13a, b ErbStG nicht anwendbar sind.4

10.118

Lässt sich daher keine Zwangsabtretung erreichen, so wird die Verteidigung in der Betriebsprüfung im Schwerpunkt bewertungsrechtliche Fragen betreffen. Diese betreffen einerseits die Grundfrage, ob die Abfindung überhaupt geringer als der Verkehrswert ausfällt, erstrecken sich andererseits aber auch darauf, ob durch entsprechende niedrigere Bewertungen Schenkungsteuerminderungen erreicht werden können. Für erste, grobe Werteinschätzungen können die Branchenmultiples hilfreich sein, die etwa das Finance Magazin5 oder andere Stellen monatlich ermitteln. Diese werden für sich genommen aber keine Bewertungsbasis darstellen können, welche den Anforderungen einer „im Geschäftsverkehr üblichen Methode“6 i.S.d. § 11 Abs. 2 BewG entspricht.7 Aufgrund der statistischen Relevanz wird man derartigen Verfahren aber nicht dem Grunde nach die Aussagekraft absprechen können.

VI. Generelle Reaktionsmöglichkeiten im Rahmen von Betriebsprüfungen 1. Steuerbefreiung des Zugewinnausgleichsanspruchs (§ 5 ErbStG) und rückwirkender Entfall der Schenkungsteuer im Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG 10.119

Eine besondere Steuerbefreiung für die Erwerbe von Todes wegen kennt § 5 ErbStG für im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebende Ehegatten. Im Falle der Beendigung der Zugewinngemeinschaft durch den Tod eines Ehegatten und soweit nicht der tatsächliche Zugewinnausgleich verlangt wird, ist ein Betrag in Höhe des rechnerischen Zugewinnausgleichs 1 2 3 4 5 6 7

Gleich lautende Erlasse v. 5.12.2012, BStBl. I 2012, 1250. Stein, ZEV 2016, 180. Zur Empfehlung: Esskandari in von Oertzen/Loose2, § 7 ErbStG Rz. 552. Esskandari in von Oertzen/Loose2, § 7 ErbStG Rz. 552; Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 253. https://www.finance-magazin.de/research/multiples/. Siehe hierzu: BayLfSt v. 28.2.2013 – S 3224.1.1 - 1/6 St 34. FG Sachs. v. 14.11.2018 – 2 K 377/18, EFG 2019, 677.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.122 Kap. 10

(ermittelt gemäß § 1371 Abs. 2 BGB) nicht als Erwerb gemäß § 3 ErbStG zu behandeln. Davon betroffen ist zunächst der Fall, dass der Ehegatte von Todes wegen Vermögen als Erbe oder Vermächtnisnehmer erwirbt (§ 5 Abs. 1 ErbStG). Entsprechendes gilt nach § 5 Abs. 2 ErbStG, wenn der Güterstand der Zugewinngemeinschaft in anderer Weise als durch Tod beendet oder der Zugewinn im Todesfall konkret gemäß § 1371 Abs. 2 BGB ausgeglichen wird. Diese Fallgruppe betrifft daher neben dem lebzeitigen Wechsel aus dem Güterstand der Zugewinngemeinschaft in den Güterstand der Gütertrennung oder den deutsch-französischen Wahlgüterstand durch Ehevertrag. Dies ist zugleich der rechtliche Aufhänger der sog. Güterstandsschaukel, bei dem zunächst in den Güterstand der Gütertrennung und sodann zurück in den Güterstand der Zugewinngemeinschaft gewechselt wird.1 Diese Grundlage der Steuerbefreiung wirkt in § 29 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG fort. Schenkungen unter Ehegatten lösen grundsätzlich Schenkungsteuer aus. Handelt es sich bei diesen Geschenken um solche, deren Wert denjenigen von Gelegenheitsgeschenken übersteigt, sind diese Geschenke gemäß § 1380 Abs. 1 Satz 2 BGB im Zweifelsfall in einen Zugewinnausgleich einzubeziehen. Aufgrund einer solchen Einbeziehung in den Zugewinnausgleich bei Beendigung der Zugewinngemeinschaft entfällt eine entstandene Schenkungsteuer rückwirkend2, sofern tatsächlich im Nachgang zur Schenkung ein Güterstandswechsel hin zur Gütertrennung vorgenommen wird. In dessen Rahmen muss diese Vorschenkungen gemäß § 1380 BGB angerechnet werden. Der rückwirkende Wegfall aufgrund des Güterstandswechsels und die Einbeziehung der Vorschenkung in die Berechnung gemäß § 1380 BGB hebt die Schenkungsteuerpflicht insgesamt auf. Hieraus ergibt sich eine besondere Reaktionsmöglichkeit bei schenkungsteuerlichen Prüfungsfeststellungen der Außenprüfung.

10.120

In der Umsetzung ist zunächst zu beachten, dass ein fliegender Zugewinnausgleich nicht zweckmäßig ist3, sondern eine tatsächlicher Güterstandschaukel erforderlich ist. Das rückwirkende Erlöschen der Schenkungsteuer tritt nach h.M. auch ein, wenn aufgrund dieser Vorschenkungen das Vermögen des ausgleichsberechtigten Ehegatten höher ist als dasjenige des Ausgleichsverpflichteten (rechnerischer Zugewinnausgleich) und erst über § 1380 BGB das Endvermögen rechnerisch korrigiert wird.4 Dies ist aber mangels BFH-Rechtsprechung nicht endgültig abgesichert – wenngleich zu befürworten5 –, da in der zivilrechtlichen Kommentarliteratur6 vertreten wird, § 1380 BGB sei bei überhöhten Vorabzuwendungen nicht anwendbar.

10.121

Ertragsteuerliche Folgen sind aber stets mit zu bedenken und abzuwägen.7 Bei der Anrechnung bereits erfolgter Schenkungen auf den Zugewinnausgleichsanspruch gemäß § 1380 BGB i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG wird sich zwar nicht das Problem einer originären Leistung an Erfüllung statt durch Hingabe von Sachwerten und damit einer ertragsteuerlichen Veräußerung stellen.8 Allerdings ist noch nicht abschließend geklärt, ob durch die Anrechnung auf den Zugewinnausgleichsanspruch rückwirkend eine Umqualifizierung der unentgeltlichen

10.122

1 BFH v. 12.7.2005 – II R 29/02, BStBl. II 2005, 843. 2 § 29 Abs. 2 ErbStG gilt in dieser Fallgruppe nicht: Reich in von Oertzen/Loose2, § 29 ErbStG Rz. 70 m.w.N. 3 BFH v. 24.8.2005 – II R 28/02, DStR 2006, 178. 4 FG Köln v. 18.1.2018 – 7 K 513/16, ZEV 2018, 610. 5 Thonemann-Micker, ZEV 2018, 613 (Anm.); Lindenau, ZEV 2018, 636. 6 Brudermüller in Palandt80, § 1380 BGB Rz. 16. 7 Wachter, FR 2020, 816. 8 BFH v. 16.12.2004 – III R 38/00, BStBl. II 2005, 554 m.w.N.; zum Ganzen: Stein, DStR 2012, 1063.

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Kap. 10 Rz. 10.122 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

Schenkung in einen entgeltlichen Vorgang erfolgt.1 Es spricht aber Überwiegendes dafür, dass keine ertragsteuerlichen Folgen auftreten.

10.123

In der Abwehrberatung im Rahmen einer Außenprüfung ist im Einzelfall auch der Vorschlag Reichs2 zur Güterstandsschaukel mit vorgeschalteter, rückwirkender Begründung der Zugewinngemeinschaft in Betracht zu ziehen, die für Gütertrennungsehen interessant wird. Demnach kommt ein Entfallen der Schenkungsteuer einer vollzogenen Schenkung durch Einbeziehung in den Zugewinnausgleich gemäß § 1380 BGB nicht nur bei bereits bestehender Zugewinngemeinschaft in Betracht. Vielmehr soll die Steuerbefreiung des § 29 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG auch dadurch ermöglicht werden können, dass in Gütertrennung verheiratete Ehegatten einem ersten Schritt rückwirkend auf den Beginn der Ehe durch Ehevertrag die Zugewinngemeinschaft vereinbaren. Sodann kann in einem zweiten Schritt wiederum ehevertraglich der Güterstand der Gütertrennung gewählt werden mit dem Effekt, dass ein Zugewinnausgleichsanspruch entsteht. Diese Überlegung spielt in den tatbestandlichen Unterschied von § 5 Abs. 1 und § 5 Abs. 2 ErbStG; im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 ErbStG sind rückwirkende und modifizierenden Vereinbarungen von Relevanz, anders als bei Abs. 1. Wenngleich hierzu keine einschlägige Rechtsprechung besteht, sind die von Reich vorgetragenen Argumente gewichtig. Am Ende kommt es darauf an, ob die Einbeziehungsüberlegung der Schenkung in den Zugewinnausgleich gemäß § 1380 BGB auch fiktiv greift, wenn im Zeitpunkt der Zuwendung mangels Bestehens einer Zugewinngemeingemeinschaft noch nicht möglich war.

10.124

Unabhängig von den Besteuerungsfolgen sind allerdings die strafrechtlichen Folgen zu sehen. Hintergrund dessen ist, dass mangels Anzeige der Ehegatten für etwaige Schenkungen gemäß § 30 ErbStG häufig eine Schenkungsteuerverkürzung eingetreten ist. Während lange Zeit die herrschende Meinung einen Entfall auch der strafrechtlichen Konsequenzen durch Anrechnungen gemäß § 1380 BGB i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG annahm3, ist dies mittlerweile kritisch. Hintergrund ist eine Entscheidung des FG Hessen4, die eine strafrechtliche Rückwirkung gerade abgelehnt hatte. Ein Berater hat daher darauf zu achten, dass die Umsetzung einer Maßnahme nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG zugleich die Anforderungen einer strafbefreienden Selbstanzeige gemäß § 371 AO erfüllt.

10.125

In Fällen mit Auslandsbezug bedarf es einer genauen Bestimmung des Güterrechtsstandes gemäß Art. 15 EGBGB bzw. dem Gesetz zum internationalen Ehegüterrecht (BGBl 2018, 2573) für Neufälle. Nur im Falle des deutschen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft oder eines vergleichbaren ausländischen Güterstandes steht die Ausnahmevorschrift des § 5 ErbStG zur Verfügung.5

10.126

Zugleich sollte festgestellt werden, ob Ehegatten im inländischen oder einem ausländischen gesetzlichen Güterstand verheiratet sind. Gerade beim ausländischen gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft oder Gütergemeinschaft können Zuwendungen unter Ehegatten bereits dem Grunde nach ausgeschlossen sein.6 1 Bejahend Stein, DStR 2012, 1734; FG Münster v. 13.11.2009 – 14 K 2210/06 E, EFG 2010, 646 (BFH nachfolgend aber offengelassen: FG Münster v. 24.1.2012 – IX R 8/10, DStR 2012, 1172); ablehnend Hollender/Schlütter, DStR 2002, 1932. 2 Reich, ZEV 2011, 59. 3 Götz, DStR 2001, 417; Blusz, ZEV 2016, 626; Rübenstahl/Idler/Stein, Tax Compliance, Erbschaftsteuer, S. 1205. 4 FG Hess. v. 7.5.2018, EFG 2018, 1253. 5 Stein, DStR 2020, 368. 6 Stein, ErbBstg 2021, 124.

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A. Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung | Rz. 10.131 Kap. 10

2. Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB Das Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist ein Kernelement des BGB. Die Rechtsprechung integrierte diese Gedanken in die Würdigung gemäß § 242 BGB. Seit 2002 ist der Wegfall der Geschäftsgrundlage in § 313 BGB kodifiziert. Geschäftsgrundlage ist eine bei Vertragsschluss zutage getretene, dem anderen Teil erkennbar gewordene, von ihm nicht beanstandete Vorstellung der einen Partei oder die gemeinsame Vorstellung beider Teile vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf diesen Vorstellungen beruht.1

10.127

Voraussetzung der Störung/Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist, dass

10.128

– der Geschäftswille der Parteien auf einem gemeinsamen Irrtum aufbaut, – die Aufdeckung des Irrtums die wirtschaftlichen Daten wesentlich verändert, – das Festhalten an einem unveränderten Vertragsinhalt unzumutbar ist – und dieses Änderungsrisiko nach dem Vertragsinhalt nicht einer der Parteien zugewiesen wurde, – so dass der Vertrag entweder anzupassen oder rückabzuwickeln ist. Die (finanzgerichtliche) Rechtsprechung erkennt in einer Vielzahl von Fällen für unterschiedliche Steuerarten an, dass das Auftreten für der Parteien unerwarteter steuerlicher Folgen zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen kann.2 Diese Reaktionsmöglichkeit ist in Außenprüfungsfällen mit Schenkungsteueraufdeckungen im Blick zu behalten.

10.129

Dabei bedingt die Geschäftsgrundlage zunächst, dass der Pflichtenkreis und damit die Pflicht zur Tragung negativer Auswirkungen nicht nur auf eine der Parteien verlagert ist. Dies wird einzelfallabhängig aus der Natur des jeweiligen Vertrags ermittelt. Gemeinsame Vorstellungen der Parteien sind damit zwingend,3 wobei im Einzelfall kann auch schlicht die besondere wirtschaftliche Schwere der unerwarteten Steuerfolgen ausreichen, dass diese Folge für die Beteiligten als „erkennbar bedeutsam“ zu qualifizieren ist4. Sind Steuerfolgen nicht ausdrücklich im Vertrag geregelt, kann überdies Anhaltspunkt für die erkennbare Wesentlichkeit der Steuerfolgen sein, dass die Beteiligten nach eigener Prüfung oder fachlicher Beratung davon ausgegangen sind, dass eine bestimmte Steuerfolge mit Abschluss des Rechtsgeschäfts eintreten würde.5 Dem FG Rheinland-Pfalz6 genügte daher die fehlerhafte Auskunft des Bürovorstehers des Notariats zum Nichteintritt von schenkungsteuerlichen Folgen, um den Schenkungsvertrag auf der Basis eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG mit schenkungsteuerlicher Rückwirkung rückabzuwickeln.

10.130

Für nicht laufend veranlagte Steuern7 geht die BFH Rechtsprechung auch davon aus, dass eine Rückabwicklung auf der Basis eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage auch ertragsteuerli-

10.131

1 BGH v. 15.12.1983 – III ZR 226/82, BGHZ 89, 226, 231. 2 BFH v. 28.10.2009 – IX R 17/09, BStBl. II 2010, 539; BFH v. 19.10.1977 – II R 89 bis 92/71, BStBl. II 1978, 217; OLG Nürnberg v. 27.3.1995 – 1 U 1318/95, BB 1995, 1924; OLG Düsseldorf v. 5.10.1989 – 8 U 4/89, DB 1990, 39; OLG Köln v. 13.11.1992 – 19 U 77/92, NJW-RR 1993, 784; BFH v. 3.8.1960 – II 263/57, DB 1961, 226. 3 Kapp, BB 1979, 1207; Wollweber, AG 2016, 78. 4 FG Münster v. 15.3.1978 – III 1954/77 Erb, EFG 1978, 602. 5 Fuhrmann, ErbStB 2003, 17, 18. 6 FG Rh.-Pf. v. 23.3.2001 – 4 K 2805/99, FR 2001, 653. 7 Zur Problematik bei Rückabwicklungen bei laufend veranlagten Steuern: Bodden, KöSDI 2016, 19852.

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Kap. 10 Rz. 10.131 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

che Rückwirkung hat.1 Daher ist der Weg einer Vertragsrückabwicklung durch Wegfall der Geschäftsgrundlage durchaus eine Option, (schenkung-)steuerliche Folgen zu beseitigen.

3. Postmortale Gestaltungen 10.132

Werden im Rahmen von Betriebsprüfungen erbschaftsteuerpflichtige Vorgänge seitens der Betriebsprüfung moniert, ist der Einsatz postmortaler Gestaltungsmittel zu erwägen.2

10.133

Diese können dazu dienen, den Kreis der Erwerber zu erweitern bzw. zu verändern, so dass weitere Freibeträge gewährt werden oder Steuersatzvorteile genutzt werden können. Ein beliebtes Mittel ist etwa die Ausschlagung gegen Abfindung, wonach der Ausschlagende einen Erwerb gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG erzielt, die an seine Stelle tretenden Erwerber hingegen deren Erwerbe abzgl. der Abfindungszahlung zu erfassen haben. Im familiären Nähebereich ergeben sich damit Vorteile. Während die Ausschlagungsfrist des Erben sechs Wochen beträgt (in Auslandsfällen sechs Monaten) ist diese Frist bei Vermächtnissen nicht angezeigt; es gelten die allgemeinen Verjährungsregelung. Dies führt zu einer Ausdehnung des Einsatzfeldes der Gestaltungsvariante.

10.134

Ebenso kann die Geltendmachung eines Pflichtteils bzw. die Abfindungszahlung für den Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteils eine Option sein. In beiden Fällen wird ein Erwerbsfall nach dem Erblasser begründet.

10.135

Schließlich ist stets zu ergründen, ob es auf postmortale Gestaltungen überhaupt ankommt oder ob nicht doch (formunwirksame) Anordnungen des Erblassers bestehen, deren Umsetzung steuermindernde Folgen hat.3

B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne Land- und Forstwirtschaft) Literatur: Bayerisches Landesamt für Steuern v. 28.2.2013 – S 3224.1.1 - 1/6 St 34, Bewertung des Unternehmensvermögens, hier: Branchenspezifische Bewertungsmethoden, BStBK, Hinweise der Bundessteuerberaterkammer zu den Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen, 13.3.2014, abrufbar im Internet unter: https:// www.bstbk.de/downloads/bstbk/steuerrecht-und-rechnungslegung/fachinfos/BStBK_Hinweise-Beson derheiten-Ermittlung-objektivierten-Unternehmenswerts.pdf; BStBK, Hinweise für die Ermittlung des Werts einer Steuerberaterpraxis – unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Berufsstandes und der verschiedenen Bewertungsanlässe, Stand: 6.3.2017, abrufbar im Internet unter https://www.bstbk.de/ export/sites/standard/de/ressourcen/Dokumente/04_presse/publikationen/02_steuerrecht_rechnungs legung/32_Hinweise-Praxiswert-Maerz_2017.pdf; Damondaran, The Value of Control: Implications for Control Premia, Minority Discounts and Voting Share Differentials, Stern School of Busines, 2005, S. 56; Damondaran, Country Risk and Company Exposure: Theory and Practice, Journal of Applied Finance 2003; Eisele, Erbschaftsteuerliche Immobilienbewertung: Verkehrswertnachweis nach dem ErbStRG, ZEV 2009, 451; EU-JTPF, Report on the Use of Economic Valuation Techniques in Transfer Pricing, 22.6.2017, abrufbar im Internet unter https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/ files/2017_10_16_jtpf_003_2017_en_final_en.pdf; Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, Kapitalkosten und Multiplikatoren für die Unternehmensbewertung – Unternehmens- und Branchenanalysen 2020/ 2021, 6. Aufl.; Grbenic/Zunk, „The Value of Control, Transaktionsorientierte Kontrollprämien in der 1 BFH v. 28.10.2009 – IX R 17/09, BStBl. II 2010, 539. 2 Stein, ErbBstg 2020, 250. 3 Brüggemann, ErbBstg 2018, 162; Stein, ZEV 2020, 339.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.140 Kap. 10 Eurozone in Bauer (Hrsg.): BWL Schriftenreihe, Nr. 19, Technische Universität Graz 2015; Greil/Naumann, Funktionsverlagerungen – Praxistest in der Betriebsprüfung, IStR 2015, 429; Grootens, Wohnund Nießbrauchsrechte in der ErbSt, NWB 2011, 1426; Halaczinsky, Ableitung des Werts eines GmbH-Anteils aus einem Verkauf nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG 2002, ErbStB 2013, 242; IDW Standard: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1 i.d.F. 2008) (Stand: 4.7.2016); IDW Standard: Grundsätze zur Bewertung immaterieller Vermögenswerte (IDW S 5) (Stand: 16.4.2015); Kahle/Hiller/Vogel, Bewertungswahlrechte und Bewertungsmaßstäbe im Umwandlungsfall in Handelsund Steuerbilanz, FR 2012, 789; Königer, Us-steuerliche Gestaltungsinstrumente der Vermögensnachfolge, ZEV 2019, 327; Kruschwitz/Löffler/Mandl, Damodarans Country Risk Premium – und was davon zu halten ist, WPg 2011, 167; Meding/Müller, M.B., Kommentar zu FG Köln, NWB 2019, 3048; Roscher, Grundbesitzbewertung bei fehlenden Bodenrichtwerten, DStR 2012, 122; Schimpfky, Steuerorientierte Gestaltung der Nachfolge bei privatem Immobilienvermögen, ZEV 2013, 662; ; Schilling, Der Ausschluss von Minderheitsaktionären: Eine sozialökonomische und rechtswissenschaftliche Analyse, Wiesbaden 2006; Schwarz/Stein, Quantitative Verrechnungspreise, Wiley 2018; Schwarz/Stein/Flanderova/Hoffmann, Hindsight bei Verrechnungspreisen, Ubg 2017, 638; Vereinigung der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen (VSA), Modifiziertes Ertragswertverfahren bei der Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen, Stand: 15.10.2012, abrufbar im Internet http://www.praxisbewertung-wertgutachten.de/downloads/VSA-Gemeinsame%20Stellung nahme%20zum%20modifizierten%20Ertragswertverfahren.pdf; Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, Unternehmensbewertung in der Praxis – Empfehlungen und Hinweise zur Anwendung von IDW S 1, WPg 2006, 1005.

I. Vorbemerkungen Bewertungen stehen zunehmend im Fokus steuerlicher Betriebsprüfungen. Im Unterschied zum materiellen Steuerrecht sind Bewertungen oftmals getragen von verschiedenen Bewertungsprämissen. Trotz der Erforderlichkeit der Objektvierung der Prämissen bilden diese stets eine Bandbreite und damit einen gewissen Bewertungsspielraum.

10.136

Die Anwendungsbereiche für Bewertungen im Rahmen des Steuerrechts sind mannigfaltig. Aufgrund der Zielsetzung und den zentralen Anwendungsbereichen dieses Kapitels werden folgende Bewertungsobjekte unterschieden (Unternehmen, Funktionen, immaterielle Wirtschaftsgüter). Aufgrund der großen Bedeutung der Immobilienbewertung im Steuerrecht werden in einem eigenen Abschnitt ausgewählte Problemfelder bei der Bewertung von Immobilien diskutiert.

10.137

Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass die Finanzbehörden in den letzten Jahren Bewertungsspezialisten ausgebildet haben, um die erstellten Bewertungen auf Augenhöhe mit den Steuerpflichtigen und deren Beratern über Bewertungsfragen idealerweise konstruktiv zu diskutieren. Durch die höhere Aufgriffsdichte besteht gerade bei Bewertungen ein nicht zu unterschätzendes Steuerrisiko, wenn zentrale Bewertungsprämissen nicht fundiert begründet werden können oder eine Bewertungsmethode insgesamt als nicht anwendbar eingestuft wird.

10.138

Im Rahmen dieses Kapitels werden für verschiedene, gängige Bewertungsmethoden praktische Hinweise diskutiert, die regelmäßig in Betriebsprüfungen Gegenstand kontroverser Diskussionen sind, und bewusst auf eine umfassende Beschreibung der Bewertungsgrundlagen verzichtet.

10.139

II. Parameter für die Wahl der geeigneten Bewertungsmethode Für steuerliche Zwecke sind zu Beginn einer jeden Bewertung der konkrete Bewertungsanlass und die maßgebliche gesetzliche Norm festzustellen. Denn in Abhängigkeit der anzuwenden Norm unterscheidet das deutsche Steuerrecht zwischen Marktpreisen (§ 11 Abs. 1 und 2 Satz 2 S. Stein | 825

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10.140

Kap. 10 Rz. 10.140 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

BewG) dem gemeinen Wert (§ 9 BewG), Teilwerten (§ 10 BewG; § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG) oder aber auch Fremdvergleichspreispreisen (§ 1 AStG).

10.141

Zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben kann grundsätzlich auf verschiedene betriebswirtschaftliche Bewertungsmethoden zurückgegriffen werden, wobei in Abhängigkeit der gesetzlichen Vorgaben (z.B. gemeiner Wert vs. Fremdvergleichspreis) oder den spezifischen Rahmenbedingungen (z.B. Branche, Rechtsform, inhabergeführte Gesellschaften) Besonderheiten bei der Umsetzung der jeweiligen Methoden (Modifikationen) zu beachten sein können.

10.142

In der Praxis stellt sich allerdings schnell die Frage, welche Methode für den individuellen Bewertungsanlass am besten geeignet ist. So hat bspw. das OLG Stuttgart in Bezug auf die Ermittlung des Verkehrswerts einer Aktie festgestellt, dass es „weder eine als einzig richtig anerkannte Methode“ gebe noch „eine der gebräuchlichen Methoden in der Wirtschaftswissenschaft unumstritten“ sei. Folglich ist bei der Wahl der Bewertungsmethode sowie einer Verteidigung der Methoden- und Parameterwahl im Rahmen einer Betriebsprüfung entscheidend, dass die Gründe für die Wahl einer Bewertungsmethode sowie der jeweiligen Bewertungsparameter dokumentiert und bestenfalls durch geeignete Nachweise untermauert werden. Die nachstehende Auflistung enthält eine nicht abschließende Auflistung an potentiellen Selektionskriterien: – Verfügbarkeit hinreichend vergleichbarer Markt- bzw. Transaktionsdaten (z.B. Börsenpreise, zeitnahe Anteilsverkaufspreise, Grundstückspreise)? – Verfügbarkeit und Qualität unternehmensspezifischer Daten und Informationen (z.B. Umsatz- und Ertragsprognose, Geschäftsmodell, Organisationsstruktur) sowie über exogene Rahmenbedingungen (z.B. Regionen, Märkte, Kunden, Wettbewerb)? – Sind ggf. Anpassungsrechnungen möglich, um eine hinreichende Vergleichbarkeit der Marktdaten herzustellen (z.B. Fungibilitätsanpassungen; Paketzuschläge; Bewertungsabschläge)? – Werden Branchenspezifika und branchenspezifische Bewertungsverfahren durch eine Methode besser berücksichtigt?

10.143

Auch wenn es nicht eine richtige anerkannte Methode gibt, so ist dennoch grundsätzlich festzustellen, dass bei Vorliegen einer hohen Datengüte und Datenvergleichbarkeit – ggf. nach sachgerechten Anpassungsrechnungen – davon auszugehen ist, dass die marktbasierten Bewertungsverfahren bevorzugt anzuwenden sind.

10.144

Allerdings ist die Datenverfügbarkeit bei diesen marktbasierten Bewertungsverfahren in der Praxis mit Ausnahme börsennotierter Unternehmen oftmals eingeschränkt, weshalb häufig auf kapitalwertorientierte Bewertungsverfahren zurückgegriffen wird. Kapitalwertmethoden finden sowohl in ihrer Reinform als auch als branchenspezifische Bewertungsverfahren mit branchenspezifischen Modifikationen1 Anwendung, welche durch die jeweiligen Standesorganisation empfohlen und verbreitet angewendet werden.2 Zu beachten ist allerdings auch bei letzteren Methoden, dass diese keinen Ausschließlichkeitsanspruch erheben, denn der Anwendungsbereich der von den jeweiligen Standesorganisationen veröffentlichten Empfehlungen beschränkt sich per Definition auf branchentypische Betriebe. Abweichungen vom Branchentypus, insbesondere hinsichtlich Größe, Rechtsform und Umfeldbedingungen, können daher im Einzelfall die Anwendung eines modifizierten Ertragswertverfahrens notwendig machen. 1 Eine Übersicht findet sich bspw. bei BayLfSt v. 28.2.2013 – S 3224.1.1 - 1/6 St 34, Bewertung des Unternehmensvermögens, hier: Branchenspezifische Bewertungsmethoden. 2 Vgl. BGH, Urt. v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249 Rz. 26.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.148 Kap. 10

Nicht selten werden auch sog. Praktikermethoden für Bewertungen herangezogen. Hierunter werden zum einen Methoden subsumiert, die einen (gewogenen) Mittelwert zwischen der im Ertragswertverfahren und im Sachwertverfahren ermittelten Werte bilden, und zum anderen Methoden, welche insbesondere auf Erfahrungswerten beruhen, die weder induktiv noch deduktiv aus der Analyse von Verkaufsvorgängen abgeleitet werden können. Auch wenn diese Praktikermethoden im Einzelfall durchaus zu richtigen Ergebnissen führen können, bergen diese aufgrund der fehlenden Nachvollziehbarkeit ein erhöhtes Steuerrisiko und sind daher für Wertgutachten ungeeignet.1 Es ist aber durchaus zu empfehlen, die Bewertung auf verschiedenen Methoden zu stützen bzw. alternative Methoden zur Plausibilisierung der Ergebnisse heranzuziehen. So kann die Güte der Werteermittlung erhöht werden, wenn der festgestellte Wert in der Schnittmenge mehrerer Bewertungsmethoden liegt.

10.145

Mitzubeachten ist stets, dass das steuerliche Bewertungsrecht gerade im Bereich der Immobilienbewertung eigene Bewertungsverfahren kennt, die vereinfacht sind und daher auf eine weniger spezifische Datenbasis zurückgreifen. Gerade im Bereich der Immobilienbewertung sind diese Bewertungsverfahren oftmals auch zum Vorteil für den Steuerpflichtigen, was sich an der Bewertung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe nach dem BewG am deutlichsten zeigt.

10.146

III. Praktische Herausforderungen in Betriebsprüfungen und Themenfelder Der Bewerter hat sowohl bei der Wahl des Bewertungsverfahrens als auch den Bewertungsparametern diverse Freiheitsgrade, welche ihm einen Bewertungsspielraum ermöglichen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Bewertungen stärker in den Fokus von Betriebsprüfungen rücken und kontroverse Diskussionen auslösen. Bereits an dieser Stelle sei angemerkt, dass die Hürde für Anpassungen seitens der Betriebsprüfungen aufgrund der Beweislastverteilung hoch gehängt sind und es für eine Einkünfteerhöhung nicht ausreichend ist, wenn die Betriebsprüfung ihre Anpassung lediglich andere „plausible“ Bewertungsparameter stützen möchten (siehe zur Beweislastverteilung und den Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtigen Tz. 1.555 ff.).2

10.147

Denn ein stichtagsbezogener Unternehmenswert wird immer innerhalb einer Bandbreite von möglichen Werten liegen, da der „wahre“ Unternehmenswert aufgrund der Ungenauigkeiten der Prognosemethoden häufig nur als Näherungswert innerhalb einer Bandbreite ermittelt werden kann.3 Einen wahren, allein richtigen Unternehmenswert auf Basis einer Kapitalwertmethode kann es auch deshalb nicht geben, weil dieser von den zukünftigen Erträgen der Gesellschaft sowie einem in die Zukunft gerichteten Kapitalisierungszins abhängig ist und die zukünftige Entwicklung nicht mit Sicherheit vorhersehbar ist. Entsprechend führen die zahlreichen prognostischen Schätzungen und methodischen Einzelentscheidungen, die Grundlage einer jeden Unternehmensbewertung sind und zwingend sein müssen, im Ergebnis dazu, dass die Wertermittlung insgesamt keinem Richtigkeits-, sondern nur einem Vertretbarkeitsurteil zugänglich ist. Soweit gleichwohl in manchen – auch verfassungsgerichtlichen Entscheidungen4 – von dem „richtigen“, „wahren“ oder „wirklichen Wert“ der Beteiligung die Rede ist, ist dies im Sinne einer Wertspanne zu verstehen, weil weder verfassungsrechtlich noch höchst-

10.148

1 So BayLfSt v. 28.2.2013 – S 3224.1.1 - 1/6 St 34, Tz. 1.10. 2 So erachtete es bspw. auch das OLG Karlsruhe als nicht sachgerechte, der Bewertung anstelle von zutreffenden und in sich nicht widersprüchlichen Informationen eine andere, ebenso vertretbare Wertung zugrunde zu legen; vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 47. 3 Vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 47. 4 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.5.2012 – 1 BvR 3221/10, NJW 2012, 3020.

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Kap. 10 Rz. 10.148 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

richterlich etwas gefordert werden kann, was tatsächlich unmöglich ist, nämlich einen einzelnen Unternehmenswert als allein zutreffend zu identifizieren.1

10.149

In Abhängigkeit des Bewertungsobjekts und ggf. der Größe des Unternehmens (Steuerpflichtigen) ergeben sich in Abhängigkeit der gewählten Methode für die Bewertungen verschiedene praktische Herausforderungen. Im Grundsatz geht mit „simpleren“ Bewertungsverfahren ein Verlust an Nachvollziehbarkeit und Präzession einher. Im Unterschied dazu sind bei „komplexeren“ Bewertungsverfahren eine Vielzahl von Annahmen zu treffen. Der hohen Nachvollziehbarkeit der Wertermittlung und Transparenz in Bezug auf die einzelnen Bewertungsparameter stehen ein erheblicher Ermittlungsaufwand sowie ein immanenter Auslegungsspielraum in Bezug auf die einzelnen Bewertungsparameter gegenüber. In Bezug auf die gängigen Bewertungsverfahren werden nachstehend verschiedene Themenfelder aufgezeigt und in den folgenden Kapiteln diskutiert, welche insbesondere in steuerlichen Betriebsprüfungen zunehmende Relevanz beizumessen ist: – Marktbewertungsverfahren – Kapitalwertmethoden – Vereinfachtes Ertragswertverfahren – Immobilienbewertung

10.150

Waren diese bewertungsrelevanten Themen in der Vergangenheit aufgrund der stärker steuerjuristisch geprägten Ausbildung von Finanzbeamten oftmals mit einfachen „Bordmitteln“ abzuhandeln, sieht man sich heutzutage vermehrt mit qualifizierten Rückfragen zu diesem Themenbereich konfrontiert. Steuerpflichtige wie Berater müssen somit verstärkt auch betriebswirtschaftliche und ökonomische Expertise in diesen Bereichen aufbauen und bereit sein, für diese Aufgaben mehr Ressourcen bereitzustellen als in der Vergangenheit.

IV. Marktbewertungsverfahren 1. Marktwirtschaftliche Preise als Wertdeterminante 10.151

Marktbewertungsverfahren sind bevorzugt anzuwenden, wenn hinreichend vergleichbare Marktdaten verfügbar sind, siehe bspw. § 11 BewG, § 1 Abs. 3 AStG.2 In diesem Falle entspricht der Wert dem Preis, welcher am Markt für dasselbe oder ein hinreichend vergleichbares Unternehmen bzw. Wirtschaftsgut erzielt wurde. In Abgrenzung zu den kapitalwertorientierten Methoden sind bei Marktbewertungsverfahren auch das marktwirtschaftliche Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage im Bewertungskalkül abgebildet.3 Bei der Anwendung dieser Bewertungsmethoden sind die in den folgenden Unterabschnitten erläuterten Aspekte insbesondere vor dem Hintergrund einer steuerlichen Betriebsprüfung abzuwägen.

2. Vergleichbarkeit als zentrale Determinante der Methodenwahl 10.152

Theoretisch ist die Wertermittlung auf Basis von Marktbewertungsverfahren (z.B. Börsenkursen oder Verkaufsgeschäften) die präferierte Bewertungsmethode, da diese den marktspezifischen Interessensausgleichsmechanismus zwischen Käufer und Verkäufer berücksichtigen. 1 LG Frankfurt, Beschl. v. 25.11.2014 – 3-05 O 43/13. 2 BFH, Urt. v. 22.1.2009 – II R 43/07, BStBl. II 2009, 444; Kahle/Hiller/Vogel, FR 2012, 793. 3 So auch Kahle/Hiller/Vogel, FR 2012, 794.

828 | S. Stein

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.157 Kap. 10

Diesem Vorteil steht in der Praxis allerdings häufig die Schwierigkeit gegenüber, eine hinreichende Vergleichbarkeit zum Bewertungsobjekt sicherzustellen. Daher ist der Grad der Vergleichbarkeit daraufhin zu überprüfen, ob eine hinreichende Vergleichbarkeit der Referenzwerte mit dem Bewertungsobjekt gegeben ist oder Abweichungen in den preisbildenden Faktoren ggf. durch sachgerechte Anpassungsrechnungen korrigiert werden können. Somit bilden die tatsächlich beobachteten Marktpreise den Ausgangspunkt für die Bewertung, wobei ggf. Anpassungen etwa für divergierende Bedingungen der jeweils zugrunde liegenden Geschäftsvorfälle oder sich (im Zeitablauf) verändernder Rahmenbedingungen vorzunehmen sind.1

10.153

Kann keine hinreichende Vergleichbarkeit zwischen Bewertungsobjekt und dem beobachteten Marktpreis hergestellt werden, so erweist sich diese Methode als nicht sachgerecht und muss verworfen werden. Aufgrund der sehr hohen Sensitivität dieser Methode hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Markttransaktion zum Bewertungsobjekt ist dieser Themenkomplex nicht selten Streitpunkt in steuerlichen Betriebsprüfungen und macht die Empfehlung weitere komplementäre Verprobungen anzustellen deutlich.

10.154

3. Zeitliche Dimension der Vergleichbarkeit Die Anwendung der Marktbewertungsverfahren erfordert eine (gewisse) zeitliche Nähe der Preisbeobachtung zum Bewertungszeitpunkt. Dieser zeitlichen Dimension kommt in der Bewertungspraxis eine zentrale Bedeutung zu, da mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Bewertungsstichtag die Vergleichbarkeit aufgrund einer stetigen Veränderung der ökonomischen Rahmenbedingungen und damit verbunden auch die Güte des Marktbewertungsverfahrens abnimmt.

10.155

So sind nach § 11 Abs. 1 BewG zur Bestimmung des gemeinen Werts von Wertpapieren, die am Stichtag an einer deutschen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind, mit dem niedrigsten am Stichtag für sie im regulierten Markt notierten Kurs anzusetzen. Liegt am Stichtag eine Notierung nicht vor, so kann der letzte innerhalb von 30 Tagen vor dem Stichtag im regulierten Markt notierte Kurs noch herangezogen werden. Der Wert der Unternehmensanteile ergibt sich im Grundsatz aus der Anzahl der Anteile multipliziert mit dem maßgeblichen Börsenkurs. Da das Gesetz explizit tagesaktuelle Notizen vorsieht, ist besonders darauf zu achten, den richtigen Kurs auszuwählen. Aufgrund der mitunter hohen Volatilität von Börsenkursen kann sich aus der Heranziehung eines nicht sachgerechten Tageskurses ein erhebliches Besteuerungsrisiko ergeben.

10.156

Bei nicht in einem regulierten Markt gehandelten Unternehmensanteilen (nicht börsennotierte Unternehmensanteile) kann der gemeine Werte durch Anteilsverkäufe dieses Unternehmens unter Fremden Dritten ableitet werden, die weniger als ein Jahr zurückliegen.2 Aufgrund des Stichtagsprinzips sind nach dem Bewertungsstichtag erfolgende Veräußerungsgeschäfte zur Bestimmung des gemeinen Werts nicht börsennotierter Unternehmensanteile grundsätzlich nicht geeignet. In Einzelfällen ist allerdings auch die Berücksichtigung außerhalb des 1-Jahres-Zeitraum stattfindender Veräußerungen möglich,3 wenn z.B. der formelle Vertrags-

10.157

1 So etwa Halaczinsky, ErbStB 2013, 242 f. 2 Vgl. § 11 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 BewG. 3 Vgl. BFH, Urt. v. 30.1.1976 – III R 74/74, BStBl. II 280; BFH, Urt. v. 11.11.1998 – II R 59/96, BFH/ NV 1999 908; BFH, Beschl. v. 23.6.1999 – X B 103/98, BFH/NV 2000, 30; BFH, Urt. v. 22.6.2010 – II R 40/08, BStBl. II 2010, 843; BFH, Urt. v. 16.5.2013 – II R 4/11, BFH/NV, 1223.

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Kap. 10 Rz. 10.157 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

abschluss kurz nach dem Stichtag liegt, die Einigung über den Kaufpreis aber schon vor dem Stichtag herbeigeführt war.

10.158

Liegt ein als Referenz verwendetes Vergleichskaufgeschäft außerhalb der 1-Jahresfrist besteht die Gefahr, dass keine anderen vergleichbaren Marktgeschäfte zum Vergleich zur Verfügung stehen und stattdessen ggf. die Werte mittels (vereinfachtem) Ertragswertverfahren bestimmt werden. Umgekehrt kann es auch vorkommen, dass aufgrund mangelnder zeitnaher Verkaufsgeschäfte eine Kapitalwertmethode zur Anwendung kommt, in der Betriebsprüfung allerdings festgestellt wird, dass entsprechende Verkaufsgeschäfte für die Bewertung maßgeblich sein sollen. Da Betriebsprüfungen oftmals einige Jahre nach dem Bewertungsstichtag stattfinden, liegt dieser häufig ein weitergehender Erkenntnisstand vor, so dass die Gefahr einer entsprechenden Projektion dieser Erkenntnisse und eine ex-post Rationalisierung durch die Betriebsprüfung (sog. „Hindsight“1) besteht.

10.159

Bei der Bewertung von Transferpaketen und immateriellen Wirtschaftsgütern (ausführlich zu Transferpaketen im außensteuerrechtlichen Kontext Tz. 7.202) ist die Suche nach Referenzwerten in der Praxis nicht so stark eingeschränkt, weshalb im Rahmen der Bewertung auf Vergleichsdaten – ggf. auch unter Rückgriff auf Verkäufe anderer immaterieller Werte (Analogiemethode) – abgestellt werden kann, die außerhalb des 1-Jahreszeitraums liegen. Die Bewertungspraxis zeigt allerdings, dass entsprechende Verkaufsgeschäfte für hinreichend vergleichbare immaterielle Werte auf einem aktiven Markt zwischen fremden Dritten oftmals nur sehr eingeschränkt zu beobachten sind.2 Daher ist es für die Qualität der Bewertung zentral, die Auswahl und die Vergleichbarkeit etwaiger Referenztransaktionen zum Bewertungsobjekt eingehend zu analysieren, zu begründen und zu dokumentieren.

4. Erforderliche Anzahl an Beobachtungen 10.160

Aufgrund des Wortlauts in § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG kann es zu Diskussionen in steuerlichen Betriebsprüfungen kommen, ob es ausreichend ist, lediglich ein Verkaufsgeschäft innerhalb der 1-Jahres-Frist als Vergleichswert zur Bewertung von Unternehmen(santeilen) zugrunde zu legen. Grundsätzlich geht das Gesetz von „Verkäufen“ aus, weshalb mehrere Veräußerungsgeschäfte für die Wertermittlung vorliegen müssten.3

10.161

Dass diese Vorgabe praxisfern und reformbedürftig ist, liegt auf der Hand. Daher distanzieren sich Rechtsprechung4 und Finanzverwaltung5 von dieser engen Auffassung und lassen auch einmalige Veräußerungsgeschäfte als Referenz zu, sofern nicht nur ein Zwerganteil verkauft wird. Dies ist positiv zu werten, zumal Anteilsveräußerungen nicht zum Tagesgeschäft zählen und daher auch nicht regelmäßig erfolgen. Anderenfalls wäre die Bedeutung dieser Norm erheblich eingeschränkt, was m.E. insbesondere vor dem Hintergrund der grundsätzlich höheren Güte im Vergleich zu anderen Bewertungsmethoden zu einer Verschlechterung der Bewertungsergebnisse führen würde.

1 2 3 4 5

Vgl. zu Hindsight bei Verrechnungspreisen Schwarz/Stein/Flanderova/Hoffmann, Ubg 2017, 638. Siehe IDW S 5.20. Vgl. BFH, Urt. v.14.10.1966 – III 281/63, BStBl. III 1967, 82. Vgl. BFH, Urt. v. 5.3.1986 – II R 232/82, BStBl. II 1986, 591. Vgl. R B 11.2 Abs. 1 Satz 3 ErbStR 2019.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.166 Kap. 10

5. Im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande kommende Preise Des Weiteren kann in Abhängigkeit der Zusammensetzung der Teilnehmer einer Geschäftsbeziehung (Käufer- und Verkäuferkreis) im Rahmen einer Betriebsprüfung die Frage aufkommen, ob die Parteien einen Preis vereinbart haben, der dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr entspricht. Ob dies zutrifft, ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalles unter Heranziehung objektivierter Umstände zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist unter gewöhnlichem Geschäftsverkehr der Handel zu verstehen, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung seiner Interessen zu handeln in der Lage ist.1 Mithin kommt ein Preis im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande, wenn er sich infolge der Marktmechanismen (Angebot und Nachfrage) einstellt.2

10.162

Im Hinblick auf den für die Preisbildung maßgeblichen gewöhnlichen Geschäftsverkehr scheiden insbesondere solche Preise aus, die unter ungewöhnlichen Verhältnissen zustande kommen, bei denen die persönlichen Verhältnisse gem. § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG der Beteiligten von entscheidender Bedeutung gewesen sind oder wertbildende Faktoren in den Preis Eingang gefunden haben, die mit der Beschaffenheit der Anteile selbst nichts zu tun haben.3 Darüber hinaus können auch unter Verweis auf die Rechtsprechung die vereinbarten Bedingungen als Indiz dafür herangezogen werden, ob die Geschäftsbeziehung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr stattgefunden hat oder nicht.

10.163

Somit ist insbesondere bei Verkäufen zwischen nahestehenden Personen zu prüfen, ob hier gegensätzliche Interessen bestanden oder die Preisbildung durch die persönlichen Verhältnisse beeinflusst wurden. Etwaige Beziehungen zwischen den Geschäftsparteien sind daher vorsorglich zu analysieren und Anhaltspunkte zu dokumentieren, die gegen eine Preisbeeinflussung sprechen. Die Beweislast dafür, dass Anteilsverkäufe nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erfolgt sind, trägt jedoch die Betriebsprüfung.4

10.164

6. Paketzuschlag In der Praxis finden die Markbewertungsverfahren bevorzugt bei der Bewertung von Unternehmensanteilen Anwendung. In diesem Kontext schließt sich allerdings die bedeutende Frage an, ob die Bedingungen des Verkaufsgeschäfts einer Referenztransaktion vergleichbar mit den Bedingungen sind, die dem Bewertungsobjekt zugrunde liegen.

10.165

Ein zentraler wertbeeinflussender Faktor kann der durch die erworbenen Anteile vermittelten Stimmrechte sein, welcher im Rahmen der Bewertung ggf. mit einem entsprechenden Paketzuschlag („Transaction Control Premium“) zu berücksichtigen ist. Empirisch zeigt sich, dass Erwerber eines Anteilspakets bereit sind, einen höheren Preis je Anteil zu entrichten als bei einem geringeren Anteil. Hintergrund für einen grundsätzlich höheren Beteiligungswert ist, dass Mehrheitsanteilsinhaber (finanzielle) Vorteile dadurch haben, dass diese die Leitungsmacht innehaben und damit einen stärkeren Einfluss auf die Entscheidungen im Unterneh-

10.166

1 BFH v. 28.11.1980 – III R 86/78, BStBl. II 1981, 353; BFH v. 5.3.1986 – II R 232/82, BStBl. II 1986, 591; BFH v. 22.8.2002 – II B 170/01, BFH/NV 2003, 11; BFH v. 16.5.2013 – II R 4/11, BFH/NV 2013, 1223. 2 So auch Kahle/Hiller/Vogel, FR 2012, 794. 3 BFH, Urt. v. 28.11.1980 – III R 86/78, BStBl. II 1981, 353. Siehe auch § 1 AStG für Fremdvergleichspreise. 4 Vgl. FG Münster, Urt. v. 7.12.2000 – 3 K 5548/96 F, EFG 2001 956.

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Kap. 10 Rz. 10.166 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

men ausüben können.1 Paketzuschläge sind grundsätzlich zu berücksichtigen, wenn ein Anteil von mehr als 25 % (Sperrminorität) bzw. mehr als 50 % (Mehrheitsbeteiligung) übertragen wird.2 Es wird in der Literatur auch die Meinung vertreten, dass ein Mehrheitsaktionär zumeist bereit wäre, für den Erwerb noch fehlender Anteile zur Erreichung eines bestimmten Quorums, einen „Paketzuschlag“ zu zahlen.

10.167

Als Paketzuschlag kann, je nach Umfang der zu bewertenden Beteiligung, unter Verweis auf die ErbStR im Allgemeinen ein Zuschlag bis zu 25 % in Betracht kommen, wobei im Einzelfall auch höhere Zuschläge möglich sind.3 Dies deckt sich auch mit den in Urteilen von US-Gerichten zugesprochenen Control Premium.4

10.168

Im Rahmen der Bewertung ist allerdings Vorsicht dahingehend geboten, den Paketzuschlag pauschal zu erfassen. Zur Vermeidung von Aufgriffen in einer Betriebsprüfung ist daher stets zu prüfen, ob die Referenztransaktion möglicherweise bereits einen solchen Zuschlag (implizit) enthält, z.B. weil auch in der Referenztransaktion ein Anteil von mehr als 25 % übertragen wurde.

10.169

Entsprechend wäre ein Paketzuschlag herauszurechnen, wenn nur ein Anteil unterhalb der Sperrminorität Gegenstand der Bewertung ist, als Referenz eine Veräußerung eines Anteils von mehr als 25 % zugrunde liegt. Die Feststellung entsprechender Zu- und Abschläge ist nicht selten diskussionsbehaftet, so dass diese entsprechend bewusst ausgewählt werden sollten.

7. Weitere Anpassungsrechnungen 10.170

Kontroversen treten in steuerlichen Betriebsprüfungen auch dann auf, wenn der Steuerpflichtige oder die Betriebsprüfung auf die beobachteten Veräußerungspreise unter fremden Dritten noch Anpassungen vornimmt, um das Bewertungsergebnis an die besonderen Umstände des Einzelfalls anzupassen.

10.171

Solche Anpassungsrechnungen sind geboten, wenn Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der gemeine Wert nicht mit den tatsächlich vorliegenden Kaufpreisen übereinstimmt. Deshalb sind die Kaufpreise – auch wenn im gewöhnlichen Geschäftsverkehr und unter drittüblichen Bedingungen zustande gekommen – stets hinsichtlich ihrer Güte in Bezug auf das Bewertungsobjekt zu validieren. Den Ausgangspunkt der Ermittlung des gemeinen Werts bildet in diesen Fällen der festgestellte Veräußerungspreis, welcher durch schätzweise zu ermittelnde Zu- und Abschläge unter Berücksichtigung der besonderen Umstände zu bestimmen ist. Folgende Zu- und Abschläge können im Einzelfall sachgerecht sein, wobei die Gründe für deren Berücksichtigung/Nichtberücksichtigung und Höhe im Rahmen der Bewertung zu dokumentieren sind: – Anpassungen, wenn nur Kurswerte für Vorzugsaktien vorlagen, jedoch Gegenstand der Bewertung Stammaktien sind; – Kapitalgesellschaft hält eigene Anteile; – Fungibilitätsabschlag. 1 Vgl. Grbenic/Zunk, „The Value of Control, Transaktionsorientierte Kontrollprämien in der Eurozone in Bauer (Hrsg.): BWL Schriftenreihe, Nr. 19, Technische Universität Graz 2015. 2 Vgl. R B 11.8 Abs. 3 ErbStR 2019; Damondaran, Stern School of Busines, 2005, S. 56. 3 Vgl. R B 11.8 Abs. 9 ErbStR 2019. 4 Siehe hierzu bspw. Königer, ZEV 2019, 330 Tab. 6.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.176 Kap. 10

V. Kapitalwertmethoden 1. Erwartete finanzielle Überschüsse als Wertdeterminante Kapitalwertmethoden1, insb. die Ertragswertmethode und die Discounted Cashflow Methoden, sind in Rechtsprechung und Literatur als geeignete Bewertungsverfahren akzeptiert, wobei grundsätzlich auch andere anerkannte, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke übliche Methoden herangezogen werden können. Der Anwendungsbereich für diese Methoden ist regelmäßig dann eröffnet, wenn keine hinreichend vergleichbaren Marktdaten (insb. Kurswerte oder Verkaufspreise) für das maßgebliche Bewertungsobjekt (z.B. Unternehmensanteil, (Teil-)Betrieb, Funktion, immaterielles Wirtschaftsgut) vorliegen.

10.172

Die Kapitalwertmethoden basieren auf der Überlegung, dass sich der Wert eines Bewertungsobjekts primär aus den durch das Bewertungsobjekt zukünftig realisierbaren finanziellen Überschüssen ergibt (Zukunftserfolgswert). Präziser sind im Rahmen der Barwertermittlung die am Bewertungsstichtag erwarteten zukünftigen finanziellen Überschüsse während der wirtschaftlichen Nutzungsdauer des Bewertungsobjekts („Kapitalisierungszeitraum“) zu ermitteln und mit einem angemessenen Zinssatz zu diskontieren („Kapitalisierungszinssatz“).

10.173

Die Kapitalwertmethoden sind keine in sich geschlossenen Bewertungsverfahren mit festen Vorgaben für die Parameterauswahl und die Verfahrensmethodik. Stattdessen folgen diese einem „Baukastensystem“ mit unterschiedlich granularen Bewertungsparametern, so dass es infolge der hohen Freiheitsgrade bei der Parameterwahl nicht den einen richtigen Wert geben kann, sondern sich eine Bandbreite möglicher Werte in Abhängigkeit des jeweiligen Bewertungsanlasses ergeben kann. Die gewählten Bewertungsparameter sowie der sich ergebende Wert müssen innerhalb einer Bandbreite vertretbarer Werte liegen, damit diese von den Finanzbehörden akzeptiert werden. Allerdings sind die zahlreichen Stellschrauben der Bewertung (Parameterwahl) oftmals der Auslöser für kontroverse Diskussionen in steuerlichen Betriebsprüfungen. Nachstehend werden typische Aufgriffsfelder von Betriebsprüfungen bei Kapitalwertmethoden (Kapitalisierungszeitraum, Ermittlung der finanziellen Überschüsse und Kapitalisierungszinssatz) beleuchtet und praktische Lösungsansätze zur Reduzierung von steuerlichen Bewertungsrisiken aufgezeigt.

10.174

2. Kapitalisierungszeitraum Den Einstieg in eine kapitalwertorientierte Bewertung bildet die grundlegende Frage, ob der Bewertung ein unbegrenzter („unendlicher“) oder ein begrenzter („endlicher“) Kapitalisierungszeitraum zugrunde zu legen ist. Diese Frage ist eng an die erwartete wirtschaftliche Nutzungsdauer des Bewertungsobjekts geknüpft. Grundsätzlich ist bei einer wirtschaftlich eigenständigen Lebensfähigkeit des Bewertungsobjekts von einen unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum auszugehen, wohingegen bei sich wirtschaftlich im Zeitablauf verbrauchenden Wirtschaftsgütern ein begrenzter Kapitalisierungszeitraum zugrunde zu legen ist. Die Bestimmung des Kapitalisierungszeitraums wirkt sich unmittelbar auf die Art und Weise der Ermittlung der finanziellen Überschüsse sowie die Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes aus.

10.175

Bei der Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften, von Betriebsvermögen und Anteilen am Betriebsvermögen (im Folgenden „Unternehmensbewertungen“) ist grundsätzlich ein un-

10.176

1 Die bei einer Unternehmensbewertung anzuwendenden Grundsätze und Methoden haben ihren Niederschlag in dem Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer S. 1 „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“ gefunden, welcher auch von Theorie, Praxis, Finanzverwaltung und Rechtsprechung anerkannt ist.

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Kap. 10 Rz. 10.176 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

begrenzter Kapitalisierungszeitraum zugrunde zu legen. Unternehmen bilden einen selbstständig funktionsfähigen Organismus, der sich stetig erneuert und Reinvestitionen in betriebsnotwendige Grundlagen tätigt. Bei der Ableitung der finanziellen Überschüsse ist daher darauf zu achten, dass Reinvestitionen in die stetige Erneuerung des Unternehmens, einschließlich ggf. sachgerechter F&E Ausgaben, berücksichtigt werden. In bestimmten Fällen (etwa geplante Liquidierung1, KMU2, Bewertung von freiberuflichen Praxen3) kann es allerdings sachgerecht sein, einen zeitlich begrenzten Kapitalisierungszeitraum zu unterstellen.

10.177

Die Wahl des Kapitalisierungszeitraums ist bei Unternehmensbewertungen weniger kritisch, sofern vom Regelfall eines unendlichen Kapitalisierungszeitraums ausgegangen wird. Wenn jedoch vom unendlichen Kapitalisierungszeitraum abgewichen wird und die wirtschaftliche Nutzungsdauer als maßgeblicher Zeitraum zugrunde zu legen ist, steigt das Konfliktpotential in steuerlichen Betriebsprüfungen. Es ist folglich darauf zu achten, dass der Kapitalisierungszeitraum nachvollziehbar – bestenfalls auf Basis entsprechender Nachweise oder Experteninterviews – abgeleitet und die Abwägungsgründe für einen kürzeren Kapitalisierungszeitraum bereits im Bewertungszeitpunkt dokumentiert werden.

10.178

Bei der Transferpaketbewertung für betriebliche Funktionen zur grenzüberschreitenden Einkünfteabgrenzung gem. § 1 AStG wird widerlegbar ein unendlicher Kapitalisierungszeitraum vermutet (§ 6 FVerlV). Allerdings kann der Steuerpflichtige einen begrenzten Kapitalisierungszeitraum glaubhaft machen. Indizien für einen begrenzten Kapitalisierungszeitraum sind insbesondere dann gegeben, wenn eine Funktion unterhalb der Schwelle zum Teilbetrieb liegt und einzelne immaterielle Wirtschaftsgüter der Funktion das Gepräge geben. Anhaltspunkte für den Kapitalisierungszeitraum können bei einer zeitlichen Begrenzung – in Anlehnung an immaterielle Werte – bspw. aus dem Technologie- oder Produktlebenszyklus, der Dauer eines Patentschutzes oder eines Vertriebsrechts gewonnen werden.

10.179

Immaterielle Wirtschaftsgüter weisen grundsätzlich einen begrenzten Kapitalisierungszeitraum auf, da sich ihr wirtschaftlicher Wert in der Regel im Zeitablauf verbraucht. Dies gilt u.E. regelmäßig für Bewertungszwecke auch dann, wenn ein entsprechendes Wirtschaftsgut durch laufende Reinvestitionen stetig erneuert wird ( in Bezug auf Marken ist allerdings nach IDW S 5 nochmals zwischen Produktmarken und Unternehmens- bzw. Dachmarken im Einzelfall zu differenzieren).4 Für die Bestimmung des Kapitalisierungszeitraums können in Abhängigkeit des immateriellen Wirtschaftsguts u.a. folgende Faktoren als Indikatoren zur Bestimmung der Nutzungsdauer herangezogen werden: Produktlebenszyklus, technologischer Wandel, Patentschutz, Vertragslaufzeiten und erwartete Vertragsverlängerungen, rechtliche, regulatorische, wirtschaftliche und technologische Aspekte, Erfahrungen aus der Vergangenheit, Marktanalysen und Wettbewerbssituation.5 1 Siehe hierzu IDW S 1.87. 2 Vgl. IDW Praxishinweis 1/2014, FN-IDW 42014, 282 f. 3 Vgl. z.B. BGH, Urt. v. 22.11.2017 – XII ZB 230/17, MDR 2018, 213; Vereinigung der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen (VSA), Modifiziertes Ertragswertverfahren bei der Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen, Stand: 15.10.2012, BStBK, Hinweise für die Ermittlung des Werts einer Steuerberaterpraxis – unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Berufsstandes und der verschiedenen Bewertungsanlässe, Stand: 6.3.2017. 4 Vgl. IDW S 5.71 ff. 5 Vgl. IDW S 5.133–135 zum Kapitalisierungszeitraum bei Technologien; IDW S 5.98–102 zum Kapitalisierungszeitraum bei kundenorientierten immateriellen Werten; IDW S 5.71–73 zum Kapitalisierungszeitraum bei Marken.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.183 Kap. 10

3. Planung der finanziellen Überschüsse a) Erstellung von Planungsrechnungen Die Prognose der künftigen finanziellen Überschüsse (i.d.R. Erträge oder Cashflows) über den Kapitalisierungszeitraum verlangt eine dokumentierte und integrierte Planungsrechnung bestehend aus aufeinander abgestimmten Plan-Bilanzen, Plan-Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Finanzplanungen.1 Die Prognose der finanziellen Überschüsse aus dem betriebsnotwendigen Vermögen bildet die zentrale Einflussgröße für die kapitalwertorientierte Bewertung und ist daher mit hoher Sorgfalt durchzuführen. Sie erfordert eine umfangreiche Informationsbeschaffung und darauf aufbauende vergangenheits-, stichtags- und zukunftsorientierte Unternehmensanalysen, die durch Plausibilitätsüberlegungen im Hinblick auf ihre Angemessenheit und Widerspruchsfreiheit zu überprüfen sind.

10.180

Die Ableitung der finanziellen Überschüsse bildet das Kernproblem einer jeden kapitalwertorientierten Bewertung, da zahlreiche Annahmen hinsichtlich der anzusetzenden Parameter getroffen werden müssen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Herleitung der finanziellen Überschüsse im Rahmen von steuerlichen Betriebsprüfungen zunehmend intensiver geprüft wird. Insbesondere bei der Verarbeitung unterschiedlicher Planungsrechnungen (z.B. kurzfristige und mittelfristige Planungen) ist besonders auf die Konsistenz der Datengrundlage zu achten, da z.B. unterschiedliche Planungszwecke oder ein unterschiedlicher Detailierungsgrad zu Brüchen und Inkonsistenzen bei der Ableitung finanzieller Überschüsse führen können.

10.181

b) Stichtagsprinzip Im Rahmen der Bewertung sind die maßgeblichen Werte zeitpunktbezogen auf den Bewertungsstichtag zu ermitteln. Dies bedeutet, dass lediglich die Erkenntnisse bzw. Erwartungen über die künftigen finanziellen Überschüsse des Bewertungsobjekts in die Bewertung einbezogen werden dürfen, die zum Bewertungsstichtag realistischerweise zur Verfügung standen bzw. welche hätten verlässlich ermittelt werden können. Insbesondere bei einem Auseinanderfallen des Bewertungsstichtags und des Zeitpunkts der Durchführung der Bewertung ist daher darauf zu achten, dass nur der Informationsstand zu berücksichtigen ist, der bei angemessener Sorgfalt zum Bewertungsstichtag hätte erlangt werden können.2 Dabei können insb. Verhältnisse und Gegebenheiten berücksichtigt werden, die im Bewertungszeitpunkt zwar noch nicht eingetreten, aber so hinreichend konkretisiert sind, dass mit ihnen zu diesem Zeitpunkt objektiv als Tatsachen zu rechnen ist.3 Hingegen sind nachträglich eingetretene Ereignisse explizit nicht zu berücksichtigen, da diese dem Stichtagsprinzip widersprechen.4

10.182

Der zeitnahen Dokumentation der maßgeblichen Verhältnisse am Bewertungsstichtag kommt somit eine wichtige Beweisvorsorge zu. Es ist daher zu empfehlen, die diversen Bewertungsannahmen zu begründen und nach Möglichkeit durch weitergehende interne oder externe Daten (z.B. Planungsrechnungen, die bereits vor dem Bewertungsstichtag erstellt wurden) zu untermauern. Denn nicht selten vergleichen Betriebsprüfungen, welche regelmäßig einige Jahre nach dem Bewertungsstichtag stattfinden, die prognostizierten finanziellen Überschüsse mit der tatsächlichen Entwicklung der finanziellen Überschüsse („Ex-Post-Betrachtung“ bzw. „Hindsight“).

10.183

1 Vgl. IDW S 1.27. 2 Siehe auch IDW S 1.23. 3 Vgl. BFH, Urt. v. 1.2.2007 – II R 19/05, BFHE 215, 508; BFH, Urt. v. 12.1.2011 – II R 38/09, BFH/ NV 2011, 765; FG Düsseldorf, Urteil v. 12.12.2018 – 4 K 108/18 F, EFG 2019, 406. 4 Vgl. BFH, Urt. v. 13.5.1998 – II R 98/97, BFH/NV 1998, 1376; FG Düsseldorf, Urt. v. 12.12.2018 – 4 K 108/18 F, EFG 2019, 406.

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Kap. 10 Rz. 10.184 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

c) Objektivierte oder subjektive Wertermittlung bei der Ableitung finanzieller Überschüsse

10.184

Bei der Ermittlung der finanziellen Überschüsse ist zu beachten, welche Funktion mit der Bewertung im Steuergesetz vorgesehen ist bzw. welche Methodik dort verankert ist. In der Funktion als neutraler Gutachter ist regelmäßig ein mit nachvollziehbarer Methodik – von individuellen Wertvorstellungen losgelöster – sog. objektivierter Wert zu bestimmen.1 Die Ermittlung eines „im gewöhnlichen Geschäftsverkehr“ zustande kommenden Preises erfordert eine Abstraktion von bestimmten Käufern oder Verkäufern, bestehender Kauf- bzw. Verkaufsbereitschaft sowie außergewöhnlicher Umstände. Dieser ist ein intersubjektiv nachprüfbarer, typisierter Zukunftserfolgswert unter der Going Concern Prämisse aus Sicht der Anteilseigner und entspricht im Allgemeinen dem Verkehrswert.2 Er ergibt sich auf Grundlage des bestehenden Geschäftsmodells und mit allen realistischen Zukunftserwartungen im Rahmen der Marktchancen und -risiken sowie finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens, einschließlich der sonstigen Einflussfaktoren. Grundsätzlich ist für steuerliche Zwecke ein objektivierter Wert zugrunde zu legen, außer das Gesetz sieht explizit die Ermittlung subjektiver Entscheidungswerte vor.

10.185

Im Gegensatz dazu sind bei der Bestimmung subjektiver Entscheidungswerte die bei der Ermittlung objektivierter Werte erforderlichen Typisierungen durch individuelle Ziele, Einschätzungen und persönlichen Verhältnisse zu ersetzen.3 Es sind daher weitergehende Maßnahmen und Annahmen zu berücksichtigen, unabhängig davon ob sich diese erst beim potentiellen Käufer realisieren. Subjektiven Entscheidungswerten kommt insbesondere im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG in grenzüberschreitenden Fällen eine Bedeutung zu, welcher bei Unternehmensbewertungen, Transferpaketbewertungen und der Bewertung immaterieller Werte zur Anwendung kommen soll. Die nachstehende Tabelle fasst beispielhaft wichtige Punkte zusammen, worin sich die Wertermittlungskonzepte unterscheiden. Tabelle 2: Unterschiede objektivierte Werte und subjektive Entscheidungswerte objektivierte Werte

subjektive Entscheidungswerte

Maßnahmen mit Auswirkung auf künftige finanzielle Überschüsse

Maßnahmen, die am Bewertungsstichtag eingeleitet wurden oder hinreichend konkretisiert sind; nicht aber mögliche, noch nicht hinreichend konkretisierte Maßnahmen (z.B. Erweiterungs- und Desinvestition)

Erweiterungs- und Desinvestition, Bereinigungen im Produktprogramm oder Veränderungen strategischer Geschäftsfelder, auch wenn nicht Bestandteil des dokumentierten Unternehmenskonzepts am Bewertungsstichtag

Synergieeffekte

Unechte Synergieeffekte soweit die synergiestiftende Maßnahme bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert ist.

Käufer: Echte und unechte Synergien Verkäufer: Unechte Synergien, die ohne Verkauf realisierbar sind und wegfallen

Finanzierungsannahmen

Einheitliche Annahme bzgl. der Finanzierungsmöglichkeiten/Kapitalstruktur

Abweichende Finanzierungsmöglichkeiten/Kapitalstruktur bei Käufer und Verkäufer sind zu berücksichtigen.

1 Siehe auch Hinweise der Bundessteuerberaterkammer zu den Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen v. 13.3.2014, Tz. 1. 2 Vgl. auch etwa Halaczinsky in Rössler/Troll, § 9 BewG Rz. 8. 3 Vgl. IDW S 1.13. und 1.48.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.188 Kap. 10 objektivierte Werte

subjektive Entscheidungswerte

Managementfaktoren

Grds. Annahme des Verbleibens des Managements oder ein gleichwertiger Ersatz; Sonderfall: personenbezogene Unternehmen

Käufer: tatsächlich geplante Besetzung des Managements Verkäufer: Übertragbare Ertragskraft zzgl. persönl. Erfolgsfaktoren

Persönliche Ertragsteuern

Typisierung der wertrelevanten steuerlichen Verhältnisse

Tatsächliche Steuerbelastung, ggf. Typisierung der steuerlichen Verhältnisse

d) Isolierung und Bestimmung finanzieller Überschüsse Die Isolierung und Bestimmung der finanziellen Überschüsse für den Bewertungsstichtag ist maßgeblich danach zu unterscheiden, ob es sich um einen selbstständig funktionsfähigen Organismus (unendlicher Kapitalisierungszeitraum) oder um einen sich wirtschaftlich abnutzenden Vermögenswert (endlicher Kapitalisierungszeitraum) handelt.

10.186

Bei Unternehmensbewertungen ist von einem selbstständig funktionsfähigen Organismus auszugehen, für welchen oftmals eigene Finanzzahlen und Planungen vorliegen. Die darauf basierenden finanziellen Überschüsse weisen in ihrem Ausgangspunkt aufgrund ihrer allgemeinen Verwendung im Unternehmen auch für nicht Bewertungszwecke einen höheren Verlässlichkeitsgrad auf. Dennoch sind die erwarteten Entwicklungen des Unternehmens unter Berücksichtigung der erwarteten Markt- und Umweltentwicklungen zu analysieren.1 Zudem hat eine Validierung dahingehend zu erfolgen, ob die Planungen in einem Spannungsfeld zu den Erkenntnissen einer vergangenheitsorientierten Analyse (z.B. Wachstumserwartungen, Profitabilität, Planungsgenauigkeit) stehen. Zu ergänzen sind die Analysen zudem um eine Differenzierung der finanziellen Überschüsse dahingehend, ob diese aus betriebsnotwendigen Vermögen oder nicht betriebsnotwendigen Vermögen resultieren. Denn im Rahmen einer Unternehmensbewertung wird nur das betriebsnotwendige Vermögen ermittelt; nicht betriebsnotwendiges Vermögen ist dazu gesondert zu bewerten.2

10.187

Bei einem unendlichen Kapitalisierungszeitraum ist darüber hinaus zu beachten, dass die Planung der finanziellen Überschüsse i.d.R. nach der Phasenmethode erfolgt. Die Phasenmethode unterscheidet einen Detailplanungszeitraum (meist drei bis fünf Jahre) und einen sog. Terminal Value, welcher den zusätzlichen Wert aus der unendlichen Fortdauer nach Ablauf des Detailplanungszeitraum erfasst („ewige Rente“). Hierbei ist festzustellen, dass die erste Phase plausibler und sicherer zu prognostizieren ist als die späteren Jahre. Die finanziellen Überschüsse im Terminal Value sind daher auf der langfristigen Fortschreibung von Trendentwicklungen zu entwickeln. Zu evaluieren ist dabei, ob sich die Vermögens-, Finanzund Ertragslage des zu bewertenden Unternehmens nach dem Detailplanungszeitraum im sog. Gleichgewichts- oder Beharrungszustand befindet oder ob sich die jährlichen finanziellen Überschüsse zwar noch verändern, jedoch eine als konstant oder mit konstanter Rate

10.188

1 Nach Ansicht des OLG München sei eine Planungsrechnung „nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar […], ob sie auf zutreffenden Informationen und realistischen Annahmen beruh[e], mithin plausibel und auch nicht widersprüchlich“ sei. Da im zu entscheidenden Fall die Planannahmen plausibel seien, würden Anpassungen durch das Gericht „mit Rücksicht auf die Planungsprärogative der Gesellschaft“ grundsätzlich ausscheiden. Siehe OLG München, Beschluss v. 16.10.2018 – 31 Wx 415/16, NZG 2019, 424. 2 Vgl. IDW S 1.86.

S. Stein | 837

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Kap. 10 Rz. 10.188 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

wachsend angesetzte Größe die sich ändernden finanziellen Überschüsse angemessen repräsentiert.1

10.189

Wegen des besonderen Gewichts des Terminal Value für den Kapitalwert sind die getroffenen Annahmen besonders kritisch zu analysieren, zu würdigen und zu dokumentieren. Bei der Analyse können insbesondere das Unternehmenskonzept mit den erwarteten Rahmenbedingungen des Marktes und Wettbewerbs2 und deren Veränderungen abzustimmen sowie Branchenkennzahlen (z.B. Umsatzrenditen3) zur Plausibilisierung herangezogen werden.

10.190

Für Funktionsverlagerungen sind die maßgeblichen finanziellen Überschüsse einer betrieblichen Funktion zur Bewertung des Transferpakets zu isolieren und zu bestimmen. Je größer die verlagerte wirtschaftliche Aktivität ist und sich einem (Teil-)Betrieb annähert, desto eher liegen eigene Planungsrechnungen vor. Je weiter unterhalb eine Funktion zur Teilbetriebsschwelle liegt, desto komplexer wird die Isolierung der finanziellen Überschüsse und muss meist für rein steuerliche Zwecke durchgeführt werden.

10.191

Bei immateriellen Werten müssen die finanziellen Überschüsse regelmäßig aus den finanziellen Überschüssen für das Gesamtunternehmen isoliert werden. Hierzu stehen in der Praxis i.d.R. die folgenden vier, grds. gleichwertigen Methoden zur Auswahl:4 – Methode der unmittelbaren Cashflow-Prognose: Direkte Bestimmung der zurechenbaren finanziellen Überschüsse, sofern diese verlässlich direkt bestimmt werden können. – Methode der Lizenzpreisanalogie („Relief-from-Royalty Method“): Approximation der finanziellen Überschüsse eines immateriellen Wirtschaftsguts durch marktübliche (arm’s length) Lizenzentgelte, die dem Eigentümer dieses Wirtschaftsguts gegenüber der Alternative der Lizenzierung eines nutzenäquivalenten Vergleichsobjekts erspart bleiben. – Mehrgewinnmethode: Bestimmung der finanziellen Überschüsse mittels einer Differenzbetrachtung zwischen den erzielbaren Überschüssen mit dem immateriellen Wirtschaftsgut und einem Vergleichsunternehmen ohne dieses immaterielle Wirtschaftsgut. – Residualwertmethode: Ausgehend von den ermittelbaren finanziellen Überschüssen einer Gruppe von immateriellen Wirtschaftsgütern werden fiktive Nutzungsentgelte für die „unterstützenden“ Wirtschaftsgüter abgezogen, so dass sich letztlich die relevanten finanziellen Überschüsse als Residualgröße ergeben.

10.192

Da die Bewertung mittels Kapitalwertmethoden aufgrund der Schätzung künftiger finanzieller Überschüsse stets unsicherheitsbehaftet ist, besteht in der Ableitung der finanziellen Überschüsse ein erhebliches Besteuerungsrisiko. Diese Unsicherheit wird weiter verstärkt, wenn die finanziellen Überschüsse bezogen auf ein Bewertungsobjekt erst isoliert werden müssen (Funktionen, immaterielle Werte) und sich diese Probleme mit anderen Bewertungsproblemen kumulieren.5 Daher bleibt abschließend mit Blick auf die allgemeinen Beweislastregeln zu empfehlen, die Ableitung der maßgeblichen finanziellen Überschüsse und entsprechender Anpassungsrechnungen gründlichst zu dokumentieren und – sofern verfügbar – auf nicht für steuerliche Zwecke erstellte Planungen und Daten zurückzugreifen. 1 Vgl. IDW S 1.78. 2 Ausf. IDW S 1.79. 3 Eine umfassende Analyse von Renditekennziffern für zahlreiche Branchen und Jahre findet sich bei Schwarz/Stein, Quantitative Verrechnungspreise, Wiley 2018. 4 Vgl. IDW S 5.28 f. 5 Vgl. Greil/Naumann, IStR 2015, 432.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.198 Kap. 10

e) Korrektur der Überschüsse Die Planung der finanziellen Überschüsse kann bei nahestehenden Personen (z.B. Eigentümer bei KMU oder Gesellschaften einer Unternehmensgruppe) durch Bedingungen beeinflusst sein, die ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben. Bei der Herleitung der finanziellen Überschüsse ist daher zu hinterfragen, ob diese durch erhöhte Risiken aufgrund einer besonderen Gesellschafterstellung (z.B. Risikostruktur unbeschränkt haftender Gesellschafter) oder durch fremdunübliche Bedingungen (z.B. unentgeltliche Gewährung von Bürgschaften, unangemessener Unternehmerlohn, überhöhte oder vergünstigte Miete) beeinflusst sind.1

10.193

So hat sich in der Bewertungspraxis insbesondere bei der objektivierten Wertermittlung etabliert, dass etwa die künftigen finanziellen Überschüsse um einen fremdüblichen Unternehmerlohn zu korrigieren sind, wenn in der bisherigen Ergebnisrechnung kein angemessener Unternehmerlohn berücksichtigt ist. Fremdvergleichsmaßstab für den fiktiven Lohnaufwand bildet die Vergütung eines Fremdgeschäftsführers,2 welche aus Gehaltsstatistiken von Branchenverbänden oder Veröffentlichungen in Fachzeitschriften abgeleitet werden können.3

10.194

Zu den zu eliminierenden Faktoren gehören auch anderweitige Einflüsse aus einem Unternehmensverbund oder aus sonstigen Beziehungen personeller oder familiärer Art zwischen dem Bewertungsobjekts und Gesellschaftern bzw. nahestehenden Personen. Hierbei sind insbesondere die Einflüsse aus der gesellschaftsrechtlichen Verflechtung (z.B. Abgrenzung von betrieblicher und privater Sphäre) von besonderer Bedeutung.4

10.195

f) Ausschüttungshypothesen Bei der Bewertung von Unternehmen ist grundsätzlich auf die finanziellen Überschüsse abzustellen, die den Gesellschaftern des Bewertungsobjekts zufließen. Zur Ermittlung der finanziellen Überschüsse sind daher Thesaurierungen sowie die Verwendung nicht ausgeschütteter Beträge zu berücksichtigen. Diese Beträge können zur Investition, zur Tilgung von Fremdkapital oder zur Rückführung von Eigenkapital verwendet werden. Zusätzlich sind die Nebenbedingungen der gesellschaftsrechtlichen Ausschüttungsfähigkeit und der Finanzierung der Ausschüttungen zu beachten.5

10.196

4. Kapitalisierungszinssatz a) Zeitwert des Gelds Durch den Kapitalisierungszinssatz (auch Kapitalkosten) wird der sog. Zeitwert des Gelds abgebildet. Letztlich werden durch diesen die zukünftigen anfallenden finanziellen Überschüsse auf eine Größe zum Bewertungsstichtag reduziert, welche auch eine Vergleichbarkeit des Bewertungsobjekts mit anderen Kapitalanlagemöglichkeiten ermöglicht.

10.197

In der Praxis wird das sog. Capital Asset Pricing Model („CAPM“) aufgrund der hohen Transparenz und dem Bezug auf Marktdaten insbesondere bei der objektivierten Bewertung

10.198

1 Vgl. IDW S 1.159, BStBK 2014, Rz. 40 f. 2 Vgl. IDW S 1.40. 3 Vgl. BStBK, Hinweise der Bundessteuerberaterkammer zu den Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen, 13.3.2014, Rz. 32 f. 4 Vgl. IDW S 1.157. 5 Vgl. IDW S 1.26.

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Kap. 10 Rz. 10.198 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

als präferiert erachtet,1 wenngleich auch einige Kritik an der Methode besteht.2 Nach dem CAPM bestimmt sich der angemessene Kapitalisierungszinssatz im Allgemeinen aus einem „risikolosen“ Basiszins sowie einer bewertungsspezifischen Risikoprämie.

10.199

Bezüglich der Ableitung von Kapitalisierungszinssätzen ist unter Verweis auf die BFH-Rechtsprechung zu beachten, dass „weder der Basiszinssatz [...] noch die Höhe der Zuschläge [...] mathematisch exakt bestimmt werden [...]. Daher ist, wenn die Beteiligten einvernehmlich von einem bestimmten Zinsfuß ausgehen, dieser nur zu beanstanden, wenn er willkürlich gewählt erscheint.“3 Deshalb gehen auch Vertreter des BMF4 davon aus, dass unternehmensintern verwendeten Daten grds. der Vorzug zu geben sei, aber auch eine Bestimmung mittels eines kapitalmarkttheoretischen Modells anzuerkennen ist. Eine Beanstandung dürfte seitens der Finanzbehörden nach Naumann/Greil5 nur erfolgen, wenn der Kapitalisierungszinssatz willkürlich gewählt wurde oder die Ermittlung gegen Denkgesetze und anerkannte Methoden verstößt. b) „Risikoloser“ Basiszinssatz

10.200

Zur Bestimmung des „quasi“-risikolosen Basiszinssatzes ist bei einer objektivierten Bewertung von dem landesüblichen Zinssatz für eine (quasi-)risikofreie Kapitalmarktanlage (Zerobonds) auszugehen. Hierzu wird grundsätzlich auf die langfristig erzielbare Rendite öffentlicher Anleihen abgestellt (bspw. börsennotierte Bundeswertpapiere6). Es ist allerdings zu beachten, dass der Basiszinssatz ein fristadäquater Zinssatz sein muss (Laufzeitäquivalenz). Bei Anwendung einer zeitlich begrenzten Lebensdauer ist der laufzeitäquivalente Basiszinssatz aus den periodenspezifischen Zerobondrenditen der aktuellen Zinsstrukturkurve äquivalent zur Nutzungsdauer abzuleiten.

10.201

Sofern ein zeitlich unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum zugrunde gelegt wird, müsste auch als Basiszinssatz die am Bewertungsstichtag beobachtbare Rendite aus einer Anlage in zeitlich nicht begrenzte Anleihen der öffentlichen Hand herangezogen werden. In Ermangelung solcher Wertpapiere empfiehlt es sich, den Basiszins ausgehend von aktuellen Zinsstrukturkurven und zeitlich darüberhinausgehenden Prognosen abzuleiten. Ein pragmatischer Lösungs1 Vgl. Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, S. 413; Wagner/Jonas/Ballwieser/Tschöpel, WPg 2006, 1005–1021. 2 Ein Überblick zu dieser Diskussion findet sich etwa bei OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.7.2008 – 12 W 16/02, AG 2009, 47. 3 Vgl. BFH, Urt. v. 13.4.1983 – I R 63/79, BStBl. II 1983, 667. 4 Vgl. Naumann/Greil, IStR 2015, 433. 5 Vgl. Naumann/Greil, IStR 2015, 433. 6 Abrufbar im Internet unter: https://www.bundesbank.de/de/statistiken/geld-und-kapitalmaerkte/ zinssaetze-und-renditen/taegliche-zinsstruktur-fuer-boersennotierte-bundeswertpapiere-650724.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.205 Kap. 10

vorschlag stellt die vom Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft des IDW (FAUB) empfohlene Fortschreibung der letzten auf Basis von Marktdaten ableitbaren (hypothetischen) Spot Rate dar: Die zum Stichtag ermittelte Spot Rate der 30-jährigen Anleihe wird auch für den weiteren Bewertungszeitraum verwendet.1 c) Marktrisiko-Prämie Die Marktrisikoprämie spiegelt die Überrendite des Marktportfolios über den sicheren Zinssatz wider. Diese Risikoprämie des Marktes ist die Referenzgröße für die Bestimmung der Risikoprämie des Bewertungsobjekts. Die Marktrisikoprämie liegt nach Auffassung des FAUB vom 22.10.2019 zwischen 6,0 % und 8,0 % (vor persönlichen Steuern) bzw. 5,0 % bis 6,5 % (nach persönlichen Steuern). Der Mittelwert dieser Bandbreite liegt bei 7,0 % bzw. 5,75 %.

10.202

d) Beta-Faktor Der Beta Faktor bildet das systematische Risiko eines Unternehmens im Vergleich zum durchschnittlichen Risiko des Gesamtmarkts ab. Das unternehmensindividuelle Risiko setzt sich nach herrschender Auffassung2 aus dem operativen Risiko (Investitionsrisiko) und dem Kapitalstrukturrisiko zusammen. Entspricht das unternehmensindividuelle systematische Risiko dem Risiko des Marktportfolios, hat der Beta-Faktor definitionsgemäß einen Wert von 1, da die Unternehmensrendite dem Gesamtmarktrisiko entspricht. Ist das unternehmensindividuelle Risiko höher (niedriger) als das Risiko des Marktportfolios, ist der Beta-Faktor größer als 1 (kleiner als 1).

10.203

Da die empirische Herleitung eines Beta-Faktors aufwendig ist, kann u.E. im Einzelfall auch der Rückgriff auf allgemeine Studien ein pragmatischer und praxisgerechter Ansatz zur Ermittlung der Kapitalkosten sein.3 Insbesondere für die Bewertung nicht kapitalmarktorientierter, kleinerer Unternehmen kann ein entsprechender Rückgriff zielführend sein, da für diese Unternehmen oftmals eine nur sehr eingeschränkt vergleichbare Peer Group bestimmt werden kann.4 So stellt nach Franken/Schulte/Brunner/Dörschell deren Kapitalkostenstudie eine geeignete Datengrundlage für die praxisgerechte Ermittlung der Kapitalkosten dar.5 Alternativ kann u.E. auch auf die Datengrundlage von Prof. Damodaran zurückgegriffen werden, welcher regelmäßig umfassende Daten zur Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes veröffentlicht6.

10.204

Während das operative Risiko u.a. durch Faktoren wie Standort-, Umwelt- und Brancheneinflüsse, Kundenabhängigkeiten oder das Produktprogramm beeinflusst wird, bildet das Kapitalstrukturrisiko (auch finanzwirtschaftliches Risiko) das verschuldungsgradabhängige Risiko ab, da die Anteilseigner lediglich einen Anspruch auf die um Fremdkapitalzinsen verminder-

10.205

1 Vgl. IDW, Fragen und Antworten: Zur praktischen Anwendung der Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen nach IDW S 1 i.d.F. 2008, IDW Life 2016, 732. 2 Siehe hierzu IDW S 1.91. 3 Zur Anwendung externer Datensets und Studien bei der Bewertung s. auch EU-JTPF, Report on the Use of Economic Valuation Techniques in Transfer Pricing, 22.6.2017, abrufbar im Internet unter https://ec.europa.eu/taxation_customs/sites/taxation/files/2017_10_16_jtpf_003_2017_en_final_ en.pdf. 4 Siehe zur Vergleichbarkeit der Peer Group auch Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, S. 421; ergänzend Vgl. BStBK, Hinweisen zu den Besonderheiten bei der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts kleiner und mittelgroßer Unternehmen v. 13.3.2014, Tz. 48 ff.; 5 Siehe Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, S. 2. 6 http://pages.stern.nyu.edu/~adamodar/New_Home_Page/datacurrent.html.

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Kap. 10 Rz. 10.205 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

ten finanziellen Überschüsse aus der operativen Tätigkeit haben. Dies bedeutet, dass die Höhe der Fremdfinanzierung die Risikostruktur der Investition in das Bewertungsobjekt erhöht und ebenfalls im Beta-Faktor abgebildet wird. Es ist also davon auszugehen, dass ein hoher Verschuldungsgrad mit einem hohen finanziellen Risiko korreliert und ceteris paribus zu höheren Risikozuschlägen führt.1 Zur Berücksichtigung dieses Effekts kann in einem zweistufigen Verfahren zunächst der beobachtete Betafaktor um die Einflüsse der Fremdfinanzierung bereinigt werden („unlevern“), um daran anschließend die Einflüsse der erwarteten Fremdfinanzierungsstruktur des Bewertungsobjekts zu berücksichtigen („relevern“).2 Insbesondere bei betragsmäßig hohen Bewertungsvolumen sind in Betriebsprüfungen – und dem entsprechenden Einsatz von Fachprüfern – vermehrt auch Diskussionen hinsichtlich der getroffenen Prämissen zur Herleitung des Beta-Faktors zu beobachten. e) Wachstumsabschlag

10.206

Bei einem unendlichen Kapitalisierungszeitraum und der Berücksichtigung eines Terminal Value stellt sich die Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang den maßgeblichen finanziellen Überschüssen im Rahmen der ewigen Rente ein Wachstum zugrunde gelegt werden soll. Im Unterschied zur Detailplanungsphase, in welcher bereits bei der Ableitung der finanziellen Überschüsse das nominale Wachstum abgebildet wird, ist zu analysieren, ob im Terminal Value ein Inflations- und Wachstumsabschlag auf die nominalen Kapitalisierungszinsätze zu berücksichtigen ist.3

10.207

Durch diesen Abschlag im Kapitalisierungszinssatz soll sichergestellt werden, dass ein (mögliches) Wachstum in der Zukunft Eingang in das Bewertungskalkül findet. Es ist allerdings darauf zu achten, dass Unternehmen grds. nicht bis in die Unendlichkeit stärker als der Markt wachsen, so dass es zur Vermeidung von Überschätzungen des Terminal Values sachgerecht sein kann, in der Tendenz geringere Werte anzusetzen. In der Rechtsprechung und Literatur wird überwiegend eine Wachstumsrate um 1 % als vertretbar angesehen, wobei auch unternehmensspezifische Bandbreiten zwischen 0,5 % und 2,0 % beobachtbar sind.4 Nach Ansicht des OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 30.4.20185 sei für die Bestimmung des Wachstumsabschlags insbesondere „maßgeblich [...], ob und in welcher Weise die erwarteten Preissteigerungen an die Kunden“ weitergegeben werden könnten.“ Darüber hinaus seien „auch sonstige prognostizierte Margen- und Strukturänderungen zu berücksichtigen“. Dementsprechend könne die „Inflationsrate [...] nur einen ersten Ansatzpunkt für die Höhe des Wachstumsabschlags bilden.“ Allerdings ist es u.E. auch in Abhängigkeit der Umstände des Einzelfalls vertretbar, dass auf eine Wachstumsrate verzichtet oder gar eine negative Wachstumsrate zum Ansatz kommt, bspw. bei zunehmendem Wettbewerb oder alternder Technologien. f) Länderrisikoprämien

10.208

Als eine weitere zu berücksichtigende Risikokomponente werden bei der Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes auch Länderrisiken genannt, wenn diese einen Einfluss auf die geforderten 1 Vgl. IDW S 1.100. 2 Vgl. hierzu Franken/Schulte/Brunner/Dörschell, S. 439 f. sowie weitere Formeln zur Berücksichtigung des Kapitalstrukturrisikos in Abhängigkeit der zugrunde liegenden Bewertungsannahmen. 3 Vgl. IDW S 1.98. 4 Siehe hierzu Schilling, Der Ausschluss von Minderheitsaktionären: Eine sozialökonomische und rechtswissenschaftliche Analyse, 369. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.4.2018 – 26 W 4/16, AG 2018, 679–682.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.212 Kap. 10

Renditen eines Investors und damit verbunden auf den Wert des Bewertungsobjekts haben. Grund dafür ist, dass bei nicht diversifizierbaren Länderrisiken (z.B. bei Investitionen in Entwicklungsländer) die Zahlungsströme erheblich unsicherer sind als bei Zahlungsströmen, die ausschließlich aus Industriestaaten stammen.1 Im Falle einer Berücksichtigung von Länderrisiken ist die Marktrisikoprämie um eine entsprechende länderspezifische Risikoprämie2 zu erhöhen. Allerdings wird die Berücksichtigung entsprechender Länderrisiken insbesondere auch in der deutschen Literatur3 kritisch gesehen. Auch der FAUB4 des IDW steht der Berücksichtigung von Länderrisiken im Kapitalisierungszinssatz zurückhaltend gegenüber und empfiehlt deren Berücksichtigung bei der Ableitung der finanziellen Überschüsse. Nur wenn eine Berücksichtigung bei den finanziellen Überschüssen aus Praktikabilitäts- oder Komplexitätsgründen entfällt, kann ein zusätzlicher, gesondert auszuweisender und zu begründender Risikozuschlag angesetzt werden.

10.209

g) Fungibilitätszuschlag Der Abschlag für mangelnde Fungibilität (lack of marketability discount) berücksichtigt die Tatsache, dass Gesellschafter eines nicht börsennotierten Unternehmens ihre Beteiligung nicht ohne weiteres veräußern können. Dieser Umstand hat zur Folge, dass ein Verkauf mit erheblichen Transaktionskosten verbunden ist und die nur mittel- bis langfristige Liquidierbarkeit ein wirtschaftliches Risiko für den Gesellschafter darstellt.

10.210

Ob ein Fungibiltiätsabschlag im Einzelfall gerechtfertigt ist, sollte fundiert begründet werden. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH5 ist zu beachten, dass auf den persönlichen Verhältnissen der Gesellschafter (z.B. Vorkaufsrecht anderer Gesellschafter) beruhende Fungibilitätsbeschränkungen nach § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG bei der Ermittlung des gemeinen Werts nicht zu berücksichtigen seien.

10.211

5. Berücksichtigung von Steuern a) Ausprägungen der zu berücksichtigenden Steuerwirkungen Der Wert eines Bewertungsobjekts wird grundsätzlich durch die Höhe der Nettozuflüsse an den Investor bestimmt, die er zu seiner freien Verfügung hat. Diese Nettozuflüsse sind unter Berücksichtigung inländischer und ggf. auch ausländischer Ertragsteuern zu ermitteln, weshalb Steuerzahlungen im Bewertungskalkül entsprechend zu berücksichtigen sind. Potentiell zu berücksichtigende Steuerwirkungen können allerdings zu unterschiedlichen Zeitpunkten und bei unterschiedlichen Personengruppen (Käufer/Verkäufer) anfallen. Vor diesem Hintergrund lassen sich grundsätzlich die folgenden Steuerwirkungen unterscheiden: – Besteuerung auf Ebene des Bewertungsobjekts – Besteuerung auf Ebene der Anteilseigner 1 Ausf. dazu Damondaran, Country Risk and Company Exposure: Theory and Practice, Journal of Applied Finance 2003, 63 f. 2 Daten für entsprechende Risikoprämien finden sich auf der Homepage von Prof. Damodaran unter http://pages.stern.nyu.edu/~adamodar/New_Home_Page/datafile/ctryprem.html. 3 Vgl. etwa. Kruschwitz/Löffler/Mandl, WPg 2011, 176. 4 Vgl. IDW, Fragen und Antworten: Zur praktischen Anwendung der Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen nach IDW S 1 i.d.F. 2008, IDW Life 2016, 732. 5 Vgl. BFH, Urt. v. 9.3.1994 – II R 39/90, BStBl. II 1994, 394.

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10.212

Kap. 10 Rz. 10.212 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

– Abschreibungsbedingte Steuervorteile des Bewertungsobjekts (Tax Amortization Benefit; TAB) – Besteuerung der Veräußerungsgewinne des Bewertungsobjekts

10.213

Um Anpassungen in steuerlichen Betriebsprüfung vorzubeugen, ist auf die konsistente Anwendung der Besteuerungseffekte – sowohl bei der Ableitung der finanziellen Überschüsse als auch der Bestimmung des Kapitalisierungszinssatzes – zu achten. Des Weiteren sind die Überlegungen für die Einbeziehung oder Nichtberücksichtigung etwaiger Steuereffekte (insbesondere Besteuerung der Veräußerungsgewinne) zeitnah und sachgerecht zu dokumentieren. b) Besteuerung auf Ebene des Bewertungsobjekts („Unternehmenssteuern“)

10.214

Die laufende Besteuerung der Gewinne auf Ebene des Bewertungsobjekts (Ertragsteuern, Gewerbesteuern) wird bei der Ableitung der finanziellen Überschüsse mindernd berücksichtigt. Maßgeblich für die Bestimmung der Steuern ist das Steuersystem desjenigen Landes, in dem diese finanziellen Überschüsse versteuert (z.B. bei einer abweichenden Zuordnung zu einer Betriebsstätte) werden. c) Besteuerung auf Ebene der Anteilseigner

10.215

Von der Unternehmensbewertungstheorie und -praxis sowie der Rechtsprechung ist die Notwendigkeit der Berücksichtigung persönlicher Ertragsteuern der Anteilseigner in Abhängigkeit des Bewertungsanlasses allgemein anerkannt. Bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts sind daher die wertrelevanten steuerlichen Verhältnisse der Anteilseigner im Bewertungskalkül sachgerecht typisiert zu erfassen.1

10.216

Bei Unternehmensveräußerungen (Kapitalgesellschaften) und anderen unternehmerischen Initiativen ist typisierend davon auszugehen, dass im Bewertungsfall die persönliche Ertragsteuerbelastung der Nettozuflüsse aus dem zu bewertenden Unternehmen der persönlichen Ertragsteuerbelastung der Alternativinvestition in ein Aktienportfolio entspricht. Entsprechend dieser Annahme kann in diesen Fällen auf eine unmittelbare Berücksichtigung persönlicher Steuern bei den finanziellen Überschüssen und dazu korrespondierend im Kapitalisierungszinssatz verzichtet werden.2

10.217

Demgegenüber sind bei gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen Bewertungsanlässen (z.B. Squeeze-out) die Steuerwirkungen aus der Perspektive einer inländischen unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Person als Anteilseigner zu ermitteln. Bei dieser Typisierung sind demgemäß zur unmittelbaren Berücksichtigung der persönlichen Ertragsteuern sachgerechte Annahmen zu deren Höhe – abhängig davon ob es sich um eine Kapitalgesellschaft oder Personengesellschaft handelt – sowohl bei den finanziellen Überschüssen als auch beim Kapitalisierungszinssatz zu treffen.

10.218

Bei der Bestimmung subjektiver Unternehmenswerte ist grundsätzlich die tatsächliche Steuerbelastung der Unternehmenseigner zugrunde zu legen, soweit diese bekannt ist. Im Einzelfall kann auch hier eine Typisierung der steuerlichen Verhältnisse sachgerecht sein.3

1 Vgl. IDW S 1.29. 2 Vgl. IDW S 1.30 und 1.45. 3 Vgl. IDW S 1.58.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.223 Kap. 10

d) Abschreibungsbedingter Steuervorteil (Tax Amortisation Benefit) Der Tax Amortisation Benefit beschreibt den Vorteil eines potentiellen Erwerbers aus den Steuervorteilen aus der Abschreibung der erworbenen Vermögenswerte. Dieser kann dann zum Tragen kommen, wenn einzelne Vermögensgegenstände Gegenstand einer Veräußerung sind und diese durch den Erwerber steuerwirksam abgeschrieben werden können. Anders als bei der Übertragung ganzer Unternehmen oder Anteilen an Unternehmen im Rahmen eines Share Deals werden im Rahmen eines Asset Deals einzelne Vermögenswerte übertragen. Daher erscheint es sachgerecht, im Falle von Asset Deals, Funktionsverlagerungen oder der Übertragung immaterieller Wirtschaftsgüter die steuerlichen Folgewirkungen aus der Übertragung bereits in der Wertfindung zu berücksichtigen, sofern aus der Sicht eines Erwerbers zu bewerten ist.1

10.219

e) Besteuerung der Veräußerungsgewinne des Bewertungsobjekts Steuerliche Konsequenzen können sich auch aus der Veräußerung des Bewertungsobjekts selbst ergeben. Diese führen zu einer zusätzlichen Steuerbelastung und es stellt sich die grundlegende Frage, ob und wenn ja, in welchem Umfang diese bei der Wertermittlung zu berücksichtigen ist.

10.220

Die Beantwortung dieser Frage richtet sich stark nach dem Zweck der Bewertung. Wird eine objektivierte Bewertung zur Bestimmung eines gemeinen Werts gem. § 9 BewG durchgeführt, so sind grundsätzlich die Effekte aus der Besteuerung des Veräußerungsvorgangs selbst nicht einzubeziehen, da sich diese nicht in dem Preis widerspiegeln, „der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre.“ Dazu konsistent fordert auch IDW S 1 keine Berücksichtigung derartiger Steuereffekte bei der Wertermittlung.

10.221

In Abgrenzung dazu ist nach der Rechtsprechung des BGH2 zur Ermittlung des Ausgleichsanspruchs in Fällen des Zugewinnausgleichs eine fiktive Veräußerung des Unternehmens zu unterstellen. Von dem ermittelten Ertragswert des Unternehmens ist die persönliche Ertragsteuerbelastung beim konkreten Eigentümer bzw. Anteilseigner in Abzug zu bringen. Ziel dieser Methodik ist die Ermittlung des Werts, der bei einer Veräußerung durch den Verpflichteten zu erzielen wäre. Mithin vermindert die Steuerbelastung den maßgeblichen Wert.

10.222

Dazu konträr fordern die Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung 20103 die Steuerzahlungen auf den Veräußerungsvorgang werterhöhend im Grenzpreis des verlagernden Unternehmens zu berücksichtigen. Im Ergebnis führt dies bei einem unterstellten Unternehmenssteuersatz von 29,475 % zu einer signifikanten Erhöhung des Mindestpreises für das verlagerte Transferpaket um rund 41,8 % und einer erheblichen steuerlichen Mehrbelastung. Ob die bemessungsgrundlagenerhöhende Berücksichtigung dieser Steuern bei Funktionsverlagerungen im Einklang mit dem Gesetzeswortlaut steht, wird im Schrifttum4 angezweifelt.

10.223

1 Vgl. für immaterielle Wirtschaftsgüter IDW S 5.47. 2 Vgl. BGH, Urt. v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BGHZ 188, 249; BGH Urt. v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, NJW 2011, 999. 3 Vgl. BMF, Schr. v. 13.10.2010 – IV B 5 - S 1341/08/10003, BStBl. I 2010, 774 Rz. 118. 4 Vgl. statt vieler Ditz/Greinert in F/W/B/S, § 1 AStG Rz. 1283.

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Kap. 10 Rz. 10.224 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

6. Mindestwerthypothese 10.224

Nach Verwaltungsauffassung soll es nicht möglich sein, dass der gemeine Wert nicht notierter Anteile an einer Kapitalgesellschaft aufgrund der Haftungsbeschränkung des Gesellschafters einen negativen Wert annimmt, auch wenn der Wert des Betriebsvermögens der Gesellschaft, der sich aus einem Gutachten, nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren oder als Substanzwert ergibt, negativ ist. Der Wert nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften sei nach Ansicht der Verwaltung in diesem Fall mit 0 € festzustellen.1

10.225

Davon abweichend akzeptiert die Finanzverwaltung bei einer Bewertung von grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen (Funktionsverlagerungen, immateriellen Wirtschaftsgütern) im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs nach § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG die Feststellung negativer Werte. In Verlustfällen wird die Untergrenze des Einigungsbereichs des verlagernden Unternehmens entweder durch die zu erwartenden Verluste oder durch die Schließungskosten begrenzt.2

VI. Vereinfachtes Ertragswertverfahren 1. Vor- und Nachteile 10.226

Das vereinfachte Ertragswertverfahren (§§ 199 ff. BewG) kommt in der Praxis sehr häufig anstelle der üblichen Kapitalwertmethoden nach IDW S 1 bei der Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften als auch für die Bewertung von Betriebsvermögen kleinerer Unternehmen zur Anwendung. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt in seiner geringeren Komplexität und des höheren Grads an Standardisierung, wodurch Bewertungen zeit- und kostengünstiger durchgeführt und die Diskussionspunkte mit den Steuerbehörden reduziert werden können. Dem steht allerdings der Nachteil geringerer Freiheitsgrade bei der Wahl der Bewertungsparameter und der tendenziell profiskalischen Vorgabe zentraler Bewertungsparameter entgegen.

2. Anwendungsbereich 10.227

Durch den Verweis in § 11 Abs. 2 Satz 4 BewG ist das in § 199 ff. BewG geregelte vereinfachte Ertragswertverfahren allgemein für Unternehmensbewertungen anwendbar und ist nicht auf die Erbschaft- und Schenkungsteuer beschränkt. Das vereinfachte Ertragswertverfahren stellt ein „Angebot“ des Gesetzgebers zur Ermittlung des gemeinen Werts anstelle anderer betriebswirtschaftlicher Methoden zur Unternehmensbewertung dar.3

10.228

Keine Anwendung findet diese typisierende Methode allerdings in Fällen, in denen diese zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt. Nach Verwaltungsauffassung können als Indikatoren für offensichtlich unzutreffende Ergebnisse folgende Erkenntnisquellen herangezogen werden: Vorliegen zeitnaher Verkäufe nach dem Bewertungsstichtag, Vorliegen von Verkäufen mehr als ein Jahr vor dem Bewertungsstichtag, Erbauseinandersetzungen, neu gegründete Unternehmen, komplexe Unternehmensstrukturen oder Branchenwechsel.4

10.229

Da es sich bei dem vereinfachten Ertragswertverfahren um ein typisierendes Verfahren handelt, sind die Modalitäten der Bewertung in §§ 199 ff. BewG abschließend geregelt. Grund1 Vgl. R B 11.4 Abs. 10 ErbStR. 2 Vgl. § 7 Abs. 3 FVerlV; BMF, Schr. v. 13.10.2010, IV B 5 – S1341/08/1003, BStBl. I 2010, S. 774 Rz. 2.7.3. 3 Vgl. Bericht des BT-Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/11107 zu § 199 BewG. 4 Vgl. R B 199.1 Abs. 5 f. ErbStR 2019.

846 | S. Stein

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.235 Kap. 10

sätzlich ist zur Ermittlung des Ertragswerts der zukünftig nachhaltig erzielbare Jahresertrag mit einem gesetzlich festgelegten Kapitalisierungsfaktor zu multiplizieren.

3. Kapitalisierungszeitraum Da der Anwendungsbereich des vereinfachten Ertragswertverfahrens auf Unternehmensbewertungen beschränkt ist, wird im Grundsatz konsistent zu den anerkannten betriebswirtschaftlichen Kapitalwertmethoden von einem unbegrenzten Kapitalisierungszeitraum ausgegangen.

10.230

4. Finanzielle Überschüsse a) Ableitung des nachhaltig erzielbaren Jahresertrags Zur Ermittlung des zukünftig nachhaltig erzielbaren Jahresertrags ist nach § 201 Abs. 1 Satz 2 BewG grundsätzlich auf den Mittelwert der in den letzten drei Wirtschaftsjahren vor dem Bewertungsstichtag erzielten Jahreserträgen abzustellen. Hat sich allerdings in diesem Dreijahreszeitraum der Charakter des Unternehmens nach dem Gesamtbild der Verhältnisse nachhaltig geändert oder ist das Unternehmen neu entstanden ist, ist nach § 201 Abs. 3 BewG ein verkürzter Ermittlungszeitraum zugrunde zu legen. Zu beachten ist, dass dieser – im Unterschied zu den betriebswirtschaftlichen Bewertungsmethoden – aus dem Steuerbilanzgewinn zu ermitteln ist.

10.231

Von dieser „vergangenheitsbezogenen“ Ermittlung des nachhaltig erzielbaren Jahresertrags darf nur in Ausnahmefällen abgewichen werden, wenn zum Bewertungsstichtag bereits feststeht, dass sich der künftige Jahresertrag durch bekannte objektive Umstände nachhaltig verändert. Die Nutzung von Plandaten ist folglich für das vereinfachte Ertragswertverfahren nur sehr begrenzt zulässig, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse seit dem Bewertungsstichtag durch objektive Umstände, wie z.B. den Tod des Unternehmers, geändert haben. Die erwarteten künftigen Veränderungen sind dann entsprechend bei der Ermittlung des Durchschnittsertrags zu berücksichtigen. Es ist einleuchtend, dass diese vom Regelfall abweichende Behandlung ein erhöhtes Aufgriffsrisiko in Betriebsprüfungen birgt und eine Beweisvorsorge durch eine entsprechende Dokumentation getroffen werden sollte.

10.232

Keinen Eingang in die Ermittlung des nachhaltig erzielbaren Jahresertrags sollen einmalige bzw. nicht nachhaltige Einflüsse auf den Steuerbilanzgewinn finden. Deshalb sind insbesondere diese einmaligen Einflussfaktoren (z.B. Investitionsabzugsbeträge, Investitionszulagen, Sonderabschreibungen, einmalige Veräußerungsgewinne und -verluste) bei der Ermittlung des Jahresertrags zu korrigieren (vgl. § 202 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a–d und Nr. 2 Buchst. a–c BewG).

10.233

Bei Personengesellschaften und kleineren Kapitalgesellschaften ist für Zwecke der Ermittlung des Jahresertrags zu beachten, dass eine fremdübliche Vergütung für den Unternehmer bzw. den Gesellschafter-Geschäftsführer und dessen ggf. unentgeltlich tätigen Familienangehörigen (fiktiv) ergebnismindernd erfasst wird (vgl. § 202 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. d BewG). In der Bewertungspraxis kommt der Ermittlung des angemessenen Unternehmerlohns eine zentrale Bedeutung zu, da sich aus der üblichen Bandbreite an fremdüblichen Gehältern von Fremdgeschäftsführern eine der wenigen Bewertungs-Stellschrauben ergibt. Entsprechend sollte auch hier zur Vorbereitung auf Rückfragen der Finanzbehörden proaktiv auf Fremdvergleichsdaten (z.B. öffentliche Datenbanken) zurückgegriffen werden.

10.234

Zu beachten ist ferner, dass das vereinfachte Ertragswertverfahren auf eine Bewertung des betriebsnotwendigen Vermögens ausgerichtet ist und folglich die finanziellen Beiträge des nicht betriebsnotwendigen Vermögens (z.B. überschüssige Liquidität, nicht betriebsnotwendige Ka-

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Kap. 10 Rz. 10.235 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

pitalanlagen) im zukünftig nachhaltig erzielbaren Jahresertrag nicht erfasst sind (§ 200 Abs. 2 BewG). Entsprechend müssen etwaige Erträge und Aufwendungen aus nicht betriebsnotwendigem Vermögen (z.B. Kapitalerträge, Zinsaufwand) bei der Ableitung der finanziellen Überschüsse berichtigt und das nicht betriebsnotwendige Vermögen und damit zusammenhängende Schulden dem Unternehmenswert zusätzlich hinzugerechnet werden.

10.236

Neben diesem sind zur Bestimmung des nachhaltig erzielbaren Jahresertrags auch die Aufwendungen und Erträge im Zusammenhang mit jungem Betriebsvermögen (innerhalb von zwei Jahren vor dem Bewertungsstichtag in das Betriebsvermögen eingelegte Wirtschaftsgüter) und damit im Zusammenhang stehende Schulden sowie Beteiligungen an anderen Gesellschaften zu korrigieren (vgl. § 202 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. f und Nr. 2 Buchst. f BewG) und die Werte für junges Betriebsvermögen und Gesellschaftsbeteiligungen dem Unternehmenswert gesondert hinzuzurechnen (§ 200 Abs. 3 f. BewG).

10.237

Ebenso sind auch die tatsächlich gezahlten oder erstatten Ertragsteuern für die Ermittlung des nachhaltig erzielbaren Jahresertrags zu eliminieren (vgl. § 202 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Buchst. e und Nr. 2 Buchst. e BewG) und durch eine typisierte Ertragssteuerbelastung i.H.v. 30 % zu ersetzen. b) Ausschüttungshypothese

10.238

Im Unterschied zu den betriebswirtschaftlichen Kapitalwertmethoden, die eine Teilausschüttung erzielter Gewinne fingieren, liegt dem vereinfachten Ertragswertverfahren eine Vollausschüttungshypothese zugrunde. Da sich im vereinfachten Ertragswertverfahren aufgrund der ewigen Rente keine Periodendifferenzierungen ergeben, hat der Zeitpunkt des Zuflusses beim Anteilseigner keinen Effekt auf das Bewertungsergebnis. c) Keine Zu- und Abschläge aufgrund besonderer Umstände

10.239

Zu beachten ist ferner, dass nach R B 11. 4 Abs. 1 ErbStR die in der Praxis oftmals vorgenommenen Zu- und Abschläge aufgrund besonderer Umstände im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens sehr restriktiv behandelt werden. Demnach können besondere Umstände, die bei der Ermittlung des gemeinen Werts im vereinfachten Ertragswertverfahren und beim Ansatz mit dem Substanzwert nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen sind, nicht durch Zu- und Abschläge berücksichtigt werden. Dazu zählen insbesondere die nachhaltig unverhältnismäßig geringen Erträge bei einem großen Vermögen des Unternehmens, die schwere Verkäuflichkeit der Anteile, eine Zusammenfassung aller oder mehrerer Anteile in einer Hand, die bei einem Verkauf der Anteile bzw. einer Liquidation der Gesellschaft anfallenden Ertragsteuern, eine Unterkapitalisierung, das Fehlen eigener Betriebsgrundstücke und -gebäude und die Vorteile, die eine Kapitalgesellschaft aus der Verbindung zu anderen Unternehmen der Anteilseigner zieht. Ebenso sind auch besondere Umstände sowie ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse, z.B. Verfügungsbeschränkungen, nicht bei der Bewertung zu berücksichtigen.

5. Kapitalisierungszinssatz 10.240

Der Kapitalisierungsfaktor ist in § 203 BewG verbindlich geregelt und beträgt für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2015 13,75. Für davor liegende Zeiträume ermittelt sich der im vereinfachten Ertragswertverfahren anzuwendende Kapitalisierungszinssatz aus einem Basiszinssatz und einem (Risiko-)Zuschlag von 4,5 %. Der Basiszinssatz ist aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten und für alle Wertermittlungen auf Bewertungsstichtage in diesem Jahr anzuwenden. Er wurde vom BMF jeweils im BStBl. veröffentlicht. 848 | S. Stein

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.245 Kap. 10

6. Bewertung ausländischer Anteile Grundsätzlich ist der Anwendungsbereich des vereinfachten Ertragswertverfahrens auch für die Bewertung von Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften oder ausländischem Betriebsvermögen eröffnet.1

10.241

Da das vereinfachte Ertragswertverfahren über die Verweisung in § 11 Abs. 2 Satz 4 BewG auch für ertragsteuerliche Zwecke zur Ermittlung des gemeinen Werts Anwendung finden soll, könnte der Steuerpflichtige geneigt sein, auch grenzüberschreitende Geschäftsvorfälle zwischen nahestehenden Personen (z.B. Unternehmensübertragungen, Funktionsverlagerungen) nach dieser Methode zu bewerten. U.E. ist das vereinfachte Ertragswertverfahren in diesen Fällen im Regelfall keine präferierte Methode, da zum einen die deutschen Typisierungen der Bewertungsparameter zu Doppelbesteuerungsrisiken führen können. Zum anderen ist stets auch § 1 AStG bei grenzüberschreitenden Geschäftsvorfällen subsidiär zugunsten des deutschen Fiskus anzuwenden (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 4 AStG), so dass ein möglicherweise vorteilhaftes Ergebnis für den Steuerpflichtigen durch eine zusätzliche Bewertung im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs aufgefüllt wird.2 Zudem ist zu beachten, dass die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens seitens der Finanzbehörden bei komplexen Strukturen von verbundenen Unternehmen als ungeeignet angesehen wird.3

10.242

VII. Wertuntergrenze (Substanzwert, Liquidationswert) Bei einer Bewertung unter Berücksichtigung von Ertragsaussichten dient der Substanzwert als Wertuntergrenze bei der Ermittlung des gemeinen Werts gem. § 11 Abs. 2 S. 3 BewG. Der Ansatz des Substanzwerts ist nach Verwaltungsmeinung ausgeschlossen, wenn der gemeine Wert aus tatsächlichen Verkäufen unter fremden Dritten im gewöhnlichen Geschäftsverkehr abgeleitet wird.4

10.243

Der Substanzwert ist definiert als „Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze abzüglich der zum Betriebsvermögen gehörenden Schulden und sonstigen Abzüge“. Die Schwachstelle dieses Bewertungskalkül als einzelwertbasiertem Rekonstruktionswert liegt in dem fehlenden Bezug zu den bewertungsrelevanten Überschüssen, so dass dieser Wert u.E. keinen weiteren Erkenntnisgewinn bringt. Besser wäre u.E. die Bezugnahme auf den Liquidationswert, wie bspw. in IDW S 1.140 oder § 7 Abs. 2 FVerlV. Dieser stellt einen absatzmarktorientiert ermittelten Substanzwert dar, der bei einer Zerschlagung des Unternehmens zum Bewertungsstichtag resultierenden Wert misst.

10.244

VIII. Bewertung von Grundstücken 1. Grundüberlegungen zur Grundstücksbewertung Bewertungsfragen sind der Ausgangspunkt zahlreicher steuerrechtlicher Überlegungen. Vor diesem Hintergrund nehmen Bewertungsfragen zugleich einen zunehmenden Stellenwert auch in der Abwehrberatung ein, wie bereits eingangs dargestellt. Bewertungsanlass für Grundstücksbewertungen sind in der Praxis Zuwendungen nach dem ErbStG, Bewertungen der Entnahme von Grundstücken aus dem Betriebsvermögen aber auch Grundstücksbewer1 2 3 4

R B 199.2 Satz 1 ErbStR 2019. Siehe BMF, Schreiben v. 14.7.2021, IV B 5 – S 1341/19/10017 :001, Tz. 1.4. R B 199.1 Abs. 4 und 6 Satz 1 Nr. 1 ErbStR 2019. R B 11.3 Abs. 2 Satz 3 ErbStR 2019.

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Kap. 10 Rz. 10.245 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

tungen im Rahmen der Einheitswertfeststellung zur Grundsteuererhebung oder für grunderwerbsteuerliche Zwecke.

2. Bewertungsverfahren nach dem BewG a) Grundstücksbewertung

10.246

Die Bewertung von Grundstücken erfolgt anlassabhängig. Die bislang geltende Einheitswertfeststellung im Rahmen der Grundsteuererhebung spielt in der Betriebsprüfungspraxis eine kaum wahrnehmbare Rolle, so dass die Bewertungsvorschriften hiernach ausgespart bleiben sollen. Eine weitere Sondermaterie stellt die Bewertung land- und forstwirtschaftlichen Vermögens gem. § 158 BewG dar, die in diesem Kapitel ebenfalls ohne Vertiefung bleibt.

10.247

Die die Grundstücksbewertung betrifft die Bewertung von Grund und Boden, Gebäuden, sonstige Bestandteile und Zubehör. Ebenso unterfallen diesen Bewertungen die Bewertungen der Erbbaurechte, des Wohnungseigentums, Teileigentums u.Ä. Bodenschätze und Betriebsvorrichtungen sind nicht in das Grundvermögen einzubeziehen. Bewertungsrechtlichen eine Grundunterscheidung zwischen der Bewertung unbebauter Grundstücke gem. § 178 bzw. 180 BewG getroffen. Ungeachtet dessen, dass die Grundbesitzbewertungen nach dem BewG Verkehrswerte abbilden sollen, hat die Finanzverwaltung anders als bei der Unternehmensbewertung nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren weiterhin davon abgesehen, die Bewertungen nach dem BewG auch für ertragsteuerliche Immobilienbewertungen heranzuziehen. Dort kommt es daher regelmäßig weiterhin auf sachverständige Bewertungsgutachten an. b) Umfang der Bewertung des Grundbesitzes und Abgrenzungen

10.248

Vorab ist bei der Bewertung zu prüfen, welcher Bewertungskategorie die zu bewertenden Gegenstände unterfallen. Bei der Grundbesitzbewertung kommt dabei der Abgrenzung zwischen Grund- bzw. land- und forstwirtschaftlichem Vermögen Bedeutung zu, ebenso wie der Abgrenzung zwischen Grundvermögen und Betriebsvorrichtungen nach § 68 Abs. 2 und § 176 Abs. 2 Nr. 2 BewG. Betriebsvorrichtungen sind stets separat zu bewerten.

10.249

Ist Grund und Boden der wirtschaftlichen Einheit eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft zu dienen bestimmt, so erfolgt die Bewertung dieser Grund und Bodenteile nach den land- und forstwirtschaftlichen Bewertungsvorschriften nach § 158 BewG ff. Ausgenommen von der land- und forstwirtschaftlichen Bewertung sind die Betriebswohnungen und der Wohnteil gem. § 167 BewG. Ebenso ausgenommen von der Bewertung als land- und forstwirtschaftliches Vermögen ist Grundvermögen, für das nach der Lage und den am Bewertungsstichtag bestehenden Verwertungsmöglichkeiten bzw. den Umständen anzunehmen ist, dass es in absehbarer Zeit anderen als land- und forstwirtschaftlichen Zwecken dienen wird, insbesondere als Bauland, Industrieland oder als Land zu Verkehrszwecken (§ 159 BewG). Insoweit erfolgt die Bestimmung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens nach § 158 Abs. 3 BewG und damit nach eigenen Abgrenzungsmaßstäben. In der Betriebsprüfungspraxis ist dies von Bedeutung, da die Gewährung der Vergünstigungen nach § 13a, b ErbStG nicht an der Einordnung als landwirtschaftliches Vermögen nach § 13 EStG, sondern als land- und forstwirtschaftliches Vermögen nach § 158 BewG hängt. Vor diesem Hintergrund kann auch im einkommensteuerlichen Privatvermögen gehaltenes land- und forstwirtschaftliches Vermögen i.S.v. § 158 BewG nach § 13a, b ErbStG erbschaftsteuerlich begünstigt sein.1 Dies ist 1 Stalleiken in von Oertzen/Loose2, § 13b ErbStG Rz. 29.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.253 Kap. 10

etwa für verpachtete Flächen bedeutsam, die wegen der Gegenausnahme in § 13b Abs. 4 Nr. 1 Buchst. f ErbStG nicht zum Verwaltungsvermögen rechnen. Betriebsvorrichtungen sind in Abgrenzung zum Grundvermögen solche, die zu einer Betriebsanlage und damit nicht zum Grundstück als solchem gehören.1 Ausschlaggebend ist für die Abgrenzung, ob die jeweilige Anlage überwiegend einem Betriebsvorgang dient. Hierzu zählen etwa Spezialbeleuchtungsanlagen, Hotelausstattungen, Lastenaufzüge etc. Qualifizieren Gegenstände als Betriebsvorrichtungen, so sind diese losgelöst vom Grundvermögen zu bewerten. Diese Abgrenzung zwischen Grundstückszubehör und Betriebsvorrichtung hat neben der Wertermittlung eine Fernwirkung auf Abgrenzungen bei der erweiterten Gewerbesteuerkürzung gem. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG.2 Nur soweit keine Betriebsvorrichtungen mitüberlassen werden, wird die erweiterte Gewerbesteuerkürzung gewährt.3

10.250

c) Bewertung unbebauter Grundstücke Bei der Bewertung von Grundvermögen ist zwischen bebauten und unbebauten Grundstücken zu unterscheiden. Grundstücke gelten gem. § 178 BewG so lange als unbebaut, als sich auf diesen keine benutzbaren Gebäude befinden. Die Benutzbarkeit eines Gebäudes beginnt im Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit. Die Abwehrberatung in der Betriebsprüfung rückt daher die Überprüfung des Zustands des Grundstückes vor diesem Hintergrund in den Fokus. Schließlich können sich Bewertungsunterschiede einstellen.

10.251

Fehlt es an benutzbaren Gebäuden, so erfolgt eine Bewertung gem. § 179 BewG nach der Fläche und den Bodenrichtwerten.4 Bei Grundstücken mit im Bau befindlichen Gebäuden ist die Bewertung um die entstandenen Herstellungskosten nach § 196 BewG zu ergänzen. Für Gegenreaktionen bei Außenprüfungen ist festzuhalten, dass aus dieser Zusammenschau von Grundstückswert und entstandenen Herstellungskosten höhere Werte nach dem BewG ermittelt werden können als bei fertig gestellten bebauten Grundstücken, die nach dem Sach- oder Ertragswertverfahren bewertet werden. Im Einzelfall kann es aber das Ziel von Beratungen sein, höhere bewertungsrechtlichen Werte auszuweisen, um etwa erhöhte Unschädlichkeitsquoten von Verwaltungsvermögen zu erreichen durch die höhere Bewertung von nicht an Dritte überlassene Grundstücke.

10.252

Ratsam ist stets eine gezielte Überprüfung der baurechtlichen Gegebenheiten und eine Inaugenscheinnahme vor Ort. So können etwa Baubeschränkungen für Grundstücksteile gerade bei großen Grundstücken eine Abkehr von der schematischen Bewertung nach Grundstücksfläche multipliziert mit dem Bodenrichtwert erforderlich machen bzw. weitere Recherchen zu anderen Bodenwertansätzen anstoßen, sollten Teilbereiche eines Grundstückes keiner baulichen Nutzung zugänglich sein, sondern bspw. als Gartenfläche oder Wald bauplanungsrechtlich ausgewiesen sein.5 Ausgangspunkt ist die Bewertung der wirtschaftlichen Einheit, ggf. im Sinne einer Mischbebauung.

10.253

1 Zur Abgrenzung: Gleichlautender Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder v. 5.6.2013, BStBl. I 2013, 734. 2 FG Köln v. 11.7.2019 – 13 K 2469/17, NWB 2019, 3048 mit Kommentar Meding/Müller, NWB 2019, 3048. 3 BFH v. 11.4.2019 – III R 36/15, BStBl. II 2019, 705. 4 Zur Verbindlichkeit der festgestellten Bodenrichtwerte: BFH v. 11.5.2005 – II R 21/02, BStBl. II 2005, 686. 5 Halaczinsky in Rößler/Troll, § 179 BewG Rz. 6.

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Kap. 10 Rz. 10.254 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

10.254

Soweit § 179 S. 1 BewG die Bewertung anhand der Bodenrichtwerte1 und der Grundstücksfläche vorsieht, sollte gerade in Betriebsprüfungssituationen bewusst sein, dass der Bodenrichtwert lediglich einen Referenzwert und keinen fixen Wert darstellt. Der für ein Gebiet ausgewiesene Bodenrichtwert ist anhand der bezogen auf das zu bewertende Grundstück möglichen Bebaubarkeit und den lagetypischen wertbeeinflussenden Merkmalen zu ermitteln und ggf. zu korrigieren. Wertbeeinflussende Merkmale können neben der Lage insbesondere Maß und Art der Bebauung, die Geschossflächenzahl und die Anzahl der möglichen Geschosse ebenso wie die Grundstücksgröße und sonstige individuelle Gegebenheiten sein. Abweichungen sind durch örtliche Umrechnungskoeffizienten vorzunehmen, sollten solche nicht gegeben sein anhand der in R B 179.2 Abs. 2 ErbStR 2019 angegebenen Koeffizienten. d) Bewertung bebauter Grundstücke aa) Grundlagen der Bewertung bebauter Grundstücke

10.255

Die Bewertung bebauter Grundstücke wird gem. § 180 BewG vollzogen, wobei anhand der in § 181 BewG aufgelisteten Grundstücksarten eine Klassifizierung erfolgt und schließlich eine Bewertung gemäß den in § 182 BewG geregelten drei Bewertungsverfahren umgesetzt wird. Unterschieden wird dabei zwischen dem Vergleichswertverfahren nach § 182 Abs. 2 BewG, dem Ertragswertverfahren nach § 182 Abs. 3 BewG und dem Sachwertverfahren nach § 182 Abs. 4 BewG. Eine Sonderbewertung erfolgt für Erbbaurechte und Erbbaugrundstücke nach § 192 ff. BewG.

10.256

Zumal die Werte, welche anhand der verschiedenen Bewertungsverfahren ermittelt werden, sich teils erheblich unterscheiden, zeigt sich die Notwendigkeit die Bestimmung der Grundstücksarten gem. § 181 BewG mit großer Sorgfalt durchzuführen und Umklassifizierungsüberlegungen anzustellen. Häufig wird sich eine Vorortbegehung anbieten. bb) Vergleichswertverfahren/Vergleichsfaktorverfahren

10.257

Im Vergleichswertverfahren sind Wohnungseigentum, Teileigentum und Ein- bzw. Zweifamilienhäuser zu bewerten. Abgrenzungserfordernisse können sich auch zwischen einem Zweifamilienhaus und einem Mehrfamilienhaus nach § 181 Abs. 2 BewG einstellen. Weist die Bebauung drei Wohnungen anstatt zwei auf, erfolgt keine Bewertung im Vergleichs- sondern im Ertragswertverfahren. Daher ist zu überprüfen, ob weitere Einheiten im Gebäude sind, die gem. § 181 Abs. 9 BewG als Wohnung qualifizieren, insbesondere eine Wohnfläche von mindestens 23 m² haben und mit Küche, Bad und Toilette ausgestattet sind. In weiterer Abgrenzung zu ermitteln ist, ob tatsächlich Wohn- oder Geschäftsgrundstücke vorliegen,2 etwa weil Wohnungen zulässigerweise als Arztpraxen umgebaut und genutzt werden. Schließlich kommt es gem. R B 181.1 Abs. 1 Satz 7 ErbStR auf die tatsächliche Nutzung am Bewertungsstichtag an.

10.258

Die Bewertung im Vergleichswertverfahren nach § 183 Abs. 1 BewG erfolgt durch Heranziehung von Grundstückskaufpreisen, die hinsichtlich der ihren Wert beeinflussenden Merkmale mit dem zu bewertenden Grundstück hinreichend übereinstimmen. Im Einzelfall soll auch auf andere Kaufpreissammlungen als solche nach § 195 BauGB zurückgegriffen werden 1 Zur Bewertung bei fehlenden Bodenrichtwerten: Roscher, DStR 2012, 122. 2 Siehe auch R B 181.1 Abs. 1 ErbStR zu Fragen der Mitbenutzung, etwa wenn Räume in einem Einfamilienhaus für betriebliche Zwecke mitbenutzt werden, dies aber weniger als 50 % der Fläche betrifft und die Eigenart als Einfamilienhaus nicht beeinträchtigt wird.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.262 Kap. 10

können.1 Sind keine repräsentativen Vergleichswerte ermittelt worden, kommen nach § 183 Abs. 2 BewG auch von den Gutachterausschüssen ermittelte und mitgeteilte Vergleichsfaktoren in Betracht. Entscheidend ist, dass Besonderheiten individueller Art im Wege des Vergleichswertverfahrens gem. § 183 Abs. 3 BewG nicht berücksichtigt werden. Hier bietet sich nur der Ausweg über den nach Nachweis eines niedrigeren Verkehrswertes gem. § 198 BewG. Wichtig ist auch, welche Qualität der Wert und das abstrakte referenzierte Grundstück aufweisen muss, um der Legaldefinition „Vergleichsgrundstück“ zu entsprechen. Hierbei kann insbesondere der für das nämliche Grundstück unter fremden Dritten innerhalb eines Jahres vor dem Bewertungsstichtag erzielte Kaufpreis ein denkbarer Vergleichswert sein. Dies wird von der Finanzverwaltung2 und in der Literatur3 unter Verweis auf die Wendung „grundsätzlich“ in § 182 Abs. 2 BewG bejaht, sollte aber nicht unreflektiert bleiben. Schließlich findet sich die Wendung „grundsätzlich“ in der Kategorisierungsnorm des § 182 BewG wider, während § 183 BewG die Bewertung betrifft; die Vergleichspreise der Gutachterausschüsse haben dabei gem. § 183 Abs. 1 Satz 2 BewG Vorrang, weshalb m.E. andere Vergleichskaufpreise, auch des nämlichen Grundstücks, im Rahmen einer Vergleichsbewertung zurückstehen müssen.

10.259

Gerade in Ballungsraumlagen führen Bewertung im Sachwertverfahren häufig zu deutlich geringeren Werten gegenüber Bewertungen im Vergleichswertverfahren. Aufgabe eines Beraters auch in Betriebsprüfungen ist daher, festzustellen, ob ein etwaiger vorgetragener Wert tatsächlich ein zulässiger Vergleichswert ist. Insoweit besteht auch eine volle gerichtliche Überprüfbarkeit, die nicht auf offensichtliche Unrichtigkeiten beschränkt ist.4 So hatte das FG Köln Bedenken bei einer Bewertung der wirtschaftlichen Einheit anhand des zugrunde gelegten Kaufpreismittelwert pro m² Wohnfläche ungeachtet der Beschränkung der Lagekriterien auf die Unterscheidung zwischen mittlerer und guter Wohnlage und des fehlenden Ausweises differenzierter Baujahresspannen. Auch soweit der örtliche Gutachterausschuss keine Anpassungsfaktoren für die gebotene Berücksichtigung von Abweichungen liefert, kann dies der Anwendbarkeit des Vergleichsverfahrens entgegenstehen.5

10.260

In Auseinandersetzungen mit der Betriebsprüfung ist auch im Auge zu behalten, dass in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt ist, ob das Vergleichspreisverfahren gem. § 183 Abs. 1 BewG und das Vergleichsfaktorverfahren nach § 183 Abs. 2 BewG gesetzessystematisch gleichrangig sind, so dass das Finanzamt nach seinem Ermessen zwischen diesen Verfahren auswählen kann6, oder aufgrund des in § 183 Abs. 1 Satz 2 BewG geregelten Vorrangs der Bewertung nach Vergleichspreisen das Vergleichsfaktorverfahren nur zur Anwendung kommen kann, wenn nach Mitteilung des Gutachterausschusses keine Vergleichspreise vorliegen.7

10.261

Insgesamt ist in der Abwehrberatung mit zu berücksichtigen, dass hinterfragt werden sollte, ob ein etwaig im Rahmen eines Grundstücksmarktberichtes ausgewiesener Vergleichswert überhaupt als Vergleichswert aufgrund ausreichend vieler repräsentativer Verkaufsfälle herangezogen werden kann. So hält Halaczinsky8 fest, dass eine Normalverteilung erst ab 30 Kauf-

10.262

1 2 3 4 5 6 7 8

Mannek in von Oertzen/Loose2, § 183 ErbStG Rz. 18. R B 183 Abs. 2 ErbStR. Halaczinsky in Rössler/Troll, § 183 BewG Rz. 5. FG Hamburg v. 7.7.2015 – 3 K 244/14, BeckRS 2015, 95539; FG Köln, Beschl. v. 11.4.2019 – 4 V 405/19, DStRE 2019, 1271 (rkr.). FG Köln, Beschl. v. 11.4.2019 – 4 V 405/19, DStRE 2019, 1271 (rkr.). FG Hamburg v. 18.1.2016 – 3 K 17615, BeckRS 2016, 94392. FG Nds. v. 11.4.2014 – 1 K 107/11, EFG 2014, 1364; Halaczinsky in Rössler/Troll, § 183 BewG Rz. 7. Rössler/Troll, § 183 BewG Rz. 2.

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Kap. 10 Rz. 10.262 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

preisen von direkt miteinander vergleichbaren Objekten mit einiger Sicherheit mathematisch nachgewiesen werden kann.1 Andere Kommentartoren sehen einen Vergleichswert aber auch bei deutlich geringeren Vergleichsverkäufen, etwa 10, als gegeben an. Für die Finanzverwaltung soll ggf. nur ein Vergleichsgrundstückskaufpreis genügen2, wobei sich Fragen zur Erkennbarkeit und auch zur Anonymisierung im Hinblick auf das Steuergeheimnis stellen.3 Für den Umstand, dass die herangezogenen Vergleichspreise repräsentativ und geeignet sind, ist nach den allgemeinen Regelungen das Finanzamt feststellungsbelastet.4

10.263

Liegen repräsentative Werte aus Grundstücksmarktberichten der Gutachterausschüsse vor, stellt sich die Frage, der Grundstücksmarktbericht welchen Jahres heranzuziehen ist. Entweder kann dies der zuletzt veröffentlichte Bericht sein oder der Grundstücksmarktbericht, der sich auf den Zeitraum bezieht, in dem das Bewertungsereignis stattgefunden hat. Das FG Niedersachsen5 hatte sich für die Verwendung des letzten vor dem Bewertungsstichtag veröffentlichten Grundstücksmarktbericht ausgesprochen. Hierfür war entscheidend, dass der ermittelte Wert nicht danach variieren soll, wann die Berechnung durchgeführt wird (vor oder nach Veröffentlichung des nächsten Grundstücksmarktberichtes). Der BFH hat dies nunmehr zur Anwendung von Vergleichsfaktoren anders gesehen und eine Maßgeblichkeit des Veröffentlichungsdatum des Grundstücksmarktberichts abgelehnt.6 Die Praxis der Finanzverwaltung hatte schon zuvor das Veröffentlichungsdatum unberücksichtigt gelassen. cc) Bewertung im Ertragswertverfahren

10.264

Im Ertragswertverfahren sind Mietwohngrundstücke und Geschäftsgrundstücke sowie gemischt genutzte Grundstücke zu bewerten, für die sich auf dem örtlichen Grundstücksmarkt eine übliche Miete ermitteln lässt. Das Ertragswertverfahren ist durch eine Bewertung des Gebäudeertragswerts getrennt vom Bodenwert gekennzeichnet, wobei der Bodenwert sich nach § 179 BewG ermittelt.

10.265

Streit- und argumentationsanfällig ist dabei der Gebäudeertragswert. Dies beginnt bereits beim Rohertrag des Grundstücks als Ausgangsgröße, wobei nach § 186 Abs. 1 BewG auf die Vereinbarungen am Bewertungsstichtag abzustellen ist. Übertragungen unmittelbar vor dem Abschluss lukrativer Mietverträge können somit zweckmäßig sein. Aus Betriebsprüfungssicht wichtiger ist, den maßgebenden Rohertrag zu ermitteln und dabei gerade Betriebskostenumlagen abzusetzen. Häufig anzutreffen ist auch der Ansatz einer von der tatsächlichen Miete abweichenden üblichen Miete gem. § 186 Abs. 2 Nr. 2 BewG, soweit die tatsächliche Miete um mehr als 20 % von der üblichen Miete abweicht. Beim Rückgriff auf Werte des Mietspiegels ist ein Vergleich mit den jeweils untersten (bei niedrigen Mieten) bzw. obersten Wert (bei höheren Mieten) anzustellen, um eine unübliche Miete zu bestimmen7. Dabei sind auch Zuund Abschlagsfaktoren im Mietspiegel zu berücksichtigen.

10.266

Vom Rohertrag sind die Bewirtschaftungskosten gem. § 187 BewG abzusetzen, um den Grundstücksreinertrag zu ermitteln. Hier wird zu prüfen sein, ob die pauschalen Bewirtschaf1 2 3 4 5 6 7

Ähnlich: Mannek in von Oertzen/Loose2, § 183 BewG Rz. 19. H B 183 Abs. 2 ErbStH. Mannek in von Oertzen/Loose2, § 183 BewG Rz. 20. FG Hamburg v. 18.1.2016 – 3 K 176/15, BeckRS 2016, 94392. FG Nds. v. 17.9.2015 – 1 K 147/12, EFG 2016, 185. BFH, Urt. v. 18.9.2019 – II R 13/16, DSTRE 2020, 83. BFH, Urt. v. 5.12.2019 – II R 41/16, DStRE 2020, 738; Halaczinsky in Rössler/Troll, § 186 BewG Rz. 15.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.272 Kap. 10

tungskosten nach Anl. 23 zum BewG heranzuziehen sind oder die von den Gutachterausschüssen festgestellten. Relevanter hingegen sind genaue Abgrenzungen zur Bestimmung des Liegenschaftszinssatzes gem. § 188 BewG. Dieser kann sich aus den Grundstücksmarktberichten abzulesen, subsidiär aus § 188 Abs. 2 BewG, Da für die Kategorisierung auf Flächenverhältnisse abgestellt wird, kann aus Sicht der Abwehrberatung eine nutzungszweckentsprechende Prüfung der Flächen einschließlich der Nachberechnung der Wohn- und Nutzflächen sinnvoll erscheinen. Der Liegenschaftszinssatz ist mit dem Bodenwert zu multiplizieren und sodann zur Ermittlung des Gebäudereinertrages vom Grundstücksreinertrag gem. § 185 Abs. 2 BewG abzuziehen.

10.267

Im aktuellen hochpreisigen Immobilienumfeld sind die pauschalen Liegenschaftszinssätze gem. § 188 Abs. 2 BewG hoch angesetzt und führen zu geringen Grundstückswerten. Finanzverwaltungsseitig wird daher häufig versucht werden, etwaige in den Grundstücksmarktberichten durch die Gutachterausschüsse ermittelte Liegenschaftszinssätze der Besteuerung zugrundezulegen. Gerade in kleineren Städten sollte der Ansatz der Liegenschaftszinssatz des Gutachterausschusses nicht unkritisch begegnet werden. Insbesondere bei geringen Verkaufszahlen und undifferenzierten Angaben in Spannen1 stellt sich die Frage, ob die so ermittelten Liegenschaftszinssätze „geeignet“ sind.2

10.268

Des Weiteren ist der Vervielfältiger im Blick zu behalten, mit dem der Gebäudereinertrag multipliziert wird. Dies ist eine wesentliche wertbestimmende Komponente, die sich an der Gebäudeklassifizierung gemäß dem Liegenschaftszinssatz und der Restnutzungsdauer des Gebäudes ausrichtet gem. Anlage 21 zum BewG. Dies ist auch die zusätzliche wertbestimmende Ausprägung des Liegenschaftszinssatzes, weshalb vorstehend eine genauere Überprüfung seiner Ermittlung angedacht wurde.

10.269

dd) Bewertung Im Sachwertverfahren Im Sachwertverfahren sind Grundstücke zu bewerten, für die mangels Vergleichswert eine Bewertung im Vergleichswertverfahren nicht möglich ist, Geschäftsgrundstücke, die nicht im Ertragswertverfahren zu bewerten sind, und sonstige bebaute Grundstücke. Ähnlich wie beim Ertragswertverfahren sind separat voneinander der Gebäudesachwert und der Bodenwert zu ermitteln.

10.270

Ausgangsbasis ist der Gebäudesachwert zu dessen Ermittlung Regelherstellungskosten, als die gewöhnlichen Herstellungskosten je Flächeneinheit, mit der Bruttogrundfläche des Gebäudes multipliziert werden. Nach § 190 Abs. 2 BewG sind die Regelherstellungskosten noch mit dem vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Baupreisindizis anzupassen. Für Wohnungen und Garagen ist ein pauschaler Multiplikationsfaktor von 1,55 x Wohnfläche anerkannt, wobei im Einzelfall überprüft werden sollte, ob dies zu Höherbewertungen führt. Die Regelherstellungskosten sind in Anl. 24 zum BewG verzeichnet. Der so errechnete Gebäudeherstellungswert wird um eine Alterswertminderung gem. § 190 Abs. 4 BewG i.V.m. Anl. 22 zum BewG gemindert.

10.271

Beraterseits wird der zutreffenden Ermittlung der Bruttogrundfläche sowie des Ausstattungsstandards ebenso wie des maßgebenden Baujahres wesentliche Bedeutung zukommen. Der Baujahresbestimmung wird insbesondere bei Anbauten eine weitere Bedeutung zukommen.

10.272

1 Halaczinsky in Rössler/Troll, § 188 BewG Rz. 20. 2 Mannek in von Oertzen/Loose2, § 188 BewG Rz. 16.

T. Stein | 855

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Kap. 10 Rz. 10.273 | Erbschaftsteuerliche und bewertungsrechtliche Aspekte

10.273

Da der so ermittelte vorläufige Sachwert mit der Wertzahl nach § 191 BewG zu multiplizieren ist, kommt den wertzahlprägenden Faktoren nach Anl. 25 des BewG bzw. nach den Feststellungen der Gutachterausschüsse weitere Bedeutung zu. Die entsprechenden Parameter sind daher zu überprüfen. Soweit Sachwertanpassungsfaktoren in den Grundstücksmarktberichten ausgewiesen sind, sollte überprüft werden, ob diese herangezogen werden können für das betreffende Objekte. Sofern eine Anpassung mittels der (höheren) Sachwertanpassungsfaktoren des Grundstücksmarktberichts vorzunehmen ist, sollte auf eine Berechnung bemessen am unteren Rand der Anpassungsfaktoren vorgenommen werden; dies kann mit der vorstehend benannten generellen Tendenz der Rechtsprechung argumentativ unterlegt werden, auch bei Vergleichsmieten vom unteren Rand auszugehen (sofern für den Steuerpflichtigen günstig). Das hieraus resultierende Ergebnis ist der Gebäudesachwert, der mit dem Bodenwert addiert wird. Der Bodenwert selbst wird ermittelt wie im Rahmen der Bewertung unbebauter Grundstücke vorgesehen, § 189 Abs. 2 BewG i.V.m. § 179 BewG.

3. Bewertung durch Gutachten, § 198 BewG 10.274

Dem Steuerpflichtigen steht es frei, niedrige Verkehrswerte durch Gutachten ermitteln zu lassen.

10.275

Dabei ist nicht alleine an Fälle zu denken, in denen aufgrund schlechter Bausubstanz der Wert des jeweiligen Grundstücks geringer ist. Im Wege der gutachterlichen Bewertung können auch öffentliche und private Belastungen, einschließlich Nießbrauchsrechte und Leibrenten, direkt wertbeeinflussenden abgezogen werden.1 Dabei soll nach derzeitigem Meinungsstand keine Korrektur nach § 14 Abs. 2 BewG erforderlich sein, als der Schenker innerhalb der jeweiligen Fristen verstirbt.2 Ebenso ist die Begrenzung des Jahreswertes der Nutzungen nach § 16 BewG bei Bewertung auf Gutachtenbasis nicht anzuwenden.3 Daher kann über Gutachtenerstellung nachgedacht werden, sollte in Außenprüfungen oder im Veranlagungsart eine Korrektur des Nießbrauchswertes über § 14 Abs. 2 BewG angedacht werden.4

10.276

In der Wahl der Mittel zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts ist der Steuerpflichtige grundsätzlich frei,5 kann also sowohl durch Vorlage eines Gutachtens des örtlich zuständigen Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken geführt werden als auch durch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum maßgeblichen Besteuerungsstichtag erzielten Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück.6 Das gewählte Mittel zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts muss allerdings von einer Aussagekraft sein, die der eines Gutachtens des Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen bzw. von Kaufpreisen für entsprechende Grundstücke vergleichbar ist, und unterliegt der freien Beweiswürdigung des Gerichts.7

1 2 3 4 5

R B 198 abs. 3 S. 6 ErbStR; Eisele, ZEV 2009, 453. Schimpfky, ZEV 2013, 662; Grootens, NWB 2011, 1426. Esskandari, ErbStB 2013, 120. Stein, ErbBstg 2021, 92; Christoffel, ErbBstg 2020, 284, BFH v. 8.10.2003 – II R 27/02, BStBl. II 2004, 179; BFH v. 2.7.2004 – II R 55/01, BStBl. II 2004, 703. 6 FG Nds. v. 17.9.2015 – 1 K 147/12, EFG 2016, 185. 7 BFH v. 10.11.2004 – II R 69/01, BStBl. II 2005, 259; BFH v. 31.8.2006 – II B 115/05, BFH/NV 2007, 11.

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B. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz (ohne LuF) | Rz. 10.277 Kap. 10

4. Bewertungen in der Grunderwerbsteuer sofern keine Gegenleistung besteht (§ 8 Abs. 2 GrEStG) Früher wurde die Grundbesitzbewertung gem. § 138 BewG ff. durchgeführt, was gegenüber der Grundstücksbewertung gem. § 179 BewG regelmäßig zu niedrigeren Werten führte. Das BVerfG hat durch seinen Beschluss vom 23.6.20151 diese Regelung für verfassungswidrig erklärt und eine Weiteranwendung dieser Vorschriften über den 31.12.2008 hinaus untersagt. Mit der Neufassung des § 8 Abs. 2 GrEStG und der Übergangsbestimmung gem. § 23 Abs. 14 GrEStG hat der Gesetzgeber darauf reagiert. Die Bewertungen in der Grunderwerbsteuer laufen daher gleich wie zu Zwecken der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Wegen der geringeren aktuellen Bedeutung wird auf die Altrechtslage an dieser Stelle nicht eingegangen.2

1 BVerfG v. 23.6.2015 – 1 BvL 13/11, 1 BvL 14/11, BStBl. II 2015, 871. 2 Vgl. Viskorf in Boruttau19, § 8 GrEStG Rz. 101 ff.

T. Stein | 857

2021-10-28, 14:37, HB mittel

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10.277

858 | T. Stein

2021-10-28, 14:37, HB mittel

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Anlage 1 Überblick über die Organisationsformen der Betriebsprüfung der einzelnen Bundesländer

Bundesland

örtliche BP-Stellen GK-BP

Baden-Württemberg

Amt 1

BP

AmtsBP

X

X2

Bayern

X3

Berlin

X X

Brandenburg

X4

Bremen

BNV

Fachprüfer L+FBP

IStR

BAV

L+F

X

X

LfSt

LfSt

-11

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X X

X

Amt X5

X

Hessen

X6

X7

MecklenburgVorpommern

X4

X

Niedersachsen

X

X

Amt

X

X

X

Rheinland-Pfalz

X

X

X

X

Saarland

X

X

X

X

Sachsen

X9

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen

Amt 10

X

X

Hamburg

Nordrhein-Westfalen

X

X8

X

X X

UntBew

X2

X

X X

X X X

X

X = Arbeitseinheit in einem Finanzamt Amt = eigene/s Prüfungsamt/-ämter 1 Betriebe, Konzerne und Gebietskörperschaften > 500 Mio Umsatz; Kreditinstitute, Versicherungen, Bausparkassen > 750 Mio. Aktivvermögen 2 Klein- und Kleinstbetriebe 3 Investmentbesteuerung zentral für ganz By beim FA München Betriebsprüfung 4 G-Betriebe + Konzerne > 39 Mio Umsatz 5 Betriebe, Konzerne und Gebietskörperschaften > 500 Mio Umsatz; Kreditinstitute, Versicherungen 6 Sonderzuständigkeiten für Kreditinstitute, Versicherungen 7 Konzentration der G-Betriebe und Konzerne bei einzelnen BP-Stellen (vobehaltlich Kreditinistitute und Versicherungen) 8 L+F G-Betriebe + -Konzerne 9 G-Betriebe + Konzerne > 12 Mio Umsatz, Versorgungsbetriebe, Kreditinsitute, Versicherungen 10 G-Betriebe und Konzerne: Handel > 140 Mio. U; F, AL, FB > 45 Mio. U; KI > 280 Mio. AV 11 Zentralstelle für betriebswirtschaftliche Bewertung beim BayLfSt (kein Prüfungsdienst)

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Anlage 2 Einordnung in Größenklassen gem. § 3 BpO 2000; Festlegung neuer Abgrenzungsmerkmale zum 1.1.2019 (BMF v. 13.4.2018 – IV A 4 - S 1450/17/10001, BStBl. I 2018, 614) Einheitliche Abgrenzungsmerkmale für den 23. Prüfungsturnus (1.1.2019) BETRIEBSART1)

BETRIEBSMERKMALE in €

Handelsbetriebe (H)

Umsatzerlöse oder steuerlicher Gewinn über

8.600.000 335.000

1.100.000 68.000

210.000 44.000

Fertigungsbetriebe (F)

Umsatzerlöse oder steuerlicher Gewinn über

5.200.000 300.000

610.000 68.000

210.000 44.000

Freie Berufe (FB)

Umsatzerlöse oder steuerlicher Gewinn über

5.600.000 700.000

990.000 165.000

210.000 44.000

Andere Leistungsbetriebe (AL)

Umsatzerlöse oder

6.700.000

910.000

210.000

steuerlicher Gewinn über

400.000

77.000

44.000

Kreditinstitute (K)

Aktivvermögen oder steuerlicher Gewinn über

175.000.000 670.000

42.000.000 230.000

13.000.000 57.000

36.000.000

6.000.000

2.200.000

G-Betriebe M-Betriebe € €

K-Betriebe €

über

Versicherungsunter- Jahresprämieneinnahmen über nehmen Pensionskassen (V) Unterstützungskassen (U)

alle

Land- und forstwirtschaftliche Betriebe (LuF)

Umsatzerlöse oder

1.200.000

610.000

210.000

sonstige Fallart (soweit nicht unter den Betriebsarten erfasst)

steuerlicher Gewinn über

185.000

68.000

44.000

Erfassungsmerkmale

Erfassung in der Betriebskartei als Großbetrieb

Verlustzuweisungsgesellschaften (VZG) und Bauherrengemeinschaften (BHG)

Personenzusammenschlüsse und Gesamtobjekte i.S.d. Nrn. 1.2 und 1.3 des BMF-Schreibens vom 13.7.1992, IV A 5 - S 0361 - 19/92 (BStBl I S. 404)

bedeutende steuer- Summe der Einnahmen begünstigte Körperschaften und Berufsverbände (BKÖ) Fälle mit bedeutenden Einkünften (bE) 1)

Summe der positiven Einkünfte gem. § 2 Absatz 1 Satz 1 Nrn. 4-7 EStG (keine Saldierung mit negativen Einkünften)

alle

über 6.000.000

über 500.000

Mittel-, Klein- und Kleinstbetriebe, die zugleich die Voraussetzungen für die Behandlung als sonstige Fallart erfüllen, sind nur dort zu erfassen.

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2021-10-28, 14:39, HB mittel

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2021-10-28, 14:39, HB mittel

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Stichwortverzeichnis Bearbeiterin: Dr. Ursula Roth-Caspari

Abgabefrist von Steuererklärungen

– verlängerte 6.144 f. Abgabenordnung im Bereich der Zollverwaltung (AO-DV Zoll) 3.462, 3.500 Abgabenrechtliche Verpflichtung – Berichtigungspflicht 2.323 – Mitwirkungspflicht 2.324 Abgekürzte Betriebsprüfung 1.24, 1.34, 1.201, 1.204, 3.1 ff., 8.117 – als effiziente Nutzung behördlicher Prüfungskapazität 3.2 – eingeschränkte Verfahrensrechte des Steuerpflichtigen 3.3 – Ermessensentscheidung der Finanzbehörde 3.5 f. – kein Recht auf Vorabübersendung des Prüfungsberichts 3.16 – keine Schlussbesprechung 3.15 – Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen 3.9 – Prüfungsanordnung 3.7 – Prüfungsfeststellungen in schriftlicher Form 3.12 ff. – Übergang zu normaler Prüfung 1.204, 3.7 – Verfahrensökonomie 3.5 Abgekürzte Umsatzsteuersonderprüfung 3.77 Abgespaltener Kaufpreisbestandteil 3.498 Abhängiges Unternehnmen 6.17 ff. Ablaufhemmung, § 171 Abs. 4 AO 1.170, 1.323, 1.719 ff. – Berechnung bei Umsatzsteuersonderprüfung 3.108 – Eindeutige Feststellung letzter Ermittlungshandlungen im Interesse verjährungsrechtlicher Rechtssicherheit 1.722 – Konzernprüfung 6.61 – Zweck der Schaffung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit 1.720 Ablösung eines Nießbrauchsrechts durch eine Versorgungsleistung (gleitende Vermögensübergabe) 10.36 ff.

Abschließende Betriebsprüfung 1.348 ff. Abschlussbesprechung und Ergebnisprotokoll bei Joint Audits 7.301 ff. – nationaler Prüfungsbericht nach § 202 AO allein maßgeblich 7.304 Absetzung – technische oder qualifizierte 6.63 f. Abspaltung 6.221 – Prüfungsanordnung 6.221 Abstimmungskontrolle bei Dateneingabe 2.119 ff. Abwägungsklausel (Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO) 2.387 Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz – Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern und der Bescheinigung der Kapitalertragsteuer 7.316, 7.424 Abzugsverbot für Ertragsteuerzahlungen 8.99 ff. Access2Markets – Datenbank Europäische Kommission 3.507 Admin-Ebene 2.114 Adressaten einer Prüfungsanordnung 1.273 ff. – atypisch stille Gesellschaft 1.280 ff. – Eheleute bzw. Lebenspartner 1.284 f. – Insolvenzfall 1.286 – Kapitalgesellschaft 1.287 – Lohnsteuer-Außenprüfung 1.288 – Personenhandelsgesellschaft 1.289 ff. – Personenhandelsgesellschaft, die handelsrechtlich vollbeendet ist 1.290 – Umsatzsteuer-Sonderprüfung 1.292 – Umwandlung in Form der Abspaltung oder Ausgliederung 1.294 – Umwandlung in Form der Aufspaltung 1.295 – Umwandlung in Form der Verschmelzung 1.293 – zweigliedrige Personenhandelsgesellschaft 1.291 863

2021-11-05, 10:19, HB mittel

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Stichwortverzeichnis

AEAO (Anwendungserlass zur Abgabenordnung) – Einholung einer Drittauskunft 1.456 – Verhaltensanweisungen im Anwendungsbereich der Abgabenordnung (AO) 1.177 ff. – Verweise auf Rechtsprechung des BFH 1.178 – Vorlage von Unterlagen bei der Prüfung von Konzernunternehmen 1.467 AEO-Bewilligung 3.612 Akteneinsichtsrecht – Entscheidung der Finanzbehörde über den Antrag des Steuerpflichtigen nach pflichtgemäßem Ermessen 1.715 – keine Verankerung in der Abgabenordnung (AO) 1.715 – Rechtsschutz durch Einspruch und Verpflichtungsklage 1.716 Aktivierung eines Steuererstattungsanspruchs 8.104 Allgemeiner Vertrauensschutz 9.152 f. Alterswertminderung gem. § 190 Abs. 4 BewG i.V.m. Anl. 22 zum BewG 10.271 Amtliche Richtsatzsammlung 1.565 Amtsbetriebsprüfung 1.72 Amtsermittlungsgrundsatz, § 88 AO 7.61 ff., 7.122, 9.109 – Aufgaben- und keine Befugnisnorm 7.251 – Bedeutung in der Praxis 7.65 ff. – keine Rechtsgrundlage für internationale Prüfungsmaßnahmen der Finanzbehörden 7.253 – weltweiter Ermittlungsauftrag 7.252 – zentrale Aufgabe des Prüfers im Rahmen der Betriebsprüfung 7.65 Amtsermittlungspflicht 1.651 Amtsermittlungsverpflichtung – als Ausgangspunkt der Betriebsprüfung 7.61 f. – zwingende 7.122 Amtshilfe – in Abgrenzung zu Rechtshilfe 7.255 – gegenseitige 1.846 – zwischenstaatliche 7.217 f. Amtshilfevereinbarung 7.218

Amtshilfeverfahren – zur Klärung steuerlicher Sachverhalte im Ausland 3.211 Amtssprache, § 87 AO 1.36 Analyse von Auslandssachverhalten – durch Auswertung von E-Mailpostfächern 2.221 Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung 9.152 f. Änderungsbescheid – nach einer Betriebsprüfung 2.202 Änderungssperre (§ 173 Abs.2 AO) 1.314 f., 1.361 ff., 1.723 ff., 1.919, 3.123 ff. – Durchbrechung bei Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung 1.630, 1.723 – punktuelle 1.366 – umfassende 1.366 – Zweck Rechtsfrieden und Rechtssicherheit 1.724 Anfangsverdacht 2.372, 2.396, 4.50 ff. – strafrechtlich relevanter 1.896 – strafrechtlicher i.S.v. § 152 Abs. 2 StPO 1.758 Anfangsverdacht einer Steuerstraftat 1.540 ff. – Einleitung eines Verfahrens für die handelnde Behörde verpflichtend 1.540 f. – Mitteilung der Betriebsprüfung an die Bußgeld- und Strafsachenstelle (Bustra) 1.541 – strafrechtliche Folgen einer pflichtwidrig unterlassenen Mitteilung 1.543 – strafrechtlicher Hinweis in der Betriebsprüfung 1.545 f. – Unterbrechung der Prüfung 1.542 Anfechtbarkeit der Prüfungsanordnung 1.739 f. Anforderungen an das Führen von Büchern und Aufzeichnungen, (§§ 145– 146a AO) 1.12 Angemessenheitsdokumentation – datenbankbasiert 7.52 f. Anhörung nach § 117 AO – Steuerpflichtige vor dem Informationsaustausch 7.288 Anhörungs- und Auskunftsrecht – des Steuerpflichtigen 1.658 ff., 1.850

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2021-10-28, 14:49, HB mittel

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Stichwortverzeichnis

Anlassprüfung i.S.d. § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO 1.180, 1.243 ff. Annexsteuern – zur Lohnsteuer 3.302 Anschluss(betriebs)prüfung 1.194 ff., 1.250, 8.116 f. – für Großbetriebe, Konzerne, zusammenhängende Unternehmen 1.4, 1.104, 6.84 – Grundsatz gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 BpO 2000 1.311 – für Mittel-, Klein- und Kleinstbetriebe 1.144 Anschlusszusage nach § 204 AO 7.137; s.a. verbindliche Zusage – unilateral 7.138 Anspruch auf Gleichbehandlung – Steuerpflichtiger 1.428 Anspruch auf steuerliche Nebenleistungen 8.21, 8.27 ff. Antrag auf einstweilige Anordnung, § 114 AO 1.552 Anweisung für das Straf- und Bußgeldverfahren (AStBV) 1.540 Anwendungserlass zur Abgabenordnung 1.41 f., 1.52 Anzeige- und Korrekturpflicht – steuerliche 4.32 f. Anzeigepflicht – steuerliche 4.13 Apotheker-Beschluss des Großen Senat des BFH 8.89 Arbeitnehmereigenschaft 3.264 Arbeitsgemeinschaft 6.18 AStBV (St) 2020 – Anleitung zur Durchführung des Strafund Bußgeldverfahrens 1.19 ATLAS 3.94, 3.498, 3.570 Audit Trail 2.94 Aufbewahrung von Unterlagen, §§ 147, 147a AO 1.12 Aufgriff der erbschaft-/schenkungsteuerlichen Betriebsprüfung – wegen Einbeziehung von Geschäftsanteilen an GmbHs 10.116 ff. – Lohnsummenproblematik 10.114 f. – Verwaltungsvermögen 10.81 ff. – Zuwendungen gemäß § 7 Abs. 8 ErbStG 10.73 ff.

Aufgriff der Zuwendungen nach § 7 Abs. 8 ErbStG – Schenkungsteuerbarkeit von Werterhöhungen in Kapitalgesellschaftsanteilen, die auf Leistungen anderer beruhen 10.73 ff. – Umwandlungsvorgänge 10.77 f. – verdeckte Einlage 10.77 f. – Verzicht auf Forderungen 10.77 f. Aufgriffswahrscheinlichkeit eines Sachverhalts – bei einer Betriebsprüfung 8.20 Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung, § 164 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 3 AO 1.170 Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung, § 164 Abs. 3 Satz 3 AO 1.730 ff. – Anfechtbarkeit der Prüfungsanordnung 1.739 f. – nach einer Betriebsprüfung 1.732 ff. – nach einer Betriebsprüfung in abgekürzter Form (abgekürzte Betriebsprüfung) 1.733 – durch gesonderten Bescheid 1.736 – Rechtsschutz durch Antragstellung nach § 164 Abs. 2, Abs. 3 AO 1.738 – Rechtsschutz durch Einspruch und ggfls. Verpflichtungsklage bei Antragsablehnung 1.738 – Reichweite 1.735 Aufholungsprüfung – vor Durchführung einer zeitnahen Betriebsprüfung 3.39 Aufschlagskalkulation – als geeignetere Schätzungsmethode gegenüber der Quantilsschätzung 2.185 Aufspaltung 6.222 – Prüfungsanordnung 6.222 Auftrags(betriebs)prüfung 1.118, 1.130 f., 1.215 ff., 1.257 – als Ermessenentscheidung 1.132 ff. – als Ermessenentscheidung, räumliche Aspekte 1.133 f. – Rechtsschutzmöglichkeiten 1.140 – Sonderfall Bundeszentralamt für Steuern, § 19 Abs. 3 FVG 1.219 – Wirkung einer Auftragserteilung 1.137 f. Auftragsprüfung der Lohnsteuer 3.267 ff. Ausbeutekalkulation 1.594, 1.604 865

2021-10-28, 14:49, HB mittel

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Stichwortverzeichnis

Ausdrückliche Zustimmung nach § 10 Abs. 3 EUAHiG – zum Informationsaustausch 7.291 f. Ausführer – ermächtigter 3.597 – zugelassener 3.558 Ausgliederung 6.222 – Prüfungsanordnung 6.222 Auskunft s. Einholung einer Auskunft Auskunftsbegehren – schriftliche Erteilung gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 AO 2.327 Auskunftsersuchen – formelles 2.364 Auskunftsersuchen ausländischer Staaten – ausländische Besteuerung 3.83 Auskunftspflicht anderer Personen, §§ 93, 101–106 AO 1.36 Auskunftspflicht öffentlicher Stellen 1.459 Auskunftsverweigerungsrecht Dritter, §§ 101–103, 106 AO 1.458 ff., 1.531 Ausländischer Prüfer auf deutschem Territorium 7.312 f. – keine Hoheitsrechte, nur Fragen der Zusammenarbeit 7.313 Aussetzung der Vollziehung 1.505, 1.832 ff. – Antragstellung bei Finanzbehörde oder (subsidiär) beim Finanzgericht 1.832 f. – Subsidiarität 1.839 f. – Voraussetzungen 1.834 ff. – Wirkungen 1.838 Aussetzung des Steuerstrafverfahrens, § 396 AO 1.646 ff. Aussparung 1.104 Auswahl von Betriebsprüfungsfällen 8.115, 8.119 Auswahlermessen 1.132, 9.37 Auswertungsprogramm IDEA s. IDEA; s. Prüfungssoftware IDEA Authentifizierungsverfahren 2.111 Automationsgestützes Risikomanagementsystem (RMS-BP) – Datenbasis 1.112 – zur maschinellen Fallauswahl 1.107, 1.111 – potentielle Risikobereiche 1.113 – als regelbasiertes Scoringsystem 1.114

Automatischer Informationsaustausch – zwischen Mitgliedstaaten über grenzüberschreitende Vorbescheide und advance pricing agreements (APA) 7.447 Außenprüfung 1.8, 1.10 Außenverpflichtung 8.14 Außenwirtschaftsprüfung 3.527 ff. – Gegenstand 3.528, 3.603 – Prüfungsanordnung 3.531 ff. – Prüfungsschwerpunkte 3.557 – Rechtsgrundlage 3.601 – Widerspruch als Rechtsbehelf, § 69 VwGO 3.537 – Wirtschaftslichkeit 3.550 – Zwangsmittel 3.556 Außerbilanzielle Hinzurechnung – bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens 8.101 Äußerer Betriebsvergleich 5.143

Bargaining-Ansatz 7.128 f. Bargeldverkehrsrechnung 1.610 Basisunterlagen des Steuerpflichtigen – für die Betriebsprüfung 1.153 f. Basiszinssatz 10.200 ff. BATNA – Best Alternative to a Negotiated Agreement 1.936 Bedarfs- oder Anlassprüfung 3.67 Beendigung der Betriebsprüfung 1.717 ff. – Ablaufhemmung, § 171 Abs. 4 AO 1.719 ff. – Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung, § 164 Abs. 3 Satz 3 AO 1.730 ff. – Bedeutsamkeit der Bestimmung des Zeitpunkts der Beendigung 1.717 – Ende durch Erlass von Steuerbescheiden oder Haftungsbescheiden 1.717, 1.723 – erhöhte Bestandskraft, § 173 Abs. 2 AO 1.723 ff. – Mitteilung über eine ergebnislose Prüfung 1.802 ff. – bei Organträger und Organgesellschaft 6.199 ff. – Schlussbesprechung 1.741 ff.; s.a. Schlussbesprechung – Umsetzung der Prüfungsergebnisse 1.805 f.

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– Wechsel von der Anfechtungs- zur Fortsetzungsfeststellungsklage 1.820 Befangenheit, Besorgnis der Befangenheit 1.481 Befugnis zur Offenbarung 1.854 Beherrschungsvertrag 6.21 Beispiel für Prüfungsproblemfelder bei Verrechungspreisen – Prüfungsfeld ausländische Vertriebsgesellschaften und deren operative Rendite 7.168 ff. – Prüfungsfeld Cash-Pooling-Sachverhalte 7.194 ff. – Prüfungsfeld Finanzierungsunterstützung 7.198 ff. – Prüfungsfeld Finanztransaktionen 7.176 ff. – Prüfungsfeld Funktionsverlagerungssachverhalt 7.202 ff. – Prüfungsfeld IP-relevante Sachverhalte und Lizenzverhältnisse 7.141 ff., 7.155 ff. – Prüfungsfeld konzerninterne Dienstleistungsverrechnung 7.141 ff. Beistellung 3.498 Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Leistungsmissbrauchs 1.865 ff. – größere Bedeutung bei den besonderen Betriebsprüfungsformen 1.866 – Mitteilungspflicht von Amts wegen 1.867 Bekanntgabeadressat – Prüfungsanordnung 1.276 f. Beleg s.a elektronischer Beleg – Mindestangaben nach KassenSichV 5.36 Belegaufbewahrungspflicht – bei Einnahmenüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) 5.89 ff. Belegausgabepflicht (§ 146a Abs. 2 AO) 5.35 ff. – Befreiung 5.38 – Begriff 5.35 – elektronischer Beleg 5.35 Belegenheitsprinzip bei der Grundsteuer, § 22 AO 1.56 Belegfunktion 2.93 Belegsicherung 2.93 Belegvorlagepflicht – Änderung in Belegvorhaltepflicht 1.60

Belehrungspflicht bei Verdacht der Vorteilszuwendung 1.898 Bemühensdokumentation nach § 2 Abs. 1 Satz 3 GAufzV 7.32, 7.40 ff. Benefit-Test 7.143, 7.145 ff. Benennungsverlangen i.S.d § 160 AO 1.899 Benfords-Law 2.141; s.a. Newcomb/Benford-Gesetz Beratung, Auskunft, § 89 AO 1.36 Bericht der Zollfahndung 1.775 Berichtigte Lohnsteueranmeldung 3.295 Berichtigungspflicht – steuerliche 4.13 Berücksichtigung von Steuern in der Kapitalwertmethode – abschreibungsbedingter Steuervorteil (Tax Amortisation Benefit) 10.219 – Besteuerung auf Ebene der Anteilseigner 10.215 ff. – Besteuerung auf Ebene des Bewertungsobjekts (Unternehmenssteuern) 10.214 – Besteuerung der Veräußerungsgewinne des Bewertungsobjekts 10.220 ff. Berufliche Schweigepflicht 1.535 Bescheid ohne Vorbehaltsfestsetzung 1.731 Besondere Prüfungsformen – ertragsteuerliche Organschaft 6.157 ff.; s.a. gewerbesteuerliche Organschaft; s.a. körpschaftsteuerliche Organschaft – bei Konzernen und sonstigen zusammenhängenden Unternehmen 6.1 ff.; s.a. Konzernbetriebsprüfung – Tax Compliance Management System (TCMS) s.a. Tax Compliance Management System (TCMS) – Tax Compliance Management System (TCMS 6.256 ff. – Umwandlung 6.210 ff.; s.a. Umwandlung Besonderheiten der Konzernbetriebsprüfung in der Praxis – Durchführung einer korrdinierten Lohnsteuer-Außenprüfung 6.155 f. – freiwillige Steuerzahlung wegen Prüfungsdauer 6.148 ff. – Fristverlängerung zur Abgabe der Steuererklärungen 6.143 ff. – Verlagerung der elektronischen Buchführung ins Ausland 6.152 ff. 867

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Besteuerungsgrundlage 1.564, 1.783 – bei Betriebsprüfungen, § 199 Abs. 1 AO 1.564 Besteuerungsgrundsatz, § 85 AO 1.36 Beta-Faktor – Kapitalisierungszinssatz 10.203 ff. Beteiligungsverfahren 1.81 – Abschluss 1.83 Betriebsaufspaltung 6.32 – Besitz- und Betriebsgesellschaft 6.37 Betriebsausgabenabzugsverbot – für Ertragsteuerzahlungen 8.99, 8.139 – bei Schmier- und Bestechungsgeldern 1.891, 1.893 Betriebsbesichtigung – durch den Betriebsprüfer während der Prüfung 7.83 – keine Durchsuchung 7.84 f. Betriebs-Hauptzollamt 3.447, 3.531 Betriebskartei 1.90 ff. Betriebsnahe Veranlagung (BNV) 1.72 – als Sachverhaltsaufklärung des Innendienstes des Finanzamts 1.63 Betriebsprüfer – unternehmensinterne E-Mail-Adresse zur Zusendung angeforderter Unterlagen 7.12 Betriebsprüfer im Home-Office – BFH-Rechtsprechung zur Herausgabe digitalisierter Steuerdaten außerhalb der Geschäftsräume 1.335 Betriebsprüfer-Anfrage (BP-Anfrage) 1.446 Betriebsprüfung – abgekürzte, § 203 AO 1.34, 1.725; s. abgekürzte Betriebsprüfung – Abschluss 1.184 – Anschlussprüfung 1.194 ff. – Beendigung 1.717 ff.; s.a. Beendigung der Betriebsprüfung – bei Berufsgeheimnisträger 1.550 – Datenabholung 1.141 – bei Datenübermittlung durch Dritte 1.24, 3.17 ff. – bei Datenübermittlung durch Dritte, in abgekürzter Form 3.24 – bei Datenübermittlung durch Dritte, mitteilungspflichtige Stelle 3.17, 3.20

– bei Datenübermittlung durch Dritte, Prüfungsgegenstand 3.22 – Digitalisierung 2.1 ff.; s. Digitalisierung der Außenprüfung/Betriebsprüfung – zur Erledigung eines zwischenstaatlichen Rechts- und Amtshilfeersuchens 7.259 – Ermittlungshandlungen 1.396 – formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung 5.50 f. – gewerbesteuerliche Organschaft 6.206 ff. – grenzüberschreitende 3.30 – als größte Außenprüfungseinheit 1.59 ff. – Hauptphase 1.395 ff. – internationale Aspekte 7.1 ff. – Kassenfehlbetrag 5.121 ff. – kein Recht des Steuerpflichtigen auf einen bestimmten Betriebsprüfer 1.122 – keine sachliche Zuständigkeit von Gemeinden 1.124 – Kontrolle des Kassenbuchs 5.116 ff. – körperschaftsteuerliche Organschaft 6.185 ff. – Lohnsteuer-Außenprüfung, § 42f EStG 1.725; s. Lohnsteuer-Außenprüfung – materielle Richtigkeit der Buchführung 5.50 f. – bei einer mitteilungspflichtigen Stelle i.S.v. § 93c Abs. 1 AO 1.34 – als Mittel zur Verwirklichung der Besteuerungsgleichheit 1.60 – Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen, § 200 AO 1.33, 1.397 – örtliche Zuständigkeit 1.129 – Prüfungsanordnung, §§ 196, 197 AO 1.33 – Prüfungsbeginn, § 198 AO 1.33 – Prüfungsbericht, § 202 AO 1.33 – Prüfungsfinanzamt 1.129 – Prüfungsformen 1.28 – Prüfungsgrundsätze, § 199 AO 1.33 – Prüfungsobjekt, § 194 AO 1.33 – Prüfungssubjekt, § 193 AO 1.33 – Prüfungsvorbereitung 1.142 – Prüfungszeitraum 1.144 – Prüfungszuständigkeit, § 195 AO 1.33 – qualifizierte Absetzung 1.143 – Rechtsgrundlagen s. Rechtsgrundlagen der Betriebsprüfung – Regelung in den §§ 193 – 203 AO 1.8

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– Regelung in weiteren Steuergesetzen 1.39 – Schlussbesprechung, § 201 AO 1.33 – Schwerpunkt 1.12 – Sonderprüfungen der Finanzbehörden 1.201 ff. – Steuerakten 1.141 – Umsatzsteuersonderprüfung 1.725; s. Umsatzsteuer-Sonderprüfung – Unterlagen zur Prüfung der Kassenführung 5.95 ff. – veranlagende 1.63 – Verwertungsverbot von Prüfungsergebnissen 1.139 – Zeitdauer ist auf das notwendige Maß zu beschränken 7.127 – zeitnahe 3.25 ff.; s. zeitnahe Betriebsprüfung – zeitverschobene 3.26 – Zulässigkeit 1.186 ff. – Zweck 1.14 Betriebsprüfungsanfrage 2.225 – IT-Lösungen zur administrativen Unterstützung 2.229 ff. Betriebsprüfungsbedingte Mehrsteuern 8.12, 8.14 Betriebsprüfungsbericht 1.759, 1.768 ff.; s.a. Prüfungsbericht, § 202 AO – Begriff und gesetzliche Grundlage 1.768 – Dokumentationsfunktion 1.769 f. – Ergänzung um Anlagen zu Prüfungsfeststellungen 1.781 – formelle Anforderungen 1.777 ff. – Gelegenheit zur Stellungnahme durch den Steuerpflichtigen 1.791 ff. – innerdienstliche Maßnahme ohne Außenwirkung 1.799 – keine bindende Wirkung 1.774 – keine Erstellung erforderlich bei ergebnisloser Prüfung 1.802 – keine Verpflichtung zur Stellungnahme durch den Steuerpflichtigen 1.797 – materielle Anforderungen 1.783 ff. – Organkreis 6.201 – parallel zum Prfungsbericht erstellte Berichte 1.775 – Protokollfunktion 1.769 f. – Rechtsschutz 1.799 ff.

– Übersendung an den Steuerpflichtigen auf dessen Antrag hin und vor Auswertung des Prüfungsberichts 1.768, 1.791 – unzulässige Inhalte 1.788 f. Betriebsprüfungsmanagement – Einsatz von Spezialsoftware 2.238 ff. – Einsatzgebiete für IT-Lösungen vor, während und nach einer Betriebsprüfung 2.207 ff. – zeitgerechtes 2.9 – zeitgerechtes mit Hilfe von IT-Lösungen 2.202 ff. Betriebsprüfungsmaßnahme mit Verwaltungsaktqualität – Abbruch einer Betriebsprüfung 1.816 – Ablehnung einer beantragten Betriebsprüfung/Schlussbesprechung/Erteilung eines Betriebsprüfungsberichts etc. 1.816 – Änderungsbescheide als Ergebnis der Feststellungen der Betriebsprüfung 1.816 – Aufforderungen des Prüfers zur Dateneinsicht, Datenzugriff, § 147 Abs. 6 AO 1.816 – Auskunftsersuchen nach § 93 AO 1.816 – Prüfungsanordnung 1.816 Betriebsprüfungsmaßnahme ohne Verwaltungsaktqualität 1.817 – Schlussbesprechung kein Verwaltungsakt 1.817 Betriebsprüfungsordnung (BPO 2000) 1.13 ff., 1.179 ff. – Anwendungsbereich, § 1 BpO 1.44, 1.46 – Aufgaben der Betriebsprüfungsstellen, § 2 BpO 1.46 – als Ausführungsverordnung 1.14 – Betriebskartei, § 32 BpO 1.46 – Betriebsprüfungsarchiv 1.46 – Betriebsprüfungspersonal, (§§ 25–31 BpO) 1.46 – Konzernbetriebsprüfung, §§ 13–19 BpO 1.46 – Konzernverzeichnis, § 33 BpO 1.46 – Mitwirkung der Betriebsprüfungsstelle bei Erlass von Änderungsbescheiden und im Rechtsbehelfsverfahren, § 12 Abs. 2 BpO 1.46 – Mitwirkung des Bundeszentralamts für Steuern, §§ 20, 24 BpO 1.46 869

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– Prüfungsanordnung 1.179 ff. – Prüfungsgeschäftsplan, Jahresstatistik, §§ 34, 35 BpO 1.46 – Regelungen für das Prüfungsverfahren 1.49 – Unternehmensverbindungen 6.4 – Unterrichtung der Steuerfahndung, § 10 Abs. 1 Satz 1 BpO 1.46 – Zweck 1.45 Betriebsprüfungsverantwortlicher (BP-Verantwortlicher) 2.207 f. – Überblick über alle Betriebsprüfungsanfragen 2.228 Betriebsstättenfiktion – gewerbesteuerliche Organschaft 6.182 Betriebsstättenfinanzamt 3.265 Betriebsvergleich – äußerer 5.143 – innerer 5.143 f. Betriebsvorrichtung 10.250 Betrugsstraftat – §§ 263, 264 StGB 4.26 Beweiskraft der Buchführung, § 158 AO 1.18, 2.91 Beweislast 7.67 Beweislastentscheidung – zugunsten des Steuerpflichtigen 1.557 Beweislastreduzierung 7.89 Beweislastverteilung – Feststellungslast liegt beim Finanzamt 7.77, 7.86 ff. – bei Nichtaufklärbarkeit eines Prüfungssachverhalts 7.90 Beweismaß 7.87 – vermindertes 7.98 Beweisverwertungsverbot 3.184 Bewertung bebauter Grundstücke 10.255 ff. – Bewertungsverfahren in § 182 BewG 10.255 – Ertragswertverfahren, § 182 Abs. 3 BewG 10.264 ff. – Sachwertverfahren, § 182 Abs. 4 BewG 10.270 ff. – Sonderbewertung für Erbbaurechte und Erbbaugrundstücke, §§ 192 ff. BewG 10.255 – Vergleichswertverfahren, § 182 Abs. 2 BewG 10.257 ff.

Bewertung durch Gutachten – Abzug öffentlicher und privater Belastungen 10.275 – zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts 10.276 Bewertung von Grundstücken 10.245 ff. – bebaute Grundstücke 10.255 ff.; s.a. Bewertung bebauter Grundstücke – Bewertungsanlass 10.245 – Bewertungsverfahren nach dem BewG 10.246 ff. – Bodenschätze, Betriebsvorrichtungen nicht zum Grundvermögen gehörend 10.247, 10.250 – Grund und Boden, Gebäude, sonstige Bestandteile, Erbbaurechte, Wohnungseigentum, Teileigentum 10.247 – Grund und Boden Land- und Forstwirtschaft 10.248 f. – in der Grunderwerbsteuer, sofern keine Gegenleistung besteht (§ 8 Abs. 2 GrEStG) 10.277 – durch Gutachten, § 198 BewG 10.274 ff. – unbebaute Grundstücke 10.251 ff. Bewertung von Unternehmen und Grundbesitz 10.136 ff. – bevorzugte Anwendung marktbasierter Bewertungsverfahren 10.143 f. – Bewertung von Grundstücken 10.245 ff.; s.a. Bewertung von Grundstücken – Bewertungsobjekte 10.137 – Kapitalwertmethode 10.172 ff.; s.a. Kapitalwertmethode – Marktbewertungsverfahren 10.151 ff.; s.a. Marktbewertungsverfahren – vereinfachtes Ertragswertverfahren 10.226 ff.; s.a. vereinfachtes Ertragswertverfahren – Wahl der geeigneten Bewertungsmethode in Form von Marktpreisen, gemeiner Wert, Teilwert, Fremdvergleichspreis 10.140 ff. – Wertuntergrenze (Substanz-/Liquidationswert) 10.243 BGH-Rechtsprechung – zur Ermittlung des Ausgleichsanspruchs in Fällen des Zugewinnausgleichs, Urteil v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08 10.222 Bielefelder Modell 3.32

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Big Data 2.134 Bilanzänderung – handelsrechtliche 8.54 Bilanzierungspflicht – für Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten (dem Grunde nach) 8.14 f. BISON 3.418 BMF-Schreiben v. 11.11.1974 zur Prüfungstechnik 1.52 Bodenrichtwert 10.253 f. – Referenzwert, kein fixer Wert 10.254 BpA Euro – Betriebsprüfung Außendienst Euro 1.141 – Software zur Dokumentation der Betriebsprüfung und Berechnung von Mehr- und Minderergebnissen 2.242 BP-Anfrage s. Betriebsprüfer-Anfrage BP-Fahrplan 7.13 Bp-Hauptstelle 1.71 Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis 1.459 Buchführungs- und Bilanzdelikt – §§ 331 ff. HGB 4.26 Bukon 1.100, 6.111 Bundesamt für Finanzen (BfF) 1.7 – Aufteilung in drei Ämter 1.7 Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) 3.528 Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) 1.7 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) 1.714 Bundesbetriebsprüfung 1.7, 1.78 ff. – Aufgaben 1.80 – im Bundeszentralamt für Steuern 1.78 – Initiativrechte 1.84 – Prüfungsrechte (Beteiligungsverfahren) 1.81 – sachliche Zuständigkeit 1.79 – Zusammenarbeit mit Landesbetriebsprüfern 1.82 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) 2.266 f. – personenbezogene Daten 2.274, 2.278 Bundesprüfer 1.401

Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) 1.7, 3.18 – Art und Umfang der Prüfungsmitwirkung 6.115 ff. – Durchführung einer Konzernprüfung im Auftrag des Finanzamts 6.121 – Einspruchsverfahren gegen Verwaltungsakte 6.123 – Erstellung und Auswertung eines Prüfungsberichts bei Mitwirkung 6.124 ff. – Mitwirkung bei Außenprüfungen 6.120 f. – Mitwirkungsrecht an einer Betriebsprüfung 1.120, 1.340 f. – Mitwirkungsrecht an einer Konzernbetriebsprüfung 6.112 ff. – Prüfungstätigkeiten (§ 19 Abs. 3 Satz 2 FVG) 1.131 – sachliche Zuständigkeit bei Betriebsprüfungen 1.127 – Sammlung von Prüfungserfahrung durch Mitwirkung an Konzernbetriebsprüfungen 6.114 – Sitz in Bonn 7.314 – Spezialfall Auftragsbetriebsprüfung 1.219 – Übernahme von Prüfungsfeldern durch Bundesprüfer 1.49 – Zusendung des finalen Prüfungsberichts durch das leitende Finanzamt 6.127 f. – zuständige Behörde (competent authority) für die Kommunikation und den Informationsaustausch mit anderen (auch ausländischen) Steuerverwaltungen 7.242 – zuständige Behörde für den steuerlichen Informationsaustausch 7.314 Bustra – Bußgeld- und Strafsachenstelle 1.541 Bußgeldbefreiende Offenlegung – bei Außenwirtschaftsprüfung 3.541 – bei leichtfertiger Steuerverkürzung, § 378 Abs. 3 AO 3.458

Capital Asset Pricing Model (CAPM) 10.198 Cash Pooling 7.194 f. – in der Betriebsprüfung 7.194 ff. – grenzüberschreitendes 7.194

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Cash Pooling-System – mit ausländischen Cash Pool Leadern 7.195 f. Chi-Quadrat-Test 2.141 – mathematisch-statistische Schätzungsmethode 1.611 COBIT – Controll Objectives for Information and related Technology 2.102 Competent Authority 7.327 – Bundeszentralamt für Steuern 7.242 Competent Authority Status 7.243 Compliance Management System (CMS) 2.103; s.a. Tax CMS Compliance System – Begriff 6.256 Compliance-Compliance 2.272 Compliancemaßnahme 3.37 – präventive 2.371 – repressive 2.372 – Zulässigkeit nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO 2.298 ff. Co-operative Compliance Programm 7.257 COSO – Committe of Sponsoring of the Treadway Commission 2.101 COSO-Framework 2.101 COSO-Report 2.101 Country-by-Country-Report 7.321

DAC 7

– siebte Änderungsrichtlinie der EU-Amtshilferichtlinie 7.246 DAC 7, Art. 12a – erstmals weltweit Rechtsgrundlage für gemeinsame Betriebsprüfungen 7.272 f. DART – Data Retention Tools 2.219 Data Governance 2.247 Datenabgleich 2.383 Datenanalysetool 2.213 – Microsoft Excel, Tableau, RapidMiner, Microsoft Power BI 2.221 Datenanforderung durch den Betriebsprüfer 5.108 f. Datenauslagerung – Datenzugriff und -prüfung 2.223 ff.

Datenaustauschplattform – Beispiel Hessen-Drive 2.202 – Kombination mit Kommunikationsplattform 2.231 Datenauswertung und Prüfung durch die Finanzverwaltung 2.221 f. Datenbank – elektronische Kasse oder PC-Kasse 5.106 ff. – zur Vorbereitung einer Umsatzsteuersonderprüfung 3.88 ff. Datenexport in Drittstaaten 2.263 Datenpool 1 2.135 Datenpool 2 2.135 Datenschutz 2.248 ff. Datenschutzbeauftragter 2.390 f. Datenschutz-Folgenabschätzung (Art. 35 Abs. 1 Satz 1 DSGVO) 2.345, 2.389 ff., 2.423 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) 1.40, 2.248 ff., 2.253 ff. – Abwägungsklausel, Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO 2.262 – Anspruch auf Auskunft und Information über die verarbeiteten personenbezogenen Daten nach Art. 15 DSGVO 1.702 – Auskunftsrechte nach Art. 15 DSGVO 1.702 – Ausschluss der Informationsrechte gem. § 32c AO 1.711 ff. – Bestehen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO 2.262 – Dokumentationspflichten der TaxCompliance-Abteilung, Art. 5 Abs. 2 DSGVO 2.261 – Durchsetzung des Auskunfts- und Informationsanspruchs aus Art. 15 DSGVO 1.714 – gebundener Anspruch auf Akteneinsicht 1.707 f. – Gewährleistung eines sicheren Datenschutzgrundniveaus 2.263 – Grundsätze zur Verarbeitung personenbezogener Daten (Rechtmäßigkeit, Transparenz, Zweckbindung) 2.260 – harmonisiertes Schutzniveau für die Verarbeitung personenbezogener Daten 1.702

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konzerninterner Datentransfer 2.263 Niederlassungsprinzip 2.264 persönlicher Anwendungsbereich 1.704 Relevanz des Auskunftsanspruchs in der steuerlichen Betriebsprüfung 1.702 f. – Sachlicher Anwendungsbereich 1.705 f. Datenschutzniveau – keine Absenkung unterhalb des der DSGVO 2.286 – sicheres 2.263 Datenschutzrecht – Begrenzung von Tax-Compliance-Maßnahmen durch Beschäftigtendatenschutz 2.370 ff. – Besonderheiten bei rechtlicher Pflicht zur Datenweitergabe 2.330 ff. – Bestimmungen für erwerbswirtschaftliche Unternehmen 2.271 f. – Bestimmungen für Finanzbehörden 2.268 ff. – Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) 2.266 f. – Datenschutzgrundverordnung DSGVO 2.253 ff. – Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses, § 26 BDSG 2.285 ff. – Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses, § 26 BDSG, als zentrale Rechtsvorschrift 2.288 – DSGVO und BDSG als Regelungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten 2.274 ff. – Informationspflichten bei Steuererklärungspflichten 2.312 ff. – Kollektivvereinbarungen (Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen), § 26 Abs. 4 BDSG 2.289 ff. – Rahmen bei behördlichen Ermittlungsmaßnahmen 2.422 ff. – Zulässigkeit von Compliance-Maßnahmen 2.279 ff. Datensicherheit – nach Stand der Technik 2.125 Datenträgerüberlassung (Z3) 2.218 ff., 3.163 – Bedeutung 3.163 Datentransfer 2.129 Datenübermittler 3.17

Datenverarbeitungssystem – Begriff 2.21 ff. – E-Mails, E-Mail-Account 2.28 – Kassensysteme 2.26 – Warenwirtschaftssystem 2.27 Datenweitergabe – datenschutzrechtliche Besonderheiten bei einer rechtlichen Pflicht zur Weitergabe 2.330 ff. – bei Steuererklärungsvorschriften 2.307 ff. Datenweitergabe an Dritte – durch die Compliance Abteilung 2.302 ff. – ohne rechtliche Verpflichtung 2.346 ff. Datenzugriff – Bereitstellung der Daten der Finanzbuchhaltung 2.214 – Datenträgerüberlassung (Z3) 2.37 ff., 2.218 ff., 3.610 f. – Datenverarbeitungssystem 2.21 ff. – bei digitaler Betriebsprüfung 2.14 ff., 3.600 ff. – Dokumentationspflichten 2.57 ff. – bei Dritten 2.41 – als Ermessensentscheidung 2.18 – Ermöglichung im Rahmen der Prüfungsvorbereitung 1.155 – Formen 2.32 – Maßgeblichkeit steuerlicher Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten 2.51 ff. – mittelbarer (Z2) 2.36, 2.217, 3.163, 3.609 – Rechtsschutz 2.61 f. – Schätzungsbefugnis bei Mitwirkungspflichtverletzung des Steuerpflichtigen 2.63 f. – Technik 2.19 ff. – Überprüfbarkeit digitaler Aufzeichnungen 2.57 f. – Umfang und rechtliche Grenzen 2.46 ff. – unmittelbarer 2.216 – unmittelbarer (Nur-Lese-Zugriff, Z1) 2.33 ff., 2.216 – unmittelbarer (Z1) 3.163, 3.605 ff. – Verzögerungsgeld bei Verzögerung oder Verweigerung 2.64 – Zugriffsarten 2.215 ff. 873

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Datenzugriff, § 147 Abs. 5, Abs. 6 AO 1.12, 2.214 ff. Datenzugriffsrecht, § 147 Abs. 6 AO 1.650, 5.107 Dauersachverhalt 1.908, 7.1 DBA-Recht 7.280 DEBBI 3.420 ff. Deklarationsprinzip 1.60 DEMPE-Konzept 7.160 f. – Bedeutsamkeit im Rahmen der Lizenzsatzbemessung 7.161 DEMPE/RACI-Analyseverfahren 7.164 Desk Audit 7.258 Deutscher Prüfer auf ausländischem Territorium 7.310 f. Deutscher Prüfer auf deutschem Territorium – Geltungsbereich der Abgabenordnung 7.309 Deutsch-französischer Wahlgüterstand 10.119 Dienstaufsichtsbeschwerde 1.440, 1.661 Digitale Betriebsprüfung – bei der deutschen Zollverwaltung 3.567 ff. – Status Quo 2.202 ff. Digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung 2.126 ff. – Monetary Unit Sampling (MUS) 2.153 ff. – Quantilsschätzung 2.161 ff. – Schnittstellen-Verprobung (SSV) 2.134 ff. – Summarische Risikoprüfung (SRP) 2.140 ff. – Verteidigungsansätze gegen das Monetary Unit Sampling 2.200 f. – Verteidigungsansätze gegen die Quantilsschätzung 2.178 ff. – Verteidigungsansätze gegen die Schnittstellenverprobung 2.197 f. – zusammenfassender Vergleich der Funktionen von MUS, SSV und SRP 2.157 Digitale LohnSchnittstelle (DLS) 2.220, 3.285 Digitalisierung – des Prüfungsverfahrens 2.3 ff. – des steuerlichen Festsetzungsverfahrens 2.1 ff.

Digitalisierung der Außenprüfung/ Betriebsprüfung 2.1 ff. – Datenschutz 2.248 ff. – Datenzugriff 2.14 ff.; s.a. Datenzugriff – digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung 2.126 ff.; s. digitale Betriebsprüfungstools der Finanzverwaltung – GoBD als Wegbereiter 2.74 ff. – Rechtsentwicklung 2.11 ff. – Rechtsfragen zum Datenschutz 2.10 Direktzusage 1.75 Disposition 9.154 ff. Dispositionsinteresse 9.19, 9.32 f. Dispositionsschutz 9.161 Dokumentation der Geldflüsse 5.102 Dokumentation zu außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen 1.154 Dokumentation zu Tax Compliance Management System 1.153 Dokumentenanforderung – Rechtmäßigkeit 1.157 Dokumentenmanagement-System (DMS) 2.126, 2.210 Doppelbelastung mit Einkommen- und Schenkungsteuer 10.62 f. – verdeckte Gewinnausschüttung 10.63 Doppelbesteuerung (DBA) 7.228 Doppelbesteuerungsrisiko – Beseitigung durch gemeinsame steuerliche Betriebsprüfung (grenzüberschreitend) 7.317 Doppelfunktion – der Ermittlungshandlungen des Betriebsprüfers 1.848 Doppel-Nichtbesteuerung 7.228 Doppelte Anfechtung 1.522 Doppeltes Anfechtungserfordernis 1.520, 1.820 Downsizing 5.79 Dreigliedriger Verwaltungsaufbau 1.53 – Verzicht auf Einrichtung der Mittelbehörde seit 2001 1.54 Drei-Tages-Fiktion, § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO – Zugang Prüfungsanordnung 1.370 Drei-Tagesfrist – elektronische Übermittlung 1.231 DSFinV-K 2.129 Duldungsanordnung 1.504 Durchbruchsverhandlung 1.948

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Durchsuchung 3.200 f. Durchsuchung, Durchsuchungsrecht 3.313, 3.350 Durchsuchungsbeschluss – richterlicher 3.350

E-Bilanz 1.141 ECR – Electronic Cash Register 5.67 ff. ECR-Kasse analog 5.67 f. ECR-Kasse digital 5.69 ff. Ehegatteninnengesellschaft 10.29 Eigenbeleg 5.63 Einholung einer Auskunft 1.445 ff. – Auskunftsverpflichtete 1.449 ff. – bei Betriebsangehörigen, Voraussetzungen 1.452 f. – bei Dritten 1.454 ff. – durch Einsatz von Zwangsmitteln 1.460 f. – durch Schätzung 1.462 Einleitung Steuerstraf- oder Bußgeldverfahren – Entscheidung durch die Straf- und Bußgeldsachenstelle 1.691 Einleitung Steuerstrafverfahren – keine Außenwirkung 4.57 Einnahme des Augenscheins 1.37, 1.487 ff. – Begriff 1.487 – Durchsetzung durch den Prüfer 1.495 f. – Testkauf 1.491 ff. – verdeckte Beobachtung 1.491 ff. Einnahmenüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) – Belegaufbewahrungspflicht 5.89 ff. – Einzelaufzeichnungspflicht 5.83 ff. – Kassensturzfähigkeit 5.87 f. – keine Pflicht zur Führung eines Kassenbuchs 5.82 Einsatzgebiet für IT-Lösungen – Phase 1: Vorbereitung der Betriebsprüfung 2.207 ff. – Phase 2: Durchführung der Betriebsprüfung 2.214 ff. – Phase 3: Nach der Betriebsprüfung 2.245 ff. – in den Phasen vor, während und nach einer Betriebsprüfung 2.206 ff.

Einsicht in Urkunden 1.467 ff. – Durchsetzung durch den Prüfer 1.476 f. Einspruch, § 347 Abs. 1 AO 1.809, 1.811 f. Einstweilige Anordnung 1.841 ff., 1.861 – Anordnungsanspruch 1.843 – Anordnungsgrund 1.843 – Regelungsanordnung 1.842 ff. – Sicherungsanordnung 1.842 Einstweilige Anordnung nach § 114 FGO – gegen Durchführung zwischenstaatlicher Amtshilfe 7.314 Einwendungsfrist, § 202 Abs. 2 AO 1.23, 6.105 f. – Verhinderung Einspruchsverfahren 6.106 – Vorteil der Stundung 6.106 Einzelauflistung der jeweiligen Zuwendung im Steuerbescheid 10.58 ff. Einzelaufzeichnungspflicht (§ 146 Abs. 1 AO) 5.13 ff. – Antrag auf Erleichterung (§ 148 AO) 5.18, 5.27 – Ausnahmen 5.15 ff. – Befreiung 5.38 – elektronisches Aufzeichnungssystem 5.26 – offene Ladenkasse 5.27 Einzeldatenspeicherung 5.69 Einzelne Ermittlungsmaßnahmen 1.441 ff. – Ansicht von Wertsachen 1.507 ff. – Einholung von Auskünften 1.445 ff. – Einnahme von Augenschein 1.487 ff. – Einsicht in Urkunden 1.467 ff. – Grundstücksbetretung und Betriebsbesichtigung 1.499 ff. – Hinzuziehung von Sachverständigen 1.479 ff. Elektronische Fristenkontrolle 2.230 Elektronische Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELSTAM) 3.264 Elektronische Massendaten 2.134 Elektronischer Beleg 5.35 Elektronischer Informationsaustausch – zwischen Finanzverwaltung und Steuerpflichtigem 2.226 Elektronischer Verwaltungsakt i.S.d. § 122 Abs. 2a AO 1.231 875

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Elektronisches Aufzeichnungssystem 5.17 – gesetzliche Anforderungen 5.28 ff. Elektronisches Kassensystem 5.64 ff. – Begriff 5.64 Elektronisches Lohnsteuerabzugsmerkmal (ELSTAM) 3.264 Empfänger Prüfungsanordnung 1.278 f. Empfangsbevollmächtigter 1.279 Entschließungsermessen 1.132, 9.38 Entstrickungsbesteuerung des inländischen Gewinnpotenzials 7.202 Erbschaft- und schenkungsteuerliche Aspekte in der Betriebsprüfung 10.1 ff. – Aufgriffspunkte der Erbschaft-/Schenkungsteuer im betrieblichen Bereich 10.64 ff. – Aufgriffspunkte der Erbschaft-/Schenkungsteuer im privaten Bereich 10.20 ff. – Vorkommen eher selten 10.1 – Zuwendungstatbestand 10.2 ff. – Zuwendungsverhältnis 10.16 ff. Erfahrungssatz 1.410, 1.420 Erfahrungstatsache 1.410, 1.420 Erfassungskontrolle 2.117 f. Erfolgsdelikt 4.14 Erforderlichkeit der Datenverarbeitung 2.337 ff. – Beispiel Abzugsverbot des § 160 AO 2.340 – Beispiel Verarbeitung für Zwecke des Lohnsteuerrechts 2.339 Erhöhte Bestandskraft 1.723 ff.; s.a. Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO Erklärungsdelikt 4.1 f. Erkundigungspflicht 4.25 Ermächtigter Ausführer 3.597 Ermächtigungsgrundlage – DSGVO 2.262, 2.274, 2.309 – DSGVO, Anforderungen 2.330 ff. Ermittlung des Sachverhalts 1.404 ff. – einzelne Ermittlungsmaßnahmen 1.441 ff. – Prüfungsgrundsätze 1.404 ff. Ermittlungshandlung mit Außenwirkung 4.57 Eröffnungsgespräch – zwischen Prüfer und Steuerpflichtigem 1.400 ff. – Unzulässigkeit der strafbefreienden Selbstanzeige 1.402

Errungenschaftsgemeinschaft – ausländischer gesetzlicher Güterstand 10.126 Ersatzvornahme 3.556, 4.44 Erstprüfung 3.67 Ertragswertverfahren 10.264 ff. – zur Bewertung von Mietwohngrundstücken, Geschäftsgrundstücken, gemischt genutzte Grundstücke 10.264 – Gebäudeertragswert 10.265 f. – Liegenschaftszinssatz und seine Bestimmung 10.267 f. – Vervielfältiger 10.269 Erweiterungsanordnung 1.166 Erweiterungsprüfung 1.199 f., 1.251 ff. Erwerb des Familienheims von Todes wegen 10.55 f. – Einhaltung der zehnjährigen Selbstnutzungsfrist 10.55 – unverzügliche Selbstnutzung nach dem Tod des Erbslassers 10.55 EU-Amtshilfegesetz (EUAHiG) 1.141, 7.261 – aktives Prüfungsrecht 7.266 – passives Prüfungsrecht 7.265 EU-Amtshilferichtlinie für direkte Steuern 7.261 ff., 7.277 – ausländisches Ermittlungsersuchen 7.264 – Auslandsentsendung 7.265 – keine eigenen Ermittlungsbefugnisse ausländischer Finanzbehörden 7.267 – Möglichkeit einer rein simultanen Betriebsprüfung nach Art. 12 EUAHiG 7.268 – Umsetzung in deutsches Recht 7.224 EU-Doppelbesteuerungsabkommen-Streitbeilegungsgesetz (EU-DBA-SBG) 7.391 ff. – Bundeszentralamt für Steuern als zuständige Behörde 7.398 – Durchführung des Verständigungsverfahrens 7.406 – Einreichung der Streitbeilegungsbeschwerde 7.397 ff. – Schiedsverfahren 7.407 ff. – Verfahrenserleichterungen 7.411 – Zurückweisung der Streitbeilegungsbeschwerde 7.402

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EU-Schiedskonvention 7.374 ff. – Anwendungsbereich 7.376 ff. – beratender Ausschuss 7.389 – keine Qualifikationskonflikte 7.379 – multilaterales völkerrechtliches Abkommen der EU-Staaten zur Beseitigung der Doppelbesteuerung 7.374 – Schiedsphase 7.389 f. – Verfahren auf Basis des Fremdvergleichsgrundsatzes 7.378 – zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im europäischen Wirtschaftsraum 7.374 – Verständigungsverfahren 7.383 ff. – Vorverfahren 7.382 EU-Schiedsverfahren 3.30; s.a. Schiedsverfahren nach DBA EU-Streitbeilegungsrichtlinie – Umsetzung in deutsches Recht mit Gesetz vom 12.12.2019 7.392 EU-Ursprungseigenschaft 3.519 – Nachweis 3.520 Eventualvorsatz 4.33 Evokation 4.48 Ewige Rente (Terminal Value) 10.188 Expected Cost to Guarantor-Methode – zur Bestimmung der Vergütungshöhe bei Avalen 7.200 f. Exportkontrollrecht – Kategorien (Güter-, Länder-, Personen-, Verwendungskontrolle) 3.557

Fachausschuss für Unternehmens-

bewertung und Betriebswirtschaft des IDW (FAUB) 10.201, 10.209 Fachprüfer – Bausachverständige 6.129 – für Bedarfsbewertung 6.129 – für bestimmte Rechtsgebiete oder Prüfungsfelder 1.73 – für bestimmte steuerliche Bereiche 6.129 – für betriebliche Altersversorgung (BAV) 1.75 – für interntionales Steuerrecht 1.74, 6.129 – IT-Fachprüfer 1.77, 6.129 – MAP-Prüfer für Methodik, Analyse und Prüfungstechnik 1.77 – NPT-Prüfer für Neue Prüfungstechniken 1.77

– für Unternehmensbewertung bzw. betriebswirtschaftliche Bewertung 1.76 – zur Unterstützung der Betriebsprüfung vor Ort 1.69 – für versicherungsmathematische Fragen 6.129 Fälligkeitssteuer 4.17 FATCA 1.141 Fehlen der aufbewahrungspflichtigen Betriebsanleitung – bei programmierbarem Kassensystem, Rechtsprechung des BFH 1.654, 1.657 Fehlende Prüfungsbedürftigkeit 1.104 Fehlerhaftigkeit des Jahresabschlusses 8.58 Feststellung nach § 14 Abs. 5 KStG 6.157 ff. Feststellungslast 1.22, 1.61, 7.67; s.a. Beweislast Field Audit 7.258 Financial Intelligence Unit (FIU) 1.883 ff. – Abteilung der Generalzolldirektion 1.885 – Aufgaben 1.885 – Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchung 1.883 Finanzamt – Außendienst 1.58 – Innendienst 1.58 – sachliche Zuständigkeit für die Betriebsprüfung 1.121 – Zuständigkeiten und Aufbau 1.56 f. Finanzamt für Betriebsprüfung 1.121 Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung 1.121 – Nordrhein-Westfalen 1.213 Finanzamtszuständigkeitsverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (FA-ZVO) 1.117 Finanzbehördeninterne Kontrollmiteilung, § 194 Abs. 3 AO, § 9 BpO 2000 1.850 Finanzgericht Köln – örtliche und sachliche Zuständigkeit bei Klagen gegen internationale Prüfungsverfahren 7.314 Finanzgerichtliche Schätzung 1.634 – Revisionsverfahren vor dem BFH 1.638 f. 877

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Finanzkontrolle Schwarzarbeit FKS 1.867, 1.871 f., 3.302, 3.352 Finanzrechtsweg 1.813 ff. – nach Abschluss bzw. Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens 1.814 – bei Maßnahmen der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 AO 1.814 Flankenschutz 3.183 Flankenschutzfahnder 4.49 Föderalismus-Begleitgesetz 9.4 Folgenbeseitigungsklage 1.552 Förmliche Rechtsbehelfe 1.809 ff. Formloser Rechtsbehelf 1.821 ff. – Befangenheitsantrag 1.829 ff. – Dienstaufsichtsbeschwerde 1.825 ff. – Gegenvorstellung 1.822 ff. – Sach- und Fachaufsichtsbeschwerde 1.828 Formwechselnde Umwandlung 6.223 f. – Prüfungsanordnung 6.223 f. Fortsetzungs-Feststellungsklage 1.505, 1.820, 3.251, 3.324, 3.395 Forum on Tax Administration (FTA) 7.219 Freiverkehrseigenschaft 3.504 f. Freiverkehrspräferenz 3.515 Freiwillige Aufzeichnungspflicht 1.472 Fremdvergleichspreis, § 1 AStG 10.140 Fruit of the poisonous tree-doctrine – im nordamerikanischen Recht 1.517 Fully-Fledged Distributor 7.172 Fungibilität (lack of marketability discount) 10.210 f. Funktions- bzw. Gruppenpostfach 2.211 Funktionstrennung (Segregation of Duties (SoD) 2.112 ff. – unvereinbare Funktionen 2.113 Funktionsverlagerungsbesteuerung nach § 1 Abs. 3 Satz 9 f. AStG 7.202

GAufzV

– Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung 7.32 Gauß´sche Normalverteilung 2.172, 2.187 GDPdU – Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU) 2.129, 5.9

GDPdUZ – Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen im Zuständigkeitsbereich der Zollverwaltung (GDPdU) 3.570, 3.600 Gebäudeertragswert 10.265 Gebäudeherstellungswert 10.271 Gebäudesachwert 10.270 f. Gebot der Unveränderbarkeit von Daten 5.74 Gefahr in Verzug 1.482 Geldtransit 5.120 Geldverkehrsrechnung 1.594, 1.609 ff. – als geeignetere Schätzungsmethode gegenüber der Quantilsschätzung 2.184 – als vorrangig anzuwendende Schätzungsmethode nach Auffassung des BFH 1.610 Geldwäsche – Begriff 1.878 – Beispiele 1.887 Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung 1.878 ff. – Offenbarungspflichten, § 31b Abs. 2 und 3 AO 1.881 ff. – strafrechtliche Verfolgung 1.880 Geldwäscheverdachtsmeldung 1.883, 1.885 Gemeinde – kein eigenes Prüfungsrecht 6.207 – keine eigenen Prüfungshandlungen 1.124 – keine sachliche Zuständigkeit zur Anordnung oder Durchführung einer Betriebsprüfung 1.124 – Teilnahme von Bediensteten hinsichtlich von Realsteuern (Grund- und Gewerbesteuer) 1.336 ff. Gemeiner Wert, § 9 BewG 10.140 Gemeinsame Betriebsprüfung bzw. Joint Audits 7.234 – bilaterale oder multilaterale Ausgestaltung 7.234 – intensivste Form der internationalen Zusammenarbeit der Steuerverwaltung 7.235 Gemeinschaftsdepot von Ehegatten 10.26 Gemeinschaftskonto von Ehegatten 10.22 Generalzolldirektion 3.404

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Gesamtrechtsnachfolge 6.213 – Aufspaltung 6.214 – formwechselnde Umwandlung 6.214 – bei Verschmelzung 6.214 Geschäftsleitungsprinzip bei der Körperschaftsteuer, § 20 AO 1.56 Geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode (Profit Split) 7.158 f. Gesellschafteraufwand 7.141 ff. – Doppelbesteuerungskonflikte 7.144 – bei Inbound-Sachverhalten 7.141 – bei Outbound-Sachverhalten 7.141 Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014 1.368 Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.7.2016 1.229, 9.4 Gesetzliche Aufzeichnungspflicht 1.467 Gewerbekennziffer (GKZ) 1.92 Gewerbesteuerliche Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften, §§ 8, 9 GewStG 6.209 Gewerbesteuerliche Organschaft 6.181 ff. – ein Gewerbesteuermessbescheid für alle zum Organkreis gehörenden Gewerbebetriebe 6.183 – Organgesellschaft als gewerbesteuerliche Betriebsstätte des Organsträgers (Betriebsstättenfiktion) 6.182 – Prüfungsinhalt, Prüffelder 6.208 f. – Veranlagung 6.183 – Vorliegen 6.181 Gewerbesteuerprüfer der Gemeinde – Erstellung und Auswertung des Prüfungsberichts 6.139 f. – Mitwirkung bei der Konzernbetriebsprüfung 6.135 ff. – Übermittlung des endgültigen Prüfungsberichts an den Gewerbesteuerprüfer 6.141 – Zulässigkeit der Mitwirkung gemäß BFHUrteil v. 23.1.2020 6.137 f. Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) 1.30, 1.42, 1.406, 1.428, 8.116 Gleichordnungskonzern 6.23 f. – faktischer 6.24 – vertraglicher 6.23

Gleichzeitige Betriebsprüfung (Simultanprüfung) 7.232 f. Globaler Gewinnvergleich – zur Plausibilisierung der Profitabilität im Unternehmen 7.16 GoB – Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung (GoB) 8.7 GoBD – Anforderungen bei Schätzung 1.592 – Datenseriosität 2.74 f. – Datensicherheit 2.76 f. – Datenverarbeitungssystem 2.78 – Gebot der Unveränderbarkeit von Daten 5.74 – Geschäftsvorfälle 2.79 – Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) 1.17 f., 2.7, 2.65 ff., 3.570, 5.11 – internes Kontrollsystem (IKS) 2.91 ff. – Kontrollmaßnahmen (GoBD-IKS) 2.98 ff.; s. GoBD-IKS – Verfahrensdokumentation 2.68 ff.; s.a. Verfahrensdokumentation – Verfahrensdokumentation für alle im Unternehmen eingesetzten Datenverarbeitungssysteme 1.651, 2.80 ff. – Verpflichtung zur Erstellung einer Verfahrensdokumentation der eingesetzten Datenverarbeitungssysteme 2.7 – als Wegbereiter der digitalen Betriebsprüfung 2.74 ff. GoBD-IKS 2.98 ff. – Abgrenzung vom allgemeinen IKS 2.100 ff. – Abgrenzung von einem Tax CMS 2.103 ff. – Abstimmungskontrollen bei Dateneingabe 2.119 ff. – Erfassungskontrollen 2.117 f. – Funktionstrennungen 2.112 ff. – Schutzmaßnahmen gegen Verfälschungen 2.123 f. – Sicherheitsanforderungen an EDV-Systeme 2.124 – Unveränderbarkeit von Daten 2.123 – Verarbeitungskontrollen 2.122 879

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– Ziel Qualitätssicherung und Revisionsschutz 2.99 – Zugangs- und Zugriffsberechtigungskontrollen 2.106 ff. GoBD-Schnittstelle 2.129 GoBS – Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme 2.98 Going Concern Prämisse 10.184 Grenze von 90% als Ausschluss der Vergünstigungsregelungen 10.81 ff. Grenzüberschreitende Betriebsprüfung 3.30 Großbetriebsprüfung 1.70 – zeitlicher Umfang 1.309 ff. Größenklasse – Einordnung von der Betriebsprüfung unterliegenden Steuerpflichtigen nach Umsatz und Gewinn 1.93 ff. – Einstufung als Großbetrieb unabhängig von Umsatz und Gewinn 1.97 – Einteilung nach BpO 2000 bezüglich zeitlichem Umfang einer Betriebsprüfung 1.309 ff. – Verfahren zur Einstufung 1.99 Grundlage aller Prüfungshandlungen deutscher Steuerbehörden, §§ 193 AO 7.257 ff. Grundlagen- und Folgebescheid – bei Schätzung 1.623 ff. Grundrechtliches Gebot des Dispositionsschutzes 9.161 Grundrechtseingriff 4.53 Grundsatz der Abschnittbesteuerung 9.75, 9.137 Grundsatz der Angemessenheit 3.220 Grundsatz der Anschlussprüfung 1.311 Grundsatz der Bilanzverknüpfung 8.55 Grundsatz der Formenakzessorietät 9.123 Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung 9.75, 9.109 Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 7.222 Grundsatz der Maßgeblichkeit – der Handelsbilanz für die Steuerbilanz (§ 5 Abs. 1 Satz 1 REStG) 8.7 Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung 1.406, 1.428

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 1.432, 1.443, 3.192, 3.220, 3.340, 7.40 ff. Grundsatz der Wertaufhellung 8.69 Grundsatz der Zweckbindung – bei personenbezogenen Daten 2.290 – Überprüfung 2.313 Grundsatz des Übermaßverbots 1.144 Grundsatz „in dubio pro reo“ 1.632 Grundstücksbetretung und Betriebsbesichtigung – durch den Betriebsprüfer 1.499 ff. – Durchsetzung durch den Prüfer 1.503 f. Grundstücksreinertrag 10.266 Gütergemeinschaft 10.126 Güterrechtsstand gemäß Art. 15 EGBGB – genaue Bestimmung in Fällen mit Auslandsbezug 10.125 Güterstand – inländischer oder ausländischer 10.126 Güterstand Gütertrennung 10.119 Güterstand Zugewinngemeinschaft 10.119, 10.125 Güterstandsschaukel 10.42, 10.119, 10.123 Gütertrennung 10.119

Haftung – bei Karussellbetrug, § 25d UStG 3.149 – für Lohnsteuer 3.294, 9.9 Haftungsanspruch 8.21 Haftungsbescheid – Haftung des Arbeitgebers für Lohnsteuer, § 42d EStG 3.294, 3.321 Haftungsschuldner 8.25 Harmonisiertes Mehrwertsteuersystem 3.145 Harmonisiertes System 3.498 Harvard-Konzept – interessenbasierter Verhandlungsstil 1.928 ff., 1.934, 1.936 Hauptphase der steuerlichen Betriebsprüfung 1.395 f. Hauptphase der steuerlichen Betriebsprüfung im Bereich der Verrechnungspreise 7.5 ff. – Phase 1: Prüfungsvorbereitung 7.6 ff. – Phase 2: Prüfungsbeginn 7.12 ff. – Phase 3: eigentliche Prüfungsphase 7.59 ff.

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– Phase 4: Abschluss- bzw. Vereinbarungsphase 7.132 ff. Hauptzollamt 1.125, 3.405 – Begriff und Zuständigkeiten 1.125 Herrschendes Unternehmen 6.16 Hinzuschätzung s. Schätzung von Besteuerungsgrundlagen – mit Hilfe einer Ausbeutekalkulation 3.377 Hinzuziehung von Sachverständigen – Durchsetzung durch den Prüfer 1.484 – kein Einsatz von ausgeschlossenen Personen, § 82 AO 1.481 – kein Einsatz von befangenen Personen, § 96 Abs. 4, Abs. 2 AO) 1.481 – kein Einsatz von Personen mit Gutachtenverweigerungsrecht, § 104 Abs. 1 AO 1.481 – Verpflichtung zur Erstellung eines Gutachtens 1.484 Hypothetischer Fremdvergleich 7.158 – in grenzüberschreitenden Fällen (§ 1 Abs. 3 Satz 7 AStG) 10.185

ICAP (Internet Content Adaption

Protocol) 7.321 IDEA – Prüfungssoftware der Finanzverwaltung 1.77, 2.39, 2.42, 2.130 ff., 2.213, 2.219, 2.221, 3.567 f. Immaterielle Gegenleistung – Bewertung zur Beurteilung der Vollentgeltlichkeit 10.13 Imparitätsprinzip 8.2 Indirekte Zusage 1.75 Informationsfreiheitsgesetz (IFG) 1.698 ff. – Anspruch auf Auskunft und Akteneinsicht 1.698 – Bundes- und Landes-IFG 1.699 f. – Geltendmachung von Ansprüchen vor den Verwaltungsgerichten 1.701 – Landes-IFG und Akteneinsichtsrechte umstritten 1.699 Informationspflicht nach Art. 13 DSGVO 2.368 f. Informationsrechte des Steuerpflichtigen – Akteneinsichtsrecht 1.715 f. – Anspruch auf Schlussbesprechung 1.684 ff.

– Anspruch auf Übersendung des Prüfungsberichts vor dessen Auswertung und Gelegenheit zur Stellungnahme 1.694 ff. – Auskunfts- und Anhörungsrechte nach §§ 193 ff. AO 1.658 ff. – Bekanntgabe der Prüfungsordnung 1.661 – nach Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) 1.702 ff. – Durchsetzung der Informations- und Anhörungsansprüche 1.683 – Hinweispflicht bezüglich straf- oder bußgeldrechtlicher Würdigung der Feststellungen der Betriebsprüfung 1.688 ff. – nach Informationsfreiheitsgesetz (IFG) 1.698 ff. – Unterrichtungspflicht des Prüfers, § 199 Abs. 2 AO 1.662 ff. Inhaltsadressat – Prüfungsanordnung 1.274 f. Innerer Betriebsvergleich 5.143 f. Insolvenzdelikt – § 15a InsO 4.26 Intercompany-Agreement 7.26 Intercompany-Vertrag 7.8 – Informationsbeschaffungsklauseln 7.64 Interessenbasierter Verhandlungsstil 1.927 ff. – Harvard-Konzept 1.928 f., 1.934 – Harvard-Konzept, BATNA 1.936 – Konzept der interessengeleiteten Verhandlung 1.931 f. – Vorteile in der Betriebsprüfungspraxis 1.941 Internationale Aspekte der Betriebsprüfung 7.1 ff. – Joint Audits 7.217 ff. – Verrechnungspreisbereich 7.1 ff. Internationale Ausrichtung der Betriebsprüfung 7.217 ff. – deutsche Pilotverfahren 2018 7.224 ff. – OECD Joint Audit Report 2010 7.219 ff. – OECD Papier Joint Audits 2019 7.229 f. – Report des EU-JTPF von 2018 7.228 Internes Kontrollsystem (IKS) 2.7, 2.91 ff. – Abgrenzung zum GoBD-IKS 2.100 ff. – COSO-Framework 2.101 – als Risiko- oder Compliance-Managementsystem 2.100 881

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Stichwortverzeichnis

– Sicherstellung der Ordnungsmäßigkeit der elektronischen Buchführung 2.97 ff. Investitionsrisiko 10.203 IT-BP-Tool 1.448 IT-Grundschutz-Katalog des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) 2.102 ITIL – IT Infrastructure Library 2.102 IT-Lösung s.a. Einsatzgebiet für IT-Lösungen – Einsatzgebiete vor, während und nach einer Betriebsprüfung 2.206 ff.

Joint Audit

1.21, 7.217 ff. – ausländischer Prüfer auf deutschem Territorium 7.312 f. – deutscher Prüfer auf ausländischem Territorium 7.310 f. – deutscher Prüfer auf deutschem Territorium 7.309 – internationale Ausrichtung der Betriebsprüfung 7.217 ff. – koordinierte Betriebsprüfungen der deutschen Steuerverwaltung 7.231 ff. – Rechtsgrundlagen im DBA-Recht 7.280 – Rechtsgrundlagen im Europäischen Recht 7.261 ff. – Rechtsgrundlagen im multilateralen Übereinkommen der OECD 7.275 ff. – Rechtsgrundlagen in der Abgabenordnung (§§ 88, 117, 193 ff. AO) 7.246 ff. – Rechtsgrundlagen in sonstigen zwischenstaatlichen Abkommen 7.282 – Rechtsgrundlagen in Tax Exchange Information Agreements (TIEA) 7.281 – als Tax Certainty Agenda 7.321 ff. – Verfahrensfragen 7.283 ff. Joint Audit Participant Guide 7.219 Joint Audit Report 2010 7.219 – Definition 7.220 f. Joint Tax Audit 3.30 – als besondere Form der Amtshilfe 7.247 Journalfunktion 2.93 Junges Verwaltungsvermögen 10.92 ff.

Kapitalentwicklung

1.781 Kapitalisierungszinssatz 10.197 ff. – Beta-Faktor 10.203 ff.

– Capital Asset Pricing Model (CAPM) zur Bestimmung 10.198 – Fungibilitätszuschlag 10.210 f. – Länderrisikoprämien 10.208 f. – Marktrisikoprämie 10.202 – risikoloser Basiszinssatz 10.200 ff. – Wachstumsabschlag 10.206 f. – Zeitwert des Geldes 10.197 Kapitalstrukturrisiko 10.205 Kapitalwertmethode 10.144, 10.172 ff. – Ausschüttungshypothesen (Thesaurierung, Verwendung nicht ausgeschütteter Beträge), Hypothese der Teilausschüttung 10.196, 10.238 – Berücksichtigung von Steuern 10.212 ff. – Discounted Cashflow Methode 10.172 – Ertragswertmethode 10.172 – erwartete finanzielle Überschüsse 10.172 ff. – Kapitalisierungszeitraum 10.175 ff. – Kapitalisierungszeitraum, begrenzter (endlicher) 10.179, 10.186 – Kapitalisierungszeitraum, unbegrenzter (unendlicher) 10.176 ff., 10.186, 10.188 – Kapitalisierungszinssatz 10.197 ff.; s.a. Kapitalsierungszinssatz – Korrektur der Überschüsse, z.B. um einen fremdüblichen Unternehmerlohn 10.193 ff. – Mindestwerthypothese 10.224 – Planung/Prognose künftiger finanzieller Überschüsse 10.180 f. – Stichtagsprinzip 10.182 f. Karenzfrist 1.628 Kassenbericht 5.51, 5.99 ff. – retrograd aufgebaut 5.62 – Zweck 5.62 Kassenbuch 5.53, 5.101, 5.116 ff. – Begriff 5.117 – Radierungsverbot 5.118 Kassenfehlbetrag 5.121 ff. – untertägiger 5.122 Kassenführung 5.1 ff. – Anforderungen 5.4 – BMF-Schreiben vom 9.1.1996 Einsatz elektronischer Registrierkassen 5.6 ff. – BMF-Schreiben vom 14.11.2014 Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeich-

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nungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD) 5.11 – BMF-Schreiben vom 16.7.2001 Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU) 5.9 – BMF-Schreiben vom 26.11.2010 Aufbewahrung digitaler Unterlagen bei Bargeschäften 5.10 – bei Einnahmenüberschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) 5.80 ff. – als Fokus des steuerlichen Betriebsprüfung 5.1 – Manipulationsmöglichkeiten 5.110 f. – Ordnungsmäßigkeit 5.165 – Prüfung der Ordnungsmäßigkeit 5.50, 5.59 – Systemprüfungen 5.132 ff. – als zwingender Prüfungsschwerpunkt 5.2 Kassengesetz vom 22.12.2016 – Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen 5.12 ff. – Übersicht 5.48 Kassenmängel 5.145 ff. – leichte formelle 5.150 – leichte materielle 5.155 – schwere formelle 5.148 ff. – schwere materielle 5.153 ff. – steuerliche Auswirkungen 5.158 ff. – strafrechtliche Auswirkungen 5.162 ff. Kassen-Nachschau, § 146b AO 1.12, 1.206, 1.491, 3.165, 3.325 ff., 5.145 f. – Antrag auf Aussetzung der Vollziehung 3.394 – Betretungsrechte des Prüfers 3.347 ff. – Gründe zur Durchführung 3.338 – insbesondere bei bargeldintensiven Betrieben 3.337 – isolierte 3.359 f. – Kassensturz 3.370 ff. – keine Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige 3.396 f. – keine Vorankündigung 3.345 – Mitteilung der Beendigung 3.389 f. – Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung 3.334 – Ordnungswidrigkeit bei Nichteinhaltung der Pflichten aus § 379 AO 3.402

– Prüfung der aktuellen Kassenführung 3.333 – Prüfungsauftrag als schriftlicher Duldungsbescheid 3.379 – Sachverhaltsermittlung vor Ort 3.328 – zur schnellen Sachverhaltsüberprüfung 3.352 – Systemprüfung 3.367 ff. – Testkauf 3.377 – unmittelbarer Übergang zur Betriebsprüfung 3.387 f. – Unterlagen zum Kassensystem und den dazugehörigen Datenverarbeitungsprozessen 3.365 – Unterschiede zur Betriebsprüfung 3.353 f. – Unterschiede zur Lohnsteuer-Nachschau 3.357 – Unterschiede zur Umsatzsteuer-Nachschau 3.356 – verdeckte Beobachtung von Kassen 3.376 – Versendung der Prüfungsanordnung mit Verwendung der Ergebnisse in einer darauffolgenden Betriebsprüfung 3.386 – vor oder nach einer Betriebsprüfung 3.363 – zufällige 3.361 – Zwangsmittel 3.383 f. Kassensicherungsverordnung (KassenSichV) 5.29 Kassensturz 1.487, 3.370 ff. Kassensturzfähigkeit 5.87, 5.126 ff. Kassensystem – elektronisch, computergestützt 5.29 – programmierbares 1.654, 1.657 KDD-Prozess – Knowledge Discovery in Databases = Wissensentdeckung in Datenbanken 6.291 Kettenschenkung 10.18 Klage vor dem Finanzgericht, § 40 FGO 1.809, 1.811 f. Klarstellende Vereinbarung 10.27 Kleines Konzernprivileg 2.263 Kleinunternehmer 3.186 Kollaborationsplattform 2.203 – einfacher Datenzugriff und Informationsaustausch 2.233 – Planung und Koordination von Projekten und Aufgaben 2.234 883

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– webbasierte 2.232 Kollektivvereinbarung 2.289 Kommunale Gewerbesteuerprüfung 1.68 Kompensationsverbot 4.19 Kompensatorische Berücksichtigung künftiger Vorteile – bei der Rückstellungsbewertung 8.89 ff. Kompensatorische Bewertung – steuerliche Sonderregelung bei der Rückstellungsbewertung 8.87 ff. Konfliktsituationen in der Praxis zu Verrechnungspreisen/Verrechnungspreisdokumentation 7.120 ff. – Betriebsprüfer bietet schnelles Prüfungsende gegen Zahleneinigung an 7.128 ff. – Betriebsprüfer ignoriert den vorgetragenen Sachverhalt 7.121 ff. – Betriebsprüfer verzögert die Analyse sowie Rückmeldung 7.125 ff. Konkurrenz der Schiedsverfahren 7.412 ff. – Rechtsgrundlagen für Verständigungsverfahren nach DBA und EU-Schiedskonvention nach Literaturauffassung nebeneinander anwendbar 7.415 f. Konsultationsverfahren 7.325 Kontenfunktion 2.93 Kontrolle – feldbezogene 2.118 – permanente Vollkontrolle 2.382 – softwareanwendungsbezogene 2.117, 2.119, 2.122 – stichprobenmäßige 2.383 – verdeckte präventive 2.382 Kontrollmaterial 1.141 Kontrollmitteilung 1.547 ff. – Betriebsprüfung 1.24, 1.399 – Betriebsprüfung, § 9 BpO 1.49 – Feststellung für Besteuerung einer anderen Person von Bedeutung 1.548 ff. – Feststellung in Form einer unerlaubten Hilfeleistung in Steuersachen 1.551 – Lohnsteuer-Außenprüfung 3.299 – Lohnsteuer-Nachschau 3.322 – Umsatzsteuersonderprüfung 3.81, 3.116 ff. – Voraussetzungen 1.548 ff. Kontrollstruktur – komplexe 2.118

Konzern – Begriff 6.6 ff. – Begriffseinteilung nach Betriebsprüfungsordnung (BpO) 6.4 – Gleichordnungskonzern 6.23 ff. – Konzernunternehmen 6.25 ff. – Unterordnungskonzern 6.15 ff. Konzernbetriebsprüfung, §§ 13–19 BPO 2000 1.15, 1.70, 6.1 ff. – Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO 6.61, 6.76 f. – Anschlussprüfung 6.84 – Außenumsatz von mehr als 25 Mio. Euro 6.14 – Beginn 6.74 ff. – Begriff 6.1, 6.5 – Besonderheiten in der Praxis 6.142 ff. – einheitliche Prüfung durch ein einziges Finanzamt 6.10 f. – einheitlicher Prüfungszeitraum 6.81 ff. – Einleitung 6.54 ff. – Konzernprüfungsrichtlinien 6.85 ff.; s.a. Konzernprüfungsrichtlinien – Leitung 6.41 ff.; s.a. Leitung der Konzernbetriebsprüfung – Mitwirkung des Bundeszentralamts für Steuern 6.112 ff.; s.a. Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) – Mitwirkung eines Gewerbesteuerprüfers der Gemeinde 6.135 ff. – Mitwirkung von Fachprüfern der Landesbehörden 6.129 ff. – Prüfung eines Konzerns i.S.d. § 13 Abs. 1 BpO 6.6 ff. – Prüfung eines Konzerns i.S.d. § 18 Satz 1 Nr. 1 BpO 6.33 f. – Prüfung sonstiger zusammenhängender Unternehmen nach § 18 Satz 1 Nr. 2 BpO 6.35 ff. – Prüfungsaufruf 6.58 ff. – Prüfungsbericht 6.95 ff., 6.103 ff. – Schlussbesprechung 6.91 ff. – Verschiebung des Prüfungsbeginns durch Steuerpflichtigen 6.78 ff. – Voraussetzungen bei einer Organschaft in Abhängigkeit von der Höhe des Außenumsatzes 6.188 f.

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Konzerninterne Darlehensgewährung 7.176 ff. – Berücksichtigung des sog. Konzernrückhalts 7.188 – Besicherung von Darlehensforderungen 7.189 f. – credit rating 7.187 – Finanzierung in wirtschaftlich schwierigen Rahmenbedingungen 7.191 – reine Durchleitungsfunktion nach Ansicht der Finanzverwaltung 7.185 – Zinsbandbreite als Raum für Verhandlungen mit dem Betriebsprüfer 7.193 – Zinssatzbemessung 7.181 ff., 7.186 – Zinssatzbemessung, zinssatzbeeinflussende Faktoren (Zinssatzhöhe) 7.183 Konzernnummer – im Konzernverzeichnis 6.110 Konzern-Organigramm 6.57 Konzernprüfungsrichtlinie – kein umfassendes Weisungsrecht durch das leitende Finanzamt 6.85 ff. – materiell-rechtliche Regelungen 6.87 – organisatorische Regelungen 6.88 – Teilnahme an Besprechungen/Schlussbesprechung bei Prüfung konzernabhängiger Unternehmen 6.89 f. Konzernrückhalt 7.188 – BFH-Rechtsprechung 7.188 – OECD-Terminologie 7.188 Konzernunternehmen – Begriff 6.25 ff. – Beispielsfälle 6.30 f. – im Sinn der Betriebsprüfungsordnung (BpO) 6.28 f. – kein Konzern bei Betriebsaufspaltung 6.32 – keine Konzerne nach den Grundsätzen der BpO 6.31 – Prüfung bei international verbundenen Unternehmen 6.38 ff. – Zugehörigkeit zu mehreren Konzernen 6.73 Konzernverzeichnis 1.46, 1.100, 6.107 – Abgleich mit dem Konzern-Organigramm 6.57 – Aktualisierung bei Konzernbetriebsprüfung 3.40 – Konzernnummer 6.110

– zentrales (BUKON) 1.100, 6.111 – Zweck 6.108 Konzernweite Gewinnallokation 7.10 Koordinierte Betriebsprüfung der deutschen Steuerverwaltung – gemeinsame steuerliche Außenprüfungen bzw. Joint Audits 7.234 f. – gleichzeitige Prüfungen bzw. Simultanprüfungen 7.233 – als koordinierte Außenprüfung 7.232 – mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete 7.231 ff. – Vermeidung langwieriger, ressourcenintensiver Verständigungsverfahren 7.238 – Ziel der Aufdeckung doppelter Nichtbesteuerungsfälle 7.238 – Zuständigkeit für Prüfungsmaßnahmen 7.239 f. Koordinierte bilaterale oder multilaterale steuerliche Außenbetriebsprüfung 7.316 Koordinierte Lohnsteuer-Außenprüfung 6.155 f. Körperschaftsteuerliche Organschaft 6.160 ff. – Besteuerung ab Veranlagungszeitraum 2014 6.167 – Besteuerung bis Veranlagungszeitraum 2013 6.166 – mehrere Prüfungssubjekte 6.163 – mittelbare Rechtsfolgen 6.161 – Organgesellschaft ist stets Kapitalgesellschaft 6.164 – Prüfung der Besteuerungsgrundlagen 6.185 ff. – Rechtsschutz 6.171 ff. – Veranlagung 6.164 ff. – Voraussetzungen 6.160 – Vorliegen von Voraussetzungen als Gegenstand einer Betriebsprüfung 6.162 – Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft zum Organträger 6.161 f. Korrektur des Steuerbescheids – auf der Grundlage gesetzlicher Vorschriften 1.38 Korrekturbegrenzung des § 176 AO 9.153, 9.163 885

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Korrespondierende Besteuerung von Organträger und Organgesellschaft – Feststellungsverfahren für Körperschaftsteuer, § 14 Abs. 5 KStG 6.167 – separate Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für jede Organschaft 6.167 Korruptionsdelikt – §§ 299 ff. StGB 4.26 Kulanzhilfe 7.254

Ländererlass zur Rationalisierung der Be-

triebsprüfung – Begrenzung auf das Wesentliche (“SollAnweisung“) 1.429 – zu prüfende Bereiche als „Soll-Anweisung“ 1.429 Laufzeiteffekt 8.82 Legalitätsprinzip, § 152 StPO 4.47, 4.52 Legalitätsprinzip, Nr. 130 Abs. 1 AStBV 1.540 Leichtfertige Steuerverkürzung, 378 AO 4.1, 4.25, 5.164 Leistung und Gegenleistung – zur Beurteilung des Bestehens einer Schenkung 10.11 Leistungsfähigkeitsprinzip 8.42 Leistungsklage, § 40 Abs. 1 Alt. 1 FGO 1.552 Leistungsklage, § 40 Abs. 1 Alt. 3 FGO 1.841 Leitung der Konzernbetriebsprüfung – Begründung des Leitungsrechts 6.55 – Beispiele zur Bestimmung des zuständigen Finanzamts 6.47 ff. – Beispiele zur Bestimmung des zuständigen Finanzamts, ausländischer Konzern 6.52 f. – Beispiele zur Bestimmung des zuständigen Finanzamts, Konzernspitze ist natürliche Person 6.47 ff. – Beispiele zur Bestimmung des zuständigen Finanzamts, Konzernspitze ist vermögensverwaltende Kommanditgesellschaft 6.51 – Grundsätze zur Bestimmung des zuständigen Finanzamts 6.41 ff. – Prüfschema bei inländischem Konzern 6.46

– Prüfschema bei international verbundenen Unternehmen 6.46 – Prüfschema bei sonstigen zusammenhängenden Unternehmen 6.46 Limited Risk Distributor 7.171 Liquidationswert 10.243 f. Liquiditätsprüfung 1.67 Lizenzgebühr 3.498 Local File Dokument 7.15 Logfile 2.105 Lohnkonto 3.285 Lohnsteuerabzug – besondere Erhebungsform der Einkommensteuer 3.264 – als besondere Erhebungsform der Einkommensteuer auf Basis der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit 3.264 Lohnsteuer-Anerkenntnis 3.295 Lohnsteueranrufungsauskunft 3.164, 3.298, 9.6, 9.8 ff.; s.a. Umsatzsteuer-Anrufungsauskunft – Beteiligte 9.9 – feststellender Verwaltungsakt 9.10 – Sachverhalte im Zusammenhalt mit Einbehalt und Abführung von Lohnsteuer 3.298 Lohnsteuer-Außenprüfung, § 42f EStG 1.65, 1.201 f., 3.258 ff. – Änderungssperre, § 173 Abs. 2 AO 3.297 – Arbeitgeber als Verfahrensbeteiligter 3.260 – Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung 3.296 – Auftragsprüfung 3.267 ff. – Bindungswirkung durch Anrufungsauskunft nach § 42e EStG 3.298 – Bindungswirkung durch Beantragung einer verbindlichen Zusage nach § 204 AO 3.298 – Datenzugriffsrecht 3.284 – digitale Lohnschnittstelle (DLS) 3.285 – digitaler Datenzugriff 3.284 ff. – fiskalische Bedeutsamkeit 3.259 – Haftung des Arbeitgebers, Haftungsbescheid 3.294 – koordinierte 6.155 f. – Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers 3.282 ff.

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– Mitwirkungspflichten des Arbeitnehmers 3.286 ff. – Prüffelder, Schwerpunktprüfungen 3.278 f. – Prüfgungszeitraum 3.276 f. – Prüfungsanordnung mit Rechtsbehelfsbelehrung 3.275 – Schlussbesprechung 3.290 f. – schriftlicher Prüfungsbericht 3.292 f. – Sonderform der Betriebsprüfung 3.258 – Verzögerungsgeld 3.282 – zeitnah 3.277 Lohnsteuer-Außenprüfungsbericht 1.775 Lohnsteuer-Nachschau, § 42g EStG 1.201, 1.205, 3.165, 3.301 ff., 3.357 – Anfechtbarkeit mit Einspruch und Klage 3.308 – Betretungsrechte des Prüfers 3.310 ff. – kein digitaler Datenzugriff 3.317 – kein Durchsuchungsrecht 3.313 – keine Prüfungsanordnung, kein Prüfungsbericht, keine Schlussbesprechung 3.303 – Mitwirkungspflichten der Betroffenen 3.314 ff. – mündliche Anordnung 3.308 – Rechtsfolgen 3.323 f. – Sperrwirkung bezüglich Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung 3.309 – Übergangsmöglichkeit zur LohnsteuerAußenprüfung 3.318 ff. – Ziele und Aufgaben 3.302 ff. – Zwangsmittel 3.316 Lohnsummenprüfung 10.114 f.

Manipulation bei Kassenführungen

3.335, 3.345 Marktbewertungsverfahren 10.151 ff. – Anpassungsrechnungen bei Nichtübereinstimmung von gemeinem Wert und vorliegendem Kaufpreis 10.171 – Bewertung von Wertpapieren, nicht börsennotierten Unternehmensanteilen, Transferpaketen, immateriellen Wirtschaftsgütern 10.156 ff. – Paketzuschlag 10.165 ff. – Preisbildung bei Verkäufen zwischen nahestehenden Personen 10.164 – Preise im gewöhnlichen Geschäftsverkehr 10.162 ff.

– Vergleichbarkeit als Bestimmungspunkt der Methodenwahl 10.152 ff. – zeitliche Dimension der Vergleichbarkeit 10.155 ff. Marktplatzhaftung, § 25e UStG 3.149 Marktpreis, § 11 Abs. 1 und 2 Satz 2 BewG 10.140 Master File 7.177 Master File Dokument 7.15 Materieller Einwendungsausschluss – bei tatsächlicher Verständigung 9.130 Mathematisch-technische Auswertung 3.591 Maßnahmen der Sachverhaltsermittlung 2.6 Mehrgewinnmethode 10.191 Mehrheitsbeteiligung 6.22 Mehr-/Wenigerrechnung 1.781 Mehrwertsteuer 3.145, 3.147 Mehrwertsteuer-Informations-Austauschsystem (MIAS) 3.89 f. Mehrwertsteuersystem – harmonisiertes 3.145 Meldung mit der Bitte um Prüfung 1.109 Methode der Lizenzpreisanalogie (Relieffrom-Royality Method) 10.191 Methode der unmittelbaren CashflowPrognose 10.191 Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten 4.9 Missbrauchsrechtsprechung des EuGH – zur Umsatzsteuer 3.147 – zur Umsatzsteuer, legislative Umsetzung in das nationale Umsatzsteuergesetz, § 25f UStG 3.149 Missing Trader 3.147 Mitarbeiterinterview 2.409 ff. – Belehrung über das Nichtbestehen einer Auskunftspflicht 2.414 – Unterrichtung über den Zweck des Interviews 2.414 Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) 4.5 Mitteilung über eine ergebnislose Betriebsprüfung 1.802 ff. Mitteilung zur Sicherung der Besteuerung nach § 85 AO 1.847 Mitteilungspflicht (§ 146a Abs. 4 AO) – über elektronisches Aufzeichnungssystem 5.40 ff. 887

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Mitteilungspflicht der Finanzbehörde 1.27 – bei Arbeitnehmerüberlassung und gegenüber Sozialleistungs- und Subventionsgebern 1.873 ff. – im Bereich des SchwarzArbG und Zusammenarbeit mit der Zollverwaltung 1.870 ff. – bei Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung 1.878 ff. – bei Schmier- und Bestechungsgeldern 1.891 ff. Mitteilungspflicht der Finanzbehörde gegenüber anderen Behörden 1.845 ff. – Abgrenzung zu Mitteilungen der Betriebsprüfung im pflichtgemäßen Ermessen des Prüfers 1.850 f. – Durchbrechnung des Steuergeheimnisses 1.853 ff. – ressorteigene gegenüber Bußgeld- und Strafsachenstelle 1.849, 1.903 – ressortübergreifende im Rahmen von Amts- und Rechtshilfe 1.849, 1.865 ff. Mitteilungspflichtige Stelle 3.17, 3.20 – Mitwirkungspflichten bei Prüfung 3.23 Mittelbarer Datenzugriff (Z2) 2.36, 2.217, 3.163, 3.609 Mittelbarer Täter (§ 25 Abs. 1 Var 1 StGB) 4.5 Mitwirkungspflicht – im Besteuerungsverfahren 4.43 – kein Zwang zur Mitwirkung bei Einleitung eines Steuerstrafverfahrens 1.690 – durch Prüfungsanordnung, § 200 AO 1.170, 8.108 ff. – des Steuerpflichtigen, § 90 Abs. 1 AO 1.36 – des Steuerpflichtigen, § 90 Abs. 1 AO, § 200 Abs. 1 AO 1.525 ff. – des Steuerpflichtigen, § 200 AO 1.343 ff.; s.a. Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen – des Steuerpflichtigen bei Auslandssachverhalten, § 90 Abs. 2 AO 1.36, 1.193 – des Steuerpflichtigen in Korrespondenz zum Datenzugriffsrecht des Prüfers, § 200 Abs. 1 Satz 2 AO 2.6

Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen 1.525 ff. – Adressaten 1.529 ff. – bei Betriebsprüfung, Lohnsteuer-Außenprüfung, Kassennachschau, Umsatzsteuersonderprüfung, Zollprüfung 1.525 – erforderliche und angemessene Mitwirkungshandlung 1.532 – Erweiterung bei Auslandssachverhalten, § 90 Abs. 2 AO 7.69 – Mitwirkungsverlangen des Prüfers 1.532 – Pflichtenbereich 1.525, 1.533 – gemäß Prüfungsanordnung 1.532 – Steuergeheimnis (§ 30 AO) als Gegenstück 1.534 ff. – verfahrensbezogene nach § 200 AO 7.54 ff. Mitwirkungspflichtverletzung 1.613 Mitwirkungsverlagen des Steuerpflichtigen 1.818 f. Mitwirkungsverlangen des Prüfers – Durchsetzung mit Zwangsmitteln 8.127 – als Verwaltungsakt 8.127 Mitwirkungsverweigerung 1.558 Mitwirkungsverweigerungsrecht – einer Behörde oder öffentlichen Stelle 1.531 Möglichkeit einer Anonymisierung 2.355 Monetary Unit Sampling (MUS) 2.153 ff. Multilaterale Kontrolle/Multilateral Controls (MLC) 7.234 Multilaterales Instrument (MLI) 7.417 f. Multilaterales Übereinkommen der OECD 7.275 ff. – Möglichkeit der simultanen Betriebsprüfung (gleichzeitige Steuerprüfung) durch Vertragsstaaten 7.278 – Umsetzung in deutsches Recht erst 2015 7.276 Münsteraner Modell 3.33 MwStZusVO für die Mehrwertsteuer – Mehrwertsteuer-Zusammenarbeitsverordnung 7.269 ff.

Nacherklärung 4.37 f. Nachforderungsbescheid Lohnsteuer 3.294, 3.321 Nachkalkulation 1.604, 5.152 – Zuschätzung 1.608

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Stichwortverzeichnis

Nachschau zur zollamtlichen Überwachung, § 210 AO 3.301 Nachzahlungszinsen – Einbezug in Rückstellungen 8.30 f., 8.83 ff. – teilweiser Erlass bei langer Prüfungsdauer 6.149 f. – bei zeitverschobener Betriebsprüfung 3.26 Need-to-Know-Principle 2.110 Nemo-tenetur-Grundsatz 4.27, 4.43 f., 4.45 Neuregelung durch das Bürokratieabbaugesetz III mit § 147 Abs. 6 satz 6 AO – Verkürzung des Zeitraums der Bereitstellung des Z1-Zugriffs 2.225 Neutralität des Prüfers, Neutralitätsgebot 1.437 ff. – Verhaltensweisen des Prüfers 1.438 Newcomb/Benford-Gesetz 2.187 Nicht abschließende Betriebsprüfung 1.349 Nicht abzugsfähige Ertragsteuerzahlung – Gewerbesteuer 8.102 – Körperschaftsteuer 8.138 f. Nicht vorhersehbare Prüfungsfeststellung 8.12 Nichtanerkennung einer Organschaft – Gründe 6.205 f. Nichtbeanstandungsregelung – bei Nichtaufrüstung von Kassen bis 30.9.2020 5.76 Nichtige Prüfungsanordnung 6.225 Nichtigkeit des Jahresabschlusses 8.56 Nichtpräfenzieller Ursprung 3.498 Nichtsteuerliche Straftat 4.26 ff. Nichtzulassungsbeschwerde 1.642 Niederlassungsprinzip – in der Datenschutzgrundverordnung DSGVO 2.264 f. Non Liquet-Regelung 7.90 Nutzungsüberlassung von Grundstücken an Dritte 10.85 f.

Objektive Beweislast

7.67 Objektivierter Wert – Abgrenzung zu subjektivem Entscheidungswert 10.184 f.

OCR-Verfahren – Optical-Character-Recognition-Verfahren 3.586 Oder-Depot 10.26 Oder-Konto 10.22 ff. – Vermeidung der Schenkungsteuerfalle 10.28 OECD Joint Audit Report 2010 7.219 ff. OECD Kooperative Compliance 7.223 OECD-Initiative 2008 „Enhanced Relationship between Taxpayer and Tax Administration“ 7.223 OECD-Musterabkommen 7.280 OECD-Verrechungspreisrichtlinie 2017 7.105, 7.163 – benefit test 7.148 – cost contribution arrangement 7.151 – konzerninterne Dienstleistung mit geringer Wertschöpfung 7.165 Offenbaren – unbefugtes 1.858 ff. Offenbarung 1.854 ff. – Umfang 1.855 f. Offenbarungsbefugnis 1.854 Offenbarungsbefugnis des Betriebsprüfers 4.27 f. Offenbarungspflichten 1.857 Offene Ladenkasse 5.16, 5.61 ff., 5.99 Offenkundige Tatsache 1.413 ff. – allgemeinkundige Tatsache 1.414 – amtskundige Tatsache 1.415 – Fallgruppe Bindung an behördliche oder gerichtliche Entscheidung 1.419 – Fallgruppe Bindung an Rechtsverhältnisse 1.419 – gesetzlich fingierte Tatsache 1.417 – gesetzlich vermutete Tatsache 1.416 – verbindlich durch andere Finanzbehörden festgestellte Tatsachen 1.418 – verbindlich durch andere Nicht-Finanzbehörden oder durch Gerichte festgestellte Tatsachen 1.419 Öffentlich-rechtliche Verpflichtung – Rückstellung 8.16 – wirtschaftliche Verursachung 8.32 On-call-Leistung 7.146 Optionsfalle 10.100 Orderman 5.73 Ordnungsmäßigkeit der Buchführung 5.1 889

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Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung 5.165 Ordnungswidrigkeit – bei Nichtbeachtung von § 146a Abs. 1 AO 5.45 – bei Verwendung einer nicht zulässigen Kassenart 5.76 Organgesellschaft 6.157 – Abgabe der Feststellungserklärung 6.168 – als Betriebsstätte des Organträgers im Gewerbesteuerrecht 6.157 – standardisiertes Einkommensermittlungsschema 6.202 Organkreis 6.163 Organschaft – ertragsteuerliche 6.157 ff. – gewerbesteuerliche 6.157 – körperschaftsteuerliche 6.157, 6.160 ff. – mittelbare Inanspruchnahme 6.195 – Nichtanerkennung 6.205 – Steuerpflicht 6.157 – typische Prüffelder 6.204 – Überprüfung des Bestehens anhand von Checklisten 6.203 – Voraussetzungen oder Rechtsfolgen als Themen einer Betriebsprüfung 6.158 Organträger 6.157 – Ergebnisbesteuerung beim Organträger 6.159 Organträger und Organgesellschaft – als eigenständige Prüfungsobjekte 6.185 f. Örtliche Partnerstelle 1.871 Osnabrücker Modell 3.32

Paketzuschlag

10.165 ff. – Anteil vom mehr als 50% (Mehrheitsbeteiligung) 10.166 – Anteil von mehr als 25 % (Sperrminorität) 10.166 Partnerstelle Steuer 1.867; s.a. örtliche Partnerstelle PC-Kasse 5.64, 5.72 ff. Peer Group 10.204 Personenbezogene Daten 2.275 ff. Persönlicher Strafaufhebungsgrund 4.36 Pflichten des Betriebsprüfers – Belehrungspflicht 4.59 f.

– bei Steuerstrafverfahren oder Anfangsverdacht für eine Steuerstraftat 4.58 ff. – Unterbrechung der Prüfung 4.63 – Unterrichtungspflicht 4.58 – Verstoß gegen die Belehrungspflicht 4.64 Pflichtverletzung des Betriebsprüfers 4.69 Pilotprojekt zu gemeinsamen steuerlichen Betriebsprüfungen – Bundeszentralamt für Steuern, Bundesland Bayern und kroatische Steuerverwaltung 7.225 f. – Bundeszentralamt für Steuern, niederländische Steuerverwaltung (Belaastingdienst), Bundesländer NRW und Bayern 7.225 f. – mit der italienischen Steuerverwaltung (Agenzia delle Entrate) 7.225 f. Pool, Poolgemeinschaft 10.69 Präferenzprüfung 3.503 ff. – Gegenstand 3.603 – Rechtsgrundlage 3.601 Präferenzursprung 3.498, 3.503 ff. – Freiverkehrspräferenzen 3.515 – Nachprüfungsersuchen 3.510 – Pan-Europa-Mittelmeer-Präferenzursprungsregeln 3.511 ff. Praktikermethode – zur Bewertung von Unternehmen oder Grundbesitz 10.145 f. Präventive Compliance-Maßnahme 2.371 – Anspruch auf Datenkopie 2.417 – Auskunftsanspruch 2.417 ff. Präventive Tax-Compliance 2.374 ff. – Datenschutz-Folgenabschätzung 2.389 – Mitbestimmungsrecht Betriebsrat 2.392 – Zulässigkeit aufgrund der Abwägungsklausel 2.387 – Zulässigkeit aufgrund von Betriebsvereinbarungen 2.385 f. – Zulässigkeit nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG (kein Anfangsverdacht, Verhältnismäßigkeitsprüfung, Angemessenheit, Erforderlichkeit) 2.376 ff. Preisanpassungsklausel, § 1 Abs. 3 Satz 11 f. AStG 7.209 f. Preisanpassungsregelung, § 1b AStG – neu ab Veranlagungszeitraum 2022 7.213

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Preisvergleichsmethode – als Verrechnungspreismethode 7.158 – als Verrechnungspreismethode für die Lizensierung von immateriellen Wirtschaftsgütern 7.162 Privatvermögen im Betriebsvermögen – erbschaft-/schenkungsteuerliche Betriebsprüfung 10.102 ff. Profit split method 7.159 Progressionseffekt 8.64 Progressive Prüfung 5.97 PRÜF 3.419 Prüferanfrage – Verwaltungshandeln oder Verwaltungsakt 7.19 – Vorbereitungshandlung in Abgrenzung zum Erlass eines nachfolgenden Verwaltungsakts; FG-Rechtsprechung 7.20 f. – Vorbereitungshandlung in Abgrenzung zum Erlass eines nachfolgenden Verwaltungsakts; Rechtsprechung des BFH 7.20 f. Prüffeld 1.408, 1.442 Prüffeld der Finanzverwaltung NRW im Jahr 2020 – Einkommensteuer 1.408 – Körperschaftsteuer 1.408 – Umsatzsteuer 1.408 Prüfpfad – bei Prüfungen der Zollverwaltung 3.612 ff. Prüfung bei international verbundenen Unternehmen – festgestellte oder vermutete Auslandsbeziehungen 6.40 Prüfung der Zollverwaltung 3.403 ff., 3.570 – Außenwirtschaftsprüfung 3.527 ff. – Betriebsprüfung im Bereich Zölle und Verbrauchsteuern 3.437 f. – digitale Betriebsprüfung 3.469 – Einhaltung außenwirtschaftlicher Beschränkungen 3.438 – Mitwirkungspflichten des Unternehmens 3.473 ff. – Nacherhebungsbescheid, Rechtsbehelfe 3.492

– Programme zur Bewertung von Wirtschaftsbeteiligten (BISON, PRÜF, DEBBI) 3.417 ff. – Prüfungsanordnung 3.447 ff. – Prüfungsbericht 3.485 – Schätzung 3.478 – Schlussbesprechung 3.484 ff. – Steueraufsichtsmaßnahme ohne Vorankündigung 3.427 f. – steuerliche Prüfungen (Präferenzprüfung, Verbrauchsteuerprüfung, Zollprüfung) 3.446 ff. – tatsächliche Verständigung 3.479 – Verzögerungsgeld 3.478 – wirtschaftliche Vorgehensweise 3.468 – zollamtliche Überwachung/Steueraufsicht bei Verbrauchsteuern, § 209 AO 3.249 f. – Zollfahndung 3.442 ff. – Zwangsmittel 3.478 Prüfung durch Rentenversicherungsträger 3.270 Prüfung von rechtlichen Verhältnissen – durch den Betriebsprüfer 1.421 ff. Prüfung von Tatsachen – durch den Betriebsprüfer 1.410 ff. Prüfungsanordnung 1.33, 1.165 ff. – abgekürzte Betriebsprüfung 3.7 – Ablaufhemmung, § 171 Abs. 4 AO 1.351 ff. – Ablaufhemmung wegen Antrag auf Verschiebung des Prüfungsbeginns 1.358 ff. – Ablaufhemmung wegen Beginns einer Betriebsprüfung 1.354 ff. – Adressaten 1.273 ff.; s.a. Adressaten Prüfungsanordnung – AEAO 1.177 ff. – Änderungssperre, § 173 Abs. 2 AO 1.361 ff. – Anfechtbarkeit 1.739 f. – Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden 1.361 ff. – nach Beginn der Betriebsprüfung 1.184 ff. – Begründung 1.239 ff. – Begründung bei Anlassprüfung 1.243 ff. – Begründung bei Anschlussprüfung 1.250 – Begründung bei Erweiterungsprüfung 1.251 ff. 891

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– Begründung bei Prüfung durch beauftragte Finanzbehörde 1.257 – Begründung bei Routineprüfung 1.240 ff. – Bekanntgabe, § 197 AO 1.176, 1.262 ff. – Bekanntgabe bei Prüfung einer Personengesellschaft 1.268 f. – Beschränkung auf bestimmte Sachverhalte 1.318 ff. – elektronische Erteilung 1.229 ff. – Erlass durch örtlich unzuständige Finanzbehörde 1.220 ff. – Erlass durch sachlich unzuständige Finanzbehörde 1.223 ff. – Erweiterungsanordnung 1.166 – fehlende Begründung 1.258 ff. – fehlende Bekanntgabe 1.270 ff. – fehlende Unterschrift 1.234 f. – Fehler hinsichtlich sachlichem oder zeitlichem Umfang 1.316 f. – fehlerhafte 1.175 – fehlerhafte Form 1.232 ff. – fehlerhafter Inhaltsadressat 1.296 f. – formale Vorgaben (Form, Rechtsbehelfsbelehrung), § 196 AO 1.175 – formelle Rechtmäßigkeit 1.207 ff. – gesetzliche Grundlagen §§ 193 ff. AO 1.171 ff. – Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen 1.343 ff. – Namen der Prüfer 1.329 ff. – nichtige 6.225 f. – gegenüber Organträger und Organgesellschaft 6.191 f. – Ort der Betriebsprüfung 1.332 ff. – Prüfungsbeginn 1.321 ff. – Prüfungssubjekt, § 193 AO 1.172 – Rechtmäßigkeit 1.156 – mit Rechtsbehelfsbelehrung 1.33, 1.165, 1.236 f. – ohne Rechtsbehelfsbelehrung 1.238 – Rechtsmittel 1.169 – Rechtsschutz 1.372 ff. – Rechtsschutz, vorläufiger durch Aussetzung der Vollziehung, § 361 AO oder § 69 FGO 1.376 ff. – sachlicher Umfang 1.299 ff. – sachlicher Umfang bei einer Personengesellschaft 1.304 ff.

– sachlicher Umfang bei einer Routineprüfung (§ 193 Abs 1. AO) 1.302 f. – als Sammel-Verwaltungsakt 1.237, 1.300, 1.373 – in schriftlicher oder elektronischer Form 1.226 ff. – Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, § 371 Abs. 2 AO 1.367 ff. – Sinn und Zweck 1.167 – Umfang der Betriebsprüfung, § 194 AO 1.173 – unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung 1.238 – unwirksame 1.232 – Verschmelzung 6.216 ff. – Verwertungsverbot 1.381 ff. – Verwertungsverbot, Anfechtungsklage 1.384 – Verwertungsverbot, Fortsetzungsfeststellungsklage 1.385 – Vorbehalt der Nachprüfung, § 164 AO 1.347 ff. – zeitlicher Umfang 1.299 f., 1.307 ff. – zeitlicher Umfang, Einschränkung durch Änderungssperre (§ 173 Abs. 2 AO) 1.314 f. – zeitlicher Umfang, Einschränkung durch Festsetzungsverjährung 1.314 f. – zeitlicher Umfang, Einteilung in Größenklassen nach BpO 2000 1.309 ff. – Zugang als Beginn der Betriebsprüfung 1.24 – Zulässigkeit, § 193 AO 1.172 – Zuständigkeit der Finanzbehörde, § 195 AO 1.174 Prüfungsaufruf – von anderen Betriebsprüfungsstellen 1.108 – bei Konzernen 6.58 ff. Prüfungsbeauftragung eines Finanzamts – bei Konzernbetriebsprüfung 6.71 Prüfungsbedürftigkeit – besondere, § 193 Abs. 2 AO 1.190 ff. – generelle, § 193 Abs. 1 AO 1.186 ff. Prüfungsbeginn – Antrag auf Verschiebung, § 197 Abs. 2 AO 1.323 ff. – Mitteilung 1.321 f.

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Prüfungsbericht, § 202 AO 1.33, 1.185, 1.694 – Abstimmung und Freigabe für abhängige Konzernunternehmen 6.95 ff. – Antrag auf Übersendung an den Steuerpflichtigen vor seiner Auswertung 1.694 – Auswertung der Prüfungsfeststellungen bei Konzernbetriebsprüfung 6.103 ff. – Erstellung und Auswertung des Prüfungsberichts bei Mitwirkung von Fachprüfern 6.131 ff. – Freigabe bei Prüfung eines abhängigen Unternehmens 6.65 – Gelegenheit zur Stellungnahme durch den Steuerpflichtigen 1.694 f. Prüfungsdauer – angemessene 1.432 – angemessene, Voraussetzungen 1.434 Prüfungsdienst innerhalb eines Hauptzollamts – ausführendes Organ für die Prüfung 3.414 – Sachgebiet D 3.408 ff. Prüfungsersuchen – bei Konzernbetriebsprüfung 6.69 Prüfungserweiterung 1.357 Prüfungsfeststellung – Bemessungsgrundlageneffekt 2.237 – vorläufige 2.235 ff. Prüfungsfinanzamt für Betriebsprüfungen 1.129, 1.213 Prüfungsgeschäftsplan, § 34 BPO 2000 1.20 Prüfungsgrundsatz 1.404 ff. – Begrenzung auf die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen 1.408 ff. – Begrenzung der Dauer der Prüfung auf das notwendige Maß 1.432 ff. – Begrenzung der Ermittlung auf das Wesentliche 1.428 ff. – Neutralität des Prüfers 1.437 ff. – Unterrichtung des Steuerpflichtigen, § 199 Abs. 2 AO 1.407, 1.850 Prüfungsmaßnahme – Rechtmäßigkeit 1.443 Prüfungsphase bei Joint Audits – Auftaktsitzung 7.293 – Einbeziehung des Steuerpflichtigen 7.296 f.

– Kommunikation 7.299 f. Prüfungssoftware IDEA 2.39, 2.130 ff. – fehlende IDEA-Funktionalität 2.42 Prüfungstool 2.8 Prüfungsturnus 1.98 Prüfungsumfang 1.21 Prüfungsunterlagen – Zusammenstellung durch den Steuerpflichtigen 1.153 f. Prüfungsvorbereitung 1.21 – Betriebsprüfung 1.142 – anhand der aus der automationsgestützten Steuerfestsetzung gewonnenen Daten 2.5 – durch den Steuerpflichtigen 1.146 ff. – durch den Steuerpflichtigen, Berichtigung von Erklärungen 1.159 – durch den Steuerpflichtigen, tatsächliche Verständigung 1.163 – durch den Steuerpflichtigen, verbindliche Auskunft 1.164 – durch den Steuerpflichtigen, verbindliche Zusage 1.162 – durch den Steuerpflichtigen, Wahlrechtsausübung 1.160 Prüfungszeitraum – Betriebsprüfung 1.144, 1.469

Qualifizierte Absetzung 1.143 Qualifizierte Bestätigungsabfrage – beim Bundeszentralamt für Steuern 3.130 Quantilsschätzung 2.150, 2.161 ff. – Annahmen 2.166 – Drei-Stufen-Theorie des BFH 2.167 ff. – mathematisch-statistische Schätzungsmethode 1.611 – Schwächen 2.164, 2.169 ff. – technisch korrekte Durchführung und deren Überprüfung 2.188 ff. – Würdigung durch den BFH 2.163 f. – Zeitreihenvergleich als Verhältnis zwischen Wareneinsatz und Erlösen des Steuerpflichtigen in einem Zeitraum 2.166 Quorum 10.166 Radierungsverbot, § 146 Abs. 4 AO

– Kassenbuch 5.118 Radierverbot, § 146 Abs. 4 AO 3.369 Rationalisierung, § 7 BPO 1.16 893

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Rationalisierungserlass – Grundsätze zur Rationalisierung der Betriebsprüfung 1.9, 1.17 – Prüfungsbericht 1.51 – Verwertungsverbot bzgl. Betriebsprüfungsergebnissen 1.51 – vorbereitende Maßnahmen 1.51 Rationalisierungserlass der Länder – Durchführung der Betriebsprüfung 1.51 Reaktionsmöglichkeit bei erbschaft-/schenkungsteuerlichen Betriebsprüfungen 10.119 ff. – postmortale Gestaltungen in Form der Ausschlagung gegen Abfindung 10.132 f. – postmortale Gestaltungen in Form der Geltendmachung eines Pflichtteils bzw. Abfindung für den Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteils 10.134 – rückwirkender Entfall der Schenkungsteuer im Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG 10.120 f. – Steuerbefreiung des Zugewinnausgleichsanspruchs (§ 5 ErbStG) 10.119 ff. – Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB 10.127 ff. Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) 2.160 Recht der Mitgliedstaaten 2.331 Rechtliche Verpflichtungen – i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Buchst. c DSGVO 2.329 – außerhalb des materiellen Abgabenrechts 2.328 f. Rechtsansicht der Steuerpflichtigen – günstigste 4.7 Rechtsbehelf – förmlicher 1.809 ff. – formloser 1.821 ff.; s. Formloser Rechtsbehelf Rechtsbehelfsbelehrung – Prüfungsanordnung 1.236 ff. Rechtsgrundlagen der Betriebsprüfung – abgekürzte Betriebsprüfung, § 203 AO 1.11 – Außenprüfung bei Datenübermittlung durch Dritte, § 203a AO 1.11 – Bekanntgabe der Prüfungsanordnung, § 197 AO 1.11

– Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen, § 200 AO 1.11 – Prüfungsanordnung, § 196 AO 1.11 – Prüfungsbericht, § 202 AO 1.13 – Prüfungsgrundsätze, §§ 198, 199 AO 1.11 – Schlussbesprechung, § 201 AO 1.11 – Umfang der Prüfung, § 194 AO 1.11 – welcher Steuerpflichtige, § 193 AO 1.11 – Zuständigkeit, § 195 AO 1.11 Rechtshilfe 7.255 Rechtsprechung des BFH – Fehlen der aufbewahrungspflichtigen Betriebsanleitung bei programmierbarem Kassensystem 1.654, 1.657 Rechtsschutz 1.808 ff. – bei Ansicht von Wertsachen 1.512 – bei Auskunftseinholung durch Einsatz von Zwangsmitteln oder durch Schätzung 1.463 ff. – bei Einnahme des Augenscheins 1.497 f. – bei Einsicht in Urkunden und Vorlageverlangen des Prüfers (Verwaltungsakt) 1.478 – gegen einzelne Betriebsprüfungsmaßnahmen 1.815 – förmliche Rechtsbehelfe 1.809 ff. – formlose Rechtsbehelfe 1.821 ff. – bei gewerbesteuerlicher Organschaft 6.184 – bei Grundstücksbetretung und Betriebsbesichtigung durch den Prüfer 1.505 f. – bei Hinzuziehung von Sachverständigen 1.485 f. – keine besonderen Rechtsbehelfe für das Verfahren der steuerlichen Betriebsprüfung 1.808 – bei Kontrollmitteilungen 1.552 f. – bei koordinierten steuerlichen Betriebsprüfungen 7.314 – bei körperschaftsteuerlicher Organschaft 6.171 ff. – bei Maßnahmen innerhalb eines Steuerstraf- oder Bußgeldverfahrens nach §§ 369 ff. AO 1.813 – bei rechtswidrigem Mitwirkungsverlangen des Prüfers 1.539 – bei Schätzung 1.634 ff. – vorläufiger 1.831 ff.

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Rechtsschutzziel Anerkennung der körperschaftsteuerlichen Organschaft – Besteuerungszeitraum ab Veranlagungszeitraum 2014 6.176 – Besteuerungszeitraum bis Veranlagungszeitraum 2013 6.173 ff. Rechtsschutzziel der (gewerbesteuerlichen) Organschaft 6.184 Rechtsschutzziel Einkommensminderung – Besteuerungszeitraum ab Veranlagungszeitraum, koordinierter Einspruch 6.179 – Besteuerungszeitraum bis Veranlagungszeitraum 2013, Organgesellschaft als Einspruchsführer und Kläger 6.177 – Besteuerungszeitraum bis Veranlagungszeitraum 2013, Organträger als Einspruchsführer und Kläger 6.177 Rechtsschutzziel Gewerbeerstragsminderung 6.184 Rechtsverbindlichkeit einer gefundenen Verrechungspreislösung für die Zukunft 7.137 ff. – Anschlusszusage (verbindliche Zusage) nach § 204 AO 7.137 f. – Memorandum of Understandings (MoU) 7.139 – tatsächliche Verständigung 7.137 Rechtsverzicht 10.7 Reduced Cost of Funding-Methode – zur Bestimmung der Vergütungshöhe bei Avalen 7.200 f. Regelherstellungskosten 10.271 Regelungen zum Besteuerungsverfahren 1.36 f. Regelverschonung 10.100 Registrierkasse – elektronische, computergestützte 5.29, 5.64 Reichsabgabenordnung (RAO) 1.2 Report des EU-JTPF von 2018 – Joint Transfer Pricing Forum 7.228 Repressive Compliance-Maßnahme 2.372 f. – Anspruch auf Datenkopie 2.414 – Auskunftsanspruch 2.414 ff. Repressive Tax-Compliance – Datenschutz-Folgenabschätzung 2.408 – Informationspflicht, Art. 13 DSGVO 2.406 ff.

– Mitarbeiterbefragung, Mitarbeiterinterview 2.409 ff. – Rechtsfolge 2.404 f. – Voraussetzungen (§ 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG) 2.393 – Zeugenbefragung 2.416 – Zulässigkeit 2.393 Residualwertmethode 10.191 Ressorteigene Mitteilungspflicht – bei Verdacht einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit 1.903 Ressortübergreifende Mitteilungspflicht im Rahmen von Amts- und Rechtshilfe 1.865 ff. – zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Leistungsmissbrauchs von Amts wegen (§ 31a AO) 1.865 ff. – Geldwäsche und Terrorismusbekämpfung 1.878 ff. – bei Schmier- und Bestechungsgeldern 1.891 ff. Retrograde Prüfung 5.97 Revisionszulassung 1.642 Richsatzprüfung 1.115 Richsatzschätzung 1.565 Richtsatzsammlung des BMF 1.601 – besondere Form des äußeren Betriebsvergleichs 1.601 – im Steuerstrafverfahren 1.643 Risikoadäquate Bandbreitenbewertung – Ansatz einer Rückstellung für Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis 8.72 ff. Risikosachverhalt – besondere Geschäftsvorfälle 1.158 – rechtliche Bewertung im Rahmen der Prüfungsvorbereitung durch den Steuerpflichtigen 1.158 – Voraussetzungen für Steuerprivilegien 1.158 – Voraussetzungen für Wegfall vorteilhafter Steuerpositionen und/oder -privilegien 1.158 Rohertrag 10.265 f. Rotbericht 4.62 Routineprüfung i.S.d. § 193 Abs. 1 AO 1.240 ff. Rückgewähr einer Schenkung 10.43 ff. 895

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Rückstellung – Auf- und Abzinsung 8.80 ff. – Berücksichtigung kompensatorischer Effekte 8.75 ff. – für betriebsprüfungsbedingte Mehrsteuern 8.1 ff. – für Betriebsprüfungsrisiken 8.1 f. – für Betriebsprüfungsrisiken, Auflösung 8.104 ff. – für Betriebsprüfungsrisiken, Verminderung 8.104 ff. – für Betriebsprüfungsrisiken, Zulässigkeit 8.45 ff. – für hinterzogene Steuern 8.65 ff. – für hinterzogene Steuern, Herabsetzung 8.104 – für Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei Betriebsprüfungen 8.1, 8.105 ff. – für Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei Betriebsprüfungen, Handelsrecht 8.134 f. – für Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bei Betriebsprüfungen, Steuerrecht 8.136 f. – für nicht abzugsfähige Steuerzahlungen 8.99 ff. – für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen (Steuerzahlungen) 8.16 – für Steuerzahlungen, Bewertung 8.70 ff. – für Steuerzahlungen, Bewertung in der steuerlichen Gewinnermittlung 8.86 ff. – für ungewisse Verbindlichkeiten 8.14 – für ungewisse Verbindlichkeiten, Voraussetzungen 8.40 ff. – Vollkostenbewertung 8.136 Rückstellungsfähige Aufwendung – externe 8.131 – interne 8.129 f. Rückwärtsberichtigung der Handelsbilanz 8.55, 8.57

Sachgebiet B

– Abgabenerhebung Hauptzollamt 3.414 Sachgebiet D – Prüfungsdienst Hauptzollamt 3.408 ff. Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation 7.28 Sachverhaltsanfrage 2.226

Sachverhaltsermittler 4.49 Sachverhaltsermittlung 1.404 ff.; s. Ermittlung des Sachverhalts Sachverhaltsidentität 9.99 Sachwertverfahren 10.270 ff. – Ausgangsbasis Gebäudesachwert 10.271 – zur Bewertung bebauter Grundstücke 10.270 Säumniszuschlag – Einbezug in Rückstellungen 8.28 f. Schätzung im Strafverfahren 1.643 ff. Schätzung nach § 162 AO 1.22, 3.114 Schätzung von Besteuerungsgrundlagen 1.27, 1.554 ff., 4.44, 5.124, 5.161, 5.171 – Abgrenzung zur Verprobung 1.578 ff. – Arten 1.572 ff. – Auslandssachverhalte 1.581 ff. – Basis Gewinnermittlungsart 1.567 – Begründung einer Klage vor dem Finanzgericht 1.635 ff. – Beispiel zur Plausibilität des Schätzungsergebnisses 1.656 f. – Beispiel zur Schätzungsbefugnis dem Grunde nach 1.649 ff. – dem Grunde nach 1.586 ff. – der Höhe nach 1.598 ff. – dreistufige Prüfung 1.584 f. – bei formell ordnungsgemäßer Buchführung und Aufzeichnungen 1.594 – bei formellen Mängeln der Buchführung 1.590 ff. – Gegenstand 1.563 ff. – Grundlagen- und Folgebescheide 1.623 ff. – Grundsätze ordnungsgemäßer Schätzung 1.584 ff., 1.645 – kein Zwangsmittel zur Durchsetzung des Steueranspruchs 1.562 – keine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde 1.561 – bei materiellen Mängeln der Buchführung 1.589 – bei Nichtbeachtung von § 146a Abs. 1 AO 5.43 – nichtige 1.618 – Prinzip der vollen Wahrheitsüberzeugung als Regelbeweismaß 1.556 – Rechtsfragen 1.641 – Rechtsschutz 1.634 ff.

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Stichwortverzeichnis

– und Steuerhinterziehung 1.626 ff. – strafrechtliche 1.643 ff.; s.a. Schätzung im Strafverfahren – tatsächliche Verständigung 1.622 – Transparenzanforderungen 1.616 ff. – Überprüfung durch das Finanzgericht und Vornahme einer eigenen Schätzung 1.634 – Verfahrensfehler 1.640 – Vollschätzung bei Nichtabgabe der Steuererklärung 1.557 – Ziel 1.556 Schätzungsbefugnis des Finanzamts 5.47, 5.157, 5.171 Schätzungsmethode – Anwendungsbeispiel 1.653 ff. – äußerer Betriebsvergleich 1.601 f. – Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnung 1.609 ff. – innerer Betriebsvergleich 1.603 ff. – Kombination von Methoden, Beispiele 1.599 – mathematisch-statistische 1.611 – zur Schätzung der Höhe nach 1.568 f. – Sicherheitszuschläge 1.612 – Vorjahresvergleich 1.600 Schätzungsplausibilität – Gebot nach der ständigen BFH-Rechtsprechung 7.96 Schätzungsrahmen, Schätzungshöhe 7.100 f. Scheingeschäft 4.8 – Umsatzsteuer 3.147 Scheinunternehmer (Missing Trader) – Umsatzsteuer 3.147 Schenkungsteuerverkürzung – mangels Anzeige der Ehegatten für Schenkungen gemäß § 30 ErbStG 10.124 – strafrechtliche Folgen 10.124 Schenkungsvertrag – mit Rückabwicklungsklauseln 10.45 Schiedsklausel 7.360 – deutsche DBA mit obligatorischer Schiedsklausel 7.373 – Last Best Offer (Verfahren des letzten besten Angebots) 7.361 f. Schiedsübereinkommen 7.323 Schiedsverfahren nach DBA 7.360 ff. – alternative Verfahrenswege 7.372

– als Bestandteil des Verständigungsverfahrens 7.364 – Independent Opinion 7.363 – Last Best Offer-Verfahren 7.361 f. – OECD-Musterabkommen 7.365 – Schiedsklausel 7.360 – Verhältnis zu nationalen Rechtsmitteln 7.371 Schikaneverbot 3.273 Schlichtes Verwaltungshandeln 1.808 Schlussbesprechung, § 201 AO 1.23, 1.33, 1.185, 1.403, 1.678 ff., 1.741 ff., 2.243 f., 4.62 – Abgrenzung zur Zwischenbesprechung 1.678 – Ablauf 1.747 ff. – Anspruch auf Besprechung zum Abschluss der Betriebsprüfung 1.684 ff. – Befriedungsfunktion 1.679 – Berücksichtigung bei der Bilanzierung von Steuerrückstellungen und Steuerlatenzen 2.244 – Durchführung 1.752 ff. – als das Ende der Prüfungshandlungen 1.753 – Entbehrlichkeit, da keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen 1.762 – Entbehrlichkeit, da Verzicht des Steuerpflichtigen 1.763 ff. – Erörterungstermin zur Besprechung des Ergebnisses der Betriebsprüfung 1.741 – Form 1.743 – Gegenstand 1.742 – Hinweispflicht über die straf- und bußgeldrechtliche Würdigung in einem gesonderten Verfahren, § 201 Abs. 2 AO (strafrechtlicher Vorbehalt) 1.741, 1.766 – keine Bindungswirkung bei Einigung bzw. Kompromiss 6.94, 7.133 – Ort 1.746 – Rechtsschutz 1.767 – tatsächliche Verständigung 1.754, 1.760; s.a. Tatsächliche Verständigung – Teilnehmer 1.744 – und Vermutung einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit 1.546 – Vorbereitung 1.748 ff. 897

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– Zustimmung des Steuerpflichtigen zu einer Beurteilung kein Einspruchsverzicht 7.133 – Zweck 1.679, 1.682, 1.742 Schlüssigkeitsprüfung – bei einer Schätzung 1.676 Schmier- und Bestechungsgelder – Beispiele 1.892 – Mitteilungspflicht bei strafrechtlichem Anfangsverdacht 1.894 ff. Schnittstellenverprobung (SSV) 1.77, 2.134 ff., 2.197 ff. Schwerpunktprüfung 1.408, 1.442 – Bereiche der Prüfung 1.430 Schwierige Verhandlungssituation – in der Betriebsprüfung 1.945 ff. – Handlungsansätze 1.948 ff. Selbstanzeige 4.33, 4.35, 4.45 – bußgeldbefreiende 4.41 – als persönlicher Strafaufhebungsgrund 4.36 – Sperrgrund 4.39 – strafbefreiende 1.148 Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung, § 371 Abs. 2 AO 1.367 ff. – Ausschluss der Straffreiheit 1.367 f. – Sperrwirkung einer Prüfungsanordnung 1.368 ff. Selbstbindung der Verwaltung 1.30, 1.42, 9.1 ff. Sicherheitsanforderungen an EDV-Systeme gemäß IDW RS FAIT 1 – Authentizität 2.124 – Autorisierung 2.124 – Integrität 2.124 – Verbindlichkeit 2.124 – Verfügbarkeit 2.124 – Vertraulichkeit 2.124 Sicherheitszuschlag 5.161 Sicherung der Integrität steuerrelevanter Daten 2.104 Simulation von BP-Anpassungseffekten 2.212 Simultan(betriebs)prüfung 7.232 f. – bestehend aus den Elementen nationale Außenprüfung und internationaler Informationsaustausch 7.233 Softwareanwendungsbezogene Kontrolle 2.117, 2.119, 2.122

Softwarelösungen für ein professionelles Betriebsprüfungs-Management 2.238 ff. – Betriebsprüfung-Online von Infolog als Spezialsoftware für Betriebsprüfungen 2.239 – Global Tax Center (GTC) von AMANA als Konzernsteuerlösung 2.240 – teo 2.0 BP-Modul von der Deutschen Telekom 2.241 – zur Verfügung gestellte Informationen (Mehrwerte) 2.238 Sonderbetriebsvermögen – als Teil des Mitunternehmeranteils 10.72 Sonderbetriebsvermögen Gesellschafter – einer Personengesellschaft 1.304 Sonstiger Vertrauenstatbestand 9.140 ff. – Beendigung der Bindungswirkung 9.157 ff. – Bindungswirkung 9.157 ff. – Disposition 9.154 ff. – Dispositionsschutz 9.161 – früheres Verhalten der Finanzbehörde rechtlich vertretbar 9.162 – langjährige Verwaltungspraxis 9.149 ff. – nachdrückliche Willensäußerung 9.144 ff. – nachdrückliche Willensäußerung im Laufe der Betriebsprüfung 9.148 – nachhaltiges Verhalten der Finanzbehörde 9.144 – rückwirkende Beendigung der Bindungswirkung 9.159 f. – unrichtiges früheres Verhalten der Finanzbehörde 9.158 ff. – Vertrauensbetätigung 9.154 ff. – vertrauensschutzbegründende Verwaltungspraxis, BFH-Urteil des I.Senats vom 28.2.1961 9.150 Sperrgrund – keine Strafbefreiung bei Vorliegen einer Selbstanzeige 4.39 Sperrminorität 10.166, 10.169 Sperrwirkung, §§ 173 Abs. 2 AO, 371 Abs. 2 AO 1.170, 1.368 ff. Sphärenverantwortlichkeit 1.604 Spontanauskunft – nach Art. 15 Zusammenarbeitsverordnung 3.84

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Spontanhilfe 1.846 Spot Rate 10.201 Staatsanwaltschaft 4.48 Stage Gate Modell 7.164 Stammdokumentation (Master File) 7.177 Standardisiertes Einkommensermittlungsschema – für Organgesellschaften 6.202 Statusfeststellung zum Vorliegen einer Organschaft 6.170 Steueranspruch 8.21 ff. Steueraufkommen 4.2 Steuerausfall durch Kassenmanipulationen 3.326 Steuerfahndung 1.61, 4.49 – Ziel 1.64 – zweitgrößter Außendienst der Finanzverwaltung 1.64 Steuerfahndungsprüfung, § 208 Abs. 2 Nr. 1 AO 1.62, 1.201, 1.203, 1.689, 3.200, 3.213 – keine Betriebsprüfung 1.725 – keine Betriebsprüfung (Außenprüfung) i.S.v. § 164 Abs. 3 Satz 3 AO 1.734 Steuerfall mit bedeutenden Einkünften – Anordnung und Durchführung von Betriebsprüfungen 1.214 Steuergefährdung, § 379 AO 3.518 Steuergeheimnis, § 30 AO 1.534 ff., 1.788, 1.853, 4.27 – Durchbrechung im Rahmen von Mitteilungspflichten 1.853 ff. – Offenbarung oder Verwertung geschützter Daten, § 30 Abs. 2 AO 1.854 ff. – verlängertes 1.856 – Verletzung 1.859 – Weitergabe des Prüfungsberichts für das abhängige Unternehmen an das herrschende Unternehmen 6.99 f. Steuerhinterziehung, § 370 AO 4.1, 5.164 – durch aktives Tun 4.3 ff. – Durchbrechung der Änderungssperre, § 173 Abs. 2 AO 1.630 – Erfolgsdelikt 4.14 – Erklärungsdelikt 4.1 f. – Haftung 1.629 – Täter 4.5, 4.13 – durch Unterlassen 4.13

– verlängerte Festsetzungsfrist 1.627 – Verzinsung 1.628 – Vollendung bei Fälligkeitssteuern 4.17, 4.22 – Vollendung bei Veranlagungssteuern 4.16, 4.21 Steuerlatenzberechnung 2.236 Steuerlich erhebliche Tatsache 4.12 Steuerliche Nebenleistung 8.100 f. Steuerliche Pflichtverletzung 4.2 Steuerlicher Bewertungsvorbehalt 8.7 Steuerlicher Dokumentations-Vermerk 1.147 Steuerliches Privatvermögen im Betriebsvermögen – unverzinsliche Darlehen 10.84 Steuerliches Verwertungsverbot 1.515 ff., 4.66 – Beispiele 1.523 f. – formelles Beweisverwertungsverbot 1.518 ff. – materielles Beweisverwertungsverbot 1.517 Steuernachforderung 5.160 Steueroase 1.582 Steuerrechtliche Deklarationspflicht – in Überschneidung mit datenschutzrechtlicher Informationspflicht 2.317 Steuerrechtliche Unterrichtungspflicht – datenschutzrechtlicher Ergänzungsbedarf 2.317 Steuerrückstellung s. Rückstellung Steuerrückstellungsberechnung 2.236 Steuerstaatsanwaltschaft 4.47 Steuerstrafrecht – Begriff 4.1 Steuerstrafrechtliche Kontrolle 1.148 Steuerstraftat 4.1 ff. – als Anknüpfungstat 4.31 Steuerstraftat bzw. Steuerordnungswidrigkeit – bei steuerminderndem Betriebsausgabenabzug von Vorteilszuwendungen 1.901 Steuerstrafverfahren – Einleitung 4.55 ff. – Einleitung ist ein Realakt 1.817 – Rechtsschutz vor ordentlichen Gerichten entsprechend den Vorschriften der StPO und des OWiG 1.813 899

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Steuerumgehung 4.9 Steuerverkürzung 4.14 – Begriff, § 370 Abs. 4 AO 4.15 – leichtfertige, § 378 AO 4.1, 4.25 Steuervorteil 4.18 Stichtagsbezogener Unternehmenswert 10.148 Straf- und Bußgeldsachenstelle 4.47, 4.58 Strafbarkeit wegen Verfolgung Unschuldiger 4.68 Strafbefreiende Selbstanzeige, § 371 AO 3.458 – Ausschluss nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung, § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO 1.148 Strafrechtlicher Ermittlungsbericht im Steuerstrafverfahren 1.775 Straftat 2.394 f. – im Beschäftigungsverhältnis 2.398 Strafvereitelung im Amt 1.544, 4.67 Subjektiver Entscheidungswert 10.185 Subsidiaritätsgrundsatz, § 93 Abs. 1 Satz 3 AO 6.235 Subsidiaritätsklausel in § 114 Abs. 5 FGO 1.841 Subsidiaritätsprinzip 1.455 Substanzwert – Begriff 10.244 – als Wertuntergrenze bei der Ermittlung des gemeinen Werts (§ 11 Abs. 2 S. 3 BewG) 10.243 Summarische Risikoprüfung (SRP) 1.77, 1.594, 2.140 ff. Suspensiveffekt – fehlt bei Einspruch oder Anfechtungsklage 1.832 Systemprüfung 2.158, 2.222 Systemprüfung Kassenführung – Kellnerprogrammierung 5.132 f. – Stornierungseinstellung 5.134 Systemwechsel – Datenzugriff und -prüfung 2.223 f.

Tagesendsummenbon

5.103 ff.; s.a. Z-Bon Tagesumsatz – rechnerische Ermittlung unter Zugrundelegung des Kassenbestandes 5.100 f. Tatbestandlich voraussetzungslose Prüfungsermächtigung 8.114

Tatbestandsirrtum, § 16 StGB 4.24 Tatsache – äußere 1.410 ff. – innere 1.410 – mittelbare 1.410 f.; s.a. offenkundige Tatsache – offenkundige 1.413 ff. – rechtliche 1.548 – steuerlich erhebliche 4.12 – tatsächliche 1.548 – unmittelbare 1.410 f. Tatsächliche Verständigung 1.163, 7.354 ff., 9.6, 9.12, 9.109 ff. – Begriff 9.110 – Bezug nur auf Sachverhaltsfragen 9.114, 9.117 – Bindungswirkung 9.129 f. – Entfallen der Bindungswirkung 9.131 ff. – kein Verwaltungsakt 9.135 – materieller Einwendungsausschluss 9.130 – Rechtsschutz 9.135 – richterrechtliches Institut 9.112 – Schätzung 1.622 – bei einer Schlussbesprechung 1.760 – Voraussetzungen für eine Bindungswirkung 9.114 ff. – als zweiseitige Verabredung 9.139 Täuschung i.S. von § 136a 4.66 Tax Amortisation Benefit 10.219 Tax Certainty Mechanismus – OECD 7.321 Tax Compliance – Aufgabe der Konzernsteuerabteilung 6.260 – Begriff 6.259 Tax Compliance Management System 6.256 ff. – Abnahme der „Aufgriffswahrscheinlichkeit“ 6.294 – Angemessenheits- oder Wirksamkeitsprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer 6.275 – Bedeutung für die Betriebsprüfung aus der Sicht der Finanverwaltung 6.276 f. – Bedeutung für die Betriebsprüfung aus der Sicht des steuerpflichtigen Unternehmens 6.278 ff. – Begriff 6.256

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– beschleunigte Veranlagung 6.263 – „entlastende“ Wirkung bei Auftreten steuerstrafrechtsrelevanter Sachverhalte im Rahmen der Betriebsprüfung 6.294 – Grundelemente nach IDW PS 980 6.265 f. – Mehrwert für Betriebsprüfung: Haftung 6.281 – Mehrwert für Betriebsprüfung: Verfahrensbeschleunigung 6.282 ff. – Rechtssicherheit 6.280 – Reduzierung des Haftungsrisikos für die Unternehmensvertreter 6.257, 6.278 f. – steuerstrafrechtliche Abwehrargumentation 6.257 – Straffung und Beschelunigung des gesamten Betriebsprüfungsverfahrens 6.289 ff., 6.294 – Tax Compliance Kultur 6.268 – Tax Compliance Organisation 6.270 – Tax Compliance Programm 6.272 – Tax Compliance Risiken 6.269 – Tax Compliance Ziele 6.269 – Verfahrensbeschleunigung 6.280 – verkürzte Betriebsprüfung 6.263 Tax Compliance System (Tax CMS) 2.103, 2.126 – Grundelemente nach IDW PH 1/2016 2.103 Tax-Compliance-Maßnahme 2.248 ff. – Begrenzung durch Beschäftigtendatenschutz 2.370 ff. Technische bzw. qualifizierte Absetzung 6.62 f. Teil- oder Ergänzungsschätzung 1.574 Teilwert, § 10 BewG, § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG 10.140 Terminal Value (Ewige Rente) 10.188 Testbonierung 5.130 f. Testkauf 1.491 – kein Ausschluss der strafbefreienden Selbstanzeige 1.493 TIEA (Tax Exchange Information Agreements) – Möglichkeit der simultanen Betriebsprüfung 7.281 Tischbericht 5.142 Transaction Control Premium 10.166 Transferpaketbewertung 7.202 ff.

Transferpaketlizenz 7.208 ff. Trennungsprinzip 6.185 Treu und Glauben 9.136 ff. TSE Sicherheitseinrichtung 2.129, 2.158

Überlassung der vom Außenprüfer

erstellten Dateien 2.160 Überlassung von Daten 3.367 Übermaßverbot 1.144 Übernahmegewinn 6.227 Übertragung des Vollrechts – bei Übertragung von Vermögenswerten 10.6 Übertragungsgewinn 6.227, 6.230 Umsatzsteuer – proportionale Verbrauchsteuer 3.145 – als Selbstberechnungssteuer 3.65 Umsatzsteuer-Anrufungsauskunft 3.164; s.a. Lohnsteuer-Anrufungsauskunft Umsatzsteueridentifikationsnummer (Ust-ID-Nummer) 3.130 Umsatzsteuerkarussellbetrug 3.147 UmsatzSteuer-Länder-online (USLO) 3.88 ff. – Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG 3.93 – Mehrwertsteuer-Informations-Austauschsystem (MIAS) 3.89 f. Umsatzsteuer-Nachschau, § 27b UStG 1.201, 1.205, 3.145 ff., 3.356 – Abgrenzung zur Umsatzsteuersonderprüfung 3.150 ff. – Anfangsverdacht für eine Steuerstraftat 3.237 – anlassbezogene ad-hoc-Prüfung 3.154 – Anwendungsfälle 3.174 f. – als Aufklärungsmöglichkeit der Finanzbehörde 3.166 – Begriff 3.150 – zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs 3.150 – Betretungsrecht Geschäfts- und Betriebsräume 3.196 ff. – Beweisverwertungsverbot bei steuerstrafrechtlichem Anfangsverdacht 3.184 – Datenzugriff 3.163, 3.221 ff. – Fortsetzungsfeststellungsklage 3.251 – Gegenwartsprüfung 3.153 901

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– keine Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung 3.244 – keine Betriebsprüfung 3.158 – keine Hemmung der Festsetzungsverjährung 3.244 – keine Prüfungsanordnung 3.189 – keine Zulässigkeit im Ausland 3.211 – Mitwirkungspflichten 3.215 f. – Prüfungsmaßnahme im Rahmen der Festsetzung und Erhebung 3.170 – Rechtsschutz 3.245 ff. – Sperrwirkung einer (strafbefreienden) Selbstanzeige 3.238 ff. – Übergang zur Umsatzsteuersonderprüfung 3.232 – unangekündigte 3.189 – Verwertungsverbot 3.226 f. Umsatzsteuerrechtliche Betriebsstätte 3.185 Umsatzsteuersonderprüfung 1.66, 1.201 f., 3.65 ff. – Anlass- oder Bedarfsprüfung 3.154 – Außenprüfung 3.150 – Erstprüfung 3.157 – Kontrollmitteilung 3.81 f., 3.116 ff. – Kriterien für die Durchführung 3.79 f. – Prüfungsanordnung 3.98 ff. – Prüfungsschwerpunkt Steuerbefreiungen – innergemeinschaftliche Lieferung 3.128 ff. – Prüfungsschwerpunkt Vorsteuerabzug – Ordnungsmäßigkeit von Rechnungen 3.139 ff. – Rechtsgrundlage §§ 193–203 AO 3.70 – Schätzung 3.114 – Umsatzverprobung 3.112 – Unterscheidung zur Umsatzsteuernachschau, § 27b UStG 1.66 – Vorsteuerverprobung 3.113 Umwandlung 6.210 ff. – Bedeutung in der Betriebsprüfungspraxis 6.210 – Begriff 6.210 ff. – Bescheide nach Betriebsprüfung 6.251 – Formwechsel 6.210, 6.212, 6.255 – Gesamtrechtsnachfolge 6.214, 6.252 – als Prüfungsgegenstand 6.227 ff. – Spaltung (Aufspaltung, Abspaltung, Ausgliederung) 6.210, 6.212

– Spaltung, Ausgliederung, Vermögensübertragung im Wege der Teilübertragung 6.253 f. – Verschmelzung 6.210, 6.212 Umwandlung nach §§ 3 ff. UmwStG 6.228 ff. – Abspaltungen und Aufspaltungen von Kapitalgesellschaften auf Personengesellschaften 6.228 – Buchwertansatz 6.235 – Formwechsel von Körperschaften in Personengesellschaften 6.228 – Prüfungshandlungen 6.233 ff. – Übertragungsgewinn 6.227, 6.229 – Verschmelzung von Körperschaften auf Personengesellschaften und natürliche Personen 6.228 – Wertverknüpfung 6.231 – Zwischenwertansatz 6.235 Umwandlung nach §§ 11 ff. UmwStG 6.236 ff. – Ansatz von Buchwert oder Zwischenwert 6.238 – Prüfungshandlungen 6.241 – Verschmelzungen und Spaltungen zwischen Körperschaften 6.236 Umwandlung nach §§ 20 ff. UmwStG 6.242 ff. – Anteilstausch 6.242 – Einbringung von Unternehmensteilen in eine Kapitalgesellschaft 6.242 – Entstrickung 6.246 – Formwechsel von Personen- in Kapitalgesellschaften 6.242 – Prüfungshandlungen 6.247 – Verschmelzung und Spaltung von Personen- in Kaptalgesellschaften 6.242 Umwandlungen nach §§ 24 ff. UmwStG 6.248 ff. – Auf- oder Abspaltungen von Personenauf Personengesellschaften nach § 123 Abs. 1 und 2 UmwStG 6.248 – Ausgliederungen aus Körperschaften, Personengesellschaften oder Einzelunternehmer auf Personengesellschaften nach § 123 Abs. 3 UmwG 6.248 – Einbringung von Betriebsvermögen Unternehmensteilen in Personengesellschaften, § 24 UmwStG 6.248

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– Prüfungshandlungen 6.250 – Verschmelzungen von Personengesellschaften nach §§ 2, 39 ff. UmwStG auf Personengesellschaften 6.248 Unbenannte Zuwendung 10.21 Unentgeltliche Rechtseinräumung 10.31 ff. – Ablösung eines Nießbrauchsrechts durch eine Versorgungsleistung (gleitende Vermögensabgabe) 10.36 ff. – als klarer Schenkungsfall 10.31 – Rückgewähr einer Schenkung 1.43 ff. – Unterhalt 10.52 f. – unverzinsliche Darlehen 10.40 ff. – Zuwendung im privaten Bereich 10.49 ff. – Zuwendung im Zusammenhang mit Familienheim 10.54 ff. – Zuwendungsnießbrauch 10.32 Unionsrecht 2.331 Unionszollkodex (UZK) – Verordnung (EU) Nr. 952/2013 3.432 Unmittelbarer Datenzugriff (Z1) 2.216, 3.163, 3.605 Unmittelbarer Zwang 3.556, 4.43 Unrichtige Angabe 4.11 Unschädliches Reinvestitionsvermögen 10.105 ff. Untätigkeitseinspruch 9.24, 9.61 Untätigkeitsklage 9.24, 9.61 Unterlassen – Steuerhinzerziehung 4.13 Unterlassungsanspruch – gegen internationale Prüfungsmaßnahmen (§ 1004 BGB analog i.V.m. § 30 AO) 7.314 Unterlassungsklage 1.552 f. Unternehmenserbschaftsteuerrecht – begünstigungswürdiges und nicht begünstigungswürdiges betriebliches Vermögen 10.64 ff. – erbschaftsteuerliche Begünstigung von land- und fortwirtschaftlichem sowie betrieblichem Vermögen 10.68 – gleitender Abzugsbetrag 10.66 – Optionsverschonung 10.65 – Regelverschonungsabschlag 10.65 Unternehmereigenschaft 3.185

Unterordnungskonzern 6.15 ff. – abhängige(s) Unternehmen 6.17 ff. – Beherrschungsvertrag 6.21 – herrschendes Unternehmen 6.16 – Mehrheitsbeteiligung 6.22 – Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung 6.20 ff. Unterrichtungspflicht des Prüfers, § 199 Abs. 2 AO – über mögliche steuerliche Auswirkungen 1.673 ff. Untreue – § 266 StGB 4.26 Unverwertbarkeit einer Verrechnungspreisdokumentation – Beispiele 7.35 – Meinungsstand in der Literatur 7.37 ff. Unverzinsliches Darlehen – Schenkung in der Differenz zwischen marktüblichem Darlehenszinssatz und vereinbartem Zinssatz 10.41 – unentgeltliche Rechtseinräumung 10.40 – bei zinslos gestundeten Zugewinnausgleichsansprüchen 10.42 Unvollständige Angabe 4.11 Ursprung (der Ware) 3.498; s.a. EU-Ursprungseigenschaft – nichtpräfenzieller 3.498 – Präferenzursprung 3.498 Ursprungserklärung 3.597 User-Ebene 2.114

Veranlagungssteuer 4.16 Verarbeitung personenbezogener Daten 2.274, 2.277 – Rechtmäßigkeit 2.279 Verarbeitungskontrolle 2.122 Verbandsstraftat 4.31 Verbindliche Auskunft, § 89 Abs. 2 AO 1.24, 1.164, 9.1 ff. – Ablehnungsbescheid 9.34, 9.59 – Anspruch auf Auskunftserteilung 9.27 – Antrag 9.13 ff. – Bearbeitungs- und Entscheidungsfrist 9.22 ff. – Bindungswirkung 9.44 ff. – Bindungswirkung bei nicht richtiger Auskunft 9.47 – Dispositionsinteresse 9.19, 9.32 f. 903

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Stichwortverzeichnis

– Entfallen der Bindungswirkung bei Gesetzesänderung 9.49 f. – Entfallen der Bindungswirkung durch Verwaltungsakt (Aufhebung, Änderung) 9.51 ff. – Entfallen der Bindungswirkung durch Verwaltungsakt (Berichtigung, Rücknahme, Widerruf) 9.55 ff. – Entschließungs-, kein Auswahlermessen 9.36 ff. – Gebührenpflicht 9.67 ff. – geplanter, noch nicht verwirklichter Sachverhalt 9.15, 9.28 ff. – gesetzliche Grundlage 9.4 – negative Auskunft 9.34 f., 9.60 – positive Auskunft 9.34 f. – Rechtsschutz 9.58 ff. – Rechtsschutz, vorläufiger 9.65 f. – rechtswidriger Steuer- oder Feststellungsbescheid 9.62 f. – sechsmonatige Entscheidungsfrist für die Finanzbehörde 9.4 – Untätigkeit der Finanzbehörde 9.61 – Verwaltungsakt 9.24, 9.35 – Wegfall der Bindungswirkung 1.164 Verbindliche Willensäußerung durch Finanzbehörden 9.6 Verbindliche Zusage 1.23 f., 1.162, 9.75 ff. – Abgrenzung zu verbindlicher Auskunft, tatsächlicher Verständigung 9.77 – Ablehnung nur bei besonderen Gründen 9.91 f. – im Anschluss an eine Außenprüfung 9.6 f., 9.76, 9.80 f. – begünstigender Verwaltungsakt 9.93 f. – Bestandskraft 9.103 – Bindungswirkung 9.99 ff. – bei Dauersachverhalten 9.7 – bei gefundener Verrechnungspreislösung 7.137 f. – gesetzesakzessorisch 9.104 – Praxisrelevanz 9.78 – Rechtsgrundlagen bei einer Betriebsprüfung, §§ 204 bis 207 AO 1.35 – Sachverhalt als Gegenstand der Betriebsprüfung 9.86 – Zusageinteresse 9.89 f. Verbindlichkeit – Unterscheidung zur Rückstellung 8.9

Verbindlichkeitsrückstellung – Passivierungspflicht 8.7 Verbotsirrtum, § 17 StGB 4.24 Verbrauchsteuerarten 3.523 f. Verbrauchsteuerprüfung 3.521 ff. – Gegenstand 3.603 – Rechtsgrundlage 3.601 Verbrauchsteuer-Zusammenarbeitsverordnung 7.271 Verdacht 1.540 Verdeckte Gewinnausschüttung – als erbschaft- und schenkungsteuerliches Prüfungsfeld 10.19 Vereinfachtes Ertragswertverfahren (§§ 199 BewG) 10.226 ff. – Ausrichtung auf Bewertung des betriebsnotwendigen Vermögens 10.235 – Bewertung ausländischer Anteile 10.241 f. – Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften 10.226 – Bewertung von Betriebsvermögen kleinerer Unternehmen 10.226 – Ermittlung des angemessenen Unternehmerlohns 10.234 – Kapitalisierungszinssatz 10.240 – keine Anwendbarkeit 10.228 – unbegrenzter Kapitalisierungszeitraum 10.230 – ungeeignet bei komplexen Strukturen von verbundenen Unternehmen 10.242 – Vollausschüttungshypothese 10.238 Verfahrensdokumentation 1.153, 5.113 ff. – allgemeine Beschreibung 2.82 f. – Anwenderdokumentation 2.84 f. – Begriff 2.95 – Betriebsdokumentation und internes Kontrollsystem 2.88 f. – technische Systemdokumentation 2.86 f. – Verpflichtung zur Erstellung nach GoBD 1.651, 2.7, 2.59 ff. – Zweck 2.68 ff. Verfahrensökonomie – abgekürzte Betriebsprüfung 3.5 Verfahrensrechtsmodernisierungsgesetz 1.60 Verfolgungsverjährung – strafrechtliche 4.23

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Vergangenheitsbezogene Verständigungsverfahren 7.326 ff. – EU-DoppelbesteuerungsabkommenStreitbeilegungsgesetz (EU-DBA-SBG) 7.391 ff. – EU-Schiedskonvention 7.374 ff. – Schiedsverfahren nach DBA 7.360 ff. – Verständigungsverfahren nach DBA 7.326 ff. Vergleichswertverfahren/Vergleichsfaktorverfahren 10.257 ff. – Heranziehung von Grundstückskaufpreisen (Vergleichsgrundstück), § 183 Abs. 1 BewG 10.258 f. – auf Basis repräsentativer Werte aus Grundstücksmarktberichten 10.263 – Vergleichsfaktoren bei nicht ermittelbaren Vergleichswerten, § 183 Abs. 2 BewG 10.258 – Vergleichsgrundstückskaufpreis 10.262 Verhandlungsmanagement 1.904 ff. – Betriebsprüfungsdiskussion als Kommunikationsprozess 1.904 ff. – effektive, lösungsorientierte Verhandlungsführung 1.954 ff. – Verhandlungsphasen 1.909 ff. Verhandlungsphasen bei einer Betriebsprüfung – Kernphase der Verhandlung 1.916 ff. – Kontaktphase 1.915 – Umsetzungsphase 1.919 f. – Vereinbarungsphase 1.918 – Vorbereitungsphase 1.910 ff. Verhandlungssituation – schwierige 1.945 ff. Verhandlungsstile in der steuerlichen Betriebsprüfung 1.921 ff. – Anwendbarkeit in der Betriebsprüfungspraxis 1.938 ff. – harter Stil 1.922 ff. – interessenbasierter Stil 1.927 ff. – Vorteile des interessenbasierten Stils 1.941 – weicher Stil 1.925 f. Verifikationsprinzip 1.60, 2.94 Verjährungsfrist – Zollrecht 3.501

Verlagerung der elektronischen Buchführung ins Ausland – Beantragung beim Finanzamt 6.153 f. – schriftlicher Antrag für jedes einzelne Konzernunternehmen 6.154 Verlängerter Nießbrauch 10.35 Verlängertes Steuergeheimnis 1.856 Verletzung des Steuergeheimnisses 1.859 Vermindertes Beweismaß 7.98 Vermögenszuwachsrechnung 1.594, 1.609 ff. Verpflichtung – betrieblich veranlasst 8.22 Verpflichtung, Verpflichtungsgrad – aus einer steuerlichen Betriebsprüfung 8.4 f. Verpflichtungsklage 1.327 Verpflichtungsklage, § 40 Abs. 1 Alt. 2 FGO 1.841 Verprobung 1.578 ff. Verrechnungsform bei konzerninterner Dienstleistungsverrechnung 7.149 ff. – bilaterale Verrechnung 7.149 – Konzernumlage 7.149 f. – Kostenumlage nach dem Pool-Konzept 7.151 Verrechnungspreis 7.1 f. – beispielhafte Prüfungsproblemfelder 7.141 ff.; s.a. Beispiele für Prüfungsproblemfelder bei Verrechnungspreisen – bei grenzüberschreitend handelnden Konzernunternehmen 7.1 – Hauptphasen der steuerlichen Betriebsprüfung 7.5 ff.; s.a. Hauptphasen der steuerlichen Betriebsprüfung im Bereich der Verrechnungspreise – Prüfung steuerlicher Verrechnungspreissachverhalte 7.4 ff. – Rechtsverbindlichkeit einer gefundenen Lösung für die Zukunft 7.137 ff.; s.a. Rechtsbindlichkeit einer gefundenen Verrechungspreislösung für die Zukunft Verrechnungspreisdokumentation 1.583, 7.15 ff. – Benchmarking-Analyse der Betriebsprüfung 7.103 ff. – ernsthaftes Bemühen bei der Erstellung 7.32 ff. – fremdsprachige 7.23 ff. 905

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– Fremdvergleichskonformität 7.53 f. – Konfliktsituationen in der Praxis 7.120 ff.; s.a. Konfliktsituationen in der Praxis zu Verrechnungspreisen/Verrechnungspreisdokumentation – Konsequenzen für den Steuerpflichtigen bei unverwertbarer Dokumentation 7.30 f. – Nachverfolgbarkeit der Verrechnungspreisermittlung durch den Betriebsprüfer 7.46 – Prüfung des Inhalts 7.28 ff. – Schätzung bei verspäteter Dokumentation 7.102 – Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 2 AO bei Verwertbarkeit 7.92 ff. – Schätzungsbefugnis nach § 162 Abs. 3 AO bei sog. Dokumentationsversagen 7.99 ff. – steuerstrafrechtliche Aspekte einer unverwertbaren Dokumentation 7.111 ff. – Streitpunkt Unverwertbarkeit 7.29 ff. – Unverwertbarkeit kommt Nichtdokumentation gleich 7.51 – Vergleichbarkeitsprüfung auf Basis einer Datenbankanalyse 7.107 f. – Verwertbarkeit nach (aktualisierter) Auffassung der Finanzverwaltung 7.34 ff., 7.48 – Verwertbarkeit nach Meinungsstand in der Literatur 7.37 ff. – Vorlage 7.17 – Vorlageanfrage 7.18 – Vorlagefrist 7.17 – Zuschläge nach § 162 Abs. 4 AO zur Sanktionierung der Unverwertbarkeit 7.113 ff. Verrechnungspreisdokumentationspflicht 7.47 Verrechnungspreisgutachten – und dessen Vorlage 7.78 ff. Verrechnungspreiskonflikt 7.2 f. – Gegenstand der steuerlichen Betriebsprüfung 7.3 Verrechnungspreismethodenwahl 7.55 ff. Verrechnungspreisprüfung – koordinierte 7.228 – koordinierte, positive Effekte auf den EU-Binnenmarkt 7.228

Verrechnungspreis-Stresstest – bei Vorbereitung der Betriebsprüfung 7.10 Verrechnungspreissystem – Diskussion im Rahmen der Prüfungsphase 7.59 f. Verschiebungsantrag, § 197 Abs. 2 AO – Beginn der Betriebsprüfung 1.323 f. – Gründe 1.326 Verschmelzung 6.216 ff. – Prüfungsanordnung 6.216 ff. Verschonungsprüfung 10.81 Versicherungs- und Feuerschutzsteuer – Anordnung und Durchführung einer Betriebsprüfung durch das Bundeszentralamt für Steuern 1.127 Verspätungszuschlag – Einbezug in Rückstellungen 8.28 f. Verständigungs- bzw. Schiedsverfahren s.a. Schiedsverfahren nach DBA – nach EU-SchÜ 1.912 – nach Gesetz zur Umsetzung der Streitbeilegungsrichtlinie (EU) 2017/1852 in der EU 1.912 – internationale 7.326 Verständigungsverfahren 3.30, 7.322 ff. – zur Beseitigung bzw. Vermeidung von Doppelbesteuerung 7.324 – Doppelbesteuerungsabkommen 7.323 f., 7.326 – EU-DoppelbesteuerungsabkommenStreitbeilegungsgesetz (EU-DBA-SBG) 7.391 ff. – EU-Schiedskonvention 7.374 ff. – Konsultationsverfahren 7.325 – multilaterales Instrument 7.417 f. – präventive 7.324 – reaktive 7.324 f. – Schiedsübereinkommen 7.323 – vergangenheitsbezogene 7.325; s.a. vergangenheitsbezogene Verständigungsverfahren – Vorabverständigungsverfahren (APA) 7.324; s.a. Vorabverständigungsverfahren Verständigungsverfahren nach DBA 7.326 ff. – Antragsbefugnis 7.334 ff. – Antragsberechtigung 7.330 ff. – Antragserfordernis 7.328 f.

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– Antragsfrist 7.338 ff. – Besonderheit für Personengesellschaften 7.331 – Ort der Antragstellung 7.328 – und Rechtsbehelfsverfahren 7.342 – Scheitern, ggfls. Beantragung eines Schiedsverfahrens 7.351 – Scheitern, ggfls. Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 7.352 f. – Verzicht 7.354 Vertragsrückabwicklung – durch Wegfall der Geschäftsgrundlage 10.131 Vertrauensbestätigung 9.154 ff. Vertrauensbildende Maßnahme – auf Unternehmensseite gegenüber der Finanzbehörde 2.205 Vertrauensschutz 1.24, 9.136 ff. – sonstiger Vertrauenstatbestand 9.140 ff. Verwaltungsgrundsätze-Funktionsverlagerung 2010 10.223 Verwaltungsinterner Prüfungsentschluss 1.182 f. Verwaltungsvermögen – Besonderheiten bei der Betriebsprüfung unter erbschaft- und schenkungsteuerlichen Aspekten 10.81 ff. – Bewertungsstreitfragen 10.87 f. – Finanzmittel, Unschädlichkeitsgrenze von 15% 10.94 – junge Finanzmittel 10.96 – junges, keine Steuerverschonung nach § 13a, b ErbStG 10.92 ff. – Nettowert 10.89 ff. – nicht belastende Schulden 10.90 – nicht betriebsnotwendiges Vermögen 10.90 – Optionsfalle 10.100 – Privatvermögen im Betriebsvermögen 10.102 ff. – Schädlichkeitstatbestand nach § 13a Abs. 6 EStG 10.108 ff. – Überprüfung der Einzelwertberichtigungen auf Forderungen 10.99 – Überprüfung der Vollständigkeit von Rückstellungen 10.99 – unschädliches 10.97 – unschädliches Reinvestitionsvermögen 10.105 ff.

Verwaltungsvermögensquote 10.100 Verwaltungsvermögenstest – als Kernelement der Verschonungsprüfung für unternehmerisches Vermögen des ErbStG 10.81 Verwaltungszwang – Zwangsgeld 1.460 Verwendung mehrerer Geschäftskassen 5.77 f. Verwerfung der Buchhaltung 5.124, 5.157 – steuerliche Auswirkungen 5.158 ff. – strafrechtliche Auswirkungen 5.162 ff. Verwerfung einer formell ordnungsgemäßen Buchhaltung – hohe Anforderungen an die Verprobung 1.580 – hohe Anforderungen auf Basis der Rechtsprechung des BFH 1.567 Verwertungsverbot – Anforderungen 1.387 ff. – Ergebnisse aus der Betriebsprüfung 1.139 – materiell-rechtliches 1.387, 1.393 f. – Prüfungsanordnung 1.381 ff. – Sachverhaltskenntnisse durch rechtswidriges Vorgehen des Betriebsprüfers 1.396 – steuerliches 4.66 – strafrechtliches 4.64, 4.66 – verfahrensrechtliches 1.387 ff. Verzögerungsgeld 3.282, 3.478 Vollschätzung 1.557, 1.572 Vollständigkeitsprinzip – bilanzielles 8.2 Vollverschonung 10.100 Vorab-Mitteilungspflicht 1.482 Vorabschenkung eines Anteils an einer Personengesellschaft – an GmbH-Mitgesellschafter 10.80 Vorabverständigungsverfahren (APA) 3.30, 7.137, 7.316, 7.419 ff. – Antrags- und Änderungsgebühr 7.437 ff. – automatischer Informationsaustausch 7.447 – berechtigtes Interesse 7.429 – bilaterales 7.138 – bilaterales, mutlilaterales, unilaterales 7.426 ff. 907

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– Dauer 7.437 – Definition 7.421 – Einführung durch das Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz mit § 89a AO 7.316 – erfolgreicher Abschluss durch völkerrechtlichen Vertrag 7.446 – Fortschreibung (Renewal) 7.437 – Gültigkeitsbedingungen 7.443 – Inhalt 7.434 – Jahresbericht 7.444 – Laufzeit 7.436 – als präventives Verständigungsverfahren 7.324 – Rechtsgrundlage 7.421 ff. – Rollback 7.442 – Verringerung des Risikos einer doppelten Besteuerung 7.419 – Vorabgespräch (Prefiling Meeting) 7.430 – Vorabzusage 7.432 Vorbehalt der Nachprüfung 1.730, 3.147 ff., 9.136 – Anwendungsbereich 1.731 – Aufhebung, § 164 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 3 AO 1.170, 1.347 f. – Bedeutung 1.730 – zur Beschleunigung der steuerlichen Veranlagung 1.730 – Umsatzsteuervoranmeldung, Umsatzsteuerjahresmeldung 3.121 f. Vorbehaltsfestsetzung s. Vorbehalt der Nachprüfung – nicht bei Haftungsbescheiden, Abrechnungsbescheiden, Bescheiden über die Festsetzung von Verspätungszuschlägen 1.731 Vorbeugende Feststellungsklage – quasi-negatorischer Abwehranspruch nach §§ 1004 BGB analog, 30 AO 7.22 Vorbeugende Unterlassungsklage, § 40 Abs. 1 Alr. 3 FGO 1.861 Vorenthalten von Arbeitsentgelt – § 266a StGB 4.26 Vorhersehbare Prüfungsfeststellung 8.12 f. Vorlagenverweigerungsrecht Dritter 1.473 f. Vorläufige Prüfungsfeststellung 2.235 ff. Vorläufiger Prüfungsbericht 2.243

Vorläufiger Rechtsschutz 1.831 ff. – Aussetzung der Vollziehung 1.832 ff.; s. Aussetzung der Vollziehung – einstweilige Anordnung durch das Finanzgericht, § 114 FGO 1.841 ff. Vorläufiger Rechtsschutz gegen eine Prüfungsanordnung – durch Aussetzung der Vollziehung 1.376 ff. Vorsatz 4.24 – bedingter 4.24 Vorschriften zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen, § 140 – 144 AO 1.12 Vorsichtsprinzip – bilanzielles 8.2 Vorsystem 1.77

Warengruppenbericht 5.135 ff. – Begriff 5.135 – Möglichkeit zur Aufdeckung von Umsatzverkürzungen 5.137 f. Warenverkehrsbescheinigung 3.597 Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB 10.127 – Voraussetzungen 10.128 f. Welteinkommensprinzip 7.217 Wertaufhellende Tatsache 8.49 f. Werterhöhung in Kapitalgesellschaftsanteilen – Schenkungsteuerbarkeit, § 7 Abs. 8 ErbStG 10.73 ff. Wertverknüpfung 6.231 Widerspruch, § 69 VwGO 3.537 Widerspruchslösung 4.64 Wiederholungsprüfung 1.390 ff. Wiegesystem 5.20 Willing-to-pay-test 7.143 Willkürverbot 3.273 Wirtschaftszweignummer 1.92 Wohnsitzprinzip bei der Einkommensteuer, § 18 AO 1.56 Wohnung, Wohnraum – Betretungsrecht durch den Prüfer 1.501 – grundgesetzlicher Schutz hinsichtlich Betretungsrecht, Art. 13 GG 3.198 f., 3.203 ff., 3.206 ff., 3.349 f., 3.351 – grundrechtlich geschützte Unverletzlichkeit 3.311

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Zahlung einer Abfindung

– für den Verzicht auf einen (künftigen) Pflichtteilsanspruch 10.17 Zapper 5.110 ZAUBER – Zentrale Datenbank zur Speicherung und Auswertung von Umsatzsteuerbetrugsfällen und zur Entwicklung von Risikoprofilen 3.95 ff. Z-Bon 5.103 ff. Zeitdauer der Betriebsprüfung – Beschränkung auf das notwendige Maß 7.127 Zeitgerechtes Betriebsprüfungsmanagement 2.9 Zeitgleiche Übertragung – von Gesellschaftsanteil und Sonderbetriebsvermögensgegenstand 10.72 Zeitnahe Betriebsprüfung 1.21, 2.204, 3.25 ff. – Begriff 3.25 – Datenzugriff 3.44 – Entwicklung 3.31 ff. – auf Initiative des Steuerpflichtigen 3.36 f. – Mangel an Personal und Sachressourcen 3.29 – Probleme bei Auslandssachverhalten 3.30 – Prüfungszeitraum 3.38 ff. – Regelung in § 4a BPO 1.10, 1.15 – als Schwerpunktprüfung 3.27 – Verkürzung der Prüfungsdauer 3.28 Zeitreihenvergleich 1.594 – mathematisch-statistische Schätzungsmethode 1.611 Zeitverschobene Betriebsprüfung 3.26 Zeitzonenbericht 5.141 Zentrale Außenprüfung Lohnsteuer (ZALST) 3.266 Zentrum für Informationsverarbeitung und Informationstechnik (ZIVIT) 1.7 Zero-Mode 5.103 Zertifizierte Kasse 3.368 Zertifizierte Sicherheitseinrichtung (TSE) 5.31 ff. – Nichtbeanstandungsregelung vom 30.9.2020 5.34 – Sicherheitsmodel 5.32

– bei der Verwendung von Kassen (§ 146a AO) 5.111 Zinsänderungseffekt 8.82 Zinseffekt 8.64 Zitiergebot, Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG 3.312 Zollamt 3.407 Zollamtliche Überwachung – Rechtsgrundlage 3.601 Zollbeleg 3.578 – Verknüpfung mit der Unternehmensbuchführung 3.582 Zollfahndungsamt 3.406, 3.442 Zollfahnung 3.442 ff. Zollprüfung 3.493 ff. – Gegenstand 3.603 – Rechtsgrundlage 3.494, 3.601 – Ziel 3.497 Zollrecht – Verjährungsfrist 3.501 Zolltarif – elektronischer 3.507 Zolltarifnummer 3.498 Zollunion 3.504 Zollverwaltung 3.403 ff. – Berücksichtigung der GoBD 3.583 ff. Zollwert 3.498 Zufallsauswahl 1.116 Zugangs- und Zugriffsberechtigungskonzept 2.107 Zugangsberechtigungskontrolle 2.108 Zugelassener Ausführer 3.558 Zugewinnausgleich – fliegender 10.121 – rechnerischer 10.121 Zugewinngemeinschaft 10.119, 10.123 Zugriffrecht auf Datenverarbeitungssystem, § 147 Abs. 6 AO 1.37 Zulässige Zweckänderung nach § 24 BDSG 2.351 ff. – Gefahrenabwehr, Strafverfolgung, § 24 Abs. 1 Nr. 1 BDSG 2.354 f., 2.361 – Geltendmachung, Ausübung und Verteidigung zivilrechtlicher Ansprüche, § 24 Abs. 1 Nr. 2 BDSG 2.356, 2.363 Zulässigkeit von Betriebsprüfungen 1.186 ff. – Gewinneinkünfte 1.187 f. – Überschusseinkünfte 1.188 f. 909

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Zusageinteresse 9.89 f. Zusammenarbeitsverordnung – Verordnung EU Nr. 904/2010 3.83 Zuständigkeitskonzentration – bei Durchführung einer Betriebsprüfung, § 17 Abs. 2 Satz 3 FVG) 1.213 – bei einer Konzernbetriebsprüfung 1.130 Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AO 6.190 Zuwendung, Zuwendungstatbestand 10.2 ff. – Rechtsverzicht 10.7 Zuwendungsnießbrauch 10.32 ff. – Berechnung des Nießbrauchswerts bei Betriebsprüfungen 10.33 Zuwendungssukzessivnießbrauch 10.32 Zuwendungsverhältnis 10.16 ff. Zwangsgeld 1.460, 3.556, 4.44 Zwangsmittel 3.316, 3.383 f., 3.478, 4.43 f. Zwangsmittelverbot 4.60, 4.64 Zweck der Nachschauen – Kassen-, Lohnsteuer-, Umsatzsteuernachschau 3.358 Zweckänderung – bei Nutzung von Daten zum Zweck der Compliance-Tätigkeit 2.290 f.

Zweckänderung der Datenverarbeitung 2.343 f. Zwischenbesprechung i.S. v. § 199 Abs. 2 AO 1.678 ff. – Abgrenzung zur Schlussbesprechung 1.678 ff. – Abgrenzung zur Schlussbesprechung nach materiellen Gesichtspunkten 1.681 f. – zwischen Betriebsprüfer und Steuerpflichtigem 1.403 – bei Groß- und Konzernbetriebsprüfung 1.662 – kein Beweisverwertungsverbot bei Verletzung des § 199 Abs. 2 AO 1.683 Zwischenstaatliche Abkommen – Möglichkeit der Prüferentsendung 7.282 Zwischenstaatliche Amtshilfe, § 117 Abs. 4 AO 7.217 f. – innerstaatliche Durchführung durch deutsche Finanzbehörden 7.254 f. Zwischenstaatliche Amtshilfe in Steuersachen, § 117 AO – Voraussetzungen und Durchführung 7.254 ff.

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